Vom individuellen zum organisationalen Lernen: Eine sozialkonstruktivistische Analyse 3835001523, 9783835001527

Vera Schüerhoff entwickelt ein Konzept des organisationalen Lernens, das den Übergang von der individuellen zur kollekti

123 85 14MB

German Pages 314 [302] Year 2006

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Vom individuellen zum organisationalen Lernen: Eine sozialkonstruktivistische Analyse
 3835001523, 9783835001527

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Vera Schiierhoff Vom individuellen zum organisationalen Lernen

WIRTSCHAFTSWISSENSCHAFT Forschung Schriftenreihe der

EUROPEAN BUSINESS SCHOOL International University SchloS Reichartshausen Herausgegeben von Univ-Prof. Dr. Utz Schaffer

Band 55

Die EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs) - gegrundet im Jahr 1971 - ist Deutschlands alteste private Wissenschaftliche Hochschule fiir Betriebswirtschaftslehre im Universitatsrang. Dieser Vorreiterrolle fiihlen sich ihre Professoren und Doktoranden in Forschung und Lehre verpflichtet. Mit der Schriftenreihe prasentiert die EUROPEAN BUSINESS SCHOOL (ebs) ausgewahlte Ergebnisse ihrer betriebs- und volkswirtschaftlichen Forschung.

Vera Schiierhoff

Vom individuellen zum organisationalen Lernen Eine konstruktivistische Analyse

Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Jean-Paul Thommen

Deutscher Universitats-Verlag

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnetdiese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet iJber abrufbar.

Dissertation European Business School Gestrich-Winkel, 2005

I.Auflage Januar2006 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitats-Verlag/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2006 Lektorat: Ute Wrasmann / Britta Gohrisch-Radmacher Der Deutsche Universitats-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschiiefSlich alter seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auSerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfaltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Druck und Buchbinder: Rosch-Buch, ScheRlitz Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 3-8350-0152-3

Geleitwort Die vorliegende Publikation grelft ein Thema auf, das sowohl theoretisch interessant ist als auch eine hohe praktische Relevanz besitzt. Das Lernen von Organisationen wird in Zeiten steter Veranderung immer wichtiger und avanciert mehr und mehr zu einer zwingend notwendigen Fahigkeit heutiger Wirtschaftsunternehmen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht venA/underlich, dass in den letzten Jahren eine nicht enden woilende Anzahl an Publikationen erschienen ist, die sich mit dem Thema des Lernens von und in Organisationen beschaftigt. Erstaunlich ist in diesem Zusammenhang allerdings, dass trotz dieser Veroffentlichungsflut kaum Ansatze existieren, die den Zusammenhang zwischen individuellen und organisationalen Lernaktivitaten sowie den Ubergang von der Individuums- zur Organisationsebene prazisieren. An diesem Punkt setzt die vorliegende Arbeit an. Sie untersucht, wie die vorhandenen Ansatze des organisationalen Lernens das Phanomen allgemein erklaren und wie sie sich insbesondere mit der Zusammenhangs- und Ubergangsproblematik individueller und organisationaler Lernprozesse beschaftigen. Um diese Fragestellungen zu beantworten, orientiert sich die Verfasserin an dem konstruktivistischen Gedankengut und fuhrt die beiden Theoriestrange des radikalen und sozialen Konstruktivismus zu einer Synthese zusammen. Auf diese Weise gelingt es ihr, eine erkenntnistheoretische Basis zu schaffen, die nicht nur die Prozesse des individuellen und organisationalen Lernens als solche, sondern auch ihre Zusammenhange erklaren kann. An dieser erkenntnistheoretischen Basis spiegelt die Verfasserin die in der Literatur bereits vorhandenen Modelle des organisationalen Lernens, um zu analysieren, ob und inwieweit diese den konstruktivistischen Ideen Rechnung tragen. In dieser Analyse erweist sich die Autorin als profunde Kennerin der verschiedenen Modelle des organisationalen Lernens. Dabei geht es ihr nicht in erster Linie um eine detaillierte Rezitierung der vorhandenen Modelle, sondern vor allem darum, den spezifischen Beitrag herauszustellen, den die vorhandenen Lernmodelle zur Klarung der erwahnten Zusammenhangs- und Ubergangsproblematik leisten. Ebenso hervorragend beherrscht die Verfasserin das radikal-sozialkonstruktivistische Gedankengut. Dies ermoglicht es ihr, die konstruktivistischen Ideen auf das Untersuchungsobjekt zu ubertragen und ein elgenes Konzept des organisationalen Lernens zu erarbeiten, das den Ubergang vom individuellen zum organisationalen Lernen im Rahmen von vier Phasen erklaren kann. Allerdings bleibt die Autorin nicht auf einer theoretischen Analyse stehen. Zusatzlich erarbeitet sie systematisch Handlungsempfehlungen, um die vier Phasen organisationaler Lernprozesse in die Praxis umzusetzen. Dabei konzentriert sie

VI

Geleitwort

sich auf Instrumente wie Unternehmenstheater, Coaching, Open Space Technology sowie Story Telling und veranschaulicht Ihre Ausfijhrungen anhand verschiedener Praxisbeispiele. Insgesamt unterstrelcht Vera Schuerhoff In dieser Arbeit ihre Fahigkeit, ein komplexes Problem auf hohem Niveau interdiszipllnar zu behandeln. Die zahlreichen praxisnahen Vorschlage am Ende der Arbeit reflektieren dabei auBerdem ein anwendungsbezogenes Wissenschaftsverstandnls. Die Arbeit kann daher alien warmstens empfohlen werden, die sich mit den Themen Personalentwicklung, organisatlonales Lernen Oder konstruktivistisch-systemisches Management beschaftigen. Sie bietet alien einen Fundus an neuen Erkenntnissen und Anregungen.

Jean-Paul Thommen

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand wahrend meiner Tatigkeit als wissenschaftliche Assistentin am Lehrstuhl fur Internationales Management an der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL International University, Oestrich-Wlnkel. Sie wurde im Sommer 2005 vom Fachbereich Betriebswirtschaftslehre der EUROPEAN BUSINESS SCHOOL unter dem Titel „Vom individuellen zum organisatlonalen Lernen - eine radikal-sozialkonstruktivistische Perspektive" als Doktorarbeit angenommen. Zu Beginn meiner Promotion erfuhr ich von den vier allgemeinen Phasen, die jeder Doktorand bei der Erstellung seiner Arbeit durchlebt. Dabei zeichnet sich die erste Phase, die des "uninformierten Optimisten", durch einen begeisterten Forscher aus, der davon uberzeugt 1st, die Arbeit einfach und in kurzester Zeit fertig zu stellen. Leider halt diese Phase nicht lange an und weicht schnell der zweiten Phase, die als "Tal des Todes" bezeichnet wird. Jetzt realisiert der Forschende das voile AusmaR seines Vorhabens und wird sich der zahlreichen Schwierigkeiten bewusst, die mit dem Erstellen seiner Arbeit verbunden sind. Mit Gluck folgt dieser Phase allerdings die dritte, die Phase des "informierten Pessimisten". Zu diesem Zeitpunkt ist sich der Doktorand daruber im Klaren, dass er mit seiner Arbeit nicht jedes Problem losen kann und konzentriert sich daher ausschliefllich auf sein Forschungsobjekt. Abschlieftend stellt sich die "Hau-Weg-Phase" ein. An die Stelle des anfanglichen Perfektionlsmus tritt nun ein Pragmatismus, der den Doktoranden dazu befahigt, seine Arbeit schliefilich zu beenden. All diese Phasen - besonders die zweite und dritte - habe auch ich durchlebt und mochte mich an dieser Stelle bei alien bedanken, die mich auf diesem Weg begleltet haben. Mein erster Dank gilt meinem Doktorvater Herrn Prof. Dr. Jean-Paul Thommen, der mir als kritischer Gesprachspartner jederzeit mit wertvollen Anregungen zur Verfiigung stand. Besonders in Erinnerung geblieben sind mir seine Unvoreingenommenheit gegenuber neuen Ansatzen und Ideen sowie seine analytische „Storchperspektive". Ein grolier Dank geht auch an Herrn Prof. Dr. Hartmut Kreikebaum, der als Korreferent meiner Arbeit fungierte

und mir wichtige

Impulse

zur

Beantwortung

meiner

Forschungsfragen gab. Auflerdem holte er mich mit dem Hinweis "Es Ist doch nur eine Doktorarbeit" immer wieder auf den Boden der Tatsachen zuruck. Ein welterer groRer Dank geht an Herrn Prof. Dr. Dirk Ulrich Gilbert und Herrn Prof. Dr. Michael Behnam, die mich im Rahmen meiner Lehrstuhltatigkeit maRgeblich bei der Erstellung meiner Doktorarbeit unterstutzt haben. Ohne ihr aufierordentlich hohes En-

VIII

Vorwort

gagement sowie ihre inhaltllchen und methodischen Anregungen ware die Arbeit nicht das geworden, was sie heute ist. Von ganzem Herzen danke ich aufierdem alien anderen Personen, die mich wahrend meiner Promotion unterstutzt haben. Zu nennen sind dabei insbesondere meine Lehrstuhlkollegen Anne Freund, Jan Herzog, Andreas Rasche, Christopher Rock und Denise Sumpf fur ihren Rat und ihre konstruktive Kritik. Unsere wochentlichen Diskussionen und der damit verbundene Einblick in verschiedene Theorieperspektiven haben maUgeblich zum Gelingen meiner Arbeit beigetragen. Aufierdem danke ich meinen Freunden Katrin Ceglar, Stefan Ernst, Marc Leitow, Nicole Schunemann, Sina Teigelkotter und Andrea Westermann fur das Korrekturlesen und fur viele schone Stunden der Ablenkung. Bin ganz besonderer Dank geht auflerdem an meinen Freund Tobias, der mir wahrend der gesamten Dissertationszeit mit Rat und Tat zur Seite stand. Dieser Riickhalt half mir, auch die schwierigen Phasen meiner Promotion durchzustehen und die Arbeit erfolgreich abzuschlieRen. Der groBte Dank gilt schliefllich meinen Eltern. Ohne ihre Unterstutzung ware mir das Erstellen meiner Dissertation nicht moglich gewesen. Ihnen ist diese Arbeit gewidmet.

Vera Schuerhoff

Inhaltsubersicht 1. Einleitung

1

1.1 Problemstellung und Zielsetzung

1

1.2 Wissenschaftstheoretischer Hintergrund und Methodik

12

1.3 Gang der Untersuchung

22

2. Konstruktivismus: Individuelles und kollektives Wissen

27

2.1 Der konstruktivistische Diskurs

27

2.2 Radikaler Konstruktivismus

33

2.3 Sozialer Konstruktivismus

44

2.4 Zwischenfazit I: Radikaler und sozialer Konstruktivismus als Brucke zwischen individuellem und kollektiven Wissen

54

3. Organisationales Lernen: Individuum und Organisationen

63

3.1 Individuelles und organisationales Lernen

63

3.2 Perspektiven des organisationalen Lernens

69

3.3 Analyse vorhandener Perspektiven des organisationalen Lernens

76

3.4 Zwischenfazit II: Viabilitat vorhandener Lernkonzepte

110

4. Entwicklung eines konstruktivistischen Bezugsrahmens zur Klarung des Zusammenhangs von Individuum und Organisation

115

4.1 Organisationsebene: synreferentielle Sozialsysteme

116

4.2 Individuumsebene: Individuen als autonome und soziale Wesen

123

4.3 Schnittstellen und Ubergange zwischen Individuum und Organisation

129

4.4 Zwischenfazit III: Ein radikal-sozialkonstruktivistischer Bezugsrahmen

136

5. Der Ubergang vom individuellen zum organisationalen Lernen

141

5.1 Zusammenspiel zwischen der Organisations- und Individuumsebene

141

5.2 Das Phanomen des organisationalen Lernens aus konstruktivistischer Perspektive

146

5.3 Entwicklung eines Phasenkonzeptes zur Klarung des Ubergangs vom individuellem zum organisationalen Lernen

155

Inhaltsubersicht

5.4 Zwischenfazit IV: Erkenntnisse bezuglich der Ubergangsproblematik 6. Vorschlage zur Implementierung

191 195

6.1

Instrumente zur Unterstutzung der Kognitionsphase

196

6.2

Instrumente zur Unterstutzung der Externalisierungsphase

206

6.3

Instrumente zur Unterstutzung der Objektivationsphase

211

6.4

Instrumente zur Unterstutzung der Internalisierungsphase

223

6.5 Zwischenfazit V: Funf Erkenntnisse zur Implementierung des Phasenkonzeptes 7. Schlussbetrachtung: Nutzen der Arbeit fur Theorie und Praxis

227 231

7.1

Fazit: Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse

231

7.2

Kritische Reflexion und Anknupfungspunkte weiterer Forschung

234

Anhang

237

Literaturverzeichnis

243

Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung

1

1.1 Problemstellung und Zielsetzung

1

1.2 WissenschaftstheoretischerHintergrund und Methodik

12

1.3 Gang der Untersuchung

22

2. Konstruktivismus: Individuelles und kollektives Wissen 2.1 Der konstruktivistische Diskurs

27 27

2.1.1 Konstruktivismus als Wissens-, Wirklichkeits- und Erkenntnistheorie. 27 2.1.2 Ursprung und Spielarten des Konstruktivismus 2.2 Radikaler Konstruktivismus

30 33

2.2.1 Zentrale Begriffe zur menschlichen Wissenskonstruktion

33

2.2.2 Autopoiese und individuelle Wirklichkeits- und Wissenskonstruktion

35

2.2.3 Selbstreferenz und individuelle Wirklichkeits- und Wissenskonstruktion

38

2.2.4 Synreferenz und objektivierte Wirklichkeits- und Wissenskonstruktion

41

2.3 Sozialer Konstruktivismus

44

2.3.1 Alltagswelt und gesellschaftliches Wissen

44

2.3.2 Externalisierung und objektivierte Wirklichkeits- und Wissenskonstruktion

46

2.3.3 Objektivation und objektivierte Wirklichkeits- und Wissenskonstruktion

47

2.3.4

Internalisierung und individuelle Wirklichkeits- und Wissenskonstruktion

2.4 Zwischenfazit I: Radikaler und sozialer Konstruktivismus als Briicke zwischen individuellem und kollektiven Wissen

51 54

2.4.1 Gemeinsamkeiten und Unterschiede

54

2.4.2 Integration beider Ansatze: Vom individuellen zum objektivierten Wissen

58

3. Organisationales Lernen: Individuum und Organisationen 3.1 Individuelles und organisationales Lernen

63 63

3.1.1 Das Phanomen des individuellen Lernens

63

3.1.2 Das Phanomen des organisationalen Lernens

66

3.2 Perspektiven des organisationalen Lernens

69

XII

Inhaltsverzeichnis

3.2.1

Systematisierung vorhandener Lernkonzepte

69

3.2.2

ViabiJitatskriterien zur Analyse der Lemperspektiven

73

3.3 Analyse vorhandener Perspektiven des organisationalen Lernens 3.3.1

3.3.2

3.3.3

3.3.4

3.3.5

76

Anpassungsorientierte Perspektive

76

3.3.1.1

Organisationsverstandnis und organisationales Lernen

76

3.3.1.2

Individuumsverstandnis und individuelles Lernen

78

3.3.1.3

Schnittstellen und Ubergange

79

3.3.1.4

Konstruktivistisches Gedankengut

82

Kulturelle Perspektive

83

3.3.2.1

83

Organisationsverstandnis und organisationales Lernen

3.3.2.2

Individuumsverstandnis und individuelles Lernen

86

3.3.2.3

Schnittstellen und Ubergange

87

3.3.2.4

Konstruktivistisches Gedankengut

88

Wissensorientierte Perspektive

90

3.3.3.1

Organisationsverstandnis und organisationales Lernen

90

3.3.3.2

Individuumsverstandnis und individuelles Lernen

92

3.3.3.3

Schnittstellen und Ubergange

93

3.3.3.4

Konstruktivistisches Gedankengut

95

Informations- und wahrnehmungsorientierte Perspektive

97

3.3.4.1

97

Organisationsverstandnis und organisationales Lernen

3.3.4.2

Individuumsverstandnis und individuelles Lernen

3.3.4.3

Schnittstellen und Ubergange

3.3.4.4

Konstruktivistisches Gedankengut

98 100 101

Systemisch-kybernetische Perspektive

103

3.3.5.1

Organisationsverstandnis und organisationales Lernen .... 103

3.3.5.2

Individuumsverstandnis und individuelles Lernen

3.3.5.3

Schnittstellen und Ubergange

106

3.3.5.4

Konstruktivistisches Gedankengut

109

3.4 Zwischenfazit II: Viabilitat vorhandener Lernkonzepte

104

110

4. Entwicklung eines konstruktivistischen Bezugsrahmens zur Klarung des Zusammenhangs von Individuum und Organisation

115

4.1 Organisationsebene: synreferentielle Sozialsysteme

116

4.1.1

Definition: Organisationen als synreferentielle und prozesshafte Systeme

116

4.1.2

Organisationale Ordnungsmomente als synreferentielle Bereiche ... 118

4.1.3

Rekursive Zusammenhange auf der Organisationsebene

121

Inhaltsverzeichnis

4.2 Individuumsebene: Individuen als autonome und soziale Wesen

XIII

123

4.2.1

Definition: Individuen als kognitiv autonome und sozial abhangige Wesen

123

4.2.2

Lernen als individuelles und kollektives Phanomen

125

4.2.3

Rekursive Zusammenhange auf der Individuumsebene

128

4.3 Schnittstellen und Ubergange zwischen Individuum und Organisation 4.3.1

Definition: Interaktion und Kommunikation als gegenseitige Orientierung

129 130

4.3.2

Sprache und Ordnungsmomente als konsensuelle Bereiche

132

4.3.3

Rekursive Zusammenhange der Schnittstellen und Ubergange

134

4.4 Zwischenfazit III: Ein radikal-sozialkonstruktivistischer Bezugsrahmen

136

Der Ubergang vom individuellen zum organisationalen Lernen

141

5.1 Zusammenspiel zwischen der Organisations- und Individuumsebene

141

5.1.1

Zusammenhang von Organisation und Individuum

141

5.1.2

Grenzen zwischen Organisation und Individuum

143

5.2 Das Phanomen des organisationalen Lernens aus konstruktivistischer Perspektive 5.2.1

146

Lernausloser: wahrgenommene Irritationen

146

5.2.2

Lerntrager: Individuum und Organisation

149

5.2.3

Lernziele: Irritierbarkeit und Flexibilitat

150

5.2.4

Lernprozesse: Kognition, Externalisierung, Objektivation, Internalisierung

152

5.3 Entwicklung eines Phasenkonzeptes zur Klarung des Ubergangs vom individuellem zum organisationalen Lernen 5.3.1

5.3.2

5.3.3

155

Phase I: Kognition

155

5.3.1.1

Voraussetzungen der Kognition

156

5.3.1.2

Prozesse der Kognition

157

5.3.1.3

Ergebnisse der Kognition

162

Phase II: Externalisierung

165

5.3.2.1

Voraussetzungen der Externalisierung

165

5.3.2.2

Prozesse der Externalisierung

166

5.3.2.3

Ergebnisse der Externalisierung

168

Phase III: Objektivation

170

5.3.3.1

170

Voraussetzungen der Objektivation

5.3.3.2

Institutionalisierung als Ausgangspunkt

173

5.3.3.3

Durch Legitimation zur organisationalen Assimilation

175

5.3.3.4

Durch Delegitimation zur organisationalen Akkomodatlon. 179

XIV

Inhaltsverzeichnis

5.3.3.5 5.3.4

Ergebnisse der Objektivation

Phase IV: Internalisierung

185

5.3.4.1

Voraussetzungen der Internalisierung

186

5.3.4.2

Prozesse der Internalisierung

187

5.3.4.3

Ergebnisse der Internalisierung

189

5.4 Zwischenfazit IV: Erkenntnisse bezuglich der Ubergangsproblematik 6. Vorschlage zur Implementierung 6.1 Instrumente zur Unterstutzung der Kognitionsphase 6.1.1 6.1.2

