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German Pages 779 [784] Year 1925
WÖRTERBUCH DES
VÖLKERRECHTS UND DER
DIPLOMATIE BEGONNEN VON
PROF. DR. J U L I U S H A T S C H E K
FORTGESETZT UND HERAUSGEGEBEN VON
DR. K A R L S T R U P P
PRIVATDOZENT AN DER UNIVERSITÄT IN FRANKFURT Α. M.
ZWEITER BAND MAAS - UTSCHIALI
WALTER DE GRUYTER & CO.
VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG - J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER - KARL J. TRÜBNER — VEIT & COMP. BERLIN und LEIPZIG 1935
Μ Maas β. Flüsse, internat.
Mac-Leod-Fall.
I. Im Januar 1841 wurde der britische Staatsangehörige Mac Leod während seines Macartney-Fall. Aufenthalts in dem Staate New York wegen ( M a c a r t n e y v. G a r b e t t , 1890; LR. 24Q., Mordes an dem Amerikaner Durfee verhaftet. Durfee gehörte zu den kanadischen InsurΒ. D. 368.) genten, die an Bord der „Caroline" im Jahre I. Es handelte -sich um eine Klage des 1837 bei dem Überfall durch die Engländer, Engländers M a c a r t n e y , der in den Diensten unter denen sich Mac Leod als Offizier beder chinesischen Oesandtschaft in London fand, getötet wurden (s. v. Carolinefall). stand. Auf sein Haus war ein Arrest wegen Auf die Kunde von Mac Leods Verhaftung Nichtzahlung von „parochial rates" gelegt verlangte England seine Freilassung mit der Begründung, die Zerstörung der „Caworden, worauf er unter Protest zahlte. U. Judge Metthew entschied, daß wenn roline" sei ein Staatsakt (public act) gewesen, ein Staatsangehöriger als Mitglied einer ausgeführt von Personen im Dienste Ihrer fremden Mission v o r b e h a l t l o s empfangen Majestät, die auf höheren Befehl gehandelt wird, er damit auch alle Privilegien erlangt, hätten. Wenn überhaupt, so könne daher eine völkerrechtliche Haftung nur die bridie ausländischen Diplomaten zustehen. III. Ein einheitliches völkerrechtliches tische Regierung treffen, nicht aber die Gewohnheitsrecht bezüglich des sog. ,,agent Individuen, die nur nach Maßgabe der Andiplomatique regnicole" fehlt. Während weisungen ihrer Regierung gehandelt hätten. Frankreich und England die unter II nieder- Seitens der Union wurde eingewandt, daß gelegte Auffassung huldigen, steht Deutsch- die Bundesregierung nicht mehr in der Lage land auf dem Standpunkt, daß Nationale der sei, in das schwebende Verfahren einzugreifen inländischen Staatsgewalt auch als Ange- und Mac Leod zu entlassen, daß sie sich hörige von diplomatischen Missionen unter- vielmehr darauf beschränken müsse, eventuell fallen (vgl. § 18 GVG.). Richtig u. a. v a n dafür zu sorgen, „that no sentence improperly Auch P r a a g S. 237: mangels völkerrechtlichen passed upon him was executed". Gewohnheitsrechts, „l'Etat qui regoit a . . . gegenüber britischen Kriegsdrohungen blieb die Union fest: einem writ of habeas corpus ii apprGcier ce qui est döcisif ä son propre gegenüber lehnten die Gerichte Mac Leods point de vue. C'est ce qu'implique le carac- Freilassung ab, sprachen ihn aber später tfere exceptionnel de l'exterritorialit£. . . . auf Grund eines Alibibeweises frei. Im Verl'Etat peut reconnaftre l'exterritorialitö, lauf der weiteren Korrespondenz anerkannte tnais . . . il n'y est pas tenu". Staatssekretär Webster den Völkerrechtssatz „that an individual forming part of a Literatur: public force and acting under the authority Pitt Cobbet, Leading cases on international of his Government is not to be held answerable Law, 4th ed, 1922, I, S. 309sq. — Oppenheim, International Law, I, 3d ed, 1920, as a private trespasser or malefactor. This S. 5 5 3 — de Louter, Le droit inter- has no connection whatever with the question national public positif, II, 1920, S. 26; whether, in this case, the attack on the bes. van Praag, Jurisdiction en droit „Caroline" was, as the British Government international public, 1915, S. 234sq (mit think it, a justifiable employment of force reichen Nachweisungen aus Theorie und for the pupose of defending the British Praxis). I territory from unprovoked attack, ot whether Strupp. 1 WOrteAuA des Völkerrechts. Bd. IL
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Mac-Leod-Fall — Madagaskar
it w a s a m o s t u n j u s t i f i a b l e invasion in t i m e of peace, of t h e t e r r i t o r y of the U. S., as this g o v e r n m e n t has regarded. T h e two questions are essentially distinct a n d differ e n t " und d a ß „ a f t e r t h e avowal of t h e t r a n s a c t i o n as a public one by t h e British G o v e r n m e n t , there could be no f u r t h e r responsibility on t h e p a r t of t h e a g e n t " . II. Die Auffassung beider S t a a t e n e n t spricht dem geltenden Völkerrecht: Der S t a a t h a f t e t f ü r die Handlungen aller seiner Organe, aber diese h a f t e n selbst, soweit sie qua S t a a t s organe h a n d e l n , ü b e r h a u p t nicht. Die Bet o n u n g dieses Rechtssatzes ist um so wichtiger, als die sog. B e s t r a f u n g der Kriegsverbrecher (vgl. A r t . 228ff. des Versailler Friedens) wie die gerade von England wiederholt in Aussicht gestellte B e s t r a f u n g der U - B o o t - K o m m a n d a n t e n sich zu diesem Rechtsprinzip in schärfsten Gegensatz stellt. Literatur: Besonders Moore, Digest II, 24—30. — Oppenheim, I, 609. — Cobbett I, 83. — Strupp, Das völkerrechtliche Delikt, 1920, S. 35ff. Strupp.
Macy
s. Seekriegsrecht, Geschichte des.
Madagaskar. Frankreich u n t e r h ä l t im 17. und 18. J a h r h u n d e r t an der Ostküste der Insel Militärposten, die zu Beginn des 19. J a h r h u n d e r t s aufgegeben werden. Zu Beginn des J a h r e s 1811 wird die H a f e n s t a d t T a m a t a v e von englischen T r u p p e n besetzt und der Vertrag von Paris (1814) e r k e n n t die „französischen Niederlassungen in M a d a g a s k a r " als britisch an. Der Eingeborenenstamm d e r Howa v e r s u c h t im Laufe der nächsten J a h r z e h n t e , sich die ganze Insel zu unterwerfen und bei den Mächten die A n e r k e n n u n g als u n a b hängiger S t a a t zu erlangen. 1865 schließt die malagassische Regierung m i t England einen Vertrag, der letzterer Macht Konsulargerichtsbarkeit e i n r ä u m t . Zur gleichen Zeit wird eine Ü b e r e i n k u n f t zwischen England und Frankreich getroffen, dahingehend, d a ß beide Mächte die Unabhängigkeit von Madagaskar achten. Im Vertrage von 1868 e r h ä l t auch Frankreich Konsulargerichtsbarkeit. A u s A n l a ß von E r b a n s p r ü c h e n , die nach dem Tode des französischen Konsuls Laborde im J a h r e 1878 von der französischen wie der malagassischen Regierung erhoben werden (nach dem R e c h t e der Malagassen bleibt G r u n d und Boden i m m e r im E i g e n t u m der Königin) entstehen die ersten Streitigkeiten m i t Frankreich, das seine Ansprüche
auf Nossi-Βέ, als von den lokalen H ä u p t lingen rechtsgültig erworben, erneuert. Nach Beendigung des französisch-malagassischen Krieges von 1883—85 wird am 17. X I I . 1885 ein Friedensvertrag geschlossen, der die Beziehungen der beiden Mächte neu r e g e l t : A r t . 1 erteilt Frankreich die auswärtige Vertretung der Insel; die Malagassen stehen im Auslande u n t e r dem Schutze der f r a n zösischen Vertreter. A r t . 2: die französische Regierung wird in Madagaskar von einem Residenten vertreten, der den auswärtigen Beziehungen v o r s t e h t , sich jedoch nicht in die innere Verwaltung einzumischen h a t . A r t . 4 verbietet den malagassischen Bea m t e n , sich in Streitigkeiten u n t e r Franzosen oder zwischen Franzosen und anderen A u s ländern einzumischen; zwischen Franzosen und Ma'agassen entscheidet der Resident u n t e r Hinzuziehung eines einheimischen R chters. Art. 6 r ä u m t Franzosen freies Betätigungsrecht in der ganzen Insel e i n ; sie dürfen m i t E r b p a c h t p a c h t e n ; Dienstverträge werden vor dem Residenten und dem Beamten der inneren Verwaltung abgeschlossen; f ü r ihre Einh a l t u n g g a r a n t i e r t die malagassische Regierung. Franzosen zahlen nur G r u n d s t e u e r n ; n i e m a n d darf französische Besitzungen betreten. A r t . 8 setzt die Kriegsentschädigung fest und bestimmt, d a ß die P r ü f u n g u n d Regelung p r i v a t e r Schäden, die Franzosen im letzten Krieg erlitten haben, der f r a n zösischen Regierung überlassen bleibt. Art. 11 : Frankreich verpflichtet sich zur Verteidigung der Insel. Art. 14: Frankreich „ v e r p f l i c h t e t " sich zur Förderung der Zivilisation und wird auf Wunsch Militärinstruktoren, Ingenieure, Lehrer und H a n d w e r k e r stellen. A r t . 15: Frankreich h a t freie H a n d zur Besetzung der Bai von Dißgo-Suarez und zur Anlage von K u n s t b a u t e n dortselbst. — Das W o r t „ P r o t e k t o r a t " wird durchgängig vermieden. Die „ l e t t r e i n t e r p r d t a t i v e " der französischen U n t e r h ä n d l e r an die malagassische Regierung, die einzelne Artikel mildert, wird von der französischen Regierung nicht ratifiziert, von der malagassischen dagegen als ein Bestandteil wesentlicher Art des ganzen Vertrages a u f g e f a ß t . Nach dem A b s c h l u ß dieses Vertrages beginnt eine Zeit völkerrechtlicher Streitigkeiten, in denen die Stellung der Insel in ihrem Verhältnis zu Frankreich und den Mächten erörtert wird. Drei Fragen sind es hauptsächlich, die zu Zweifeln über die völkerrechtliche Stellung von M a d a k a s g a r Anlaß gegeben h a b e n : 1. die D u r c h f ü h r u n g der B e k ä m p f u n g des Sklavenhandels in den Territorialgewässern von M a d a g a s k a r ; 2. die Frage des E x e q u a t u r in Verbindung m i t den Bestimmungen der A r t . 1 und 2 des Vertrages
Madagaskar von 1885; 3. die völkerrechtliche Stellung d r i t t e r Mächte in einem französischen Feldzuge gegen die Eingeborenen. 1. Im Laufe des J a h r e s 1893 durchsuchen britische Kriegsschiffe in den Territorialgewässern von Madagaskar Küstenschiffe, die die französische Flagge f ü h r e n , u n t e r dem V e r d a c h t des Sklavenhandels. Die französische Regierung protestiert dagegen als einer Verletzung ihrer Hoheitsrechte, und Sir E d w a r d Grey gibt am 14. X I I . 1893 im U n t e r h a u s eine E r k l ä r u n g des Inhalts ab, d a ß England in der T a t infolge des f r a n zösischen P r o t e k t o r a t s über Madagaskar kein Recht auf Durchsuchung in den m a l a gassischen Territorialgewässern h a b e ; das folge auch aus Art» 96 der Brüsseler Generalakte von 1890 (Fleischmann 226; S t r u p p II, 356); denn die Akte übertrage ihre Ausf ü h r u n g i n n e r h a l b der P r o t e k t o r a t e den protegierenden Mächten, also auch innerhalb der Territorialgewässer. Diese Ansicht ist nicht unwidersprochen geblieben. Es handelt sich ni-cht n u r um die Rechte und Pflichten, die sich aus der Generalakte ergeben, sondern um deren mögliche Kollision m i t älteren Rcchten, die in unserem Falle England von Madagaskar v o r der E r k l ä r u n g des französischen P r o t e k t o r a t s gültig erworben h a t . D a r u n t e r befinden sich jedoch K a p i t u l a t i o n e n , die keineswegs durch die E r k l ä r u n g des P r o t e k t o r a t s aufgehoben sind und die England zu dem erwähnten Vorgehen ermächtigen. Auch ist geltend zu m a c h e n , d a ß der S t a n d p u n k t des Sir E d w a r d Grey über die A n w e n d b a r k e i t von Bestimmungen, die, f ü r die B e k ä m p f u n g der Sklaverei z u L a n d e erlassen, auch f ü r die Territorialgewässer Geltung besitzen sollen, aus den Bestimmungen der Generalakte selbst widerlegbar erscheinen. Die Artikel 1—4 der A k t e beziehen sich auf die Territorien, nicht im völkerrechtlichen Sinne der S o u v e r ä n i t ä t s rechte, sondern im Sinne der B e k ä m p f u n g des Sklavenhandels zu Lande und auf den Flußläufen des Inneren. Die B e k ä m p f u n g zur See, die hier, wie wir es nennen wollen, physisch-geographisch, nicht völkerrechtlich zu definieren ist, wird ausdrücklich im 3. Abschnitte der Akte geregelt; hier h a n d e l t es sich n u r um die Zone der B e k ä m p f u n g ohne Rücksicht auf den Begriff der Territorialgewässer (Art. 21); A r t . 42 Abs. 2 erklärt z u d e m , d a ß an dem gegenwärtigen Zustande der Gerichtsbarkeit in den Territorialgewässern nichts geändert werden soll. A r t . 96 der A k t e b e d e u t e t also nicht, wie Sir E d w a r d Grey m e i n t , die A u f h e b u n g älterer Rechte, sondern n u r deren Ungültigwerden insoweit, als sie sich im Widerspruch zur A k t e befinden, was von den Kapitulationen, die
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der malagassischen Regierung die Gerichtsbarkeit über f r e m d e Staatsangehörige entziehen, nicht b e h a u p t e t werden k a n n . A n z u merken ist, d a ß Frankreich u. a. die A r t . 21 und 42 nicht ratifiziert h a t . — L i t e r a t u r : Revue p i n i r a l e de Droit International Public 1894, p. 84 seq.; Revue des Deux Mondes 1891, p . 864; Revue de Droit International et de Ligis. Comp. X X I V , 206). · 2. Nach den Bestimmungen des Vertrages von 1885 ist Madagaskar verpflichtet, die F ü h r u n g der auswärtigen Geschäfte dem französischen Residenten zu überlassen. Darum h a t es sich aber nicht g e k ü m m e r t u n d versucht, den Konsuln Deutschlands, Englands und der Vereinigten S t a a t e n von Amerika das E x e q u a t u r zu erteilen, welcher Akt dem Residenten vorbehalten bleiben sollte. Die malagassische Regierung stellte sich dabei auf den anfechtbaren S t a n d p u n k t , d a ß die Erteilung eine i n n e r e Angelegenheit sei, deren Regelung ihr durch den Vertrag von 1885 vorbehalten geblieben. Zuerst erteilte sie dem amerikanischen Konsul im April 1887 das E x e q u a t u r ; nach dem Protest der französischen Regierung u n d nach einer Ü b e r e i n k u n f t zwischen F r a n k reich, England und den Vereinigten S t a a t e n , die letztere Mächte verpflichtete, sich der Vermittlung des französischen Residenten zu bedienen, und nach weiterer Obstruktion der malagassischen Regierung k o m m t die französische Regierung m i t letzterer zu einem Übereinkommen, nach dem zwar der malagassische Premierminister das E x e q u a t u r zu erteilen berechtigt ist, aber n u r u n t e r Verwendung der Formel „ a v e c la connaissance du r6sident ginfiral". Dadurch werden jedoch die Schwierigkeiten nicht behoben, u n d die Vertreter der oben erwähnten S t a a t e n sehen sich genötigt, u m weder die französische, noch die malagassische Regierung zu verletzen, auf die Erlangung des E x e q u a t u r zu verzichten und n u r Konsulatsverweser auf Madagaskar zu u n t e r h a l t e n . Der G r u n d der schwachen Stellung F r a n k reichs lag jedoch tiefer, in der Tatsache begründet, d a ß vor 1890 d r i t t e Mächte sein P r o t e k t o r a t nicht a n e r k a n n t h a t t e n . Auf französischer Seite ist m a n geneigt, die erste A n e r k e n n u n g in den Verhandlungen der Brüsseler Konferenz von 1890 zu sehen,· auf der die Mächte eine E r k l ä r u n g der f r a n zösischen Vertreter a n n a h m e n , nach der sich Frankreich verpflichtet, die erforderlichen M a ß n a h m e n zu ergreifen, um den W a f f e n h a n d e l zu u n t e r b i n d e n . Eine d u r c h schlagendere A n e r k e n n u n g des P r o t e k t o r a t s liegt in den Verträgen des gleichen J a h r e s (5. V I I I . bzw. 17. X I . 1890) zwischen England u n d Deutschland und E n g l a n d und 1*
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Madagaskar — Mädchenhandel
Frankreich, in denen das Protektorat „avec toutes ses consiquences" anerkannt wird, und England im Austausch gegen den französischen Verzicht auf Zansibar und Pemba das französische Protektorat über Madagaskar anerkennt und sich verpflichtet, das E x e q u a t u r durch die Vermittlung des französischen Residenten zu erbitten (bei der malagassischen Regierung!). In den Differenzen zwischen Frankreich und Madagaskar spielt die „lettre interprfctative" (s. o.) eine große Rolle, die gerade in der uns interessierenden Frage Madasgakar die Regelung der gewöhnlichen auswärtigen Angelegenheiten zugestanden hatte. Der Streit nimmt erst mit der Annexion von Madagaskar im J a h r e 1895 ein Ende. (Liter a t u r : Revue ginfcrale de droit int. 1895, p. 140 seq.; 1894, p. 288). 3. Kurz vor dieser Einverleibung als Kolonie, in dem französischen Feldzuge, h a t sich ein völkerrechtlich bedeutsamer Fall ereignet, der die Frage der Stellung Madagaskars erneut aufrollt. Hier h a t t e die französische Regierung mit einer englischen Firma Waffentransporte kontraktlich vere i n b a r t ; dieser Vertrag war im englischen Unterhaus zum Gegenstand einer Interpellation geworden (The Times, Feb. 19., 1895), in welcher die Frage einer Neutralitätserklärung Großbritanniens in dem französisch-malagassischen Feldzuge aufgeworfen wurde. Sir Edward Grey erklärte, daß die legitimen Interessen des britischen Handels das einzige Kriterium seien, nach dem die Opportunitätsfrage einer Neutralitätserklärung beantwortet werden müsse. Im gegenwärtigen Falle erließ England keine solche Erklärung. Aus diesem Anlaß ist zu untersuchen, welche Folgen jedoch die Annahme einer Rebellion oder eines Krieges im völkerrechtlichen Sinne f ü r die Rechte und Pflichten des Dritten haben. Professor Holland h a t darauf hingewiesen, d a ß der Status des Protektorats durchaus kein Hinderungsgrund ist, um auch Madagaskar in diesem Feldzuge den Charakter eines Kriegführenden zuzubilligen. Die Folge ist aber, daß Staatsangehörige neutraler Mächte dann nicht f ü r ihre Teilnahme im Kriege bestraft werden können, wie dies bei einer Rebellion der Fall w ä r e ; andererseits erleidet der Handel die Einschränkungen, die sich der Neutrale gefallen lassen m u ß . Steht die französische oder malagassische Regierung auf dem S t a n d p u n k t , daß es sich nur um eine Rebellion handelt, so steht ihr auch nicht die Befugnis zu, Konterbandewaren zu konfiszieren; geschieht dies trotzdem, so steht dem Kriegführenden nicht mehr die Beh a u p t u n g zu, daß die Unternehmungen
keinen kriegerischen Charakter im völkerrechtlichen Sinne besitzen. Im entgegengesetzten Falle h ä t t e n die Bestimmungen des so umstrittenen blocus pacifique zur Anwendung zu gelangen. (Literatur: Revue g6nfcrale de droit international public 1895, p. 249 seq.). — Durch Gesetz vom 6. V I I I . 1896 wird Madagaskar zur französischen Kolonie erklärt; das Königtum wird am 28. II. 1897 durch Parlamentsbeschluß a b geschafft, die letzte Königin abgesetzt, mit einer Pension ausgestattet u n d nach Rfcunion und später nach Algier deportiert. Literatur: Martineau, „ M . " , mit Dokumenten. — Hanotaux, L'affaire de M., mit Dokument e n ; auch zur Würdigung der politischen Auffassung in Frankreich vor der Annexion. Zu den Ansprüchen der Engländer auf Madagaskar vor Erklärung des französischen P r o t e k t o r a t s : Oliver, True story of French Dispute, 1885. — Bibliographien bei Sibree, J., a „ M . " Bibliography. — Grand idler, G.f Bibliographie de Μ., 2 Vol., Paris 1905—07. Μ. Η. S c h m i t t .
Mädchenhandel. I. Der Mädchenhandel ist eine notwendige Begleiterscheinung der Prostitution. Er ist darum so alt wie diese. In neuerer Zeit h a t er in zunehmendem Maße internationale Formen angenommen. Es versteht sich, d a ß in den Kulturstaaten — soweit die eigenen Staatsangehörigen in Frage kommen — die ständige Besserung der Lage und Schulbildung der niederen Bevölkerungsschichten sowie die Gegenmittel der immer erfahrener und feiner arbeitenden amtlichen und halbamtlichen Stellen das Treiben der Mädchenhändler unschädlich machen können. Anders steht es in den Ländern mit zurückgebliebener Kultur. Und anders steht es überall, sobald es dem Mädchenhändler einmal gelungen ist, seine Ware über die heimische Grenze auszuführen. Dann ist sie ihm infolge Unkenntnis der Sprache und der Verhältnisse, infolge der entstehenden Not und eigenen Hilflosigkeit meist rettungslos verfallen. Deshalb ist der Mädchenhandel heute vor allem Ausfuhrhandel und bedarf als solcher in Ergänzung der Gegenwirkung innerhalb der einzelnen Staaten internationaler B e k ä m p fung. II. Seit den 1880er J a h r e n haben besonders die Niederlande und später F r a n k reich internationale Abkommen zu diesem Zweck befürwortet. Zunächst kamen aber nur einzelne Staatsverträge zustande, in denen polizeiliche Maßnahmen vereinbart
Mädchenhandel wurden. Das Deutsche Reich Schloß solche Übereinkommen „zum Schutze verkuppelter weiblicher Personen" am 15. XI. 1889 m i t den Niederlanden (RGBl. 1891, 356) und am 4. IX. 1890 mit Belgien (RGBl. 1891, 375 — nicht mehr in Kraft). Philanthropische Gesellschaften und wissenschaftliche Vereinigungen bemühten sich um den weiteren Ausbau derartiger Abkommen. In diesem Sinne arbeiteten die im J u n i 1899 in London anberaumte Versammlung von Vertretern verschiedener Vereinskreise und die noch in demselben Jahre s t a t t f i n d e n d e Tagung der Internationalen Kriminalistischen Vereinigung in Budapest. Der von hier ausgehende Wunsch nach einer Staatenkonferenz wurde erfüllt durch die in Paris vom 15.—25. VII. 1902 s t a t t f i n d e n d e und auch vom Deutschen Reich beschickte Versammlung von Diplom a t e n 15 europäischer und eines südamerikanischen Staates. Zwei E n t w ü r f e waren das Ergebnis. Der eine (projet de convention) kennzeichnet sich als ein Rechtsa b k o m m e n ; derandere (projet d'arrangement) sah einheitliche Verwaltungsmaßnahmen vor. Ihr Schicksal war ein ungleiches. III. Verhältnismäßig bald wurde aus dem Entwurf eines Verwaltungsabkommens ein eigentlicher Staatsvertrag. Am 18. V. 1904 unterzeichneten ihn folgende S t a a t e n : Deutsches Reich, Belgien, D ä n e m a r k , Spanien, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Portugal, Rußland, Schweden, Norwegen, die Schweiz (RGBl. 1905, 695). Die Ratifizierung erfolgte von allen. Auf Grund der in Art. 7 offengehaltenen Möglichkeit sind beigetreten: ÖsterreichUngarn (RGBl. 1905, 705), Brasilien (RGBl. 1905, 705), die Vereinigten Staaten von Nordamerika (RGBl. 1908, 481) und Luxemburg (RGBl. 1911, 861). Vielfach gilt das Abkommen auch f ü r die Kolonien; so f ü r die früheren deutschen seit 1907 (RGBl. 1907, 721). Der mit dem Pariser Entwurf durchaus übereinstimmende Vertrag verpflichtet zunächst zur Einrichtung einer Nachrichtenbehörde (Art. 1). Im Deutschen Reich ist als solche die „ Z e n t r a l polizeistelle zur Überwachung des internationalen Mädchenhandels" bei dem Polizeipräsidium in Berlin eingerichtet worden. Sodann soll eine sorgfältige Beaufsichtigung der Verkehrswege und Stellenvermittler durchgeführt werden (Art. 2, 6). Endlich sind Vernehmungen aller ausländischen Pros t i t u i e r t e n und nötigenfalls ihre Heimschaffung vorgesehen (Art. 3). Auch die Kostenfragen sind geregelt (Art. 4, 5).
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anpassung — ist der Entwurf eines Rechtsabkommens (projet de convention) der Pariser Konferenz in etwas veränderter Form zum Staatsvertrag erhoben worden. Nach erneuter Durchberatung auf einer zweiten Pariser Konferenz vom 18. IV. bis 4. V. 1910 wurde er am 4. V. 1910 als „internationales Übereinkommen zur Bek ä m p f u n g des Mädchenhandels" von folgenden Staaten unterzeichnet: Deutsches Reich, Österreich-Ungarn, Belgien, Brasilien, Dänem a r k , Spanien, Frankreich, Großbritannien, Italien, die Niederlande, Portugal, Rußland, Schweden (RGBl. 1913, 31). Von der Mehrzahl der Staaten, insbesondere dem Deutschen Reich, ist die Ratifizierung erfolgt. Der Vertrag vereinbart im wesentlichen das Mindestmaß der f ü r erforderlich erachteten Strafbestimmungen (Art. 1, 2), die etwaige Anpassung der Strafgesetzgebung (Art; 3), die Mitteilung einschlägiger Gesetze (Art. 4), die Auslieferung (Art. 5), den Übermittlungsweg f ü r Ersuchungsschreiben (Art. 6; vom Deutschen Reich vorbehalten), den Strafnachrichtenaustausch (Art. 7) und die Möglichkeit des Beitritts anderer Staaten (Art. 8). Auf Grund des Art. 5 dieses Vertrages h a t das Deutsche Reich am 14. V I I I . 1912 ein „Ausführungsgesetz" (RGBl. 1913, 44) ergehen lassen, das die Auslieferung (s. d.) wegen der in Art. 1 und 2 des Vertrages bezeichneten Tatbestände des Mädchenhandels regelt. Diese Tatbestände gelten als ohne weiteres unter die auslieferungspflichtigen Verbrechen der deutschen Auslieferungsverträge mit denjenigen Staaten aufgenommen, die der Reichskanzler im Reichsgesetzblatt bekannt gibt. Als solche Staaten sind bisher bezeichnet: Großbritannien, die Niederlande, Spanien, englische und niederländische Kolonien, sowie Polen, Bulgarien und Uruguay (RGBl. 1913, 45, 764; 1914, 117; 1921, 1261, 1586). 5. Art. 282 des Friedensvertrags von Versailles (RGBl. 1919, S. 687) hat die Abkommen vom 18. V. 1904 und 4. V- 1910 dem Deutschen Reich gegenüber wieder , in Kraft gesetzt. Mit dem Mädchenhandel hat sich neuerdings auch der durch den Friedensvertrag ins Leben gerufene „ V ö l k e r b u n d " beschäftigt. Nach vorbereitenden Maßnahmen ist auf seine Veranlassung eine Konferenz zusammenberufen worden, die. in Genf vom 30. VI. bis 5. VII. 1921 tagte und auch vom Deutschen Reich beschickt war. Die Konferenz hat dem Völkerbund Vorschläge zur wirksameren Bekämpfung des Mädchenhandels gemacht.
Literatur: . IV. Wesentlich später erst — zum Teil Karl Hatzlg, Der Mädchenhandel (1900) in infolge der vielfach notwendigen Gesetzesder Ztschr. f. d. ges. Strafrechtswissensch.
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Mädchenhandel — Magellan-Meerenge 20, 511. — Emanuel ν . Ulimann, Z u r Frage der strafrechtlichen B e k ä m p f u n g des Frauenhandels (1904) in dem Gerichtssaal 64, 22. — Kitzinger, Die i n t e r n a t i o nalen Konventionen zur B e k ä m p f u n g des Mädchenhandels u n d d a s deutsche S t r a f recht (1907) in der Deutschen J u r i s t e n zeitung 12, 803. — Gustav Butz, Die B e k ä m p f u n g des Mädchenhandels im i n t e r nationalen Recht (Leipziger Diss. 1908). — Walther Petters, Der Mädchenhandel u n d seine B e k ä m p f u n g nach geltendem u n d zukünftigem Reichsstrafrecht (Heidelberger Diss. 1911). — Kitzinger, Ein neues Gesetz zur B e k ä m p f u n g des Mädchenhandels (1912) in d e r Deutschen J u r i s t e n z e i t u n g 17, 450. — Wolfg. Mettgenberg, Der Mädchenhandel im deutschen Auslieferungsrecht (1913) im Arch. d. öff. Rechts 31, 131. — Hachfeld, Der Mädchenhandel u n d seine B e k ä m p f u n g im Völkerrecht, 1913. Mettgenberg.
Madison-Doctrln s. Monroe-Doctrin. Magalhaenstraße s. Neutralisierung.
Magdalena Steam Navigation Co. v. Martin (1859)
liehen V e r j ä h r u n g s g r ü n d e n ein Satz des internationalen Rechts nicht modifiziert werden kann. Die Fiktionstheorie ist jedoch im J a h r e 1888 von den englischen Gerichten verlassen worden und m a n h a t sich dem Völkerrecht der anderen S t a a t e n genähert. Im Falle T h e N e w C h i l e G o l d M i n i n g Co. v. B l a n c o t r a t zum ersten Male an die englischen Gerichte die Frage h e r a n , ob auch Klagen gegen Gesandte, die nur bei einer dritten Macht und nicht bei England akkreditiert sind, abgewiesen werden müssen aus Gründen der E x t e r r i t o r i a l i t ä t dieser Gesandten auch in E n g l a n d . Wir sehen hier die R ü c k k e h r zu dem richtig verstandenen Grotius u n d zugleich die E r richtung einer Theorie, die wir die „ U n i v e r s a l t h e o r i e " nennen m ö c h t e n . Sir Walter Phillimore statuiert, d a ß aus dem Satze des Grotius „ o m n i s coactio a legato abesse d e b e t " nicht auf eine E x t e r r i t o r i a l i t ä t zu schließen ist, sondern auf den allgemeinen Schutz des Gesandten nach völkerrechtlichen Gesichtspunkten: t h e principle is a g e n e r a l one of international law which a l l nations should observe. Phillimore bezieht sich sodann auf die Fälle T h e Caroline 2 Rob. 460 (Lord Stowell) und T r e n t (1800 und 1861). Zur A u f r e c h t e r h a l t u n g einer solchen liberalen P r a x i s erfolgte d a n n 1894 die notwendige E r g ä n z u n g dahingehend, daß, solange sich der Gesandte im Lande befindet und a k k r e d i t i e r t ist, die Verjährungsfristen ( S t a t u t e of Limitations) nicht gegen den Gläubiger zu laufen beginnen.
ist der grundlegende Fall des neueren englischen Völkerrechts über die E x t e r r i t o r i a l i t ä t der Gesandten (s. d.). Die Frage war, ob der Gesandte eines mittelamerikanischen Staates, Martin, der bei der britischen Regierung akkrediert war, der keinen G r u n d besitz im Lande besaß u n d nichts u n t e r Literatur: n o m m e n h a t t e , wodurch er seiner völker- Magdalena Steam Navigation Co. versus rechtlichen Sonderstellung h ä t t e verlustig Martin, 2 Ellies & Ellies 111. — The Times, gehen können, vor einem englischen GerichtsJ a n e 15, 1859. — The New Chile GoM höfe f ü r eine persönliche Schuld, die er Mining Co. versus Blanco, 4 Τ. LR. 346. — The Times, Feb. 21, 1888. — Musurus a n e r k a n n t e r m a ß e n bei einer englischen H a n Bey versus Gadban, 1 Q. B. 535 (1894). delsfirma eingegangen war, verklagt werden Μ. H . S c h m i t t . konnte. Lord Campbell, der R . c h t e r von Queen's Bench, stellte sich auf den extremen S t a n d p u n k t der aus einem Mißverständnis Magellan-Meerenge. einer Stelle bei Grotius herrührenden F.ktionstheorie, nach welcher Auffassung der GeDie Magellan-Meerenge unterliegt als sandte völlig „ i m A b s e n d e s t a a t " verbleibt. natürliche Verbindungsstraße zweier W e l t Das S t a t u t 7 Anne c. 12 ist die Grundlage meere dem G r u n d s a t z der absoluten Schiffdieser Auffassung und schützt selbst handel- f a h r t s f r e i h e i t (s. A r t . Meeresengen). Die treibende Gesandte gegen Klagen aus H a n - Ufer der Magellan-Meerenge gehören auf delsgeschäften; dies ist eine weitergehende beiden Seiten zu Chile, m i t A u s n a h m e eines Exterritorialität, als sie in anderen Ländern kleinen Teils des Nordufers zwischen K a p rechtens ist. Zudem erfolgte die E a t s c h e i - 1 Vierges u n d K a p Dungeness, der argentinisch dung des Richters aus dem J a h r e 1859 m i t ist. Die Breite der Meerenge s c h w a n k t ausdrücklicher Bezugnahme auf die E , n - zwischen 3 u n d 40 k m . Sowohl Chile als wendung des Klägers, d a ß die Klage schon Argentinien bemessen die A u s d e h n u n g des u m deswillen zuzulassen sei, um den Lauf K ü i t e n m e e r e s an den Ufern ihres S t a a t s der Verjährungsfristen zu unterbrechen. Der gebietes dem vorherrschenden i n t e r n a t i o n a l e n Richter verteidigt somit die völkerrechtliche Brauche folgend, grundsätzlich auf 3 SeeMaxime, daß mit ausschließlich zivilrecht-: meilen (Cod. civ. Chil. 593, Cod. civ. Arg.
Magellan-Meerenge 2340). W ä h r e n d des Weltkrieges wurden jedoch durch Verordnung der chilenischen Regierung vom 15. X I I . 1914 (Nr. 1986) die Gewässer der Magellan-Meerenge hinsichtlich der N e u t r a l i t ä t schlechthin zu Hoheitsgewässern erklärt, also auch dort, wo der Uferabstand 6 Seemeilen übersteigt. Dieses Vorgehen Chiles war völkerrechtlich zulässig, weil auch die breiteste Stelle der Straße noch innerhalb der Zone der Beherrschungsmöglichkeit liegt (s. A r t . K ü s t e n meer). Es konnte jedoch n u r die B e d e u t u n g haben, d a ß die chilenische N e u t r a l i t ä t sich auf den ganzen U m f a n g der MagellanMeerenge erstreckte; an dem allgemeinen völkerrechtlichen Grundsatz der freien D u r c h f a h r t , der auch f ü r Kriegsschiffe in Kriegszeiten gilt, k o n n t e hierdurch nichts geändert werden. Der jahrzehntelange Streit, den Argentinien und Chile über den Verlauf der Grenzlinie zwischen beiden S t a a t e n f ü h r t e n , erstreckte sich auch auf das Gebiet der Magellan-Meerenge. Bereits vor Klärung der Grenzfrage selbst wurde durch den A r t . 5 des zwischen beiden S t a a t e n geschlossenen Abkommens vom 24. V I I . 1881 bezüglich der Magellan-Meerenge folgendes v e r e i n b a r t ( T e x t nach dem unten zitierten Buche von A b r i b a t , spanischer U r t e x t : Martens, N o u v . Ree., 2 m . s£r., t . X I I , 491): Le d i i r o i t de Magellan demeure n e u t r a l i s t ä perpötuitö e t sa libre navigation est assurde a u x pavilions de toutes les nations. Afin d'assurer le respect de cette l i b e r t i et de cette n e u t r a l i t i , il ne sera construit sur ses cötes, ni fortifications, ni ouvrages de döfense militaire, qui puissent contrarier ce b u t .
wird er im letzten Falle praktisch wohl nicht geltend g e m a c h t werden.) Die Befriedung bezieht sich n u r auf die Meerenge, soweit sie als i n t e r n a t i o n a l e Verkehrsstraße dient, nicht auf Seitenkanäle und Verzweigungen. U n t e r s t ü t z t wird die Abrede der Befriedung durch ein B e f e s t i g u n g s v e r b o t : an den Ufern der Meerenge dürfen keine Befestigungen oder militärische Anlagen errichtet werden. S i n n g e m ä ß ist dieses Verbot auf solche Anlagen zu erstrecken, die landeinwärts gelegen m i t ihren Geschützen die Meerenge noch würden beherrschen k ö n n e n . Die U n z w e c k m ä ß gkeit dieser ganzen Regelung liegt auf der H a n d . Aus der D ktion des oben zitierten Vertragsartikels geht deutlich hervor, d a ß Argentinien u n d Chile die Absicht h a t t e n , m i t jener Bes t i m m u n g die Sch:ffahrtsfreiheit möglichst sicherzustellen. Diesem Zwecke l ä u f t die Befriedung teilweise durchaus zuwider. Die A u f r e c h t e r h a l t u n g der Sch f f a h r t s f r e i h e i t in Kriegszeiten würde u n t e r U m s t ä n d e n gerade eine Verteidigung gegen eine in Μ ß a c h t u n g dieses Grundsatzes m i t kriegerischer Gewalt in der Meerenge a u f t r e t e n d e Macht erforderlich m a c h e n . Das Ziel, das den Verfassern des chilenisch-argentinischen Vertrages vorschwebte, wäre zu erreichen d u r c h ein Kollektivabkommen beider S t a a t e n und der wichtigsten Seemächte. E r s t ein solches würde — nach herrschender Meinung — auch die l e t z t g e n a n n t e n binden. Es läßt sich freilich — u. E. nicht ohne Berechtigung — auch die Auffassung v e r t r e t e n , d a ß das chilenisch-argentinische Übereinkommen als einer von den örtlich Zunächst beteiligten S t a a t e n nicht n u r im eigenen, sondern auch im allgemeinen Interesse getroffenen völkerrechtlichen Satzung, nicht n u r f ü r diese selbst, sondern schlechthin f ü r alle beteiligten Mächte Geltung innewohne, es sei d e n n , d a ß sie ihr ausdrücklich widersprochen hätten. Es h a n d e l t sich um das Problem der Möglichkeit völkerrechtlicher Vereinbarungen zu Gunsten oder zu Lasten D r i t t e r , dessen E r ö r t e r u n g an dieser Stelle n i c h t möglich ist.
Sofern hier die Freiheit der internationalen S c h i f f a h r t bedungen wird, h a n d e l t es sich n u r um die Bestätigung eines ohnehin geltenden Rechtsgrundsatzes. Die d a u e r n d e Neutralisierung ist nach der heutigen d e u t schen Terminologie nicht als Neutralisierung i. e. S., sondern als Befriedung a n z u s e h e n d die Vertragsparteien verpflichten sich gegenseitig, das Gebiet der Meerenge niemals zum S c h a u p l a t z kriegerischer H a n d l u n g e n zu m a c h e n . Eine derartige Abrede bindet u n d berechtigt nach herrschender Meinung ledigLiteratur: lich die Vertragschließenden: Chile und Abribat, Le ddtroit de Magellan au p o i n t Argentinien können zwar voneinander die de vue i n t e r n a t i o n a l , 1902. — Alvarez, Unterlassung von Kriegsoperationen in jenem La g r a n d e guerre E u r o p i e n n e et la n e u Gebiet fordern, nicht aber von einer d r i t t e n tralitö du Chili, 1915. — Nys, Droit Macht. Dieser Anspruch auf Unterlassung international 1912, Bd. I, S. 51 I f f . — kriegerischer M a ß n a h m e n besteht, formell Pradier-Fod6r£, T r a i t έ de droit i n t e r national public, 1906, Bd. V I I I , No. 3106, b e t r a c h t e t , nicht n u r in einem Kriege — v. Liszt, Völkerrecht 1918, S. 292. — zwischen den Vertragsparteien, sondern — Kranel, N e u t r a l i t ä t , Neutralisation u n d nach dem unzweideutigen W o r t l a u t — auch in Β f r i e d u n g im Völkerrecht, 1915, S. 78f. — einem Kriege zwischen einem oder beiden KonRoxburgh, International Conventions a n d t r a h e n t e n u n d einer d r i t t e n Macht. (Freilich Third States, 1917, S. 61ff. — ( D a s
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Magellan-Meerenge — Maingau, dessen Besetzung englische Prisenurteil über das in der Magellan-Straße a u f g e b r a c h t e norwegische Schiff „ G r a n g o r " [Lloyds Prize Cases, Bd. V, S. 308] l ä ß t die Frage nach der Berechtigung der von Chile b e a n s p r u c h t e n A u s d e h n u n g der K ü s t e n m e e r z o n e offen, d a es aus anderen Gründen zu einer Verurteilung gelangt.) Vorwerk f.
Maingau, dessen Besetzung. I. In seiner Note vom 7. IV. 1920 h a t Frankreich u n t e r Hinweis auf die einschlägigen Bestimmungen des Versailler Friedensvertrages seinen E i n m a r s c h in den Meingau u n d die Besetzung der S t ä d t e F r a n k f u r t a/M., Offenbach a/M., H a n a u , D a r m s t a d t d a m i t zu rechtfertigen gesucht, d a ß Deutschland im R u h r g e b i e t eine größere T r u p p e n z a h l zur U n t e r d r ü c k u n g des roten Terrors habe a u f marschieren lassen, als nach dem Friedensvertrage zulässig gewesen sei. Bereits am Tage v o r h e r h a t t e die deutsche Regierung ihrerseits darauf hingewiesen, daß es sich hier um eine polizeiliche M a ß n a h m e gehandelt habe, die im Interesse der Wiederherstellung der O r d n u n g im Reiche, das durch das Wiederaufflackern des Bolschewismus b e d r o h t gewesen sei, als notwendig habe angesehen werden müssen. II. Die deutsche Auffassung scheint auf das Vorliegen eines völkerrechtlichen N o t standes abzustellen. Es ist eine im Völkerrecht noch bis auf den heutigen T a g nicht zum endgültigen A u s t r a g gelangte Streitfrage, ob im Völkerrecht ein eigentliches N o t r e c h t a n e r k a n n t werden darf oder nicht (s. Notrecht). Die Zweifelsfrage, ob ein wirkliches N o t recht besteht, h a t f ü r den vorliegenden Fall deswegen keine weitergehende Bedeutung, weil jedenfalls auch von den Gegnern eines solchen das Bestehen eines Grundrechtes der Selbsterhaltung a n e r k a n n t wird, das sich von dem N o t r e c h t hauptsächlich dadurch unterscheidet, d a ß es schwerere Voraussetzungen f ü r die Zulässigkeit des Verstoßes gegen einen Völkerrechtssatz, ζ. B. den Satz von der Heiligkeit der Verträge, aufstellt. Denn w ä h r e n d das N o t r e c h t einen Verstoß schon bei Gefährdung gewisser wichtiger Lebensgüter nach Lage der S t a a t e n p r a x i s zuläßt, verlangt das Selbsterhaltungsrecht eine Bedrohung der staatlichen Existenz, d. h. also eine solche Bedrohung, bei der die Vernichtung des Staatsgebietes, des Staatsvolkes oder der S t a a t s g e w a l t in Frage k o m m t . Dabei ist in jedem Fall Voraussetzung, d a ß es sich u m eine schwere, bereits eingetretene oder u n m i t t e l b a r e bevorstehende, nach objektiver
B e t r a c h t u n g auf andere Weise nicht a b w e n d bare Gefahr handeln m u ß . Man kann sich f ü r einen solchen N o t s t a n d kaum ein praktischeres Beispiel denken, als die Lage im Ruhrgebiet. Die Gefahr w a r bereits eingetreten: Eine große rote Armee war gebildet, die das Land verheerte u n d den bolschewistischen Schrecken m i t dem Ziele der Errichtung der R ä t e r e p u b l i k , also des Sturzes der Staatsgewalt, über g a n z Deutschland zu verbreiten suchte. Hier half n u r Militärgewalt, ein anderes Mittel gab es nicht und zwar war es, zumal bei der widerstrebenden H a l t u n g Frankreichs, Gebot der S t u n d e , auch ohne Z u s t i m m u n g der S i g n a t a r m ä c h t e des Versailler Friedens sofort zu handeln. III. Aber auch wenn m a n aus theoretischen Bedenken oder aus sonstigen ein Notrecht, das sonst bestehende Rechtswidrigkeit a u f h e b t (hier lag die Rechtswidrigkeit in der Verletzung von Art. 42, 43 des Friedens von Versailles vor) im gegebenen Falle nicht a n n i m m t , stellt sich doch das französische Verhalten als völkerrechtswidrig dar. Ein S t a a t kann gegen die Verletzung eines Vertrages, also gegen ein völkerrechtliches Delikt, zweifellos auch m i t Krieg reagieren und eine kriegerische H a n d l u n g lag unzweifelh a f t in dem französischen Einmarsch in den Maingau. Denn nachdem der Friedensv e r t r a g im Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland am 10. I. 1920 in K r a f t getreten war, war das unbesetzte Gebiet unverletzlich. W a r die H a n d l u n g F r a n k reichs kriegerisch, so war sie d a r u m doch kein Krieg, denn ein solcher setzt den auf Krieg gerichteten Willen der beiden oder mindestens einer Partei voraus (s. Kriegsbegriff). Aber weder Deutschland, noch Frankreich haben einen juristischen Kriegswillen gehabt. Von deutscher Seite h a t m a n vom ersten Augenblick an in d e r Besetzung einen Rechtsbruch gesehen, wäh^ rend m a n von französischer wohl an ein U n t e r p f a n d oder das R e c h t s i n s t i t u t der Repressalie gedacht h a t . Beide Auffassungen unserer G e g n e r sind rechtlich u n z u t r e f f e n d . Ein P f a n d kann regulärer Weise n u r v e r traglich genommen werden (s. v. Garantie): darauf (vgl. den Versailler Friedensvertrag, A r t . 428ff.) beruht die Besetzung des linken Rheinufers s a m t Brückenköpfen. Gerade f ü r den Fall, der hier in B e t r a c h t k o m m t , nämlich f ü r eine Verletzung des Art. 43, der die A n s a m m l u n g von deutschen T r u p p e n in der neutralen Zone verbietet, e n t h ä l t aber A r t . 44 eine besondere Vorschrift. Denn dieser b e s t i m m t : „ J e d e r etwaige Verstoß Deutschlands gegen die Bestimmungen der A r t . 42 und 4 3
Maingau, dessen Besetzung — Majorisierung im Völkerrecht gilt als eine feindliche H a n d l u n g gegen die S i g n a t a r m ä c h t e des gegenwärtigen Vertrags und als ein Versuch der Störung des W e l t friedens." D a m i t wird aber zurückverwiesen auf A r t . 11 des Friedensvertrages, in dem es ausdrücklich heißt, d a ß jeder Krieg und jede Bedrohung m i t Krieg eine Angelegenheit des ganzen Völkerbundes ist, und d a ß dieser die zum wirksamen Schutz geeigneten M a ß n a h m e n zu ergreifen h a t (s. v. Völkerbund). Weiter e n t h ä l t A r t . 12 die obligatorische Pflicht der Bundesmitglieder, alle Streitigkeiten zwischen ihnen, die zu einem Bruche f ü h r e n könnten, der Schiedsgerichtsbarkeit oder einer P r ü f u n g durch den Völkerb u n d zu unterwerfen. D a m i t wird einer einseitigen kriegerischen H a n d l u n g eines Völkerbundsstaates die Spitze abgebrochen, so d a ß Frankreich gegen diese Vorschriften seinerseits verstoßen h a t . IV. N u n spielt zwar im Völkerrecht die Repressalie eine große Rolle. Sie bedeutet den völkerrechtlich erlaubten Verstoß gegen irgendeinen Völkerrechtsschutz wegen vorausgegangenen Verstoßes gegen einen Völkerrechtssatz durch d e n S t a a t , dem gegenüber Repressalie geübt wird (s. v. Repressalie). Es w ü r d e also an sich der formelle Verstoß gegen A r t . 43 des Versailler Friedensvertrages vollkommen ausreichen, um eine Repressalie zu rechtfertigen u n d die vorübergehende A u ß e r k u r s s e t z u n g des Satzes von der Unverletzlichkeit f r e m d e n Staatsgebiets wäre juristisch gerechtfertigt. Aus doppelten Gründen aber w a r eine Repressalie seitens F r a n k r e i c h s ausgeschlossen: einmal im Hinblick auf A r t . 44, der in Verbindung m i t A r t . 11 und 12 gerade f ü r diesen konkreten Fall das anzuwendende Verfahren vorschrieb, zum anderen aber d a d u r c h , d a ß eine Repressalie im Hinblick auf eine Verletzung des Friedensvertrages entweder n u r durch die G e s a m t h e i t unserer Vertragsgegner oder durch ein ζ. B. Frankreich auf Grund eines diesem von jenen erteilten M a n d a t e s ausgeübt werden konnte. Denn Vertragspartei des Versailler Friedens ist auf der einen Seite die Gesamtheit der alliierten und assoziierten Mächte, auf der anderen Seite das Deutsche Reich. V. Das französische Verfahren stellt in jedem Fall, sei es als u n e r l a u b t e M a ß n a h m e gegen unser N o t r e c h t , sei es als u n e r l a u b t e Vornahme einer Repressalie u n t e r Nichtb e a c h t u n g von A r t . 11, 12, 14 des Versailler Vertrages einen völkerrechtswidrigen Verstoß Deutschland gegenüber dar. Denn wenn Deutschland auch noch nicht Mitglied des Völkerbundes ist, so besteht doch die Verp f l i c h t u n g der A r t . 11 und 12 nicht n u r im
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Verhältnis Frankreichs zu seinen übrigen Alliierten, sondern auch zu D e u t s c h l a n d : das folgt aus dem Wesen und Begriffe der Vereinbarung (s. d.). Strupp.
Majorisierung im Völkerrecht. Die S t a a t e n stehen sich als unabhängige, keiner höheren Gewalt unterworfene Gemeinwesen gegenüber. Die von mehreren S t a a t e n gefaßten Beschlüsse sind deshalb n u r f ü r die zustimmenden, nicht f ü r andere S t a a t e n verbindlich: Londoner Seekriegsrechtsdeklaration 26. II. 1909 Art. 70. Das Mehrheitsprinzip gilt im S t a a t e n v e r k e h r nicht. Ausnahmen kamen zuerst in S t a a t e n bünden vor. Über die schweizerische E n t wicklung vgl. Redslob 279—311, 358—59. Die Bundesversammlung des Deutschen Bundes f a ß t e sowohl als engerer Rat wie als Plenum ihre Beschlüsse m i t einfacher bzw. Zweidrittelmehrheit. Einstimmigkeit war erforderlich zu Beschlüssen über Ann a h m e neuer oder A b ä n d e r u n g bestehender Grundgesetze, über organische Bundeseinrichtungen, A u f n a h m e neuer Mitglieder und Religionsangelegenheiten (Bundesakte 7, Schlußakte 11—15). Vgl. Konföderationsartikel der Vereinigten Staaten vom 4. X . 1776, A r t . 10, 14 4 (Martens, Recueil II (2), 486). — Mit S t i m m e n m e h r h e i t werden sodann die Entscheidungen der Schiedsgerichte und anderer internationaler Gerichte gefaßt (12. H a a g e r Abkommen 1907 über die E r r i c h t u n g eines internationalen Prisengerichtshofs, A r t . 43). Mit Stimmenmehrheit beschließen einige internationale Verwaltungskommissionen und Ä m t e r ; doch erstreckt sich ihre Befugnis im allgemeinen n u r auf die laufende V e r w a l t u n g : Meterkonvention, 20. V. 1875, Reglement, A r t . 12 (Fleischmann, Völkerrechtsquellen 132), Telegraphenverein 22. V I I . 1875, A u s f ü h r u n g s reglement, A r t . 84 (ebenda 137), Weltpostverein 26. V. 1906, Art. 26, Z. 3 (RGBl. 1907, S. 623—24), Zuckerkonvention 5. III. 1902, Art. 7 (Fleischmann 328), griechisches Kontrollgesetz 10. III. 1898, Art. 3 (Strupp, Urkunden II, 20), Algecirasakte 7. IV. 1906, Art. 76, 104 (ebenda 59, 64), Sanitätskonvention 3. X I I . 1903, Art. 170 (ebenda 406). Nach der Rheinschiffahrtsakte 17. X . 1868, A r t . 46 (ebenda I, 319) werden die Beschlüsse der Zentralkommission zwar m i t Stimmenmehrheit gefaßt, erlangen aber W i r k samkeit erst nach Genehmigung durch die Regierungen. — Bei der Rechtsetzung ist das Einstimmigkeitsprinzip bis auf die neueste Zeit u n a n g e t a s t e t geblieben. Allerdings wurden einzelne, auf der 2. Haager
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Majorisierung im Völkerrecht — Malatesta (Auslieferungsfall)
Friedenskonferenz 1907 vereinbarte Abkommen als Konferenzbeschlüsse behandelt, obwohl sie n u r nahezu einstimmig, von einigen S t a a t e n zudem m i t Vorbehalten a n g e n o m m e n waren. Verbindliche K r a f t erlangten sie aber n u r f ü r die ratifizierenden Mächte, so d a ß von einer Ü b e r w i n d u n g des Einstimmigkeitsprinzips n i c h t die Rede sein kann. Neue B a h n e n schlug der Versailler F r i e d e n s v e r t r a g 1919 e i n : a) er sieht f ü r viele wichtige Angelegenheiten Entscheidung durch S t i m m e n m e h r h e i t v o r : f ü r bestimmte Beschlüsse des Völkerbundes (Art. 1, 4, 5, 6, 15, 26, 50 Anl. § 40, Art. 213) und der eingesetzten Regierungskommissionen (Art. 50 Anl. §§ 19, 33, Art. 65, 88 Anh. § 7, Art. 95, 97, 109), f ü r Grenzfestsetzungen (Art. 35, 48, 83, 87, 111), f ü r Entscheidungen der Wiedergutmachungskommission (Art. 244 Anl. II § 13, cfr. § 22) und der Konferenz zur Organisation der Arbeit (Art. 402, 403, 422). — b) In einer Reihe weiterer Fälle hält der Friedensvertrag zwar am Erfordernis der Einstimmigkeit fest, erklärt aber einen einstimmigen Beschluß der in der betr. Sitzung vertretenen S t a a t e n f ü r hinreichend, so d a ß die nicht vertretenen Mächte durch diesen Beschluß gebunden sind. Das gilt für gewisse Flußschiffahrtskommissionen (Art. 340, 341, 346, 355) und — soweit nichts anderes bestimmt, insbesondere ein Mehrheitsbeschluß nicht f ü r genügend erklärt ist — , f ü r alle Entscheidungen der Bundesv e r s a m m l u n g u n d des Rates des Völkerbundes (Art. 5 Abs. 1). Vgl. D o n a u a k t e 13. VII. 1921, A r t . 35. In der internationalen Luftschiffahrts- und in der Meerengenkommission haben die Großmächte mehr j Stimmen als die übrigen Mitglieder. Die Beschlüsse werden in jener teils m i t einfacher, teils m i t % oder */s Mehrheit, in dieser m i t einfacher Mehrheit gefaßt, doch bedürfen Abänderungen des A b k o m m e n s der Zustimmung der Verbandsmächte. [ I n t e r n a t . L u f t r e c h t s a b k o m m e n 13. X. 1919, 4 Art. 34, 37 , 42, Zeitschr. f ü r i n t e r n a t . Recht 2 9 , 1 M , Friedensvertrag von Sfevres 10. V I I I . 1920 A r t . 40 u. Anl. § 1.] In Z u k u n f t wird mithin die Majorisierung eine größere Rolle im Völkerrecht spielen. Einzelne Autoren haben freilich schon f r ü h e r die Zulässigkeit einer Majorisierung von S t a a t e n b e h a u p t e t , meist u n t e r B e k ä m p f u n g ihrer Gleichberechtigung; vgl. „Gleichberechtigung der S t a a t e n " . Allerdings: wenn die Großmächte einen N e u s t a a t a n e r k a n n t oder eine neue Rechtsnorm vereinbart haben, so werden die übrigen Staaten ihnen oft folgen, obwohl die Großmächte keine Mehrheit sind. D a ß die übrigen Staaten hierzu
verpflichtet, richtiger: d a ß sie ohne A n erkennung bzw. B e i t r i t t gebunden sind, h a t aber noch niemand erwiesen. Tatsächliche F ü h r u n g u n d rechtliches Übergewicht sind verschiedene Dinge. Die allgemeine E i n f ü h r u n g des Majoritätsprinzips wäre der erste S c h r i t t zur U m w a n d l u n g des Völkerrechts in ein W e l t - B u n d e s s t a a t s r e c h t . Als E t a p p e auf dem Wege zum Mehrheitsprinzip kann m a n es bezeichnen, wenn einzelnen mächtigen S t a a t e n ein d a u e r n d e r Sitz in einer Kommission eingeräumt wird, w ä h r e n d andere, m i n d e r mächtige S t a a t e n n u r a b wechselnd als Mitglieder zugelassen w e r d e n , so in dem von der 2. H a a g e r F r i e d e n s konferenz geplanten internationalen Prisengerichtshof und im R a t des Völkerbundes. In anderer Weise k o m m t das Mehrheitsprinzip bei den Volksabstimmungen z u r Geltung. Vgl. „ P l e b i s z i t e " . Literatur: v. Gierke, Über die Geschichte des M a j o r i t ä t s prinzips, Essays in legal h i s t o r y read before the i n t e r n a t . congress of historical studies held in London 1913, Oxford 1913. — Hicks, American J o u r n a l of i n t e r n a t . law II, 530ff. — v. Holtzendorff, R u m ä n i e n s Uferrechte an der D o n a u , Leipzig 1883. — Huber, J a h r b u c h des öffentlichen Rechts II, 4 7 0 f f . , Festgabe des Auslands zu Kohlers 60. G e b u r t s t a g , S t u t t g a r t 1909, 8 8 f f , Gierke-Festschrift, W e i m a r 1911, 817ff. — Krabbe, Die m o d e r n e Staatsidee, H a a g 1919. — Lawrence, Principles (4) 268ff. — v. Liszt, Berliner Festgabe f ü r Gierke zum D o k t o r j u b i l ä u m , Breslau 1910. — Nelson, Die R;chtswissenschaft ohne Recht, Leipzig 1917. — Nys, R D J . 2. Ser., I, 273ff. — Oppenheim, Binding-Festschrift, Leipzig 1911, I, 169 ff. — Redslob, Das Problem des Völkerrechts, Leipzig 1917. — Schoen, Archiv f ü r Rechts- u n d W i r t s c h a f t s p h i l o sophie V I I I , 300, 307ff. — Schücklng, Das W e r k vom H a a g I, München-Leipzig 1912. — Somlö, Juristische Grundlehre, Leipzig 1917. — Streit, R D J . 2. Ser., II, 5 f f . — VerdroB, Zeitschr. f. i n t e r n a t . Recht X X I X , 65ff. Heilborn.
Malatesta (Auslieferungsfall). I. Der italienische Staatsangehörige Enrico Malatesta w u r d e am 29. IV. 1879 vom schweizerischen Bundesrat wegen anarchistischer U m t r i e b e aus der Schweiz nach Italien ausgewiesen. Er nahm 1881 an dem u n t e r Leitung K r a p o t k i n s in London abgehaltenen Sozialrevolutionären Kongreß teil und erstrebte m i t anderen durch V e r k ü n d u n g der P r o p a g a n d a der T a t in Italien die Revolution und die Anarchie. Infolgedessen wurde er wegen Teilnahme an einer Verbrecherverbindung m i t dem Zwecke, Ver-
Malatesta (Auslieferungsfall) — Malta
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gehen gegen Personen und Eigentum zu Da sie ihre Ziele, die Beseitigung der beverüben (Art. 426, 429 des sardischen stehenden politischen Gewalten u n d andere Strafgesetzbuchs von 1859) u n t e r An- Verteilung der wirtschaftlichen Güter, wie klage gestellt. Das korrektioneile Gericht nach den vorliegenden Urteilen angenommen in Rom verurteilte ihn und sieben andere werden m u ß , nicht etwa n u r auf dem Wege am 1. II. 1884 zu 3 J a h r e n Gefängnis; friedlicher P r o p a g a n d a , sondern auf dem der Appellhof ermäßigte am 30. X I I . die Wege der Gewalt zu erreichen s t r e b t , so ist Strafe auf 2 J a h r e Gefängnis und 6 Monate allerdings anzuerkennen, d a ß ihr Zweck die Polizeiaufsicht. Ein Kassationsgesuch wurde Begehung von Verbrechen gegen Personen u n d im April 1885 verworfen. Da Malatesta Eigentum involviert. Allein d a f ü r , d a ß es dabei sich der Strafvollstreckung durch die Flucht auf die Verübung gemeiner, m i t einem auf entzog, erließ der P r o k u r a t o r in Rom am politische Zwecke gerichteten U n t e r n e h m e n 4. V. 1885 H a f t b e f e h l gegen ihn. Malatesta gar nicht oder n u r locker z u s a m m e n h ä n g e n d e r ging t r o t z des eidgenössischen Ausweisungs- Verbrechen abgesehen sei, liegt nicht das befehls wieder in die Schweiz, wurde in mindeste vor. Die P r o p a g a n d a der T a t , L u g a n o in der N a c h t vom 11. zum 12. VI. welche die Gesellschaft bis jetzt entwickelt 1891 festgenommen und wegen B a n n b r u c h s h a t , beschränkt sich auf Aufreizungen zum m i t 45 T a g e n Gefängnis u n d 50 Fr. Buße A u f r u h r durch Verbreitung a u f r ü h r e r i s c h e r b e s t r a f t . U n t e r Berufung auf A r t . 2 letzter Proklamationen und Aufhissen revolutioA b s a t z des schweizerisch-italienischen Ausnärer F a h n e n ; sie bewegt sich also d u r c h a u s lieferungsvertrags vom 22. V I I . 1868 bea n t r a g t e der italienische Gesandte am 24. VI. in der Bahn politischer und nicht in der1891 seine Auslieferung an Italien. Malatesta jenigen gemeiner Delikte, und es berechtigt w a n d t e ein, d a ß er keiner „association de nichts zu der A n n a h m e , d a ß die Gesellschaft m a l f a i t e u r s " im Sinne des Auslieferungs- in T a t und W a h r h e i t ein anderes bezweckte. vertrags, also einer Verbindung, welche Sie erscheint vielmehr nach allem, was die Begehung von auslieferungspflichtigen gegenwärtig vorliegt, durchaus als eine S t r a f t a t e n bezweckte, angehört habe, u n d revolutionäre politische V e r b i n d u n g ; da sie d a ß der Verurteilung jedenfalls eine poli- den gewaltsamen U m s t u r z der bestehenden und tische S t r a f t a t zugrunde liege. Das schweize-1 gesetzlichen Ordnung vorzubereiten rische Bundesgericht e r k a n n t e am 11. IX. durchzuführen bezweckt, so sind ihre Zwecke 1891, d a ß die Auslieferung nicht bewilligt allerdings rechtswidrige; allein die Verbrechen, deren Begehung sie bezweckt, sind werden könne. nicht gemeine, sondern politische." II. Es b e t o n t e z u n ä c h s t , die association III. Malatesta wurde wiederum aus der de m a l f a i t e u r s umfasse auch die bloße Schweiz ausgewiesen. Die E n t s c h e i d u n g Angehörigkeit zu einer Verbindung m i t der der Auslieferungsfrage liegt zeitlich vor dem Z w e c k b e s t i m m u n g , die im Auslieferungs- schweizerischen Auslieferungsgesetz vom v e r t r a g verzeichneten S t r a f t a t e n zu b e g e h e n ; ' 22. I. 1892, das allerdings auf bestehende gleichgültig sei, ob die Verbindung bereits vertragliche Verpflichtungen ohne u n m i t t e l zur VerÜbung oder zum Versuch derartiger baren E i n f l u ß ist, s t e h t aber in b e m e r k e n s Verbrechen g e f ü h r t h a b e . D a ß nach schwei- wertem Gegensatz zu späteren E r k e n n t n i s s e n zerischem S t r a f r e c h t der dem italienischen desselben Gerichts, insbesondere im Falle Recht e n t n o m m e n e besondere T a t b e s t a n d Jaffei von 1901 (s. d.). der Verbrecherverbindung (associazione per Literatur: delinquere) vielfach als bloße VorbereitungsEntscheidungen des Schwelzerischen Bundesh a n d l u n g straflos bleiben müsse, also die gerichts aus dem Jahre 1891 (Amtliche sonst übliche Bedingung beiderseitiger StrafS a m m l u n g ) , Bd. 17, S. 450. — J. Langbarkeit nicht erfüllt sei, beseitige die Aushard, Das schweizerische AuslieferungsIieferungspflicht nicht. Dagegen stehe recht (Bern 1910), S. 51, 72. A r t . 3 des V e r t r a g s : „ L ' e x t r a d i t i o n ne sera Mettgenberg. j a m a i s accordie pour les crimes ou d61its politiques" der Auslieferung entgegen. ,,Die Malmedy s. Eupen. V e r b i n d u n g , wegen deren Mitgliedschaft der Requirierte b e s t r a f t worden ist, beMalta, zweckt nach der Darstellung der ergangenen britische Besitzung im Mittelmeer, wurde Strafurteile den U m s t u r z der bestehenden im J a h r e 1090 durch Graf Roger von Sizilien staatlichen und gesellschaftlichen Ordnung, den Arabern entrissen u n d erhielt eine Volksu m an deren Stelle ein anderes politisches v e r t r e t u n g (consiglio popolare), die, aue und wirtschaftliches System, dasjenige der e r n a n n t e n Vertretern des Adels und des „ A n a r c h i e " zu setzen; deren ausgesprochener Klerus u n d gewählten Abgeordneten des Zweck ist also zweifellos ein politischer. Volkes zusammengesetzt, bis zum J a h r e 1775
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Malta — Mandatbegriff in den Friedensverträgen
bestanden h a t . Im J a h r e 1530 k o m m t die ! Vertreter. Der gesetzgebende R a t besteht Insel in den Besitz Kaiser Karls V., der sie : aus dem Gouverneur, 6 Beamten u n d 14 genebst Gozo, als König von Sizilien und wählten Mitgliedern. Von letzteren werden Souverän der Inselgruppe, dem J o h a n n i t e r - 4 n u r durch Spezialwähler m i t besonderer o r d e n zum ewigen Lehen gibt, der 1522 Qualifikation gewählt (Klerus, Adel, Univon den Türken aus Rhodos vertrieben versität und Handelskammer). Geldbewilworden war. Die französische Revolution ! Iigungen werden n u r von den gewählten n i m m t diesem Malteserorden seine h a u p t - Mitgliedern des Rates erteilt. Weitergehende sächlich aus französischen Quellen s t a m m e n - Ansätze zur Selbstverwaltung finden sich den E i n n a h m e n , wie auch kurz nachher in der Gerichts- und der Zivilbeamtensein E i g e n t u m in Spanien und Italien se- ernennung, die beide nur m i t Maltesern questriert wird. Napoleon I. erobert 1798 besetzt werden dürfen. Schwierige Streitauf dem Wege nach Ägypten die Insel fragen e n t s t a n d e n in der Folge in der Frage und die R i t t e r unterwerfen sich ihm. Drei der Ehegesetzgebung zwischen der englischen Monate nach der Eroberung revoltiert jedoch Regierung, Malta und der Kurie, die 1896 die Bevölkerung und belagert m i t U n t e r - durch ein A b k o m m e n m i t Leo X I I I . ers t ü t z u n g der britischen und portugiesischen ledigt wurden. 1903 wurde die Verfassung Flotte, s p ä t e r auch m i t Hilfe neapolitanischer von 1887 außer K r a f t gesetzt und m a n kehrt, T r u p p e n , die französische Garnison in der i n m i t t e n einer völlige Selbstverwaltung beH a u p t s t a d t Valletta zwei J a h r e lang, bis anspruchenden Bevölkerung, zur D i k t a t u r sie im September 1800 sich den vereinigten zurück. Erst u n t e r der Malta Constitution maltesischen, englischen und neapolitanischen Letters P a t e n t von 1921 ist wiederum eine T r u p p e n ergibt. Der Nationalkongreß, der gewählte gesetzgebende Versammlung gedie Verteidigung gegen Frankreich organi- schaffen worden, die berechtigt ist, rein siert h a t t e , t r i t t dann die Inselgruppe an lokale Angelegenheiten zu regeln. Sie England ab. Völkerrechtliche A n e r k e n n u n g besteht aus einem Senat von 17 Mitgliedern, erhält diese Zession jedoch erst im Pariser von denen 5 e r n a n n t sind, und einem U n t e r Frieden von 1814, nachdem der Frieden haus von 32 gewählten Mitgliedern. Auch von Amiens versucht h a t t e , Malta dem Ritter- ein verantwortliches Ministerium von höchorden wieder zuzusprechen. Als Nachfolger stens 7 Köpfen ist im gleichen J a h r e gedes Ordens beanspruchte die britische Re- schaffen worden. Gewisse „ r e s e r v i e r t e " gierung und erhielt auch schließlich von der Materien, wie Marine- und MilitärangelegenKurie das Recht zugestanden, nicht genehme heiten, Reichsinteressen, Außenhandel, E i n K a n d i d a t e n f ü r den Bischofsstuhl m i t einem wanderung, Verträge und Beziehungen m i t Veto zu belegen. Die weitere Geschichte auswärtigen Mächten, werden vom GouverMaltas ist im wesentlichen der Streit um neur geregelt, dem hierzu ein e r n a n n t e r die Verfassung u n d die Durchsetzung der R a t zur Seite steht, in dem der VizegouverWünsche der einheimischen Bevölkerung neur, ein juristischer Berater und ein Vernach E r n e u e r u n g des alten consiglio popolare. t r e t e r der Marine, des Heeres und der L u f t Durch L e t t e r s - P a t e n t wird 1829 ein Re- flotte sitzt. Das neue P a r l a m e n t w u r d e gierungsrat m i t e r n a n n t e n Mitgliedern ge- am 2. X I . 1921 vom Prince of Wales erbildet, der 1849 dahingehend a b g e ä n d e r t öffnet. wird, d a ß von den 18 Mitgliedern 10 e r n a n n t , 8 gewählt werden. 1858 wird die D i k t a t u r Literatur: des Gouverneurs wiederhergestellt. 1881 W . Hardman, A history of Malta 1798—1815, k o m m t dazu die E r n e n n u n g eines ZivilLondon 1909, gibt alle U r k u n d e n der gouverneurs. Eine Verordnung, die die Periode. — Lucas, Historical geography Malteser von der britischen Marine ausof t h e British Colonies, 2 n d ed. 1906, Vol. I. — Parliamentary Papers, 1899, schließt, r u f t die b e r ü h m t e StricklandCd. 715, 1901, Cd. 1660, 1903, Cd. 2023, Korrespondenz in der Times hervor, 1904, Cd. 5217, 1912, Cd. 6090. F ü r die und die Folge ist die Gewährung der StrickSprachenfrage siehe die Rede Chamberlains land-Mizzi-Verfassung von 1887, die den im Unterhaus vom 28. I. 1902. Versuch darstellt, durch ein kompliziertes Μ. H . S c h m i t t . System von Vermischung gewählter u n d e r n a n n t e r Vertreter zu einer b r a u c h b a r e n Regierungsmaschine zu gelangen. Die Krone Mancini s. VRsliteraturgeschichte. h a t nach dieser Verfassung das R e c h t , jeden Gegenstand in den Bereich ihrer in den Friedens« Gesetzgebung zu ziehen, aber n u r auf Grund Der Mandatbegriff vertragen. ihrer Prärogative, nicht durch die A u s n ü t z u n g d e r M a j o r i t ä t in dem R a t e durch RegierungsDas M a n d a t ist als R e c h t s i n s t i t u t jn das Völkerrecht durch A r t . 22 der in die
Mandatbegriff in den Friedensverträgen Friedensverträge von 1919 aufgenommenen S a t z u n g des Völkerbundes e i n g e f ü h r t . Der Artikel beschäftigt sich m i t den Kolonien und Gebieten, die infolge des Krieges a u f gehört h a b e n , u n t e r der S o u v e r ä n i t ä t der S t a a t e n zu stehen, die sie vorher beherrschten u n d deren Völker noch nicht fähig zu selbs t ä n d i g e m Handeln sind. Die Sorge f ü r d a s Wohlergehen u n d die Entwicklung dieser Völker wird als eine heilige Aufgabe d e r Zivilisation bezeichnet. Zur Erfüllung dieser Aufgabe soll fortgeschrittenen N a t i o n e n die V o r m u n d s c h a f t über die unentwickelten Völker übertragen w e r d e n ; die V o r m ü n d e r haben ihr A m t als B e a u f t r a g t e und im N a m e n des Völkerbundes zu f ü h r e n . Der Völkerbund besitzt also, wie aus dieser Begriffsbestimmung folgt, die S o u v e r ä n i t ä t über die Mandatsgebiete, da die K o m p e t e n z der M a n d a t a r s t a a t e n vom Völkerbund abgeleitet wird. Der Völkerbund stellt im A r t . 22 die dem M a n d a t zugrunde liegenden Aufgaben der Sorge f ü r das Wohlergehen u n d die E n t w i c k l u n g der Mandatsgebiete fest, er ü b e r n i m m t ausdrücklich die Verpflichtung, Bürgschaften f ü r die Erfüllung dieser Aufgaben zu schaffen, er bezeichnet die M a n d a t a r m ä c h t e als seine B e a u f t r a g t e n u n d läßt sie das Mandat in seinem N a m e n führen. E r h a t sich auch eine Kontrollbefugnis vorbehalten. Im Widerspruch m i t dieser Auffassung will die vom R a t des Völkerbundes vertretene Ansicht den Rechtstitel der M a n d a t a r m a c h t aus zwei Quellen ableiten. Neben der letzten Zuständigkeit des Völkerbundes, die sich aus A r t . 22 ergebe, stehe gleichgeordnet das Verfügungsrecht der alliierten und assoziierten H a u p t m ä c h t e . Diese Ansicht wird d a m i t begründet, d a ß durch A r t . 119 des Vertrages von Versailles die S o u v e r ä n i t ä t über die überseeischen Besitzungen Deutschlands auf die alliierten und assoziierten H a u p t m ä c h t e übertragen worden sei. Ferner h ä t t e n nach A r t . 118 die H a u p t m ä c h t e Maßregeln zu ergreifen bezüglich der Regelung d e r Folgen des Verzichts Deutschlands auf seine Rechte außerhalb Europas. Der A r t . 22 Schweige über die Frage, wer den M a n d a t a r zu bestimmen habe, A r t . 118 und 119 seien zu seiner Auslegung heranzuziehen. Gsgen diese Begründung spricht die einfache Überlegung, d a ß auch die H a u p t m ä c h t e dem Völkerbund beigetreten sind, d a ß sie den A r t . 22 der Satzung a n e r k a n n t haben u n d d a ß in diesem eine rechtliche Auffassung des Mandats von grundsätzlicher Bedeutung e n t h a l t e n ist, die als Leitgedanke f ü r die übrigen Bestimmungen des Vertrages zu b e t r a c h t e n ist. Der Inhalt des Art. 22 f ü h r t aber zu dem zweifellosen Ergebnis, d a ß
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der Völkerbund souverän über die M a n d a t s gebiete und allein die höchste Instanz f ü r Mandatsfragen ist. E r h a t also auch ü b e r die Verteilung der M a n d a t e zu entscheiden. Von dieser Auffassung aus sind die anderen Bestimmungen des Vertrages zu beurteilen. Die A r t . 118 und 119 sind überdies m i t dem G r u n d s a t z g u t in Einklang zu bringen. Der Zweck des A r t . 118 ist, die Z u s t i m m u n g Deutschlands zu den M a ß n a h m e n der H a u p t m ä c h t e formell sicherzustellen. E s ist keineswegs gesagt, daß sich in diesen M a ß n a h m e n eine a u t o n o m e Entscheidungsbefugnis der H a u p t m ä c h t e äußern soll. Vielmehr ist durchaus die Auffassung möglich, d a ß die M a ß n a h m e n der H a u p t m ä c h t e auf eine andere Instanz zurückzuführen s i n d ; u n d diese Auffassung ergibt sich m i t Notwendigkeit aus dem Z u s a m m e n h a n g m i t A r t . 22. Aus dieser B e s t i m m u n g ist zu e n t n e h m e n , d a ß die M a ß n a h m e n der H a u p t m ä c h t e im Auftrage der letzten Instanz, des Völkerbundes, erfolgen würden, also von ihm abzuleiten und seiner A n o r d n u n g unterstellt w ä r e n . Auch A r t . 119 e n t h ä l t keinen Widerspruch zu A r t . 22. Der Verzicht Deutschlands auf seine Rechte zugunsten der H a u p t m ä c h t e sagt noch nicht, daß diese alle diese Rechte, also auch die S o u v e r ä n i t ä t über b e s t i m m t e Mandatsgebiete, zu eigener Verfügung übernehmen. Auch wenn die Rechte Deutschlands durch den Verzicht zunächst den H a u p t m ä c h t e n übertragen würden, können diese ihre Rechte weitergeben, und diese Möglichkeit ist durch Art. 22 zur zweifellosen T a t sache geworden. — Der R a t des Völkerbundes zieht aus seiner A n s c h a u u n g die Folgerung, daß bei der Bestimmung der M a n d a t a r m ä c h t e folgendes Verfahren zu beobachten sei: die H a u p t m ä c h t e teilen das M a n d a t einer Macht zu, sie m a c h e n ihre Entscheid u n g dem R a t des Völkerbundes b e k a n n t , dieser n i m m t die E r n e n n u n g zur K e n n t n i s , er teilt der M a n d a t a r m a c h t m i t , d a ß er sie als m i t dem M a n d a t bekleidet ansieht und gibt ihr zugleich die Bedingungen des M a n d a t s b e k a n n t , die er vorher auf Übereinstimmung m i t den Vorschriften der Satzung g e p r ü f t h a t . — Die Mandate werden nach ihrem Inhalt in drei Kategorien eingeteilt. Die Kategorie Α bezieht sich auf Gemeinwesen, deren Existenz als unabhängige Nationen vorläufig a n e r k a n n t wird u n t e r der Bedingung, d a ß die Ratschläge u n d die U n t e r s t ü t z u n g einer M a n d a t a r m a c h t ihre Verw a l t u n g bis zu dem Z e i t p u n k t lenken, wo sie fähig sein werden, selbständig zu handeln.· Dieser T y p u s soll f ü r die f r ü h e r türkischen Gebiete verwendet werden. Bei der K a t e gorie B, welche f ü r die mittelafrikanischen Gebiete angewendet werden soll, wird die
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Mandatbegriff in den Friedensverträgen — Mannesmannstreit
Verwaltung des Mandatgebietes der Mand a t a r m a c h t übertragen. Diese allgemeine E r m ä c h t i g u n g wird durch bestimmte Bedingungen eingeschränkt: Sklaven-, W a f f e n u n d Alkoholhandel sollen aufhören, Gewissens- u n d Religionsfreiheit sollen verbürgt sein, militärische Ausnutzung in der F o r m der Anlage von Festungen, Heeresoder F l o t t e n s t ü t z p u n k t e n und militärische Ausbildung der Eingeborenen ist verboten, f ü r die Mitglieder des Völkerbundes ist Gleichheit in H a n d e l und Verkehr vorgesehen. Die C-Mandate, die f ü r die Gebiete in S ü d w e s t a f r i k a und im Stillen Ozean angewendet werden sollen, sollen als integrierender Bestandteil des M a n d a t a r s t a a t e s nach seinen Gesetzen verwaltet werden. — Das f ü r Mandatangelegenheiten zuständige Organ des Völkerbundes ist in der Satzung nicht ausdrücklich bestimmt. Die Praxis des Völkeibundes, und zwar übereinstimm e n d die des Rates und die der Versammlung, sieht den R a t als zuständig f ü r M a n d a t angelegenheiten an (wegen der Bestimmung der M a n d a t a r m ä c h t e vgl. oben). F ü r die Kontrolle, die der Völkerbund über die M a n d a t a r e auszuüben h a t , ist die ständige Mandatkommission eingerichtet. Sie h a t die A u f g a b e , die J a h r e s b e r i c h t e der Mand a t a r e entgegenzunehmen und zu p r ü f e n , ferner dem R a t G u t a c h t e n zu e r s t a t t e n über alle, die A u s f ü h r u n g der Mandatverpflichtungen angehenden Fragen. Die Kommission h a t 9 Mitglieder, von denen die Mehrheit aus Angehörigen solcher Länder bestehen m u ß , die nicht M a n d a t a r e sind. Die E r n e n n u n g der Mitglieder erfolgt durch den Rat. Sie gelten nicht als Vertreter ihrer L ä n d e r , sondern sie werden auf Grund ihrer persönlichen Qualifikation gewählt, und dürfen w ä h r e n d ihrer Zugehörigkeit zur Kommission kein A m t bekleiden, das sie in u n m i t t e l b a r e Abhängigkeit von ihrer Regierung bringt. — Eine besondere Stellung zur E i n r i c h t u n g des M a n d a t s u n d daher zu den Mandatgebieten nehmen die Vereinigten S t a a t e n von A m e r i k a ein. Da sie die S a t z u n g des Völkerbundes nicht anerk a n n t h a b e n , ist f ü r sie A r t . 22 nicht verbindlich. Bei der E r ö r t e r u n g des M a n d a t s über die Insel Y a p haben sie (in zwei Noten vom 22. II. u n d 5. IV. 1921) den S t a n d p u n k t zum A u s d r u c k g e b r a c h t , d a ß ihre durch den Krieg und durch A r t . 118, 119 des Vertrages von Versailles erworbenen Rechte an den abgetretenen überseeischen Gebieten vom Völkerbund nicht beschränkt werden k ö n n t e n und Bestimmungen über die M a n d a t g e b i e t e ihrer Mitwirkung b e d ü r f t e n . Literatur: Drucksachen der 1. Versammlung des Völker-
bundes ( D e m m e n t s de l'Assemblße) Nr. 161 u. 246. — Schücking, K o m m e n t a r zum Friedensvertrag A r t . 22 (dort weitere, insbesondere a u ß e r d e u t s c h e Literatur). — Charles Noble Gregory, t h e m a n d a t e overt h a p , Amer can Journal of international land Vol. 15, Nr. 3, Juli 1921. Bileski.
Mandschure] s. Osten ferner.
Mannesmannstreit. A m 7. X. 1908 erließ der Sultan von Marokko ein Berggesetz, auf Grund dessen die G - b r ü d e r Mannesmann-Remscheid bereits am Tage des Erlasses jenes Gesetzes K o n zessionen erwarben. Die übrigen Bergwerksinteressenten in Marokko, besonders die französische Union des mines marocaines, an d e r auch deutsches Kapital beteiligt war, erklärten dieMannesmannschen Konzessionen f ü r nichtig, weil das m a r o k k a n i s c h e Berggesetz, auf das sie sich stützen, m i t Artikel 112 der Algecirasakte in Widerspruch s t ä n d e : durch jenen Artikel sei das P r i n z i p der wirtschaftlichen Gleichheit in Marokko proklamiert w o r d e n ; niemand d ü r f e d a r nach wegen seiner Staatsangehörigkeit von Handel und Verkehr in Marokko ausgeschlossen w e r d e n ; das sei aber der Fall, wenn eine Bewerbung anderer Interessenten n i t den Gebrüdern Mannesmann d a d u r c h v e r h i n d e r t würde, d a ß m a n ihnen das Gesetz v o r e n t h a l t e und ihnen dadurch die Gelegenheit zur Stellung entsprechender Anträge nehme. Die Gebrüder Mannesmann behaupteten ihrerseits: Der scherifische F i r m a n stehe durchaus m i t Artikel 112 der Algecirasakte in E i n k l a n g ; der g e n a n n t e Artikel überlasse die Regelung des Bergwesens der marokkanischen Gesetzgebung. Insbesondere daraus, d a ß in f a s t allen übrigen Artikeln der Algecirasakte eine E i n s c h r ä n k u n g der marokkanischen S o u v e r ä n i t ä t enthalten sei, folge, d a ß f ü r die Fragen des Bergwesens die marokkanische Souveränität n i c h t eingeschränkt sein sollte. Das folge auch aus der Entstehungsgeschichte des Artikel 112. Beide Parteien förderten damals eine Fülle von Rechtsgutachten ein, u n d die Mannesmann nahestehende deutsche Presse griff die deutsche Regierung, die nach ihrer Auffassung die Rechte der Gebrüder Mannesmann preisgebe, scharf an. Mit Recht stellte sich das Auswärtige A m t auf den S t a n d p u n k t , d a ß die Forderungen der G - b r ü d e r Mannesmann der Algecirasakte widersprächen. Die Gebrüder Mannesmann gaben den Kampf erst auf, als am 4. X I . 1911
Mannesmannstreit — Marianna Fiora-Fall das deutsch-französische Marokkoabkomm e n zustande k a m und vom deutschen Reichstage ratifiziert wurde. Es kam darauf zu einer Fusion der beiden bisher feindlichen G r u p p e n . In der neuen Gesellschaft waren die Gebrüder Mannesmann sowohl wie die f r a n zösische Union des mines marocaines m i t je 4 0 % v e r t r e t e n , w ä h r e n d der Rest des K a pitals von französischen Banken ü b e r n o m m e n wurde. Über die Behandlung des deutschen P r i v a t e i g e n t u m s in Marokko nach dem Weltkriege vgl. Artikel 144 Abs. 3 u. 4 des Versailler Friedensvertrages. Literatur: v. Mertitz, Die völkerrechtlichen Grundlagen der deutschen Bergwerks-Interessen in Marokko. Internationale Wochenschrift f ü r Wissenschaft, K u n s t und T e c h n i k , 26. II. 1910. — Pohl, Aus Völkerrecht und Politik. Berlin 1913, S. 4 8 f f . , . 9 6 f f . — (dort auch eine erschöpfende Ü b e r s i c h t der gesamten L i t e r a t u r ) . — Wehberg, Sind die Ansprüche der Gebrüder Mannesmann nach Treu u n d Glauben in vollem U m f a n g e zu r e c h t f e r t i g e n ? Tübingen 1910. — Denkschrift Uber deutsche Bergwerksinteressen in Marokko nebst Aktenstücken. Berlin, Auswärtiges A m t , 17. I. 1910. — Marokko-Mlnen-Syndikat, Bea n t w o r t u n g der amtlichen „ D e n k s c h r i f t und A k t e n s t ü c k e über deutsche Bergwerksinteressen in Marokko, Berlin 1910 (mit G u t a c h t e n ) . — Gustav H. MüllerAbeken, Die Rechtsgültigkeit des m a r o k kanischen Berggesetzes vom 7. X. 1908 und der darauf basierenden Rechtsa n s p r ü c h e , · 1910 (mit Gutachten).
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Kampf der beiden Schiffe n u r auf ein unglückseliges Mißverständnis zurückzuführen war. Der District Court entschied sich daher f ü r die Freilassung der „ M a r i a n n a F l o r a " und sprach dem E i g e n t ü m e r E n t s c h ä d i g u n g f ü r die A u f b r i n g u n g des Schiffes zu. Der Circuit Court hob diese Entscheidung, sow e i t sie dem portugiesischen Schiffseigent ü m e r Entschädigung zusprach, wieder auf, und dieses Urteil w u r d e durch den Supreme Court b e s t ä t i g t .
Lord Stowell f ü h r t e in seinem Urteil a u s : Das Recht der Anhaltung und Durchsuchung von Handelsschiffen sei grundsätzlich auf Kriegszeiten beschränkt. Doch habe der „ A l l i g a t o r " , der unter der Aufsicht der amerikanischen Regierung das Seeräuberunwesen b e k ä m p f e n sollte, das Recht g e h a b t , sich jedem Schiffe zu dem Zweck zu n ä h e r n , seinen wahren C h a r a k t e r festzuhalten. Z u r Erfüllung b e s t i m m t e r F o r m a l i t ä t e n hierbei sei er nicht verpflichtet gewesen, insbesondere nicht zur Abgabe eines Signalschusses; denn ein solcher sei bei Visitation n u r nach europäischem Seerecht, nicht aber nach den Rechten a n d r e r Völker vorgeschrieben. Was aber das Verhalten der „ M a r i a n n a F l o r a " betreffe, so sei in Friedenszeiten kein Schiff verpflichtet, auf Befehl eines Kriegsschiffes a n z u h a l t e n und sich i h m zu nähern. Das portugiesische Schiff habe vielmehr seine Reiseroute weiter verfolgen und alle erforderlichen Vorsichtsmaßregeln treffen dürfen, um Angriffen begegnen zu können. Aber es habe dabei nicht die Rechte andrer verletzen dürfen, selbst wenn es b e s t i m m t e Gefahren Wehberg. befürchtete. Deswegen erklärte Lord Stowell das Verhalten des K o m m a n d a n t e n des „ A l M a n o n b a - F a l l s. Carthage-Fall. ligator", insbesondere die Einbringung der „Mare-ctausum" und „mare-Iiberum" s. „ M a r i a n n a F l o r a " in den H a f e n von Boston, Meer hohes. f ü r gerechtfertigt und wies die Schadenersatzansprüche des Eigentümers des portugiesischen Schiffes ab.
Marianna Flora-Fall.
Als sich a m 5. N o v e m b e r 1821 der a m e r i kanische b e w a f f n e t e Schooner „ A l l i g a t o r " auf der J a g d nach Seeräubern und Sklavenhändlern b e f a n d , begegnete i h m das portugiesische Schiff „ M a r i a n n a F l o r a " , das von Bahia nach Boston segelte. Der K o m m a n d a n t des „ A l l i g a t o r " v e r m u t e t e auf Grund des Verhaltens des portugiesischen Schiffes, daB es sich in Seenot b e f ä n d e und n ä h e r t e sich ihm. Seinerseits f ü r c h t e t e n u n m e h r der K a p i t ä n der „ M a r i a n n a F l o r a " , d a ß der „ A l l i g a t o r " ein Piratenschiff sei, und feuerte auf ihn. Der „ A l l i g a t o r " erwiderte, und es kam zu einem K a m p f , der m i t der Überwindung des portugiesischen Schiffes endete. Dieses w u r d e nach Boston g e b r a c h t und wegen Seeräuberei angeklagt. Der Verdacht erwies sich a b e r als u n b e g r ü n d e t , da der
Dieser Entscheidung Lord Stowells wird m a n in allen P u n k t e n zustimmen müssen. Das Urteil suchte in einer Zeit, wo es noch keine völkerrechtlichen Vertragsbestimm u n g e n über die A n h a l t u n g und die Durchsuchung von Handelsschiffen in Friedenszeiten beim Verdacht der Seeräuberei, des Sklavenhandels usw. gab, die entgegengesetzten Interessen der Kriegsschiffe, die n a c h den Verbrechern der See f a h n d e n , und die Interessen der Handelsschiffe, die die Freiheit der Meerre f ü r sich geltend m a c h e n , zu vereinigen. Literatur: Cobbet, I. S. 275. — Scott, Cases on i n t e r national Law, S. 827. — Wheaton, Reports of t h e Supreme Court, X I , S. I f f . Wehberg.
