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German Pages 294 Year 2020
Ines Weßels Zum Bischof werden im Mittelalter
Praktiken der Subjektivierung | Band 16
Editorial Poststrukturalismus und Praxistheorien haben die cartesianische Universalie eines sich selbst reflektierenden Subjekts aufgelöst. Das Subjekt gilt nicht länger als autonomes Zentrum der Initiative, sondern wird in seiner jeweiligen sozialen Identität als Diskurseffekt oder Produkt sozialer Praktiken analysiert. Dieser Zugang hat sich als außerordentlich produktiv für kritische Kultur- und Gesellschaftsanalysen erwiesen. Der analytische Wert der Kategorie der Subjektivierung besteht darin, verwandte Konzepte der Individuierung, Disziplinierung oder der Habitualisierung zu ergänzen, indem sie andere Momente der Selbst-Bildung in den Blick rückt. So verstehen sich die Analysen des DFGGraduiertenkollegs »Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive« als Beiträge zur Entwicklung eines revidierten Subjektverständnisses. Sie tragen zentralen Dimensionen der Subjektivität wie Handlungsfähigkeit und Reflexionsvermögen Rechnung, ohne hinter die Einsicht in die Geschichtlichkeit und die Gesellschaftlichkeit des Subjekts zurückzufallen. Auf diese Weise soll ein vertieftes Verständnis des Wechselspiels von doing subject und doing culture in verschiedenen Zeit-Räumen entstehen. Die Reihe wird herausgegeben von Thomas Alkemeyer, Gunilla Budde, Thomas Etzemüller, Dagmar Freist, Rudolf Holbach, Johann Kreuzer, Sabine Kyora, Gesa Lindemann, Ulrike Link-Wieczorek, Norbert Ricken, Reinhard Schulz und Silke Wenk.
Ines Weßels, geb. 1985, ist wissenschaftliche Mitarbeiterin und ehemalige Kollegiatin im DFG-Graduiertenkolleg »Selbstbildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive« an der Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind mittelalterliche Kirchengeschichte und Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive.
Editorial Post-structuralism and practice theories have shaken the Cartesian universal notion of the self-reflecting subject to its core. No longer is the subject viewed as the autonomous point of origin for initiative, but rather is analysed in the context of its respective social identity constructed by discourse and produced by social practices. This perspective has proven itself to be of exceptional utility for cultural and social analysis. The analytical value of the ensuing concept of subjectivation is the potential of supplementing related terms such as individualisation, disciplinary power, or habitualization by bringing new aspects of self-making to the fore. In this context, the analyses of the DFG Research Training Group »Self-Making. Practices of Subjectivation in Historical and Interdisciplinary Perspective« aim to contribute to the development of a revised understanding of the subject. They still take the fundamental dimensions of subjectivity such as agency and reflexivity into account, but do not overlook or lose sight of the historicity and sociality of the subject. Thus, the ultimate aim is to reach a deeper understanding of the interplay of doing subject and doing culture in various spaces of (and in) time.
Ines Weßels
Zum Bischof werden im Mittelalter Eine praxistheoretische Analyse vormoderner Selbstbildung
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Inhalt
Danksagung ........................................................................ 9 Einleitung .......................................................................... 11 1. Untersuchungsgegenstand ............................................................................ 11 2. Theoretischer Zugang ................................................................................. 14 3. Quellengrundlage ....................................................................................... 21 4. Konzeptionelle Überlegungen........................................................................26 Das Amt des mittelalterlichen Bischofs ............................................ 31 5. Aufgabenspektrum ..................................................................................... 31 6. Karrierewege.............................................................................................40 7. Wahlverfahren und Erhebungspraktiken ..........................................................46 Formierung in ein bischöfliches Selbst ............................................. 51 8. Selbstveränderung im neuen Amt ................................................................. 53 9. Einübungsprozesse im bischöflichen Alltag ..................................................... 61 10. Zusammenfassung ................................................................................... 84 Erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung ....................... 87 11. Fallbeispiele im Kontext der Landesherrschaft................................................ 89 12. Fallbeispiele im Kontext der Geistlichkeit ......................................................137 13. Fallbeispiele im Kontext der (Bischofs-)Stadt ................................................. 161 14. Zusammenfassung .................................................................................. 186 Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess ......................... 187 15. Probleme............................................................................................... 188 16. Störungen............................................................................................... 210 17. Zusammenfassung................................................................................... 238
Schlussbetrachtung ...............................................................241 Literaturverzeichnis.............................................................. 247 Zitierte Quellen ........................................................................................... 247 Literatur .................................................................................................... 249 Online-Dokumente ........................................................................................ 291
Danksagung
Bei dem vorliegenden Werk handelt es sich um meine überarbeitete Dissertationsschrift, die ich am 20. November 2018 unter dem Titel »›Hängen wir die bischöfliche Würde an die Wand‹« – Selbst-Bildung(en) mittelalterlicher Bischöfe im Spiegel von Chroniken des 13. bis 15. Jahrhunderts« an der Fakultät für Human- und Gesellschaftswissenschaften an der Carl von Ossietzky Universität verteidigt habe. Mein herzlicher Dank gilt an erster Stelle meinem Erstgutachter Prof. Dr. Rudolf Holbach, für die intensive Betreuung und Begleitung meines Vorhabens. Meine Promotion unterstützend flankiert hat ferner meine Zweitgutachterin Prof. Dr. Ulrike Link-Wieczorek, der ich ebenso herzlich danken möchte. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Mark Siebel, der das Promotionsverfahren geleitet hat, sowie Prof. Dr. Gunilla Budde und Prof. Dr. Dietmar von Reeken. Umsetzen ließ sich das Projekt durch ein Stipendium der Deutschen Forschungsgesellschaft, das ich durch meine Aufnahme in das Graduiertenkolleg 1608/2 »Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive« an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg erhalten habe. Hierfür bin ich zutiefst dankbar. Die Erfahrungen, die ich in diesem Kolleg machen durfte, die Gespräche und der Austausch mit den beteiligten Hochschullehrenden und meinen Kollegiat*innen waren ungemein wertvoll und eine Bereicherung für diese Arbeit. Ebenso danken möchte ich meinen Kollegen am Institut für Geschichte, Dr. David Weiss und Matthias Büttner, ohne deren Zuspruch ich zu oft verzweifelt wäre. Mein ganz besonderer Dank gilt Dr. Sarah Neumann: immer wieder hat sie sich für mich Zeit genommen und sich meine Ideen angehört, hat diskutiert, mitgedacht und korrigiert. Für ihre beständige Motivation bin ich ihr sehr verbunden.
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Von Herzen danken möchte ich meiner Schwester, die mir den Weg an die Universität vorgelebt hat und mir dadurch eine Welt eröffnet hat, deren Teil ich werden durfte. Die liebevolle Fürsprache und Unterstützung meiner Eltern, die mir immer alles ermöglichten, bestärkten mich stets in meinem Vorhaben. In allen Phasen dieser Arbeit jedoch – den erfreulichen, den aufregenden aber auch den frustvollen – war mein Mann für mich da. Sein Vertrauen, seine Bestärkung und Unterstützung haben die Umsetzung wirklich gelingen lassen. Ihnen allen gilt mein tiefster und innigster Dank! Oldenburg, im Januar 2020 Ines Weßels
Einleitung
1. Untersuchungsgegenstand In den Gesta Baldewini1 findet sich über den Trierer Erzbischof Balduin von Luxemburg (1307-1354)2 folgende Erzählung: »In seinem Auftreten, seinen Worten und Taten war er wahrhaftig, beständig und immer ernst. Doch in der Zeit seiner Jugend, die dem Frohsinn zugetan war, sprach er privat mit seinen Rittern, Kaplänen, Kämmerern und Junkern wie der Geringste von ihnen: »Hängen wir die bischöfliche Würde an die Wand« – und war, bald überlegen, bald unterlegen, der heiterste Gefährte beim Sprung, leichtfüßig beim Lauf; er warf den Stein weiter als die übrigen und übertraf sie an Körperkräften.«3 Der Autor, der unbekannter Herkunft ist, aber vermutlich dem engsten Kreis Balduins angehörte, zeichnet mit diesen Worten zwei Jahre nach dem Tod seines erzbischöflichen Auftraggebers das Bild eines mittelalterlichen Kirchenfürsten, wie er sich rennend und raufend mit anderen Männern seines Hofes 1 2 3
Der vollständige Titel lautet: Gesta Baldewini de Luczenburch Trevirensis archiepiscopi et Henrici VII Imp. Die in den Klammern angegebenen Jahreszahlen beziehen sich in der gesamten Arbeit auf die Regierungsjahre der genannten Personen. Übersetzung nach Zenz, Emil: Die Taten der Trierer. Gesta Treverorum, Bd. V: Balduin von Luxemburg 1307-1354, Trier 1961, S. 22. Das lateinische Original findet sich bei Wyttenbach, Johannes Hugo/Müller, Michael Franz Joseph: Gesta Trevirorum II, Trier 1838, S. 197: »In incessu, dictis et factis, veridicus, stabilis fuit, et semper seriosus. Tempore vero jocunditati opportuno suae juventutis, occulte cum suis militibus, capellanis, camerariis et domicellis, velut eorum minimus, dicens : Episcopalem dignitatem suspendimus ad parietem : nunc superior, nunc inferior, socius jocundissimus saltando, currendo levissimus, lapidem ceteris praejactando, eos viribus fortissimus praecellere cernebatur.« (Herv. i.O.).
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im Wettkampf misst. Ein Bild, das für einen Nachfolger der Apostel doch sehr ungewöhnlich erscheint. Als Bischof repräsentierte Balduin die Institution Kirche und war »Sinnbild und Bürge der für die Kirche wesentl[ichen] u[nd] unentbehrl[ichen] Einheit«4 . Damit verbunden war ein entsprechend würdevoller Lebenswandel, der sich im Idealfall an der Lebensweise eines Mönches orientierte. Den Worten des Autors ist zu entnehmen, dass die Öffentlichkeit einen so proklamierten würdevollen Erzbischof wohl auch tatsächlich zu Gesicht bekam. Im oben skizzierten privaten Kreis (»occulte«) allerdings erlaubte sich Balduin von Luxemburg Verhaltensweisen, die mit den theologischen Rollenanforderungen an einen Erzbischof nicht übereinstimmten. Die ergänzende Verortung der Szene in die Jugendzeit (»suae juventutis«)5 des Luxemburgers, »die dem Frohsinn zugetan war«, scheint darüber hinaus die Funktion einer Entschärfung zu haben. Wesentlich in der historischen Erzählung ist jedoch, dass dem Erzbischof die Ungewöhnlichkeit seiner Handlung wohl bewusst ist. Er legt seine erzbischöfliche Rolle temporär ab, um sich von den proklamierten (theologischen) Anforderungen an das Bischofsamt kurzzeitig zu lösen. Dadurch ergibt sich seiner Auffassung nach ein Spielraum, der es ihm erlaubt, eine andere Rolle einzunehmen, die entsprechend andere Anforderungen bedient. Denn die Handlungen Balduins zielen auf einen politischen Herrschaftseffekt: Indem sich der Erzbischof als eine Art »primus inter pares« mit seiner weltlichen Mannschaft gemein macht, festigt er die persönlichen Beziehungen zu seinen Rittern, Kaplänen und Kämmerern und liefert ihnen ein Identifikationsangebot, das durch den adeligen Wertekanon von Treue 4 5
Mörsdorf, Klaus: Bischof, in: Lexikon für Theologie und Kirche 2, Freiburg 1958, Sp. 491505, hier Sp. 495. Als juventus wird im Rahmen der mittelalterlichen Kindheit der Zeitabschnitt nach der Adoleszenz bezeichnet. Es herrscht allerdings Uneinigkeit darüber, wann diese Phase genau einsetzt, da sich die Phase der Adoleszenz, die bei Jungen mit 14 Jahren beginnt, bis zum 35. Lebensjahr erstrecken kann. Verbunden ist der juventus-Begriff mit dem Erreichen der Ritterwürde und umfasst diejenigen jungen Ritter, die noch ledig und ohne Landbesitz umherziehen. »Der Ausdruck juventus bezeichnet von daher sowohl eine bestimmte Altersgruppe als auch einen bestimmten sozioökonomischen Status und den Familienstand« (S. 37). Dante versteht unter juventus darüber hinaus eine Stufe der geistigen Entwicklung sowie die rechtliche Mündigkeit. Vgl. Shahar, Shulamith: Kindheit im Mittelalter, Düsseldorf ³2002, S. 37-38. Mit der Bezeichnung juventus umfasst der Gestaautor in diesem Zusammenhang sicherlich die Anfangsjahre des Erzbischofs, der ja im Alter von 22 Jahren das Amt erhielt, was aus kanonischer Sicht unüblich war und einen päpstlichen Dispens erforderte.
Einleitung
und Gemeinschaft verklammert ist. Der Soziologe Erving Goffman spricht in seiner Rollenanalyse in diesem Zusammenhang vom eigenen Ermessen des Individuums, eine situierte Rolle zu erfassen und zu begrenzen, »weil […] die Gesellschaft [eine Person] eher als Träger vieler Rollen als eine Person mit einer einzigen Rolle versteht.«6 Für einen mittelalterlichen Bischof gilt dies im besonderen Maße: Das ›Stellenprofil‹ des Reichsepiskopats sah vor, dass nicht nur der theologische Aufgabenbereich Bestandteil bischöflicher Herrschaftspraxis war. Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches waren gleichzeitig weltliche Herrschaftsträger und somit zu allen mit diesem Praxisfeld verbundenen Aufgaben und Praktiken verpflichtet.7 Als Trierer Erzbischof gehörte Balduin darüber hinaus zu den sieben Kurfürsten8 , die als »Königsmacher und Königslenker«9 durch Verhandlungen und Entscheidungen über beträchtliche Macht verfügten. 6 7
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Goffman, Erving: Interaktion: Spaß am Spiel/Rollendistanz, München 1973, S. 160. Zur Problematik des Doppelamtes siehe Hürten, Heinz: Die Verbindung von geistlicher und weltlicher Gewalt als Problem der Amtsführung des mittelalterlichen deutschen Bischofs, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 82 (1971), S. 16-28; Janssen, Wilhelm: »Episcopus et dux, animarum pastor et dominus temporalis«. Bemerkungen zur Problematik des geistlichen Fürstentums am Kölner Beispiel, in: Nikolay-Panter, Marlene (Hg.): Geschichtliche Landeskunde der Rheinlande. Regionale Befunde und raumübergreifende Perspektiven, Köln u.a. 1994, S. 216-235; Keupp, Jan: Die zwei Schwerter des Bischofs. Von Kriegsherren und Seelenhirten im Reichsepiskopat der Stauferzeit, in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 117 (2006), S. 1-24. Aktuelle Studien mit sozialwissenschaftlichen Ansätzen: Burkhardt, Stefan: Mit Stab und Schwert: Bilder, Träger und Funktionen erzbischöflicher Herrschaft zur Zeit Kaiser Friedrich Barbarossas. Die Erzbistümer Köln und Mainz im Vergleich, Ostfildern 2008; Schmidt, Andreas: »Bischof bist Du und Fürst«: Die Erhebung geistlicher Reichsfürsten im Mittelalter, Trier – Bamberg – Augsburg, Heidelberg 2015; Waldecker, Christoph: Zwischen Kaiser, Kurie, Klerus und kämpferischen Laien: die Mainzer Erzbischöfe 1100 bis 1160, Mainz 2002. Vgl. Krammer, Mario: Das Kurfürstenkolleg von seinen Anfängen bis zum Zusammenschluß im Renser Kurverein des Jahres 1338, Weimar 1913; Wolf, Armin: Die Entstehung des Kurfürstenkollegs 1198-1298. Zur 700jährigen Wiederkehr der ersten Vereinigung der sieben Kurfürsten, Idstein 2000; Erkens, Franz-Reiner: Kurfürsten und Königswahl. Zu neuen Theorien über den Königswahlparagraphen im Sachsenspiegel und die Entstehung des Kurfürstenkollegiums, Hannover 2002; Begert, Alexander: Die Entstehung und Entwicklung des Kurkollegs. Von den Anfängen bis zum frühen 15. Jahrhundert (= Schriften zur Verfassungsgeschichte 81), Berlin 2010. Stehkämper, Hugo: Der Reichsbischof und Territorialfürst (12. und 13. Jahrhundert), in: Berglar, Peter/Engels, Odilo (Hg.): Der Bischof in seiner Zeit. Bischofstypus und Bischofsideal im Spiegel der Kölner Kirche. Festgabe für Joseph Kardinal Höffner, Erzbischof von Köln, Köln 1986, S. 95-184, hier S. 126.
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Wird also nach dem Profil eines mittelalterlichen Kirchenfürsten gefragt, so weist dieses sozialwissenschaftlich gesprochen zwangsläufig eine Vielzahl an Rollenmustern10 , Identitäten11 , Habitus12 und Subjektentwürfen auf.
2. Theoretischer Zugang Die Szene um Erzbischof Balduin zeigt, dass der Amtsinhaber – ungeachtet der sozialen Konvenienzerwartungen – zu einer eigenmächtigen Aus- und ggf. Umformung des Bischofsamtes tendiert, was in der Forschung derzeit unter dem Begriff der »Selbst-Bildung«13 auf den Punkt gebracht wird. Dieser Begriff verweist auf eine eigene Subjektwerdung der Amtsinhaber, die sich in Praktiken vollzieht, dem Ort des Sozialen. Mit der Suche nach einem historischen ›bischöflichen Selbst‹ schließt diese Untersuchung an die subjekt(ivierungs-)und praxistheoretischen Forschungsfragen nach der Sub-
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Zum Rollenbegriff siehe Goffman, Erving: Wir alle spielen Theater. Die Selbstdarstellung im Alltag, München 1969. Zu den Stichworten »Individuum«, »Identität« und »Selbst« siehe Taylor, Charles: Sources of the Self: The Making of the Modern Identity, Cambridge 1989; Fuchs, Peter: Moderne Identität – im Blick auf das europäische Mittelalter, in: Hahn, Alois/Willems, Herbert (Hg.): Identität und Moderne, Frankfurt a.M. 1999, S. 273-297; Hahn, Alois: ›Partizipative‹ Identität, in: Ders.: Konstruktionen des Selbst, der Welt und der Geschichte. Aufsätze zur Kultursoziologie, Frankfurt a.M. 2000, S. 13-79; Wagner, Peter: Die Problematik der ›Identität‹ und die Soziologie der Moderne, in: Straub, Jürgen/Renn, Jochen (Hg.): Transitive Identität. Der Prozeßcharakter des modernen Selbst, Frankfurt a.M.New York 2002, S. 303-317. Für die Geschichtswissenschaft: Pyka, Marcus: Geschichtswissenschaft und Identität. Zur Relevanz eines umstrittenen Themas, in: Historische Zeitschrift 280 (2005), S. 381-392. Zum »Habitus-Begriff« siehe: Bourdieu, Pierre: Zur Genese des Begriffs Habitus und Feld, in: Ders.: Der Tote packt den Lebenden, Hamburg 1997, S. 55-73; Ders.: Die feinen Unterschiede – Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft, Frankfurt a.M. 1982; Elias, Norbert: Über den Prozess der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Band 1: Wandlungen des Verhaltens in den weltlichen Oberschichten des Abendlandes/Band 2: Wandlungen der Gesellschaft. Entwurf zu einer Theorie der Zivilisation, Bern u.a. 1969. Zum Begriff »Selbst-Bildungen« siehe insbesondere Alkemeyer, Thomas/Budde, Gunilla/Freist, Dagmar: Einleitung, in: Dies. (Hg.): Selbst-Bildungen: soziale und kulturelle Praktiken der Subjektivierung, Bielefeld 2013, S. 9-30, hier S. 20f.
Einleitung
jektwerdung an, wie sie aktuell in den Geistes-, Kultur- und Gesellschaftswissenschaften debattiert werden.14 Seit Ende der 1990er Jahre wurde insbesondere von den Sozialwissenschaften versucht, eine neue Perspektive auf das Verhältnis von Subjekt und Struktur zu gewinnen.15 Beispielhaft seien die Theorie der Praxis nach Pierre Bourdieu16 , die Gouvernementalitätsstudien und Genealogie der Praktiken des Selbst Michel Foucaults17 , die Interaktionsanalysen Erving Goffmans18 , oder die Figurationsanalyse Norbert Eliasʼ19 genannt, die teilweise auch von den Geschichtswissenschaften in neuere Forschungsansätze eingebunden wurden.20 Diese als Praxistheorien, Theorie sozialer Praktiken oder Praxeologie bezeichneten methodologischen Konzepte bieten die Möglichkeit, mit einer »Praxeologisierung« des Sozialen »als Methodologie«21 die Frage zu
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Z.B. Reckwitz, Andreas: Grundelemente einer Theorie sozialer Praktiken. Eine sozialtheoretische Perspektive, in: Zeitschrift für Soziologie (2003), S. 282-301; Ders.: Subjekt, Bielefeld 2012; Ders.: Das hybride Subjekt: eine Theorie der Subjektkulturen von der bürgerlichen Moderne zur Postmoderne, Weilerswist 2012; Schmidt, Robert: Soziologie der Praktiken. Konzeptionelle Studien und empirische Analysen, Frankfurt a.M. 2012; Nicolini, Davide: Practice Theory, Work and Organization, Oxford 2012; Saar, Martin: Analytik der Subjektivierung. Umrisse eines Theorieprogramms, in: Gelhard, Andreas/Alkemeyer, Thomas/Ricken, Norbert (Hg.): Techniken der Subjektivierung, München-Paderborn 2013, S. 17-27. Vgl. Schatzki, Theodore: Introduction. Practice Theory, in: Ders./Knorr-Cetina, Karin/Savigny, Eike von (Hg.): The Practice Turn in Contemporary Theory, London-New York 2001, S. 1-14; Ders.: The site of the Social. A Philosophical Account of´the Constitution of Social Life and Change, Pennsylvania 2002. Vgl. Bourdieu, Pierre: Entwurf einer Theorie der Praxis auf der ethnologischen Grundlage der kabylischen Gesellschaft, Frankfurt a.M. ²2009; Landwehr, Achim: Kulturgeschichte, Stuttgart 2009, insbesondere S. 41f. Vgl. Foucault, Michel: Die Gouvernementalität, in: Ders.: Analytik der Macht, Frankfurt a.M. 2005, S. 148-179. Vgl. Goffman, Erving: Interaktionsrituale. Über Verhalten in direkter Kommunikation, Frankfurt a.M. 3 1994. Vgl. N. Elias: Über den Prozess der Zivilisation; Ders.: Was ist Soziologie?, Frankfurt a.M. 2006; Ders.: Die Gesellschaft der Individuen, Frankfurt a.M. 1987. Füssel, Marian: Die Rückkehr des »Subjekts« in der Kulturgeschichte. Beobachtungen aus praxeologischer Perspektive, in: Deines, Stefan/Jaeger, Stephan/Nünning, Ansgar (Hg.): Historisierte Subjekte – Subjektivierte Historie. Zur Verfügbarkeit und Unverfügbarkeit von Geschichte, Berlin 2003, S. 141-159; Martschukat, Jürgen/Patzold, Steffen (Hg.): Geschichtswissenschaft und »performative turn«. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln u.a. 2003. R. Schmidt: Soziologie der Praktiken, S. 28ff.
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stellen, wie im praktischen Zusammenspiel unterschiedlicher Teilnehmer (Settings, Menschen, Körper und Artefakte) soziale Ordnungen erzeugt, aufrechterhalten und verändert werden.22 Praktiken sind in diesem Kontext zu verstehen als »a temporally unfolding and spatially dispersed nexus of doings and sayings«23 , als »sozial geregelte, typisierte, routinisierte Form des körperlichen Verhaltens (einschließlich des zeichenverwendenden Verhaltens) und umfassen darin spezifische Formen des implizierten Wissens, des Know-how, des Interpretierens, der Motivation und der Emotion«24 . Im Zentrum einer solch praxeologisch ausgerichteten Untersuchung steht das Subjekt in seinem alltäglichen und situationsgebundenen Tun.25 Doch damit wird das Subjekt nicht als souveräner Handlungsträger verstanden. Vielmehr wird es den Praktiken nachgeordnet und geht »erst aus der Inkorporierung von menschlichen Körpern in sozialen Praktiken hervor«26 . Nach Andreas Reckwitz, der in seinen Arbeiten die unterschiedlichen theoretischen Zugänge für einen kultur- und sozialwissenschaftlichen ›practice turn‹ ausführlich aufbereitet hat, werden die kulturellen Formen, »in denen Individuen fürandere wie für sich selbst als Subjekte intelligibel werden«27 , als Subjektformen bezeichnet. Die primäre kulturelle Subjektform dieser Untersuchung ist der mittelalterliche Bischof. Doch schon die oben angeführte Chronikepisode aus den Gesta Baldewini zeigt an: Es ist nicht eine Form allein, die ein historisches Individuum verkörpert. So wären die Adressierungen ›Kleriker‹, ›Adeliger‹, ›Kurfürst‹ oder auch ›Königsbruder‹28 für Balduin ebenso gültig.29 Die Subjektform zeigt sich daher abhängig von den sozialen Feldern, deren sie entstammt und in denen sie agiert. Es ist die Aufgabe des Einzelnen, eine solche Subjektform zu verkörpern, um Anerkennung und Mitspielfähigkeit
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Vgl. Ebd. T. Schatzki: The site of the Social, S. 89. A. Reckwitz: Subjekt, S. 135. Vgl. auch Knorr-Cetina, Karin: The Micro-Sociological Challenge of Macro-Sociology. Towards a Reconstruction an Methodology, in: Dies.:/Aaron Victor Cicourel (Hg.): Advances in Social Theory and Methodology, Boston 1981, S. 1-48. R. Schmidt: Soziologie der Praktiken, S. 70. T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist: Einleitung, S. 18. Balduin von Luxemburg war der Bruder König Heinrichs VII. Andreas Reckwitz sprich in diesem Zusammenhang von der Hybridität der Subjekte. Vgl. A. Reckwitz: Das hybride Subjekt.
Einleitung
im jeweiligen sozialen Feld zu erhalten.30 Soziale Felder werden in dieser Arbeit nach Pierre Bourdieu als Kräftefelder verstanden, welche von einer Konkurrenzsituation zwischen den Akteuren bzw. Teilnehmern geprägt sind.31 Jeder Bischof »nimmt eine Position in einem Raum ein, das heißt in einem […] Kraftfeld, das auch ein Feld von Kämpfen um den Erhalt oder die Veränderung dieses Kraftfelds ist, und insofern existiert er und bestreitet die Existenz nur unter den strukturierten Zwängen des Felds […]; zugleich aber vertritt er […] seinen Standpunkt, verstanden als die Sichtweise, zu der man von einem bestimmten Standpunkt aus kommt, indem er eine der aktuell […] möglichen […] Positionen im Feld des Möglichen bezieht (und indem er auf diese Weise Position zu den anderen Positionen bezieht)«32 . Für das Folgende wird der Begriff des sozialen Feldes allerdings nicht im Bourdieu’schen Sinne mit einem Funktionssystem gleichgesetzt, sondern deutlich offener definiert.33 Das Subjekt, sein Status, seine Herstellung und Veränderbarkeit waren bisher durchaus im Fokus vieler Untersuchungen der Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften.34 Praktiken der Subjektivierung – der Werdungsprozess eines Subjekts – hingegen in einer historischen Praxisgegenwart und in unterschiedlichen historischen Sozialbereichen stellen bis dato ein Forschungsdesiderat dar.35 In der Geschichtswissenschaft hat das Subjekt als Forschungsgegenstand mit der kulturgeschichtlichen Wende in den 1980er
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Vgl. Villa, Paula-Irene: Subjekte und ihre Körper. Kultursoziologische Überlegungen, in: Wohlrab-Sahr, Monika (Hg.): Kultursoziologie. Paradigmen – Methoden – Fragestellungen, Wiesbaden 2010, S. 251-274. Zum Begriff siehe: Bourdieu, Pierre: Vom Gebrauch der Wissenschaft. Für eine klinische Soziologie des wissenschaftlichen Feldes, Konstanz 1998; Ders.: Das religiöse Feld. Texte zur Ökonomie des Heilsgeschehens, Konstanz 2000; Ders.: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes, Frankfurt a.M. 2001; Ders.: Das politische Feld, in: Louis Pinto/Franz Schultheis (Hg.): Streifzüge durch das literarische Feld, Konstanz 2007, S. 33-147. Bourdieu, Pierre: Praktische Vernunft. Zur Theorie des Handelns, Frankfurt a.M. 1998, S. 65f. So schlägt es auch Andreas Reckwitz vor: A. Reckwitz: Subjekt, S. 141. Vgl. dazu Diaz-Bone, Rainer: Einführung in die Soziologie der Konventionen, in: Ders. (Hg.): Soziologie der Konventionen. Grundlagen einer pragmatischen Anthropologie, Frankfurt a.M.-New York 2011, S. 9-41. Vgl. T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist: Einleitung, S. 14: »Empirisch beobachtbare Praktiken der Subjektivierung in verschiedenen Sozialbereichen und zu unterschiedlichen historischen Zeiten sind hingegen unterbelichtet geblieben«.
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Jahren in allen Epochen (wieder) Einzug gehalten36 , allerdings weitgehend ohne den Bezug zu den theoretisch skizzierten Überlegungen zu ›Subjekt‹ und ›Subjektivierung‹. Eine praxeologisch ausgerichtete Geschichtswissenschaft, wie sie dieser Untersuchung zugrunde liegt, verknüpft eine sozialhistorische Untersuchung von sozialen Milieus und Institutionen mit einer kulturhistorischen Analyse von Denkstilen, Verhaltensmustern und Diskursen.37 »Praxis, Handlung, Interaktion, Erfahrung, Performanz, Akteur, Körper, Artefakte, symbolische Kommunikation, Aneignung [und – in Ergänzung – Aushandlung] sind zentrale Schlüsselwörter der Praxeologie, deren komplexe Wechselbeziehungen noch keineswegs in einen kohärenten theoretischen Rahmen eingeordnet werden können.«38 In der Mittelalterforschung sind in den vergangenen Jahren einige dieser Aspekte aufgegriffen worden. Neben der Ritualforschung39 , die mit den Aspekten Performanz und symbolischer Kommunikation40 wesentliche Felder der Mediävistik berühren, berücksichtigen insbesondere die Mystik-41 und
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Vgl. Daniel, Ute: Kompendium Kulturgeschichte. Theorien, Praxis, Schlüsselwörter, Frankfurt a.M. 2001; M. Füssel: Die Rückkehr des »Subjekts« in der Kulturgeschichte; J. Martschukat/S. Patzold (Hg.): Geschichtswissenschaft und »performative turn«. Vgl. Blaschke, Olaf/Raphael, Lutz: Im Kampf um Positionen. Änderungen im Feld der französischen und deutschen Geschichtswissenschaft nach 1945, in: Eckel, Jan/Etzemüller, Thomas: Neue Zugänge zur Geschichte der Geschichtswissenschaft, Göttingen 2007, S. 69-109; Reichard, Sven: Praxeologische Geschichtswissenschaft. Eine Diskussionsanregung, in: Sozial.Geschichte 22 (2007), S. 43-65. Reichard, Sven: Praxeologische Geschichtswissenschaft, hier S. 63. Zur Beziehung zwischen praxeologischen Analysen und Geschichtswissenschaft siehe: Buschmann, Nikolaus: Persönlichkeit und geschichtliche Welt. Zur praxeologischen Konzeptualisierung des Subjekts in der Geschichtswissenschaft, in: T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist (Hg.): Selbst-Bildungen, S. 125-149. Zum Begriff »Praktiken« in der Geschichtswissenschaft siehe: Hörning, Karl Heinz: Experten des Alltags. Die Wiederentdeckung des praktischen Wissens, Weilerswist 2001, S. 160f; Reichard, Sven: Praxeologie und Faschismus. Gewalt und Gemeinschaft als Elemente eines praxeologischen Faschismusbegriffs, in: Hörning, Karl Heinz/Reuter, Julia (Hg.): Doing culture. Neue Positionen zum Verhältnis von Kultur und sozialer Praxis, Bielefeld 2004, S. 129-153; sowie T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist: Einleitung, S. 16. Vgl. Stollberg-Rilinger, Barbara: Rituale, Frankfurt a.M.-New York 2013. Vgl. Althoff, Gerd: Die Macht der Rituale. Symbolik und Herrschaft im Mittelalter, Darmstadt ²2013. Als Beispiel Wegener, Lydia: ›nach dem aller lieblichsten exempel Christi‹: Die Problematik der Christusnachfolge in mystischen Texten des 14. Jahrhunderts, in: Staubach, Nikolaus (Hg.): Exemplaris imago: Ideale in Mittelalter und Früher Neuzeit, Frankfurt
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Emotionsforschung42 in Ansätzen praxeologische Analyseoptiken. Insbesondere die Wirkung bestimmter Praktiken auf das Individuum rückt hier in den Fokus der Forschung. Weiterführend sind in diesem Zusammenhang auch historisch-anthropologische Studien, wie sie etwa von Jacques LeGoff durchgeführt wurden.43 Derzeit ist die Tendenz zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit Selbstzeugnissen (auch) in der Mediävistik wahrzunehmen.44 In Anlehnung an die praxistheoretischen Konzepte lautet die zentrale These dieser Untersuchung, dass die mittelalterlichen Bischöfe sich »in den ›Spielzügen‹ diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken«45 als Subjekte bilden und (er)schaffen, indem sie eine gesellschaftlich anerkannte Subjektform annehmen, die bestimmten normativen Forderungen entspricht. Ihren Ausdruck findet diese Subjektform dabei in speziellen Haltungen und Bewegungen, Gesten und Mimiken. Der Einübungsprozess in eine solche, hegemoniale Subjektform geschieht zum einen in alltäglichen sozialen Praktiken: In der Interaktion mit anderen Teilnehmern eines sozialen Feldes positioniert sich die Person, die Bischof ist, als ein solcher heraus und präsentiert auf diese Weise seine gesellschaftliche Mitspielfähigkeit. Andererseits kann die Einübung und Einpassung auch durch spezielle Praktiken des Übens, Trainierens und der Reflexivität vollzogen werden.46 Mit dem Begriff »Selbst-Bildungen« wird der Eigenanteil dieser Einpassung oder auch Ausformung betont. Als »sozio-kulturell gerahmter Entdeckungs-, (Er)Findungs- und Schaffensprozess«47 greifen die historischen Akteure in ihrer Subjektwerdung bewusst und unbewusst bekannte (historische) Sub-
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a.M. 2012, S. 195-211. Auch Nekolny, Carina: Fremdheit und Nähe: die erotische Mystik der süddeutschen Dominikanerinnen im Mittelalter, Klagenfurt 2013. Zur Emotionsforschung siehe: Schnell, Rüdiger: Gefühle gestalten: Bausteine zu einer Poetik mittelalterlicher Emotionsbeschreibungen, in: Beiträge zur Geschichte der deutschen Sprache und Literatur 138 (2016), S. 560-606; Ders.: Haben Gefühle eine Geschichte?: Aporien einer »History of Emotions«, Göttingen 2015; Ders.: Historische Emotionsforschung. Eine mediävistische Standortbestimmung, in: Frühneuzeitliche Studien 38 (2004), S. 173-276. Auch Benthin, Claudia/Fleig, Anne/Kaste, Ingrid (Hg.): Emotionalität: Zur Geschichte der Gefühle, Köln-Weimar-Wien 2000. Vgl. LeGoff, Jacques: Das Lachen im Mittelalter, Stuttgart 2004. Vgl. Schmolinsky, Sabine: Sich schreiben in der Welt des Mittelalters: Begriffe und Konturen einer mediävistischen Selbstzeugnisforschung, Bochum 2012. T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist: Einleitung, S. 18. Vgl. Ebd. S. 20. Ebd. S. 21.
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jektformen auf, um diese zu imitieren, umzuformen oder zu verwerfen.48 Proklamierte Rollenanforderungen eines spezifischen Feldes werden zum Teil des Subjekts und im Prozess der Subjektivierung angeeignet, verinnerlicht und sichtbar verkörpert.49 Durchaus kommt es in solchen Prozessen auch zu Momenten des Misslingens50 , des Scheiterns und der Nicht-Passung, und zwar insbesondere dann, wenn die mitgebrachten habitualisierten Dispositionen der Akteure zu den vorherrschenden soziokulturellen Bedingungen des Feldes konträr laufen. Diese Arbeit macht es sich zur Aufgabe, subjektive Momente der Einpassung und des Einübens, der Anerkennung und Aushandlung sowie der Irritation und Nicht-Passung in den erzählenden Quellen der Bistumsgeschichtsschreibung sichtbar zu machen. Fragt aber die Mediävistik nach den Subjekten ihrer Forschung, ist prinzipiell Vorsicht geboten, wird sie doch in den Narrationen kaum konkrete, individuelle Subjekte finden, die im modernen Sinne autonom agieren.51 Und auch die Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich fand im Mittelalter vor allem im Kontext des Verhältnisses zu Gott und der christlichen Gemeinschaft eine Rechtfertigung.52 Daher richtet sich das Augenmerk dieser Ar48 49
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Vgl dazu: Foucault, Michel: Die Sorge um sich. Sexualität und Wahrheit 3, Frankfurt a.M. 1989; C. Taylor: Sources of the Self. Vgl. T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist: Einleitung, S. 19: »So sieht jedes soziale Feld bestimmte – komplementär, agonal, hierarchisch oder egalitär aufeinander bezogene – Subjektpositionen […] vor, auf die konkrete Individuen als Bezugspunkte verwiesen sind, um in diesem Feld als Subjekt mit einer positionsspezifischen Funktion agieren zu können.« Vgl. Alkemeyer, Thomas: Subjektivierung in sozialen Praktiken. Umrisse einer praxeologischen Analytik, in: Ders./G. Budde/D. Freist (Hg.): Selbst-Bildungen, S. 33-68. So auch Holbach, Rudolf: »Ich wundere mich, daß eine so unscheinbare Handlung eine so große, heilsame Wirkung in der Seele zeigt.«: mönchische Praktiken und SelbstBildungen bei Caesarius von Heisterbach, in: T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist (Hg.): Selbst-Bildungen, S. 225-248, hier S. 227 mit Verweis auf Zima, Peter Václáv: Theorie des Subjekts. Subjektivität und Identität zwischen Moderne und Postmoderne, Tübingen 2000, S. 4. Vgl. Derschka, Harald: Individuum und Persönlichkeit im Hochmittelalter, Stuttgart 2014; Selzer, Stephan/Ewert, Ulf Christian (Hg.): Menschenbilder – Menschenbildner: Individuum und Gruppe im Blick des Historikers, Berlin 2002; Dülmen, Richard von (Hg.): Entdeckung des Ich: Die Geschichte der Individualisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Köln 2001; Aertsen, Jan A.: Individuum und Individualität im Mittelalter, Berlin-New York 1996; Gurjewitsch, Aron J.: Das Individuum im europäischen Mittelalter, München 1994; Mensching, Günther: Das Allgemeine und das Besondere: Der
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beit – unter Bezugnahme auf ein praxeologisches Analysekonzept – auf die Verkörperung des (Erz)Bischofs in seinem Amt, auf die Art und Weise, wie er sich ausformt, um sich in den verschiedenen, teilweise konkurrierenden soziokulturellen Feldern – im dynamischen Wechselspiel von Adressierung und Re-Adressierung – zu positionieren sowie Anerkennung und Mitspielfähigkeit zu erlangen. Auf welche historischen Vorbilder und Deutungsmuster, Praktiken, Zeichen und Symbole greifen die historischen Akteure zurück, um in bestimmten sozialen Settings sich und ihr Amt zu verkörpern? Die Frage lautet kurz gesagt: Was macht einen Bischof (aus)?
3. Quellengrundlage Bischöfliche Selbstzeugnisse, die Auskunft über die eigene Sichtweise auf das Bischofsamt geben könnten, sind selten. Eher finden sich Berichte über die Amtsverkörperung des mittelalterlichen Reichsepiskopats in den Aufzeichnungen der Stadtchronistik, vor allem aber in der Bistumsgeschichtsschreibung53 . Die auch als Gesta episcoporum54 bezeichneten chronikalischen Aufzeichnungen über das Leben und Wirken der Bischöfe beinhalten neben den in chronologischer Abfolge üblichen Angaben von Namen, Regierungsdaten, Todesdatum und Ort der Grablege, auch Erzählungen über den Werdegang sowie Lebens- und Regierungsstil der Kirchenfürsten. Dies macht diese Quellengattung, die zu den erzählenden Quellen zu zählen ist, für das Vorhaben dieser Untersuchung besonders wertvoll. Seit dem 11. Jahrhundert traten regionale und lokale Gegenstände vermehrt ins Blickfeld der Historiografen und Gesta wurde zur gängigen Bezeichnung dieser Literaturgattung.55 Orientiert am Liber pontificalis der Päpste
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Ursprung des modernen Denkens im Mittelalter, Stuttgart 1992; Ullmann, Walter: Individuum und Gesellschaft im Mittelalter, Göttingen 1974; Morris, Colin: The discovery of the individual. 1050-1200, New York 1972. Der Begriff geht zurück auf Markus Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, Köln 1998, S. 3. Vgl. Kaiser, Reinhold: Die Gesta episcoporum als Genus der Geschichtsschreibung, in: Scharer, Anton/Scheibelreiter, Georg (Hg.): Historiographie im frühen Mittelalter, Wien u.a. 1994, S. 459-480; Sot, Michel: Gesta episcoporum, gesta abbatum, Turnhout 1985. Vgl. Goetz, Hans-Werner: Von der res gesta zur narratio rerum gestarum. Anmerkungen zu Methoden und Hilfswissenschaften des mittelalterlichen Geschichtsschreibers, in: Revue belge de philologie et d’histoire 67 (1989), S. 695-713; Schmale, Franz-Josef:
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(6. Jh.), wurde die erste Bistumschronik von Paulus Diaconus um 784 verfasst und »ist damit zugleich die erste institutionsbezogene Historiographie außerhalb des Königtums«56 . Im 10. und 11. Jahrhundert entstanden erste Chroniken in Lothringen (Verdun, Reims, Lüttich, Combrai), ab 1050 im sächsischen Raum (Hamburg, Hildesheim). Bis in das 12. Jahrhundert hinein sollten weitere zahlreiche Bistümer mit der Einführung oder auch Fortführung ihrer Geschichtsaufzeichnungen folgen.57 Auftraggeber und Verfasser der Bistumschroniken sind im Wirkungskreis des Domklerus zu suchen und weisen damit eine unmittelbare Nähe zum Bischofshof und zur Stiftspolitik auf. Teilweise geht die Etablierung und Fortführung der Lebensberichte auf einzelne Bischöfe zurück, teilweise ist auch das Domkapitel58 , das sich aufgrund seines Bischofswahlrechts als »das eigentliche Kontinuitätselement«59 in den politischen Bistumsangelegenheiten verstand, als Initiator der Aufzeichnungen zu fassen. Im Wesentlichen hatten die Gesta als »Medium historischer Selbstvergewisserung« dabei die Funktion, »Legitimität zu sichern und Legitimation zu verdeutlichen«60 , stehen die Taten der einzelnen Bischöfe doch im funktionalen Zusammenhang mit der Gesamtgeschichte des Bistums.61 In dieser Form der Geschichtsschreibung62 ist daher auch die Absicht enthalten, »die apostolische Sukzession der jeweiligen Amtsinhaber deutlich vor Augen zu führen, damit gleichzeitig ihre Legitimität nachzuweisen und eventuelle konkurrierende Ansprüche, in Sonderheit solche territorialer Nachbarn, abzuweisen«63 . Für eine breite Öffentlichkeit
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Funktion und Formen mittelalterlicher Geschichtsschreibung. Eine Einführung, Darmstadt ²1993; Zimmermann, Harald: Ecclesia als Objekt der Historiographie. Studien zur Kirchengeschichtsschreibung im Mittelalter und in der frühen Neuzeit, Graz u.a. 1960. Schlochtermeyer, Dirk: Bistumschroniken des Hochmittelalters. Die politische Instrumentalisierung der Geschichtsschreibung, Paderborn u.a. 1998, S. 13. D. Schlochtermeyer: Bistumschroniken des Hochmittelalters, S. 14. Vgl. Thaler, Manfred Josef: Die Domkapitel der Reichskirche vom Wiener Konkordat bis zur Säkularisation (1448-1803): Grundzüge ihrer Verfassung im Vergleich, Frankfurt a.M. u.a. 2017; Holbach, Rudolf: Stiftsgeistlichkeit im Spannungsfeld von Kirche und Welt. Studien zur Geschichte des Trierer Domkapitels und Domklerus im Spätmittelalter (Trierer Historische Forschungen 2), Teil 1, Trier 1982. M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 255. Vogtherr, Thomas: Einleitung, in: Chronicon episcoporum Verdensium. Die Chronik der Verdener Bischöfe, hg. und übers. v. Thomas Vogtherr, Stade 1998, S. 11-16, hier S. 15. D. Schlochtermeyer: Bistumschroniken des Hochmittelalters, S. 12. Vgl. R. Kaiser: Die Gesta episcoporum als Genus der Geschichtsschreibung. T. Vogtherr: Einleitung, S. 15.
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waren die Bischofsviten gleichwohl nicht gedacht: Als Adressatenkreis ist in der Regel ein eher kleines Publikum anzunehmen, das hauptsächlich aus dem Domkapitel und den jeweils regierenden Bischöfen bestand, allenfalls noch bedeutende umliegende Klöster miteinschloss.64 Die Chronisten der einzelnen Lebensbeschreibungen entstammen i.d.R. ebenfalls dem Feld des Domklerus. Teilweise sind es aber auch die Schreiber und Kanzlisten des Bischofs, die in seinem Auftrag zur Feder greifen, oder die Verfasser – dies aber seltener – gehören dem städtischen Klerus an.65 Die Bischofsviten tragen einen »pragmatischen Charakter«66 , denn mit ihrer Abfassung war es den Autoren möglich, bestimmte weitere Interessen, zusätzlich zu den bisher genannten, zu verdeutlichen.67 So ist es das grundsätzliche Anliegen jeder Bistumschronik, zum ewigen Gedenken (memoria68 ) der Kirchenfürsten ihre guten und weniger guten Taten der Nachwelt zu überliefern, auf dass die guten zur Nachahmung anregen, die schlechten jedoch vor ähnlichen Fehlern warnen mögen.69 Die Beurteilungs64 65
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So Vogtherr für Verden. Vgl. Ders.: Einleitung, S. 16. Die Stadtperspektive über die bischöfliche Amtsverkörperung wird indes in der Stadtchronistik überliefert, die ihrerseits Berichte über ihren bischöflichen Stadtherrn verzeichnete und in dieser Arbeit vereinzelt in der Analyse berücksichtigt wird. M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 6. Auch D. Schlochtermeyer: Bistumschroniken des Hochmittelalters, S. 21f. Siehe insbesondere Laudage, Marie-Luise: Caritas und Memoria mittelalterlicher Bischöfe, Köln u.a. 1993. Allgemein: Schmid, Karl/Wollasch, Joachim: Die Gemeinschaft der Lebenden und der Verstorbenen, in: Frühmittelalterliche Studien 1 (1967), S. 365405; Schmid, Karl/Wollasch, Joachim (Hg.): Memoria. Der geschichtliche Zeugniswert des liturgischen Gedenkens im Mittelalter, München 1984; Geuenich, Dieter/Oexle, Otto Gerhard (Hg.): Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters, Göttingen 1994; Oexle, Otto Gerhard: Memoria in der Gesellschaft und in der Kultur des Mittelalters, in: Heinzle, Joachim (Hg.): Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche, Frankfurt a.M. u.a. 1994, S. 297-323. So etwa aus den Gesta archiepiscoporum Magdeburgensium, hg. v. Wilhelm Schum (MGH Scriptores XIV), Hannover 1883 (ND 1988), S. 376: »Ne actus veterum memoria digni in oblivionis nubilum deducantur, utile utique arbitror et honestum, ut certa de eis memoria vivacis scripti calamo ad posteros derivetur, ut et boni ex bene gestis virtutis sumant exemplum et a male gestis discant salubriter absinendum. Hac igitur consideratione motus, ad honorem Dei et laudem sancte Magdeburgensis ecclesie gesta pontificum, qui eidem ecclesie a principio fundationis sue preferunt, ordinem quoque ipsorum necnon et sub quibus apostolicis et imperatoribus sive regibus presiderunt, et in quibus principum liberalitate ecclesia profecerit per eosdem, prout ex diversis cronicorum scriptis et antiquorum dictis colligere et investigare potui, congrua brevitate conscribere curavi.«
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maßstäbe eines Reichsbischofs im Spiegel der Chronistik wandelten sich im Laufe der Zeit. Die Geschichtsschreibung des 10.-12. Jahrhunderts hob das Grundproblem des geistlich-weltlichen Doppelamts der Bischöfe hervor und urteilte entsprechend. In den Augen der Autoren, die noch ganz hagiografischen Traditionen verpflichtet waren, hatte das Bischofsamt gegenüber dem Mönchtum keinen Eigenwert. Bischöfe sollten fromm, friedliebend und in ihrem Lebenswandel wie Mönche handeln und nicht wie weltliche Fürsten in den Kreisen des Hochadels verkehren.70 In spätstaufischer Zeit trat dann die Territorialpolitik der Bischöfe in den Vordergrund. Die Bistumsgeschichtsschreibung beurteilte eine bischöfliche Regierung nach ihren Leistungen in der Landespolitik, in der Friedenssicherung und speziell in der Vermehrung und Verwaltung des Territoriums.71 Dies hatte zur Folge, dass kaum Berichte über die priesterlichen Tätigkeiten eines Bischofs überliefert sind und das Bild des geistlichen Oberhirten aus den chronikalischen Zeugnissen nahezu verschwand. Gleichwohl wäre es zu kurz gegriffen, aus diesem Umstand den Rückschluss auf eine allgemeine Gleichgültigkeit des Reichsepiskopats gegenüber pastoralen Pflichten zu ziehen.72 Tatsächlich aber ist die Tendenz festzustellen, dass die Rolle des geistlichen Oberhirten im bischöflichen Selbstverständnis neben der des weltlichen Landesherrn deutlich auf Platz zwei rangierte. Nachweisbar übernahmen Weihe-, Hilfs- und Unterbischöfe das Priesteramt für den Bischof, da dieser oftmals zeitlich, teilweise aber auch mangels ausreichender Bildung nicht in der Lage war, dieses
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Vgl. M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 4. Aber auch Tanke, Annika: Das Bischofsbild in der Hildesheimer Bischofschronik anhand der Chronica episcoporum Hildensheimensium, nec non abbatum monasterii sancti Michaelis, cum supplementis ex binis catalogis episcoporum Hildensheimensium, in: Concilium medii aevi 4 (2001), S. 209-245. Grundlegend Berglar, Peter/Engels, Odilo (Hg.): Der Bischof in seiner Zeit. Bischofstypus und Bischofsideal im Spiegel der Kölner Kirche. Festgabe für Joseph Kardinal Höffner, Erzbischof von Köln, Köln 1986. Auch: Janssen, Wilhelm: Biographien mittelalterlicher Bischöfe und mittelalterliche Bischofsviten. Über Befunde und Probleme am Kölner Beispiel, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 91 (1996), S. 131-147, hier S. 143; Schubert, Ernst: Der Reichsepiskopat, in: Brandt, Michael/Eggebrecht, Arne (Hg.): Bernward von Hildesheim und das Zeitalter der Ottonen. Katalog der Ausstellung Hildesheim 1993, Bd. 1, Mainz 1993, S. 93-102; J. Keupp: Die zwei Schwerter des Bischofs. So auch Becker, Rainald: Wandel im Bischofsprofil? Neue Beobachtungen zum Reichsepiskopat zwischen 1500 und 1650, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 102 (2007), S. 244-266, hier S. 245.
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adäquat auszufüllen. Diese Einstellung sollte sich erst um die Mitte des 15. Jahrhunderts ändern.73 Die innerkirchlichen Reformbemühungen und die intensivierte Frömmigkeit hatten ihre Auswirkungen auch auf den Reichsepiskopat, der seine Prioritäten nun offenbar bewusst anders setzte. Und so finden sich in den literarischen Ausgestaltungen wieder vermehrt Aussagen über die priesterlichen Tätigkeiten der Bischöfe und ihre Teilhabe im religiösen Praxisfeld. Fließt also in die Lebensbeschreibungen der Erzbischöfe eine Bewertung nach dem rechten oder falschen Lebens- und Regierungsstil der Kirchenfürsten mit ein, so mag es ein Anliegen der Chronisten sein, durch die dargestellten bischöflichen Selbstentwürfe konkrete Handlungsanweisungen zu vermitteln und somit narrativ auch auf die Selbstbildung der Rezipienten – also insbesondere nachfolgende Bischöfe, aber auch das Domkapitel – einzuwirken.74 Hier mag man den Chronisten eine eigene Intention unterstellen, da sie durchaus zielbewusst ein bestimmtes Bild der eigenen Geschichte formten, um bestimmte Positionen zu beziehen.75 Damit ist die in dieser Untersuchung genutzte Quellengattung nicht frei von Risiken. Prinzipiell bergen die Texte die Gefahr, als Abbild der Wirklichkeit ungeeignet zu sein. Selten erschließt sich dem Historiker, was in der Erzählung gefälscht, überzeichnet oder weggelassen wurde. Und nicht immer lassen sich die konkreten politischen Situationen hinter den Abfassungsumständen ausmachen. Für die anstehende Analyse dieser Arbeit dürfen die historischen Erzähler nicht unreflektiert als Zeitzeugen befragt werden, denn auch im Entstehungskontext der Bistumsgeschichtsschreibung bestand ein Abhängigkeitsverhältnis zwischen Auftraggeber und Adressat. Doch auch wenn die mittelalterlichen Erzähler nur bedingt verlässlich sind, liefern sie – und das ist eine weitere Chance von erzählenden Quellen als Analysegrundlage dieser historischen Untersuchung – Bilder von möglichen Vorstellungen einer Zeit. Die Verarbeitung bischöflicher Selbstbildung in den Chroniken, ihre Funktionsweise und literarische Gestaltung, erlaubt Rückschlüsse zum Stellenwert von Selbstbildungspraktiken in einem ausgewählten Kreis einer 73 74
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M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 8. So M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 5/6 mit Verweis auf Coue, Stephanie: Acht Bischofsviten aus der Salierzeit – neu interpretiert, in: Weinfurter, Stefan (Hg.): Die Salier und das Reich 3: Gesellschaftlicher und ideengeschichtlicher Wandel im Reich der Salier, Sigmaringen 1991, S. 347-414; Dies.: Hagiografie im Kontext: Schreibanlass und Funktion von Bischofsviten aus dem 11. und vom Anfang des 12. Jahrhunderts, Berlin-New York 1997. Vgl. D. Schlochtermeyer: Bistumschroniken des Hochmittelalters, S. 24.
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mittelalterlichen Führungselite und damit zum Subjektverständnis einer vormodernen Epoche.
4. Konzeptionelle Überlegungen Grundsätzlich steht die Geschichtswissenschaft bei einer praxistheoretischen Analysemethode vor einem Problem: Praktiken sind nicht in actu beobachtbar. Gleichwohl geht es der Praxeologie um die Repräsentation des Individuums76 , um seine Performanz, wie sie auch und nicht zuletzt in der symbolischen Kommunikation des Mittelalters von zentraler Bedeutung ist. Und so ermöglicht der dieser Arbeit zugrundeliegende subjektivierungstheoretische Analyseansatz eine Verknüpfung von bereits etablierten mediävistischen Konzepten auf der einen und einer neueren, an den Sozialwissenschaften orientierten Analyseoptik auf der anderen Seite. Diese Untersuchung hat die Absicht, Subjektivierungsprozesse durch die Perspektive der Chronisten sichtbar werden zu lassen. Die Analyse fragt danach, inwieweit die Chronisten in ihren Erzählungen bischöfliche Selbstbildung thematisieren, präsentieren und problematisieren. Vorgreifend wird Selbstbildung dabei einerseits als Prozess der Einübung nachweisbar, andererseits als bereits verinnerlichte Handlungsdisposition im Abrufen von Techniken und Routinen in bestimmten Situationen sichtbar gemacht. Konkret soll dabei der Versuch einer Dechiffrierung kultureller Modellierungen eines ›bischöflichen Selbst‹ unternommen werden77 , um die bislang offene Frage zu klären, wie ein historischer Amtsträger versuchte, sich selbst zum Bischof zu bilden. Um diese Frage zu beantworten bedarf es zunächst einer grundlegenden Darstellung der Rahmenbedingungen des mittelalterlichen Bischofsamtes, sprich: Welche Aufgaben hatte ein bischöflicher Herrschaftsträger zu erfüllen, welche Handlungsfelder und -partner waren Teil seiner Herrschaftspraxis, welche Karrierewege führten im späten Mittelalter auf einen Bischofsstuhl und an welche Bedingungen war eine Ernennung ggf. geknüpft (Kapitel
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Verankert etwa im Konzept der sozialen Rolle, siehe: Schimank, Uwe: Handeln und Strukturen. Einführung in die akteurtheoretischen Soziologie, Weinheim u.a. ²2002, S. 37-70. Anlehnung an A. Reckwitz: Das hybride Subjekt, S. 15.
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2). In der daran anschließenden Analyse wird mit einer praxeologisch-ausgerichteten Optik untersucht, inwieweit die historischen Quellen Momente der Selbstbildung bischöflicher Herrschaftsträger des Mittelalters beinhalten. In einem ersten Schritt wird es um die Formierung der historischen Akteure in ein bischöfliches Herrschersubjekt gehen (Kapitel 3). Der Blick richtet sich hier insbesondere auf Prozesse der Einpassung in das Bischofsamt, auf Praktiken des Einübens und Trainierens. Insbesondere wird hier der Eigenanteil der bischöflichen Selbstbildung beleuchtet, da die historischen Akteure sich auch bewusst selbst formieren und nicht etwa nur geformt werden. Da in Anlehnung an die subjektivierungstheoretischen Praxistheorien die Bischofswerdung vor allem in sozialen Interaktionen stattfindet, richtet sich der Fokus der folgenden zwei Kapitel auf die Aushandlung der historischen Akteure zu einem bischöflichen Herrschersubjekt zum einen in unterschiedlichen Handlungsfeldern, zum anderen bei besonderen Herausforderungen. Kapitel 4 ist fokussiert insbesondere auf die Identifikation von erzählerischen Momenten von bischöflicher Selbstbildung. Die Struktur dieses Kapitels ist an den unterschiedlichen Handlungsfeldern ausgerichtet, die im Zuge der bischöflichen Regierungspraxis angesprochen werden. Auf diese Weise rückt u.a. die Anerkennung der bischöflichen Akteure als Mitspieler in den jeweiligen Handlungsfeldern in den Blick, die eine Subjektwerdung erst gelingen lassen. Zum einen wird in diesem Kapitel daher die Bedeutung von Praktiken der Integration und Nachahmung herausgestellt, die von den historischen Chronisten als Herrschaftskompetenz verhandelt werden, zum anderen geht es um die Aushandlung und Positionierung der Herrschaftsträger im feldspezifischen Gefüge. So wird zu zeigen sein, dass das ›Bischof-Sein‹ immer auch ein tägliches ›Bischof-Werden‹ ist. Kapitel 5 wird die Aspekte Anerkennung und Aushandlung weiterführen, konzentriert sich dabei aber auf besondere Herausforderungen, auf Probleme und Störungen, die von extern aber auch von intern in den Subjektivierungsprozess eingreifen können. Aus praxeologischer Perspektive treten dabei Möglichkeiten der Umorientierung und Umkehr in den Blick, aber auch subjektive Momente der Nicht-Passung und des Scheiterns. Inwieweit diese praxeologisch ausgerichtete Untersuchung aus der Perspektive der mediävistischen Forschungen einen Mehrwert aufweist, soll in einer Schlussbetrachtung (Kapitel 6) kritisch reflektiert werden. Zeitlich beschränkt sich diese Analyse zur bischöflichen Selbstbildung auf das 13. bis 15. Jahrhundert, sowie in geografischer Hinsicht auf den deutschsprachigen Raum des Heiligen Römischen Reiches. Diese Eingrenzung findet
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ihre Begründung im spürbaren Einfluss bestimmter Kräftefelder: Vermehrt führen die Chronisten neben Königs- und Bischofshof nun auch Domkapitel, Stiftsklerus und -adel sowie die sich formierenden Landstände als Aktionsfelder des Bischofs ein.78 Pointiert hat Rainald Becker dazu festgestellt, dass im Spannungsfeld zwischen Papst und Kurie, Kaiser und Reich, Stadt und Territorium »die Reichsbischöfe aufgrund ihrer hervorgehobenen verfassungsrechtlichen Position als Träger von weltlichen und geistlichen Leitungsaufgaben über eine eigenständige Beziehung zu ihrer politischen Umwelt«79 verfügten. Dieser Umstand schlägt sich auch in den literarischen Erzählentwürfen nieder. Beobachtungen zur bischöflichen Selbstbildung lassen sich in ihnen jedoch in unterschiedlicher Qualität und Ausrichtung ausmachen. Nicht jeder Verfasser einer bischöflichen Lebensbeschreibung liefert eine umfassende Charakterisierung des Protagonisten. Und so hat die thematische Zuspitzung auf literarisch ausgestaltete Momente bischöflicher Selbstbildung ihre Auswirkung auf die Materialbasis, die sich auf zentrale, dicht überlieferte Fallbeispiele konzentrieren muss. Diese unternommene Tiefenbohrung ins historische Material kennzeichnet gleichzeitig den Erprobungscharakter dieser Untersuchung. Ihr Anspruch liegt darin, mit Hilfe eines interdisziplinär-mediävistischen Zugriffs, bestimmte mittelalterliche Quellen zu re-interpretieren und dabei neue Perspektiven auf vormoderne Akteure sichtbar zu machen, die in Folgestudien aufgegriffen, ergänzt und modifiziert werden könnten. Die Einschränkung auf die Chronistik klammert gleichzeitig weitere Quellen aus, die für praxeologische Untersuchungen doch ein vielversprechendes Potenzial besitzen. Bildliche Darstellungen, wie Portraits, Gemälde, Zeichnungen oder Plastiken könnten – bei einem reflektierten Umgang mit dieser besonderen Quellengattung – praxeologisch ausgerichtete Untersuchungen unterstützen, stellen doch auch sie bischöfliche Praktiken dar. Die Betrachtung bischöflicher Grablegen, der Wahl von Bestattungsorten, bischöflicher Testamente mit Regelungen zu Schenkungen an Freunde, Institutionen und Religionsgemeinschaften sowie weiterer schriftlicher und nichtschriftlicher Zeugnisse könnten eine praxistheoretische Analyse vormoderner Selbstbildung sicherlich im Einzelfall gewinnbringend ergänzen. Da diese Untersuchung jedoch nicht in erster Linie auf eine umfassende Erforschung konkreter Bischofssubjekte ausgerichtet ist, sondern es stattdessen um das Potenzial einer interdisziplinär-mediävistischen Betrachtung von Chroniken 78 79
Dazu: M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 5f. R. Becker: Wandel im Bischofsprofil?, S. 244.
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als Spiegel von Selbstbildungsprozessen geht, spielen diese Quellengattungen nur eine untergeordnete Rolle. Die Chance einer Untersuchung, wie sie hier unternommen wird, liegt in neuen Einsichten in die dynamischen Wechselbeziehungen zwischen den Bischöfen und ihren Handlungsfeldern, in das Verhältnis von Subjekt und Amt, aber auch in das Verhältnis von Subjekt und vormoderner Gesellschaft, wobei zu zeigen sein wird, dass bischöfliche Herrschaftsträger nicht einfach vorausgesetzt sind, sondern sich selbst zu solchen machen müssen. Dadurch werden sie, wie es Andreas Reckwitz formuliert hat, als »Produkt[e] hochspezifischer, kultureller Subjektivierungsweisen«80 in einer historischen Praxisgegenwart sichtbar. Darüber hinaus wird das Selbst des Amtsträgers zum Schauplatz erhoben, wodurch das spezielle Wechselspiel zwischen Ausgrenzung und Anerkennung, aber auch zwischen Anpassung und Eigensinn in mittelalterlichen Herrschaftsverhältnissen (re)präsentiert wird.
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A. Reckwitz: Subjekt, S. 16.
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Das Amt des mittelalterlichen Bischofs
5. Aufgabenspektrum »Wir sind aufgrund unserer Amtspflicht nicht allein in geistlichen Dingen gehalten, Sorge für die uns anvertraute Herde zu tragen, sondern auch in weltlichen Dingen sind wir Schuldner, um für das allgemeine Wohl aufzukommen und um die Schwächen unserer Untergebenen zu beheben«1 . Mit diesen Worten umschreibt der Kölner Erzbischof Siegfried von Westerburg2 (1275-1297) in der Arenga einer Urkunde vom 28. März 1285 präzise das Stellenprofil des bischöflichen Amtes. Neben der grundsätzlichen Verpflichtung zur Christusnachfolge bzw. Weiterführung des von Christus begonnenen Priesteramtes, das einen entsprechenden priesterlichen Lebenswandel (Frömmigkeit, Demut, Zölibat3 ) beinhaltet, verweist der Kölner Erzbischof auf die Union der theologischen (spiritualia) und weltlichen (temporalia) Machtkomponenten des Amtes, die jeweils spezifische Aufgaben und Mentalitäten enthalten. Die Aufgaben, die mit dem theologischen Bischofsamt verbunden waren, lassen sich in die drei Hauptfelder Priester-, Lehr- und Hirtenamt einteilen. Das Priesteramt beinhaltete die Weihegewalt gegenüber geistlichen Personen. Nur ein Bischof besaß das Privileg, Priester zu weihen und das
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Lacomblet, Theodor Joseph: Urkundenbuch für die Geschichte des Niederrheins II: 1201-1300, Düsseldorf 1848, Nr. 779, REK III 3089 (1286 März 28 – Köln). Übersetzung nach H. Stehkämper: Der Reichsbischof und Territorialfürst, S. 99. Vgl. Erkens, Franz-Reiner: Siegfried von Westerburg (1274-1297): Die Reichs- und Territorialpolitik eines Kölner Erzbischofs im ausgehenden 13. Jahrhundert, Bonn 1982. Dazu Schimmelpfenning, Bernhard: Zölibat und Lage der Priester vom 11. bis 14. Jahrhundert, in: Historische Zeitschrift 227 (1978), S. 1-44.
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Sakrament der Firmung zu spenden. Gottesdienstliche Feiern in den Kathedralen und sakramentale Handlungen wie die Konsekration von Altären, Kirchen, Kapellen und Friedhöfen sowie die Weihung des Chrisams waren weitere Amtspflichten. Mit der Predigt in der Kathedrale kam der Bischof seiner Lehramtspflicht gegenüber Laien und Klerus nach. Als Träger der christlichen Überlieferung und Hüter der christlichen Einheit besaß der Bischof die Aufsichtspflicht gegenüber seiner Klerikergemeinschaft. Er sollte bei ihrer Ausbildung mitwirken und sie durch regelmäßige Synoden in der christlichen Lehre unter- und anweisen. Persönlich durchgeführte Visitationen4 und Inspektionen setzten ihn über den Zustand seiner Gemeinschaft in Kenntnis und ermöglichten ihm ggf. mit Disziplinarmaßnahmen und Reformbestrebungen Veränderungen durchzusetzen. Die mit dem Hirtenamt verbundene Gesetzgebungsgewalt und Richterfunktion erteilte ihm zu solch autoritären Handlungen die Befugnis. Dabei unterstand ihm der gesamtkirchliche Verwaltungsapparat. Dies bedeutete, dass er kirchliche Amtsträger ernennen und abberufen, kirchliche Einrichtungen etablieren, aber auch verändern und sogar aufheben konnte. Das Diözesanvermögen unterstand ihm und er besaß das Recht zur Steuererhebung. Gleichwohl war der Bischof bei etlichen seiner Entscheidungen auf die Zustimmung seines Domkapitels angewiesen. In der Praxis wurde die geistliche Rolle des Bischofsamtes indes selten im vollen Umfang von den Amtsinhabern erfüllt. Mehr und mehr delegierten sie die geistlichen Aufgaben an andere Institutionen wie Generalvikare, Weihbischöfe, Archidiakone und Offiziale. Teils geschah dies aus fehlender Fachkompetenz, teils aus Mangel an Zeit, die der Komplexität der weltlichen Aufgaben geschuldet war. Die Unterstützung im religiösen Sektor durch professionelle Institutionen war daher notwendig. Moralisch verwerflich war es jedoch, wenn die Bischöfe der weltlichen Lebenssphäre deutlich zugeneigter waren und die priesterliche Seite ihres Amtes bewusst vernachlässigten. Treffend formuliert daher Hugo Stehkämper: »Die Vereinigung des bischöflichen Amtes mit fürstlichem Machtgebot wurde erst fraglich, wenn sie den Bischof von seinen geistlichen Pflichten abhielt, gar abdrängte und wenn sie
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Grundlegend Müller, Georg: Visitationsakten als Geschichtsquelle, in: Deutsche Geschichtsblätter 8 (1907), S. 287-316. Als Untersuchungsbeispiele siehe Pauly, Ferdinand: Die Visitationsordnung der Stiftspfarrei Münstermaifeld um 1330, in: Trierer Theologische Zeitschrift 69 (1960), S. 168-173; Niederkorn-Bruck, Meta: Die Melker Reform im Spiegel der Visitationen, Wien-München 1994.
Das Amt des mittelalterlichen Bischofs
das geistliche Amt in seinem Wesen verkürzte, verkrümmte oder sogar verkrüppelte.«5 Die weltliche Gewalt in Form der Regalien empfingen die Erzbischöfe und Bischöfe seit dem Wormser Konkordat von 1122 aus der Hand des Königs. Treffend sind die Pflichten eines spätmittelalterlichen Landesherrn6 mit der Formel ›Schutz und Schirm‹ zusammengefasst.7 Nach außen galt es, die Untertanen vor feindlichen Angriffen zu schützen und zugleich durch die ihm übertragene Gerichtshoheit den Frieden im Inneren zu bewahren. Durch das Lehnrecht8 band der bischöfliche Herrschaftsträger Vasallen an sich, von denen er Rat und Hilfe (consilium et auxilium9 ) verlangen konnte; insbesondere als militärische Unterstützung in Krisenzeiten. Der Aufbau einer solchen Gefolgsmannschaft war ein Garant für das Funktionieren mittelalterlicher Herrschaft. Treue, Loyalität und persönliche Bindungen10 mussten in rituellen und symbolischen Praktiken immer wieder hergestellt werden. Es war daher es-
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H. Stehkämper: Der Reichsbischof und Territorialfürst, S. 95. Zur Problematik des Begriffs siehe Willoweit, Dietmar: Landesherr, Landesherrschaft, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 3, Berlin 2016, Sp. 431-436; Schubert, Ernst: Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter, München ²2006. D. Willoweit: Landesherr, Sp. 431-436. Grundlegend Spieß, Karl-Heinz: Lehn(s)recht, Lehnswesen, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 2, Berlin 1978, Sp. 1725-1741; Reynolds, Susan: Fiefs and Vasalls. The Medieval Evidence Reinterpreted, Oxford 1994; Hechberger, Werner: Adel im fränkisch-deutschen Mittelalter: zur Anatomie eines Forschungsproblems, Ostfildern 2005; Spieß, Karl-Heinz: Das Lehnswesen in Deutschland im hohen und späten Mittelalter, Stuttgart ²2009; Dendorfer, Jürgen/Deutinger, Roman (Hg.): Das Lehnswesen im Hochmittelalter. Forschungskonstrukte – Quellenbefunde – Deutungsrelevanz, Ostfildern 2010; Patzold, Steffen: Das Lehnswesen, München 2012; Spieß, Karl-Heinz (Hg.): Ausbildung und Verbreitung des Lehnswesens im Reich und in Italien im 12. und 13. Jahrhundert, Ostfildern 2013. Klassisch, jedoch überholt: Ganshof, Francois Louis: Was ist das Lehnswesen?, Darmstadt 1989. Vgl. Brunner, Otto: Land und Herrschaft. Grundfragen der territorialen Verfassungsgeschichte Österreichs im Mittelalter, Wien 1959, S. 269-272. Zur konsensualen Herrschaft siehe insbesondere: Schneidmüller, Bernd: Konsensuale Herrschaft. Ein Essay über Formen und Konzepte politischer Ordnung im Mittelalter, in: Heinig, PaulJoachim et al.: Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 53-87. Vgl. Althoff, Gerd: Verwandte, Freunde und Getreue: zum politischen Stellenwert der Gruppenbindungen im frühen Mittealter, Darmstadt 1990.
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sentiell, dass ein Landesherr die »Spielregeln«11 seiner Handlungsfelder beherrschte. Konkret erforderte dies einen adeligen Habitus12 , ein Grundverständnis davon, was es heißt, (über andere) zu herrschen.13 Teil dieser Praxiswelt waren (auch) kriegerische Aktivitäten. Nicht nur die Berufung zur Friedenswahrung im Rahmen der Territorialpolitik erforderte den Bischof als Heerführer, sondern auch sein reichsfürstlicher Status als königlicher Vasall verpflichtete ihn zur Heerfolge.14 Hugo Stehkämper spricht den Reichsbischöfen insgesamt auf reichspolitischer Ebene die Funktionen als »Staatsmänner und Heerführer, […] Diplomaten und engen Berater des Königs«15 zu. Dass bei diesen Aktionen auch und vor allem machtpolitische Interessen im Vordergrund standen, liegt auf der Hand. Dieses dezidiert weltliche Bild eines Oberhirten widersprach den christlich-moralischen Vorstellungen eines Christus-Nachfolgers. Gab es bereits im Hochmittelalter vermehrt Stimmen, 11
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Vgl. Althoff, Gerd: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997; Kamp, Hermann: Die Macht der Spielregeln in der mittelalterlichen Politik. Eine Einleitung, in: Garnier, Claudia et al. (Hg.): Spielregeln der Mächtigen. Mittelalterliche Politik zwischen Gewohnheit und Konvention, Darmstadt 2010, S. 1-18. Der Habitus versteht sich hier als Anlage, Haltung, Erscheinungsbild, Gewohnheit und Lebensweise im Bourdieuschen Sinne und zeigt sich damit als »aktive Präsenz früherer Erfahrungen, die sich in jedem Organismus in Gestalt von Wahrnehmungs-, Denkund Handlungsschemata niederschlagen«, Bourdieu, Pierre: Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft, Frankfurt a.M. 1987, S. 101. Zum ›adeligen‹ Habitus und den damit verbundenen Praktiken siehe allgemein Fleckenstein, Josef: Curialitas. Studien zu Grundfragen der höfisch-ritterlichen Kultur, Göttingen 1990. Zur Adelsherrschaft im Mittelalter siehe: Oexle, Otto Gerhard: Aspekte der Geschichte des Adels im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Wehler, HansUlrich (Hg.): Europäischer Adel 1750-1950, Göttingen 1990, S. 19-56; Morsel, Joseph: Die Erfindung des Adels. Zur Soziogenese des Adels am Ende des Mittelalters – das Beispiel Franken, in: Oexle, Otto Gerhard/Paravicini, Werner (Hg.): Nobilitas. Funktion und Repräsentation des Adels in Alteuropa, Göttingen 1997, S. 312-375; Rösener, Werner: Adelsherrschaft als kulturhistorisches Phänomen. Paternalismus, Herrschaftssymbolik und Adelskritik, in: Historische Zeitschrift 268 (1999), S. 1-34. Vgl. Der Sachsenspiegel des Eike von Repgow, hg. von Friedrich Ebel, Stuttgart 1953, Nr. III, S. 174 und Nr. IV, S. 175. Zu den kriegerischen Tätigkeiten der Geistlichkeit siehe Hehl, Ernst Dieter: Kirche und Krieg im 12. Jahrhundert. Studien zu kanonistischem Recht und politischer Wirklichkeit, Stuttgart 1980; S. Burkhardt: Mit Stab und Schwert; Thielen, Thorsten: Friede und Recht: Studien zur Genese des frühmittelalterlichen Herrscher- und Tugendideals in der lateinischen Literatur der römischen Antike und des frühen Mittelalters, Frankfurt a.M. 2017. H. Stehkämper: Der Reichsbischof und Territorialfürst, S. 120.
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die den Lebensstil der Reichsbischöfe kritisierten, wurden sie im reformbereiten 15. Jahrhundert regelrecht laut: »[E]in bischoff sol billich sytzen uff der Heuptkyrchen yetlichs bysthüms und sollen ein geystlichs leben furen, das alle geystlich an in zü sehen haben. Nu reytten sye als leyen mit weltlichem zeuge als weltlich herren […] sye wollen der kyrchen gut mit kriegenn gewynnen«16 , heißt es in der auf dem Basler Konzil entwickelten Reformatio Sigismund von 1439. Und weiter: »Item ein bischoff soll sich gutlich betragen und sich nichts weltlichs annemen; er soll erberglich zü kore geen, allen den, dye in dem bysthümm sein, ein guten spiegel vortragenn«17 . Doch selbst der Papst hatte nichts gegen die kriegerischen Unternehmungen seiner Bischöfe einzuwenden, solange sie sich nicht gegen das Papsttum selbst richteten.18 In den Augen der Kirche war ein materieller Gewinn (oder Verlust) für ein Bistum – der durch kriegerische Unternehmungen ja herbeigeführt werden konnte – immer auch ein geistlicher, denn Himmel und Erde waren eine Einheit. Diese Perspektive übernahm auch die Bistumsgeschichtsschreibung: »der Maßstab für die Würdigung einer bischöflichen Lebensleistung«19 lag in der Landespolitik, in der Friedenssicherung und speziell in der Vermehrung und Verwaltung des Territoriums. Und so verwundert es nicht, wenn Bischöfe in ihren Viten als »in armis strenuus«20 ausgezeichnet werden. Allerdings sollten die Bischöfe laut Kirchenrecht nicht selbst kämpfen.21 Die Schuldigkeit gegen-
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Die Reformation Kaiser Sigmunds, hg. von Heinrich Koller (MGH Staatsschriften des späteren Mittelalters 6), Stuttgart 1964, S. 128. Ebd., S. 148. Vgl. W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 190. In Bezug auf das Seelenheil der Bischöfe wurde durch die Wahl geeigneter Beichtväter, die bezugnehmend auf die kriegerischen Aktivitäten jederzeit die Absolution erteilten, entsprechend Sorge getragen. So W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 235. Zum Zusammenhang zwischen Papsttum und Gewaltausübung vgl. Althoff, Gerd: »Selig sind, die Verfolgung ausüben«: Päpste und Gewalt im Hochmittelalter, Stuttgart 2013. W. Janssen: Biographien mittelalterlicher Bischöfe und mittelalterliche Bischofsviten, S. 143. So ein Urteil über den Trierer Erzbischof Otto von Ziegenhain (1419-1431) in: Gesta Trevirorum II, S. 312. Vgl. Lutterbach, Hubertus: Die für Kleriker bestimmten Verbote des Waffentragens, des Jagens sowie der Vogel- und Hundehaltung (a. 500-900), in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 109 (1998), S. 149-166.
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über ihrem Stift jedoch verlangte im Selbstverständnis der Bischöfe auch den Waffengebrauch.22 Ausgiebige Territorialpolitik kostete und so spielte die Finanzpolitik23 eine sehr wichtige Rolle im bischöflichen Alltagsgeschäft, nebst der Verwaltung der stiftseigenen Güter. Idealerweise verfügte ein Bischof in Fragen der finanziellen Konsolidierung über fachliches Knowhow oder war zumindest so weitblickend, sich adäquate Unterstützung zu organisieren. Prinzipiell stand einem bischöflichen Landesherrn eine ganze Reihe an Instrumentarien zur Verfügung, um seine Stiftskasse aufzubessern. Einnahmen aus grundherrschaftlichem Besitz (Burgen, Städte, Dörfer) und aus den königlichen Regalien (Münze, Zölle, Judenschutz) bildeten den Grundstock des bischöflichen Tafelguts. Darüber hinaus waren direkte oder indirekte Steuern24 , Zölle und Geleitgelder weitere Möglichkeiten, die im Rahmen der Landesherrschaft genutzt wurden. Geldeinforderungen in Form von Steuerzahlungen richteten sich dabei sowohl an die Laienschaft als auch an den Klerus. Gerade die Position des kirchlichen Oberhaupts machte es dem Bischof möglich, im religiösen Praxisfeld einige Forderungen geltend zu machen. Das wohl mächtigste Instrument hierbei war die Einforderung des sogenannten Bischofszehnten (subsidium caritativum).25 Diese Steuer richtete sich an den gesamten Diöze22
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Auch diese Praktiken waren nicht frei von Kritik. Gerade aus den sich formierenden theologisch-gelehrten Kreisen wurden Gegenargumente angebracht: »Der Herr hat nicht gesagt: Bessere die Wände und Mauern der Kirche aus, nicht: Befestige Burgen und Städte, nicht: Sammle Reichtümer, nicht: Vermehre die Einkünfte, und schließlich auch nicht: Kümmere dich unablässig um den weltlichen Besitz der Kirche – er hat vielmehr gesagt: Weide meine Schafe!«, heißt es in einem Änderungsantrag zum Dekret über die Wahlen der Bischöfe und andere hohe Prälaten aus der 12. Session des Baseler Konzils von 1433, hier zitiert nach W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 185. Vgl. Starke, Rudolf: Die Einkünfte von Meißen im Mittelalter. Teil 1: Ein Beitrag zur Finanz- und Verwaltungsgeschichte der deutschen Bistümer, Meißen 1911. Vgl. Janssen, Wilhelm: Die mensa episcopalis der Kölner Erzbischöfe im Spätmittelalter, in: Patze, Hans (Hg.): Die Grundherrschaft im späten Mittelalter Teil 1, Sigmaringen 1983, S. 313-341. Vgl. Bünz, Enno: Bistumsfinanzen und Klerusbesteuerung als Problem der vorreformatorischen Kirche: Das subsidium caritativum im Erzbistum Mainz, in: Lingelbach, Gerhard (Hg.): Staatsfinanzen – Staatsverschuldung – Staatsbankrotte in der europäischen Staaten- und Rechtsgeschichte, Weimar u.a. 2000, S. 67-86; Ders.: Das Mainzer Subsidienregister für Thüringen von 1506, Köln 2005; Person-Weber, Gerlinde: Der Liber decimationis des Bistum Konstanz: Studien, Edition und Kommentar, Freiburg i.Br. 2001.
Das Amt des mittelalterlichen Bischofs
sanklerus, der diesem speziellen Mittel freilich ablehnend gegenüber stand.26 Üblicherweise erforderte die Einführung dieses Instruments gewisses diplomatisches Geschick der Kirchenfürsten, wollten sie die Stimmung in ihrem Territorium nicht zu sehr reizen.27 Eine vorherige Absprache und Einigung mit dem Domkapitel über die Einführung solcher finanzieller Instrumente war unabdingbar, wurde zuweilen aber unterlassen und die Einführung stattdessen direkt durch eine päpstliche Genehmigung initiiert.28 Bedenklich war auch die Häufigkeit der Einführung des Bischofszehnten: In Köln hatte Erzbischof Wilhelm von Gennep (1349-1362) innerhalb von vier Regierungsjahren elf Mal von der Einführung Gebrauch gemacht. Dass der Diözesanklerus über die auferlegte Steuer ungehalten war, ist naheliegend. Das Gleiche galt für die übrigen weltlichen Herrschaftsträger des Bistums: sie sahen in dieser bischöflichen Praktik einen Eingriff in die eigene Herrschaftsgewalt, denn wenn der Klerus schon entgegen seiner Sonderstellung besteuert wurde, dann sollten die in ihrem Territorium lebenden Geistlichen auch nur ihnen gegenüber steuerpflichtig sein. Womöglich aber könnte der Bischof auch die Gelder im Rahmen einer territorialpolitischen Auseinandersetzung gegen die Landesherren selbst nutzbar machen.29 Mit Einnahmen verbunden waren auch die bischöflichen Visitationsreisen, auf denen der Bischof bzw. seine Gesandten die Prokurationen der Ordensniederlassungen einsammelten. Zusätzliche Einkünfte brachten die Gebühren für die Konfirmation und Benediktion von Äbten und Äbtissinnen sowie Kanzlei- und Siegelgebühren und die Einnahmen aus der geistlichen Gerichtsbarkeit. Die Reichsbischöfe konnten in ihrer Finanzpolitik durchaus auch von moralisch grenzwertigen Praktiken Gebrauch machen. Die Nutzung des sogenannten Spolienrechts, der Anspruch auf die Hinterlassenschaften verstorbener Kleriker oder die Einziehung vakant gewordener Einkünfte, fällt 26 27
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Ein Streitpunkt war die Einbeziehung der exemten Klöster in die Forderung. Wie sehr dies misslingen konnte, zeigt sich beim Bremer Erzbischof Johannes Grand (1310-1327). Dazu Schulze, Heinz-Joachim: Johann Grand (Jonas Fursat) (1240/50-1327), in: Gatz, Erwin: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448: ein biographisches Lexikon, Berlin 2001, S. 91-93; Riis, Thomas: Johannes, 54. J. (Johann, Jens) Grand, Ebf. v. Lund, in: Lexikon des Mittelalters 5, Sp. 552; Lintzer, Gottfried: Studien zur Geschichte Johann Grands, Erzbischofs von Bremen (1310-1327), Hamburg 1933. So W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 202. Ebd. S. 204. Die Finanzpolitik und vor allem die in ihr angewandten Praktiken boten permanent Anlass zur Kritik. Zugleich kann die flächendeckende Einführung von Steuern als ein »Fortschritt der »Staatlichkeit« für die Zugriffsmöglichkeiten und den Informationsstand der Territorialverwaltung gelesen werden.«
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in diesen Bereich. Selten reichten solche Einkünfte aber aus, um ein Umsatzplus im Finanzbuch zu erzielen. Für das Erzbistum Köln hält Wilhelm Janssen fest: »Alles in allem […] warf das Bischofsamt, selbst wenn es über die Grenzen des Erträglichen und Erlaubten hinaus finanziell ausgebeutet wurde, nur einen geringen Teil dessen ab, was tatsächlich verausgabt und gebraucht wurde.«30 Die Konsequenz in solchen Fällen war die Aufnahme von Krediten. Der Bischof bzw. das Bistum konnte Schuldner bei vermögenden Klerikern und geistlichen Institutionen, aber auch bei Bürgern, Juden, Lombarden und Adeligen werden.31 Als Pfänder wurden meistens Stiftsbesitz (Burgen) oder bischöfliche Rechte (Zölle) hinterlassen. Im schlimmsten Fall konnte das Resultat einer solch übermäßigen Schuldenpolitik die komplette Entfremdung des Kirchenguts sein. Fest steht, dass den Reichsbischöfen ein gewisser Spielraum zur Verfügung stand, um von Laien und ihnen unterstehenden Klerikern Abgaben einzufordern.32 Angesichts dieser machtpolitischen Bedeutung des Bischofsamtes galt es Kandidaten zu erwählen, die den Anforderungen des Amtes gewachsen waren. Es stellte sich heraus, dass »politischer Spürsinn, Geschäftsgewandtheit, die kluge Einschätzung von Machtlagen und Entschlußsicherheit« für einen Kirchenfürsten weitaus bedeutender waren, als »noch so profunde Kenntnisse des kanonischen Rechts«33 . Theologisches und kanonischen Fachwissen sowie Demut, Bescheidenheit und eine Orientierung an priesterlichen Lebensidealen waren proklamierte Erwartungen, die sich in der politischen Lenkung des Bistums in Exekutive, Legislative und Judikative als fromme Idealvorstellungen entpuppten. Herrschaftspraktiken und Lebensstil orientierten sich vornehmlich an dieser weltlichen Sphäre und fürstlicher Repräsentationsprunk ließen mönchische Vorbilder alsbald verblassen. So stellt Wilhelm Janssen treffend heraus:
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W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 203. Als Fallbeispiele dazu siehe Droege, Georg: Verfassung und Wirtschaft in Kurköln unter Dietrich von Moers (1414-1463), Bonn 1957; Ders.: Dietrich von Moers, Erzbischof und Kurfürst von Köln (etwa 1385-1463), in: Rheinische Lebensbilder 1, Köln 1983, S. 49-65; Irsigler, Franz: Reinhard von Schönau – financier gentilhomme: eine biographische Skizze, in: Henn, Volker/Holbach, Rudolf (Hg.): Miscellanea Franz Irsigler: Festgabe zum 65. Geburtstag, Trier 2006, S. 375-394. Anzumerken ist, dass der Verwendungszweck der Ausgaben eine nicht unerhebliche Rolle spielt. Vgl. hierzu W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 203. W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 199.