182

Individuelle Irritation als Voraussetzung der Kognition

191 195 196 196

Forderung der Kognitionsprozesse

199

6.1.2.1

Coaching als Hilfe zur Selbsthilfe

199

6.1.2.2

Individuelle Assimilation durch Coaching

202

6.1.2.3

Individuelle Akkomodation durch Coaching

203

6.2 Instrumente zur Unterstutzung der Externalisierungsphase

206

6.2.1

Konsensuelle Bereiche als Voraussetzung der Externalisierung

206

6.2.2

Forderung der Externalisierungsprozesse

208

6.3 Instrumente zur Unterstutzung der Objektivationsphase

211

6.3.1

Lernfreundliches Umfeld als Voraussetzung der Objektivation

211

6.3.2

Forderung der Objektivationsprozesse

212

6.3.2.1

Organisationale Institutionalisierung durch Forderkreise und Open Space-Technology

212

6.3.2.2

Organisationale Assimilation durch Storytelling und Fuhrungspersonen

216

6.3.2.3

Organisationale Akkomodation durch „Talk Rooms", Coaching und „Springboard-Stories"

220

6.4 Instrumente zur Unterstutzung der Internalisierungsphase

223

6.4.1

Identifikation als Voraussetzung der Internalisierung

224

6.4.2

Forderung der Internalisierungsprozesse

225

6.5 Zwischenfazit V: Funf Erkenntnisse zur Implementierung des Phasenkonzeptes

227

7. Schlussbetrachtung: Nutzen der Arbeit fur Theorie und Praxis

231

7.1 Fazit: Zusammenfassung derzentralen Ergebnisse

231

7.2 Kritische Reflexion und Anknupfungspunkte weiterer Forschung

234

Anhang

237

Literaturverzeichnis

243

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1.1: Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit

12

Abbildung 1.2: Paradigmen der Organisationsforschung nach BuRRELLund MORGAN

17

Abbildung 1.3: Paradigmen der Organisationsforschung nach ASTLEY und VAN DE VEN Abbildung 1.4: Wissenschaftstheoretische Einordnung der Arbeit

18 22

Abbildung 1.5: Gang der Untersuchung

23

Abbildung 2.1: Begriffe des radikalen Konstruktivismus

44

Abbildung 2.2: Begriffe des sozialen Konstruktivismus

53

Abbildung 2.3: Synthese aus radikalem und sozialem Konstruktivismus

61

Abbildung 3.1: Theorien des individuellen Lernens

66

Abbildung 3.2: Modell des organisationalen Lernens von ARGYRIS und SCHON

85

Abbildung 3.3: Das Modell des vollstandigen Entscheidungszyklus

238

Abbildung 3.4: Das Modell des unvollstandigen Entscheidungszyklus

238

Abbildung 3.5: Schichtenmodell der organisationalen Wissensbasis

239

Abbildung 3.6: Zusammenhang von organisationalem Scanning, Interpretation und Lernen

239

Abbildung 4.1: Organisationsebene aus konstruktivistischer Perspektive

123

Abbildung 4.2: Individuumsebene aus konstruktivistischer Perspektive

129

Abbildung 4.3: Interaktion und Kommunikation aus konstruktivistischer Sicht

135

Abbildung 4.4: Integration der Grundbausteine

137

Abbildung 4.5: Radikal-sozialkonstruktivistischer Bezugsrahmen

138

Abbildung 5.1: Wirkungskreislauf von Organisation und Individuum

143

Abbildung 5.2: Vier Phasen organisationaler Lernprozesse

154

Abbildung 5.3: Drei Bereiche des individuellen Wissens

158

Abbildung 5.4: Prozesse individueller Assimilation und Akkomodation

159

Abbildung 5.5: Kognition als erste Phase organisationaler Lernprozesse

164

Abbildung 5.6: Externallsierung als zweite Phase organisationaler Lernprozesse

170

Abbildung 5.7: Prozesse organisationaler Assimilation und Akkomodation

171

Abbildung 5.8: Entstehung organisationaler Routinen

174

Abbildung 5.9: Der Prozess der organisationalen Assimilation

178

Abbildung 5.10: Der Prozess der organisationalen Akkomodation

180

Abbildung 5.11: Objektivation als dritte Phase organisationaler Lernprozesse

185

Abbildung 5.12: Internalisierung und organisationales Lernen

191

Abbildung 6.1: Coaching-Methoden und Arten

201

Tabellenverzeichnis Tabelle 2.1: Unterschiede zwischen radikalem und sozialem Konstruktivismus

57

Tabelle 3.1: Typologisierung vorhandener Lemkonzepte

72

Tabelle 3.2: Viabilitatskriterium 1: System- bzw. Organisationsebene

74

Tabelle 3.3: Viabilitatskriterium 2: Individuumsebene

74

Tabelle 3.4: Viabilitatskriterium 3: Schnittstellen und Ubergange

75

Tabelle 3.5: Viabilitatskriterium 4: Konstruktivistischer Gedankengange

75

Tabelle 3.6: Organisationsverstandnis der anpassungsorientierten Perspektive

78

Tabelle 3.7: Individuumsverstandnis der anpassungsorientierten Perspektive

79

Tabelle 3.8: Schnittstellen und Ubergange der anpassungsorientierten Perspektive ...82 Tabelle 3.9: Konstruktivistische Gedankengange der anpassungsorientierten Perspektive

83

Tabelle 3.10: Organisationsverstandnis der kulturellen Perspektive

86

Tabelle 3.11: Individuumsverstandnis der kulturellen Perspektive

87

Tabelle 3.12: Schnittstellen und Obergange der kulturellen Perspektive

88

Tabelle 3.13: Konstruktivistische Gedankengange der kulturellen Perspektive

89

Tabelle 3.14: Organisationsverstandnis der wissensorientierten Perspektive

92

Tabelle 3.15: Individuumsverstandnis der wissensorientierten Perspektive

93

Tabelle 3.16: Schnittstellen und Obergange der wissensorientierten Perspektive

95

Tabelle 3.17: Konstruktivistische Gedankengange der wissensorientierten Perspektive

96

Tabelle 3.18: Organisationsverstandnis der informations- und wahrnehmungsorientierten Perspektive

98

Tabelle 3.19: Individuumsverstandnis der informations- und wahrnehmungsorientierten Perspektive Tabelle 3.20: Schnittstellen und Obergange der informations- und wahrnehmungsorientierten Perspektive

99

101

Tabelle 3.21: Konstruktivistische Gedankengange der informations- und wahrnehmungsorientierten Perspektive

103

Tabelle 3.22: Organisationsverstandnis der systemisch-kybernetischen Perspektive 104 Tabelle 3.23: Individuumsverstandnis der systemisch-kybernetischen Perspektive... 106 Tabelle 3.24: Schnittstellen und Obergange der systemisch-kybernetischen Perspektive

108

XVIII

Tabellenverzeichnis

Tabelle 3.25: Konstruktivistische Gedankengange der systemisch-kybernetischen Perspektive

110

Tabelle 3.26: Typologisierung organisationaler Lernkonzepte nach SHRIVASTAVA

240

Tabelle 3.27: Typologisierung vorhandener Lernansatze nach EBERL

240

Tabelle 3.28: Niveaus organlsationalen Lernens

241

Tabelle 5.1: Organisationales Lernen als individuelles und kollektives Phanomen.... 151 Tabelle 5.2: Individuelles WIssen, rezlproke Typisierung, objektives WIssen

183

AbkiJrzungsverzeichnis bspw.

beispielsweise

etal.

et alii

d.h.

das heiflt

Diss.

Dissertatiom

i.d.R.

in der Regel

Hrsg.

Herausgeber

0. Nr.

ohne Nummer

0. Jg.

ohne Jahrgang

S.

Seite

Sp.

Spalte

SR-Theorie

Stimulus-Response-Theorie

SOR

Stimulus-Organism-Response Theorie

u.a.

unter anderem

Vgl.

Vergleiche

"All organizations learn, whether they consciously choose to or not - it is a fundamental requirement for their sustained existence. Some firms deliberately advance organizational learning [...] others make no focused effort and, therefore, acquire habits that are counterproductive. Nonetheless, all organizations learn. But what does it mean that an organization learns?" Kim (2004) S. 29.

1. Einleitung 1.1

Problemstellung und Zielsetzung

Lebenslanges Lernen nicht nur von Individuen, sondern vor allem von kollektiven Einheiten wie Organisationen gewinnt in Zeiten steter Veranderung an Relevanz. Das Phanomen des organisationalen Lernens^ avanciert daher mehr und mehr zur zwingend notwendigen Fahigkeit heutiger Wirtschaftsunternehmen.^ In seiner allgemeinen Form lasst sich das organisationale Lernen als ein Managementund Fuhrungskonzept verstehen, das darauf abzielt, die Lernpotentiale der individuellen Unternehmensmitglieder zu nutzen, urn die organisationale Innovationsfahigkeit, Problemlosungskompetenz und FlexIbilitat langfristig zu erhohen.^ Weil zu diesem Zweck jedoch die Vorstellungen und Ideen des individuellen Lernens nicht selten ohne Modifikation auf Organisationen"* ijbertragen werden, lasst sich das Konzept des Organisationslernens oft nicht praktisch umsetzen und degradiert so zu einem Schlagwort Oder zu einer leeren Hulle.^ Aufgrund seiner Wirkungsverheifiungen beziiglich des Gesamterfolges der Organisation einerseits und seiner Unnsetzungsschwierigkeiten andererseits beschaftigt dieses Phanomen seit geraumer Zeit Theoretiker und Praktiker gleichermafien.^

Die hier verwandten Ausdrucke ..organisationales Lernen" bzw. ..organisationale Lernprozesse" beziehen sich auf das gesamte Begriffsfeld. So finden sich zusatzlich die Bezelchnungen organisatorisches Lernen (siehe bspw. Castiglioni (1994); Pautzke (1989)) sowie Organisationslernen (siehe bspw. Geifiler (1994)). Conrad (1998) spricht auch von institutionellem Lernen. Im managementorientierten Kontext hat sich ferner die Bezeichnung der lernenden Organisation durchgesetzt (siehe Senge (2001); Probst/Buchel (1998); Sattelberger (1996a)). Da alle Begriffe das Lernen von Organisationen als Gesamteinheiten beschreiben und dieses vom Lernen innerhalb von Organisationen abgrenzen, wird in der vorliegenden Arbeit auf eine weitere Differenzierung dieses Begriffsfeldes verzichtet. Vgl. Bautz et al. (2000) S. 85; Scherf-Braune (2000) S. 5; Kreikebaum (1999) S. 214; Kruger/Bach (1997) S. 24; Ganserer (1997) S. 368. Vgl. Symon (2003) S. 40; Kriegesmann (2003) S. 18; Probst/Buchel (1998) S. 17; Klimecki/Lalileben (1998) S. 71; Eberl (1998) S. 47; ReiR/Rosenstiel/Lutz (1997) S. 23; Cummings/Worley (1997) S. 482; Pedler/Boydell/Burgoyne (1996) S. 60; Fiol/Lyles (1985) S. 803. Im Verlauf der vorliegenden Arbeit werden die Begriffe ..Organisation" und ..Unternehmen" synonym ven/vandt. Vgl. Kriegesmann (2003) S. 18; Kiihl (2000) S. 11-13; Scherf-Braune (2000) S. 9; Schreyogg/Eberl (1998) S. 533; Sattelberger (1993) S. 102. Vgl. Akgun/Lynn/Byrne (2003) S. 839; Berthoin Antal (2003) S. 87; Guldenberg/Eschenbach (1996) S. 4.

1. Einleitung

So zahit das Konzept des Organisationslernens in theoretischer Hinsicht zu den prominentesten Themenbereichen der aktuellen Organisationsforschung. Durch die Pionierarbeiten von CANGELOSI und DILL (1956), CYERT und MARCH (1963), MARCH und SIMON

(1976) Oder ARGYRIS und SCHON (1978) ist es bereits seit Mitte der 1950er Jahre im Rahmen management- und organisationstheoretischer Forschung vertreten/ Trotz seiner 50-jahrigen Geschichte nimmt die Flut an Veroffentlichungen zu diesem Thema nicht ab. Vielmehr ist die Anzahl der erschienenen Artikel, Bucher und Spezialausgaben seit den 1990er Jahren urn mehr als das Dreifache gestiegen.^ SENGE als einer der bekanntesten Forscher des organisationalen Lernens betont sogar: "If anything, the need for understanding how organizations learn and accelerating this learning is greater today than ever before."^ Eine im Jahre 2002 durchgefuhrte Studie zu Zitationsnetzwerken in der Organisationsforschung stellt ferner heraus, dass vor allem MARCH und SIMON, die zu den Pionieren des Organisationslernens zahlen, sowohl in der amerikanischen als auch in der deutschsprachigen Literatur zu den meist zitierten Autoren zahlen. ^° Auch das praktische Interesse an dem Konzept des organisationalen Lernens nimmt nicht ab. Dies lasst sich vor allem damit begrunden, dass es Unternehmen einen besseren Umgang mit stetig komplexer werdenden Umweltbedingungen verspricht. Nahezu alle Veroffentlichungen zu diesem Thema beginnen daher mit der Hervorhebung der voranschreitenden Dynamisierung des Unternehmensumfeldes und betonen den hohen Wandlungsdruck, dem Organisationen in der heutigen Zeit ausgesetzt sind.^^ AuRerdem bietet das Konzept des organisationalen Lernens Fuhrungspersonen Hilfestel-

Zunachst begrenzte sich das Interesse am organisationalen Lernen auf die USA. Erst In den spaten 70er Jahren breitete sich die Diskussion auch in Europa aus. Vgl. Klimecki/Thomae (1998) S. 1; Klimeckl/Lassleben/Riexinger-Li (1994) S. 9. ® Zur Betonung der anhaltenden Relevanz des organisationalen Lernens siehe Zaugg (2003) S. 6-7; Senge (2003) S. 47; Crossan (2003) S. 45; Thobe (2002) S. 127; EasterbySmith/Crossan/Nicolinl (2000) S. 1; Hosking/Bouwen (2000) S. 130; Wengelowski (2000) S. 4; Schutt (2000) S. 10; Streubel (2000) S. 99; Crossan/Lane/White (1999) S. 522; Easterby-Smith/Araujo (1999) S. 1; Conrad (1998) S. 37. Siehe auch Maier/Prange/Rosen-stiel (2001) S. 14 sowie Prange (1999) S. 23, die sich auf eine von Crossan/Guatto (1996) durchgefuhrte Studie stiJtzen. ^ Senge (2004b), S. 462. ^° Vgl. Gmur/Thomae (2002) S. 242-244 und 247. Eine andere Studie zeigt, dass die Ausfuhrungen von Argyris und Schon zu den meist zitierten Arbeiten im Rahmen der amerikanischen und englischen Fachliteratur zahlen. Vgl. Easterby-Smith/Lyles (2003) S. 53-54. ^^ Vgl. Contu/Grey/Ortenblad (2003) S. 942 und 944; Kim (2003) S. 9; Argyris/Schon (2002) S. 9; LaBleben (2002) S. 1; Maier/Prange/Rosenstiel (2001) S. 14; Kiihnle (2001) S. 364; Wimmer (2000) S. 265; Klimecki/Laflleben/Thomae (2000) S. 65; Edmondson/Moingeon (1999) S. 157; Probst/BiJchel (1998) S. V; Conrad (1998) S. 41; Klinger (1997) S. 27; Maier/Rosenstiel (1997) S. 102; Reinhardt (1993) S. 17-19.

1. Einleitung

lungen, urn den Erfolg ihrer Organisation in der Wissensgesellschaft zu sichern.^^ FORMAN betont auderdem Jhis potential [of organizational learning] is perhaps best illustrated by the General Electric corporation whose market value is billions of dollars greater than the sum of its various component businesses. This synergetic value is [...] achieved [...] bya concentrated strategy to share knowledge [...]."^^ In diesem Zusammenhang haben auch Untemehmens- und Managementberatungen die kommerzielle Signifikanz des Organisationslemens erkannt und ihre Erfahrungen in verschiedenen Praxis-Handbuchern und Leitfaden zusammengefasst.^"^ SchlieRlich zeigt sich die hohe praktische und tiieoretische Relevanz des Organisationslemens auch an den zahlreichen Organisationen, Symposien, Konferenzen und Workshops, die sich zu diesem Themenbereich gebildet haben bzw. abgehalten werden.^^ Aufgrund dieser anhaltend hohen Relevanz steht das Konzept des organisationalen Lernens im Betrachtungsmittelpunkt der vorliegenden Arbeit.^^ Eine Analyse der vorhandenen Literatur zeigt jedoch, dass diese Thematik schwer einzugrenzen ist. Es existieren fast genau so viele Operationalisierungsmethoden des organisationalen Lernens, wie es Autoren gibt, die sich mit diesem Thema beschaftigen.^^ So liegt ein breites Spektrum an Arbeiten vor, die sich primar auf die Begriffsbildung sowie die inhaltliche Abgrenzung des organisationalen Lernens konzentrieren. Ihr Fokus richtet sich auf die Beschreibung der Ausloser, Trager, Ziele und Prozesse organi-

Vgl. Berends/Boersma/Weggeman (2003) S. 1036-1037. Ein ausfuhrlicher Oberblick iiberdas Konzept der Wissensgesellschaft findet sich bei Caspers (2002) S. 6-8. '^ Forman (2004) S. 18. ^^ Vgl.Arthur D. Little Inc. (Hrsg.) (2002); Kloss et al. (2002) von McKinsey & Comp. Siehe ferner Stiefel (1996) sowIe Moss-Kanther (1990). Als weiteres Beispiel Ist der Beitrag von BukowitzA/Villiams (2002) zu nennen, die eine Agenda zur Umsetzung von Lernprozessen in Unternehmen entwickeln. S. 163-204. ^^ Eine der bekanntesten Organisationen ist bspw. die 1997 gegriindete "Society for Organizational Learning", die die Arbeit des „MIT Centers for Organizational Learning" welterfuhrt. Andere Organisationen sind u. a. das ..Stanford Learning Organization Web", das "Center for Organizational Learning and Change" der Nyenrode University Oder das ..Center for Organizational and Renewal" an der Saint Louis University. Als Internationale Konferenzen lassen sich bspw. die im Jahr 2005 sechste "International Conference on Organizational Learning and Knowledge" In Trento. die 19. ..International Conference on Learning Organization In a Learning World" in Bangkok sowie die im Jahre 2004 organisierte "Knowledge Management/Organizational Learning Conference" In Chicago nennen. ^® Wissenschaftstheoretisch betrachtet blldet das Konzept des Organisationslemens das Erfahrungsobjekt dieser Arbeit. Dieses beschreibt den Betrachtungsgegenstand der Forschung und lasst sich vom Erkenntnlsobjekt, dem fokussierten Aspekt innerhalb des Betrachtungsgegenstandes abgrenzen. Gemelnsam bilden das Erfahrungs- und das Erkenntnlsobjekt das Forschungsobjekt wissenschaftllcher Arbeiten. Vgl. Sachs/Hauser (2002) S. 31-33; Thommen (1996) S. 160; Thommen (1986) S. 31-33. ^^ Vgl. Morgan (2004) S. 68; Akgun/Lynn/Byme (2003) S. 840; Berends/BoersmaA/Veggeman (2003) S. 1037; Skyrme/Amidon (2002) S. 264.

