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German Pages 82 [92] Year 1972
Gerda von Bredow
Platonismus
Im Mittelalter Eine Einführung
rombach hochschul paperback
Gerda von Bredow
Platonismus im Mittelalter
rombach hochschul paperback band 47
redaktion gerd-klaus kaltenbrunner
Gestartet in einer Periode leidenschaftlicher Diskussion über die mög-
lichen Wege einer Hochschulreform,
will die Sammlung
»rombach
hochschul paperback« als Beitrag zur Überwindung der Misere an den
Universitäten verstanden sein. Auf ihrem Programm stehen durchweg
Grund- und Einführungsvorlesungen aus allen natur- und geisteswissenschaftlichen Lehrfächern. In handlichen und preiswerten Ausgaben erscheinen jährlich an die zwanzig Vorlesungen aus deutsch-
sprachigen Universitäten.
Die neue Reihe will die Vorlesungen nicht ersetzen, sondern ergänzen.
Den akademischen Lehrern bietet sie die Möglichkeit, den mündlichen Vortrag sowohl zu entlasten als auch zu vertiefen; den Studenten liefert sie authentische Arbeitsunterlagen, die vom Zwang andauernden Mitschreibens befreien und den Rückgriff auf die oft unzuverlässigen »Skripten« überflüssig machen. Während die großen Lehrbücher für Studenten kaum erschwinglich sind und überdies angesichts der Akzeleration wissenschaftlicher Erkenntnis immer rascher veralten, sind die
Bände der Sammlung »rombach hochschul paperback« bewußt auf die Bedürfnisse der Studierenden zugeschnitten und so konzipiert, daß sie den Erfordernissen der einzelnen Lehrgegenstände maximal entgegenkommen und in den häufig notwendigen Neuauflagen jeweils auf den letzten Stand gebracht werden können. Über die für jede akademische Ausbildung
unumgängliche
Vermitt-
lung von Fakten und Methoden hinaus bietet die Sammlung »rombach
hochschul paperback« den Studierenden repräsentative Beispiele wissen-
schaftlicher Argumentation und Orientierung, die zur begrifflichen Schulung und Durchdringung des Wissensstoffes, vor allem aber zum kritischen Mit- und Weiterdenken stimulieren wollen. Hervorgegangen aus Vorlesungen und bestimmt zur Vertiefung des in Vorlesungen erworbenen Wissens, sind die Bände der Sammlung »rombach hochschul paperback« eine authentische Dokumentation akademischen
Unterrichts
in einer Gesellschaft,
die wie
Wissenschaft, Forschung und Bildung angewiesen ist.
nie zuvor
auf
Gerda von Bredow
Platonismus im Mittelalter Eine Einführung
Verlag Rombach Freiburg
© 1972 Rombach+Co GmbH, Verlagshaus in Freiburg. 1. Auflage 1972. Alle Rechte vorbehalten. Gesamtherstellung durch das Druckhaus Rombach+Co, 78 Freiburg, Lórracher Straße 3. Printed in Germany. ISBN 3-7930-0967-X
Inhalt
Vorwort
Einleitung Ideen Augustinus Universalia Boethius Eriugena Anselm von Canterbury Adelhard von Bath und die Schule von Chartres
Teilhabe
Platon und Neuplatoniker Eriugena
Pseudo-Dionysius Areopagita und Thomas
von Aquino Nikolaus von Kues
Einheitsmetaphysik und Dialektik Allgemeine Orientierung Eriugena Meister Eckhart
Ein Gedanke aus dem »Parmenides« 2.4.1 2.4.2
und seine Fernwirkung
»Parmenides« — Dionysius Areopagita
Nikolaus von Kues Namenverzeichnis
Vorwort
Diese Schrift entstand als Ausarbeitung des größeren Teiles einer
im Wintersemester 1967/68 gehaltenen Vorlesung. Sie móchte
dem Leser eine Grundlage für seine eigene Arbeit bieten; die konzentrierte Form der Darstellung möge ihm Anlaß sein, sich intensiv mit dem Gehalt einzulassen. Für die weitere Arbeit sei ihm der von Werner Beierwaltes herausgegebene Sammelband »Platonismus in der Philosophie
des Mittelalters«, Darmstadt 1969, eindringlich empfohlen.
Gerda von Bredow
Einleitung
»Platonismus im Mittelalter« — in einem solchen Titel scheint
eine These über die Lehre Platons enthalten zu sein; denn jeder
Platonismus nimmt das Werk Platons als Fundament und Richt-
maß für sich in Anspruch. Dann könnte es eigentlich nur einen
legitimen Platonismus geben, neben dem alle übrigen mehr oder weniger schlimme Verfälschungen und Umdeutungen der echten Lehre wären. Nun gibt es aber ein sehr variantenreiches ge-
schichtliches Fortleben von platonischen Denkmotiven, das frei-
lich. mit dem Platonbild der Philosphiehistoriker des 19. und 20. Jahrhunderts schwer in Kongruenz zu bringen ist. Zur Frage der Anerkennung eines »Platonismus« im Mittelalter ist die Polemik von E. Hoffmann und die indirekte Abfuhr für ihr doktrinäres Argumentieren durch J. Koch recht belehrend.!
Jede Philosophiegeschichte muf$ von den Tatsachen ausgehen, die in den philosophischen Texten vorliegen und die Meinungen ihrer Verfasser kundgeben. für uns einsichtig sind, ist sich selbst als Platoniker anerkannt werden. Es mag
Ob diese Meinungen »richtig« oder eine andere Frage. Wenn ein Autor versteht, muß dies als ein Faktum sein, daß er von Platon selbst nur
wenig kennt und weif; dann ist vielleicht seine Meinung sachlich
sehr weit von dem entfernt, was Platon schrieb. Ein guter Platonkenner von heute würde es mit Recht ablehnen, eine solche
Meinung als Platonismus zu bezeichnen. Trotzdem müßte der Autor insofern zum geschichtlichen Platonismus gerechnet werden, als er — durch indirekte Überlieferung angeregt -- plato-
1 Ernst
Hoffmann:
Platonismus
gedruckt in: Ernst Hoffmann: 1960.
und
Mittelalter.
1926
erschienen,
wieder
Platonismus und dhristliche Philosophie.
Josef Koch: Platonismus im Mittelalter. Ernst Hoffmann zum siebzigsten Geburtstag gewidmet. Kólner Universitátsreden 4. Krefeld 1948.
nische Gedanken aufgegriffen und weitergebildet hat. In diesem
Sinne wollen wir platonische Denkmotive, die in der mittelalterlichen Philosophie wirksam waren, betrachten und die von ihnen
bestimmten Denker Platoniker nennen. Daß solches Fortleben des Platonismus das Aufnehmen einer Menge neuer Ideen ein-
schließt, ist ebenso selbstverständlich wie bei der analogen geistigen Entwicklung eines Individuums: die Gedanken des alten Platon lassen sich auch nicht nahtlos mit denen des mittleren zusammenschließen.
Man kann diejenigen Platoniker nennen, die in Platon ihren
Meister sehen. Dafür gibt es eine große Anzahl sehr verschiedener Zeugnisse, zum Beispiel: »philosophantium de mundo maximus«, sagt Eriugena;? »meus Plato«, »princeps philosophorum«, »familiaris meus« Adelhard von Bath;? für Alanus
von Lille ist Platon der »philosophus« schlechthin.* Thomas von
Aquino hingegen gibt dem Aristoteles diesen Ehrentitel. Ein schönes Zeugnis für die unbedingte Hochschätzung Platons ist auch die Abbildung der Philosophie und der sieben freien Künste im »Hortus Deliciarum« der Herrad von Landsberg, einer Art Enzyklopädie aus der zweiten Hälfte des zwölften Jahrhunderts (vergleichbar dem berühmteren »Speculum« des Vinzenz von Beauvaix aus dem dreizehnten Jahrhundert), ver-
fertigt im Kloster der heiligen Ottilie zu Hohenburg im Elsaß:
Unter der »Philosophie« sitzen als ihre Repräsentanten Sokrates und Platon; der in das Bild hineingeschriebene Text lautet: »Philosophi primum ethicam, politicam, physicam, deinde rhe-
toricam docuerunt. — Philosophi sapientes mundi et gentium clerici fuerunt.« Zwar ist das Original des Werkes 1871 in Straßburg verbrannt, doch sind Nachzeichnungen und Pausen
DD
erhalten.’
Eriugena: De divisione naturae I 31 (Migne Patrologia latina, Band 122,
Spalte 476 C).
P»
3 Hans Wilner: Des Adelhard von Bath Traktat »De eodem et diverso«. Zum ersten Male herausgegeben und kritisch untersucht. In: Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters, Band IV, 1, Münster 1903, S. 13. Siehe
Clemens
Baeumker:
Der
Platonismus
im Mittelalter,
S. 147
Beitráge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters. Band XXV Münster
IO
1927.
f. In:
1/2,
5 Siehe A. Goldschmidt: Frühmittelalterliche illustrierte Enzyklopädien. Tafel IX. In: Vorträge der Bibliothek Warburg 3, Leipzig 1926. Weitere Zeugnisse der Wertschätzung Platons findet man auch bei E. Garin: Studi sul platonismo medievale. Roma
1958.
Die platonischen Werke selbst — außer dem »Timaios« -waren freilich den mittelalterlichen Platonikern wenig bekannt.
»Phaidon« und »Menon« wurden zwar im zwólften Jahrhundert ins Lateinische übersetzt, aber diese Übersetzung von Henricus Aristippus, Archidiakon von Catania, scheint praktisch unbekannt geblieben zu sein. Allerdings kennt man aus den Werken einiges und natürlich auch ihre Titel, aber eben bloß aus
Zitaten anderer Autoren, was Anlaß zu Verwechslungen gibt. — Die Vermittlung der platonischen Tradition vollzog sich auf verschiedene Weise, nämlich durch den eigentlichen Neuplatonis-
mus, vor allem durch Proklos, aber auch durch die griechische Patristik, ohne daß diese als ganze dem Platonismus zugerechnet werden dürfte. Als Vermittler platonischer Motive sind jedoch
besonders zu nennen: Augustinus, Boethius und der sogenannte Dionysius Areopagita, ferner Calcidius und Macrobius, die auch neupythagoreische Gedanken hinzubringen, sowie der »Liber de causis« (das Buch von dem reinen Guten oder von den Ur-
sachen), ein Proklos-Auszug, der von einem gläubigen Muslim
überarbeitet wurde. -Wir wollen -- ohne Anspruch auf Vollständigkeit — platonische Motive betrachten und ihre Entfaltung.an Beispielen verfolgen.
Unser Ziel ist ein besseres philosophisches Verstándnis, das dann
auch eine angemessene Würdigung und Erforschung des edierten Quellenmaterials fórdern kónnte. Die Darstellung der Philo-
sophen, das heißt: der Menschen und ihrer individuellen Ge-
schichte, wird dabei keine Rolle spielen. Denn wir wollen uns auf die platonischen Themen beschränken und keine Philosophiegeschichte schreiben. Für die allgemeinere Orientierung möge der
Leser zu einem der bekannten Werke über die Geschichte der Philosophie des Mittelalters greifen. — Ob und inwieweit Platon selber die systematische Entfaltung von Motiven seines Werkes im Platonismus als legitim an-
erkannt hätte, ist eine müßige Frage. Man müßte sie, wenn überhaupt, schon für die großen neuplatonischen Denker der
Spätantike stellen. Aber solche Frage ist ungeschichtlich, denn sie
hypostasiert die Erscheinung des Philosophen Platon in seinem
historisch faßbaren Leben. Aber die ideale Bewegung des plato-
nischen Philosophierens geht notwendig hinaus über das schriftliche Werk und das während seiner Abfassung gedanklich Da-
hinterstehende. Was von Platon seinen Ursprung nahm, trägt
II
sein Siegel an sich — auch wenn es seine Gestalt gewandelt hat.
Dies geschichtliche Prinzip des »Platonismus« ist die Grundlage seiner übergeschichtlichen Bedeutung.
I2
1
Ideen
1.1
Augustinus
Das bekannteste platonische Motiv ist wohl das Thema »Idee«; es erscheint in verschiedenen Perspektiven, einmal im Zusammenhang der Universalienfrage, zum andern im Problem der Teilhabe. Diese Fragestellungen gehen in unterschiedliche Be-
reiche, die Aufgliederung läßt sich aber nur an den geschichtlich
wirklichen Gedankengängen vollziehen, eine strenge Teilung ist nicht ganz durchführbar. Wir beginnen unsre Betrachtung bei der kleinen augustinischen Schrift »De ideis«, die als 46. unter 83 Antworten auf Fragen verschiedenster Art steht.! Hier ist das Generalthema nur angeschlagen. Augustinus meint, daß kein Weiser das leugnen
könne, was Platon »Ideen« genannt hat. In den Ideen ist eine so große Kraft, daß niemand weise sein kann, der 516 nicht verstan-
den, im Geiste erschaut hat: »siquidem tanta in eis vis constitui-
tur, ut nisi his intellectis sapiens esse nemo possit.«? In den Ideen sieht Augustinus die feststehenden Wesensgründe der Dinge, sie sind ewig und bleiben beständig, da sie nicht aus einem Akt der
Formung
entstanden. Sie sind vielmehr im göttlichen Geiste
selbst enthalten. »Sunt namque ideae principales formae quae-
dam, vel rationes rerum stabiles atque incommutabiles, quae
ipsae formatae non sunt, ac per hoc aeternae et semper eodem modo sese habentes, quae in divina intelligentia continentur.«? Es kann also keine Alternative zur Annahme der Ideen geben, 1 De diversis quaestionibus qu. 46 in: CEuvres de Saint Augustin, Band 10: Mélanges doctrinaux. Paris 1952, S. 122-128 (lateinisch-franzósische Ausgabe der Werke von Augustinus).
2 a.a. O,, S. 122. 3 a.a. O,, S. 124.
13
weil sich in ihnen der göttliche Weltplan, die Schöpfungsordnung
als ewige zeigt. Deshalb kann man auch nicht bloß eine einzige Idee annehmen. So wie Mensch und Pferd ihren je-eigenen
Wesensgrund haben, haben überhaupt die einzelnen Arten? ihre Ideen oder Wesensgründe. Der Schöpfer hat sie in seinem Geist, er schaut also nicht auf ein außer ihm selbst bestehendes Vorbild. Darin liegt die Abwehr der Vorstellung eines Demiurgen nach Art des Mythos aus dem platonischen »Timaios«, aber sie ist in der Tradition des Platonismus selbst schon länger üblich; im Grunde wird nur die dogmatische und das ist die unverstándige Interpretation des Mythos abgewehrt.5 Die Verankerung der Ideen im góttlichen Geiste selbst bleibt für das christliche Mittelalter sozusagen selbstverständlich. Es ist natürlich, daß dadurch auch die platonische Auffassung von den Bedingungen für die Schau der Ideen bewahrt und festgehalten wurde. Die Seele kann sie nur mit ihrem inneren Auge erfassen; sie muß heilig und rein sein, wenn dies Auge gesund und in offener Klarheit erhalten
werden soll. »Et ea quidem ipsa rationalis anima non omnis et quaelibet, sed quae sancta et pura fuerit, haec asseritur illi visioni esse idonea: id est, quae illum ipsum oculum quo videntur ista, sanum et sincerum et serenum, et similem his rebus quas videre intendit, habuerit.«* Das Auge muß dem, was es sehen will, ähnlich sein!
Was Augustinus hier von den Ideen sagt, gibt uns nur ein Thema
an; die ihm innewohnende Problematik kommt aber nicht zur
Diskussion. Diese bleibt jedoch in der Folge nicht aus. Ob dabei
mehr nach den Universalien gefragt wird oder nach der Teilhabe, hängt auch davon ab, ob man von logischen Fragen ausgeht, beziehungsweise von der Erkenntnis durch den Verstand, oder ob nach dem Sein, der Konstitution der Seienden und
den Graden der Seinsmacht, gefragt wird. 4 a. a. O,, S. 126 Mitte.
» Nec
eadem
ratione homo
qua equus, hoc enim
absurdum est existimare. Singula igitur propriis sunt creata rationibus.« Nach dem Zusammenhang muß man »singula« auf »species« (dem Sinne nach) beziehen, obwohl es Neutrum ist; die französische Übersetzung
(a. a. O., S. 127) interpretiert mit »chaque chose« dagegen den Bezug auf die Einzelwesen. Doch von Ideen der Individuen ist hier überhaupt nicht
14
die Rede. 5 vgl. dazu Platons Äußerung über die Schwierigkeiten für eine angemessene Darstellung dieses Gegenstandes: Timaios 29, A bis D. 6 a. a. Ο., S. 124.
1.2
Universalia
Wenn von Universalia die Rede ist, dann ist der Ausgangspunkt
ein logischer, es geht zunáchst um die allgemeinen Begriffe und erst danach, von tung. Man fragt erkannt wurde, grifflichkeit, der
ihnen ausgehend, um ihre ontologische Bedeunun, was ist eigentlich das, was hier begrifflich abgeseben von diesem seinem Modus der Beja von der Tätigkeit des Verstandes bestimmt
1st.
Eine solche Unterscheidung kónnen wir wohl heute machen; sie ist aber nicht von Anfang an selbstverständlich da, sondern mit andern Aspekten vermischt. Darum kam es in den Kontroversen auch zum Aneinander-vorbei-reden, und dies macht die Interpretation für uns nicht immer leicht. Bei Platon ist der logische und der ontologische Aspekt noch ursprünglich verbunden, in den Dialogen wird manchmal (für uns) scheinbar achtlos der Unterschied übergangen. Bei Aristoteles ist die Unterscheidung begrifflich vorbereitet, aber er sieht die metaphysische Zusam-
mengehörigkeit der beiden Aspekte — was freilich in der Schrift über die »Kategorien« nicht so deutlich wird. Schulmäßige Erórterung von begrifflichen Abgrenzungen führt notwendig zu methodischem Absehen von den schwierigen ontologischen Fra-
gen des Zusammenhangs. Man kann durch Übung sich in der Begrifflichkeit auskennen, ohne sich philosophisch um die Aufklärung der Gründe zu bemühen. Aber eine solche Klischee-
vorstellung von philosophischem »Schulbetrieb« wird durch den heftigen persónlichen Einsatz im Kampf um die »Universalien« widerlegt. 1.2.1
Boethius
Ein philosophischer Schulmeister hat dem christlichen Mittelalter
das Universalienproblem tradiert. Dieser Lehrer, Boethius, war gewiß mehr als bloß ein Schulmeister, er hat aber mit seinen Schriften zur aristotelischen Logik als solcher gewirkt. Für die Universalienfrage wurden seine Kommentare zu der Einleitung
des Porphyrios in die Kategorienschrift des Aristoteles entscheidend wichtig. Dort hat er das Problem nicht metaphysisch diskutiert. Seine eigenen weitreichenden philosophischen Pläne
I5
konnte er nicht ausführen wegen seines frühen Todes (Hin-
richtung auf Veranlassung des Kónigs Theoderich im Jahre 525 n. Chr.). Er hat aber sein Ziel klar ausgesprochen." Er möchte die aristotelischen und die platonischen Werke ins Lateinische übersetzen und kommentieren und dann ihre divergierenden
Meinungen aus der Einheit der philosophischen Wahrheit zu
begreifen suchen. manus
venerit,
»Ego
omne
in Romanum
Aristotelis opus
quodcunque
stylum
eorum
vertens,
in
omnium
commenta Latina oratione perscribam, ut si quid ex logicae artis subtilitate, et ex moralis gravitate peritiae, et ex naturalis acumine veritatis ab Aristotele conscriptum est, id omne ordinatum transferam atque id quodam lumine commentationis illustrem, omnesque Platonis dialogos vertendo, vel etiam commentando in Latinam redigam formam. His peractis non equidem contempserim Aristotelis Platonisque sententias, in unam quodammodo revocare concordiam, et in his eos non ut plerisque dissentire in omnibus, sed in plerisque quae sunt in philosophia maxime consentire demonstrem, haec si vita otiumque supererit.«
Hinter solchen Plänen steht die Überzeugung, daß die Unterschiede philosophischer Lehren der großen Meister in der Einheit
der Wahrheit zur Eintracht miteinander verbunden sind. Die trokkene schulmeisterliche Art der logischen Schriften des Boethius
ist nur die eine Seite seines Werkes. Daß die Philosophie für ihn
Quell geistigen Lebens war, zeigt seine im Gefängnis vor der Hinrichtung verfaßte Schrift vom »Trost der Philosophie«.
Die Frage nach den Universalien setzt eine logische Ordnung der Allgemeinbegriffe voraus. Wir wollen sie zunächst an dem sogenannten »Baum des Porphyrios«, den Boethius überlieferte, kennenlernen. Es ist ein Schema für die Ordnung der Gattungen und Arten (genera et species), das auch als Darstellung der Abhängigkeitsverhältnisse interpretiert werden kann.® Das oberste Genus ist Substantia, durch Differentia (unter-
scheidende Eingrenzung des Begriffes) ergibt sich Corpus, durch weitere Einteilung Vivens (lebendiger Körper), weiter Animal
(Sinnenwesen), dann Homo
(Mensch) als species specialissima
7 vgl. In librum de interpretatione, editio 2 Liber 2. Migne Patrologia latina
Bd. 64, Sp. 433 C/D.
τό
8 Abbildungen dieses Schemas finden sich in demselben Bande: 1. im »Dialogus« zur Erläuterung der Eisagoge des Porphyrios, Spalten 41 und 42; 2. im » Commentum«, Liber 3, Sp. 103.
und schließlich Plato als Individuum. So führt die Unterscheidung des Allgemeinen
zum Besonderen und zuletzt zum Ein-
zelwesen. Aber der Baum wächst von unten her bis hin zur obersten Spitze; das bedeutet, daß die Arbeit des abstrahieren-
den Verstandes ihren Ausgang bei den Einzeldingen nimmt, an
ihnen das Allgemeine unter den individuellen Zügen heraushebt. So ist das Allgemeine eben das, was »allen« gemeinsam ist. Dieser Inhalt des Schemas, des »Baumes des Porphyrios«, legt
nahe, ihn logisch und erkenntnistheoretisch zu interpretieren. Er
verbietet eigentlich den Gedanken an den Bestand von »Allgemeinen« ohne die Einzeldinge, »über« den Dingen ohne die abstrahierende Tätigkeit unsres Verstandes. Von diesem Ausgangspunkt her versteht man die Polemik mancher Gelehrter gegen den »Platonismus«, daß er »die Arbor porphyriana hypostasiere«. Aber das braucht deshalb nicht richtig zu sein, denn die methodische Herkunft des Begriffes vom Allgemeinen besagt gar nichts über seine metaphysische Bedeutung. Aus diesem Grunde hat ja auch schon Porphyrios selbst die Frage nach den Universalien umfassend gestellt und sie schematisch aufgegliedert. Was hat es auf sich mit den Genera und Species? Subsistieren 516 oder sind sie etwas bloß Begriffliches? Wenn 516 subsistieren, ist dann ihr Sein körperlich oder unkörperlich? Soll dies Sein verstanden werden als ein von den sinnlichen Dingen getrenntes oder als in ihnen bestehendes? »Et circa haec consistentia dicere recusabo. Altissimum enim negotium est huiusmodi, et maioris egens inquisitionis.«? Porphyrios weist mit dieser Abweisung einer schnellen Lösung deutlich auf das metaphysische Gewicht hin, das eine Entscheidung der Fragen hat. Der Logiker als solcher kann sie nicht treffen. In seiner Erläuterung unterscheidet Boethius zwei Arten von
Unkörperlichem: Das, was ohne Körper oder außerhalb der Körper (praeter corpora) sein kann und vom Körper getrennt fortdauert, wie Gott, Geist und Seele, und das, was nicht ohne Körper sein kann, wie Linie, Fläche (superficies), Zahl, sowie
einzelne Qualitäten. Unter »Sein« ist hier in erster Linie Sub-
sistenz verstanden; was ohne Kórper nicht sein kann, bedarf der
Subsistenz der Körper, um an ihnen zu sein.