Das Amt des mittelalterlichen Bischofs
»Der geistliche Territorialstaat verlangte nach Bischöfen, die im Idealfall den macht- und pflichtbewußten, politisch versierten Fürsten und den pastor bonus zugleich in sich verkörpern konnten, die in der Regel aber – da hier doch einander weitgehend ausschließende Befähigungen und Charakterzüge angesprochen waren – den Bischof dem Fürsten unterordneten. Im Rahmen des vorgegebenen Systems war dies sogar notwendig – trotzdem aber für das christliche Gewissen unerträglich!«34 Insbesondere das reformeifrige und bereits humanistisch geprägte 15. Jahrhundert griff die Thematik der bischöflichen Amtsverkörperung immer wieder auf. Die moraltheologischen Erwartungen sahen vor, dass in erster Linie der Bischof und erst danach der Fürst verkörpert werden sollte.35 Das Gelingen hing von der Bereitwilligkeit des Amtsträgers und seiner Selbstdisziplin ab: Wenn ein Bischof »eine geregelte Lebensführung, Selbstzucht und unablässige geistliche Selbstbesinnung und -prüfung eingeübt hat«36 , so schreibt es der Kartäuserprior Dionysius im 15. Jahrhundert in seinem Traktat De vita et regimine presulum, kann eine solche Verkörperung erfolgreich gelebt werden. Aus subjektivierungstheoretischer Sicht wäre daher zu fragen, wie der Reichsepiskopat in seiner Performanz die differierenden Rollenerwartungen mit seinen eigenen Selbstvorstellungen ausbalancierte und dadurch »womöglich auch das Gefüge der Positionen und Subjektformen«37 der Bistumsordnung(en) veränderte. Ein bischöfliches Subjekt erweist sich also in seiner Form als abhängig von historischen und sozialen Vorgaben. Die Bischöfe müssen sich diese Vorgaben im Prozess ihrer Subjektivierung praktisch aneignen, mental verinnerlichen und sichtbar verkörpern und in den Praktiken der Subjektivierung zu einem Teil ihrer selbst werden lassen. Rollentheoretisch gesprochen bleibt den historischen Akteuren die Möglichkeit, sich sukzessive der ›Rolle des Bischofs‹ anzupassen oder eben dies willentlich nicht zu tun.38 34 35
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Ebd. S. 185 (Herv. i.O.). So Schmid, Alois: Humanistenbischöfe. Untersuchungen zum vortridentischen Episkopat in Deutschland, in: Römische Quartalschrift für christliche Alterumskunde und Kirchengeschichte 87 (1992), S. 159-192. Vgl. dazu auch Becker, Rainald: Der Breslauer Bischof Johannes Roth (1426-1506) als instaurator veterum und benefactor ecclesiae suae. Eine Variation zum Thema des Humanistenbischofs, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 96 (2001), S. 100-123. W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 189. T. Alkemeyer: Subjektivierung in sozialen Praktiken, S. 63. Vgl. U. Schimank: Handeln und Strukturen, S. 74.
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6. Karrierewege Mit ausschlaggebend für die spätere Performanz des Bischofs war neben seiner individuellen Interessensausrichtung auch sein persönlicher Werdegang. Eine mittelalterliche Karriere, die in der Ernennung zum Reichsbischof gipfelte, hatte ganz unterschiedliche Verlaufswege. Grundsätzlich gab es nicht den Weg zum Bischofsstuhl39 , wenngleich eine Amtsernennung über den Besitz von Kirchenämtern und Mitgliedschaft in einem Domkapitel die dominierende Karrierevariante darstellte.40 Diese Möglichkeit richtete sich insbesondere an junge Adelssöhne, deren Familien ihre geistliche Laufbahn frühzeitig lenkten und förderten. Der Besuch einer Dom- oder Stifts-, seltener einer Klosterschule leitete den Karriereweg ein, während der Besuch einer Universität erst im Laufe des 12. Jahrhunderts Bedeutung erlangte, und zunächst kein Garant für eine spätere Ernennung darstellte.41 Familiäre Verbin-
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Vgl. Becker, Rainald: Wege auf den Bischofsthron. Geistliche Karrieren in der Kirchenprovinz Salzburg in Spätmittelalter, Humanismus und konfessionellem Zeitalter. Rom-Freiburg-Wien 2006; Ders.: Bildungskarrieren im Süden. Italienische Studienwege bayrischer Bischöfe in der frühen Moderne (1448-1648), in: Römische Quartalschrift 97 (2002), S. 301-322. Zur Bedeutung der Amtsernennungen über den Pfründenmark vgl. Schwarz, Brigide: Klerikerkarrieren und Pfründenmarkt. Perspektiven einer sozialgeschichtlichen Auswertung des Repertorium Germanicum, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 71 (1991), S. 243-265; Schwarz, Andreas: Der deutsche Pfründenmarkt im Spätmittelalter, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken 71 (1991), S. 266-279. Alois Schmidt hat den Werdegang der Augsburger Bischöfe untersucht und dabei festgestellt, dass eine lange akademische Ausbildung mit Universitätswechsel und Auslandsaufenthalt durchaus ein Auswahlkriterium war. Neben der adeligen Abstammung, religiöser Eignung, bisheriger Bewährung und politischer Beziehungen war es in Augsburg möglich, auch das Kriterium der akademischen Ausbildung zu berücksichtigen, da die Wahlen in Augsburg nicht durch sehr große politische Kräfte beeinflusst wurden. Dazu A. Schmid: Humanistenbischöfe, hier insbesondere S. 163-164. Verwiesen sei in diesem Zusammenhang auch auf die hier anwendbare Methode der kollektiven Biografie, wie sie Hélène Millet in ihrer Untersuchung des Kathedralkapitels von Laon durchgeführt hat (Les chanoines du chapitre cathédral de Laon: 1272-1412, Rom 1982; auch Dies.: I canonici al servizio dello Stato in Europa secoli XIII-XVI, Modena 1992). Grundsätzlich ließ die Gelehrigkeit der Reichsbischöfe allerdings zu wünschen übrig, so dass auf dem IV. Laterankonzil die fachwissenschaftlichen Ansprüche an die Kandidaten sogar herabgesenkt wurden, so W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 187.
Das Amt des mittelalterlichen Bischofs
dungen und eine »episkopale Anschlussfähigkeit«42 durch bischöfliche Verwandte ermöglichten den Zugang zum Domkapitel43 oder zu Kirchenämtern, die mit Pfründen versehen waren und so das Lebenseinkommen für den weiteren Karriereweg sicherten.44 Mit etwa 14 Jahren war die Weihe zum Subdiakon möglich, mit 20 die Weihe zum Diakon. Fortan war es nur noch eine Frage des Einflusses und der Machtlage, ob die Stelle eines Kantors, Scholasters, Propstes, Dekans oder Archidiakons erlangt werden konnte. Einige Ämter brachten wertvolle Erfahrungen und Einsichten in die geistlichen und weltlichen Praxisfelder des Bischofsamtes mit sich, die für eine spätere Kandidatur vorteilhaft waren. Dass aber »die Rekrutierung aus den domstiftischen Verfassungsgremien der Reichskirche der Normalfall der bischöflichen Laufbahn war«45 , konnte Rainald Becker in einer quantitativen Datenuntersuchung zum Reichsepiskopat belegen.
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Den Begriff prägte S. Burkhardt: Mit Stab und Schwert. Zur Domkapitelforschung siehe insbesondere R. Holbach: Stiftsgeistlichkeit im Spannungsfeld von Kirche und Welt; Ders.: Zu Ergebnissen und Perspektiven neuerer Forschung zu spätmittelalterlichen deutschen Domkapiteln, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 56 (1992), S. 148-180. Vgl. Landau, Peter: Beneficium, in: Theologische Realenzyklopädie 5, Berlin 1980, Sp. 577-583; Olsen, Glenn: The definition of the ecclesiastical benefice in the 12th century. The canonistsʼ discussion of spiritualia, in: Collectanea Stephan Kuttner 1 (1967), S. 431446; Lindner, Dominikus: Das kirchliche Benefikium in Gratians Dekret, Studia Gratiana 2 (1954), S. 375-386; Stutz, Ulrich: Geschichte des kirchlichen Benefizialwesens von seinen Anfängen bis auf die Zeit Alexanders III., I/1, Berlin 1895. Zur Problematik der Pfründenkumulation siehe Ganzer, Klaus: Papsttum und Bistumsbesetzungen in der Zeit Gregor IX. bis Bonifaz VIII.: Ein Beitrag zur Geschichte der päpstlichen Reservationen, Köln 1968. Von Bedeutung in diesem Zusammenhang sind auch personelle Verflechtungen und Netzwerke. Dazu insbesondere: Holbach, Rudolf: Sozialer Aufstieg in der Hochkirche, in: Schulz, Günther (Hg.): Sozialer Aufstieg. Funktionseliten im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, München 2002, S. 337-356, hier S. 338 und 343f.; Schreiner, Klaus: Consanguinitas. Verwandtschaft als Strukturprinzip religiöser Gemeinschafts- und Verfassungsbildung in Kirche und Mönchtum des Mittelalters, in: Crusius, Irene (Hg.): Beiträge zu Geschichte und Struktur der mittelalterlichen Germania Sacra, Göttingen 1989, S. 176-305; Fouquet, Gerhard: Das Speyerer Domkapitel im späten Mittelalter. Adelige Freundschaft, fürstliche Patronage und päpstliche Klientel, Mainz 1987; Reinhard, Wolfgang: Freunde und Kreaturen. Verflechtung als Konzept zur Erforschung historischer Führungsgruppen. Römische Oligarchie um 1600, München 1979. R. Becker: Wandel im Bischofsprofil?, S. 180.
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Grundsätzlich waren solche Kirchenämter schon allein aufgrund des hohen Machtpotenzials dem Adel vorbehalten. Allerdings hatten auch nichtadelig geborene Geistliche gewisse Möglichkeiten, ein bischöfliches Amt zu erreichen, wenngleich die Domkapitel i.d.R. sehr auf »ständische Exklusivität«46 achteten und mittels rechtlicher Maßnahmen, wie den Ahnenproben, nicht-adelig geborenen Personen den Zutritt massiv erschwerten.47 Bildung und Leistung konnten den Makel der Geburt zumindest teilweise wettmachen und unter günstigen Rahmenbedingungen eine Bischofsernennung ermöglichen.48 Ein Karriereweg führte dann insbesondere »über den Erwerb von Qualifikationen, über Diplomatie und Verwaltungstätigkeit, über den geschickten Einsatz finanzieller Ressourcen, über die Unterstützung [ihnen] geneigter Personen und über die Zugehörigkeit zu einer Klientel«49 . So war es nicht selten die Nähe zu einem Herrschaftsträger und die Ausübung weltlicher Verwaltungsstellen, die ausschlaggebend für das spätere bischöfliche Amt waren.50 Positionen wie Statthalter oder Kanzler an Fürstenhöfen51 be46 47
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R. Holbach: Sozialer Aufstieg in der Hochkirche, S. 338. Vgl. hierzu insbesondere R. Holbach: Sozialer Aufstieg in der Hochkirche; Ders.: Kirchen, Karrieren und soziale Mobilität zwischen Nicht-Adel und Adel, in: Andermann, Kurt/Johanek, Petre (Hg.): Zwischen Nicht-Adel und Adel, Stuttgart 2001, S. 311360; Ders.: Identitäten von Säkularkanonikern im Mittelalter, in: Kwiatkowski, Stefan/Małłek, Janusz (Hg.): Ständische und religiöse Identitäten in Mittelalter und früher Neuzeit, Toruń 1998, S. 19-41. Vgl. Kintzinger, Martin: Wissen wird Macht. Bildung im Mittelalter, Stuttgart 2003; Le Goff, Jaques: Les intellectuels au Moyen Âge, Paris ²1985; Verger, Jaques: Les universités au moyen âge, Paris 1973; Moulin, Léo: La vie étudiants au Moyen Âge, Paris 1991; Riché, Pierre/Verger, Jaques: Des nains sur des épaules de géants. Maîtes et élèves au Moyen Âge, Paris 2006. R. Holbach: Kirchen, Karrieren und soziale Mobilität zwischen Nicht-Adel und Adel, S. 312. Zur Bedeutung der bischöflichen familia siehe Burgard, Friedhelm: Familia archiepiscopi: Studien zu den geistlichen Funktionsträgern Erzbischof Balduins von Luxemburg (1307-1354), Trier 1992. Vgl. Fouquet, Gerhard: Domkapitel, Hof und Universität. Speyerer Domherren als Amtsträger und Klienten des Königs und der Fürsten im Spätmittelalter, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 43 (1991), S. 109-143. Holbach, Rudolf: Kanoniker im Dienste von Herrschaft. Beobachtungen am Beispiel des Trierer Domkapitels, in: I canonici al servizio dello Stato in Europa secoli XIII-XVI. Les chanoines au service de l’Etat en Europe du XIIIe au XVIe siècle. Recueil d’études sous la direction de Hélène Millet avec la collaboration d’Elisabeth Mornet (Istituto di Studi Rinascimentali Ferrara, Saggi), Modena 1992, S. 121-148. Vgl. Rösener, Werner: Hofämter an mittelalterlichen Fürstenhöfen, in: Deutsches Archiv für die Erforschung des Mittelalters 45 (1988), S. 485-550.
Das Amt des mittelalterlichen Bischofs
deuteten Erfahrung in den weltlich-juristischen Geschäften und waren unverzichtbares Kapital für eine Kandidatur. Gerichtsbarkeit und Diplomatie stellten weitere Profilierungsfelder im weltlichen Praxisfeld dar. Insbesondere die Nähe zum Herrscher sollte sich hier gewinnbringend für das Karriereziel »Bischof« herausstellen: Nicht selten wurde Beichtvätern, Präzeptoren, Mitgliedern der Hofkapelle oder auch Leibärzten als Anerkennung für (langjährige) Dienste eine Ernennung zum Bischof ermöglicht. Das markanteste Beispiel für einen solchen Karriereweg stellt sicherlich Peter von Aspelt (13061320)52 dar. Mit einer niederadeligen Herkunft wurde er als Kaplan und Leibarzt Rudolfs von Habsburg zum Erzbischof von Mainz ›gemacht‹ und avancierte zu einer der zentralen Figuren der spätmittelalterlichen Reichspolitik.53 Sein Karriereweg wird insbesondere für Johannes Hake54 zum Vorbild. Aus einer Göttinger Ratsfamilie stammend, wurde der studierte Mediziner Leibarzt von König Ludwig dem Bayern, König Johann von Böhmen und von Papst Benedikt XII. Über Erzbischof Balduin von Luxemburg erhielt Hake Kontakte an die Kurie in Avignon, wo er seine heilerischen Fähigkeiten fortführte. Bei seinen Bemühungen um die bischöfliche Amtswürde berief er sich mehrfach auf den Werdegang Peters, was ihm letztlich die Bistümer Verden (ab 1331) und Freising (ab 1341) einbrachte. Den Papst als Unterstützer des eigenen Karriereweges anzurufen war ein vielversprechendes Unterfangen, das auch Bischof Hake nutzte. Im Rahmen des päpstlichen Benefizialwesens55 konnte man sich selbst mit einer Supplik
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Zu Peter von Aspelt siehe Jürgensmeier, Friedhelm: Peter von Aspelt (Aichspalt) (1240/45-1320). in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 406-407. Vgl. Kirt, David: Peter von Aspelt (1240/45-1320) – Ein spätmittelalterlicher Kirchenfürst zwischen Luxemburg, Böhmen und dem Reich, Luxembourg 2013; Arens, Marianne: Die Reichspolitik des Erzbischofs von Mainz Peter von Aspelt 1306-1320, Freiburg i.Br. 1949; Heidemann, Julius: Peter von Aspelt als Kirchenfürst und Staatsmann: Ein Beitrag zur Geschichte Deutschlands im 13. und 14. Jahrhundert, Berlin 1875. Zu Johannes Hake siehe Wenck, Karl: Johann von Göttingen. Arzt, Bischof und Politiker zur Zeit Ludwigs des Bayern, in: Archiv für Geschichte der Medizin 17 (1925), S. 141-156; Mindermann, Arend: »Der berühmteste Arzt der Welt«: Bischof Johann Hake, genannt von Göttingen (um 1280-1349), Bielefeld 2001; Schmidt, Tilmann: Drogen für den Erzbischof. Peter von Aspelt (gest. 1320) und der Arzt Johann von Göttingen, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 58 (2006), S. 109-130. Vgl. K. Ganzer: Papsttum und Bistumsbesetzungen in der Zeit Gregor IX. bis Bonifaz VIII. und Hitzbleck, Kerstin: Der Streit um die Pfründe: das päpstliche Benefizialwesen
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um eine Pfründe oder Provision bemühen. Doch auch eine dezidiert kuriale Laufbahn hatte erfolgreiche Aussichten auf einem Bischofsstuhl zu enden. Innerhalb der römischen Kurie gab es eine Vielzahl unterschiedlicher Professionen, die den Weg zum Bischofsamt bereiten konnten.56 So eröffnete etwa der päpstliche Verwaltungsapparat mit Tätigkeiten als Kämmerer, Kanzlist oder Notar Einsichten in kirchliche Finanzgeschäfte. Als Legat oder Nuntius führte der Weg über die Kuriendiplomatie auf internationales Parkett. Die Stelleninhaber verstanden sich als kuriale ›Außenminister‹ und erlangten Bekanntheit in vielen Bistümern. Ähnliches galt auch für Exekutorentätigkeiten57 : Im Rahmen des päpstlichen Benefizialwesens hatten die Exekutoren bzw. Offizialen die Aufgabe, die Vergabe der Provisionen zu verfolgen und Rückmeldung an die Kurie zu geben. Mehr im religionspraktischen Bereich angesiedelt waren Ämter im päpstlichen Hofstaat: Als Kaplan etwa oblag den Stelleninhabern die Überwachung der Liturgie und Zeremonien.58 Die Frage allerdings bleibt, ob es sich bei den genannten Titeln und Ämtern nicht doch nur um reine Ehrenämter handelte, die von den Stelleninhabern nicht ausgeführt wurden. Der Aufstieg in eine kirchliche Spitzenposition konnte auch über die Mitgliedschaft in einer Ordensgemeinschaft gelingen.59 Die Profilierung solcher Kandidaten basierte auf einer »ungewöhnlich breiten akademischen Qualifizierung«60 , die prinzipiell über einen innerklösterlichen Bildungsweg führte und teilweise an der Universität vervollkommnet wurde. Der weitere Weg führte dann über eine weitgreifende europäische Karriere an Kurie und Herrscherhöfen.61 Auf diese Weise erlangte etwa der Zisterziensermönch und Sohn eines Gewandmachers Dietrich von Portitz im 14. Jahrhundert
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in den Gutachten des Rotaauditors Thomas Fastolf († 1361), in: Zeitschrift für Kirchengeschichte 121 (2010), S. 289-304. Zu Geschichte und Aufbau kurialer Behörden siehe Schwarz, Brigide: Alle Wege führen über Rom. Eine »Seilschaft« von Klerikern aus Hannover im späten Mittelalter (1. Folge), in: Hannoversche Geschichtsblätter NF 32 (1998), S. 5-75; Dies.: Die römische Kurie und Pfründenmarkt im Spätmittelalter, in: Zeitschrift für Historische Forschung 20 (1993), S. 129-152; Guillemain, Bernard: La Cour pontificale d’Avignon 1309-1376. Etude d’une société, Paris 1966. Hierzu insbesondere Hitzbleck, Kerstin: Exekutoren. Die außerordentliche Kollatur von Benefizien im Pontifikat Johannesʼ XXII., Tübingen 2009. Vgl. R. Becker: Wege auf den Bischofsthron. Zu diesem Themenfeld siehe ebd. S. 269f. Ebd. S. 283. Ebd. S. 279.
Das Amt des mittelalterlichen Bischofs
den Magdeburger Erzbischofsstuhl. Allerdings blieb die Erhebung von Ordensgeistlichen ins Bischofsamt eher die Ausnahme, ließ sich doch der bischöfliche Habitus schwer mit einem monastischen Lebensentwurf vereinbaren.62 In gewisser Weise kann auch der Universität die Rolle eines Karriereraums für Bischöfe zugesprochen werden.63 Der spätere Wormser Bischof Matthäus von Krakau64 , geboren um 1335/40 als Sohn eines Krakauer Stadtschreibers, erhielt 1394 eine gut dotierte theologische Professur in Heidelberg, wo er von 1396-97 auch das mit Repräsentationspflichten verbundene Amt des Rektors bekleidete. Als Beichtvater von Kurfürst Rudolf II. gelangte Matthäus in den Vertrautenkreis König Ruprechts III. , so dass er nach dessen Wahl 1400 zum deutschen König am Aufbau einer königlichen Regierungszentrale in Nürnberg beteiligt war. Kontakte zur Kurie erwirkten die Ernennung zum Wormser Bischof im Jahre 1405 durch Papst Innozenz VII., worauf 1408 sogar eine Ernennung zum Kardinal und ein Jahr später eine Ernennung zum deutschen Legaten folgte. Tatsächlich sollte Matthäus von Krakau kaum als Bischof von Worms tätig werden, sondern stand vielmehr weiterhin in den Diensten des Königs und der Universität Heidelberg. Matthäus von Krakau bleibt allerdings einer von wenigen Einzelfällen. Die Zahl derjenigen Bischöfe, die vor ihrer Wahl als hauptamtliche Professoren in der Lehre tätig waren, ist äußerst gering,65 vielmehr sahen die angehenden Fürstbischöfe ihre Profilierungschancen im Amt des Rektors.66
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In England und Italien ist dies durchaus anders, siehe dazu Pellegrini, Luigi: Vescovi e ordini mendicanti, in: Gasparini, Sandre de (Hg.): Vescovi e diocesi in Italia dal XIV alla metà del XVI secolo, Bd. 1, Roma 1990, S. 183-258; Thomson, Williell R.: Friars in the cathedral. The first Franciscan bishops (1226-1261), Toronto 1975; Haines, Roy Martin: Regular Clergy and the Episcopate in the Provinces of Canterbury and York during the later Middle Ages, in: Revue Bénédictine 113 (2003), S. 407-447. Allerdings sah man im Reich durchaus auch von Ordensseite eine Gefahr in der bischöflichen Weltlichkeit. Vgl. hierzu R. Becker: Wege auf den Bischofsthron, S. 252f. Zu Matthäus von Krakau siehe Schuler, Peter-Johannes: Matthäus von Krakau, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 5, Herzberg 1993, Sp. 1033-1037; Heinig, Paul-Joachim: Matthäus von Krakau, in: Neue Deutsche Biographie 16, Berlin 1990, S. 397-398. Bei Weihbischöfen und Mediatbischöfen ist dies umgekehrt. Diese haben häufig einen beruflichen Hintergrund in der akademischen Lehre. Siehe R. Becker: Wege auf den Bischofsthron, S. 253.
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7. Wahlverfahren und Erhebungspraktiken Die Ernennung zum Bischof erfolgte im Spätmittelalter durch kanonische Wahl.67 Das Erhebungsrecht des Königs ging als Folge des Investiturstreits verloren. Mit dem IV. Laterankonzil von 1215 fiel das Wahlrecht allein den jeweiligen Domkapiteln zu.68 Sie ernannten unter Vorbehalt der Approbation des Papstes nach dem Mehrheitsprinzip69 einen Kandidaten. Als gültige Wahlformen galten die Skrutinal- (per scrutinium), die Kompromiss- (per compromissum) und die Inspirationswahl (per inspirationem), die je nach politischer Lage ihre Anwendung fanden. In der Position des Wählerkollegiums verstand sich das Domkapitel als das eigentliche »Kontinuitätselement«70 , das die politischen Interessen des Stifts ganzheitlich und langfristig berücksichtigte. Diese Bischofswähler rekrutierten sich in der Regel aus dem hohen und niederen Regionaladel und sorgten gemeinhin dafür, »daß nur Standesgleiche und vornehmlich Sippengenossen an die Spitze von Diözesen gelangten.«71 Somit spielten die (regionalen) Machtverhältnisse, die sich in den politischen Positionierungen inner-
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Zum bischöflichen Wahlverfahren siehe Brandt, Hans Jürgen: Zwischen Wahl und Ernennung. Zu Theorie und Praxis der mittelalterlichen Bischofsbestellungen im Spannungsfeld von regnum und sacerdotium, in: Weitlauff, Manfred/Hausberger, Karl (Hg.): Papsttum und Kirchenreform. Historische Beiträge, Festschrift für Georg Schwaiger zum 65. Geburtstag, St. Ottilien 1990, S. 223-233; Schimmelpfennig, Bernhard: Papstund Bischofswahlen seit dem 12. Jahrhundert, in: Schneider, Reinhard/Zimmermann, Harald (Hg.): Wahlen und Wählen im Mittelalter, Sigmaringen 1990, S. 173-195; Erkens, Franz-Rainer (Hg.): Die früh- und hochmittelalterlichen Bischofserhebungen im europäischen Vergleich, Köln u.a. 1998. Schreiner, Klaus: Wahl, Amtsantritt und Amtsenthebungen von Bischöfen. Rituelle Handlungsmuster, rechtlich normierte Verfahren, traditionsgestützte Gewohnheiten, in: Stollberg-Rillinger, Barbara (Hg.): Vormoderne politische Verfahren, Berlin 2001, S. 73-117. Vgl. Feine, Hans Erich: Kirchliche Rechtsgeschichte Bd. 1: Die katholische Kirche, KölnWien ²1972, S. 380f.; Ganzer, Klaus: Zur Beschränkung der Bischofswahl auf die Domkapitel in Theorie und Praxis des 12. und 13. Jahrhunderts (1), in: Zeitschrift der SavignyStiftung für Rechtsgeschichte: Kanonistische Abteilung 88 (1971), S. 22-82 und Ders.: Zur Beschränkung der Bischofswahl auf die Domkapitel in Theorie und Praxis des 12. und 13. Jahrhunderts (2), in: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte: Kanonistische Abteilung 89 (1972), S. 166-198. Vgl. Ganzer, Klaus: Das Mehrheitsprinzip bei den kirchlichen Wahlen des Mittelalters, in: Theologische Quartalschrift 147 (1967), S. 60-87. M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 255. K. Schreiner: Wahl, Amtsantritt und Amtsenthebungen von Bischöfen, S. 91.
Das Amt des mittelalterlichen Bischofs
halb dieser Klerikergemeinschaft wiederspiegelten, eine entscheidende Rolle bei den Bistumsbesetzungen.72 Die Folge waren Bestrebungen der Einflussnahme auf die Institution: Der Bischof selbst konnte noch zu Lebzeiten seinen Einfluss geltend machen und für seinen Wunschnachfolger eine Mehrheit erwirken. Nepotistische Absichten waren dabei nicht ausgeschlossen. Beste Aussichten auf das Bischofsamt hatten die Koadjutoren, die einerseits durch ihre Ernennung eine domkapitularische Mehrheit bereits besaßen, andererseits noch während dieser Amtszeit auf Stimmenfang gehen konnten.73 Grundsätzlich sollten bei der Bischofswahl die Kriterien Alter, Lebenserfahrung, Urteilsvermögen, gute und gesetzte Sitten sowie eine vorbildliche Lebensführung der Anwärter berücksichtigt werden.74 In der Realität verblassten diese Ansprüche zu frommen Wünschen. Sah das Kapitel einen politischen Vorteil für das Stift, erfolgte zuweilen die Ernennung eines kaiserlichen Kandidaten75 oder eines noch minderjährigen Adelssohnes, als Zugeständnis an einen regional-bedeutenden Herrschaftsträger. Gleichwohl ist teilweise auch eine antifürstliche Tendenz in den Domkapiteln fassbar, die dann zu einer Erwählung niederadeliger und damit regionaler Kandidaten führte.76 Der vorherrschenden politischen Situation war es auch geschuldet, wenn das Domkapitel in seiner Kandidatenfindung uneinig war und es zu einer Doppelwahl kam. Damit verbunden waren erhebliche Unruhen für das Stift, standen sich die unterschiedlichen Lager doch zuweilen feindselig gegenüber. Beendet werden konnten solche Konflikte – wenn sie nicht vorher durch Waffengewalt eindeutig entschieden wurden – entweder durch eine Entscheidung des Papstes, die dann auch von den beteiligten Akteuren akzeptiert wurde, oder durch freiwilligen Verzicht einer der beiden Kandidaten.
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Vgl. Bihrer, Andreas: Die Konstanzer Bischofswahlen im 14. Jahrhundert. Zu den Gruppenbildungen am Bischofshof und im Domkapitel, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 33 (2014), S. 17-26. Vgl. Kundert, Werner: Die Koadjutoren der Bischöfe von Chur: eine historische und juristische Studie zum Bischofswahlrecht im »letzen Reichsbistum«, Basel 1991. Vgl. W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 187, mit Verweis auf den Reformentwurf Pierre d’Aillys von 1416 bei Hermann von der Hardt: Magnum oecumenicum Constantiense Concilium I, Frankfurt-Leipzig 1696, S. 409-433. Gerade Kaiser Karl IV. verfolgte eine gezielte Bistumspolitik: Lohser, Gerhard: Königtum und Kirche zur Zeit Karls IV. Ein Beitrag zur Kirchenpolitik im Spätmittelalter, München 1985, S. 157f.; Hölscher, Wolfgang: Kirchenschutz als Herrschaftsinstrument. Personelle und funktionale Aspekte der Bistumspolitik Karls IV., Warendorf 1985, S. 61f. So R. Holbach: Sozialer Aufstieg in der Hochkirche, S. 341.
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Generell war das Papsttum die einzige Instanz, die das Wahlrecht des Domkapitels einschränken konnte. Das päpstliche Reservationsrecht77 erlaubte es dem Papst im Falle der Vakanz durch Resignation oder Tod eines Bischofs einen neuen Kandidaten zu benennen wie auch das Provisionswesen das Wahlrecht des Domkapitels vollkommen außer Kraft setzen konnte.78 Es liegt auf der Hand, dass vom Papst aufoktroyierte Kandidaten selten mit voller Unterstützung des Kapitels regieren konnten. Grundsätzlich ist das Verhältnis zwischen Domkapitel und Bischof ausschlaggebend für die Regierungsfähigkeit eines Kirchenfürsten. Spätestens seit dem 14. Jahrhundert ist das erstarkte Domkapitel bestrebt, sich durch vorab bestätigte Wahlkapitulationen vor einer allzu großen Machtentfaltung der von ihnen erwählten Bischöfe zu schützen.79 Dabei handelt es sich um schriftlich fixierte Richtlinien für die zukünftige Regierungstätigkeit des Kirchenfürsten, die im Wesentlichen Zugeständnisse des Bischofs in Macht- und Finanzfragen gegenüber der Stellung des Domkapitels darstellen. Es unterlag den individuellen Wunschstrukturen der Bischöfe, ob sie in ihrer Amtsgestaltung auf gewaltsame Machtausübung oder Partnerschaftlichkeit setzten. Denn oftmals wurden Wahlkapitulationen nach der Wahl von den Bischöfen für ungültig erklärt bzw. gänzlich ignoriert.80 Insgesamt zeigt sich, dass in einem solchen Wahlverfahren die beteiligten Kräftefelder sehr deutlich auf die bischöflichen Subjekte einwirkten. Die Bischöfe waren zu einem ständigen Agieren im Spannungsfeld zwischen Akzeptanz und Ablehnung gezwungen. In diesem System muss sich ein bischöfliches Herrschersubjekt als ein spezifisches Modell ausdifferenzieren, das Menschen, die Bischöfe wurden, einen multilateralen Subjektivierungsprozess durchlaufen ließ. Für jeden Kandidaten stellte das Bischofsamt eine persönliche, individuelle Herausforderung dar. Ein Vorteil bestand, wenn der Bischof bereits seit einiger Zeit Teil der religiösen Gemeinschaft seines Bistums und ihm die soziokulturelle Ordnung des Raumes vertraut war. Bischöfe, die aus anderen sozialen und/oder geografischen Räumen kamen 77 78 79 80
Vgl. K. Ganzer: Papsttum und Bistumsbesetzungen in der Zeit von Gregor IX. bis Bonifaz VIII. Erst auf dem Wiener Konkordat 1448 wurden diese Rechte aufgehoben und dem Domkapitel wieder das alleinige Wahlrecht zugesprochen. Erstmals sind Wahlkapitulationen 1209 in Verdun nachzuweisen. Anschaulich bei Holbach, Rudolf: »Disz ist dy ansprache dy wir dun wydder unssern heren…«. Bemerkungen zur Regierungszeit des Erzbischofs Otto von Ziegenhain (14181430), in: Kurtrierisches Jahrbuch 23 (1983), S. 17-35.
Das Amt des mittelalterlichen Bischofs
oder dem Domkapitel vom Papst auferzwungen waren, hatten es häufig schwerer, Anerkennung zu erlangen. So zeigt sich, dass im Gesamtbild der Reichskirche die Ausgangslagen der neu ernannten Bischöfe höchst unterschiedlich waren. Im Idealfall verfügten sie bereits über Erfahrungen in Bezug auf die Leitung einer Kirche bzw. eines Landes. Die Bistumsgeschichtsschreibung nennt daher häufig die Vorkarrieren der Kandidaten, um dem Leser auf diese Weise gleich zu Beginn der Erzählung ein Bild von der Eignung eines Bischofs zu gewähren.
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In Anlehnung an die praxistheoretischen Konzepte soll untersucht werden, wie die historischen Akteure sich als bischöfliche Herrschersubjekte herausbilden und (er)schaffen, indem sie eine gesellschaftlich anerkannte Subjektform annehmen, die bestimmten normativen Forderungen entspricht. Der Fokus des folgenden Abschnitts richtet sich dabei auf spezielle Praktiken des Übens und Trainierens, um eine Einübung und Einpassung in das Bischofsamt zu gewährleisten. Denn: Subjektivierungstheoretisch gesprochen wurde mit der Ordination die Formierung in ein Subjekt evoziert, das im Besitz des Heiligen Geistes zum Abbild Gottes bzw. Christi auf Erden gemacht wurde. Pierre Bourdieu spricht in diesem Zusammenhang von einer performativen Magie1 , die in solchen Erhebungsakten enthalten ist: die Ordination hatte eine wirklichkeitsverändernde Wirkung, die den Ordinierten real verwandelte. Eingekleidet und ausgestattet mit Ring und Stab, den Insignien2 seines Amtes, und dadurch für jedermann sichtbar mit gesteigerter Autorität versehen, repräsentiert der Bischof fortan in seinem Bistum die Gesamtkirche. Hagen Keller spricht von der »Funktion der Investitur als einer in der Öffentlichkeit vollzogenen Handlung, die […] in der rituellen oder zeremoniellen Interaktion von Herrschaftsträgern das gegenseitige Verhältnis sichtbar macht und gleichzeitig in eine übergreifende Ordnung hineinstellt.«3 Der Bischof 1
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Vgl. Bourdieu, Pierre: Einsetzungsriten, in: Ders.: Was heißt sprechen? Zur Ökonomie des sprachlichen Tausches, Wien ²2005, S. 111-121. Dazu Audehm, Kathrin: Die Macht der Sprache. Performative Magie bei Pierre Bourdieu, in: Wulf, Christoph/Göhlich, Michael/Zirfas, Jörg (Hg.): Grundlagen des Performativen: eine Einführung in die Zusammenhänge von Sprache, Macht und Handeln, Weinheim-München 2001, S. 101-128. Vgl. Labhart, Verena: Zur Rechtssymbolik des Bischofsrings, Köln 1963; Salmon, Pierre: Mitra und Stab: Die Pontifikalinsignien im römischen Ritus, Mainz 1960; Klauser, Theodor: Der Ursprung der bischöflichen Insignien und Ehrenrechte, Krefeld 1948. Keller, Hagen: Die Investitur. Ein Beitrag zum Problem der »Staatssymbolik« im Hochmittelalter, in: Frühmittelalterliche Studien 27 (1993), S. 51-86, hier S. 56.
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verpflichtet sich mit dieser Investitur auf ein bestimmtes zukünftiges Verhalten, das »in der Vorstellung einer gottgewollten Ordnung des irdischen Daseins sein festes Fundament besaß.«4 Daher ist anzunehmen, dass sich sein Selbstbild wie auch sein Verhalten entsprechend veränderte.5 Diese These knüpft an die subjektivierungs- und praxistheoretischen Forschungsfragen nach der Subjektwerdung an. Finden sich auch in mittelalterlichen Quellen Formen der Selbstbildung, Prozesse des Einübens und Hineintrainierens im Zusammenhang mit der Ausübung eines bischöflichen Amtes? Im Folgenden gilt es, bischöfliche Chronikberichte mit Blick auf Praktiken der Selbstbildung und -formierung zu analysieren. Gesucht werden also erzählerische Momente, die von einer bewussten ›Arbeit an sich selbst‹ der bischöflichen Akteure berichten, die eine übende Teilnahme in sozialen Praktiken erwähnen, regelrechte Phasen des Trainierens ansprechen oder die Anlehnung an konkrete Vorbilder aufgreifen. Solche Prozesse der Subjektivierung werden im Folgenden anhand von drei Fallbeispielen analysiert: Mit dem Magdeburger Erzbischof Friedrich von Beichlingen kann aufgezeigt werden, dass mit der Übernahme des bischöflichen Amtes eine regelrechte Selbstveränderung verbunden sein kann. Die Chronikberichte der Trierer Erzbischöfe Balduin von Luxemburg und Otto von Ziegenhain erlauben es, Prozesse des Einübens und Hineintrainierens als
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Keupp, Jan: Die Wahl des Gewandes. Mode, Macht und Möglichkeitssinn in Gesellschaft und Politik des Mittelalters, Ostfildern 2010, S. 163. Zum Themenfeld Investitur: Steinicke, Marion/Weinfurter, Stefan (Hg.): Investitur- und Krönungsrituale. Herrschaftseinsetzungen im kulturellen Vergleich, Köln-Weimar-Wien 2005, darin: Schneidmüller, Bernd: Investitur- und Krönungsrituale. Mediaevistische Ein- und Ausblicke, S. 475-488; Velten, Hans Rudolf: Einsetzungsrituale als Rituale der Statusumkehr. Narrenbischöfe und Narrenkönige in den mittelalterlichen Klerikerfesten (12001500), S. 201-221. Allerdings nur dann, wenn die Bedeutung der theologischen Sendung des Amtes wahrhaft erkannt wurde. Durchaus lassen sich Bischöfe anführen, die sich einer Weihe verweigerten, um sich aus familienpolitischen Gründen eine Rückkehr in die Weltlichkeit offen zu lassen, wie der Kölner Erzbischof Adolf von der Mark (1363-1364) demonstrierte. (Dazu Kreisel, Adolf: Adolf von der Mark, Bischof von Münster 1357-1363 und Erzbischof von Köln 1363-1364, Paderborn 1885.) Ein solches Verhalten stand nicht im Einklang mit den proklamierten moralisch-theologischen Erwartungen an ein bischöfliches Subjekt. Die Erwartungen waren im Gedanken der Christusnachfolge verankert: Nicht nur die Fürsorge um die christliche Gemeinde sollte Hauptanliegen des Würdenträgers sein, auch ein keuscher, frommer, demütiger und gottgefälliger Lebensstil wurde erwartet.
Formierung in ein bischöfliches Selbst
konstituierende Praktiken bischöflicher Subjektwerdung sichtbar zu machen. Ausgehend von der zentralen Frage, ob sich überhaupt Formen von Selbstbildung in mittelalterlichen Quellen finden lassen, wird in der folgenden Untersuchung der Versuch unternommen, die zentralen Begriffe und analytischen Konzepte der sozialwissenschaftlichen Praxistheorien in einer mediävistischen Quellenanalyse anzuwenden und nach einem entsprechenden Erkenntnisgewinn zu fragen.
8. Selbstveränderung im neuen Amt Als die Magdeburger Domherren im Jahre 1445 nach dem Tod des Erzbischofs Günther von Schwarzburg (1403-1445) zur Bischofswahl zusammenkamen, da ernannten sie binnen kurzer Zeit6 den ehemaligen Stiftshofmeister Friedrich von Beichlingen (1445-1464)7 zum neuen Oberhirten der mittelalterlichen ElbMetropole.8 Das Wahlverfahren, so betont es die Magdeburger Bischofschronik, orientierte sich sehr genau an den Vorgaben des Basler Konzils: »Fecimus omnia per sacri Basiliensis concilii precepta, scilicet eciam antea processionibus et devocionibus omnis cleri et populi faciem Christi placando, eratque cor 6
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MGH SS XIV, S. 447: »unde convenientes in capitulo, communione facta et iuramento, vix in quartali unius hore una voce in unam personam consensimus et cito Spiritus sancti more, qui nescit tarda molimina, acclamando: ›Hic erit pastor noster‹«. Dazu Die Magdeburger Bischofschronik, übers. v. Hermann Michaëlis, in: Magdeburger Bischofschronik, hg. v. Eckhart W. Peters, Dößel 2006, S. 252. Zu Erzbischof Friedrich siehe Pilvousek, Josef: Beichlingen, Friedrich von, in: Gatz, Erwin (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648: ein biographisches Lexikon, Berlin 1996, S. 37-38; Janicke, Karl: Friedrich III., Erzbischof von Magdeburg, in: Allgemeine Deutsche Biographie 7, Leipzig 1877, S. 548f; Schwineköper, Berent: Friedrich III. Graf von Beichlingen, in: Neue Deutsche Biographie 5, Berlin 1961, S. 516. Vgl. Wentz, Gottfried: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg. Das Erzbistum Magdeburg 1, Teil 1, Berlin-New York 1972, S. 521; Wolter, Ferdinand Albrecht: Geschichte der Stadt Magdeburg von ihrem Ursprung bis auf die Gegenwart, Magdeburg 1901, S. 64. Zur Geschichte Magdeburgs siehe Puhle, Matthias: Geschichte Magdeburgs von 1330 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, in: Petsch, Peter/Puhle, Matthias (Hg.): Magdeburg – Die Geschichte der Stadt 805 – 2005, Halle 2005, S. 123-135; Asmus, Helmut: 1200 Jahre Magdeburg. Die Jahre 805 bis 1631, Magdeburg 2005. Aus der älteren Forschung siehe Hertel, Gustav/Hülße, Friedrich: Geschichte der Stadt Magdeburg, Magdeburg 1885; Hofmann, Friedrich Wilhelm: Geschichte der Stadt Magdeburg: nach den Quellen bearbeitet 2, Magdeburg 1845.
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canonicorum confidens totaliter in Deo«9 . Die Wahlgemeinschaft sollte von einem ›neuen Geist‹10 beseelt sein: Nach Albrecht von Querfurt (1382-1403) und Günther von Schwarzburg wollte man nicht noch einmal durch fremde Einflussnahme einen verweltlichten Bischof auf dem Magdeburger Bischofsstuhl sitzen haben, der dem Stift Fehden, Kriege und leere Kassen bescherte.11 Gleichwohl hatte auch die Kandidatur Friedrichs eine Vorgeschichte: Noch auf dem Sterbebett soll Erzbischof Günther seinen Domherren den Grafensohn als seinen Nachfolger anempfohlen haben, da er sich in der erzbischöflichen Verwaltung große Verdienste erworbenhatte.12 Da man diesem Rat bereitwillig folgte, muss der Einfluss des sterbenden Erzbischofs auf das Domkapitel groß gewesen sein.13 Die Chronik verschweigt die erzbischöfliche Empfehlung. Vielmehr basiert dieser Darstellung zufolge die Entscheidung auf dem »göttlichen Antrieb« (»per inspiracionem divinam«), aufgrund Friedrichs »Unbescholtenheit […], seiner Rechtschaffenheit und Ehrbarkeit seiner Sitten«14 . Die Vermutung liegt nahe, dass eingehende Vorverhandlungen eine solche Aussage erst möglich machten.15 Erstaunlich an dieser Magdeburger Wahl ist vor allem eins: Friedrich war ein theologischer Laie, ein »merus et purus laicus nec primam tonsuram habens.«16 Die Lebensbeschreibung dieses bemerkenswerten Bischofs wurde von einem Domherrn seines Umfelds verfasst, der den Oberhirten und auch 9 10 11
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MGH SS XIV, S. 447. Vgl. M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 231. MGH SS XIV, S. 447: »Ymmo tempore illo, quo caritas multorum refriguit, nec exemplum antecessorum aspeximus nec ad potenciam nec ad divicias nec ad quid aliud, quo filii huius seculi multis annis in eleccione episcoporum seducti sunt, sed pure omnem cogitatum et confidenciam proiecimus in Deum, devote oravimus, ut Deus eligeret ecclesie nimis periclitanti, non nostris meritis, sed sua sola sanctissima gracia, subvenire.« Vgl. Hofmann, Friedrich Wilhelm: Geschichte der Stadt Magdeburg: nach den Quellen bearbeitet 1, Magdeburg 1845, S. 381. Friedrichs Bruder Busso war seit 1439 Magdeburger Domherr und dürfte am Wahlverfahren seines Bruders nicht unbeteiligt gewesen sein. Dazu Wentz, Gottfried/Schwineköper, Berent (Hg.): Das Erzbistum Magdeburg. Erster Band, erster Teil: Das Domstift St. Moritz in Magdeburg (Germania Sacra: Die Bistümer der Kirchenprovinz Magdeburg. Das Erzbistum Magdeburg, Erster Band), Berlin-New York 1972, S. 378. Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 253. MGH SS XIV, S. 466: »qui propter vite sue puritatem, probitatem et morum honestatem concorditer, nemine discrepante, per inspiracionem divinam a capitulo postulatus fuit.« So auch G. Wentz/B. Schwineköper (Hg.): Das Erzbistum Magdeburg, S. 186. MGH SS XIV, S. 466.
Formierung in ein bischöfliches Selbst
dessen Amtsvorgänger Günther von Schwarzburg persönlich kannte. Der Schwerpunkt der Erzählung wird deutlich auf die theologische Ebene des Bischofsamtes gelegt. Allerdings betont der Chronist auch Friedrichs Verdienst im Hinblick auf die Konsolidierung des Reiches, übernahm er doch ein durch schlechte Amtsführung heruntergewirtschaftetes Bistum.17 Im Ganzen betrachtet, so verzeichnet es Markus Müller, ist die Vita eine »Demonstration von Friedrichs christlicher patientia und humilitas, gepaart mit politischer Klugheit«18 – die Darstellung also eines nahezu idealen Bischofs. Von subjektivierungstheoretischer Qualität ist die erzählerische Ausgestaltung von Friedrichs Verhaltensweisen nach seinem Amtsantritt. Denn mit seiner Erhebung zum Magdeburger Erzbischof war Friedrich von Beichlingen bereit, sein gesamtes bisheriges Leben zu ändern:19 Nachdem er alle erforderlichen Weihen empfangen hatte, lernte Friedrich in einer Art Intensivkurs20 »in kurzem sein ganzes priesterliches Amt und die canonischen Stunden und das andere, was für seinen bischöflichen Stand notwendig war, und lernte alles genau lesen und verstehen, sodass er auch hierin die anderen Bischöfe übertraf und hierin gleichsam als ein zweiter Severus erfunden wurde.«21 Dem historischen Leser wird hier das Bild eines Bischofs präsentiert, der mit dem neu erworbenen Amt eine Wandlung vom anfangs erwähnten Laien bis hin zum professionellen, theologisch versierten Oberhirten vollzog: Er führt die priesterlichen Tätigkeiten22 persönlich aus und profiliert sich in 17
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MGH SS XIV, S. 466: »Et quia ecclesiam depauperatam invenit per suos predecessores duos et multa impignorata, […]« und auch MGH SS XIV, S. 473: »Et quamquam in spiritualibus archiepiscopus Fridericus multum vigilans, laboriosus et sollicitus fuit, tamen temporalia non neglexit; unde primo factus archiepiscopus exiles valde reperit episcopales redditus et proventus, pignoribus omnibus impignoratis propter bella, que predecessor suus cum propriis suis civitatibus pro conservacione iurium et libertatum ecclesie sue habuit, sed ipse industria fretus plura recuperavit, castrorum suorum caduca edificia, ut claret intuenti, restauravit, pontem trans Salam prope Calvis edificavit, […]«. M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 231 (Herv. i.O.). Vgl. dazu auch Sloterdijk, Peter: Du musst dein Leben ändern. Über Anthropotechnik, Frankfurt a.M. 2009. Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 252. Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 254. MGH SS XIV, S. 466: »et quamquam imperfectum sciencie caritas in eo supplevit, tamen dono Dei eciam in brevi totum officium pontificale ac horas canonicas ac alia statui suo episcopali necessaria studuit et omnia legere distincte et intelligere novit, ut eciam in hoc alios precellebat pontifices et in hoc quasi alter Severus inventus fuit.« MGH SS XIV, S. 466: »Ordines sacros per se celebravit pure propter Deum.«
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ihnen als besonders gewissenhaft, gelehrig und intelligent. Durch die Leitung des erzbischöflichen Verwaltungsapparats unter seinem Vorgänger beherrscht Friedrich den weltlichen Aufgabenapparat des Amtes bereits gut. Während seiner Regierung zeichnet er sich durch Sachverstand und Pragmatismus in den landesherrlichen Angelegenheiten aus.23 Zu seinem Selbstgefühl als Bischof gehört für Friedrich die Gleichwertigkeit der weltlichen und geistlichen Amtssphären. Und so demonstriert der neue Bischof seine Selbstdisziplin im Erlernen einer ihm vollkommen fremden Sphäre, der er sich mit Fleiß und Sorgfalt hingibt. Dieser Wunsch nach Selbstoptimierung gelang in einer buchstäblichen ›Arbeit an sich selbst‹24 . Neben dem weltlichen Landesherrn wollte Friedrich in seiner Amtsinterpretation auch die theologische Seite glaubwürdig verkörpern. Die Chronik zeigt an, dass sich Friedrich in der Verkörperung seines ›Bischofs-Sein‹ für einen Lebensstil entschied, der dem klerikalen Kontext entstammt. Die persönliche Durchführung der priesterlichen Tätigkeiten, das Tragen eines Gewands aus kilikischen Ziegenhaaren25 und Kniefälle während des (öffentlichen) Betens26 verdeutlichen die Orientierung des Erzbischofs an monastischen Verhaltensmustern. Die Auflistung dieser Praktiken trägt wesentlich dazu bei, ein bestimmtes Frömmigkeitsideal des Kirchenfürsten zu evozieren. Dieses bischöfliche Selbstbild Friedrichs wird durch den oben genannten konkreten Vergleich mit dem heiligen Severus, Bischof von Ravenna (ca. 342-344/46)27 , unterstrichen. Wie Friedrich soll der einstige Wollhändler Severus auf ein göttliches Zeichen hin zum Bischof von Ravenna erwählt worden sein. Durch den »Hauch der Wahrheit« wird Severus zum Gelehrten und schließlich zum Heiligen. So erscheint die Erzählung als Referenz zur Legitimation Friedrichs von Beichlingen und dient zugleich unter Rückgriff auf
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So spricht seine Chronik von seiner »Fürsorge in weltlichen Dingen« indem er »viele Allode errichtete, Fischteiche anlegte und die Burg zu Calbe in besseren Stand setzte. Auch Allode und viele Schafhürden liess er einrichten und wie ein wahrer Hausvater setzte er in weltlichen Dingen zuerst alles in ordentlichen Stand, sodass er in kurzem an Reichtümern zu wachsen begann«, Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 254. Auf S. 270 heißt es weiter: »auf seinen Fleiß vertrauend«. Hierzu insbesondere Foucault, Michel: Die Sorge um sich. MGH SS XIV, S. 466 : »quia Deum dilexit de Deus cum eo fuit, cilicio semper usus fuit.« MGH SS XIV, S. 475. Vgl. Sauser, Ekkart: Severus, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 9, Herzberg 1995, Sp. 1527-1529.
Formierung in ein bischöfliches Selbst
kirchengeschichtliche Tradition und apostolische Sukzession als Erklärungsansatz für die Eignung des ›ungelernten‹ Bischofs Friedrich. Die Befähigung zur Teilhabe im religiösen Praxisfeld erlangte Friedrich nicht allein durch seinen außergewöhnlichen Lerneifer. Insbesondere ist es die Anweisung durch einen etablierten Experten wie den hochgelehrten Theologieprofessor Heinrich Tacke28 , der Friedrichs Selbstbildung wesentlich beeinflusste. Tacke war in Magdeburg eine herausragende Persönlichkeit29 ; seit 1425 besaß er dort ein Domkanonikat mit Lektorat. Seine fachliche Professionalität war in vielen Bischofssitzen gefragt, so dass Tacke 1432 die Bistümer Magdeburg, Merseburg und Brandenburg sowie die Universität Erfurt auf dem Basler Konzil mit großem Engagement vertrat. 1439 kehrte er wieder nach Magdeburg zurück und bemühte sich dort eifrig um die Kirchen- und Klosterreform.30 Eine weitere Leitfigur in Friedrichs Subjektwerdung stellte dem Chronisten zufolge auch der Papst dar – ein Ko-Akteur von hohem symbolischen Wert: »mandatis apostolicis aliisque auxiliis et consiliis sagaciter usus«31 . Seinen Gehorsam gegenüber der päpstlichen Kurie bewies Friedrich in der Befolgung der heiligen Dekrete, in der Reformierung (trotz Widerstand) der Klöster seines Bistums32 und in der Argumentation gegen abergläubische Prak-
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MGH SS XIV, S. 466: »In eo tamen facto permaxime usus fuit consilio et opera domini magistri Heinrici Tacke sacre theologie professoris.« Grundlegend zu Tacke Kintzinger Martin: Toke, Heinrich, in: Lexikon des Mittelalters 8, München 2002, Sp. 842-843. 1406 Immatrikulation Universität Erfurt, 1408 baccalaureus artium, 1411 magister, 1419 Immatrikulation Univ. Rostock und Dekan der Artistenfakultät, 1424 dort Rektor, Promotion zum doctor theologiae 1426 in Erfurt. Die Geschichte um den ungelernten Erzbischof Friedrich hat auch Einzug in der Bremer Chronik von Johann Renner aus dem 16. Jahrhundert Einzug gehalten: »Disser tidt was bischop to Magdeborch, Fredericus greve tho Bichlingen, de was nicht dep gelert he hadde einen theologum by sich, genomet Hinricus Toke, van Bremen gebaren, de ohne in guden kunsten, unnd in der theologie underwisede.« Aus: Johann Renner: Chronica der Stadt Bremen, trans. v. Lieselotte Klink, Bremen 1995, S. 429. Bremen war Takes Heimatort. MGH SS XIV, S. 466. MGH SS XIV, S. 466: »Ordines sacros per se celebravit pure propter Deum, nec ordinati pro litteris aliquid dederunt, et omnia secundum sacrorum canonum disposicionem fideliter agere curabat, et ob id, quia Deum delixit et Deus cum eu fuit, cilicio semper usus fuit, et zelo recte religionis adeo fuit inflammatus, ut eciam omnia monasteria monachorum et monialium sue civitatis et diocesis cum maximis laboribus et expensis reformavit.«
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tiken33 . Nikolaus von Kues zählte zu seinem Bekanntenkreis und soll über Friedrich gesagt haben, er »sei der einzig rechtschaffene Bischof, welchen er in ganz Deutschland angetroffen«34 habe. So ist Friedrichs Subjektivierungsprozess im Kontext seiner Ambition zu verstehen: Er zeigt Bereitschaft, sich durch übende Teilhabe, Nachahmung und Unterweisung in dem neuen Feld zu profilieren, um Anerkennung und Akzeptanz zu erlangen. Wie außergewöhnlich eine solche Einstellung ist, verdeutlicht sein Chronist immer wieder an gezielten Vergleichen mit Friedrichs Vorgängern. Während Günther von Schwarzburg erst nach 36 Regierungsjahren zum ersten Mal in Pontifikalgewändern gekleidet eine Messe zelebrierte35 , zeigt sich Friedrich häufig als geistlicher Oberhirte in der Magdeburger Kathedrale36 . Bewusst distanziert er sich in diesem Verhalten von seinem einstigen Brotherrn, dessen Amtsverkörperung Friedrich ja selbst erlebt hat. Die weltliche Lebensausrichtung Günthers wird mehrfach von seinem Chronisten aufgegriffen und kritisiert: »Man muss nun beachten, dass der Herr Erzbischof Günther in seiner Jugend zur Herrschaft berufen wurde; war er auch hinlänglich mild, so gab er doch, wie es das Jugendalter zu tun pflegt, mehr auf eitele Dinge, wie Jagden, Gastmäler, Reigentänze, Bogenschiessen und die weltlichen Ergötzlichkeiten, als auf den schuldigen Nutzen und die Leitung seiner Kirche und machte während der Zeit seiner Regierung zahllose Schulden […] durch Verschleuderung«37 . 33
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MGH SS XIV, S. 467: »Idem dominus Fridericus archiepiscopus in cultu Dei totus zelosus supersticiones nedum de diocesi sua, sed eciam de tota provincia fortiter exterminare studuit, cum in hiis Deus permaxime offenditur et populus a recta fide ad ydolatriam trahitur.« Zitiert nach Pilvousek, Josef: Beichlingen, Friedrich von, in: E. Gatz: Bischöfe 1448 bis 1648, S. 37-38, hier S. 38. MGH SS XIV, S. 465: »Anno Domini 1436. reverendissimus dominus Guntherus, castigatus ac emendatus, anno presidencie sue 36. in ecclesia sua Magdeburgk in nativitatis Christi festo suam primam missam more archiepiscoporum solempniter cantando celebravit.« Z.B. MGH SS XIV, S. 474/475: »Eciam mire paciencie fuit; unde semel in oracione prostratus iacuisset, supervenit quedam fatua mulier et dominum fortiter cum manu super caput suum et coronam percussit, quod pacienter tulit, et ministris manu indicans, ut nichil molestie mulieri propterea inferrent, quia scivit sibi a dyabolo sic fuisse suggestum.« Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 249. MGH SS XIV, S. 464/465: »Advertendum, quod dominus Guntherus archiepiscopus in iuventute ad
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Im Kontrast zu Erzbischof Friedrich habe es Günther deutlich an Disziplin gefehlt, um seinen Lebenswandel der Würde des Amtes anzupassen. Diese Selbstsucht habe schließlich in die finanzielle Notlage geführt, in der sich das Erzstift am Ende seiner Regierung befand.38 Und so erscheint die Betonung des klerikalen Ideals in Friedrichs Lebensbeschreibung durchaus als ein Signal, dass es ihm nicht – wie dereinst Günther von Schwarzburg – um politische Seilschaften und weltliche Machtrepräsentation geht, sondern konkret um die Würde des Amtes. So ist die ›Wandlung‹ Friedrichs auch als Statement an den Magdeburger Klerus und die Laiengemeinschaft zu verstehen und der vom Chronisten angeführte Wunsch »Ecclesia Magdeburgensis vult habere archiepiscopum, non suffraganeum«39 unterstreicht Friedrichs Vorbildfunktion auch gegenüber den Suffraganbischöfen seines Bistums. Doch nicht nur im Hinblick auf das religiöse Praxisfeld hebt sich Friedrich von seinen Vorgängern ab, auch in seiner ganzen Regierungsart setzt er Differenzmarkierungen. Als zentrales Herrschaftsmittel kommt bei dem Erzbischof Kommunikation zum Tragen: »Iste Fridericus in omnibus adversitatibus suis in Domino spem posuit et plus oracione quam gladio pugnavit.«40 Unter einer subjektivierungstheoretischen Analyseoptik verweist diese chronikalische Aussage, dass Erzbischof Friedrich lieber mit der Rede als mit dem Schwert kämpfte, auf die bevorzugte Selbstverhandlung des Erzbischofs in kommunikativen Praktiken. Mit einer Kultur der Kompromisse, wie sie dem oben genannten Chronikzitat zu entnehmen ist, versuchte der Erzbischof also der 42jährigen Schwarzburgischen Regierung, die geprägt war von Streitereien und Fehden, und die einen bleibenden Eindruck in der Magdeburger Stiftsgesellschaft hinterlassen hat, entgegen
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regimen assumptus fuit; qui, licet satis mansuetus, tamen, ut assolet iuvenilis etas, vanitatibus, videlicet venacionibus, commessacionibus, choreis, sagittacionibus et seculi oblectamentis pocius quam debite ecclesie sue utilitati et regimini insistens, infinita debita sui regiminis tempore alienacionis et impignoracionis bonorum ecclesie sui regiminis tempore exegit et consumpsit, sic quod de eo vulgo dicebatur, quod totam terram consumpsisset, et ecclesia ab eo depauperata fuit sic, quod successori suo parum reliquit.« MGH SS XIV, S. 466: »Anno Domini 1445, 22. die mensis Marcii obiit dominus Guntherus archiepiscopus, qui sedit 42 annis, 3 mensibus demptis; qui in sumptibus nimis preciosus fuit, ita quod ecclesiam suam in magnis angustiis et tribulacionisbus et maximis debitis nimis gravatam reliquit, […]«. MGH SS XIV, S. 466. MGH SS XIV, S. 474.
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zu treten.41 Besondere Achtsamkeit legte der Erzbischof daher auch auf seinen Umgangston: »eciam omnibus comitibus et vasallis ecclesie amicabilis et gratus fuit.«42 Respekt und Geduld erscheinen in Friedrichs Selbstbildung als weitere wichtige Herrschertugenden.43 Zusammengefasst bietet die Analyse des chronikalischen Erzählentwurfs Erzbischof Friedrichs unter subjektivierungstheoretischen Vorzeichen folgende Erkenntnisse: Friedrich ist mit seiner Erhebung zum Erzbischof bereit, sich intensiv mit den Anforderungen des Amtes auseinander zu setzen, sich sogar vollkommen mit dem Amt zu identifizieren. Er ist bereit, sein altes Selbst aufzugeben, zu lernen, sich zu wandeln und sich (neu) ein- und anzupassen. Dies stellt, so betont es der Chronist immer wieder, eine Distinktion gegenüber anderen Bischöfen des Reiches dar, aber vor allem gegenüber seinem Vorgänger Günther von Schwarzburg.44 Durch übende Teilhabe, (Selbst-)Beobachtung, Anweisung durch Experten und eine intensive Arbeit an sich selbst reproduziert Friedrich ein bestimmtes Bischofsbild, dass sich bewusst durch ein ihm und der Magdeburger Stiftsgesellschaft bekanntes Konkurrenzbild (Günther von Schwarzburg) abhebt. Die besondere An- und Einpassung Friedrichs in die soziokulturelle Ordnung des Magdeburger Raumes wird damit als eine Praktik zur Anerkennung deutlich, die auch auf zukünftige Handlungsspielräume abzielt. Friedrichs Bereitschaft, sich intensiv dem Bistum hinzugeben, ja ein altes Selbst aufzugeben und zum Wohle des Landes ein neues anzulegen, symbolisiert seine Herrschaftskompetenz. Die Sorge um sich selbst ist gleichzeitig als eine Sorge um die Anderen zu verstehen. Das pathetische Ende seiner Lebensbeschreibung scheint dabei sogar 41
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Der Chronist Günthers von Schwarzburg erwähnt einige der Auseinandersetzungen zwischen Erzbischof und Stadt. So z.B. der Streit um den unerlaubten Bau eines Turm, der in dem Auszug der Geistlichkeit aus Magdeburg gipfelte: MGH SS XIV, S. 463. Oder die Belagerung des Erzbischofs in Calbe durch die Magdeburger, wodurch der Erzbischof zu einer Flucht durch die Hintertür getrieben wurde: MGH SS XIV, S. 464. Schließlich zieht Erzbischof Günther vor das Konzil zu Basel um Klage gegen die Stadt Magdeburg einzureichen: MGH SS XIV, S. 464. Vgl. auch Faust, Wilhelm: Der Streit des Erzbischofs Günther II. mit der Stadt Magdeburg. 1429-1435, Halle (Saale) 1900. MGH SS XIV, S. 474. Nochmals MGH SS XIV, S. 474/475: »Eciam mire paciencie fuit; unde semel in oracione prostratus iacuisset, supervenit quedam fatua mulier et dominum fortiter cum manu super caput suum et coronam percussit, quod pacienter tulit, et ministris manu indicans, ut nichil molestie mulieri propterea inferrent, quia scivit sibi a dyabolo sic fuisse suggestum.« Z.B. MGH SS XIV, S. 466: »ut eciam in hoc alios precellebat pontifices.«
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einen Kreis zu schließen: So wie Friedrich selbst ein bestimmtes Bischofsbild zum Vorbild seiner eigenen Lebensführung wählte, soll auch sein Handeln andere Bischöfe zur Nachahmung ermuntern: »Hec scripta sunt defuncti, presulis ad dignam memoriam posteris et nobis imitandi exemplum totique patrie ad laudem et gloriam, que tali meruit pastore gubernari.«45
9. Einübungsprozesse im bischöflichen Alltag Friedrichs Karrieresprung vom ›ungebildeten Laien‹ zum Magdeburger Erzbischof ist ein narrativer Sonderfall. Gleichwohl verweist die literarische Verarbeitung dieser außergewöhnlichen Biografie auf eine Aufmerksamkeit für mittelalterliche Subjektwerdungsprozesse. In den Gesta Treverorum finden sich zwei weitere bischöfliche Lebensbeschreibungen, in denen sich Prozesse und Praktiken zur Einübung in das Bischofsamt sichtbar machen lassen. Anhand der Trierer Erzbischöfe Balduin von Luxemburg (1307-1354) und Otto von Ziegenhain (1419-1430) wird erkennbar, dass im Spiegel der Chronistik zur bischöflichen Subjektwerdung permanente Prozesse und Praktiken des Einübens, der Formierung, der Selbstbildung gehören. Wie schon bei Erzbischof Friedrich setzen die Chronisten ein ›bischöfliches Selbst‹ nicht unmittelbar als gegeben voraus, sondern machen es als ein »Produkt hochspezifischer kultureller Subjektivierungsweisen«46 sichtbar. Die im Folgenden analysierten Trierer Lebensbeschreibungen erscheinen aus subjekttheoretischer Perspektive wertvoll, da sie ausführlich von geregelten, typisierten, eingeübten und fortlaufend wiederkehrenden Handlungsweisen, von An- und Einpassung, von mitgebrachter Erfahrung und Lebensstilen alternativer Subjektordnungen, von kreativer Neuschöpfung und eigensinnigem Verhalten berichten, die Subjektivierungsweisen demonstrieren.47 Daraus ergibt sich zu fragen, welche Praktiken des Einübens in den Chronikberichten präsentiert und problematisiert werden und welchen wesentlichen Effekt sie auf die Formierung in ein ›bischöfliches Selbst‹ haben.
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MGH SS XIV, S. 475. A. Reckwitz: Subjekt, S. 16. Ähnlich Rudolf Holbach zu den Wundergeschichten des Caesarius von Heisterbach, in: R. Holbach: Mönchische Praktiken und Selbst-Bildungen bei Caesarius von Heisterbach, S. 229/230.
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Balduin von Luxemburg war einer der bemerkenswertesten Herrschaftsträger seiner Zeit.48 Nahezu ein halbes Jahrhundert (1307-1354) war er Erzbischof der Trierer Kirche und Kurfürst des Römischen Reiches. Geboren 1285 als jüngstes Kind des Grafen Heinrich VI. von Luxemburg und Laroche, Markgraf von Arlon, erhielt er eine hochadelige Erziehung, mit Ausrichtung auf eine kirchliche Laufbahn.49 Früh erwarb er Kanonikate an den Hochstiften Metz und Trier. Im Alter von 22 Jahren ernannte und weihte ihn Papst Clemens V. persönlich zum Trierer Erzbischof, nachdem auch das Domkapitel sich mehrheitlich für ihn ausgesprochen hatte.50 Die Betonung der päpstlichen Ernennung ist fortan Teil von Balduins Selbst- und Herrschaftsverständnis.51 Balduin war Zeit seines Lebens bemüht, den Ausbau des Kurstaates Trier zu einem Territorium weiter voranzubringen. Wesentlich ist jedoch, dass er in seiner Position als Kurfürst dazu beitrug, die politische Machtstellung seiner Familie deutlich zu stärken. An der Wahl seines Bruders Heinrich (VII.) zum römisch-deutschen König (1308) war er maßgeblich beteiligt und stand
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Als Auswahl zu Balduin von Luxemburg siehe Kessel, Verena: Erzbischof Balduin von Trier: (1285-1354); Kunst Herrschaft und Soiritualität im Mittelalter, Trier 2012; Nolden, Reiner: Balduin von Luxemburg. Erzbischof und Kurfürst von Trier (1308-1354). Vorträge eines Kolloquiums in Trier im Juni 2008, Trier 2010; Scholz, Ingeborg: Erzbischof Balduin von Luxemburg (1307-1354) als Bauherr von Landesburgen im Erzstift Trier, Münster 2004; Mötsch, Johannes/Heyen, Franz-Josef: Balduin von Luxemburg. Erzbischof von Trier – Kurfürst des Reiches 1285-1354. Festschrift aus Anlass des 700. Geburtsjahres, Mainz 1985; Heyen, Franz-Josef: Balduin von Luxemburg, in: Rheinische Lebensbilder 4 (1970), S. 23-36; Seibrich, Wolfgang: Balduin von Luxemburg, in: E. Gatz: Bischöfe 1198 bis 1448, S. 799-802. Zu Balduins Familie siehe Schoos, Jean: Die Familie der Luxemburger. Geschichte einer Dynastie, in: J. Mötsch,/F.-J. Heyen: Balduin von Luxemburg, S. 119-149; Koller, Heinrich: Die Familie der Luxemburger, in: Seibt, Ferdinand (Hg.): Kaiser Karl IV, München 1978, S. 317-323. Vgl. Holbach, Rudolf: Die Besetzung des Trierer Erzbischofsstuhls im späten Mittelalter. Konstellationen und Konflikte, in: Archiv für Rheinische Kirchengeschichte 35 (1983), S. 11-48, hier S. 24f. Außerdem Spieß, Karl-Heinz: Die Wahlkämpfe in den Erzstiften Köln (1304) und Trier (1307), in: Geschichtliche Landeskunde 9 (1973), S. 92-94. So etwa in der Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer V, S. 15: »Und am 10. März 1308 ließ Papst Clemens V. durch einen Kardinal in der Kirche von Poitiers Balduin zum Priester weihen, und am folgenden Tage konsekrierte er ihn selbst mit einer Reihe anderer Erzbischöfe und Bischöfe zum Erzbischof von Trier.« Die Fürsprache des französischen Königs hatte sicherlich auch eine unterstützende Wirkung auf die Erhebung.
Formierung in ein bischöfliches Selbst
ihm bis zu dessen Tode (1313) intensiv in den Regierungsgeschäften als Berater und Heerführer zur Seite.52 1346 gelang es dem Erzbischof, König Ludwig den Bayern abzusetzen und die Wahl seines Großneffen Karl IV. zum König des Heiligen Römischen Reiches durchzusetzen. Sein Einsatz in den Auseinandersetzungen zwischen Papst und König, in denen Balduin sich für ein alleiniges Königswahlrecht der Kurfürsten aussprach, erbrachten ihm 1328 und 1336 sogar die Exkommunikation. 1356, zwei Jahre nach Balduins Tod, werden die Gesta Baldewini53 verfasst, die Berichte über die Taten seines Lebens. Balduin selbst gab das Werk in Auftrag; der Autor war sein Zeitgenosse und zählte zu seinem näheren Umfeld.54 Das Selbstbild, das in dieser Lebensbeschreibung evoziert wird, portraitiert den Luxemburger als einen hochgeborenen und von Gott auserwählten Herrschaftsträger, für den Bildung und Fleiß, Leistungsorientierung und Selbstdisziplin grundsätzliche Elemente des Herrschaftserfolgs sind.55 Sein wichtigstes Aktionsfeld ist die Hochpolitik. Insgesamt gelingt so die Inszenierung als »Territorialherr, […] Vertreter einer Dynastie und als Mitglied des kaiserlichen Hauses«56 . Doch Balduins ›Herrscher-Sein‹ gelingt nicht einfach so. Unter dem Aspekt der Subjektformierung betrachtet, beschreibt seine Vita, wie der Kirchenfürst in seinem täglichen Handeln bemüht ist, sich in das Bischofsamt einzuüben. Und diese Formierung dient im Erzählentwurf als Motiv zur Unterstreichung von Herrschaftskompetenz. Einüben oder auch
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Vgl. dazu etwa Margue, Michel/Pauly, Michel/Schmid, Wolfgang (Hg.): Der Weg zur Kaiserkrone: Der Romzug Heinrichs VII. in der Darstellung Erzbischof Balduins von Trier, Trier 2009. Kollbach, Bernd: Studien zu den Gesta Baldewini, Trier 1980; Ders.: Gesta Baldewini, in: Lexikon des Mittelalters 4, München 2002, Sp. 1406. Es gelingt dem Autor mit rhetorischer Finesse eine in sich geschlossene Darstellung aus seinem Herrschaftswissen zu komponieren. Ein solches Prinzip ist in den anderen Gesta-Teilen so nicht wiederzufinden. Vgl. dazu M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 165. Insbesondere Kollbach, Bernd: Rhetorisches in den Gesta Baldewini. Der Topos a persona, in: Burgard, Friedhelm et al. (Hg.): Liber amicorum necnon et amicarum für Alfred Heit, Trier 1996, S. 87-95. Er wird in der historischen Geschichtsschreibung »als stark und klug, lebensfroh und standesbewußt, aber auch als unbeherrscht beschrieben; er griff mehrfach zum Schwert, erschien aber auch als frommer Priester.« So W. Seibrich: Balduin von Luxemburg, S. 799. Vgl. Schmid, Wolfgang/Margue, Michel: Der Bischof und sein Kaiser. Zum Verhältnis von Erzbischof Balduin und Kaiser Heinrich in der Romfahrt, in: M. Margue et al. (Hg.): Der Weg zur Kaiserkrone, S. 109-122, hier S. 110.
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Hineintrainieren werden in der Subjektivierungs- und Praxistheorie als zentrale Praktiken verstanden, die wesentlich zur Konstituierung eines Subjekts beitragen. Thomas Etzemüller schreibt dazu: »Das Hineintrainieren […] geschieht durch ein eher habitualisiertes als explizites Erlernen und Anwenden der Regeln und Praktiken in der Praxis, durch den ständigen Umgang mit Vorbildern, durch Praktiken, mit denen die Dispositionen inkorporiert werden. So konstituiert sich ein spezifisches Subjekt, zugerichtet einerseits, dem andererseits aber gerade die Dispositionen eine kreative Aktivierung der Praktiken, also Eigensinn erlauben.«57 Im Folgenden gilt es, spezifische Momente des Trainings und Einübens sichtbar zu machen. Balduins ›Arbeit an sich selbst‹ setzt bereits in seiner Kindheit ein, die ganz unter dem Eindruck des Limburger Erbfolgekrieges stand. Balduin war knapp drei Jahre alt58 , als sein Vater Heinrich am 5. Juni 1288 in der Schlacht von Worringen fiel.59 Der Verlust dieses charismatischen und mächtigen Mannes60 löste eine große Orientierungslosigkeit bei den Hinterbliebenen aus: »Quibus sic patre orbatis, quid essent acturi, quoque diversuri, a nonnullis querulose in altum elevatur.«61 Doch nicht bei Balduin und seinen Brüdern: Durch Gottes Willen, so die Darstellung, und durch den Tatendrang der Mutter Beatrix von Beaumont und Avesnes sollten zwei ihrer Jungen 57
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Etzemüller, Thomas: Der ›Vf.‹ als Subjektform. Wie wird man zum ›Wissenschaftler‹ und (wie) lässt sich das beobachten?, in: T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist (Hg.): SelbstBildungen, S. 175-196, hier S. 177. Gesta Trevirorum II, S. 192: »Hic ploratus et ululatus de tam parvulis pupillis, Henrico, Walramo et Baldewino; qui Baldewinus tunc temporis nondum tertium aetatis suae annum complevit.« Zur Schlacht von Worringen siehe: Lehnart, Ulrich: Die Schlacht von Worringen 1288: Kriegsführung im Mittelalter; der Limburger Erbfolgekrieg unter besonderer Berücksichtiguung der Schlacht von Worringen, 5.6.1288, Frankfurt a.M ²1994; Kupper, JeanLouis: Herzog Johann I. von Brabant und das Fürstentum Lüttich vor und nach der Schlacht bei Worringen, in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 125 (1989), S. 87-98; Janssen, Wilhelm/Stehkämper, Hugo (Hg.): Der Tag bei Worringen, 5. Juni 1288, Köln 1988; Torunsky, Vera: Worringen 1288: Ursachen und Folgen einer Schlacht, Köln 1988; Vollmer, Bernhard: Die Bedeutung der Schlacht bei Worringen: Mit einem Anhang: Der Limburger Löwe im bergischen Wappen, in: Düsseldorfer Jahrbuch: Beiträge zur Geschichte des Niederrheins 40 (1938), S. 3-13. Neben Heinrich fielen auch sein jüngerer Bruder Walram von Luxemburg-Ligny und zwei Halbbrüder. Gesta Trevirorum II, S. 192.
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dereinst die höchsten Ämter des Reiches bekleiden. So zog die Familie nach der Katastrophe ins französischsprachige Hennegau, dem Heimatort der Mutter. Fortan hatte der französische Hof unter König Philipp IV. (1268-1314) Einfluss auf die Erziehung der jungen Adelssöhne. Das Fundament seines Werdegangs bilden bei Balduin eine grundlegende, aber auch breit gefasste akademische Bildung, bereitwilliger Fleiß und eine schnelle Auffassungsgabe. Er erhielt die für seinen Stand typische Erziehung »in moribus, virtutibus, atque artium literis«62 und übertraf – so berichtet sein Chronist – in jeder Disziplin seine Altersgenossen.63 Er studierte fünf Jahre Logik und Philosophie in Paris64 , aber auch Astrologie und »specialiter« kanonisches Recht. »Lux irradiationis intellectualis morum et virtutum limpidissimum acquiritur per studium«65 . Topoihafte Beschreibungen dieser Art werden mehrfach vom Chronisten angeführt, insbesondere Balduins Befähigung zur Herrschaft aufgrund seiner herausragenden Herrschaftstugenden66 : »Lucet ceteris clarius, qui est virtutum floribus moribusque adornatus«67 : Von seinem tiefsten Herzen her sitten- und tugendhaft, zeige er sich als Wahrer des Friedens und Beschützer der Unterdrückten.68 Sein Sinn für Gerechtigkeit lasse ihn unvoreingenommen sogar gegenüber seinen eigenen
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Gesta Trevirorum II, S. 194. Ebd.: »et suos coaetaneos in literatura excellens, quia limpidiori pollebat ingenio, promtior habeatur.« Ebd.: »Duobus solemnibus cum magistris magnae literaturae viris, camerariis, domicellis, nobillibus, ejus statum condecentibus, Parisiensi studio fuerat destinatus; ubi omnium artium principia terminosque substantiales, studio inhaerendo frequentissimo, memoraliter retinebat, arabicis arithmeticisque figuris scribebat, et astronomiae insudando sphaeram addiscebat.« Ebd. Z.B. Schwandt, Silke: Virtus: Zur Semantik eines poltischen Konzepts im Mittelalter, Frankfurt a.M. 2014. Gesta Trevirorum II, S. 195. Ebd.: »Generali enim fama volitante reformator et conservator pacis et justitiae fuisse perhibetur. Nam pacis terraeamicissimus conservator, raptorumque fuit horribilissimus extirpator, quos sua magna cum prudentia subjugavit.«
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Verwandten sein.69 Balduin besitze die für einen Herrscher nötige Strenge70 , um seine Anweisungen durchzusetzen, und verfüge gleichsam über Milde und Barmherzigkeit71 , um seine Gefolgsmannschaft treulich zu binden. Die Zuschreibung solch topoihafter Herrschertugenden ist im Hinblick auf die Perspektivität und den Entstehungskontext der Quelle nicht überraschend. Aus subjektivierungstheoretischer Sicht spannend erscheinen jedoch diejenigen Passagen, die über die Aneignung dieser Herrschertugenden berichten. Mit dem Erwerb der Erzbischofswürde (1307) ist Balduin fortan bemüht, sich in täglichen Routinen und Praktiken zu einem würdigen Herrschaftsträger zu formieren. »Vitae venerandae conversationisque fuerat gloriosae«72 – Sein Lebenswandel sei ein ruhmvoller, berichtet der Gestaautor, und es folgt eine Auflistung spezieller Handlungsweisen, die Balduin zu seinen täglichen Alltagsroutinen erhoben hat: Es ist die Rede vom Essen und Trinken (»cibo potuque«73 ), bei dem sich der Erzbischof als äußerst mäßig (»moderatissi69
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Auch für das Folgende Gesta Trevirorum II, S. 196: »Et sic defensor mercatorum, amator bonorum, exterminator iniquorum rigidissimus, in judicio justissimus habebatur. Nam proprium occultae nationis fratrem, qui propriam uxorem occulte interfecerat, spe solemnioris optinendae, licet ab archiepiscopo pro fratre esset reputatus, supplico rotali interimere permisit. Et sic nemini parcendo, cunctos maleficos timore perterritos suis procul a finibus compellebat fugere; unde sicut Salomon, sapiens et pacificus digne potuit appellari.« Der Vergleich mit Salomon verdeutlicht seine generelle Orientierung an christlichen Vorbildern. Siehe dazu auch das Kapitel in den Gesta Trevirorum II, S. 199f. So etwa bei den Anweisungen an seine Beamte. Gesta Trevirorum II, S. 189: »Nam dictus Baldewinus in primo suo adventu laetissimo totam per diocesim cunctis suis officiatis et judicibus districte praecipiendo mandavit, ut in cunctis suis territoriis, tam advenis quam incolis, non per tyrannicum rigorem, sed per incutiendum timorem, universos pacem servareunanimiter coarctarent, si ejus gratiam servare et indignationem cuperent evitare.« Eine Verwandte bittet Balduin in höchster Not um ein Gnadenersuch, dem er schließlich stattgibt. Gesta Trevirorum II, S. 240/241: »et cum ibidem multa intulisset damna, neptis sua de Valkenburch exorta, illius terrae comitissa, suis cum infantibus d e s c e n d i t, e t s e a s p e c t u i d o m i n i B a l d e w i n i p r a e s e n t a v i t, e t f l e b i l i v o c e, a l l a t i s f i l i i s, c l a m a v i t: O p a t e r r e v e r e n d e, n u m q u i d c a r n e m t u a m v i s e t s a n g u i n e m e g e s t a t i d a r e, q u a m p o t i u s d e b u e r a s a c u n c t i s d e f e n s a r e m a l i s, c u m t u i s i n t c o n s a n g u i n e i? P a t e r r e c o r d a r e, e t p a r c e n o b i s h o d i e; n a m p o t e n s e s s a l v a r e! A quibus dictis pietatis visceribus ab intimis motus, humiliter recessit.« (Herv. i.O.). Gesta Trevirorum II, S. 196. Ebd.: »Iustitiae pacisque iste conservator, vitae venerandae conversationisque fuerat gloriosae; nam in cibo potuque capiendo moderatissimus habebatur. Omnia statuta
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mus«) erweist. Das Fasten gehörte zu seinen routinisierten Handlungen, das er immer zu den gebotenen Tagen und noch darüber hinaus an weiteren, nicht näher bestimmten Zeiten praktiziere (»omnia statuta jejunia et quamplurima alia saepissime observando«). Tägliches Beten zu den kanonischen Zeiten strukturierte seinen Tagesablauf (»horas canonicas multasque privatas orationes devote orando«), wie auch das tägliche Feiern einer Messe (»omnia fere die missam celebrando«). In freien Zeiten studierte er (»studio frequentissime insistendo«), allein, ohne Ablenkung durch andere (»aolitarius otiositatis tempore existendo«), befasste sich thematisch mit den Privilegien seiner Kirche (»suae ecclesiae privilegia saepius perlegendo«) und war vor allem nicht müßig (»nunquam otio vacavit alieno«). Die Erwähnung seines keuschen Lebenswandels (»castissime vivendo«) rundet das Bild eines überaus frommen Mannes ab. Die Anzahl seiner Gottesdienstbesuche – sofern es ihm zeitlich möglich war, hielt er täglich selbst eine Messe und hörte eine zweite (»aliamque audiendo«) – wie auch die der praktizierten Fasttage verweist auf Balduins subjektiven Wunsch, die als vorbildlich empfundenen ›mönchischen‹ Praktiken74 in übersteigerter Form auszuführen. Die Tatsache, dass eine solche Lebensführung für die Mehrzahl der Reichsbischöfe des Mittelalters bei weitem nicht erstrebenswert erschien, verleiht der Passage die eigentliche Brisanz. Über den Bremer Erzbischof Giselbert von Brunkhorst (1273-1306) heißt es z.B., er habe sich des genussvollen Essens nicht enthalten können: »sinen magen dede he vele gudes«, weiß die Bremer Stadtchronik zu berichten.75 Die in Balduins Chronik beschriebenen Praktiken haben gleichwohl ihren Effekt auf die Subjektivierung des Erzbischofs. So hilft die Bußpraktik des Fastens dem Luxemburger, sich selbst auf dem Weg zu Gott zu vervollkomm-
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jejunia et quamplurima alia saepissime observando, horas canonicas multasque privatas orationes devote orando, castissime vivendo, omnia fere die missam celebrando, aliamque audiendo, aolitarius otiositatis tempore existendo, studio frequentissime insistendo, suae ecclesiae privilegia saepius perlegendo, intelligens otia ministrare vitia, nunquam otio vacavit alieno.« Vgl. R. Holbach: Mönchische Praktiken und Selbst-Bildungen bei Caesarius von Heisterbach, S. 225-248. Vgl. Die Bremer Chronik von Rinesberch, Schene und Hemeling, hg. v. Hermann Meinert (Die Chroniken der niedersächsischen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 37), Bremen 1968, S. 95.