1. Einleitung

sationaler Lernvorgange.^® Darauf aufbauend beschaftigen sich weitere Arbeiten mit den unternehmerischen Voraussetzungen, die zur Anwendung des Organisationslernens erfijllt sein mussen.^^ Wieder andere Autoren zeigen die theoretischen Entwicklungslinien des organisationalen Lernens auf und nehmen eine Typologisierung der vorhandenen Konzepte vor.^° Neuere Beitrage untersuchen vornehmlich den Zusammenhang zwischen dem organisationalem Lernen und Wissen bzw. Wissensmanagement.^^ Sie gehen hauptsachlich der Frage nach, wie individuelles Wissen in der Organisation gespeichert werden kann.^^ Obwohl die Vielfalt und Unterschiedlichkeit an Beitragen einerseits die hohe Relevanz des organisationalen Lernens unterstreicht, erhohen sie andererseits die theoretische Undurchsichtigkeit dieses Phanomens. Sie zeigen, dass sich trotz des anhaltenden Interesses in Theorie und Praxis keine klaren Kernvorstellungen des organisationalen Lernens etablieren konnten.^^ Statt durch gemeinsame Oder uberlappende Grundannahmen zeichnen sich die verschiedenen Beitrage durch kontrare Vorstellungen aus.^"*

Siehe dazu die Arbeiten von Dogson (1993); Fiol/Lyles (1985); Duncan/Weiss (1979); Argyris/Schon (1978) March/Olsen (1975); Cangelosi/DIII (1965); Cyert/March (1963). ^ Zur Darstellung der gestaltungstheoretischen Aspekte des organisationalen Lernens siehe vorallem Senge (2001); Wengelowski (2000); Probst/Buchel (1998); Sonntag (1997). ' Eine der ersten und meist zltierten Arbeiten in diesem Zusammenhang stammt von Shrivastava (1983) S. 9-18. Zu neueren, auf den Uberlegungen Shrivastavas aufbauenden Arbeiten siehe Pawlowsky (2001) S 66-81; Pawlowsky/Neubauer (2001) S. 260-259; Crossan/Nicolini (2000) S. 783; Eberl (1996) S. 19-51; Wiegand (1996) S. 178-307. ' Das Konzept des WIssensmanagements bildete zunachst (nur) eine Saule des organisationalen Lernens. Im Zeitverlauf entwickelte es sich jedoch zu einem eigenen theoretischen Forschungsfeld, das, vorangetrieben durch Management- und Untemehmensberatungen, auch in der Praxis zunehmend Anklang fand. Vgl. Morgan (2004) S. 68-69. March degradiert das Konzept des WIssensmanagements allerdings zu einem Modewort, da man noch nicht genug darCiber wisse, wie Wissen weitergegeben und gemanagt werden kann. Vgl. March (2001) S. 29. Aus diesem Grund soil die Thematik des WIssensmanagements im Verlauf der vorliegenden Arbeit keine weitere Beachtung finden. " Zum Zusammenhang von organisationalem Lernen und Wissen siehe TsoukasA/ladimirou (2004); Pieler (2003); Macharzina/Osterle/Brodel (2001); Prange (2000). Weitere Arbeiten stammen von Nonaka (2004) und Nonaka/Takeuchi (1995). ' Vgl. Morgan (2004) S. 72; Easterby-Smith/Araujo (1999) S. 1; Prange (1999) S. 24; Aderhold (1999) S. 49; Probst/Buchel (1998) S. 17; Eberl (1996) S. 14; Senge/Scharmer (1996) S. 34; Guldenberg/Eschenbach (1996) S. 5; Crossan/Lane/White (1999) S. 522; Hennemann (1996) S. 9; Reinhardt (1993) S. 34; Hedberg (1981) S. 3. ^ Die inhaltliche und methodische Heterogenitat der organisationalen Lernkonzepte erweist sich allerdings auch in zwelfacher Hinsicht als nutzlich. Aus praktischer Sicht tragt sie dazu bei, den situativen Rahmenbedingungen der Unternehmen Rechnung zu tragen. Aus wissenschaftlicher Sicht ist die Konzeptevielfalt als positiv zu beurteilen, da sich die diversen Fragestellungen des organisationalen Lernens nIcht mit einem einzigen Konzept beantworten lassen. Vgl. Huber (1991) S. 88 und 107. Eine ahnliche Argumentation findet sich auch bei Behnam, der sich jedoch auf strateglsche Managementkonzepte bezieht. Vgl. Behnam (1997) S. 30.

1. Einleitung

Vorhandene Modelle, Ansatze und Konzepte erfahren zwar eine immer weitere Ausdifferenzierung, nicht jedoch eine einheitliche theoretische Integration.^^ WEICK und WESTLEY betonen darum: „There appears to be more review of organizational learning than there is substance to review. Most reviews are summaries of a common body of work.'^^ Diese Problematik grundet vor allem darin, dass vielen traditionellen Ansatzen keine einheitliche erkenntnistheoretische Basis zugrunde liegt, die in alien Modellaspekten Berijcksichtigung findet. Die Forschung des organisationalen Lernens findet zu weiten Teilen in einem theoretischen Vakuum statt und zieht eine verwirrende konzeptionelle Heterogenitat nach sich.^^ Dieser Mangel fuhrt dazu, dass schon die Konzeptbezeichnung „organisationales Lernen" selbst schwer fassbar ist und damit unklar bleibt, „was Organisations-Lernen denn eigentlich ganz genau bedeutet'^^ Diese Unklarheiten werfen vor allem die Frage auf, wer im Rahmen des Organisationslernens genau lernt. Im Allgemeinen gilt „Lernen" als eine rein intraindividuelle Tatigkeit, die sich primar im Nervensystem einzelner Lerntrager abspielt und zumeist mit der Individuumsebene assoziiert Ist. Aufgrund des Adverbs ..organisational" scheint sich das Konzept des Organisationslernens hingegen auf interaktive Aktivitaten zu beziehen und ist auf der kollektiven Ebene anzusiedeln.^ Insgesamt erwachst der Eindruck, dass mit dem Konzept des organisationalen Lernens zwei Phanomene miteinander verbunden werden, die ganzlich unterschiedlicher Natur sind.^° Dieser Eindruck spiegelt sich insbesondere in der herrschenden Unsicherheit daruber wider, ob und wie die rein indivlduumsbezogenen Begrifflichkeiten des Lernens oder der Kognition^^ auf den organisationalen Kontext ubertragbar sind bzw. wie indivlduelle

^^ Vgl. Vera/Crossan (2004) S. 224; Forman (2004) S. 16; Krautwurst (2001) S. 189; Lahteenmaki/Toivonen/Mattila (2001) S. 114; Troisdorf/Hohlfeld (2000) S. 576; Kllmecki/LaRleben (1998) S. 65; Miller (1996) S. 485; Reinhardt (1993) S. 37; Giola/Manz (1985) S. 537. ^^ Weick/Westley (2003) S. 440. ^' Vgl. Klimecki/Laflleben/Thomae (2000) S. 65 und 84-85; Prange (1999) S. 24-25; Roehl/ WIegand (1998) S. 17; GelBler (1998b) S. 163; Klimecki/La(ileben/Riexinger-Li (1994) S. 3031. ^® Geililer (1996) S. 81. Zur Betonung der Unklarheiten im Hinblick auf den Konzeptnamen des organisationalen Lernens siehe vor allem TsoukasA/ladimirou (2004) S. 363; WeIck/ Westley (2003) S. 446; Schwaab/Scholz (2000) S. 360; Roehl/Wiegand (1998) S. 18; Wieselhuber/Stihl(1997)S. 14. ^^ Vgl. Maier/Prange/Rosenstiel (2001) S. 15; Geidler (1996) S. 81-82. ^° Vgl. Thomas (2002) S. 384. ^^ Mit dem Begrlff der Kognition werden die Prozesse des Wahmehmens und Denkens bezelchnet. Vgl. Thobe (2002) S. 87; Sammer (2000) S. 20. Siehe auch Nerdinger (2003) S. 3132. Nystrom und Starbuck definieren kognitive Strukturen als Erwartungshaltungen oder Weltsichten von Individuen. Vgl. Nystrom/Starbuck (2004) S. 102.

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und kollektive Lernaktivitaten zusammenspielen.^^ Die vorhandenen Lernkonzepte gehen zwar relativ einstimmig davon aus, dass das Organisationslernen nicht die Summe individueller Lemprozesse darstellt. Sie prazisieren jedoch nicht, was den Unterschied Oder die Verbindung zwischen beiden Lemebenen genau ausmacht.^^ In diesem Zusammenhang lassen sich drei ..Vermeidungsstrategien" unterscheiden, die die traditionellen Lernkonzepte anwenden, urn den Bruckenschlag zwischen individuellen und organisationalen Lernprozessen zu umgehen. Im Rahmen einer ersten reduzieren die Autoren das Organisationslernen vollkommen auf individuelle Lemprozesse und unterstellen, dass Organisationen selbst keine eigenstandige Lernfahigkeit haben.^ Dabei vermischen sie allerdings individuelle und kollektive Phanomene und nehmen kelne Abgrenzung vor.^^ EIne zweite Vermeidungsstrategie besteht darin, die Theorien des indlviduellen Lernens direkt auf den organisationalen Kontext zu ubertragen. Es handelt sich dabei urn eine rein metaphorische Nutzung des Lernbegrlffs.^^ Die Autoren sprechen Organisationen die kognitiven Fahigkeiten zu, wie Individuen Informationen zu verarbeiten und ihr Verhalten auf Basis des Eriernten zu modifizieren.^^ Da sie dazu Organisationen sowie die Prozesse des organisationalen Lernens auf einem hohen Aggregationsniveau betrachten miissen, weichen sie ebenfalls dem Problem aus, die Unterschiede und die Zusammenhange individueller und kollektiver Phanomene zu prazisieren.^^ Im Rahmen einer dritten ..Vermeidungsstrategie", dem Mehrebenen-Modell, erfolgt schliefilich eine gesonderte Betrachtung der Ebenen des Individuums, der Gruppe und der Organisation.^^ Nach dieser Vorstellung werden individuell eriernte Wissensberei-

^^ Vgl. Berends/Boersma/Weggeman (2003) S. 1036-1037; Williams (2001) S. 67; Huysman (1999) S. 63; Aderhold (1999) S. 51. Dieses betonen ebenfalls Kim (2004) S. 29; Hedberg (1981)3.6-7. ^^ Vgl. Berends/Boersma/Weggeman (2003) S. 1036; Senge (2003) S. 48; Welck/Westley (2003) S. 446; Huysman (1999) S. 59; Schreyogg/Eberl (1998) S. 519; Conrad (1998) S. 39; Petersen (1998) S. 89-90; Klimecki/Thomae (1997) S. 14; Oberschulte (1994) S. 34; Hedberg (1981)3.6. ^^ Vgl. Berends/Boersma/Weggeman (2003) 3. 1036; Prange (1999) 3. 27. In Aniehnung an Reber (1989) bezeichnet Hennemann diese Position als methodologischen Indlvldualismus. Vgl. Hennemann (1996) 3. 21-22 Lernkonzepte. die sich dieser Annahme zuordnen lassen, stammen u. a. von Hedberg (1981) 3. 6; Duncan/Weiss (1979) 3. 89. ^^ Vgl. Argyris/3ch6n (2002) 3. 20. ^® Vgl. Berends/Boersma/Weggeman (2003) 3.1037; Hennemann (1996) 3.23-25; GeiBler (1996)3.81. ^^ 3iehe dazu Klimecki/LaBleben/Thomae (2000) 3. 67 Weitere Ansatze dieser Art stammen u.a. von Walsh/Ungson (1991) und Daft/Weick (1984). ^® Vgl. Argyris/3ch6n (2002) 3. 199. ^^ Vgl. Hennemann (1996) 3. 25-26 Lernkonzepte, die dieser Vorgehensweise folgen, stammen bspw. von Kim (2004) Oder Geller (1996).

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Che in allgemein zugangliche Speichermedien uberfuhrt und so der Gesamtorganisation zur Verfijgung gestellt. Individuelle Lemprozesse bilden dementsprechend die Basis organisationalen Lernens.'^^ Das komplexe Zusammenspiel individueller und sozialer Prozesse, das erst zur Entstehung und Nutzung solcher Wissensspeicher fuhrt, findet in diesen Ansatzen allerdings nur eine geringe Beachtung. Insgesamt verdeutlichen diese Ausfiihrungen, dass kaum Lernkonzepte existieren, die den Zusammenhang zwischen dem individuellen und dem organisationalen Lernen sowie den Ubergang von der Individuums- zur Organisationsebene eindeutig explizieren."^^ Diese mangelnde Prazisierung stellt daher die zentrale Forschungslucke^^ und damit die Problemstellung der vorliegenden Untersuchung dar. Die Schliefiung dieser Forschungslucke bzw. die Losung dieser Problemstellung ist sowohl von theoretischer als auch von praktischer Relevanz. Theorie und Praxis hangen in diesem Kontext zusammen und sind nicht voneinander zu trennen. So verringert die Klarung der Zusammenhangs- und Ubergangsproblematik individuellen und organisationalen Lernens die mit dem Konzept des Organisationslernens einhergehende theoretische Undurchsichtigkeit und erieichtert so seine praktische Umsetzbarkeit. Die Wandlungsunfahigkeit vieler Unternehmen resultiert vor allem daraus, dass Manager und Mitarbeiter oft nicht wissen, wie die Ideen und das Wissen Einzelner in der Gesamtorganisation verteilt und alien Unternehmensbereichen zuganglich gemacht werden konnen. Erst wenn daruber Klarheit besteht bzw. sich theoretisch fundiert begrijnden lasst, wie die Phanomene des individuellen und organisationalen Lernens zusammenhangen und wie sich der Ubergang von der einen zur anderen Ebene vollzieht, konnen Organisationen das Wissen ihrer Mitarbeiter praktisch nutzen. Anders ausgedruckt bedeutet dies, dass das organisationale Lernen seine positiven Wirkungen auf die Handlungskompetenz der Gesamtorganisation nur im Anschluss an eine theoretische Klarung der Zusammenhangs- und Ubergangsproblematik entfalten kann.

^° Vgl. Berends/Boersma/Weggeman (2003) S. 1037. Als Wissensspeicher gelten u. a. handlungsleitende Organisationstheorien, (vgl. dazu Argyris/Schon (2002)), organisationale Wissensbasen (vgl. Wengelowski (2000); Pautzke (1989); Duncan/Weiss (1979)) Oder geteilte mentale Modelle (vgl. Senge (2001)). Zur genaueren Eriauterung dieser Zusammenhange siehe auRerdem Kapitel 3 dieser Untersuchung. ^^ Vgl. Huysman (1999) S. 63-64; Aderhold (1999) S. 51; Raff6e/Abel (1979) S. 300; Hennemann (1996) S. 20. Siehe zu diesem Zusammenhang Kapitel 3.3 der vorliegenden Arbeit. ^^ Aus wissenschaftstheoretischer Sicht bildet der Zusammenhang zwischen individuellen und organisationalen Lernprozessen das Erkenntnisobjekt der vorliegenden Arbeit.

1. Einleitung

Basierend auf dieser Problemstellung besteht das Forschungsziel der vorliegenden Arbeit darin, ein Phasenkonzept zu entwickein, das den Ubergang vom individuellen zum organisationalen Lemen theoretisch klaren und seine Umsetzung in der Praxis erieichtern kann. Urn dieses zu erreichen, ist im Vorfeld ein einheitlicher Bezugsrahmen des Organisationslernens zu erarbeiten, in dem der Zusammenhang und die Schnittstellen zwischen der Individuums- und der Organisationsebene darstellbar sind. BERENDS, BOERSMA und WEGGEMANN sehen einen der HauptgriJnde fur die Entstehung der obigen Forschungslucke darin, dass die vorhandenen Lernkonzepte - wenn sie ihre Argumente uberhaupt theoretisch fundieren - primar auf individuelle oder auf psychologisch orientierte Lerntheorien zuruckgreifen/^ Soziale Theorien oder soziologische Erkenntnisse finden hingegen kaum Beachtung. Der Vorteil soziologischer Theorien besteht jedoch gerade darin, dass sie sowohl individuelle als auch kollektive Aspekte in die Analyse einbeziehen, ohne eine der beiden Ebenen zu vernachlassigen."^ Aus diesem Grund basiert die hier gewahlte Herangehensweise zur SchlieRung der Forschungslucke auf konstruktivistischem Gedankengut bzw. auf der Zusammenfuhrung des radikalen und des sozialen Konstruktivismus als erkenntnisleitende Theorien.^^ Da beide Theoriepositionen (wissens)soziologische Elemente aufweisen, konnen sie die von BERENDS, BOERSMA und WEGGEMANN angefijhrten Kritikpunkte umge-

hen."^^ Zusatzlich deutet sich die allgemeine Nutzlichkeit des Konstruktivismus zur Befruchtung der organisationalen Lernforschung in einigen Arbeiten bereits an. Eine Literaturanalyse zeigt, dass sich in zahlreichen Lernkonzepten konstruktivistische Gedankengange finden, ohne dass diese jedoch explizit dieser Theorieperspektive zugeordnet werden."^^ Eine Reihe von Argumenten spricht zudem fur die Vermutung, dass be-

^^ Berends/Boersma/Weggeman (2003) S. 1038. Siehe auch Maier/Prange/Rosenstiel (2001) S. 15. Die Autoren gehen davon aus, dass psychologische Erkenntnisse die Umsetzung organisationaler Lernprozesse unterstutzen. "^ Vgl. Berends/Boersma/Weggeman (2003) S. 1038; Berthoin Antal (2003) S. 88; Walgenbach (2002) S. 355. In ahnlicher Form siehe auch Wathne/Roos/Krogh (1996) S. 58. ^^ Eine detaillierte Darstellung der Unterschiede und Gemeinsamkelten beider konstruktivistischen Theoriestrange sowie der Vorteil ihrer Zusammenfuhrung erfolgt in Kapitel 2.4. *'® Vgl. Fried (2001) S. 31. Berger und Luckmann als Vertreter des sozialen Konstruktivismus verstehen sich als Wissenssoziologen und versehen Ihre Ausfuhrungen daher mit dem Untertitel: „Eine Theorie der Wissenssoziologie". Vgl. Berger/Luckmann (2003) S. 1-20. ^^ Vgl. Geifiler (1998b) S. 163. Weitere konstruktivistische Gedankengange lassen sich u. a. in den Arbeiten von Probst/Buchel (1998); Reinhardt (1993); Weick (1991); Pautzke (1989); Kllmecki/La(ileben/Riexinger-Li (1994) finden. Genauere Beschreibungen finden sich in Kapitel 3.3 der vorliegenden Untersuchung.

