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German Pages [312] Year 2012
Theophrast von Lesbos – Vater der Botanik
Helmut Birkhan
Pflanzen im Mittelalter eine kulturgeschichte
Böhlau Verlag Wien · Köln · Weimar
Gedruckt mit Unterstützung durch die Österreichische Forschungsgemeinschaft die MA 7 - Kulturabteilung der Stadt Wien
Cover: Hortus conclusus (Paradiesgärtlein) eines oberrheinischen Meisters um 1420 (Frankfurt Städel-Museum) Frontispiz: Holzschnitt des Theophrastos (s. S. 16) aus der Nürnberger Chronik (1493), http://www.beloit.edu/nuremberg/book/ images/People/Classical/ Author Nuremberg Chronicle Covergestaltung: J. Mullan Layout: Bettina Waringer Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78788-4 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdruckes, der Entnahme von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf fotomechanischem oder ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2012 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co. KG, Wien · Köln · Weimar www.boehlau-verlag.com Druck: UAB Balto print, Litauen
Inhalt
1. Zur EInlEItung . . . . . . . . . . . . . . Leitlinien . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Pflanzen auf dem langen Weg in die Wissenschaft. Identifikationsprobleme . . . . . . . . . . . . 2. PflanZEn aus dEr sIcht IhrEr wIrtschaftlIchEn nütZlIchkEIt . . . . . . Unkraut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nutzpflanzen von der Karolingerzeit bis Hildegard von Bingen . . . . . . . . . . . . . Nutzpflanzen vorwiegend bei Konrad von Megenberg und Hildegard . . . . . . . . . . . . . . . . Getreide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gemüse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Obst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Faserpflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . Färberpflanzen . . . . . . . . . . . . . . . . Holz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anderweitig verwendbare Pflanzen . . . . . . . .
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3. PflanZEn aus dEr sIcht IhrEr magIschEn VErwEndung . . . . . . . . . 101 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Die Heilpflanzen bei Konrad und Hildegard . . . . . . 104 4. dEr gartEn als nutZ- und lustort und das wIldE . . . . . . . . . . . . . 179
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5. dIE PflanZE hat rEcht – symbol und norm . . . 205 Das Recht der Pflanze . . . . . . . . . . . . . . . 205 Die Pflanze als Rechtssymbol und Wappen . . . . . . . 213 6. hEIlIgE und frommE PflanZEn Biblische Pflanzen . . . . . . . . Marianische Botanik . . . . . . . Das Kreuz als Baum des Heils . . . Menschenfrüchte . . . . . . . .
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7. sPannwEItE. das PflanZEnbIld In dEr wEltlIchEn tradItIon dEs mIttElaltErs . Floskel und Ornament . . . . . . . . . . . . Der Mensch als Pflanze und die Pflanze als Mensch. Die prophetische Pflanze . . . . . . . . . . . Weltenbäume und Pflanzenkrieger . . . . . . .
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8. bIblIograPhIschEs und abkürZungsVErZEIchnIs 274 Bildlegenden und -nachweise . . . . . . . . . . . . 291 Abgekürzte Sprachbezeichnungen . . . . . . . . . . 292 9. IndEx dEr ErwähntEn PflanZEn nach modErnEn und mIttElaltErlIchEn namEn 293
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1. Zur EInlEItung
Für Airmed, die Pflanzenkundige
lEItlInIEn
D
ie Fremdheit eines kulturellen Systems wird einem dann besonders bewusst, wenn man sich die Stellung eines Elementes von universeller Gültigkeit innerhalb dieses Systems genauer ansieht. Solch relativ stabile Elemente sind etwa die Gestirne, die anderen Kulturen und Zeiten so leuchteten wie uns, aber anderes bedeuteten, die Tiere, mit denen man in bestimmter charakteristischer Weise umging, kurzum die Natur. Als repräsentativer Teil derselben soll hier die Pflanze in mittelalterlicher Sicht im Zentrum stehen.1 Ich wünsche mir sehr, dass mein Leserpublikum nicht nur und in erster Linie Menschen mit Neigung zur Kulturwissenschaft, sondern auch Botaniker und Botanikerinnen sein mögen. Auch sie müsste interessieren, was man im Mittelalter von den ihnen vertrauten Gewächsen dachte. Und ich kann mir schon den Kulturschock ausmalen, der sie überfällt, wenn sie in meinem Index neben der Linde auch den Kreuzbaum Christi und neben 1
Neuerdings hat die Grazer Altanglistik (Peter Bierbaumer und Helmut Werner Klug) ein „Portal der Pflanzen des Mittelalters/Medieval Plant Survey“ aufgebaut; s. http://medieval-plants.uni-graz.at
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1. Einleitung
Anthríscus cerefólium ‚Kerbel‘ den Baum der Erkenntnis aus dem Garten Eden finden. Sie waren dem mittelalterlichen Menschen botanisch nicht weniger real als die uns heute wissenschaftlich vertraute Flora. Das Interesse an der Pflanze (Baum, Kraut und Pilz – Letzterer hier mitbehandelt, obwohl dies nicht mehr dem heutigen wissenschaftlichen Standard entspricht) rührt an die Ursprünge der Kultur. Sehr viele unserer auf Pflanzen bezogenen Wörter lassen sich bereits in das Indogermanische, also die Sprache der Jungsteinzeit, Kupfer- und frühen Bronzezeit, zurückverfolgen, wenn dies auch nicht immer auf den ersten Blick sichtbar ist. Ich beschränke mich auf ein einziges Beispiel: Indogermanisch *der/dor- ‚Baum‘ ist erhalten in altindisch dāru, gr. dóry, altkirchenslawisch drěvo, altkeltisch dervo- in der Bedeutung ‚Baum, Holz‘, speziell aber auch ‚Eiche‘. Die Dervonae fatae waren gallische ‚Eichenfeen‘, die Alaterviae germanische ‚Eichenmütter‘. Das urgermanische *trewa- lebt weiter in gotisch triuw, ags. treow > engl. tree, anord. tre, im Deutschen wohl in der letzten Silbe von Baumnamen wie Holun-der, Wachol-der, Apfal-ter ‚Apfelbaum‘ und jedenfalls der alten Bezeichnung des Baumharzes Teer. Der kulturgeschichtliche Aspekt erhält eine zusätzliche Tragweite, wenn wir den „weiblichen“ Pflanzenbau der „männlichen“ Jagd gegenüberstellen. Schließlich war auch im Mittelalter der übliche Hausgarten Frauensache. Speziell an der mittelalterlichen Botanik könnte heute ein breiteres Lesepublikum die aus ökologischer Sicht bemerkenswerten alten Kulturpflanzen, die da und dort wieder auf den von Importen übersättigten Märkten erscheinen, interessieren wie auch das in unseren Augen magische Kräuterwissen der Hildegard von Bingen und eines Konrad von Megenberg, ganz zu schweigen von der reichen Pflanzensymbolik, die uns allenthalben entgegentritt. Gegenüber den Tieren musste schon seit alters her die sozusagen „offene Form“ der perennierenden (ausdauernden) Pflanze beeindrucken. Zwar ist auch den Pflanzen ein bestimmtes Alter vorgegeben: Es gibt einjährige, zweijährige und perennierende Pflanzen, die jedoch gleichfalls eine gewisse Lebenserwartung haben. Während ein Pflau8
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menbaum kaum hundert Jahre alt werden wird, erreichen Linden, Eichen, Eiben und Platanen ein sehr hohes Alter, das ein Jahrtausend übersteigen mag. Während Tiere, haben sie ein bestimmtes Alter erreicht, nicht mehr weiterwachsen – immerhin wachsen bei vielen Tieren Körperteile, etwa aus Horn, nach –, gibt es ein solches Stadium des Erwachsenseins bei den Pflanzen nicht. Auch eine tausendjährige Eiche bringt noch neue Triebe, Zweige und Äste hervor. Wenn einjährige Kräuter etwa in der Bibel gerne als Zeichen der Vergänglichkeit angesehen werden, scheinen perennierende Pflanzen eine unerschöpfliche Lebenskraft zu besitzen und gelten als Bild der Beständigkeit. Auch die Regeneration verläuft anders. Schon Aristoteles (1959, 231) fragte sich, warum laubabwerfende Bäume wieder Blätter bekommen, „den Kahlköpfigen dagegen keine Haare nachwachsen“, und beantwortete dies damit, dass „bei jenen die Jahreszeiten die Wendepunkte der körperlichen Entwicklung herbeiführen, so daß sie im Hervorbringen und Abwerfen mit diesen Schritt halten […], während den Menschen ihr Lebensalter Winter und Sommer, Frühling und Herbst bedeutet. Da nun die Lebensalter keine Wiederkehr kennen, so haben auch die von ihnen abhängigen Eigenschaften keine […].“ Die perennierende Pflanze hat ein anderes Telos als Mensch und Tier, deren äußere Entwicklung einen Abschluss findet, während die Pflanze kontinuierlich weiterlebt und Jahreszeiten, wo es solche gibt, als wiederkehrende Zyklen überdauert, ständig wachsend und zunehmend, wenn dies nicht durch ein äußeres Ereignis wie etwa Sturm, Blitzschlag oder eine vom Menschen erzeugte Bodenverunreinigung beendet wird. Eine beschnittene, sozusagen verstümmelte Pflanze treibt im Gegensatz zu Mensch und Tier (wenn wir von niederen Organisationsformen absehen) neu aus. Im Niederwald, aber auch bei Obstbäumen und Weinreben ist der Verschnitt mit dem Ziel, neue Triebe hervorzubringen, geradezu ein wichtiges Moment menschlicher Strategie, um die Produktivität und Qualität des Pflanzenprodukts zu erhöhen. Im Gegensatz zu Tier und Mensch hat die Pflanze in hohem Maß die stabilitas loci, d. h. die Standorttreue, die von Tier und Mensch allerdings etwa durch Verschleppung der Samen verändert werden 9
1. Einleitung
kann, wobei der Verpflanzbarkeit Grenzen gesetzt sind – was in einem gewissen Alter allerdings auch für den Menschen gilt, wenn man die Pflanzenmetaphorik bemühend sagt, ein alter Mensch lasse sich wie ein alter Baum eben nicht mehr verpflanzen. Wie auch heute war es einst wichtig, ob die standorttreue Pflanze in Wald, Heide, in alpiner Felslandschaft, im Moor, in der Steppe oder dem Naturrasen beheimatet war oder ob sie als ein mehr oder minder domestiziertes Gewächs in einem deutlich gekennzeichneten Terrain wie einem Feld oder Garten wuchs. Sieht man von den vor allem als Bau- und Brennholz wichtigen Waldbäumen, dem zur Laubheugewinnung dienenden Niederholz und den Wildfrüchten ab, dann konzentrierte sich das materielle Interesse auf „Kulturpflanzen“ im weitesten Sinn, denn eine systematische Botanik „um ihrer selbst willen“ war dem Mittelalter fremd. Im Alltag wurden vor allem jene Pflanzen wahrgenommen, die nach Form und Farbe ihrer Blätter (Fingerkraut), seltener der Blüte (etwa Lilienarten, Iris, Akelei) und ihrer Wurzel (etwa hohle Knollen bei der holwurz, Aristolóchia rotúnda), nach ihrem Geruch (etwa Gewürzpflanzen), nach ihrer Giftwirkung (wie Eisenhut und Nachtschatten) auffielen oder als Nutzpflanzen wie Getreide, Gemüse und Faserpflanzen infrage kamen. Dabei traten interessanterweise Blütenform und -farbe etwa gegenüber dem Geruch in der Wahrnehmung und Beschreibung eher in den Hintergrund. Auch die volksetymologische Deutung ihres Namens konnte eine Rolle spielen. So wurde der Ehrenpreis zu einem Allheilmittel, weil man seinen Namen Verónica als vera unica medicina, als ‚wahres einziges Heilmittel‘ verstand (LCK s. v. Ehrenpreis). Das wissenschaftliche Interesse an einer Pflanze bemaß sich durchaus nach ihrem Nutzen oder ihrer Schädlichkeit, vor allem in der „natürlichen Magie“ (magia naturalis), zu der ja nach mittelalterlichem Verständnis die Medizin und Pharmazie gehörten (Birkhan, 2010, 33–37, 59–70). Eine gediegene Sichtung der Pflanzenmagie findet man schon bei Heinrich Marzell (in: HDA s. v. Pflanze), weitere wichtige Arbeiten stammen von Hans Schöpf (1986) und Christian Rätsch (1988). Im Gegensatz zu diesen beiden Autoren geht es mir hier nicht 10
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um eine Gesamtdarstellung der Pflanzenmagie und auch nicht um eine objektivierende Untersuchung der magischen „Möglichkeiten“ der Pflanzen, sondern um die Vermittlung der subjektiven Sicht besonders bei zwei herausragenden und angesehenen mittelalterlichen Autoren: Hildegard von Bingen mit der Urfassung ihrer Physica und Konrad von Megenberg. Hier spielte die Ähnlichkeitsmagie der Signaturenlehre (similia similibus) eine große Rolle. Die zwei Wurzelknollen des Knabenkrautes (Órchis) etwa erinnern an Hoden – daher auch der Name Knabenkraut oder Ständel –, dementsprechend lieferten die Knollen das Potenzmittel Salep (vgl. Marzell, in: HDA s. v. Knabenkräuter). Nach anderen sollte bei der satiria die eine Knolle erregen, die andere das Gegenteil bewirken (Balss, 1947, 169). Die Signaturenlehre, die auf Theophrast und Dioskurides zurückgeht, fand am Ende des Mittelalters in den Phytognomica (1588) von Giambattista della Porta ihren beredten Anwalt. Die Pflanzenmagie drückt sich in einer zur Frühen Neuzeit hin immer üppigeren Fachliteratur (z. B. Kräuterbüchern) sowie in den botanischen Abschnitten enzyklopädischer Werke aus. Mit diesem Aspekt der mittelalterlichen Pflanzenkunde werden sich die beiden folgenden Abschnitte beschäftigen. Der Begriff des Gartens wird, wie das Wort besagt, durch die Einhegung bestimmt. Die Einfriedung umfasst nun freilich nicht nur Obstgehölze, Gemüse-, Gewürz- und Medizinalpflanzen, wie etwa anfangs des 14. Jahrhunderts in der Schweiz und andernorts, wo die Nutzgärten in kraut-, baum- und weingarten eingeteilt werden (DWb IV, 1394), sondern auch Blütenpflanzen, die wegen einer inhärenten christlichen Allegorie oder – viel seltener – einfach wegen ihrer Schönheit gehegt wurden. Hierher gehören die der Erholung und Repräsentation dienenden Lustgärten, die sich dem literarischen „Lustort“ (locus amoenus) annähern, ebenso wie die Vorstellungen von einem „abgeschlossenen Garten“ (hortus conclusus) im „Duftkreis“ marianischer Symbolik und der Minne-Esoterik. Dabei wird nach Stellen des Hohelieds (etwa Hld 4, 12ff.) die Frau selbst als streng gehegter jungfräulicher Garten gesehen. So Maria, die als liljen- und rôsegarte oder auch durch Konrad von Würzburg als viuhter meiengarte 11
1. Einleitung
besungen wird (Salzer, 1893, 15–18), wobei das Epitheton viuht ‚feucht‘ hier ‚wohlbewässert‘ und durch göttliche Gnade ‚fruchtbar‘ bedeutet. Daneben ist auch die weltliche Erotik reich an floralen Assoziationen. Kosend kann ein Mädchen als bluomentocke ‚Blumenpüppchen‘ angesprochen werden. Das weibliche Genitale selbst heißt, wie auch die Menstruation, bluome. Das Substantiv bluot bezeichnet als Maskulinum oder Femininum die ‚Blüte‘, als Neutrum das ‚Blut‘. Pathetischer ist es, wenn etwa in der Frauenlob-Schule die Angebetete als vîolgarte ‚Veilchengarten‘ angeredet wird und Konrad von Würzburg von Achilles sagt, er habe das „edle Obst gebrochen, das in Deidamias Wonnegarten wuchs“ (Trojanerkrieg, 16975f.). Solche Assoziationen in Verbindung mit Jungfräulichkeit sind uns noch aus dem GoetheGedicht vom „Heidenröslein“ ganz geläufig. Daneben dient das verallgemeinerte Bild des Gartens auch zur Bezeichnung des Wohlbehütetseins und des Ortes der Erziehung in einer Art Schule. So gehen die Sprösslinge in den Kindergarten, der in der heute geläufigen Form auf die Pestalozzi-Schülerin Teréz Gräfin von Brunszvik zurückgeht, die 1828 in Buda die erste Angyalkert ‚Engelgarten‘ genannte Anstalt dieser Art errichtete. Die Bezeichnung Kindergarten stammt von Friedrich Fröbel (1840), der mit dem Namen die sorgsame Hegung und Pflege der Kinder in einer Art „Garten“ verband. Doch bereits der Römerzeit entstammt die Wortprägung seminarium, die eigentlich jene Anstalt bezeichnet, die wir unter Umkehrung des Bildes vom jungen Menschen und Sämling heute Baumschule nennen. Schon Livius bezeichnete die Ritter (equites) als die „Pflanzschule“ (das seminarium) des Senats. Mit dem Tridentinum tritt dann die Bezeichnung besonders in der Klerikerausbildung hervor und wurde in der Aufklärung zur Bezeichnung jener Form des exklusiveren akademischen Unterrichts, in der wir sie heute noch gebrauchen. Dass wir die Kinder nach pflanzlichem Vorbild Sprösslinge, seltener auch Schösslinge nennen und von Fort-pflanzung reden, hat eine bemerkenswerte Parallele in den keltischen Sprachen, in denen sowohl kymrisch plant ‚Kinder‘ als auch irisch clann ‚Kinder, Familie‘ aus mlat. planta ‚Schössling‘ entlehnt sind. 12
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Das bildliche Denken in den Kategorien des Organisch-PflanzlichWachstümlichen ist weitverbreitet und begegnet in vielen Sprachen, etwa in engl. it grows on me ‚ich finde nach und nach Gefallen daran‘. (Engl. to grow ist mit greene verwandt und bedeutet eigentlich ‚grünen‘.) Vielfältig sind die etymologischen Zusammenhänge zwischen Mensch und Pflanze bzw. Holz wie etwa in dt. Knabe zu Knebel ‚kleines, dickes Holzstück‘, lat. virgo ‚Jungfrau‘ zu lat. virga ‚Rute‘, wo rauf hier nicht weiter eingegangen werden kann (vgl. Much, 1909), die aber gerade in letzterem Fall theologisch wirkmächtig wurde (Clavis 388–391; s. S. 14). Dementsprechend setzte man, wie wir durch Heinrich Seuse (1334) wissen, den unverheirateten Frauen einen „Mädchenmaien“, einen Maibaum, dessen Aufputz das öffentliche Urteil über ihre Tugend zum Ausdruck brachte, also auch verunziert sein konnte (HRG s. v. Maibaum) – ein Zeichen, das für die Bezeichnete stand. Unter den magischen Wissenschaften des Mittelalters hatte die Alchemie eine ausgesprochene Neigung zu pflanzlicher Metaphorik. Sie dachte sich Lilie und Rose als Decknamen der weißen und roten Tinktur, aber auch für Mond und Sonne. Die Edelsteine, Gold und Silber sollten unterirdisch wie Bäumchen wachsen, und ebenso stellt sie auch das Grimm-Märchen „Die zertanzten Schuhe“ (KHM 133) dar. Die enge assoziative Beziehung zwischen Mensch und Pflanze drückt sich in der Identifikation mit der Pflanze da und dort im Namenwesen, gewichtiger noch in der mittelalterlichen Heraldik aus. Nicht mehr im Bewusstsein ist uns heute die bedeutende Rolle, die pflanzliche Symbole wie Lilie, Halm und Ähre einst im Recht spielten. Selten hingegen handeln in der deutschen Literatur des Mittelalters Pflanzen wie sonst Tiere in der Fabel. Als Beispiel zitiere ich eine Stelle (1974ff.) aus dem Renner des Hugo von Trimberg, einem Erziehungswerk des 13. Jahrhunderts, in dem er lehrt, wie man gegenüber Reichen argumentieren solle: „Zu einer Hagebutte sprach eine Schlehe: ‚Herrin in dem roten Röckchen, laßt uns Arme bei Euch sein. Gedenkt Eurer Herkunft: Unser beider Mutter war der Dorn und bevor Ihr rot wurdet ward Ihr grün. Und beide stammen wir vom selben Gott ab, der uns ein Teil der Erde überlassen hat. Wäh13
1. Einleitung
rend wir so arm sind, habt Ihr viele Kerne. Aber uns pflücken Frau und Mann gern, während Eure Kerne niemand will.‘“ Gilt es etwas anzuordnen, so ist uns schnell der Baum als Ordnungselement vor Augen. Schon im Mittelalter strukturierte man etwa Tugend- und Lasterkataloge in Baumform an (vgl. LCI 3, 23f.), wir denken uns Hierarchie und Abhängikeit gerne als „Stemma“, oder drehen den Baum einfach um, sodass die Äste zu Wurzeln werden, und stellen uns so Kausalität vor. Vielfältig sind die christlichen allegorischen Bezüge der Pflanzen. Wer würde, wenn er mit der Tradition einigermaßen vertraut ist, bei Lilie und Rose(nkranz) nicht an die Jungfrau Maria denken? Vielfältige Formen der Pflanzenallegorese treten uns bei Isidor von Sevilla (560–636) entgegen, die Konrad von Megenberg noch im 14. Jahrhundert aufgreift (s. S. 32), oder bei dem karolingerzeitlichen Hrabanus Maurus und in der Clavis (Schlüssel), einem dem Melito von Sardes († 180) zugeschriebenen, in Wirklichkeit hochmittelalterlichen Handbuch der Allegorie nach dem „vierfachen Schriftsinn“, das Jean-Baptiste-François Pitra 1855 als zweiten Band des Spicilegium Solesmense ‚Ährenlese aus Solesme‘ herausgab. In dieser Clavis handeln 120 Seiten (347–467) von „Hölzern und Blumen“ (de lignis et floribus), meist der Bibel in vielfachen allegorischen Bezügen. So kann lignum ‚Holz‘ 13 Bedeutungen haben und je nach Kontext Christus, das Kreuz, die Engel, die Ungerechten, den Menschen, die Sätze der Hl. Schrift, die Weisheit Gottes, die Gerechten, die Werke, die Stumpfheit des Herzens, den eigenen Willen, die Sünden und die Heiden bezeichnen, was alles durch Schrift- und Kirchenväterzitate sowie Aussagen hochmittelalterlicher Theologen belegt wird (347–351). Nicht immer ist Pflanzliches so polyvalent: Der Buchsbaum (buxus) meint zusammen mit Tanne und Föhre wegen Ez 31,8 – eine Stelle, die heute auf ganz andere Bäume bezogen und anders verstanden wird – bloß die Sanften und Tugendhaften (361). In der Legende ist das Pflanzenmirakel wie der wundersam austreibende dürre Stab geläufig, so der des Aron (Num 17,20; 23), der ja in einer einzigen Nacht nicht nur Blätter, sondern sogar Blüten und 14
die pflanze auf dem langen Weg in die wissenschaft
Mandeln hervorbrachte und als Zeichen besonderer Gnade Vorbild vieler anderer austreibender Stäbe wurde (B-P III, 463ff.), darunter seit 1450 auch jenes des Papstes in der Tannhäuserlegende, die ab 1500 zu einer antikatholischen Propagandasage geriet. Ebenso der Stab eines alten Mütterchens, den sie mit der Bemerkung in den Boden steckte, wenn er austreibe, werde sie Luther glauben. Er wuchs zur „Luther-Ulme“ bei Pfifflingheim, die erst 1949 abstarb (bei Worms; HDA s. v. Ulme). Es wird nicht erstaunen, wenn der Philologe in diese kleine Studie auch die eine oder andere Blüte bemerkenswerter literarischer Stellen aus entlegeneren Regionen wie dem mittelalterlichen Island oder der Inselkelten einflicht. Ein besonders großes Feld, das ich hier nur eben streifen kann, eröffnet sich im Bereich der bildenden Kunst. Gab es bereits in der mediterranen Ornamentik einen hohen Anteil an pflanzlichen Motiven wie Akanthusblatt und Palmette, so werden diese in die Latènekunst und auch in das frühgermanische Kunsthandwerk übernommen, allerdings das Rankenwerk mit tierischen Elementen durchmischt oder überhaupt durch verflochtene Tierleiber ersetzt. Im Hochmittelalter spielt die florale Ornamentik in der Bauhütte, aber auch im Skriptorium eine höchst wichtige Rolle. Daneben ist die Entwicklung der Pflanzenabbildung vom spätantiken „Realismus“ über die symbolisch-formelhafte Darstellung in Romanik und Frühgotik zu einer neuen „realistischen“ Auffassung in den spätgotischen und Renaissance-Pflanzenbüchern sehr bemerkenswert.
dIE PflanZEn auf dEm langEn wEg In dIE wIssEnschaft Zunächst will ich im Scheine eines bescheidenen Binsenlichtes, wie es dem Mittelalter geläufig war, das gerade die Umrisse hervortreten lässt, die Geschichte der wissenschaftlichen Pflanzenkunde besehen. Da für die mittelalterliche Botanik die praktische Verwendbarkeit der Pflanze im Vordergrund stand, ist ihre Geschichte von jener der Medizin und Pharmazie als magia naturalis kaum zu trennen (zu dem 15
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Begriff Magie s. S. 10f.). An deren Beginn stehen der Begründer der Medizin Hippokrates von Kos (ca. 460 bis ca. 370) bzw. die mit ihm zusammengebrachten Schriften des Corpus Hippocraticum, aus dem ja auch die Lehre von der Übereinstimmung von Makro- und Mikrokosmos stammt, die weit bis in die Neuzeit wirkte. Danach finden die vier Elemente Feuer, Wasser, Luft und Erde in den Lebenssäften (humores) Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle und ebenso in den Temperamenten der Sanguiniker, Phlegmatiker, Choleriker und Melancholiker ihre Entsprechung. Die genannten vier Körpersäfte sind wieder durch die Kombination von vier (Primär-)Qualitäten (heiß – kalt [h – k] und trocken – feucht [t – f ]) bestimmt. Während die Beschäftigung mit Grundfragen der Biologie, wie etwa die Zeugungslehre, auf Aristoteles (384–322) zurückgeht, war dessen Schüler Theophrastos aus Eresos auf Lesbos (um 370–287) – übrigens einer der ersten Vegetarier – für die Pflanzenkunde von viel größerer Bedeutung, da er um 300 v. Chr. die ältesten wissenschaftlichen Monografien über Pflanzen verfasste, die Historia plantarum ‚Naturgeschichte der Gewächse‘ und die Causa plantarum ‚Ursache der Pflanzen‘, die sich besonders mit Holz und dem Waldbau beschäftigen, womit ihr Autor zum Begründer der Botanik, aber auch der Forstwissenschaft wurde. Er unterschied bereits die Ein- und Zweikeimblättrigen (Mono- und Dicotyledones), eine Beobachtung, die danach wieder in Vergessenheit geraten sollte. Als Arzt machte auch Serapion von Alexandria (Ende des 3. bis Anfang des 2. Jahrhunderts), der manchen als Begründer einer empirischen Ärzteschule gilt, vielfach von pflanzlichen Heilmitteln Gebrauch, wenn er etwa Epileptiker mit Rosenöl massieren ließ. Auch der römische Arzt Scribonius Largus, der Kaiser Claudius auf seinem Britannienzug (43 n. Chr.) begleitete, ist hier zu nennen, weil er seine Rezepte nach dem Schema a capite ad calcem („vom Scheitel bis zur Sohle“) anordnete und der Prolog seiner Compositiones die älteste Überlieferung des sog. „Hippokratischen Eides“ enthält. Der als Geschichtsschreiber berühmte Aristoteliker Nicolaus Damascenus (geb. um 64 v. Chr.) verfasste eine Pflanzenkunde De plantis, die bis in die Neuzeit als eine Arbeit des 16
die pflanze auf dem langen Weg in die wissenschaft
Aristoteles angesehen und zu einem Grundlagenwerk für Albertus Magnus werden sollte. „Über den Ackerbau“ (De agri cultura) schrieb Marcus Porcius Cato (234–149). Als umfassende Darstellung von Viehhaltung und Pflanzenbau ist das „Buch über die Landwirtschaft“ (De re rustica, um 65) des Lucius Iunius Moderatus Columella († um 70 n. Chr.) besonders wichtig, da er gegen 400 Pflanzenarten erfasste und deren Anbau, Pflege und Krankheiten beschrieb. Sein Werk wurde vom Prämonstratensermönch Heinrich Österreicher vor 1491 ins Deutsche übersetzt (J. Glocker, in: VerfLex. 1989, 110–113) und ist in dieser Version im Folgenden zitiert. Um 77 n. Chr. verfasste „der ältere Plinius“, C. Plinius Secundus (um 23–79), seine gewaltige „Naturgeschichte“ (Naturalis historia in 37 Büchern), in deren Büchern XII–XXVII er sich ausführlich mit Bäumen und Kräutern beschäftigt, mit einheimischen und exotischen, solchen, die Duftstoffe abgeben, solchen, die als Holzlieferanten, als Obstbäume oder aber um eines anderen Nutzens willen von Bedeutung sind, wie Gewürze, Getreide und Lein. Auch die Veredelung und Pflanzenkrankheiten werden behandelt. Die Lehre vom Ausjäten des Unkrauts, eine Tätigkeit, für die es im alten Rom einen eigenen Gott, den Subruncinator, gab, nannte Plinius botanismon (n. h. 18, 169). In einem erstaunlichen Maß durchdringen einander hier aufklärerische Vernunft und extremer Aberglaube. Besonders wichtig ist der um 100 n. Chr. wirkende Militärarzt Pedanios Dioskurides, der mit ca. 500 beschriebenen Pflanzenarten in seiner „Arzneikunde“ (Perì hýlēs iatrikês) die umfangreichste Pflanzenliste des Altertums erstellte und den Namen Botanik (← gr. botaniké epistemé ‚Pflanzenkunde‘ zu gr. botánē ‚Weide-, Futterpflanze‘) prägte. Auf ihn geht die Unterscheidung zwischen „einfachen“ und „zusammengesetzten“ Heilmitteln zurück. In diesem Sinn gibt es noch heute an der Universität Florenz einen „Giardino dei semplici“ genannten Kräutergarten. Im Gart der gesundheit sehen wir ihn als Lehrmeister inmitten späterer Botaniker (Abb. 1). Bald darauf entstand im Pseudodioscorides de herbis feminis (‚Über die Kräuter in der Frauenheilkunde‘) bereits das Werk eines Dioskurides-Jüngers (Fischer, 1929, 17
1. Einleitung
70). Die bemerkenswerteste Handschrift der „Azneikunde“ ist der „Wiener Dioskurides“, ein Geschenk der Bürgerschaft von Honoratae an die Aristokratin Anicia Juliana in Konstantinopel. Der Kodex stammt noch von vor 512 und ist somit das älteste Pergamentmanuskript in Österreich, das auch wegen seiner „naturalistischen“ spätantiken Miniaturen berühmt ist. Diese gehen dem Typus nach unter anderen auf ein um 100 v. Chr. von einem Krateuas für Eupator von Pontos (121–63) verfasstes Kräuterbuch zurück. Natürlich haben sich auch die Ärzte der Folgezeit über Kräuter geäußert; so Galenos von Pergamon (ca. 130 bis ca. 216), der die Viersäftelehre der Hippokrates-Schule u. a. um die Lehre von den vier Wirkungsgraden der Stoffe (heiß/warm – kalt; trocken – feucht) erweiterte. Danach ist etwa eine Eigenschaft in Grad 1 kaum merklich, Grad 2 mit den Sinnen deutlich wahrnehmbar Grad 3 kräftig und schon leicht schädigend Grad 4 schädlich und zerstörerisch zu bestimmen. Üblicher in unseren Texten ist aber ein Schema, das nur drei Grade umfasst: Grad 1 merklich Grad 2 stark Grad 3 sehr stark. Die mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Pharmakopöen geben gewöhnlich von allen Substanzen an, welche Eigenschaften sie in welchem Grad besitzen. So heißt es bei Konrad von Megenberg (370), die Gartenbirnen seien „im ersten Grad kalt“ (k1), „im zweiten Grad trocken“ (t2), also (k1-t2), während der Holunder (378) „im zweiten Grad heiß“ (h2) und „trocken“ (t2) sei: (h2-t2). Für „heiß“ gebrauchen manche Autoren wie auch Hildegard von Bingen „warm“ (w). 1: Versammlung botanischer Autoritäten – auch des Orients. Dioskurides bestimmt eine Pflanze. Frontispiz in Johanns von Kaub Gart der gesundheit, Straßburg nach 1487.
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die heilpflanzen bei konrad und hildegard
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Bei ihr (210/55) wäre etwa die Pestwurz „warm-feucht“ (w-f ). Manches aus dieser antiken Lehre lebt bis heute weiter, ohne dass es uns auffällt, so z. B. die Selbstverständlichkeit, mit der wir den Salat mit Essig oder einer anderen sauren Flüssigkeit zubereiten: Der kalt-feuchte Lattich musste durch den heiß-trockenen Essig bekömmlich gemacht werden. Weniger bedeutend sind für uns die Ärzte Marcellus Empiricus und Theodorus Priscianus, die um 400 n. Chr. wirkten. Noch etwas jünger ist wohl Pseudo-Apuleius, der sich nach dem berühmten numidischen Romancier und Isis-Mystiker Lucius Apuleius aus Madaura nannte, dem man auch pflanzenkundliche Werke und bebilderte Herbare zuschrieb. Diese Bilder haben noch 1485 den Gart der gesundheit (s. S. 34ff.) beeinflusst. Wichtiger ist Rutilius Taurus Aemilianus Palladius, der im 4. Jahrhundert nach dem Vorbild Columellas (Rex, 2001, 67ff.) sein Opus agriculturae in 14 nach den Monatsarbeiten angeordneten Büchern verfasste, dessen letztes Buch De insitione liber sich in 170 elegischen Distichen mit der Baumveredelung beschäftigt und in der mittelalterlichen Hortikultur nachwirkte. Mit dem schon erwähnten Isidorus Hispalensis oder Isidor von Sevilla und seinen 20 Büchern Etymologiae oder: opus de origine quarundam rerum, die also davon ausgehen, dass die Etymologie (wörtlich ‚die Lehre vom Wahren‘) etwas über den „Ursprung [und das Wesen] der Dinge“ aussage, betreten wir den Zeitraum des Mittelalters. So lehrt etwa das 17. Buch, das von den Pflanzen handelt, vom Feigenbaum (ficus), er sei nach seiner Fruchtbarkeit (a fecunditate) benannt, und die Nuss (nux) heiße deshalb so, weil ihr Schatten und die vom Laub herabträufelnde Feuchtigkeit den nächststehenden Bäumen schade (noceat), während die Walnuss (iuglans) davon ihren Namen habe, dass sie gleichsam die Eichel des Iupiter (Iovis glandem) darstelle (Etymologiae XVII, 7, 17 und 21). Die lilia ist nach ihren wie Milch (lac) weißen Blüten eigentlich †liclia (< offenbar aus †laclia; XVII, 9, 18) benannt. Insgesamt bespricht Isidor in dieser Art etwa 350 Pflanzennamen (aufgezählt in Fischer, 1929, 8f.; Möller, 2008). Diese Namensliste ist schon deshalb informativ, weil sie im Großen und Ganzen jene Pflanzen enthält, deren Kenntnis aus der Antike in 20
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das Mittelalter übernommen wurde. Unter direktem Einfluss Isidors stehen die Ausführungen des berühmten Hrabanus Maurus (ca. 780– 856), später Abt des Klosters Fulda, eine der bedeutendsten Gelehrtenpersönlichkeiten der Karolingerzeit, im 19. Buch seines aus 22 Büchern bestehenden De rerum naturis (‚Über die Naturen der Dinge‘). Er fügt den oft dürren Worterklärungen des Spaniers gewöhnlich eine allegorische Deutung im Stil seiner Zeit hinzu. Schon das Ackern lässt sich mit der Belehrung der Gläubigen vergleichen, durch welche sie zur Aufnahme des Samens des göttlichen Wortes vorbereitet werden. Die Düngung mit Mist (lat. laetamen, eigentlich ‚Freude [der Pflanzen]‘) bringt mehr Frucht, weil sie der Erinnerung an Sünden (!) entspricht, welche die Gläubigen zur Buße führt, wodurch der Keim des rechten Glaubens in den Furchen der Gerechtigkeit wächst … (19, 1). Im Anschluss an die seltsame Lilienetymologie Isidors verweist Hrabanus (19, 8) auf verschiedene Hohelied-Stellen, die es erlauben, die Lilie wegen ihrer Erhabenheit und ihrer weißen Reinheit sowohl mit Christus als auch mit Maria in Beziehung zu setzen. Vom Veilchen (Víola) hatte Isidor behauptet, der Name sei durch Zusammenziehung von vis ‚Kraft‘ und odor ‚Duft‘ entstanden (XVII, 9, 19). Bei Hrabanus erfahren wir nun, dass diese Pflanzen die Bekenner bezeichnen, weil sie jene Blumen seien, denen nach seiner Auslegung in Hld 2,12 die Herrschaft der Himmel verheißen werde. Als Nächstes müssen wir unser Augenmerk auf ein außerordentlich interessantes Dokument richten, das wichtige Einblicke in den Pflanzenbau der Karolingerzeit gewährt. Es ist die Reichsdomänenordnung von 792/93, besser bekannt als Capitulare de villis vel curtis imperialibus, in welcher Karl d. Gr. in Listenform vorschreibt, was auf den kaiserlichen Gütern an Kräutern und Bäumen gepflanzt werden solle (s. unten S. 51ff.). Die jetzt in Wolfenbüttel aufbewahrte Hs. befand sich auf der klimatisch begünstigten Bodenseeinsel Reichenau, wo auch der Abt Walahfrid Strabo (808–849) wirkte, der in einem lateinischen Hexameter-Lehrgedicht die Reize des Gartenbaues pries, ohne indessen seine Mühen beim Ausrotten der Brennnesseln zu vergessen. Aus dem Beginn des 9. Jahrhunderts stammt auch der 21
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berühmte St. Galler Klosterplan (Hecht 1997). Er sieht im Osten der eingefriedeten Klosteranlage drei Gärten vor, davon zwei mit Beeten in Zweierreihen, an deren südöstlichen nach Norden zu der Klosterfriedhof anschließt, in dem zwischen Gräbern die Obstbäume des Klosters wuchsen (s. S. 57), sodass der Friedhof auch Obstgarten war. Gleichzeitig und in der Folgezeit fördern auch muslimische Gelehrte die Pflanzenkunde, so Masawaih al-Mardini (bei uns Mesue genannt; 777–857), Abu l-Qasim Chalaf ibn al-Abbas az-Zahrawi (Abulcasis, Abulcais; 936–1013) und Abū Alī al-Husayn ibn Abdullāh ibn Sīnā (latinisiert: Avicenna; 980–1037). In Europa entsteht mit dem Macer floridus ein etwas mühsames Lehrgedicht in Hexametern, das sich nicht zur dichterischen Anmut des Hortulus von Walahfrid aufschwingt, aber viel mehr Pflanzen erwähnt und zum meistbenutzten Heilpflanzenbuch des Mittelalters wird. Odo Magdunensis (aus Meung-sur-Loire) soll es um 1070 verfasst und Ovids Freund Aemilius Macer, dem Autor eines verlorenen Lehrgedichtes De herbis ‚Über die Kräuter‘, zu Ehren den „blumenreichen Macer“ genannt haben. Seit dem 12. Jahrhundert wurden vor allem die hier erwähnten – ursprünglich 65 – Pflanzennamen glossiert. Von 1200 an verbreitete sich das Werk im deutschen Sprachraum durch eine thüringisch-schlesische Prosaübersetzung und ‑bearbeitung, die auch wieder rückübersetzt wurde. Noch im 14. und 15. Jahrhundert gab es deutsche Bearbeitungen dieses wichtigen Textes, sogar eine Reimfassung aus dem 14. Jahrhundert. Es wäre erstaunlich, hätte sich die vielleicht bedeutendste medizinische Schule des Mittelalters in Salerno, aus der ja um 1066 das berühmte Diätlehrbuch Regimen sanitatis Salernitanum hervorgegangen war, nicht auch durch Pflanzenbücher ausgezeichnet. Hier hatte um 1075 der aus Tunesien stammende Constantinus Africanus (ca. 1020 bis 1087) gewirkt, und hier blühte Mitte des 11. Jahrhunderts die Arztdynastie des Johannes Platearius, dessen gleichnamigen Sohnes, dessen Sohnes Matthaeus Platearius und dessen Sohnes, der wieder Johannes hieß. Von Johannes (II) stammt ein medizinisches Kompendium und ein Harntraktat. Sein Sohn Matthaeus, dessen 22
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Mutter man früher für die Ärztin Trotula, Verfasserin von „Frauengeheimnissen“, gehalten hat, Schüler des berühmten Pietro Musandino, soll um 1150 das wichtige Circa instans verfasst haben. Die beiden Anfangsworte (etwa ‚Angesichts des drohenden …‘) gelten als Titel. Der Aufbau der einzelnen Artikel wird in der Folgezeit immer wiederkehren. Zunächst steht eine Beschreibung der jeweiligen Pflanze nach ihren Primärqualitäten in den drei oder vier Graden, woran sich Hinweise auf die Applikation, ob trocknend oder befeuchtend, diuretisch, wärmend oder kühlend, schließen. Das Werk ist schnell in mehrere Sprachen übertragen worden (etwa in drei hochdeutsche, aber auch drei mittelniederländische Bearbeitungen; G. Keil, in: VerfLex. 1978, 1282–1285), ja selbst in Armenien sollen sich Spuren des Circa instans nachweisen lassen. Noch anfangs des 15. Jahrhunderts bearbeitete der okzitanische Jude von Solms (um 1400; vgl. G. Keil, in: VerfLex. 1983, 889–891) den Traktat, dessen kuriosen Titel er als Buch genant Circken Steyn missverstand. Sehr eigenständige Wege ging die Äbtissin und Heilige Hildegard von Bingen (1098–1179), die ich im Folgenden als Kronzeugin der Pflanzenmagie aufrufen werde. Sie war das zehnte Kind von Hildebert und Mechthild von Bermersheim bei Alzey und so als „Zehent“ seit ihrer Geburt Gott versprochen. Schon von Kind an hatte sie visionäre Erfahrungen, die sie in göttlichem Auftrag in ihrem 43. Lebensjahr niederschreiben sollte, was mithilfe des Mönches Volmar zunächst auf dem Disibodenberg bei Staudernheim im Nahe-Land (Hunsrück) geschah. Im Winter 1147/8 bestätigte Papst Eugen III. auf der Synode von Trier Hildegards Sehergabe. Ab 1147 lebte sie mit ihren Nonnen auf dem Rupertsberg oberhalb von Bingen und gründete 1165 das Kloster Eibingen bei Rüdesheim, wo sich heute ihre Reliquien befinden. Die Äbtissin stand in Kontakt mit den bedeutendsten Zeitgenossen wie dem Kaiser Friedrich Barbarossa und dem hl. Bernhard von Clairvaux. Neben ihren berühmten visionären Schriften, von denen Scivias ‚Wisse die Wege!‘ die bekannteste ist, trat sie auch musikalisch mit einer Art Oratorium hervor, ferner auch durch die Erfindung einer Geheimsprache, die lingua ignota. Die allgemein verehrte Äbtissin, 23
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die ihr ganzes Leben kränkelte, verstarb 1179 immerhin 81-jährig am 17. September. Der universelle Geist der Heiligen äußerte sich nicht zuletzt auch in ihrer naturwissenschaftlichen, zwischen 1151 und 1158 entstandenen Schrift Liber subtilitatum diversarum naturarum creaturarum (etwa ‚Buch vom inneren Wesen der verschiedenen Naturen der Geschöpfe‘), das eine Physica (auch Liber simplicis medicinae ‚Das Buch von der einfachen Medizin‘ genannt) mit dem Buch Causae et Curae (auch Liber compositae medicinae ‚Das Buch von der zusammengesetzten Medizin‘) verband (Koring, 1998; Wilhelmy 1998) – „zusammengesetzt“ im Sinne des Dioskurides. Nach Hildegard sind die Krankheiten der Menschen eine letztlich durch den Sündenfall verursachte Störung der idealen Mischung der Körpersäfte. Die Heilige geht von einer menschenbezogenen Deutung der Erde aus, die mit ihren Erden, Säften und eben auch Pflanzen die Natur und das Verhalten des Menschen spiegelt. Die nicht fruchttragenden Bäume, die keine Obstbäume sind und sich angeblich nicht fortpflanzen, entsprechen dem Dahinwelken des Menschen. Die Fasern in den Bäumen gleichen den Adern des Menschen, die Steine der Erde sind mit den Knochen zu vergleichen usw. Der „Schweiß der Erde“ bringt nutzlose, die Feuchtigkeit die nützlichen Gewächse hervor. Die Pflanzen, die sich ohne Zutun des Menschen aussäen und wild wie ungezähmte Tiere emporwachsen, sind für den Menschen ungenießbar, weil der Mensch durch Saugen und gewisse Speisen ernährt wird. Die Gewächse, welche die schärfsten Gewürze sind, beschwichtigen die meisten Übel, weil diese von bösen Geistern stammen, denen die Gewürze zu Leibe rücken usw. (Physica, 15–17). Ob die Heilmittel wirken, liege freilich letztlich bei Gott. In der Physica bespricht Hildegard mit Blick auf die Primärqualitäten (warm – kalt / trocken – feucht) und die Humoralpathologie insbesondere wohl die Pflanzen ihrer Heimat im Schieferbergland des Hunsrück. Ihr geografischer Gesichtskreis ist im Übrigen durch die Nennung der Flüsse Rhein, Main, Donau, Mosel, Nahe und Glan (Physica, 59f.) bestimmt. Sie bietet gewöhnlich auch Rezepte zur Herstellung medizinischer Präparate, natürlich – wie im Mittelalter üb24
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lich – zumeist ohne Mengenangaben. Was die Applizierung angeht, so lehrt sie die Herstellung von Umschlägen und Salben für die äußere und von Tränken, speziell süßen wie honigwurtz ‚Honigwürze‘ (für liquiricium) und klaren („Lautertränken“), keksähnlichen Plätzchen (Kräuterwirkstoff in Mehl verbacken) und – seltener – Pillen für die innere Anwendung. Dazu kommen noch bei anderen Autoren die Latwergen (< electuarium), deren Namen mit dia- ‚durch‘ beginnen und dann die Bezeichnung der Hauptingredienz enthalten (z. B. diapapaveron aus Mohn; s. S. 129, 139, 147). Hildegard macht es sich und ihren Nachahmern dabei nicht leicht, weil sie sehr häufig den Pflanzensaft verlangt, der nach ihren eigenen Angaben aus den Blättern und der Rinde zu pressen ist, selbst dort, wo es fleischige Früchte – etwa Pflaumen – gibt und wo die Pflanze selbst wenig saftreich ist wie der Buchsbaum! Ich mag mir nicht vorstellen, dass Laub und Rinde ganzer Buchsbaumhecken im Mörser zerstoßen und durch ein Leinentuch gepresst wurden, und vermute, dass doch an eine Art Dämpfen gedacht war, freilich kein gewöhnliches Abkochen, weil dieses Verfahren gelegentlich ja auch erwähnt wird. Durchgehende Quellen für Hildegards botanische Kenntnisse haben sich nicht finden lassen (Chr. Meier, in: VerfLex. 1981, 1271–1273). Deshalb muss ihr Wissen allerdings nicht „Urgermanisches“ fortsetzen, wie Fischer (1929, 31ff.) annahm, sondern nur eben Volkstümliches, das provinzialrömische oder auch germanisch-keltische Wurzeln hatte. Zum Weiterleben Hildegards im hier nicht berücksichtigten Speyrer Kräuterbuch (13./14. Jh.) s. Fehringer (1994) und Keil (1995). Ein besonderes Problem bildet die Identifizierung der bei ihr erwähnten Krankheiten im Sinne der heutigen Medizin, wie etwa „Gicht“, unter der die Sprechfähigkeit leide, die also keine Stoffwechselkrankheit durch zu geringe Harnsäureausscheidung, sondern ein unbestimmteres, wie der Name schon sagt, durch Verwünschung angehextes Leiden ist, oder die häufige „Verschleimung“ des Magens. Doch kann dieser medizingeschichtlichen Seite an Hildegards Werk hier keinesfalls nachgegangen werden. Wichtiger ist heute die ökonomische Nachwirkung der Heiligen. Ihre als Alternativmedizin und 25
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Naturkost missverstandene Lehre ist, wie ein Blick in die Regale der Reformkostläden zeigt, ein beachtlicher Wirtschaftsfaktor. Albert von Lauingen, besser bekannt als Albertus Magnus (vor 1200 bis 1280), ist für die mittelalterliche Botanik wegen seines Werkes De vegetabilibus libri VII ‚Über die Gewächse in sieben Büchern‘, das den damaligen Wissensstand repräsentiert, besonders auch wegen der darin (VII, 14) enthaltenen Anweisung zur Anlage eines Lustgartens wichtig (s. S. 196–199). Alberts zwischen 1254 und 1263 verfasste Pflanzenkunde beruht auf der pseudoaristotelischen Schrift De plantis des Nicolaus Damascenus sowie auf dem Kanon der Botanik (Canon) des Avicenna und dem Circa instans. Das Ziel von De vegetabilibus war die Einbeziehung der Pflanzenkunde in die Gesamtheit der scholastisch verstandenen Naturwissenschaften. A lbert teilt die Pflanzen nach ihren „Stielen“ oder ihrem „Stamm“ in Bäume, Sträucher, Kräuter mit verholzten Stengeln (olera) und ohne verholzte Stengel (herba) sowie – erstmalig – Pilze (fungi) ein, wobei die Letztgenannten die niederste Pflanzenklasse bilden, weil sie parasitär leben. Er spricht den Pflanzen eine Seele zu, die allerdings unter der Tierseele steht, da sie „nur die Seelenkräfte der Ernährung, des Wachstums und der Fortpflanzung kennt“ (Balss, 1947, 80f.). Die Fortpflanzung erfolge ohne geschlechtliche Vermischung, weshalb die Pflanzen auch keinen Uterus haben, sondern ihre Organe durch Knospung bilden. Die Pflanzenindividuen seien geschlechtslos, der Same sei dennoch entweder eher männlich oder weiblich, die Erde sei der Uterus, in dem sich der geschlechtige Same zur ungeschlechtigen Pflanze heranbilde. Dies ist Alberts Ansicht über das asexuelle pflanzliche Leben in Buch I und II seines Werkes, später (Buch VI) nimmt er unter dem Einfluss von Nicolaus Damascenus und bestimmten romanischen Volksmeinungen z. B. für die Dattelpalme doch eine Art Zeugung an. „Wenn eine männliche Pflanze neben eine weibliche gepflanzt wird, dann neigt sie sich zu ihr, so daß die Zweige der weiblichen und männlichen Pflanzen sich berühren und bedecken. Alsdann kehren sie wieder in ihre ursprüngliche Lage zurück. Die weibliche Pflanze empfängt dann, wobei sie nicht irgendeine von der männlichen Pflanze ausgestoßene 26
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Substanz aufnimmt, sondern ihre Kraft selbst. In gleicher Weise zeigt das auch ein Verfahren der Landleute, die bei weit voneinander stehenden männlichen und weiblichen Bäumen die männlichen Zweige abschneiden und über die weibliche Pflanze legen. Diese nimmt dann in ihren Zweigen auf und empfängt aus den männlichen. […] Man darf aber nicht glauben, daß die weiblichen Pflanzen dieser Befruchtung […] bedürfen, wenn sie durch Zusammenwachsen von mehreren [Keimlingen; F ischer] entsteht; denn dann enthält sie schon männliche Kraft in sich“ (Fischer, 1929, 37f.). Albert nimmt auch einen Geschlechtsdimorphismus an, indem er männliche Pflanzen für rauer, stärker und stacheliger als die weiblichen ansieht, die dafür fruchtbarer sind. Konrad von Megenberg stellt dies auch von dem peonkraut, der Echten Pfingstrose (Paeónia officinális) fest: „die Sie hat breitere Blätter als der Er“, auch unterscheiden sich die Geschlechter in der Form der Wurzel, nicht aber in der Blüte (449). Ähnlich bei der Verbene, wo neben dem blaublühenden „Weibchen“ ein gelbblühendes „Männchen“ unterschieden wird (s. unten S. 118f.). Heute noch wirkt diese Theorie in botanischen Namen wie Dryópteris fílis-mas für den Echten Wurmfarn oder Córnus mas ‚Kornelkirsche‘ weiter, bei denen mas ‚männlich‘ bedeutet. Auch für diese Befruchtungsvorstellungen des Albertus finden sich im Aberglauben Spuren (vgl. HDA s. v. Obstbaum). Es ist wohl das Erbe des Aristoteles, dass die mittelalterliche Zeugungslehre geneigt ist, die Zeugung auf eine Art geistigen Akt zurückzuführen, bei dem die Materie des „weiblichen Samens“ durch den die vis formativa ‚Formkraft‘ enthaltenden männlichen befruchtet und gestaltet werde. Während man bei höheren Tieren und beim Menschen den weiblichen Samen im Menstruationsblut, den männlichen in der Spermaflüssigkeit ortete, ließ sich dies bei kleineren und kleinsten Tieren wie etwa Insekten nicht beobachten. So kam es zu der paradox anmutenden, durch das Fehlen eines Mikroskops (das 1590 durch Hans und Zacharias Janssen erfunden wurde) mitbedingten These, dass die Zeugung mit zunehmender Kleinheit und „Primitivität“ der Tiere (etwa Insekten, Würmer und Mollusken) bis 27
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hin zu den Pflanzen auf immer weniger materielle, ja fast nur noch „geistige“ Art einer „Zuneigung“, wie die Dattelpalme lehrt, vor sich ging, was gewiss auch mit den mancherorts durchgeführten „Pflanzenhochzeiten“ (Birkhan, 2010, 19f.) zusammenhängt. Auf solcher Emanation der Pflanzen beruht vielleicht auch die Überzeugung der Bibel (Hos 4,13), dass der Schatten mancher Bäume und das unter ihrer Baumkrone befindliche Erdreich gesund (Linde, Hainbuche) oder schädlich (Eibe, Walnuss; s. S. 92, 97, 125, 198) seien. Im Schatten des Nussbaums von Benevent versammelten sich im Spätmittelalter die Hexen (B-P II, 481), ähnlich unter anderen Nussbäumen. Im altfranzösischen Lai von Tydorel verliebt sich die Königin in einen Feenritter, als sie im Schatten eines bestimmten Baumes schläft. Nicht bekannt war jedenfalls die Funktion der Insekten bei der Befruchtung, ja überhaupt der Vorgang der Bestäubung. Erst der in Tübingen wirkende Rudolf Jakob Camerarius (1665–1721) erkannte in den Blüten die Geschlechtsorgane der Pflanzen, exakt nachgewiesen wurde das erst 1761–1765 durch Johann Gottlieb Koelreuter. Wenn man schon seit Aristoteles für bestimmte „niedere Tiere“ wie etwa die Amphibien, Insekten und Würmer, ja sogar für Mäuse annahm, dass sie durch „Urzeugung“ aus Schlamm oder Verwesendem entstünden, so nimmt es nicht wunder, dass Albert auch für die Pflanzen behauptete, sie könnten aus Samen, aber ebenso aus Erdmischungen ohne Samen entstehen. Aristoteles hatte von den niederen Tieren gelehrt, dass die Lebenswärme auch durch sommerliche Außenwärme aus Meerwasser und Erde entstehen könne. „Was dabei an seelischem Lebensquell eingeschlossen und in der Lebensluft abgesondert wird, bewirkt die Keimkraft und erregt die Bewegung. Die Bildung der aus Urzeugung hervorgehenden Pflanzen ist von gleicher Art, sie entsteht immer aus einem Teil des Stoffes, von dem wieder ein Teil den Lebensquell abgibt, ein anderer die erste Nahrung des Keimes“ (Aristoteles, 1959, 166). Konrad von Megenberg lehrt: Wenn man die Blätter der Garten-Melde (s. unten S. 65) in einem wohlverschlossenen irdenen Topf im Boden vergräbt, werden daraus Frösche – ein klassisches Beispiel für Urzeugung. 28
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In allerlei Digressionen geht Albert über seine Vorlagen weit hi naus, indem er etwa anhand der Borretschblüte deren Teile als Kelchblätter, Blumenkronblätter, Staubblätter und Stempel unterscheidet (natürlich nicht mit diesen Bezeichnungen der heutigen Botanik). Den Blütenstaub hielt er für das Phlegma, also den „Schleim“ der Blüte, der von seinem Anteil an gelber Galle seine Farbe habe und als wachsartiges Element austrete, wie dem Menschen das Ohrenschmalz, das die Unreinheit des Gehirns herausbefördere. Des Weiteren können Pflanzenarten ineinander übergehen: Aus Weizenkörnern könnten sich Roggenkörner entwickeln, aus einem verwesenden Eichenstamm Espen und Birken hervorsprießen, auf und aus (!) Holz können nicht nur Misteln wachsen, sondern auch Weinreben. Besonderer Einfluss wird wie auch in anderen Zweigen der magia naturalis dem Mond zugeschrieben. Die Sage des 15. Jahrhunderts erzählt von dem berühmten Alchemisten und Botaniker, dass er am 6. Jänner 1248 den König Wilhelm von Holland im Dominikanerkloster zu Köln trotz der winterlichen Kälte und des Schnees zu einem Mahl im Freien empfangen habe. Während man zu Tisch saß, soll der Schnee geschmolzen und der allerschönste Sommertag voll Blütenpracht und wunderbarer Vögel angebrochen, nach Abschluss des Mahls aber ebenso schnell wieder vergangen sein (Grimm, Sagen, Nr. 495). Dass Albertus Magnus Experimente anstellte, lässt sich z. B. dem Bericht entnehmen, er habe die Blüte einer Rose durch Einbinden bis in den Herbst verzögert (s. unten S. 155). Neben Thomas von Aquin, dem bedeutendsten Schüler Alberts, saß auch Thomas von Cantimpré, der auch Thomas Cantimpratensis oder Thomas van Bellinghen (1201–1270 oder 1272) genannt wird, zu seinen Füßen. Das Hochmittelalter ist die Zeit der großen Sammlungen, in denen das gesamte Wissen über ein bestimmtes Thema zusammengefasst wird. Diese mehr oder minder systematischen Gesamtdarstellungen hießen etwa Summa wie die Summa theologiae des Thomas von Aquin oder Speculum ‚Spiegel‘, weil man erstaunlicherweise das Spiegelabbild gegenüber der Wirklichkeit als normativ ansah, oder – 29
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dem Anspruch nach scheinbar bescheidener – Liber, ein Wort, das wir nicht mit ‚Buch‘, sondern mit ‚Enzyklopädie‘ übersetzen sollten. So entstand neben dem Speculum naturale ‚Spiegel der Natur‘ des 1264 verstorbenen Vinzenz von Beauvais (Vincentius Bellovacensis), der möglichst alle Gegenstände der Natur behandelt, der Liber de natura rerum ‚Enzyklopädie der Natur‘, den Thomas von Cantimpré von 1225 bis 1241 verfasste und der lange als ein Opus des Albertus Magnus galt. Eine allseits befriedigende Edition dieses durch verschiedene Redaktionen kompliziert überlieferten Werkes ist noch nicht geleistet. Der Edition von H. Boese (1973) steht die der Redaktion III durch eine von Benedikt Konrad Vollmann geleitete Arbeitsgruppe des Sonderforschungsbereiches 226 Würzburg-Eichstätt ( Thomas 1999), auf die ich mich hier stütze, gegenüber. Erstaunlicherweise fehlt diesem Werk des Thomas völlig die mittelalterliche Neigung des Moralisierens, die wir in seinem später entstandenen Lehrwerk über die Bienen, dem Bonum universale de apibus (etwa ‚Das allgemeine Wohl am Beispiel der Bienen‘), ausgeprägt finden, wenn am Bienenstaat die natürlichen Autoritätsverhältnisse veranschaulicht werden. Der Liber de natura rerum wurde von Konrad von Megenberg (1309–1374) als buch von den naturlichen dingen (‚Buch der Natur‘; im Folgenden: BN) ins Deutsche übertragen – von „Übersetzung“ in unserm Sinn kann man im Mittelalter nur selten sprechen, weil die Autoren viel selbstständiger mit den Textvorlagen verfuhren, als es unser heutiger Begriff einer Übersetzung zulässt. Eine umfassende Untersuchung des Verhältnisses Konrads zu Albertus Magnus und seiner unmittelbaren Quelle Thomas hat 2004 Dagmar Gottschall vorgelegt. Den z. T. sehr bemerkenswerten Illustrationen in den Handschriften und Inkunabeln des Werkes hat Ulrike Spyra (2005) eine einlässliche Untersuchung gewidmet. Neben dieser A-Fassung, die Franz Pfeiffer zuerst 1861 edierte, gibt es auch eine B-Fassung, gleichfalls von Konrad, die sich jedoch in den auf die Pflanzen bezüglichen Artikeln nicht wesentlich unterscheidet (Buckl 1993). Ich folge hier der von Robert Luff und Georg Steer herausgebrachten kritischen Ausgabe von 2003, die sich in den von mir benutzten Partien von der Pfeiffer’schen Aus30
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gabe vor allem in der „Orthografie“ abhebt. Übersetzungen bieten Schulz (1897) und Sollbach (1990). Neben Hildegards Werk werde ich meinem Buch Konrads „erstes systematisiertes deutschsprachiges Kompendium des Wissens über die geschaffene Natur“ vor allem in den Kapiteln 2 und 3 zugrunde legen. Konrad stammte aus Mäbenberg unweit Georgensgmünd in der Nähe von Nürnberg. Volksetymologisch hat er Megenberc als ‚Mädchenberg‘ (mons puellarum) verstanden. Nach dem Studium in Erfurt und Paris erwarb er dort den Magistergrad in den „Freien Künsten“ (artes liberales). Nach achtjähriger Lehrtätigkeit an der Sorbonne, als deren Repräsentant er zweimal in Avignon mit dem Papst zu verhandeln hatte, zwang ihn ein akademischer Streit, Paris zu verlassen. So gelangte er nach Wien, wo er dank einer Empfehlung der Sorbonne das Rektorsamt der St.-Stephans-Schule übernahm und im Bürgertum und sicher auch im Adel ein gewisses Ansehen genoss. Man vermutet, dass seine deutschen Werke, allen voran das BN, gerade für dieses Publikum verfasst waren. Jedenfalls widmete er die überarbeitete Zweitfassung B zwischen 1358 und 1362 Herzog Rudolf IV., dem Stifter der Universität Wien, die aus der St.-Stephans-Schule hervorgehen sollte. Nicht ohne Stolz verweist Konrad darauf, dass er seine Quelle (trotz Weglassens vieler Tiere) um ein Drittel vermehrt und den Sinn vertieft habe (Pfeiffer, 1861, XXXIIff.). In gewisser Weise ist Konrad insofern „fortschrittlich“, als er Missgeburten jeder Art nicht etwa dadurch erklärt, dass deren Mütter zur Zeit der Empfängnis oder Schwangerschaft die falschen Kräuter gegessen hätten, wie etwa im „Buch von Adam und Eva“ die moralische Schwäche Kains durch Fehlernährung Evas begründet oder die extreme Hässlichkeit der Gralsbotin Cundrîe und ihres Bruders Malcrêâtiure von Wolfram von Eschenbach in einem langen Exkurs auf den Genuss schädlicher Kräuter in tropischen Ländern wie Trîbalibôt trotz der seinerzeit von Adam ergangenen Warnungen zurückgeführt wird (Pz. 517,11–518,30). Nein, Konrad erklärt Missgeburten aus der Unvollkommenheit des Samens, allerdings auch mit dem Einfluss der Gestirne (522–525), hält es jedoch (zumindest bei Tieren) für möglich, dass sie der Genuss be31
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stimmter Pflanzen schwängern könne (s. unten S. 134), wie wir es z. B. vom Rapunzelmärchen (KHM 12) kennen (B-P I, 97ff.). Durchaus „mittelalterlich“ ist Konrads Neigung, vielen informativen Textteilen einen allegorisch-erbaulichen, im strengen Wortsinn „tropologischen“ Text, der sich nicht selten wie ein Pasquill auf kirchliche Verhältnisse der Zeit liest, hinzuzufügen (s. S. 71, 140, 155). Als das BN 1536 und 1540 in Frankfurt gedruckt wurde, ließ der Drucker Ch. Egenolff bezeichnenderweise alle allegorischen Partien weg – gerade auf diese hatte sich Konrad wohl viel zugutegetan, weil er sich von ihnen Erbauung der Laien und Katharsis des Klerus erhoffte. 1348 zog Konrad nach Regensburg, wo er als Kanoniker wirkte und an der Domschule lehrte. Bis zu seinem Tod 1374 bekleidete er dort das Amt eines Domherren (dazu G. Steer, in: VerfLex. 1985, 221–236.). Ich übergehe die in unserem Zusammenhang weniger bedeutsamen Autoren Bartholomaeus Anglicus (vor 1203–1272), dessen Liber de proprietatibus rerum (‚Das Buch von den Eigenschaften der Dinge‘) Konrad sekundär in sein BN einarbeitete, und den auf Albertus Magnus zurückgreifenden Pietro Crescenzi (ca. 1230/35 bis ca. 1320) und weise hier nur kurz auf Marco Polo (1254–1324) hin, der das Wissen um fremde Pflanzen um 1300 durch die z. T. neue Beschreibung von Bambus, Baumwolle, Gewürznelke, Indigo, Ingwer, Kampfer, Muskatnuss, Pfeffer, Rhabarber und Zuckerrohr erweiterte. Für die pharmazeutische Sicht ist natürlich Arnald von Villanova (1235–1311) von größter Bedeutung. Sein Liber de vinis (‚Buch über Weine‘), das von der neu entdeckten Technik der Destillation handelt, wurde 1358 ins Hebräische, dann auch ins Niederfränkische, Niederdeutsche und Hochdeutsche übersetzt und ist eines der Grundwerke der Alchemie. Der Alchemist Johannes des Rupescissa (gest. um 1365) glaubte, dass im Branntwein alle Elementarqualitäten vorhanden seien und dieser dadurch eine Panazee (Allheilmittel) bilde. Der Chirurg Hieronymus Brunschwig (ca. 1430/40 bis 1512/13) verfasste ein „Kleines Destillierbuch“, das 1512 in den Thesaurus pauperum, „ein medizinisch-pharmazeutisches Vademecum“, aufgenommen und im 16. Jahrhundert durch Drucke zu einem Volksbuch wurde (J. Frede32
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riksen, in: VerfLex. 1978, 1073–1075; Fischer, 1929, 109–113). Um diese Zeit ist auch der Branntwein zu einem üblichen Genussmittel geworden. Inzwischen muss die große Zahl von Pflanzennamen, ihre Unübersichtlichkeit und Willkürlichkeit als hinderlich empfunden worden sein, was zur Herstellung von Synonymenlexika anregte. Solche besitzen wir in der zwischen 1288 und 1304 entstandenen Clavis sanationis (‚Schlüssel der Heilung‘) des Simon Januensis, der im Mittelmeerraum im Beisein einer Gewährsfrau aus Kreta botanisiert haben soll (Fischer, 1929, 70f.), und in den Pandectae medicinae (‚Corpus medizinischer Bemerkungen‘) des Mattheus Silvaticus (um 1280 bis 1342). Der Autor besaß selbst um 1330 in Salerno eine Art botanischen Garten, in dem er z. B. Árum colocásia (eher Colocásia esculénta, also den schon den Römern bekannten Taro) zog. Nach 1300 war als interessanter Rückgriff auf den antiken Bericht über den Mistelkult der keltischen Druiden der „Eichenmisteltraktat“ entstanden, der es sogar zu einer Übersetzung ins Altfranzösische brachte. Ende des 14. Jahrhunderts erschien die Epistula ad Ricardum de virtute quercus (‚Brief an Richard über die medizinische Kraft der Eiche‘), die – zu Unrecht Arnald von Villanova zugeschrieben – sich ab 1431 verbreitete. Eine Kombination dieses Werkes mit dem „Eichenmisteltraktat“ ergab um 1400 den sogenannten „Eichentraktat“. Da die Nordische Mistel (Víscum álbum) extrem selten auf Eichen vorkommt, liegt der Gedanke nahe, dass hier und schon bei Plinius die Eichenmistel oder Riemenblume (Loránthus europáeus) gemeint sei. Ob dies möglich ist, hängt von Spekulationen ab, aus welcher der Galliae Plinius seine Information bezogen haben könnte (Birkhan, 1999b; Hofeneder, 2007). Ein von Hermann Fischer (1929, 56–59) stärker in den Vordergrund gestellter Mönch-Botaniker war Vitus Auslasser aus Vomp, welcher im Kloster Ebersberg bei München einen Herbarius verfasste (Hs. in München clm 5905 von 1479), der wegen seiner Bilder, der Pflanzenbeschreibung und des Synonymenverzeichnisses bedeutsam ist (W. F. Daems, in: VerfLex. 1978, 552f.). Laut Fischer begegnet uns 33
1. Einleitung
hier zum ersten Mal der Versuch, sich mit der deutschen Flora aus reinem, sozusagen zweckfreiem Interesse und ohne pharmazeutische Nebenabsicht auseinanderzusetzen. Daher werden auch medizinisch unwichtige Pflanzen wie das Frühlingsheidekraut (Eríca cárnea), das Wintergrün (Pýrola), das Fettkraut (Pinguícula vulgáris) oder der Stinklattich (Apóseris fóetida) einbezogen, übrigens alles Bergpflanzen aus mittlerer Höhe, also der Heimat des Botanicus. Viele werden ja an den mittelalterlichen Pflanzenbüchern bemerken, dass gerade auffällige und besonders schöne Pflanzen wie etwa der Frauenschuh (Cypripédium calcéolus), die Alpenrose (Rhododéndron), der Seidelbast (Dáphne merzéreum), der Türkenbund (Lílium mártagon), die Küchenschelle (Pulsatílla vernális), das Echte Geißblatt (Lonícera caprifólium; doch s. unten S. 272) und überhaupt die ganze Familie der Glockenblumen (Campánulae) fehlen. Der Grund liegt darin, dass sie vom medizinischen Standpunkt aus bedeutungslos waren oder ihre Bedeutung erst später entdeckt wurde, wie das beim Roten Fingerhut (Digitális purpúrea) offenkundig der Fall ist. 1484 brachte Peter Schöffer (ca. 1425 bis ca. 1503), ein Mitarbeiter Johann Gutenbergs und einer der ersten Verleger und Buchhändler Deutschlands, in Mainz den Herbarius oder Aggregator practicus de simplicibus (‚Praktische Sammlung einfacher Heilmittel‘) heraus (Fischer, 1929, 74–79). Dieser verblasst jedoch in seiner Bedeutung angesichts des Hortus sanitatis oder Gart der gesundheit, den Iohannes de Cuba (auch: Johann von Cube, Johann Wonnecke von Kaub; ca. 1430 bis 1503/4) veröffentlichte. Er war zu dieser Kompilation um 1480 durch Bernhard von Breidenbach (auch: Breydenbach; ca. 1440–1497) veranlasst worden. Den Titel empfinden wir heute als etwas irreführend, denn der Gart enthält auch Tiere und anorganische Substanzen wie Gold oder Alaun, und es gibt sogar Ausgaben, die überhaupt keine Pflanzen enthalten.
2: Abbildungen von Akelei und Efeu im Gart der gesundheit, Straßburg nach 1487.
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die heilpflanzen bei konrad und hildegard
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1. Einleitung
Erstmals seit dem „spätantiken Naturalismus“ des Dioskurides geht es Bernhard wieder um verlässliche Pflanzenbilder. Da es für die fremdländischen Pflanzen in der Tradition keine einigermaßen naturgetreuen zeichnerischen Vorbilder gab, nahm der vermögende Mann den Utrechter Zeichner Erhard Reeuwijk kurzerhand auf seine Pilgerfahrt ins Hl. Land (April 1483 bis Februar 1484) mit, um ihn nach der Natur zeichnen zu lassen. Das kuriose und nicht gänzlich aufgeklärte Faktum ist aber, dass in dem fertigen Druck just die einheimischen Pflanzen z. T. von Reeuwijk illustriert sind und nicht die exotischen! Es sind drei Abbildungstypen, ein Viertel davon von Reeuwijk, der mit der spätgotischen Formelhaftigkeit wie hier bei der Akelei bricht (65 von 379; untypisch dagegen der Efeu s. Abb. 2). Der Zeichner des Knoblauchs (cap. IV, S. 22) dagegen scheint die „Anatomie“ dieser Pflanze völlig verkannt zu haben, indem er die von den „Zehen“ ausgehenden eigentlichen Wurzeln für die grünen Triebe hält.2 Bedenkt man, dass die „Moderne“ sich um 1500 fast eines „Fotorealismus“ bediente, wie Dürers Pflanzenstudien, insbesondere das „Rasenstück“ (1503) in der Wiener Albertina, aber auch der Blumenschmuck bestimmter Handschriften (s. unten S. 259) zeigen, so muss man sich doch über den mangelnden Realismus jener Pflanzenbilder, die nicht von Reeuwijk stammen, wundern. Selten ist es möglich, aufgrund des Bildes allein eine Pflanze sicher zu identifizieren. Das liegt nicht nur an der Technik des Holzschnittes, der nicht so detailreich sein kann wie eine Radierung oder ein Aquarell, sondern daran, dass immer noch ein letzter Rest an mittelalterlichem Kunstverstand vorherrscht, der im Konkreten eher die Idee als das Akzidentielle suchte. In der Anordnung folgt Iohannes de Cuba dem deutschen Macer im Wesentlichen wie üblich nach dem lat. Alphabet, beginnt also mit Artemísia (Beifuß). An anderen Stellen folgt er jedoch Konrad von Megenberg, den er als deutsche Vorlage freilich durch fiktive Zitate etwa mit den angesehenen Namen Platearius, Dioskurides oder gar Py2 In der Bayerischen Staatsbibliothek ist der Gart der gesundheit (Straßburg, nach 1487) einsehbar: www.bsb-muenchen.de
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die pflanze auf dem langen Weg in die wissenschaft
thagoras herausputzt. So erschien 1485 der Gart der gesundheit in der Offizin von Peter Schöffer, Mainz, allerdings fälschlicherweise mit jenem Register, das zu dessen schon erwähntem Herbarius Moguntinus von 1484 gehörte. Den Abschluss bilden in den meisten Exemplaren ein Register der Funktionen der Heilmittel und ihrer Teile. Nach einem Kapitel zur Harnschau folgen Gynäkologisches, chirurgische Hinweise und ein Sachweiser, der die anatomischen Indikationen in klassischer Manier de capite ad calcem ‚vom Scheitel bis zur Sohle‘ angibt. Der Gart ist in über 60 Ausgaben (davon allein 13 zur Inkunabelzeit) vom 15. bis zum 18. Jahrhundert (1783), später durch Eucharius Rößlin d. J. und Adam Lonitzer bearbeitet, erschienen und jetzt im Internet in mehreren Versionen gut zugänglich. In Paris kam das Werk mit dem teilweise originalen Bildbestand als Arbolayre heraus. 1491 erschien das Buch bei Jacob Meydenbach in Mainz wieder als Hortus sanitatis, der nun neben 530 Pflanzen 164 Quadrupeden, 122 Vögel, 106 Wassertiere und 144 Edel- und Halbedelsteine enthält und abbildet. Darunter findet sich auch der Paradiesbaum und der Narzissus mit kurios-anthropomorphen Blüten (Fischer, 1929, 94–109). Neben dem bis Ende des 18. Jahrhunderts gedruckten Hortus sanitatis bzw. dem deutschen Gart der gesundheit sind noch die Arbeiten der „drei Väter der Botanik“ zu erwähnen, deren Werke die behandelten Arzneipflanzen (meist) in naturgetreuen Abbildungen wiedergeben. Diese sind Hieronymus Bock (1498–1554), der detailreich eigener Anschauung folgt und vor allem Pflanzen Südwestdeutschlands beschreibt. Erstaunlicherweise erschien das Neu Kreutter Buch in der Erstausgabe von 1539 noch ohne Illustrationen, sodass der Text die ganze Information zu tragen hatte. Die Ausgaben seit 1546 sind dann bebildert. 1542 brachte Leonhard Fuchs (1501–1566) seine Historia stirpium (etwa ‚Geschichte der Gewächse‘) heraus, im Jahr darauf als New Kreuterbuch. Bei diesem zweiten „Vater der Botanik“ fällt der Text im Vergleich ab, dafür sind die Bilder äußerst sorgfältig gestaltet, erstaunlich naturgetreu und botanisch wertvoll. Als Dritter im Bunde gilt Otto Brunfels (1488–1534) mit seinem 1530 erschienenen Herbarium vivae eicones (‚Herbarium mit naturgetreuen Bildern‘), 1532 37
1. Einleitung
als Contrafyt Kreüterbuch auch auf Deutsch. Der Gedanke, krautige Pflanzen gepresst zu trocknen, liegt scheinbar nahe, dennoch ist es erstaunlich, dass erst um 1530 der italienische Arzt Luca Ghini (1500– 1556) das erste Herbarium anlegen ließ. Damit haben wir das Mittelalter im traditionellen Sinn verlassen. Eine Nachzeichnung der späteren Geschichte der Botanik von Pietro Andrea Mattioli (1500–1577) mit seinem Dioskurides-Kommentar über Theophrastus Bombastus von Hohenheim („Paracelsus“; 1493– 1541) bis zu einer Würdigung des berühmten Werks von Jakob Theodor aus Bergzabern („Tabernaemontanus“; 1520/30–1590), das zu den ausführlichsten und originellsten gehört, muss hier unterbleiben. Zur Abrundung des Bildes nenne ich nur noch vier Wissenschaftler, die den weiteren Weg zur modernen Botanik mitgeprägt haben. 1551 erschienen die Opera botanica des Zürchers Conrad Gesner (1516–1565). Andrea Cesalpino (auch: Andreas Caesalpin; 1519–1603) aus Arezzo versuchte als Erster eine auf den Blüten der Pflanzen beruhende Systematik und wurde dadurch zu einem bedeutenden Vorläufer Linnés. 1600 brachte der Flame Charles de l’Écluse (Carolus Clusius; 1526– 1609) im Rahmen einer ‚Geschichte der selteneren Pflanzen‘ die ersten umfassenden Versuche einer Pilzsystematik heraus. 1623 beschrieb der Basler Caspar Bauhin (1560–1624) in seinem Pinax theatri botanici (‚Schaugemälde der Botanik‘) alle zu seiner Zeit bekannten ca. 6.000 Pflanzenarten und über 80 Pilze, die er in Tuberae ‚Trüffeln‘, Agaricæ ‚Lamellenpilze‘ und Fungi (die übrigen Pilztypen) einteilte. Den Abschluss bildete 1753 der Schwede Carl von Linné (Carl Nilsson Linnæus; 1707–1778), der selbst einen Pflanzennamen (nach der Linde) trug, mit seinen Species plantarum, einer systematischen, heute noch vielfach gültigen Artenübersicht, die als Erste konsequent die uns geläufige binäre Nomenklatur anwandte. In der sogenannten „Taxonomie“ der Botanik (Wagenitz, 2003, 324) besteht – etwas vereinfacht gesagt – der wissenschaftliche Name einer Pflanze immer aus mindestens zwei Wörtern, deren erstes die Gattung (das genus), das zweite, kleingeschriebene, die Art (species) nennt. Die Mehrzahl der botanischen Genusnamen ist letztlich aufgrund langer Tradition 38
Identifikationsprobleme
griechischer Herkunft, der Speciesname ist in der Regel lateinisch (Seybold, 2005; Zander, 2008). Auf den ersten wissenschaftlichen Beschreiber verweist der Name durch eine beigefügte Sigle (wie z. B. L. für Linné), auf die in diesem Buch verzichtet wird. So heißt die Herbstzeitlose mit ihrem botanischen Namen Cólchicum (nach dem Kolchis der Argonautensage) autumnále (‚herbstlich‘) L(inné). Ich werde – hoffentlich im Sinne meiner Leserinnen und Leser – im Folgenden immer zuerst den volkstümlichen, derzeit mir geläufigsten „Vulgär-“ oder „Trivialnamen“ einer Pflanze angeben, danach, soweit nötig, die jeweils wichtige mittelalterliche Namensform und zuletzt die aktuelle wissenschaftliche Benennung, wobei ich der Aussprache Letzterer durch Akzentsetzung zu Hilfe kommen werde. Den meist stark abweichenden Namen bei Hildegard nenne ich dann im Zusammenhang mit ihrer Einschätzung der Pflanze. Also etwa: Efeu, epaum, ertpaum (Hédera hélix); bei Hildegard: ebih.