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nen.76 Im täglichen Gebet setzt er sich jeden Tag aufs Neue mit seinen Sünden auseinander, erbittet Vergebung und wappnet sich mit dem Wort Gottes gegen die Macht des Bösen. Seine Gebete und Fürbitten symbolisieren seine Sorge um die Welt im Allgemeinen und das Bistum Trier im Besonderen. Die Weltflucht, die in diesen Praktiken enthalten ist, liefert dem Kirchenfürsten doch zugleich die Möglichkeit, sich beim Lesen der Trierer Privilegien ganz auf sein Bistum zu konzentrieren. Alles läuft darauf hinaus, dass Balduin sich »von der übrigen Welt durch einen maximal unterschiedlichen Lebenswandel«77 temporär und freiwillig exkludiert. Hierzu sagte ihm insbesondere die Lebensführung der Kartäuser zu, denn er initiierte ihre Niederlassungen in Koblenz (1331) und Trier (1335/40) und suchte sie selbst zur persönlichen Kontemplation regelmäßig auf.78 Mit der Aufzählung dieser Praktiken, die in ihrer Programmatik ideale Herrschertugenden wie Maßhalten und sexuelle Enthaltsamkeit umfassen79 , präsentiert der Gestaautor dem Leser die (überhöhte) Frömmigkeit des Kirchenfürsten Balduin. In hagiografischer Tradition des 10. Jahrhunderts80 und mit sakraler Symbolik wird dem Erzbischof auf diese Weise eine Exklusivstellung attestiert, denn er ist bereit, sich selbst und seinen Körper nach einem religiös-überhöhten Ideal zu formieren. Da ihm jedoch eine permanente Kontrollinstanz im Sinne einer religiösen Gemeinschaft fehlt, muss diese von ihm selbst ausgehen – und von Gott. Seine konsequente Befolgung der christlichen Gebote, sein freiwilliger Verzicht und seine Formierung nach christlichen Idealen verdeutlichen Balduins Fähigkeit zur Selbstdisziplinierung, Selbstkontrolle und eine Formierung des Selbst, die aus innerer Über-
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Zum Fasten siehe z.B. Lutterbach, Hubertus: Die Fastenbusse im Mittelalter, in: Schreiner, Klaus/Münz, Marc: Frömmigkeit im Mittelalter: Politisch-soziale Kontexte, visuelle Praxis, körperliche Ausdrucksformen, München 2002, S. 399-437. Hahn, Alois/Bohn, Cornelia: Partizipative Identität, Selbstexklusion und Mönchtum, in: Melville, Gert/Schürer, Markus (Hg.): Das Eigene und das Ganze. Zum Individuellen im mittelalterlichen Religiosentum, Münster 2002, S. 3-25, hier S. 13. Simmert, Johannes: Solitariam vitam diligens. Balduin von Luxemburg und die Kartäuser 1330-1354, in: F.-J. Heyen/J. Mötsch: Balduin von Luxemburg, S. 213-222. Vgl. Goetz, Hans-Werner: Selbstdisziplin als mittelalterliche Herrschertugend? in: Wolfram, Herwig: Disziplinierung im Alltag des Mittelalters und der frühen Neuzeit, Wien 1999, S. 27-56. Dazu Engels, Odilo: Der Reichsbischof (10. und 11. Jahrhundert), in: P. Berglar/Ders. (Hg.): Der Bischof in seiner Zeit, S. 41-94.
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zeugung herrührt.81 Die Auflistung dieser als routinisiert und wiederkehrend dargestellten Praktiken und ihr Effekt haben vor allem eine politische Dimension, da sich der Erzbischof mit ihnen und durch sie in ein regelrechtes ›Arbeitssubjekt‹82 hinein-formiert: Die Sorge um die Finanzlage seines Bistums, die Verwaltung der wirtschaftlichen Ressourcen, die Burgenpolitik sowie die juristischen Verwaltungsangelegenheiten waren Bestandteil seiner täglichen Regierungspraxis.83 Sein Amtsverständnis und seine subjektive Einstellung ermöglichen ihm ein gewissenhaftes und diszipliniertes Wirken in diesen Arbeitsfeldern. In der literarischen Ausgestaltung dieser Tätigkeiten modelliert sein Biograf sogar das Bild eines mittelalterlichen Herrschaftsträgers, der aus subjekttheoretischer Sicht mit Dispositionen und Selbstdefinitionen von schon moderner Subjektivität ausgestattet ist: Mit einem Sinn für Kalkulation beobachte der Erzbischof die ständig wechselnden Marktverhältnisse und lote die Gewinnchancen aus. Denn weitsichtig achte der Erzbischof genau darauf, keine Ausgaben zu tätigen, wenn eine Teuerung herrschte: »Nam nunquam aliquid ad sua utensilia vel victualia comparavit tempore cariori.«84 Mit Rückgriff auf das Motiv des barmherzigen Landesvaters85 beschreibt der Gestaautor Balduins Wirtschaftspolitik. Die Burgen und Besitzungen seines Bistums ließ er reichlich mit »vino, blado« und »pabulo«86 ausstatten, um die Armen und Schwachen in Zeiten der Not zu versorgen. Die Anhäufung der
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Zur Selbstdisziplinierung insbesondere bei Mönchen siehe Füser, Thomas: Mönche im Konflikt: Zum Spannungsfeld von Norm, Devianz und Sanktion bei den Cisterziensern und Cluniazensern (12. bis frühes 14. Jahrhundert), Münster 2000, insbesondere S. 23; Melville, Gert: Die Welt der mittelalterlichen Klöster. Geschichte und Lebensformen, München 2012. In seinem Werk »Das hybride Subjekt« stellt Andreas Reckwitz drei soziale Felder heraus, die seit dem 18. Jahrhundert konstitutiv für die Produktion von Subjekten sind. Neben Praktiken der persönlichen und intimen Beziehungen und Technologien des Selbst, sind es die Praktiken der Arbeit, die in ihrem spezifischen Feld in ein Arbeitssubjekt hineintrainieren. Vgl. A. Reckwitz: Das hybride Subjekt, S. 8. Ähnlich H.-W. Goetz: Selbstdisziplin als mittelalterliche Herrschertugend?, S. 47: »[…] daß solche Selbstbescheidung mit einem harten Arbeitsethos einherging«. Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 198. Ebd. Erinnert sei hier etwa an Karl den Guten von Flandern oder Elisabeth von Thüringen. Beide setzten sich in ihrem täglichen Tun für die Armen und Schwachen ihres Umfeldes ein. Gesta Trevirorum II, S. 198.
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Vorräte, die im Kontext der damals herrschenden Hungersnot eine besondere Herausforderung darstellte87 , erfolgte systematisch »in annum de anno«88 , bis die erwünschte Menge erreicht war. Diese, neuzeitlich gesprochen, »antizyklische Politik«89 , die Balduin in seiner Gründlichkeit beinahe eine Überfüllung der Vorratskammern bescherte, erschien für die damalige Zeit spektakulär.90 Interessant ist der gleich zweimal in diesem Zusammenhang angeführte Vergleich Balduins mit der biblischen Figur des Joseph von Ägypten.91 Die alttestamentarische Erzählung (1. Mose, 37-50) über den Sklaven Joseph, der durch seine ehrfürchtige Frömmigkeit und Gottesfurcht von Gott begünstigt wurde, schien den Chronikautor zu einer Gleichsetzung mit dem Luxemburger inspiriert zu haben. Durch Gottes Offenbarungen ist Joseph in der Lage, eine Periode von sieben landwirtschaftlich ertragreichen Jahren und sieben Dürrejahre vorherzusehen. Dieses Wissen und seine klugen Vorkehrungen helfen den Ägyptern schließlich, die Hungerjahre zu überstehen. Selbst in einem Schreiben des Domkapitels 1354 an Papst Innozenz VI. wird der jüngst verstorbene Erzbischof mit dieser Bibelfigur gleichgesetzt.92 Das Bild schien also über die Chronik hinaus in den Köpfen der Trierer verankert zu sein, bedeutete es doch, das Balduin von Gott begünstigt war, seine Handlungen auf Gottes Offenbarungen beruhen und sein Glanz damit auf das gesamte Erzstift zurückfiel. In seiner Selbstdefinition als Herrscher ist Balduin weitblickender als seine Schutzbefohlenen (und muss dies auch sein). Er besitzt die Fähigkeit, Risiken zu kalkulieren und Unsicherheitsfaktoren mit einzubeziehen. Er 87
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Gemeint ist die große Hungersnot aus den Jahren 1315-17. Vgl. Jordan, William Chester: The great famine: northern Europe in the early fourteenth century, Princeton u.a. 1996; Jörg, Christian: Teure, Hunger, Großes Sterben: Hungersnöte und Versorgungskrisen in den Städten des Reiches während des 15. Jahrhunderts, Stuttgart 2008 oder auch Abel, Wilhelm: Agrarkrisen und Agrarkonjunktur: eine Geschichte der Land- und Ernährungswirtschaft Mitteleuropas seit dem hohen Mittelalter, Hamburg u.a. 1978. Gesta Trevirorum II, S. 198: »Omnia enim sua castra et domicilia vino, blado, pabulo, in annum de anno, velut Joseph in Egypto congregans, et fere ultra numerum multiplicans, redundabant.« Muller, Jean-Claude/Kollbach, Bernd: Prolegomena zu einer neuen Ausgabe der Vita Balduini aus den Gesta Treverorum, in: R. Nolden (Hg.): Balduin von Luxemburg, S. 109-146, hier S. 121. Vgl. J.-C. Muller/B. Kollbach: Prolegomena zu einer neuen Ausgabe der Vita Balduini aus den Gesta Treverorum, S. 122. Gesta Trevirorum II, S. 199: »Sic ergo velut Joseph providissimus habebatur. Vivant igitur ejus provisionis insignia in saecula.« So J.-C. Muller/B. Kollbach: Prolegomena zu einer neuen Ausgabe der Vita Balduini aus den Gesta Treverorum, S. 121.
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durchschaut die durch die Märkte und Naturgewalten herrschenden Mächte. Orientiert am Maßstab der Nützlichkeit und mit sorgsamer Sparsamkeit verwirklicht der Landesvater Balduin seine genauen Zielprojektionen.93 So gelingt ihm – ganz in der tendenziösen Absicht des Verfassers – eine Wirtschaftsweise, die fern von Verschwendung und ehrgeiziger Sparsamkeit ist. Vielmehr wird seine rationale Herangehensweise, um die Grundlagen seines Bistums vortrefflich zu schützen und zu mehren, betont. Fleiß und Gewissenhaftigkeit sind der durchgehende Tenor in der Beschreibung von Balduins Regierungspraxis. Strukturiert und systematisch geht er seine täglichen Geschäfte an: »Discreta etiam provisione omnia ecclesiae suae privilegia, primo papalia, secundo imperialia, tertio homagialia.«94 Nach religiös-überhöhtem Kompositionsprinzip gilt sein Interesse erst den Privilegien des Papstes, dann denen des Kaisers und schließlich den Lehnsangelegenheiten. Sein Arbeitseifer erfordert die ständige Verfügbarkeit dieser Privilegien und Urkunden. Um seine tägliche Arbeitspraxis und den erzbischöflichen Verwaltungsapparat zu optimieren, lässt er sämtliche Schriftstücke des Bistums sammeln, sortieren und zum Schutz vor Brand und Raub abschreiben und an unterschiedlichen Orten verwahren.95 Als Balduineen96 für die Nachwelt festgehalten, hatte der Erzbischof mit dieser Urkundensammlung vor allem die territoriale Entwicklung des Erzstifts im Blick.97 Insgesamt sorgt Balduins habitualisierte Selbstdisziplin für eine grundlegende Ordnung im Sozialgefüge des Bistums. Stets war sein Handeln den Rangverhältnissen angemessen und niemals allzu vertraulich: »Cum magnatibus magnifice, cum mediocribus mediocriter, nulli subditorum nimis familiaris existendo, honorifice incessit, sciens nimiam familiaritatem contemtum generare«98 – »Sein Auftreten entsprach der Würde seines Amtes«. Er nimmt sich Zeit, die Angelegenheiten seiner Untergebenen anzuhören und 93
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In eine effektive Finanzverwaltung bezog Erzbischof Balduin auch die Juden mit ein. Dazu Haverkamp, Alfred: Balduin und die Juden, in: F.-J. Heyen/J. Mötsch: Balduin von Luxemburg, S. 437-483. Gesta Trevirorum II, S. 198. Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 198/199. Mötsch, Johannes: Die Balduineen: Aufbau, Entstehung und Inhalt der Urkundensammlung des Erzbischofs Balduin von Trier, Koblenz 1980. In der Etablierung der Balduineen wird der Erzbischof abermals mit Jospeh von Ägypten verglichen, so J.-C. Muller/B. Kollbach: Prolegomena zu einer neuen Ausgabe der Vita Balduini aus den Gesta Treverorum, S. 122. Gesta Trevirorum II, S. 196.
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klug zu beenden99 , wie er auch kein Urteil spricht, ohne es genau zu erörtern100 . Ausdauer und Geduld, erlernt durch die Orientierung an einer religiösen Lebensführung, erscheinen im erzählerischen Entwurf als wesentliche Elemente von Herrschaftskompetenz. Balduins persönliche Strukturiertheit bedingt zugleich die Struktur der Bistumsverwaltung und -gesellschaft. In Bezug auf das Erziehungsprogramm mittelalterlicher Herrschaftsträger hat schon Hans-Werner Goetz einen Zusammenhang zwischen Selbstdisziplin und Herrschaftskompetenz hergestellt.101 Da die Wahrung der Disziplin am Hof und im Reich eine königliche Aufgabe war, setzte diese ein vorbildhaftes Verhalten und damit eine gewisse Selbsterziehung voraus. So … »[…] wurde Selbstdisziplin ebenso zwangsläufig zu einer wesentlichen Herrschertugend, die sich in der Praxis in Besonnenheit, Bescheidenheit und vor allem Selbstbeherrschung niederschlug. Das se regere, das diese »Selbstbeherrschung« geradezu sprichwörtlich ausdrückte, wurde zur Voraussetzung des regere, das Diszipliniertsein als Ergebnis erfolgreicher eigener Erziehung war Bedingung für die Erziehung und Disziplinierung der anderen.«102 Hinkmar von Reims erweiterte diese königliche Tugend schließlich auf alle weiteren Herrschaftsträger: »Speculatoris officium est, ut comisso sibi populo exemplo et verbo, qualiter vivere debeat, incessanter annuntiet.«103 Das kulturelle Ideal der Zeit war also ein selbstdisziplinierter Herrschender und stellte ein Argumentationsmittel zur Rechtfertigung der Herrschaft oder im Falle der Kritik zur Herrscherabsetzung dar.104 Mit einer praxeologischen Analyseoptik, also dem gezielten Blick auf Praktiken, die konstituierend für die Subjektwerdung sind, wird die Herausbildung dieser Selbstdisziplin, die Bereitschaft zum Training wie auch die Einübung in ein Herrscheramt in den Gesta Baldewini deutlich. In der literarischen Zeichnung Balduins, verbunden mit der Demonstration seiner
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Vgl. ebd.: »Causas subditorum et discordias sedando, et prudenter terminando promtissimus est inventus.« Vgl. ebd. S. 196/197: »Nunquam etiam aliquod negotium dimisit indiscussum.« Vgl. H.-W. Goetz: Selbstdisziplin als mittelalterliche Herrschertugend?, S. 27-56. Ebd. S. 55. Hinkmar von Reims: De ordine palatii, hg. und übers. von Thomas Gross und Rudolf Schieffer (MGH Font. iur. Germ. 3), Hannover 1980, S. 42. Vgl. H.-W. Goetz: Selbstdisziplin als mittelalterliche Herrschertugend?, S. 56.
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Herrschaftskompetenz, setzt sein Biograf stark auf die Darstellung regelrechter ›Trainingseinheiten‹ – durchaus im wörtlichen, sprich: sportlichen Sinne. Da es zu den erzbischöflichen Pflichten gehört, das Bistumsterritorium auch mit Waffengewalt zu verteidigen, entspricht es wohl Balduins Selbstverständnis, den ›Körper eines Kriegers‹ zu besitzen.105 Diese Betonung eines ritterlichen Ideals erscheint zugleich tief im Familienbewusstsein der Luxemburger verankert.106 Tapferkeit auf dem Schlachtfeld, wie sie Balduins Vater Heinrich in Worringen zeigte und im heldenhaften Tod des erblindeten Johann von Luxemburg (1296-1346; Balduins Neffe) in der Schlacht von Crécy ihren Höhepunkt fand, wurde Bestandteil dieser dynastischen Haltung.107 Sein Chronist berichtet, dass Balduin insbesondere in seinen Jugendtagen, in denen er dem Frohsinn zugeneigt war, sich selbst sehr gerne körperlichen Leibesertüchtigungen hingab. Erwähnt sei an dieser Stelle daher nochmals das in der Einleitung angeführte Chronikzitat: »In incessu, dictis et factis, veridicus, stabilis fuit, et semper seriosus. Tempore vero jocunditati opportuno suae juventutis, occulte cum suis militibus, capellanis, camerariis et domicellis, velut eorum minimus, diecens : Episcopalem dignitatem suspendimus ad parietem : nunc superior, nunc inferior, socius jocundissimus saltando, currendo levissimus, lapidem ceteris praejactando, eos viribus fortissimus praecellere cernebatur.«108 Unter dem Aspekt der Selbstformierung fällt der Effekt dieses adeligen Wettkamfes in den Blick. Mit Weitsprung, Wettlauf und Weitwurf, dem üblichen Dreikampf der Leichtathletik, unterzieht Balduin seinen Körper einem quasi-militärischen Training, um für ernsthafte Kampfeinsätze gerüstet zu sein. Die Bischofswürde bewusst ablegend, orientiert sich Balduin mit diesen Verhaltensweisen am adeligen Rittersubjekt, womit er seinen Gefolgsleuten ein Angebot zur Identifikation unterbreitet. Entgegen der
105 Sein Chronist widmet der Beschreibung von Balduins äußerem Erscheinungsbild ein eigenes Kapitel. Zu seiner Stärke heißt es dazu: »Sein Hals hielt die Mitte zwischen zu großer Länge oder Kürze, doch war er stark und sehnig. Seine Schultern waren breit, Arme und Beine kräftig und sehnig mit nicht zu fleischigen Muskeln. Die Brust war breit und gewölbt, der Rücken gerade und gut gebildet, […]. Im ganzen soll sein Körper von mittlerer Größe, gelenkig und fein gebildet gewesen sein.« Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer V, S. 19. 106 Vgl. z.B. H. Koller: Die Familie der Luxemburger, S. 318. 107 Vgl. J. Schoos: Die Familie der Luxemburger, S. 135. 108 Gesta Trevirorum II, S. 197 (Herv. i.O.).
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topoihaften Erwartung, Balduin zeige sich als ein alle überragender Kämpfer, kann er auch verlieren und ist anderen unterlegen, was zugleich den Aspekt der Trainingsphase unterstreicht. Gleichwohl besitzt sein Körper eine solche Stärke, dass der Erzbischof ein Pferd zu Fall bringen kann: »Nam tanta fortitudine pollebat, quod in domo Abbacensium in Pinguia famulum cursitanti equo insidentem cum equo ad terram velociter dejecit.«109 Im Ganzen zeigt sich das Bischof-Werden bei Balduin als eine Art hochspezifisches Training, in welchem der Herrschaftsträger die als ideal empfundene Herrschertugenden entwickelt. Denn wie sinnvoll dieses körperliche Training war – hier im privaten und in Friedenszeiten –, zeigt der weitere Verlauf der Gesta. Auch wenn der Trierer Erzbischof in seiner Territorialpolitik bevorzugt auf friedvolle Verhandlungen setzte, ist die Liste der Fehden und militärischen Unternehmungen lang.110 »Öfters hatte Balduin ein kriegerisches Los gezogen«111 , schreibt daher sein Chronist. Insbesondere die Konflikte mit den Grafen von Sponheim112 , Westerburg und Nassau113 waren prägend für seine Regierungszeit. Zweifellos war Balduin von Luxemburg in der Lage, seine politischen Interessen mit dem Schwert durchzusetzen. Immer war er dabei auch persönlich anwesend und zeigte sich als Anführer an der Spitze seiner Ritterschaft: »Im folgenden Jahr 1335 griff Herr Balduin auf Drängen der Erfurter persönlich mit großer Heeresmacht den Markgrafen
109 Ebd. 110 Vgl. Eulenstein, Julia: Territorialisierung mit dem Schwert? Die Fehdeführung des Trierer Erzbischofs Balduin von Luxemburg (1307/08-1354) im Erzstift Trier, Koblenz 2012; Burgard, Friedhelm: … bischoff und grebe … – Bischof und Graf zugleich. Zur Ausbildung des Trierer Kurstaates bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts, in: Rheinische Vierteljahrsblätter 63 (1999), S. 70-89; Berns, Wolf-Rüdiger: Burgenpolitik und Herrschaft des Erzbischofs Balduin von Trier. (1307-1345), Sigmaringen 1980; Flach, Dietmar: Stadtrecht und Landesherrschaft in Kurtrier unter Erzbischof Balduin, in: F.-J. Heyen/J. Mötsch: Balduin von Luxemburg, S. 317-340; Nikolay-Panter, Marlene: Landfriedensschutz unter Balduin von Luxemburg, in: Ebd., S. 341-355; Debus, Karl Heinz: Balduin als Administrator von Mainz, Worms und Speyer, in: Ebd., S. 413-436. 111 Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer V, S. 53. 112 Vgl. Mötsch, Johannes: Trier und Sponheim, in: F.-J. Heyen/Ders.: Balduin von Luxemburg, S. 357-389. 113 Vgl. Gensicke, Hellmuth: Selbstbehauptung im Westerwald, in: F.-J. Heyen/J. Mötsch: Balduin von Luxemburg, S. 391-401; Böhn, Georg Friedrich: Der territoriale Ausgriff Balduins von Trier in den pfälzischen Raum, in: Ebd. S. 403-412.
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von Meißen und die Grafen von Hohenstein an und suchte sie mit Fehde und Brand schwer heim.«114 Es ist die Intention des Gestaautors, Balduins kämpferische Fähigkeiten als gewinnbringend für sein Bistum darzustellen. Noch besser allerdings sind sie für das Reich: Ein großer Teil seiner Lebensbeschreibung befasst sich daher mit dem Italienzug seines Bruders Heinrich zur Erlangung der Kaiserwürde,115 auf dem Balduin und der dritte Bruder Walram den König begleiteten und der hier beispielhaft zur Veranschaulichung von militärischen Aspekten in einer bischöflichen Subjektwerdung angesprochen wird.116 Die militärischen Handlungen, die der Erzbischof während dieses Eroberungszuges selbst erlebte, werden von seinem Biografen nicht mit einer Kritik an der Vereinbarkeit von Bischofsamt und Kriegsdienst in Verbindung gebracht.117 Vielmehr beschreibt er mit Balduin das Idealbild eines Reichsfürsten, zu dem die Heerfolge als Lehnspflicht gehörte. Waffengewandheit unter geistlichen Reichsfürsten stellt in der Bistumschronistik ein als vorbildlich empfundenes
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Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer V, S. 56. Weitere Beispiele auf S. 53: »Hiernach, im Jahre des Herrn 1325, schloß Herr Balduin Fürstenberg ein, das er lange belagerte. Später, nachdem er eine hinreichende Genugtuung erhalten hatte, zog er sich wieder zurück.« S. 55: »Herr Balduin drang daher feindselig mit starker Heeresmacht in ihr Gebiet ein, ließ ringsum plündern und verwüsten und bändigte so ihren aufgeblasenen Frevelmut aufs strengste.« S. 58: »In demselben Jahre schloß Herr Balduin, um das Wüten des Grafen Walram von Kreuznach und des Wildgrafen [Johann] von Dhaun endgültig einzudämmen, Dhaun mit Waffengewalt ein und befestigte die von Grund auf erbaute Feste, die St. Johannisberg hieß, gegen Dhaun aufs stärkste.« Zur Italienpolitik Kaiser Heinrichs siehe Penth, Sabine/Thorau, Peter (Hg.) : Rom 1312. Die Kaiserkrönung Heinrichs VII. und die Folgen. Die Luxemburger als Herrscherdynastie von gesamteuropäischer Bedeutung, Köln u.a. 2016; Pauly, Michel (Hg.): Europäische Governance im Spätmittelalter. Heinrich VII. von Luxemburg und die großen Dynastien Europas = Gouvernance européenne au bas moyen âge. Henri VII de Luxembourg et l’Europe des grandes dynasties, Luxemburg 2010; Heidemann, Malte: Heinrich VII. (1308-1313). Kaiseridee im Spannungsfeld von staufischer Universalherrschaft und frühneuzeitlicher Partikularautonomie, Warendorf 2008; Widder, Ellen (Hg.): Vom luxemburgischen Grafen zum europäischen Herrscher. Neue Forschungen zu Heinrich VII., Luxemburg 2008; Franke, Maria Elisabeth: Kaiser Heinrich VII. im Spiegel der Historiographie. Eine faktenkritische und quellenkundliche Untersuchung ausgewählter Geschichtsschreiber der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, Köln u.a. 1992; Bowsky, William M.: Henry VII. in Italy. The Conflict of Empire and City-State, 1310-1313, Lincoln-Nebraska 1960. Z.B. Gesta Trevirorum II, Cap. 10, S. 213-215; Cap. 12, S. 218-220; Cap. 15, S. 226-228. Vgl. dazu etwa W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 209.
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Verhalten dar, dem sich viele Generationen von Bischöfen anschlossen.118 Ein solch starkes und tapferes Bild wollte der Erzbischof von sich gezeichnet wissen. Aussagekräftig enthält die bilderhandschriftliche Erweiterung der Gesta Baldewini daher eine Darstellung Balduins in voller Rüstung mit erhobenem Schwert, gerade dabei, einem Feind den Kopf zu spalten.119 Gleichwohl verschweigt der Chronist nicht die Beschwerlichkeiten des Krieges und damit verbunden die Versehrtheit bzw. Unversehrtheit des Körpers. Während der Erzbischof selbst von einer Verwundung verschont blieb, verloren der König, die Königin und der Bruder Walram in Italien ihr Leben. Dabei spielten sowohl Krankheit120 als auch tödliche Verwundung eine Rolle. Wie sehr der Körper durch Belagerungen und Kampfhandlungen litt, erfuhr Balduin, als er aus Wassermangel eine Belagerung abbrechen musste.121 Außerdem wirkten die italienischen Temperaturen auf die Kämpfer ein: Ein feindlicher Überfall auf die kaiserlichen Truppen fand zur Mittagszeit statt, »da die Sonne am heißesten brennt und die Menschen ihrer Glut sich zu entziehen schlafend die Glieder zu erquicken pflegen«122 . Dieser gewählte Zeitpunkt mag eine besondere Niederträchtigkeit der gegnerischen Partei ausdrücken, von der sich die kaiserliche Mannschaft unterscheidet, verdeutlicht aber auch den Kriegsalltag.123 Der Erzbischof und seine Mannen nahmen die Strapazen des Krieges für König und Reich mannhaft auf sich: »Auf Seiten des Königs ist jeder entschlossen, zu sterben, falls die Schlacht nicht ehrenvoll ausgehen sollte«124 . Die Tapferkeit der kaiserlichen Mannschaft verdeutlicht sich an den detailreichen Schilderungen einzel-
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Erst zum Ende des Mittelalters häufen sich die Berichte über gewaltablehnende Haltungen. So etwa in Magdeburg: »Jener Friedrich setzte in allem seinen Unglück seine Hoffnung auf den Herrn und kämpfte mehr mit der Rede als mit dem Schwerte«. Übersetzung nach H. Michaeälis: Magdeburger Bischofschronik, S. 272. 119 Vgl. Schmid, Wolfgang: Kaiser Heinrichs Romfahrt. Zur Inszenierung von Politik in einer Trierer Bilderhandschrift des 14. Jahrhunderts, Koblenz 2000, S. 176; M. Margue et al. (Hg.): Der Weg zur Kaiserkrone. 120 Z.B. E. Zenz: Die Taten der Trierer V, S. 38; S. 37: »verpestete Luft«. 121 Der Trierer Erzbischof Werner von Falkenstein bricht ein anderes Mal eine Belagerung ab aufgrund heftiger Regenfälle. 122 Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer V, S. 34. 123 Dies auch noch einmal in Brescia: »Endlich verabredeten such die Brescianer und trafen Vorkehrungen, um das Heer des Königs nächtlicherweise listig zu überfallen«. Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer V, S. 37. 124 Ebd.
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ner Kriegshandlungen.125 Balduin stritt126 , bewachte127 , bekämpfte128 und gehorchte dabei (immer) den Befehlen des Königs.129 Insgesamt ist Balduin in seiner literarischen Ausgestaltung ein Beispiel für einen täglich übenden und trainierenden mittelalterlichen Herrschaftsträger. Fleiß, Wille, Selbstdisziplin und Verantwortungsgefühl zeichnen ihn aus. Seine Orientierung an christlichen Idealen und Vorbildern entstammen seiner inneren Überzeugung. Das formiert ihn in ein bischöfliches Herrschersubjekt, verstanden als tüchtiger Landesherr und tiefreligiöser kirchlicher Würdenträger. Ein knappes Jahrhundert später werden in der Lebensbeschreibung seines Amtskollegen Otto von Ziegenhain (1419-1430)130 ähnliche Praktiken angeführt. Die literarische Würdigung dieses Trierer Erzbischofs ist allgemein in einem christlich-religiösen Tenor verfasst. Ottos Religiosität und Frömmigkeit im literarisch gezeichneten Bild scheint so groß gewesen zu sein, dass sein »Regieren und Handeln im weltlichen Bereich […] dem untergeordnet [werden] und […] insgesamt in den Hintergrund«131 treten. Otto von Ziegenhain wurde um 1365 als Sohn eines Grafen geboren. Aufgrund der Verwicklungen seines Vaters in die Reichspolitik, die sogar zum Bann durch Papst Urban VI. im Abendländischen Schisma geführt haben, dürfte der junge Otto bereits frühzeitig mit der Welt der Hochpolitik in Kontakt gekommen sein.132 Sein Leben auf der väterlichen Burg zusammen mit seinen Brüdern ermöglichte ihm nicht nur eine gute schulische Ausbildung, sondern auch eine in der Waffenkunst. In den Gesta Treverorum heißt es über ihn explizit, er sei »in armis strenuus«133 .
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Vgl. ebd. S. 34ff, 37ff, 40ff. Vgl. ebd. S. 40. Vgl. ebd. S. 34. Vgl. ebd. S. 40. Vgl. ebd. S. 34. Vgl. Lager, Johann Christian: Aus dem Leben des Trierer Erzbischofs Otto von Ziegenhain (1418-1430), Pastor bonus 2 (1890), S. 205. R. Holbach: »Disz ist dy ansprache dy wir dun wydder unssern heren…«, S. 17. Erzbischof Otto war durchaus ein weltlich-eingestellter Kirchenfürst, der es verstand, seine Machtposition zu demonstrieren und skrupellos zu verbessern, vgl. ebd S. 34. Vgl. Jank, Dagmar: Das Erzbistum Trier während des großen Abendländischen Schismas (1378-1417/18), Mainz 1983. Gesta Trevirorum II, S. 312.
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Als Propst des Stifts St. Martin in Worms 1405 deutete Otto bereits an, Bischof werden zu wollen.134 Seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu den Trierer Erzbischöfen Kuno (1362-1388) und Werner von Falkenstein (1388-1418) sowie zum Mainzer Erzbischof Johann von Nassau (um 1360-1419) waren für dieses Karriereziel von ebenso großem Vorteil wie seine akademisch-theologische Ausbildung: Otto absolvierte ein Studium in Wien und Heidelberg. Darauf folgten die Ämter Propst (1405 in Worms und Boppard) und Archidiakon im Alter von etwa 40 Jahren. Mit der Ernennung seines Onkels Werner von Falkenstein 1388 zum Erzbischof von Trier, ermöglichte sich für Otto 1406 die Ernennung zum Dompropst von Trier. Am 8. März 1409 ernannte Werner ihn sogar zum erzbischöflichen Kaplan135 . 1413 wurde er Propst des Stiftes St. Paulin in Trier und 1417 von St. Florin in Koblenz. Auf dem Konzil von Konstanz vertrat Otto den Trierer Erzbischof und stand dabei für die Wahlsache König Sigmunds ein. Wohl um diese Zeit erhielt er den Weihegrad des Diakons; ein bedeutender Schritt auf dem Weg zu höheren Weihen und ein Zeichen, dass er die geistlichen Ämter durchaus ernst nahm. Ottos Karriereweg bis hierher ist in der episkopalen Landschaft des Heiligen Römischen Reiches kein Sonderfall. Der Ziegenhainer profitierte von den Begünstigungen seiner Verwandten und sammelte durch seine Ausbildung handfeste Kenntnisse für weitere Tätigkeiten in der klerikalen Verwaltung. Nach dem Tod Werners von Falkenstein wurde Otto von Ziegenhain136 am 13. Oktober 1418 im Alter von 53 Jahren »einmütig«137 vom Domkapitel zum Erzbischof gewählt, jedoch nicht ohne eine Wahlkapitulation, die seine »erzbischöfliche Handlungsfreiheit stark«138 einschränkte und die Machtbefugnisse des Kapitels entsprechend stärkte. Im Verlauf der Regentschaft zeigte sich Otto nicht gewillt, diese Einschränkungen einzuhalten. Das Verhältnis 134 135
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Vgl. R. Holbach: Die Besetzung des Trierer Erzbischofsstuhls im späten Mittelalter, S. 34. So die Regesten der Erzbischöfe zu Trier von Hetti bis Johann II. 814-1503, von Adam Goerz, Trier 1861, S. 132: »ernennt (in folge des reichts eines erzbischofs an jedem collegiatstift seiner diozese zwei kaplane zu ernennen welche im genusse der präbende bleiben aber von der persönlichen residenz befreit sind) den domprobst Otto von Ziegenhain an die stelle des domherrn Friedrich von Steyn zu seinem kaplan«. Die Verwandtschaft zu den Falkensteinern symbolisiert Kontinuität der Politik der rheinischen Kurfürsten. Vgl. R. Holbach: Die Besetzung des Trierer Erzbischofsstuhls im späten Mittelalter, S. 35. Übersetzung nach Zenz, Emil: Die Taten der Trierer: Gesta Treverorum, Bd. VI: Von Boemund II bis zum Tode Jokobs III. 1354-1581, Trier 1962, S. 19. R. Holbach: Die Besetzung des Trierer Erzbischofsstuhls im späten Mittelalter, S. 35.
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zwischen Kapitel und Erzbischof erschien daher permanent als schwierig. Da die Falkensteiner Erzbischöfe für Reformierungsbestrebungen bei Klerus und Kloster während ihrer Regierung kein Interesse aufbrachten, zeigte sich Otto hingegen als äußerst »reformeifrig […] und in der Wahl seiner Mittel keineswegs kleinlich […]«139 . Insgesamt entspricht Erzbischof Otto von Ziegenhain einem machtpolitischen Typus seiner Zeit, wenngleich es auch Stimmen gab, die ihm nahezu einen Heiligenstatus attestieren wollten.140 Sicherlich trug das äußerst fromme Bischofsbild, welches in den Gesta Treverorum von ihm gezeichnet wurde und im Folgenden praxeologisch untersucht werden soll, seinen Teil zu dieser Meinung bei. Die Gesta Treverorum beschreiben Erzbischof Otto nahezu ausschließlich in seiner Ausübung religiös-überhöhter Praktiken. Disziplin und Konzentration erscheinen auch in seinen literarisch präsentierten Praktiken die entscheidenden Effekte zu sein, die den Erzbischof in seiner Herrschaftsausübung kompetent werden lassen. Der folgende Bericht – ein Schreiber aus dem domkapitularischen Feld ist nicht anzunehmen – bildet dabei eine Schlüsselszene: »Saepius noctes insomnes duxit, jejuniis et orationibus vacando, atque in terram se prosternendo, eidem crebra oscula prae nimia compunctione et devotione imprimendo; etia ut frequenter appropinquantibus solemnioribus festivitatibus, puta Paschae, Pentecostes, Nativitatis Christi, Assumtionis Mariae, se in aliquo loco devoto, videlicet congregationis religiosorum et devotorum virorum, cum paucis suis recepit: quatenus eo liberius et expeditius servitudi Dei vacare et intendere posset; praevio per triduum ante talem diem festum in solo pane et aqua jejunando. Succedentibus sibi virtutum ac actuum virtuosorum cumulis, in diebus suis vitam castam et sanctam ducendo, corpus suum cum quotidiano cilicio castigavit.«141 Der Leser erfährt hier von täglichen Bußübungen, die zu den Routinehandlungen des Erzbischofs gehören. Es ist dabei insbesondere der eigene Körper, 139
Ebd. Zu Erzbischof Ottos Reformbestrebungen bei Kloster und siehe: Becker, Petrus: Dokumente zur Klosterreform des Trierer Erzbischofs Otto von Ziegenhain (1418-1430), in: Revue bénédictine 83 (1974), S. 126-166; Ders.: Das monastische Reformprogramm des Johannes Rode, Abtes von St. Matthias in Trier. Ein darstellender Kommentar zu seinen Consuetudines, Münster 1970. 140 So R. Holbach: Die Besetzung des Trierer Erzbischofsstuhls im späten Mittelalter, S. 17, mit Verweis auf Dominicus von Preußen (ca. 1384-1460). 141 Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 312.
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der zum Objekt der Übungen wird: Schlaf wird vermieden, da die Nächte dem Fasten und Beten dienen. Aus Reue und Frömmigkeit wirft sich der Ziegenhainer auf den Boden nieder, um ihn »in übergroßer Selbstzerknirschung«142 zu küssen. Seinen Körper züchtigt er täglich mit einem Bußgewand143 und die Zeit des Fastens bei nur Wasser und Brot erstreckt sich über drei Tage. Der Rückzug in die Kontemplation vor einem großen religiösen Fest (Ostern, Pfingsten, Weihnachten), der in einer ausgewählten kleinen religiösen Gemeinschaft (Kartäuser) stattfand, sollte ihn für seine bevorstehenden Weihehandlungen als läuternde Vorbereitung dienen. Anders als in den Gesta Baldewini erscheint sein täglicher Einübungsprozess deutlich strenger. Es ist nicht mehr ausschließlich bereitwilliger Verzicht, der in eine selbstdisziplinierte Subjektform hineintrainiert. Hier findet eine regelrechte Reglementierung des Körpers (»prosternendo«; »castigavit«) statt, eine Unterdrückung von Begehrlichkeiten. Die Praktiken verdeutlichen Erzbischof Ottos Reueverständnis: In übersteigerter Form gibt er Geist und Körper der Sündenbekämpfung hin. Er signalisiert ein »Streben nach Kontrolle […] des Eigenwillens und der körperlichen Bedürfnisse«144 . Er selbst nimmt sich gegenüber die Rolle der »Pastoralmacht«145 ein. Diese überaus starke Selbstdisziplin, dieses, mit Hans-Werner Goetz gesprochen, extreme se regere, rechtfertigt seine Berechtigung zum regere umso mehr. Seine Vorbildfunktion erhält er durch seine Demut und seine Selbsterniedrigung vor Gott, seine Selbstbescheidung wird zu einer religiösen Tugend146 . Die Tiefgründigkeit seiner Religiosität verdeutlicht auch die Erwähnung seiner Pilgerreise nach Jerusalem. Eine solche Reise bedeutete Strapazen und Gefahren, die Otto vermutlich als eine Form der körperlichen Züchtigung unter religiösen Vorzeichen auf sich nahm. Vor allem aber zog er im Geheimen (»clandestine«) und nur in Begleitung eines halben Dutzend Vertrauten nach Jerusalem. Sein Domkapitel und seine Untergebe-
142 Ebd. S. 19. 143 Auch Friedrich von Beichlingen, Erzbischof von Magdeburg (1445-1464) trägt täglich ein Bußgewand aus kilikischen Ziegenhaar. MGH SS XIV, S. 466: »quia Deum dilexit de Deus cum eo fuit, cilicio semper usus fuit.« In der Übersetzung bei H. Michaeälis heißt es »cilicischer Haarteppich«, vgl. Magdeburger Bischofschronik, S. 255. 144 T. Füser: Mönche im Konflikt, S. 23. 145 M. Foucault: Analytik der Macht, S. 247f. Dazu auch Ders.: Geschichte der Gouvernementalität I: Sicherheit, Territorium, Bevölkerung: Vorlesung am Collège de France, 1977-1978, Frankfurt a.M. 4 2015. 146 Vgl. H.-W. Goetz: Selbstdisziplin als mittelalterliche Herrschertugend?, S. 47.
Formierung in ein bischöfliches Selbst
nen wurden angeblich nicht unterrichtet.147 Der Chronist überlässt es dem Leser, den Zweck der Verheimlichung zu interpretieren. Die Erzählung unterstreicht den erzählerischen Selbstentwurf der Leidensfähigkeit und Ottos tiefgründige Frömmigkeit, verbunden mit nahezu kompletter Selbstentäußerung. Es ist möglicherweise dem Autor geschuldet, dass alle Handlungen und Verhaltensweisen in einer übersteigerten Extremausübung geschildert werden. So bringt er auch Ottos Engagement in den Hussitenkriegen mit diesem Bischofsbild in einen Zusammenhang. Den religiös und sozialpolitisch motivierten Kritiken der Anhänger des verurteilten Johannes Hus an den Missständen der Kirche – gemeint sind Reichtum und Lebenswandel der Prälaten – setzte sich Otto vehement und mit militärischer Gewalt entgegen. Zweimal ritt der Trierer Erzbischof mit großem Aufwand an Kosten und Gefolgschaft nach Böhmen und erlitt an der Seite König Sigmunds eine unglückliche Niederlage.148 Der finanzielle Schaden dieser Aktionen für das Erzstift liegt auf der Hand, bleibt aber im Chronikbericht unerwähnt. Ebenso verschweigt der Chronist Einzelheiten über Ottos machtpolitische Auseinandersetzungen mit seinem Domkapitel.149 Lediglich die Reformierungsbestrebungen Ottos werden im literarischen Erzählentwurf verarbeitet und dabei dem Motiv des ›leidenden‹ Erzbischofs angepasst. Das Potenzial hierfür lieferten insbesondere Ottos Reformierungsbestrebungen des niederen und höheren Klerus.150 Doch
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Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 312/313: »Anno Domini millesimo quadringentesimo vicesimo quinto venerandus iste antistes Otto, divini accensus zelo, et causa maximae devotionis, mare transivit, et sacrum Dominicum sepulchrum personaliter et clandestine, absque scitu sui capituli et subditorum suorum, cum quinque aut sex personis sibi secretioribus visitavit.« 148 Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 313: »Idemque dominus Otto duabus vicibus personaliter um maximis expensis et laboribus, cum multitudine gentium, nobilium et ignobilium armatorum, ad Bohemiam contra infideles haereticos Hussitas viriliter pugnando equitavit.« 149 Dazu insbesondere R. Holbach: »Disz ist dy ansprache dy wir dun wydder unssern heren …«. 150 Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 313-315: »Et post ejus ad suam diocesim reditum, suam sponsam ecclesiam et capitulum Trevirense zelo optimo et sincero reformare, et ad meliorem statum reducere cupiens, divinum implorabat auxilium: cui canonici capitulares Trevirenses fortiter se opposuerunt, illi resistere cupientes; prout se cum amicis et cognatis suis opposuerunt et restiterunt. Tandem sentiens ipse dominus et pater reverendissimus Otto, se non posse solum proficere in hujusmodi sancto et bono opere inchoato, quendam legatum sedis apostolicae, Henricum cardinalem de Anglia, de sanguine regis Angliae natum, secum Trevirim cum multitudine doctorum virorum adduxit; sperans inde consequi aliquam bonam reformationem et optatum fructum.«
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konnte er aufgrund des Widerstands der Domherren seine Pläne der Kapitelreformierung niemals in die Tat umsetzen. Auch die Kurie stellte sich nicht eindeutig hinter das erzbischöfliche Vorhaben, wenngleich Otto eine Unterstützung im englischen Kardinallegaten Henry Beaufort (1375-1447)151 fand. Der Trierer Oberhirte gab sich schließlich geschlagen und sein Chronist versäumt es nicht, diesen Umstand tendenziös auszuschmücken: »Sed, proh dolor! Sator mali seminis corda canonicorum Trevirensium obcaecavit in tantum, quod ipsi canonici tam cardinali quam archiepiscopo praefatis restiterunt, ita quod ambo nil proficerent; sed absque aliquo optato fructu reformationis recesserunt, permittentes canonicos ipsos in suis antiquis consuetudinibus vel abusionibus.«152 Enthalten ist in dieser Aussage vor allem eine Selbstvergewisserung und Selbstbestätigung Ottos bischöflicher Selbstsicht: Der Gestaautor führt deutlich an, dass Ottos Frömmigkeitsverständnis weitaus besser ist als das seiner Domherren: »Idemque dominus Otto in omnes pius, mansuetus, et religiosorum cultor; in pauperes clemens et mitis, qui maxime suis diebus monasteriorum ac cleri reformationi per civitatem et diocesim suas summopere studuit; nihilque ei, quod ad religiosum ac devotum pontificem spectat, abfuit«153 . Das Augenmerk dieser Chronik liegt insgesamt auf dem ausgeprägten Maßhalten Ottos in seiner Regierung, das er sich durch seine selbstdisziplinierte und tugendhafte Lebensweise antrainierte: Alle Burgen des Erzstifts ließ er reichlich mit Vorräten ausstatten.154 »[N]on suae avaritiae causa, sed in pauperum subsidium, necnon ad reprimendum eo facilius hostes in futurum«155 , fügt sein Chronist erklärend hinzu. Nicht nur sich selbst hatte der Erzbischof 151
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Generell neigt Otto von Ziegenhain dazu, sich bei seinen Reformbestrebungen Hilfe aus Expertenkreisen zu holen. So etwa den Kartäuserprior Johannes Rode bei seiner Klosterreform. Siehe dazu Becker, Petrus: Johannes Rode († 1439), in: Rheinische Lebensbilder 7 (1977), S. 25-42; Redlich, Virgil: Johann Rode von St. Matthias bei Trier. Ein deutscher Reformabt des 15. Jahrhunderts, Münster 1923. Gesta Trevirorum II, S. 313-315. Ebd. S. 315. Vgl. ebd. S. 316: »quod omnia castra suae ecclesiae reformavit et reaedificavit, eaque frumento et vino abundantissime replevit. Ähnlich auch nochmal am Ende des Chronikberichts: Gesta Trevirorum II, S. 317: Hic dimisit archiepiscopatum in omnibus refertum et opulentum, et coquinas bene provisas in castris et villis quasi omnibus.« Ebd. S. 316.
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in seiner Gewalt, auch verstand er es, stets die soziale Ordnung in seinem Bistum zu wahren: »nobiles et ignobiles plurimum humiliter et quandoque satis rigorose regendo et tractando«156 . Die lange Liste seiner erzbischöflichen Taten, wie sie im literarischen Erzählentwurf wiedergegeben werden, verweist auf ein »hartes Arbeitsethos«157 des Ziegenhainers. Am Ende fordert diese Lebensweise ihren Tribut: Ottos Tod wird mit unzähligen Sorgen und Mühen (»post innumeras sollicitudines atque labores«) und dem Nachlassen seiner Körperkraft (»deficientibus passim corporis viribus«158 ) in Verbindung gebracht.159 Ottos Strategie der Amtsführung war mit anderen Worten vor der Folie der Selbstdisziplinierung bis hin zur Selbstaufgabe eine Strategie der Selbstbehauptung unter Zuhilfenahme mönchischer Praktiken und Verhaltensorientierungen. Diese formieren in einen bestimmten Typus, der grundlegende Herrschaftskompetenzen aufzuweisen hat, in dieser Form aber eine Übersteigerung darstellt und die Variationsbereite bischöflicher Selbstbildung dokumentiert. Im Rückgriff auf die subjektivierungstheoretischen Ansätze kann zusammenfassend gesagt werden, dass sowohl in der Lebensbeschreibung Balduins von Luxemburg als auch im Tatenbericht Ottos von Ziegenhain das BischofWerden und Bischof-Sein als ein alltäglicher Prozess ausgewiesen wird. Die in diesem Prozess beinhalteten Praktiken, die wesentlich dem bischöflichen Idealbild eines Martin von Tours angelehnt sind,160 ermöglichen vor allem die Ausbildung der als ideal empfundenen Herrschertugend der Selbstdisziplin. Der Rückzug in die Kontemplation, freiwilliger Verzicht, das Festhalten an geregelten Abläufen und ein überhöhtes Arbeitsethos formieren nicht nur in ein religiös-überhöhtes bischöfliches Herrschersubjekt. Vor allem demonstriert der in diese Praktiken beinhaltete Fleiß die wohl wichtigste Herrschaftskompetenz der Bischöfe, gilt er doch als Garant für die Stabilität von Herrschaft. Darüber hinaus verweisen die körperlichen Ertüchtigungen in der Lebensbeschreibung Balduins auf den pragmatischen Effekt der Praktiken des Einübens und des Trainierens: Balduins bischöflicher Körper, bewusst zugerich156 157 158 159
Ebd. S. 312. H.-W. Goetz: Selbstdisziplin als mittelalterliche Herrschertugend?, S. 47. Gesta Trevirorum II, S. 317. Offenbar erkrankte er an einem Steinleiden, doch auch Gerüchte um einen Giftmordanschlag durch einen Bediensteten Ottos machen sich unter den Zeitgenossen breit, so W. Seibrich: Otto von Ziegenhain, S. 809. 160 Vgl. O. Engels: Der Reichsbischof, S. 44.
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tet nach einem ritterlichen Ideal, ist ungemein hilfreich für die landesherrliche Aufgabe zu Schutz und Schirm.
10. Zusammenfassung Die in diesem Kapitel behandelten Fallbeispiele konnten zeigen, dass die mittelalterlichen Chroniken einen Zusammenhang zwischen der Aufnahme und Verkörperung des Bischofsamtes und der Selbstbildung der bischöflichen Akteure ansprechen. Wird die Subjektwerdung in der Praxistheorie als Prozess definiert, der »durch übende Teilnahme an sozialen Praktiken, Beobachtung und Arbeit an sich selbst, um Routinen einzuüben, Gebrauchswissen zu erlangen und ein Verständnis für die Mithandelnden und die Dingwelt zu gewinnen und so den jeweiligen feldspezifischen Kriterien zu entsprechen«161 , gekennzeichnet ist, so lässt sich ein solcher Subjektivierungsprozess auch aus den Lebensbeschreibungen Erzbischof Friedrichs, Balduins von Luxemburg und Ottos von Ziegenhain herauslesen. Denn ganz konkret schreiben die Chronisten ihren Protagonisten das ›Bischof-Sein‹ nicht ›auf den Leib‹. Damit zeigt dieses Kapitel, dass die Konzepte einer, auf die Subjekte der Moderne ausgerichteten Theorie sozialer Praktiken auch im Mittelalter ihre Anknüpfungspunkte haben: Die mittelalterlichen Chronisten berichten von der übenden Teilhabe ihrer Protagonisten in sozialen Praktiken, von Praktiken zur Anerkennung und von Ein- und Anpassung. Für die mediävistische Forschung hat die hier erprobte praxeologische Analyseoptik den Blick für bestimmte Praktiken der Subjektwerdung geschärft. Auf diese Weise konnte identifiziert werden, dass zur bischöflichen Selbstwerdung im mittelalterlichen Kontext durchaus eine Arbeit an sich selbst gehörte. Die explizite Ausweisung durch Experten, wie es Heinrich Tacke bei Erzbischof Friedrich von Beichlingen tat oder auch die Einflussnahme des Kartäuserordens in Erzbischof Balduins und Ottos Lebensführung, ist nur eine Möglichkeit dieser Selbstarbeit. Verbunden mit dieser Thematik ist auf chronikalischer Ebene die Verhandlung von Herrschaftskompetenz. Aus
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Vgl. Freist, Dagmar: »Ich will dir selbst ein Bild von mir entwerfen«. Praktiken der Selbst-Bildung im Spannungsfeld ständischer Normen und gesellschaftlicher Dynamik, in: T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist (Hg.): Selbst-Bildungen, S. 151-174, hier S. 162 unter Berufung auf Hörning, Karl Heinz: Die Macht der Dinge. Die praxistheoretische Perspektive, in: Ders. (Hg.): Experten des Alltags, S. 157-184, hier S. 162.
Formierung in ein bischöfliches Selbst
der Sichtweise der historischen Chronisten arbeitete ein ›guter Bischof‹ des Spätmittelalters demnach täglich an seinem bischöflichen Selbst, praktizierte und übte im täglichen Tun und machte sich somit selbst immer wieder zum Bischof. Dabei spielt die Orientierung an historischen Leitbildern (wie der heilige Bischof Martin von Tours) und zeitgenössischen Denkrichtungen (wie dem Humanismus) ebenso eine Rolle wie die soziale Reproduktion bestimmter und möglicherweise auch persönlich bekannter Vorbilder mit gleichzeitiger Ablehnung von ebensolchen Konkurrenzbildern.
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Erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung
Die Ausübung des mittelalterlichen Bischofsamtes kann in den historischen Quellen als ein Werdungsprozess identifiziert werden. Die Beispiele Friedrich von Beichlingen, Balduin von Luxemburg und Otto von Ziegenhain konnten zeigen, dass das Bischof-Sein verbunden ist mit einer Arbeit an sich selbst. Damit rückte die Analyse insbesondere den Eigenanteil in der bischöflichen Subjektwerdung in den Fokus. Es ist eine Grundannahme der Praxistheorien, dass die Akteure in ihrer Subjektwerdung »nicht losgelöst von ihren Verbindungen und Verknüpfungen zu anderen Akteuren gedacht werden«1 können. Im Sinne eines praxistheoretischen Analyseansatzes heißt das für den mittelalterlichen Bischof, dass er sich in seinen alltäglichen sozialen Interaktionen immer wieder neu als Herrschaftssubjekt erkennbar machen und sich immer wieder neu (selbst) aushandeln muss.2 Für einen (Erz-)Bischof des Mittelalters ist dies insofern interessant, da er sich aufgrund des vielschichtigen Profils seines Amtes mit teilweise sehr unterschiedlichen und kontroversen Herrschaftsfeldern und aufgaben konfrontiert sieht, was Kapitel 2 dieser Arbeit bereits deutlich gemacht hat. In jedem dieser Felder muss er sich als bischöfliches Herrschersubjekt anerkennbar machen, sich im sozialen Gefüge aushandeln und posi-
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Moldenhauer, Benjamin: Die Einverleibung der Gesellschaft. Der Körper in der Soziologie Pierre Bourdieus, Köln 2010, S. 18. T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist/: Einleitung, S. 18: »Sie bilden und schaffen sich als Subjekte, indem sie sich in den ›Spielzügen‹ diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken für andere wie für sich selbst intelligibel machen und als ›mitspielfähig‹ zeigen, d.h. indem sie eine erkennbare und bestimmten normativen Forderungen entsprechende, anerkennbare Form annehmen, die in ihren Bewegungen, Haltungen, Mimiken, Gesten und ›Auftritten‹ zum Ausdruck kommt.«
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tionieren, um ein adäquater Mitspieler zu sein.3 Dazu gehört auch eine Auseinandersetzung mit bereits bestehenden (Herrschafts-)Konzepten, die von ihm übernommen, kritisiert oder umgeformt werden. Diese Verwicklung verweist auf die eigene Teilhabe und das eigene Tun der Akteure in den Spielräumen sozialer Praktiken, in denen sie sich zu anerkennbaren und mitspielfähigen Subjekten formen. Es stellt sich die Frage, inwieweit die mittelalterlichen Quellen Formen von Selbstbildung enthalten, die auf eine spezifische Aushandlung des bischöflichen Herrschaftssubjekts in sozialen Interaktionen schließen lassen. Daher gilt es im Folgenden, die Bistums- und Stadtgeschichtsschreibung mit Blick auf erzählerische Momente zu analysieren, die von einer Anerkennung als Mitspieler in sozialen Feldern berichten, von einer Aushandlung als bischöflicher Akteur und damit verbunden einer sozialen Positionierung. Finden sich solche Momente, lautet die Anschlussfrage: Wie und auf welche Art und Weise gelingt dem mittelalterlichen Bischof seine Anerkennung und Aushandlung als Herrschaftsträger? Diese Perspektive hat zur Folge, dass ausschließlich einzelne Schlaglichter und Fallbeispiele aufgegriffen werden, die eine praxeologische Analyse bischöflicher Subjektaushandlung erlauben. Dieser Umstand wiederum hat seine Auswirkungen auf die Systematisierung des Kapitels, die sich als äußerst schwierig erwies. Alle Fallbeispiele stehen im Kontext von Regierungstätigkeiten und berühren unterschiedliche Handlungsfelder und -akteure. Neben Kaiser und Papst, die in ihrer Exklusivität die Felder der Hochpolitik und Hochkirche markieren, sind es insbesondere der Stiftsadel, die Geistlichkeit und die Städte, die als alltägliche Handlungspartner der (Erz)Bischöfe agieren. Alle drei Akteure versinnbildlichen soziale Handlungsfelder, die jedoch nicht trennscharf voneinander gedacht werden können. Beispielsweise finden sich Vertreter des Stiftsadels im Feld der Geistlichkeit ebenso wie einige Geistliche ihre besondere Verbundenheit zur Stadt haben können. Die Struktur des Kapitels orientiert sich an den sozialen Handlungsfeldern, in denen die Fallbeispiele primär zu verorten sind. Der Begriff »Handlungsfeld« schließt sich dem von Bourdieu entwickelten Konzept der sozialen Felder an. Wie Andreas Reckwitz vorschlägt, soll in dieser Arbeit »[a]us heuristischen Gründen […] der Begriff des sozialen Feldes zunächst möglichst of3
Selbst-Aushandlung ist ein zentraler Schlüsselbegriff der Praxeologie und meint im ganz wörtlichen Sinne die Aushandlung des eigenen Subjektstatus in sozialen Interaktionen. Dazu auch D. Freist: »Ich will dir selbst ein Bild von mir entwerfen«, S. 158.
Erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung
fen anwendbar sein und etwa nicht von vornherein mit ›Funktionssystemen‹ gleichgesetzt werden.«4
11. Fallbeispiele im Kontext der Landesherrschaft 11.1 Regierungsstile Der Lebensbericht des Merseburger Bischofs Thilo von Trotha (1466-1514) bot seinem Biografen Anlass zur Erstellung eines zeitgenössischen Bischofprofils. »Virtus«5 , so schreibt der Autor, bestehe aus drei Dingen: »Das eine ist, wohl zu durchschauen, was in jeder Sache wahr und richtig ist, was jedem angemessen ist, was die Folge sein wird etc. Das zweite ist, stürmische Gemütsbewegungen zu bändigen, Leidenschaften der Vernunft zu unterwerfen. Das dritte ist, mit denen, die mit uns zusammen leben, mit Mäßigung und Klugheit zu verkehren.«6 Thilo wisse dies alles sehr wohl und bemühe sich sehr, sich an diese Vorgaben zu halten.7 Der Autor dieses Kriterienkatalogs mag Thilos Regierungszeit noch selbst erlebt haben. Allerdings schrieb er zur Zeit und im Auftrag von Thilos Amtsnachfolger Adolf von Anhalt (1514-1526) und ist gerade in Thilos Lebensbeschreibung bemüht, ein Loblied auf seinen Brotherrn zu singen. Otto Rademacher, der Übersetzer der Merseburger Bischofschronik, verortet den
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A. Reckwitz: Subjekt, S. 141. Chronica episcoporum ecclesiae Merseburgensis, hg. von Roger Wilmans (MGH Scriptores X), Hannover 1852, S. 209: »Satis enim perspexit, quod virtus fere in tribus vertitur, quarum una est in prospiciendo, quid in unaquaque re verum sincerumque sit, quid consentaneum cuique, quid consequens etc., alterum cohibere motus animi turbatos appeticionesque obedientes efficere racioni, tercium his quibus congregamur uti moderate et scienter, […]«. (Im Folgenden: MGH SS X). Übersetzung nach Otto Rademacher, in: Die Merseburger Bischofschronik (Teil III: 1341 bis 1431 und Teil IV: 1431 bis 1514), hg. und übers. von Otto Rademacher (Beilage zum Jahresbericht des Merseburger Domgymnasiums), Merseburg 1908, S. 49. Dennoch tadelt der Autor Thilos Umgang mit einem Propst seiner Kirche: MGH SS X, S. 209: »Etsi noster presul singula bene atque optime perspexerit et tanquam vir gravis et prudens quantum potuit ne quis in bona fama lederetur cavit, nemo tamen ex omni parte perfectus, ideoque quo animo quave passione ductus non satis perspectum habetur, quod Iohannem Naustadt huius ecclesie prepositum de quodam crimine suspectum in carcerem deiecit.«
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Autor des Katalogs unter den Kanzleibeamten Bischof Adolfs. Anzunehmen ist jedoch auch die Position eines Kanonikers.8 Da Adolf von Anhalt über den Weg der Koadjutorie den Bischofsstuhl erlangte, schwingt eine Dankbarkeit an Thilo in den Ausführungen mit, der ihm den beruflichen Weg eröffnete. Jedenfalls erlaubt diese Passage, Eigenschaften zu rekonstruieren, die in den Augen des Chronisten ein mittelalterlicher Bischof besitzen sollte. So sollte ein Bischof ein gerechtes Urteilsverständnis entwickeln, indem er auch jegliche Konsequenzen gut durchdacht einkalkuliert. Gerechtigkeit ist eine entscheidende Gabe. Auch ist eine allgemeine Klugheit angebracht. Ebenso wichtig ist die Mäßigung der eigenen Persönlichkeit: Rational statt emotional soll der Bischof sich selbst kontrollieren und disziplinieren, um einerseits seine Urteile nicht zu verfälschen, anderseits sein soziales Umfeld durch unbedachte Handlungen nicht zu verwirren. Zusammengefasst konnte die Regierung eines Bischofs aus mittelalterlicher Sichtweise folglich dann gut funktionieren, wenn Selbstdisziplin und Selbstkontrolle zum Bestandteil eines ›bischöflichen Selbst‹ wurden.9 Diese konkreten Handlungsanweisungen in der Throta’schen Lebensbeschreibung deuten an, welche Funktion die historischen Chronisten mit ihren literarischen Entwürfen verfolgten: Die Darstellung und insbesondere die Bewertung des bischöflichen Lebens- und Regierungsstils sollten den Rezipienten (i.d.R. nachfolgende Bischöfe und Domherren) Vorbild oder Abschreckung für das eigene Regierungsverhalten sein. Aus subjektivierungstheoretischer Sicht liegt hier also durchaus der Schluss nahe, hinter diesen Handlungsanweisungen konkrete narrative Versuche der Einwirkung auf die Selbstbildung der Herrschaftsträger zu sehen. Für die in dieser Arbeit verhandelte Zeit des 13. bis 15. Jahrhunderts wurde eine bischöfliche Regierung vor allem nach ihren Leistungen in der Landespolitik, in der Friedenssicherung und speziell in der Vermehrung und Verwaltung des Territoriums beurteilt.10 Die historischen Biografen erschufen in ihren Werken daher das Bild eines Bischofs, der sich nahezu ausschließlich der Burgen-, Finanz- und Lehnspolitik widmete. Mit diesen Feldern verbunden sind konkrete Aufgaben, wie die Stiftsfinanzen zu konsolidieren, die Herrschaft zu stabilisieren und das landesherrschaftliche Territo-
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Vgl. O. Rademacher, in: Merseburger Bischofschronik, S. 31f. Vgl. dazu H.-W. Goetz: Selbstdisziplin als mittelalterliche Herrschertugend?. Vgl. W. Janssen: Biographien mittelalterlicher Bischöfe und mittelalterliche Bischofsviten, S. 143; Keupp, Jan: Die zwei Schwerter des Bischofs.
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rium zu einer räumlich wie funktional geschlossenen Einheit zu verdichten. Gerade die Finanzlage des Bistums hat in der Bistumsgeschichtsschreibung eine herausragende Bedeutung: »Die Erfüllung bischöflicher Amtspflichten wurde in der Zeit vorwiegend nach ihren finanziellen Ertragsmöglichkeiten beurteilt«11 , schreibt Wilhelm Janssen.12 Ähnlich konstatiert auch Otto Rademacher für die Merseburger Bistumschronik: »Die Geldwirtschaft ist ja in dieser Zeit zu solcher Bedeutung gelangt, daß die Tüchtigkeit eines Bischofs fast nur noch von diesem Gesichtspunkt aus beurteilt wird«13 . Oft fand der Bischof nur eine leere Stiftskasse vor. Die Einnahmen der mensa episcopalis14 reichten in der Regel kaum aus, um die Ausgaben für den Ausbau der Landesherrschaft und finanzielle Forderungen der Kurie – etwa die Servitienzahlungen15 – zu begleichen. Und so hat die finanzielle Situation gerade deshalb eine solche Bedeutung für die Repräsentation eines bischöflichen Herrscherbildes, da sie dem Bischof verdeutlicht, welchen politischen Handlungsspielraum er hat und welchen Kurs seine Regierung fortan nehmen sollte. Aber auch die Sorge um das Territorium war im Interesse der bischöflichen Kritiker. So heißt es etwa zu Bischof Nikolaus Kettelhod (13121331) »Er war von großer Voraussicht im Sammeln, im Besitzen und im Bauen. Güter der Kirche […] erwarb er zurück, Äcker bebaute er aufs Neue, das Schloß
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W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 202. Erinnert sei an den Schlusssatz aus der Vita Ottos von Ziegenhain: »Er hinterließ ein Erzbistum, das mit allem reich ausgestattet war, und wohlversorgten Küchen in den Burgen und fast allen Höfen«, Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 22. O. Rademacher, in: Merseburger Bischofschronik, S. 6. Die Merseburger Chronisten untermauerten die finanziellen Angaben sogar mit Rechnungsbüchern und Urkunden. Dazu W. Janssen: Die mensa episcopalis der Kölner Erzbischöfe im Spätmittelalter. Vgl. Meyer, Andreas: Bischofswahl und päpstliche Provision nach dem Wiener Konkordat, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und für Kirchengeschichte 87 (1992), S. 124-135; Hoberg, Heinrich: Der Anteil Deutschlands an den Servitienzahlungen am Vorabend der Glaubensspaltung, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und für Kirchengeschichte 74 (1979), S. 178-185; Ders. (Hg.): Die Einnahmen der Apostolischen Kammer unter Innozenz VI., 2. Teil: Die Servitienquittungen des päpstlichen Kamerars, Paderborn 1972; Ders.: Die Servitienlasten der Bistümer im 14. Jahrhundert, in: Quellen und Forschungen aus italienischen Archiven und Bibliotheken (1944), S. 101-135.
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Rothenburg erneuerte er von Grund auf und setzte einen Turm darauf und umgab es mit einer Mauer.«16 Die Passage betont die Bedeutung des Erwerbs von Besitzrechten, d.h. von Grund und Boden sowie die Bewirtschaftung des Landes, und umschreibt treffend, welche Aspekte mittelalterliche Burgenpolitik beinhaltet: der planmäßige An- bzw. Rückkauf und Neubau von Burgen, die aufgrund einer strategisch günstigen Lage das Bistumsgebiet abrunden und das Einzugsgebiet militärisch schützten. Die Burg als Herrschaftszentrum also war ein entscheidendes Instrumentarium der bischöflichen Lehnspolitik.17 So konnte der Bischof eine Burg entweder einem Vasallen als Lehen übergeben und ihn um Schutz und Schirm in Zeiten der Not bitten. Er konnte jedoch auch im Zuge einer systematischen Bistumsverwaltung ausgewählte Amtmänner einsetzen, die in seinem Namen Recht sprachen und die finanziellen Einkünfte des Einzugsgebiets überwachten.18 Eine solch systematische Organisation der Bis-
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Übersetzung nach Thomas Vogtherr in: Chronicon episcoporum Verdensium (Rezension 1), S. 115; S. 114: »Iste fuit providencie magne in congregando, in possidendo, in edificando.« Siehe Fehrenbach, Bernd: Die Burgenpolitik der Landgrafen von Hessen im Spätmittelalter (1263-1413), (Schriften des Hessischen Landesamtes für Geschichtliche Landeskunde), Marburg 2012. Zu bischöflicher Burgenpolitik siehe z.B. I. Scholz: Erzbischof Balduin von Luxemburg (1307-1354) als Bauherr von Landesburgen im Erzstift Trier; Metz, Bernhard: Die Burgen der Bischöfe von Straßburg, in: Burgen im Breisgau. Aspekte von Burg und Herrschaft im überregionalen Vergleich, 1997, S. 201-221; Bodsch, Ingrid: Burg und Herrschaft: zur Territorial- und Burgenpolitik der Erzbischöfe von Trier im Hochmittelalter bis zum Tod Dieters von Nassau (gest. 1307) (Veröffentlichungen der Landeskundlichen Arbeitsgemeinschaft im Regierungsbezirk Koblenz), Boppard am Rhein 1989; W.-R. Berns: Burgenpolitik und Herrschaft des Erzbischofs Balduin von Trier (1307-1354); Ders.: Personelles Element und Herrschaft im 14. Jahrhundert: Betrachtungen zur Lehnspolitik des Erzbischofs Balduin von Trier (1307-1354), in: Ludat, Herbert/Schwinges, Rainer Christoph (Hg.): Politik, Gesellschaft, Geschichtsschreibung: Gießener Festgabe für František Graus zum 60. Geburtstag, Köln 1982, S. 183-223; Dopsch, Heinz: Burgenbau und Burgenpolitik des Erzstifts Salzburg im Mittelalter, in: Patze, Hans: Die Burgen im deutschen Sprachraum: ihre rechts- und verfassungsgeschichtliche Bedeutung II (Vorträge und Forschungen 19), Sigmaringen 1976, S. 387-417. Dazu insbesondere W.-R. Berns: Burgenpolitik und Herrschaft des Erzbischofs Balduin von Trier.
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tumsverwaltung erfolgte im Reich seit dem 13. Jahrhundert.19 Um ein bis dato »unkontrolliertes Versickern der Einnahmen«20 zu verhindern, wurden die Territorien in nahezu moderner Weise in Amtsbezirke mit Finanzverwaltung eingeteilt. Unumstritten ist, dass die Burgenpolitik, die gleichzeitig immer auch Finanz- und Lehnspolitik war, einen hohen Stellenwert innerhalb der bischöflichen Regierungspraxis hatte. Sie war der Schauplatz für Fehden und Machtkämpfe, Belagerungen und listenreiche Eroberungen, kluge Verhandlungen und friedenssichernde Verbindungen. In der Bistumsgeschichtsschreibung dient die Verarbeitung von Burgenkauf, -verpfändung, -neubau und -kampf als narratives Mittel zur Veranschaulichung der bischöflichen Leistungsbilanz. Doch eine erzählerische Ausgestaltung zum Themenfeld der Regierung eines Stifts, die das Potenzial zu einer praxeologischen Analyse bietet, findet vor allem dann statt, wenn der Bischof sich zu Beginn seiner Regierung mit einem zum Teil bankrotten und heruntergewirtschafteten Hochstift konfrontiert sieht. Mit ihren Ausführungen zu den daraufhin einsetzenden Regierungshandlungen versuchten die historischen Autoren narrativ auf die Selbstbildung der apostolischen Nachfolger einzuwirken und ihnen mit den Tatenberichten eine (politische) Orientierung für die eigene Regierungsführung zu bieten, zumal auch fehlerhaftes Verhalten oder gar Scheitern einiger Kirchenfürsten nicht unerwähnt bleibt.21 Wenngleich diese ›Empfehlungen‹ nicht bindend waren, liefern die Erzählentwürfe im Interdiskurs der Bischofschroniken immerhin Modelle bischöflicher Machtausübung, vorzugsweise im Handlungsfeld der Wirtschafts- und Personalpolitik. Daher soll im Folgenden zunächst aufgezeigt werden, welche bischöflichen Regierungshandlungen und Verhaltensweisen von den Chronisten als erwähnenswert erachtet wurden und welche zeitgenössischen Bischofsbilder damit repräsentiert wurden. Anschließend stellt sich die Frage, welche Rückschlüsse diese literarisch gezeichneten Bilder auf das Thema Selbstbildungen zulassen.
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Vgl. J. Mötsch: Die Balduineen. Für das Beispiel Verden siehe Vogtherr, Thomas: Iso von Wölpe, Bischof von Verden (1205-1231): Reichsfürst, Bischof, Adeliger; eine Biographie, Stade 2008. W. Janssen: Der Bischof, Reichsfürst und Landesherr, S. 202. Vgl. MGH SS X, S. 167: »Hunc in laudandis digna laude prosequar, execranda vero pro posse exscrabor«, heißt es gleich zu Beginn der Chronik zu Bischof Giseler (971-981).
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Ein Thema der literarischen Erzählentwürfe in der Merseburger Bischofschronik ist die Orientierung der Protagonisten an bestimmten Verhaltenspraktiken und Instanzen. So heißt es beispielsweise über Bischof Heinrich von Stollberg (1341-1357)22 : »Igitur postquam dictus pius pater noster Heinricus munere confirmacionis decorari meruisset ac ecclesiam nostram sponsam suam, ut pretermittitur, desolatam et destitutam conspexisset, tacite cogitare cepit, qualiter eam et familiam sibi commissam rite gubernaret ac in debitis et obligacionibus, quibus diversimode et multipliciter gravabatur, restauraret et reformaret«23 . Nachdem Heinrich also zu der Überzeugung gelangt war, dass sein Bistum sich in einem desolaten Zustand befand, zog er sich in die Stille zurück, um abzuwägen, wie er die ihm anvertraute Kirche und seine Untertanen richtig regieren sollte. Der Rückzug in die Kontemplation als eine konkrete Handlungsstrategie, die dem mönchischen Kontext entstammt, ermöglichte ihm die Erkenntnis der nächsten Schritte, aber auch seines gesamten Regierungsstils.24 Heinrich sucht allein nach Lösungen und erstellt, angetrieben von seinem Wunsch, die finanzielle Situation des Bistums zu stabilisieren, einen konkreten Regierungsplan. Die Plandurchführung folgt prompt: »Paulatim et successive cepit castra predia possessiones et redditus nostre ecclesie utcunque potuit recuperare et reducere, obligata liberare, et debita plura persolvere«25 . Mit einer ›Politik der kleinen Schritte‹ machte sich der Stolberger daran, diszipliniert und kontrolliert nach und nach seine Pläne umzusetzen und die Finanzlage des Bistums zu verbessern.26 Generell war diese nicht sonderlich gut, zählte das Merseburger Bistum doch zu einem der kleinsten und ärmsten Bistümer des Reiches.27 Das landesherrliche Territorium Merseburgs bestand noch bis ins 13. Jahrhundert hinein überwiegend aus Streubesitz. Erst mit Bischof Ekkehardt (1216-1240) 22 23 24 25 26 27
Zu Heinrich siehe Lücke, Monika: Heinrich, Graf von Stolberg (um 1275-1357), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 433. MGH SS X, S. 197. Vgl. auch H.-W. Goetz: Selbstdisziplin als mittelalterliche Herrschertugend?, sowie die Ausführungen in Kapitel 3 dieser Arbeit. MGH SS X, S. 197. Die überlieferten Urkunden Heinrichs belegen sein Bemühen um die finanzielle Konsolidierung so M. Lücke: Heinrich, Graf von Stolberg, S. 433. Brodkorb, Clemens: Bistum Merseburg (ecclesia Merseburgensis, Kirchenprovinz Magdeburg), in: Gatz, Erwin (Hg.): Die Bistümer des Heiligen Römischen Reiches von den Anfängen bis zur Säkularisation, Freiburg i.Br. 2003, S. 437-448, hier S. 439.
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ließ sich das bischöfliche Herrschaftsgebiet nach und nach zu einer geschlossenen Einheit verdichten und es konnten bischöfliche Ämter in Merseburg, Lützen, Lauchstädt und Schkeuditz errichtet werden.28 Die finanzielle Situation des Stifts konnte dadurch insoweit verbessert werden, dass unter Bischof Friedrich von Torgau (1265/66-1282) zahlreiche Neuzugänge, Rechte und Gerichtsbarkeiten erworben werden konnten.29 Doch als Heinrich von Stolberg 1341 zum neuen Merseburger Bischof ernannt wurde, fand er ein Bistum vor, das durch aufwendige und kostspielige Fehdeführungen in finanzielle Notlage geraten war. Diesen Zustand herbeigeführt hatte sein Vorgänger Gebhard von Schraplau30 (1320/21-1341), der dem Stift zwar durch die Fehden mit den Knutonen 1321/1322 die Schlösser Teuditz und Knauthain einbrachte, die Finanzen aber durch einen persönlichen Feldzug stark belastet hatte.31 Angetrieben durch persönliche Rachemotive führte er gegen die Stadt Magdeburg Krieg, um Vergeltung für seinen ermordeten Bruder und Magdeburger Erzbischof Burchard von Schraplau (1307-1325) einzufordern.32 Die Sorge um die Stiftskasse ließ Gebhard dabei völlig außer Acht, weshalb Heinrich eben fortan bemüht war, die »durch Schulden und Verpfändungen bischöflicher Rechte zerrütteten Finanzen des Hochstifts«33 wieder zu verbessern. Heinrichs Geduld erscheint in diesem Zusammenhang als eine wichtige Tugend. Verfolgte er auch ein langfristiges Ziel, so orientierte er sich doch am Moment: Jede Gelegenheit, die sich zur Verbesserung der finanziellen Situation ergab, wurde von ihm genutzt, so dass er die Finanzlage Merseburgs dadurch deutlich heben konnte.34 Eine Stabilisierung jedoch sollte erst unter seinem 28 29 30 31
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Ebd. S. 441. Ebd. S. 442. Vgl. Lücke, Monika: Gebhard von Schraplau, in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 432-433. C. Brodkorb: Bistum Merseburg, S. 442. »Von Gebhard sind etwa 100 Urkunden überliefert, die seine Sorge um die geistlichen Belange seiner Diözese belegen.« (Ebd.) Chronikalisch wird Gebhard eigentlich als guter und bemühter Bischof beurteilt. MGH SS X, S. 196: »Et in tantum amabatur, quod usque in finem vite sue in tranquilitate permansit et pace. Tandem cum tam quiete et pacifice ac honorifice suam rexisset ecclesiam 24 annis, mensibus 5, sacramentis cum magna devocione perceptis et rebus suis dispositis quievit in Domino.« Vgl. MGH SS X, S. 197. M. Lücke: Heinrich, Graf von Stolberg, S. 433. Vgl. Merseburger Bischofschronik, S. 9: »Die Schlösser Liebenau kaufte er für 1750 Schock sogenannter Zahlgroschen und für 200 Mark Silber von dem Brüderpaar […] und erwarb sie so, jedoch unter Vorbehalts des Rückkaufs.« S. 9/10: »Schkopau aber gewann er unserer Kirche als ein Pfand für 1300 Mark Silbers, die er darauf lieh, von
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Nachfolger Friedrich von Hoym (1357-1382) gelingen.35 Auffallend ist, dass Bischof Heinrich im literarischen Erzählentwurf – der mit einigem zeitlichen Abstand zu seiner Regierungszeit verfasst wurde36 – bei seinen Entscheidungen allein bleibt.37 Er bevorzugt nicht die Unterstützung durch Berater, er holt nicht die Zustimmung der Domherren ein und eine wie auch immer geartete Beziehung zur Stiftsgesellschaft wird in seiner Lebensbeschreibung mit keinem Wort erwähnt. Dieser Umstand erhält seine Brisanz, blickt man auf die Chronikberichte seiner unmittelbaren Vorgänger Heinrich von Pach (genannt Kindt; 1301-1319) und Gebhard von Schraplau, mit denen Heinrichs Chronist ihn immer wieder vergleicht. Es ist eine Besonderheit der Merseburger Bischofschronik, dass ihre Erstellung nicht kleinschrittig, d.h. Vita für Vita, sondern in vier Abschnitten erfolgte.38 Jeder Abschnitt geht auf einen alleinigen Verfasser zurück, der dem klerikalen Feld, insbesondere dem Domkapitel, zuzuschreiben ist und sich in seinen Erzählungen teils auf eigene Erfahrungen, teils auf mündliche Überlieferungen stützt.39 Der Verfasser der Vita Heinrichs hat sich seine Kenntnisse zu den Amtsvorgänger daher angelesen bzw. erzählen lassen, wie er selbst betont40 : »Der glaubwürdige Bericht unserer Greise bekundet, daß infolge des schlechten Regiments, der Kriege und Streitigkeiten unter seinen beiden
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dem Erzbischof Otto und dem Magdeburger Kapitel, welche noch verpfändet sind bis auf den heutigen Tag und das heutige Jahr 1427.« S. 10: »Um den Gottesdienst und die Ausschmückung unserer Kirche soll er sich sorgsam gekümmert haben.« Vgl. auch M. Lücke: Heinrich, Graf von Stolberg, S. 433. Vgl. C. Brodkorb: Bistum Merseburg, S. 442. Es ist davon auszugehen, dass die Chronik Heinrichs von Stolberg um 1431 angefertigt wurde. Sie entstammt dem 3. Teil der Merseburger Chronik. Dazu O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 4. Ob dies auch tatsächlich so war, lässt sich nicht überprüfen. Nämlich in den Jahren 1136; 1136-1341; 1341-1431; 1431-1514. Nur bei Bischof Gebhard von Schraplau (1320-1341) liegt eine Einzelvita vor, so M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 232. So M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 232. Zum Anliegen des Chronisten siehe in der Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 8: »[…] und habe mit außerordentlicher Sorgfalt niedergeschrieben, was ich von den älteren Präbendeninhabern und Personen unserer Kirche erfahren konnte. Schließlich werde ich auch zu den Dingen kommen, wovon ich Augenzeuge war.« Auf S. 7 heißt es vorher: »[…] besonders weil die Weisheit und die würdigen und verdienstvollen Taten früherer Bischöfe den Nachkommen als Beispiel dienen und zu ähnlichen Leistungen anregen sollen, […]«.
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unmittelbaren Vorgängern, Heinrich Kindt und Gebhard von Schraplau, unsere Merseburger Kirche […] von Schulden erdrückt war und derartig in Not kam, daß beinahe alle bischöflichen Rechte an Gütern, festen Plätzen, Besitzungen und Einkünften verpfändet und auf verschiedene Weise als Pfand gegeben waren.«41 Diese Information nutzt der Chronist zu einer gekonnten Differenzmarkierung in Bezug auf die Regierungskompetenz Heinrichs. Den Grund der vorangegangenen, misslungenen Wirtschaftspolitik sieht der Chronist in einer zu starken Orientierung der Kirchenfürsten an externen Instanzen. Insbesondere die Einflüsse der eigenen Verwandten beeinträchtigten aus seiner Sicht in einem hohen Maß die Regierungskompetenz der Bischöfe. Der genannte Heinrich von Pach42 etwa übertrug die weltlichen Regierungsgeschäfte seinem Onkel Heinrich von Harras, der »nach Art eines hungrigen Hundes«43 Klerus und Laien finanziell ausplünderte und wichtige Stiftsburgen verpfändete. So heißt es in der Chronik: »[E]t omnes municiones plenas omnibus necessariis tam ad victum quam eciam ad defensionem similiter invenisset, ipse epsicopus quendam suum avunculum dictum Heinricum de Harraz tunc inopem et egentem sibi assumpsit et de toto suo dominio potentem fecit. Qui more esurientis canis et saturari cupientis statim omnes tam clericos quam monachos et laicos ecclesie sue sine misericordia depactavit, et postea castrum Harborg pro 800 marcis eodem Heinrico epsicopo sciente et consentiente obligavit. Pecunia eciam et clenodiis ut supra dictum est miserabiliter distractis«44 .
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Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 8/9. MGH SS X, S. 197: »Hoc itaque seniorum nostrorum testatur auctoritas, quia ex malo regimine gwerris ac litigiisduorum suorum immediate predecessorum, videlicet Heinrici Kindt et Gevehardi de Schrapelow, ut ex chronicis et gestis eorum superius descriptis claret evidenter, ecclesia nostra Merseburgensis ad tantam gravata debitis devenit inopiam, quod fere omnia iura episcopalia in prediis castris possessionibus et redditibus erant obligata et loco pignoris diversimode exposita.« Zu Heinrich siehe Lücke, Monika: Heinrich von Pach (Kindt) (†1319), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 432. Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 32. MGH SS X, S. 194.