9 So wird Porphyrios von Boethius zitiert im Commentum, Liber 1, a. a. O., Sp. 82 A/B.
17
Die Problematik von Genus und Species wird dann unter dem
Gesichtspunkt des Unum erórtert: Wenn das Genus in jeder Species als ganzes sein muß, ist es nicht mehr eins, sondern vielfach. Als vielfach gewordenes ist es aber gar nicht mehr Genus; dann muß man also weiter suchen nach dem einen Genus über dem vielfachen. Aber dafür ergibt sich dieselbe
Schwierigkeit! Wir begegnen hier, der Sache nach, dem berühm-
ten Argument vom »dritten Menschen«!?, das die Setzung des Allgemeinen in der Weise eines nach Art von Einzelwesen Subsistierenden ad absurdum führt; es wurde schon von Platon selbst bei der Diskussion der Teilhabe im ersten Teil seines Dialogs »Parmenides« gebracht.!! Boethius gebraucht es nur zur Abwehr der Vorstellung von einer Subsistenz des Genus. Zunáchst bleibt das Allgemeine nur als »intellectus« übrig, das
heißt als Begriff, den der denkende Geist (animus) bildet. Aber das
ist nicht
Gedachtwerden
das
letzte
Wort
des
Boethius
zur
Sache.
Das
der Universalien ist nur der Ausgangspunkt.
Die Species (Art) ıst ein Gedanke, der gebildet ist aufgrund der wesenhaften Ähnlichkeit der numerisch verschiedenen Individuen, und das Genus (Gattung) dementsprechend aufgrund der Ähnlichkeit der Arten: cogitatio collecta ex individuorum dissimilium numero substantiali similitudine, genus vero cogitatio collecta ex specierum similitudine.!? Die Ähnlichkeit wird zwar am Sinnlichen, und das heißt am Einzelnen, erfaßt, aber als ein All-gemeines wird sie als unkórperlich gedacht. Sie hat als Gedachtes einen andern Modus! Die Subsistenz der Genera und
Species ist in den Individuen, die als Kórper existieren, doch ihre Erkenntnis ist »praeter corpora«: als erkannte sind sie unkórper-
lich.13 Nach dieser Klärung kommt jedoch das eigentliche Problem: Platon meint, die Genera und Species seien nicht bloß als All-
gemeinbegriffe zu denken, sie haben vielmehr wahres Sein und Subsistenz ohne die Körper. Aristoteles dagegen will sie zwar als
allgemeine und unkörperliche verstehen, doch meint er, daß sie in den sinnlichen Dingen subsistieren: sed Plato genera et species
IS
10 vgl. Aristoteles, Metaphysik A 9 (900 b 15). 11 Parmenides 132 A/B. Dort am Begriff der »Größe« durchgeführt. 1? Migne Patrologia latina, Band 64, Sp. 85 C. 13 a.a. O., Sp. 86 A.
caeteraque non modo
intelligi universalia, verum
etiam esse
atque praeter! corpora subsistere putat; Aristoteles vero intelligi quidem incorporalia atque universalia, sed subsistere in sensibilibus putat, quorum diiudicare sententias aptum esse non
duxi. Altioris enim est philosophiae, Aristotelis sententiam
exsecuti sumus,
idcirco vero studiosius
non quod eam maxime
probaremus (!), sed quod hic liber ad praedicamenta conscriptus
est, quorum Aristoteles auctor est. Aufschlußreich ist die Begründung des Boethius dafür, daß er die ontologische Kernfrage
nicht erörtert: Weil es in der zu interpretierenden Schrift um das Verständnis des Aristoteles geht, kann das Recht der platonischen
Position nicht náher erwogen werden. Boethius gibt aber deut-
lich zu verstehen, daß er selber sich nicht mit der aristotelischen Position identifiziert. Was er vorher über die Erkenntnis des Allgemeinen gesagt hatte, nämlich daß wir seine unkörperliche Natur für sich und ohne die Kórper, in denen sie sich konkretisiert, erfassen, das ist noch keine Aussage über das Sein des
Allgemeinen »per se ac sine corporibus in quibus est concreta«!5,
Aber wenn das als eine bloß methodisch notwendige Beschränkung bewußt wird, dann ist damit bereits ein Seinsgrund postuliert, der die überragende Bedeutung des Allgemeinen für die
Erkenntnis der Einzeldinge rechtfertigt.
Betrachten wir jetzt das Problem von der andern Seite: Wenn die Genera und Species mehr sind als allgemeine abstrakte Gedanken von den die Individuen verbindenden Ahnlichkeiten, wenn sie »praeter corpora« konstitutive Gründe für die Kórperdinge sind, dann bestehen sie zweifellos in dem Geiste, welcher
der schópferische Ursprung aller Dinge ist! Sie sind im góttlichen Geiste. Das ist die augustinische These. Doch was den sogenann-
ten Universalienrealismus ausmacht, ist etwas anderes, nàmlich
die Konzeption der in unserem Geist gedachten Universalien als wahrhaft und eigentlich Seiende. Das heißt natürlich nicht, daß
das Sein des Allgemeinen aufgrund der psychischen Realität des Denkaktes besteht. Vielmehr setzt das erkennende Denken ge-
rade die Realität des Allgemeinen als ursprüngliches Sein der Dinge voraus. Diese Realität des Allgemeinen ist nicht identisch 14 ebd. Migne druckt aber hier statt »praeter corpora« »propter corpora«. Das muß ein Fehler sein, weil die Species nach Platon nicht bloß Seinsgründe für die Kórper, um derentwillen sie bestehen, sind. 15 a. a. O., Sp. 84 D.
I9
mit dem Sein im göttlichen Geiste. Wie sie aber zu verstehen sei,
das konnten die Realisten schwer erklären. Vielheit scheint dem
Einheitscharakter der Idee zuwider zu sein. Wenn der göttliche
Geist als Ursprung in seiner Einheit keinerlei Vielheit verschiedener Ideen hat, bleibt doch die Frage nach der Vieleinheit der Universalien, auch als Universalien der Einzeldinge, bestehen. 1.2.2
Erıugena
In diesen Problemzusammenhang gehört die erstaunliche und kühne Konzeption des Johannes Eriugena von den Causae primordiales (Ursachen des ersten Anfangs) oder von der Natur, die geschaffen ist und auch schaffend wirkt. Eriugena war ein bedeutender Gelehrter — einsam in seiner Zeit — und ein eigenständiger Denker. Karl der Kahle hat ihn um 860 n. Chr. damit beauftragt, die Werke des sogenannten Dionysius Áreopagita neu zu übersetzen. Ihr Verfasser war ein vom Neuplatonismus des Proklos stark beeinflußter Christ, der sich mit dem Namen des Paulusschülers aus Athen bezeichnet hatte.
Man hielt ihn dann für diesen Apostelschüler und identifizierte
ihn außerdem mit dem ersten Bischof von Paris, dem Martyrer Dionysius. Das war ein Anlaß für den byzantinischen Kaiser Michael II., die Schriften dem Kaiser Ludwig dem Frommen als Geschenk zu senden (827 n. Chr.). Der Einfluß des Dionysius
auf Eriugena ist deutlich; aber auch schon vor dem Überset-
zungsauftrag hat dieser sich intensiv mit theologischen und philosophischen Fragen befaßt. Seine Gedankenwelt zeugt von
griechischem Einfluß: neben Dionysius finden wir Spuren von
Maximus Confessor, Gregor von Nazianz, Gregor Origenes. In seinem philosophisch-theologischen »Peri Physeon« oder »De divisione naturae« gehört stinus zu den bedeutenden » Auctoritates«. Wenn er
von Nyssa, Hauptwerk auch Auguaber Auto-
ritäten zitiert, dann dient dies zur Erläuterung der Problematik, niemals anstelle von Argumentation, tigung.
20
gelegentlich zur Bekräf-
Auch Boethius und Calcidius haben ihren Platz in der von Eriugena verarbeiten Tradition. Bei allem Wissen war er ein sehr selbständiger Geist und gab Anlaß zu Zweifeln und Streit über seine Rechtgläubigkeit. Aber mit solchen Untersuchungen
ist der Weg zum Verstehen seiner Gedanken erschwert worden;
er kann nicht gemessen werden durch ein Begriffssystem, das erst nach ihm und mit andern methodischen Voraussetzungen entstanden ist. Das Werk über »Die Einteilung der Natur« oder (nach dem griechischen Titel) »Über die Naturen« besteht aus fünf Büchern. Es ist verfaßt als Lehrgespräch zwischen Meister und Schüler,
und das ist keine bloß äußere Form, vielmehr zeigt das manch-
mal sehr lebendig geführte Gespräch, daß der selbständige Den-
ker auch selbständige Schüler will.
Die »Einteilung der Natur« betrifft die Gesamtheit der Dinge (universitas rerum), nämlich »alles was ist und nicht ist«. Diese Unterscheidung von »sein« und »nichtsein« zeigt einen Aspekt seiner dialektischen Begriffsbildung, auf den wir später zurückkommen werden.!$ Es gibt vier Betrachtungen (species, theoriae); sie gehen nicht auf vier neben einander stehende Bereiche, sondern dienen dazu, die Transzendenz-Immanenz Gottes spekulativ zu erfassen. Natura ist: 1) creans et non creata, 2) creata
et creans,
3)
creata
et non
creans,
4) non
creans
et non
creata. Auf den ersten Blick erscheint dies wohl wie eine bloß schematische Verbindung von Begriffen nach den formalen
Kombinationsmöglichkeiten. Aber diese Denkweise, die im späten Neuplatonismus, besonders von Proklos — natürlich nicht mit diesen Begriffen — gepflegt wurde, hat spekulativen Sinn! Das Erste (schaffend und nicht geschaffen) ist Gott als aller
Formen und Arten formfreier Ursprung: formarum et specierum omnium informe principium." Das Vierte ist Gott als aller Dinge Ziel, nicht schaffend und nicht geschaffen: finis omnium;
in ihm findet alles seine Erfüllung und Vollendung. Die Rückkehr des von Gott Ausgegangenen bedeutet nicht Aufhebung, sondern Vollendung der Kreatur. In Gott ist sie ganz, was sie eigentlich ist, ohne die Minderung, die ihrem Wesen durch die Versinnlichung in kórperlicher Differenzierung geschieht. Das Zweite, die geschaffene und schaffende Natur, bezeichnet die Formen als Ursachen des ersten Anfangs (causae primor-
diales) in Gott; es sind die Ursprünge im göttlichen Geiste, im Verbum.
- Wir
16 s. unten 2.2.
haben
hier
den
Versuch,
das
Problem
17 Migne Patrologia latina, Bd. 122. De divisione naturae II 1, Sp. 525.
der
21
Einheit und der geschaffenen Vielheit dadurch zu lösen, daß
beides in den göttlichen Geist hineingenommen wird, der sowohl schafft, wie auch als Ursprung das Erschaffene umfängt. Die Immanenz der Causae primordiales in Gott ist das vermittelnde Glied für den Hervorgang der Welt der Geschöpfe. Diese wird nicht als Teil Gottes verstanden und erst recht nicht mit Gott identifiziert. Deshalb wird das Dritte ausdrücklich als »erschaffene und nicht schaffende Natur« bezeichnet. Bei der Auslegung des Genesis-Wortes »Die Erde aber war wüste und leer« zeigt sich, daß Eriugena die Ausfaltung in die Vielheit der Formen, Gattungen und Arten der Geschópfe aus der Einheit der geistigen Schópfungskraft verstehen móchte. Das »wüste und leer« besagt nur, daß es noch nichts sinnlich Wahrnehmbares gibt, nichts was man sehen kann. Aber die Beschreibung ist positiv zu beziehen auf die unsichtbare geistige Vollkommenheit der Seinsursprünge im göttlichen Wort.!8 »Haec enim vocabula inane dico et vacuum, plus primordialis naturae
ante omnia in Verbo conditae plenissimam immutabilemque significat perfectionem.« Das anschauliche Bild des Schópfungs-
berichtes hat nur die Funktion,
das Wesen
des geistigen Ur-
sprungs gleichsam als Negativ zu zeigen. »Quid ergo mirum, si
primordiales visibilium rerum causae terrae inanis et vacuae vocabulo figurate insinuentur prae nimia sui subtilitate ineffabilique intellectualis suae naturae simplicitate, priusquam in genera et formas sensibilesque numeros, in quibus veluti quibus nebulis corporeis sensibus apparent, per generationem profluerent . . .«1? Die metaphysische Ausdeutung scheint der wörtlichen Interpretation gerade entgegengesetzt zu sein. Die kórperlich sichtbare Gestaltung ist eine nebelhafte Verhüllung des geistigen Wesens.
Ein so harter Spiritualismus ıst uns heute wohl kaum akzeptabel.
Aber er ist auch, wenn nicht ein platonisches Motiv, so doch zum Platonismus im breiteren Sinne gehórig, wie er sich in der Spätantike ausgeprägt hat. Plotin wurde von seinem Schüler und
Biographen Porphyrios gezeichnet als »einer, der sich schämte, im Leibe zu sein«. Darin daß der Spiritualismus die Materie nicht wie die Gnostiker als ein Gegenprinzip zum Geist auffaßt,
22
18 ebd., II 16, Sp. 549 B. 19 ebd., II 17, Sp. 550 A.
sondern sie auf den Geist hin interpretiert, zeigt sich eine echte Tradition von Platon her. Auch Eriugena steht in ihr. Die Materie selbst ist in Wirklichkeit gar kein Gegenpol zum Geist,
sie wird auf unkórperliche Prinzipien zurückgeführt. »Ipsa enim
materies, si quis intentius aspexerit, ex incorporeis qualitatibus copulatur.«?? Dieser Gedanke ist eine Entfaltung des plato-
nischen Problemansatzes. Exkurs
Das Prinzip der Materie wird im »Timaios« zunächst durch Analogie und bildlich charakterisiert: das dritte Genos (49 a), die »Amme des Werdens« an der Grenze des geistig Faßbaren, das Rezeptakel. Dies ist begrifflich von der aristotelischen »Materie« verschieden.?! Der tatsáchlich auf »Materie« hinweisende Vergleich mit einer bildsamen Masse wird von Platon selbst als gefährlich angesehen, er kann nur als Negativ nützen und Gestaltlosigkeit besagen. Wenn dann von »Chora« gesprochen
wird, ist freilich nicht unser Raumbegriff als reines Dimensions-
system zu unterstellen, sondern ein noch nicht voll geklärter Begriff, der als » Amme des Werdens« (52 d2) aber die Vorstellung eines zugrundeliegenden Trägers der Qualitäten und Formen ausschließt! Er ist nur durch einen »Bastardschluß« (52 b2) gefunden. Doch aus seiner Funktion als »Worin« der geometrisch verschiedenen Gestalten der Elemente kann sich eine Erklärung, die auf einen Raumbegriff im strengeren Sinne hindeutet, ergeben. Der Text selbst erlaubt aber keine scharfen Definitionen.
Obwohl Platon nicht von Materie (Hyle) spricht, hat die geschichtliche Entwicklung zur Identifikation seines Prinzips mit der Materie geführt. Aristoteles interpretierte,?? daß Platon
Materie und Ort, beziehungsweise Raum, im »Timaios« identifiziert habe. Wenn Aristoteles den Begriff der Materie er20 ebd., I 42, Sp. 484 C.
21 vgl. Francis M. Cornford: Platos Cosmology, 4. Aufl, London 1956, S. 181: »There is no justification for calling the Receptacle »matter« a term not used by Plato. The Receptacle is not that »out of which« (ex hou) things are made; it is that »in which« (en ho) qualities appear, as flecting images are seen in a mirror.« 22 Physik IV 2 (209 b12).
23
läutert,28 läßt sich nur eine ziemlich entfernte, formale Analogie finden; auch seine Argumentation könnte als Bastardschluß
bezeichnet werden. Aristoteles geht aber aus von der Existenz körperlicher Dinge, an ihnen finden sich Form und Materie,
eigentlich »Material« für die Formung. Aus diesem vorfindlichen
Verhältnis von Form und Material wird dann die »erste Materie« als ontologisches Prinzip erschlossen. Doch in der Metaphysik?* heißt es über sie, daß sie an sich unerkennbar sei (ágnostos kat’ auten).
Calcidius (Chalkidios) war ein christlicher Neuplatoniker, der
um die Wende vom 4. zum 5. Jahrhundert lebte. Er verfaßte eine kommentierte lateinische Teilübersetzung des »Timaios«, möglicherweise für den Bischof von Cordoba, Hosius.?5 Er hat in seinem Kommentar die aristotelische Identifikation ohne Bedenken übernommen und damit die mittelalterliche Diskussion des Materie-Problemes stark beeinflußt. Im Kommentar zu Tim. 50 c unterscheidet er drei Genera: 1. das, was wird und was gezeugt wird, nämlich die Artform, die entstanden ist, in der Materie subsistiert und ebenda auch aufgelöst wird; 2. etwas anderes, in dem es entsteht; das ıst die Materie, denn ın dieser gewinnen die auflöslichen Artformen Substanz (!); 3. die Idee als Urbild der so entstehenden und wieder vergehenden Abbilder. (1. quod fit et gignitur, generata videlicet species, quae in silva subsistit et ibidem dissolvitur. 2. item aliud in quo
gignitur; in quo est ipsa silva: in hac quippe species dissolubiles
substantiam sortiuntur. 3. praeterea, ex quo similitudinem trahit mutuaturque quod gignitur, idea scilicet quae exemplum est rerum omnium quae natura progenuit, hoc est eorum quae silvae quasi quodam gremio continentur exemplorum imagines di-
cuntur.?® Das Wort »silva« 1st bei Calcidius das Aquivalent für »hyle«?7; es findet sich daher auch in mittelalterlichen Texten
neben materia und materies, ein begrifflicher Unterschied zwischen diesen Bezeichnungen scheint nicht zu bestehen. 23 Physik I 7. 24 Metaphysik Z 10 (1036a 9). 25 J. H. Waszink: Timaeus a Calcidio translatus commentarioque instructus. Corpus Platonicum Medii Aevi, Vol. IV. London und Leiden 1962. Praefatio, S. XV.
24
26 $ 330. Edition Waszink, S. 324.
51 vgl. $ 268.
Was ist aber eigentlich diese Materie? Die Frage ist schwer zu
beantworten. Bei Calcidius wird sie ausführlich erórtert. Es hat
den Anschein, dafs sie ontologische Macht gewinnt. Sie ist nicht nur der Schoß, in welchem die Abbilder der Urformen geboren
sind; vielmehr gewinnen diese in ihr Substanz. Zwar wird dann
im $344 ausdrücklich die platonische Einordnung des dritten Genos
als Hinweis
auf seinen ontologischen Rang
genommen
(dignitas), die Materie kommt erst als drittes, sie kann auch nicht
ohne Form bestehen. Andererseits ist sie aber das, in dem die vergänglichen Formen substantielles Sein gewinnen. Nun kann gewiß das Wort »substantia« verschieden interpretiert werden, so daß es verschiedene ontologische Funktion bezeichnet.?8
Der ursprüngliche Sinn der dritten Gattung wird durch die
Identifizierung von »Chora« — von Calcidius mit »locus« wiedergegeben — mit Materie etwas verschoben. Es besteht eine Tendenz zur ontologischen Aufwertung. Aus ihr wird verständlich, daß der Editor Wrobel seinerzeit?? im letzten Satz des
$ 344 eine falsche Konjektur machte und las: »Ipsa ergo immor-
talis est, sed iis, quae pariuntur in eiusdem gremio dat substantiam.« Aber auch wenn der Text richtig lauten muß »datur substantia«?9, die Materie also nicht selber »die Substanz gibt«, bleibt das aufschlußreiche Wort »immortalis«. Die Materie ist »unsterblich«! Platon hatte zwar ausdrücklich gesagt (Tim. 52), daß sie nicht das Vergehen annimmt; aber dies hat bloß negativen Sinn, das dritte Genos ist diesseits der Vergänglichkeit und
keineswegs wie Gott »unsterblich«. Calcidius hat unmittelbar
vor dem zitierten Satz von der Welt gesprochen. Nach Platon ist
die Welt als ganzes unauflöslich und auch ein seliger Gott, weil der Demiurg sie so gebildet hat. (vgl. Tim. 32 c und 34 b) Daß bei Calcidius die Unsterblichkeit aber auf die Materie über-
tragen wird, zeigt die Veränderung der platonischen Konzeption. Eriugena steht mit seiner Auffassung der Materie dem Platon näher, sofern er sie nicht als ontologische Macht vorstellt. Aber er
28 vgl. J.C.M.
sources. Leiden
van Winden:
1965, S. 221.
Calcidius on Matter. His doctrine and his
29 Johannes Wrobel, Leipzig 1876. 30 van Winden schreibt a. a. ©. (S. 221, 3): Most MSS read datur substantia.
25
neigt nach dem entgegengesetzten Extrem, nämlich zur Reduktion des dritten Genos in ein Produkt aus Intelligiblem. Wenn er seine These über die Materie entwickelt, diskutiert er Meinungen von Autoritäten; neben Platon selbst werden Platoniker verschiedener Richtungen genannt: Augustinus, Dionysius, Gregor von Nyssa, Boethius (Div. nat. I 57). Wie sich in einem langen Zitat aus Gregor erweist (I 58), ist dessen Auffassung besonders bedeutsam für Eriugenas eigene Meinung. Materie hat keine
eigenständige Realität, die nach Analogie des sinnlich Wahr-
nehmbaren vorzustellen wäre. Was eigentlich ist, das ist unsinnlich und geistig. Dieser Gedanke wird auch auf die Materie angewandt. Wenn Materie nach Dionysius »Teilhabe an Form und Gestalt«?! ist, dann ist das, was dieser Teilhabe ermangelt,
gerade nicht Materie, sondern eine gewisse Ungeformtheit. Solche Formlosigkeit, die fähig ist, Formen aufzunehmen, kann, wenn
überhaupt,
nur begrifflich erfaßt werden
(si quodam
modo
intelligi potest, non nisi solo intellectu percipi??). Es existiert keine körperliche Realität, die der geistigen entgegengesetzt wäre. Der Körper :st eigentlich bloß die Zusammenkunft von Akzidentien des Wesens (concursus accidentium ousias))? Diese These wird durch ein Gedankenexperiment erläutert: Was bleibt denn übrig, wenn die Quantität vom Körper weggenommen wird, oder die Qualität? Was aber ohne Akzidentien nicht für sich bestehen kann, das läßt sich nicht anders verstehen, als daf es das Zusammenlaufen eben dieser Akzidentien ist. »Quod igitur sine accidentibus per se non potest subsistere nihil aliud intelligendum est praeter eorundem accidentium concursum esse.«94
Mit dieser Auflösung des Materiebegriffs entfällt die Vorstellung
einer dem Weltschöpfer »gleichewigen Materie«, auf die er angewiesen ist, wenn er die Welt gestalten will. Sie wäre als Bedingung für die mögliche Erschaffung der Welt zu einem gottgleichen Prinzip hypostasiert.3° Später faßt Eriugena seine
26
31 32 33 34
vgl. De divinis nominibus IV $ 28 (Edition Pera, n. 232). De divisione naturae I 57, Sp. 501 A. ebd., I 60, Sp. 503 A. ebd., Sp. 503 B.
35 vgl. III 5, Sp. 637 A.