IdEntIfIkatIonsProblEmE Damit habe ich die Crux der mittelalterlichen – und natürlich auch der antiken, ja überhaupt einer nach Raum und Zeit uns fremden – Pflanzenwelt und des Redens darüber berührt. Jeder von uns weiß, dass Pflanzennamen in sich viele Möglichkeiten des Missverständnisses bergen. Wie öde ist doch die oft gehörte Bemerkung, dass Richard Wagner im „Fliedermonolog“ Sachsens mit den Worten „Wie duftet doch der Flieder!“ den Holunder gemeint haben müsse, da der Flieder am Johannisabend längst nicht mehr blühe! Da der Gemeine Flieder (Syrínga vulgáris) erst 1560 durch den kaiserlichen Gesandten Ogier Ghislain de Busbecq von der Hohen Pforte nach Wien gebracht wurde, müsste er sich sehr schnell ausgebreitet haben, um von dem damals über 66-jährigen Hans Sachs schon in Nürnberg besungen werden zu können. Nein, das Wort Flieder bezeichnete im Mittelalter und noch im obersächsischen Dialekt Richard Wagners den Holunder (Sambúcus nígra), wie auch heute umgekehrt etwa in Wien Syrínga vulgáris als Holler bezeichnet wird. Auch in anderen Sprachen sind 39
1. Einleitung
Pflanzennamen eine Quelle ständiger Missverständnisse: Sprechen Engländer von cowslip (< ags. cū-slyppe ‚Kuhschleim‘), so meinen sie meist die Himmelschlüssel oder Echte Schlüsselblume (Prímula véris). Freilich könnten sie dieselbe Pflanze auch Artetyke, Arthritica, Buckles, Crewel, Cuy, Cuy lippe, Drelip, Fairy Cups, Herb Peter, Key Flower, Key of Heaven, Lippe, Mayflower, Our Lady’s Keys, Paigle, Palsywort, Paralysio, Password, Peggle, Petty Mulleins oder Plumrocks nennen. Amerikaner würden aber auch die Sumpf-Dotterblume (Cáltha palústris) darunter verstehen, die hingegen in England Gollins and the Publican, Horse Blob, Kingcup, Marsh Marigold, May Blobs, Mayflower, Mollyblobs, Pollyblobs, Water Blobs oder Water Bubbles heißt. Die sprachwissenschaftliche Untersuchung solcher Namensvielfalt ist oft reizvoll, manchmal erheiternd – und mitunter durchaus mühsam. Es gibt Pflanzen, die so auffällig sind, dass sie in ihrer Erscheinung eine Fülle kurioser Assoziationen auslösen. Berühmt-berüchtig ist die gerade erwähnte giftige Herbstzeitlose (Cólchicum autumnále), der Vittorio Bertoldi eine Monografie (1923) widmete, in der er viele Dutzende romanischer Dialektbezeichnungen erhob. Da die Blüte im Spätsommer und Herbst erscheint, wenn die Pflanze keine grünen Blätter hat, blüht sie sozusagen „unzeitgemäß“, „zeit-los“, außerhalb der Blütezeit anderer Pflanzen. Wenn dann im Frühjahr die Blätter sprießen und bald auch die Samenkapseln, dann sieht es so aus, als kämen die Samen vor der Blüte, weshalb die Pflanze volkssprachlich auch Sohn-vor-dem-Vater (oder ähnlich) genannt wird. Daneben sind oder waren folgende Namen im Umlauf: Butterwecken, Giftblume, Hahnenklöten, Henne, Hennegift, Herbstblume, Herbstlilie, Herbstvergessene, Hundsblume, Hundshode(n), Hundsknofel, Käsestäuber, Kokokköl, Kuckucksweck, Kühe, Kuhditzen, Kuheuter, Läuseblume, Leichenblume, Michelsblume, Michelwurz, Mönchskappen, Nacktarsch, Nackte Hur, Nackte Jungfer, Ochsen, Ochsenpinsel, Säulöichrut, Spindelblume, Spinnblume, Teufelsbrot, Teufelswurz, Wiesenlilie, Wilde Zwiebel, Winterhaube und Winterhauch. Das äußere Erscheinungsbild der Pflanze lässt an einen Krokus denken, weshalb sie auch Giftkrokus, Wiesen safran oder Wildsafran genannt wird. Vermutlich ist die Herbstzeitlose 40
Identifikationsprobleme
auch oft mit dem dem Mittelalter bestens bekannten Crócus satívus, dessen Blütennarben ja den Safran liefern und der zugleich mit der Herbstzeitlosen blüht, verwechselt bzw. dieser trotz der hohen Strafen, die darauf standen, durch sie verfälscht worden, was aber wegen der geringen Menge, in der Safran konsumiert wird, nicht zu auffälligen Vergiftungen führte. Lesen wir mit diesem Vorwissen Versikel 3 des 3. Minneleichs des Dichters Tannhäuser (Mitte 13. Jahrhundert). Angesichts der Schilderung einer Frühlingslandschaft (Der winter ist zergangen …) heißt es: Da stet vîol unde klê, sumerlaten, gamandrê, die werden zîtelôsen; ôstergloien vant ich dâ, die liljen und die rôsen. dô wunschte ich, daz ich sant mîner frouwen solde kôsen. Dass der Dichter in diesem Blütenensemble sich gerne mit seiner Dame unterhielte, ist leicht einzusehen, wenn wir aber nun die florale Umwelt genauer benamsen sollen, stehen wir vor mancherlei Problemen. Da es Frühling ist, werden wir in den folgenden Pflanzen Frühjahrsgewächse suchen und demgemäß versucht sein, die werden zîtelôsen mit ‚die edlen Krokusse‘ zu übersetzen, wenn auch gamandrê, der Echte Gamander (Téucrium chamáedrys; Fischer 1929, 286), der im Juli/August blüht, und die rôsen schwerlich mit dem Krokus zusammenpassen. Konrad von Würzburg erwähnt jedoch in seinen Liedern (4,24; 7,24; 12,15), dass die zîtlôsen gelb blühen, was der Identifizierung mit dem bodenständigen Krokusarten, die alle blau oder weiß sind, widerspricht. Der Gelbe Krokus (Crócus flávus) unserer Gärten, der auf dem Balkan und in der Türkei beheimatet ist, scheint erst in der Frühen Neuzeit verbreitet worden zu sein, wuchs jedenfalls nie wild. Obwohl sich die Gleichsetzung mit dem Krokus geradezu aufdrängt, geben die Wörterbücher als Übersetzung der zîtelôsen auch hermodactilus und narcissus. Da hermodactylus im Mittelalter nur ein anderer Name für Cólchicum autumnále ist (Fischer, 1929, 265) und die heute Hermodactyloides genannten Knollenschwertlilien dem 41
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Mittelalter unbekannt waren, bleibt als gelbe zîtelôse eigentlich nur eine Narzissenart, wenngleich dann die Anwendung des Namens ungerechtfertigt scheint, da sie ja weder der Herbstzeitlosen noch dem Safran gleicht. Im Mittelalter ist in Mitteleuropa mit zwei Narzissenarten zu rechnen: mit der Dichternarzisse (Narcíssus poéticus), die eine cremeweiße Blumenkrone mit in ihrer Mitte gelb-roten Nebenkrone auszeichnet, und der ganz gelben Osterglocke (Narcíssus pseudonarcíssus). Für diese Gleichsetzung von zîtelôse mit Narzisse könnte auch eine Stelle im Jüngeren Titurel (10,326) sprechen, wo die zîtelôse als eine weiße Blume mit gelber butze in der Mitte – also als Dichternarzisse – beschrieben ist. Das mag für das 13. Jahrhundert und bestimmte Landschaften gelten. Der Gart der gesundheit bildet unter Hermodattilus zeitlosz (cap. 212) eine Art Gänseblümchen ab. Nun bleibt noch die ôstergloie, welche die Wörterbücher für eine Frühlingsakelei, wohl Aquilégia vulgáris, halten. Dafür spricht, dass Konrad von Würzburg in der „Goldenen Schmiede“ (423) Maria als blüende ôstergloye anredet und die Akelei auch sonst als marianische Blume gilt (Widauer, 2009, 147–167), wenn auch denkbar ist, dass eine andere stattliche Blume wie etwa die Große Küchenschelle (Pulsatílla grándis) gemeint war, die im Gegensatz zur Akelei zu Ostern blüht (Salzer, 1893, 307). Den literaturwissenschaftlichen Mediävisten wird die Bestimmung der zîtelôse nicht so wichtig sein, denn sie dient ja nur dazu, den frühlingshaft-lieblichen Ort (locus amoenus) durch lustbetonte Pflanzennamen zu indizieren. Dem Realienkundler und dem an der Botanikhistorie interessierten Pflanzenfreund ist freilich daran gelegen, die zîtelôse möglichst genau zu bestimmen, und er lernt nun das Phänomen kennen, dass man im Mittelalter verglich, was uns heute unvergleichbar scheint. Hier eröffnet sich dem botanischen Laien ein riesiges Problemfeld, das nicht selten auch dem Pflanzenkenner festen Boden vortäuscht, der jedoch beim Betreten nachgibt und sich als veritabler Sumpf erweist. Den besten Beleg für diese Behauptung bilden die schon erwähnten „Synonymenschlüssel“ des Mittelalters und natürlich deren Aufarbei42
Identifikationsprobleme
tung in den höchst hilfreichen Verzeichnissen etwa in Fischer (1929) oder bei Marzell (1943–1979). Sie gehen von der Frage aus: „Welche Bezeichnungen gelten jeweils für eine binominal klar definierte Pflanze?“ Nehmen wir die Engelwurz (Angélica archangélica), so finden wir dafür folgende lateinische und anderssprachige Synonyme: acutella, brustwurz, bůchalter, des heyligen geist wurtz, dyabolica, harthebel, herba sancti spiritus, lade, ledepipenkrawt, pactica, phiffecrut – jeder dieser Namen ist „motiviert“, über jeden könnte man eine Mini-Abhandlung schreiben. So auch über den Frauenmantel (Alchemílla vulgáris): arcintilla, herba stella, leontopodium, lewenuůz, pede leonis, planta leonis, sinau, stellaria, unser frouwen mantel und Hunderte andere. In manchen Fällen verführt die Synonymik zu allerlei Spekulationen: Warum heißt Aspérula odoráta = Gállium odorátum im romanischen Bereich mater silvarum, matrisilva, frz. reine de bois, dagegen im Germanischen, wo man auch das Bier damit würzte, Waldmeister, woltmeester, woudmester, aber engl. woodruff (nach den an eine gestärkte Halskrause erinnernden Blättern?) und auch epatica, lebberkraut ? Man wollte ‑meister aus ‑meier herleiten und dies als Nebenform zu Miere ansehen, doch haben die Mieren (Minuártia), deren Namen ich zu Moos stellen möchte, wenig Ähnlichkeit mit dem Waldmeister, allerdings wird dieser im Rheinland Möske ‚Mös-chen, kleines Moos‘ genannt. Am Beispiel der Quitte kann man gut beobachten, wie es bei der Übersetzung aus dem Lateinischen zu Missverständnissen kommt: Columella (V, 12f.) beschreibt eine verholzte Pflanze cytisum, den mediterranen Strauch-Schneckenklee (Medicágo arbórea), den Oesterreicher als kytten bom bezeichnet (I, 339), was natürlich späteren Missverständnissen Tür und Tor öffnet. Der oben erwähnte Trivialname gamander wird im Mittelalter auch auf das Sumpf-Vergißmeinnicht (Myosótis palústris; Fischer 1929, 275) angewandt, das dem Téucrium kaum ähnelt. Mit brencrut ist nicht die Brennnessel (Urtíca) gemeint, sondern der Gift-Hahnenfuß (Ranúnculus scelerátus) oder auch das Hadernblatt (Rúscus hypoglóssum) usw. (Fischer 1929, 281f.). In vielen Fällen lässt sich den gemeinten Pflanzen näherkommen, wenn man die frühneuzeitlichen Apothekerbestände und deren no43
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menklatorische Entwicklung des „Officinellen“ einbezieht, wie es z. B. Fischer-Benson (F-B) tat. Dennoch, auch dann bleibt noch vieles offen. Ich nenne zunächst zwei Pflanzen, die in der Kräutermagie hervortreten: den Dorant oder Orant und den Widerton. Beim Dorant schwankt man zwischen dem Löwenmaul (Antirrhínum május), ursprünglich eine mediterrane Zierpflanze, die noch ab und zu im Mauerwerk von Burgruinen zu finden ist. Das im 15. Jahrhundert auftretende Wort Orant wurde als entlehnte Form des Löwenmaulnamens gr. oróntion angesehen. Aber diese Deutung hat sich nicht überall durchgesetzt. Heinrich Marzell referiert etwa zehn andere lokal gültige Identifikationsversuche des Dorant/Orant. Wichtig ist, dass die geheimnisvolle Pflanze ein probates Antihexenmittel darstellt. Wenn nun Dioskurides von dem Löwenmaul, das bei ihm schon den heute gültigen griechischen Namen antírrinon führt, sagt, es sei ein Mittel gegen Schadzauber, und ein Zauberpapyrus das „Hundskopfkraut“, wie das Löwenmaul auch hieß, als magische Pflanze empfiehlt, so scheint doch einiges dafür zu sprechen, dass mit dem Dorant/Orant das Löwenmaul gemeint war. Sicher ist nur eines: wer diß krut by im hait vnd gewyhet wirt zu vnßer frauwen tag assumptionis den mag keyn zauberey geschaden, wie es im Gart der gesundheit (cap. 295) heißt (s. dazu Marzell, in: HDA 2, 350–352). Dass dem Verfasser das Kräutlein Orant nicht ganz geheuer war, folgt aus dem letzten Satz: Ander vil tugent laß ich vnder wegen. Der Holzschnitt hat natürlich mit dem Löwenmaul keinerlei Ähnlichkeit. Der Widerton ist noch komplizierter (zum Folgenden Marzell, in: HDA s. v. Widerton; vgl. DWb 29, 1339–1341). Laut Hans Vintler (Pluomen der tugent, 8239f.) und vielen anderen diente die Pflanze zur Schadzauberabwehr. Sie heißt ab dem 15. Jahrhundert auch widertod, weil sie „wider den Tod“ helfen sollte. In alten Glossaren wird mit dem nicht ganz klaren Wort ‚Wider-das-Antun‘ (eines Schadzaubers) (?) eine Capillus Veneris ‚Jungfrauenhaar‘ genannte Pflanze bezeichnet. Dieses wird einerseits mit dem Haarmützenmoos (Polýtrichum commúne) identifiziert, andererseits für eine Farnart gehalten. Aber auch etwa ein Dutzend anderer Pflanzen wurde mit diesem ‚Venushaar‘ 44
Identifikationsprobleme
gleichgesetzt, darunter der Rundblättrige Sonnentau (Drósera rotundifólia), die Mondraute (Botrýchium lunária) oder der Scharfe Mauerpfeffer (Sédum ácre). Das Problem ist, dass fast alle ins Auge gefassten Pflanzen nachweislich in jüngerer Zeit einschlägig verwendet wurden. Das Haarmützenmoos, das wegen seiner auffälligen Sporenkapseln auch Holz- oder Teufelsgerste, in Dänemark Lokes havre ‚Lokis Hafer‘ (sicher eine gelehrte Namensbildung vielleicht der Humanistenzeit) heißt, hat „das Rennen gemacht“: „Widerton“ – oder was man dafür hält – kann heute in Form von ayurvedischem Chakra-Öl im Internet bestellt werden! Nun zu Hildegard von Bingen! Die von der Heiligen erwähnte warm-trockene dauwurtz, die den Magen reinigt und die Augen klar macht (53/27), wird nicht überzeugend mit dem Löwenzahn oder Leuenzahn – eine neuere Unterscheidung zwischen Taráxacum und Leóntodon (Fischer, 1994, 855) – gleichgesetzt (Physica, 148). Auch die Pflanzen wuntwurtz (44/25), lilim (62/29), seuwurtz (63/30), menna (102/38; Spekulationen bei F-B, 206f.), ugera (137/45), meygilana (159/48), dornella (160/48), musetha (165/48), wichwurtz (173/50), psaffum (218/55) mit ihren wohltuenden Wirkungen und syme (157/47) als Insektizid bleiben völlig ungeklärt. Der eine oder andere Name könnte aus der lingua ignota stammen, in der z. B. ‚Muskatnuss‘ muzimia heißt. Ihr wizsgras und stutgras sind wohl zwei Gemüsesorten oder Gräser, die nicht identifiziert sind, wobei das Letztgenannte als – aus medizinischer Sicht – unkrut ohnedies kaum empfohlen werden kann (85, 86/34 und 196/53), und ob stur (197/54) nun die Quecke (Élymus répens) oder eine Form der Béta vulgáris (s. S. 64) meint, was im Lichte der Synonymik beides möglich wäre (Fischer, 1929, 258, 262), wird sich nicht entscheiden lassen. Hildegards dorth (227/56) bedeutet wie altsächsisch durð im „Heliand“ eigentlich nur Unkraut im Feld, ob nun speziell Lolch (Lólium) oder Trespe (Brómus), lässt sich nicht eruieren. Medizinisch ist die Pflanze ohnedies bedeutungslos. Ebenso wenig können wir mit felbaum (B39/74), pruma (B50/75), agenbaum (B51/75) und gichtbaum (B55/76f.) anfangen. Dass wir zu45
1. Einleitung
gelnich (217/55) nicht kennen, ist kein Malheur, denn die dem Kraut innewohnende Heilkraft bei Paralyse und Lepra wird dadurch aufgewogen, dass es zur Sinnlichkeit reizt. Was unter cardo zu verstehen ist, ist ganz unklar, eine warme Pflanze, deren Teile („Kopf“, Blätter, Wurzel) als Antidot eingenommen werden soll (228/56). Es ist eine „Distel“, so viel scheint gewiss, ob aber die im Capitulare genannte Kardone „Cardy“ oder die Artischocke (Cynára cardúnculus) oder die gleichfalls dort erwähnte, nicht verwandte Weber-Karde (Dípsacus satívus) oder irgendeine andere „Distel“, bleibt offen (F-B, 199). Auch der mäßig warme harboum, ein Sinnbild der „Verwegenheit“, mit seiner Wirkung gegen Räude (B48/75), ist nicht genauer zu bestimmen. Der eher kalte meltzboum muss Hildegard so vor Augen gestanden sein, dass sie ihn als Sinnbild für den „Wettkampf“ ansehen konnte (B45/75). Er ist der Natur des Menschen sehr zuwider, die Frucht schädlich, der Saft führt zu Erbrechen. Jedoch liefert er ein gutes Brennholz. Sowohl der Mastixbaum (Pistácia lentíscus) als auch der Sauerdorn (Bérberis vulgáris) erscheinen mit dem Synonym meltz boum (Fischer, 1929, 262, 278). Beide Pflanzen passen nicht recht in das Bild. Wie sollte ihr der mediterrane Mastixbaum, denn sie wohl nie gesehen hat, den Eindruck des Agonalen erwecken? Als Brennholz ist das Holz der zarten Pistazie trotz ihres Harzreichtums kaum wertvoll, und das gilt auch für die Berberitze, deren Rinde bei Genuss zwar zu Erbrechen führen könnte, deren eher dünne Stämme aber kaum als Brennholz infrage kommen. Hätte die Äbtissin mehr Primärkenntnis und konkrete Beobachtung der Pflanzen einfließen lassen, so hätte sie mit der Erwähnung der auf der Innenseite leuchtend gelben Berberitzenrinde die Pflanze eindeutig bestimmen können. Ein Wort über die Blütenform, die sie, falls sie tatsächlich mit den Pflanzen umging, ja beobachtet haben musste, und wir wüssten, ob sie mit der wulues gelegena die WiesenArnika (Árnica chamissónis) oder den Wolfs-Eisenhut (Aconítum lycóctonum) meint (s. unten S. 108), ein Wort über die Blütenfarbe, und wir würden beim „Mäuseohr“ nicht zwischen Vergißmeinnicht und Habichtskraut (s. unten S. 169) schwanken. Der Grund für Hildegards 46
Identifikationsprobleme
scheinbares Desinteresse am äußeren Pflanzenhabitus liegt zweifellos daran, dass sie für ihre engere Klostergemeinschaft schrieb, der die Pflanzen vom Aussehen ohnedies bekannt waren, während Konrad von Megenberg sich an ein größeres Publikum wandte, bei dem er diese Grundkenntnisse nicht voraussetzen konnte. Deshalb finden wir bei ihm ab und zu Angaben über das Aussehen, insbesondere auch die Blütenfarbe der Gewächse, sofern er sie selbst vor Augen gehabt hat. Hier sind seine Zusätze gegenüber seiner Vorlage, dem Liber de naturis rerum des Thomas von Cantimpré, beachtlich und für uns sehr hilfreich. Stellen wir unter diesem Aspekt eine konkrete kulturhistorische Frage, etwa die nach der Hexensalbe! Bei Jan Weyer (1515/16–1588), einem scharfen Kritiker des frühneuzeitlichen Hexenglaubens, lesen wir, dass die von den Hexen applizierte Flugsalbe eleoselinum, aconitum, frondes populneas, fuliginem oder auch sium, acorum vulgare, pentaphyllon, vespertilionis sanguinem (Fledermausblut), solanum somniferum & oleum enthalten haben soll. Wollten wir diese Salben rekonstruieren, so würden wir schnell scheitern: Zwar könnte mit eleoselinum die Sellerie (Ápium gravéolens; Fischer, 1929, 259) – eleioselinon bei Dioskurides – gemeint sein, deren ätherische Öle heute noch im Volksglauben als Aphrodisiaka gelten. Doch weder der Ruß (fuligo) noch die Pappelzweige (frondes popul[n] eas) wirken als Psychopharmaka, bestenfalls heilsam als diapopylion (s. unten S. 147). Lediglich der Eisenhut (Aconítum) ist schwer giftig, doch haben die Vergiftungssymptome keine Ähnlichkeit mit Flugvorstellungen (Frohne/Pfänder, 1997, 312). Im zweiten Rezept treffen wir mit sium vielleicht auf eine geläufige Pflanze, den Schmalblättrigen Merk (Bérula erécta, früher: Síum eréctum), der leicht giftig sein soll. Der danach genannte Kalmus (Ácorus cálamus) stammt aus Asien und war zur Zeit der Hexenprozesse noch nicht lange in unseren Teichen zu finden. Die hautreizende Wirkung dieser in Magentees verwendeten Pflanze dürfte eher minimal sein. Mit pentaphyllon ist wohl das funffblat oder Kriech-Fingerkraut (Potentílla réptans) gemeint (Fischer, 1929, 280), dem man keine Giftwirkung zuschreibt. Das solanum som47
1. Einleitung
niferum könnte Bittersüß (Solánum dulcamára) meinen, ein Nachtschattengewächs, das bei Dioskurides immerhin strychnos hypnoticos heißt (Fischer, 1929, 284f.). Die Pflanze ist in größeren Mengen durchaus giftig, allerdings nicht bewusstseinserweiternd. Möglich wäre aber auch, dass dabei an die Tollkirsche (Átropa bélla-dónna) gedacht war, die auch einmal solatrum soporiferum ‚schlafbringender Tröster‘ (?) genannt wird (Fischer, 1929, 261) und die Bewusstseinstrübungen in Form von Flugträumen bewirken könnte (Frohne/Pfänder, 1997, 350). Wenn also die Flugsalbe Wirkung zeitigte, um deretwillen angebliche Hexen hingerichtet wurden, dann nach heutigem Verständnis nur durch die freilich nicht ganz sichere Tollkirschenbeigabe, denn alle anderen Zutaten sind harmlos, und Fledermausblut und Öl werden ja nicht psychedelisch gewirkt haben. Ich glaube, damit die Grenzen unseres heutigen Verständnisses von konkreten botanischen Angaben des Mittelalters und der Frühen Neuzeit angedeutet zu haben.
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2. PflanZEn aus dEr sIcht IhrEr wIrtschaftlIchE nütZlIchkEIt
unkraut
P
flanzen, die als nützlich angesehen wurden, wuchsen entweder wild wie Wildgemüse, Wildfrüchte, Gras, Ausschlagreiser und Nutzhölzer oder in eigens eingehegten Räumen, die wir Feld (Acker) und Garten nennen. In letzterem Fall sind es dann Kulturpflanzen, die eines besonderen Schutzes vor tierischen und pflanzlichen Schädlingen bedürfen (Willerding, 1986). Pflanzliche Schädlinge bezeichnet man als Unkraut, schon ahd. uncrūt als ‚Nicht-Kraut‘, oder man nannte sie ahd. rato, mhd. rate, mit einem Wort, das vielleicht mit Ratte identisch ist. „Im Walde ist gar kein Unkraut, weil der Herr jedes Kräutlein liebet“, sagt Stifter (DWb 24, 1108) und verweist damit darauf, dass der Begriff des Unkrauts der planenden und arbeitserfüllten Menschenwelt angehört. Das Jäten setzt dabei eine gewisse Pflanzenkenntnis voraus. In Pleiers „Garel von dem blFnden Tal“ wird von einem Knappen gesagt, er sei so gebildet und klug (hobsch und so chlFg) gewesen, dass er sich darauf verstanden habe, Blumen und Gras vom Unkraut zu befreien (Garel, 3191–3193). Der Dichter nennt ihn denn auch garten#re ‚Gärtner‘. 49
2. Pflanzen aus der Sicht ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit
Typische und im Mittelalter viel genannte Unkräuter sind die Brennnessel (Urtíca), deren Wuchern schon Walahfrid Strabo beklagte (s. unten S. 114), und verschiedene Arten Schacht(el)halm (die niederdeutsche Form für Schafthalm, Equisétum), die man auch katzen- oder roßzagel ‚Katzen- oder Rossschwanz‘ nannte. Hildegard von Bingen spricht dem catzenzagel jedwede Heilkraft ab (216/55). Zwei weitere gefürchtete Unkräuter sind heute so gut wie ausgestorben: Die schöne, rot blühende, giftige Kornrade (Agrostémma githágo; h-t), die Konrad von Megenberg (445f.) als rote chorn plům bezeichnet (s. S. 89), Hildegard aber ratde (h-t) ‚Unkraut‘ nennt, mit dem SchwarzKümmel (s. unten S. 134) gleichsetzt und als so giftig ansieht, dass man damit Fliegen töten könne (Physica 12/19). Das andere ist der Taumellolch (Lólium temoléntum), der in regenreichen Jahren in beachtlichem Maß die Felder der Sommergerste heimsuchte, was zu ernsthaften Vergiftungen (mit Sehstörungen, Schwindel und Muskelzittern) führte, wobei man heute geneigt ist, die Giftwirkung weniger der Pflanze selbst als einem gewissen Fadenwurm- und Bakterienbefall zuzuschreiben (Frohne/Pfänder 1997, 292). Das vom Teufel (nach Mt 13,25-30) unter den „Weizen“ gesäte „Unkraut“ (gr. zizánia) meint wohl den Lolch. Konrad nennt die Pflanze (462) raten kraut oder unrat und betont ihre schädliche Wirkung auf Getreide, dem sie die Nahrung entziehe. Wer des chrautes samen izzt, den macht er trunchen vnd vnsinnich. Man vermutet, dass zizania schon in den eleusinischen Mysterien eine Rolle gespielt habe. Heute ist die Pflanze auf den Feldern durch Herbizide ausgerottet und fristet nur noch an Wegrändern und Schuttplätzen ein kümmerliches Dasein. Zu diesen Unkräutern kommt noch das Mutterkorn, bisweilen auch Kornvater (Cláviceps purpúrea) genannt, ein Pilz, dessen Sklerotium einem dunklen, meist übergroßen Getreidekorn gleicht und sich besonders in regenreichen Sommern in Roggen- und Weizenfeldern üppig entwickeln konnte. Das Mutterkornalkaloid Ergotamin bewirkte den im Mittelalter häufigen Ergotismus, der als „Antoniusfeuer“ wohl auch die „Tanzkrankheit“ verursachte. Aufgrund von Durchblutungsstörungen entstehen Kribbeln und Bewegungszwang (tremor membrorum), 50
nutzpflanzen von der Karolingerzeit bis hildegard von Bingen
zuletzt können Glieder absterben. Die Tradition der „Tänzer von Kölbigk“ schildert einen solchen Vorfall um 1020 (F. Rädle, in: VerfLex 1995, 616–620). Die Erkrankten zogen als Bettler durch das Land. Es wird berichtet, dass bei einem solchen „Tanz“, als ein junger Mann seine Schwester aus den Reihen der krampfhaft Zuckenden ziehen wollte, diesem ihr Arm in der Hand geblieben sei! Besonders die Antonitermönche nahmen sich solcher Kranker an. Für diesen Orden verfertigte Matthias Grünewald zwischen 1506 und 1515 den jetzt in Colmar befindlichen „Isenheimer Altar“, auf dessen dritter Schauseite auch der schrecklich entstellte Körper eines Erkrankten abgebildet ist. Da der Krampf sich auch auf den Uterus auswirkt und diesen zusammenzieht, verwendete man das Mutterkorn zur Abtreibung und noch heute in synthetischer Form nach der Geburt – daher auch der Name (anders Marzell, der an die dämonische „Kornmutter“ oder „Roggenmuhme“ dachte, in: HDA s. v. Mutterkorn). Dem Mittelalter war das Mutterkorn zwar als adstringierendes Mittel bekannt, nicht aber als Pilz.
nutZPflanZEn Von dEr karolIngErZEIt bIs hIldEgard Von bIngEn Kommen wir vom Unkraut zum Kraut! Das oben genannte Capitulare de villis vel curtis imperialibus ist sehr artenreich, indem es 105 Pflanzen nennt, die ich in der Identifizierung Fischers (1929, 133f.) vollständig wiedergebe, um einen Eindruck von der Fülle des hier Verordneten zu vermitteln. Das der Pflanzennummer nachgestellte H bedeutet, dass die Pflanze auch von Hildegard genannt wird. Dieser Reichsdomänenordnung sind noch zwei Inventarlisten der Hofgüter (fisci dominici) Asnapium (Annapes, Dép. Nord, östl. von Lille) und Treola (Trieles-sur-Seine, bei Versailles) angefügt, aus denen man ersehen kann, wieweit den Maximalvorschriften des Capitulare in der Praxis entsprochen wurde. Ich folge wieder Fischer (1929, 133), wenn ich an Pflanzen aus Asnapium aufzähle: Lilie, Frauenminze (Costum), Krauseminze, Petersilie, Raute, Sellerie, Liebstöckel, Salbei, Saturei, Sadebaum, Porree, Knoblauch, Rainfarn, 51
2. Pflanzen aus der Sicht ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit
Wilde Minze, Koriander, Schalotten, Zwiebeln, Kohlrabi, Kopfkohl, Betonie, Birn-, Apfel-, Mispel- und Pfirsichbäume, Haselnusssträucher, Walnuss-, Maulbeer- und Quittenbäume. Im Hofgut Treola gab es darüber hinaus noch Kirsch- und Pflaumenbäume, Zichorie, Mangold, Schnittlauch, Kerbel, Katzenminze und einiges andere. Im Archäologischen Freilichtmuseum Oerlinghausen (Lippe, NordrheinWestfalen) wurde eine merowingerzeitlich-karolingische Domäne nachgebaut, ein „Karlsgarten“ befindet sich auch im Westen von Aachen im Gelände beim Gut Melaten des Freundeskreises „Botanischer Garten Aachen“, ein anderer mit allen Pflanzen des Capitulare de villis im Heilpflanzengarten Verden (Aller) und in Melle (Département Deux-Sèvres) als „Jardin carolingien de Melle“. Nr. Rom. Name
Lat. Name (Familie)
Deutscher Name
1a H lilium Íris germánica (Iridaceae) Deutsche Schwertlilie 1b H lilium Lílium cándidum (Liliaceae) Madonnenlilie 2 H rosas Rósa canína (Rosaceae) Hunds-Rose 3 H fenigrecum Trigonélla fóenum-gráecum (Fabaceae) Griechisch Heu 4a costum Saussúrea cóstus (Asteraceae) Indische Kostuswurzel 4b H costum Tanacétum balsamíta (Asteraceae) Frauenminze 5 salviam Sálvia officinális (Lamiaceae) Gartensalbei 6 H rutam Rúta gravéolens (Rutaceae) Weinraute 7 H abrotanum Artemísia abrótanum (Asteraceae) Eberraute 8 H cucumeres Cúcumis satívus (Cucurbitaceae) Gurke 9 H pepones Cúcumis mélo (Cucurbitaceae) Zuckermelone 10 H cucurbitas Lagenária sicerária (Cucurbitaceae) Flaschenkürbis 11a fasiolum Vígna unguiculáta (Fabaceae) Augenbohne 11b fasiolum Dólichos láblab (Fabaceae) = D. purpúreus Helmbohne 12 H ciminum Cumínum cymínum (Apiaceae) Kreuz-Kümmel 13 ros marinum Rosmarínus officinális (Lamiaceae) Rosmarin 14 careium Cárum cárvi (Apiaceae) Kümmel 52
nutzpflanzen von der Karolingerzeit bis hildegard von Bingen
15 H cicerum Cícer arietínum italicum(Fabaceae) Kichererbse 16 squillam Urgínea marítima (Hyacinthaceae) Meerzwiebel 17 gladiolum Gladíolus itálicus (Iridaceae) Siegwurz 18° dragantea Polýgonum bistórta (Polygonaceae) Schlangen- Knöterich 18b dragantea Artemísia dracúnculus (Asteraceae) Estragon 19 anesum Pimpinélla anísum (Apiaceae) Anis 20a coloquentidas Citrúllus colocýnthis (Cucurbitaceae) Koloquinte 20b H coloquentidas Bryónia álba (Cucurbitaceae) Weiße Zaunrübe 21a solsequiam Heliotrópium europáeum Europäische (Boraginaceae) Sonnenwende 21b H solsequiam Caléndula officinális (Asteraceae) Ringelblume 21c solsequiam Cichórium íntybus (Asteraceae) Gemeine Wegwarte 22a ameum Ámmi cópticus = Trachy spérmum ámmi (Apiaceae) Ammei 22b ameum Méum athamánticum (Apiaceae) Bärwurz 23 silum Laserpítium síler (Apiaceae) Berg-Kümmel 24a H lactucas Lactúca satíva (Asteraceae) Lattich 24b lactucas Lactúca virósa (Asteraceae) Gift-Lattich 25 git Nigélla satíva (Ranunculaceae) Echter Schwarz Kümmel 26 eruca alba Erúca satíva (Brassicaceae) Rauke 27 H nasturtium Nastúrtium officinále (Brassicaceae) Brunnenkresse 28 H parduna Árctium láppa (Asteraceae) Große Klette 29 H puledium Méntha pulégium (Lamiaceae) Polei-Minze 30° olisatum Angélica archangélica (Apiaceae) Engelwurz 30b olisatum Smýrnium olusátrum (Apiaceae) Pferde-Eppich 31 H petresilinum Petroselínum críspum (Apiaceae) Petersilie 32 H apium Ápium gravéolens (Apiaceae) Sellerie 33° levisticum Ligústicum mutellína (Apiaceae) Mutterwurz 33b H levisticum Levísticum officinále (Apiaceae) Liebstöckel 34 H savinam Juníperus sabína (Cupressaceae) Sadebaum 35 H anetum Anéthum gravéolens (Apiaceae) Dill 36 fenicolum Foenículum vulgáre (Apiaceae) Fenchel 53
2. Pflanzen aus der Sicht ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit
37 H intubas Cichórium íntybus (Asteraceae) Wegwarte = Endivie 38 H diptamnum Dictámnus álbus (Rutaceae) Diptam 39 H sinape Sinápis álba (Brassicaceae) Weißer Senf 40 H satureiam Saturéja horténsis (Lamiaceae) Bohnenkraut 41 H sisimbrium Méntha aquática (Lamiaceae) Wasser-Minze 42 mentam Méntha spicáta (Lamiaceae) Ähren-Minze 43 H mentastrum Méntha longifólia (Lamiaceae) Ross-Minze 44 H tanazitam Tanacétum vulgáre (Asteraceae) Rainfarn 45 H neptam Népeta catária (Lamiaceae) Katzenminze 46a H febrefugiam Centáurium erythráea Tausend (Gentianaceae) guldenkraut 46b H febrefugiam Tanacétum parthénium (Asteraceae) Mutterkraut 47 H papaver Papáver somníferum (Papaveraceae) Schlafmohn 48 betas Béta vulgáris ssp. cónvar Schnitt (Chenopodiaceae) mangold 49 H vulgigina Ásarum europáeum (Aristolochiaceae) Haselwurz 50 H altaea Altháea officinális (Malvaceae) Echter Eibisch 51 H malvas Málva silvéstris (Malvaceae) Wilde Malve 52 H carvitas Dáucus caróta (Apiaceae) Möhre 53 H pastenacas Pastináca satíva (Apiaceae) Pastinak 54 H adripias Atríplex horténsis (Chenopodiaceae) Garten-Melde 55 blidas Amaránthus blítum (Chenopodiaceae) Aufsteigender Fuchsschwanz 56a ravacaulos Brássica rápa emend. ssp. rápa (Brassicaceae) Stoppelrübe 56b H ravacaulos Brássica olerácea var. gongylódes (Brassicaceae) Kohlrabi 57 H caulos Brássica olerácea (Brassicaceae) Kohl 58a H uniones Állium fistulósum (Alliaceae) Winterzwiebel 58b uniones Állium ursínum (Alliaceae) Bärlauch 59 H britlas Állium schoenóprasum (Alliaceae) Schnittlauch 60 H porros Állium pórrum (Alliaceae) Breitlauch, Porree 61 H radices Ráphanus satívus var. níger (Brassicaceae) Rettich 62 H ascalonias Állium ascalónicum (Alliaceae) Schalotte 63 H cepas Állium cépa (Alliaceae) Küchenzwiebel 54
nutzpflanzen von der Karolingerzeit bis hildegard von Bingen
64 H alia Állium satívum (Alliaceae) Knoblauch 65 warentiam Rúbia tinctórum (Rubiaceae) Krapp 66a H cardones Dípsacus satívus (Dipsacaceae) Weber-Karde 66b H cardones Cynára cardúnculus (Asteraceae) Kardone 67 H fabas maiores Vícia fába (Fabaceae) Saubohne 68 H pisos Mauriscos Písum satívum (Fabaceae) Erbse 69 coriandrum Coriándrum satívum (Apiaceae) Echter Koriander 70 H cerfolium Anthríscus cerefólium (Apiaceae) Kerbel 71 H lacteridas Euphórbia láthyris (Euphorbiaceae) Kreuzblättrige Wolfsmilch 72 H sclareiam Sálvia sclaréa (Lamiaceae) Muskateller- Salbei 73 H Jovis barbam Sempervívum tectórum (Crassulaceae) Dach Hauswurz dazu die Bäume: 74 H pomarios div. Sorten Málus doméstica Apfelbaum (Rosaceae) 75 pomarios Cítrus aurántium (Rutaceae) Pomeranze, Bittere Orange 76 H prunarios Prúnus doméstica (Rosaceae) Pflaumenbaum 77 H sorbarios Sórbus doméstica (Rosaceae) Speierling 78 H mespilarios Méspilus germánica (Rosaceae) Mispel 79 H castanarios Castánea satíva (Fagaceae) Edelkastanie 80 H persicarios Prúnus pérsica (Rosaceae) Pfirsich 81 H cotoniarios Cydónia oblónga (Rosaceae) Quitte 82 H avellanarios Córylus avellána (Betulaceae) Gemeine Hasel 83 H amandalarios Prúnus dúlcis (Rosaceae) Mandel 84 H morarios Mórus nígra (Moraceae) Schwarze Maulbeere 85 H lauros Láurus nóbilis (Lauraceae) Echter Lorbeer 86 pinos Pínus pinéa (Pinaceae) Pinie 87 H ficus Fícus cárica (Moraceae) Feige 88 H nucarios Júglans régia (Juglandaceae) Echter Walnussbaum 89a H ceresarios Prúnus ávium (Rosaceae) Süßkirsche 89b Hceresarios Prúnus cérasus (Rosaceae) Sauerkirsche 55
2. Pflanzen aus der Sicht ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit
Apfelsorten: 74a gozmaringa Gosmaringer 74b geroldinga Geroldinger 74c crevedella „Krevedellen“ 74d sperauca „Speieräpfel“
Dieses sehr umfangreiche Verzeichnis von rund 90 Gewächsen, in dem allerdings der Wermut fehlt, kann man wohl nur als Maximalanregung verstehen, denn nicht überall im Karolingerreich konnte man Bitterorangen, Maronen (Castánea satíva), Mandeln, Pinien, Lorbeer und Feigen ziehen. Umgekehrt ist es auch nicht recht glaubhaft, dass man auf einer südfranzösischen Domäne Apfelsorten gezogen habe, die gozmaringa und geroldinga hießen. Auffällig in vielen mittelalterlichen Obstbaumlisten ist das Fehlen der Aprikose oder Marille (Prúnus armeníaca), obwohl diese Frucht wie der Pfirsich seit der Römerzeit durchaus, zumindest im Süden, gepflanzt wurde und dasselbe Recht hätte, auf der Liste zu stehen, wie dieser. Die Erklärung dürfte darin liegen, dass zwischen diesen beiden Steinfrüchten seltsamerweise oft nicht unterschieden wurde. Rätselhaft ist mir auch, wie in obiger Liste der Birnbaum fehlen kann. Der St. Galler Klosterplan (Abb. 3) zeigt, wie erwähnt, zwei Gärten für krautige Pflanzen und einen Obstgarten, der mit dem Friedhof identisch ist. Im nordöstlichsten Winkel der ganzen Anlage befindet sich der kleinere Kräutergarten (herbularius) mit zwei Reihen von Beeten, die ein Quadrat bilden, das an den vier Seiten wieder von Beeten eingefasst wird. Man begrenzte wohl die Beete durch Steine, Bretter – wie Walahfrid (46–48) – oder ein Ziegelmäuerchen, wie das später oft auf Gartenbildern zu sehen ist (Hennebo, 1987, 174f.). Nach Westen zu schloss sich das Haus des Arztes und Apothekers und danach die „Chirurgische Abteilung“ an. In den Umfassungsbeeten wuchsen (im Uhrzeigersinn): fasiolo (eine „Bohnen“-Art; s. S. 68), Saturei, Minze, Rosmarin, Frauenminze (Costus), Bockshornklee, Lilie und Rose. In den acht inneren Beeten des herbularius finden 56
nutzpflanzen von der Karolingerzeit bis hildegard von Bingen
3: St. Galler Klosterplan (ca. 800). Im Nordosten (links, ganz oben) die Beete des Medizinalgartens, im Südosten die Gemüsebeete. Daran nördlich anschließend der Friedhof mit Zentralkreuz, der zugleich Obstgarten ist. Im Kreuzgang bezeichnet das X-Zeichen den Sebenbaum.
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2. Pflanzen aus der Sicht ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit
sich: Salbei, Raute, Schwertlilie (gladiola), Polei-Minze sowie Krauseminze (sisimbrium), Kreuz-Kümmel, Liebstöckel und Fenchel. Vor dem südöstlichen „Gemüsegarten“ mit seinen 18 Beeten in zwei Reihen liegt nach Westen zu das Haus des Gärtners. Die zwei mal neun Beete enthielten von West nach Ost: Zwiebel, Porree, Sellerie, Koriander, Dille, Mohn (papaver), Rettich, Feldmohn (magones), betas (als Mangold oder in Rübenform?) und Knoblauch, Schalotten, Petersilie, Kerbel, Lattichsalat, Saturei, Pastinak oder Möhren, Kohl, SchwarzKümmel. Auffällig ist, dass die sonst so wichtige Speise- oder Halmrübe fehlt. Dass man in St. Gallen den Toten- und den Obstgarten in eins setzte, entbehrte wohl nicht des christlichen Tiefsinns. Doch es war bereits bei den Römern üblich, die Aschenurnen der Toten im Garten aufzustellen. Nach christlicher Vorstellung ist das Kreuz Christi, das sich hier in der Mitte des Friedhofs befand, selbst ein Baum (s. unten S. 250). In der Neuzeit hätte man sich daran gestoßen, etwa Äpfel zu essen, die auf einem Friedhof gewachsen waren (Geiger, in: HDA s. v. Friedhofpflanzen). Zwischen den Gräbern reiften also: Apfel, Birne, Pflaume, „Pinie“ (?), Speierling, Mispel, Lorbeer, Kastanie, Feige, Quitte, Pfirsich, Haselnuss, Mandel, Maulbeere und Walnuss. Ob mit der „Pinie“ die allerdings langsam wachsende Zirbe (Pínus cémbra) mit ihren essbaren Samenkernen gemeint war? Ein Vergleich zwischen dem Capitulare und der bei Hildegard erwähnten Gartenflora zeigt, dass sich sehr viel aus dem Capitulare auch im Gesichtskreis der Heiligen findet. So kennt sie über 70 Prozent der krautigen Pflanzen und mehr Baumarten als das Capitulare, wo ihr zwar Bitterorange und „Pinie“ fehlen, sie jedoch den Birnbaum und mehrere Sorten von Pflaumen aufzählt. Bei den Gewürzkräutern, den Heil- und Gemüsepflanzen fehlen bei ihr erstaunlicherweise Anis, Engelwurz, Estragon, Halmrübe, Mangold, Rosmarin und SchwarzKümmel. Dafür finden sich in ihrem Garten folgende Gewächse, deren Anbau das Capitulare nicht angeordnet hatte: Acker-Minze, Alant, Basilikum, Beifuß, Betonie, Dost (Oríganum), Feigwurz, Garten-Kresse, Huflattich, Kardone (?; s. S. 46), Krauseminze (?), Linse, Meerrettich (Kren), Melisse, Nachtschatten, Odermennig, Osterlu58
nutzpflanzen vorwiegend bei konrad megenberg und hildegard
zei, Päonie, Pfefferkraut, Portulak, Schöllkraut, Thymian, Wacholder, Weiße Lupine,Wermut, Ysop und vielleicht die Zuckerwurzel (Síum sisárum; doch s. unten S. 177). Ganz abgekommen dürfte die bei Marcus Porcius Cato (de re rustica, 161) ausführlich beschriebene Spargelkultur sein, obwohl Plinius (n. h. 19, 42, 145; vgl. XVI, 67, 173) erwähnt, dass in der Germania Superior massenhaft wilder Spargel gewachsen sei. Jedenfalls taucht das Wort spargel für asparagus erst in spätmittelalterlichen Glossaren und in Oesterreichers Columella-Übersetzung (245) auf. Das ist freilich nicht der gesamte Pflanzenbestand, den Hildegard kennt. Außer ausländischen Heilpflanzen zählt sie noch 68 krautige Wildpflanzen und 26 Bäume (bzw. Sträucher) auf, wobei sie die Bäume kurioserweise mit menschlichen Charaktereigenschaften und geistigen Leistungen wie „List“ oder „Scherz“ assoziiert.
nutZPflanZEn VorwIEgEnd bEI konrad Von mEgEnbErg und hIldEgard Im Folgenden soll die Nützlichkeit der Pflanzen aus der Sicht des Liber de natura rerum des Thomas von Cantimpré in der deutschen Bearbeitung durch Konrad von Megenberg als BN dargestellt werden. Die Reichhaltigkeit und die lexikalische Anlage dieser Texte scheint mir eine gewisse Vollständigkeit und Übersichtlichkeit zu verbürgen, insbesondere wenn ich sie um die Mitteilungen der Hildegard von Bingen, die in mancher Hinsicht systematischer als Konrad vorgeht, erweitere. Wenn die Heilige auch keine vergleichbare „Vorlage“ hatte und überhaupt – schon durch die frühere Abfassungszeit bedingt – weniger Orientalisch-Mediterranes bietet, so macht sie dies dadurch wett, dass sie stärker die bodenständigen Arten ihrer Heimat im Schiefergebiet des Hunsrück einbezieht. Ich folge nun dem oben (s. S. 18) angekündigten Verfahren, wobei ich, soweit angegeben, die Primärqualitäten anführen werde. Darauf sollen besonders kulturwissenschaftlich relevante Angaben folgen. In den Verweisen auf Hildegards Physica (z. B. 105/38) bedeutet die erste 59
2. Pflanzen aus der Sicht ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit
Zahl die Position der Pflanze in der durchlaufenden Nummerierung, die zweite Zahl die Seite in der Übersetzung Riethes. Das gilt auch für die Bäume, nur dass der laufenden Baumnummer ein B vorgesetzt ist. Allerdings werde ich die Nutzpflanzen insofern thematisch gliedern, als ich deren Verwendung im Bereich der magia naturalis im weiteren Sinn als pharmazeutische Substanzen und im engeren Sinn der magia diabolica (Birkhan, 2010, 33–36, 52–69, 78–85) sowie die Gewürzpflanzen, die immer auch als Heilpflanzen magische Bedeutung haben, zunächst zurückstelle, um sie im folgenden Kapitel zu behandeln, während ich in diesem Abschnitt einen Überblick über „Nutzpflanzen im engeren Sinn“ versuchen möchte. Dabei liegt die Entscheidung, ob eine Pflanze „Nutzpflanze im engeren Sinn“ sei, hauptsächlich in meiner Interpretation, ob etwa der Ernährungs- oder der Heilwert im Vordergrund steht, denn wie seine Vorlage führen Konrad und natürlich ebenso schon Hildegard z. B. die Getreide als magische Medizinalpflanzen auf. Der reine Küchenwert und schon gar Genusswert einer Pflanze wird selten erwähnt und war vielleicht mit dem „wissenschaftlichen“ Anspruch des BN und der Physica nicht zu vereinen. Wenn Küchenpflanzen zitiert werden, dann fast immer im Zusammenhang mit den Primärqualitäten, mit deren Hilfe sie auf das Temperament des Speisenden abzustimmen waren.
gEtrEIdE Der Megenberger unterscheidet (436f.) unter frumentum ‚Getreide‘ Roggen, rokken (Secále cereále), Weizen, waizen (Tríticum aestívum) und Dinkel, tinchl (Tríticum spélta) und erwähnt später noch (447f.) (h)ordeum als Gerste, gerst (Hórdeum dístichon), nicht hingegen den Hafer (Avéna satíva). Dabei gelten ihm die ersten drei Mehlsorten als dem Gerstenmehl überlegen, wobei waize und tinkl höher eingestuft werden als Roggen. Der Grund für die Bevorzugung der drei Getreidesorten liegt in der geleichnüss, die sie habent mit menschleicher art, gemeint ist vielleicht im Brot des Altarsakraments. Im Übrigen glaubte man, dass ausgesäter Roggen im zweiten oder dritten Jahr sich 60
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in Weizen verwandle, der sich dann in Dinkel und auch wieder in Roggen rückverwandeln könne (Balss, 1947, 111). Das zu melw gemahlene Getreide konnte noch gepäutelt ‚gesiebt‘ werden, war aber „ungebeutelt“ bekömmlicher. Das feinste Weizenmehl nannte man semel und danach auch das daraus hergestellte Gebäck, das höchsten Prestigewert besaß. Später hieß dieses besondere Mehl Kraftmehl. Es sollte die geballte Kraft des Weizens enthalten und wird daher auch mit amylum ‚Stärke‘ gleichgesetzt. Manche Verwendung des Brotes ist für uns heute erstaunlich, so wenn man daraus mit Mutter-Kümmel, Wacholder, Ingwer und Muskat eine Art „Wurst“ erzeugte (Wiswe, 1970, 135). Ein uns heute wenig ansprechendes Gericht, zugleich Armeleuteund Bauern-Essen, war wohl die Geislitze, mhd. gîselitze, gîsliz, die im „Meier Helmbrecht“ (73) der Herrenspeise eines gekochten Huhns gegenübergestellt wird. Noch im 19. Jahrhundert aß man in Tirol und Kärnten den geisliz, eine Art Polenta aus Hafermehl. Das Gericht stammt wohl von den Slawen, wo es in tschech. kyselice ‚Obstmus‘, russ. kisely ‚Säuerlicher Mehlbrei‘ deutliche Gegenstücke hat. Von der geringer geachteten Gerste sagt Konrad, dass sie seiner Meinung nach weniger Nährwert habe als Roggen, der eher mit Weizen vergleichbar sei. Aus medizinischer Sicht eignet sich in Öl gelegtes Brot gut zum Auflegen über den Biss eines tollwütigen Hundes, während das Gerstenwasser (lat. ptisana) wegen seiner kühlenden Wirkung nicht zu verachten sei. Bei Hildegard steht gleichfalls der warme Weizen (1/17) neben dem warmen Dinkel (spelta; 5/18) qualitativ an erster Stelle. Besonderes Interesse widmet sie den „verschleimten“ Getreidekörnern, etwa beim Weizen: „Wer […] wegen Mangel an Gehirn und an Verrücktheit leidet, dem soll man die ganzen, in Wasser gekochten Weizenkörner als warmen Umschlag um den Kopf legen, wodurch das Gehirn vermehrt und gekräftigt wird“ (Physica, 17). Der Roggen (siligo) ist etwas kälter als der Weizen, aber dem Gesunden und dem Korpulenten (der bei Roggenkost abnimmt) immer noch sehr bekömmlich (2/17). Auch der warme Hafer (3/17) kommt bei Hildegard zu seinem Recht. Er ist eine vorzügliche, gesunde Speise, bewirkt einen heiteren Geist, einen reinen, hellen Verstand, gute Farbe und 61
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gesundes Fleisch. Man braut aus ihm Bier, das man mit Hopfen und Eschenblättern haltbar macht (F-B, 204). Die kalte Gerste (hordeum) ist weder Gesunden noch Kranken zuträglich, es sei denn Gerstenabsud als Bad bei völlig Siechen und bei Kranken, die für Brotgenuss zu schwach sind, als Hafer-Gerste-Mischgetränk mit etwas Fenchel (4/17f.). Eine weitere Getreideart ist die Hirse, gergrues, hirs, wobei der gemeine hirs, die Rispenhirse (bei Konrad und Hildegard milium, heute botanisch Panícum miliáceum) dem venich, der Kolben- oder Mohrenhirse (bei Konrad panicum, fenich, bei Hildegard venich, heute Sórghum bícolor), gegenübergestellt wird (BN, 437). Beide Hirsearten – nach der Äbtissin (9,10/18 und nochmals 193/53) kalt – waren wenig angesehen; man denke an den Hirsebrei(n), durch den man sich ins Schlaraffenland durchessen muss. Dachte man an einen Berg aus Griesbrei (frz. semoule, it. dialektal símele), so ergab sich der Name des Simeliberges (KHM 142), der allerdings dann in der Neuzeit dem Sesam-Berg in „Tausendundeiner Nacht“ angeglichen wurde. Freilich bereitete man auch aus Gersten- und Hafermehl Brei zu. Er war viele Jahrhunderte lang keineswegs nur bäuerliches Essen, sondern ein Volksnahrungsmittel, das man auch in der Stadt verzehrte. Dieser konnte übrigens auch gesalzen und geschmalzen sein. Der Spruchdichter Freidank stellte fest, dass ein Tor, hat er nur seinen Brei, sich keinen Pfifferling um die Reichspolitik schert: swenne ein tôre brîen hât, son ruochet er, wie daz rîche stât (83,27f.) Hirsekörner machen nach Konrad schlechtes Blut, sind schwer verdaulich und erzeugen den Aussatz (!). Wenn aber jemanden der Magen (muossack ‚Mus-Sack‘) schmerzt, als ob Stichlinge (!) darin wären, der soll Hirse dünsten und in einem Hafen an den Bauch halten. So vergeht der Schmerz. Das aus dem Mittelmeerraum importierte Luxusgetreide Reis, risum (Óryza satíva; h-t; BN, 454) fördert, in Mandelmilch gekocht, die Verdauung, in Wasser gekocht verstärkt es die „Feuchtigkeit“ im Körper und damit leider auch den samen 62
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der vnchausch. Der zu den Knöterichgewächsen gehörende Buchweizen (Fagopýrum esculéntum) tritt erst 1396 in Nürnberg auf und weist durch die Bezeichnung als heidenkorn auf seine asiatische Herkunft (Wiswe, 1970, 106). Erwähnt sei auch der Schwaden (Schwadengras, Mannagras, Himmelstau oder Bluthirse; Glycéria flúitans), eine Süßgrasart, die in Feuchtgebieten wächst und besonders von den Armen verzehrt wurde. Er galt vor allem als eine Spezialität Böhmens und Polens (Balss, 1947, 163f.), wo man ihn als manna polonicum ‚polnisches Manna‘ gelegentlich sogar dem Reis vorzog. Man wird sich vielleicht wundern, dass die Verwendung des Getreides zur Bierbereitung nicht zur Sprache kam. Das ist in der Tat merkwürdig, erklärt sich aber aus der meist sklavischen Abhängigkeit des Magisters von seiner Quelle, denn Thomas sagte (1999, 107): „‚Weine‘ aus Getreide und Gerste sind unverdaulich und unverträglich, da sie böse Dämpfe und Feuchtigkeiten erzeugen, Leber und Milz verstopfen und den Nierenstein hervorbringen.“ Diesen Satz übersetzt Konrad fast wörtlich (352). Woher die seltsame Anschauung stammt, ist mir nicht klar, denn bei Isidor (XX, 3, 17) heißt es nur, dass cervisia ‚Bier‘ nach Ceres benannt sei, aus deren Früchten es bereitet wird. Allerdings hat der Megenberger schon zuvor bei der Besprechung des Gagelstrauchs (362f.; s. unten S. 123) dessen Verwendung als Bierwürze erwähnt.
gEmüsE Mit diesem muss ich mich etwas ausführlicher beschäftigen. Ganz allgemein gilt wohl, dass das Gemüse nicht unzerkleinert oder gar al dente zubereitet wurde, sondern – wie die sprachliche Kollektivbildung gemües ja sagt – weichgekocht und im Mörser zu „Mus“ zermanscht auf den Tisch kam. Gemües, gemüsz war alles Breiartige, konnte also auch angerührtes Mehl (Wiswe, 1970, 138, 207) und zerstoßenes Fleisch bezeichnen. Das muos war das Um und Auf der mittelalterlichen Ernährung, ja es hat sogar das Kirchenwort gr. elemosýne bei der Entlehnung zu ahd. alamuosan, mhd. almuosen ‚Almo63
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sen‘ beeinflusst. Aus den oft aus klösterlichem Umfeld stammenden Kochbüchern gewinnt man den Eindruck, dass sie vor allem Speisen für Zahnlose – eben Muse – enthalten. Allerdings bestand auch die Auffassung, dass Mus und Brei den Magen zu sehr „verschleimen“ (so im Märe „Der Schlegel“, 134f.) und daher nicht zuträglich seien. Man kann dem BN als Archaismus entnehmen, dass fallweise gesüßte Eicheln gegessen wurden (343), und aus Isidor (XVII, 7, 26) beziehen Thomas (1999, 100) und Konrad (355) die Nachricht, dass die Menschen einst vor dem Aufkommen des Getreides die Eicheln vom eilpaum, der mediterranen Stecheiche (Quércus ílex), wiedergekäut hätten, wie auch heute wieder mancherorts die Eicheln von Quércus ílex ballóta, etwa auf Mallorca, gegessen werden. Bei Béroul liebt Tristan Iseult so sehr, dass er ihr zuliebe bereit wäre, von Kräutern und Eicheln zu leben (Béroul, 1405). Auch die Buchenblätter wurden – übrigens auch wieder im Ersten Weltkrieg – als Speise verwendet: wenn si dannoch iunck sint, so machent arm l#ut můs (‚Mus‘) dar auz vnd siedent si sam ein chraut (353; ähnlich schon Albert, s. Balss, 1947, 125). So viel zu den archaischen Speisegewohnheiten und der Küche der Armen. Der Renaissancearzt Joachim Strupp von Gelnhausen hat in seiner Monographie Sitopotiamatechnía … Anchora famis, sitis valetudinisque mortalium (etwa ‚Speis-Trank-Lehre … eine Ankerstätte des Hungers, Dursts und der Gesundheit der Sterblichen‘), Frankfurt/M. 1574, eine große Auswahl an solchen „Ersatzspeisen“ etwa aus Baumrinde und Tannenzapfen aufgezählt (Wiswe, 1970, 77). Die Wild-Beete (Béta vulgáris subsp. marítima), die heute noch an der Mittelmeer- und Atlantikküste im Sand zu finden ist, wurde schon in der Antike in Zuchtformen kultiviert: als Rote Rübe, Rote Beete (Béta vulgáris subsp. vulgáris var. conditíva), als Runkelrübe (B. v. subsp. v. var. crássa) und als Mangold (B. v. subsp. v. var. vulgáris), von dem es wieder einen Stielmangold und einen Blattmangold gab und gibt. Konrad (421) erwähnt die biezen (< bēta) ‚Rüben‘ nicht, preist jedoch das piezenkraut oder mangolt mit grünen und roten Blättern. Mit Petersil oder Senf-Rauke (s. unten S. 162) gekocht, ist dieses Kraut (k2-f2) sehr gesund. Isidor, dem zu dem Pflanzennamen par64
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tout nichts einfallen wollte (XVII, 10, 15), weiß nur, dass „Beta bei den Griechen ein Buchstabe, bei uns ein Gemüse ist“, kennt aber noch einen blitus, den auch Konrad nennt und der eine minderwertigere Beetenart sein soll. Wer von einem niederländischen Hof stammte, wo Beeten angebaut wurden, konnte dann van Beethoven heißen. Wie Beete baute man als eine Art Spinat malten, die Garten-Melde (Atríplex horténsis), schon seit der Römerzeit in Mitteleuropa an. Sie hat es in jüngerer Vergangenheit zur „Gartenpflanze des Jahres 2000“ gebracht, ein gutes Beispiel für den heute modischen Rückgriff auf alte Gemüsesorten. Nach dem Megenberger kocht man die Melde auf dem Land mit Fleisch (418), nach Hildegard (104/38) erleichtert sie die Verdauung. Dass man Melde besser nicht in einem irdenen Topf vergraben sollte, habe ich oben zur Warnung des Lesers schon erwähnt (s. S. 128). Unser durch die Kreuzzüge bekannt gewordener Spinat (Spinácia olerácea) taucht zuerst bei Albertus auf (Balss, 1947, 131). Das Blaukraut oder ch=l chravt (Brássica olerácea subspec. capitáta var. rúbra L.) hält Magister Konrad für eher ungesund und blähend, wenn man nicht das erste Kochwasser abgießt und das Kraut mit fettem Fleisch weiterkocht (427). Blaukraut macht die Zunge trocken, die Stimme klar, im Übrigen schläfrig, bewahrt aber vor Trunkenheit. Weißkraut (Kopfkohl; B. o.subspec. c. var. álba) meinte Hildegard wohl mit kappus, nhd. Kabiß (< lat. caput ‚Kopf‘ oder ein slawisches Lehnwort). Schon der alte Cato hatte (de re rustica, 156f.) den Gesundheitswert des Weißkrauts (brassica) in den höchsten Tönen gepriesen. Ähnlich der Rübe war auch das Kraut, das man abgekocht mit Salz als kumpost konservierte, eines der wichtigsten Volksnahrungsmittel. Ganz geläufige Varianten dieser Art waren der Kohl, caulis (mhd. kôl; Brássica olerácea) mit dem kompakten und der oberitalienische Wirsingkohl, Grünkohl, Braunkohl oder Krauskohl (mhd. wirsinc; B. o. subspec. sabáuda) mit dem lockeren Kopf. Hildegard unterscheidet rubeae caules, also Blaukraut, von kochkole, weydenkole und wendelkoel, ohne dass für uns heute die Unterschiede festzumachen wären. All diese Arten von kole (84/34) seien freilich ungesund und besonders fetten Menschen gefährlich (F-B, 205). Im Aberglauben spielt der Kohl eine große Rolle (HDA s. v. Kohl). 65
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Beim Rettich, rtich (Ráphanus) besteht die Unklarheit, dass ihn manche auch radix ‚Wurzel‘ nennen (woraus unser Rettich entstand), obgleich zunächst damit wohl der Acker-Rettich (Ráphanus raphanístrum), der keine auffällige Wurzel hat, gemeint war, mit radix hingegen der auf die große Wurzel hin gezüchtete Garten-Rettich (Ráphanus satívus). Konrad (453f.) glaubt jedoch, dass unter radix der Meerrettich, merreteich oder Kren, chren (Armorácia rusticána) gemeint ist, der allerdings zu einer anderen Gattung gehört. Hildegard erwähnt bemerkenswerterweise die Wurzel des merrich gar nicht, sondern empfiehlt nur den Genuss der jungen grünen Blätter im März (119/41). Rettichgenuss ist nicht unbedenklich: er entsleuzzt die wint und macht vil wFrmel (gemeint sind Läuse!) an den lawten und schadet dem Kopf, dem Rachen, den Zähnen, den Augen. Nach dem Essen hilft er jedoch, das Genossene hinabzudrücken. Die Äbtissin hat die leichter nachvollziehbare Auffassung, dass der eher warme retig das Gehirn reinige. Wie heute noch manche Frauen bereitete auch sie aus Rettich mit Honig ein schleimlösendes Mittel zu. Im Übrigen empfiehlt sie nach Rettich Galgant zu essen, um den üblen Mundgeruch zu unterdrücken (88/35). Was die Kartoffel heute ist, war die Halmrübe, Steckrübe, Stoppelrübe, ruop (Brássica rápa subsp. rápa) im Mittelalter. Angesichts ihrer Bekanntheit lässt es denn der Magister (454) mit vier Zeilen bewenden, in denen er nur empfiehlt, das Kochwasser abzugießen. Auch Hildegard begnügt sich mit wenigen Zeilen, in denen sie rät, die Rüben zu schälen (88/35). Aus der Schilderung des bäuerlichen Lebens etwa in Heinrich Wittenwilers groteskem Lehrwerk „Der Ring“ kann man die große Bedeutung dieses Volksnahrungsmittels vor allem in bäuerlichen Kreisen ersehen. Aber auch vom Kloster galt der Satz: „Vertut der Abt den Besitz, so hat der Mönch keine Rübe“ (Teufelsnetz, 4662f.). Die „Altdeutsche Genesis“ (1170–1178) weiß, dass ganz am Beginn der Landwirtschaft Kain Hirse und Rüben angebaut habe. Um jemanden als „Bauer“ zu diffamieren, genügt es in mittelalterlichen Texten, ihn irgendwie mit Rüben zusammenzubringen, etwa indem man wie Wittenwiler von einem Tölpel sagt: „dem der Bauch 66
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selten leer von Rüben war“ (1057). Eine der hübschesten Rübengeschichten erzählt nicht ohne Tiefsinn der mlat. Rapularius: Ein armer Bauer findet auf seinem Feld eine Riesenrübe, die einen ganzen Wagen füllt. Er schenkt sie als Kuriosität dem König und erhält dafür reiche Gaben, die ihm sein wohlhabender Bruder neidet. Dieser schickt nun dem König seinerseits reiche Geschenke und erhält als Gegengabe – die große Rübe. Die Rüben wurden gekocht, mit Speck gebraten oder auch blanchiert mit Essig und Salz konserviert, was man ruobenkumpost nannte, also eigentlich „angesetzte Rüben“. Nicht selten wurden hier auch „Kraut und Rüben“ gemischt. Der Rübsame oder Rübsen, mhd. ruobesame (Brássica rápa), der als Futterpflanze diente und aus dem man ruobsât-öl gewann, ist die Ur- und Vorform dieser Speiserübe. Er wurde auch zur Ölpflanze Raps (Brássica nápus) weitergezüchtet, was aber bereits vor der Römerzeit im Nahen Osten geschehen ist. In Mitteleuropa baute man Raps erst seit dem 14. Jahrhundert. Viel exquisiter ist der als Salat verzehrte Portulak, mhd. purzel, p=rtel chraut (Portuláca olerácea; k2-f3), der hitzigen Personen empfohlen und nicht nur in Paris, wie der weitgereiste Magister (451) sagt, sondern auch laut Parzival (551, 20) in der Burg eines Fährmanns verzehrt wurde: Von einer gebratenen Lerche und einem Salat aus Portulak und Lattich in einer Sauce vinaigrette konnte allerdings ein Ritter wie Gawan schwerlich satt werden. Nach Hildegard (74/33) „verschleimt“ der kalte burtel und ist daher nicht zu empfehlen. Als weitere Salatpflanze kam Lattich, lactuken chraut, nach dem Milchsaft (lac) benannt (Lactúca satíva), den man möglichst mit Sellerie (apium) genießen sollte, um seine Kälte zu mindern (415), infrage, von dem der Megenberger behauptet, er sei so gesund, dass er ein von einer Schlange gebissenes Tier wieder zum Leben erwecken könne (439). Die Äbtissin empfiehlt, die Kälte des Lattich durch Einbeizen mit Dille, Essig oder Knoblauch zu mildern (90/35; zu anderen Lattichen s. S. 135). Als Salat und Gemüse diente auch die im BN (428) als sunnen werbel, ringel chravt, solsequium, sponsa solis ‚Sonnenbraut‘ bezeichnete, auch im Capitulare angeführte Zichorie, Endivie oder Wegwarte 67
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(Cichórium íntybus), von der die Sage umlief, sie sei eine verwandelte Frau, die auf ihren Liebsten warte (Vintler, 7838-40; B-P I, 502f.). Konrad kennt übrigens eine blau- und eine gelb blühende Form der „Sonnenbraut“. Bei letzterer könnte es sich um die Ringelblume (Caléndula officinális) handeln, die man im Sinne des Geschlechtsdimorphismus vielleicht als männlichen Partner der Wegwarte ansah (?), doch könnte auch eine nahe verwandte Schwarzwurzel-Art (Scorzonéra) gemeint sein, freilich nicht unsere Garten-Schwarzwurzel (Scorzonéra hispánica), weil diese erst im 17. Jahrhundert in Mitteleuropa erscheint. Eine dieser Pflanzen meinte wohl auch Hildegard (60/29) mit ihrem sunnewirbel (h-f; Fischer, 1929, 263f.). Sie bringt stattliches Aussehen und ist in einer Wein-Honig-Zubereitung vor allem bei Brustschmerzen und Heiserkeit angebracht. Neben Getreide und Rüben waren wohl die Hülsenfrüchte das wichtigste Nahrungsmittel, von denen man sieben Arten unterschied. Schon im Capitulare de villis finden wir zwei in der romanischen Umgangssprache als fasiolum bezeichnete „Bohnen“-Sorten. Es handelt sich dabei nicht um die uns heute geläufigen Fisolen oder Gartenbohnen (Phaséolus vulgáris), die wir als Weiße Bohnen, Wachtelbohnen, Feuerbohnen, Käferbohnen, Nierenbohnen, Schwarze Bohnen, Buschbohnen und Stangenbohnen kennen und die allesamt aus Amerika stammen und durch Katharina von Medici (1519–1589) zunächst in Frankreich heimisch wurden. Man zog vielmehr die heute bei uns nicht mehr angebaute Helmbohne oder Lablab ([Dólichos] Láblab purpúrea), die Hildegard wisela (für fasiolus) oder erve (für arweiz ‚Erbsen‘) zu nennen scheint (191/53), ferner wohl die heute noch angebotene Augenbohne (Vígna unguiculáta), die Konrad fasœln nennt, sowie die Puffbohne, Saubohne, Pferdebohne oder Dicke Bohne (Vícia fába), eine Wickenart (wicken bei Konrad), die neuerdings durch die Migrantinnen aus Südost wieder mehr in das Blickfeld rückt. Diese Saubohne wurde bei uns seit der Hallstattzeit als wichtigste Hülsenfrucht angebaut. Sie verträgt feuchten Boden. Eine der Norddeutschland vorgelagerten friesischen Inseln hieß nach ihrem Bohnenanbau Baunonia (Plin. n. h. IV, 94). In der Antike aus religiösen 68
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Gründen für manche Personen tabu, war sie im Mittelalter eines der bedeutendsten Volksnahrungsmittel und wurde erst in der Neuzeit durch die amerikanischen Gartenbohnen verdrängt. Immer ist die Saubohne gemeint, wenn in alten Texten von „Bohnen“ die Rede ist, so auch beim Megenberger (436) und bei Hildegard, die sie immerhin warm nennt und über die Erbse stellt (7/18). Sie war so üblich, dass sie zum Inbegriff des Wertlosen wurde: Etwas war nicht einmal eine (oder drei) Bohne(n) wert. Sie galt auch als Inbegriff der Dummheit, wie man heute noch jemanden „dumm wie Bohnenstroh“ nennt. Zu den Dreikönigs- und Fastnachtsbräuchen gehörte die Institution des „Bohnenkönigs“, jenes, der in einem Brot eine eingebackene Bohne gefunden hatte und als eine Art Narrenkönig das dumme oder derbaggressive „Bohnenlied“ singen musste usw. Aus den Niederlanden ist uns ein Festgedicht auf die Bohnenkönigswahl der „Gilde van den Witten Beer“ (Brügge 1392) überliefert, in dem ein gewisser Jan van Gruthuse als ghecoroneert bi den ghelucke van der bone angeredet wird. Wegen ihrer Ähnlichkeit mit dem weiblichen Genitale galten Bohnen oft als anzüglich. Dazu kam, dass sie leicht wurmig waren, wenn die Raupen des Bohnenkäfers, die gurguliones, in ihnen hausten, sodass Walther sagte (17,25ff.), „Frau Bohne“, ein rechter Fastenfraß (vastenkiuwe), sei allzeit „faul“ und voll Käfer (wibel), wogegen der „Halm“ unsere ganze Hochachtung verdiene. Vorsicht: Werden Hühner mit Bohnen gefüttert, so legen sie keine Eier, wie Konrad lehrt. Von geringerer Bedeutung dürfte in unserem Raum die Weiße Lupine oder Wolfsbohne, bei Hildegard die kalte vigbona ‚Viehbohne‘ (Lupínus álbus), gewesen sein, deren Verwendung bei „Schwäche der Eingeweide“ sie in einer Mixtur aus Bröseln, Fenchelsamen und Liebstöckelsaft bezeugt (189/52). Geläufiger waren Erbsen, erweiz (Pisum sativum), eine in die Jungsteinzeit zurückreichende Kulturpflanze, die auch im Mittelalter überall präsent war, wenn auch die Heilige der „kalten“ Hülsenfrucht, die die Lunge „dämpft“, wenig Sympathie entgegenbringt. In den Fastenzeiten stellte man aus pürierten Erbsen mit Eiern gerne eine Art Fleischersatz her, den man sogar am Spieß briet (Birkhan/Jarmer, 2004, 58). Im späteren Aberglauben hat die Erbse eine 69
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große Bedeutung (HDA s. v. Erbse). Konrad (422f.) erwähnt die Erbsen als etwa gleichwertig zusammen mit den ausführlicher besprochenen Kichererbsen, chicher chraut, zisern (Cícer arietínum), die es in einer hellen und dunklen Variante gibt und deren erstaunliche Heilkraft genauer erörtert wird. Hildegard nennt die Kichererbse ein warmes, süßes und leichtes Nahrungsmittel. Bei Fieber soll man sie über glühenden Kohlen braten (190/52). Auch die Kichererbsen sind heute wieder in Mode, z. B. bilden sie einen integrierenden Bestandteil der „Falafel“. Auch die Linse (Léns culináris) – gemeint ist nur die braungrüne Tellerlinse – war eine im Mittelalter sehr beliebte Hülsenfrucht, die eben auch wieder das Minderwertige schlechthin bezeichnen konnte. Auch Hildegard sieht in der kalten Linse nur Nachteiliges (8/18). Zusammen mit Hanf und Bohnen bildete sie eine klassische Fastenspeise. Etwas verwirrend ist die Geschichte der Cucurbitaceae in Mittelalter. Das, was wir gewöhnlich als Kürbis bezeichnen, stammt entweder aus Fernost oder der Neuen Welt. Von den wegen ihrer Früchte wichtigen Kürbisgewächsen spielten nur drei Gattungen eine Rolle: Cucumis, Citrullus und Lagenaria. Zur Gattung Cucumis gehören die Zuckermelone (Cúcumis mélo) und die Gurke (Cúcumis satívus), die der Antike ganz geläufig waren, noch im Capitulare de villis erscheinen, von Albertus gerade noch erwähnt werden, im fortschreitenden Mittelalter aber mehr oder minder in Vergessenheit geraten und erst ab dem 15. Jahrhundert wieder auftauchen, was speziell bei der Gurke besonders auffällig ist (Birkhan, 2012). Sie spielt in der Küche des Hohen Mittelalters in Mitteleuropa keine Rolle. In der Gattung Citrullus finden sich die Wassermelone (Citrúllus lanátus) und die Bittermelone, Teufelsapfel, Koloquinte (Citrúllus colocýnthis). Während die Kenntnis der Wassermelone vor dem 15. Jahrhundert nicht ganz sicher ist, war die Koloquinte schon in der Antike und das ganze Mittelalter hindurch bekannt. Konrad führt sie unter den Gewürzsträuchern als coloquintida oder allexandrinischer chFrbiz (396) an, der nur medizinisch verwendbar sei. Unter den Kräutern erwähnt er später einen erdapfel oder citrullus (424). Dieser gleicht den Zuckermelonen, die hier als pepones oder pf(dem neu eingeführt werden, ist aber im Ge70
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gensatz zu diesen nicht gelb, sondern grün. Er ist ungesund, bringt aber durch den Geruch Ohnmächtige zu Bewusstsein und löscht den Durst. Es ist möglich, dass Konrad damit die Wassermelone meinte, wie auch Schulz (1897, 335) annahm. Zur Gattung Lagenaria gehört die dritte vom Megenberger (426f.) erwähnte Cucurbitacea, der Flaschenkürbis (Lagenária sicerária), den die Römer cucurbita nannten und der seit der Antike auch in Mitteleuropa bekannt war und viel gezogen wurde. Sein Saft stand vor allem bei den Ärzten Salernos hoch im Kurs (Wiswe, 1970, 71). Walahfrid, der die Pflanze am Spalier zieht (143–151), erwähnt, dass man aus ihren Früchten Gefäße und Krüge herstellte. Diese Kalebassen werden in der mittelalterlichen Ikonografie gerne zu Attributen von Reisenden, besonders Pilgern (LCK, 196). Schon Columella wusste, dass eine Frau kein Kürbisbeet betreten sollte. Insbesondere wenn sie die Regel hat, „tötet sie durch ihren Blick“ die junge Frucht (Oesterreicher, 256). Nach Hildegard wächst der kurbes (k-t) „von der Luft“ und kann unbedenklich von Gesunden und Kranken verzehrt werden (87/35). Der Magister nennt ihn chFrwiz und kennt eine ganze Anzahl medizinischer Anwendungen. Diese Pflanze ist eine der wenigen ernährungsorientierten Nutzpflanzen, die den Megenberger zu einem allegorischen Aufschwung inspirierten. Ausgehend von der von Michael Scottus berichteten Beobachtung, dass die Lagenaria nachts blühe, tagsüber aber ihre Blüten verschließe, sagt der fromme Gelehrte (427): „Weh und oweh, wir armen Sünder, wie verzehren wir unsere Blüte und unsere Kraft in der Finsternis und Bosheit, und im Licht guter Werke ziehen wir uns zurück und so werden wir in unserem Tod und Verfall dürr! Ach und aber ach und weh, ich armer Kürbis, wie lang hat mich doch die Welt in die Finsternis gezogen und verlockt mich noch immer! Fahr hin, Falschheit, fahr hin du Üppigkeit falscher Lüste! Du hast weder Treu noch Wahrheit, weder Tugend noch Kraft. Hilf mir, oh Helferin aus dieser Falschheit, ich hoffe, es währt nicht mehr lange!“ Von den Laucharten ist unter den Gemüsen der Porree, pforr, lauh (Állium pórrum; h-t) zu erwähnen, den man ja auch im St. Galler Re71
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fektorium verzehrte. Konrad hat gegen ihn starke Vorbehalte (450f.), bewirkt er doch die Cholera, bringt böse Träume, ist schwer verdaulich, harntreibend und regt zur Unkeuschheit an. Jedenfalls ist das Kochwasser wegzugießen. Hildegard hält ihn, unbehandelt genossen, für so schädlich wie irgendein giftiges Kraut. Erst nach Abbeizen mit Salz in Wein oder Essig kann er bei dringenden Gelüsten – aber nur roh! – verzehrt werden (81/34). Als Wildgemüse hat man gewiss auch den Bärlauch oder Knofelspinat (Állium ursínum) verzehrt, nach dem Capitulare sogar angebaut. Das germ. Lauch-Wort war so wichtig, dass es in der allgemeinen Bedeutung als ‚Kraut‘ verwendet werden konnte, so wenn anord. lauka-garðr ‚Lauchgarten‘ und ags. lēac-tūn – eigentlich ‚Lauch-Zaun‘ – schlechthin ‚Kräutergarten‘ bedeuten, wobei Letzterer in der Obhut des lēac-weard ‚Lauch-Wartes‘ (des Gärtners) stand. Das alte Wort für den Bärlauch lebt in engl. ramson, aber auch in Orts- und Flussnamen wie Ramsau, engl.-nord. Ramsey und (vorgerm.) Krems weiter (vgl. Tiefenbach, 2001). Zu den anderen Laucharten s. unten S. 132f., 159, 178. Die Umbellíferae (Apiáceae) ‚Doldenblütler‘ lieferten dem Mittelalter etwa dieselben Gemüse und Gewürzkräuter wie uns heute. Ich werde im Zusammenhang der Gewürze auf sie eingehen. Von der Sellerie deutet Walahfrid (327ff.) an, dass man sie – wohl als Knollensellerie (Ápium gravéolens rapáceum) – auch als Gemüse verzehrte. Zum Abschluss unserer Gemüseschau seien noch die Pilze oder Schwämme erwähnt. Wenn auch der Ménagier de Paris, ein Hausbuch vom Ende des 14. Jahrhunderts, bereits den Champignon (Agáricus) kennt, so findet sich bei Albertus, Thomas und Konrad nichts davon. Im Kapitel Von dem swamm sagt der Megenberger (435f.) über die fvngi: Es gibt deren viele, aber – und hier folgt er Albertus (Balss, 1947, 116) – die besten in unserm Gebiet sind klein, haben einen runden Hut, wachsen zu Frühjahrsanfang und verschwinden im Mai. Sie heißen auf Latein marochi, auf Deutsch maurochen oder morhen. Ein Todes- oder Krankheitsfall sei bei diesen Pilzen nie beobachtet worden. Am besten kocht man die Morcheln mit Birnen 72
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(mit piren) und trinke darauf guten, lauteren Wein. Auch die Kochbücher kennen die Morchel und lehren sogar, wie man diese aus Hühnerfleisch (!) imitieren soll (Birkhan/Jarmer, 2004, 72, 79). Da aber der Pilzname volksetymologisch mit morach assoziiert wird (daher der botanische Name Morchella), lässt sich nicht immer entscheiden, ob in manchen Rezepten Morcheln oder Möhren gemeint sind. So ist etwa im Buoch von guoter spîse nicht klar, ob das morhen muos (37, Nr. 79) aus Karotten oder Morcheln herzustellen ist. Insgesamt gilt nach Konrad von den swammen, dass die von „trockener Art“ besser als die von „feuchter“ seien. Es gibt noch eine andere Sorte swammen, die man auf Latein boletos, auf Deutsch pfifferling (nach dem pfefferähnlichen Geschmack) nennt. Davor möge man sich hüten, denn sie sind oft tödlich giftig. „Das weiß ich wohl, denn es geschah zu Wien in Österreich, daß einer Pfifferlinge aß, darauf Met trank und sofort noch vor dem Faß verstarb.“ Es gibt noch eine Art swammen, die besonders „unrein“ ist. Sie ist breit und dick und oben rot mit weißen platern. Mischt man diese mit Milch, so tötet sie die Mücken – weshalb Amaníta muscária bis heute Fliegenpilz heißt. Nu hůtt dich vor in allen, daz ist mein rat. Auch dem Pilzwissen der heiligen Hildegard hätte ich mich nur ungern anvertraut. Sie glaubte, dass alle Pilze schädlich seien, die auf feuchtem Boden wachsen (172/49f.). Die auf trockenem Boden wachsenden Pilze hält die Äbtissin für bekömmlicher, jedoch aus medizinischer Sicht für nebensächlich. Eher findet sie unter den Baumschwämmen für die Klosterapotheke Brauchbares. Der auf dem Nussbaum wachsende Pilz ist zwar ungenießbar, aber ein Mittel gegen Würmer. Der auf Buchen wachsende ist nach Abkochen genießbar und nützt mit bestimmten Kräutern einem erkälteten Magen, übrigens auch bei schwerer Geburt. Den Zunderschwamm (Fómes fomentárius), der ja auch im Mittelalter als Lieferant des Zunders, aber auch eines blutstillenden Mittels von beachtlicher Bedeutung war, erwähnen weder Hildegard noch Konrad. Der auf Holunder wachsende Gallertpilz, ein Lieblingsingredienz der chinesischen Küche (mù ěr ‚Baumohr‘, meist in leicht betrüge73
2. Pflanzen aus der Sicht ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit
rischer Absicht mit Morchel übersetzt) heißt Judasohr (Auriculária aurícula-júdae), weil sich der Legende nach Judas an einem Holunder erhängt hat. Dieser Holerswam, zugleich der Eigenname eines Bauerntölpels in der Neidhart-Tradition (88,24), taugt weder als Speise noch als Arznei und ist in diesem Punkt dem Pilz der Zitterpappel ähnlich, während der „Weidenschwamm“ bei vielerlei Leiden zu verwenden ist und der „Birnbaumschwamm“ wieder ein Mittel gegen Kopfgrind liefert. Unter den botanischen Kenntnissen lagen also die mykologischen besonders im Argen. Den alten Plinius hatten die Pilze als „Pflanzen, die man nicht säen kann“, sehr beeindruckt, sodass er sich ausführlich mit ihnen, vor allem den Trüffeln, auseinandersetzte. Von diesen glaubte man etwa, dass sie durch den Donner entstünden (n. h. 19, 37). Schon die im Gegensatz zu den übrigen Pflanzen hohe Unberechenbarkeit, mit der Pilze auftauchen, hat diesen Gewächsen immer den Nimbus des Geheimnisvollen gegeben, ja, sie manchmal geradezu dämonisiert. Ihre wissenschaftliche Bearbeitung beginnt, wie erwähnt (s. oben S. 38) erst um 1600.
obst Ausgehend vom Capitulare de villis und Hildegards Angaben kann man wohl sagen, dass das europäische Mittelalter ungefähr dieselben heimischen Obstsorten kannte wie wir heute, wenn auch die durch Züchtung erreichte Form der einzelnen Arten sicher nicht mit der von heute vergleichbar ist. Die Früchte waren gewiss kleiner, weniger haltbar, anfälliger für Ungeziefer und Krankheiten, dafür aber wohl wesentlich aromatischer als unser heutiges Obst. Den mittelalterlichen Pfirsich muss man sich etwa wie unseren bitter-aromatischen kleinen „Weingartenpfirsich“ vorstellen. Am Beispiel des Apfels unterscheiden die Pomologen die relativ kleinfrüchtigen „archaischen“ Sorten „Borsdorfer“ (1239 im Zusammenhang mit Porstendorf, einer Grangie des sächsischen Klosters Pforta, genannt), „Graue Lederrenette“ (um 1500 im Kloster Morimond), „Goldparmäne“ (1510 in 74
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der Normandie bezeugt), „Roter Herbstkalvill“ (Stuttgart 1568) und „London Pepping“ (London 1580). Der in Österreich als „alt“ angesehene „Maschansker“ ist um 1800 zuerst in der Steiermark erwähnt und gilt als Verwandter des Borsdorfer Apfels. Die Vielfalt der Obstsorten, die es Ende des 13. Jahrhunderts in Mailand gab, zählt Bonvesin de la Riva auf.3 Durch Einlegen in Honig, Oxymel (Honigessig), Wein und Zucker, vor allem aber auch durch Dörren, wurde Obst konserviert. Beim Apfel scheint Konrad in dem Abschnitt von dem holzöpfel (359f.) drei Sorten zu unterscheiden: den eigentlichen Holzapfel (Málus silvéstris), dem adstringierende Wirkung zugeschrieben wird – man verwendete den Saft für eine saure Sauce (agraz) und als Essigersatz –, sowie eine süße und eine saure Kultursorte, wobei letztere weniger blähen und gesünder sein sollte. Der Apfelmost war wohl die häufigste Sorte des Obstweins, der daz lît hieß, wonach der Wirt lîtgebe, leutgebe und der „gelöbnistrunk beim abschlusse eines handels“ leikauf hieß (Lexer, s. v. lîtkouf ). Jdoch wizz, daz all =pfel schad sint und faulent leicht in dem menschen vnd machent p=z plůt; aber man gibt si den siechen dar umb, daz si lustig werden. Man hat fast den Eindruck, dass der Megenberger wie der berühmte misogyne Sagenheld Kurzibold (Grimm, Sagen, Nr. 471) ein ausgeprägter Apfelfeind war. Wir wollen es für den frommen Magister hoffen, denn wegen der assoziativen Verbindung der weiblichen Brust mit einem Apfel sagte man, wenn einer sich nicht für Frauen interessierte, dass er wohl keine Äpfel essen wolle (Lexer s. v. apfel). Auch Albertus erwähnt einen Mann, der schon beim Geruch von Äpfeln in Ohnmacht fiel (Balss, 1947, 99). Ganz anders beurteilt Hildegard den Apfel (B 1/64f.). Der warme affaldra ‚Apfelbaum‘ ist so feucht, „daß er zerflösse, hielte ihn nicht seine Wärme zusammen“. Da die „Äpfel vom Tau gekocht sind“, bekommen sie Gesunden roh, Kranken gekocht oder gebraten. Jedoch die im Win3 Dazu die Internetadresse: http://it.wikipedia.org/wiki/Bonvesin_de_la_ Riva (24. 1. 2011).