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senders eine Zusammenfuhrung des radikalen und sozialen Konstruktivismus zur Schliedung der Forschungslucke beitragen kann."^® Das Hauptargument besteht darin, dass eine Integration beider Konstruktivismusarten in der Lage ist, individuelle und soziale Phanomene gleichermaflen abzubilden. So basieren beide Theoriestrange auf den gleichen erkenntnistheoretischen Grundlagen und rechtfertigen ihre Zusammenfuhrung, ohne sich dem Vorwurf des Eklektizismus"^^ auszusetzen. Trotzdem weisen sie unterschiedliche Schwerpunkte auf. Der radikale Konstruktivismus konzentriert sich primar auf die kognitiven Vorgange des individuellen Wissensaufbaus.^° Der soziale Konstruktivismus betrachtet hingegen die Prozesse interindividueller Interaktion und Kommunikation, die zur Entstehung eines kollektiven Wissensvorrats beitragen. Beide Theoriestrange formulieren somit explizite Aussagen bezuglich menschlicher Wissenskonstruktions- und damit Lernprozesse.^^ Aufgrund dieser Eigeschaften fuhrt die Integration des radikalen und sozialen Konstruktivismus zu einem Repertoire an Begriffen und Vorstellungen, mit dem das Phanomen des Organisationslernens beschreibbar ist. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine radikal-sozialkonstruktivistlsche Herangehensweise das organisationale Lernens in der „einzig richtigen" Art und Weise abbildet. Ihr Vorteil besteht vielmehr darin, dass sie das Organisationslernen auf Basis einheitlicher erkenntnistheoretischer Vorstellungen erklart und so die mit diesem Phanomen elnhergehende konzeptionelle Unscharfe umgehen kann.^^

' Hier steht nur die Uberprijfung der generellen Eignung des konstruktivlstlschen Gedankenguts zur Beantwortung der Forschungsfrage im Mittelpunkt. Eine detailllerte Darstellung beider konstruktivistischer Spielarten erfolgt im zweiten Kapitel dieser Arbeit. * In der Phllosophle wird der Begriff Ekiektizismus (griech. eklekt6s "ausgewahit") genutzt, urn Gedankensysteme zu bezeichnen, die Ideen und Thesen sehr unterschiedlicher Theorlerichtungen ohne Ausschluss logischer Widerspruche, Erklarung von Gemeinsamkeiten und ohne Versuch zu einer schopferischen Synthese zu einem neuen ideensystem zusammenfiihren. Vgl.Cooksey (2001)8.84. ' Vgl. Fried (2001) S. 45; Dettmann (1999) S. 4; Frindte (1995) S. 113. So hat das konstruktivistische Gedankengut zur Erklarung des individuellen Lernens und Lehrens bereits eine wachsende Bedeutung erfahren. Vgl. Asghar (2001) S. 16; Olssen (1996) S. 275; Cobern (1993) S. 105. • Dieses Ist der ausschlaggebende Hinweis fur die Einnahme einer konstruktivistischen Perspektive. Prinzlpiell wijrde sich auch eine systemtheoretische Sichtweise anbieten (vgl. LaBleben (2002) sowie Scherf-Braune (2000)). Im Rahmen dieser Theorie kommt der Mensch als komplettes Indivlduum allerdings nicht mehr vor. Er wird stattdessen als ein Wesen konzlpiert, das in verschiedene Systeme (organisches, psychisches, soziales) eingebunden ist. Aus diesem Grund ist die Systemtheorie zur Losung der Problemstellung dieser Arbeit weniger hilfreich (vgl. Groth (1996) S. 84). Zum systemtheoretischen Individuumsverstandnis siehe Aderhold (2003) S. 177-183; Luhmann (1987) S. 286-376. Ferner lielie sich die Forschungslucke auf der Basis von Giddens Strukturationstheorie schlieHen. Diese liefert zwar wichtige Erkenntnisse bezuglich des Verhaltnisses von Indivlduum und System, die die Forschung des Organisationslernens vorantreiben (Slehe dazu Berends/ Boersma/ Weggemann

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1. Einleitung

Uber die einheitliche theoretische Fundierung hinaus bringt die radikal-sozialkonstruktivistische Theorie ein Wissensverstandnis mit sich, das Wissen als individuumsabhangiges und subjektives Konstrukt charakterisiert.^^ Da es nur durch aktive Konstruktionsprozesse entstehen kann, ist Wissen nicht in linearer Form ubertragbar. Aus diesem Grund stehen nicht konkrete Inhalte des Wissens im Forschungsmittelpunkt des Konstruktivismus, sondern die intra- und interindividuellen Prozesse seiner Entwicklung.^ Diese Vorgehensweise entspricht der Argumentation neuerer Konzeptionen des organisationalen Lernens. Sie betonen vermehrt, dass das Phanomen des Organisationslernens deswegen so komplex und problematisch ist, da Wissen gerade nicht objektiv richtig und in linearer Weise ubertragbar ist.^^ Analog zur konstruktivistischen Herangehensweise konzentrieren sie sich daher ebenfalls weniger auf die Analyse konkreter Wissensinhalte, als vielmehr auf die Erforschung wissensstiftender Organisationsprozesse. In diesem Sinne markiert das Themengebiet des Organisationslernens ein zentrales Feld, in denen das traditionelle, funktionalistisch orientierte Fijhrungsund Organisationsverstandnis an seine Grenzen stofit.^® Mit der Annahme, dass Wissen eine aktive Konstruktionsleistung darstellt, vertritt der Konstruktivismus zusatzlich die These, dass Individuen zwar die Moglichkeit haben, die Denk- und Verhaltensweisen anderer zu beeinflussen, nicht jedoch unmittelbar zu determinleren.^^ Mit dieser gemaliigt voluntaristlschen Sichtweise^^ kann er die Komplexitat des organisationalen Lernens hervorheben und begrunden, warum organisationale

(2003)). Sie lasst sich nach Walgenbach jedoch noch nicht als „fertlges und benutzerfreundliches Konzept" verstehen. Im Gegensatz zum Konstruktivismus, der seine ontologischen und epistemologischen Grundlagen eindeutig expliziert, zeichnet sich die Strukturationstheorie (noch) durch einen Methodendualismus und eine stark ekiektische Vorgehensweise aus. Walgenbach (2002) S. 369 und 375. Diese wijrden einer einheitlichen, theoretischen Fundierung des Organisatlonslemens entgegenstehen. Zur Strukturationstheorie siehe Giddens (1997); Giddens (1993); Giddens (1991); Gilbert (2003). ^^ Die Kritik an der Definition von Wissen, WIrklichkeit Oder Methodenvalidltat als objektive GroRen hat in den letzten 20 Jahren zunehmend an Bedeutung gewonnen und eine verstarke Anwendung reflexiver Untersuchungsmethoden ausgelost. Vgl. Cunliffe (2003) S. 983; Schwandt (2000) S. 189-190. ^ Vgl. Hejl (2000) S. 39-40. Siehe auRerdem Kapitel 2 dieser Arbeit. ^^ Vgl. Macharzina/Osterle/Brodel (2001) S. 635-636. Siehe zu diesem Zusammenhang auch Senge (2004a) S. 2-4. ^^ Vgl. Fallgatter/Koch (2000) S. 88-89; Wimmer (2000) S. 278. ^^ Siehe dazu besonders Kapitel 2.2.2 der vorllegenden Untersuchung. ^® Eine voluntarlstische Haltung geht im Gegensatz zu einer gemaliigt voluntaristlschen davon aus, dass jegliche Individuellen Handlungen und Denkweisen ausschlielilich dem Willen des denkenden bzw. handelnden Individuums unterliegen. Vgl. Evers (1998) S. 111.

1. Einleitung

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Lernprozesse nicht durch gezielte Interventionsmafinahmen steuerbar sind.^^ Anknijpfend an diese kurze Einfiihrung in den Konstruktivismus als erkenntnisleitende Theorie lasst sich das angestrebte Forschungsziel, die Klarung der Zusammenhangsund Ubergangsproblematik von individuellen und organisationalen Lemprozessen, in die folgenden vier Subziele bzw. Forschungsfragen unterteilen: 1) Wie lasst sich der Zusammenhag zwischen der Individuums- und der Organisationsebene aus konstruktivistischer Sichi erklaren bzw. wie lassen sich beide Ebenen voneinander abgrenzen? 2) Was ist unter dem Phanomen des Organisationslernens aus konstruktivistischer Sicht zu verstehen bzw. wie ist es zu definieren? 3) Wie lasst sich der Obergang vom individuellen zum organisationalen Lernen erklaren? Diese drei Forschungsfragen fungieren als Meilensteine der Erkenntnisgewinnung und strukturieren die theoretische Herangehensweise zur SchlieRung der ForschungsliJcke. Wegen des hohen praktischen Interesses an dem Konzept des Organisationslernens ist aufierdem zu klaren: 4) Durch welche Instrumente und Mafinahmen lasst sich der Obergang vom individuellen zum organisationalen Lernen in der Praxis fordern? Mit diesen vier Forschungsfragen weist die vorliegende Arbeit sowohl eine theoretische als auch eine praxisorientierte Zielsetzung auf. Bevor im folgenden Kapitel die Methodik zur Beantwortung dieser Forschungsfragen eriautert wird, fasst die Abbildung 1.1 die Problemstellung und Zielsetzung der vorliegenden Untersuchung graphisch zusammen.

Vgl. Fried (2001) S. 53. Zusatzlich sieht Malik die Vorteile einer konstruktivlstischen Herangehensweise darin, dass sie die Komplexitat „der reaien Welt" nicht vereinfacht oder von ihr abstrahiert. Vgl. Malik (2001) S. 316. Auch Ulrich betont, dass WIssenschaftler durch ein rein kausal-analytisches Denken gerade die SItuationen „zerst6ren", die sie erfassen und untersuchen sollten. Vgl. Ulrich (1982c) S. 172.

12

LEinleitung

Abbildung 1.1: Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit Das Phanomen des Organisationsiernens als Forschungsmitteipunkt Vorteil: hohe praktische und theoretische Relevanz Nachteil: konzeptionelle Heterogenitat. kein einheitlich theoretisch fundierter Bezugsrahmen

ForschungsiiJcke: Unklarheiten beziiglich der Bedeutung des Konzeptnamens "organisationales Lemen" des Zusammenhangs zwischen individuellem und organisationalem Lemen der Obergange von der individuellen zur organisationalen Ebene

Forschungsziele Entwicklung eines Bezugsrahmens zur Definitton des Organisationsiernens und zur Karung des Zusammenhangs zwischen individuellen und organisatwnalen Lemprozessen Entwicklung eines Phasenkonzeptes zur Klarung der Ut)ergange von individuellen zu organisationalen Lemprozessen

Forschungsfragen: Theorleorientiert / 1) Welcher Zusammenhang t)esteht zwischen ( der Individuums- und der Organisations\ et)ene? \ 2) Was ist unter dem Phanomen des Orga\ nisationslemens zu verstehen? J 3) Wie lasst sich der Ut)ergang vom individu[ ellen zum organisationalen Lemen gestalten?l

Praxisorientiert 4) D^rch wetehe Instrumente und Malinahmen asst sich der Ul)ergang yon individuellen zu organisationalen Lemprozessen in der Praxs fordem ?

Erkenntnisleitende Theorie: radikaler und sozialen Konstruktivismus

1.2 Wissenschaftstheoretischer Hintergrund und Methodik Eine wissenschaftstheoretische Einordnung ist notwendig, da wissenschaftliche Arbeiten stets der „Klarung des Status von wissenschaftlichen Aussagen und des zugrunde liegenden Verstandnisses wissenschaftlicher Praxis [bedurfen].'^^ Versteht man Wissenschaft aus konstruktivistischer Sicht als systematische Untersuchung erfahrener Phanomene, muss Klarheit daruber herrschen, welche impliziten Annahmen und GeltungsanspriJche mit den erarbeiteten Aussagen und den angewandten Forschungsmethoden verbunden sind.^^ Zur Beantwortung dieser Fragestellungen kann die Wissenschaftstheorie einen Beitrag leisten. Als Metatheorie konzentriert sie sich weniger auf die spezifischen Methoden und Verge he nswei sen verschiedener Einzeltheorien. Vielmehr beschaftigt sie sich mit der Frage, welche Bedingungen und Moglichkeiten mit der gewonnen Erkenntnis einhergehen.®^

°"Ruegg-Sturm(2001)S. 15. ®' Vgl. Ruegg-Sturm (2001) S. 15; Glasersfeld (2001) S. 33-34; Riegler (2001) S. 9. ®^Vgl. Poser (2001) S. 16.

LEinleitung

13

Vor diesem Hintergrund umfasst die wissenschaftstheoretische Einordnung der vorliegenden Untersuchung drei voneinander abhangige Themenkomplexe, die im Folgenden eriautert werden:^^ 1) das zugrunde liegende Wissenschaftsverstandnis der

Betriebswirtschaftslehre

2) die angestrebten Erkenntnisziele bzw. -zwecke und 3) die angewendete Forsctiungsmethode bzw. -strategie der Arbeit.^ Das Wissenschaftsverstandnis

der vorliegenden Arbeit folgt der Argumentation UL-

RiCHs, der die Betriebswirtschaftslehre als angewandte bzw. als anwendungsorientierte Sozialwissenschaft^^ definiert. Diese siedelt er zwischen der Grundlagenforschung und der Praxis an. Dabei zelchnet sich die anwendungsorientierte Sozialwissenschaft durch funf Kriterien aus, die ein wissenschaftsgeleitetes, praktisches Handein ermoglichen.^ Urn die Einordnung der vorliegenden Untersuchung in die angewandte Forschung zu begrunden, werden im Folgenden die funf Kriterien ULRICHS kurz eriautert und jeweils auf die Problemstellung und Zielsetzung der vorliegenden Arbeit ubertragen. •

Praxisursprung des Problems: Die Probleme der angewandten Forschung entstammen der Praxis. Sie entstehen demnach - wie auch die Zusammenhangs- und Ubergangsproblematik individuellen und organisationalen Lernens ~ auRerhalb der Wissenschaft. Diese Vorstellung vertritt auch die konstruktivistische Theorie. Sie unterstreicht, dass Probleme nur dann entstehen, wenn Individuen im Rahmen aktiver Auseinandersetzungen eine Diskrepanz zwischen erwarteten und tatsachlichen

^^ Vgl. Strufl (2003) S. 7; Sachs/Hauser (2002) S. 35. ^^ Diese drei Themenkomplexe entsprechen auch Thommens Kriterien zur wissenschaftstheo retischen Einordnung wissenschaftlicher Arbeiten. Thommen bezleht zusatzllch das Forschungsobjekt in seine Betrachtung ein. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurde dieses jedoch bereits in der Problemstellung eriautert. Vgl. Thommen (1986) S. 31-48. ®^ Vgl. Ulrich (1982b) S. 19-21. Im Gegensatz zur Schmalenbachschen Auffassung der Betriebswirtschaft als Kunstlehre, der Riegerschen Position ihrer Wertfreiheit und der Forderung Gutenbergs nach erfahrungswissenschaftlich fundierten Theorlen der Betrlebswirtschaft, gilt das Verstandnis Ulrichs als allgemein anerkannt. Vgl. Schanz (1977) S. 75; Steinmann et al. (1976) S. 51. Kieser und Nicolai betonen hingegen, dass Praxis und Managementwissenschaften auseinanderdriften. Den Grund dafur sehen sie in der Selbstreferenz der modernen Wissenschaft. Die Autoren betrachten sie als Kommunikationsnetzwerk, das „auf Basis wissenschaftlicher Kommunikation weitere wissenschaftliche Kommunikation reproduziert." Kleser/Nicolal (2003) S. 591. Ziel der Wissenschaft kann es daher nicht sein, instrumentelles Wissen zu generieren. Sie soil vielmehr den Raum erweitern, in dem die Praxis selbst L6sungen entwickelt. Vgl. Kieser/Nicolai (2003) S. 592-593. ^ Vgl. Ulrich (1984) S. 202-203; Ulrich (1982a) S. 53-56; Ulrich (1982b) S. 19-44. Siehe auch Thommen/Achleitner (2003) S. 51-52; Sachs/Hauser (2002) S. 27-28; Fuchs (2001) S. 5-7; Schneidewind (1993) S. 23-25.

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LEinleitung

Handlungsergebnissen feststellen.^^ Es bedarf somit stets eines praktischen Anwendungsbezugs. Das Untersuchungsziel der angewandten Forschung ist deshalb nicht die Bestatigung allgemeingultlger Gesetzmaliigkeiten Oder TheorJen (hier das entwickelte Phasenkonzept), sondern ihre Anwendbarkeit in der Praxis. •

Interdisziplinaritat: Da praktische Problemfelder sich nicht nach bestimmten Disziplinen klassifizieren lassen, ist auch die angewandte Forschung interdisziplinar ausgerichtet.^ Dieser Anforderung entspricht die vorliegende Arbeit, indem sie die soziologisch-philosophischen Erkenntnisse des Konstruktivismus mit managementorganisationstheoretischen Vorstellungen verbindet. Auf diese Weise ermoglicht sie eine interdisziplinare Untersuchung der Zusammenhangs- und Ubergangsproblematik individuellen und organisationalen Lernens.^® AuRerdem flieflen sowohl in das Konzept des Organisationslernens als auch in die konstruktivistische Theorie Annahmen, Vorstellungen und Ideen zahlrelcher Disziplinen und Forschungsrichrichtungen e l n / °



Konzeptionalitat: Wahrend die emplrische Grundlagenforschung versucht, die bestehende Wirklichkeit mit Hilfe allgemeiner Theorien zu erklaren, zielt die angewandte Forschung darauf ab, neuartige Modelle zum Umgang mit der Wirklichkeit zu erarbeiten. Durch die Entwicklung des Bezugsrahmens und des Phasenkonzepts zur Klarung des Ubergangs vom individuellen zum organisationalen Lernen weist auch die vorliegende Arbeit einen konzeptionellen Charakter auf. Dabei konnen jedoch weder der Bezugsrahmen noch das Phasenkonzept die Ubergangsproblematik in der einzig richtigen Weise klaren. Ein solcher Versuch widersprache der konstruk-

®Wgl. Landry (1995) S. 328-329; Wiesner/Willutzki (1992) S. 351. ®® Durch die Kombination unterschiedlicher Forschungsansatze lassen sich tradltionelle organisationstheoretische Konzepte weiterentwickeln. Vgl. Ulrich (1982a) S. 53-55. Grenzen erfahren diese positiven Wirkungen dann, wenn die zugrunde liegenden Annahmen unterschiedlicher Theorien inkommensurabel bzw. unvereinbar sind. Dies fuhrt dazu, dass die Theorien bei der Analyse des gleichen Erkenntnisobjektes zu nicht verglelchbaren Losungen gelangen. Zur Inkommensurabilitatsproblematik vgl. Scherer (2002) S. 19-22; Picot/Dietl/Franck (2002) S. 34. ^® Vgl. Thommen/Achleitner (2003) S. 51. ^° So flieden Erkenntnisse der Neurobiologie, Philosophie, Kybernetik und Soziologie in den Konstruktivismus ein. Siehe dazu u. a. Krause (2000) S. 532; Dettmann (1999) S. 1. Die Forschung des organisationalen Lemens erstreckt sich auf Erkenntnisse der Psychologle, Soziologie und Managementlehre. Vgl. Argote/Mc Evily/Reagans (2003) S. 571-572; Berends/Boersma/Weggeman (2003) S. 1036; Gherardi/Nicolini (2001) S. 35-36; EasterbySmlth/Araujo (1999) S . I ; Conrad (1998) S. 40; Geifiler (1998a) S. 35; Dogson (1993) S. 375.Zusammenfassende siehe auch Morgan (2004) S. 71. Dm die Interdisziplinaritat beider Bereiche zu betonen, spricht die Literatur vom Diskurs des Konstruktivismus. Vgl. Schmidt (2003) S. 11-88; bzw. vom Diskurs des (organisationalen) Lernens. Vgl. Contu/Grey/Ortenblad (2003) S. 932; Geidler (1998b) S. 164.