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Die drastische Sprache des Chronisten verdeutlicht seine Haltung: Heinrich von Harras war nicht tragbar.45 Schlimmer wog allerdings, dass Bischof Heinrich von Pach von dessen Schreckenstaten unterrichtet war und ihnen seine Zustimmung gab.46 So erweist sich der Bischof durch seine Orientierung an der eigenen Sippe als ungeeigneter Herrschaftsträger. Zwar lässt sich aus heutiger Sicht die Misswirtschaft des Merseburger Bischofs nicht belegen.47 Der Magdeburger Metropolit Burchard von Schraplau (1307-1325) sah sich allerdings gezwungen, Heinrich die Regierungsgewalt zu entziehen.48 Eine Generation später wird auch Bischof Heinrich, Schutzmeister von Orlamünde49 (1393/94-1403), den aus Chronistensicht schwerwiegenden Fehler begehen und sich in seiner Regierungsweise allzu sehr am Rat seiner Verwandten orientieren. Sein Chronist schreibt: »In octavo anno secutus consilium fratris sui carnalis peticionem generalem contra consensum capituli vasallorum et civitatis a territorio suo recipere voluit, de quo inter eum ex una, capitulum et vasallos ex altera parte grandis surrexit discordia.«50 Mit einer solchen Regierungshaltung wird insbesondere das Domkapitel als Mitteilhaber der Herrschaft von den Regierungsgeschäften ausgeklammert,
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Harras Schreckensherrschaft war wohl 1305 vorbei. Anmerkung von O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 32. Auch bewogen die Taten seines Onkels den Bischof zu ›Geheimaktionen‹, MGH SS X, S. 194/195: »[…], secrete commiserat eciam castra Schudicz domino Borchardo de Mansfeld, qui nullas werras vel expensas fecit ex parte ecclesie, […]«. Als Heinrich von Harras von Landgraf Thetzemann gefangen genommen wurde, löste Bischof Heinrich ihn unter Verpfändung der Burg Werben ohne Wissen des Kapitels und der Stiftsvasallen aus, MGH SS X, S. 195: »Postmodum pro redemcione ipsius Heinrici dedit episcopus castrum Werben quod obligatum fuit ecclesie Merseburgensi pro 500 marcis, et ita alienavit castrum sine scitu capituli et vasallorum ecclesie.« Gleichwohl: »Belegen lässt sich die ihm vorgeworfenen Mißwirtschaft nicht«, so M. Lücke: Heinrich von Pach, S. 432. Vgl. MGH SS X, S. 195: »Post hec commisit omnes municiones ecclesie Merseburgensis domino Borchardo archiepiscopo Mgdeburgensi, qui cum eas per aliquod tempus habuisset vocavit dictum Heinricum episcopum Mgdeburm ad manendum. Qui cum libenter rediisset, non fuit permissus, sed ibidem periit quasi fame ut pluries dixit, et in ecclesia sancti Sebastiani martyris in Magdeburg est sepultus.« Vgl. Lücke, Monika: Heinrich, Schutzmeister von Orlamünde (†1404), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 435-436. MGH SS X, S. 202.
Erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung
es wird aber auch gegen das Konsensrecht der Vasallen und der Stadt bei Steuererhebungen verstoßen. Ob es im Inneren von Bischof Heinrich eine Spannung zwischen der erwarteten Orientierung am Domkapitel einerseits und einer Orientierung an familiären Ansprüchen anderseits gegeben hat, kann nicht gesagt werden. Doch sowohl Heinrich von Orlamünde als auch Heinrich von Pach folgten mit dieser Praktik dem Konzept des Vertrauens51 . Die eigene Familie als Instanz zu Schutz und Hilfe bot subjektiv gesehen ein Gefühl von Sicherheit.52 Beide Bischöfen hatten möglicherweise guten Grund, ihre Prioritäten auf die eigene Verwandtschaft zu setzen. Es bestand jedoch die Gefahr, dass die Fähigkeit zu eigenen Überlegungen und Handeln dadurch unausgereift blieb. Heinrich von Pach und Heinrich von Orlamünde, so die Darstellung, scheinen die Herrschaftsverantwortung lieber in fremde Hände geben zu wollen, als selbst einen konkreten Regierungsplan aufzustellen. Bischof Gebhard erweist sich in seiner literarischen Auszeichnung zwar durchaus geeignet und um die Bistumskonsolidierung bemüht, doch mit seinem
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Zum Begriff des Vertrauens siehe Luhmann, Niklas: Vertrauen. Ein Mechanismus der Reduktion sozialer Komplexität, Stuttgart 4 2000. Zum Begriff in der Mediävistik siehe Frevert, Ute: Vertrauen. Historische Annäherungen an eine Gefühlshaltung, in: C. Benthien/A. Fleig/I. Kaste (Hg.): Emotionalität, S. 178-197; Dies.: Vertrauen in historischer Perspektive, in: Schmalz-Bruns, Rainer/Zintl, Reinhard (Hg.): Politisches Vertrauen. Soziale Grundlagen reflexiver Kooperation, Baden-Baden 2002, S. 39-59; Weltecke, Dorothea: Gab es »Vertrauen« im Mittelalter?: Methodische Überlegungen, in: Frevert, Ute (Hg.): Vertrauen: historische Annäherungen, Göttingen 2003, S. 67-89; Garnier, Claudia: Freundschaft und Vertrauen in der politischen Kommunikation des Spätmittelalters, in: Appuhn-Radtke, Sibylle/Wipfler, Esther P. (Hg.): Freundschaft. Motive und Bedeutungen, München 2006, S. 117-136; Dies.: Wie vertraut man seinem Feind? Vertrauensbildung und Konsensfindung der rheinischen Kurfürsten um 1400, in: Frühmittelalterliche Studien 39 (2005), S. 271-291; Brandt, Rüdiger: Medien, Vertrauen, Symbole. Perspektiven in Mittelalter und Früher Neuzeit, in: Frühmittelalterliche Studien 39 (2005), S. 293-314; Eickels, Klaus van: Verwandtschaftliche Bindungen, Liebe zwischen Mann und Frau, Lehenstreue und Kriegerfreundschaft: Unterschiedliche Erscheinungsformen ein und desselben Begriffs?, in: Schmidt, Johannes F. K. (Hg.): Freundschaft und Verwandtschaft. Zur Unterscheidung und Verflechtung zweier Beziehungssysteme, Konstanz 2007, S. 157-164. Vgl. Seidel, Kerstin: Freunde und Verwandte. Soziale Beziehungen in der spätmittelalterlichen Stadt, Frankfurt-New York 2009, S. 275. Und auch Rüegg, Walter: Christliche Brüderlichkeit und humanistische Freundschaft, in: Ders./Wuttke, Dieter (Hg.): Ethik im Humanismus, Boppard 1979, S. 9-30.
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militärischen Vergeltungsakt verliert er, wenngleich die Motivation durchaus ehrbar anmutet, das Bistumswohl aus dem Blick.53 Eine zu sehr verwandtschaftsorientierte Regierungsführung muss also von den Chronisten negativ ausgedeutet werden. Die Übergehung des Domkapitels – dem die Chronisten aller Wahrscheinlichkeit nach selber angehören – fügt dem Bistum Schaden zu. Eine solche Art der Regierung kann nicht das Vorbild sein. Umso spannender erweist sich der bewusst gewählte Rückzug Heinrichs von Stolberg in Stille und Einsamkeit: Zwar erfährt der Leser auch hier nichts von einer konsensualen Regierungsführung, trotzdem wird Heinrich uneingeschränkt als herrschaftliches Oberhaupt mit Verantwortungsbewusstsein präsentiert. Noch in der Biografie seines Nachfolgers Friedrich von Hoym wird Bischof Heinrich – der Chronist ist allerdings derselbe – narrativ aufgegriffen: »Post discessum itaque recolende memorie domini Heinrici de Stalberg episcopi, qui ecclesiam nostram ad ultimum destructam quasi de nichilo aliquid faciendo quanta diligencia potuit reformavit«54 . Erneut fallen Heinrichs Disziplin, Energie, Fleiß und Zielstrebigkeit erzählerisch in den Blick. Mit der Betonung des Chronisten, Heinrich habe »gleichsam aus dem Nichts etwas zu schaffen«55 gewusst, als er sein Bistum finanziell bankrott vorfand, wird sein persönlicher Kompetenzkatalog um Fähigkeiten der Neuschöpfung unter schwierigen Umständen, um Kreativität, erweitert. Mit Heinrich von Stolberg zeichnet sein Chronist ein kulturelles Bischofs-Modell, das sich insbesondere aus zielstrebiger Planung und Geduld zusammensetzt. Welche Gefahr sich hinter einem Regierungsstil, der die Mitteilhaber der Herrschaft ausklammert und darüber hinaus noch seine Anerkennung als bischöflicher Herrschaftsträger im – aus Chronisten Sicht – falschen Feld
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Am Ende seines Lebens erblindet Gebhard. Insgesamt fällt sein Urteil positiv aus, denn auch sein Sterben wird vom Chronisten in einem positiven Licht dargestellt. MGH SS X, S. 196: »Postmodum Deo volente tempore procedente perdidit visum amborum oculorum, quo non obstante per plures annos in tali cecitate positus propter suam animositatem tamen ab omnibus timebatur, et propter munificenciam et largam dapsilitatem et bonam conversacionem quibuslibet presentibus et al.iis nobilibus cuilibet in suo statu benigne converabatur. Et in tantum amabatur, quod usque in finem vite sue in tranquilitate permansit et pace. Tandem cum tam quiete et pacifice ac honorifice suam rexisset ecclesiam 24 annis, mensibus 5, sacramentis cum magna devocione perceptis et rebus suis dispositis quievit in Domino.« MGH SS X, S. 198. Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 11.
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sucht, dokumentiert die Lebensbeschreibung des Bischofs Nikolaus Lubich (1411-1431)56 . Kurz nach seinem Tod schreibt sein Chronist: »Im Anfange seiner Regierung verhandelte er ohne Beirat der Kanoniker und Vasallen der Kirche mit den Bürgern von Leipzig, welche mit ihm über den in Lützen zu zahlenden Zoll stritten, und zwar in Leipzig in Gegenwart des Herrn Friedrich, Markgrafen von Meißen, und hatte keinen Kanoniker oder Vasallen bei sich. Und als die Leipziger zwei Priester vorführten, die aussagten, daß, solange sie lebten, die Leipziger keinen Zoll in Lützen bezahlt hätten, so glaubte er der Aussage dieser Leute, wiewohl sie nicht die Wahrheit sagten, und gab nach. So verlor unsere Kirche den Zoll und konnte ihn wegen der Macht der Markgrafen und Städter bis heute nicht zurückgewinnen und erlitt einen jährlichen Verlust«57 . Nikolaus Lubich war Bürgersohn, dem der Wohlstand seiner Familie eine klerikale Karriere mit Studienaufenthalten in Wien und Prag ermöglichte. Anschließend stand er in Diensten des Mainzer Erzbischofs58 und des Markgrafen von Meißen und Landgraf von Thüringen59 . Zentrum seines Lebens und Fundament seiner Karriere war die päpstliche Kurie. Er war einer der ersten nachweisbaren Prokuratoren und stand immer wieder im Dienste des Papstes. Der Besuch der Konzile war für Nikolaus Pflichtprogramm. Dass mit dieser Lebensführung die Ausbildung von landesherrlichen Fähigkeiten zu kurz kam, erscheint möglich. Jedenfalls deutet sein Chronist an,
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Vgl. Lücke, Monika: Nikolaus Lubich (um 1360-1431), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, S. 437-438; Schmiedel, Hans: Nikolaus Lubich (1360-1431): ein deutscher Kleriker im Zeitalter des großen Schismas und der Konzilien, Bischof von Merseburg 1411-1431, Berlin 1911. Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 29. MGH SS X, S. 204: »In principio tamen regiminis suis sine consilio canonicorum et vasallorum ecclesie nostre cum oppidanis in Liptzck, qui secum super theolonio per ipsos in Lutzen solvendo discordes fuerunt, ibidem in Leyptzck coram domino Friderico marchione Misnensi placitavit, non habens aliquem de canonicis aut vasallis secum. Et cum oppidani in Lyptzck producissent duos presbiteros qui dicerent, quod temporibus eorum Liptzensesnon solvissent theolonium in Lutzen, ipse dictis presbyteris licet revera non verum dixerunt, credit et consensit. Ita ecclesia nostra theolonium perdidit nec hodie propter potenciam marchionum et oppidanorum recuperare potuit, et singulis annis ultra ducentos aut trecentos florenos dampna receipt.« Johann von Nassau-Wiesbaden-Idstein (1397-1419). Balthasar (1336-1406).
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dass Lubichs Interessen eher anderen Feldern gelten als dem der Landesherrschaft. In seiner Chronik heißt es über ihn: »Dieser war ein untadeliger Mann und ohne jede Hinterlist. Aber weil er schon frühzeitig ein großer Hofmann und Sachwalter von Streitigkeiten am päpstlichen Hofe gewesen ist und gewohnt war, sorglos zu leben, so begab er sich im dritten Jahre seiner Ordination persönlich mit einigen Vasallen und Dienern zum Konstanzer Konzil […] und wohnte dort und verbrauchte sehr viel Geld und blieb daselbst gegen den Willen seines Kapitels und der Vasallen fast 3 ganze Jahre. Infolgedessen erlitt seine Kirche sehr großen Schaden.«60 Lubichs Prioritätensetzung stellt damit eine konkrete Bedrohung für das Bistum dar. Der kostspielige Konzilbesuch brachte eine finanzielle Notlage des Bistums mit sich, die eine Verteidigung des Stifts nicht mehr ermöglichte. Diese Situation wurde von Fürst Burghard von Anhalt und Graf Bernhard von Reinstein ausgenutzt, die mit schweren Raubzügen das Stift verwüsteten. Nur durch göttliche Fügung und die Tapferkeit der Bauern, so schreibt der Chronist, konnten die Angreifer zurückgedrängt werden.61 Damit wird ersichtlich, dass Bischof Nikolaus seine Regierung in ihrer Gesamtheit nicht im Blick hat. Im anfänglich zitierten bischöflichen Tugendkatalog des Thilo von Trotha erscheint das Abwägen der Konsequenzen der eigenen Hand-
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Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 26/27. MGH SS X, S. 203/204: »Qui fuit homo pius et sine omni dolo, sed quia a iuventute magnus curtisanus ac procurator causarum in curia Romana extitit et solitus sine cura vivere, in tercio ordinacionis sue anno ad concilium Constanciense quod tum convocatum et indictum fuerat, se personaliter cum certis vasallis et familiaribus suis transtulit, et ibidem residens maximas pecunias consumsit, contra voluntatem capituli sui et vasallorum ad 3 integros annos permansit. Propter quod ecclesia sua ad maxima dampna pervenit.« Die oben zitierte Übersetzung von »sine cura vivere« erscheint diskutierbar. In einem kirchlichen Verständnis könnte es auch bedeuten, dass Lubich es nicht gewohnt war, Seelsorge an seinen Mitmenschen auszuüben, sondern hauptsächlich mit Verwaltungsaufgaben an der römischen Kurie betraut war. Vgl. MGH SS X, S. 204 : »Diffidaverunt namque ecclesiam dominus Bernhardus princeps de Anhalt de Bernburg et Bernhardus comes de Reinstein. Et quia capitanei et familiares, quos in castris suis in absencia sua dimisit, non haberunt unde vasallis ecclesie providerent, quia omnes redditus et ecclesie proventus recepit pro sumptibus suis ad Constanciam, isti de Anhalt et Reinstein sepius maxima dampna in rapinis et incendiis fecerunt ecclesie.«
Erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung
lungen als eine grundlegende Fähigkeit bischöflicher Herrschaftsträger. Die Einsicht von Nikolaus über sein Handeln kommt spät: »Et postquam hoc fuit denunciatum domino Nicolao episcopo, licet prius apud se deliberaverat non reverti ad ecclesiam suam, sed instanter pro aliquo officio in curia Romana laborare et ibi manere, mutato proposito suo exivit de Constancia et reversus fuit ad ecclesiam suam et a capitulo vasallis et civibus ut decuit reverenter susceptus«62 . Wird Bischof Nikolaus auch ehrenvoll und durchaus freudig in Merseburg empfangen, so zieht ihn sein persönliches Interesse immer wieder an die Kurie. Insgesamt erschien Bischof Nikolaus in den Augen des Chronisten zwar als guter Mensch, doch seine Vorstellungen zur bischöflichen Amtsführung in einem Bistum wie Merseburg und damit verbunden seine Selbstsicht als Bischof stellten ein Problem dar: »Nunquam tamen repertum est ab eo quod alicui subditorum suorum in bonis seu rebus vim intulit, quia pius fuit; non habuit defectum, nisi quod se in cura temporali impedire noluit, quia a iuventute assuetus non fuit.«63 Sein jahrzehntelanger Aufenthalt in Rom hatte es nie von ihm verlangt, sich mit praktischen Regierungstätigkeiten zu befassen, und seine Ernennung zum Merseburger Bischof löste in ihm nicht die Notwendigkeit einer Neu-Formierung aus. Nikolaus Lubich orientiert sich nicht an einer systematischen Vorgehensweise in seiner Regierung und er scheint auch keinen Plan für die Regierungsführung gehabt zu haben. Die Folge war eine fehlende Vorratshaltung in den Burgen und Schlössern: »Dimisitque ecclesiam nostram, non obstante pecuniam quam a captivis recepit, usque ad 6000 florenorum in debitis oneratam; nec aliquando provisionem in curia et castris dimisit.«64 Doch auch wenn ein Bischof grundsätzlich eine Bereicherung für das Bistum darstellt, er die Finanzen konsolidiert und den Landesausbau vorantreibt, ist damit nicht automatisch eine positive Beurteilung der Chronisten verbunden. »[Q]ui quante prudencie et providencie quanteque astucie et demencie extiterit, opera distincta in laudandis et exercrandis, ut aliis veniant in exemplum, inferius annotata luculenter declarant«65 , heißt es beispiels-
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Ebd. Ebd. Ebd. MGH SS X, S. 198.
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weise über Bischof Friedrich von Hoym66 (1357-1382), der damit als durchaus klug, vorsichtig und schlau beschrieben wird, doch auch als »töricht«67 (»demencie«), da er aus Sicht des Chronisten auf recht unkonventionelle Weise seine Finanzgeschäfte führte, wie im Folgenden zu zeigen sein wird. Und so ist es die didaktische Absicht des Chronisten, genau zu unterscheiden, was an Bischof Friedrich zu loben und zu tadeln ist, damit er anderen als ein Beispiel diene. Mit Eifer macht sich der einstige Naumburger Domdekan und -scholaster an seine Regierungsgeschäfte: »Et procedente tempore quedam adhuc maioris nostre ecclesie castra predia et possessiones et redditus nondum redemptos et redempta et adhuc distractos et distracta recuperavit et reduxit, obligata liberavit et debita plura persolvit. edificia quoque quam plurima construxit et restauravit.«68 Bischof Friedrich gewann einstige Bistumsgüter zurück, löste Verpfändungen auf, bezahlte Schulden, ließ verfallene Gebäude wiederherrichten und erbaute neue. Außerdem war er in der Lage, den Erzbischöfen von Magdeburg und den Markgrafen von Meißen beachtliche Geldsummen zu leihen.69 Auch fromme Stiftungen zur Hebung des religiösen Lebens waren Bestandteil seines Konsolidierungsplans.70 Doch woher – so fragt (sich) der Chronist eindringlich – nahm Bischof Friedrich die Gelder für diese Aktionen, da er doch bei seinem Amtsantritt kein Vermögen mitbrachte?71 Hier setzt die Kritik an 66
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Zu Friedrich siehe Scholz, Michael/Lücke, Monika: Friedrich von Hoym (†1382), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 433-434; Ebelin, Friedrich Wilhelm: Die deutschen Bischöfe bis zum Ende des sechzehnten Jahrhunderts, 2. Bd., Leipzig 1858, S. 60; F. A. Wolter: Geschichte der Stadt Magdeburg von ihrem Ursprung bis auf die Gegenwart, S. 58. So die Übersetzung bei O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 11. Rademacher merkt allerdings an, dass seine Übersetzung des Wortes »dementie« hier angezweifelt werden kann. In Bezug auf Friedrichs zweifelhafter Finanzpolitik mag es passend sein. Dementia kann auch in einer drastischeren Bedeutung mit »wahnsinnig« übersetzt werden. MGH SS X, S. 198. Vgl. ebd. Vgl. M. Scholz/M. Lücke: Friedrich von Hoym (†1382), S. 434. Vgl. MGH SS X, S. 199: »Sed queris fort, o lector, unde sibi tanta copia et summa expositorum potuisset provenisse, quam utique de Nuemburg ubi decanus erat et unde postulatus fuit, neque de patrimonio suo adduxisset, nec de censibus et redditibus suis nondum reemtis et recuperatis in tantum percipere potuisset.« Offenbar schwingt hier eine gewisse Erwartungshaltung mit. Bischof Friedrich hätte also Geld aus seinem Privatvermögen mitbringen sollen.
Erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung
Bischof Friedrich von Hoym an. Mit einer stark wertenden Haltung schreibt sein Chronist: »Du magst denn wissen, daß Bischof Friedrich wunderbare Methoden, Gelder zusammenzubringen und zu erwerben, ausgedacht und erfunden hat. Ausgegeben hat er sie sicherlich in ganz angemessener Weise, wenn er sie nur auch auf gerechte Weise erworben hätte! Denn niemand im Klerus und Volk war sicher vor ihm, sondern er pflegte von jedermann für ein leichtes, zuweilen auch für gar kein Vergehen eine Zahlung einzufordern und ihn auszuplündern, und zärtlich begünstigte und liebte er die Angeber von solchen Leuten, die ausgeplündert und besteuert werden konnten. Handelte es sich aber um Güter und Besitz gestorbener Prälaten und anderer Kleriker, mochten sie nun ein Testament gemacht haben oder nicht, so schob er sich ohne Erröten als Erben unter. Niemand konnte ihm in solchem Streite widerstehen, weil seine Macht groß war. Er wurde von allen gefürchtet und kümmerte sich um niemand. Und so kam er zu großem Reichtum, den er aber, wie oben gesagt war, zum Nutzen und Besten unseres Stifts verwendete.«72 Die finanzielle Situation des Bistums im Blick, konzipierte auch Friedrich einen Plan, um die Gelder seiner Kirche vermehren zu können. Bestandteil dieses Plans ist die Anwendung des sogenannten Spolienrechts73 sowie die Verhängung von Strafgeldern. In den Augen des Chronisten wirkten diese Instrumente willkürlich, tatsächlich aber bewegt sich Friedrich mit ihnen durchaus ihm Rahmen seiner herrschaftlichen Möglichkeiten. Die Unterwanderung der
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Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger, S. 13. MGH SS X, S. 199: »Scire igitur vales ipsum Fridericum episcoporum mirabilium modorum congregandi et acquirendi pecunias excogitatorem et inventorem extitisse. Revera iuste eas exposuit, utinam eciam eas iuste acquisivisset. Nemo enim tutus erat tam in clero quam in populo, sed plerumque unumquemque pro levi et al.iquando nulla culpa seu causa exactionavit et depacticavit ac depacticandorum et exactionandorum delatores specialiter et tenerrime fovebat et delexit. De bonis eciam et rebus decedencium tam prelatorum quam aliorum clericorum, tam testatorum quam intestatorum, sine erubescencia frequenter se intromisit. Nemo ei resistere poterat tali in prelio, quia viribus potens erat; timebatur ab omnibus et ipse neminem curavit, et sic ad tantas divicias pervenit quas utique ut prefati sumus in usum et profectum nostre ecclesie nondum animo alienatus convertit.« Dazu Becker, Hans-Jürgen: Spolienrecht, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte 4, Berlin 1990, Sp. 1779-1780; Puza, Richard: Spolienrecht, in: Lexikon des Mittelalters 7, Sp. 2131-2132.
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klerikalen Testierfreiheit, wie sie hier geschildert wird, war immer wieder Bestandteil zeitgenössischer Kritik, wurde sie doch als ungerechtes Instrument zur Ausbeute der Kleriker empfunden.74 Interessant ist, dass Friedrich ein Netz aus Informanten (»delatores«) aufbaute, die ihm Bericht über fällige Strafgelder erstatteten. Diese Zahlungsaufforderungen konnten jeden treffen: »Nemo enim tutus erat tam in clero quam in populo.« Gleichwohl kann der Chronist Bischof Friedrich den rechten Umgang mit den Geldern zum Wohle des Bistums nicht absprechen: »Revera iuste eas exposuit, utinam eciam eas iuste acquisivisset.« Und auch : »et sic ad tantas divicias pervenit quas utique ut prefati sumus in usum et profectum nostre ecclesie nondum animo alienatus convertit«75 . Doch Friedrichs Vorgehensweise ist in gewisser Weise unkonventionell und überaus rigide. So liest sich diese Episode wie das Programm für das kulturelle Modell eines Herrschaftsträgers, dessen Kompetenzen ebenso auf Kreativität und Einfallsreichtum wie auf Tradition beruhen. Friedrich orientiert sich konsequent an seinem Ziel der finanziellen Konsolidierung des Bistums. Dafür entwickelte er – so präsentiert es die Merseburger Bischofschronik – eine gewisse Skrupellosigkeit und zuweilen auch Kaltschnäuzigkeit, die sein Chronist sehr bedenklich findet: Er untergrabe die Testierfreiheit der Kleriker. Seine Bewertungsmaßstäbe für die Einholung von Strafgeldern seien ungerecht und nicht transparent. Eine moralische Abwägung seiner Entscheidungen fände zugunsten des Geldgewinns nicht statt. Mit dieser eigenwilligen Politik schadete Friedrich der sozialen Stimmung in seinem Bistum. Insbesondere die Stadt Merseburg gerät wegen der rigorosen Finanzmethoden mit ihrem Bischof in Konflikt. 1362 brachen die Merseburger ihrem Unmut Bahn, indem sie einen Diener und Vertrauten des Bischofs ergriffen und unverzüglich hinrichten ließen.76 Friedrichs Antwort war die vollständige Unterwerfung der Stadt unter seine bischöfliche Gewalt. Unzweifelhaft war es ein grundsätzliches Anliegen des Bischofs, von seiner Umgebung gefürchtet zu werden. Sein finanzieller Erfolg begünstigte dabei den Ausbau seiner Machtposition, die er wohl auch seiner Kommunikationsfähigkeit verdankte und der Tatsache, dass er in Streitsituationen stets die Übermacht behielt:
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Noch bis ins 16. Jahrhundert hinein wurde das Spolienrecht von bischöflichen Fürsten in Anspruch genommen, bis schließlich auf dem Konzil von Trient allen Diözesanklerikern ihre Testierfreiheit gewährt wurde. MGH SS X, S. 199. Vgl. ebd. Dazu auch M. Scholz/M. Lücke: Friedrich von Hoym, S. 434.
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»Nemo ei resistere poterat tali in prelio, quia viribus potens erat; timebatur ab omnibus et ipse neminem curavit, et sic ad tantas divicias pervenit quas utique ut prefati sumus in usum et profectum nostre ecclesie nondum animo alienatus convertit.«77 In den dargestellten Ausführungen wird Friedrich von Hoym als ein bischöfliches Herrschersubjekt mit selbstreflexiven, kreativen, teilweise sogar experimentellen Kompetenzen und einem starken Durchsetzungsvermögen erkennbar. In der Wahrnehmung des Chronisten allerdings verliert sich der Bischof in seiner Orientierung an den Bedürfnissen des Bistums. In seinem persönlichen Ehrgeiz geht es ihm zunehmend um eine »Orientierung an der Maximierung von Möglichkeiten«78 : »Aber er war nicht zufrieden mit dem, was er gewonnen und erreicht hatte, sondern nach Art des Wassersüchtigen dürstete er um so mehr nach Reichtum und Ehre dieser Welt, je mehr seine Habgier Schätze gewann. Uneingedenk war er der Versprechungen und Gelübde, die er einst geleistet, von unserer Kirche, seiner Verlobten, auch wenn ein größeres Glück ihm lachen sollte, niemals zu weichen oder sich abzuwenden, sondern beständig bis an sein Ende mit eifriger Arbeit sich zu mühen, wie ihm oben eingegeben würde.«79 Nun präsentiert der Chronist also einen Bischof, der unersättlich dem Erreichen hoher persönlicher Ziele nachstrebt. Das Bistum Merseburg allein sollte Friedrich nicht mehr genügen. Längst hatte er durch seine Fähigkeiten bei Kaiser Karl und dem Markgrafen von Meißen hohe Beliebtheit erlangt.80 Mehr und mehr wurde das hochpolitische Parkett zu Friedrichs Büh-
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MGH SS X, S. 199. A. Reckwitz: Subjekt, S. 8. Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 17. MGH SS X, S. 200: »Premissis beneficiis et prosperis successibus non contentus, sed more hydropici quanto plus avaricie lucra hauriebat, tanto magis divicias et honores mundanos siciebat, immemor eciam promissionum et votorum per eum aliquando emissorum, quod ab ecclesia nostra sponsa sua, eciamsi maior sibi fortuna arrideret, se nequaquam vellet divertere seu alienare sed iugiter inibi usque in finem studiis et laboribus insudare, prout sibi inspiraretur ab alto.« Vgl. MGH SS X, S. 199: »Verum quia hic Fridericus episcopus carnali nobilitate fulgebat, astutus sensu in consiliis pollebat, et ob hoc factus est consiliarius marchionum Misnensium. Unde contingebat ipsum aliquoties inter alios legatos ipsorum marchionum ad imperatorem Carolum IV. versus Pragam suis in negotiis mitti peragendis, quare per
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ne.81 Doch das schlimmste Vergehen, aus Sicht des Chronisten, war Friedrichs Translation auf den Magdeburger Erzbischofsstuhl. Hierbei beging er nicht nur Verrat an der Merseburger Kirche und ihrer heiligen Patrone, er beraubte auch die Kirche ihrer Besitzungen.82 Das semantische Feld des Diebstahls (z.B. »exactionavit«83 ) zieht sich als beliebtes Sujet durch Friedrichs gesamte Lebensbeschreibung. Nicht nur vergleicht der Autor ihn mehrmals mit dem verhassten Bischof Giseler (971-981)84 , der der Entfremdung verschiedener Privilegien und Rechte, Güter und Besitzungen des Stiftes bezichtigt wurde.85 Er beschuldigt Friedrich auch selbst einer solchen Tat: So brachte dieser am
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suam eloquenciam et sagacitatem tandem ad noticiam ipsium imperatoris pervenit, quo drei postmodum probavit eventus.« So war Bischof Friedrich 1375 an der Belagerung der Stadt Erfurt gemeinsam mit den Markgrafen von Meißen und dem Kaiser beteiligt. Für seine Verdienste auf dem Schlachtfeld erhielt er Auszeichnungen. Dazu MGH SS X, S. 199/200: »Anno eciam Domini 1375 cum civitas Erfordensis suo tempore, quadam assumpta supersticiosa audacia, contra sedem apostolicam diucius in rebellionis temeritate perseverasset, et ob id Fridericus Balthasar et Wilhelmus fratres marchiones Misnenses cum ingenti multitudine armatorum duobus mensibus et al.iquibus diebus potenter circumvallassent eandem, ad quam eciam obsidionem imperator predictus supervenit et al.iquandiu ibidem cum ipsis marchionibus moratus est, ipse Fridericus epsicopus cum non modica comitiva nostre ecclesie vasallorum affuit presidio speciali, unde in hiis et al.iis ipsis marchionibus serviciis impensis, sibi et ecclesie nostre tam clero quam populo non modicum favorem protectionem et pacis transquillitatem acquisivit.« Vgl. MGH SS X, S. 200: »Statim igitur post suam, ut premittitur, promocionem, materia assumta, castrum Plawe ab ecclesia metropoltica per vim et violenciam alienatum et a quibusdam tyrannis captum et occupatum, cum ingenti exercitu armatorum circumvallavit et al.iquandiu obsedit, et ipsum castrum, expensis tamen et sumptibus nostre ecclesie Merseburgensis, ad ecclesiam metropoliticiam Magdeburgensem et eius possessionem reduxit.« MGH SS X, S. 199. Zu Giselher siehe Karpf, Ernst: Giselher, in: Lexikon des Mittelalters 4, Sp. 1468-1469; Schwineköper, Berent: Giselher, in: Neue Deutsche Biographie 6, Berlin 1964, S. 415. Vgl. MGH SS X, S. 199: »Nemo ei resistere poterat tali in prelio, quia viribus potens erat; timebatur ab omnibus et ipse neminem curavit, et sic ad tantas divicias pervenit quas utique ut prefati sumus in usum et profectum nostre ecclesie nondum animo alienatus convertit, prout eciam ille destructor Geyselerus secundus episcopus supra dictus in principio sui regiminis fecit, sed pessimo fine, ut supra in eius chronica et gestis continetur, conclusit.« Und MGH SS X, S. 201: »[…] exemplo illius infelicis Geyseleri secundi nostre ecclesie epsicoopi et destructoris, qui similiter ad dictam ecclesiam metropoliticam postulatus, postquam diversa privilegia bona et res nostre ecclesie alienasset et diripuisset, tandem ex ea abbaciam constituit, prout superius in eius chronica plenius continentur […]«.
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Beginn seiner Regierung eine kostbare Inful und einen elfenbeinernen Hirtenstab der Merseburger Kirche als Geschenk mit,86 die er dann bei seiner Translation nach Magdeburg wieder entwenden wollte.87 Friedrichs ›diebisches‹ Verhalten, sein Hochmut und seine Habgier kommt in den Augen des Chronisten einem Frevel gleich.88 Und so ist es folglich ein Urteil Gottes, das den einstigen Merseburger Bischof zu seinem Ende bringt. Als dieser sich in einer letzten Messe im Merseburger Dom von seiner einstigen Wirkungsstätte verabschieden wollte, war er nicht imstande, die zu lesende Passage über die Merseburger Schutzpatrone in den Büchern zu finden. Selbstreflektierend deutete Friedrich dies als ein göttliches Zeichen: Er erkannte, die heiligen Patrone mit seinem Weggang nach Magdeburg erzürnt zu haben.89 Als er dann im Anschluss auf der Fahrt in sein neues Erzbistum von großen Schmerzen befallen wurde, gab er seine Reisepläne vollends auf und befahl resignierend die Rückfahrt nach Merseburg, wo er alsbald verstarb.90 Unverkennbar zielt die didaktische Absicht der erzählerischen Ausgestaltung von Friedrichs Tod also dahin, dass
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Vgl. MGH SS X, S. 198: »Electioni igitur de ipso ut premittitur facte consensum prebente, a felicis recordacionis Innocencio papa VI. confirmacionis munere meruit decorari; inde preciosiorem infulam cum baculo eburneo pastorali secum deferens in iocundo suo introitu nostre ecclesie donavit.« Vgl. MGH SS X, S. 200: »Porro postqam tribus mensibus duntaxat in archiepiscopatu Magdeburgensi vixisset, et animo et intercione sanctis nostris patronis et hominibus ibidem valedicendi Merseburg se divertisset et al.iquantulum temporis ibidem moram traxisset, interim infulam episcopalem meliorem supradictam cum baculo pastorali eburneo meliori nec non privilegia super impignoracione et obligacione castrorum Lauchstete Schapaw et Libenaw, animo et intencione, prout nescitur aliud, ab ecclesia nostra alienandi, versus castrum Gebichenstein prope Hallis furtive et sub silencio ausus sacrilego transmisit.« Vgl. zum Folgenden MGH SS X, S. 200. Vgl. ebd.: »Quod cum vidisset, non tamen ex hoc vere compunctus nec a proposito desistens, ait: Nunc considero quod sanctos patronos ad iram commovi.« Vgl. MGH SS X, S. 200/201: »Et precepit aurige currus, ut mox retrocederet et viam revertendo versus Merseburg dirigeret subiungens: Nunc in veritate sencio sanctos patronos esse commotos qui me ultra progredi non permittunt, et cum merore et gemitu suorum Merseburg reductus est, et ibi invitus et compulsus reddidit quod voluntarie vovit et promisit. Ubi triduo supervivens, condito testamento et sacramentis ecclesie perceptis, sub a.D. 1382 quinto Idus Novembris diem suum clausit extremum.«
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nur das Eingreifen einer höheren Macht ihn zu Umkehr und Reue bringen kann.91 Auf die Frage »Was macht einen Bischof (aus)?« liefern die mittelalterlichen Chronisten mit ihren literarisch repräsentierten und problematisierten Bischofsbildern im Rahmen der Bistumsführung also folgende Antworten: Ein guter Bischof sollte verantwortungsbewusst und zielstrebig sein, orientiert in hohem Maße an der Verbesserung der wirtschaftlichen und herrschaftlichen Grundlagen des jeweiligen Bistums. Eine Orientierung an Verhaltensidealen, die Herrschaftskompetenzen wie z.B. Selbstdisziplin und ein spezifisches Arbeitsethos hervorrufen, ist wünschenswert. Orientierungen, die das Herrschaftsgefüge in Gefahr bringen können, sind es nicht. Praktiken, die intransparent, willkürlich und ungerecht erscheinen, sollten ebenfalls nicht im Repertoire eines bischöflichen Regierungsstils zu finden sein. In der Kontrastierung dieser Bischofshandlungen mit anderen Vorgehensweisen findet im literarischen Diskurs eine Auseinandersetzung mit bestehenden Bischofsbildern statt und bietet Raum für eine Diskussion von Herrschaftsverhältnissen.92 Es wird indes deutlich, dass die literarischen Ausführungen der Chronisten (weit) über die bloße Beschreibung eines bischöflichen Idealfürsten hinausgehen. Schaut man mit einer praxeologischen Perspektive auf die literarisch verarbeiteten Bischofsbilder, so fallen durchaus An- und Einpassungsbemühungen der bischöflichen Herrschaftsträger in den Blick, wie auch Orientierungen an spezifischen Handlungsmustern, Neuorientierungen und Eigensinn, Erfahrungen, Störungen und Probleme durch habitualisierte Dispositionen oder alternative Lebensentwürfen aus geistlichen und weltlichen
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Verbunden mit dieser Erzählung ist der tief in der mittelalterlichen Gesellschaft verankerte Wunsch nach einem ›guten Tod‹, der vor allem nicht plötzlich auftritt. Vgl. hierzu Schreiner, Klaus: Der Tod Marias als Inbegriff christlichen Sterbens. Sterbekunst im Spiegel mittelalterlicher Legendenbildung, in: Borst, Arno/Graevenitz, Gerhart v./Patschovsky, Alexander/Stierle, Karlheinz (Hg.): Tod im Mittelalter, Konstanz 1995, 261-312. Zum Zusammenhang von Todeserfahrungen und Umkehr und Reue siehe die Wundergeschichten des Caesarius von Heisterbach, dazu R. Holbach: Mönchische Praktiken und Selbst-Bildungen bei Caesarius von Heisterbach. So argumentiert auch Sabine Kyora über Autoren im literarischen Betrieb. Dazu Kyora, Sabine: »Ich habe kein literarisches Interesse, sondern bestehe aus Literatur«. Praxeologische Perspektiven auf Autorinszenierungen und Subjektentwürfen in der Literaturwissenschaft, in: T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist (Hg.): Selbst-Bildungen, S. 251-274, hier S. 252.
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Handlungsfeldern. Allein die auf diese Weise repräsentierten und problematisierten Bischofsbilder verweisen auf die Möglichkeit nach einer individuellen Selbstbildung auch im mittelalterlichen Kontext. Für Bischof Nikolaus Lubich lässt sich etwa festhalten, dass er aufgrund seiner verinnerlichten Dispositionen nicht die (für Merseburg) notwendigen Regierungskompetenzen aufzuweisen hatte. So wird an seiner Figur deutlich, wie sehr sich ein ›mitgebrachter‹ Habitus an den Routinen seiner Umgebung reiben kann. Lubichs fehlende Einsicht in die eigene Unzulänglichkeit erscheint als eine konkrete Bedrohung für das Bistum, ebenso seine mangelnde Bereitschaft zur Neuorientierung. Zugleich verweist die biografische Entwicklung von Lubich auf den kurialen Einfluss auf seine Selbstbildung, die im Hinblick auf die eigene Karriere zwar förderlich, praktisch jedoch durchaus hinderlich sein kann. Damit wird im literarischen Erzählentwurf die Notwendigkeit einer kritischen Selbstreflexion angesprochen, die einen grundsätzlichen Bestandteil der Herrschaftskompetenz darstellt. Ein praxeologischer Blick auf die Lebensbeschreibung Bischof Friedrichs von Hoym zeigt auf, dass sein persönliches Bischofsbild mit einem zur Systematik neigenden, mit planmäßiger Zielstrebigkeit agierenden und kalkulierenden Selbstverständnis verbunden ist. Und die vor allem zu Beginn des Kapitels erwähnten Orientierungen an spezifischen Verhaltensmustern werden im Kontext subjektivierungstheoretischer Perspektiven zu einer Praktik der Herstellung eines bischöflichen Herrschersubjekts.
11.2 Kommunikation Weitere Momente, in denen sich ein Bischof als Herrschaftsträger in seinen Handlungsfeldern positioniert und sich zugleich als solcher aushandelt, werden in den literarischen Erzählentwürfen insbesondere dann greifbar, wenn die Kommunikation des Bischofs zu anderen Akteuren seines Regierungsumfeldes thematisiert wird. Solche Situationen können sowohl den alltäglichen kommunikativen Umgang des Bischofs mit seiner familia episcopi meinen, als auch Verhandlungen über bestimmte Sachverhalte im Zuge der Regierungsgeschäfte. Im Folgenden richtet sich in der praxeologischen Analyse der Chronikberichte der Erzbischöfe Werner von Falkenstein (1388-1418), Johann von Asel (1426-1472) und Jakob von Sierck (1439-1456) der Fokus auf die bischöflichen Interaktionen mit Stiftsversallen, untergebenen und gleichgestellten Würden- und Herrschaftsträgern aus dem hochpolitischen Feld. Gespiegelt werden das Verhältnis und die Selbstdarstellung der miteinander in Verbin-
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dung stehenden Akteure, was Einsichten in die bischöfliche Selbstbildung erlaubt. Dabei wird zu zeigen sein, dass bischöfliche Herrschaftskompetenz in mittelalterlichen Quellen auch Prozesscharakter besitzt und eben dadurch die eigene politische Position legitimiert. Eine solche Legitimation gelingt etwa bei Erzbischof Werner von Falkenstein durch eine instrumentalisierte Selbst-Unterwerfung. Im April 1388 hatte der Falkensteiner den Trierer Erzbischofsstuhl nach der Resignation seines willensstarken und streiterfahrenen Großonkels Kuno von Falkenstein (1362-1388) übernommen.93 Bereits seit Januar war er als Koadjutor für Kuno aktiv. Werners Karriereweg94 war von Beginn an auf die Erlangung der erzbischöflichen Würde ausgelegt gewesen, und die verwandtschaftliche Beziehung zu Kuno wurde (auch) auf Drängen seiner Familie vorteilhaft ausgenutzt.95 Eindeutig stand die Nachfolgeregelung daher im Lichte familienpolitischer Machtinteressen des Hauses Falkenstein-Saarwerden.96 Bereits 1370 hatte Kuno seinen damals zwanzigjährigen Großneffen mütterlicherseits, Friedrich von Saarwerden (1370-1414), durch ein Gesuch bei Papst Urban VI. auf den Erzbischofsstuhl von Köln erheben können. Fortan planten der Kölner und seine Verwandten einen Erzbischofsverbund aus Familienmitgliedern97 , weshalb er seinen Großonkel Kuno in der Ernennung Werners unterstütze. In Trier widersetzte sich nur ein geringer Teil des Domkapitels
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R. Holbach: Die Besetzung des Trierer Erzbischofsstuhls, S. 29. Über Kunos Amtsverzicht siehe Gesta Trevirorum II, S. 291. 1378 Studium in Prag; 1385 Domherr von Trier; 1384 Propst des Stiftes St. Florin in Koblenz; im Tausch dafür 1387/88 Propst des Stiftes St. Paulin vor Trier. Werner von Falkenstein ist durch die mütterliche Linie mit Kuno verwandt. Er war sein Großonkel. Kunos Mutter war nicht Johanna von Saarwerden, sondern, wie Anette Löffler herausgestellt hat, Udelhild von Rieneck, die zweite Ehefrau Philipps IV. von Falkenstein-Münzenberg (gest. 1328). In dritter Ehe war Philipp mit Johanna von Saarwerden verheiratet, worüber die Verbindung zu Saarwerden stattfand, vgl. hierzu und grundsätzlich zu den Falkensteiner Familienverhältnissen Löffler, Anette: Die Herren und Grafen von Falkenstein (Taunus). Studien zur Territorial- und Besitzgeschichte, zur reichspolitischen Stellung und zur Genealogie eines führenden Ministerialengeschlechts 1255-1418. Band 1: Darstellung, Ortkatalog, Genealogie, DarmstadtMagdeburg 1994, hier S. 491f. Siehe dazu Gerlich, Alois: Interterritoriale Systembildungen zwischen Mittelrhein und Saar in der zweiten Hälfte des 14. Jh., in: Blätter für deutsche Landesgeschichte 111 (1975), S. 103-137. 1396 sollte dann Gottfried von Leiningen das Erzbistum Mainz erhalten, was jedoch scheiterte.
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dem falkensteinischen Vorhaben.98 Dennoch reichte Kunos Vertrauen in seinen Nachfolger nicht so weit, als dass er ihm nach seiner Resignation sämtliche Machtbefugnisse zugestanden hätte. So gab es unter den Trierer Stiftsfinanzen einen sogenannten »Kirchenschatz« (»thesaurum ecclesiae«99 ), den Kuno seinem Großneffen aus Angst vor dessen Freigiebigkeit vorenthielt. So kommentiert die Trierer Chronik: »Dominus vero Cuno timens, ne juvenis Wernherus, electus et introductus, larga manu thesaurum ecclesiae expenderet, thesaurum sub sua custodia reservavit, non, ut quidam malae fidei putaverunt, et etiam promulgaverunt, non ut ecclesiae alienaret; sed ita reservavit, ut tempore debito domino Wernhero praesentaret«100 . Entsprechend wird der neue Erzbischof Werner in seiner Lebensbeschreibung als ein Herrschaftsträger inszeniert, der zunächst noch den Makel der Inkompetenz in Bezug auf seine ökonomischen Fähigkeiten trägt. Im Spiegel der Chronik positioniert sich Kuno eindeutig über seinen Nachfolger, er versteht sich weiterhin als der eigentliche Bewahrer der Trierer Kirche. Aus Sicht des Domkapitels, das nach Markus Müller als Autorschaft für Kunos und Werners Vita angenommen werden kann, legitimieren Kunos Kompetenzen diese Selbsteinschätzung. Dies zu betonen erscheint dem Chronisten wichtig, um die Gerüchte um einen Diebstahl am Trierer Eigentum als falsch zu entlarven. Doch die Angelegenheit um den ominösen Kirchenschatz spitzte sich zu, als Kuno am 21. Mai 1388 verstarb. Zwangsläufig gingen nun alle Finanzgeschäfte in Werners Hände über und der Erzbischof war dadurch in einen Familienzwist um die Ansprüche der Gelder verwickelt. »Gerüstet mit dem Schild der Geduld«101 , hörte Werner die Anforderungen seines Onkels Philipp von Falkenstein: »Primo dominus Philippus de Falckensteyn, suus avunculus, thesaurum ecclesiae, quem dominus Cuno reliquit, petiit dicens, quod dominus Cuno
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So etwa auch der Teil, welcher sich den rheinischen Kurfürsten angelehnt hatten, vgl. R. Holbach: Die Besetzung des Trierer Erzbischofsstuhls, S. 31. 99 Gesta Trevirorum II, S. 295. 100 Ebd. S. 291. 101 Ebd. S. 295/296: »Dominus W e r n h e r u s, archiepiscopus Trevirensis electus et confirmatus, nondum consecratus, clipeo patientiae se armavit, quia statim post obitum domini Cunonis bonae memoriae coeperunt tentationes ipsum invadere.« (Herv. i.O.).
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tutor in juventute suae pueritiae fuisset dominii in Minzenburg, et collectum thesaurum inde asportasset, quem ecclesiae Trevirensi administrasset; illum rehabere vellet. Etiam dicebat, dominum Wernherum ad archiepiscopatus honorem non venisse, si ipsum non promovisset, et sic cum indignatione recedere disponebat.«102 Demnach war Philipp von Falkenstein also der Auffassung, es handele sich bei dem Kirchenschatz um Gelder aus seiner Herrschaft Münzenberg, in der Kuno zu Philipps Jugendzeit Vormund gewesen war. Einem Dieb gleich habe Kuno die Gelder von dort entwendet, um sie der Trierer Kirche einzuverleiben und damit seine Chancen auf den Erzbischofsstuhl zu vergrößern. Schließlich sei es Philipp selbst gewesen, der Werner bei seinen Bestrebungen auf das erzbischöfliche Amt unterstützte. Allein dieser Punkt sei ausschlaggebend für die Übersendung einer Geldsumme nach Münzenberg. Um seine Entschlossenheit zu demonstrieren und den Rechtsanspruch durchzusetzen, plante Philipp empört wegzugehen.103 Die Situation war also hochbrisant: Affektive Emotionen, Anschuldigungen und Anforderungen standen im Raum und dies zu einem Zeitpunkt, als der verstorben Kuno von Falkenstein noch nicht zu Grabe getragen war. Diesen Umstand machte Werner für sich geltend: »Dominus vero Wernherus patienter et sagaciter cum consilio suorum respondebat, quod dominus Philippus non commoveretur, nec ingrate reciperet, quia thesaurum, quem peteret, alicui dare sibi non liceret, donec exequias domini Cunonis cum devotione peregisset.«104 Die besondere Herrschaftskompetenz Werners präsentiert sein Chronist in der Kontrastierung zu seinem Onkel Philipp. Dem emotionsgeladenen Falkensteiner stellt sich der Erzbischof geduldig und besonnen entgegen. Mit Erving Goffman gesprochen zeigt Werner hier eine demonstrative Gelassenheit, die auch als eine Technik zur Imagepflege interpretiert werden kann. »Ob man sich nun der vollen Konsequenzen der Handlungen zur Wahrung des Images bewußt ist oder nicht, oft werden sie zu habituellen und stan-
102 Ebd. S. 295 103 Vgl. Althoff, Gerd: Empörung, Tränen, Zerknirschung. ›Emotionen‹ in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters, in: Frühmittelalterliche Studien 30 (2010), S. 60-79, hier S. 67. 104 Gesta Trevirorum II, S. 295/296.
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dardisierten Handlungen«105 . Werner kontrolliert sich und nimmt in dieser hitzigen Situation, die noch dazu am unmittelbaren Beginn seiner Regierung verortet ist, eine abwartende Haltung ein, die geprägt ist von seinem Pietätsempfinden: Erst wenn sein Großonkel und Amtsvorgänger Kuno von Falkenstein geziemend beerdigt wäre, würde er sich der Sache annehmen, indem er den Rat der Kurfürsten und beiderseitiger Freunde einhole: »Ibi cum consilio principum electorum imperii ac amicorum utriusque vellet facere, salvo honore, quod amici permanerent.«106 In gleicher Weise verfuhr Werner mit seinem Kölner Amtskollegen und Anverwandten Friedrich von Saarwerden, der ebenfalls Ansprüche auf die Gelder erhob: »Eadem forma dominus Coloniensis etiam thesaurum petivit, quem dominus Cuno de administratione ecclesiae Coloniensis deportasset, immemor beneficiorum sibi factorum a domino Cunone, tam in promotione archiepiscopatus, seu quitantiarum omnium solutione. Cui dominus Wernherus benivole respondit, suum non esse, thesaurum ecclesiae alicui dare absque consilio illorum, quorum interesse videretur.«107 Dass es von Beginn an Werners Absicht war, keinem der beiden ›Bittsteller‹ den Kirchenschatz zu übereignen, liegt nahe. »Etiam quia speraret, quitantiis et al.iis patientibus literis ipsum instruere, quod nihil ei teneretur, salvo tamen melioris affirmationis testimonio«108 , heißt es dazu in der Chronik. Und so erweist Werner auch Friedrich gegenüber Zurückhaltung, denn es liege nicht in seiner Macht, den Kirchenschatz ohne eine eingehende Untersuchung herauszugeben. Werners ablehnende und verweigernde Haltung versteckt sich hinter einer vermeintlich eingehenden Überprüfung. Insgesamt ist diese Haltung als ein Spiel auf Zeit zu sehen. Verbunden damit ist aber auch das Bedürfnis des Erzbischofs, beschwichtigend mit seinen Verwandten umzugehen und sie nicht zu erzürnen. In diesem Zusammenhang steht auch Werners chronikalische Darstellung als Teamplayer, ruft er doch zur Absicherung seiner Entscheidung Berater hinzu. Es ist zu vermuten, dass sich hinter »cum consilio suorum«109 sein trierischer Beraterstab verbirgt. Mit der Nennung von
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E. Goffmann: Interaktionsrituale, S. 18. Gesta Trevirorum II, S. 296. Ebd. Ebd. Ebd. S. 295/296.
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Kurfürsten und beiderseitigen Freunden wird die Angelegenheit jedoch zur reichspolitischen und dynastischen Sache erhoben. Die Anrufung dieser Instanzen beinhaltet deren Aufwertung, verbunden mit einer gleichzeitigen Minderstellung Werners. So macht der Kirchenfürst seine Entscheidungsgewalt auch von seinem Beraterteam abhängig, was ihn ggf. von einer eigenen Beurteilung und vorschnellen Reaktion in der Sache entbindet. Wie sehr es sich hier um ein situatives Moment in Werners Umgang »mit den Seinen« handelt, bezeugt der Vergleich mit einer anderen VitaPassage. So heißt es über Werners erste Amtshandlung in den Gesta: »Etiam dominus Wernherus virtute armatus omnibus officiatis suis firmiter mandavit, ut omnes suos subditos religiosos, canonicos regulares, moniales et eorum bona defenderunt, gubernarent, et de manibus raptorum eriperent, et tamquam sua bona praeservarent«110 . Hier gibt der Erzbischof also klare Anweisungen. Von einem ›unterworfenem‹ oder ›unterwerfendem‹ Selbst des Kirchenfürsten ist keine Rede. Doch im chronikalischen Erzählentwurf dieser Verhandlungsszene war es dem Chronisten nicht nur möglich, Werners bewusst gewählte Passivität in Szene zu setzen, sondern auch die Kritikpunkte der falkensteinischen Machtpolitik darzustellen. Durch die Personen Philipp von Falkenstein und Friedrich von Saarwerden erfährt der historische Leser von nepotistischen Ernennungspraktiken im Trierer und Kölner Bistum. Zwar sind solche Praktiken üblich, aber eben nicht immer moralisch vertretbar. So ist es offensichtlich, dass das wahlberechtigte Domkapitel solche Praktiken verurteilen muss. Deshalb wird ein kurzzeitiger Widerstand eines Teils des Domkapitels gegen Werners Ernennung in der Chronik zumindest erwähnt, wenngleich es doch aufgrund der ›besonderen Eignung‹ Werners sich dem Urteil des fürsprechenden Kunos beugt.111
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Ebd. S. 296/297. Vgl. ebd. S. 290/291: »Insuper domino Wernhero, existenti in diocesi Trevirensi, pallium transmittere promisit; et sic omnia circa dominum Cunonem et dominum Wernherum sunt debita forma consummata. Capitulum vero ecclesiae Trevirensis se aliquomodo opposuit, eo quod dominus Wernherus capitulariter electus non esset; timentes canonici, ne jus electionis perderent. Sed tandem auditis causis et examinatis et inventis, quod pro utilitate ecclesiae et totius patriae factum fuerat, consensum dederunt, dominum Wernherum elegerunt electum et confirmatum recipere unanimiter promiserunt.«
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Insgesamt jedoch erwies sich Werner von Falkenstein als keine gute Wahl für die Trierer Kirche. Seine Chronik urteilt zusammenfassend über ihn, er sei ein Kirchenfürst »mit mehr Glück als Unternehmungsgeist«112 gewesen. Seine zahlreichen und oftmals unbedachten Fehden trieben Werner und das Erzstift in den finanziellen Ruin.113 Kirchenpolitisch spielte er kaum eine Rolle, obgleich er 1412 von Gregor XII. zum Apostolischen Legaten ernannt wurde. Vielmehr tat sich Werner in der eigenen Familienpolitik hervor, wenngleich ohne Geschick und Erfolg: Als Vormund des Familienbesitzes konnte er diesen nicht vor dem finanziellen Ruin retten.114 »Krankheit und geistige Verwirrung machten Werner von Falkenstein nach mehr als einem Jahrzehnt der Regierung angeblich gänzlich unfähig, die geistliche und weltliche Leitung der Trierer Kirche weiter wahrzunehmen.«115 Aus diesem Grund lag die Regierung der Trierer Kirche seit dem Frühjahr 1400 in den Händen der Beamte und Räte. Im März 1399 erlangte das Domkapitel bei Papst Bonifaz IX. die Zusage, für die Zeit von Werners Krankheit den Utrechter Bischof Friedrich von Blankenheim (†1423) als Koadjutor zu nehmen. Indes wurde in Rom ein Prozess für die Absetzung Werners geführt, die jedoch nie zustande kam, und auch der von König Ruprecht von der Pfalz vorgeschlagene eigene Kandidat fand keine Berücksichtigung.116
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Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 18. Gesta Trevirorum II, S. 298/299: »Wernherus ecclesiam Trevirensem laudabiliter annis triginta gubernavit: princeps majoris fortunae, minoris industriae; nam introitum a Cunone accepit opulentissimum, exitus ejus ferme pauper auro consumpto, promptuariis quoque vacuis. Fuit interim vir mirae tranquillitatis, et per omnia pacificus. Obiit autem anno Domini millesimo quadringentesimo decimo octavo in die sancti Thirsi Martyris et ducis de legione Thebeorum, sepultusque est Confluentiae in ecclesia sancti Castoris in choro.« Viele dieser Unternehmungen fanden aus persönlichem Interesse statt, wie 1392 der persönliche Erwerb der Grafschaft Falkenstein oder 1391 eine Hilfaktion für Friedrich von Saarwerden gegen Kleve-Mark. Wolfgang Seibrich fällt über Werner ein vernichtendes Urteil: »Er war jedoch mißtrauisch und verfiel bald in Depressionen. Antriebslos fehlte es ihm an einem klaren Kurs. So verlor er das reiche Erbe seines Vorgängers. Mit ihm begann daher ein Abstieg des Kurfürstentums Trier«. Seibrich, Wolfgang: Werner von Falkenstein und Königstein, in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448,S. 806-807, hier S. 806. R. Holbach: Die Besetzung des Trierer Erzbischofsstuhls, S. 32/33. W. Seibrich: Werner von Falkenstein und Königstein, S. 806. Markus Müller sieht es als unmöglich an, dass der Schluss Werners Vita auch aus dem Domkapitel kommen kann. Über die Absetzungsverhandlungen des Domkapitels mit dem Papst finden sich keine
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Umso gewichtiger erscheint daher in Werners Lebensbeschreibung diese Verhandlungsszene. Im Rückblick ein eher ungeeigneter Kirchenfürst, erscheint sein Verhalten gegenüber Philipp von Falkenstein und Friedrich von Saarwerden doch ausgesprochen richtig. Seine Zurückhaltung, Konsensfähigkeit und demonstrative Pietät gibt ihm einen Vorteil in den Verhandlungen, die letztendlich mit dem Verbleib der Gelder in Trier endeten. Werner unterwirft sich in der Verhandlung christlichen und herrschaftlichen Verhaltensnormen, wodurch seine Herrschaftskompetenz aussagekräftig wird. Aus Sicht des Domkapitels ist diese bischöfliche Selbstverhandlung daher äußerst wichtig, beinhaltet sie doch eine explizite Adressierung und Wertschätzung dieser Institution als bischöflicher Bündnispartner. Wie eine Positionierung im Herrschaftsgefüge mit einer gleichzeitigen Adressierung aller beteiligten Akteure ablaufen kann, demonstriert die Lebensbeschreibung des Verdener Bischofs Johann von Asel (1426-1472). Johann sah sich mit der Aufgabe konfrontiert, am Anfang des 15. Jahrhunderts ein nahezu vollständig heruntergewirtschaftetes Bistum zu regieren. Die zwiespältige Wahl von 1407, bei der der domkapitularische und aus einheimischen Adel stammende Kandidat Heinrich von Hoya117 (1407-1426) gegen den von päpstlicher Seite aufgestellten Protonator König Ruprechts, Ulrich von Albeck (1407-1417), antrat, erbrachten dem ohnehin sehr armen Bistum herbe Einbußen.118 Zudem hatten Raubzüge und Verwüstungen das Stift und seine Bevölkerung schwer geschädigt. Als der Streit auf dem Konstanzer Konzil durch die Transferierung Ulrichs auf das Bistum Seckau endlich beigelegt war, erwies sich der einstige Hoffnungsträger Heinrich als schwere Fehlbesetzung für das Verdener Bistum. Viele Jahre hatte das Domkapitel eine Reihe landfremder und vom Papst ernannter Bischöfe hinnehmen müssen. In Heinrich hatte das Domkapitel einen Kandidaten gesehen, der aufgrund seiner regionalen Verbundenheit »mehr als die anderen Verdener Domherren für das Amt
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Hinweise im Text über Werner. Vgl. dazu M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 170. Vgl. Vogtherr, Thomas: Heinrich, Graf von Hoya, in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, S. 843-844. Vgl. Vogtherr, Thomas: Das Bistum Verden und seine Bischöfe im großen Schisma, in: Römische Quartalschrift für christliche Altertumskunde und für Kirchengeschichte 94 (1999), S. 131-148, insbesondere S. 133. Kappelhoff, Bernd/Vogtherr, Thomas: Immunität und Landesherrschaft, Beiträge zur Geschichte des Bistums Verden, Schriftenreihe des Landschaftsverbandes der ehemaligen Herzogtümer Bremen und Verden, Stade 2002.
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des Bischofs geeignet und qualifiziert zu sein schien.«119 Doch hatte sich diese Annahme als ein Irrtum der Kapitelherren herausgestellt: Bischof Heinrich von Hoya (1407-1426) hatte sich in seiner Regierung als dermaßen unfähig erwiesen, dass friedenssichernde Bündnisse gebrochen und Lehnsverhältnisse verweigert wurden.120 »Das verschuldete Bistum war zum Spielball der umliegenden Territorien geworden, und im Inneren regierten die Partikularinteressen des Domkapitels, des Stiftsadels und der gegen die bischöfliche Macht opponierenden Stadt Verden.«121 Heinrichs Art der Stiftsführung, sein Setzen auf falsche Ratgeber, sein politisches Unvermögen und seine Willensschwäche brachte nicht nur das Domkapitel, sondern auch die welfischen Herzöge gegen ihn auf. Sein größtes Vergehen war die Aufgabe der Stiftsfeste Rotenburg. Ohne Widerstand zu leisten, so heißt es in seiner Lebensbeschreibung, gab der Bischof den so wichtigen und in Verden einzig tauglichen militärischen Stützpunkt an die Herzöge zu Braunschweig und Lüneburg ab, was ein herber Schlag für das Stift war. Heinrich hatte keine Kraft und auch keine Mittel seine Macht zu behaupten oder zurückzugewinnen, weshalb ihm 1426 nur die Resignation blieb.122 Umgehend nahm Papst Martin V. nun selbst die Ernennung eines Bischofs für Verden vor. Er bestimmte seinen Kämmerer und Sekretär Johann von Asel für das Amt.123 Als gebürtiger Hildesheimer war Johann das kleine, aber doch weit von Rom entfernte Bistum nicht unbekannt.124 Geboren in einer Ministerialenfamilie, begann er seine geistliche Karriere in seiner Heimatdiözese, wo er auch ein Domkanonikat (1423) erlangte. Doch schon bald
119 T. Vogtherr: Das Bistum Verden und seine Bischöfe im großen Schisma, S. 145. 120 Vgl. T. Vogtherr: Bistum Verden, S. 790. 121 Reimann, Michael: Asel, Johann von (um 1380-1472), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, S. 28-30, hier S. 29. 122 Vgl. Müller, August: Beiträge zur Geschichte des Bistums Verden unter Johann III. von Asel 1426-1470, Stade 1911, S. 3f.; Pfannkuche, Christoph Gottlieb: Aeltere Geschichte des vorm. Bisthums Verden, Verden 1830, S. 216f. 123 Vgl. M. Reimann: Asel, Johann von (um 1380-1472), S. 28-30; Drögereit, Richard: Johann III. von Asel, in: Neue Deutsche Biographie 10, Berlin 1974, S. 542f. 124 »Iohannes nacione Hildensemensis. Hic fuit decretorum doctor egregius«, leitet die Verdener Bistumschronik seine Lebensbeschreibung ein. Und weiter : »et domini Martini pape quinti de Columpnia nuncupati cubicularius seu secretarius et plurimum ab eo dilectus.« Chronicon episcoporum Verdensium (Rezension 2), in: Chronicon episcoporum Verdensium. Die Chronik der Verdener Bischöfe, hg. und übers. v. Thomas Vogtherr, Stade 1998, S. 138-159, hier S. 152. (Im Folgenden: Chronicon episcoporum Verdensium 2).
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zog es Johann an die Universität, wo er zum Doktor der Dekrete wurde. 1423 lehrte er als Professor an der Universität Siena kanonisches Recht. Der Katalysator seiner Karriere waren eindeutig seine kurialen Verbindungen. Seit dem Konzil von Konstanz, wo Johann urkundlich als Magister und Notar verzeichnet ist, zählt er zum engeren Kreis Papst Martins. Für das Konzil von Pavia-Siena (1423-1424) wurde Johann zum päpstlichen Konzilgesandten ernannt. In dieser Funktion gelang es ihm, die päpstlichen Interessen auch in schwierigen Fragen gegenüber der konziliaren Opposition durchzusetzen.125 In seiner Position als Kammerkleriker (1425) wurde Johann vertraut mit den »Finanzkünsten der damaligen Zeit und der feineren Diplomatie«126 . Belohnt wurde Johann für seine kurialen Dienste schließlich mit dem Verdener Bischofsstuhl. In den Augen des Papstes erschien Johann nicht nur wegen seiner Kenntnisse und Fähigkeiten als »Finanzfachmann«127 geeignet für das kleine Bistum an der Aller. Johann soll auch persönlich vermögend gewesen sein, was »für das verarmte Verden nur von Vorteil sein konnte«128 . Von Johanns Wirken im Bistum wird ausführlich im chronicon episcoporum Verdensium, der Chronik der Verdener Bischöfe, berichtet. Die Lebensbeschreibung Johanns von Asel ist die längste Beschreibung eines Kirchenfürsten innerhalb der Bischofschronik überhaupt. Sie gehört zu einer zweiten Rezension der Chronik, die spätestens um 1458/73 entstanden sein muss und mit der ersten Rezension keinerlei Ähnlichkeiten mehr aufweist.129 Sowohl Johanns Vita als auch die seines Vorgängers Heinrich von Hoya entstammen, wie Markus Müller feststellen konnte, derselben Hand. Es kann angenommen werden, dass der Verfasser Mitglied des Domkapitels war.130 Der Adressatenkreis der Verdener Bischofschronik scheint stark begrenzt gewesen zu sein. Die aufwendige Ausfertigung der Handschrift mit ihren kunstvollen bildlichen Darstellungen lässt vermuten, dass nur der Bischof allein Verwahrer der Chronik war. Erweitern ließe sich der Rezipientenkreis allenthalben noch um das Domkapitel. Schließlich gelangte noch eine Abschrift an das wichtige
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Vgl. M. Reimann: Asel, Johann von, S. 28. A. Müller: Beiträge zur Geschichte des Bistums Verden unter Johann III. von Asel 14261470, S. 6. 127 T. Vogtherr: Bistum Verden, S. 790. 128 A. Müller: Beiträge zur Geschichte des Bistums Verden unter Johann III. von Asel 14261470, S. 6. 129 So T. Vogtherr: Einleitung, in: Chronicon episcoporum Verdensium, S. 13. 130 Vgl. A. Müller: Beiträge zur Geschichte des Bistums Verden unter Johann III. von Asel 1426-1470, S. 98/99.
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Benediktinerkloster St. Michaelis in Lüneburg, wodurch sich der Adressatenkreis noch etwas vergrößerte. »Dem engeren Kreis der Geistlichen am Verdener Dom eine bildlich-textliche Möglichkeit der Selbstvergewisserung zu geben, ihnen die Legitimation der eigenen Institution vor Augen zu führen, sie zum Andenken an verdienstliche Bischöfe anzuhalten«131 scheint der Zweck der Verdenen Chronik gewesen zu sein. Thematisch liegen im Interesse der Chronisten insbesondere die Machtkämpfe um Schloss Rotenburg wie auch die Unruhen, die seit 1407 als Folge des Schismas das Bistum bedrückten.132 Die Erzählung um Bischof Johann beginnt mit seinem Aufbruch aus Rom in sein neues Bistum: »Qui ad ipsam dyocesim honorabiliter de curia domini pape descendens et primo ad civitatem Hildensemensem, ubi ante huiusmodi provisionem canonicus prebendatus et ibidem in locis circumvicinis bene possessionatus fuerat, adveniens et per relacionem fidedignorum informatus et in effectu reperiens ecclesiam Verdensem in tantis debitorum oneribus et pluribus quam prefertur constitutam et exstantem et negligencia pretacti predecessoris sui tam miserabiliter desolatam.«133 Der Leser erfährt, dass während eines Zwischenstopps in Hildesheim, in dessen Umgebung Johann von Asel reiche Besitzungen hatte, ihn ein Bericht über die wirtschaftliche und finanzielle Lage seiner neuen Wirkungsstätte erreicht. Der Chronist scheint anzudeuten, dass Johann mit einer Verschuldung Verdens schon gerechnet hatte, doch wollte er sich selbst von der tatsächlichen Situation durch aktuelle Zahlen überzeugen, die ihm nun von Vertrauten präsentiert wurden. Die Misswirtschaft seines Vorgängers hatte Verden in eine tiefe finanzielle Krise gestürzt. Allerdings lässt sich Johann von Asel von diesen Berichten nicht abschrecken: »Nichilominus (sic!) ad ecclesiam ipsam accessit et ibidem per capitulum suum, clerum et populum ecclesie et civitatis Verdensis honorifice receptus et intronizatus.«134 Durch die Brille des Chronisten stilisiert Johann sich hier selbst in der Position des Verantwortlichen, der mit fester Haltung auf die bevorstehende Aufgabe zugeht. In Lüneburg angekommen, übernahm der neue Bischof sogleich die Regierungsgeschäfte. Sein primäres Ziel war die Wiedergewinnung der Stiftsfestung Rotenburg mit
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T. Vogtherr: Einleitung, in: Chronicon episcoporum Verdensium, S. 16. Dazu auch T. Vogtherr: Das Bistum Verden und seine Bischöfe im großen Schisma. Chronicon episcoporum Verdensium 2, S. 152. Ebd.
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ihren Einkünften, die durch das Fehlverhalten Bischofs Heinrich von Hoya an die Lüneburger Herzöge mitsamt dem einstigen freundschaftlichen Treueband mit dem Bischofshof verloren gegangen war. Der hier gewählte Ort Lüneburg ist kein Zufall: Die bedeutende Hanse- und Salinenstadt mit ihrem überregionalen Einfluss war seit jeher ein ›Zufluchtsort‹ für vom Papst ernannte Bischöfe.135 Stellte sich das in der Kathedralstadt Verden residierende Domkapitel gegen ihren Bischof, blieben diesem als Bündnispartner nur die Welfen als benachbarte mächtige Landesherren und eben die Stadt Lüneburg. Die Verfeindungen dieser Parteien untereinander waren groß, wie auch der Einfluss von Adelsfamilien, allen voran den Welfen, generell im Bistum groß war. Begünstigt wurden diese Begebenheiten durch den geografischen Zuschnitt des Bistums, lag die Kathedralstadt Verden doch abgelegen im westlichen Randgebiet des Territoriums, weit weg von der östlichen Grenze des Sprengels und zugleich in unmittelbarer Nachbarschaft zur Erzbischofsstadt Bremen. Wollte ein Bischof also die Konsolidierung Verdens in Angriff nehmen, musste er die differenten und teilweise verfeindeten Interessensgruppen einbeziehen. War er ein päpstlicher Kandidat, hatte sein Augenmerk insbesondere auf dem Verhältnis zum Domkapitel zu liegen.136 Deshalb rief der frisch ernannte Bischof Johann alle Prälaten (und nicht die Laien) seiner Kirche und Diözese zusammen, um mit ihnen gemeinsam die Rückgewinnung Rotenburgs zu besprechen: »ac convocans inibi prelatos tam ecclesie quam dyocesis sue habensque cum ipsis matura consilia pro receptione castri Rodenborg ac reformacione singulorum ad ipsum et ecclesiam suam spectantium subventiones ali-
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Siehe dazu und zum Folgenden: T. Vogtherr: Das Bistum Verden und seine Bischöfe im großen Schisma, S. 133-136. Ein gutes Verhältnis zum Domkapitel aufzubauen wird Johann im Laufe seiner Regierung gelingen. Anschaulich schlägt sich dieses besondere Vertrauensband etwa in Johanns Resignation 1470 nieder, bei der er die Verwaltung in die Hände des Domkapitels übergibt. Johann von Asel war zu diesem Zeitpunkt etwa 90 Jahre alt. Die zweite Rezension erwähnt nichts von dieser ›Schwächephase‹. Lediglich die erste Rezension schreibt dazu: »Sedit annis quadraginta tribus, donec senio confectus episcopatum resignavit anno domini millesimo quadrigrntesimo septuagesimo.« Chronicon episcoporum Verdensium 1 (Rezension 1), in: Chronicon episcoporum Verdensium. Die Chronik der Verdener Bischöfe, hg. und übers. v. Thomas Vogtherr, Stade 1998, S. 42-138; hier S. 134. (Im Folgenden: Chronicon episcoporum Verdensium 1).
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quas premissorum occasione ab ipsis prelatis tam ecclesie quam dyocesis obtinuit.«137 Die Burgenpolitik zur konsensgestützten Verhandlungssache zu machen, erbrachte Bischof Johann nicht nur die Rückendeckung seiner geistlichen Stiftsmannen, sondern auch finanzielle Zuschüsse. Mit der Adressierung seiner Prälaten als Regierungspartner orientiert sich der Kirchenfürst in dieser Situation am ›Team‹. Johann von Asel zeigt sich somit gleich zu Beginn seiner Regierung als Teil von einem größeren Ganzen. Doch sobald gelingt der Rückkauf nicht, fehlen doch weitere Gelder: »Et quia huiusmodi subventiones ad redemptionem predicti castri Rodenborg, quod tunc fere pro duodecim milibus florenis Renensibus fratribus dictis Clencken detinebatur, omnino suffecerunt, de suffragio domini dei et electe genitricis eius ac sancte Cecilie patronorum ecclesie sue firmissime confidens et huiusmodi necessitate compulsus nonulla bona ad mensam suam episcoplalem spectantia cum consensu predicti capituli sui exposuit et inpignoravit fretusque bonis suis propriis, que in numismatibus constituit, per industriam suam acquisiverat possessionem predicit castris Rodenborg modo ac sollerciis, quibus potuit, magnifice recuperavit, quod quidem castrum in multis edificiis suis collapsum et omni provisione miserabiliter desolatum invenit.«138 Mit charakteristischem Gottvertrauen besprach sich Johann also wiederholt mit seinem Kapitel und verkaufte und verpfändete mit Zustimmung der Domherren einige kirchliche Besitztümer. Um schließlich die geforderte Summe von 12.000 Rheinischen Gulden aufbringen zu können, zahlte Johann die Differenz aus seinem Privatvermögen. Die Festung Rotenburg gehörte wieder den Verdener Bischöfen. Praxeologisch bedeutsam ist in den Verhandlungen um Rotenburg das systematische Vorgehen des Bischofs: Zum Aufbringen der geforderten Geldsumme wurden als erstes stiftseigene Einkünfte und freiwillige Zuwendungen festgelegt. Der nächste Schritt war der Verkauf stiftseigener Güter wie deren Verpfändung im Sinne einer kontrollierten Schuldenmachung. Im letzten Schritt überprüfte er rational und kalkuliert abwägend den Bargeldbesitz,
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um schließlich die geforderte Summe aufzubringen.139 All das markiert den Bischof im Erzählentwurf als ökonomisch versiert, als vertrauensvoll und verantwortungsbewusst. Tatsächlich schreiben auch normative Quellen Johann solche Dispositionen und vor allem einen Hang zur systematischen Planung zu: Die Urkunden sprechen vom Verkauf von Streubesitz, der Arrondierung von Kernbesitz im Stiftsgebiet und von aufwendigen Rückkäufen verpfändeter Güter, die es ihm letztlich erlauben, die desolate wirtschaftliche Lage des Bistums zu sanieren und dabei auch seine eigene Stellung in der Region zu festigen.140 Benachbarte Wehrobjekte, die eine Bedrohung für das Stift darstellen konnten, versuchte er in seinen Besitz zu bringen und sie ggf. an stiftstreue (Lehns)Herren zu verpfänden.141 Auf diese Weise brachte Bischof Johann dem Verdener Bistum für viele Jahrzehnte Frieden.142 Das Fundament dieser Entscheidungen ist der gemeinschaftliche Beschluss. Die bewusst gesetzte Transparenz und Kommunikation der finanziellen Situation entbindet Johann in gewisser Weise von seiner Schuld, sollte die Finanzkasse des Bistums durch den Rückkauf am Ende doch noch Schaden nehmen. Zumindest aber macht er deutlich, dass die Finanzlage letztlich die gesamte Stiftsgesellschaft angeht. Seine Selbstbildung war hierfür ausschlaggebend und es erscheint plausibel, wenn auch nicht nachweisbar, hinter Johanns Kommunikationspraxis Einwirkungen aus seiner juristischen Vergangenheit zu vermuten. Deutlich wird indes, dass die Aushandlung zu einem bischöflichen Herrschersubjekt für den Kirchenfürsten im kommunikativen Umgang mit seiner Stiftsgesellschaft stattfindet. Dadurch unterscheidet sich Johann erheblich von seinem Vorgänger Heinrich von Hoya, was sein Chronist immer wieder gezielt in den Bericht einfließen lässt. Denn anders als Heinrich vermag Johann durch systematische Kommunikation und Diplomatie den sozialen Zusammenhalt in 139
Vgl. ebd. S. 153: »…und als er sein Eigentum durchgegangen war, das er an Bargeld besaß, […]«. Es erscheint unklar, ob es bei dem Bargeldbesitz um Johanns Privatvermögen oder das Bistumsbesitz handelt. 140 Vgl. T. Vogtherr: Das Bistum Verden, S. 790. 141 Die erste Rezension der Verdener Chronik greift dies auf. Chronicon episcoporum Verdensium 1, S. 156/158: »Insuper castra Lowenbrugge et Scelgede, que ad ducem Luneborgensem pertinent, sub magnis sumptibus et expensis, ut pacem ecclesie sue per eadem castra, quia castro suo Rodenborg pro defensione ipsius contigua fuerant, ad se recepit et sic infra quatuor dumtaxat annos a tempore introitus sui ad ecclesiam Verdensem multa bona magnifice fecit, que omnia pro nunc non possum scripturis explicare.« 142 Vgl. M. Reimann: Asel, Johann von, S. 29.
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seinem Bistum zu reaktivieren. Die Verhandlungen um Schloss Rotenburg mit den Lüneburger Herzögen enden in einem Freundschaftsverhältnis. Der Bischof verpflichtet sich sogar, die Feste den Herzögen im Kriegsfall wieder zu überlassen.143 So kann er in Zeiten höchster Bedrängnis auch wieder auf die militärische Unterstützung des Stiftsadels setzen, um die Grenzen des Verdener Bistums zu verteidigen.144 Bei all seinen Unternehmungen erscheint der Bischof im Erzählentwurf besonnen und planerisch. Dazu passt, dass Zeiten der Unruhe und Extremsituationen eine bestimmte Wirkung auf den Kirchenfürsten haben. So berichtet sein Chronist, wie Johann von Asel nach einer überstanden Militäraktion sich erst »wieder sammeln«145 musste und Bedenkzeit brauchte, um die nächsten Handlungsstrategien planen zu können: »Itaque prefatus dominus Iohannes episcopus post huiusmodi triunphum sibi de persecutoribus suis ac domino deo sic ut premittitur datum se recolligens […]«146 . Johanns effektive Regierung erbrachte innerhalb von nur vier Jahren eine wirtschaftliche Wandlung.147 Es gelang ihm, die finanzielle Situation des Stiftes aufzubessern, in fremder Hand gelegene Stiftsgüter wieder unter seine Herrschaft zu bringen und sein Territorium vor feindlichen Bedrohungen durch effektive Lehnspolitik und Diplomatie zu schützen. Allemal hat seine Vita damit Vorbildcharakter und Potenzial zur Nachahmung. Seine abschließende chronikalische Beurteilung, die ähnlich wie bei den Erzbischöfen Balduin von Luxemburg und Otto von Ziegenhain auf die Bedeutung von selbstdisziplinierenden Praktiken für die bischöfliche Selbstbildung verweist, erscheint positiv: »Er regierte gut, war für seine Person nicht ausschweifend, kein Trinker, völlig gemäßigt, besten Aussehens, und sein Rat war gesucht.«148 143 Siehe ebd. 144 Chronicon episcoporum Verdensium 2, S. 154: »Quapropter idem reverendus pater huiusmodi tribulacionibus et al.iis vexacionibus innumeris fatigatus, contricionem populi sui ad instar Mathatye ferre non valens illustrem dominum Ottonem ducem in Brunswich et Luneborg nobilem ecclesie Verdensis protectorem ac pheodotarium in auxilium suum invocans, e predictis iniquiis suis persecutoribus intrepide se defendit.« 145 Übersetzung nach T. Vogtherr: Chronicon episcoporum Verdensium 2, S. 157. 146 Chronicon episcoporum Verdensium 2, S. 156. 147 Vgl. ebd. S. 158: »ad se recepit et sic infra quatuor dumtaxat annos a tempore introitus sui ad ecclesiam Verdensem multa bona magnifice fecit, que omnia pro nunc non possum scripturis explicare.« 148 Übersetzung nach T. Vogtherr: Chronicon episcoporum Verdensium 2, S. 159. Chronicon episcoporum Verdensium 2, S. 158: »Erat enim boni regiminis, quoad se ipsum non
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In der literarischen Ausgestaltung des Pontifikats Jakob von Siercks (14391456) stellen politische Aushandlungen und Entscheidungen sogar den Grundtenor dar. Praktiken rund um die Kommunikation markieren die Profession dieses Trierer Erzbischofs und sind seine Routinen. Dabei scheint es, als verfüge der Kirchenfürst über ein Repertoire an kommunikativen Verhaltensmustern, die er situativ abzurufen vermag. »Fuit autem mirum in modum pacis amator; nam saepe numero princibus, comitibus aliisque potentibus, inter se dissidentibus, ex sua prudentia, bella seu guerras maximis laboribus et impensis praecavere consuevit«149 , heißt es etwa in den Gesta Treverorum über ihn. Erzbischof Jakob wird daher in seinem Lebensbericht als ein bischöfliches Herrschersubjekt präsentiert, das sich permanent und in unterschiedlichen Kontexten immer wieder neu als solches aushandeln kann, sich positioniert und entsprechend eine Anerkennung erhält. Austragungsort der Verhandlungen ist im chronikalischen Erzählentwurf überwiegend die Hochpolitik. Als Kurfürst waren die Angelegenheiten des Reiches Teil seines Aufgabenspektrums. Damit verbunden entwickelte Jakob konsequenterweise eine differenzierte Selbstsicht seiner eigenen Position, die ihn auch von den übrigen Reichsbischöfen unterschied. Es war sein Bestreben, die kurfürstliche Stellung innerhalb des Reichsverbandes auszubauen, mit dem Ziel, eine konstruktivere Reichspolitik einzuführen, »in der die Kurfürsten die Akzente setzten«150 . Sein Antrieb ist die Friedenssicherung im Reich. Um dies zu erreichen, scheut der Kirchenfürst weder Kosten noch Mühen: Nahezu selbstaufopfernd verfolgt er mit intellektueller Energie solange sein Ziel, bis er es erreicht hat. »Mit Jakob von Sierck trat ein ausgesprochen »moderner« Mann an die Spitze des Erzstifts, dem schon viele Merkmale eines frühneuzeitlichen Staatsmannes anhafteten. Ein immenser Fleiß mit persönlicher Aktenführung, selbstgestaltete, nicht durch Räte determinierte Politik, ein Auge für die prinzi-
luxuriosus, non potator, bene moderatus, optime facundie et desiderati consilii.« Später wurde Johann Berater König Christians I. von Dänemark, Norwegen und Schweden (1426-1481). Dazu Chronicon episcoporum Verdensium 2, S. 158: »ita ut mereretur fuisse consiliarius serenissimi domini principis Cristierni Dacie, Swecie, Normannie, Gottorum et Slauorum regis, ducis Slezuicensis ac comitis Holsacie, Stormarie, Oldenborch et Delmenhorst.« 149 Gesta Trevirorum II, S. 330. 150 Miller, Ignaz: Jakob von Sierck: 1398/99-1456, Mainz 1983, S. 284.
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piellen Probleme und ein Sinn für den großen Entwurf ließen ihn zu einer Ausnahmegestalt unter den Kurfürsten geraten«151 , resümiert Ignaz Miller abschließend über ihn. Diese Verhaltensorientierung erbrachte ihm dereinst auch den Karriereaufstieg im Feld der Hochkirche, verdankt er diesen doch nicht einer vornehmen Herkunft, sondern seinen persönlichen Fähigkeiten, seinem Geschick im klugen Knüpfen von Verbindungen und seiner Vernetzung im Niederadel.152 Sein Karriereweg begann 1414 mit dem Studium des kanonischen Rechts in Heidelberg, Florenz und Rom (1420/21). Entscheidende Kontakte zu hochpolitischen Machthabern knüpfte er in dieser Zeit als Gesandter des Herzogs von Lothringen, auf Konzilien und an der Kurie. Als Scholaster (1423) und Großarchidiakon (1439) in Trier stellte er seine Fähigkeiten in der kirchlichen Verwaltung unter Beweis.153 Jakobs Karriereweg steht durchaus im Kontext seiner persönlichen Ambitionen. Das Erreichen eines erzbischöflichen Amtes war sein klares Ziel. Bereits 1430 wurde er neben Ulrich von Manderscheid in einer Doppelwahl zum Erzbischof erwählt, verzichtete jedoch zugunsten des päpstlichen Gegenkandidaten Raban von Helmstatt. Die nun beginnende Zeit der Unruhe – bekannt als Manderscheidsche Fehde154 – nutzte Jakob weiterhin, um seine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Dem zollte man Achtung im Trierer Domkapitel: Der resignierende Raban von Helmstatt ernannte ihn im April 1439 zu seinem Koadjutor. Am 19. Mai kamen Kapitel und Papst Eugen IV. darin überein, Jakob zum neuen Erzbischof von Trier zu ernennen. In dieser Position machte sich der Kurfürst zu einer »führenden Figur in der Reichs- und Kirchenpolitik«155 . Sein nahezu übersteigertes Engagement und seine reichspolitische
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Ebd. Gesta Trevirorum II, S. 329: »Vir profecto eminentis ingenii et industriae.« Vgl. auch Holbach, Rudolf: Jakob v. Sierck, Ebf. v. Trier, in: Lexikon des Mittelalters 5, Sp. 289-290, hier S. 290 sowie Ders.: Sozialer Aufstieg in der Hochkirche. Zu Jakob von Sierck siehe insbesondere I. Miller: Jakob von Sierck sowie Ders.: Der Trierer Erzbischof Jakob von Sierck und seine Reichspolitik, in: Rheinische Vierteljahrblätter 48 (1984), S. 86-101. Grundlegend Seibrich, Wolfgang: Sierck, Jakob von (1398/991456), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, S. 663665; R. Holbach: Jakob v. Sierck; Boockmann, Hartmut: Jakob I. von Si(e)rck, in: Neue Deutsche Biographie 10, Berlin 1974, S. 315-316. Vgl. Laufner, Richard: Die Manderscheidsche Fehde, eine Wende in der Geschichte Triers, in: Trierisches Jahrbuch (1953), S. 48-60. R. Holbach, Rudolf: Jakob v. Sierck, Sp. 289.