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Marie Glaeser-Fall — Marquis Bacquehem-Fall
Marie Glaeser-Fall. Englisches Prisenurteil, v e r k ü n d e t am 16. X I . 1914 ( S i r S a m u e l E v a n s , T r e h e r n G r a n t , „ P r i z e Cases", Bd. I, S. 38). Deutsches Schiff in U n k e n n t n i s des Krieges auf See genommen. S i r E v a n s erklärte e r s t e n s bezüglich der A n w e n d b a r k e i t des A r t . I I I der VI. H a a g e r Convention 1907 auf das Schiff: „ T h e question w h e t h e r and how f a r t h e provisions of the Conventions of t h e Second H a g u e Conference 1907 are binding upon this Court is one which is still undecided, b u t which will no d o u b t have to be decided in t h e near f u t u r e ; b u t it is n o t necessary to h a v e regard to Convention VI in this case, even if article 3 of t h e Convention could h a v e applied, G e r m a n y did not agree to it, b u t reserved her signature to it a n d there f o r e cannot be entitled to a n y benefit under i t . The vessel therefore is a f i t subject f o r condemnation." Zweitens, bezüglich der geltend gem a c h t e n Ansprüche n e u t r a l e r Pfandgläubiger a m Schlüsse längerer A u s f ü h r u n g e n (Bd. I, S. 53): „ T h e t r u t h is t h a t c a p t u r e of e n e m y vessels a t sea during w a r would be a hazardous a n d worthless right of belligerents if the captors where confronted w i t h such claims as are p u t f o r w a r d in this case or if mortgages gave to mortgagees prior rights to those of t h e c a p t o r s . " E r wies d e m g e m ä ß die Ansprüche als im Prisengericht nicht zu beachtend zurück. Vgl. auch die E n t s c h e i d u n g E m i l „ P r i z e Court for E g y p t " , P. C., Bd. I, S. 257 und O d e s s a (Sir Samuel Evans), P. C., Bd. I, S. 163 und ( P r i v y Council) P . C . , Bd. I, S.559. Um derartige Ansprüche eventuell aus Billigkeitsgründen zu befriedigen, war von der englischen Regierung im Weltkrieg ein Prize-Claim-Committee eingesetzt, das über die A u s f ü h r u n g des Gnadenrechts zu befinden h a t t e (vgl. auch die Veröffentlichung in der „ L o n d o n G a z e t t e " vom 3 1 . 8. 1915). Grau.
Marie Leonhardt-Fall s. Leonhardt, MarieFall.
Marmarameer s. Dardanellen. M a r o k k o s. Scherifisches Reich.
Marquis Bacquehem-Fall. Der unter österreichisch-ungarischer Flagge segelnde D a m p f e r Marquis Bacquehem (4400 Tonnen) verli eß am 4. VI II. 1914 Karachi (Vorderindien) m i t einer Ladung Baumwolle
f ü r T r i e s t und einer Ladung Getreide f ü r Aden. U n m i t t e l b a r vor seiner A b f a h r t h a t t e er von seiner Direktion telegraphisch O r d e r b e k o m m e n , nicht in Aden a n z u h a l t e n , sondern direkt nach Triest zu fahren. Im Roten Meere w u r d e er am 17. V I I I . 1914 von dem britischen Kriegsschiffe „ D u k e of E d i n b o u r g h " angehalten, als der K a p i t ä n von dem seit dem 12. V I I I . 1914 bestehenden Kriegszustande zwischen Österreich-Ungarn und Großbritannien keine Kenntnis h a t t e . Der K o m m a n d a n t des britischen Kriegsschiffes war der irrtümlichen Meinung, d a ß er gegenüber dem Marquis Bacquehem keinerlei M a ß n a h m e n a n o r d n e n , ihn insbesondere nicht aufbringen dürfe, sondern ihn die Reise fortsetzen lassen müsse. Er begnügte sich daher m i t einer E i n t r a g u n g in das Logbuch des Marquis Bacquehem des Inhalts, daß er den K a p i t ä n von dem Kriegszustande in Kenntnis gesetzt und ihm wegen der Indultfrist erlaubt habe, die Reise f o r t zusetzen. Der Marquis Bacquehem f u h r am 21. V I I I . in den Hafen von Suez. Dort w u r d e er durch einen Maschinendefekt an der Weiterreise gehindert und am 27. X . beschlagnahmt. In seiner Entscheidung vom 3. II. 1915 f ü h r t e der englische Oberste Gerichtshof f ü r Prisensachen in Ägypten (His Britannic Majesty's Supreme Court for E g y p t in Prize) a u s : Suez sei m i t Rücksicht auf die U m s t ä n d e der Zeit ein feindlicher H a f e n , und ein Schiff, das in Kenntnis der Feindseligkeiten einen solchen H a f e n anlaufe, u n t e r liege an sich der E i n z i e h u n g ; der Marquis Bacquehem h ä t t e , nachdem ihm durch den K o m m a n d a n t e n des „ D u k e of E d i n b o u r g h " von dem Kriegszustande Mitteilung g e m a c h t worden war, einen neutralen H a f e n anlaufen müssen. Immerhin wolle m a n berücksichtigen, d a ß der Marquis Bacquehem d a d u r c h in eine ungünstigere Position versetzt worden sei, d a ß das britische Kriegsschiff ihm die Fortsetzung der Reise g e s t a t t e t habe, ans t a t t es a u f z u b r i n g e n . Denn wäre die Aufb r i n g u n g durch den „ D u k e of E d i n b o u r g h " erfolgt, so wäre nach A r t . 3 des (6.) Haager „ A b k o m m e n s über die Behandlung der feindlichen Kauffahrteischiffe beim Ausbruch der Feindseligkeiten" lediglich die Beschlagn a h m e w ä h r e n d des Krieges oder die Anforderung oder Zerstörung gegen E n t s c h ä d i gung zulässig gewesen. Deshalb wolle m a n aus Billigkeitsgründen das Schiff nicht einziehen, sondern es n u r gegen die Verpflicht u n g der R ü c k g a b e oder E n t s c h ä d i g u n g nach dem Kriege beschlagnahmen. Das Judicial Committee of the P r i v y Council hob auf die B e r u f u n g der Krone hin das Urteil der ersten Instanz am 13. IV. 1916 a u f ; es e r k l ä r t e
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Marquis Bacquehem-Fall — Massaua den Hafen von Suez gleichfalls f ü r feindlich, entzog dem Marquis Bacquehem den Schutz des 6. Haager Abkommens und erklärte ihn f ü r gute Prise. Die Grundlage der Entscheidung, daß die Eingangshäfen des Suezkanals mit Rücksicht auf die Zeitumstände als feindlich zu betrachten seien, war nicht unbedenklich. Sicherlich war in der damaligen Zeit die Loslösung Ägyptens von der Türkei trotz der englischen Okkupation, die nur als eine vorübergehende gedacht war, juristisch noch nicht erfolgt. Die tatsächlichen Machtbefugnisse des Sultans waren gewiß zu einem großen Teile infolge der englischen Okkupation eingeschränkt. Aber das Recht der Türkei auf Ägypten als solches bestand fort. Mochte man Ägypten in der damaligen Zeit als autonome Provinz der Türkei oder als einen halbsouveränen S t a a t unter der Oberhoheit der Türkei ansehen; es war, solange die Kriegserklärung Großbritanniens an die Türkei (29. X. 1914) noch nicht erfolgt war, wie ein neutraler Staat zu behandeln. Auf die ägyptischen Häfen mußten daher die Regeln des Neutralitätsrechts angewandt werden; in ihnen war die Ausübung des Prisenrechts untersagt. (Art. 1, 2 des Haager Abkommens über die Rechte und Pflichten der Neutralen im Seekriege.) Zudem m u ß t e nach dem Konstantinopeler Vertrage vom 29. X. 1888 der Suezkanal auch in Kriegszeiten den Handelsschiffen aller Flaggen zur Durchfahrt offen stehen. Auf diesen S t a n d p u n k t h a t t e sich a u c h die Entscheidung des ägyptischen Regenten Hussein R u c h d i vom 30. V I I I . 1914 (Art. 20) gestellt und lediglich betont, d a ß die Durchfahrt des Kanals sich in normaler Weise und ohne ungerechtfertigten A u f e n t h a l t vollziehen müsse. Das Prisengericht verweigerte aber dem Marquis Bacquehem die Wohltat dieser Bestimmung, weil es davon ausging, das Schiff habe den Hafen von Suez lediglich als „Zufluchtsh a f e n " aufgesucht und gar nicht die Absicht gehabt, über Suez hinaus zu fahren. Es suchte diese Absicht des Marquis Bacquehem besonders aus folgenden Tatsachen herzuleiten: d a ß er Ladung f ü r Aden an Bord gehabt, daß sich Reservisten an Bord befunden hätten, die das Schiff in Alexandrien verlassen sollten, und daß der Marquis Bacquehem nach den Schiffseintragungen sowohl bei Aden wie bei Perim ohne Lichter vorbeigesegelt sei. Auf das bedeutsame Telegramm, das der Marquis Bacquehem vor seiner Abfahrt von Karachi erhalten hatte, wurde kein Wert gelegt. Auf die Vorteile der Schutzbestimmung -des 6. Haager Abkommens konnte freilich der Wörterbuch des Völkerrechts.
Bd. Π .
Marquis Bacquehem, nachdem ihm von dem „Duke of E d i n b o u r g h " das Bestehen dee Kriegszustandes mitgeteilt worden war, keinen Anspruch erheben. Die T a t b e s t ä n d e dieses Abkommens, das den feindlichen Handelsschiffen beim Ausbruch der Feindseligkeiten nur in besonderen kasuistisch geregelten Fällen eine Vergünstigung gewährt, t r a f e n im vorliegenden Falle nicht zu. Literatur: Garner, International Law and the world war, I, S. 159. — Huberich, Das englische Prisenrecht in seiner neuesten Gestalt, Berlin 1915, S. 17. — Lenz, England und die Österreich-ungarische Handelsschifff a h r t im Suezkanal, Oesterreichische Zeitschrift f ü r öffentliches Recht, Wien 1917, II 1/3, S. 201 ff; Times Law Reports 32, 462. Wehberg.
Martens, 6 . F . v. s. VRsIiteraturgeschichte. Martens Fr. von s. VRsIiteraturgeschichte. Martltz v. s. VRsIiteraturgeschichte. Maskat-Rechtsfall s. Flaggenfall von Maskat.
Massaua, H a f e n s t a d t an der Westküste des Roten Meeres in der italienischen Kolonie E r y t h r e a , wurde 1885 als erster Platz der Kolonie von den Italienern besetzt. Die rechtliche Beurteilung dieses Erwerbs durch Italien ist zweifelhaft. Unzweifelhaft h a t die S t a d t früher u n t e r der H e r r s c h a f t der Türken gestanden, welche sie im J a h r e 1557 erobert h a t t e n . Nach offizieller italienischer Ansicht war diese Herrschaft jedoch durch Dereliktion erloschen und stellt die Besitz ergreifung durch Italien einen Akt der Okkupation d a r . Sie d ü r f t e jedoch k a u m haltbar sein, da zur Zeit der Besitzergreifung noch deutliche Spuren der türkischen Herrschaft vorhanden waren, so namentlich ein türkischer Gouverneur mit türkischer Besatzung. Auch h a t t e n die dort stationierten Konsuln ihr E x e q u a t u r von der Türkei. Okkupation liegt daher nicht vor, ebensowenig aber Zession, da auch in der Folgezeit eine ausdrückliche A b t r e t u n g seitens der Türkei nicht erfolgt ist. Der italienische Schriftsteller Catellani versucht den Fall unter Berufung auf Heimburger „ D e r E r werb der Gebietshoheit" 1888 als Gebietserwerb durch internationale Anerkennung zu erklären, welche er mit dem von einem Teil der L i t e r a t u r a n e r k a n n t e n Erwerbstitel der Ersitzung identifiziert. Diese Gleichstellung entspricht allerdings keineswegs dem Gedankengang Heimburgers, welcher die E r 2
Massaua — Mazedonien Sitzung ausdrücklich a b l e h n t u n d an d e r e n 1 Stelle den E r w e r b d u r c h internationale A n e r k e n n u n g setzen will. Neuerdings wird von Schätzel die Ansicht v e r t r e t e n , d a ß der E r w e r b Massauas einen Fall der Annexion darstelle, w o r u n t e r er eine besondere völkerrechtliche E r w e r b s a r t v e r s t e h t , welche alle Fälle des einseitigen Erwerbs von f r e m d e m Staatsgebiet, also alles was nicht O k k u p a t i o n und nicht Zession ist, u m f a ß t u n d auch die. bisherigen Titel der Eroberung u n d E r Sitzung in sich vereinigt. Sie ist nach Schätzel s t e t s ein rechtswidriger A k t ; doch kann der durch sie geschaffene neue Z u s t a n d wie im Falle Massaua d u r c h i n t e r n a t i o n a l e Anerk e n n u n g legalisiert w e r d e n . Literatur: Salomon, De l'occupation des territoires sans m a i t r e 1889, S. 245. — Catellani, Revue de droit i n t e r n a t i o n a l , X X X V I I , 418. — Schätzel, Die Annexion im Völkerrecht 1921, S. 12, 24. Schätzel.
M a s s e n b a c h ( A u s lieferu n g s f a l l ) . 1. Gegen den preußischen Oberst Christian v. Massenbach w a r 1807 nach dem Tilsiter Frieden eine U n t e r s u c h u n g wegen der Kapitulation von Prenzlau eingeleitet worden, ohne d a ß sie zu einem b e s t i m m t e n E r gebnis f ü h r t e . Massenbach selbst hielt sich währenddessen f a s t ein J a h r z e h n t h i n d u r c h im Herzogtum W a r s c h a u und seit 1816 in W ü r t t e m b e r g a u f , veröffentlichte zahlreiche, wenig o b j e k t i v e Schriften zur Geschichte seiner Zeit u n d leistete einer A u f f o r d e r u n g der preußischen Regierung, nach Berlin zu k o m m e n , keine Folge. Nach Auflösung der w ü r t t e m b e r g i s c h e n S t ä n d e v e r s a m m l u n g m u ß t e er als Mitglied der Opposition S t u t t g a r t verlassen. Auch in Heidelberg w u r d e er ausgewiesen. So kam er 1817 nach F r a n k f u r t a. M., um beim B u n d e s t a g Beschwerde zu f ü h r e n . Um dieselbe Zeit w a n d t e er sich an den preußischen König, f o r d e r t e eine hohe E n t s c h ä d i g u n g f ü r n i c h t gezahltes Gehalt u n d d r o h t e m i t weiteren Veröffentlichungen u n d der Preisgabe militärischer Geheimnisse. Nunmehr richtete die preußische Regierung z u n ä c h s t an das hessen-darmstädtische Ministerium u n d , als sich herausstellte, d a ß Massenbach in F r a n k f u r t w a r , an den R a t der Freien S t a d t am 18. V I I I . 1817 ein förmliches Auslieferungsersuchen. Ebenso e n t g e g e n k o m m e n d wie von der hessischen Regierung w u r d e das preußische Ersuchen in F r a n k f u r t aufgenommen. Massenbach w u r d e sofort v e r h a f t e t und ohne weiteres einem preußischen Offizier ausgeliefert. In K ü s t r i n wurde
er vor eine vom König angeordnete 'Kommission gestellt, welche die U n t e r s u c h u n g weisungsgemäß auf militärische Verbrethen beschränkte. Das Kriegsgericht verurteilte ihn „wegen beabsichtigten Landesveirats und B e k a n n t m a c h u n g von amtlichen Diensts c h r i f t e n " zu 14 J a h r e n F e s t u n g s h a f t . II. Die Auslieferung Massenbachs erregte ungemeines Aufsehen. Zum ersten Male erschienen in Deutschland amtliche Mitteilungen, Zeitungsaufsätze, Gelegenheitsschriften in größerer Zahl, die sich vor d e r breiten Öffentlichkeit m i t der Asylfrage b e f a ß t e n . Mehrfach wurde sogar gefordert, d a ß jedes Mitglied des Deutschen Bundes den „ b l o ß politischer Meinungen wegen Verf o l g t e n " Asyl gewähren müsse. Selbst 1 die amtlichen und halbamtlichen preußischen Auslassungen b e m ü h t e n sich, Massenbachs S t r a f t a t e n ihres politischen C h a r a k t e r s zu entkleiden. Die praktische Behandlung der Angelegenheit ergibt aber, d a ß die deutschen B u n d e s s t a a t e n einander in jener Zeit u n bedenklich wegen politischer Verbrechen (s. d.) Auslieferung gewährten. Literatur: Mettgenberg, Christian v o n Massenbach; ein Beitrag zur Geschichte des Auslieferungsrechts (1910), NZ. 20, 172. Mettgenbeig.
M a x i m a l t a r i f s. i n t e r n a t .
Finanzrecht.
Mazedonien, dieses im Herzen derBalkanhalbinsel gelegene Land, ist heute n u r noch eine geschichtliche Größe. Nach dem Weltkrieg ist es d u r c h den V e r t r a g v o n N e u i l l y vom 27. X I . 1919 u n t e r die schon länger um seinen Besitz streitenden N a c h b a r s t a a t e n G r i e c h e n l a n d , S ü d s l a w i e n und B u l g a r i e n neu aufgeteilt worden. Auch in türkischer Zeit, von 1389 bis 1913, war Mazedonien keine einheitliche P r o v i n z , sondern auf verschiedene Generalgouvernements (Wilajets) verteilt. Es geh ö r t e m i t seinem H a u p t g e b i e t zum W i l a j e t Saloniki, m i t seinen westlichen Territorien zum W i l a j e t Monastir, von dem es u n g e f ä h r drei Sandschaks ( = Regierungsbezirke) a u s füllte, und m i t seinem Nordgebiet zum W i l a j e t Kossowo, dessen Sandschak Uesktib so g u t wie g a n z als mazedonisches Gebiet angesprochen werden d u r f t e . Bezüglich der U m g r e n z u n g Mazedoniens herrscht keine E i n m ü t i g k e i t , doch wird meist als südliche Grenze auf dem Festland d e r O l y m p angenommen, als westliche die Gebirgskette zwischen Pindus und Scardus.
Mazedonien (heute Schardagh), als nördliche die Gebirge ü n d Höhen, welche die Wasserscheide zwischen A x i u s (heute Vardar) und Morawa bilden, vornehmlich der K a r a d a g h , als östliche das Rhodepegebirge und der Nestusf l u ß (heute Mesta). Ein wertvoller und int e r e s s a n t e r Teil Mazedoniens ist die südlich ins A^gäische Meer vorspringende Halbinsel C h ' a l k i d i k e m i t ihren drei mächtigen Ländzungen, von denen besonders die östliche (Akte m i t dem Athosberg) eine geschichtliche; Bedeutung h a t . An ihren steilen Felsw ä h d e n ^scheiterte einst die Flotte des persischen Feldherrn Mardonios (492 v. Chr.) und auf ihren Höhen bildete sich seit dem J ä h r e 963 die merkwürdige Mönchsgemeins c h a f t des Athosberges, die über 20 Klöster v e r f ü g t Und heute noch in s t a r r e r Abgeschlossenheit von der übrigen W e l t lebt. Das eben als Mazedonien umschriebene Gebiet· d ü r f t e r u n d 70 000 q k m u m s p a n n e n u n d gegen 2 Millionen Einwohner zählen. Die Bedeutung Mazedoniens b e r u h t einmal auf seinen natürlichen Vorzügen und Reicht ü m e r n u n d sodann auf seiner Lage, der zufolge es f ü r den ' L a n d v e r k e h r zwischen Mitteleuropa und Vorderasien die wichtigsten Durchgängsstraßen liefert. Es war allezeit ein vielbegehrtes und heißumstrittenes Land u n d h a t daher eine wechselvolle Geschichte gehäbt. Seit dem 8. vorchristlichen J a h r h u n d e r t wurde Mazedonien an seinen Küstenstrichen m i t jonischen Kolonien besetzt. Von ihnen ist an erster Stelle erwähnenswert T h e r m e , das von dem mazedonischen König Kassandros seiner Gattin zu Ehren Thessalonika g e n a n n t wurde und heute S a l o n i k i heißt. Es war von A n f a n g an bis zur Gegenwart ein h o c h b e d e u t s a m e r Handelsplatz und eigentlich die gegebene H a u p t s t a d t des Landes. Deshalb n a h m hier auch später der römische Prokonsul seine Residenz. Cicero lebte hier 58—57 v. Chr in der Verbannung. Ebenfalls griechische Kolonien waren Amphipolis und Neapolis. Letzteres w a r H a f e n o r t f ü r das 14 km weiter landeinwärts gelegene und wegen seiner reichen Goldgruben s t e t s vielbegehrte P h i l i p p i . In Neapolis, heute u n t e r dem N a m e n K a walla wieder ein wichtiger H a f e n p l a t z , bet r a t der Apostel Paulus zum ersten Male europäischen Boden u n d w a n d e r t e von hier auf der Via E g n a t i a n a c h Philippi (Apg. 16, 11—40) und über Amphipolis und Apollonia nach Thessalonich (Apg. 17,1 ff.). Die H a u p t Städte der mazedonischen Könige waren nacheinander A e g a e ( = W a s s e r s t a d t ) , das heutige V o d e n a (vom slaw. W o r t voda = Wasser), und s p ä t e r das n ä h e r an der K ü s t e gelegene P e l l a . Hier in Pella erblickte
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Alexander der Große das Licht der Welt. Durch ihn wurde Mazedonien auch zum Ausg a n g s p u n k t einer der wirkungsvollsten Kulturerscheinungen, nämlich des H e l l e n i s mus. Die G e s c h i c h t e Mazedoniens läßt sich bis in das 7. vorchristliche J a h r h u n d e r t zurückverfolgen, wo es als ein von einem König Perdikkas regiertes Reich den Griechen b e k a n n t wurde. Die Mazedonier leiteten nach einer Volkssage ihre H e r k u n f t und ihren N a m e n von einem Heros Makedon ab, der als Sohn des Zeus galt. Sie waren ein griechischer S t a m m . In Sprache, Sitte und Religion zeigt sich die V e r w a n d t s c h a f t . Aber da sie in ihrer K u l t u r e n t w i c k l u n g hinter den Hellenen auf der Halbinsel zurückblieben, wurden sie von diesen nicht f ü r voll angesehen, ja wohl g a r von ihnen als halbe Barbaren b e t r a c h t e t . Dieses Urteil entsprach jedoch bald nicht m e h r der Wirklichkeit. Unter Archelaos (413—399 v. Chr.) wurde der Hof in Pella ein S a m m e l p l a t z von Dichtern und K ü n s t l e r n . P h i l i p p II. (359—336 v. Chr.) organisierte in Benutzung der Kriegstüchtigkeit seines Volkes ein vortreffliches Nationalheer und dehnte seine Herrschaft vom Hellespont bis zur Adria aus. Durch seinen Sohn, den großen A l e x a n d e r (336—323 v. Chr.) wurde Mazedonien vorübergehend ein Weltreich, s a n k aber nach seinem f r ü h e n Tode wieder in die von seinem Vater geschaffene Umgrenzung zurück. Das Land wurde nun ein Schauplatz blutiger Thronstreitigkeiten, bis die Familie der Antigoniden (276 v. Chr.) die H e r r s c h a f t an sich fesselte. Durch Streitigkeiten m i t Athen, das Rom zu Hilfe rief, kam Mazedonien m i t den Römern in kriegerische Verwicklung. Philipp V. wurde 197 bei Kynoskephalä geschlagen, sein Nachfolger Perseus 168 bei P y d n a . Von diesem J a h r e an d a t i e r t die römische H e r r s c h a f t über Mazedonien; zunächst noch in loser, t r i b u t ä r e r Abhängigkeit, w u r d e es 148 römische Provinz. Zur Sicherung des Landes wurde die schon erw ä h n t e V i a E g n a t i a angelegt, die in Dyrrachium begann, die H a u p t o r t e im Innern b e r ü h r t e und schließlich bis nach Byzanz w e i t e r f ü h r t e . Mit der römischen Herrschaft kamen auch viele römische Bewohner, römische Sprache u n d K u l t u r ins Land. Das C h r i s t e n t u m verbreitete sich seit der Missionstätigkeit des Paulus, namentlich von Thessalonich aus. Hier n a h m Kaiser Theodosius (379—395 n. Chr.) seine Residenz. Bei der nach seinem Tode erfolgenden Teilung des römischen Reiches kam Mazedonien an die östliche H ä l f t e und wurde seitdem in die Schicksale des oströmischen oder b y z a n t i n i s c h e n R e i c h e s hineinverfloch2*
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Mazedonien
ten. Durch diese Zuweisung kam es auch kirchlich in die byzantinische Einflußsphäre und wurde ein Bestandteil des späteren byzantinischen Patriarchats und der morgenländisch-orthodoxen Konfession. Durch die Völkerwanderung wurde Mazedonien besonders stark mitgenommen. Vom 3. Jahrhundert an fluteten nacheinander Ooten, Hunnen, Avaren, Gepiden, Slawen, Dakoromanen und Bulgaren in das Land, setzten sich kürzere oder längere Zeit oder für immer darin fest, fochten um seinen Besitz untereinander oder gegen die byzantinischen Kaiser, die schließlich nur noch den Küstenstrich ihr eigen nannten. Diese Kämpfe dauerten bis zum 14. Jahrhundert, in dem die Türken ihre Eroberung der Balkanhalbinsel begannen. Die dazwischen liegende Periode der Kreuzzüge zog Mazedonien auch nicht immer in angenehme Mitleidenschaft. Der vierte Kreuzzug schuf für einige Jahrzehnte ein Königreich Thessalonike, das auch Mazedonien umspannte. Die Türken wurden 1370 Herren des Landes; Thessalonich kam aber erst 1430 in ihre Gewalt. Hier hatten sich von der See her vorübergehend auch Araber, Normannen und Venetianer festgesetzt. Die letzten Einwanderer waren s p a n i s c h e J u d e n , die seit 1492, nach ihrer Vertreibung aus Spanien durch Ferdinand den Katholischen, in großen Scharen Zuflucht auf dem Balkan suchten und sich vornehmlich in dem allezeit handelsregen Thessalonich ansiedelten. Sie werden Spaniolen genannt, in jüdischen Kreisen Sephardim im Unterschied von den polnisch oder deutsch redenden Aschkenasim. In Saloniki sind die Juden heute so zahlreich, daß sie mehr als die Hälfte der 150 000 übersteigenden Einwohnerschaft ausmachen. Nicht unerwähnt bleibe, daß neuerdings überall in den westlichen mazedonischen Grenzbezirken vielfach A l b a n i e r eingedrungen sind und sich festgesetzt haben. Den nachhaltigsten Einfluß auf die äußeren und inneren Verhältnisse Mazedoniens gewannen die schon angedeuteten Einwanderungen von S l a w e n (Serben) und B u l g a r e n und die von diesen Einwanderern auf der Balkanhalbinsel gegründeten Reiche. Slawische Scharen kamen vereinzelt schon im 4 . und 5. Jahrhundert auf den Balkan und also auch nach Mazedonien, in stärkerem Alassen vom 6. Jahrhundert an. Am Beginne des 7. drangen sie bis nach Südmazedonien vor, wo ihnen vom Kaiser Häraklius zwischen dem Olymp und Haliakmon Wohnsitze angewiesen wurden, innerhalb deren sie die Stadt Servia gründeten. Nach und nach wurde der Balkan von seinem Nordwesten an bis zum Schwarzen Meer und süd-
lich bis dicht an den KUstensaum Mazedoniens von Slawen besiedelt oder stark durchsetzt. Die Griechen (heute etwa 550 000) wurden auf das Gelände zurückgedrängt, südlich einer Linie, die etwa von Koritza über Kastoria nach Osten läuft. Im 7. Jahrhundert kamen die Bulgaren, ein ugro-finnischer Stamm, von den Ufern der Wolga nach dem Balkan, unterwarfen die vor ihnen in der Dobrudscha und in Mösien angesiedelten Slawen und vermischten sich derartig mit ihnen, daß sie völlig slawisiert wurden. Ihr Herrscher Symeon (893—927) schuf ein großbulgarisches Reich, zu dem auch ganz Mazedonien gehörte. Hier wurden die Bulgaren später wieder verdrängt von den Serben, die sich im 12. Jahrhundert unter dem Herrschergeschlecht der Nemanjiden zu einem großserbischen Reich zusammenschlossen, dessen Hauptstadt seit Urosch II. (1282 bis 1321) Skoplje ( = Uesküb) in Nordmazedonien war. Unter den Asseniden kamen mazedonische Gebiete vorübergehend wieder unter bulgarische Oberhoheit. So ging Mazedonien in diesen Jahrhunderten wechselnd von einer Hand in die andere. Wie heute machten sich im Mittelalter Griechen, Serben und Bulgaren den Besitz des Landes streitig. Wären diese Völker einig gewesen, dann wären sie nicht so leicht eine Beute der Türken geworden. Das serbische Reich fand seinen Untergang durch die Schlacht auf dem Amselfelde (15. Juni 1389), das bulgarische wurde 1393 von den Türken erobert. Nach dem Untergange dieser beiden bedeutendsten Balkanstaaten waren die Türken nicht mehr im Besitze Mazedoniens bedroht, das sie schon seit 1370 besetzt hatten. Ein Rückblick auf die mazedonische Geschichte ergibt die Tatsache, daß in diesem Land nacheinander Griechen, Römer, Byzantiner, Serben, Bulgaren und Türken die Oberhand hatten. Außerdem steht fest, daß die mazedonischen Slawen völkisch den Übergang von den slawischen Bulgaren zu den Serben bildeten. Sie würden sich im Verlaufe der Geschichte nicht bald als Glieder des serbischen und bald wieder als Glieder des bulgarischen Reiches haben fühlen können, wenn sie nicht schließlich mit beiden Nachbarn stammes- und sprachverwandt gewesen wären. Infolgedessen ist es ein aussichtsloses Unterfangen, die mazedonischen Slawen (etwa 900 000) in Serben oder Bulgaren zutreffend aufteilen zu wollen. Auch ihre Sprache ist keine einheitliche, sondern weist dialektische Übergänge vom Serbischen zum Bulgarischen auf. Die mehrhundertjährige türkische Herrschaft hat das gesegnete
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Land ausgesogen und in der K u l t u r zurück- das unter dem 10. I I I . 1870 durch F i r m a n gehalten. Auch die in der Neuzeit angelegten des Sultans errichtete B u l g a r i s c h e E x a r Eisenbahnen (Saloniki-Uesküb-Mitrovitza; c h a t , welches den Bulgaren nicht bloß eine Saloniki - M o n a s t i r ; Saloniki - Seres - D r a m a ) nationale Kirche sicherte, sondern auch entsprechen n u r bescheidenen Bedürfnissen. politische Vorteile z u f ü h r t e ; denn da in Im übrigen ist bezüglich der in Mazedonien Art. 10 allen Orten in der europäischen ansässig gewesenen und noch heute ansässigen Türkei der Anschluß an das E x a r c h a t geTürken zu sagen, d a ß sie n u r ausnahmsweise s t a t t e t war, wenn er von der Gesamtheit echte Osmanen, sondern meist N a c h k o m m e n oder von zwei Dritteln der Einwohner gevon Renegaten sind, d. h. von Serben, wünscht wurde, so s t r ö m t e n n u n m e h r und Bulgaren und Griechen, die einst zum Islam zwar namentlich in Mazedonien massenweise ü b e r t r a t e n , um ihre soziale und w i r t s c h a f t - Slawen dem E x a r c h a t zu, die meisten nicht aus S y m p a t h i e f ü r die bulgarische Nationaliliche Lage zu verbessern. Die m a z e d o n i s c h e F r a g e , die vor dem t ä t , sondern aus H a ß gegen das Griechentum Weltkriege J a h r z e h n t e lang die europäische und in der E r w a r t u n g , durch diesen Anschluß slawische Bischöfe, Geistliche und Lehrer Politik b e s c h ä f t i g t e , e n t s t a n d als eine notsowie im Gottesdienst die slawische Sprache wendige Folge der im 19. J a h r h u n d e r t wieder zu b e k o m m e n Die Bulgaren n a h m e n alle auf der Balkanhalbinsel geschaffenen natiodiese mazedonischen Exarchisten vor der nalen S t a a t e n der Griechen, Serben und BulWelt als unerlöste Volksgenossen in Anspruch garen. H i e r d u r c h sowie durch das Einströund begründeten auch d a r a u f h i n m i t zäher men westeuropäischer Einflüsse wurde das Rücksichtslosigkeit ihr größtes Anrecht auf Nationalbewußtsein aller Griechen, Serben Mazedonien, wodurch sie eine tiefgründige und Bulgaren auf dem Balkan neu belebt. Verstimmung der Griechen, Serben und auch Es kam hinzu, d a ß sie n u r unvollkommen der R u m ä n e n gegen sich e n t f a c h t e n , die in den neuen N a t i o n a l s t a a t e n vereinigt waren. besonders im zweiten Balkankrieg (1913) Der S c h w e r p u n k t dieser Irredenta war Maze- zum Ausdruck k a m . Das im J a h r e 1909 donien. Die hier wohnenden Griechen er- ans Ruder gekommene j u n g t ü r k i s c h e R e s t r e b t e n den Anschluß an Griechenland, g i m e n t , das die Gleichberechtigung aller türvon den Slawen die einen den an Serbien, die kischen Staatsangehörigen zum Grundsatz eranderen an Bulgarien. Diese Bestrebungen hob, k o n n t e die mazedonischen Schwierigkeiwurden von den e r w ä h n t e n drei Balkanstaaten ten auch nicht beheben, da die Mehrzahl der gefördert. Es kam zu A u f s t ä n d e n , die von national so verschiedenen Bewohner Mazeden türkischen T r u p p e n niedergeworfen w u r - doniens gar nicht im türkischen Staatsverden. Ein großherrliches Dekret vom 22. IV. bande bleiben wollte. Im Gegenteil, da die 1896 versprach R e f o r m e n , die jedoch den jungtürkische Regierung eine „Ottomanisief ü r ein autonomes Mazedonien agitierenden | r u n g " ihrer Staatsangehörigen beabsichtigte, Kreisen nicht genügten. Es entstanden seit verschärfte sie die nationalen Gegensätze. Z u r 1897 nacheinander bulgarische (Andarti), Abwehr schlossen sich die vier Balkanstaaten serbische (Comitte) und griechische (Ko- Bulgarien, Serbien, Griechenland und Montem i t a t s c h i ) Banden, die m i t materieller und j negro allmählich von 1910 bis 1912 zum B a l moralischer U n t e r s t ü t z u n g der entsprechen- j k a n b u n d zusammen, dem die Verdrängung den S t a a t e n berufsmäßig das gleiche Ziel j der Türken und die Aufteilung Mazedoniens Die Türken wurden im verfolgten, den T ü r k e n den Besitz Maze-! Hauptziel waren. doniens zu verleiden, sodann sich aber auch Balkankrieg 1912/13 von den Verbündeten gegenseitig den Boden streitig m a c h t e n . j besiegt. Bei der Verteilung der Kriegsbeute Der b e r ü h m t e s t e B a n d e n f ü h r e r war der Bul - erhoben die Bulgaren maßlose Ansprüche. gare Sandanski. Die Bulgaren waren über- Sie verlangten von dem eroberten Gebiet, h a u p t bei diesem W e t t b e w e r b durch ver- bei dem es sich hauptsächlich um Mazedonien schiedene ihnen günstige U m s t ä n d e im Vor- handelte, f ü r sich 87 0 0 0 q k m , während t e i l : 1. durch den nach dem russisch-türki- Serbien n u r 26 000, Montenegro 7000 und schen Krieg von 1877/78 geschlossenen P r ä - Griechenland l l O O O q k m erhalten sollte; von den Griechen forderten sie die Herausgabe l i m i n a r f r i e d e n v o n S a n S t e f a n o (3. III. Salonikis, trotzdem dies auch nach türkischer 1878), der die Wiederherstellung eines großAuffassung stets als griechische S t a d t gebulgarischen Reiches ins Auge f a ß t e , das golten h a t t e und hier am 18. III. 1913 den größten Teil Mazedoniens in sich a u f der Griechenkönig Georg I. den Boden g e n o m m e n haben würde. Der Berliner Konm i t seinem Blut gleichsam neu geweiht g r e ß (13. V I I . 1878) schuf ein wesentlich hatte. Es kam zum Krieg gegen Bulgarien, kleineres F ü r s t e n t u m Bulgarien, aber in in dem dieses unterlag. Der B u k a r e s t e r den Bulgaren war das Bewußtsein geweckt F r i e d e n vom 10. V I I I . 1913 schuf die neue w o r d e n , d a ß sie die berechtigtste A n w a r t s c h a f t auf Mazedonien h ä t t e n ; 2. d u r c h
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Mazedonien — Mc-Ilvaine v . Coxes Lessee Scott
B a l k a n k a r t e und verteilte Mazedonien dera r t , d a ß S e r b i e n davon das me.iste erhielt, fast das ganze Wilajet Kossowo (18 000 qkm mit etwa 620 000 E.), einen Teil des Wilajets Monastir (900 qkm m i r 320 000 E.) und rund 5000 q k m vom Wilajet Saloniki m i t 170 000 E., zusammen 32 000 q k m m i t 1 110 000 E. Darin die S t ä d t e U e s k ü b , Prischtina, Prizrend, Veles, M o n a s t i r , Kumanovo, Prilep, Lipljan, Dibra, Kruschowo, O c h r i d a , Struga, Radowischte, E g r i - P a l a n k a , Kotschana, Gostiwar, Istip, Kalkandelen und Kitschewo. G r i e c h e n l a n d gewann Südmazedonien und den breiten Küstensaum in der H ö h e vom Prespa-See über den Doiran-See bis zum Mestafluß, ein Gebiet von rund 23 000 q k m m i t etwa 800 000 E. und m i t den S t ä d t e n S a l o n i k i , K a w a l l a , D r a m a , S e r r e s , Kilkis, J e n i d s c h e - W a r d a r , S e r v i a , V o d e n a , Demir-Hissar, Florina, Awdela, Gruvena und K a s t o r i a . Bulg a r i e n erhielt den östlichen Teil des bisherigen Wilajets Kossowo (etwa 5000 q k m m i t 150 000 E.) und das im bisherigen Wilajet Saloniki belegene mittlere S t r u m a t a l (12 000 q k m m i t 260 000 E.). Nennenswerte Orte darin Nevrokop und S t r u m i t z a . K a m e n bei dieser Aufteilung auch verschiedene nach Bulgarien hinneigende Grenzbezirke nicht zu diesem S t a a t , so m u ß doch geurteilt werden, d a ß sie ehrlich versucht h a t , den völkisch so schwierigen Abgrenzungen einigerm a ß e n gerecht zu werden. Sämtliche Balkans t a a t e n ist n a c h z u r ü h m e n , d a ß sie sich sof o r t ans W e r k m a c h t e n , die ihnen zugefallenen mazedonischen Gebiete in geschickter Weise ihrem Staatsorganismus anzugliedern und durch eine geordnete Verwaltung die Schäden der langen T ü r k e n h e r r s c h a f t und der beiden Balkankriege zu beheben. Der Ausbruch des W e l t k r i e g e s (1914) brach diese Bemühungen im Anfange ab. Bulgarien h o f f t e durch Anschluß an die Mittelmächte die ihm durch den Bukarester Frieden a u f erlegten E n t t ä u s c h u n g e n auszugleichen und nach einem siegreichen Feldzuge Mazedonien bis zum Ochrida-See und an der Küste bis zur S t r u m a m ü n d u n g zu gewinnen (vgl. I w a n W a s o f f , „ W a s a l l a " ) . Der unglückliche Ausgang des Weltkrieges n a h m ihm durch den V e r t r a g v o n N e u i l l y (27. X I . 1919) seinen 1912 gewonnenen Anteil an der Aegais, der an Griechenland fiel, u n d den m a z e d o n i s c h e n B e z i r k S t r u m i t z a , den es an das neue südslawische Königreich verlor. Somit befindet sich das ehemalige Mazedonien gegenwärtig hauptsächlich in serbischem (südslawischem) und griechischem und zu einem kleineil Teil in bulgarischem Besitz. Ob bei der offenkundigen Unzufriedenheit Bulgariens mit dieser Aufteilung
die letzte Entscheidung ü b e r Mazedoniens Geschick eine endgültige ist, bleibt eine offene Frage an die Z u k u n f t . Literatur: K. Schwarzlose, Mazedonien und die mazedonische Frage. J a h r b . der E r f u r t e r A k a d . d. Wiss., H e f t 37, E r f u r t 1911. — Kern, Aus Makedonien in alter und neuer Zeit. Ebenda, H e f t 40, E r f u r t 1914. — A . Ischirkoff, Les Slaves de Macädoine, Paris 1908. — K. Gersln, Macedonian u n d das türkische Problem. Wien 1903. — Milovanovltsch, Die macedonische Frage. Wien 1896 i. „ d i e Z e i t " , Bd. IX. — Flathe, Gesch. Macedoniens, Lpz. 1832—34. — A. Wirth, Der Balkan. S t u t t g a r t 1914. — H. Grothe, Bulgarien. Wien 1921. — A. Struck, Makedonische F a h r t e n . W i e n 1907. Schwarzlose.
Mc-Ilvalne v. Coxes Lessee. D u r c h den A k t vom 4. X . 1776 erklärte der S t a a t New J e r s e y alle jene Personen zu seinen Staatsangehörigen, die auf seinem Gebiet geboren u n d w o h n h a f t s i n d . In unserem Rechtsstreite w u r d e n u n b e h a u p t e t , d a ß eine Person, die zu jenem Kreise z ä h l t e und die 1777 New J e r s e y verlassen u n d sich f ü r England e r k l ä r t h a t , auf G r u n d des Friedensvertrags zwischen E n g l a n d u n d den Vereinigten S t a a t e n (1783) die englische Staatsangehörigkeit erlangt habe u n d im Verhältnis zu New J e r s e y Ausländerin geworden sei. Das a m e r i k a n i s c h e oberste Bundesgericht h a t jedoch diese Auffassung verworfen und d a r ü b e r im wesentlichen folgendes a u s g e f ü h r t : Im g e n a n n t e n S t a a t s vertrage f i n d e t sich keine B e s t i m m u n g , welche der in Rede stehenden Person ein Optionsrecht f ü r England einräumen w ü r d e . Der V e r t r a g e r k e n n t die U n a b h ä n g i g k e i t u n d S o u v e r ä n i t ä t der Vereinigten S t a a t e n „ i n their political c a p a c i t i e s " u n d e n t h ä l t den Verzicht Englands auf seine f r ü h e r e n Rechte u n d Ansprüche in den Vereinigten S t a a t e n . D a r u n t e r fallen auch die ehemaligen Ansprüche auf Zugehörigkeit der B ü r g e r der Vereinigten S t a a t e n zu E n g l a n d . :Die Frage a b e r , w e l c h e Personen, zu jener Zeit, Staatsangehörige der Vereinigten S t a a t e n waren, ist im Friedensvertrage w e d e r e n t schieden, noch auch n u r b e r ü h r t . Diese Entscheidung dieser Frage w u r d e n o t w e n digerweise den Gesetzen der betreffenden S t a a t e n überlassen „ w h o , in t h e i r sovereign capacities, had acted a u t h o r i t a t i v e l y u p o n the subject". Der F r i e d e n s v e r t r a g beließ alle Personen in ihrer f r ü h e r e n S t a a t s angehörigkeit; er b e r ü h r t e die einschlägigen
Mc-llvaine v. Coxes Lessee Scott — Medea-Fall Gesetze nicht, ganz im Gegenteil anerkannte er ihre Gültigkeit durch die Verfügung, der Kongreß möge jenen Staaten, die Konfiskationen verfügt hätten, empfehlen, diese wieder in Erwägung zu ziehen. Wenn aber die ; unsere Frage betreffenden Gesetze in jener Zeit nur vorübergehender Natur waren und bereits erloschen sind (functi officio), so. war dies sicherlich weder eine Folge des Friedensvertrages, noch auch der politischen Situation zwischen beiden Staaten. Eine gegenteilige Doktrin wäre nicht nur in Widerspruch mit der Souveränität der Staaten, welche dem Vertrage vorhergeht und von ihm unabhängig ist (anterior to and independent of the treaty), sondern würde auch zu unvoraussehbaren Konsequenzen führen. Die zur Zeit des Inkrafttretens des genannten Staatsvertrages in Geltung gestandenen Staatsbürgerschaftsgesetze von New Jersey sind somit durch jenen Vertrag nicht berührt worden ( M o o r e , A digest of international law, 1906, Bd. III, S. 289f.). Diese auch in den Friedensverhandlungen von Brest-Litowsk anläßlich der Selbständigerklärung der Ukrainischen Volksrepublik angezogene Entscheidung bekennt sich also zum Grundsatz, daß ein Staat, bereits vor seiner völkerrechtlichen Anerkennung eine gewisse, international relevante, Kompetenz besitzt. Vgl. darüber das Stichwort „ E n t stehung von Staaten". Verdross.
Medea-Fall. Holländisches Schiff, auf der Fahrt von spanischen Häfen nach London mit einer Ladung Apfelsinen und Mandarinen von einem deutschen Unterseeboot am 25. III. 1915 im Kanal aufgebracht und versenkt. Deutsche Prisengerichtsentscheidungen vom 13. VIII. 1915 (Prisengericht Hamburg) und 15. V. 1916 (Oberprisengericht, Entsch. d. OPG. Bd. I, S. 131) Deutsch-niederländischer Notenwechsel über Zerstörung dieses Schiffes und das Recht Prisen zu versenken, im allgemeinen, sowie ferner über Nachprüfung des Urteils des Oberprisengerichts durch ein internationales Schiedsgericht (Holl. Orangebuch Juli 1914/Oktober 1915, S. 19ff. und Juli/Dezember 1916 S. 11 ff.). Das Oberprisengericht legte in der E n t scheidung dar, daß Apfelsinen als Teil der menschlichen Kost als Lebensmittel (Prisenordnung Ziff. 231) anzusehen seien, im übrigen auch Nährwert hätten, daß eine etwaige Verarbeitung auf Marmelade an dem Charakter der Apfelsinen selbst als
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Lebensmittel nichts: ändere, auch Getreide müsse erst vermählen werden, und daß es für die gerichtliche Entscheidung nach der feindlichen Bestimmung im Sinne von Ziff. 32 der Prisenordnung (Art. 33 L. E.) nicht „ausschließlich auf die Zeit der Beschlagnahme" ankomme, also nicht auf die Absicht des Verladers bzw. Empfängers, sondern 1 auch darauf, ob die Ware später, „wenn es zu der Beschlagnahme und Zerstörung nicht gekommen sei", für die feindliche Streitoder feindliche Verwaltungsstellen bestimmt worden sein würde (vgl. auch die Entscheidung des OPG. Maria (OPG. Bd. I S. 45). Da London ein befestigter Platz sei, der als Versorgungsbasis diene, spräche nach Ziff. 33 PrO. (Art. 34 L. E.) die Vermutung f ü r eine solche Bestimmung, diese sei nicht widerlegt, da die Ware in einer Auktion verkauft worden wäre und davon auszugehen sei, daß die englische Regierung bestrebt: sei, Apfelsinen anzukaufen, sei es zur Herstellung von Marmelade, sei es als Zukost f ü r Messen und Kantinen. Daher sei die Ladung als Konterbande anzusprechen gewesen, und hätte Ladung und Schiff der Einziehung unterlegen. Die Zerstörung sei unter den Umständen der Aufbringung rechtmäßig gewesen. Der deutsch-holländische Notenwechsel aus dem Jahre 1915 behandelte neben der Frage des Konterbandencharakters der Ladung und der Bezeichnung Londons als „base de ravitaillement" oder „place fortifiße" (L. E. Art. 34) das Recht zur Zerstörung neutraler Prisen und die Voraussetzungen der Art. 48—50 der L. E. Nach Ergehen der Entscheidung des Oberprisengerichts nahm die holländische Regierung in einer Note vom 19. 9. 1916 den Schriftwechsel wieder auf, erklärte von dem Urteil des Oberprisengerichts, es käme darauf hinaus, den Unterschied zwischen absoluter und relativer Konterbande zu beseitigen, hielt auch ihren Standpunkt aufrecht, daß eine systematische Zerstörung von neutralen Prisen eine Verletzung des Art. 49 der L. E. erhalte, der eine Zerstörung nur „par exception" erlaube, daß ferner die Versenkung der „Medea" unter Verletzung des Art. 50 der L. E. über Sicherung der an Bord der Prise befindlichen Personen verstoßen habe, und forderte die Einsetzung eines internationalen Schiedsgerichts f ü r den Fall. Die deutsche Regierung lehnte den Vorschlag ab, sie erklärte, prinzipiell entsprechend der Haltung der deutschen Delegation 1907 im Haag gern zu einer internationalen Nachprüfung von Prisenurteilen bereit zu sein, an Englands Widerstand
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Medea-Fall — Mediation
sei aber leider das zwölfte H a a g e r Abk o m m e n gescheitert, w e n n das Deutsche Reich im Fall „ M e d e a " sich auf ein Schiedsgericht einlasse, so könne es das auch in a n d e r e n Fällen nicht weigern, d a m i t würde sich eine Ungleichheit im Seekrieg zwischen D e u t s c h l a n d u n d seinen zur N a c h p r ü f u n g der Urteile ihrer Prisengerichte nicht bereiten Feinden z u u n g u n s t e n Deutschlands ergeben. Diese auf sich zu n e h m e n , könne dem Deutschen Reich nicht zugemutet werden (vgl. auch A r t . 51 Abs. 1 des zwölften H a a g e r Abkommens). Grau.
Mediation. I. Die B e m ü h u n g e n eines oder m e h r e r e r S t a a t e n in einer gespannten S i t u a t i o n , in der sich a n d e r e befinden, das friedliche Verhältnis zwischen diesen a u f r e c h t zu erhalten u n d d a d u r c h einem Kriege vorzubeugen, n e n n t m a n g u t e D i e n s t e (bons offices). Bestehen diese B e m ü h u n g e n darin, auf Ersuchen der Streitteile, oder doch m i t deren Z u s t i m m u n g Vorschläge z u r Beilegung des K o n f l i k t e s zu m a c h e n , so s p r i c h t m a n von M e d i a t i o n o d e r V e r m i t t l u n g . Gute Dienste u n d V e r m i t t l u n g können auch den Zweck h a b e n , einem bereits ausgebrochenen Kriege ein Ende zu m a c h e n ( r e t a b l i e r e n d e M e d i a t i o n ) , nicht bloß dem Kriege vorzubeugen ( p r ä v e n t i v e M e d i a t i o n ) . Gute Dienste können einer Partei allein geleistet werden, ohne d a ß die andere etwas davon weiß. Mediation setzt mindestens das W i s s e n beider Streitteile um sie v o r a u s . Im übrigen gehen die beiden diplomatischen Methoden i n e i n a n d e r über. Infolgedessen h a t die H a a g e r F r i e d e n s a k t e der guten Dienste g a r n i c h t m e h r besondere E r w ä h n u n g getan, sondern Iäßt sie diese in der Mediation aufgehen. Um so schärfer h e b t sich die Mediation vom Schiedssprüche ab. Das S c h i e d s g e r i c h t entscheidet u n d v e r p f l i c h t e t z u r A n n a h m e seines Spruches, die M e d i a t i o n hingegen e m p f i e h l t sie n u r . Ein vom Vermittler erteilter R a t e n t b e h r t verbindlicher K r a f t ; der von ihm g e m a c h t e Vorschlag bedarf der A n n a h m e durch beide Teile, wenn er dem S t r e i t ein E n d e m a c h e n soll. Das Schiedsgericht gehört der J u r i s p r u d e n z an, die Mediation der Politik. Im Unterschiede vom Schiedsgericht ist das Anwendungsgebiet der Mediation ein unbegrenztes u n d sind besondere Formen des Verfahrens bei ihm nicht ausgebildet. In dieser ihrer Anpassungsfähigkeit liegt ihr großer Vorzug, a b e r auch eine gewisse Gefahr des Mißbrauches. N u r ein Mittel ist ausgeschlossen: Gewalt u n d eben-
sowohl auch Drohung m i t Gewalt. Die Vorschläge dürfen daher nicht in Vorstellungen übergehen. Die sog. bewaffnete Mediation ist ü b e r h a u p t keine Mediation. II. Die diplomatische Praxis h a t Mediation schon seit J a h r h u n d e r t e n g e ü b t , sowohl um Kriege zu v e r h ü t e n , als auch um sie zu beenden. Aus neuester Zeit verdienen E r w ä h n u n g die Vermittlung der Großmächte im Luxemburger Fall 1867, auf der Pariser Konferenz über Kreta 1869 und im griechischtürkischen Konflikt 1881, die Leos X I I I . im Karolinenfall und zwischen Großbritannien und Portugal um ostafrikanische Gebiete 1890, des apostolischen N u n t i u s zwischen Peru und Ecuador 1893, in wiederholten Fällen die Mediation der a m e r i k a nischen Union zwischen zentral- und s ü d amerikanischen S t a a t e n , der A-B-C-Staaten zwischen der Union und Mexiko. Durch Vermittlung Rußlands und Frankreichs wurde der bayerische Erbfolgekrieg 1779 durch den Frieden von Teschen beendet, noch ehe er eigentlich begonnen h a t t e . Wie der Friede zu Münster zwischen dem Deutschen Reich u n d Frankreich 1648 u n t e r der Mediation von Venedig zustande gekommen war, so der Friede von Karlowitz zwischen Österreich und der Türkei u n t e r der Verm i t t l u n g Englands und Hollands. Alis neuester Zeit gehören in das Gebiet der retablierenden guten Dienste die Wiener Verhandlungen, die den Pariser Frieden 1856 vorbereiteten, und die Londoner B o t s c h a f t e r Konferenz, die dem Balkankriege 1913 ein vorläufiges Ende m a c h t e . (Die E r k l ä r u n g Greys vom 27. V. 1913 h a t t e allerdings einen ziemlich drohenden Ton gegen jene S t a a t e n angeschlagen, die den Frieden nicht unterzeichnen wollten.) Formelle Mediation der Unionstaaten f ü h r t e zum Frieden von P o r t s m o u t h 1905. III. Die Haager Friedensakte 1899, A r t . 3 erklärt es f ü r nützlich (und seit 1907 auch wünschenswert), d a ß eine oder mehrere unbeteiligte Mächte ihre guten Dienste oder ihre Vermittlung a n b i e t e n , soweit die U m s t ä n d e des Falles sich dazu eignen. Scheinbar weiter geht der A r t . 2 derselben Akte, indem er s a g t : „ D i e vertragschließenden Mächte kommen überein (conviennent), bevor sie im Falle eines schweren Dissenses oder eines Konfliktes zu den Waffen greifen, die guten Dienste oder die Vermittlung einer oder mehrerer befreundeter Mächte anzurufen, soweit die U m s t ä n d e es gestatten werden. „Durch diese rein potestitive Bedingung ist aber die Norm u m jede verbindliche K r a f t geb r a c h t . Die Aufgabe des Mediators bezeichnet A r t . 4 dahin, die einander gegenüberstehen-
Mediation
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den Ansprüche zu vereinigen und die Ver- Verlaufe wurde jedoch die Formel des russis t i m m u n g e n zu beheben, die zwischen den schen E n t w u r f e s wieder hergestellt. in Streit befindlichen S t a a t e n etwa e n t Viel m e h r Aussicht als f ü r die Aufstellung s t a n d e n sind. A r t . 6 b e s t i m m t ausdrücklich, einer Pflicht zum Anrufen der Vermittlung d a ß der R a t des Mediators keine ver- besteht f ü r die Anerkennung einer Pflicht, bindliche K r a f t habe. Ebensowenig ist der sie anzubieten. J e m e h r der Krieg als schweres Vermittler verpflichtet, f ü r seinen R a t Übel nicht nur f ü r die Kriegsparteien, einzustehen, wenn er befolgt wird. E r ist sondern auch f ü r die nicht u n m i t t e l b a r nicht etwa G a r a n t des abgeschlossenen Ver- an ihm beteiligten Mächte e r k a n n t wird, gleiches. desto einleuchtender wird es, d a ß diesen IV. Wiederholt wurden Versuche ge- letzteren in ihrem eigenen Interesse ein m a c h t , die Mediation d a d u r c h w i r k s a m e r Recht zustehen m u ß , alles zu t u n , um dem In zu gestalten, d a ß die Streitteile verpflichtet Ausbruch eines Krieges vorzubeugen. w ü r d e n , e n t w e d e r selbst eine V e r m i t t l u n g Gemäßheit dieser Anschauung wurde auch a n z u r u f e n , oder die ihnen angebotene Ver- im A r t . 3 der Friedensakte das Anerbieten mittlung anzunehmen. Eine Pflicht zum der Vermittlung im Gegensatze zu der A n r u f e n der V e r m i t t l u n g w u r d e zum ersten Ansicht älterer Schriftsteller, die darin eine Male f ü r einen b e s c h r ä n k t e n Kreis von Fällen unerlaubte Einmischung in f r e m d e AngeIm A r t . 8 des Pariser Friedens 1856 a u f - legenheiten sahen, als nützlich und seit 1907 gestellt, nach welchem im Falle eines K o n - auch als wünschenswert erklärt. Allerdings fliktes zwischen der Hohen Pforte u n d einer wurde eine Bestimmung darüber, d a ß auch der anderen S i g n a t a r m ä c h t e jeder S t r e i t - die A n n a h m e der angebotenen Vermittlung teil vor der A n w e n d u n g von Gewalt die nützlich und wünschenswert sei, wie m a n anderen V e r t r a g s m ä c h t e (also nicht Unbe- sie als das notwendige Korrellat dazu h ä t t e teiligte, sondern gerade im Gegenteil die erwarten können, nicht a u f g e n o m m e n . Die übrigen Interessenten) in den S t a n d setzen Konferenz begnügte sich d a m i t , auf Nigras soll, diesem Äußersten d u r c h ihre V e r m i t t - A n t r a g auszusprechen, d a ß ein solches lung vorzubeugen. In ähnlicher Weise ver- j Anerbieten nie als unfreundliche Akte a n pflichteten sich in A r t . 12 der Berliner gesehen werden dürfe, während sie sich m i t Kongoakte 1885 die S i g n a t a r m ä c h t e u n d vollem Rechte weigerte, auch die Ablehnung die A d h ä r e n t e n im Falle eines ernstlichen eines solchen Anerbietens, wie Serbien beKonfliktes in bezug auf die in A r t . 1 dieser a n t r a g t h a t t e , als einen nicht unfreundlichen Die größte SchwierigA k t e bezeichneten Gebiete, bevor sie zu A k t anzuerkennen. den W a f f e n greifen, die Vermittlung einer keit in bezug auf die Mediation bildete die F ü r die Streitteile oder mehrerer b e f r e u n d e t e r Mächte a n z u - Frage des Subjektes. rufen. Ohne Beschränkung auf b e s t i m m t e ist es meistens sehr schwierig, sich über die Konflikte h a t t e n die S i g n a t a r m ä c h t e des gemeinsame Wahl des Vermittlers zu einigen, Vertrauen Friedens 1856 im 23. Protokoll dieses Kon- dem sie beide gleichmäßiges gresses auf A n t r a g Lord Ciarendons zögernd entgegenbringen können. Und ebenso schwer u n d nicht ohne Bedenken ganz allgemein fällt auch den Unbeteiligten der E n t s c h l u ß , den W u n s c h ausgesprochen, die S t a a t e n wer von ihnen sich als Vermittler anbieten Beide Schwierigkeiten werden gem ö c h t e n , bevor sie zu den W a f f e n greifen, solle. so viel, als die U m s t ä n d e es g e s t a t t e n w ü r d e n , mildert, wenn auch nicht behoben, wenn zu den guten Diensten einer b e f r e u n d e t e n die Mediation in die H a n d einer Mehrheit Macht ihre Z u f l u c h t n e h m e n . Dieser W u n s c h von Mächten gelegt wird (Kollektivmedibildet den A u s g a n g s p u n k t f ü r den Vorschlag ation). der russischen Regierung im H a a g 1899, Eine besondere Form der Mediation, nach welchem die Mächte ihren E n t s c h l u ß die in A r t . 8 der Friedensakte auf a m e r i aussprechen sollten, in Fällen, in welchen kanischen A n t r a g aufgenommen wurde, ist die U m s t ä n d e es g e s t a t t e n , die g u t e n Dienste bisher nicht praktisch geworden. Sie besteht oder die Vermittlung a n d e r e r a n z u r u f e n . darin, d a ß jeder der im Streit befindlichen Der italienische Delegierte Nigra wollte S t a a t e n einen anderen mit der Aufgabe wenigstens f ü r gewisse Fälle eine Verpflich- b e t r a u t , in u n m i t t e l b a r e Verhandlung m i t t u n g dieses Inhaltes aufstellen. In d e r der von der anderen Seite gewählten Macht überaus lebhaften Diskussion, die d a r ü b e r zu treten, w ä h r e n d die Streitteile selbst s t a t t f a n d , wurde im Komitee zuerst ein u n t e r sich jede unmittelbare Verhandlung V e r m i t t l u n g s a n t r a g L a m m a s c h a n g e n o m m e n , über den Streitfall einstellen. d a s Anrufen der Mediation, wenn auch Literatur: nicht zur Pflicht, so doch zur Regel zu Meurer, Friedensrecht der Haager Konm a c h e n , „sofern nicht besondere U m s t ä n d e ferenz, Münster 1905. — Fourchault, sich ihm entgegenstellen". Im späteren Mediation, Paris 1900. — Zamflresco,
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Mediation — Meer, hohes MSdiation, Paris 1911. — Leser, Vermittlung und Intervention, Gotha 1917. — Lammasch in der österr. Zeitschrift f ü r öffentliches Recht, Wien 1915, II, 205ff. L a m m a s c h (f).
Meer, hohes. Bereits das römische Recht kannte die Meeresfreiheit, indem es die Formel prägte: das Meer gehört zu den „communia omnium" (§ 1 J . 2, 1; vgl. weiter I. 2 § 1 D. 1, 8; 1. 3 § 1 D. 43,8; 1. 13 § 7 D. 47, 10). Jede ausschließliche Herrschaft, jedes Sonderrecht war ausgeschlossen. Aber deshalb war das Meer doch keine res nullius; denn es konnte auch nicht okkupiert werden und unterlag dem usus publicus: „mare omnibus patet (Ulpian)". Jeder war voll gebrauchsberechtigt und hatte nur an dem ganz gleichen Recht der anderen seine Schranke. Das war indes rein privatrechtlich ged a c h t ; für die öffentliche Seite fehlte noch das Verständnis, und ein Völkerrecht gab es noch nicht. Der Fortbildung ins Völkerrechtliche standen lange Zeit Sätze des römischen Rechts selbst im Weg. Celsus hatte an den Küsten, die mit dem Meer auf eine Stufe gestellt waren (§ 1, 2, 5 J . 2, 1; 1. 2 § 1 D, 1, 8; 1.3 § 1 D. 43, 8; 1. 13 § 17 D. 47, 10) xur Deutung des usus publicus ein „Imperium" des römischen Volkes angenommen (I. 3 pr. D. 43, 8), und der Kaiser Antoninus hatte das stolze Wort gesprochen: „Ego quidem mundi dominus, lex autem maris" (1. 3 D. 14, 2). Diesem Beispiel folgte der Kaiser des heiligen römischen Reiches deutscher Nation, der gleichfalls Anspruch auf die Weltherrschaft erhob und sich „des Oceani Konig" nennen ließ. Die Seemächte wollten nicht zurückstehen und spielten sich als die Gebietsherren der anliegenden Meere auf. Nach den großen Entdeckungen verteilten die Päpste Nicolaus V., Alexander VI. und Julius II., die sich in der Rolle des Antoninus fühlten, wiederum aus der Idee der Weltherrschaft heraus die Meere, indem sie f ü r die Gebietshoheit auf der hohen See feste Linien zogen. Die Umbildung vollzog sich erst im Zusammenprall der Auslandspolitik der Seemächte in der Neuzeit, und mit dem Völkerrecht kam jetzt auch die völkerrechtliche Meeresfreiheit, indem das Völkerrecht die privatrechtlichen Sätze des römischen Rechts vom „usus publicus" am Meer einfach übernahm. Der Vorkämpfer für die Meeresfreiheit war der Holländer Hugo Grotius, der Vater des Völkerrechts (vgl. den Art. „Grotius").
Nicht das Rechts-, sondern das politische Interesse, genauer der Patriotismus trieb ihn auf den Plan. Die im Jahre 1602 gegründete holländisch-ostindische Kompagnie sah ihre Niederlassung in J a v a durch .die spanisch-portugiesische Herrschaft in den ostindischen Gewässern bedroht. Da trat Grotius mit zwei politischen Schriften („De iure praedae" 1605; „Mare liberum Sive de iure quod Batavis competit ad Indlcana commercia dissertatio" 1609) auf den Kämpfplatz, und die hier verfochtene Lehre von der Meeresfreiheit wurde später auch in sein Hauptwerk „De iure belli ac pacls" aufgenommen (II. c. 2 § 3; c. 3 § 9), das 1625 erschien und in alle Hauptsprachen der Welt übersetzt wurde. Grotius brachte wieder den Satz des römischen Rechts in Erinnerung, das Meer sei „omnium commune" und das bedeute nicht „commune civium Romanorum", sondern, wie schon Theo p h u s e r k l ä r t h a b e , „••toivbv πάντων
άν&ρώπχοτ".
Auch erinnerte er an den Satz des Ulpian „mare omnibus natura patere". Die politischen Schriften des Grotius richteten sich ausgesprochenermaßen gegen Spanien-Portugal (seit 1580 vereinigt), dessen Ansprüche auf das indische Meer zerpflückt wurden. Getroffen fühlte sich aber auch England, das seine Herrschaft über das „mare anglicanum" bedroht sah, weshalb der englische König Karl I. sogar die Bestrafung des Grotius sowie die Unterdrückung seiner Schrift verlangte und mit einer Gegenschrift drohte. Eine solche erschien denn auch von Wellwood 1609 ( „ D e d o m i n i o m a r i s " ) , Albericus Gentiiis 1613 („Hispanicae a d v o c a t i o n i s libri, in quibus illustres questiones maritimae secundum ius gentium et hodiernam praxim nitide perlustrantur") und Seiden 1618/35 (Mare clausum seu de dominio maris libri duo). Mare liberum und mare clausuni war jetzt lange das Schlagwort, der Parteien. Auch spanische, portugiesische und genuesische Schriftsteller traten im nationalen Interesse für das mare clausum ein. Es handelte sich überall um rein politische Schriften, die nur völkerrechtlich aufgeputzt waren; auch Grotius war reiner Politiker; aber für ihn sprach das römische Recht und die Wertbefreiungsidee. Nicht alles, was Grotius gegen die Eigentums- und Hoheitsfähigkeit des Meeres ausgeführt hatte, konnte vor der Kritik standhalten. Die Unmöglichkeit der Okkupation und Herrschaftsbegrenzung sowie die Unerschöpflichkeit des Meeres sind Behauptungen, die teils beweispflichtig sind, teils der Beweiskraft entbehren. Aber der Satz, daß das Meer notwendig ist für den Völkeryerjtehr
Meer, hohes und als Hochstraße für die Menschheit frei sein müsse, wirkte wie eine befreiende T a t . Zwar ist die Notwendigkeit und Unentbehrlichkeit einer Sache noch kein Besitztitel. Aber das Naturrecht — und Grotius war ein Naturrechtler par excellence — arbeitete immer nach der Formel, etwas als Recht auszuspielen, was wert war, Recht zu werden. Und so wurde die Meeresfreiheit ein Recht, einzig und allein durch den Staatenkonsens, der sich im Anschluß an Grotius vollzog und im römischen Recht, dem man so gern Weltrechtscharakter beilegte, verankerte. Der Rechtstitel der Meeresfreiheit ist das Völkergewohnheitsrecht, bei dessen Entwicklung die Notwendigkeit des Meeres f ü r den Völkerverkehr die Triebkraft war. Bynkerskoek (vgl. den einschlägigen Artikel) hat mit seiner Schrift „De dominio maris" 1702 den Sieg des Prinzips der Meeresfreiheit entschieden. Auch England hat sich später ausdrücklich zu ihm bekannt. Nur kam die englische Regierung zu dem Paradoxon, die Meeresfreiheit auf die englische Vorherrschaft zür' See zu gründen und durch diese als verbürgt erscheinen zu lass&n. Übrigens hatte schon die Königin Elisabeth von England 1580 anläßlich der Beschwerde des spanischen Gesandten Mendoza gegen die Entdeckungsreise Drakes, der im stillen Ozean mit den Spaniern zusammengeraten war, weil hier das Interesse Englands nur durch das Prinzip der Meeresfreiheit gewahrt erschien, erklärt: „Weder die Natur noch auch das allgemeine Interesse gestatten irgendwie einen ausschließlichen Besitz des Meeres durch eine Nation oder Privatperson; der Ozean ist frei für jedermann, es gibt keinerlei Rechtstitel, der ihn zu besitzen erlaubte, weder Natur noch Gewohnheit lassen die Besitzergreifung zu; Meer und Luftbereich sind Gemeingut aller Menschen." Draußen forderte England sein Recht, das es zu Hause den anderen noch lange verweigerte, bis auch das nicht mehr ging. Die Freiheit oder Hoheitslosigkeit des Meeres besteht darin, daß dieses keiner Staatsgewalt unterworfen ist. Deshalb herrscht hier aber noch keine Anarchie. Das Meer ist frei von der Gebietshoheit, aber nicht von der Rechtshoheit. Der Aufenthalt auf hoher See wird nur durch Schiffe ermöglicht, und da bestimmt nun das Völkerrecht, daß die Schiffe auf dem Meer schwimmende Bestandteile (territoires flottants) ihrer Heimat sind, also durch deren Recht beherrscht sind. Die Staaten sind es, die ihre Flaggen schützen und f ü r sie die
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völkerrechtliche Verantwortung tragen. Die Handelsschiffe werden von ihren Kriegsschiffen überwacht. Der Schutz vollzieht sich von Regierung zu Regierung. An Stelle der privatrechtlichen actio iniuriarum des römischen Rechts gilt für alle Staaten der Satz, der für Deutschland die verfassungsgesetzliche Formulierung erhielt (a. 112 II): „dem Ausland gegenüber haben alle Reichsangehörigen innerhalb und außerhalb des Reichsgebiets Anspruch auf den Schutz des Reichs". Der Schutz auf der einen Seite wandelt sich auf der anderen zur A u f sicht und Verantwortung. Kein Staat darf eine Gerichtsbarkeit über fremde Schiffe in Anspruch nehmen; die letzteren können vielmehr nur durch die Gerichte ihrer Heimat abgeurteilt werden. Der Inhalt der Meeresfreiheit und des damit begründeten usus publicus besteht darin, daß alle Staaten für sich bzw. f ü r ihre Staatsangehörigen die Benutzung des Meeres beanspruchen können. Das Meer ist res communis omnium im völkerrechtlichen Sinn. Die juristische Konstruktion dieses völkerrechtlichen usus publicus unterliegt noch dem Streit (vgl. die Angaben bei Meurer „Programm der Meeresfreiheit" S. 10). So viel ist sicher, daß jedes Sonderrecht ausgeschlossen ist und die Benutzungsmöglichkeit des einen Staates an dem gleichen Recht aller anderen Staaten ihre Grenze h a t . Die Benutzungsmöglichkeiten äußern sich hauptsächlich als Schiffahrt, Fischfang (einschließlich Perlfischerei) und Kabellegung. Die Untertunnelierung (vgl. die Artikel „Tunnelproblem, das englische und seine völkerrechtliche Bedeutung" und „ U n t e r grund") gehört nicht hierher. Denn der Boden unter dem Meer ist okkupationsfähig. Hier t u t sich die Gebietshoheit der Mündungsländer auf, die den Bau beherrschen und den Tunnel in ihre Staatsgewalt bringen. Der Schwerpunkt der Meeresfreiheit liegt in der Schiffahrtsfreiheit. Bedeutet das auch Landungsfreiheit? Im Sinn einer reinen Begriffsjurisprudenz wird man sagen können, daß Verkehrsfreiheit noch keine Eintrittsfreiheit ist, daß ζ. B. die Verkehrsfreiheit auf den Straßen dadurch noch nicht berührt wird, daß die Hauseigentümer ihre Türen geschlossen halten. Aber wer hinter den Worten die Dinge sucht, wird sagen müssen, daß Straßen und Verkehrsfreiheit völlig sinnlos sind, wenn sich die Häuser dem Verkehr nicht grundsätzlich öffnen. Wenn vielleicht noch nicht der Begriff der Verkehrsfreiheit, so verlangt doch wenigstens deren volle Auswirkung eine grundsätzliche Betretungs-
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bzw. Landungsbefugnis, freilich u n t e r A u f r e c h t e r h a l t u n g der H a u s - bzw. Landesgewalt zur W a h r u n g der eigenen Interessen. Die Meeresfreiheit will die Möglichkeit f ü r überseeischen Verkehr u n d Handel schaffen. Es genügt da n i c h t , d a ß die Schiffe auf dem Meere u m h e r f a h r e n , sie müssen d a n n auch landen d ü r f e n . Das römische Recht b e s c h r ä n k t e daher ganz folgerichtig den usus publicus nicht auf das „ m a r e " , sondern dieser e r f a ß t e auch „per hoc litora m a r i s " (1. 2 § 1 D. 1, 8 ; 1. 3 § 1 D. 43, 8 ; 1. 13 § 17 D. 47, 10; § 2, 5 J . 2, 1) und galt ebenso f ü r die H ä f e n (§ 2 J . 2, 1). Eine Folge des usus publicus litorum ist die Befugnis zum „ l i t u s m a r i s accedere" ( § 1 J . 2, 1; 1. 4 D. 1, 8). Dem Betreten von der L a n d seite entspricht das Anfahren von der Seeseite (Arg. 1. 5 p r . D . 1, 8). Indem das römische R e c h t den Schiffen die B e n u t z u n g der K ü s t e n u n d H ä f e n grundsätzlich freigab, legte es Zeugnis ab von der völkerverbindenden N a t u r der Meere. Das heutige Völkerrecht aber ist noch rückständig. Nach diesem ist der H a f e n geradezu ein Teil des Festlands u n d an Stelle des römisch-rechtlichen usus publicus an d e r Küste t r i t t heute die S o u v e r ä n i t ä t des K ü s t e n s t a a t e s m i t der rechtlichen Macht, den H a f e n zu sperren u n d die E i n f a h r t zu beschränken. Schon Qrotius legte die H a n d auf einen w u n d e n P u n k t , als er trotz der O k k u p a t i o n s fähigkeit der Buchten e r k l ä r t e : „ I l l u d certum est, etiam qui m a r e occupaverit navigationem impedire non posse inermem et i n n o x i a m , q u a n d o nec per terram talis transitus prohiberi potest, qui et minus esse solet necessarius et magis n o x i u s " ( I I . c. 3 § 12; vgl. auch Vattel II 1. 9. § 126). Als scharfumrissene Forderung steigt hier das G a s t r e c h t vor uns a u f : eine n a t ü r l i c h e , notwendige Folge u n d Auswirkung der Meeresfreiheit. F ü r die freie D u r c h f a h r t der H a n d e l s schiffe d u r c h die Küstengewässer n i m m t m a n bereits ein Gewohnheitsrecht an, und m a n spricht in diesem Sinn von einem ius passagii sive transitus i m o x i i " , „ d r o i t de passage inoffensif" (vgl. die Belege in Meurer, „ P r o g r a m m der Meeresfreiheit" S. 13), aber dem E i n f a h r t s r e c h t im Hafen stellt sich immer noch drohend die Souveränit ä t entgegen. Der G a s t v e r k e h r der Schiffe steht zurzeit lediglich unter dem S c h u t z des B r a u c h s oder der K o u r t o i s i e . Es besteht nur eine „tolfirance rdciproque; ce n'est pas u n d r o i t " (De Lapradelle, le droit de l ' E t a t sur Ia mer t e r r i t o r i a l e 1898 p. 21). Auf welch u n -
sicherer Grundlage eine solche Toleranz r u h t , h a t die Pariser W i r t s c h a f t s k o n f e r e n z von 1916 gezeigt, die den Krieg f ü r den Frieden vorbereitete. In Schiffahrts-, Niederlassungsund F r e u n d s c h a f t s v e r t r ä g e n wurden bereits gewisse Häfen rückständiger S t a a t e n f ü r f r e m d e Schiffe geöffnet und in diesem U m f a n g E i n f a h r t s r e c h t e begründet. D a m i t ist d e r Weg f ü r die Weiterentwicklung gewiesen. Wir brauchen ein allgemeines A b k o m m e n , welches die Gebietshoheit m i t den Forderungen der Meeresfreiheit versöhnt u n d das durch d a u e r n d e Belassung der ersteren eine Auswirkung der letzteren ermöglicht. Die Meeresfreiheit und die Gebietshoheit in den H ä f e n müssen sich die H a n d reichen: die H ä f e n müssen grundsätzlich den f r e m d e n Schiffen geöffnet werden. Ausnahmsweise sollen H ä f e n geschlossen oder doch n u r u n t e r Bedingungen b e n u t z t werden d ü r f e n , wenn die Sicherheit oder das Gesamtheitsinteresse es erheischt. Auch müssen die Zollu n d Polizeivorschriften beobachtet werden. Man wird hier an den Beschlüssen des I n s t i t u t de droit international von 1898 (Annuaire de Γ I n s t i t u t de droit international B d . 17, S. 273ff.) a n k n ü p f e n können. Das Prinzip des offenen Hafens darf sich n a t ü r lich nicht m i t den berechtigten Forderungen der S o u v e r ä n i t ä t in W i d e r s p r u c h setzen. Der Versailler Friedens v e r t r a g h a t den Staatsangehörigen der alliierten u n d assoziierten Mächte bezüglich der Güter, Schiffe und Boote in den deutschen H ä f e n die Gleichstellung m i t den deutschen Reichsangehörigen gesichert (Art. 327). Dabei b e s t i m m t der Abs. IV: „ D e r Verkehr von Personen, Schiffen u n d Booten e r f ä h r t keine a n d e r e n Beschränkungen als solche, die sich a u s den Zoll- und Polizeivorschriften, aus den Vorschriften über das Gesundheitswesen, sowie über Ein- und Auswanderung, endlich aus E i n - und A u s f u h r v e r b o t e n ergeben. Solche B e s t i m m u n g e n müssen angemessen u n d gleichmäßig sein u n d dürfen den H a n d e l nicht u n n ö t i g b e hindern." Vgl. auch die Bestimmungen über den Kieler H a f e n A r t t . 380—386. Vielleicht b a u t diese einseitige B e l a s t u n g Deutschlands, das übrigens in der Gewährung des Gastrechts ä u ß e r s t z u v o r k o m m e n d w a r und keinen Grund zur Klage gab, einmal die Brücke zu einem freien W e l t v e r k e h r s r e c h t . Wie jede Freiheit, so h a t auch die Meeresfreiheit ihre rechtlichen Schranken. Denn Freiheit ist nicht Willkür. Im allgemeinen Interesse oder um die Freiheit u n d Sicherheit aller Staaten zu verbürgen, m u ß die Be-
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n u t z u n g der Meere geregelt sein. Soll auf sich auf einen Eisbeobachtungsdienst im n o r d h o h e r See keine Anarchie herrschen, so atlantischen Ozean, Schiffskonstruktion, m u ß es d o r t eine S e e p o l i z e i geben. In Funkentelegraphie und ununterbrochenen den Eigengewässern ist diese n a t u r g e m ä ß Hördienst sowie R e t t u n g s b o o t e u n d sonstig« national (vgl. ζ. B. die deutsche Verordnung R e t t u n g s m i t t e l . Die Kontrolle liegt in den ü b e r die Abblendung der Seitenlichter u n d H ä n d e n heimatlicher Behörden, die A u f die E i n r i c h t u n g der Positionslaternen auf sicht in f r e m d e n H ä f e n beschränkt sich Seeschiffen vom 16. X . 1900, R G B l . 1003; d a r a u f , ob das Schiff ein ausreichendes Bek. vom 8. X I I . 1900, R G B l . 1036), doch Schiffszertifikat h a t . s t i m m e n die Staatsgesetze im wesentlichen Schiffen in der Not Hilfe zu leisten ist überein. Aber auch die Seepolizei im eine Pflicht der Menschlichkeit, die durch offenen Meer b e r u h t zum guten Teil auf staatliche Verordnungen auch gesetzlich ü b e r e i n s t i m m e n d e m S t a a t s r e c h t ; daneben ausgeprägt wurde. Staatsgesetze sehen g i b t es internationales Gewohnheits- und weiter einen Bergelohn als E n t g e l t f ü r den Vertragsrecht. Die Aufsicht schließt sich geleisteten Beistand vor. a n die A r t der Benutzung a n . Die E r h a l t u n g der S e e w e g e , insbesondere I. Beschränkungen der S c h i f f a h r t s - die Errichtung und U n t e r h a l t u n g der Seef r e i h e i t . Ein internationaler S i g n a l k o d e x zeichen ( L e u c h t t ü r m e , Bojen, Waken usw.) d i e n t der Verständigung der Schiffe u n t e r - weist auf die Küstengewässer und d a m i t einander. Dieser ist englischen Ursprungs ins S t a a t s r e c h t . Doch begegnen uns hier (1875) u n d die übrigen Seestaaten n a h m e n bereits internationale Verträge (vgl. deutschihn a n ; er ist also übereinstimmendes Landes- holländischer Vertrag vom 16. X . 1896 recht. [RGBl. 1897 S. 603]). Es gibt hier auch Zur D u r c h f ü h r u n g der Seepolizei m u ß schon Kollektivverträge ζ. B. über die E r jedes Schiff eine b e s t i m m t e N a t i o n a l i t ä t h a l t u n g des L e u c h t t u r m s am K a p Spartet haben u n d die F l a g g e des H e i m a t s s t a a t e s [Marokko] vom 31. V. 1865, dem D e u t s c h f ü h r e n . Das Nähere bestimmen die Landes- land durch E r k l ä r u n g vom 4. I I I . 1878 gesetze (vgl. den Artikel „ F l a g g e n m i ß b r a u c h " beitrat. Über die E r h a l t u n g der Feuer- u n d und „Flaggenrecht"). Jedes Schiff m u ß L e u c h t t ü r m e , Baken, Tonnen und Seea u c h die landesgesetzlich vorgeschriebenen zeichen im Sund und in den Belten handelt Schiffspapiere f ü h r e n , durch welche die der K o p e n h a g e n e r V e r t r a g vom 14. I I I . 1857, N a t i o n a l i t ä t bewiesen wird (vgl. den A r t . (für Deutschland wieder in K r a f t gesetzt „Schiffspapiere"). Die Privatschiffe jedes durch den Versailler Friedensvertrag A r t . 282 Seestaates sind r e g i s t r i e r t und müssen Z. 8 ; vgl. den A r t . „Sundzölle"). einen N a m e n sichtbar f ü h r e n . Auch das Die p o l i z e i l i c h e Ü b e r w a c h u n g a u f s t ü t z t sich auf Landesrecht. h o h e r S e e ist Recht u n d Pflicht einer Das heutige S e e z e r e m o n i e l l b e r u h t a u f jeden S e e m a c h t ; die A u s ü b u n g ist den internationaler Kourtoisie u n d dem Prinzip Kriegsschiffen a n v e r t r a u t . Es kann auch der Gleichberechtigung der Staaten. f r e m d e n Schiffen gegenüber zu einer A n Die materiell wichtigsten seepolizeilichen haltung (droit d ' a r r e t ) P r ü f u n g der SchiffsBestimmungen dienen der Vermeidung des papiere (virification du pavilion). DurchZ u s a m m e n s t o ß e s v o n S c h i f f e n (vgl. suchung (droit de visite; vgl. den einschlägigen den A r t . „ Z u s a m m e n s t ö ß e von Schiffen"). Artikel) u n d Verbringung des verbrecheDie einschlägigen Bestimmungen der See- rischen Schiffes (droit de saisie) in einen s t r a ß e n o r d n u n g gehen auf ein englisches Hafen des Nehmers oder auch des geRegulativ z u r ü c k (Regulations for p r e v e n - nommenen Schiffes, u n t e r U m s t ä n d e n sogar ting collisions a t sea 1862), wurden auf dem in H ä f e n d r i t t e r Staaten k o m m e n : alles Kongreß von W a s h i n g t o n 1889 v e r e i n b a r t , nach Maßgabe näherer völkerrechtlicher im J a h r e 1897 und 1906 a b g e ä n d e r t . Auch Vertragsbestimmungen. hier haben wir übereinstimmendes S t a a t s Nach internationalem Gewohnheitsrecht recht (für Deutschland vgl. VO. v. 9. V. h a t jeder Uferstaat das Recht der N a c h e i l e 1897 [ R G B l . 203] und v . 5. II. 1906 [ R G B l . (droit de poursuite), wonach er Sch.ffe, die 115]; L. Pereis, Die Seestraßenordnung sich in seinen Hoheitsgewässern eines U n vom 5. II. 1906 und die ihr verwandten rechts schuldig g e m a c h t haben, in die Vorschriften 1908). Vereinheitlichte Regeln offene See hinaus verfolgen d a r f , um sie in zwei A b k o m m e n vom 23. IX. 1910. zur V e r a n t w o r t u n g zu ziehen. Das R e c h t Der Zusammenprall der T i t a n i c m i t erlischt, wenn das verfolgte Sch.ff ein einem Eisberg f ü h r t e zu dem noch nicht ι Küstengewässer erreicht h a t . ratifizierten Londoner Kollektivvertrag vom | Das Seeverbrechen ym ίίαγήν ist der 20. I. 1914 zum Schutz des menschlichen S e e r a u b (Piraterie). Die Seeräuber sind Lebens auf hoher See. Hier einigte m a n die geborenen Feinde des Seeverkehrs,
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zu deren V e r n i c h t u n g sich alle Staaten k r a f t völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts berechtigt und verpflichtet f ü h l e n . Die D u r c h f ü h r u n g vollzieht sich nach Maßgabe der heimatlichen Strafgesetze des N e h m e r s . F ü r Deutschland ist maßgebend das R S t G B . § 250 Z. 3. Der Seeräuber h a t kein Flaggenr e c h t ; er ist denationalisiert u n d rechtlos, der eigene S t a a t des P i r a t e n h a t kein Schutzrecht, aber auch keine V e r a n t w o r t u n g . E s k a n n sofortige standrechtliche Behandlung nach Militärrecht v e r a n l a ß t sein. Regelm ä ß i g wird der P i r a t m i t seinem Schiff in einen H a f e n des N e h m e r s t a a t e s , ausnahmsweise auch in den nahen H a f e n eines d r i t t e n S t a a t e s g e b r a c h t . Schiff und Ladung darf eingezogen werden, der Beraubte erhält $ein Eigentum z u r ü c k u n d die Besatzung wird nach dem S t r a f r e c h t zur V e r a n t w o r t u n g gezogen (vgl. den A r t . „ P i r a t e r i e " ) . Zu sehr einschneidenden völkerrechtlichen Beschränkungen der Schiffahrtsfreiheit kam es durch den gemeinsamen K a m p f gegen den S k l a v e n h a n d e l (vgl. die A r t . „ S k l a v e n h a n d e l " u n d „Brüsseler Antisklavereikonferenz von 1890"). II. B e s c h r ä n k u n g e n d e r H o c h s e e f i s c h e r e i sind das Ergebnis einer gemeinschaftlichen Regelung der Seepolizei zum Schutz des Fischfangs. Vgl. die Artikel „Islandfischerei", „ N e u f u n d l a n d , Fischereif r a g e " u n d „Robbenfischereikonvention von Washington 1911". Von besonderem I n t e r esse sind die N o r d s e e a b k o m m e n : vom 6. V. 1882 b e t r . die polizeiliche Regelung der Fischerei in der Nordsee a u ß e r h a l b der Territorialgewässer ( R G B l . 1884 S. 25) und vom 16. X I . 1887 b e t r . den B r a n n t w e i n handel in der Nordsee ( R G B l . 1894 S. 427). Das erste A b k o m m e n e n t h ä l t ein Verbot des Devel (sichelförmiges I n s t r u m e n t am Schiffsvorderteil, welches Netze durchschneidet), sowie Vorkehrungen gegen die Zerstörung des Laichs durch Schnappnetze und gegen F i s c h b r u t f a n g . Weiter folgen Bestimmungen ü b e r die Anbringung von Lichtern, über Kollisionen, Seestraßenrecht, Bergung, Schiffsregister, Schiffszertifikate usw. Deutsches A G . vom 30. IV. 1884 ( R G B l . S. 48). Vgl. den Artikel „ N o r d s e e fischerei". Das zweite Abkommen verbietet den Vertrieb von Spirituosen durch f a h r e n d e Marketenderschiffe oder Branntweinschenken (cabarets f l o t t a n t s ) . Vgl. den A r t . „ B r a n n t weinhandel in der N o r d s e e " . Der Alkoholgenuß der Fischer h a t t e sich zu einer großen Schädigung des Fischfangs ausgewachsen. Die Überwachung des Branntweinhandels in der Nordsee erfolgt durch die Kreuzer der S i g n a t a r m ä c h t e a u c h gegenüber den
Schiffen der anderen Nationen. Deutsches A G . vom 4. I I I . 1894 ( R G B l . 151). Frankreich, das seinem Likörhandel kein Hindernis bereiten wollte, verweigerte u n t e r dem Hinweis auf das Prinzip der Meeresfreiheit die Unterschrift. Zu bemerken ist noch, d a ß Deutschland im Versailler Friedensvertrag A r t . 272 a u f alle U n t e r s u c h u n g s und Polizeirechte gegen Fischereifahrzeuge der alliierten Mächte in der Nordsee vers ziehten m u ß t e . U n t e r dieser Bedingung wurden die beiden A b k o m m e n wieder in K r a f t gesetzt (Art. 285). I I I . Beschränkungen der Meeresfreiheit zum S c h u t z d e r u n t e r s e e i s c h e n K a b e l enthält das Kollektivabkommen vom 14. I I I . 1884 ( R G B l . 1888 S. 151) (Deutsches A G . vom 21. X I . 1887 u n d 13. V. 1891). Diese Bestimmungen gelten n u r f ü r die hohe See u n d n u r im Frieden. Verboten w i r d die vorsätzliche oder fahrlässige Be^ Schädigung sowie die Zerreißung der Kabel u n t e r Statuierung einer H a f t p f l i c h t . Schiffe müssen sich e n t f e r n t halten von Fahrzeugen, die Kabel legen oder wiederherstellen, desgleichen von den Bojen, welche die K a b e l lage anzeigen. Die Aufsicht f ü h r e n die Kriegsschiffe sowie besondere Dienstschiffe. Diese haben das Recht, zuwiderhandelnde Schiffe anzuhalten, ihre N a t i o n a l i t ä t festzustellen und dem H e i m a t s t a a t zum Zweck der B e s t r a f u n g das Protokoll z u z u s e n d e n . Vgl. die A r t . „ K a b e l k o n f e r e n z e n , Pariser, v o n 1884" u n d „ U n t e r s e e k a b e l " . Es ist auch eine A u s w i r k u n g der Meeresfreiheit, d a ß die hohe See zum Kriegsschau·* platz g e m a c h t werden k a n n . Die Meeresfreiheit der Neutralen erleidet dadurch freilich die s t ä r k s t e Beeinträchtigung. N i c h t bloß sind diese gezwungen, sich vom K a m p f platz f e r n z u h a l t e n , sondern das Seekriegsrecht h a t auch jenseits des K a m p f p l a t z e s noch ganz besondere Einschränkungen v o r gesehen in der Form des Seebeute-, Blockade-, Minen- und K o n t e r b a n d e r e c h t s (vgl. die einschlägigen Artikel). Immerhin besteht jenseits dieser H e r r s c h a f t s s p h ä r e eine Meeresfreiheit und die H e r r s c h a f t s s y s t e m e sind umgrenzt. Im Weltkrieg h a t m a n sich freilich um diese Grenzen nicht g e k ü m m e r t : die Hungerblockade und der schrankenlose Unterseebootskrieg (vgl. den A r t . „ U - B o o t s krieg") haben die Meeresfreiheit vollkommen vernichtet. W ä h r e n d u n d nach dem Krieg verlangte alle Welt die Wiederherstellung der Meeresrfreiheit. Der H a u p t r u f e r im Streit w a r Wilson, der insbesondere auch in seinen 14 P u n k t e n ( P u n k t 2) (vgl. den A r t . „Wilsons 14 P u n k t e " ) uneingeschränkte SchiffahrtSifreiheit auf dem Meer im Frieden wie ini
Meer, hohes — Meeräugestreit
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Krieg verlangte. Wilson hatte e r k l ä r t / seitens Ungarns, das besonders seit dem für, die Freiheit der Meere zu kämpfen, Ende des 18. J a h r h u n d e r t s seine Staatlich-» yo.il welcher Seite sie auch immer verletzt keit stärker betonte, auf Grund der er* werden, möge, ohne Kompromiß und um wähnten Okkupation durch seine Herrscherin jeden Preis. Als dann aber bei der Verein- i staatsrechtliche Ansprüche auf dieses Gebiet ba.rüpg über die Friedensbedingungen Eng- erhoben, denen auf der anderen Seite die land eine Bindung in der Frage der Meeres-1 Tatsache der durchgeführten Vermessung fjreilieit ablehnte, erhob Wilson keinerlei; des strittigen Gebietes als eines • Teiles Einwendung und fügte sich. j Galiziens f ü r Steuerzwecke entgegengehalten Die Ausgestaltung der Meeresfreiheit f ü r ; wird. Der Streit gewann selbstverständlich die Kriegszeiten ist die Frage der Z u k u n f t . ! an Bedeutung, als durch den staatsrechtlichen Mtt- einer bloßen Rückkehr zum bisherigen! Ausgleich des Jahres 1867 das MeeraugeSeekriegsrecht ist nicht gedient; die Inter-: gebiet zwischen den beiden auf dem Boden essen der Neutralen verlangen eine ganz; Österreichs n u n m e h r entstandenen selbandere Ordnung. j ständigen Staaten strittig geworden war. Meeresfreiheit im Krieg ist ein politisches Nachdem der ungarische Staat auf die AnSchlagwort, das bei der Umsetzung in die frage eines galizischen Gerichts erklärt gesetzgeberische T a t einen befriedigenden hatte, d a ß „entsprechend dem faktischen Inhalt gewinnen m u ß . In dem unten er- Besitze des bestrittenen Gebietes der ungawähnten „ P r o g r a m m der Meeresfreiheit" i rische S t a a t dort die Souveränitätsrechte sind neue Vorschläge gemacht und alte j ausübe", kamen endlich auf Grund von Vorschläge gewürdigt worden. \ Verhandlungen zwischen den beiden Reichs^ Literatur: i hälften am 25. I. 1897 zwei inhaltlich übervan Calker, Das Problem der Meeresfreiheit ί einstimmende Gesetze zustande, durch welche und die deutsche Völkerrechtspolitik 1917. die beiderseitigen Regierungen ermächtigt — Meurer, Das Programm der Meeres- werden, „die Feststellung der Grenze zwischen freiheit 1918; das Gastrecht der Schiffe dem Neumarkter Bezirke und dem Zipser im Krieg und Frieden 1918. — Stier- Komitate nächst dem Meerauge der E n t Somlo, Die Freiheit der Meeres und das scheidung durch ein zu bestellendes S c h i e d s Völkerrecht 1918. — Hier überall weitere g e r i c h t zu überlassen." Dieses, bestehend aus je einem österreichischen und einem Literatur. Meurer. ungarischen Schiedsrichter unter dem Vorr sitze des Schweizer Bundesgerichtspräsidenr Meeraugestreit. ten fällte nach Besichtigung des strittigen Den Gegenstand des als „ M e e r a u g e s t r e i t " Gebietes seinen S c h i e d s s p r u c h , der von bekannt gewordenen Streites zwischen dem der Auffassung ausgeht, daß bei der alU alten polnischen und dem ungarischen Staate, gemeinen Fassung des Schiedsvertrages dem später zwischen dem ehemaligen Österreich Schiedsgerichte freistand, falls ein deklara(Reichsratsländer) und den ehemaligen Län- torischer Ausspruch über eine in früherer dern der ungarischen Krone, welcher durch Zeit einverständlich festgesetzte Grenze nicht dien Schiedsspruch vom 13. IX. 1902 seinen gefällt werden könnte, konstitutiv nach Abschluß f a n d , bildet die Staatsgewalt eigenem Ermessen die Grenze zu bestimmen. über einen ungefähr 900 Joch umfassenden, Da die beigebrachten Beweismittel f ü r zwischen dem ehemaligen ungarischen eine deklaratorische Feststellung nicht als Zip,«er K o m i t a t e und dem ehemaligen hinreichend befunden wurden, zumal sie österreichischen (galizischen) Bezirke N e u - teils von Privatbesitzern vorgenommene m a r k t liegende, im Westen durch den Handlungen, teils einseitige Regierungsakte Fischseebach, im Osten durch den Berg- (Katastralvermessung) betreffen, erfolgte ein rücken Zabiegrat begrenzter Streifen Landes k o n s t i t u t i v e r Ausspruch und zwar auf im Tatragebiete; er u m f a ß t namentlich Grund der durch Sachverständige ermittelten den durch landschaftliche Schönheit be- „natürlichen Grenze". Als eine solche wurde merkenswerten Meeraugesee. vor allem der im Osten des strittigen LandDieser Grenzstreit, der seit J a h r h u n d e r t e n streifens (ungarische Seite) befindliche, von «wischen Polen und Ungarn in Form p a t r i - Norden nach Süden verlaufende und sich monialer Besitzstreitigkeiten geführt worden als ausgesprochener Berggrat darstellende war, t r a t in ein neues Stadium, als Maria Zabiegrat a n e r k a n n t , während der im Westen Theresia im J a h r e 1769 das damals unter verlaufenden, durch den geringfügigen Fisch* polnischer Herrschaft befindliche Gebiet seebach gebildeten „nassen Grenze" der okkupierte und später nach der ersten Tei- Charakter einer natürlichen Grenze nicht lung Polens der neu erworbenen Provinz zugesprochen wurde. Dadurch gelangte G a l i z i e n einverleibte. Es werden nun aber der größte Teil des Gebietes an ö s t e f r
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Meeraugestreit — Meere, geschlossene
reich (Galizien). Gegenwärtig kann nur im Rahmen der neu festgesetzten Grenze zwischen der nunmehrigen tschechos l o w a k i s c h e n und der p o l n i s c h e n Republik in diesem Gebiete (Beschluß der Pariser Botschafterkonferenz vom 28. VII. 1920) dem Schiedssprüche vom Jahre 1902 praktische Bedeutung zugesprochen werden._ Dieser Schiedsspruch besitzt insofern ein völkerrechtliches Interesse, als durch ihn eine Streitangelegenheit zwischen zwei Staaten beigelegt wurde, deren jeder zwar nach seiner Verfassung (s. öst. S t G r G . 21. X I I . 1867, R G B . 141 u. ungar. GA. X I I ex. 1867) das volle Verfügungsrecht über sein Gebiet besaß, die aber eine unter der Herrschaft der gleichen Dynastie stehende, in der Regel als Realunion (s. d.) bezeichnete Gemeinschaft darstellen. Dieses Verhältnis wirkte zunächst auf die F o r m des S c h i e d s v e r t r a g e s zurück. Mangels einer den beiden Staaten übergeordneten Gewalt und auch eigener Organe zur abgesonderten völkerrechtlichen Vertretung jedes der beiden Staaten, die vielmehr f ü r beide Staaten einheitlich dem gemeinsamen Monarchen u n d dem gemeinsamen Minister des Äußern oblag, war ein S c h i e d s s p r u c h auf Grund eines im Wege ü b e r e i n s t i m m e n d e r G e s e t z e der beiden Staaten der Doppelmonarchie zustande gekommenen Schiedsvertrages die einzig mögliche Form f ü r die Lösung des Konfliktes. Die Vereinbarung eines Schiedsspruches durch D o p p e l g e s e t z f a n d übrigens ihr Vorbild in den Bestimmungen der Verfassungen der beiden Staaten der österr.-ungar. Monarchie über die periodische Regelung der sog. paktiert-gemeinsamen (dualistischen) Angelegenheiten, die auf wirtschaftlichem Gebiete zur Bildung eines sich von Zeit zu Zeit erneuernden „Binnenvölkerrechtes" innerhalb der Doppelmonarchie (sog. wirtschaftlicher Ausgleich) f ü h r t e n . Was aber den I n h a l t des Schiedsspruches selbst anbelangt, so konnte wohl in der Fassung der beiden Schiedsvertragsgesetze, die die „Feststellung der Grenze" schlechthin dem Schiedsgerichte überließen, eine Ermächtigung erblickt werden, im Falle der Unmöglichkeit einer Konstatierung der bereits vorhandenen Grenze, auch k o n s t i t u t i v , also rechtsgeschäftlich die Frage der strittigen Grenze selbst zu regeln. Die Grenzziehung nach t o p o g r a p h i s c h e n Gesichtspunkten bildete aber eine zweckmäßige Art, um an Stelle des durch die natürliche Beschaffenheit des umstrittenen Gebietes und die vorangehenden Ereignisse entstandenen unbestimmten G r e n z r a u m e s eine feste G r e n z l i n i e zu ziehen.