LEinleitung

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tivistischen Grundannahme, dass Individuen die ontologische Realitat niemals vollstandig und in einzig richtiger Weise erfassen konnen/^ •

Forschungsnutzen in der Praxis: Das Ziel der anwendungsorientierten Wissenschaft besteht in der Entwicklung von Handlungsmodellen, die fur die Praxis nutzbringend sind. Nicht die absolute Gultigkeit wissenschaftlicher Aussagen, sondern ihre Zuverlassigkeit bildet ihr Regulativ. Diesem Ziel wird die vorliegende Untersuchung mit der vierten Forschungsfrage gerecht, deren Beantwortung sich mit den praktischen Umsetzungsmoglichkeiten des Phasenkonzeptes beschaftigt. Auf diese Weise fiihrt sie zu einem theoriegeleiteten Orientierungsrahmen, der zur Verbesserung des Organisationslernens in der betrieblichen Praxis dient/^

• Wertbezogenlieit der Forschung: Abschlieflend ist die angewandte Wissenschaft stets normativ, well jegllche forschungsleitenden Analysekriterien immer subjektive Werturteile des Forschers darstellen/^ ASTLEY formuliert in diesem Zusammenhang: „Our theories determine what will count as a fact in the first place. "^^ Auch die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit sind deshalb nicht wertfrei. Durch die Einnahme einer konstruktivistischen Perspektive sind sie an zahlreiche Grundannahmen gekoppelt. Das Kriterium der Wertfreiheit leitet zum zweiten Themenkomplex der wissenschaftstheoretischen Einordnung uber, die Zwecke bzw. Z/e/e der angestrebten Erkenntnis. Diese sagen aus, welche ,Art von Aussagen uber das Forschungsobjekt

aufgestellt

werden und wozu [sie] [...] dienen sollen."^^ Sie lassen sich jedoch nicht isoliert herausarbeiten, sondern sind an die paradigmatischen^^ Grundannahmen des Forschers

^^ Vgl. Fischer (2000) S. 16. Zu weiteren Ausfuhrungen siehe Kapitel 2.1.2 dieser Arbeit. ^^ Vgl. Ulrich (1982b) S. 30. Ahnliche Ausfuhrungen finden sich bei Wollnik. Er unterstrelcht, dass sich ein wissenschaftlicher Fortschritt In der Entwicklung problemrelevanter Aussagen zeigt, die Fuhrungspersonen zu kontrollierten Handlungen befahigen. Vgl. Wollnik (1977) S. 39-40; Kleppel (2003) S. 581. ^^ Zur genaueren Darstellung normativer Werturteile siehe auch Maurer (2004) S. 33-34. '^Astley (1985)8.498. '^Thommen (1986)8.34. ^^ Das Konstrukt des Paradigmas stammt ursprunglich von Kuhn (1996). Dieser definlert Paradigmen als theoretische Annahmen sowie als methodologische Vorgehensweisen ihrer Anwendung. Er konzipiert daher Newtons Bewegungsgesetze als newtonsches Paradigma Oder Maxwells Gleichungen als Teile des Paradigmas der elektromagnetischen Theorie. Vgl. Chalmers (2001) 8. 89-90. 8lehe auch Burrell (2003) 8. 647; Meyer, A. (2000) 8. 32-33. Dem gegeniiber unterstellen Burrell/Morgan (2001) 8. 36 einen weiteren Paradigmen-Begriff, welcher auf meta-theoretischen Grundlagen basiert. Nach dieser Vorstellung spiegein Paradigmen die zugrunde liegenden Annahmen bzgl. der ontologischen und epistemologischen Grundposition sowIe des Erkenntnisinteresses eines Forschers wider. 8ie stehen fur unbewusst unterstellte ..Standards der Wissenschaftlichkeit", die innerhalb einer Wissenschaftsgemeinde anerkannt, auRerhalb dieser jedoch bezwelfelt werden. Zu dieser brelteren Para-

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LEinleitung

gebunden und nur auf dieser Basis bestimmbar. Da die vorliegende Untersuchung darauf abzielt, den Zusammenhang zwischen dem individuellen und organisationalen Lernen auf Basis konstruktivistischer Ideen zu klaren, ist im Folgenden zu prufen, welchem wissenschaftlichen Paradigma eine solche Vorgehensweise zuzuordnen ist. Dazu lassen sich verschiedene Klassifizierungsschemata unterscheiden, die die existierenden erkenntnistheoretischen Positionen bestimmten Paradigmen zuordnen. Eine der meist zitierten Klassifizierungen stammt von BURRELL und MORGAN (1979 bzw. 2001)/^ Die Autoren spannen die in Abbildung 1.2 visualisierte Vierfeld-Matrix auf, in der sie vier Paradigmen der Organisationsforschung voneinander abgrenzen und ihnen verschiedene erkenntnistheoretische Positionen zuordnen.^^ Nach GioiA und PURE ist der Konstruktivismus dem interpretativen Paradigma zuzuordnen.^^ Das interpretative Paradigma unterstreicht den Konstruktionscharakter jeglichen Wissens und zielt darauf ab, die Entstehung und den Bestand sozialer Einheiten als Ergebnis individueller Handlungen zu erklaren.®° Wie sich zeigen wird, entsprechen diese Vorstellungen dem Erkenntnisinteresse des sozialen Konstruktivismus. Aufierdem ist das mit der Arbeit angestrebte Forschungsziel, die Entwicklung eines Phasenkonzepts organisationaler Lernprozesse, mit dem interpretativen Paradigma kommensurabel. Es zielt ebenfalls darauf ab, die Entstehung kollektiver Phanomene zu beschreiben. Als kritisch ist jedoch anzumerken, dass sich das Klassifikationsschema BURRELLS und MORGANS vorwiegend auf die Betrachtung sozialer Entitaten bezieht. Rein individuelle Kognitions- und Handlungsweisen, die gerade das Forschungsinteresse des radikalen Konstruktivismus bilden, spielen eine eher untergeordnete Rolle.®^

dlgmen-Vorstellung siehe auch Rasche (2004) S. 4-5; Scherer (2002) S. 5 und 19; HaleHaniff (2002) S. 20; Turner (2002) S. 3; Astley (1985) S. 497. ^^ Vgl. Burrell/Morgan (2001). Zur Betonung der anhaltenden Relevanz dieses Schemas siehe Deetz(1996)S. 191; Gmur (1993) S. 14. '® Vgl. Burrell/Morgan (2001) S. 21-23 und 30; Scherer (2002) S. 14-18; Turk (2000) S. 67-69. Da eine detaillierte Definition der vier Paradigmen nicht zur Schlieliung der Forschungslucke beltragt, wird auf sie verzichtet. ^^ Vgl. Gioia/Pitre (1990) S. 588. ^° Vgl. Burrell/Morgan (2001) S. 28-32. Siehe auch Scherer (2002) S. 16; Gloia/Pitre (1990) S. 587 sowie Kim (2003) S. 12-13. ®^ Ein weiterer Mangel besteht fur Scherer darin, dass sich Im Rahmen der Kritik an dem funktionalistischen Paradigma so viele interpretative Forschungsrichtungen entwickelt haben, dass sich diese eigentlich nicht mehr unter einem paradigmatischen Dach zusammenfassen lassen. Vgl. Scherer (2002) S. 18-22.

1. Einleitung

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Abbildung 1.2: Paradigmen der Organisationsforschung nach BURRELL und MORGAN THE SOCIOLOGY OF RADICAL CHANGE

Radical Humanist

Radical Stmcturalist

Interpretative

Functionalist

THE SOCIOLOGY OF REGULATION

Quelle: in Aniehnung an Burrell/Morgan (2001) S. 22.

Da in denn Klassifikationsschema ASTLEYS und VAN DE VENS sowohl individuelle als auch kollektive Phanomene Berucksichtigung fjnden, soil eine zusatzliche Einordnung der Arbeit in dieses Schema erfolgen. ASTLEY und VAN DE VEN strukturieren die vorhandenen erkenntnistheoretischen Positionen anhand der beiden Dimensionen: Analyseebene (Mikro- versus Makrobetrachtung) und zugrunde liegendes Menschenbild (deterministisch versus voluntaristisch). Daran anknijpfend spannen sie die in Abbildung 1.2 dargestellten vier Paradigmen auf.^^

®^ Vgl. AstleyA/an de Ven (1983) S. 246-251. Da eine detaillierte Darstellung der einzelnen Paradigmen fur den weiteren Verlauf und die Zielsetzung der Arbeit nicht notwendig ist, soil auf sie ebenfalls verzichtet werden.

18

1. Einleitung

Abbildung 1.3: Paradigmen der Organisationsforschung nach ASTLEY und VAN DE VEN

NATURAL SELECTION \/IE\

_i E LU E m O

§§ o ^

Schools: Population ecology, industrial economics, economic history.

Schools: Human ecology, political economy, pluralism.

Structure: Environmental competition and carrying capacity predefine niches. Industrial structure is economically and technically determined.

Structure: Communities or networks of semiautonomous partisan groups that interact to modify or construct their collective environment, rules options. Organization is collective-action controlling, leberating, and expanding individual action.

Change: A natural evolution of environmental variation, selection and retention. The economic context circumsCTibes the direction and extent of organizational growth.

Change: Collective bargaining, conflict, negotiation, and compromise through partisan mutual adjustment.

Behavior: Random, natural, or economic, environmental selection.

Behavior: Reasonable, collectively constructed, and politically negotiated orders. Manager Role: Inactive.

< o (D

Manager Role: Inactive.

^^^^^^^^^^^^^^H

_ l CO LU . N

oo

COLLECTIVE-ACTION VIE

^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^^H

Schools: Systems theory, structural functionalism, contingency theory.

Schools: Action theory, contemporary decision, strategic management.

Structure: Roles and positions are hierarchically arranged to efficiently achieve the function of the system.

Structure: People and their relationships organized and socialized to solve the choices and purpose of people in power.

Change: Divide and integrate roles to adapt subsystems to changes in environment, technology, size, and resource needs.

Change: Environment and structure are enacted and embody the meanings of action of people in power.

Behavior: Determined, constrained. and adaptive.

Behavior: Constructed, autonomous. and enacted.

Manager Role: Reactive.

Manager Role: Proactive.

Deterministic Orientation -^

^ Voluntaristic Orientation Quelle: AstleyA/an de Ven (1983) S. 247.

Der radikale Konstruktivismus lasst sich in diesem Zusammenhang klar der Mikroebene zuordnen, weil sich seine organisationstheoretische Anwendung primar mit individuellen Kognitions- und Handlungsweisen innerhalb organisationaler Rahmenbedin-

LEinleitung

19

gungen befasst.®^ Er konzentriert sich nicht auf das Zusammenspiel verschiedener Organisationen. Schwerer fallt hingegen die Einordnung des sozialen Konstruktivismus. Auf den ersten Blick scheint er sich auf die Makroebene zu konzentrieren, weil er gesellschaftliche Gesamtzusammenhange analysiert, die sich als Institutions- bzw. als Organisationspopulationen defmieren lassen. Bei naherer Betrachtung ist jedoch zu erkennen, dass sich der Sozialkonstruktivismus in seiner organisationstheoretischen Anwendung ebenfalls eher auf die Mikroebene bezieht. Er konzentriert sich auf das Wechselspiel zwischen Individuen als „Konstrukteure" der gesellschaftlichen Ordnung und der gesellschaftlichen Ordnung als Lenkungsrahmen individueller Handlungen.^ Da folglich das Zusammenspiel von Individuum und Kollektiv, nicht die Interaktion verschiedener Kollektive im Betrachtungsfokus steht, lasst er sich ebenfalls der Mikroebene zuordnen. Aufgrund der gemafligt voluntarischen Sichtweise des Konstruktivismus erweist sich auch seine Einordnung in entweder eine deterministische Oder voluntaristische Ausrichtung der Mikroebene als schwierig. Verschiedene Argumente sprechen allerdings dafijr, dass sowohl der radikale als auch der soziale Konstruktivismus eher dem Paradigma der strategischen Wahl zuzuordnen ist. So gelten Organisationen im Rahmen dieses Paradigmas als sozial konstruierte Einheiten, die auf individuellen Interpretationen basieren. Mit der Aussage „[...] organizations are continuously constructed [...] and ctianged by actors' definitions of the situation"^^ ruckt dieses Paradigma die individuellen Organisationsmitglieder und ihre Interaktionen in den Betrachtungsfokus. Es betont, dass sowohl die Umwelt als auch organisationale Strukturen von individuellen Bedeutungszuweisungen abhangen. Individuen gelten daher als proaktive und autonome Wesen, die die Organisation maligeblich beeinflussen.^^ Diese Vorstellungen spiegein radikal- und sozialkonstruktivistische Grundannahmen wider. Die Charakterisierung sozialer Entitaten als Ergebnisse individueller Konstruktionen scheint auRerdem zur Erklarung des Zusammenhangs individueller und organisationaler Lernprozesse als problemadaquat.^^

®^ Vgl. Kieser (2002) S. 315; Fried (2001) S. 53 sowie Kapitel 2.1.2 der vorliegenden Arbeit. ^ Vgl. Berger/Luckmann (2003) S. V und 65. ®^ AstleyA/an de Ven (1983) S. 249. ; Vgl. AstleyA/an de Ven (1983) S. 249. ®^ Weitere Klasslfikationsschemata Klasslfikationsschemata zur zur I Einordnung organisationstheoretischer Ansatze stam' Weitere men von Kirsch (1997) sowie von Alvesson/Deetz (2003).

20

LEInleltung

Nachdem die zugrunde liegenden paradigmatischen Vorstellungen identifiziert wurden, lasst sich nun die Art der mit dieser Untersuchung angestrebten Erkenntnisse definieren. Da alle als problemadaquat identifizierten Paradigmen von einer objektiven Realitat absehen, kann der Zweck der Forschungsergebnisse nicht darin bestehen, allgemeingiiltige Gesetzmafiigkeiten bezuglich des Zusammenhangs individueller und organisationaler Lernprozesse herauszuarbeiten. Die vorliegende Untersuchung zielt vielmehr darauf ab, „eine bescheidene Theorie des organisationalen Lernens" ^^ zu entwickein, die sich darauf „beschrankt", die Zusammenhangs- und Obergangsproblematik auf eine mdgliche Weise zu losen. Um dies zu erreichen, trifft sie deskriptiv-explikative, technologische bzw. anwendungsbezogene sowie normative Aussagen.^^ Die deskriptiv-explikativen Aussagen dienen primar der Entwicklung des Bezugsrahmens. Sie beschreiben in knapper Form die mit dem Organisationslernen verbundenen intra- und interindividuellen Prozesse und erklaren auf Basis radikal-sozialkonstruktivistischer Vorstellungen ausfuhrlich Ihre Zusammenhange. Sie dienen als Grundlage, um das Konzept zur Klarung des Ubergangs vom individuellen zum organisationalen Lernen zu entwickein. Die technologischen Aussagen dienen von/viegend der Konzeptumsetzung. Sie geben Aufschluss daruber, wie und unter welchen Bedingungen indlviduelles Lernen in organisationales transformiert werden kann. In Aniehnung an ULRICH weisen schllelilich alle getroffenen Aussagen einen normativen Charakter auf, weil sie an die paradigmatischen Grundannahmen des Konstruktivismus gekoppelt sind. Die vorangegangene Diskussion leitet schlielilich zum dritten und letzten Schritt der wissenschaftstheoretischen Einordnung uber, der Wahl der Forschungsstrategie. Sie geht der Frage nach, wie Erkenntnisse gewonnen werden, und beschaftigt sich daher mit der Art der Wissensgenerierung. Dazu lassen sich empirische (induktive) und denklogische Oder theoretische (deduktive) Verfahren voneinander abgrenzen.^° Die hier entwickelten Erkenntnisse basieren primar auf denklogischen bzw. theoretischen Forschungsmethoden. Diese Vorgehensweise lasst sich mit der Argumentation von SCHANZ begrunden. Er betont, dass empirische Untersuchungen vor allem dann

®®Gei(iler (1998b) S. 165. Zur detaillierten Darstellung der verschiedenen Auspragungen wissenschaftlicher Aussagen vgl. Thommen (1986) 8. 34-36 sowie Sachs/Hauser (2002) S. 50-52. ^ Vgl. Sachs/Hauser (2002) S. 40; Thommen (1986) S. 42-47. Zur Vorgehensweise der Deduktion siehe auch Chalmers (2001) S. 35-37; Weik (2001) S. 15-19.

1. Einleitung

21

zweckdienlich sind, wenn sie an einer klaren theoretischen Fundierung des zu untersuchenden Problems ansetzen. Liegt eine solche nicht vor, fuhrt eine empirische Untersuchung lediglich zur Formulierung so genannter ,Ad hoc-Hypothesen". Diese definiert er als „Vermutungen uber Zusammenh^nge zwischen unmittelbar beobachtbaren Phanomenen" ^\ die ohne Ruckgriff auf allgemein gultige Erklarungsprinzipien erfolgen. Eine Falsifikation derartiger Hypothesen fCihre lediglich zur Formulierung neuer Hypothesen, die die gleichen Schwachen aufweisen und daher nicht zu neuen Erkenntnissen ijber das zu untersuchende Problem beitragen.^^ Da, wie bereits in der Forschungslijcke dargestellt, eine theoretische Fundierung der Zusammenhangs- und Obergangsproblematik individueller und organisationaler Lernprozesse nur in Grundzijgen vorliegt, ist diese im Rahmen der Untersuchung erst auf Basis denklogischer Verfahren zu erarbeiten. Nach THOMMEN lassen sich zur Entwicklung denklogischer Konzeptionen formal- und ideallogische Verfahren unterscheiden.^^ Erste kennzeichnen sich durch eine kausale Denkhaltung des Forschers, der versucht, strenge Ursache-Wirkungs-Beziehungen zwischen den untersuchten Phanomenen abzuleiten.^"* Ideallogische Verfahren sind hingegen an eine finale Denkhaltung des Forschers gekoppelt. Sie zielen darauf ab, die zahlreichen mit komplexen Untersuchungsobjekten einhergehenden Prozesse gedanklich zu ordnen und praktische Handlungsempfehlungen abzuleiten.^^ Aufgrund der konstruktivistischen Herangehensweise einerseits sowie des zugrunde liegenden Wissenschaftsverstandnlsses andererseits kann die vorliegende Untersuchung nicht darauf abzielen, kausale Wirkungszusammenhange abzuleiten. Weil ihr Fokus auf der Erklarung und damit auf der gedanklichen Strukturierung der mit dem Organisationslernen verbundenen Intra- und interindividuellen Prozesse liegt, folgt sie einer ideallogischen Forschungsstrategie. Als Instrumente zur Vermittlung ideallogischer Erkenntnisse definieren SACHS und HAUSER ..Frameworks''.^^

^'Schanz (1977) 8.67. Vgl. Schanz (1977) S. 67 und 69. In ahnllcher Welse auliert sich auch Kohler. der den Nachteil von ad hoc-Hypothesen darin sleht, dass ihre ..Richtigkeit" wissenschaftlich noch nicht belegt ist. Vgl. Kohler (1976) S. 156. ^^ Vgl. Thommen (1986) 8. 44-46. ^^ Sie finden daher in formalwlssenschaftlichen Bereichen Anwendung. Vgl. Sachs/Hauser (2002) 8. 38; Eberhard (1999) 8. 17; Thommen (1986) 8. 44-45. ®^ Vgl. Sachs/Hauser (2002) 8. 39; Thommen (1986) 8. 45. ^® In Aniehnung an Uirich betonen Sachs und Hauser ferner. dass sich die Problemstellungen. die auf Basis eines Frameworks gelost werden, primar aus der Praxis ergeben und daher elnen interdisziplinaren Charakter aufweisen. Vgl. Sachs/Hauser (2002) 8. 43-44.