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Präsenz brachten ihn unter den Machthabern seiner Zeit hohe Anerkennung ein. Mit symbolischer Wirkung nennt seine Chronik höchste Würdenträger als Referenz für seine herausragende Eignung und Exklusivität:156 »Vir profecto eminentis ingenii et industriae, qui quondam Renati, regis Siciliae, cancellarius fuit: Eugenio pontifici summo et Sigismundo caesari praecipue charus. Nam solus inter eosdem super differentiis post multiplicem tractatum pacem effecit.«157 Gleichwohl urteilt seine Lebensbeschreibung nicht durchweg positiv über ihn. Vielmehr fällt sein Tatenbericht in den Gesta Treverorum ungewöhnlich ambivalent aus. Dies ist nach Markus Müller darauf zurückzuführen, dass es sich bei dem chronikalischen Erzählentwurf um eine Kompilation aus einer Vita der »Gesta-Treverorum«-Handschriften des 15. Jahrhunderts« und einer Vita handelt, die dem Chronicon quadripartium III – der Eberhardsklausener Handschrift – entnommen ist.158 Der Bericht von den Taten Jakobs setzt sich also aus zwei Viten zusammen, die nicht nur zwei differierende Bewertungen enthalten, sondern auch aus zwei unterschiedlichen sozialen Perspektiven verfasst wurden. Während die Eberhardsklausener Handschrift (Vita II) von einem Parteigänger Jakobs verfasst wurde, der – nicht frei von Kritik an der Regierungsweise des Erzbischofs – in der Darstellung zwischen regionaler und Reichsebene wechselt, um die individuellen und positiven Fähigkeiten des Kirchenfürsten zu würdigen159 , steht der Autor der Gesta-TreverorumHandschrift (Vita I) dem Siercker nahezu feindselig gegenüber.160 Dieser Verfasser war sicherlich ein Geistlicher, gehörte aber nicht dem Trierer Domkapitel an. Vielmehr schrieb er nach Markus Müller aus der Perspektive der sich formierenden kurtrierischen Landstände. »Aus diesem Blickwinkel […] mußte die Bilanz für den Erzbischof vernichtend ausfallen. Daß Jakob auch erfolgreich den inneren und äußeren Frieden gesichert und eine Universitätsgründung in Angriff genommen hatte sowie aktiv als Kirchenreformer in seiner Diözese tätig war, spielte daneben kaum eine Rolle.«161 156
Vgl. Reinle, Christine: Herrschaft durch Performanz? Zum Einsatz und zur Beurteilung performativer Akte im Verhältnis zwischen Fürsten und Untertanen im Spätmittelalter, in: Historisches Jahrbuch 126 (2006), S. 25-64. 157 Gesta Trevirorum II, S. 329. 158 Vgl. M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 273. 159 Vgl. ebd. S. 279. 160 Vgl. ebd. S. 273. 161 Vgl. ebd. S. 278.
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Jakobs ernstgemeinte und gelebte Frömmigkeit162 und humanistische Weltanschauung163 , sein Interesse am Reichsfrieden, aber auch tiefgehende dynastische Interessen164 mit nepotistischen Tendenzen schließen seine (chronikalische) Charakterisierung ab. Als »unbestrittener Meister«165 bezeichnet Jakobs neuzeitlicher Biograf Ignaz Miller den Erzbischof in Bezug auf die unzähligen Verhandlungen, die er Zeit seines Lebens führte. Der Blick in seine Vita bestätigt die nahezu leidenschaftliche Passion des Kirchenfürsten, als ein gewandter Akteur der Weltpolitik Verhandlungen zu führen, Frieden zu stiften und Ratschläge zu erteilen. Gleich in seinem ersten Jahr als Trierer Kurfürst und Erzbischof koordinierte er die Wahl Kaiser Friedrichs III. – »ingenio suo«166 wie sein Chronist bemerkt – und wurde Verwalter der kaiserlichen Kanzlei. Als praxeologisch bedeutsam erweist sich insbesondere die chronikalische Ausgestaltung von Jakobs Verhandlungs-Verhalten, die dem Leser gleich zu Beginn seiner Lebensbeschreibung präsentiert wird: »Er war bei Verhandlungen äußerst verschlagen, so daß niemand ihn überlisten, aber auch niemand ihm trauen konnte, da er immer mit seinen Edelleuten in Gleichnissen redete, niemals [dagegen] herzlich und vertrauensvoll.«167 Schwingt auch eine gewisse Achtung vor der Intelligenz des Erzbischofs in dieser Darstellung mit, so wird hier über Jakob doch in erster Linie ein negatives Urteil gefällt. Der Siercker ist alles andere als ein Teamplayer. Denn den
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Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 333f. So z.B. der Bau eines Gymnasiums. Gesta Trevirorum II, S. 331: »…et quod apud T r e v i r o s G y m n a s i u m erigi posset, impetravit.« (Herv. i.O.). 164 Bezeichnend hierfür etwa ist der Ort der Bischofsweihe: Auf Wunsch Jakobs fand sie in der Sierckschen Familienburg Mensberg statt. Gesta Trevirorum II, S. 328: »Anno igitur Domini millesimo quadringentesimo tricesimo nono dominus J a c o b u s d e S y r c k, scholasticus ecclesiae Trevirensis, possessionem ejusdem ecclesiae nactus, a sede apostolica confirmatione obtenta, in castro Meynsberch archiepiscopus consecratur.« (Herv. i.O.). 165 I. Miller: Jakob von Sierck, S. 64. 166 Gesta Trevirorum II, S. 329. 167 Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 29. Gesta Trevirorum II, S. 329: »Hic fuit multum astutus in negotiis, ita ut nullus potuerit eum intelligere, nec de ipso confidere: quia semper in parabolis loquebatur cum nobilibus suis, et nunquam cordialiter neque confidenter.«
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in dieser Szene angesprochenen Stiftsvasallen entzieht er durch die ›parabolische‹ Kommunikation demonstrativ sein Vertrauen, scheut sich Jakob doch mit dieser Strategie, konkrete Inhalte und Regierungspläne preiszugeben. Er wollte nicht verstanden werden bzw. wollte sich durch seine instrumentalisierte Unkonkretheit Handlungsmöglichkeiten offenhalten. Und so veranschaulicht sich hier aussagekräftig die soziale Positionsbestimmung: Jakob, sich selbst als überlegen stilisierend, den niemand überlisten kann. Der Hofstab, adressiert als kognitiv unterlegen, als uneingeweihter und machtloser Außenstehender. Jakobs Verhalten löst Verwirrung in der Trierer Stiftsgesellschaft aus. Durch die Brille des Chronisten wird eine Unstimmigkeit zwischen dem Selbstverständnis des Kirchenfürsten und den proklamierten Erwartungen seiner Umgebung spürbar. Möglicherweise hatte die bischöfliche Ausdrucksweise eine dermaßen eloquente Kunstfertigkeit erreicht, dass sie von den nobiles nicht mehr verstanden werden konnte. Möglicherweise waren die inhaltlichen Themen zu spezifisch und komplex: Man verstand Jakob von Sierck nicht und das schürte Misstrauen. Doch aus Jakobs Perspektive hat dieses Verhalten durchaus seine Berechtigung. Wurde der Siercker auch einstimmig vom Domkapitel erwählt, die Beziehung zu einem Teil des Klerus und Stiftsadel verschlechterte sich alsbald nach seinem Amtsantritt.168 Der pragmatisch veranlagte Erzbischof fand zu Beginn seiner Regierung ein heruntergewirtschaftetes Bistum vor.169 Die Finanzkasse war leer und die sich formierenden Landstände waren durch die Unruhen der Manderscheidschen Fehde zerstritten.170 Um effektiv handeln zu können, umging Jakob bewusst ein Mitspracherecht der Domherren und verweigerte die Vereidigung auf eine Wahlkapitulation, die ihn zur »Marionette des Kapitels«171 hätte werden lassen. Das Vertrauen zwischen dem Erzbischof und mindestens eines Teils des Kapitels – ein ihm zugewandter Teil wurde von seinem Bruder Philipp angeführt – war also getrübt. Auch der Stiftsadel musste sich alsbald von den eifrigen Konsolidierungsplänen des 168 Vgl. R. Holbach: Stiftsgeistlichkeit im Spannungsfeld von Kirche und Welt, S. 253f. 169 Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 329: »Hic intrando possessionem archiepiscopatus in omnibus ecclesiae promptuariis non tantum reperit provisionis vini, bladi et ceterorum, ut pro se et familia sua refici potuerit una dumtaxat die. Omnia quippe castra, oppida, thelonea ac census ecclesiae impignorata et aere alieno gravata fuerunt. Nam antea episcopus Leodiensis pro coadjutoria Rabani summam sexaginta millium florenorum, pariformiter Rabano in cessione sua in numerata pecunia persolvit.« 170 Vgl. I. Miller: Jakob von Sierck, S. 54f. 171 Ebd. S. 60.
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Erzbischofs überrollt gefühlt haben. Durchaus provozierend ging Jakob in seinen Regierungsgeschäften vor, verstand es aber »sich nicht zuviele Gegner auf einmal heranzuziehen«172 . So ist es möglich, in dem oben geschilderten Verhalten des Trierer Erzbischofs eine Art Schutzmaßnahme zu vermuten. Der Siercker zieht seine Selbstsicherheit aus einem Überlegenheitsgefühl, das er vorzugsweise dadurch erhält, indem er andere in Verwirrung ja sogar Furcht versetzt. Der Effekt ist ein eher belastetes Verhältnis zu seinem Stiftsadel: »Unde effectum est, ut archiepiscopus usque ad finem vitae a reliquis in timore et reverentia haberetur, nihil, quod expeteret, abnuere ausis.«173 Auch im Umgang mit offensichtlichen Widersachern erscheint das Schüren von Verwirrung sowie gute Informationsquellen für Jakob geeignete Mittel zur Verteidigung.174 Als einmal 20 Edelherren mit einem Heer gewaltsam den Kirchenfürsten absetzen und ihn des Landes vertreiben wollten, hatten sie nicht mit dem effektiven Informationsnetzwerk ihres Erzbischofs gerechnet. Dieser war längst über das Vorhaben informiert und bereitete sich bereits »mannhaft«175 auf die Vereitelung des Unterfangens vor. Am Ende machen 100 Fuder Wein den Aufstand letztlich zunichte: Zur Umsetzung ihres Vorhabens raubten die Verschwörer Moselwein. Doch unvermittelt nahm der Erzbischof selbst das Diebesgut an sich, sehr zum Erstaunen der Unruhestifter. Die Tat reichte aus, um bei den Aufständischen Zweifel am Gelingen der eigenen Sache aufkommen zu lassen. So gelingt es dem Erzbischof, sich auf die im Vollzug der Handlung situativ ergebenen Möglichkeiten einzulassen und sie zu seinen Gunsten zu verwirklichen. 172 173 174
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Ebd. S. 64. Gesta Trevirorum II, S. 331. Vgl. ebd. S. 330: »Non tamen vir tantus caruit aemulis invidentibus; maxime enim his exosus erat, quibus praedae, caedes et cetera mala bono et honesto potiora fuerunt. Postea complures comites, barones, circiter viginti, in ipsum conspiratione clanculum edita, animum habuere maximo exercitu, ut potentes erant, Trevirensem principatum invadendi, ipsumque antistitem adeo persequi, ut patria depulsum extorrem omnino redderent. Quod quidem instans malum, beatissimo Petro tutore, praecautum est; quia de hujuscemodi factione praesul plene avisatus, se ad defensionem, ut erat animosus, viriliter praeparavit. Inprimis namque centum carratas vini adversariis ademir, quas ipsi adversarii dolose, nomine cujusdam principis rem dissimulantis, de Mosella abduci procuraverant, usui belli, quod imminebat, applicandas, sibique servavit. Quo percepto machinantium animi perplexi a proposito praecipitit celeriori finde destiterunt, pontificem in suis dignitate et potentia sinentes.« Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 29.
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Mit diesen entwickelten Kompetenzen tritt Jakob von Sierck auch auf reichspolitischer Ebene als Friedensbringer und Streitschlichter auf. In den 50er Jahren des 15. Jahrhunderts herrschten problematische Beziehungen zwischen den rheinischen Kurfürsten.176 Pfalzgraf Friedrich bei Rhein (1425-1476) erhob nach dem Tod seines Bruders Ludwig IV. (1424-1449) als Vormund seines unmündigen Neffen Philipp (1448-1508) Anspruch auf die Kurfürstenwürde. Um dieses Vorhaben zu vereiteln, ging der Mainzer Erzbischof Dietrich (Theoderich) Schenk von Erbach (1434-1459) ein Bündnis mit dem Markgrafen Jakob von Baden (1431-1453) ein, dem sich Herzog Stephan von Bayern anschloss. Jakob von Sierck sympathisierte mit dem Pfalzgrafen, hatte er in ihm doch ein intellektuelles Pendant gefunden. Daher unterstützte er ihn bei seinen Fehden und setzte sich für die Anerkennung seiner »Arrogation« beim Papst ein. Als der Kölner Erzbischof Dietrich von Moers (1414-1463) sich ebenfalls Friedrichs Sache annahm, Jakob es aber nicht gelang, auch die Mainzer Partei umzustimmen, drohte die Situation im Rheingebiet zu eskalieren. Unterstützt von Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg (1414-1486), dem Speyerer Bischof Reinhard von Helmstatt (1438-1456) und dem Deutschmeister Jost von Venningen (†1455) rief Jakob im Sommer 1453 eine Zusammenkunft der Kontrahenten ein, um eine Militäraktion zu verhindern. Die Gesta Treverorum berichten: »Sequenti anno ortis dissensionibus inter Theodericum, Moguntinensem archiepiscopum, Stephanum, duce, Bavariae, Jacobum, marchionem Badensem, ab una parte, et Fredericum, Palatinum comitem Rheni, ab altera; unde verebatur, peringentes potuisse exoriri guerras: magnificus praesul Jacobus, instituta ad Wormatiam dieta, aestate media partibus hinc inde comparentibus, sex hebdomatibus pro concordia tractans, tandem sufferentiis triennalibus, modo compromissi, bellum, quod acerrimum imminebat, ea vice sustulit, atque praevenit«177 . Die Situation war also brisant. Spannend erscheint jedoch, dass letztendlich Jakobs Selbstbildungsfähigkeit für den erfolgreichen Ausgang in Form eines dreijährigen Waffenstillstandes verantwortlich zeichnet. In der chronikalischen Ausgestaltung präsentiert sich der Trierer Erzbischof neutral und
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Zum Folgenden insbesondere I. Miller: Jakob von Sierck, S. 230f. Gesta Trevirorum II, S. 332/333.
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unbefangen. Selbst Kurfürst des Reiches, hebt ihn diese Haltung von seinen Amtskollegen hervor und markiert die soziale Positionierung der teilnehmenden Akteure. Denn gleichzeitig unterwirft sich Jakob dem Wohlergehen des Reiches. In einer schon fast extrem übersteigerten Wahrnehmung seiner Reichspflichten (concilium et auxilium) ›opfert‹ sich der Siercker für das Gelingen seines Unterfangens nahezu auf. Die Dauer (6 Wochen) und die Jahreszeit (Sommer) verdeutlichen die hohen Anstrengungen. Geduld und Ausdauer muss Jakob mitbringen, während er immer wieder beharrlich versucht, die Kontrahenten zu einem Kompromiss zu bewegen. Dabei werden seine Freude am Disput und das Ausleben seiner intelligenten Energie ein erheblicher Ansporn gewesen sein. Wortgewandtheit und Kommunikationsfähigkeit hat Jakob als habitualisierte Dispositionen verinnerlicht. Dahinter lassen sich durchaus auch humanistisch geprägte Wertvorstellungen vermuten, die Jakob in politischen Verhandlungen veröffentlichte.178 Für Jakob geht die Episode also gut aus. Durch die Brille des Chronisten gesehen ist es ihm gelungen, in der Praktik der Verhandlung als mitspielfähiges und darüber hinaus tonangebendes Subjekt anerkannt zu werden. Dabei wird in der chronikalischen Ausgestaltung des Sierck’schen Pontifikats immer wieder deutlich, in welcher Abhängigkeit die Aushandlung in ein bischöfliches Herrschersubjekt zu Situation und teilnehmenden Akteuren steht. Besonders eindrucksvoll kann dies durch die überlieferten Ereignisse auf dem Reichstag 1455 veranschaulicht werden: »Deinde anno Domini millesimo quadringentesimo quinquagesimo quinto, circa festum Epiphaniae iterum, famulatu praelatorum, procerum ornato, caesarem in generali conventu nationis Germanicae, causa praeparandae expeditionis erga Turcas ad novam civitatem Austriae indicto petiit, et inter agitandum coram imperiali Majestate, audientibus omnibus principum et communitatum oratoribus, exhortatoriam fecit orationem, minime segni parcens caesari, quod a plerisque laudatum est.«179 Recht widerwillig hatte Kaiser Friedrich III. die Fürsten des Reiches nach Wiener Neustadt einberufen, um über die drohende Türkengefahr zu bera-
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Vgl. dazu A. Schmidt: Humanistenbischöfe, S. 184: »Der orator, der humanistisch gebildete, redegewandte Diplomat, der sich auf der politischen Bühne bestätigte und bewährte, wurde das Vorbild, an dem sich alle Humanisten orientierten.« Gesta Trevirorum II, S. 334.
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ten.180 Der 1453 von Papst Nikolaus V. ausgerufene Türken-Kreuzzug interessierte den Kaiser herzlich wenig. Auf den zuvor veranschlagten Reichsversammlungen in Regensburg (Mai 1454) und Frankfurt (Oktober 1454) erschien er nicht einmal. Gleichwohl hielt sich das Interesse der Reichsfürsten für einen Kreuzzug in Grenzen und für die Zahlung eines Türken-Zehnten konnten sie sich schon gar nicht begeistern.181 Im Sinne der mittelalterlichen Reichsstruktur waren regelmäßige, häufige und persönliche Zusammentreffen der Machthaber unerlässlich für das politische Funktionieren. Die Reichsversammlung war der zentrale Ort, an dem soziale und machtpolitische Positionierungen ausgetragen wurden. Die Versammlung bot die Plattform, um in rituellen Verhaltensweisen Rang und Status zu präsentieren und zu legitimieren.182 Sie bot aber auch Gelegenheit zur Disputation. Die oben erwähnte Episode deutet an, dass Jakobs Standpunkt konträr zur kaiserlichen Sichtweise steht. Mit einer demonstrativen Entschlossenheit ermahnte er Friedrich öffentlich und forderte ihn auf aktiv zu werden. Was von einigen anwesenden Reichsfürsten begrüßt wurde, fanden andere möglicherweise überzogen. Denn hinter Jakobs »Mahnrede«183 lässt sich auch ein Wutausbruch vermuten,184 war der trierische Kurfürst doch diesmal enttäuscht: Seit Wochen liefen Verhandlungen mit dem Kaiser über neue Reichsreformpläne und seit Wochen blieb Friedrich III. einer klaren Ansage schuldig. Diese passive Haltung des Kaisers und, damit verbunden, der Stillstand der Verhandlungen mussten für Jakob unerträglich gewesen sein. Mit seiner öffentlichen Schelte adressiert er das Reichsoberhaupt als verantwortungslos, während er gleichzeitig seine eigene Qualifizierung zur Schau stellt. Jakob spricht als aktiver Politiker, der sich angesichts der bewusst ablehnenden Haltung des Kaisers in einer übersteigerten Beraterposition wiederfindet.185
180 Vgl. dazu Annas, Gabriele: Kaiser Friedrich III. und das Reich: Der Tag zu Wiener Neustadt im Frühjahr 1455, in: Fuchs, Franz (Hg.): König und Kanzlist, Kaiser und Papst: Friedrich III. und Enea Silvio Piccolomini in Wiener Neustadt, Wien 2013, S. 121-150. 181 Vgl. I. Miller: Jakob von Sierck, S. 244f. 182 Vgl. G. Althoff: Die Macht der Rituale. 183 Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 32. 184 So I. Miller in seinen Anmerkungen auf S. 249. 185 Anzumerken ist, dass der Kaiser schon zu Beginn seiner Regentschaft deutlich gemacht hatte, dass er nicht gewillt war, seine Entscheidungsmacht auf die Wünsche der Kurfürsten zu setzen.
Erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung
Die Gesta überliefern nicht die unmittelbare Reaktion des Kaisers auf diesen verbalen Angriff, doch geht Jakob auch nicht als Sieger aus der Argumentation hervor. Am Ende bittet der Kaiser ihn um ein Privatgespräch, über dessen Verlauf nur spekuliert werden kann, das aber zumindest der Trierer Kirche von Nutzen ist: »Multa tunc pro se et ecclesia Trevirensi coram caesare tractavit; novam omnium privilegiorum ecclesiae suae confirmationem sub aureis bullis in forma uberiore impetravit.«186 Anzumerken bleibt die chronikalisch demonstrierte Möglichkeit Jakobs, sich in den unterschiedlichen Verhandlungssituationen immer wieder neu als erzbischöflich-kurfürstliches Herrschaftssubjekt auszuhandeln: als kognitiv überlegener Stratege gegenüber seinen Stiftsvasallen, als neutraler Streitschlichter im Kreise der Reichsfürsten und sogar als qualifizierter Staatslenker in Gegenwart des Kaisers. Anschaulich verweist der Gestaautor auf die entstehenden Reibungspunkte, etwa zwischen dem Subsystem der Trierer Stiftsgesellschaft umd dem Kaiser selbst mit seinem Selbstverständnis; unterschiedliche soziale Felder, in denen sich Jakob wohl zu positionieren weiß. Allerdings kann eingeräumt werden, dass die ständige Mobilität des Erzbischofs, die eine zentrale Praktik seines Bischofseins ausmacht, als eine deutliche Übersteigerung im Zuge seiner Selbstbildung betrachtet werden kann. Für Jakob diente das Reisen187 der Erfüllung seiner Wunschstrukturen. Im ersten Teil seines Karrierewegs war es das Bekanntwerden an Kurie und Königshof zur Erlangung seiner Bischofswürde; im zweiten Teil war es die Präsenz seiner Person innerhalb des Trierer Raumes sowie der Hochpolitik. Mobilität188 aber war mit Kosten und Strapazen verbunden. In einer persönlichen Aufzeichnung beklagt sich der Siercker immer wieder über die »groisen kost«189 , die ihm durch seine Reisen entstanden. Ignaz Miller hat dabei herausgestellt, dass auf »[…] den Reisen zu Papst, Friedrich III. und Karl VII. […] die Anzahl seiner Begleiter bei 120-130 Pferden – der Einheit, in der das Geleit gezählt zu werden pflegte – [lag,] wobei allerdings 186 Gesta Trevirorum II, S. 334. 187 Vgl. Drabek, Anna Maria: Reisen und Reisezeremoniell der römisch-deutschen Herrscher im Spätmittelalter, Wien 1964. 188 Die Hoffahrt war ein wesentlicher Pflichtpunkt der Kurfürsten, war aber nicht geregelt und wurde entsprechend von den Protagonisten unterschiedlich interpretiert. Für die Erzbischöfe Kölns etwa stellte Hugo Stehkämper nur in Bezug auf Friedrich I. fest, dass er diese Pflicht deutlich übererfüllte, vgl. H. Stehkämper: Der Reichsbischof und Territorialfürst, S. 120. 189 Zitiert nach I. Miller: Jakob von Sierck, S. 278.
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allein der alltägliche Personenkreis am Hofe circa 100 Personen zu umfassen pflegte.«190 Als Trierer Erzbischof ließ Jakob es sich nicht nehmen mit einem stattlichen Gefolge zu reisen und seine Stellung eines Fürsten damit zu unterstreichen. »Bescheidenheit«, so schreibt Miller in seiner Jakob-Biografie, »charakterisiert ihn nicht.«191 Schiffe waren für diese Demonstration besonders geeignet und erlaubten zugleich, die Zeit des Reisens zur Weiterführung der Geschäfte zu nutzen.192 Wie prächtig das Schiff des Sierckers gewesen sein muss, ist aus einem zeitgenössischen Bericht über die Krönungsfahrt Friedrichs III. zu Schiff von Frankfurt enthalten: »und hatten unser herre von Mencze und von Triere ire grossen herlichen schiffe […] und uff iglichs ir wapen und wympel. […] Und furen uff ein male sin konigliche gnade und die andern fursten mit eyn an mit iren grossen bannern, iren piffen und bosunen mit einer grossen menge und grosser herlichkeid den Meyne abe«193 . In der Praktik des Reisens wird Jakob von Sierck als ein fürstlicher und zugleich eifriger Regierender konstituiert. Allerdings erfordert diese Praktik einen entsprechenden »Umgangskörper«194 , der sich den Unannehmlichkeiten einer Reise anzupassen vermag, bzw. müssen die Wunschstrukturen den Beschwerlichkeiten vorangestellt werden.195 Jakob von Sierck tat dies mehr als jeder andere Kurfürst seiner Zeit und nahm dabei die Strapazen einer Reise auch dann auf sich, wenn tiefster Winter herrschte und es sein Gesundheits-
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Ebd. Ebd. S. 280. Ebd. Janssen, Johannes: Frankfurts Reichscorrespondenz nebst anderen verwandten Aktenstücken von 1376-1519, I-II, Freiburg 1863-1872; hier Bd. I, Nr. 72. 194 Gebauer, Gunter: Wittgensteins anthropologisches Denken, München 2009, S. 95ff. Jakobs Vorgänger Werner von Falkenstein verfügte, wie oben dargelegt, nicht über einen solchen Körper: Bereits wenige Jahre nach Antritt seiner Regentschaft konnte er aufgrund von Krankheit und Verwirrung die Amtsgeschäfte nicht mehr persönlich ausführen, weshalb das Domkapitel auf eine Absetzung drängte. Dazu auch R. Holbach: Die Besetzung des Trierer Erzbischofsstuhls, S. 32/33. 195 Zu erwähnen ist auch die mit den langen Reisen verbundene Abwesenheit des Regenten aus seinem eigenen Bistum. So war es nicht selten, dass Verhandlungen mehr als sechs Wochen in Anspruch nahmen, Vgl. I. Miller: Jakob von Sierck, S. 230f.
Erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung
zustand eigentlich nicht zuließ196 . Bezeichnenderweise werden in diesem Zusammenhang auch Jakobs letzte Stunden in seiner Vita beschrieben: »Von Gift gequält, wie man vermutet, in sehr schlechtem Zustand zu Schiff nach Pfalzel gebracht«197 kehrt er aus Österreich heim. Es könnte sein, dass sein Gesundheitszustand eine Reise zu Pferd bzw. im Wagen nicht mehr erlaubte. Insgesamt erscheint die Beurteilung des Sierckschen Pontifikats positiv, denn es heißt abschließend über ihn: »Et licet ecclesia Trevirensis debitorum oneribus nimium fuerit gravata, ipse tamen archiepiscopus, ut erat magni consilii et providentiae, patriam tranquille rexit, tutando subditos spirituales et saeculares pro posse; nec dedignabatur ea de causa soldatis et satellitibus grandem exponere pecuniam«198 . Zusammenfassend verdeutlicht ein vertiefender, praxeologisch ausgerichteter Blick auf das kommunikative Verhalten bischöflicher Herrschaftsträger bzw. auf Kommunikationssituationen zum einen die Abhängigkeit der Akteure von (Handlungs-)Partnern und (Handlungs-)Situationen: Jedes Mal war der Bischof gezwungen, sich neu als Herrschaftssubjekt auszuhandeln und zu positionieren, um Anerkennung zu erlangen. Insbesondere Praktiken der Kommunikation erhalten dabei eine große Bedeutung, wie sie auch als essenziell für die Selbstbildung der Herrschaftsträger zu bezeichnen sind. Zum anderen griffen die historischen Chronisten das Motiv kommunikativer Situationen (Verhandlungen) auf, um in der erzählerischen Ausgestaltung die Herrschaftskompetenz der Akteure zu verhandeln.
12. Fallbeispiele im Kontext der Geistlichkeit Im 14. Jahrhundert regierte im Bremer Erzstift an der Weser Erzbischof Burchard Grelle. Das Besondere an ihm: »he was geboren van erliken borgeren to
196 Vgl. I. Miller: Jakob von Sierck, S. 247. S. 232: »Bekanntlich war keiner der Kurfürsten so häufig und weit gereist wie Jakob von Sierck.« 197 Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 32. Gesta Trevirorum II, S. 335: »Postremo eo ex Austria reverso circa festum sancti Michaelis, anno quo supra, ut opinabatur, veneno tortus, adversa valetudine Palatiolum navigio venit, aegritudine indies ingravescente.« 198 Gesta Trevirorum II, S. 333.
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Bremen«199 , berichtet die Bremer Stadtchronik.200 Angesehen und reich war sein Elternhaus, das ihm beste Möglichkeiten für eine geistliche Karriere eröffnete. Das Studium der Freien Künste in Paris erbrachte ihm den Grad eines Magisters. 1311 wurde er Propst des St.-Alexander-Stifts in Wildeshausen und vom Bremer Domkapitel zum Archidiakon von Rüstringen ernannt. Sein Vorgänger Erzbischof Jens Grand (1310-1327) ernannte den Ratsherrnsohn für die Zeit seines Konzilbesuchs in Vienne zum Generalvikar. Auch als Vizedekan ist er belegt.201 Grelle hatte sich durch diplomatische und fachliche Kompetenzen beim Domkapitel und bei der Kurie große Anerkennung verschaffen können. Als Jens Grand 1327 starb, konnte er eine breite Anhängerschaft vorweisen, die seine Ernennung zum Erzbischof – in Erwartung an eine tatkräftige Regierung – unterstützten.202 Die Erhebung eines Bürgerlichen zum Erzbischof erschien 1327 nach der Regierung des schwierigen und landfremden Jens Grand »geradezu logisch«, versäumte es Grand doch, »die fein austarierten Machtverhältnisse von Stift und Diözese zum eigenen Nachteil«203 zu beachten. Joseph König sieht in der Ernennung Grelles die Entwicklung des Bürgertums zu einem bedeutenden Machtfaktor,204 während Herbert Schwarzwälder in diesem bürgerlichen Pontifikat die Neigung des Domkapitels erkennen will,
199 Die Bremer Chronik von Rinesberch, Schene und Hemeling, hg. v. Hermann Meinert (Die Chroniken der niedersächsischen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 37), Bremen 1968, S. 117. (Im Folgenden: Bremer Chronik). 200 Die Episoden, die sich mit Burchard Grelle befassen (Kap. 426-444), entstammen der Zusammenarbeit der beiden Geistlichen und Stadtchronisten Bremens, Gert Rinesberch und Herbort Schene. Vgl. dazu Meinert, Hermann: Einleitung, in: Bremer Chronik, S. 38. 201 Vgl. zu Schulze, Heinz-Joachim: Burchard Grelle, in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 93-95. 202 So setzten das Bremer Domkapitel, Geistliche, Gelehrte, Ratsherren und Richter, Fürsten und Edle des Erzstifts Bremen sowie Professoren der Universität Paris ein Schreiben an Papst Johannes XXII. auf und baten um die Ernennung Grelles. Siehe dazu König, Joseph: Zur Biographie des Burchard Grelle, Erzbischofs von Bremen, und der Geschichte seines Pontifikats (1327-1344) in: Stader Jahrbuch 76 (1986), S. 30-87, hier S. 36 unter Berufung auf die Bremer Regesten II, 2nr 252, 253. Da Jens Grand im Avignon verstarb, oblag die Neubesetzung des Bremer Erzstuhls dem Papst. 203 Vogtherr, Thomas: Erzbistum Bremen (-Hamburg) (ecclesiaBremensis), in: E. Gatz (Hg.): Die Bistümer des Heiligen Römischen Reiches von den Anfängen bis zur Säkularisation, S. 113-127, hier S. 120. 204 Vgl. J. König: Zur Biographie des Burchard Grelle, S. 36.
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»gelegentlich […] einen schwachen Herrn auf den Erzstuhl zu heben.«205 Die Bremer Stadtchronik urteilt abschließend insgesamt positiv über ihn: »he was ein schone man van personen unde an wisheit vorluchtet unde gesiret unde dogeden rike mit guden seden. desse erbare man was grofflik an bedervicheit, tomale selsam grot van mildicheit an sinen worden unde to sprekende gudtlick; den Godt aldus hedde togevoget to den luckegen, also vogede he ene ock to der schaere der seligen.«206 Seine tiefgehende Verbundenheit mit Bremen mag ein Grund dafür gewesen sein, dass Erzbischof Grelle stets darum bemüht war, zu allen Aktionspartnern des Bistums ein positives Verhältnis zu erlangen. In seiner Amtsverkörperung war ihm die geistliche Sendung auf das Amt ebenso wichtig wie die weltliche. Er veranlasste eine Vielzahl an Generalsynoden und Provinzialkonzilen207 und war um die Anerkennung von Weltklerus und Ordensgeistlichkeit bemüht. Und damit verweist der Bremer Erzbischof Burghardt Grelle auf das bischöfliche Bestreben nach Anerkennung als Amtsperson in den unterschiedlichen Handlungsfeldern bzw. bei möglichst vielen Aktionspartnern in seinem Herrschaftsbereich. Praxeologisch bedeutsam ist dabei die Frage, wie und auf welche Art und Weise die Adressierung der anderen Teilnehmer im Anerkennungsprozess vollzogen wird. Im Folgenden werden Beispiele herangezogen, die im Kontext des geistlichen/religiösen Handlungsfeld zu verorten sind. In diesem Sinne heißt es über Erzbischof Burghardt Grelle, dass es eine »loveliken sede« von ihm war, »dat he bewilen ton clostern to hochtiden misse sangk; unde so sende he alle tidt sine spise vore unde bat de junckfrouwen to gaste, uppe dat he se nicht to swarliken beherbergede.«208 Regelmäßig also, so berichtet es die Bremer Stadtchronik, rollte ein vollgefüllter Speisewagen durch das Erzstift an der Weser, wodurch die Fürsorge und Mildtätigkeit des Oberhirten gegenüber den religiösen Gemeinschaften seines Bistums für Jedermann sichtbar war. Grelle zeigte sich präsent in den Glaubensgemeinschaften, nahm seine Führsorgepflicht ernst und zeigte noch dazu eine besondere Aufmerksamkeit gegenüber der klösterlichen Situation: Die Rolle des Gastes drängte er den Kleri-
205 Schwarzwälder, Herbert: Geschichte der Freien Hansestadt Bremen in fünf Bänden. Band 1: Von den Anfängen bis zur Franzosenzeit (1810), Bremen 1995, S. 67. 206 Bremer Chronik, S. 117. 207 Vgl. H.-J. Schulze: Burchard Grelle. 208 Bremer Chronik, S. 123.
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kerinnen209 nicht auf, sondern machte sich auf ihrem Territorium selbst zum Gastgeber. Als soziale Praktik besitzt das gemeinsame Mahl im klösterlichen Bezugsraum eine integrative Funktion, wie es auch eine Praktik ist, die in ihrer speziellen Ausführung die Beteiligten in die Subjektform ›Mönch‹ hineintrainieren kann.210 Darüber hinaus stellen die verzehrten Speisen eine erzbischöfliche Gabe211 an das Nonnenkloster dar, die als unausgesprochene212 Gegengabe auf den himmlischen Lohn, in erster Linie aber auf einen »Herrschaftseffekt«213 ausgerichtet ist.214 Die Klostergemeinschaft, die in der Erzählung als Interaktionspartner des Erzbischofs auftritt, bildet eine Art Expertenkultur, eine Community of Practice215 , an welcher der Bischof als Gast temporär partizipiert. Er verdeutlicht dadurch sein Bemühen, eine Mitspielfähigkeit zu erlangen, die ihm die Anerkennung der hier besuchten Gemeinschaft einbringen soll. Praxeologisch gesprochen beruhte diese Mitspielfähigkeit »zentral auf einem praktischen, inkorporierten Wissen, das durch praktische Mitgliedschaft in einem sozialen Feld erworben wird.«216 Innerhalb eines Bistums lässt sich eine Vielzahl un-
209 Möglicherweise ist hier das Zisterzienserinnenkloster in Bergedorf gemeint oder das Benediktinerinnenkloster in Lilienthal. 210 Zu den mönchischen Praktiken siehe R. Holbach: Mönchische Praktiken und SelbstBildungen bei Caesarius von Heisterbach. 211 Zur Analyse der Gabe siehe Mauss, Marcel: Die Gabe. Formen und Funktion des Austauschs in archaischen Gesellschaften, Frankfurt a.M. 1968. 212 Vgl. Bourdieu, Pierre: Die Ökonomie der symbolischen Güter, in: Adloff, Frank/Mau, Steffen: Vom Geben und Nehmen. Zur Soziologie der Reziprozität, Frankfurt a.M. 2005, S. 139-155, hier S. 142: »Das Schweigen über die Wahrheit des Tauschs ist ein geteiltes Schweigen.« 213 Ebd. S. 145. 214 Ebd. S. 141. Bourdieu weiter dazu auf S. 143: »So ist der Tausch von Gaben […] verstanden als das Paradigma der Ökonomie der symbolischen Güter, dem do ut des der ökonomischen Ökonomie insofern entgegengesetzt, als sein Prinzip nicht ein berechnendes Subjekt ist, sondern ein Akteur, der sozial dazu disponiert ist, sich ohne Absicht und Berechnung auf das Spiel des Tauschs einzulassen«. (Herv. i.O.). 215 Zum Begriff »Community of Practice« siehe Wenger, Etienne: Communities of Practice. Learning, Meaning, and Identity, Cambridge 1998. Wenger, Etienne/McDermott, Richard/Snyder, William: Cultivating Communities of Practice. A guide to Managing Knowledge, Boston 2012. Wenger, Etienne/Snyder, William: Communities of Practice: The Organizational Frontier, in: The Harvard Business Review, 2000, S. 139-145. Auch T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist: Einleitung, S. 15f. 216 Ebd. S. 18.
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terschiedlicher klerikaler Lebensformen identifizieren, die in ihrer Gesamtheit ein religiöses Praxisfeld bilden.217 Der Bischof selbst ist ein entscheidender Teilnehmer dieses Feldes. Durch sein Amt obliegt ihm die Aufgabe des Lehrers und Seelsorgers, des obersten Aufsehers und Gerichtsherrn. Daher gehört es zu seinen Aufgaben in diesem Feld seine Kleriker zu beaufsichtigen, zu unterweisen und ggf. auch zu reglementieren. Die Domherren, überwiegend dem adeligen Milieu entstammend, zählen gemeinsam mit den Kaplänen, Vikaren und weiteren Kanonikern zum sogenannten Weltklerus. Diese Gruppe ist für den Bischof insofern von besonderer Bedeutung, da sie als Domkapitel das Bischofswahlrecht und darüber hinaus ein gewisses Mitspracherecht an den Regierungsgeschäften besitzt. Das subjektive Selbstverständnis und das persönliche Interesse des Bischofs bestimmen dabei das Verhältnis zu dieser religiösen Einrichtung. Viele Bischöfe waren bemüht, ihr Domkapitel auch durch besondere Schenkungen wohlwollend zu stimmen. In Verden etwa strebten Bischof Konrad von Braunschweig-Lüneburg218 (1285-1300) und Bischof Johannes von Zesterfleth219 (1380-1388) danach, ihr Domkapitel wirtschaftlich abzusichern und ihnen durch Anteile an der Lüneburger Saline ein grundsätzliches Einkommen zu sichern. Im Erzbistum Bremen setzte sich Johannes Slamstorf (1406-1420) in besonderer Weise für die Rechte seines Domkapitels ein, indem er die Domfabrik förderte und eine Auflistung über Rechte und Einkünfte des Kapitels (der sog. »Stader Kopiar«) anfertigen ließ.220 Jedoch darf nicht vergessen werden, dass diese bischöflichen Bestrebungen nicht uneigennützig, sondern i.d.R. einem politischen Interesse geschuldet sind, machten Geschenke an den Bündnispartner das Regieren doch um einiges leichter. 217
Vgl. Blennemann, Gordon/Kleinjung, Christine/Kohl, Thomas (Hg.): Konstanz und Wandel: religiöse Lebensformen im europäischen Mittelalter, Affalterbach 2016; Fößel, Amalie/Hettinger, Anette: Klosterfrauen, Beginen, Ketzerinnen: religiöse Lebensformen von Frauen im Mittelalter, Idstein 2000. 218 Vgl. Vogtherr, Thomas: Konrad, Herzog von Braunschweig-Lüneburg († 1300), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 839. Der zielgerichtete Erwerb von Anteilen an der Lüneburger Saline des Bischofs machte die Verdener Kirche zum größten Anteilseigner. Mit der anschließenden Übertragung der Rechte an das Domkapitel wurde dieses zur wohlhabendsten Institution des Bistums. 219 Vgl. Vogtherr, Thomas: Johannes von Zesterfleth († 1388), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 842. Bischof Johannes unternahm 1387 den Versuch, die Pfarrei Modestorf(-Lüneburg) in das Domkapitel zu inkorporieren, um eine wirtschaftliche Absicherung des Kapitels zu gewähren. 220 Vgl. T. Vogtherr: Erzbistum Bremen, S. 121.
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Darüber hinaus gehören aber auch Ordensmitglieder zur Diözese und standen in enger Beziehung zum jeweiligen Bischof oder Erzbischof. Die Etablierung der Klosterlandschaft eines Bistums fand i.d.R. bereits im Hochmittelalter statt. Nicht selten ging die Ansiedlung einer Vielzahl unterschiedlicher Orden von nur einem Bischof aus. Seine Nachfolger veränderten die Klosterlandschaft entsprechend durch Inkorporierungen, Auflösungen oder durch Ergänzungen, wie etwa um die sich im Spätmittelalter gründenden Bettelorden.221 Subjekttheoretisch interessant ist die beobachtbare Zuneigung einzelner Kirchenfürsten zu bestimmten Orden, lässt sie doch Rückschlüsse auf persönliche, religiöse Ansichten zu. Ob sich die Förderung des Bischofs auf den überwiegend die soziale Oberschicht ansprechenden Benediktinerorden richtete oder auf den auf Gelehrsamkeit und Seelsorge setzenden Franziskanerorden, machte durchaus einen Unterschied.222 Der Trierer Erzbischof Boemund von Saarbrücken (1354-1362) etwa unterstützte ausdrücklich die verarmten Frauenklöster seines Bistums.223 Dass eine Reihe von Bischöfen ein dezidiertes Desinteresse an ihren religiösen Gemeinschaften hatte, ja diese nicht ein einziges Mal während ihrer Regierung aufsuchten, wurde schon an anderer Stelle gesagt. Kritikwürdig in den Augen der Zeitgenossen war es jedoch auch, wenn sich das Interesse des Bischofs zu einseitig auf eine Institution konzentrierte. Der Trierer Erzbischof Dieter von Nassau (1300-1307), selbst Dominikaner, schloss die Trierer Niederlassung seiner Bruderschaft gezielt aus der von ihm auferlegten Subsidienzahlung aus, was für eine erhebliche Missstimmung im Bistum sorgte.224 Generell mangelte es nicht an Streitpunkten zwischen den Stiften und Klöstern und ihrem Bischof. Das angesprochene Gefühl einer ungerechten Behandlung, insbesondere durch zu starke finanzielle Belastungen, war ein gängiges 221
Als Beispiel sei der Merseburger Bischof Gebhard von Schraplau (1320/21-1341) genannt. Vgl. M. Lücke: Gebhardt von Schraplau. 222 In diesem Zusammenhang auch interessant sind die Zuwendungen der Bischöfe in ihren Testamenten. Vgl. ähnliche Ansätze bei Holbach, Rudolf: Inventar und Testament des Scholasters Arnold von Hohenecken († 1422). Mobilbesitz und materielle Kultur, Mentalität und persönliche Bindungen eines Trierer Prälaten im Spätmittelalter, in: Kurtrierisches Jahrbuch 19 (1979), S. 111-150. 223 Vgl. Seibrich, Wolfgang: Boemund von Saarbrücken (um 1290-1367), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 802-803. 224 Vgl. Seibrich, Wolfgang: Dieter von Nassau [OP] (um 1250-1307), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 798-799; Holbach, Rudolf: Dieter von Nassau (um 1250-1307), in: Heyen, Franz-Josef (Hg.): Rheinische Lebensbilder 12 (1991), Köln, S. 69-90.
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Thema. Die Trierer Klöster sahen sich durch ihren Erzbischof Dieter dermaßen in ihren Rechten und Finanzen beschnitten, dass sie den Gottesdienst einstellten und beim Papst Klage einreichten, der die Berechtigung der Vorwürfe bestätigte.225 Hinzu kamen die bischöflichen Reformbestrebungen, die eine Beseitigung zuvor attestierter Missstände des religiösen Lebens zur Folge hatten. Nicht selten begegneten dem Bischof Entrüstung und vehementer Widerstand der betroffenen Kleriker, bedeuteten die Veränderungen doch einen erheblichen Einfluss auf deren Lebensweise und -qualität. Auch war es möglich, dass die einzelnen religiösen Institutionen untereinander in Konflikt stehen konnten. In Merseburg sah sich Bischof Heinrich von Pach (1301-1319) gezwungen, in der Auseinandersetzung zwischen seinem Domkapitel und dem Benediktinerkloster St. Peter um die Hütungsrechte auf dem Mühlanger eine Entscheidung zu treffen. Heinrich stellte sich auf die Seite seines Kapitels.226 Die oben aus Bremen berichtete Episode über den Umgang eines Kirchenfürsten mit seinen geistlichen Institutionen findet sich auch an anderen Stellen, wie etwa in den Chroniken der Magdeburger Erzbischöfe. Auch hier erscheinen die gemeinsame Speise und die erzbischöflichen Geschenke als probate Mittel, um den Gemeinschaftssinn zu stärken. So berichtet der Chronist Dietrich von Portitz‹, den er als »Freund des Ordenslebens«227 einführend bezeichnet, von dessen routinierter Angewohnheit, »an den beiden letzten Tagen der Fasten, an denen die Menschen allgemein sich der Kurzweil ergehen« mit den Brüdern des Klosters der Armen Mönche St. Augustinus (1285 gegründet) »unter klösterlicher Zucht feierliche Tafel« zu halten und »alle Brüder durch eine fromme Spende«228 zu erfreuen. Während andere an diesen besonderen Tagen sich ihrer Freizeit hingeben, sieht Dietrich in einem Klosterbesuch eine wahrhafte Alternative. Mit seiner Unterwerfung
225 Vgl. W. Seibrich: Dieter von Nassau, S. 799. 226 Vgl. M. Lücke: Heinrich von Pach, S. 432. 227 Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 202. MGH SS XIV, S. 440: »Nec sub oblivionis nubilo est celandum, quod idem dominus archiepiscopus, cum toto eo quod sic possessionem ecclesie sue in temporalibus ampliavit, dilatavit et emendavit, nichilominus tamen regularis discipline in spiritualibus amator fuit; […]«. 228 Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 202. MGH SS XIV, S. 440: »nam in diebus carnisprivii duobus ultimis, cum communiter homines solent lasciviis intendere, ipse ad pauperum religiosorum, scilicet fratrum Augustinensium, conventum declinans, ibidem cum fratribus sub claustrali disciplina mensam solempnem tenuit omnesque fratres sua larga pietancia recreavit.«
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»sub claustrali disciplina« geht sein Aufenthalt eine Ebene tiefer, als etwa aus Bremen berichtet: Der Erzbischof selbst fügt sich in die Ordnung der Ordensgemeinschaft ein, ordnet sich möglicherweise sogar hierarchisch unter und verdeutlicht durch die Übernahme und Nachahmung der feldspezifischen Regeln sein subjektives Interesse an dieser Lebensführung, die ihm ja durch seine eigene Zugehörigkeit und Sozialisation im Zisterzienserorden nicht fremd war. Für dieses Feld besitzt er einen ausgeprägten sozialen Sinn. Aus subjektivierungstheoretischer Perspektive interessant erscheint der Umstand, dass dieser Kirchenfürst Praktiken der Integration zu einem entscheidenden Mittel seines Herrschaftsstils erhebt. Mehrmals werden diese von seinem Chronisten aufgenommen und verarbeitet. Die Adressaten dieser Praktiken ist dabei die gesamte Stiftsgesellschaft. So versuchte Erzbischof Dietrich, Praktiken, die im Zeichen der Vita communis229 stehen, wieder unter seinen Domherren zu etablieren. Der Erzbischof beklagt die Vernachlässigung der Frömmigkeit unter seinem Stiftsklerus und beschließt – wiederum zur Zeit der Fasten – in Anlehnung an die klösterliche Ordnung ein gemeinsames Mahl und ein feierliches Refectorium abzuhalten. »In alio eciam anno eodem carnisprivii tempore ipse cum dominis canonicis religionis canonice disciplinam ab antiquis temporibus in ipsa ecclesia institutam, sed a pluribus annis neglectam, oberservare volens, refectorium cum solempnitate teneri fecit; ubi ipsemet dominus archiepiscopus in religione sua in mensa presedit cum preposito et decano, omnibus canonicis qui presentes aderant ex utroque latere in mensa disciplinative in suppelliciis sedentibus, uno nichilominus ex canonicis ad mensam legente et duobus servientibus ex utroque latere cum religiosis suis post ministros alios ordinatos; ministrabantur autem fercula copiosa, quorum superflua pauperibus erogabantur.230
229 Vgl. Rühter, Andreas: Vita communis, in: Lexikon des Mittelalters 8, München 2002, Sp. 1756-1757; Derda, Hans-Jürgen: Leben hinter Klostermauern: vita communis – sozialer und religiöser Leitgedanke monastischer Gemeinschaften, in: Siebrecht, Adolf (Hg.): Geschichte und Kultur des Bistums Halberstadt 804-1648: Symposium anlässlich 1200 Jahre Bistumsgründung Halberstadt, 24- bis 28. März 2004, Halberstadt 2006, S. 401410; Ders.: Vita communis: Studien einer Lebensform in Mittelalter und Neuzeit, Köln 1992. 230 Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 202/203. MGH SS XIV, S. 440.
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An der reich gedeckten Tafel saß er zwischen Propst und Dekan an der Spitze, rechts und links hierarchisch flankiert von den Stiftsherren. Es wurde aus der Bibel vorgelesen. Die Reste der Mahlzeit wurden an die Armen verteilt. Die Übernahme der klösterlichen Praktiken verweist auf Dietrichs subjektiven Wunsch nach einer aktiven frommen Lebensführung der Geistlichkeit unter seiner Herrschaft, die hier zu einem bemerkenswert späten Zeitpunkt aufgegriffen wird. Zugleich verdeutlicht die Szene den integrativen Effekt von Praktiken, die Herrschaft festigen können. Mehr als ein Jahrhundert später folgte der erst elfjährige Ernst zu Sachsen231 (1464-1513) dem Zisterziensermönch auf den Magdeburger Bischofsstuhl und auch in der literarischen Ausgestaltung seines bischöflichen Wirkens wird der Kirchenfürst vornehmlich auf Praktiken der Integration durch Übernahme und Nachahmung feldspezifischer Praktiken setzen. Auf Betreiben seines herzoglichen Vaters wurde er durch das Domkapitel zum Erzbischof postuliert. Unter der Auflage, die Regierungsgeschäfte des Erzstifts durch Albrecht von Sachsen, seinen Onkel, durchführen zu lassen, bis Ernst spätestens mit 27 Jahren die Bischofsweihe erhalten würde, stimmte Papst Sixtus IV. dieser Postulation zu. Tatsächlich ließ sich Ernst 1485 zum Priester und vier Jahre später zum Bischof weihen. »Als eifriger Bischof und fähiger Regent erfüllt E[rnst] die Aufgaben beider Ämter gewissenhaft.«232 Die Umstände seiner Ernennung, die Aufdrängung des Kandidaten durch weltlichen Einfluss, – was jedoch durch das Domkapitel freudig, da in Erwartung eines großen Nutzens für das Stift, anerkannt wurde, – wird im
231
Zu Erzbischof Ernst sieheRogge, Jörg: Ernst von Sachsen. Erzbischof von Magdeburg und Administrator von Halberstadt (1476-1513), in: Freitag, Werner (Hg.): Mitteldeutsche Lebensbilder. Menschen im späten Mittelalter, Köln-Weimar-Wien 2002, S. 27-68; Scholz, Michael: Residenz, Hof und Verwaltung der Erzbischöfe von Magdeburg in Halle in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, Sigmaringen 1998; Pilvousek, Josef: Ernst, Herzog zu Sachsen, in: E. Gatz (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, S. 171; Schwineköper, Berent: Ernst, in: Neue Deutsche Biographie 4, Berlin 1959, S. 615; Janicke, Karl: Ernst, in: Allgemeine Deutsche Biographie 6, Leipzig 1877, S. 291-293. Insbesonder die Erzbischof Ernsts Lebensstil siehe Mock, Markus Leo: Syphilis und schöne Frauen. Erzbischof Ernst von Magdeburg und sein Auftrag an Hans Baldung gen. Grien, in: Tacke, Andreas (Hg.): »…wir wollen der Liebe Raum geben«. Konkubinate geistlicher und weltlicher Fürsten um 1500, Göttingen 2006, S. 282-295. 232 Pilvousek, Josef: Ernst, Herzog zu Sachsen, in: E. Gatz (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, S. 171.
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erzählerischen Entwurf seiner Lebensbeschreibung vom domkapitularischen Verfasser durchaus erwähnt.233 Der Einzug des jungen Herzogsohnes in sein Bistum (1477) muss ein überaus imposantes und prunkvolles Spektakel gewesen sein, »wie man es ähnlich in den zurückliegenden Jahren weder gesehen noch davon gelesen hat«234 . Die Betonung des Fürstenstandes in diesem bischöflichen Selbstverständnis ist unverkennbar. Schwingt somit anfänglich der Verdacht mit, Erzbischof Ernst werde das religiöse Praxisfeld als weniger wichtig ansehen, es vielleicht gar nicht beherrschen, da ihm hier der soziale Sinn fehlt, wird im weiteren Verlauf der Chronik deutlich, dass er unter Vorbehalt seines Terminplans häufig die Messe feierte, Altäre umsonst weihte und seine Bischöfe persönlich konsekrierte: »Ipse eciam succedente tempore, si non multum arduis prepeditus, ad festa archiepiscopalia ecclesie Magdeburgensis in persona missas celebravit et officia sua peregit, eciam ordines ministrando temporibus suis ecclesiam sancti Sebastiani in Novo foro, capellam in suburbio, que ante tempora synagoga Iudeorum extiterat, et in aliis ecclesiis civitatis Magdeburgk et in diversis locis plura alteria gratis consecravit, episcopum Nuenburgensem in Czeitz consecravit«235 . Sein Chronist berichtet ferner davon, we er im Kloster Berge den Abt weihte und den dort anwesenden Nonnen den Schleier gab: »abbatem in Berga Mathiam benedixit, qua die et in refectorio cum fratribus pransus est, sanctas moniales velavit et al.ia espiscopalia exercuit officia«236 . An diesem Tag
233 Vgl. MGH SS XIV, S. 479/480: »Ernestus dux Saxonie, lantgravius Thuringie et marchio Misne, 38. archiepiscopus etatis sue anno undecimo vel circa, anno vero Domini 1476, feria tercia post epiphaniam Domini, octava Ianuarii ad ecclesiam Magdeburgensem est postulatus et per Sixtum papam quartum ad instanciam capituli et vasallorum ac serenissimi imperatoris Friderici tercii et al.iorum multorum principum, quorum consanguineus extiterat, maxime intuitu boni principis domini Ernsti, patris sui, et famose domus dominorum ducum Saxonie, et ut rebellio subditorum ecclesie, eciam alienata ab ecclesia possent per eum et amicos suos coerceri, recuperari et omnia in melius reformari etc., in amministratorem est confirmatus […]«. 234 Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 286. MGH SS XIV, S. 480 : »[…] cum pompa et apparatu principum nobilium, cuius in retroactis annis non est visa nec legitur similis […]«. 235 MGH SS XIV, S. 481. 236 Ebd.
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frühstückte er gemeinsam mit der Ordensgemeinschaft im Remter. Die Praktik des gemeinsamen Mahls scheint nach der chronikalischen Darstellung zu den Routinehandlungen des Erzbischofs gehört zu haben, denn dies tat er im Wechsel sowohl mit den Dominikanern und Franziskanern als auch mit den Augustinerbrüdern in Magdeburg: »cum fratribus Predicatoribus, Minoribus, Augustinensibus in Magdeburgk et Hallis in refectorio, subtili indutus linea veste, humiliter residens, de suo conviva preparari faciens, repetitis vicibus pransus est.«237 Erzbischof Ernst fügte sich also ebenfalls vollständig in die Glaubensgemeinschaft der Brüder ein: Er legt seine erzbischöfliche Gewandung ab, um stattdessen ein dünnes, leinenes Gewand anzulegen. Seine Haltung im klösterlichen Speisesaal ist demütig; das bereitete Gastmahl geht auf seine Kosten. Die Vita communis wird vom Erzbischof aktiv gelebt und zwar nicht nur durch das gemeinsame Mahl, sondern auch durch eine sichtbare Gleichförmigkeit von Kleidung und Nahrung. Die Semantik des Kleiderwechsels spricht von einer totalen Identifizierung mit den mönchischen Interessen; von einer Identitätsübernahme, mit der Ernst sich selbst thematisiert. Temporär gibt er sein erzbischöfliches Selbst auf und vollzieht einen Rollenwechsel mit demonstrativer Unterordnung, um der Ordensgemeinschaft mit diesem Identifikationsangebot seine Verbundenheit zu präsentieren.238 Weil er in der Nachahmung feldspezifischer Praktiken einen besonderen Eifer demonstriert, scheint Erzbischof Ernst die Anerkennung im religiösen Praxisfeld besonders wichtig und wird vom Chronisten entsprechend dargestellt. Den Rahmen dieser Verhaltensorientierung stellen das Konzept der Gemeinschaft sowie Werte wie Gehorsam und Ordnung dar, die in ihrem sakralen Kontext auch auf die Sicherung des eigenen Seelenheils abzielen. Die in der chronikalischen Erzählung ausgeschmückte Praktik der Inklusion – repräsentiert im Besuch der Gemeinschaft, dem gemeinsamen Mahl und des Kleiderwechsels – führt zur Anerkennung und versteht sich als eine wesentliche Herrschaftskompetenz des Erzbischofs, verbunden mit einer Glaubwürdigkeit in religiöser Hinsicht und einer geistlichen (Leitungs-)Kompetenz. Die praxeologische Perspektive macht indes deutlich, dass in der literarischen Verarbeitung von bischöflichen Verhaltensweisen und Adressierungen in seinen Handlungsfeldern das Selbst des Bischofs zum Schauplatz erhoben wird: Die bischöfliche Subjektwerdung etwa im religiösen Praxisfeld 237 MGH SS XIV, S. 481. 238 Erinnert sei an das titelgebende Beispiel um den Trierer Erzbischof Balduin von Luxemburg.
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gelingt, wie hier exemplarisch beschrieben, durch bewusst gewählte Praktiken der Integration und Nachahmung, die eine besondere Wertschätzung der Adressierten beinhaltet. Dies wiederum hat einen wesentlichen Effekt auf die Subjektivierung aller Akteure des geteilten Feldes. Deutlich anders kann es sich verhalten, wenn der Bischof in seiner Funktion als Aufseher und Lehrer die Kleriker seines Bistums belehren oder die geistlichen Institutionen gar reformieren will. Reformen im religiösen Kontext zielten auf eine Verbesserung oder gar Erneuerung der vita religiosa ab. Missstände und Verfallserscheinungen, die im Laufe der Zeit in den geistlichen Institutionen Einzug gehalten hatten, sollten behoben werden.239 . Doch die Wandlung eines bestehenden Systems stellt sich als ein komplexer Prozess heraus. Nahezu jede Chronik berichtet in diesem Kontext von »Widerstand, Feindschaft und Erregung der Volksmassen«240 , wenn es um eine Veränderung im religiösen Leben geht. Reformbemühungen241 finden in der bischöflichen Geschichtsschreibung dann Berücksichtigung, wenn der Bischof als Initiator zu verzeichnen ist. Diese Tatsache allein beschreibt den Kirchenfürsten als jemanden, der an den religiösen Gebräuchen seiner Diözese interessiert ist; er erscheint als Überwacher und Aufseher, der Missstände zu erkennen und zu beheben versteht. Jedoch sind subjektive Unterschiede in der Handhabung festzustellen. Das 239 Vgl. Holbach, Rudolf: Stifte und kirchliche Reformbestrebungen im späten Mittelalter, in: Hirbodian, Sigrid/Jörg, Christian/Klapp, Sabine/Müller, Jörg R. (Hg.): Pro multis beneficiis. Festschrift für Friedhelm Burgard. Forschungen zur Geschichte der Juden und des Trierer Raumes (Trierer Historische Forschungen 68), Trier 2012, S. 499-515. 240 Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 254/255. 241 In den spätmittelalterlichen Quellen taucht für die Umsetzung dieser Veränderungen der Begriff der ›Reform‹ (reformare, reformatio) auf. Er ist jedoch nicht als spiritueller, sondern als disziplinärer, organisatorischer und rechtlicher Terminus zu verstehen. Vgl. dazu Mertens, Dieter: Klosterreform als Kommunikationsereignis, in: Althoff, Gerd (Hg.): Formen und Funktionen öffentlicher Kommunikation im Mittelalter (Vorträge und Forschungen 51), Stuttgart 2001, S. 397-420, hier S. 405. Auch Helmrath, Johannes: Theorie und Praxis der Kirchenreform im Spätmittelalter, in: Rottenburger Jahrbuch für Kirchengeschichte 11 (1992), 41-70; Seibrich, Wolfgang: Episkopat und Klosterreform im Spätmittelalter, in: Römische Quartalschrift für Christliche Altertumskunde und Kirchengeschichte 91 (1996), S. 263-338. Als Beispiel für Trier: Schmidt, Hans-Joachim: Die Trierer Erzbischöfe und die Reform von Kloster und Stift im 15. Jahrhundert, in: Elm, Kaspar: Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, Berlin 1989, S. 469-501. Grundsätzlich: Wolgast, Eike: Reform/Reformation, in: Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland 5, Stuttgart 1984, S. 313-360.
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führt zu der Frage, ob die Idee zur Reform vom Bischof selbst kam oder ob er bestehende Reformansätze fortführte. Einigkeit in den Erzählungen herrscht stets über die Notwendigkeit der Reformbemühungen, die der Bischof aus Sicht der Schreiber zumeist mit ›göttlicher Gnade‹ und ›Gottes Hilfe‹ zum gewünschten Ende führte. Mithin beruht die Thematik der Reformierung auf realer Kirchenpolitik: Der Bischof muss sein Geschick für die Leitung der Kirchenangelegenheiten zeigen, indem er Gehorsam und wahre Frömmigkeit erkennen lässt, die als grundlegend für das Funktionieren einer Glaubensgemeinschaft angesehen werden. So sind die Spielarten der Reformbemühungen durchaus unterschiedlich, versuchten die Bischöfe das Ziel doch »nicht nur durch Anordnungen und Befehle, sondern auch durch Überredung und eigenes Vorbild«242 zu erreichen. Ebenso reicht die Spannbreite der Motivation für eine Erneuerung von tiefen religiösen Empfindungen bis hin zu ökonomischen Gewinnversprechungen.243 Die folgenden zwei Beispiele aus dem Bistum Merseburg greifen zwei unterschiedliche Herangehensweisen zur Durchsetzung bischöflicher Reformierungsbestrebungen auf. Es erscheint plausibel, dass die dabei zur Anwendung gebrachten Praktiken und Verhaltensorientierungen in engem Zusammenhang mit den jeweiligen teilnehmenden Akteuren stehen. Die Fragen, warum der Bischof eine Veränderung des religiösen Lebens einführen will und mit welchen Mitteln ihm dies gelingt, sind im Zusammenhang der vorliegenden Untersuchung zweitrangig. Im Fokus steht die Art und Weise, wie er sein bischöfliches Selbst aushandelte, während er seine Interessen durchsetzte. Die Lebensbeschreibungen der Bischöfe Johannes Bose (1431-1463) und Thilo von Trotha (1466-1505) beinhalten ausführliche Passagen zu den Erneuerungsversuchen einiger geistlicher Institutionen Merseburgs. Beide Berichte entstammen derselben Hand, wahrscheinlich eines Domklerikers244 , der im Auftrag Bischof Adolfs von Anhalt (1514-1526) rückblickend über dessen Amtsvorgänger schreibt. Anschaulich gelingt es dem Chronisten, die Aushandlung
242 Elm, Kaspar: Reform- und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen. Ein Überblick, in: Ders. (Hg.): Reformbemühungen und Observanzbestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, Berlin 1989, S. 3-19, hier S. 13. 243 Die Möglichkeit zu ökonomisch motivierten Reformbestrebungen sieht etwa Ignatz Miller für Erzbischof Jakob von Sierck gegeben. Dazu I. Miller: Jakob von Sierck, S. 215. 244 Nach O. Rademacher schrieb der Chronist der Vita Boses zu Lebzeiten Bischof Adolfs von Anhalt (1514-1526) und war wahrscheinlich Kanoniker oder Beamter. Vgl. dazu Die Merseburger Bischofschronik, S. 31-34.
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der bischöflichen Herrschaftsträger im literarischen Erzählentwurf darzustellen und ihr Bemühen um Anerkennung im sozialen Feld der Geistlichkeit aufzuzeigen. Bischof Johannes Bose setzt dabei auf Strenge und einen uneingeschränkten Durchsetzungswillen. Seine Reformbemühungen konzentrieren sich auf die Stiftsgemeinschaft von St. Sixtus und das Benediktinerkloster St. Petrus. Auch die Einführung neuer Gesänge im Gottesdienst geht auf diesen Bischof zurück.245 Zweifellos ist Bischof Bose ein Interesse an den religiösen Zuständen seiner Diözese zu attestieren, denn er schreckte nicht davor zurück, die von ihm registrierten Missstände zu beseitigen und das religiöse Leben zu heben.246 Bereits vor seiner Wahl tat sich Bose durch seine Tätigkeit als Propst von St. Sixtus (1422) und Dompropst in Merseburg (1426) hervor. Er dürfte damit über einige Erfahrung in der Verwaltung kirchlicher Güter verfügt haben.247 Seine Wahl erfolgte einstimmig. Mit der Ernennung Boses stellte sich das Domkapitel demonstrativ gegen eine landesherrschaftliche Einflussnahme durch Herzog Friedrich von Sachsen.248 »Reverendo patre domino Niculao de Lubeck defuncto, capitulares proeligendo episcopo capitulariter congregati, plurimorum hinc inde nobilium prece animum quoque Frederici Saxonie duci illustrissimi ex marchionibus Missenensibus primi Romani imperatoris electoris trutinantes, dum Ambrosii diem proelectione festinantes statuerunt, etsi prefatus elector non paucis baronibus militibusque stipatus in loco capitulari personaliter 245 Vgl. MGH SS X, S. 206: »Pariter et antiphonam: salve regina sive aliam congruentem tempori in maiori ecclesia post completorium decantandam instituit, de quo succentor unam novam sexagenam habet et ludi magister 40 grossos, scholares vero duos pannos griseos pro indumentis.« (Herv. i.O.). 246 Generell ist den Merseburger Bischöfen seit 1431 ein sehr intensives Bemühen um das Hochstift zu attestieren. So Cottin, Markus: Geschichte des Merseburger Domkapitels im Mittelalter (968-1561): Vorüberlegungen zu einer Gesamtdarstellung, in: Kunde, Holger/Ranft, Andreas (Hg.): Zwischen Kathedrale und Welt: 1000 Jahre Domkapitel Merseburg. Aufsätze (Schriftenreihe der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz 2), Petersberg 2005, S. 75-96, hier S. 87. 247 Vgl. Küstermann, Otto: Zur Geschichte der Familie von Bose. Urkundliche Nachrichten, in: Vierteljahresschrift für Wappen-, Siegel- und Familienkunde 27, 1899, S. 171-184; Brodkorb, Clemens: Bose, Johannes von, in: E. Gatz (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, S. 69f. 248 MGH SS X, S. 205. Vgl. auch M. Cottin: Geschichte des Merseburger Domkapitels im Mittelalter, S. 86.
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pro Georgio de Hugwitz laboraret, nichilominus dominum Iohannem ex amplissima Boswnsium familia cretum, pro tunc ecclesie huius prepositum, per modum scrutinii viduate ecclesie Merszburgensis episcopum, non sine ignominia competitoris dicti Georgii de Hugwitz prefecerunt […]«249 , schreibt dazu einleitend die Merseburger Bischofschronik. Gleichwohl spiegelt das Wahlergebnis weniger die domkapitularische Angst vor einer wettinischen Bevormundung wider. Vielmehr sah man in Bose, dessen Familie zu den Merseburger Stiftsvasallen zählte, einen Kandidaten mit regionaler Verbundenheit. Die landferne und -fremde Regierungspraxis des Vorgängers Nikolaus Lubich, der seine Interessen bevorzugt auf die Kurie ausrichtete, hatte in den Köpfen der Domherren ihre Spuren hinterlassen.250 Mit Johannes Bose sollte ein deutlich anderer Regierungsstil in das Merseburger Bistum Einzug halten.251 Insgesamt scheint Bose ein aufmerksamer Kirchenfürst mit einem soliden sozialen Rückhalt gewesen zu sein; das Verhältnis zwischen Domkapitel und Bischof war durchweg gut.252 Sein Chronist attestiert ihm Eifer253 in seiner Regierung, sowohl im weltlichen als auch im geistlichen Feld. Die päpstliche Auflage, sein Amt persönlich zu versehen und nicht auf Hilfsbischöfe auszuweichen, befolgte Bose gewissenhaft: »Proposicione peticioneque sua audita, sexta die sanctissimus eidem de ecclesia Merszburgensi providit, committens quatinus episcopale officium personaliter exercere deberet, secludendo suffraganeos propter mala que in ecclesia Dei seminare solent.«254
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MGH SS X, S. 204/205. Zu Nikolaus Lubich siehe Kapitel 4.1.1. Vgl. M. Cottin: Geschichte des Merseburger Domkapitels im Mittelalter, S. 87. Insgesamt ist ein harmonisches Verhältnis zwischen Bischof und Domkapitel in Merseburg zu konstatieren. Seit Anfang des 12. Jahrhunderts ist das Domkapitel als Berater des Bischofs nachweisbar. Wie in anderen Bistümern üblich, zogen sich die Bischöfe nicht auf Nebenresidenzen zurück, sondern residierten in Merseburg beim Domkapitel. Der Bischof hatte keine Jurisdiktionsgewalt über das Domkapitel. Vgl. hierzu M. Cottin: Geschichte des Merseburger Domkapitels im Mittelalter, S. 79f. 253 Vgl. MGH SS X, S. 205: »Ita dominici gregis custos et pastor factus singula in melius reformare satagebat, […]«. 254 Ebd.
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Vor diesem Hintergrund mögen die folgenden Episoden seiner Chronik Boses Verantwortung gegenüber dem höchsten Kirchenherrn und seine Reaktion auf die päpstlichen Erwartungen demonstrieren. Im Falle der Benefiziaten von St. Sixtus255 – einer Gemeinschaft von Stiftsklerikern256 , deren Propst er seit 1422 war – geht Bischof Bose bei der Hebung des dort gelebten religiösen Lebens seinem Chronisten zufolge recht rigoros vor. Seine Kommunikation mit den dortigen Klerikern vollzieht sich auf der Befehlsebene. »Beneficiatos ad Sanctum Sixtum primam et nonam singulis diebus cantare coegit; nam inantea nunquam preterquam (!) in die ascensionis decantari consueverunt.«257 Ferner ordnete er an, die Glocken von Merseburgs Klöstern und Kirchen zu festgesetzten nächtlichen Zeiten zu läuten, damit sowohl Klerus als auch Laien die Frühmette begehen konnten. Detailliert schildert der Chronist den genau durchdachten Ablaufplan Boses für das Glockengeläut: »Zuerst befahl er, daß in dunkler Nacht die Glocken läuteten, und zwar die des Doms in der elften Stunde, die vom Kloster des heiligen Petrus in der zwölften Stunde, darnach (!) die in der Kirche des heiligen Sixtus in der dritten Stunde, damit die dem heiligen Dienst Geweihten und die von wahrem Gottesglauben Erfüllten erwachen sollten zum Singen der Frühmette. Er befahl ferner, daß in der Zeit vor Sonnenaufgang in der 4. Stunde in der Kirche des heiligen Maximus, und in der 5. Stunde im Dom geläutet werde, wenn die heilige Prime in aller Frühe begangen werden sollte.«258 255 1316 erfolgte die Gründung eines Kollegiatstifts an der Merseburger Neumarktkirche St. Thomas. 1326 wurde sie an die Pfarrkirche St. Sixti verlegt, wodurch sie deutlich aufgewertet wurde. Die Besetzung der fünf Kanonikate stand dem Bischof zu. Es ist nachzuweisen, dass der Großteil der Kanoniker zum bischöflichen Personal zu zählen ist und aus Merseburg stammt. Vgl. hierzu insbesondere Rademacher, Otto: Die Kirchen St. Maximi und St. Sixti in Merseburg, Merseburg 1913; Ramm, Peter (Hg.): Der Merseburger Neumarkt. Alte und neue Beiträge zur 800jährigen Geschichte des »Neumarkts vor Merseburg«, Merseburg 1988. 256 Vgl. Moraw, Peter: Über Typologie, Chronologie und Geographie der Stiftskirche im deutschen Mittelalter, in: Untersuchungen zu Kloster und Stift, Göttingen 1980, S. 937. 257 MGH SS X, S. 206. Generell war die Stiftsgeistlichkeit aufgrund ihrer laschen Glaubenspraxis und verweltlichten Lebensform in der Kritik ein bevorzugtes Objekt der Kirchenreformer. Vgl. dazu R. Holbach: Stifte und kirchliche Reformbestrebungen im späten Mittelalter. 258 Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 43. MGH SS X, S. 207: »Primo ut nocte intemesta hora undecima ecclesie cathedralis, deinde duode-
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Der detaillierte Plan zum Läuten der Glocken259 identifiziert Bose als Kenner überhöht-religiöser Glaubenspraktiken, was ihn in der Gemeinschaft der (Stifts)Kleriker durchaus Anerkennung und Respekt verleiht und ihn dadurch handlungsfähig macht. Zugleich zeichnet der Chronist mit den Stiftsklerikern eine Art Antipoden zu dem auf Ordnung und Frömmigkeit bedachten Bose. Von Widerstand indes erfährt der Leser nichts, obwohl doch die Handlungsspielräume der Kleriker drastisch eingeschränkt werden. Möglich, dass Boses habitualisierte Strenge in Form von Befehlen und Anordnungen, sein Durchsetzungsvermögen und seine religiöse Fachkompetenz sich in diesem Fall als fruchtbare Grundvoraussetzungen seiner bischöflichen Herrschaftsfähigkeit erwiesen, die freilich nach Meinung des Chronisten dem Wohl der Merseburg’schen Frömmigkeit zu Gute kam: »Ad hec at alia facienda pius pastor oves induxit.«260 Die Strenge war notwendig, um das religiöse Leben aufrechtzuerhalten. Somit identifiziert sich der Bischof als Wahrer der religiösen Disziplin. Der Maßstab seiner Handlungen wird vom Chronisten genannt: »Aber weil man glaubt, wo es sich um göttliche Dinge handelt, daß genaue Beobachtung der Vorschriften den besten und größten Gotte angenehmer und willkommener sei«261 . Und von den geistlichen Dingen seiner Regierung wollte er »ein brennendes, unauslöschliches Licht, das gleichsam gewohnt war ewig zu brennen, ausgehen lassen«262 . Subjekttheoretisch spannender sind die auftretenden Reibungsflächen, die bei der Umstrukturierung einer religiösen Gemeinschaft zwangsläufig
cima in cenobio divi regni celestis clavigeri, depost hora tercia in delubro celitis Sixti campane sonarent ordinavit, ut sacris iniciati veraque religione imbuti ad matutinas preces decantandas expergiscerentur; tempore vero antelucano hora quarta in ede divi Maximi et quinta hora in cathedrali ede sonum eramento fieri ad sacrificium prime mane celebrandum iussit.« 259 Zu Bedeutung der Glocken im mittelalterlichen Kommunikationssystem am Beispiel der ländlichen Gesellschaft siehe Bünz, Enno: »Die Kirche im Dorf lassen…«. Formen der Kommunikation im spätmittelalterlichen Niederkirchenwesen, in: Rösener, Werner (Hg.): Kommunikation in der ländlichen Gesellschaft vom Mittelalter bis zur Moderne, Göttingen 2000, S. 77-168. Auch: Heinz, Andreas: Die Bedeutung der Glocken im Licht des mittelalterlichen Ritus der Glockenweihe, in: Haverkamp, Alfred (Hg.): Information, Kommunikation und Selbstdarstellung in mittelalterlichen Gemeinden, München 1998, S. 41-70. 260 MGH SS X, S. 207. 261 Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 42. 262 Ebd. S. 41.
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auftreten müssen. Unterschiedliche Interessen, sowohl theologischer als auch ökonomischer Natur, stießen aufeinander.263 Mit Reibungen und Konflikten musste ein Oberhirte bei seinen Reformbestrebungen also immer rechnen. Auch dem Leser wird in der Lebensbeschreibung des Johannes Bose eine solche Auseinandersetzung nicht vorenthalten. Eine solche erfuhr Bischof Bose, als er das Benediktinerkloster St. Petrus nach dem Vorbild des Klosters Bursfeld bei Göttingen reformieren wollte.264 Eine strenge Handhabung und ein glückliches Geschick in Aushandlungsprozessen unterstützten das Gelingen seines Vorhabens. So wird die Erneuerung St. Petri eingeleitet durch die Überzeugungsarbeit des Bischofs, den alten Abt Rudolf zum Abdanken zu bewegen: »persuadendo abbati Rudolffo cessionem, in cuius locum Casperum Krumpen promovit.«265 Was nun beginnt, ist für Bose eine Phase der ständigen Überprüfung und permanenten Neuverhandlung in der Angelegenheit. Denn der von ihm neu eingesetzte Abt Kaspar Krumpen stellt sich alsbald als unfähig heraus: Nach bischöflicher Auffassung bleibt er sowohl auf weltlichem als auch auf geistlichem Feld untätig. Die Reformierung nach Boses Vorstellungen droht zu scheitern. Schließlich überschlagen sich die Ereignisse:266 Der Abt wurde vom Bischof in seinem Kloster gefangen gesetzt, um sich Zeit zum Nachdenken zu nehmen. Das bedeutet, dass der Abt seine persönliche Einstellung zu der ihm übertragenen Aufgabe neu überdenken sollte. Das aber tat Kaspar Krumpen nicht, sondern schrieb stattdessen seinem Bischof einen »feindlichen und drohenden«267 Brief. Vielleicht als letztes Zugeständnis ermahnte Bischof Bose seinen Abt aufs Neue. Doch als dieser wiederum uneinsichtig blieb, wie es in der Chronik heißt, wurde er abgesetzt.
263 Vgl. hierzu D. Mertens: Klosterreform als Kommunikationsereignis. 264 Vgl. Eifler, Matthias: Ein Reformstatut für das Merseburger Benediktinerkloster St. Peter und Paul, in: Bünz, Enno/Tebruck, Stefan (Hg.): Religiöse Bewegungen im Mittelalter. Festschrift für Matthias Werner zum 65. Geburtstag, Köln 2007, S. 309-345. Die Bereitstellung von 100 Gulden für den Reformierungsprozess unterstützt die These der gewissenhaften Planung Boses. 265 MGH SS X, S. 207. 266 Vgl. MGH SS X, S. 207: »Considerans autem desidiam eius tam in temporalibus quam spiritualibus, ad obedienciam ad quoddam estuarium in abbacia ire iusset, ut medio tempore in re tam ardua quid agendum foret deliberaret. Abbas vero spreta obediencia de monasterio clandestine contumaciterque exiens litteras diffidatorias minarumque plenas presuli remiserat.Pontifex quoque abbatem ut ad obedienciam rediret monuit.« 267 Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 43.
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Zwischen Abt und Bischof herrscht Unstimmigkeit darüber, wie das Klosterleben ›richtig‹ zu praktizieren sei. Aus der Perspektive der bischöflichen Geschichtsschreibung fällt die Darstellung zuungunsten des Abtes aus. Kaspar Krumpen erwies sich in den Augen des Bischofs nicht nur als unfähig für die ihm zugedachte Aufgabe, er verweigerte zudem den Gehorsam und brachte dadurch die Herrschaftsordnung durcheinander. Als Herrschaftsträger musste Bischof Bose ihm daher mit Strenge begegnen und fiel zurück in die Verhaltensmuster, die schon in der vorangegangenen Episode deutlich wurden. Er zeigte keine Kommunikationsbereitschaft: Der Brief blieb unerwidert und Bose ließ sich nicht auf Diskussionen ein. Diese Haltung legt die soziale Positionierung fest: Bischof Bose nennt die Bestimmungen, Kaspar Krumpen ist sein verlängerter Arm. Läuft das Reformierungsprojekt nicht, überlässt der Bischof dem Abt die Problemlösung – »ut medio tempore in re tam ardua quid agendum foret deliberaret«268 . Nach Krumpens Absetzung ernennt Bose Heinrich Hoberck zum neuen Abt der Benediktinergemeinschaft.269 Drei Jahre übt Heinrich diese Tätigkeit aus, bis er freiwillig von diesem Amt zurücktritt. »Tandem propter esum carnium, a quo in perpetuum abstinere deberet«270 , spottet die Chronik. Heinrich Hoberck stellt damit ein Individuum dar, das sich explizit den Anforderungen der klösterlichen Lebenswelt – hier dem religiös-motivierten Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel – nicht hingeben kann und will. Die von ihm habitualisierten Dispositionen lassen sich nicht ändern. Er lehnt die ihm auferlegte neue Lebensform ab. Dies führt dem Leser einmal mehr den Werteverfall der Klostergemeinschaften vor Augen und unterstreicht die Notwendigkeit der Reformbestrebungen. Zuletzt schickte Bischof Bose nach einem Mönch aus Hersfeld (Johannes Honburg), einem Experten auf dem Gebiet der Reformbestrebungen. Dieser führte die Reformierung vollständig durch und erwies sich als guter Abt: »Deinde in locum Heinrici Hoburgs Iohannem Honburg in Herszfelde professum in abbatem erexit, qui monasterium plene reformavit, in spiritualibus et temporalibus optime prefuit.«271 So war Boses Wahl am Ende auf den Richtigen gefallen und sein langjähriges Durchhaltevermögen in der Angelegenheit wurde durch das erfolgreiche Ende belohnt. »Tacendum non est eumdem presidem 13 annis in monasterii sancti
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MGH SS X, S. 207. Vgl. Ebd. Ebd. Ebd.
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Petri reformacione desudasse«272 , verzeichnet die Geschichtsschreibung. Jedoch musste Bose viele Rückschläge in seinem Reformprojekt hinnehmen, die ihn anscheinend in keiner Weise zu einem Umdenken in seinen Vorgehensweisen oder zu einer Neuorientierung in den Beziehungen zu seinem sozialen Umfeld bewogen haben. Die Episode aus der Merseburger Bischofschronik führt dem Leser die Reformierungsbemühungen als einen langwierigen Prozess vor Augen, der einen aktiven Bischof benötigt. Die Ordensgemeinschaft vom Kloster St. Petri erhält in der Erzählung eine passive Rolle, während die Führungsfunktion der Äbte betont wird. Ohne einen Bischof jedoch, der auf Ordnung bedacht, zielstrebig und geduldig ist, wären die Umwandlungen in St. Petrus nicht möglich gewesen, so will es der Chronist wohl verstanden wissen. So streng er sich in der Durchsetzung seiner Forderungen zum Teil zeigt, so milde erscheint er, als die von ihm erstrebte Reformierung zum gewünschten Ergebnis führt: Er erlässt dem Kloster die Schulden in Höhe von 100 Gulden273 . Abschließend bleibt zu bemerken, dass der Bischof in diesem erzählerischen Entwurf in der Argumentationskultur das Modell des hierarchisch überlegenen Aufsehers präsentiert. Bose verdeutlicht seine subjektive Weltsicht, in der er die Position des Anweisers, die anderen die Position der Ausführenden einnehmen. Ein Alternativmodell zur Durchsetzung von Erneuerungsbestrebungen wird in der chronikalischen Erzählung zu Boses Nachfolger im Amt, Thilo von Trotha (1466-1505)274 , entwickelt. Zielstrebig und geduldig arbeitet der Bischof an seinen Reformen, »wie Herkules [nahm er] eine gewaltige Aufgabe
272 Ebd. 273 Vgl. ebd. Und weiter: »Tandem presul omnes libertates e uidicia secularia in villis tenore litterarum restituit et 100 florenos, quos monasterio in reformacionis inchoatione accommodavir, remisit.« 274 Allgemein zu Bischof Thilo: Becker, Curt et al. (Hg.): Thilo von Trotha, Merseburgs legendärer Kirchenfürst, Naumburg a.d. Saale 2014; Fries, Hans Hermann: Trotha, Thilo von, Bischof von Merseburg, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 29, Nordhausen 2008, Sp. 1147-1150; Brodkorb, Clemens: Trotha, Thilo von († 1514), in: E. Gatz (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, S. 702-703; Reuschert, Otto: Thilo von Trotha, Bischof zu Merseburg: ein Gedenkblatt 1514-1914, Merseburg 1912; Müller, Georg: Thilo, Bischof von Merseburg, in: Allgemeine Deutsche Biographie 38, Leipzig 1894, S. 34-37.