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ter alten und zusammengeschrumpelten Äpfel sind auch ungekocht für Kranke bekömmlich. Für bestimmte Leiden werden Apfelbaumblätter gebraucht, doch müssen sie gepflückt werden, bevor der Baum Früchte ansetzt, „denn dann sind sie milde und heilkräftig wie junge Mädchen, ehe sie zum ersten Male geboren haben“. Die Knospen werden gegen allerlei Leiden der Eingeweide verwendet, das Erdreich (!) unter einem Apfelbaum bei Rücken-, Lenden- und Bauchschmerzen empfohlen. Am Rande sei nur angemerkt, dass der Apfel auch bei den sog. Barbarenvölkern auf allen Ebenen große Bedeutung hatte. So wird etwa in der Völsungasaga (cap. 1) Völsi gezeugt, nachdem sein Vater einen von Odin gesandten Apfel verzehrt hatte, und auch am Beginn mehrerer walisischer Genealogien steht eine Gestalt Avallach ‚der/die zum Apfel Gehörige‘, als deren Tochter eine Modron (eigentlich die Muttergottheit Matrona) erscheint. Das Jenseits heißt dort ynys Avallach, auch insula Avallonis, die ‚Apfelinsel‘, auf die der schwer verletzte Arthur überführt wird. In der Edda besitzt Idun goldene Äpfel und Freyr wirbt um Gerðr mit solchen. Aus Volksbrauch und ‑literatur ist der Apfel auch in neuerer Zeit nicht wegzudenken (H. Marzell, in: HDA s. v. Apfel). Von dem Birnbaum, pirpaum (Pýrus) vermeldet Konrad (370f.), dass die Holzbirnen (Pýrus pyráster) für die Verdauung besser seien als die haimischen (Zuchtformen im Garten). Kocht man Holzbirnen in Regenwasser und legt sie in die Magengrube, so hilft dies der Verdauung, legt man sie auf die Scham (den champ, da die rawhen pFsche wachsent), so vertreiben sie durch Cholera bedingte Diarrhöe. Bindet sich eine Frau eine Birnbaumwurzel um, so kann sie nicht empfangen, trägt sie sie bei der Geburt, so gebiert sie schwer. Im Allgemeinen sind gebratene Birnen besser als gekochte und diese wieder besser als rohe. Kocht man Birnen zusammen mit Pilzen, so werden diese weniger schädlich. Natürlich kannte man auch veredelte Formen der Birne. Das „Märe“ Diu halbe bir (zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts) berichtet (182–185), wie ein Ritter bei einer Dame in Ungnade fällt, weil er eine ungeschälte (!) halbe Birne mit einem Bissen verzehrte, ohne der Angebeteten die andere Hälfte geschält angeboten zu haben. Man aß 76
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die Birnen als Dessert zu Käse, wobei sich jeweils ein Paar eine Birne teilte. Als Zeichen der Knauserei galt es, wenn jemand mit Milch und einer Birne abgespeist wurde, wie wir aus dem Märe „Der Schlegel“ ersehen (130f.). Mittelhochdeutsche Redensarten wie „Birnen auf Buchen (auch: Kirschbäumen) suchen“ für unsinniges Tun oder „Birnen so kochen, dass die Stiele nicht nass werden“ im Sinne von ‚überklug sein‘ zeigen, wie üblich der Genuss der Birne, besonders auch der gebratenen, war. Für Hildegard ist der eher kalte Birnbaum wegen seiner Härte medizinisch nicht brauchbar, allerdings weiß sie die auf ihm wachsende Mistel (Víscum álbum; zu deren Bedeutung im Aberglauben s. Marzell, in: HDA s. v. Mistel) als Medikament zu gebrauchen, vor allem bei Brust- und Lungenleiden (B2/65). Die Birnen sind für Gesunde bekömmlich, verursachen aber unter Umständen Kopfschmerzen und Atemnot. Dass der Birnbaum schon im Altertum bei den Germanen magische Bedeutung hatte, könnte man der gotischen Benennung der p-Rune als pertra entnehmen (Birkhan, 2006). Die Quitte, der kütenpaum (Cydónia oblónga) lieferte Früchte, die im Mittelalter bekannter und begehrter waren als heute. Der Megenberger unterscheidet wie wir zwischen Apfel- und Birnquitte (349f.) und geht ziemlich genau auf dieses Obst ein. Es ist eine der wenigen Stellen, wo er sich zu einem angedeuteten Rezept hinreißen lässt. Man soll sie schälen, halbieren, die Kerne herausnehmen und die Grube mit Honig füllen. Danach umwinde man sie mit Flachs oder Werg und lege sie in heiße Asche. Diese Speise vertreibt den Durst und wird deshalb von den Weisen nach dem Weingenuss genommen. Es gibt viele medizinische Anwendungen der Quitte. Am kuriosesten ist vielleicht, dass man mit der Asche verfaulter Quitten den „Krebs“ zu heilen vermag, vnd ist den l#uten an dem aftern, den manche daz veig ‚Feigwarzen‘ nennen. Vom ziemlich kalten Quittenbaum weiß die Äbtissin, dass er der „List“ ähnle, die manchmal nützlich, manchmal nutzlos sei (B 4/66). Wertvoll seien aber nur die Früchte, die „von Gesunden und Kranken roh ohne Schaden gegessen werden“ können. Freilich sind sie auch gekocht oder gebraten wertvoll, weil sie bei Speichelüberfluss und Gicht heilsam seien. 77
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Unübersichtlich sind für den Nichtspezialisten die vielen Sorten der Pflaumen (Prúnus doméstica), von denen es zweifelhaft ist, ob wir sie heute noch erkennen und rezenten Sorten zuordnen können. Hier gibt das Capitulare nur eine Form prunarios an, die mit P. domés tica gleichgesetzt wird, was etwa einer „Urpflaume“ entspräche, die der Schlehe (Prúnus spinósa) und der Kirschpflaume oder Myrobalane (Prúnus cerasífera) ähnelte, wenn sie auch etwas größer wäre, und als Damaszenerpflaume (engl. damson) weiterlebt. Schlehensaft diente als Essigersatz und – wie Kirschsaft – als Bierwürze, mit Wasser verdünnt galt er bei Bauern als Erfrischungsgetränk (Ring 5995). Aus (Prúnus) damascéna (roman. *davascena) ist unser Wort Zwetschke entstanden, dessen viele dialektale Nebenformen (damaschgen, damastpflaumen, mātschen, maschen, tumoschkn, quetschen, zwetschen) die Unsicherheit in der Benennung bezeugen. Nach Fischer (1929, 30) kannte Hildegard vier verschiedene Sorten vom pruniboum, die er als „Zwetschge, Pflaume, Eierpflaume und Kriechenpflaume“ identifizieren wollte, was mich skeptisch stimmt. Man darf aber annehmen, dass sich im Verlaufe des Mittelalters etwa folgende Sorten herausbildeten: die der Schlehe recht ähnliche Zibarte = Damaszenerpflaume = damson (Prúnus doméstica subsp. prísca), die Kriechen(pflaume) (P. d. subsp. insitítia), der kleine, meist goldgelbe Spilling (P. d. subsp. pomariórum), die längliche Zwetschke (P. d. subsp. doméstica) sowie landschaftlich noch die Edelpflaume = Reineclaude = Ringlotte (P. d. subsp. itálica) und vielleicht auch schon die goldgelbe, große, sehr süße Mirabelle (P. d. subsp. syríaca), wie Circa instans (Fischer, 1929, 21) nahelegt, wo die Frucht allerdings acatia heißt. Wie bei anderen Obstsorten auch, scheint weniger fraglich, ob diese Sorten bzw. deren unmittelbare Vorstufen schon existierten, als vielmehr, ob sie schon so weit nach Mitteleuropa vorgedrungen waren. Konrad (372) kennt die Früchte vom chriechpaum in Weiß, Schwarz und Rot, am besten seien aber jene schwarzen – d. h. die dunkelblauen –, die wir die w(lhischen oder die grozzen slehen haizzen, womit wohl die Zibarte (engl. damson) gemeint ist. Eine andere Quelle Konrads hält die grünen, die einen gelben Anflug haben, für die besten. Das sind dann wohl Reineclauden. Am minder78
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wertigsten sollen die „weißen“ Pflaumen sein. Sind damit Spillinge gemeint? Die kleinen grünen hingegen heißen weingriechel und sind die lustigisten. Dabei denkt er wohl an die Kriechen(pflaumen), die man vielleicht auch grün wie heute in der Türkei und im Iran verzehrte. Außerdem weiß Konrad, dass die länglichen Pflaumen besser als die kurzen sind, woraus folgt, dass er wohl auch eine Vorstufe der heutigen Zwetschken kannte. Hildegards Pflaumenbäume haben noch nach der Art der gartenslehen Dornen und bezeichnen daher den „Zorn“ (B 7/67f.). Die Früchte sind ganz und gar schädlich, weil sie die Melancholie wecken und die schlechten Säfte vermehren, sodass alle angelegten Krankheiten zum Ausbruch kommen. Die ärztliche Verwendung ist also auf Blätter und Rinde beschränkt. Wenn jemand durch Zauberei oder Verfluchung wahnsinnig wird, so muss die Erde, die man von den Wurzeln des Pflaumenbaums holte, so stark erhitzt werden, „dass sie fast brennt“. Dann legt man Raute, Polei-Minze oder Bockshornklee darauf und reicht dieses dem Verzauberten zur Inhalation. Im Winter wird die nur mäßig erwärmte Erde mit den genannten Samen dem Verfluchten um Kopf, Bauch und Hüften gebunden, worauf er schwitzen muss. Geschieht dies drei bis fünf Tage, so tritt Linderung ein. Interessanterweise fehlen bei Thomas und Konrad die Süß- und Sauerkirsche (Weichsel), von denen mindestens eine Sorte sowohl dem Capitulare als auch Hildegard vertraut war. Von „eingemachten Weichseln“ spricht auch das Buoch von guoter spîse (84), wenn es das Rezept für einen kompost von sûren wisseln angibt. Dass dem Megenberger die Kirsche jedoch ganz geläufig war, geht aus seiner Behauptung hervor, man könne Kirschen ohne Kern züchten, wenn man den Stamm des Kirschbaumes durchbohre und einen Weidenast einsetze (378). Ein anderes Verfahren, kernlose Kirschen zu erzielen, bestand darin, dass man das Mark aus den Kirschschösslingen entfernte (Birkhan, 2010, 78). Aus medizinischer Sicht ist der nach Hildegard eher warme als kalte Kirschbaum, den sie mit dem „Scherz“ vergleicht, wenig ergiebig. Die Kirschkerne sind zu zerstampfen und mit ausgelassenem Bärenfett gegen eine lepraähnliche Krankheit einzusetzen. 79
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Zum Steinobst gehört auch die Mispel, der nespelpaum (Méspilus germánicus) mit seinen Früchten, den nespelbern (h1-t1). Hier erwähnt Konrad (363) die Möglichkeit, das Mispelreis auf eine Birn-, Apfel- oder Kornelkirschenunterlage zu pfropfen, damit die Früchte nicht die lästigen vier staindel (es sind in Wirklichkeit fünf!) enthalten, was bei der letztgenannten Unterlage kaum von Erfolg gekrönt sein dürfte. Das Holz eignet sich zur Herstellung von Kampfstöcken. Für die Äbtissin vom Rupertsberg ist die Mispel (13/69) ein Sinnbild der „Lieblichkeit“. All ihre Heilkraft ist auf die Früchte konzentriert, die Gesunde wie Kranke in Mengen essen dürfen. Um noch bei den Rosaceae zu bleiben, nenne ich den Pfirsich, pfersich paum (Prúnus pérsica), dessen Früchte, da sie leicht faulen und die Speise im Magen verderben würden, vor dem Essen verzehrt werden sollen (BN, 373). Hildegard verwirft den eher warmen Pfirsichbaum, der Merkmale des „Neides“ (!) an sich habe. Die Früchte taugen nicht als Speise, weil sie im Magen viel Schleim erzeugen. Die Rinde und Blätter des Baumes können für Heilzwecke verwendet werden. (Zur Frage nach der Marille s. F-B, 154.) Von der Mandel und dem mandelpam (Prúnus amýgdalus) weiß Konrad (345), dass er süße und bittere Mandeln hervorbringt, weiß aber nicht, dass die Bittermandel als eine Subspecies der Mandel (Prúnus amýgdalus amára) anzusehen ist und dass auch die Süße Mandel (Prúnus amýgdalus dúlcis) gelegentlich bittere Samen produziert. Obschon die blausäurehaltige Bittermandel als Arznei geeignet schien, so war angesichts des massenhaften Mandelverbrauchs doch eine Möglichkeit ins Auge zu fassen, wie man einen Bittermandelbaum „heilen“ könne. Es gab mehrere Verfahren: Entzug der das Bittere bewirkenden Feuchtigkeit oder aber die Durchbohrung des Baumstammes in Wurzelnähe oder darüber. Dann wird ein Holzkeil oder ein Eisennagel in den Stamm geschlagen. Die Entbitterung der Mandel bringt den Magister wieder auf Allegorisches: „Unter der Mühe, mit der man die Mandel süß macht, verstehe ich die gaistleichen arbait, die alle Bitternis der Reue in ewige Süße und Seligkeit verwandelt.“ Hildegard hält den Mandelbaum für sehr warm und empfiehlt den 80
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Genuss der Mandelkerne, während Rinde und Blätter ohne Heilkraft sein sollen (B 10/68). Da von der Kirche erst 1491 der Genuss von Eiern, Milch und Milchprodukten für die Fastenzeit erlaubt wurde (Wiswe, 1970, 87), dienten die Mandeln zumindest in der reichen Küche der Klöster und Höfe als universelles Ersatzmittel, aus dem „Käse“ und „Milch“, aber auch Eierimitationen verfertigt wurden und dessen Bedeutung man nicht überschätzen kann. Mit Topfen und Brot wurde auch eine „Mandelwurst“ hergestellt (Wiswe, 1970, 135). Mittelalterliche Kochbücher sind voll von Mandelrezepten, ob nun „Mandelkäse“, der auch eine Art Pudding sein konnte, oder „Mandelmilch“ gewünscht war, die als Ausgangssubstanz für süßes blâmensîer diente, das als blanc mangier ‚weiße Speise‘ eigentlich aus in Milch gekochtem Hühnerfleisch bestand und bis in rezente Zeit, durch den Deutschen Ritterorden vermittelt, in der baltischen Küche weiterlebte (Birkhan/Jarmer, 2004, 50, 90). Der Nussbaum, nuzpaum bezeichnet die Walnuss, wälhisch nuz (Júglans régia), die Konrad (364) als Heilmittel bei Vergiftungen durch pfifferling empfiehlt (s. oben S. 73). Er rät, sie zusammen mit Feigen und nach Fischen zu verzehren. Im Gegensatz dazu kennt Hildegard eine Fülle medizinalischer Anwendungen des Nussbaums. Die Bitterkeit der Blätter bringt Wärme und bittere Früchte hervor, mit deren Wachstum die Bitterkeit abnimmt und sich in Laub und Stamm zurückzieht, welche aber dann medizinisch unbrauchbar werden. Die Nuss wurde schon von Augustinus auf Christus bezogen: die bittere grüne Schale auf sein Leiden, die holzähnliche Nussschale auf das Kreuzesholz und die Süße des Kerns auf seine Gnadenwirkung (LCK, 237; Clavis, 378f.). Nußbaumsaft hilft laut Konrad gegen Würmer, Kopfgrind und Lepra, die Erde unter dem Nussbaum im Dampfbad gegen Gicht. Interessant ist, was man von der Haselnuss oder nux avellana (Córylus avellána) glaubte: Schneidet man eine kleine Rute vom Haselstrauch, spaltet diese der Länge nach und legt die Hälften ein wenig entfernt voneinander auf, „so gehen sie wieder zu einander und fügen sich zusammen, jedoch ohne allen Zauber, weil das Holz in sich eine 81
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lebendige Luft hat, die es nach der Spaltung ausdünstet und sich so wieder zusammen zieht“ (364). Wenn auch Konrad beteuert, dass dies ohne Zauberei geschehe – er meint damit, durch magia naturalis und nicht magia diabolica –, so scheint dies für das Folgende, wenn ich es recht verstehe, doch schwer annehmbar. „Wenn man also an einer der kleinen Ruten einen kleinen Vogel brät, so wendet sich der Spieß nach einer Zeit von dem durch die Hitze verursachten Wirbel der Geister und des Dunstes in dem Holz von selbst.“ Der Megenberger vermerkt dazu allerdings, dies nicht selbst beobachtet zu haben. Der Ursprung dieser seltsamen Behauptung ist mir unklar, auf Thomas (1999, 102) geht sie jedenfalls nicht zurück. Für Hildegard ist die Hasel Sinnbild der „Wollust“ und ohne medizinische Bedeutung (11/68). Die Haselnuss hat noch in der Neuzeit eine starke sexuelle Konnotation; so glaubte man, dass viele Haselnüsse viele uneheliche Kinder anzeigen und der Schlag mit der Haselrute Fruchtbarkeit oder auch Unheil bewirke (Beitl, 1955, 298f.). Der mit Frau Hasel angeredete Strauch hält das Gewitter fern. Vielleicht schon im germanischen Altertum von religiöser Bedeutung, ist der Strauch im Volksaberglauben jedenfalls sehr wichtig (B-P III, 477f.; Marzell, in: HDA I, Sp. 956). Von der Edelkastanie, dem kestenpaum (Castánea satíva), sagt Thomas (1999, 98) nach Isidor (XVII, 7, 25), dass die Maronen wie Hoden in dem (stacheligen) Fruchtkörper liegen, sodass ihre Entnahme an Kastration erinnere, was der castanea den Namen gegeben habe. Schwer zu sagen, ob Konrad (346f.) dies aus Prüderie unterdrückte oder weil es ihm doch allzu weit hergeholt schien. Er vergleicht botanisch korrekt die Kastanienfrüchte mit den stacheligen Buchenfrüchten und die Maronen mit den Bucheckern. Dabei behauptet er, dass sowohl die Bucheckern als auch die Maronen ain besunder häutel, daz ist swarz hätten, wie bei den „schwarzen Pflaumen“ ein Hinweis auf die eigenwilligen Farbbezeichnungen in mittelalterlichen Texten. Wie Hrabanus (XIX, 5) beeindruckt auch unseren Magister die Neigung der Kastanie, Ausschlagreiser zu bilden. Die erbauliche Auslegung des Hrabanus, dies lehre, wie das Herz durch Keuschheit viele Tugendfrüchte gewinnt, lässt er hingegen weg. Auch Hildegard (B 12/68f.) 82
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hat die sehr warme Kastanie, welche „Zurückhaltung“ symbolisiert, stark beeindruckt. Saft (Harz?) und Frucht dieses Baumes sind nützlich gegen alle Schwächen, insbesondere den Zorn, ein Begleitsymptom der Gicht. Man möge einen Stab aus Kastanienholz mit sich tragen, weil er durch seine Wärme die Adern stärke. Der Granatapfelbaum, malogranata, malgranatpm (Púnica granátum; h1-f ) und seine =pfel sind für hitzige Menschen nicht bekömmlich (BN, 359). (Zur christlichen Allegorese s. unten S. 228–230.) Beim Maulbeerbaum (Mórus nígra) werden ein haimischer und ein wilder unterschieden (BN, 360f.), wobei Konrad unter letzterem die prânper (brâmber) oder den chratzpaum, also die Brombeere (Rúbus rúbus), versteht – die Himbeere, hintber (Rúbus idáeus), eigentlich Hindenbeere nach der hinde ‚Hirschkuh‘, bleibt unerwähnt –, die botanisch mit der Maulbeere nicht näher verwandt ist. Hildegard empfiehlt den Saft der bramber – der Strauch heißt bei ihr brema – bei Vereiterung der Zunge, Zahnschmerzen, gegen Würmer im Fleisch des Menschen und gegen Lungenleiden (169/49). Der gekochte Maulbeersaft (dyameron) ist bei einer Halskrankheit (chelsuht) anzuwenden und mit Honig bei Befall durch Würmer, die lat. lumbrici heißen. Nach dem Megenberger gibt es auch bittere Maulbeeren, aus denen man ein moretum genanntes Getränk herstellt, eine verderbte Form für moratum. Er sagt zwar: dez haimischen maulperpaums pleter ezzend die seiden wFrmel (360), weiß aber nicht, dass diese auf dem Weißen Maulbeerbaum (Mórus álba) gezogen werden, und glaubt, dass sie sich auch mit lactukenkraut ‚Lattichsalat‘ zufriedengäben. Nach Hildegard ist der kalte Maulbeerbaum gut gegen Räude, und auch der Verzehr der Früchte wird empfohlen (B 9/68). Im Zusammenhang mit Beeren sei erwähnt, dass unsere Autoren weder die Stachelbeere (Ríbes úva-críspa) noch die Johannesbeere oder Ribisel (Ríbes nígrum und Ríbes rúbrum) anführen, obwohl zumindest Erstere in der mittelalterlichen Küche eine Rolle gespielt haben muss, weil der Name agraz für eine pikant-saure Sauce mit unserm Dialektwort ågråßl für diese Beere zusammenhängt. Dass der Ölbaum, =lpaum (Ólea europáea) das Mittelalter sehr be83
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wegte, ist aus mehrfachen Gründen leicht einzusehen. Olivenöl war eines der Grundnahrungsmittel, der Ölbaum und die Olive (ölber ‚Ölbeere‘) genießen in der Bibel einen hohen Stellenwert, sie bezeichnen neben Feige und Traube den Inbegriff des Wohlstands (s. S. 231f.). Bei Konrad (365f.) ist der Ölbaum deutlich mit Jungfräulichkeit verbunden: Die Blüten schaden einer Schwangeren, und in Griechenland dürfen nur Jungfrauen die Oliven ernten. Geht Mensch oder Vieh zu oft um den Ölbaum herum, so wird er unfruchtbar. Es ist kein Wunder, dass die ungewöhnlich lange Ölbaumpassage des Magisters in ein Mariengebet mündet. Wenn auch, gestützt auf Aristoteles, behauptet wird, dass jegliches Ding Öl enthalte – ein Gedanke, der an alchemistische Aussagen gemahnt –, so sind doch die Öle ganz verschieden. Jedenfalls lassen Öl und Fett die Flammen stark lodern, weshalb auch die schlechten Christen in der Hölle besonders heiß brennen, weil sie ja das heilige Öl und andere Sakramente unwürdig empfangen haben. Der eher warme Ölbaum ist für die Äbtissin ein Zeichen der „Barmherzigkeit“ (B 16/69f.). Aus seiner Rinde und den Blättern weiß sie ein Mittel gegen Gicht herzustellen. Das Öl „ist für den Genuß nur wenig tauglich, weil es Erbrechen verursacht“. Man kann es nur medizinisch nutzen. Wenn auch die Kochrezepte vorwiegend Schweineschmalz als Kochfett erwähnen, so ist diese Ablehnung des Olivenöls für den Küchengebrauch doch recht überraschend. Bei der Dattelpalme, dem palmpaum, palma (Phóenix dactylífera) referiert Konrad (367f.) die von Albertus Magnus angeführte Tradition von der Befruchtung (s. oben S. 26f.). Bemerkenswert ist auch der aus Alberts Samentheorie hervorgehende Glaube, dass der Baum nicht aus einem Dattelkern alleine wächst. Beim Megenberger steht die Dattelpalme durchaus für die Gottesmutter, deren Schwängerung durch das Wort des Herrn ähnlich vor sich ging wie die Befruchtung der weiblichen Palme. Wie beim Ölbaum endet das Palmenkapitel in einem Mariengebet. Bei Hildegard ist die Dattelpalme (B 17/70 und B 61/77) warm, feucht und zäh. Aus den Palmwedeln macht man ein Pulver, das gegen „inneres Verfaulen“ hilft. Die gekochte (!) Dattelfrucht ist nahrhaft wie Brot, macht aber Atembeschwerden. 84
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An der Feige (Fícus cárica) beeindruckt unsere Autoren, dass sie scheinbar die süßen Früchte ohne Blüten hervorbringt – die extrem komplizierte Befruchtung durch die Feigengallwespe war natürlich noch nicht bekannt. Konrad behauptet (351–353), dass häufiger Feigengenuss bei Alten die Runzeln glätte, weil die Feige das Wasser zwischen Fleisch und Haut staue. Die Feige erzeuge aber kein gutes Blut, was sich durch Läusebefall der Feigenesser verrate. Die enorme Kraft des Feigenbaumes erweist sich darin, dass auch der wildeste Ochse, daran gebunden, zahm wird. Für Hildegard ist der eher warme Baum, der im Allgemeinen Schwäche bewirkt, Sinnbild der „Furcht“ (B 14/69). Hält man einen Stab aus Feigenholz in der Hand, so kann er einem die Kraft bis zur Ohnmacht entziehen. Der Genuss der Feige erzeugt Ehrsucht, Geiz und Wankelmut, und nur der Kranke möge die Früchte ohne Bedenken essen. Feigen sind in Mitteleuropa bereits seit der Latènezeit (als Importgut) bekannt und in der mittelalterlichen Küche ausgesprochen beliebt. So stellte man etwa aus fein gehackten Feigen einen „Roten Igel“ als Schaugericht her (Birkhan- Jarmer, 2004, 110). Bemerkenswert scheint mir, dass der Magister die christlichen Bezüge zur Feige (s. S. 230) nicht erwähnt. Den Abschluss der zum Genuss dienenden Früchte von Gehölzen bildet die Weinrebe (Vítis vinífera) mit ihren Früchten, den weinpern. Hier (BN, 381–383) in der längsten der Pflanzenmonografien findet sich eine Fülle von Gesundheitshinweisen, aber auch von allgemeinen Lebensregeln. So soll man sich hüten, nach einer reichen Weinlese viel zu trinken und umgekehrt, denn du solt niht den wein trinchen, dar nach vnd du sein vil oder wenich hast. Du scholt den wein dir selber trinchen ze nutz nach rehter mazz. Kurios ist ein schon Aristoteles zugeschriebenes Experiment zur Eruierung des Alkoholgehaltes: Ist Wein gepanscht, so geht ein hineingelegtes Ei unter, ist er nicht gewässert, so schwimmt es obenauf (in Wirklichkeit müsste es umgekehrt sein). Während wir dies heute auf das spezifische Gewicht der Substanzen zurückführen, erklärt Konrad den angeblichen Ausgang der Probe durch die Hitze des Weins. Dafür gibt es zwei Quellen: die Natur des Weins selbst, aber auch die bei seiner Geburt durch die 85
2. Pflanzen aus der Sicht ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit
Sonne eingedrungene. Diese doppelte Wärme lässt den Wein „wallen“ und treibt damit das Ei auf. Zugabe von Wasser senkt aber die natürliche Hitze des Weins und lässt das Ei sinken. Wir erfahren auch, dass es in Neapel einen Wein gibt, der wie Öl zu brennen vermag, eine Tradition, die auf Plinius zurückgeht (n. h. 14, 8, 62) und sich auf die „Gefrierdestillation“ beziehen dürfte. Großes Gewicht wird auf den Standort des Weinstocks – ob Nord- oder Südhang, flacher oder gebirgiger Untergrund usw. – gelegt. Dazu ist zu bedenken, dass im Mittelalter ja vielerorts Wein gebaut wurde, wo dies später nicht mehr der Fall war, z. B. in großen Teilen Englands und noch in SchleswigHolstein (Fischer-Benzon, 158). Den Abschluss des Weinkapitels bilden Betrachtungen über den Essig und Hinweise zum Weingenuss. Bemerkenswert ist, dass hier zwar der Galle-Essig-Schwamm Christi erwähnt, aber der Wein nicht mit dem Altarsakrament verbunden wird. Natürlich beschäftigt sich auch Hildegard mit der Weinrebe (h3-f ), deren Hitze den Weingeschmack dominiert (B 54/76). Die Heilige äußert die ihr wohl in einer Vision zuteilgewordene, für uns kuriose Ansicht, dass der Weinstock erst nach der Sintflut gewachsen sei (vgl. Gen 9,20), weil davor die Erde nicht fest genug und zu zerbrechlich gewesen wäre. Medizinisch sei Reb-Asche in Wein bei faulendem Zahnfleisch zu empfehlen.
fasErPflanZEn Es ist erstaunlich, dass Konrad (426) als einzige Faserpflanze die Baumwolle, paumwoll, bombax (Gosýppium herbáceum) erwähnt und dies auch nur im Zusammenhang mit einem auf das Auge gelegten Safranumschlag. Lein oder Flachs kommt beim Megenberger (458) und Hildegard (50/47 und 194/53) mit ihren pharmazeutisch-medizinischen Interessen nur als Samen von Línum usitatíssimum (linsat, semen lini, Leinsamen), den man zu Umschlägen gebraucht, vor. Im Gegensatz zur heutigen Hildegard-Kräutermedizin-Mode bestreitet die Heilige den Wert des Leinsamens als Nahrungsmittel. Der Flachs, der wegen seiner 86
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Faser für die mittelalterliche Wirtschaft von enormer Bedeutung war, wird seltsamerweise auch in der Literatur ganz ausgespart. In späteren Volkserzählungen allerdings gelingt es dem Helden, einen Bösewicht oder dummen Riesen durch die minutiöse Schilderung der Leiden des Flachses bei der Leinenerzeugung hinzuhalten, bis dessen Macht zu Ende ist (B-P I, 222). Welche Rolle der Lein im Volksglauben hatte, lässt sich dem Artikel Heinrich Marzells, einem der umfangreichsten im HDA, entnehmen. Im Mittelalter hat man – wie übrigens wieder im Ersten Weltkrieg – auch aus Nesselfasern Gewebe verfertigt. Viel häufiger erscheint der Hanf, hanef (Cánnabis satíva), wobei das Hanfbrecheln und andere Arbeiten als typisch bäuerlich angesehen und daher öfters im Zusammenhang mit der Schilderung der fast immer negativ gesehenen Bauern genannt werden. Das übermäßig breite Schwert eines Bauerntölpels wird etwa mit einer „Hanfschwinge“ verglichen. Im hanffluchet ‚September‘ fand die Ernte statt, dann wurde auch der hanefzëhende ‚Hanfzehent‘ fällig. Hanf war als Faser für die Erzeugung von Seilerwaren, gewebt für sehr grobe Stoffe und auch als Ölpflanze wichtig. Ein Hanfschauer prüfte in der Frühen Neuzeit, ob mit dem Hanf alles seine Richtigkeit hatte. Im Gegensatz zu heute waren die Hanfkörner aber auch als Speise sehr gebräuchlich. Sie werden von Hildegard als warm „gesunden und kräftigen Naturen“, die kein „schwaches Gehirn haben“ (11/18), durchaus empfohlen. Im bäuerlichen Umkreis des Seifried Helbling aß man zem vasttag hanf, lins unde bôn (8, 883). Da gab es auch hanfzelten, hanefsuppe und hanefmuos, eigentlich einen „Hanfquark“ (Birkhan/Jarmer, 2004, 66). Die Verwendung von Hanf als Droge, im Altertum etwa bei den Skythen gebräuchlich, ist mir im Hochmittelalter nicht untergekommen. In der Merowingerzeit scheint man Haschisch oder Opium aus Tonpfeifen geraucht zu haben (Birkhan, 1970, 472).
färbErPflanZEn Hier ist die Färberröte oder Krapp (Rúbia tinctórum) zu nennen, die einst in ihrem Anbau weitverbreitet war, wie der Kärntner Land87
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schaftsname Krappfeld zeigt, im Capitulare erwähnt ist und vielleicht bei Hildegard als risza, riza, dem kalten Bestandteil eines Fiebermittels, erscheint, das mit rubea glossiert wird (164/48). Die dreijährige Wurzel dieser Pflanze liefert, getrocknet und zerkleinert, einen roten Farbstoff (vorwiegend Alizarin), der je nach Konzentration und Zusätzen zwischen Rosa und Braunrot schwanken kann. Färberwaid, wayd chraut (Ísatis tinctória) wurde in der Färberei als sandix, worunter man allerdings auch Bleimennige (Pb₃O₄) verstand, verwendet. Bei der Fermentation der Pflanze entsteht unter Zugabe von Buchenasche (Pottasche) das begehrte Blau, aus dem man zusammen mit dem Gelb des Safrans und Saflors auch Grün herstellen kann. Der Megenberger (454) sagt mit Recht, dass das wayd chraut hauptsächlich in Thüringen um Erfurt angepflanzt war. Treffend ist auch die Beschreibung der unten breiten Blätter der Pflanze, die ihn an Lattichblätter (lactuken) denken lassen. Die Äbtissin vom Rupertsberg (208/54) schreibt dem weyt eine sehr heftige Kälte zu. Mit Geierfett (!) und Hirschtalg lässt sich daraus allerdings eine Salbe gegen Paralyse herstellen. Der Färberwaid wurde seit dem Altertum in Europa angepflanzt und z. B. von den alten Britanniern zur Tätowierung und Bemalung, die sich ja im Namen der Picti ausspricht und auch im irischen Mönchstum üblich war, verwendet. Den Färberwau oder gauda (Reséda lutéola), der zum Gelb- und Grünfärben verwendet wurde und den Albertus erwähnt (Balss, 1947, 136), finden wir weder bei Konrad noch bei Hildegard, offenbar weil der Wau nicht medizinisch brauchbar war. Zum Gelb- und Rotfärben verwendete man Safran, die dreiteilige Narbe des im Herbst blühenden Crócus satívus, der im Mittelalter auch in unseren Breiten angebaut wurde. Wie die Wiener Sage von der Spinnerin am Kreuz erzählt, soll er nach einem Kreuzzug in Österreich eingeführt worden sein. Dabei liefert eine Blüte etwa 6 mg Safran. Für ein Kilogramm werden ca. 180.000 Blüten von etwa 1000 m2 Anbaufläche benötigt, wobei eine Pflückerin pro Tag 60–80 g zu ernten vermag. Im Zusammenhang mit den Gewürzen werde ich noch einmal auf den saffran zu sprechen kommen (s. unten 88
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S. 156). Da diese Pflanze für die Färberei vielen zu kostspielig war, wurde sie ab dem 13. Jahrhundert zunehmend durch die Färberdistel oder Saflor (Cárthamus tinctórius) ersetzt, die heute wegen des Distelöls wieder vielfach angebaut wird. Schon aus dem Altertum sind Quid-pro-quo-Listen bekannt, in denen gelehrt wird, wie teure und seltenere Substanzen durch billigere (Pfeffer durch Ingwer, Ingwer durch Kalmus, Datteln durch Feigen usw.) ersetzt werden können (Wiswe, 1970, 82). Safran und Saflor hat man auch gerne in der mittelalterlichen Küche zum Färben von Speisen – neben der aus Südasien importierten Gelbwurz (Cúrcuma lónga) – verwendet. Der rote Farbton konnte durch mehr Safran, der grüne durch gestoßene Petersilie, der blaue etwa durch Veilchen- oder Kornblumenblüten erzeugt werden. Ab dem Spätmittelalter verwendete man auch das Blau der Lackmusflechten (Rocélla phycópsis, Lecánora tartárea, Variolária dealbáta, Ochroléchia parélla), dessen Verwendung als chemische Reagenzfarbe auf den Alchemisten Arnald von Villanova (ca. 1235–1311) zurückgeht. Vor allem bei Hof war es durchaus üblich, Speisen zu färben. Um Stoffe weiß zu bleichen, verwendete man laut Konrad die rote chorn plům, Kornrade (Agrostémma githágo; s. oben S. 50), die nach Aussage der Tuchfärber die Wolltücher schön weiß färbe (446), während der rätich (Ráphanus, s. oben S. 66) das Elfenbein bleiche (418f.; vgl. Isidor XVII, 10, 10).
holZ In der Kategorie der Nutzpflanzen denken wir bei Bäumen primär an Holz, nicht so die hier herangezogenen mittelalterlichen Autoritäten, welche zuerst die etymologischen, medizinisch-magischen und möglichst auch heilsgeschichtlichen Aspekte im Vordergrund sehen. So sagt der gelehrte Magister (373f.) von der Eiche, aich (Quércus) sie heiße nach quernus ‚chlag paum‘, weil die alten Heiden ihre Abgötter in den Eichen hatten, denen sie ihre Not klagten, worauf diese antworteten (nach Isidor XVII, 7, 38). Geläufig ist die Donar-Eiche als Kultbaum der Germanen, die der hl. Bonifatius 725 im nordhessi89
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schen Hofgeismar fällen ließ (dazu Demandt, 2002, 153f.). Die Eiche als Kultbaum hat da und dort Nachkommen hinterlassen, die Zentren christlicher Wallfahrten wurden. Mit Erstaunen lesen wir, dass Platearius von Salerno die Galläpfel als die Früchte der Eiche angesehen habe. Andere Gewährsleute halten die Eicheln für die Eichenfrucht und nennen den Gallapfel laubapfel. In diesem befindet sich ein Würmlein. Ist es tief im Inneren des Apfels, so wird der Winter streng, befindet es sich eher dem Rand zu, so darf man auf milden Winter hoffen. Die große Bedeutung der Galläpfel für die Herstellung der üblichen Schreibtinte (Eisengallustinte) seit dem dritten nachchristlichen Jahrhundert erwähnt Albertus Magnus (Balss, 1947, 126), nicht jedoch Thomas und sein Bearbeiter. Es folgen eine Reihe pharmazeutischer Anwendungen der Eicheln, die mit der der Kastanien verglichen werden. Die eigentliche wirtschaftliche Bedeutung der Eiche als Holzlieferant und zur Schweinemast wird nur mit einem Satz gestreift. Sie ist so evident, dass sie auch hier nicht eigens nachgewiesen werden muss (vgl. Schoenen/von Erffa, 1954). Für Hildegard ist die Eiche gar ein Sinnbild der „Verdorbenheit“, kalt, hart und bitter. Sie sei in der Medizin nicht zu gebrauchen und diene nur „gewissen krummrückigen Tieren“ zur Mast (B 25/72). Die Buche, půch (Fágus silvática) ist eine der ganz wenigen Pflanzen, die bei Konrad (353f.) keine pharmazeutische Anwendung finden, wenn es auch von den půchaicheln ‚Bucheckern‘ heißt, dass sie der Brust schaden, dagegen ihr Öl als Lampenöl sehr geeignet sei. So wie die Eicheln waren sie als „Eckernmast“ ein begehrtes Schweinefutter, wenn auch nicht so wertvoll wie diese. Trockenes Buchenlaub wurde gerne als Laubheu zur Fütterung und als Streu verwendet. Das Holz neigt laut Konrad angeblich zu Wurmbefall. Liegt es lang im Wasser, „so wird es zu Stein“. Buchenholz wurde gerne vom Köhler verarbeitet und durch ein bestimmtes Verfahren zur Herstellung von Kaliumkarbonat oder Pottasche (K₂CO₃) verwendet, die man wieder als Lauge in der Färberei, Wäscherei und Glaserzeugung brauchte. Bei Hildegard stand die Buche in hohem Ansehen. Sie ist ebenso kalt wie warm 90
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und hat das rechte Maß, weshalb sie auch als Sinnbild der „Zucht“ dient (B 26/72). Die Heilige lehrt einen Buchensegen, der beim Austreiben des Viehs durchzuführen ist. Man ergreife mit der linken Hand einen Zweig, halte ihn über die rechte Schulter und spreche: „Ich schneide dein Grün ab, damit du durch das lebendige Wort alle Säfte im Menschen besserst, die einen falschen Weg einschlagen oder sich in unrechte, gelbe Galle verwandeln.“ Dann bewahre man den Zweig das Jahr über auf. Bei eintretender Gelbsucht lege man ein Stückchen davon in warmes Wasser, das der Patient trinken möge. Wenn alles ordentlich geschieht und man Gott anruft, so wird der Patient gesund, „wenn Gott es nicht anders haben will“. Dass die Buche ein alter Kultbaum, ein Sitz von Feen und Muttergottheiten auch noch im Spätmittelalter war, ist uns u. a. aus dem Prozess gegen Jeanne d’Arc (1431) geläufig (Demandt, 2002, 166). Die Esche (Fráxinus excélsior), die der Megenberger (354) mir unerklärlich slintpaum ‚Schlingbaum‘ nennt, liefert nach Eiche und Buche eines der drei besonders wertvollen Hölzer. Es wird in seiner Härte mit Eisen verglichen und eignet sich dadurch gut zur Herstellung von Holznägeln und Waffen. Medizinalisch ist vor allem die Eschenasche von Bedeutung, da man damit Räudige zu heilen vermag. Asche aus Eschenblättern, in Wein angerührt, bewirkt, dass gebrochene Knochen bald wieder zusammenwachsen. Für Hildegard ist die eher warme Esche Sinnbild der besonnenen „Einsicht“ (B 27/72). Umschläge aus gekochten Eschenblättern helfen gegen Gicht. Anstelle des Hopfens kann man dem Bier auch Eschenblätter hinzufügen, um es haltbarer zu machen. Nachklänge der einst mythischen Bedeutung der Esche finden sich nirgends (Marzell, in: HDA s. v. Esche). Dagegen hat der Baumname in der germanischen Heldendichtung gewöhnlich metonymisch die Bedeutung ‚Speer, Lanze‘ angenommen, wenn es etwa im althochdeutschen Hildebrandslied (63f.) heißt: do l£ttun se #rist asckim scritan, scarpen scurim […] ‚da ließen sie zu erst die Eschen losgehen, in scharfen Schauern […]‘. Die im Mittelmeerraum beheimatete Platane (Plátanus orientális) konnten weder Thomas noch Konrad kennen, da diese Pflanze erst 91
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im 17. und 18. Jahrhundert nach Mitteleuropa gelangte. Der Megenberger übersetzt daher den bei Thomas genannten Baumnamen platanus mit ahorn paum (368) und überträgt die Verwendung des Ahornholzes auf die Platane, von der er berichtet, dass man sie einst an Königshöfen gepflanzt und mit Wein gegossen habe. Tatsächlich gibt es in Griechenland und an der türkischen Mittelmeerküste einige sehr alte Platanen, die – wohl zu Unrecht – als erhaltene Relikte des heidnischen Platanenkults angesehen werden. Die bemerkenswerteste ist die von Plataniotissa, die noch aus dem 4. Jahrhundert v. Chr. (!) stammen soll. In ihrem Stamm, der etwa einen Durchmesser von sieben Metern hat, sind eine Gebetsnische und eine kleine Marienkapelle eingearbeitet. Die Beziehung zu Maria steht auch bei Konrad im Vordergrund, wenn er das Wort der Weisheit (Sir 24,19) „ich bin erhöht wie eine Platane auf einem Platz beim Wasser“ Maria in den Mund legt – es ist jene Stelle, an der sich auch die anderen marianischen Pflanzengleichnisse mit Zeder, Ölbaum, Palme, Oleander, Zimt, Myrrhe, Galbanum und Weinstock finden (vgl. unten S. 236ff.). Die Erle, erl (Álnus) liefert ein feuchtigkeitsbeständiges Holz, das Konrad als Grundpfeiler für Bauten in feuchten und moosigen Böden empfiehlt (344f.). Frische Erlenblätter aufgestreut wehren der Flohplage. Der Äbtissin jedoch ist die eher warme arla ein Sinnbild der „Nutzlosigkeit“ und bestenfalls bei Hautentzündungen lindernd (B 29/72f.). Die Linde (Tília) – zwischen Sommer- und Winterlinde wird nicht unterschieden – ist ein Baum von großer symbolischer und materieller Bedeutung. Das Holz ist bekanntlich in der Schnitzerwerkstatt hoch angesehen, aber der Baum, dessen Bast man für Flechtwerk verwendete und dessen Blüten nach Konrad den vorzüglichen Lindenblütenhonig liefern, erreicht mit eindrucksvollem Wuchs ein hohes Alter und gilt vor allem als Schattenspender – der Magister (380) weiß, dass sein Schatten „bekömmlicher“ ist als der anderer Bäume – und ist daher mit Geselligkeit, aber auch mit Versammlungen rechtlichen Charakters verbunden (s. unten S. 213f.). Im Gegensatz zu anderen Bäumen, deren Kronen Schatten spenden, lässt sich das Astwerk der 92
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Linde leichter „ziehen“, wofür man mhd. die linde leiten sagte. Die waagrecht „geleiteten“ Äste mussten dann durch Pfosten oder Säulen gestützt werden, der Lindenstamm wurde gerne eingemauert, wie das Wolfram erwähnt (Pz. 185, 28f.) und es heute noch bei einigen erhaltenen Dorflinden zu sehen ist; so bei der Schenklengsfelder Dorflinde in Osthessen, die manchen als der älteste Baum Deutschlands (angeblich von 760, jedenfalls mehr als 1.000 Jahre alt) gilt. Unter den Linden tanzte man wie Albrecht Dürers Vater 1455 in Nürnberg (Demandt, 2002, 185), und in die Linden selbst baute man gelegentlich etwa in halber Stammhöhe Böden ein, um sie bei Festen als „Tanzlinden“ zu verwenden (so in Peesten in Oberfranken, Sachsenbrunn in Thüringen u. a.).4 Die Dorflinde, ja die Linde überhaupt, ist eines der wichtigsten Versatzstücke sich naturnah gebender Liebesdichtung. Die sich belaubende Linde im locus amoenus des „Natureingangs“, zumal mit Vogelstimmen, verheißt Liebesbegegnung und lässt Liebesglück erhoffen (s. S. 187f., 194). Für Hildegard dagegen ist die Linde kurioserweise ein Sinnbild der „Gebrechlichkeit“(!). Gegen Herzbeschwerden esse man ein Pulver aus dem Innersten der Lindenwurzel zum Brot und sommersüber bedecke man beim Schlafen das ganze Gesicht mit grünen Lindenblättern (B 24/72). Wie die „Esche“ in der alten Heldendichtung, so wird auch „Linde“ metonymisch verwendet, und zwar für den Schild, der aus ihrem leichten Holz hergestellt wurde, den man bemalte oder noch mit Leder überzog. So sang man im Älteren Hildebrandslied (66f.): heuwun harmlicco huitt£ scilti, unti im iro lintun luttilo wurtum, giwigan miti wabnum […] ‚sie hieben grimmig auf die weißen Schilde, bis ihnen ihre Linden klein wurden, zerschlagen von Waffen […]‘. Auch der Buchsbaum (Búxus sempervírens) liefert ein Holz, das sich gut für Schnitzereien und Drechselarbeiten eignet, und hat nach der 4 In Österreich, wo keine alten Tanzlinden erhalten zu sein scheinen, pflanzten 2009 zwei Brauchtumsgruppen aus Schwaz (Tirol) gleich zwei Tanzlinden; s. http://www.schwazersilberwald.at/uhu/artikel/ brauchtum09/brauch09.htm (29. 6. 2011).
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daraus hergestellten Büchse (gr. pýxis) wohl sogar seinen Namen, wenn bei uns solche Produkte auch erst im 15. Jahrhundert in Mode kamen (s. RDK 2, Sp. 3ff.). Allerdings soll der Wein aus einem aus Fichtenholz gebundenem Gefäß besser schmecken (BN 346). Das menschliche Sperma hat angeblich, wenn es „fruchtbar“ ist, den Geruch von Buchsbaumholz, ja der ganze menschliche Körper soll, wenn er gesund ist, danach riechen. Laut Hildegard übertrifft der Buchsbaum durch seine Wärme sogar noch den Sebenbaum (B 22/71). Der Saft (!) des Buchsbaums hilft gegen einen bestimmten Ausschlag, das Holz gegen Magen- und Augenleiden. Nach spätmittelalterlicher Auffassung vertreibt der Buchsbaum den Teufel. In vielen Gegenden gehört er in den am Palmsonntag geweihten Palmbuschen (Marzell, in: HDA I, 1695f.). Sethim (auch: sethin, sedhin) ist ein sehr edler Baum, der im Osten wächst und – wie Konrad zu wissen glaubt (377) – mit Dornen besetzt. Aus diesem Holz baute Noah, wie Thomas (1999, 105) irrtümlich behauptete, die Arche. In Wirklichkeit lieferte das Holz das Material für die Bundeslade, aber auch für die Tafeln mit der Neufassung der Zehn Gebote (Ex 25,13; 35,7.24; Dtn 10,3). Dem Irrtum lag die Fehlinterpretation von arca ‚Schrein‘ als Arche zugrunde. Nach jüdischer Tradition ist sethim das Holz der Schirmakazie (Acácia tórtilis). Von den Nadelbäumen ist zunächst die Tanne, tann (Ábies álba) zu erwähnen, deren Holz der Megenberger als Bauholz vor allem in feuchtem Boden preist (343f.) und dem von Fichte und Föhre, mit denen es leicht verwechselt wird, gegenüberstellt. Hildegard kennt einige magische Rezepte, in denen die eher warme Tanne, das Sinnbild der „Stärke“, gegen Geister und Dämonen, aber auch bei „Hirnwütigkeit“, Herz- und Milzbeschwerden, Geschwüren, geschwollenen Lippen und anderen Schwellungen eingesetzt wird (B 23/71f.). Die Fichte, viehte (Pícea ábies) wird, wie Konrad (369) betont, oft mit der Föhre, vorch (Pínus silvéstris) verwechselt. Er preist die Fichtenzapfen auch als Eichhörnchenfutter, insbesondere aber sind Präparationen der Zapfen für innere Leiden heilsam, in wässerigem Auszug und einer Art Aufguss vor allem auch bei Husten. Für Hildegard (B 33/73 und B6 2/78) 94
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ist die Föhre, fornhaff für forahh (h-f ), ein Sinnbild der „Wehmut“. Der Saft ist für Augensalben geeignet und veterinärmedizinisch gegen den Rotz der Tiere einzusetzen. Lärche, hauspaum (Lárix decídua) meint der gelehrte Magister sicher, wenn er (358) fehlerhaft laurex sagt, da er offensichtlich larex gegen Thomas (1999, 101) zu Lar, der Bezeichnung des Hausgeistes, stellte, wobei er eine Stelle bei Isidor (I, 36, 19) falsch verstand und lar als ein Synonym für ‚Haus‘ ansah. Häuser mit daran befestigten Lärchenholztafeln fangen in der Feuersbrunst angeblich nicht Feuer (dazu Möller, 2008, 626, Anm. 1). Es hieß auch, dass das Holz, ohne zu verkohlen, verbrenne. Die Zeder, der cederpaum (Cédrus líbani), gilt Konrad (347f.) als sehr harzreich: Mit Zedernharz bestrichene Bücher sind vor Insekten gefeit. Die blühenden Zedern tragen angeblich keine Frucht, die nicht blühenden Zedern jedoch wohl. Diese sollen besonders in Italien vorkommen. Der Magister nennt sie ‚Meerzedern‘, wobei die (etwa 10 cm langen) Fruchtzapfen die Größe von Kürbissen erreichen sollen. Ich vermute, dass hier eine Verwechslung mit der Pinie (Pínus pínea) vorliegt. Wenn es nun Lev 23,40 heißt: „Am ersten Tag nehmt schöne Baumfrüchte […]“, so nehmen die Juden, die nur dem Buchstaben folgen, laut Konrad die Früchte des Baumes arans, der auf Latein orangus heißt, deren Saft man im Mittelmeerraum im Sommer trinkt. Ist die Etrog-Zitrone (Cítrus médica cédra) oder die Bitterorange (Pomeranze, Cítrus aurántium) gemeint? Hier wird nicht gesagt, wie die Stelle „christlich“ zu verstehen wäre. Gedacht ist aber wohl an die Zeder, die nach Sir 24,16 (der Vulgata) die Jungfrau Maria bezeichnet. Der Äbtissin vom Rupertsberg ist die Zeder der Inbegriff der „Festigkeit“, warm und eher trocken (B 19/70). Aus dem Saft ihrer grünen Zweige macht man mit Honig eine Latwerge, von der die Milz gesundet. Ist sie genesen, so darf man das Präparat ja nicht mehr konsumieren, weil man sonst innerlich hart und steinern wie Holz wird! Meint sie tatsächlich die Zeder oder doch eher den heimischen Wacholder, wie F-B (216) annahm? An der Zypresse, dem cypressenpaum (Cupréssus sempervírens), betont Konrad (348f.), dass er ein exzellentes Bauholz liefere, das sehr 95
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belastbar sei. Es wird in der Vulgata allerdings meist als „Tannenholz“ (abiegnum von abies ‚Tanne‘) bezeichnet. Der Megenberger erwähnt, dass die Tannenzapfen den Zypressenäpfeln ähneln, ja sogar die Samenkörner ähnlich schmecken, auch die Terebinthe könne man vergleichen. Die Frage, welche der Koniferen gemeint ist, entzieht sich meiner Beurteilungskompetenz (ich folge dem Bibel-Lexikon). Das fragliche Holz war auch zum Bau der Arche verwendet worden (Gen 6,14). Der hoch aufragende Baum cupressus ist natürlich wieder ein Bild Mariens (in Sir 24,17 der Vulgata), die uns vom Berg des himmlischen Friedens aus hält und ihre Gnade herunterbreitet, ansonsten wären wir längst den Bösewichtern unzuht, untugent, untrew und valschait verfallen. Gemäß der hl. Hildegard ist die sehr warme Zypresse Sinnbild für „Gottes Verborgenheit“ (B 20/70f.). Sie rät, stets ein Stück Zypressenholz bei sich zu tragen, weil dann jener, der das „Tüchtige“ scheue, einem nicht ankönne, und gibt Anweisungen für einen Ritus, nach dem unter Gebet lebendiges Quellwasser durch einen Ring aus Zypressenholz gegossen wird, wodurch ein in magische Gewalt Verstrickter befreit werden soll. Aus den Ästen der Birke (Bétula), vibex und mirica – eine Verwechslung mit dem Namen des Gagelstrauches – macht man Besen (361). Interessanter ist aber, was Konrad unter Berufung auf Aristoteles über den Birkensaft ausführt: Er wurde auf dem Land gerne von kleinen Kindern getrunken. Noch heute ist das Anzapfen der kälteresistenten Birken im Frühling in Osteuropa, etwa in Estland, nichts Ungewöhnliches, wenn der Saft auch kaum mehr zu Birkenwein vergoren wird. Der Megenberger kennt aber auch die Herstellung des schon in der Altsteinzeit erzeugten Birkenpechs, ein vielseitig verwendbarer Klebstoff, den man etwa zum Schäften von Werkzeugen und Pfeilspitzen, zum Flicken von Keramik, Dichten von Gefäßen, aber auch zum Kauen (als Kaugummiersatz oder zur Zahnhygiene) verwendete. Freilich hat er die Herstellung des Birkenpechs nicht selbst gesehen, sondern weiß nur, dass beim Ausbrennen der Rinde eine stinkende Flüssigkeit anfällt, die auch als
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holz
Wagenschmiere verwendet wird.5 Für Hildegard ist die Birke ein Sinnbild der „Fruchtbarkeit“ und heilt mit ihren Blüten Furunkel (B32/73). Von der Eibe, dem dachspaum (Táxus bacáta) weiß Konrad (380), dass sie bis auf den roten Samenmantel der Früchte giftig ist. Vor allem in Kalabrien ist das Gift so stark, dass der im Schatten einer Eibe Schlafende Gesundheitsschäden befürchten muss und eine Biene schon von der Berührung des Baumes stirbt. Aus dem Holz der Eibe „machten sich die alten Heiden früher Bogen und Armbrust“. Diese Aussage ist aus Isidor (XVII, 7, 40) abgeschrieben und deshalb erstaunlich, weil die Bogner noch zu Konrads Zeiten und lange da rüber hinaus das elastische, zähe und harte Eibenholz verarbeiteten. „Jedes Handelsschiff, das ab 1492 in England Handel treiben wollte, musste eine bestimmte Anzahl Eibenrohlinge mit sich führen […]. Allein zwischen 1521 und 1567 wurden aus Österreich und Bayern zwischen 600.000 und 1 Million zwei Meter lange und 6 cm breite Eibenstäbe für die Weiterverarbeitung zu Bögen ausgeführt.“6 Das führte ja auch dazu, dass der Eibenbestand unserer Wälder weitgehend zerstört wurde. Der Megenberger hat die Stelle kritiklos aus Thomas (1999, 106) übernommen und sich in Wien nicht in die Bognergasse verirrt, wo solche Bögen erzeugt wurden. Hildegard nennt die Eibe, für uns ein klassischer Friedhofsbaum, weil er im Volksglauben die Dämonen fernhält, eher kalt und trocken und – erstaunlicherweise – ein Sinnbild der „Fröhlichkeit“. Der Rauch von Eibenholz hilft gegen Nasen- und Brustleiden, ein Eibenholzstab spendet Gesundheit (B 31/73). Schon in heidnischer Zeit hatte die Eibe, deren Name auch die ī-Rune bezeichnet, religiöse und magische Bedeutung (s. unten S. 268). Von der Ulme, ulmpaum oder ilmpaum (Úlmus) weiß das BN, dass sie eigentlich zu nichts zu gebrauchen sei, außer um daran Weinreben zu ziehen (384), weil sie diesen nicht schade. Hildegard schreibt der 5 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Birkenpech (27. 1. 2011). 6 http://de.wikipedia.org/wiki/Europäische_Eibe#Das_Holz_der_Eibe (27. 1. 2011)
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2. Pflanzen aus der Sicht ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit
iffa ausgeglichene Temperatur zu (B 47/75). Sie ist ein ausgezeichnetes Mittel gegen „Gicht“, wenn sich der Kranke an Feuer aus Ulmenholz wärmt. Hat er aber schon die Sprache verloren, so gebe man ihm kaltes Wasser mit eingelegten Ulmenblättern zum Trinken.
andErwEItIg VErwEndbarE PflanZEn So benutzte man Schachtelhalmarten, besonders den Ackerschachtelhalm, katzenzagel (Equisétum arvénse), der als gefährliches Unkraut galt (s. oben S. 50), mit seinen eingelagerten Kieselsäurekristallen zum Polieren des Zinns, daher auch der Name Zinnkraut. Der Name ist erst seit dem 17. Jahrhundert belegt, die Verwendung der Pflanze aber gewiss viel älter. Merkwürdig ist, dass bei Konrad und schon in seiner Vorlage das Schilf (Phragmítes austrális) bzw. arundo unerwähnt bleibt, obwohl es in der Verspottung Christi von großer Bedeutung ist (Mt 27,29) und auch sonst keineswegs in der Bibel fehlt (K. Laske, in: LCI 4, 70f.). Die Clavis schreibt ihm gleich vier allegorische Bedeutungen zu (420f.). Angesichts der Häufigkeit reetgedeckter Häuser war rietach oder rietgras auch im Alltag des Mittelalters überaus wichtig. Mehrfach Verwendung fand die Binse oder Simse (simez bei H.), pinz, sem(e)d(e) (Júncus) – allerdings keine medizinische, wie Hildegard sagt (158,47; doch vgl. F-B, 205) – in verschiedenen, nicht weiter differenzierten Unterarten. Kurios ist die schon bei Notker versuchte Etymologie des ahd. binez ‚Binse‘: Ihr Name bezeichnet die „Unsterblichkeit“, weil sie immer aus der Nässe wächst und daher den Namen hat (bī-nazi ‚bei der Nässe‘; Martianus Capella 104). In der höfischen Welt war es üblich, den Fußboden der Räume mit Binsen zu bestecken oder zu bestreuen (Moriz von Craûn 1176; Decameron, Einleitung zum Ersten Tag), insbesondere wenn man auf Kissen auf dem Boden saß, wie das etwa in der walisischen Tradition für den Artushof gesagt (z. B. in Iarlles y Ffynhawn, in: Birkhan, 1989, I, 65), aber auch in den deutschen Romanen erwähnt wird (Pz. 83,28; 549,13). In der Tynwald-Zeremonie auf der Isle of Man ist heute noch das Aufstreuen 98
anderweitig verwendbare Pflanzen
von Binsen üblich (s. unten S. 220f.). Konrad nennt den pinzz oder semd cirpus (eigentlich botanisch Cypérus, keine „echte“ Binse) aber auch in der Weinaufbereitung. Danach legte man das Mark der Binsen in gewässerten Wein mit dem Ergebnis, dass das Mark sich mit dem Wasser vollsog und der Alkohol zurückblieb (424). Durch das Mark des Stengels gleicht die Binse der Wasser-Schwertlilie (s. unten S. 160). Aus Binsen und ähnlichen Riedgräsern wurde auch allerlei geflochten. Bemerkenswert scheint auch die Verwendung der Binse als billiger Kerzenersatz. Dazu wurde das Mark der Flatterbinse (Júncus effúsus) aus dem Stengel geschält und mit Abfallfett aus der Küche getränkt. In einen Binsenlichthalter geklemmt, leuchtet eine „Binsenkerze“ von 30 cm Länge etwa 20 Minuten. Um in meiner Darstellung der mittelalterlichen Sicht der Dinge gerecht zu werden, habe auch ich die Pflanzenwelt, von der ich hier handle, gleichsam im Binsenlicht besehen, das freilich eher die Umrisse denn die Details erkennen lässt. Auch die Königskerze (Verbáscum), die gegen den Blitz zu Mariä Himmelfahrt geweiht wurde, konnte getrocknet und in Pech getaucht als Fackel, in Wachs getunkt als Kerze dienen, wovon sie ja auch ihren Trivialnamen hat. In ihrer apotropäischen Funktion sehen wir sie ganz im Vordergrund in Albrecht Altdorfers Gemälde „Susanne im Bade“ (1526) in der Alten Pinakothek (München). Hier soll sie wohl den Verdacht des Ehebruchs (Dan 13) abwehren. Eine Reihe von Pflanzen konnte man gegen Ungeziefer einsetzen, wie etwa die rätselhafte syme Hildegards (157/47). So auch das giftige Stephanskraut, staphysargia (Delphínium staphiságria), das Konrad (455) wegen einer sehr vagen Ähnlichkeit der Samenkörner mit schwarzen Kichererbsen perch chicher nennt. Der gr. Name staphisagria bedeutet eigentlich ‚wilde Rosinen‘. Die Samen der auch läuskraut genannten (schwer giftigen), auf dem perg Libano wachsenden Pflanze kaut man, damit sie das flegma aus dem Gehirn ziehen oder auch um Zähne und Zahnfleisch von „faulem Blut“ zu reinigen. Wenn man sie sich jedoch pulverisiert in einem Tuch umbindet, so sammeln sich daran die Tierchen, die der wohlerzogene Magister sonst füezling (für lat. pediculi) nennt, hier aber läus, wofür er sich 99
2. Pflanzen aus der Sicht ihrer wirtschaftlichen Nützlichkeit
eigens entschuldigt! Auch die Senf-Arten (Sinápis) vertreiben durch ihren Rauch giftige Würmer (457f.), so wie auch der wermuot ([Artemísia] absínthium) sich gegen jede Art Ungeziefer und auch Mäuse einsetzen lässt (s. unten S. 173). Wenig Nutzen bringen die Wicken (Vícia satíva ), die wegen ihrer blähenden Wirkung kein gutes Pferdefutter liefern, jedoch in grünem – ja nicht trockenem! – Zustand eingepflügt eine gute Düngung ergeben (460). Daran schließt sich wieder eine Allegorese: „So sollen auch wir uns mit guten Werken umackern, so lange wir frisch und jung sind; denn wenn wir vor Alter dürr werden, so verdorrt auch mit uns der Acker aller guten Werke, so daß wir weder Gott noch der Welt dienen können.“ Die nüchterne Hildegard nennt die Saat-Wicken wichim und empfiehlt ihre Anwendung bei Geschwülsten und Warzen (192/53).
100
3. PflanZEn aus dEr sIcht IhrEr magIschEn VErwEndung
allgEmEInEs
W
ie erwähnt, war das Interesse von Thomas und Konrad, aber auch schon der hl. Hildegard an den Pflanzen ein vorwiegend „magisches“, insbesondere auf die magia naturalis der Heilkunde bezogen, wobei den Gewürzen und den „aromatischen Bäumen“ gewöhnlich auch ein Heilwert zugeschrieben wurde, sodass sie hier mit den eigentlichen Heilpflanzen zusammen erscheinen müssen. Geruch ist alles. Ganz allgemein gilt, dass der Duft einer Pflanze, deren Teile etwa in einem perforierten „Bisamapfel“ aus Metall eingeschlossen waren (Wentzel, 1948), wichtiger genommen wird als etwa die Blütenform und -farbe. Man hat beobachtet, dass der Gewürzverbrauch mit dem Ende der großen Pestepidemien auffällig zurückging (Wiswe, 1970, 66). Wir haben schon gesehen, dass Hildegard auch reine Nutzpflanzen wie die Getreide und Rüben nur hinsichtlich ihres Heilwertes interessierten. Ab und zu ist von Pflanzen die Rede, die wir heute als fabulös erkennen, die aber dem Mittelalter durchaus Realität waren. Thomas 101
3. Pflanzen aus DER Sicht ihrer magischen Verwendung
(1999, 114) und Konrad (403) beschreiben nach Platearius etwa einen Baum Onicha oder Onycha, der den Onyx liefert, ein Stein, der auch in der Bibel mehrfach erwähnt wird (z. B. Ex 28,9.12.20) und von dem eine alternative Theorie besagte, dass er nach Art der Perlen in Austern gefunden werde. Die Fehleinschätzung, dass der Onyx ein Baumharz sei, ist im Hinblick auf den Bernstein, dessen Harzcharakter man kannte, leicht zu verstehen. Im Übrigen traute man dem Stein besondere ophthalmologische Heilkraft zu: Er sinke in das kranke Auge ein und wandere darin so lange umher, bis er die erkrankte Stelle geheilt habe (BN 490f.). Sehr erstaunlich, wenn man bedenkt, wie lästig schon ein winziges Staubkorn dem Auge ist. Weitere Grenzfälle halb fabelhafter Pflanzen, die auf ungenauer Kenntnis und Verwechslungen beruhen, werden wir in diesem Abschnitt noch kennenlernen. Grundsätzlich hat wohl der Glaube bestanden, dass nach Gottes Heilsplan jede Pflanze Heilkraft enthalte und es nur darauf ankomme, sie richtig zu sammeln und anzuwenden. Die mittelalterliche Tradition Irlands wusste, dass der mythische Arzt Diancécht seinen Sohn aus Eifersucht über dessen noch größeres Wissen erschlagen habe. Aus dem Grabhügel wuchsen 365 Heilkräuter gemäß den Nerven und Gelenken des Begrabenen. Seine Tochter Airmed brachte die Pflanzen in eine „anatomisch richtige“ Ordnung, doch der noch immer eifersüchtige Götterarzt verwirrte diese, sodass man sie heute nur mithilfe des Hl. Geistes richtig applizieren kann (Birkhan, 1999a, 627f.). Die Zahl 365 verweist aber auch auf die Tage des Jahres, weil man anatomisches und Kräuterwissen wieder zur Astrologie in Beziehung setzte. Natürlich durften die Kräuter und Zweige nicht einfach abgerupft, sondern mussten quasi-rituell eingebracht werden. Burchard von Worms fragte in seinem zwischen 1008 und 1012 entstandenen Poenitentiale (19, 5): „Hast du Heilkräuter unter anderen Gebeten gesammelt als dem Absingen des Glaubensbekenntnisses und des Vaterunsers? Wenn ja, so hast du zehn Tage bei Wasser und Brot zu büßen.“ Allerdings gibt es dann kirchliche Kräutersegen, die sich darauf berufen, dass der Allmächtige die Kräuter zum Heil der Men102
allgemeines
schen geschaffen habe, und mit Amen enden. Diese Kräuter müssen in speziellen Zahlen gesammelt und kirchlich geweiht werden. Die Benediktionsformel für die Kräuterweihe, die am 15. August zu Mariä Himmelfahrt stattfand, ist seit dem 10. Jahrhundert bekannt. Volkssprachliche Kräutersegen bilden eine eigene literarische Gattung (Ohrt, in: HDA s. v. Kräutersegen). Andere von der Kirche nicht akzeptierte Details wie die Meinung, dass Kräuter um Mitternacht, vor Tag oder beim Gebetsläuten und an bestimmten Tagen wie Fronleichnam oder Johannis zu ernten sind, wobei der Boden nicht mit der Hand oder Eisen berührt werden darf (was wir schon bei Plinius lesen) und die sammelnde Person besonders gekleidet oder nackt zu sein hat, und anderes mehr finden wir nicht in den mittelalterlichen Kräuterbüchern, sondern in den volkskundlichen Zeugnissen alten Glaubens (Marzell, HDA s. v. Heilkräuter; Beitl, 1955, 610f.). Die Kontinuität ist höchst bemerkenswert, denn die rezenten Bauerngärten stehen in vielem den aus der Antike und durch die Klöster vermittelten Gärten, dem im Capitulare de villis geforderten Maximalbestand und dem, was etwa in der altdeutschen Wiener Genesis an Paradiespflanzen aufgezählt wird, nahe. Dazu gehören Pflanzen, die mitunter besonders schön sind, die aber immer auch entweder als Gewürze oder Heilmittel im Sinne der Simplicia Hildegards Verwendung fanden und z. T. noch finden: Alant, Betonie, Bohnenkraut, Buchs, Dill, Eberraute, Eibisch, Estragon, Fenchel, Frauenminze (keine „echte Minze“, sondern die Asteracéa Cóstum, d. h. Tanacétum balsamíta), Iris, Kerbel, Knoblauch, Koriander, Kümmel, Liebstöckel, L ilie, Majoran, verschiedene Minzen, Päonie (= Pfingstrose), Pappelrose, Petersilie, Rainfarn, Raute, Ringelblume, Rose, Rosmarin, Salbei, Sellerie, Vexiernelke, Wermut und Ysop. Aus einem nahe gelegenen kleinen Teich mögen noch die lanzettlichen Blätter des Kalmus ragen. Viele weitere Schmuckstücke des Bauerngartens sind in nachmittelalterlicher Zeit dazugekommen, so die Tränenden Herzen (Dicéntra spectábilis) und Chrysanthemen aus China, Flieder, Tulpe, Hyazinthe, Levkoje, Goldlack, Garten-Nelke aus der Türkei, Sonnenblume, Goldrute und Dahlie aus Amerika (vgl. Beitl, 1955, 232f.). 103
3. Pflanzen aus DER Sicht ihrer magischen Verwendung
dIE hEIlPflanZEn bEI konrad und hIldEgard Anders als im vorigen Abschnitt, wo ich mich an den Aspekten der Nutzung orientierte, werde ich im Folgenden die einschlägigen Pflanzen, vor allem nach Konrad von Megenberg und Hildegard von Bingen, gemäß den heute üblichen deutschen Vulgärnamen durchgehen (s. oben S. 39), worauf dann wieder, soweit angegeben, die Primärqualitäten folgen sollen. Danach referiere ich die Bedeutung der Pflanzen, insbesondere im Sinne der magia naturalis. Ahorn (Ácer; k-t) versinnbildlicht nach Hildegard etwas „Aufgeschrecktes“ und lässt sich gegen Fieber und Gicht einsetzen (B 30/73). Vermutlich ist an den Spitzahorn (Ácer platanoídes) gedacht, weil der Feldahorn später als Maßholder noch erwähnt wird (s. unten S. 138 zu Maßholder und oben S. 91 zur Platane). Akelei, agleya (Aquilégia vulgáris) – die ackeleia, acoleia wird von Hildegard (132/44) als kalt eingestuft und u. a. gegen Skrofeln und Fieber empfohlen. Sie ist eine marianische Pflanze (s. unten S. 245), die aber auch wie auf dem Genter Altar von St. Bavo (1432) der Brüder van Eyck auf Christus bezogen werden kann. Die Blüte der Akelei (Abb. 2) sieht aus, als würden fünf Vögel (Adler oder Tauben) so im Kreis sitzen, dass sie ihre Schnäbel zueinander neigen, weshalb der Pflanzenname angeblich von aquila ‚Adler‘ abgeleitet sein soll bzw. die Pflanze auch volkstümlich Taubenblume oder ähnlich hieß (LCK, 18f.). Alant, Echter A., enula (Ínula hélenium; h-t) hat als honigwurtz oder luterdrang zubereitet nach Hildegard (95/35) vor allem bei Lungenleiden viele heilsame Kräfte. Man würzte mit Alant auch Bier. Diese sehr schöne alte Kulturpflanze findet man heute noch gelegentlich verwildert. Aloë (h1-t1) erscheint bei Konrad zweimal (385–387), einmal als zubereitete Salbe, das zweite Mal als ein Baum mit duftendem Holz. Aus104
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
gangspunkt für die Salbe ist Áloë véra, eine aus Arabien stammende Pflanze, die bereits in der Antike für Heilsalben verwendet wurde. Sie heilt Knochenbrüche, aber auch den Biss giftiger Tiere, macht die Augen klar, eine schöne Gesichtsfarbe und wirkt abführend. An sie denkt wohl auch Hildegard, wenn sie diese u. a. gegen Fieber, Husten, „Reißen“ und Gelbsucht (174/50) und später nochmals (224/56) gegen Geschwüre und Krätze empfiehlt. Das Aloëholz stammt vom Adlerholzbaum (Aquilária malaccénsis), der z. B. in Indien wächst und mit Aloë vera nichts zu tun hat. Dieses berühmte Holz erscheint in Hld 4,14 und in Ps 45,9, als Heilmittel bei Dioskurides (I, 21) und als tarum bei Plinius (n. h. 12, 98). Der duftende Rauch von lign aloë diente als Heilmittel, das Holz selbst hat höchsten Prestigewert und wird in den Kaminen der Gralsburg verbrannt (Pz. 484,17; 790,7; 808,13). Konrad berichtet, dass das Holz aloës aus dem Paradies stammt, von wo es durch Flüsse in die Menschenwelt gelange. Es gibt eigentlich keinen Körperteil, für den das Aloëholz nicht heilsam wäre. Auch eine kuriose Applikation des Paradies- oder Rosenholzes sei erwähnt: Pulverisiert man das Holz zusammen mit Nelkenblättern und dem Knochen, der sich im Hirschherzen (!) befindet, und macht man davon eine Salbe, so wird ein Hahn, dessen Kopf damit eingerieben wurde, weder tags- noch nachtsüber krähen (387). Alraun (mask.), Alraune (fem.), mandragora (Mandrágora officinárum) ist eine der berühmtesten Zauberpflanzen (h1-t1), um die es eine eigene Wissenschaft gibt und mit der sich auch Hildegard eingehend ausei nandersetzte; vgl. auch die rezente Alraunenmagie bei Heinrich Marzell (1927). Um den Alraunenglauben kurz zusammenzufassen: Die Pflanze wächst vom Samenerguss eines Gehenkten, also vorwiegend unter dem Galgen. Beim Ausgraben der Wurzel stößt diese einen so entsetzlichen Schrei aus, dass er tödlich ist. Um dem zu entgehen, legt der Erfahrene die Wurzel nur teilweise frei, bindet diese dann einem Hund an, den man mit einem Bissen lockt. Der Schrei tötet den Hund, nicht den Magier, wenn er sich die Ohren verstopfte oder den Schrei durch einen Trompetenstoß übertönte. Die Alraunenwurzel, die einem kleinen 105
3. Pflanzen aus DER Sicht ihrer magischen Verwendung
Mann oder einer kleinen Frau ähnelt, wirkt Liebeszauber und bringt als dienstbarer Geist (spiritus famulans) Reichtum. Ihren Eigner erwartet die Hölle, wenn er im Besitz der Wurzel stirbt. Sie ist aber schwer anzubringen, weil sie immer wieder zu ihrem Besitzer zurückkehrt (Birkhan, 2010, 65–69). Die Alraune hat es zu hohem Ansehen und 1911 zu einem fantastischen Roman („Alraune. Die Geschichte eines lebendigen Wesens“ von Hanns Heinz Ewers) gebracht, der zwischen 1918 und 1952 immerhin sechsmal verfilmt wurde. Höchst erstaunlich ist, dass Konrad bei dieser vielleicht wichtigsten Zauberpflanze überhaupt nicht auf deren Problematik eingeht (440f.). Zwar weiß er, dass eine männliche und eine weibliche Pflanze unterschieden werden, doch erkennt er das Geschlecht nicht an der Form der Wurzel wie die Autoren vor ihm, sondern an den Blättern (!). Die der männlichen Pflanze gleichen den Mangoldblättern, die der weiblichen Pflanze denen des Lattichsalats. Die Wurzel verursachte anfangs viele Todesfälle, doch entdeckte man Butter und Honig als Antidot. Die Mandragoraäpfel, die im Hld 7,14 dudaim heißen und die Konrad erd=pfel nennt, sollen wohlschmeckend sein. Die Hauptwirkung der Mandragorawurzel, die labro heißt, ist die eines Schlafmittels. Dabei wirkt sie so stark, dass man dem Schlafenden Gliedmaßen amputieren kann, ohne dass er es merkt. Sie diente daher mit Wein gesotten als Narkotikum für Delinquenten, die im mittelalterlichen Strafvollzug verstümmelt wurden. Ansonsten ist die Pflanze in der Frauenheilkunde von Bedeutung: Von einem Ersatz, etwa durch Allermannsharnisch (Állium victoriális; HDA 1, 264–267) oder die Zaunrübe (s. S. 175), ist noch nicht die Rede. Hildegard geht recht ausführlich auf den Alraun (h2-f ) ein (56/28). Da die Pflanze besonders den Nachstellungen des Teufels ausgesetzt ist, muss sie einen Tag und eine Nacht in Quellwasser gelegt werden, damit sie ihre diabolisch-magische Kraft verliert. Männer, die sexuelle Anfechtungen erfahren, mögen sich die weibliche Wurzel zwischen Brust und Nabel umbinden, später gespalten drei Tage und drei Nächte auf den Lenden tragen. Sinngemäß gegenteilig verfahre eine Frau. Gegen den Schmerz in bestimmten Körperteilen möge man die „Körperteile“ der 106
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
Wurzel verzehren. Auch gegen Melancholie hilft die mit in das Bett genommene Alraune. Da die Alraune nicht leicht zu bekommen ist, kann man sich auch mit dem ersten schönen gepflückten Buchenlaub (!) behelfen, doch wird nicht klar, ob dies nach der Heiligen alle Anwendungsbereiche der Alraune betrifft oder nur die Anwendung gegen Trauer. Amomum ist mit großer Wahrscheinlichkeit unter den etwa 230 Amomum-Arten zu suchen, die zu den Ingwergewächsen (Zingiberaceae) gehören, und ist trotz der einigermaßen genauen Beschreibung bei Thomas (1999, 109) und Konrad (387f.) nicht zu identifizieren, außer dass es angeblich nicht mit Cardamon identisch ist. AmomumRauch ist bei Frauenleiden einzusetzen, ein Amomum-Pflaster ist ein Antidot gegen Skorpionbisse. Ich vermute, dass das Amomum-Kapitel irrtümlich aus dem Cardamon-Kapitel entstanden ist oder umgekehrt (s. S. 115). Ampfer (Rúmex) wird als amphora von Hildegard als indifferent in den Qualitäten angesehen. Sein Genuss würde den Menschen traurig stimmen, dem Ochsen jedoch sehr zuträglich sein (41/25). Da sie den sauren Geschmack nicht erwähnt, vermute ich, dass sie nicht den Sauerampfer (Rúmex acetósa) meint, der als Viehfutter wenig geeignet ist, wenn er auch in der Küche – schon von Horaz (Sat. II, 4, 29) empfohlen – als Mittel gegen Katzenjammer eingesetzt wurde (Wiswe, 1970, 67), sondern den geschmacksneutralen, üppigen Stumpfblatt-Ampfer (Rúmex obtusifólius), der heute als Überdüngungsanzeiger überall häufig ist. Andorn, marobel, marubium, sigminz, prasium (Marrúbium vulgáre; h-t) reinigt die Brust, klärt die Stimme und ist gůt für daz pl(n (‚Geschwülste‘) an den aftern adern, die emoroydes haizent (BN, 443). Hildegard empfiehlt den warmen andorn, andron bei Schwerhörigkeit und Halsschmerzen (33/23). Walahfrid dürfte allerdings die Wirkung der Pflanze überschätzen, wenn er mit Bezug auf Ovid (Metam. I, 148) sagt (Walahfrid, 204–207): 107
3. Pflanzen aus DER Sicht ihrer magischen Verwendung
Sollten dir Stiefmütter je feindselig bereitete Gifte Mischen in das Getränk oder trügenden Speisen verderblich Eisenhut mengen, so scheucht ein Trank heilkräftigen Andorns, Unverzüglich genommen, die drohenden Lebensgefahren. Anis, (neys, römischer venichl, süezer kümel (Pimpinélla anísum; h-t) fördert nach Konrad (417f.) die Verdauung, hemmt Blähungen, ist harntreibend, erhöht die Milchproduktion, reinigt den Uterus von Leukorrhöe – und verlockt leider zur Unkeuschheit. „Arnika, Bergwohlverleih (Árnica montána)“ oder „Wiesenarnika (Árnica chamissónis)“ soll bei Hildegard und in anderen Texten wulues gelegena (etwa ‚die Wolfsartige‘?) heißen (Physica, 151) und große, giftige Wärme haben. „Wenn ein Mann oder eine Frau in Liebe erglüht, dann wird, wenn jemand sie oder ihn auf der Haut mit grüner Wolfsgelegena berührt, der Berührte in der Liebe zum anderen verbrennen, und wenn das Kraut vertrocknet ist, dann werden Mann oder Frau durch die Liebesglut fast rasend, sodass sie schließlich unsinnig werden“ (156/47). Wegen der Giftigkeit dieser Pflanze möchte sie F-B (214) als Wolfs-Eisenhut (Aconítum lycóctonum) verstehen. Die Identifizierung ist aber mehr als zweifelhaft. Sie ist jedenfalls nicht die uns geläufige Arnika: Aronstab, herba aaron – sowohl der Gefleckte Aronstab (Árum maculátum) als auch der Südöstliche A. (Á. alpínum), eine botanisch erst sehr junge Differenzierung (Fischer, 1994, 1048), und der Italienische A. (Á. itálicum; F-B, 198) kommen infrage. Auf die – überschätzte (Frohne/ Pfänder, 1997, 67–69) – Giftigkeit des Aronstabs weist Hildegard (49/27), die ihn als mild-warm bezeichnet, nur insofern hin, als sie empfiehlt, ihn den Pestkranken als Sterbehilfe (!) zu verabreichen. Ansonsten rät sie zur Anwendung der Pflanze bei Artikulationsproblemen und Melancholie. Sie spricht später von einem Kraut basilisca, basilica, basilia (230/56), das gewöhnlich mit dem Aronstab gleichgesetzt wird (auch F-B, 198). Wie dieser hilft er auch bei Sprechschwierigkeiten, jedoch ist es in seiner Qualität kalt. Ist die Pflanze mit dem 108
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
Basilikum (s. S. 110), das bei Hildegard sonst fehlt, zu identifizieren, wie F-B (197) auch erwägt? Attich, Zwerg-Holunder, hatich (Sambúcus ébulus; k-f ) will Hildegard (120/42) nur für feuchte Umschläge beim „Brausen“ des Kopfes und bei Nagelfäule an den Händen gebrauchen. Ansonsten ist er der menschlichen Natur zuwider und gefährlich. Später wird dies sinngemäß im Abschnitt de esulo (wahrscheinlich verschrieben für ebulo) wiederholt. Die schwarzen Beeren wurden in der Färberei verwendet. Augentrost, Wiesen-Augentrost (Euphrásia officinális) ist vielleicht mit der eher kalten wuntwurtz Hildegards (44/25) gemeint, aber auch die Gewöhnliche Brunelle (Prunélla vulgáris) wird wuntwurtz genannt (Fischer, 1929, 262). Beide Pflanzen haben nicht den erwähnten „gefährlichen Saft“, der nur äußerliche Anwendung bei Verwundungen und Pusteln erlaubt. Bachbunge, pungus (Verónica beccabúnga), die den alten Iren wie auch uns heute als Wildgemüse gilt, ist nach Hildegard „warm“ und wird in Musform als Abführmittel und gegen Gicht gebraucht (71/33). Baldrian, Echter B., denemarcha (Valeriána officinális; h-t) verwendet die Heilige gegen Lungenentzündung und Gicht, keinesfalls wie wir heute als Beruhigungsmittel (142/46). Balsam (h4-t4) besteht aus den in der Sonnenhitze ausgeschwitzten Harztropfen vom balsempaum (Balsamodéndron opobálsamum syn. gileadénse oder syn. Commíphora opobálsamum). Man erhöht den Ertrag durch zusätzliche Einschnitte in die Rinde. Im Altertum in Judäa beheimatet, wo er um Jericho von Salomon angepflanzt wurde, nachdem ihm die Königin von Saba Pflanzen aus Arabien gebracht hatte, ist der Balsam zu einem der bedeutendsten Düfte der Welt geworden. Seine Berühmtheit geht schon daraus hervor, dass Vespasian und Titus bei ihrem Triumphzug als Trophäe einen Balsamstrauch aus Judäa mitführten (Plin. n. h. 12, 53). Das Harz diente rein oder verarbeitet als Duftstoff zu Räucherwerk, in der Kosmetik und als Gewürz (z. B. 109
3. Pflanzen aus DER Sicht ihrer magischen Verwendung
1 Kön 10,25; 2 Chr 9,1.9.24). Nach Konrad (389–392) haben aber zu seiner Zeit nur jene Balsampflanzen das duftende Harz abgesondert, die auf den Grundstücken von in Babylon unterdrückten Christen wuchsen (!). Im Wasser eines der sechs babylonischen Brunnen hatte Maria einst das Jesuskind gebadet, wodurch die von diesem Brunnen bewässerten Balsamsträucher duftend wurden. Der Megenberger geht mit großer Breite auf die Verfahren ein, echten Balsam von Verfälschungen zu unterscheiden. Das berühmte Harz wird in der Gynäkologie verwendet, weil es die Geburt des Kindes und das Abgehen der Nachgeburt befördert, und natürlich bewahrt echter Balsam tote Körper beim Einbalsamieren. Dass der Bezug des Balsams (nach Hld 4, 10, 14) auf Maria Konrad zu einem allegorisch-erbaulichen Exkurs veranlasst, ist selbstverständlich. Hildegard hat so viel Ehrfurcht vor dem Harz, dass sie vor leichtfertiger Verwendung warnt, gleichsam um es nicht zu erzürnen. Bei schwerem Fieber, Jähzorn, Gicht ist aber der Griff in den Topf mit carpobalsamum ‚Balsamkörnern‘ angebracht (177/51). Bärwurz, berurtz (Méum athamánticum; h-t) ist bei Hildegard ein Fieber- und Gichtmittel, die Wurzel in Essig heilt Gelbsucht (135/45). Basilikum, basilicon oder basilig (h-t) – darunter fasst Konrad (420) je nach der Blattgröße zwei verschiedene Unterarten der Pflanze zusammen. Die Synonyme tragunthea (für dracontea), serpentoria und colubrina helfen nicht weiter bzw. führen auf Abwege, weil die Tradition der Basiliskensage mit dem Glauben, die Pflanze wachse dort, wo sich der Basilisk aufgehalten habe, vermischt wird. Wenn der Magister berichtet, die Pariser Gelehrten zögen basilicon vor ihren Schlafkammern und die Pflanze dufte erst, wenn man sie berührt, so bezieht sich dies wohl auf das uns geläufige Basilikum (Ócimum basílicum; vgl. S. 108.) Beifuß, peypos Arthemesya (Artemísia vulgáris; h-t) fehlt in kaum einem Herbar und hat es auch heute zur Aufnahme in populäre Darstellungen von Hexen- oder Frauenkräutern (z. B. Beckmann/ Beckmann 1990) gebracht, schon wegen der von Artemis abgeleite110
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
ten lat. Bezeichnung. Die Pflanze, deren deutscher Namen vielleicht ursprünglich „was man im Mörser dazu zerstößt“ bedeutete (< germ. *bī-bauta-) wurde dann volksetymologisch zu „bei Fuß“ verändert, gestützt auf den bei Plinius (n. h. 26, 150) überlieferten Glauben, dass man auf einer Reise nicht ermüde, wenn man sich Artemisia umgebunden habe. Kurios ist, dass Konrad (418) sich nur sehr kurz zum Beifuß auslässt und zu dem gerade erwähnten Glauben sagt: „Versuch es nur, ich jedenfalls glaube das nicht, es sei denn durch Zauberei.“ Hildegard (107/38) setzt den sehr warmen biboz gegen Eingeweideschwäche, äußerlich gegen Geschwüre ein. Auslasser (s. S. 33) nannte die Pflanze St. Johannisgürtel (Fischer, 1929, 56). Sie heißt auch Sonnwendgürtel und hatte wohl früher heidnische Bedeutung (Beitl, 1955, 73), wie relikthaft auf der Isle of Man (s. unten S. 220f.). Beinwell, Echter B., consolida (Sýmphytum officinále) ist nach Hildegard kalt und kann die guten Säfte verderben. Doch heilt er innere und äußere Geschwüre (145/46). Benediktenkraut, benedicta nennt die Äbtissin vom Rupertsberg warm und ein Aphrodisiakum, das auch die geschwächten Körperkräfte erneuern kann (63/48). Wer auf seine Wirkung nicht verzichten will, hat die Wahl zwischen dem mediterranen Benediktenkraut, auch Kardobenedikte, Benediktendistel (Centauréa benedícta), das früher viel angebaut wurde, und der Echten Nelkwurz (Géum urbánum), gleichfalls einer wichtigen Volksarzneipflanze, die auch sonst benedictenwurzel und ähnlich genannt wird (F-B, 198; Fischer, 1929, 265, 270). Bertram, Deutscher B., bertram < piretrum, nach Fischer (1929, 259) die ausgestorbene7 Asteracea (Anacýclus officinárum; h-t), die entfernt einer Kamille ähnelte. Hildegard empfiehlt diese Pflanze Gesunden und Kranken (18/21). Besenginster, pruma, pryme (Cýtisus scopárius) – diese Deutung von 7 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Deutscher_Bertram (22. 2. 2011).