22

1. Einleitung

Sowohl der in der Arbeit entwickelte Bezugsrahmen als auch das daraus abgeleitete Phasenkonzept

zur

Klarung

der

Ubergangsproblematik

individuellen

und

organisationalen Lernens lassen sich als solche theoretische Frameworks verstehen. Aufgrund ihrer konstruktivistischen Wurzein unterstellen sie keine Ursache-WirkungsBeziehungen. Stattdessen ordnen sie die mit dem Organisationslernen einhergehenden Prozesse und dienen als Erkenntnisgrundlage zur Ableitung von Mafinahmen, die die Umsetzung des organisationalen Lernens in der Paxis fordern. Bevor im Folgenden die Vorgehensweise zur Umsetzung der Forschungsstrategie erlautert wird, fasst Abbildung 1.3. die wissenschaftstheoretische Einordnung der vorliegenden Arbeit graphisch zusammen.

Abbildung 1.4: Wissenschaftstheoretische Einordnung der Arbeit ZIELSETZUNG:



Entwicklung eines Bezugsrahmens zur Klarung des Zusammenhangs zwischen individuellem und organisationalem Lernen • Entwicklung eines Phasenkonzeptes zur Darstellung des Ubergangs von der einen zur anderen Ebene ERKENNTNiSLEffENDE THEORIE: RadJkaler und sozialer Konstruktivismus

2.1 Paradigmatische Einordnung • •

Interpretatives Paradigma (Burrell/Morgan(2001)) Paradigma der strategischen Wahl AstleyA/andeVen(1983))

3.1 Forschungsverfahren Denklogische (deduktive) Vorgehensweise: ideallogische Auspragung

2.2 Art der Aussagen 1) deskriptiv-explikativ: Beschreibung der intra- und interindividuellen Prozesse des Organisationslemens und Erklarung ihrer Zusammenhange (= Bezugsrahmen- und Konzeptentwicklung) 2) technolgisch: Erklarung der Anwendnungsbedingungen des Konzeptes (= Konzeptumsetzung) 3) normativ: konstruktivistische Grundannahmen

3.2 Erkenntnisvermittlung theoretische Konzeption (Framework)

1.3 Gang der Untersuchung Ausgehend von der wissenschaftstheoretischen Einordnung und der eriauterten Forschungsstrategie erfolgt die Bearbeitung der aufgezeigten Problemstellung, wie in Ab-

23

1. Einleitung

bildung 1.4 dargestellt, in sechs weiteren Kapiteln. Im Anschluss an die Einleitung dient das zweite Kapitel der ElnfiJhrung in den konstruktivistlschen Diskurs. Zu diesem Zweck erfolgt zunachst eine knappe Darstellung der konstruktivistlschen Grundannahmen (Kapitel 2.1), bevor die Theoriestrange des radlkalen und sozialen Konstruktivismus als erkenntnisleitende Theorien der Untersuchung eriautert werden (Kapitel 2.2 und 2.3).

Abbildung 1.5: Gang der Untersuchung

Darstellung des radlkalen und sozialen Konstruktivsmus mit dem Fokus auf der Beschrelbung der Wissenskonstruktion Zwischenfazit I: Synthese aus radikalem und sozialem Konstruktivismus

4. E N T W I C K L U N G EINES KONSTR Z U S A M M E N H A N G S INDIVIC

Analyse der vorhandenen Lemkonzepte Im Hinblick auf ihren Beitrag zur SchlieRung der ForschungsliJcke Zwischenfazit ii: Viabllitat vorhandener Lemkonzepte

/ISTISCHEN B E Z U G S R A H M E N S ZUR K L A R U N G ER UND ORGANISATIONALER L E R N P R O Z E S S E

Gbertragung konstruktivistischer Ideen und Vorstellungen auf den Kontext des organlsationalen Lemens Zwischenfazit III: Ein radikal-sozialkonstruktivistischer Bezugsrahmen

Beantwortung der drei theoretischen Forschungsfragen und die Entwicklung des Phasenkonzeptes zum Ubergang vom individuellen zum organlsationalen Lernen Zwischenfazit IV: Zentrale Erkenntnisse zum Ubergang vom individuellen zum organlsationalen Lemen

Beantwortung der praxisorientierten Forschungsfrage: Darstellung verschiedener Instrumente und MaRnahme zur Unterstutzung der Implementierung des entwickelten Phasenkonzeptes Zwischenfazit V: Implementierung des Phasenkonzeptes

24

1. Einleitung

Im Hinblick auf die Forschungslucke, der unbeantworteten Frage nach dem Zusammenhang und Obergang vom individuellen zum organisationalen Lernen, richtet sich der Fokus vor allem darauf, wie die Theoriestrange die Prozesse der Wirklichkeits- und Wissenskonstruktion erklaren. Dabei zeigt sich, dass beide Konstruktivismusarten verschiedene, sich durch diese Verschiedenheit aber erganzende Ansatzweisen zur Beschreibung dieser Vorgange wahlen. Da der radikale Konstruktivismus sich primar auf die intraindividuellen Prozesse der Wissenskonstruktion konzentriert, wahrend der soziale Konstruktivismus gerade die kollektiven Aspekte hervorhebt, lassen sich beide Theoriestrange zusammenfuhren (Kapitel 2.4). Diese Integration verkorpert bereits einen ersten Meilenstein zur Schliedung der Forschungslucke. Sie ist in der Lage, individuelle und kollektive Prozesse der Wissenskonstruktion abzubilden sowie deren Verbindungen aufzuzeigen. Auf diese Weise schlagt sie eine Brucke zwischen individuellen und organisationalen Lernprozessen und fungiert als Grundlage der weiteren Untersuchungsschritte. Im Anschluss an die erkenntnistheoretische ElnfiJhrung beschaftigt sich das dritte Kapitel mit dem Forschungsobjekt der vorliegenden Arbeit, dem Konzept des organisationalen Lernens. Anknupfend an eIne knappe Abgrenzung individuellen und organisationalen Lernens (Kapitel 3.1) untersucht es, in wie weit die in der Literatur vorhandenen organisationalen Lernkonzepte den Obergang vom Individuum zum Kollektiv bereits erklaren (Kapitel 3.3). Um diese Analyse durchfuhren zu konnen, werden zunachst vier Untersuchungskriterien entwickelt (Kapitel 3.2). Diese leiten sich sowohl aus der identlfizierten Forschungslucke als auch aus der radikal-sozialkonstruktivistischen Integration ab. Durch die so fundierte Analyse lassen sich die in den traditionellen Lernmodellen vorhandenen Erklarungslucken hinsichtlich des Organisations- und Individuumsverstandnisses sowie der zugehorlgen Schnittstellen und Ubergangsmechanismen identifizieren, die die Schlieliung der Forschungslucke durch die bereits vorhandenen Lernkonzepte verhindern (Kapitel 3.4). Sie dienen daher als Ausgangspunkt fiir das vierte Kapitel. Dieses fuhrt die Erkenntnlsse der beiden vorherigen Kapitel zu einem einheitlichen Bezugsrahmen zusammen, indem es die radikal-sozialkonstruktivistischen Vorstellungen auf den Kontext des Organisationslernens ijbertragt. Dazu grelft es die zuvor Identifizierten Erklarungslucken der analysierten Lernmodelle auf und schlleflt sie mit Hilfe konstruktivistischer Vorstellungen (Kapitel 4.1 bis 4.3). Der so erarbeitete radikalsozialkonstruktivistische Bezugsrahmen beinhaltet die zentralen Ideen, die zur Beantwortung der Forschungsfragen notwendig sind, und verdeutlicht zugleich ihre Zusam-

1. Einleitung

25

menhange (Kapitel 4.4). Aus diesem Grund fungiert er als theoretische Basis zur Klarung des Ubergangs vom individuellen zum organisationalen Lernen. Basierend auf dem radikal-sozialkonstruktivistischen Bezugsrahmen beschaftigt sich das funfte Kapitel mit der Beantwortung der drei theoretisch orientierten Forschungsfragen. So wird zunachst das Verhaltnis zwischen der Individuums- und der Organisationsebene im Rahmen des organisationalen Lernens prazisiert und die Grenzen beider Ebenen aufgezeigt (Kapitel 5.1), urn darauf aufbauend das Phanomen des Organisationslernens selbst zu definleren (Kapitel 5.2). Diese Reihenfolge bietet sich an, weil es erst eines (klaren) Verstandnisses bezijglich des Zusammenspiels von Individuum und Organisation bedarf. Nur dann kann aus konstruktivistischer Sicht analysiert werden, wie das Organisationslernen ausgelost wird, wer seine Trager sind, durch welche Prozesse es ablauft und welche Ziele es anstrebt. Gemeinsam dienen diese Erkenntnisse als Grundlage zur Entwicklung des Phasenkonzepts, das den Obergang vom individuellen zum organisationalen Lernen erklart (Kapitel 5.3). Dieser Schritt steht im Mittelpunkt des funften Kapitels. Er fuhrt alle bisherigen Erkenntnisse zusammen und tragt so zur Schliefiung der Forschungslucke bei. Eine knappe Zusammenfassung der wichtigsten Ideen und Prozesse des Phasenkonzeptes bildet daher den Abschluss des funften Kapitels (Kapitel 5.4). Dm schlieRlich den Anforderungen ULRICHS an eine anwendungsorientierte Wissenschaft zu entsprechen, konzentriert sich das sechste Kapitel auf die Beantwortung der vierten, praxisorientierten Forschungsfrage. Es bietet einen Uberblick uber mogliche Mafinahmen und Instrumente, die die praktische Implementierung des entwickelten Phasenkonzeptes fordern (6.1 bis 6.5). Abschlieliend erfolgt im siebten Kapitel eine Zusammenfassung der gewonnenen Erkenntnisse (Kapitel 7.1), bevor die Arbeit mit einer kritischen Reflexion und einer Reihe von Ideen fiir zukunftige Forschungsbemuhungen endet (Kapitel 7.2). Mit diesem Aufbau entspricht die vorliegende Untersuchung auch WHETTENS Anforderungen an konzeptionelle Forschungsbeitrage.^^ Diese sollten erstens herausstellen, warum die Arbeit relevant ist und welche konkreten inhaltlichen Aspekte In die Analyse einbezogen werden. Aufierdem sollten sie die Verbindungen zwischen den inhaltlichen Aspekten aufzeigen sowie die ermlttelten Ergebnisse kritisch reflektieren. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wurden der Nutzen und die Relevanz der Arbeit bereits

®^ Zu den folgenden Ausfuhrungen siehe Whetten (2001) S. 490-492.

26

LEinleitung

in der Einleitung verdeutlicht. Urn die inhaltlichen Elemente einzugrenzen, werden im zweiten und dritten Kapitel der Konstruktivismus als Erkenntnistheorie sowie das Phanomen des Organisationslemens als Forschungsobjekt vorgestellt. Die Eriauterung der Zusammenhange beider Phanomene erfolgt durch die Entwicklung des Bezugsrahmens im vierten sowie durch die Beantwortung der Forschungsfragen im fijnften und sechsten Kapitel. SchlieRlich werden die Ergebnisse der vorliegenden Untersuchung im Rahmen der Schlussbetrachtung kritisch reflektiert.

„[...] In Wahrheit besitzen wir nur unsere eigenen Wahrnehmungen; aufsie und nicht auf was sie sehen mussen wir demnach die Wiridichkeit unseres Lebens grunden." Pessoa (1987) S. 104-105.

2. Konstruktivismus: Individuelles und kollektives Wissen Anknupfend an die Eriauterung der Problemstellung und der Zielsetzung der vorliegenden Arbeit zielt das zweite Kapitel darauf ab, diejenigen Aspekte des radikalen und sozialen Konstruktivismus vorzustellen, die zur Schlieflung der Forschungslucke relevant sind. Nach einer knappen Erklarung der konstruktivistischen Grundpramissen steht daher die Frage im IVIittelpunkt, wie beide konstruktivistischen Spielarten vor dem Hintergrund ihrer unterschiedlichen Schwerpunktsetzung die Prozesse der Wirklichkeits- bzw. Wissenskonstruktion beschreiben. Basierend auf diesen Erkenntnissen lassen sich dann die Gemeinsamkeiten und Unterschiede beider Theorieperspektiven voneinander abgrenzen und zu einer Art Synthese zusammenfuhren. Da diese sowohl individuelle als auch kollektive Erklarungselemente beinhaltet, kann sie sowohl dazu beitragen, den Zusammenhang individueller und organisationaler Lernprozesse zu beschreiben als auch den Ubergang von der einen zur anderen Ebene zu erklaren.

2.1 2.1.1

Der konstruktivistische Diskurs Konstruktivismus als Wissens-, Wirklichkeits- und Erkenntnistheorie

Der Konstruktivismus, als erkenntnisleitende Theorie dieser Arbeit, lasst sich als eine Entwicklungsrichtung verschiedener, sich gegenseltig befruchtender Disziplinen verstehen (belspielsweise Neurobiologies®, Psychologie^^, Philosophie^°°, Kybernetik^°\ Sprachwissenschaften^°^,

Soziologie^°^),

die

das

funktionallstische

Verstandnis

menschlichen Wissens sowie die daraus resultierenden Konsequenzen fur Wissen-

Siehe dazu insbesondere Maturana (2001); Varela (2003); MaturanaA/arela (1991); Maturana (1985); MaturanaA/arela (1980). ^^ Vgl. Piaget (2002); Piaget (1991); Piaget (1950). ^°° Zu den bedeutendsten Vertretern zahlen vor allem Aristoteles sowie Kant. Neuere Beitrage liefert Glasersfeld (2002); Glasersfeld (1997); Glasersfeld (1992). ^°^ Vgl. Foerster/Glasersfeld (1999); Foerster/Porksen (1998); Foerster (1997); Foerster (1993c); Foerster (1993d). Einen einfiihrenden Uberblick uber den Konstruktivismus bietet auch Gilbert (1997)8.73-75. ^°^ Siehe dazu vor allem Watzlawick/Krieg (2002); Watzlawick/Beavin/Jackson (1969); Watzlawick(1995). '°^Vgl. Luhmann (2004); Luhmann (2001); Luhmann (2000); Willke (2000); Baecker (1999); Luhmann(1987).

28

2. Konstruktivismus: individuelles und kollektives Wissen

schaft und Praxis kritisieren.^°^ Aufgrund seiner Vielschichtigkeit und Interdisziplinaritat entspricht der Konstruktivismus jedoch eher einem wissenschaftlichen Diskurs^°^ oder einem sprachlichen Konstrukt als einer einheitlichen Denkschule oder ausformulierten Konzeption.^°^ Sein Aniiegen besteht in der Umdeutung oder Neudefinition der Phanomene 'Wirklichkeit\ 'Wissen'und 'Wahrheit'^°^, die nach konstruktivistischem Verstandnis niemals unabhangig von einem wahrnehmenden Individuum existieren. Sie sind untrennbar mit seinem Erkenntnisapparat verbunden und stets Resultate intra- und interindividueller Konstruktionsleistungen.^°^ Diese Aussagen basieren auf zwei komplementaren Grundpramissen, die alien konstruktivistischen Disziplinen unterliegen. Erste besagt, dass Individuen prinzipiell keinen Zugang zu einer von ihnen unabhangigen Welt haben und sie niemals detailgetreu abbilden konnen.^°^ Damit leugnet der Konstruktivismus jedoch nicht die Existenz einer Wirklichkeit an sich. Er betont lediglich, dass jegliche Aussagen und jegliches Wissen uber sie individuellen Eriebnissen, Beobachtungen oder Beschreibungen entspringen und darum keinen ontologischen Charakter aufweisen.^^° An diese Vorstellungen kniipft die zweite Grundpramisse an. Sie betont, dass Individuen die ihnen bekannte Wirklichkeit und damit jegliches Wissen mit Hilfe kognitiver Operationen permanent selbst erzeugen.^^^ Die individuellen Wirklichkeitsvorstellungen und das Wissen uber die Wirklichkeit bilden daher zwei Selten derselben Medaille. Aus diesem Grund werden die Begriffe synonym verwandt.

^°^ Vgl. Fried (2001) S. 31; Krause (2000) S. 532; Dettmann (1999) S. 1; Glasersfeld (1995a) S. 35; Wildmann (1995) S. 92. ^°^ Im Rahmen der LIteratur ist der Begriff ..DIskurs" je nach Themenfeld und Interesse des Forschers in vielfaltiger Weise definlert. In seiner allgemeinen Form umfasst er jedoch jegliche mundlichen und schriftlichen Formen des Sprachgebrauchs. Zu diesen Ausfuhrungen und zur Darstellung weiterer Definltionsmoglichkeiten vgl. Lang/Winkler/Welk (2001) S. 241. '°^Vgl. Schmidt (1994) S. 14. ^°^ Die Auflosung des absoluten Wahrheitsbegrlffs ist allerdings nicht mit der Vorstellung verbunden, dass es uberhaupt keine Wahrhelt gibt (Pragmatismus) oder alles relativ Ist (Vulgarrelativismus). Das Konstruieren des konstruktivistischen Diskurses ist vielmehr ein konzeptionelles Machen, das von den kognitiven Zustanden des Systems und seinem Handlungskontext abhangig ist. Vgl. Fischer (2000) S. 16 und 24. ^°® Vgl. Heyting/Hug (2000) S. 112; Tomaschek (1999) S. 16 und 18; Rusch (1999) S. 9; Glasersfeld (1996) S. 7; BiJhring-Uhle (1995) S. 33-39; Ruegg (1989) S. 42-43. ^°^ Vgl. Kaduk (2002) S. 36; HejI/Stahl (2000a) S. 15; Heyting/Hug (2000) S. 112. ^^° Vgl. Fried (2001) S. 33; Glasersfeld (2001) S. 40; Roth (2000) S. 65; Kock (2000) S. 260; Frindte (1998) S. 41; ZInk (1994) S. 41; Fischer (1993) S. 33. Diesen Zusammenhang begrijndet von Foerster anhand des Satzes der undifferenzierten Kodlerung. Dieser besagt, dass die Erregungszustande einer Nervenzelle nur die Intensitat, nicht jedoch die Natur der Erregungsursache kodieren. Zur Eriauterung dieser Uberlegungen siehe Foerster (2003) S. 137-140; Foerster (1995) S. 58; Foerster (1993c) S. 56-71. '^Wgl. Mir/Watson (2001) S. 1171; Fischer (2000) S. 16; Glasersfeld (1997) S. 42.