Literatur: Czolowski, Sprawa sporu granicznego przy Morskiem oku (Bericht über den M.), Lemberg 1894. — Bloczlszewskl, L'oeil de la Mer (Rev. de dr. intern, publ. 1903, Mai-Aout). — Sieger, Die Entscheidung in der Meeraugefrage (Wiener Zeitschr, „ Z e i t " v. 18. X. 1902). — v. Herrnritt in Mischler-Ulbrichs österr. Staatswörterbuch, 2. Aufl., III, S. 553. — Vgl. auch Bernatcik, Die österr. Verfassungsgesetze, Wien 1911. Der Wortlaut des Schiedsspruchs in der Wiener Zeitung v. 24. IX. 1902, Nr. 220. Herrnritt.
Meere, geschlossene, (frz.: mers ferm6es; lische Bezeichnung bezieht sich auf das und u m f a ß t daher alle mari
eine feststehende engfehlt [enclosed seas geographische Moment Binnenmeere]; italien.: chiusi).
Unter den Binnenmeeren (s. d.) nehmen diejenigen eine besondere völkerrechtliche Stellung ein, die von dem Landgebiete eine» einzigen Staates umgeben werden und deren Zugangsstraße von demselben Staatsgebiete aus beherrscht werden kann. Seit alters ist in Staatenpraxis und Doktrin a n e r k a n n t , daß Binnenmeere dieser Art dem f ü r das Weltmeer und (bedingt) f ü r die übrigen Binnenmeere geltenden Grundsatz der Schifffahrtsfreiheit nicht unterliegen. Vielmehr wird der Anliegerstaat f ü r befugt angesehen Schiffen fremder Flagge den Zutritt zu versagen. Infolge dieser Befugnis, gleichgültig ob sie ausgeübt wird oder nicht, hat sich f ü r Binnenmeere dieser Art die Bezeichnung „Geschlossene Meere" eingebürgert. Geschlossene Meere sind ζ. B. das Azowsche Meer und die Zuider See, vor dem Weltkriege war es auch der Rigasche Meerbusen. Eine scharfe begriffliche Grenze zwischen einem geschlossenen Meere und einer vom Gebiet nur e i n e s Staates umschlossenen Bucht besteht n a t u r g e m ä ß nicht (vgl. auch den Art. Baien und Buchten). Nicht ganz geklärt scheint in der Literatur die Frage, welcher Art die dem umliegenden Staate über das geschlossene Meer zustehende Hoheitsgewalt ist, ob es sich um volle Gebietshoheit handelt, so daß die geschlossenen Meere rechtlich dem Landgebiet des betreffenden Staates gleichgestellt sind, oder ob eine beschränkte Souveränität, wie sie im Küstenmeere ausgeübt wird, vorliegt. Unseres Erachtens ist das erste der Fall. Der Anliegerstaat ist in seiner Herrschaft über das geschlossene Meer grundsätzlich keinen Beschränkungen unterworfen. Dies
Meere, geschlossene — Meeresengen ergibt sich aus folgender Überlegung. Der G r u n d f ü r die den Uferstaaten hinsichtlich des als Küstenmeer bezeichneten Streifens eines freien Meeres auferlegten Einschränkungen ist das Interesse der Staatengemeins c h a f t an der Benutzung desselben als Verkehrsstraße. Dieses k o m m t f ü r das geschlossene Meer in Wegfall, da ja, wie oben festgestellt, nach u n b e s t r i t t e n herrschender Meinung der Anliegerstaat jedes Binnenmeer, das die oben genannten Voraussetzungen erfüllt, ohne Rücksicht auf f r e m d e Interessen f ü r den Verkehr sperren, es t a t sächlich zu einem „geschlossenen" machen kann. Die Souveränität des Anliegers ist m i t h i n durch keinen völkerrechtlichen Anspruch eines anderen Staates beschränkt. Hieraus folgt, d a ß der Anlieger grundsätzlich a u c h volle Jurisdiktionsgewalt über die Besatzung der zugelassenen f r e m d e n K a u f fahrteischiffe ausüben kann, genau so, wie über die auf seinem Landgebiet zugelassenen Ausländer. Immerhin wird der Anliegers t a a t — analog der in Seehäfen seit J a h r zehnten k o n s t a n t geübten Praxis — seine Gerichtsbarkeit auf solche Fälle beschränken, in denen seine Interessen berührt werden. Fremde Kriegsschiffe, soweit ihnen die E i n f a h r t gestattet wird, gelten natürlich auch in geschlossenen Meeren als exterritorial. Aus der vollen Gebietshoheit des Anliegerstaates folgt die Befugnis, das geschlossene Meer nach Beheben zu verändern, insbesondere dasselbe trocken zu legen (Zuider See!). Literatur: Vgl. A r t . „ B i n n e n m e e r e " . Ferner i n s b e s . : Hautefeuille, Des droits et des devoirs des nations neutres en temps de guerre m a r i t i m e 1868, Bd. I, S. 60. Vorwerk f.
Meeresengen.
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strittene Satz e n t w i c k e l t ; Meeresengen, die Teile des Weltmeeres v e r b i n d e n , sind frei wie dieses selbst. Das b e d e u t e t , d a ß ihrer Benutzung durch Kriegs- und H a n d e l s schiffe jeder Flagge in Friedens- u n d Kriegszeiten seitens der Anliegerstaaten keinerlei Hindernisse bereitet werden dürfen, d a ß diese Meeresteile bezüglich der S c h i f f a h r t der hohen See vollständig gleichgestellt sein sollen. Insbesondere d ü r f e n die Anliegers t a a t e n keine Abgaben auf die D u r c h f a h r t als solche legen, d. h. Abgaben, die als E n t g e l t f ü r die auf Grund eines b e a n s p r u c h t e n Souveränitätsrechtes zu erteilende „Gestattung der D u r c h f a h r t zu e n t r i c h t e n wären, ohne d a ß eine tatsächliche Leistung seitens des Anliegerstaates vorläge. Zulässig sind dagegen solche Abgaben, die f ü r eine der Schiffahrt dienliche Leistung erhoben werden (Stellung von Lotsen, U n t e r h a l t u n g , Bezeichnung, Befeuerung der F a h r s t r a ß e ) . Doch müssen diese, um nicht den G r u n d s a t z der freien Schiffahrt zu verletzen, von den Schiffen aller Nationen einschließlich der Anliegerstaaten, gleichmäßig erhoben werden (vgl. den A r t . Internationales Finanzrecht [Sundzölle]). Die Freiheit der S c h i f f a h r t auf „ i n t e r n a t i o n a l e n " Meeresengen besteht a u c h in Kriegszeiten. Die Anliegerstaaten sind weder als Kriegführende noch als Neutrale berechtigt, die D u r c h f a h r t m i t Minen oder in anderer Weise zu sperren. W ä h r e n d des russisch-japanischen Krieges h a t J a p a n die D u r c h f a h r t durch die Isugaru-Straße nur u n t e r Kontrolle g e s t a t t e t , ein Verfahren, dessen völkerrechtliche Zulässigkeit nicht zweifelsfrei ist. Andererseits wird die N e u t r a l i t ä t der Anliegerstaaten durch die Durchf a h r t von Kriegsschiffen kriegführender Mächte nicht b e r ü h r t (vgl. A r t . 10 des X I I I . A b k o m m e n s der 2. H a a g e r FriedenskonferenzNicht m e h r u n t e r dem Schutze der Verkehrsfreiheit würde es jedoch stehen, w e n n ein Kriegführender die Gewässer einer Meeresenge, soweit sie zum Küstenmeere des neutralen Anliegers gehören, als Operationsbasis benutzen w ü r d e : d a n n läge eine Neutralitätsverletzung vor (vgl. A r t . 5 ebenda). F ü r einzelne Meerengen, wie die Straße von Gibraltar (s. d.) u n d die Fucastraße ist die Schiffahrtsfreiheit durch Vereinbarung zwischen den Anliegerstaaten sichergestellt, doch b i n d e t ein solches A b kommen n u r die Parteien (französisch-spanisches M a r o k k o a b k o m m e n von 1912 A r t . V.
Die Frage der völkerrechtlichen Stellung d e r Meeresengen h ä n g t aufs engste zusammen m i t dem Grundsatz der Meeresfreiheit. Der h e u t e allseitig a n e r k a n n t e Anspruch eines jeden seefahrttreibenden Mitgliedes der Völkerrechtsgemeinschaft auf ungehinderte B e n u t z u n g des Weltmeeres wäre in seiner W i r k u n g fast illusorisch gemacht, wenn er f ü r diejenigen Meerengen, die als Verbindungswege zwischen Teilen des Weltmeeres a n zusehen sind, nicht ebenso u n b e d i n g t e Geltung haben würde als f ü r die hohe See. Der G r u n d s a t z der Schiffahrtsfreiheit In E r k e n n t n i s dieses Zusammenhanges h a t b e d e u t e t jedoch nicht N e u t r a l i s i e r u n g s i c h seit alters in S t a a t e n p r a x i s und D o k t r i n der Meerengen. E n t s p r e c h e n d der hohen d e r heute in seiner Geltung völlig u n b e - See ist auch die „ i n t e r n a t i o n a l e " Meerenge 3 W ö r t e r b u c h des V ö l k e r r e c h t s . B d . Π .
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Meeresengen — Meeresküste
gegebenenfalls Kriegsschauplatz. Weder der K a m p f der Kriegsflotten noch die F ü h r u n g des Handelskrieges sind innerhalb der Meeresengen völkerrechtlich unzulässig, vorbehaltlich natürlich der Respektierung n e u t r a l e r Hoheitsgewässer. Vorschläge bezüglich der Neutralisierung der dem internationalen Verkehr dienenden Meeresengen sind in letzter Zeit m e h r f a c h g e m a c h t worden. Im F r i e d e n s v e r t r a g von Sfevres A r t . 3 7 f f . ist die Neutralisierung der Dardanellen u n d des Bosporus ausgesprochen (die freilich in ein B i n n e n m e e r f ü h r e n u n d insofern nicht ganz zu den hier zunächst behandelten, zwei Teile des Weltmeeres verbindenden Meeresengen gehören; vgl. im übrigen A r t . D a r d a n e l l e n ) ; eine (unvollständige) „ N e u t r a l i s i e r u n g " besteht ferner f ü r die Magellans t r a ß e (s. A r t . Neutralisierung).
meeres die 3-Seemeilenzone an, die — abgesehen von Fragen des N e u t r a l i t ä t s rechtes — heute wohl noch als vorherrschende Bemessung angesehen werden k a n n , so w ü r d e danach d e r m i t t l e r e T e i l m a n c h e r „ n a t i o n a l e r " Meeresengen als freies Meer gelten m ü s s e n , die von dem sie beiderseits umgebenden S t a a t e seit alters als seiner Jurisdiktionsgewalt unterstellt beansprucht worden sind. Hier kommen namentlich die von England bezüglich der narrow seas erhobenen Ansprüche in B e t r a c h t . U n t e r den so bezeichneten Gewässern befinden sich mehrere Meeresengen, die breiter als die doppelte Küstenmeerzone sind, wie die Irische See, der St. Georgs- und der St. P a t r i c k s k a n a l . F ü r die Beurteilung dieser Ansprüche gilt dasselbe, was im Art. Baien und Buchten über die Ansprüche hinsichtlich der King's Chambers gesagt worden ist. Zu i n t e r nationalen Kontroversen über die Frage ist es in letzter Zeit nicht gekommen. Völlig von der H a n d zu weisen sind diese P r ä t e n tionen nicht, da ein allgemeines Interesse an u n b e s c h r ä n k t e r Benutzung dieser Meeresteile nicht besteht. Ihre Lösung kann die Frage n u r finden im Zusammenhange m i t der Lösung der Frage der Abgrenzung des Küstenmeeres ü b e r h a u p t .
Im übrigen werden durch den G r u n d s a t z der Schiffahrtsfreiheit die allgemeinen Regeln des Völkerrechts hinsichtlich der Meeresengen nicht b e r ü h r t . Die Anliegerstaaten h a b e n a u c h dort die ihnen hinsichtlich des K ü s t e n meeres sonst zustehenden Befugnisse, soweit dieselben dem G r u n d s a t z von der Freiheit des Durchgangsverkehrs nicht widersprechen (Vorbehalt der K ü s t e n s c h i f f a h r t und K ü s t e n fischerei, Jurisdiktionsgewalt bei Verletzung eigener Interessen; vgl. A r t . Küstenmeer). Literatur: Ist die Meeresenge schmaler als die doppelte Küstenmeerzone oder ebensogroß, so ver· Die entsprechenden Abschnitte in den allgemeinen Lehrbüchern des Völkerrechts. l ä u f t bei Verschiedenheit der Anliegerstaaten F e r n e r : Annuaire de l'Institut de droit die Grenze der beiderseitigen Hoheitsgewässer international X I I I , X X I , X X I I , X X I I I , in der Mitte der Meeresenge und zwar, wie m a n X X V , X X V I . — Laun, Die Internationaliin Analogie zu der bei schiffbaren Strömen sierung der Meerengen u n d Kanäle 1918, entwickelten Ü b u n g wird a n n e h m e n müssen, — Fulton, Sovereignity of t h e Sea 1911. Liste der interozean. Meerengen bei Laun, nicht auf der m a t h e m a t i s c h e n Mittellinie, S. 53 (16. Konf. Brüssel, Paris 1912). — sondern in der Mitte der F a h r s t r a ß e . Gnox, 4 jap. M . : Korea, Shimonoseki. Meeresengen, die nicht dem interozeaniVorwerk f. schen Verkehr dienen, können verschiedener A r t sein. Es gibt Meeresengen, die an beiden E n d e n ins offene Meer f ü h r e n u n d doch wegen ihrer geographischen Lage nicht den Meeresfreiheit s. Meer, hohes. C h a r a k t e r einer internationalen Verkehrsstraße h a b e n , wie ζ. B. der Solent u n d der Fehmarebelt. F ü r sie gilt der G r u n d s a t z Meeresküste. der u n b e d i n g t e n Schiffahrtsfreiheit nicht, sie sind vielmehr, soweit Küstenmeer nach Die Linie der Meeresküste h a t juristisch den allgemeinen Regeln, insbesondere des die Bedeutung, d a ß sie die Grenze bildet N e u t r a l i t ä t s r e c h t e s zu behandeln. Bei zwischen dem Landgebiet des S t a a t e s u n d Meeresengen, die den Zugang zu einem Binnen- dem K ü s t e n m e e r . Über das K ü s t e n m e e r meere bilden, ist zu unterscheiden, ob das (s. d.) übt nach heute f a s t u n b e s t r i t t e n Binnenmeer von einem oder von mehreren herrschender A n s c h a u u n g der Anliegerstaat Anliegerstaaten umschlossen i s t : im letzt- n u r eine beschränkte Hoheitsgewalt aus. erwähnten Falle unterliegt die Meerenge Die Küstenlinie h a t also m i t der Landgrenze dem G r u n d s a t z der Schiffahrtsfreiheit, im des Staates das gemein, d a ß an ihr g r u n d ersten nicht. Das gleiche gilt f ü r den Zu- sätzlich das der Staatsgewalt unterliegende gang zu einer B u c h t (s. A r t . Baien und Gebiet sein Ende f i n d e t . Sie unterscheidet Buchten). sich jedoch ihrem Wesen nach von j e n e r N i m m t m a n als Breite des K ü s t e n - d a d u r c h , d a ß jenseits von ihr nicht ein
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Meeresküste — Meeresteile, zugefrorene Gebiet f r e m d e r Hoheitsgewalt beginnt, sondern ein staatenloses, von ungeschwächten Auswirkungen der eigenen Hoheitsgewalt durchzogenes. Infolgedessen t r i t t die Abgrenzung des Staatsgebietes an der Meeresküste in der Regel nicht so m a r k a n t in die Erscheinung wie an der .Landgrenze. Insbesondere besteht f ü r eine exakte Bestimm u n g u n d Bezeichnung der Grenzlinie nicht ein so unbedingtes Bedürfnis wie d o r t . Andererseits ist aber auch die Seegrenze eines S t a a t e s eine Linie der B e r ü h r u n g , wenn auch nicht u n m i t t e l b a r m i t f r e m d e r Hoheitsgewalt, so doch m i t f r e m d e n S t a a t s angehörigen. Insofern ist auch die Meeresküste ein lebenswichtiger Teil des s t a a t lichen Organismus. Über den Verlauf der Meeresküstenlinie im völkerrechtlichen Sinne herrscht h e u t e noch keine Einhelligkeit in S t a a t e n p r a x i s u n d Wissenschaft. In A n l e h n u n g an römische Quellenstellen (§ 3 J 2, 1, C 96 u n d 112 D 50, 16) h a t sich in f r ü h e r e r Zeit, speziell in Frankreich, die Auffassung entwickelt, die durch die höchste Flutwelle bezeichnete Linie sei als Meeresküste anzusehen. Diese Theorie h a t den richtigen Gedanken f ü r sich, d a ß n u r dasjenige Gebiet, das niemals vom Wasser überspült wird, tatsächlich der u n b e s c h r ä n k t e n Einwirkungsmöglichkeit der Staatsgewalt unterliegt. Sie b e r ü h r t sich m i t der Auffassung, die die ä u ß e r e Grenze des Küstenmeeres durch die Möglichkeit der Beherrschung vom Lande aus bestimmen l ä ß t : als i n n e r e Grenze des Küstenmeeres ergibt sich d a n n logischerweise die äußerste Linie, von der aus dauernd eine derartige Beherrschung möglich ist, bis zu der hin S t r a n d b a t t e r i e n oder sonstige Hilfsmittel staatlicher H o h e i t s ü b u n g dauernd errichtet werden können u n d das ist die Hochwasserlinie. Diese Theorie h a t aber den praktischen Nachteil, d a ß die von ihr geforderte Linie schwer b e s t i m m b a r ist, die F l u t h ö h e s t a r k wechseln k a n n ( E i n f l u ß der Jahreszeiten, S t u r m f l u t ) . Die entgegengesetzte Methode, die Bemessung nach der Linie des niedrigsten Wasserstandes läßt sich d a m i t b e g r ü n d e n , d a ß auch das n u r zur Zeit der E b b e freiliegende Land regelmäßig von Staatseinwohnern betreten wird und es d a r u m logisch erscheint, Befehlsmacht u n d Schutzpflicht der binnenländischen Staatsgewalt auch dorthin u n b e s c h r ä n k t auszudehnen. Sie h a t ferner den praktischen Vorteil der leichteren B e s t i m m b a r k e i t , da die Linie des tiefsten E b b e s t a n d e s ungleich k o n s t a n t e r ist als die der höchsten F l u t .
Sie ist u. a. angenommen in der britischen Territorial Waters Jurisdiction Act von 1878 u n d im Nordseefischereiabkommen von 1884 (s. Art. Nordseefischerei) u n d b e f ü r w o r t e t vom Institut de droit international (Annuaire X I I I ) . Sie wird sich zweifellos durchsetzen. Die f r ü h e r von einigen Schriftstellern vertretene Ansicht, die Linie der Meeresküste wechsele je nach dem S t a n d e des Wasserspiegels, die auch in das deutsche Vereinszollgesetz vom 1. V I I . 1869 a u f g e n o m m e n worden ist, ist als aufgegeben zu bezeichnen. Bei der Bestimmung der Küstenlinie im rechtlichen Sinne k o m m t es nicht auf deren geographische Formation an. Der Küste vorgelagerte Inseln, Klippen, Bänke usw. werden in die Küstenlinie einbezogen, wenn sie den je nach der angenommenen Theorie erforderlichen Bedingungen entsprechen. Der Wasserstreifen zwischen dem Festlande u n d diesen vorgelagerten Bildungen ist Territoriale meer (i. e. Sinne), nicht Küstenmeer. Literatur: Schücking, Das Küstenmeer im i n t e r n a t i o nalen Recht, 1897, S. 13 ff. — Derselbe, in D J Z . 1900, S. 202. — Stoerck, in Holtzendorffs H a n d b u c h II, S. 409ff. — Pereis, Das internationale öffentliche Seerecht der Gegenwart 1903, S. 19f. — Nys, Droit international 1912, Bd. I, S. 5 4 6 f f . — Halleck, International Law 1908, Bd. I, lib. VI, § 14. Vorwerk f.
Meeresteile, zugefrorene.
An der völkerrechtlichen Stellung der Territorialgewässer i. e. S. ( H ä f e n , F l u ß m ü n d u n g e n , Baien u n d Buchten i n n e r h a l b der sie vom K ü s t e n m e e r scheidenden Grenzlinie) wird durch das Zufrieren n a t u r g e m ä ß nichts g e ä n d e r t : deren Oberfläche u n t e r liegt im flüssigen wie im festen Zustande der u n b e s c h r ä n k t e n Hoheitsgewalt des Uferstaates. Schwierigkeiten ergeben sich erst bei denjenigen Meeresteilen, die in ungefrorenem Zustande als K ü s t e n m e e r oder als Teile der offenen See anzusehen sein würden. Die praktische Bedeutung der Frage h a t sich gezeigt, als in Alaska Glücksspielunternehmer, um das Verbot der amerikanischen Behörden zu umgehen, eine Spielbank auf dem zugefrorenen Meere jenseits der 3 Seemeilen-Linie errichteten. Die Auffassung, d a ß es sich bei einer dauernd zugefrorenen Meeresfläche um eine Verlängerung des Landgebietes handele, die dementsprechend ebenso wie dieses Terri*torium des betreffenden Staates sei (so Die Berechnung nach der Niedrigwasser- Rolland in der u n t e n zitierten Skizze) ist Sie widerspricht tinie überwiegt denn auch in der Theorie m . E. nicht h a l t b a r . und S t a a t e n p r a x i s der letzten Zeit d u r c h a u s . schlechthin dem natürlichen geographischen 3*
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Meeresküste
E m p f i n d e n . Auch wenn das Meer dauernd l! zweifellos befugt, den Betrieb der Spielbank zugefroren ist, ist es doch seiner Substanz entsprechend dem Landesrecht zu u n t e r u n d seinem Verhalten nach von dem Fest- sagen u n d die Schließung nötigenfalls zu lande durchaus verschieden. Als Konsequenz erzwingen. Die Hoheitsgewalt des Anliegers jener Ansicht würde sich überdies völlige bezieht sich aber, wie b e m e r k t , n u r auf Interesse berührein. Unklarheit über die Ausdehnung der an Vorgänge, die sein d a u e r n d zugefrorene Meeresteile angrenzen- Grundsätzlich sind zugefrorene Meeresteile den S t a a t e n ergeben. Wie weit über das s t a a t e n l o s : ein auf einer über das zugeSchlittenr Eis soll sich das Gebiet eines solchen S t a a t e s frorene Meer u n t e r n o m m e n e n erstrecken? Und wenn das zugefrorene expedition geborenes E s k i m o k i n d ist auf Meer die Verbindungsbrücke zwischen zwei staatenlosem Gebiet geboren, ein d o r t v o r S t a a t e n vorstellt, liegt dann deren Grenze genommenes Rechtsgeschäft auf s t a a t e n Ein Delikt auf der vielleicht i n m i t t e n des Eises ver- losem Gebiet vorgenommen. laufenden, kaum zugänglichen u n d niemals u n t e r s t e h t nur dann der Gerichtsbarkeit des nächsten Anliegerstaates, w e n n d u r c h betretenen Mittellinie? dessen Begehung die Interessen desselben, Eine sinngemäße, den berechtigten Inter- insbesondere die Sicherheit seiner U n t e r essen der Uferstaaten gerecht werdende t a n e n b e r ü h r t werden. So wird ζ. B. keine Lösung ergibt sich jedoch aus der analogen Gerichtsbarkeit des Anliegers a n z u n e h m e n A n w e n d u n g der f ü r das K ü s t e n m e e r (s. d.) sein, wenn von den fremdländischen Teilentwickelten Rechtsgrundsätze auf die zu- nehmern einer Schlittenexpedition der eine gefrorenen Meeresteile. Soweit es sich bei den anderen auf dem Eise erschlägt; gedem gefrorenen Wassergebiet um die schieht aber der Totschlag durch Gebrauch Küstenmeerzone handelt, bedarf die Zu- einer Schußwaffe u n d somit u n t e r d e r lässigkeit dieses Verfahrens keiner Begrün- Möglichkeit der G e f ä h r d u n g unbeteiligter d u n g ; f ü r die weiter hinaus liegende Meeres- E i n w o h n e r des Anliegerstaates, die sich fläche ergibt sie sich aus folgender Über- zufällig in der gleichen Gegend auf dem legung. Eise a u f h a l t e n , so wird Polizeigewalt u n d ' Die Rechtssätze über das K ü s t e n m e e r Gerichtsbarkeit des Anliegerstaates eingreifen h a b e n sich entwickelt als K o m p r o m i ß können. zwischen der von dem U f e r s t a a t beans p r u c h t e n Gebietshoheit u n d dem berechtigten Interesse der übrigen Mitglieder der S t a a t e n g e m e i n s c h a f t an der B e n u t z u n g jenes Meeresstreifens; ihr Inhalt ist, auf eine kurze Formel gebracht, etwa d e r : beschränkte Gebietshoheit des Uferstaates zwecks W a h r u n g seiner berechtigten, d. h. m i t dem Grundsatz der Meeresfreiheit nicht in Widerspruch stehenden Interessen. Auch die — heute noch im Fluß befindliche — Frage, wie breit die Küstenmeerzone zu bemessen sei, ist nach dieser Maxime zu b e u r teilen.
Nach der hier entwickelten A n s c h a u u n g m a c h t es — i m Gegensatz zu der von Rolland vertretenen — keinen Unterschied, ob es sich um dauernd oder um vorübergehend zugefrorene Meeresteile h a n d e l t . Solange der Meeresteil noch offen ist, gelten f ü r ihn die gewöhnlichen auf die hohe See bzw. das K ü s t e n m e e r bezüglichen Rechtsregeln, solange eine k o m p a k t e Eisdecke besteht, die hier entwickelten Grundsätze. Die Rechtsstellung der B e m a n n u n g eines im Meere eingefrorenen Schiffes ä n d e r t sich grundsätzlich n i c h t ; es bleibt vielmehr — um m i t der üblichen Fiktion zu sprechen Bestandteil seines H e i m a t s s t a a t e s . Solangie die Besatzung an Bord des Schiffes verbleibt, f e h l t ein Interesse des Anliegerstaates an ihrem Verhalten; sowie sich a b e r Angehörige der Besatzung auf. das Eis hinausbegeben oder auch n u r von dem Schiffe aus auf die U m g e b u n g einwirken (etwa durch Schießen) u n t e r s t e h e n sie der J u r i s d i k t i o n s gewalt des betroffenen Anliegerstaates nach den oben entwickelten Grundsätzen.
Hinsichtlich eines zugefrorenen Meeresteiles besteht nun zweifellos ebenfalls u. A. ein Interesse des Anliegerstaates, seine Hoheitsgewalt, insbesondere seine Gerichtsb a r k e i t , auf diesem auszudehnen. Das oben e r w ä h n t e Vorkommnis beweist dies zur Genüge. Diesem Interesse des U f e r s t a a t e s s t e h t n u n hier — anders als beim offenen Meer — kein Interesse der S t a a t e n g e m e i n s c h a f t an der Benutzung des zugefrorenen Meeres entgegen. Der U f e r s t a a t ist deshalb als berechtigt anzusehen, seine Hoheitsgewalt über zugefrorene Meeresteile zu Literatur: erstrecken in solcher Hinsicht u n d in derjenigen räumlichen Ausdehnung, als es seine Rolland in der Rev. g6n. de droit i n t . publ. X I , 340ff. Vorwerk f. Interessen erfordern. Die Vereinigten S t a a t e n waren also in dem oben e r w ä h n t e n Falle
Meistbegünstigungsklausel
Meistbegünstigungsklausel (clause de la nation la plus favorisee, mostfavoured-nation clause, clausola della nazione piii f a v o r i t a ) ist die B e s t i m m u n g , welche das von einem S t a a t einem anderen gegebene Versprechen e n t h ä l t , dessen Angehörige. W a r e n und Verkehrsmittel (Schiffahrt) ebenso gut zu behandel, wie die Angehörigen, Waren und Verkehrsmittel jedes anderen Staates. In diesem ihrem allgemeinsten U m f a n g e begreift die Meistbegünstigungsklausel m i t h i n die Zuerkennung der zur betreffenden Zeit größten Vorteile, die in bezug auf Personenurid W a r e n v e r k e h r und in bezug auf Verkehrsmittel ü b e r h a u p t gewährt werden. Die Herausbildung der Meistbegünstigung ist im Laufe der letzten J a h r h u n d e r t e erfolgt im engen Z u s a m m e n h a n g m i t der E n t w i c k lung des internationalen Menschen- und W a r e n v e r k e h r s , d. h. m i t der sich durchsetzenden Gleichberechtigung von Ausländern und Inländern und m i t der Loslösung des W a r e n o b j e k t s von seinem S u b j e k t träger und m i t der Weiterbildung des personalen Warenzolles in Richtung auf eine impersonale generelle Zollregelung. In der Frühzeit des Merkantilismus waren die von den W a r e n zu entrichtenden Abgaben verk n ü p f t m i t der Person des K a u f m a n n s , ihre Höhe ward a u t o n o m aus finanziellen R ü c k sichten festgesetzt. Der koloniale W a r e n verkehr blieb dem Mutterlande vorbehalten, gelegentlich gewährte Ausnahmen wurden nicht verallgemeinert; f ü r den F r e m d w a r e n verkehr b e s t a n d keine prinzipielle Handelsfreiheit sondern Gebote und Verbote ordneten i h n , deren A u f h e b u n g durch e n t sprechende Gegenkonzessionen e r k a u f t werden m u ß t e . In der Spätzeit des Merkantilism u s verlieren die Abgaben ihren personalen Charakter. F ü r den Personenverkehr setzt sich die Meistbegünstigung d u r c h , f ü r den W a r e n v e r k e h r bereitet sie sich insbesondere in den Verträgen des Utrechter Friedens von 1713/15 vor, w ä h r e n d die Behandlung der Verkehrsmittel noch im Wege a u t o n o m e r S c h i f f a h r t s a k t e n vor sich geht. In der zweiten Epoche der E n t w i c k l u n g der Meistbegünstigungsklausel, die von 1778 bis 1860 d a t i e r t wird, verwirklicht sich der Gedanke der Rechtsgleichheit der Ausländer u n t e r einander völlig m i t ihrer Hilfe, wird die Idee der Rechtsgleichheit von Ausländern und Inländern zum Teil bereits in die Praxis eingeführt. Auch die Verkehrsmittel rücken u n t e r das Zeichen der Meistbegünstigung. F ü r den internationalen W a r e n a u s t a u s c h t r i t t insofern eine Vereinfachung ein, als der Generaltarif m i t seinem Grenzzollsystem
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zur Regel wird und ihm grundsätzlich d a s Prinzip der Handelsfreiheit als Basis dient. Die Meistbegünstigung im Warenverkehr sichert von nun ab vor differenzieller Anwendung des Generaltarifes im Augenblick der A b m a c h u n g , dagegen können künftige Erleichterungen n u r durch besondere Gegenkonzessionen erstanden werden, so d a ß die Waren pro f u t u r o nach ihrem Ursprungsoder Herkunftsland verschiedeh behandelt werden. Die d r i t t e Epoche löst im Zeichen der W e l t w i r t s c h a f t die Waren auch von ihrem Ursprungsland a b : ohne Rücksicht auf Erzeugungs- oder H e r k u n f t s o r t gilt f ü r Vergangenheit, Gegenwart und Z u k u n f t Meistbegünstigung im internationalen W a r e n verkehr. „ J e d e Begünstigung, jedes Vorrecht und jede E r m ä ß i g u n g in dem Tarif der Eingangs- und Ausgangsabgaben, welche einer der hohen vertragenden Teile einer dritten Macht zugestehen möchte, wird gleichzeitig und ohne Bedingung dem anderen zuteil w e r d e n " (Handelsvertrag zwischen dem Zollverein und Belgien vom 22. V. 1865 Art. 5, I). In bezug auf den Personenverkehr h a t sich die volle Gleichberechtigung zwischen Ausländern untereinander und m i t Inländern durchgesetzt, in bezug auf die Verkehrsmittel ist ein ziemlich nahe kommender Zustand erreicht worden. Diese letzte Form der Warenmeistbegünstigung ist in Europa seit 1860 immer allgemeiner gew o r d e n ; die Vereinigten Staaten von Amerika sind bei der Meistbegünstigungsklausel der zweiten Epoche, der Reziprozitätsklausel, verblieben. U m f a n g und Art der Meistbegünstigung sind in der Gegenwart aus historischen, wirtschaftlichen und politischen Gründen sehr verschieden. Es ist zu scheiden zwischen einer Generalklausel, die sich auf Personenund W a r e n v e r k e h r sowie auf Verkehrsmittel bezieht, und einer Spezialklausel, die lediglich den Warenverkehr e r f a ß t . Es ist ferner zu trennen eine bedingungslose unentgeltliche Meistbegünstigung wie die oben m i t geteilte von einer bedingten entgeltlichen, bei welcher die Ausdehnung auf dritte abhängig bleibt von der E i n r ä u m u n g gleicher bzw. ähnlicher Vorteile (Reziprozitätsklausel). Die Meistbegünstigungsklausel kann allein f ü r sich a u f t r e t e n und somit ganz generell den W a r e n v e r k e h r regeln und sie kann m i t einem T a r i f v e r t r a g verbunden sein; sie kann räumlich, zeitlich und sachlich unbeschränkt und räumlich oder zeitlich oder sachlich oder nach zwei bzw. drei Richtungen beschränkt sein. Die räumliche Beschränkung kann von der Meistbegünstigung ausnehmen den Grenzverkehr oder den Warenaustausch m i t benachbarten Staaten
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Meistbegünstigungsklausel — Memel
oder mit blutsverwandten Staaten oder schließlich den Austausch mit nicht speziell genannten Staaten (Frankfurter Friedensvertrag vom 10. V. 1871 Art. 11). In weiterem Ausbau kann die räumliche Differenzierung dann zu einer Meistbegünstigung erster Ordnung führen (Zollbevorzugung im Britischen Imperium auf Grund des preferential tariff) und zu einer Meistbegünstigung zweiter Ordnung (im Britischen Im-j perium auf Orund des intermediate tariff), ι Zeitlich beschränkte Dauer hat die Meist-j begünstigungsklausel, wenn sie mit Handelsverträgen verbunden ist, die eine bestimmte Frist laufen; zeitlich unbeschränkte Dauer hat sie regelmäßig da, wo sie in fristlosen Verträgen niedergelegt wird. Außerdem kann sie zeitlich in der Weise differenziert werden, daß sie entweder nur für die Vergangenheit und die Gegenwart oder für die Zukunft gilt. Sachlich unbeschränkt ist die Klausel, wenn keine Waren oder Warengruppsn von ihrem Geltungsbereich ausgenommen s i n d ; sachlich beschränkt ist sie im Gegenfalle (Gesetz betr. die Handelsbeziehungen zu den Vereinigten Staaten von Amerika vom 5. II. 1910, R G B l . 1910, Nr. 4). Die Formulierung der Meistbegünstigungsklausel ist entweder positiv, womit gesagt ist, daß ein S t a a t ebenso gut behandelt werden soll wie jeder dritte, oder negativ, was bedeutet, daß er nicht schlechter behandelt wird als jeder dritte. Die Gewährung der Meistbegünstigung geschieht in selteneren Fällen im Wege autonomer Gesetzgebung (G. betr. die Handelsbeziehungen zu den Ver. Staaten von Amerika vom 5. II. 1910), regelmäßig durch Abschluß eines Vertrages. Unter beiden Umständen ist es möglich, daß die Meistbegünstigung einseitig ausgesprochen wird oder ein doppelseitiges Verhältnis begründet. Die vertraglich doppelseitige Meistbegünstigung sieht die überwiegende Mehrzahl der Handelsverträge vor, eine vertraglich einseitige Meistbegünstigung ist ζ. B. den Friedensverträgen von Versailles (Art. 264 bis 267), Trianon, St. Germain und Neuilly den besiegten Staaten auferlegt worden. Literatur: L. Glier, Die Meistbegünstigungsklausel. Berlin 1905. — E. von Teubern, Die Meistbegünstigungsklausel in den internationalen Handelsverträgen (Zeitschrift f. Völkerrecht, Bd. VII, Beiheft I) 1913. — G. Lippert, Das internationale Finanzrecht. Wien und Leipzig 1912. — W. von Melle, Handels- und Schiffahrtsverträge (Handbuch des Völkerrechts, Bd. III, H a m b u r g 1887). — F. Borchardt, Entwicklungsgeschichte der Meistbegünstigung im Handelsvertragssystem (Diss. Heidelberg) Königsberg 1906. — M. Schraut, System
der Handelsverträge und der Meistbegünstigung. Leipzig 1884. — A. Oncken u. P. Arndt, Handelsverträge (Handw. d. Staatsw. Bd. V, 4 ed.). J e n a 1921. — H. Schumacher, Meistbegünstigung und Zollunterscheidung (Schriften des Vereins für Sozialpolitik 155). München u. Leipzig 1915. — N. Reichesberg, Die Meistbegünstigung in den künftigen Handelsverträgen. Bern 1918. Friedrich Hoffmann.
Memel. Art. 99 des Friedens von Versailles bes t i m m t : „Deutschland verzichtet zugunsten der alliierten und assoziierten H a u p t m ä c h t e auf alle Rechte und Ansprüche auf die Gebiete zwischen der Ostsee, der in Art. 28 Teil II (Deutschlands Grenzen) des gegenwärtigen Vertrages beschriebenen Nordostgrenze Ostpreußens und den alten deutschrussischen Grenzen. Deutschland verpflichtet sich, die von den alliierten und assoziierten Hauptmächten hinsichtlich dieser Gebiete, insbesondere über die Staatsangehörigkeit der Einwohner getroffenen Bestimmungen anzuerkennen." Das losgelöste Gebiet urafaßt 2708 qkm mit etwa 140 000 Einwohnern, die f a s t ausschließlich evangelisch und in der Mehrzahl deutscher Muttersprache sind. Deutschland hat in der Antwortnote vom 29. V. 1919 vergeblich gegen diese von ihm verlangte Abtretung protestiert; sein Protest war damit begründet, daß die Mehrheit der Bevölkerung von einer Lostrennung des Gebietes von Deutschland nichts wissen wolle und daß es seit über 500 Jahren ständig unter deutscher Herrschaft gestanden habe. Die Entente ist jedoch in der E r widerung vom 16. VI. 1919 bei ihrem Verlangen geblieben und hat die einstweilen an die Ententehauptmächte geforderte Abtretung damit begründet, daß die Rechtsverhältnisse der litauischen Territorien noch nicht bestimmt seien. Das Gebiet ist darauf mit dem Inkrafttreten des Versailler Friedens, dem 10. I. 1920, aus dem Deutschen Reich ausgeschieden, doch ist es gemäß dem am 9. I. 1920 in Paris geschlossenen Übergabeabkommen noch bis zum 15. II. 1920 von dem Deutschen Reich durch einen besonderen Reichskommissar verwaltet worden. Seit diesem Tage ist es von französischen Truppen besetzt. Vom rechtlichen Standpunkt ist das Memelgebiet ein Kondominium von England, Frankreich, Italien und J a p a n ; die Vereinigten Staaten, die fünfte Ententehauptmacht, sind infolge der Nichtratifizierung des Friedensvertrages ausgeschieden. Be-
39 Setzung, Verwaltung u n d auswärtige Vert r e t u n g der Memeler Interessen ist F r a n k reich übertragen. Zurzeit weist das Gebiet alle Merkmale eines S t a a t s f r a g m e n t e s auf u n d ähnelt in seiner tatsächlichen Stellung dem Freistaat Danzig. W ä h r e n d der Friedensvertrag diesem jedoch seine staatliche Existenz g a r a n t i e r t , fehlt eine solche Zusicherung im Falle von Memel. Das Gebiet u n t e r s t e h t auch nicht dem Schutze des Völkerbundes, ist vielmehr in seinen rechtlichen Schicksalen allein von den vier E n t e n t e h a u p t m ä c h t e n abhängig. Diese beabsichtigen offenbar f ü r später seine Angliederung in irgendeiner Form an Litauen. Die Bevölkerung e r s t r e b t f ü r diesen Fall die rechtliche Stellung des Freistaates Danzig. Inzwischen ist im Memelgebiet eine eigene Behördenorganisation geschaffen worden, die allerdings in der H a u p t s a c h e m i t beurlaubten deutschen Beamten in Gang erhalten w i r d . An der Spitze s t e h t ein Oberkommissar der E n t e n t e h a u p t m ä c h t e (bis 1. V. 1921 ein Gouverneur) und ein Landesdirektorium, das aus 6 — 8 ernannten Mitgliedern besteht. J u s t i z u n d Polizei unterstehen u n m i t t e l b a r dem Oberkommissar, die übrigen Zweige der Verwaltung dem Landesdirektorium. Neben dem Landesdirektorium s t e h t als beratende Körperschaft ein S t a a t s r a t von 20 Mitgliedern, der sich aus Vertretern der S t a d t Memel, der Landkreise, der Handelsund L a n d w i r t s c h a f t s k a m m e r , der Beamten, H a n d w e r k e r , Fischer u n d Gewerkschaften zusammensetzt (Verordnung betr. die Neugestaltung der Oberverwaltung des Gebietes vom 21. IX. 1920, A m t s b l a t t des Memelgebietes 1920 S. 347/348). Dem Wunsch der Bevölkerung auf Schaffung einer aus allgemeinen Wahlen hervorgehenden Volksv e r t r e t u n g ist bisher nicht entsprochen. Die Loslösung der einzelnen Verwaltungszweige von den deutschen u n d preußischen Zentralbehörden ist im allgemeinen beendet. Es besteht namentlich eigene Justiz-, Post-, Eisenbahn-, Finanz- u n d Unterrichtsverwaltung. Lediglich auf dem Gebiete der Sozialversicherungen ist bisher eine gewisse Verb i n d u n g noch aufrecht erhalten geblieben. Ebenso ist eine T r e n n u n g der evangelischen Gameinden des Memelgebietes von der evangelischen Landeskirche der älteren preußischen Provinzen nicht erfolgt. Das Gebiet f ü h r t ein eigenes W a p p e n u n d F a h n e in den Farben rot-gelb. Die zur Zeit der A b t r e t u n g gültigen deutschen Gesetze u n d Verordnungen sind in K r a f t geblieben. Die neue deutsche Steuergesetzgebung ist nicht n a c h g e a h m t worden. Organisation u n d Zuständigkeit d e r Gerichte ist geändert. Es besteht ein
Landgericht und fünf Amtsgerichte. Die Amtsgerichte sind bereits seit März 1920 bis zu 3000 M. z u s t ä n d i g ; in Strafsachen bilden die Schöffengerichte in allen Fällen die erste Instanz, die Berufungen gehen an die S t r a f k a m m e r in Memel, welche in der Besetzung von drei Berufs- u n d zwei Laienrichtern entscheidet; die freiwillige Gerichtsbarkeit ist in weitem U m f a n g e auf die N o t a r e a b gewälzt. Durch einen besonderen zwischen dem Oberkommissar von Danzig u n d dem Gouverneur von Memel m i t Z u s t i m m u n g der E n t e n t e h a u p t m ä c h t e abgeschlossenen Vertrag vom 30. V I I I . 1920 (Amtsbl. S. 307) ist das Danziger Obergericht f ü r Berufungen gegen Urteile des Landgerichts Memel f ü r zuständig erklärt, also an die Stelle des Reichsgerichts, des K a m m e r g e r i c h t s u n d des Oberlandesgerichts Königsberg getreten. Im Verhältnis zum Deutschen Reich f i n d e t u n m i t t e l b a r e r Verkehr und Rechtshilfe wie bisher s t a t t . Zweifelhaft ist die Rechtsstellung d e r Bevölkerung. Abzulehnen ist die Ansicht, daß sie m i t der A b t r e t u n g s t a a t e n l o s geworden sei. Da A r t . 99 des Friedensvertrages Deutschland n u r verpflichtet, die k ü n f t i g e Staatsangehörigkeit der Bevölkerung a n z u erkennen, wird deutscherseits a n g e n o m m e n , daß ein Wechsel der S t a a t s a n g e h ö r i g k e i t bisher nicht eingetreten ist, eine Ansicht, welcher von der Gegenseite bisher n i c h t widersprochen ist. Literatur: Sembritzki, Geschichte der S t a d t Memel, Memel 1900. — Derselbe, Geschichte des Kreises Memel, Memel 1918. — Derselbe, Geschichte des Kreises H e y d e k r u g , Memel 1920. — Schücking, K o m m e n t a r zum Friedensvertrag, U r k u n d e n b a n d I, N r . 60, 64, II, Nr. 134c. — Materialien betreffend die Friedensverhandlungen, Teil III, S. 9, 19, 49, 82, Teil IV, S. 22. — Deutsches Auswärtiges Amt, „ D i e E r f ü l l u n g des Vertrags von Versailles durch Deutschland bis zum 1. April 1921", S. 11. — Crusen, Festgabe f ü r L i e b m a n n , 1920, S. 48. — Lutterloh, Die Rechtspflege im Memelgebiet, D J Z . 1921, S. 108. — Bruns, Staatsangehörigkeitswechsel u n d Option im Friedensvertrage von Versailles 1921, S. 66. — Schätzet, Der Wechsel der Staatsangehörigkeit infolge der deutschen Gebietsabtretungen 1921, S. 80. Schätzet.
Mesopotamien, das Land zwischen den zwei Strömen E u f r a t (im Westen) u n d Tigris (im Osten) in ihrem mittleren Laufe, im N o r d e n vom armenischen Bergland u n d T a u r u s begrenzt,
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Mesopotamien
im Süden von der medischen Mauer, ein, wie die Gelehrten sagen „ g e o g r a p h i s c h e r " , kein politischer oder ethnographischer Begriff, da Ströme keine w i r t s c h a f t l i c h e n und nationalen Grenzen bilden. In der Bibel Aram N a h a r a i m , A r a m der beiden Ströme g e n a n n t (1. Mos. 24, 10; 5. Mos. 23, 4), arabisch El D'schesireh-Insel w a r Mesop o t a m i e n n u r selten zu einer E i n h e i t zusammengefaßt. Zuerst als Babylonien bezeichnet, ist es stets den W e l t m ä c h t e n Untert a n , in a l t e r Zeit den Ä g y p t e r n , später den Assyrern (2. Kön. 19, 12) und C h a l d ä e r n ; seit 535 v. Chr. u n t e r persischmazedonischer, syrischer (s. X e n o p h o n , Anabasis 1, 4. 6. 19), parthischer, dann u n t e r römischer H e r r s c h a f t , von T r a j a n bis J u l i a n eine römische Provinz, d a n n wiederum persisch bis zur Khalifenzeit 1258 mongolisch, d a n n wieder persisch und seit 1641 zum türkischen Reich gehörig, die Vilajets Diarboer, Mossul, R a k k a , B a g d a d , Bassorah bildend. Auf diese Gebiete h a t E n g l a n d seit lange sein A u g e n m e r k gerichtet u n d eins der Ziele des Weltkrieges w a r , j a nach m a n c h e r Ansicht eins der Hauptziele die Gewinnung dieser Gebiete u n d die V e r d r ä n g u n g des deutschen Einflusses u n d der deutschen Erfolge dort. Schon seit Beginn des 20. J a h r h u n d e r t s v e r s t a n d es die britische Politik M a h m u d Z a h j a , einen angeblichen N a c h k o m m e n des P r o p h e t e n in seinen Ansprüchen auf das I m a m a t , d. h. die Leitung des ges a m t e n Islam zu u n t e r s t ü t z e n . Damit w a r bereits der Grund gelegt f ü r das, was der türkische Frieden u n d die neuesten M a ß n a h m e n der E n g l ä n d e r geschaffen. Die englische Politik wollte sich einmal einen E i n f l u ß auf den M o h a m e d a n i s m u s — auch wegen Indien — sichern und die heiligen S t ä t t e n (s. d. Art.) Mekka und Medina in seiner Gewalt haben, andererseits waren es auch wirtschaftliche Interessen, die m i t sprachen (Ölquellen) und das Interesse an der Verbindung Afrikas u n d Indiens besonders durch den Schienenweg Aden-MekkaAkaba-Suez. Das englisch-französische Geheimabk o m m e n vom Mai 1916 — s. dessen Bestimm u n g e n in dem A r t . „ P a l ä s t i n a " — verteilt n u n nicht n u r Syrien usw., sondern sieht auch bereits Mesopotamien als der englischen E i n f l u ß s p h ä r e u n t e r w o r f e n vor. Das A b k o m m e n vom 9. X I . 1918 legt schon die Grundzüge der sog. A u t o n o m i e fest. N u n m e h r ist die ganze Frage über die Z u k u n f t Mesopotamiens zu einer hochwichtigen politischen Frage, ist zur arabischen Frage erweitert u n d von größter B e d e u t u n g f ü r das Verhältnis von Frankreich u n d E n g l a n d (vgl. auch den A r t . Syrien). Der
englische Kolonialminister Winston Churchill h a t in einer großen Orientrede im U n t e r haus ( J u n i 1921) erklärt, d a ß an Stelle der vorläufigen Regierung in Mesopotamien ein rein arabisches Königreich m i t gewählter N a t i o n a l v e r s a m m l u n g und arabischer W e h r m a c h t erstehen solle, „ein Bollwerk gegen I n d i e n " . Sir Percy Box, der Oberkommissar f ü r Mesopotamien h a t d a f ü r Sorge getragen, d a ß E m i r Faissal, Sohn König Husseins, von den arabischen S t a m m e s h ä u p t e r n zum König von Mesopotamien gewählt wurde, w ä h r e n d sein Bruder, der ursprünglich f ü r diesen Thron in Aussicht genommen w a r , im T r a n s j o r d a n l a n d sich ein eigenes H e r r schaftsgebiet geschaffen: Abdullah in T r a n s jordanien u n d Faissal in Mesopotamien, Scheinherrscher und H ü t e r englischer Interessen gegenüber Frankreich, dessen ausgesprochene Feinde beide Söhne des Königs von H e d j a z sind, zugleich aber auch Schützer der englischen Interessen gegenüber dem Islam selbst. Denn es verknüpfen sich hier die f ü r die künftige Diplomatie wichtigsten P r o b l e m e : der Gegensatz von England und Frankreich u n d die p a n islamische Bewegung, die bereits Englands imperialistische Ziele zu begreifen b e g i n n t ! Im Kampf gegen den Islam, der a n f ä n g t u n b e q u e m zu werden, haben die Engländer zurzeit die Griechen vorgeschoben, die aber am meisten g e h a ß t sind. Die britische Politik ist aber sehr weise, wenn die Griechen nicht b r a u c h b a r , weitere Eisen im Feuer zu haben, an den e r w ä h n t e n beiden neuen „Königen". Zugleich h o f f t sie — n a c h den Äußerungen Churchills — zu einer Verringerung der Besatzungstruppen (12 s t a t t 33 Bataillone) und zu einer E r m ä ß i g u n g der finanziellen Lasten zu kommen. Inzwischen ist gerade in Mesopotamien m ä c h t i g gearbeitet worden und wirtschaftlich und verkehrstechnisch Großes geleistet. Neuestens wird ein großartiger Flugverkehr geplant, der die britische Insel m i t Indien und Australien verbinden soll, wobei Bagdad als U m schlagplatz in Aussicht genommen ist. So gelangt dieses Zweistromland, dieser „ A u s s t r a h l u n g s p u n k t des orientalisch-europäischen Kulturkreises", das Land, wo m a n die Wiege des Menschengeschlechtes gesucht h a t , zu neuer weltgeschichtlicher Bedeutung in unserem J a h r h u n d e r t . Es ist sehr fraglich, ob die Kultur des Landes in alten Zeiten wirklich so gewaltig war und Fachkundige bezweifeln, d a ß in diesen Oasensiedlungen die Wiege der A c k e r b a u k u l t u r , d e r s t a a t lichen Einrichtungen und der Religion gewesen sein k a n n . Aber die andere Grundlage vom W o h l s t a n d des Landes, der H a n d e l , h a t sich erhalten u n d h a t die m ä r c h e n h a f t e
Mesopotamien — Methuenvertrag
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von England verfallen sei, die nicht überwiegend auf andere Gründe zurückzuführen wäre, läßt sich heute nicht mehr behaupten. Vom sozialökonomischen Standpunkt aus hat die neueste Forschung (besonders S c h o r e r ) wohl einwandfrei festgestellt, daß dieses heute noch hinsichtlich seiner wirtschaftlichen Bedeutung und Tragweite vielfach umstrittene, berühmteste Abkommen aus der merkantilistischen, protektionistischen Zeit nichts anderes darstellt als die im Wege feierlichen Vertragsschlusses erfolgte Fixierung eines bereits durch den englisch-portugiesischen „Friedens- und Allianzvertrag" . von 1654 (der seinem Inhalte nach nicht als politischer, sondern als Handelsvertrag betrachtet werden muß), durch die englische Handelspolitik, insbesondere den englischen Handelskrieg gegen Frankreich und durch die wirtschaftliche und politische Lage Portugals geschaffenen Zustandes. Seine Bedeutung liegt in der dadurch gewonnenen Dauer und Sicherheit der von ihm geregelten Wirtschaftsbeziehungen. Das Abkommen trägt den Namen des damaligen englischen Gesandten in Lissabon, J o h n M e t h u e n , dem der Abschluß dieses Vertrages wegen der dabei bewiesenen diplomatischen Gev. K i r c h e n h e i m . schicklichkeit und der angeblich dadurch [Am 10. X. 22 ist zwischen England und erlangten großen Vorteile f ü r England in — wie Mesopotamien amtlich heißt — Iraq vielen Kreisen lange zum besonderen Verein Vertrag abgeschlossen worden, der einem dienst angerechnet worden war. Tatsache Protektorat nahekommend, sich doch da- ist, daß M e t h u e n den Eindruck zu erwecken durch unterscheidet, daß Iraq eigene diplo- verstand, als handelte es sich bei dem oben matische Vertreter im Auslande mit eng- erwähnten vertragsmäßigen Differentialzoll, lischer Zustimmung unterhalten darf. Die der in schwankender, aber doch annähernd englischen Interessen nimmt ein General- gleicher Höhe schon J a h r e vor dem Vertrage vor 1703 gewährt worden war, um eine neue resident wahr. D. H e r a u s g e b e r . ] Vergünstigung, f ü r die er die Nichtanwendung i des portugiesischen WollwareneinfuhrverMethuenvertrag, S bots auf englische Fabrikate als Gegenleistung ist das englisch-portugiesische Wirtschafts- verlangen konnte. Aber auch diese stellte abkommen vcm 27. X I I . 1703, in welchem sich als wenig bedeutungsvoll heraus, da der König von Portugal trotz des zum Schutze das Verbot kein allgemeines war, und gerade d e r heimischen Industrie gegen alle Länder die von England gelieferten Fabrikate nur sich richtenden Wollwareneinfuhrverbots von zum Teil getroffen hatte, vielmehr aber noch, 1684/85 englische Fabrikate f ü r alle Z u k u n f t ; weil Portugal im eigenen Interesse späterhin ( „ ä I'avenir pour t o u j o u r s " ) in Friedens- j sein Gebiet dem freien Wettbewerb öffnete und Kriegszeiten zuzulassen versprach, unter und anderen Ländern freiwillig die Einfuhr d?r Bedingung, daß England f ü r alle Zu- : von Wollwaren gestattete, die es England k u n f t die portugiesische Weineinfuhr nach I nur auf Grund besonderer Vereinbarung Großbritannien gegen einen Zollsatz ge- ι versprochen hatte. Daß die Überschätzung s t a t t e n würde, der stets um ein Drittel • der wirtschaftlichen Tragweite des Methuenniedriger wäre als der von französischen | Vertrages auf unzutreffenden TatsachenWeinen erhobene. England h a t t e es also i behauptungen beruht, hat S c h o r e r nachin der Hand, durch Nichtbeachtung der i gewiesen. Ihm ist auch der wohl kaum zu Bedingung den Vertrag jederzeit wirkungslos ' widerlegende Nachweis zu verdanken, daß zu machen, während Portugal so lange ge- | die im Methuenvertrag eingeräumte Verbunden w a r , als England ihm die zugesicherte I günstigung f ü r die Beteiligung Portugals Vergünstigung gewährte. Daß dadurch aber ' an dem großen von England ins Leben gePortugal in einfe wirtschaftliche Abhängigkeit
Pracht hervorgebracht, die uns in den Schilderungen in „Tausend und eine N a c h t " entgegentritt. In anderer Weise wird eine Erneuerung s t a t t f i n d e n . Soweit dies f ü r dies Wörterbuch in Betracht k o m m t , vgl. den Art. B a g d a d b a h n . Literatur: Sehr reiche Literatur, jedoch meist die wirtschaftliche und verkehrstechnische Seite betr. Über die englische Orientpolitik belehrt mit am besten Stuhlmann, Der Kampf um Arabien (Hamburgische Forschungen, Westermann, H e f t 1, 1916), daselbst S. 217ff. über M. und S. 70 Anh. reiches Literaturverzeichnis. Völkerrechtlich kommen in Betrachtbes. die Sammlung von Hertslet, Vol. X X I V und Aitchison, Collection of treaties X I I , Calcutta 1919. Für die einleitenden Bemerkungen betr. Örientpolitik s. den Vortrag H a r t m a n n s in der Vorderasiat. Ges., Juli 1905 und Mchrmann, Der diplomatische Krieg in Vorderasien 1916 (s. Deutsche Levanteztg. v. 16. V I I I . 1916). Vgl. auch die Lit. P. in den a r t . Palästina, Syrien, T ü r k . Frieden, Art. 94—97 des Friedens von Sivres, der inzwischen durch das Abk. Frankreichs mit der Türkei (sog. Angoraoder kemalist. Abk.) v. Nov. 21 ohne Einfluß sein dürfte. Vgl. den Art. Syrien.
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Methuenvertrag
Hauterlve et Cussy, Recueil des t r a i t i s rufenen Bündnis gegen Ludwig X I V . nicht de commerce et de navigation (depuis bestimmend gewesen war. Eine Reihe von 1648) II, T o m e IV, Paris 1836. Streitfragen, die m i t diesem Vertrage zus a m m e n h ä n g e n , haben immer wieder eine S c h r i f t e n : Beste und ausführlichste Arbeit H. Schorer, Der Methuenvertrag. Zeitgroße Zahl von Gelehrten, so besonders schrift f ü r gesamte Staatswissenschaft, auch A. S m i t h , F. L i s t , Schmoller, 59. J a h r g . 1913, wo die wichtigste L i t e r a t u r v. M e l l e , N o o r d e n , Schäfer, Spaf a s t erschöpfend a n g e f ü h r t und auch der mer, Oncken, K a l t e n b o r n , van der W o r t l a u t des Vertrages nach H a u t e r i v e B o r g h t u. a. beschäftigt. Völkerrechtlich a. a. O. a b g e d r u c k t sind. — Asher, C. W., Ad. Smith, Über die Quellen des ist der Methuenvertrag kein Handelsvertrag Volkswohlstandes. N e u b e a r b e i t u n g von im eigentlichen Sinne des Wortes, sondern C. W. Asher, 2. Bd., S t u t t g a r t 1861. — lediglich ein W i r t s c h a f t s a b k o m m e n , das speBeer, Adolf, Allgemeine Geschichte desWeltzielle Einzelbeziehungen wirtschaftlicher Nahandels, 2. Abt., Wien 1862. — Bluntschll, t u r zwischen zwei Staaten zum Gegenstand J. C., Deutsches S t a a t s w ö r t e r b u c h . Heraush a t . Staats- und völkerrechtlich bemerkensgegeben von J . C. Bluntschli und K· Brater, wert ist dieser Vertrag vor allem deshalb, 4 B i . , S t u t t g a r t und Leipzig 1859. Artikel weil sein Abschluß in gewissen Kreisen als „ H a n d e l s v e r t r ä g e " von v. K a l t e n b o r n . — Eingriff in die Rechte des englischen ParR. van der Borght, Handel und Handelspolitik. Leipzig 1900 ( I n : H a n d - u n d laments angesehen wurde, dem er nicht Lehrbuch der S t a a t s w i s s e n s c h a f t e n " , bevorgelegt worden war, obwohl ihm allein g r ü n d e t von Kuno F r a n k e n s t e i n , f o r t das Recht zur Festsetzung der Zollsätze gesetzt von Max von Heckel. I. A b t . , zustand. Endlich ist die zeitliche G i l t u n g X V I . Bd.) — M. de Ia Clede, Histoire de des Methu ϊηVertrages noch haute G;genPortugal. T o m . VII, V I I I , Paris 1735. — stand der Erörterung u n d einer Reihe von Cobbett, P a r l i a m e n t a r y history of E n g Meinungsverschiedenheiten. Es geht jedoch laad. T o m . VI., London 1810. — aus dem letzten Satz des Art. 2 unzweideutig Cunha de Azeredo Coutinho, Ensaio economico sobre e commercio de Portugal, hervor, daß der Vertrag formell zwar f ü r ewige e suas colonias. Lisboa 1794. — Elster, Zeiten abgeschlossen, seinem inhaltlichen Ludw., W ö r t e r b u c h der Volkswirtschaft. Bestehen, seiner materiellen Verwirklichung nach aber vom jeweiligen Verhalten der 2. B i . , J e n a 1898, A r t . „ M e t h u e n v e r t r a g " Vertragsparteien in ihren handelspolitischen von Prof. K a r l R a t h g e n - M a r b u r g . — Maßnahmen, vor allem von EiglarTds Willen Gee, Joshua, T h e t r a d e and navigation of G r e a t - B n t a i n . 5. ed., Glasgow 1750. — abhängig war. Im Freundschafts-, HandelsHandwörterbuch der Staatswissenschaften. und Schiffahrtsvertrag vom 19. II. 1810, 3. A u f l . , J e n a 1910. Art. „ H v i d e l s der an die Stelle des Vertrags von 1654 t r a t , ; v e r t r ä g e " von A. O n c k e n . — Holtzenwar der Inhalt des Methuenvertrages ausdorff, Franz v., H a n d b u c h des Völkerdrücklich erneuert worden. Der Vertrag rechts. I I I . B i . , H a m b u r g 1887, 18. von 1810 wurde durch den Vertrag vom 3. V I I . S t ü c k : Handels- und S c h i f f a h r t s v e r t r ä g e 1842 ersetzt. In diesem ist zwar von dem von W e r n e r v o n M e l l e . — Llppert, 0 . , Methuenabkommen und seinen BestimmunInternationales Finanzrecht. Wien-Laipzig gen nicht mehr die Rede, auch ist den Por1912, S. 309. — List, Friedrich, Das nationale System der politischen Ökotugiesen nicht wieder ausdrücklich ein Vornomie. 7. Aufl. von K- T h . E h e b e r g , zugszoll auf ihre Weineinfuhr nach England S t u t t g a r t 1883. — Mercator's Letters zugesichert worden. Eä wäre aber vom on Portugal and its commerce. London völkerrechtlichen S t a n d p u n k t unzutreffend, 1754. ( P a m p h l e t s VI. Bd. Nr. 3.) — m i t S c h o r e r aus diesem Schweigen des VerNoorden, Carl von, Europäische Geschichte trages den Schluß zu ziehen, daß das Meim 18. J a h r h u n d e r t . I. u. II. Bd., Düsselt h u e n a b k o m m e n durch den Vertrag von dorf 1870/74. — Pepper, Le P o r t u g a l , le 1842 formell aufgehoben worden sei. Ist traitö de M i t h u e n et l'union ibfirique. der Methuenvertrag nach 1810 durch die Paris 1879. (Siehe La g r a n d e encyclopedie u n t e r Portugal.) — Roscher, Wilh., System Tatsachen überholt worden, so könnte der Volkswirtschaft III. Handel und GeO n c k e n s Annahme, d a ß er 1830, oder, w e r b e f l e i ß , 7. A u f l a g e , bearbeitet von wie andere behaupten, 1836 in Wegfall Wilh. Stieda, S t u t t g a r t 1899. — Schäfer, gekommen sei, ebenso zutreffend sein wie Heinr., Geschichte von Portugal. V. Bd., die S c h o r e r s . Völkerrechtlich h a t er seine Gotha 1854. Geschichte der europäischen formelle Geltung durch desuetudo verloren. S t a a t e n , herausgegeben von H e e r e n u. U k e r t . — Schmoller, Gustav, J a h r b u c h f ü r Gesetzgebung, Verwaltung und VolksLiteratur: w i r t s c h a f t . Neue Folge, X X I I I . J a h r g . , Q u e l l e n : Martens, Recueil, Suppl. I, 40 ( W o r t l a u t des Vertrages). — Martens, 4. Η -ft, Leipzig 1899. — Spaniers Nouveau Recueil, Suppl. I, 40, ferner Illustrierte Weltgeschichte. 3. Aufl., VII. T o m e III, 245 und Suppl. II, 142. — Bd. Neuere Zeit III, Leipzig 1894. —
Methuenvertrag — Meunier (Auslieferungsfall)
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Steck, W . von, Versuch über Handels- gestellt und, da man seiner nicht h a b h a f t und Schiffahrtsverträge. Halle 1782. — werden konnte, in Abwesenheit zum Tode Steck, W. von, Ausführungen gemein- verurteilt. E r s t am 4. IV. 1894 gelang es, nütziger Materien. Halle 1784. ihn in England, und zwar auf dem ViktoriaH. J . H e l d . Bahnhof in London, festzunehmen. Meunier erhob Einspruch gegen seine Verhaftung und die von Frankreich begehrte Auslieferung. Sein Verteidiger machte geltend, im Metrisches System, Fall der Kaserne Lobau handle es sich zwar um einen verwerflichen Anschlag, seine internationale Regelung. der zahlreiche Opfer h ä t t e kosten können, Unter Teilnahme Deutschlands, Öster- nichtsdestoweniger aber um eine S t r a f t a t reich-Ungarns, Belgiens, Brasiliens, Argen- mit politischem Charakter. Im Fall des tiniens, Dänemarks, Spaniens, der Union, Kaffeehauses V£ry seien die BeweisunterFrankreichs, Großbritanniens, Griechenlands, lagen ungenügend (hier wurde das politische Italiens, Hollands, Perus, Portugals, Ruß- Asyl offenbar deshalb nicht beansprucht, iands, Schwedens u n d Norwegens, der weil die englische Regierung bereits im Schweiz, der Türkei und Venezuela, dem Jahre 1892 einen Teilnehmer an dieser später J a p a n , Mexiko, Rumänien und Serbien S t r a f t a t , den französischen Staatsangehörigen beigetreten sind, ist am 20. V. 1875 eine Kon- FranQois, unter Ablehnung des Einwandes, vention abgeschlossen worden (Text: F1 ei s c h- daß die T a t politischen Charakter habe, m a n n , Völkerrechtsquellen, 1905, sowie An- ausgeliefert hatte (The Times vom 2. X I I . nuaire de la vie internationale I 315), durch 1892; Clunet 20 (1893], S. 479). Dagegen die das Bureau international des poids et stützte der Verteidiger im Fall der Kaserne mesures zu Paris geschaffen worden ist. Lobau seine Auffassung durch den H.nweis, Unter derOberleitung eines vierzehngliedrigen, daß die S t r a f t a t ein staatliches Gebäude, die Unterkunftsräume der seit einer Konvention vom 31. III. 1922 insbesondere achtzehngliedrigen Comitis, das seinerseits Truppen der französischen Regierung zum der Generalversammlung der Signaturstaaten Ziel gehabt habe, und berief sich auf den Fall untersteht, mit dem erforderlichen Personal Castioni (s. d.) und dessen Entscheidung. ausgestattet, h a t es die Aufgabe, die internationale Prototypen des Meters, des Kilogramms und — nach einer neuen Konvention vom 31. III. 1922 — der elektrischen Einheiten zu berechnen u n d den einzelnen Staaten U r m a ß und Urgewicht zu überweisen. Der neuen Konvention vom 31. III. 1922 gehören die obenerwähnten Staaten sowie Bulgarien, Kanada, Chile, Finland, Siam, Uruguay, nicht aber wie bisher Rußland, Türkei, Venezuela, an. Strupp.
Metternich und das Metternichsystem s. Heilige Allianz.
Meunier (Auslieferungsfall). 1. In Paris wurden in der Nacht vom 14. zum 15. III. 1892 bei der Kaserne Lobau u n d am 22. III. bei dem Kaffeehaus Vdry Bombenanschläge unternommen, bei denen zwei Menschen ums Leben kamen. Die Ermittlungen ergaben, d a ß es sich um Verbrechen von Anarchisten handelte, welche die Hinrichtung des Anarchisten Ravachol rächen sollten. Als H a u p t t ä t e r wurde der französische Staatsangehörige Meunier fest-
II. Die Richter der Queen's Bench Division (Cave und Collins) verwarfen am 11. VI. 1894 die Einwände. Sie erklärten die Beweise f ü r die Teilnahme Meuniers an dem Verbrechen beim Kaffeehaus V6ry f ü r ausreichend und verneinten das Vorliegen einer S t r a f t a t mit politischem Charakter bei dem Anschlag auf die Kaserne Lobau. Ein Verbrechen mit politischem Charakter liege nur vor, wenn zwei oder mehr politische Parteien in einem Staate vorhanden seien, die einander befehdeten, und die S t r a f t a t begangen sei, um das Parteiziel zu erreichen. Im vorliegenden Falle handle es sich nicht um zwei einander bekämpfende Parteien, for the p a r t y with whom the accused is identified b y the evidence, and by his own voluntary statement, namely, the p a r t y of anarchy, is the enemy of all Governments. Their efforts are directed primarily against the general body of citizens. They m a y , secondarily and incidentally, commit offences against some particular Government; but anarchist offences are mainly directed against private citizens. Meunier wurde daher ausgeliefert. Ähnliche Anschauungen, wie sie hier bei der Beurteilung der Straftaten von Anarchisten hervortreten, sind auch in anderen Ländern bei der internationalen Bekämpfung des Anarchismus (s. d.) laut geworden.
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Meunier (Auslieferungsfall) — Mexiko
Literatur: j Clunet 22 (1895), S. 643, 1023. — L. Besuchet, T r a i t i de l ' e x t r a d i t i o n (Paris 1899), S. 256. — J. Saint-Aubin, L ' e x t r a dition et le droit extraditionnel (Paris 1913), p. 443. — E. Clarke, A treatise \ u p o n t h e law of e x t r a d i t i o n , 4. A u f l . 1 (London 1903), p . 186. — H. Warburton, A selection of leading cases in t h e crimii law, 4. Aufl. (London 1908), p . 462. Mettgenberg.
Meurer s. VRsliteraturgeschichte.
Mexiko. Das heutige Mexiko (Estados Unidos Mexicanos 1 989 200 q k m m i t 15% Million E i n w o h n e r n ) b e g i n n t wie alle spanischamerikanischen S t a a t e n seine politische Geschichte m i t der E r k l ä r u n g seiner U n a b hängigkeit von Spanien, die Mexiko durch den Einzug A u g u s t i n s d e I t u r b i d e am 27. IX. 1821 in die H a u p t s t a d t erlangte. Vorangegangen w a r e n 11 J a h r e blutiger U n a b h ä n g i g k e i t s k ä m p f e , die am 16. IX. 1810 m i t der E r h e b u n g des Priesters M i g u e l H i d a l g o ihren A n f a n g n a h m e n , dem sich in den folgenden J a h r e n weitere Freiheitsk ä m p f e r anschlossen. Ihren Ausklang f a n d diese Bewegung u n t e r I t u r b i d e in dem Manifest von I g u a l a (grito de Iguala) vom 20. II. 1820, in welchem neben der Sicherstellung der Vorrechte der katholischen Kirche, der Gleichberechtigung der Mexikaner und Spanier die Unabhängigkeit Mexikos von Spanien in der S t a a t s f o r m einer Monarchie unter einem Fürsten aus dem spanischen Königshause ausgesprochen wurde. Am 24. V I I I . 1921 w u r d e dieses Manifest vom spanischen Vizekönig ( S t a t t h a l t e r ) genehmigt und Cördoba und auch der letzte (64) spanische Vizekönig O ' D o n o j i i , der zur Niederwerfung der a u f s t ä n d i g e n Bewegung e n t s a n d t war, m u ß t e in diesen Vertrag eintreten. Die Zurückweisung des Abkomm e n s von C ö r d o b a durch die spanischen Cortes veranlaßte I t u r b i d e sich ; nachdem ein zu diesem Zweck einberufener Kongreß m i t % Mehrheit seine Z u s t i m m u n g erteilt, u n t e r dem N a m e n A u g u s t i n I. am 21. V I I . 1822 zum Kaiser von Mexiko krönen zu lassen. Hiergegen m a c h t e sich insbesondere von dem in den ersten J a h r z e h n t e n der mexikanischen Politik s t a r k hervortretenden General S a n t a A n n a bewaffneter W i d e r s t a n d geltend und so sah sich I t u r b i d e v e r a n l a ß t a m 19. III. 1823 abzudanken, womit nach achtmonatlicher Dauer das erste mexikanische Kaiserreich z u s a m m e n b r a c h . An
seine Stelle t r a t die Republik, deren erster Präsident F. V i c t o r i a sein A m t am 10. X . 1824 a n t r a t . Nachdem die Republik Mexiko sich in den ersten J a h r e n ihres Bestehens erfolgreich den Versuchen Spaniens auf W i e d e r u n t e r w e r f u n g widersetzt h a t t e (19. X I . 1825 wurde auf dem Fort San J u a n de Ulloa (Veracruz) die spanische Flagge niedergeholt), bilden die nächsten Jahrzehnte innerpolitisch eine ununterbrochene K e t t e von Pronunciamentos, Revolutionen u n d Gegenrevolutionen. Ein Bild davon gibt die Tatsache, d a ß ζ. B. in den J a h r e n 1846 und 1847 je f ü n f , im J a h r e 1855 vier verschiedene Präsidenten an der Spitze des Staates standen. Außenpolitisch fällt in diese Zeit, abgesehen von einem kürzeren Krieg m i t Frankreich ein Krieg zwischen Mexiko und den Ver. S t a a t e n , der durch die Texasfrage hervorgerufen war. Texas, das am 2. I I I . 1836 bereits von Mexiko abgefallen, wurde neun J a h r e s p ä t e r in die Union aufgenommen und da Mexiko dieses Vorgehen nicht a n e r k a n n t e , brach zwischen beiden Mächten der Krieg aus, in dessen Verlauf die N o r d a m e r i k a n e r ohne Widerspruch die nördlichen Provinzen Mexikos besetzten. Als dann General S c o t t ain 9. I I I . 1847 in Veracruz gelandet und a m 14. IX. desselben Jahres in Mexiko eingezogen w a r , m u ß t e Mexiko sich zum Frieden von G u a d a l u p e Hidalgo (2. II. 1848) bequemen, durch den es die Gebiete im Norden des Rio Grande del Norte dazu Kalifornien in einem G e s a m t u m f a n g von 1 y 2 Millionen q k m , f a s t die H ä l f t e seines territorialen Gebietes, gegen eine Zahlung von 15 Millionen Dollar a b t r e t e n m u ß t e . In Auswirkung dieses Friedensschlusses überließ S a n t a A n n a auch das Mecillathal f ü r 10 Millionen Dollar an N o r d a m e r i k a (Gadsden Vertrag). Der um die Mitte des vergangenen J a h r hunderts hervorragendste mexikanische F ü h r e r B e n i t o J u a r e z , der Vorgänger von P o r f i r i o D i a z sah sich am 17. V I I . 1861 a u ß e r s t a n d e die ausländischen Staatsgläubiger zu befriedigen, worauf die interessierten Mächte Frankreich, England u n d Spanien u n t e r dem 31. X . eine Konvention abschlossen, auf Grund deren an Mexiko ein U l t i m a t u m gerichtet w u r d e (24. X I . 1861). Am 8 X I I . erschienen ihre vereinigten Geschwader vor Veracruz, aber während Spanien u n d England m i t Mexiko zu einer Verständigung gelangten, ließ Frankreich, getrieben von den ehrgeizigen Plänen N a p o leons III. T r u p p e n landen, die a m 10. III. 1863 die H a u p t s t a d t besetzten. Der f r a n zösische Oberkommandierende de F ö r e y berief einen Notabfclenkongreß, auf welchem
Mexiko dem Erzherzog von Österreich M a x i m i l i a n die Kaiserkrone von Mexiko angeboten wurde, die dieser am 10. IV. 1864 im Schloß Miramar bei Triest annahm. (Einzug in die Hauptstadt 12. V I . 1864.) Nordamerika griff nach Erledigung des Krieges zwischen den Nord- und Südstaaten in diese E i n mischung Frankreichs in amerikanische Dinge ein und Napoleon erklärte sich nach längeren Verhandlungen bereit, die französischen Truppen aus Mexiko herauszuziehen, wodurch die Lage Maximilians unhaltbar wurde. Als die Räumung Mexikos im Frühjahr 1867 erfolgt war, war J u a r e z wieder Herr Mexikos, M a x i m i l i a n mußte sich nach Queritaro zurückziehen, sich hier ergeben und wurde am 19. V I . 1867 standrechtlich erschossen. So bildete auch das zweite mexikanische Kaiserreich nur eine kurze Episode. J u a r e z nahm nun die Leitung des Staates fest in die Hand, starb aber schon 1872, worauf dann 1876 P o r f i r i o D i a z , den Nachfolger von J u a r e z , L e r d o d e T e j a d a stürzte und nun über 35 J a h r s lang von seinem Einzug in Mexiko am 24. X I . 1876 bis zu seinem R ü c k t r i t t am 25. V. 1911 der unumschränkte Beherrscher Mexikos gewesen ist. Entgegen der Bestimmung der Verfassung von 1857 und seinem eigenen Manifest von Tuxtepec, wonach kein Präsident wieder wählbar, hat er diese Bestimmungen durchbrochen und auch die Dauer der Präsidentschaft auf sechs s t a t t vier J a h r e durchgesetzt. Trotzdem es vorher erklärt hatte, daß er nicht wieder kandidieren würde, nahm er am 26. V I . 1910 seine siebente Wahl (vom 1. X I I . 1910 bis 1. X I I . 1916) als ordentlicher Präsident an und im Herbste des gleichen J a h r e s wurde die Erinnerung an die vor hundert J a h r e n beginnenden Unabhängigkeitskämpfe zusammen mit dem achtzigsten Geburtstag des Präsidenten glänzend gefeiert. Bald darauf machte sich aber eine immer stärker werdende Opposition gegen ihn geltend, die sich insbesondere auch gegen den Vizepräsidenten C o r r a l richtete. Unter der Führung von F r a n c i s c o I. M a d e r o wurde eine wirksame Campagne geführt, die unter den Schlagworten: Nichtwiederwahl und wirkliches Stimmrecht immer weitere Kreise zog und zum Bürgerkrieg führte. Als M a d e r o mit seinen Truppen am 10. V. 1911 die S t a d t J u a r e z a n der Nordgrenze Mexikos genommen hatte, begann der Präsident Waffenstillstandsverhandlungen mit dem Ergebnis, d a ß er bis Ende des Monats zurücktreten sollte. Da inzwischen aber die Lage in der Hauptstadt kritisch geworden war, so erklärte er bereits am 25. V. 1911 seinen Rücktritt. Fast unbeachtet verließ er das
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Land, das er zu einem modernen Staatswesen ausgestaltet hatte und zog sich als P r i v a t mann nach Spanien und Frankreich zurück, wo er in Paris am 2. V I I . 1915 verstarb. Die Gründe für das politische E n d e dieses Mannes, der nicht mit Unrecht der „ B i s m a r c k " Mexikos genannt wird, liegen auf der Hand. Eine so lange Herrschaft, die bei den Verhältnissen Mexikos mit eiserner Hand ausgeübt werden mußte, zog dem Präsidenten allmählich eine große Gegnerschaft zu, um so mehr als bei zunehmendem Alter seine Spannkraft nachließ und er allmählich von einer bestimmten Clique (Cientificos) umringt wurde, die seine Autorität für sich dienstbar zu machen suchte. Wenn man P o r f i r i o D i a z daraus einen Vorwurf gemacht hat, daß er sich immer wieder wählen ließ, so ist dem entgegenzuhalten, daß er natürlich sein Lebenswerk — das m o derne Mexiko — sichern wollte und mit R e c h t fürchten mußte, daß nach seinem Abgang ein für Mexiko gefährliches innenund außenpolitisches Chaos eintreten würde, eine Furcht, die wie die Folgeereignisse zeigten, nicht unbegründet war. Gegen M a d e r o , der am 1. X . 1911 gewählt war, erhoben sich denn auch sofort Gegner, Z a p a t a im Süden, O r o z o im Norden und der Verteidiger M a d e r o s V i c t o r i a n o H u e r t a zwang M a d e r o am 18. II. 1913 abzudanken, worauf er wenige Tage später am 23. I I . ermordet wurde. H u e r t a übernahm die Staatsleitung, gegen den sich aber sofort V e n u s t i a n o C a r r a n z a unterstützt von Gen. V i l l a und A l v a r o Obregon (Konstitutionalisten) wandten. Huerta suspendierte die Verfassung am 2. X . , ließ 110 Deputierte verhaften und wurde am 26. X 1913 durch solche Mittel zum Präsidenten gewählt. Für die Ver. S t a a t e n wurde durch den Bürgerkrieg im Norden Mexikos eine schwierige Situation geschaffen, die zusammen mit unvermeidlichen Zwischenfällen mit amerikanischen Bürgern dazu führte, daß Präsident W i l s o n das von seinem Vorgänger T a f t am 14. I I I . 1912 erlassene, zur Stützung von M a d e r o bestimmte Verbot von Waffen- und Munitionsausfuhr aufhob und damit C a r r a n z a unterstützte. Am 9. IV. 1914 kam es im Petroleumhafen von Tampico zu einem Zwischenfall mit Angehörigen der nordamerikanischen Kriegsmarine; H u e r t a lehnte die von W i l s o n geforderte Genugtuung (Salutierung der nordamerikanischen Flagge, offizieller E n t schuldigungsbesuch) ab und 18. IV. erging ein Ultimatum an Mexiko, das am 20. IV. im nordamerikanischen Kongreß ausdrücklich als kein feindseliger A k t gegen das mexikanische V o l k bezeichnet wurde. Am
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Mexiko
21. IV. w u r d e Veracruz u n t e r Admiral ! sozial sehr bedeutsame Neuerungen a u f , F l e t c h e r besetzt, worauf u n t e r dem 27. IV. die Anlaß zu dem noch bestehenden latenten Argentinien, Brasilien, Chile (ABC-Staaten) Konflikt m i t den Ver. S t a a t e n gaben. ihre V e r m i t t l u n g a n b o t e n , die von beiden Politisch setzte sie fest, d a ß keine WiederP a r t e i e n a n g e n o m m e n wurde. Am 30. IV. j wähl des Präsidenten s t a t t h a f t sei, Abschafwurde zwischen N o r d a m e r i k a u n d Mexiko f u n g des Posten eines Vizepräsidenten, ein W a f f e n s t i l l s t a n d geschlossen und die T r e n n u n g von S t a a t und Kirche, sozial a c h t e r n a n n t e n Kommissionen t r a t e n zu Verhand- | stündiger Arbeitstag und wirtschaftlich Prolungen in Niagara Falls z u s a m m e n , die ; klamation des Grundsatzes Mexiko den aber d u r c h das H i n z u t r e t e n von C a r r a n z a ' Mexikanern. Nr. 1 des A r t . 27 b e s t i m m t , um Mitbeteiligung kompliziert w u r d e n . Da daß Ländereien n u r von Mexikanischen inzwischen aber H u e r t a a m 15. V I I . ab- | Staatsangehörigen erworben werden könnten, g e d a n k t w a r und der Ausbruch des Welt- , von Fremden nur insoweit, als sie sich v o r krieges schwerwiegendere Probleme a u f w a r f , ' dem mexikanischen Staatsministerium d a m i t so wurden die amerikanischen T r u p p e n am ! einverstanden erklären, d a ß sie sich in allen 23. X I aus Veracruz zurückgezogen. Die ! Fragen des Grundeigentums als Mexikaner K ä m p f e zwischen C a r r a n z a u n d V i l l a | betrachten und in diesen Angelegenheiten d a u e r t e n n u n f o r t , bis V i l l a in der Schlacht ! nicht den Schutz ihrer Regierungen a n r u f e n von Celaya, an der wohl gegen 100 000 Mann ! dürfen. Gebiete, die nicht wenigstens 100 k m t e i l n a h m e n , geschlagen wurde. Immerhin | von einer Landesgrenze und 50 km vom war er noch im ä u ß e r s t e n Norden H e r r der Meer liegen, dürfen ü b e r h a u p t nicht von Lage und b e n u t z t e dies, um am 9. I I I . 1916 Fremden erworben werden. Nr. 4 des gleichen die nordamerikanische Grenzstadt Columbus Artikels b e s t i m m t , daß industrielle Gesellanzugreifen, was W i l s o n zur E n t s e n d u n g schaften, die Fabrikanlagen, Bergwerke oder einer Strafexpedition veranlaßte, bei der er Petroleumvorkommnisse a u s b e u t e n , n u r solu n t e r dem 15. I I I . in einer Note an C a r - che Ländereien erwerben oder in Verwaltung r a n z a bestätigt, d a ß diese E x p e d i t i o n n u r nehn.en dürfen, die f ü r ihren Zweck erforderden ausdrücklichen Zweck habe sich des lich sind. Alles in allem Bestimmungen, V i l l a zu b e m ä c h t i g e n . Am 15. I I I . 1916 die sich gegen eine Überfremdungsgefahr ü b e r s c h r i t t General P e r s h i n g m i t 12 000 von nordamerikanischer Seite, speziell wegen Mann die mexikanische Grenze. Zwischen des mexikanischen Petroleumreichtums richCarranza und W i l s o n entspann sich ten. wegen dieser Grenzüberschreitungen, die C a r r a n z a erklärte am 11. II. 1917 die auf erneute Überfälle der Villisten auf amerikanisches Gebiet auch an anderen N e u t r a l i t ä t Mexikos im Weltkrieg und richStellen erfolgten, ein langwieriger diploma- tete a m 16. III. an alle neutralen Mächte tischer K a m p f , der noch durch den Zwischen- den Vorschlag eines kollektiven Friedensfall von Carrizal, bei dem eine weit nach schritts. Nach seiner Wahl am 11. III. 1917 Süden vorgeschobene amerikanische T r u p p e erklärte C a r r a n z a am 18. I I I . nochmals den von mexikanischen Soldaten angegriffen festen Willen die N e u t r a l i t ä t Mexikos aufwurde (22. VI.), v e r s c h ä r f t wurde. Das von recht zu erhalten. Außenpolitisch sprach er sich in seiner der am 12. V I I . zusammengetretenen mexikanisch-amerikanischen Kommission ge- Botschaft vom 1. IX. 1919 gegen die Monroeschlossene A b k o m m e n , das ein Zusammen- doktrin aus, die Mexiko nicht a n e r k a n n t habe wirken der militärischen S t r e i t k r ä f t e beider und nicht anerkennen würde, lehnte den Staaten vorsah wurde von C a r r a n z a nicht Beitritt seines Landes in den Völkerbund ratifiziert, da er d a d u r c h seine Z u s t i m m u n g a b , da er nicht die Gleichheit aller Nationen zu dem weiteren Verbleiben n o r d a m e r i k a - anerkenne und zog, als die Monroedokrin nischer T r u p p e n in Mexiko geben zu müssen doch in die Völkerbundssatzung aufgenomfürchete. Auch in diesem Konflikt ä u ß e r t e men wurde, am 23. IV. 1919 die mexikanische der Weltkrieg und das bevorstehende Ein- Gesandtschaft aus Paris zurück. t r e t e n Nordamerikas auf Seiten der E n t e n t e Neben Zwischenfällen m i t den Ver. Staaseine Wirkung. Am 28. I. 1917 f a ß t e W i l - ten (der amerikanische Konsularagent Z e n s o n den E n t s c h l u ß die T r u p p e n aus Mexiko k i n s in Puebla wurde von Banditen e n t f ü h r t ) zurückzuziehen, was am 15. II. erfolgte. gelang es aber auch innerpolitisch C a r Am 5. II. 1917 erfolgte durch C a r r a n z a , r a n z a nicht die Macht in seiner H a n d zu die Veröffentlichung der neuen Verfassung, behalten. Gegen ihn erhoben sich die Gean deren Ausarbeitung eine Kommission neräle P a b l o G o n z a l e z und A l v a r o O b r e seit November 1916 in Q u e r i t a r o arbeitete. g ö n , die sich gegen seine eventuelle WiederDiese Verfassung basierend auf der f r ü h e r e n wahl oder die Wahl des von C a r r a n z a provon 1857, stellt politisch, wirtschaftlich und tegierten früheren mexikanischen Gesandten i in Washington B o n i l l a s w a n d t e n . Am
Mexiko — Minen, völkerrechtliche Verwendung 7. V. 1920 wurde von ihnen die H a u p t s t a d t besetzt, u n d C a r r a n z a , der sich nach Veracruz begeben wollte, unterwegs in dem Indianerdorfe Texaltenango (Puebla) erm o r d e t und A d o l f o d e H u e r t a zum provisorischen Präsidenten erwählt. Am 5. IX. 1920 fanden Neuwahlen s t a t t , in welchen, da General P a b l o G o n z a l e z nicht kandidierte, der jetzige Präsident General A l v a r o O b r e g p n gewählt wurde. Er t r a t sein A m t am 1. X I I . 1920 an, seine Amtsperiode d a u e r t bis 1. X I I . 1924. Der g e n a n n t e noch jugendliche Präsident, geb. 17. II. 1880 in Alamos ( S t a a t Sonora) ist von den Ver. S t a a t e n noch nicht a n e r k a n n t . Die zwischen beiden Ländern bestehenden Schwierigkeiten liegen zurzeit im Art. 27, der zwar vom obersten mexikanischen Gerichtshof als n i c h t vor dem 1. V. 1917 rückwirkend bezeichnet wurde. Aber die Ver. Staaten wollen anscheinend eine Sicherung ihrer außerordentlich starken wirtschaftlichen Interessen in der Form eines zweiseitigen Aktes, eines Vertrages, da ihnen die einseitige Zusicherung von mexikanischer Seite nicht genügt. Dem Präsidenten O b r e g ö n ist es bislang gelungen, die innere Ruhe und Ordnung a u f r e c h t zu e r h a l t e n ; gelingt ihm auch die Lösung des wichtigsten mexikanischen außenpolitischen Problems: ein billiger Ausgleich zwischen dem n a t ü r l i c h e n Bestreben Herr im eigenen Hause zu sein, dabei aber doch den gewaltigen wirtschaftlichen Interessen der Ver. S t a a t e n gerecht zu werden, dann ist die Z u k u n f t dieses reichen und von einer intelligenten und arbeitswilligen Bevölkerung b e w o h n t e n Landes gesichert. Walter
Zechlin.