Meinung über die Materie noch einmal zusammen: sie ist ent-
standen aus der Vereinigung von Intelligiblen (geistig erkenn-
baren Formen), »ex intelligibilium coitu«. Denn die Quantitäten
und Qualitäten sind an sich unkörperlich (sie sind zunächst als mathematische Realitäten gedacht, die geometrischen Gestalten
als Qualitäten); indem sie zu einem zusammenkommen, haben
sie die formlose Materie zum Resultat (in unum vero coeuntes informem efficiunt materiam). Diese Materie nimmt Formen und unkörperliche Farben an und wird so zu unterschiedlichen
Körpern bestimmt oder dazu bewegt, als verschiedene Körper zu
erscheinen.?6 Wheso kann aber das Zusammenkommen von Formen formlose Materie »bewirken« oder zum Resultat haben? Sicher nicht so, daf$ das Resultat von dem Zusammenkommen der Formen ablösbar, als ein Etwas für sich denkbar wäre. Es ist kein »Tráger«, welcher den Formen gegenüberstehen kónnte. Vielmehr muf der Zusammenhalt der Formen als Resultat ihres Zusammen-
kommens
die postulierte Funktion
des Trägers
der Formen
leisten. Der Zusammenhalt der Formen, »bewirkt« durch ihr Zusammenkommen, erfüllt die Funktion des materiellen Substrats. Dieses Substrat ist im strengen Sinne formlos, weil das Miteinander der Formen (ihr Zusammenhalt) weder eine dieser Formen, noch eine neue zu ihnen hinzutretende Form sein kann;
denn letztere würde selber eines Zusammenkommens mit den andern Formen bedürfen. Das Miteinander der Formen ist also prinzipiell von allen Formen unterschieden, Materie als Funktion des Zusammenkommens der Formen ist Gegenstück der Formen, form-los. Der Hinweis auf die Entstehung der Kórper aus den vier Ele-
menten unterstreicht die Rückführung des materiellen Seins auf
unkórperliche Konstituentien. Denn schon die Elemente sind nicht sinnlich erfaßbar, sie sind die einfachen und unsichtbaren Körper. Sie haben kein Einzelsein, vielmehr heißen sie »catholica«, das heißt »universalia«. Aus ihnen entstehen die
den
einzelnen
Dingen
tümlichen Kórper.??
36 III 14, Sp. 663 A. 37 ebd., Sp. 664 A.
(als sinnlich
wahrnehmbaren)
eigen-
27
Auf diese Weise kann im Zuge einer ontologischen Ableitung
Materie selbst gedacht und begriffen werden; sie ist nicht mehr Grenzbegriff, sondern wird als Produkt aus intelligiblen Bestimmungen gedeutet, die aus den causae primordiales her-
vorgehen. Individuelles Sein ist nicht wichtig. Im Zentrum des
Denkens steht die Wesensgestalt. Das Universale als konstitutives Seinsprinzip hat in sich die Kraftfülle, dagegen ist das sinnlich Wahrnehmbare und Einzelne als solches bloß nebelhaft und uneigentlich. 1.2.3
Anselm von Canterbury
Der sogenannte Universalien-Realismus, der das Universale als ein konstitutives Seinsprinzip versteht, hat eine stärkere Affinität zur Theologie als der Nominalismus, für den das Allgemeine nichts weiter ist als ein Name, mit dem wir mehrere Einzeldinge in gleicher Weise bezeichnen, weil sie — für uns — eine gewisse Ähnlichkeit miteinander haben. Diese Auffassung, für die die Universalia bloß das Sein des gesprochenen Wortes, als vom Menschen hervorgebrachter Laut (flatus vocis) haben, ist radikal antispekulativ und philosophisch (soweit wir wissen!) schwach fundiert. Bei Abaelard und in der Spätscholastik wird die Problematik wesentlich differenzierter gesehen, deshalb ver-
dienen die Thesen dann auch ein ernstes erkenntnistheoretisches
Interesse. Im Zuge platonischer Tradition haben wir es nur mit dem Realismus zu tun und sehen den Nominalismus nur als seinen Widerpart. Die Polemik im Streit ist nicht zimperlich,
besonders weil mit der philosophischen Entscheidung zugleich theologische Fragen betroffen werden. So sieht Anselm von Canterbury im Nominalismus von Rosce-
linus den Verderb der Theologie und der Humanität überhaupt.
In seinem Brief über die Menschwerdung des Wortes gibt er seinem Zorn harten Ausdruck. Anlaß für die Polemik gegen Roscelinus ist nach Anselms Worten dessen Versuch, seine theolo-
28
gisch falschen Thesen durch Berufung auf Anselm zu stützen (was indirekt ein Anzeichen für die Achtung ist, die dem Anselm gezollt wurde). Anselm wettert gegen die »dialektischen Häretiker«, die allein das konkrete Sein von Einzeldingen anerkennen und keine Aussage zulassen, die eine Eigenschaft oder eine Natur
:
für sich allein (abgesehen von dem einzelnen konkreten Träger)
betrifft. Damit bleiben sie im Dunkel der kórperlichen Vorstellungsbilder befangen und sind gar nicht imstande, sich zur reinen Wesenserkenntnis zu erheben. »...illi utique nostri temporis dialectici, immo dialectici haeretici, qui non nisi flatum vocis putant universales esse substantias (!), et qui colorem non aliud queunt intelligere quam corpus, nec sapientiam hominis aliud quam animam, prorsus a spiritualium quaestionum dispu-
tatione sunt exsufflandi. In eorum quippe animabus ratio, quae et prineps et iudex debet omnium esse quae sunt in homine, sic est in imaginationibus corporalibus obvoluta, ut ex eis se non possit evolvere, nec ab ipsis ea quae ipsa sola et pura contemplari
debet, valeat discernere. Qui enim nondum intelligit quomodo plures homines in specie sint unus homo... Et cuius mens obscura est ad diiudicandum inter equum suum et colorem
eius...«98 Die Schelte hat auch einen gewissen moralischen Unterton, insofern es eine Voraussetzung für die reine geistige Erkenntnis beim Menschen ist, daß er sich frei halte von sinnlichkórperlichen Vorstellungen, die ihn benebeln. Es wird unterstellt, daß der Nominalismus eine ungeistige Haltung sei. Daß nur derjenige der Einsicht fähig ist, der sich von der Verhaftung an
das sinnlich Gegebene und der jeweils subjektiven Betroffenheit
vom Einzelnen lösen kann, ist in der platonischen Tradition und
darüber hinaus eine »Selbstverstándlichkeit«.
Der systematische Streitpunkt zwischen Anselm und Roscelinus läßt sich am Begriff substantia verdeutlichen. Roscelinus erkennt offenbar nur die Existenz von Einzelsubstanzen an und sieht das Sein der Qualitäten, sowie erst recht das Sein des Wesens der Art, zum Beispiel das Wesen »Mensch«, einfach als das Sein des
substantiellen
Trägers
der
Qualität,
beziehungsweise
des
einzelnen Individuums der »Art« Mensch an. Anselm dagegen spricht von »universalen Substanzen«. Das ist ein starkes Wort für die überindividuelle Wesenheit; 516 ist der höhere und nur geistig erkennbare Seinsgrund.
Der Zorn des Theologen hat aber seinen besonderen Grund in der Christologie. Das Mysterium
der Menschwerdung
Christi,
38 De incarnatione Verbi I. in der von F. 5. Schmitt herausgegebenen Ausgabe der Opera omnia, Bd. 2, S. 9, 21 f.
29
des Gottessohnes, kann theologisch nur bezeichnet werden, wenn überhaupt zwischen dem Wesen oder der Natur des Menschen und der Person des Menschen unterschieden wird (Christus hat göttliche und menschliche Natur, aber die zwei Naturen sind einer Person). Gerade diese Unterscheidung aber wird vom Gegner geleugnet: »... qui non potest intelligere aliquid esse hominem nisi individuum, nullatenus intelliget hominem nisi humanam personam . . .«?9
Anselm verteidigt den Realismus aber nicht bloß aus solchen
spezifisch theologischen Gründen, sondern überhaupt um der philosophischen Vernunft willen. Der Aufstieg des ursprungsuchenden Denkens zu Gott hin ist nach seiner Auffassung »sola ratione«, und das bedeutet hier: allein durch den inneren Zwang vernünftigen Denkens, gesichert. Damit ist freilich nicht eine bloß formale logische Konsequenz gemeint, sondern die Notwendigkeit, die sich in der geistigen Schau der Wesenheiten offenbart. Der christliche Glaube ist dabei kein inhaltlicher Teil der Argumentation. Die Bestátigung der Erkenntnis im Glaubensleben und der fundamentalen Glaubensinhalte durch die vernünftige Einsicht ist als eine Hilfe für den Menschen gedacht,
der in seiner persönlichen Entscheidung als Christ zu kämpfen
hat, der irgendwie angefochten ist im Glaubenswillen. Dieses Motiv wird im »Proslogion«, das die berühmte Formel des Gottesbeweises enthält, sehr deutlich; man muß allerdings den
»Beweis« in seinem Zusammenhang mit den Betrachtungen des
ganzen Buches und nicht bloß -- wie ein verbreiteter Mißbrauch zu tun pflegt — die Kapitel 2 bis 4 lesen. Der rein philosophische Charakter der Argumentation zeigt sich klar an den ersten Kapiteln des »Monologion«. Ihre Grundlage ist nicht die Voraussetzung von Ideen als Urbildern der verschiedenen Arten von Seienden; die Überlegung setzt auf einer
hóheren Stufe an bei ganz allgemeinen Aussagen über die Dinge,
nämlich insofern sie »gut« und »seiend« sind. Daß sie »gut« sind oder daß sie »sind«, das haben sie nicht durch sich, sondern von
dem, was in seinem Wesen selbst ganz gut und seiend ist. Dieses
Prinzip des Guten und des Seins wird nicht als ein oberster Allgemeinbegriff hypostasiert, sondern als eine »Natur« postu-
liert, durch die die Dinge sind und so sind, wie sie sind. Es ist das 30
39 ebd., S. 10, 9 f.
Höchste für alle, durch das alle sind, es ist aber selbst nicht in den
Dingen, sondern vor ihnen. Man möchte hier an das Verhältnis
von Urbild und Abbildern denken. Anselm gebraucht diese Begriffe aber nicht, er nennt dies Verhältnis auch nicht leilhabe!*? Seine Erläuterung ist weniger terminologisch fest-
gelegt, da er einfach unterscheidet zwischen dem Sein durch
etwas (per aliquid) und dem Sein durch sich (per se). Die vielen
Dinge sind angewiesen auf das Prinzip, was ganz durch sich
selbst ist: »Restat igitur unam et solam aliquam naturam esse, quae sic est aliis superior ut nullo sit inferior. Sed quod tale est, maximum et optimum est omnium quae sunt. Hoc autem esse non potest, nisi 1psa sit per se quod est et cuncta quae sunt sint per ipsam id quod sunt.«*! Bei diesem Gedankengang ist es
wichtig, daß man erkennt, wie das Höchste zwar als Abschluß
einer aufsteigenden Reihe in den Blick kommt (das wird für uns am besten sichtbar an den Wertunterschieden zwischen verschiedenen guten Dingen, die als mehr oder weniger gut eingestuft werden), aber als wirklich Höchstes zugleich von allen Gliedern dieser Reihe verschieden ist. Es ıst durch sıch, durch sein eigenes Wesen begründet, während alle andern Glieder der Reihe von ihm begründet, in ihrem Wesen bestimmt sind. Der Aufstieg selbst ist ein stufenweise geordneter, entsprechend den Rangunterschieden zwischen den Naturen der verschiedenen Arten, die unmittelbar erkenntlich sind. Anselm hält es für absurd, daß man die Unterschiede des Wertes, des Grades von Sein und Güte zwischen Dingen verschiedener Art nicht anerkenne; der Vergleich zwischen Holz, Pferd und Mensch erweist eindeutig ihren verschiedenen Rang.*? Weil es keine Unendlichkeit von vielfältigen Graden geben kónne, sei notwendig (ex necessitate) irgendeine Natur die absolut höchste, so daß es keine weitere gibt, welcher sie untergeordnet wáre.? Wenn man diesen Gedanken allein für sich und oberflächlich betrachtet, kann man seinen Sinn verkennen.
Das Höchste ist aber nicht das »letzte Glied« in einer endlichen Reihe von Rangstufen, weil es als durch sich Seiendes von allen
40 vgl. F. S. Schmitt: Anselm und der (Neu-)Platonismus, S. 39 f. (in: Analecta Anselmiana I, 1969). 41 Monologion cap. 4 in Bd. 1 der Opera omnia, S. 17, 24-29. 42 ebd., S. 17,1 f. 43 ebd., S. 17, 5-10.
21
andern unterschieden ist. Die Vorstellung des Stufenkosmos, an dessen Spitze Gott steht, ist leider immer wieder in der Polemik gegen Anselm, den Vater der Scholastik, anzutreffen, aber sie ist
falsch! Ein aufmerksamer Leser des Proslogion weif das. Wohl
gibt es eine Stufenordnung in der Welt, Gott aber steht über und
jenseits von ihr. Deshalb heißt es im 15. Kapitel des Proslogion, daß Gott nicht »das Höchste, was überhaupt gedacht werden
kann« sei, wie es in den ersten Kapiteln geheißen hatte; vielmehr ist Gott »größer als überhaupt gedacht werden kann«. Damit stimmt das Wort des Paulus vom »unzugänglichen Licht, in dem Gott wohnt«*, das Anselm im 16. Kapitel zitiert, gut zusammen. Seine Größe ist so, daß sie meiner Einsicht unzugänglich ist: »non potest intellectus meus ad illam«**. Aus diesem Grunde hat sich spáter Nikolaus von Kues mit seiner Erklärung der Gotteserkenntnis als docta ignorantia mit Recht auf Anselm berufen kónnen.*9
1.2.4
Adelhard von Bath und die Schule von Chartres
Zum mittelalterlichen Platonismus gehört die hundert blühende Schule von Chartres in hohem gibt es da auch einige bedeutende Abwandlungen. eine Synthese zu finden zwischen der Lehre des
im 12. JahrMaße; freilich Man versucht, Platon und der
des Ariswteles. Die Bewertung solcher Versuche hängt davon
ab, wie weit man in ihnen das Bewußtsein der Problematik herauszuspüren vermag, so daß hinter einer lapidaren Lösungs-
formel
die philosophisch
legitimierte Stellungnahme
bar wird. Am Beispiel des Adelard von zeigen. Seine Schrift »De eodem et diverso«* ^ 1105 und 1116 verfaßt und Wilhelm, gewidmet. Der Universalienstreit, der
erkenn-
Bath wollen wir dies
wurde wohl zwischen Bischof von Syrakus, die Gemüter erhitzte,
weshalb Johann von Salisbury ihn sogar als »kindisch« bezeich44 1 Timotheus 6, 16. 45 Proslogion cap. 16 in Bd. 1 der Opera omnia, S. 112, 24. 16 vgl. Nikolaus von Kues: De venatione sapientiae, cap. 26 $ 77. 22
41 Edition von Hans Willner. Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters IV 1, Münster
1903.
nete, wird von Adelard auf verschiedene Perspektiven der Erkenntnis zurückgeführt. Ein solcher Interpretationsversuch bedeutet aber keine Relativierung in der Sache, er schließt eine deutliche Parteinahme ein. Sehen wir uns die Argumentation etwas näher an! Adelard geht davon aus, daß es ein und dasselbe ist, was mit den Namen von
Wesen, Gattung, Art und Individuum benannt wird, jedoch in verschiedener Hinsicht: »Nam si res consideres, eidem essentiae et generis et speciei et individui nomina imposita sunt, sed respectu diverso.«* Die verschiedenen Hinsichten sind aber
offenbar nicht gleichwertig. Denn die Bezeichnung »Individuum« geht nur auf das sinnlich Wahrnehmbare, das jeweils
numerisch verschieden ıst, das Einzelne wie Sokrates oder Platon. Offenbar spielt der geistige Wert der Individualität hier gar keine Rolle. Wer von einer höheren Warte aus schaut, der erfaßt die Species, das Art-Wesen des Menschen. »Eosdem autem altius intuentes, videlicet non secundum quod sensualiter diversi sunt, sed in eo quod notantur ab hac voce »homo« speciem vocaverunt.«9? Bei diesem Aspekt werden die individuellen Unterschiede nicht aufgehoben, sie bleiben aber unberücksichtigt. Wenn nur das Genus genannt wird, bleiben die Artunterschiede
entsprechenderweise unberücksichtigt.
Den Menschen bereitet es Mühe, sich freizumachen von der sinnlichen Vorstellung (imaginatio) und die reine Species mit der Vernunft zu erkennen. -- Wir erkennen hier unschwer eine Verwandschaft mit der Schelte von Anselm gegen die Nomina-
listen, die in sinnlichen Vorstellungen befangen bleiben.
Anders ist die Erkenntnis des góttlichen Geistes. Er, der die Materie mit verschiedenartigen Formen fein bekleidete, unterscheidet auch alle einzelnen Konstitutiva. »Divinae enim menti,
quae hanc ipsam materiam tam vario et subtili tegmine for-
marum induit, praesto est et materiam sine formis(!) et formas sine aliis, immo et omnia cum aliis sine irretitu imaginationis distincte cognoscere.«9! Die These, daß Gott auch die Materie
48 vgl. Metaiogicus II 20, in: Joannes Saresberiensis Opera omnia, ed. J. A. Giles. Oxford 1868, Bd. 5, S. 112 f. 49 Edition Willner, S. 11, 20 f. 50 ebd., S. 11, 25 f. 51 ebd., S. 12, 15 f.
33
ohne Formen deutlich erkennt, könnte ein Indiz dafür sein, daß
die Materie hier nicht im aristotelischen Sinne als »an sich
unerkennbar«9?? gemeint ist, sondern daß vielmehr Eriugenas Reduktion der Materie zu einem unkörperlichen Prinzip der Verknüpfung von Formen?? weiterwirkt. Die Sehnsucht des Philosophen geht offenbar auf die reine deutliche Erkenntnis der Formen in Analogie zum göttlichen Geist, der sie im Geist selbst (in ipsa noy) präsent hat. Wie diese Präsenz der Formen in der góttlichen Einfachheit zu denken sei, das erfordert freilich nach Adelard eine subtilere, hier nicht zu leistende Betrachtung. Wenn die Formen das sind, was in der hóheren und besseren Erkenntnis erfaßt wird, dann ist auch der Begriff des Seins oder
der Realität nicht an der Erfahrung individueller Existenz orien-
tiert. Das Sein der Universalien wird nicht nach Analogie der subsistierenden Einzeldinge interpretiert; eher bekommt man den Eindruck, daß ebendiese Subsistenz eine sekundäre sei, nàm-
lich abgeleitet aus dem Sein der Universalien »in« den sinnlichen
Dingen. »Quoniam igitur illud idem, quod vides, et genus et species et individuum sit, merito ea Aristoteles non nisi in sensibilibus esse proposuit. Sunt etenim ipsa senisbilia, quamvis acutius considerata.«9* Zwar sind die Universalien in den Einzeldingen, aber das bedeutet nicht, daß sie durch die Einzeldinge ihre Existenz hätten. Wer schärfer hinsieht, der erkennt, daß die sinnlichen Dinge eigentlich nur undeutlich vorgestellt sind; was sie sind, erkennt die Vernunft als Universalien. Es bleibt die Frage nach dem Reich der Ideen, die Platon ausdrücklich von den wahrnehmbaren Abbildern unterschieden hatte, die insofern nicht als immanente Seinsgründe der sinnlichen Dinge aufgefaßt werden können. Aber der göttliche Geist ist in Wahrheit das Reich, in dem die Ideen klar und rein bestehn und ohne Trübung durch sinnliche Vorstellungen erkannt werden. So fährt unser Text unmittelbar nach der zitierten Stelle fort: »Quoniam vero ea, inquantum dicunter genera et species, nemo sine imaginatione presse pureque intuitur, Plato extra sensibilia, scilicet in mente divina, et concipi et existere dicit. Sic vir ilh licet verbis contrarii videantur, re tamen idem
34
52 s. oben S. 24. 53 s, oben S. 26-28. "54 De eodem et diverso, a. a. Ο., S. 12, 13 f.
senserint.«°° Die gegenteiligen Thesen von Aristoteles und Platon werden so in einer Interpretation miteinander verbunden, die alles ontologische Gewicht in den Universalien läßt. Selbst wenn sie »in« den sinnlichen Dingen sind, ist das nur ein Aspekt. Die individuelle Existenz ist überhaupt erst durch die Universalien bestimmt und bedingt. Die Existenz in re, das Sein der Universalien in den Individuen, bedeutet offenbar nach Adelard für die Universalien wenig. Entscheidend ist das Wesen; die sinnliche Erfahrung bedeutet für die geistige Erkenntnis nichts. Dafür gibt Adelard ein aufschlußreiches Beispiel: Man kann eine grofie Feige mit den Sinnen nur erkennen, wenn man hineinbeißt; man muß sie durch verschiedene Wahrnehmungen identifizieren und sich am Geschmack vergewissern, daß es sich um
eine Feige und nicht bloß um einen ihr ähnlich sehenden Gegen-
stand handelt. Wenn man eben nichts versteht von der geistigen Erkenntnis des Artwesens, ist man darauf angewiesen, sich wie ein Tier zurecht zu finden. »Sic necesse est, ut dentes imprimas. O argumentum perspicuum, quod magis cani quam homini conveniens est!«9$ Aber auch dann kann man sich einmal täuschen, darum nennt Platon die Sinne unverständig. »Hinc est, quod familiaris meus Plato sensus irrationabiles vocat.«°? In der Philosophiegeschichte ist diese Lehre, weil sie die Unterschiede in der Auffassung der Universalien auf bloß verschiedene Ansichten von ein und demselben Subjekt zurückführen will, als Indifferenzlehre bezeichnet worden und man hat sie gering geschátzt. Aber das beruht auf einer Voraussetzung, die uns zwar natürlich und »selbstverständlich« scheint, die aber gerade deswegen mehr reflektiert werden müßte. Es ist die Meinung, daß das Individuum, das Einzelding als solches eigentlich ist, »existiert«; was aber das Sein des Individuums im Grunde ausmacht, danach kann dann nicht mehr so recht gefragt werden. Hier
setzt die These des Universalienrealismus
an, sie sieht die
Universalien als das, was auch im Individuum das Sein und Wesen ausmacht. Aristoteles selbst hat in seiner Metaphysik zwar die individuelle Substanz als das in vorzüglicher Weise Seiende dargestellt, aber dem Artwesen (Eidos) doch ein sehr
55 ebd., 66 ebd.,
97 ebd.,
S. 12, 26. S. 13, 15 f.
S. 13, 20.
35
großes
Gewicht
als Seinsgrund
des
Individuums
gelassen.9?
Wenn man - gegen Aristoteles — das Entscheidende der platonischen Lehre nicht im Chorismos, der Kluft zwischen Ideen und Einzeldingen, sondern in der seinverleihenden Kraft der Ideen sieht, dann kann man von dem platonischen Fundament aus eine Synthese versuchen in der Art, wie Adelard sie skizziert hat. Es ist aber aufschlußreich, in welcher Weise diese Position im »Überweg«, dem bekannten fünfbändigen Handbuch der Geschichte der Philosophie, beschrieben wird: »Das Charakteristikum dieser Form des Realismus besteht darin, daß hier die Einzeldinge selbst die Universalien sind. Der Unterschied zwischen Universale und Individuum liegt bloß in der verschiedenen Betrachtungsweise, eine Auffassung, die auch sonst in der Universalienlehre begegnet. Mit Platonismus hat das natürlich nichts mehr zu tun.«9 Der letzte Satz wäre richtig, wenn die Gewichte tatsächlich verteilt wären, wie das zusammenfassende Referat vermuten läßt. Aber die Identität von Individuum und Universalien ist in der umgekehrten Weise zu verstehen. Nicht die Einzeldinge selbst sind die Universalien, sondern was die
Einzeldinge sind, das sind eigentlich die Universalien!