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in Angriff, mit der er 14 Jahre, wie einige aus seinem Munde gehört haben, beschäftigt war, bis er sie endlich durchführte«275 . Ähnlich wie einst Balduin von Luxemburg, der in seiner wirtschaftlichen Für- und Vorsorge mit dem biblischen Joseph von Ägypten verglichen wurde, wendet der Chronist auch hier eine Gleichsetzung seines Protagonisten mit einem historischen Vorbild an. Obwohl die Figur des Herkules der griechischen Mythologie entstammt, wurde sie im gesamten christlichen Mittelalter als Vorbild für tugendhaftes Verhalten rezipiert. Der starke Held Herkules hat von den Göttern selbst gelernt, dass nur mit Mühe und den Fleiß eine göttliche Ehrung möglich sein kann und so stehen die zahlreichen Aufgaben, die er auf seinem Weg zum Olymp erfüllen musste, für diese Tugenden. Der Chronist greift das Motiv der Aufgaben in seiner Erzählung um Bischof Thilo auf, um dessen Tugendhaftigkeit, die Bereitschaft zur Aufnahme großer Mühen und Fleiß zu demonstrieren. Planung und Timing erscheinen dabei zwei weitere Fähigkeiten dieses Kirchenfürsten zu sein: Während Bose 13 Jahre versucht, eine geistliche Institution zu reformieren, nutzt Thilo einen ähnlichen Zeitraum, um eine Reformierung erst einmal vorzubereiten. Thilo von Trotha gehörte einem ministerialen Geschlecht an, sein Vater war in erzbischöflichen Diensten gewesen. Vor seiner Wahl 1466 hatte er bereits ein Kanonikat in Merseburg inne und war Dompropst in Magdeburg. Die Verbindung zum dortigen Metropoliten wie auch ein gewisser Magdeburger Einfluss sollte während seiner Regierung immer deutlicher werden.276 Bei den sächsischen Herzögen hatte sich von Trotha bereits ein großes Ansehen erworben und übernahm für sie eine Reihe von ehrenvollen Aufgaben. Der Merseburger Bischof wird »als Mann von Geist und Mut«277 bezeichnet, der die weltlichen und geistlichen Aufgaben seines Amtes gleichermaßen ernst nahm. Die bereits von seinem Vorgänger Johannes Bose unternommene Veränderung im Benediktinerkloster St. Petri wird auch von Bischof Thilo mit
275 Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 52. MGH SS X, S. 210: »Ceterumque sepe fatus Tilo, ut a quovis consummatus episcopus iudicaretur, muneris sui – quod est ceteros religione precellere – non immemor, laborem ingentem veluti Hercules aggressus, in quo 14 annis, sicuti ex ore eius quidam audiverunt, quoad (!) in effectum deduceret, elaboravit.« (Herv. i.O.). 276 Vgl. M. Cottin: Geschichte des Merseburger Domkapitels im Mittelalter, S. 87. 277 C. Brodkorb: Trotha, Thilo von, S. 702. 1486 noch erlangte er an der Universität Leipzig den Grad eines Bacc., wurde dort Konservator und Kanzler und verbesserte die akademischen Gesetze. Die Gründung der Universität Leipzig steht in enger Verbindung zum Merseburger Bischofshof.
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»großer Strenge«278 weitergeführt bzw. neu initiiert. Sein Übereifer bewog ihn dabei dazu, alle exemten und nicht-exemten Klöster zu visitieren, noch bevor eine Bulle Papst Innozenz‹ III. (1485) dem Merseburger Bischof die Erlaubnis erteilte. Nur die Fürsprache des sächsischen Kurfürsten bewahrte den Bischof vor einer päpstlichen Bestrafung, da einige Klöster Klage gegen ihren Bischof an der Kurie eingereicht hatten.279 Dieses Ereignis scheint prägend für Thilos zukünftiges Vorgehen gewesen zu sein. Im Hinblick auf Praktiken der Veränderung religiöser Gemeinschaften berichtet seine Chronik von dem Bemühen Thilos, in der Merseburger Kirche die Anzahl der Vikare anzugleichen. Sein Chronist schreibt: »Videns namque vicarios suos inequales, ne dicam bifurcatos, in ecclesia sua, maiores scilicet et minores, et quod numerus maiorum in duplo numerum minorum vicerat, cuius tamen contrarium in fundacione ecclesie fuerat, et per hoc maiorum labor alleviaretur et minorum gravaretur – propterea rancor, lis, perpetuum odium, iurgia diuturna inter eos versabantur«280 . Die Vikare bildeten also zwei unterschiedliche Klassen: höhere und niedere. Während zur Zeit der Entstehung des Merseburger Domstifts die Zahl der niederen Vikare die der höheren übertraf, sind die Verhältnisse zu Thilos Zeiten umgekehrt. Folglich sind die anstehenden Aufgaben ungleich verteilt: Die Arbeit der höheren Vikare ist deutlich vermindert, während die niederen erschwerte Bedingungen vorfinden. Thilo erkannte die Ungerechtigkeit dieses Systems, wirkte sie sich doch deutlich auf die soziale Stimmung unter den Klerikern aus: »Groll, Streit, ewiger Haß, dauernder Zank«281 herrschte unter ihnen. Unter Berufung auf den heiligen Hieronymus sah Thilo aber die Möglichkeit, mit hergebrachten Traditionen zu brechen.282 Sein Ziel bestand darin, Gleichheit und vor allem Ordnung und Ruhe unter seinen Vikaren herzustellen. Sein Maßstab war der soziale Friede und Zusammenhalt. Aussage-
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C. Brodkorb: Trotha, Thilo von, S. 702. Vgl. Ebd. MGH SS X, S. 210. Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 52. Vgl. MGH SS X, S. 210: »prudens atque magnificus pontifex, divi Iheronimi dictum ponderans parte 3. tractatu 5. epistola 65. cap. 41. ubi sic inquit: Nulla enim tam sancta tam iusta et diu provisa est constitucio, que in futuro plurimos non patiatur defectus, que aliquando correccione non egeat […]«.
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kräftig lässt der Chronist ihn zu seinen Klerikern sprechen: »Fiat unus pastor et unum ovile«283 . Dass die geplante Angleichung nicht ohne Widerstand der Vikare erfolgen würde, war dem Bischof wohl bewusst. So nahm er sich die besagten 14 Jahre Zeit für sein Vorhaben.284 In dieser Zeit versuchte er immer wieder sein Kapitel zu überreden und es auf seine Seite zu ziehen, bis er endlich zum seiner Meinung nach richtigen Zeitpunkt seine Erneuerungspläne umsetzte.285 Die Tatsache, dass Bischof Thilo zum Zeitpunkt der Verkündung (1505) von Krankheit gezeichnet und deshalb kaum in der Lage war, mit deutlicher Stimme zu sprechen, unterstreicht die Mühen, die er auf sich nahm.286 Der Chronist weist den Leser aber auch auf das fortgeschrittene Alter des Oberhirten hin. Nach 39 Regierungsjahren stand das Ende von Thilos Regierung unmittelbar bevor und es wurde über einen potenziellen Nachfolger – der Auftraggeber der Chronik Adolf von Anhalt (1514-1526) wurde 1507 Koadjutor – nachgedacht. Möglicherweise wollte Thilo mit seiner Umstrukturierung vor dem Hintergrund der eigenen begrenzten Lebenszeit das Domkapitel als eigentlichen Kontinuitätsträger im Bistum langfristig von der Notwendigkeit seiner Pläne überzeugen. Mit dieser Aktion der Gleichstellung hatte Bischof Thilo ein Ziel vor Augen, dessen Realisierung er gewissenhaft plante. Auf Widerstand reagierte er mit Gesprächsbereitschaft, ohne freilich von seinen eigentlichen Plänen abzuweichen. Es war ihm wichtig, bei seinen Domherren eine Einsicht herbeizuführen, die nicht diktiert, sondern auch aus innerer Überzeugung entstand. Deshalb zeichnet der Chronist hier das Bild eines Bischofs, der nicht von oben bestimmend – dass er auch sehr streng agieren kann, wurde bereits angesprochen –, sondern im Kreis seiner Kleriker nahezu als primus inter pares 283 MGH SS X, S. 210. Die Ansprache geht weiter: »segregando moribundum a valido, equales vos facimus, abilem quoque unumquemque vestrum ad summum altare et ad cantandumet legendum omnia in ecclesia nostra pronunciamus, promulgamus ac decernimus in nomine Patris et Filii et Spiritus sancti, maioritatem atque minoritatem in vobis extinguendo.« 284 Vgl. MGH SS X, S. 210: »ob id eualitatem in dies de anno in annum facere proponens, sed canonicis renitentibus pariterque maioribus vicariis.« 285 Vgl. MGH SS X, S. 210: »tandem, libratis ponderatisque hinc inde laboribus invenit equalitatem posse induci. Presul quoque suis persuasionibus capitulum ad consensum traxit […] in presencia capituli et omnium vicariorum, capitularibus ante episcopalem stubam cum episcopo sedentibus, etsi pius presul pro tunc adeo discruciatus quod loquendo intra se vix intelligi poterat […]«. 286 Auch sein fortgeschrittenes Alter könnte die Weisheit seiner Handlung unterstützen.
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auftratt. Dafür musste Thilo von Trotha seine »Wahrnehmungsfähigkeit«287 schärfen. Mit Goffman gesprochen ist seine demonstrative Rücksichtnahme protektiv und bezieht sich auf »die Wahrung des Image anderer«288 . Zweifellos handelt es sich bei Bischof Thilo um ein Bischofssubjekt, das sich durch die Fähigkeit zur Planung, Abwägung und Neuverhandlung auszeichnet, das Geduld aufweist und die Kommunikation sucht. Dass diese wertschätzende Haltung gegenüber seinen Klerikern dem Wohle der Gemeinschaft zugutekommt, betont der Chronist abschließend: »De post usque in hunc diem in bona pace vicarii vixerunt.«289 Mit den gewählten Beispielen fallen im Kontext der Reformbestrebungen aus praxeologischer Perspektive zwei unterschiedliche Praktiken der Herstellung eines bischöflichen Herrschersubjekts in den Blick, die ihren jeweiligen Effekt auf die beteiligten Akteure und deren Subjektverständnis haben. Die historischen Chronisten erheben in ihren literarischen Erzählentwürfen das bischöfliche Selbst zum Schauplatz: In ihrem alltäglichen Tun, in ihrer Art und Weise, wie sie ihre Herrschaftsinteressen (d.h. die Reformierungsbestrebungen) durchzusetzen vermögen, verwickeln sich die Kirchenfürsten in den Spielzügen der sozialen Praktik und machen sich als Herrschaftsträger erkennbar. Dabei unterscheiden sich die beiden Bischöfe in ihren Handlungsmethoden: Während Bischof Bose auf Strenge und Durchsetzungswillen setzt und dabei zugleich kein flexibles Reagieren auf veränderte Situationen in seinem Handlungsfeld andeutet, sucht Bischof Thilo den Dialog zu seinen Handlungspartnern, der ihm wiederum die Plattform für die Aushandlung seines Subjektstatus bietet. Zweifellos spielt der jeweilige Handlungspartner in diesem Zusammenhang eine nicht unerhebliche Rolle: Johannes Bose agiert mit einer ihm unterstellten Religionsgemeinschaft, während Thilo von Trotha Vertreter des weltlichen Klerus adressiert, auf deren Zusammenarbeit er besonders angewiesen ist. So haben die unterschiedlichen bischöflichen Verhaltensweisen ihren Effekt auf die teilnehmenden Akteure des hier verhandelten religiösen Praxisfeldes: Sie werden von ihren Oberhirten auf unterschiedliche Weise adressiert, was sowohl Einwirkungen auf die Subjektivierung der teilnehmenden Akteure, als auch unterschiedliche Bedingungen einer (gelungenen) bischöflichen Subjektwerdung zur Folge hat.
287 E. Goffmann: Interaktionsrituale, S. 19. 288 Ebd. 289 MGH SS X, S. 210.
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13. Fallbeispiele im Kontext der (Bischofs-)Stadt Auch wenn der Bischof gemäß den Anforderungen an sein Amt, seinen Wohnsitz in seiner Kathedralstadt haben sollte – was nicht immer von den betreffenden Amtsinhabern praktiziert wurde – waren die Berührungspunkte zwischen ihm und den Bewohnern seiner Städte nicht permanent gegeben. So hat Matthias Meinhardt für die Bischofsstadt Merseburg herausgestellt, dass allein aufgrund der Topografie Merseburgs Bischof, Domkapitel und Bürgerschaft drei separate Bezirke bildeten, die unterschiedlichen Gerichtsbarkeiten unterlagen und damit rechtlich geschiedene Gemeinschaften darstellten.290 »Auch in sozialer, ökonomischer und kultureller Hinsicht sind bis zum Ausgang des Mittelalters in Merseburg kaum einmal engere Verflechtungen zwischen Stadtbürgern, Domkapitel und Bischofshof zu erkennen. Man bildete in diesen Bereichen weitgehend geschiedene Sphären«291 , schlussfolgert Meinhardt. Lediglich an hohen kirchlichen Festtagen dürfte die Wahrscheinlichkeit für die Stadtbewohner groß gewesen sein, ihren kirchlichen Stadtherrn in der Kathedrale anzutreffen. Diese Erkenntnis spiegelt sich auch in den Bischofschroniken wider. Beschreibungen sozialer Interaktionen des Bischofs im städtischen Handlungsfeld sind selten und haben i.d.R. Protokollcharakter. Vereinzelt gehen die Beschreibungen durchaus ins Detail, etwa dann, wenn sie mit der Selbstdarstellung und -inszenierung des Kirchenfürsten verbunden sind. Die Bischofsstadt, insbesondere die Kathedralstadt des Bistums, war ein bedeutender Repräsentationsraum der bischöflichen Selbstinszenierung. Sie war sein Publikum für die Inszenierung seiner Bischofsrepräsentation und höfischer Festlichkeiten. »Die Stadt trug also nicht unerheblich dazu bei, dass die Bischöfe eine standesgemäße Repräsentation überhaupt entfalten konnten.«292 Wie pompös dies teilweise gestaltet werden konnte, zeigt der Magdeburger
290 Siehe auch Bünz, Enno: Klerus und Bürger. Die Bedeutung der Kirche für die Identität deutscher Städte im Spätmittelalter, in: Chittolini, Giorgio/Johanek, Peter: Aspekte und Komponenten der städtischen Identität in Italien und Deutschland (14. bis 16. Jahrhundert), Bologna-Berlin 2003, S. 351-389. 291 Meinhardt, Matthias: Domkapitel – Bischof – Stadt. Das Verhältnis zwischen Bürgerschaft und Klerus im mittelalterlichen Merseburg, in: Kunde, Holger/Ranft, Andreas (Hg.): Zwischen Kathedrale und Welt: 1000 Jahre Domkapitel Merseburg. Aufsätze (Schriftenreihe der Vereinigten Domstifter zu Merseburg und Naumburg und des Kollegiatstifts Zeitz 2), Petersberg 2005, S. 97-110, hier S. 99. 292 M. Meinhardt: Domkapitel – Bischof – Stadt, S. 100.
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Erzbischof Dietrich von Portitz (1363-1367)293 . Er hatte die Angewohnheit, ein vergoldetes Kreuz vor sich hertragen zu lassen, wenn er durch die Straßen seiner Kathedralstadt ging: »Hic nichilominus archiepiscopus eciam in spiritualibus ad creditum sibi a Deo ministerium sollerter intentus fuit; nam ipse crucem argenteam et deauratam in baculo deargentato ante se reverenter et religiose deferri fecit, quocumque eum in publico incedere contingebat, secundum morem aliorum archiepiscoporum Gallicorum.«294 Die Erzählung dieser aufwendigen Selbstinszenierung verdeutlicht, dass Dietrich in seiner Amtsführung bemüht ist, seine Ein- und Anpassung durch das Anknüpfen an Traditionen gelingen zu lassen. Das Vorwegtragen eines Kreuzes galt als besonderes Vorrecht der Magdeburger Erzbischöfe, das ihnen bald nach der Bistumsgründung vom Papst eingeräumt wurde.295 Dietrichs Vorgänger machten anscheinend keinen Gebrauch von diesem Privileg. Dietrichs Motivation ist vermutlich in der Einreihung in die apostolische Sukzession und, damit verbunden, in der Sichtbarmachung seiner Herrschaftslegitimation für Jedermann zu suchen. Dietrichs Amtsnachfolger Peter von Brünn (1371-1381) übernahm das Kreuztragen ebenfalls für seine Inszenierung: Betrat er die Stadt Magdeburg, geschah dies im Ehrengeleit
293 Vgl. zu Erzbischof Dietrich Radke, Christian/Hengst, Karl/Scholz, Michael: Dietrich von Portitz, in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 391392; Janicke, Karl: Dietrich, Magdeburger Erzbischof, in: Allgemeine Deutsche Biographie 5, Leipzig 1877, S. 183-185; Kühn, Margarete: Dietrich von Portitz, in: Neue Deutsche Biographie 3, Berlin 1957, S. 678f.; Moraw, Peter: Dietrich von Portitz, Ebf. v. Magdeburg, in: Lexikon des Mittelalters 3, Sp. 1029. 294 MGH SS XIV, S. 439. 295 Der Chronikautor betont den gallischen Ursprung dieser Tradition: MGH SS XIV, S. 439: »Etenim hec dignitas huic venerande ecclesie in principio sue fundacionis a sede apostolica singulariter est addicta, sicut supra in capitulo de primo archiepiscopo continetur, licet predecessores sui modernis temporibus pro cruce ensem ad modum principum secularium ante se portari fecerint.« Siehe auch H. Asmus: 1200 Jahre Magdeburg, S. 350.
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und ein Wagen mit ausgewählten Sängern folgte dem Erzbischof durch die Straßen der Stadt.296 Einige mittelalterliche Chronisten verarbeiteten in ihren Erzählberichten auch hohe kirchliche und/oder höfische Feste, in denen sie die Selbstinszenierung der Kirchenfürsten in Szene setzten. Da diese Feste oftmals in den Kathedralstädten verortet sind, wird das Beispiel der Hoffeste in dieses Kapitel aufgenommen. Gleichwohl ist im Kontext des Festes die gesamte Stiftsgesellschaft angesprochen, womit sowohl das weltlich-adelige als auch das geistlich-adelige Handlungsfeld gemeint sein kann. (Höfische) Festlichkeiten dienten in der mittelalterlichen Gesellschaft der Bindung der Vasallen an ihren Herrn. Lehnsverhältnisse wurden repräsentiert und gefestigt. Der Erzbischof richtet unter allen Zeichen und Ritualen der mittelalterlichen Kommunikation seine Identifikationsangebote an die Weltlichkeit (Stiftsmannen und Bürger) und die Geistlichkeit. Ein höfisches Fest hatte somit einen »politischen, institutionellen und kulturellen Charakter«297 und versteht sich damit als ein Herrschaftsritual. In der Lebensbeschreibung des Dietrich von Portitz findet sich ein Erzählbericht zu einem solchen Fest. Er nahm die Weihe des Magdeburger Doms im Jahre 1363 als Anlass für den Versuch, nicht nur seinen Herrschaftsanspruch in Szene zu setzen, sondern auch seine Beziehung zur Stiftsgesellschaft zu festigen.298 Die ausführliche erzählerische Ausgestaltung macht das Fest zu 296 Vgl. MGH SS XIV, S. 448/449: »Honestam curiam tenuit et semper ante se crucem ferre fecit, quando intravit civitatem Magdeburgk, et honestissime incessit; suos proprios eciam cantors semper secum habuit sequentes eum in curru.« Zur Bedeutung der Spielleute für die Herrschaftsrepräsentation siehe Hartung, Wolfgang: Die Spielleute im Mittelalter: Gaukler, Dichter, Musikanten, Darmstadt 2003. 297 W. Schmid/M. Margue: Der Bischof und sein Kaiser, S. 128. 298 Vgl. MGH SS XIV, S. 439/440: »Enimvero ipse ad labores et expensas ad hoc requisitas intrepidus pro huius dedicacionis sollempnitate invitavit episcopos, abbates, principes, nobiles, comites, barones, ministeriales, milites et famulos militares, prelatos quoque et clericos vicinarum urbium et civitatum in numero copioso. Itaque huic sollempnitati interfuerunt 7 episcopi cum ipso domino archiepiscopo, videlicet Hildensemensis, Merseburgensis, Brandenburgesnis, Havelbergensis, Ebronensis et Thaborensis, vicarius in ponitificalibus episcopi Hildensemensis, cum aliis pluribus, qui omnes infulati in pontificalibus domino affuerunt hii: duces Saxonie tres, marchiones Mysnenses duo, duces Brunswicenses tres, comites de Anehalt quatuor, nobiles de Hademersleve tres, nobiles de Quernvorde quinque, de Scrapelowe tres, comites de Swartzeborgh duo, comites de Regensten tres, comites de Honsten duo, cum copiosa numerositate ministerialium, militum, famulorum ac ecclesie vasallorum. Confluxerunt preterea ad tam grandem sollempnitatem illustrissime domine co-
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einem Großereignis: Auf der Gästeliste – auf deren ausführlicher Beschreibung der historische Verfasser großen Wert legt – befinden sich am Weihetag die Suffraganbischöfe Magdeburgs (Hildesheim, Merseburg, Brandenburg, Havelberg, Hebron und Tabor), Mitglieder des Fürstentums und Grafen mit Frauen und Töchtern, und die Dienstmannen, Ritter, Knappen und Vasallen der Kirche. Die Ratsherren, Prälaten und Mönche der Stadt wurden zum Folgetag des insgesamt vier Tage andauernden Festes geladen. Inmitten dieses illustren Kreises wird Erzbischof Dietrich in seiner Funktion als geistlicher Würdenträger inszeniert. Er tritt infuliert, also in bischöflicher Gewandung auf. Den Weiheakt führt er selbst durch, assistiert von seinen Suffraganen. Am nächsten Tag weiht er eine weitere Kirche;299 wiederum demonstriert er sein Selbstbild als Oberhirte. Als Gastgeber des Festes stellt Dietrich mit dieser adelig-weltlichen Praktik seine finanzielle Macht und erzbischöfliche Pracht zur Schau. Eine tiefergehende Bedeutung erhält Dietrichs Bischofsperformanz vor dem Hintergrund, dass er ein Kirchenfürst bürgerlicher Herkunft war. Er entstammte einer Tuchmacherfamilie aus Stendal, der 1325 der Aufstieg ins städtische Patriziat gelang.300 Nach dem Schulbesuch in seiner Heimatstadt trat Dietrich dem Zisterzienserorden bei und wurde 1342 Zellerar im Kloster Lehnin. Zeit seines Lebens hat Dietrich permanent an seiner Karriere gearbeitet. Gezielt suchte er sich vielversprechende Fürsprecher, die ihn auf seinem Weg voranbrachten. Auf Bitte des Bischofs von Brandenburg, Ludwig Schenk von Neindorf (1327-1347) etwa, für den er 1346 das Hofmeisteramt bekleidete, wurde er zum Titularbischof von Sarepta ernannt (1346). Sein einflussreichster Protegé war jedoch König Karl IV. 1351 erfolgte Dietrichs Ernennung zum Bischof von Schleswig, womit eine recht unglückliche Lebensphase einsetzt: Obwohl Dietrich die Schuldentilgung seines Schleswiger Amtsvorgänger versprach, obwohl er Schlüsselposi-
niuges et filie principum et nobilium dominorum, videlicet ducissa Saxonie cum filiabus suis, ducissa de Brunswic, comitissa de Anehalt et plures alie domine et puelle generose cum suis comitivis. At vero dominus archiepiscopus, peracto consecracionis officio, sollempnem curiam tenuit in mensa sua cum episcopis, principibus et nobilibus universis tunc inibi congregatis, invitatis nichilominus ad eius modi convivium consulibus civitatis cum prelatis et religiosis quam pluribus. […] et dominus archiepiscopus tam dominis quam dominabus providit magnifice in exeniis expensarum.« 299 Vgl. MGH SS XIV, S. 440: »Altera autem die idem dominus archiepiscopus ecclesiam sancti Iohannis baptiste in Monte foras muros civitatits sollempniter dedicavit […]«. 300 Ebd.
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tionen in Schleswig mit Vertrauten besetzte und obwohl der Papst Geistlichkeit und Laienschaft mehrfach zur Anerkennung Dietrichs ermahnte, gelang es ihm nicht, sich im Bistum zu etablieren.301 Daher wurde er 1353 von Papst Innozenz VI. nach Minden transferiert. Dietrich setzte fortan seine Prioritäten in die weltlichen Geschäfte; in Minden war er kaum. Vielmehr plante und begleitete er den König auf seinem Romzug zur Erlangung der Kaiserwürde (1355). Offiziell amtierte er 1352-54 als königlicher Rat und Sekretär. 1360 wurde er Propst des Kollegiatstifts Wyschehrad in Prag und damit oberster Kanzler in Böhmen. Ein solcher Karriereweg zeigt, dass Dietrich das Geschick besaß, durch Leistung und Fleiß sowie durch Anpassung und Planung aufzufallen. Die Ernennung zum Magdeburger Erzbischof 1361 stand im Zeichen von König Karls Hausmachtpolitik, denn mit Dietrich war ein Mann seines Vertrauens auf den Stuhl des heiligen Adalbert gelangt.302 So präsentiert auch der Chronist Dietrich als Karls ›Ziehsohn‹: »Hic apud illustrissimum imperatorem dominum Karolum quartum, Bohemie regem, carus et acceptus, suis consiliis actibusque strennuis causas imperii atque regni per plures annos ita sollerter et provide direxit et gessit, quod idem imperator, considerata prudencia et industria persone, de archiepiscopatu sancte Magdeburgensis ecclesie tunc vacantis ab Innocencio papa sexto sibi provideri palliumque eidem mox transmitti graciose impetravit.«303 301 Vgl. Haupt, Joachim Leopold: Jahrbücher des Zittauischen Stadtschreibers Johannes von Guben und einiger seiner Amtsnachfolger, in: Scriptores Rerum Lusaticarum. Sammlung Ober- und Niederlausitzischer Geschichtsschreiber, Görlitz 1839, S. 148-149; Mooyer, Ernst Friedrich: Zur Chronologie schleswigscher Bischöfe, in: Jahrbücher für die Landeskunde der Herzogthümer Schleswig 2 (1859), S. 15-58. 302 Vgl. dazu M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 265. 303 MGH SS XIV, S. 438. Dietrichs chronikalischer Lebensentwurf in den Gesta archiepiscoporum Magdeburgensium muss nach 1371 verfasst worden sein. Der Autor schrieb sowohl die Vita seines Vorgängers Otto von Hessen (1327-1361) als auch die seines Nachfolgers Albrecht II. von Sternberg (1368-1371), dessen Zeitgenosse er gewesen sein soll. Überaus engagiert, unterzog er die Bistumschronik zurückgehend bis 1142 einer Neubearbeitung, dazu M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 230, sowie Magdeburger Bischofschronik, S. 54ff. Über Dietrichs Werdegang ist er gut informiert: Der Eintritt in den Zisterzienserorden – möglicherweise als Karrierestart gedacht – wird ebenso genannt wie die einzelnen Bischofsstationen in Sarepta, Schleswig, Minden und Wyzgerad (dort war er Propst): MGH SS XIV, S. 438: »Qui primitus Cysterciensis ordinis monachus in Lenyn, deinde Sareptensis episcopus, postea
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Über mehrere Jahre also zeichnete sich Dietrich durch seinen Rat und seine Handlungen in der Lenkung der Reichsangelegenheiten aus; er wird als kluge und vorsichtige Person dargestellt, für die die Ernennung zum Magdeburger Erzbischof der verdiente Lohn war. Seine nichtadelige Geburt wird der Nachwelt nicht verschwiegen, doch macht Dietrichs Chronist aus dieser Not eine Tugend: »De isto nimirum domino congruelocum habet dictum cuius dam sapientis : Non de magnis esse, sed magnum esse, magnum est. Quamvis enim ipse non fuerit de magnis, quam magnus tamen extiterit, sequencia manifestant«. »Nicht von Grossen abstammen, sondern selbst gross sein, das erst ist etwas Grosses«304 . Die chronikalische Bewertung Dietrichs ist durchweg positiv, denn insgesamt gelingt ihm eine gute Führung des Bistums. Die geistlichen Verpflichtungen seines Amtes liegen ihm in Magdeburg sehr am Herzen.305 Seine Burgen- und Finanzpolitik306 ist solide und er zeigte sich stets um den Frieden bemüht. Dietrich von Portitz gilt als einer der bedeutendsten Magdeburger Erzbischöfe des Spätmittelalters.307 Der Blick auf das Kirchenfest, das auch ein Hoffest ist, macht indes deutlich, dass Dietrichs bürgerliche Abstammung im Zusammenhang mit seiner Akzeptanz als Kirchenfürst kein Thema zu sein scheint. Spätestens mit der Beschreibung der verrichteten Ehrendienste des Grafen von Anhalt und des Herzogs von Sachsen ist die Anerkennung des Tuchmachersohns perfekt: »In quo quidem convivio comes de Anhalt, dapifer ecclesie, iuxta exigenciam officii sui sedens in equo, cum magna gloria reverenciali domino archiepiscopoattulit (!) primum ferculum; similiter dominus dux Saxonie, pincerna ecclesie, in equo sedens, potum iuxta suum officium domino archiepiscopo ministravit.«308
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episcopus ecclesie Slesewicensis, post hec Myndensis ecclesie episcopus simul et Wyzgradensis ecclesie prepositus.« MGH SS XIV. S. 438. Übersetzung nach O. Rademacher: Magdeburger Bischofschronik, S. 199. Über das Abhalten einer Synode siehe MGH SS XIV, S. 439. Vgl. MGH SS XIV, S. 438/439. Vgl. C. Radke/K. Hengst/M. Scholz: Dietrich von Portitz, S. 392. MGH SS XIV, S. 439/440.
Erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung
Die erzählerische Ausgestaltung eines Festes wie oben beschrieben, repräsentiert die bischöfliche Selbstinszenierung und hat damit allemal Potenzial, in einer praxeologisch ausgerichteten Untersuchung aufgenommen zu werden. Als vielversprechender allerdings erweisen sich solche historischen Erzählungen, die konfliktgeladene und spannungsreiche Beziehungen des geistlichen Stadtherrn zu seinen Bürgern thematisieren. Hier treten unterschiedliche Positionierungen und damit verbundene Aushandlungsprozesse aller an einer sozialen Praktik beteiligten Akteure auf. Und eine genauere Betrachtung des Verhältnisses zwischen dem Bischof und der städtischen Bevölkerung seines Bistums zeigt, dass Meinungsverschiedenheiten an der Tagesordnung waren.309 Nicht selten gipfelten diese in ernsthaften, sprich: gewalttätigen Auseinandersetzungen, an deren Ausgang die Veränderung des Kräfteverhältnisses im städtischen Machtgefüge stand. Die Emanzipationsbestrebungen der Städte, ihre Forderungen nach (mehr) Mitbestimmungsrecht und Selbstverwaltung sowie ihr erstarktes und demonstratives Selbstbewusstsein prägten ihr Verhältnis zum bischöflichen Stadtherrn in einem hohen Maß.310 Bestimmte Regierungshandlungen des Bischofs stießen daher umgehend auf städtischen Widerstand. Dies war insbesondere dann der Fall, wenn der Bischof (aus städtischer Perspektive) in die Hoheits- und Besitzrechte der Stadt eingriff.311 Weitere Provokationen sahen die Städte auch in der Ausdehnung und Auslegung der bischöflichen Gerichtsbarkeit, der Einsetzung bischöflicher Verwalter
309 Dazu grundlegend Grieme, Uwe/Kruppa, Nathalie/Pätzold, Stefan: Bischof und Bürger. Herrschaftsbeziehungen in den Kathedralstädten des Hoch- und Spätmittelalters, Göttingen 2004; Tyler, Jeffery J.: Lord oft he Sacred City. The »episcopus exclusus« in Late Medieval and Early Modern Germany, Leiden u.a. 1999. Siehe in diesem Kontext auch Patzold, Steffen: Konflikte als Thema in der modernen Mediävistik, in: Goetz, Hans-Werner: Moderne Medävistik. Stand und Perspektiven der Mittelalterforschung, Darmstadt 1999, S. 198-205. 310 Pätzold, Stefan: Streit in der Stadt. Konflikte zwischen den Erzbischöfen und den Bewohnern Magdeburgs im hohen und späten Mittelalter, in: U. Grieme/N. Kruppa/S. Pätzold: Bischof und Bürger, S. 211-241, hier S. 241. Zur städtischen Selbstdarstellung siehe A. Haverkamp (Hg.): Formen der Information, Kommunikation und Selbstdarstellung mittelalterlicher Gemeinden. 311 Siehe dazu Grieme, Uwe: Die Auseinandersetzungen zwischen Bischof, Klerus und Stadt in Halberstadt im 14. und 15. Jahrhundert, in: Ders./N. Kruppa/S. Pätzold: Bischof und Bürger, S. 185-210.
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und im Burgen(aus)bau.312 Ferner hatte die bischöfliche Konsolidierungsund Expansionspolitik ein grundsätzliches Konfliktpotenzial. Neben einem potenziellen Gefühl der Beschneidung städtischer Freiheitsrechte durch den Stadtherrn waren es vor allem finanzielle Aspekte, die Streit herbeiführen konnten, weil Stadt und einzelne Bürger dem Stadtherrn bisweilen Kredite für die Durchführung seiner Kriegszüge gaben. Diese Verschuldung machte den Bischof erpressbar. In der Konsequenz konnte sie jedoch auch den Bürgern höhere Steuerbelastungen einbringen, ermöglichte Übergriffe auf die Kompetenzen des Rates und führte zu bischöflichen Verpfändungen, die den Interessen der Städte zuwiderlaufen konnten.313 Eine solche innenpolitische Krise führte in Magdeburg 1325 dazu, dass der Erzbischof Burchard von Schraplau (1308-1325) von der Bürgerschaft gefangengesetzt314 und am 21. Dezember im Keller des Rathauses ermordet wurde315 . Ohne den Fall, der in der Forschung gut aufbereitet wurde316 , von neuem zu zitieren, sei im Hinblick auf die Subjektivierungsthematik angeführt, 312
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So geschehen in Minden. Siehe dazu Kruppa, Natalie: Emanzipation vom Bischof. Zum Verhältnis zwischen Bischof und Stadt am Beispiel Mindens, in: U. Grieme/N. Kruppa/S. Pätzold: Bischof und Bürger, S. 67-88, hier S. 80. Vgl. U. Grieme: Die Auseinandersetzungen zwischen Bischof, Klerus und Stadt in Halberstadt im 14. und 15. Jahrhundert, S. 186. Vgl. MGH SS XIV, S. 431: »Factum est ergo anno Domini 1325, in die decollacionis sancti Iohannis baptiste, cum idem archiepiscopus intrasset civitatem Magdeborgh, captus est et detentus in pallacio episcopali cum diligenti custodia.« Vgl. MGH SS XIV, S. 431: » […] commiserunt eum viris sceleracioribus, qui inter eos maiori odio ad ipsum afficiebantur, et illi adhuc nequioribus, qui larvis induti in ipsa nocte sancti Mathei apostoli ipsum de pallacio suo adcellarium novum civitatis, in quo captivi et malefactores detineri solent, duxerunt, ibique eum cum fuste velclava in cerebro percucientes, proh dolor! occiderunt et, ut sperandum est, christi martirem ipsum fecerunt.« Zum Bischofsmord allgemein siehe Bihrer, Andreas: Die Ermordung des Konstanzer Bischofs Johann Windlock (1351-1356) in der Wahrnehmung der Zeitgenossen und der Nachwelt, in: Fryde, Natalie/Reitz, Dirk: Bischofsmord im Mittelalter. Murderof Bishops, Göttingen 2003, S. 335-392, hier S. 335; Heinig, Paul-Joachim: Fürstenmorde. Das europäische (Spät-)Mittelalter zwischen Gewalt, Zähmung der Leidenschaften und Verrechtlichung, in: Ders. (Hg.): Reich, Regionen und Europa in Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für Peter Moraw, Berlin 2000, S. 355-389. Vgl. Wittek, Gudrun: Ein Mord als folgenschwere Störung des Stadtfriedens. Das gewaltsame Ende des Magdeburger Erzbischofs Burchard III. im Jahre 1325, in: Sachsen und Anhalt 20 (1997), S. 345-406; S. Pätzold: Streit in der Stadt; Wittek, Gudrun: Die Ermordung des Erzbischofs Burchard III. im Jahre 1325 und die Stadt Halle, in: Freitag, Werner/Müller-Bahlke, Thomas (Hg.): Halle im Mittelalter und im Zeitalter der Reformation, Halle 2006, S. 50-65.
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was das erzbischöfliche ›Scheitern‹ schließlich verursachte. Für den Magdeburger Fall sind Überlieferungen sowohl aus städtischer als auch domkapitularischer Perspektive überliefert. Beide Perspektiven weisen auf bestimmte Praktiken, Charaktereigenschaften und Herrschaftsauffassungen des Kirchenfürsten hin, die bei den Beherrschten auf Ablehnung stießen. Verhielt sich der Erzbischof zu Beginn seiner Regierung noch milde gegenüber seinen Städtern, wurde er zunehmend aggressiver in der Durchsetzung seiner erzbischöflichen Autorität: »Hic dominus Borchardus archiepiscopus satis placide in principio se tenere ad cives videbatur, sed successu temporis subortis pluribus displicenciis hinc inde, factus est eis multum molestus.«317 Burchard hielt sich nicht an vertragliche Regelungen, sondern errichtete neue Zollstätte, bedrohte seine Städter durch die Zerstörung und Errichtung neuer Burgen, belagerte die Stadt und verlangte Frondienste. Das städtische Selbstbewusstsein sah sich hart getroffen. Dermaßen erhitzt, setzten die Magdeburger ihren Stadtherrn gefangen und wollten ihn auf dem Marktplatz in einen Käfig sperren lassen.318 Doch Burchard von Schraplau schaffte es, sich aus dieser gravierenden Situation herauszureden: »Misit enim ad plebanum ecclesie sancti Iohannis, mandans, ut sibi corpus dominicum apportaret; quo facto, ipse propriomotu iuravit super corpus Christi; quod vellet esse fidelis civibus nec de illa captivitate se unquam velle expetere ulcionem; et tunc dimissus, liber ad suum pallacium cum honore est deductus.«319 Die Praktik der Eidesleistung320 als Instrument zur Friedensherstellung und -sicherung wird von beiden Parteien verwendet, um die Herrschaftsordnung in Magdeburg wiederherzustellen. Sie verweist auf ein gegenseitig geleistetes Treueverhältnis für jetzt und in Zukunft. Aber der Magdeburger Stadtherr
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MGH SS XIV S. 328. Vgl. MGH SS XIV S. 430: »Eodem anno dominus Borchardus archiepiscopus captus fuit a civibus in civitate Magdeburgh in Novo foro et detentus in lobio vel consistorio civitatis; parabaturque ei una cista super turrim Sancti Iohannis, in qua includi debebat, ut dicebatur; sed ipse, ut prudens, iram civium verbis mollibus et blandis frangere sathagebat promisitque eis magnam pacem et amiciciam; quod et iuramento non exactus firmavit.« 319 MGH SS XIV S. 430. 320 Vgl. Schmidt-Wiegand, Ruth: Eid und Geblöbnis, Formel und Formular im mittelalterlichen Recht, in: Classen, Peter (Hg.): Recht und Schrift im Mittelalter, Sigmaringen 1977, S. 55-90.
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hielt sich nicht an diesen Eid, zumal dieser in einer für den Bischof denkbar schlechten Verhandlungssituation – in Todesangst – abgelegt wurde. So berichtet die Chronik: »Ipse autem episcopus post sicut ante gravitatem sui animi civibus ostendebat, dicens, se illud iuramentum fecisse metu mortis, ac per hoc ad servandum illud se minime obligari. Unum tamen actum legalitatis notabilem fecit erga cives.«321 Hieran allerdings entzündete sich erneut die Wut der Stadt. Als letzten Ausweg griff der erstarkte Magdeburger Rat zu der gewaltsamen Tat, ohne eine »religiöse Scheu vor der Tötung eines Gottesmannes«322 anzudeuten. Die erzbischöfliche Herrschaftsweise mit Belagerungen und Sanktionen störte den städtischen Frieden. Noch dazu schädigte der damit verbundene unersättliche Geldbedarf des Erzbischofs die Wirtschaft der Stadt. Doch neben diesen handfesten Faktoren sind es der Meineid und Treuebruch des Erzbischofs, die in der zeitgenössischen Geschichtsschreibung verhandelt werden und eine Irritation über seine Herrschaft verursachten. Man könnte argumentieren, dass Erzbischof Burchard von Schraplau als ›herrschendes Subjekt‹ gescheitert ist, weil er es nicht verstand, sich im Vollzug der Herrschaftspraktiken als adäquater Mitspieler zu positionieren, der von den anderen Akteuren dieses Feldes anerkannt werden konnte. Burchards Selbst- und Amtsverständnis schloss ein reflexives Einschätzen der Verhältnisse und damit einhergehend ein gelegentliches Umdenken aus, so dass sein mangelndes Verständnis für sein Umfeld wie auch seine Charakterstrenge als Gründe für eine gescheiterte (politische) Subjektivierung betrachtet werden können. Doch nicht jede Meinungsverschiedenheit musste in einem handfesten militärischen Konflikt ausarten. Die Abläufe der Auseinandersetzungen waren vielfältig und auf die Persönlichkeit und die politische Situation des Bischofs zurückzuführen.323
321 MGH SS XIV S. 430. 322 S. Pätzold: Streit in der Stadt, S. 221. 323 Vgl. Wittek, Gudrun: Einigkeit und Abgrenzung. Konfliktbewältigung durch Stadtbürgertum und Klerus in den Städten der Bistümer Halberstadt und Magdeburg im 13. und 14. Jahrhundert, in: Freitag, Werner/Pollmann, Klaus Erich/Puhle, Matthias: Politische, soziale und kulturelle Konflikte in der Geschichte von Sachsen-Anhalt, Halle 1999, S. 61-64. Scholz, Michael: Konflikt und Koexistenz. Geistliche Fürsten und ihre Städte in Mitteldeutschland im Spätmittelalter, in: W. Freitag/K. E. Pollmann/M. Puhle: Politische, soziale und kulturelle Konflikte in der Geschichte von Sachsen-Anhalt, S. 82-88.
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Auf angemessene Klagen des Rates vor ihrem Stadtherrn konnte der Bischof durchaus mit einer friedlichen und versöhnlichen Lösungsstrategie reagieren. Neben Stadt und Rat auf der einen und bischöflichen Stadtherrn auf der anderen Seite, bildet das Domkapitel, das seinerseits an einem Machtzuwachs gegenüber ihrem Bischof nicht uninteressiert war, einen weiteren Hauptakteur in diesem stadtinternen Machtgefüge. Im Falle eines Konflikts versuchten alle Parteien Unterstützung in weiteren Institutionen zu erhalten, etwa bei König und Papst oder bei weiteren Bistums- oder auch Hansestädten.324 Die Konstellation der Konfliktparteien war stets variabel: Der Bischof konnte sich allein mit einer Allianz aus Bürgerschaft und Domkapitel und städtischer Geistlichkeit konfrontiert sehen. Er konnte aber auch gemeinsam mit seinen Domherren gegen die Städter intervenieren. Im – aus bischöflicher Sicht – besten Fall, hatte der Stadtherr die Rolle des herrschaftlichen Schlichters inne, etwa dann, wenn sich städtische Parteien zerstritten hatten und eine Konfliktlösung nur noch durch die Vermittlung eines Dritten herbeigeführt werden konnte. Dies war insbesondere zwischen Stadt und Stadtgeistlichkeit der Fall, die sich um die Abgrenzung von Kirchenrecht und Stadtrecht (z.B. Pfarrerwahlrecht, Beerdigungsrecht) entzweiten.325 Aus städtischer Sicht war es überaus wichtig, vom Stadtherrn Handlungsbereitschaft zu sehen. Im »Halberstadter Pfaffenkrieg« (1401-1407) etwa mobilisierte sich eine Klerikerunion326 gegen den Rat, aber auch gegen ihren Bischof, weil »der Bischof mehr für Fremde und Ausländer sorge, denn für seine Bürger«327 . Gleichwohl barg jede Form der Meinungsverschiedenheit im städtischen Kontext die Gefahr der Eskalation. Gewalttätige Konflikte konnten dabei ausführlich von städtischer Seite geplant sein. Häufiger jedoch waren sie das Er324 Vgl. S. Pätzold: Streit in der Stadt, S. 234f. 325 Vgl. Radtke, Christian: Si non facientis voluntatem nostram … Zum Lübecker Kirchenkampf im 13. Jahrhundert, in: U. Grieme/N. Kruppa/S. Pätzold: Bischof und Bürger, S. 165-184. 326 Vgl. dazu Holbach, Rudolf: Uniones cleri. Konflikte, Konfliktvorbeugung und Konfliktaustragung städtischer Geistlichkeit, in: Ders./Weiss, David: Vorderfflik twistringhe unde twydracht: Städtische Konflikte im späten Mittelalter, Oldenburg 2017, S. 223240. 327 U. Grieme: Die Auseinandersetzungen zwischen Bischof, Klerus und Stadt in Halberstadt im 14. und 15. Jahrhundert, S. 199. Vgl auch Hergemöller, Bernd-Ulrich: »Pfaffenkriege« im spätmittelalterlichen Hanseraum: Quellen und Studien zu Braunschweig, Osnabrück, Lüneburg und Rostock, Köln-Wien 1988.
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gebnis von unüberlegten Spontanaktionen. Die Antwort des Stadtherrn konnten eine bewaffnete Niederschlagung, Gefangenahmen und Hinrichtungen sein. Ein Sieg der bischöflichen Seite war in diesen Zusammenhängen durchaus nicht die Regel: Die Niederlage des Bischofs äußerte sich häufig in seinem Auszug bzw. seiner Flucht aus der Stadt. Der bischöfliche Hof wurde an einen anderen Ort transferiert, den der Bischof fortan als seine Residenz bezog.328 Der Bischof konnte sich weigern, die sich ihm widersetzende Stadt je wieder zu betreten. Andersherum konnte die Stadt ihm auch den Zutritt verweigern. Handelte es sich um die Kathedralstadt des Bistums, blieb dem Bischof fortan der Zugang zu seinem Dom – einem wichtigen Bestandteil seiner geistlichen Amtstätigkeiten – verwehrt. Zu vermerken ist, dass die dauerhafte Befreiung von der Anwesenheit ihres Stadtherrn wohl ein erklärtes Ziel einiger Städte und im städtischen Konfliktgeschehen keine Seltenheit war.329 Zusammengefasst standen dem Bischof in Fällen von städtischen Unruhen folgende Verhaltensweisen zur Verfügung: Er konnte passiv bleiben im Sinne eines hoffenden Abwartens, eines starren Aussitzens oder eines gleichmütigen Desinteresses. Er konnte aber auch aktiv ins Geschehen eingreifen, mit diplomatischen Mitteln das Gespräch suchen, einen Ausgleich finden oder mit Gewalt seine Interessen durchzusetzen versuchen. Vorfälle von städtischen Unruhen gab es viele. Mit Sicherheit mangelte es den Chronisten daher nicht an Material für die literarische Verarbeitung von Konflikten. Das Themenfeld hat daher das Potenzial, das kulturelle Modell eines bischöflichen Stadtherrn zu präsentieren. So richtet sich das Erkenntnisinteresse der folgenden Ausführungen auf die unterschiedlichen Praktiken zur Herstellung eines bischöflichen Herrschaftsträgers, die in der sozialen Praxis des Konflikts erkennbar werden. Die gewählten Beispiele stammen dabei allesamt aus der Magdeburger Bischofschronik und gehen auf einen bischofsnahen Verfasser – vermutlich einen Domherrn – zurück.330 Die Entwicklung Magdeburgs verlief im 14. und 15. Jahrhundert nicht konfliktfrei. 328 So verließ der Mindener Bischof Gottfried von Waldeck (1304-1324) 1306 seine Stadt und bezog fortan in seiner neu errichteten Burg Petershagen seine Residenz, so N. Kruppa: Emanzipation vom Bischof, S. 79. Zum Forschungsfeld der Bischofsresidenzen vgl. Neitmann, Klaus/Heimann, Heinz-Dieter (Hg.): Spätmittelalterliche Residenzbildung in geistlichen Territorien Mittel- und Nordostdeutschland, Berlin 2009, darin insbesondere Andermann, Kurt: Das schwierige Verhältnis zur Kathedralstadt. Ausweichresidenzen südwestdeutscher Bischöfe im späten Mittelalter, S. 113-134. 329 Vgl. S. Pätzold: Streit in der Stadt, S. 241. 330 So M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 230.
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»Die Konfliktlinien liefen wie in anderen Städten [auch] durch die vertikale soziale, politische und ökonomische Schichtung der Bürgerschaft und im 15. Jahrhundert zunehmend zwischen der Stadt und vor allem seiner Vertretung, dem Rat und dem Stadtherrn, wobei sich diese Linie sehr häufig veränderten oder in ganz andere Richtung zeigten.«331 Im Fokus steht nun die Frage, wie das Verhalten der bischöflichen Kirchenfürsten in spezifischen Konfliktsituationen in den historischen Quellen präsentiert und problematisiert wurde. Eine Darstellung des idealen bischöflichen Konfliktverhaltens findet sich in der Lebensbeschreibung Erzbischofs Otto von Hessen (1327-1361). Otto, dritter Sohn des Landgrafen Otto I. von Hessen, wurde 1327 Magdeburger Erzbischof.332 Die Ernennung verdankt er dem Engagement seines Vaters: Kaum war die Ermordung Erzbischof Burchards von Schraplau bekannt geworden, wurde der Landgraf persönlich bei Papst Johannes XXII. vorstellig, um seinem 24jährigen Sohn das Amt zu sichern. Die ökonomische Situation des Bistums an der Elbe war zu Ottos Zeiten denkbar schlecht. Weder konnten die Kosten für den Amtseintritt aus der Stiftskasse gezahlt werden, noch stand dem neuen Erzbischof ein geeigneter Wohnraum zur Verfügung.333 Schlimmer wog allerdings die soziale Stimmung im Stift: Als Reaktion auf die Ermordung Burchards waren Reichsacht, Interdikt und Bann über die Städte Magdeburg, Halle und Calbe verhängt worden. 1330 währten die Strafen bereits das vierte Jahr und die Auswirkung auf das städtische Leben wurde immer deutlicher spürbar. Die Bürgerschaft334 warf dem Stadtrat vor, die Lossprechung insbesondere von Interdikt und Bann nicht konsequent genug zu forcieren.335 Immerhin saßen 331
Puhle, Matthias: Geschichte Magdeburgs von 1330 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, S. 125. 332 Zu Erzbischof Otto siehe Kluge, Martin: Otto von Hessen, Erzbischof von Magdeburg 1327-61, Halle-Wittenberg 1911; Scholz, Michael: Otto, Landgraf von Hessen (um 1302/03-1361), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 391. 333 Vgl. MGH SS XIV, S. 433: »Hic invenit ecclesiam multum disturbatam et dilapidatam in castris et municionibus. Nam quidam de canonicis castra nonnulla pro se et suis amicis occupaverant et debita super ea accumulaverant. Ipse eciam provisus in primo adventu suo tam pro expensis introitus sui quam pro servicio camera pape eadem pauca que non occupata invenit exponere conpulsus est, ita quod ipse nullum locum mansionis habebat nisi pallacium episcopale intra civitatem apud summum.« 334 So F. W. Hofmann: Geschichte der Stadt Magdeburg 1, S. 244. 335 Dazu auch F. W. Hofmann: Geschichte der Stadt Magdeburg 1, S. 244f.
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36 Ratsmitglieder, die an der Erschlagung Erzbischof Burchards nachweislich beteiligt waren, immer noch im Alten Rat.336 Zudem machte sich zusehends ein soziales Ungleichempfinden in Magdeburg breit, das die Bürger in zwei Lager spaltete und sich in einer Gewaltaktion zu entladen drohte. Mit Stroh bedeckte Wagen sollten die Geschäfte der einflussreichsten Kaufleute und Fernhändler in Brand setzen, auf der anderen Seite bewaffneten sich die Ratsmitglieder.337 Da stürmte Erzbischof Otto von seinem Palast herab in die Menge: »ipse archiepiscopus hec audiens, de pallacio suo cum paucis quisecu erant descendit, et accurrens, posuit se in medio furencium et cum magna difficultate sedavit eos, faciendo treugas inter partes, quas postea amicabiliter concordavit«338 . Äußerst anschaulich präsentiert der Autor dieser Zeilen das situative Engagement des Erzbischofs, verbunden mit dessen spezifischer Körperperformanz: Mutig und ohne zu zögern eilt Otto herbei, um sich selbst zwischen die Aufständischen zu werfen. Die Angst vor einer Eskalation machte ihn entschlossen. Seine Handlung erscheint affektiv (»ipse archiepiscopus hec audiens, de pallacio suo […] qui secu erant descendit, et accurrens, posuit se in medio furencium«), aber nicht unkontrolliert (»cum paucis« und »cum magna difficultate sedavit eos«). Seine verinnerlichten Handlungsdispositionen sind
336 Vgl. M. Puhle: Geschichte Magdeburgs von 1330 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, S. 125. 337 Zu den Interessen der Gewandschneider und Krämer siehe H. Asmus: 1200 Jahre Magdeburg, S. 44: »Sie strebten eine ständige Vertretung ihrer Kaufleute in den sehr weit entfernten, im Ausland liegenden Einkaufs- und Absatzgebieten an. Eine solche ständige Vertretung bot den Fernkaufleuten zahlreiche Vorteile. Sie sicherten ihnen Kenntnis der Marktlage, gute Einlagerungsmöglichkeiten für die Waren, eine eigene Rechtsvertretung im Ausland und andere günstige Handelsbedingungen.« 338 MGH SS XIV, S. 433: »Hic satis conpetenter se habuit ad cives, et licet aliquando duros tractatus habuerit contra ipsos, nunquam tamen movit eis gwerram. Huius tempore cum populus civitatis in sedicionem verteretur, et communes iam haberent currus cum straminibus paratos ad incendendum tecas seu cameras institorum et pannicidarum et armati starent ad invadendum divites, qui erant in lobio, et ipsi divites ex adverso se armarent, ipse archiepiscopus hec audiens, de pallacio suo cum paucis qui secuerant descendit, et accurrens, posuit se in medio furencium et cum magna difficultate sedavit eos, faciendo treugas inter partes, quas postea amicabiliter concordavit; et hec gesta sunt anno Domini 1330. Et tunc facta est unio braxatorum et pistorum, que antea non fuerat.«
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durch Flexibilität geprägt und erlauben, mit Bourdieu gesprochen, situationsadäquate Improvisationen.339 Im Verständnis des mittelalterlichen Chronisten ist es daher in dieser hochbrisanten Situation auch angemessen, die Affekte bewusst auszuleben. Damit verweist der Chronist auf einen Handlungsspielraum, der dem Erzbischof in Bezug auf die Körperlichkeit zugesprochen wird. Diese Präsenz eines ausgewiesenen sakralen Körpers (der in seiner Heiligkeit unantastbar zu bleiben hat) ist so einleuchtend wie notwendig: Als einem aktiven Streitschlichter gelingt es Otto, Ruhe unter die Rebellen zu bringen, um schließlich eine Deeskalation und Versöhnung herbeizuführen. Diese lag in einer für die politische Weiterentwicklung Magdeburgs folgenschweren Verfassungsänderung, beendete sie doch die alleinige Macht des Patriziats, und zwar durch die Erweiterung der Ratsfähigkeit über fünf Innungen hinaus auf acht weitere. Auf diese Weise hatten größere Teilen der Stadtbevölkerung als die zuvor Privilegierten an der städtischen Macht teil.340 Dazu wurden die oben genannten 36 Mitglieder des alten Rates vertrieben.341 Die Magdeburger Bischofschronik verzeichnet die Ereignisse von 1330 als persönlichen Erfolg des Erzbischofs, der die Steuerung des Konflikts seiner Fähigkeit zu kontrolliertem Handeln und seiner Disziplin verdankt. Gleichwohl lag die Lossprechung der Stadt Magdeburg vom päpstlichen Bann auch im Interesse des Stadtherrn.342 Insgesamt war Ottos Politik sehr auf ein positives Verhältnis zu seinen Städten ausgelegt.343 Natürlich kann eine solch mutige Tat eines Erzbischofs positiv ausgedeutet werden und besitzt Vorbildcharakter für nachfolgende Bischöfe. Doch allein das kann nicht das Anliegen des Chronisten gewesen sein. Mit einer praxeologischen Perspektive wird vielmehr die Orientierung Ottos an konfliktfähigen Verhaltensmustern deutlich: Er weiß mit Konfliktsituationen umzugehen. Das Bild des herbeistürmenden Erzbischofs, der sich mutig in die Menge
339 Vgl. Bourdieu, Pierre: Körperliche Erkenntnis, in: Ders.: Meditationen. Zur Kritik der scholastischen Vernunft, Frankfurt a.M. 2004, S. 165-209; B. Krais/G. Gebauer: Habitus, S. 5f. 340 Vgl. M. Puhle: Geschichte Magdeburgs von 1330 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, S. 126-127. 341 Vgl. M. Puhle: Geschichte Magdeburgs von 1330 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, S. 125 sowie Magdeburger Bischofschronik, S. 191. 342 Hierzu M. Puhle: Geschichte Magdeburgs von 1330 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, S. 126. Dies gilt auch für die Städte Halle und Calbe. 343 So M. Scholz: Otto, Landgraf von Hessen (um 1302/03-1361), S. 391.
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wirft, avanciert zur Identifikationsfigur der bischofsnahen Leserschaft. Dadurch erscheint Otto vor allem im Kontrast zu dem untätigen Stadtrat, der die brisante Situation erst forciert hat. Seine Brisanz erhält der Chronikbericht durch die Tatsache, dass die überlieferte neue Ratsverfassung vom 8. Mai 1330344 das Eingreifen des Erzbischofs zur Verhinderung eines Ausbruchs von Gewalt unerwähnt lässt. Die »Schöppen, Ratsherren, Innungsmeister und die Gemeinde« erklären, dass die große Unruhe in der Bürgergemeinde nur dadurch beendet werden konnte, weil »die Bürgergemeinde […] zusammengekommen sei und sich auf einen Vertrag geeinigt hätte, der ewig gehalten werden sollte.«345 Zwei Perspektiven dieser Episode von 1330 liegen also vor. Unerheblich ist die Frage, welche Variante den Tathergang wahrheitsgetreu wiedergibt. Vielmehr ist im Zusammenhang mit der Subjektivierung der Bischöfe zu fragen, was den Chronisten der Magdeburger Bischofschronik dazu bewog, seine Variante niederzuschreiben. Die Erzählung steht beispielhaft für eine Konfliktbewältigung, in welcher der Erzbischof die Rolle eines (mehr oder weniger neutralen) Streitschlichters einnimmt, die ihm aber zugleich die Stabilisierung seiner stadtherrlichen Rechte einbrachte. Während die städtische Perspektive von einer Konfliktbewältigung mit dialogischen und kommunikativen Praktiken berichtet, wird in der bischofsnahen Berichterstattung die körperliche Präsenz und womöglich auch Autorität des Stadtherrn als Konfliktbewältigungsmittel in den Fokus gerückt.346 Vor dem Hintergrund dieser beiden konkurrierenden Konfliktbewältigungsstrategien scheint das in der Bischofschronik vermittelte Bischofsbild daher die bedeutungstragende Botschaft zu enthalten: Der Bischof redet nicht, er handelt pragmatisch. Die Symbolsprache des buchstäblichen Körpereinsatzes des Erzbischofs ist gerade nach den Ereignissen um den ermordeten Erzbischof Burchard wichtig für den Bischofshof. Die Magdeburger Bischofschronik enthält noch drei weitere Szenen, in denen das Konfliktverhalten der Erzbischöfe thematisiert wird. Dabei mag die im oben genannten Otto-Bespiel ausgearbeitete Erzähl-Bedeutung hier eine ähnliche sein. Etwa 100 Jahre später erlebt Ottos Amtsnachfolger eine vergleichbare Szene, diesmal ist der Erzbischof persönlich in den Konflikt 344 Vgl. Urkundenbuch der Stadt Magdeburg, Bd.1 bis 1403, bearb. von Gustav Hertel, Halle (Saale) 1892, Nr. 334, S. 200f. 345 M. Puhle: Geschichte Magdeburgs von 1330 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, S. 126. 346 Diese Version der Geschichte hielt auch Einzug in die Schöppenchronik und die Pomarius-Chronik, dazu M. Puhle: Geschichte Magdeburgs von 1330 bis zum Ende des 15. Jahrhunderts, S. 125.
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involviert. Erzbischof Friedrich von Beichlingen ist in der vorliegenden Untersuchung bereits als Beispiel für seine extreme Wandlung vom ungebildeten Laien zum theologisch-versierten Kirchenfürsten genannt worden. Seine Lebensbeschreibung erwähnt darüber hinaus eine Szene, in der Friedrich in einer konfliktgeladenen Situation zur Handlung aufgefordert ist. Generell erscheint Friedrich von Beichlingen als aufgeschlossener Kirchenfürst, dem an einer guten Beziehung zu Stadt und Bürgern gelegen war. Gleichwohl sorgte der am 25. Juni 1463 geschlossene Vertrag zwischen der Stadt Magdeburg und dem Erzbischof bezüglich der dortigen Heermesse und Kornverschiffung, des Wege- und Brückengelds, der Zollerhebung und des freien Geleits für Unstimmigkeiten, da der Vertrag dem Erzbischof die Gelegenheit bot, seine Rechte zu verfestigen und teilweise sogar zu verbessern.347 Der Magdeburger Stadtrat reagierte auf den Vertrag mit Unmut dahingehend, dass er den Krämern die Abhaltung eines Marktes auf dem Neumarkt untersagte. Doch der Weg vor dem Kloster St. Pauli, der ihnen als neuer Standort zugewiesen wurde, missfiel den Kaufleuten. Erzbischof Friedrich sah offenbar ebenfalls keinen Grund für eine Marktverlegung und gestattete den Krämern das Aufstellen ihrer Marktstände am gewohnten Platz. Mit einer Schmähaktion beauftragte der Rat einige »cives et vigiles«348 , die sich »[i]n nocte« den Kaufleuten aufdrängten, sie beleidigten und handgreiflich wurden. »›Tenes hic forum? Fact e nunc defensare episcopum tuum‹!« – »Hältst du hier den Markt? Machʼ, dass du jetzt deinen Bischof verteidigst!«349 soll einem Kaufmann zugerufen worden sein. Die Provo347 Vgl. F. W. Hofmann: Geschichte der Stadt Magdeburg 1, S. 402f. Der Vertrag ist abgedruckt bei Dreyhaupt, Johann Christoph von: Beschreibung des Saalkreies I, Halle 1755, S. 152-154. Der Vertrag stärkte die erzbischöflichen Rechte erheblich. 348 Vgl. MGH SS XIV, S. 474: »Eciam temporibus istis fuit discordia inter archiepiscoporum et consulatum de foro tenendo infra octavas sancti Mauricii, quia consulatus voluit, quod institores non deberent stare in Novo foro, sed in Lata platea ante monasterium Sancti Pauli, et tamen aliqui eque bene in Novo foro manserunt stare. In nocte post diem sancti Mauricii cives et vigiles per consulatum deputati invaserunt institores verbis et factis iniuriosis, ut percuciendo, vulnerando et male dicendo ipsis et archiepiscopo, eo in curia stante et audiente, dicendo: ›Tenes hic forum? Fact e nunc defensare episcopum tuum‹! Que patienter tolerans, multitudini parcens sagaciter propter tumultum populi vitandum: expost lantgravius, tantam contumeliam domino et amico suo illatam egre ferens, cum aliis comitibus domino adhesit et emendam pro tanta iniuria a consulatu petierunt. Tandem tractatibus huiusmodi habitis, consulatus solempnem emendam domino fecit et lantgravio propinam, et sic causa concordata fuit.« 349 Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 273.
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kation richtete sich demonstrativ gegen den Erzbischof, stand dieser doch auf seinem Bischofshof und beobachtete das Vorgehen. Friedrichs Reaktion bestand in seinem Rückzug und seinem Abwarten. »Que patienter tolerans, multitudini parcens sagaciter propter tumultum populi vitandum«. Nur so sei seiner Meinung nach ein Tumult des Volkes zu verhindern gewesen. Die angespannte Beziehung zwischen dem Erzbischof und Teilen der Bevölkerung hatte eine Vorgeschichte, die dem Leser auch präsentiert wird. Nicht zum ersten Mal war Friedrich dem Spott der Bevölkerung ausgesetzt: Verkleidet in erzbischöflicher Gewandung führte man einen »ribaldum«350 auf einem Esel sitzend durch die Magdeburger Gassen. »Herr biscop, will gy nicht uphorgan, ßo will ick jw meth dußer kule up die platte slaen« und »Biscop lat dyn pralen syn, die kule sal syn dat leste erve dyn«351 , rief man laut durch die Straßen. Die Anspielung auf den 1325 ermordeten Erzbischof Burchard von Schraplau dürfte dabei für Jedermann erkennbar gewesen sein.352 »Quanta temeritas et malicia contra tam sanctum virum!«353 , fragt sich der Chronist, der die Szene klar verurteilt. Mit ihr wird die angespannte Stimmung demonstriert. Auf Nachfrage beteuert der Rat sein Unwissen in dieser Angelegenheit. Dennoch: Schon der Verdacht der feindlichen Ablehnung des Erzbischofs von Seiten des Magdeburger Rates wog schwer.354 In dieser spezifischen Ausgangslage, belastet von allerlei Ausgrenzungserfahrung, war die subjektive Positionsaushandlung Erzbischof Friedrichs – wie der Chronist in ausgewählten Episoden einleuchtend vor Augen führt – außerordentlich erschwert. Der Magdeburger Rat und Teile der Bürgerschaft verweigerten sich ihm als anerkennende Mitspieler, aus mangelndem Respekt vor der erzbischöflichen Person und/oder dem Amt. Der Grund: Die
350 Hoffmann übersetzt das Wort mit »Rüpel«, siehe F. W. Hofmann: Geschichte der Stadt Magdeburg 1, S. 402. 351 Vgl. MGH SS XIV, S. 474: »Unde dum Magdeburgenses semel in derisionem et contumeliam domini archiepiscopi unum ribaldum pontificalibus indutum super asinum posuissent et per omnes plateas civitatis duci fecissent, precedente uno cum clava et clamante materna lingua: Herr biscop, will gy nicht uphor gan, ßo will ick jw meth dußer kule up die platte slaen, vel sic: Biscop lat dyn pralen syn, die kule sal syn dat leste erve dyn.« 352 Vgl. F. W. Hofmann: Geschichte der Stadt Magdeburg 1, S. 402. 353 MGH SS XIV S. 474. 354 Vgl. MGH SS XIV S. 474: »Consulatus dixit, hoc sine scitu eorum factum esse, sed presumpcio vehemens fuit contra eos.«
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im oben genannten Vertrag von 1463 vereinbarten Bestimmungen bedeuteten einen symbolträchtigen Machtzuwachs des Erzbischofs und festigten die erzbischöfliche »Oberherrschaft über die Stadt«355 . In diesem reibungsvollen Beziehungsgefüge ist nun Friedrichs konfliktscheues Verhalten angesichts einer drohenden Eskalation nicht unklug. Der Chronist weist seine Handlung explizit als »sagaciter« aus, zumal am Ende der Episode die Herrschaftsordnung durch das Eingreifen des Landgrafen von Thüringen entsprechend wiederhergestellt wird. Die Betonung von Gelassenheit und Geduld auch angesichts einer Provokation werden als erzbischöfliche Verhaltensmuster gelobt, die im Erzählbericht sogar ein weiteres Mal demonstriert werden, etwa als eine Frau ihm während des Gottesdienstes auf den Kopf schlägt: »Eciam mire paciencie fuit; unde semel in oracione prostratus iacuisset, supervenit quedam fatua mulier et dominum fortiter cum manu super caput suum et coronam percussit, quod pacienter tulit, et ministris manu indicans, ut nichil molestie mulieri propterea inferrent, quia scivit sibi a dyabolo sic fuisse suggestum.«356 Kritisch ließe sich fragen, ob sich hinter der angeführten Passage allein ein Plädoyer für eine abwartende Politik verbirgt. Denn aus einer anderen Perspektive betrachtet – erinnert sei an das Konfliktverhalten Erzbischof Ottos – scheint Friedrichs demonstratives Wegducken ebenso auf ängstliche Verhaltensmuster rückführbar zu sein, wie auf eine bewusst gewählte politische Strategie. Die vorgetäuschte Gelassenheit kann immerhin insofern nicht als produktives Verhalten ausgedeutet werden, da sie allein keine herrschaftsstabilisierende Funktion gehabt hätte. Vielmehr war es ja der Landgraf von Thüringen, der sich »cum aliis comitibus domino« für die Wiederherstellung der erzbischöflichen Ehre einsetzte und vom Rat Sühne fordert. Angedeutet wird in der Erzählung daher auch, dass die habitualisierten Dispositionen dem Erzbischof nicht die Teilhabe an einer konstruktiven Streitkultur erlaubten, ihm also möglicherweise Fähigkeiten fehlten, im kommunikativen Umgang mit anderen seinen Standpunkt zu vertreten, zu moderieren oder auch zu sanktionieren. Immerhin entschließt er sich zum Ignorieren mit der Hoffnung, dass sich der Konflikt anderweitig löst. Sein Chronist ist bemüht, Friedrichs subjektive Denkstrukturen als positive Wesensart auszudeuten. 355 So F. W. Hofmann: Geschichte der Stadt Magdeburg 1, S. 402f. 356 MGH SS XIV, S. 474/475.
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Aus der dezidiert geistlichen, schon beinahe humanistischen Perspektive, die der Chronist einnimmt, macht das erzbischöfliche Verhalten auch Sinn und hat Vorbildcharakter. Dennoch mag aus dem Erzählbericht auch eine NichtPassung des erzbischöflichen Habitus erkennbar sein, die durchaus eine herrschaftspolitische Gefahrenquelle sein konnte. Neben Aktivität und Passivität als bischöfliche Reaktionen auf Konfliktsituationen, wird in der Magdeburger Bischofschronik noch eine weitere angeführt: die Emotionalität.357 Der Magdeburger Erzbischof Johann (1464-1475) wurde 1429 als jüngster Sohn Stephans von Simmern-Zweibrücken und Anna, Gräfin von Veldenz geboren.358 Wie seine Brüder Ruprecht359 und Stephan360 , strebte auch er eine geistliche Karriere an. Die Laufbahn des jungen Pfalzgrafen war dabei traditionell und ganz auf die Erlangung eines Bischofsamtes ausgerichtet: Studienaufenthalte in Rom und Bologna erbrachten ihm den Grad eines Lizenziaten der Rechtswissenschaften. In Trier wurde er 1452 Domherr, ebenso 1456/59 in Worms, wo er zudem Propst von St. Martin und Dompropst wurde. 1457 bemühte sich Johann an der römischen Kurie persönlich bei Calixt III. um das Bischofsamt in Münster, was der Papst dem damals 38jährigen gewährte.361 Als Bischof ist Johann durchaus eine vollkommene Identifikation mit dem Amt zu attestieren. Er war bemüht, sowohl die geistlichen als auch die weltlichen Tätigkeiten gleichermaßen auszufüllen, obgleich eine stärkere Sympathie für das Pastoralamt erkennbar ist. Davon zeugt etwa der symbolische
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Zum Themenfeld Emotionen siehe C. Benthin/A. Fleig/I. Kaste (Hg.): Emotionalität; Jaeger, Stephan C./Kasten, Ingrid (Hg.): Codierungen von Emotionen im Mittelalter/Emotions and Sensibilities in the Middle Ages, Berlin-New York 2003; darin: Ridder, Klaus: Emotion und Reflexion in erzählender Literatur des Mittelalters, S. 203-221; Lupton, Deborah: The Emotional Self. A socioculturalexploration, London 1998. Eher populärwissenschaftlich: Goleman, Daniel: Emotionale Intelligenz, München 2000 oder Gigerenzer, Gerd: Bauchentscheidungen. Die Intelligenz des Unbewussten und die Macht der Intuition, München 2007. 358 Grundsätzlich Schröer, Alois: Johann, Pfalzgraf bei Rhein, in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 343/344. 359 Ruprecht wurde Bischof von Straßburg, vgl. A. Schröer: Johann, Pfalzgraf bei Rhein, S. 343. 360 Domherr in Köln und 1455 Kandidat für das Bistum Utrecht, vgl. ebd. 361 Vgl. auch Kohl, Wilhelm: Das Bistum Münster. die Diözese, 4Bde. (Die Bistümer der Kirchenprovinz Köln. Das Bistum Münster 7, Germania Sacra NF 37, 1-4), Berlin 19992004.
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Wert des von ihm gewählten Ortes für seine erste Messe, die Johann als geweihter Bischof 1458 zelebrierte: das Fraterhaus zu Springborn, das wichtigste geistliche Reformzentrum des Bistums Münster. So prägte er seine Regierung in Münster denn auch durch einen Geist der Reform, von deren Notwendigkeit er überzeugt war, die er jedoch, bedingt durch den Widerstand seiner Archidiakone, zumindest bei den Stiften nicht nach seinen Wünschen durchführen konnte. Dieser Rückschlag bewog ihn, sich bei seinen Reformbestrebungen fortan auf die Klöster seines Bistums zu beschränken.362 1464 wurde Johann vom Magdeburger Domkapitel zum Erzbischof von Magdeburg postuliert, wo er elf Jahre regieren sollte. Angeblich nahm er die Wahl nur zögerlich an.363 Die Magdeburger Bischofschronik würdigt Erzbischof Johann als einen Mann mit Wissen und Erfahrung, der eifrig bemüht war, die Reformbestrebungen seines Vorgängers Friedrich von Beichlingen weiter zu verfolgen. So beginnt seine Lebensbeschreibung: »Hic fuit vir magne sciencie et experiencie, vestigia immediati predecessoris sui in consecracione chrismatis, clericorum ordinacionibus et in aliis omnibus episcopalibus officiis sequens, fautor, amator, coadiutor, reformator, instauratam sui predecessoris reformacionem in esse et pacem patrie conservans et utilitatem ecclesie pro posse procurans«364 . Der Autor dieser Zeilen, der vermutlich dem Domkapitel entstammte,365 scheint noch deutlich unter dem Einfluss Friedrichs zu stehen, da er immer wieder dessen Taten mit denen von Johann vergleicht. Insgesamt erhält der Leser den Eindruck, die Subjektivierung Johanns sei äußerst stark an seinem Vorgänger orientiert gewesen. Aussagekräftig bezeugt sich die Verehrung des Erzbischofs in seiner Grabwahl: »Dieser Bischof verordnete nichts anderes an seinem Lebensende, als dass er in der Kirche zu Magdeburg nach der Gewohnheit derselben Kirche neben seinem unmittelbaren Vorgänger begraben werden sollte, und damit dies umso näher geschehen könne, verordnete er besonders, dass sein Leichnam
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Vgl. A. Schröer: Johann, Pfalzgraf bei Rhein, S. 344. Ebd. MGH SS XIV, S. 475. Vgl. M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 231.
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nicht über, sondern unterhalb jenes beigesetzt würde, was ein Zeichen grosser Demut dieses allerfrömmsten Vaters war.«366 Zur weiteren Ausgestaltung der erzbischöflichen Persönlichkeit führt sein Chronist zwei konfliktträchtige Situationen an. In der ersten geht es um die Errichtung eines städtischen Freudenhauses in der Nähe des erzbischöflichen Hofes: »Temporibus ipsius cives Magdeburgenses fecerunt fieri domum pro meretricibus prope curiam archiepiscopalem; quod archiepiscopus egre ferens, indignatus civibus, advocans ad se consulatum in Calvis, dicens eis et mandans, quod prostibulum deponere deberent, quia eis hoc non liceret, et interim, quod hoc non fieret, ipse civitatem Magdeburgk intrare non vellet et querelas de illata iniuria et violencia pape, imperatori et omnibus principibus et amicis facere et cogitare et agere, quod ista mala domus ibidem non deberet esse, sed deponi. Audientes missi a consulatu huiusmodi [verba], promiserunt omnem erga consulatum facere diligenciam, quod domus deponideberet, et sic factum est, et ab archiepiscopo vice versa ad graciam sunt recepti, in qua usque ad exitum huius vite sue permanserunt.«367 Der Leser erfährt von Erzbischof Johanns Emotionen: Er war ärgerlich und grollte den Bürgern (»egre«; »indignatus«).368 In den Augen des frommen Erzbischofs war das Freudenhaus ein gottloser Frevel, der ihn sehr kränkte.369 Umgehend, so berichtet die Chronik, rief er den Magdeburger Rat zu sich nach Calbe und trug ihm auf, das Haus unverzüglich zu schließen. Er unterstrich die Dringlichkeit dieser Angelegenheit mit der Absicht, die Stadt Mag-
366 Übersetzung nach H. Michaëlis: Mageburger Bischofschronik, S. 285. MGH SS XIV, S. 479: »Qui quidem archiepiscopus nichil aliud disposuit in fine, nisi quod in ecclesia Magdeburgensi iuxta consuetudinem ecclesie eiusdem prope immediatum predecessorem suum sepeliri deberet, quanto propinquius fieri posset, singulariter committens, quod non supra sed infra eum corpus suum deberet poni, quod piissimi patris magne humilitatis signum fuit; […]«. 367 MGH SS XIV S. 476. 368 Zum Themenfeld »Zorn« im Mittelalter: Rosenwein, Barbara H.: Anger’s Past. The social uses of an emotion in the Middle Ages, Ithaca-New York-London 1998; Ridder, Klaus: Kampfzorn. Affektivität und Gewalt in mittelalterlicher Epik, in: BertelsmeierKierst, Christa/Young Christopher: Eine Epoche im Umbruch. Volkssprachliche Literalität 1200-1300, Cambridger Symposium 2001, Tübingen 2003, S. 221-248. 369 Zu städtischen Bordellen im Mittelalter siehe Schuster, Peter: Das Frauenhaus. Städtische Bordelle in Deutschland (1350-1600), Paderborn 1992.
Erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung
deburg solange nicht zu betreten, bis das Etablissement verschwunden war. Käme der Rat dieser Forderung nicht nach, wolle der Erzbischof dem Papst, dem Kaiser und allen Fürsten und Freunden von der erlittenen Schmach berichten. Eingeschüchtert von diesen Worten, versprachen die Abgesandten des Rates alles in die Wege zu leiten, damit das Freudenhaus beseitigt und der Frieden wiederhergestellt werde.370 Zunächst verweist die Episode in den Augen des Chronisten auf den Sittenverfall der Magdeburger. Mit der Errichtung eines Bordells an, aus stadttopografischer Sicht, prominenter Stelle, unmittelbar in Sichtweite des Erzbischofs, markiert eine moralische Grenzüberschreitung, die der Bischof nicht hinzunehmen bereit ist. Johanns Entrüstung wegen dieser Gottesbeleidigung evoziert das Bild eines Kirchenfürsten, der, von Frömmigkeit getrieben, um die allgemeine Moral bemüht war und auch so verstanden werden wollte. Die Haltung des Erzbischofs in der Angelegenheit ist, auch für die Magdeburger Ratsherren, nachvollziehbar: Ohne Widerstand zu leisten, kommen sie dem Wunsch der Schließung nach; Johann geht in der Angelegenheit als Sieger hervor. Aus praxeologischer Perspektive spielen die Emotionen, die in diesem chronikalischen Erzählentwurf verarbeitet werden, eine nicht unbedeutende Rolle, stehen sie doch im Zusammenhang mit der Handlungswahl des Erzbischofs.371 Die Errichtung des Bordells in unmittelbarer Nähe zum Domhof wird von Johann als Affront aufgefasst und löst bei ihm ein Gefühl des Kummers, des Ärgers, aber auch der Enttäuschung aus. Die Tatsache, dass Emotionen in erzählerischen Entwürfen repräsentiert und erzählerisch ausgestaltet werden, ist nach Klaus Ridder ein Verweis darauf, »dass Gefühle kognitive Prozesse in Gang setzen und steuern. Emotionswörter und -erzählungen bezeichnen ja nicht nur Gefühlszustände, sondern sie sind auch Ausdruck bewussten Reflektierens über Emotionen – über die zugrunde liegenden Sachverhalte, Urteile und Situationen sowie über die ausgelösten Prozesse der Auseinandersetzung mit Wirklichkeits- und Selbstkonzeptionen.«372 370 Zum Vorfall auch F. W. Hofmann: Geschichte der Stadt Magdeburg, S. 412. 371 So U. Schimank: Handeln und Strukturen, S. 131: »In dem Maße, wie ein Handelnder gefühlsbestimmt agiert, schnurren die Abfolgen von Wahrnehmungs- und Denkschritten gleichsam in einem einzigen Bild zusammen, ohne das aber der Kurzschluss rein instinktiven Verhaltens auftritt.« 372 K. Ridder: Emotion und Reflexion in erzählender Literatur des Mittelalters, S. 208. Vgl. auch Althoff, Gerd: Empörung, Tränen, Zerknirschung; Dinzelbacher, Peter: Warum weint der König?: Eine Kritik des mediävistischen Panritualismus, Badenweiler 2009.
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Das Selbstbild des Erzbischofs war beschädigt. Die Handlung seiner Untertanen lässt auf mangelnden Respekt gegenüber Gott, aber auch gegenüber der erzbischöflichen Person und dem Amt schließen. Für Johann erscheint dieser Akt als eine »massive, plötzlich gewahr werdende Erwartungsenttäuschung«373 , die seine sozialen Beziehungen zur Magdeburger Bevölkerung bzw. zum Rat berührt. Der angedrohte Auszug des Bischofs aus der Stadt wird nicht, wie oben noch beschrieben, als Niederlage präsentiert, sondern als herrschaftliches Instrument, um emotionalen Druck auf die Bevölkerung auszuüben. Die Abwesenheit des Erzbischofs hätte eine Gefährdung der Sakralität zur Folge gehabt – zumindest im Selbstverständnis Johanns. Noch unangenehmer dürfte für die Magdeburger allerdings die Ankündigung einer Beschwerde bei den höchsten Stellen des Reiches gewesen sein. Das Image der Stadt wäre durch die (beweisbaren) Vorwürfe der Sittenlosigkeit jedenfalls in Bedrängnis geraten. Der Erzbischof versetzt – verleitet von seinem gekränkten Selbstbild – die Magdeburger also in einen Gewissenskonflikt.374 Die Weigerung, die Stadt zu betreten, wie auch die angedrohte Mitteilung der Affäre bei Papst und Kaiser, sind drastische Mittel, die ihrerseits (auch) auf die Emotionen des Gegenübers abzielen. In der Perspektive des Erzbischofs wird sein subjektives Empfinden zu einem gerechtfertigten Handlungsantrieb375 und es gelingt ihm hierdurch am Ende ja auch die Ordnung in seiner Kathedralstadt wiederherzustellen: »et sic factum est, et ab archiepiscopo vice versa ad graciam sunt recepti, in qua usque ad exitum huius vite sue permanserunt.«376 Generell wird die instrumentalisierte Emotionalität zum Bestandteil der erzbischöflichen Selbstdarstellung. Dies zeigt auch das zweite, in der Chronik verarbeitete Beispiel einer konfliktträchtigen Situation in Johanns Pontifikat. Wieder wird der Erzbischof mit ähnlichen Verhaltensmustern gezeichnet. Diesmal sind es die Chorschüler des Domes, die seine Missbilligung erfahren: »Item dominica Misericordia Domini dominus archiepiscopus clausit curiam suam et noluit intromittere chorales ad prandium iuxta consuetudinem
373 U. Schimank: Handeln und Strukturen, S. 131. 374 Vgl. Strömer-Caysa, Uta: Gewissen und Buch. Über den Weg eines Begriffes in die deutsche Literatur des Mittelalters, Berlin 1998. 375 »Emotionen versorgen den Akteur mit einem gestalthaften Bild der Situation, aus dem sich dann die Handlungswahl ergibt«, so U. Schimank: Handeln und Strukturen, S. 131. 376 MGH SS XIV, S. 476.
Erzählerische Momente bischöflicher Subjekt-Aushandlung
propter negligencias eorum, et chorales dummodo chorum intrare vellent pro vesperis cantandis, archiepiscopus dedit eis obviam ante chorum; tunc chorales omnes aufugerunt, et vespere ceciderunt in confusionem domini, qui hoc male contentus fuit; chorales tamen hoc parum adverterunt nec chorum intrare volerunt.«377 Erzbischof Johann schien also offenbar keine Hemmungen zu haben, mit althergebrachten Traditionen zu brechen, erst recht nicht, wenn er einen guten Grund dazu hatte: Seit jeher schien es Brauch gewesen zu sein, den Chorschülern des Doms zwei Wochen nach Ostern ein Frühstück zu bereiten. 1475 allerdings untersagte Johannes diese Praktik, da er den Chorschülern Nachlässigkeiten vorwarf und sie ein solches Festmahl nicht verdient hätten. Er war verstimmt. Doch wie die Szene zeigt, blieben die Schüler unbeeindruckt von diesen Vorwürfen und der Reglementierung. Sie wollten wie gewohnt am selben Abend die Vesper singen. Erst als sie ihren aufgebrachten Kirchenfürsten herbeieilen sahen, bekamen die Schüler Angst. Sie flohen und weigerten sich die Kirche wieder zu betreten und dort ihrem Oberhirten zu begegnen. Der Gesang wie auch eine Unterredung blieben aus und der Erzbischof sah sich in diesem Fall verwirrt und höchst unzufrieden zurückgelassen. Wieder ist es eine emotional aufgeladene Beschreibung, die der Chronist hier anführt. Bemerkenswert erscheint die hier entstandene Unstimmigkeit: Johann ist irritiert. Geleitet von seinem starken Disziplinierungsbedürfnis in religiösen Angelegenheiten hat Johann durchgegriffen, aber die Reaktion der Schüler auf sein Verhalten nicht erwartet. Und auch die Schüler wissen ihren Erzbischof nicht (mehr) einzuschätzen: Er löst Angst in ihnen aus. Im Ganzen betrachtet ruft Johann in diesem Erzählentwurf bereits ein verinnerlichtes Handlungsmuster ab, und zwar ein solches, emotional gesteuertes Handlungsmuster, wie es in der ersten Episode schon zum Vorschein kam. Führte aber seine Emotionalität im Falle des städtischen Frauenhauses zur erfolgreichen Durchsetzung seiner Wünsche, gelingt der emotionale Angriff auf seine Chorschüler hier weniger: Der Bischof schien nicht damit gerechnet zu haben, dass die Chorschüler so reagieren würden, wie oben beschrieben. Einmal mehr wird das situative Moment mit den teilhabenden Akteuren der bischöflichen Selbstbildung fassbar. Damit zeigt der Chronist – wie seine beiden Vorgänger in den Viten Ottos und Friedrichs auch – mögliche Gefahren in bischöflichen Verhaltensweisen auf, genauso
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aber auch lobenswerte und nachahmenswerte Handlungsabläufe. Gerade die Konfliktsituationen boten den Chronisten die Möglichkeit, habitualisierte Verhaltensweisen (konfliktsuchendes oder konfliktscheues Verhalten, affektives oder emotionales Handeln, aktives oder passives Auftreten) zu thematisieren und zu bewerten, da die Bischöfe sich in diesen spezifischen Situationen als bischöfliche Herrschaftssubjekte verwickelten, positionierten und aushandelten, und sich letztendlich als solche erkennbar machen.