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3. Pflanzen aus DER Sicht ihrer magischen Verwendung
F-B (219) hat viel für sich. Hildegard stellte aus den in Kuhbutter gekochten Blüten eine Salbe gegen Lepra her (B50/75). Betonie, Ziest, Bethonica, patonige, pat=nig (Betónica syn. Stáchys officinális; h-t) ist eine der wichtigsten Zauberpflanzen unserer Flora. Walahfrid widmete der „erstaunlichen Kraft dieses Krautes“ immerhin 22 Hexameter (337–358). Abgesehen von ihren vielen Heilkräften, die vor allem die Augen betreffen, diente die Pflanze, die man nachts ausgraben musste, der Wahrsagerei (Birkhan, 2010, 132), was wohl mit der „Sichtigkeit“ zu tun hatte. Welche der Ziestarten verwendet wurde (vielleicht auch Stáchys sílvatica?), ist meiner Meinung nach nicht ganz sicher. Jedenfalls scheint die Verwendung der Zauberpflanze schon in die Antike zurückzugehen, wenn sie mit der bei Plinius vielfach erwähnten herba vettonica (Plin. n. h., gegen 30 Stellen in den Büchern 25 und 26) identisch ist. Konrad (419f.) sagt mit bemerkenswerter Formulierung, er kenne eine Bäuerin, die vil mit dem chravt wFrcht vnd gar wunderleiche dinck. da sol die red beleiben („und damit ist genug gesagt“). Ganz gegen ihre Gewohnheit verliert Hildegard bei der warmen bathenia, bathemam, bathemen, bachenia, pandonia ihre Zurückhaltung in dämonologischen Dingen (128/43f.). Sie ist gleichsam eine „wissenschaftliche Pflanze“, die sich besser mit dem Menschen versteht, wie ja auch ein zahmes Tier mit dem Menschen besser auf gleich kommt als ein wildes. Wer einfältig und blöd ist, möge sich eine zerquetschte Betonie über Nacht um die Brust binden, wer unter Albträumen leidet, möge sich die Pflanze ins Bett legen. Vor allem ist die Betonie ein Antiaphrodisiakum. „Wenn ein Mann oder Weib, sei es durch irgendwelche sympathetische Mittel, magische Vorspiegelungen oder teuflische Einflüsse, von Liebe bis zum Wahnsinn betört ist, so suche man eine Betonika, welche vorher weder zu solchen Zwecken noch als Heilmittel benützt worden ist, weil dann ihre Kräfte erschöpft sind; man nehme die Blätter der Pflanze, stecke eines in jedes Nasenloch, stecke eines unter die Zunge, nehme eines in jede Hand, lege eines unter jeden Fuß und blicke die Pflanze unausgesetzt an, das tue man so lange, bis die Blätter durch die Körpertemperatur 112
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
warm werden; im Winter gebrauche man zu dem gleichen Zweck die Wurzel. Der Betörte wird geheilt werden, vorausgesetzt, dass er vorher keinen Liebestrank genommen hat, noch ihm ein solcher beigebracht worden ist.“ Im Übrigen ist der Genuss der Betonie tabu. Bibernelle, Klein-B., bibenella (Pimpinélla saxífraga) – die mit dem Anis nah verwandte, nach Hildegard eher kalte Pflanze hat wenig Nutzen, feit aber, um den Hals gebunden, vor den Versuchungen des Bösen (131/44). Sie scheint in der Antike noch keine Rolle gespielt zu haben. Der Name pipinella taucht zuerst im 7. Jahrhundert auf und gilt später in der Form bippernelle „als bezeichnung eines furzenden weibes“ (Lexer s. v. bibenelle). Im späten Mittelalter wird die Bibernelle zusammen mit Tormentille, Baldrian, Wacholder und anderen Kräutern als ein wichtiges Heilmittel in der Pestepidemie angesehen (Marzell, in: HDA I, 1223ff.). Die Pflanze sollte nicht mit dem Kleinen Wiesen-Knopf (Sanguisórba mínor) verwechselt werden, der im Volksmund gleichfalls Bibernelle heißt, zwar nach Gurken schmeckt, aber nichts gegen die Pest vermag! Bidell, bidella ist das bdellium genannte Harz von Commíphora wíghtii, einer Verwandten des Balsambaums, das auch Guggal oder Guggul heißt. Es hat nach Konrad (389) vielfältige Heilkraft, z. B. heilt es den Biss eines tollwütigen Hundes und – mit Essig angerührt – des mannes gezeuglein. Es löst aber auch den Blasenstein auf. Bilsenkraut, pilsen chraut, jvsquiamus (Hyoscýamus; k) ist eine der wichtigsten Zauberpflanzen und war auch als Rauschdroge in der Hexensalbe, als Schlafkraut und zeitweise sogar als Bierzusatz in Verwendung. Nach Shakespeare starb Hamlets Vater durch ins Ohr geträufelten Bilsenkrautsaft (I, 5, 62). Wenn man ein Getreide mit Bilsenkraut kocht und Vögeln vorsetzt, dann schlafen diese nach Konrad (438f.) so fest ein, dass man sie mit der Hand fangen kann. Menschen, die den Samen essen, erleiden den siechtum der vergezzenchait […] der siechtum haizzet in latein litargia. Freilich lässt sich die Kälte der Pflanze auch vorteilhaft applizieren. Der Megenberger be113
3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
richtet von einem Bischof, der aus der mazzen vil anfehtung von der vnch(usch zunder hatte. Als nichts mehr half, griff er zum Bilsenkraut, dessen Saft er auspresste. Damit „erkältete er sein Schamteil, so daß ihm die Lust gänzlich verging“. Die Heilige weiß um die Giftigkeit der Pflanze bilsa und verwendet sie nur äußerlich bei Wurmbefall, Entzündungen und um einen Betrunkenen auszunüchtern (110/39). Meister Hannsens Kochbuch empfiehlt Bilsenkrautabsud als Mittel gegen Gartenschädlinge (Wiswe, 1970, 36). Bockshornklee, fenum grecum ‚Griechisches Heu‘ (Trigonélla fóenumgráecum), uns heute als Hauptverursacher des Curry-Duftes olfaktorisch geläufig, verwendete Hildegard (36/24) gegen Fieber. Brennnessel, nezzel (Urtíca; h-t) bezeichnet in der Clavis (422) die „Hitze der Laster“. Gewissenhaft unterscheidet Konrad (458f.) eine kleine chriechisch nezzel (U. úrens), eine große gemain nezzel (U. dióica) und eine nicht brennende tod nezzel. Letztere gehört gewiss nicht zur Gattung Urtíca, sondern meint wohl die nicht verwandte Taubnessel (s. S. 166). Er erwähnt die gynäkologische Bedeutung der Pflanze: Sie erweckt Unkeuschheit und öffnet den Muttermund, sodass die Frau leichter empfangen kann. Sie kann dazu Brennnesselsamen mit Wein einnehmen oder die grüne Pflanze mit Ei und Zwiebeln. Als geplagter Gärtner klagt Walahfrid, sie sei „Pfeilen vergleichbar, verderblich bestrichen mit ätzendem Gifte“ (35), dem er jedoch mannhaft zu Leibe rückt: Ungesäumt greif ich an mit dem Karst […] Ruhende Schollen, breche das leblos starrende Erdreich Auf und zerreiße die Schlingen der regellos wuchernden Nesseln, Und ich vernichte die Gänge, bewohnt von dem lichtscheuen Maulwurf […] (41–44). Hildegard (100/37) empfiehlt den Genuss der gekochten, roh sehr heißen Pflanze zur Magenreinigung und als eyter neszeln zur Verbesserung der Milch (Physica 51). In einer Präparation mit Walnussblättern und anderem wirkt der Brennnesselsaft gegen Würmer, mit Baumöl auf Brust und Schläfe eingerieben hilft die Pflanze gegen Vergess114
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lichkeit. Die reinigende Wirkung der Brennnessel ist heute noch berühmt. Gewiss wurde die Pflanze auch schon im Mittelalter als Wildgemüse gegessen, allerdings nicht roh, wie von der „Jungfrau Maleen“ im gleichnamigen Grimm-Märchen (KHM 198; B-P III, 444), während sie auf ihren Liebsten wartete. Es gibt den Volksglauben, dass Brennnesseln unberührte Jungfrauen nicht brennen, hingegen sehr wohl Geister und Hexen vertreiben, überhaupt Übles abwehren (Beitl, 1955, 108). Die Brennnessel spielt im Aberglauben eine immense Rolle (Marzell, in: HDA 1, 1351–1360). Brunelle s. Augentrost. Cardamon (h-t) – unter dieser mit amomo (s. oben S. 107) gleichgesetzten Bezeichnung fasst Konrad (388) vier Arten zusammen: einen grünen (Elettária cardamómum), einen schwarzen (Amómum subulátum), einen rot-weißen und einen vielfarbigen, wobei diese beiden letzten Arten wohl nicht sicher identifiziert werden können. Der wertvollste sei der grüne, der auch in unserer Küche für Süßspeisen verwendet wird, an zweiter Stelle stehe der schwarze, mit dem heute die indische Küche eher salzige Gerichte würzt. Die Cardamonarten würden vor allem bei Verdauungsproblemen, aber auch bei Schwindel und Ohnmacht genutzt. Am Ende des Kapitels verweist Konrad auf den Fernhandel, indem er reimt: Aber hastu gůt vnd golt, du machest dir vil ding nahent vnd holt, die chaufl(ut varent verr (‚reisen weit‘). Cassia, cassianpaum (Chassiana; h-t), womit wohl Cássia sénna syn. Sénna alexandrína gemeint ist. Der Baum liefert die als Abführmittel bekannten Sennesblätter. Konrad (394) erwähnt ihn aber vor allem als Heilmittel gegen die Paralyse, wenn diese nicht schon zu weit fortgeschritten ist. Bei Harnleiden trage man die Sennesblätter unter dem Kinn, nicht in der Hand oder an der Brust! Eine weitere Art Cassia ist die Röhrenkassie, cassenrœrn (Cássia fístula h-f ), deren lange Röhrenfrucht das bei uns als Manna geschätzte Fruchtmus enthält, das man auch im Mittelalter schon als Abführmittel nutzte (BN 395).
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3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
Cassia-Zimt, holzgazz, chassia lignea (Cinnámomum cássia; h-t) liefert die bekannten Kaneels (Zimtröhren), die Konrad (393f.) nicht als Rinde erkannte (s. unten S. 175), obwohl er um das Detail der „Dreifärbigkeit“ der Pflanze wusste, ebenso wie um das schwächere Aroma des Cassia-Zimts gegenüber dem Ceylon-Zimt, weshalb man die dreifache Menge des Heilmittels verwenden müsse. Er empfiehlt eine mit laudanum ‚Lorbeeröl‘ und Wermut hergestellte Zubereitung, welche das Hirn stärke, gegen den chalten flůz auz dem haubt, der reuma haizzt und gegen zu große Kälte von Leber und Milz einzusetzen sei. Costus s. Frauenminze. Dille, anetchrawt (Anéthum gravéolens; h-t) ist in vielfacher Hinsicht gesund. Der Dillensame fördert die Milchproduktion der Ammen (BN, 414f.). Hildegard empfiehlt (67/31f.) die Verwendung der Dille auch zur Unterdrückung sinnlicher Triebe, wenn man sie zusammen mit bestimmten anderen Kräutern der Speise beimischt. Diptam, diptannus (h1-t1) nennt Konrad pfefferkravt oder hirzwurz (432) und ein Antidot bei Schlangenbiss und anderen Giften, insbesondere befördere er eine Totgeburt aus dem Mutterleib. Ein vom Pfeil verwundeter Hirsch reibt die Wunde am Diptam und frisst davon, worauf der Pfeil wieder austritt. Diese antike Nachricht bezieht sich, wie man seit Langem weiß, nicht auf den uns vertrauten Dictámnus álbus, den Hildegard sehr häufig (gar gemein) nennt, da er im wärmebegünstigten Gebiet der Nahe wächst (Oberdorfer, 2001, 644). Ihm schreibt sie die Kraft von Feuer und Gestein zu, weshalb er auch gegen Blasenstein zu verwenden sei, auch soll er gegen Herzleiden und Lähmung helfen (115/41). Der antike dictamnus, dessen Eigenschaften der Megenberger beschreibt, ist der Diptam-Dost oder Kretische Diptam (Oríganum dictámnus), den Plinius (n. h. 25, 92) erwähnt und Vergil Venus zur Heilung der Wunden ihres Sohnes applizieren lässt (Aen. 12, 412). Durch Isidor (XVII, 9, 29) gelangte die Kenntnis dieser majoranähnlichen Pflanze in das Mittelalter und wurde mit 116
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
dem oben genannten höchst aromatischen Rautengewächs identifiziert. Distel hat bei Hildegard eine nur jähe Wärme, wächst aber aus dem „Schweiß der Erde“, was die Pflanze stachelig macht. Es ist hoffnungslos, feststellen zu wollen, auf welche Arten der „Distelartigen“ (Carduéae) sich die vagen Angaben beziehen. Die Disteln sind ohnedies im Allgemeinen eher unnütz, nur die vehedistel ‚Viehdistel‘ (99/37 und 206/54), angeblich die Mariendistel (Sílybum mariánum; F-B, 213; so auch Marzell, in: HDA s. v. Mariendistel), eine letztlich mediterrane Kulturpflanze, ist bei Herzerkrankungen und „Gliederstechen“ zu verwenden. Dost (Oríganum vulgáre; h-t) bewirkt nach Hildegard (112/40) beim Gesunden Aussatz (!), Lungenaufblähung und Leberschwund (!).Wer aber schon an rotem Aussatz leidet, möge sich nach einem Bad mit einer Präparation aus Dost, Andorn und Bilsenkrautöl einreiben. Nachdem er geschwitzt, salbe er sich mit Hirschtalg ein und lege sich zu Bett. Konrad fand in seiner Quelle nichts Einschlägiges, erwähnt aber vom Origanum, dass verwundete Vögel es einander zur Heilung auflegen (191) und dass es, mit Schwefel vermischt, Ameisen vertreibe (331). Hier erfahren wir auch aus dem Detail, dass Konrad den roten Stiel erwähnt, dass er die Pflanze selbst kannte und sie – dem lat. Namen zuliebe – für ein Mittel gegen Ohrenkrankheiten (!) hielt. Sie diente auch als Bierwürze (Wiswe, 1970, 58). Ebenholz, eiban (Dióspyros ébenum) fault nach Konrad nicht und brennt nur schwer (350f.). Das beste Ebenholz kommt aus dem Mohrenland und ist ganz schwarz. Legt man es den Kindern in die Wiege, so erschrecken sie nicht vor schwarzen Gespenstern; also sprechent die zaubr#r in irn pFchern. Nach dem Lucidarius (18) stammt das Ebenholz von einer Insel mit Hauptstadt Syne nahe beim Lebermeer, das sich anstelle eines großen versunkenen Landes (Atlantis?) befindet. Eberraute (Artemísia abrótanum) fehlt bei Konrad, doch würdigt das heute kaum mehr als Gewürzpflanze verwendete Kraut Walahfrid 117
3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
als Heilmittel gegen Fieber, Seitenstechen und Gicht. Es hat so viele Kräfte wie haarfeine Blätter (Walahfrid, 95–98). Die Äbtissin verwendet die stagwurtz (h-t) nur äußerlich bei Kopfgrind, Beulen und Gicht, behauptet aber, dass der Geruch der Pflanze Melancholie und Jähzorn erzeuge (106/38). Traditionellerweise ist die Eberraute mit Liebeszauber verbunden und ein Potenzmittel (Marzell, in: HDA s. v. Eberraute). Efeu (durch falsche Aussprache < Ep-heu), epaum, ertpaum (Hédera hélix; k) schadet sehr, indem er andere Bäume verdirbt, macht aber den Geißen, die ihn fressen, viel Milch (BN, 351). Hildegard meint mit ihrem eher kalten ebih, der velut unkrut zu menschlichem Genuss ungeeignet ist, natürlich den Efeu und nicht die Sellerie, die auch epich oder ähnlich genannt wird. Äußerlich kann Efeu gegen Gelbsucht und Blutfluss angewandt werden (140/45f.). Eibisch, weizpapel, alcea (Altháea officinális; h2) ist nach Konrad (419) gegen Abszesse und in Gänseschmalz gegen Gelenkschmerzen hilfreich. Auch reinigt der Eibisch den Körper von Gestank und von der stinkenden überflüzzichait. Nach Hildegard (141/46) lindert ybischa (h-t) Fieber und Kopfweh. Eisenhut (Blauer E.?), nappelnchraut, nappellus (Aconítum napéllus; h4-t4) hilft nach Konrad in ganz geringen, vom Arzt dosierten Mengen gegen den Aussatz und macht den Körper, als Salbe (446; vgl. oben S. 47) angewandt, schön. Wundersamerweise könne eine kleine Maus die Pflanze verzehren, ohne daran zu sterben, aus dieser könne man ein Gegengift (Theriak) gegen das Pflanzengift herstellen. Auch Wachteln stürben nicht am nappelnkraut. Der Eisenhut dürfte wohl die giftigste Pflanze Mitteleuropas sein. Er wurde in alter Zeit als Pfeilgift verwendet (Birkhan, 1999b). Eisenkraut, eysen chraut, verbena (Verbéna officinális; h-t). Von dieser Pflanze behauptet der Magister (459), dass es neben der flachsblau blühenden Art, die uns geläufig ist, auch eine gelb blühende Art gäbe, womit wohl – nach dem Prinzip des Geschlechtsdimorphismus 118
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
(s. oben S. 27) – die Weg-Rauke oder der Raukensenf (Sisýmbrium officinále) mit gelben Blüten gemeint sein muss, der 1543 als Eisenkraut Männle bezeichnet wird. Eisenkraut, in Wein gekocht, erfreut das Herz und desinfiziert den Mund, wenn man damit gurgelt. Aber das ist nur die eine, die harmlose Seite des Eisenkrauts. Konrad nennt es nämlich primär als Pflanze der magia diabolica und fährt in geheimnisvoller Weise und dunkler Rede fort, die man etwa so paraphrasieren könnte: „Die Verwendung durch die Zauberer kennen jene gar wohl, die in ihren Netzen waren. Aber gerade dieses Geheimnis und andere soll der Herumtreiber (gazzen springer) nicht wissen. Man hat mir das Kind gestohlen, bevor es geboren wurde. Deshalb muss ich ihm die Kleider umso kürzer (zu)schneiden (schneidern?).“ Man hat anscheinend die Verbene zur Abtreibung wider den Willen der Frau verwendet, weshalb diese nun dem Bösewicht den Rock zu kurz abschneidet, offenbar um die Scham sichtbar zu machen. Die Stelle wird dadurch rätselhaft, weil der Gelehrte ganz unvermittelt in die direkte Rede übergeht, als wollte er auf einen Vorfall anspielen, der seinen Lesern bekannt war. Bei Vintler (7821ff.) wirkt Eisenkraut immerhin als Liebeszauber. Ganz kurz tut Hildegard (154/47) die ysena, die mehr kalt als warm ist, als Mittel gegen Geschwülste und Geschwüre ab. Dass eine verbēna genannte Pflanze, die zum Teil mit Lorbeer, Ölbaum, Myrte, Zypresse oder Tamariske identifiziert wurde, im altrömischen Kult eine große Rolle spielte und von den Fetialen als heilige Zweige bei Rechtshandlungen auf dem Kopf getragen und auch von den Priestern bei Opferungen verwendet wurde, ist bekannt. Nach Plinius (n. h. 25, 105), der übrigens zwei Geschlechter der Pflanze, eine weibliche mit vielen, eine männliche mit wenig Blättern, unterschied, wurde die verbēnāca von Gesandtschaften bei Friedensschlüssen mit dem Feind getragen, zur rituellen Reinigung des Hauses und des Jupiteraltars verwendet, insbesondere aber von den Galliern, welche die nach einem komplizierten Ritual gesammelten Pflanzen zu Wahrsagezwecken verwendeten. Plinius sagt weiters: „Die Magier (magi) – gemeint sind aber wohl die Druiden, nicht die persischen Magier – ‚flippen‘ bei dieser Pflanze schier aus (circa hanc insaniunt): 119
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Wenn man sich mit ihr einreibt, ist sie ein fiebervertreibendes Allheilmittel, das alle Wünsche erfüllt und dem Eingeriebenen die Sympathie aller sichert“ (Birkhan, 1999a, 904). Es scheint mir im Übrigen keineswegs sicher, dass mit der bei Plinius beschriebenen Pflanze unser Eisenkraut gemeint ist (vgl. Marzell, in: HDA s. v. Eisenkraut). Enzian, gentiana ist warm und hilft nach Hildegard (31/23) bei Herzund Magenleiden. Welche der ca. 40 Enzianarten gemeint ist, bleibt meiner Meinung nach offen, obwohl die Pflanze meist mit dem Gelben Enzian (Gentiána lútea) identifiziert wird, einem Berggewächs der Lehm- und Tonböden, aus dem heute noch ein Magenlikör und ein Schnaps hergestellt werden, das aber dem Gesichtskreis der Äbtissin fremd gewesen sein dürfte. Es wäre interessant zu wissen, wie weit der Einzugsbereich ihrer Botanik in das Gebirge, wo die meisten Enzianarten zu Hause sind, reichte. Angesichts ihrer Heimat scheinen mir am ehesten der Feld-Enzian (G. campéstris) und der Deutsche Enzian (G. germánica) infrage zu kommen (Oberdorfer, 2001, 755–759). Der dem Laien als typische Alpenpflanze bekannte blaue Enzian hieß im Mittelalter auch madelgêr, ein geheimnisvolles Wort, das in der Heldensage und der Tradition von König Salomon und Morolf als Name eines Tricksters erscheint. Grimm (DM 3, 355) teilt einen Madelgêr-Segen aus einer Handschrift von etwa 1400 mit. Erdbeere, Wald-E., erpere (Fragária vésca). Die Frucht verursacht „Schleim“ im Menschen und ist daher nach Hildegard medizinisch nicht vorteilhaft (170/49). Zu ihrer religiösen Bedeutung s. unten S. 245–247. Espe, Zitterpappel, aspa (Pópulus trémula) ist warm und für die Heilige das Sinnbild des „Überflusses“ (B 78/72). „Wenn ein Säugling zwischen Haut und Fleisch zu stark durchblutet ist“, so lasse man ihn in Espenblättern schwitzen. Im Volksglauben erklärte man sich das Zittern des Espenlaubs daraus, dass das aus Espenholz hergestellte Kreuz Christi sich bei der Kreuzigung nicht gebeugt habe (Marzell, in: HDA s. v. Espe), ein Gedanke, den auch das Kreuz von Ruthwell kannte (s. S. 250f.). 120
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
Farn (h-t) ist bei den antiken Autoren bedeutungslos und fehlt daher auch bei Konrad. Der bei Hildegard (47/26) genannte farn wird meist als Echter Wurmfarn (Dryópteris fílis-mas) verstanden (F-B, 202), doch käme wohl auch der Adlerfarn (Pterídium aquilínum) oder eine der Streifenfarn-(Asplénium-)Arten infrage (Fischer, 1929, 261). Diese Pflanze mit ihren geheimnisvollen „Samen“ (Sporen) ist bei der Heiligen magisch – auch im Sinne der magia diabolica – stark belastet. Sie gilt nicht selten als „Irrwurz“, die einen den Weg verlieren lässt. Der Teufel und die Dämonen fliehen die Pflanze, die an die Sonne gemahnt, weil sie das Dunkel erhellt, indem sie die fantasias ‚Trugbilder‘ vertreibt. Wo Farn wächst, übt der Teufel sein Gaukelspiel nicht aus, und umgekehrt meidet der Farn Stellen, an denen der Teufel sein Unwesen treibt. Wo Farn wächst, gibt es selten Blitz, Donner und Hagel. Wer Farn bei sich trägt, ist vor den Nachstellungen des Bösen sicher. Daher lässt der Saft des Farnkrautes auch kein Gift aufkommen. Bei Taubheit steckt man ein Beutelchen mit „Farnsamen“ in die Ohren, gehorcht die Zunge nicht, lege man „Farnsamen“ darunter. Bei schwachem Gedächtnis und wenig Verstand möge man etwas „Farnsamen“ in der Hand tragen. In der volkskundlichen rezenteren Überlieferung ist das alles noch weiter ausgesponnen: Den „Farnsamen“ gewinnt man nur zu einer einzigen Stunde in der Johannisnacht, wenn man ein weißes Tuch unter die Farnwedel legt. Allerdings muss man gleich Blätter der Königskerze (Verbáscum densiflórum) darauflegen, um zu verhindern, dass der Same sofort im Boden versinkt (Beitl, 1955, 186f.). Mithilfe des „Farnsamens“ kann man sich unsichtbar machen. In den späteren Pflanzenbüchern gilt der Farn und sein „Same“ als ein höchst wichtiges Zaubermittel (Marzell in HDA s. v. Farn). Faulbaum, folbaum (Frángula álnus) ist in Ermangelung ausgeprägter Qualitäten nach Hildegards Meinung zu nichts nütze (B38/74). Später wird seine Rinde in der Volksmedizin hoch geschätzt werden, insbesondere wird er aber auch zur Herstellung von Schießpulver verwendet, weil Faulbaumholzkohle einen besonders niedrigen Aschegehalt haben soll. 121
3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
Feigwurz, Scharbockskraut, ficaria (Ranúnculus ficária; k-f ) empfiehlt Hildegard (207/54) gegen hitzige Fieber. Fenchel, venichel(kraut) (Foenículum vulgáre; h-t) ist sehr vielseitig verwendbar und von großer Heilkraft. Auch die Schlangen, die im Frühling aus ihren Erdhöhlen kommen, reiben ihre Augen an einer Fenchelpflanze, wodurch sie klarsichtig werden (BN, 434f.). Hildegard rühmt den in seinen Qualitäten ausgeglichenen Fenchel ausführlich (66/31), ob nun bei Schlafstörung oder Penisschwellung. Den Gebärenden empfiehlt sie bei schwerer Geburt einen Umschlag von Fenchel, Haselwurz (s. unten S. 125f.) und anderen „angenehmen Kräutern“. Selbst der Veterinär kann Fenchel bei der Erkrankung von Schafen gebrauchen. Auch Walahfrid (211–216) betont die Heilkraft der Pflanze bei Blähungen, Husten und Augenproblemen. Fetthenne (Purpur-Fetthenne?), chr(sselchraut, orpinum für orphium, grassula, crassula (Sédum teléphium?; k-f ) verdorrt nach Konrad nicht, wenn man sie aufhängt (446f.), was in Pariser Häusern oft geschieht. Das chr(sselchraut kühlt die Leber, hemmt die Menstruation vnd hindert die vnch(usch. Welche Art Sedum gemeint ist, bleibt mir (trotz Fischer, 1929, 54) unklar. Auch in Deutschland wurde die Fetthenne oft aufgehängt und zum Schadzauber verwendet, wonach man z. B. bei Hexenprozessen fragte (Marzell, in: HDA s. v. Fetthenne). Fingerkraut, Kriech-F., funffblat (Potentílla réptans; h3-f ) ist nach Hildegard (55/28) äußerlich ein Mittel gegen Fieber und gegen trübe Augen, wenn man diese mit einem Weinauszug wäscht. Das GänseFingerkraut (Potentílla anserína), das heute als (homöopathische) Heilpflanze gilt, erscheint bei ihr als gensekrut (149/47) mit der Bemerkung, dass es als Unkraut wertlos sei. Frauenminze, Balsamkraut, Marienblatt (Balsamíta májor = Tanacétum balsamíta), von Walahfrid hoch geschätzt (281–283), ist wohl mit costum im Capitulare de villis gemeint, denn die echte Indische Kostuswurzel (Saussúrea cóstus) könnte in unsern Breiten nicht im Freiland gezogen werden. Auch im St. Galler Klosterplan ist ein costus-Beet 122
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
vorgesehen (s. oben S. 56). Natürlich geht auch Hildegard auf die Balsamite ein (195/93). „Wenn jemand durch vieles Denken wirr im Kopf geworden ist“, so kann er sich mit einem Präparat aus Balsamkraut und Fenchel erfrischen. Er hüte sich vor Wein und Wasser, „trinke aber Bier und halte den Kopf bedeckt“. Auch gegen Vergiftung, Läuse, entstehenden Aussatz und Dreitagefieber nützt die wundersame Pflanze. Gagelstrauch, mirtelpaum, myrtus (Mýrica gále; Oberdorfer, 2001, 299). Hier hat schon Albertus (Balss, 1947, 123) den kleinen Strauch als myrtus angesehen. In der niederländischen Heimat des Thomas führten die Apotheken Gagelblätter, die folia myrti brabanticae hießen. Konrad (362f.) hat offenbar in Erfahrung gebracht, dass der Strauch an der Nordseeküste beheimatet ist, und hat in Anschluss an Albert (Balss, 1947, 123) gegen Thomas die Verwendung der Pflanze als Bierwürze beim „Gruten- oder Gruysenbier“ eingefügt. Die Beschreibung ist so, dass man den Eindruck hat, der Megenberger habe während seiner Jahre in Frankreich die Pflanze selbst kennengelernt. Sehr merkwürdig ist die Rolle des Strauchs als Stifter von Unfrieden: mit dem paum pringet man zauberleichen zů, daz sich die l#ut hazzend gegen enander. Im zweiten Teil seines Artikels lässt der Magister dann den Gagelstrauch in die mediterrane Myrte (Mýrtus commúnis) übergehen, indem er seine ausgleichenden Qualitäten preist und hier an Maria als myrtus temperantiae anschließt: du pist ein mirtelpaum der s#nftichait, wan die zart můter s#nftigt den haizzen zorn des obristen rihters. Sehr vielfältig sind dann auch die medizinischen Anwendungen der „Gagelmyrte“. Hildegard setzt den mirtelbaum, den ich nicht sicher identifizieren kann, gegen Geschwülste ein (B 42/74). Galbanum, galban (h-f ) ist das Harz des Doldenblütlers Férula erubés cens, das aus Persien in den Handel kam. Der sehr intensive Geruch des Galbanharzes verjagt Schlangen (BN, 397f.), ist aber medizinisch verwendbar, vor allem bei der Geisteskrankheit der vergezzenheit, die auch „Lethargie“ (vgl. S. 113) heißt.
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3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
Galgant, galgan, galanga (Alpínia officinárum; h-t) ist nach Konrad (399) durchblutungsfördernd, vielseitig verwendbar, regt aber im Sommer zur unkäusch an. Der galgan, der „ganz warm“ ist, hat auch die Äbtissin sehr beschäftigt (13/19). Eben wegen seiner Hitze nehme ihn der Fieberkranke ein, um – gewissermaßen – den Teufel mit dem Beelzebub auszutreiben. Gamander, Echter G., gamandrea, alentidium (Téucrium chamáedrys) ist nach Hildegard (124/42) warm und fett und taugt höchstens als Abführmittel und gegen eine Art der Krätze. Welche der Gamander-Arten gemeint ist, lässt sich nicht entscheiden. Die spätere Verwendung des Edel-Gamanders (T. chamáedrys) in der Volksmedizin könnte für diesen sprechen, doch verwirft die Äbtissin ja gerade die Heilkraft des Krautes weitgehend. Gauchheil, Acker-G., hunsdarm (Anagállis arvénsis) ist für Hildegard (151/47) ein Unkraut, das aber bei bestimmten Wunden als Umschlag dienen kann. F-B (204) hält den hunsdarm für unseren Hühnerdarm, Gewöhnliche Vogel-Sternmiere (Stellária média). Germer, Weißer G. (Verátrum álbum) ist vielleicht mit jener Pflanze scampina, scamphonia, scavina gemeint, die Hildegard wegen der unnützen Kälte und ihrer Schärfe nicht empfehlen kann, und sie kritisiert die Ärzte, die diese als Abführmittel verabreichen (214/55). Wie schon F-B (210) zeigte, wurde die Germerwurzel lange als Scampanierwurzel und ähnlich bezeichnet und taucht in vielen Kräuter büchern auf. Die alternative Möglichkeit, in scampina die gelb blühende anatolische Purgierwinde (Convólvulus scammónia) zu sehen, scheint mir dagegen weniger naheliegend. Erstaunlich wäre jedoch, wenn der Weiße Germer, eine Giftpflanze, deren Wirkstoff Veratrin uns als Insektenvertilgungsmittel geläufig ist, der gelehrten Äbtissin unbekannt gewesen wäre. Er findet sich zwar nicht im Hunsrück, jedoch z. B. in den Vogesen (Oberdorfer, 2001, 122f.). Zum Germer s. auch S. 125.
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die heilpflanzen bei konrad und hildegard
Gummi arabicum, arabischer zaher (h-f ) tropft als Harz aus den angeschnittenen Stämmen von Acácia sénegal und Acácia séyal und ist etwa bei rauer Zunge und trockenem Husten indiziert (BN, 399f.). Gundermann, Gundelrebe, ahd. guntreba (zu ahd. gunt ‚Eiter, Geschwür‘), gunderebe (Glechóma hederácea; h-t) empfahl Hildegard (105/38) gegen durch schlechte Säfte verursachte Kopfleiden. Nach dem Volksglauben hielt er bösen Zauber vom Vieh fern (Beitl, 1955, 280). Günsel (Ájuga réptans) soll nach Fischer (1929, 258) Hildegards zur Ausschweifung und Albernheit reizende und daher nutzlose, leicht kalte Pflanze humela (50/27) sein. Habichtskraut s. Vergissmeinnicht. Hainbuche, hagenbucha (Cárpinus bétulus) war in der Ausschlagwirtschaft der mittelalterlichen Viehzucht gewiss nicht unwichtig und deutet nach Hildegard „günstige Beschaffenheit“ an (B 35/73f.). So wie die Hainbuche immer neue Schösslinge treibt, so die bisher kinderlose Frau, die sich Kindersegen wünscht. Die Äbtissin lehrt, wie man aus dem Absud der grünen Zweige mit Milch, Mehl und Eiern eine Speise zubereitet, die der Frau, die nicht empfangen kann, hilfreich sein wird. Da die Hainbuche böse Geister vertreibt, soll man immer ein Stück dieses Holzes bei sich haben. Auch ist der Schlaf im Schatten der Hainbuche besonders gesund. Tatsache ist angeblich, dass der Blitz seltener in Hainbuchen einschlägt als in andere Bäume (Marzell, in: HDA s. v. Weißbuche). Andererseits galt Hainbuchenholz als sprichwörtlich „grob“ – vgl. unser hanebüchen. Hartriegel, Roter H. (Córnus sanguínea) ist vielleicht mit Hildegards eher warmem hartbrogelbaum (falls Verschreibung) gemeint. Er steht ihr sinnbildlich für die „Geringwertigkeit der Kunst“ (ars brevis) und ist für den Menschen unbrauchbar (B 45/75). Haselwurz (Ásarum europáeum; h3) ist bei Hildegard (48/26) nur zu fürchten, insbesondere von Schwangeren, denen sie Tod oder Abortus 125
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bringt. Kurios ist freilich, dass im Abschnitt über den Fenchel (66/31) just der Gebrauch der Haselwurz als angenehmes Kraut bei schwerer Geburt empfohlen und später zu aserum bei Heiserkeit und Lungenleiden geraten wird (212/55). Die giftige Pflanze (Frohne/Pfänder, 1997, 82), in der antik-römischen Küche als Gewürz verwendet, im Capitulare erwähnt, diente später als Emetikum (Brechmittel) und wird heute lokalanästhetisch wieder genutzt. Hauswurz, hauswurcz, barba iouis (Sempervívum tectórum; k) ist seit dem Capitulare zwecks Fernhaltung des Blitzes laut maister, die sich fleizent zaubrey, auf Hausdächern zu pflanzen (BN, 420f.), wie das mitunter heute noch zu sehen ist (Marzell, in: HDA s. v. Hauswurz). Umgekehrt glaubte man von anderen Pflanzen wie dem Tausendguldenkraut, der Wegwarte und Königskerze, dass sie den Blitz anzögen. Wie der Sanikel und das Tausendguldenkraut macht die Hauswurz aus zwei Fleischstücken eines (s. S. 158, 167). Die huswurtz (t) bewegt auch Hildegard (42/25 und 203/54): Wegen ihres Fetts ist sie dem Menschen nicht nützlich, „ihr Genuß würde Wollust erzeugen und bis zum Wahnsinn steigern“. So lässt sie sich, mit Ziegenmilch angesetzt, und mit Eiern gekocht auch gegen Impotenz verwenden. „Gegen Taubheit nehme man Milch von einer Frau, welche einen Knaben geboren hat, zehn oder zwölf Wochen nach der Geburt, mische den Saft von Hauswurz dazu“ und verwende dies als Ohrentropfen. Heidelbeere, walt bere, heydel bere (Vaccínium myrtíllus) sollte man nach Hildegard nicht essen, weil sie die Gicht hervorruft (171/49). Die später genannte rifelbere (219/55), die offenbar nach der Riffel benannt ist, mit der sie geerntet wird, ist wohl mit der Heidelbeere identisch – oder ist die Preiselbeere (Vaccínium vítis-idáea) gemeint? Die Heilige empfiehlt sie bei Menstruationsstörungen. Herbstzeitlose, heylheubt, hermodactylus (k-t) bei Hildegard (46/26) mit vielen anderen Vulgärnamen (s. oben S. 40; Cólchicum autumnále) , ist für den Menschen tödlich giftig und macht „das Vieh träg und schlecht“. 126
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
Himmelschlüssel, Schlüsselblume, hymelsloszel (Prímula véris) – ob der veltplům Konrads (447) wirklich die Himmelschlüssel meint, scheint mir sehr fraglich (s. unten S. 238). Nach Hildegard ist die Pflanze warm und hat all ihre Kraft von der Sonne (209/54). Sie heilt, in der Herzgegend umgebunden, Melancholie, Wahnvorstellungen, auf den kahl rasierten Schädel und die Brust gebunden, Kopfschmerzen und, in den Trinkbecher gelegt, Paralyse. Den Namen hat die Pflanze, weil man mit ihr Schatzverstecke aufsperren kann, vielleicht auch schon früh den Himmel. Jedenfalls setzt bei der Äbtissin der Name schon eine solche Tradition voraus (vgl. Marzell, in: HDA s. v. Schlüsselblume). Hirschschwamm, hirtzswam (k und hart). Damit meint die Heilige (34/24) möglicherweise die Hirschtrüffel (Elaphómyces granulátus), die in den Apotheken als boletus cervinus ‚Hirschpilz‘ geführt wurde (FB, 204). Der Pilz ist schädlich für Mensch und Vieh, kann Abortus bewirken und ist nur bei hochgradiger Gicht indiziert. Hirschwurz, hirceswurtz ‚Hirschwurz‘ (Peucédanum cervária; h3-f ) hilft bei Hildegard (213/55) gegen Fieber, das in Begleitung von Paralyse auftritt. Hirschzunge, hirtzunge (Asplénium scolopéndrium) verarbeitet die Heilige mit Wein, Honig, Pfeffer und Zimt zu einem „Lautertrank“. Der warme Farn hilft bei allen internen Beschwerden, und wer vor Schmerz ohnmächtig wird, möge Hirschzungenpulver in warmem Wein trinken (30/23). Holunder, hol(r (Sambúcus nígra; h2-t2) gilt bekanntlich als die „lebendige Hausapotheke des Bauern“ und ist in all seinen Teilen verwendbar (Beitl, 1955, 349f.), weshalb man heute noch in Wien sagt, man müsse vor dem Herrn Flieder den Hut ziehen. Die Rinde ist nach Albertus (Balss, 1947, 158) und Konrad ein Abführmittel, wenn von oben nach unten abgelöst, in umgekehrter Richtung ein Brechmittel. Der Megenberger sagt von den Blüten des Baumes: sie smechent gar wol vnd sterchent des menschen chreft, wenn man můz darauz macht 127
3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
(378). Dagegen fand man am Rupertsberg am eher warmen holderbaum (B 44/75) kaum medizinische Tugenden. Der Holunder hat aber auch ein negatives Image. So galt er als jener Baum, an dem sich Judas erhängte (Mt 27,3-10). Er wurde zur Erbauung späterer Pilger wie John Mandeville am Siloah-Teich in Jerusalem sogar nachgepflanzt (Demandt, 2002, 178). Nach anderen Traditionen fiel das Los des Judasbaums dem Feigenbaum, der Weide oder dem mediterranen Judasbaum (Cércis siliquástrum) zu, der heute in unseren Parks steht und bei dem die Blüten unmittelbar aus dem verholzten Stamm hervorbrechen. Hopfen, hopf, humulus (Húmulus lúpulus; h-t) ist nur durch seine „Blüte“ – gemeint sind die Fruchtzäpfchen – von Interesse, denn diese halten die Körpersäfte in Ordnung (BN, 438) und unterstützen die Keuschheit (Wiswe, 1970, 68). In der Beurteilung der Qualitäten stimmt Hildegard mit Konrad überein (61/29), meint jedoch, dass der Hopfen Melancholie bewirke und die Eingeweide beschwere. Sie weiß auch, dass die Bitterstoffe des Hopfens bei Getränken Fäulnis verhindern und konservierend wirken. Es ist zu vermuten, dass der heute als Vorzug eines Bieres geltende Bitterstoff ursprünglich auf eine solche Konservierungsmaßnahme zurückging, die man übrigens auch beim Met anwandte. Sie ist zuerst 768 in einer Urkunde Pippins des Kurzen erwähnt (Balss, 1947, 128). Huflattich, hufflatta minor (Tussilágo fárfara) ist bei Hildegard (211/55) warm und gegen Leberleiden einzusetzen. Sonst gilt der Huflattich als eines der ältesten Hustenmittel und als Wildgemüse (Salat), das noch Goethe wegen seiner Zartheit schätzte (Beitl, 1955, 360). Hühnerdarm s. Gauchheil. Hundszunge, cinoglossa (Cynoglóssum officinále) ist nur bei Quartanfieber (als Folge der Malaria) zu gebrauchen. Konrad sagt (424): so vinde ich auch in andern meinen puchern, die von den chrawtern sagent, nicht mer da von. 128
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
Immergrün, Singrün, sin grFn, semperviva (Vínca mínor; k-t) hat keine besonderen Tugenden, außer dass es Gesichtsentstellung durch sterzelkraut (s. S. 165) heilt (BN, 457). In der christlichen Symbolik hat es einige Bedeutung (s. unten S. 245). Ingwer, yngwer, zinciber (Zíngiber officinále) – hier unterscheidet Konrad (461) eine wilde „männliche“ Form und eine angebaute „weibliche“, die weißer, angenehmer und bekömmlicher ist. Der Ingwer hatte im Mittelalter eine viel größere Bedeutung als heute in Mitteleuropa und kam damit sogar an die des Allheilmittels Pfeffer heran. Wegen seiner hitzigen Schärfe wurde er gegen jede Art von Kälte eingesetzt, in Wein getrunken, gegen üblen Mundgeruch gekaut (Neidhart 74,17; 91,5), insbesondere aber auch als Latwerge diacinciber verzehrt. Wiswe weist darauf hin, dass dieses Gewürz im Zusammenhang mit der Pestgefahr pfundweise konsumiert wurde (1970, 67). Abweichend davon ist der Ingwer (h3-f ) für Hildegard eines der Problemgewürze, weil er gesunden Menschen schadet, indem er sie „unwissend, laut und zügellos macht“, wer aber „dürr und hinfällig ist“, für den hat die Heilige mehrere, z. T. sehr komplizierte Ingwer rezepte bereit (15/20f.). Johanniskraut, Echtes J., Hartheu, chunigs chron, ypiricon (Hyperícum perforátum) hat reinigende und herzstärkende Wirkung. Konrad beschreibt liebevoll die durchlöcherten Blätter der Pflanze (425). Ob Hildegard mit hartenauwe (222/56), einer kalten Pflanze, die ein gutes Viehfutter abgeben soll, tatsächlich das Johanniskraut meint, scheint mir zweifelhaft. Sie spricht der in der Volksmedizin weit berühmten Pflanze jegliche Heilkraft ab! Die auch fuga daemonum ‚Dämonenvertreiber‘ genannte Pflanze wird vor allem am Johannistag (24. Juni) gesammelt und vielfach magisch verwendet. Dem liegt die freilich erst neuzeitliche Legende zugrunde, dass bei der Gefangennahme des Täufers Verräter sein Haus durch ein Johanniskrautbüschel gekennzeichnet hätten, was sich dann allerdings nicht bewährte, da auf wundersame Weise plötzlich alle Häuser mit einem solchen Büschel versehen waren (Marzell, in: HDA s. v. Hartheu). 129
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Judenkirsche, boberella (Phýsalis alkehéngi) verwendet die Heilige (58/29) äußerlich bei Augen- und Ohrenleiden. Auf den Genuss der essbaren Beeren finde ich keinen Hinweis. Käsepappel, Weg-Malve, papel, malva (Málva neglécta; k-f) wirkt öffnend. Setzt sich eine Schwangere in den Absud, so geht der Fötus ab (BN, 407f.). Die etwas kalte babela ist wegen ihres Schleimes nach Hildegard roh genossen giftig, gekocht jedoch als Mus einem schwachen Magen förderlich (97/36f.). Sie muss an die auch als Spinat verwendbare Käsepappel oder die Wilde Malve (Málva silvéstris) gedacht haben, denn den Eibisch hatte sie bereits genannt, und die prächtige Pappelrose, Stockrose, papel, malua (Altháea roséa; k-f), ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Bauerngärten, die als weiß blühende Subspecies Konrad (442) erwähnte, dürfte zu ihrer Zeit noch nicht verbreitet gewesen sein. Kalmus meint der gelehrte Magister (365) offenbar mit wolsmeckendem halm oder calamus aromaticus (Ácorus cálamus; h-t) und empfiehlt ihn treffend zusammen mit Wermut bei Magenkrankheiten. Er beruft sich dazu auf Platearius (s. oben S. 23) und liefert so einen sehr frühen Beleg für den Anbau des Kalmus, wobei er allerdings nicht weiß, dass dieser eine Wasserpflanze ist (vgl. Fischer, 1929, 257, der frühe Belege erst aus dem 16. Jahrhundert kennt). Kamille, gamille, camomilla (Matricária chamomílla; h-t). Hier unterscheidet Konrad (421) drei Arten, eine weiße, eine gelbe und eine purpurfarben blühende (!). Der Kamillenname ist wegen des Benennungsmotivs interessant, da er aus gr. chamaimélon ‚Erd-Apfel‘ (vgl. span. manzanilla ‚Äpfelchen, Kamille‘) gebildet ist. Die Kamille ist in ihrer Heilkraft nach Galen der Rose ähnlich. Besonders bemerkenswert scheint mir ihr Einsatz in der Geburtshilfe, denn wenn die Gebärende sich in das Abkochwasser der Kamille setze, so ziehe diese den Fötus inklusive der Nachgeburt (daz pälglein) heraus. Es wäre erstaunlich, wenn diese klassische Heilpflanze am Rupertsberg nicht bekannt gewesen wäre. Wahrscheinlich verbirgt sie sich hinter einem der für uns undeutbaren Pflanzennamen (s. oben S. 45). 130
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
Kampfer, camphora ist das Harz des Kampferbaums (Cinnamómum cámphora), das in kristalliner Form in den Handel kam. Der Megenberger (429) hält die Pflanze für ein Kraut, räumt aber ein, dass Constantinus Africanus und Avicenna an ein Baumharz dachten. Er weiß auch, dass die Kampferkristalle in der Hand Unkeuscher zerbrechen, denn die Substanz will, dass nur Keusche mit ihr hantieren. Männer, die am Kampfer riechen, werden keusch, Frauen hingegen unkeusch. Von einer weiteren Heilwirkung des Kampfers erfahren wir bei Hildegard (40/24f.), die ganphora für kalt ansieht und seinen Genuss zur Stärkung in einem Gemisch mit Aloë, Myrrhe und Lattich empfiehlt. Kaper, cappar (Cápparis spinósa; h-t), eine auch biblische Pflanze, nach Koh 12,5 ein Zeichen der Vergänglichkeit: „wenn der Mandelbaum blüht und die Heuschrecke sich belädt und die Kaper aufbricht […]“, weil die Kapernblüte nur eine Nacht währt. Nach Konrad (396) sind alle Teile des Kapernstrauchs heilkräftig und gesund. Er empfiehlt auch, Kapern mit Salz und Essig einzulegen, weil sie appetitanregend wirken. Die Bemerkung Oesterreichers (246), dass capparis dem Maulbeerbaum gleiche, ist mir unverständlich. Katzenminze (Népeta catária) liefert nach Walahfrid (375–386) mit Rosenöl eine Salbe, die Wunden und Entstellungen heilt. Ihr Anbau war auch im Capitulare empfohlen, ebenso befand sich nebetta im Garten der Hildegard, welche das warme Kraut gegen orfime ‚?‘ im Hals und Skrofeln einsetzte (143/46). Nach einer Tradition des 16. Jahrhunderts soll Katzenminze beim Kauen Zorn erregen, weshalb ein weichherziger Scharfrichter sich mit dem Kraut immer stimulieren musste, bevor er ans Werk ging (Marzell, in: HDA s. v. Katzenminze). Kerbel, cerifolium (Anthríscus cerefólium) ist blutstillend, hilft nach Walahfrid (235–247) mit Minze und Mohn gegen Schmerzen und ist „ein Heilmittel der Armen“. Hildegard (70/32f.) appliziert den kirbel bei wunden Eingeweiden, Milzschmerzen und in einer Salbe aus Schweineschmalz, Weihrauch und Schwefel gegen Geschwüre und Krätze. 131
3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
Klappertopf (Rhinánthus). Nach F-B (209) und Fischer (1929, 31) soll Hildegards rasela, die gegen Würmer eingesetzt werden kann, den Klappertopf mit seinen „rasselnden“ Samenkörnern bezeichnen, was mich nicht völlig überzeugt. S. zu Zaunrübe. Klee, cle – eine genauere Differenzierung der Art von Trifólium fehlt – ist nach Hildegard ein ausgezeichnetes Viehfutter und medizinisch ziemlich bedeutungslos, doch kann man ihn mit Baumöl auf die Augen aufbringen (108/38). Ich vermute, dass sich ihr cithysus auf Geißklee oder Besenginster (Cýtisus) mit seinen dreiteiligen kleeähnlichen Blättern bezieht. Wenn der Kleeanbau auch erst nachmittelalterlich ist, so war doch der Klee eine der Leitpflanzen des Naturrasens und der Wiesen. Er ist daher in der Literatur Inbegriff der lieblichen Landschaft (s. unten S. 187). Die Vorstellung, dass ein vierblättriges Kleeblatt Glück bringe (B-P III, 201), ist mir in mittelalterlichen Texten nicht untergekommen. Sie hängt wohl auch mit der dadurch gegebenen Kreuzform zusammen. Übrigens ist die gerne auf St. Patrick zurückgeführte Deutung des Blattes von Trifólium mínus (Shamrock) als Symbol der Dreifaltigkeit erst neuzeitlich (von 1726). Klette, Groß-K., cletta, lappa (Árctium láppa) mit etwas nachteiliger Wärme wächst aus dem „Schweiß des Bodens“ und hat nach Hildegard (98/37) keinerlei Vorzüge – auch nicht die Wurzel, die heute das Klettenöl (Haarwuchsmittel) liefert. Allerdings können die Blätter gegen Blasenstein und die Blüten mit gemahlenen Muschelschalen gegen den Kopfgrind eingesetzt werden. Knoblauch, chnoblauh, allium (Állium satívum; h-t) hilft nach Konrad (417) gegen „kalte Vergiftung“ und wird daher der pawern triakers ‚Bauerntheriak‘ genannt. (Theriak war seit der Antike ein Antidot, das aus Vipern und anderen giftigen Tieren hergestellt wurde und heute wohl noch in der einen oder anderen Form in der traditionellen chinesischen Medizin verwendet wird.) Gerösteter Knoblauch unter der Faust an die Venen gebunden, hilft bei starkem Zahnweh. Nach Hildegard wächst Knoblauch (79/33f.) nur nachts, er ist besser als die 132
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andern Laucharten, muss aber roh genossen werden. Die Pflanze galt schon in der Antike als apotropaion: Kinder trugen Knoblauchzehen zur Dämonenabwehr um den Hals gehängt (Palladius, de agricultura I, 35, 6) etc. Man muss kein Dr. Van Helsing sein, um rezentere Zusammenhänge zu erkennen. Königskerze, Kleinblütige K., wollkraut, wullena, blandonia (Verbáscum thápsus; h-t) empfiehlt Hildegard gegen Traurigkeit zu kochen und mit Fleisch, Fisch oder Küchlein zu essen. Ein Trank aus wollkraut und Fenchel nützt gegen Heiserkeit (123/42). Zum Namen s. oben S. 99. Koriander, wantzen chrawt (Coriándrum satívum). Hier sind sich die Meister Galen und Avicenna über die Primärqualitäten, ob h-t oder k-f, nicht einig. Unser Magister äußert einmal Kritik an seiner Quelle (428f.) und folgt ihr, wenn er vor dem „kalten“ Koriander warnt, nicht! Thomas (1999, 120) hob die beruhigende Wirkung hervor und empfahl, einen Koriander-Wein-Absud zu trinken und die Speisen mit Korianderpulver zu würzen. Kornelkirsche, Dirndl, erlizbaum (Córnus mas; h-f ) ist eine der ganz wenigen Pflanzen, deren Früchte von Hildegard uneingeschränkt zum Genuss empfohlen werden. Außerdem liefern Rinde und Blätter dem Gichtbrüchigen ein linderndes Bad (B 40/74). Es ist erstaunlich, dass Thomas und Konrad die Dirndl nicht erwähnen, weil sie eine jener Früchte ist, die Ovid durch Nennung als Speise der Vorzeit adelte (Met. I, 105). Kresse (wahrscheinlich ist Brunnenkresse gemeint), chrezz, nasturtium (Nastúrtium officinále; h-t) hat überwiegend positive Wirkung bei Geschwüren und der Bekämpfung des Haarausfalls, bei bösartigen Karfunkeln, die „persisches Feuer“ heißen, bei Asthma (asma), bei Leiden an Milz, Leber und Magen, bei Stichen giftiger Tiere etc. Aber Konrad (444f.) vergisst auch nicht die gefährlichen Wirkungen: Die Kresse mehrt die Unkeuschheit, die Menstruation und bewirkt Fehlgeburten, wenn man sie nicht zerreibt, sondern (im Mörser) zerstößt. 133
3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
Hildegard unterscheidet zwischen Garten-Kresse, crassum (Lepídium satívum) und Brunnenkresse, burncrasse. Erstere (72/33) ist eher ungesund, Letztere ist einigermaßen unwichtig, kann aber gegen Gelbsucht und Fieber eingesetzt werden (73/33). Kubebenpfeffer, kubeben (Píper cubéba; h2-t2) ist gut für den chalten haubt flFsz, der reuma haizzt (BN, 396f.). Man verfälschte den „Stielchenpfeffer“ durch die billigeren Wacholderkörner. Die Äbtissin vom Rupertsberg nennt den Kubebenpfeffer „mäßig warm“, unterstreicht aber seine positive Wirkung auf Geist und Charakter (26/22). Kümmel, chFml, cyminum (h-t). Hier bleibt mir unklar, inwieweit Konrad (430) die folgenden drei „Kümmelsorten“ vermischt. Er kennt sicher den Wiesen-Kümmel (Cárum cárvi), den er wohl mit velt chFml meint. Wenn er im Folgenden sagt, der eine Kümmel sei schwarz, der andere gelblich, so stellt er wohl den Echten SchwarzKümmel, Jungfer-im-Grünen (Nigélla satíva), der heute in Asien gerne als „black onion seed“ bezeichnet wird – natürlich ohne mit Zwiebeln zu tun zu haben –, dem Kreuz-Kümmel oder Mutter-Kümmel (Cumínum cymínum) gegenüber. Im Geschmack haben diese „Kümmel“ keinerlei Ähnlichkeit, aber das hat wenig Bedeutung, weil Konrad ja nur sehr selten eigene Erfahrungen in sein Werk einfließen lässt. Die Waschung mit Kümmelabsud bewirkt Reinheit der Augen und des Gesichts, veltkümel heilt Wunden usw. Der Mutter-Kümmel hat, wie sein Name sagt, eine stark sexuelle Konnotation. Sein Genuss öffne Samen- und Milchgänge. Für Hildegard ist der kumel (h-t) – auch hier ist nicht klar, welchen sie meint – für Gesunde ratsam, weil er den Verstand stärkt; insbesondere empfiehlt sie, Käse mit Kümmel zu bestreuen (17/21). Laserkraut, Berg-Laserkraut, Berg-Kümmel, gaiz venichel, siler montanum (Laserpítium síler; h-t ) – der Megenberger (455) weiß, dass die Geißen, wenn sie unkäuschen wollen, von dem Kraut fressen und davon schwanger werden (vgl. S. 239).
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Lattich, lactuken chraut, lactuca (s. oben S. 20, 67). Hildegard unterscheidet zwei Latticharten (91, 92/35f.) zu medizinalischer Verwendung: lactuca agrestis, mit dem Gift-Lattich (Lactúca virósa) identifiziert (FB, 205) – schädlich, weil vom „Schaum des Erdschweißes“ gewachsen, bestenfalls gegen Skrofeln zu gebrauchen und nach der Clavis (423) „bitter wie die Buße“ –, und den Zaun-Lattich oder wilden latich (Lactúca serríola), die Ausgangsform unseres Gartensalates, der dank seiner Kälte die fleischlichen Gelüste beider Geschlechter unterdrückt – wenn er gekocht und noch warm um die Lenden gebunden wird. Lavendel, lavendula (Lavándula angustifólia; h-t) vertreibt Läuse, nützt aber sonst laut Hildegard (35/24) dem Menschen wenig. Beim Brauen diente er als Bierwürze. Lendpaum, lentiscus nennt Konrad (358f.) ein Gehölz mit biegsamen Ästen, das seiner Quelle Thomas (1999, 101) nach das Mastixharz produziert, was richtig ist. Mastix wird aus Pistácia lentíscus gewonnen (vgl. Schadewaldt, 1991, 154). Der Magister hält dies jedoch für falsch und schreibt den Mastix einer anderen Pflanze, dem matzenpaum oder macis, zu, dessen granatapfelrotes Harz der Mastix sein sollte (402). Gleichzeitig ist ihm aber bewusst, dass macis ein Produkt des Muskatbaumes (s. S. 141) ist. Welcher Baum lieferte nun den erwähnten wohlschmeckenden roten Harzsaft? Liebstöckel, lybisticum (Levísticum officinále). Die bereits den Klostergärten vertraute Staude fehlt bei Konrad, wird jedoch bei Walahfrid erwähnt, nach dem sie Blindheit bewirken soll (229–234): Liebstöckel, kräftiges Kraut, dich zu nennen im duftenden Dickicht Heißt mich die Liebe, mit der ich im Gärtchen alles umfasse. Zwar durch Saft und Geruch, so glaubt man, soll diese Pflanze Schaden den Zwillingssternen der Augen und Blindheit bewirken. Aber die kleinen Samen pflegen doch manchmal als Beisatz Andrer Arznei durch fremdes Verdienst sich Lob zu erwerben. Tatsächlich war das Liebstöckel bereits in der antiken Küche ein wichtiges Ingredienz. Es hat bei uns wie die ähnliche Sellerie bis heute 135
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den Nimbus, Potenz zu bewirken und zum Verkehr anzuregen, wie man aus den Namen Luststock und Liebstöckel ersehen kann, der sich letztlich als volksetymologische Entstellung in ahd. liubistekal aus lat. libisticum < gr. ligystikón ‚das aus Ligurien Stammende‘ erklärt. Davon weiß die hl. Hildegard allerdings nichts. Ihr mäßig warmes lubestuckel (139/45) macht den Menschen träge, kann aber bei Husten der Menschen und Rheuma der Pferde eingesetzt werden. Liguster (Ligústrum vulgáre) ist vielleicht mit dem kalten schulbaum Hildegards gemeint (B 49/75; F-B, 219), der sonst auch scalostici (für scolastici?) heißt. Er ist giftig und für die Äbtissin kein Heilmittel. Lilie, Weiße L., Madonnenlilie, lylyge, lilyum (Lílium cándidum; h-f ) ist eine Pflanze, die das Mittelalter in Atem gehalten hat. Außer der Rose wird keine Pflanze häufiger mit Heiligen zusammengebracht (z. B. mit Antonius von Padua, Catharina von Siena, Clara von Assisi, Gertrude von Nivelles, Johannes d. Täufer). Sehr hübsch schildert Konrad (440) das Lilienperigon mit Stempel und Staubblättern. Die Lilie hat ein sch=n weizz plFmen mit sehs pletern, vnd zemittelst stet ein gelbes nagel dar inn, vnd darvmb stent chlaine dingel mit gelben haubtlein. Es ist fast die einzige Pflanze, die detailliert betrachtet und beschrieben wurde. Ein vom Herausgeber Paul Wüst „Die Lilie“ betitelter, wohl nach 1260 entstandener Text in Reimprosa, der einen ins Deutsche übertragenen Teil des „Mystischen Weinstocks“ (Vitis mystica) des Doctor seraphicus Bonaventura (1221–1274) darstellt, ergeht sich hier in einer typischen „Konstruktionsallegorie“: Die Wurzel der Lilie ist der Gedanke des Gerechten, der starke Stiel ist der gute Wille, wobei die Länge speziell den Langmut bezeichnet. Die Blätter am Stamm sind die Worte der Gerechten, die sechs Blumenkronblätter sind die Liebe zu Christus, die sechs Staubblätter (die gele bluomen) sind sechs Werke der Barmherzigkeit usw. (Die Lilie, S. 1–40; dazu Hans Neumann, in: VerfLex 1985, 828–831). In der gleichen Handschrift befindet sich noch eine zweite Prosaauslegung des Lilienbildes etwa der gleichen Zeit. Die Lilie hilft gegen Schlangen- und Skorpionsgift, gegen Quetschungen und Verrenkungen (nach Walahfrid, 248–261), macht ein 136
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schönes, faltenloses Antlitz, ist aber doch hauptsächlich in der Frauenheilkunde zur Erleichterung der Geburt anzuwenden. Natürlich verdankt die schöne Pflanze ihren Nimbus der Gleichsetzung mit Maria in mehreren Hohelied-Stellen (2,1f. usw.), in denen die Braut immer wieder als lilia erscheint (s. unten S. 228). Walahfrid freilich lehrt uns, die Lilie auch aus einem anderen Aspekt zu sehen (405–414): Ihr [der Rose] zur Seite, bekannt und geehrt, stehn der Lilie Blüten, Deren wehender Duft noch weiter die Lüfte durchtränket. Wenn aber einer zerquetscht das glänzende Fleisch ihrer weißen Frucht, so wird er verwundert bemerken, daß wie verflogen Alsbald entschwindet jeder Gedanke an lieblichen Nektar. Reinheit der Jungfrau, selig gepriesen, strahlt aus der Blume; Dann nur leuchtet sie duftend, wenn Not der Sünde ihr fernbleibt, Wenn unheiliger Liebe Begier ihre Blüte nicht knicket. Gehet jedoch ihrer Unberührtheit Kleinod verloren, Werden in üblen Gestank sich die holden Düfte verwandeln. Allerdings ist nicht immer zwischen Lilium candidum und anderen Lilien oder lilienähnlichen Gewächsen (wie auch der Iris) unterschieden worden. Hildegard behandelt mit der eher kalten Lilie Hauterkrankungen. Sie spielt bei ihr eine erstaunlich geringe Rolle (23/22). Lorbeer, lorpaum, laurus (Láurus nóbilis) wird von Konrad (357) nach Isidor (XVII, 7, 2) mit laus, laudis ‚Lob‘ verbunden, was aus mittel alterlicher Sicht durchaus akzeptabel war. Wir erfahren von vielen Applikationen, die alle stärkende und wärmende Wirkung haben sollen. Interessant ist der Glaube, dass der Blitz in Lorbeer nicht einschlage. Als Siegeszeichen erscheint der Lorbeer(kranz) natürlich auch in der christlichen Kunst (vgl. LIC 2, 106f.). Dementsprechend sieht Hildegard im warmen und trockenen Lorbeer das Sinnbild der „Standhaftigkeit“ (B 15/69). Er dient zur Magenreinigung und Heilung der Gicht. Seine schwarze Beere, die bacca lauri, scheint im – vielleicht sekundären – Zusammenhang mit dem Wort Bakkalaureat (engl. bachelor usw.) zu stehen, das die niederste akademische Würde bezeichnete, aber in seiner Geschichte nicht ganz geklärt ist. 137
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Lungenkraut, lunckwurtz (Pulmonária officinális; k2-t) nützt nach Hildegard nur bei Lungenleiden, allerdings macht es die Schafe fett und milchreich (29/23). Maßholder, Feldahorn, mascel (Ácer campéstris) ist eine Pflanze, die in den Augen der Äbtissin vom Rupertsberg (B 41/74) in keinerlei Weise brauchbar ist! Matzenpaum, mastix s. Lentpaum. Mauerpfeffer, Scharfer M., ertpeffer (Sédum ácre) gilt Hildegard als kaltes Fiebermittel (168/49). Meerzwiebel, Zweiblättriger Blaustern, maus zwiual, squilla (Scílla bifólia) soll nach Konrad (456f.) Mäuse töten, weshalb die Bezeichnung Meerzwiebel (cepa maris) falsch sei und es ‚Mäusezwiebel‘ heißen müsse. Auch sei sie nicht mit Eisenhut (s. oben S. 118) zu verwechseln, vielmehr könne eine wohlschmeckende Art (h-t) gegessen werden. Eine genauere Beschreibung der essbaren Art bietet er jedoch nicht. Die Pflanze ist wegen ihrer Primärqualitäten gegen Wassersucht zu verwenden, ist harntreibend und verursacht bei Schwangeren Abortus. Ein zaubr#r sagte, dass die mäuszwival, über der Tür am Haus aufgehängt, giftigen Tieren den Eingang wehre. Melisse, Zitronen-M. (Melíssa officinális) dürfte Hildegards metra, auch muterkraut sein (Fischer, 1929, 274f.; anders F-B, 202). Den Namen hat es, weil es bei der Regelblutung Erleichterung verschafft (116/41). Minze, mintz, menta (h-t). Diese von den Pharisäern eigens zu verzollende Pflanzenart (Lk 11,42) erfreute sich stets hohen Ansehens. Bereits Isidor (XVII, 11, 9) unterschied sechs Minzsorten, mehrere kennt auch das Capitulare. Walahfrid seufzt gar (295–299): Wenn aber einer die Kräfte und Arten der Minze Samt und sonders zu nennen vermöchte, so müsste er gleich auch Wissen, wieviele Fische im Roten Meere wohl schwimmen, 138
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Oder wie viele Funken Vulcanus, der Schmelzgott von Lemnos, Schickt in die Lüfte empor aus den riesigen Essen des Aetna. Die Wörterbücher des Mittelhochdeutschen unterscheiden bachminze, bîminze, brunnenminze, krûseminze, reitminze, rosminze, sigeminze, steinminze, vischminze und wildeminze. Konrad (442f.) scheint drei Minzsorten im Auge zu haben, Hildegard (75–78/33) deren vier: (1) die Wasser-Minze, bachmyntza, bachmyncza (Méntha aquática), (2) die veltminz, minori myntza oder Acker-Minze (Méntha arvénsis) und (3) eine gezüchtete Kulturpflanze, die der Magister haimisch nennt, vielleicht mit Hildegards myntza major identisch ist und die Krauseminze, sisimbrium (Méntha críspa) bezeichnet, zu denen noch (4) die Ross-Minze, rossemyntza (Méntha longifólia) tritt. Die heutigen botanischen Zuschreibungen scheinen mir sehr unsicher und auch die erwähnten Spezifika reichen nicht aus, um die Minzen sicher zu identifizieren. Sie kräftigen und reinigen bei Konrad mit ihrem edlen Geschmack, verhindern das Sauerwerden der Milch und lassen, besonders zu Kohl (s. oben S. 65) gepflanzt, kein schädliches Tier aufkommen, werden aber von Hildegard kritischer beurteilt. Mohn, mâgen chraut, papauer – der Megenberger (449) meint mit dem Mohnkraut wohl den angebauten Schlafmohn (Papáver somníferum), von dem er nach der Farbe der Mohnsamen wieder eine „weiße“ (k-f ) und eine „schwarze“ Sorte (k-t), also mit verschiedenen Primärqualitäten, unterscheidet. Interessanterweise empfiehlt er den Mohn nicht als Schlafmittel, sondern gegen den häufig apostema genannten Abszess. Trotzdem ist es verräterisch, wenn ein Pflaster aus Frauenmilch, Mohnsamen und Eiklar auf die Schläfe, den Sitz des Schlafes, gelegt wird, um einem Abszess an irgendeinem Körperteil beizukommen. Mit mâhensaft wird ‚Opium‘ glossiert (Lexer s. v. mâgensaft). Relativ genau gibt Konrad die Herstellung der Mohn latwerge diapapaveron an. Wie üblich der Mohn auf dem Speisezettel war, ersieht man aus einem Weistum, das zur Sühnung der Tötung eines Hundes vorsieht, dass man diesen mit Weizen oder Mohn bedecken müsse (BMZ II, 18b) und dass mâgengült ‚Mohnzins‘ zu entrich139
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ten war. In St. Gallen pflanzte man zwei Mohnarten an: papaver und magones. Ersteres ist wohl der Klatschmohn (Papáver rhoéas), Letzteres der Schlafmohn. Freilich würde man die erstgenannte Species eher im Heilkräutergarten als im Gemüsegarten vermuten. Walahfrid erwähnt die Verwendung des Mohns, um ein Leid zu vergessen, aber auch zur Behandlung von Geschwüren (263–274). St. Hildegard (96/36) hingegen betont, dass der Mohn (k2-f ) so sehr Schlaf bewirke und Geilheit vertreibe, dass sogar die Läuse und Nissen sich beruhigen! Möhre – morkrut nennt Hildegard (148/47) „eine Erquickung des Menschen“, die aber einen „vollen Bauch“ mache (blähe?). Den Namen wollte man auch als ‚Moorkraut‘ verstehen und dachte an das Herzblatt (Parnássia palústris), eine klassische Moor- und Sumpfpflanze, die jedoch nie verzehrt wurde und den Menschen kaum in diesem Sinn erquickte. Ein Blick in das Synonymenverzeichnis lehrt, dass mit dem Element mor- sowohl die Möhre (Dáucus caróta) als auch der Pastinak (Pastináca satíva) bezeichnet wurde, von dem in de pastinaca (200/54) Hildegard behauptet, dass er kalt sei und gleichfalls „zur Erquickung“ diene. Ich sehe keine Möglichkeit einer Entscheidung. Mönchspfeffer, daz käusch lamp (Vítex ágnus cástus; h-t) macht nach Konrad (341f.) den Menschen keusch wie ein Lämmlein, weil er durch seine heiße Trockenheit die unkeuschen Säfte verzehrt. Schon im alten Griechenland sollen die Frauen, die Blätter des Baumes in den Häusern aus diesem Grund ausgestreut haben. Besonders die Schamteile möge man mit dem Saft der Staude oder des kleinen Strauchs behandeln. Ein im Vitex-Saft ausgekochter Riemen verhindert die genorream, die Pollution im Schlaf oder bei manchen auch im Wachzustand. Der Rektor, der seine Kleriker kannte, endet mit dem Stoßseufzer: wolt got, daz der werlt der weinreben minner wFchs vnd derlay paum mer, vnd allermaist gaistleichen l#uten! Moose erwähnt nur Hildegard (B 57/77). Sie erklärt sie als einen Ausfluss an Lebenskraft der Bäume, wenn diese im Alter nicht mehr im140
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stande seien, diese in Wachstum umzusetzen. Sie schicken dann „die Frische und Gesundheit, die sie eigentlich innerlich haben müssten, nach außen auf die Rinde“. Ob nun ein Moos schädlich oder heilkräftig ist, hängt von der Heilkraft der jeweiligen Bäume ab, was an die Hypothesen zur Giftigkeit der Pilze (s. oben S. 73) erinnert. Das Moos von Birn- und Apfelbäumen und Buchen kann nach Abkochen zu einem Umschlag gegen Gicht verwendet werden. Muskat, muschkatenpaum, můskat paum, muskata (Myrística frágrans; h3-t3) ist ein begehrtes, viel verwendetes Gewürz, das man wegen seiner Hitze auch zur Stärkung der „geistlichen Glieder“ gebrauchte (BN, 402f.). Sind damit (wegen spirare, spiritus) die Atmungsorgane oder doch das Gehirn gemeint? In letzterem Fall hätte sicher nach dem Prinzip similia similibus die „Signatur“ (Birkhan, 2010, 64f.) der hirnartigen Maserung der Muskatnuss eine Rolle gespielt. Aber Muskat galt auch als Aphrodisiakum (Wiswe, 1970, 68). Konrad weiß, dass macis der rote Samenmantel der Muskatnuss ist, und empfiehlt sie gleichfalls. Nach Hildegard hat die Muskatnuss (h) nur große Vorteile, weil sie das Herz des Menschen öffnet und ihm guten Verstand verleiht (21/22). Muskateller-Salbei, sclarega (Sálvia sclárea) hat Walahfrid in seinem Kräutergarten, der allerdings erwähnt, dass die Pflanze nur selten für heilende Würztränke verwendet wird (275–280). Das weist auf Gesundheit auf der Reichenau, denn Hildegards Ausführungen über die warme scharleya (161/48) ist zu entnehmen, dass ein Dekokt (durch Abkochen hergestelltes Medikament) von dieser Pflanze bei Vergiftungen verabreicht wurde. Myrrhe, mirr (mask.), mirra Arabica (Commíphora mýrrha; h-t) ist das vielseitig verwendbare und allegorisch aufgeladene Harz des Myrrhenbaumes, wie unser Magister (400f.) mit ziemlicher Breite ausführt. Man kann die Wirkung dahin zusammenfassen, dass die zusammenziehende herbe Myrrhe der Fäulnis wehrt. So bewahrt sie einen Leichnam vor Verwesung, und in kühnem Vorgriff wird die Myrrhen141
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spende des einen Magiers an das Christuskind als Vorausdeutung der Salbung des toten Christus mit Aloë und Myrrhe durch Joseph von Arimatäa verstanden. Konrad empfiehlt die Myrrhe auch als Deodorant, wenn er lehrt, dass man sich mit einer Mischung von Wein, Eiklar und Myrrhe Achselhöhlen und Scham einreiben solle, um üblen Gerüchen zu wehren. Ein Klistier von Myrrhe und Rautenwasser oder Wermutwasser lässt die Periode eintreten und zieht das Kind aus dem Mutterleib. Hildegard, die in der Qualitätenzuschreibung genau zum Megenberger stimmt, sieht in dem Harz, wenn es in den Wein genommen wird, ein Mittel gegen teuflische Einflüsse, insbesondere zur Unterdrückung des Sinnenkitzels (176/50). Die Myrrhe muss eine narkotisierende Wirkung haben, weil die Römer dem zu Kreuzigenden vor der Nagelung Myrrhenwein zu trinken gaben, den Jesus allerdings ablehnte (Mk 15,23). Einige Kapitel später findet sich bei Konrad noch ein Eintrag ‚Von der Myrrhenträne‘, die scacten, scaten, scoten, stachen oder ähnlich heißen soll (405f.). Diese Myrrhe ist schärfer und intensiver als die andere. Ob es sich um eine andere Art, ältere Bäume oder klimabedingte Varianten handelt, ist dem Megenberger und mir unklar. Myrte s. Gagelstrauch. Nachtschatten, Schwarzer N., nachtschade (Solánum nígrum; h-t) soll nach Hildegard (121/42) bei Herzschmerzen, geschwollenen Beinen und Zahnweh appliziert werden. Die Pflanze gilt uns heute als giftig, doch scheint der Giftgehalt sehr variabel, sodass etwa 18 Prozent der untersuchten Pflanzen keinerlei Gift enthielten, während sich in 82 Prozent Alkaloide fanden (Frohne/Pfänder, 1979, 376). Narde, narden chraut, nardus, spica (Valeriána jatamánsi; h-t) ist eine dornige, nach Zypressen duftende Pflanze, die geradezu als Panazee wirkt (BN, 443f.): gegen synkopis ‚Synkope; Kreislaufkollaps‘, apoplexia, Epilepsie, Paralyse, Gicht und viele andere Erkrankungen. Die eigentlich aus dem Himalaja stammende Narde wurde für eine Art Parfum verwendet, das in Alabasterfläschchen in den Handel kam, deren eines 142
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
die Frau bei der Salbung in Betanien über Christus ausgießt (Mt 26,7; Mk 14,3) und das natürlich im Hohelied (1,12; 4,13f.) wieder Bezug auf die Braut und damit auf Maria hat, die dem Nardenkraut gleicht, weil sie so voller Gnaden wie die Narde voll Duft ist. Ich nehme allerdings an, dass in der Praxis eher die kalkmeidende Bergpflanze Valeriána céltica (vgl. Dioskurides I, 7) gemeint ist, deren dt. Name Speik ja lat. spica fortsetzt (vgl. Fischer, 1929, 287). Sie ist allerdings dem Hunsrück fremd. Man könnte daher vermuten, dass Hildegard sich (25/22 und 202/54) mit spica (h-t) auf eine andere Pflanze, vielleicht den Lavendel (Lavándula angustifólia), der auch spica hieß, bezieht (Fischer, 1929, 237). Doch spricht dagegen, dass die Äbtissin an anderer Stelle den Lavendel für eher nutzlos hält (35/24). Es gibt noch einige andere spica genannte Pflanzen. Welche unsere Autoren mit ihrer „Narde“ meinen, lässt sich wohl nicht entscheiden. Jedenfalls lindert sie, in Honig und Wasser gekocht, Beklemmung der Brust, Leber- und Lungenschmerz, „schafft reines Wissen und reinen Charakter“ (25/22). Nelke, Gewürznelke, nägellein, nagel paum, garyophylon (Syzýgium aromáticum; h-t) stärkt Hirn, Augen und Verdauung. Konrad schildert ziemlich ausführlich, wie man alte, schon aromalos gewordene Nelken so verfälschte, dass sie wie frische wirkten (398f.). Hildegards nelchin, gariofiles (h3-f1) passen wunderbar zu Honig, helfen bei Kopfleiden, Wassersucht und Podagra (27/22). Die Nelken wurden wegen ihrer Ähnlichkeit mit Nägeln als solche bezeichnet (< neilikin ‚Nägelchen‘). Übrigens nannte man auch den Griffel der Blüten negelîn. Seit dem 15. Jahrhundert hat man die Nelkenbezeichnung wegen des angeblich ähnlichen Dufts auf die Gartennelke (Diánthus) übertragen. Die rote gefüllte Nelke weist wegen der „Nägel“ auf den Kreuzestod Christi hin, z. B. in Leonardos „Madonna mit der Nelke“ (1473–1478) in der Alten Pinakothek (München). Nieswurz, Christrose, nieswurcz, eleborus (Helléborus; h-t) ist eine bereits in der Antike wichtige Heilpflanze, worüber sich der berühmte Begründer der Homöopathie Samuel Hahnemann (1755–1843) mit der Schrift De Helleborismo veterum ‚Die Anwendung der Nieswurz 143
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bei den Alten‘ habilitierte. Nach Konrad ist es eine Pflanze, die dem Sammler schaden kann, wenn er nicht zuvor Knoblauch gegessen und starken Wein getrunken hat (433f.). Die Schwarze Nieswurz, swartz niezwurcz (Helléborus níger) hat solche Schärfe, dass sie wildes Fleisch wegätzt, im Übrigen aber vermag die Nieswurz Männer, die keine weiblichen Züge haben, zu verjüngen und zu verschönern. Mit Essig gesotten und ins Ohr geträufelt, heilt sie den Tinnitus. Sie wirkt aber auch gegen Melancholie, Delirien, in denen einer unsinnigerweise mit sich selbst spricht, Epilepsie und allerlei andere Leiden. Der Megenberger unterscheidet auch eine weizz niezwurcz, in deren Stengel sich keine schwarzen Äderchen befinden. Sie soll stärker als die Schwarze sein. Mir ist nicht klar, ob er damit die Grüne Nieswurz (Helléborus víridis) oder die Hecken-Nieswurz (Helléborus dumetórum) meint. Erstere gilt als ein seit dem Mittelalter verwildertes Kulturrelikt, das sich in Österreich öfters in der Nähe von Burgen findet und früher zur Behandlung der Schweine gegen den Rotlauf verwendet wurde. Aber auch die Letztere ist eine alte Tierarzneipflanze (Fischer, 1994, 269). Der Gart der gesundheit bildet als wisznieswurtz (cap. 165) etwas ab, was an den Salomonsiegel (Polygónatum) erinnert (so auch unter Diptam; cap. 146), während die blütenlose schwartz nyeßwurtz (cap. 166) wie ein zu üppiger Bärlapp aussieht. Die pulverisierte Wurzel der Helléborus-Arten reizt zum Niesen – daher der deutsche Name – und schärft damit den Blick. Im Übermaß genossen jedoch ist sie für Mensch, Schwein und Hund tödlich – und sogar noch für Hühner, die im Menschenkot picken. Nach Hildegard hat die christiana, die F-B (200) für die Knollen-Platterbse (Láthyrus tuberósus) hielt, „feurige Wärme und Kälte“ zugleich. Sie wirkt als Antidot bei Vergiftungen, vertreibt Quartan- und Magenfieber und die Gicht (28/23). Sie erscheint später nochmals als nysewurtz (h-t) und gilt hier auch als gelisia (152/47) trotz ihrer völlig anderen Qualitäten wieder als Heilmittel gegen Gicht. Auch gibt es noch eine sichterwurt nigra genannte Pflanze, die offenbar mit der zuvor genannten christiana identisch ist, weil sie mit ihr die wechselnden Qualitäten teilt (129/44). Diesmal wird sie nur neurologisch eingesetzt, um geistige 144
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Schwäche im Kopf zu heilen. Die darauf folgende sichterwurtz alba (130/44) könnte trotz Fischer (1929, 287) und Riethe eher die Grüne Nieswurz meinen als den Weißen Germer (Verátrum álbum), da sie ja die gleichen Eigenschaften wie die vorgenannte, nur eben schwächer, hat. Man verwendet dieses Kraut, um die ausbleibende Regel herbeizuholen und gegen Herzleiden. Andererseits gibt zu denken, dass auf die nyesewurtz unmittelbar eine Pflanze folgt, die ebenfalls als Germer angesehen wurde, die nach der wichtigsten Heilwirkung benannte herba gicht (153/47), die F-B (204) allerdings für unbestimmbar hält. Es sei denn, sie bezeichnet gleichfalls die Grüne Nieswurz und beide Nieswurzpaare entstanden durch irrtümliches Kopieren zweier etwas in der Überschrift variierender Vorlagezettel. Dem heutigen Interpreten werden seine botanischen Kenntnisse zum Verhängnis, denn ihm will nicht einleuchten, dass zwei Pflanzen, die so grundverschieden sind wie Helléborus und Verátrum, jemals verwechselt worden sein sollen. Jedenfalls herrscht in Sachen „Nieswurz“ größte Verwirrung. Ochsenzunge, Färber-O., verb chravt, alterana (vgl. Fischer, 1929, 259; Anchúsa tinctória; k-t) ist eine mediterrane Pflanze, die eine Wurzel (radix Alcannae) hat, aus deren Rinde man in der Neuzeit einen roten Farbstoff zum Färben fettiger Substanzen herstellte.8 Konrad (417) weicht davon in kurioser Weise ab, indem er behauptet, dass man durch Einsalben mit dieser Pflanze einen schönen weißen Teint erzielt, der allerdings erst am dritten oder vierten Tag erscheint. Die Tage davor scheinent die gesalbten gelider gar vngestalt. Auch Wunden heilen durch verbkraut. Odermennig (Agrimónia eupatória) wird als „König aller Kräuter“ bezeichnet und hat im Mittelalter eine Fülle deutscher Synonyme: akerkrawt, bruchwurz, clebecruth, clenicletta, fichwurze, hayl allerwelt, helpe, natergayl, odermime, oderminte, prachwurz, puerdwurz (Fischer, 1929, 257f.). Walahfrid preist den Odermennig (362–368): 8 http://buecher.heilpflanzen-welt.de/Hahnemann-Apothekerlexikon/f/ faerberochsenzunge.htm (21. 2. 2011).