Mighell v. the Sultan of Johore-Fall. Es handelte sich hier u m die Klage einer Engländerin wegen Verlöbnisbruchs gegen den Sultan von Johore, der sich der Klägerin als Albert Baker bezeichnet u n d auch u n t e r diesem Inkognito in England geweilt h a t t e . Auf Grund einer A u s k u n f t des Colonial Office, d a ß Johore ein unabhängiger, m i t E n g l a n d n u r durch Allianz v e r b u n d e n e r S t a a t sei, entschied der Court of Appeal (Lord Esther) — zutreffend — dahin, d a ß auf Grund dieser A u s k u n f t der Sultan als exterritorial anzusehen u n d die Klage gegen ihn als Souverän eines unabhängigen S t a a t e s nach dem Präzedenz Parlement Beige (s. dort) abzuweisen sei. A b d r u c k : 1904; 1 Q. B. 149.
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Literatur: Cobbett 4. Aufl. I, 92ff. und die meisten neueren englischen Lehrbücher des Völkerrechts. Strupp.
Militärlasten A u s l ä n d e r s. Fremdenrecht. Minderheiten s. N a t i o n a l i t ä t e n p r i n z i p .
Minen, völkerrechtliche Verwendung der. Völkerrechtlich zuerst näher erörtert wurde die Verwendung der Minen im Seekrieg durch Lawrence in 1904 anläßlich ihrer ausgiebigen Anwendung im russischjapanischen Krieg. Vordem wurden Minen zuweilen zur Sperrung von H ä f e n (ζ. B. Sperrung des Kieler Hafens 1848 und 1870, Sperrung von Pola und Lissa 1866) benutzt. Diese Erörterungen gaben Veranlassung zur Tagung des Instituts de droit international (vgl. Ännuaire X X I , S. 88f.) und Int. Law Association im J a h r e 1907 (vgl. Int. Law Assoc. Report 1906, S. 55ff.), wo Kebedgy, Martitz und Schücking Vorschläge zur völkerrechtlichen Regelung der Minenfrage u n t e r b r e i t e t e n . Diese Erörterungen bildeten die Grundlage f ü r die Verhandlung der Minenfrage auf der II. Haager Konferenz. Auf dieser kam nach langen Verhandlungen die V I I I . Konvention relative ä la pose de mines sous-marines a u t o m a t i q u e s de contact zustande. Deren wesentlicher Inhalt ist folgender: 1. Nach § 1 ist das Legen u n v e r a n k e r t e r s e l b s t t ä t i g e r K o n t a k t m i n e n verboten mit der Einschränkung, daß diese Art Minen doch in dem Falle gelegt werden dürfen, daß sie eine Stunde nach dem Verlieren der Aufsicht durch den Legenden unschädlich werden. Amerika und England t r a t e n d a f ü r ein, daß diese Art Minen ü b e r h a u p t verboten werden sollte. Die übrigen S t a a t e n , vor allem Deutschland, t r a t e n mit der Begründung dagegen auf, d a ß schwache F l o t t e n s t a a t e n das Recht haben m ü ß t e n , durch Streuen von u n v e r a n k e r t e n Minen im offenen Meer einer Verfolgung ihrer Kriegsschiffe zu entgehen, und dieselben auch in einer Seeschlacht zu gebrauchen. Deutschland m a c h t e schließlich den Vorschlag, diese Minenart wenigstens f ü r 5 J a h r e zu verbieten. England setzte seinen Vorschlag nicht durch und es können Minen sonach überall im freien Meer gelegt werden. 2. Das Legen v e r a n k e r t e r selbsttätiger K o n t a k t m i n e n w u r d e verboten, soweit diese
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Minen, völkerrechtliche Verwendung
nicht unschädlich werden, sobald sie sich ' f ü r c h t e t e n , der Kriegführende brauche n u r einen anderen Zweck anzugeben, um d i e von der Verankerung losgerissen h a b e n . Dieses Verbot löste insofern Bedenken aus, A n w e n d u n g des A r t . 2 illusorisch zu m a c h e n . d a ß es viele S t a a t e n gäbe, die so konstruierte Mit dem Vorbehalt wollten sich diese Mächte Minen noch nicht besäßen, was auch f ü r nicht gegen den Grundgedanken des Artikels die zu 1 genannten Minen zutraf. Es wurde wenden, sondern nur gegen seine extensive deshalb in A r t . 6 b e s t i m m t , d a ß solche Auslegung. S t a a t e n möglichst bald entsprechende Minen B e f ü r w o r t e t aber nicht angenommen anzuwenden sich verpflichteten. wurde, die Küstengewässer zu begrenzen u n d Ferner sprach sich hier vor allem England das Minenlegen n u r vor Kriegshäfen zuzugegen die Verwendung dieser Minenart im lassen. Letzterer Begriff sollte auch definiert offenen Meer aus, also gegen die Minen- werden. sperrgebiete und wollte sie n u r in den A r t . 4 h a n d e l t vom Minengebrauch der Küstengewässern g e s t a t t e t wissen. Ein Neutralen, die bei Anwendung der Minen Vorschlag Deutschlands, d a ß solche Minen in ihren Küstengewässern die gleichen Vorn u r auf dem Kriegstheater verwendet werden s i c h t s m a ß n a h m e n wie die Kriegführenden sollten, konnte wegen der U n b e s t i m m b a r k e i t anzuwenden haben und denen eine N o t i f i des Begriffes Kriegstheater u n d der Be- kationspflicht auferlegt ist. Dabei t r a t die grenzung der Minenfelder nicht d u r c h - Auffassung hervor, d a ß Neutrale n u r in dringen. Deshalb wurde keine Grenze f ü r ihren Küstengewässern Minen legen d ü r f e n . Minenfelder festgelegt, sondern im Art. 3 A r t . 5 h a n d e l t von der A u f s a m m l u n g n u r die ziemlich vage Bestimmung getroffen, nach dem Kriege. Die Frage des Legens d a ß f ü r die Sicherheit der friedlichen Schiff- der Minen in Meerengen wurde aus polif a h r t alle möglichen Vorsichtsmaßregeln zu | tischen Gründen einer späteren Regelung treffen seien, wobei b e t o n t wurde, auch vorbehalten. Die H a f t u n g s f r a g e w u r d e durch v. Marschall, d a ß nur im Falle äußerst zwar erörtert und f a n d ihren Niederschlag dringender militärischer Notwendigkeit der- in einem von Holland eingebrachten Vorartige Minensperren gelegt werden d ü r f t e n . schlag „ D e r Verlust an Personal u n d n i c h t Diese verankerten Minenfelder müssen dem Feinde gehörenden Material, d e r d a nach b e g r e n z t e r Z e i t unschädlich werden, durch veranlaßt wird, daß die Minen a u ß e r d. h. wie allgemein b e t o n t wurde, Meeres- h a l b der angezeigten Striche f o r t g e t r i e b e n sperrgebiete f ü r die ganze Kriegsdauer dürfen werden, m u ß durch die Regierung des Nach L6nicht angelegt werden und nach A u f h ö r u n g Legerstaates ersetzt w e r d e n . " ihrer Bewachung in allen S t a a t e n notifiziert monon S. 497—498 wurde eine Resolution werden. A r t . 2 b e r ü h r t die Frage der „Minen- von dem Heuval a n g e n o m m e n , wonach b l o c k a d e " . Er b e s t i m m t : „ E s ist verboten, der verbotene Gebrauch von Minen nach v o r den Küsten u n d den Häfen des Gegners allgemeinen Rechtsregeln zum E r s a t z verselbsttätige K o n t a k t m i n e n zu dem alleinigen pflichtet. Auch diese Frage wurde z u r ü c k Zweck zu legen, die HändeIsschiffahrt zu gestellt (vgl. A r t . 64 der Londoner Seekriegsu n t e r b i n d e n . " England h a t t e zuerst folgende rechtsdeklaration vom 26. II. 1909 u n d Fassung b e a n t r a g t : „ D e r Gebrauch von A r t . 3 der Haager Landkriegskonvention). Minen zur A u f r e c h t e r h a l t u n g oder Errich- Die übrigen Artikel der Konvention bet u n g einer Blockade ist v e r b o t e n . " Der Aus- handeln die üblichen F o r m f r a g e n . Wichtig d r u c k Blockade wurde schließlich gestrichen, ist noch die Allbeteiligungsklausel sämtlicher weil m a n jeden Vergleich zwischen Minen- Kriegführenden des Art. 7, die 7 j ä h r i g e legen und Blockade vermeiden wollte, denn Geltungsdauer vom 27. X I . 1909 an und die Der englische d a s Legen von Minen in den Küstengewässern W i e d e r a u f n a h m e der Frage. des Gegners darf n u r geschehen, u m die Delegierte Satow f a ß t e sein tadelndes Urteil feindlichen Seestreitkräfte und deren S t ü t z - ü b e r die Konvention in seinem S c h l u ß p u n k t e zu vernichten, nicht aber, um dessen w o r t ( P r o t . I S. 281) dahin z u s a m m e n , und den neutralen Seehandel zu verhindern. d a ß die Bestimmung des Ozeans als einer W e n n auch tatsächlich durch das Minenlegen „ G r a n d e route i n t e r n a t i o a n l e " m e h r h ä t t e diese H i n d e r u n g e i n t r i t t , so ist doch recht- b e a c h t e t werden müssen, das Betätigungsfeld lich die D u r c h f a h r t f ü r alle neutrale Schiffe der Minen h ä t t e eingeschränkt werden und n a c h wie vor frei. Es würde n u r eine U m - die Interessen der Kriegführenden h i n t e r gehung der verbotenen fiktiven Blockade denen der Neutralen m e h r z u r ü c k t r e t e n Demgegenüber betonte von M a r sein, wenn durch die Minensperre der See- müssen. schall nochmals die militärischen N o t w e n d i g h a n d e l u n t e r b u n d e n würde. keiten und will es dem militärischen T a k t Deutschland u n d Frankreich m a c h t e n u n d Gewissen überlassen, die Interessen der hinsichtlich dieses Artikels bei der R a t i f i - K r i e g f ü h r e n d e n n u r bis zu dem von d e r k a t i o n des A b k o m m e n s Vorbehalte, weil sie
Minen, völkerrechtliche Verwendung H u m a n i t ä t gesteckten Grenzen durchzuf ü h r e n . Das A b k o m m e n wurde außer von R u ß l a n d u n d Italien von allen Großstaaten des Weltkrieges ratifiziert. Deutschland (vgl. Note vom 22. V I I I . 1914, ZV., U r k u n d e n b a n d 4, S. 8 und 7. X I . 1914 in NZ. 1915, S. 622) u n d England haben bei Beginn des Weltkrieges ihre Verbindlichkeit a n e r k a n n t . Die Minenfrage wurde erneut erörtert in den Sitzungen des Instituts de droit International in Florenz 1909, 1910, 1911 und folgende Regelung der Minenfrage in 9 Artikel g e f a ß t (Annuaire X X I I I S. 4 5 7 f f . ; X X I V S. 302ff.; X X V S. 422). A r t . 1: Auf freiem Meer dürfen weder verankerte noch u n v e r a n k e r t e Minen gelegt werden. Die Frage der elektrischen automatischen Kontaktminen wurde vorbehalten. A r t . 2 : In Territorialgewässern der Kriegführenden können die der Haager Konvention entsprechenden Minen gelegt werden. Art. 4 b a u t A r t . 2 d e r Konvention zur Verhinderung der Minenblockade aus. A r t . 5 konstatiert eine scharfe Notifikationspflicht. A r t . 6 betont ausdrücklich, d a ß Neutrale nur Minen in ihren Territorialgewässern zum Schutz der N e u t r a l i t ä t legen dürfen. A r t . 8 befaßt sich m i t dem Aufsammeln der Minen n a c h dem Krieg. A r t . 9 regelt die H a f t u n g s f r a g e nach dem holländischen Vorschlag und weist die Geschädigten vor das zuständige internationale Gericht. Der deutsche Vertreter v. Martitz s t i m m t wegen A r t . 1 dagegen. Der Manual Oxford of Naval war vom 9. August 1913 der Int. Law Association (Annuaire 1913 S. 614) stellt f ü r die Kriegführenden nahezu die gleichen Regeln auf. (Art. 20—24): Die neutralen und H a f t u n g s f r a g e n schalten d e m g e m ä ß aus. In den e r w ä h n t e n Sitzungen w u r d e auch die Frage der Minenlegung in Meerengen erörtert u n d dessen völliges Verbot f ü r Meerengen, die als Seestraßen dienen, befürwortet „Ces ddtroits jouiront d ' v n e neutralit6 absolue". Im Weltkrieg wurden die Minen in außerordentlich umfangreicher Weise von allen Kriegführenden a n g e w a n d t , wobei die Regeln der V I I I . Konvention u n d des Völkerrechts n a c h Ansicht sämtlicher nichtdeutschen Völkerrechtslehrer insofern nicht beachtet wurden, als dauernde Sperrzonen durch Minen seitens beider Parteien auf freier See sowohl wie in den Meeresstraßen errichtet wurden, ohne der neutralen Schiffahrt die Möglichkeit der D u r c h f a h r t durch diese Sperrzonen zu ermöglichen. Auch wurden vor offenen Handelshäfen des Gegners Minen gelegt. Über die Sperrgebietsfrage sind die verschiedensten Noten gewechselt •worden. In Revue G6nirale de Droit Int. P u b l . Tome 1915, S. 77 ist eine Note EngWörterbuch des Völkerrechts
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lands an die N e u t r a l e n a b g e d r u c k t , in d e r diese darauf a u f m e r k s a m g e m a c h t werden, d a ß Deutschland seit 22. V I I I . 1914 auf hoher See (der Nordsee) Minen streue, die den Regeln der H a a g e r Konferenz w i d e r sprechen und zum alleinigen Zweck, die feindliche S c h i f f a h r t zu gefährden, auch lege es Minen vor seinen H a n d e l s h ä f e n . E n g l a n d b e h ä l t sich Repressalien vor. Die offizielle englische Presse (vgl. American J o u r n a l of Int. Law, Vol. 12, 1918, Suppl. S. 13 u. Vol. 9, 1915, S. 86) e n t h ä l t a m 23. V I I I . 1914 einen Hinweis auf dieses Minenlegen u n d A u f z ä h l u n g der n e u t r a l e n Verluste. Weiter wird die Asquithsche U n t e r h a u s r e d e vom 17. X I . 1914 e r w ä h n t . Am 26. V I I I . 1914 richtet England eine N o t e an Schweden (NZ. Bd. X X V S. 610) gleichen Inhalts. Darauf a n t w o r t e t Deutschland m i t Note vom 7. X I . 1914 (NZ. S. 622): 1. Die Minen sind n u r durch Kriegsschiffe gelegt; 2. wieweit von der Küste u n d den H ä f e n des Gegners Minen v e r a n k e r t werden dürfen, sei in der Haager Konferenz nicht b e s t i m m t , auch durch keine völkerrechtliche Ü b u n g festgelegt. Die Minen seien so nahe an die englische Küste gelegt worden, wie es die Gestaltung des Ankergrundes und die Küstenverhältnisse g e s t a t t e t e n . Die neutralen Z u f a h r t s s t r a ß e n von hoher See zu den neutralen H ä f e n seien nicht gesperrt. 3. Die Minen seien m i t aller Sorgfalt gelegt, Abtreibungen durch S t ü r m e könnten vorkommen. Dies sei aber weit weniger zahlreich der Fall als bei englischen Minen. 4. Die Minenüberwachung gelte n u r bei dem defensiven, nicht den offensiven Minenfeldern (bei sachgemäßer Legung und Notifikation fiele jede V e r a n t w o r t u n g f o r t . 5. Bereits am 7. V I I I . 1914 seien die neutralen Mächte benachrichtigt, d a ß die englischen Z u f a h r t s s t r a ß e n durch Minen gesperrt seien. Aus militärischen Gründen könne die genaue Lage n i c h t angegeben werden. Holland p r o t e s t i e r t gegen schlechte Beschaffenheit der d e u t s c h e n Minen durch Note vom 18. IX. 1915 (Revue g6nirale de droit i n t . public, T o m e X X I V , 1917, D o c u m e n t s S. 86). Revue g6n6ral de d r o i t i n t e r n a t i o n a l publique, T o m e 22, 1915, d o c u m e n t S. 8 5 : Das Minenlegen seitens F r a n k r e i c h s im adriatischen Meere wird in der N o t e vom 7. X . 1914 notifiziert u n d b e k a n n t gegeben, d a ß die Minen der H a a g e r K o n v e n t i o n e n t sprechen. Am 3. X. (a. a. O.) notifiziert England ein Minenfeld 50°15 bis 51 40' Nord und Längsgrade 1"35 Ost und 30 Ost von Greenwich u n t e r der Begründung, d a ß auch Deutschland Minen 52 J N o r d gelegt habe. A. a . O. S. 8 6 : P r o t e s t n o t e E n g l a n d s 4
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Minen, völkerrechtliche Verwendung
gegen Deutschlands Minenlegen vom 12. X . standen, will aber weiter Minen auf offener 1914: Deutschland lege Minen n i c h t n u r See zu Angriffszwecken legen dürfen. auf den H a n d e l s s t r a ß e n , die n a c h den Englische A n t w o r t n o t e vom 15. I I I . englischen H ä f e n , sondern auch auf solchen, 1915: Weist den Vergleichsvorschlag m i t die nach den neutralen H ä f e n f ü h r t e n . der B e g r ü n d u n g ab, daß Deutschland doch Fischerboote m i t n e u t r a l e r Flagge seien weiter Minen auf offener See legen will. zum Minenlegen b e n u t z t worden. Die Deutschland h a b e seit Beginn des Krieges Minenfelder seien unkontrolliert u n d die Minenfelder auf offener See gelegt. England Minen entsprächen nicht den Vorschriften h ä t t e dagegen seine Minenblockade s t e t s der K o n v e n t i o n , auch sei keine Notifikation durch Kreuzer kontrolliert. erfolgt. Darauf ergeht die englische Order in S. 91 a. a. O. englische N o t e an N e u t r a l e Council vom 15. III. 1915, die als Repressalie vom 3. X I . 1914: Wegen des deutschen über Deutschland die vollkommene MinenMinenlegens auf der R o u t e Liverpool-Amerika blockade v e r h ä n g t , ebenso Frankreich. wird von E n g l a n d die ganze Nordsee als Weitere P r o t e s t n o t e n über die MinenKriegsgebiet erklärt u n d werden dort Minen- legung in offener See: Schwedisch-norwegischsperren gelegt. Auf die Gefahr f ü r die neutrale dänische P r o t e s t n o t e vom 18. I I I . 1914 S c h i f f a h r t wird a u f m e r k s a m g e m a c h t u n d ( J a h r b u c h des Völkerrechts, Bd. 5, Bd. 3 dieser eine F a h r r i n n e vorgeschrieben. der U r k u n d e n 1919, S. 32). P r o t e s t n o t e Schwedens gegen R u ß l a n d A . a. O. S. 92 englische N o t e vom 14. X I . 1914: Die Grenzen des Minenfeldes in der vom 26. X . 1916 wegen Minenlegung im Nordsee werden g e ä n d e r t , weil deutsche bottnischen Meerbusen auf schwedischem Minen abgetrieben sind. A. a. O. S. 93 Seegebiet (a. a. O. S. 248). englische Note vom 22. X I . 1914, die b e k a n n t Englische Protestnote vom 30. V I I I . gibt, d a ß die englischen Flüsse durch eng- 1916 gegen Sperrung der K o g r u n d - R i n n e lische Minen gesperrt seien. durch Schweden (a. a. O. S. 243). Niederländische Note vom 26. I. 1916 Deutsche Sperrgebietserklärungen vom 4. II. 1915 (vgl. S u p p l e m e n t to the American als A n t w o r t auf eine deutsche Note vom J o u r n a l of International law, Vol. 9, J u l y 21. X . 1915. In dieser Note wird vor allen 1915, S. 8 3 f f . ; J a h r b u c h f ü r Völkerrecht, Dingen gegen die Seeminensperre in der Selbst in der D u r c h Bd. 6, 1920, B d . 4 der U r k u n d e n S. 42—44). Nordsee protestiert. Die Gewässer um Großbritannien und Irland f a h r t s r i n n e seien Minen explodiert (vgl. u n d der K a n a l werden ebenso wie die Nord- Revue g6n6rale de int. p., Tome 24, 1917, und W e s t k ü s t e F r a n k r e i c h s als Kriegszone document S. 87). e r k l ä r t , vom 18. II. 1915 sollen alle feindlichen Bemerkenswert ist, d a ß die Türkei als Schiffe ohne i m m e r mögliche W a r n u n g neutrale Macht am 4. V I I I . 1914 Minen im zerstört werden. Innerhalb dieser Zone Bosporus und in den Dardanellen legt (vgl. werden auch Minensperren gelegt. J a h r b u c h des Völkerrechts, Bd. 4, 1918, Diese Maßregel wird als Repressalie j 2. Bd. der U r k u n d e n S. 50). gegen den englischen Aushungerungskrieg J Französisches Dekret vom 28. II. 1916 u n d die Kriegsgebietserklärung der Nordsee; notifiziert in Gemäßheit von A r t . 3 der d u r c h E n g l a n d b e g r ü n d e t . Dagegen P r o t e s t - ; H a a g e r Konvention Minengefahr in den n o t e A m e r i k a s vom 10. II. 1915 u n d die; Gewässern Kleinasiens u n d Syriens (vgl. deutsche A n t w o r t vom 16. II. 1915. Neue Revue g£n6rale de droit int. p., Tome 23, Note A m e r i k a s vom 20. II. 1915 an England 1916, d o c u m e n t S. 126). A r t . 24 des W a f f e n u n d D e u t s c h l a n d , in der bezüglich der Minen stillstandes vom 11. X I . 1918 (in U r k u n d e n folgender b e k a n n t e r Vergleichsvorschlag ge- zum Friedensvertrag von Versailles vom macht wurde: 28. V I . 1919, B d . 1, S. 49) gibt den alliierten D e u t s c h l a n d u n d E n g l a n d v e r e i n b a r e n : u n d vereinigten S t a a t e n das Recht, a u ß e r h a l b 1. d a ß treibende Minen von keiner Seite 1 der deutschen Territorialgewässer sämtliche g e s o n d e r t gelegt werden d ü r f e n ; 2. d a ß Minenfelder zu beseitigen. die v e r a n k e r t e n Minen ausschließlich zum [ Diese Ergebnisse des Minenkrieges im Zwecke der Verteidigung innerhalb K a n o n e n - : Weltkrieg f ü r das Völkerrecht sind z u s a m m e n schußweite von der K ü s t e gelegt werden gefaßt in dem Report of British m a r i t i m e d ü r f e n ; 3. daß alle Minen den Stempel d e s ; law committee ( J . L. A. 29. Bd., 1920, S. 166) Legerstaates tragen u n d in der Weise kon-; wo als A m e n d m e n t zum Oxforder Manual of struiert werden sollen, d a ß sie nach Los- naval warfare b e s t i m m t i s t : reißen von ihrer V e r a n k e r u n g ungefährlich Art. 1 8 a : Sperrzonen (barred-zones) werden. sollen, wenn sie besonderen Bedingungen Darauf deutsche A n t w o r t n o t e vom 1. III. unterworfen sind, erlaubt sein. 1915: Ist m i t diesem Vorschlag e i n v e r A r t . 2 0 : Automatische K o n t a k t m i n e n auf
Minen, völkerrechtliche Verwendung hoher See sind, ausgenommen in Sperr-! zonen, verboten. A r t . 21: Alle K o n t a k t m i n e n müssen be-; sondere Sicherheitsvorrichtungen haben u n d j f ü r die friedliche Schiffahrt müssen alle i Vorsichtsmaßregeln getroffen sein. I A r t . 2 3 : Den Neutralen ist verboten, in ι ihren Territorialgewässern andere Minen zu j legen als kontrollierte Minen. Art. 23 a : wie A r t . 5 des Manuals. Bei der gegenwärtigen Rechtslage sindl diese Bestimmungen zu billigen. Ideal ist folgender Grundsatz Wilsons: Absolute freedom of navigation upon t h e seas outside territorial waters alike in peace and war, except as t h e seas m a y be closed in whole or in p a r t b y international action for the enforcement of international coven a n t s u n d der Grundsatz SchUckings (Internationale Rechtsgarantien, H a m b u r g bei Broscheck & Co. 1918): Die freie offene See wird als Verkehrsweg sämtlicher K u l t u r staaten der H e r r s c h a f t des Haager S t a a t e n verbandes unterstellt. Durch internationale Polizeiverordnung werden gewisse Hochstraßen des internationalen Verkehrs sichergehalten. Auf diesen Seestraßen dürfen Kriegshandlungen ü b e r h a u p t nicht vorgenommen werden. Im übrigen sind kriegerische Maßnahmen gegen feindliches und privates Eigentum auf hoher See unzulässig, also auch keine Minenlegung erlaubt. Das gleiche gilt von Meerengen und Kanälen. Literatur: Annuaire de l'institut d. Dr. int., Bd. 23, p . 186ff. u. 457 u. p. 431 ff., Bd. 24, S. 302ff. Ii. p. 290ff., Bd. 25, p. 586ff., Bd. 26, p. 516ff. u. 507ff. — Archiv f. öffentl. Recht, Bd. 35, S. 117. — Americain Journal of international law july 1915, Vol. 9, S u p p l e m e n t S. 83ff., 107, 110, 461. Vol. 12, Supplement 1918, p. 13. — Sir Thomas Barclay, International law and practice, London 1917, p. 26ff. u. 156ff. — Bernsten, Das Seekriegsrecht, Berlin, Vahlen, 1911, S. 9 8 f f . — M. de Boek, Manuel de Despargnet, 4. e d . p. 1005. — Berg, Die Seeminen im Krieg, W ü r z b u r g Diss. 1910. — Boidin, Les lois de la guerre et les d e u x conferences des la H a y e , P a r i s 1908, p. 216—35. — Bourgols, Les torpilleurs, la guerre navale et la defence des cötes, Paris 1888. — B o u s t a m e n t e , La seconde conference de Ia p a i x , P a r i s 1909, p . 278—295. — Sanford D. Cole, In t h e Grotius-Society, Bd. 4, p . 17, A r t . The high-ways on t h e sea. — Ε. I. Clapp, Britisches Seekriegsrecht und die Neutralen im Krieg 1914—16, S. 53ff. — Cöster, Die deutsche Seekriegsgebietserklärung im Archiv f ü r öffentl. Recht, Bd. 34, 1915, S. 36. — Admiral Sir Reginald Custance, In t h e transactions
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Minen, völkerrechtliche Verwendung — Miramichi-Fall
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Minimaltarif s. internat. Finanzrecht.
Miramlchi-Fall. Englische Prisengerichtsentscheidung vom 23. XI. 1914 ( S i r S a m u e l E v a n s , T r e h e r n - O r a n t „Prize Cases" Bd. I, S. 137) betreffend eine Weizenladung verschifft Juli 1914 vor Kriegserklärung auf englischem Schiff von G a l v e s t o n USA. nach R o t t e r d a m bestimmt f ü r eine deutsche Firma in Colmar. Die Entscheidung enthält die Grundsätze, von denen die englische Prisenrechtsprechung ausgegangen ist f ü r die Frage, wie die feindliche Eigenschaft eines Gutes zu bestimmen ist (abgesehen von der Bedeutung von „ e n e m y origin" f ü r die Annahme feindlichen Charakters). Ferner ist in ihr ausgesprochen, daß feindliches Gut auf einem Schiff des Kriegführenden dem Prisenzugriff unterliegt. Zu der Frage, was die feindliche Eigenschaft eines Gutes ausmacht, erklärte S i r E v a n s f ü r Verschiffung „ a n t e w a r a n d n o t i n
a n t i c i p a t i o n of w a r " wie eine solche im Falle M i r a m i c h i vorlag: „ W h e r e goods are contracted to be sold and are shipped during peace w i t h o u t a n y anticipation of imminent war and are seized or captured afloat, after war has supervened, the cardinal principle is, in m y opinion, t h a t they are not subject to seizure or capture, unless under the contract the property in the goods has by t h a t time passed to the enemy (vgl. auch die E n t scheidung des Privy Council in T h e O d e s s a „Prize Cases", Bd. I, S. 544; T h e P a r c h i m , Bd. II, S. 489. Vgl. auch f ü r Güter, die in feindlichem Lande verschifft werden, in der Entscheidung Southfield „Prize Cases", Bd. I S. 332; das Zitat aus L o r d S t o w e l l ' s E n t scheidung T h e V r o w M a r g a r e t h a I. C. R o b . 336. When war intervenes, another rule is set up by Court of Admirality which interferes with the ordinary practice. In a state of war-existing or imminent-it is held t h a t the property should be deemed . . . to continue as it was at the time of shipment till the actual delivery; this arises out of state of war, which gives a belligerent a right to stop goods of his enemy. I such a rule did not exist, all goods, shipped in an enemy's country would be protected b y transfers which it would be impossible to detect. It is on t h a t principle held, I believe, as a general rule t h a t property cannot be converted in t r a n s i t u , and in this sense I recognise it as a rule of this Court. But this arises, as I have said, out of a state of war, which creates new rights in other parties and cannot be applied to transactions originating like this in a time of peace." (s. auch Kronprinz an Margarete P. C. II 409 Posteiro P. C. I l l 275. Annie Johnson P. C. I l l 138 United States 1 u. 2 P. C. II 390 und 525 aber auch Dirigo P. C. III 439. Zu der Frage der Beschlagnahme feindlichen Guts in britischen Schiffen erklärte S i r E v a n s : „ T h e other point referred to remains, and as it would be argued and has been forshadowed in other cases, I will deal with it, althouhg in view of the decision just given (Freigabe des Gutes, weil neutrales Eigentum) it becomes immaterial. It was t h a t , as the cargo was in a British ship it could not be seized or captured, even if it was enemy property. In m y opinion this proposition is wholly lacking in foundation. No a u t h o r i t y was cited for it. Such a contention has never been p u t forward because, as I think, no one has thought t h a t it could prevail. E n e m y property at sea or in port can be captured and seized except where an express
Miramichi-Fall
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i m m u n i t y has been created. A b u n d a n c e in to t h e power u n d e r whose government t h e a u t h o r i t y exists for this in t h e acknowledged owner resides. books of i n t e r n a t i o n a l j u r i s t s . " The m a t t e r m a y t h e n be s u m m e d u p t h u s : Merchandise, whether embarked u p o n E r zitierte d a n n W h e a t o n § 3 6 5 und die the sea or found on land, in which t h e hostile A n m e r k u n g von D a n a in dessen Ausgabe power has some interest for purposes of v o n W h e a t o n zu diesem P a r a g r a p h e n , in war, is p r i m a f a c i e a subject of c a p t u r e . der es h e i ß t : Vessels a n d their cargoes are usually of Of t h e infinite varieties „ W a r is t h e exercise of force b y bodies t h a t character. politic, for t h e purpose of coercion. Modern of p r o p e r t y on shore, some are of this chacivilisation has recognised certain modes of racter, and some are not. There are v e r y coercion as justifiable. Their exercise upon serious objections, of a moral and economical m a t e r i a l interests is preferable t o acts of n a t u r e t o subjecting all p r o p e r t y on land t o These objections have force u p o n t h e person. Where p r i v a t e pro- military seizure. p e r t y is t a k e n , it is because it is of such a been t h o u g h t sufficient to reverse the c h a r a c t e r so s i t u a t e d as to m a k e its c a p t u r e p r i m a f a c i e right of capture. T o m e r at sea these objections a justifiable m e a n s of coercing t h e power c h a n d i s e w i t h which we are at w a r . If the hostile a p p l y w i t h so l i t t l e f o r c e t h a t t h e power has an interest in t h e p r o p e r t y which p r i m a f a c i e r i g h t of c a p t u r e r e m a i n s . " is available to him f o r t h e purposes of war, Über die Frage der Einziehbarkeit feindt h a t f a c t m a k e s it p r i m a f a c i e a subject lichen E i g e n t u m s auf britischen Schiffen of c a p t u r e . T h e e n e m y h a s s u c h a n verhält sich auch die Entscheidung des i n t e r e s t i n a l l c o n v e r t a b l e a n d m e r - P r i v y Council in Sachen Roumanian c a n t i l e p r o p e r t y w i t h i n h i s c o n t r o l , Bd. I S. 536, wo es auf S. 541 h e i ß t : or b e l o n g i n g to p e r s o n s w h o are „ T h e contention t h a t enemy goods on l i v i n g u n d e r t h i s c o n t r o l w h e t h e r i t British ships a t t h e commencement of b e o n l a n d o r a t s e a ; f o r i t i s a s u b - hostilities are not t h e subject of m a r i t i m e j e c t of t a x a t i o n , c o n t r i b u t i o n , a n d prize was not argued before t h e President confiscation. The humanity, a n d in the present case. It had already been p o l i c y of m o d e r n t i m e s h a v e a b s t a i - decided bin him „ T h e M i r a m i c h i " . Their n e d f r o m t h e t a k i n g of p r i v a t e p r o - Lordships have considered carefully t h e p e r t y n o t l i a b l e t o d i r e c t u s e i n w a r ; j u d g m e n t of the President in the last-menw h e n o n l a n d . Some of the reasons for tioned case, and entirely agree w i t h i t . " this are the infinite varieties of t h e character Und über das Verhältnis der Entscheiof such p r o p e r t y from things almost sacred, dung zur P a r i s e r D e k l a r a t i o n : „ T h e to those purely m e r c h a n t a b l e ; t h e difficulty of discrimination a m o n g these varieties; l Declaration of Paris in effect, modified t h e need of m u c h of it so s u p p o r t the life I the rules of our Prize Courts f o r t h e benifit of n o n - c o m b a t a n t persons and of a n i m a l s ; I of neutrals. It was based on international the u n l i m i t t e d range of places and objects, comity, and was not intended to m o d i f y t h a t would be open to t h e m i l i t a r y , and the t h e law applicable to British ships or British m o r a l dangers a t t e n d i n g searches and cap- subjects in cases where neutrals were not Its effect m a y possibly be t u r e s in t h e households, and a m o n g non- concerned. combattants. B u t o n t h e h i g h s e a s s u m m e d op b y saying t h a t it assimilates t h e s e r e a s o n s d o n o t a p p l y . S t r i c t l y neutral ships to neutral t e r r i t o r y ; b u t it is p e r s o n a l e f f e c t s a r e n o t t a k e n . C a r - impossible t o base on this assimilation a n y g o e s a r e u s u a l l y p u r e l y m e r c h a n d i s e . a r g u m e n t for the i m m u n i t y of e n e m y Merchandise sent to s e a is s e n t goods in British s h i p s . " v o l u n t a r i l y , embarked by m e r c h a n t s o n a n e n t e r p r i s e of p r o f i t t a k i n g t h e r i s k s of w a r ; i t s v a l u e is u s u a l l y c a p a b l e of c o m p e n s a t i o n i n m o n e y a n d m a y be p r o t e c t e d by i n s u r a n c e . I t i s i n t h e c u s t o d y of m e n t r a i n e d and paid for this purpose; and the s e a , u p o n w h i c h i t i s s e n t , is r e s o m n i u m , t h e c o m m o n f i e l d of w a r a s w e l l a s of c o m m e r c e . The purpose of m a r i t i m e commerce is t h e enriching of t h e owner b y t h e t r a n s i t over this common f i e l d ; a n d it is t h e usual object of revenue
Gegen die beiden Entscheidungen h a t sich das deutsche Reichsgericht in seinen Entscheidungen Bd. 89 S. 68 und Bd. 91 S. 414 ausgesprochen. Geht m a n von der grundsätzlichen Unverletzlichkeit des Privateigentums im Krieg, im Landkrieg, wie im Seekrieg aus, so ist jedenfalls die Argumentation der englischen Urteile u n h a l t b a r , wäre es vielmehr nötig, den Völkerrechtssatz oder Völkerrechtsbrauch aufzuzeigen, die die W e g n a h m e von feindlichem Gut auf Schiffen der eigenen Flagge erlaubt. Die Stellungnahme zu den Urteilen h ä n g t
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Miramichi-Fall — Mittelmeergebiete
somit von der Grundauffassung des Kriegsrechts u n d des Prisenrechts im besonderen ab. W e n n m a n von der in den oben ang e f ü h r t e n Zitaten aus Wheaton-Dana niedergelegten Auffassung ausgeht, k a n n in der T a t infolge Fehlens einer völkerrechtlichen Vereinbarung, die f ü r Ladungen in feindlichen Schiffen etwas dem VI. H a a g e r A b k o m m e n Ähnliches vorsieht, kein Bedenken gegen die ZuläsMgkeit der fraglichen P r i s e n m a ß n a h m e n geltend gemacht werden (vgl. auch noch § 215, § 216 des Preußischen Allgemeinen Landrechts, Teil I, Titel 9). Grau.
zwischen Christentum und Islam abspielte, t r a t das Mittelmeer seit der E n t d e c k u n g Amerikas u n d des Seewegs nach Indien z u r ü c k , eine W a n d l u n g , die sich in dem Niedergang Venedigs wiederspiegelte. Nicht im Mittelmeer, sondern am K a p der g u t e n H o f f n u n g f a ß t e n die Holländer u n d s p ä t e r die Engländer F u ß , um den Weg nach Indien zu sichern. Gleichwohl behielten die Briten die im Mittelmeer gegebene Möglichkeit einer näheren Verbindung m i t Indien im A u g e : schon w ä h r e n d des spanischen Erbfolgekriegs n a h m e n sie Gibraltar, den Schlüssel des Mittelmeers, in Besitz u n d h u n d e r t J a h r e später setzten sie sich in Malta fest, das die Straße vom westlichen zum östlichen Mittelmeer beherrschte.
Mlssissippi-Fluß s. Flüsse, i n t e r n a t . Im übrigen beschränkte sich E n g l a n d M i t t e l a m e r i k a s. Zentral- und südamerivorerst d a r a u f , Machtverschiebungen am kanische Staaten. Mittelmeer zu v e r h i n d e r n ; sie drohten von Mittelberg s. i n t e r n a t . F i n a n z r e c h t . zwei M ä c h t e n : von Frankreich u n d R u ß l a n d . In Frankreich n a h m Minister Choiseul u n d nach ihm General B o n a p a r t e die alten P l ä n e Mittelmeergebiete. Ludwigs des Heiligen wieder auf, über F ü r die moderne Geschichte des Mittel- Ägypten eine Straße nach Indien zu b a h n e n ; meers n i m m t m a n am besten die A n n ä h e r u n g E n g l a n d v e r t r a t Frankreich den Weg. Auf seit Frankreichs an die Türkei zum Ausgangs- der anderen Seite suchte R u ß l a n d p u n k t , die Franz I. vollzog, um den gefähr- Peter dem Großen, über das schwarze Meer lichen Wirkungen der spanischen Ein- einen Ausgang nach dem Mittelmeer zu kreisungspolitik zu begegnen. Zum erstenmal gewinnen; England bewirkte, d a ß der Sultan k n ü p f t e ein christlicher Großstaat enge Be- sich verpflichtete, Bosporus u n d Dardanellen ziehungen zur Türkei a n ; zugleich setzte f ü r Kriegsschiffe d r i t t e r S t a a t e n geschlossen das Ringen der europäischen Mächte um die zu halten (1809). England k a m bei dieser Vorherrschaft in der Türkei ein, denn F r a n k - Politik z u s t a t t e n , d a ß seine beiden Mitreich n ü t z t e die Bündnisverhandlungen bewerber um die H e r r s c h a f t im Mittelmeer, nicht nur dazu, in dem ersten K a p i t u l a t i o n s - Frankreich u n d R u ß l a n d , bis zum letzten vertrage von 1535 seine U n t e r t a n e n in der Viertel des 19. J a h r h u n d e r t s , obwohl sie Türkei von der türkischen Gerichtsbarkeit ihre gemeinsame Gegnerschaft gegen E n g auszunehmen, sondern es strebte auch dahin, land h ä t t e z u s a m m e n f ü h r e n können, f a s t andere Ausländer in der Türkei seinem i m m e r im Gegensatz zueinander s t a n d e n , Einfluß zu unterwerfen, indem durch Ver- so d a ß die britische Regierung i m m e r eine t r a g m i t der Pforte die Angehörigen dritter Macht gegen die andere ausspielen k o n n t e . S t a a t e n verpflichtet wurden, in türkischen Als die maßlosen Ansprüche des u n b o t Gewässern sich der französischen Flagge zu mäßigen Paschas von Ä g y p t e n , Mehmet Ali, bedienen (1579, 1604, 1607). Aber dieser R u ß l a n d einmal Gelegenheit gaben, sich in französischen B e v o r m u n d u n g entzogen sich der ungewohnten Rolle eines Beschützers die anderen Staaten einer nach dem anderen der Türkei aufzuspielen, u n d im Vertrag von durch Abschluß eigener Verträge m i t der Hunkiar-i-Skelessi (1833) als Gegenleistung T ü r k e i ; als einer der ersten England (1583), f ü r seine Hilfe die Ö f f n u n g der Meerengen das bald der bedeutendste K o n k u r r e n t f ü r seine Kriegsflotte erlangte, setzten sich England und Frankreich gemeinsam f ü r die Frankreichs im Mittelmeer werden sollte. Unabhängigkeit der Pforte ein. U m g e k e h r t : Die Politik Englands im Mittelmeer ist als R u ß l a n d , um seiner Isolierung zu e n t um so merkwürdiger als die Bedeutung gehen, auf die ungeheuren Vorteile jenes dieses Mereesteils als Welthandelsstraße da- Vertrags verzichtete und wieder in die mals noch nicht so offenkundig war wie Schließung der Meerengen willigte (1840), heute. W ä h r e n d im Altertum das Mittel- schwenkte England auf die Seite R u ß l a n d s meer das Zentrum des abendländischen u n d hinderte das im Stich gelassene F r a n k Kulturkreises gebildet h a t t e u n d auch noch reich, als P r o t e k t o r Mehmet Alis das Überim Mittelalter der Schauplatz der wichtigsten gewicht in Ägypten zu erlangen. Später, Ereignisse war, weil in seinen Küstenländern im Krimkrieg, ist wieder die erste Gruppiesich der Kampf u n d der K u l t u r a u s t a u s c h
Mittelmeergebiete r u n g eingetreten: Frankreich befindet sich wiederum in der Gefolgschaft Englands. Die damals (1856) durchgesetzte E n t w a f f n u n g Rußlands auf dem Schwarzen Meer war freilich nicht von Dauer, weil Rußland den deutsch-französischen Krieg dazu benützte, die Fesseln der Neutralisier u n g dieses Meeresteils wieder abzustreifen. Aber, wenn England auch nicht die dauernde L ä h m u n g Rußlands zu r e t t e n v e r m o c h t e , da die Londoner Konferenz den russischen Anspruch als vollendete Tatsache anerkennen m u ß t e , so v e r s t a n d es doch, eine ihm günstige Abschwächung der Meerengenkonvention, eine Art U m k e h r u n g des Vertrages von Hunkiar-i-Skelessi, zu erreichen: nämlich d a ß der Sultan das Recht erhielt, im Fall einer Bedrohung durch dritte Mächte, auch in Friedenszeiten eine f r e m d e (will s a g e n : britische) Flotte in die Meerengen einzulassen. Und die britische Regierung legte diese Klausel dahin aus, d a ß die britische Flotte selbst dann einfahren könne, wenn der Sultan nach Ansicht der britischen Regierung infolge von Einschüchterung seitens einer dritten Macht a u ß e r s t a n d e war, das Ersuchen um Hilfe zu stellen (Rede v. Salisbury vom 3. V. 1885). In der T a t ließ England, als die russischen T r u p p e n im J a h r e 1878 sich den Toren K o n s t a n t i n opels n ä h e r t e n , seine Flotte trotz des E i n spruchs des Sultans in die Dardanellen einfahren. Und England v e r h i n d e r t e nicht n u r eine Ä n d e r u n g der Verhältnisse an den Meerengen, sondern vereitelte auch den Versuch R u ß l a n d s , m i t Hilfe slavischer U n t e r s t a a t e n am Mittelmeer festen F u ß zu fassen: der Berliner Kongreß, dessen Beschlüsse durch englisch-russische A b m a c h u n g e n im großen u n d ganzen vorgezeichnet w u r d e n , verlegte die im Vorfrieden von San Stefano bis ans ägäische Meer reichenden Grenzen Bulgariens an den Balkan zurück und verbot Montenegro die E i n r i c h t u n g eines Kriegshafens. Durch den Berliner Vertrag gegen eine Bedrohung seiner Flanke geschützt, k o n n t e England die Lösung der ägyptischen Frage in Angriff nehmen. Aus Sorge um die Sicherheit Indiens h a t die britische Regierung den Bau des Suezkanals J a h r e hindurch m i t allen Mitteln hintertrieben. Von den gleichen Gesichtspunkten war die britische Politik beherrscht, sobald der Kanal e r b a u t w a r : u m Indien zu schützen, m u ß t e E n g l a n d versuchen, den Kanal in seine H a n d zu bekommen. Die papierne Garantie der in Aussicht genommenen Neutralisierung des Suezkanals schien ihm keine genügende Sicherheit zu bieten. Der russisch-türkische Krieg, der die Möglichkeit einer Einbeziehung
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des Kanals in den Kriegsschauplatz in greifbare Nähe rückte, v e r a n l a ß t e die britische Regierung schon zu einer recht deutlichen Stellungnahme, da sie den Kriegsführenden erklärte, d a ß sie jeden Angriff auf den K a n a l als eine Bedrohung Indiens auffassen müsse, die m i t der ferneren B e o b a c h t u n g der N e u t r a l i t ä t u n v e r e i n b a r sei. U n m i t t e l b a r nach dem russisch-türkischen Kriege t a t die britische Regierung den ersten Schritt zur Festsetzung in Ä g y p t e n , indem sie Cypern als vorgeschobenes F o r t besetzte. Die Okkupation Ägyptens selbst (von dem U n t e r s t a a t s s e k r e t ä r Dilke u n d dem Handelsminister Chamberlain eifrig betrieben) folgte wenige J a h r e s p ä t e r . Dabei w a r E n g l a n d außerordentlich vom Glück begünstigt. Der Sieg der Nationalisten in Ägypten bot einen bequemen Vorwand zum Einschreiten, die Botschafterkonferenz in Konstantinopel lieferte den Rechtstitel f ü r eine Intervention, u n d die Mächte, die Großbritannien zur Mitwirkung aufforderte, kamen entweder zu s p ä t (die Türkei) oder lehnten die T e i l n a h m e a b : Frankreich, weil die Abgeordnetenk a m m e r die Mittel verweigerte, Italien, weil sich das K a b i n e t t Mancini zu einer so großzügigen Politik nicht entschließen k o n n t e . Daher waren die Engländer in der Lage, den Einmarsch allein zu vollziehen (Juli 1882). Und die bloß vorläufige Besetzung verwandelte sich, u n t e r der t a t k r ä f t i g e n Leitung Lord Cromers, bald in eine dauernde H e r r schaft. So ist das britische Dogma von d e r E r h a l t u n g der Unversehrtheit der Türkei zuerst von England selbst, wenn auch nicht rechtlich, so doch tatsächlich, durchbrochen worden. Das einzige Volk, das sich m i t der d a u e r n den Niederlassung E n g l a n d s in Ä g y p t e n schwer a b f a n d , war das französische, obwohl es sich im westlichen Mittelmeer ein ausreichendes koloniales Betätigungsfeld gesichert h a t t e , freilich nicht selten durch England g e h e m m t . Denn England h a t t e sich b e m ü h t , auch im westlichen Mittelmeerbecken den s t a t u s quo zu w a h r e n : auf dem Wiener Kongreß h a t t e England den Versuch vereitelt, das Seeräuberunwesen der Barbareskenstaaten a u s z u r o t t e n . Ebenso widersetzte es sich später der Festsetzung der Franzosen an Algerien: wenn es sie schließlich doch zuließ, so v e r d a n k t dies Frankreich der J u l i r e v o l u t i o n : aus Ärger d a r ü b e r , d a ß es die bourbonische Regierung gewagt h a t t e , Algier zu behalten, e r k a n n t e die britische Regierung ohne Zögern die neue Regierung Louis Philippes an u n d d a m i t stillschweigend auch die französische H e r r s c h a f t in Algerien. Aber so sehr auch die Eroberung Algeriens in den folgenden J a h r z e h n t e n Frankreich
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Mittelmeergebiete
beschäftigte, das überlieferte Ziel der f r a n zösischen Mittelmeerpolitik blieb nach wie vor die V e r s t ä r k u n g des französischen Einflusses in Ä g y p t e n ; als die französischen V e r t r e t e r auf dem Berliner Kongreß erk a n n t e n , d a ß England die Besetzung Ä g y p tens vorbereitete, w u r d e n sie m i t Mühe vom Verlassen des Kongresses a b g e h a l t e n . Salisb u r y suchte die Franzosen auf Tunesien abzulenken, aber der P r ä s i d e n t der französischen Republik, Marschall Mac Mahon, wich dieser Versuchung aus, weil er die von E n g l a n d wohl gewünschte Verschlechterung der Beziehungen zwischen Frankreich und Italien v o r a u s s a h ; wenige J a h r e s p ä t e r indes folgte Frankreich doch dem W i n k e E n g l a n d s und besetzte Tunesien (1881). Gleichwohl hielt Frankreich a r seinen Ansprüchen auf Ägypten fest u n d duldete n u r m i t Widerwillen die „ v o r l ä u f i g e " Besetzung durch England. Erst in dem b e r ü h m t e n Vertrage vom 8. IV. 1904 e r k a n n t e Frankreich die Vormachtstellung Englands in Ägypten a n ; E n g l a n d ließ ihm d a f ü r freie H a n d in Marokko, wo es bisher den französischen Ausdehnungsbestrebungen i m m e r entgegengetreten w a r . Spanien, das von jeher Marokko als seine überlieferte Interessensphäre b e t r a c h t e t h a t t e , wurde m i t einer lächerlich geringen E n t s c h ä d i g u n g der unwirtlichen R i f k ü s t e , abgespeist. Das französisch-britische A b k o m m e n stellt einen der wichtigsten Marksteine in der Geschichte des Mittelmeers wie in der allgemeinen Politik d a r : im Mittelmeer erfolgte eine reinliche Scheidung der E i n f l u ß sphären, indem F r a n k r e i c h das westliche Becken nahezu restlos überlassen wurde, während Großbritannien sich die wichtigere O s t h ä l f t e des Mittelmeers vorbehielt. In der allgemeinen Politik b e d e u t e t e das Abkommen den Anschluß E n g l a n d s an die gegen Deutschland gerichtete Mächtegruppierung, was sich deutlich in der völligen Ignorierung der deutschen Interessen in Marokko a u s p r ä g t e . Die Schwenkung der britischen Politik h a t t e ihren Grund nicht n u r in dem allgemeinen deutsch-englischen Gegensatz, sondern insbesondere in dem Eintritt Deutschlands in die Mittelmeerpolitik. Zwar handelte es sich bei den deutschen Bestrebungen t r o t z der etwas lauten F r e u n d schaftsbezeugungen Wilhelms II. f ü r die M o h a m m e d a n e r zunächst n u r um w i r t s c h a f t liche Erschließung der asiatischen Türkei durch Beteiligung p r i v a t e n Kapitals am E i s e n b a h n b a u , aber eben die Konzession zum Bau der B a g d a d b a h n (1899) erschien England als eine Gefahr f ü r sein indisches Reich, gefährlicher als selbst das Erscheinen der russischen Kriegsflotte im Mittelmeer. Von da a b beginnt Großbritannien sich von
seinem H a u p t g r u n d s a t z , der E r h a l t u n g der Türkei, a b z u w e n d e n ; es h a t t e nur ein Interesse an einer schwachen, von England abhängigen, Türkei, nicht aber an einem starken unabhängigen Staate, der, durch Machtmittel einer dritten Großmacht u n t e r s t ü t z t , am persischen Meerbusen und am Suezkanal die Schlagader des britischen Reiches zu zerschneiden vermochte. Nach dem Ausbruch der türkischen Revolution (1908) kehrte die britische Regierung kurze Zeit zu ihrer Politik des S t a t u s quo zurück, in der E r w a r t u n g , die junge Türkei werde sich den W e s t m ä c h t e n anschließen; als sich jedoch diese H o f f n u n g nicht erfüllte, u n d auch die Annexion Bosniens durch ÖsterreichUngarn (Oktober 1908) n u r zu einer vorübergehenden T r ü b u n g der Beziehungen zwischen der Donaumonarchie u n d der Türkei f ü h r t e , ließ England seinen alten Grundsatz e n d gültig fallen. Das englisch-französische Abkommen h a t t e eine Verschiebung der Stellung E n g lands zu den übrigen Mittelmeermächten im Gefolge. Am wenigsten wurde das Verhältnis Englands zu Italien b e r ü h r t , da dieser S t a a t , zu dem England von jeher in f r e u n d schaftlichen Beziehungen s t a n d , kein Bedenken trug, sich der englisch-französischen Mittelmeerpolitik anzuschließen; zum E n t gelt erhielt es den am wenigsten erschlossenen Teil Nordafrikas, Tripolitanien, zugesichert, das es 1911/12 durch einen Eroberungskrieg gewann. Eine bedeutende Ä n d e r u n g dagegen t r a t im Verhältnis zwischen England einerseits u n d Österreich-Ungarn u n d R u ß l a n d a n dererseits ein. Österreich h a t , trotzdem es schon seit dem 15. J a h r h u n d e r t Triest besaß und die Mittelmeerfragen von jeher a u f m e r k s a m verfolgte, eigentlich bis in die neueste Zeit keine aktive Mittelmeerpolitik getrieben; seinem ganzen A u f b a u nach w a r es K o n t i n e n t a l m a c h t , seine Verkehrsader die Donau, wies ihm die R i c h t u n g seiner Politik. Die Adria w a r ein Nebenschauplatz der österreichischen S t a a t s k u n s t . Die N a t u r schon m a c h t e die adriatische Küste zum Stiefkind der Monarchie; Triest u n d Fiume freilich begannen aufzublühen, sobald Eisenbahnen sie m i t den Donauländern v e r b a n d e n , aber Dalmatien blieb unzugänglich u n d verkehrsarm, selbst als Bosnien der Donaumonarchie angegliedert wurde. Vielleicht h ä t t e sich die Abgeschlossenheit Dalmatiens v c m Hinterlande geändert, wenn der kurz vor dem Kriege in Angriff genommene U m bau der bosnischen Bahnen in N o r m a l s p u r und m i t Doppelgeleisen durchgeführt worden wäre. Beinahe f ü h r t e der Bahnbau Österreich-Ungarn zu einer großzügigen Beteiligung
Mittelmeergebiete a n der Mittelmeerpolitik; in dem P l a n , d u r c h eine u n t e r österreichischem E i n f l u ß stehende Bahn Bosnien m i t Salonik zu verbinden. Aber der Balkankrieg, der die von der Bahn zu durchschneidenden Gebiete an Serbien u n d Griechenland brachte, m a c h t e einen Strich d u r c h die R e c h n u n g . Im übrigen waren f ü r Österreichs Mittelmeerpolitik defensive Gesichtspunkte m a ß g e b e n d . Im Interesse Österreichs ebenso g u t wie E n g l a n d s wurde Montenegro im Berliner Vertrage von 1878 der Bau eines Kriegshafens u n t e r s a g t . Auch in Albanien, wo das österreichische Schutzrecht über die K a t h o liken Gelegenheit zur Gewinnung politischen Einflusses gegeben h ä t t e , b e s c h r ä n k t e sich die österreichisch-ungarische Regierung dar a u f , durch ein A b k o m m e n m i t ViscontiVenosta (1897, erneuert 1900) ein einseitiges Vorgehen Italiens zu verhindern. Wied e r u m im Interesse der Verteidigung fiel Österreich-Ungarn Serbien in den A r m , als dieses über Albanien sich einen Ausgang nach dem adriatischen Meer zu bahnen suchte, u n d setzte, in engem Z u s a m m e n gehen m i t Italien, die Bildung des albanischen S t a a t e s durch (1913). Die Sicherung der Südgrenze Albaniens gegenüber griechischen Ansprüchen ließ sich Italien besonders a n gelegen sein. Bei diesen Vorgängen zu Ende des Balkankrieges t r i t t zum ersten Male deutlich d e r italienisch-serbische u n d der italienisch-griechische Interessengegensatz hervor. Eine u n m i t t e l b a r e Überschneidung österreichisch-ungarischer und britischer Interessen w a r nirgends v o r h a n d e n , aber da beide S t a a t e n zu entgegengesetzten Mächtegruppen gehörten, so schwand das frühere zwischen ihnen bestehende gute Verhältnis. Die W a n d l u n g wurde f ü h l b a r w ä h r e n d der bosnischen Annektionskrise in einer geradezu feindseligen H a l t u n g der britischen Presse u n d w ä h r e n d des Balkankrieges in der sehr lauen U n t e r s t ü t z u n g des von ÖsterreichU n g a r n gegen den widerspenstigen König von Montenegro b e f ü r w o r t e t e n Vorgehens. Die Neuorientierung der britischen Politik im Verhältnis zu R u ß l a n d ä u ß e r t e sich zunächst auch n u r m i t t e l b a r : nämlich darin, d a ß E n g l a n d u n t e r Preisgabe seines Dogmas von der E r h a l t u n g des S t a t u s quo eine nahezu restlose Aufteilung des türkischen Reichsteils in E u r o p a u n t e r den u n t e r russischer F ü h r u n g begründeten B a l k a n b u n d zuließ (1913). Dagegen b e d e u t e t der englisch-russische Vertrag von 1907, der N o r d persien der russischen u n d Südpersien der britischen A u s b e u t u n g zuwies, kein E n t gegenkommen gegenüber R u ß l a n d , denn sein leitender Gedanke w a r F e r n h a l t u n g R u ß l a n d s vom persischen Meerbusen. Voll-
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ends in dem f ü r Rußlands Machtentwicklung wichtigsten P u n k t e , in der Meerengenfrage, hielt England vorerst h a r t n ä c k i g an seinem früheren Standpunkte fest: ÖsterreichUngarn h a t t e , um R u ß l a n d der Annektion Bosniens günstig zu stimmen, Iswolsky die Ö f f n u n g der Meerengen angeboten, aber die Erfüllung des Versprechens scheiterte an dem Widerstand der britischen Regierung Erst in der höchsten Not, w ä h r e n d des Weltkriegs (1915), h a t Großbritannien auf die Schließung der Meerengen, diese Grundsäule der britischen Mittelmeerpolitik verzichtet, j a sogar R u ß l a n d den Besitz der Meerengen in Aussicht gestellt. In diesem Zugeständnis lag eine außerordentliche Gef ä h r d u n g der britischen Herrschaft im Mittelmeer; aber die deutschen Siege, die den Z u s a m m e n b r u c h Rußlands h e r b e i f ü h r t e n , haben England von dieser schweren Gefahr befreit. Da der Besiegung Deutschlands der Zerfall Rußlands voranging, ist die englische H e r r s c h a f t im Mittelmeer nicht geschwächt, sondern überaus gestärkt aus dem Weltkrieg hervorgegangen. Im westlichen Mittelmeer sind infolge des Krieges keine Änderungen eingetreten. Spanien h a t bisher den französischen Zum u t u n g e n standgehalten, seinen Besitz in Marokko aufzugeben. Dagegen sind in dem wichtigeren östlichen Mittelmeerbecken grundstürzende Verschiebungen zu verzeichnen. Deutschland, das im Frieden von Versailles seine wirtschaftlichen Auslandswerte, vor allem die B a g d a d b a h n , aufgeben m u ß t e , ist gänzlich aus der Orientpolitik ausgeschaltet. Österreich-Ungarn, das J a h r h u n d e r t e hindurch am Mittelmeer teil h a t t e , h a t zu bestehen aufgehört, und diejenigen seiner Nachfolgestaaten, die am ehesten die Überlieferung der verschwundenen Monarchie in sich verkörpern, Österreich u n d Ungarn, sind vom Meere abgedrängt. Von den Küstengebieten Österreich-Ungarns haben Italien und das südslavische Königreich Besitz ergriffen. Hauptsächlich, u m die H e r r s c h a f t über die Adria, als Erbteil Venedigs, zu gewinnen, ist Italien in den Krieg gegen Österreich-Ungarn eingetreten. Allerdings h a t Italien bei weitem nicht alle Ansprüche durchsetzen können, deren B e friedigung ihm im Bündnisvertrag vom 26. IV. 1915 versprochen wurde. In diesem Vertrag w a r Italien außer Südtirol, Triest u n d Istrien der Besitz von Dalmatien bis zum K a p P l a n k a u n d beinahe aller d e r kroatischen und dalmatinischen Küste v o r gelagerten Inseln zugesichert w o r d e n ; ferner der Besitz von Valona u n d die Schutzh e r r s c h a f t über Mittelalbanien. Zudem sollte die übrige Küste, die Kroatien, Monte-
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Mittelmeergebiete
negro u n d Serbien zugesprochen wurde, bis nach Durazzo h i n a b neutralisiert werden. Der Versuch Englands und Frankreichs, diesen Vertrag zur A u s f ü h r u n g zu bringen, scheiterte sowohl am W i d e r s t a n d Serbiens wie n a m e n t l i c h an der energischen H a l t u n g Wilsons, u n d so m u ß t e sich Italien in dem Vertrage von Rapallo vom 12. X I . 1920 m i t Serbien auf einer der Sprachgrenze etwas weniger widersprechenden Grundlage v e r gleichen, so d a ß n u n m e h r zu Italien g e h ö r e n : Triest u n d die Halbinsel Istrien, von den Inseln aber n u r Cherso u n d Lussin v o r der kroatischen u n d Lagosta u n d Pelagosa vor der dalmatinischen Küste, vom d a l m a tinischen Festland nur die S t a d t Zara m i t ihrer nächsten Umgebung. D a f ü r willigte Serbien in die Bildung des Freistaats Fiume, das den H a u p t z a n k a p f e l zwischen den beiden S t a a t e n gebildet h a t t e . Der italienisch-südslavische Gegensatz ist dadurch m i t nichten beseitigt. Denn einerseits u m f a ß t die italienische Grenze in Istrien u n d auf den Inseln eine nicht u n b e d e u t e n d e Zahl von Serbokroaten; andererseits ist Italien nicht gesichert gegen die m a r i t i m e E n t w i c k l u n g Serbiens. Vorerst freilich schlummern diese Gegensätze noch, denn Serbien ist vollauf beschäftigt, die neuen Landesteile m i t einander zu verschmelzen, u n d die Verkehrsstraßen Serbiens tendieren noch heute m e h r nach der Donau als nach der schwer zugänglichen Adria. Aber eine geeignete Eisenbahnpolitik v e r m a g diese Verhältnisse von Grund aus zu ändern. Die reizbare Stimm u n g in beiden Ländern, f ü r die die Aufn a h m e der an sich unbedeutenden Rauferei in Sebenico (Weihnachten 1921) einen Gradmesser abgibt, kann ernste Konflikte leicht gefahrvoll gestalten. Weiteren Zündstoff birgt die m o n t e n e grinische Frage; die Einverleibung Montenegros in das Südslavenreich läßt sich zwar m i t dem Nationalitätsprinzip rechtfertigen, aber sie wird offenbar von den Bswohnern des Berglandes nicht einmütig gutgeheißen, und es scheint, d a ß die montenegrinische Unabhängigkeitspartei in Italien, wenn auch nicht von Regierungsseite, so doch sonst U n t e r s t ü t z u n g findet. Auch in Albanien fehlt es nicht an Reibungsflächen. Zwar h a t Italien in dem Bündnisvertrag von 1915 in eine E r weiterung des serbischen u n d griechischen Gebiets an der Ost- u n d Südgrenze Albaniens gewilligt; Albanien ist wieder als selbständiger S t a a t errichtet, u n d sogar die italienische Besatzung von Valona ist zurückgezogen worden, aber es wäre verfehlt, hieraus auf ein völliges Desinteressement Italiens an Albanien zu schließen. Zunächst h a t der Eingriff Serbiens in Nordalbanien neue Verstimmung
in Italien hervorgerufen. Obwohl Serbien n u n in ausreichendem Maße m i t Zugängen zum adriatischen Meere a u s g e s t a t t e t ist, scheint es seine schon im Balkankrieg verfolgte Absicht einer Annektion von N o r d albanien nicht aufgegeben zu h a b e n ; denn n u r so k a n n die Hilfe gedeutet werden, die Serbien m i t militärischen S t r e i t k r ä f t e n im September 1921 den aufständischen Miriditen leistete. Dem Völkerbund fällt die Aufgabe zu, durch einen Druck auf Serbien eine gefährliche W e n d u n g der nordalbanischen Angelegenheit zu v e r h ü t e n . In Südalbanien kann auch der italienischgriechische Gegensatz neu hervorbrechen, der mittlerweile durch die Inselfrage g e n ä h r t wird. Italien h a t sich den Besitz der ihm im Frieden von Lausanne 1912 zugesprochenen wie auch der von ihm bloß besetzten Inseln des Dodekanes (Rhodos, K a r p a t h o s usw.) im Frieden von Sfevres bestätigen lassen (Art. 122), obwohl ihre Bevölkerung griechischer Zunge ist. Allerdings h a t sich Italien in einem Vertrage m i t Griechenland vom 10. V I I I . 1920 verpflichtet, alle Inseln m i t A u s n a h m e von Rhodos an Griechenland zu überlassen; und in der Insel Rhodos selbst, jedoch f r ü h e stens nach 15 J a h r e n , das Volk über die Frage des Anschlusses an Griechenland e n t scheiden zu lassen, sobald England die Insel Cypern an Griechenland ü b e r l ä ß t . Allein die Übergabe der abgetretenen Inseln ist noch nicht erfolgt, u n d die R ä u m u n g von Rhodos ist wohl ebenso wenig zu erwarten wie der Abzug der Engländer aus Cypern. Die Stellung Griechenlands ist auch nach anderer Richtung hin exponiert. Äußerlich erscheint Griechenland als ein Kriegsgewinnerstaat. Es h a t , als Bulgarien an d e r Seite der Z e n t r a l m ä c h t e in den Krieg e i n t r a t , die Erfüllung des Bündnisses m i t Serbien m i t der Begründung abgelehnt, d a ß das B ü n d n i s . n u r den Fall eines Angriffs von Bulgarien allein, nicht aber den eines Z u sammenwirkens Bulgariens m i t d r i t t e n Mächten vorgesehen h a b e ; andererseits v e r m i e d Griechenland — seine K ü s t e n e n t w i c k l u n g u n d seine Getreidearmut ließen i h m keine andere W a h l — einen Bruch m i t der E n t e n t e ; erst am Schluß des Krieges brach es, dem Druck der W e s t m ä c h t e weichend, die Beziehungen zu den Z e n t r a l m ä c h t e n a b ( J u n i 1917). Scheinbar h a t diese h i n h a l t e n d e Politik sich glänzend b e w ä h r t , ohne große Opfer h a t Griechenland eine bedeutende Erweiterung seines Gebietes erreicht; in östlicher Fortsetzung von Griechisch-Makedonien ist ihm das bulgarische Thrakien m i t Dede-Agatsch zugefallen, ferner TürkischThrakien bis zur Tschataldschalinie, m i t Adrianopel, Rodosto u n d Gallipoli. Dazu
Mittelmeergebiete die Inseln Imbros und Tenedos. Außerdem ist ihm S m y r n a m i t einem beträchtlichen Küstengebiet zur Besetzung und Verwaltung zugesprochen w o r d e n ; die türkische S t a a t s gewalt soll dort als ein n u d u m ius vorerst erhalten bleiben, aber nach fünf J a h r e n k a n n die Volksvertretung von S m y r n a die Einverleibung des Gebiets in den griechischen S t a a t verlangen; dem Völkerbundsrat ist es freigestellt, die Einverleibung von einer Volksabstimmung abhängig zu m a c h e n (Art. 65—83 des Vertrags von Sfevres). Aber bereits ist die Türkei in einen gar nicht aussichtslosen Kampf m i t Griechenland eingetreten, um ihm S m y r n a u n d womöglich T h r a k i e n wieder a b z u n e h m e n . D a ß auch Bulgarien die A b t r e n n u n g vom ägäischen Meer n u r m i t Widerwillen e r t r ä g t , ist selbstverständlich. Endlich ist auch der Besitz von Salonik ein prekärer, denn Salonik ist f ü r Altserbien u n d Makedonien der n a t ü r liche H a f e n , sein Besitz ist f ü r Serbien viel wichtiger als die ganze, schwer a u f z u schließende Adriaküste. W e n n es sich bewahrheiten sollte, d a ß der türkische Oberbefehlshaber Serbien zu einer Kooperation gegen Griechenland aufforderte, so wäre dies kein ungeschickter Schachzug. J e d e n falls ist der unendlich lange griechische Küstenstreifen an der Nordseite des ägäischen Meeres m i t seiner hauptsächlich f r e m d s t ä m m i g e n Bevölkerung f ü r Griechenland militärisch wie politisch schwer zu halten. Dem türkischen Reich h a t der Friede von Sfevres vom 10. V I I I . 1920 n u r die vorwiegend von Osmanen bewohnte kleinasiatische H a l b - ; insel (ausgenommen S m y r n a ) u n d Kon- i stantinopel belassen. Freilich ein wehrloses | Konstantinopel, denn alle Festungswerke in | der Meerengenzone (auch in der griechischen) müssen geschleift werden, u n d E n g l a n d , Frankreich u n d Italien haben dort ein gemeinsames Besatzungsrecht (Art. 178). Die D u r c h f a h r t durch die Meerengen ist n u n auch f ü r Kriegsschiffe in Friedens- u n d Kriegszeiten f ü r frei erklärt und nach dem Vorbild des Suezkanalvertrages geregelt worden (Art. 37, 38, 57ff.); die Freiheit der Schiffahrt wird durch eine internationale Kommission (bestehend aus Vertretern der alliierten Großmächte, R u m ä n i e n s , Griechenlands u n d (nach ihrer A u f n a h m e in den Völkerbund) auch R u ß l a n d s , Bulgariens u n d der Türkei) überwacht, die sehr weitgehende Befugnisse in den Meerengen u n d in breiten Küstenstreifen an beiden Seiten zu üben berechtigt ist (Art. 36—61). Auch an der Ostgrenze des türkischen Reiches sind Geb i e t s a b t r e t u n g e n vorgesehen, denn A r m e nien soll als unabhängiger S t a a t errichtet werden (Art. 88ff.), und dem m o h a m m e d a n i -
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schen K u r d i s t a n ist auf Wunsch der Bevölkerung die Loslösung aus dem türkischen S t a a t s v e r b a n d zu gewähren (Art. 62ff.). Endlich m u ß die Türkei auf alle Gebiete verzichten südlich einer Linie, die vom Golf von Alexandrette östlich bis z u r persischen Grenze f ü h r t . Und den türkisch bleibenden Rest u n t e r w i r f t der Friedensvertrag so einschneidenden militärischen, finanziellen und wirtschaftlichen Beschränkungen, d a ß im Fall ihrer D u r c h f ü h r u n g die T ü r k e i in noch stärkerem Grade als Deutschland zu einem U n t e r t a n e n l a n d der Alliierten h e r a b g e d r ü c k t würde. Es k o m m t noch hinzu, d a ß in dem sog. Dreiländervertrag (accord tripartite relatif ä l'Anatolie), den England, F r a n k r e i c h und Italien am 10. V I I I . 1920 zu Sfcvres schlossen, Italien u n d Frankreich noch besondere Ausbeutungszonen in Kleinasien zugesprochen w u r d e n : Italien das H i n t e r l a n d des griechischen Okkupationsgebiets bis nach Brussa u n d K u t a h i a und die Südküste bis nach Kilikien m i t den Kohlenfeldern von H e r a k l e a ; F r a n k r e i c h : die o s t w ä r t s anschließenden Gebiete von A d a n a östlich bis nach Diarbekr am Tigris und nördlich bis über Siwas hinaus. Die beiden Mächte haben die Aufgabe, jede in ihrer Interessensphäre, über die Beobachtung des im Friedensvertrag der Türkei auferlegten Schutzes der religiösen und nationalen Minderheiten zu wachen, eine Aufgabe, die viele Möglichkeiten einer Intervention in sich schließt. Da zudem der Sultan die betr. Mächte in ihrem Interessengebiet m i t Aufgaben der Verwaltung u n d der Polizei betrauen k a n n , so ist der E i n n i s t u n g f r e m d e r Staatsgewalt in Kleinasien ein weites Feld eröffnet. Den Löwenanteil an der türkischen Beute h a t sich Großbritannien genommen. Die schon am 5. X I . 1914 ausgesprochene Annektion von Cypern ist im Friedensvertrag a n e r k a n n t w o r d e n ; dazu gewann E n g l a n d fast alle Gebiete arabischer Sprache, die es großenteils schon w ä h r e n d des Krieges besetzte, Mesopotamien, Palästina u n d Arabien in der modernsten Form der S c h u t z h e r r s c h a f t , der eines Mandats des Völkerbunds. Das syrische Küstenland w u r d e , in A u s f ü h r u n g des Orientvertrages vom 6. III. 1917, F r a n k reich als M a n d a t a r des Völkerbundes überlassen. Aber England duldet zweifellos n u r ungern diese N a c h b a r s c h a f t ; in der englischen Presse wird ganz naiv die Frage behandelt, wie Frankreich f ü r einen Verzicht auf Syrien entschädigt werden könnte. Nicht m i n d e r deutlich sprechen die Ereignisse: K a u m h a t t e n die Franzosen einige K ü s t e n p u n k t e besetzt, so stellte sich der E m i r Faissal, der Sohn des britischen Vasallen in Hedschas, an die Spitze einer
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arabischen Nationalistenbewegung u n d suchte aus Syrien, Palästina u n d Nordmesopotamien, also aus Ländern u n t e r englischem u n d f r a n zösischem Einfluß, ein Königreich zu bilden, w ä h r e n d sein Bruder im Irak herrschen sollte. Als die Franzosen den E m i r aus D a m a s k u s vertrieben h a t t e n , m u ß t e n sie es erleben, d a ß ihn die E n g l ä n d e r den T h r o n von Mesopotamien besteigen ließen, von wo er u n g e s t ö r t gegen Frankreich agitieren k a n n . Die Franzosen werden die islamitische Bewohnerschaft vor der Anz i e h u n g s k r a f t des mesopotamischen Königreichs um so weniger zu bewahren vermögen, als sie durch S c h a f f u n g von zwei S t a a t e n , dem christlichen „ G r o ß l i b a n o n " u n d dem m o h a m m e d a n i s c h e n „ S y r i e n " , den religiösen Gegensatz in den Vordergrund r ü c k t e n . Die französisch-britische R i v a l i t ä t erklärt zum Teil auch die nachgiebige H a l t u n g der W e s t m ä c h t e gegen die nationalistischtürkische Regierung in Angora. Während die E n t e n t e gegenüber den anderen besiegten S t a a t e n u n e r b i t t l i c h auf der E r f ü l l u n g der h a r t e n Friedensbedingungen besteht, l ä ß t sie sich dazu herbei, m i t der türkischen Regierung in Angora über eine Revision des Friedensvertrages zu v e r h a n d e l n , obwohl die türkischen Nationalisten weitgehende Forderungen stellen u n d z u s a m m e n m i t den russischen Bolschewisten die Neuschöpfung des Friedensvertrags, Armenien, h a r t bedrängen. Und bei dem K a m p f e , den M u s t a p h a Kcmal Pascha m i t Griechenland um die R ü c k e r o b e r u n g S m y r n a s f ü h r t , stehen die Alliierten als Zuschauer zur Seite. F r a n k r e i c h insbesondere w i r b t eifrig u n d nicht ohne Erfolg um die Gunst der Regierung von Angora, o f f e n b a r , um seine unsichere Stellung in Syrien zu stützen. Freilich ist Frankreich so unvorsichtig zu W e r k e gegangen, d a ß es einen offenen Konflikt m i t England heraufbeschwor. Schon gegen einen im März 1921 zwischen Briand u n d einem Vertreter der Regierung von Angora abgeschlossenen Vertrag, in dem F r a n k reich sich gegen Gewährung bedeutender Konzessionen zur R ä u m u n g von Kilikien verpflichtete, erhob England E i n s p r u c h , den es n u r nicht weiter verfolgte, weil der Vertrag von der Türkei nicht ratifiziert wurde. Als nun aber am 20. X . 1921 Frankreich ein neues A b k o m m e n zu Angora Schloß, ließ die britische Regierung keinen Zweifel bestehen, d a ß sie diesen Vertrag nicht anerkennen werde. In der T a t h a t t e Frankreich recht eigenmächtige Verfügungen über die ζ. T. m i t englischer Hilfe eroberten Grenzgebiete getroffen, ζ. B. d a ß sowohl die Türkei wie Frankreich auf der türkischen und auf der syrischen Strecke der B a g d a d b a h n T r u p p e n
befördern d u r f t e n . Auch h a t sich Frankreich verpflichtet, f ü r die R ü c k e r s t a t t u n g von S m y r n a und T h r a k i e n an die Türkei einzut r e t e n . Die Beilegung der französisch-englischen Meinungsverschiedenheit werden sich beide Teile angelegen sein lassen, denn sie sind durch m a n c h e Interessen v e r b u n d e n , nicht n u r in der allgemeinen Politik, sondern auch in der orientalischen. Hier handelt es sich d a r u m , den Wirkungen zweier großer Gefahren zu begegnen: der islamitisch-nationalistischen und der bolschewistisch-russischen. Die islamitische Bewegung ist schon vor dem Kriege e n t s t a n d e n , h a t aber — wie der geringe Widerhall des von der Türkei verkündeten heiligen Krieges beweist — noch wenig S t o ß k r a f t besessen. Nach dem Kriege h a t sich die Bewegung an dem Schlagwort von der Selbstbestimmung der Völker neu entzündet und eine mehr nationalistische F ä r b u n g angenommen, aber sie zeigt, da im Orient das Bekenntnis oft die Nationalität v e r t r i t t , einen s t a r k religiösen Einschlag. Großbritannien h a t dieser S t r ö m u n g schon in seiner wichtigsten Mittelmeerbesitzung weitgehende Zugeständnisse machen m ü s s e n : in Ägypten. Unmittelbar nach dem E i n t r i t t der Türkei in den Weltkrieg h a t Großb r i t a n n i e n das letzte Band zerschnitten, das Ä g y p t e n m i t der Türkei v e r k n ü p f t e , u n d h a t das Land zum britischen S c h u t z s t a a t erklärt (18. X I I . 1914). Aber das bedenkliche Anwachsen der von Zaghlul Pascha geleiteten nationalistischen Bewegung h a t d a hin g e f ü h r t , d a ß England die Frage der A u f hebung des Schutzverhältnisses durch einen Ausschuß an Ort und Stelle prüfen ließ u n d dessen Gutachten in der H a u p t s a c h e e n t sprechend sich zur Anerkennung der U n a b hängigkeit Ägyptens bereit erklärte. Freilich keine volle Unabhängigkeit, denn einerseits soll Ägypten keinen Vertrag m i t f r e m d e n Staaten schließen dürfen, ohne sich m i t dem britischen Oberkommissar ins Einvernehmen gesetzt zu haben, andererseits behält sich England ein Besatzungs- und Durchzugsrecht vor. Diese halben Zugeständnisse haben aber bis jetzt n u r die W i r k u n g g e h a b t , d a ß die Nationalisten, dem Beispiel der Iren folgend, nun m i t Mitteln der Gewalt die volle Unabhängigkeit zu ertrotzen versuchen. A u c h die Italiener bemühen sich, die Eingeborenen m i t ihrem Regiment auszusöhnen: sie haben f ü r die beiden Landschaften Tripolitanien u n d (1. VI. 1919) f ü r die Cyrenaica Verfassungen erlassen und das H a u p t des Senussiordens, Seid Dris, den alten Gegner Italiens, zum E m i r der Cyrenaica e r n a n n t . Am wenigsten Sind bis jetzt die Franzosen den W ü n s c h e n der Eingeborenen entgegengekommen. Die andere
Gefahr, die russische,
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Mittelmeergebiete — Monaco k ö r p e r t sich nicht m e h r in dem Gespenst einer russischen Kriegsflotte im Mittelmeer, d a s f r ü h e r E n g l a n d o f t bedrückte. Die russische Gefahr h a t eine neue Gestalt ang e n o m m e n : W ä h r e n d das zaristische Rußland durch seine Gewaltmethoden die m o h a m m e d a n i s c h e n Reiche zum W i d e r s t a n d herausforderte, der den englischen Interessen diente, h a t das bolschewistische R u ß l a n d durch eine scheinbar selbstlose Politik kluger Zugeständnisse enge Beziehungen zur n a t i o nalistischen Türkei (Vertrag vom 16. III. 1921), zu Persien (Vertrag vom 26. II. 1921), zu Afghanistan (Vertrag vom 28. II. 1921) g e k n ü p f t , u n d so r ü c k t R u ß l a n d in breiter F r o n t gegen die britischen Besitzungen vor. Die britische H e r r s c h a f t im Mittelmeer ist auf ihrem H ö h e p u n k t a n g e l a n g t ; u n m i t t e l b a r oder m i t t e l b a r durch die von ihm abhängigen S t a a t e n , Frankreich, Italien, Griechenland beherrscht England beinahe alle seine Küsten. Ob das britische Reich den E r s c h ü t t e r u n g e n durch den islamitischen Nationalismus und dem A n b r a n d e n des russischen Bolschewismus auf die Dauer s t a n d h a l t e n k a n n , wird die Z u k u n f t lehren. Literatur: R. Charmatz, Geschichte der auswärtigen Politik Österreichs im 19. J a h r h u n d e r t , 2 Bde., Leipzig 1917. — P. Crispi, Die Memoiren Francesco Crispis, Berlin 1912. — R. Dedreux, Der Suezkanal, Tübingen 1913. — Der neue Orient (Monatsschrift). — H. Friedjung, Das Zeitalter des Imperialismus 1884—1914, 1. Bd., Berlin 1919. — H. Gmelin, Die Vorherrschaft im Mittelmeer ( H a n d b u c h der Politik, 3. Aufl., Bd. 3, Berlin 1920, S. 56). — W. Dibelius, Großbritannien u n d sein Weltreich nach dem Kriege, ebenda S. 356. — 0 . Lenz, Das Mittelländische Meer, ebenda S. 375. — Is Egypt a Nation? in The Nation, New York 6., 17., 20. IV. 1921. — V. Mantegazza, II Mediterraneo e il suo equilibrio, Milano 1914. — E. Molden, Die Orientpolitik Metternichs, Wien 1913. — Negoziati diretti fra 11 governo italiano e il governo serbocroato per la pace Adrlatica (Camera dei D e p u t a t i , Documenti, 20 giugno 1921). — Reni Pinon, L'Autriche et la guerre balcanique, Revue des d e u x mondes, f i v r . 1913, S. 577. — Th. v. Sosnosky, Die Balkanpolitik Österreichs seit 1866, 2 Bde., S t u t t g a r t 1914. — H. Winterer, Ä g y p t e n . Seine staats- u n d völkerrechtliche Stellung, Berlin 1915. Gmelin.
Er bedeutet die A r t u n d Weise, in der zwei oder mehrere S t a a t e n in H i n k u n f t m i t einander auskommen wollen. Zu Auseinandersetzungen über diese Frage k o m m t es n a t u r g e m ä ß n u r d a n n , wenn zwischen den S t a a t e n Reibungen irgendwelcher A r t bestehen, so d a ß , wenn jeder S t a a t auf seinem S t a n d p u n k t bleibt, Konflikte ernsterer Art zu erwarten sind. Der m o d u s vivendi, der geschaffen wird, um die Konfliktsmöglichkeit aus dem Weg zu schaffen, kann darin bestehen, d a ß die Interessenkollision tatsächlich beseitigt sind, so d a ß die beteiligten S t a a t e n sich nun gegenseitig nicht m e h r stören. Er kann aber auch n u r in einer Fiktion bestehen, indem m i t R ü c k sicht auf die zwischen den S t a a t e n o f t herrschenden Rivalitäten und E m p f i n d l i c h keiten ein Ausweg gefunden wird, der wenigstens formell oder scheinbar die vorhandenen Gegensätze beseitigt. v. F r i s c h .
Monaco.
I. Es w a r eine Folge der hohen militärischen Bedeutung Monacos („Monaco si puö d o m a n d a r e chiavo del Genovese e p o r t a della P r o v e n z e " heißt es in einer Instruktion aus dem 16. J a h r h u n d e r t ) , wenn dessen Fürsten gegenüber den Begehrlichkeiten der N a c h b a r n sich schon im Mittelalter in ein gewisses engeres politisches Verhältnis, auf das der N a m e „ P r o t e k t o r a t " (s. d.) im heutigen Sinne nicht a n w e n d b a r erscheint, zu solchen N a c h b a r s t a a t e n begeben h a b e n , die dem Herrscher Monacos einen Schutz gegen andere zu gewähren schienen. So schlossen die Grimaldis als Fürsten von Monaco Schutzverträge ab m i t Genua, Savoyen, Spanien (Vertrag von Burgos m i t Karl V. 5. X I . 1524: Dauer bis 1641), Frankreich, Sardinien, P i e m o n t . Inhaltlich gleichen sie sich, namentlich der m i t Frankreich von P i r o n n e (14. IX. 1641, m i t Dauer bis zur Angliederung an F r a n k reich 1793), darin, d a ß sie die Unabhängigkeit des F ü r s t e n t u m s g a r a n t i e r t e n (so Vertrag von P6ronne, A r t . 6) m i t dem Rechte des Schutzstaates, im F ü r s t e n t u m eine Garnison halten u n d die dortige Festung besetzen zu dürfen. Nachdem die Zugehörigkeit zu Frankreich (1793—1814) im Pariser Frieden vom 30. V. 1814 (Art. 3 § 8: „ l a France renonce ä tous les droits de s o u v e r a i n e t i , de soupereinetfe et de possession sur tous les p a y s et districts, villes et endroits quelModus vivendi. conques situ6s hors de la frontifere ci-dessus Der Begriff „ m o d u s v i v e n d i " f i n d e t sich d6sign£e, la principaut6 de Monaco 6tant in der Sprache der Diplomaten erst in toutefois replacie dans les r a p p o r t s oü eile neuerer Zeit. Er ist kein Rechtsbegriff.