14. Zusammenfassung Die einzelnen Fallbeispiele dieses Kapitels haben gezeigt, dass kirchliche Herrschaftsträger des Mittelalters in den historischen Berichten nicht etwa vorgegeben und gleichförmig dargestellt sind, sondern in unterschiedlich verlaufenden Aushandlungsprozessen veranschaulicht werden. Die historischen Chronisten berichten durchaus von den Bemühungen der Bischöfe, sich als Herrschersubjekt in ihren unterschiedlichen Handlungsfeldern und mit diversen geistlichen wie weltlichen Handlungspartnern erkennbar zu machen. So konnten Praktiken der Inszenierung, Integration und Nachahmung identifiziert werden, die von den historischen Akteuren bewusst und unbewusst als Maßnahme zur Anerkennung als Mitspieler in einem konkreten Handlungsfeld, als Medium der Adressierung und sozialen Positionierung genutzt wurden. Die Aushandlungsprozesse der Kirchenfürsten, in denen sie sich als bischöfliches Herrschersubjekt erkennbar machen, erweisen sich als abhängig von der jeweiligen Situation und von den jeweilig beteiligten Akteuren. Die verbale und nonverbale Kommunikation zwischen diesen ist zugleich das bedeutendste Medium bischöflicher Selbstbildung. Mit der praxeologischen Perspektive wird darüber hinaus erkennbar, dass die historischen Chronisten das Selbst der Bischöfe zum Schauplatz erheben: Ihre jeweilige Herrschaftskompetenz zeigt sich in ihrer Fähigkeit zur Aushandlung. Auf diese Weise erscheint es möglich, die Praktiken der Herstellung eines bischöflichen Herrschersubjekts ansatzweise nachzuvollziehen.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
Das vorangegangene Kapitel konnte zeigen, dass im Aushandlungsprozess zu einem anerkennbaren bischöflichen Herrschersubjekt in den unterschiedlichen Handlungsfeldern auch Reibungsflächen sichtbar werden. Diese Reibungsflächen können für den Bischof durchaus eine Bedrohung für seine politische Existenz darstellen. Nicht selten trat ein mittelalterlicher Kirchenfürst vorzeitig von seinem Amt zurück, ließ sich in ein anderes Bistum versetzen oder zog sich in klösterliche Ruhe zurück. Aufgrund des eheähnlichen Bundes zwischen einem Bischof und dem als Braut bezeichneten Bistum behielt sich der Papst das Vorrecht zur Auflösung des Bundes vor. Ab dem 12. Jahrhundert war es üblich, dass der scheidende Bischof unter der Nennung eines spezifischen Grundes (»debilis, ignarus, male conscius, irregularis;/Quem mala gens odit, dans scandala, cedere possit«1 ) seine Verzichtserklärung in Rom vorlegte.2 Diese Rücktrittsgründe lassen sich in die Kategorien physische und psychische Gebrechen sowie mangelnde Akzeptanz einteilen und deuten im Wesentlichen die Schwierigkeiten an, welche im Verlauf einer bischöflichen Regierung auftreten konnten. Die subjektivierungstheoretischen Forschungen sprechen in diesem Zusammenhang durchaus die Möglichkeit nach einem Misslingen der Subjektivierung an. In solchen Fällen gelingt die Einpassung in eine hegemoniale Subjektform nicht, bzw. gestaltet sie sich als ein erschwerter Prozess, da die verinnerlichten Dispositionen des Einzelnen mit den Anforderungen an die
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Zitiert nach Schmidt, Paul Gerhardt: Jubel und Resignation: Amtsjubiläen und Amtsniederlegungen von Bischöfen in literarischen Texten des Mittelalters, in: Historische Zeitschrift 252 (1991), S. 541-557, hier S. 550. Siehe dazu McDevitt, Gerald Vincent: The Renunciation of Ecclesiastical Office, Washington D.C. 1946.
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Subjektform nicht korrelieren.3 Die dadurch entstehende »Kluft«4 kann dazu führen, dass die Akteure ihr eigenes Selbstbild einer kritischen Reflexion unterziehen, die als Ergebnis eine Distanzierung von den proklamierten Erwartungen, verbunden mit einer eigenwilligen Veränderung der Subjektform haben kann oder ein gesteigertes Bemühen um die eigene Anpassung und Erfüllung der Erwartungen hervorruft. Doch Beispiele, die von einer eingestandenen, aus einer inneren Überzeugung her erkannten, misslungenen Subjektivierung berichten, sind in den Überlieferungen zu den Bischöfen kaum zu erwarten. Misslungen ist im Kontext dieser Arbeit eine Subjektivierung evtl. dann, wenn der Bischof als Amtsträger abgesetzt, im schlimmsten Fall sogar ermordet wurde. Doch auch in diesen Fällen spielen andere Faktoren, wie beispielsweise politische und wirtschaftliche Interessen, eine größere Rolle, als die misslungene Einpassung in ein bischöfliches Herrschersubjekt. Trotzdem wird in diesem Kapitel der Austritt aus dem Bischofsamt eine Rolle spielen, zeigt er doch auf, wann die politische Karriere eines mittelalterlichen Bischofs für beendet erklärt wurde. Insgesamt richtet sich der Analyseblick auf die besonderen Herausforderungen, auf Probleme und Schwierigkeiten, mit denen sich ein mittelalterlicher Bischof in seiner Regierungszeit konfrontiert sehen konnte. Es werden daher solche erzählerischen Momente gesucht, die von wahrnehmbaren Beeinträchtigungen berichten. Die zentralen Fragen lauten: Wie reagieren die bischöflichen Herrschaftsträger auf diese Beeinträchtigungen, welche Rückschlüsse ergeben sich daraus in Bezug auf ihre Selbstbildung und wie wird das daraus erkennbare Selbstbild von den mittelalterlichen Chronisten letztendlich bewertet?
15. Probleme 15.1 Krankheit und Lebensalter Am 11. Februar 2013 war die katholisch-christliche Welt kurzzeitig aus den Fugen geraten: Papst Benedikt XVI. gab auf einem Konsistorium in Rom seinen
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Vgl. Reckwitz, Andreas: Subjekt/Identität. Die Produktion und Subversion des Individuums, in: Moebius, Stephan/Ders. (Hg.): Poststrukturalistische Sozialwissenschaften, Frankfurt a.M. 2008, S. 75-92, hier S. 80. T. Alkemeyer: Subjektivierung in sozialen Praktiken, S. 46.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
Amtsverzicht bekannt. Am 28. Februar um 20 Uhr wolle er sein Amt niederlegen; der Stuhl Petri sei dann vakant. In der 2000jährigen Geschichte des Christentums hatte bisher nur ein Papst freiwillig sein Amt vorzeitig niedergelegt: Papst Coelestin V. trat 1294 nach nur wenigen Monaten der Regierung zurück. Sein fortgeschrittenes Alter, sein Gesundheitszustand, vor allem aber seine angeblich mangelnde Bildung und Unwissenheit bewogen ihn zur Resignation. Ob Demut oder Feigheit der Grund für den Rückzug dieses außergewöhnlichen Papstes war, wird höchst zwiespältig beurteilt.5 Das Beispiel Coelestin zeigt aber, dass selbst der Bischof von Rom von seinem Amt zurücktreten konnte. Gleichwohl war diese Praxis unter den Päpsten im Gegensatz zu den Bischöfen der Diözesen so gut wie gar nicht verbreitet. In einer Erklärung an seine Mitbrüder gab Papst Benedikt damals an: »Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewißheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben.«6 Mit dieser kritischen Selbsterkenntnis verweist Benedikt auf die Bedrohung durch Krankheit7 und Lebensalter8 für die Amtsverantwortung. Diese Themenfelder sind auch Bestandteil der mittelalterlichen Bischofsviten und stellen in der Aushandlung zum mittelalterlichen Herrschersubjekt eine Irritation bis hin zum Problem dar. Das hohe Alter galt im Mittelalter keinesfalls als eine besondere, gar schützenswerte Lebensphase.9 Einen Ruhestand für Bischöfe gab es daher nicht: 5 6 7 8
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Francesco Petraca etwa sieht im Rückzug einen demütigen Akt, während Dante Aligieri in ihm einen Akt der Feigheit sieht. Zitiert nach www.katholisch.de/aktuelles/dossiers/benedikt-xvi-wir-waren-papst/ papst-tritt-zuruck, Zugriff: 20.03.2016. Vgl. Schipperges, Heinrich: Die Kranken des Mittelalters, München 1990; Siebenthal, Wolf von: Krankheit als Folge der Sünde, Hannover 1950. Vgl. Gnilka, Christina: Aetas spiritalis. Die Überwindung der natürlichen Altersstufen als Ideal frühchristlichen Lebens, Bonn 1972; Sprandel, Rolf: Altersschicksal und Altersmoral, Stuttgart 1981; Goodich, Michael E.: From birth to old Age: The human life circle in medieval thought. 1250-1350, Lanham 1989; Sheehan, Michael McMahon (Hg.): Aging in the Ages in medieval Europe, Toronto 1990. So Hitzbleck, Kertin: Zum Umgang mit alten Klerikern im 14. Jahrhundert, in: Mayer, Christoph, Oliver/Stanislaw-Kemenah, Alexandra-Kathrin (Hg.): Die Pein der Weisen. Alter(n) in Romanischem Mittelalter und Renaissance, München 2012, S. 197-214. Sie-
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Das »Alter allein in der Kirche des Mittelalters [war] kein Grund […], auf irgendetwas zu verzichten oder von irgendetwas zurückzutreten«10 . Immerhin bedeutet ein langes Leben Erfahrung und zuweilen auch Weisheit. Wenn allerdings Gebrechen und Krankheit (debilitas) als ergänzende Faktoren zum fortgeschrittenen Lebensalter zu schwer wogen, musste die Regierungssituation neu überdacht werden, denn der geschwächte Körper des Herrschaftsträgers schränkte die Herrschaft ein, war sie doch durch die fehlende Mobilität und eingeschränkte Präsenz gefährdet. Die Kommunikation zwischen den politischen Instanzen war (zumindest) irritiert. In diesen Fällen konnte der Bischof von seinem Amt zurücktreten und Platz für einen neuen Amtsträger machen. In der Regel wurde dem Bischof jedoch in Fällen zunehmender körperlicher Schwäche ein Koadjutor11 zur Seite gestellt, der zuweilen auch als späterer Kandidat ein Nachfolger im Amt werden konnte. In Merseburg beispielsweise musste Bischof Heinrich VI. Schutzmeister von Orlamunde (1393/1394-1403) nach einem Schlaganfall die Unterstützung eines Koadjutors annehmen, wollte er weiterhin das Amt bekleiden.12 Allerdings behielt sich der Kirchenfürst das Recht vor, seinen Koadjutor selbst zu bestimmen: »Quod cum domino Heinrico episcopo innotuit, ipse propria auctoritate contra voluntatem capituli nobilem dominum Ottonem comitem de Honstein in coadiutorem accepit, et sibi statim sine consensu capituli castra Lauchstete et Skuditz in possessionem dedit, et recepit eum ad curiam suam tanquam coadiutorem.«13
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he auch Arnold, Klaus: Lebensalter (Mittelalter), in: Dinzelbacher, Peter (Hg.): Europäische Mentalitätsgeschichte, Stuttgart 1993, S. 216-222; Hergemöller, Bernd-Ulrich: Die Kindlein spotten meiner schier. Quellen und Reflexion zu den Alten und zum Vergreisungsprozeß im Mittelalter, Hamburg 2006. K. Hitzbleck: Zum Umgang mit alten Klerikern im 14. Jahrhundert, S. 201. Allgemein siehe Hofmeister, Philipp: Von den Koadjutoren der Bischöfe und Äbte, in: Archiv für Katholisches Kirchenrecht 112 (1932), S. 369-436. Ein Koadjutor als Stellvertreter konnte von einem Bischof im Falle von Krankheit, Altersschwäche oder zu großer Arbeitsbelastung beansprucht oder ihm zur Seite gestellt werden. Das Recht auf Ernennung musste vom Papst eingeholt werden. Eine Zusammenarbeit mit dem Domkapitel war notwendig, ohne die Zustimmung des Bischofs allerdings nicht möglich. Vgl. MGH SS X, S. 202: »Ipse eciam apoplexia tactus, capitulum attemptavit sibi dare coadiutorem nobilem Heinricum de Stalberg, et miserunt ad papam Bonifaciam IX, qui eundem coadiutorem confirmavit.« MGH SS X, S. 202.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
Das Beispiel zeigt, dass körperliche Beeinträchtigungen im Einzelfall zu Machtkämpfen und Selbstbehauptung des Betroffenen führen konnten. Darstellungen von Krankheitsphasen14 finden sich in den Chroniken selten.15 Dies ist damit zu erklären, dass die Autoren bischöflicher Tatenberichte es eher vermieden, die körperliche Integrität ihrer Protagonisten in Frage zu stellen und eine Instabilität von deren Herrschaft anzudeuten.16 Politisch instrumentalisiert konnten Krankheitsphasen allerdings dann in literarischen Erzählentwürfen brauchbar sein, wenn durch sie die Einführung eines Nachfolgers legitimiert werden konnte. Krankheiten und körperliche Befindlichkeiten boten den Chronisten jedoch auch Anlass, die Regierung eines Kirchenfürsten kritisch zu reflektieren17 sowie Herrschaftskonzepte zu diskutieren.18 Die literarische Darstellung von besonders qualvoll erlebten letzten Stunden ist ein gängiges Narrativ im Mittelalter, bedeutete ein schlechter Tod doch eine gerechte Strafe für ein entsprechendes Leben. So geschehen in der Chronik des Jakob von Sierck: Mag sein Biograf ihm durchaus den Status eines herausragenden Staatsmannes zusprechen, sein vom Chronisten als qualvoll ausgeschmückter Tod steht stellvertretend für sein Fehlverhalten:
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Vgl. zur Problematik der Quellen zu Krankheitsverläufen im Mittelalter: Jankrift, Kay Peter: Krankheit und Heilkunde im Mittelalter, Darmstadt 2003, S. 1-4. Ein Beispiel für eine Krankheitsbeschreibung findet sich in den Münsterischen Chroniken über Bischof Otto von Hoya (1410-1424): »Na dem dat biscop Otto sa, dat em alle dynck nycht na synen wyllen entgenck, do vell he yn ene krancheit und yn ene suke der leveren, und dar van woys em eyn materye als eyn swam tuschen der leveren und den ribben, und dyt toch de rybben und de leveren to samen. To lesten, do de suke to swar wart und dat vleysch verterde, und de macht des lichems vergenck, do starff he«, aus: Die Münsterischen Chroniken des Mittelalters, hg. von Julius Ficker (Die Geschichtsquellen des Bisthums Münster 1), Münster 1851, S. 154. Siehe zu dieser Thematik Hiestand, Rudolf: Kranker König – kranker Bauer, in: Wunderli, Peter (Hg.): Der kranke Mensch in Mittelalter und Renaissance, Düsseldorf 1986, S. 61-77. Vgl. dazu W. Janssen: Biographien mittelalterlicher Bischöfe und mittelalterliche Bischofsviten, S. 144: »Alles in allem haben wir es stets mit plakativ-eindeutigen Zuordnungen zur einen oder anderen Seite zu tun; wir werden nicht im Zweifel gelassen, was am Wirken eines Bischofs gut und was schlecht gewesen ist.« Dazu siehe Schreiner, Klaus: »Correctio principis«. Gedankliche Begründung und geschichtliche Praxis spätmittelalterlicher Herrscherkritik, in: Graus, František (Hg.): Mentalitäten im Mittelalter. Methodische und inhaltliche Probleme, Sigmarigen 1987, S. 203-256.
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»Postremo eo ex Austria reverso circa festum sancti Michaelis, anno quo supra, ut opinabatur, veneno tortus, adversa valetudine Palatiolum navigio venit, aegritudine in dies ingravescente. […] Et infirmitas ejus fuit incurabilis ex nutu divino, quia pessime rexit populum suum; excaecavit enim avaritia cor ejus. Et obiit sine intellectu, rationis expers, diu ante mortem loquela privatus, vicesima octava die mensos Maji, anno pontificatus sui decimo septimo.«19 Vetternwirtschaft und Habsucht sind in den Augen des Chronisten der Grund für diesen gerechten Tod: »Praesul quidem omni laude dignissimus, si tantum laboris pro ecclesia, quantum pro extollenda familia impendisset.«20 Steinleiden21 oder auch Schlaganfälle wurden, so es die medizinischen Urteile möglich machten, konkret erwähnt. Seine großen Schmerzen, die auch ein Arzt nicht mehr zu stillen vermochte, bewogen den Würzburger Bischof Rudolf von Scherenberg (1466-1495)22 dazu, seinen Körper nach seinem Ableben zur Obduktion freizugeben. Damit löste die Krankheit ein Nachdenken über die Beziehung zum eigenen Körper aus. Hier zeigt sich ein neues subjektives Selbstempfinden, das erstaunlicherweise selten, ausgelöst von Situationen körperlicher Schwäche, in den Bischofsviten zu finden ist.23 Auf die subjektivierungstheoretisch interessante Frage, wie die historischen Akteure mit spürbaren körperlichen Beeinträchtigungen umgegangen 19 20 21
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Gesta Trevirorum II, S. 335. Ebd. So bei Erzbischof Otto von Ziegenhain: »Als er so die Trierer Kirche als Regent elf Jahre in Frieden geleitet hatte, da erkrankte der ehrwürdige Erzbischof nach unzähligen Sorgen und Mühen. Seine Körperkräfte ließen allmählich nach, und er wurde von einem sehr hartnäckigen Steinleiden geplagt«, zitiert nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 22. Vgl. die Würzburger Bischofschronik des Grafen Wilhelm Werner von Zimmern und die Würzburger Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, eingel. und hg. von Wilhelm Engel (Fränkische Chroniken 2), Würzburg 1952, S. 126-130. Vgl. auch Greipl, Egon Johannes: Scherenberg, Rudolf von (um 1401-1495), in: E. Gatz (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, S. 634-635. Vgl. etwa dazu R. Holbach: Mönchische Praktiken und Selbst-Bildungen bei Caesarius von Heisterbach, S. 242. Dass der nahende Tod jedoch auch Auslöser für ein Nachdenken über die Regierungsführung sein kann, zeigt sich im Testament des Paderborner Bischofs Simon zur Lippe (1247-1277), in welchem er sich zu den »Irrtümern seiner Lebens- und Amtsführung« bekannte, vgl. Hengst, Karl: Simon, Edelherr zur Lippe (um 1200-1277), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 540-541.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
sind, liefern zwei Beispiele aus dem Bremer Erzbistum Antworten. Die Stadtchronisten Gerd Rinesberch (ca. 1316-1406) und Herbord Schene24 (ca. 1330-1413) berichten in ihrer niederdeutschen Stadtgeschichte von einer ungewöhnlichen Praktik ihrer erzbischöflichen Landesherren im Zeichen altersbedingter Gebrechlichkeit. Als Erzbischof Giselbert von Brunkhorst (1273-1306) »in synen lesten tiden was, do was he mit deme stene beladen unde mit anderen sukedagen unde moste van kranckheiden sick uppe eneme wagene voren laten.«25 Ebenso verfuhr sein Amtsnachfolger Erzbischof Otto von Oldenburg (1344-1348): »he was een oldt kranck here unde mochte nicht riden«26 . Für mittelalterliche Kirchenfürsten sind solche öffentlichen Maßnahmen im Zeichen der Krankheit selten überliefert. Durchaus finden sich Berichte, in denen der schwer erkrankte Bischof auf seiner letzten Reise in sein Bistum (zurück)gebracht wird.27 Von einem länger andauernden Prozess der öffentlichen Zurschaustellung eines geschwächten Körpers allerdings schweigen die Quellen in der Regel und werten diese Bremer Fälle als Sonderhandlungen auf. Denn Herrschaftsträger durchritten ihr Territorium hoch zu Ross und vermitteln auf diese Weise ihre herrschaftliche Präsenz und ihren sozialen Status.28 Herrschaft war im Mittelalter uneingeschränkt mit Mobilität verbunden, denn »Herrschaftsausübung erforderte Beratung, und dies bedeutete Präsenz«29 . Doch die beiden Bremer Erzbischöfe zeigten sich in der Öffentlichkeit – so vermitteln es die Chroniken – von ihrer Krankheit gezeichnet, geschwächt und in ihrer Herrschaftsausübung eingeschränkt, wenngleich sie ihre Mobilität unter Zuhilfenahme eines Gefährts (»sick uppe eneme wagene voren laten«) versuchten aufrecht zu halten. In der mittelalterlichen Welt wurden Kranke, aber auch Frauen und vor allem Verbrecher auf Wagen bzw. Kar24
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Rynesberch war Vikar, Schene Kanoniker am Bremer Dom. Beide entstammten aus Bremer Ratsfamilien, dazu Schwarzwälder, Herbert: Gerd Rinesberch und Herbort Schene. Geistliche, Geschichtsschreiber und bremische Patrioten, in: Ders.: Berühmte Bremer, München 1972, S. 27-31. Bremer Chronik, S. 96. Ebd. S. 126. So etwa Jakob von Sierck: »Schließlich wurde er […] in sehr schlechtem Zustand zu Schiff nach Pfalzel gebracht«, Übersetzung nach Zenz, Emil: Die Taten der Trierer V, S. 32. Vgl. Ohler, Norbert: Reisen im Mittelalter, München 1986, S. 48. Althoff, Gerd: Vom Zwang zur Mobilität und ihren Problemen, in: Ertzdorff, Xenja von/Neukirch, Dieter: Reisen und Reiseliteratur im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, Amsterdam 1992, S. 91-111, hier S. 93.
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ren gefahren. Doch allem Anschein nach war diese Art des Fortbewegens für mittelalterliche Herrschaftsträger ebenfalls denkbar. In Herzog Albrecht II. von Österreich findet sich 1358, als dieser zu sterben kam, ein ›Nachahmer‹: »Er was lam, daß man in tragen muost, er mocht ouch nit anders riten denn ûf ainer rosbâr, und was doch ain heftiger, manlicher und unverzagter man und herrre (!)«30 . Die Frage ist, welcher subjektive Selbstentwurf in dieser Praktik impliziert ist und welche Bewertung er erhält. Erzbischof Giselbert von Brunkhorst31 entstammte einer niederländischen Adelsfamilie, seine Mutter Kunigunde war die Tochter des Grafen Moritz von Oldenburg (1167-1211). Sein Amtsvorgänger Hildebold von Wunstorf (1258-1273) war sein Vetter. Giselbert ist seit 1267 als Domherr in Bremen belegt. Nach der Annahme einer Wahlkapitulation wurde er 1273 einstimmig vom Domkapitel zum Erzbischof erwählt. Papst Gregor X. ließ eine Wahlprüfung durch drei Kardinäle erfolgen und lud Giselbert nach Lyon ein, wo er von ihm zum Priester und Bischof geweiht wurde und das Pallium erhielt. Insgesamt wird die Regierungszeit Erzbischof Giselberts in der Stadtchronistik sehr positiv bewertet.32 Im Volksmund als »der kerle bisscup«33 eingegangen, wird seine eher weltliche und vor allem ritterliche Lebensart zwar wahr-, aber nicht sonderlich übel genommen.34 In seiner Regierungszeit vermochte er es, zwischen den benachbarten Parteien, aber auch mit der Stadt Bremen mittels Bündnissen und Verträgen ein Gleichgewicht zu halten und dieses auch bei Störungen wiederherzustellen.35 »[D]e gunstige eventure
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Ettmüller, Ludwig: Die beiden ältesten deutschen Jahrbücher der Stadt Zürich, Zürich 1844, S. 89. Vgl. Schulze, Heinz-Joachim: Giselbert von Brunkhorst, in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 88-90. Vgl. Bremer Chronik, S. 93: »unde he hadde de borgere to Bremen sere leff und alle de twidracht unde slachtinge, de se twisschen en hedden, de sonede he mit sineme egene arbeide unde costen, unde vordere se ock sere, dat he van den ritteren unde knapen der kerle bisscup wart geheten«. Bremer Chronik, S. 93. Vgl. ebd. S. 95: »Giselbertus de erczebisscu de was kone tiegen sine vigende unde otmodich genoech to sprekende. sinen magen dede he vele guedes. he was also sere mit werliken saken, dat he geistlike dinge nicht entachtede. Dat gotlike ammet enachtede he nicht sere; he wigede seldene. he regerde de kerken erliken unde beschermede se machtliken unde bredede se mit sloten, buwen unde rikedome.« Vgl. Möhlmann, Günther: Giselbert von Brunkhorst, in: Neue Deutsche Biographie 6, Berlin 1964, S. 414.
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de lachede eme to, wente he was in alle sinen dingen bet in den lesten ende sines levendes bi na gelucklich«36 , urteilt die Stadtchronik daher über ihn. Als dann in der letzten Phase seiner Regierung sein Körper für alle sichtbar geschwächt war, – so stellen Rinesberch und Schene diese Verbindung in ihrer Chronik her – versuchten »de Kedinge unde de anderen van seven dorpen over der Elve«37 wiederholt38 gegen ihren erzbischöflichen Landesherrn zu rebellieren. Sie schätzten die Lage jedoch falsch ein: Durch eine Koalition mit den Herzögen von Sachsen-Lauenburg, Lüneburg, den Grafen von Holstein und der Bremer Stiftsmannen konnte unter Giselberts Führung ein Heer die Aufständischen niederschlagen und die Ordnung im Lande wiederherstellen. Die Bezwingung mit militärischen Mitteln fiel Giselbert indes aus Gewissensgründen nicht leicht, versuchte er doch zunächst eine Lösung auf diplomatischem Wege herbeizuführen (»he enkondese mit nenen dingen to eindrachticheit bringen«39 ). Nach der Unterwerfung, die als Schlacht von Uetersen in die Geschichte einging, »bedrovede sick Giselbertus sere umme den doetslach unde umme de vorstoringe des landes unde dede dar grote penitencien vore, alse de genne tugeden, de in sineme lesten ende by eme weren.«40 Zuvor war Giselbert bei seinen Militäraktionen gegen die Kehdinger nicht sonderlich skrupellos gewesen und auch an religiösen Praktiken hatte der Erzbischof wenig Interesse gezeigt: »he was also sere mit werliken saken, dat he geistlike dinge nicht entachtede. Dat gotlike ammet enachtede he
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Bremer Chronik, S. 93. Ebd. S. 96. Auseinandersetzungen zwischen den Kehdingern und den Bremer Erzbischöfen aufgrund von Verweigerung des Zehnten und aufgrund der Anerkennung der Gerichtshoheit fanden bereits unter Hildebold von Wunstorf statt. 1274 überwältigte Giselbert die Kehdinger durch eine List. Bremer Chronik, S. 93: »desse Giselbertus bedwangk de Kedinge behentliken, wente he dede enen torney beropen to Stade unde toch mit den ritteren unde volke in dat landt to Kedingen unde venck erer een deel unde dodede der anderen wat unde bedwangk se mit machte.« Bremer Chronik, S. 96. Ebd.
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nicht sere; he wigede seldene«41 . Vermutlich hat Giselberts fortgeschrittenes Lebensalter einen nicht unerheblichen Anteil an dieser innerlichen Umkehr.42 Seine militärischen Führungsqualitäten sind jedoch nach wie vor ungebrochen. Dass Giselbert aufgrund seiner körperlichen – und nicht geistigen – Schwäche nicht mehr in der Lage sei zu regieren, ist nicht erkennbar. Im chronikalischen Erzählentwurf der Bremer Stadtchronik geht es nicht um eine Demonstration altersbedingter Herrschaftsunsicherheit. Ganz im Gegenteil: Giselbert vermag auch im schwachen Zustand sein Bistum zu lenken und zu leiten, sozial abgesichert durch den Rückgriff auf Vertraute und Verwandte. Das Selbstbild, das die Chronisten hier dem Bremer Erzbischof unterstellen, ist das eines fähigen Kirchenfürsten auf Lebenszeit. Allein Gott hat das Recht, seiner Regierungszeit ein Ende zu setzen, auch wenn der Herrschaftsträger »in synen lesten tiden« von Krankheit gezeichnet ist.43 Die Praktik der öffentlichen Zur-Schau-Stellung des geschwächten Körpers mag sogar eine Anbindung an den Leidensweg Christi darstellen. »Nur der verwundete und geschwächte Körper war ein guter Körper, denn er machte den Menschen christförmig (Imitatio), bereitete die Befreiung der Seele aus ihrem Gefängnis vor, erlaubte, schon im Leben für eigene und fremde Sünde Genugtuung zu leisten.«44 Auf diese Einstellung rekurriert Giselbert als Handlungsträger und macht dadurch seinen subjektiven Geltungsanspruch im Hinblick auf das Bischofsamt deutlich. Seinen Körper unterzieht er dabei einer Disziplinierung, die ganz auf das Wohl der Herrschaft ausgerichtet ist. Etwas anders verhält es sich bei seinem Nachfolger Otto von Oldenburg. Seine Regierungszeit muss eher als Kompromiss und als Übergangslösung
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Bremer Chronik, S. 95. Vgl. auch Schmidt, Heinrich: Bischof und Kirche im Spiegel norddeutscher Bischofschroniken des späten Mittelalters, in: Köpf, Ulrich (Hg.): Wissenschaftliche Theologie und Kirchenleitung: Beiträge zur Geschichte einer spannungsreichen Beziehung, Festschrift für Rolf Schäfer, Tübingen 2001, S. 29-54. Verwiesen sei an dieser Stelle auf die Selbstdarstellung und das Selbstbild Papst Johannes Paul II. (1920-2005). Im Gegensatz zu ihm Papst Benedikt XVI. (Resignation 2013). Dinzelbacher, Peter: Körper und Frömmigkeit in mittelalterlicher Mentalitätsgeschichte, Paderborn u.a. 2007, S. 11.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
des Domkapitels angesehen werden.45 Als Sohn des Grafen Christian von Oldenburg (1266-1285) war er ein Kind der Region und in den Funktionen als Domherr (1302), Thesaurar (1323) und Domdekan (1331) eng mit der Bremer Kirche verbunden. Bei seiner Ernennung zum Erzbischof war er bereits im hohen Alter. Die Regierungsgeschäfte lagen faktisch von Beginn an in den Händen seines Neffen und späteren Elekten Moritz von Oldenburg, der bei Amtsantritt Ottos Bremer Domdekan war. Für den Frieden im Erzstift waren diese vier Regierungsjahre ein großes Unglück. Über Erzbischof Otto gibt es speziell in den Bremer Chroniken bis auf die Erwähnung seiner Reitunfähigkeit keine weiteren Einträge. Die aus dem 16. Jahrhundert stammende Chronica der Stadt Bremen des Johann Renner46 notiert den Satz »wort gedragen ofte in der roßbaren gefuert«47 über ihn. Erst die aus dem Zeitalter der Reformation stammende Oldenburger Chronik (Oldenburgisch Chronicon, gedruckt 159948 ) des Hermann Hamelmann49 (15261595) gibt in einer anekdotenhaften Erzählung weitere Informationen zur Regierungszeit Ottos von Oldenburg, deren Glaubwürdigkeit jedoch sehr stark anzuzweifeln ist. Vielmehr verbergen sich hinter der Erzählung dynastische Absichten, wie im Folgenden zu sehen sein wird. Hamelmann begann mit der Abfassung der Chronik 1573 im Auftrage Johanns VII. von Oldenburg mit der Absicht, »den Rechtsanspruch des Erzbistums Bremen auf die Herrschaft Delmenhorst zu prüfen«50 unter gleichzeitiger Darstellung der Familiengeschichte des Oldenburger Grafengeschlechts.
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Siehe dazu Schulze, Heinz-Joachim: Otto von Oldenburg, in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 95/96. Die Gründe für diesen Kompromiss sind allerdings nicht ermittelbar. Vgl. Bippen, Wilhelm von: Renner, Johannes, in: Allgemeine Deutsche Biographie 28, Leipzig 1889, S. 228-230. Johann Renner: Chronica der Stadt Bremen, S. 281. Rüthning, Gustav: Einleitung, in: Hermann Hamelmann: Oldenburgische Chronik, hg. v. Gustav Rüthning (Oldenburger Geschichtsquellen 1), Oldenburg-Berlin 1940, S. 11-23, hier S. 11. Zu Hamelmann siehe Biermann, Andreas/Scheffler, Jürgen: Hermann Hamelmann – ein streitbarer Theologe in Lemgo, Bielefeld 2010; Wintermann, Gerhard: Hamelmann, Hermann, in: Friedl, Hans/Günther, Wolfgang/Günther-Arndt, Hilke/Schmidt, Heinrich (Hg.): Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg, Oldenburg 1992, S. 276-279; Thiemann, Egbert: Hamelmann, Hermann, in: Neue Deutsche Biographie 7, Berlin 1966, S. 585; Döring, August: Hamelmann, Hermann, in. Allgemeine Deutsche Biographie 10, Leipzig 1879, S. 474-476. G. Rüthning: Einleitung, S. 13.
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Seiner Beschreibung von Erzbischof Ottos ist zu entnehmen, »daß er […] von Alters nicht woll zu Pferde duchtig, und ist ein still frommer Herr gewesen, der in seinem Gemach stets geblieben«51 . Deshalb erkundigte sich der Erzbischof jedesmal, wenn ein Bote ihm Nachrichten übermittelte, nach dem Zustand der Straßen (»ob auch die Straßen fehlich und die Wege hin und wider gefehlich oder ungefehlich sind«52 ). Stets sollte dem Bischof daraufhin versichert werden, dass alles zufriedenstellend sei. Als ein Bote wagte, den Kirchenherrn auf die bedrohliche Sicherheitslage des Stiftes aufmerksam zu machen, ließ ihn der anwesende »Ambtmann des Hauses«53 gefangen setzten, foltern und nach acht Tagen vor dem Erzbischof antreten, um diesem zu beteuern, »wie so gar fehelich die straßen itz sein«54 . Daraus wird die Schlussfolgerung gezogen: »Darumb sollen die Landesheren ihren Officianten nicht zuviel glauben«55 . Moritz von Oldenburg war es schließlich, der die Situation um seinen alternden Onkel erfasste und zum Handeln ansetzte. »Weil der Bischof in seinem Alter zu Hause lege, alt und schwach were und nirgens nachsehen könte,/so ginge es übel zu«56 , teilte er seinem Onkel mit. Und so kamen sie gemeinsam mit dem Domkapitel überein, dass es zum Wohle des Stifts sei, Otto durch Moritz einen trefflichen Koadjutor zur Seite zu stellen. Mit großer Wahrscheinlichkeit kann diese Episode als ausgedacht angesehen werden, zugunsten einer effektiven Darstellung Moritz’ von Oldenburg.57 Sie deutet aber an, welche Probleme mit einem altersschwachen Herrschaftsträger verbunden sind. Otto von Oldenburg konnte seine Herrschafts-
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Oldenburgisch Chronicon, S. 73. Hamelmann gab bei seiner Geschichtsschreibung sehr sorgsam die Quellen an, derer er sich bediente. Die folgende Anekdote bezieht sich – so Hamelmann – auf den Ausführungen des Augustiner-Terminus Johannes Schiphower (1463-1521) und des Hamburger Domherren Albert Crantz (ca. 1450-1517), insbesondere sein Werk Metropolis. Vgl. G. Rüthning: Einleitung. Oldenburgisch Chronicon, S. 73. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Moritz von Oldenburg wird nach dem Tode Erzbischofs Ottos zwar einstimmig erwählt, von Papst Clemens VI. jedoch nicht anerkannt. Es kommt zu einer Bremer Erzbischofsfehde zwischen Moritz und den vom Papst providierten Gottfried von Arnsberg. Am Ende muss Moritz resignieren, widmete sich den Familieninteressen seiner Oldenburger Verwandten und starb bei einem Feldzug gegen die Rüstringer Friesen 1368. Er soll in einem Massengrab begraben sein, vgl. Schulze, Heinz-Joachim: Moritz von Oldenburg, in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 96.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
pflichten nicht uneingeschränkt wahrnehmen und war stattdessen auf Dritte angewiesen. Sein Gesundheitszustand und damit verbunden der Wunsch nach Ruhe und Bequemlichkeit stellt einen Unsicherheitsfaktor für die Herrschaftsstabilität dar. Hier geht es also nicht um selbst auferlegte Herrschaft bis zum Ende, um Körperdisziplinierung und Christusnachfolge. Hier geht es um ein Neuüberdenken der eigenen Eignung, was Erzbischof Otto vollzieht.
15.2 Anforderungen und Eignung Ein wesentlicher Bestandteil bischöflicher Selbstbildung sollte, so verdeutlicht es die Thematisierung von Krankheiten und Lebensalter der geistlichen Herrschaftsträger, das Hinterfragen der eigenen Eignung für das Amt sein. Praktiken der Reflexivität58 fallen dabei in den Blick. In den chronikalischen Erzählentwürfen wird diese Botschaft auch mit der literarischen Verarbeitung von Amtsrücktritten überbracht. Im Folgenden zeigen zwei Beispiele aus den Gesta Treverorum, dass Reflexivität als wesentlicher Bestandteil bischöflicher Herrschaftskompetenz anzusehen ist. Als Boemund II. von Saarbrücken (1354-1362)59 nach dem Tode Balduins von Luxemburg 1354 zum Erzbischof von Trier ernannt wurde, hatte er bereits eine erfolgreiche Karriere als päpstlicher Kaplan, königlicher Berater und erzbischöflicher Gesandter hinter sich. Seine Verwandten, die Edelherren von Saarbrücken sowie mütterlicherseits die von Rollingen-Warsberg waren sehr stark im Primarklerus der Trierer Kirche vertreten.60 Nach einem Studium in Paris knüpfte Boemund an diese Verbindungen an, sammelte Pfründen, wurde Kanonikus, Archidiakon und Propst. Seine Erfahrung war wertvoll für das erzbischöfliche Amt, doch sein Lebensalter ließ ihn vor der Aufgabe zurückschrecken.61 Als er schließlich akzeptierte, entschloss er sich unter Be-
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Vgl. Reckwitz, Andreas: Praktiken der Reflexivität: Eine kulturtheoretische Perspektive auf hochmodernes Handeln, in: Böhle, Fritz/Weihrich, Margit (Hg.): Handeln unter Unsicherheit, Wiesbaden 2009, S. 169-182. Zu Boemund siehe W. Seibrich: Boemund von Saarbrücken. Auch: Petzold, Michael: Das Pontifikat Erzbischof Boemunds II. von Trier (1354-1362) und das Stiftswesen nach seiner Resignation (1362-1367), Frankfurt a.M. ²2007; Gruhler, Johannes: Boemund II: Erzbischof von Trier (1354-1362), Halle 1911. Vgl. W. Seibrich: Boemund von Saarbrücken, S. 802. Gesta Trevirorum II, S. 272: »Qui confirmatus, omni sapientia et prudentia fuit adornatus, licet senio gravatus.« Boemund wurde am 3.Februar 1354 erwählt und nahm die Wahl erst am 8. März an.
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tonung des geistlichen Amtes – so stellt es der Gesta-Autor62 dar – zu einer friedfertigen63 Regierungsweise, die möglichst ohne Fehden und gewaltträchtigen Konflikten auskommen sollte. Die Kritik an dieser tendenziell weltfernen Führung wird vom Gesta-Autor durch den sofort anschließenden Kausalzusammenhang impliziert: Die friedfertige Einstellung des Kirchenfürsten wurde umgehend von denjenigen Stiftsmitgliedern ausgenutzt, die im politischen Bistumsgefüge nach mehr Unabhängigkeit strebten.64 Boemunds prudentia – so der Autor weiter – ließ ihn schließlich erkennen, dass er aufgrund dieser Bedrohung und seiner körperlichen Schwäche65 einen Koadjutor benötigte.66 Im Einvernehmen mit dem gesamten Domkapitel fiel die Wahl auf den Mainzer Kanoniker Kuno von Falkenstein.67 Dessen militärische Erfahrungen und seine verwandtschaftlichen Verflechtungen im 62
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Die Lebensbeschreibungen Boemunds und Kuno aus der Trierer Bistumschronik stammen aller Wahrscheinlichkeit nach von dem Dominikaner und neuen Trierer Weihbischof Bertram von Koblenz, der aus Metz kam. Die Trierer Chronik war seit jeher nicht nur für eine domkapitularische Öffentlichkeit gedacht, sondern auch für die Stifte und Klöster. Siehe dazu Heinz, Thomas: Studien zur Trierer Geschichtsschreibung des 11. Jahrhunderts, insbesondere zu den Gesta Treverorum, Bonn 1966; Goetz, Hans-Werner: Geschichtsschreibung und Geschichtsbewußtsein im hohen Mittelalter, Berlin 1999. Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 272: »Credebat autem, cum pace territorium episcopatus gubernare, et soli Deo contemplare.« Vgl. ebd.: »Quod videntes comites, militares et nobiles quamplures, ecclesiae Trevirensi juramentis constricti, proh dolor! juramentorum immemores, dictae ecclesiae munitiones et castra, quae quondam justo venditionis titulo domino Baldewino vendiderunt, unusquisque jam tamquam sua propria usurpaverunt, et conspiratione simul facta sibi diviserunt, et armata manu contra Bohemundum archipiscopum rebellantes possederunt.« Vgl. ebd.: »quia senio aggravatus esset.« Vgl. M. Petzold: Das Pontifikat Erzbischof Boemunds II. von Trier (1354-1362) und das Stiftswesen nach seiner Resignation (1362-1367), S. 381: Dieses Vorhaben sei schon länger geplant gewesen. »Vornehmlich wegen seines hohen Alters und seiner Gebrechlichkeit sei er nicht mehr in der Lage, das Erzstift vor vielen und verschiedenen Räubern, Brandstiftern und Kriegen zu schützen«. Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 273: »utinam ipsum habere posset in coadjutorem, maxime desideravit, et cum communi consilio capituli Trevirensis ipsum advocare disposuit.« Vgl. auch R. Holbach: Die Besetzung des Trierer Erzbischofsstuhls im späten Mittelalter, S. 29f.; Zu Kuno siehe Ferdinand, Franz: Cuno von Falkenstein als Erzbischof von Trier, Koadjutor und Administrator von Köln bis zur Beendigung seiner Streitigkeiten mit der Stadt Trier 1377, Paderborn-Münster 1886; Jacobs, Hans-Joachim: Kuno von Falkenstein. Persönlichkeit und Abbild, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 49 (1997), S. 25-43.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
Trierer Stift ließen ihn als die ideale Person zur Beilegung der Bistumskonflikte erscheinen.68 In einem Vertrag wurden die Machtbefugnisse zwischen Erzbischof Boemund und Kuno abgeklärt. In weltlichen Angelegenheiten wurde Kuno vollständige Machtkompetenz zugesichert, während die geistlichen in erzbischöflicher Hand blieben. Erst 1361 wird ein Rückzug Boemunds aus allen Amtsgeschäften sichtbar und nachdem Kuno seine Bewährungsprobe erfolgreich bestanden hat, schickte der Erzbischof noch im selben Jahr Gesandte zu Papst Innozenz VI., um seine Resignation und die gleichzeitige Ernennung Kunos zum neuen Trierer Erzbischof vorzubringen. Nach dem üblichen Prüfungsverfahren wurde Kuno am 27. Mai 1362 Erzbischof von Trier.69 Boemund indes – so führt der Gesta-Autor an – zog sich nicht vollständig aus Trier zurück, sondern blieb stets in Funktion eines Beraters Teil des Erzbischofshofs.70 Chronikalisch unerwähnt bleibt jedoch, dass Boemund bis zu seinem Tode 1367 auf eigenem Wunsch mit päpstlicher Erlaubnis und Kunos Zugeständnis die geistlichen Handlungen in der Trierer Diözese weiterhin vornahm. Dabei war er jedoch nicht dem Trierer Erzbischof, sondern exklusiv dem römischen Stuhl unterstellt.71 Mit seiner Resignation endete daher nicht seine Verantwortung für das Trierer Bistum. Gerade jetzt konnte er sich völlig auf die ihm wichtigen geistlichen Aufgaben konzentrieren. Boemund von Saarbrücken ist aus einer bischöflichen Subjektform mit seiner Resignation insofern ausgetreten, als er auf den weltlichen Bereich der mit dieser Subjektform verbundenen Aufgaben verzichtete. Die erzählerische Ausgestaltung dieses Trierer Kirchenfürsten präsentiert dem Leser das Bild eines Mannes, der sein eigenes Tun, seine eigene Rolle ständig hinterfragt. Nicht nur der Eintritt in das erzbischöfliche Amt löste bei Boemund ein kritisches Nachdenken über sich selbst aus, sein Austritt tat es ebenso. Spezifische Selbstzweifel an der eigenen Eignung für das Amt bewogen ihn zum reflexiven Hinterfragen. Nach Boemunds Dafürhalten war
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Vgl. M. Petzold: Das Pontifikat Erzbischof Boemunds II. von Trier (1354-1362) und das Stiftswesen nach seiner Resignation (1362-1367), S. 382. Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 275f. Vgl. ebd. S. 276: »Qui licet esset archiepiscopus, tamen fideliter obedivit, et voluntatem domini Bohemundi in omnibus adimplevit usque ad obitum ejusdem.« Vgl. M. Petzold: Das Pontifikat Erzbischof Boemunds II. von Trier (1354-1362) und das Stiftswesen nach seiner Resignation (1362-1367), S. 393.
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seine Resignation angesichts der aktuellen Gefahrenlage die beste Lösung für das Trierer Erzstift. War Boemund von Saarbrücken ein Erzbischof, der überwiegend der geistlichen Lebenswelt seines Amtes den Vorzug gab, so ergibt sich aus den Quellen über Kuno von Falkenstein72 das Bild eines Bischofs mit einer ganz und gar militärisch-weltlichen Lebenseinstellung. Allein durch die Kontrastierung mit seinem Amtsvorgänger setzt ihn sein Biograf in einen gänzlich weltlichen Kontext. Der Koadjutor Kuno leitete, schützte und verteidigte73 , schlug in die Flucht, schädigte und schirmte74 , zog den Feinden »mit großer Streitmacht entgegen« und schlug sie »mit starker Hand in die Flucht«75 , machte Gefangene und zerstörte76 . Als »leo rugiens«77 , als brüllender Löwe, ging sein Bild – sein Koadjutor-Bild wohlgemerkt – in die Chroniken der Zeit ein.78 Als Trierer Erzbischof indes werden Nennungen von militärischen Praktiken spärlicher: Er befestigte Burgen und Verteidigungsanlagen79 und bewahrte die Trierer Diözese vor feindlichen Übergriffen80 . Als aktiver Kriegsherr, der selbst hoch zu Ross die Streitaxt schwingt, wird er nicht (mehr) dargestellt. Stattdessen ist von Verhandlungen die Rede, dem Einschalten des Kaisers (Karl IV.) als Streitschlichter, von Versöhnungen und Geldgeschäften.81 Jetzt galt es, ein spezielles Image zu wahren – bzw. herzustellen.82 Sakrale
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Zu den Familienverhältnissen der Falkensteiner siehe Löffler, Anette: Die Herren und Grafen von Falkenstein (Taunus). Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 273: »rexit, protexit et defensiavit«. Vgl. ebd.: »Qui totam provinciam disposuit depopulare, cum suo exercitu effugavit, devastavit; et sic patriam ab eorum insultibus […] victoriose protexit.« Übersetzung nach E. Zenz: die Taten der Trierer VI, S. 10. Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 273: »Cui obviam venit cum grandi exercitu, et manu valida ipsum effugavit, Philippum [von Isenburg-Grenzau] captivum duxit cum suis, castrum funditus destruxit, solo coaequavit.« Gesta Trevirorum II, S. 273. Neben der Gesta Treverorum wird dieses Bild auch in der Limburger Chronik des Tilemann Elhen von Wolfshagen, hg. von Arthur Wyss, MGH Dt. Chron. IV, 1, 1883, S. 51 aufgegriffen. Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 287. Vgl. ebd. S. 288. Vgl. ebd. S. 276f. Insbesondere die Anrufung des Kaisers stellt eine spezifische Technik zur Imagewahrung dar. Siehe dazu E. Goffman: Interaktionsrituale, S. 26. Hierbei handelt es sich um eine sogenannte »Ausgleichshandlung«.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
Praktiken allerdings werden in seinen Lebensbeschreibungen vergeblich gesucht. Vielmehr positioniert sich Kuno weltlich und landesherrlich und zeigt sich in seiner Politik von dynastischen Interessen geleitet. Dies zeigt sich besonders in der Resignation des mittlerweile 68jährigen Kunos. Die von christlichen Topoi gespickte Darstellung seines Biografen Bertram von Koblenzist ein Musterbeispiel eines Herrschenden, der den ihm bevorstehenden Tod bereits erahnt und die nötigen Vorkehrungen für sein baldiges Ableben zu treffen weiß.83 »Tandem honorabilis dominus Cuno sentiens se in infirmitate corporis ac debilitate gravari, coepit cogitare, qualiter ecclesiae Trevirensi de bono provisore provideret, antequam de hac luce per mortem discederet«84 . Des Amtes also müde suchte er nach einem guten Verweser für die Trierer Kirche (»bono provisore«85 ). Der Chronist weiß zu berichten, wie viel Mühe Kuno in das Auswahlverfahren legte. Mehrere Personen zog er in Erwägung, prüfte persönlich ihre Eignung.86 Doch kein Kandidat konnte den Kritiker überzeugen, da alle das Amt nur um des Amtes Willen erstrebten, nicht aber der Arbeitsbelastung standhalten würden. »[I]mplicatus ergo, quid faceret, ignoravit.«87 Schließlich ist es Gottes Einfluss, der Kunos Orientierungslosigkeit beenden sollte: Sein Neffe Werner von Falkenstein sollte sein Nachfolger werden.88 »Und wie es Herr Boemund [II.] in seinem Fall getan hatte, so beschloß es Herr Kuno auch mit Herrn Werner zu tun.«89 Aus dem Verweser sollte ein designierter Erzbischof werden, vom jetzigen Amtsinhaber selbst auserwählt. Die Praktik des Bischofs, den eigenen Nachfolger noch zu Lebzeiten zu bestimmen und einzusetzen, war in der mittelalterlichen Hoch-
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Die Gewissheit des nahenden Todes ist ein Bestandteil der ars moriendi, in Anlehnung an den Tod Mariens. Siehe dazu: K. Schreiner: Der Tod Marias als Inbegriff christlichen Sterbens. Gesta Trevirorum II, S. 289. Ebd. Vgl. ebd.: »et pluribus personis examinatis, nec inventis, quia multi sunt, qui honores appetunt, sed dispensationem honoris et laborem non quaerunt.« Ebd. Vgl. ebd.: »Tandem inspiratione divina incidit sibi consilium bonum, ut Wernherum consanguineum suum de Falckensteyn, natum ex filia fratris sui domini Philippi bonae memoriae, diu in curia sua probatum, tam in archidiaconatu Trevirensi, necnon in praepositura sancti Florini Confluentiae, ac praepositura sancti Paulini fideliter examinatum, simplicem et rectum, providumque inventum, promoverent ordinari in locum suum, quia idoneus et providus esset.« Übersetzung nach E. Zenz: Taten der Trierer VI, S. 14.
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kirche zuweilen möglich, aber nicht die Regel.90 Dass das Trierer Domkapitel über sein übergangenes Wahlrecht im Fall Werner opponierte, wird vom Gestaautor dann auch an anderer Stelle der Chronik eingeräumt.91 Der im Erzählentwurf geschilderte Aushandlungsprozess muss diesen Manko der Ernennungspraktik tilgen: Nur vor der Folie einer ordnungsgemäßen Prüfung (»examinatis«) wurde es in der Vita möglich, den Kandidaten Werner von Falkenstein positiv ausgedeutet einzuführen, dessen besondere Auszeichnung im eigentlichen Sinne nur in seiner Verwandtschaft zum Erzbischof besteht. Die Darstellung verweist auf Konsens, jedoch manifestiert in einem kleinen Vertrautenkreis um Kuno: »Quod quidem consilium suis intimis consiliariis et amicis intimavit, quibus omnibus placuit.«92 Schließlich erlaubt sich der Autor, bei dieser Praxis an Kunos unmittelbaren Vorgänger Boemund von Saarbrücken anzuknüpfen, um den Verdacht einer andersartigen Motivierung – Nepotismus – auszulöschen. Durch die Brille des Chronisten bedient sich Kuno der Koadjutorschaft um das übliche Prozedere zu erhalten. Der Bezug zu Boemund in der Chronik dient dabei als Unterstützung und zielt letztendlich darauf ab, von Unstimmigkeiten im Domkapitel abzulenken. Kuno von Falkenstein füllt die ›Subjektform Bischof‹ als Kriegsmann zwar anders aus als die meisten seiner Amtskollegen, gleichwohl scheint er mit seinem speziellen Amtsverständnis den Nerv der Zeit getroffen zu haben. Denn nicht nur die Trierer holten sich diesen kämpferischen Löwen zu Hilfe, auch der erkrankte und altersschwache Kölner Erzbischof Engelbert von der Mark (1304-1368) und sein Domkapitel riefen ihn 1368, bedrängt durch kämpferische Adelsoppositionen. Nach Beratung und Zustimmung durch Alt-Erzbischof Boemund, nimmt Kuno die Auszeichnung an und ›rettet‹ Köln durch seine routinierten Fähigkeiten in Form von Gewalt und Gericht.93 Zweimal wird der Falkensteiner in seiner Karriere angerufen als konfliktfähiger Landesherr (und nicht als geistlicher Hirte) und seine erfolgreiche Tatkraft bestätigt ihn und seine kämpferische Identität einmal mehr. Denn nach dem Tode Engelberts wurde Kuno einstimmig wie es heißt zum neuen Kölner Kirchenfürsten 90 91
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Jakob von Sierck etwa versuchte seinen Bruder als Nachfolger anzuempfehlen, was nicht funktionierte. Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 290/291: »Capitulum vero ecclesiae Trevirensis se aliquomodo opposuit, eo quod dominus Wernherus capitulariter electus non esset; timentes canonici, ne jus electiones perderent.« Gesta Trevirorum II, S. 289. Vgl. ebd. S. 284f.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
erwählt, womit zwei politisch bedeutsame Erzbistümer (Trier und Köln) allein Kuno von Falkenstein unterstanden und ihn damit zu einem der mächtigsten Männer des Reiches gemacht hätten. Und zweimal gelingt es ihm, zugunsten seiner Verwandten auf ein Bistum zu verzichten: Werner von Falkenstein tritt seine Nachfolge in Trier an, während sein Neffe Friedrich von Saarwerden zum Erzbischof von Köln ernannt wird.94 Mit seiner Resignation zog sich Kuno, ähnlich wie Boemund, nicht vollständig aus Trier zurück, sondern behielt sich weiterhin die Oberhoheit im Finanzsektor vor. Den religiösen Teilbereich des Bischofsamtes indes hat Kuno schon lange verlassen bzw. nie richtig ernst genommen. Boemund von Saarbrücken und Kuno von Falkenstein bedienten sich des Amtsrücktritts, um ihren individuellen Bedürfnissen und ihrer subjektiven Selbstverortung näher zu kommen. Sie konnten sich selbst neu positionieren, ohne einen Totalverlust der Identität zu durchlaufen, denn ein freiwillig vollzogener Rücktritt ermöglichte einen Handlungsspielraum zur eigenen Identitätsbildung. So ermöglicht der freiwillig erwählte Ruhestand insbesondere für Boemund einen Freiraum zur intensiven Vorbereitung auf das Jenseits. Seine Hinwendung zu einem mönchischen Lebensweg im Alter unterstreicht dieses Vorhaben.95 Die chronikalischen Erzählentwürfe machen indes deutlich, dass eine vorzeitige Resignation keineswegs als Zeichen von Schwäche zu deuten ist. Gerade Boemund verzichtet selbstlos auf das Amt, in der Selbsterkenntnis, dass ein anderer Kandidat unter den gegebenen Umständen dem Bistum ertragreicher sei. Herrschaftskompetenz verhandelt sich hier in einer ständigen selbstkritischen Eignungsprüfung und mit der Figur Boemunds wird einmal mehr auf die Notwendigkeit zur Anpassung rekurriert. Zusätzlich werden mit den beiden Handlungsträgern Boemund und Kuno zwei vollkommen
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Friedrich ist ein Großneffe mütterlicherseits, Werner ein Großneffe der Falkensteiner Linie. Kuno verzichtete auf das Kölner Erzbistum mit der Begründung, die Verwaltung zweier Bistümer gehe über seine Kräfte und er wolle lieber bei den Trierern bleiben. Als Administrator wolle er aber solange das Kölner Bistum weise leiten und schützen, bis sein Verwandter Friedrich von Saarwerden, der noch studierte, durch seine Hand geleitet soweit sei, um als neuer Kölner Erzbischof die Geschäfte zu übernehmen. Kuno als ›Meister‹ wollte sich als seinen Neffen zum ›Lehrling‹ machen, im Sinne einer Kalibrierung des Subjekts. Dies alles, so betont es der Gestaautor drei Mal, um jeglichen Verdacht auf Missbrauch Trierer Gelder zu vermeiden, geschah auf Kunos »eigene Kosten«. Erinnert sei an diese Stelle nochmals an Benedikt XVI.
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unterschiedliche Bischofstypen gegenübergestellt. Sicherlich bewusst bleibt der Chronist dem Leser eine Bewertung schuldig, bedingen doch die äußeren Umstände, welcher Typus erfolgreich sein kann.
15.3 Nicht-passende Dispositionen Die Aushandlung als bischöfliches Herrschersubjekt kann sowohl durch körperliche Beeinträchtigungen als auch durch ein Missverhältnis von aktuellen Anforderungen und eigener Eignung erschwert werden. Ein weiterer Punkt in diesem Themenfeld, der aus subjektvierungstheoretischer Perspektive von besonderem Interesse ist, ist die Sichtbarwerdung von Reibungsflächen, die durch eine Diskrepanz zwischen mitgebrachten habitualisierten Dispositionen und spezifischen (Feld-)Anforderungen entstehen können. In der Bistumsgeschichtsschreibung werden solche Momente insbesondere dann greifbar, wenn der geistliche Würdenträger als »landfremd« charakterisiert wird. 1368 wurde der aus einer böhmisch-mährischen Adelsfamilie stammende Albrecht von Sternberg auf Betreiben Kaiser Karls IV. und mit Zustimmung Papst Urbans V. zum Erzbischof von Magdeburg ernannt. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Mittdreißiger Albrecht bereits eine erfolgreiche Karriere hinter sich: Nach der Erlangung des Doktorgrades in Theologie, Philosophie und Jura wird er in den 1350er Jahren päpstlicher Kaplan Clemensʼ VI. und kurze Zeit später kaiserlicher Rat Karls IV. Seine hochadelige Abstammung und familiäre Bindung zum Königshof – schon sein Vater gehörte dem engen Umkreis des Kaisers an – brachte Albrecht mit 23 Jahren (1356) das Bistum Schwerin ein. Acht Jahre später (1364) wurde er auf Initiative Karls IV. nach Leitomischl transferiert, vier Jahre später – ebenfalls auf Betreiben des Kaisers – auf das Erzbistum Magdeburg versetzt. Es liegt auf der Hand, dass die Einsetzungen Albrechts in Zusammenhang mit der Kirchenpolitik Karls stehen.96 So ist Bischof Albrecht als ein ›Mann des Kaisers‹ zu positionieren, der in einem hochadeligen und hochkirchlichen Umfeld sozialisiert wurde. Gleichwohl lassen die häufigen herrschaftspolitisch motivierten Bistumswechsel (Schwerin, Leitomischl, Magdeburg, wieder Leitomischl)
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Vgl. Schmugge, Ludwig: Albert von Sternberg, in: Seibt, Ferdinand (Hg.): Lebensbilder zur Geschichte der böhmischen Länder, Bd. III: Karl IV. und sein Kreis, München-Wien 1978, S. 43-65; Losher, Gerhard: Königtum und Kirche zur Zeit Karls IV. Ein Beitrag zur Kirchenpolitik im Spätmittelalter, München 1985, S. 157f.; W. Hölscher: Kirchenschutz als Herrschaftsinstrument, S. 61f.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
eher auf besondere Königstreue schließen als auf eine pastorale Verbundenheit zum jeweiligen Bistum. Sein Chronist der Magdeburger Bistumschronik beschreibt ihn: »Fuerat enim vir magnifici status honestate et multiplicitatem sumptuum frequentans, familiarium ac militarium copia, splendidis vestimentorum ac baltheorum ornatibus incedentibus utebatur.«97 Dem Leser wird also ein recht spezieller Bischofstyp präsentiert, der insbesondere durch Kleidung und soziales Umfeld seine weltliche Lebenseinstellung verkörperte. Albrechts Zeit in Magdeburg sollte nicht lange und vor allem nicht glücklich währen.98 Mit einem kaiserlichen Kandidaten und aufoktroyierten Erzbischof taten sich Domkapitel und Stiftsadel, beide übergangen, grundsätzlich schwer. Der »landfremde«99 Albrecht stieß daher auf erheblichen Gegenwind, als er seine Regierung in Magdeburg antrat. Außerdem, so stellte es Stefan Pätzold heraus, hatte »die Beziehung zwischen dem Erzbischof und den Bürgern […] eine neue Qualität erreicht […]. Denn die Magdeburger machten Ansprüche sowohl auf die Beteiligung an der Wahl und Einsetzung des Metropoliten als auch an der Regierung des Erzstiftes geltend.«100 Albrechts Regierung fällt in eine Zeit, so Pätzold weiter, in der die Formierung der Städte zu einem Landstand nahezu vollzogen war und somit seine Etablierung durch ein erweitertes Kräftefeld erschwert wurde.101 Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass die Sichtweisen über Albrechts Pontifikat durchaus unterschiedlich sind.102 In die Magdeburger Bischofschronik sind gleich mehrere Bewertungsperspektiven eingegangen, die ihn entweder als einen schlechten (den landfremden) oder aber als einen guten (jedoch von falschen Ratgebern verleiteten) Erzbischof erscheinen lassen. 97 98
MGH SS XIV, S. 443. Vgl. Pätzold, Stefan: Amtsbücher und andere Quellen zu Land und Herrschaft Erzbischof Albrechts III. von Magdeburg (1368-1371), in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 47 (1999), S. 487-491; Ders.: Erzbischof Albrecht von Sternberg. Ein Mährer in Magdeburg (1368-1371), in: Freitag, Werner: Mitteldeutsche Lebensbilder. Menschen im späten Mittelalter, Köln 2002, S. 11-26. 99 M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 267. 100 S. Pätzold: Streit in der Stadt, S. 227. 101 Vgl. ebd. S. 229. Ferner Töpfer, Bernhard (Hg.): Städte und Ständestaat. Zur Rolle der Städte bei der Entwicklung der Ständeverfassung in europäischen Staaten vom 13. bis zum 15. Jahrhundert, Berlin 1980; Krütgen, Karl: Die Landstände des Erzstifts Magdeburg vom Beginn des 14. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts, Halle 1914; Spangenberg, Hans: Vom Lehnsstaat zum Ständestaat. Ein Beitrag zur Entstehung der landständischen Verfassung, München 1912. 102 Vgl. M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 265-272.
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Die Darstellung eines anonymen Chronisten, der die Ereignisse um Bischof Albrecht mit einigem zeitlichen Abstand im 15. Jahrhundert zu bewerten versucht, lässt Praktiken erkennen, die für die Ausformung eines Bischofssubjekts essentiell erscheinen, durch ihre Störung jedoch eine Etablierung in Magdeburg scheitern lassen. Ein wesentliches Problem von Albrechts Pontifikat lag in der Kommunikation: Er verstand die sächsische Sprache nicht und war offenbar auch nicht bereit, sie zu erlernen. »Denique ydiomatis Saxonici usu vacillans, absque interpretum mediacione vix aliqua gentis sue aut subditorum incommoda expedire valebat, sed id quod agere debuit nonnisi consiliariorum informacione dirigebat«103 , heißt es in seiner Chronik. Die Kommunikationspraktiken – grundlegend für eine funktionierende Regierung – sind im Falle Albrechts gestört. Seine ›Sprachunfähigkeit‹ stellt ein Stigma104 dar, das ihn als einen Außenseiter gegenüber den Etablierten105 positioniert und seinen Handlungsspielraum dadurch erheblich einschränkt. So konnten die üblichen Mechanismen von Herrschaft nur schwer greifen: Das Aufbauen von Vertrauen und persönlichen Bindungen vor Ort, die eine gegenseitige Anerkennung erleichtert hätten. Denn Albrechts Regierung ruhte – so sieht es der Chronist – allein auf seinen Ratgebern: Selbst alltägliche Entscheidungen konnte er nicht ohne diese fällen; vor allem aber ist es auf ihren Einfluss zurückzuführen, dass Albrecht die Lausitz an den Böhmischen König abtrat: »Attamen de voluntate et consensu prelatorum et canonicorum capituli Magdeburgensis, sed non omnium, terram Lusacie, cuius terre proprietas et infeudacio ecclesie Magdeburgensi pertinebat, regi Bohemie et suo regno in perpetuum vendidit et ab ecclesia abalienavit; que tamen nobilitatis moribus sibi assistentibus facere non potuisset nec valuisset, si infidelium subiectorum consiliis usus non fuisset, quorum consiliariorum falsis suasionibus plus imputari poterit quam eiusdem presulis persone.«106 Konkret bezieht sich der Chronist in seinen Anschuldigungen auf »landesfremde Räte«, die von Albrecht herangezogen werden, »anstatt den Adel und 103 MGH SS XIV, S. 443. 104 Vgl. Goffman, Erving: Stigma. Über Techniken der Bewältigung beschädigter Identität, Frankfurt a.M. 1967. 105 Vgl. Elias, Norbert/Scotson, John L.: Etablierte und Außenseiter, Frankfurt a.M. 1993. 106 MGH SS XIV, S. 443.
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die führenden Bürger der Städte in die Entscheidungsfindung einzubeziehen«107 . Dass diese Art des Regierens nicht wirklich geeignet war, merkte Albrecht schließlich selbst. »Post annos itaque quatuor et tres menses considerans ac mente sepe revolvens conscienciam ferire ac salutis sue meritum false pertimescens, pro eo eciam quia corporis debilitate tactus, in paralisi morbo sepius laborans, sibi et ecclesie future negligencie incursus imminere formidans, serenissimus imperatorem Karolum celerius adiit, ex cuius promocione ecclesie Magdeburgensi prefectus fuerat, supplicibus votis de huiusmodi periculis sibi imminentibus consilium lamentabiliter deposcebat.«108 Hilfesuchend wandte er sich an Kaiser Karl IV., der nach Rücksprache mit Papst Gregor XI. die (Rück-)Versetzung Albrechts 1371 in sein früheres Bistum Leitomischl einleitete.109 Am Ende bewahrt Albrechts Reflexionsvermögen110 ihn vor einem sozialen Absturz im Sinne einer erzwungenen Absetzung. Obwohl er offiziell vom Erzbischof zum einfachen Bischof degradiert wurde, gewährte ihm der Kaiser weiterhin den erzbischöflichen Titel.111 Albrechts erworbene, habituelle Dispositionen passten jedenfalls nicht in die Magdeburger Gesellschaftsordnung. Denn es irritierte nicht nur seine fremde Sprache, sondern seine ganze »behemische[…] ard«112 , wie sein Auftreten in der Magdeburger Schöppenchronik bezeichnet wird. Erinnert sei auch an sein prunkvolles und vor allem weltliches Auftreten. Kurzum: Den Einfluss einer böhmischen Kultur mochte man in Magdeburg nicht.113 107 S. Pätzold: Streit in der Stadt, S. 226. 108 MGH SS XIV, S. 444. 109 Magdeburger Schöppenchronik, hg. von Karl Janicke (Die Chroniken der niedersächsischen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 7), Leipzig 1869 (ND 1962), S. 262: »Hir umme verhof sik bischop Albrecht van stunt ut der stad und quam nicht mer wedder und vorbutede dat bischopdom Magdeborch umme dat bischopdom Liutmischol«. 110 Vgl. A. Reckwitz: Praktiken der Reflexivität. 111 Vgl. Brodkorb, Clemens/Hledíková, Zdeňka/Scholz, Michael: Albert von Sternberg (um 1333-1380), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 346-348. 112 Magdeburger Schöppenchronik, S. 261: »He konde dit land nicht wol vorstan: he wolde dit volk regeren na siner behemischer ard, des wolden se nicht liden. […] wente bi sinen dren jaren worden in deme stichte to Magdeborch mer wenn dre dusent hove wuste und dorp de dar to horden, an anderen schaden.« 113 Generell schien es für gebürtige Böhmen schwer, sich in westlichere Bistümer zu integrieren. Auch die Münsteraner Bischofschronik beschreibt Bischof Potho von Pothenstein als einen »Behmen«, der von Papst Urban VI. in Münster (1379-1382) eingesetzt
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Bei Albrecht von Sternberg tritt die Rolle der Berater des Bischofs innerhalb der Regierungspraxis besonders deutlich hervor. Auf den Punkt gebracht waren es im Fall Albrechts zwei Faktoren in seinem Beratungssystem, die sein Scheitern beeinflussten: Zum einen war er wegen der mangelnden Sprachkompetenz permanent auf die Unterstützung von Beratern angewiesen. Zum anderen vertraute er auf landfremde statt auf einheimische Berater, die sich mit den gegebenen Strukturen evtl. besser ausgekannt hätten und besser vernetzt gewesen wären. Möglichkeiten der Unterstützung durch einheimische Berater waren also jederzeit – beispielsweise durch das Domkapitel – vorhanden, Albrecht hat sie jedoch nicht in Betracht gezogen.114
16. Störungen 16.1 Mangelnde Akzeptanz Der Mainzer Erzbischof Heinrich von Isny115 (1286-1288) hatte einen Disput mit seinem Konstanzer Suffraganbischof Rudolf von Habsburg-Laufenburg (1274-1293). Erzbischof Heinrich wollte, wie es sein Recht war116 , das Konstanzer Bistum visitieren, was ihm der Habsburger jedoch verweigerte. Die Streitenden traten mit diesen Differenzen vor den König: »[D]er Erzbischof bestand auf seinem Visitationsrechte, der Bischof aber entgegnete, sein Bisthum sei klein und arm, worauf der Erzbischof sagte, er wüßte wohl, wie es wäre. Da sprach der Bischof: »Das glaube ich gern, denn
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wurde. »Als he overst des landes unkundich unde des gebrukes keinen vorstandt gehadt […] is darna bisschop geworden to Swerin«, aus: Die Münsterischen Chroniken des Mittelalters, hg. von Julius Ficker (Die Geschichtsquellen des Bisthums Münster 1), Münster 1851, S. 110. Bischof Potho konnte allerdings seinen Dienst in Schwerin nie antreten. Das Beispiel verweist auf lohnenswerte Folgeuntersuchungen, die der Frage nachgehen, ob bei einem Bischofswechsel Mitglieder des Bischofshofes ausgetauscht wurden oder ob eine gewisse Kontinuität im Personal bewusst erhalten wurde. Vgl. Jürgensmeier, Friedhelm: Heinrich Knoderer (Gürtelknopf, Kugulin) von Isny [OFM] (1222?-1288), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 403-404. Das Bistum Konstanz gehört zur Kirchenprovinz Mainz.
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ihr habt dasselbe öfter zu Fuß durchlaufen, als ich es je werde durchreiten können.«117 Am Ende sprach der König dem Mainzer sein Recht auf Visitation zu, doch war das Thema aufgrund der Aussage Bischof Rudolfs längst zur Nebensache geworden. Die Brisanz seiner Worte erklärt sich mit dem biografischen Hintergrund Erzbischof Heinrichs: Als Sohn eines Handwerkers geboren, gelang ihm über den Eintritt zum Franziskanerorden der Zugang zu höherer Bildung. Er wurde zum Vertrauten König Rudolfs I. von Habsburg (1273-1291) – ein Vetter des oben genannten Konstanzer Bischofs! – und verhandelte an der Kurie um dessen Kaiserkrönung. Die Aufenthalte am päpstlichen Hof waren für Heinrich mit neuen Ämtern verbunden: 1275 ernannte Papst Gregor X. ihn zum Bischof von Basel und Kollektor des Zehnten im Reich; 1286 machte Papst Honorius IV. ihn zum Mainzer Erzbischof. Die Kritik des Konstanzer Bischofs, wie sie in der obigen Anekdote aus der Chronik des Matthias von Neuenburg118 (1295-1364) wiedergegeben ist, bezieht sich auf die Diskrepanz zwischen der ständischen Herkunft des Erzbischofs und seiner eigenen. Damit rückt sie einen weiteren wichtigen Aspekt bischöflicher Selbstbildung in den Fokus: die Ablehnung durch andere Akteure. So findet sich die respektlose und nahezu feindliche Haltung des Konstanzer Bischofs gegenüber seinem Kirchenherrn auch unter den Mitgliedern des Mainzer Domkapitels. Die niedere Abstammung Heinrichs machte eine soziale Integration in das überwiegend hochadelige Kapitel unmöglich. 117
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Die Chronik des Matthias von Neuenburg, übersetzt von Georg Grandaur (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 84), Leipzig 1899, S. 24-25. Adolf Hofmeister (Hg.): Chronica Mathiae de Nuwenburg (MGH Scriptores rerum Germanicum. Nova series IV), Berlin 1924-1940, Kap. 22, S. 37-38: »Ipseque Heinricus factus archiepiscopus strennue multa peregit volensque visitare episcopatum Constanciensem, Růdolfus de Habsburg episcopus Constanciensis, filius patrui regis, sibi restitit. Quibus ambobus postea coram rege constitutis et instante archiepiscopo pro visitacione, episcopo vero dicente modicum esse episco patum suum et pauperem, illo vero dicente se bene scire, qualis esset, episcopus respondit: ›Bene crede, quia soleis vestris sepius percurristis eum, quam ego umquam potuerim equitare‹.« Vgl. Mück, Hans-Dieter: Matthias von Neuenburg: Ein Chronist des Spätmittelalters am Oberrhein. Seine Zeit, sein Leben, sein Werk, Neuenburg 1995; Sprandel, Rolf: Studien zu Mathias von Neuenburg, in: Berg, Dieter/Goetz, Hans-Werner (Hg.): Historiographia mediaevalis. Festschrift für Franz-Josef Schmale, Darmstadt 1988, S. 270-282; Schulte, Aloys: Zu Matthias von Neuenburg, in: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 45 (1891), S. 496-515; Ders.: Nochmals Matthias von Neuenburg. In: Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins 46 (1892), S. 724-725.
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Verächtlich nannten die Domherren den Erzbischof wegen seiner Franziskanergewandung »Knoderer« oder »Gürtelknopf«. Mehrfach sah sich der Papst gezwungen, den Klerus unter Androhung kirchlicher Strafen zu ermahnen, dem Erzbischof den erforderten Gehorsam zu erweisen.119 Zwei Faktoren bestimmten diese ablehnende Haltung des Domkapitels: (1) die Tatsache, dass Heinrich von Isny ein sozialer Aufsteiger, ein ›Emporkömmling‹ war, und (2) ein vom Papst aufoktroyierter Kandidat, der durch Umgehung des Domkapitels ernannt worden war. Subjektivierungstheoretisch bedeutsam ist nun die Frage, wie die Kirchenfürsten solchen Momenten der Ablehnung begegneten. In der NeuenburgChronik bleibt die Reaktion Erzbischof Heinrichs auf die Respektlosigkeit seines Suffraganbischofs unerwähnt, er setzt sich aber mit seiner Forderung letztlich beim König durch. Doch finden sich in anderen bischöflichen Schriftquellen aufschlussreiche Szenen zu diesem Fragekomplex. So wird die Ablehnung eines Kirchenfürsten in der Bistumsgeschichtsschreibung i.d.R. im Zusammenhang mit dem Amtsantritt literarisch verarbeitet. Dieser rituelle Akt – bestehend aus der feierlichen Inthronisation und Investitur in der Kathedralkirche120 , dem anschließenden Herrschaftsumritt und der Entgegennahme der Huldigung der Untertanen121 – ist ein Ablauf weitgehend festgelegter, mit symbolischer Bedeutung aufgeladener Praktiken, die die Herrschafts119
Vgl. F. Jürgensmeier: Art. Heinrich Knoderer (Gürtelknopf, Kugulin) von Isny [OFM] (1222?-1288), S. 404. 120 Zu Ritual und Religion siehe auch Durkheim, Emile: Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt a.M 1981. 121 Vgl. Schneider, Reinhard: Bischöfliche Thron- und Altarsetzungen, in: Dahlhaus, Joachim/Kohnle, Armin (Hg.): Papstgeschichte und Landesgeschichte. Festschrift für Hermann Jakobs zum 65. Geburtstag, Köln-Weimar-Wien 1995, S. 1-15; Andermann, Kurt: Zeremoniell und Brauchtum beim Begräbnis und beim Regierungsantritt Speyerer Bischöfe. Formen der Repräsentation von Herrschaft im späten Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Archiv für mittelrheinische Kirchengeschichte 42 (1990), S. 160-161; Militzer, Klaus: Die feierlichen Eintritte der Kölner Bischöfe in die Stadt Köln im Spätmittelalter und in der Frühen Neuzeit, in: Jahrbuch des Kölnischen Geschichtsvereins 55 (1984), S. 77-116; Schwineköper, Berent: Der Regierungsantritt der Magdeburger Erzbischöfe, in: Schlesinger, Walter (Hg.): Zur Geschichte und Volkskunde Mitteldeutschlands. Festschrift für Friedrich von Zahn Bd. 1, Köln-Graz 1968, S. 182-238; Engels, Odilo: Der Pontifikatsantritt und seine Zeichen, in: Segni e riti nella chiesa altomedievale occidentale 2, Spoleto 1987, S. 707-766; Vogtherr, Thomas: Zwischen Benediktinerabtei und bischöflicher Cathedra. Zu Auswahl und Amtsantritt englischer Bischöfe im 9.-11. Jahrhundert, in: Erkens, Franz-Reiner: Die früh- und hochmittelalterliche Bischofserhebung im europäischen Vergleich, Köln-Weimar-Wien 1998, S. 287-320.
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ordnung verfestigen und zugleich repräsentieren sollten.122 Dieser Akt bietet dem Herrschenden die Möglichkeit, politische Statements über sein künftiges Regierungsverhalten und -verständnis zu präsentieren und gleichzeitig bestimmte Interessensgruppen zu adressieren.123 Mit dem Rückgriff auf das gesamte Repertoire der symbolischen Kommunikation des Mittelalters geht es auch um Praktiken der Akzeptanz, der Zusicherung und der Bestätigung, die oftmals in langwierigen Prozessen vorab in Eidesformeln, Huldigungsschreiben und Zugeständnissen der Parteien ausgehandelt wurden.124 Gerade in diesen Praktiken und Momenten waren Möglichkeiten gegeben, durch Störungen der Prozessionen und Rituale Missfallen und Ablehnung zu demonstrieren. In den folgenden zwei Episoden werden bischöfliche Reaktionen in Momenten solch demonstrativer Ablehnung aufgezeigt und an die Selbstbildung der handelnden bischöflichen Akteure rückgebunden. »Gekommen bis(t) du, Erwünschter« schallt es 1372 durch die Magdeburger Straßen, als der neue Erzbischof Peter von Brünn (1371-1381) mit feierlichem Zug in die Stadt Einzug hielt.125 Gerade als er von der gesamten Geist122
Zur Praktik der Huldigung siehe Flachenecker, Helmut: Eid und Huldigung als Seismograph für die Beziehungen zwischen Bischof, Domkapitel und Bürgerschaft im spätmittelalterlichen Würzburg, in: Baum, Hans-Peter (Hg.): Wirtschaft – Gesellschaft – Mentalitäten im Mittelalter: Festschrift zum 75. Geburtstag von Rolf Sprandel, Stuttgart 2006, S. 473-492; Holenstein, André: Die Huldigung der Untertanen: Rechtskultur und Herrschaftsordnung (800-1800), Berlin 2016. 123 Vgl. Bihrer, Andreas: Einzug, Weihe und erste Messe: Symbolische Interaktion zwischen Bischof, Hof und Stadt im spätmittelalterlichen Konstanz. Zugleich einige methodische Ergänzungen zu den Ergebnissen der aktuellen Adventusforschung, in: Deutschländer, Gerrit/Höh, Marc von der/Ranft, Andreas (Hg.): Symbolische Interaktion in der Residenzstadt des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit (Hallische Beiträge zur Geschichte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit, Bd. 9), Berlin 2013, S. 65-88. 124 Dazu G. Althoff: Die Macht der Rituale, S. 170f. 125 Vgl. MGH SS XIV, S. 448: »et anno Domini 1375, in die circumcisionis Domini venit Calvis, et postea ipso ad ecclesiam suam et civitatem Magdeburgk solempniter accedente, toto clero, ut solitum fieri est, sibi cum leticia pro solempni suscepcione obviante cum cantu leticie, scilicet Advenisti desiderabilis, chorales tamen in contemptum et verecundiam tanti patris canticum lamentacionis et mesticie, videlicet Absolve Domine, inceperunt, forte ex iussu suorum maiorum et subordinancium ista sic fieri in confusionem dicti patris archiepiscopi invidie livore, sibi ipsis in animarum suarum periculum. Qui corales, sicut timetur, in malicia confortati, quasi publicas inimicicias cum predicto domino archiepiscopo habuerunt, sibi multas felonias et displicenias inferendo.«
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lichkeit in Empfang genommen werden sollte, brach der Gesang ab und ein Klagelied wurde angestimmt. »Erlöse uns, o Herr« sangen nun die Chorales.126 Damit dürfte man die gewünschte Verwirrung des neuen Erzbischofs erreicht haben. Der zuvor vermittelte Willkommensgruß für den neuen Oberhirten wurde für den Adressaten jedenfalls als Trugschluss erkennbar; die Botschaft der Ablehnung für jedermann hörbar im Gesang übermittelt. Die Chorales, als ›Handlanger‹ einflussreicher Domherren, zeigten ihren Protest gegen diesen Erzbischof mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln gerade dann, als sie aktiv die Gestaltung der Zeremonie bestimmten. Heimlich fand die Absprache zur Veränderung des Prozederes statt, die von den Chorales »auf Befehl ihrer Oberen […] aus Hass und Scheelsucht«127 befolgt wurde. Verstärkung erfährt diese Art der Provokation nicht zuletzt dadurch, dass die Chorales in der kirchlichen Hierarchie die unteren Ränge bekleiden und es sich dennoch herausnehmen, bei einem herausragenden Ereignis einen neuen Kirchenfürsten öffentlich zu diffamieren. Die Ablehnung Peters von Brünn erklärt sich aus seiner Ernennung: Durch den Tausch mit seinem Vorgänger Albrecht von Sternberg (1368-1371) und unter Einflussnahme Kaiser Karls IV. wurde der gebürtige Böhme zum Magdeburger Erzbischof.128 Das Domkapitel wurde vollständig übergangen. Entsprechend negativ war die Einstellung gegenüber diesem Bischof und »[w]ie schon sein Vorgänger konnte auch er erst nach längeren Verhandlungen mit den Ständen am 26.1.1372 in Magdeburg einziehen.«129 Unmissverständlich wurde dem neuen Kirchenherrn deutlich gemacht, dass seine Herrschaft nicht erwünscht war, dass man sie als eine Zeit der Trauer, nicht der Freude verstand. Werden die Empfangspraktiken als »rituelle Ausdrucksformen für eine verbindliche Abbildung wechselseitiger Rechte und Pflichten von Herrn und Untertanen«130 dergestalt gestört, so deuten sie dem Erzbischof eine Zukunft an, in der die »Errichtung von Konsensfassa-
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Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 217. Ebd. S. 217. Zu Kaiser Karls Bistumspolitik siehe Losher, Gerhard: Königtum und Kirche zur Zeit Karls IV. Ein Beitrag zur Kirchenpolitik im Spätmittelalter, München 1985, S. 157f.; W. Hölscher: Kirchenschutz als Herrschaftsinstrument, S. 61f. 129 Gatz, Erwin/Bistřickŷ, Jan/Hledíková, Zdeńka/Scholz, Michael: Peter Wurst (Jelito), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 514-515. 130 G. Althoff: Die Macht der Rituale, S. 176.