Daß diese Auslegung der Meinung von Adelard entspricht, soll nun noch an einem kurzen Zitat belegt werden. Die individuelle Existenz ist als Existenz gerade vom Allgemeinen begründet: Substantialität verbunden mit Leben und Empfindungskraft machen das Sinnenwesen (animal); »Mensch« bezeichnet die Verbindung dieses Ganzen mit der Vernünftigkeit und Sterblichkeit; bei Sokrates kommen zu diesem Mensch-sein noch Akzidentien hinzu, die ihn numerisch von andern Menschen unterscheiden. Die ontologische Dignität liegt nicht beim Einzelding, sondern beim Universale. »Vox enim haec »animak in re ila notat substantiam cum animatione et sensibilitate; haec autem »homo: totum illud et insuper cum rationalitate et mortalitate; Socrates vero illud idem addita insuper numerali acciden-
tium discretione.«99 Es sind die Universalien selbst, die das Sein der Einzeldinge ausmachen, während die individuellen Merk-
male
26
akzidentell
hinzukommen.
- Ist das
aber
58 Aristoteles, Metaphysik, Buch Z: vgl. besonders 1037a 29. 59 Überweg-Geyer, 12. Aufl., Tübingen 1951, S. 231 f. 60 De eodem et diverso, a. a. Ο., S. 11 f.
nicht
die
»Hypostasierung« der Arbor porphyriana?9! Formal sieht es so aus, wenn man den Ausgangspunkt der logischen Abstraktion, das Individuum, als eigentlich seiend und als Grundlage für alle Aussage von Sein voraussetzt. Dann wird in solchem Universalienrealismus der Zusammenhang auf den Kopf gestellt und hypostasiert: das Allgemeinste, Substanz, ist nicht gemäß der logischen Ordnung das letzte und dünnste Abstrakte, sondern die
tragende Grundkraft. So etwas nachzuvollziehen mag uns recht
schwerfallen, niemand heute kónnte diese Position einfach übernehmen. Aber der Versuch, sie zu verstehen, kónnte Anlaf sein, unsere »selbstverständlichen« Überzeugungen zu bedenken und auch das mögliche Recht einer in die All-Einheit zielenden Weltauslegung zu erwägen. Es ist nicht zufällig, daß in der Schule von Chartres eine Tendenz zum Pantheismus vermutet wurde. Das ist sicherlich eine falsche Vereinfachung. Es bleibt aber die innere Schwierigkeit einer spekulativen Betrachtung, die sich radikal über die sinnliche Erfahrung erheben will. Daß die Position, von der aus Adelard den Universalienstreit auf verschiedene Aspekte desselben zurückzuführen suchte, stark verbreitet war und besonders in der Schule von Chartres sich ausprägte, soll nun noch an wenigen Beispielen gezeigt werden. Wenn man etwa liest, was Abaelard in seiner »Historia calamitatum« über den Realismus von Wilhelm von Champeaux berichtet,9? kann man gut das logische Ärgernis verstehen, das die metaphysische These über die Universalien erregen muß. Nicht allein die Abwertung des Individuellen, als bloß durch akzidentelle Unterschiede bedingt, erscheint falsch, viel mehr die Behauptung, daß in den Individuen eine, streng identische Wesenheit das Sein bestimmt, so daß die tatsächliche Vielheit der Individuen nicht nur bedeutungslos, sondern unmöglich wird. Die verschiedene Kombination der Akzidentien muß ja schon
eine Mehrheit von Individuen als Bedingung ihrer Möglichkeit
voraussetzen. Das Allgemeine wird, wenn es so als nur ein identisch Seiendes verstanden wird, gerade nicht das den Individuen All-gemeine sein; die Vielheit der Individuen wird vom
Allgemeinen dann auch nicht bestimmt, weil diese Vielheit durch die behauptete absolute Einheit negiert ist. Man spürt, daß die 61 vgl. oben S. 16-17.
62 cap. 2. Migne Patrologia latina, Bd. 178, Sp. 1191.
37
Behauptung einer seinsmäßigen Einheit des Wesen-bestimmenden »Allgemeinen« mit Begriffen, die aus der anschaulichen Dingwelt genommen sind, überhaupt nicht erfaßt und erklärt werden kann. Wenn die These, daß die Allgemeinheit der Universalien darin besteht, daß eine identische Sache seinsmäßig als ganze zugleich den einzelnen, von ihr umfaßten Individuen einwohne, einen Sinn haben soll, so muß man von dieser Sache (res) jede dingliche Vorstellung fernhalten und zugleich versuchen, das substantiale Sein im Sinne der Einzelexistenz der Dinge durch nichtdingliches Sein und Wesen zu begreifen. So wie Wilhelm die These vertreten hatte (Erat autem in ea sententia de communitate universalium, ut eamdem essentialiter rem totam simul singulis suis inesse astrueret individuis; quorum quidem nulla esset in essentia diversitas, sed sola multitudine accidentium varietas.), konnte er sie Abaelard gegenüber nicht halten. Bei Adelard von Bath ist durch die Unterscheidung der verschiedenen Auffassungsweisen doch ein knapper Ansatz zur Bewältigung der spekulativen Aufgabe gegeben, die einen intellektuellen, über individueller Existenz frei schwebenden Standort fordert. Die Argumentation der Realisten in der Sprache der Logik läßt die eigentliche ontologisch-metaphysische These manchmal sehr seltsam erscheinen. Das wird zum Beispiel deutlich bei Clarenbald von Arras®®, der in seinem Traktat über des Boethius Buch »De Trinitate« gegen Gilbert von Poitiers spricht, der für jeden einzelnen Menschen auch eine besondere Mensch-heit (humanitas) postuliert hatte. »Ad quam obiectionem nos hoc modo respondemus non esse a saeculo auditum, quod individua alicui rei esse substantiale conferant. Substantialia autem sunt genus, species, differentia et diffinitio (!). Si autem humanitas species est specialissima nichil ei suppositum ordine praedicamentali (!) species esse potest.«®* Das substantiale Sein kann einer
Sache nicht von den Individuen gegeben werden, weil die »sub-
stantialia« eben gerade dem Wesen nach all-gemein sind. Sie sind allgemeine formale Prinzipien und als solche sein-verleihend. — Daß Clarenbald hierunter auch die Definition nennt, die als 63 vgl. Nikolaus
38
Toronto 1965.
M. Häring:
Life and
Works
of Clarembald
of Arras.
64 ebd., S. 91. Tractatus super Librum Boetii De Trinitate $ 14, 4 f.
solche kein ontologisches Prinzip sein kann, macht die Problematik nicht leichter. Freilich führt die von ihm bekämpfte These auch zu logischen Schwierigkeiten. Eine im einzelnen Menschen individualisierte Mensch-heit wäre auch unaussagbar. Das ontologische Problem des Universalienrealismus wird aber in solchen Argumentationen unkenntlich.
1.3
Teilhabe
1.3.1
Platon und Neuplatoniker
In den zuletzt behandelten Formen des Universalienrealismus ist ein. wesentlicher Bestandteil der platonischen Konzeption, nämlich die Teilhabe, bedeutungslos geworden. Das wäre schlechthin unverständlich, wenn »Teilhaben« einen genau bestimmten Sinn in einem festen System hätte. Für Platon und für viele Platoniker läßt sich das aber nicht streng nachweisen. Man muß vielmehr davon ausgehen, daß dieser Begriff zur Bezeichnung von Abhängigkeit und Ähnlichkeit von Unterschiedenen dient. Wenn die Tendenz überwiegt, die Unterschiedenen in ihrer Einheit zu begreifen, verschwindet mehr oder weniger das Teilhabe-Problem. Es erscheint ausdrücklich, wenn die Frage nach der Beziehung von Wesenheiten und Einzeldingen gestellt wird. Gerade dabei zeigt sich auch, daß der Begriff des Teilhabens äußerst schwierig zu bestimmen ist. Alle
Versuche, ihn nach einer Analogie von körperlicher Beziehung zu
kennzeichnen, scheitern; eine bildliche Vorstellung führt notwendig in die Irre. Dafür hat schon Platon selbst im ersten Teil seines Dialoges »Parmenides« lehrreiche Beispiele gegeben und als deren Konsequenz dann das Problem mit den Mitteln der dialektischen Untersuchung behandelt; eine explizite Lösung wird nicht gegeben. Man kann allerdings leicht gewisse negative Abgrenzungen geben. Teilhaben ist sicher nicht »einen Teil haben«. Teilhaben ist auch nicht »das Ganze für sich allein haben«. Das Teilhabende ist verschieden von dem, woran es teilhat; aber sofern es teilbat, ist es dem, das ihm in der Teilhabe Bestimmung verleiht, gewissermaßen gleich. Das, woran etwas teilhat, wird
39
durch das Teilhabeverhältnis nicht verändert oder betroffen; deshalb behält es auch gegenüber den vielen Teilhabenden seine Einheit und Integrität. - Das Problem wird nicht leichter, wenn sich herausstellt, daf$ nicht nur von Teilhabe der Einzeldinge an den Ideen, sondern auch von Teilhabe unter den Ideen selbst, an einander, gesprochen werden muß. Die dialektische Diskussion solcher Beziehungen ist im »Parmenides« am ausführlichsten geraten. Im Neuplatonismus ist dieser Dialog eingehend kommentiert worden. Leider betreffen die erhaltenen Kommentare aber nur einen Teil und nicht die ganze dialektische Übung, die Platon den alten Parmenides mit dem jüngsten der anwesenden Hörer treiben läßt. P. Friedländer hat in seinem Platon-Buch® das Problem des Teilhabens im Dialog »Parmenides« so skizziert: »Thesis: Das Eine ist weder in sich noch in einem andern. (131 B) Antitbesis: Das Eine ist sowohl in sich wie auch in einem andern. (145 B-E) Man muß mit der Antithesis sehen, wie das Eidos in ein Andres
eingeht, ohne damit aus sich selbst herauszutreten . . Nur wenn
man dort die strenge Abgeschlossenheit des Eidos anerkennt, kann man hier das Eingehen in die am Eidos »teilhabenden« Dinge behaupten, ohne die verschiedenen Rangstufen von Eidos und Erscheinung zu verkennen.« Die Antwort ist auf diese Weise rein dialektisch geworden: das Miteinander der widerstreitenden Thesen ist notwendig, aber man sieht nicht, wie es móglich sei! Aus der aristotelischen Polemik gegen die Ideenlehre entstand spáter$$ die Behauptung, es bestehe ein »Chorismos«, eine trennende Kluft zwischen den Ideen und den Einzeldingen. Ernst Hoffmann*' sah gerade das als genuine platonische Philosophie an, deshalb sprach er davon, daß der Sinn der platonischen Transzendenz bei Plotin vernichtet sei. Aber die Behauptung des Chorismos ist eine sehr folgenschwere Entscheidung zugunsten einer absoluten Idee an sich selbst; sie macht eigentlich undenk-
bar, daß Teilhabe die Einzeldinge mit Ideen verbinden könnte. Gewiß, die Stellung der Idee an sich selbst Zber den an ihr teilhabenden Dingen kann nicht in Frage stehen. Andrerseits
65 Pau] Friedländer: Platon. Berlin 1960, Bd. 3, S. 190. 66 vgl. den Artikel »Chorismos« von H. Meinhardt in Bd. 1 des Historischen
40
Worterbuches der Philosophie. Basel 1971. 61 s. Anm. 1 zur Einleitung.
wird
aber doch die Idee in der philosophischen
Erkenntnis
erschaut, die von der Fragwürdigkeit der Einzeldinge aus zu ihr aufsteigt. Wie ist also die einerseits geforderte Transzendenz und die zugleich sich ergebende Immanenz, nämlich Anwesenheit (parousia) in den Dingen, die den Aufstieg des Denkens bewirkt, zu verstehen? Im späteren Neuplatonismus wurde die Lösung des Problems mit einer fundamentalen Unterscheidung versucht, die den
Ansprüchen beider Seiten genügen soll. Sie hat das mittelalter-
liche Denken stark beeinflußt, freilich nicht bei Eriugena und nicht bei denen, für die »Teilhabe« keine besondere Bedeutung hatte. Jamblich (gestorben um 330 n. Chr.) ist wahrscheinlich der erste, der vor dem Teilnehmbaren das Unteilnehmliche (amethektos = imparticipabilis) als Prinzip und Grund ansetzt, es ist Ursache des Teilnehmbaren, das in die Teilhabebeziehung eingeht.99 Der Gedanke der Teilhabe wird verbunden mit dem neuplatonischen Bilde des Hervorgehens des Niederen aus dem Höheren, der Emanation. Wir sehen das Teilnehmbare als vermittelndes Glied zwischen dem in sich ruhenden Hóchsten und dem Niederen, das von ihm abhängt. Lloyd hat wohl recht mit seinem Hinweis,9? daß diese terminologische Unterscheidung gedanklich von Plotin vorgebildet wurde. Er verweist auf die Aussagen über das Verhältnis zwischen Geist und Seele: Der
Geist gibt der Seele die Logoi, nach denen sie schafft oder bildet
(poiei). So ist es die Seele, welche die Formen der Materie einprägt, aber sie hat sie vom Geiste.” Doch ist zu bemerken, daß Plotin an den genannten Stellen nicht von Teilhabe spricht. Immerhin gehóren diese Gedanken sachlich in den Zusammenhang der Teilhabe-Problematik. Man kónnte hier auch noch die Aussagen von Enn. V 271: hinzunehmen: Das Eine ist Ursache und bleibt transzendent, doch das, was aus der Überfülle erzeugt wird, ist gleichsam sein Abbild. Deshalb wird vom Geist aus-
68 vgl. A. C. Lloyd: The later Neoplatonists. In: The Cambridge History of later Greek and early Mediaval Philosophy. Edited by A. H. Armstrong. Cambridge 1967. 69 vgl. Lloyd, a. a. O., S. 299.
70 vgl. Enn. II 3. In der zweisprachigen Ausgabe von Richard Harder, Ham-
burg 1956, Nr. 52, die $ 100 und 106 sowie auch Nr. 5, $ 13 (Enn. V 9, 3). 71 bei Harder Nr. 11, $ 1-4.
41
drücklich gesagt, er sei »gleichsam wie Jener« (hoion ekeinos)”?. — Dies ist eine der Stellen, an denen Plotin vom Einen nicht, wie
man
grammatikalisch
erwarten
muß,
im
Neutrum
spricht,
sondern im Maskulinum. Man kann darin vielleicht den Ausdruck des existentiellen Gewichtes des Einen für den Mystiker sehen. Bei aller Unterschiedenheit des Abbildes vom Ursprung bleibt doch die Abhängigkeit von ihm das Wesentliche. Damit hat das Niedere in seinem Sein ein dynamisch treibendes Moment, so daß es seine eigene Vollendung erst in der Hinwendung zum Hóberen finden kann. Es wird von der Seele gesagt: »Solange sie zu dem hinaufblickt, aus dem sie entstand, erfüllt sie sich mit ihm.«7? Entsprechend war vom Geist gesagt worden: »Das so Entstandene wendet sich zu Jenem zurück und wurde von ihm befruchtet, und indem es entstand, blickte es auf Jenes hin.«?* — Je weiter in der Ordnung die entstandenen Dinge vom Ersten entfernt sind, um so schwächer wird freilich ihre Kraft, sich dem Höheren zuzuwenden. Für Proklos ist die Unterscheidung zwischen dem unteilnehmlichen und dem teilnehmbaren Einen schon ein fast selbstverständlich gebrauchter, in der Tradition gefestigter Besitz. So ist sie dann auch durch den Pseudo-Dionysius Areopagita den mittelalterlichen Denkern weitergegeben worden. 1.3.2
Eriugena
Bei der Erörterung der Materie-Deutung des Eriugena haben wir erwähnt, daß er, sich auf Dionysius berufend, die Materie »Teilhabe an Form und Gestalt« genannt hat. Man könnte aus seiner Interpretation nun vielleicht vermuten, daß er die Teilhabe als Concursus der Species, beziehungsweise als deren Verflechtung deuten würde. Er hat das aber nicht gesagt. Dem Dionysius ging es an der zitierten Stelle? nicht um die Frage, 12 a. a. O., $ 4 (S. 238, 14).
73 4.4. O., $ 5 (S. 239).
74 3.3. Ο., $ 3 (S. 239).
42
15 De divinis nominibus cap. 4 $ 28. In der Edition dieser Schrift mit dem Kommentar des Thomas von Aquino dazu von Ceslaus Pera bei Marietti. Turin und Rom
1950, Nummer
232.
was Materie eigentlich ist, sondern nur um Argumente gegen die
Meinung, daß die Materie Grund des Übels sei. Sie kann nicht
Grund des Übels sein, weder als Teilhabe an Form und Gestalt,
noch an sich selbst. Denn an sich selbst ist sie überhaupt qualitäts-
los und weder imstande etwas zu tun, noch etwas zu erleiden. In diesem Zusammenhang kommt dem Teilhabebegriff bei Diony-
sius keine systematische Funktion zu, und Eriugena geht an der
genannten Stelle auch nicht weiter darauf ein. Der Begriff der Participatio hat dafür an andrer Stelle, in einer Darlegung der Vermittlung zwischen den hierarchisch geordneten Stufen der Schöpfung seinen systematischen Ort.’* Aber er selbst dient nicht zur Erläuterung des Verhältnisses, sondern wird zurückgeführt auf ein Austeilen oder Ausfließen. Dabei finden wir auch eine aufschlußreiche, terminologische Abweichung vom neuplatonischen Sprachgebrauch, nämlich der Unterscheidung zwischen dem unteilnehmlichen Ursprung und dem teilnehmlichen Wesensgrund in den teilhabenden Dingen. Stattdessen stehen wir vor einem Schema gestufter Teilgabe. Als »principium omnium« ist Gott allein nur »participatum«. Er ist es, an dem partizipiert wird. Der Gedanke, daß das Partizipiertwerden seiner Erhabenheit widerstreite, kann hier nicht aufkommen. Er ist schon durch die Unmöglichkeit, selber an einem andern (Höheren) teilzuhaben, von dem übrigen unterschieden. Daß er uneingeschränkt und vorbehaltlos »participatum« genannt werden kann, hat zwei Gründe. Der eine ist die schon früher
erwähnte?”
Vermittlungsfunktion
der
»Ursachen
des
ersten
Anfangs« (causae primordiales), der andre ist die besondre Auffassung vom Wesen der Teilhabe. Es wäre völlig falsch, wenn man aus der isolierten These, daß Gott »participatum«, also doch Gegenstand der Teilhabe sei, schlösse, Gott sei damit im pantheistischen Sinne in die Welt
hineingezogen. Denn unmittelbar (immediate) haben eben nur die causae primordiales, die ja im schaffenden göttlichen Wort
sind, an Ihm teil. Die weiter nachfolgenden Wesenheiten nehmen an ihnen und durch sie vermittelt an Gott teil. Damit ist eine direkte Teilhabe der Geschöpfe an Gott selbst ausgeschlossen.
76 De divisione naturae III cap. 3, Sp. 630 A ff.
77 vgl. S. 21-22.
43
Die Teilhabe stuft sich nach unten ab. Die Glieder haben teil am
jeweils höheren und geben dem jeweils niederen teil; so 1st ein jedes sowohl participans wie participatum. Aber am Ende stehen die aus den einfachen, nichtsichtbaren Körpern zusammengesetzten, sinnlich wahrnehmbaren Körper. Sie allein sind bloß teilhabend, denn es gibt nichts, was noch wiederum an ihnen teilhaben könnte. Formal stehen sie in dem Schema als nur »participantia« Gott, als dem nur »participatum«, gegenüber. Zwischen den Extremen stehen die participantia participata. Mit dem Schema kann man nichts anfangen, solange man, wie die passivische Ausdrucksweise nahelegt, »participatum« als Teilhabegegenstand vorstellt, an dem etwas getan wird. Mit »participatum« ist aber kein Objekt für andre (participantia) gemeint, sondern ein Gebendes, welches mit seiner Gabe auch die Beziebung zum Empfangenden und den Empfangenden bestimmt. Das wird an der zusammenfassenden Definition Eriugenas noch einleuchtender gezeigt werden. Bleiben wir noch einen Augenblick bei der Betrachtung der Teilhabe (participatio) als Verhältnis. Es heißt, daß die Verhältnisse zwischen den Stufen einander entsprechend gleichen: »inter omnes ordines naturales, a summo usque ad deorsum, participationes szmiles sunt, quibus ıunguntur.« (630 D) Eriugena erläutert das Gemeinte durch die Proportionalität in einer Zahlenreihe, deren Glieder durch das Gesetz der Reihe bestimmt sind. Die Verhältnisse zwischen den einzelnen sind einander entsprechend (similes). Da er dies aber nicht näher ausführt, lassen sich auch keine weiteren Konsequenzen daraus ableiten; immerhin zeigt das Wort »similes«, daß eine genaue Gleichheit nicht anzunehmen ist, sondern eher eine mit wachsender Entfernung vom Höchsten abnehmende Ähnlichkeit der Beziehungen. --
Zusammenfassend bestimmt Eriugena die Participatio so: »Est igitur participatio
non
cuiusdam
partis
assumptio,
sed divi-
narum dationum et donationum a summo usque deorsum per
superiores ordines inferioribus distributio.« (631 A) Sie ist also
ein Austeilen der göttlichen Gaben und Geschenke durch die 44
jeweils höher Stehenden an die niederen. Die Unterscheidung von »Gaben« und »Geschenken« dient zur Bezeichnung dessen,
was einem Geschópf naturnotwendig ist und dessen, was ihm
aus Gnade
zur Vervollkommnung
gegeben wird.’® Nach einer
Erläuterung der griechischen Bezeichnung Metoche und Metousia (Methexis wird nicht erwähnt), wiederholt Eriugena
die entscheidende These, daß es sich bei der Teilhabe um ein Weitergeben von der höheren zur niederen Wesenheit handelt.
»Hinc facillime datur intelligi, nihil aliud esse participationem,
nlsi ex superiori essentia secundae post eam essentiae derivationem, et ab ea quae primum habet esse, secundae, ut sit, distributio.« (632 B) Wir sehen das neuplatonische Bild der
ausstrómenden Güte. Teilhabe wird zum Austeilen und Überfließen
vom
Höheren
zum
Niederen.
Die
Frage
nach
einer
Subsistenz der Teilhabenden als solchen läßt sich dabei nicht stellen, sie sind nur durch das Teilhaben. Die Grundkonzeption des extremen Universalienrealismus, in der das Einzelne keine
ontologische Würde hat, setzt sich auch hier durch.?? 1.3.3
Pseudo-Dionysius Areopagita und Thomas von Aquino
Das Buch des Dionysius von den »góttlichen Namen« oder auch
von den Namen Gottes ist mehrfach im Mittelalter kommentiert worden. Auch Thomas hat einen Kommentar dazu geschrieben. Wir kónnen deshalb aus dem Text des Dionysius und dem Kommentar des Thomas dazu wesentliche Aussagen über die Teilhabe gewinnen. Dazu wollen wir uns am elften Kapitel des Buches orientieren. Das Thema bildet der góttliche Friede. Er ist
göttlich und zugleich die einigende Kraft in aller Kreatur, ohne
die nichts Bestand haben könnte. Am Ende des Paragraphen 29? finden wir sehr klare Formulierungen für dies Verhältnis, das nur mit rational schwer vereinbaren Aussagen gekennzeichnet werden kann: »...divina pace stante... et per omnia
proficiscente et a propria identitate non recedente; procedit
enim ad omnia et tradit omnibus seipsam iuxta ipsorum proprietatem et supermanat abundantia pacificae fecunditatis et
manet propter excessum unitionis, tota ad totam et secundum
78 vgl. 632 B. 79 vgl. S. 28.
80 Wir zitieren hier und im Folgenden nach der Edition von Pera, vgl. Anmerkung 75.
45
totam seipsam superunita.« Die Mitteilung des Friedens an die
Geschöpfe
je
nach
ihrer
Eigenart
wird
als
Immanenz
beschrieben, ein Hinaustreten in alle Kreatur, und doch ein ganz,
in jeder Hinsicht, In-sich-Bleiben. Die innere Einheit und Eini-
gungskraft des göttlichen Friedens ist so groß, daß sie durch das überfließende Teilgeben an alle doch nicht verteilt wird, keine Veränderung erleidet, sondern in vollkommener Identität mit
sich steht, indem sie zu allen Dingen hingeht.