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Monaco
se t r o u v a i t a v a n t le 1er janvier 1792") m a n d s qui sont entrfis dans le Zollverein". wieder beseitigt u n d der R e c h t s z u s t a n d von An dieser Rechtslage h a t auch die von dem 1792 wieder hergestellt worden w a r , übertrug französischen Ministerpräsidenten P o i n c a r i der Pariser Vertrag vom 20. X I . 1815 F r a n k - m i t dem Gesandten Monacos in P a r i s gereichs Rechte auf Sardinien (Art. I, 4 : „les schlossene Konvention vom 10. IV. 1912 r a p p o r t s 6tablis p a r le traitd de Paris du (Text F a r n e t 277ff.) nichts g e ä n d e r t , wenn 30 mai 1814 entre la France et la p r i n c i p a u t 6 sie auch von einer noch engeren, wi r t s c h a f t de Monaco cesseront m a y t h e P r e v e n t c d Ε. H. Parker, N.-paul and China, pp. 64 V inability of t h e p a r t y claiming it, —82. — Roberts, Hist. Gsogr. of India t o c a p t u r e t h e belligerent carrier of neutral p t . I, pp. 280—291. 1916. — Ältere Lite- property. And w h a t i n j u r y results f r o m r a t u r s. Encycl. Brit. u n t e r „ N e p a l " . this c i r c u m s t a n c e ? If t h e p r o p e r t y be Μ. H . S c h m i t t . neutral, w h a t mischief is done, b y its escaping a s e a r c h ? In so doing t h e r e is no sin, even as against t h e belligerent, if it can affected b y lawful means. T h e n e u t r a l cannot Nereide-Fall. j u s t i f y t h e u s e of force or f r a u d , b u t if, b y Amerikanische Prisengerichtsentscheidung m e a n s , lawful in themselves, he can e s c a p e a u s dem zweiten englisch-amerikanischen t h i s vexations procedure, he m a y certainly Krieg (Supreme Court of the United States, employ t h e m . 11. III. 1815. Cranch Reports Bd. I X , To t h e a r g u m e n t t h a t b y placing his S . 388ff.). goods in t h e vessel of an a r m e d e n e m y , he
no
Nereide-Fall
protection. . . . Qui sentit commodufn, sentire debet et onus . . . The principle applies as well to belligerent as to a neutral convoy . . . the neutral seeks belligerent protection with an intent to evade search . . . It is impossible to join a belligerent convoy w i t h o u t an intention to receive the protection of belligerent force in such m a n n e r and under such circumstances, as the belligerent m a y choose to apply it. It is an adoption of his acts, and an assistance of his interests during the Assuned voyage . . On the whole . . . the act of sailing u n d e r belligerent or neutral convoy is of itself a violation of neutrality, and the ship and cargo if erught in delicto, are justly con~ fiscable. Die Nereide sei in delicto genommen worden, sie habe nicht absichtlich It is remarkable, t h a t no express a u t h o r i t y den Konvoi verlassen und habe gestrebt, on either side of this question can be found sich m i t ihm wieder zu vereinigen. in the books (folgen Ausführungen über die Entscheidungen Sir W. Scotts Maria Im Anschluß an diese A u s f ü h r u n g e n , 1. Robinson S. 340 und Catharina Elizabeth, die f ü r den K o n v o i in der späteren ameri5 Robinson, S. 206 und darüber, d a ß ein kanischen Prisenrechtsprechung zugrunde neutraler Passagier eines bewaffneten feind- gelegt worden sind (vgl. vor allem das Urteil lichen Schiffs nicht zum Gefangenen gemacht des Court of Claims „ N a n c y " aus dem werde). J a h r e 1892; 27. Court of Claims S. 99) The character of the vessel and cargo u n t e r Berufung auf Ausführungen von remain as distinct in this as in a n y other case. Justice Johnson in „ A t a l a n t a " (3. W h e a t o n Von den beisitzenden Richtern begrün- S. 409), heißt es dann bezüglich der Frage, deten Johnson sein zustimmendes u n d der w h e t h e r a neutral shipper has a right t o b e r ü h m t e Verfasser der „ N o t e s on the p u t his p r o p e r t y on board of an a r m e d Principles and Practice of Prize C o u r t s " belligerent ship, w i t h o u t violating his neutral Story — der ü b e r s t i m m t wurde — sein d u t i e s ? : If the doctrine already advanced abweichendes Urteil. J of the subject of convoy be correct, it is In seinem G u t a c h t e n f ü h r t e S t o r y zu j incontestible, t h a t he has no such right. dem insbesondere von Justice Johnson If he cannot t a k e belligerent convoy, a angeführten A r g u m e n t , d a ß sich im S c h r i f t - j fortiori be cannot p u t his p r o p e r t y on board tum nichts über den Verlust des neutralen of such convoy; or w h a t is equivalent, on Charakters durch Verschiffung auf einem; board of an armed and commissioned ship feindlichen bewaffneten Schiff f ä n d e , a u s : ; of the belligerent . . . Nor can it be material E l e m e n t a r y writers rarely explain the prin- j whether such armed ship be commissioned ciples of public law with the m i n u t e distinc-j or not . . . For whether the a r m a m e n t be tions which legal precision requires. Many employed for offence or for defence, in of t h e m o s t i m p o r t a n t doctrines of prize respect to t h i r d parties, the peril and t h e courts will not be found to be t r e a t e d of, obstruction to the right of search are equally orreven glanced at, in the elaborate treatises complete. Nor is it true, as has been asserted of Grotius, Puffendorf or Vattel (folgen in a r g u m e n t , t h a t a non commissioned Beispiele) . . . The Question before the armed ship has no right to capture an e n e m y Folgen court m u s t be settled upon o t h e r grounds, ship, except in her own defence. upon a just application of the principles Ausführungen hierüber, sowie über die which regulate neutral, as well as belli- Folgen eines Widerstandes . . . the resistance gerent rights and duties. Es folgen Aus- of the ship is, in all cases the resistance of f ü h r u n g e n darüber, d a ß der Anschluß eines the cargo, it makes no difference, w h e t h e r Neutralen an einen Konvoi einen W i d e r s t a n d she be armed or u n a r m e d commissioned He who p u t s his seitens des Neutralen bedeutet und d a ß ein or uncommissioned. battle, solcher Anschluß auch in der der feind- p r o p e r t y o n t h e i s s u e of m u s t s t a n d o r f a l l b y t h e e v e n t of lichen Schiffahrt zugute kommenden Ver Schließlich heißt e s : If i t ladung ein Gut auf einem in Konvoi t h e c o n t e s t . f a h r e n d e n feindlichen Schiff zu sehen ist. b e , as it u n d o u b t e l y is, a violation of T h e resistance of t h e convoy is t h e resistance n e u t r a l i t y to engage in t h e t r a n s p o r t service of all the ships associated under t h e common of the enemy, or t o carry his dispatches, connects himself with t h a t e n e m y and assumes the hostile character it is answered, t h a t no such connection exists. The object of the neutral is transportation of his goods. His connection with the vessel which transports them is the some, w h e t h e r t h a t vessel be a r m e d or u n a r m e d . The act of arming is not his — it is the act of a p a r t y who has a right to do so. . . The a r g u m e n t respecting r e s i s t a n c e stands on the s a m e ground with t h a t which respects arming. Both are lawful. Neither of them is chargeable to the goods or their owner, where he has t a k e n no part in it. T h e y are incidents of the character of the vessel; and m a y always occur where the carrier is belligerent.
Nereide-Fall even on a neutral voyage, how m u c h more so m u s t it be, to enlist all our own interests in his service, and hire his arms and his crew, in order to p r e s e n t t h e exercise of those right which, as neutrales, we are bound, to s u b m i t to . . . Believing t h a t no m o r e i m p o r t a n t or interesting question ever came before a prize t r i b u n a l , and t h a t t h e national rights, suspended on it, are of infinite m o m e n t to t h e m a r i t i m e world, I h a v e t h o u g h t it not u n f i t to pronounce m y own opinion, diffident indeed, of its fulness and accuvacy of illustration, b u t entirely satisfied of t h e rectitude of its principles. Um die gleiche Zeit stellt sich Lord Stowell (früher Sir William Scott), der in der Entscheidung Catharina Elizabeth (5. Robinson, S. 278) f ü r den Fall des Widers t a n d e s eines u n b e w a f f n e t e n Schiffes, die Ansicht v e r t r e t e n h a t t e , d a ß ein solcher W i d e r s t a n d der neutralen L a d u n g nicht zum Schaden gereiche, weil der W i d e r s t a n d lediglich auf die Initiative des K a p i t ä n s z u r ü c k z u f ü h r e n sei, f ü r n e u t r a l e L a d u n g auf b e w a f f n e t e m Schiff in der E n t s c h e i d u n g F a n n y (1. Dodson, S. 443) auf den von J u s t i c e S t o r y eingenommenen S t a n d p u n k t , weil eine Verladung auf b e w a f f n e t e m Schiff die Absicht in sich schließe W i d e r s t a n d zu leisten (vgl. hierzu a u c h Twiss, Law of Nations, Bd. II, § 97, der von einer praes u m p t i o juris et de jure f ü r W i d e r s t a n d leistung in solchem Fall spricht). T r o t z dieser S t e l l u n g n a h m e der beiden Autoritäten des englisch-amerikanischen Prisenrechts, Lord Stowellsund Storys, h a t das Majoritätsurteil „ N e r e i d e " f ü r die Stellungn a h m e der Vereinigten S t a a t e n w ä h r e n d des Krieges 1914—1918 zu der Frage der bew a f f n e t e n Handelsschiffe große B e d e u t u n g g e h a b t u n d zwar nicht n u r bei der Frage der Zulassung ( „ N e r e i d e " ist gleich in dem britischen M e m o r a n d u m vom 9. IX. 1914 e r w ä h n t ) , sondern insbesondere auch bei den D e b a t t e n des Senats und des Repräsend a n t e n h a u s e s im F r ü h j a h r 1916 bezüglich der B e n u t z u n g b e w a f f n e t e r Schiffe durch Angehörige der Vereinigten S t a a t e n (Resolut i o n Gove bzw. Mac Lemore). J a die Gedankengänge des M a j o r i t ä t s urteils von dem perfect right des Neutralen ein kriegführendes Schiff zum G ü t e r t r a n s p o r t (und zur Ü b e r f a h r t als Passagier) zu b e n u t z e n , u n d von der U n b e r ü h r t h e i t dieses Rechts von den „ i n c i d e n t s of t h e character of the vessel" e n t h a l t e n den Kern des deutschamerikanischen U-Bootstreites im Weltkrieg und den A u s g a n g s p u n k t f ü r die W a s h i n g t o n e r Abreden gegen den U n t e r seebootshandelskrieg. Denn „ H u m a n i t ä t "
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allein würde nie erklären können, warum es erlaubt ist — wie allgemein a n e r k a n n t — gegen ein fliegendes unbewaffnetes Schiff feindlicher oder neutraler Flagge alle W a f f e n mittel anzuwenden u n g e a c h t e t seiner Passagiere, nicht aber gegen ein bewaffnetes Schiff, von dem Widerstand zu erwarten ist, zumal der Passagier, der sich im Krieg auf einem bewaffneten Schiff einschifft, einen Widerstand des Schiffes voraussehen m u ß , während der Passagier eines anderen Schiffes nicht ohne weiteres d a m i t rechnen kann und b r a u c h t , daß das Schiff sich der A u f b r i n g u n g durch Flucht zu entziehen versuchen wird (Gesichtspunkt der Entscheid u n g e n : F a n n y und Catharina Elizabeth). Aber nach dem Majoritätsurteil „ N e r e i d e " besteht eben das „perfect r i g h t " des Neutralen in Frieden gelassen zu werden u n d schützt der Neutrale so das Schiff. Es bedarf keiner Ausführung, daß die Theorie des Majoritätsurteils Nereide ebensowenig beweisbar ist, als widerlegbar, und d a ß diese Theorie nicht nur englischen Prisenurteilen, sondern auch dem Geist der englischen Seekriegsrechtsauffassung, die das Recht des Kriegführenden i m m e r betont h a t , widerspricht. Um so größer das Glück Englands im Weltkrieg, daß dieses neutralitätsfreundliche Urteil den Vereinigten Staaten die Grundlage bot f ü r Schritte gegen die deutsche Seekriegführung, durch die praktisch ein Schutz englischer Schiffe erzielt wurde, während u m g e k e h r t die Regierung der Vereinigten Staaten sich an einer Intervention gegen die englische Seekriegführung als gehindert betrachtete, wiederum durch amerikanische Entscheidungen, die eine f ü r den Kriegführenden günstige Stellung einnahmen, nämlich die Entscheidungen aus dem Sezessionskrieg über fortgesetzte Reise (Springbock, Be:m u d a usw.). Der Ausgang des Weltkrieges, besiegelt durch die Washingtoner Abreden, h a t den Grundgedanken des Nereideurteils von dem perfect right des Neutralen A n e r k e n n u n g v e r s c h a f f t , wenn auch die Diskussion über die B e w a f f n u n g von Handelsschiffen noch nicht abgeschlossen ist. So auch Handelsschiffe im Krieg und „ V o r w ä r t s " sowie Glitra, wie denn ü b e r h a u p t die Entscheidung „ N e r e i d e " mit der anglo-amerikanischen Grundauffassung in dem durch die Reeein 2 und 3 der Pariser E r k l ä r u n g nui scheinbar ü b e r brückten Gegensatz zwischen anglo-amerikanischer und kontinentaler Auffassung zus a m m e n h ä n g t — vgl. den A u s g a n g s p u n k t der Gründe — andererseits spricht gerade von anglo-amerikanischer Auffassung aus der im englisch-amerikanischen Prisenrecht:
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Nereide-Fall — N e u f u n d l a n d , Fischereifrage
s t a r k betonte Gesichtspunkt, ein Neutraler d ü r f e sich nicht in den Krieg mischen (so ganz allgemein auch die amerikanische E n t scheidung „ B a r m u d a " ) gegen das M a j o r i t ä t s urteil Nereide u n d f ü r die Meinung Lord Stowells und Storys. Grau.
Neuenburger Streit.
der Großmächte g e f ü h r t , Preußen zu u n t e r stützen. N u r Frankreich, das Preußen in der Orientfrage b r a u c h t e , f a n d sich z u r Vermittlung bereit. Als Napoleon die Schweiz um Freilassung der gefangenen Royalisten ersuchte, holte er sich von der Eidgenossens c h a f t , die von England u n t e r s t ü t z t w a r , einen Korb. Und auch Frankreich, das sich damals England n ä h e r t e , stellte seine Aktion zugunsten P r e u ß e n s alsbald ein, so d a ß sich Friedrich Wilhelm IV., nachdem ein bewaffneter K o n f l i k t Preußens m i t der Schweiz schon in bedenkliche N ä h e g e r ü c k t war, schließlich gezwungen sah, u n t e r ern e u t e r französischer V e r m i t t l u n g in eine Konferenz der Mächte zu willigen, die nach langen Verhandlungen zu dem Pariser Vertrage vom 26. V. 1857 f ü h r t e , in dem Preußen u n t e r Verzicht auf N e u e n b u r g und Valengin darein willigte, d a ß N e u e n b u r g f o r t a n n u r zur Schweiz gehören würde.
Artikel 23 der Wiener Schlußakte vom 9. VI. 1815 b e s t i m m t e : „ S a Majestd le roi de Prusse . . . ses h£ritiers et successeurs, possfederont de nouveau comme a u p a r a v a n t , en t o u t e souverainet6 et p r o p r i i t i , les pays suivants, savoir . . . la principautg de Neuchätel avec le comt6 de Valengin" ( S t r u p p , U r k u n d e n I, 133). Gleichzeitig aber wurde N e u e n b u r g auch der Schweiz einverleibt, denn in D u r c h f ü h r u n g von A r t . 2 der Akte vom 20. III. 1815 b e s t i m m t A r t . 7 5 : „Le Valais, le territoire de Gsnfeve, la principaut6 Literatur: de Neufchätel, sont r i u n i s ä la Suisse et Vargas, L'affaire de Neuchätel, 1913 u n d f o r m e r o n t trois n o u v e a u x c a n t o n s " ( S t r u p p die dortigen Zitate. Strupp. a. a. O. 142). Damit war N e u e n b u r g gleichzeitig u n t e r der Staatsgewalt des Königreichs Preußen und der neutralisierten Neufundland, Fischereifrage Republik Schweiz. Der Gegensatz in der S t a a t s f o r m t r a t m i t besonderer Schärfe (frz. „Pecheries de Terre Neuve", engl. im J a h r e 1848 zutage, nachdem bereits „North Atlantic Coast Fisheries"). 1831 Preußen, einer demokratischen BeDie I n s e l N e u f u n d l a n d (engl. N e w wegung nachgebend, eine gesetzgebende, f o u n d l a n d , frz. T e r r e N e u v e ) östlich vor in der Mehrzahl aus Volkswahlen hervor- dem St. Lorenzgolf, wurde nach verschiegehende Körperschaft geschaffen h a t t e , ohne denen Schicksalen 1583 von E n g l a n d ( H u m freilich d a m i t bis zu offener Gewalt ge- p h r e y Gilbert) in Besitz genommen. Seit steigerte Versuche der Republikaner, die Ende des 16. J a h r h u n d e r t s setzten sich auf Vereinigung mit der Schweiz abzielten, Franzosen in größerer Anzahl d o r t fest, u n d in der Folgezeit verhindern zu können. Die es e n t s t a n d e n infolgedessen Streitigkeiten, Bewegung des J a h r e s 1848 f ü h r t e in Neuen- welche zunächst die A u s ü b u n g der Fischerei b u r y zum offenen Abfall von P r e u ß e n : u n d den H u m m e r f a n g b e t r a f e n , sich d a n n Mit 5813 gegen 4395 Stimmen wurde eine aber zu einem heftigen Streit zwischen demokratische Verfassung beschlossen, die Frankreich u n d England über den Besitz aus Neuenburg ausschließlich einen Schweizer der Insel steigerten. Der Streit wurde im K a n t o n m a c h t e . Preußen, zunächst durch Frieden von Utrecht (11. IV. 1713) in dem die eigene Revolution am Einschreiten ver- ] französisch-englischen Instrument Artikel hindert, schien zum bewaffneten Einschreiten X I I I hinsichtlich der Territorialherrschaft bereit; der Widerstand Napoleons ließ Fried- d a d u r c h erledigt, d a ß N e u f u n d l a n d f ü r engrich Wilhelm IV. einlenken. Im Londoner lischen Besitz erklärt wurde. Hinsichtlich Protokoll, unterzeichnet von den Vertretern der Fischereifrage aber wurde eine S t a a t s der Großmächte, vom 24. V. 1852 (Vargas 11,) servitut b e g r ü n d e t , welche Frankreich f ü r k a m deren Entschlossenheit zum Ausdruck, einen Teil d e r neufundländischen Küste das a n dem 1815 geschlossenen Zustande fest- Recht gab, zu fischen und Fischereianlagen zuhalten u n d die Schweiz zu deren An- am Ufer zu h a b e n . Die Konflikte aber erkennung zu bringen. Ein royalistischer dauerten f o r t u n d v e r s c h ä r f t e n sich. Durch Putschversuch in N e u e n b u r g , der am 5. IX. den Frieden von Paris vom 10. II. 1763 (Ar1856 zum Ausbruch k a m , h a t dann die tikel V) wurde die Servitut bestätigt, außerAngelegenheit zur Lösung gebracht, freilich, dem Frankreich der Territorialbesitz der in einem von seinen Urhebern nicht gewollten Inseln Saint Pierre u n d Miquelon belassen, Sinne. während bekanntlich die übrigen französischen Besitzungen in N o r d a m e r i k a an E n g Von den Republikanern in N e u e n b u r g land abgetreten w u r d e n . Infolge der U n a b selbst u n t e r d r ü c k t , h a t er zur Weigerung
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Neufundland, Fischereifrage
die franzöhänglgkeitserklärung der Vereinigten S t a a - N e u f u n d l ä n d e r systematisch ten von Amerika und des amerikanischen sischen K o n k u r r e n t e n . In demselben Maße, Unabhängigkeitskampfes waren bei den Ver- in welchem die Bedürfnisse d e r N e u f u n d handlungen von 1782 zwischen England und länder stiegen, ging die französische Fischerei den S t a a t e n Auseinandersetzungen n o t - zurück. wendig auch über die Fischereiverhältnisse Das französische Gelbbuch teilt m i t , d a ß von N e u f u n d l a n d , welches britische Kolonie um die Mitte des 19. J a h r h u n d e r t s die Zahl blieb, hinsichtlich dessen aber amerikanische der französischen Fischer 10000 betrug, Interessen darauf gestützt wurden, d a ß die gegen Schluß des J a h r h u n d e r t s auf 4—5000 Amerikaner bis dahin in ihrer Eigenschaft als gesunken und im J a h r 1903 auf 238 gefallen englische U n t e r t a n e n in erheblichem Maße war. A r r a n g e m e n t s , welche zwischen der Fischerei getrieben h a t t e n . Der S t a a t s - französischen Regierung u n d E n g l a n d 1857, sekretär Livingston s a g t e : „ t h e people of 1885, 1890 getroffen w u r d e n , f a n d e n n i c h t America f o u n d their claim to fish of t h e die Billigung u n d U n t e r s t ü t z u n g des n e u banks of Newfoundland, f r o m their having f u n d l ä n d i s c h e n P a r l a m e n t e s . Am 11. I I I . once formed a p a r t of the British E m p i r e . . . . " ι 1891 w u r d e in London ein SchiedsgerichtsIn dem englisch-amerikanischen Friedens- i vertrag unterzeichnet, er wurde auch dem vertrage von Versailles (sog. Unabhängig• englischen u n d französischen P a r l a m e n t vorkeitsvertrag) 3. IX. 1783 (Artikel III) wurde ! gelegt und genehmigt. Eine Schiedsgerichtsbestimmt, d a ß „ . . . . t h e people of t h e kommission wurde eingesetzt: Professor v . United States shall continue to e n j o y , u n Martens (Petersburg), Professor A . Rivier molested, t h e right to take fish for every k i n d (Brüssel), Oberrichter Gram (Kristiania). on t h e grand b a n k and on all t h e other b a n k s Ein Schiedsspruch kam nicht z u s t a n d e . Im of N e w f o u n d l a n d : also in t h e gulph of S t . Z u s a m m e n h a n g e der politischen A n n ä h e r u n g Lawrence, and all other places in t h e sea Englands und Frankreichs in den letzten where the i n h a b i t a n t s of both countries J a h r e n des 19. J a h r h u n d e r t s u n d im u n used a t a n y time heretofore to fish. A n d m i t t e l b a r e n Anschluß an das englisch-franalso t h a t the i n h a b i t a n t s of the United zösische A b k o m m e n vom 14. X. 1903 u n d S t a t e s shall have liberty to t a k e fish or das französisch-englische A b k o m m e n über every kind on such p a r t of the coast of Ägypten und Marokko w u r d e am 8. IV. 1904 Newfoundland as British fishermen shall use, 1 in London zwischen Lansdowne u n d P a u l b u t not do d r y or cure t h e same on t h a t is' Cambon ein A b k o m m e n über N e u f u n d l a n d land . . . " Damit war neben die bis dahin bestehende e n g l i s c h - f r a n z ö s i s c h e Neu- und andere Kolonialfragen abgeschlossen, fundland-Fischerei-Frage eine e n g l i s c h - • welches die französisch-englische N e u f u n d amerikanische Neufundland-Fischerei- landfrage tatsächlich zum Abschluß geFrage getreten. Diese beiden Fragen h a b e n bracht h a t . Artikel I u n d II dieser K o n v e n t i o n ben a t u r g e m ä ß mancherlei B e r ü h r u n g s p u n k t e und greifen tatsächlich in vieler Hinsicht in- s t i m m t : Article I. La F r a n c e renonce a u x privieinander über. Dennoch können u n d müssen leges fitablis ä son p r o f i t p a r l'Article X I I I sie getrennt zur Darstellung k o m m e n . du T r a i t 6 d ' U t r e c h t , et confirmGs ou modiI. D i e e n g l i s c h - f r a n z ö s i s c h e N e u - figs p a r des dispositions post6rieures. f u n d l a n d f r a g e . Ein a m Tage des Friedens Article II. La France conserve p o u r ses von Versailles (3. IX. 1783) unterzeichneter ressortissants, sur le pied d'6galit6 avec les englisch-französischer Vertrag veränderte ein sujets B r i t a n n i q u e s , le droit de peche dans wenig die Zone der französischen Fischerei- | les e a u x territoriales sur la partie de la cöte de servitut (ursprünglich von Kap Buonavista I Terre-Neuve comprise entre le Cap Saintbis Point Riehe, n u n m e h r von K a p St. J e a n | J a a n et le Cap Raye en p a s s a n t p a r le n o r d ; bis Kap Raye), welche, wie es in der diplo- ce droit s'exercera p e n d a n t la saison h a b i matischen Sprache hieß, aus einer „ E r - tuelle de peche f i n i s s a n t p o u r t o u t le m o n d e l a u b n i s " in ein „privilege" verwandelt wurde. le 20 Octobre de c h a q u e ann6e. Die Verträge von Paris 30. V. 1814, 30. X I . Les Fran9ais p o u r r o n t done y pScher 1815 bestätigten im vollen U m f a n g die Ab- t o u t e espfece de poisson, y compris la bogtte, m a c h u n g von Versailles. Als die bis dahin ainsi que les crustac£s. Iis p o u r r o n t e n t r e r wenig bewohnte Insel sich m e h r u n d m e h r dans t o u t p o r t ou h a v r e de cette cote et s'y bevölkerte, entstanden neue und zahlreiche procurer des a p p r o v i s i o n n e m e n t s ou de la Streitigkeiten zwischen den englischen Be- bogtte et s'y a b r i t e r d a n s les mSmes condiwohnern u n d den französischen Fischerei- tions que les h a b i t a n t s de T e r r e - N e u v e , en Interessenten. Das P a r l a m e n t von N e u f u n d - restant soumis a u x Reglements locaux en land verfocht h a r t n ä c k i g die Interessen der vigueur; ils p o u r r o n t aussi p S c h e r ä l'emN e u f u n d l ä n d e r . Seit 1834 b e k ä m p f t e n die bouchure des riviferes, sans t o u t e f o i s pouvoir Wörterbuch des Völkerrechts.
Bd Π .
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1.14
Neufundland, Fischereifrage
döpasser une ligne droite qui serait t i r i e de Tun ä l'autre des points extrfemes du rivage entre lesquels la rivifere se j e t t e dans la mer. Iis devront s'abstenir de faire usage d'engins de pfeche f i x i s (,,stake-nets and fixed engines") sans la permission des autorit6s locales. Sur la partie de la cöte mentionnde cidessus, les Anglais et les Fran^ais seront soumis sur le pied d ' e g a l i t i a u x Lois et Reglements actuellement en vigueur ou qui seraient ddictis, dans la suite, pour la prohibition, pendant un temps d i t e r m i n i , de la peche de certains poissons ou pour l'amilioration des pecheries. II sera donni connaissance au Gouvernement de la R6publique Fran^aise des Lois et Reglements nouveaux, trois mois a v a n t i'ipoque ou ceux-ci devront etre appliquis. La police de la peche sur la partie de la cöte susmentionnie, ainsi que celle du trafic illicite des liqueurs et de la contrebande des alcools, feront l'objet d'un Reglement i t a b l i d'accord entre les deux Gouvernements. Die Denkschrift Delcassi's vom J a h r e 1904, welche in dem französischen Gelbbuch enthalten ist, bemerkt . . . „um Konfliktsgefahren zu begegnen, welche drohten beunruhigend zu werden, geben wir in Neufundland Privilegien auf, welche schwer zu verteidigen und keineswegs notwendig waren. W i r behalten das Wesentliche, nämlich die Fischerei in den Territorialgewässern, und haben gegen jede Bestreitung ein wertvolles R e c h t sichergestellt, nämlich die Befugnis, in der ganzen Ausdehnung der „ F r e n c h S h o r e " das Ködermaterial (la b o e t t e ) ungehindert zu gewinnen und ohne Einschränkung zu kaufen. II. Die englisch-amerikanische Neufundlandsfrage. Die Ausübung der am 3. I X . 1783 den Amerikanern gewährleisteten Fischereiberechtigungen wurde nicht gestört, bis zu dem am 18. V I . 1812 ausgebrochenen englisch-amerikanischen Kriege, in dessen Verlauf L o r d B a t h u r s t (30. X . 1815) die berühmte Erklärung abgab „ d a ß allen Verträgen durch einen Krieg zwischen den Vertragsparteien ein Ende gemacht werde". Der Friedensschluß (24. X I I . 1814) ließ die Frage ungelöst. Erst am 2 0 . X . 1818 kam ein englisch-amerikanisches Abkommen zustande, dessen A r t . I b e s t i m m t e : daß die Einwohner der Vereinigten S t a a t e n für immerwährende Zeiten das Recht haben sollen, gemeinsam m i t den Untertanen Seiner Majestät des Königs von Großbritannien Fische jeglicher Art an dem Teil der Südküste von Neufundland zu fangen, der sich von Kap R a y bis zu den Rameauinseln erstreckt, an der W e s t - und Nordküste von Neufund-
land von besagtem K a p R a y an bis zu den Quirponinseln, an der Küste der Magdalenen und auch an denKüsten, Häfen, großen und kleinen Buchten von Mount J o l y bis zur Südküste von Labrador, bis zur und durch die Straße von Belle-Isle und von dort aus unbegrenzt nordwärts längs der Küste, j e doch ohne Präjudiz auf irgendeines der ausschließlichen Rechte der Hudson-Bai-Gesellschaft; und daß die amerikanischen Fischer auch das immerwährende Privileg haben sollen, in jeglichem unbesiedelten Hafen, in jeglicher großen und kleinen Bucht des südlichen Teiles der hier oben beschriebenen Küsten von Neufundland und der Küste von Labrador Fische zu trocknen und zu räuchern; aber sobald dieselben oder irgendein Teil von ihnen besiedelt sein wird, sollen besagte Fischer nicht mehr das Recht haben, ohne vorhergehendes diesbezügliches Abkommen mit den Bewohnern, Inhabern oder Besitzern des Landes, Fische an den betreffenden besiedelten Teilen zu trocknen und zu räuchern. Und die Vereinigten S t a a ten verzichten hierdurch für immerwährende Zeiten auf jegliches bisher von ihnen genossene oder von den betreffenden E i n wohnern beanspruchte Privileg, an oder innerhalb von drei Seemeilen von den Küsten, Häfen, großen und kleinen Buchten der amerikanischen Besitzungen Seiner Majestät des Königs von Großbritannien, die nicht in die oben erwähnten Grenzen fallen, Fische zu fangen, zu trocknen und zu räuchern; v o r a u s g e s e t z t jedoch, daß den amerikanischen Fischern gestattet sei, diese Buchten und Häfen aufzusuchen, um Schutz zu suchen und darin etwaige Schäden zu verbessern, Holz anzukaufen und Wasser einzunehmen, jedoch zu keinem anderen Zwecke. Jedoch sollen sie unter den erforderlichen Beschränkungen stehen, die zur Verhinderung des Fischefangens, -trocknens oder -räucherns daselbst oder jeder anderen Art Mißbrauches der ihnen hierdurch erteilten Privilegien sich als nötig erweisen sollten. Dieses Abkommen enthielt unstreitig gewisse Änderungen gegen diejenigen von 1783, welche den Amerikanern nachteilig waren. Seine Fassung gab im übrigen von vornherein zu erheblichen Meinungsverschiedenheiten der Vertragschließenden Anlaß. Die entgegengesetzten Interessen der Neufundländer und der Amerikaner führten zu fortgesetzten Reibereien. E s m u ß hervorgehoben werden, daß wie die Vereinbarungen von 1783 und 1818 sich auf nordatlantische Fischereifragen erstreckten, welche weit über Neufundland hinausreichten so auch die praktischen Fischereistreitigkeiten weit über Neufundland hinausgingen. Die Zahl und
Neufundland, Fischereifrage
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A r t dieser Streitigkeiten vermannigfaltigte sich gemäß den wechselnden Verhältnissen der Fischerei und des Fischmarktes. Im Jahre 1841 ergaben die Verhältnisse des Makrelenfanges neue Schwierigkeiten, welche dazu f ü h r t e n , daß nach einem erbitterten Streit die englische Regierung die F u n d y - B a i den Amerikanern öffnete „nicht von Rechts wegen, sondern vergönnungsweise", woraus sich so gute Verhältnisse ergaben, daß die F u n d y - B a i bei dem Schiedsverfahren 1909 ausdrücklich ausgeschlossen wurde. Andere Fragen (local legislation betreffend) wurden in dem Gegenseitigkeitsvertrag von 1854 und in dem Vertrag von Washington 1871, sowie in dem Fall „ F o r t u n e - B a i " 1878, behandelt.
englischen Gesandten, die die Frage der Rechte Nordamerikas in den nordöstlichen Gewässern aufrollte. Root betrachtete das Abkommen vom Jahre 1818 als Beschränkung des britischen Herrschaftsrechts und hielt dafür, daß, wenn das Recht, Bestimmungen zu erlassen, nicht ausdrücklich vertragsmäßig festgelegt wäre, es nicht ohne Zustimmung der Vereinigten Staaten ausgeübt werden könnte. Dagegen behauptet Sir Edward Grey, daß das Herrschaftsrecht Großbritanniens das Recht, Bestimmungen zu erlassen, in sich schließe, wenn auf dieses Recht nicht ausdrücklich vertragsmäßig Verzicht geleistet worden sei. Root machte (12. VII. 1907) den Vorschlag, den ganzen Streit dem Haager Schiedsgericht Man machte Versuche, die älteren Strei- zu unterbreiten und Sir Edward Grey ging tigkeiten vertragsmäßig zu regeln und ein darauf ein. Abkommen betreffs der Handels- und GeEin allgemeiner Schiedsvertrag, der die werbeprivilegien, die in den achtziger Jahren Schiedsbehandlung des Streitfalls gemäß den aufkamen und von den Amerikanern als gegen Bestimmungen eines Besonderen Abkomdie Ausübung des Fischereiprivilegs gerich- mens einleitet, wurde am 4. IV. 1908 abgetete Ungerechtigkeit betrachtet wurden, schlossen. zustande zu bringen. Der Bayard-ChamberDas besondere, den Einzelfall betreffende lain-Vertrag vom 15. II. 1888 wurde vom Abkommen wurde am 27. I. 1909 geschlossen amerikanischen Senat verworfen, gegen den und stellte 7 Fragen auf. Zu Schiedsrichtern Blaine-Bond-Vertrag vom J a h r e 1890 wurde wurden H . L a m m a s c h (Wien), Jonkheer seitens Kanadas Einspruch erhoben; und de S a v o r n i a L o h m a n n (Haag), G. G r a y das Hay-Bond-Abkommen vom 8. X I . 1902 (Ver. St.), Ch. F i t z p a t r i c k (Canada). L. M. wurde vom Senat der Vereinigten Staaten D r a g o (Buenos Aires) ernannt. Der Genicht ratifiziert. Es gab nur drei Arten von richtshof t r a t 1. VI. 1910 im Haag zusammen Streitigkeiten: 1. die territoriale Ausdehnung und fällte 7. IX. 1910 das Urteil. An dem des Fischereiprivilegs vom J a h r e 1818; 2. Urteil fällt die durch die Verwickeltheit und den Anspruch Großbritanniens und seiner, Vielheit der zu beantwortenden Fragen nur Kolonien, durch seine eigene Gesetzgebung • teilweise zu erklärende Zersplissenheit der ohne Zustimmung der Vereinigten Staaten Darlegung auf. Außerdem zeigt es die Scheu die Ausübung des Privilegs innerhalb b r i - ' durchgreifende und endgültige Entscheitischer Gerichtsbarkeit zu regulieren; 3.! dungen zu treffen. Die Richter haben den Handelsund Gewerbebeschränkungen, größten Teil der Fragen und Schwierigkeiten denen die amerikanischen Fischer eigentlich dilatorisch behandelt, und a n s t a t t die konungerechtfertigterweise unterworfen waren. krete Entscheidung selbst zu treffen teils allDie Ernennung Mr. Roots zum Staats- gemeine Grundsätze aufgestellt, teils sich sekretär 1905 kann als Beginn der letzten darauf beschränkt ein Verfahren zu empPhase des Fischereistreits angesehen werden. fehlen, mittels dessen die Entscheidung gefunden werden könne, insbesondere einen geBevor er seine Amtspflichten als Staats- ( nerellen neuen Schiedsvertrag, f ü r den das Sekretär a u f n a h m , besuchte er die FischereiUrteil eine Reihe von Empfehlungen gibt. gegenden und machte sich mit den Problemen Einen solchen Vertrag haben die Vereinigten •ertraut. Er bediente sich eines ihm im Staaten und England geschlossen und am Oktober 1905 zugekommenen Berichts, d a ß 16. X I . 1912 kundgemacht. Eine besondere der Marine- und Fischereiminister von NeuStellung n i m m t in dem Urteil die Entscheifundland „allen als amerikanische Schiffe dung über Frage 5 ein: Von wo aus müssen protokollierten Fahrzeugen die Fischerei an die „drei Seemeilen von Küsten, Häfen oder der Vertragsküste, an der sie sich gerade beBuchten aus gemessen w e r d e n ? " Der finden und wo sie seit dem J a h r e 1818 unSchiedsrichter D r a g o hat der von den anbehelligt gefischt h ä t t e n " verboten habe und deren Schiedsrichtern gefällten Entscheidafi mehreren amerikanischen Schiffen von dung über diese Frage die Zustimmung verBehörden Neufundlands das Verbot zugesagt und ein ausführliches Separatvotum mit gangen sei, in der Bonne-Bai an der VerGründen erstattet. Die Beurteilung des tragsküste Hering zu fangen, und schrieb Schiedsspruches ist auch sonst geteilt. Seine eine vom 19. X. 1905 datierte Note an den
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N e u f u n d l a n d , Fischereifrage
W i r k u n g l ä ß t sich noch nicht übersehen. Materialien bringt in dieser R i c h t u n g besonders das American J o u r n a l of i n t e r n a tional law. Die umfassenden A k t e n des Schiedsspruches enthalten eine Fülle lehrreichen Materials über Einzelfragen des Völkerrechts (besonders Territorialhoheit, Servitut, Küstenmeer) vor allem a b e r auch über die Entwicklung der völkerrechtlichen P r a x i s und Wissenschaft seit 1713. Literatur : A. Alvarez, T h e Monroe Doctrine a t t h e f o u r t h Pan-American Conference in An. of Amer. Acad, of pol. a n d . soc. sei., Bd. 37, S. 24. — P. Anderson, T h e final outcome of t h e Fisheries Arbitration im A. J . 1913, B d . 7, S. 1—16. — L'ann£e politique ä l'6tranger, 1899, S. 480ff. — A. Aylesworth, T h e N o r t h - A t l a n t i c Fisheries Arb i t r a t i o n in Canadian Law Times, Bd. 31, S. 144. — Th. W. Balch, La dicision de la cour p e r m a n e n t e d ' a r b i t r a g e au s u j e t des pecheries de l'Atlantique dans le d i f f i r e n d entre les E t a t s - U n i s de l ' E m p i r e B r i t a n nique in R D J C . 1911, Bd. 13, S. 5—23 u n d 131—157. — Derselbe, La question des pecheries de l'Atlantique, in R D J C . , Bd. 11, S. 415 u n d S. 516. — L. Basdevant, Affaire des pecheries . . . entre les E t a t s Unis d'Am6rique et la Grande Bretagne d e v a n t la cour de la H a g u e in RG., Bd. 19, S. 5, 421. — V. Bellet, Les Frangais ä Terre-Neuve et sur les cötes de l'Amerique du Nord, 1912. — Bonfils-Grah, Lehrbuch des Völkerrechts f ü r S t u d i u m u n d Praxis, S. 178, 315, 511. — Ε. M. Borchardt, T h e N o r t h Atlantic Coast Fisheries A r b i t r a tion in Columbia Law Review, Bd. 11, S. 1. — Bourgeois, Nos droits ä Terre-Neuve, in Annales des sciences politiques 1899, S. 183. — J . Chambers, T h e Monroe Doct r i n e in t h e balance, in F o r u m , Bd. 46, S. 525. — Clauß, Die Lehre von den Staatsdienstbarkeiten 1894, S. 17—31. — Cruchon, Les affaires de Terre-Neuve, Annales de l'Ecole libre des sciences polit. 1891, S. 497. — Despagnet, Cours de droit international public., 4. Aufl., Paris 1910, Nr. 190, 410, 413, 749» u. 1395. — Documents diplomatiques (französisches Gelbbuch), Accords conclus le 8 avril 1904 entre La France et l'Angleterre au s u j e t du Maroc., de l ' ß g y p t e , de T e r r e N e u v e etc., Paris 1904. — Drago, Un t r i o m p h e de l'arbitraee, in R D J C . , Bd. 13, S.539.—Derselbe, in R G . 1912, Bd. 19, S. 5. — Dupeyrat, La question de Terre-Neuve, Revue du Droit public 1902, S. 22. — Farland, A history of t h e New England fisheries w i t h m a p s , New York 1911, 457 S., in A J., 1911, Bd. 6, S. 865. — P. Fauchille, La question de Terre-Neuve in Revue des Deux-Mondes 15. II. 1899, S. 8 5 6 . — T h e Fisherie question, in Canadian Law J o u r n a l , Bd. 46, S. 593. — Geffken, Questions des pecheries de Terre-Neuve,
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als Grenzlinie zu b e t r a c h t e n sein. Grundsätzlich lassen sich also die Küstengewässer als die nicht zum Staatsgebiet gehörenden Teile der offenen See bezeichnen, die der U f e r s t a a t von der Küste aus innerhalb der drei Seemeilenzone zu beherrschen vermag. Die neutralisierten Meeresteile, die ebenfalls u n t e r den Begriff der neutralen Gewässer fallen, sind entweder dauernd oder vorübergehend neutralisiert. Der A r t nach ist wiederum zwischen negativer und positiver Neutralisierung zu t r e n n e n : Negative liegt Nett-Hebriden s. Hebriden-Neu. vor, wenn b e s t i m m t e Meeresteile den SeeNetlilly, Friede von s. Bulgarenfriede. s t r e i t k r ä f t e n der kriegführenden S t a a t e n Neutrale s. Neutralitätsrechte. k r a f t internationaler Vereinbarung überh a u p t verschlossen s i n d ; positive, wenn zwar der Zugang erlaubt, aber die V o r n a h m e Neutrale Gewässer. feindlicher Handlungen innerhalb des neuGebietes verboten ist. Als Bei der Definition dieses Begriffs ist tralisierten grundsätzlich zwischen neutralen Hoheits- Beispiele dauernder Neutralisierung, und gewässern u n d neutralisierten Meeresteilen zwar negativer, sind die Hoheitsgewässer zu unterscheiden. Beide Kategorien zer- der Inseln Korfu und Paxos g e m ä ß A r t . 2 fallen wiederum in Untergruppen. Gemein- des Londoner Vertrags vom 2. III. 1864 sam ist ihnen das negative Merkmal, d a ß anzusehen, ferner die D o n a u m ü n d u n g e n und sie nicht zum Kriegsschauplatz im völker- der mittlere Lauf der Donau bis zum Eisernen rechtlichen Sinne gehören, mithin in ihrem Tor auf Grund des A r t . 52 des Berliner Ausdehnungsbereich keine feindseligen H a n d - Vertrags vom 13. V I I . 1878, schließlich der Bosporus und die Dardanellen. Die lungen vorgenommen werden dürfen. Neutralisierung dieser zuletzt genannten U n t e r den neutralen Hoheitsgewässern Seestraßen beruht auf dem Londoner Meersind die Eigen- und Küstengewässer neutraler engenvertrag vom 13. V I I . 1841, der durch S t a a t e n zu verstehen. Als Eigengewässer Art. 10 und Anl. I des Pariser Friedensgelten die nationalen Ströme, nationalen vertrages vom 30. I I I . 1856 aufrechterhalten Kanäle sowie die Binnenmeere und -seen. worden ist und dann auf dem Londoner W ä h r e n d der Begriff der Eigengewässer Vertrag vom 13. III. 1871, allerdings m i t feststeht, stehen sich bezüglich der Ab- der Maßgabe, d a ß g e m ä ß Art. 2 der Sultan grenzung des Begriffs der Küstengewässer die Machtvollkommenheit haben sollte, „die im wesentlichen zwei Auffassungen gegen- [ Meerengen in Friedenszeit den Kriegsüber. Nach Bynkershoek „ D e dominio S schiffen der befreundeten und verbündeten m a r i s " zählt dasjenige Seegebiet zu den , Mächte zu öffnen, wenn die A u s f ü h r u n g des Küstengewässern, das vom S t r a n d e aus Pariser Vertrags von 1856 dies e r f o r d e r t " . beherrscht werden k a n n . Die neuere S t a a t e n übung dagegen neigt der Theorie der drei Zu den positiv neutralisierten MeeresSeemeilenzone zu, die als allgemeingültiges teilen gehören die Mündungen des Kongo Maß f ü r die von Bynkershoek geforderte und Niger auf Grund der A r t . 22, 25, 33 der tatsächliche Beherrschung die E n t f e r n u n g Generalakte der Brüsseler Konferenz vom von drei Seemeilen festlegt. Sie ist ζ. B. 26. II. 1885, ferner der Suezkanal nebst in dem französisch-englischen Vertrag vom Eingangshäfen und einem Seegebiet von 2. V I I I . 1839 über die Ausübung der K ü s t e n - drei Seemeilen im Umkreis auf Grund des fischerei, in A r t . 3 des Naval W a r code vom Konstantinopeler Vertrages vom 29. X. 27. V I I . 1900 und A r t . 2 des „ N a v a l Prize 1888. Durch diesen Vertrag verpflichteten l a w " vom 31. X I I . 1887 a n e r k a n n t . Deutsch- sich die Signatarmächte, kein Kriegsrecht, land folgt ihr in § 1 des Reichsgesetzes keinen A k t der Feindseligkeit und keine betreffend die Flaggen der K a u f f a h r t e i - H a n d l u n g e n auszuüben, deren Zweck die schiffe vom 21. V I I I . 1900 (RGBl. S. 807). Beschränkung der freien Schiffahrt im Schwierig ist die Abgrenzung in den Fällen, Kanal wäre. Dauernd neutralisiert ist in denen neutrale Inseln der Küste eines schließlich die Magelhaensstraße durch A r t . 5 kriegführenden S t a a t s vorgelagert sind und des Vertrags von Buenos Aires vom 23. VI. die E n t f e r n u n g weniger als 6 Seemeilen 1881. b e t r ä g t . Hier d ü r f t e entweder die räumliche Geringere Bedeutung k o m m t der vorMittellinie oder die f a h r b a r e Wasserrinne übergehenden Neutralisierung von Meeres-
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Neutrale Gewässer
teilen zu, wie sie durch die Organe der kriegführenden S t a a t e n von Fall zu Fall vereinbart zu werden pflegt. So haben ζ. B. die K o m m a n d a n t e n des französischen Kriegsschiffs „ D u p l e i x " und der preußischen Korv e t t e „ H e r t h a " durch die Oesandtschaften in Y o k o h a m a vereinbaren lassen, d a ß zwecks D u r c h f ü h r u n g der ihnen aufgetragenen zivilisatorischen Aufgaben die Ostasiatischen Gewässer f ü r die Dauer des Deutsch-französischen Krieges 1870/71 als neutral gelten sollten. Die v ö l k e r r e c h t l i c h e S t e l l u n g der neutralen Gewässer. Die wichtigste Rechtsquelle, die die Rechtsstellung der neutralen Gewässer nahezu erschöpfend regelt, bildet das 13. Haager A b k o m m e n vom 18. X. 1907 betr. die Rechte u n d Pflichten der Neutralen im Falle eines Seekrieges. Auf Grund des Haager Abkommens dürfen die Kriegführenden in neutralen Gewässern grundsätzlich keine feindseligen Handlungen vornehmen, d. h. es ist die W e g n a h m e von Schiffen, die Ausübung des Durchgangsrechts, die Bildung von Prisengerichten, die Anlage von Stützp u n k t e n usw. verboten. Die Vornahme solcher Handlungen stellt eine Verletzung der N e u t r a l i t ä t dar (Art. 1, 2, 4, 5). F ü r den Fall verbotener W e g n a h m e von Prisen ist zu unterscheiden: befindet sich die widerrechtliche beschlagnahmte Prise noch im Hoheitsbereich der neutralen Macht, so ist diese verpflichtet, alle zur Verfügung stehenden Mittel zwecks Befreiung der Prise u n d ihrer B e m a n n u n g anzuwenden. Andernfalls kann die neutrale Macht im Wege diplomatischer Intervention die Freigabe der Prise von dem N e h m e s t a a t verlangen (Art. 3). Als Beeinträchtigung der Neutralität soll es nicht anzusehen sein, wenn der neutrale S t a a t den Kriegsschiffen und Prisen der Kriegführenden die D u r c h f a h r t durch seine Küstengewässer gestattet, ja die feindlichen Schiffe können sich sogar bei der D u r c h f a h r t ihrer eigenen bestallten Lotsen bedienen (Art. 10/11). Zu dem letztgenannten Artikel ist allerdings ein deutscher Vorbehalt gemacht worden. Das Asylrecht ist f ü r den Seekrieg durch Art. 12—20 geregelt worden. Im Gegensatz zum Asylrecht des Landkrieges, das stets die E n t w a f f n u n g und Internierung der übergetretenen S t r e i t k r ä f t e vorschreibt, kann im Seekriege der neutrale S t a a t Asyl ohne diese Verpflichtungen gewähren. Die abweichenden Normen erklären sich aus dem Charakter der See als einer internationalen Verkehrsstraße, und der d a d u r c h bedingten Notwendigkeit einer gewissen Gastfreund-
s c h a f t gegenüber den Schiffen aller Nationen. Zur Gewährung des Asylrechts ist der neutrale S t a a t jedoch nicht verpflichtet, vielmehr ist die Ausübung dieses Rechts in sein freies Ermessen gestellt. So kann ein neutraler S t a a t ζ. B. gewisse H ä f e n vom Asylrecht ausnehmen. Bedingung ist nur, daß die Ausübung in gleicher Weise gegenüber allen Kriegführenden erfolgt. Im allgemeinen entsprechen die Normen des H a a g e r Abkommens der ständigen Praxis, die Großbritannien seit 1851, die Vereinigten S t a a t e n und J a p a n von jeher g e ü b t h a b e n . Gemäß Art. 12 erstreckt sich die Dauer des Asyls, sofern nicht die Gesetzgebung des neutralen S t a a t s andere Bestimmungen e n t h ä l t , f ü r die Kriegsschiffe der Kriegführenden auf 24 Stunden. Diese 24 Stundenregel greift auch Platz, wenn sich bei Ausbruch eines Krieges das Schiff einer kriegführenden Macht im Bereich eines neutralen S t a a t s b e f i n d e t : Das Schiff ist dann zum Verlassen des Hafens binnen 24 S t u n d e n a u f z u f o r d e r n (Art. 13). Die gesetzliche Dauer des A u f e n t halts darf nur aus Anlaß von Beschädigungen oder wegen des Zustands der See überschritten werden. Besonderes gilt f ü r die Kriegsschiffe, die ausschließlich religiösen, wissenschaftlichen oder h u m a n i t ä r e n Zwecken dienen (Art. 14). Die Höchstzahl der Asyl genießenden Kriegsschiffe derselben Macht ist grundsätzlich auf drei festgesetzt (Art. 15). Zwecks Vermeidung der Vornahme von kriegerischen H a n d l u n g e n innerhalb neutraler Gewässer ist bei gleichzeitiger Anwesenheit von Kriegsschiffen beider Teile b e s t i m m t , d a ß zwischen ihrem Auslaufen mindestens 24 S t u n d e n liegen müssen (Art. 16). W ä h r e n d der Dauer des Asyls genießen die Kriegsschiffe Exterritorialität, sind jedoch zur Befolgung aller Vorschriften verpflichtet, die der Asylstaat zu dem Zwecke erläßt, um die Benutzung als Flottenbasis oder S t ü t z p u n k t zu verhindern. W ä h r e n d des Asyls darf der Asylstaat den Schiffen die Verproviantierung in beschränktem Umfange gestatten. So dürfen die Kriegsschiffe ζ. B. soviel Lebensmittel einnehmen, um ihren regelmäßigen Friedensbestand zu ergänzen. Auch die Ü b e r n a h m e von Feuerungsmaterial ist erlaubt, wenn sie nicht das Maß dessen übersteigt, was zur Erreichung des nächsten Hafens des H e i m a t s s t a a t s genügt. Sie können sogar die zur vollständigen Füllung ihrer Kohlenbunker erforderlichen Mengen einnehmen, wenn sie sich in neutralen Ländern befinden, die diese A r t der Bemessung des zu liefernden Feuerungsmaterials angenommen haben (Art. 19). U n t e r keinen L'mständen dürfen sie jedoch die neutralen Häfen, Reeden und Küstengewässer d a z u
Neutrale Gewässer — Neutralisation benutzen, um ihre militärischen Vorräte und ihre Armierung zu erneuern oder zu verstärken, sowie ihre Besatzung zu ergänzen (Art. 18). Schäden dürfen die Kriegsschiffe der Kriegführenden in neutralen H ä f e n n u r in den f ü r die Sicherheit ihrer Schiffahrt unerläßlichem Maße ausbessern. Keinesfalls darf die militärische Leistungsf ä h i g k e i t erhöht werden. Zwecks W a h r u n g der N e u t r a l i t ä t h a t der Asyistaat die A r t der vorzunehmenden Verbesserungen festzustellen, die so schnell wie möglich auszuf ü h r e n sind (Art. 17). Diese B e s t i m m u n g entspricht der Zweiten Washingtoner Regel (s. d. Art. über Due Diligence-Klausel). jij Die Verbringung von Prisen in neutrale H ä f e n unterliegt ähnlichen Beschränkungen wie das Anlaufen seitens der Kriegsschiffe von Kriegführenden (Art. 21/23). Sie ist nur wegen Seeuntüchtigkeit, ungünstiger See sowie wegen Mangels an Feuerungsmaterial oder Vorräten g e s t a t t e t . In allen Fällen besteht jedoch bei Wegfall des rechtfertigenden Grundes die Verpflichtung zu sofortigem Auslaufen, eventuell auf Aufforderung der neutralen Macht nach E i n t r i t t der g e n a n n t e n Voraussetzung. Andernfalls ist die neutrale Macht zur Befreiung der Prise verpflichtet. Schließlich kann sie auch solchen Prisen den Z u t r i t t g e s t a t t e n , die bis zur Entscheidung des Prisengerichts in dem neutralen Hafen in Verwahrung gehalten werden sollen. K o m m t ein Kriegsschiff der Aufforderung des Asylstaats zum Verlassen des H a f e n s nicht nach, so h a t es gemäß Art. 24 die Abr ü s t u n g verwirkt. Offiziere und Mannschaften sind f ü r die Dauer des Krieges zu internieren. Auch h a t der Befehlshaber des Schiffes die E n t w a f f n u n g s m a ß n a h m e n zu erleichtern (s. die Fälle „Ascold-Grossowoi, Diana u n d Lena im russisch-japanischen Kriege 1904). Im Interesse strikter D u r c h f ü h r u n g der N e u t r a l i t ä t ist der neutrale S t a a t zur Ausübung der erforderlichen Aufsicht über die u n t e r Asylrecht stehenden Schiffe verpflichtet (Art. 25). Die Ausübung der Rechte, die sich aus dem A b k o m m e n ergeben, darf von den Kriegführenden niemals als unfreundliche H a n d l u n g b e t r a c h t e t werden (Art. 26). Literatur: Bustamante, La segunda conferencia de la paz. 1908, I, S. 383ff. — Einecke, Rechte u n d Pflichten der Neutralen im Seekrieg. 1912. — Jäkel, Die R;chtsstellung der Kriegsschiffe Kriegführender in neutralen G:wässern. Greifsw. Diss. 1910. — Krauel, N e u t r a l i t ä t , Niutralisation u n d Befriedigung im Völkerrecht, 1915. —
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de Lapradelle, Revue gÄn6rale de d r o i t international publique. X I , S. 531. — Oppenheim, International law. 1906, II, S. 368ff. — Pepy, L'asyle m a r i t i m e en temps de guerre 1912. — Pepy, Revue g6nirale. X X , 5 7 4 f f . — Schramm, Prisenrecht. 1913, S. 8 2 f f . — Verhandlungen des Institut de droit international. 1910. annuaire X X I I I . Eisenträger.
Neutrale Z o n e s. Neutralisierung.
Neutralisation ist die unter S t a a t e n vereinbarte A u ß e r k a m p f s e t z u n g oder Friedlichhaltung eines S t a a t e s oder Gebietsteiles eines solchen (Vereinbarung p e r m a n e n t e r , sog. ewiger N e u t r a l i t ä t ) ; weiter reicht, wie W. K r a u e l 1915, feststellt, der zweckähnliche Begriff B e f r i e d u n g im völkerrechtlichen Sinne, dieser u m f a ß t die sich unterscheidenden Begriffe: Begrenzung des Kriegsschauplatzes, Neutral i t ä t und Neutralisation, worüber Krauel ausführlich a. a. Ort sich ausspricht, insbes. S. 8 8 f f . ; m a n unterscheidet von der t o t a l e n Neutralisation eines an einem Kriege n i c h t beteiligten Staates eine p a r t i e l l e Neutralis a t i o n , wenn die Befriedung sich auf einzelne bestimmte Gebietsteile eines Landes, etwa wie historisch auf Savoyen b e s c h r ä n k t , m a n unterscheidet ferner p o s i t i v e und n e g a t i v e Neutralisation, letztere ist die Ausschließung und F e r n h a l t u n g von allen T r u p p e n , Kriegs- und anderen Staatsschiffen und Aktionen kriegführender S t a a t e n von den so privilegierten Gebieten, wie wenn diese Teile eines neutralen S t a a t e s w ä r e n , während die sog. p o s i t i v e N e u t r a l i s a t i o n die Offenhaltung gewisser privilegierter Gebietsteile (also ζ. B. die Beniitzbarkeit von Wasserstraßen f ü r die T r a n s p o r t e aller S t a a t e n , auch der k r i e g f ü h r e n d e n ) u n t e r Ausschließung aller kriegerischen Untern e h m u n g e n auf dem so durch V e r t r a g festgesetzten sog. internationalen Gebiete i s t ; m a n unterscheidet auch eine dauernde (perm a n e n t e oder perpetuelle) und eine vorübergehende, eine freiwillige und eine erzwungene Neutralisation, eine Neutralisation mit G a r a n tie u n d eine Neutralisation ohne G a r a n t i e ü b e r n a h m e ; erstere liegt vor, wenn sich S t a a t e n verpflichtet haben, die I n t e g r i t ä t des n e u tralisierten S t a a t e s zu schützen u n d ihn nötigenfalls militärisch zu v e r t e i d i g e n ; eine derartige Verpflichtung k a n n von dem einen solchen S c h u t z zusichernden S t a a t e in einem sog. G a r a n t i e v e r t r a g e ü b e r n o m m e n
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Neutralisation
sein, d. i. eine völkerrechtliche Vereinbarung, d u r c h welche ein S t a a t die ebensolche Verbindlichkeit rechtsförmlich ü b e r n i m m t , einem oder m e h r e r e n a n d e r e n f ü r die E r f ü l l u n g der völkerrechtlichen Verpflichtungen eines anderen S t a a t e s , oder d a f ü r einzustehen, d a ß dieser von Seiten eines anderen S t a a t e s in seinen völkerrechtlichen Rechten nicht b e e i n t r ä c h t i g t w e r d e ; die Ü b e r n a h m e einer solchen G a r a n t i e k a n n eine einseitige oder eine gegenseitige sein und verpflichtet den garantierenden S t a a t , m i t aller K r a f t , nötigenfalls auch m i t seiner Armee f ü r sein Versprechen e i n z u t r e t e n ; garantieren mehrere S t a a t e n g e m e i n s a m , so ist im Zweifel jeder derselben allein schon zum Einschreiten berechtigt, v e r p f l i c h t e t sie aber n u r zur gemeinsamen Intervention (Kollektivgarantie). Der d a u e r n d e Z u s t a n d der Neutralisation eines S t a a t e s , der seitens dieses S t a a t e s selbst n i c h t von sich aus g e ä n d e r t werden kann, erzeugt völkerrechtlich bestimmte Wirk u n g e n , die im allgemeinen dahin zus a m m e n g e f a ß t werden können, d a ß als Pflicht des neutralisierten S t a a t e s erklärt wird sich in allen Fragen von völkerrechtlicher B e d e u t u n g rein passiv zu verhalten, also so, d a ß seinerseits jede a k t i v e Teiln a h m e u n t e r b l e i b t , die eine Veränderung d e r in der i n t e r n a t i o n a l e n Politik m i t w i r k e n d e n K r ä f t e veranlassen könnte, wogegen ihm seine staatliche Existenz und U n a b h ä n g i g k e i t — in d e r Regel ausdrücklich — sichergestellt w i r d . T r o t z der somit sehr erheblichen B e s c h r ä n k u n g d e r eigenen Politik eines neutralisierten S t a a t e s verliert dieser durch die freiwillig ü b e r n o m m e n e Neutralisation doch n i c h t die N a t u r eines selbs t ä n d i g e n S t a a t e s : er b e h ä l t seine Grundrechte und seinen R a n g und w a h r t d u r c h die N e u t r a l i s a t i o n eine v e r m e h r t e Bestandssicherung zwischen den größeren S t a a t e n , zwischen denen Z u s a m m e n s t ö ß e durch ihre Zwischenexistenz hintangehalten werden, weshalb sie auch „ P u f f e r s t a a t e n " (,,6tats t a m p o n s " nach Thiers A u s d r u c k ) g e n a n n t werden k ö n n e n ; abgesehen hiervon h a t die Neutralisation folgende n e g a t i v e Wirk u n g e n : ein neutralisierter S t a a t darf sich v o r allem keinen Angriff gegen einen anderen S t a a t erlauben, noch an einem Offensivkrieg gegen einen solchen zugunsten eines d r i t t e n beteiligen, d a h e r darf er auch keinen A k t des Völkerrechts v o r n e h m e n , welcher eine Kriegsbeteiligung zur Folge haben k ö n n t e , also an keiner G a r a n t i e ü b e r n a h m e , Sicherheitsleistung u . dgl., an keiner Offensivoder Defensivallianz, auch wenn ein solches B ü n d n i s z u n ä c h s t friedlich wäre oder den Frieden b e z w e c k t e . An Aufgaben der Völkerrechtsgemeinschaft m i t rein fried-
lichen Zielen und Mitteln darf, j a soll sich auch ein neutralisierter S t a a t tätig beteiligen, bedenklich aber ist f ü r ihn ein E r w e r b von neuem Staatsgebiet oder von Kolonien oder Schutzgebieten: ist ein solcher Erwerb nicht ohne kriegerische Aktion möglich, so ist ihm ein solcher zunächst gewiß u n e r l a u b t und auf keinen Fall erstreckt sich eine S t a a t e n g a r a n t i e ohne weiteres auf solche Gebietserwerbungen des neutralisierten Staates, aber die Praxis scheint hierin nicht ganz sicher zu sein. Auch der E i n t r i t t des neutralisierten Staates in einen Zollverein ist bedenklich, auch er kann zu bellikosen Verwicklungen f ü h r e n . Andererseits ist aber die Mitgliedschaft bei internationalen Verwaltungsvereinen u n d Unionen durchweg unbedenklich und ganz passend f ü r neutralisierte Staatswesen, die auch tatsächlich häufig und verdienstvoll hiervon Gebrauch m a c h e n , ebenso wie auch Handels- u n d Schiffahrtsverträge, Jurisdiktions-, Auslieferungsverträge u. dgl. von ihnen geschlossen w e r d e n ; so ist auch das internationale Postwesen und der Eisenbahnverkehr m i t B u r e a u x zentral organisiert, die in der Schweiz, also einem neutralisierten Bundesstaate (s. unten), ihren Sitz h a b e n . Die p o s i t i v e W i r k u n g der Neutralisation eines Staates zeigt sich in dessen Verpflicht u n g , das O b j e k t der staatlichen Verwendung oder Beeinflussung, ζ. B. die zur allgemeinen oder besonderen Benutzung offen zu h a l t e n d e Wasserstraße in geeignetem Zustande zu erhalten, oder eine b e s t i m m t e Festung zu schleifen, oder a u c h eine oder mehrere Festungen oder H ä f e n anzulegen, also Leistungen vorzunehmen, zu denen er auch berechtigt sein m u ß ; auch d a f ü r kann eine Garantie völkerrechtlich übernommen werden, die übrigens auch ohne Neutralisation möglich ist. Im einzelnen sind selbstverständlich Verschiedenheiten mannigfaltiger Art möglich, w a s die Folge der vertragsmäßigen Festsetzung einer Neutralisation ist. Aber eben aus dieser Vertragsnatur einer Neutralisation folgt andererseits, d a ß kein verpflichtender Punkt des Neutralisierungsvertrags einseitig aufgegeben oder abgeändert werden k a n n , weder von dem neutralisierten S t a a t e selbst noch von einem anderen, insbesondere nicht von einem der Garanties t a a t e n ; während also ein S t a a t , der f r e i willig die Neutralisation übernahm, dieselbe ohne weiteres aufgeben kann, ist das A u f geben der vertragsmäßigen Neutralisation n u r m i t Z u s t i m m u n g aller K o n t r a h e n t e n zulässig. Abgesehen von einer wenig bedeutenden und ganz vorübergehenden Neutralisation
Neutralisation der damals dem Johanniterorden zustehenden Insel M a l t a , über die i. J . 1802 England m i t Frankreich und dessen Alliierten verhandelte, und ferner abgesehen von dem unter den Namen einer Neutralisation gebrachten Vorhaben aus dem J a h r e 1803, die damals unmittelbaren Reichsstädte A u g s burg, Hamburg, Bremen, Frankfurt a . M., N ü r n b e r g und L ü b e c k in eine neutralitätähnliche Stellung zu bringen, und der von der S c h w e i z schon vom W e s t fälischen Frieden (1648) an fast immer t a t sächlich eingenommenen und ihr meist zugestandenen Zwischenstellung eines neutralen Staates findet sich diese Neutralisation im modernen Sinne erst vom J a h r e 1815 an. Im Wiener Vertrag vom 9. V I . dieses J a h r e s vereinbarten Österreich, Preußen und R u ß land die Neutralität und deren Garantie zugunsten des alten Herzogtums K r a k a u , eine vorübergehende Phase. Wirkliche Neutralisationen sind bezüglich der s c h w e i z e r i s c h e n E i d g e n o s s e n s c h a f t , des Königreichs B e l g i e n und des Großherzogtums L u x e m b u r g im J a h r e 1815 vereinbart worden. Die Neutralisation der S c h w e i z ist angenommen und garantiert von Österreich, Preußen, Rußland, Frankreich, England, Spanien, Portugal und Schweden in einer Wiener Erklärung vom 20. I I I . 1815, die von der Schweizer Tagsatzung angenommen wurde am 27. V. desselben J a h r e s . In der ersteren heißt e s : „ L e s (8) puissances appelies ä intervenir dans l'arrangement des affaires de la suisse, pour l ' c x i c u t i o n de l'article 6 du traitd de Paris du 3 0 Mai 1814 (8. Febr. 1815), ayant reconnu que l'int£r£t gßniral rdclame en faveur du Corps helvfitique l'avantage d'une neutrality perpötuelle; et voulant, par des restitutions territoriales et des cessions, lui fournir les moyens d'assurer son indipendance et maintenir sa neutrality: Aprfes avoir recueilli toutes les informations sur les intirßts des diffgrents cantons et pris en considdration les demandes qui leur ont έ ί έ adressies par la ligation helvitique, j declarent, que, dfes que la difete helvitique aura ΰοηηέ son accession en bonne et due j forme aux stipulations renfermges, dans la prfisente „ t r a n s a c t i o n " , il sera fait un acte portant la reconnaissance et la garantie, de la part de toutes les puissances de la neutrality perpetuelle de la Suisse dans ses nouvelles frontiferes, lequel acte fera partie de celui qui, en exicution de l'article 3 2 du susdit t r a i t s de Paris du 3 0 Mai, doit, completer les dispositions de ce t r a i t y . "
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Transaction . . . ( = im wesentlichen Art. 7 4 — 8 3 der Wiener Kongreßakte, Fleischmann, S. 13). Die Beitrittserklärung, d. h. Annahmedeklaration der Schweiz. Eidgenossenschaft vom 27. V. 1875 l a u t e t : „ L a difete accfede, au nom de la conffedyration suisse, ä la ddclaration des puissances r£unies au Congrfes de Vienne en date du 2 0 Mars 1825, et promet que les stipulations de la transaction ins6rie dans cet acte seront fidfelement et religieusement observöes. 2. La difete exprime la gratitude yternelle de la nation suisse envers les hautes puissances, qui, par la declaration susdite, lui rendent avec une dfemarcation plus favorable, d'anciennes frontiferes i m portantes, r£unissent trois nouveaux cantons ä une alliance et promettent solennellement de reconnaltre et garantir la neutrality perpytuelle que I'intferet gynyral de l'Europe rfeclame en faveur du corps helvitique. Elle timoigne les memes sentiments de reconnaissance pour la bienveillance soutenue avec laquelle les augustes souverains se sont occupfes de la conciliation des diffyrends qui s'ytaient έίενέβ entre les c a n t o n s . " Acte der Anerkennung der Neutralisation am 20. X I . 1815 in Paris. „ L e s puissances signataires de la declaration de Vienne du 20 mars font, par le prfesent acte, une reconnaissance formelle et authentique de la neutrality perpetuelle de la Suisse, et Elles lui garantissent l'intßgritß et l'inviolability de son territoire dans ses nouvelles limites: Les puissances signataires reconnaissent authentiquement, par le prisent acte, que la neutralitß et ['inviolability de la Suisse et son indfependance de toute influence ytrangfere sont dans les vrais intyrets de la politique de l'Europe entifere." Botschaft des S c h w e i z e r B u n d e s r a t s vom J a h r e 1859: „ D i e Anerkennung der schweizer Neutralität durch die europäischen Mächte hat . . . nicht die Bedeutung, daß sie uns ein im Wesen nicht dagewesenes Recht brächte, sondern nur die, daß sie die Mächte verpflichtet, die schweizer Neutralität zu respektieren, und jede derselben berechtigen würde, die Verletzung derselben durch eine der übrigen anerkennenden Mächte zum Kriegsfall zu m a c h e n . " P r e u ß i s c h e Note an die Schweiz 1870: „ D i e Neutralität der S c h w e i z steht vertragsmäßig fest. W i r haben zur Wahrung derselben durch die eidgenössischen Streitkräfte volles Vertrauen, und es bürgen unsere Vertragstreue und Deutschlands freundnachbarliches Verhältnis zur Schweiz für die Achtung dieser Neutralität durch Deutschl a n d . " Rivier, S. 111. 2. Die Neutralität des Königreichs Belgien
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Neutralisation
wurde erst in Verträgen vom 15. X I . 1831 und vom 19. IV. 1839 durch die Großmächte Österreich, Preußen, Frankreich, England und Rußland vereinbart und mit Bslgien konstituiert, in der Absicht, die im vorausgehenden J a h r h u n d e r t vermittels verschiedener sog. „ t r a i t s de la barriere" erstrebte, durch das Königreich der Niederlande verwirklichte Barriere gegen Frankreich zu ersetzen. Schon vorher, im J a h r e 1830, hatte sich Belgien, das durch den Wiener Kongreß m i t Holland vereinigt worden war, in der Revolution von 1830 befreit und war durch Verträge, die es mit Österreich, Preußen, Frankreich, England und Rußland im Jahre 1831 geschlossen, f ü r neutral erklärt worden. Daran Schloß sich auch der zwischen Belgien und den Niederlanden am 19. IV. 1839 geschlossene Vertrag, dessen Eingangsworte lauten: S. M. le roi de Beiges, et S. M. le roi des Pays-Bas grand due le Luxembourg prenant en consideration leurs traites, conclus avec les cours d'Autriche, de France, de la Grande Bretagne, de Prusse et de Russie, savoir: par S. M. le roi des Beiges la 15. Novembre 1831, et par S. M. le roi des Pays-Bas, grand due de Luxembourg, en ce jour, leurs dites Majestgs ont nomm6 pour les plinipotentiaires etc. . . . und dessen Art. 7 besagt: ,,La Belgique, dans les limites indiquis a u x articles 1, 2 et 4, formera un etat independant et perpdtuellement neutral. Elle sera tenue d'observer cette meme neutralitö vers tous les autres 6tats". Fleischmann S. 36, 37. Aber der Versailler Friedensvertrag vom 28. VI. 1919, welcher die Verträge vom 19. IV. 1839 als durch die Verhältnisse überholt und aufgehoben und Deutschland als dieser Vertragsaufhebung zustimmend ann i m m t , hat hieran Wesentliches geändert, auch das sog. Neutral-Moresnet-G;biet B2Igien zuerkannt. Art. 32 u. 33 des genannten Vertrags von 1919. 3. Das Großherzogtum Luxemburg, dessen frühere verschiedenartige Schicksale hier außer Betracht bleiben müssen (s. Ullmann S. 116), ist am 11. V. 1867 auf der Londoner Konferenz von Preußen, Österreich, Frankreich, England, Italien und Rußland, vereinbart mit dem Königreich der Niederlande u n d mit Luxemburg selbst abgeschlossen, neutralisiert und unter die Kollektivgarantie der Signatärmächte gestellt; der 2. Artikel des Protokolls von London lautet nämlich: „Le Grand-Duche de Luxembourg, dans les limites d e t e r m i n e s par l'acte a n n e x i a u x Trait6 du 19 avril 1839 sour la garantie des Cours d'Autriche, de France, de la Grande-Bretagne, de Prusse et de Russie,
formera ddsormais un Etat perpetuellement neutre. II sera tenu d'observer cette tnfime neutralitß envers tous les autres Etats. Les Hautes Parties Contractantes s'engagent ä respecter le principe de neutralit6 stipulö par le present article. Ce principe est et demeure plac6 sous la sanction de la garantie collective des Puissances signataires du prdsent t r a i t i ä ('exception de la Bslgique, qui est eile tnfime un Etat neutre." Aber im Versailler Vertrag vom 28. VI. 1919, Artikel 40 Abs. 2 s t i m m t Deutschland der Aufhebung der Neutralisierung des Großherzogtums Luxemburg zu, wie es auch anerkennt, daß dieses Land mit dem 1. I. 1919 nicht mehr dem deutschen Zollverein angehöre. Es können, wie bereits angedeutet, auch T e i l e von Staaten neutralisiert sein; als solche sind geschichtlich in Betracht zu ziehen: 1. Die j o n i s c h e n I n s e l n , die jetzt zu Griechenland gehören, wurden schon zuvor — 14. X I . 1863 — durch Vertrag der Großmächte neutralisiert, diese Neutralisierung bekräftigten E n g l a n d , Frankreich, Rußland und Griechenland im Vertrag vom 29. III. 1864. 2. Die nordsavoyischen Provinzen C h a b l a i s und F a u c i g n y , deren Neutralisation schon im Wiener Kongreß 1815 beschlossen worden war, sind so geblieben, nachdem Savoyen an Frankreich zediert war, durch Vertrag von Turin vom 24. I I I . I860, Art. 2. J ; n e die neutralisierte Zone Savoyens betreffenden Verträge von 1815 gelten jedoch nach Art. 435 Abs. 1 des Versailler Vertrags von 1919 als durch die Verhältnisse überholt und a b g e s c h a f f t ; an Stelle der Verträge von 1815 sollen neue Bjstimmungen treten, welche die Verhältnisse der hochsavoyischen Freizonen und des Gebiets von G j x neu regeln sollen, s. Abs. 2 des Art. 435 und die Anlage hierzu I und II. 3. Einen durchaus anderen Charakter als den der Neutralisation, die bisher erörtert wurde, zeigt die Neutralisation des K o n g o b e c k e n s in den Art. 10, 11 und 12 der Generalakte der Berliner Konferenz vom J a h r e 1885; während nämlich sonst und im allgemeinen die Absicht, politische Machtverschiedenheiten a b z u g l e i c h e n , zu N e u tralisationen f ü h r t , ist hier die Tendenz maßgebend, „dem Handel und der Industrie eine neue Bürgschaft der Sicherheit zu geben und durch die Aufrechterhaltung des Friedens die Entwicklung der Zivilisation zu f ö r d e r n " ; eigentümlich ist auch, daß in dieser General-
Neutralisation a k t e , welche von 15 S t a a t e n , d a r u n t e r alle europäischen, unterzeichnet ist, die Neutralit ä t nicht von den S t a a t e n erklärt ist, sondern nach ihr h a t jeder S t a a t das Recht, sein dortiges Gebiet f ü r neutral zu erklären ( f a k u l t a t i v e N e u t r a l i t ä t ) und die anderen Mächte sind alsdann verpflichtet, diese N e u t r a l i t ä t zu beachten und den durch die N e u t r a l i t ä t bedingten Pflichten nachzuk o m m e n ; ähnlich auch f ü r den N i g e r , s. die Generalakte der Berliner Konferenz von 1885, A r t . 26ff. Auch die Dauer der N e u t r a l i t ä t bestimmt jede einzelne Macht f ü r ihr Gebiet. 4. Neutralisiert sind ferner nicht selten Seen, Flüsse und Kanäle. So ist der ganze G e n f e r S e e und schweizerische Teil des B o d e n s e e s der W o h l t a t der Neutralisation teilhaftig, was wohl als eine Folge der eidgenössischen Neutralisation anzusehen ist. Nach dem Berliner Vertrag von 1878, Art. 29 sind die m o n t e n e g r i n i s c h e n G e w ä s s e r neutralisiert. Auch die Schiffahrtsanstalten der D o n a u m ü n d u n g e n sind im Interesse der unges t ö r t e n Schiffahrt und des Handels neutralisiert, und zwar schon durch Vertrag vom 2. X I . 1835, der zwischen den 6 Großmächten u n d der Türkei geschlossen und bestätigt w u r d e durch einen Vertrag von London vom 13. III. 1871 u n d den Berliner Vertrag vom 13. V I I . 1878. (Durch den Londoner Vertrag v o m 13. III. 1871 w u r d e die Neut r a l i t ä t des Schwarzen Meeres aufgehoben, die auf Grund des Pariser Friedens v o m 30. III. 1856 bestanden h a t t e . ) Die Offenhaltung der bedeutenderen Wasserstraßen f ü r die Transporte aller S t a a t e n , auch der etwa kriegführenden u n t e r Ausschließung aller kriegerischen Operationen (sog. positive N e u t r a l i t ä t ) ist durch besondere Verträge geregelt; so f ü r den S u e z k a n a l durch Vertrag vom 29. X. 1888, vgl. hierüber ausführlich Caratheodory in Holtzendorffs H a n d b . Bd. II, S. 279—406; über den ebenfalls neutralisierten P a n a m a k a n a l s. in v. Liszt S. 328; so ist auch durch internationale Verträge der von Marokko erb a u t e L e u c h t t u r m am K a p S p a r t e l neutralisiert, s. die Verträge vom 31. V. 1865 m i t den Erklärungen vom 4. III. 1878 u n d 31. V. 1899; v. Liszt S. 221, 347; in bezug auf die D o n a u s. A r t . 15—18 des Pariser Friedens vom 30. III. 1856, die uferstaatliche Schiffahrtsakte vom 7. X I . 1857, die internationale Vereinbarung vom 2. X I . 1865 u n d die Londoner Verträge vom 13. I I I . 1871 u n d vom 10. III. 1883. Aber allgemeines konventionelles Völkerrecht ist die N e u t r a lität der Binnenschiffahrt, so wünschenswert
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sie auch ist, f ü r den Kriegsfall in E u r o p a zurzeit doch noch n i c h t ; a u s g e d e h n t ist in dieser Beziehung das Vertragsrecht bereits in Amerika, so f ü r den Mississippi, den Lorenzostrom, den Rio de la Plata, A m a z o n e n strom, Rio G r a n d e ; durch Vertrag zwischen Argentinien und Chile vom 23. V I I . 1881 ist die M a g a l h a e n s t r a ß e neutralisiert. 5. Verhandlungen wegen einer freiwilligen Neutralisierung der skandinavischen L ä n d e r s. Ullmann S. 118 bei und in A n m . 1. Ein großartiges Beispiel v o n D u r c h f ü h r u n g einer Nsutralisation lieferte im J a h r e 1871 die Schweiz, als die französische Armee, die der General Bourbaki befehligte, in die Grenzen der Eidgenossenschaft ged r ä n g t und*dort v o n den schweizer T r u p p e n e n t w a f f n e t wurde, w ä h r e n d Belgien im Krieg 1914—18 seine N e u t r a l i t ä t nicht a u f r e c h t hielt. A b e r n u n m e h r gelten g e m ä ß des Versailler Vertrags vom 28. VI. 1919, n a c h d e m Art. 327 die völkerrechtliche Freiheit d e r Binnenschiffahrt in gleicher Weise wie den Deutschen auch den Staatsangehörigen der alliierten und assoziierten Mächte z u e r k e n n t u n d Art. 328 die Freizonen in den H ä f e n aufrecht erhält, in den A r t . 331—362 Bestimmungen über Elbe, Oder, Memel, Rhein und Mosel; dort sind f ü r international erklärt die Elbe (Labe) von der M ü n d u n g des V i t a v a (Moldau) u n d die Vitava (Moldau) von P r a g a b ; die O i e r ( O i r a ) v o n der M ü n d u n g der Oppa a b ; die Memel ( R u ß s t r o m , Memel, N j e m e n ) von Grodno a b ; f ü r diese drei Ströme gelten S o n d e r b e s t i m m u n g e n n a c h den Art. 340—345; ferner die D o n a u von Ulm ab, f ü r diese siehe die A r t . 346—353 des Versailler Vertrages. Für die Rheinschiffahrt gilt das M a n n heimer A b k o m m e n vom 17. X. 1868 m i t einzelnen Sonderbestimmungen, A r t . 354 bis 362 des Friedensvertrags v o m 28. VI. 1919 u n d f ü r den den Kriegs- u n d H a n d e l s schiffen aller mit Deutschland in Frieden lebenden Nationen frei u n d offen s t e h e n d e n K i e l e r K a n a l die diesem Prinzip a u s f ü h r lich A u s d r u c k gebenden Art. 380—386. Literatur: Fr. v. Liszt, Das Völkerrecht § 6 IV. — Alph. Rlvier, Lehrbuch zu V R . § 11. — Karl Gareis, Institutionen des V R . , § 15, II. — E. v. Ulimann, V R . 1908, §§ 27, 191. — Wolfgang, Krauel, N e u t r a l i t ä t , Neutralisation u n d B i f r i e d u n g im Völkerrecht (Greifswalder Doktordissertation), 1915. — Franz Despagnet, Cours de droit i n t e r n . 1894, p. 129. — Ernest Nys, Le droit i n t e r n . 1905, p. 379ff. — Renault, Des effets de la neutralite perpetuelle. — Piccioni, Essai sur la neutralite perpetuelle, 1902. — Travess Twlss, T h e i n t e r n a t i o n a l
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Neutralisation — Neutralität, bewaffnete, wohlwollende
Conventions for the neutralisation of territory 1887. — Chapters Westlake, Notes sur la neutralitG p e r m a n . Revue de dr. intern, et de la legislation compar6s X X X I I I , 389ff. Gareis.
Neutralisierung s. Neutralisation.
Neutralität bewaffnete, wohlwollende.
den Seehäfen und Kolonien der kriegführenden Staaten, ein Verkehr, der auch fremde Güter mit Ausnahme der Kriegskonterbande u m f a ß t e ; der Umfang d e r letzteren richtete sich nach besonderen Spezialverträgen, die freilich untereinander abwichen; außer diesen Festsetzungen wurde noch zur Rechtmäßigkeit einer Prise die Effektivität der Blockade gefordert. Aber einen dauernden, bleibenden Wert h a t t e n diese Sätze der „bewaffneten N e u t r a l i t ä t " , die übrigens o h n e , ja g e g e n England vereinbart waren, keineswegs. Auch die Sätze der sog. zweiten „ b e waffneten N e u t r a l i t ä t " nicht (1880 und folgende Jahre, während welcher Napoleon I. das Kontinentalsystem gegen England proklamierte und letzteres „sein eigenes Seerecht" eigenmächtig kultivierte, bis 1814). Auch die sog. „ w o h l w o l l e n d e Neutralit ä t " (neutralitß bienveillante) ist vom Standp u n k t e des konsequenten modernen Begriffs der Neutralität aus unhaltbar, denn da diese die parteilose Inaktivität ist, so darf auch kein Staat einem kriegführenden eine tatige Hilfe aus Sympathie leisten, wenngleich eine sympathische Teilnahme o h n e T a t , also bloß in Gesinnung, höchstens in Worten, zweifellos jedem neutralen Staate gestattet ist, s. aber Art. 2 Abs. 1 des deutsch-österreichungarischen Bündnisvertrags vom 7. X. 1879, Fleischmann S. 164. Was endlich die Unterscheidung von v o l l k o m m e n e r und unvollkommener Neutralität anlangt, so ist selbstverständlich von demselben modernen S t a n d p u n k t e aus, auch diese zu verwerfen, da die sog. unvollkommene Neutralität in der T a t keine Neutralität ist, wenigstens keine Neutralität im heutigen Sinne, keine völlige Inaktivität eines Staates; aber in früherer Zeit, vor dem 19. J a h r h u n d e r t , kam es nicht selten vor, daß ein Staat als neutral angesehen und wohl auch so von Neutralen behandelt wurde, obgleich er einem der Kriegführenden tatkräftige Hilfe, sei es mit Truppen, sei es mit Geld oder anderswie leistete, also heutiger Ansicht nach die Neutralität direkt oder indirekt verletzte. Die Neutralität in ihrer heutigen Bedeutung ist eben das Resultat einer langen, langsamen, m i t u n t e r auch rückläufigen Entwicklung, in welcher auch m i t u n t e r die Zwangslage der Staaten oder deren wechselnde Parteinahme eine einflußreiche Rolle spielten.
Wenn die N e u t r a l i t ä t zunächst in der dauernden Inaktivität eines Staates gegenüber dem Interessenstreit kriegführender Parteien besteht, in der Felge aber als modern entwickelter Rechtsbegriff des Völkerrechts die Summe der sich f ü r die nicht den Krieg f ü h r e n d e n Staaten aus der Tatsache jenes Krieges zweier oder mehrerer anderer Staaten ergebenden Rechtsbezichungen, n ä m lich eigenartiger Rechte und Pflichten (vgl. hier die Art. „ N e u t r a l i s a t i o n " S. 119, „Neutralität", „Neutralitätsrechte und -pflichten im Landkrieg", S. 125, „Neutralitätswidrige Dienste"), so ist für einen Begriff „bewaffnete N e u t r a l i t ä t " als eine besondere A r t von N e u t r a l i t ä t ebensowenig Raum wie f ü r eine Art „wohlwollende N e u t r a l i t ä t " oder f ü r die Unterscheidung von vollkommener oder unvollkommener Neutralität. Denn was die b e w a f f n e t e N e u t r a l i t ä t anlangt, so m u ß jeder neutrale S t a a t seine N e u t r a l i t ä t wahren, daher also auch seine Armee stets bereit halten, um sie im Notfalle gegen Angriffe auf seine Neutralität einsetzen zu können (s. wie ζ. B. die. Schweiz im J a h r e 1871, S. 123). Aber der Ausdruck „ b e w a f f n e t e N e u t r a l i t ä t " h a t noch einen anderen Sinn: m a n bezeichnet damit nämlich auch zwei konkrete geschichtliche Vorgänge; als während des nordamerikanischen Freiheitskrieges (1775—1783) die kriegführenden Parteien den neutralen S t a a t e n Unerträgliches zum u t e t e n , d a veranlaßte zuerst die russische Kaiserin K a t h a r i n a II. ein Zusammengehen der neutralen Mächte gegenüber den Zuvielforderungen der Belligerenten (Konvention zwischen Rußland und D ä n e m a r k vom 9. VII. 1780, dann zwischen eben diesem Kaiserstaat und Schweden vom 1. V I I I . 1780) und es entstand zuerst ein Dreibund, dann eine weitere Vereinigung seefahrender Mächte, die, in den J a h r e n 1781—1783, mit jenem Dreibund ein Defensivbündnis schlossen zum Schutze ihres neutralen Handels- und Literatur: Insbesondere des Schiffahrtsverkehrs, f ü r Über die geschichtliche Entwicklung der welches die Bezeichnung (erste) bewaffnete Neutralität s. Geffcken in v. Holtzendorffs N e u t r a l i t ä t üblich w u r d e ; unter ihrem Schutz H a n d b u c h des Völkerrechts, Bd. IV, stand vor allem der freie Verkehr, auch mit S. 650 ff. — Kleen, Lois et usages de la Neutralit6 I, 1898, II, 1900. — Sydney-
Neutralität, bewaffnete, wohlwollende — Neutralität, Neutralitätsrechte usw. Schöpfer, Le principe juridique de la neutraliti et son ivolution dans l'histoire du droit de la guerre 1894. — F. v. Mertitz, Völkerrecht, in Paul Hinneberg: Die Kultur der Gegenwart, ihre Entwicklung und ihre Ziele, Teil II, Abt. V I I I : Systematische Rechtswissenschaft, 2. Aufl., 1913, S. 470ff., insbes. S. 526—540. — E. v. Ulimann, Völkerrecht 1908 in „ ö f f e n t liches Recht der Gegenwart", hrsg. von Jellineck, Laband und Piloty, S. 514ff., insbes. 516, § 190, II. — Fr. v. Llszt, Völkerrecht, § 42, 2, auch § 3, II, 2. Gareis. Neutralität, Neutralitätsrechte und -pflichten im Landkriege. Die Neutralität, im heutigen Völkerrechte zu einem abgerundeten, wenn auch in manchen Einzelheiten noch sehr bestrittenen Rechtsbegriffe geworden, ist der Inbegriff der sich aus der Tatsache, daß zwei oder mehrere Staaten unter sich einen Interessenstreit mit den Waffen ausfechten, ergebenden Rechtsbeziehungen der außerhalb dieses Streits stehenden Staaten, demnach die aus jener Tatsache entspringenden Rechte und Pflichten der an dem Waffenkampfe nicht beteiligten Staaten, s. auch Artikel „Neutralität, bewaffnete, wohlwollende", auch „Neutralisation" und „Neutralitätswidrige Dienste". Es ist dieser Inbegriff nicht durch die Hervorhebung der Nichtbeteiligung am Kampfe allein schon hinreichend gekennzeichnet, welche allerdings die Vorbedingung für die volle Anwendung der Regeln des Neutralitätsrechtes ist und als die wichtigste Pflicht eines jeden neutralen Staates sich erweist, sondern es umfaßt jener Inbegrff die Summe der geschichtlich im Laufe der letzten zwei (oder auch drei) Jahrhunderte ungleich entwickelten Berechtigungen und ebenso ungleichen Verpflichtungen der neutralen Staaten und auch ihrer Angehörigen, insbesondere des Handels und des Vermögens derselben. Mit Recht wird die Neutralität in der unten angeführten, für die völkerrechtliche Terminologie bedeutenden Schrift W. Krauels unter den Oberbegriff „Befriedung" gebracht. Hierbei stellt sich nun das modernste Völkerrecht, das jus belli ac pacis in seiner höchsten Entwicklung und feinsten Ausbildung dar. Trotz dieser Anerkennung muß man aber zugeben, daß das Recht der Neutralität, welches wie dem Rechte des Altertums so auch noch dem des Mittelalters ganz fremd war, — dort wie hier herrschte nur Willkür der Kriegsparteien — so bildet doch dieses Recht, obgleich „die Signatur des modernen Völkerrechts als der
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Rechtsordnung einer Friedensgemeinschaft, noch immer ihren schwächsten P u n k t " (v. Martitz S. 526). Gewiß ist es richtig, daß, wie auch die Erfahrung zeigt, es verhältnismäßig leichter ist, die gegenseitige Stellung der Kriegsgegner zu ordnen, also ihre gemeinsamen Interessen denen der Neutralen gegenüber und dieser jenen gegenüber gerecht abwägend zu begrenzen und abzugleichen. Dabei ist das geltende Recht, soweit es nicht ausdrücklich Vertragsrecht der Neutralen und der Belligerenten ist und als solches unter denselben gilt, lex cogens, ein ohne weiteres geltendes, zwingendes Recht, das auch keine Steigerungen und keine Verminderungen parteienartig kennt oder duldet (siehe daher: keine unvollständige, keine laxe, wie auch keine „wohlwollende Neutralität" mehr, andererseits auch keine „bewaffnete Neutralität" als besondere Art, weil ζ. T. jede Neutralität bewaffnet sein muß (s. dort). Das so sich bildende System von Rechtssätzen tritt wie gesagt, wenn nicht ein ganz anders disponierender Vertrag zulässig ist und wirklich eingreift, unmittelbar mit der Tatsache des Krieges, also ipso facto für jeden neutralen Staat ein. Allerdings kann ein solcher Zustand, der in dem Gegenteil von irgendeiner Beteiligung am Kriege besteht, auch infolge eines Vertrages eintreten oder bestehen, eines Vertrages, welchen die kriegführenden Staaten entweder mit dem neutral bleibenden Staate allein oder mit diesem und anderen abgeschlossen haben; man spricht alsdann von einer „obligatorischen Neutralität" insofern hier der betreffende (dritte) Staat verpflichtet ist, sich in keiner Weise an den kriegerischen Aktionen zu beteiligen (Pflicht der Nichteinmischung). Aber streng genommen ist j e d e Neutralität obligatorisch, nämlich insofern, als 1. die kriegführenden Parteien jede Neutralität stets respektieren müssen, solange der in Frage stehende (dritte) Staat dem Gebote der allseitigen und vollkommenen Nichteinmischung seinerseits Folge leistet, und 2. auch für jenen dritten Staat selbst, als dieser sich neutral halten m u ß , d. h. sich in keiner Art und Weise in den Streit einmischen oder an demselben beteiligen d a r f , wenn und solange er nicht der Vorteile der Neutralität verlustig gehen will oder soll. Demnach tritt wie der Vorteil der Neutralität so auch der Nachteil ihres Untergangs als rein tatsächliche Folge eines rein tatsächlichen Verhaltens des betreffenden dritten Staates ein, welcher, wie jeder Staat, abgesehen von ihn bindenden Verträgen anderen Inhalts, grundrechtlich sein Verhältnis zu anderen, ihn nicht angreifenden
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N e u t r a l i t ä t , Neutralitätsrechte und -pflichten im Landkriege
S t a a t e n selbst frei bestimmen und regeln k a n n : will er die F r ü c h t e dieses Rechts genießen, so m u ß er seine I n a k t i v i t ä t dauernd und nach allen Richtungen aufrechterhalten, m i t anderen W o r t e n : er m u ß , um das Recht der N e u t r a l i t ä t zu genießen, die Pflichten der N e u t r a l i t ä t erfüllen. In diesem Sinne, n u r m i t dieser Konsequenz, spricht m a n von Pflichten der Neut r a l i t ä t , welche sich, wie gesagt, geschichtlich erst langsam zu einem Rechtsbegriffe, zu einem Inbegriffe von Rechten und Pflichten entwickelte. Verzögernd, j a h i n t a n haltend w i r k t e der Mangel eines klaren Verständnisses der staatlichen Grundrechte, die innige Verflechtung wirklicher oder vermeintlicher Interessen, eigentümliche Anschauungen über die H e r r s c h a f t zur See und ähnliches auf die geschichtliche E n t wicklung des N e u t r a l i t ä t s r e c h t s eingewirkt, s. hierüber besonders F. v. M a r t e n s , Das internationale Recht der zivilisierten Völker 1883—1886, Bd. II, § 130; deutsch von B e r g b o h m , F. v. M a r t i t z , K u l t u r der Gegenwart, S y s t e m a t . RWiss., Teil II, Abt. V I I I , S. 526, 2. Aufl. 1913. Über die Stellung der Neutralen im Seekrieg s. die Artikel „ S e e k r i e g s r e c h t " , auch „ N e u t r a l i t ä t s regel", „ N e u t r a l i t ä t s g r e n z e " .