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den«131 kaum möglich sein wird. Kurz: Der Bischof würde es schwer haben zu regieren. Doch allein bei diesem öffentlichen Akt sollte es nicht bleiben. Auch hinter den Kulissen diffamierten die Chorales den neuen Kirchenfürsten und seine Gefolgschaft: Als die Dienerschaft des Bischofs die Pferde zur Wassertränke führen wollte, warfen die Chorales die Diener kurzerhand von den Rössern herab und nahmen die Tiere mit sich.132 Die Praktiken der Diskriminierung fanden sowohl in psychischer (Trauergesang) als auch in physischer (Abwurf von den Rössern) Form statt, öffentlich und im Hintergrund. Von Interesse ist aus praxeologischer Sichtweise die Reaktion des Bischofs auf diese Ausgrenzungserfahrung: »Der Bischof bedachte schlau bei sich, dass eine so grosse Kühnheit seiner Untergebenen einer anderen Quelle entspränge, und übersah es als kluger Mann Rache zu üben, da er ja auch mit seinem Kapitel in Zwiespalt und Misshelligkeit lebte, sodass auch die Kapitelherren unter sich festsetzten, dass keiner der Stiftsherren, auch wenn er berufen wäre, zu ihm kommen sollte; auch mit seinen Dienstmannen lebte er in Zwiespalt.«133 Die vorgeführte Diskriminierung löst bei Peter von Brünn also ein Nachdenken über seine (realpolitische) Situation aus. Sein Chronist lässt ihn eine Entscheidung treffen, die auf seiner Klugheit und seiner Fähigkeit zum zweckrationalen und selbstreflektierten Handeln basiert. Und so entschließt sich der Oberhirte, die Provokationen der Chorales zu ignorieren.134 Haben die Anwesenden eine (heftige) emotionale Reaktion erwartet, so werden sie ent-
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Ebd. S. 96. Vgl. MGH SS XIV, S. 448:»Et quando famuli sui ad aquas equos euqitabant, ipsi, abiectis de equis famulis, equos receperunt et opprobria multa sibi suisque intulerunt.« Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 217/218. MGH SS XIV, S. 448: »Archiepiscopus callide tantam audaciam subditorum ex alio fonte emanare consideras, ut prudens dissimulavit vindictam exercere, quia eciam cum capitulo suo in differencia et discordia fuit, sic quod eciam capitulum inter se statuerunt, ut nullus canonicorum eciam vocatus ad eum accederet; eciam cum vasallis in discordia fuit.« Zum Ignorieren innerhalb des Handlungsrahmens siehe Goffman, Erving: RahmenAnalyse. Ein Versuch über die Organisation von Alltagserfahrungen, Frankfurt a.M. 2000, S. 224f.
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täuscht.135 Peter von Brünn entzieht sich eigensinnig dem Interaktionszwang und zeigt keinerlei Gefühlsäußerungen. Seine Selbstkontrolle ist perfekt. Ein knappes Jahrhundert später (1436) sollte der Trierer Erzbischof Raban von Helmstatt136 (1430-1439) nach langen Jahren des Schismas endlich in der Stadt Koblenz als Landesherr eingeführt werden. Doch was von den Koblenzer Ratsherren als routinisierter Huldigungsakt geplant war, endete in einem Fiasko: »das unbesonnene Volk rottete sich aus Haß gegen ihn [Raban] zusammen und griff zu den Waffen«137 Raban floh. Zuerst in die Burg von Koblenz, von da aus »durch eine kleine Pforte weiter unterhalb der Burg« und von dort weiter mit einem Boot bis zur bischöflichen Burg Ehrenbreitenstein.138 Das hier vorgesehene Ritual der Huldigung eines Landesherrn, ein Akt, der die Anerkennung der sozialen Herrschaftsordnung widerspiegeln sollte, war gestört.139 Akte dieser Art entsprachen, wie Gerd Althoff feststellen konnte, »politischem Kalkül und waren Zeichen für die rituelle Umsetzung eines höchst prekären Verhältnisses«140 , das von den Koblenzern in diesem Fall mit bewaffneter Konfliktbereitschaft unmissverständlich demonstriert wurde. Die Gründe für dieses Verhalten finden sich in Rabans Ernennungsverfah135
Vgl. dazu G. Althoff: Empörung, Tränen, Zerknirschung; Ders.: Gefühle in der öffentlichen Kommunikation des Mittelalters, in: C. Benthien/A. Fleig/I. Kaste (Hg.): Emotionalität, S. 82-99. 136 Vgl. Haarländer, Stephanie: Raban v. Helmstatt, in: Neue Deutsche Biographie 21, Berlin 2003, S. 60-61; Ammerich, Hans: Raban von Helmstatt (um 1362-1439), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 749-750; Persch, Martin: Raban (Rhaban) von Helmstätt, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon 7, Herzberg 1994, Sp. 1146-1148; Bär, Max: Raban von Helmstatt, in: Allgemeine Deutsche Biographie 27, Leipzig 1888, S. 74-77. 137 Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 27. 138 Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 324: »Anno autem sequenti dominus Rabanus a consulibus Confluentinis fuit inductus in Confluentiam, ut reciperetur in episcopum terrae; sed indiscretum vulgus propter odium ipsius concursum tumultuosum fecit ad arma. Unde dominus Rabanus de foro sancti florini et de domo communi ididem sita, de loco in quo ad recipiendum homagia steterat, cito fugit in castrum in Confluentia situm. Ed de isto castro fugit per parvulam portam stantem inferius in castro circa Moselam; et sic per navim transiit, et fugit in Erenbreitsteyn.« 139 Vgl. Wolf, Gerhard: Inszenierte Wirklichkeit und literarisierte Aufführung. Bedingungen und Funktion der »performance« in Spiel- und Chroniktexten des Spätmittelalters, in: Müller, Jan-Dirk (Hg.): ›Aufführung‹ und ›Schrift‹ im Mittelalter und Früher Neuzeit, Stuttgart-Weimar 1996, S. 381-405. 140 G. Althoff: Die Macht der Rituale, S. 176.
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ren. Rabans Trierer Episkopat fällt in die Zeit eines Schismas, das als Manderscheidsche Fehde141 bekannt werden sollte. Nach dem Tod Erzbischof Ottos von Ziegenhain 1430 kam es im Bistum Trier zu einer Doppelwahl zwischen Jakob von Sierck (†1456) einerseits und Ulrich von Manderscheid (†1436) andererseits. Als sich beide auf den Weg nach Rom machten, um von Papst Martin V. eine Entscheidung abzuverlangen, ernannte dieser kurzerhand den Speyerer Bischof Raban von Helmstatt zum Trierer Erzbischof. Das Urteil stößt auf Verständnislosigkeit. »[I]ch weiß nicht warum«142 schreibt der Gesta-Autor in den Gesta Treverorum. Die Regierung durch diesen »virum prudentem, sed sedem et canum«143 brachte nur Unglück über die Trierer Kirche.144 Raban selbst – so formuliert es die Gesta – schien über die Ernennung ebenfalls erstaunt zu sein und zweifelte die Sinnhaftigkeit ernstlich an.145 Doch es ist – so der Gesta-Autor weiter – sein Ehrgeiz, seine Habsucht und die Beeinflussung durch machthungrige Ratgeber, die ihn schließlich das Amt annehmen lassen: »Vicit ambitio veteranum, et avaritia, commune senectutis malum. Consules quoque ejusdem, bona S. Petri sitientes, seni omnia facilia suadent.«146 Im Rahmen der Trierer Gesta-Erzählungen erscheint die Passage um Raban von Helmstatt insbesondere in Bezug auf die Chronologie »sehr verworren«147 . Auch kann die Position des historischen Autors nicht eindeutig bestimmt werden: Zwar lehnt er Ulrich von Manderscheid ab, ergreift aber auch 141
Vgl. Lager, Johann Christian: Raban von Helmstatt und Ulrich von Manderscheid – ihr Kampf um das Erzbistum Trier, in: Historisches Jahrbuch 15 (1894), S. 721-770; R. Laufner: Die Manderscheidsche Fehde; Meuthen, Erich: Das Trierer Schisma von 1430 auf dem Basler Konzil. Zur Lebensgeschichte des Nikolaus von Kues, Münster 1964; Ders.: Obödienz- und Absolutionslisten aus dem Trierer Bistumsstreit (1430-1435), in: QForschItalArchbibl 40 (1960), S. 43-64. 142 Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 23. Gesta Trevirorum II, S. 319: »Dominus autem papa, nullum illorum confirmans, dedit, nescio qua de cause, tertium quendam, scilicet dominum Rabanum de Helmstet, episcopum Spirensem, virum prudentem, sed sedem et canum.« 143 Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 23. 144 Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 325: »Hic autem dominus Rabanus in occidua aetate constitutus, modicum profuit ecclesiae Trevirensi.« 145 Vgl. ebd. S. 319: »Qui nisi inductus maxime ducis Bavariae instinctu, ipsum coram summo pontifice promoventis, onus tantum nunquam subiisse creditur.« 146 Ebd. S. 319. 147 M. Müller: Die spätmittelalterliche Bistumsgeschichtsschreibung, S. 169. Müller untersucht vor allem die Fassungen in der Eberhardsklausener Handschrift und die der Chronica quadripartia II und III, die in der Chronoligie erhebliche Unterschiede aufweisen.
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keine Partei für Erzbischof Raban. So kommt Markus Müller zu dem Schluss, dass eine zusammenhängende Darstellung für die Jahre 1388 bis 1439 offenbar verloren gegangen ist und eine Erfassung der Geschichte nur noch in Ableitungen erfolgt ist.148 Bis in den Sommer 1432 weigerte sich das Trierer Domkapitel, den päpstlichen Kandidaten als ihren Oberhirten anzuerkennen. Weiterhin machte der Gegenkandidat Ulrich von Manderscheid mit Erfolg seine Machtansprüche geltend, so dass es für Raban lange Zeit unmöglich blieb, die volle landesherrliche Gewalt in seinem Erzstift zu erlangen. Verheerende Fehden für das Trierer Land waren die Folge, gefolgt von päpstlichen Bannungen und Interdikten. Als Ulrich von Manderscheid 1436 verstarb, erschien die Gelegenheit für Raban günstig, auch in den letzten Städten des Stifts die Huldigung seiner Untertanen einzuholen. Die Absprachen mit den Koblenzer Ratsherren waren gemacht, die Huldigungszeremonie vorbereitet. Doch mit der oben geschilderten Reaktion der Koblenzer Bevölkerung hatte Raban nicht gerechnet. Immer noch stand die Stadt unter dem postumen Einfluss Ulrichs. Die Akzeptanz eines ›neuen‹ Fürsten sollte nicht möglich sein.149 Angesichts der besonderen Qualität des ausgrenzenden Verhaltens der Koblenzer – immerhin stehen sie bewaffnet vor ihrem Landesherrn – und aus Angst um Leib und Leben bleibt dem Bischof nur die Flucht. Sein Rückzug erscheint in der chronikalischen Erzählung spontan, affektiv und unehrenhaft (durch Hintertüren und mit einem kleinen Boot), basiert aber aufgrund des Waffenaufgebots der Bevölkerung auf einem rationalen Gedanken: Beschwichtigende Worte und eine Zuwendung zum Volk scheinen für Raban keine Option gewesen zu sein.150 Seine Chancen, unversehrt aus der Situation herauszukommen, stehen schlecht; er scheut einen offenen Konflikt. Die Aufrechterhaltung einer Autorität als Erzbischof gelingt Raban so nicht. Klar ist, dass Raban mit einem solchen Verhalten des Koblenzer Volkes nicht gerechnet hat. Seine habitualisierten Handlungsdispositionen erlauben es ihm offenbar nicht, eigenständig eine feldspezifische Lösung zu finden. Stattdessen berichtet die Erzählung von seinen Emotionen, seiner Trauer151 über die Erlebnisse. 148 Vgl. Ebd. S. 170. 149 Vgl. J. C. Lager: Raban von Helmstatt und Ulrich von Manderscheid, S. 762. 150 Vgl. Pohl, Mareike: Fliehen-Kämpfen-Kapitulieren. Rationales Handeln im Zeitalter Friedrich Barbarossas, Stuttgart 2014. 151 Vgl. Gesta Trevirorum II, S. 324.
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Insgesamt wird der Landesherr in seiner Trierer Lebensbeschreibung durchweg passiv und damit schwach dargestellt. In seinem Zufluchtsort Ehrenbreitenstein suchten ihn am nächsten Tag die Koblenzer Ratsherren auf und schworen, dass sie über die Neigungen und Handlungen der Bürgerschaft im Vorfeld nicht unterrichtet gewesen seien, was als deutlicher Hinweis auf innerstädtische Spannungen in Koblenz interpretiert werden kann. Stattdessen überredeten sie ihren Herrn, noch einmal einen öffentlichen Auftritt in Koblenz zu wagen. Diesmal wurden Vorkehrungen getroffen, um eine Wiederholung der Ereignisse zu vermeiden: Als neuer Ort wurde der St.-Castor-Markt erwählt; möglicherweise, weil dieser für bevorstehende Konflikthandlungen besser geeignet schien. Auch stand dem Bischof »eine bewaffnete Schar von Koblenzern zur Seite […], um einen Aufstand von gewissen Leuten unmöglich zu machen. Und so hatte er endlich das ganze übrige Land inne.«152 Die Veränderung des Prozedere machte die Vorsicht des Kirchenfürsten und auch des Rates für jedermann sichtbar – und damit auch den Prestigeverlust, wenngleich er dennoch einen Teil der Koblenzer zu seinen Fürsprechern zählen konnte. Der neue Ablaufplan ist der zuvor gemachten Ausgrenzungserfahrung angepasst worden. Zur Stärkung seines Selbstgefühls besuchte Raban zuvor noch die Städte Boppard und Wellmich, wo die Huldigungszeremonie ohne Komplikationen ablief. Die literarischen Darstellungen der Erzbischöfe Peter von Brünn und Raban von Helmstatt machen deutlich, dass eine Formierung in ein bischöfliches Selbst bzw. die Anerkennung als bischöfliche Amtsperson innerhalb eines spannungsgeladenen Kräftespiels nicht immer reibungslos gelang. Von den bischöflichen Akteuren wurde eine gewisse – teilweise auch kulturelle – Anpassungsleistung abverlangt; eine Entwicklung bestimmter Fähigkeiten und Handlungsweisen, die ein politisches Überleben möglich machten. Es hat
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Übersetzung nach E. Zenz: Die Taten der Trierer VI, S. 27. Gesta Trevirorum II, S. 324: »Verum consules Confluentini altera die venerunt in Erenbreitsteyn, ut dominum Rabanum, et nobilis et comites sic explusos iterum placarent; et juraverunt publice ad sancta Die Evangelia, quod de hujusmodi tumultu nullus eorum antea quicquam scivisset. Unde dominus Rabanus aliqualiter consolatus cogitavit iterum Confluentiam introire; sed tamen prius ivit in Bopardiam, ad ibi prius recipiendum homagium. Quo recepto ivit in Welmich, et ibi iterum recepto homagio, sequenti die venit in Confluentiam. Et ibi in foro sancti Castoris ante cimiterium homagium recepit, Confluentinis armata manu assistentibus propter rebellionem quorundam vitandam. Et sic tandem totam obtinuit aliam terram.«
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den Anschein, als täte sich Raban von Helmstatt damit schwer, sein Verhalten auf die gegebenen Rahmenbedingungen einzustellen. Die Ausgrenzungserfahrung wirkt sich stark auf das Selbstgefühl des Trierer Erzbischofs aus. Jetzt bedarf der Bischof des Beistandes treuer Vasallen und der Koblenzer Ratsherren, um sich selbstbewusst dem unverständigen Volk stellen zu können. Zweifellos hängt dies auch mit der Qualität der Ausgrenzung und mit den beteiligten Akteuren zusammen: Raban hatte die Wahl, die Koblenzer entweder im offenen Konflikt zu stellen oder die Flucht zu ergreifen – seine Entscheidung war aus rationaler Sicht die klügere Wahl. Allerdings gelingt es ihm nicht – so zumindest wird es dem Leser präsentiert – sich eigenständig auf die Außenbedingungen einzustellen. Etwas anders erscheint es bei Erzbischof Peter: Seine Ausgrenzungserfahrungen werden von ihm zum Ausgangspunkt seiner eigenen Verhaltensorientierungen gemacht. Fortan ist die Fähigkeit zur Selbstbeobachtung und Entscheidungsfindung für seine Regierungszeit essenziell. Dies gipfelt schließlich nach zehnjähriger Amtszeit in der Resignation des Erzbischofs. Die Unstimmigkeiten zwischen ihm, seinem Kapitel, seinen Dienstmannen und der Stadt Magdeburg153 ließen sich nicht mehr verleugnen. Ehe Papst Urban VI. ein Urteil in der Angelegenheit aussprechen konnte, erwirkte Peter von Brünn mit kaiserlicher Unterstützung selbst einen Wechsel zum Bistum Olmütz – wohl wissend, dass ein Regierungshandeln in Magdeburg für ihn kaum mehr möglich war.154
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Vgl. dazu S. Pätzold: Streit in der Stadt. Sein Ende, so die Chronik, soll schließlich friedfertig gewesen sein: MGH SS XIV, S. 449: »Et quamquam prefatus dominus Petrus satis bene rexit et in bellis e in aliis agendis fortunatissumus fuit, videns tamen se esse in discordia cum capituko et vasallis suis, quia aliquos de capitulo cepit, incarceravit et mulctavit et multas molestias et iniurias capitulo intulit, sic quod capitulum ab eo ad sanctam apostolicam sedem appellavit et appellacionem prosequebatur – eciam eo tempore unio clero Magdeburgensi fuit propter illam discordiam –, et hic eciam se exosum haberi et reputari cernens, dedit iracundie et iracundis locum et optinuit se a papa Urbano VI. de metropolitica ecclesia Magdeburgensi ad simplique exinanivit formam servi, cum esset Deus, accipiens, imitando sic ille, cum primas Germanie et archipisopus esset, desendendo episcopus simplex humilitatis virtute fieri; ubi eciam pacifice finem vite sue in Domino finivit.«
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
16.2 Differente Vorstellungen »›Quia vos estis infideles ecclesie vestre et sancto Mauricio, idcirco ego nolo esse vester episcopus‹« – »›Weil ihr untreu gegen eure Kirche und den heil. Mauritius seid, will ich euer Erzbischof nicht mehr sein‹«155 , soll der designierte Magdeburger Erzbischof Günther I. (1277-1278) ausgerufen haben, als er erkannte, dass er von seinen Räten und Stiftsvasallen hintergangen worden war. Zur Vorgeschichte: Günther von Schwalenberg war bereits mehr als ein Jahrzehnt in Magdeburg etabliert. Sein Neffe Konrad von Sternberg war seit 1266 Erzbischof und seither stieg sein Onkel die klerikale Karriereleiter kontinuierlich höher: Er wurde Domherr (1268), Domkustos, Thesaurar (1272), Vicedominus und Dompropst (1273). Als Konrad 1277 verstarb, hatte Günther so viel Anerkennung unter den Domherren sammeln können, dass er sich in der Wahl gegen Bernhard von Wölpe156 durchsetzen konnte.157 Weder Günther noch Bernhard entsprachen jedoch den Wunschvorstellungen des Markgrafen Otto IV. von Brandenburg (um 1238-1308/09), da dieser seinen Bruder Erich (um 1245-1295)158 auf dem Magdeburger Erzbischofsstuhl sehen wollte. Gemeinsam mit Herzog Albrecht von Sachsen (um 1175-1260/61) stellte Otto ein Heer gegen den erwählten, aber noch nicht bestätigten Günther auf. Dieser mobilisierte seinerseits die Magdeburger Bürger. Am 10. Januar 1278 kam es in Frohse zum Kampf159 : Der Erzbischof und seine Soldaten siegten; Markgraf Otto wurde gefangengenommen. Entscheidend für den obigen Ausspruch Günthers ist die nun folgende Verhandlungspraktik um die Befreiung des Markgrafen. Der Kirchenfürst
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MGH SS XIV, S. 424. Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 172. Vgl. Scholz Michael/Schulze, Heinz-Joachim: Bernhard von Wölpe (vor 1240-1310), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 90-91. Vgl. MGH SS XIV, S. 423: »Hinricus de Swalenberghe, mortuo Conrado, in archiepiscopum fuit electus anno Domini 1278, sed nondum confirmatus nec consecratus, propter quod in numero archiepiscoporum non connumeratur. Digne tamen eius venerabilis memoria inter archiepiscopos recensetur.« Erich war von 1283-1295 Erzbischof von Magdeburg, vgl. Scholz, Michael: Erich, Markgraf von Brandenburg, in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 388. Vgl. H. Asmus: 1200 Jahre Magdeburg, S. 276f.
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ahnte nicht, dass die Markgräfin die erzbischöflichen Stiftsherren und Vasallen im Vorfeld beeinflusst hatte, um die Lösegeldsumme ihres Gemahls möglichst klein zu halten.160 Als Markgraf Otto die geforderten 4000 Mark sogleich aufbrachte,161 konnte er nicht umhin dem Erzbischof die Machenschaften seiner korrupten Stiftsmannen zu eröffnen und ihm seine Naivität und sein Unvermögen in der weltlichen Realität vor Augen zu führen: »›Vos nescitis exactionare unum marchionem; vos debuisset me posuisse super uno dextrario cum elevata hasta et sic me cum argento et auro circumfudisse usque ad summum, tunc fuissem debite exactionatus‹«162 . Dies bestürzte Erzbischof Günther so sehr, dass es zum oben genannten Ausruf kam. Günther war tief enttäuscht und gekränkt: Das Deutungswissen des Erzbischofs beruht auf einem Herrschaftsverständnis der gegenseitigen Treue und Loyalität163 , das von seinem Umfeld offenbar nicht geteilt wurde. Ausgelöst von der bewusst wahrgenommenen Missachtung der eigenen Person bzw. Position, überdenkt Günther seine soziale Situation und orientiert sich um. Der Leserschaft führt der Chronist vor Augen, dass der Erzbischof mit seiner moralischen Integrität im Kontrast zu den korrupten Gegnern die weitaus höherwertige Herrschaftskompetenz besitzt. Die Moralvorstellungen des Erzbischofs, seine Selbstsicht und Konvenienzerwartungen an sich, wie auch an seine Umgebung, erweisen sich als das trennende Element zwischen Gut und Böse. Umso bedauerlicher also erscheint sein Rücktritt. 160 Vgl. MGH SS XIV, S. 423/424: »Sed prefatus de Buk, vir prudens, primo se excusans et retrahens se a consilio, pro eo quod marchio eum a suo consilio repulisset, tandem tamen precibus et fletibus domine devictus, tale dedit consilium, quod ipas domina deberet se munire multa pecunia et transire in Magdeburgh et secreto singulos potenciores consilio archiepiscopi electi tam de canonicis quam de vasallis ad se sigillatim et clandestine accersire et cuilibet eorum bonam summam pecunie dare, uni centum marcasm alteri 60, et sic de singulis unicuique secundum mensuram status sui. Quod consilium domina marchionissa posuit in effectum, et sic omnes consiliarios archiepiscopi subornavit.« 161 Vgl. MGH SS XIV, S. 424. In einer Sakristei in Angermünde tauchte ein Gold- und Silberschatz auf, der vom Vater des Markgrafen zur Verwahrung hinterlassen wurde. 162 MGH SS XIV, S. 424. Und weiter: »Post hec innotuit archiepiscopo electo, quodmodo consiliarii sui, tam canonici quam vasalli, corrupti fuerant pecunia; de quo valde commotus, renuncciavot electioni, diecens: ›Quia vos estis infideles ecclesie vestre et sancto Mauricio, idcirco ego nolo esse vester episcopus‹. Exinde episcopatus stetit in errore fere per biennium propter discidium capituli; […]«. 163 Vgl. Lepsius, Susanne/Reichlin, Susanne (Hg.): Fides/Triuwe (Das Mittelalter: Perspektiven mediävistischer Forschung 20/2), Berlin 2015; S. Patzold: Das Lehnswesen, München 2012.
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Für das Folgende von Bedeutung ist der Umstand, dass die Passage auf das Vorhandensein unterschiedlicher Vorstellungen der bischöflichen Herrschaftsträger verweist – Vorstellungen an ihre eigene Amtsverkörperung aber auch an das Verhalten ihrer Untergebenen. Damit knüpft dieser Themenpunkt an den Kern subjektivierungstheoretischer Forschungsfragen an, denn Momente, in denen eine bewusste Nichtpassung und Sinnkrise thematisiert werden und von den Protagonisten auch selbst wahrgenommen werden, erlauben Einblicke in die Subjektivität und das Erfahrungswissen der historischen Akteure. Gleichwohl ist die Thematisierung bischöflicher Sinnkrisen in der Bistumsgeschichtsschreibung kaum zu erwarten. Das folgende Beispiel ist daher auch einem bischöflichen Selbstzeugnis entnommen und stellt angesichts der üblichen Quellengrundlage dieser Arbeit einen Sonderfall dar. Als der frisch erwählte Augsburger Bischof Friedrich von Zollern (14861505) im November 1487 auf dem Reichstag von Nürnberg erschien, erntete er erstaunte Blicke. Es war der Anblick seiner Kleidung, der unter den Anwesenden nahezu Empörung auslöste, denn er trug bischöfliche Gewänder. In einem Brief an seinen Freund und Mentor Johannes Geiler von Kaisersberg (1445-1510) berichtet der Zollerngraf von seinem Erlebnis: »Aber was sage ich? Ich bin ein einziges Mal zu Nürnberg in bischöflichen Kleidern mit dem Rocket gegangen; darüber haben mir die anderen Bischöfe höchlich gezürnt. Die einen nannten mich einen Sonderling, ein anderer behauptete, das thue ich nur um den Kardinalshut zu erlangen; der eine spöttelte so, ein anderer so darüber. Auch die Leute waren geteilter Ansicht.«164 Für die mittelalterliche Welt hat Friedrichs Wahl des Gewandes eine symbolische und identitätsstiftende Bedeutung. »Kleidung und Identität seien im Bewußtsein des Mittelalters zu einer untrennbaren Einheit verwoben gewesen«, konstatiert Jan Keupp und stellt unter Berufung auf Peter von Moos treffend 164 Zitiert nach Dreher, Theodor: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern, Bischof von Augsburg (1486-1505), in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern 19 (1885/1886), S. 1-96, hier S. 54. Das lateinische Original findet sich bei Steichele, Anton: Friedrich Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, und Johannes Geiler von Kaisersberg. Mit Briefen, in: Archiv für die Geschichte des Bisthums Augsburg 1 (1856), S. 143-172, hier S. 172: »Sed quid plura? Ego in habitu episcopali Nierenbergae rocketo indutus semel incessi, super quo alii episcopi summe mihi succensebant, unus de singularitate me notabat, alter id me pro adipiscendo pileo cardinalatus facere asserebat, et varii varia super hoc cavillabant. Etiam vulgus in contrariam opinionem ferebatur; quidam laudabant, alii me italum praedicabant.«
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heraus, »daß die Kleidung nicht […] nur Identität repräsentiert[,] sondern Identität i s t«165 . Friedrichs soziale Einordnung als Kirchenmann, die er mit seiner Kleidung repräsentierte, schien auf dem hochpolitischen Parkett jedoch nicht erwünscht zu sein. Es wurde nicht erwartet, einen Reichsfürsten – auch wenn er ein Bischof war – in der Gewandung eines Geistlichen zu sehen. Die Fremdwahrnehmung der Anderen widersprach deutlich der Selbstwahrnehmung Friedrichs. Das verwirrte den Augsburger sehr, aus moderner Sicht ergriff ihn eine Identitätskrise oder Rollenkonflikt166 : »So weiß ich also nicht, wie ich’s auf dem Reichstag fürder machen soll« schreibt er weiter und lehnt doch das Verhalten seiner Amtskollegen kategorisch ab: »Alle Erzbischöfe und Bischöfe gehen nämlich in solch weltlichen Aufzug, daß man sie kaum von den Musikanten unterscheiden kann.«167 So lässt sich erkennen, dass Friedrich von Zollern in der Verkörperung seines Bischofsamtes ganz eigene Wertvorstellungen und Motive verfolgt, die sich offenbar deutlich von denen seiner Amtskollegen unterscheiden. Auch sieht er sich mit dem Vorwurf, ein Ämterjäger zu sein, konfrontiert: Sein distinktives Verhalten erscheint in der innerkirchlichen Wahrnehmung als potenzieller Griff nach der Kardinalswürde. Damit gerät er in den Verdacht, dieses Amt durch auffallende Frömmigkeit erreichen zu wollen. Die Konfrontationen auf der Reichsversammlung verunsichern Friedrich. Dabei ist er kein Neuling auf reichspolitischem Parkett und auch das Amt eines Bischofs ist ihm durch seinen Werdegang vertraut. Von daher kann ihm ein defizitäres Rollenwissen nicht unterstellt werden.168 Als ältester Sohn des Grafen Jos(t) Niklas von Hohenzollern und seiner Frau Agnes von Werdenberg um 1450 geboren, war für ihn ein Karriereweg als Geistlicher schon früh vorbestimmt gewesen und ein Bischofsstuhl war das angestrebte Ziel. Seine Mutter Agnes war die Schwester Johann von Werdenbergs, der das Augsburger Bischofsamt von 1469-1486 innehatte und dem Friedrich in seinem Amt
165 J. Keupp: Die Wahl des Gewandes, S. 35 (Herv. i.O.). 166 Auch »Person-Rolle-Konflikt«, dazu: U. Schimank: Handeln und Strukturen, S. 73-75. 167 Übersetzung nach T. Dreher: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern 19, S. 54. A. Steichele: Friedrich Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, und Johannes Geiler von Kaisersberg, S. 172: »Quo fit, ut amodo quid mihi faciendum sit in ista congregatione nescio, quia omnes archiepiscopi et episcopi incedunt, quod vix fistulatores et ipsi inter se discerni possint.« 168 Zum »dezifitären Wissen« siehe U. Schimank: Handeln und Strukturen, S. 71f. Tatsächlich hatte Friedrich aufgrund seines Werdeganges genug Erfahrung zum Bischofsamt sammeln können.
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folgen sollte. Ein weiterer Bruder seiner Mutter, Heinrich von Werdenberg, und ein Bruder seines Vaters, Heinrich von Hohenzollern, waren Domherren in Straßburg und ermöglichten ihrem Neffen wohl 1467/68 die Anwartschaft auf ein Kanonikat in Straßburg und 1468 in Konstanz. Die Kanonikate sowie Pfarrpfründen in Offenburg (1478) und Rusbach (1479)169 , sicherten ihm die finanzielle Grundlage für seine weitere Ausbildung.170 Durch seine Verwandtschaft war der junge Zollerngraf nicht nur frühzeitig in ein Netzwerk des Reichsepiskopats verwickelt, sondern durch seinen Vater Jos Niklas auch in den Kreisen des Hochadels vertraut, zählte sein Vater doch zu einem getreuen Gefolgsmann Kaiser Friedrichs III. Immer wieder versuchten seine Verwandten – wie etwa 1483 Kurfürst Albrecht Achilles von Brandenburg – Friedrich den Zugang zu einem Bischofsstuhl zu ermöglichen. Auch sein Vater war maßgeblich an der Karriereplanung des Sohnes beteiligt.171 Erst 1486, nachdem der Bischof von Augsburg, Friedrichs Onkel Johann von Werdenberg, auf dem Frankfurter Reichstag verstorben war, sollte sich aber eine neue Chance auf ein Bistum ergeben. Kaiser Friedrich III., König Maximilian und nahezu alle Kurfürsten bestimmten Friedrich zum Nachfolger. Denn mit der Ernennung des Zollerngrafen konnte Kaiser Friedrich sicher sein, dass die Habsburgischen Interessen in dem wichtigen Hochstift Augsburg unterstützt wurden. »Friedrich wurde also in das Feld des habsburgisch-wittelsbachischen Machtkampfes in Schwaben eingeschoben.«172 Er verdankt seine Ernennung, die am 21. März 1486 durch die Bestätigung des
169 Die Pfründe wurde von Kaiser Friedrich und dem Bischof von Forli vermittelt. Friedrich hatte nun vier Kirchenstellen aus verschiedenen Diözesen inne – ein Umstand, der allgemein gehandhabt wurde, jedoch kirchenrechtlich verboten war. Kritik an der Praktik der Pfründenkumulation hat etwa auch Einzug in Sebastian Brants Narrenschiff von 1494 gehalten: »Der ist eyn narr/wer hat eyn pfrun – Der er alleyn kum recht mag tun – Vnd ladt noch vff so vil der seck – Biß er den esel gantz ersteck«. Zit. nach Scheible, Johann: Volksprediger, Moralisten und frommer Unsinn. Sebastian Brandt’s Narrenschiff mit Geiler’s von Kaysersberg Predigten darüber und Thomas Murner’s Schelmenzunft, Stuttgart 1845, S. 386. 170 Vgl. Rummel, Peter: Friedrich, Graf von Hohenzollern, in: E. Gatz (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römisches Reiches 1448-1648, S. 198. 171 Ebd. 172 Zoepfl, Friedrich: Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Mittelalter, MünchenAugsburg 1956, S. 483.
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Domkapitels bekräftigt wurde,173 daher vor allem seiner und seiner Familie Loyalität gegenüber Kaiser und Reich.174 Doch auch Friedrichs theologische Eignung für das Amt wurde nicht in Zweifel gestellt. Seine Universitätsbesuche in Freiburg i.Br. und Erfurt nahm er gewissenhaft wahr, bekleidete an beiden Universitäten das Amt des Rektors.175 In Freiburg kam Friedrich auch in Kontakt mit Johannes Geiler von Kaisersberg, der an der Universität Theologie lehrte. Es entstand zwischen ihnen eine innige Freundschaft, die sich in Straßburg vertiefte, als Friedrich 1483 dort zum Domdekan ernannt wurde und Johannes Geiler als Prediger am Münster lehrte.176 Fortan gehörte Friedrich einem Kreis gelehrter Theologen an, die sich den humanistischen Lehren Geiler von Kaisersbergs anschlossen.177 Sein tiefgründiges theologisches Interesse und seinen Eifer demonstrierte er bei der Umsetzung seiner Amtsaufgaben: Es war ihm wichtig, die in Unordnung geratenen Straßburger Gottesdienste wieder mit Würde abzuhalten, weshalb Geiler in einem Brief vermerkt: »Da erbarmte sich Gott unser und schickte uns einen Hirten nach unserem Herzen, einen eifervollen, der auf die Herde acht hatte, besonders in Sachen des Kults. Der rief bald den einen, bald den anderen auf die Seite, hat, ermahnte, beschwor opportune, importune, wie ihm der Herr die Gnade gab.
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Das Augsburger Kapitel wählte Friedrich einheitlich zum Bischof. Natürlich befand sich das Augsburger Domkapitel aufgrund der Wahlempfehlungen der Habsburger und der Wittelsbacher – die einen zweiten Kandidaten vorschlugen – in einer schwierigen Lage. Schließlich entschied man sich für den kaiserlichen Kandidaten, in der Hoffnung, Augsburg stets von ihm begünstigt zu sehen und eben sein Wohlwollen zu erlangen. Vgl. hierzu F. Zoepfl: Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Mittelalter, S. 483. Am 25.04.1486 übertrug Kaiser Friedrich III. die Verwaltung der hochstiftischen Güter Augsburgs an Jos Niklas von Hohenzollern, bis dessen Sohn vom Papst bestätigt sein würde. Ein weiteres Zeichen für das große Vertrauen in die Zollernfamilie. Vgl. A. Schmidt: Humanistenbischöfe, S. 163-164. Friedrich absolvierte kein Auslandsstudium, was die Zeit noch in die Länge gezogen hätte. Vgl. Dreher, Theodor: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern, Bischof von Augsburg (1466-1505), in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern 18 (1884/1885), S. 1-64, hier S. 3. Zu Geiler von Kaisersberg und dem Einfluss des Humanismus siehe Steinmetz, RalfHenning: Die Rezeption antiker und humanistischer Literatur in den Predigten Geilers von Kaysersberg, in: McLelland, Nicola/Schiewer, Hans-Jochen/Schmitt, Stefanie (Hg.): Humanismus in der deutschen Literatur des Mittelalters und der Frühen Neuzeit: XVIII. Anglo-German Colloquium, Hofgeismar 2003, Tübingen 2008, S. 123-136.
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Aber wir waren eines solchen Hirten nicht wert, darum hat ihn Gott hinweg versetzt.«178 Als Friedrich zum Augsburger Bischof ernannt wurde, beglückwünschten ihn seine Straßburger Freunde: »[D]as hat Dir Dein heiliger Ernst, Dein Fleiß, Dein Wissen, Deine Rechtlichkeit eingetragen«179 . Allerdings scheuten sie auch nicht davor zurück, Friedrich allerhand Ratschläge zu erteilen, um das Amt gewissenhaft zu verkörpern und sich nicht an anderen Reichsbischöfen zu orientieren.180 Drastisch schreibt Geiler von Kaisersberg: »Wenn du in die Fußstapfen der Bischöfe unserer Tage trittst, und die Zahl der Pferde Dir eine wichtige Sache ist, so wird das kommen, was du schon oft von mir gehört hast. Ferner wenn du die Weise der Weltlinge nachahmst, Einladungen und fürstliche Vergnügungen liebst, die Diözese nicht visitierst, nicht die Laster beim Volke ausreißt, den Armen nicht auswirfst, was ihnen gehört, nicht für Dich das Geistige nimmst, das Irdische den anderen lässest, und ihnen nur das Ordinieren überlässest und anderen Bischofsgeschäften, wenn du nicht so bald als möglich unter den anderen Bischöfen ein Wunder, ein Phönix – bekanntlich ein seltener Vogel – werden wirst, so wäre es besser für Dich, du wärest gar nicht geboren.«181 Wie schwer die Beachtung dieser humanistischen Ratschläge im bischöflichen Alltag erscheint, erfährt Bischof Friedrich auf der Reichsversammlung. 178 179
T. Dreher: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern 18, S. 15. So Dr. Schott über Friedrichs Eignung für das Amt. Zit. nach T. Dreher: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern 18, S. 32. Möglicherweise eilte Friedrich bereits ein außerordentlich guter Ruf voraus. Im »Tagebuch« seines Hofkaplans heißt es: »gemain mit gar grosen frewden und begeren, demnach so gar vil tugent und erwirdigkayt von Im gesagt wart«. Zit. nach A. Steichele: Friedrich Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, und Johannes Geiler von Kaisersberg, S. 117. 180 »Höre immer auf das, was der Herr zu dir spricht, nicht was Fleisch und Blut Dir zusprechen. Denn: Inimici hominis domestici euis.« Ein Ratschlag Geilers von Kaysersberg, zit.n. T. Dreher: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern 18, S. 23. 181 Geiler von Kaisersberg an Friedrich 1486, zit.n. T. Dreher: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern 18, S. 27. Geiler von Kaysersberg gibt auch konkrete Anweisen, die sich an den mönchischen Lebensweisen früherer Heiliger orientieren: »Deine Pflichten werden künftig folgende sein: vor allem die Strengheiten gegen den Leib, dann reichliches und fortgesetztes Almosen; damit sei verbunden die Übung des Gebets und der Umgang nicht mit seinem Herrn, sondern mit heiligen Männern. Ein solches Leben mußt du anfangen, willst du im neuen Stande gerettet werden. Ich habe es zwar, wenn ich mich recht erinnere, noch bei keinem Bischof so gesehen.« Ebd. S. 28.
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Geschützt durch den vertraulichen Rahmen des Briefeschreibens eröffnet er seinem Freund und Mentor Johannes Geiler von Kaisersberg, dass er über seine derzeitige Position als Reichsbischof »nicht ohne Kummer denken«182 könne. Das Einbringen seiner persönlichen Moralvorstellungen in sein Bistum183 wie auch auf reichspolitischer Ebene erscheint ihm angesichts der Reichsordnung als aussichtsloser Kampf. Geilers Verweis auf einige heilige Männer184 , die sich Friedrich während seiner Amtszeit zum Vorbild nehmen soll, löst bei Friedrich Resignation aus: Die reichspolitischen Akteure erscheinen in seinen Augen unwürdig, mit solchen Männern könne man nicht verkehren, und überhaupt stecke die ganze Welt »bis auf den Grund und Boden in Argen«185 . Diese Haltung geht auch auf Friedrichs tägliche Erfahrungen aus seinem Augsburger Bischofshof hervor: Sein bewusst gelebter priesterlicher Lebensstil stößt unter seinen familiares auf Verwunderung, ja sogar auf demonstrative Ablehnung: »Scitote insuper, quod diebus apostolorum, beatae virginis et al.iis festivitatibus, dum me celebrare contingit, tota in rocketo indutus incedo; lectionem insuper capellanus meus in publica mensa continuat coram omni familia mea usque ad secundas epulas plus vel minus, iuxta conditionem vel materiae vel clericorum convivantium; quamvis familiares laici male contenti sint,
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T. Dreher: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern 19, S. 54. A. Steichele: Friedrich Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, und Johannes Geiler von Kaisersberg, S. 172: »Haec ex magna confidentia vobis scribo, quia non expedit, quid talia de superioribus meis scribam, quamvis illa et alia plura non sine animi amaritudine mente involvam.« 183 Friedrich sieht es als seine Amtspflicht an, sein Volk persönlich zu belehren. A. Steichele: Friedrich Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, und Johannes Geiler von Kaisersberg, S. 171: »Praeterea inter caetera sanctissima monita reperio unum, videlicet ut doceam populum, quia non minimum reputo seminare verbum Dei, sed cum hoc in pluribus admissum sit, quod quis non potest facere per se, faciat per alterum, quare ex isto capite rogo vos per amorem domini mei Jesu Christi, ut mihi ostendatis, si sit via aliqua idonea invenienda, vos tanquam praeceptorem et coadiutorem mecum permanere pro me pabula ovibus in ecclesia mea praebere«. 184 Es bleibt unklar, welche Männer hier genau gemeint sind. 185 T. Dreher: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern 19, S. 52/53. A. Steichele: Friedrich Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, und Johannes Geiler von Kaisersberg, S. 171: »Caeterum cum describitis sanctissimos et praesantissimos viros, quales se exhibuerint erga reges Aegyptios, fornicantes, avaros etc., tantam gratiam ego indignus non mereor, sed etiam credo, quod maledictum regimen regum ac principum (sed ex proiacenti iracundia loquor) non mereatur a Deo tales habere, cum totus mundus in omni iniquitate submersus sit usque in profundum.«
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quod advertere cum silentio ea, quae non intelligant, cogantur. Non tamen ad jactantiam haec scribo, sed literis vestris, quibus id a me scire postulastis, obedio et respondeo.«186 Damit wird für Friedrich die konkrete Bedrohung für sein Seelenheil, die sich in der Ausübung des Amtes verbirgt, immer deutlicher fassbar. Denn ein grundsätzlich klerikal ausgerichteter Lebenswandel, wie er ihn dereinst als Domdekan in Straßburg gemeinsam mit seinen humanistischen Freunden ausleben konnte, erscheint in der Position als Kirchenfürst nicht mehr möglich.187 Friedrich spricht im Brief von seinen Bemühungen, sich in das neue Leben einzugewöhnen und sich bis zu einem gewissen Grad umzuorientieren. Gleichwohl sind seine Unzufriedenheit mit seiner Situation und eine Herrschaftskritik deutlich erkennbar. »Ego quasi ovis, quae periit, expecto vos reductorem meum de via deserta et inaquosa.« – »Ich bin wie ein Schaf, das in die Irre ging, ich erwarte Sie, als meinen Hirten, der mich aus der Wüste zurückführt«188 , schreibt er schon fast verzweifelt an Geiler und wiederholt mehrfach die Bitte, dieser möge ihn in Augsburg persönlich unterstützen.189 Gerade die doppelte Rolle als geistlicher Oberhirte und Fürst fordert Friedrich
186 A. Steichele: Friedrich Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, und Johannes Geiler von Kaisersberg, S. 172. 187 Ebd. S. 170/171: »Quibus gaudiis ac consolationibus animi de literis vestris, difficile est mihi perscribere, cum summum et intimum sollicitatorem aeternae meae salutis prius in sermone, nunc in scriptis intelligam, et revera sicut vita animae meae in vervo Dei, quod de ore vestro benedicto processit, quotidie alimenta sua sumpsit, sic cum nunc privor istis mellifluis doctrinis, quotidie deficit anima mea, quae vix semiviva remanet, utinam non totaliter mortura; […]«. 188 T. Dreher: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern 19, S. 53. Dazu bei A. Steichele: Friedrich Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, und Johannes Geiler von Kaisersberg, S. 171: »quare dico scriptis vestris reviviscere spiritum meum, et in veritate credite, maximum onus mihi impositum levissimum mihi videretur, si talem praeceptorem ac directorem haberem, qui ex variis curis me sepissime relevaret.« 189 So möchte Friedrich in Augsburg eine Predigerstelle für Geiler von Kaisersberg einrichten: A. Steichele: Friedrich Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, und Johannes Geiler von Kaisersberg, S. 171/172: »Sum enim illius intentionis (vestro tamen consilio), erigendi praedicaturam in ecclesia mea cathedrali, si bonum et idoneum praedicatorem reperiam, qui consulere et docere viam domini in hac valle lacrymarum et sciret et vellet; qualem praeter vos ducem et praecessorem meum difficile, immo impossibile est sperare.«
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als bischöfliches Subjekt heraus. Hilfesuchend wendet er sich in seinem Identitätsdilemma auch an seine alten Weggefährten aus Straßburger Zeit. Die Antwort des Freundes Dr. Peter Schott190 wird daraufhin zur Grundprämisse seiner Amtsverkörperung: »Du wirst den Fürsten gebrauchen, um Gottes Willen zu thun.«191 Am Ende gelingt es Bischof Friedrich von Zollern sein Amt dahingehend auszufüllen, dass er die proklamierten Erwartungen der unterschiedlichen sozialen Handlungsfelder zufriedenstellend bedient und seine eigenen humanistisch geprägten Überzeugungen und Werte nicht verrät. So berichtet sein Hofkaplan darüber, dass Friedrich der kaiserlichen Einladung zum Nürnberger Reichstag erst nach Ostern Folge leistete, »so er die heyl. Zeyt nit gern außer seiner kirch was«192 . Dafür jedoch war er einer der letzten, der den Kaiser verließ, »das er erschin als eyn gehorsamer dem Römischen kayser und Reych«193 . Dabei verzichtete er auch nicht auf weltlichen Prunk, wie es Geiler von Kaisersberg doch gerne gesehen hätte: Sein Gefolge bestand aus einer stattlichen Anzahl an Räten, Edelherren und Hofgesinde sowie 70 Pferden.194 Für Friedrich war es eine Selbstverständlichkeit, während des Reichstages häufig die Messe zu lesen.195 Es liegt auf der Hand, dass sein Kaplan in Friedrichs Nachruf zweifelhafte Äußerungen zu Friedrichs Gewandung ungenannt lässt. Stattdessen betont er: »es ward mein gnd. Her auf den angemelten Hof gelopt und gepreyßt von geistlichen und weltlichen Fürsten und andern Hern 190 Zu Peter Schott dem Jüngeren siehe Knod, Gustav Carl: Schott, Peter, in: Allgemeine Deutsche Biographie 32, Leipzig 1891, S. 406f.; Israel, Uwe: Schott, Peter d. J., in: Neue Deutsche Biographie 23, Berlin 2007, S, 495-496. Auch: Schott, Peter: The works of Peter Schott (1460-1490), Bd. 1: Introduction and text, ed. by Murray A. and Marian L. Cowie, Chapel Hill 1963; Bd. 2: Commentary, Chapel Hill 1971; Herding, Otto: Bemerkungen zu den Briefen des Peter Schott (1460-1490) anläßlich einer Neuausgabe, in: Archiv für Kulturgeschichte 46 (1964), S. 113-126. 191 Zit. nach T. Dreher: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern 18, S. 28. Das Original ist nicht auffindbar. 192 A. Steichele: Friedrich Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, und Johannes Geiler von Kaisersberg, S. 126. 193 Ebd. S. 128. 194 Vgl. Ebd. S. 126. 195 Vgl. A. Steichele: Friedrich Graf von Zollern, Bischof von Augsburg, und Johannes Geiler von Kaisersberg, S. 127. Sein Kaplan berichtet: »mein gnd. Her sang das Ampt under der Infel an den heil. Pfingsttag ze unser lieben Frawen in beywesen Markgraf Hannß von Brandenburg Kurfürst, Margraf Friderich und Margraf Sigmunds von Brandenburg, all drey Geprudern. Item mein gnd. Her sang auch das Ampt under der Infel zu den Predigern in irer Kirchweych.«
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und Edelleut, auch gemeinen Volk für den aller wol gethonesten Fürsten in seinem Stand«196 . Friedrichs Auftreten in Nürnberg, seine vermeintlich ›falsche‹ Kleiderwahl, kann daher als ein Akt verstanden werden, durch welchen der Bischof seine Funktion als christlicher Hirte demonstrierte, zwar treu im Dienste des Reiches stehend, doch gleichzeitig – und möglicherweise auch gleichwertig – ein Diener des Herrn. Ob der Kaiser an Friedrichs Auftreten genauso Anstoß nahm wie es die anderen Anwesenden taten, kann nicht gesagt werden. Seine Beziehung zu dem Zollerngrafen scheint sich dadurch nicht getrübt zu haben. Friedrich besuchte im Verlauf seiner Regentschaft nicht nur eine Vielzahl an Reichstagen, sondern stand der kaiserlichen Sache auch mit Waffenhilfe zur Verfügung. 1488 unterstützte er Friedrich III. bei dessen Fehden mit Brügge und Flandern mit Geld, Fußknechten und Pferden – teilweise in sehr hohen Zahlen.197 Im Dezember desselben Jahres traten er und das Augsburger Kapitel auf Wunsch und Gebot des Kaisers dem Schwäbischen Bund – einem Bündnis gegen die Übergriffe der Wittelsbacher – bei.198 Insgesamt scheint Friedrich von Zollern in den Augen seiner Zeitgenossen seine Sache gut gemacht zu haben.199 Eine handschriftliche Chronik über die Augsburger Bischöfe schreibt über ihn: »Er war ein reiner, keuscher, jungfräulicher, frommer Herr, in dem gar kein Hoffart oder Stolz war, sondern bei männiglichen wohl geehrt und lieb gehalten, und braucht die Zeit seiner Regierung in all seinem Thun und Lassen so viel Sorg und Fürsichtigkeit, daß er das Bistum dadurch großlich bescheert und zunehmen thät.«200
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Ebd. S. 127. Friedrichs Kaplan berichtet davon in seinem Tagebuch. Vgl. Ebd. S. 132. Vgl. F. Zoepfl: Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Mittelalter, S. 492. Einziger Kritikpunkt: »…daß er in Kriegszeiten seine Untertanen unerbittlich besteuerte, auch Witwen mit Waisen«, so F. Zoepfl: Das Bistum Augsburg und seine Bischöfe im Mittelalter, S. 506. 200 Handschriftliche Chronik der Bischöfe von Augsburg (Hdschr. Der Münchener Reichsund Staatsbibliothek Nr. 1714. Fol. 106b.), zitiert nach Dreher, Theodor: Das Tagebuch des Friedrich von Hohenzollern, Bischof von Augsburg (1486-1505), in: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Altertumskunde in Hohenzollern 21 (1887/1888), S. 4992, hier S. 90.
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Letztlich wurde seine identitäre Krise durch die Ablehnung seines Selbstbilds ausgelöst, das sich in seiner bischöflichen Gewandung manifestierte, die nicht zu jeder Gelegenheit präsentierbar erschien. Jedenfalls erschien das Thema der Kleidung äußerst geeignet, um in den bischöflichen Lebensbeschreibungen Bischofsbilder zu präsentieren und zu hinterfragen. Doch wenn die subjektiven, bischöflichen Wertvorstellungen mit den Erwartungen anderer im Konflikt standen, mussten die Folgen freilich nicht zwangsläufig eine innere Zerissenheit und Selbstzweifel sein. Die Merseburger Chronik etwa berichtet von einem Bischof, der, angesprochen auf seine unpassende Gewandung, zwar Bereitschaft zum Umdenken signalisiert, sich aber selbst in seinem Identitätsanspruch behauptet. Johannes von Werder erlangte 1463 (oder 1464) den Bischofsstuhl Merseburgs201 . Zu diesem Zeitpunkt war er bereits im fortgeschrittenen Alter: »vir utique pius et mansuetus, etsi senio gravatus, communi tamen senum vicio non deditus.«202 Johann war Domherr in Meißen und Halberstadt, doch seinen eigentlichen Karriereweg machte er in seinem Heimatort Merseburg. Als Mitglied des dortigen Domkapitels war er zunächst Kantor (1433, dann bereits zum Subdiakon geweiht), wurde 1444 Dekan und spätestens 1453 Dompropst. Die Chronik nennt ihn einen alten »Hofmann«203 , wohl in Anspielung darauf, dass er sowohl Fähigkeiten in der geistlichen Leitung der Kirche als auch in der Vermögensverwaltung hatte: Unter Papst Eugen IV. war er RotaNotar und Prokurator gewesen. Insgesamt betrachtet, hatte er eine traditionelle Kirchenkarriere hinter sich, die ihm Erfahrungsreichtum und Ansehen bei Papst und Bistum bescherte. Über ihn berichtet die rückblickend im 16. Jahrhundert verfasste Merseburger Bischofschronik folgende Episode204 : Offenbar hatte Johannes von 201 Zu Johannes von Werder siehe Brodkorb, Clemens: Werder, Johannes von, in: E. Gatz (Hg.): Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, S. 748. 202 MGH SS X, S. 208. 203 Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 46. MGH SS X, S. 208: »curtisanus vetulus«. 204 Vgl. MGH SS X, S. 208: »Qui cum a consiliariis persuasum haberet, quatenus vestem preciosam compararet, si quando ipsum cum principius aut maioribus natu fore contingeret, nobili ut veste trabeatus incederet, pelliparum quidam nomine Claws Ultzsch concivem accersiri fecit; quanti schubam de mardi aut zabello exhiberet qualiterve sive pro quanta pecunia comparari posset, sciscitabatur. Eo respondente pro 70 florenis vel supra, fertur benignum presulem dixisse: Absit a me sanctorum Iohannis et Laurencii bona adeo perpere pro unica veste dilapidare. Aries nobili vellere vestitus incedit; de eiusdem generis pellibus que vulgo ctzschmaschen vocitantur, fac tu mihi schubam.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
Werder als Domherr die Gewohnheit, einen Talar von gelber Farbe205 zu tragen. Doch ein solches Gewand war nicht mehr angebracht, als er Bischof wurde. So ließ er sich überreden206 , ein kostbareres Kleidungsstück zu kaufen, »auf daß er, wenn er mit Fürsten oder würdigen Personen zusammen wäre, im prächtigen Kleide einherginge«. Persönlich ging er zu einem Kürschner in Merseburg. Als er jedoch den hohen Preis für »eine Schaube von Marder oder Zobel« erfuhr, soll der Bischof geantwortet haben: »Das sei ferne von mir, die Gelder des heiligen Johannes und Laurentius töricht für so ein einziges Kleid zu verschwenden. Der Widder207 schreitet einher mit edlem Felle bekleidet von der Art, welche Ctzmachen [Lammfell] genannt werden. Mache Du mir von solchem eine Schaube208 . Und wenn einer mit hochgezogenen Augenbrauen mich nicht sehen mag, so mag die Sache gehen wie sie will, und er mag bei seiner Meinung bleiben.«209 Die didaktische Absicht dieser anschaulichen Narration ist unverkennbar: Das einfache, gelbe Priestergewand210 des Bischofs wird vom Chronisten als
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Si quis elato supercilio me nin noscere curat, eat res ut volet; stet opinione sua contentus.« Vgl. MGH SS X, S. 208: »humilis tamen, humili veste talari flavi coloris incedens.« O. Rademacher übersetzt »flavi« mit »gelb«, siehe Merseburger Bischofschronik, S. 47. Zur Farbsymbolik: Suntrup, Rudolf: Farbe, Färber, Farbensymbolik, 2. Farbvorkommen; Beispiele der Auslegung, in: Lexikon des Mittelalters 4, München 2002, Sp. 290-291; Meier, Christel/Suntrup, Rudolf: Zum Lexikon der Farbenbedeutungen im Mittelalter. Einführung zu Gegenstand und Methoden sowie Probeartikel zum Farbenbereich ,Rot‹, in: Frühmittelalterliche Studien 21 (1987), S. 390-478; Meier, Christel: Die Bedeutung der Farben im Werk Hildegards von Bingen, in: Frühmittelalterliche Studien 6 (1972), S. 245-355; Skard, Sigmund: The Use of Color in Literature: A Survey of Research, in: Proceedings of the American Philosophical Society 90/3 (1946), 163-249. Vgl. MGH SS X, S. 208: »cum a consiliariis persuasum haberet«. Der Widder ist das Wappentier der von Werder. Zur Schaube vgl. Vavra, Elisabeth: Schaube, in: Lexikon des Mittelalters 7, Sp. 1443. Ferner: Bringemeier, Martha: Priester- und Gelehrtenkleidung. Ein Beitrag zur geistesgeschichtlichen Kostümforschung, Münster 1974; Eisenbart, Liselotte Constanze: Kleiderordnungen der deutschen Städte zw. 1350 und 1700, Göttingen 1962. Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 47. Zu den liturgischen Gewändern siehe Bock, Franz: Geschichte der liturgischen Gewänder des Mittelalters, 3 Bde., Graz 1970 (Nachdruck von 1856-71); Braun, Joseph: Die liturgische Gewandung im Occident und Orient. Nach Ursprung und Entwicklung, Verwendung und Symbolik, Darmstadt 1964 (Nachdruck von 1907); Klausner, Theodor: Der Ursprung der bischöflichen Insignien und Ehrenrechte, in: Ders.: Gesammelte Arbeiten zur Liturgiegeschichte, Kirchengeschichte und christliche Archäologie, Münster 1974,
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Ausdruck seiner Demut und Bescheidenheit interpretiert.211 Interessant ist die Wahl der Farbe, gilt sie in ihrer Symbolik doch als problematisch. Als Farbe der Ausgegrenzten findet sie im westlichen Abendland selten Einsatz in der Herrschaftsrepräsentation. Im christlichen Kontext allerdings wird Petrus mit einem gelben Mantel212 dargestellt, wie auch der Erzengel Gabriel bei der Verkündung Christi Geburt gelb gewandet ist. Die Farbe kann in ihrer symbolischen Bedeutung auch für Mäßigung und Buße stehen.213 Ausschlaggebend erscheint jedoch der explizite Wunsch des Kirchenmannes, ein solch bescheidenes Gewand von eben jener Farbe zu tragen. Mit dem Aufstieg in eine neue Position verändert sich dieser habitualisierte Wunsch nicht: Statt Marder oder Zobel, wie es für herrschaftliche Gewänder üblich wäre, wählt Johannes von Werder das Lammfell als Futterstoff, womit es dem Chronisten gelingt in allegorischer Deutung auf Jesus Christus (Agnus Dei214 ) zu verweisen. Wird Kleidung als »Medium intersubjektiver Selbstverortung« verstanden, wie es Jan Keupp herausgearbeitet hat, so stellt sich Johannes von Werder selbst als ein Subjekt heraus, das der Identitätszuschreibung durch prunkvolle Kleidung nicht bedarf. In gewisser Weise kann er neuzeitlich gesprochen als ein ›autonomes Subjekt‹ gedeutet werden, das sich selbstbewusst auf seine (innere) Kompetenz zum ›Bischof-Sein‹ verlässt und auf das Reflexionsvermögen der Anderen vertraut. Johann möchte die Würde des Amtes nicht an vordefinierten adeligen Äußerlichkeiten manifestieren, sondern an demü-
S. 195-211 und insbesondere Engels, Odilo: Der Pontifikatsantritt und seine Zeichen, in: Segni e riti nella chiesa altomedievale occidentale 33 (1987), S. 707-766. 211 Übersetzung nach O. Rademacher: Merseburger Bischofschronik, S. 47: »doch war er demütig und ging in geringem Kleide […] einher«. 212 Vgl. Gage, John: Kulturgeschichte der Farbe: Von der Antike bis zur Gegenwart, Leipzig 1993, S. 71. Siehe auch: Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen, Berlin 2014. 213 Vgl. Meier, Christel: Gemma spiritalis. Methode und Gebrauch der Edelsteinallegorese vom frühen Christentum bis ins 18. Jahrhundert, Teil 1, München 1977. 214 Dazu Meinecke, Franz: Das Symbol des apokalyptischen Christuslammes als Triumphbekenntnis der Reichskirche, Straßburg 1908; Molsdorf, Wilhelm: Christliche Symbolik der mittelalterlichen Kunst, Graz 1964 (Nachdruck von 1926); Nikolasch, Franz: Das Lamm als Christussymbol in den Schriften der Väter (Wiener Beiträge zur Theologie 3), Wien 1963.
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
tigen und bescheidenen Charaktereigenschaften, die ganz in der Tradition heiliger Kirchenmänner stehen.215 Allerdings ist die Ablehnung der äußeren Standeszeichen eine nicht normkonforme Handlung, »verband sich mit der äußeren Aufmachung [doch] die Inklusion in eine überzeitlich präsente Gesellschaft Gleichgekleideter.«216 Der Bischof vertritt seinen eigenen Standpunkt und verhält sich eigensinnig217 , gerade in dem Moment, da Andere ihn zur Einhaltung der (fürstlichen) Standesgepflogenheiten auffordern, denen Johannes von Werder als bischöflicher Herrschaftsträger (zwangsläufig) unterworfen ist. »Eigensinnige Subjekte […] können sich zwar nicht dafür entscheiden, nicht angerufen zu werden – wohl aber dafür, dem Ruf nicht in der erwarteten Weise zu folgen; sie unternehmen eine »Wendung, die […] eine Abwendung ist« […] und herrschende Regeln und Evidenzen in Frage stellt.«218 Durchaus steht diese Erzählung um Bischof Johannes in einer gewissen Tradition. Auch über Karl den Großen berichtet sein Biograf Notker, er habe einfache und geringe Gewänder allein aus praktischen Gründen bevorzugt. Anschaulich erfährt der Leser von Notker, dass Karl im Schafspelz gekleidet der einzige seiner Jagdbegleiter war, der aufgrund seiner Kleiderwahl keine Probleme hatte, an einem kühlen Regentag seinen Körper warm und trocken
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Siehe dazu O. Engels: Der Reichsbischof. J. Keupp: Die Wahl des Gewandes, S. 163. Vgl. zum Begriff Eigensinn in der Geschichtswissenschaft Lüdtke, Alf: Geschichte und Eigensinn, in: Berliner Geschichtswerkstatt (Hg.): Alltagskultur, Subjektivität und Geschichte. Zur Theorie und Praxis der Alltagsgeschichte, Münster 1994, S. 139-153; Eichorn, Jaana: Geschichtswissenschaft zwischen Tradition und Innovation. Diskurse, Institutionen und Machtstrukturen der bundesdeutschen Frühneuzeitforschung, Göttingen 2006, S. 230-247; Lüdtke, Alf: Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeitererfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993; Schindler, Norbert: Widerspenstige Leute, Frankfurt a.M. 1992. Graefe, Stefanie: Effekt, Stützpunkt, Überzähliges? Subjektivität zwischen hegemonialer Rationalität und Eigensinn, in: Angermüller, Johannes/Dyk, Silke van: Diskursanalyse meets Gouvernementalitätsforschung: Pespektiven auf das Verhältnis von Subjekt, Sprache, Macht und Wissen, Frankfurt a.M. 2010, S. 289-313, hier S. 292.
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zu halten.219 Karl waren demnach nicht Prunk und Pracht in seiner äußerlichen Repräsentanz von Bedeutung, sondern die Funktionalität.220 Mit der Schilderung des eigensinnigen Verhaltens des Bischofs ist es dem Chronisten gelungen, einen Herrschaftsträger mit starker Persönlichkeit zu zeichnen, der sich in seiner (kurzen) Regierungszeit sehr um seine Kirche sorgte.221 Denn dieses Verhalten hat – trotz aller Nonkonformität – Vorbildcharakter, da der Bischof in seiner Bescheidenheit und in seiner Sorge um die finanzielle Situation seines Bistums auf ein kostbares, und damit teures, Gewand verzichtete. Die Gelder seiner Kirche sollten nicht für den Bischof persönlich eingesetzt werden.222 Eine solche Haltung hat durchaus ihre Tradition und so nimmt sich auch Johannes von Werder das Recht zur individuellen Ausgestaltung des Amtes ganz zum Wohle seines Bistums. Das Beispiel verdeutlicht sehr gut, dass des Bischofs Eigensinn als eine »konkrete widerspenstige Praxis« der Subjekte verstanden werden kann, »die herrschende Regeln, Normen, Konventionen oder Gesetze vorübergehend oder nachhaltig unterläuft.«223 Während allerdings die Bischöfe Friedrich und Johann durch das Tragen der geistlichen Gewänder demonstrieren, dass sie ihren persönlichen Schwerpunkt auf die geistliche Sendung des Amtes legen, gibt es auch gegenteilige Beispiele. Nicht selten berichten die Chronikschreiber davon, dass der Bischof höchst selten in seinen Pontifikalgewändern anzutreffen sei. Der Geschichtsschreiber Gobelin Person224 etwa berichtet, dass Heinrich von Spiegel 219
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Vgl. Notkeri Gesta Karoli II, 17: »Erat autem ymbrifera dies et frigida. Et ipse quidem Karolus hebebat pellicium berbicinum non multo amplioris precii, quam erat roccus ille sancti Martini, quo pectus ambitus nudi barchiis Deo sacrificium obtulisse astipulatione divina comprobatur«, aus: Notker der Stammler: Taten Kaiser Karls des Großen, hg. von Hans F. Haefele (MGH Script. rer. Germ. N.S. 12), Berlin 1959 (ND 1980), S. 86. Notkeri Gesta Karoli II, 17: Zu seinen Begleitern sagte Karl: »O stolidissimi mortalium! Quod pellicium modo preciosius et utilius, istudine meum uni solido comparatum an illa vestra non solum libris sed et multis coempta talentis?«, aus: Notker der Stammler: Taten Kaiser Karls des Großen, S. 87. So C. Brodkorb: Werder, Johannes von, S. 748. Vgl. MGH SS X, S. 208: »Absit a me sanctorum Iohannis et Laurencii bona adeo perpere pro unica veste dilapidare«, ruft Joahnnes aus. S. Graefe: Effekt, Stützpunkt, Überzähliges?, S. 292. Zu Person siehe Daniels, Tobias/Schwarz, Brigide: Die Karriere des Gobelin Person, in: Westfälische Zeitschrift 164 (2014), S. 129-150; Schmalor, Hermann-Josef: Gobelin Person (1358-1421), in: Strupperich, Robert (Hg.): Westfälische Lebensbilder 16, Münster 2000, S. 9-30; Honselmann, Klemens: Gobelin Person, in: Neue Deutsche Biographie 2, Berlin 1964, S. 491f.; Jansen, Max (Hg.): Cosmidromius Gobelini Person. Als Anhang:
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
zum Desenberg (1361-1380)225 , Bischof von Paderborn, hauptsächlich seinen Waffenrock trug. Der einstige Abt des Benediktinerklosters Corvey verstand sein Amt in den Pflichten des Fürsten und Landesherrn. Als Bischof pflegte er einen fürstlichen Lebensstil, residierte auf Schloss Neuhaus, statt im vorgegebenen Bischofshof zu leben. Für Heinrichs Nachfolger Simon, Graf von Sternberg (1380 – 1389)226 , ist sogar bewiesen, dass er nur zweimal in seiner neunjährigen Regierung die fürstlichen Gewänder durch geistliche austauschte. Kritik an dieser dezidiert weltlichen Bischofsperformanz ignorierten die meisten Kirchenfürsten. Ein Nachdenken über ein mögliches Fehlverhalten in der Wahl des Gewandes setzt bei dem Magdeburger Erzbischof Günther von Schwarzburg beispielsweise erst sehr spät ein.227 Im 36. Jahr seiner Herrschaft »nach seiner Züchtigung und Besserung«228 feierte er zum ersten Mal die Messe. »Man hatte ihm, diese lange Vernachläßigung derselben, und gewiß nicht mit Unrecht, sehr übel gedeutet,« schreibt Friedrich Wilhelm Hoffmann im 19. Jahrhundert in seiner Geschichte der Stadt Magdeburg. »[A]uch gab er durch seine unziemliche, ganz den canonischen Gesetzen zuwider laufende weltliche Kleidung, die er sogar während des Gottesdienstes trug, ein großes Aergerniß.«229 Insgesamt betrachtet verdeutlicht gerade das Beispiel Friedrich von Zollern, dass bei der Formierung in ein bischöfliches Subjekt Reibungen durch differente (Wert)Vorstellungen entstehen und damit zum Problempunkt in der Subjektivierung werden (können). Dies kann sowohl zum kritischen Nachdenken über das eigene Selbstbild, und damit zu einer Verhaltensänderung führen als auch zum eigensinnigen Beharren und zur Identitätsbehauptung. Auf diese Weise verweisen die Beispiele auf ein genuines Spannungsverhältnis zwischen Anpassung und Eigensinn in der Bischofsverkörperung.
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Processus translacionis et reformacionis monasteri Budecensis (Veröffentlichungen der Historischen Kommission der Provinz Westfalen 7), Münster 1900. Vgl. Hengst, Karl: Heinrich von Spiegel zum Desenber [OSB], in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1198 bis 1448, S. 148-152. Vgl. Hengst, Karl: Simon, Graf von Sternberg († 1389), in: E. Gatz: Die Bischöfe des Heiligen Römischen Reiches 1448 bis 1648, S. 544-545; Brandt, Hans Jürgen/Hengst, Karl: Die Bischöfe und Erzbischöfe von Paderborn, Paderborn 1984, S. 154-155. Vgl. MHG SS XIV, S. 465. Übersetzung nach H. Michaëlis: Magdeburger Bischofschronik, S. 250. F. W. Hofmann: Geschichte der Stadt Magdeburg, S. 380/381.
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17. Zusammenfassung Der Fokus dieses Kapitels lag auf den besonderen Herausforderungen, auf Problemen und Störungen, mit denen sich ein mittelalterlicher Kirchenfürst konfrontiert sehen konnte bzw. die sich im Laufe seiner Regierung entwickelten. Gefragt wurde nach den Reaktionen der Herrschaftsträger auf diese Beeinträchtigungen, den daraus möglichen Rückschlüssen in Bezug auf das bischöfliche Selbstbild sowie nach der chronikalischen Bewertung. Als mögliche Probleme, die das Potenzial zur Beeinträchtigung der bischöflichen Regierungsfähigkeit besaßen, konnten zum einen Krankheit und Lebensalter identifiziert werden. Da das Bischofsamt ein Amt auf Lebenszeit war, ist das Auftreten dieser Beeinträchtigung nur natürlich und nicht selten, allerdings konnte sie zuweilen eine Bedrohung der Herrschaft darstellen. Die Erzählberichte aus Bremen lieferten zwei mögliche Modelle, wie ein bischöflicher Herrschaftsträger auf seinen geschwächten Zustand reagieren konnte: Der gehorsame Ausharrer, den nur Gott allein von seinen irdischen Aufgaben entbinden kann, und der vorzeitige Abbrecher, der weiterhin eine funktionierende Regierung gewährleisten will. Auch das Erkennen, dass die (realpolitischen) Anforderungen des Bischofsamtes die eigenen Kompetenzen – auch bei tadelloser Gesundheit – übersteigt, ist ein weiteres mögliches Problem in der Bischofsregierung, wie auch eine wahrnehmbare Diskrepanz zwischen mitgebrachten habituellen Dispositionen und vorherrschenden Haltungen und Erwartungen im Regierungsfeld. Damit machen die historischen Chronisten vor allem auf die Notwendigkeit einer permanenten kritischen Selbstbefragung nach der persönlichen Eignung für das Bischofsamt aufmerksam. Praktiken der Reflexivität fallen in den Blick und erhalten in der erzählerischen Ausgestaltung eine Bedeutung. Der Bischof musste seine Fähigkeiten zur Regierung kritisch hinterfragen, um die Herrschaft nicht zu gefährden. Praktiken der Reflexivität veranschaulichen daher im mittelalterlichen Verständnis Herrschaftskompetenz. Ein Nachdenken über die eigene Situation wird auch dann ausgelöst, wenn sich die Reichsbischöfe mit spezifischen Störungen konfrontiert sahen. Störende Erfahrungen hatten ihren Effekt auf das zukünftige Verhalten der Betroffenen und konnten eine Umorientierung auslösen. Mit Peter von Brünn und Friedrich von Zollern konnte etwa gezeigt werden, dass die Bischöfe fortan bemüht waren, ihr Verhalten an die gemachten Erfahrungen anzupassen. Bei Johannes von Werder hingegen führten die Erfahrungen
Besondere Herausforderungen im Aushandlungsprozess
zu einer eigenwilligen Selbstbehauptung im vollen Wissen, entgegen den proklamierten Erwartungen zu handeln. Deutlich geworden ist in der Untersuchung damit die spezielle Verflechtung zwischen Ausgrenzung und Anerkennung, aber auch zwischen Anpassung und Eigensinn, die in der Bischofsperformanz vorliegt.
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Schlussbetrachtung
Diese Untersuchung schließt an die subjektivierungs- und praxistheoretischen Forschungsfragen nach der Subjektwerdung an und folgt der These, dass nicht nur moderne Akteure, sondern auch die mittelalterlichen Herrschafts- und kirchlichen Würdenträger sich »in den ›Spielzügen‹ diskursiver und nicht-diskursiver Praktiken«1 als Subjekte bildeten und (er)schufen, indem sie eine gesellschaftlich anerkannte Subjektform annahmen, die bestimmten normativen Forderungen entsprach. Das Ziel der Arbeit war es zu untersuchen, wie die mittelalterlichen Reichsbischöfe sich zu Subjekten formten (bzw. auch geformt wurden) und sich in ihrem täglichen Tun als solche anerkennbar machten und positionierten. Quellengrundlage der Untersuchung war die Bistumsgeschichtsschreibung. Diese historischen Erzählungen wurden mit der Absicht verfasst, zukünftigen Bischöfen und Bischofswählern Beispielbilder zu liefern, wie ein kirchlicher Würdenträger nach zeitgenössischer Auffassung zu handeln bzw. nicht zu handeln hatte. Bei dieser didaktischen Verfasserabsicht steht in den Werken die Beschreibung und Bewertung von Praktiken der dargestellten historischen Personen unmittelbar in Verbindung mit einer versuchten Einflussnahme auf die Selbstbildung zeitgenössischer oder späterer Rezipienten. Es können auf dieser Quellengrundlage so auch keine realen Praktiken beobachtet und untersucht werden, sondern nur bereits literarisch verarbeitete. Durch die Augen der historischen Chronisten ist es dem Mittelalterhistoriker dennoch möglich Verhaltensweisen, Praktiken, Anpassungsbemühungen oder Umorientierungen zu beobachten. Die Gefahr der Fiktionalität, die in den bischöflichen Lebensberichten durchaus enthalten ist, kann insofern in Kauf genommen werden, als die wiedergegebenen Subjektivierungsprozesse
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erkennen lassen, welche Verkörperungen in der damaligen Zeit möglich und denkbar waren. Eine generelle Frage an die Quellen lautete, inwieweit die historischen Chronisten überhaupt Selbstbildungsprozesse in ihren Erzählentwürfen aufgriffen, präsentierten und problematisierten. Die identifizierten Beispiele konnten drei Schlagwörtern der praxistheoretischen Forschungskonzepte zugeordnet werden: Formierung, Aushandlung und Nicht-Passung. Mit Blick auf die Formierung (Kapitel 3) konnte herausgestellt werden, dass zu einer Bischofswerdung in einer historischen Praxisgegenwart durchaus Prozesse des Übens und Trainierens gehörten. Der Akzent wird hierbei auf die Eigenverantwortung des Bischofs gelegt, der seine Bereitschaft zum täglichen Üben, zum täglichen ›Sich-selbst-zum-Bischof-machen‹ zeigen musste. Konkrete ›Trainingsphasen‹ ermöglichten, vorzugsweise in der Adaption religiös-überhöhter, mönchischer Praktiken, die Formierung in das Subjekt eines disziplinierten, fleißigen und frommen kirchlichen Amtsinhabers. Selbstdisziplin und Selbstbeherrschung erscheinen als Merkmale eines solchen positiv ausgedeuteten geistlichen Würdenträgers. Gleichzeitig haben diese Verhaltensorientierungen auch Auswirkungen auf den nicht-religiösen Praxisbereich: Trainieren und Einüben als spezielle Selbsttechniken werden ebenso mit weltlichen Praktiken, wie Wirtschaftsführung und Kampfeinsatz, verknüpft. Bischöfe, die eine solche Selbstbildung präsentierten, demonstrierten damit– so verdeutlichen es die historischen Chronisten – ihre Herrschaftskompetenz. Der zweite Untersuchungskomplex (Kapitel 4) ging der Frage nach, inwieweit die Chronisten davon berichten, wie die historischen Reichsbischöfe sich in ihren Regierungshandlungen, mit ihren unterschiedlichen Handlungspartnern und in unterschiedlichen Handlungsfeldern als bischöfliche Herrschersubjekte aushandelten und anerkennbar machten. Es konnte deutlich gemacht werden, dass die Erzählberichte durchaus die Positionierung ihrer Protagonisten als bischöfliche Herrschersubjekte in der Interaktion mit anderen Teilnehmern eines sozialen Handlungsfeldes aufgreifen und auf diese Weise die gesellschaftliche Mitspielfähigkeit der Bischöfe thematisieren. Die Subjektivierung erweist sich dabei als abhängig von den spezifischen Situationen und den beteiligten Akteuren. Die Chronisten greifen in ihren literarischen Erzählentwürfen speziell auch das Wechselspiel zwischen Ausgrenzung und Anerkennung, aber auch zwischen Anpassung und Eigensinn in mittelalterlichen Herrschaftsverhältnissen auf.
Schlussbetrachtung
Bestandteil von Subjektivierungsprozessen sind auch Situationen, die durch Probleme und Störungen gekennzeichnet sind und die eine NichtPassung der Akteure sichtbar werden lassen. In Kapitel 5 dieser Arbeit wurde nach den Reaktionen der bischöflichen Herrschaftsträger auf solche Beeinträchtigungen und nach ihrer literarischen Verarbeitung in der Chronistik gefragt. Es konnte gezeigt werden, dass die Erzählberichte vor allem auf die Notwendigkeit einer permanenten kritischen Selbstbefragung nach der persönlichen Eignung für das Bischofsamt aufmerksam machen. Dies setzt bei den mittelalterlichen Reichsbischöfen die Fähigkeit zur Reflexivität voraus, eine selbstkritische und selbstdeutende Wahrnehmung, die doch eigentlich als Subjektkategorie einer modernen Gesellschaft gilt.2 Im mittelalterlichen Kontext war ein solches Verhalten aber ebenfalls notwendig, um das Herrschaftsgefüge nicht zu gefährden und veranschaulicht daher Herrschaftskompetenz. Die Arbeit hat gezeigt, dass die historischen Chronisten über Bischöfe berichten, die in ihrer Lebensgestaltung die Zwänge sozialer Konvenienzerwartungen teilweise zu durchbrechen wussten, vornehmlich jedoch geneigt waren, in einer (wohl durchdachten) Gratwanderung Akzente der eigenen Selbst- und Weltsicht zu setzen. Die angeführten Fallbeispiele belegen zugleich, dass eine historische Lebensgestaltung Referenzpunkte zur Orientierung und eigene Akzentsetzungen enthielt, die es erlauben, auch in einer vormodernen Gesellschaft von Selbstbildungen zu sprechen. Die mittelalterliche Chronistik greift die Selbstbildungsfähigkeit der bischöflichen Herrschaftsträger als einen Möglichkeitsraum zum (politischen) Überleben auf und reflektiert anschaulich die vielfältigen Facetten sozialer Ordnungs- und Verhaltensmodelle. Mit Fallbeispielen und Interpretationsansätzen hat diese Arbeit im Sinne einer Erprobungsstudie gezeigt, dass eine mediävistische Arbeit mit praxeologischer Analyseoptik durchaus das Potenzial hat, Praktiken der Herstellung historischer Subjekte in den Blick zu nehmen und sie als »Produkt[e] hochspezifischer, kultureller Subjektivierungsweisen«3 in einer mittelalterlichen Praxisgegenwart sichtbar zu machen. Auf diese Weise rücken Aspekte in den Fokus, die mit einer anderen Herangehensweise eher unberücksichtigt geblieben wären.
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Vgl. T. Alkemeyer/G. Budde/D. Freist: Einleitung, S. 10. A. Reckwitz: Subjekt, S. 16.
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Allerdings ist der Blick auf die Herstellung historischer Subjekte in der mediävistischen Forschung auch mit Grenzen und Problemen verbunden, die sich in dieser Arbeit nicht zuletzt in der Systematisierung der Kapitel widerspiegeln. Die Praktiken sind nicht in actu beobachtbar, sondern bereits durch die Brille der historischen Chronisten gefiltert. Gewinnbringender wären vielleicht Selbstzeugnisse selbstreflexiver Akteure gewesen, um Subjektivierungsprozesse kleinschrittig nachvollziehen zu können. Hier besteht jedoch für den mittelalterlichen Reichsepiskopat das Problem einer zu schmalen Quellenlage. Dennoch hat diese Arbeit viele Aspekte vormoderner Selbstbildung in den Fokus gerückt, insbesondere im Kontext der Kommunikation mit unterschiedlichen Handlungspartnern, des Konfliktverhaltens und der Interessensdurchsetzung. Die Beleuchtung dieser Themenfelder ist für die Mittelalterforschung zweifelsohne nicht neu, sie wird durch diese Arbeit jedoch um die Perspektive der Subjektwerdung ergänzt. Die Arbeit mag dazu einladen, die erprobte Analyseoptik in weiterführenden Untersuchungen anzuwenden, die mit einem entsprechenden Quellenmaterial Einblicke in historische Selbstbildungen gewähren können. Folgende Aspekte erscheinen als Desiderata und wären für eine Vertiefung lohnenswert: •
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Formierung: Die Erkenntnisse aus Kapitel 3 legen es nahe, (bischöfliche und klerikale) Karrierewege noch intensiver mit Hilfe einer praxistheoretischen Analyseoptik in den Blick zu nehmen. Das Interesse sollte dabei den Bestrebungen der historischen Akteure gelten, sich gezielt zu formen und bewusst an der Ausbildung bestimmter Fähigkeiten und Fertigkeiten zu arbeiten. Damit verbunden ist der Blick auf die Praktiken und Selbsttechniken, die diesen Formierungsprozess begleiten, wie z.B. Praktiken des Schreibens, Lesens, der Askese usw. Wer wird in diesem Formierungsprozess als Lehrer angerufen, welche Verhaltensweisen und Werthaltungen werden zum Vorbild erkoren? Dabei ist auch der Aspekt der Reflexivität von Bedeutung. Soziales Netzwerk: Die Erkenntnisse aus Kapitel 4 haben gezeigt, welchen besonderen Stellenwert die Handlungspartner und -felder im bischöflichen Subjektivierungsprozess haben. Das Domkapitel, der Hochadel oder die römische Kurie sind hier nur ansatzweise berücksichtigt worden. Studien, die mit einem praxistheoretischen Blick diese Akteure gezielt in den Blick nehmen, könnten noch deutlicher herausstellen, in welchem Maß die unterschiedlichen Handlungspartner und -felder die Subjektfor-
Schlussbetrachtung
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men beeinflussen. So könnte ein Beitrag zur generellen Frage geleistet werden, unter welchen Bedingungen bischöfliche Subjektwerdung in den unterschiedlichen Handlungsfeldern einer historischen Praxisgegenwart gelingen – oder eben nicht gelingen kann. Materialität und Artefakte: Materialität und Artefakte als Bestandteile praxistheoretischer Forschungskonzepte kamen in dieser Arbeit mehrfach zum Tragen. Erinnert sei etwa an die Wahl der Gewandung bei Friedrich von Zollern und Johannes von Werder oder auch an die Bedeutung von Bußgewändern in den täglichen Routinen bei Otto von Ziegenhain und Friedrich von Beichlingen. Es erscheint jedoch lohnenswert, die Perspektive noch stärker auf den Besitz der Kirchenfürsten zu lenken, auf ihre Kleidung, ihre Wohnverhältnisse oder ihr Reiseverhalten. Körperlichkeit: Die praxeologische Perspektive hat in der vorliegenden Untersuchung vereinzelt auch die Körperlichkeit in den Fokus gerückt, wie etwa das sportliche Trainieren bei Balduin von Luxemburg, die körperliche Präsenz in Konfliktfällen bei Otto von Hessen oder aber den Verfall des Körpers bei Giselbert von Brunkhorst. Es erscheint lohnenswert, den Körper der historischen Akteure auf praxeologische Weise vermehrt in den Blick zu nehmen.
Insgesamt konnte diese Arbeit mit ihrem praxeologischen Analyseblick auf spezifische Anpassungsleistungen der historischen Akteure aufmerksam machen, auf tägliche oder situativ besonders herausfordernde Aushandlungsprozesse in sozialen Konfigurationen und auf selbstreflexive Irritationen. Die eingangs zitierte Aussage des Trierer Erzbischofs Balduin von Luxemburg, seine bischöfliche Würde an die Wand zu hängen, eröffnet unter praxeologischer Analyseoptik daher neue Einblicke in das episkopale Selbstverständnis.
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Literaturverzeichnis
Zitierte Quellen Chronica episcoporum ecclesiae Merseburgensis, hg. von Roger Wilmans (MGH Scriptores X), Hannover 1852. Chronica Mathiae de Nuwenburg (MGH Scriptores rerum Germanicum. Nova series IV), hg. von Adolf Hofmeister, Berlin 1924-1940. Chronicon episcoporum Verdensium. Die Chronik der Verdener Bischöfe, hg. und übers. v. Thomas Vogtherr, Stade 1998. Der Sachsenspiegel des Eike von Repgow, hg. von Friedrich Ebel, Stuttgart 1953. Die Bremer Chronik von Rinesberch, Schene und Hemeling, hg. v. Hermann Meinert (Die Chroniken der niedersächsischen Städte vom 14. bis ins 16. Jahrhundert 37), Bremen 1968. Die Chronik des Matthias von Neuenburg, übersetzt von Georg Grandaur (Die Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit 84), Leipzig 1899. Die Magdeburger Bischofschronik, übers. v. Hermann Michaëlis, in: Magdeburger Bischofschronik, hg. v. Eckhart W. Peters, Dößel 2006. Die Merseburger Bischofschronik (Teil III: 1341 bis 1431 und Teil IV: 1431 bis 1514), hg. und übers. v. Otto Rademacher (Beilage zum Jahresbericht des Merseburger Domgymnasiums), Merseburg 1908. Die Münsterischen Chroniken des Mittelalters, hg. von Julius Ficker (Die Geschichtsquellen des Bisthums Münster 1), Münster 1851. Die Reformation Kaiser Sigmunds, hg. von Heinrich Koller (MGH Staatsschriften des späteren Mittelalters 6), Stuttgart 1964. Die Würzburger Bischofschronik des Grafen Wilhelm Werner von Zimmern und die Würzburger Geschichtsschreibung des 16. Jahrhunderts, eingel. und hg. von Wilhelm Engel (Fränkische Chroniken 2), Würzburg 1952.
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