Der zitierte lateinische Text ist die von Thomas benutzte Übersetzung des Johannes Sarracenus.9! Es ist hier nur an einer Stelle auf den griechischen Wortlaut hinzuweisen: das Wort »tradit« steht für das griechische »metadidosi«, was im Deutschen
genauer mit »teilgibt« wiederzugeben wäre. Es drückt sehr schön
die Aktivität des Teilgebenden aus und bezeichnet zugleich das Teilhabeverhältnis, das den Teilgebenden mit dem Teilnehmenden verbindet, im Gegensatz zu dem Bilde einer Emanation, das nur ein Strömen, keine Beziehung zwischen den zwei Polen der Teilhabe (participatum — participans) darstellt. Der Kommentar des Thomas (n. 912) versucht mit der Interpretation zugleich eine Unterscheidung anzubringen, die das Verhältnis rational durchschaubarer macht und die Transzendenz Gottes hervorhebt. »Ipsa enim divina Pax procedit ad omnia secundum quod per suam similitudinem »omnibus se traditx . . .« Was in den Dingen immanent ist, das ist unterschieden von dem góttlichen Frieden selbst, es ist sein Abbild oder Gleichnis. Auch Dionysius sprach davon, daß die Eigentümlichkeit jedes einzelnen die Weise seines Teilnehmens bestimmt (iuxta ipsorum proprietatem), aber es ist für ihn charakteristisch, daß er die Unterscheidung zwischen dem Teilgebendem und dem Teilhabenden nicbt als ein Gegenübersteben von Ursprung und Abbild objektiviert. Wenn man aber dann im $ 6 des selben Kapitels liest, findet man
die Diskussion der Problematik auf der Grundlage der oben? erwáhnten Unterscheidung der Neuplatoniker zwischen dem
Unteilnehmlichen (imparticipabilis) und dem Teilnehmbaren (participabilis). Es geht dabei um die Abwehr der heidnischen
46
81 vgl. dazu Petrus Caramello: De fortuna operum Dionysii, in der obengenannten Edition von Pera, S. XV f. 82 vgl. S. 41.
Deutung vom »Sein an sich selbst« (autoeinai), »Leben an sich selbst« (autozoe) usw. als vom
hóchsten Gott unterschiedenen
Góttern. Einerseits wird Gott selbst (der christliche Gott!) mit
diesen Namen genannt, andrerseits auch das den Geschöpfen immanente Prinzip, von dem sie als Teilhabende bestimmt sind,
durch das sie bestehen und sind, was sie sind. Es ist jeweils eine
andere Weise nung die selbe Ursache von vorgehenden
des Verstándnisses gemeint, wenn auch die Bezeichist: entweder der eine übererhabene Ursprung, der allem ist, oder die in der Teilhabe aus Gott herprovidentiellen Mächte, die Teilgaben des (als
übererhabener Ursprung) unteilnehmlichen Gottes. n. 425 »Sed
per se esse et per se vitam... et divine et causaliter unum omnium superprincipale (hyperarchion) et supersubstantiale (hyperousion) principium et causam; participabiliter (methektos) autem datas ex Deo imparticipabili provisivas virtutes: per se substantificationem . . . , quibus existentia, iuxta proprietatem suam (oikeíos) participantia et existentia et viventia...et sunt et dicuntur...« Die Unterscheidung zwischen dem Unteilnehmlichen und seinen Teilgaben wird am Ende des Kapitels noch einmal ausgesprochen (n. 426) »...et quaecumque alia secundum eumdem dicta sunt et dicentur modum, monstrantia providentias et bonitates participatas ab existentibus ex Deo imparticipabili procedentes copiosa
effusione?? et supermanantes, ut diligenter omnium
causa sit
super omnia et excedat omnino supersubstantiale et supernaturale existentia, secundum | quamcumque substantiam et naturam.« Sie dient aber nur dazu, die absolute Erhabenheit
Gottes einzuschärfen, trächtigt wird.
die durch
sein Teilgeben
nicht beein-
Thomas präzisiert in seinem Kommentar die Unterscheidung. Gott ist Ursprung der genannten Mächte (oder Kräfte); er geht nicht in die Teilhabe ein, nur seine Gaben werden unter den Geschöpfen verteilt und teilhaft aufgenommen. (n. 934) »...
Licet enim Deus, qui est harum virtutum principium, in se
imparticipabilis
maneat
et per
consequens
non
participetur,
tamen dona Ipsius dividuntur in creaturis et partialiter recipiun-
83 griechisch: aphthono chysei. Hier — aber nicht mehr in der lateinischen Übersetzung — klingt das Motiv von der »Neidlosigkeit« » Timaios« (vgl. 29 E) an.
Gottes aus dem
47
tur, unde et participari dicuntur a creaturis.« Die ontologische
Bezeichnung für das Verhältnis von Gott und Kreatur ist durch die Begriffe principium und causa gegeben, die Teilhabe wird
auf Verursachung zurückgeführt. (n. 934) »... Et quia princi-
pium imparticipatum causa est et participationum et particıpantium, ideo Deus et participationum et participantium »sub-
stantificator« est.« Damit wird die »Teilhabe« nur noch zur
Bezeichnung des Seinsmodus des Geschaffenen gebraucht, nicht als metaphysischer Terminus für das Verhältnis von Gott und Kreatur. Aus dieser Sachlage ist es verständlich, daß viele orthodoxe »Thomisten« einer Metaphysik der Teilhabe mit Reserve gegenüberstanden, sofern 516 nicht ausdrücklich auf die ontologische Deskription des Geschaffenen beschränkt und auf Verursachung zurückgeführt wurde. Solches Mißtrauen hat auch die gerechte historische Würdigung der platonisch inspirierten Denker erschwert.
1.3.4
Nikolaus von Kues
Christliche Philosophie der Teilhabe scheint vor einer rational
unauflösbaren
Aufgabe
zu
stehen,
weil
das
Verhältnis
des
Schöpfers zur Welt, um die Transzendenz zu wahren, auf Verursachung hin interpretiert wird. Der Begriff der Teilhabe spricht dagegen eine wechselseitige Beziehung aus, die leicht zu der Vorstellung einer wechselseitigen Abhängigkeit führt, wenn sie metaphysisch ernst genommen wird. Darum geht das Be-
streben dahin, die Geschöpfe nicht unmittelbar am Schöpfer,
sondern durch eine Vermittlung teilhaben zu lassen. Aber wenn diese Vermittlung sozusagen lokalisiert, dem Bereich des Geschaffenen zugeordnet ist in der Teilhabe »durch Gleichnis«,
dann ist eben keine Teilhabe an Gott selbst. Er bleibt absolut unteilnehmlich. Eine lebendige Teilhabephilosophie muß die Aussagen der »Unteilnehmlichkeit«
48
Gottes und des Teilhabens
84 Ausführlichere Information über die Bedeutung der Teilhabe bei Thomas ist zu finden bei L. B. Geiger: La participation dans la philosophie de S. Thomas d'Aquin. Paris 1942; und Cornelio Fabro: Participation et causalité selon S. Thomas d'Aquin. Louvain 1961.
an ihm nebeneinander stellen, statt untereinander. Sobald eine
Stufenfolge der Vermittlung als statische Ordnung vorgestellt
wird, verliert die Teilhabe ihren metaphysischen Sinn. Dies zu sagen, ist nicht schwer; das Wesen des metaphysischen Sinnes
von Teilhabe angemessen zu beschreiben, erscheint dagegen kaum móglich. Sollte man deshalb den Versuch aufgeben?
Im 15. Jahrhundert hat Nikolaus von Kues seine Gedanken
über Gott und Welt mit genialer Unbefangenheit gegen die Methoden der Schulphilosophie und mit tiefer Verantwortung vor der überlieferten Weisheit als Docta Ignorantia dargelegt. Wer sich in die Gotteslehre vertieft, kommt zu der Einsicht, daß unser hóchstes Wissen darin ein Wissen des Nichtwissens sein muß, freilich nicht ein Verstummen vor dem Geheimnis, sondern die Denkerfahrung vom Zusammenfallen widersprechender Aussagen, wenn es um das Begreifen Dessen geht, der über allem ist und ohne den nichts sein kann: Coincidentia oppositorum/85 Im 2.Buch seines ersten metaphysischen Hauptwerkes »De docta ignorantia« wird die Teilhabeproblematik in negativer Weise exponiert. Das Kapitel hat den Titel »Das Sein des Geschópfes ist in unerkennbarer Weise vom Sein des Ersten her«. (Quod esse creaturae sit inintelligibiliter ab esse primi.) Wir haben ihn absichtlich wórtlich übersetzt, obwohl er so ein wenig hart klingt. Aber das Sein des Geschópfes wird ausdrücklich auch im Text des Kapitels als ein »ab-esse« Sein von... her bezeichnet.86 Sein Sein »stammt von dem Ersten her«, so möchte man in besserem Deutsch sagen; aber damit hat man ein vielleicht irreführendes Bild gebraucht. Es kommt gerade darauf an, die móglichen Bilder und Vorstellungen als fragwürdig zu erkennen. Das hindert jedoch nicht daran, die Problematik des metaphysischen Verhältnisses am Symbol zu erläutern. Cusanus hat eine Vorliebe für mathe-
matische Gedankenexperimente, bei denen die Unterschiede der
85 Auf diesen Zentralbegriff werden wir noch zurückkommen. Zur Orientierung vgl. den Artikel »Coincidentia oppositorum« im 1. Bd. des Historischen Wórterbuches der Philosophie, hrsg. von Joachim Ritter. Basel und 86
Stuttgart 1971. $ 102 in der lateinisch-deutschen Ausgabe von Paul Wilpert, Hamburg 1967. Wir folgen meistens der Übersetzung von Paul Wilpert, versuchen
aber gelegentlich, die Formulierung noch näher am lateinischen Original zu
lassen.
49
endlichen Figuren im Unendlichen verschwinden; sie sollen zur
Einübung des metaphysischen Aufstieges helfen, müssen aber in einem weiteren »Transcensus« zurückgelassen werden.” In diesem Sinne ist der folgende Text über die unendliche Gerade
zu verstehen: »Wie vermag also die Vernunft zu begreifen, daß das Sein der gekrümmten
Linie von der unendlichen Geraden
stammt, die doch jene nicht als Form bestimmt, sondern als
Ursache und Wesensgrund?«988 Die Form der Geradheit ist gewiß nicht die Form der gekrümmten Linie; aber die unendliche Linie ist, als Gerade, zugleich als der Wesensgrund (ratio) der gekrümmten Linie anzusehen, die nur durch Abweichung von ihr verschieden ist. Der unendliche Kreisbogen hätte die Krümmung Null.?? Der Text fáhrt fort: »An diesem Wesensgrund kann sie nicht teilhaben, indem sie sich einen Teil davon zu eigen macht (partem capiendo), da er unendlich und unteilbar ist, ... auch nicht so wie Sokrates und Platon am Menschsein teilhaben, auch nicht so wie die Teile am Ganzen teilhaben, . . . auch nicht so wie mehrere Spiegel in verschiedener Weise am gleichen Antlitz teilhaben, da ja das Sein der Schöpfung nicht vor dem Abhängigsein (ab-esse) steht, ... während der Spiegel schon vorher Spiegel ist und dann erst das Bild eines Antlitzes aufnimmt.« Die genannten, unter sich verschiedenen Weisen von »Teilhabe« inner-
halb der Schöpfung können keine Hilfe für das Verständnis der
Beziehung der Seinsabhängigkeit der Welt von Gott sein, weil bei ihnen das Besteben des Teilhabenden irgendwie eine Voraussetzung für die Teilbabe zu sein scheint. Diese Erkenntnis ist für Nikolaus aber nicht der Anlaß, den Teilhabebegriff auszuschalten, sondern die Unbegreiflichkeit der Beziebung herauszustellen. »Wer ist es also, der zu erkennen vermóchte, wie die eine unendliche Form auf verschiedene Weise in den verschiedenen Geschópfen teilgenommen wird (participe-
tur)?«?? Die Anerkennung der Unbegreiflichkeit ist das Funda-
87 vgl. De docta ignorantia I cap. 12 f. (Ausgabe von Paul Wilpert, 2. Aufl. Hamburg 1970). Die Notwendigkeit, beim Denken an das Hóchste, un-
50
endlich Einfache, die figürlichen Hilfsmittel wieder abzulegen, wird u. a. in $ 33 ausgesprochen. 88 De docta ignorantia II cap. 2 $ 102. 89 vgl. dazu die 1. Figur zum cap. 13 von De docta ignorantia I, a.a.O., S. 81 f.
°° De docta ignorantia II cap. 2 $ 103.
ment der weiteren Versuche, den Modus der Beziehung in Annäherungen zu beschreiben, so daß im Nachvollziehen solcher Denk-
wege das metaphysische Phänomen umkreist und also von vielen
Seiten nacheinander in den Blick genommen werden kann. Die von Thomas übernommene Sicht der Teilhabe als » Teilhabe durch Gleichnis« hat Nikolaus festgehalten. Sie ist aber nicht sein letztes Wort, wenn er auch im zweiten Buch vom Globusspiel?! im Gespräch mit einem sehr jungen Partner nur die Unterscheidung zwischen dem transzendenten Ursprung und der
durch Teilhabe erlangten Gleichformung (conformatio) heraus-
stellt. Diese Gleichformung ist zwar aus sich nichts, sondern in Kraft (virtute) der góttlichen Wesenheit. Aber diese Teilhabe an der góttlichen Schópfungskunst ist durch Mitteilung (communicatio) von Gott bewirkt. Der Gesprächspartner greift die Explikation?? auf und betont ihre theologische Richtigkeit: »Das gefällt mir, da ja auch die Schrift vom Gottessohn sagt, wenn er in der Herrlichkeit erscheint, werden wir ihm ähnlich sein; sie sagt nicht, daß wir er selbst sein werden.« Doch damit ist bloß der selbstverständliche Unterschied zwischen dem Sein durch Teilhabe und dem Eingehen in die Identitát mit dem Ursprung betont. Dies ist der Aspekt von unten her, vom teilnehmenden Geschöpf aus. Aber die Dynamik des Verhältnisses klang vorher in den Worten des Kardinals an: Teilhabe ist Mitteilung — oder Teilgabe — von oben und sie ist nur kraft dieser Teilgabe :m Teilhabenden. Das Problem, wie eine solche Dynamik trotz der Transzendenz Gottes zu denken sei, wird hier freilich nicht erórtert. In dem Traktat über den Ursprung (De principio)9?, der wie der Herausgeber in den Anmerkungen überzeugend beweist, sehr 91 In der deutschen Ausgabe der Philosophischen Bibliothek. Hamburg 1952, S. 81 f. 92 Weil die Erläuterung am »Weiß-sein« und der reinen Qualität der Weiß-
heit (albedo) für heutige Leser schwerer verständlich ist als für die mittel-
alterlichen, denen das Beispiel geläufig war (es findet sich — offenbar als Schulbeispiel — ebenso bei Thomas wie bei Meister Eckhart), haben wir sie beiseitegelassen. 93 Deutscher Text mit Einführung von Maria Feigl. Vorwort und Erläuterungen von Josef Koch. Heidelberg 1949. Der lateinische Text findet sich in
einer schwer zugänglichen Edition von Paul Wilpert, aber auch in der alten Pariser Ausgabe der Werke Nicolai Cusae Cardinalis Opera Vol. II fol. 7 ss. Nachdruck Minerva, Frankfurt 1962.
5I
stark durch
den Kommentar
des Proklos
zum
platonischen
»Parmenides« beeinflußt ist, wird die Beschreibung der Teilhabe sowohl dialektisch durch einander widersprechende Aussagen, wie durch den Hinweis auf die Abstufungen in der Ahnlichkeit
durchgeführt. Diese Abstufung im Maße des Teilhabens ist durch die Andersheit
einem
andern
bewirkt,
die hier — wie
Zusammenhang?^
auch
— nicht bloß
bei Proklos in
ein negatives
Moment, sondern ein positives Konstitutivum für das Sein der Dinge ist. »Jedes Geschópf hat somit am unmitteilbaren Ursprung in Andersheit teil, wie die unmitteilbare Gleichheit in Ähnlichkeit (mitteilbar ist),«9* Die Ähnlichkeit kann »immer wieder anders und verschieden sein, größer oder geringer «99. Mit dieser Unterscheidung ist aber doch keine Abgrenzung gegen den unmitteilbaren (unteilnehmlichen) Ursprung gegeben. Zwar gilt: »Der Ursprung, der nicht vervielfacht werden kann, ist nicht abwandelbar noch mitteilbar, da er die Ewigkeit ist. Nichts also gibt es in dieser Welt, was mit ihm vergleichbar wäre, da er nicht darstellbar noch nachbildbar ist (designabile nec imaginabile)J.« Aber ebenso gilt dies: »Die Welt ist Gestaltung des Ungestaltbaren (infigurabilis figura) und Darstellung des Undarstellbaren (indesignabilis designatio)... die gestaltete Welt ist ein Bild der wahren und ungestaltbaren Welt (Figuralis mundus est veri et infigurabilis mundi imago).«?7 Was wir so leichthin »Bild« nennen, das ist offenbar nur durch die über den Gegensätzen stehende Kraft des Ursprungs möglich. Wenig später wird ausdrücklich gesagt, daß der Ursprung — vor dem Widerspruch seiend — alles, was der Widerspruch umfängt (nämlich die einander widerstreitenden Gegensätze), umschließt (einfaltet). »Principium igitur, quod est ante contradictionem, omnia complicat quae contradictio ambit.«?® Der Zusammenfall des Widersprechenden ist nicht denkbar, ebensowenig das Einfalten der widerstreitenden Gegensätze. Trotzdem haben die Aussagen 94 Theologia
Platonis
IV
cap.
27 am
Ende,
Edition
von
Aemilius
Portus,
Nachdruck Minerva, Frankfurt 1960, S. 222; vgl. auch Werner Beierwaltes: Andersheit. In: Le Néoplatonisme, Colloques Internationaux Royaumont 9—13 juin 1969. Paris 1971, S. 365—372, besonders 370.
95 In der genannten Ausgabe von Feigl/Koch $ 36, 16 f. 52
96 ebd., am Ende des Paragraphen. 97 Δ. ἃ. O., $ 35.
98 vgl. $ 56, 5 f.
über den Ursprung
auch einen positiven Sinn. Sie dienen als
Korrektiv einer fest-stellenden Abgrenzung des Teilhabenden
gegen sein Urbild. Und damit verhüten sie auch die Konsequenz solcher Abgrenzung, nämlich die Vorstellung, daß die Welt sozusagen als »etwas anderes« neben Gott stehe. Es gibt aber hier kein Neben, sondern nur ein Unterstehen, weil das Sein der Welt ein von-Gott-her-Sein ist (eius esse est ab-esse?9). Seit alten Zeiten hat der Mensch, wenn er zur Anschauung von metaphysischen Zusammenhängen, die nicht aus-denkbar sind, gelangte, dafür Symbole gesucht und gefunden: Symbole, die das Geschaute bezeichnen und der eindringenden Betrachtung eine Hilfe bieten, zwar nicht zu rationalem Begreifen, aber doch zum geistigen Näherkommen an das Geheimnis. In seinem Buch »De coniecturis« (Über die Mutmaßungen) hat Nikolaus auch die Teilhabe durch ein Symbol und knappe textliche Erläuterungen dazu charakterisiert.! Diese »Figura participationis« ist kein ad hoc konstruiertes Symbol, sondern Erbstück einer sehr alten Tradition. Der heutige Leser bedarf wohl einer Einübung, um
diese Figur richtig zu sehen, sie nicht bloß wahrzunehmen,
sondern ihre Struktur, nämlich die Teile alle und ihren Zusammenhang, deutlich aufzufassen. (vgl. S. 54) Man kann auch mit zehn gleichen Münzen (Groschen) die Figur legen, um sie konkret kennen zu lernen. Wer freilich gewohnt ist, aus einer Zeichnung die Einzelheiten und ihren Zusammenhang klar zu ersehen, bedarf dergleichen nicht. - Die Dreieckstruktur der Figur wird bei ihrer mathematischen Konstruktion sehr deutlich. Man muß beginnen mit der Geraden, welche die Mittelpunkte der vier untersten Kreise verbindet. Diese Gerade ist die Basis des gleichseitigen Dreiecks, in dem die neun äußeren Kreise angeordnet sind. Der Mittelpunkt des im Innern liegenden Kreises (e) ist der Schnittpunkt der Geraden, welche die Mittelpunkte der links und rechts von ihm liegenden Nachbarkreise verbindet, mit der Hóhe des Dreiecks. Die Seiten des Dreiecks sind, ebenso wie die zuletzt erwähnten Geraden aber in der Figura participationis nicht sichtbar; sie sind Hilfslinien bei 99 s. oben; das Zitat steht in De docta ignorantia II cap. 3 $ 10, S. 26-28.
100 In Buch I, Kapitel 11, $ 58 und 59, in der Edition von J. Koch, K. Bor-
mann und J. G. Senger, Hamburg 1972, sowie in der lateinisch-deutschen Ausgabe von Winfried Happ, Hamburg 1971.
53
Figura participationis
A V
ΖΝ
ihrer Konstruktion, aber nicht Bestandteile des Symbols, das
diese Figur ist. — Die Figura participationis ist aus zehn Kreisen zusammengesetzt. Dadurch, daß ihre Elemente Kreise sind, ist die relative Selbständigkeit der einzelnen Teile deutlich sichtbar, da sie einander ja nur jeweils in einem Punkte berühren. Als Einheiten (beziehungsweise Kreise) sind sie einander gleich, aber durch ihre Stelle in der Ordnung des Ganzen verschieden. Man kann, wenn die Teile (die Kreise) als Oberflächenteile von Körpern (kurzen Walzen) vorgestellt werden, auch an den Druck denken, den der
oberste (von Nikolaus mit a bezeichnet) auf alle andern ausübt,
so daß sie ein dynamisches Ganzes bilden. Die Teilhabe ist durch die unter der ersten Einheit liegenden Stufen vermittelt, aber diese Vermittlung schließt doch alle zu
einer großen Einheit, dem gleichseitigen Dreieck, zusammen. Das
Seitenmaß der Figur ist die Vier. Man könnte sich ihre Gestalt zwar auch größer oder kleiner vorstellen, etwa mit der Fünf als
54
Seitenmaß usw. Die Begründung für die Vier als Maßzahl ist aber durch die Argumentation im platonischen »Timaios« gege-
ben: Zwischen Verschiedenen - das Sein des Kosmos ist ja durch
die Verbindung von Verschiedenem konstituiert -- kann es nicht
eine einfache Vermittlung durch ein Drittes geben; es sind für den Übergang von dem einen Extrem zum andern zwei Mittelglieder notwendig.
Calcidius hat in seinem Kommentar!®! zu Tim. 31 C - 32C
das Verhältnis so erläutert: Luft und Wasser bilden die vermittelnde Brücke zwischen den extremen Elementen Feuer und Erde. Denn Feuer ist spitz, fein, beweglich; Luft ist stumpf, fein, beweglich; Wasser ist stumpf, körperlich, beweglich; Erde ist stumpf, körperlich, unbeweglich. Die Extreme sind total einander entgegengesetzt, die Mittelglieder bringen die verbindenden Gemeinsamkeiten. Während beı Platon und Calcidius aber nur die Notwendigkeit des Vierers für die Vermittlung herausgestellt wird, fügt Nikolaus ihn als Basis ein in die »Figur der Teilhabe« an der einfachen und absolut einfaltenden Einheit, die der Ursprung ist. Das Gesetz der Notwendigkeit einer Vermittlung durch zwei Zwischenglieder wiederholt sich hierbei auch im Durchgang durch die Stufe der zwei Einheiten (b und c) und die Stufe der drei Einheiten (d und e und f). So entspricht die Vermittlung von
oben nach unten der Vermittlung zwischen den Elementen; sie
geschieht aber nicht durch partielle Gleichheit, sondern in Stufen, sozusagen in numerischer Entfaltung über die Zwei und die Drei hin zur Vier. In allen Stufen ist Einheit, aber dies Sein der Einheit in jeder Zahl folgt dem Gesetz der numerischen Reihenfolge. Die Einheit der hóheren Zahl setzt das Einheitsein von jeder ihr voraufgehenden Zahl voraus. -Über den metaphysischen Sinn der Figur sagt Nikolaus: Weil Teilnehmbarsein die Andersheit zur Voraussetzung hat, muß das Verhältnis der Teilhabe sich in Vierheit vollziehen. Wenn es bei der bloßen Dualität der Andersheit bliebe (wo das eine dem andern gegenübersteht), wäre die einfache Einheit unteilnehmlich, denn sie wird ja nicht geteilt (secundum partem) aufgenommen, sondern so, wie das Teilnehmliche als Ganzes genommen einfach ist (sed modo, quo participabile est simplex secundum se totum!P2). Auch die Stufe der Dreiheit ermöglicht
101 s. Anm. 25, Kapitel 21 und 22 a. a. O., S. 71-73.