(non facere omittere), d. h. der neutrale S t a a t darf keine H a n d l u n g v o r n e h m e n , durchweiche die Angriffs- cder Widerstandsfähigkeit einer Kriegspartei v e r s t ä r k t oder v e r m e h r t w i r d oder werden k a n n ; er darf also keiner der kriegführenden Parteien a) T r u p p e n , seien es formierte, organisierte, seien es R e k r u t e n , geworbene Mannschaften u n t e r seiner s t a a t lichen Leitung und A u t o r i t ä t , s. auch Art. 1 und 2 des 5. A b k o m m e n s von 1907, b) Kriegsschiffe oder dazu hergerichtete andere Schiffe, bewaffnete Kauffahrteischiffe, c) W a f f e n plätze, seien es Festungen, Lagerplätze, Forts u. dgl., sei es ü b e r h a u p t Terrain zur S a m m l u n g oder Aufstellung von Heeren oder Heeresteileli, d) S t a a t s f i n a n z m i t t e l , wie Geld, Subsidien, Staatskredit, e) Hoheitsrechte, wie fördernde Gebietshoheit, Steuererhebung, Personenhoheit, wie Aushebung u. dgl. überlassen, übergeben oder überweisen, noch auch selbst m i t irgendeinem dieser Mittel sich am Kriege beteiligen; 2. ferner besteht die sog. „ V e r p f l i c h t u n g " des neutralen S t a a t e s u n t e r der D r o h u n g des Nachteils, d a ß Rechtsverluste in einem Nichtdulden (Pflicht eines non pati, eines prohibere also, nämlich insofern der neutrale S t a a t auf seinem Staatsgebiete, es sei dieses Festland oder flüssig, Insel oder Luftreich irgendeine Kriegsaktion, sei sie wem i m m e r gestatten d a r f ; er darf also nicht dulden, d a ß a) T r u p p e n einer der Kriegsparteien, sei es geschlossen oder sei es aufgelöst, ja selbst kleine Armeebestandteile oder einzelne Mannschaften oder Offiziere bew a f f n e t sein Gebiet betreten oder gar auf demselben eine kriegerische Aktion vornehmen oder vorbereiten, b) Befestigungen oder Lager daselbst anlegen, c) P r o v i a n t oder Munition dort sammeln oder a u f b e wahren, d) noch auch f ü r den Luftkrieg irgendwelche Vorbereitungen treffen, Aufsteigehallen bauen, Depots irgendwelcher Art errichten u. dgl.
Wie die h ä u f i g als besondere Berechtigungen der sich in einem in Rede stehenden Kriege neutral verhaltenden S t a a t e n aufgezählten oder in B e t r a c h t gezogenen Rechte juristisch n i c h t s anderes sind, als Folgerungen aus den Grundrechten oder diese selbst, so sind auch die als „ N e u t r a l i t ä t s p f l i c h t e n " bezeichneten Bedingungen der N e u t r a l i t ä t n u r folgerichtige Konsequenzen dieser Rechtsstellung u n d ein bisher neutraler S t a a t , der seine I n a k t i v i t ä t a u f g i b t u n d sich nun etwa am K a m p f e beteiligt, begeht d a m i t , sofern ihn nicht etwa ein V e r t r a g band, keine Rechtsverletzung, sondern n u r eine T a t seiner freien Politik, also eine A n w e n d u n g seines Rechtes der Unabhängigkeit, m i t h i n 3. Zu einem positiven T u n , einem facere eines seiner wesentlichen Grundrechte, s. kann ein neutraler S t a a t verpflichtet werden Gareis, Institutionen des Völkerrechts, § 26; (in der erwähnten Bedeutung), wenn T r u p p e n verbindend f ü r einen freien S t a a t sind j a sei es in geschlossenen Massen, sei es aufgelöst alle sog. N e u t r a l i t ä t s p f l i c h t e n , n u r wenn ! oder auch n u r vereinzelte Mannschaften u n d inwieweit als er die sog. N e u t r a l i t ä t s - (oder Offiziere) bewaffnet sein Gebiet berechte genießen will. In diesem Sinne sind , treten, dann h a t er nämlich a) die überdiese W o r t e auch g e b r a u c h t in dem 5. Ab- getretenen Angehörigen der bewaffneten kommen zur II. H a a g e r Friedenskonferenz Macht der Kriegspartei vor allem sofort zu von 1907 betreffend die Rechte u n d Pflichten e n t w a f f n e n ; b) die übergetretenen T r u p p e n der neutralen Mächte und Personen im Falle eines Belligerenten sind, e n t w a f f n e t oder eines Landkrieges, vom 18. X. 1907. bereits beim Ü b e r t r i t t waffenlos, zu i n t e r Das also ist die Bedeutung einer v e r t r a g losen N e u t r a l i t ä t s p f l i c h t und in diesem Sinne, d. h. m i t dieser angedeuteten Rechtsfolge allein besteht f ü r ihn 1. seine Verpflichtung zu einem Nichtstun
nieren bis zum Ende des Krieges; die H a a g e r Friedenskonferenz vom J a h r e 1899 h a t f ü r diesen Fall in der Convention concernante les lois et coutumes de la guerre sur terre die Bestimmung aufgestellt (Art. 57), daM
Neutralität,
Neutralitätsrechte und
der neutrale S t a a t , auf dessen Gebiet Truppen der kriegführenden Heere übertreten, diese möglichst weit vom Kriegsschauplatz e n t f e r n t unterzubringen h a t , sei es in Lagern v e r w a h r t , sei es in Festungen oder in anderen zu diesem Zwecke geeigneten Orten eingeschlossen; es h ä n g t die Wahl des A u f e n t h a l t s von seiner Entscheidung a b und ebenso, o b Offiziere, die sich auf Ehrenwort verpflichten, das neutrale Gebiet nicht ohne Erlaubnis zu verlassen, freigelassen werden k ö n n e n ; c) die von den übergetretenen T r u p p e n der einen Kriegspartei etwa m i t g e f ü h r t e n Kriegsgefangenen aus der anderen Partei sind beim Ü b e r t r i t t sofort in Freiheit zu setzen, oder auch zu ihren Fahnen zu entlassen (Alb. Zorn, S. 323); d) im Falle jeder Art von Internierung h a t der neutrale S t a a t mangels besonderer anders lautender Vereinbarung die internierten Personen m i t der erforderlichen N a h r u n g und Kleidung sowie den durch die Menschlichkeit gebotenen Hilfsmitteln zu versorgen, wofür er wie f ü r alle anderen Internierungskosten, nach dem Friedensschluß Ersatz verlangen kann (Alb. Zorn, S. 326); über die Benutzung fremden Eisenbahnmaterials s. A r t . 19 des 5. H a a g e r Abkommens von 1810, 1907; e) eine weitere positive Verpflichtung t r i f f t den neutralen S t a a t , wenn er, wozu er befugt ist, bei voller N e u t r a l i t ä t den Durchzug von Verwundeten oder Kranken der kriegführenden Armeen durch sein Gebiet g e s t a t t e t ; dann m u ß er nämlich d a f ü r sorgen, d a ß die zur Beförderung dieser K r a n k e n und Verwundeten verwendeten Züge weder Kriegspersonal noch Kriegsmaterial m i t sich f ü h r e n , und m u ß daher die zur Verhinderung solcher verbotener T r a n s p o r t e erforderlichen Sicherheits- und Aufsichtsmaßregeln treffen, also auch seinerseits etwa T r u p p e n aufstellen u. dgl.; Art. 59 Abs. 1, Alb. Zorn 337; f ) dieselbe positive Verpflichtung, n u r noch v e r m e h r t und v e r s c h ä r f t , t r i f f t den neutralen S t a a t , wenn Kranke oder Verwundete, die der Gegenpartei angehören, von den übergetretenen T r u p p e n der einen Partei auf neutrales Gebiet gebracht werden, dann h a t diese der neutrale S t a a t nicht bloß derart zu bewachen, d a ß sie sich nicht von neuem an den Kriegsunternehmungen beteiligen können, sondern er h a t auch f ü r die etwa nötige ärztliche und sonst nötige Pflege der auf seinem Gebiete u n t e r g e b r a c h t e n Patienten zu sorgen. Die Haager Friedenskonferenz von 1899 verpflichtet die neutralen S t a a t e n hierzu ausdrücklich, an die Stelle (s, oben) der von ihr (in A r t . 60) a n g e f ü h r t e n Genfer Konvention ist inzwischen die Konvention vom 6. V I I . 1906 m i t ebenso verbindender K r a f t wie erstere getreten, u n d
pflichten im Landkriege
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der völligen P a r i t ä t ist Rechnung getragen durch die ausdrückliche Hervorhebung, d a ß der neutrale S t a a t gegenüber den i h m a n v e r t r a u t e n Verwundeten oder Kranken beider kriegführenden Heere die gleichen Verpflichtungen h a t , und zwar sind dies w i r k liche Pflichten f ü r den Fall der A u f n a h m e der Verwundeten und Kranken im Sinne des streng verpflichtenden Völkerrechts, g) befinden sich in den auf neutrales Staatsgebiet übergetretenen Truppen nichtmilitärische Personen, wie Marketender, Händler, Zeitungsberichter u. dgl., so bezieht sich die etwaige neutralstaatliche A u f n a h m e der T r u p p e n selbst keineswegs von selbst und ohne weiteres auf diese, sie unterliegen vielmehr der im neutralen S t a a t e gewöhnlichen fremdenpolizeilichenBehandlung seitens dieses S t a a t e s ; n u r die bei den übergetretenen Truppen in deren Krankenzügen oder dgl. befindlichen Ärzte und Krankenpfleger (zu diesen können auch Feldgeistliche zählen) sind auch vom neutralen Staate nötigenfalls zur Pflege an-, also zurückzuhalten, worüber die in vorigen lit. f angeführten Abkommen maßgebend sind. 4. Die N e u t r a l i t ä t erstreckt sich zwar, der gewöhnlichen Lehre nach, auf Land u n d Leute des neutralen Staates, so d a ß also dessen ganzes Staatsgebiet und alle seine Angehörigen an der W o h l t a t der N i c h t beteiligung am Kriege teilnehmen sollen; die Konsequenz hiervon wäre alsdann, daß auch die Pflichten der N e u t r a l i t ä t jederm a n n im neutralen S t a a t e t r ä f e n ; allein diese Folge wird tatsächlich auch heutzutage so wenig f ü r die einzelnen Privatleute des neutralen S t a a t e s gezogen, als es auch u n möglich ist, die Wirkungen des Krieges vollkommen vom neutralen Staatsgebiete auszuschließen oder dort f ü r jedermann u n f ü h l b a r zu m a c h e n ; Verkehrsstörungen aller Art, hervorgerufen durch den Krieg, die Massenansammlungen in den kriegf ü h r e n d e n Nachbarländern, daher Verkehrsstockungen, Gütermangel, anderseits Massenkonsum u. dgl. wirken auch auf die Verkehrsverhältnisse der neutralen S t a a t e n , die m i t den kriegführenden sowohl v o r dem Kriege in Verkehr standen, als auch noch w ä h r e n d des K a m p f e s v e r k e h r t e n , j a etwa auch verkehren m u ß t e n , Preissteigerungen waren die Folgen h i e r v o n , dann folgten Münzverschlechterungen u n d andere wirtschaftliche K a l a m i t ä t e n , die selbstverständlich auf die neutralen Staatsgebiete hinüberwirkten, — u n d so kam es a u c h , daß sich — auch nach dem neuesten, dem heutzutage geltenden Völkerrechte die einzelnen Privatpersonen im neutralen S t a a t e trotz dessen N e u t r a l i t ä t nicht in allen
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N e u t r a l i t ä t , Neutralitätsrechte u n d -pflichten im Landkriege
wirtschaftlichen Dingen nach ihrer Staatslage in schwereren Fällen, zur nötigenfalls berichten, j a auch ihr S t a a t selbst dieses t r o t z w a f f n e t e n Selbsthilfe, auch möglicherweise seiner N e u t r a l i t ä t nicht fordert, weil er es einer S c h a d e n s e r s a t z f o r d e r u n g . Uber die doch nicht e n t f e r n t vollständig durchsetzen N e u t r a l i t ä t s r e c h t e u n d die zu erfüllenden k ö n n t e , demnach ist auch nach dem neuesten Pflichten der N e u t r a l i t ä t äußern sich m i t Völkerrechte der neutrale S t a a t , wenn er u n t e r neutrale S t a a t e n in besonderen N e u auch selbstverständlich nicht selbst einem der j t r a l i t ä t s p r o k l a m a t i o n e n , m i t u n t e r werden kriegführenden Staaten Geld leihen, seinen ; solche auch von k r i e g f ü h r e n d e n S t a a t e n 1 S t a a t s k r e d i t zur Verfügung stellen oder erlassen, s. die Neutralitätsproklamation Subsidien überlassen darf (s. oben Nr. 1 d der Vereinigten S t a a t e n von N o r d a m e r i k a und a. a. O.) doch n i c h t verpflichtet, den vom 22. V I I I . 1870. einzelnen Privatpersonen und S t a a t s a n g e Literatur: hörigen zu verbieten, d a ß sie sich an einer Kriegsanleihe einer der Belligerenten be- J . C. Bluntschli, Das m o d e r n e Völkerrecht d e r zivilisierten S t a a t e n , 3. Aufl., 1878, teiligen, daher steht auch die G e s t a t t u n g §§ 742ff. — F. v. Martens, Das i n t e r n a t i o der öffentlichen oder privaten Auflegung nale Recht der zivilisierten Völker (Deutsche einer solchen Anleihe, selbst wenn sie zu Ausgabe v o n K. Bergbohm, 2 Bde., Kriegszwecken dienen sollte, noch auch die 1886), Bd. II, S. 549ff. — Alphons RIvler, Zulassung der hierfür emittierten W e r t Lehrbuch des Völkerrechts 1889, S. 418. — papiere an Börsen im neutralen S t a a t e Hellborn, Das System des Völkerrechts, 1896, S. 321. — Heilborn, R e c h t e und nicht im Widerspruch m i t der N e u t r a l i t ä t P f l i c h t e n der n e u t r a l e n S t a a t e n in bezug dieses Staates, s. v . Liszt S. 369, Gareis auf die w ä h r e n d des Krieges auf ihr Gebiet S. 251. ü b e r t r e t e n d e n Angehörigen einer A r m e e Einzelnen seiner Staatsangehörigen kann u n d das d o r t h i n gebrachte Kriegsmaterial d e r kriegführenden Parteien, 1888 (gekrönte der neutrale S t a a t auch die Teilnahme am Preisschrift). — Beling, Kritische Viertelfremden Kriege gestatten, wenigstens verletzt j a h r s s c h r i f t , III. F., Bd. II, S. 617ff. — er seine N e u t r a l i t ä t nicht, wenn er die Albert Zorn, Das Kriegsrecht zu Lande Abreise hierzu, den Zuzug einzelner zu einer in seiner neuesten Geltung, 1906, S. 3 1 6 f f . Kriegspartei nicht verhindert, aber offizielle — Fr. v. Llszt, Das Völkerrecht, § 42. — Werbungen f ü r einen der kriegführenden E. v. Ulimann, Völkerrecht 1908, §§ 190, S t a a t e n darf der neutrale S t a a t auf seinem 192. — Karl Gareis, Institutionen des Gebiete so wenig dulden wie die A n s a m m l u n g Völkerrechts 1901, 2. H ; f t , §§ 878, 888. — von Kriegsteilnehmern f ü r eine der KriegsD e r s e l b e in „Vierzehn der wichtigsten völkerrechtlichen Verträge der neuesten parteien oder deren Organisation und AusZ e i t " , 1912 (über Neutrale S. 13, 15, 3 7 f f . , bildung von solchen; durch die wissentliche 4 7 f f . — Wolfgang Krauel, N e u t r a l i t ä t , Duldung von jeder dieser Vorbereitungen Neutralisation und Befriedung im Völkerzum Kriege würde der neutrale Staat recht, 1915 (Greifswalder Doktor-Dissertab e w u ß t e r m a ß e n Stellung zum Kriege nehmen tion) S. 89 ff. — Reinhard Frank, Lieber u n d d a m i t seine N e u t r a l i t ä t aufgeben. DasNeutralitätsgesetze. Tübingen 1921 — selbe ist auch von Fertigstellung eines Schiffes Hautefeuille, Des droit et des devoirs f ü r den Seekrieg zu sagen: während das auch des nations n e u t r e s , 3 B d e . , 3. Ausg. 1868. — Descamps, Le droit de ia p a i x als K a u f f a h r t e i - oder Postschiff oder zum et de la guerre 1898. — Fauchllle, La friedlichen Personentransport verwendbare diplomatie frangaise et la ligne de neutres Seefahrzeug ohne militärische A u s r ü s t u n g 1780—1893. — Kleen, Lois et usapes de oder Bewaffnung auch im neutralen Staate la n e u t r a l i t i I, 1890, II, 1900. — Schlataohne Verletzung seiner N e u t r a l i t ä t g e b a u t rella, II diritto della n e u t r a l i t ä nelle guerre werden darf, sogar wie angenommen wird, m a r i t i m e 1877. — Sydney-Schopter, Le auch f ü r Rechnung einer Kriegspartei, ist principe juridique de la n e u t r a l i t ä et son die kriegsmäßige Armierung des Schiffs6volution dans l'histoire du droit de la körpers ebenso wie dessen militärische Beguerre 1894. — Hall, T h e rights and duties of neutrals 1874. G a reis. m a n n u n g im neutralen H a f e n zweifellos Neutralitätsverletzung, worüber namentlich bei der vielfachen E r ö r t e r u n g des Alabamafalles (s. diesen) Entscheidendes festgestellt w u r d e ; hierüber s. Fleischmann S. 95.
Neutralität, Neutralitätsrechte und
Verletzt der neutrale S t a a t eine der -pflichten im Seekriege (Überblick). Neutralitätspflichten, sei es absichtlich, sei es ohne dolus oder, culpa jedoch auch ohne I. Auszugehen ist von dem GrundgedanR e m e d u r , so verliert er, wie gesagt, seine ken, d a ß was von N e u t r a l i t ä t im Landkriege, Neutralitätsrechte und berechtigt d a m i t den von den N e u t r a l i t ä t s r e c h t e n und -pflichten verletzten kriegführenden Teil, wenigstens im Landkriege gilt u n d gesagt ist (s. S. 125 ff.),
N e u t r a l i t ä t , Neutralitätsrechte und -pflichten im Seekriege (Überblick) auch von der N e u t r a l i t ä t im Seekriege zu sagen ist. Zum Teil aber haben sich f ü r das Seekriegsrecht ältere Rechtsgrundsätze noch in K r a f t erhalten, zum Teil neuere Regeln gebildet, welche das Landkriegsrecht nicht k e n n t , zum Teil sind einzelne Sätze des letzteren u m g e s t a l t e t worden und dies t r i f f t auch m i t u n t e r die Rechte und Pflichten der Neutralen. So sind auch die Grundsätze der Genfer Konvention von 1864 auf den Seekrieg ausgedehnt (Haager Konferenz von 1899) aber nicht ohne bedeutende A b ä n d e rungen (s. Liszt, Völkerrecht § 41 III). Im übrigen haben sich f ü r das Seekriegsrecht in bezug auf die N e u t r a l i t ä t folgende hauptsächlichsten Besonderheiten teils erhalten, teils herangebildet. II. Der K r i e g s s c h a u p l a t z , als welcher f ü r den S e e k r i e g außer dem offenen Meer u n d den m i t ihm zusammenhängenden an der Meeresfreiheit teilnehmenden Meeresteilen auch die b e f a h r b a r e n Küstengewässer, auch die ebensolchen Eigengewässer der Belligerenten in B e t r a c h t k o m m e n , wird f ü r die Neutralen vor allem von Bedeutung wegen der S e e m i n e n . Denn der Eigner eines neutralen Schiffes ist schadensersatzberechtigt, wenn es durch eine von einem Belligerenten gelegte Mine geschädigt wurde, sei es dieselbe sei verankert, auch eine a u t o matische K o n t a k t m i n e , u n d der minenlegende Kriegführende h a t den nun Beschädigten vorher nicht gehörig gewarnt u n t e r Angabe des Minenstandorts, sei es die Mine sei freischwimmend und vermöge ihrer Kons t r u k t i o n noch dauernd schädlich gewesen. Es sind diese Sätze nicht ohne Widersprüche auf der II. H a a g e r Friedenskonferenz angenommen worden. Noch weiter reicht als durch das Legen einer Seemine die Schädigung der neutralen S c h i f f a h r t durch die e f f e k t i v e B l o c k a d e eines Teiles des Kriegsschauplatzes. Dies ergibt sich als notwendige Folge der Effekt i v i t ä t der Blockade, welche jedenfalls der neutralen Macht vorher gehörig notifiziert sein m u ß . Das Erfordernis der E f f e k t i v i t ä t stellt die Pariser Seerechtsdeklaration vom 16. IV. 1856 u n t e r Nr. 4 a u f , siehe 1, 2 und 3, ( d a r ü b e r oben). Gelingt es aber einem neutralen Schiffe, die Blockade zu durchbrechen, so wird d a d u r c h bewiesen, d a ß sie nicht wirklich effektiv war, wenigstens dem siegreichen Durchbrecher gegenüber, und sein Schiff bleibt alsdann frei und zwar so, d a ß es, wenn es auf derselben Reise, sei es die W e i t e r f a h r t oder die R ü c k f a h r t , auch vom — f r ü h e r blockierenden — Feinde angehalten w i r d , riicht wegen jenes Blockadebruchs m i t Beschlag belegt werden k a n n . Mißlingt jedoch Wörterbuch des Völkerrechts.
Bd. II.
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jener Versuch des Durchbruchs, so liegt das völkerrechtliche Delikt des Blockadebruchs vor u n d das Schiff des schuldigen Neutralen verfällt der P r i s e n g e r i c h t s b a r k e i t des Blockierenden, über Prisenrecht s. 500. Strenger kriegsrechtlicher Behandlung unterliegen die u n t e r s e e i s c h e n Teleg r a p h e n k a b e l , welche eigene oder fremde Küstengewässer oder auch die offene See durchziehen; wenn diese Behandlung der Kriegszweck des kriegführenden O k k u p a n t e n erfordert, dann kann dieser bis zur Vernicht u n g der ihn sonst schädigenden A p p a r a t e vorgehen äußersten Falles, es h ä n g t dieses m i t der völkerrechtlich gestatteten U n t e r d r ü c k u n g des einer Kriegspartei äußerst gefährlichen Nachrichtendienstes z u s a m m e n , (s. schon früher) und dies kann natürlich auch Neutrale sehr empfindlich treffen, w ä h r e n d Telegraphenkabel, die lediglich neutrales Gebiet oder Gebietsteile neutraler S t a a t e n berühren oder verbinden, von der Kriegsgefahr und -not nicht b e r ü h r t werden d ü r f e n . Eigentümliche Komplikationen können f ü r inzwischen liegende neutrale Gebiete entstehen im Falle eines Küstenkrieges (guerre mixte), es h a t sich in bezug auf diese noch keine feststehende P r a x i s des Völkerrechts gebildet u n d die Theorie s c h w a n k t hierin. Vom Kriegsschauplatze scheiden die posit i v oder negativ neutralisierten Gebietsoder Gewässerteile aus, wie ζ. B. Suez- und P a n a m a k a n a l , Magelhaenstraße. I I I . Die Zahl der an der Kriegführung beteiligten z w i n g e n d e n S u b j e k t e konnte bis in die neueste Zeit erheblich f ü r den Seekrieg v e r m e h r t werden durch die bis zur Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 allgemein gestattete Zulassung von K a p e r s c h i f f e n d. s. Privatschiffe, die m i t ausdrücklicher E r m ä c h t i g u n g einer kriegführenden Staatsgewalt, aber ohne staatlichen Leitungsbefehl wenngleich u n t e r Aufsicht der staatlichen Marineoberbehörde, aber selbständig und f ü r eigene P r i v a t r e c h n u n g u n d Gefahr Seebeute, g u t e P r i s e machen; durch diese Selbständigkeit, durch den Mangel an Eingliederung unterscheiden sich die Kaper (corsaires oder a r m a t e u r s genannt) von den Hilfsfahrzeugen (navires auxiliaires) wie etwa die in der S t a a t s m a r i n e zur Verwendung gebrachten armierten K a u f f a h r t e i schiffe, welche der betreffenden S t a a t s f l o t t e eingegliedert sind und wenn auch n u r als Transportschiffe vollständig u n t e r der Leit u n g des sie zulassenden Staates stehen, auf dessen Rechnung und Risiko sie sich betätigen. Von den Kapern unterscheiden sich andererseits durch den Mangel jeder s t a a t lichen E r m ä c h t i g u n g zum Beutemachen, 9
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N e u t r a l i t ä t , Neutralitätsrechte und -pflichten im Seekriege (Überblick)
namentlich der guten Prise, jene P r i v a t schiffe, die ohne sog. lettre d e m a r q u e (auch commission de guerre genannt) auf Wegn a h m e v o n feindlichen oder von K o n t e r b a n d e f ü h r e n d e n neutralen Handelsschiffen a u s g e h e n ; solche P r i v a t u n t e r n e h m e r sind n i c h t s anderes als Seeräuber u n d als solche zu b e h a n d e l n , dies galt auch von Schiffen, die nicht zur H a n d e l s m a r i n e des sie trotzdem legitimierenden kriegführenden Staates gehörten. Aber a m 16. IV. 1856 haben Preußen, Österreich, Frankreich, Großb r i t a n n i e n , R u ß l a n d , Sardinien u n d die Türkei eine gemeinsame E r k l ä r u n g vereinb a r t , deren erster Satz die Kaperei a b s c h a f f t m i t den W o r t e n : „ L a course est et demeure a b o l i e " und auch die nicht an dieser E r k l ä r u n g ursprünglich teilnehmenden S t a a t e n zum Beit r i t t e eingeladen (Pariser Seerechtsdeklaration von 1856, Satz 1). Seitdem sind ihr die meisten Seestaaten beigetreten, so d a ß m a n die Kaperei tatsächlich f ü r völkerrechtswidrig halten m u ß .
lichen Staatsangehörigen gehört und u n t e r feindlicher Flagge geht, der kriegerischen W e g n a h m e durch den Gegner (sein Kriegsschiff oder Kaper s. d a r ü b e r oben) ausgesetzt, allerdings u n t e r Eingreifen der feindlichen Prisengerichtsbarkeit, welche die „ R e c h t m ä ß i g k e i t " der W e g n a h m e , das ist das Flaggenrecht u n d das Eigentumsrecht des damaligen Besitzers des fraglichen Guts, festzustellen h a t . Es ist Praxis, d a ß nach Ausbruch eines Seekriegs den feindlichen Schiffen von der Gegenpartei eine bestimmte Auslauffrist (Indult, days of grace) gewährt wird, um sich in Sicherheit zu bringen. Verläßt ein später sonst verfallenes Schiff den feindlichen H a f e n schon vor dem Beginn der Indultfrist oder vor deren Ablauf, so m u ß es frei bleiben; aber eine völkerrechtliche Verpflichtung zur Indultgewährung scheint nicht zu bestehen, vielmehr u n t e r liegen sonst der Regel nach alle H a n d e l s schiffe der feindlichen Flagge m i t ihrer den feindlichen U n t e r t a n e n gehörigen Ladung schon m i t dem Beginn des Kriegszustandes sofort der Beschlagnahme u n d der Prisengerichtsbarkeit des Aufbringers. Über diese Gerichtsbarkeit s. den Artikel Prisenrecht, in dem hierüber eingehend berichtet wird.
IV. Zu den O b j e k t e n des militärischen Zwangs gehört im Seekrieg das s c h w i m m e n d e P r i v a t e i g e n t u m ; hierin liegt der schroffste Unterschied zwischen See- und Landkrieg, denn in letzterem ist das P r i v a t V. U n t e r der, wie wiederholt im Vorigen eigentum abgesehen von den Ausnahmefällen e r w ä h n t , ausnahmsweise zu behandelnden der K o n t r i b u t i o n e n u n d Requisitionen regelm ä ß i g frei von Kriegsmolest u n d bleibt dem K r i e g s k o n t e r b a n d e v e r s t e h t m a n W a r e n P r i v a t e i g e n t ü m e r u n a n t a s t b a r u n d unange- u n d andere Gegenstände, welche zur Kriegt a s t e t ; aber zur See war es a n d e r s : zur I f ü h r u n g dienen oder ihr förderlich sind. Man Schwächung des Feindes bot seit dem Mittel- h a t , wenn auch u n t e r Widerspruch einzelner alter das schwimmende P r i v a t e i g e n t u m der Schriftsteller, völkerrechtlich b e s t i m m t e A u f feindlichen Staatsangehörigen einen will- zählungen der hierzu gehörigen Sachen u n d kommenen Angriffsgegenstand im Seebeute- Unterscheidungen derselben in d i r e k t e u n d recht, auf dessen A n w e n d u n g P r e u ß e n und i n d i r e k t e ( e i g e n t l i c h e u n d u n e i g e n t die Vereinigten S t a a t e n von N o r d a m e r i k a l i c h e ) , in w e s e n t l i c h e und u n w e s e n t schon E n d e des 18. J a h r h u n d e r t s verzichtet l i c h e K o n t e r b a n d e u n t e r n o m m e n , in sog. (wie W a f f e n und Munition, h a t t e n (Vertrag von 1875). Aber erst die a b s o l u t e Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 stellte Sprengstoffe, Uniformen, T r a i n m a t e r i a l ) u n d völkerrechtlich bindend (s. oben) f e s t : „ 2 . die r e l a t i v e (das sind Gegenstände, die in neutrale Flagge deckt das feindliche G u t , m i t gleicher Weise Friedens- wie Kriegszwecken A u s n a h m e der K r i e g s k o n t e r b a n d e " ; „frei dienen können (wie Bargeld, Pferde) u n d Schiff, frei G u t " . „ L e pavilion n e u t r e couvre dazu noch den Begriff der z u f ä l l i g e n (contrebande accidenla marchandise e n n 6 m i e " ergibt 3. „ n e u - Kriegskonterbande telle) gefügt, u n t e r welcher m a n diejenigen trales Gut u n t e r feindlicher Flagge, m i t A u s n a h m e der K r i e g s k o n t e r b a n d e (s. diese Gegenstände v e r s t a n d , die u n t e r vorliegenspäter), darf nicht m i t Beschlag belegt den eigenartigen Verhältnissen f ü r die miliwerden". „ L a m a r c h a n d i s e n e u t r e n'est tärischen Interessen einer Kriegspartei im p a s saisible sous pavilion e n n i m i " . Über vorliegenden Falle von Vorteil s i n d ; a b e r die geschichtliche Aufeinanderfolge dieser schon vom 17. J a h r h u n d e r t an h a t m a n Sätze s. v. Liszt § 42 III, Gareis § 89 III, über diese Begriffe und Unterscheidungen e r n s t h a f t gestritten. Die neuere D o k t r i n • v. M a r t i t z S. 530ff. und Praxis sucht, indem sie von jenen DiIn solchen Grenzen w a r u n d ist das stinktionen absieht, den Begriff der Kriegsschwimmende P r i v a t e i g e n t u m u n t e r völker- k o n t e r b a n d e n u r u n t e r Berücksichtigung der rechtlichem Schutz u n d also unverletzlich, beabsichtigten Zwecke u n d der vorliegenden im übrigen ist das P r i v a t g u t auch nach dem U m s t ä n d e des einzelnen Falles zu b e s t i m m e n neuesten Völkerrecht, wenn es einem feind- u n d erklärt als völkerrechtlich verboten die
Neutralität, Neutralitätsrechte und -pflichten im Seekriege (Überblick) an eine der kriegführenden Parteien von neutraler Seite gerichtete Zufuhr a) jedes Gegenstandes, welcher zum Kriegszweck hergestellt ist, und b) aller derjenigen Sachen, welche zu Kriegszwecken verwendet werden können oder verwendbar gemacht werden können. Ein neutraler Staat, welcher die somit als verboten anzusprechende Zufuhr von Kriegsmaterial (zu welchem auch die Beförderung von Nachrichten gehört), contrebande par analogie) in diesem zuletzt erwähnten Sinne unternimmt, oder die unter seiner Flagge von Privaten unternommene Zufuhr solchen Materials fördert, verletzt damit seine Neutralität und setzt sich der feindlichen kriegerischen Gewaltanwendung und jeder Kriegsgefahr in hohem Maße aus; dieses tut aber ein neutraler Staat nicht etwa dann oder dadurch, daß er die private Zufuhr unter seiner Handelsflagge nicht verhindert oder nicht ausdrücklich verbietet. Unternehmen Privatleute unter neutraler Flagge den Seeimport von Kriegskonterbande, so dürfen sie sowohl auf hoher See wie auch in Gewässern des kriegführenden Staates überhaupt auf dem ganzen SeeKriegsschauplatze angehalten werden und riskieren somit die Konfiskation von Schiff und Konterbande, ja unter Umständen — nach Ermessen des feindlichen Prisengerichts — der ganzen Ladung des Schiffes. Dabei wird aber rechtlich vorausgesetzt, daß die Arretierung des Schiffes in flagranti delicto erfolgt, nämlich während die Konterbande sich an Bord des Schiffes und dieses selbst sich noch auf der Reise zum Bestimmungsorte oder im feindlichen G;wässer befindet, da das sonst schuldige Schiff frei von jeder Haftung wird, sobald es die Ladung glücklich gelöscht hat. Aber dieser Ansicht steht allerdings die sog. Theorie der einheitlichen Reise (theorie de la continuitßdu voyage) entgegen, nach welcher, weil die ganze Reise von der Ausfahrt bis zur Heimkehr in den Heimathafen als eine Einheit betrachtet wird, das Schiff auch noch nach der Löschung der Konterbande angehalten und weggenommen werden kann, und zudem auch der Transport in einen neutralen Hafen imputiert wird, wenn feststeht, daß die Konterbande von da dann dem Feinde selbst zugeführt werden soll. Richtiger Ansicht nach gilt die Theorie von der einheitlichen Reise hier ebensowenig wie beim Blockadebruch (über dies^ns.oben). Über den Satz: Dolus non purgatur circuitu s. Oppenheim a. a. Ο. II, 431. Für das Verfahren der Arretierung des Konterbande führenden Schiffes, die Kondemnierung und den Reklameprozeß sind dieselben Regeln wie im
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Seebeuterecht überhaupt maßgebend s. den Artikel Prisenrecht Nr. 500. Die Wegnahme des Schiffes selbst zum Schaden des Reeders setzt jedenfalls voraus, daß dieser die völkerrechtswidrige Verwendung seines Schiffes kannte. VI. Die N e u t r a l i t ä t s p f l i c h t e n , für welche, auch was sie im S e e k r i e g e anlangt, das oben Gesagte vom L a n d k r i e g e im allgemeinen gilt, bestehen selbstverständlich vor allem in der Verbindlichkeit aller neutralen Mächte, sich sowohl auf dem ganzen Kriegsschauplatze als auch außerhalb desselben prinzipiell jeder Feindseligkeit, auch jeder Art von Unterstützung einer der Kriegsparteien unter dem Rechtsnachteil der Annahme der Beteiligung vollständig zu enthalten. Der neutrale Staat darf daher auch insbesondere keine Art von Kriegsmaterial einem der Kriegführenden zuführen, auch namentlich kein Kriegsschiff verkaufen, keine Armierung eines Kriegsfahrzeugs beschaffen (über Bau und anderweite Armierung s. oben S. 254, s. auch Alabamafall nach Fleischmann a. a. O. S. 95), keine Bemannung stellen, auch wenn er sich etwa vorher zu solcher Kriegslieferung verpflichtet haben sollte; erfüllt er solche Vertragspflicht, so wird er dadurch Kriegsbeteiligter und verliert seine Neutralität. Ebensowenig darf er zugeben, daß seine Küstengewässer zum Ausgangs- oder Stützpunkt für feindliche Unternehmungen gemacht werden, seine Seehäfen zum Zufluchtsort für feindliche Kriegsschiffe dienen, — vollständige Entwaffnung und Zurückhaltung der geflüchteten Mannschaft und Schiffe, — ganz analog der Behandlung der übergetretenen Truppen im Landkriege (darüber s. oben) — müßte die Rechtsfolge sein; ebenso ist das Einbringen von Prisen in neutrale Häfen völkerrechtswidrig; doch kennt das Völkerrecht, dem Gebote der Menschlichkeit folgend, Ausnahmen; so ist a) Schiffen (auch Prisen) in Seenot, auch die Durchfahrt durch neutrale Gewässer, ja selbst der kurze Aufenthalt in solchen in Seenot gestattet ( d r o i t de r £ l ä c h e f o r c6e); aus demselben Grunde der Menschlichkeit wird auch Kriegsschiffen mitunter, aber nicht allgemein, das Einnehmen von Wasser, Lebensmitteln und Kohlen — für beschränkte Fristen und unter Bedingungen in neutralen Häfen gestattet. Zu den Pflichten der Neutralen im Seekriege gehört äußersten Falles noch die Duldung oder Inanspruchnahme neutraler Schiffe und Fahrzeuge aller Art zum erzwungenen Transport-, auch Kriegsdienst (jus angariae), ja auch zur Duldung der Festhaltung neutraler Seefahrzeuge, der Zurückhaltung von solchen 9*
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N e u t r a l i t ä t , Neutralitätsrechte und -pflichten im Seekriege (Überblick)
Handelsschiffen u n d zum Zwecke der Geh e i m h a l t u n g von militärischen Operationen u. dgl., der sog. a r r e t de prince, der ebensowie das Angarienrecht nur durch zwingende Kriegsraison (raison oder nicessit6 de guerre) aber stets u n t e r Vorbehalt der Ersatzpflicht der requirierenden Kriegführenden gerechtfertigt wird. V I I . Die N e u t r a l i t ä t s r e c h t e , d. h. die den neutralen S t a a t e n als solchen zustehenden Berechtigungen sind im wesentlichen nichts anderes als ihre G r u n d r e c h t e : sie dürfen dieselben bis an die durch ihre Neutralitätsstellung auch im Seekrieg gezogene Grenze (s. oben VI.) ausüben und können verlangen, von den Feindseligkeiten der Kriegführenden ganz u n b e r ü h r t zu bleiben, namentlich sind im Seekrieg die neutralen H ä f e n - u n d Küstengewässer u n b e r ü h r t zu lassen und wie sie den kriegerischen Aktionen sich ferne h a l t e n , so haben die Kriegf ü h r e n d e n auch die Pflicht, m i t solchen ihr Land-, Wasser- und Luftgebiet zu verschonen; dabei ist aber zu bemerken, d a ß diese E i n s c h r ä n k u n g des Kriegs nur die S t a a t e n , zunächst n u r die kriegführenden beschränkt, nicht die einzelnen Privatleute, auch nicht die den internationalen H a n d e l treibenden Kaufleute und Schiffsreeder; alle diese können ihre desfallsigen Geschäfte trotz Seekrieg und selbst auf dem Seekriegsschauplatze, vornehmen, wenn sie sich n u r ihrer neutralen Flagge bedienen, wenn ferner die behandelte W a r e keine Kriegskonterbande, dagegen im Eigentum neutraler Privatpersonen ist (s. Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 und oben S. 130). Selbstverständlich freilich können tatsächlich die maritimen Operationen der Belligerenten den Lauf und A u f e n t h a l t s o r t der friedlichen K a u f f a h r t e i schiffe erheblich stören und ebenso kann tatsächlich das Verhängen der Blockade über Seedistrikte, welche jene privaten Geschäftsleute berühren wollten, aber n u n durch die Blockade verhindert sind, störenden Einfluß ausüben, aber die Rechtslage ist doch dem privaten Handel zweifellos g ü n s t i g ; ein neutraler P r i v a t m a n n kann j a w ä h r e n d eines Krieges m i t beiden Kriegführenden oder deren U n t e r t a n e n H a n d e l treiben, m u ß aber, was er dem einen derselben g e s t a t t e t auch dem anderen e r l a u b e n , er darf so selbst Kriegskonterbande, W a f f e n , Kriegsmaterial, Schiffsausrüstung, Lebensmittel usw. an den Feind v e r ä u ß e r n , riskiert dabei aber allerdings, d a ß die Kriegskonterbande, j a sogar das Schiff weggenommen u n d kondemniert w i r d ; auch ein feindliches Schiff darf ein neutraler P r i v a t m a n n während des oder nach dem Kriege oder eine vom kriegführenden Veräußerer feilgehaltene Prise kaufen,
vorausgesetzt, d a ß jener Kauf e r n s t g e m e i n t , kein doloser Scheinkauf, dieser Prisenerwerb ebenfalls ein fehlerloser Rechtshandel über eine rechtmäßige Prise ist; bei alldem ist aber zu bemerken, d a ß es auf die Gesinnung der privaten Neutralen, ihre S y m p a t h i e n oder A n t i p a t h i e n , so lange diese nicht zu feindseligen Handlungen ausarten, gar nicht ank o m m t u n d der neutrale S t a a t hält sich auch gegenüber dieser Handelsfreiheit u n d P r i v a t politik, solange er sich nicht wegen K o n t e r b a n d e oder dgl. einmischen m u ß , neutral. VIII. V e r l e t z u n g der Neutralität kann natürlich auch im Seekriege die Rechtsfolge wie im Landkriege s. oben S. 128 nach sich ziehen. Zur Feststellung derselben und zur Klärung der in Frage k o m m e n d e n T a t s a c h e n dient das den Kriegsschiffen aller Seemächte d. h. sowohl der kriegführenden wie auch der neutralen) zustehende A n h a l t e - , B e s i c h tigungs-, D u r c h s u c h u n g s - und V e r f o l g u n g s r e c h t (droit de visite, de recherche de poursuite, right of visitation, of search) der Staatsfahrzeuge (Kriegsschiffe oder besonderer Kreuzer); sie haben sich namentlich im Anschlüsse an das Recht der U n t e r d r ü c k u n g des Seeraubs, des Sklavenhandels (s. dieses später) auch der Kriegskonterbande (s. d a r ü b e r s p ä t e r ) entwickelt, und es ist zur Durchf ü h r u n g dieser Rechte gegenüber den Handelsschiffen usw. ein formenreiches zeremoniöses Verfahren teils durch Kriegssitte, teils durch Reglements und Verträge eingeführt, auch f ü r Falle des Neutralitätsbruchs. Den Visitationsrechten der Kriegsschiffe usw. u n t e r liegen nicht die von Seeoffizieren einer neutralen Macht befehligten Schiffe einer neutralen Flagge sowie die in (convoi) Begleitung eines Kriegsschiffes fahrenden und von diesem legitimierten Kauffahrteischiffe, eine Ausn a h m e , die freilich bestritten ist, daher m i t u n t e r vertragsmäßig ausdrücklich festgestellt wird. Gegenüber Schiffen der eigenen Flagge und Seeräuberschiffen s t e h t Verfolgungsrecht den Kriegsschiffen völkerrechtlich u n b e s c h r ä n k t zu. Übrigens ist das Recht der Staatssschiffe in Fällen des N e u t r a l i t ä t s b r u c h s höchstens auf Beschlagnahme gerichtet, den Eigentumsverlust k ö n n t e sowohl an unfreiem Gut wie auch am schuldigen Schiff nur ein Prisengerichtshof aussprechen. Postschiffe sollen keine privilegierte Sonderstellung genießen. IX. Das vielversprechende W e r k der Londoner Seerechtskonferenz vom 4. X I I . 1908 bis 27. II. 1909, die L o n d o n e r S e e r e c h t s d e k l a r a t i o n vom 26. II. 1907 ist nicht ratifiziert; s. darüber ausführlich v. Martitz S. 536—545.
Neutralitätsgesetze, englische, amerikanische Literatur: J. C.Bluntschli, Das moderne Völkerrecht der zivilisierten S t a a t e n , 1878, S. 40—51. — Fr. v. Liszt, Das Völkerrecht, § 41. — E. Ullmann, Völkerrecht, § 187. — A. Rivier, Lehrbuch des Völkerrechts, §§ 67, 68. — A. v. Bulmerincq, Revue de droit international etc., X I , 561, X I I , 187, X I I I , 447, X I V , 114. — F. v. Mertitz, in Paul Hinneberg, K u l t u r der Gegenwart. Systematische Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1913, S. 529—546. — Karl Gareis, Institutionen des Völkerbundes, 2. Aufl. 1901, insb. S. 250—257. — Schücking in Niemeyers Zeitschrift f. d. i n t e r n a t i o n . Priv.- u. öff. R. X V I , 121. — K. L. v. Bar, L a b a n d u. Storks Archiv f. öff. Recht, XV, 414. — Wiegner, Die Kriegskonterbande, 1904. — Ernest Nys, le Droit international, 1905, III, 224, 355, 433, 693 u. a. — Oppenheim, International Law, 1,1905, II, 1906, Bd. II, 224, 210, 398. — Rettich, Prisenrecht und F l u ß s c h i f f a h r t , 1892. — Duboc, La droit de visite et la guerre de course, 1902. — Dupuis, Le droit de la guerre m a r i t i m e d'apres les doctrines anglaises contemporaines, 1899. — Leroy, La guerre m a r i t i m e , les a r m e m e n t s encourse et la jurisdiction des prises 1900. — Giodana, La p r o p r i e t ä p r i v a t a nelle guerre m a r i time, 1907. — Trawers Twiß, Revue de droit international etc., X V I , 113. v. G a r e i s .
Neutralitätsgesetze Englands und der Vereinigten Staaten von Amerika. I. Die Neutralitätspraxis Englands und der Vereinigten S t a a t e n fordert und verdient in diesem Wörterbuch insofern eine eigene Behandlung, als diese Länder, teils miteinander streitend, teils sich auf gleichen Inhalt vereinigend, beide durch ihren m a r i t i m e n C h a r a k t e r u n d durch ihr Übergewicht in allen seerechtlichen Fragen ausgezeichnet, zugleich Gegner u n d geborene Genossen in diesen Fragen waren u n d sind. Im politischen und wirtschaftlichen Widerspiel ihrer Interessen und K r ä f t e ist ein langwieriger und schwieriger Prozeß des allmählichen Ausgleichs erkennbar, welcher noch nicht abgeschlossen ist. Die H a u p t phasen dieser Beziehungen sind gekennzeichnet durch Amerikas H a l t u n g im f r a n zösisch-englischen Krieg 1793 (GenetJ e f f e r s o n ) , das Verhältnis der a m e r i k a nischen N e u t r a l i t ä t s a k t e von 1818 u n d der englischen von 1819, die amerikanisch-englischen Verhandlungen 1823—26 (s. N i e m e y e r , U r k u n d e n b u c h zum Seekriegsrecht, 1913 Bd. I, S. 130—36), die Stellung beider S t a a t e n zu der Pariser Deklaration 1856. Die Kontroversen des Sezessionskrieges,
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welche in den Alabama-Claims, dem Schiedsvertrag von Washington 1871 und dem Genfer Schiedsspruch ihre weittragenden Folgen gefunden haben, die Haager Friedenskonferenzen 1899 und 1907, und die Londoner Konferenz 1908—1909, endlich die Gegensätzlichkeit in der Behandlung der Seerechtsfragen in den J a h r e n 1914—1916 (vgl. Artikel D e u t s c h l a n d in diesem Wörterbuch), welche auf f o r t d a u e r n d e grundsätzliche Verschiedenheit in bezug auf das Problem der Meeresfreiheit hinweist. II. Die fortschrittlichen Verträge der Vereinigten Staaten m i t Frankreich 1778, m i t Preußen 1785 (vgl. W i l s o n , H a n d b o o k of International Law, St. Paul Minn. 1910 S. 388) geben die Richtung an, in welcher die Entwicklung des amerikanischen Neutralitätsrechtes sich 1793 bewährte, als der f r a n zösische Gesandte G e n e t die amerikanischen Häfen zur Operationsbasis f ü r den Seekrieg gegen England zu machen u n t e r n a h m , in dem er Kaperbriefe f ü r amerikanische Schiffe und K a p i t ä n e ausgab und bei den französischen Konsulaten Prisengerichte errichtete. Der Staatssekretär T h . J e f f e r s o n protestierte hiergegen in seinem b e r ü h m t e n Brief vom 5. VI. 1793 u n t e r Darlegung der Neutralitätsgrundsätze, welche d e m n ä c h s t in den sog. „ N e u t r a l i t y a c t of J u n e 5, 1794" ( M o o r e , Digest Bd. V I I , S. 1010) gesetzlich niedergelegt wurden. Diese A k t e wurde durch Gesetz vom 2. III. 1797, 24. IV. 1800, 20. IV. 1818 ergänzt. Die letztere, zitiert schlechthin als „ N e u t r a l i t y Law", ist die gesetzliche Grundlage des amerikanischen Neutralitätsrechtes geblieben (s. W i l s o n a. a. O. S. 389). Neutralitätsproklamationen, welche anläßlich späterer Kriege ergingen (1854, 1870, 1904) sind n u r Wiederholungen u n d Einschärfungen. III. Das amerikanische Gesetz von 1818 ist auch die Grundlage f ü r das englische Neutralitätsrecht geworden. Die e n g l i s c h e „ F o r e i g n E n l i s t m e n t - A c t " v o m 3. V I I . 1819 (dies ist die englische Bezeichnung f ü r die Neutralitätsgesetze), St. 59 Geo. III. ch. 69, lehnte sich u n m i t t e l b a r an sie an u n d war die D a n k e s q u i t t u n g f ü r Amerikas echtes Neutralitätsrecht, welches in den vorhergehenden J a h r z e h n t e n England zus t a t t e n gekommen war. Das Gesetz von 1819 blieb in K r a f t bis zum E r l a ß der „ F o r e i g n E n l i s t m e n t - A c t 1870" (vom 9. V I I I . , St. 33—34 Vict. ch. 90), welche noch heute in K r a f t ist (s. O p p e n h e i m , Int. Law 3. Auflage Bd. II 1921, S. 415). Die später f ü r die einzelnen Kriegsfälle ergangenen Neutralitätsverordnungen (namentlich 1898 u n d 1904) sind Wiederholungen u n d Ausführungen des alten Rechtes.
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IV. Dem vorstehend bezeichneten äußeren Parallelismus der Neutralitätsgesetzgebung beider Länder hat die Praxis des Neutralitätsrechtes keineswegs entsprochen. Schwere Konflikte von langer Dauer, welche die Länder miteinander hatten, und deren Höhepunkt die Alabama Claims (1861 bis 1871) waren, betrafen gerade die Auslegung und Anwendung des Neutralitätsrechtes. Der Verlauf der Spannung ist eingehend geschildert in dem „Exposfi des Etats-Unis presentö au tribunal d'arbitrage rfiuni ä Genfeve. Washington 1871", S. 21—364. Die Lösung liegt in den als „Regeln von Washington" bekannten, in dem Schiedsverträge vom 8. V. 1871 aufgestellten Neutralitätsgrundsätzen, auf welche sich die beiden Staaten einigten (abgedruckt S t r u p p , Urkunden I S. 407) und welche die Haager Konventionen von 1907 und die Londoner Seerechtsdeklaration wesentlich beeinflußt haben. A n h a n g : Die Texte der amerikanischen „Neutrality Law" von 1818 und der englischen „ Foreign-Enlistment-Act" von 1870 seien, weil sie nicht überall zugänglich sind, wie folgt, mitgeteilt: 1. Die N e u t r a l i t y L a w v o n 1818 ist in Titel LXVII der „Revised Statutes" unter sec. 5281—5291 wie folgt aufgenommen: See. 5281. (1) Every citizen of the United States who within the territory or juris-, diction thereof, accepts and exercises a commission to serve a foreign prince, state, colony, district, or people in war, by land or by sea, against any prince, state, colony, district, or people with whom the United States are at peace, shall be deemed guilty of a high misdemeanor, and shall be fined not more than two thousand dollars and imprisoned not more than three years. Sec. 5282. (2) Every person who, within the territory or jurisdiction of the United States, enlists or enters himself, or hires or retains another person to enlist or enter himself, or to go beyond the limits or jurisdiction of the United States with intent to be enlisted or entered in the service of any foreign prince, state, colony, district or people, as a soldier, or as a marine or seaman, on board of any vessel of war, letter of marque, or privateer, shall be deemed guilty of high misdemeanor, and shall be fined not more than one thousand dollars, and imprisoned not more than three years. Sec. 5283. (3) Every person who, within the limits of the United States, fits out and arms, or attempts to fit out and arm, or procures to be fitted out and armed, or knowingly is concerned in the furnishing, fitting out, or arming, of any vessel with
intent t h a t such vessel shall be employed in the service of any foreign prince or state, or of any colony, district, or people, to cruise or commit hostilities against the subjects, citizens, or property of any foreign prince or state, or of any colony, district, or people, with whom the United States are at peace, or who issues or delivers a commission within the territory or jurisdiction of the United States, for any vessel to the intent that she may be so employed, shall be deemed guilty of a high misdemeanor, and shall be fined not more than ten thousand dollars, and imprisoned not more than three years. (4) And every such vessel, with her tackle, apparel, and furniture, together with all materials, arms, ammunitions, and stores, which may have been procured for the building and equipment thereof, shall be forfeited; one-half to the use of the informer, and the other half to the United States. Sec. 5284. (5) Every citizen of the United States who, without the limits thereof, fits out and arms, or attempts to fit out and arm, or procures to be fitted out and armed, or knowingly aids or is concerned in furnishing, fitting out, or arming any private vessel of war, or privateer, with intent that such vessel shall be employed to cruise, or commit hostilities, upon the citizens of the United States or their property, or who takes the command of, or enters on board of any such vessel for such intent, or who purchases any interest in any such vessel with a view to share in the profits thereof, shall be deemed guilty of high misdemeanor and fined not more than ten thousand dollars, and imprisoned not more than ten years. And the trial for such offence, if committed without the limits of the United States, shall be in the district in which the offender shall be apprehended or first brought. Sec. 5285. (6) Every person who, within the territory or jurisdiction of the United States, increases or augments, or procures to be increased or augmented, or knowingly is concerned in increasing or augmenting, the force of any ship of war, cruiser, or other armed vessel which at the time of her arrival within the United States was a ship of war, or cruiser, or armed vessel in the service of any foreign prince or state, or of any colony, district, or people, or belonging to the subjects or citizens of any such prince or state, colony, district, or people, the same being at war with any foreign prince or state or any colony, district, or people, with whom the United States are at peace, by adding to the number of the guns of such vessel, or by changing those on board of her for guns of
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a larger caliber, or by adding thereto any President, or such person as he shall empower equipment solely applicable to war, shall be for t h a t purpose, to employ such part of the deemed guilty of a high misdemeanor, and land or naval forces of the United States, shall be fined not more than one thousand or of the militia thereof, as shall be necesdollars and be imprisoned not more than one sary to compel any foreign vessel to depart year. the United States in all cases in which, by Sec. 5286. (7) Every person who, within the laws of nations or the treaties of the the territory or jurisdiction of the United United States, she ought not to remain States, begins, or sets on foot, or provides within the United States. or prepares the means for any military Sec. 5289. (10) The owners or consigners expedition or enterprise, to be carried on from thence against the territory or domi- of every armed vessel sailing out of the ports nions of any foreign prince or state, or of any of the United States, belonging wholly or in colony, district, or people with whom the part to citizens thereof, shall, before clearing United States are at peace, shall be deemed out the same, give bond to the United States guilty of a high misdemeanor, and shall be with sufficient sureties, in double the amount fined not exceeding three thousand dollars of the value of the vessel and cargo on board and imprisoned not more than three years. including her armament, conditioned t h a t the vessel shall not be employed by such Sec. 5287. (8) The district court shall take owners to cruise or commit hostilities against cognizance or all complaints by whomsoever the subjects, citizens, or property of any instituted in cases of captures made within foreign prince or state, or of any colony, the waters of the United States or within a district, or people with whom the United marine league of the coasts or shores thereof. States are at peace. In every case in which a vessel is fitted out Sec. 5290. (11) The several collectors of and armed, or attempted to be fitted out and armed, or in which the force of any the customs shall detain any vessel manivessel of war, cruiser, or other armed vessel festly built for warlike purposes and about is increased or augmented, or in which any to depart from the United States, the cargo military expedition or enterprise is begun of which principally consists of arms and or set on foot, contrary to the provisions munitions of war, when the number of men and prohibitions of this Title (R. S., 5281 shipped on board, or other circumstances, to 5291); and in every case of the capture render it probable that such vessel is intended of a vessel within the jurisdiction or pro- to be employed by the owners to cruise or tection of the United States as before de- commit hostilities upon the subjects, citizens, fined; and in every case in which any process or property of any foreign prince or state, or issuing out of any court of the United States of any colony, district, or people with whom is disobeyed or resisted by any person having the United States are at peace, until the the custody of any vessel of war, cruiser, or decision of the President is had thereon, or other armed vessel of any foreign prince or until the owner gives such bond and security state, or of any colony, district, or people, as is required of the owners of armed vessels or of any subjects or citizens of any foreign by the preceding section. prince or state, or of any colony, district or Sec. 5291. (12) The provisions of this people, it shall be lawful for the President or, Title (R. S., 5281—5291) shall not be consuch other person as he shall have empo-j strued to extend to any subject or citizen of wered for that purpose, to employ such part any foreign prince, state, colony, district, or of the land or naval forces of the United people who is transiently within the United States, or of the militia thereof, for the States, and enlists or enters himself on board purpose of taking possession of and detaiof any vessel of war, letter of marque or ning any such vessel, with her prizes, if any, privateer which at the time of its arrival in order to the execution of the prohibitions within the United States was fitted and and penalties of this Title, and to the restoequipped as such, or hires or retains another ring of such prizes in the cases in which subject or citizen of the same foreign prince, restoration shall be adjudged; and also for state, colony, district, or people, who is the purpose of preventing the carrying on of transiently within the United States, to any such expedition or enterprise from the enlist or enter himself to serve such foreign territories or jurisdiction of the United prince, state, colony, district, or people, on States against the territories or dominions board such vessel of war, letter of marque of any foreign prince or state, or of any or privateer, if the United States shall then colony, district, or people with whom the be at peace with such foreign prince, state, United States are at peace. colony, district, or people. Nor shall they Sec. 5288. (9) It shall be lawful for the be construed to prevent the prosecution or
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Neutralitätsgesetze, englische, amerikanische
punishment of treason, or of any piracy intent to accept any commission or engagedefined by the laws of the United States. ment in the military or naval service of any 2. Die F o r e i g n - E n l i s t m e n t - A c t von foreign state at war with a friendly state, 1870 lautet: or, whether a British subject or not, within An Act to regulate the conduct of Her Her Majesty's dominions, induces any other Majesty's Subjects during the existence of person to quit or to go on board any ship hostilities between foreign states with which with a view of quitting Her Majesty's doHer Majesty is at peace. [9th August 1870.] minions with the like intent, — Whereas it is expedient to make proviHe shall be guilty of an offence against this sion for the regulation of the conduct of Her Act, and shall be punishable by fine and Majesty's subjects during the existence of imprisonment, or either of such punishments, hostilities between foreign states with which at the discretion of the court before which Her Majesty is at peace: the offender is convicted; and imprisonment, Be it enacted by the Queen's most Ex- if awarded, may be either with or without cellent Majesty, by and with the advice and hard labour. consent of the Lords Spiritual and Temporal, 6. If any person induces any other person and Commons, in this present Parliament to quit Her Majesty's dominions or to embark assembled, and by the authority of the same, on any ship within Her Majesty's dominions as follows: under a misrepresentation or false represenPreliminary. 1. This Act may be cited tation of the service in which such person is for all purposes as „The Foreign Enlistment to be engaged, with the intent or in order that such person m a y accept or agree to Act, 1870." 2. This Act shall extend to all the do- accept any commission or engagement in the minions of Her Majesty, including the ad- military or naval service of any foreign state at war with a friendly state, — jacent territorial waters. 3. This Act shall come into operation in He shall be guilty of an offence against the United Kingdom immediately on the this Act, and shall be punishable by fine and passing thereof, and shall be proclaimed in imprisonment, or either of such punishevery British possession by the governor ments, at the discretion of the court before thereof as soon as m a y be after he receives which the offender is convicted; and imnotice of this Act, and shall come into ope- prisonment, if awarded, may be either with ration in that British possession on the day or without hard labour. of such proclamation, and the time at which 7. If the master or owner of any ship, this Act comes into operation in any place without the license of Her Majesty, knois, as respects such place, in this Act referred wingly either takes on board, or engages to to as the commencement of this Act. take on board, or has on board such ship Illegal Enlistment. 4. If any person, within Her Majesty's dominions any of the without the license of Her Majesty, being a following persons, in this Act referred to as British subject, within or without Her illegally enlisted persons; t h a t is to say, Majesty's dominions, accepts or agrees to (1.) Any person who, being a British subaccept any commission or engagement in the ject within or without the dominions of Her military or naval service of any foreign state Majesty, has, without the license of Her at war with any foreign state at peace with Majesty, accepted or agreed to accept any Her Majesty, and in this Act referred to as commission or engagement in the military a friendly state, or whether a British subject or naval service of any foreign state at war or not within Her Majesty's dominions, in- with any friendly state: duces any other person to accept or agree to (2.) Any person, being a British subject, accept any commission or engagement in the who, without the license of Her Majesty, is military or naval service of any such foreign about to quit Her Majesty's dominions with state as aforesaid, — intent to accept any commission or engageHe shall be guilty of an offence against ment in the military or naval service of any this Act, and shall be punishalbe by fine foreign state at war with a friendly state: and imprisonment, or either of such punish(3.) Any person who has been induced ments, at the discretion of the court before to embark under a misrepresentation or false which the offender is convicted; and im- representation of the service in which such prisonment, if awarded, may be either with person is to be engaged, with the intent or in or without hard labour. order t h a t such person may accept or agree 5. If any person, without the license of to accept any commission or engagement in Her Majesty, being a British subject, quits the military or naval service of any foreign or goes on board any ship with a view of state at war with a friendly state: quitting Her Majesty's dominions, with Such master or owner shall be guilty of an
Neutralitätsgesetze, englische, amerikanische offence against this Act, and t h e following consequences shall ensue; t h a t is to say, (1.) T h e offender shal be punishable b y f i n e and imprisonment, or either of such p u n i s h m e n t s , a t t h e discretion of t h e court before which t h e offender is convicted; and i m p r i s o n m e n t , if awarded, m a y be either w i t h or w i t h o u t h a r d l a b o u r : and (2.) Such ship shall be detained until the trial and conviction or acquittal of t h e m a s t e r or owner, and until all penalties inflicted on t h e m a s t e r or owner have been paid, or t h e m a s t e r or owner has given security for t h e p a y m e n t of such penalties to t h e satisfaction of two justices of the peace, or other m a g i s t r a t e or magistrates having t h e a u t h o r i t y of two justices of t h e p e a c e : and (3). All illegally enlisted persons shall i m m e d i a t e l y on t h e discovery of t h e offence be taken on shore, and shall n o t be allowed to return to t h e ship. Illegal Shipbuilding and Illegal E x p e d i tions. 8. If a n y person within Her Majesty's dominions, w i t h o u t t h e license of Her Majesty, does a n y of t h e following a c t s ; t h a t is to say,— (1.) Builds or agrees to build, or causes to be built a n y ship w i t h i n t e n t or knowledge, or having reasonable cause to believe t h a t the same shall or will be employed in t h e m i l i t a r y or naval service of a n y foreign s t a t e a t war w i t h a n y friendly s t a t e : or (2.) Issues or delivers a n y commission for a n y ship w i t h i n t e n t or knowledge, or having reasonable cause to believe t h a t t h e same shall or will be employed in t h e m i l i t a r y or naval service of a n y foreign s t a t e a t war w i t h a n y friendly s t a t e : or (3.) E q u i p s a n y ship w i t h i n t e n t or knowledge, or having reasonable cause to believe t h a t t h e same shall or will be employed in t h e m i l i t a r y or naval service of a n y foreign s t a t e a t war w i t h a n y friendly s t a t e : or (4.) Despatches, or causes or allows to be despatched, a n y ship w i t h i n t e n t or knowledge, or having reasonable cause to believe t h a t t h e s a m e shall or will be employed in t h e m i l i t a r y or naval service of a n y foreign s t a t e a t w a r w i t h a n y friendly s t a t e : Such person shall be deemed to h a v e comm i t t e d an offence against this Act, and t h e following consequences shall ensue: (1.) T h e offender shall be punishable b y f i n e a n d i m p r i s o n m e n t , or either of such p u n i s h m e n t s , a t the discretion of t h e court before which t h e offender is convicted; and i m p r i s o n m e n t , if awarded, m a y be either w i t h or w i t h o u t hard labour. (2.) T h e ship in respect of which a n y such
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offence is c o m m i t t e d , and her e q u i p m e n t , shall be forfeited to H e r M a j e s t y : Provided t h a t a person building, causing to be built, or equipping a ship in a n y of the cases aforesaid, in pursuance of a contract m a d e before the commencement of such war as aforesaid, shall not be liable to a n y of t h e penalties imposed b y this section in respect of such building or equipping if he satisfies t h e conditions following; ( t h a t is to say,) (1.) If f o r t h w i t h upon a proclamation of n e u t r a l i t y being issued b y Her M a j e s t y he gives notice to the Secretary of S t a t e t h a t he is so building, causing to be built, or equipping such ship, and furnishes such particulars of t h e contract and of a n y m a t ters relating to, or done, or to be done u n d e r t h e contract as m a y be required b y t h e Secretary of S t a t e : (2.) If he gives such security, and takes and permits to be t a k e n such other measures, if any, as t h e Secretary of S t a t e m a y prescribe for ensuring t h a t such ship shall not be despatched, delivered, or removed w i t h o u t the license of Her Majesty until t h e termination of such war as aforesaid. 9. W h e r e a n y ship is built b y order of or on behalf of a n y foreign s t a t e when a t war with a friendly state, or is delivered to or to t h e order of such foreign s t a t e , or a n y person who to t h e knowledge of t h e person building is an agent of such foreign s t a t e , or is paid for b y such foreign s t a t e or such agent, a'nd is employed in the m i l i t a r y or naval service of such foreign s t a t e , such ship shall, until t h e c o n t r a r y is proved, be deemed to h a v e been built w i t h a view to being so employed, and t h e burden shall lie on t h e builder of such ship of proving t h a t he did not know t h a t t h e ship was intended to be so employed in t h e m i l i t a r y or naval service of such foreign state. 10. If a n y person within t h e dominions of Her Majesty, and w i t h o u t t h e license of Her Majesty,— By adding to t h e n u m b e r of the guns, or b y changing those on board for other guns, or b y t h e addition of a n y equipment for war, increases or a u g m e n t s , or procures to be increased or a u g m e n t e d , or is knowingly concerned in increasing or a u g m e n t i n g t h e warlike force of a n y ship which a t t h e t i m e of her being within t h e dominions of H e r Majesty was a ship in t h e military or n a v a l service of a n y foreign s t a t e a t war w i t h a n y friendly state,— Such person shall be guilty of an offence against this Act, a n d shall be punishable by fine and i m p r i s o n m e n t , or either of such p u n i s h m e n t s , a t t h e discretion of t h e court
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before which the offender is convicted; and i m p r i s o n m e n t , if awarded, m a y be either w i t h or w i t h o u t h a r d labour. 11. If a n y person within t h e limits of H e r Majesty's dominions, a n d w i t h o u t t h e license of H e r M a j e s t y , — Prepares or f i t s out a n y naval or milit a r y expedition to proceed against t h e dominions of a n y friendly s t a t e , t h e following consequences shall ensue: (1.) E v e r y person engaged in such preparation or f i t t i n g out, or assisting therein, or employed in a n y capacity in such expedition, shall be guilty of an offence against this Act, a n d shall be punishable b y fine and i m p r i s o n m e n t , or either of such punishm e n t s , a t t h e discretion of t h e court before which t h e offender is convicted; a n d imprisonment, if awarded, m a y be either w i t h or w i t h o u t h a r d labour. (2.) All ships, and their equipments, and all a r m s a n d munitions of w a r , used in or forming p a r t of such expedition, shall be forfeited to Her M a j e s t y . 12. A n y person who aids, abets, counsels, or procures t h e commission of a n y offence against this Act shall be liable to be tried and punished as a principal offender. 13. T h e term of i m p r i s o n m e n t to be awarded in respect of a n y offence against this Act shall n o t exceed two years. Illegal Prize. 14. If, during t h e continuance of a n y w a r in which H e r Majesty m a y be neutral, a n y ship, goods, or m e r c h a n dise captured as prize of war within the territorial jurisdiction of Her Majesty, in violation of the n e u t r a l i t y of this realm, or captured b y a n y ship which m a y h a v e been built, equipped, commissioned, or despatched, or t h e force of which m a y have been a u g m e n ted, c o n t r a r y to t h e provisions of this Act, are b r o u g h t within t h e limits of H e r Majesty's dominions b y t h e captor, or a n y agent of t h e captor, or b y a n y person having come into possession thereof w i t h knowledge t h a t t h e same was prize of war so captured as aforesaid, it shall be lawful for t h e original owner ο such prize, or his agent, or for a n y person authorised in t h a t behalf b y t h e Government of t h e foreign s t a t e to which such owner belongs, to m a k e application to t h e Court of A d m i r a l t y for seizure and detention of such prize, and t h e court shall, on due proof of t h e facts, order such prize to be restored. E v e r y such order shall be executed and carried into effect in t h e same m a n n e r , and subject to the same right of appeal, as in case of a n y order m a d e in t h e exercise of t h e ordinary jurisdiction of such c o u r t ; and in t h e m e a n t i m e and until a final order has
been m a d e on such application t h e court shall h a v e power to m a k e all such provisional a n d other orders as t o t h e care or c u s t o d y of such captured ship, goods, or m e r c h a n d i s e , and (if t h e same be of perishable n a t u r e , or incurring risk of deterioration) f o r t h e sale thereof, and w i t h respect to t h e deposit or i n v e s t m e n t of t h e proceeds of a n y such sale, as m a y be m a d e b y such court in t h e exercise of its o r d i n a r y jurisdiction. General Provision. 15. For t h e purposes of this Act, a license b y H e r M a j e s t y shall be u n d e r t h e sign m a n u a l of H e r M a j e s t y , or be signified b y Order in Council or b y proclamation of H e r Majesty. Legal Procedure. 16. A n y offence against this Act shall, for all purposes of a n d incidental to t h e trial and p u n i s h m e n t of a n y person guilty of a n y such offence, be deemed to have been c o m m i t t e d either in t h e place in which t h e offence was wholly or p a r t l y c o m m i t t e d , or in a n y place within H e r Majesty's dominions in which t h e person who c o m m i t t e d such offence m a y be. 17. A n y offence against this Act m a y be described in a n y i n d i c t m e n t or o t h e r docum e n t relating to such offence, in cases where t h e m o d e of trial requires such a description, as having been c o m m i t t e d a t t h e place where it was wholly or p a r t l y c o m m i t t e d , or it m a y be averred generally to h a v e been c o m m i t t e d within Her Majesty's dominions, and t h e venue or local description in t h e margin m a y be t h a t of t h e c o u n t y , city, or place in which t h e trial is held. 18. T h e following authorities, t h a t is to say, in t h e United Kingdom a n y judge of a superior court, in a n y other place w i t h i n the jurisdiction of a n y British court of justice, such court, or, if there are more courts t h a n one, t h e court having t h e highest criminal jurisdiction in t h a t place, m a y , b y w a r r a n t or i n s t r u m e n t in t h e n a t u r e of a w a r r a n t in this section included in t h e t e r m „ w a r r a n t " , direct t h a t a n y offender charged w i t h an offence against this Act shall be removed to some other place in Her Majesty's dominions for trial in cases where i t appears to t h e a u t h o r i t y g r a n t i n g t h e warr a n t t h a t the removal of such offender would be conducive to t h e interests of justice, and a n y prisoner so removed shall be triable a t t h e place to which he is removed, in t h e same m a n n e r as if his offence h a d been committed a t such place. A n y w a r r a n t for t h e purposes of this section m a y be addressed to t h e m a s t e r of a n y ship or to a n y other person or persons, and t h e person or persons to whom such w a r r a n t is addressed shall h a v e power to convey t h e prisoner therein n a m e d to a n y
Neutralitätsgesetze, englische, amerikanische place or places n a m e d in such w a r r a n t , and to deliver him, when arrived a t such place or places, into t h e custody of a n y a u t h o r i t y designated b y such w a r r a n t . E v e r y prisoner shall, during t h e t i m e of his removal u n d e r a n y such w a r r a n t as aforesaid, be deemed to be in t h e legal custody of t h e person or persons empowered to remove him. 19. All proceedings for t h e condemnation a n d forfeiture of a ship, or ship and equipm e n t , or a r m s a n d munitions of war, in pursuance of this Act shall require t h e sanction of t h e Secretary of S t a t e or such chief executive a u t h o r i t y as is in this Act m e n tioned, a n d shall be had in t h e Court of A d m i r a l t y , and not in a n y other c o u r t ; a n d t h e Court of A d m i r a l t y shall, in addition to a n y power given to t h e court by this Act, h a v e in respect of a n y ship or other m a t t e r b r o u g h t before it in p u r s u a n c e of this Act all powers which it has in t h e case of a ship or m a t t e r brought before it in t h e exercise of its o r d i n a r y jurisdiction.
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structions f r o m t h e A d m i r a l t y or his superior officer, m a y seize or detain a n y ship liable to be seized or detained in p u r s u a n c e of this Act, and such officers are in this Act referred to as t h e „local a u t h o r i t y ; " b u t n o t h i n g in this Act contained shall derogate f r o m t h e power of t h e Court of A d m i r a l t y to direct a n y ship to be seized or detained b y a n y officer b y whom such court m a y have power u n d e r its ordinary jurisdiction to direct a ship to be seized or detained. 22. A n y officer authorised to seize or detain a n y ship in respect of a n y offence against this Act m a y , for the p u r p o s e of enforcing such seizure or detention, call to his aid a n y constable or officers of police, or a n y officers of Her Majesty's a r m y or n a v y or marines, or a n y excise officers or officers of customs, or a n y h a r b o u r - m a s t e r or dock-master, or a n y officers h a v i n g a u t h o r i t y b y law to m a k e seizures of ships, and m a y p u t on board a n y ship so seized or detained a n y one or more of such officers to t a k e charge of t h e same, and to enforce t h e provisions of this Act, and any officer seizing or detaining a n y ship u n d e r this Act m a y use force, if necessary, for t h e purpose of enforcing seizure or detention, a n d if a n y person is killed or m a i m e d b y reason of his resisting such officer in t h e execution of his duties, or a n y person acting u n d e r his orders, such officer so seizing or detaining t h e ship, or other person, shall be freely a n d fully indemnified as well against t h e Queen's Majesty, her heirs a n d successors, as against all persons so killed, m a i m e d , or h u r t .
20. W h e r e a n y offence against this Act has been committed b y a n y person b y reason whereof a ship, or ship a n d equipment, or a r m s and munitions of war, has or h a v e become liable to forfeiture, proceedings m a y be i n s t i t u t e d contemporaneously or not, as m a y be t h o u g h t fit, against t h e offender in a n y court having jurisdiction of t h e offence, a n d against t h e ship, or ship a n d e q u i p m e n t , or a r m s a n d munitions of war, for t h e forfeiture in t h e Court of A d m i r a l t y ; b u t it shall not be necessary to t a k e proceedings against t h e offender because proceedings are 23. If t h e Secretary of S t a t e or t h e chief i n s t i t u t e d for t h e forfeiture, or to t a k e proceedings for t h e forfeiture because pro- executive a u t h o r i t y is satisfied t h a t there is a reasonable and probable cause for belieceedings are t a k e n against t h e offender. ving t h a t a ship within Her M a j e s t y ' s do21. T h e following officers, t h a t is to say, minions has been or is being built, com(1.) A n y officer of customs in t h e United missioned, or equipped c o n t r a r y to this Act, Kingdom, s u b j e c t nevertheless to a n y special and is a b o u t to be t a k e n beyond t h e limits or general instructions f r o m t h e Commis- of such dominions, or t h a t a ship is a b o u t sioners of Customs or a n y officer of t h e to be despatched c o n t r a r y to this Act, such Board of T r a d e , subject nevertheless to a n y Secretary of S t a t e or chief executive a u t h o special or general instructions f r o m t h e r i t y shall have power to issue a w a r r a n t Board of T r a d e ; stating t h a t there is reasonable and probable (2.) A n y officer of customs or public cause for believing as aforesaid, and upon officer in a n y British possession, s u b j e c t such w a r r a n t t h e local a u t h o r i t y shall have nevertheless to a n y special or general in- power to seize and search such ship, a n d structions f r o m t h e governor of such pos- to detain t h e same until it has been either session; condemned or released b y process of law, (3.) A n y commissioned officer on full or in m a n n e r herein-after mentioned. p a y in t h e military service of the Crown, T h e owner of t h e ship so detained, or his subject nevertheless to a n y special or general agent, m a y a p p l y to t h e Court of A d m i r a l t y instructions f r o m his commanding officer; for its release, and t h e court shall as soon (4.) A n y commissioned officer on full p a y as possible p u t t h e m a t t e r of such seizure in t h e naval service of t h e Crown, subject and detention in course of trial between nevertheless to a n y special or general in- t h e applicant and t h e Crown.
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court declares that the owner is to be indemnified by the payment of costs and damages for the detainer, all costs, charges, and expenses incurred by such owner in or about any proceedings for the condemnation of such ship shall be added to the costs and damages payable to him in respect of the detention of the ship. Nothing in this section contained shall apply to any foreign non-commissioned ship despatched from any part of Her Majesty's dominions after having come within them under stress of weather or in the course of a peaceful voyage, and upon which ship no fitting out or equipping of a warlike character has taken place in this country. 24. Where it is represented to any local authority, as defined by this Act, and such local authority believes the representation, that there is a reasonable and probable cause for believing that a ship within Her Majesty's dominions has been or is being built, commissioned, or equipped contrary to this Act, and is about to be taken beyond the limits of such dominions, or that a ship is about to be despatched contrary to this Act, it shall be the duty of such local authority to detain such ship, and forthwith to communicate the fact of such detention to the Secretary of State or chief executive authority. Upon the receipt of such communication the Secretary of State or chief executive If the court be of opinion that there was authority may order the ship to be released not reasonable and probable cause for the if he thinks there is no cause for detaining detention, and if no such cause appear in her, but if satisfied t h a t there is reasonable the course of the proceedings, the court shall and probable cause for believing that such have power to declare that the owner is to ship was built, commissioned, or equipped be indemnified by the payment of costs j or intended to be despatched in contraand damages in respect of the detention, I vention of this Act, he shall issue his warrant the amount thereof to be assessed by the ! stating that there is reasonable and probable court, and any amount so assessed shall be cause for believing as aforesaid, and upon payable by the Commissioners of the Trea- such warrant being issued further proceedsury out of any moneys legally applicable for ings shall be had as in cases where the seizure t h a t purpose. The Court of Admiralty shall or detention has taken place on a warrant also have power to make a like order for the issued by the Secretary of State without indemnity of the owner, on the application any communication from the local authority. of such owner to the court, in a summary Where the Secretary of State or chief way, in cases where the ship is released by executive authority orders the ship to be the order of the Secretary of State or the released on the receipt of a communication chief executive authority, before any appli- from the local authority without issuing his cation is made by the owner or his agent to warrant, the owner of the ship shall be inthe court for such release. demnified by the payment of costs and daNothing in this section contained shall mages in respect of the detention upon apaffect any proceedings instituted or to be plication to the Court of Admiralty in a instituted for the condemnation of any ship summary way in like manner as he is entitled detained unter this section where such ship to be indemnified where the Secretary of is liable to forfeiture, subject to this provi- State having issued his warrant under this sion, that if such ship is restored in pursuance Act releases te ship before any application of this section all proceedings for such con- is made by the owner or his agent to the demnation shall be stayed; and where the court for such release.
If the applicant establish to the satisfaction of the court that the ship was not and is not being built, commissioned, or equipped, or intended to be despatched contrary to this Act, the ship shall be released and restored. If the applicant fail to establish to the satisfaction of the court t h a t the ship was not and is not being built, commissioned, or equipped, or intended to be despatched contrary to this Act, then the ship shall be detained till released by order of the Secretary of State or chief executive authority. The court may in cases where no proceedings are pending for its condemnation release any ship detained under this section on the owner giving security to the satisfaction of the court that the ship shall not be employed contrary to this Act, notwithstanding that the applicant may have failed to establish to the satisfaction of the court that the ship was not and is not being built, commissioned, or intended to be despatched contrary to this Act. The Secretary of State or the chief executive authority m a y likewise release any ship detained under this section on the owner giving security to the satisfaction of such Secretary of State or chief executive authority that the ship shall not be employed contrary to this Act, or m a y release the ship without such security if the Secretary of State or chief executive author i t y think fit so to release the same.