2. Konstruktivismus: Indlviduelles und kollektives Wissen

29

Indem die konstruktivistische Theorie die Konstruiertheit von Wissen und Wirklichkeit hervorhebt, ersetzt sie die Vorstellung eines ..Entdeckens der Wirklichkeit" ^^^ durch die ihrer Erfindung. Der Aufbau von Wissen ist folglich kein passiver Aufnahmeprozess, sondern eine aktive Tatigkeit des Ordnens individueller Erfahrungen. Mit diesen Annahmen fuhrt der konstruktivistische Diskurs zu einer pragmatischen Wende der Erkenntnistheorie und widerspricht der positivistischen Annahme, dass Individuen objektiv richtiges Wissen uber die Wirklichkeit generieren konnen.^^^ In erster Annaherung stellt der konstruktivistische Diskurs somit ein interdisziplinares Programm zur Erklarung der ..Wirklichkeit" dar.^^"* Dabei bildet nicht die spezifische Auspragung der Wirklichkeit selbst den Forschungsschwerpunkt. Der Analysefokus liegt vielmehr auf dem Vorgang, wie Individuen die Vorstellung erzeugen, eine von ihnen unabhangige ..Wirklichkeit" zu entdecken.^^^ Dementsprechend befasst sich der konstruktivistische Diskurs nicht mit der Ontologie bzw. mit den Inhalten Oder Gegenstanden von Wissen und Wahrnehmung. In seinem Fokus stehen vielmehr epistemologische Fragen nach den Funktionsweisen. Wirkungen und Resultaten menschlicher Erkenntnisprozesse.^^^ Der Konstruktivismus lasst sich daher als eine Wissenstheorie verstehen. die absolut giJItige Wahrheitsbegriffe aufgibt. „den Begriff des Wissens von seiner traditionellen, ikonischen Verknupfung mit der Ontologie [befreit]" ^^^ und untersucht, wie Individuen relativ verlassliche Bilder der Wirklichkeit konstruieren konnen.^^® Um diese Prozesse zu erklaren. nimmt der Konstruktivismus eine Systemperspektive ein. Das bedeutet. dass er die Subjekte und ihre Interaktionsweisen nicht von auflen betrachtet. sondern sich in die Situation des wahrnehmenden Systems^^^ selbst begibt.

Im Rahmen des konstruktivistischen Diskurses finden sich unterschiedliche. teilwelse kontrare Definitionen des Begriffs ..Wirklichkeit". So bezeichnet Koch die Vorstellungen. die individuen von der Welt besitzen. als Realitat. Wirklichkeit definiert er als Summe aus Realitat und Illusion. Vgl. Koch (1997) S. 135-136. Eine ahnliche Position vertritt Rusch. der Realitat als ..Konstrukt" innerhalb der konstruierten Wirklichkeit beschreibt. Vgl. Rusch (1999) S. 10. Von Glasersfelds definiert ..Wirklichkeit" schlielilich als individuelle ..Weltvorstellungen" und Realitat als ein hinter diesen Vorstellungen liegendes. ontologisches Gebilde. Vgl. Glasersfeld (1997) S. 47; Glasersfeld (1995a) S. 39. ^^^ Vgl. Glasersfeld (2002) S. 17; Fried (2001) S. 31; Fischer (2000) S. 15-16; HejI/Stahl (2000a) S. 15. '^^Vgl. Rusch (1999) S.11. ''^Vgl. Hejl (2000) S. 39-40. ^'^ Vgl. Fried (2001) S. 32; HejI/Stahl (2000a) S. 14-15; Hejl (2000) S. 39-40; Schmidt (2003) S. 13; Glasersfeld (2003) S. 404. ^^^ Glasersfeld (1997) S. 203. Siehe zusatzlich Fischer (1995) S. 19. ^^® Vgl. Fried (2001) S. 32. Siehe auch Roth (1992) S. 277. ^^^ In Aniehnung an Maturana und Varela werden im Rahmen dieser Arbeit die Begriffe ..lebende Systeme". ..Lebewesen", und ..Individuen" synonym verwandt.

30

2. Konstruktivismus: Individuelles und kollektives Wissen

Festzuhalten ist zusatzlich, dass der konstruktivjstische Diskurs keine neue Weltanschauung ist, die einen endgijltigen Wahrheitsanspruch erhebt. Vielmehr versteht er sich als eine alternative Denkweise, ein Begriffsinventar oder Denkmodell, das die realistischen Weltanschauungen in Frage stellt.^^° Zu diesem Zweck greift die konstruktivistische Theorie die in verschiedenen Disziplinen bereits vorhandenen Kritikpunkte auf, fasst sie zusammen und erhebt sie in den Stand einer einheltlichen erkenntnistheoretischen Position.^^^ Aufgrund ihrer interdisziplinaren Wurzein ist sie in der Lage, die realistischen Vorstellungen nicht nur argumentativ zu kritisieren, sondern ihre Annahmen auch durch naturwissenschaftliche Untersuchungen zu stutzen.^^^ Die Kritik realistischer Pramissen ist jedoch nicht neu. Sie blickt auf eine lange Tradition zuruck.

2.1.2

Ursprung und Spielarten des Konstruktivismus

Vico entwickelte bereits im 18. Jahrhundert eine der ersten Wissenstheorien, die auf den obigen Grundpramissen basiert.^^^ Er setzt „wissen" mit „machen konnen" gleich und betont, dass man Dinge nur dann wirklich verstehe, wenn man angeben konne, aus welchen Bestandteilen sie zusammengesetzt seien. Auf diese Weise gelingt ihm einer der ersten fundierten Nachweise, dass menschliches Wissen immer vom Menschen selbst konstruiert ist.^^"* Spater greift KANT die Grundiiberlegungen Vicos auf und enA/eitert sie.^^^ In seiner „Kritil< der reinen Vernunft" betont er, dass die von Individuen wahrnehmbare Wirklichkeit ausschliefilich eine Welt der Erscheinungen (Phainomena) darstellt. Der Mensch kann jedoch niemals erkennen, was sich hinter diesen Erscheinungen verbirgt, well seine Erkenntnis stets eine Konstruktionsleistung des Sinnesapparates \sC^^ Fur die interagierenden Menschen erhalt die Wirklichkeit jedoch

^^°Vgl. Glasersfeid (2002) 8. 28; Fried (2001) S. 31; Fischer (2000) 8. 16; Rusch (2003) 8. 382383;Erdmann(1999)8. 18. ^^' Vgl. Fried (2001) 8. 32; Wildmann (1995) 8. 216. ^^^ Aufgrund ihrer empirlschen und wissenschaftlichen Fundierung erhalten konstruktivistische Ideen mehr und mehr Einzug in Wissenschafts- und Praxisbereiche, die bislang ihre funktionalistischen Pramissen nicht in Frage gestellt haben. Vgl. Fischer (2000) 8. 13 und 15-16; KoBler (2000) 8. 61; Erdmann (1999) 8. 17; Dettmann (1999) 8. 1; Fischer (1993) 8.16. ^^^ Vgl. Fried (2001) 8. 36; Glasersfeid (1997) 8. 49 und 201. ^^^ Vgl. Fried (2001) 8. 36; Riegler (2001) 8. 3; Richards/Glasersfeld (2003) 8. 225; Glasersfeid (1997)8. 175. ^^^ Vgl. Fischer (2000) 8. 17. ^^® In Aniehnung an die antike Phllosophie bezeichnet Kant das, was sich hinter den Erscheinungen verbirgt, als „Dlnge an sich" oder als „Noumenon". Vgl. Storig (2004) 8. 453; Hersch (1992) 8. 159-160; Anzenbacher (1989) 8. 142-144.

2. Konstruktivismus: Individuelles und kollektives WIssen

31

trotzdem einen stabilen Charakter, weil ihr Bild standig durch ..rationale heuristische Fiktionen" aufrechterhalten und vervollkommnet wird.^^^ Sowohl Vico als auch KANT gelten als Vordenker der Vielzahl unterschiedlicher konstruktivistischer Spielarten, die sich im 19. und 20. Jahrhundert herausgebildet haben. Aufgrund ihrer divergierenden Wurzein und Denktraditionen setzen diese allerdings erheblich voneinander abweichende Schwerpunkte.^^^ Wegen ihrer Vielzahl und Unterschiedlichkeit ist im Rahmen der vorliegenden Arbeit auf eine vollstandige Aufzahlung der vorhandenen konstruktivistischen Stromungen zu verzichten. Es werden nur diejenigen Varianten diskutiert. die zur Erreichung der Zielsetzung, namlich der Erklarung des Zusammenhangs zwischen individuellem und kollektivem Lernen. beitragen konnen. Im Fokus stehen deshalb der radikale Konstruktivismus,^^^ der sich als individualistlsch orientierte Theorie primar mit dem einzelnen Individuum und seinem Erkenntnlsapparat beschaftigt, sowie der soziale Konstruktivismus, der sich vorwiegend mit der Entstehung kollektiver Wirklichkeits- und Wissenskonstruktionen auseinandersetzt. Beide Theoriestrange beeinflussen mehr und mehr die Organisationstheorie und damit auch das Verstandnis von Organisationen.^^° Als kybernetisch^^^ fundierte Wissens- und Erkenntnistheorie konzentriert sich der radikale Konstruktivismus primar auf die kognitiven Prozesse, die der Konstruktion individueller Wirkllchkeitsvorstellungen und damit individuellen Wissens zugrunde liegen.^^^ Den Mittelpunkt dieser Position bildet die Fragestellung, „wie Mensctien unter Berucksictitigung itirer neuropiiysiologisctien Ausstattung Erkenntnisse gewinnen und stabile Wirkllchkeitsvorstellungen erzeugen."''^^ Als

wichtige

Vertreter

gelten VON

^^^ Mit dieser Argumentation kann Kant, im Gegensatz zu Vico, auf die Einbeziehung eines Gottes als Urheber der Welt verzichten. Vgl. Fried (2001) S. 36. Eine Darstellung kantischer Aspekte der Vernunftsanalyse findet sich bereits bei Vorlander (1921) S. 18-27 und 86-98. Siehe auch Welsch (2000) S, 35-36; Bergner (1996) S. 83-85. Weitere konstruktivistische Wurzein grunden in den Uberlegungen Deweys, James', Vygotdkys und Kuhns. Vgl. Klvlnen/Ristela (2003) S. 363; Davis/Sumara (2002) S. 409. ^^® Vgl. Kaduk (2002) S. 35 und 37; KoUler (2000) S. 61; Bardmann (1994) S. 67. ^^^ Auch der radikale Konstruktivismus stellt keinen geschlossenen Theoriestrang dar. Vielmehr ordnen eine Reihe von Autoren verschledener Diszipllnen ihre Forschungen dieser Position zu. Vgl. Kaduk (2002) S. 36; Fried (2001) S. 37; Hejl (2000) S. 33; Kasper (1990) S. 73. ^^° Als Ursprijnge konstruktivistisch orientierter Organisationstheorien gelten insbesondere konstruktivistische Ansatze der Soziologie. Diese wurden vor allem von Blumer (1981); Mead (1968); SchiJtz (1971) beeinflusst. Vgl. Kieser (2002) S. 288-290. Zur detaillierten Erklarung der einzelnen Ansatze siehe ferner Schneider (2002) S. 180-284. ^^^ Allgemein lasst sich der Begriff der Kybernetik als „Regelung und Nachrichtenubertragung Im Lebewesen und In der Maschine" deflnieren. Vgl. Foerster (1993b) S. 72. '''Vgl. Fried (2001)8.45. ''' Kieser (2002) S. 299. Siehe auch Fried (2001) S. 45; Ruegg-Sturm (2001) S. 27; Dettmann (1999) S. 4; Frindte (1995) S. 113; Bardmann (1994) S. 66.

32

2. Konstruktivismus: Individuelles und kollektives Wissen

GLASERSFELD, der Namensgeber dieses Theoriestrangs, sowie MATURANA und VARELA, die, basierend auf der operativen Erkenntnistheorie von FOERSTERS, eine „Theorie autopoietischer Systeme" entwarfen. Weiterentwicklung und Verbreitung im deutsch- und englischsprachigen Raum erfuhr der radikale Konstruktivismus vor allem durch HEJL, ROTH und SCHMIDT.^^ Eine weitere zentrale Grundlage formuliert PIAGET in seiner „rA7eor/e der kognitiven Entwicklung".^^^ Im Kontext der Organisationstheorie ermoglicht der radikale Konstruktivismus neue Einblicke in das Operieren individueller Organisationsmitglieder.^^^ Indem er den menschlichen Erkenntnisprozess analysiert, tragt er zum einen zur Klarung bei, wie aus individuellen Wahrnehmungen und Erfahrungen konstante Regelmafiigkeiten entstehen. Zum anderen erhoht er das Verstandnis daruber, warum planerische Eingriffe in eine Organisation oft nicht zu den gewunschten Veranderungen fuhren.^^'' Der soziale Konstruktivismus basiert auf den Erkenntnissen des von SCHUTZ entwickelten phanomenologischen Interaktionismus sowie auf den Forschungsergebnissen WITTGENSTEINS

und GARFINKELS.

A I S seine

Hauptvertreter

gelten BERGER

und

LucKMANN.^^® Ihr Ansatz stellt eine Synthese aus wissenssoziologischen und phanomenologischen Konzepten dar und lasst sich als phanomenologische Wissenssoziologie bezeichnen.^^^ BERGER und LUCKMANN gehen davon aus, dass eine gesellschaftliche Ordnung sowie ihre Institutionen, Regein und Wissensbereiche im sozialen Diskurs entstehen und damit Produkte der Gesellschaftsmitglieder sind. Aus diesem Grund verfolgen sie das Ziel, den Entstehungsprozess allgemein akzeptierter bzw. sozialer WIrklichkeits- und Wissenskonstruktionen sowie ihren Einfluss auf individuelle Wahrnehmungen und Empfindungen zu beschreiben.^'*°

'^^ Vgl. Fried (2001) S. 37; Riegler (2001) S. 2-3; Hejl (2000) S. 33; KoRler (2000) S. 67; Lohmann (1997) S. 95; Schmidt (1994) S. 15; Schmidt (1992) S. 9. Kasper betrachtet den Ansatz Watzlawicks allerdings als eigenen konstruktivistischen Theorlestrang und bezeichnet ihn als kommunikationstheoretischen Konstruktivismus. Vgl. Kasper (1990) S. 73. '^^ Vgl. Fried (2001) S. 37; KoRler (2000) S. 67; Kasper (1990) S. 73. '^^ Vgl. Kieser (2002) S. 302. '^^ Vgl. Kieser (2002) S. 315; Fried (2001) S. 45 und 53; Hejl (1992) S. 167. '^® Vgl. Kaduk (2002) S. 36; Kieser (2002) S. 297; Fried (2001) S. 37; Bardmann (1994) S. 52; Kasper (1990) S. 73; Graumann (1995) S. 166-167. '^^ Vgl. Fried (2001) S. 40. ^"^^ Vgl. Frindte (1998) S. 42. Insgesamt gehen sozialkonstruktivistische Ansatze davon aus, dass eine bestimmte Situation ihre Existenz allein sozialen Interaktionen verdankt, die Immer auch anders ablaufen konnen. Vgl. Hacking (1999) S. 20.

2. Konstruktivismus: Individuelles und kollektives Wissen

33

Im organisationalen Kontext regt der soziale Konstruktivismus ein grundsatzliches Misstrauen gegeniiber „objektiven" Gegebenheiten und faktenorientierten Organisationstheorien an. Eine sozialkonstruktivistisch orientierte Organisationsforschung geht deshalb mit einer erhohten Sensibilitat fur die Interpretationsbediirftigkeit organisatorischer Regein einher und zielt darauf ab, die Relativitat organisationaler Prozesse sichtbar zu machen.^"^^ Da die Bearbeitung der Problemstellung auf einer Zusammenfuhrung des radikalen und sozialen Konstruktivismus basiert, werden beide Theoriestrange im Folgenden detailliert dargestellt. Ziel dieser Ausfuhrungen ist es, die fur die Problemlosung relevanten Vorstellungen in ekiektischer Form zu skizzieren.

2.2 Radikaler Konstruktivismus 2.2.1

Zentrale Begriffe zur menschlichen Wissenskonstruktion

Dm ein besseres Verstandnis radikalkonstruktivistischer Ideen zu eriangen, ist zunachst zu klaren, was der Zusatz „racy//ca/" bedeutet. Eine Antwort auf diese Frage findet sich in den Ausfuhrungen VON GLASERSFELDS. Dieser fuhrt den Zusatz

„radikar\r\

den konstruktivistischen Diskurs ein, um die zentrale These des Konstruktivismus, die Abkehr von der einen wahren Wirklichkeit als Existenzbedingung menschlicher Wahrnehmung bzw. die Untrennbarkeit von Erkenntnis und erkennendem Subjekt begrifflich zu fassen und bereits im Theorienamen zu verankern.^"*^ Um diese Vorstellungen auch theoretisch zu fundieren, bezleht sich VON GLASERSFELD auf PiAGETS Modell der biologlschen und entwicklungspsychologischen Erklarung des Wissensaufbaus.^"^^ PIAGET betrachtet begrlffliches Denken und Kognition als Hauptformen menschlichen Wissens und fuhrt seine Entstehung auf psychologlsche, kulturelle und biologische Entwicklungen zuriick.^'^'* Durch diese Zusammenfijhrung humanpsychologischer und biologischer Erkenntnisse kann PIAGET kognitionstheoretisch be-

'^' Vgl. Kieser (2002) S. 297; Kaduk (2002) S. 38; Fried (2001) S. 37-38; Die radikalste Ausformung dieses Ansatzes findet sich in Derridas Ausfuhrungen zum Dekonstruktivismus postmoderner Ansatze. Siehe bspw. Derrida (2003); Derrida (1995); Derrida (1976). ^"^^ Vgl. Bardmann (1994) S. 65; Ziemke/Stober (1992) S. 42. Uber den Nutzen des Zusatzes ..radikal" herrscht innerhalb des konstruktivistischen Diskurses allerdings Uneinigkeit. So bezeichnet Erdmann die Verwendung des Adjektivs jadikal" als ungeschickt, da es den Eindruck enA/ecke, dass es innerhalb des Konstruktivismus mehr Oder weniger radikale Auspragungen gebe. Von Glasersfeld wolle mit diesem Zusatz jedoch nur unterstreichen, dass Erkenntnisgewinnung immer eine individuelle Konstruktion ist. Da sich in dieser Hinsicht alle konstruktivistischen Stromungen einig seien, sei das Adjektiv ..radikal" iiberflussig. Vgl. Erdmann (1999) S. 21-22. Siehe auch Groeben (1995) S. 151-158. ^"^^Vgl. Kofller (2000) S. 67 und 70; Jensen (1999) S. 100; Schneider (1998b) S. 173; Bardmann (1994) S. 68. ^^^Vgl. Schneider (1998a) S. 181.