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Mannigfach ehrt ihn der Ruf seiner heilsamen Kräfte, besonders Zähmt er, zerrieben getrunken, die scheußlichen Schmerzen des Magens. Hat ein feindliches Messer uns einmal am Körper verwundet, Rät man uns wohl, zu seiner Hilfe Zuflucht zu nehmen, Aufzulegen der offenen Stelle zerstoßene Sprosse, Um durch dieses Verfahren Gesundheit wieder zu finden, Wenn der Umschlag dazu noch mit beißendem Essig getränkt wird. Da Thomas ihn nicht erwähnt, fehlt der Odermennig auch bei Konrad. Hildegard (114/40) hingegen widmet der agrimonia einen langen Abschnitt, in dem sie ihre Applikation durch Waschung und Umschläge bei Geisteskrankheit empfiehlt. Gegen Eingeweideleiden lehrt sie die Herstellung von Odermennigpillen. Das Rezept enthält genaue Mengenangaben und ist somit eines jener ganz wenigen, die heute wieder nachbereitet werden könnten (weitere alte Rezepte bei Marzell, in: HDA s. v. Odermennig). Oleander, Rosenlorbeer (Nérium oleánder) ist meiner Meinung nach bei Konrad (358) mit lorant, lorander gemeint, von dem gesagt wird, dass er auch rotunda ‚runder Baum‘ heißt. Dahinter steckt höchstwahrscheinlich gr. rhododéndron (Ernout/Meillet, 870f.), wie Isidor (XVII, 7, 54) ausdrücklich sagt, worauf wohl auch noch die sinnlose Entstellung rotunda weist. Dass der Baum Blätter wie ein Lorbeer habe, jedoch die Blüten denen der Rose gleichen, ist freilich nur sehr bedingt richtig, entspricht aber dem sonst bei Pflanzenvergleichen Üblichen. Die von Isidor betonte Giftigkeit klingt wörtlich wieder bei Konrad an, der allerdings meint, man könne auch Geisteskrankheiten mit der Pflanze heilen. Ein marianischer Bezug ergibt sich vielleicht für die plantatio rosae in Iericho (Sir 24,18), wenn man von der neuen Einheitsübersetzung „wie Oleandersträucher in Jericho“ gegenüber quasi plantatio rosae der Vulgata ausgeht. Dass eine so auffällige, schöne Pflanze wie der Oleander in der Bibel und im Mittelalter fast un beachtet geblieben wäre, ist recht unwahrscheinlich.
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Osterluzei, Pfeifenblume, hobwurtz (für holwurz ‚Hohlwurz‘?), aristologia (Aristolóchia; h-t) – während Thomas (1999, 117) sich über die aristologia wie üblich eher kurz fasst, findet sich bei Konrad (416) eine ziemlich lange Abhandlung, die sich auf Dioskurides und die von ihm festgestellten und von Isidor (XVII, 9, 52) wieder aufgegriffenen verschiedenen Wurzelformen bezieht. Wenn es heißt vnd ist in seiner plůmen ein rot dingel, gestalt sam ein hůtl, daz stincht, so kann sich das schwerlich auf unsere geläufige Osterluzei (Aristolóchia clematítis) beziehen. Könnte ein Aronstab gemeint sein? Im Gart der gesundheit wird der Aaron (pg. XVI) mit rotem Kolben abgebildet. Die vielen Synonyme wie erdaphel, ertnusz, holwurz scheinen am ehesten die im Mittelmeerraum häufige Aristolóchia rotúnda ‚Rundknollige Osterluzei‘ zu meinen. Die Pflanze ist vielfach verwendbar: von Ohrenleiden, Grind und Räude bis zu Epilepsie und Gynäkologischem. So wie sie wildes Fleisch abstößt, Tiergifte, Dornen und Pfeilspitzen herauszieht, so zieht sie auch die gepurt auz der guldeinen porten (dem Muttermund), insbesondere dann, wenn der Fötus bereits tot ist. Auf Aristolóchia báetica soll sich bywerwurtz bei Hildegard beziehen; nach F-B (198) auf A. clematítis. Sie stellte daraus ein Pulver zur Vorbeugung her, das in der Erde vergraben werden musste, um seine Wirkung zu behalten (146/46). Pappel, alberpaum, popelbaum, populus – hier unterscheidet Konrad (370), der wörtlich Thomas (1999, 104) übersetzt, die Silber- oder Weißpappel (Pópulus álba) von der allein pharmazeutisch interessanten Schwarz-Pappel (Pópulus nígra). Wie Thomas gibt er sehr genaue Anweisungen zur Herstellung des diapopylion aus jungen Blatttrieben und ungesalzener Maibutter. Dieses Präparat heilt Schwindel, Ohnmacht, Hitze usw. Vielleicht dachte man es sich auch als Bestandteil der Flugsalbe (s. oben S. 47), weil die Pappel so hoch wächst. Pastinak s. Möhre.
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3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
Pestwurz, hufflatta major (Petasítes; w-f ) heilt nach Hildegard (210/55) noch nicht aufgebrochene Skrofeln. Ob die Weiße P. (P. álba) oder die Bach-P. (P. hýbridus) gemeint ist, kann man nicht feststellen. Petersil(ie), petersil, petrosilinum (Petroselínum críspum; h-t) ist verdauungsfördernd, gegen den Harnstein, im Übrigen aber der Sellerie (s. S. 161f.) ähnlich (BN 448). Auch St. Hildegard brachte den petroselino trotz seiner „Derbheit“ zur Anwendung (68/32). In ihrem Klostergarten ist er offenbar neben der Sellerie gewachsen. Pfeffer, pfefferpaum, pipperis (Píper nígrum; h4) ist das Hauptgewürz und ein Hauptmedikament des Mittelalters, zugleich in seiner Verwendung Indikator für Wohlstand und Prestige. Eines der wenigen Rezepte mit Mengenangaben gilt um 1500 in Bremen dem Honigkuchen. Dabei macht der Pfeffer 7 Prozent des Gesamtvolumens aus und das Gebäck für heutige Gaumen ungenießbar (Wiswe, 1970, 143). Ein Engpass in der Pfefferversorgung wurde 1513 geradezu als „Pfeffernot“ bezeichnet (Wiswe, 1970, 67). Eine vergleichbare Bedeutung hatte nur der Ingwer. Zunächst bewegte die Gemüter, in welchem Verhältnis der Weiße und der Schwarze Pfeffer zueinander stehen. Die kletternde Pfefferpflanze bringt Früchte hervor, die in ihrem unreifen grünen Zustand bei uns als Grüner Pfeffer meist in Salzlake im Handel sind, dem Mittelalter aber unbekannt waren. Lässt man den unreifen Pfeffer eintrocknen, so wird er runzelig und schwarz und ergibt den geläufigen schwarzen Pfeffer. Werden die Pfefferbeeren reif und rot, so kommen sie getrocknet heute als Roter Pfeffer in den Handel – es gibt allerdings auch andere Arten des „Roten Pfeffers“, die mit der Pfefferpflanze nichts zu tun haben. Lässt man nach Wässern das rote Fruchtfleisch abfaulen, so ergibt dies Weißen Pfeffer, der auch dem Mittelalter geläufig war. Über das Verhältnis von Schwarzem zu Weißem Pfeffer gab es verschiedene Meinungen. Eine alte, bei Hrabanus Maurus (XVIII, 7, 220b) wiederholt behauptete, dass der Weiße Pfeffer durch die Feuer schwarz werde, die man, „wo der Pfeffer wächst“, wegen der ständigen Schlangengefahr unterhalten müsse. Konrad scheint (403–405) eine andere Erklärung wahrscheinlicher, nämlich 148
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dass man den gesammelten Pfeffer in einem Ofen dörre, um ihn haltbarer zu machen und zu verhindern, dass anderswo das Pfefferkorn angebaut und so das Pfeffermonopol durchbrochen werde. Freilich müsste nach dieser Hypothese frischer Weißer Pfeffer keimfähig sein, was jedoch offenbar nicht untersucht wurde. Neben den Pfefferarten von Píper nígrum verwendete man seit der Antike (wie man durch Aristoteles und Galenus weiß) und im Mittelalter auch den Langen Pfeffer (Píper lóngum), der bei gleicher Schärfe ein leicht süßliches Aroma besitzt. Daneben beschreibt Konrad, nicht Thomas, noch eine andere weiße Pfeffersorte, die einer Haselnuss gleiche, süß und kaum scharf sei, deren Identifizierung mir im trüben Scheine meines Binsenlichts nicht gelungen ist. Aus der großen Hitze des Schwarzen, (konventionellen) Weißen und Langen Pfeffers ergibt sich auch seine Anwendung überall dort, wo Hitze und Reinigung gefragt sind. Selbst tropfenweise mit Rosenwasser in die Augen geträufelt, klärt er sie und erhöht das Sehvermögen. Ist jedoch jemand von Natur aus heiß und feucht wie der Sanguiniker genannte Menschentyp, so möge er sich vor Pfeffer hüten, da ihn dieser aussätzig machen könnte. Verwendet eine Schwangere viel Pfeffer, so kann es zu Abortus kommen. Wer wenig Pfeffer isst, dem fällt das Urinieren leicht, wer viel isst, dem verzehrt das Gewürz das Sperma, sodass er keusch wird. Der Lange Pfeffer hingegen, der nach der Signaturenlehre dem Penis ähnelt, bewirkt mit seiner Feuchte die Unkeuschheit. Allerdings befördert ein gebratener Apfel, dessen Kernhaus man durch gepulverten Langen Pfeffer ersetzt hat, die Verdauung. Hildegard hält reichlichen Genuss des Pfeffers (h-t) für gefährlich, nur Milzkranken ist er zu empfehlen, wenn sie appetitlos sind (16/21). Der hohe Preis des Pfeffers macht es verständlich, dass man ihn in alter Zeit gerne verfälschte, etwa durch Wacholderbeeren, aber auch durch Mäusekot, wie der Minnesinger Reinmar von Zweter andeutet (vgl. Wiswe, 1970, 83). Als Ersatz für Piper nigrum dienten vor allem im 15. Jahrhundert auch die viel kleineren und kantigen Körner des westafrikanischen Guineapfeffers (Paradieskörner) von Aframómum 149
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meleguéta, einem Ingwergewächs (Zingiberacea), die kaum scharf sind und einen andersartigen Eigengeschmack haben. Pfefferkraut, Breitblatt-Kresse, pfefferkrut (Lepídium latifólium; h-f ) ist eine heute in unsern kontinentalen Breiten fast ausgestorbene Pflanze (Fischer, 1994, 611; dagegen Oberdorfer, 2001, 444), die Hildegard (38/24) für Gesunde und Kranke empfiehlt. Pfingstrose, Päonie, peon chraut, peonia, dactylosa (Paeónia officinális; h-t) ist nach dem BN (449f.) ein Mittel gegen Podagra und Epilepsie. Bei Letzterer hängt man die Kerne den Kranken um den Hals oder lässt sie den Rauch der brennenden Samen einatmen. Das ist auch den teufelhaftigen lawten gůt, di ze latein demoniaci haizzent. Wer 15 Samenkörner mit Rosenhonig trinkt, bekämpft damit die gaist, die pei den frawen slaffent in mannes weis, die ze latein incubi haizzent. Wir befinden uns mit Konrad noch nicht in der Blütezeit des Hexenglaubens, aber die Idee der Teufelbuhlschaft klingt hier bei ihm schon an – bei Thomas (1999, 124) fehlen die incubi. Auch gegen Gelbsucht und andere Leberleiden ist die Pfingstrose, die auch eine ausgesprochene Marienpflanze ist (Widauer, 2009, 99–103; s. unten S. 245), einsetzbar. Hildegard (127/43) verwendet die „feurige“ beonia gegen Fieber, bei Geisteskrankheiten (Ekstasen), Ohnmachts- und epileptischen Anfällen – in diesem Fall werden die Samenkörner in Blutegel-Blut getaucht. Aber auch Verschleimung im Hals löst die Pfingstrose und vertreibt obendrein noch die Haarmilben. Später wird die Pflanze als plionia nochmals erwähnt (225/56). Doch jetzt gilt sie als kalt. Ihren Genuss empfiehlt die Äbtissin den Paralytikern. Polei-Minze, polay, polegium (Méntha pulégium; h-t) ist eine Minze, deren Aroma Konrad (451) mit dem des Ysop (s. unten S. 174) vergleicht. Damals scheint der Stern des Polei schon im Sinken gewesen zu sein, der zur Zeit Hildegards noch voll strahlte, wenn sie der poleya (h-f ) die Kraft von 15 aufgezählten Kräutern als Fiebermitteln zuschrieb (126/43). Darüber hinaus hilft Polei bei Gehirnleiden, Schwachsichtigkeit und Magenproblemen. Gehen wir zeitlich noch weiter zurück, so ertönt 150
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uns die Stimme Walahfrids, der angesichts der Vorzüge dieses Krautes geradezu ins Schwärmen gerät. Er braucht nicht weniger als 26 Hexameter (300ff.), um alle Tugenden des Gewächses ins rechte Licht zu rücken. Insbesondere soll es im Pfefferherkunftsland Indien so hoch im Kurs stehen wie bei uns der Pfeffer, was zu einer Lobeshymne auf den (karolingerzeitlichen) Welthandel führt. Der harte Kern der Aussage ist, dass Polei der Verdauung nützt und dass ein Poleikranz, auf dem Haupt getragen, die Gefahr des Sonnenstichs mindert. Rainfarn, reynfan (Tanacétum vulgáre; h2-f1) ist ein naher Verwandter der Frauenminze (Tanacétum balsamíta; s. oben S. 122f.). Auf dem Rupertsberg verwendete ihn die Äbtissin gegen Schnupfen, Magenbeschwerden und Harnverhalten (111/39). Ein sehr genaues Rezept lehrt die Anwendung bei Menstruationsbeschwerden. Die später geläufige Verwendung als Wurm- und Mottenmittel war ihr wohl noch unbekannt. Raute, Wein-R., raut, rvta (Rúta gravéolens; h-t), für welche die Pharisäer Zoll zahlten (Lk 11,42) und vor deren Verbrennungen auslösendem Laub Columella (Oesterreicher, 252) und Plinius (n. h. XIX, 45) warnten, ist fast universell verwendbar, wie Konrad (452f.) ausführt: von der Nasenverstopfung bis zum Heraustreiben der Nachgeburt oder eines toten Fötus, von Epilepsie bis zur Behandlung von Wundblasen. Dem Gast vertreibt die Raute den Geruch nach Genuss von Zwiebel und Knoblauch, macht dabei Appetit, kräftigt den Magen, ist für die Milz gut und vertreibt die Lust zur Unkeuschheit. Allerdings bringt eine menstruierende Frau die Raute zum Verdorren (Oesterreicher, 253). Hildegard empfiehlt die warme rutha (64/30) gegen Gemütserregung, triefende Augen, Nieren- und Unterleibsschmerzen. Zusammen mit Walnüssen und Feigen wird sie auch gegen die Pest empfohlen (Wiswe, 1970, 65). Schon Walahfrid kannte ihre Wirkung als Antidot gegen Gifte (88–90), und desgleichen feiert das Regimen sanitatis Salernitanum die augenstärkende Kraft der Raute, betont allerdings, dass sie nur den Geschlechtstrieb der Männer reduziere, den der Frauen aber erhöhe (Fischer, 1929, 19): 151
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Ruta viris coitum minuit, mulieribus auget. Abgekochte Raute vertreibt Flöhe: Cocta facit ruta de pulicibus loca tuta. Salbei und Raute schützen vor vergifteten Getränken: Salvia cum ruta faciunt tibi pocula tuta. Reiherschnabel, Gewöhnlicher R., cranchsnabel ‚Kranichschnabel‘ (Eródium cicutárium; t3-f ) dient der Heiligen vom Rupertsberg gegen jede Art von Katarrh, auch Schnupfen (144/46). Ringelblume, ringula (Caléndula officinális; k-f ) ist bei Hildegard (122/42) ein starkes Antidot gegen Gifte, nützt aber auch mit Mehl angerührt und unter der Kappe getragen gegen Kopfgrind. Die Pflanze hatte auch in der Veterinärmedizin ihre Bedeutung, ist heute noch ein obligates Element der Bauerngärten und wird in Salben angewandt. Rœtelpaum dürfte Konrads Übersetzung (374) des Gehölznamens Rubus sein. Damit bezeichnet der heutige Botaniker unter den Rosengewächsen die Himbeere und Brombeere (Ovid I, 105), die das BN ja zu den Maulbeeren (s. S. 83) rechnete. Aber rubus ist auch der nicht verbrennende Dornbusch der Bibel und Maria (s. unten S. 229f.). Nach dem Magister hat der rœtelpaum eine rote Rinde und ein hartes safrangelbes Holz. Ich kann mir nur ein Gehölz vorstellen, das diesen Anforderungen einigermaßen gerecht wird: die sonst nicht erwähnte Berberitze (Bérberis vulgáris), deren Rinde zwar nicht gerade rot ist – wenn auch die Blätter manchmal dazu neigen, einen dunkelroten Stich anzunehmen –, deren Holz aber sehr hart und leuchtend gelb ist. Alles Weitere muss ich offenlassen. Rohrkolben, dudelkolbe ‚Torenkolben‘ (Týpha), wahrscheinlich der Breitblatt-R. (Týpha latifólia), ist nach Hildegard (221/56) kalt und wegen des fetten Saftes für Arzneien ungeeignet. Rose, rosarius (Rósa; k1-t2) ist, abgesehen von Getreide und Nutzholzbäumen, eine der wichtigsten Wild- und Kulturpflanzen des Mittelalters, 152
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nicht nur aus medizinischen, sondern auch und wohl vor allem aus allegorischen und metaphorischen Gründen, wie Walahfrid (398–404) ausführt. Weil Germanien und Gallien der mediterrane Purpur fehlt, Schenkt zum Ersatz die Rose alljährlich üppig goldgelben Flor ihrer purpurnen Blüte, die allen Schmuck der Gewächse Alsbald an Kraft und Duft, wie man sagt, so weit überstrahlte, Daß man mit Recht als die Blume der Blumen sie hält und erkläret. Sie erzeugt ein Öl, das nach ihrem Namen genannt wird, Wie oft dieses zum Segen der Sterblichen nützlich sich zeigt, Keiner der Menschen vermag es zu wissen oder zu sagen. Außer der Lilie wird keine Blume so häufig mit Heiligem (s. unten S. 236ff.) und Heiligen (s. z. B. Dorothea von Caesarea, Elisabeth v. Portugal, Elisabeth v. Thüringen, Hemma von Gurk, Pancratius von Rom usw.) zusammengebracht wie die Rose. Ihr Name stammt von lat. rosa, das wieder aus der Vorstufe von gr. rhódon entlehnt sein soll. Als entstellten Namen des „Rosenbaums“ rhodo-dendron kennt Isidor (XVII, 54) das giftige lorandrum, ein Antidot gegen Schlangenbisse, womit wohl der Oleander (s. S. 146) gemeint sein wird. Gr. rhódon ist – für den etymologischen Laien sehr befremdlich – urverwandt mit neupersisch gul, armenisch ward, aber auch ags. word ‚Dornstrauch‘. Das deutsche Wort, das vor der Entlehnung von rosa für die Hundsoder Heckenrose (Rósa canína) galt, lebt in mhd. hiefalter, hiufalter, hyffe (bei Hildegard) fort, das eigentlich ‚Hagebuttenbaum‘ bedeutet (zu mhd. hiefe ‚Hagebutte‘ vgl. engl. rose-hip ‚Hagebutte‘). Ob die Rosenblüte einen eigenen Namen hatte, wissen wir nicht. Schon in der Antike hatte man das rosetum als ‚Rosenzucht‘ vom rosarium ‚der Rosensammlung aus ästhetischen Gründen‘ unterschieden. Die Rose wurde auch an Spalieren oder einem frei stehenden Rankengerüst in Form eines Reifs, in diesem Fall als Schattenspender, sonst als Berankung gezogen (Hennebo, 1987, 96, 98, 103). Gemeint ist bei antiken Belegen und wohl auch vielen mittelalterlichen die rote (ungefüllte) Essig-Rose (Rósa gállica), die bei uns in Laubwäldern wild wächst und von den Römern als Heilpflanze und zur Parfum- und Rosenessigherstellung kultiviert wurde. Daneben kannten die mittelalterlichen 153
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Gärten auch die weiße (oder rosa) Damaszener-Rose (Rósa damascéna), eine stark duftende, aus Kleinasien stammende und bereits den Römern bekannte Subspecies („Rose aus Paestum“), aus der heute im Iran und in Bulgarien Rosenöl hergestellt wird. Sie kam über die Kreuzzüge zu uns. Als zweite weiß (oder rosa) blühende Zuchtform ist die Weiße Bauernrose (Rósa álba) zu nennen, die auch Albertus Magnus bekannt war und auf einer schon römerzeitlichen Kreuzung von Rósa damascéna mit der Heckenrose beruhen soll. Sie ist wahrscheinlich gemeint, wenn von todverkündenden und die Seligkeit eröffnenden weißen Rosen die Rede ist (B-P III, 460). Die genetische Erforschung der Hunderte heutiger Rosensorten ist längst ein den Laien verwirrendes Spezialgebiet geworden. Wenn von unseren spätmittelalterlichen Texten wie dem BN Rosen erwähnt werden, so lässt sich in der Regel nicht sagen, welche der mindestens vier bekannten Rosensorten gemeint ist. Hildegard scheint die Essig-Rose und jedenfalls die Heckenrose gekannt zu haben. Vielfältig ist die Anwendung der Rosa und der daraus erzeugten Pharmaka. Konrad (375–377) lehrt die Herstellung von rosen h=nich (mel rosaceum), wobei man fein geschnittene, duftende Blüten in Honig kocht, ferner zukker rosât, bei welchem Rosenblüten mit Zucker „angeröstet“ und dann 30 Tage in die Sonne gestellt werden. Das sehr heilkräftige Ergebnis hält sich drei Jahre, und die Selbstherstellung Mber hebt dich vil pfenning in der apoteken. Auch die Herstellung von rosen syrop, rosen =l und rosen wazzer wird gelehrt, wobei Letzteres auch in der Küche, z. B. bei der Zubereitung von Hühnern (Huon von Griechen; Birkhan-Jarmer, 2004, 69), verwendet wurde. Alle diese Produkte sind medizinisch vielseitig einsetzbar: bei Cholera, Schwindel, Migräne, Ohnmacht, Leberleiden, Denk- und Herzschwäche. Gegen Übelkeit verwende man der rosen plům inwendich, di da gel ist sam der saffran, die haizzt anthos […]. Sonst nannte man die Staubblätter auch das geel semlyn in den rosen (Fischer, 1929, 281), in der Heraldik auch den golden tingierten butzen oder knopf. Konrad teilt auch ein Rezept der magia naturalis nach Thomas (1999, 105) mit: Wer zu Weihnachten frische Rosen haben will, verbinde den Strauch 154
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und jedes einzelne Zweiglein Anfang Mai von Grund auf, sodass die Feuchtigkeit erhalten bleibt. Drei oder vier Wochen vor Weihnachten löse man dann den Verband, worauf schöne Rosen austreiben werden. Hier ist der Megenberger skeptisch: Das könnte bestenfalls in warmen Ländern so gehen, in unseren Breiten würden die entblößten Rosen im Winter erfrieren. Die Tradition, dass der „Magier“ Albertus Magnus anlässlich des Besuchs von König Wilhelm von Holland mitten im Winter einen blühenden (Rosen-)Garten herbeigezaubert habe (s. oben S. 29), scheint unser Magister noch nicht zu kennen. Das Thema „Rose im Winter“ begegnet auch sonst gelegentlich (z. B. im Decameron X, 5). Es ist zu erwarten, dass gerade das Rosenkapitel mit einer breit ausgeführten marianischen Allegorie schließt: In Sir 24,18 sagt die mit Maria gleichgesetzte Sapientia: „Ich bin wie die Rosen in Jericho gepflanzt“ (doch vgl. oben S. 146). Dazu führt aber der gelehrte Meister, den ich so paraphrasiere, aus: „Nun bedeutet aber Jericho ‚abnehmender Mond‘, und so nimmt denn alles in dieser unserer Jericho-Welt ab: Tugend, Kraft, Schönheit, Leib und Leben. In dieses Jericho ist unsere liebe Frau als ein wol geladener rosenpaum gepflanzt, der gnadenreich seinen Duft verbreitet. Aus diesen Gnadenrosen sollen wir arme Sünder unsern Rosenhonig, Zucker-rosât, Rosenöl, Rosensyropl und Rosenwasser mit dem Honig beständiger Hoffnung bereiten, mit dem Zucker unserer süßen Liebe, dem Öl christlichen Glaubens, mit den guten Werken des Zermahlens in der Reibschale, dem Ausbrennen in rechter Beichte und wahrer Reue für alle Siechtümer, Angst und Not, die uns an Leib und Seele liegen. „Ach, du brennende Rose, erschein all denen, die deinen Namen ehren […]. Herrin, du weißt wohl, daß ich es ernst meine.“ St. Hildegard hat erstaunlicherweise für die kalte Rose wenig medizinische Verwendung (22/22). Sie meint damit wohl eine Gartenrose und vielleicht auch nur die Blüten, denn unter den Gehölzen hebt sie die hyffa doch – auch als Sinnbild der „Neigung“ – hervor (vgl. die „Arroganz“ der Hagebutte bei Hugo von Trimberg oben S. 13f.). Aus Heckenrosenasche macht sie eine Lauge zur Kopfwäsche, die gekochte Hagebutte, tribulus (B63/78), reinigt und kräftigt den Magen. 155
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Rosmarin (Rosmarínus officinális) ist eine Pflanze, deren Anbau zwar im Capitulare vorgeschrieben war, die aber weder auf der Reichenau noch in St. Gallen wuchs und die auch bei Hildegard, selbst bei Thomas und Konrad fehlt. Der Rosmarin, aus dem im Volksbrauch Brautsträuße hergestellt wurden und der auch als Pflanze der Keuschheit über marianische Symbolik verfügt, taucht erst in den Kräuterbüchern wie dem Gart der gesundheit im 15. Jahrhundert auf. Dass er dem Hohen Mittelalter unbekannt war, kann ich mir nicht vorstellen, sondern vermute, dass er unter anderem Namen ging, was der einschlägige Artikel im Deutschen Wörterbuch (DWb 14, 1235–1237) bestätigt, wo als alte Namen grensinc, grensich und ags. Wörter mit der Bedeutung ‚Sonnentau‘ oder ‚Feldmutter‘ genannt werden. Allerdings bringen uns grensinc, grensich insofern in Teufels Küche, als diese für mehrere andere, ganz verschiedene Pflanzen stehen: für das Gänsefingerkraut (Potentílla anserína), für Hahnenfußarten, Schafgarbe, Odermennig, Seerose usw. Umgekehrt kann das „silbern betaute“ Gänsefingerkraut auch Rhos marínus ‚Meertau‘ heißen (DWb 9, 116f.; F-B, 203). Dass Hildegard mit grensing (147/46) den Rosmarin meinte, kann ich allerdings nicht glauben, weil sie diese stattliche und edle Pflanze wohl kaum wegwerfend als „kalt und Unkraut“ bezeichnet hätte. Safran, saffran, crocus (Crócus satívus; h-t) ist eine der wichtigsten, teuersten und am häufigsten verfälschten (s. oben S. 88f.) Pflanzen des Mittelalters, fast als Allheilmittel anzusehen, jedoch sollte man ihn Cholerikern (mit den Qualitäten heiß-trocken) nicht verabreichen (BN, 425f.). In Wein gereichter Safran macht trunken und fröhlich und stärkt das Herz, sodass man grundlos lacht, ja, sich zu Tode lachen kann. Es ist nicht verwunderlich, dass er auch die unkäusch erweckt, harntreibend wirkt und die Geburt aus dem Uterus treibt, sogar dann den Muttermund öffnet, wenn die Gebärmutter sich zusammengezogen und verhärtet hat. Erstaunlich ist, dass der durch das Hld 4,14 gegebene Verweis des Safrans auf Maria nicht aufgegriffen wird. Salbei, saluay, saluia (h-t) ist vielseitig – z. B. auch als Bierwürze – verwendbar. Konrad (456) unterscheidet einen wilden, wahrscheinlich 156
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den Wiesensalbei (Sálvia praténsis), von einem Garten-Salbei (Sálvia officinális), der auch ambrosya deorum ‚Ambrosia der Götter‘ heißen soll. Beide Salbeiarten haben Heilkräfte, besonders bei Epilepsie und Paralysen. Der Garten-Salbei soll von Kröten besonders begehrt sein. Um ihn zu schützen, pflanzt man Raute daneben. Das ist vielleicht auch der Grund, warum bei Hildegard das Kapitel über die rutha direkt auf das über den Salbei (selba; h-t) folgt. Möglicherweise bildet ihre für uns nicht nachvollziehbare Reihung der Pflanzen deren Standort im Klostergarten ab. Im Übrigen ist auch bei der Heiligen der Salbei eine universell verwendbare Heilpflanze (63/30). Auch Walahfrid preist den Salbei, warnt aber davor, dass die Jungtriebe den Hauptstamm schwächen (Walahfrid, 76–79). Ausführlicher geht das Regimen sanitatis auf den Salbei ein, den es mit der Raute zusammen würdigt, ohne etwas von der Krötenbedrohung zu verraten. Den Höhepunkt des „Salbeikultes“ bietet der in über 400 Handschriften mit leicht abweichenden Fassungen vorliegende Salbeitraktat, der einer der überhaupt meistüberlieferten mhd. Texte ist (!) und in e iner profunden Edition vorliegt (Hlawitschka, 1990). Dabei handelt es sich nicht um die Übersetzung eines lateinischen Traktates, sondern um einen deutschen Originaltext. Hier werden 16 tugenden des mit Gewürzwein destillierten Salbeis aufgezählt. Man fragte sich, wieso überhaupt jemand sterben könne, der Salbei im Garten habe (Marzell, in: HDA s. v. Salbei): Cur moriatur homo cui salvia crescit in hortis? Worauf der Pessimist antwortet, dass gegen den Tod eben doch kein Heilkraut im Garten gewachsen sei (Fischer, 1929, 19): Contra vim mortis non est medicamen in hortis. Sandel, sandalus (k-t). Nach Konrad (407) gibt es Sandelholz in drei Farben, was geradezu auffällig den Tatsachen entspricht. Das rote, sehr schwere Sandelholz stammt von Pterocárpus santalínus, das man wohl aus Ostindien und Sri Lanka (im Mittelalter: Taprobane) importierte. Das weiße und gelbe von Sántalum álbum wurde gleichfalls aus Ostindien eingeführt. Das gelbe Sandelholz ist im Geruch 157
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den anderen überlegen, das rote ist ausgiebiger. Aus dem gemahlenen Holz macht man Umschläge auf Leber und Stirn sowie das berühmte diasandali. Dazu verwendet man das pulverisierte Holz, Fenchel, Zucker, Weißen Mohn, Gummi arabicum und Lakritzenpulver, mischt, röstet es und versetzt es mit einer Weinpräparation, die im Mittel alter syropl (> Sirup) hieß. Dieses Präparat reichte man bei Abszessen, „Überhitzung der Leber“, Husten, Kopfschmerzen und mit Alraunenpulver auch als Schlafmittel. Es ist merkwürdig, dass weder Thomas (1999, 115f.) noch sein Übersetzer auch die anderen Eigenschaften der Sandelhölzer, nämlich als Farb- und Duftstoffe, erwähnen. Sanikel, sanicula (Sanícula europáea; h) wird von Hildegard (45/25f.) bei Magen- und Eingeweideschwäche, aber auch lokal bei Verletzungen mit eisernen Gegenständen empfohlen. Es ist eine jener Pflanzen, deren Heilkraft schon nach antiker Überzeugung so groß ist, dass sie zwei Fleischstücke zu einem zusammenwachsen lässt (vgl. Marzell, in: HDA s. v. Sanikel und unten S. 167). Saturei, Bohnenkraut, veltisp (= ‚Feld-Ysop‘) saturegia (Saturéja hortén sis; h-f ) erwecht die vnch(wsch an dem menschen (BN, 455). Am Rupertsberg gebrauchte man das warme Kraut als Gichtmittel (155/47). Schafgarbe. Die garwa (Achilléa praténsis oder A. millefólium; h1-t1) empfiehlt Hildegard (113/40) vor allem bei äußeren und inneren Verwundungen, aber auch Fieberanfällen. Der Einsatz der Schafgarbe und der ihrer alpinen Verwandten wie des Weißen Speiks (Achilléa clavénae) und anderer ist in der Volksmedizin sehr vielseitig (Beitl, 1955, 662). Nach einer ansprechenden Vermutung Stofflers (Walahfrid, 42f.) ist die strabonische Ambrosia (369–374) am ehesten Achilléa millefólium, allerdings werden auch andere Pflanzen wie das Leberblümchen (Hepática nóbilis) und die Wegwarte (Cichórium intýbus) Ambrosia genannt. Die Pflanze, die in der modernen botanischen Nomenklatur diesen Namen trägt, ist ein aus Nordamerika eingeschleppter Neubürger unserer Ruderalstellen (Fischer, 1994, 809).
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Schalotte, aschlauch (Állium ascalónicum), eine durch die Kreuzfahrer aus Askalon eingeführte Lauchart, war im Mittelalter als Modegewürz oder ‑gemüse sehr beliebt, wie die Rezeptbücher zeigen. Für Hildegard (80/34) ist alslauch giftig, wenn er nicht zuvor in Wein gelegt wird. Scharbockskraut s. Feigwurz. Schierling. Bei Hildegard (39/24) bezieht sich scherling (h) wohl auf den Gefleckten S. (Cónium maculátum) und nicht auf den Wasser-S. (Cicúta virósa). Er ist so giftig, dass er nur für Umschläge bei schwersten Verletzungen empfohlen wird. Er ist natürlich auch eine Hexenpflanze (s. Macbeth IV, 1). Schlehe (Prúnus spinósa; h-t) ist wohl von der Äbtissin unter de spinis (B 53/76) gemeint (vgl. oben S. 79). Sie ähnelt der „Verwegenheit“. Aus Schlehenasche, Nelken und Zimt wird ein Lautertrank bereitet, der gegen Gicht hilft und mehr wert ist als Gold. Die Schlehenfrüchte, mit oder ohne Kern gegessen, sind für den Magen heilsam. Auch Hugo von Trimberg wusste, dass sie begehrt waren (s. S. 13f.). Schlüsselblume s. Himmelschlüssel. Schöllkraut, schellkraut, celidonia (Chelidónium május; h-t) reinigt das Haupt und schärft die Sehkraft. Wie Isidor (XVII, 9, 36) lehrt, hat die celidonia ihren Namen vom griechischen Schwalbenwort: Wenn man einem Schwalbenjungen die Augen mit einer Nadel aussticht, so bringt die Mutter sogleich Schellkrautblüten, mit denen sie die Augen wieder heilt. Deshalb ist das schellkraut bei Augenerkrankungen zu applizieren (BN, 423). Die grintwurtz, die Hildegard „sehr warm“ nennt (138/45), bewirkt schmerzhaften Stuhlgang, kann aber, mit altem Fett als Salbe zum Einreiben der Magengegend zubereitet, bei Verdauungsproblemen helfen. Berühmt ist, dass Albrecht Dürer, der an Leberbeschwerden und Malaria litt, auf Rat seines Arztes durch Schöllkraut geheilt wurde. Voll Dank soll der Meister die Pflanze in jenem Aquarell porträtiert haben, das sich heute in der Albertina in 159
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Wien befindet. Die hochgiftige Pflanze erfreut(e) sich in der Volksmedizin großer Beliebtheit. Vor allem der gelbe Saft dient(e) zum Wegbeizen von Warzen, aber auch, in die Schuhe gelegt oder in einen gelben Kuchen eingebacken, gegen die Gelbsucht (Beitl, 1999, 677). Neuerdings erwägt man den Einsatz des Krautes in der Krebstherapie. Schnittlauch, prieselauch (Állium schoenóprasum) wurde auf dem Rupertsberg zusammen mit Melde und Ysop zu einem Mus verarbeitet, das man innerlich und äußerlich gegen „schlimme Drüsen“ anwenden konnte (104/38). Schwarz-Kümmel s. Kümmel Schwertlilie, slaten chraut, swerlinch, swertelchravt, gladiolus, carectum (Íris; die Wurzel k-f ) – Konrad (437f.) unterscheidet hier zwei Arten: eine auf dem Trockenen wachsende blau blühende Form – vermutlich die Deutsche Schwertlilie (Íris germánica) – und die gelbe Wasser-Schwertlilie (Íris pseudácorus). Aus dem Rhizom bereitet man mit Honig und Öl ein Milzpflaster. Auch Hildegard kennt eine Fülle von Anwendungen der swertula oder gladiola, deren Qualität (h-t) sie diametral anders bestimmt als der Magister (118/41). Die Blätter verleihen einen schönen Teint, die Wurzel appliziert man bei Gehirnerkrankungen, sie hilft auch mit Erlenasche gegen frischen Aussatz. Mit iris (angeblich Íris illýrica, doch warum?), Dille, Wasser-Minze und Eselswolfsmilch in Essig zubereitet, lassen sich sinnliche Triebe unterdrücken (Physica, 32). Walahfrid erwähnt noch, dass man die Wurzel bei Blasenleiden verwendete und dass sie die Stoffwalker als Mittel zur Appretur gebrauchten (224–228). Es ist erstaunlich, dass die vielfältigen anderen Verwendungen der Wurzel (etwa als „Veilchenwurzel“ bei zahnenden Kindern) bei meinen Autoritäten unerwähnt bleiben, desgleichen – noch viel erstaunlicher – die religiösen Bezüge dieser marianischen Pflanze (Widauer, 2009, 138–143; LCK, 286). Sie beruhen einerseits auf dem „Schwertcharakter“ der Blätter, der zu Lk 2,35 und dem Schwert, das Mariens Seele durchbohren wird, passt, andererseits auf dem lateinischen Namen, denn ein Regenbogen 160
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(iris) zeigte das Ende der Sintflut und damit die Versöhnung Gottes an (Gen 9,12ff.). Laut einer Notiz des 15. Jahrhunderts schützt die Schwertlilienwurzel vor dem Teufel und zwingt ihn, alles zu entdecken (Marzell, in: HDA s. v. Schwertlilie). Die Iris ist auch im Rechtswesen (s. S. 214–216, 224) von beachtlicher Bedeutung. Seerose, se wurtz, se chraut, nenufar (k-f ) meint bei Konrad (445) die Gelbe Teichrose (Núphar lútea) und die weiße Große Seerose (Nympháea álba). Aus den Wurzeln bereitet man ein Medikament fur den f(uhten siehtům, der morphea haizzt (eine Art nässender Schorf ), wobei die „feuchte Krankheit“ mit der „feuchten Pflanze“ kuriert wird. Die Seerose liefert auch ein Schlafmittel und schwächt in einem Sirup mit Mohn unkeusche Begierden, während Hildegards kalte nimphia, die sie als indifferent ansieht (215/55), irgendeine Wasserpflanze und nicht unbedingt die Große Seerose bezeichnet (F-B, 208). Seifenkraut, Echtes S., borith (Saponária officinális; h-f ) ist nach Hilde gard gegen Augenleiden, Ohrensausen, Eingeweidegeschwüre und „Engbrüstigkeit“ (Angina pectoris?) zu gebrauchen (201/54). Anders F-B (199). Sellerie, epff < apium (h-t) fasst mehrere Unterarten zusammen. Konrad (415f.) erwähnt neben der Garten-Sellerie (Ápium gravéolens) eine im Wasser wachsende Flutende Sellerie (Ápium inundátum), eine im Wald und eine auf Bergen wachsende, die wohl keine echten ÁpiumArten sind und die ich nicht identifizieren kann. Die Garten-Sellerie macht zwar guten Mundgeruch, kann aber doch zu Epilepsie führen. Die Selleriewurzel um den Hals vertreibt Zahnweh. Sellerie macht den „kalten“ Lattich bekömmlicher. So willkommen die harntreibende Kraft des epfen ist, so gefährlich ist er schwangeren Frauen, und da er vnchawsch bewirkt, ist der Selleriesamen besonders für Ammen bedenklich, denn mit der vnch(wsch sinkt die Feuchtigkeit auz den prFstlein hin ab zuo der vnchawschen stat (!). Auch heute noch gilt im Vulgärverständnis die Sellerie als Aphrodisiakum. Davon weiß Hildegard nichts: Sie heilt mit apio Tränenfluss, Krämpfe und Gicht 161
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(69/32). Walahfrid dagegen behauptet (229–236), dass die Sellerie gegen Blasenleiden, Verdauungsprobleme und Brechreiz helfe. Senf, Weißer S., senif, sinapis (Sinápis álba; h-t) erscheint in dieser Kulturform, aber auch in der Wildform als Acker-Senf (Sinápis arvénsis), der offenbar auch gegessen wurde, aber nach Konrad (457) nur böse Feuchtigkeit erzeugt. Der Senf rainigt daz antlFtz vnd mellt daz faul plůt […]. Es heißt, wer den senif nuhtorn trinch, dem chl(r er die vernunft vnd rainig daz hirn […]. Jedoch Vorsicht! Er pringt auch die gir der vnchawsch. Als sinapis (h3-t1) erwähnt Hildegard (94/36) den Weißen Senf, dessen Kraut zur Speise ungeeignet sei, dessen Samen jedoch die Speisen schmackhaft mache, wenn er auch Benommenheit im Gehirn bei klaren Augen erzeuge. Man zerreibe die Körner in Wein oder Essig. Es erstaunt, dass Verweise auf das Gleichnis vom Senfkorn (Mt 13,32) fehlen. Von ihm sagt Jesus zur Verwunderung des Botanikers: „Es ist das kleinste von allen Samenkörnern; sobald es aber hochgewachsen ist, ist es größer als die anderen Gewächse und wird zu einem Baum, so daß die Vögel des Himmels kommen und in seinen Zweigen nisten.“ Der Clavis (424) gilt der Senf als Allegorie Christi, des Glaubens und der Stärke des Gläubigen. Senf-Rauke, weizzer senif, eruca (Erúca vesicária; h-t) gibt es als kultivierte und Wildpflanze (BN, 432). Erstere wird wegen der lat. Benennung eruca die Garten-Senf-Rauke (Erúca vesicária subsp. satíva) meinen, heute als Rucola ein Modegemüse. Man kochte es mit Mangold und Beete, um deren Kälte und Feuchtigkeit zu lindern. Isst man die Pflanze pur, so macht sie Kopfweh. Man kann dies verhindern, indem man sie mit Lattichsalat vermischt. Das Kraut ist eine gute Ammennahrung, weil es viel Milch erzeugt. Das der Wildform jedoch ist harntreibend, erweckt die vnch(usch, wan ez stercht den wunschl stab! Die Senf-Rauke erscheint wohl bei Hildegard in dem Kapitel de herba senff. Sie ist von wechselnden Qualitäten und eignet sich im Allgemeinen nicht zur Speise, obwohl sie von armen Leuten gegessen wird (93/36).
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Speierling (?), sperhagen, speragus (vielleicht mit Schulz Sórbus doméstica; h3-t3) – der Möglichkeit, mit Lexer (s. v. sper-hagen) speragus als Aspáragus ‚Spargel‘, eine seit der Römerzeit bekannte Kulturpflanze (s. oben S. 59), zu verstehen, steht die ganz eindeutige Bezeichnung und Einordnung als paum im Weg. Allerdings nennt Jesus im Senfkorngleichnis auch den aufgewachsenen Senf einen Baum (Mt 13,32). Bei der Beschreibung der Früchte als ‚wie ein zartes Strauchwerk‘ (fructus quasi frutices teneri; Thomas, 1999, 106), die schon Konrad Schwierigkeiten machte (379) und die er mit „seine Früchte sind wie die Körnchen oder die Knospen, die an den Reisern der Bäume hervorschießen, wenn die Bäume noch knospen, bevor sie Laub hervorbringen“ wiedergab, könnte man allerdings an Spargelbeeren denken. Erwägt man eine Sorbus-Art, so käme auch der Vogelbeerbaum (Sórbus aucupária) infrage, dessen Fehlen ohnedies erstaunlich ist. Seine kleinen, roten Beeren könnten an Knospen erinnern – oder ist doch der Speierling mit seinen kleinen birnchenförmigen Früchten gemeint? Vielleicht sollte man auch die im Capitulare genannte „Apfelsorte“ sperauca (s. oben S. 56) im Auge behalten. All diese Annahmen sind bloß Vermutungen. Die Frucht ist gegen Augenleiden gut und zerbricht den Blasenstein. Hunde, die das Abkochwasser von Baum oder Frucht trinken, müssen sterben. Isst aber ein Mensch die gekochten Früchte, so wird sein Stuhl weich. Den spirbaum, esculus kennt auch Hildegard (B 8/68), entweder als Sorbus-Art oder als Méspilus gérmanica (Fischer, 1929, 275). Eine Gleichsetzung mit Spiráea oder Filipéndula kommt nicht infrage. Der esculus ist indifferent, die Erde unter dem Baum kann aber zum Vertilgen von Raupen und Schmetterlingen verwendet werden. Spindelbaum, spynelbaum (Evónymus europáea) ist eine alte Zauberpflanze, worauf schon ihre griechische Bezeichnung ‚der mit dem guten Namen‘ (eu-ónymos) weist. Für Hildegard ist der Strauch ein Bild der „Freigebigkeit“, mit dessen Asche, in Wein gelegt, man Wassersucht heilen kann (B34/73). Es ist interessant, dass die sehr auffälligen Früchte dieses giftigen Strauchs, die Pfaffenkäppchen, unbeachtet bleiben. 163
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Springwurzel nennen wir eine Pflanze, welche die wunderbare Eigenschaft hat, Verschlüsse zu lösen. Zur Rechtfertigung von Pflanzenmagie bringt Konrad folgendes Beispiel (413): „Sündigt etwa ein Vogel, der lateinisch merops, deutsch p(mheckel (wohl ‚Specht‘) heißt, und in hohlen Bäumen nistet, wenn man ihm seine Kinder mittels eines Holzpflocks einschließt, und er ein Kraut holt und dieses vor den Pflock hält, so daß dieser herausfährt? Diese Pflanze heißt auf Latein herba meropis, im Buch der Zauberer aber thora. Es wäre nicht gut, wenn sie allgemein bekannt wäre, denn sie öffnet die Schlösser. Wäre aber jemand (zu Unrecht) gefangen, so würde er damit nicht sündigen.“ Die verständliche Neugier, welche Pflanze mit der „Springwurzel“ gemeint sei, lässt sich nicht befriedigen. Die Tradition geht auf Plinius (n. h. 10, 40; 25, 14) zurück, tora salutifera ist ein Name der Mondraute (Botrýchium lunária) – stecken die Wörter Tor oder hebr. Torah dahinter? Aber auch Farn, Eisenkraut, Mistel, Wolfsmilch, Steinbrech und Schlüsselblume wurden erwogen (s. die ausführliche Darstellung von H. Marzell, in: HDA s. v. Springwurzel). Die Suche nach der „echten“ Springwurz ist ähnlich Erfolg versprechend, wie es die nach der „richtigen“ Wünschelrute wäre. Stechapfel, stramonium (Datúra) wird von Hildegard beiläufig als Zutat zu einem Muskateller-Salbei-Lautertrank angegeben (61/48; Zweifel an der Richtigkeit bei Marzell, in: HDA s. v. Stechapfel). Da der Gemeine Stechapfel (Datúra stramónium) aus Mexiko stammen soll (Fischer, 1994, 697), kommt für das Mittelalter und wohl auch noch die Zeit der Hexen, in deren Flugsalbe sich die halluzinogene Datura befinden konnte, nur der Dornige Stechapfel (Datúra férox) aus Ostasien infrage. Steinbrech, stainprech, saxifraga (h-t) meint vermutlich den nicht ausgesprochen alpinen Knöllchen-Steinbrech (Saxífraga granuláta). Diese Pflanze ist eine Zutat des Megenbergers (456), die bei Thomas kein Vorbild hat. Schon Plinius (n. h. 22, 30, 64) kannte die Auffassung, dass die Gebirgspflanze saxífraga ihren Namen daher habe, dass sie gleichsam „durch die Felsen breche“, hielt aber die auch bei Konrad 164
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ausgesprochene Deutung für wahrscheinlicher, dass der Steinbrech danach benannt sei, dass er den Harnstein breche. Er wirkt auch gegen Ischias, wenn man die pulverisierte Wurzel in Eiklar aufschlürft. Auch Hildegard kennt ihn als steinbrecha (136/45) und setzt ihn gegen den Harnstein ein. Es wurde auch erwogen, diese Pflanze mit dem aus Mauern hervorbrechenden Immergrünen Streifenfarn (Asplénium adiántum-nígrum) gleichzusetzen, doch kann man die Anweisung der Heiligen, den Samen des Krautes mit Wasser zu zerquetschen, wohl schwerlich auf Farnsporen beziehen. Sterndolde, Große St., astrencia (Astrántia májor). Die Stränze wird von Hildegard (67/49) als Fiebermittel und bei schwacher Verdauung empfohlen. Nach F-B (197) ist jedoch die Meisterwurz (Peucédanum ostrúthium; s. Marzell, in: HDA s. v. Meisterwurz) gemeint. Sterzelkraut, stertzl kraut, tapsia (Thápsia gargánica) hat die merkwürdige Eigenschaft, dem Esser das Antlitz so zu entstellen, als wäre er aussätzig (BN, 458). Bettler nützen diesen Effekt und legen sich solcherart entstellt (zerpl#t) an die Straße, weshalb Schulz (1897, 363) den Namen mit ‚Strolchenkraut‘ wiedergibt. Die Wirkung lässt sich aufheben, wenn man das Gesicht mit einem Essigtuch oder Immergrünsaft abreibt oder aber mit der schon erwähnten Pappelsalbe diapopylion (s. oben S. 147) behandelt. Dem Freund mittelhochdeutscher Literatur wird das sterzelkraut an Ulrichs von Liechtenstein „Frauendienst“ erinnern, in dem er erzählt, wie er sich einst der Angebeteten, dem Vorbilde des Helden Tristan folgend, als Aussätziger verkleidet genähert habe. Dazu musste er sein Aussehen entstellen, was er so berichtet (Str. 1155): „Noch jetzt kenne ich die wurze, die denjenigen, der sie richtig in den Mund nähme, so aufschwellen und so häßlich werden ließe, daß er allen unbekannt bliebe, ja daß ihn, wenn er auch alle Lande durchreiste, niemand erkennen könne.“ Hat Ulrich sich zu seiner Verkleidung des Sterzelkrauts bedient? Storaxbaum, styrax (Stýrax officinális): Dieser Baum ist in Arabien beheimatet und liefert das gleichnamige Harz, das wie alle Duftstoffe 165
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dieser Art größtes Interesse bei unsern Autoren findet (BN, 406). Er gehört zu den in der Bibel (Gen 30,37) genannten Harzbäumen, die meist mit ‚Pappel‘ übersetzt werden. Storchsnabel, Wiesen-St., storcksnabel (Geránium praténse), mehr kalt als warm, dient Hildegard zusammen mit Steinbrech bei der Harnsteinbehandlung (162/48). Süßholz, Lakritze, liquiricium (Glycýrrhiza glábra) ist mäßig warm und hat wohltuende Wirkung (19/21). Konrad erwähnt diese gewiss allgemein bekannte Substanz nur als Zutat zu seiner Latwerge diapapaveron (s. oben S. 139), dessen Bestandteile außer Mohn und Lakritzensaft gummi arabicum, Tragant und syropel sind (BN, 414). Süßholz wurde viel in der Gegend um Bamberg angebaut, nachdem die hl. Kunigunde († 1038) es für Bamberg „entdeckt“ hatte (Marzell, in: HDA s. v. Süßholz). Sykomore, Maulbeer-Feige, Eselsfeige (Fícus sycomórus). Sie nennt Konrad (378) den „hohen Maulbeerbaum“ im Gegensatz zu den üblichen Maulbeeren, deren Blätter denen der Sykomore gleichen. Wie auch Hrabanus (19,6) zeigt, beschäftigte der Baum die Theologen, weil der Prophet Amos Sykomorenzüchter (Am 17,4) war und der klein gewachsene Zachäus bei Christi Einritt in Jerusalem einen dieser hohen Bäume bestieg (Luk 19,4), was die positive Bedeutung (in bonam partem) dieses Baums bezeichnet. Eine Verwendung im Sinne der magia naturalis findet die Sykomore nicht. Taubnessel, binsuga ‚Bienensaug‘ (Lámium, doch ist nicht klar, welche der fünf Subspecies) ist warm. „Wer sie genießt, lacht gern, da ihre Wärme auf die Milz (den Sitz der Stimmungen) einwirkt und so das Herz erheitert“ (Hildegard 59/29). Doch kann man die Taubnessel auch in der Augenheilkunde gebrauchen. F-B (198) setzt binsuga mit der Melisse (s. S. 138) gleich. Tausendguldenkraut, fieberkraut, erdgall (< fel terre; Centáurium erythráea; h-t). Konrad gibt eine Vielzahl von Rezepten an, die meist auf die 166
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Reinigung von Wunden, die Leber, die Atmungs- und Verdauungsorgane zielen (430f.). Die verbindene Kraft, die es mit der Hauswurz und dem Sanikel (S. 126, 158) teilt, zeigt sich in folgender magischer Tatsache: Kocht man erdgall mit Fleisch, so lässt sie die einzelnen Stücke zu einem einzigen großen verschmelzen. Die Frage, ob jemand dieses Tausendguldenkrautfleisch essen würde, bleibt freilich offen. Hildegard (125/42) stimmt mit Konrad bezüglich der Qualitäten überein, verwendet das Kraut aber nur innerlich bei Brüchen und Gicht. Der Ausdruck Erdgalle beruht auf der archaischen Vorstellung der Mystikerin, nach der die Erde einem großen Lebewesen mit Organen gleicht. Terebinthe, therebintus (Pistácia atlántica), ein berühmter Harzbaum der Bibel, unter dem Jakob die terafim (Götzen) vergrub (Gen 35,4). Er übertrifft laut Konrad (379f.) alle andern an Duft. Aus dem Terebinthenharz macht man mit Gerstenmehl ein Pflaster, das Abszesse heilt. Wegen der ausgebreiteten Zweige galt der Baum als ein Bild der tugendreichen und barmherzigen Maria (Salzer, 1893, 193). Wie der Name schon sagt, war er der ursprüngliche Lieferant des Terpentins. Thimpaum, Thimus (BN, 379), bei Thomas Thinus (1999, 106) aus biblischem ligna thyina für hebr. algum oder almug, jetzt mit Almuggimholz übersetzt (1 Kön 10,12; 2 Chr 9,10f.), aus dem Salomon Harfen und Schnitzarbeiten herstellen ließ. Heute hält man das von weither eingeführte, besonders kostbare Holz für eine Art Wacholderholz oder aber, falls der Herkunftsort Ofir in Indien zu suchen ist, für Rotes oder Weißes Sandelholz. Thymian, Quendel, quenula, vielleicht Echter Thymian (Thýmus vulgáris) oder doch der Feld-Quendel (Thýmus pulegioídes), wird von Hildegard wegen seiner Wärme bei einer Art „Auszehrung“ eingesetzt, bei der das „Fleisch wie eine Krätze ausblutet“ (?), ebenso bei Schorf und mangelndem Gehirn (32/23). Später (223/56) kommt die Heilerin nochmals auf den Thymian (h-t) zurück und betont seine fast gefährliche Kraft. Er ist bei Geschwüren, Paralyse, Lepra und gegen Läuse einzusetzen. 167
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Tollkirsche, dolo, stignus, strychnus (Átropa bélla-dónna) hat nach Hildegard (52/27) Kälte und bewirkt Ekel und Betäubung. Der Boden, auf dem sie wächst, steht unter dem Einfluss des Teufels. Der Mensch möge sie meiden, da sie den Geist zerrüttet. Lediglich bei Geschwüren möge man einen Tropfen mit Gänseschmalz auflegen. Die pupillenerweiternde Wirkung (Frohne/Pfänder, 1997, 349–351) durch Atropin, die der schwer giftigen Pflanze im Italien des 16. Jahrhunderts das Art-Epitheton gegeben hat, war der Äbtissin nicht bekannt. Dass die bewusstseinsverändernde Wirkung des Hyoscyamins in der Tollkirsche diese zur Zauber- und Hexenpflanze prädestinierte, liegt auf der Hand. Tormentille, Blutwurz, turnella, dornella (Potentílla erécta) ist wohl von Hildegard mit birckwurtz, ein Synonym für blutwurtz, gemeint (166/48f.), die sie gegen verdorbene Säfte verordnet (vgl. F-B, 201). Der Trivialname ist leicht verständlich, weil die Tormentille tatsächlich gerne dort wächst, wo sich auch Birken wohlfühlen. Tragant, dyadragantum ist ein Harz, das sich als Tränen an den Zweig enden von Astrágalus gúmmifer und Astrágalus tragacánthus bildet, aber auch aus dem Stamm fließt. Es wirkt nach Konrad (397) abkühlend, beruhigend und reinigend, insbesondere in warmem Gerstenwasser und mit einem Zusatz von gummi arabicum. Dyadragant ‚Tragantlatwerge‘ war ein mit Honig zubereitetes Präparat (Beyer 2007). Bei der Herstellung von Räucherwerk bediente man sich gewiss auch in der Antike und im Mittelalter des Tragants als Bindemittel für pulverisierte Duftstoffe. In der Neuzeit war Tragant eine wichtige Grundsubstanz bei bildhauerischer Zuckerbäckerarbeit. Uns ist Tragant als geschmackfreie Trägerkomponente in Tabletten und Ähnlichem als E 413 geläufig. Tüpfelfarn, Engelsüß (Polypódium vulgáre; h-t) setzte Hildegard (205/54) gegen Eingeweideschmerzen bei hageren Personen ein. Veilchen, viol, veyel (Víola odoráta; k-f ) wird zur Herstellung von violöl und syrop verwendet (460f.), wobei Letzterer dem Kranken an168
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stelle von Honig (h-t) verabreicht werden konnte (Wiswe, 1970, 71). Konrad betont, dass die Meinung einiger, das Veilchen sei „warm“, unrichtig ist. Interessanterweise soll das Grün wirkkräftiger als die Blüten sein. Durch seine Qualitäten kühlt das Veilchen, vermindert Kopfweh und wirkt bei Kranken als Schlafmittel. Der reiche marianische Bezug dieser Blume (s. S. 238–240) bleibt merkwürdigerweise unerwähnt. Hildegard hielt das Veilchen für „mäßig warm“ und empfahl seine Verwendung in Augentropfen bzw. mit Wein, Galgant und Lakritze als Trank gegen Melancholie (103/38). Das notorisch bescheidene, aber duftende Veilchen (zumindest V. odoráta) gilt als einer der wichtigsten Frühlingsboten und hat in der Tradition um den Wiener Spaßmacher Neithart Fuchs (erste Hälfte des 14. Jahrhunderts) in Liedern und Neidhartspielen bedeutende Spuren hinterlassen. Im Übrigen ist mir nicht immer klar, wo das Veilchen gemeint ist und wo das Stiefmütterchen (Víola trícolor), das wegen seiner Dreifarbigkeit auch gerne mit der Trinität zusammengebracht wurde und dann etwa dreivaltigkeitsblumen hieß (Fischer, 1929, 288; s. auch unten S. 240). Der heutige deutsche Trivialname ist eine Übersetzung von it. viola con viso di matrigna, weil man die dreifarbige Blüte mit dem fratzenhaften Gesicht einer bösen Stiefmutter verglich. Verbene s. Eisenkraut. Vergissmeinnicht, mäusœrl, auricula muris (Myosótis ‚Mäuseohr‘; k-f ) hat alle Vorzüge des Wermuts. Epileptiker sollten einen Absud trinken oder an der Pflanze riechen (BN, 419). Gegen schlechte Säfte und zur Herzstärkung empfiehlt Hildegard gleichfalls musore ‚Mäuseohr‘, das man mit F-B (207) gestützt auf Apothekertraditionen aber als das Mausohr-Habichtskraut (Hierácium subg. Pilosélla) auffassen könnte, wenn man es von der bei Konrad erwähnten blau blühenden Pflanze trennen wollte. Die Äbtissin musste die Kälte der Pflanze durch eine heiße Zugabe wie Diptam, Galgant oder Zitwer mildern (117/41). Möglicherweise kommt die Subspecies Sumpf-Vergissmeinnicht (Myosótis scorpioídes) als frideles [ouga] ‚Auge des Gemahls‘ oder ‚des Geliebten‘ bei Hildegard als ein unkrut ohne Nutzen vor. Denkbar 169
3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
wäre auch, dass der schöne Pflanzenname eine Ehrenpreis-(Verónica‑) Art bezeichnete (vgl. Fischer, 1929, 275). Wacholder, chranwitpaum (‚Krähenholz-Baum‘), juniperus, der in Konrads mFterleichen d#utsch ein wechalter (vgl. ahd. queckolder zu quick ‚lebendig‘; vgl. ags. cvikbeam) hieß (355f.), ist der Lebensbaum schlechthin (vgl. das archaische Märchen vom Machandelboom; KHM, 47). Der Megenberger unterscheidet nach Isidor (XVII, 7, 35) eine kleine und eine große Unterart (wohl Juníperus alpína und Juníperus commúnis; h-t) und referiert dessen Herleitung von Juniperus aus gr. pyr ‚Feuer‘, weil mit Wacholderasche bedeckte Glut angeblich ein Jahr anhalten soll. Wacholder, insbesondere Wacholderöl, dessen Herstellung in einer Art primitiven trockenen Destillation Konrad nach Thomas (1999, 100) lehrt, ist bei einer großen Anzahl von Leiden einzusetzen, vor allem wider die natFrleichen melancoly gůt, eine Krankheit, die einen Menschen so töricht macht, dass er Hand an sich legt oder „glaubt, er sei aus Glas oder schon tot“. Reifen Frauen, die zu lange keinen Umgang mit Männern hatten, droht eine „Erstickung des Uterus“ (prefocacio matricis), ein Leiden, das oft zum Sturz der Betroffenen führt. Hildegard kann sich bezüglich der Tugenden des Wacholders nicht genugtun (B 43/74f.). So ist er Sinnbild des Überflusses und hilft bei Brust‑, Lungen‑, Leberleiden und schlimmen Fiebern. Wenn Konrad den Wacholder treffend mit kleinen Zypressen, die „gesunden Schatten“ werfen, vergleicht, so deutet dies vielleicht darauf hin, dass er auch an den Sebenstrauch, Sadebaum (Juníperus sabína) dachte, der in der volkstümlichen Gynäkologie – allerdings zur Abtreibung – eingesetzt wurde. Davon weiß die Heilige nichts. Für sie ist der sehr warme sybenbaum (B 21/71) ein Sinnbild der „Rauheit“, das gegen Lungenleiden und Würmer hilft. In St. Gallen stand mitten im Garten des großen Kreuzgangs ein Sebenbaum (savina), möglicherweise zur Abwehr giftiger Tiere, wie etwa Spinnen (Hecht, 1997, 107f.) oder zum Schutz vor bösen Geistern (Hennebo, 1987, 25).
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die heilpflanzen bei konrad und hildegard
Wasserlinse, Kleine W., merlinse (Lémna mínor) ist nach Hildegard ebenso kalt wie bedeutungslos (220/55). Wegerich, Sand-, Flohkraut, psillen chraut, psillium (Plantágo psýllium = Plantágo arenária; k-f ) wirkt kühlend bei Fieber und stillt den dFrren hůsten (BN, 452), der von der Erkrankung der gaistleichen gelider (hier: der ‚Atmungsorgane‘) kommt. Auch nach Hildegard wirkt das kalte Flohkraut kühlend bei Fieber und aufs Gehirn (24/22). Die uns geläufigeren anderen Wegericharten Spitz-Wegerich (Plantágo lanceoláta) und Breit-Wegerich (P. májor) wurden gleichfalls gebraucht, auf dem Rupertsberg sogar als Antidot gegen einen Zaubertrank und als Umschlag bei Knochenbrüchen (101/37f.), und sie werden noch jetzt in der Volksmedizin gegen eine Vielzahl von Leiden verwendet (Beitl, 1955, 864). Erheiternd ist der Name der Pflanze, der sich ursprünglich nur auf den Breit-Wegerich bezog. Er ist eine so charakteristische „Wegpflanze“, dass heute die Archäologen noch die urgeschichtlichen Straßen und Wege mittels der Wegerichpollenkörner bestimmen können. So ist es nur gerecht, dass er wege-rīch ‚Herrscher des Weges‘ genannt wird. Redete man im Mittelalter von Einöden und Wüsteneien, so konnte man mit Wolfram (Pz. 180,7f.) sagen: „er durchritt ungebahntes Land, wo wenig Wegerich wuchs.“ Weide, Sal-W., salix (vermutlich ist Sálix cáprea gemeint) erklärt Konrad nach Isidor (XVII, 7, 47) als ‚Springerin‘, weil der Baum so schnell wächst. Sie lässt sich gegen Fieber einsetzen, was ja mittels der ursprünglich aus Weidenrinde gewonnenen, jetzt synthetisch hergestellten Salicylsäure noch heute geschieht (in „Aspirin“, „Aspro“; Schadewaldt, 1991, 153). Der Magister behauptet, die Weide blühe, aber bilde keine Früchte, um wenige Zeilen später vom Weidensamen zu sprechen (377f.). Offenbar werden in der mittelalterlichen Botanik nur fleischige Früchte wie etwa Beeren als solche verstanden. Die Weidenblüten und ‑samen bewirken, dass man sich seines vnch(uschen gelusts entledigt, machen jedenfalls die Frauen unfruchtbar, „was wohl mancher Frau und manchem Mann nur lieb wäre“. Der Verwendung der Weide zur Erzielung steinloser Kirschen wurde schon gedacht 171
3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
(s. oben S. 79). Sie erklärt sich leicht aus der „sterilisierenden“ Wirkung der Pflanze, die über Albertus Magnus, Plinius (n. h. 16, 110) bis Homer (Od. 10, 510) zurückzuverfolgen ist (Marzell, in: HDA s. v. Weide). Interessanterweise stellen weder Albertus noch Thomas oder Konrad einen Bezug zur kirchlichen Palmkätzchenweihe am Palmsonntag her, der, seit dem 8. Jahrhundert bezeugt, mhd. bluomôstertac hieß (zum Palmbuschen, dem „Palm“, und seiner Zusammensetzung s. Marzell, in: HDA s. v. Palm). Die kalte Weide ist Hildegard wegen ihres Namens, der an lat. vitia ‚Laster‘ erinnert, wenig nützlich und nur für „äußerliche Dinge“ (wie Körbe?) zu gebrauchen (B 36,37/74). Weihrauchbaum, weirachpaum, thus (Boswéllia sácra ‚Arabischer Weihrauch‘). Konrad beschreibt die Entstehung des Weihrauchs als Baumharz (olibanum) und seinen Import aus Arabien einigermaßen richtig. Er gibt eine Reihe von Verwendungen an, darunter gegen den „Abs zess“ (apostema) der Brust, Augenkrankheiten und Zahnschmerzen (407–409). Natürlich geht er auch auf die Verwendung des Weihrauchs in der magia diabolica (Birkhan, 2010, 85) ein, bei der An rufung von Göttern und Geistern mit pilden geschrift, die karachtares haizzent, und Sigillen in Ringen, damit diese die Zauberer solcherart leichter erhören. Doch ist das ein irrung in der haidenschaft, denn die bösen Geister fliehen den Weihrauch, weil er zur besonderen Ehre Gottes diene, wie man aus der Gabe eines der „Drei Könige“ ersehen könne. Deshalb werde Weihrauch in der Kirche verwendet, allerdings wegen seines hohen Preises oft durch übelriechendes Harz ersetzt. Bei Hildegard klärt der Weihrauch die Augen, reinigt das Gehirn und ist gegen Kopfschmerz und Fieber zu applizieren (175/50). Weißdorn, hagdorn, weithagen, bedegar (BN, 345f.) – die Identifizierung dieser Pflanze ist nicht ganz einfach, denn mit dem Wort persischen Ursprungs bedegar, bedugar, bedeguar (‑guar gehört etymologisch zu armenisch ward; s. oben S. 153) wurde ganz Verschiedenes bezeichnet (Fischer, 1929, 106, 265f., 281), von der Rosengalle („Schlafdorn“ oder „Schlafkunz“) der Rosengallwespe auf der Heckenrose im Gart der gesundheit, einer bestimmten Rosensorte, über das Benedik172
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
tenkraut oder Gottesgnadenkraut (Centauréa benedícta = Cárduus benedíctus) und die Eselsdistel (Onopórdon acánthium) bis zum Azaroldorn oder der Welschen Mispel (Cratáegus azarólus; h-t). Dass diese Mittelmeerpflanze bzw. die bei uns geläufigen Weißdorn-Arten, der Eingriffelige Weißdorn (Cratáegus monógyna) und der Zweigriffelige Weißdorn (Cratáegus laevigáta), gemeint sind, folgt aus der Beschreibung als Baum, der mit der „Feldrose“ verglichen wird. Die „Behändigkeit“ der Pflanze bewirkt, dass sie die verkrüppelten Arme von Kindern beweglicher macht. Ihre Trockenheit bewährt sich im Einsatz gegen zu viel Feuchtigkeit, die sich etwa im Bluterbrechen (plůtr#chsen) auswirkt. In Glastonbury steht ein Weißdorn, der im Winter blüht und der aus einem Stab erwachsen sein soll, den Josef von Arimatäa dort am Heiligen Abend in den Boden steckte; schon am Christtag soll er geblüht haben. Die Legende gehört in den Umkreis arthurisch-heilsgeschichtlicher Lokaltraditionen von Glastonbury wie auch „Gral“, „Gralsquelle“ und die Auffindung von Arthurs Grab. Wermut, wermmůt, absinthium (Artemísia absínthium; h1-t2) ist nach Konrad (413f.) vielseitig verwendbar: gegen Würmer im Leib und in den Ohren (!), gegen Verstopfung von Leber und Milz, Magenbeschwerden, Apoplexie, trübe Augen und den Verlust der Sprache (!). Wermut ist jene Pflanze, die universell gegen Ungeziefer wirkt: Er schützt Gewand und Holz vor Würmern und Mäusen, bewahrt den damit eingeriebenen Körper vor Flöhen, und mit Wermutsaft gekochte Tinte verleidet den Mäusen das Annagen von Schriftstücken (vgl. auch Wiswe, 1970, 36). Schon Walahfrid hatte das Lob des Wermuts in Kompressen bei Kopfweh und Schwindel gesungen (187–196), und auch Hildegard (109/39) schreibt der sehr warmen wermuda große Heilkraft zu, vor allem äußerlich bei Kopfweh, Brustschmerz, Husten und Gicht. Auch Bier würzte man mit Wermut. Als sehr heilsam galt eine regelmäßig getrunkene Zubereitung mit Honig und Wein, wohl die Vorstufe des heutigen „Vermouth“. Winde: Ackerwinde (Convólvulus arvénsis) oder Zaunwinde (Calystégia sépium) hält die Äbtissin (57/29) für kalt und nicht sehr kräftig. Ein 173
3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
Winden-Quecksilber-Präparat macht allerdings äußerlich appliziert schöne Nägel. Wolfsmilch, Esels-W., Scharfe W., wulffesmilch (Euphórbia ésula; h3f3) nennt Hildegard (51/27) ein Gift, welches das Menschenfleisch verdirbt. Nach den „Medizinphilosophen“ könne es jedoch unter Umständen Abführmitteln zugefügt werden. Wieder eine andere Wolfsmilch dürfte die brachwurtz (h-t) sein (54/27f.), zu deren Identifizierung neben der Esels-Wolfsmilch auch die Sonnwend-W. (Euphórbia helioscópia), die Garten-W. (E. péplus) und die Zypressen-W. (E. cyparíssias) erwogen wurden (F-B, 199; Fischer, 1929, 268). Diese hat nur Vorzüge: sie wirkt gegen Gicht, stärkt den Magen, macht Stimme und Brust rein und frei. Die Spring-Wolfsmilch, Kreuzblättrige W., springwurtz (Euphórbia láthyris) lässt angeblich eingezogene Holzspäne austreten und wurde daher mit der Springwurzel gleichgesetzt (Marzell, in: HDA s. v. Wolfsmilch; s. S. 164). Sie gilt der Heiligen als kalt „mit wenig und scharfem Safte“ (133/44f.) – gerade bei einer Wolfsmilch eine kuriose Aussage – und ist als Abführmittel zu gebrauchen. Ihren Namen hat sie daher, weil die reifen Samen mit einem knacksenden Geräusch aus ihrem Gehäuse geschleudert werden. Ysop, isp, isopus (Hyssópus officinális; h-t) kommt als Opferpflanze und Reinigungswedel mehrfach in der Bibel vor (z. B. Lev 14,49ff.), wobei heute vermutet wird, dass eigentlich eine ähnliche Pflanze, die Majoranart Oríganum máru ‚Syrisches Origanum‘, gemeint war (BibelLexikon, 1743f.). Konrad nennt nur wenige Anwendungsgebiete in der Medizin, verweist aber auf die Kunst der Ärzte und deren B ücher (439). Auch Hildegard (65/31) unterstreicht die reinigende Wirkung des hysoppus und lehrt ein Gebräu aus Ysop, Zimt, Lakritze und Honigals Mittel gegen Leber- und Lungenleiden zu mischen. In der magia diabolica hat Ysop eine reinigende, die Keuschheit des Theurgen unterstreichende Bedeutung (Birkhan, 2010, 89). Er kann sich dazu auf Ps 51,9 berufen: „Besprenge mich mit Ysop und ich werde rein sein.“ Ganz profan diente das Kraut auch als Bierwürze.
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die heilpflanzen bei konrad und hildegard
Zaunrübe, Zweihäusige Z., brionia, stichwurtz (Bryónia dióica; h) ist nach Hildegard (43/25 und 204/25) für den Menschen nutzlos und nur als Gegengift, auch zur Abschreckung von Schlangen und Kröten, sowie gegen aufgebrochene Geschwüre als Fußbad verwendbar. Die auffällige Rübenwurzel der Pflanze wurde leicht zurechtgeschnitzt auch als Mandragora vertrieben (Marzell, in: HDA s. v. Zaunrübe). Das Vulgärsynonym raselwurz (Fischer, 1929, 262) könnte vielleicht in Hildegards rasela (225/56) gekürzt vorliegen (doch s. oben S. 132). Jedenfalls würden die Wärme der rasela und ihre Verwendung gegen Würmer dazu passen. Zimt, Ceylon-Zimt, cinamonpaum, cynamomum (Cinnámomum vérum) – Konrad macht keine Angaben über die Qualitäten, aber der Anwendung nach müssten sie h-t sein (392f.); nach Hildegard eher h3-f1 (20/21). Es ist weniger erstaunlich, dass er die Zimtröhren (Kaneel) des Cassia-Zimts (s. oben S. 116) für die Rinde des wertvolleren Ceylon-Zimts hielt, als dass er sie nicht als eingerollte Rinde erkannte, sondern glaubte, dass die Äste des Zimtstrauchs selbst röhrenförmig seien. Der Zimt war eine der wichtigsten Würz- und Heilpflanzen im Mittelalter, die in besonderem Ansehen stand, weil er ja auch mehrfach in der Bibel genannt wird, wenn etwa (Hld 4,14) der Braut neben dem Duft der Narde und des Safrans auch der des Zimts zugeschrieben wird, was Konrad (214) natürlich aufgreift. Heute wird allerdings der biblische Zimt als chinesischer Cassia-Zimt angesehen (Bibel-Lexikon, 1780f.). In fabelhafter Weise wurde das Gewürz unter Hinweis auf Hrabanus mit dem Phönix verbunden: Der Megenberger lehrt, gestützt auf viele Autoritäten, dass es nur einen einzigen Phönix gebe, der ein Alter von 340 Jahren erreiche (so auch im „Großen Alexander“, 4761ff.). Er hat die Größe eines Adlers, eine Krone wie ein Pfau und einen faltigen Rachen. Goldfarben am Hals, weiter hinten purpurn, hat er einen wachsfarbenen Schwanz mit rosenfarbenen Federn und wundersame Vielfärbigkeit. Wenn den Phönix das Alter beschwert, so sucht er sich den schönsten Baum auf den höchsten Bergen über einem köstlichen Brunnen und baut darauf sein Nest aus 175
3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
Weihrauch, Myrrhe, Zimt und anderen duftenden Gewürzen und Kräutern. Wenn die Sonne das Nest erhitzt, so facht er mit seinen Flügeln die Hitze an, bis die Menge dieser edlen Spezereien in Brand gerät. Sodann legt er sich in das Feuer und verbrennt. Nach wenigen Tagen geht aus der Asche ein Würmlein hervor, das darnach Flügel erhält und wieder ein vollkommener Phönix wird. Die Anwendung des Zimts ist mannigfach, insbesondere bei Mundgeruch soll er appliziert werden. Mit beachtlicher Breite geht der Megenberger auf die Behandlung faulenden und stinkenden Zahnfleischs ein. Aber Zimt macht auch die Augen klar, ist gut gegen Herz- und Ohrenschmerzen, reinigt die Brust und ist zusammen mit Myrrheein Antidot gegen den Skorpionsstich. Als gelehrte Sage kursiert das Gerücht, die Fugger hätten, um mit ihrem Reichtum zu protzen, die Kamine mit Zimtrinde geheizt. Tatsächlich soll aber nur einmal der Schuldschein Karls V. 1530 als Potlatch-Aktion ostentativ im Zimtfeuer verbrannt worden sein. Bei einem Schauessen wurde in der Frühen Neuzeit der Ätna dargestellt, in dem ein Zimtfeuer brannte (DWb 31, 1379). Zitronat-, Zedrat-Zitrone, bontziderbaum entstellt aus poma citri (Cítrus médica) ist der Heiligen ein Sinnbild der „Sittenreinheit“ und mehr warm als kalt. Blätter und Früchte helfen gegen Fieber (B 18/ 70; F-B, 215). Zitwer, zitwar, zeduarium (Cúrcuma zedoária) ist ein Ingwergewächs, das Konrad (461) bei Verdauungsbeschwerden, Ohnmacht und Schwindelanfällen empfiehlt. Eigentlich eine indische Pflanze, wurde Zitwer zur Zeit unseres Magisters auch schon in Italien angebaut. Auch nach Hildegard hat der warme Zitwer hohe Heilkraft: Vor allem wer das Zittern (!) hat, sollte Honigwein mit Zitwer und Galgant trinken (14/19f.). Zuckerrohr, honig r=r(e), Canna melis (Sáccharum officinárum) – dazu Karamell < span. caramelo, volksetymologisch aus lat. calamellus ‚Röhrchen‘ entstellt. Konrad vergleicht das Zuckerrohr im Aussehen 176
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
mit heimischen Sumpfpflanzen wie den Rohrkolben (z. B. Týpha latifólia), aus denen man freilich keinen Zucker kochen könne (428). Aus einem nicht ersichtlichen Grund kommt er später nochmals auf Zucker, zuccara (h-f ) als Heilmittel zurück. Er sei gut wider der prust smertzen vnd […] macht f(uht di durren průst (462). Aber auch, wer einen heißen Kopf hat oder wer ein Abführmittel braucht, möge zu Veilchenabsud in Zuckerwasser greifen. Auch Hildegard hält den Zucker für „ein gutes Mittel, um das Gehirn und die Brust vom Schleim zu befreien“ (179/51). In der mittelalterlichen Küche wird Zucker als Gewürz und teuere Alternative zum wohlfeileren Honig gelegentlich vorgeschrieben. Erst die Verwendung des Rohrzuckers ermöglicht die Herstellung bestimmter Konfekte wie etwa zuckerüberzogene Anisund Fenchelsamen, die Walter Ryff 1544 in seinem Confect BFchlin und Hauß Apoteck lehrte (Wiswe, 1970, 57). Zuckerwurzel (Síum sisárum) könnte vielleicht (!) Hildegard mit der kalten sysemera (37/24) gemeint haben, wenn wir uns den lat. Namen entsprechend entstellt denken. Leider nicht förderlich und unverständlich ist das zweite sysemera-Kapitel (B 59/77), das F-B (212f.) mit Froschlaich in Zusammenhang bringt. Doch ist diese zweite Stelle so verworren, dass sie, entweder verderbt oder in Ekstase niedergeschrieben, jedenfalls in unserem Zusammenhang nicht brauchbar ist. Gegen die Verbindung mit der Zuckerwurzel spricht, dass die später erwähnte gerla (h-t), die gleichfalls auf die Zuckerwurzel bezogen wird (F-B, 203; Fischer, 1929, 284), ganz andere Qualitäten hat (199/54). Überhaupt könnte man einwenden, dass diese aus dem Kaukasus und Sibirien stammende Pflanze erst im 15. Jahrhundert in Europa aufgetaucht sein soll – dann allerdings zu einem Modegemüse wurde (das neuerdings wieder auf „alternativen“ Märkten erscheint). Wäre man verwegen genug, sysemera als Entstellung von *süeze mœre ‚süße Möhre‘ aufzufassen, dann könnte man die Pflanze auch mit der Karotte (Dáucus caróta) gleichsetzen (vgl. oben S. 140 zu Möhre). Aus sysemera machte die Äbtissin einen Trank, der gegen Vergiftungen half, und mit gerla-Saft in Öl kann man das Gesicht gegen spröde Haut einreiben. 177
3. Pflanzen aus der Sicht ihrer magischen Verwendung
Zwiebel, zwival, zwibol, cepe (Állium cépa), eine der ältesten Kulturpflanzen, bläht und zieht das Blut unter der Haut zusammen, sodass der Zwiebelesser nach Konrad (422) eine gute Farbe hat. Gekocht ist sie etwas nahrhaft, bringt aber durch Feuchtigkeit böses Blut hervor und schadet so Vernunft und Sinn. Sie erweckt Appetit, verlockt aber zur Unkeuschheit und öffnet die aftern âdern, die ze latein emoroides (Hämorrhoiden) haizzent. Allerdings ist Zwiebelabsud gegen den Biss eines tollwütigen Hundes zu empfehlen. Hildegard ist keine Freundin der Lauchsorten gewesen. Aber wenn es schon Lauch sein muss, so empfiehlt sie am ehesten den dume porrum (F-B, 201), Röhren-Zwiebel (Állium fistulósum), da diese die am wenigsten schädliche Art ist (82/34). Dagegen sei die Küchen-Zwiebel, unlauch (Állium cépa) höchstens gekocht für Gesunde essbar (84/34). Der Clavis sind alle Lauch arten Allegorie der Verdorbenheit (425). Zyklame, sweinchraut, sweinprôt, paniz porcinus, cyclamen (Cýclamen purpuráscens; h-t) wird von Konrad (425) zur Behandlung von Hämorrhoiden empfohlen. Die Wurzelknolle der nach heutigem Wissen giftigen Pflanze (Frohne/Pfänder 1997, 298f.) wurde im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit als „Waldrübe“ oder „Erdapfel“ verzehrt (Wiswe, 1970, 126).