Neutralitätsgesetze, englische, amerikanische 25. T h e Secretary of S t a t e or t h e chief executive a u t h o r i t y m a y , b y w a r r a n t , empower a n y person to enter a n y dockyard or other place within Her Majesty's dominions a n d inquire as to t h e destination of a n y ship which m a y appear to him intended to be employed in the naval or milit a r y service of a n y foreign s t a t e a t war w i t h a friendly s t a t e , and to search such ship. 26. A n y powers or jurisdiction b y this Act given to t h e Secretary of State m a y be exercised b y him t h r o u g h o u t t h e dominions of H e r Majesty, and such powers and jurisdiction m a y also be exercised b y a n y of t h e following officers, in this Act referred to as t h e chief executive a u t h o r i t y , within their respective jurisdictions; t h a t is to say, (1.) In Ireland b y t h e Lord L i e u t e n a n t or other t h e chief governor or governors of Ireland for t h e time being, or t h e chief secretary to t h e Lord L i e u t e n a n t : (2.) In J e r s e y b y the L i e u t e n a n t Governor: (3.) In Guernsey, Alderney, and S a r k , a n d t h e dependent islands b y t h e L i e u t e n a n t Governor: (4.) In t h e Isle of Man b y the Lieutenant Governor: (5.) In a n y British possession by the Governor. A copy of a n y w a r r a n t issued b y a Secret a r y of S t a t e or b y a n y officer authorised in p u r s u a n c e of this Act to issue such w a r r a n t in Ireland, t h e Channel Islands, or t h e Isle of Man shall be laid before P a r l i a m e n t . 27. An appeal m a y be had f r o m a n y decision of a Court of A d m i r a l t y u n d e r this Act to t h e same tribunal and in t h e same m a n n e r to a n d in which an appeal m a y be had in cases within t h e ordinary jurisdiction of t h e court as a Court of A d m i r a l t y . 28. S u b j e c t to t h e provisions of this Act providing for t h e award of damages in certain cases in respect of t h e seizure or detention of a ship b y the Court of A d m i r a l t y no damages shall be payable, a n d no officer or local a u t h o r i t y shall be responsible, either civilly or criminally, in respect of t h e seizure or detention of a n y ship in p u r s u a n c e of this Act. 29. T h e Secretary of S t a t e shall not, nor shall t h e chief executive a u t h o r i t y , be responsible in a n y action or other legal proceedings whatsoever for a n y w a r r a n t issued b y him in pursuance of this Act, or be examinable as a witness, except a t his own request, in a n y court of justice in respect of t h e circumstances which led to t h e issue of t h e w a r r a n t . Interpretation Clause. 30. In this Act, if not inconsistent w i t h t h e context, t h e fol-
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lowing t e r m s have the meanings herein-after respectively assigned to t h e m ; t h a t is to say, „Foreign s t a t e " includes a n y foreign prince, colony, province, or p a r t of a n y province or people, or a n y person or persons exercising or assuming to exercise t h e powers of g o v e r n m e n t in or over a n y foreign country, colony, province, or p a r t of a n y province or people: „ M i l i t a r y service" shall include military telegraphy and a n y other employment whatever, in or in connexion w i t h a n y military operation: „ N a v a l service" shall, as respects a person, include service as a marine, e m p l o y m e n t as a pilot in piloting or directing t h e course of a ship of war or other ship when such ship of war or other ship is being used in a n y m i l i t a r y or naval operation, and a n y emp l o y m e n t whatever on board a ship of war, t r a n s p o r t , store ship, privateer or ship u n d e r letters of m a r q u e ; and as respects a ship, include a n y user of a ship as a t r a n s p o r t , store ship, privateer or ship u n d e r letters of m a r q u e : „ U n i t e d K i n g d o m " includes t h e Isle of Man, t h e Channel Islands, a n d other a d j a c e n t islands: „ B r i t i s h possession" means a n y territory, colony, or place being p a r t of H e r M a j e s t y ' s dominions, and not p a r t of t h e United Kingdom, as defined b y this A c t : „ T h e Secretary of S t a t e " shall m e a n a n y one of Her Majesty's Principal Secretaries of S t a t e : „ T h e G o v e r n o r " shall as respects India m e a n t h e Governor General or t h e governor of a n y presidency, and where a British possession consists of several constituent colonies, mean the Governor General of the whole possession or the Governor of a n y of t h e constituent colonies, and as respects a n y other British possession it shall m e a n t h e officer for the t i m e being administering t h e g o v e r n m e n t of such possession; also a n y person acting for or in t h e c a p a c i t y of a governor shall be included u n d e r t h e term „Governor": „Court of A d m i r a l t y " shall m e a n t h e High Court of A d m i r a l t y of England or Ireland, the Court of Session of Scotland, or a n y Vice-Admiralty Court within Her Majesty's dominions: „ S h i p " shall include a n y description of boat, vessel, floating b a t t e r y , or floating c r a f t ; also a n y description of b o a t , vessel, or other c r a f t or b a t t e r y , m a d e to move either on t h e surface of or u n d e r w a t e r , or sometimes on t h e surface of a n d sometimes under water:
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Neutralitätsgesetze, englische, amerikanische — Neutralitätswidrige Dienste
„ B u i l d i n g " in relation to a ship shall jurisprudence de la cour supreme des ßtats-Unis en matifere de prises, Paris 1901. include the doing a n y act towards or inci[Wegen ihrer Wichtigkeit und seltenen dental to the construction of a ship, and all Publikationen wird die Acte hier abwords having relation to building shall be gedruckt. Herausgeber.] construed accordingly: Niemeyer. „ E q u i p p i n g " in relation to a ship shall include the furnishing a ship with any tackle, apparel, furniture, provisions, arms, munitions, or stores, or any other thing Neutralitätsregel von 1 7 5 6 s. Seekriegs which is used in or about a ship for the recht, Geschichte des. purpose of fitting or adapting her for the sea or for naval service, and all words relating to equipping shall be construed accorNeutralitätswidrige Dienste. dingly: Welche Dienste, geleistet von einem „ S h i p and e q u i p m e n t " shall include a ship and everything in or belonging to a ship: neutralen S t a a t e , einer der kriegführenden „ M a s t e r " shall include any person having Mächte, seiner Neutralität widersprechen, folgeweise den Verlust dieser Wohltat nach sich the charge or command of a ship. Repeal of Acts, and Saving Clauses. 31. ziehen müssen, ergibt sich begrifflich zunächst From and after the commencement of this schon aus dem Wesen der Neutralität, siehe Act, an Act passed in the fifty-ninth year den Artikel hierüber, auch die Artikel bewaffnete, wohlwollende", of the reign of His late Majesty King George „Neutralität, the Third, chapter sixty-nine, intituled „An auch „Neutralisation". Act to prevent the enlisting or engagement Allein nicht bloß die in manchen B e of His Majesty's subjects to serve in foreign ziehungen bestehenden Zweifel, sondern auch service, and the fitting out or equipping, in vielfach eingetretene Änderungen, auch BesseHis Majesty's dominions, vessels for warlike rungen, verschiedene Verträge u. a. machen purposes, without His Majesty's license," dennoch eine gesonderte Betrachtung der shall be repealed: Provided that such repeal neutralitätswidrigen Dienste neutraler Staaten shall not affect a n y penalty, forfeiture, or oder Einzelner ihrer Angehörigen notwendig. other punishment incurred or to be incurred 1. Was vor allem die G e b i e t s h o h e i t in respect of any offence committed before betrifft, so ist, wie schon oben gesagt, das this Act comes into operation, nor the in- L a n d - wie das Wassergebiet eines neutralen stitution of any investigation or legal procee- Staates unverletzlich, auch ebenso wie ding, or any other remedy for enforcing a n y dessen Küstengewässer, vor allen Feindsuch penalty, forfeiture, or punishment as seligkeiten geschützt, ist ausdrücklich und aforesaid. den Kriegführenden vor allem untersagt, 32. Nothing in this Act contained shall Truppen oder Munitions- oder Verpflegungss u b j e c t to forfeiture any commissioned ship kolonnen durch das Gebiet einer neutralen of any foreign state, or give to a n y British Macht hindurchzuführen (Haager 2. Friedenscourt over or in respect of any ship entitled konferenz, 5. Abkommen, Art. 1 u. 2), to recognition as a commissioned ship of a n y ob aber auch der Luftraum darüber ebenso foreign state any jurisdiction which it would unverletzlich i s t ? Die ältere Ansicht sprach jedem Staate die über seinem Gebiete sich not have had if this Act had not passed. 33. Nothing in this Act contained shall erhebende Luftsäule z u ; die neuere Doktrin extend or be construed to extend to s u b j e c t aber, wohl berücksichtigend so vielerlei to a n y penalty any person who enters into Benutzungsarten des Luftraums (wie durch the military service of a n y prince, state, or Luftballons, Luftschiffe, Telegraphen, drahtpotentate in Asia, with such leave or license lose Telegraphie u. dgl.) stellt dagegen das as is for the time being required by law in Prinzip von der Freiheit der atmosphärischen the case of subjects of Her Majesty entering Luft auf, das wie im Frieden so auch im into the military service of princes, states, Kriege als Grundlage für die rechtliche Regelung aller im Luftreiche vorkommenden or potentates in Asia. Lebensverhältnisse gelten soll. „L'air Literatur: est l i b r e ; Ies E t a t s n'ont sur lui, en temps Moore, Digest. VII, S. 8 6 0 — 1 1 0 9 . — Marine- de p a i x et en temps de guerre, que des Rundschau 1904, 14. Beiheft im Neutrali- droits n6cessaires ä Ieur conservation" sagt tätserlasse 1854—1904. — Disposlclones Art. 1 des vom Institut für internationales de Espäna y de los Estados Unidos refer- Recht ausgearbeiteten Reglementsentwurfs entes a la guerra y declaraciones de neu- schon im J a h r e 1900 und so ist auch der tralidad. Publicadas por el Ministerio de Luftraum wie über dem Landgebiet so auch Estado, Madrid 1898. — Fromageot, La
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der Luftraum über dem Meere wie das Meer ! Macht einer der Parteien nimmt. In einem selbst frei. Natürlich darf aber dieser freie I solchen Falle darf der Neutrale von dem Raum auch zu feindseligen Handlungen Kriegführenden, dem gegenüber er die nicht vom neutralen Staate benutzt werden, Neutralität außer acht gelassen hat, nicht auch nicht zur Kommunikation, zu Mit- | strenger behandelt werden, als ein Angeteilungen an die eine der Kriegsparteien, | höriger des anderen kriegführenden Staates denn was dieser einen nützen könnte, wäre ! wegen der gleichen Tat behandelt werden wohl zum Nachteil für die andere, sie wäre | kann." Aber der folgende Art. 18 desselben deshalb eine Neutralitätsverletzung, ein j Abkommens fügt sofort hinzu: „Als Handvölkerrechtliches Delikt. So ist auch der | lungen zugunsten eines Kriegführenden im Ausgangspunkt f ü r die Konvention, welche ! Sinne des Art. 17b sind n i c h t anzusehen: der drahtlosen Telegraphie Schutz zu- a) die Übernahme von Lieferungen oder das sichert (Convention radiotdligraphique ! Bewilligen von Darlehen an einen Krieginternationale), nur die der völkerrecht- i führenden, vorausgesetzt, daß der Lieferant lichen Verkehrsfreiheit entsprechende Pflicht, ! oder Darleiher weder im Gebiete der anderen diese Art des Verkehrs auch über ihrem, i Partei noch in dem von ihr besetzten Gebiete der neutralen Staaten Gebiet zu gestatten I wohnt und daß auch die Lieferungen nicht und — auch im Kriegsfalle — nicht zu aus diesen Gebieten herrühren; b) die stören oder gar zu verhindern, ohne dabei l Leistung von polizeilichen oder Zivilverwalein technisch unterschiedenes System zu ! tungsdiensten"; so ist auch nach dem heutigen Völkerrechte kein neutraler Staat dafür bevorzugen oder auszuschließen. 'verantwortlich, daß etwa einzelne seiner Der neutrale Staat m u ß überhaupt jede 1 Angehörigen seine Grenzen überschreiten, Art von Mitteilung an eine Kriegspartei i um bei einem Kriegführenden militärische von seinem Lande oder Küstengewässer oder j Dienste zu übernehmen, nur darf er keine auch von einem Schiffe aus unterlassen | Massenzuzüge gestatten, keine Werbungen und nach Kräften auch militärisch zu ver- in seinem Gebiete erlauben, vgl. II. Haager hindern suchen, auch wenn sie von seinem Friedenskonferenz von 1907, 5. Abkommen, Gebiete aus, auch von Privatleuten, gut- Art. 4 u. 6. Dagegen ist kein neutraler gläubig versucht werden sollte, so etwa durch Staat zu Handelsbeschränkungen verpflichtet Läuten von Kirchenglocken, optische Signale, und m u ß selbst Kriegskonterbande passieren Leuchtkörper; Telegraphenkabel dürfen so- und auch in Feindesland gehen lassen, nach weder auf dem Lande im neutralen Art. 7 des angef. Abkommens, welcher ausBoden noch im Küstengewässer des neutralen drücklich den neutralen Staat n i c h t für Staates einem der Kriegführenden zu Nutzen verpflichtet erklärt, die für Rechnung des stehen. einen oder des anderen Kriegführenden erfolgende private Ausfuhr oder Durchfuhr 2. Bei weitem nicht so strenge wie das von Waffen, Munition und überhaupt von Land in seiner unverletzbaren Neutralität allem, was für ein Heer oder eine Flotte im neutralen Staat gehalten wird, werden nützlich sein kann, zu verhindern, während die Leute, die S t a a t s a n g e h ö r i g e n daselbst er s e l b s t , als Staat, keinem der Krieggehalten, zwar gelten auch sie für neutral führenden Waffen, Munition, Proviant oder und genießen ihrerseits überall, auch außer Geld liefern oder leihen darf. ihres Staates die persönliche Eigenschaft der Neutralität, aber wenn auch in der 3. Gegenüber dieser Freiheit des privaten Doktrin mitunter behauptet wird, der neu- Warenhandels erscheint die völkerrechtliche trale Staat sei verantwortlich f ü r seine Leute, Beschränkung des N a c h r i c h t e n w e s e n s als habe ihr Tun auch in völkerrechtlicher Be- auffallend und bemerkenswert; es ist nicht ziehung zu vertreten, müsse daher auch bloß den Belligerenten selbst gleichermaßen seine Gesetzgebung darnach einrichten, die untersagt, auf dem Gebiete eines neutralen neutralitätswidrigen Dienste ihnen bei Strafe Staates eine funkentelegraphische Station verbieten u. dgl., so ist die Praxis hiervon einzurichten oder sonst irgendeine Anlage, leider noch weit entfernt; die Privatpersonen die bestimmt ist, einen Verkehr mit den handeln zwar auf eigene Gefahr, s. Art. 17 kriegführenden Land- oder Seestreitkräften des 5. Abkommens der zweiten Haager zu vermitteln, noch auch irgendeine EinFriedenskonferenz, dieser sagt zwar: „Ein richtung dieser Art zu benützen, die von Neutraler kann sich auf seine Neutralität ihnen vor dem Kriege auf dem Gebiete der nicht berufen a) wenn er feindliche Hand- neutralen Macht zu einem ausschließlich lungen gegen einen Kriegführenden begeht; militärischen Zwecke hergestellt und nicht b) wenn er Handlungen zugunsten eines f ü r den öffentlichen Nachrichtendienst freiKriegführenden begeht, insbesondere wenn gegeben worden ist, sondern auch der neutrale er freiwillig Kriegsdienste in der bewaffneten Staat darf auf seinem Gebiete eine derartige
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Vermittlung oder Benützung weder gestatten noch dulden, ein neutraler S t a a t ist aber andererseits auch nicht verpflichtet, f ü r Kriegführende die Benützung von Telegraphen- oder Fernsprechleitungen sowie von Anlagen f ü r drahtlose Telegraphie, gleichviel ob solche ihm selbst oder ob sie Gesellschaften oder Privatpersonen gehören, zu untersagen oder zu b e s c h r ä n k e n ; bes c h r ä n k t oder verbietet er die Benützung dieser Anstalten aber, so m u ß er Beschränk u n g u n d Verbot gleichmäßig auf die Kriegf ü h r e n d e n anwenden, h a t auch darüber zu wachen, d a ß die gleiche Verpflichtung von den Gesellschaften und Privatpersonen eingehalten wird, in deren Eigentum sich die Verkehrsanstalten befinden. Dabei wird noch ausdrücklich hervorgehoben, d a ß die gewaltsame Zurückweisung einer Neutralitätsverletzung seitens eines neutralen Staates n i c h t als feindliche H a n d l u n g angesehen werden kann, Art. 7—10 des 5. A b k o m m e n s vom 18. X. 1907. 4. Interessante Neutralitätsregeln stellt der zwischen England und den Vereinigten S t a a t e n von N o r d a m e r i k a zu Washington am 8. V. 1871 abgeschlossene Vertrag auf, allerdings zunächst nur behufs der E n t scheidung des damals schwebenden A l a b a m a streitfalles, aber sowohl die Bedeutung der K o n t r a h e n t e n als auch das sachlich Zutreffende der Regeln selbst bürgt doch gewiß auch f ü r die weitere A n w e n d b a r k e i t ; diese drei sog. W a s h i n g t o n e r R e g e l n l a u t e n : „ E i n e neutrale Regierung ist verpflichtet, I. gehörige Sorgfalt anzuwenden, um innerh a l b ihres Jurisdiktionsgebietes die Ausrüstung, Equipierung und Bewaffnung von Schiffen, welche sie f ü r b e s t i m m t hält, Kaperei zu treiben oder Krieg zu f ü h r e n , gegen eine andere Macht, m i t der sie in Frieden ist, zu hindern und dieselbe Wachsamkeit anzuwenden, um das Auslaufen irgendeines Schiffes aus ihrem Jurisdiktionsgebiet zu hindern, welches die bezeichneten Zwecke verfolgt, nachdem es ganz oder zum Teil in seinem Jurisdiktionsgebiet zum Kriegsgebrauch hergerichtet w o r d e n ; II. nicht zu gestatten oder zu dulden, d a ß ein Kriegf ü h r e n d e r sich ihrer Häfen oder Gewässer zur Basis von Seeoperationen gegen den anderen Kriegführenden bediene, entweder zur E r n e u e r u n g oder Vermehrung von Kriegsv o r r ä t e n oder W a f f e n oder zur Anwerbung von M a n n s c h a f t e n ; I I I . gehörige Sorgfalt zu üben in ihren eigenen Gewässern, um irgendeiner Verletzung dieser Normen vorbeugen zu können. U n t e r der „gehörigen S o r g f a l t " ( „ d u e diligence") ist zweifellos dasselbe Maß von Sorgfalt zu verstehen, das gemeinrechtlich als „diligentia quam
suis rebus adhibere solet" bezeichnet w i r d . ( G e m ä ß dieser Regeln erging der Schiedsspruch vom 14. IX. 1872, wonach England an die Vereinigten S t a a t e n von N o r d a m e r i k a 15% Millionen Dollar Schadensersatz zu zahlen hatte.) 5. Von der privaten Verkehrsfreiheit, welche im allgemeinen das heutige Völkerrecht f ü r den gewöhnlichen Kauf und Verkauf der Neutralen a n e r k e n n t , m u ß eine weitgehende A u s n a h m e k o n s t a t i e r t werden, welche durch das P r i s e n r e c h t v e r a n l a ß t ist. U n t e r diesem Rechte steht nämlich noch heute die Seeschiffahrt, auch die der neutralen S t a a t e n und ihrer Bevölkerungen. Darnach dürfen nicht bloß keine Prisen auf n e u tralem Gebiete gemacht werden, auch von einer kriegführenden Partei nicht, sondern es darf auch keine Verurteilung auf neutralem Gebiete durch ein Prisengericht s t a t t f i n d e n , auch kein Verkauf eines kondemnierten Schiffes; ist ja doch neuestens die bloße Anwesenheit einer Prise in einem neutralen H a f e n nicht oder n u r ganz kurze Zeit (häufig n u r 24 Stunden) oder n u r v e r a n l a ß t durch Seenot g e s t a t t e t , denn in den Vordergrund t r i t t die Verpflichtung des Neutralen alles zu vermeiden oder zu v e r h ü t e n , was eine Förderung der Interessen der einen Kriegspartei zum Schaden der anderen bilden k ö n n t e ; worin die Pflichten der Neutralen im einzelnen bestehen, ist zurzeit noch nicht einheitlich festgestellt, sondern verschieden geregelt. Einige Sicherheit bietet n u r der Grundsatz gleichen Rechts f ü r beide Kriegsparteien, ein fester Grundsatz, den der neutrale S t a a t nach Möglichkeit stets zu beobachten h a t , so d a ß ζ. B. wenn, wie A r t . 11 des Haager A b k o m m e n s X I I vom 18. X. 1907 g e s t a t t e t , eine neutrale Macht zuläßt, d a ß Kriegsschiffe der Kriegf ü h r e n d e n sich der Lotsen des neutralen Staats bedienen, dies von beiden kriegf ü h r e n d e n Parteien geschehen darf, überh a u p t m u ß er die Bedingungen, Beschränkungen oder Verbote, die er f ü r die Zulassung von Kriegsschiffen oder Prisen der Kriegführenden in seine H ä f e n , Reeden oder Küstengewässer aufgestellt h a t , auf beide Parteien gleichmäßig anwenden u n d wenn sich ein Kriegsschiff seinen Aufforderungen und Anweisungen nicht gefügt oder die N e u t r a l i t ä t verletzt h a t , so kann der neutrale S t a a t diesem den Z u t r i t t zu seinen Häfen und Reeden verweigern (Art. 9 des a n g e f ü h r t e n Abkommens). Weitere Details schreibt das erwähnte A b k o m m e n vom 18. X. 1907 vor. Bezüglich des n u r kurz g e s t a t t e t e n A u f e n t h a l t s von Kriegsschiffen in neutralen Häfen h a t die zweite Haager Friedenskonferenz von 1907 Regeln
Neutralitätswidrige Dienste — New Orleans, der italien.-amerikan. Zwischenfall festgestellt, die für die beigetretenen Staaten bindend sind, s. v. Martitz, S. 528, 529. Literatur: E. v. Ulimann, Völkerrecht 1908, S. 514ff. — F. v. Martitz, Völkerrecht 1913, S. 526ff. in „Die Kultur der Gegenwart", hrsg. von Paul Hinneberg, 2. Aufl., 1913, Teil II, Abt. V I I I : Systematische Rechtswissenschaft. — Philllmore, Commentaires upon Internat. Law, III, 29. — Über die von neutralen Personen besorgten Transporte von Militärpersonen und Kriegsmaterial s. v. Ulimann, a. a. O., S. 525, 526. — Marquardsen, Der Trentfall, S. 67ff. — Oppenheim, Intern. Law, II, § 60. Gareis. New Orleans-Fall von 1851 (Aufstand). Als nach einem Aufstand auf Kuba 1851 Spanien eine Reihe nordamerikanischer Rädelsführer hinrichten ließ, erhob sich ein Teil der Bevölkerung von New Orleans, ermordete dort wohnhafte Spanier, beleidigte die spanische Flagge und den spanischen Konsul. Auf spanischen Protest verwies der amerikanische Staatssekretär Webster die Geschädigten auf den ordentlichen Rechtsweg, da die Regierung für Aufstände nicht haftbar sei, erklärte sich aber zur Entschädigung des Konsuls wegen seines offiziellen Charakters bereit. Spanien war damit zufrieden. — Die Entscheidung ist nach völkerrechtlichen Deliktsgrundsätzen richtig, da der Staat für Aufrührer nur wie für Private haftet. Vgl. mein völkerrechtliches Delikt, 1920, S. 106. Literatur: Besonders Calvo, III, 145ff. — Costa, el extranjero en la guerra civil, 1913, 92ff. Strupp. New Orleans, der italienisch-amerikanische Zwischenfall von 1891.
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Gefängnis von dem Pöbel erstürmt und die Italiener wurden gelyncht. Die italienische Regierung forderte nunmehr von der Regierung der nordamerikanischen Union Bestrafung der Schuldigen und Entschädigung für die Familien der Getöteten. Diese gab zu, daß die Behörden zu New Orleans nicht die erforderlichen Vorkehrungen zur Vermeidung der Ermordung der Italiener getroffen hätten, bot eine Entschädigung für die Familien der Getöteten und teilte dem italienischen Gesandten ein Telegramm mit, in dem der Präsident der Union den Behörden von New Orleans einen Tadel erteilt hatte. Dagegen erklärte sie, nicht in der Lage zu sein, eine Bestrafung der Schuldigen herbeizuführen, da nach der Unionsverfassung Louisiana in der Ausübung der Gerichtsbarkeit von der Zentralgewalt unabhängig sei. Italien hielt dem entgegen, daß es vom internationalen Standpunkt aus die Behörden Louisianas und die ihnen durch die Unionsverfassung garantierte Selbständigkeit ignorieren könne und sich nur an die Unionsregierung zu halten brauche, konnte aber eine Bestrafung der Schuldigen doch nicht erlangen. Den Grundsätzen des Völkerrechts entsprach zweifellos die Auffassung der italienischen Regierung, denn für den völkerrechtlichen Verkehr bildet die nordamerikanische Union eine Einheit; ihre Gliedstaaten haben nach ihrer Verfassung keine völkerrechtlichen Kompetenzen, sie sind für den völkerrechtlichen Verkehr schlechthin nicht vorhanden. Daher hat die Union auch für völkerrechtswidriges Verhalten ihrer Gliedstaaten den verletzten Staaten gegenüber zu haften und kann sich dieser völkerrechtlichen Haftpflicht nicht dadurch entziehen, daß sie behauptet, nach der internen Organisation ein bestimmtes Hoheitsrecht im Gebiete ihrer Gliedstaaten nicht ausüben zu dürfen, denn diese interne Ordnung geht den dritten Staat nichts an. Einverständnis bestand zwischen beiden Regierungen Uber die Sätze, daß, wenn eine Regierung Fremde zuläßt, sie sie ebenso wie die eigenen Staatsangehörigen zu schützen hat, und daß der Staat, in dessen Gebiet ein anderer Staat oder Untertanen eines solchen durch Handlungen privater Individuen völkerrechtswidrig verletzt worden sind, diesem auf Genugtuung und Entschädigung haftet, wenn er schuldhafterweise nicht die nach Lage der Sache gebotenen Maßregeln getroffen hat, um die Verletzungen zu verhindern und die Schuldigen zur Bestrafung zu ziehen.
Mehrere in New Orleans, im Staate Louisiana, angesessene Italiener waren der Ermordung des Polizeipräfekten daselbst angeklagt, aber freigesprochen worden. Die schon erregte Stimmung des Volkes gegen die eingewanderten Italiener wuchs beim Bekanntwerden dieses Freispruchs bedenklich, weshalb die Freigesprochenen, um sie vor der Wut des Volkes zu schützen, im Gefängnis behalten wurden. Der italienische Konsul wandte sich sofort an die lokalen Behörden und auch an den Gouverneur und verlangte von ihnen die Ergreifung energischer Maßregeln zum Schutze seiner Literatur: Landsleute. Beide Stellen verhielten sich Pierantoni, II fatto di Nuovo Orleans 1891. — jedoch völlig passiv. Inzwischen wurde das Journal D. J. ΡΠνέ XVIII (1891), p. 1147ff. 10 Wörterbuch des Völkerrechts. Bd. Π.
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Niederfüllbacher Stiftung
— Donot, De la responsibilitö de l ' E t a t F6d£ral, Pariser Diss. 1912, p. 55ff. — Schoen, Ztschr. f. Völkerrecht, Bd. 10, Ergänzungsheft, S. 78 4 8 , 103 7 ; vgl. auch hier Art. „ H a f t u n g " u n t e r IV u. V I I . Schoen.
N e w Orleans v. N e w York s. Steamship Co. Nichtkombattanten s. K o m b a t t a n t e n .
Niederfüllbacher Stiftung,
des Vermögens dienen sollten, abzüglich von 30000 M., die alljährlich der S t a d t Coburg f ü r gemeinnützige Zwecke zufließen; wenn aber die jetzige Familie nicht mehr in Belgien regieren würde, so sollte auch die Verwendung des Vermögens und seiner Erträgnisse f ü r belgische Zwecke a u f h ö r e n ; die Zinsen sollten dann zur Hälfte an die Agnaten ausgezahlt und zur anderen Hälfte dem Stiftungsvermögen zugeschlagen werden. Am 21. V I I I . 1909 gab der König „ I n s t r u k t i o n e n " , welche einen ausführlichen Arbeitsp l a n über die Verwendung der zugewendeten 6,25 Mill, und 26,43 Mill, f ü r belgische Zwecke enthalten. Die Stiftung erhielt einen Vorstand (Verwaltungsrat) aus drei Belgiern und zwei Coburgern; f ü r seine Lebenszeit behielt sich der König selbst alle f ü r die Verwaltung maßgebenden E n t scheidungen vor, so d a ß die Verwalter nur seine Befehle auszuführen h a t t e n . Nach dem Tode des Königs (17. X I I . 1909) erhoben sowohl seine Erben als auch der belgische S t a a t Ansprüche auf das Stiftungsvermögen. Beide legten „Opposition" ein, verboten also, um das Stiftungsvermögen nach Art einer Arrestvollziehung festzulegen, den Verwaltern, sich ohne ihr Zutun der in Anspruch genommenen Vermögensstücke zu entäußern. Am 28. I. 1911 kam zwischen der belgischen Regierung und den Stiftungsverwaltern ein Abkommen („arrangement") zustande, worin sich diese verpflichteten, das ganze Stiftungsvermögen außer dem in Deutschland liegenden Grundbesitz an den S t a a t Belgien auszuliefern gegen Zahlung einer Abfindung von 1,1 Mill. Μ. Am selben Tage unterzeichnete König Albert eine Urkunde, worin ei f ü r sich und seine Söhne auf alle Vorteile verzichtete, die sich aus den Stiftungsurkunden zugunsten der belgischen Agnaten aus dem Hause Coburg ergaben.
Die sog. Niederfüllbacher Stiftung war eine rechtsfähige Stiftung deutschen Rechts mit dem Sitze in Coburg, vom König Leopold II. von Belgien errichtet (Urkunden vom 9. IX. 1907, 12. X I I . 1908 und 31. VII. 1909) und vom Staatsministerium des vormaligen Herzogtums Coburg nach § 80 BGB. staatlich genehmigt. Sie erhielt vom König zu Eigent u m Schloß und Rittergut Niederfüllbach bei Coburg und die dazu gehörigen Forsten. Ende 1908 übergab der König den Stiftungsverwaltern Wertpapiere im Nennwerte von 6,25 Mill. Fr. und im Herbst 1909 Wertpapiere im Nennwerte von 26,43 Mill. Fr. und nochmals solche im Nennwerte von 7 Mill. Fr. Wenige Tage vor seinem Tode schenkte er der Stiftung weiter Orden, Schmucksachen, Tafelgeschirre usw., deren W e r t in der notariellen Urkunde vom 13. X I I . 1909 auf rund 1,1 Mill. Fr. angegeben ist. Der Gesamtwert des Stiftungsvermögens wurde von der coburgischen Steuerbehörde auf 100 Mill. Fr. geschätzt; die belgische Regierung hat ihn Anfang 1914 den Kammern auf rund 50 Mill. Fr. angegeben; darunter befanden sich Anteile an zwei vom König gegründeten Gesellschaften, der belgischen Compagnie pour la conservation et l'embellissement des Sites und der französischen Soci6td de s i j o u r et d'exploitation horticole Die Niederfüllbacher Stiftung steht in de la Cöte d'Azur, in die er Besitzungen in Belgien u n d Südfrankreich und seine wert- i engem rechtlichen und geschichtlichen Zuvollen Gemälde- und Kunstsammlungen sammenhange mit der Abtretung des KongoDurch Erlaß vom eingebracht hatte. Durch die Stiftung wollte staates an Belgien. der König den Glanz seines Hauses in Belgien 9. III. 1896 h a t t e der König alle herrendauernd erhalten und erhöhen. Deshalb losen Ländereien im Becken des Leopoldsees gab er den Stiftungsverwaltern auf, den und im Flußgebiete des Lukenie, sowie größten Teil der zugewendeten Werte f ü r die daran angrenzenden Ländereien zu großzügige Verschönerungsarbeiten in Bel- Krongütern (Biens de la Couronne) erklärt. gien (Straßen, Plätze, Paläste, Gärten usw.) Diese Ländereien waren seit 1892 vergeblich zur Verfügung zu stellen, während die Zins- der privaten Ausbeutung überlassen worden erträgnisse des übrigen Stiftungsvermögens und mit wenigen Ausnahmen unbewohnt zu einem Drittel den belgischen Agnaten und unbenutzt. Die Krongüter sollten u n aus dem S.-Coburg-Gothaischen Hause veräußerlich sein und nach den Anordnungen Als ihr zufallen, zu einem Drittel nach den be- des Königs verwaltet werden. sonderen Anordnungen des Stifters verwendet Eigentümer war der König persönlich im werden und im übrigen zur Vermehrung Grundbuche von Borna eingetragen. Ende 1901 (Erlaß vom 23. X I I . 1901) errichtete
Niederfüllbacher Stiftung
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der König die K r o n s t i f t u n g des Kongo- zeitig m i t der Vollziehung dieses Erlasses staates (Domaine de la Couronne, Fondation wurde ein N a c h t r a g zum A b t r e t u n g s v e r t r a g de Ia Couronne). Ihre Grundlage bildeten (Acte additionel vom 5. III. 1908) zwischen die inzwischen wesentlich vermehrten Kron- Belgien und der Regierung des Kongostaates güter. Aus den E i n k ü n f t e n der Kron- vereinbart und darin festgelegt, d a ß die stiftung sollten Leibrenten an die Glieder bezeichneten Güter der K r o n s t i f t u n g zuder königlichen Familie bezahlt, ferner gleich m i t dem früheren Vermögen des KongoSammlungen in Belgien u n t e r s t ü t z t u n d staates nach Maßgabe des Erlasses vom andere kulturelle und soziale Zwecke in selben Tage auf Belgien übergehen sollten. Belgien gefördert werden. Im Falle d e r Auf- Nach den Angaben d e r belgischen Regierung h e b u n g der S t i f t u n g sollten ihre Güter r ü h r t e n die „ N i e d e r f ü l l b a c h w e r t e " größtenihrer B e s t i m m u n g entzogen werden und an teils aus dem Kongo „ o d e r " dem Vermögen den S t i f t e r zurückfallen, soweit er sie nicht der Kronstiftung h e r ; n u r f ü r einen Teil der anderen Einrichtungen oder Anstalten zu- Wertpapiere, die in einer Note des Justizweisen würde. Nach einer Bezifferung des ministers vom 17. X I . 1910 auf 6 Mill. Fr. Königs wurde der W e r t der Stiftungsgüter bewertet sind, gab sie zu, daß ein Nachweis auf 700 Mill. Fr. angenommen. Die Domäne von ursprünglichen Rechten des Belgischen der K r o n s t i f t u n g u m f a ß t e ungefähr den Staates nicht zu erbringen sei; hinsichtlich 9. Teil des Gebietes des Kongostaates. der Gegenstände der Mobiliarschenkung vom Ihre E i n k ü n f t e waren sehr beträchtlich; 13. X I I . 1913 erkannte sie das Eigentum in einer Mitteilung der belgischen Regierung und freie Verfügungsrecht des Königs an. an die A b g e o r d n e t e n k a m m e r ist e r w ä h n t , In erster Linie berief sich die belgische d a ß die K r o n s t i f t u n g bei einer JahresRegierung den Stiftungsverwaltern gegene i n n a h m e von 6—7 Mill. Fr. im Laufe von 50 J a h r e n W e r k e im Werte von 300 Mill, über darauf, daß die Niederfüllbacher Stifschaffen könne, und weiter hervorgehoben, I t u n g in Belgien rechts- u n d erwerbsunfähig die E i n n a h m e n der S t i f t u n g könnten, wenn ! sei und deshalb weder Besitz noch Eigentum ihre u n b e b a u t e n Ländereien in die Kulti- • an den Wertgegenständen h a b e erwerben vierung einbezogen würden, auf das Drei- | k ö n n e n ; weiter d a ß Belgien durch den Abund Vierfache und selbst noch m e h r ge- ; t r e t u n g s v e r t r a g vom 28. X I . 1907 und das steigert werden. Von der A b t r e t u n g des ! Z u s a t z a b k o m m e n vom 5. III. 1908 sowohl Kongostaates wollte Leopold die Kron- I die Souveränität über den Kongo als die stiftung anfänglich a u s n e h m e n ; in seinem : Gesamtheit aller aus dem Kongostaat „ o d e r " Schreiben an die Generalsekretäre des Kongo- der K r o n s t i f t u n g herrührenden Güter abs t a a t e s vom 3. VI. 1906 sah er ausdrücklich ; getreten erhalten h a b e ; „ d e r König habe vor, d a ß vor der A b t r e t u n g vom S t a a t e die nicht m e h r das volle Verfügungsrecht über A n e r k e n n u n g der K r o n s t i f t u n g und ihrer jene W e r t e gehabt, da die A b t r e t u n g des Unversehrtheit verlangt werden müsse. Im Kongostaates nach den Bedingungen, u n t e r A b t r e t u n g s v e r t r a g e vom 28. X I . 1907 w u r d e denen sie erfolgt sei, notwendigerweise alles die K r o n s t i f t u n g tatsächlich als f o r t d a u e r n d ' eingeschlossen habe, was einen Teil des gültig a n e r k a n n t . Vor der Vollziehung des Besitztums des Kongostaates und des BesitzIm Vertrags t r a t aber die Regierung nochmals t u m s der K r o n s t i f t u n g a u s m a c h t e " . m i t der Bitte an den König h e r a n , dem Dezember 1910 erhob die Prinzessin Luise Staate auch die Güter der K r o n s t i f t u n g von Belgien Klage beim Gericht in Brüssel; „ d u r c h einen neuen A k t der Freigebigkeit die Klage richtete sich gegen die Verwalter (munificence)" zu überweisen. So kam es der Niederfüllbacher Stiftung, den Belgischen Der Klagzum Erlasse vom 5. III. 1908, wodurch der Staat und die Miterbinnen. König zwar der K r o n s t i f t u n g die Rechts- a n t r a g ging in erster Linie dahin, auszufähigkeit entzog, aber gleichzeitig bestimmte, sprechen, daß die der S t i f t u n g zugewendeten d a ß die S t i f t u n g s g ü t e r , wie schon im Stif- Vermögenswerte Eigentum der Erben des t u n g s a k t e vorgesehen, an ihn zurückfallen Königs seien, weil die S t i f t u n g in Belgien sollten (,,Les biens que Nous avions affect£s nicht zu Recht bestehe; in zweiter Linie ä sa dotation Nous feront r e t o u r " ) . W e i t e r wurde beantragt, die Stiftungsverwalter zu sind in dem Erlasse n i c h t etwa die Güter verurteilen, der Klägerin gemäß A r t . 913 C. c. der K r o n s t i f t u n g in ihrer Gesamtheit als den ihr als Miterbin zukommenden Anteil an den S t a a t abgetreten bezeichnet, sondern an den Vermögensgegenständen herauszuDas Gericht e r k a n n t e a m 14. X I . der König f ü h r t die G ü t e r einzeln an, die geben. er an den S t a a t abtreten wolle, d a r u n t e r 1911 dahin, d a ß die S t i f t u n g in Belgien auch das Portefeuille der S t i f t u n g , be- keine Rechtsfähigkeit habe u n d d a ß deshalb stehend aber n u r aus zwei Kategorien be- die Mobiliarschenkung vom 13. X I I . 1909 s t i m m t bezeichneter W e r t p a p i e r e . Gleich- ungültig sei; d e m g e m ä ß wurden die Stiftungsverwalter u n d der Belgische S t a a t verurteilt, 10*
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Niederfüllbacher S t i f t u n g — Nikolsburger Friedenspräliminarien
die ersteren, der Prinzession Luise ihren v. Stengel, Viviani 1912, v. Liszt 1913, Anteil an diesen Mobiliargegenständen aus- Löwenfeld 1914, Heinsheimer 1917). Hervorzuhändigen, der Belgische S t a a t , insoweit zuheben ist insbesondere die eingehende seine Einsprache zurückzuziehen. Im übrigen Besprechung der Fragen, ob die Niederfüllwurde die Klage abgewiesen. In der Be- bacher S t i f t u n g auch in Belgien als rechtsrufungsinstanz beschränkten die Prinzessinnen fähig anzuerkennen oder o b ihre Rechtsdie Klage auf den Herausgabeanspruch auf fähigkeit f ü r Belgien zu verwerfen sei, weil Grund ihres Erb(Reduktions-)rechts. Am sie der öffentlichen Ordnung („ordre p u b l i c " ) 2. IV. 1913 wurde die B e r u f u n g vom Appell- Belgiens widerspreche, u n d ob Leopold als hof verworfen, weil die Stiftungsverwalter absoluter Herrscher des Kongostaates das und infolge des A b k o m m e n s vom 28. I. 1911 Recht gehabt habe, Bestandteile des Verder Belgische S t a a t rechtmäßige Besitzer mögens dieses Staates zu seinem P r i v a t der Wertpapiere geworden seien; ihr Eigen- eigentum zu erklären. t u m h ä t t e n die Prinzessinnen nicht n a c h Literatur. gewiesen. Bemerkenswert sind die eingehenNeumeyer in NZ. 22 (1912), 484ff. — Ein den juristischen A u s f ü h r u n g e n , m i t denen u n g e n a n n t e r Verfasser in R D J C . 1912, der Generalstaatsanwalt J o t t r a n d den An325ff. — Die Angelegenheit der Nledersprüchen des Staates entgegengetreten war fUlibacher Stiftung, Gotha 1917. — Schack, (Urteil 2. Instanz u n d Gutachten J o t t r a n d Die Angliederung des Kongostaates an in La Belgique judiciaire 71. J a h r g . Nr. 35 Belgien und die Niederfüllbacher Stiftung, G o t h a 1917. Schack. S. 546ff.). N u n m e h r wurde das A b k o m m e n vom 28. I. 1911 vollzogen. Auch eröffnete die belgische Regierung erneut Vergleichs- j Verhandlungen m i t den Prinzessinnen. Es j Niederlassungsverträge s. Fremdenrecht. kam schließlich zum Abschlüsse der VerN i e m e y e r s. VRsliteraturgeschichte. gleiche vom 27. I. und 3. II. 1914, durch Nigerschiffahrt s. Flüsse internat. die Belgien von den drei königlichen Prin- j zessinnen um die S u m m e von je 2 Mill. Fr. „ihren Anteil an den vom König der Niederfüllbacher S t i f t u n g zugewendeten PorteNikolsburger Friedenspräliminarien. feuillewerten, deren H e r k u n f t nicht m i t Infolge des unglücklichen Verlaufes des Sicherheit h a t festgestellt werden k ö n n e n " und gegen Zahlung einer besonderen Ab- Feldzuges gegen Preußen sah sich Österreich, f i n d u n g s s u m m e (zusammen rund 1,4 Mill. Fr.) um sich mindestens von dem einen seiner ihren Anteil an den K u n s t g e g e n s t ä n d e n u n d Gegner zu befreien, veranlaßt, am 2. V I I . sonstigen Mobiliarwerten erwarb. In ihrer 1866 die Vermittlung Napoleons gegenüber Begründungsschrift an die K a m m e r n be- Italien anzurufen und sodann die sofortige rechnete die belgische Regierung die A b t r e t u n g Venetiens, dessen Überlassung an Privathinterlassenschaft des Königs auf Italien es Napoleon schon m i t V e r t r a g vom 37,95 Mill., die durch die Vergleiche er- 12. VI. u n t e r allen U m s t ä n d e n , auch im Falle eines Sieges, zugesagt h a t t e , an ihn zu worbenen Werte auf r u n d 60 Mill. F r . erklären. Napoleon erbot sich z u r V e r m i t t W ä h r e n d der Besetzung Belgiens bestellte lung auch gegenüber Preußen u n d diese das Amtsgericht Coburg A n f a n g 1915 auf Vermittlung wurde beiderseits a n g e n o m m e n . Antrag des Staatsministeriums g e m ä ß § 29 Zwischen dem preußischen B o t s c h a f t e r in B G B . der Stiftung neue Verwalter. Diese Paris v. d. Goltz u n d Napoleon wurden klagten gegen die f r ü h e r e n Stiftungsverwalter am 14. V I I . P u n k t a t i o n e n errichtet, deren auf Schadensersatz, weil sie pflichtwidrig Inhalt wesentlich in die vier ersten Artikel und ohne Rechtsgrund das Stiftungsvermögen der am 26. V I I . in Nikolsburg zwischen Kriegführenden unterzeichneten an Belgien ausgeliefert h ä t t e n . Durch Urteil beiden Der devom 14. III. 1918 e r k a n n t e das Reichs- Friedenspräliminarien überging. gericht die Aktivlegitimation der Kläger an finitive Friede zu P r a g vom 23. V I I I . ( J W . 1918, 361); infolge der politischen wiederholt dann in der H a u p t s a c h e den Ereignisse ist der Rechtsstreit zum R u h e n Inhalt der Präliminarien. gekommen. In A r t . II erkennt Österreich die, von Die bezeichneten Prozesse und die darin Preußen in der Bundestagssitzung vom erörterten Rechtsfragen aus dem Gebiete 14. VI. ausgesprochene, Auflösung des des kongolesischen, belgischen, deutschen deutschen Bundes an u n d gibt seine Zuu n d internationalen P r i v a t - u n d öffentlichen s t i m m u n g „zu einer neuen Gestaltung Rechts haben die Wissenschaft ausgiebig D e u t s c h l a n d s " ohne seine „ B e t e i l i g u n g " . beschäftigt (Rechtsgutachten von v. Giercke, Es verspricht, „ d a s engere Bundesverhältnis Zitelmann 1910, Neumeyer, P o i n c a r i , Karl a n z u e r k e n n e n " , welches „ P r e u ß e n nördlich
Nikolsburger Friedenspräliminarien — Nillius (Auslieferungsfall) der Linie des Mains begründen w i r d " und „ e r k l ä r t sich d a m i t einverstanden, d a ß die südlich von dieser Linie gelegenen deutschen S t a a t e n in einen Verein z u s a m m e n t r e t e n , dessen nationale Verbindung m i t dem n o r d deutschen B u n d e der näheren Verständigung zwischen beiden vorbehalten b l e i b t " . Der definitive Friedensvertrag f ü g t h i n z u : „ u n d der eine internationale unabhängige Existenz haben w i r d " . Durch das allgemeine Zugeständnis seines Ausscheidens aus Deutschland verzichtete Österreich auf jedes politische B a n d m i t diesen süddeutschen S t a a t e n . Ihr vorgesehener Verein, der die S p a l t u n g in Deutschland v e r s c h ä r f t h ä t t e , zu dem aber formell n u r die Z u s t i m m u n g Österreichs ausgesprochen war, wurde noch vor der Unterzeichnung des definitiven Friedens d u r c h f ü h r b a r durch die vorerst geheimgehaltenen Schutz- u n d Trutzbündnisse, welche die einzelnen S t a a t e n m i t Preußen gleichzeitig m i t den Friedensverträgen eingingen. In territorialer Beziehung b e k u n d e t e der Vertrag, infolge entschiedensten E i n t r e t e n s Bismarcks, Mäßigung. Der territoriale Bestand Österreichs sollte nach A r t . I m i t A u s n a h m e Venetiens ungeschmälert bleiben, wobei in Art. VI Preußen sich anheischig m a c h t e , die Z u s t i m m u n g Italiens zu den Friedenspräliminarien zu beschaffen, sobald Venetien durch E r k l ä r u n g Napoleons z u r Verfügung Italiens gestellt sein würde. In A r t . I I I übertrug Österreich auf Preußen seine Rechte auf Schleswig-Holstein, m i t der Maßgabe, d a ß die Bevölkerungen der nördlichen Distrikte Schleswigs an Dänem a r k abgetreten werden sollten, wenn sie in einem Plebiszit diesen Wunsch äußern würden. Diese Plebiszitklausel wurde von Frankreich v e r a n l a ß t , aber Österreich als der allein aus ihr berechtigte K o n t r a h e n t k o n n t e später im Vertrage vom 11. X . 1878 in ihre A u f h e b u n g willigen. Das Plebiszit h a t erst auf Grund des A r t . 109 des Versailler Vertrages von 1919 s t a t t g e f u n d e n . A r t . V sicherte auf W u n s c h Österreichs den u n veränderten Territorialbestand Sachsens. Österreich t r a t im H i n b l i c k auf die besonders innige Verbindung m i t Sachsen f ü r seine I n t e g r i t ä t unbedingt ein; auf die anderen an seiner Seite gestandenen Bundesstaaten k o n n t e es in seiner Bedrängnis keine weitere Rücksicht im Vertrage n e h m e n . Gegenüber Bayern w a r es allerdings noch durch besonderen Vertrag vom 14. VI. verpflichtet, Friedensverhandlungen m i t Preußen n u r u n t e r seiner Teilnahme einzuleiten und im Einverständnis mit ihm abzuschließen. Bismarck aber verlangte separate V e r h a n d lung m i t Österreich. Der in Nikolsburg ein-
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getroffene bayerische , Minister von der Pfordten zog sich von der Verhandlung zurück, u m seinerzeit separat zu verhandeln. Die A u f n a h m e eines in bezug auf Bayern entworfenen Artikels in den Vertrag unterblieb. Literatur: Sybel, Die Begründung des Deutschen Reiches durch Wilhelm I., 5. Bd. — Oncken, Das Zeitalter des Kaisers Wilhelm I., 1. Bd. — Friedjung, Der Kampf um die Vorherrs c h a f t in Deutschland, 2. Bd. — Österreichs Kämpfe im Jahre 1866 ( ö s t . Generalstabswerk), 4. Bd., S. 182ff. Strisower.
Nillius (Auslieferungsfall). I. Auf Veranlassung Preußens und Bayerns b e a n t r a g t e die deutsche Regierung im J a h r e 1884 die Auslieferung des deutschen S t a a t s angehörigen Heinrich Nillius bei der großbritannischen Regierung. Nillius wurde von den Strafverfolgungsbehörden in F r a n k f u r t a . M. und W ü r z b u r g wegen U r k u n d e n fälschung und Betrugs gesucht. Er h a t t e von England aus gefälschte Briefe u n d Urkunden nach Deutschland gesandt und dadurch verschiedene Personen in Deutschland v e r a n l a ß t , ihm Geld und Waren nach England zu schicken. Bei seiner F e s t n a h m e erhob er E i n w e n d u n g e n ; er bestritt vor dem englischen Polizeigericht seine Identität m i t der gesuchten Person u n d legte, als sie durch Zeugen erwiesen war und das Polizeigericht ihn zur Auslieferung verwies, mit dem A n t r a g auf Habeas-corpus Berufung bei dem Supreme Court of J u d i c a t u r e ein. Vor dessen Queen's Bench Division wurde der Fall am 11. V I I . 1884 verhandelt. Der Verteidiger m a c h t e geltend, d a ß Nillius kein fugitive criminal im Sinne des englischen Auslieferungsgesetzes vom 9. V I I I . 1870 — „ F l ü c h t l i n g , f u g i t i v e " nach Art. I X des deutsch-englischen Auslieferungsvertrags vom 14. V. 1872 (RGBl. S. 229) — sei; ein Flüchtling sei nur derjenige, der nach Begehung einer S t r a f t a t vom Ausland nach England f l ü c h t e ; Nillius müsse daher freigelassen werden. Die Richter (Cave, Day u n d A. L. Smith) verwarfen indessen einstimmig den E i n w a n d : das Auslieferungsgesetz habe als Regel sicher den Fall im Auge g e h a b t , in dem der T ä t e r aus dem Land, in dem er seine T a t beging, nach England geflüchtet sei. Die Legaldefinition aber, die § 26 des Gesetzes f ü r den A u s d r u c k fugitive criminal gebe, nämlich a n y person accused or convicted of an extradition crime committed within t h e jurisdiction of a n y foreign S t a t e who is in or is suspected of
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Nillius (Auslieferungsfall) — Nordseeküsten-Fischerei
being in some p a r t of Her Majesty's dominions passe auf Nillius. Wolle m a n m i t dem Verteidiger das Gesetz dahin auslegen, d a ß nur der ein fugitive criminal sei, der nach begangener T a t nach England flüchte, so könne j e m a n d vom englischen Boden aus S t r a f t a t e n in ganz Europa begehen u n d es so einrichten, d a ß er in England selbst nicht verfolgt werden k ö n n t e ; offenbar habe das Auslieferungsgesetz gerade deswegen den Begriff des fugitive criminal so weit gefaßt. Nillius wurde ausgeliefert. II. Die Entscheidung ist in E n g l a n d selbst lebhaft angefochten worden. Man h a t darauf hingewiesen, d a ß englischerseits jedenfalls entschieden Einspruch dagegen erhoben werden würde, wenn ζ. B. Frankreich einen englischen Staatsangehörigen, der lange J a h r e in Frankreich gelebt h a b e u n d nie in Spanien gewesen sei, diesem S t a a t e wegen eines Vergehens gegen spanische Gesetze ausliefern wollte. Die amerikanische Rechtsprechung h a t im Fall Hall im J a h r e 1894 (vgl. The american and english encyclopaedia of law, 2. Aufl., X I I (1899), S. 603) einen anderen S t a n d p u n k t aufgenommen. Das englische Urteil ist nur verständlich, wenn die Unzulänglichkeit des englischen Rechts bei der Verfolgung von Auslandstaten berücksichtigt wird. Literatur: F. v. Martitz, Internationale Rechtshilfe in Strafsachen I (1888), S. 384. — The Times vom 12. V I I . 1884. — Clunet X I (1884), S. 523. — E. Clarke, A treatise u p o n t h e law of extradition, 4. Aufl. (Londou 1903), p. 177, 262. — F. Piggot, E x t r a d i t i o n (Hongkong, London 1910), p. 70,. 102, 247. Mettgenberg.
Nordseeküsten-Fischerei.
Elida, Fall der.
Der schwedische Dampfer Elida wurde am 13. X. 1914 auf der F a h r t von Kago nach Hull unweit Trelleborg innerhalb des von Schweden als seiner Hoheit unterstellt beanspruchten Seeterritoriums durch ein deutsches Torpedoboot aufgebracht. Die Ladung der Elida bestand aus bearbeitetem, f ü r Bauzwecke verwendbarem Kantholz, das nach dem an Order lautenden Konnossem e n t von einer Stockholmer Aktiengesellschaft einer Huller F i r m a v e r k a u f t war. Das Urteil des Prisengerichts Kiel vom 8. X I I . 1914 g a b Schiff u n d L a d u n g frei, weil nach den damals geltenden Bestimmungen Holz n u r als Feuerungsmaterial K o n t e r b a n d e gewesen, stellte aber zugleich fest, d a ß aus-
reichende Gründe f ü r die Beschlagnahme vorgelegen h ä t t e n , da es sich um einen zweifelhaften Fall gehandelt habe — der K o m m a n d a n t h a b e a n n e h m e n können, d a ß das Holz zu Grubenholz, also als Feuerungsmaterial verwendet werden würde — , u n d wies deshalb die auf Leistung von Schadensersatz gerichtete Reklamation des schwedischen Reeders ab. Das Urteil des Oberprisengerichts Berlin vom 18. V. 1915 verneinte die Rechtmäßigkeit der Beschlagn a h m e : ein zweifelhafter Grenzfall habe nicht vorgelegen, da die L a d u n g n u r aus Nutzholz bestanden habe und der K o m m a n d a n t dies sehen m u ß t e ; die u n z u t r e f f e n d e Auslegung der deutschen Prisenordnung (RGBl. 1914, 282), deren Ziff. 23 übereins t i m m e n d mit A r t . 24 des Schlußprotokolls der Londoner Seekriegs-Konferenz n u r von Feuerungsmaterial spreche, sei kein hinreichender Grund f ü r die Beschlagnahme. D e m g e m ä ß erklärte das Berufungsgericht den Anspruch des R e k l a m a n t e n f ü r gerechtfertigt. Darin s t i m m t e n beide Urteile überein, d a ß die schwedische Bestimmung der Küstengewässer auf eine Breite von 4 Seemeilen keinen dem Deutschen Reich gegenüber wirksamen völkerrechtlichen Titel bilde, vielmehr die deutsche Prisenordnung Ziff. 3 a , die die 3-Seemeilenzone als neutrale Hoheitsgewässer anerkenne, durchzugreifen habe. — Schweden h a t t e durch Prisenreglement vom 12. IV. 1808 und Dekret vom 5. V. 1871 die Grenze seines Seeterritoriums auf 4 Seemeilen bestimmt. Eine ausdrückliche völkerrechtliche A n e r k e n n u n g h a t diese A n o r d n u n g nicht gefunden, freilich auch keinen a u s drücklichen Widerspruch seitens des Deutschen Reichs. Von diesem wurde 1874 bei Verhandlungen m i t Schweden die Frage der Küstengewässer als offen behandelt, 1897 der Anspruch Schwedens auf die 4-Seemeilengrenze f ü r die Fischerei n i c h t bestritten, die Frage der Neutralisierung dieses Seegebiets im Kriegsfall jedoch nicht b e r ü h r t . Unter diesen U m s t ä n d e n kann die Unterlassung eines Widerspruchs gegen die schwedische Festsetzung nicht als Anerk e n n u n g gewertet werden. Diese Festsetzung ist mithin kein Bestandteil der Völkerrechtsordnung geworden. Die deutsche Prisenordnung war daher durchaus befugt, wenn sie sich nicht f ü r die von der älteren Liter a t u r verfochtene Kanonenschußweite e n t scheiden wollte, übereinstimmend m i t der in neueren Verträgen üblich gewordenen Begrenzung die neutralen Hoheitsgewässer auf eine Breitenausdehnung von 3 Seemeilen zu bemessen. Selbst wenn m a n diese Bemessung einer unbestrittenen Völkerrechts-
Nordseeküsten-Fischerei — Noten norm widersprochen hätte, m u ß t e sie von den deutschen Prisengerichten ihrer E n t scheidung zugrunde gelegt werden. Denn diese Gerichte haben als Organe des Staates das von diesem gesetzte Recht anzuwenden. Nur wo das einheimische R e c h t eine Lücke aufwiese, wäre diese durch internationales Recht auszufüllen. Solcher Ausfüllung bedurfte es aber angesichts der Ziff. 3 a der deutschen Prisenordnung nicht. — Die Kaiserl. Verordnung vom 18. IV. 1915, R G B l . 1915, 229, erklärte in Abänderung der Ziff. 23 der deutschen Prisenordnung Hölzer jeder Art, roh oder bearbeitet, für relative Konterbände. Obwohl vor dem Erlaß des Urteils des Oberprisengerichts veröffentlicht, war diese Verordnung auf die Ladung der Elida nicht anwendbar, da deren rechtliche Beurteilung nur nach dem zur Zeit der Beschlagnahme geltenden R e c h t erfolgen konnte. Literatur: D J Z . 1916, 4 7 8 f f . — ZV. 9, 109. — v. Liszt (11) 79. Opet.
Norwegisch- amerikanischer
Schiffsbau-
strelt vor dem Haager Schiedsgericht s. Schiffsbaustreit. N o t a k t e s. Notstand.
Noten.
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sich C a n n i n g 1825, den Inhalt einer Note zur Kenntnis zu nehmen, die ihm der russische Gesandte vorlesen wollte, weil er ohne Abschrift nicht beurteilen könne, ob die Note nicht Ausdrücke enthalte, die er zurückweisen müsse. Man unterscheidet zwei Arten von N o t e n : 1. solche, die vom Absender unterzeichnet sind ( n o t e s s i g n £ e s ) und 2. solche, die keine Unterschrift tragen, die gewissermaßen als schriftliche Fixierung einer mündlichen Mitteilung anzusehen sind und daher auch als V e r b a l n o t e n bezeichnet werden ( n o t e s verbales, notes non sign6es). In der Form von Verbalnoten pflegt man Mitteilungen zu machen, die sich auf die nähere Ausführung einzelner Punkte einer in Verhandlung stehenden Frage beziehen oder die eine schwebende Angelegenheit in Erinnerung bringen, etwa deren Erledigung urgieren, ähnlich dem sog. aide m6moire (apper^u de conversation). Die notes signies werden namentlich für Mitteilungen verwendet, durch die ein S t a a t eine Verpflichtung übernimmt oder anerkennt. Haben die Noten einen Inhalt, der nur für den Adressaten oder einen abgegrenzten Kreis von Personen bestimmt ist, so werden sie als v e r t r a u l i c h bezeichnet ( n o t e s c o n f i d e n t i e l l e s ) ; dieser Art pflegen die Noten zu sein, durch die eine Regierung ihren diplomatischen Vertretern Instruktionen erteilt. Die Noten, die ein diplomatischer Agent an seine Regierung richtet, um Instruktionen zu erlangen, werden n o t e s a d r e f e r e n d u m genannt. Z i r k u l a r n o t e n heißen jene, die nicht nur an eine Person, sondern an verschiedene Stellen gerichtet sind, ζ. B . wenn die Regierung eines S t a a t e s allen bei ihr akkreditierten Gesandten ihre Ansicht über einen konkreten Fall mitteilt. Die Noten an fremde Regierungen pflegen in der dritten Person abgefaßt zu werden und zwar spricht der Schreiber nicht nur von sich in der dritten Person, sondern auch vom Adressaten. Sie beginnen mit einer ständigen Formel, in der der diplomatische Charakter des Schreibers genannt ist (ζ. B . Le soussigni, ministre des relations exterieurs, usw.) und sein Auftrag mitgeteilt wird (ζ. B . est charg6 de faire connaitre ä . . .). Im einzelnen variieren diese Formeln. Die Antwort auf eine Note wird in der Regel in derselben Form erteilt, in der die zu beantwortende Note abgefaßt ist.
Als N o t e n ( n o t e s ) bezeichnet man in der Diplomatie im allgemeinen jede schriftliche Mitteilung, die zwischen einer Regierung und ihren diplomatischen Agenten oder direkt zwischen den Regierungen oder zwischen diplomatischen Agenten untereinander ausgetauscht wird. Die Noten werden unter den Beteiligten entweder wie Briefe (durch Kuriere) übersandt oder sie werden persönlich überreicht. Von Briefen, Depeschen und Memorias unterscheiden sie sich weniger durch Inhalt und Redaktion als durch Einzelheiten in Stilisierung und Formulierung des T e x t e s ; der Gebrauch der einen oder anderen Form beruht auf Herkommen. Prinzipiell ist jede Regierung berechtigt, die ihr im konkreten Fall geeignet erscheinende Form für eine Mitteilung an die fremde Regierung zu wählen, ebenso wie jede auch berechtigt ist, eine Mitteilung, die ihr gemacht wird, Literatur: der Form wegen zurückzuweisen. D e r Inhalt einer Note kann dem Adressaten auch Calvo, Droit international, §§ 1316, 1317. — Derselbe, Dictionnaire de droit intern. II, mündlich, durch Verlesung mitgeteilt werden, S. 30. — v. Martens, Guide diplomatique, doch braucht sich ein Minister mit der Ver4. ddit., II, S. 3 1 3 f f . — Derselbe, Manuel lesung allein nicht zu begnügen; so weigerte diplomatique, S. 115ff. v. F r i s c h .
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Notrufzeichen — Notstand im Völkerrecht
Völker- neuestens von dem Belgier Visscher, den Italienern Borsi und Cavaglieri und demösterreicherStrisowerabgelehnt, beherrscht es unbedingt die Rechtsüberzeugung der Staatenwelt. Der völkerrechtliche N o t s t a n d nun ist Notstand im Völkerrecht. e i n e L a g e , in d e r ein S t a a t v o n e i n e r I. Wie im Leben des Einzelnen Fälle g e g e n w ä r t i g e n o d e r u n m i t t e l b a r b e vorkommen können, in denen er ein fremdes v o r s t e h e n d e n s c h w e r e n , auf a n d e r e Gefahr rechtlich geschütztes Interesse um der Er- W e i s e n i c h t a b w e n d b a r e n Verletzung haltung eines anderen willen verletzen muß, b e d r o h t i s t , die o h n e wie der Staat nach innen ein sog. Staats- f r e m d e r , r e c h t l i c h g e s c h ü t z t e r I n t e r notrecht besitzt, so kann auch der Staat e s s e n v e r n ü n f t i g e r Ü b e r l e g u n g n a c h seinen in seinem Verkehr mit anderen Staaten in die E x i s t e n z des S t a a t e s , eine Lage kommen, in der er in die Rechte g e g e n w ä r t i g e n T e r r i t o r i a l - o d e r P e r anderer Staaten eingreifen muß. Man s o n a l b e s t a n d in F r a g e s t e l l e n o d e r Unabhängigkeit in seinem hat dies in der Wissenschaft frühzeitig er- s e i n e kannt und sich auf verschiedene Weise zu s o l c h e n M a ß e e i n s c h r ä n k e n w ü r d e , helfen versucht. So findet sich in allen d a ß s e i n e v ö l k e r r e c h t l i c h e H a n d l u n g s Lehrbüchern ein angebliches Grundrecht f ä h i g k e i t a u f g e h o b e n o d e r d o c h a l s der Selbsterhaltung verzeichnet, dessen Wesen auf ein M i n i m u m r e d u z i e r t e r s c h e i n e n es ausmachen soll, daß der Staat berechtigt w ü r d e . sei, in ein fremdes Recht einzugreifen, a) Zunächst muß es sich um eine Gefahr wenn das im Interesse seiner Selbsterhaltung handeln, die unmittelbar bevorsteht oder als erforderlich erscheine. Diesem Grund- bereits besteht. Es genügt nicht, daß eine rechte der Selbsterhaltung spricht man die Gefahr erst für die Zukunft zu besorgen ist. Bedeutung zu, daß es allen anderen Rechten Wenn also ein Staat eine Gefährdung nicht vorgehe. Neben diesem Grundrechte der unmittelbar vor sich sieht, darf von einem Selbsterhaltung treibt in den meisten völker- Notstand überhaupt nicht gesprochen werden. rechtlichen Gesamtdarstellungen die sog. Das ist im Jahre 1842 von dem amerikaclausula rebus sie stantibus (s. diese) ihr nischen Staatssekretär Webster gelegentlich Unwesen. Diese Klausel, die ihren Ursprung des „Caroline-Zwischenfalls" (s. d.) mit aller im römischen Recht hat und keineswegs, Schärfe auf die Formel gebracht worden, wie von der Privatrechtswissenschaft daß eine „instant and overwhelming necesmeistens behauptet wird, im Völkerrecht, sity" vorliegen müsse. Weiter aber, und besagt, daß ein Vertrag (und dasselbe muß das ist das wichtigste Tatbestandsmerkmal natürlich bei jedem Völkerrechtssatz gelten), des Notstandes überhaupt, muß wenn seit Vertragsschluß eine so wesentliche b) die Gefahr auf andere Weise nicht Veränderung der Umstände eingetreten ist, daß den an der Rechtsnorm beteiligten abwendbar sein. Wenn also eine BetrachStaaten ein Festhalten an ihr nicht mehr tung der gegebenen Sachlage im Einzelzugemutet werden kann, hinfällig wird. falle dahin führt, daß es doch noch andere Krankt diese clausula daran, daß es einem Möglichkeiten gibt, um die Notlage abzuStaat freisteht, eine Veränderung der Um- wehren, müssen diese Mittel, sofern sie sich stände für so wesentlich anzusehen, daß er im Rahmen des Rechts bewegen, angewandt sich ohne Rechtsbruch von ihr lösen kann werden und es ist in einem solchen Falle und führt sie somit zum Bankerott des die Vornahme einer Handlung nicht zu Völkerrechts überhaupt, so ist das angebliche rechtfertigen, die Handlung also, sofern Grundrecht der Selbsterhaltung viel zu eng, durch sie gegen einen Völkerrechtssatz weil es nur dann Platz zu greifen hätte, verstoßen wird, völkerrechtswidrig. Es muß weiter wenn die Existenz des Staates auf dem c) eine vernünftige, also objektive BeSpiele steht. In Wirklichkeit darf es nach den Untersuchungen, die Bruno Schmidt trachtungsweise dahin führen, daß gewisse 1907 und 4 Jahre später Erich Kaufmann höchste staatliche Lebensgüter auf dem Spiele angestellt haben, als feststehend gelten, daß stehen und nicht erhalten bleiben können, die Staaten weder ein Grundrecht der Selbst- außer durch Eingriff in fremde völkerrechterhaltung noch die Klausel anerkennen. Wohl lich als schutzwürdig anerkannte Interessen. Welcher Art nun diese Interessen sind, aber kennt das Völkerrecht ein Notrecht, dessen Bestehen ein Blick auf die Völkerrechts- ist zweifelhaft und umstritten. geschichte der letzten 150 Jahre deutlich bed) Sorgfältige Betrachtung der Staatenweist. Von der französischen Wissenschaft praxis lehrt, als solche nicht nur die Existenz durchgehend verworfen und insbesondere des Staates anzuerkennen, die bedroht oder gefährdet ist, sobald eines der drei Momente
Notifikation, völkerrechtliche recht!. Notifikation. Notrufzeichen s. Seerecht.
s.
Notstand im Völkerrecht des Staates: Staatsgebiet, Staatsgewalt, Staatsvolk bedroht sind, was also einer Anerkennung des sog. „Selbsterhaltungsrechts" gleichstehen würde, sondern, daß als solche wichtige Lebensgüter auch schon die Unabhängigkeit angesprochen werden muß. Aus den vorherigen Erörterungen folgt einmal die Subsidiarität des Notrechts, weiter, daß Notstandsexzeß sowie Putativnotstand unzulässig sind. Das besagt, daß, wenn ein Staat Handlungen vornimmt, die über das zur Abwehr des Notstandes erforderliche Maß hinausreichen, oder wenn er irrtümlich Notstand als gegeben annimmt, im einen wie im anderen Falle sein Handeln rechtswidrig bleibt. Ist die im Notstand vorgenommene Handlung rechtsgemäß, so ist natürlich auch, da ein entgegenstehender Völkerrechtssatz nicht besteht, eine Schadensersatzforderung ausgeschlossen. Überwindet das Notrecht jedes andere entgegenstehende aus dem Völkerrecht entfließende Recht, so findet es seine Schranken an dem Notrecht eines anderen Staates. Befinden sich also beide Staaten im Notstand, so sind beide Notrechte gleich stark und es ist juristisch nicht möglich, ein Vorgehen des einen oder anderen festzustellen. Einige Beispiele mögen das Vorstehende erläutern. Dabei ist zu erwähnen, daß der Italiener Cavaglieri, der einige Hauptfälle aufzählt (um ein Notrecht abzulehnen), übersieht, daß ein Protest von Staaten gegen das von einem anderen behauptete Notrecht sich nicht so sehr gegen die Behauptung der Existenz eines solchen Notrechts, als vielmehr gegen ein angeblich vorliegendes Tatbestandsmerkmal, insbesondere gegen dasjenige der Subsidiarität und Erforderlichkeit, regelmäßig gerichtet hat. Als bekanntestes Beispiel darf auf den Einfall Friedrichs des Großen in Sachsen 1756 zunächst hingewiesen werden. Dieser ist in amtlichen Auslassungen Preußens ausdrücklich auf Notstand gestützt worden, was ja allein hier interessiert, so daß es unbeachtet bleiben kann, daß nach unserer Ansicht die Rechtfertigung eines Krieges nicht notwendig erscheint. Im Jahre 1797 hat England Lebensmittel von neutralen Schiffen weggeholt und in England verkauft und dies gleichfalls mit Berufung auf Notstand gerechtfertigt, weil England sich, damals von einer Hungersnot bedroht gefühlt gesehen hatte. Wiederum ist es England gewesen, das 1808 die Beschießung von Kopenhagen und die Wegnahme der dänischen Flotte (s. v. Dänische Flotte, Beschlagnahme) auf Notstand gestützt hat, weil ein Einrücken Napoleons von Jütland aus in Dänemark und der
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erzwungene Anschluß dieses Staates an Frankreich und damit dessen Flottenverstärkung England bedroht hätte. Im Jahre 1837 hat Amerika gelegentlich eines Aufstandes in Kanada gegen die englische Herrschaft nicht genügend Maßnahmen getroffen, um eine Unterstützung der aufständigen Kanadier von amerikanischer Seite zu verhüten. Da haben englische Truppen in amerikanischen Gewässern das Schiff Caroline (s. d.) angegriffen, an Bord dessen sich amerikanische Freischärler befanden, die nach Kanada wollten, das Schiff verbrannt und über die Niagarafälle abgestürzt. Beide Staaten haben damals die Existenz eines Notrechtes anerkannt; bestritten und zweifelhaft war nur das Vorliegen eines Tatbestandsmerkmales. 1846 hat Österreich den unter gemeinsamem Protektorat von Preußen, Österreich und Rußland stehenden Freistaat Krakau (s. d.) seinem Staate einverleibt, weil Krakau ein ständiger Herd von Unruhen sei, die auf Galizien überzugreifen drohten. Seitens Frankreichs und Englands ist scharf gegen diesen angeblichen Notstand protestiert worden. 1870 hat Rußland einseitig unter Berufung auf Notstand sich von den, die Neutralisierung des Schwarzen Meeres aussprechenden Bestimmungen des Pariser Vertrags von 1856 losgesagt und 1886 die im Berliner Vertrag von 1878 festgesetzte Freihafenstellung von Batum aufgehoben. 1904 hat Japan seinen Einmarsch in Korea ebenso mit Notstand zu rechtfertigen gesucht wie 1914 Deutschland seinen in Belgien und endlich hat 1914 die Türkei einseitig die Kapitulationsverträge aufgehoben, weil diese ihren Lebensinteressen widerstritten. II. Gibt es unseres Erachtens ein völkerrechtliches Notrecht, so muß dies in gleicher Weise im Krieg wie im Frieden den geltenden Rechtssätzen entgegengesetzt werden können. Daneben aber wird noch darüber hinaus von vielen Schriftstellern, und namentlich in militärischen Kreisen, ein besonderes militärisches Notrecht behauptet. Dessen Inhalt pflegt man auf die Formel zu bringen: Kriegsräson geht vor Kriegsmanier. Dabei versteht man unter Kriegsräson die militärischen Notwendigkeiten, unter Kriegsmanier das Kriegsrecht. Wäre diese Auffassung richtig, so wäre ein Kriegsrecht praktisch überhaupt nicht möglich. Denn es kann jeder Rechtssatz mit dem Hinweis außer Kraft gesetzt werden, die militärischen Notwendigkeiten widerstritten seiner Anwendung. Diese Auffassung entspringt einer völligen Verkennung der geschichtlichen Entwicklung des Kriegsrechts. War ursprünglich gegenüber dem Feind alles erlaubt,
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N o t s t a n d im V ö l k e r r e c h t — Occupatio bellica E v a n s . . . a n d in t h e c o u r t of t h e oversea d o m i n i o n s a n d on a p p e a l t o t h e j u d i c a l c o m m i t t e e of t h e p r i v y council, 1916. — Hertel, N o t s t a n d u n d N o t w e h r im Völkerr e c h t , Greifswalder Diss. 1918. — Huber, Die kriegsrechtlichen V e r t r ä g e u n d die Kriegsraison, ZV. V I I (1913), S. 3 5 1 f f . — K a u f m a n n (E.), Das W e s e n des Völkerr e c h t s u n d die clausula r e b u s sie s t a n t i b u s , 1911. — Kohler, N o t k e n n t kein G e b o t , 1915. — Lammasch, D a s Völkerrecht n a c h d e m Kriege, 1917. — LapradellePolitis, Recueil des a r b i t r a g e s intern a t i o n a u x I, 1905. — Mechelynck, La Convention de la H a y e c o n c e r n a n t les lois e t c o u t u m e s de la g u e r r e sur t e r r e d'aprfcs les a c t e s et d o c u m e n t s des conf i r e n c e s de Bruxelles de 1874 et de la H a y e 1899 et 1907, 1915. — Meurer, Die H a a g e r F r i e d e n s k o n f e r e n z , B d . II, Das K r i e g s r e c h t der H a a g e r K o n f e r e n z , 1907. — Ot6tel£chano, De la v a l e u r o b l i g a t o i r e des t r a i r i s in t e r n a t i o n a u x . Thfese de Paris, 1916. — Phillppson, I n t e r n a t i o n a l law a n d t h e g r e a t w a r , ο. J . (1915). — Pillet, Les c o n v e n t i o n s de la H a y e du 29 juilliet 1899 et du 18 o c t o b r e 1907, 1918. — Scott, A s u r v e y of i n t e r national relations between the United S t a t e s a n d G e r m a n y , A u g u s t 1, 1914 bis April 6, 1917, 1917. — B. Schmidt, Ü b e r die v ö l k e r r e c h t l i c h e clausula r e b u s sic stantibus, sowie einige Völkerrechtsnormen (Staats- und völkerrechtliche Abh a n d l u n g e n , hrsg. von J e l l i n e k , Meyer, A n s c h ü t z , Bd. V I , H e f t 1), 1907. — Scholz, P r i v a t e i g e n t u m im b e s e t z t e n u n d u n b e s e t z t e n F e i n d e s l a n d , 1919. — Strisower, Der Krieg u n d die V ö l k e r r e c h t s o r d n u n g , 1919. — Strupp, D a s i n t e r n a t i o n a l e L a n d k r i e g s r e c h t , 1914. — Visscher, Les lois de la guerre et la t h ö o r i e de la n i c e s s i t e , 1917 ( e x t r a i t de la RG.). — Weißbuch U-Bootkrieg, D e u t s c h e r S c h r i f t wechsel m i t der R e g i e r u n g der Vereinigten S t a a t e n von A m e r i k a , b e t r e f f e n d den U n t e r s e e h a n d e l s k r i e g ; sowie noch Strupp, Das v ö l k e r r e c h t l i c h e D e l i k t , 1920, S. 122—179. Strupp.
so b e f i n d e t sich doch schon bei H u g o Grotius die Milderung, die in d e m S a t z e l i e g t : O m n i a in bello Heere, q u a e necessaria s u n t a d f i n e m belli, das h e i ß t : alles ist im Kriege e r l a u b t bis z u r E r r e i c h u n g des Kriegszweckes, u n d Kriegszweck ist die Niederr i n g u n g des Feindes. Festzustellen ist n u n , was hierzu n o t w e n d i g u n d was n i c h t n o t wendig ist u n d das festzustellen, d a s w a r j a die A u f g a b e , die die S t a a t e n 1899 im H a a g b e w u ß t (das e r g i b t sich m i t K l a r h e i t aus a m t l i c h e n Ä u ß e r u n g e n der B r ü s s e l - H a a g e r K o n f e r e n z e n ) sich als A u f g a b e gesetzt u n d erfüllt haben. Stellt a b e r das K r i e g s r e c h t einen K o m p r o m i ß d a r zwischen militärischen Notwendigkeiten und modernen Kultur- und H u m a n i t ä t s a u f f a s s u n g e n , so ist es ein U n ding, das so geschaffene R e c h t d u r c h eine Generalklausel, j e d e r S a t z gelte n u r , soweit es die m i l i t ä r i s c h e n Interessen e r l a u b t e n , einzuschränken. Es liegt im Sinne dieser A u f a s s u n g e n , w e n n die H a a g e r K o n v e n t i o n e n vielfach R e c h t s s ä t z e n die E i n s c h r ä n k u n g h i n z u f ü g e n : soweit keine zwingende N o t w e n d i g k e i t e n t g e g e n s t e h t , soweit möglich, soweit die m i l i t ä r i s c h e n Verhältnisse es g e s t a t t e n usw. D a r a u s folgt, d a ß in allen F ä l l e n , in d e n e n eine solche e i n s c h r ä n k e n d e Klausel nicht a u f g e n o m m e n i s t , ein besonderer militärischer Notstand nicht anerkannt w e r d e n k a n n , so d a ß also das K r i e g s r e c h t g e n a u wie sonst n u r d u r c h N o t s t a n d in d e m f r ü h e r k e n n e n g e l e r n t e n Sinne A b b e u g u n g e n erfährt. Literatur: I. Die m e i s t e n L e h r b ü c h e r (gewöhnlich u n t e r d e m sog. G r u n d r e c h t der S e l b s t e r h a l t u n g ) . II. M o n o g r a p h i s c h e B e a r b e i t u n g e n : Borsl, R a g i o n e di g u e r r a e s t a t o di necessitä nel d i r i t t o i n t e r n a z i o n a l e , 1916 ( e s t r a t t o della R D J . ) . — Cavaglieri, Lo s t a t o di necessitä nel d i r i t t o i n t e r n a z i o n a l e , 1918. — Cavaretta, Lo S t a t o di necessitä nel d i r i t t o i n t e r n a z i o n a l e , p a r t e generale, 1910. — Cyblchowskl, Studien zum internationalen R e c h t , 1912, S. 21 ff. — Faatz, N o t w e h r u n d N o t s t a n d im V ö l k e r r e c h t , G r e i f s w a l d e r Diss. 1919. — Grant, Prize cases h e a r d a n d decided in t h e prize c o u r t d u r i n g t h e g r e a t w a r b y . . . Sir S a m u e l
N o v i b a z a r s. O r i e n t , n a h e r . N o w i k - F a l l s. Z e s a r e w i t s c h - F a l l . N u n t i e n s. P ä p s t l i c h e G e s a n d t e n . N y s s. V ö l k e r r e c h t s l i t e r a t u r g e s c h i c h t e .
Ο O b e r s c h l e s i e n s. Schlesien. O b l i g a t o r i u m s. S c h i e d s g e r i c h t s b a r k e i t .
s c h e i d e n : 1. die O k k u p a t i o n s t a a t s l o s e n Gebietes, d. h. die B e g r ü n d u n g d e r Gebietsh o h e i t des O k k u p a n t e n i n n e r h a l b eines Occupatio bellica. bisher s t a a t s l o s e n Gebietes, die uns v o r Im V ö l k e r r e c h t sind zwei verschiedene n e h m l i c h in der Geschichte der Kolonisation fremden A r t e n d e r O k k u p a t i o n ( B e s e t z u n g ) zu u n t e r - b e g e g n e t ; 2. die O k k u p a t i o n
Occupatio bellica Staatsgebietes in ihren Erscheinungsformen a) als k r i e g e r i s c h e Besetzung, b) als f r i e d l i c h e Besetzung, c) als Besetzung k r a f t Waffenstillstandsvertrages. Hier beschäftigt uns ausschließlich die Besetzung fremden Staatsgebietes und zwar die k r i e g e r i s c h e Besetzung. Als Quellen des kriegerischen Besetzungsrechtes kommen in B e t r a c h t einmal die H a a g e r Landkriegsordnungen von 1899 u n d 1907 u n d zwar namentlich deren d r i t t e r Abschnitt betr. „Militärische Gewalt auf besetztem feindlichen Gebiet", ferner eine Anzahl von Sätzen des Völkergewohnheitsrechts. A.
Begriff und rischen
Wesen der Besetzung.
kriege-
Die kriegerische Besetzung (occupatio bellica, occupatio de guerre) ist zu definieren als zeitweilige, durch Kriegsgewalt begründete und n u r durch Normen des Kriegsvölkerrechts begrenzte A u s ü b u n g von Gebietshoheit innerhalb des Gebietes eines feindlichen Staates. 1. D i e k r i e g e r i s c h e B e s e t z u n g a l s tatsächlicher Vorgang. Die Herrschaft des O k k u p a n t e n im kriegerisch besetzten Gebiet ist rein t a t s ä c h l i c h e r N a t u r . Sie beruht nicht auf einem R e c h t s t i t e l , sondern auf einem r e i n t a t s ä c h l i c h e n V o r g a n g , auf einem A k t kriegerischer Gewalt. Die kriegerische Besetzung ist keine völkerrechtliche Deliktshandlung, sondern ein erlaubtes Kriegsmittel, das den Zweck verfolgt, den Willen des Gegners m i t Gewalt zu brechen. Ein Recht „ a u f " kriegerische Besetzung wird indes vom Völkerrecht nicht a n e r k a n n t . Ein gegenteiliger Schluß ist auch nicht aus der Aufn a h m e eines besonderen Abschnittes über „militärische Gewalt auf besetztem feindlichen G e b i e t " in das Haager A b k o m m e n über den Landkrieg zu ziehen. In den einzelnen Bestimmungen dieses Abschnitts werden nicht etwa die Voraussetzungen normiert, u n t e r denen eine Kriegspartei Gebiet der anderen kriegerisch besetzen darf, die kriegerische Besetzung feindlichen Staatsgebietes wird dort vielmehr als eine bereits feststehende T a t s a c h e vorausgesetzt. 2. B e g i n n u n d E n d e d e r k r i e g e rischen Besetzung. I. Ein Gebiet ist kriegerisch besetzt, sofern i n n e r h a l b desselben die tatsächliche Herrschaft des besetzenden Heeres hergestellt ist, und der O k k u p a n t den Willen h a t , diese Herrschaft bis zur Entscheidung über das endgültige Schicksal des betr. Gebietes in geregelten Formen auszuüben.
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Für die kriegerische Besetzung gilt ebenso wie f ü r die Blockade das Prinzip der Effekt i v i t ä t . In diesem Sinne bestimmt Art. 42 L K O . : „ E i n Gebiet gilt als besetzt, wenn es t a t s ä c h l i c h in der Gewalt des feindlichen Heeres steht. Die Besetzung erstreckt sich nur auf Gebiete, wo diese Gewalt hergestellt ist u n d ausgeübt werden k a n n . " Der militärischen Besetzung jedes einzelnen Ortes oder jeder Gemeinde des Okkupationsgebietes bedarf es jedoch nicht. Es genügt, daß das Gebiet als G a n z e s sich in der Gewalt des O k k u p a n t e n befindet, und d a ß der O k k u p a n t jederzeit die Möglichkeit h a t , seine Macht innerhalb des betr. Gebietes überall auszuüben. Erforderlich ist, daß die Stellung des Okkupanten eine gewisse Befestigung erhalten h a t . Eine vorübergehende Operation im feindlichen Gebiet ist I n v a s i o n , nicht Okkupation. Der Besetzungswille des okkupierenden Staates pflegt der Bevölkerung des besetzten Gebietes durch eine Proklamation des Führers des Besetzungsheeres bekanntgegeben zu werden. Vorbedingung f ü r den Beginn der Besetzung ist eine derartige Bekanntgabe aber nicht. Der Besetzungswille kann auch in konkludenten Handlungen, beispielsweise in der Vornahme von Verwaltungsakten seitens des O k k u p a n t e n einen hinreichenden A u s d r u c k finden. II. Die Herrschaft des O k k u p a n t e n im besetzten Gebiet ist nur von v o r ü b e r g e h e n d e r Natur. Sie endet entweder schon im Verlauf des Krieges und zwar dadurch, daß der O k k u p a n t das besetzte Gebiet unter dem Zwang f ü r ihn unglücklicher militärischer Operationen oder freiwillig r ä u m t , oder spätestens gelegentlich der Beendigung des Krieges, sei es, d a ß das besetzte Gebiet im Friedensvertrag dem okkupierten S t a a t zurückgegeben oder von diesem dem O k k u p a n t e n abgetreten wird, sei es, d a ß es ohne Abschluß eines Friedensvertrages auf Grund sog. debellatio, d. h. völliger Niederwerfung und Vernichtung der selbständigen Existenz des okkupierten Staates dem O k k u p a n t e n angegliedert wird. Der T a t b e s t a n d der debellatio ist aber nicht schon dann gegeben, wenn das g a n z e feindliche Staatsgebiet besetzt ist. Es m u ß außerdem eine Vernichtung der S t r e i t k r ä f t e des okkupierten Staates h i n z u k o m m e n , seine Regierung m u ß aufgelöst und sein Herrscher, falls er einen persönlichen Souverän besaß, gefangen oder geflüchtet sein. Setzt dagegen das Heer des okkupierten Staates auf alliiertem Gebiet den Kampf gegen den O k k u p a n t e n fort und a m t i e r t seine Regierung vom v e r b ü n d e t e n Auslande aus, wie beispielsweise die belgische Regierung
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Occupatio bellica
während des Weltkrieges von Le H a v r e aus weiter, so k o m m t eine debellatio u n d d a m i t auch ein E r w e r b der Gebietshoheit im besetzten Gebiet f ü r den O k k u p a n t e n nicht in Frage. J e d e Aussicht auf eine U m k e h r des Kriegsglückes ist in Fällen dieser Art nicht ausgeschlossen. Die noch während des Verlaufes der militärischen Operationen erfolgte Annexionserklärung Englands in bezug auf den O r a n j e s t a a t ebenso wie die Italiens in bezug auf Tripolitanien u n d die Cyrenaica war daher juristisch wirkungslos. 3. D i e r e c h t l i c h e N a t u r d e r k r i e g e rischen Besetzung. Bei der juristischen Analysierung des Besetzungsvorganges sind zwei Elemente zu u n t e r s c h e i d e n : 1. die gewaltsame Suspension des feindlichen Souveräns von der A u s ü b u n g der Gebietshoheit im besetzten Gebiet; 2. der als u n m i t t e l b a r e Folge dieser Suspension zwar nicht r e c h t l i c h , wohl aber t a t s ä c h l i c h s t a t t f i n d e n d e Übergang der A u s ü b u n g der f e i n d l i c h e n Gebietshoheit im besetzten Gebiet auf den O k k u panten. Hierzu ist im einzelnen folgendes zu b e m e r k e n : I. Gegen die A n e r k e n n u n g der Suspensionswirkung der kriegerischen Besetzung ist von dem belgischen Staatsminister B e e r n a e r t auf der ersten Haager Friedenskonferenz im J a h r e 1899 eindringlich, aber vergebens protestiert worden. Die Konferenz h a t mit Rücksicht auf B e e r n a e r t zwar auf eine ausdrückliche Feststellung der Suspensionsfolge in der LKO. verzichtet. An der Sache selbst ist dadurch aber nichts geändert worden. Die Suspensionswirkung stand f ü r sämtliche Mitglieder der Konferenz fest. Sie ergibt sich überdies zweifelsfrei aus A r t . 43 L K O . Die dort b e s t i m m t e Besetzungsfolge, „ d e r tatsächliche Übergang der gesetzmäßigen Gewalt in die H ä n d e des Besetzenden", h a t die Suspension der feindlichen Staatsgewalt zur notwendigen Voraussetzung. II. Lediglich die A u s ü b u n g der feindlichen Gebietshoheit im besetzten Gebiet geht auf den O k k u p a n t e n über. Die Gebietshoheit des okkupierten S t a a t e s im besetzten Gebiet als solche wird durch die kriegerische Besetzung nicht vernichtet. Der feindliche Souverän bleibt der Gebietsherr. E r ist f ü r die Dauer der Besetzung n u r an der A u s ü b u n g seiner Gebietshoheit t a t s ä c h l i c h verhindert. Die occupatio bellica bedeutet keinen Gebietserwerb, keine occupatio imperii. Ein E r w e r b der Gebietshoheit im besetzten Gebiet k o m m t f ü r den O k k u p a n t e n n u r auf Grund einer A b t r e t u n g
im Friedensvertrag oder auf Grund einer debellatio in Frage. III. Die A u s ü b u n g der Gebietshoheit im besetzten Gebiet durch den O k k u p a n t e n war bis in das 19. J a h r h u n d e r t hinein an keinerlei Schranken gebunden. H e u t e ist die ehedem u n b e s c h r ä n k t e G e w a l t in beschränktes R e c h t des O k k u p a n t e n umgewandelt. An den t a t s ä c h l i c h e n Übergang der A u s ü b u n g der feindlichen Gebietshoheit auf den O k k u p a n t e n knüpfen sich heute r e c h t l i c h e Folgen. Die Beziehungen zwischen dem O k k u p a n t e n und der Bevölkerung des besetzten Gebietes sind als R e c h t s v e r h ä l t n i s ausgestaltet. Es besteht ein Recht „ a u s " der Besetzung. Das moderne Völkerrecht erkennt als Besetzungsfolge dem O k k u p a n t e n einerseits ein subjektives Recht auf tatsächliche Ausübung der Gebietshoheit im besetzten Gebiet zu. Es setzt andererseits aber zum Schutze der Bevölkerung des besetzten Gebietes diesem an sich u n b e s c h r ä n k t e n Rechte rechtliche Schranken. Mit dem Recht werden zugleich auch Rechtspflichten des Okkup a n t e n begründet, d a r u n t e r vornehmlich die in Art. 43 L K O . s t a t u i e r t e Pflicht zur ordnungsmäßigen Verwaltung des besetzten Gebietes. Die Schaffung eines derartigen Rechtes „ a u s " der Besetzung ist auf der ersten Haager Friedenskonferenz von einer Minderheit u n t e r der F ü h r u n g von B e e r n a e r t hartnäckig, aber erfolglos b e k ä m p f t worden. B e e r n a e r t wollte u n t e r dem Hinweis darauf, d a ß die Besetzung keinesfalls als R e c h t s t i t e l f ü r H e r r s c h e r b e f u g nisse a n e r k a n n t werden dürfe, grundlegende Bestimmungen über die Besetzung gestrichen, eventuell aber n u r R e c h t s s c h r a n k e n der Gewalt eingestellt wissen. Der Prinzipala n t r a g B e e r n a e r t s wurde abgelehnt, dagegen sein E v e n t u a l a n t r a g a n g e n o m m e n . D a m i t h a t aber die Konferenz, wenn vielleicht auch u n b e w u ß t , das fragliche Recht „ a u s " der Besetzung a n e r k a n n t . Denn die A u f r i c h t u n g von Rechtsschranken ohne die gleichzeitige S t a t u i e r u n g eines durch diese Schranken eingeengten Rechtes ist u n d e n k bar. Der richtige S t a n d p u n k t ist auch in der Fassung der einzelnen Bestimmungen des III. Abschnitts der H a a g e r LKO. von 1899 zum A u s d r u c k gelangt. Es werden dort, wie sich beispielsweise aus der Fassung der Art. 42, 43, 46, 49, 51, 52 ergibt, nicht einzelnen Rechte des O k k u p a n t e n s t a t u i e r t , sondern lediglich Schranken des an sich unbeschränkten Rechtes des O k k u p a n t e n zu Ausübung a l l e r aus der Gebietshoheit im besetzten Gebiet fließenden Befugnisse festgesetzt. Diese Bestimmungen der L K O . haben durch die zweite Haager Friedens-
Occupatio bellica konferenz im J a h r e 1907 keine A b ä n d e r u n g erfahren. Hiernach ergibt sich folgender wichtiger G r u n d s a t z : M a ß n a h m e n des Okkupanten im besetzten Gebiet s i n d i n s o w e i t r e c h t m ä ß i g , als n i c h t ein n a c h w e i s b a r e r S a t z des K r i e g s völkerrechtes einschränkend entgegensteht. Die V e r m u t u n g spricht also f ü r die Befugnis des O k k u p a n t e n zur u n beschränkten A u s ü b u n g a l l e r aus der Gebietshoheit im besetzten Gebiet fließenden Befugnisse.