102 De coniecturis I 11 $ 58, 9-10.
59
noch nicht das veränderliche, in der Intensität variable Teilnehmen, weil sie keine Vermittlung zwischen ihren drei Gliedern kennt — es sei denn, die Extreme von Anfang und Ende fielen in der Mitte zusammen, wie es in der Trinitätsspekulation als Wesenseinheit und absolute Gleichheit der Personen gedacht wurde oder, wie Nikolaus andeutet, als Zusammenfall der Gegensätze bei dem Versuch zu denken, was Gott ist. Dann, so möchte man vermuten, geschieht also die Teilhabe auf der Stufe des Vierers, denn hier ist die Basis, gleichsam der empfangende Partner für die Teilhabe! Aber eine solche statische Auffassung der Stufen ist unzureichend. Denn im Teilhabeverhältnis bleibt
die Ganzbeit des Teilnehmlichen gewahrt. Das ist nur möglich
dadurch, daß die zusammenschließende Kraft der unteilnehmlichen Einheit die Weise des variablen Teilnehmens gleichsam selbst ausmacht! Das Denken steht hier vor dem Zusammenfallen der Gegensátze.!?? Die »einfache Einheit« (in der Figur mit a bezeichnet) kann allein dann teilnehmlich sein, wenn sie in ihrer Substanz zugleich als sozusagen vierfältige Kraft in der Einheit aufgefaßt wird,!9^ so daß hier die unteilnehmliche Einheit mit der Teilnehmbarkeit zusammenfällt: Ibi tantum unitas imparticipabilis cum participabilitate coincidit.195 Ausschlaggebend ist die das Ganze durchdringende Kraft der teilgebenden Einheit; deshalb hat Nikolaus! ausdrücklich den Gedanken abgewiesen, daß es Teilhabe für irgendeine bestimmt abgegrenzte Stufe geben könne (secundum aliquem ipsius
distinctum gradum). Die Figur ist in ihrer Struktur als gleich-
seitiges Dreieck dafür ein deutliches Symbol: Einheit als Ganzheit. —
Wer sich mit dem Pythagoreismus beschäftigt hat, wird längst bemerkt
haben,
daß
identisch ist, welche
unsere Figur mit der alten
als geometrisch
103 a. a. O., $ 58, 15-18: Non
geordnetes
Tetraktys!?
System
der
igitur participatur unitas, ut est complicans
simplicitas nec ut est alterata explicatio, sed ut alterabilis eius participabilitas explicatoria quasi modus quidam virtutis ipsius complicativae imparticipabilis unitatis per quandam coincidentiam intelligitur. 104 a. a. O., $ 59, 23-24: sed ut in ipsa unitate a quasi quadrifaria virtus in unitate substantiae consideratur.
105 ebd., Zeile 24-25. 106 ebd., Zeile 19.
56
107 vgl. Hermann Fränkel: Dichtung und Philosophie des frühen Griechentums. 2. Aufl. München
1962, S. 314.
Zahlen die kosmische Ordnung darstellt. Nach der Überlieferung haben
die Pythagoreer
dieses Symbol
in ihrer Schwurformel
genannt; das zeigt seine hohe Wertschätzung. Auf welchen Wegen Nikolaus zur Kenntnis der Figur kam, wissen wir nicht;
es ist nicht wahrscheinlich, daß er sie »neu« entdeckt habe. Im ersten Buch De docta ignorantia erwähnt er die »dreifaltige Einheit, deren Anbetungswürdigkeit Pythagoras, die Zierde Italiens und Griechenlands, gelehrt hat«!98, Allerdings bezieht er dies, wie der Zusammenhang beweist, auf die göttliche Trinitát; so besteht hier kein direkter Hinweis auf die Tetraktys. Daß Nikolaus sich bei seiner Figura participationis nicht ausdrücklich auf pythagoreische Tradition beruft, besagt wenig. Die Herkunft der auf das dekadische Zahlensystem bezogenen Spekulation (über eins, zwei, drei, vier und ihre Summe: zehn) aus der pythagoreischen Tradition war so bekannt, daß sie
keiner ausdrücklichen Erwähnung bedurfte; ihr Grundgedanke war ein sozusagen »selbstverständlicher« Besitz. Die Anwendung
der Tetraktys auf das Problem der Teilhabe ist vielleicht die
eigene Idee des Cusanus.
108 De docta ignorantia I 7 $ 21.
57
2
Einheitsmetaphysik und Dialektik
2.1
Allgemeine Orientierung
Von heutigen Vorstellungen aus gesehen mag unsere Thematik schwer verständlich erscheinen; es hat den Anschein, daß zwei sehr verschiedene Weisen von Philosophie miteinander verbunden werden. Aber aus der Sicht der geschichtlichen Entwicklung muß gesagt werden, daß Einheitsmetaphysik und Dialektik in der Wurzel zusammengehören. Beides ist aus platonischem Denken erwachsen, wenn auch in der Weiterführung viel älterer Ansätze. Hier ist vor allem Parmenides von Elea zu nennen; sein Gedanke der Einheit des Seins ist auch für Zenon, seinen Schüler, bestimmend. Und es ist wohl richtig, wie Platon selbst geschildert hat, daf$ Zenon sich bemühte, die Argumente des natürlichen Verstandes für die Wirklichkeit des Werdens und Vergehens einer Vielzahl von miteinander streitenden Wesen zu bewältigen, indem er seine Paradoxien entwickelte. Dies führte dann weiter zu dialektischer Antithetik. Aber der
platonische Dialog »Parmenides« bringt mit seiner dialektischen
58
Übung die Problematik auf eine höhere Ebene. Denn der Widerstreit entsteht nun nicht mehr aus dem Unterschied zwischen einer in sich unwahren, aus sinnlichen Vorstellungen aufgebauten Welt des Scheins und der nur im reinen Denken erfaßbaren Welt des wahren Seins; er entfaltet sich mit innerer Konsequenz im reinen Denken des Einen Seienden. Die Konzeption von statisch verstandenen Wesenheiten, immerseienden Urbildern gerät in eine innere Bewegung. Es ist wie ein Tanz, in dem alle möglichen Verbindungen und Trennungen der Begriffe nacheinander abgeschritten werden, mógen manche Einzelfiguren dieses Reigens noch so seltsam erscheinen. Ergibt diese Choreographie eine
metaphysische Rangordnung? Die Späteren haben es gemeint,
aber Platon selbst gibt keine abschließende Antwort -- eine Eigentümlichkeit, die uns bei vielen seiner Dialoge begegnet. Der Traditionsstrom, der Platonismus mit Ideenlehre gleichsetzt, zeigt eine gewisse Affinität zur »Seinsmetaphysik« des Mittel-
alters! die »Einheitsmetaphysik« ist dagegen mehr mit der Dialektik als mit immerseienden Ideen befaßt. Die im engeren Sinne scholastische Tradition steht mehr auf Seiten der Seins-
metaphysik und hat in der Denkform -- nicht notwendig auch im philosophischen Gehalt — einen mehr statisch feststellenden
Charakter. Wenn der Gedanke des Einen oder der Einheit den beherrschenden Platz hat, verlieren die unterscheidenden Wesensbestimmungen ihr metaphysisches Gewicht. — Diese Unterscheidung der Denktypen ist beim mittelalterlidhen Denken sinnvoll, sie darf aber nicht forciert werden. Seinsmetaphysik und Einheitsmetaphysik bezeichnen Vorzugsrichtungen, keine absoluten Abgrenzungen. Es mag nützlich sein, sich zu vergegenwärtigen, daß Platon manche für uns selbstverständliche Unterscheidungen (noch) nicht gemacht hat. Wenn wir die bekannte Stelle im »Staat«, wo von dem »Guten« (der Idee des Guten) die Rede ist, übersetzen, so ist es üblich, hier im Sinne der späteren Einheitsmetaphysik zu interpretieren. Das »Gute« steht über allem andern; es verleiht ihm »Sein und Wesen« (to einai te kai ten ousian), aber es selbst ist nicht Wesen (gestalthaft Seiendes), sondern ragt in Erhabenheit und Kraft noch über das Wesen hinaus (epekeina tes ousias?). Meistens wird gesagt, das Gute rage noch hinaus über das Sein! Zwar gibt es wohl keinen scharfen terminologischen Unterschied zwischen »Wesen« und »Sein« bei Platon, deshalb läßt sich über die mögliche Interpretation streiten. Doch sollte man festhalten, daß diese Stelle nicht dazu berechtigt, der Idee des Guten das Sein schlechthin abzusprechen. Man kann so interpretieren, daß das Gute, indem es dem andern Sein und Wesen verleiht, zwar »Wesen« transzendiert, aber das »Sein selbst« ist. Das würde dem, was Thomas von Aquino von Gott
sagt (Esse ipsum subsistens), nahekommen. Natürlich wäre eine
1 vgl. dazu
Josef Koch:
Augustinischer
und
Dionysischer
Neuplatonismus
und das Mittelalter. In: Kantstudien 48 (1956/57), S. 117-133.
2 509B.
59
solche Interpretation eine Weiterbildung des Gedankens, aber
nicht im Widerspruch zum platonischen Text. Es ist auch gut, sich zu erinnern, daß die Verbindung von Ideenlehre und Dialektik für Platon selbst ein bleibendes Anliegen ist, das im »Staat«? zwar nicht ausführlich behandelt, aber programmatisch dargelegt ist: »Nun verstehe auch, was ich über den anderen Abschnitt des Erkennbaren sage. Diesen erfaßt der denkende Geist selbst mit der Kraft der Dialektik, er verwendet die Hypothesen nicht als letzten Grund, sondern als echte »Voraussetzungen« wie Stufen und Stützpunkte; mit ihrer Hilfe dringt er bis zum voraussetzungslosen Urbeginn des Ganzen vor, hält sich an ihm und dann wieder an dem, was von ihm abhängt, und steigt so wieder herab und zurück zum Ende, ohne irgendwo das Sichtbare zu Hilfe zu nehmen, sondern nur mit Hilfe der Ideen und durch sie und wieder zu ihnen, bei denen er endet.« (eidesin autois di auton eis auta, kai teleuta eis eide)* In der Dialektik wird offenbar, was die Physis der Ideen ist, nämlich Leben, geistige? Kraft, die nicht festgestellt ist, sondern
sich aktivisch als Bestimmung zeigt. Über die Wesensgestalten
hinauf führt der Aufstieg zu dem Grund von Gestalt und Wesen überhaupt, der selbst nicht Wesen ist. Der Begriff der Dialektik ist im Laufe der Geschichte recht verschieden verstanden worden; wir gehen auf besondere Bedeutungen in späteren philosophischen Systemen nicht ein. Entscheidend ist auch nicht der Name »Dialektik«, den keiner der im Folgenden genannten Autoren für sein eigenes Denken in Anspruch genommen hat, ja kaum akzeptiert hätte, weil er inzwischen einen formalistischen Beiklang oder sogar einen negativen Charakter bekommen hatte. Diese an sich interessante Entwicklung der Terminologie lassen wir beiseite. Wichtig ist für
uns die dynamische Verbundenheit gegensátzlicher Thesen in der 3 511 B.
4 Übersetzung von Karl Vretska. Stuttgart (Reclam) 1958, S. 312. 5 Das »Geistige«, das sich hier zeigt, ist dabei nicht ausdrücklich auf ein geistiges Subjekt der Ideen überhaupt bezogen. Der spekulative Schluß auf den góttlichen Geist als den »Ort der Ideen« wird von Platon nicht aus-
6ο
gesprochen; es kommt ihm mehr auf Inhalt und Struktur der Ideen an. Doch wird im Kapitel 35 des »Sophistes« (248 E — 249 A) etwas von der nicht näher erörterten, selbstverstándlichen Voraussetzung über das geistige Leben des wahrhaft Seienden deutlich.
Bewegung des Denkens, das nicht Ruhe in einer einzigen These
findet, weil es die Vollendung im Ganzen sucht. Freilich entsteht
dabei ein Anschein der Beliebigkeit in den Abgrenzungen, in der Terminologie und den Definitionen; sie sind durch den jeweiligen Standort des Denkens bedingt. Aber weil sie ihren Sinn
nicht als einzelne haben, sondern auf das Ganze hin, haben sie auch ihre relative Gültigkeit.
2.2
. Ernugena
Die allgemeinste Unterscheidung ist die zwischen Sein und Nichtsein. Sie hat für menschliches Denken nur dann eine positive Bedeutung, wenn sie relativiert wird; sonst muß es bei dem Satz des Parmenides bleiben, der das Nichtseiende als schlechthin Unerkennbares und Un-Denkbares bezeichnet. — Die Relativierung der Grenzen zwischen Sein und Nichtsein wurde dann zum Beispiel im »Sophistes« sichtbar. Für Eriugena ist sie ein offensichtlich bekanntes und viel gebrauchtes Hilfsmittel zur formalen Bewältigung der sachlichen Problematik in der Bedeutung von »Sein«. In seinem Hauptwerk über die »Einteilung der Natur« stellt Eriugena nacheinander fünf verschiedene Abgrenzungen von Sein und Nichtsein vor:$ 1. Sein wird von den Dingen ausgesagt, die wir sinnlich wahrnehmen, das ist: kórperlich auffassen, oder mit dem Verstand erkennen. Dagegen gilt von dem, was für uns zu hoch ist (quae per excellentiam suae naturae ...intellectum rationemque fugiunt), die Aussage des Nichtseins. Offenbar handelt es sich hier um eine gnoseologische Abgrenzung; sie kann aber
praktisch
anthropologische
Bedeutung
gewinnen.
Man
kann
auch so leben, als ob bloß das existiert, was man in der besagten Weise erfassen kann; dann würde aus einem gnoseologischen Nichtsein ein »Nichts« fZr den Menschen. Bei Eriugena hat aber gerade dieses »Nichtsein« eine existentielle Bedeutung. Denn Gott ist in sich selbst nicht erkennbar und ebensowenig das geheimnisvolle Wesen (ousia) im Grunde der Schópfung, die in 6 Buch I, Kapitel 3-7. 7 De divisione naturae I 3. Migne patrologia latina 443 A.
61
Gott existiert. Was wir erkennen, ist nicht das Wesen, sondern das Akzidens. 2. Es gilt der Grundsatz »Inferioris affirmatio superioris est
negatio« und seine Umkehrung.3 Das bedeutet, daß die Aussage
nur jeweils auf einen Seinsgrad bezogen ist, der jeweils höhere, beziehungsweise niedere Seinsgrad erscheint dann als »Nichtsein« (nämlich desjenigen Seins, das dem gerade betrachteten Seienden eigentümlich ist). Wenn man zum Beispiel davon ausgeht, daß die körperlichen Dinge sind, dann ist Geist nicht! Eriugena selbst würde eher den umgekehrten Standpunkt vertreten, daß nämlich Körper eigentlich nicht sind. Man darf aber hier nicht vergessen, daß es sich erklärtermaßen nur um mögliche Aspekte handelt, die in relativ gültigen Aussagen zum Ausdruck kommen. 3. Was als Wirkung herausgetreten ist, das ıst; was dagegen in der Ursache verborgen besteht, das ist nicht.” Diese Unterscheidung scheint der ersten nahezustehen, da die Wirkung eben das 1st, was sich unserem Erkennen darbietet, und die verborgene Macht der Ursache demgegenüber das Hóhere, aber nicht Erkennbare ist. 4. Nach einigen Philosophen - »non improbabiliter«, sagt Eriugena, »recht sinnvoll« — hat wahres Sein nur das, was mit der Vernunft erfaßt wird, das was ohne Veränderung besteht. Dagegen ist das Verànderliche, mit Materie Behaftete, das (sinnlich wahrnehmbare) Körperliche, nicht.!! — Wenn man diese Unterscheidung in Beziehung zur zweiten bringt, sieht man eine gewisse Ähnlichkeit, aber es fehlt ihr die dialektische Beweglichkeit. Sie stellt eine weltanschauliche Entscheidung und Bewertung fest. 5. Es gibt auch ein spezifisch theologische Unterscheidung von Sein und Nichtsein. Dann heißt es von der menschlichen Natur, die durch die Sünde ihre Würde, göttliches Ebenbild zu sein, verloren hat, daß sie nicht ist! Die Erlösung durch Christus, die Wiederherstellung (restauratio) gibt ihr das Sein zurück. Wie man sieht, sind diese verschiedenen Unterscheidungen in
8 ebd., I 4, Sp. 444 A.
62
9 ebd., I 5, Sp. 444 D — 445 A. 10 ebd., I 6, Sp. 445 B.
11 vgl.
17, Sp. 445 C.
ihrer Bedeutung nicht gleichwertig. Sie sind für die Systematik
auch nicht ausschlaggebend. Wichtiger ist die einfache Tatsache, daß sie ihr relatives Recht haben. Für den Seinsbegriff, wenn er nicht bloß als äußerste Abstraktion des Denkens, sondern im Hinblick auf Wirklichkeit gefaßt ist, sind auch die Abgren-
zungen bedeutsam. Dabei kann unter Umständen die Negation
in ibrer abgrenzenden Funktion zu einer indirekten Affirmation werden, sofern das »Nichtsein« in Wahrheit ein höheres Sein bezeichnet.
2.3
Meister Eckhart
Eckhart ist als Meister der Mystik bekannt. Wenn wir hier seinen Namen nennen, so soll das als Hinweis auf die Tatsache verstanden werden, daß Dialektik in den Dienst der mystischen Betrachtung genommen werden kann. Natürlich ist diese selbst kein dialektischer Prozeß. Und Dialektik ist als solche gewiß nicht von Natur aus auf Mystik hingeordnet; als ein rein intellektuelles Phänomen ist sie schon in sich legitimiert. Dialektik kann aber in Dienst gestellt werden als ein Mittel zur
Erreichung von gänzlich außerhalb ihrer liegenden Zielen, etwa
in der Politik, wenn sie die Verunsicherung des Gegners und die Aufweichung seiner Argumentation bewirkt; sie ıst auch brauchbar zur Apologie einer Deutung der Realität, die mit der erlebten Wirklichkeit schwer in Einklang zu bringen ist. Aber
solche
Beispiele
zeigen,
daß
kein
unmittelbar
sachlicher
Zusammenhang zwischen der Dialektik und dem, wozu sie dient, bestehen muß. Der Dienst, den die Dialektik leistet, ist dann legitim, wenn sie etwas erkennbar, sichtbar macht, was vorher durch Vorurteile und Schein-Wissen verdeckt wurde. Aus diesem Grunde kann die Mystik, wenn sie sich intellektuell artıkuliert, in der Dialektik ein Instrument finden, mit dessen Hilfe 516 das eigentliche Gemeinte andeuten kann. Zwar ist die dialektische Formulierung und der dialektische Gedankengang als Denkbewegung dem, was der Mystiker schaut und erfährt, nicht angemessen. Denn sie gliedert in Einzelschritte, die nacheinander zu vollziehen sind, das, was als gegebene Ganzheit über
móglicher Begrifflichkeit steht. Durch die Weise, in welcher der
63
Mystiker sich der Dialektik bedient, macht er selber auch die Grenzen ihrer Aussagekraft deutlich: Einheit und Totalität des mystischen Ineffabile, das gesagt werden soll und doch unaussagbar bleibt. So kann dem Suchenden eine Spur gezeigt werden; wenn man den Meister aber auf einzelne Sätze dogmatisch festlegen will, gefährdet man das ganze Fundament und daraus ergibt sich dann die Anklage der Häresie. — Die Eigentümlichkeit des Denkstils von Meister Eckhart kann man sehr schón in der gedanklichen Bewegung der Pariser Quaestio über Sein und Erkennen in Gott (Utrum in deo sit idem esse et intelligere)!? erfassen. Hier zeigt Eckhart zuerst mit einer Reihe von Argumenten, daß in Gott das »Sein selbst« eben das Erkennen ist, weil Gott durch das Sein selbst wirkt und erkennt. Doch danach zeigt der Meister, daß er eine andre Meinung vertritt: Weil Gott erkennt, deshalb ist er. Denn Gott ist Vernunft und Erkennen, so ist das Erkennen selbst die Grundlage seines Seins. Das Wort des Johannes-Prologs (Joh. 1, 3) »Omnia per ipsum facta sunt« wird so ausgelegt: »Alles durch ihn Gewordene ist, so daß dem Gewordenen hernach Sein zukommt.«13 Sobald von »Sein« die Rede ist, stehen wir schon bei dem Geschaffenen. Das Erkennen und das, was der Vernunft
eigen
ist,
ist
einer
anderen
Schicht
angehörig
(alterius
condicionis!* ) als das Sein. Besonders bezeichnend für Eckharts Auffassung sind folgende Sátze:5 »Und deshalb da Gott Prinzip ist, nämlich entweder des Seins oder des Seienden, so ist
Gott nicht das Seiende oder das Sein des Geschópfes. Alles, was
im Geschópf ist, das ist in Gott nur wie in seiner Ursache und nicht seinem Wesen nach (formaliter). Und deshalb ist in Gott nicht das Sein (esse), sondern die Lauterkeit des Seins (puritas essendi) ... Er hat nicht schlechtweg gesagt: ich bin, sondern
hinzugefügt: der ich bin. Gott kommt also nicht das Sein zu (Deo ergo non competit esse), es sei denn, du wolltest eine solche
Lauterkeit »Sein« nennen (nisi talem puritatem voces esse).«
Wir könnten aus dem Zitat vielleicht schließen, daß Eckhart die 12 Edition und Übersetzung von Bernhard Geyer. Lateinische Werke (Stuttgart, Kohlhammer),
Bd. 5, S. 37-48. Wir haben
setzung mit kleinen Abweichungen übernommen. 13 4. ἃ. Ο., $ 4, S. 41.
64
14 2.2.0.,$ 5, S. 42.