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4. dEr gartEn als nutZ- und lustort und das wIldE
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eit in vorchristliche Zeit geht die Gewohnheit zurück, Tiere, die ungewöhnlich und eindrucksvoll sind, in Tiergärten oder Tierparks zu halten. Das waren exotisch-seltene Tiere oder solche von besonderer Gefährlichkeit, die man gerne gefahrlos näher betrachtete. Der erste Tiergarten in diesem Sinn scheint bereits um 3500 v. Chr. in Ägypten bestanden zu haben. Worauf es dabei ankommt, lehrt die Etymologie des Wortes Garten: mhd. garte, ahd. garto, ahd. gart ‚Kreis‘, anord. garðr ‚Zaun, Hof, Garten‘, ags. geard ‚Hof‘, got. garda – samt altslaw. gradu ‚Burg, Stadt, Garten‘ – bezeichnet wie gr. chórtos ‚Hof‘, air. gort ‚Saatfeld‘, lub-gort ‚(Gemüse)garten‘, kymr. garth ‚Garten, Pferch‘ und natürlich lat. hortus ‚Garten‘ ursprünglich den eingefriedeten Raum, wie lat. cohors ‚Viehhof‘, dann die darin befindliche ‚Schar, Kohorte‘ noch deutlich verrät. Aus diesem „Hof“ wurde dann über vulgärlat. curs, curtis afrz., frz. cour ‚Hof, adeliger Hof‘. Ein galloroman. Wort *parrikus, das in unserem Pferch, pferchen weiterlebt, ergab afrz. parc, das im 13. Jahrhundert auch in das Mittelenglische zu engl. park entlehnt wurde. Die Bedeutung der „Einhegung“ des Tier- und Pflanzen-Gartens geht auch aus dem 179
4. Der Garten als Nutz- und Lustort und das Wilde
ahd. Wort merigarto, das die vom Meer des Ringozeans umschlossene ‚Welt‘ bedeutet, hervor. Auch das Wort heimgarte, das die ‚trauliche Zusammenkunft mit Nachbarn oder Freunden außerhalb des eignen Hauses‘ bezeichnet, meint eigentlich den Ausschluss des Fremden, Nicht-Traulichen. Es lebt heute noch in bairischen Dialekten im Verbum hoangaschtn ‚sich vertraulich unterhalten‘ weiter. An der mittelalterlichen Landwirtschaft fielen uns Heutigen vor allem die vielen Zäune auf, denn das Ackerland sowie Haus und Hof waren, wie z. B. die Miniaturen der Sachsenspiegelhandschriften zeigen, zum Schutz gegen Wild, insbesondere Wildschweine, weithin durch Flur-, Hof- und Dorfzäune eingefriedet, sodass man gelegentlich auch einen Acker garten nennen konnte. Drastisch schildert die Altdeutsche Genesis (1154–1179), wie Kain mit der Haue den ersten Acker anlegte, indem er Brombeeren, Heckenrosenbüsche und Dornengestrüpp ausgrub und ausbrach und so den Boden für die Saat säuberte. Zumeist jedoch verstand man auch im Mittelalter unter garte das, was wir noch heute als ‚Garten‘ bezeichnen würden. Die eingehegte wundersame Tier- und Pflanzenwelt fand sich besonders in den Lustgärten orientalischer Herrscher wie Assurbanipal und Nebukadnezar oder persischer Großkönige. Deshalb setzte sich das apers. Wort parideza durch, das ins Griechische als parádeisos, ins Lat. als paradīsus übernommen wurde. Solche Lust- und Tiergärten legitimierten den Herrscher: Alexander den Großen, aber auch die römischen Kaiser und seit Karl d. Großen auch die Kaiser des Mittelalters, die französischen und englischen Könige, später überhaupt den Herrn, und sie waren dadurch mit dem Herrensitz fest verbunden (dazu Hennebo, 1987, 104–111). Nicht selten erscheinen Baum- und Tiergarten kombiniert. Der Inbegriff aller Gärten war in der Sicht der monotheistischen Buchreligionen das von Gott selbst geschaffene Paradies oder der Garten Eden der Bibel, in dem sich neben allen wilden Tieren, die freilich noch zahm waren, auch alle, insbesondere die edlen und seltenen Pflanzen befanden (Isid. XIV, 3,2). So berichtet die Altdeutsche Genesis, die etwa zwischen 1060 und 1080 entstanden ist (V., 463–515), dass 180
4. Der Garten als Nutz- und Lustort und das Wilde
Gott Adam als Gärtner in den wonniglichen poumgarten eingesetzt habe, wo jegliches zu jedem Monat wächst. Wenn das eine reift, blüht das andere. Frost, Wind und Hitze gefährden die Frucht nicht. Lilien und Rosen und jede Art von Bäumen erzeugen einen Duft, der so sättigt, dass die Ureltern keiner Speise bedurften. Da wuchsen in Mengen: Zimt, Zitwer, Galgant, Pfeffer, Balsam, Weihrauch, Thymian, Myrrhe, Krokus, Ringelblumen (ringele), Dille, Kaneel, Fenchel, Lavendel, Päonien, Salbei, Weinraute, Narde, Balsam, Minze, Petersilie, Kresse, Lattich, Meisterwurz (Peucédanum ostrúthium) – oder Sterndolde (Astrántia májor) für astriza – und wich pÜm, was vielleicht den Mastix- oder den Storaxbaum meint, da ja der Weihrauch (wirÜch) schon genannt ist. Dieser Garten liegt nach Osten am Ende der Welt, wo das tiefe Wendelmeer (der Ringozean) ihn umgibt. Davor stehen hohe Gebirge. Der Garten ist so hoch gelegen, dass ihn der Mond berührt … Wenn auch das Paradies fürs Erste verloren war und die wilden Tiere nicht mehr zahm, so konnte man doch zumindest in einem eingehegten Kräuter- oder Wurzgarten ein solches Paradies nachbilden. So auch im Islam in den maurischen Gärten und als besonderer Lustort in den Sagen über die Assassinen. Kein Wunder, dass der blühende Garten im Orient auch zu einem beliebten Teppichmotiv wurde. Das beginnt schon mit dem „Frühling von Chosrau“, einem großartigen Gartenteppich, der in der Winterszeit den Palast Chosraus I. (531–579) zierte, aber 637 von den arabischen Eroberern zerschnitten wurde. Bis heute gehören Baummotive, Blumen und Blütenranken zu den beliebtesten Teppichmustern, nicht nur der sogenannten Gartenteppiche im engeren Sinn (Hubel 1965, 19, 45–47, 160 und öfter). Aber auch der Kirchenvorplatz, über den man in das Gotteshaus eintrat, wird gelegentlich „Paradies“ genannt oder aber „Galilea“ und die eigentliche Paradiesbezeichnung bleibt im Kirchen inneren dem Chor mit dem Altar vorbehalten. Nach der geläufigen Vorstellung des Mittelalters – z. B. der Ebstorfer Weltkarte (Ebstorf 2007) – war der Grundriss des Paradieses rechteckig, ganz wie die übliche Gartenform. Rundgärten sind selten (Hennebo, 1987, 162). 181
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Notker von St. Gallen glossierte paradysus mit zartcarto oder wunnicarto (Ps 6,4; 37,5; 95,10). Natürlich ist nicht jeder mittelalterliche boumgarte (auch biregarte ‚Birnengarten‘, obzgarte), kœlgarte ‚Kohlgarten‘, krûtgarte ‚Gemüsegarten‘ und wurzgarte ‚Kräutergarten‘, in dessen rechteckigen und daher mit Schachfeldern vergleichbaren Beeten auch Blumen wuchsen (liljengarte, rôsegarte, vîolgarte ‚Veilchengarten‘), als Abbild des Paradiesgartens angelegt. Einem hopfgarten ‚Hopfenpflanzung‘ – humularia sind in Freising schon um 850 belegt (Balss, 1947, 128) –, kürbizgarten oder wîngarten lagen ganz handfeste Wirtschaftsinteressen zugrunde. Auch Stadt und Garten schließen einander keinesfalls aus, da einerseits in den Städten durchaus Hausgärten vorhanden waren und sehr viele Bürger Gartenland vor den Stadtmauern besaßen. Kohl, Zwiebel, Petersilie und Hopfen, aber sogar Lein wurde z. B. in den der Stadt Minden vorgelagerten Gärten gezogen (Wiswe, 1970, 76). Den Ertrag eines Gartens, aber auch einer Wiese nannte man übrigens den oder die bluomen. Dennoch verband man wohl mit dem Anpflanzen und der Gartenarbeit noch die Vorstellung des Urbarmachens, Kultivierens, die eine gewisse Nähe zum Schöpfungswerk hatte. Die liebevolle Schilderung Walahfrids gilt dem beschaulichen Klostergarten, dessen Erde sich nicht weigert, nach der Ausrottung der Brennnessel (s. oben S. 114) die ihr eignen Gewächse zu zeugen, Wenn deine Pflege nur nicht ermattet in lähmender Trägheit, Nicht sich gewöhnt zu verachten den vielfachen Reichtum des Gärtners Törichterweise, und nur sich nicht scheut, die schwieligen Hände Bräunen zu lassen in Wetter und Wind und nimmer versäumet, Mist zu verteilen aus vollen Körben im trockenen Erdreich (9–14). Dann lässt sich der Ertrag des Gartens freilich genießen, wie der Dichter in seiner Zueignung des Werkleins an den Abt Grimaldus als Idylle entwirft: Wenn du einmal verweilst im Geheg deines einfachen Gärtleins, Unter dem laubreichen Wipfel der schattigen Obstbäume sitzend! Wo der Pfirsich mit ungleichen Schatten die Strahlen zerstreuet, 182
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Während die spielenden Knaben, die fröhliche Schule des Klosters, Dir die weißlichen Früchte mit zarter, flaumiger Schale Sammeln – sie legen sie dir in den breiten Teller der Hände, Mit ihren Fingern versuchend, die Kugeln ganz zu umspannen –, Dann, mein gütiger Vater, gedenke unserer Arbeit […] (432–439). Wenn auch die Kelten und Germanen der Römerzeit natürlich eine Gartenkultur besaßen, so wird diese für uns erst durch die Klostergärten der Benediktiner, die auch „Paradiesgärten“ hießen, später der Zisterzienser, deren Orden den Mönchen jeweils ein kleines Stückchen Land, das „Paradies“ genannt wurde, zuwies, und auch der Kar thäuser mit ihren „Hausgärten“ vor der Zelle und die königlichen Verordnungen wie das Capitulare de villis konkret fassbar. Christus selbst erschien den ihn suchenden Frauen als Gärtner (hortulanus) nach Joh 20,15f. (vgl. P. Diemer, in: LCI 2, 81f.), was in den mittelalterlichen Osterspielen breit ausgeführt wurde. Das Schöpferische an der gärtnerischen Tätigkeit liegt auch darin, dass man der Natur eine gewisse Künstlichkeit auferlegt. Dazu gehört einerseits die aus der Antike überkommene Form des Veredelns, der meiner Meinung nach letztlich der magische Gedanke der Pflanzenhochzeit zugrunde liegt, welcher die Veredelung in ihrer ursprünglichsten Form des Spaltpfropfens, des Einsetzens eines Reises in einen Spalt, als eine Repräsentation des Sexualaktes gesehen hat (Birkhan, 2010, 19f., 78). Die mhd. Ausdrücke für die Veredelung impfen (< lat. imputare als Nachbildung von gr. emphyteúō), pelzen (< lat. impeltare ‚ein „pelta-förmig“, d. h. schildförmig zugeschnittenes Edelreis in einen Rinden- und Kambiumspalt der Unterlage einschieben‘), pfropfen (< lat. propagare ‚fortpflanzen‘) weisen in leicht durchschaubarer Bildsprache darauf hin. Sie entstammen alle der nachklassischen Volkssprache. Das klassisch lat. Wort inserere ‚einsäen‘ bzw. insitio ‚Einsäung‘ (z. B. Colum. de arb. 8, 2) wurde nicht entlehnt. Es ist selbstverständlich, dass die Übernahme des Veredelns die Obstkultur entscheidend verändert hat. Gleichzeitig liest man mit Erstaunen, dass die mittelalterlichen Autoren in Unkenntnis der botanischen 183
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Verwandtschaft der Gehölze Veredelungen für möglich hielten, die gewiss nicht anwachsen konnten (etwa ein Mispelreis auf eine Kornelkirschenunterlage; s. oben S. 80). Aber auch Columella, der die Veredelungstechniken sehr genau beschreibt, hielt es für möglich, ein Feigenbaumreis auf eine Ölbaumunterlage zu pfropfen (Oesterreicher I, 157f.). Weiters: Pfropft man etwa Zwetschkenreiser auf Weiden, so werden die Früchte kernlos sein. Pfropft man einen Weinstock auf einen Kirschbaum, so kann man die Trauben zur Kirschenzeit ernten (Balss, 1947, 112). Gottvater selbst hat auf den dürren Baum das Reis des Christentums gepflanzt, woran vermutlich das „Frankfurter Paradiesgärtlein“ (s. unten S. 244f.) erinnern will. Andererseits gehört zu dieser „Künstlichkeit“ die Veränderung der Pflanzen durch Schnitt und Formung, ein Verfahren, das bei den Römern Aufgabe des topiarius war. Dass durch Schnitt, etwa von Buchsbaum, Hecken gestaltet wurden, wie im römischen Garten (vgl. Cunliffe, 1974, 134–139), ist anzunehmen (Balss, 1947, 16), gewiss erzeugte man jedoch keine Pyramiden, Obelisken oder Figuren. Auffällig ist aber die Formung der Holzgewächse durch Spalier und Laube. Dabei bezeichnete Letztere ein aus verflochtenen belaubten Zweigen bestehendes Vordach, wie es im 6. Jahrhundert Gregor von Tours bezeugt. Das als Urform von Laube vorauszusetzende *laub-jōn – auch ein Ort der Rechtspflege, überhaupt von Versammlungen – wurde wohl durch langobardische Vermittlung ins Romanische entlehnt, von wo es als Loggia und Loge wieder ins Deutsche gelangte. Vor allem Rose und Wein wurden gerne zur Laube gezogen, aber auch der Granatapfel, aus dessen dialektaler italienischer Bezeichnung balaustro unser Balustrade stammt. Die Stangen zum Stützen von Rankengewächsen nannte man mhd. stivel, ein Wort, das in der Gärtnersprache als Stiefel weiterlebt. Eine andere sehr spezifische Formung von Gehölzen entstand dadurch, dass man die Kronenäste kleinerer und größerer Bäume zu scheibenförmigen Etagen formte. „Häufig sind drei solche Astscheiben, 4: Verschiedene Formen der Pflanzenerziehung um 1475. Vorne links der „Radbaum“ (s. S. 186).
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deren Durchmesser nach unten zunimmt, so daß der Kronenumriß die Form einer Pyramide erhält.“ Dabei tragen etwa „die aufgeasteten Stämme zweier junger Bäume […] je einen Reifen mit vier Speichen. Die zarten Äste der Krone sind an diesen Speichen befestigt und rund um den Reifen gezogen. Den Mittelsproß zog man durch die Nabe dieses Reifens und setzte ihm später einen oder zwei weitere Reifen auf. Da die anderen Seitensprosse durch Schnitt unterdrückt wurden, kam es in den Etagen zu einem üppigen Wachstum, das bald die Reifen völlig bedeckte und dichte Blätterscheiben aus ihnen machte“ (Hennebo, 1987, 176). Diese so entstandenen künstlichen „Radbäumchen“ sind nicht selten, sogar in Blumentöpfen, abgebildet (Abb. 4). Umfriedet war die Anlage durch zûn, vade, vride oder eter, die alle ‚Zaun‘ bedeuten – also Flecht- und Bretterzaun sowie Palisade –, oder eine Mauer, manchmal auch durch ein Stangengerüst oder Gitterwerk, das als Rankgerüst etwa für Rosen diente (Hennebo, 1987, 162–165, 167f.). Die so entstandene Rosenhecke kann erotischen Erzählungen wie der Geschichte vom „Weißen Rosendorn“ zur idealen Kulisse werden (Rosendorn). Die Wirtschaftsgärten wird man auch durch „lebende Zäune“ oder „Hage“ aus Brombeer- oder Weißdornhecken eingehegt haben, wie das Columella empfahl (Oesterreicher I, 242). Die Dornenhecke gilt ja auch sonst als undurchdringliche Abgrenzung (im „Seifried von Ardemont“ und im „Dornröschen“; B-P I, 440). Im Dornbusch tanzen zu müssen, wie es in der englischen Erzählung des 15. Jahrhunderts „Jack and his step dame“ einem verräterischen Mönch passiert, ist eine unvorstellbare Qual (B-P II, 491). Was die Lage des Gartens angeht, so sollte dieser natürlich möglichst nahe am Wohnhaus sein, was freilich bei Höhenburgen mit beengtem Raum nicht immer möglich war. Daher konnte sich der Garten auch am Berghang unterhalb der Burg oder zwischen der äußeren und inneren Burgmauer befinden. Nicht selten wird der Kräutergarten in der Nähe der Küche auf der Burg gelegen haben, während der Baumgarten sich außerhalb der Burg befand und dann durch ein „verschwiegenes“ Pförtlein wie in Gottfrieds „Tristan“ (9328) erreichbar war.
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Die Abgeschlossenheit des Gartens ist Ausdruck einer sozialen Auslese: Nicht jeder ist berechtigt, den Garten zu betreten und an den in ihm stattfindenden Festlichkeiten wie etwa Mahlzeiten, Turnier- und Tanzveranstaltungen teilzunehmen, sich in Gesprächen oder ein samem Spazieren zu ergehen. Die Abgeschlossenheit des Gartens hebt ihn aus der profanen alltäglichen Umwelt heraus und bewirkt eine wichtige Intimität, die in der Fantasie bis in die Neuzeit besonders mit der Liebe verbunden ist. Noch in Webers „Freischütz“ (1821; Text von Johann Friedrich Kind) singt eine Brautjungfer: Lavendel, Myrt’ und Thymian, Das wächst in meinem Garten; Wie lang bleibt doch der Freiersmann? Ich kann es kaum erwarten. Die Schönheit der Blume greift dann leicht auf die Frau über, die, wie noch zu zeigen sein wird (s. S. 256), oft mit einer Blume, seltener einem Gehölz, gleichgesetzt ist. Deutlichsten Ausdruck findet die Intimität des Gartens in der Gartenlaube, die möglichst entfernt vom Haus und von diesem nicht einzusehen sein soll. Verschlungene, mit Sträuchern bestandene Wege führen zu ihr. Andererseits ist der Garten, insbesondere der hortus conclusus im engeren Sinn, mit heiligen Personen – besonders der Jungfrau Maria – verbunden (s. unten S. 244–246) und hat in der Clavis von sechs allegorischen Bedeutungen fünf positive (Paradiesfreuden, Kirche, Judaea, die keusche und die tugendreiche Seele; 399–401). Wirkkräftig war auch das seit der Antike belegte und besonders im Mittelalter sehr beliebte Vorstellungssyndrom des locus amoenus, des ‚lieblichen Ortes‘, dessen konstituierende Elemente ein frischer grüner Rasen – womöglich mit Klee –, ein schattender Baum, ein Wäldchen oder Hain, liebliche Blumen und – von zentraler Bedeutung – ein edler Brunnen oder ein quickes Bächlein sind. Im Bild des Lustgartens verbindet sich die Paradies-Idee mit ihren besonderen und edlen Gewächsen und einem Tierbestand, der nun auf kostbare Vögel und kleinere Tiere reduziert ist, mit dem Topos des Lustortes und seinem 187
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Baumbestand, oft einer von quinquilierenden Vögeln wie Haubenlerchen und Nachtigallen besetzten Linde. Wie der Lustgarten enthält auch das Paradies unter dem Lebensbaum eine wunderbare Quelle, aus der die Flüsse Nil, Ganges, Tigris und Euphrat strömen (Hrab. XI, 10; XII, 3). Schon die Antike hat sich die „Insel der Seligen“, den Garten der Hesperiden und in der Odyssee den Garten des Alkinoos in ähnlicher Weise vorgestellt. Dem Mittelalter galt der Frühling nach dunklen, in zum Teil schlecht geheizten oder rauchigen Stuben im Schein eines Binsenlichts verbrachten Wintermonaten als eine außerordentlich glückliche, ja paradiesische Jahreszeit. Die Reize des Winters werden nur vereinzelt wahrgenommen, wie das Schlittenfahren in einem Lied Neidharts (38,9), aber auch dort folgt sogleich die Klage, dass der leidige Winter die wonnigen Blumen genommen und die grünen Lindenäste entlaubt habe. Eine raffinierte Lösung findet sich nur in der walisischen Bearbeitung der Tristansage (Birkhan, 1989a, II, 118). Hier will Arthur den Streit zwischen Drystan und March dadurch schlichten, dass Essyllt bei dem einen sein solle, während der Wald belaubt, bei dem andern, während er kahl ist. March, der als Erster wählen darf, wählt die unbelaubte Jahreszeit, weil dann die dem Liebesspiel gewidmeten Winternächte länger seien. Darauf jubelt Essyllt und singt diesen Vierzeiler: Drei Bäume sind gar nützlich: Stechpalme, Efeu und Eibe, die Blätter tragen, solang sie leben: Solang er lebt, gehör ich Drystan! Sie hat March mit der Spitzfindigkeit der trotz „Laubriesete“ immergrünen Bäume geprellt, die sonst gegen den Teufel angewandt wird (B-P III, 200). Die deutsche Tristandichtung des Gottfried von Straßburg hat als Zentrum das glückliche Waldleben der Liebenden im Bereich der Minnegrotte (16683–17458), die an einem idealen Lustort liegt, aber als allegorisches Bauwerk weit über das sonst Typische hinausreicht. 188
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Immerhin steht sie im Schatten dreier Linden, und unterhalb des Gebäudes eröffnet sich ein von Bäumen eingefasster und von einem Bach durchflossener Wiesenplan. Dort hielten die Liebenden „Hof“, dort ernährten sie sich vom gegenseitigen Anblick und der Minne, während sie sich in der Vorstufe der Sage (Béroul v. 1275–1298, vgl. 1447f.) im Wald von Morois um ihre tägliche Nahrung sorgen müssen und weder Milch noch Salz haben. Bei Gottfried bilden die grüne Linde, Sonne und Schatten, Brunnen und Bach, Blumen, Gras, Laub und den Augen wohltuender Blust die Dienerschaft dieser Hof haltung. Der Dienst war der Vogelschall, in dem einander Nachtigall, Drossel, Amsel, Zeisig und Haubenlerche überboten. Die für den Garten typische Abgrenzung stammt hier nicht von Menschenhand, sondern besteht aus dem von Wald bestandenen felsigen Gelände, das die Welt der Minnegrotte von der des Hofes trennt (16885–16899). Lustort und ‑garten bilden in vielen mittelalterlichen Texten kons tituierende Handlungsrahmen, etwa im Zusammenhang mit höfischer Belehrung wie in dem berühmten altfranzösischen Rosenroman, vor allem im ersten Teil von Guillaume de Lorris (1235), aber auch in einer großen Zahl deutscher didaktischer Werke wie in der um die Mitte des 14. Jahrhunderts entstandenen anonymen „Minneburg“ und „Der Minne Regel“ des Eberhard von Cersne (1404). Hier gerät das erzählende Ich des Mindener Kanonikus auf einen „schönen Plan, der mit vielfarbigen Blumen, süß betaut und von wunderbarem Glanz übersät war. Dazu kam der Klang vieler dort entspringender Brunnen“, und natürlich hörte man ein Vogelkonzert in Diskant, bMoll und „Semiton“ … Oft wird auch das mit Blumen geschmückte Kleid der Natur im Bild bemüht. So heißt es am Beginn des Rosenromans: „Sie [la terre ‚die Erde‘] wird nun so stolz, daß sie ein neues Kleid haben will und es sich so schön zu machen versteht, daß man daran hunderterlei Farben sieht: Pflanzen, weiße und blaue Blüten und viele verschiedene Farben bilden das Kleid, das ich erwähnte […]“ (V. 59–65). Nur selten werden Landschaften geschildert, die nicht in dieses Schema passen. Ein eindrucksvolles Beispiel bildet die Klause des 189
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Einsiedlers Trevrizent in Wolframs Parzivâl (Pz. 452,13-15; 455,25-30; 458,13-18; 485,21-30). Sie liegt an keinem locus amoenus, sondern an einer Felswand, allerdings an einer Quelle mit dem vielversprechenden Namen Fontâne la salvâtsche ‚Heilsbrunnen‘. Die dort wachsenden Blumen sind jetzt, am Karfreitag, allerdings von Schnee bedeckt. Natürlich lässt sich auch keine Vogelstimme vernehmen, und der Klausner Trevrizent, der sich ganz vegetarisch ernährt – oft übrigens auch die Sträucher, an denen er seine Wurzeln aufgehängt hat, nicht wiederfindet –, kann Parzivâls Pferd nur junge Nadelbaumsprossen (grazzach) und Farnwedel vorsetzen. Diese entrückte, dem Leser unvergessliche Landschaft und die dort stattfindenden Gespräche bilden die Peripetie von Parzivâls Lebensweg. In diesem Kontext soll auch kurz auf den locus terribilis, den ‚Schreckensort‘ im Gegensatz zum Lustort hingewiesen werden, wie ihn etwa der deutsche Artusroman „Die Krone“ Heinrichs von dem Türlin (um 1230) mehrfach gestaltet, insbesondere freilich Dante (bes. Inferno XIII). Hier im Zweiten Höllenkreis der Selbstmörder und Verschwender befindet sich Dante in einer trostlosen Wüstenei wilder Gestrüppe, die Sünder sind zu verkrüppeltem Holz geworden, in dessen fahlen Dornenzweigen Harpyen nisten (s. unten S. 263). Ein locus terribilis spielt allerdings gartenarchitektonisch im Mittelalter noch keine Rolle, jedoch in der Vorstellungswelt und vielleicht auch in jener, die sich um den wurmgarten oder die wurmlâge rankt. So heißt in der Vorauer Sündenklage des 12. Jahrhunderts die sündige Welt, also die Wirkungsstätte des oft mit wurm ‚Schlange, Drache‘ assoziierten Teufels. Es sieht so aus, als hätte man tatsächlich da und dort solche Schlangengruben eingerichtet, einen „feuchten, bruchigen Wald, bevölkert mit Schlangen und Drachen“ (Hennebo, 1987, 111). Schlangengruben, in die nach nordischer Tradition die Helden Ragnarr Lodbrók und der Nibelungenkönig Gunnar (Gunther) geworfen wurden, sind ja auch sonst in der germanischen Überlieferung bezeugt. Daneben hat wurmlâge auch einen Festplatz und wohl auch die Vorstufe des Gartenlabyrinths bezeichnet. Da sich jedoch aus botanischer Sicht über die wurmlâge nichts feststellen lässt, verfolge ich 190
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hier dieses Thema nicht weiter. Eine gartenarchitektonische Umsetzung des locus terribilis sollte möglicherweise ein Teil des von Vicino Orsini im 16. Jahrhundert angelegten „Parks der Ungeheuer“ im Sacro Bosco von Bomarzo bei Viterbo sein. Sowohl die lyrische als auch die erzählende provenzalische, französische und deutsche mittelalterliche Dichtung ist voll von loci amoeni, aber – besonders die Erzählungen – auch von solchen Gärten, die in den Motivverzeichnissen teils als „gardens“, teils als „orchards“ erscheinen. Im 7. Band unseres Wiener Unternehmens „Motif-Index of German Secular Narratives from the Beginning to 1400“ (MIGSN) zähle ich gegen 50 Stellen, die als Schauplatz des Geschehens einen literarischen Lustort, wie etwa die Gewitterquelle im Iwein Hartmanns (565–628), nennen, daneben über 80 Eintragungen von Gärten als Handlungsort, wobei die Bandbreite von bloßer Nennung eines „extraordinary garden“ (Motif F-B, 818) gleichsam als Kulisse bis zur ausführlicheren Schilderung reichen kann. Dabei bieten allerdings die Gartenschilderungen der Literatur dem Botaniker wenig Interessantes, denn kaum jemals gehen die Autoren ins Detail. Ein klassisches Beispiel finden wir etwa in der „Baumgartenszene“ im Tristanroman Gottfrieds von Straßburg. Um einander unbeobachtet nah sein zu können, treffen Tristan und Isolt sich nachts in einem Baumgarten, offenbar einem locus amoenus, in dem sich auch eine Quelle befindet. Der eifersüchtige Marke hat den über der Quelle wachsenden Baum bestiegen, um das Treffen der Liebenden zu belauschen. Doch diese sehen in dem klaren Wasser das Spiegelbild des Königs und täuschen ihn erneut durch eine improvisierte Komödie, die ihn in der Hoffnung, sie seien unschuldig, bestätigt. Wichtig ist, wie man sieht, hier nur die Funktion von Baumgarten und Quelle, keineswegs die botanische Einzelheit, dass es sich bei dem Baum um einen Ölbaum (V. 14628) handelte – gegenüber einem Nadelbaum in der Erzählung von Béroul (V. 404) und einer Linde im Tristrant Eilharts von Oberg (V. 3463) –, die allerdings auf einer höheren Deutungsebene einen geheimen Symbolverweis enthalten könnte. Ganz ähnlich ist es bei den krautigen und strauchartigen Pflanzen, wo in 191
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der Regel die eine oder andere marianische Pflanze und vielleicht das eine oder andere Gewürz erwähnt werden. Das Üblichste ist immer die Linde, nur gelegentlich werden mediterrane und symbolträchtige Gewächse wie der Granatapfel, der Feigenbaum, der Weinstock oder der Ölbaum genannt. Am ausführlichsten ist die Aufzählung im schon erwähnten Rosenroman des Guillaume de Lorris, wo das träumende Ich zu einem Tanz geführt wird, der in einem Baumgarten stattfindet, dessen Bäume einzeln aufgeführt werden (V. 1320–1360). In einem Quadrat sind, wohl in Quincunx, alle fruchtragenden Bäume (außer den schädlichen) angepflanzt. Genannt werden: Granatapfel, Nussbäume, die eine Art Muskatnuss trugen, in großer Zahl Mandelbäume, Feigen und viele Dattelpalmen, Gewürznelken, Süßholz, Paradieskörner, Zitwer, Anis, Cassia-Zimt und viele Gewürze, die man kandiert nach dem Essen genießen kann. Es gab auch einheimische Gehölze, die Quitten, Pfirsiche, Kastanien, Nüsse, Äpfel, Birnen, Mispeln, weiße und schwarze Pflaumen, frische rote Kirschen, Speierling, Mehlbeeren und Haselnüsse trugen. Im Garten standen große Lorbeerbüsche, hohe Pinien, Olivenbäume und Zypressen, aber auch Ulmen, Rot- und Weißbuchen, schöne gerade Haselnusssträucher, Espen und Eschen, Ahornbäume, hohe Tannen und Eichen – selbstverständlich ist auch ein entsprechend anziehender Tierbestand von Rehen, Damwild, einer großen Menge an Eichhörnchen und Hasen vorhanden, während den Umkreis der klaren Brunnen Kaulquappen und Frösche meiden. Die Bäume sollen immer nur für ein bestimmtes Kolorit, hier des Überreichen, Exzeptionellen und Universellen, stehen, und wenn ihnen eine bestimmte Funktion zufällt, so hat diese im Grunde mit ihren botanischen Eigenschaften nicht direkt zu tun. Anders der nun im Rosen roman umständlich beschriebene Brunnen. Es ist jener, in dem sich der törichte Narzissus einst beschaut und in sich selbst verliebt hatte, was dem träumenden Autor zur Abschreckung vorgewiesen wird. Der stark von Gottfried beeinflusste Konrad von Würzburg verbindet den Lustort in seinem „Engelhart“ vorbildhaft mit der Liebe (3150–3155): 192
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si giengen ûf der Minnen plân und brâchen freuden bluomen dâ so schœne, daz man anderswâ minneclicher nie gesach. nû flôz dar zuo der Minnen bach und hôher gnâden brunne. Kunstvoll hält es der Dichter offen, ob der Minnen bach tatsächlich als Gewässer bestanden habe oder das Bild der beiderseitigen zusammenfließenden Zuneigung darstellen soll. Besonders eindrucksvoll ist der Zaubergarten des Mabonagrin, der in Hartmanns von Aue Êrec so geschildert wird (8704–8753): Ihn umfasst weder Mauer noch Graben, Zaun, Wasser oder Hecke oder etwas, was man hätte anfassen können. Es befand sich da nur ein ebener Weg mit einer Wolkenwand, die an einer Stelle einen schmalen Durchgang bot. Im Garten selbst wuchsen aller Art Obstbäume, die herrliche Früchte trugen und dabei blühten. Der süße Lärm des Vogelsangs erfreute die Gemüter. Und es gab keine Handbreit Boden, der nicht von bunten, wohlriechenden Blumen bedeckt gewesen wäre. Der Duft des Obstes und der Blüten, das ständige Vogelkonzert und die Schönheit des Ortes hätten jeden sein Leid sogleich vergessen lassen, sodass er immerdar dort hätte verweilen wollen. Die altfranzösische Vorlage Erec et Enide des Chrestien de Troyes erwähnt noch, dass niemand auch nur eine Frucht aus dem Garten hätte tragen können, weil er den Ausgang nicht gefunden hätte, und die „Blumen“ Hartmanns sind im Original nicht weiter spezifizierte Gewürz- und Heilkräuter, deren Schönheit und Farbenpracht nicht im Vordergrund standen (5701–5704, 5711–5714). Diesem Zaubergarten nahe verwandt ist der „Rosengarten“ des Zwergenkönigs Laurin im gleichnamigen Heldenepos, den wieder keine andere Einhegung als ein kostbar besticktes Seidenband umgibt, der aber so schön ist, dass Dietrich von Bern darin im Paradies zu sein glaubt (Laurin 925f.; MIGSN 4, 81). Hinter dem Begriff Rosengarten verbergen sich allerdings auch Kultorte, die mit ‑garten nur indirekt zu tun haben (s. S. 221). 193
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Während in den erzählenden Texten der locus amoenus und der oft wundersame Garten gewöhnlich das Heraustreten aus der Alltagswelt in die Andere Welt und damit das Hereinbrechen des Ungewöhnlichen und Abenteuerlichen markieren, korreliert in der Lyrik der Lustort, eingehegt oder nicht, in der Regel mit der Empfindung des Liebenden, indem er ihn entweder zur Hochgestimmtheit beflügelt oder erst recht das Unglück der unerwiderten Liebe als Dissonanz fühlen lässt. Gelegentlich kann in einer epischen Einleitung der Dichter erzählen, dass er sich einst einem solchen Lustort mit Blumen, Gras, Baum, Vogelsang und Quell genähert habe, an dem ihm etwas Ungewöhnliches, etwa ein Traum, widerfahren sei (vgl. Walther 94,11–20). In fast allen Fällen dienen aber auch hier Baum und Kraut, under der linden an der heide (Walther 39,11f.), ähnlich dem Vogelsang, lediglich als Kulisse, und nur ganz selten wird die Pflanzenwelt einer detaillierten Aufmerksamkeit gewürdigt. Wir haben eine solche Stelle schon bei Tannhäuser kennengelernt (s. oben S. 41). Bei Kol von Niunzen entsteht folgende kleine Geschichte aus der Mehrdeutigkeit des Wortes „Dorn“: „‚Fräulein Dame, wenn ich Euch in einem Wald hätte, das wär mir lieber als der Kranz, den Ihr da von mancherlei Blumen zusammengesucht habt.‘ – ‚Knappe, gebt Euren Wunsch auf … Ginge ich mit Euch in den Wald, so möchte mich vielleicht ein Dorn stechen. Dann schlüg mich zu meinem Zorn die Mutter.‘ – Er nahm sie an der weißen Hand und führte sie in den Wald, wo kleine Vöglein allerlei Lieder sangen, über einen schmalen Steig unter eine mächtige grüne Linde. Da ist aus dem kecken Mädchen eine ebenso schöne Frau geworden. Er legte das edle Fräulein ins grüne Gras […]“ (KLD I, 218; Abb. 5). Das musste natürlich ein „schöner Wald“ sein, nicht der Schreckenswald Dantes. Auch Walthers von der Vogelweide „Traumlied“ (74, 20) versetzt die Liebenden an einen Lustort voll weißer und roter Blumen: „immerzu fielen Blüten vom Baum zu uns ins Gras hernieder“ (75,19f.).
5: Der Sänger (Kol von Niunzen) führt das Mädchen in den Wald.
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Gelegentlich wird der Lustort zum Schauplatz eines dramatischen Wetteifers der Pflanzen selbst. Der Ire Sedulius Scottus verfasste Mitte des 9. Jahrhunderts ein kleines Gedicht über den ‚Wettstreit von Rose und Lilie‘ (De rosae liliique certamine), in dem der Frühling den Wettstreit der Blumen schlichtet. Während bei Walther (51,34ff.) den entzückenden Streit ‚dû bist kurzer, ich bin langer,‘ alsô strîtents ûf dem anger, bluomen unde klê der Mai höchstselbst entscheidet, bleibt jener der Blumen im Tristanroman Gottfrieds (16749–16753) offen. Albertus Magnus macht sich im 7. Buch seiner Schrift De Vegetabilibus Gedanken über die Domestikation wilder Pflanzen und die dabei eintretenden Veränderungen. In diesem Zusammenhang entwirft er auch (cap. 14) einen Plan zur Anlage von viridaria ‚Ziergärten‘. So bezeichneten schon die Römer einen Lustgarten im Gegensatz zum Nutzgarten, dessen gebräuchlicher Name hortus war. Hier kann ich auf Heinrich Balss (1947, 180–182) und Dieter Hennebo (1923–2007), den Nestor der Hortikulturforschung, zurückgreifen, der sich ausführlich mit Alberts Angaben auseinandergesetzt hat (1987, 37–47), aber auch sehr intensiv auf orientalische (byzantinische, arabischmaurische) Vorbilder der mittelalterlichen Gartenkultur eingeht (vgl. auch die Studien von Thacker, 1997). Zunächst fordert Albert zur Erquickung des Auges „feines, nicht zu hohes Gras“, das – in eigentlich sehr moderner Form – als Rasensoden auf den Grund, der, gut umgegraben, von allen Wurzeln befreit und mit kochendem Wasser übergossen worden war, aufzulegen ist. Weiters wird der Rasen gut begossen, mit Holzhämmern bearbeitet und festgestampft, damit er absolut trittfest ist, denn kiesbestreute oder andere befestigte Wege – außer zwischen den Beeten – scheint es über die Wiese kaum gegeben zu haben. „Der Rasen soll in solchen Ausmaßen angelegt werden, daß dahinter in einem quadratischen Ausschnitt alle Arten aromatischer Kräuter, wie Raute, Salbei, Basilikum gepflanzt werden und desgleichen alle Arten von Blumen, 196
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6: Meister E. S. (um 1460): Liebespaar auf einer Rasenbank. Daneben der Blumentopf nach Art eines zinnenbewehrten Turms.
wie Veilchen, Akelei, Lilie, Rose, Schwertlilie und Ähnliche. Zwischen diesen Kräuterrabatten und dem Rasen soll ein erhöhtes Rasenstück angelegt werden voll lieblicher Blumen und in der Mitte zum Sitzen geeignet, wo die Sinne sich erholen und man sich ergötzlich ausruhen kann.“ Seitlich oft noch mit Brettern abgestützt, ergibt sich so eine schöne strapazierfähige „Rasenbank“, wie sie auf vielen spätmittelalterlich-frühneuzeitlichen Bildern zu sehen ist (Abb. 6). „Auf dem Rasen sind gegen die Sonnenseite hin Bäume zu pflanzen oder Weinreben hochzuziehen, durch deren Laub der Rasen gewissermaßen geschützt wird und die ergötzlichen und erfrischenden Schatten spenden. Von solchen Bäumen erwarte man mehr Schatten als Früchte, daher kümmere man sich nicht um Bodenbearbeitung und Düngung, welche dem Rasen nur Schaden zufügen. Man muß sich in Acht nehmen, daß die Bäume nicht allzu dicht stehen, weil die Abhal197
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tung der frischen Luft die Gesundheit beeinträchtigen könnte. Deshalb will der Lustgarten freie Luft und Schatten haben. Dann muß man sich davor hüten, daß die Bäume bitter sind, weil deren Schatten zu Schwächezuständen führt, wie das bei der Welschnuß und anderen Bäumen der Fall ist. Die Bäume sollen vielmehr süßer Natur sein, mit wohlriechenden Blüten und angenehmem Schatten, wie das bei den Weinstöcken, den Birn- und Apfelbäumen, den Granatäpfeln, dem Lorbeer und den Zypressen der Fall ist.“ Der aus etymologischen Gründen (s. oben S. 20) schädliche Schatten des Nussbaums und der gesunde der Zypressen (s. oben S. 170) sind uns schon bekannt. In der Ecbasis captivi ‚Das Durchbrennen eines Gefangenen‘ genannten allegorischen Tierdichtung des 10. oder 11. Jahrhunderts ruht der kranke Löwe im bekömmlichen Schatten der Eiche inmitten duftender Kräuter, die um einen reinen und lebendigen, von allem Schlamm freien Quell wachsen (V. 590–593). „Hinter dem Rasen aber herrsche die Mannigfaltigkeit der Heilkräuter und Gewürzpflanzen, welche nicht nur durch ihren Duft erquicken, sondern auch durch die Vielfalt der Blüten das Auge erfreuen und durch ihre Vielgestaltigkeit den Blick des Beschauers auf sich lenken. Solchen Anlagen sollte vor allem die Raute beigefügt werden, weil sie ein schönes Grün hat und durch ihre Bitterkeit die giftigen Tiere aus dem Lustgarten verjagt.“ Auch hier nimmt die edle Weinraute (s. oben S. 151f.) unter den Gartenpflanzen einen besonderen Ehrenplatz ein. Jedoch der locus amoenus des Gartens lässt sich noch vervollkommnen: „In der Mitte des Rasens aber sei kein Baum, sondern eine glatte Fläche, so daß man sich an gesunder und freier Luft erfreuen kann, auch behindern und bedecken dann nicht die zwischen den Baumzweigen ausgespannten Spinnennetze die Gesichter der Hindurchgehenden, wie das der Fall wäre, wenn der Rasen mit Bäumen bepflanzt ist. Wenn die Möglichkeit gegeben ist, soll eine klare, in Stein gefaßte Quelle in die Mitte geleitet werden, weil deren Reinheit viel Vergnügen macht. Nach Norden und nach Osten sei der Lustgarten geöffnet wegen der Gesundheit und Reinheit der hier einströmenden 198
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Winde. Nach den entgegengesetzten Windrichtungen, nach Süden und Westen sei er geschlossen wegen der Heftigkeit und Unreinheit der Winde. Wenn auch der Nordwind die Fruchtbildung verhindert, so bewahrt er doch in wunderbarer Weise die geistige und körperliche Gesundheit der Menschen, wie ja vom Lustgarten Erquickung verlangt wird und keine Frucht.“ Hennebo betont, dass das viridarium des Albertus den Typus des Wurzgartens (Kräuter- und Blumengartens) mit dem des Wiesen-Baumgartens vereint. Der materielle Nutzen eines Gemüse- und Obstgartens bleibt ausgespart. Auch von Pietro Crescenzi kennen wir einen um 1305 entstandenen Entwurf eines Lustgartens, der jedoch schon deutlich den Alberts aufgreift, allerdings eher einen herrschaftlichen Park von etwa 20 Joch (ca. 70.000 m2) im Auge hat. Bei ihm soll der Garten durch einen Wassergraben, eine Rosenhecke und eine Mauer eingefriedet und im Norden mit einem Gehölz bepflanzt sein, das auch einen Tiergarten enthält. Eine Quermauer trennt ihn vom eigentlichen viridarium, das dem Alberts hinsichtlich der Rasenbank, den Blumen und Kräuterrabatten und der zentralen Quelle nachgebildet ist. Im dritten Abschnitt befindet sich die Villa umgeben von Fischteichen (Hennebo, 1987, 46f.). Bei schönem Wetter scheint man in höfischen, später auch in bürgerlichen Kreisen einen großen Teil des Tages im Garten verbracht zu haben. Man baute dort gezelte und pavilûne und turnierte, man flirtete, diskutierte und unterhielt sich dort, badete, schlief – nicht unbedingt allein, wie wir aus dem Tristan Gottfrieds (18143–18202) ersehen –, musizierte, tafelte, spielte Schach, Karten und Gesellschaftsspiele, was Hennebo (1987) alles mit reichem Bildmaterial belegt. Ein besonders kurioses Spiel bestand darin, Gras auszureißen und dem anderen, wenn er gerade den Mund aufmachte, hineinzuwerfen. Ulrike Hirhager hat diesem seltsamen Gesellschaftsspiel eine kluge Studie gewidmet (Hirhager, 1998). Ein ähnlich unbeschwertes Naturleben führen nach verbreiteter spätmittelalterlicher Vorstellung auch die „Wilden Leute“ (dazu J. Schewe, in: LCI 4, 531), ein höchst bemerkenswerter sagenhafter 199
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Menschenschlag, an dessen Existenz man weithin glaubte, so etwa Heinrich von Hesler, der 1333 bezeugt scheint. In seiner Apokalypse (20049–20074) nennt er ihn „die Wilden Leute, die wir noch heutzutage in mancherlei Formen antreffen: in Sümpfen und in Wäldern, in Gewässern und Gebirgen, in Höhlen und im Dickicht, wo sie sich vor uns verbergen und verstecken mögen, und die nach ihren Körperformen wie Adamskinder scheinen und auch nach ihrer menschlichen Vernunft Gottes Geschöpfe sind. Ob über diese dereinst günstig geurteilt werden wird oder ob sie verloren seien sollen und sich den Teufeln zugesellen, das muß der Gnade Gottes überlassen sein.“ „Wilde Leute“ sind ein Lieblingsthema der gotischen Wandbehänge und Tapisserien, sie wurden bei Festumzügen gemimt, sogar vom französischen König, der im Jänner 1393 als Wilder Mann verkleidet Feuer fing (Birkhan, 1989b). Die Welt der als unschuldig gedachten Wilden Leute ist also eine Art eigenständiger Kulturwelt in der Natur. Sie leben im Wald, der entweder als locus amoenus gekennzeichnet ist oder in dem sie sich etwa mit einfachem Flechtwerk einen Garten angelegt haben, wo sie wie die Menschen unserer Welt wirtschaften und feiern, z. B. eine Minneburg erstürmen (Abb. 7). In ihrer Unschuld sind sie meist unbekleidet – sie haben ja ein Fell –, als Wappenfiguren und bei Aufzügen tragen sie oft primitive Kleidung aus Laub, wie man das den Ureltern zuschreibt, wie es aber auch alter Asketenbrauch ist, etwa des hl. Paulus von Theben (3. Jahrhundert). Auch in der Ernährung durch Kräuter und Wildfrüchte, vergleichbar dem hl. Onuphrius von Ägypten (um 400), der 60 Jahre nur von Datteln lebte, wirken sie wie „innerweltliche Asketen“, die wohl auch auf dem Einhorn reiten können, das sonst nur der keuschen Jungfrau zugeht. Es gibt auch die Vorstellung eines letztlich aus Automaten bestehenden Kunst-Gartens. Aus Metall (Bronze oder Messing) hergestellte Bäume mit zwitschernden oder flötenden Vogelautomaten sind der mittelalterlichen Literatur nicht fremd, seit man derlei in Byzanz gesehen und Liutprand von Cremona (um 968) es beschrieben hatte (Hennebo, 1987, 120–125). 200
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7: Wilde Leute, auf Fabeltieren reitend, erstürmen die im lieblichen Wald gelegene Minneburg.
Heinrichs von Neustadt Roman Apollonius von Tyrlant (um 1300) übertrifft aber an Raffinesse alles Frühere. Im „Goldland“ Chrysa, dessen jungfräuliche Landesherrin Diomena der Held erringt, werden er und seine Freunde von König Candor zunächst in einen wurzgarten geführt, den ein automatischer Riese bewacht. Kleine frühere Tugendverfehlungen verhindern, dass die Gesellschaft den Garten betreten darf. Nach zweimaliger Beichte in einem Venustempel sind die sittlichen Voraussetzungen zum Betreten des Gartens mit seinem Seelenspiegel und Jungbrunnen gegeben. „In dem Garten wuchsen edle Bäumchen, die Muskatnüsse, Muskatblüten, Kardamon und Nelken trugen. Lerche und Nachtigall ließen ihre süßen Stimmen ertönen, Sittiche und Haubenlerchen wetteiferten im Gesang miteinander, und auch den herrlichen Pelikan konnte man im Garten umhergehen sehen.“ Aber den eigentlichen Höhepunkt bildet der Kunstgarten der Prinzessin. Sie gingen „durch den Garten hindurch, wo es nach Balsam duftete. Apollonius sah nun ein zweites Himmelreich vor sich, das dem anderen glich. Er wußte nicht, was es war, er sah nur eine Mauer aus Hyazinth und Balas, die, eine Elle hoch aufgeführt, mit Zinnen besetzt war […]. An den Zinnen standen Bäumchen von rotem Gold, die überaus 201
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prächtige Mauer war viereckig und umschloß ein Quadrat. Da lagen nun viele Edelsteine: schneeweiße von der Farbe des Elfenbeins, ein anderer grasgrün, dieser blau und jener rot. Sie bildeten innerhalb der Mauer den Estrich und als Einlegearbeit hübsche Figuren. Das Geviert war etwa vier Speerlängen breit und mit den schönsten Bänken, die jemals ersonnen werden konnten, meisterhaft eingegrenzt. In der Mitte stand ein Baum […]. Er war aus Gold getrieben und etwa zwei Speerlängen hoch, sodaß die Äste über das Mäuerchen reichten. Auf dem Baum saßen Vöglein, die, auf vielfältige Weise aus Gold gefertigt, auf dem Baum verteilt waren, hier drei, dort vier und von verschiedenen Farben. Das Laub des Baumes glänzte hell. Vier meisterlich angelegte Türen führten in den Baum hinein, auf denen sich viel edles Bildwerk, zahme und wilde Tiere, gegossen und getrieben, befand […] da entfaltete sich der Baum, das goldfarbene Laub begann zu erklingen, als ob der Wind darin wehte, und klang und klang fort. Die Vöglein begannen zu tirillieren […]“ (Apollonius, 192, 196–198, 206f., 210, 212f.). Natürlich ergeht sich die Schilderung mehr im Vogelkonzert als der jener künstlichen Flora, da die mechanischen Vögel ungleich mehr Anlass zur Bewunderung bieten. Immerhin ist die Idee einer künstlich mechanischen Pflanzenwelt dem Mittelalter keineswegs fremd gewesen. Älter als der Apolloniusroman sind entsprechende Schilderungen in Albrechts „Jüngerem Titurel“ (392,1) sowie die „Rosengartenbruchstücke“ und der „Wormser Rosengarten D“ (MIGSN 4, 119–140), Texte von einer mit einem vaden umgebenen Rosenpflanzung, die in öden Zweikampfserien die rheinischen Helden um Siegfried und die östlichen um Dietrich von Bern aufeinanderprallen lassen, was solchen Gefallen fand, dass man überhaupt Turnierplätze als „Rosengärten“ bezeichnete, so 1311 in Rostock. Ulrich von Liechtenstein nennt seinen Turnierplatz bei Kraubath in der Steiermark immerhin pluomen velt (Frauendienst, 1420,2). In beiden Rosengartenversionen wird erwähnt, dass Kriemhild im Inneren einer Linde einen Blasbalg versteckt habe, mit dessen Hilfe durch ein Röhrensystem die auf der Linde montierten mechanischen Vögel zum Singen gebracht wurden. Die Linde selbst war mit roter Seide verkleidet (MIGSN 4, 126, 131). 202
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Das Schmücken von Pflanzen etwa durch Bänder scheint da und dort vorgekommen zu sein. In seinem Rosengarten hat König L aurin allerdings die Rosen mit kostbaren Borten, Gold und Edelsteinen geschmückt. Hennebo (1981, 101, 104) wies dazu, gestützt auf den Kunsthistoriker Hans Sedlmayr, auf die Vorstellung der Blumen als Edelsteine und den orientalischen Brauch des Blütenschmucks hin. Einen Salto mortale dieses Brauchs beobachtete ich 1962 bei einem älteren griechischen Mönch auf dem Berg Athos. Er hatte eine blühende Kamelie dadurch „geschmückt“, dass er neben jede Blüte eine Knoblauchzehe gehängt hatte. Auf meine erstaunte Frage nach dem Grund teilte er mir mit, der Knoblauch diene der Askese, indem er durch seine Hässlichkeit die Schönheit der Kamelienblüte sozusagen neutralisiere! Gegen Ende des Mittelalters ändert sich zwar die Form der Gärten, indem sie sich in den herrschaftlichen Park und Schlossgarten einerseits und den bürgerlichen Garten, der Wurz- und Baumgarten kombinierte und vor der Stadt lag, andererseits weiterbildete, jedoch das Verhältnis der Menschen zu Baum und Kraut nur insofern, als sich das magisch-naturwissenschaftliche Wissen weiter verbreitete. Es äußert sich im Interesse an Kräuterbüchern wie dem Gart der gesundheit (s. S. 34–37), aber auch in der Anlage botanischer Gärten, so bereits 1333 in Venedig und 1350 in Prag. Schon 1492 ist das reizvolle Arboretum von Trsteno bei Ragusa (jetzt Dubrovnik) bezeugt. Im 16. Jahrhundert entstanden an vielen Universitätsorten wie Pisa, Padua, Florenz, Bologna, Leipzig, Jena und Heidelberg botanische Gärten, die meist den Medizinischen Fakultäten angeschlossen waren.
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5. dIE PflanZE hat rEcht – symbol und norm
E
s ist keineswegs erstaunlich, dass Pflanzen auch im Rechtssystem eine große Rolle spielen, (1) indem das Recht die Verfügung über sie normt und (2) durch zeichenhafte Verwendung in der Rechtssymbolik, wobei wir in deren Rahmen als eine spezielle Form die Heraldik kennen.
das rEcht dEr PflanZE Natürlich musste die Pflanzennutzung rechtlich geregelt werden. So bestimmt der so maßgebliche Sachsenspiegel (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts) das Eigentumsrecht an Holz und Gras (in Landrecht II, § 28, 3): Wer nachts gemähtes Gras oder geschlagenes Holz stiehlt, soll gehenkt werden. Wer bei Nacht Korn stiehlt, kommt an den Galgen, wer es bei Tag stiehlt, wird enthauptet. Wenn ein Reisender sein Pferd im Acker grasen lässt, aber nichts mit sich nimmt, zahlt er den Wert des Korns (II, § 68; Koschorreck, 1976, 64). Wenn sich Hopfen über den Zaun rankt, dann ziehe der, auf dessen Seite sich die Wurzel befindet, den Hopfen zu sich, was drüben bleibt, gehört dem Nachbarn oder in der Rechtssprache: „Wer die Wurzel im Hof hat, greift nach dem Zaun“ (§ 52, 1; Koschorreck, 1976, 114f.; 205
5. Die Pflanze hat recht – symbol und norm
Abb. 8 [3]). Wer zuerst zur Mühle kommt, mahlt auch zuerst (§ 59, 4). Niemand darf beim Jagen und Hetzen die Saat von der Zeit an, zu der das Korn Knoten angesetzt hat, beschädigen (§ 61, 5). Wer das Land anderer pflügt und vom Bauermeister gerügt wird, muss 3 Schilling zahlen, weigert er sich, in der höheren Instanz 30 Schilling. Das gilt auch für Genossenschaften und weist auf das Problem strittigen Eigentums (Ldr. III, § 86, 1). Sehr viel gäbe es über den Wald zu sagen. Im römischen Siedlungsgebiet war der natürliche Urwald mancherorts weitgehend abgeholzt worden, was mit der aufwendigen Thermenheizung, dem fortgeschrittenen Köhlerwesen und auch damit zusammenhängt, dass man die guten Lagen, wie etwa im Tal der Mosel, bis zu einer gewissen Höhe für den Weinbau rodete. Dort, wo noch der Urwald erhalten blieb – und das war in Skandinavien und dem größten Teil, nämlich 96 Prozent, von Mittel- und Westeuropa der Fall (Hiestand, 1991, 46) –, galt er als das „Draußen“, eine Art „Anti-Welt“ (was man lat. desertum oder eremus ‚Wüstenei‘ nannte und funktionell der wirklichen Wüste ägyptischer Mönche entsprach), von Ungeheuern aller Art, etwa Drachen, aber auch von Wilden Leuten und Monstren wie dem Waldmenschen im Iwein-Roman bevölkert. Eine Wildnis also, der man sich höchstens am Rand, wo noch die als Grenze und zur Pechgewinnung mit den lâchen ‚eingehauenen Zeichen‘ markierten Lachbäume standen, näherte. An ihnen und markanten Grenzbäumen, arbores terminales, orientierte man sich. Viele unserer Volksmärchen haben diese Vorbehalte gegenüber dem „wilden Wald“ erhalten. Im Wald lebten vargar ‚Wölfe‘, „Friedlose“ oder „Waldgänger“ genannte Geächtete, Räuber und Outlaws wie etwa die hochmittel alterliche englische Sagengestalt des Robin Hood, der Prototyp des good outlaw, im Übrigen vielleicht eine mythische Figur, oder Ende des 12. Jahrhunderts die norwegischen Birkebeiner, die diesen Namen trugen, weil sie als Kälteschutz im Winter ihre Unterschenkel mit Birkenrinde umhüllten. Nach altnordischem Recht wurde ein Geächteter seiner Acht ledig, wenn er drei andere „Waldgänger“ erschlagen hatte (HRG s. v. Waldgänger). Schon aus dem Frühmittelalter stam206
das Recht der Pflanze
8: Szenen aus dem Sachsenspiegel (von o. nach u.): [1] Der Herr gebietet über 3 Forste und Wildbann. [2] Rosen bezeichnen die Rechtsgewalt über die knieenden Deutschen, Wenden, Eigenleute und Freien. [3] „Ich verfüge über das, was auf meiner Seite über den Zaun hängt.“ 207
5. Die Pflanze hat recht – symbol und norm
men die halb sagenhaften Gestalten Suibhne Geilt, ‚Mad Sweeney‘ in Irland, und Myrddin Wyllt, der ‚Wilde Merlin‘ in Britannien. Ist der mittelalterliche Wald wie der Dantes una selva oscura […] selvaggia […] aspra e forte (I, 2, 5) und damit Abbild der dunklen, sündigen Welt, in die wir verstrickt sind, ohne dass uns ein Binsenlicht leuchtet, so ist er doch auch ein Ort der Hoffnung, denn er ist in den Erzählungen nicht nur von kriminellen oder zweifelhaften Gestalten bewohnt, sondern auch von Einsiedlern, die eben das unfreundliche Ambiente als Element ihrer Buße angenommen haben und in Romanen wie dem „Prosa-Lancelot“ geradezu allgegenwärtig sind. Ja, unter dem Eindruck des Topos vom locus amoenus (s. oben S. 187) konnte der wilde geradezu zum „schönen Wald“ werden, wie ihn die Münchner Handschrift von etwa 1225 (clm. 4660, fol. 64v) der Carmina burana wohl zur Einstimmung in das Pastourellengeschehen abbildet (Abb. 9). Dort führten dann auch die Wilden Leute (s. oben S. 199f.) ihr unschuldig-beschauliches Leben. In einzelnen Landstrichen wurde zwar mit fortschreitendem Mittelalter der Wald weitgehend zur Intensivierung des Schiffbaus abgeholzt, so etwa in der Rhön der ehemals riesige Buchenwald Bācenis silva der Römer und Buochona in althochdeutscher Zeit. Aber im Großen und Ganzen und vor allem im Gebirge bildete der Urwald noch lange eine dominierende Landschaftsform, deren Nutzung natürlich durch Gesetze geregelt war. Es ist selbstverständlich, dass der Rand des großen Waldes wirtschaftlich genutzt wurde, vom Holzfäller, vom Köhler, von der Glashütte, vom Jäger, vom Zeidler (Imker) und natürlich von den anwohnenden Bauern. Abgesehen von Waldprodukten wie Kräutern und Beeren bestand die „raubwirtschaftliche Nutzung“ vor allem in der Eichel- und Bucheckernmast der Schweine und der Beweidung, die das Grünfutter für das Vieh lieferte. So wurden die Wälder allmählich „aufgelichtet“, vom dicht geschlossenen Naturwald zum „Hutewald“, in den das Vieh (Schweine, Rinder, Schafe, Ziegen und Pferde) zur Weide getrieben wurde. Es verzehrte die bodennahen krautigen Pflanzen, aber natürlich auch die Baumtriebe und Knospen. Durch die Zerstörung 208
die heilpflanzen bei konrad und hildegard
9: Das Ideal des „Schönen Waldes“ mit wilden und Fabeltieren (um 1225).
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des jungen Baumwuchses entstand die parkartige Landschaft der „Hutweide“, Wälder, die kaum Unterwuchs hatten und aus alten Bäumen mit weit schattenden Kronen bestanden, im Grunde jene Naturform, die wir als locus amoenus oder „schönen Wald“ romantisch verklären. Natürlich hatte dies Auswirkungen auf den Wildbestand sowohl der Pflanzenfresser als auch der Raubtiere und konnte zu Konflikten mit den Jagdherren führen, die wieder nach rechtlicher Lösung verlangten. Eine weitere Folge war eine gewisse Artenverarmung, da das laubfressende Vieh Eschen, Ulmen, Birken, Linden, Ahorn und Hasel bevorzugt. Der Waldboden wurde mancherorts zur „Plaggendüngung“ abgetragen. Dabei entfernte man die obere verkrautete Humusschicht und nutzte diese im Stall als Streu. Danach wurde sie mit dem Tierkot vermischt als Dünger auf das Feld gebracht. „Zur Regeneration der abgeplaggten Flächen waren dann 15 bis 20 Jahre notwendig“ (Gerstenauer, 1991, 19). Die jungen Triebe der Bäume wurden abgeschnitten („geschneitelt“) und in Lauben zu „Laubheu“ getrocknet, das man im Winter als Futter verwendete. Um diese bereits seit der Jungsteinzeit üblichen Verfahren kreisen die etymologischen Erklärungen des Linguisten Jost Trier (1894–1970), dessen Bücher dann etwa Namen wie „Venus. Etymologien um das Futterlaub“ (Köln – Graz 1963) tragen. In kühnen – heute oft nicht mehr geglaubten, aber immer noch höchst anregenden – Verbindungen werden hier Venus mit Wonne und gewinnen, Laub mit Liebe, lat. nemus ‚Hain‘ mit numerus ‚Zahl‘, gr. nómos ‚Gesetz‘ und nehmen zusammengebracht. Tatsache ist, dass das Schneiteln des Stockausschlages zu „abenteuerlichem“ Baumwuchs führen kann und jedenfalls die Dominanz der besonders ausschlagkräftigen Hainbuche fördert. Im ungünstigsten Fall konnten sogar baumlose Heideflächen entstehen wie im Fall der Lüneburger Heide, wo allerdings zusätzlich zum Heizen der Sudpfannen der Salzsole abgeholzt wurde. Bereits im 14. Jahrhundert begann man durch Laubholzsaat, besonders auch von Eicheln, und Kiefernachpflanzung mit einer Wiederaufforstung, etwa im Reichswald von Nürnberg, wo bereits 1420 die älteste Waldsamenhandlung der Gebrüder Hülpüchel bestand (Gerstenauer, 1991, 22). Im 13. Jahrhundert hatten sich Bauern schon weitgehend auf 210
das Recht der Pflanze
Getreideanbau festgelegt, was bedeutete, dass die Viehwirtschaft auf jene Gelände verlegt wurde, die nicht als Äcker infrage kamen. Das führte zur Konzentration der Viehhaltung in subalpinen Zonen mit Ausbau der Almen, was sich noch heute in der Dominanz der Lärche, mhd. larche (Lárix decídua) äußert, der „Hausbaum“ Konrads (s. oben S. 94), der gelegentlich mit mirre und zeder verwechselt wird, aber in den Kräuterlehren des Mittelalters keine große Rolle spielt. Die Lärchen „bieten Vieh und Boden Schutz, ohne die Bodenvegetation wesentlich in ihrem Wuchs zu beeinträchtigen“ (Gerstenauer, 1991, 23). Im Frühmittelalter war der erhaltene Wald zunächst in Königsbesitz und hieß ab dem 8. Jahrhundert mit einem neuen, etymologisch nicht ganz befriedigend geklärten Wort forestis ‚Forst‘. Der Sachsenspiegel (Landrecht II, 61, § 2) zeigt durch drei Bäume die drei sächsischen Bannforste an, in denen der König dem Baum und Wild Frieden wirkt (Abb. 8 [1]). Die Entwicklung der Forstverwaltung kann hier natürlich nicht im Einzelnen nachgezeichnet werden. Nach einer ersten Rodungsphase vom 7. bis zum 10. Jahrhundert mit der Urbarmachung herrenlosen Landes wurden im Laufe des Hoch- und Spätmittelalters immer mehr Königsrechte an die Kirche und weltliche Lehensleute abgegeben, wobei vom 11. bis zum 13. Jahrhundert im Rahmen eines großen Landesausbaues, einer zweiten Phase der Binnenkolonisation, die auch wesentlich an den Stand der Ministerialen gebunden war, weite Teile des Urwaldes in Siedlungsland verwandelt wurden. Damals entstanden etwa im österreichischen Waldviertel die genitivischen Siedlungsnamen wie Göpfritz oder Walters nach einem Gotfrit oder Walter, die hier in herrschaftlichem Auftrag die Rodung durchgeführt hatten. Walther von der Vogelweide beklagt in seiner „Alters-Elegie“ (124,10), dass ihm das Land seiner Jugend fremd geworden ist, weil der walt verhouwen ‚abgeholzt‘ sei, nur das Wasser fließe noch wie ehedem. In einem anderen Lied bittet er Herzog Leopold VI., ihn doch „bei den Leuten“, also bei Hof, zu lassen und nicht etwa in das Gebiet, das urbar gemacht werden sollte, zu schicken, da er nicht roden könne (35,17f.). Neben dem mhd. riuten ‚reuten, roden‘, das in vielen Ortsnamen auf ‑reut und ‑rode weiterlebt, verwendete man das Verbum mhd. swenden, 211
5. Die Pflanze hat recht – symbol und norm
eigentlich ‚verschwinden machen‘, das gleichfalls im Ortsnamenschatz seine Spuren hinterlassen hat. Man konnte, wie Wolfram, metaphorisch jemanden, der in Schlacht oder Turnier viele Speere brach, einen walt swenden nennen (Pz. 57, 23) und mit Umkehrung der Metapher einen tüchtigen Turnierer mit Ulrich von Liehtenstein (Frauendienst, 656, 2) einen Swendenwalt. Bei großen Rodungen wurden die Bäume gewöhnlich so gefällt, dass man bodennah um den ganzen Stamm herum Rinde und Kambium entfernte, worauf der Baum abstarb. Darauf setzte man den dürren Baum in Brand. Die Wurzelstöcke der abgebrannten Bäume waren dann von Herrn und Knecht noch gemeinsam mühselig auszugraben, wie ein Kärntner in seiner Reimpredigt „Das Recht“ (etwa 1130– 1140) schildert (Str. 7). Die an der Rodung beteiligten unfreien Bauern konnten durch den Rodungsakt Freiheit erlangen. Doch widerrechtliche Privatisierung, Wüstlegung im Hochwaldbestand an Eichen und Buchen sowie im Niederwald Schädigung des Unterholzes, unzeitige Eichelmast oder Viehtrieb, all das wurde nach dem Forstrecht drakonisch bestraft, im Wiederholungsfall sogar mit dem Tod (vgl. Semmler, 1991, 133). Wurde der Baum unerlaubterweise entrindet, so beging man einen „Baumfrevel“, ein – überraschenderweise – angeblich todeswürdiges Verbrechen, das nach Weistümern des 16. und 17. Jahrhunderts sehr grausam durch Ausdärmen zu ahnden war. Dabei sollte dem Täter die Bauchdecke geöffnet, ein Darm an die verletzte Stelle des Baums genagelt und der Delinquent so lange um den Baum getrieben werden, bis die Baumwunde durch seine Gedärme bedeckt war. Da es aber keine chronikalischen Berichte über diesen ungewöhnlichen Strafvollzug gibt, nimmt man an, dass das Weistum nur zur Abschreckung dienen sollte (HRG s. v. Ausdärmen). Jedenfalls ist die Tradition für die Einschätzung des Baumes mentalitäts- und kulturgeschichtlich interessant, denn inzwischen hatte er sich als schützenswert erwiesen. Die Abholzung war weit vorgeschritten. Dazu trugen u. a. die Fachwerkbauten in den Städten, der Gerüstebau und das Gebälk der nun errichteten Kathedralen, der Bergwerksbau unter Tag mit seinem Bedarf an Stollenholz bei, vor allem auch die Holzkohlenproduktion, die ja die Voraussetzung der Metallverarbeitung war. Sie war auch bei 212
Die Pflanze als Rechtssymbol und wappen
der Glaserzeugung unabdingbar, doch war diese darüber hinaus auch auf Pottasche als Flussmittel angewiesen, die sehr holzintensiv meist aus Buchenholz erzeugt werden musste. All das hatte den Wäldern so sehr zugesetzt, dass der Waldbestand in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts auf ein nie wieder in der Geschichte erreichtes Maß zusammengeschrumpft war, es also weniger Wald als heute gab. Erst als die große Pest von 1347–1353 die Bevölkerung um ein Drittel dezimierte, griff der Wald wieder um sich. Viele alte Rodungsorte verfielen und ergaben Wüstungen wie Walters oder Pfaffenschlag im Waldviertel, die heute wieder von den Mittelalterarchäologen erforscht werden. Danach führte die intensive Waldnutzung zu einer Zunahme rechtlicher Verordnungen. Der Übergang auf mineralische Kohle bewirkte, dass der Wald allmählich nur mehr als Bau- und Brennholzlieferant gesehen wurde, was Auswirkungen auf die Baumarten hatte. Der Prozess der Wiederaufforstung dauerte Jahrhunderte, und so sind wir erstaunt, auf alten Stichen von Landschaften etwa des Mariazeller Landes die Berge kahl und abgeholzt zu sehen, deren Flanken heute dichten, fast urwaldartigen Bewuchs zeigen. Auch die Klimaverschlechterung um 1550, die man heute oft als „Kleine Eiszeit“ bezeichnet, hatte natürlich Auswirkungen auf den Wald, nicht so sehr in seiner Ausdehnung als vielmehr hinsichtlich des Artenbestandes. Doch davon kann hier nicht mehr die Rede sein.
dIE PflanZE als rEchtssymbol und waPPEn Ein klassischer Fall einer Pflanze als Rechtssymbol ist der der Linde. Denn der Ort der mittelalterlichen Rechtsprechung befand sich oft unter einer – meist „geleiteten“ – Linde (s. oben S. 92f.), vielleicht auch einer Eiche wie jener in Dausenau (Rheinland-Pfalz), und war manchmal eingehegt. Solche Gerichtslinden oder Dorflinden, wo nach den Weistümern gerichtet wurde (Demandt, 2002, 186–189), sind u. a. in Collm in Nordsachsen, Bordesholm in SchleswigHolstein und Schluttenbach im Landkreis Karlsruhe erhalten. Unter mancher der Dorflinden entspringen auch Brunnen wie etwa in 213
5. Die Pflanze hat recht – symbol und norm
Mürsbach (Landkreis Bamberg), wo sich übrigens auch eine (frühneuzeitliche) Gerichtshalle mit sechs Steinsitzen befindet. Wie wir aus dem Ring des Wittenwiler (3517f.) ersehen, musste das Urteil von den Schöffen sitzend gefunden werden. Der Steinsitz ist einerseits Bild des Beständigen, wie es das „gute, alte Recht“ selbst ist, andererseits eine magisch bedeutsame Verbindung zur Erde. Als Rechtssymbol erscheint etwa in den Sachsenspiegelminiaturen die Rose, bald rot, bald grün oder auch unbemalt. Sie bezeichnet immer das Urteil. So sieht das Landrecht (III, 69, § 2) vor, dass Schöffen und Richter bei der Urteilsfindung über Deutsche, Wenden, Eigenleute oder Freie nüchtern sein müssen. Die Abbildung zeigt vier durch ihre Tracht in ihrer Zugehörigkeit zu den genannten Gruppen gekennzeichnete Knieende, über denen sich vier grüne Rosen (mit untypischen sechs Blumenkronblättern) befinden (Koschorrek, 1976, 78f.; Abb. 8 [2]). In der großen Heidelberger (Manessischen) Liederhandschrift sehen wir (fol. 178r) Bernger von Horheim in einer imaginierten Verlobungsgeste (die Dame legt ihre Hand in die des Minnedieners), darüber zur weiteren Erhärtung des Minne-Rechtsverhältnisses eine Ranke mit roten Rosen. Das Fantasiewappen Berngers enthält übrigens goldene heraldische Lilien auf blauem Grund (Abb. 10). Noch bedeutender ist die „Lilie“ als Herrschaftszeichen. Gemeint ist damit nicht die eigentliche Madonnenlilie (Lílium cándidum), die neben dem Schwert Christus als Weltenrichter auszeichnet (M. PfisterBurkhalter, in: LIC II, 100–102), sondern die Schwertlilie (Íris), gleichfalls eine wichtige Marienpflanze, die gewöhnlich golden oder silbern tingiert ist. Wir finden sie zuerst als Lilienszepter in der Hand Karls d. Kahlen (nach 860). „Durch ihren langen Stiel ist die Lilie verwandt mit dem Stab und wächst damit in dessen vielfältige Symbolik hinein“ (HRG s. v. Lilie). Im Eisenacher Rechtsbuch heißt es vom Szepter: daz ist eyn guldin ruthe, da vorne an stehit eyn zweifeldig lilie. Wem der 10: „Scheinbar“ – weil es sich im Lied als schöner Traum entpuppt – gelobt eine Dame dem Sänger Bernger von Horheim unter den blühenden Rosen ihre Liebe.
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die heilpflanzen bei konrad und hildegard
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5. Die Pflanze hat recht – symbol und norm
önig diese „Rute“ zuneigt, der hat seine Gnade. Die beiden Lappen K der Irisblüte bedeuten die zcwefeldige gnade des keysirs, daz ist gnade mit gebin und gnade mit vorgebin. Wenn der Kaiser den geistlichen Fürsten mit dem Lilienszepter Lehen verleiht, so bezeichnet dies, daz die geistlichin forstin habin er [ihr] lehin von des richis gnadin und nicht von rechte (ibid.). Im Sachsenspiegel wird der Friede durch eine aufrechte „Lilie“, der gebrochene durch eine geknickte dargestellt. Besonders deutlich im Landrecht (II, 66, § 1), wo gesagt wird: „Königsfrieden genießen alle Zeit Pfaffen, geistliche Leute, Mädchen, Frauen und Juden an ihrem Vermögen und ihrem Leben.“ Der rot gekleidete thronende Herr, vor dem die Repräsentanten der genannten Gruppen stehen, weist mit der Rechten auf eine gelb-blaue Iris. Landrecht III, 9, § 2 zeigt, wie jemand zwar durch Handreichung Frieden gelobt, aber insgeheim zu brechen gedenkt, indem er in der Linken eine geknickte „Lilie“ hält (Koschorrek, 1976, 50f., 56f.; Abb. 11 [3]). Gelegentlich kann die heraldische Lilie auch im religiösen Kontext erscheinen: so in einem Tympanon von Elstertrebnitz (12. Jahrhundert), auf dem eine heilige Person dem Pantokrator eine Lilie als Friedenszeichen entgegenhält, wobei auch der Paradiesbaum als Lilie gestaltet ist (Föhl, 1948, Sp. 65f.). Das Lilienszepter erwächst aus der rechtssymbolischen Bedeutung des Stabes (scipio) als Herrschafts- und Repräsentationszeichen (vgl. A. Voretzsch, in: LCI 4, 193–198) und wohl auch, wie bestimmte Hochzeitsbräuche zeigen, phallisches Symbol. Das gilt besonders für den Königsstab in der altnordischen Tradition, der ítrlaukr ‚hervorragender Lauch‘ heißt und natürlich an laukr als magische Kraft bezeichnendes Runenwort auf Brakteaten, im Zusammenhang mit der Völsi-Tradition und als Kriegerkenning denken lässt. Das sceptrum wurde bei den Römern zu einem Triumphzeichen mit Adlerbekrönung, wobei das florale botanische Element gänzlich zurückgedrängt wurde. Der Stab ist totes Holz, und es ist ein Wunder, wenn er, wie in der Tannhäusersage, austreibt. Das gilt ebenso für die anderen Stäbe mit reicher rechtssymbolischer Bedeutung wie den Königsstab, Bischofsstab, Marschallstab, Richterstab und den Stab des Fronboten oder Büttels, ja auch die „Keule“ (engl. maze) im englischen Parla216
Die Pflanze als Rechtssymbol und wappen
ment. Überbrachte der Bote ein Friedensangebot, dann sollte allerdings sein Stab frisch geschnitten oder frisch geschält sein, somit wohl noch Spuren der ursprünglichen Lebenskraft aufweisen. Der Stab ist also Hoheitszeichen und Symbol amtlicher Gewalt, aber auch ein Abzeichen all derer, die in dauerndem Dienst anderer stehen und in deren Namen Gewalt ausüben. Dementsprechend ist das Zerbrechen des Stabes Zeichen für Gewaltentzug bzw. Verurteilung. Nahe verwandt oder gar identisch mit dem Stab ist das Rechtssymbol der festuca, unter der man sich bald einen einzelnen Halm mit Knoten, einen Stab mit Inschrift oder eine Gerte (Haselrute) vorstellte. Die Überreichung der festuca bezeichnete im älteren germanischen Volksrecht die Herstellung eines Treue- und Wettvertrages (bei Bürgschaft, Adoption usw.), das Werfen der festuca, die exfestucatio, die Aufsagung, Lösung, Kündigung eines Rechtsverhältnisses. Man hat den Eindruck, dass bei der festuca der pflanzliche Charakter des Rechtssymbols als Spross sichtbarer war als beim Stab (HRG s. v. Festuca, Stab, Zepter). In dieser Hinsicht steht die festuca der gegabelten Zwiesel, dem Reis oder dem Zweig nahe. Letzterer ist stets grün belaubt, manchmal mit Blüten oder Früchten versehen, kann aber auch durch ein Halmoder Ährenbüschel, ja sogar durch ein Stück Rasensoden repräsentiert werden. „In den Bilderhandschriften des Sachsenspiegels erscheint das Zweigzeichen häufig, vor allem als Investitursymbol bei Belehnung und Lehenserneuerung wie bei der Bestellung der Anwartschaft auf ein Lehen, dem sog. gedinge. Der Widerruf einer Belehnung wird durch Umkehrung des Zweiges, bzw. auch Zerbrechen des Haupt astes dargestellt“ (HRG s. v. Zweig). Eine Miniatur des Sachsenspiegels (Lehensrecht, 20, § 5) zeigt, wie zwei Fürsten einem Vasallen ein Lehen in Form eines rot blühenden Zweiges anbieten. Der Dienstmann nimmt es von jenem, der selbst ein Fahnlehen hat (Abb. 11 [1]). Ein Fürst konnte nach dem Lehensrecht (5, § 21) auch zwei Personen mit dem gleichen Gut belehnen. Eine Person fasst mit der Hand nach den hinter ihr wachsenden Ähren, während der andere Dienstmann sich zunächst mit einem grünen Spross in einer runden Kartusche zufriedengeben muss, weil er nur die Anwartschaft erhält (Abb. 11 [2]). 217
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Ist der grüne Spross Zeichen des Nutzungsrechts und Fruchtgenusses, so ist der Strohwisch (mhd. schoup), angesengt oder nicht, Grenzzeichen, Flurzeichen oder ein Zeichen der Besitzergreifung und damit des Rechts, zu gebieten und zu verbieten. Die Idee ist, dass der schoup bezeuge, dass der, der ihn aussteckte oder aufstellte, das Recht zur Ernte und daher zur Gewinnung des Strohs, aber auch dazu habe, es abzubrennen. Eine sehr aussagekräftige Stelle findet sich im Parzivâl (Pz. 146, 20–30), wo der Rote Ritter Parzival erklärt, er hätte den goldenen Becher von der Tafel des Artus nicht geraubt, sondern als Zeichen seines rechtmäßigen Besitzes an sich genommen. Geradeso gut hätte er zum Zeichen der Landnahme einen Strohwisch nehmen und an einer Seite anzünden können, doch hätte er sich dabei vielleicht rußig gemacht, weshalb er den Goldbecher vorgezogen habe. Der Strohwisch ist immer ein Zeichen der Macht und Gewalt über etwas, kann daher an einem verbotenen Weg aufgesteckt werden, oder er bezeichnet die Anwesenheit des Königs, das Marktrecht oder das Vorrecht, Wein auszuschenken. Der grüne Buschen unserer Heurigen ist also der Nachfahre des schoubes (HRG s. v. Schaub) In mancher Hinsicht steht die Haselrute dem Strohwisch nahe. Haselgerten, in den Boden gesteckt, waren Zeichen eines Verbotes, vor allem im alten Skandinavien und in den alten Volksrechten. So bezeichneten sie den Sakralraum des Tempelumkreises (altfränk. in haraho), die Gerichtsstätte wird in der nordischen Überlieferung „eingehaselt“, also mit Haselstangen abgesteckt und mit „heiligen Bändern“ umzogen. Das ergab die Heiligung der Gerichtsstätte (inghelgi). Auch der Raum für gerichtliche Zweikämpfe war durch Haselstangen markiert. Wie archäologische Belege zeigen, geht diese Funktion der Hasel bereits in das germanische Altertum zurück (HRG s. v. Hasel). Ein weiteres Herrschaftszeichen ist der Reichsapfel, unserer heutigen üblichen Vorstellung nach ein Granatapfel, wie ihn Kaiser Maximilian auf einem Ölbild Albrecht Dürers (von 1519) hält, der als Bild des Erdballs die Herrschaft über diesen anzeigen soll. Jedoch die Bezeichnung als „Apfel“ ist hier sekundär. In der Antike heißt die Kugel, welche die Himmelskugel darstellen sollte und sich daher in der Hand 218
Die Pflanze als Rechtssymbol und wappen
11: Szenen aus dem Sachsenspiegel (von o. nach u.): [1] Zweigüberreichung bei Belehnung. [2] Ähren als Zeichen des Lehens und der Anwartschaft auf ein solches. [3] Die geknickte Lilie bezeichnet den beabsichtigten Friedensbruch. 219
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des Himmelsgottes, später des römischen Kaisers befindet, immer globus und so auch bis in das hohe Mittelalter. Erst Ende des 12. Jahrhunderts ist von einem pomum aureum ‚goldenem Apfel‘ die Rede. Diese „Herrschaftskugel“ trägt in der Regel ein Kreuz, das aber gelegentlich auch durch eine „Lilie“ ersetzt werden kann (HRG s. v. Reichsapfel). Auch die Krone, genetisch eine Kombination aus Helm und Lorbeerkranz, kann gelegentlich als Blumenkranz, etwa durch schwertlilienartige Spitzen, wie in den Sachsenspiegelminiaturen (Abb. 11 [2]) stilisiert sein. Das krenzel selbst, das schapel oder tschapel, hat vorwiegend erotische Symbolik (als Hymen) bzw. tritt in diesem Kontext am häufigsten auf. Es bezeichnet die jungfräuliche Unschuld, weshalb noch heute in Wien eine naive Person Tschapperl genannt wird. So ist auch als Abgeltung für die Defloration und die verminderten Heiratsaussichten eines Mädchens ein „Kranzgeld“ üblich gewesen (HRG s. v. Kranzgeld). Mädchen oder Frauen das schapel vom Kopf zu reißen, wie es die Bauernlümmel in der Neidhart’schen Poesie tun, bedeutet ihre Vergewaltigung. Gewissermaßen stellvertretend für eine Frau kann ein Blumenkranz (meist von Rosen) als Turnierpreis ausgesetzt sein. Viele Rechtssymbole sind so evident, dass sie keiner weiteren Interpretation bedürfen, so etwa das Züchtigungsrecht, das im Sachsenspiegel (Lehensrecht, 1) in etwas kurioser Weise erscheint: Ein bärtiger Alter unterrichtet einen Jungen, der den Unfähigkeitsgestus zeigt, im Lehnsrecht, wobei gegen mangelnden Lernwillen mit der in der Rechten erhobenen Rute gedroht wird (Koschorreck, 1976, 38f.). Manchmal sind bestimmte Pflanzen in besonderer Weise mit der Rechtsprechung verbunden, ohne dass wir heute den Grund des Zusammenhangs im Einzelnen verstehen. Das ist etwa bei der Verwendung des Beifußes (Artemísia vulgáris) als Bollan-bane ‚Weißwurz‘ oder Bollan-feaill-Eoin ‚Johannesabend-Wurz‘ im Rahmen der Tynwald-Zeremonie auf Cronk Keeill Eoin ‚Hill of John’s Church‘ auf der Isle of Man der Fall. Es ist der letzte noch praktizierte Rest der wikingerzeitlichen Thingsitzung des jetzt noch gesetzgebenden Parlaments von Tynwald. Die angeblich auf Man nicht heimische Pflanze, deren Gebrauch in die Wikingerzeit zurückgeht, muss eine 220
Die Pflanze als Rechtssymbol und wappen
bestimmte Bedeutung gehabt haben, die jetzt nicht mehr bekannt ist. Wahrscheinlich sollte sie dämonenabwehrend wirken. Heute gilt sie als die Nationalpflanze der Isle of Man und ist bei der Tynwald-Zeremonie unentbehrlich, wenn sie auch nur im Knopfloch getragen wird (Crane, 1957). Doch darf sie, wohlgemerkt, nie mit dem Stengel nach oben und den Blättern nach unten gehalten werden.9 Das zweite Beispiel sind jene „Rosengarten“ genannten Einrichtungen, die als Gerichtsstätten, teilweise auch als Friedhöfe dienten (HRG s. v. Rosengarten). Was den Friedhof angeht, so ist wohl an Zusammenhänge mit dem antiken Fest der Rosalia im Mai zu denken, bei dem man die Gräber der Toten mit Rosen schmückte. Besonders in der Schweiz und den Alpenländern, wo die Friedhöfe dialektal „Rosengärten“ heißen, könnte man sich das Weiterleben dieser Bräuche in das Mittelalter hinein vorstellen, und natürlich auch im Rheinland. Vielleicht liegt für den Wormser Rosengarten, dessen Name ja nicht wie der des Laurin mit Alpenglühen erklärt werden kann, ein solcher archaischer Vorstellungsrest zugrunde. Dass man an alten Begräbnisstätten Rechtshandlungen durchführte, ist gut bezeugt und hat in dem gerade erwähnten Thingbrauchtum von Tynwald mit seinen Hügelgräbern eine klare Entsprechung. Dazu kommt möglicherweise noch das Rechtssymbol der Rose. Es wurde schon angedeutet und es wird weiter unten noch ausgeführt, dass eine gewisse Bereitschaft besteht, Menschen metaphorisch mit Pflanzen zu vergleichen. Eine in das Recht hineinreichende Möglichkeit der Identifikation mit einer Pflanze ist durch die Benennung gegeben. Ein solcher Fall liegt bei den Plantagenets vor, die diesen Namen seit Gottfried V. von Anjou († 1151) tragen. Er soll auf die Angewohnheit des Grafen zurückgehen, am Helm einen Zweig vermutlich vom Stechginster, engl. gorse, nfrz. ajou marin zum Namen Anjou (Úlex europáeus, ein westeuropäisches Spezifikum), der häufig irrtümlich mit dem im botanischen Sinn „echten“ Ginster, engl. furze, afrz. genêt (Genísta) gleichgesetzt wird, zu tragen. In das Wappen der 9 Nach: http://www.tynwald.org.im/tynwald/bollan.shtml (1. 3. 2011).