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grunden, warum die Prozesse des Lernens und des Wissensaufbaus aktive Konstruktionsleistungen darstellen und kein passives Abbilden der einen wahren Wirklichkeit.^"^^ Betrachtet man Wissen allerdings als individuelle Kognition, stellt sich die Frage, wie Individuen die ..Qualitat" ihrer Wirklichkeitsvorsteiiungen bewerten konnen.^"^ Da Individuen uber keinen Zugang zur ontologischen Realitat verfiigen, konnen sie niemals uberpriifen, wie stark ihre Vorstellungen von der „tatsachlichen" Wirklichkeit abweichen. Der Versuch, die ..Richtigkeit" des Wissens zu bestimmen, entbehrt folglich jeder Grundlage.^"*^ Als Ausweg aus dieser Problematik pragt VON GLASERSFELD mit dem Begriff der „ViabilitSt" einen weiteren Schlusselbegriff des radikalen Konstruktivismus.^"*® Nach dieser Vorstellung gelten Wirklichkeitsvorsteiiungen und Wissen dann als viabel, wenn sie der Oberpriifung im Handein standhalten, sich also in Bezug auf relevante Ziele bewahrenJ"*^ Da Wissen nicht die objektive Realitat widerspiegelt, ist es auch nicht mit den Attributen wahr Oder falsch zu belegen. Alleiniges Beurteilungskriterium ist seine Nutzlichkelt in der taglichen Erfahrung. Damit ersetzt der radikale Konstruktivismus das Ubereinstimmungskriterium zwischen Wahrnehmung und Wirklichkeit durch das der Passfahigkeit.^^ DIese theoretischen und relativ abstrakten Uberlegungen VON GLASERSFELDS erfahren innerhalb zahlreicher weiterer radikalkonstruktivistischer Untersuchungen eine empirische Untermauerung.^^^ Einen ersten Beitrag dazu leisten MATURANA und VARELA. Im Rahmen ihrer Theorie lebender Systeme nehmen sie eine neurobiologlsche Fundlerung radikalkonstruktivistischer Ideen vor.^^^ Mit der Entwicklung des AutopoieseKonzeptes kreieren sie eine Theoriekonzeption, die die komplexen Prozesse menschlicher Kognition und damit des Wissensaufbaus lebender Systeme in viabler Weise

^^^ Vgl. Fried (2001) S. 48; Schneider (1998b) S. 180; Jensen (1999) S. 100. Eine genauere Darstellungen der Ideen Piagets erfolgt in Kapitel 4.3 der vorliegenden Arbeit. ^^^ Zur Erklarung der Erkenntnisse Piagets siehe Piaget (2003); Piaget (2002); Piaget (1991); Piaget(1950). ^^'Vgl. Glasersfeld (2002) S. 23; Mitterer (2000) S. 60; Glasersfeld (1995a) S. 37; Vollmer (1995) S. 199-200. '^® Vgl. Hejl (2000) S. 48; KoBler (2000) S. 69. '^^ Vgl. Hejl (2000) S. 48; Glaser (1999) S. 18-20; Glasersfeld (1997) S. 50-51; Glasersfeld (1995b) S. 19. '^° Vgl. Glasersfeld (2002) S. 24; Kaduk (2002) S. 38; Glasersfeld (1995b) S. 25; Frindte (1995) S. 109. Zum Begriff der Viabilitat siehe auch Ameln/Kramer (2000a) S. 103-105. ^^Wgl. Fried (2001) S. 45. '^^ Vgl. Wlldmann (1995) S. 11; Ziemke/Stober (1992) S. 43.

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beschreiben kann.^^^ Aufbauend auf diesen Oberlegungen leistet ROTH einen zweiten Beitrag zur Erklarung der menschlichen Wissenskonstruktion. Er kritisiert die Autopoiese-Konzeption MATURANAS und VARELAS und erweitert sie urn neue, rein individuumsspezifische Vorstellungen. Einen dritten Beitrag leistet schliefllich HEJL. Er beschaftigt sich allerdings eher mit gemeinsamen bzw. kollektiven Wissensbereichen und versucht auf diese Weise das Zusammenspiel von Individuum und Kollektiv zu erklaren. Diese Ausfuhrungen stehen im Mittelpunkt der folgenden Kapitel.

2.2.2

Autopoiese und individuelle Wirklichkeits- und Wissenskonstruktion

Mit ihrer in den 1970er Jahren entwickelten Autopoiese-Konzeption^^ schaffen MATURANA und VARELA ein Begriffsrepertoire, mit dessen Hilfe sie die Konstruiertheit individueller Wirklichkeitsvorstellungen und damit des individuellen Wissens erklaren und kognltionsbiologisch begrijnden konnen.^^^ Ausgangspunkt dazu blldet die Abgrenzung lebender Systeme von anderen Systemtypen durch das Kriterium ihrer permanenten Selbsterzeugung.^^^ Die Organlsationsart, die diese Selbsterzeugung ermoglicht, charakterisieren MATURANA und VARELA als autopoietisch. Entsprechend dieser Vorstellung ist die Autopoiese eine Organisationsform^^^, kein Erklarungsprlnzip.^^ „Die autopoietische Organisation wird als eine Einheit definiert durch ein Netzwerk der Produktion von Bestandteilen, die 1. rekursiv an dem selben Netzwerk der Produktion von Bestandteilen mitwirken, das aucti diese Bestandteile produziert, und

^^^ Vgl. Glasersfeld (1997) S. 183. Die Arbeiten Maturanas und Varelas finden weit ijber die naturwissenschaftiichen Grenzen hinaus Beachtung. Als eines der wichtigsten Werke, das auf dem Autopoiese-Konzept aufbaut, gilt Luhmans Theorle lebender Systeme. Vgl. Kirsch (1997) S. 328; Baitsch (1993) S. 9; Kirsch/Knyphausen (1991) S. 83. ^^ Der Begriff der Autopoiese stammt aus dem Griechischen und setzt sich aus den Wortteilen autos (selbst) und poiein (machen, schaffen, herstellen) zusammen. Vgl. Jutzi/Aderhold (2003) S. 257; Maturana (2001) S. 18; Kirsch/Knyphausen (1991) S. 78. Zu einer ausfuhrlichen Diskussion systemtheoretischer Interpretationen der Autopoiese-Konzeption siehe Krohn/Kijppers/Paslack (2003); Luhmann (1995); Luhmann (1987). Einen vergleichenden Uberblick verschiedener Autopoiese-Konzeptionen gibt Hahmann (2000). ^^^ Vgl. Dettmann (1999) S. 56; Kirsch (1997) S. 271-272; Kirsch/Knyphausen (1991) S. 78; Hejl (1983)8.43. ''^ Vgl. Varela (2003) S. 119; Varela (1997) S. 75-76; MaturanaA/arela (1991) S. 50-51. Siehe auch MIngers (2002) S. 278; Dettmann (1999) S. 8. ^^^ Essentiell zum Verstandnis des Autopoiese-Konzeptes ist die Unterscheidung zwischen der Organisation und der Struktur e\r\es Systems. Die Organisation beschreibt diejenigen Beziehungen zwischen den Systembestandteilen, die es als Einheit einer bestimmten Klasse konstltuleren. Die Struktur kennzeichnet hingegen die spezifische Art und Weise, in der die Organisation des Systems realisiert Ist. Die Organisationsform der Autopoiese kann dabei von verschiedenen Strukturen verwirklicht werden. Daher weist die Organisation stets einen invarianten Charakter auf, wahrend die Struktur variabel ist. Vgl. Maturana (2001) S. 63 und 148; Maturana (2003a) S. 290; Maturana (2003b) S. 92-93; Maturana/Varela (1991) S. 49; Maturana (1985) S. 139-140. Siehe auch Schneider (1998c) S. 199-200. '^^ Vgl. Maturana (2001) S. 253.

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die 2. das Netzwerk der Produktion als eine Einheit in dem Raum verwirkiiclien, in dem die Bestandteiie sicli befinden."^^^ Mit anderen Worten: ein autopoietisches System produziert zirkular seine eigenen Komponenten und erzeugt und erhalt sich auf diese Weise selbst. Nur solange dieser Kreislauf geschlossen ist, sichert das System sein Uberleben. Daher bezeichnet insbesondere VARELA autopoietische Systeme als organisational geschlossen und damit als autonom gegenuber der Umwelt.^^° Trotz dieser Autonomie sind Lebewesen auf einen Energieaustausch mit ihrer Umwelt angewlesen und daher materlell-energetisch offen. Ihre Autonomie zeigt sich darin, dass sie selbst ihre Zustandsfolgen auf Basis einer spezifischen internen Struktur determinieren, die ihre Autopoiese und damit ihre Selbsterhaltung sichert.^^^ Diese Eigenschaft findet in dem Begriff der „Strukturdeterminierthelt" Auis6ruck.^^^ Zwar kann die Umwelt strukturdeterminierte Systeme anregen bzw. Jrritieren" Oder „pertubieren", nicht jedoch in ihren Zustandsfolgen bestimmen.^^^ Die Auflosung des (scheinbaren) Paradoxons, dass Lebewesen mit der Umwelt verflochten sind, gleichzeitlg aber aufgrund ihrer Strukturdeterminiertheit uber einen hohen Autonomiegrad verfugen, gelingt durch das Konstrukt der strukturellen Kopplung. Dieses beschreibt eine „[...] Abstimmung der Zustandsver^nderungen des Organismus mit den [...] Zustandsveranderungen des Mediums." ^^^ MATURANA und VARELA pragen diesen Begriff, um zu erklaren, dass die Systemumwelt die Anzahl der moglichen autopoietischen Organisationen des lebenden Systems begrenzt. Da sich die Autopoiese innerhalb dieser Grenzen allerdings in verschiedenen Formen realisieren kann, ist die konkrete, interne Struktur des Organismus immer eine vom autopoietischen System selbst erzeugte Konstruktlon.^^^ Lebende Organlsmen konnen jedoch nicht nur mit ihrer Umwelt eine strukturelle Kopplung eingehen, sondern auch mit anderen autopoietischen Systemen. Koppein sich zwei lebende Systeme strukturell anelnander, entsteht ein konsensueller Bereich, der die Grundlage jeglicher Kommunikation bildet.^^^

^^^ Maturana (1985) S. 158. Zur weiteren Darstellung der Autopoiese und der Eigenschaften autopoietischer Systeme siehe Varela (2003) S. 121; Rusch (2003) S. 376-378; Ameln/Kramer (2000a) S 61-70; Varela (1997) S. 75; Janich (1992) S. 29. '^° Vgl. Varela (2003) S. 119-121. ^^^ Vgl. Roth (2003a) 8. 259; Varela (1997) S. 78; Kirsch/Knyphausen (1991) S. 79; Hejl (1983) S.44. ^^^ Zum Konstrukt der Strukturdeterminiertheit siehe Wildmann (1995) S. 14. ^^^ Vgl. Maturana (2001) S. 18-19; Siehe auch Vicar! et al. (1996) S. 186. ^^^ Maturana (1985)3.144. ^^^ Der Organismus nimmt kelne Informationen auf, sondern erzeugt sie aus sich selbst heraus. Vgl. Roth (2003a) S. 260-261; Kirsch (1997) S. 289; Baecker et al. (1992) S. 127. Zu einer thesenhaften Zusammenfassung der Autopoiese-Theorie siehe Mingers (2002) S. 280. ^^^ Vgl. Roth (2003a) S. 261; Kirsch (1997) S. 289-290. Zu weiteren Ausfuhrungen siehe Kapitel 4.3 der vorliegenden Untersuchung.

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Urn nun zu eriautern, wie die Autopoiese-Konzeption den Ablauf der menschlichen Wirklichkeits- und Wissenskonstruktion erklaren kann, leistet insbesondere MATURANA einen entscheidenden Beitrag, indem er die Kognitionsprozesse des Nervensystems^^^ (die menschlichen Gehirnleistungen) mit denen der Autopoiese des Organismus gleichsetzt.^^^ Das Nervensystem stellt fur ihn ein strukturdeterminiertes, geschlossenes System dar, in dem jeder neuronale Aktivitatszustand in zirkularer Weise weitere neuronale Aktivitatszustande auslost.^^^ Genau wie ein Organismus lasst es sich zwar uber die Sinnesorgane irritieren, die Reaktion auf diese Stimuli hangt jedoch allein von seinen internen Zustanden ab.^^° Die Existenz eines Gehirns fiihrt nach MATURANA allerdings nicht zu einer qualitativen Veranderung der autopoietischen Organisation lebender Systeme. Es ist immer ein Teil des autopoietischen Organismus und agiert auf der gleichen operativen Ebene. Seine Zustandsveranderungen sind deshalb der Autopoiese unterworfen und fuhren lediglich zu einer quantitativen Erweiterung der Moglichkeiten, die Autopoiese zu realisieren.^^^ Eine Aufienverbindung erfahrt das operational geschlossene Gehirn uber die strukturelle Kopplung des mit ihm verbundenen Organismus mit der Umwelt. Auch hier schrankt die Systemumwelt die Anzahl der moglichen Systemstrukturen ein.^^^ Zur Aufrechterhaltung der autopoietischen Organisation miissen die Systemstrukturen die Umwelt wiederum nicht in identischer Art abbilden. Sie mussen lediglich viabel sein und konnen daher innerhalb der gleichen Umwelt von System zu System variieren. Fur den jeweiligen Organismus selbst reprasentieren seine internen Strukturen allerdings die Umwelt und stellen systemspezifische Wirklichkeits- und Wissenskonstruktionen dar. Auf diese Weise begrundet MATURANA, dass lebende Systeme die ontologische Welt nicht abbilden, sondern ihr Wissen durch systeminterne Prozesse konstruieren.^^^ „Wirerzeugen [...] buchstablich die Welt, in der wirleben, indem wirsie leben."^^"^ Da die interne Systemstruktur die in einem lebenden System ablaufenden Prozesse determiniert und da lebende Systeme sich immer in Zustanden der Autopoiese befin-

^^^ Das Nervensystem besteht nach Maturana aus dem Gehirn und den damit verbundenen Nervenbahnen. Daher werden in den folgenden Ausfiihrungen die Begriffe: ..Nervensystem" und ..Gehirn" synonym ven^/andt. Vgl. Maturana (1985) 8. 18-21. ® ' ® Vgl. Roth (2003a) S. 257-258. '®^Vgl. Maturana (2003b) 3.98; Roth (2003a) 8.259; Schneider (1998c) 8.201; Maturana (1985) S. 18. Slehe auch Seibert (1993) 8. 91. ^^° Vgl. Roth (2003a) 8. 259-260; Kirsch (1997) 8. 289. '^^ Vgl. Maturana (2003b) 8. 99 und 101; Roth (2003a) 8. 260. ^^^ Vgl. Kirsch (1997) 8. 276 und 289. ^'^ Vgl. Maturana (1985) 8. 19-21. ^^"^ Maturana (1985) 8. 269.

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den, betrachtet MATURANA Kognitionsprozesse als Realisierung der Autopoiese. Er bezeichnet lebende Systeme als kognitive Systeme und Kognitionen als biologische Phanomene.^^^ Die fundamentalen Erkenntnisse MATURANAS und VARELAS bestehen somit in der biologischen Erklarung menschlicher Kognition und damit der Prozesse individueller Wissenskonstruktion/''^ Die Gleichsetzung von Autopoiese und Kognition bildet allerdings den Ausgangspunkt zahlreicher Diskussionen.^^^ Als eine der Hauptkritiken wird im folgenden Abschnitt die Position ROTHS eriautert.

2.2.3

Selbstreferenz und individuelle Wirklichkeits- und Wissenskonstruktion

ROTH erweitert die Theorie autopoietischer Systeme urn das Konstrukt der kognitiven Selbstreferenz^^® und schafft damit die Grundlage zur Ubertragung dieser Theorie auf soziale Einheiten.^^^ Im Gegensatz zu MATURANA und VARELA betrachtet er die Prozesse der Autopoiese und der Kognition als verschledene Phanomene. Er betont, dass man die spezifischen Kognltionsleistungen des Gehirns nur begreifen konne, wenn man davon ausgeht, dass das Gehirn gerade nicht autopoietisch organisiert istJ®° Darum schlagt er vor, den Begriff der Autopoiese fur biologische Systeme zu reservieren und kognitive Systeme als selbstreferentiell zu bezeichnen. Kognitive und soziale Systeme stellen damit selbstreferentielle, nicht jedoch autopoietlsche EInheiten dar.^®^ ROTHS Argumentation liegt die Annahme zugrunde, dass die operationale Geschlossenhelt sowie die Autonomie die notwendigen Antriebsmomente kognitiver Prozesse bilden. Da autopoietlsche Organismen zur Sicherung ihrer Selbsterhaltung spezifischer Interaktionen Ihrer Bestandteile sowie einer materiell-energetischen Kopplung mit der Umwelt bedurfen, betrachtet er sie im Gegensatz zu MATURANA und VARELA weder als autonom noch als im strengen Sinne operational geschlossen.^®^

' ' ' Vgl. Maturana (2003b) S. 100-101; Roth (2003a) S. 258; Schneider (1998c) S. 202; Kirsch (1997) S. 290. ^^® Vgl. Maturana (1985) 8. 33. ^^'Vgl. Kirsch (1997) 8.290. ^^® Mit dem Konstrukt der Selbstreferenz driickt Roth aus, dass sich samtliche Wechselbezuge zwischen den Systemkomponenten immer nur auf sich selbst beziehen. Vgl. Hejl (1995) S. 115. Siehe auch Aderhold/Jutzi (2003) S. 122; Arnold (1997) S. 38; Riedl (1992) S. 35; Probst/Scheuss (1984) S. 486-487. ^^^ Roth sieht den Grund fur Maturanas Gleichsetzung von Autopoiese und Kognition vor allem in der Nichtbeachtung der Differenz zwischen selbsterhaltenden und selbstreferentlellen Prozessen. Vgl. Hejl (2003) S. 335. '®° Vgl. Roth (2003a) S. 262. '^' Vgl. Roth (2003b) S. 241; Roth (2003a) S. 283. ^®^ Vgl. Roth (2003a) S. 282.

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Kognitive Systeme erfullen hingegen beide Charakterjstika. Sie sind operational geschlossen, weil sie als Subsysteme des Organismus keinen Kontakt zur Aulienwelt haben. Jegliche Umweltkontakte vollziehen sich indirekt uber die Sinnesorgane, so dass das kognitive System selbst immer nur mit seinen eigenen internen Zustanden interagiert. Die Kriterien zur Wahrnehmungsdeutung kann es darum nur mit Bezug auf sich selbst und damit in selbst beschreibender Weise entwickeln. Alle Erfahrungen und Wissensbereiche reprasentieren Selbst-Deutungen des Gehirns. ^^^ Die Autonomie kognitiver Systeme im Gegensatz zu autopoietischen besteht darin, dass sich die Interaktionsweisen ihrer Komponenten durch eine hohe Variabilitat auszeichnen. Diese resultieren daraus, dass das Gehirn als Subsystem des lebenden Systems durch die Autopoiese des Organismus erhalten wird und daher nicht selbst fiir seine Existenzsicherung sorgen muss. Da es folglich selbst nicht autopoietisch ist, unterliegen seine Funktionen nicht den gleichen spezifischen Stabilitatsbeschrankungen wie der autopoietische Organismus selbst. Kognitive Funktionen lassen sich vielmehr als Prozesse der Wahrnehmung und des Denkens verstehen, die nur in sehr geringem Made zur Uberlebenssicherung beitragen.^^ Da kognitive Systeme von ihrer Existenzerhaltung befreit sind, konnen sie, im Unterschied zu autopoietischen Organismen, ihre Zustande frei steuern und autonom agieren.^^^ Diese Autonomie bildet „gerade [...] die Grundlage der spezifischen Leistungen menschlicher Kognition, namlich Konstitution von Wirl