152.2.0,$9, S. 45.
im Folgenden
die Über-
Sprache der Seinsmetaphysik überhaupt als unangemessen beurteilt und für sich selber ablehnt. Aber dem steht das Faktum entgegen,
daß
er an vielen Stellen
seiner lateinischen
Werke
genau wie sein Ordensbruder Thomas von Aquino, auf den er sich gelegentlich beruft, Gott als das Sein selbst bezeichnet. Und diese Aussage wird auch selbstverständlich in den meisten Argumentationen vorausgesetzt. Der Sinn der entgegengesetzten Thesen liegt gerade nicht in einer einfachen Negation, sondern in einem Höheren. Aber dafür wäre eine statische Feststellung, die das Ergebnis in einem Satz formuliert, ungeeignet. »So sage ich denn auch, daß Gott das Sein nicht zukommt, und daß er kein Seiendes ist, sondern er ist etwas Höheres als das
Seiende. Denn wie Aristoteles sagt, ... daß die Vernunft selbst
nicht durch die in der Natur gegebenen Formen bestimmt sein darf, um alles erkennen zu kónnen, so streite auch ich Gott selbst das Sein an sich und dergleichen (ipsum esse et talia) ab, damit er die Ursache alles Seins sein und alles in sich im voraus enthalten kann, so daß Gott nichts abgestritten wird, was ihm zukommt, wohl aber was ihm nicht zukommt. Diese Verneinungen
bedeuten nach Johannes von Damaskus... in Gott den Über-
schwang der Bejahung ... Ich behaupte nämlich, daß Gott alles im voraus in sich enthält (praehabet) in Reinheit, Fülle und Vollkommenheit, weit und groß, da er Wurzel und Ursache aller Dinge ist (exsistens radix et causa omnium).«18 Die Verneinung gilt also nicht absolut, sie ist ein Mittel, um die Erhabenheit des góttlichen »Seins« zu bezeichnen; denn dieses kann aus dem Begriff, den wir vom Geschaffenen her besitzen, nicht begriffen werden. Doch andrerseits muß der, der Ursprung, Wurzel und Ursache ist, in seiner Weise, das heißt im voraus ^haben« was dem Geschaffenen von ihm her zukommt. Die Auslegungsmethoden Eckharts entspringen seiner Über-
zeugung, daf die Fülle der Wahrheit in einer einzigen mensch-
lichen Erkenntnis nicht gegenwärtig sein kann. Die geduldige Betrachtung aus verschiedenen Perspektiven nacheinander ist es aber, welche dann auch geistliches Leben zeugt. Deshalb heißt es
im Prolog zur Auslegung des Buches der Weisheit:!? »Fünftens
16 3.3. O., $ 12, S. 47 f.
17 Expositio libri sapientiae. Prologus. Lateinische Werke, Bd. 2, S. 322. Edition und Übersetzung von Josef Koch und Heribert Fischer.
65
werden die wichtigsten Aussprüche meistens auf vielfache Weise ausgelegt, so daß der Leser bald diesen, bald jenen Gedanken, einen oder auch mehrere herausgreifen kann, wie er es für nützlich hält.«
Dieses Prinzip wollte Meister Eckhart offenbar auch in weiterem Sinne, das heißt bei dialektischen Thesen über Gott und Welt angewendet wissen. Sie sind nicht bloß theoretische Mittel zur Bezeichnung eines Gegenstandes der Erkenntnis, sondern Leitpunkte für geistliche Meditation. Daß dabei aber auch eine gute philosophisch-theologische Bildung vorausgesetzt ist, daß »Eckhart da anfängt, wo Thomas aufhört«!®, läßt sich aus Indizien des Textes ersehen. Wir wollen das Gesagte durch den Versuch einer Interpretation
der Dialektik von Distinctio und
Indistinctio verdeutlichen.
Dafür legen wir zwei Abschnitte aus Eckharts Auslegung des Buches der Weisheit!? zugrunde. Thomas von Aquino hatte gesagt?" daß Gott als Unendlicher von allem übrigen unterschieden ist (esse dei... prout dicitur infinitum distinguitur ab omnibus aliis). Die Unendlichkeit Gottes muß scharf von einem bloß quantitativen Unendlichkeitsbegriff unterschieden werden; es geht da weniger um Quantität als um die besondre Qualität der Fülle in einfacher Einheit, für die es keine Einschränkung gibt. Dies ist es, was Eckhart als Indistinctio (Ununterschiedenheit oder Ungeschiedenheit) interpretiert. Er beruft sich auf den zitierten Satz von Thomas, formuliert jedoch so: »Gott aber ist ein Ununterschiedenes, das sich durch seine Ununterschiedenheit unterscheidet« (Deus autem indistinctum quoddam est quod sua
indistinctione
distinguitur)?!
Die
Begründung
für
diese
paradoxe Aussage liegt nach Eckhart in der Eigentümlichkeit von góttlichem Wesen und Sein: »Denn Gott ist ein Meer von unendlicher und infolgedessen (per consequens) #nunterschiedener Substanz, wie Johannes von Damaskus sagt.«2? Der auch
von Thomas
zitierte?? Satz lautet in der lateinischen Über-
18 So formulierte Heribert Fischer am 19.9.1968 auf der Mediävistentagung in Kóln.
19 4. 3. O., $ 154 und $ 155.
20 S. Th., I 7, 1 ad 3.
21 $ 154, S. 490, 8.
66
22 ebd., Zeile 9—10.
33 S. Th, 1 13, 11 c.
setzung des Burgundius Piso?! ». . . pelagus substantiae infinitae et indeterminatae.« Das besagt, daß in Gott keine Wesensbestimmung als Einschränkung ist; die Unendlichkeit ist insofern Unbestimmtheit, als sie nicht Bestimmtheit zu »diesem« oder
;jenem« Sein ist. Daher ist sie von allem endlich Seienden, das
Xdies« oder »jenes< ist, viel mehr unterschieden Seiende gegeneinander verschieden sein können. —
Unterschiedenheit
(distinctio)
beruht
auf
als
Eingrenzung
endlich
oder
Abgrenzung. Wenn nun Gott als unendlicher und znunterschiedener von allem anderen unterschieden ist, dann besagt das eigentlich die Unterschiedenheit des Endlichen vom Unendlichen, die Eingegrenztheit alles Endlichen! Aber es ist deshalb auch notwendig zu sagen, dafs Gott sich von allem andern unterscheidet. Doch Gottes Unterscheidung geschieht gerade durch das Gegen-
teil von Unterscheidung: indistinctione distinguitur. Gottes Un-
unterschiedenheit ist also der Grund seiner Unterschiedenheit und »je mehr er so unterschieden ist, um so mehr gerade ununterschieden«?5 (Gegenteil zu allem Unterschiedenen, so oder so Seienden). Denn Gott fällt nicht in den Rahmen endlicher Unterscheidungen. Damit haben wir auch schon den Übergang zu der andern Seite der Dialektik. Es gilt auch das Gegenteil: »Nichts ist so sehr eins und snunterschieden wie Gott und alles Geschaffene.«?9 — Wenn ein solcher Satz isoliert und statuiert wird, gibt er einen
eklatanten »Beweis« für die Berechtigung der Anklagen gegen
den Meister. Aber man muß den Text in seinem Zusammenhang lesen, dann sieht man, daß die Aufregung grundlos ist. Eckhart gibt uns nàmlich Beispiele für solche Einheit: Seiendes und Sein, eine Potenz und ihr Akt, Form und Materie. Diese Beispiele zeigen einerseits, daß bei dem Leser philosophische Bildung vorausgesetzt ist, andererseits, daß bei der behaupteten Einheit zugleich wesentliche Unterschiede miteingeschlossen sind. Die
ontologischen
schieden;
Verhältnisse sind hier im einzelnen recht ver-
es kann
(Entsprechung
der
nicht einmal
Verhältnisse
von
Proportionalitätsanalogie
unter
verschiedenen
Gegen-
24 vgl. n. 4 des Apparates auf S. 490. - Die Übersetzung von »De fide orthodoxa« entstand um 1151. 25 vgl. $ 154, S. 490.
28 $155, S. 490. 27 ξ 155, S. 491, 1-2.
ständen, die gedanklich miteinander verglichen werden) die Rede sein, weil das Verhältnis von Potenz und Akt gerade umgekehrt ist wie das Verhältnis von Form und Materie. Gemeinsam ist den Beispielen aber die Einheit, welche die Glieder in der Realität bilden. Das folgende Argument bestätigt diese Interpretation; es zeigt auch, daß die Einheit in der Realität nicht den Vorrang des konstituierenden Prinzips beeinträchtigt: Die Einheit als Prinzip bedarf nicht der Zahl und des Zählbaren, aber Zahl und Zählbares bestehen nicht ohne die Einheit, 516 setzen die Einheit voraus. Weil der Unterschiedenheit von Gott und Schöpfung die Ununterschiedenheit Gottes zugrundeliegt, muf gesagt werden, »daß nichts so sehr von einem andern znunterschieden ist wie von dem, wovon es sich selbst durch seine Unterschiedenheit nicht unterscheidet (a quo distinctione ipsa indistinguitur).«?8 Der Gedanke wird auch durch die Definition des Unendlichen erläutert: »Unendlich ist das, außerhalb dessen nichts ist.«?? Eine Schöpfung, die von Gott unterschieden bestehen, außerhalb seiner »sein« würde, wäre nichts, weil »außerhalb« oder irgendwie »neben« Gott nichts sein kann. Mit dem Augustinus-Wort?? »Du warst bei mir, und ich war nicht bei dir« gibt Eckhart einen Ausblick auf den geistlichen Sinn der Dialektik: »Du warst bei mir, weil du von allem ununterschieden bist; ich war nicht bei dir, weil ich als etwas Geschaffenes unterschieden bin.«?! Meine Unterschiedenheit als Geschaffenes, die zu meiner Unterscheidung wird, trennt mich von dem, der »bei mir ist«, der »innen« ist, während ich »draußen« bin.?? Wenn wir Meister Eckhart recht verstehen wollen, dürfen wir nicht meinen, daß der Aspekt der Ununterschiedenheit von Gott und Schópfung, weil er auf den entgegengesetzten Aspekt des
thomistischen Ansatzes folgt, schlechthin die hóhere Wahrheit
darstelle. Die Betrachtung muß sich von dem einen zum andern hin bewegen, ohne dabei jeweils die Móglichkeit des andern zu 28 $ 155,
S. 491,
7-8.
29 6 146, S. 484, 3.
30 Confessiones, c. 27, n. 38.
68
31
$ 145,
S. 483,
8-10.
3: Confessiones, X, a. a. O.
vergessen. »Indistinctione distinguitur« und »Distinctione indistinguitur« bedingen einander. Denn die Indistinctio ist Gott eigen, und die Distinctio ist dem Geschaffenen eigentümlich. Deshalb beruht die Distinctio Gottes gegen das Geschaffene auf seiner Indistinctio. Somit hebt die Distinctio des Geschaffenen die Indistinctio Gottes nicht auf: Du warst bei mir und ich war nicht bei dir! Indistinctio und Distinctio müssen zugleich ausgesagt werden; das bedeutet aber nicht, daß beide einander die Waage halten. Metaphysisch hat die Indistinctio Gottes den Vorrang. Aber aus der Sicht des Geschaffenen (quoad nos) bleibt die Distinctio das Gewichtigere, und zwar nicht bloß als Unterscheidung des einen Geschaffenen von dem andern (was niemals in Frage gestellt ist), sondern vielmehr als radikale Unterschiedenheit alles Geschaffenen von Gott. Diese radikale Unterschiedenheit macht es heutzutage dem Menschen so leicht, die Existenz Gottes zu leugnen, oder vielmehr den Gedanken an Gott einfach zu übergehen. Wahrscheinlich gelingt es niemandem, diese metaphysische Dia-
lektik nach einmaligem Lesen voll zu begreifen und zu verstehen. Die geduldige und gesammelte Betrachtung, die hier notwendig ist, kann aber durch keine noch so ausführliche Erläuterung ersetzt werden.
2.4
Ein
Gedanke
aus
dem
»Parmenides«
und
seine
Fern-
wirkung 2.4.1
»Parmenides« - Dionysius Areopagıta
Der platonische Dialog »Parmenides« ist in unseren Erórterungen schon mehrfach erwähnt worden.?? Wir werden uns nun einem kleinen Einzelteil aus der großen dialektischen Übung zuwenden,
die eine große Faszination
ausübt, wenn
sie nicht
zum Argernis wird. Die neuplatonischen Kommentatoren haben
den Dialog metaphysisch oder theologisch interpretiert. Der uns überlieferte Kommentar des Proklos berücksichtigt aber nur die 33 vgl. S. 18 und 58.
69
erste Hypothese, seine »Theologie des Platon« geht nicht über
die Auswertung der beiden aus dem Satz »Wenn Eines ist« erwachsenen Hypothesen hinaus. Die Folgerungen aus der expliziten Negation der Setzung, die bei Platon durchgespielt werden, bleiben unberücksichtigt. Antike Kommentare, die auch diesen
Teil behandeln, sind uns nicht bekannt. Daß es sie überhaupt nicht gegeben habe, erscheint wenig einleuchtend.
Die dialektische Übung untersucht die Voraussetzung
»Wenn
Eines ist« und ihre Negation »Wenn Eines nicht ist« mit allen daraus folgenden Konsequenzen. Dabei werden die Implikationen der Begriffe Eines (Einheit) und Ist (Sein) erprobt und entfaltet. Es wäre nicht sinnvoll, an dieser Stelle eine kurze Zusammen-
fassung der Gedankenführung bei der dialektischen Übung zu versuchen; der Leser, der sich für die Durchführung des genannten Themas interessiert, muß sich auf den Text einlassen, den Platon schrieb. Insofern ist es auch etwas gewaltsam, wenn
wir nun ein Stückchen aus dem zweiten Hauptteil der Übung, nämlich mit dem Satz »Wenn
Eines nicht ist«, zur genaueren
Betrachtung herausgreifen. Die Rechtfertigung dafür wird sich
aus den weiteren Darlegungen über die geistesgeschichtliche Fernwirkung ergeben. Die negative Setzung »Wenn Eines nicht ist« führt zu einer
Reihe positiver Aussagen. Für unsere Absicht ist besonders die
erste Reihe der Aussagen?* interessant. »Wir wissen ja, was einer meint, wenn er sagt: »Wenn Eines nicht ist.< Er meint erstens etwas Erkennbares, sodann auch von den andern Ver-
schiedenes, wenn er sagt »Eines«, mag er ihm nun das Sein oder
das Nichtsein beilegen. Denn dasjenige, wovon gesagt wird, es
sei nicht, wird doch nichtsdestoweniger als etwas erkannt und
auch als verschieden von den andern.« Von dieser Grundlage aus
springen wir voran zu dem Gedanken:?5 Eines, das nicht ist, ist den Anderen nicht gleich, es hat also an der Ungleichheit teil. — Daraus folgt eine weitere, sehr erstaunliche Konsequenzenkette: »Zur Ungleichheit gehört doch Größe und Kleinheit? Freilich. Hat also ein solches »Eines« auch Größe und Kleinheit an sich? Das scheint beinahe. Größe und Kleinheit aber sind immer von
70
84 160 C f. 35 161 C.
einander entfernt? Allerdings. Also ist immer etwas zwischen ihnen? Ja. Weißt du nun etwas andres, das zwischen ihnen wäre,
als die Gleichheit? Nein, sondern ebendiese. Was also Größe und Kleinheit hat, das hat auch die zwischen beiden seiende Gleichheit. Das ist deutlich. Das »Eine« das nicht ist, hat also
anscheinend auch Gleichheit an sich und Größe und Kleinheit.
Das scheint so.«36 Anschließend wird bewiesen, daß, wenn wir
von diesem Einen, das »nicht ist«, Wahres aussagen, es irgendwie doch auch ;st!
Eine angemessene Interpretation ist nicht damit zu erreichen, daß man versucht, logische Fehler aufzuspießen. Das Ziel der Übung liegt nicht bei begrifflichen Abgrenzungen, sondern bei den
Ideen, Prinzipien von Sein und Nichtsein überhaupt. Was das zu
bedeuten hat, das kann allerdings nicht ohne gewichtige weitere
Voraussetzungen metaphysischer Art — die Platon nicht ausgesprochen hat — entwickelt werden. Wir wollen das zunächst
an einer modernen Interpretation zeigen. Es ist ja denkbar, daß sich der besondere Zusammenhang von Ideenan diesem nicht-
seienden Einen innerhalb eines bestimmten Bereiches von Dingen
auch inhaltlich bestätigt. So hat Cornford?? im Anschluß an die weiteren Konsequenzen für das nichtseiende Eine?® — Wechsel,
Veränderung, Werden und Vergehen - darauf hingewiesen, daß
diese Merkmale ja gerade die Welt der Sterblichen zeige, die der alte Parmenides als Trug und Sinnenschein bezeichnet hatte. Es wäre hier also eine Widerlegung des historischen Parmenides durch Platon zu sehen, freilich nur dem geübten Dialektiker erkennbar. Die »Welt des Scheins« wäre durch reines Denken
erkannt. Diese Erklärung hat etwas Bestechendes. Sie ist aber
nicht die einzig mögliche. Ein Denker, der sich nicht um die Konstruktion der Prinzipien einer sich verändernden Welt kümmert, sondern ihren meta-
physischen Ursprung be-denkt, kann einen solchen Text ganz anders ausdeuten. Er kann die gegensätzlichen Aussagen auf die Gottheit beziehen. Es ist uns, wie oben gesagt, kein antiker
Kommentar zu diesem Teil des »Parmenides« erhalten. Aber es
scheint so, als hätte der sogenannte Dionysius Areopagita in
36 161 D, E.
37 vgl. Francis M. Cornford: Plato and Parmenides. London 451958, S. 230. 38 162 C.
71
seinem Buch von den göttlichen Namen auch aus einer theologischen Interpretation des ganzen Parmenides-Dialoges geschópft. E. v. Ivánka hat schon 1940?? auf solche Zusammen-
hánge hingewiesen. Das neunte Kapitel der genannten Schrift des Dionysius handelt von folgenden Namen Gottes: Groß, Klein, Derselbe,
Andere,
Ähnliche,
Unähnliche;
von
Stehen,
Sitzen
(Thronen), Bewegung, Gleichheit. Eine strenge thematische Über-
einstimmung mit dem platonischen Text besteht zwar nicht, aber man kann wohl einen indirekten Bezug annehmen. Ivanka verwies auf 137 C, D und 145 A. Für das »Große« und »Kleine« gibt es da keine überzeugende Entsprechung. Weil nach herkómmlicher Interpretation im negativen Teil der dialek-
tischen Übung nicht vom Góttlichen die Rede ist, hat Ivánka da nicht gesucht. Aber wenn es einem einfällt, das gewohnte Auslegungsprinzip beiseitezulassen und einfach nachzusehen, wo es
Entsprechungen gibt, kann sich Überraschendes ergeben. Zunáchst wollen wir uns dem Text des Dionysius zuwenden. Dabei soll nicht jeder der hier behandelten góttlichen Namen betrachtet werden, sondern nur »Groß« und »Klein«. Es heißt da: »Groß« wird Gott also genannt gemäß dem Ihm eigenen Großen, das allen großen (Dingen) Anteil an sich gibt (metadidoun), und überfließend über alle Größe sich auswärts ausstreckt, jeden Ort umfangend, jede Zahl übertreffend, alle Unendlichkeit überschreitet.*° ... Diese Größe ist sowohl
unendlich wie auch ohne Quantität und ohne Zahl, und dies ist das Überragen gemäß der absoluten und überaus ausgebreiteten Ergießung
der
unfaßlichen
Großartigkeit.«*!
Die
für
unser
Gefühl vielleicht schwer erträglichen Übersteigerungen des Stiles
sind charakteristisch für den Areopagiten, wir haben sie deshalb möglichst genau übertragen. Man darf die stilistische Eigentümlichkeit aber nicht als eine überflüssige Zutat beiseiteschieben; sie bedeutet den immer erneuten Anruf zum Transzendieren.
»Klein« aber oder auch fein (wie die Nadelspitze??) wird von
Ihm
gesagt
als
dem,
was
aller
Masse
und
Zwischenraum
39 Endre von Ivanka: Der Aufbau der Schrift »De divinis nominibus« des Pseudo-Dionysius. In: Scholastik XV (1940); vgl. auch Endre von Ivänka: Plato Christianus. Einsiedeln 1964, S. 234 f.
40 De divinis nominibus, Kapitel 9 $ 2 (Edition Pera), n. 359 und 360.
72
41 ebd., n. 362.
45 griechisch: lepton, lateinisch: subtilis.
entgeht?? und ungehindert durch alle hindurchschreitet. Und
doch ist das Kleine auch Ursache im Sinne des Elements (stoi-
cheiotikon) von allen; nirgends wirst du die Idee des Kleinen
unpartizipiert finden.«** Diese Aussage entspricht — freilich in einfacherer Ausdrucksweise — dem, was oben, in dem ersten
Satz des Zitats, über das »Große« gesagt wurde. Insofern es hier
aber um Teilnehmung der Dinge an dem Kleinen geht, ist nicht von dem Kleinen in sich selbst die Rede. Die »Idee« des Kleinen
wäre wohl der »Großartigkeit< zu vergleichen, welche sich in der Ergießung verbreitet. Von dem Kleinen wird dann auch,
wieder in gewisser Entsprechung zu dem Großen gesagt: »Dieses Kleine ist ohne Quantität und unzählbar, unbezwungen, unendlich, ohne Eingrenzung (aoriston), alle umfassend, selbst
aber unfaßlich.«* Sehen wir zurück auf den platonischen Dialog! Das »Eine«, das nicht ist, ist den Andern nicht gleich; dennoch hat es Größe und
Kleinheit und Gleichheit. Insofern es diese drei hat, findet sich an ihm Gegensätzliches beisammen. Alle diese Bestimmungen sind
aber gerade keine Eigenschaften, die das »Eine< festlegen auf so
und so bestimmte Wesensgestalt. Wohl aber ist es möglich, dem »Einen< als Ursprung aus der Perspektive des von ihm her Bestimmten, das einmal so und dann so ist, die Vereinigung der gegensätzlichen Bestimmungen als Besitz zuzusprechen. Dazu paßt auch die etwas zurückhaltende Zustimmung des Gesprächspartners zu den erstaunlichen Thesen des Parmenides: Sie
bezeichnen eine Perspektive, nicht mehr!
Auch bei Dionysius handelt es sich nicht um festzustellende Bestimmtheiten, sondern um Aussagen zum Lobe Gottes. Das
»Große« und das »Kleine« hat einen höheren Sinn als bei den Dingen, die uns anschaulich und begreifbar erscheinen. Das zeigt sich an den einander gleichenden Aussagen zur Charakteristik des Großen und des Kleinen; beide sind allumfangend,
umfassend, ohne Quantität und Zahl. -- Wenn
nur von der
Größe Gottes die Rede wäre, so hätten wir keinen Anlaß, eine
Verbindung zu dialektischer Metaphysik zu vermuten. Aber die Reihe
der Namen,
die Dionysius
im neunten
Kapitel bringt,
43 vgl. dazu Observatio ad n. 363; a. a. O., S. 302.
44 ebd., n. 363. 45 ebd., n. 365.
73
erweckt den Anschein, daß er hier ein ihm vorliegendes Schema
übernimmt und, so gut er kann, einbaut in das christliche Bild. Mit der Erklärung des »Kleinen« tut er sich schwer, er versucht es durch »lebton« qualitativ zu deuten,*%# und dann auch noch
mit Schriftstellen
(Ps.
101, 28; Hebr.
4, 12-13)
zu stützen.??
Vom Geiste platonischer Dialektik ist hier nichts mehr zu spüren. Trotzdem könnte das Namensschema des neunten Kapitels von ihr beeinflußt sein.
2.4.2
Nikolaus von Kues
Es hätte für uns wenig Interesse, wenn das Miteinander der gegensätzlichen Gottesnamen »Groß« und »Klein« usw. nur in der Form der areopagitischen Darstellung, als schwacher Nachklang von dialektischer Metaphysik aus dem »Parmenides«, zu finden wäre. Aber sie sind viel später zu erstaunlichem spekulativem Leben erwacht bei Nikolaus von Kues. Seine Lehre von der coincidentia oppositorum, dem Zusammenfallen der Gegensätze in unsrer Gotteserkenntnis, hat er im vierten Kapitel des ersten Buches von »De docta ignorantia« gerade am Zusammenfall von Maximum und Minimum erläutert. Man darf nicht sagen, daß Nikolaus den Gedanken einfach aus dem Buch des Dionysius entnommen hätte, denn das, was ihm eine so fundamentale Einsicht brachte, daß er sie als »Geschenk von oben, vom Vater der Lichter« bezeichnete,?8 bedurfte vieler Bedin-
gungen zu seiner Entstehung. Man darf voraussetzen, daß Niko-
laus die Schrift des Dionysius, die im Mittelalter weit verbreitet war und wiederholt kommentiert wurde, schon kannte; er hat sie aber in spáteren Jahren noch intensiver gelesen und sehr ausführlich aus den Schriften dessen, den er als Paulus-Schüler ansah, zitiert.f Der Gedanke des Zusammenfallens der Gegen-
46 Es gibt wohl kein deutsches Wort, das ebenso wie das lateinische »subtilis« die besondere Bedeutung von »lepton« wiedergeben kann; deshalb haben wir oben bei der Übersetzung ein Bild zu Hilfe genommen.