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Plantagenets ist der Stechginster allerdings nicht gelangt. Ein Ginsterzweig erscheint erst in viel späterer Zeit im Wappen des Dorfes Bramfeld (heute ein Stadtteil von Hamburg), weil es 1271 in einer ginsterbewachsenen Heide gegründet wurde. Während es eine große Anzahl von Wappentieren wie Löwe, Panther, Eber, Drache, Einhorn, Hirsch, Greif und Adler gibt, spielen im Wappenwesen eigentlich nur zwei Pflanzen eine Rolle: Rose und „Lilie“. Verschwindend gering ist die Zahl der anderen Pflanzenmotive, z. B. ein rotes Kleeblatt für das Bistum Wallis, ein grünes Kleeblatt der Herrn von Neuhaus in Niederösterreich (Siebmacher, Tafel 10, 34). Die fünfblättrige Rose in den heraldischen Farben Rot, Gold und Silber mit zwischen den Blumenkronblättern hervorstehenden Kelchzipfeln und goldenem butzen (Staubblättern) ist eine klassische Wappenpflanze (Leonhard, 2001, 254f.), am bekanntesten natürlich als die der „Rosenkriege“ (1455 bis 1485), ein Wort, das im modernen Vulgärverständnis völlig uminterpretiert wurde, aber ursprünglich die Auseinandersetzung zweier Plantagenetfamilien um die Vorherrschaft bezeichnete. Dabei stand die Rósa álba in einer halb gefüllten Form für das Haus York und die Grafschaft Yorkshire, während das Haus Lancaster und Lancastershire durch die halb gefüllte Rósa gállica (s. oben S. 153) vertreten war. Als Richard III. 1485 in der Schlacht von Bosworth Field die Herrschaft verlor, ging die rote Rose von York auf den Waliser Henry Tudor (Heinrich VII.) über, der durch Heirat mit Elisabeth von York den Rosenkrieg beendete und beide Rosen in der Tudor-Rose (rote Rose mit weißer Füllung) vereinte. Die heraldische Rose ist keineswegs auf England beschränkt. Auch Schaumburg-Lippe und Altenburg (Sachsen) führen sie und ebenso das altböhmische Adelsgeschlecht der Witigonen, aus deren Linie das südböhmische Geschlecht der Herren von Rosenberg hervorging. Die Heraldik ist voll Rosen. Weitere Wappenrosen finden sich bei Siebmacher (Tafel 7, 14, 16 usw.). Besonders interessant ist die Verwendung des Rosensiegels bei dem Ministerialen Ulrich von Liechtenstein und bei Agnes von Meran, der Gattin Friedrichs d. Streitbaren und möglicherweise ersten Minneherrin Ulrichs (Reichert, 1981). Man könnte sich vorstel222
Die Pflanze als Rechtssymbol und wappen
len, dass die Rosenblüte hier speziell auch die Bedeutung des Geheimen hatte, denn bereits seit der Antike galt die Rose als Sinnbild der Verschwiegenheit, insbesondere in der Liebe, weil ja – wie im berühmten „Rosenroman“ – letztlich die Rose die Vulva bezeichnete. Im gleichfalls Roman de la rose genannten Intrigenroman des Jean Renart (20er-Jahre des 13. Jahrhunderts) bringt ein neidischer Truchsess Unglück über die Heldin, weil er lügnerisch behauptet, das Geheimnis ihrer „Rose“ – ein Muttermal auf dem Oberschenkel, von dem die geschwätzige Mutter ihm erzählt hatte – zu kennen. Die uns noch geläufige Wendung sub rosa im Sinn eines Geheimnisses geht auf den Brauch zurück, in Klöstern, aber auch Ratsstuben an der Decke eine Rose aufzuhängen oder zu malen, wie das in einem Sitzungszimmer des Rathauses zu Bremen noch zu sehen ist (Röhrich, 1992, II, 1254). Um an das Beichtgeheimnis zu erinnern, ließ Papst Hadrian IV. (1154–1159) Rosen in Beichtstühle schnitzen (Erler, 1990, Sp. 1143). Nicht zu vergessen ist auch die Rose als Geschenk, insbesondere die Goldene Rose als Ehrengeschenk für eine bedeutende Persönlichkeit, die der Papst seit dem 11. Jahrhundert am Sonntag Lätare, dem 4. Fastensonntag, weiht, weshalb der darauffolgende Montag vielerorts „Rosenmontag“ heißt. Ausdruck der Freude ist das rosarote Messgewand an diesem Tag (Schott, 232). Eine andere Quelle der Rosenwappen ist das Luthertum. Der Reformator hatte sich eine Petschaft in Form einer Rose schneiden lassen und teilt dazu 1530 seinem Freund Lazarus Spengler mit, dass diese ein Merkzeichen seiner Theologie sei: „Das erst soll ein Kreuz sein, schwarz im Herzen, das seine natürliche Farbe hätte, damit ich mir selbs Erinnerung gäbe, daß der Glaube an den Gekreuzigten uns selig machet […]. Ob’s nun wohl ein schwarz Kreuz ist, mortificiret und soll auch wehe tun, noch läßt es das Herz in seiner Farbe, verderbt die Natur nicht, das ist, es tötet nicht, sondern behält lebendig […]. Solch Herz aber soll mitten in einer weißen Rosen stehen, anzuzeigen, daß der Glaube Freude, Trost und Friede gibt und kurz in eine weiße fröhliche Rosen setzt […] darumb soll die Rose weiß und nicht rot sein; denn weiße Farbe ist der Geister und aller Engel Farbe. Solche Rose stehet in himmelfarben Felde […] und in solch Feld einen gulden Ring, daß solch Seligkeit im Himmel 223
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ewig währet […]“ (Luther, Briefwechsel, Nr. 1628). Gemeinden, die ihr Luthertum hervorheben wollten, nahmen danach die Luther-Rose in das Stadtwappen auf, so etwa: Greifenstein (Hessen), Ramsau am Dachstein (Steiermark), Kötese (Ungarn) und viele andere. Nicht minder wichtig als die Rose ist die „heraldische“ (Schwert-) „Lilie“ (Fleur-de-lys) oder Francisca, die bei der Taufe des Merowingers Chlodowech vom Himmel herabgesandt worden sein soll und danach fleur de Clovis hieß (HRG s. v. Lilie; Leonhard, 2001, 256f.). Man vermutet letztlich byzantinische Herkunft. Sie bildete seit dem Kapetinger Robert II., dem Frommen (996–1031), das Wappenzeichen der französischen Könige. Ludwig VI. (1108–1137) nahm die „Lilie“ in sein Siegel und als Herrschaftszeichen in seine Münzprägung auf. Später gab es die Florentiner Liliengulden in Gold und den Straßburger Lilienpfennig in Silber. Ludwig VIII. trug 1223 bei seiner Krönung einen blauen Mantel mit goldenen „Lilien“. Dabei soll der mittlere „Spross“ der Irisblüte für den Glauben (foy), die beiden Seitenlappen für Ritterschaft (chevalerie) und Weisheit (sapience) stehen. Zugleich interpretierte man die Schwertlilie als Symbol für Christi Abstammung aus dem Hause Davids. So ergab sich das Wappen auf blauem Grund mit einer Vielzahl von goldenen „Lilien“ (d’azur semé de fleurs de lys d’or), wobei diese heraldische Grundlage in mannigfacher Weise weiter differenziert werden konnte. Die „Lilie“ befand sich im Wappen der Häuser Valois, Anjou-Valois, seit Philipp d. Kühnen des Hauses Burgund, dann auch des Hauses Bourbon, der Herren von Evreux, später auch der Fugger. Weitere Lilienwappen führten das Bistum Meißen sowie die gefürstete Abtei Prüm (Siebmacher, Tafel 11, 13). Eine Variante der Fleur-de-lys ist die „Florentiner Lilie“, bei der beide Seitenlappen nochmals in Dreispitze enden und zu beiden Seiten des Zentralsprosses sog. „Staubfäden“ herausragen. In anderen Fällen wurde die dreiteilige Blüte einer Waffe, der glaive, angenähert, so etwa im Wappen von Triest. Die Heraldik mit der fachkundigen „Schilderung“ der Wappen war eine eigene Wissenschaft, die von der Berufsgruppe der „Persevanten“ ausgeübt wurde. Die wussten hier sehr genau zu unterscheiden.
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6. hEIlIgE und frommE PflanZEn
bIblIschE PflanZEn
N
ach der Genesis wurden die Pflanzen am dritten Schöpfungstag vor Tier und Mensch, ja sogar noch vo r den Himmelskörpern geschaffen (Gen 1, 11f.). Sie werden in „Gras“, Kraut und Bäume eingeteilt. Auf die Frage des Schülers: „Wie war die Erde erleuchtet, bevor die Sonne geschaffen wurde?“, antwortet der mittelalterliche Magister: „Vom Licht der heiligen Engel oder durch eine besondere leuchtende Wolke“ (Lucidarius, 6, 25–29). In diesem Licht wuchs das Paradiesobst heran. Es wächst auch nach der Vertreibung der Menschen, aber ez ezzint die heiligen geiste, die in dem paradiso sint. Freilich verdauen sie die Nahrung nicht wie wir, sondern auf geistliche Art, wie wenn Wasser in der Sonne „trocknet“ (Lucidarius, 7, 15ff.). Der paradis paum wird in den Pflanzenbüchern als eine ganz bestimmte Baumart erwähnt, aber keineswegs mit einem Apfelbaum oder Feigenbaum (LCK, 113) gleichgesetzt. Über den Paradiesbaum berichtet Konrad von Megenberg (342f.), er sei der allerschönste, seine Blätter eine Daumelle lang und eine halbe Daumelle breit. Der Paradiesbaum hat 225
6. Heilige und fromme Pflanzen
also sehr große Blätter. Die Früchte sollen länglich, süß und von „fettiger Feuchte“ (vaiztelochter f#uhten) sein, und sprechent di maister, daz er der =pfel mer dann hundert trag an aim stengel. Sein stam ist hol sam ein r=r vnd wechset gern an f#uhten steten. Diese Beschreibung passt gut zu der auf morgenländischen Quellen beruhenden Annahme von Hermann Fischer (1929, 42), dass damit die DessertBanane (Músa paradisíaca) gemeint war. Wenn Konrad von „länglichen Äpfeln“ (lenklocht =pfel) spricht, so bedeutet dies nicht, dass er den Paradiesbaum für einen Apfelbaum hielt, denn auch die Datteln oder die Früchte des Buchsbaumes nannte man gelegentlich „Äpfel“. Die verbreitete Gleichsetzung der Paradiesfrucht mit einem Apfel beruht letztlich auf Verwechslung von lat. mālus ‚Apfel‘ mit mălus ‚böse‘ in einer Zeit, in der die lat. Vokalkürzen in offener Silbe gedehnt wurden. Seitdem wird der Sündenfall bekanntlich sehr häufig durch Biss in einen Apfel dargestellt und dies auch auf die Gestalt des „Fürsten dieser Welt“ (princeps huius mundi), der am Straßburger Münsterportal vor einer ihn bewundernden „Törichten Jungfrau“ in den Apfel beißt (vgl. LCI 4, 497; LCK, 27), übertragen. Die übrige Beschreibung des Paradiesbaums, der großen Blätter, des – scheinbar – röhrenartigen Stammes und des Fruchtstands passt allerdings keineswegs zur geläufigen Vorstellung des Apfelbaums, zur Banane sehr wohl. Deren üppiger Fruchtstand erinnert Konrad natürlich an Maria, die auf einem „Ast der Seligkeit mehr als hundert Tugenden trägt“. Er erwähnt übrigens, dass er sein Wissen über den „Paradiesbaum“ nicht aus dem Werk des Thomas schöpfe, sondern aus „größeren Büchern von der Natur“, wozu ihn sein gar guoter will „zwinge“. Im Gegensatz zur Auffassung Fischers steht allerdings die ältere und üblichere, dass der Paradiesbaum eine Dattelpalme gewesen sei (z. B. LCK, 243). Daneben erwähnt der Megenberger noch einen Adams paum (342), der auch bei Thomas in De pomis Ade ‚Über die Äpfel Adams‘ (1999, 97) und Albertus eine Entsprechung hat. Unter Berufung auf einen Jacobus de Viatico (529) – gemeint ist Jacques de Vitry – sagt Konrad, der Adamsbaum trage schöne gelbe Früchte, die aber die deutlichen Spuren eines menschlichen Bisses zeigen und durch dieses Wunder an 226
biblische Pflanzen
den Sündenfall erinnern. Gemeint ist die Etrog-Zitrone (Cítrus médica cédra), die heute noch im jüdischen Laubhüttenfest wichtig ist und deren Schale angeblich manchmal wirklich an Bißspuren erinnert. Das Nebeneinander dieser zwei Paradiesbäume beruht darauf, dass nach Gen 2,9 der Lebensbaum und der Baum der Erkenntnis zwei verschiedene Gewächse sind. (Zu den Paradiesbäumen und den Abbildungstraditionen s. Stauch, 1948; J. Flemming, in: LCI 1, 258–268; LCK, 52–54.) Die Bibel vergleicht gerne mit Pflanzen, die vergänglichen Menschen etwa mit Gras (Ps 103,15f.; Jes 40,6-8; Mt 6,30) – das Verdorren des Grases weist auf das Gericht Gottes (Jes 42,15) – oder in Ps 92,13ff. die Gerechten mit der Palme und der Zeder des Libanon (K. Popitz, in: LCI 4, 562–564). In den Vorhöfen Gottes bleiben sie saftreich bis ins Alter und tragen Frucht. Ps 144,12 wünscht sich die Söhne Israels hochgewachsen wie junge Bäume; Eichen der Gerechtigkeit sollen die Erlösten nach Jes 61,3 sein. Ausführlich ist das Baumgleichnis bei Mt 7,17-19 mit der Warnung vor den falschen Propheten entwickelt: „An ihren Früchten werdet ihr sie erkennen. Erntet man etwa von Dornen Trauben oder von Disteln Feigen? Jeder gute Baum bringt gute Früchte hervor, ein schlechter Baum aber schlechte […]. Jeder Baum, der keine guten Früchte hervorbringt, wird umgehauen und ins Feuer geworfen“ (ähnlich Lk 6,43f.). Der Judasbrief (Jud 12) nennt die Irrlehrer „Bäume, die im Herbst keine Frucht tragen, zweimal verdorrt und entwurzelt“. Auch als Gleichnis für das Assyrische Reich (Jes 10,19) und die Herrschaft Nebukadnezars dienen Bäume (Dan 4,7ff.). Besonders bedeutend sollte für das Mittelalter die Rede der Weisheit im Buch Sir 24,12-19 (nach anderer Zählung 16-26) werden: „Ich faßte Wurzel bei einem ruhmreichen Volk, im Eigentum des Herrn, in seinem Erbbesitz. Wie eine Zeder auf dem Libanon wuchs ich empor, wie ein wilder Ölbaum [Vulgata: cupressus ‚Zypresse‘] auf dem Hemongebirge. Wie eine Palme in En-Gedi [am Toten Meer] […], wie Oleandersträucher in Jericho, wie ein prächtiger Ölbaum in der Schefela [im Hügelland], wie eine Platane am Wasser […]. Wie Zimt und duftendes Gewürzrohr [Kaneel], wie beste Myrrhe strömte ich 227
6. Heilige und fromme Pflanzen
Wohlgeruch aus, wie Galbanum, Onyx [s. oben S. 102) und Stakte [Mastix- oder Storaxharz; s. oben S. 135, 165f.], wie Weihrauchwolken im heiligen Zelt. Ich breitete wie eine Terebinthe meine Zweige aus, und meine Zweige waren voll Pracht und Anmut. Wie ein Weinstock trieb ich schöne Ranken, meine Blüten wurden zu prächtiger und reicher Frucht. Kommt zu mir, die ihr mich begehrt, sättigt euch an meinen Früchten!“ Durch die Gleichsetzung der Sapientia mit Maria wurden all diese Pflanzen und ihre Produkte auf die Gottesmutter übertragen, was zu Steigerung ihrer Pflanzenmetaphorik führte. Der zweite hier relevante Text ist das „Hohelied“ (angeblich Salomons), eine höchst sinnliche Liebesdichtung, die das Mittelalter bekanntlich allegorisch so auslegte, dass die genannte Braut (sponsa) entweder als Jungfrau Maria oder die allegorisierte Kirche (Ecclesia) verstanden wurde (D. v. Burgsdorff, in: LCI 3, 308–312). Im Canticum Canticorum, dem ‚Inbegriff der Lieder‘, finden sich nun außer Tiervergleichen (meist mit Rehen) folgende Pflanzen in Bezug auf die Braut: Lilie (7 x), Myrrhe (6 x), Balsam (4 x), Granatapfel (3 x), Weihrauch (3 x), Henna (2 x), Narde (2 x), Palme (2 x), Aloe (1 x), Gewürzrohr, d. h. Kaneel (1 x), Krokus (1 x), Mandragora (1 x), Weinstock (1 x), Zimt (1 x). Der Bauch der Geliebten gleicht einem Weizenhügel. Der zweimalige Vergleich der Brüste mit reifen Trauben lässt das Schönheitsideal des Verfassers erahnen. Der Mund verströmt Apfelduft. Als die Braut dem Geliebten den Riegel öffnet (Hld 5,5), triefen ihre Hände von Myrrhe(nparfum). Der Weinberg, den sie erfolglos zu behüten versucht, ist ihre Jungfräulichkeit. Aus der Geliebten sprießt ein Lustgarten mit Granatäpfeln, Hennadolden und Nardenblüten. Aber auch der Bräutigam (sponsus) wird gelegentlich mit Pflanzen zusammengebracht: je einmal mit Apfelbaum, Balsam, Zeder und Lilie. Merkwürdigerweise hat diese Verbindung die marianische in der Clavis (406–409) überstrahlt: Hier bezeichnet das lilium Christus, die Heiligen, den Glanz des ewigen Vaterlandes und erst an letzter Stelle die mit Maria verbundene Keuschheit. Wie ein Beutel mit Myrrhe ruht der Bräutigam zwischen den Brüsten der Geliebten (Hld 1,13). Als Ambiente muss man sich den Weingarten 228
biblische Pflanzen
vorstellen, doch gibt es auch einen Nussgarten und einen Apfelbaum. Ein Balsamberg, frisches Grün als Lager der Liebenden, Palme, Weinstock und Granatapfel bilden fast einen locus amoenus, dem eigentlich nur der Quell fehlt. Die Jahreszeit des Treffens ist natürlich der Frühling, die Winterfeigen sind schon gereift und die Weinstöcke stehen in duftender Blüte. Ich möchte aber zu den Bäumen der Bibel noch einiges über das Hohelied hinaus anmerken, denn in ihm werden die Pflanzen ja vorrangig zitathaft als Lustobjekte beschworen, während es daneben noch allerlei Aspekte gibt, die wegen ihrer Nachwirkung mitbedacht werden sollten. Der Apfelbaum (unter Waldbäumen) bezeichnet – wie gerade erwähnt – in Hld 2,3 den Geliebten, in dessen Schatten die Braut sitzen und dessen Früchte sie genießen will (Hld 8,5). Es ist m. W. die einzige Stelle, wo der Apfel mit dem Mann assoziiert wird. In der volkssprachlichen späteren Literatur ist der Vergleich des Apfels mit der weiblichen Brust geläufig (DWb I, 533; Trojanerkrieg, 20218; Jüngerer Titurel, 1247; Apollonius, 13345), der Baum selbst aber metaphorisch unergiebig. In der altnordischen Literatur jedoch ist apaldr ‚Apfelbaum‘ ein häufiges heiti (Metapher) für den Helden, ähnlich afall ‚Apfelbaum‘ im Walisischen. Da der Apfelbaum nach Größe und Wuchs ja keineswegs auffällig oder gar imposant ist, muss der Vergleich Gründe haben, die sich in mythischer Vergangenheit verlieren oder christlichen Ursprungs sind, etwa von der zitierten Stelle im Hohelied ausgehen. Der brennende Dornbusch (rubus) von nicht weiter botanisch bestimmbarer Art, aus dem Gott zu Moses sprach (Ex 3,2-4.17), kann mit Maria verglichen werden (so auch Clavis 370f.), weil er ja nicht verbrennt, so wie Maria immerdar Jungfrau bleibt, was Walther von der Vogelweide in seinem Leich so ausdrückte (4,13–18): „Ein Busch, der brannte und an dem doch nichts verbrannt oder versengt war. Ungeschmälert blieb seine Pracht, von der Flamme unverletzt.“ Die vielen Stellen dieser Art (Salzer, 1893, 12–14; vgl. M. Q. Smith, in: LCI 1, 510f.; LCK, 79f.; Gillen, 1954) sagen in paradoxer Weise, dass der 229
6. Heilige und fromme Pflanzen
Dornbusch „grün“ geblieben sei, was die Unverletztheit durch Feuer und Sünde meint. Eichen kommen mehrfach im Alten Testament als Bild menschlicher Stärke vor, jedoch auch im Zusammenhang mit Totenbrauchtum, Götzenopfern, als heilige Bäume, gegen die Jes I, 29f. wettert, und als Holz, aus dem Götzenbilder hergestellt wurden. Soweit ich sehe, ist das mittelalterliche Bild von der Eiche nicht nennenswert durch die Bibel beeinflusst. Allerdings findet die Königsinauguration des Abimelech bei einer Eiche (von Sichem) statt (Ri 9,6), was an die Rechtssymbolik der Eiche denken lässt (s. oben S. 213). Feigen sind der Inbegriff des Süßen. Die ikonografisch wichtige (Seib-Jászai, in: LCI 2, 22–24) Fícus cárica pflanzte man daher gerne an, vor allem auch in Weingärten, wie wir aus dem Hohelied und den beiden einander widersprechenden Gleichnissen vom unfruchtbaren Feigenbaum ersehen. Da er keine Früchte trägt, verflucht ihn Jesus, worauf er sofort verdorrt (Mt 21,18f.). Andererseits will der Besitzer des Weinberges den dort wachsenden unfruchtbaren Feigenbaum umhauen lassen, jedoch der Arbeiter im Weinberg bittet ihn, diesen zu schonen, da er vielleicht im nächsten Jahr tragen werde (Lk 13,6-9). Wohnt man „unter dem Weinstock und Feigenbaum“, so ist das Leben gesichert, wie mehrere Bibelstellen besagen, und zusammen mit Weizen, Gerste, Weinstock (A. Thomas, in: LCI 4, 491–494), Granatapfel (wegen seiner vielen Kerne Sinnbild der Fruchtbarkeit und natürlich auch der Gnade; LCK, 133) und Ölbaum bezeichnet der Feigenbaum in Dtn 8,8 das Gelobte Land (A. Thomas, in: LCI 2, 700f.). So wie das Austreiben des Feigenbaums auf den nahenden Sommer weist, so werden kosmische Katastrophen den Weltuntergang und die Parusie ankündigen (Mt 24,32f.). Der Granatapfel (Púnica granátum) ist in der Bibel eine wichtige Pflanze, die sichtlich zum unmittelbaren Lebensbedarf gehört, wenn die Juden Moses und Aron vorwerfen: „Wozu habt ihr uns aus Ägypten hiehergeführt, […] eine Gegend ohne Korn und Feigen, ohne Wein und Granatäpfel?“ (Num 20,5). Der Granatapfel (vgl. G. Dutilh, in: LCI 2, 198f.) liefert auch ein beliebtes florales Element aus Bronze, 230
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etwa um die Säulenkapitelle des Tempels zu verkleiden (1 Kön 7, 18 etc.). Die Röte seines Saftes freilich ließ Christen an das Märtyrerblut denken (Clavis, 373f.). Der Koran zählt (Sure 6, 100) Korn, Dattelpalmen, Trauben, Ölbäume und Granatäpfel als die besonderen Segnungen Allahs auf. Insbesondere ist der Granatapfel mit seinen vielen Kernen Inbegriff der Fülle, wie noch 1696 der barocke Titel einer populärmedizinischen Rezeptsammlung „Freywillig aufgesprungener Granat-Apffel des Christlichen Samariters“ von Eleonore Maria Rosalia, Herzogin in und zu Troppau und Jägerndorf, lehrt. Henna, Zyperblume (Lawsónia inérmis) wird im Hohelied zweimal genannt, einmal (Hld 1,13) als botrus cypri ‚Hennatraube‘. Aus den stark duftenden Blütentrauben des Hennastrauches wird heute noch ein Parfum hergestellt. Die Pflanze taucht angeblich als henne im Gart der gesundheit auf (Fischer, 1929, 273; mir nicht auffindbar). Ob die sponsa des Hohelieds ihr Haar mit Henna färbte, bleibt offen, obwohl es auffällig ist, dass ihre Schläfe mit der Farbe des Granatapfels verglichen wird (Hld 4,3) und die Haare als purpurfarben (Hld 7,6) bezeichnet werden. In Bruder Philips des Kartäusers Marienleben (frühes 14. Jahrhundert) wird Maria als khipper wein troub (für botrus cipri) gepriesen (s. Salzer, 1893, 309, der den Zusammenhang mit Henna noch nicht erkannte). Der Ölbaum (Ólea europáea) gehört zu den wichtigsten Kulturpflanzen der Bibel und wird dementsprechend oft erwähnt (vgl. J. Flemming, in: LCI 3, 341f.; LCK, 240). Ähnlich im Koran (Sure 80, 28–32), wo er neben Korn, Weintrauben, Kräutern, Palmen und dicht bepflanzten Gärten, Obst und Gras eine unverdiente Gabe Gottes genannt wird. In der Pflanzenfabel des Jotam im Buch Richter (Ri 9,8-15) bieten die Bäume die Herrschaft über ihresgleichen zuerst dem Ölbaum an. Doch „der Ölbaum sagte zu ihnen: ‚Soll ich mein Fett aufgeben, mit dem man Götter und Menschen ehrt und hingehen, um über den anderen Bäumen zu schwanken?‘“, und lehnt das Angebot ab, ähnlich der Feigenbaum und der Weinstock, bis das Königtum zuletzt dem Dornbusch bleibt. So ist es auch den Bürgern von Sichem mit dem gewalttätigen Abimelech ergangen. 231
6. Heilige und fromme Pflanzen
Aus vielen Stellen in der Bibel gewinnt man ein plastisches Bild von der Olivenernte und der Ölpressung, aber auch vom Wert des Holzes für Schnitzereien wie die zwei Cherubim aus Olivenholz im Tempel (1 Kö 6,23) und von der Propfung der Bäume auf den Wilden Ölbaum (Ólea europáea oleáster), von dem auch Konrad von Megenberg weiß (365). Sie liegt einer Stelle über die Heiden im Römerbrief (Röm 11,1720) zugrunde, an die er dachte, wo es – allerdings unter Verkehrung des Veredelungsvorgangs – heißt: „Wenn aber einige Zweige herausgebrochen wurden und wenn du als Zweig vom wilden Ölbaum in den edlen Ölbaum eingepfropft wurdest und damit Anteil erhieltest an der Kraft seiner Wurzel, so erhebe dich nicht über die anderen Zweige. Wenn du es aber tust, sollst du wissen: nicht du trägst die Wurzel, sondern die Wurzel trägt dich. Nun wirst du sagen: Die Zweige wurden doch herausgebrochen, damit ich eingepfropft werde. Gewiß, sie wurden herausgebrochen, weil sie nicht glaubten. Du aber stehst an ihrer Stelle, weil du glaubst. Sei daher nicht überheblich […].“ Das Bild vom Menschen als Zweig oder Reis ist uns schon geläufig. Der Ölbaum mit seinem Reis repräsentiert menschliche Gesittung und Kultivierbarkeit des Bodens. In diesem Zusammenhang ist natürlich der Ölzweig wichtig, der in der Sintflutsage zum Bild des Heils wird: „Gegen Abend kam die Taube zu ihm [Noach] zurück …: In ihrem Schnabel hatte sie einen frischen Olivenzweig. Jetzt wußte Noach, daß nur noch wenig Wasser auf der Erde stand“ (Gen 8,11). In eigenartiger Funktion verwendeten die Maler der Sieneser Schule den Ölbaum als Symbol der Jungfrau Maria, weil das traditionelle Schwertliliensymbol, das sich ja im Wappen der Konkurrenzstadt Florenz befand (s. oben S. 224), vermieden werden sollte. Ein Beispiel bietet das in den Uffizien befindliche Verkündigungsbild von Simone Martini (1333), in dem der Erzengel Gabriel einen Olivenzweig in der Hand hält (Hennebo, 1987, 140). Die Bedeutung des aus der Olive gepressten Lampenöls hebt der Koran hervor, wenn er das Licht Allahs in „mystischer Weise“ mit dem der Öllampe zusammenbringt (Sure 24, 36): „Allah ist das Licht der Himmel und der Erde. Sein Licht gleicht dem in einer Nische […], in welcher eine Lampe […] in einem Glas ist. Das Glas scheint 232
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dann wie ein leuchtender Stern. Es wird erhellt vom Öl eines gesegneten Baumes, eines Olivenbaumes, der weder im Osten noch Westen wächst, dessen Öl fast ohne Berührung des Feuers Licht gibt und dessen Licht über allem Lichte steht […]“ – und mein bescheidenes Binsenlicht mächtig überstrahlt. Auch in der geheimnisvollen Vision des Sacharja (Sach 4,2-14) ist das Öl Symbol einer geistigen Substanz, welche die Gesalbten des Herrn bezeichnet. Im Christentum ist es insbesondere als Salböl der Priester und Könige wichtig, weil es zum Bild des Heiligen Geistes wird (2 Kor 1,21f.), daher: „Die Salbung, die ihr von ihm empfangen habt, bleibt in euch, und ihr braucht euch von niemand belehren lassen“ (1 Joh 2,27). Die Dattelpalme (Phóenix dactylífera), über die oben schon viel gesagt wurde (s. S. 26f., 84), war einst so repräsentativ, dass sie den römerzeitlichen Münzen von Judaea das Bildmotiv lieferte. Die Palmwedel waren den Künstlern ein Motiv, das in die Tempelwände aus Zedernholz geschnitzt wurde (1 Kö 6,26) und auch in der Vision des Ezechiel (Ez 40,16ff.) als Wandschmuck erscheint. Bekannt sind die Palmwedel als Siegeszeichen (J. Flemming, in: LCI 3, 364f.) sowie im Mittelalter als Zeichen der Pilgerschaft. Wer dächte nicht an Jesu Einzug in Jerusalem als König Israels (Joh 12,13)? Hebr. thamar ‚Dattelpalme‘ ist auch Frauenname (Tamara), weil die Frau, besonders Maria, gerne mit einer Palme verglichen wurde, was auch in der deutschen Literatur seinen Niederschlag findet. Maria wird gelegentlich selbst Thamar genannt (Salzer, 1893, 133f., 160, 180–183, 198). Rizinus (Ricínus commúnis) heißt heute noch mit dem Vulgärnamen Wunderbaum und könnte bei Konrad (343) mit dem wunderleichen pam oder arbor mirabilis gemeint sein. Als der Prophet Jona die Stadt Ninive im Groll verlässt und sich vor die Stadtmauer setzt, lässt Gott nachts einen Rizinusbaum über ihm wachsen, der seinem Kopf Schatten spendet. Am darauffolgenden Tag lässt der Herr den Rizinus durch einen Wurm eingehen, was Jona zum Hader mit Gott veranlasst, aber in Gottes Antwort dessen Erbarmen herausstellt (Jona 4,6-11). Konrad erwähnt den hohlen Stamm, die großen und breiten Blätter, die „gekörnte Frucht an langen Stengeln und schönen trau233
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benförmigen Blüten“ sowie die Neigung, auf feuchtem Boden zu wachsen. Dieser Wunderbaum bezeichnet bei ihm das heilige Kreuz, das die „schöne Blume“ Christus getragen hat, weil das Kreuz ja gleichfalls ein wundersamer Baum sei (s. unten S. 247ff.). Auch diese Pflanze hat der Megenberger nicht aus seiner Vorlage Thomas Cantimpratensis, sondern „aus größeren Büchern von der Natur“, ganz wie den oben erwähnten „Paradiesbaum“. Die Tamariske (Támarix aphýlla) könnte in sehr früher Zeit ein Kultbaum gewesen sein. Nach Gen 21,33 pflanzte Abraham in Berscheeba einen solchen Baum und rief Gott dort als den Ewigen an. Die Gebeine von Saul werden unter einer Tamariske begraben (1 Sam 31,13). Die Pflanze ist deshalb bemerkenswert, weil sie m. W. wohl die einzige biblische ist, die später im Christentum keine Uminterpretation etwa zur Marienpflanze erfuhr, wozu die zarte Támarix gállica, die ja unsere Gärten ziert, prädestiniert gewesen wäre. Erst ab dem 15. Jahrhundert taucht sie in den Kräuterbüchern als mer weyden oder wilder sewenboum auf (Fischer, 1929, 285). Albertus nennt die Eibe thamariscus (Balss, 1947, 121). Der Weinstock (Vítis vinífera) spielt natürlich in der Bibel eine sehr große Rolle (A. Thomas, in: LCI 4, 483–486), waren doch Brot, Wein und Öl die drei Hauptnahrungsmittel des Volks. Deshalb wird der Wein als Gottesgabe gerühmt, jedes Brandopfer war mit einem Trankopfer verbunden und der Wein bildete ein unverzichtbares Element aller Gemeinschaftsmähler. So auch beim Abschiedsmahl Christi, in dem er die christliche Bedeutung des Weins in der berühmten Gleichnisrede begründet (Joh 15,1-8): „Ich bin der wahre Weinstock, und mein Vater ist der Winzer. Jede Rebe an mir, die keine Frucht bringt, schneidet er ab, und jede Rebe, die Frucht bringt, reinigt er, damit sie mehr Frucht bringt. Ihr seid schon rein durch das Wort, das ich zu euch gesagt habe. […] Wie die Rebe aus sich keine Frucht bringen kann, sondern nur, wenn sie am Weinstock bleibt, so könnt auch ihr keine Frucht bringen, wenn ihr nicht in mir bleibt. Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. […] Wer nicht in mir bleibt, wird wie die Rebe weggeworfen, und er verdorrt. Man sammelt die Reben, wirft 234
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sie ins Feuer, und sie verbrennen.“ Besonders Christi auf einer Verschiebung des Bildes beruhende Selbstidentifikation mit Brot und Wein (Mt 26,26-28; Mk 14,24f.; Lk 22,20), die in den Wandlungsworten der katholischen Messfeier wiederholt wird, eröffnete eine Fülle von Möglichkeiten der allegorischen Darstellung, z. B. „Christus in der Kelter“, wo Jesus nach Art der Trauben ausgepresst wird (Thomas, 1954), das „Kreuz als Weinstock“ (LCK, 332f.) oder auch die „Weinrebenmadonna“, bei der das Christuskind eine Weintraube hält (A. Thomas, in: LCI 4, 489–491). Wenn Christus die Traube (A. Thomas, in: LCI 4, 494–496), sein Blut der Wein ist, dann muss Maria der Weingarten oder die Weinrebe sein (LCK, 333f.), welche die Traube hervorgebracht haben. So konnte etwa Frauenlob (Marienleich, 3,7) sagen: „Deiner Frucht(barkeit) blühende Weinrebe hat den höchsten ‚Duft‘ erlangt“ (die blüenden winrebe diner frucht sint vollen smachaft worden), wobei unter „Duft“ etwa ‚Aroma, Blume‘ gemeint ist. Ebenso in Bruder Hansens Marienliedern (14. Jahrhundert), in denen Maria sagt (2210): „ganz wie der edelste Weinstock, habe ich einen süßen ‚Duft‘ hervorgebracht“ (Salzer, 1893, 39f.). Über die in der Bibel oft erwähnte Zeder (Cédrus líbani) wurde schon oben (s. S. 95) gehandelt. Die Zeder Gottes gilt als Inbegriff des Gewaltigen, den der Weinstock Israel bedeckte (Ps 80,11). Jedoch „der Gerechte gedeiht wie die Palme, er wächst wie die Zedern des Libanon“ (Ps 92,13). Und natürlich gilt die das Ungeziefer abweisende Zeder, der luftig cederboum, wie Frauenlob (Marienleich, 13,3) sagt, als jene Pflanze, „die der Wurm flieht“, wie es im Melker Marienlied (10) heißt. Aber die Zeder wird oft auch mit Christus und dem Kreuzesholz zusammengebracht (Salzer, 1893, 152). Auch die Zypresse (Cupréssus sempérvirens) kommt in der Bibel, manchmal jedoch als „Tanne“ bezeichnet (s. oben S. 95f.), vor. „In der christlichen Symbolik […] erblickte man in der Cypresse ein Bild Christi, der Kirche, der Patriarchen und Propheten, des beschaulichen Lebens, der durch Tugenden hervorragenden Gerechten, der Vollkommenheit, der alle Menschen umfassenden Nächstenliebe […]“ (Salzer, 1893, 155). Wegen Sir 24,17 eignet sie sich besonders gut 235
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als Baum Mariens. So sagt Konrad von Würzburg in der „Goldenen Schmiede“: du bist erhœhet, vrouwe, sam in Sîôn der cypriân […] sich ûf ze berge leichet ‚[…] zum Berg emporspringt‘. Frauenlob lässt Maria sogar die Zypresse „schön machen“, d. h. nach Karl Stackmann (1990, 416), „Maria verleiht der Zypresse dadurch, daß diese mariologisch gedeutet werden kann, erst eigentlich Schönheit“. Hier sei noch eine Pflanze erwähnt, die es zunächst als Zeichen der Pilgerschaft, später überhaupt der Volksfrömmigkeit zu einem gewissen Ansehen gebracht hat: die Jericho-Rose (Anastática hierochúntica), ein einjähriger Kreuzblütler der Wüste, der zu Sir 24,17 („meine Blüte wurde zu prächtiger und reicher Frucht“) in Beziehung gesetzt wurde. Maria soll sie auf der Flucht nach Ägypten gesegnet haben. Die verdorrte Rosette öffnet sich wieder, wenn man sie in Wasser legt. Im Mittelalter tritt sie zuerst im Bericht des Ludolf von Sudheim von seiner Reise ins Heilige Land (1350) als Handelsobjekt der Beduinen und von ihnen verwendetes Mittel der Geburtshilfe auf (Marzell, in: HDA s. v. Jerichorose). Sie erfreut sich heute noch in der Volksfrömmigkeit einer gewissen Beliebtheit, ist auf Weihnachtsmärkten zu kaufen, wird aber auch im Islam als „Hand der Fatima“ verehrt.
marIanIschE botanIk Zusammenzufassend lassen sich, gestützt auf die umfangreiche Sammlung Anselm Salzers (1893, 66–70, 140–199), folgende Pflanzen als mariologische Symbolpflanzen einstufen: (a) aufgrund der biblischen Bilderwelt: Aloe, Balsam, Cassia, „Dornbusch“, Feige, Galbanum, Granatapfel, Henna, Lilie, Mandel (die so wichtig ist, dass man nach ihr die Lichtgloriole der Mandorla benannte; W. Messerer, in: LCI 3, 147–149), Mandragora, Myrrhe, Myrte, Narde, Ölbaum, Palme, „Paradiesbaum“, Platane (in Mitteleuropa als Ahorn verstanden; s. oben S. 91f.), Rose, Storax, Terebinthe (dazu W. Oechslin, in: LCI 4, 267f.), Weihrauch, Weinrebe, Weizen, Zeder, Zimt, Zypresse. 236
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Das Nachwirken dieser Bilder, insbesondere von Lilie und Rose, zeigt Walahfrid (415–422) mit dichterischem Aufschwung: Denn diese beiden Blumen, berühmt und gepriesen, sind Sinnbild Seit Jahrhunderten schon der höchsten Ehren der Kirche, Die im Blut des Martyriums pflückt die Geschenke der Rose Und die Lilien trägt im Glanze des strahlenden Glaubens. Jungfrau Maria, Mutter, die du den Sohn hast geboren, Jungfrau, im Glauben ohn’ Makel, du Braut nach des Bräutigams Namen, Braut und Taube, des Hauses Herrin, verläßliche Freundin, Pflücke Rosen im Streite und brich frohe Lilien im Frieden. Das Motiv der „im Streite gepflückten Rosen“ nimmt sich wie ein Vorklang der schon erwähnten Rosengartenkämpfe aus (s. S. 193, 202). Dazu kommen noch allgemeinere Begriffe, die sich auf die Pflanzenwelt beziehen, aber nicht einfach botanisch eingeordnet werden können: Durch das Altarsakrament, das aus Leib und Blut Christi besteht, ist dessen Mutter ein „Ackerfeld, als Mutter des Brotes“ und ein „Weingarten“, durch ihre Fruchtbarkeit ist sie Anger, Garten und Frucht, als Hervorbringerin und durch ihre Schönheit ist sie Baum, (Feld-)Blume, Gewürz, (Wünschel-)Rute, Zweig, als Retterin der Menschheit ist sie die Arche Noachs aus Zypressenholz (?) und Manna (dessen Herkunft viel umrätselt ist, das aber auch als Pflanzenprodukt angesehen wurde). Aus entlegeneren theologischen Gründen wurde sie mit dem Stab des Moses, das aber auch mit dem austreibenden, blühenden, Mandeln hervorbringenden Stab Arons gleichgesetzt (H. Dienst, in LCI I, 1–4), wenn Walther sie etwa „blühende Gerte Arons“ nennt (Leich, 4,3), die hier natürlich nicht mit unserer Aronstab (Árum) genannten Pflanze gleichzusetzen ist. Im Bild des Stammbaums und genealogisch gesehen gilt Maria auch als „Reis aus der Wurzel Jesse“ (A. Thomas, in: LCI 4, 549–558; LCK, 340f.). (b) Attributpflanzen ohne biblischen Hintergrund: Akelei (ôstergloie, s. oben S. 104 und Salzer, 1893, 343; U. Braun, in: 237
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LCI 1, 89f.), Distel, „Feldblume“, Gamander, Kampfer, Kaneel, Kardamon, Kariofel (die Gewürznelke oder eine Gartennelke?), Klee, Linde, Minze, Muskat, Osterkerze, Primme ‚Pfriemen‘ (Genísta), Raute, Silenbaum †, Speik (s. oben zur Narde S. 142f.), Veilchen, Weizen, Zeitlose (zur zîtelôse s. oben S. 41f.), Zitwer. Die Nennung der Distel als marianische Pflanze stützt sich auf eine Stelle bei Walther von Breisach (zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts), der das Verhältnis von Christus-Gott zu Maria mit dem von Zeder zu Distel im Hinblick auf Marias geringwertige Menschlichkeit vergleicht (Salzer, 1893, 67). Gemeint ist wohl die durch ihr Blattwerk mit weißen Blattnerven sehr ansehnliche Mariendistel (Sílybum mariánum), die auch Marias Schmerzen bezeichnet. Von dem veltplům (h-t) schreibt Konrad (447), dass er auch oculus porci ‚Schweinsauge‘ heiße, lat. flos campi, bei den Bauern mancherorts (etzwa) auch himl slFzel. Die Feldblume wächst gerne auf An höhen, am Straßenrand an trockenen Stellen. Sie hat eine „erfreuliche“ essbare Wurzel, die man als Schweinefutter ausgräbt. Sie hat einen langen Stengel, auf dem e i n e schöne leuchtende Blüte steht, die ihre Farbe behält, auch wenn man sie trocknet. Die Pflanze hat kleine, schmale Blätter. Dies ist ein klassisches Beispiel unserer Hilflosigkeit gegenüber solchen Angaben. Gehen wir vom „Schweinsauge“ aus! Darunter wird eine Art von Hauhechel (Onónis), Vergissmeinnicht (Myosótis) oder der Löwenzahn (Taráxacum) verstanden (Fischer, 1929, 275f., 286). „Himmelschlüssel“ wurde der Echte Erdrauch (Fumária officinális), das Breitblättrige Knabenkraut (Órchis latifólia), der Teufelsabbiss (Succísa praténsis) oder eben (bei Hildegard) unsere Himmelschlüssel (Prímula véris) genannt (Fischer, 1929, 269, 276, 280, 285). Angesichts der aufgezählten Möglichkeiten, hat wohl der Löwen zahn mit seiner Solitärblüte, die die Farbe beibehält, der am trockenen Wegrand wächst und dessen Wurzel genießbar ist, die meiste Wahrscheinlichkeit für sich, die gesuchte marianische Pflanze zu sein. Wenn die Sponsa des Hohelieds (Hld 2,1) sagt: Ego flos campi, et lilium convallium ‚ich bin die Blume des Feldes und die Lilie des Tals‘, so stellt sie die Anhöhe dem Tal gegenüber. Wenn Konrad recht und ich 238
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ihn richtig verstanden hätte, also dem Löwenzahn irgend eine „lilienähnliche“ Pflanze, vermutlich das Maiglöckchen (Convallária majális), das ja mit seinem lateinischen Namen (auch: Lílium convállium) und bei Auslasser mit seinem deutschen (tal liligen; vgl. engl. lily of the valley) schon auf den Standort hinweist. Konrad fährt fort. „Ja, bedenk es nur! Sie ist ein strahlend leuchtender Löwenzahn, denn sie steht an der Straße der Gnade. Kommt der Sünder dorthin, so erscheint ihm die Blume in all ihrer Barmherzigkeit und ist doch auch ein Maiglöckchen, eine ‚Lilie des Tals‘, wo sich die zwei Berge Gerechtigkeit und Barmherzigkeit zu einander neigen. Andernfalls wäre der Sünder verloren.“ Problematisch ist auch die scheinbar leicht zu durchschauende ôsterkerze, bei der Salzer (1893, 307) an die Königskerze (Verbáscum) dachte, die im Hochsommer, keinesfalls im Frühling, blüht, wogegen es in der „Erlösung“ (2558f.) heißt: dû burnde (‚brennende‘) ôsterkerze, dû blûst in dem merze. Die Deutung der Osterkerze als Verbascum hat sogar die Aufnahme in das DWb geschafft, ist aber dadurch nicht richtiger. Wenn man raten sollte, so könnte man vielleicht an eine Hyacinthe (Hyacínthus orientális) denken. Primme hat Salzer ansprechend mit Pfriem(e) oder Besenginster (Cýtisus scopárius), einer duftenden Pflanze, gleichgesetzt, für die allerdings die Aussage dû primme, dû grûnest zallen zîten (Erlösung 2545f.) nicht passt, weil diese Pflanze nicht immergrün ist. Vielleicht hat der Dichter wie auch Gottfried Plantagenet (s. oben S. 221f.) die im Volksmund Ginster genannten Pflanzen verwechselt und den immergrünen Stechginster (Úlex europáeus) gemeint. Das tertium comparationis ist der betörende Duft, der allerdings gerade nicht erwähnt wird. Für silenboum ist sicher silerboum zu lesen und dieses mit dem Laserkraut (Laserpítium síler) gleichzusetzen (s. oben S. 134). Die wunderbare Schwängerung durch dieses hat den Verfasser der „Erlösung“ (v. 2545) wahrscheinlich auf die Idee gebracht, es als marianische Pflanze einzuführen. Das Veilchen ist eine ausgesprochen beliebte Marienpflanze. Bei Frauenlob (Marienleich, 11,32) sagt Maria von sich als Maria lactans 239
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mit Bezug auf ihre Muttermilch (spünne), sie habe den von Violvelde, also „von Veilchenfeld“, was fast wie ein geläufiger Ortsname gebraucht wird, ernährt. So erscheint das Veilchen denn auch als eine der drei Paradiesblumen neben Lilien und Rosen, die dies schon in den Katakombenmalereien waren, in dem auf den Lilientraktat folgenden mittelhochdeutschen Erbauungstext. Dabei bezeichnet die Lilie die Keuschheit, die (rote) Rose die durch Gnade bewirkte Gottesminne, das Veilchen natürlich Bescheidenheit und Demut (Die Lilie, S. 64f.). Ich halte diesen von Paul Wüst „Drei Blumen“ genannten Text für eine Vorform des „Dreiblumensegens“, der zuerst 1429 aus der französischen Schweiz überliefert ist (HDA s. v. Dreiblumensegen). Die dritte Blume betrifft dabei einen aktuellen Wunsch, also etwa die Stillung einer Blutung. Unter vîol muss übrigens öfters das Stiefmütterchen (s. oben S. 169) gemeint gewesen sein, denn Muskatblüt (24,7) nennt ausdrücklich als die drei Wesenselemente des „Veilchens der Bescheidenheit“ tohter, můter und ouch magt, was den drei Farben der Víola trícolor entspricht. Seltsam ist, dass die Clavis (417f.) dem Veilchen eine einzige allegorische Bedeutung zuschreibt, die der „Bekenner“, wegen ihrer „bläulich-blassen Körper“ (lividorum corporum). Der Weizen ist einerseits dadurch angeregt, dass der fruchtbare Bauch der Braut des Hoheliedes mit einem Weizenhaufen verglichen wird (venter tuus sicut acervus tritici; Hld 7,2) und andererseits ihre Leibesfrucht Christus jenes Weizenkorn ist, aus dem das Lebensbrot des Altarsakraments besteht. Das Heranreifen des Fötus kann mit der Bereitung des Weizens verglichen werden, dar us so ward gebachen das edel himel brot, wie Heinrich Laufenberg um die Mitte des 15. Jahrhunderts in einem geistlichen Lied singt (vgl. Salzer, 1893, 70) und schon zuvor um 1300 Frauenlob im Marienleich, in dem die Gottesmutter sagt: „ich bin ein Acker, der jenen Weizen reifen ließ, mit dem man sich nach Gottes Geheimnis [durch das corpus mysticum der Hostie] speist. Ich drosch, ich mahlte, ich buk weich – nicht hart, weil ich es [das Brot] mit Öl bestrich […]“ (I, 12,25–28). Es ist also nicht erstaunlich, dass man Maria auch als Ährenkleidmadonna verehrte (A. Thomas, in: LCI 1, 82–85). Im Übrigen weiß die Legende, dass in 240
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der Vorzeit die Getreideähren den gesamten Halm bedeckten, nach dem Sündenfall Gott die Halme aber ganz kahl machen wollte, doch habe Maria für die unschuldigen Haustiere erbeten, dass zumindest am Halmende eine Ähre stehen bleiben möge. Auch im Islam erzählt man, dass sich die Getreidekörner nach dem Sündenfall verkleinert hätten (B-P III, 418f.). Christologisch gesehen, ist der Gottessohn bekanntlich nicht nur der „Gute Hirte“, sondern auch der in dieser Funktion oft abgebildete „Landmann“ als „Ackermann“ und „Sämann“ (vgl. RDK II, 702–705). An außerbiblischen Bildern bringt Salzer noch bei: Anger, „Apothekerwurz“, Aue, Baum, Frucht, Gerte, Gras, Himmelsreis, Korn, Kraut, Manna, Maienblüte, Plan, Sumerlate, Wald, Wiese. Sie lassen sich wieder in Landschaftsmetaphern wie Anger, Aue, Plan etc. und Metaphern für Gewachsenes wie Frucht, Gerte oder sumerlatte (dazu s. oben S. 41 und unten S. 265) zusammenfassen. Am interessantesten ist abtekerwurtz (Salzer, 1893, 513), eine Wortbildung, die das völlige Vertrauen in alle in der Apotheke verkauften Kräuter ausdrückt. Damit im Zusammenhang steht die Vorstellung von Christus als Seelenarzt – mit dem Uringlas in der Hand (von Erffa, 1954) –, während die eines wägenden Seelenapothekers erst dem Barock angehört. Wie oben ausgeführt, ist die Einhegung das den „Garten“ konstituierende Merkmal. Der hortus conclusus als ‚verschlossener Garten‘ ist insbesondere der Garten der Jungfrau Maria, die danach „Maria im Rosenhag“ heißt, der die profane Umwelt ausschließt (vgl. E. BörschSupan, in: LCI 2, 77–81). Zuweilen ist der Garten selber die Jungfrau (Hld 4,12), das Pflücken der Rose, die „De-floration“, bezeichnet die Verletzung des Hymens, das mhd. bluome heißt, dessen Bewahrung aber, „Keuschheit“ genannt, die Lauretanische Litanei „mystische Rose“ (rosa mystica) nennt. Die schon erwähnte gleichsinnige Symbolik des Rosenromans ist nur die säkularisierte Variante dieser Vorstellung, die übrigens um 1500 durch Jean Molinet und bald darauf durch Clément Marot „respiritualisiert“ wurde. Danach geht es im neuen Verständnis 241
6. Heilige und fromme Pflanzen
des Romans um die rose mystique als Figuration der Gottesliebe, sie bezeichne als rose papalle die Weisheit, als rose spirituelle die Gnade, als rose blanche die des Mariengeheimnisses und als rose naturelle das höchste Gut, das in der Anschauung von Gottes Wesenheit besteht (Ott, 1980, 40–45). Eine der vielen Erscheinungsformen von „Maria als Rose“ (s. auch R. Schumacher-Wolfgarten, in: LCI 3, 363–368; LCK, 267f.) liegt der Legende vom Tausendjährigen Rosenstock im Kreuzgang des Doms von Hildesheim zugrunde, welche besagt, dass Ludwig der Fromme 815 eine Feldmesse habe lesen lassen und das Marienreliquiar auf einem Rosenstrauch aufgehängt worden sei, von dem es sich nicht mehr lösen ließ, worauf der Kaiser hier das Bistum ansiedelte. Als „modernes Wunder“ gilt, dass der Rosenstock, dessen oberirdische Teile 1945 durch eine Bombe zerstört wurden, sofort wieder von der Wurzel neu ausgetrieben haben soll. Die buddhistische Gebetsschnur, die über arabische Vermittlung im 13. Jahrhundert nach Europa gelangte, wurde hier zum „Rosenkranz“ (s. E. Wilkins, in: LCI 3, 568–572), wobei allerdings mehrfache Wiederholung von Gebetsreihen schon lange davor üblich war. Die 50 Ave Marias, die auch Psalterium Mariae Virginis ‚Psalter der Jungfrau Maria‘ heißen, werden derzeit durch fünf „Geheimnisse“ in Zehnergruppen eingeteilt. Der Grundhaltung und dem Kirchenjahr nach werden der Freudenreiche, der Schmerzensreiche und der Glorreiche Rosenkranz unterschieden, symbolisiert durch Lilie, Mariendistel und Rose. Immerhin bezeichnet die Rose auch das Blut der Märtyrer, wie Walahfrid sagt, und Christi, was Luther in die bekannten Worte fasste: „Des Christen Herz auf Rosen geht, wenns mitten unterm Kreuze steht.“ Unter Kristes bluomen verstand man die Wundmale des Er lösers. Der Rosenkranz war immer ein besonderes Anliegen der Dominikaner, und die Legende weiß, dass der hl. Dominikus 1208 den 12: Der Rosenstrauch als Kreuz. Zur Rechten Christi der dominikanische Mystiker Heinrich Seuse (Suso) mit einer Rosenkranzgloriole (1482).
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Rosenkranz von Maria selbst als Waffe gegen albigensische Irrlehren erhalten habe. So kann den Mystiker Seuse vor dem Rosenblüten treibenden Kreuzesbaum selbst ein Rosenkranz als Heiligenschein auszeichnen (Abb. 12). Aber natürlich geht die besondere Beziehung der Gottesmutter zu den Rosen bereits in das Altertum zurück. Auch der Isis, mit der Maria allerlei gemein hat, war die Rose heilig, ein Rosenkranz wurde, wie im „Goldenen Esel“ des L. Apuleius beschrieben, bei ihren Festen umhergetragen. In den Volkserzählungen kann statt der Rose mitunter auch die Lilie erscheinen (B-P III, 7). Ihren Höhepunkt findet die christliche Pflanzenmetaphorik wohl in ihrer bildnerischen Ausgestaltung im hortus conclusus, von dem schon vor Langem Ewald Vetter (1956) zeigte, in wie engem Verhältnis er zu der damals sich dem Höhepunkt nähernden Bewegung der Mystik stand. Ich wähle als Beispiel das im Frankfurter Städel aufbewahrte „Paradiesgärtlein“ eines Oberrheinischen Meisters (um 1420) und beschreibe es kurz nach der Analyse von Dieter Hennebo (1987, 140–142, 149f.; vgl. die Vorderseite des Bucheinbands). Das farbenfrohe Meisterwerk zeigt einen mit einer Mauer, auf deren Zinnen Singvögel sitzen, umfriedeten Garten. Auf einer Rasenbank hat die durch blauen Mantel und Krone als Himmelskönigin gekennzeichnete Jungfrau Maria Platz genommen, die gerade – vermutlich im Psalter – liest. Zu ihren Füßen befinden sich drei heilige Frauen: bei der Kirschernte (wegen ihres Korbes, der an das Rosenkörbchen der Legende erinnern soll, die hl. Dorothea, die Patronin der Kirschen; F. Werner, in: LCI 2, 89–92), beim Wasserschöpfen (die hl. Martha) und eine Musikerin (die hl. Cäcilie), die das Christuskind im Spiel des Psalteriums unterweist – oder unterwiesen wird, denn Gott wird das Instrument ja wohl besser beherrschen als ein noch so heiliger Mensch! Rechts vom Beschauer sitzen vor einem Laubbaum auf dem Rasen ein Engel (St. Michael) nebst einem gezähmten Äffchen und ein Krieger (der hl. Georg) nebst einem verendeten, etwas klein geratenen Drachen mit Entenschnabel. Hinter dem Baum steht eine Figur, in der man meist den Stifter des Bildes sieht. Es geht mir hier nicht um die Komposition, die sehr glückliche Farbverteilung, 244
MARIANISCHE bOTANIK
die stereotypen Gesichter oder gar die sogenannte künstlerische „Aussage“ des Bildes, sondern lediglich um die Pflanzenwelt, die in überreicher Fülle und mit größter Liebe zum Detail dargestellt ist. Auf dem Hochbeet, das zugleich die pfostengestützte Rasenbank bildet, wachsen (von rechts nach links): knospende Pappelrosen, Schwertlilien, Goldlack (Erýsimum cheíri) oder Levkojen (Matthíola incána) und die Kronen-Lichtnelke oder Vexiernelke (Siléne coronária). Daran anschließend, aber nun auf der Wiese und entlang der Mauer, blühen die Kleine Taubnessel (Lámium purpúreum), der GamanderEhrenpreis (Verónica chamáedrys) und eine gefüllte Essig-Rose (Rósa gállica). „Am Brunnentrog wächst die Bachbunge (Verónica beccabúnga), und am unteren Bildrande breiten sich (von links) Maiglöckchen (Convallária majális), Maßliebchen, also Gänseblümchen (Béllis perénnis), Pfingstrosen (Paeónia officinális), Immergrün (Vínca mínor) – eine auch sonst segensreiche Pflanze [Marzell, in: HDA s. v. Immergrün] – und Akelei (Aquilégia vulgáris) aus. An der rechten Bildkante stehen hintereinander Schlüsselblumen (Prímula véris), vielleicht Johanniskraut (Hypéricum perforátum), das allerdings in Wirklichkeit fünf Blütenblätter hat, oder wieder Goldlack und weiße Lilien (Lílium cándidum). Im Rasen wachsen außer Schlüsselblumen und Maßliebchen auch Veilchen (Víola odoráta), Erdbeeren (Fragária vésca) und Märzbecher oder Frühlingsknotenblumen (Leucójum vérnum) […]“ (nach Hennebo, 1987, 142). Zu erwähnen ist auch, dass der Kirschbaum – offenbar als Raffinesse der Baumformung – aus zwei miteinander verflochtenen Stämmen besteht, vielleicht das Alte und Neue Testament. Ganz im Vordergrund in der Mitte befindet sich ein starker alter Baumstamm, auf dem zwei Edelreiser gepfropft sind. Es sind wahrscheinlich die von Gott auf den Baum der Erkenntnis neu aufgesetzten Reiser der unbefleckten – daher durch Propfung – Empfängnis Mariens und des Heilands (Föhl, 1948, 68). Natürlich müssen nicht alle hier aufgezählten Pflanzen „klassische Marienpflanzen“ sein – z. B. ist mir die Taubnessel in dieser Sicht noch kaum untergekommen, aber Veilchen, Maiglöckchen, Frühlingsknotenblumen und Erdbeeren sind es sehr wohl. Das nicht minder be245
6. Heilige und fromme Pflanzen
rühmte Bild „Maria mit dem Jesuskind in den Erdbeeren“ (um 1425; abgebildet bei Hennebo, 1987, 143) in Zürich, das außer einem Spalier mit gefüllten Damaszener und Essig-Rosen auch Maiglöckchen, Frühlingsknotenblumen und auf der Rasenbank wachsende Erdbeeren zeigt, bestätigt den marianischen Charakter dieser Frucht. Doch ach, die Fallstricke des Bösen sind allenthalben, wie sollte da nicht auch die Schlange unter den Erdbeeren lauern? Davon ist in dem geistlichen Minnelied eines Fahrenden die Rede, der sich der Wilde Alexander nannte – wilt bedeutet hier ‚geheimnisvoll, raffiniert‘. Es ist das sogenannte „Erdbeerlied“ (KLD, 12f.), in dem einerseits die höfische Welt der illusionslosen Bauernwelt gegenübergestellt wird – wo man früher Veilchen suchte, trampeln jetzt Rinder umher. Andererseits aber erinnert sich der Dichter auch der kindlichen Erdbeersuche im Wald, bei der er und seine Gespielen sich befleckten. Ein Waldhüter hatte vor den Schlangen gewarnt, und tatsächtlich wurde ein weitschichtiger Verwandter unheilbar gebissen. Die Allegorie ist sichtbar: Nach Ovid (I, 103f.) gehörte zwar die Erdbeere wie auch die Früchte des Erdbeerbaums (Arbútus unédo), die Kornelkirschen und die Brombeeren zu jenen Früchten, die man in der unschuldigen Vorzeit verzehrte, aber Vergil hatte in seinen Bucolica (Ecloge III, 92f.) die Knaben vor der sich in den Kräutern verbergenden kalten Schlange gewarnt. Dem entspricht die Ambivalenz der Erdbeere im Christentum. Zwar hatte der Heiland selbst dem Mystiker Seuse, der sich in Bußübungen quälte, zur Vasnacht ein Körbchen Erdbeeren von der Himmelsaue überbracht (Seuse, 31), und allgemein bestand der Glaube, dass Kinder, besonders früh verstorbene, im Paradies in Erdbeeren schwelgen, dagegen veranschaulicht auf einem Straßburger Bildteppich (Major, 1942, 20f., Taf. 9) von ca. 1465 die Erdbeere die Worte des Spruchbandes: Zytlich liebe hat kein Bestand Bedencks end bym Anfang. Auch in Hieronymus Boschs berühmtem „Garten der Lüste“ (1510; Museo del Prado) erscheinen mehrfach übergroße Erdbeeren als Symbol sinnlicher, besonders erotischer Genüsse. Beim Wilden Alexan246
das kreuz als Baum des hEILS
der führt der Erdbeergenuss zur Befleckung aller und die lauernde Schlange hat gar den Gevatter (Adam) schon gebissen (ausführlich bei Birkhan, 1976; U. Braun, in: LCI 1, 656f.; LCK, 101f.).
das krEuZ als baum dEs hEIls Eine wichtige Quelle christlicher Allegorese war neben der Heiligen Schrift selbst auch ein früchristliches Buch, das fabulöse Naturwissenschaft, primär Zoologie, in christlichem Sinn deutete. Das Physiologus ‚Der Naturwissenschaftler‘ genannte Werk ist wahrscheinlich in Alexandrien zwischen dem 2. und 4. Jahrhundert entstanden. In seinen 48 Kapiteln behandelt es ursprünglich nur eine einzige Pflanze, den Taubenbaum Peridexion (etwa ‚Doppelhelfer‘), der auch noch bei Konrad von Megenberg (405) weiterlebt und als Marienattribut auf dem Gösser Ornat (um 1260) abgebildet ist. Er wächst in Indien (Abb. 13). Da seine Früchte sehr bekömmlich sind und sein mit der Sonne wandernder Schatten die Schlange (d. h. den Drachen) fernhält, nisten in ihm die Tauben. Verlässt jedoch eine Taube versehentlich den Schatten des Baumes, so kann sie der Schlange zur Beute werden. Wie immer im Physiologus wird die Deutung gleich mitgeliefert: Der Baum ist Gott, von dessen Früchten sich gute Christen ernähren. Entfernen sie sich jedoch aus dem Schutz des Herrn, so können sie leicht dem Teufel anheimfallen (vgl. J. Flemming, in LCI 1, 259). Gott ist der arbor vitae ‚Baum des Lebens‘, ein Gedanke, der in vielen mittelalterlichen Werken präsent ist, der aber besonders auf Christus übertragen wird. Das zielt einerseits auf die weltliche Abstammung Christi wie überhaupt den Gedanken des Stammbaums, andererseits aber auf das Kreuz, das sich eine botanische Einordnung gefallen lassen muss, wenn es etwa in unserer Tradition aus dem Holz des Kreuzdorns (Rhámnus cathártica) verfertigt wurde. Übrigens soll auch die Dornenkrone aus den Ästen dieses Strauches, des verwandten Zizýphus spína Chrísti oder auch der Schlehe hergestellt worden sein, wobei allerdings Marzell darauf hinweist, dass die einschlägigen 247
6. Heilige und fromme Pflanzen
Dorn-Reliquien vom Bocksdorn (Lýcium europáeum), der ital. spina Christi heißt, stammen (HDA s. v. Kreuzdorn). Gehen wir von Aussagen Gottes wie in Hos 14,6 aus: „Ich werde für Israel da sein wie der Tau, damit es aufblüht wie eine Lilie und Wurzeln schlägt wie der Libanon. Seine Zweige sollen sich ausbreiten, seine Pracht soll der Pracht des Ölbaums gleichen und sein Duft dem Duft des Libanon.“ Solche Prophezeiungen beziehen sich auf Israel als Ganzes, daneben steht die berühmte genealogische Prophezeiung von Jes 11,1: „Doch aus dem Baumstumpf Isais [Jesse] wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht“, die noch in unserem schönen Weihnachtslied „Es ist ein Ros entsprungen“ mit typischem Ersatz des Reises durch die Rose weiterlebt. Diese Veränderung des Bildes war schon Walahfrid (423–428) geläufig: Aus dem Königsstamm Jesse ist dir die Blüte entsprossen, Retter und Bürge allein des erneuerten alten Geschlechtes. Er hat die lieblichen Lilien geweiht durch sein Wort und sein Leben, Färbend im Tode die Rosen, hat Frieden und Kampf seinen Jüngern Auf dieser Erde gelassen, die Tugenden beider verbindend, Beiden Siegen verheißend die Krone des ewigen Lohnes. Überhaupt setzt die Bibel überall genealogisches Denken voraus und ordnet (immer nur) die Väter aufzählend diese mit Josef beginnend zurückschreitend in einer Liste an, die mit Set, Adam und Gott endet (Lk 3,23-38) – wobei es zu dem unaufgelösten Paradox kommt, dass Jesus ja gerade nicht der Sohn Josefs ist und daher auch gerade nicht aus dem Hause Davids stammt, dem der Zimmermann entspross. Stellte man dies in Form eines Stammbaumes dar, so musste dessen Wipfel mit Josef kulminieren, nicht mit dem Heiland. Dennoch durchzieht der Gedanke vom „Reis“ als Stammbaum Christi durchaus inkonsequent das christliche Denken. Ausdruck findet die Baumstammgenealogie etwa in mittelalterlichen Kunstwerken 13: Der Baum Peridexion aus dem Physiologus, in dessen Schatten die Tauben vor dem Drachen Schutz suchen (um 1220).
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6. Heilige und fromme Pflanzen
wie den großen siebenarmigen Bronzeleuchtern in Mailand, Braunschweig oder – aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts – in der Stiftskirche von Klosterneuburg, der angeblich die Reste jenes Holunderstammes enthält, an dem sich der Schleier der Markgräfin Agnes der Gründungslegende von 1371 nach verfangen haben soll. Der Baumstamm im Stammbaum ist auch unserm Alltag präsent: durch genealogische Stammbäume, auch im Sinne Darwins von den „Moneren“ und Amöben bis zum Menschen und im übertragenen Sinne wie etwa beim Stammbaum der Dominikaner, der Philosophie, der indogermanischen Sprachen usw. Und natürlich schon verbal durch die bloße Verwendung des Wortelementes stamm- in Wörtern wie abstammen oder – besonders plastisch – Stammhalter. Das ist nicht selbstverständlich, denn z. B. die germanische Genealogie dachte in Gliedern des menschlichen Körpers (vom Hals bis zum letzten Fingerglied). Das Kreuz, ein „Baum des Lebens“ (arbor vitae), kann auch als „Baumkreuz“ etwa in Form eines Rosenstrauchs (Bethe, 1948; s. Abb. 12) oder als stattlich verzweigter Baum mit Paradiesschlange gedacht werden, wie 1421 von Giovanni da Modena in San Pedronio (Bologna). Es kann wie an der armenischen Kirche von Akhtamar (10. Jahrhundert) im Van-See auch bewurzelt oder mit blühenden oder Trauben tragenden Seitensprossen dargestellt werden (Abb. im LIC 3, Taf. II, 6; vgl LCK, 54). Es erscheint auch personifiziert. So meldet es sich eindrucksvoll in altenglischer Zeit um etwa 700 zu Wort. Es ist die berühmte Runeninschrift auf der Ost- und Westseite des Hochkreuzes von Ruthwell in Dumfriesshire, die allerdings fragmentarisch ist und Teil eines längeren Gedichts. Dieses ist auch unter dem Titel „The Dream of the Rood“ in jüngerer Zeit (10. Jahrhundert) im VercelliBook überliefert. In diesem Traum erzählt das Kreuz in Ichform als Stamm, der sich nicht beugte (s. oben S. 120) von der Kreuzigung und verbindet sein Mitleid mit dem des Traumerzählers. Hier gebe ich Strophe I–III der Runenversion wieder, in denen das Ich des Kreuzesholzes am deutlichsten hervortritt. Was in Klammern steht, 250
das kreuz als Baum des hEILS
lässt sich nach der Traumerzählung ergänzen (vgl. Clancy, 1998, 121; Düwel, 2008, 80): I: Der allmächtige Gott entkleidete sich, als er das Kreuz besteigen wollte, kühn vor allen Menschen. Mich zu beugen [wagte ich nicht, musste vielmehr fest stehen]. II: Ich hielt hoch den großen König, Herrn des Himmels. Ich wagte mich nicht zu krümmen. Menschen verspotteten uns beide. Ich war glitschig von Blut [aus der Seitenwunde des Mannes]. III: Christus war auf dem Kreuz. Aber dann kamen Kühne von weit her, Edle, allesamt. Ich sah sie alle. Ich war von Schmerz getroffen. Ich beugte mich [den Händen der Krieger …; gemeint ist zur Kreuzabnahme]. Das Kreuz wird mit dem Baum der Erkenntnis in einem Lied des 13. Jahrhunderts in Antithese gesetzt: Von einem boume uns leit geschach, daz hůp sich durch der slangen nit: Got schiere ein ander holz ersach, an dem er uns erloste sit (Wackernagel 1867, Nr. 194). Dementsprechend wird auch gelegentlich der Paradiesbaum dürr, von riesigen Ausmaßen und einer Schlange umringelt dargestellt, in dessen Wipfel das Jesuskind ruht (Stauch, 1948, 66f.). Das Kreuzesholz hat natürlich auch eine Vor- und Nachgeschichte (s. dazu ausfürlich HDA s. v. Kreuzbaum, Kreuzholz). Die Vorgeschichte ist für uns am besten in der deutschen Sibyllensage des Mittelalters greifbar. Sie ist in mehreren Fassungen tradiert (dazu die gründliche Darstellung von Schnell-Palmer, in: VerfLex 1992, 1140– 1152), von denen vor allem das reich überlieferte Sibyllen Buch ergiebig ist. Dazu kommen nun auch noch Traditionen, die sich um Adam und Eva ranken und etwa im Adambuch zu finden sind (W. WilliamsKrapp, in: VerfLex 1985, 371f.). Aus diesen Berichten ergibt sich folgende Legende: Als Seth für seinen sterbenden Vater Adam Öl vom Baum der Barmherzigkeit holen soll, vertröstet ihn der Engel im Hin251
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blick auf Christi Erlösungstat und gibt ihm stattdessen einen vom Lebensbaum des Paradieses stammenden Zweig, den Seth entweder dem Toten in das Grab mitgibt oder auf das Grab des Vaters pflanzt. Jedenfalls treibt er aus. Als der Baum schon mächtig herangewachsen ist, lässt ihn Salomon fällen, weil er ihn im Tempelbau zu verwenden gedenkt. Da er jedoch nicht passt, wird er gering geachtet und als Steg über einen Wasserlauf gelegt. Die prophetische Sibylle – gemeint ist die „chaldäische“ –, die auch mit der Königin von Saba gleichgesetzt wurde und als Geburtsfehler einen Gänsefuß hat, erkennt dank ihrer prophetischen Gabe auf dem Weg zu Salomon, dass aus diesem Baumstamm dereinst das Kreuz Christi gezimmert werden wird. Aus Ehrfurcht betritt sie den Steg nicht, sondern watet durch das Wasser, wodurch ihr Geburtsmakel flugs durch einen schönen Menschenfuß ersetzt wird. Von Salomon befragt, prophezeit sie nun von der zukünftigen Bestimmung des Baumstammes und weiter bis zum Ende der Welt. Eine Sibyllendarstellung wie die am Westportal der Kathedrale von Laon zeigt sie mit gerafftem Kleid, damit der Gänsefuß sichtbar wird. Auch in Amiens und Beauvais ist die Prophetin abgebildet. Ich muss kaum erwähnen, dass sich heute noch Kreuzpartikeln unter den wichtigsten Kirchenreliquien befinden. Auch das zu den Reichsinsignien gehörende Reichskreuz enthält solche. Nach der Auffindung des vergrabenen Kreuzes durch die hl. Helena im Jahr 320, ein Ereignis, dessen die römisch-katholische Kirche am 3. Mai gedenkt (Schott, 853), gelangte die Reliquie nach Jerusalem, von wo sie der persische König Cosdroas (Chosrau II.) 614 raubte. Sie wird vom byzantinischen Kaiser Herakleios 628 zurückerobert und wieder nach Jerusalem gebracht. Dieses Geschehen ist Gegenstand eines Romans Eracle des Gautier d’Arras, den ein gewisser Otte wohl zu Anfang des 13. Jahrhunderts als Eraclius ins Deutsche übersetzte (W. Walliczek, in: VerfLex 1989, 199–203; Frey, 1990). Der Rückführung des Kreuzes gedenkt die ost- und weströmische Kirche noch heute durch das Kreuzerhöhungsfest am 14. September, in dessen Ritual der Baum des Kreuzes als der wahre „Lebensbaum“ dem Paradiesbaum, durch den der Tod in die Welt kam, gegenübergestellt wird (Schott, 1048f.). 252
MENSCHENFREÜCHTE
mEnschEnfrüchtE Die Früchte eines Baumes können allegorisch als Menschen verstanden werden, ohne dass der Baum als Stammbaum angesehen wird. Eines der schönsten Beispiele ist das Birnbaumgleichnis des Bamberger Rektors Hugo von Trimberg am Beginn seines Der Renner genannten, zwischen 1296 und 1313 entstandenen Erziehungswerkes (44–132). Danach gelangte der Erzähler einst zu einem blühenden Birnbaum, der sich in einem von Bergen eingeschlossenen locus amoenus mit üppiger Blumenwiese neben einem Brunnen befand. Als die Birnen reiften, schüttelte der Wind sie vom Baum. Nun fielen einige in eine Lache, einige in den Brunnen, niemand holte sie dort heraus. Andere fielen in einen nahen Dornbusch, wo sie gleichfalls verloren waren und verfaulten. Einige fielen in das Gras, wo sie zwar durch das Wetter litten, aber doch im Ganzen unbeschädigt blieben. Sehr detailliert deutet Hugo diese sogenannte „Konstruktionsallegorie“: Der Birnbaum bedeutet Eva, die Birnen ihre und Adams Kinder. Der Brunnen bezeichnet die Habgier, der Dornbusch die Hoffart, die Lache steht für die übrigen fünf Todsünden. Das grüne Gras, das die Birnen bewahrt, bezeichnet die Reue der Ureltern nach dem Genuss der verbotenen Frucht. Nur sie erhält und rettet. Der locus amoenus der blühenden Heide ist unsere Menschenwelt, zwar von schönem Schein (Blumen), aber im Vergleich zum Paradies ein von den Bergen der Sorge und Mühe umgebenes Jammertal. Der Fall der reifen Birnen bezeichnet die Lösung der jungen Menschen von ihrer Mutter. Der Wind, der die Birnmädchen zu Fall bringt, heißt „Fürwitz“, ist also die Neugierde, während die Birnknaben durch den Egoismus, den Wind Her Selphart, zu Fall kommen. Hugos Gleichnis ist ein treffliches Beispiel für den wohldurchdachten Einsatz von Baum und Kraut in der mittelalterlichen geistlichen Allegorese.
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7. sPannwEItE. das PflanZEnbIld In dEr wEltlIchEn tradItIon dEs mIttElaltErs
floskEl und ornamEnt
N
icht wenig Beispiele lehren, dass die Pflanze als allegorisches oder symbolisches Zeichen gebraucht wurde. Ich meine damit nicht nur Vorstellungen wie die der Blume, wenn sie auf die Schönheit der Frau übergreift wie etwa in einem Spruch in Frauenlobs Kurzem Ton (XIII, 58, 7), wo der Liebende hofft, daz sinen lip heile ein gefioliertez wip mit steter liebe ‚dass ihn eine veilchen-gewordene (oder veilchenhafte) Frau mit beständiger Liebe heile‘. Wenn die Frau als Objekt der Liebe durch die Anrede o wîp du violiner garte (Minneleich, 8,1), also als ‚Veilchengarten‘, geehrt wird, so steht auch wieder das Bild Mariens im Hintergrund, ist sie doch jene, „um deretwillen man alle Frauen ehrt“ (Minneleich, 33), denn „wo liegt der Salbei sanfter Wunden […], wo steht der natürliche Baum, dessen Blüten keine Minderung des Lobes zulassen“ (30,7; 31,3), wenn nicht in ihr? Die Frauen verstehen es, „Rosen zu lachen“, d. h. wohl, im Lachen Rosen hervorzubringen, und unter ihren Tritten sprießen Rosen und 255
7. spannweite
Veilchen (B-P I, 100; II, 279; III, 91). Auch Heinrich von Neustadt (Apollonius, v. 182) kennt das „Rosenlachen“ im Liebesglück. Der Vergleich von Frauen mit Blumen und speziell errötender mit Rosen ist keineswegs selten. Walther bietet in seinem Lied Nemt, frowe, disen kranz (74,20) einem Mädchen ein Kränzlein (schapel). Wie wird sie sich verhalten? Si nam daz ich ir bôt, einem kinde vil gelîch, daz êre hât. ire wangen wurden rôt, same diu rôse, dâ si bî der liljen stât (74,28-31). Zauberhaft sind in dem errötenden Mädchen die marianischen Lilien und Rosen vereint. Dazu lässt sich ein Wort des Barockdichters Friedrich von Logau (1604–1655) stellen: Wie willst du weiße Lilien zu roten Rosen machen? Küß eine weiße Galathee, sie wird errötend lachen. Der späte Minnesang, insbesondere die Dichtungen Konrads von Würzburg und Heinrichs von Meißen (Frauenlob), aber auch vieler anderer weniger bekannter Sänger strotzen geradezu von der Pflanzen-Metaphorik für Frauen und ähnlichen manieristischen Bildern im „geblümten Stil“, wie man schon im Mittelalter sagte. Gemeint sind die „Redeblumen“, die bereits die Antike flosculi nennt, wenn etwa Cicero erklärt, er wolle von allen Arten der Redekunst die „Blümchen“ als das Beste pflücken. Wer solche flores rhetorici besonders pflegte, durfte sich vielleicht auch „Gärtner“ nennen. Jedenfalls hat Fritz Peter Knapp so die Selbstnennung Wernhers am Ende seiner berühmten Erzählung vom Meier Helmbrecht als garten#re verstehen wollen (VerfLex 10, 927). Wenn das Wort Floskel heute eine Abwertung erfahren hat, so ist das eine relativ späte Entwicklung der Neuzeit, in der die Redekunst überhaupt als Lüge und Propaganda in Misskredit geraten ist. Übrigens haben die flosculi in einer so fremden Kultur wie der altmexikanischen interessante Entsprechungen. Im Codex Borgia (fol. 17) wird etwa die Rede des Gottes Tezcatlipoca durch eine aus seinem Mund herauswachsende Blüte (aztekisch xochitl), eine „Floskel“, bezeichnet. 256
floskel und ornament
Eine besondere Bedeutung hat die Pflanze als verselbständigtes Ornament gewonnen, ein wichtiges Kapitel, das hier aus Raumgründen nur kurz gestreift werden kann. Man kann die Entwicklung der Pflanzenornamentik in folgende Stadien unterteilen: (1) Das aus der Antike und da wieder letztlich aus Ägypten, dann Griechenland und Rom stammende Ornament, das aus Blütenreihen, Blattwellen, Ranken und dem Akanthusblatt besteht. Dieses ist, wie die Alten glaubten, dem Blatt von Acánthus spinósa nachgebildet, eine den Lippenblütlern nahestehende Pflanze, für die es keinen eindeutigen deutschen Namen gibt, weil Bärenklau auch das nicht näher verwandte Doldengewächs Heracléum bezeichnet. Nach anderen soll das „Akanthusblatt“ aus der Palmette, dem stilisierten Palmwedel, abgeleitet sein. (2) In der karolingischen Kunst wurde zusammen mit dem RomGedanken auch das antike Ornament übernommen, wobei die germanisch-keltischen Tierflechtelemente in Mitteleuropa, nicht aber in Skandinavien und auf den Britischen Inseln, zurückgedrängt wurden. Das gilt sowohl für die Buchmalerei als etwa auch für Blattkapitelle. Dabei sollte in der karolingischen Kunst das Akanthusblatt möglichst „realistisch“, wie organisch gewachsen dargestellt werden, während es die Ottonenzeit „entlebendigt“ (Weigert, 1948a, 835) und immer weniger plastisch gestaltet. (3) Im 11. Jahrhundert kommt das organisch-pflanzliche Ornament überhaupt ab. Es ist die Zeit der kargen Würfelkapitelle, Flächen werden von geraden Linien, Rauten oder Mäandern eingefasst. (4) Das 12. Jahrhundert kehrt wieder zum pflanzlichen Ornament zurück, zunächst wie die vorklassische Antike zu Palmetten oder Rosetten. Es bilden sich einzelne berühmte Schulen wie etwa die der Bodenseeinsel Reichenau. Die hier eingeführten ornamentalen „Knollen“ werden zu „Knospen“, die – „aufgesprungen“ – Palmetten ergeben. Insgesamt gewinnt das Ornament an räumlicher Tiefe. Im Formen inventar wird es durch Weintraube und Akanthusblatt ergänzt. Aus Letzterem beginnen etwa am Wormser Dom um 1200 Masken hervorzulugen (Keller, 1948, Abb. 1; vgl LCK s. v. Maske). Das gedrängte 257
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Blattwerk erscheint nun als abstraktes Zeichen ‚Baum‘. „Eine typisch hochmittelalterliche ‚Landschaft‘ zeigen die ‚Carmina Burana‘ aus Benediktbeuren von 1225 mit den mannigfaltigsten Abwandlungen der ‚Idee Baum‘, die von der Realität Baum noch nichts weiß und wissen will“ (Weigert, 1948a, Sp. 838; Abb. 9). Es ist das, was ich oben „schönen Wald“, einen Lustort voll Blumen, Vögeln und anderem Getier, genannt habe (S. 208). (5) Ende des 13. Jahrhunderts setzt die „Beulung“ oder „Dellung“ ein, die kanonische Form der Spätgotik, die einerseits stark stilisiert erscheint, andererseits vermöge eben dieser „Beulung“ einer Neigung zur Dreidimensionalität nachgibt. Sie ist in der plastischen Kunst leicht herzustellen (s. etwa das Domchorgestühl von Halberstadt aus dem ersten Viertel des 15. Jahrhunderts; Weigert, 1948a, Sp. 845, Abb. 11), in der Miniaturenmalerei erfordert sie eine Licht-SchattenTechnik, um den Eindruck des Hervortretens zu erwecken (ibid., Abb. 12: Missale des Johann von Troppau von 1368 in Wien). (6) Seit 1460 entwickelt sich das skulpturierte Blattwerk zu einem „Geflecht dürrer, disteliger Ranken“, das möglichst verflochten wird. So ergibt sich das spätgotische Blattwerk, das wir besonders an Konsolen bewundern können. Das Pflanzenhaft-Wachstümliche beherrscht in gewissem Ausmaß in sehr abstrakter Form auch das gotische Maßwerk. Lieblingsmotive sind das Dreiblatt (neben z. B. „Nonnenköpfen“ und „Fischblasen“), der „Vierpass“ und „Vielpassformen“, wobei die „Fünfpassform“ sich als „Rosette“ (Röschen) der stilisierten Rose, etwa in der Heraldik (s. oben S. 222f.), annähert. Durch radiale Gliederung entsteht dann jenes charakteristische und berühmte Gebilde, das wir als „Rosette“, insbesondere im Rosettenfenster der Kathedralen, gewöhnlich mit der Hochgotik verbinden. Allerdings ist dies nicht die älteste Bezeichnung: Man sprach von fenestrae orbiculares ‚kreisförmigen Fenstern‘ (um 1220/25), einer reonde veriere ‚runden Verglasung‘ oder seit 1274 schlicht von einem „Rad“ (rota), das mit dem Glücksrad oder dem der hl. Katharina gleichgesetzt wurde und auch mit kosmologischen Assoziationen verbunden war. Erst seit Ende des 14. Jahrhunderts 258
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(1391) wird das immer reicher mit Maßwerk gegliederte, oft riesige Fenster als rosa bezeichnet. Einen Bezug zu Maria, den man vielleicht erwarten könnte, hat es auch dann ebenso wenig (Kobler, 1982, 68– 70) wie die „Windrose“ beim Kompass. Was zur Entwicklung floraler Elemente gesagt wurde, trifft auch in der Buchmalerei (vgl. LCI 4, 620–622; R. Diehl, in: RDK 2, Sp. 12– 31) zu, nur dass in der letzten Phase auch üppigere Formen erscheinen: Efeu- und Weinranken, Akanthusblatt und gebeulte Blätter, die oft mit Drolerien (grotesk-komischen Darstellungen von Menschen, Tieren oder Wunderwesen) weiter verziert sind. In der Skulptur finden sich diese vorwiegend in Blattkapitellen und holzgeschnitzt in Misericordien. In der Malerei ergeben sich aus Ranken gebildete Füllungen, in die Vögel oder auch Wilde Männer (s. oben S. 199f.) gefügt werden. In den Ranken selbst finden sich dann auch naturalistisch dargestellte Früchte wie Erdbeeren, Weintrauben oder Eicheln. Die Darstellung von Blumen entfaltet sich insgesamt relativ spät. Während zuvor das Blatt dominierte, setzt die Miniaturmalerei von Blumen erst im 15. Jahrhundert so richtig ein. Im Einzelnen könnte dies nun an so bekannten Handschriften wie der Wenzelsbibel (1390–1400), der Ambraser Handschrift (1504–1516) oder den berühmten Stundenbüchern (zwischen etwa 1410 und 1500) demonstriert werden (vgl. etwa Fisher, 2004). Wie bei den Abbildungen der Kräuterbücher steht auch hier am Ende ein ausgeprägter Realismus, ja sogar Fotorealismus, der es leicht macht, die Veilchen, Stiefmütterchen, Margariten, Gänseblümchen, Nelken und Schwertlilien botanisch einwandfrei zu bestimmen und da und dort auch Kleingetier zu überraschen – bunte Feuerwanzen, zarte Motten, fleißige Bienen, emsige Käfer und zierliche Schnecken.
dEr mEnsch als PflanZE und dIE PflanZE als mEnsch Nach diesem kurzen Ausflug in die Welt des Ornaments, der Kapitelle und des Buchschmucks kehre ich zur Neigung, auch außerhalb der religiösen Vorstellungswelt und der erotischen Blumenmetapho259
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rik Mensch und Pflanze, insbesondere Mensch und Baum, gleichzusetzen, zurück. Das Beispiel von Sprössling, irisch-schottisch clann, und die assoziativen Verbindungen von Mensch und Holz wurden oben schon erwähnt (s. oben S. 13). Die politisch wenig korrekte, nicht unvoreingenommene Volksmeinung sagte einst von Rothaarigen in Österreichisch-Schlesien: érlenes laub und rothe loden wachsen selten auf gutem boden (DWB 12, 1115), weil der des Erlengrunds als minderwertig gilt, ganz wie eine Sippe, die rote Loden (rote Ausschlagreiser), also Rothaarige, hervorbringt. Zwar wissen die Ältere und Jüngere Edda (Völuspá, 17; Gylfaginning, 9) von einem Ur-Menschenpaar Askr ‚Esche‘ und Embla ‚?‘ (ein unerklärter Baumname, meist bedenkenlos mit ‚Ulme‘ übersetzt), und von den Sachsen fabelte man in der Frühen Neuzeit (Grimm, Sagen, Nr. 413), dass sie aus den Felsen (saxa) des Harzes bei einer Quelle mitten im grünen Wald enstanden seien – noch heute sagt man ja, dass in „Sachsen die schönen Mädchen auf den Bäumen wachsen“, so wie in den Niederlanden die Babys aus den Kohlköpfen kommen –, und wenn auch der Apfelbaum (apaldr), etwa als „Apfelbaum der Schlacht“ im alten Skandinavien, eine beliebte Heldenmetapher war – möglicherweise biblischen Ursprungs (s. oben S. 229) – und der Lauch (laukr) gleichfalls den Helden bezeichnete, so ist dennoch aufs Ganze gesehen im Germanischen in alter Zeit die Neigung, sich namentlich mit einer Pflanze (Baum) zu identifizieren, eher gering. Heutige Familiennamen wie Ahorn(er), Apfalter ‚Apfelbaum‘, Birnbaum, Buchner, Eyb(e)l, Eich, Felber ‚Weidenbaum‘, Ficht(e), Holder, Linde weisen nicht auf Identifikation, sondern meist den Wohnort. Die beliebten schwedischen, von Pflanzennamen abgeleiteten Familiennamen wie Lindqvist ‚Lindenzweig‘ oder Lindgren ‚Lindenlaub‘ entstammen erst einer humanistischen Namenmode. Dagegen ist die Neigung zur Baumidentifikation bei den Kelten sowohl im Altertum als auch in späterer Zeit bei den Inselkelten sehr auffällig. Da scheint es geradezu eine Art Pflanzentotemismus gegeben zu haben, wie der Stammesname der Eburones als ‚Eibenleute‘ bei 260
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Iulius Caesar und andere Namen nahelegen. Aus mittelalterlichen und späteren keltischen Sprachen nenne ich aus der Fülle nur irisch Mac Cairthin ‚Sohn der Eberesche‘, Mac Cuill ‚S. d. Hasel‘, Mac Daro ‚S. d. Eiche‘, Mac Dregin ‚S. d. Schlehe‘, Mac Ibair ‚S. d. Eibe‘, Dar Í ‚Tochter der Eibe‘, Dar Chairtin ‚T. d. Eberesche‘, Dar Fhraich ‚T. d. Heidekrauts‘, mittelkymr. Avallach ‚der zum Apfelbaum Gehörige‘ (Birkhan, 1970, 446–448 m. Anm. 1236). Es fällt auf, dass dieser Namentyp im alten Gallien ungleich beliebter war und in Irland häufiger ist als in Britannien. Immerhin werden seit dem Mittelalter auch die Buchstaben der älteren gälischen Mönchsschrift, die als Druckschrift (cló gaelach) bis um die Mitte des 20. Jahrhunderts weiterlebte, nach Pflanzen (vor allem Bäumen) benannt: ailm ‚Ulme‘, beith ‚Birke‘, coll ‚Hasel‘, dair ‚Eiche‘, eadhadh oder eabhadh ‚Espe‘, fearn ‚Holunder‘, gath ‚Efeu‘ usw. Ganz neuzeitlich ist allerdings die vorwiegend englische Neigung, Frauen Blumennamen zu geben. Da gibt es nun Begonia, Blossom, Camelia, Clivia, Daisy (samt der ags. Stammform D#geseage ‚Tagesauge‘), Hazel, Heather, Ivy etc. Aber schon mittelalterlich sind das Liebespaar Flore und Blanchefleur (so auch der Name von Percevals Geliebter) sowie Eglantine ‚Heckenrose‘ (der Name der affektierten Äbtissin bei Chaucer), bei Shakespeare kommen Viola und Olivia (in „What you will“) und Rosalind (in „As you like it“) dazu. Im Deutschen gibt es Frauennamen, die wie Pflanzennamen aussehen, aber ursprünglich keine waren: Erika (weibliche Form zu Erik), Magarita (nach der Heiligen, deren Name ‚Perle‘ bedeutet), Linde (als Kurzform eines Namens vom Typus Sieglinde, in dem das Zweitelement ‚Schild aus Lindenholz‘ meint) und Rosa zum lateinischen Namen einer Heiligen, der sich nur scheinbar mit Eglantine vergleichen lässt. Hier herrscht wie auch im Namen der Mundirosa im Roman Seifrit von Ardemont des Albrecht von Scharfenberg (zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts) und im späteren Dornröschen romanischer Einfluss. Zum Thema der „Frau als Pflanze“ gehört auch die Fantasie von den Blumenmädchen, wie sie zuerst in der Alexandersage begegnen 261
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und am liebevollsten im Straßburger Alexander (5241–5358) dargestellt sind. Sie entspringen großen farbigen Knospen, sind überaus lieblich und ähneln der Größe und ihrem Verstand nach etwa zwölfjährigen Mädchen. Sie können nur im Schatten existieren. Alexanders Krieger, von ihrem Liebreiz und Gesang verführt, gehen mit ihnen feste Bindungen ein, die so lange währen, bis die Blumenmädchen nach drei Monaten gemäß der Ordnung der Pflanzenwelt dahinwelken und sterben. Richard Wagner hat im zweiten Akt des „Parsifal“ die Blumenmädchen, freilich mit anderer Akzentsetzung, auf die Bühne gebracht. Nicht selten ist das Menschenleben geheimnisvoll mit dem eines Baums verbunden wie schon in der griechischen Sage von Meleagros, den seine Mutter tötet, indem sie ein bestimmtes Holzscheit verbrennt (Ovid, met. VIII, 451–514; B-P III, 440f.). Die Religionsgeschichte nennt diese Vorstellung „external soul“. Der Zustand einer Pflanze, etwa eines Baumes oder einer Lilie, verrät, wie es dem Abwesenden ergeht (B-P I, 545f.). Vielfach war und ist es noch üblich, bei der Geburt eines Kindes einen „Lebensbaum“ zu pflanzen (Boette, in: HDA s. v. Lebensbaum). Kurios ist die Tradition, dass in Jonsboda Lindegård in der Gemeinde Hvitaryds der schwedischen Landschaft Finveden eine dreistämmige Linde als Schicksalsbaum einer Familie gewachsen sei, die aus den drei Zweigen Linnaeus, Lindelius und Tiliander (‚Lindenmann‘ von lat. tilia ‚Linde‘ + gr. anér ‚Mann‘) bestand. Jeweils mit dem Aussterben eines der drei Familienzweige, darunter Linné (der berühmte Botaniker!), soll auch ein Teil der Linde abgestorben sein (s. HDA s. v. Schicksalsbaum). Mit der Vorstellung, dass eine Pflanze auf mysteriöse Weise mit einer Person in Verbindung steht oder mit ihr die Lebenskraft teilt, hängt auch zusammen, dass man aus dem Zustand des Grabbewuchses auf das Geschick der Seele des Verstorbenen im Jenseits schließen will, wobei einem Kind, das seine Eltern geschlagen hat, sogar die Hand zum Grab herauswächst (B-P II, 550ff.). Ein mit Dornenpflanzen und Nesseln bestandenes Grab deutet auf das Leiden der Seele. Auf dem Grab der Frommen erblüht von selbst eine Lilie (B-P III, 262
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461). Wo das Blut des hl. Oswald vergossen wurde, wuchs laut Beda Venerabilis ein besonders üppiges Gras (Hist. eccles. 3, 10), dessen Erdreich einen Balken vor Feuer bewahrte, so wie auch auf dem Grab von Gottfried Kellers „Grünem Heinrich“ in der ersten Fassung ein „recht frisches und grünes Gras“ gewachsen ist. Die Gräberpflege, die ja von keinerlei christlichem Gebot bestimmt ist, eigentlich eher unchristlich scheint und auf den römischen Grabschmuck mit Rosen anlässlich des Totenfestes der Rosalia zurückweist, ist nicht nur Ausdruck der liebenden Pietät, sondern auch eine Art magisches „Nachhelfen“, mit dem man wohl letztlich das Geschick der Seele zu beeinflussen hoffte. Am einfachsten war es, das Grab mit den leicht anwachsenden Weidenruten zu bestecken (Geiger, in: HDA s. v. Grabblumen). Dass die Lebenskraft des Verstorbenen in der Pflanze irgendwie präsent ist, zeigt etwa die Episode in der Äneïs (III, 26), in der Äneas vom Myrtenstrauch auf dem Grab des Polydorus einen Zweig abreißt, welcher blutet. Dante hat den Gedanken wieder aufgegriffen. Auf Vergils Wunsch bricht er im Gestrüppwald der Selbstmörder einen Zweig von jenem Dornenstrauch, in den Petrus de Vinea, der höchste Hofbeamte Friedrichs II., der durch Selbstmord endete, gebannt war: […] da schrie der Stamm: „Was reißt du mich in Stücke?“ Und als er dann vom dunklen Blut gebräunt, da schrie er wieder: „Was zerreißt du mich? Hast du vom Geist des Mitleids keine Spur? Wir waren Menschen, jetzt sind wir Gestrüpp […]“ (XIII, 33–37). In einer sehr seltsamen Brechung kehrt dieses Motiv in der archaischen arthurischen Erzählung Kulhwch ac Olwen ‚Kulhwch und Olwen‘ (vielleicht um 1100) wieder. Hier verlangt die sterbende Mutter des jungen Kulhwch von dessen Vater, dass er nicht wieder heirate, solange nicht „ein Dornstrauch mit zwei Spitzen“ aus dem Grabe wachse. Der heiratslustige Witwer behält nun das Grab im Auge, doch dieses wird vom Hofmeister so gut gepflegt, dass keine Dornenpflanze aufkommt. Erst als der Getreue nach sieben Jahren die Grab263
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pflege vernachlässigt, zeigt sich das vom Witwer ersehnte Dornengewächs (Birkhan, 1989a, 34). Auch im Aschenputtelmärchen (KHM 21) besteht eine geheimnisvolle Beziehung zwischen der verstorbenen Mutter und dem auf ihrem Grab wachsenden Bäumchen, das ja sogar aktiv in die Handlung eingreift (vgl. B-P I, 165ff.; II, 126, 128). Ein berühmtes Beispiel der Sympathiewirkung der Grabpflanzen findet sich am Ende des Tristrantromans des Eilhart von Oberg (9477–9524): Marke hat von der Existenz des Minnetrankes und der Schuldlosigkeit der verstorbenen Liebenden erfahren und lässt beide nebeneinander bestatten. Er pflanzt eine Rose auf Isaldes Grab und einen Weinstock auf das Tristrants. Als letzte Wirkung des Minne tranks verschlingen sich die Zweige der beiden Gehölze so sehr ineinander, dass sie niemand hätte trennen können. Eine Pflanze kann sogar Handlungsträger(in) in einem Märchentyp werden, der dem uns geläufigeren Tierbräutigammärchen wie dem „Eselein“ (KHM 144) entspricht, die Tiergestalt jedoch durch eine Pflanze ersetzt. Der klassische Fall ist das Heidelbeer-Märchen aus dem frühneuzeitlichen Pentamerone (1634) des Giovanni Basile, das aber gewiss auf eine ältere Tradition zurückgeht. Eine lange Zeit unfruchtbare Frau gebiert endlich einen Heidelbeerzweig, den sie gut pflegt und ans Fenster stellt. Widerwillig überlässt sie ihn dem vorbeireitenden Prinzen. Nachts verwandelt er sich in ein schönes Mädchen, das nun des Prinzen Lager teilt. Die früheren Beischläferinnen, die über ihre Vernachlässigung murren, zerstören den Heidelbeerstock und zerstückeln damit das Mädchen. Doch der Diener legt die Leichenteile, die auf wunderbare Weise zusammenwachsen, wieder in den Blumentopf, worauf der Prinz La Mortella ‚die Heidelbeere‘ heiratet. Das Märchen von der blumengestaltigen Braut hat in dem gar frommen Grimm-Märchen „Die Nelke“ (KHM 76) eine gewisse Entsprechung. Eine bereits mittelalterliche Erzählung mit vertauschtem Geschlecht der Liebenden findet sich in Boccaccios Decamerone (1348–1353) als fünfte Erzählung des vierten Tages. Sie ist aus dem offenbar älteren Märchentyp schon weitergebildet. Hier hat sich die reiche Kaufmannstochter Elisabetta in Lorenzo, den Angestellten ih264
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res Vaters, verliebt. Die missgünstigen Brüder bringen den Geliebten um und verscharren ihn. Im Traum verrät der Tote Elisabetta, wo er vergraben ist. Sie findet den Leichnam unverwest, legt den Kopf in ihrem Gemach in einen Blumentopf, worauf sie ein Basilikum darüber pflanzt, das sehr gut gedeiht, da sie es stets mit ihren Tränen begießt. Die Brüder können sich den Verfall der Schwester nicht erklären, untersuchen das Basilikum und finden darunter das noch nicht ganz verweste Haupt des Lorenzo. Sie fliehen aus der Stadt, um der Verfolgung zu entgehen, während die Liebende im Tode mit Lorenzo vereint stirbt. Die enge Beziehung des Geliebten zur Pflanze kommt deutlich zum Ausdruck. In anderen Pflanzenbräutigamerzählungen ist die jeweils gehegte Pflanze ein Majoran- oder Rautenstock (B-P II, 125, 128, 263). Bereits im Altertum hatten die römischen Frauen leicht keimende Samen in Blumentöpfe oder Kistchen als sogenannte Adonisgärten (Adonidis horti) gepflanzt und deren Aufblühen und Verwelken mit dem Geschick des semitischen Fruchtbarkeitsgottes Adonis verbunden (Frazer, 1994, 337f., 340f.). Der Pflanzenschössling ist voll Lebenskraft, worauf die Weidewirtschaft auf Ausschlagreisern beruht (s. oben S. 210), eine Kraft, die man sich durch Schlag mit der „Lebensrute“ dienstbar machen kann. Im Märchen bewirkt sie bekanntlich Verwandlung und Rückverwandlung. Sie kann insbesondere auch verjüngen, ein Motiv, das Walther von der Vogelweide in einem ausgesprochen bissigen „Unmutslied“ thematisiert: Während er im unbedankten Minnedienst ergraut und seiner Dame zu alt wird, wird auch sie nicht jünger. Wenn sie nun einen jungen Minnediener sucht, so möge dieser Walther dadurch rächen, dass er ihr die „alte Haut“ mit Hieben der sumerlatten (Gerten) verbleut (73,22). Gedacht ist – wie es auch in einem Lied Neidharts heißt –, dass sich die runzelige Haut der Alten durch die Schläge wieder spannt und glatt wird wie die einer Handtrommel, eines sumber (so bei Neidhart 8,38). Die Bäume gelten so sehr als Lebensträger, dass man ihnen Krankheiten anvertrauen kann, von denen man gerne befreit wäre, etwa indem man ein Loch in den Baumstamm bohrt, die Krankheit (z. B. 265
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durch eine Inschrift auf ein Zettelchen gebannt) in das Loch steckt und dieses durch einen Holzkeil „verspundet“. Eine andere Praxis besteht darin, im Baum ein bestimmtes Zeichen der Präsenz bzw. des eigenen Zustands zu hinterlassen. So erklären sich die vielen Bauminschriften, die schon im Mittelalter erwähnt werden, aber auch die Verwendung des Baumes als Votivbaum, etwa indem man ihn behängt oder ihm einen Nagel einschlägt. Das bekannteste Beispiel ist der aus dem Spätmittelalter stammende „Stock-im-Eisen“ unweit der Stefanskirche in Wien.
dIE ProPhEtIschE PflanZE Die Pflanze weiß mehr als wir. Aus ihrem Zustand können wir auf den eines entfernten Menschen schließen, wir können sie aber auch zu Orakelzwecken verwenden, selbst wenn dies eher spielerisch geschieht. Bekannt ist das Auszupfen der Randblüten bei der Wiesen-Margerite (Leucánthemum vulgáre) im Sinne des „Er liebt mich, er liebt mich nicht“ oder als Hinweis auf den Stand des Zukünftigen: „Edelmann, Beddelmann, Bauer, Soldat, König, Kaiser, Advokat“ (dazu Marzell, in: HDA s. v. Wucherblume). Schon bei Walther belegt ist das „Halmmessen“ (66,5ff.): „Mich hat ein Halm glücklich gemacht, denn er sagt mir, daß ich Erhörung finden werde. Ich maß das Stengelchen, wie ich es zuvor bei Kindern gesehen hatte. Nun hört zu und merkt auf, ob sie es tut: ja, nein, ja, nein, ja!“ Walther denkt hier, wie ich vermute, nicht an einen Strohhalm, der zu wenig Knoten hat, sondern an einen anderen Pflanzenstengel wie etwa den „hundertknotigen“ Vogelknöterich (Polýgonum aviculáre), der ja den Knoten seinen Namen verdankt. Für Hugo von Trimberg (Renner, 5164) ist knoten suochen an slehten binzen (‚an glatten Binsen‘) Inbegriff des Törichten. Das Knotenorakel ist also nicht direkt dem Halmziehen vergleichbar, bei dem es darauf ankommt, ob jemand einen längeren und kürzeren Halm zieht (Hekscher, in: HDA s. v. Halm; Marzell, in: HDA s. v. Gräser [Schmielen]). Höchst ungewöhnlich sind auch die beiden in einer Art „irdischem Paradies“ befindlichen gewaltigen Bäume, der Sonnen- und Mond266
die prophetische pflanze
baum, die sowohl auf Indisch wie auf Griechisch weissagen können und dem berühmten Alexander seinen Tod vorherkünden („Großer Alexander“ [um 1400], 4779–4799). Als Kuriosität sei noch die „alte Linde“ von Staffelstein in Oberfranken genannt, die angeblich aus der Zeit Karls d. Gr. stammte. Als sie Mitte des 20. Jahrhunderts zusammenbrach, soll sich in ihr ein prophetischer Text gefunden haben, das „Lied der Alten Linde“, das den Ersten Weltkrieg „prophezeite“ (und auch den ausgebliebenen Weltuntergang im Jahr 2000). Der wohl in Passau entstandene Text, dessen Handschrift nicht zugänglich ist, muss unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg entstanden und um 1936 überarbeitet worden sein (Birkhan, 2009, 760f., Anm. 2). Er belegt unter anderem die mantische Fantastik, die man auch in unsern Tagen noch mit sehr alten Bäumen verbindet. Ein besonders faszinierendes Kapitel ist in diesem Zusammenhang die Tradition vom „Dürren Baum“. Prototyp ist der Baum Abrahams im Tal Mamre, der bei der Kreuzigung Christi oder der Einnahme Jerusalems verdorrte. Nach Flavius Josephus (de bello Iudaico IV, 9,7) war es eine Terebinthe, die dort seit Erschaffung der Welt gewachsen war. Berühmte Reisende wie John Mandeville oder Marco Polo haben diesen Dürren Baum zu Gesicht bekommen (vgl. Demandt, 2002, 176). Die weitere Tradition besagt, dass am Ende der Zeiten (oder am Ende des Römischen Reiches) ein Erretter die Friedensherrschaft an ebendiesem dürren Baum wieder antreten werde. So prophezeite die tiburtinische Sibylle. Es hieß auch, dass der Retter seinen Schild am Dürren Baum aufhängen und dann die Weltordnung wieder aufrichten werde. Das ist nach einer Prophezeiung der Priesterkönig (Johannes) im Osten, nach einer anderen der Römische König Friedrich II. oder auch Friedrich I. Barbarossa. Danach wird der Dürre Baum von der Terebinthe bei Gebron zum Dürren Birnbaum auf dem Walser Feld bei Salzburg, wo er zuerst 1627 bezeugt ist (vgl. Grimm, Sagen, Nr. 24; W.-E. Peuckert, in: HDA s. v. „dürrer Baum“; Demandt, 2002, 183f.). Entscheidend ist hier das Motiv des Baumes, der mit dem Geschick des Volkes Israel, des Römischen Reiches, des Ostens oder Westens, ja der ganzen Menschheit verbunden scheint und in 267
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einem geheimnisvollen Rapport zum Kreuzesholz steht. Die Idee vom sich durch das Kreuz erneut begrünenden Stamm Jesse wird hier anagogisch auf die zukünftigen Geschehnisse am Dürren Baum projiziert.
wEltEnbäumE und PflanZEnkrIEgEr Um bei den mythischen Bäumen zu bleiben, sei hier noch kurz der Weltenbaum in vorchristlichen Vorstellungen erwähnt, die in das Mittelalter, ja sogar noch in die Neuzeit weiterlebten. Einerseits verweise ich auf den Wunderbaum des Märchens mit sieben Ästen, die jeweils den Wochentagen entsprechen und die der Held besteigen muss, um die entführte Prinzessin oder deren Lebenskraft zurückzuholen. Eigentlich eine schamanistische Vorstellung, doch entsprechen die Gestalten, welche die Wochentage repräsentieren, den Planetendämonen und der Aufstieg des Helden der Seelenreise in gnostischer Vorstellung. Der Märchentyp ist besonders in der finnisch-ugrischen Kultur beheimatet und reicht in Österreich gerade noch in das einst ungarische Burgenland. Andererseits denke ich an den Weltenbaum Yggdrasil der eddischen Überlieferung, meist als „Weltesche“ bezeichnet, in einem frühneuzeitlichen isländischen Manuskript jedoch in einer Art dargestellt (Abb. 14), die eher an den bananenähnlichen Paradiesbaum (s. oben S. 225f.) als an eine Esche gemahnt. Von den möglichen Worterklärungen (als „Schreckensross“ für ‚Galgen‘, „Ross des Gottes Yggr“, neuerdings das „Schrecklich Große“) scheint mir in meinem Binsenlicht am ehesten die als ‚Eibenstamm‘ einleuchtend (AEW, 676f.). Sie würde dann auch gut zur „Kulteibe“ im Tempel von Uppsala in Adams von Bremen Kirchengeschichte (IV, cap. 26, schol. 134) passen. Yggdrasil ist der größte und schönste aller Bäume, seine Zweige breiten sich aus über die ganze Welt und ragen über den Himmel hinaus; er hat drei Wurzeln. An diesen liegen verschiedene Quellen, aus denen sich Ströme ergießen, was an die Quellen der Paradiesströme unter dem Lebensbaum erinnert (s. oben S. 188). Die wichtigste Quelle ist die des Schicksals, der Urd-Brunnen. Auf Yggdrasil sitzt ein viel wissen268
14: Der Weltenbaum Yggdrasil mit seinen Tieren.
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der Adler und zwischen dessen Augen der Habicht Veðrflnir ‚Wetterfahl‘. An der Wurzel nagen der Drache Níðhggr – etwa ‚feindlicher Abholzer‘ –, zugleich ein leichenfressender Dämon, und viel anderes Gewürm, während das Eichhorn Ratatoskr ‚Bohrzahn‘ auf dem Stamm hin und her läuft, um durch feindliche Worte zwischen Drachen und Adler Intrigen zu spinnen. An den Blättern des Baums weiden vier Hirsche, denen das abgebildete Manuskript auch die Namen Dain, Dwalinn, Duneyr und Duraþrór gibt (Gylfaginning, cap. 15f., S. 233–268). In einer anderen Version, in welcher der Weltbaum L#ráðr heißt, nascht die Ziege Heiðrún von seinem Grün. Das dem germanischen Mythos entstammende Bild ist bereits in einigen Zügen verchristlicht, auch dadurch, dass es dem Frager Gangleri durch drei übermenschliche Personen eröffnet wird, hinter denen man Einflüsse der Trinitätsvorstellung vermuten muss. Alles in allem ist die sogenannte Weltesche, unter der die Götter sich zur Beratung versammeln – also eine Verwandte unserer Gerichtslinden (s. oben S. 213f.) –, ein in seiner Existenz durch Gewürm und weidende Tiere bedrohter Baum. Alexander Demandt hat Yggdrasils weiteres Geschick, vor allem sein Leid bei Richard Wagner, witzig aufs Korn genommen (Demandt, 2002, 155). Yggdrasil schlägt die Brücke zu einem mythischen Baum der britannischen Kelten, auf den wir im „Vierten Zweig des Mabinogi“ (Math vab Mathonwy ‚Math, Sohn des Mathonwy‘) stoßen. Es ist eine Eiche, auf welcher der in einen verwesenden Adler verwandelte Held Llew sitzt. Sie wird weder von Regen benetzt noch von Feuer zerstört. Möglicherweise verbirgt sich auch dahinter der letzte Rest einer Weltenbaumvorstellung (Ford, 1977, 107, 183). Ähnliches lässt sich für den Herrschersitz König Conchoburs in der Cr#bruad ‚Rotzweig‘ genannten Halle vermuten, deren zentraler, nach dendrochronologischer Datierung 94 v. Chr. gefällter Eichenstamm von einem halben Meter Durchmesser erst in den 80er-Jahren des vorigen Jahrhunderts gefunden wurde (Birkhan, 1999a, 770f.). In dieser Welt entstand im Frühmittelalter die irische Ulstersage mit einem Schlüsseltext von weltliterarischer Bedeutung: der Táin Bó Cuailnge ‚Das Wegtreiben der Rinder von Cooley‘. 270
die prophetische pflanze
Nicht ganz so berühmt, aber gerade jetzt in der Welle der Kelten esoterik im Vordergrund ist die in den Umkreis der Taliesin-Tradition gehörige „Schlacht der Bäume“, wie der Sagentitel Cad Goddeu meist übersetzt wird. Es ist ein sprachlich äußerst schwieriges, mehrdeutiges Werk im Llyfr Taliesin ‚Buch des Taliesin‘ (Abschrift aus dem 14. Jahrhundert), in dem dieser Dichter-Druide des 6. Jahrhunderts von seinen früheren Seinsformen berichtet. Es gibt auch in der irischen Tradition eine Form von Poesie, in welcher das dichterische Ich „panipsistisch“ behauptet, schon als alle erdenklichen Wesen und Dinge da gewesen zu sein (Birkhan, 1999a, 946–948). In Wales kündet Taliesin (Ford, 1977, 184f.): Ich sang im Heer der Baumzweige vor dem Herrscher Britanniens … Ich war in der Burg Nefenhir, wo Gras und Bäume angriffen … Gwydion hob seinen Zauberstab, rief den Herrn, rief Christus an, rief ihn an, auf daß der Herr, der ihn gemacht, ihn auch erlöse. Der Herr antwortete mit seinem Wort und im Land (?): „Verwandle mit ihm [dem Zauberstab] stämmige Bäume in Heere …!“ Dieser Gwydion, Sohn der Muttergöttin Don, tritt auch im eben genannten „Vierten Zweig des Mabinogi“ dadurch hervor, dass er Pilze in Pferde und Hunde, Seetang in Leder und Ginsterblüten in eine Frau verwandeln kann. Was nun folgt, vergleicht das Poem der Bedeutung nach kühn mit der Sintflut, der Kreuzigung und dem Jüngsten Gericht: Erle, ausgezeichnet durch Abstammung, griff zuerst an, Weide und Eberesche trafen spät im Heer ein, Pflaume Dornenreich war schlachtbegierig, Kraftvoller Hartriegel, Prinz im Widerstand, Rosensträucher marschierten in Wut gegen eine große Schar, Himbeersträucher traten hervor … Geißblatt und Efeu in ihrer Schönheit …
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Und so geht es weiter. Der Dichter packt in 74 Verse 34 Pflanzennamen: Bäume, Sträucher, Stauden wie etwa Heidekraut, Farn und Blumen, ohne dass wir erführen, wie die Schlacht letztlich ausging. Am Ende der Pflanzenaufzählung sagt das Dichter-Ich des Taliesin, es sei nicht aus Vater und Mutter entstanden, sondern aus neun Elementarformen: der Frucht der Früchte, der Frucht Gottes am Beginn, aus Primeln, aus Blumen des Berglands, des Waldes und der Bäume, aus der Essenz des Bodens, aus der Blüte der Nesseln und vom „Wasser der neunten Woge“, Letzteres eine eindeutige Anspielung auf eine zugrunde liegende irische Tradition. Aus all dem sei das Ich des Dichters durch Zauberei und Magie erzeugt worden. Schwierig wie das sprachliche Verständnis ist auch die Deutung dieses höchst kuriosen Texts: Vielleicht ist es eine Parodie auf das Heldenlied, die charakteristische Jenseitsvorstellungen enthält, oder eine Parodie auf Wissensdichtung vom Schlage des in die irische Sage „Die Wanderung der Tuath Luchra und Fergus’ Tod“ eingeschobenen katalogartigen Lehrgedichtes, das ausführt, welche Hölzer man zum Anheizen verwenden darf (Vogelbeerbaum, Eiche, Erle, Stechpalme, Birke …) und welche nicht (Apfelbaum, Schlehe, Hasel, Weide). Das Echte Geißblatt (Lonícera caprifólium), dem Marie de France übrigens einen Lais gewidmet hatte, in dem eine Episode der Tristansage gestaltet ist, wird auch im irischen Text als „König der Bäume“, der nicht verfeuert werden dürfe, gepriesen (IHK, 544). In Cad Goddeu gilt es als besonders schön. Ein Vorbild fand „Taliesin“ meiner Meinung nach in Ovids Aufzählung der wandelnden Bäume in den „Metamorphosen“ (X, 90ff.), wo 25 Gehölze in 18 Versen genannt sind, die sich durch die Musik des Orpheus in Bewegung setzen. Auch die literarische Metapher vom feindlichen Heer als Wald (Birnam-Wood in „Macbeth“, V, 4f.) gehört in diesen Umkreis. Vielleicht liegt sie auch den monströsen Baumhirten in R. Tolkiens „Lord of the Rings“ zugrunde. Baumriesen also wie Fangorn, die eine eigene Sprache reden, das „Entische“ (zu ags. ent ‚Riese‘), das immer im Largo gesprochen wird. In einem Brief an W. H. Auden hat Tolkien eingeräumt, dass er von Birnam-Wood angeregt war, dass 272
die prophetische pflanze
aber Shakespeare das Motiv der kämpfenden Bäume missverstanden hätte, indem er anstatt „wirkliche“ Baumkrieger in der Art der Ents auf die Bühne zu bringen, nur getarnte Menschen aufmarschieren ließ (Birkhan, 2009, 539f.). In der Tat enthält ja die Vorstellung, dass Fangorn und seinesgleichen die „Eisenstadt“ (Isengard) als Feste Sarumans angreifen und zerstören, die von den als militaristische Proleten stilisierten Orks bewohnt und verwaltet wird, eine scharfe Kritik am sogenannten Manchester-Liberalismus. Vor Kurzem hat auch Walter Moers in seinem Roman „Der Schrecksenmeister“ dieses berühmte Thema in ähnlichem Sinn aufgegriffen. Dürfen wir in zeitgemäßer Verschiebung des Bildes hoffen, dass die Pflanzen unsere Umweltzerstörung dereinst rächen werden? Letztendlich hat vielleicht die Pflanze den längeren Ast und sitzt auf der längeren Wurzel. Kein unangemessener Gedanke, um nun das Binsenlicht zu löschen und dieses Büchlein von Baum und Kraut im Mittelalter zu schließen!
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Tannhäuser
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Walther
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bIldlEgEndEn und -nachwEIsE 1:
2: 3: 4:
5:
BSB-Ink W-97GW M09741: Cuba, Johannes von Cuba, Gart der gesundheit [Straßburg] [nach 1487.03.31 (?)] 2 Inc.s.a. 600, fol. alt 1 (= digitalisiert S. 12). Wie 1; jedoch cap. 162f. (= digitalisiert S. 178). Nach Hecht (1997), S. 329 (Fig. 87). Frühdruck von Konrad von Megenberg, Buch der Natur, Johann Baemler Augsburg 1475, nach: Albert Schramm, Der Bilderschmuck der Frühdrucke 3: Die Drucke von Johann Baemler in Augsburg, Leipzig 1921, Abb. 462. Aus Cod. Pal. germ. 848 (Große Heidelberger Liederhandschrift [Codex Manesse], Zürich, ca. 1300 bis ca. 1340) 395r; dort irrtümlich Ru291
Abgekürzte Sprachbezeichnungen
6: 7: 8:
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bin von Rüdeger zugeordnet (=http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/ cpg848/0785?sid=d247492f134c3023dccff0073176cf81) Albertina, Wien („Meister E.S., Inv. DG1926/784“) Elsässischer Wandteppich (15. Jh.) im MAK – Museum für angewandte Kunst/Gegenwartskunst, Wien. Foto: ©MAK/Georg Mayer Heidelberger Bilder-Hs des Sachsenspiegels Cod. Pal. germ. 164 (http://diglit.ub.uni-heidelberg.de/diglit/cpg164). Die Abb. beziehen sich von oben nach unten auf: Landrecht (Ldr) II, 61 §2; Ldr III, 69 § 2; Ldr II, 52 § 1, 2. Aus der Hs. der Carmina burana der Bayer. Staatsbibliothek (clm. 4660, fol 64v). Wie Abb. 8. Die Abb. beziehen sich von oben nach unten auf: Lehensrecht (Lnr) 20 §5; Lnr 5 § 1; Ldr III, 9 § 2. Aus Cod. Pal. germ. 848 (Große Heidelberger Liederhandschrift [Codex Manesse], Zürich, ca. 1300 bis ca. 1340) 178r (http://digi.ub.uniheidelberg.de/diglit/cpg848/0351?sid=bd6035cb63858b33fea6808e24d73fd7) 1. Holzschnitt aus: Henricus Suso, Das Buch, das der Seuße heißt, Augsburg 1482, fol. 59v, nach Albert Schramm, Der Bilderschmuck der Frühdrucke 4: Die Drucke von Anton Sorg in Augsburg, Leipzig 1921, Taf. 113, Abb. 775. Oxford Bodleian Library, MS. Bodley 764, Folio 91v. Hs. AM 738 4to des 17. Jh.s im Árni Magnússon Institute in Reykjavik.
abgEkürZtE sPrachbEZEIchnungEn afrz. ags. ahd. air. anord. apers. dt. engl. frz. 292
altfranzösisch angelsächsisch althochdeutsch altirisch altnordisch altpersisch deutsch englisch französisch
gr. hebr. it. kymr. lat. mhd. mlat. nhd. span.
griechisch hebräisch italienisch kymrisch lateinisch mittelhochdeutsch mittellateinisch neuhochdeutsch spanisch
9. IndEx dEr ErwähntEn PflanZEn nach modErnEn und mIttElaltErlIchEn namEn Ábies álba 94 abrotanum 52, 117 absinthium 100, 173 abtekerwurtz ‚Apothekerwurz‘ 241 Acácia sénegal 125 Acácia séyal 125 Acácia tórtilis 94 Acánthus spinósa 257 acatia 78 Ácer campéstris 138 Achilléa clavénae 158 Achilléa millefólium 158 Achilléa praténsis 158 Acker-Gauchheil 124 Acker-Minze 58, 139 Acker-Rettich 66 Acker-Schachtelhalm 96 Acker-Senf 162 Acker-Winde 173 acoleia s. Akelei aconítum 46f, 108, 118 Aconítum lycóctonum 46, 108 Aconítum napéllus 118 Ácorus cálamus 47, 130 Adamsbaum 226 Adlerholzbaum 105 adripias 54 afall, avall 76, 229, 291 affaldra 8, 75
Aframómum meleguéta 149f. Agáricus 38, 72 agenbaum 45 Agrimónia eupatória 145f. Agrostémma githágo 50, 89 ahorn paum 92 Ahorn(er) 92, 104, 138, 192, 210, 236, 260 Ähren-Minze 54 aich 89 Ájuga réptans 125 Akanthus 15, 257, 259 Akelei 10, 36, 42, 104, 197, 237, 245 Alant, Echter A. 58, 103f. Alchemílla vulgáris 43 alia 55 Allermannsharnisch 106 allexandrinischer chFrbiz 70 Állium ascalónicum 54, 159 Állium cépa 54, 178 Állium fistulósum, 54, 178 Állium pórrum 54, 71 Állium satívum 54, 132f. Állium schoenóprasum 54, 160
Állium ursínum 54, 72 Állium victoriális 106 Almuggimholz 167 Álnus 92 Aloë 104f., 131, 142, 228, 236 Áloë véra 105 Alpenrose 34 Alpínia officinárum 124 Alraun(e) 105, 107, 158 alslauch 159 alterana 145 Altháea officinális 54, 118 Altháea roséa 130 amandalarios 55 Amaníta muscária 73 Amaránthus blítum 55 ambrosya (deorum) 157 ameum 53 Ammei 53 Ámmi cópticus 53 Amomum 107 Amómum subulátum 115 Ampfer 107 amphora 107 Anacýclus officinárum 111 Anagállis arvénsis 124 Anastática hierochúntica 236 Anchúsa tinctória 145
293
Andorn 107f., 117 anesum 53 Anéthum gravéolens 53, 116 Angélica archangélica 43, 53, 58 Anis 53, 58, 108, 113, 177, 192 Anthríscus cerefólium 8, 55, 131 Antirrhínum május 44 apaldr 229, 260 Apfalter 8, 260 Apfel(baum) 8, 62, 55f., 58, 74–76, 141, 149, 163, 198, 218, 220, 225f., 228f., 260f., 272 apium 53, 67, 161f. Ápium gravéolens 47, 53, 72, 161f. Ápium inundátum 161 Apóseris fóetida 34 Aprikose s. Marille Aquilária malaccénsis 105 Aquilégia vulgáris 42, 104, 245 arans s. orangus arbor mirabilis 233 arbor vitae 247, 250 Arbútus unédo 246 Árctium láppa 53, 132 Aristolóchia 10f., 147 Aristolóchia báetica 147 Aristolóchia clematítis 147 Aristolóchia rotúnda 10f., 147
294
arla 92 Armorácia rusticána 66 Árnica chamissónis 46, 108 Árnica montána 108 Arnika 46, 108 Aronstab, Arons Stab 14, 108f., 147, 237 Artemísia abrótanum 52, 117f. Artemísia absínthium 100, 173 Artemísia dracúnculus 53 Artemísia vulgáris 110, 220f. Artischocke 46 Árum 33, 108f., 237 Árum alpínum 108 Árum colocásia 33 Árum itálicum 108 Árum maculátum 108 Ásarum europáeum 54, 125f. ascalonias 54 Askr 260 Aspáragus 59, 163 Aspérula odoráta 43 Asplénium 121, 127 Asplénium adiántumnígrum 165 Asplénium scolopéndrium 127 Astrágalus gúmmifer 168 Astrágalus tragacánthus 168 Astrántia májor 165, 181 astrencia 165 astriza 181
Atríplex horténsis 28, 54, 65 Átropa bélla-dónna 48, 168 Attich 109 Augenbohne 68 Augentrost, Wiesen-A. 109 auricula muris 169f. Auriculária aurículajúdae 74 avellanarios 55 Avéna satíva 60 Azaroldorn 173 babela 130 Bachbunge 109, 245 bachmyntza, bachmyncza 139 balaustro 184 Baldrian, Echter B. 109, 113 Balsam 109f., 113, 181, 202, 228f., 236 Balsamíta májor 122 Balsamodéndron opobálsamum 109f. Bambus 32 Banane 226 barba iouis 55, 126 Bärenklau 257 Bärlauch s. Knofelspinat Bärwurz 53, 110 Basilikum 58, 109f., 196, 265 basilísca, basilica, basilia 108, 110 bathenia s. Betonie Bauernrose, Weiße B. 154
Index Baum Abrahams 267 Baum der Barmherzigkeit 251 Baum der Erkenntnis 8, 227, 245, 251 Baum des Lebens 227, 247, 250, 252, 258 Baum, Dürrer s. Dürrer Baum Baumkreuz 250 Baumwolle 32, 86 bdellium 113 bedegar 172f. Beete (Pflanze) 64, 162 Begonia 261 Beifuß 36, 58, 110f., 220f. Beinwell, Echter B. 111 Béllis perénnis 245 Benediktendistel 111 Benediktenkraut 111, 172 beonia 150 Bérberis vulgáris 46, 152 Berberitze 46, 152 Berg-Kümmel 53, 134 Berg-Laserkraut s. BergKümmel Bergwohlverleih s. Arnika Bertram, Deutscher B. 111 Bérula erécta 47 berurtz s. Bärwurz Besenginster 111f., 132, 239 Béta vulgáris 45, 54, 64f. betas 54, 58 Betónica s. Stáchys officinális
Betonie 52, 58, 103, 112f. Bétula 96f. Bibernelle 113 Bidell s. bdellium bieze 64f. bilsa s. Bilsenkraut Bilsenkraut 113f., 117 Binse 98f., 266 binsuga 166 birckwurtz 168 Birke 29, 96f., 168, 206, 210, 261, 272 Birnen(baum) 56, 58, 72, 74, 76f., 182, 192, 242f., 253, 260, 267 Birnbaumschwamm 74 Bittermelone s. Koloquinte Bitterorange 56, 58, 95 Bittersüß 48 Blanchefleur 261 blandonia 133 Blaukraut 65 blidas 54 blitus 65 Blossom 261 Blutwurz 168 boberella 130 Bocksdorn 248 Bockshornklee 56, 79, 114 Bohne 56, 68-70, 87 Bohnenkraut 54, 103, 158 boletos 73 boletus cervinus 127 Bollan-bane 220f. bombax 46 bôn s. Bohne
bontziderbaum 176 borith 161 Boswéllia sácra 172 botrus cypri 231 Botrýchium lunária 45, 164 brachwurtz 174 Brássica olerácea 54, 65 Brássica rápa 54, 66f. Braunkohl 65 Breitblatt-Kresse 150 Breitblatt-Rohrkolben 152 Breitlauch s. Porree Breit-Wegerich 171 Brennnessel 21, 43, 50, 114f. britlas 54 Brombeere 83, 152, 180, 246 Brómus 45 Brunelle s. Augentrost Brunelle, Gewöhnliche 109 Brunnenkresse 53, 133f. Bryónia álba 53 Bryónia dióica 175 Buche 64, 73, 82, 88, 90f., 107, 141, 208, 213 Buchner 260 Buchs(baum) 14, 25, 93f., 103, 184, 226 Buchweizen 63 burncrasse 134 burtel 67 Búxus sempervírens 93f. bywerwurtz 147
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Index Caléndula officinális 53, 152 Cáltha palústris 40 Calystégia sépium 173f. Camelia 261 camomilla 130 Campánulae 34 Cánnabis satíva 87 Capíllus Véneris 44 Cápparis spinósa 13 Cardamon 107, 115 cardo, cardones 46, 55 Cárduus benedíctus 173 careium 52 Cárpinus bétulus 125 carpobalsamum 110 Cárthamus tinctórius 89 Cárum cárvi 52, 134 carvitas 54 Cássia fístula 115 Cássia senna 115 Cassia, cassianpaum 115f., 175, 192, 236 Cassia-Zimt 175, 192, 236 castanarios 55 Castánea satíva 55f., 82f. catzenzagel 50 caulis/os 54, 65 Cédrus líbani 95, 235 celidonia 159 Centauréa benedícta 111, 173 Centáurium erythráea 54, 166f. cepas 54 Cércis siliquástrum 128 ceresarios 55
296
cerfolium 55 Ceylon-Zimt 116, 175 ch=l chravt 65 chFml 134 chFrwiz 70 Champignon 72 Chelidónium május 159f. chicher chraut 70 chnoblauh 132f. chr(sselchraut s. Fetthenne chranwitpaum 170 chratzpaum 83 chren 66 chriechpaum 78 Christus als Blume 21, 228, 234 Chrysantheme 103 Cícer arietínum italicum 53, 70 Cichórium íntybus 53f., 68, 158 Cicúta virósa 159 ciminum 52 Cinnámomum cámphora 131 Cinnámomum cássia 116 Cinnámomum vérum 175 cinoglossa 128 cithysus 132 Citrúllus colocýnthis 53, 70 Citrúllus lanátus 70 Cítrus aurántium 55, 95 Cítrus médica 95, 176, 227 Cláviceps purpúrea 50f.
cletta 132 Clivia 261 Cólchicum autumnále 39-41, 26 Colocásia esculénta 33 coloquentidas, coloquintida 53 Commíphora mýrrha 141f. Commíphora opobálsamum 109 Commíphora wíghtii 113 Cónium maculátum 159 Convallária majális 139, 245 Convólvulus arvénsis 173 Convólvulus scammónia 124 Coriándrum satívum 55, 133 Córnus mas 27, 80, 133, 246 Córnus sanguínea 125 Córylus avellána 55, 58, 81f., 149, 192, 210, 217f., 261, 272 Cóstum 103 Costus s. Frauenminze cotoniarios 55 Cr#bruad 'Rotzweig' 270 Cratáegus azarólus 173 Cratáegus laevigáta 173 Cratáegus monógyna 173 crevedella 56 Crócus flávus 41 Crócus satívus 41, 46, 88, 156
Index cucumeres 52 Cúcumis mélo 52, 70 Cúcumis satívus 52, 70 cucurbita 52 Cucúrbita pépo 52, 70f. cucurbitas 52 Cumínum cymínum 52, 134 cupressus 96, 227 Cupréssus sempérvirens 95f., 235f. Cúrcuma lónga 89 Cúrcuma zedoária 176 Cýclamen purpuráscens 178 Cydónia oblónga 55, 77 Cynára cardúnculus 46, 55 Cynoglóssum officinále 128 Cypérus 98f. cypriân 236 Cypripédium calcéolus 34 cytisum 43 Cýtisus scopárius 111f., 132 D#geseage 261 Dach-Hauswurz 55, 126, 267 Dahlie 103 Daisy 161 Damaszenerpflaume 78 Damaszener-Rose 154, 246 Dáphne merzéreum 34 Dattelpalme s. Palme Datúra férox 164
Datúra stramónium 164 Dáucus caróta 54, 140 dauwurtz 45 Delphínium staphiságria 99 denemarcha s. Baldrian Dessert-Banane s. Banane Diánthus 143 Dicéntra spectábilis 103 Dichternarzisse 42 Dicke Bohne s. Saubohne Dicotyledones 16 Dictámnus álbus 54, 116f. Digitális purpúrea 34 Dille 58, 67, 116, 160, 181 Dinkel, tinchl 60f. Dióspyros ébenum 117 Dípsacus satívus 55 Diptam 54, 116f., 144, 169 Diptam-Dost 116f. Dirndl s. Kornelkirsche Distel 46, 89, 111, 117, 173, 227, 238, 242, 258 Dólichos purpúreus láblab 52, 68 dolo 168 Dorant 44 Dornbusch 152, 186, 229f., 231, 236, 253 dornella 45 Dornenstrauch 263 dorth 45
Dost 58, 116 dracontea 110 dragantea 53 Drósera rotundifólia 45 Dryópteris fílis-mas 27, 121 dudaim 106 dudelkolbe 152 dume porrum 178 Dürrer Baum 267 Ebenholz 117 Eberesche 163, 261, 271f. Eberraute 52, 103, 117 ebih s. Efeu Edelkastanie 55, 82f. Efeu 34, 36, 39, 118, 188, 259, 261, 271 Eglantine 261 Ehrenpreis 10, 170, 245 Eibe 9, 28, 97, 188, 234, 260f., 268 Eibisch 54, 103, 118, 130 Eiche 8f., 20, 33, 64, 89f., 91, 192, 198, 208, 210, 212f., 227, 230, 259, 261, 270, 272 Eichenmistel 33 Einkeimblättrige 16 Eisenhut, Blauer E. 10, 47, 108, 118, 138 Eisenhut, Gelber E. 10, 46f., 108 Eisenkraut s. Verbene Elaphómyces granulátus 127 eleoselinum 46 Elettária cardamómum 115
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Index Élymus répens 45 Embla 260 Endivie s. Wegwarte Engelsüß 168 Engelwurz 43, 53, 58 enula 104 Enzian 120 epff 161f. Equisétum arvénse 50, 98 Erbse 55, 68f. erd=pfel 106 Erdapfel, erdaphel 70, 106, 130, 178 Erdbeerbaum 246 Erdbeere 120, 145f., 259 erdgall 166f. Erdrauch Echter E. 238 Eríca cárnea 34 Erle, erl 92, 160, 260, 271f. Eródium cicutárium 152 ertpeffer 138 eruca alba 53 Erúca satíva 53, 162 Erúca vesicária 162 erve 68 erweiz 68f. Erýsimum chéiri 265 Esche 62, 91, 192, 210, 260, 268 esculus 163 Eselsdistel 173 Eselswolfsmilch 160, 174 Espe 29, 120, 192, 261 Essig-Rose 153f., 245f. Estragon 53, 58, 103 esulo 109
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Etrog-Zitrone 95, 227 Euphórbia cyparíssias 174 Euphórbia ésula 174 Euphórbia helioscópia 174 Euphórbia láthyris 55, 174 Euphórbia péplus 174 Euphrásia officinális 109 Evónymus europáea 163 Eyb(e)l 260 fabas maiores 55 Fagopýrum esculéntum 63 Fágus silvática 90f. Fangorn 272 Färberdistel s. Saflor Färberröte s. Krapp Färberwaid 88 Färberwau 88 Farn 121, 127, 164f., 190, 272 fasiolum 52 fasœln 68 Faulbaum 121 febrefugiam 54 Feige(nbaum) 20, 55f., 58, 81, 84f., 89, 128, 151, 184, 192, 225, 227, 230f., 236 Feigwurz 58, 122 felbaum 45 Felber 260 Feldahorn 104, 138 Feldblume 238 Feldmohn s. Klatschmohn
Fenchel 53, 58, 62, 69, 103, 122f., 126, 133, 158, 177, 181 fenich 63 fenicolum 53 fenigrecum 52 Férula erusbéscens 123 festuca 217 Fetthenne 122 Fettkraut 34 Fichte 94 Fícus cárica 25, 85, 230 Fícus sycomórus 166 Filipéndula 163 Fingerhut, Roter F. 34 Fingerkraut 10, 47, 122 Fisolen (Gartenbohnen) 68 Flachs s. Lein Flaschenkürbis 52, 71 fleur de Clovis 224 Fleur-de-lys 224 Flieder s. Holunder Flieder, Gemeiner F. 39 Fliegenpilz 73 Flohkraut 171 flos campi 238 Foenículum vulgáre 53, 122 Föhre, vorch 14, 94f. Fragária vésca 120, 245 Francisca 224 Frángula álnus 121 Frauenmantel 43 Frauenminze 51f., 56, 103, 122f. Frauenschuh 34 Fráxinus excélsior 91
Index frideles (ouga) 169 frondes populneas 47 Frühlingsheidekraut 34 Frühlingsknotenblumen 245 Fuchsschwanz 54 fuga daemonum 129 Fumária officinális 238 funffblat 47 Fungi 38 Gagelstrauch 63, 96, 123 gaiz venichel 134 galanga 224 Galbanum 123, 228, 236 Galgant 66, 124, 169, 176, 181 Gállium odorátum 43 Gamander, Echter G. 41, 124, 238 Gamander-Ehrenpreis 245 gamandrê 41 gamille 130 ganphora 131 Gänseblümchen 42, 245, 261 Gänse-Fingerkraut 122 Garten-Kresse, crassum 58, 134 Garten-Melde 28, 54, 65 Garten-Nelke 103 Garten-Rettich 66 Garten-Salbei 52, 157 Garten-Sellerie 161 Garten-Senf-Rauke 162 garwa 158 gauda s. Färberwau Geißblatt 34, 271f.
Geißklee 132 Gelbwurz 89 Genísta 221, 238 Gentiána campéstris 120 Gentiána germánica 120 Gentiána lútea 120 Geránium praténse 166 gergrues 62 gerla 177 Germer, Weißer G. 124, 145 geroldinga 56 Gerste 60–63, 167f., 230 Géum urbánum 111 Gewürznelke 32, 143, 159, 192, 238 gichtbaum 45 Gift-Hahnenfuß 43 Gift-Lattich 53, 135 Ginster 221, 239, 271 git 53 gladiola, gladiolus 53, 58, 160 Gladíolus itálicus 53 Glechóma hederácea 125 Glockenblumen 34 Glycéria flúitans 63 Glycýrrhiza glábra 166 Goldlack 103, 245 Goldrute 103 Gosýppium herbáceum 86 Gottesgnadenkraut 173 gozmaringa 56 Granatapfelbaum 83, 184, 192, 198, 218, 228–231, 236 Gras 48, 189, 194, 196,
205, 225, 227, 231, 241, 253, 263, 271 grensinc, grensich 156 Griechisch Heu s. Bockshornklee grintwurtz 159 Grünkohl 65 Guineapfeffer 149 Gummi arabicum 125 Gundelrebe 125 Gundermann 125 Günsel 125 guntreba 125 Gurke 52, 70, 113 Haarmützenmoos 44 Habichtskraut 46, 169 Hadernblatt 43 Hafer 45, 60-62 Hagebutte 13, 53, 55 hagenbucha 125 Hainbuche 28, 125, 210 Halmrübe 58, 66f. Hanf, hanef 70, 87 hartbrogelbaum 125 hartenauwe s. Johanniskraut Hartheu s. Johanniskraut Hartriegel 125 Hasel, Gemeine H. 55, 58, 81f., 192, 210, 217f., 261, 272 Haselwurz 54, 122, 125f. Hauhechel 28 hauspaum 94f. Hauswurz, hauswurcz 55, 126, 167 Hazel 261
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Index Heather 261 Hecken-Nieswurz 144 Heckenrose 53–155, 172, 180, 261 Hédera hélix 39, 118 Heidekraut 261, 272 Heidelbeere 126, 264 heidenkorn 63 Heliotrópium europáeum 53 Helléborus 143–145 Helléborus dumetórum 144 Helléborus níger 144 Helléborus víridis 144 Helmbohne 52, 68 Henna 228, 231, 236 Hepática nóbilis 158 Heracléum 257 herba gicht 145 herba meropis 164 herba vettonica 112 Herbstzeitlose 39–42, 126 hermodactilus, -dactylus 41, 126 Herzblatt 140 heylheubt 126 hiefalter, hiufalter 153 Hierácium subg. Pilosélla 169 Himbeere 83, 271 Himmelschlüssel s. Schlüsselblume; vgl. auch Primel hirceswurtz s. Diptam Hirschschwamm, hirtzswam 127 Hirschtrüffel 127
300
Hirschwurz s. Diptam Hirschzunge, hirtzunge 127 Hirse 62, 66 hol(r 127 Holder 260 holerswam 73f. Holunder 18, 39, 127 holwurz 10, 147 Holzapfel 75 Holzbirne 76 holzgazz s. Cassia-Zimt Hopfen 62, 91, 128, 182, 205 hordeum 62 Hórdeum dístichon 62 Huflattich, hufflatta minor 58, 128 Hühnerdarm 124 Hühnerdarm s. AckerGauchheil humela 125 Húmulus lúpulus 128 Hunds-Rose 52, 153 Hunds-Zunge 128 hunsdarm 124 huswurtz 126 Hyacínthus orientális 239 Hyazinthe 239 hyffe 153 hymelsloszel 127 Hyoscýamus 113f. Hyperícum perforátum 129, 245 Hyssópus officinális 174 iffa 97 ilmpaum s Ulme
Immergrün 129, 245 Ingwer, yngwer 32, 61, 89, 129, 148 intubas 54 Ínula hélenium 104 Íris 160f., 214f. Íris germánica 52, 160f. Íris illýrica (?) 160 Íris pseudácorus 160, 214 Ísatis tinctória 88 isp 174 Ivy 261 Jericho-Rose 236 Johannesbeere s. Ribisel Johanniskraut, Echtes J. 129, 245 Jovis barbam 55 Judasbaum 128 Judasohr 73f. Judenkirsche 130 Júglans régia 20, 55, 81 Júncus 98f. Jungfer-im-Grünen 134 Jungfrauenhaar 44 Juníperus alpína 170 Juníperus commúnis 170 Juníperus sabína 53, 170 jvsquiamus s. Bilsenkraut Kabiß 65 Kalmus 47, 89, 103, 130 Kamille 130 Kampferbaum 131 Kaneel 116 Kaper 131 kappus 65 Kardamon s. Cardamon Kardobenedikte 111
Index Kardone 46, 55, 58 Kariofel s. Gewürznelke Käsepappel 130 Kastanie s. Edelkastanie Katzenminze 52, 54, 131 käusch lamp 140 Kerbel, cerifolium 8, 52, 55, 58, 103, 131 khipper wein troub 231 Kichererbse 53, 70, 99 Kiefer s. Föhre Kirsche 52, 55, 79, 184, 192, 244f. Kirschpflaume 78 Klappertopf 132 Klatschmohn 58, 140 Klee 132, 187, 222, 238 Klette 53, 132 Knabenkraut 11, 238 Knoblauch 51, 55, 58, 67, 103, 132f., 144, 151, 203 Knofelspinat 54, 72 Knöllchen-Steinbrech 164f. Knollen-Platterbse 144 Knollen-Sellerie 72 kochkole 65 Kohl 52, 54, 58, 65, 182, 260 Kohlrabi 52, 54 Kolbenhirse 62 Koloquinte 53, 70 Königskerze 99, 121, 126, 133, 239 Kopfkohl s. Weißkraut Koriander 52, 55, 103, 133
Korn (Getreide) 205, 230, 241 Kornelkirsche 27, 80, 133, 246 Kornrade 50, 89 Kornvater s. Mutterkorn Kostuswurzel, Indische K. vgl. Costus 52 Krapp 55, 87f. Krauseminze 51, 58, 138f. Krauskohl 65 Kren 58, 66 Kressen 53, 58, 133f., 150, 181 Kreuz als Baum s. Kreuz Christi Kreuz als Weinstock 234f. Kreuz Christi 14, 58, 81, 120, 223, 234f., 244, 247f., 250–252, 268 Kreuzdorn vgl. Kreuz Christi 247 Kreuzesholz s. Kreuz Christi Kreuz-Kümmel 52, 58, 61, 134 Krevedellen 56 Kriechen(pflaume) 78f. Kriech-Fingerkraut 47, 122 Krokus s. Safran Krokus, Gelber K. 41 Kronen-Lichtnelke s. Vexiernelke Kubebenpfeffer, kubeben 134 Küchenschelle 34, 42 Küchenzwiebel 54, 178
Kümmel 50, 52f., 58, 61, 103, 134 Kürbis, kürbiz 70f. kütenpaum 77 L#ráðr 270 Lablab s. Helmbohne Lachkraut 275 Lackmusflechten 89 lacteridas 55 Lactúca satíva 53, 67 Lactúca serríola 135 Lactúca virósa 53, 135 lactuken chraut 135 Lagenária sicerária 52, 71 Lakritze 158, 166, 169, 174 Lamellenpilze 38 Lámium 166, 245 lappa 132 Lärche 95, 211 Lárix decídua 95, 211 Laserkraut 134, 239 Laserpítium síler 53, 239 Láthyrus tuberósus 144 Lattich 20, 34, 53, 58, 67, 83, 88, 106, 131, 135, 161f., 181 Lauch 51f., 54f., 58, 67, 71f., 103, 132f., 144, 151, 159f., 178, 216, 260 laukr 72, 216, 260 laurex s. Lárix laurus 137 Láurus nóbilis 137 läuskraut 99
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Index Lavándula angustifólia 135 Lavendel, lavendula 135 Lawsónia inérmis 231 Lebensbaum (der Bibel) 227, 252, 268 Lebensbaum (von Personen) 262 Leberblümchen 158 Lein 17, 86f., 182 Lémna mínor 171 lendpaum, lentpaum, lentiscus 135 Léns culináris 70 Leóntodon 45 Lepídium latifólium 134, 150 Lepídium satívum 134 Leucánthemum vulgáre 266 Leucójum vérnum 245 Leuenzahn 45 levisticum 53 Levísticum officinále 135f. Levkoje 103, 245 Liebstöckel 51, 53, 58, 103, 135f. Liguster 136 Ligústicum mutellína 53 Ligústrum vulgáre 136 lilia, lilium, lilje 20, 52, 136, 196, 214, 228, 238f. Lilie, Weiße L. 13f., 21, 51, 56, 136f., 181, 196, 197, 228, 236-240, 242, 244f., 248, 236, 262
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Lílium cándidum 52f, 136f., 214 Lílium convállium 239 Lílium mártagon 34 Linde 7, 9, 28, 38, 92f., 188f., 191f., 194, 202, 210, 213, 238, 260–262, 267 Linse 58, 70 Línum usitatíssimum 86 liquiricium 166 Lolch 45, 50 Lólium temoléntum 50 Lonícera caprifólium 34, 272 lorandrum 153 Loránthus europáeus 33 Lorbeer, lorpaum 55f., 58, 116, 119, 137, 146, 192, 198, 220 Löwenmaul 44 Löwenzahn 42, 45, 238f. Lungenkraut, lunckwurtz 138 Lupine, Weiße L. 59, 69 Lupínus álbus 69 Luststock s. Liebstöckel Luther-Rose 223f. lybisticum 135 Lýcium europáeum 248 Machandelboom 170 macis 135, 141 madelgêr s. Enzian Madonnen-Lilie s. Lilie, Weiße mâgen chraut 139f. magones 58, 140 Maiglöckchen 239, 245f.
Majoran 103, 265 malgranatp»m 83 Málus doméstica 55 Málus silvéstris 75 Málva neglécta 130 Málva silvéstris 54, 130 malvas 54 Malve, Wilde M. 54, 130 Mandel 15, 55f., 58, 80, 131, 192, 236f. Mandrágora officinárum 105 Mangold 52, 58, 64, 106, 162 Manna 115, 237, 241 manna polonicum 63 Margerite 266 Marienblatt 122f. Mariendistel 114 Marille 56, 80 marobel, marubium 107 marochi 72 Maronen s. Edelkastanie Marrúbium vulgáre 107 Märzbecher 245 mascel 138 Maßholder 138 Maßliebchen 245, 261, Mastixbaum 46, 135, 181, 228 Matricária chamomílla 130 Matthíola incána 145 matzenpaum 135 Mauerpfeffer, Scharfer M. 138
Index Maulbeere, Schwarze M. 55, 58, 83, 152, 166 Maulbeere, Weiße M. 83 Maulbeer-Feige 166 maurochen s. Morchel mäus zwiual 138 mäusœrl 169 Mausohr-Habichtskraut 169 Medicágo arbórea 43 Meerrettich, merreteich s. Kren Meerzwiebel 138 Mehlbeere 192 Meisterwurz 165 Melde 65, 160 Melíssa officinális 138 Melisse, Zitronen-M. 38 meltzboum 46 menna 45 menta 54 mentastrum 54 Méntha aquática 54, 139 Méntha arvénsis 139 Méntha críspa 139 Méntha longifólia 54 Méntha pulégium 53, 150 Méntha spicáta 54, 139 mer weyden 234 Merk, Schmalblättriger M. 47 mespilarios 55 Méspilus germánica 55, 80, 163 Méum athamánticum 53, 110 meygilana 45
Miere 43 milium 62 Minuártia 43 Minze, mintz 52-54, 56, 58, 79, 103, 131, 138f., 150f., 160, 181, 238 Minze, Wilde M. 52 Mirabelle 78 mirica s. Birke mirre 211 mirtelpaum 123 Mispel 52, 55f., 58, 80, 184, 192 Mispel, Welsche M. 173 Mistel 29, 33, 77, 164 Mohn 25, 54, 58, 131, 139f., 158, 161, 166 Möhre 54, 58, 73, 160, 177 Mohrenhirse s. Kolbenhirse Mönchspfeffer 140 Mondbaum 266f. Mondraute 45, 164 Monocotyledones 16 Moose 44f., 140f. morarios 55 Morchel 72f. Morchella 73 morhen 73 morkrut 140 mortella 264 Mórus álba 83 Mórus nígra 55, 83 Músa paradisíaca 226 musetha 45 Muskat(baum) 45, 61, 135, 141, 192, 201, 238
Muskatblüten 201 Muskateller-Salbei 55, 141, 164 musore 169 Mutterkorn 50f. Mutterkraut 54 Mutter-Kümmel s. Kreuz-Kümmel Mutterwurz 53 muzimia 45 Myosótis 169 Myosótis palústris 43 Myosótis scorpioídes 169 Mýrica gále 123 Myrística frágrans 141 Myrobalane 78 Myrrhe, mirra Arabica 92, 131, 141f., 176, 181, 227f., 236 Myrte(nstrauch) 119, 123, 236, 263 Mýrtus commúnis 123 Mystische Rose 241 Mystischer Weinstock 136, 234f. Nachtschatten 10, 48, 58, 142 nappelnchraut 118 Narcíssus poéticus 42 Narcíssus pseudonarcíssus 42 Narde 142f., 175, 181, 228, 236, 238 Narzisse 42 nasturtium 53, 133 Nastúrtium officinále 53, 133 Nelke s. Gewürznelke
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Index Nelkwurz, Echte N. 111 nenufar 161 Népeta catária 54, 131 neptam 54 Nérium oleánder 146 nespelpaum 80 Nesseln, nezzeln s. Brennnessel Nieswurz 143-145 Nieswurz, Grüne N. 144 Nieswurz, Schwarze N. 144 Nigélla satíva 53, 134 nucarios 55 Núphar lútea 161 Nußbaum s. Walnuß nux avellana 81 Nympháea álba 161 Ochsenzunge 145 Ócimum basílicum 110 oculus porci 238 Odermennig 58, 145f. Ölbaum, =lpaum 83f., 92, 119, 184, 191f., 227, 230f., 236, 248 Ölbaum, Wilder Ö. 227, 232 Ólea europáea 83, 231 Ólea europáea oleáster 232 Oleander 92, 146, 153, 227 olisatum 53 Olivia 261 Onicha, Onycha, Onyx 102 Onónis 238
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Onopórdon acánthium 173 orangus 95 Orant 44 Órchis 11 ordeum s. hórdeum Oríganum 58, 16f. Oríganum dictámnus 116f. Oríganum máru 174 Oríganum vulgáre 117 Origanum, Syrisches 174 Óryza satíva 62f. Osterglocke 42 ôstergloie 42 Osterkerze 238f. Osterluzei 247 p=rtel chraut 67 Paeónia officinális 27, 150, 245 Palme, palmpaum, palma 15, 26, 28, 84–92, 192, 226–229, 231, 233, 235f., 257 Panícum miliáceum 62 Päonie 27, 59, 103, 150, 181, 245 papaver 54, 58, 139f. Papáver rhoéas 140 Papáver somníferum 54, 139 Pappel 47, 120, 147, 165 Pappelrose 103, 130, 245 Paradiesbaum, paradis paum 37, 225f., 234, 236, 251f., 268 Paradieskörner 149, 192 parduna 53
Parnássia palústris 140 pastenacas 54 Pastináca satíva 54, 140 Pastinak 54, 140 patonige s. Betonie pentaphyllon 47 peonkraut s. Päonie pepones 52, 70 perch chicher s. Stephanskraut Peridexion 247f. persicarios 55 Pestwurz 20, 148 Petasítes 148 Petersilie 51, 53, 58, 89, 103, 181f. petresilinum 53 Petroselínum críspum 53 Peucédanum cervária 127 Peucédanum ostrúthium 165, 181 peypos 110 pf(dem 70 Pfaffenkäppchen 163 Pfeffer 32, 89, 127 129, 148-150, 151 Pfeffer, Langer P. 149 Pfefferkraut 59, 150 pfefferkravt s. Diptam pfefferkrut 150 Pferdebohne s. Saubohne Pferde-Eppich 53 pfifferling 73 Pfingstrose s. Päonie Pfirsich, pfersich paum 52, 55f., 58, 74, 80, 183
Index Pflaumen 52, 55, 58, 78f., 82, 192, 271 pforr 71 Pfriem(en) (Genista) 238f. Phaséolus vulgáris 68 Phóenix dactylífera 84, 233 Phragmítes austrális 98 Phýsalis alkehéngi 130 Pícea ábies 94 Pilze 26f., 38, 50, 72–74, 127 Pimpinélla anísum 53, 108 Pimpinélla saxífraga 113 Pinguícula vulgáris 34 Pinie 55f., 58, 95, 192 pinos 55 Pínus cémbra 58 Pínus pínea 55, 95 Pínus silvéstris 94f. Píper cubéba 134 Píper lóngum 149 Píper nígrum 148f. piretrum 111 pirpaum 26 pisos Mauriscos 55 Pistácia atlántica 167 Pistácia lentíscus 46, 35 Písum satívum 55 Plantagenet < planta genista 221 Plantágo arenária 171 Plantágo lanceoláta 171 Plantágo májor 171 Plantágo psýllium 171 Platane 9, 91f., 227, 236
Plátanus orientális 91 plionia 150 Polei-Minze 150f. Polygónatum 144 Polýgonum aviculáre 266 Polýgonum bistórta 53 Polypódium vulgáre 18 Polýtrichum commúne 44 pomarios 55 Pomeranze 55, 95 Pópulus álba 47 Pópulus nígra 147 Pópulus trémula 120 Porree 51, 54, 58, 71 porros 54 Portuláca olerácea 67 Portulak 67 Potentílla anserína 122, 156 Potentílla erécta 168 Potentílla réptans 47, 122 prasium s. Andorn Preiselbeere 126 prieselauch 160 Primel 272; s. auch Schlüsselblume Primme s. Pfriem(en) Prímula véris 40, 127, 238, 245 pruma 45 prunarios 55 Prunélla vulgáris 109 pruniboum 78 Prúnus amýgdalus 55, 87 Prúnus armeníaca 56
Prúnus ávium 55 Prúnus cerasífera 78 Prúnus cérasus 55 Prúnus damascéna 78 Prúnus doméstica 55, 78 Prúnus dúlcis 55, 80 Prúnus pérsica 55, 80 Prúnus spinósa 78, 159 pryme s. Pfriem(en) psaffum 45 Pséudogrinz impúdicus 275 psillium 171 Pterídium aquilínum 121 Pterocárpus santalínus 157 půch 90 Puffbohne s. Saubohne puledium 53 Pulmonária officinális 138 Pulsatílla grándis 42 Pulsatílla vernális 34 Púnica granátum 83 Purgierwinde 124 purzel 67 Pýrola 34 Pýrus 76 Pýrus pyráster 76 Quecke 45 Quendel, quenula 167 Quércus 64, 89f. Quércus ílex 64 Quércus ílex ballóta 64 Quitte 43, 52, 55, 58, 77, 192 radices 54
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Index Rainfarn 52, 54, 103, 151 Ranúnculus ficária 122 Ranúnculus scelerátus 43 Ráphanus 54, 66 Ráphanus raphanístrum 66 Ráphanus satívus 54, 66 Raps 67 rasela 132 raselwurz 175 ratde 50 raten kraut 50 rätich 89 rato, rate 49 Rauke 53, 64, 162 Raukensenf 119 Raute 51f., 58, 79, 103, 142, 151f., 157, 181, 196, 198, 238, 265 ravacaulos 54 Reiherschnabel 152 Reineclaude 78 Reis 62f. Reséda lutéola 88 Rettich, rtich 54, 58, 66 Rhabarber 32 Rhámnus cathártica 247 Rhinánthus 132 Rhododéndron 34 Rhos marinus 156 Ríbes nígrum 83 Ríbes rúbrum 83 Ríbes úva-críspa 83 Ribisel 83 Ricínus commúnis 233f. Riemenblume 33 rifelbere 126 ringel chravt 67
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Ringelblume,ringele, ringula 53, 68, 103, 152, 181 Ringlotte 78 Rispenhirse 62 risum 62 Rizinus 233f. Rœtelpaum 152 Roggen, rokken 29, 50f., 60f. Röhrenkassie 115 Röhren-Zwiebel 178 Rohrkolben 152 ros marinum 52 Rósa álba 154, 222 Rósa canína 52, 153 Rósa damascéna 154 Rósa gállica 153, 222, 245 rosa mystica s. Mystische Rose rose blanche 242 rose naturelle 242 rose papalle 242 rose spiritelle 242 Rose, rôse 13f., 16, 29, 52, 56, 103, 130, 137, 146, 149f., 152-155, 181, 184, 186, 193, 196f., 199, 202f., 207, 214, 219–224, 236f., 240–246, 248, 250, 255f., 258, 264, 271 Rosengalle („Schlafdorn“, „Schlafkunz“) 172 Rosenstock, Tausendjähriger R. 242 Rosmarin 52, 54, 58, 103, 156
Rosmarínus officinális 52, 156 Roß-Minze, rossemyntza 139 Rotbuche s. Buche rote chorn plům 50 Rote Rübe, Rote Beete 64 rubeae caules 65 Rüben 54, 58, 64, 66f., 101 Rúbia tinctórum 54, 87f. Rübsame, Rübsen 67 Rúbus idáeus 83 Rúbus rúbus 83 Rucola 162 Rúmex 107 Rúmex acetósa 107 Rúmex obtusifólius 107 Runkelrübe 64 ruobesame 67 Rúscus hypoglóssum 43 Rúta gravéolens 52, 161f. Sáccharum officinárum 176f. Sadebaum s. Sebenbaum Saflor 88f. Safran 41f., 86, 88f., 156, 175 Salbei, saluay, saluia, salviam 51f., 55, 58, 103, 141, 152, 156f., 164, 181, 196, 255 Sálix cáprea 171 Salomonssiegel 144 Sálvia officinális 52, 157 Sálvia praténsis 157 Sálvia sclaréa 55, 141
Index Sal-Weide 171 Sambúcus ébulus 109 Sambúcus nígra 39, 127 Sandel(holz) 157f., 167 sandix 88 Sand-Wegerich 171 Sanguisórba mínor 113 Sanícula europáea 148 Sanikel 148 Sántalum álbum 157 Saponária officinális 161 satiria 11 Saturei 51, 54, 56, 58, 158 Saturéja horténsis 54, 158 Saubohne 55, 68f. Sauer-Ampfer 107 Sauerdorn 46 Sauerkirsche 55, 79 Saussúrea cóstus 52, 122 savinam 53 saxifraga 164 Saxífraga granuláta 164 scacten, scaten, scoten 142 Scampanierwurzel 124 scamphonia, scampina 124 scavina 124 Schachtelhalm 50, 96, 98 Schafgarbe 156, 158 Schalotte, aschlauch 52, 54, 58, 159 Scharbockskraut s. Feigwurz scharleya 141 scherling 159 Schierling 159 Schilf 98
Schirmakazie 94 Schlafmohn 54, 139f. Schlangen-Knöterich 53 Schlehe 13, 78, 159, 247, 261, 272 Schlüsselblume 40, 127, 164, 238, 245; s. auch Primel Schnittlauch 52, 54, 160 Schnittmangold 54 Schöllkraut 59, 159f. schulbaum 136 Schwaden 63 Schwämme s. Pilze Schwarz-Kümmel 50, 53, 58, 134 Schwarzwurzel 68 Schwertlilie 41, 52, 58, 160f., 197 Schwertlilie, Deutsche S. 52, 160, 245, 259 Schwertlilie, Wasser-S. 99, 160, 214, 220, 224, 232 Scílla bifólia 138 sclareiam 55 scolastici (?) 136 Scorzonéra 68 Sebenbaum, -strauch 51, 53, 57, 94, 170 Secále cereále 60 Sédum ácre 138 Sédum teléphium 122 Seerose 156, 161 Seidelbast 34 Seifenkraut 161 Sellerie 47, 51, 53, 58, 67, 72, 118, 135, 148, 161f.
Sempervívum tectórum 55, 126 Senf, Weißer, senif 54, 99, 119, 162 Senf-Rauke, weizzer senif 64, 162 Sethim, sethin, sedhin 94 seuwurtz 45 sewenboum 234 Shamrock 32 sichterwurt nigra 164 Siegwurz 53 sigminz s. Andorn Silber-Pappel, Weißpappel 147 Silenboum, Silerboum 238 Siléne coronária 245 siler montanum 134 siligo 61 silum 53 Sílybum mariánum 117 Simse s. Binse sinape 54 Sinápis álba 54, 99, 162 Sinápis arvénsis 162 Singrün, sin grFn s. Immergrün sisimbrium 54, 58, 139 Sisýmbrium officinále 119 sium 47 Síum eréctum 47 Síum sisárum 59 slaten chraut 160 slintpaum 91 Smýrnium olusátrum 53
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Index Solánum dulcamára 48 Solánum nígrum 142 solanum somniferum 47 solsequiam, solsequium 53, 67 Sonnenbaum 266f. Sonnenblume 103 Sonnentau, Rundblättriger S. 45 Sonnenwende, Europäische S. 53 sorbarios 55 Sórbus aucupária 163 Sórbus doméstica 55, 163 Sórghum bícolor 62 Spargel 59, 163 Speieräpfel 56 Speierling 55, 58, 163, 192 Speik 143 Speik, Weißer S. 158 Speiserübe s. Halmrübe sperauca s. Speieräpfel sperhagen, speragus s. Speierling spica 142 Spilling 78 spina Christi 248 Spinácia olerácea 65 Spinat 65 Spindelbaum 163 Spiráea 163 spirbaum 163 Spitz-Wegerich 171 sponsa solis 67 Spring-Wolfsmilch 174 Springwurzel 164 squilla(m) 53, 138
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St. Johannisgürtel 111 Stachelbeere 83 stagwurtz s. Eberraute Stakte 228 Ständel 11 Stechapfel 164 Stecheiche s. Eiche Stechginster 221 Stechpalme 188, 272 Steckrübe s. Halmrübe Steinbrech 164f. Stellária média 124 Stephanskraut 99 Sterndolde 165 sterzelkraut 165 stichwurtz 175 Stiefmütterchen 169, 259 Stinklattich 34 Stockrose s. Pappelrose Stoppelrübe s. Halmrübe Storax 165f., 181, 228, 236 Storchschnabel 166 stramonium 164 Stränze s. Sterndolde Streifenfarn, Immergrüner S. 121, 165 Strolchenkraut 165 strychnus 168 Stumpfblatt-Ampfer 107 stur 45 stutgras 45 Stýrax officinális 165f. Succísa praténsis 238 Sumpf-Dotterblume 40 Sumpf-Vergißmeinnicht 43, 169
sunnen werbel 67 Süßholz 166 Süßkirsche 55, 79 swamm s. Pilze sweinprôt 178 swertula 160 Sykomore 166 syme 45 Sýmphytum officinále 111 Syrínga vulgáris 39 sysemera 177 Syzýgium aromáticum 143 tal lilige 239 Tamariske 119, 234 Támarix aphýlla 234 Támarix gállica 234 Tanacétum balsamíta 52, 103, 151 Tanacétum parthénium 54 Tanacétum vulgáre 54, 151 tanazitam 54 Tann(e) 14, 64, 94f., 192, 235 tapsia 165 Taráxacum 45, 238 Taro 33 tarum 105 Taubenbaum 247 Taubnessel 114, 166, 245 Taumellolch 50 Tausendguldenkraut 126, 166f. Táxus bacáta 97 Teichrose, Gelbe T. 161
Index Terebinthe 96, 167 Téucrium chamáedrys 41, 43, 124 Teufelsabbiß 238 thamar 233 Thápsia gargánica 165 Thimpaum, Thimus 167 thus 172 Thymian 59, 167, 181, 187 Thýmus pulegioídes 167 Thýmus vulgáris 167 Tília 92f. Tollkirsche 48, 168 Tormentille 113, 169 Trachyspérmum ámmi 53 Tragant 166, 168 Tränende Herzen 103 Trespe 45 Trifólium 132 Trifólium mínus 132 Trigonélla fóenumgráecum 52, 114 Tríticum aestívum 60f. Tríticum spélta 60f. Trüffel 38, 74 Tuberae 38 Tudor-Rose 122 Tulpe 103 Tüpfelfarn 168 Türkenbund 34 Tussilágo fárfara 128 Týpha latifólia 152, 177 ugera 45 Úlex europáeus 221, 239 Ulme, ulmpaum 15, 97f., 192, 210, 260f. Úlmus 97
uniones 54 unlauch 178 unrat 50 Urgínea maritime 53 Urtíca 43, 50 Urtíca dióica 114f. Urtíca úrens 114, Vaccínium myrtíllus 126 Vaccínium vítis-idáea 126 Valeriána céltica 143 Valeriána jatamánsi 142 Valeriána officinális 109 vehedistel s. Distel Veilchen 12, 21, 89, 168f., 177, 182, 197, 238240, 245f., 255, 259 Veilchenwurzel 10 velt chFml 134 veltisp (= ‚Feld-Ysop‘) 158 veltplům 238 venich 62 Verátrum álbum 124, 145 Verbáscum 99, 239 Verbáscum densiflórum 121 Verbáscum thápsus 133 Verbéna officinális 118120 Verbene 27, 118-120, 164 Vergißmeinnicht 43, 46, 169, 238 Verónica 10 Verónica beccabúnga 109, 245 Verónica chamáedrys 245 vettonica 112
Vexiernelke 103, 245 veyel 168 vibex s. Birke Vícia fába 55, 68 Vícia satíva 100 viehte 94 vigbona ‚Viehbohne‘ 69 Vígna unguiculáta 48 Vínca mínor 129, 245 vîol 168 Víola 21 Víola odoráta 21, 168, 245 Víola trícolor 169, 240 Víscum álbum 33, 77 Vítex ágnus cástus 140 Vítis vinífera 85, 234f. Vogelbeerbaum s. Eber esche Vogelknöterich 266 Vogel-Sternmiere 124 vulgigina 54 Wacholder 61, 95, 113, 134, 149, 167, 170 Waldmeister 43 Walnuß, wälhisch nuz 20, 28, 52, 55, 58, 81, 114 walt bere 126 wantzen chrawt 133 warentiam 55 Wasserlinse 171 Wassermelone 70f. Wasser-Minze 54, 139, 10 Wasser-Schwertlilie s. Schwertlinlie, WasserWau s. Färberwau Weber-Karde 46, 55
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Index wechalter 170 Weg-Malve 130 Wegwarte 52–54, 67f., 126, 158 Weichsel s. Sauerkirsche Weide 74, 79, 128, 171, 184, 260f., 263, 271f. Weidenschwamm 74 Weihrauchbaum 131, 172, 176, 181, 228, 236 Wein s. Weinstock Weinraute s. Raute Weinrebe s. Weinstock Weinstock 9, 29, 85f., 92, 97, 136, 140, 184, 192, 197, 228, 230f., 234–236, 264 Weinstock, Mystischer s. Mystischer Weinstock Weißbuche s. Hainbuche Weißdorn 172f., 186 Weißkraut, Kopfkohl 65 weithagen 172 Weizen, waizen 29, 60f., 39, 228, 230, 236, 238, 240 „Weltesche“ 268, 270 wendelkoel 65 Wermut 55, 59, 103, 116, 130, 142, 169, 173 weydenkole 65 wich pÜm 181 wichim 100 wichwurtz 45 Wicken 68, 100 Widerton 44f. Wiesen-Arnika 46, 108
310
Wiesen-Knopf, Kleiner W. 113 Wiesen-Kümmel 134 Winde 124, 173f. Wintergrün 34 Winterzwiebel 54 Wirsingkohl 65 wisela 68 wizsgras 45 Wolfsbohne 69 Wolfs-Eisenhut s. Eisenhut, Gelber Wolfsmilch 55, 160, 164, 174 Wolfsmilch, Kreuzblättrige W. 55, 174 wollkraut 133 wulffesmilch 174 wullena 133 wulues gelegena 46, 108 Wunderbaum 233f. wuntwurtz 45 Wurmfarn, Echter W. 27, 121 ybischa s. Eibisch Yggdrasill 268-270 Ysop 59, 103, 150, 160, 174 zaher, arabischer 125 Zaunlattisch 135 Zaunrübe 53, 106, 175 Zaunrübe, Weiße Z. 53 Zeder 92, 95, 211, 227f., 233, 235f., 238 Zedratzitrone 176 Zeitlose 40–42, 126, 238 Zibarte 78 Zichorie s. Wegwarte
Ziest s. Betonie Zimt 92, 116, 127, 159, 174–176, 181, 192, 227f., 236 Zíngiber officinále 129 Zirbe 58 zisern 70 zîtelôsen 41f. Zitronatzitrone s. Zedratzitrone Zitterpappel s. Espe Zitwer 169, 176, 181, 192, 238 zizánia 50 Zizýphus spína Chrísti 247 Zuckermelone 52, 70 Zuckerrohr 32, 176f. Zuckerwurzel 177 zugelnich 45f. Zweikeimblättrige 16 Zwerg-Holunder 109 Zwetschke 78f., 184 Zwiebel 40, 52, 54, 58, 114, 151, 178, 182 Zyklame 178 Zyperblume 231 Zypresse, cypressenpaum 95f., 119, 142, 170, 198, 227, 235–237
Ma x Kerner / Kl aus Herbers
Die PäPstin JoHanna biogr aPHie einer legenDe
Gab es die Päpstin Johanna? Wenn es sie nicht gab, dann hätte es sie geben sollen! Jedenfalls ist die Überlieferung zu Johanna so reich, dass es lohnt, auf dem Stand der Wissenschaft eine Einführung zur Legende der Päpstin Johanna zu geben, zur Biographie ihrer geschichtlichen Überlieferung. Bei einem solchen Gegenstand können Historiker angesichts populärer Romane oder Filme leicht zum Spielverderber werden. Sie entmythologisieren. Den Autoren geht es darum, die Quellen, die von der Päpstin Johanna berichten, als eine Geschichte nachzuzeichnen, die ihrerseits eine faszinierende Wirklichkeit erschließt. Die Geschichten rund um die Legende sind voll von überraschenden Wendungen und Einsichten. Sie hat stärker auf die Menschen gewirkt als viele der historisch nachweisbaren Päpste. Wenn also die Legende wie eine Lebensgeschichte ernst genommen wird, dann berücksichtigt dies auch Überlegungen der Geschichtswissenschaft, die Fiktionen als einen Teil der Wirklichkeit ernst nimmt. 2010. 173 S. Mit 52 S/w- und farb. abb. Gb. Mit Su. 135 x 210 MM. iSbn 978-3-412-20469-3
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K atrin K ania
Kleidung im mittel alter materialien – KonstruK tion – nähtechniK ein handbuch
Leicht verständlich und fundiert geleitet das vorliegende Handbuch die Leser durch die komplexe Welt der mittelalterlichen Kleidung. Die Grundlagen und Bedeutungen verschiedener Materialien, Näh-, Stich- und textiler Techniken werden ebenso erläutert wie die Voraussetzungen, Grenzen und Möglichkeiten der Forschung. Eine Analyse der erhaltenen mittelalterlichen Kleidung ermöglicht die Darstellung der Entwicklungslinien in der Zeit von 500 bis 1500. Erläuterungen zur rekonstruierten Schneidertechnik des Mittelalters sowie ein ausführlicher, bebilderter Katalog der überlieferten Kleidungsstücke und Rekonstruktionszeichnungen vervollständigen das Handbuch. Damit liegt ein Handbuch vor, das für das Verständnis, die Rekonstruktion und die Erforschung mittelalterlicher Kleidung unverzichtbar ist. 2010. 532 S. Mit 360 S/w-Abb. 48 fArb. Abb. Auf 24 tAf. Gb. 170 x 240 MM. iSbN 978-3-412-20482-2
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