47 4. a. Ο., n. 364.
74
48 am Ende des 3. Buches De docta ignorantia in der Schlußwidmung an Kardinal Cesarini. 49 Dionysius wird in »De docta ignorantia« mehrfach zitiert, aber die Spätschrift »De non aliud« widmet ihm allein ein ganzes Kapitel.
sätze ist wohl kaum aus der von uns betrachteten Stelle im neunten Kapitel des Buches über die góttlichen Namen angeregt (eher wäre
etwa
an Kapitel
7$3
zu denken).
Aber
es gibt
direktere Anstófle;? vor allem muß man jedoch ernst nehmen,
was Nikolaus selbst durch den Hinweis
auf die Seefahrt von
Griechenland zurück nach Italien andeutet,5! die Anschauung
des Meeres mit dem Horizont.5? Doch die besondere Erläuterung durch Maximum und Minimum ist wohl nicht ohne die von uns behandelte Dionysiusstelle entstanden. Man muß dazu bedenken, daß es ın der Tradition
der philosophischen Gotteslehre selbstverständlich ist, von der Größe Gottes zu sprechen, die über alles erhaben ist. Diese Erhabenheit über alles kategorial Aussagbare wird besonders von Augustinus in »De Trinitate« V9? hervorgehoben. Analoges
findet sich bei Plotin.5* Wichtig ist in unserm Zusammenhang besonders »sine quantitate magnum«, denn die Quantität wird
auch bei Nikolaus ausdrücklich transzendiert. Aber die Tatsache, daß Maximum und Minimum zusammenfallen, wie sie von der Quantität abgehoben sind,55 läßt doch eher an den Einfluß des Dionysius denken. Nikolaus schreibt: »Über allem diskursiven Vermögen des Verstandes schauen wir... in einer nicht ergreifenden Weise (incomprehensibiliter) die Unendlichkeit der absoluten Größe (absolutam maximitatem infinitam esse), die keinen Gegensatz hat und mit der das Kleinste zusammenfällt. Die Begriffe des Größten und des Kleinsten aber, wie sie in diesem Buche gebraucht werden, sind transzendente Begriffe in absoluter
Bedeutung, so daß sie oberhalb jeder Kontraktion zur Quantität
der Masse oder der Kraft in ihrer absoluten Einfachheit alles
50 vgl. Rudolf Haubst: Zum Fortleben Alberts des Großen bei Heymerich von Kamp und Nikolaus von Kues. In: Studia Albertina, Festschrift für B.
Geyer
(Beiträge
zur
Geschichte
der
Philosophie
und
Theologie
des
Mittelalters, Suppl. Bd. IV). Münster 1952, 5. 420-447. 51 in der obengenannten Schlußwidmung, vgl. Anm. 48. 52 vgl. Josef Koch: Die ars coniecturalis. Arbeitsgemeinschaft für Forschung des Landes NRW, Geisteswissenschaften, Heft 16. Köln-Opladen 1956, 5.13, Anm. 17.
53 De Trinitate V 1, 2: »ut sic intelligamus Deum
si possumus, quantum
possumus, sine qualitate bonum, sine quantitate magnum, creatorem, sine situ praesidentem etc.«
sine indigentia
54 Enn. VI 9 (Über das Gute oder das Eine); bei Harder 9, $ 21 f. 55 De docta ignorantia I 4, $ 11, 21 f.
75
umfassen.«99 Hier ist nicht nur das Wiederauftreten der Begriffe »Groß« und »Kleins wie bei Dionysius bemerkens-
wert (der Superlativ bei Cusanus liegt der Sache nach schon in dem, was Dionysius meinte). Die ausdrückliche Betonung der über-quantitativen Bedeutung, die bei Dionysius mehr abstrakt ausgedrückt war (ohne Quantität und unzählbar), wird nun etwas anschaulicher durch die negative Beziehung auf »Masse und Kraft.« Man kann aber auch dafür eine gewisse Anregung in dem Wort des Dionysius über das Kleine finden, »das aller
Masse
und
Zwischenraum
entgeht«5”.
Der
transzendente
Charakter der Begriffe erlaubt allerdings keine positive Anschaulichkeit. Eine Hilfe zum Verständnis kann uns der Hinweis von Nikolaus sein, daß wir grundsätzlich das Denken des diskursiven Verstandes (rationis discursum) übersteigen müssen. Das hier noch Aussagbare gehört zum Bereich der Vernunft (intellectus), welche die ersten urbildlichen Prinzipien in complikativer Ein-
heit schaut. Die Unterscheidung zwischen ratio und intellectus
entspricht der platonischen von dianoia und nous im Liniengleichnis am Ende des 6. Buches vom »Staat«°®. Für die Vermittlung dieser Tradition spielt auch Boethius eine bedeutsame Rolle. Die Notwendigkeit des Zusammenfallens der Gegensätze ist der Vernunft noch einsehbar, die absolut einfache Einheit Gottes selbst ist jenseits des Zusammen[alls.9" Entsprechend ist auch der letzte voraussetzungslose Grund für alles — das Gute — bei Platon »jenseits des Wesens« und kann nur mittelbar bezeichnet werden. - Der Zusammenhang der coincidentia-
56 ebd., $ 12, 23 f.
e
97 s. oben S. 72-73. 58 Entsprechung besagt allerdings nicht Identität. Es ist möglich, wie die Platon-Interpretation vielfach zeigt, »Nous« auch noch in das diskursive Denken einzubeziehen. Wir kennen ja nur wenig Möglichkeiten, uns über das zu verständigen, was Voraussetzung des rationalen Diskurses ist (also nicht wiederum durch ihn begründet werden kann). 59 Boethius, Consolatio IV pr. 6. 60 Daß Gott in Wahrheit jenseits der coincidentia oppositorum steht, daß also die Gegensätze, genau genommen, nicht »in ihm« zusammenfallen, hat Nikolaus in seinen späteren Werken stärker betont. Aber weil unser Denken und Sprechen nicht weiter dringen kann als bis zum Zusammenfall, ist es legitim,
vom
»Zusammenfallen
der Gegensätze
ın Gott«
zu
sprechen. Denn dies ist der Anblick des Unbegreiflichen für uns — vgl. den
Artikel
»Coincidentia
oppositorum«
im
Historischen
Philosophie, Bd. 1. Basel und Stuttgart 1971.
Wörterbuh
der
Lehre mit unsrem Dionysius-Text läßt sich aber nicht nur mit dem Hinweis auf die transzendente Bedeutung der Begriffe, ihren überrationalen Charakter erhärten. Bei unsrer Betrachtung der figura participationis erwähnten wir Nikolaus Hinweis auf den Zusammenfall des Größten und
Kleinsten
in
der
absoluten
Gleichheit.!
Dazu
gehört
die
Erörterung im Kapitel 17 des I. Buches von »De docta ignorantia«. Die Zusammengehórigkeit von Maximum, Minimum und Gleichheit kennzeichnet Gott, den absoluten Ursprung, für die Vernunft, die ihn als unbegreiflich erkennt.
Das
Größte
ist in jedem
Beliebigen
und
in keinem.
Diese
Aussage hebt es nicht nur von aller quantitativen Vorstellung ab,
sie hat ihren positiven Sinn darin, daß das Größte Maß und
Wesensgrund (ratio) für alles 1st.9? Es liegt nahe, von dem Sein
des Größten in jedem Beliebigen (als sein Maß und Wesens-
grund) aus das Größte als Kleinstes anzusprechen. Wie sollte es sonst »in« den kleinen Dingen sein? Aber Nikolaus hat diesen Gedanken nicht überall so durchgeführt, an der eben genannten Stelle erscheint das Minimum nicht ausdrücklich. Daß es aber immer als zugehörig zum Maximum gedacht werden muß, ergibt sich eindeutig aus dem 4. Kapitel »Nichtergreifendes Erkennen des absolut Größten, mit welchem das Kleinste zusammen-
fällt«.6®® Weil das Größte als größte Gleichheit konzipiert ist,
die gegenüber keinem eine andere und verschiedene ist, ist das Größte »alles das, was sein kann« (omne id quod esse potest). Es ıst ganz und gar wirklich (penitus in actu), es hat also nichts außer sich, was es noch erst werden könnte. Es kann deshalb nicht (noch) größer sein. Ebensowenig kann es kleiner sein, denn es ist ja all das, was sein kann, also auch das Kleinste.
Das Kleinste ist ja definiert als das, demgegenüber ein (noch) Kleineres nicht möglich ist. Das Kleinste fällt somit mit dem
Größten zusammen.
‚Ist in solchem Denken nicht der dialektische Geist des platonischen »Parmenides« zu neuem spekulativem Leben erwacht? Statt der einfachen Folge von Gottesnamen bei Dionysius haben 61 De coniecturis I 11 $ 58; vgl. oben 5. 56.
62 Kapitel 17 $ 49.
63 So die Überschrift des Kapitels.
64 Nach dem 1. Abschnitt dieses Kapitels referiert, vgl. $ 11, 12-18.
77
wir nun die Notwendigkeit des Zusammenfalls der gegensätzlichen Namen. Es ist aber sicher, daf Nikolaus die von uns genannte Stelle aus dem platonischen Dialog niemals zu Gesicht bekommen hat. Dagegen hat die Tradition des Dienstes der
Dialektik für die Mystik ihm nachweislich viel bedeutet. So hat er auch in einer Randbemerkung zu dem Eckhart-Text über die
Indistinctiof? gezeigt, daß er ihm sehr wichtig war.9? Die Tradition solcher Dialektik ließ ihn dann auch zu einer weiteren,
noch tieferen Bedeutung des Minimums gelangen, so daß es nicht
mehr bloß sozusagen eine Phase des absoluten Maximums ist, welches eben alles das ist, was sein kann, sondern seine not-
wendige Ergänzung, durch die es in seiner Transzendenz als Maximum über allem Begreifen bewahrt wird. Es
gilt
zwar
einerseits
vom
Maximum,
Gegensatz steht, so daß das Minimum
daß
es
über
jedem
mit ihm zusammen-
fällt,” und daß es gleichermaßen über Bejahung und Verneinung erhaben ist.6® Andererseits kann von ihm nur in der Weise ausgesagt werden, daß mit der Behauptung zugleich eine Verneinung verbunden ist: »Sondern es ist »dies« so, daß es »alles« ist und so »alles4 daß es keines ist. Und es ist so im höchsten Maße (maxime) »dies daß es ebendieses im geringsten Maße (minime) ist.«€ Das Zusammenfallen des Minimums mit dem Maximum kennzeichnet die absolute Seins- und Wesensfülle Gottes, der keine positive Bestimmung mangelt, und die doch gerade nicht in der Eingeschränktheit von »diesem« oder
:diesem« besteht. Grundsätzlich kann man sich das an belie-
bigen Gegenständen verdeutlichen, an der Sonne oder einem Diamanten oder eine Rose oder einer Biene, einem Adler, Lówen oder einem bestimmten Menschen. Das Maximum ist (als absolutes) so sehr jedes von diesen, daß es nicht eins davon ist. Nikolaus selbst verdeutlicht das Gesagte mit einem Beispiel, das
von jeher den Mystikern geläufig war, das sich dem Menschen immer wieder aus der inneren Erfahrung
Licht.
Aber
dies
Licht
ist verschieden
65 s, oben S. 67.
aufdrängt:
von
66 Hinweis der Herausgeber im Apparat zu $ 155, S. 491.
"ὃ
67 De docta ignorantia I 4 $ 12, a. a. O., S. 18, 6. 68 ebd., S. 18, 6-7. 69 ebd.,
S. 18,
10-11.
allen
Gott ist
Lichtern.
Dionysius hat es in der »Mystischen Theologie« als überhelle Finsternis bezeichnet: »In der totalen Dunkelheit scheint ein Unsichtbares auf, das alles glänzende Licht überstrahlt.«?? Dies ist Beschreibung einer Erfahrung. Die Dialektik des Zusammenfalles des Minimums mit dem Maximum dient dazu, diese Erfahrung begrifflich zu erfassen, was aber nicht anders geschehen kann, als daß die Begriffe von innen ber überstiegen werden müssen und als transzendente die
Erkenntnis zur docta ignorantia führen. Nikolaus sagt: »Es macht keinen Unterschied, ob man sagt »Gott, der die absolute Größe (maximitas) selbst ist, ist Licht oder ob man sagt >Gott
ist so in höchstem Maße Licht, daß er in geringstem Maße Licht
1st.«7?1 An diesem Satz wird deutlich, was der metaphysische Sinn des Zusammenfallens von Maximum und Minimum ist. Unser Sprechen von Gott setzt natürlicherweise am Maximum an. So hatte Anselm den Begriff Gottes mit Selbstverständlichkeit als das, über das hinaus Größeres nicht gedacht werden kann,"? bestimmt. Aber der Begriff des Maximums ist eben das
Ende möglicher Steigerung. Und deshalb fällt es schwer, das
Maximum »transzendent in absoluter Bedeutung« zu verstehen und nicht als letzes Glied in einer kontinuierlichen Reihe der
Steigerungen aufzufassen.
Dadurch, daß das Maximum
Minimum
so gedacht werden muß, daß das
mit ihm zusammenfällt,
ist die Vorstellung einer
hóchsten Spitze eines Stufenbaus unmóglich geworden. Es ist die
Funktion des Minimums, den Überschritt zum Absoluten spürbar
zu machen. Die Verschiedenheit des Absoluten von seinem Bilde, nämlich der Vollkommenheit eines Geschaffenen, erscheint nun als Gegensatz, nicht als bloßer Gradunterschied. Das Minimum absolutum hat für sich allein keinen denkbaren Gehalt. Deshalb hat es seinen Sinn nicht so, daß es Ausgangspunkt für ein spekulatives Denken sein könnte. Zuerst muß die positive Aussage des Maximums gegeben sein, danach kann das
Minimum
als qualifizierende Negativität hinzutreten, um die
Transzendenz des Begriffes zu bewirken. Nikolaus spricht darum, wenn es sich um Erkenntnis Gottes handelt, vom Zu70 De mystica theologia $ 1.
71 De docta ignorantia I 4, $ 12, a. a. O., S. 18, 11-14.
72 Er ist die Grundlage für die Argumentation im »Proslogion«.
79
sammenfallen des Minimums mit dem Maximum, nicht umgekehrt!?? Das Maximum absolutum unterscheidet sich vom Minimum absolutum durch seinen positiven Gehalt, welcher von einem denkbaren, so und so bestimmten und auf dieses Wesen eingeschränkten Maximum (maximum contractum) her genommen ist. Das Minimum absolutum lóst diese Einschránkung auf in dem Sinne, daß Gott nicht Licht ist in der Weise, wie irgendein
uns bekanntes
Licht. Aber es muß
beides zusammen
gesagt
werden. Das Maximum meint den Reichtum des Gehalts, das Minimum wahrt seine absolute Reinheit jenseits aller Vorstellung und Denkbarkeit. Der Zusammenfall von Maximum und
Minimum 1st die Grenze für das spekulative Denken. Es ist das
Ziel der Dialektik im Dienste der Mystik, diese Grenze immer wieder von neuem aufzusuchen und zu berühren, damit der Denkende dessen inne werde, was jenseits liegt.
80
73 vgl. dazu: G. v. Bredow: Die Bedeutung des Minimum in der Coincidentia oppositorum. In: Nicolo Cusano agli inizi del mondo moderno (Akten des internationalen Cusanus-Kongresses in Brixen, 6.-10. September 1964). Florenz 1971, S. 357-366.
Namenverzeichnis
1. Alte und mittelalterliche Autoren Abaelard 28, 37 Adelhard 10 Alanus 10 Anselm 33, 79 Aristoteles 10, 15, 16,
Macrobius 41 Maximus Confessor 20 18, 19, 23,
34, 35, 36, 40, 65
Nikolaus von Kues 32
Augustinus 11, 19, 20, 26, 68, 75
Origines 20
Boethius 11, 20, 26, 38, 76
Parmenides 58, 61 Platon (Werke): Menon 11 Phaidon 11 Parmenides 18, 39, 40, 52, 58 Sophistes 60, 61 Staat 59, 60, 76
Burgundius Piso 67
Calcidius 11, 20, 24, 25, 55 Clarenbaldus 38 Dionysius Areopagita
11, 20, 26,
42, 43
Timaios 11, 14, 23, 24, 47, 54 Plotin 22, 40, 41, 42, 75
Porphyrios 15, 16, 17, 22, 37 Proklos
11, 20, 21, 42, 52, 69
Meister Eckhart 51 Eriugena 10, 41
Pythagoras 56, 57
Gilbert von Poitiers 38
Roscelinus 28, 29
Gregor von Nazianz 20 Gregor von Nyssa 20, 26
Sokrates
Henricus Aristippus 11
Thomas
Herrad von Landsberg 10 Iamblich 41 Johannes von Damaskus
Johannes-Evangelium 64 Johann von Salisbury 32
Johannes Sarracenus 46
65,
10, 33, 36, 50 von Aquino
10, 51, 59,
66
Vinzenz von Beauvaix 10 65, 66
Wilhelm von Champeaux 37, 38 Zenon 58
δὲ
2. Moderne Autoren Baeumker, Cl. 10 Beierwaltes, W. 7, 52 Bormann, K. 53 Caramello, P. 46 Cornford, F. M. 23, 71 Fabro, C. 48 Feigl, M. 51 Fischer, H. 65, 66 Friedländer, P. 40 Garin, E. 10 Geiger, L. B. 48 Geyer, B. 36, 64
Goldschmidt, A. 10 Häring,
N.M.
38
Harder, R. 41 Happ, W. 53 Haubst, R. 75 Hoffmann, E. 9, 40 Ivánka, E. v. 72
Koch, J. 9, 51, 53, 59, 65, 75
Lloyd, A. C. 41 Meinhardt, H. 40
Pera, C. 42, 45
Schmitt, F. S. 31 Senger, J. G. 53
Üb
/G
Vretska,
K.
36
60
Waszink, J. H. 24 Wilner, H. 32
Wilpert, P. 49
Winden, J. C. M. van 25 Wrobel, J. 25
Gerd-Klaus die Folgen.
Kaltenbrunner
(Hrsg.):
Hegel
und
Freiburg: Rombach 1970. 428 Seiten, Leinen 60 DM (Sammlung Rombacdh, NF. Bd. 7, Redaktion: Gerd-Klaus Kaltenbrunner). INHALT: Branko Despot: Hegel in der Verwirklichung der Philosophie / Friedrich Heer: Hegel und die Jugend / Peter Heintel: Bemerkungen zur Religionsphilosophie Hegels / Kurt Hiller: Anmerkungen zu Hegels Philosophie der Geschichte / Willy Hochkeppel: Dialektik als Mystik / Milan Kangrga: Arbeit bei Hegel und Marx / Arnold Künzli: Prolegomena zu einer Psychographie Hegels / Franco Lombardi: Philosophie nach Hegel / Hermann Lübbe: Geschichtsphilosophie und politische Praxis / Ren& Marcic: Hegel und das Recht / Theo Pirker: Hegels »philosophische Geschichte« und der »Positivismusstreit« / Martin Puder: Hegels Gottesbegriffe / Manfred Riedel: Hegel und Marx. Die Neubestimmung des Verhältnisses von Theorie und Praxis / Ernst Topitsch: Kritik der Hegel-Apologeten / Hermann Wein: Hegel in philosophisch-anthropologischer Hinsicht / Namenregister / Sachregister. SENDER FREIES BERLIN: »Will man nun einen zugleich umfassenden und sehr konzentrierten Überblick gewinnen über die positive, kritische oder auch ablehnend-negative Stellung moderner Philosophie zu Hegel, so empfiehlt es sich, das von Gerd-Klaus Kaltenbrunner im RombachVerlag, Freiburg, herausgegebene Buch »Hegel und die Folgen« in die Hand zu nehmen. Angesichts der fabrikmäßigen Massenproduktion gerade auch von Büchern, die einerseits gehobenen intellektuellen Ansprüchen gerecht werden
wollen,
andererseits
oft recht oberflächlich
und
schlampig ediert sind, ist es nicht genug zu loben, wie sorgfáltig und wissenschaftlich exakt der Herausgeber gearbeitet hat; ist auch nicht genug zu loben der Mut des Rom-
bach-Verlages, der das Rısiko auf sich nahm, ein solch in
des Wortes doppelter Bedeutung kostbares Buch zu verlegen. Möge es jedem Leser zum besten dienen, der - vermittels der Hegelschen Philosophie -- sich über den Stand moderner Philosophie überhaupt informieren lassen will.« ISBN 3-7930-0617-4
Milan
Machovec:
Vom
Sinn
des
Lebens (Smysl lidského Zivota).
menschlichen
Freiburg: Rombach 1971. Aus dem Tschechischen von Karl Held. 237 Seiten, Leinen 32 DM (Sammlung Rombadh, NF. Bd. 12, Redaktion: Gerd-Klaus Kaltenbrunner). Pror.
Dr.
Mıran
MacHovzc,
geb.
1925
in Prag,
stu-
dierte Philosophie und klassische Philologie und lehrte von 1953 bis 1970 an der Prager Karls-Universität Philosophie. Sein Institut für Religionsgeschichte und Religionskritik wandelte er spáter in ein »Dialogisches Seminar«
um, in dem für Marxisten und Nichtmarxisten, Theologen
und interessierte Laien Platz war. Von Prof. Machovec
stammen Werke über Augustinus, Jan Hus und Thomas
G. Masaryk, ferner Arbeiten über die Geschichte des Ketzertums, den Neothomismus und die protestantische »dialektische Theologie«. Er ist Mitglied der Prager Akademie der Wissenschaften. Aus DEM INHALT: Prolog / Erfahrungen: Die Frage / Gott / Genuß / Persönlichkeit / Zukunft / Resignation / Perspektiven: Kosmos
/ Arbeit / System / Humanismus
xist, der einen
mobilen,
/ Ge-
schichte / Dialog / Epilog: Das Paradoxon der Hoffnung. Die WELT (Hamburg): »Ein Professor aus Prag, ein Mareinen
dynamischen
Marxismus
predigt, der von seiner Lehre überzeugt ist und sie doch radikal in Frage stellt...« NEuEs Forum (Wien): »Was Machovec an Humanität zu bieten hat, stellt gewiß eine sehr extreme Gegenposition zum stalinistischen Dogmatismus dar.« ARNOLD KüNzLr: (Über Marx hinaus. Freiburg 1969): »Milan Machovec hat den Dialog mit dem Christentum aufgenommen. Entscheidend scheint mir das Bemühen zu sein, ohne das große geschichtliche Ziel des Marxismus aus dem Auge zu verlieren, eine Individualethik und eine Anthropologie zu entwerfen, die innerhalb des traditionellen Marxismus dem Einzelmenschen wieder zu dem Range verhelfen, der ihm auch auf dem Wege zu diesem Ziele gebührt, und die gleichzeitig auf seine gesellschaftsund klassentranszendenten Probleme entsprechende Antworten suchen. Ich kann nur wünschen, daß dieser Dialog ...ın Zukunft noch weit mehr gesucht wird als bisher.« ISBN 3-7930-0622-0
Gerda von Bredow geboren 1914 in Vietznitz (Westhavelland), studierte in Berlin Philosophie, Geschichte und Germanistik und promovierte 1941 bei Nicolai Hartmann mit einer Arbeit über Schleiermachers Ethik. 1953 habilitierte sie sich in Münster mit der Schrift »Das Vermáchtnis des Nikolaus von Kues«. Seit 1961 ist sie apl. Prof. für Philosophie an der Universität Münster. Zu ihren besonderen Arbeitsgebieten gehören: Wertethik, Freiheitsproblem und Philosophiegeschichte, insbesondere Nikolaus von Kues.
ISBN 3-7930-0967-X
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