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Gebiet „ a u s g e d e h n t " werden. Ein weiteres Argument gegen die Richtigkeit dieser Ansicht besteht darin, d a ß sie in jedem Fall einen E r w e r b der Gebietshoheit im besetzten Gebiet durch den O k k u p a n t e n a n z u n e h m e n gezwungen ist und somit zu einer Identifizierung der occupatio bellica m i t der occupatio imperii f ü h r t , zweier Rechtsbegriffe,, deren Heterogenität f ü r die Völkerrechtswissenschaft seit Beginn des 19. J a h r hunderts feststeht. Die Lehre, d a ß der O k k u p a n t im besetzten Gebiet seine eigene Staatsgewalt ausübe, läßt sich ferner aber auch m i t den a n e r k a n n t e n Erscheinungen des positiven Besetzungsrechtes nicht in Einklang bringen. Man vergegenwärtige sich zu diesem Zweck beispielsweise folgende auf die Rechtsstellung des besetzten Gebietes und seiner Einwohner bezügliche, zum Teil auch in den Beschlüssen der zweiten Haager Friedenskonferenz zum Ausdruck gelangten Sätze des positiven Völkerrechtes:
IV. Die Gebietshoheit, die der O k k u p a n t im besetzten Gebiet a u s ü b t , ist die des o k k u p i e r t e n S t a a t e s , an dessen Stelle der O k k u p a n t infolge der Besetzung t a t s ä c h lich getreten ist. Der O k k u p a n t wird aber nicht als Stellvertreter, Geschäftsführer ohne A u f t r a g (negotiorum gestor) oder Vormund des okkupierten S t a a t e s oder als Besitzer oder Nutznießer des okkupierten S t a a t s gebietes bzw. der Gebietshoheit im okkupierten Staatsgebiet t ä t i g . Er h a n d e l t An der Staatsangehörigkeit der Einwohner vielmehr ungebunden an die verfassungs- des besetzten Gebietes wird nichts geändert. mäßigen Schranken, die dem feindlichen Die w ä h r e n d der Besetzung Geborenen Souverän gesetzt waren, k r a f t originären, erwerben die Angehörigkeit des okkupierten, allein durch das Völkerrecht gewährleisteten nicht aber des okkupierenden Staates. Die u n d inhaltlich bestimmten e i g e n e n Rechtes Staatsgrenze bleibt die alte. Es t r i t t kein im Interesse seiner eigenen Kriegführung, Wechsel des Landesherren ein. Das besetzte sowie zum Schutze der im besetzten Gebiet Gebiet bleibt dem O k k u p a n t e n gegenüber befindlichen Zivilbevölkerung. Der hier Ausland. Die Treupflicht der Beamten vertretenen, h e u t e wohl herrschenden Auf- und U n t e r t a n e n des besetzten Gebietes fassung stehen im wesentlichen zwei Gegen- gegenüber ihrem ligitimen Herrscher besteht ansichten gegenüber. Nach der einen soll f o r t . Ein Zwang gegen Beamte und U n t e r die Gewalt, die der O k k u p a n t infolge der I t a n e n zur Vornahme feindlicher oder verBesetzung im besetzten Gebiet a u s ü b t , keine ! räterischer Handlungen ist unzulässig usw. staatsrechtliche, sondern eine Völkerrecht- 1 Eine einheitliche E r k l ä r u n g aller dieser liehe höchste Gewalt sein, die ihrem Ur- j Rechtssätze ist n u r auf Grund der Lehre sprung u n d ihrer Aufgabe nach der e i n - | möglich, d a ß die Gebietshoheit des okkuheimischen Staatsgewalt entgegengesetzt sei. ' pierten S t a a t e s trotz der Besetzung „ a n Diese Ansicht ist jedoch nicht h a l t b a r . | s i c h " bestehen bleibt und nur deren A u s Eine völkerrechtliche höchste Gewalt gibt ü b u n g auf den O k k u p a n t e n zeitweilig, es nicht. Sie bedeutet einen Widerspruch d. h. f ü r die Dauer der Besetzung übergeht. in sich selbst. Denn das Völkerrecht be- Die herrschende Lehre läßt sich endlich t r i f f t n u r zwischenstaatliche Verhältnisse. auch nicht durch den Einwand widerlegen, Nach der anderen, namentlich von K o h l e r , daß allein der Wille des O k k u p a n t e n der v. F r i s c h und L ö n i n g vertretenen Gegen- im besetzten Gebiete herrschende und ausansicht soll der O k k u p a n t im besetzten Gebiet schlaggebende sei. Die Gegner übersehen, seine eigene Staatsgewalt (Gebietshoheit) daß nach der herrschenden Meinung die Ausausüben, die Staatsgewalt des O k k u p a n t e n übung der feindlichen Staatsgewalt dem soll sich infolge der Besetzung auf das O k k u p a n t e n zu e i g e n e m Recht zusteht. besetzte Gebiet ausdehnen. Diese zweite Das Wesen der Zuständigkeit zu eigenem Gegenansicht ist aber ebenfalls u n z u t r e f f e n d . Recht besteht aber gerade darin, d a ß der Gegen sie spricht zunächst der W o r t l a u t Inhaber in A u s ü b u n g des betr. Rechts des A r t . 4 3 L K O . Der tatsächliche „ Ü b e r - nur „ d e r Vollstrecker seines eigenen Willens" g a n g " der gesetzmäßigen Gewalt auf den ist, d a ß in A u s ü b u n g des b e t r . Rechtes O k k u p a n t e n , von dem dort die Rede ist, f ü r ihn lediglich seine eigenen Interessen ist n u r in bezug auf die Ausübung der maßgebend sind, u n d d a ß er daher den f e i n d l i c h e n Staatsgewalt (Gebietshoheit) Interessen desjenigen, dessen Recht er ausdenkbar. Die eigene Staatsgewalt des ü b t , auch gegebenenfalls zuwiderhandeln O k k u p a n t e n kann n u r auf das besetzte darf. Es ist d e m n a c h sehr wohl d e n k b a r ,
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d a ß der O k k u p a n t in Ausübung der feindlichen Staatsgewalt gegen den feindlichen S t a a t selbst gerichtete M a ß n a h m e n t r i f f t , daß er ζ. B. im Interesse seiner eigenen Kriegf ü h r u n g Vorschriften gegen die Spionage erläßt oder öffentliche politische K u n d gebungen zugunsten des einheimischen Souveräns verbietet. B. D i e
Rechtswirkungen der rischen Besetzung.
kriege-
Es sind im folgenden die einzelnen Rechtswirkungen der kriegerischen Besetzung zu b e t r a c h t e n , u n d zwar die E i n w i r k u n g e n auf die Gesetzgebung (1), die Rechtspflege (2), die Verwaltung (3), die Rechtsstellung der E i n w o h n e r (4), sowie das S t a a t s - und P r i v a t eigentum im besetzten Gebiet (5). 1. D i e G e s e t z g e b u n g i m b e s e t z t e n Gebiet. Dem O k k u p a n t e n steht k r a f t des ihm verliehenen Rechtes zur tatsächlichen Ausübung der feindlichen Gebietshoheit im besetzten Gebiet die Befugnis zum E r l a ß von Rechtsnormen zu. Diese R e c h t s n o r m e n besitzen afs Spezialnormen f ü r einen bes t i m m t e n Landesteil derogatorische K r a f t gegenüber dem im besetzten Gebiet geltenden Landesrecht. Ihrer juristischen N a t u r nach sind sie als Anordnungen der Verw a l t u n g (Verwaltungsakte) und d e m g e m ä ß als R e c h t s V e r o r d n u n g e n zu klassifizieren. Der C h a r a k t e r von L e g i s l a t i v a k t e n (Gesetzen im formellen Sinn) k o m m t ihnen um deswillen nicht zu, weil sie weder u n t e r Mitwirkung der Volksvertretung des besetzten Gebietes z u s t a n d e k o m m e n , noch von dem O k k u p a n t e n als alleinigem s u b stantiellen Inhaber der gesetzgebenden Gewalt im besetzten Gebiet ausgehen. Der O k k u p a n t darf die ihm zustehende Rechtssetzungsbefugnis nicht dazu m i ß b r a u c h e n , um durch Einführung grundstürzender Neuerungen seine politischen Pläne bezüglich des besetzten Gebietes so zu verwirklichen, wie wenn er dortselbst bereits Gebietsherr wäre. Seiner Rechtssetzungsbefugnis sind m i t Rücksicht auf die provisorische N a t u r der kriegerischen Besetzung Schranken ges e t z t : Gemäß A r t . 43 L K O . h a t die Ausübung der Staatsgewalt im besetzten Gebiet, soweit kein zwingendes Hindernis entgegens t e h t , u n t e r Beobachtung des dort geltenden Landesrechtes und zwar der Landesgesetze ebenso wie der Rechtsverordnungen, zu erfolgen. Die Befugnis des O k k u p a n t e n zum E r l a ß von R e c h t s n o r m e n und zwar sowohl zur S c h a f f u n g neuer Rechtsnormen als auch zur A b ä n d e r u n g oder A u f h e b u n g bestehender landesrechtlicher Normen ist
danach von einem D r i n g l i c h k e i t s b e d ü r f n i s abhängig g e m a c h t . Ein derartiges Dringlichkeitsbedürfnis ist bedingt entweder durch d i e m i I i t ä r i s e h e N o t w e n d i g k e i t (a) oder eine vom O k k u p a n t e n k r a f t seiner Verwaltungspflicht zu beseitigende N o t l a g e d e r e i n h e i m i s c h e n B e v ö l k e r u n g (b). a) Die m i l i t ä r i s c h e N o t w e n d i g k e i t berechtigt den O k k u p a n t e n zur Rechtssetzung namentlich in bezug auf das Aushebungswesen (I), das Pressewesen (II), die durch die meisten Verfassungen geschützten sog. „ G r u n d r e c h t e der B e v ö l k e r u n g " ( I I I ) , das Strafrecht (IV), sowie das Finanzrecht (V). Zu I. Der O k k u p a n t h a t ohne weiteres das Recht, die bestehenden Aushebungsvorschriften f ü r den Umkreis des ganzen Okkupationsgebietes außer Kurs zu setzen. Denn ihm kann nicht z u g e m u t e t werden, Vorschriften zu Recht bestehen zu lassen, die lediglich dazu dienen, seinem Gegner Verstärkungen z u z u f ü h r e n . So verbot eine P r o k l a m a t i o n des deutschen Bundesfeldherrn vom 13. V I I I . 1870 und eine Verordn u n g vom 15. X I I . 1870 den E l s a ß - L o t h ringern den E i n t r i t t in die französische Armee. Eine P r o k l a m a t i o n des deutschen Generalgouverneurs vom 7. X . 1914 u n t e r sagte den belgischen Wehrpflichtigen, der an sie ergangenen oder noch ergehenden E i n b e r u f u n g zum belgischen Heere Folge zu leisten. Alle das Aushebungswesen betreffenden belgischen Gesetze und Verordnungen w u r d e n durch Verordnung des deutschen Generalgouverneurs vom 12. X I I . 1914 aufgehoben. Zu II. Der O k k u p a n t b r a u c h t nicht zu dulden, daß durch die einheimische Presse Beunruhigung innerhalb der Bevölkerung des besetzten Gebietes hervorgerufen oder etwa seinem Gegner wichtiges Nachrichtenmaterial militärischer, wirtschaftlicher oder politischer N a t u r zugetragen wird. E s s t e h t dem O k k u p a n t e n daher frei, entweder das Erscheinen der einheimischen politischen Zeitungen ü b e r h a u p t zu untersagen oder f ü r diese Blätter, wie das während des Weltkrieges deutscherseits in Belgien und Nordfrankreich, sowie russischerseits in Galizien geschehen ist, die Zensur einzuführen. Der O k k u p a n t h a t endlich auch die Möglichkeit, eine in der Landessprache der einheimischen Bevölkerung erscheinende Zeitung selbst herauszugeben. Ein Beispiel hierfür ist die Herausgabe der „ G a z e t t e des A r d e n n e s " , die in den J a h r e n 1914—18 in MeziferesCharleville u n t e r deutscher Leitung besorgt wurde. Zu III. Dem O k k u p a n t e n sind im Interesse der Sicherheit der Besetzungs-
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t r u p p e n schwerwiegende Eingriffe in die vom französischen Generalstab herausgesog. Grundrechte der Landeseinwohner ge- gebene „Manuel sur les lois de la guerre s t a t t e t . So ist der O k k u p a n t beispielsweise continentale" ausdrücklich f ü r rechtlich zubefugt, die Freizügigkeit innerhalb des be- lässig erklärt, wenn auch nur dans des cas setzten Gebietes einzuschränken oder gar de ,,ηέΰεββίίέ absolue". D a ß dieses Kriegsaufzuheben, den P a ß z w a n g einzuführen, völkergewohnheitsrecht durch A r t . 46 beden Bewohnern das Betreten der Straße seitigt sei, wird, soweit es sich um die Hinzur Nachtzeit oder auch zu gewissen Tages- richtung von Kriegsverbrechern und die zeiten zu verbieten, f ü r öffentliche Lokale | strafrechtliche Einziehung von Privateigeneine Polizeistunde festzusetzen, den Verkauf t u m handelt, so viel ich sehe, von n i e m a n d e m alkoholischer Getränke zu untersagen, die b e h a u p t e t . Man ist darüber einig, daß Art. 46 Auslieferung von W a f f e n u n d Munition in eine den Kriegsbedürfnissen entsprechende anzuordnen, Einquartierungsvorschriften zu Strafrechtspflege in keiner Weise eingreifen erlassen, die Briefzensur einzuführen, sowie wolle. Ebensowenig kann aber auch das die Vereins- und Versammlungsfreiheit zu noch heutzutage f ü r den O k k u p a n t e n u n unterbinden. Die Geschichte der verschie- entbehrliche Institut der Geiseln durch denen kriegerischen Besetzungen, und zwar Art. 46 in Verbindung m i t A r t . 50 als a u f n a m e n t l i c h auch der w ä h r e n d des Welt- gehoben gelten. Zwecks Rechtfertigung der krieges s t a t t g e h a b t e n Besetzungen, bietet gegenteiligen A n n a h m e b e d ü r f t e es der Anuns eine Fülle von Beispielen f ü r Anord- gabe bestimmter A n h a l t s p u n k t e , die aber nungen dieser A r t . Der Befugnis des Okku- weder aus dem W o r t l a u t noch aus der p a n t e n zur Suspendierung der Grundrechte Entstehungsgeschichte der fraglichen Artikel sind indes durch A r t . 46 L K O . Grenzen ge- der L K O . m i t Sicherheit zu entnehmen sind. zogen. Die Ehre und die Rechte der Familie, Die Rechtmäßigkeit der F e s t n a h m e von das Leben der Bürger u n d das Privateigentum Geiseln ist durch zwei Erfordernisse b e d i n g t : sowie die religiösen Überzeugungen u n d Es m u ß erstlich die Sicherung der Erfüllung gottesdienstlichen H a n d l u n g e n sollen ge- einer völkerrechtlich einwandfreien Verbinda c h t e t w e r d e n ; das P r i v a t e i g e n t u m darf nicht lichkeit in Frage stehen, es m u ß ferner eingezogen werden. Eine Verletzung der aber der U m f a n g der H a f t u n g der betreffendurch Art. 46 geschützten Rechtsgüter ist, den Geiseln genau umschrieben sein. Die soweit nicht, wie bezüglich des Privateigen- am 4. IX. 1914 auf Veranlassung des russit u m s , von der L K O . selbst A u s n a h m e n schen Gouverneurs vom Lemberg erfolgte s t a t u i e r t sind, dem O k k u p a n t e n lediglich F e s t n a h m e von 16 Lemberger Bürgern als bei Vorliegen eines echten N o t s t a n d e s oder Geisein zwecks H a f t u n g „ f ü r das ruhige u n t e r U m s t ä n d e n auch u n t e r dem Gesichts- Verhalten der S t a d t b e v ö l k e r u n g " war, da p u n k t der Repressalie g e s t a t t e t . Proble- sie dem zweiten Erfordernis nicht entsprach, matisch ist, ob nicht im Hinblick auf A r t . 46 jedenfalls unzulässig (Näheres im Art. in Verbindung m i t A r t . 50 LKO. die Fest- „Geiseln"). n a h m e von Geiseln zum Schutze gegen Kriegsverrat und Kriegsrebellion oder zwecks Zu IV. Der O k k u p a n t ist zur Sicherung Sicherung der D u r c h f ü h r u n g von Verträgen, seines Heeres und seiner K r i e g f ü h r u n g zum Zusagen und sonstigen rechtmäßigen Forde- Erlaß scharfer S t r a f b e s t i m m u n g e n b e f u g t . rungen des O k k u p a n t e n , m a n denke be- Es s t e h t ihm frei, sein etwa schon im voraus sonders an Requisitionen und K o n t r i b u - ausgebautes Kriegsstrafrecht im besetzten tionen, als rechtlich unzulässig anzusehen ist. Gebiet einzuführen oder aber auf die beDie Frage d ü r f t e zu verneinen sein. Die sonderen Verhältnisse dieses Gebietes zuBefugnis des O k k u p a n t e n zur F e s t n a h m e geschnittene S t r a f r e c h t s n o r m e n ad hoc zu von Geiseln zu den hier a n g e f ü h r t e n Zwecken erlassen. Zu den Delikten, die nach dem g r ü n d e t sich ebenso wie die Befugnis des Kriegsstrafrecht des O k k u p a n t e n beurteilt O k k u p a n t e n zur Verhängung der Todes- werden dürfen, gehören g r u n d s ä t z l i c h : 1. alle strafe über einheimische Kriegsverbrecher Angriffe, Verletzungen, T ö t u n g e n und Beu n d zur Einziehung von P r i v a t e i g e n t u m r a u b u n g e n von Angehörigen des Besetzungsim Wege des S t r a f v e r f a h r e n s auf einen in heeres; 2. alle Angriffe auf die Kriegsmittel der k o n s t a n t e n Praxis der kriegführenden des Besetzungsheeres; 3. jede Zerstörung Mächte v e r a n k t e r t e n Satz des Kriegsvölker- von Verkehrseinrichtungen, wie Brücken, gewohnheitsrechtes. Eine F e s t n a h m e von Kanälen, Straßen, Eisenbahnen, Telegraphen Geiseln ist u. a. durch Deutschland w ä h r e n d usw.; 4. jeder K r i e g s v e r r a t , 5. jede Kriegsdes Krieges 1870/71, durch England während rebellion. Die B e s t r a f u n g gemeiner (nichtdes Burenkrieges, durch Deutschland u n d :militärischer) Delikte der Landeseinwohner R u ß l a n d w ä h r e n d des Weltkrieges erfolgt. h a t dagegen nach Maßgabe der einheimischen Sie wird ferner durch das im J a h r e 1913' Strafgesetze zu erfolgen, die vom O k k u p a n t e n prinzipiell in Geltung zu belassen
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sind. Ein Recht des O k k u p a n t e n zur Außerkurssetzung einheimischen (gemeinen) S t r a f rechtes k o m m t n u r m i t Bezug auf solche Normen in Frage, welche dem Schutz des Territorialbestandes, der S t a a t s f o r m oder der Militärmacht des okkupierten S t a a t e s zu dienen b e s t i m m t sind. Eine völkerrechtliche Verpflichtung des O k k u p a n t e n zur Respektierung dieser Rechtsgüter ist, solange der Kriegszustand besteht, nicht a n z u e r k e n n e n . Der O k k u p a n t b r a u c h t daher eine Strafverfolgung von Landeseinwohnern, die ihm, u n t e r Verletzung ihrer Treupflicht gegenüber dem legitimen Qebietsherrn, Dienste irgendwelcher A r t geleistet haben, w ä h r e n d der Dauer der Besetzung in keinem Falle zu dulden. Zu V. Dem O k k u p a n t e n s t e h t das Recht zu, zwecks Deckung der durch die Besetzung gesteigerten Kosten der Verwaltung des besetzten Gebietes neue Steuergesetze einz u f ü h r e n , sowie die bestehenden Steuergesetze a u f z u h e b e n oder a b z u ä n d e r n (Art. 49). Die Zollgrenzen des besetzten Gebietes sind von der O k k u p a t i o n s m a c h t g r u n d s ä t z lich zu achten. Dagegen darf sie die bestehenden Einfuhrzollgesetze dahin a b ä n d e r n , d a ß die E i n f u h r von Gegenständen f ü r Angehörige ihres Heeres u n d ihrer Zivilv e r w a l t u n g f ü r zollfrei erklärt wird. Ein treffendes Beispiel liefern die w ä h r e n d des Weltkrieges von den deutschen O k k u p a t i o n s behörden f ü r die einzelnen vom Deutschen Reich besetzten feindlichen Gebiete erlassenen Zollvorschriften. b) Mit Rücksicht auf die N o t l a g e der Bevölkerung des besetzten Gebietes k a n n , wie der Weltkrieg bewiesen h a t , der E r l a ß von Rechtsvorschriften, u. a. namentlich in bezug auf die Volksernährung (I), Arbeitslosigkeit (II), Wohnungsmangel ( I I I ) , sowie das Kreditwesen (IV) geboten sein. Zu I. Ist die Volksernährung im besetzten Gebiet g e f ä h r d e t , wie dies in Belgien zu A n f a n g des Weltkrieges der Fall war, oder ist eine Hungersnot bereits eingetreten, so h a t der O k k u p a n t durch E r l a ß von Ausf u h r v e r b o t e n f ü r Vieh u n d Lebensmittel die noch im besetzten Gebiet befindlichen Vorräte f ü r die E r n ä h r u n g der einheimischen Bevölkerung sicherzustellen, durch Einf ü h r u n g der Z w a n g s w i r t s c h a f t f ü r eine gerechte Verteilung der v o r h a n d e n e n Lebensm i t t e l b e s t ä n d e zu sorgen sowie durch S t a tuierung von S t r a f v o r s c h r i f t e n gegen Preisw u c h e r u n d K e t t e n h a n d e l der A u s b e u t u n g der notleitenden Bevölkerungsklasse e n t gegenzuarbeiten. Zu II. Um der durch den Krieg hervorgerufenen Arbeitslosigkeit u n d den daraus resultierenden sozialen Schäden zu steuern,
kann der O k k u p a n t , wie dies im Generalgouvernement Belgien durch Verordnung vom 10. II. 1915 geschehen ist, die K ü n d barkeit von Dienstverträgen der Arbeiter u n d Angestellten ausschließen oder einschränken oder die Beschäftigung der arbeitslosen Bevölkerung m i t der A u s f ü h r u n g öffentlicher Arbeiten, etwa m i t dem Bau von Straßen oder Kanälen, anordnen. Zu III. Bei im besetzten Gebiet a u f t r e t e n d e n Wohnungsmangel k o m m t der E r laß von Vorschriften betr. die Rationierung der vorhandenen W o h n u n g e n sowie b e t r . den Ausschluß oder eine E i n s c h r ä n k u n g der K ü n d b a r k e i t der Mietverträge in Frage. Das Prozeßverfahren in Mietsstreitigkeiten kann, wie seinerzeit in Belgien durch Verordnung vom 10. II. 1915, vom O k k u p a n t e n vereinfacht und verbilligt werden. Zu IV. Um den wirtschaftlichen Zus a m m e n b r u c h weiter, durch den Krieg in Zahlungsschwierigkeiten geratener Bevölkerungskreise aufgehalten, erweist sich möglicherweise der E r l a ß eines Moratoriums seitens des O k k u p a n t e n als nötig. Die deutscherseits wiederholt v e r f ü g t e Verlänger u n g des von dem König der Belgier a m 2. u n d 6. V I I I . 1914 erlassenen Moratoriums war in A n b e b e t r a c h t der durch den Krieg in Belgien hervorgerufenen W i r t s c h a f t s k r i s e durchaus gerechtfertigt. 2. D i e R e c h t s p f l e g e i m b e s e t z t e n Gebiet. Der O k k u p a n t h a t k r a f t seiner Verwaltungspflicht f ü r eine geordnete Rechtspflege im besetzten Gebiet Sorge zu tragen. Er h a t die einheimischen Gerichte m i t R ü c k s i c h t auf A r t . 43 L K O . grundsätzlich fortbestehen und nach Maßgabe des im besetzten Gebiet geltenden Rechtes weiter f u n k t i o n i e r e n zu lassen. Eingriffe in die landesrechtlich g a r a n t i e r t e U n a b h ä n g i g k e i t der Richter sind ihm im Interesse einer gewissenhaften u n d unparteiischen Rechtspflege streng u n t e r s a g t . Einen schweren Verstoß gegen diesen G r u n d s a t z enthielt die Verordnung des russischen Generalgouverneurs f ü r Galizien vom 3. IV. 1915, welche die österreichischen Richter anwies, die Vollstreckung rechtskräftiger Urteile, Entscheidungen und Beschlüsse auf A n o r d n u n g der russischen Justizaufsichtsorgane einzustellen u n d gleichzeitig die russischen Justizaufsichtsorgane ermächtigte, österreichische Richter m i t oder ohne Angabe von Gründen von der E n t s c h e i d u n g beliebiger Rechtssachen auszuschließen. Die R e c h t sprechung der einheimischen Gerichte erfolgt auch weiterhin im N a m e n des alten Souveräns als des noch i m m e r legitimen L a n d e s h e r r n . Die Verordnung des russischen
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Generalgouverneurs vom 3. IV. 1915, die Geheimnisse f ü h r e n können, so kann dem den galizischen Gerichten befahl, ihre Urteile O k k u p a n t e n nicht z u g e m u t e t werden, deren „ i m N a m e n des R e c h t e s " zu v e r k ü n d e n , Leitung Richtern feindlicher Staatsangehörigwar unzulässig. Gegen die E i n f ü h r u n g einer keit zu überlassen. Dem entsprechend h a t derartigen neutralen Formel bestehen jedoch Deutschland w ä h r e n d des Weltkrieges in d a n n keine Bedenken, wenn es im Verlauf den von seinen Truppen besetzten Gebieten der kriegerischen Besetzung zu einer Ände- die Entscheidung in Zivilsachen der ger u n g der S t a a t s f o r m u n d d a m i t gleichzeitig n a n n t e n A r t regelmäßig deutschen Berufszum Sturz des bisherigen Souveräns k o m m t . richtern a n v e r t r a u t . Die im Weltkriege Dem O k k u p a n t e n ist in Fällen dieser Art die mehrfach erfolgte zwangsweise Befriedigung Zulassung der neuen Formel des okkupierten von Ansprüchen von Angehörigen des BeS t a a t e s nicht z u z u m u t e n , weil darin die von setzungsheeres gegen Landeseinwohner ohne ihm keineswegs ohne weiteres zu verlangende gerichtliches Urteil, lediglich auf Grund A n e r k e n n u n g der neuen S t a a t s f o r m des einer P r ü f u n g des Militärbefehlshabers war okkupierten Staates gefunden werden könnte. dagegen unzulässig. Eine Garantie f ü r u n Der im J a h r e 1870 nach dem S t u r z des parteiische Rechtspflege, zumal zwischen französischen Kaisertums deutscherseits er- Angehörigen einander feindlicher Staaten hobene Protest gegen die Verwendung der vermögen nur unabhängige Berufsrichter neuen republikanischen Formel seitens der zu bieten. im besetzten Gebiet befindlichen f r a n z ö Zu II. Versagt die einheimische Rechtssischen Gerichte und das Verlangen nach pflege, sei es, d a ß die einheimischen Richter A n w e n d u n g der neutralen Formel ,,im N a m e n geflohen sind, wie dies während des griechischdes R e c h t s " war durchaus berechtigt. Die türkischen Krieges sowie während des Weltgegenteilige französische Auffassung wird krieges in Russisch-Polen, der Dobrudscha von der nichtfranzösischen Völkerrechts- und im besetzten Italien der Fall war, sei es, wissenschaft nahezu einstimmig abgelehnt. d a ß sich die einheimischen Richter, wie die Der Grundsatz, d a ß die Rechtspflege französischen Richter während des Krieges im besetzten Gebiet durch die einheimischen 1870/71 weigern, u n t e r der Herrschaft des Gerichte s t a t t z u f i n d e n h a t , wird durch O k k u p a n t e n Recht zu sprechen, so h a t der eine Anzahl von Ausnahmen durchbrochen, O k k u p a n t k r a f t seiner Verwaltungspflicht die vom Völkergewohnheitsrecht teils i m im Interesse der Landesbevölkerung m i t Interesse der Sicherheit der B e - eigenen Richtern besetzte, außerordentliche s e t z u n g s t r u p p e n (I), teils i m I n t e r e s s e Gerichte zu bestellen, die die Rechtspflege d e r e i n h e i m i s c h e n B e v ö l k e r u n g (II) auf den an sich den einheimischen Gezugelassen sind. | richten verbliebenen Rechtsgebieten überDie außerordentlichen Gerichte Zu I. Dem O k k u p a n t e n ist es im Inter- · nehmen. esse der Sicherheit der Besetzungstruppen haben dabei materiell nach Landesrecht zu Dagegen kann in formeller zunächst g e s t a t t e t , folgende S t r a f s a c h e n entscheiden. durch seine Militärgerichte zur Aburteilung Hinsicht ein vom Landesrecht abweichendes Prozeßrecht vom O k k u p a n t e n im Wege der bringen zu lassen: a) Alle oben u n t e r 1 a IV a u f g e f ü h r t e n Rechtsverordnung eingeführt werden, wie das beispielsweise während des Weitkrieges Kriegsdelikte der Landeseinwohner. b) Alle Delikte von Angehörigen der in Belgien, Polen u n d der Dobrudscha geBesetzungstruppen ohne Rücksicht d a r a u f , schehen ist. T r i t t infolge der Besetzung eine Zero b es sich u m militärische oder gemeine i Delikte h a n d e l t , oder ob gemeine Delikte reißung der einheimischen Gerichtsorganivon Angehörigen der Besetzungstruppen j sation ein, ist beispielsweise, wie in Galizien gegeneinander oder von Angehörigen d e r , in den J a h r e n 1914/15, der Verkehr der im Besetzungstruppen gegenüber Landesein- j besetzten Gebiet befindlichen Gerichte m i t wohnern in Frage k o m m e n . j dem im unbesetzten Gebiet gelegenen obersten Dem O k k u p a n t e n ist im Interesse der ; Gerichtshof u n t e r b r o c h e n , so k o m m t im Sicherheit der Besetzungstruppen ferner i Interesse der Landesbevölkerung eine Ändedas Recht zuzuerkennen, auch einen ge-j r u n g des einheimischen Gerichtsverfassungswissen Kreis von Z i v i l s a c h e n der E n t - rechtes durch den O k k u p a n t e n in Frage. scheidung durch seine eigenen Richter zu Die Verordnung des russischen Generalunterstellen. Hierher gehören grundsätzlich gouverneurs vom 3. IV. 1915 vollzog diese alle Rechtsstreitigkeiten zwischen Landes- Änderung in der Weise, d a ß sie die sonst bei einwohnern einerseits und Angehörigen d e r , dem obersten Gerichts- und Kassationshof Besetzungstruppen oder dem Okkupations- in Wien anfechtbaren Zivil- u n d Strafurteile Diese Regelung fiskus andererseits. Da derartige Prozesse f ü r endgültig erklärte. möglicherweise zur Verletzung militärischer war aber in jedem Falle zu mißbilligen, da 11 Wörterbuch des Völkerrechts. Bd. II.
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Kommunalbeamten in ihrem Amte zu erhalten, pflegt wegen deren besonderer Kenntnis der Verhältnisse im eigenen wohlverstandenen Interesse des Okkupanten zu liegen. II. D i e R e c h t s s t e l l u n g d e r e i n heimischen Beamten. Bezüglich der Rechtsstellung der vom Okkupanten nicht von vornherein ihres Amtes enthobenen einheimischen Beamten ist folgendes zu bemerken. Darüber ob die einheimischen Beamten im Dienst zu verbleiben haben oder nicht, entscheidet in erster Linie eine etwaige vor Eintritt der Besetzung ergangene Anweisung des okkupierten Staates. Der okkupierte S t a a t kann ohne weiteres im voraus das Weiterdienen seiner Beamten unter dem Feinde verbieten, wie dies beispielsweise Preußen 1813 und Österreich 1866 getan haben. Erteilt die Regierung des okkupierten Staates beim Einmarsch des Feindes ihren Beamten keine Verhaltungsmaßregeln, so haben die betr. Beamten selbst über ihr Verbleiben im A m t zu entscheiden. Ein von der Regierung des okkupierten Staates erst n a c h der Besetzung an ihre Beamten erlassenes Verbot zum Weiterdienen unter dem Feinde — man denke an das Dekret Gambetteas vom 30. X I . 1870 — ist rechtlich wirkungslos, da der okkupierte S t a a t mit dem Vollzug der Besetzung die Ausübung seiner Staatsgewalt innerhalb des besetzten Gebietes und damit auch die Befehlsgewalt über seine dort befindlichen Beamten verloren hat. Eine völkerrechtliche Pflicht der einheimischen Beamten zum Ausharren auf ihren Posten ist ebensowenig nachweisbar wie eine Berechtigung des Okkupanten, die betr. Beamten zur Fortführung ihres Amtes zu zwingen. Bei der Entscheidung der Frage über das Verbleiben im Amt muß für die betr. Beamten die Erwägung maßgebend sein, ob ihr Weiterdienen unter dem Feinde ohne Schädigung des Heimatsstaates möglich ist. Trifft letzteres nicht zu, so haben sie dem Okkupanten ihre Dienste zu versagen. Die etwa vorhandenen höheren Beamten werden mittlere und untere Beamten in dieser Beziehung zu belehren haben. Eine Schädigung des Heimatsstaates dürfte durch ein Weiterdienen der einheimischen Kommunalbeamten wohl in keinem Falle zu besorgen sein. E s dürfte im Gegenteil regelmäßig sogar im ausgesprochenen Interesse des okkupierten S t a a t e s liegen, daß diese Beamtenkategorie auf ihrem Posten aushält, um die Rechte und das Vermögen der b) D i e K o m m u n a l v e r w a l t u n g . Zu Landeseinwohner gegenüber den Forderungen Eingriffen in die einheimische Kommunal- des Okkupanten nach Möglichkeit zu ververwaltung wird für den Okkupanten regel- teidigen. Das Verhalten von Kommunalmäßig keine Veranlassung vorliegen. Die sie die Parteien ohne zwingenden Grund einer Instanz für verlustig erklärte. Rußland wäre sehr wohl in der Lage gewesen, einen sich aus einheimischen Richtern zusammensetzenden galizischen obersten Gerichtshof einzurichten, der während der Dauer der Besetzung die Vertretung des an der Rechtsprechung in galizischen Sachen tatsächlich verhinderten obersten Gerichtsund Kassationshofes in Wien zu übernehmen gehabt hätte. 3. D i e V e r w a l t u n g i m b e s e t z t e n Gebiet. Der Schwerpunkt der Tätigkeit des Okkupanten liegt in der Verwaltung, die im Hinblick auf Art. 43 L K O . ebenfalls tunlichst unter Beobachtung des im besetzten Gebiet geltenden Landesrechtes stattzufinden hat. Dem Okkupanten fällt namentlich bei seiner Verwaltungstätigkeit neben der Wahrnehmung seiner militärischen Interessen die besondere Aufgabe zu, in tatkräftiger Weise für eine Erleichterung der regelmäßig schwerbedrängten Lage der Landeseinwohner zu sorgen. I. D i e Verwaltungsorganisation, a) D i e S t a a t s v e r w a l t u n g . Durch die militärische Notwendigkeit ist regelmäßig eine Amtsenthebung der mit der Leitung der Zentralverwaltung, d. h. mit der Leitung der Ministerien und der Provinzialverwaltungen im besetzten Gebiet betrauten politischen Staatsbeamten sowie eine Ersetzung dieser Beamten durch Beamte des Okkupanten bedingt. Dagegen ist die Fortführung der lokalen Verwaltungen (Bezirks- und Kreisverwaltungen) durch einheimische Beamte im allgemeinen mit den militärischen Interessen des Okkupanten durchaus vereinbar. Allerdings muß dem Okkupanten das Recht zuerkannt werden, die einheimischen Lokalverwaltungsbehörden durch seine Beamten überwachen zu lassen. Denn der Okkupant darf in jedem Falle verhindern, daß die einheimischen Behörden unter Mißbrauch der ihnen verbliebenen Befugnisse seinen Interessen offen oder insgeheim entgegenarbeiten. Dem entsprach die vom Deutschen Reich während des Weltkrieges in Belgien und Polen ins Leben gerufene Verwaltungsorganisation. Die Geschäfte der Zentralverwaltung wurden durch eine dem Militärgouvernement unterstellte deutsche Zivilregierung wahrgenommen, während die Lokalverwaltung unter der Aufsicht deutscher Kreischefs von einheimischen Beamten geführt wurde.
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b e a m t e n , die beim H e r a n n a h e n des Feindes wesens (a), öffentliche Gesundheitspflege (b), ihre Gemeinde im Stich lassen, ist weder W i e d e r a u f n a h m e des Unterrichts (c). vom juristischen noch vom patriotischen Zu a) Für die Wiederingangsetzung des S t a n d p u n k t aus zu billigen. Eisenbahn-, Schiffahrts-, Telegraphen- und Telephonverkehrs pflegt der O k k u p a n t schon Bleiben die einheimischen Beamten im in seinem eigenen Interesse aus Gründen Dienst, so sind sie dem O k k u p a n t e n zur der militärischen Notwendigkeit zu sorgen. gewissenhaften Erfüllung ihrer AmtsobliegenEr h a t im Interesse des wirtschaftlichen heiten verpflichtet. Sie schulden dem alten Lebens im besetzten Gebiet aber darauf Souverän noch i m m e r Treue, dem O k k u bedacht zu sein, die Benutzung der einzelnen p a n t e n aber Gehorsam. Dieser GehorsamsVerkehrsmittel auch der Zivilbevölkerung pflicht sind jedoch durch die Art. 44, 52 L K O wieder zugänglich zu machen. So ist beiSchranken g e s e t z t : die einheimischen Bespielsweise, soweit dies ohne Störung des a m t e n sind ebensowenig wie die Landesmilitärischen T r a n s p o r t - und Nachrichteneinwohner zur A u s k u n f t s e r t e i l u n g über das verkehrs geschehen k a n n , der Personen- und Heer ihres H e i m a t s s t a a t e s und dessen VerP r i v a t g ü t e r v e r k e h r auf Eisenbahnen und teidigungsmittel sowie zur Teilnahme an Wasserstraßen freizugeben, sowie die InKriegsunternehmungen gegen ihr Vaterland a n s p r u c h n a h m e der Telegraphen- und Telev e r b u n d e n . Eine Verpflichtung dem Okkuphonanlagen zur p r i v a t e n N a c h r i c h t e n ü b e r p a n t e n den Treueid zu leisten, k o m m t f ü r m i t t l u n g zuzulassen. Die Ordnung des Verdie einheimischen Beamten im Hinblick auf kehrswesens und die Wiedereröffnung eines A r t . 44 L K O . nicht in Frage. Problematisch wenn auch anfänglich nur beschränkten ist dagegen, ob von den weiterdienenden P r i v a t v e r k e h r s ist während des Weltkrieges Beamten ein Gehorsamseid verlangt werden in den von Deutschland besetzten Gebieten, kann. Die Frage d ü r f t e dann zu bejahen vornehmlich in Belgien und Nordfrankreich, sein, wenn es sich nach der Fassung der d a n k der Umsicht der deutschen Verwaltung Eidesformel lediglich u m das Gelöbnis in erstaunlich kurzer Zeit bewerkstelligt h a n d e l t , die dem B e a m t e n als solchem worden. Auch die Reorganisation eines obliegenden Amtspflichten gewissenhaft und allgemein zugänglichen Postdienstes m u ß objektiv erfüllen zu wollen. In praxi wird sich der O k k u p a n t angelegen sein lassen. indes der O k k u p a n t , um die AmtsniederSchwierigkeiten können dabei dann einlegung der einheimischen Beamten nicht zu treten, wenn, wie zu A n f a n g des Weltkrieges provozieren, zweckmäßigerweise auch von in Belgien, die einheimischen P o s t ä m t e r dem Verlangen nach der Leistung eines geschlossen sind und die einheimischen Postderartigen Gehorsamseides absehen. Er b e a m t e n ein Z u s a m m e n a r b e i t e n m i t den wird sich vielmehr, wie beispielsweise das Verwaltungsorganen des O k k u p a n t e n abDeutsche Reich w ä h r e n d der Besetzung lehnen. Belgiens im Weltkriege, m i t der U n t e r zeichnung eines Reverses begnügen, in dem Zu b) Der O k k u p a n t h a t durch Eindie Beamten versprechen, nicht gegen die f ü h r u n g einer Meldepflicht f ü r ansteckende Interessen des O k k u p a n t e n arbeiten zu K r a n k h e i t e n , durch A n o r d n u n g von Deswollen. D a ß den Beamten, die weiterdienen, i n f e k t i o n s m a ß n a h m e n sowie durch Einrichein Anspruch gegen den O k k u p a n t e n a r f t u n g von Seuchenlazaretten Vorkehrungen F o r t g e w ä h r u n g ihres Gehaltes zusteht, ist zu treffen, um die in Kriegszeiten nur allzu sicher. Die Mittel zu diesen Gehaltszahlungen begünstigte E n t s t e h u n g bzw. Ausbreitung kann sich der O k k u p a n t nach Maßgabe des von Epidemien zu verhindern. Von deutscher Art. 4 L K O . verschaffen. Dagegen ist Seite ist während des Weltkrieges in dieser den vom O k k u p a n t e n ihres A m t e s enthobenen Hinsicht namentlich auch in den östlichen oder auf G r u n d eigener Entschließung aus- Okkupationsgebieten geradezu Vorbildliches geschiedenen Beamten ein Gehaltsanspruch geleistet worden. gegenüber dem O k k u p a n t e n nicht zuzuZu c) Pflicht des O k k u p a n t e n ist es, erkennen. Die Bezahlung dieser Beamten ebenso wie der im R u h e s t a n d lebenden den baldigen Wiederbeginn des durch die Ereignisse unterbrochenen Beamten liegt der Regierung des okkupierten kriegerischen Staates ob, die f ü r die Überweisung der er- Unterrichts in Anstalten aller A r t , in Elemenforderlichen Beträge in das besetzte Gebiet tarschulen, mittleren u n d höheren Schulen, ebenso wie in Universitäten u n d Technischen zu sorgen h a t . Hochschulen zu ermöglichen. Die Berechtigung zur E i n f ü h r u n g seiner Landessprache I I I . D i e V e r w a l t u n g s a u f g a b e n . Aus als der in den öffentlichen Lehranstalten der Fülle der dem O k k u p a n t e n erwachsenden maßgeblichen Unterrichtssprache s t e h t dem Verwaltungsaufgaben sind besonders hervor- O k k u p a n t e n zu, da er nicht Gebietsherr im zuheben : Wiederbelebung des Verkehrs- besetzten Gebiet ist, n i c h t zu. Die von dem 11*
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russischen Generalgouverneur am 3. X . 1914 ohne jeden sachlichen Grund angeordnete Schließung sämtlicher Unterrichtsanstalten Galiziens enthielt eine schwere Verletzung des internationalen Kriegsrechtes. Im Gegensatz hierzu wird die t a t k r ä f t i g e Förderung, die Deutschland während des Weltkrieges in den von seinen T r u p p e n besetzten Gebieten dem Unterrichtswesen angedeihen ließ — es sei hierbei namentlich an die Wiedereröffnung der Universitäten Gent und Warschau erinnert — der deutschen Kriegf ü h r u n g allezeit zu hohem R u h m e gereichen.
f ü r die Landesbewohner durch die Besetzung eine G e h o r s a m s p f l i c h t gegenüber dem O k k u p a n t e n begründet, k r a f t deren diese den Befehlen u n d Anordnungen des Okkup a n t e n Folge zu leisten u n d sich jeder Betätigung zu gunsten des legitimen Souveräns zu enthalten h a b e n . Wie bei der Lehre von der Gesetzgebung im besetzten Gebiet u n t e r 1 a Ziff. I I I gezeigt worden ist, kann der O k k u p a n t die Grundrechte der Landesbewohner in weitgehendem Maße suspendieren oder beschränken. Einen besonders schweren Eingriff in die persönliche Rechtssphäre der Landesbewohner e n t h ä l t A r t . 52 LKO., der den O k k u p a n t e n e r m ä c h t i g t , von der Landesbevölkerung Dienstleistungen f ü r die Bedürfnisse des Besetzungsheeres anzufordern u n d nötigenfalls m i t Gewalt zu erzwingen (Näheres hierüber im Art. „ R e q u i s i t i o n e n " ) . Der Befehls- u n d Zwangsgewalt des O k k u p a n t e n sind indes durch die A r t . 44—46, 52 Abs. 1 S. 2 L K O . Schranken g e s e t z t : der O k k u p a n t darf nicht u n t e r Mißachtung des Staatsangehörigkeitsverhältnisses der Landesbewohner von diesen die Leistung des Untertaneneides (Treueides verlangen, auch darf er ihnen kein verbrecherisches oder u n e h r e n h a f t e s Verhalten gegen den legitimen Souverän zum u t e n . Es ist ihm insbesondere u n t e r s a g t , die einheimische Bevölkerung zu zwingen, A u s k ü n f t e über ihr heimatliches Heer oder dessen Verteidigungsmittel zu geben. In welchem U m f a n g die Befugnis des Okkup a n t e n zur Suspensierung der Grundrechte der Bevölkerung durch Art. 4 6 L K O . eine E i n s c h r ä n k u n g e r f ä h r t , ist bereits oben u n t e r 1 a Ziff. I I I erörtert worden. Das dem O k k u p a n t e n durch Art. 52 L K O . verliehene Recht auf persönliche Dienstleistungen der Landesbewohner ist insofern eingeengt, als sich diese Dienstleistungen keinesfalls auf eine Teilnahme der Einwohner an Kriegsu n t e r n e h m u n g e n gegen ihr V a t e r l a n d , etwa auf eine Leistung von Führerdiensten im u n b e k a n n t e n Gelände beziehen d ü r f e n .
Eine Anzahl weiterer Verwaltungsa u f g a b e n , u n d zwar solcher A u f g a b e n , welche sich infolge einer besonderen, durch den Krieg bedingten Notlage der Bevölkerung f ü r den O k k u p a n t e n ergeben können, ζ. B. B e k ä m p f u n g einer im besetzten Gebiet herrschenden Lebensmittel-, W o h n u n g s - oder Kreditnot ist bereits bei der Lehre von der Gesetzgebung im besetzten Gebiet u n t e r 1 I b 1—4 behandelt worden. IV. D i e F i n a n z v e r w a l t u n g i m b e setzten Gebiet. Der O k k u p a n t ist g e m ä ß A r t . 48 L K O . berechtigt, die o r d e n t l i c h e n Steuern, Zölle und Abgaben, die die alte Staatsgewalt festgelegt h a t , aber j e t z t nicht m e h r erheben kann und d a r f , einzuziehen. Macht der O k k u p a n t von dieser Befugnis Gebrauch, so ist er v e r p f l i c h t e t , m i t den erzielten E i n n a h m e n die Kosten der Verwaltung des besetzten Gebietes in dem U m f a n g zu decken, wie die gegnerische Regierung hierzu verpflichtet war. Den hiernach eventuell verbleibenden Überschuß darf er f ü r sich verwenden. Die E r h e b u n g der einzelnen Steuern, Zölle und Abgaben h a t möglichst nach Maßgabe des bisherigen materiellen u n d formellen Finanzrechtes zu erfolgen. Zur Deckung der durch Krieg u n d Besetzung gesteigerten Bedürfnisse der Verwaltung des besetzten Gebietes dürfen vom O k k u p a n t e n nach Art. 49 L K O . a u ß e r o r d e n t l i c h e Steuern erhoben werden. Die E r h e b u n g soll auch hier m ö g 5. S t a a t s - u n d P r i v a t e i g e n t u m i m lichst nach Maßgabe des im besetzten Gebiet b e s e t z t e n G e b i e t . geltenden ordentlichen materiellen und forDie ehedem herrschende Auffassung einer mellen Finanzrechtes s t a t t f i n d e n . k u l t u r - und rechtlosen Zeit, der zufolge alles 4. D i e R e c h t s s t e l l u n g d e r E i n - im besetzten Gebiet vorgefundene Feindesg u t ohne Rücksicht d a r a u f , ob es S t a a t s wohner des b e s e t z t e n Gebietes. An der bisherigen Staatsangehörigkeit oder Privateigentum war, als res nullius der Landesbewohner wird durch die Be- angesehen wurde, u n d d e m g e m ä ß der EinDas setzung nichts geändert. Die w ä h r e n d der ziehung verfiel, ist heute beseitigt. Besetzungsdauer geborenen Kinder von moderne Völkerrecht unterscheidet zwischen Landesbewohnern erlangen die S t a a t s a n g e - feindlichem P r i v a t - und S t a a t s e i g e n t u m : hörigkeit des okkupierten Staates, nicht die Das P r i v a t e i g e n t u m im besetzten Gebiet des O k k u p a n t e n . Die T r e u p f l i c h t der gilt prinzipiell als u n v e r l e t z l i c h . Es darf Landesbewohner gegenüber dem legitimen nach dem allerdings von wichtigen A u s n a h m e n Grundsatz des A r t . 4 6 Souverän bleibt bestehen. Dagegen wird durchbrochenen
Occupatio bellica Abs. 2 L K O . n i c h t e i n g e z o g e n werden. Die P l ü n d e r u n g ist durch A r t . 47 L K O . a u s d r ü c k l i c h u n t e r s a g t . Aber auch das im besetzten Gebiet befindliche S t a a t s e i g e n t u m unterliegt nicht m e h r u n u m s c h r ä n k t e r W e g n a h m e . Ein W e g n a h m s r e c h t ist lediglich in bezug auf gewisse Gegens t ä n d e des feindlichen S t a a t s v e r m ö g e n s beg r ü n d e t , die g e e i g n e t sind, f ü r die Kriegf ü h r u n g V e r w e n d u n g zu finden.
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u n t e r n e h m u n g e n zu dienen", der Beschlagn a h m e durch den O k k u p a n t e n (Art. 53 Abs. 1 LKO.). Als staatliche Mobiliarvermögensstücke m i t Kriegsmitteleigenschaft werden in A r t . 53 Abs. 1 ausdrücklich a u f geführt : 1. Das bare Geld des Staates. Beschlagn a h m b a r sind danach die in Staatskassen u n d -banken vorgefundenen Geldbestände, die nach einer, allerdings widerlegbaren Verm u t u n g , als Staatseigentum gelten. Dagegen genießen in derartigen Kassen u n d B a n k e n getrennt verwahrte Privatgelder, sofern sie als solche erwiesen werden, den Schutz des P r i v a t e i g e n t u m s u n d sind daher ihren Eigent ü m e r n grundsätzlich herauszugeben. 2. Die Wertgegenstände des Staates, nämlich alle diejenigen Rechte, welche wie beispielsweise Obligationen und Aktien dem Berechtigten Ansprüche auf Zinsen oder wiederkehrende Leistungen gewahren. 3. Die dem S t a a t zustehenden eintreibbaren Forderungen, d. h. die während der Okkupationszeit fällig werdenden Forderungen des Gegnerstaates, öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher N a t u r , m i t Ausn a h m e solcher Forderungen, welche, wie ζ. B. der Anspruch auf K r e d i t e i n r ä u m u n g nur aus p e r s ö n l i c h e r Gefälligkeit gerade zugunsten des Gegnerstaates begründet sind. 4. Die staatlichen Waffenniederlagen, d a r u n t e r namentlich auch die Munitionsdepots. 5. Die staatlichen Beförderungsmittel, u n d zwar einmal die dem Gegnerstaat gehörigen verschiedenen Arten von Schiffen, nämlich Kriegsschiffe, Seehandelsschiffe, Binnenschiffe, Motorboote, Nachen, Gondeln, ferner auch Automobile, F a h r r ä d e r , Wagen m i t Bespannung jeder Art, Tragtiere (Pferde, Esel, Maultiere), das Inventar der staatlichen Posten, Telephon- und Telegraphenanstalten sowie Luftfahrzeuge. Problematisch ist, ob auch das rollende Material der Staatsbahnen als Beförderungsmittel im Sinne des A r t . 53 Abs. 1 beschlagnahmt werden kann. Die Frage äst zu bejahen. D a ß die Eisenb a h n e n trotz ihrer überragenden Bedeutung als T r a n s p o r t m i t t e l gerade im Kriege, doch in erster Linie friedlichen Zwecken dienen, verschlägt nichts. Denn nach A r t . 53 Abs. 1 k o m m t es n u r darauf an, d a ß das betr. Vermögensstück kriegerischen Zwecken d i e n e n k a n n (Näheres im A r t . „ E i s e n b a h n recht im Frieden und im Krieg").
Im einzelnen ist hierzu folgendes zu bemerken: I. D i e R e c h t s s t e l l u n g d e s S t a a t s eigentums. W a s die Rechtsstellung des feindlichen Staatseigentums a n l a n g t , so ist zwischen beweglichem (a) u n d unbeweglichem (b) S t a a t s v e r m ö g e n scharf zu u n t e r s c h e i d e n : a) An dem u n b e w e g l i c h e n Staatsvermögen, nämlich an Gebäuden, Liegenschaften, W ä l d e r n , landwirtschaftlichen und industriellen Betrieben sowie staatlichen Eisenbahnen (mit A u s n a h m e des rollenden Materials) h a t der O k k u p a n t die Verwaltung u n d N u t z n i e ß u n g (Art. 55 LKO.). F ü r die Rechtsstellung der O k k u p a n t e n gelten hierbei nicht etwa die Nießbrauchsvorschriften eines b e s t i m m t e n beispielsweise des im H e i m a t s s t a a t des O k k u p a n t e n oder im o k k u p i e r t e n S t a a t e geltenden P r i v a t r e c h t s , sondern die a n a l o g anzuwendenden a l l g e m e i n e n Regeln der römischen U s u s f r u k t u s lehre, wie sie, von den römischen J u r i s t e n entwickelt, in allen modernen Rechten Eingang gefunden h a b e n . Dem O k k u p a n t e n stehen im Hinblick auf seine Stellung als „ N i e ß b r a u c h e r " keinerlei Eigentumsrechte a m Immobiliarvermögen des Gegners zu. E r ist einerseits n u r berechtigt, die einzelnen Bestandteile des gegnerischen Immobiliarvermögens zu benutzen oder f ü r die Dauer seiner Besetzung zu vermieten oder zu verp a c h t e n und die w ä h r e n d dieser Zeit aus ihnen fällig werdenden Erträgnisse aller A r t seinem Vermögen z u z u f ü h r e n . Ihn t r i f f t andererseits aber gleichzeitig auch die Verpflichtung, nach den Regeln einer ordnungsmäßigen W i r t s c h a f t f ü r E r h a l t u n g und Verwaltung der seiner N u t z n i e ß u n g unterliegenden Vermögensstücke zu sorgen. Raubwirtschaft oder forstwidriges Aushauen der Staatswaldungen ist dem O k k u p a n t e n beispielsweise ebenso u n t e r s a g t wie Zerstörung oder Beschädigung staatlicher E i s e n b a h n anlagen. Eine A u s n a h m e von dieser Regel k o m m t lediglich m i t R ü c k s i c h t auf die 6. Die staatlichen Vorratshäuser, ζ. B. militärische Notwendigkeit (Art. 23 g L K O . oder bei Vorliegen eines echten N o t s t a n d e s Bekleidungsämter. 7. Die staatlichen Lebensmittelvorräte, in Frage (Näheres u n t e n u n t e r Ziff. III). wie sie beispielsweise in P r o v i a n t ä m t e r n b) α) Das b e w e g l i c h e S t a a t s e i g e n t u m aufgestapelt sind. unterliegt, soweit es „geeignet ist, den Kriegsß ) Das in A r t . 53 Abs. 1 L K O . statuierte
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Beschlagnahmerecht des Okkupanten ist seiner rechtlichen Natur nach ein A n eignungsrecht. Das ergibt sich nicht nur aus der Entstehungsgeschichte des Art. 53 Abs. 1, sondern auch aus dem Umstand, daß die in Art. 53 Abs. 2 ausdrücklich genannte R ü c k g a b e p f l i c h t in Art. 53 Abs. 1 n i c h t ausgesprochen wird. Art. 53 Abs. 1 gewährt dem Okkupanten nicht etwa bloß die Möglichkeit, das staatliche Mobiliarvermögen der Verfügung des Gegnerstaates zu entziehen und für sich zu benutzen, er ermächtigt ihn vielmehr das betr. Staatsgut mit v ö l k e r r e c h t l i c h e r Wirksamkeit zu Eigentum in sein eigenes Vermögen zu überführen. Dem Okkupanten stehen nicht nur die etwaigen Einnahmen aus dem staatlichen Mobiliarvermögen zu, sondern er kann dessen einzelne Bestandteile auch mitnehmen oder zerstören, ohne daß f ü r ihn eine Rückerstattungspflicht bestünde.
essierenden Anstalten anlangt, so kommt es darauf an, ob an der Spitze der betr. Anstalt ein vom Staat unabhängiges, wenn auch vielleicht von ihm überwachtes Organ steht, ferner ob die betr. Anstalt einem Zwecke dient, der von denen des Staates verschieden ist und nicht nur r e c h n e r i s c h , sondern auch tatsächlich e i g e n e s Vermögen besitzt. Liegen diese Voraussetzungen vor, so ist ein Aneignungsrecht in bezug auf das betr. Anstaltsvermögen ausgeschlossen, letzterem vielmehr der dem Privateigentum gewährte Schutz zuzuerkennen. Die Entscheidung der Frage, ob das im Besitz einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, Anstalt oder Stiftung befindliche Vermögen tatsächlich als deren e i g e n e s Vermögen anzusehen ist, wird dabei im Einzelfall davon abhängig zu machen sein, ob die betr. juristische Person über das fragliche Vermögen nach Landesrecht selbc) Im Hinblick auf die verschiedene ständig verfügen darf. Trifft letzteres nicht rechtliche Behandlung, die das feindliche zu, steht das betr. Vermögen landesrechtlich Staats- und Privateigentum im besetzten vielmehr zur Verfügung des Staates, so muß Gebiet erfahren, gewinnt die Frage Be- ohne weiteres auch Staatseigentum angedeutung, wann im Sinne der LKO. Staats- nommen werden. und wann Privateigentum vorliegt. UnII. D i e R e c h t s s t e l l u n g d e s P r i v a t zweifelhaft ist als Privateigentum anzusehen e i g e n t u m s . das Vermögen der Individuen sowie der Der Grundsatz, daß das feindliche PrivatGesellschaften und juristischen Personen eigentum im besetzten Gebiet unverletzlich des bürgerlichen Rechts, ferner laut aus- ist, erleidet, wie bereits oben hervorgehoben drücklicher Bestimmung des Art. 56 Abs. 1 worden ist, erhebliche Einschränkungen. LKO. das Vermögen der Gemeinden und Eingriffe in das Privateigentum sind zulässig der dem Gottesdienste, der Wohltätigkeit, a) auf Grund des Kriegsmittelbeschlagdem Unterrichte, der Kunst und der Wissennahmerechts (Art. 53 Abs. 2 LKO.); schaft gewidmeten Anstalten, und zwar selbst b) auf Grund des Requisitionsrechtes dann, wenn diese dem Staate gehören. Art. 53 LKO.); Problematisch ist dagegen, ob das Vermögen c) auf Grund des Kontributionsrechtes der dem Staate eingegliederten Körper(Art. 49—51 LKO.). schaften, nämlich der Kreise, Bezirke, ProZu a) Der Beschlagnahme durch den vinzen, sowie das Vermögen der mit eigener Okkupanten sind durch Art. 53 Abs. 2 LKO. Rechtspersönlichkeit begabten, vom Staate unterworfen: geschaffenen und subventionierten Anstalten 1. alle privaten Beförderungs- und Nachund Stiftungen, die n i c h t i d e a l e n Zwecken richtenmittel, dienen, gleichfalls als Privateigentum zu 2. private Waffenniederlagen und Kriegsgelten hat. Im Anschluß an M a x H u b e r vorräte jeder Art. dürfte folgendes anzunehmen sein: Besitzen Zu der ersten Gruppe von Gegenständen die fraglichen Körperschaften e i g e n e s Ver- gehören zunächst die Privateisenbahnen, mögen sowie eine e i g e n e Finanzverwaltung, und zwar nicht nur bezüglich ihrer immoso sind sie völkerrechtlich den G e m e i n d e n bilen Anlagen, sondern auch bezüglich ihres gleichzustellen. Ihr Vermögen ist daher rollenden Materials, ferner die unter I b α 5 gemäß Art. 56 Abs. 1 LKO. ebenso wie bei den staatlichen Transport- und Nachdas der Gemeinden als Privateigentum zu richtenmitteln im einzelnen aufgeführten behandeln. Sind die betr. Körperschaften Gegenstände, sofern sie nicht unter die dagegen lediglich staatliche Verwaltungs- Herrschaft des Seerechts fallen. Zu den bezirke mit einer in finanzieller Hinsicht Waffenniederlagen im Sinne des Art. 53 engen Verbindung mit dem Staat, so muß Abs. 2 sind sowohl die ζ. B. in Lüttich, ihr Vermögen als Staatseigentum gelten. Creusot, Birmingham und früher in Essen Sie haben dann auch in vermögensrecht- befindlichen Waffenniederlagen der privaten licher Beziehung vollkommen das Schicksal Großindustrie als auch alle privaten Waffendes Staates zu teilen. Was die hier inter- ! verkaufslager zu zählen. Darüber hinaus
Occupatio bellica ist aber trotz des entgegenstehenden Wortlautes des Art. 53 Abs. 2 ( „ d 6 p ö t s d'armes") auch ein Beschlagnahmerecht des Okkupanten in bezug auf e i n z e l n e , im Besitz der Landeseinwohner befindliche Waffen anzuerkennen. Die Befugnis des Okkupanten zur Entwaffnung der einheimischen Bevölkerung war längst vor Schaffung der Landkriegsordnungen von 1899 und 1907 völkergewohnheitsrechtlich festgelegt. Daß dieses im Interesse der Sicherheit der Okkupationsarmee unentbehrliche Recht trotz der Fassung des Art. 53 Abs. 2 in Kraft geblieben ist, wird angesichts der Entstehungsgeschichte des Art. 53 LKO. weder in der Theorie noch in der Praxis bezweifelt. Unter den nach Art. 53 Abs. 2 beschlagnahmefähigen Waffen sind nur solche k ö r p e r l i c h e n Gegenstände gemeint, die in dem g e g e n w ä r t i g e n Kriege ihrer Natur nach zur Bekämpfung der feindlichen Kriegsmacht, sei es im Angriff, sei es in der Verteidigung geeignet sind: also beispielsweise Gewehre, Maschinengewehre, Säbel, Seitengewehre, Geschütze, Handgranaten, Minenwerfer, Flammenwerfer, Panzerzüge, Panzerautomobile, Tanks, Militärflugzeuge und -Luftschiffe, Kriegsschiffe usw. Dagegen gehören h i s t o r i s c h e Waffen, ζ. B. Steinflinten oder im modernen Krieg nicht verwendbare Schußwaffen, denen lediglich kunsthistorischer Wert zukommt, nicht hierher. Unter den Kriegsvorräten (munitions de guerre) im Sinne des Art. 53 Abs. 2 sind Schießbedarf und sonstige Explosivstoffe, sowie jede Art von Ersatzteilen von Waffen, wie Lafetten, Verschlußstücke von Geschützrohren, Rohrreinigungsmittel, Räder zu Geschützen, Munitions- und Trainwagen zu begreifen und zwar unterliegen diese Gegenstände ebenso wie die bereits erwähnten Waffen auch dann der Beschlagnahme, wenn sie bei Landesei'nwohnern vorgefunden werden. Wie sich schon aus dem (mit „Kriegsvorräten" mißverständlich übersetzten) Ausdruck: „munition de guerre" ergibt, sind dagegen nicht als „Kriegsvorräte" anzusehen: Uniform- und Stiefelvorräte sowie Lebensmittelvorräte, welche die Privatindustrie dem Heere zu liefern gedachte. Derartige Vorräte können für das Okkupationsheer lediglich innerhalb der in Art. 53 LKO. normierten Grenzen requiriert werden. Anläßlich des von den Ententestaaten im Weltkriege unternommenen Wirtschaftskrieges ist die Frage akut geworden, ob Privaten gehörige sog. „Kriegsrohstoffe", nämlich die zur Herstellung von Waffen, Munition und sonstigem absoluten Kriegsgerät wie Uniformen, Sattelzeug, Panzer-
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platten, Flugzeugen unmittelbar notwendigen Rohstoffe (ζ. B. Kupfer, Nickel, Erze, Kautschuk, Wolle, Baumwolle, Leder, Rohseide usw.) als Kriegsmittel gemäß Art. 53 Abs. 2 beschlagnahmbar sind. Diese Frage wäre nur dann diskutabel, wenn der Wirtschaftskrieg eine berechtigte Form der Kriegführung bedeutete. Dafür ist aber bislang ein Beweis nicht erbracht. Die Wirtschaftskriegsführung der Entente war vielmehr eine schwere Verletzung des Völkerrechts, Die Wegnahme in den besetzten Gebieten vorgefundener privater Kriegsrohstoffe durch Deutschland war somit zwar nicht auf Grund des Art. 53 Abs. 2 LKO., wohl aber unter dem Gesichtspunkt des Notstandes und der Repressalie gerechtfertigt. Problematisch ist, ob der Zivilbevölkerung gehörige militärische Schriften, soweit sie für den gegenwärtigen Krieg Bedeutung besitzen, gemäß Art. 53 Abs. 2 beschlagnahmt werden können. Die Frage dürfte zu verneinen sein. Daß die fraglichen Schriften in hervorragendem Maße die Eigenschaft von Kriegsmitteln haben und daher, sofern sie im Eigentum des Staates stehen, gemäß Art. 53 Abs. 1 ohne weiteres konfisziert werden dürfen, ist sicher. Gehören derartige Schriften dagegen Privatpersonen, so ist m. E. ihre Beschlagnahme um deswillen f ü r unzulässig zu erachten, weil Art. 53 Abs. 2 im Gegensatz zu Art. 53 Abs. 1 nicht jedwedes private Mobiliarvermögen, das geeignet ist, den Kriegsunternehmungen zu dienen, sondern nur bestimmte Sachbegriffe mit Kriegsmitteleigenschaft der Beschlagnahme unterwirft, dabei aber militärische Schriften nicht erwähnt. Daß der in Art. 53 Abs. 2 enthaltene Waffenbegriff auch körperliche Waffen mit umfasse, die fraglichen Schriften also insofern unter Art. 53 Abs. 2 fielen, davon kann aber m. E. nicht die Rede sein. Ebensowenig wie private militärische Schriften sind auch private Hetzliteratur und Lügenfilme, deren Kriegsmitteleigenschaft durch den Lügenkrieg der Ententestaaten klar erwiesen ist, auf Grund des Art. 53 Abs. 2 beschlagnahmbar. Die Beschlagnahme und Konfiskation derartiger Privatliteratur und Filme wird jedoch möglicherweise im Hinblick auf einen Notstand des verunglimpften Okkupanten oder unter dem Gesichtspunkt der Repressalie erfolgen können. Das dem Okkupanten in Art. 53 Abs. 2 gewährte Beschlagnahmerecht ist, wie sich aus der Entstehungsgeschichte dieser Vorschrift und der dort statuierten Rückerstattungs- und Entschädigungspflicht ergibt, im Gegensatz zu dem Beschlagnahme-
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recht des Art. 53 Abs. 1 kein A n e i g n u n g s - , sondern lediglich ein — allerdings uneingeschränktes — B e n u t z u n g s r e c h t . Der Okkupant darf die von ihm beschlagnahmten Kriegsmittel nicht nur für die Bedürfnisse des Okkupationsheeres, sondern auch für die Bedürfnisse seiner gesamten Heeresmacht verwenden. E r darf das betr. Material — man denke vor allem an beschlagnahmtes Bahnmaterial — auch außerhalb des besetzten Gebietes in seinem eigenen Lände zu nichtkriegerischen Zwecken benutzen. Lediglich mutwillige Zerstörung oder Beschädigung ist ihm untersagt. Das beim Friedensschluß noch vorhandene Material ist in dem Zustand, in welchem es sich befindet, zurückzugeben. Diese Rückgabepflicht trägt aber v ö l k e r r e c h t l i c h e n Charakter an sich. Sie besteht nur im Verhältnis v o n S t a a t zu S t a a t . Ob und in welchem Umfang der Private von s e i n e m S t a a t e die Rückgabe und die Leistung von Entschädigungen verlangen kann, ist lediglich nach L a n d e s r e c h t zu beurteilen. Ein subjektives Recht zugunsten der geschädigten Privatpersonen ist durch Art. 53 Abs. 2 nicht geschaffen. Zu b) Das in Art. 52 L K O . normierte Requisitionsrecht ermächtigt den Okkupanten zur — nötigenfalls mit Gewalt durchzuführenden — Anforderung von Naturalleistungen, d. h. zur Anforderung von Sachen zum Gebrauch oder zu Eigentum aus dem Vermögen der Gemeinden oder Einwohner. Diesem Anforderungsrecht des Okkupanten sind aber sowohl in materieller als auch in formeller Hinsicht Schranken gesetzt: in materieller Hinsicht insofern, als die Anforderungen n u r für die Bedürfnisse des Besetzungsheeres erfolgen dürfen und im Verhältnisse zu den Hilfsquellen des Landes stehen müssen. In formeller Hinsicht insofern als eine Ermächtigung des Befehlshabers der besetzten Örtlichkeit erforderlich ist. Der Okkupant hat seine Anforderungen so viel wie möglich bar zu bezahlen. Anderenfalls hat er darüber Empfangsbestätigungen auszustellen. Die Zahlung der geschuldeten Summen soll möglichst bald bewirkt werden. (Wegen der Einzelheiten wird auf den Art. „Requisitionen im K r i e g " verwiesen.) Zu c) Während früher Kontributionen, d. h. von Gemeinden oder Einwohnern zu leistende Auflagen in Geld allgemein lediglich der Bereicherung des Okkupanten dienten, vielfach aber auch als ein Mittel angesehen wurden, um die feindliche Bevölkerung in Furcht und Schrecken zu versetzen, damit sie auf ihre Regierung einen Druck zur Herbeiführung des Friedens ausübe, sind nach der
L K O . derartige Zwangsauflagen nur zu drei in den Art. 49 u. 50 L K O . genau umschriebenen Zwecken zulässig. Nach dem Vorgang Meurers sind hier zu unterscheiden: 1. Ersatzkontributionen, 2. Steuerkontributionen, 3. Strafkontributionen. Die Ersatzkontributionen bilden, wie schon ihr Name andeutet, ein Äquivalent für Naturalforderungen (Requisitionen) des Okkupanten. Ihre Erhebung ist dem Okkupanten daher nur dann und insoweit gestattet, als es sich um die Deckung der Bedürfnisse des Besetzungsheeres handelt. Die Steuerkontributionen sind, wie bereits bei der Lehre von der Verwaltung des besetzten Gebietes ausgeführt worden ist, zur Befriedigung etwaiger durch den Krieg und die Besetzung gesteigerter Verwaltungsbedürfnisse bestimmt. Bei den Strafkontributionen handelt es sich um die (nicht strafrechtliche) Wiedervergeltung für feindselige Handlungen der Bevölkerung. Die Erhebung derartiger Strafkontributionen ist ebenso wie die Verhängung von Strafen aller Art — ζ. B. das strafweise Niederbrennen eines Dorfes oder eines Häuserkomplexes — nach Art. 50 L K O . dann ausgeschlossen, wenn lediglich Handlungen einzelner in Frage stehen, für die die Gesamtheit nicht wenigstens als passiv verantwortlich anzusehen ist. Um eine mißbräuchliche Ausübung des Kontributionsrechtes zu verhüten, dürfen die in Art. 49, 50 vorgesehenen Zwangsauflagen nur auf Grund eines schriftlichen Befehls und unter Verantwortlichkeit eines selbständig kommandierenden Generals erhoben werden. Die Erhebung der einzelnen Kontributionen soll zwar so viel wie möglich nach den Vorschriften des formellen Steuerrechtes erfolgen. In praxi wird sich aber ein anderer Verteilungsmaßstab vielfach als notwendig erweisen. Insbesondere wird zwecks Erleichterung der bedrängten Lage der Ärmeren eine stärkere Belastung der aus dem Lande geflohenen wohlhabenden und einflußreichen Bevölkerungskreise, wie sie im Generalgouvernement Belgien in Form der Abwesenheitssteuer eingeführt war, in der Regel durchaus gerechtfertigt sein. Über jede auferlegte Leistung ist dem Leistungspflichtigen (bzw. dessen Vertreter) Quittung zu erteilen. Eine Pflicht zur Einlösung ist durch die Pflicht zur Quittungserteilung für den Ausstellerstaat nicht begründet. Ob der S t a a t , dessen Angehörigen Kontributionen auferlegt worden sind, zur Leistung von Vergütungen verpflichtet ist, bestimmt sich ausschließlich nach dem dort
Occupatio bellica geltenden Landesrecht. (Im übrigen ist der A r t . „ K o n t r i b u t i o n e n " zu vergleichen.) III. Außer den oben skizzierten o r d e n t l i c h e n Eingriffen sind a u ß e r o r d e n t l i c h e Eingriffe sowohl in das feindliche S t a a t s ais auch in das feindliche P r i v a t e i g e n t u m zulässig (Krg. A r t . 23 g LKO.). 1. u n t e r dem Gesichtspunkt der militärischen N o t w e n d i g k e i t ; 2. u n t e r dem Gesichtspunkt des echten staatlichen N o t s t a n d e s ; 3. u n t e r dem Gesichtspunkt der Repressalie. Zu 1. Die Zerstörung oder W e g n a h m e feindlichen S t a a t s - oder P r i v a t e i g e n t u m s ist durch die militärische Notwendigkeit allemal dann gerechtfertigt, wenn die Vorn a h m e des betr. Eingriffs entweder zur E r reichung des vom O k k u p a n t e n verfolgten Kriegsziels oder m i t Rücksicht auf die D u r c h f ü h r u n g oder Sicherung einer einzelnen militärischen Operation dringend geboten ist. Eingriffe in feindliches S t a a t s - und P r i v a t eigentum auf Grund militärischer Notwendigkeit kommen hierbei nicht etwa nur im Operationsgebiet sondern auch im Okkupationsgebiet in Frage. So können die Einrichtung von Verteidigungsstellungen oder M a ß n a h m e n , die ein Nachdringen des Feindes unmöglich m a c h e n sollen, auch hier militärisch notwendig sein und die Zerstörung von Saatfeldern, das Einreißen von Häusern oder gar die D e v a s t a t i o n eines ganzen Landstrichs rechtfertigen. Es sei hierbei n u r an die Zerstörungen der Deutschen in Nordfrankreich zu A n f a n g des J a h r e s 1917 bei ihrem Rückzug auf die Hindenburglinie erinnert. Eine Schadensersatzpflicht des O k k u p a n t e n bezüglich der von i h m aus militärischer Notwendigkeit vollzogenen Eingriffe ist weder aus der L K O . noch aus der S t a a t e n p r a x i s nachweisbar. Zu 2. Ein die Zerstörung oder Wegn a h m e feindlichen S t a a t s - oder Privateigent u m s rechtfertigender echter staatlicher N o t s t a n d h a t zur Voraussetzung eine Lage, in der der O k k u p a n t von einer bereits gegenwärtigen oder unmittelbar bevorstehenden schweren Gefahr, die sich auf andere Weise nicht abwenden läßt, bedroht ist, die, wenn die betr. Eigentumsverletzung nicht Platz griffe, v e r n ü n f t i g e r Überlegung nach die Existenz des Staates, seinen gegenwärtigen Territorial- oder Personalbestand oder seine S t a a t s g e w a l t in Frage stellen würde. Das klassische Beispiel f ü r einen derartigen N o t s t a n d ist die geradezu verzweifelte Lage, in die die Mittelmächte durch den völkerrechtswidrigen Hungeru n d W i r t s c h a f t s k r i e g der E n t e n t e s t a a t e n hineingeraten w a r e n . D a ß sich Deutschland
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angesichts dieses N o t s t a n d e s auch die in den besetzten Gebieten vorgefundenen priv a t e n Vorräte an Lebensmitteln u n d Kriegsrohstoffen in weitestem U m f a n g zu eigen machen und zur Versorgung der H e i m a t verwenden d u r f t e , unterliegt t r o t z des in den E n t e n t e l ä n d e r n seinerzeit erhobenen stürmischen Protestes keinem Zweifel (Näheres im A r t . „ N o t s t a n d " ) . Zu 3. Die Zerstörung oder W e g n a h m e feindlichen Staats- oder P r i v a t e i g e n t u m s u n t e r dem Gesichtspunkt der Repressalie setzt in jedem Falle ein dem betr. Eingriff zeitlich vorausgegangenes, gegen den Okkup a n t e n gerichtetes völkerrechtliches Delikt voraus, sowie eine an die Adresse des Gegners gerichtete fruchtlose Mahnung, die als Inhalt diejenige Forderung h a t , die der O k k u p a n t auf Grund des gegen ihn v e r ü b t e n völkerrechtlichen Delikts zu erheben beabsichtigt (im übrigen vgl. den A r t . „ R e p r e s s a l i e n " ) . IV. Privilegiertes geschütztes Eigentum. Eine privilegierte Rechtsstellung ist durch die L K O . e i n g e r ä u m t : a) den unterseeischen Kabeln, die ein besetztes Gebiet mit einem neutralen verbinden; b) den dem Gottesdienste, der Wohltätigkeit, dem Unterrichte, der K u n s t und der Wissenschaft dienenden Anlagen, ferner geschichtlichen Denkmälern sowie Werken der Kunst und Wissenschaft, und zwar ohne Rücksicht d a r a u f , ob die betr. Gegenstände feindliches S t a a t s - oder P r i v a t eigentum sind. Zu a) Die sog. hostil-neutralen Kabel dürfen nur im Falle „ u n b e d i n g t e r Notw e n d i g k e i t " mit Beschlag belegt oder zerstört werden. Das Vorliegen eines echten staatlichen N o t s t a n d s ist danach nicht erforderlich. Es genügt bereits, d a ß ein besonders hoher Grad militärischen Bedürfnisses besteht. Beim Friedensschluß müssen die etwa beschlagnahmten Kabel jedenfalls zurückgegeben und die vom O k k u p a n t e n f ü r Beschlagnahme oder Zerstörung zu leistenden Entschädigungen geregelt werden (Art. 54). Näheres im A r t . „ K a b e l r e c h t " . Zu b) Bezüglich der unter 2 a u f g e f ü h r t e n Kulturgegenstände ist jede absichtliche Zerstörung oder Beschädigung sowie jede Beschlagnahme, auch da, wo der a l l g e m e i n e Schutz des P r i v a t e i g e n t u m s versagt, u n z u lässig (Art. 56 Abs. 2). Die fraglichen Gegenstände sind also der Beschlagnahme selbst dann entzogen, wenn sie an sich „ d e r Kriegführung zu dienen geeignet" sind und daher, falls der besondere Schutz des A r t . 56 Abs. 2 nicht bestünde, der Kriegs-
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mittelbeschlagnahme nach Art. 53 Abs. 2 unterlägen. Zuwiderhandlungen gegen die Schutzvorschriften des A r t . 56 Abs. 2 sollen geahndet werden. Der den hostil-neutralen Kabeln u n d den in A r t . 56 Abs. 2 a u f g e f ü h r t e n K u l t u r gegenständen gewährte besondere Rechtsschutz versagt jedoch gegenüber den u n t e r 11 c dargestellten außerordentlichen Eingriffsmöglichkeiten: Liegt eine militärische Notwendigkeit im Sinne des A r t . 23 g L K O . oder echter staatlicher N o t s t a n d vor, oder h a n d e l t es sich um A u s ü b u n g einer Repressalie, so ist dem O k k u p a n t e n auch die Beschlagnahme bzw. W e g n a h m e oder Zerstörung der fraglichen Kabel u n d K u l t u r gegenstände erlaubt. Bei W e g n a h m e oder Zerstörung von Kulturgegenständen in A u s übung einer Repressalie wird stets zu prüfen sein, o b der O k k u p a n t nicht die i h m als Repressalientäter gezogenen Humanitätsschranken überschreitet. T r i f f t das zu, so ist ein Repressalienexzeß und m i t i h m der T a t b e s t a n d eines völkerrechtlichen Delikts gegeben. B.
Die
Wiederkehr der Staatsgewalt.
legitimen
Mit dem Ende der Besetzung erlangt der einheimische Souverän, sofern ihm das besetzte Gebiet nicht infolge von Annexion oder A b t r e t u n g im Friedensvertrag verloren geht, wieder die volle A u s ü b u n g der Gebietshoheit im besetzten Gebiet. Die vom O k k u p a n t e n erlassenen Vorschriften treten d a m i t grundsätzlich ohne weiteres außer K r a f t . Dagegen d ü r f t e n R e c h t s a k t e , n ä m lich Rechtsgeschäfte, Verwaltungshandlungen u n d Urteile, die vom O k k u p a n t e n während der Besetzungsdauer in rechtmäßiger Ausübung der ihm vom Völkerrecht verliehenen Befugnisse getätigt sind, auch nach Beendigung der Besetzung ihre Gültigkeit behalten, sofern nicht ausnahmsweise aus besonderen Gründen das Gegenteil anzunehmen ist. Wegen der einzelnen hierher gehörigen Fragen ist der A r t . „ P o s t l i m i n i u m " zu vergleichen. D. Über die von der occupatio bellica zu unterscheidende Invasion vgl. den A r t . „Invasion". Literatur: Bamberger, Occupatio bellica (im Landkrieg), Diss. 1909. — Bluntschll, Das moderne Völkerrecht der zivilisierten Staaten, 3. Aufl., 1878, §§ 539ff. — BonfilsFauchille, Manuel de droit i n t e r n a t i o n a l public, Bd. II, 8. Aufl., p . 213ff. — Calvo, Le Droit international thdorique et p r a t i q u e , Bd. IV, §§ 2166ff. — Corsi, L'occupazione militare, 1886. — Cybi-
chowski, Die Besetzung Lembergs im Kriege 1914/15 in Niemeyers Zeitschrift f ü r internationales R e c h t , Bd. 26, S. 4 2 7 f f . — Despargnet de Boeck, Cours de d r o i t international public, 4. Aufl., 1910, No. 567ff. — Fauchille, Les a t t e n t a t s allem a n d s contre les biens et les personnes en Belgique et en France in Revue gindrale de droit i n t e r n a t i o n a l public, Bd. 22 (1915), S. 403ff. — Fiore, Le nouveau Droit International Public, Bd. I I I , No. 1454ff. — Hall, A Treatise on I n t e r n a t i o n a l Law, 1910, §§ 153ff. — Halleck, I n t e r n a t i o n a l Law by Baker, 1908, Bd. II, S. 432ff. — Heffter-Geffcken, Das europäische Völkerrecht der Gegenwart, 8. Aufl., 1888, §§ 131 ff. — Heyland, Die Rechtsstellung der besetzten Rheinlande nach dem Versailler Friedensvertrag und dem R h e i n l a n d a b k o m m e n , § 2. — Hölken, Die O k k u p a t i o n s a r m e e und das Recht im besetzten Gebiet, 1917. — Huber (Max), La p r o p r i i t e p u b l i q u e en cas de guerre sur terre, Revue generela de droit i n t e r national public, Bd. 20 (1913), S. 65ff. — Kriegsgebrauch im Landkrieg, hrsg. vom Deutschen Großen Generalstab (Kriegsgeschichtliche Einzelschriften, H e f t 31), S. 145ff. — Laband, Die S t a a t s g e w a l t im besetzten feindlichen Gebiet, in der D e u t schen J u r i s t e n z e i t u n g 1917, S. 262ff. — v. Liszt, Das Völkerrecht s y s t e m a t i s c h dargestellt, 11. Aufl., 1918, §§ 311 ff. — Lorriot, De la n a t u r e de l'occupation de guerre (these) 1903. — Loening, Verwalt u n g des Generalgouvernements in E l s a ß Lothringen 1874. — Referendar Dr. Loening, Die Staatsgewalt im besetzten feindlichen Gebiet, in Niemeyers Zeitschrift f ü r internationales Recht, Bd. 28, S. 228ff. — Marinoni, Deila n a t u r a giuridica dell' occupazione bellica, in Revue genirale de droit international public, 1910, p. 181 bis 268, 374—476. — v. Martitz, Völkerrecht, 1913, S. 524. — Merignhae, Les lois et coutumes de la guerre sur terre, 1903, p. 387ff. — Merkl, Die kriegerische Besetzung, in H i r t h s Annalen des D e u t schen Reiches 1917, S. 326ff. — Meurer, Die H a a g e r Friedenskonferenz, B d . II. — Das Kriegsrecht, S. 106ff. — Meurer, Die völkerrechtliche Stellung der vom Feinde besetzten Gebiete, im Archiv f ü r öffentliches R e c h t . Bd. 33 (1915), S. 353 ff. — Moore, Digest of International Law, Bd. V I I , §§ 1143ff. — Nys, Le droit international, Bd. II, S. 204ff. — Pillet, Les lois actuelles de la guerre, 1901, p. 237ff. — Pradier-Foderi, T r a i t e de droit international public, Bd. V I I , N r . 2939ff. — Robin, Des occupations militaires en dehors des occupations de guerre (thfcse) 1913. — Rouard de Card, La guerre continentale et la propri6t6, 1877. — Scholz, P r i v a t e i g e n t u m im besetzten u n d unbesetzten Feindesland, 1919, S. 1—184. — Sichel, Die kriegerische Besetzung feindlichen Staatsgebietes, Diss. 1905. —
Occupatio bellica — Offene Abkommen Spalght, War rights on land, 1911, p. 320ff. — Stier-Somlo, Das Völkerrecht über die Verwaltung im Feindesland, in der Zeitschrift f ü r Völkerrecht, Bd. 8 (1914), S. 581 ff. — Strupp, Internationales Landkriegsrecht, 1914. — Strupp, Grundzüge des positiven Völkerrechts, 1921, § 46, S. 196 ff. — Ulimann, Völkerrecht, 2. Aufl., 1908, S. 494ff. — Westlake, International law, 1913, S. 93ff. — Wheaton, Elements of International law, 5. Aufl., 1916, p. 483ff. — Zorn, Α., Das Kriegsrecht zu Lande in seiner neuesten Gestalt, 1908, S. 207ff. Heyland.
Occupatio pacifica s. Friedensbesetzung. Oder s. Flüsse, internat.
Offene A b k o m m e n . O f f e n e Abkommen (conventions ouvertes) sind solche Veriräge zwischen zwei oder mehreren Staaten, die anderen Staaten den Beitritt offen lassen; dieser erfolgt durch Akzession oder Adhäsion (s. „ S t a a t s v e r t r ä g e " , „Arten und diplomatische Formen"). Den Gegensatz zu den offenen Abkommen bilden die g e s c h l o s s e n e n , bei denen die Kontrahenten von vornherein bestimmt sind und eine Vermehrung derselben nicht beabsichtigt oder logisch gar nicht möglich ist. Die zwischen zwei Staaten abgeschlossenen Verträge tangieren nicht selten indirekt die Interessen anderer Staaten in empfindlicher Weise; das gilt von den politischen Verträgen im eigentlichen Sinn nicht weniger als von den VerwaltungsVerträgen. N a m e n t lich die im Lauf der letzten hundert J a h r e entstandene Erkenntnis der großen Solidarinteressen zwischen den Staaten und das Bestreben, dieselben durch internationale Verträge zu befriedigen, hat dazu geführt, den Beitritt von zunächst unbeteiligten Staaten zu solchen Übereinkommen möglichst zu erleichtern; diese Verträge werden von vornherein als offene geschlossen, d. h. sie enthalten eine Bestimmung über den Beitritt neuer Kontrahenten.
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Kongokonferenz vor. Die Klausel, die der Kongoakte den Charakter eines offenen Abkommens gibt, enthält Art. 37 Abs. 1: „Die die gegenwärtige Generalakte nicht unterzeichnenden Mächte können ihren Bestimmungen durch einen besonderen A k t beitreten." Die näheren Bestimmungen finden sich in Abs. 2 und 3 desselben Artikels: „Der Beitritt jeder Macht wird auf diplomatischem Wege zur Kenntnis der Regierung des Deutschen Reichs und von dieser zur Kenntnis aller der Staaten gebracht, welche diese Generalakte unterzeichnen oder derselben nachträglich beitreten. Er bringt zu vollem Recht die Annahme aller Verpflichtungen und die Zulassung zu allen Vorteilen mit sich, welche durch die gegenwärtige Generalakte vereinbart worden sind." Andere Verträge machen den Beitritt neuer Kontrahenten von einer Zustimmung der Vertragsstaaten abhängig. Ein hervorragendes Beispiel dafür aus neuester Zeit bietet das Völkerbundsabkommen. Es unterscheidet in Art. 1 u r s p r ü n g l i c h e Mitglieder des Völkerbundes und solche, die später aufgenommen werden. Zu den ursprünglichen gehören jene „Signatarmächte, deren Namen in der Anlage zu der gegenwärtigen Satzung aufgeführt sind, sowie die ebenfalls in der Anlage genannten Staaten, die der gegenwärtigen Satzung ohne jeden Vorbehalt durch eine binnen zwei Monaten nach Inkrafttreten der Satzung im Sekretariat niedergelegte Erklärung beit r e t e n ; die Beitrittserklärung ist den anderen Bundesmitgliedern bekanntzugeben." Von der anderen Kategorie von Mitgliedern sagt Abs. 2 des A r t . 1: „Alle Staaten, Dominien oder Kolonien mit voller Selbstverwaltung, die nicht in der Anlage aufgeführt sind, können Bundesmitglieder werden, wenn ihre Zulassung von zwei Dritteln der Bundesversammlung ausgesprochen wird . . . " Da hier also eine förmliche Aufnahme durch ein Organ des Bundes, die Bundesversammlung, erforderlich ist, kann man das Völkerbundsabkommen nicht als ein offenes Abkommen schlechtweg bezeichnen; allerdings will das Abkommen auch mehr sein als ein gewöhnlicher Staatsvertrag, indem es eine Organisation der Staaten schaffen will.
In der Regel erfolgt der Beitritt zu einem offenen Abkommen durch einen einseitigen Akt des beitretenden S t a a t e s ; er Literatur: meldet bei einem bestimmten Vertragsstaate im diplomatischen Wege seinen Beitritt an Hartmann, Institutionen des praktischen Völkerrechts, S. 143f. — v. Ullmann, und t r i t t damit in den Kreis der vertragVölkerrecht, S. 273f. — v. Liszt, Völkerschließenden Teile ein mit allen den ihnen recht, S. 164. — v. Martens-Bergbohm, aus dem Vertrage zukommenden Rechten Völkerrecht, I, S. 409f. — Heffter-Geffcken und Pflichten; einer förmlichen Aufnahme Europäisches Völkerrecht, S. 194. — durch die bereits im Vertragsverhältnis KlUber, Europäisches Völkerrecht, § 161 stehenden Staaten bedarf es nicht. Diesen und die dort angegebene ältere Literatur. — Weg schreibt ζ. B. die Generalakte der Rivler, Lehrbuch des Völkerrechts, S. 337f.
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Offene Abkommen — Oldhamia-Fall
— Strupp, Grundzüge des positiven Völkerrechts, S. 99. — Bontils-Fauchille, Manuel de droit international public, S. 5 6 8 f . v. F r i s c h . Offene See s. Meer, hohes.
Okkupation als Gebietserwerbstitel s. Gebietserwerb. O k k u p a t i o n , friedliche s. Friedliche Okkupation.
Oldhamia-Fall. Das einer Manchester Reederei gehörige Schiff „ O l d h a m i a " , das im Sommer 1905 u n t e r englischer Flagge m i t einer Ladung von 149462 Kisten Leuchtpetroleum nach J a p a n f u h r , wurde am 5. V. 1905 von dem russischen Kreuzer ,,01eg" bei Formosa wegen K o n t e r b a n d e t r a n s p o r t s aufgebracht. Die an Bord gegebene russische Prisenm a n n s c h a f t f u h r so nachlässig, d a ß die „ O l d h a m i a " am 2. VI. 1905 auf eine Sandb a n k stieß. Ohne sich weiter um die Freim a c h u n g des Schiffes zu bemühen, steckte es der russische Prisenoffizier sogleich in Brand. Der Brand des Schiffes dauerte mehrere Tage, und während dieser ganzen Zeit hielt sich der russische Kreuzer in der Nähe auf. Vor den russischen Prisengerichten verlangte die englische Reederei eine Entschädigung von 61579 Pf. Sterling. Sie b e t o n t e : Es könne ganz dahingestellt bleiben, ob die W e g n a h m e an sich gerechtf e r t i g t gewesen sei, weil die Zerstörung nicht h ä t t e geschehen d ü r f e n ; die Zerstörung neutraler Prisen sei nur s t a t t h a f t , wenn durch die Beförderung des Schiffes in einen H a f e n das Kriegsschiff einer Gefahr ausgesetzt oder der Erfolg der militärischen Operationen beeinträchtigt w ü r d e ; davon könne aber keine Rede sein, denn das Kriegsschiff habe sich noch einen Monat an der Brandstelle a u f g e h a l t e n ; der russische Offizier, durch dessen Verschulden die „Oldh a m i a " schiffbrüchig geworden sei, habe erst den Versuch der Freimachung u n t e r nehmen müssen, bevor er das Schiff zerstörte. Selbst wenn m a n aber die Zerstörung an sich f ü r berechtigt halte, so müsse E n t schädigung gezahlt werden, weil die Wegn a h m e unberechtigt gewesen sei; die „Oldh a m i a " habe keine K o n t e r b a n d e m i t sich geführt. Nach einer ausdrücklichen, vor Beginn des Krieges von der russischen Regierung abgegebenen E r k l ä r u n g solle nur das f ü r Kriegsschiffe dienende Feuerungsmaterial, nicht aber das zu Beleuchtungszwecken dienende Petroleum, woraus allein die Ladung der Prise bestanden habe, als K o n t e r b a n d e b e t r a c h t e t werden. Zudem
zähle das Feuerungsmaterial zur relativen K o n t e r b a n d e , die n u r dann beschlagnahmt werden dürfe, wenn sie f ü r die feindliche T r u p p e n m a c h t b e s t i m m t sei; im vorliegenden Falle aber sei der Adressat eine in J a p a n wohnende Privatperson gewesen. Die russische Regierung müsse daher den Gegenbeweis f ü h r e n , d a ß die Gegenstände in W a h r h e i t f ü r die japanische Regierung b e s t i m m t gewesen seien. Das erstinstanzliche russische Prisengericht wies den Anspruch der Reederei a b ; jedoch verweigerte einer der russischen Prisenrichter, S t a a t s r a t Trautsold, seine Z u s t i m m u n g bei der Unterzeichnung des Urteils, weil er, falls die B e h a u p t u n g e n der R e k l a m a n t i n zuträfen, K o n t e r b a n d e t r a n s port nicht f ü r vorliegend erachtete und deshalb im Gegensatz zu dem russischen Prisenhofe eine Beweiserhebung über den Inhalt der Ladung f ü r notwendig erachtete. Das russische Oberprisengericht bestätigte das Urteil der ersten Instanz. 1910 nahm sich die englische Regierung des Falles an und verlangte auf diplomatischem Wege von R u ß l a n d Schadenersatz, eventuell die Überweisung des Falles an das H a a g e r Schiedsgericht. R u ß l a n d lehnte jedoch jedes Entgegenkommen ab, worauf die englische Regierung in einem Schreiben vom 8. IX. 1911 der Reederei mitteilte, d a ß es nach ihrer Ansicht keinen Zweck m e h r habe, die diplomatischen Verhandlungen über den Fall weiter zu f ü h r e n . Es d ü r f t e keinem Zweifel unterliegen, daß die Zerstörung der „ O l d h a m i a " nach dem allgemeinen Prisenrechte, insbesondere aber auch nach A r t . 21 des russischen Seeprisenreglements von 1895 (vgl. Zeitschrift f ü r Völkerrecht II S. 144ff.) unzulässig war. Der russische K o m m a n d a n t h a t t e lediglich durch seine Nachlässigkeit verschuldet, d a ß die „ O l d h a m i a " auf eine S a n d b a n k festr a n n t e . Dieser durch ein russisches Organ verschuldete Unfall des Schiffes war der u n m i t t e l b a r e Anlaß seiner Zerstörung, nicht etwa die Gefahr der Wiederwegnahme oder der Beeinträchtigung der Operationen des Kriegsschiffes. Freilich rechtfertigte die formale Unzulässigkeit der Zerstörung nach damaligem Prisenrechte (vgl. jedoch die spätere B e s t i m m u n g des A r t . 51 der Londoner Deklaration) noch nicht den Schadenersatzanspruch der R e k l a m a n t i n . Um die Reklamation zu begründen, m u ß t e nachgewiesen werden, d a ß die „ O l d h a m i a " nicht der W e g n a h m e unterlag, weil sie keine K o n t e r b a n d e t r a n s p o r t i e r t e . Diesen Beweis h a t t e die R e k l a m a n t i n angeboten, ohne d a ß das russische Prisengericht ihn erhoben hatte.
Oldhamia-Fall — Ophelia-Fall Literatur: The case of Oldhamla, Denkschrift der Manchester wie A a Ι α ; b) unter Vergleichsverfahren 2. mit f a k u l t a t i v e m Charakter, 1. die Vorfragen, ob Problem höchste Lebensinteressen } Wie einer Partei berühre oder ob Anlegegenheit von überb) Verträge mit genereller komprow i e g e n d p o l i t i s c h e m Inmissarischer Klausel 1 α—2 ß ß wie teresse, unter a.
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Schiedsgerichtsbarkeit u n d Schiedsgerichtsverträge — Schiedsgerichtsklausel
2. alle F r a g e n , die nicht u n t e r a fallen. IV. Schiedsgerichtsbarkeit und V ö l k e r b u n d siehe Völkerbund. V. Internationaler Haager Gerichtshof siehe Völkerbundsgerichtshof. Materialien und — u n ü b e r s e h b a r e (s. alle Lehrbücher!) — Literatur zu I u. II: Actes de la Confirence Internationale de la Paix. La H a y e , 18. V.—29. V I I . 1899. Nouvelle e d i t i o n , 1907. — Deuxieme confirence internationale de la Paix. La H a y e , 15. VI.—18. X . 1907. Actes et d o c u m e n t s , 1909. — Fried, H a n d b u c h der Friedensbewegung. I, 1911; II, 1912. — Lammasch, Die Lehre von der Schiedsgerichtsbarkeit in ihrem ganzen Umfange, in S t i e r - S o m l o s H a n d b u c h des Völkerrechts, I I I 3, 1913 (das S t a n d a r d - W o r k der Schiedsgerichtsbarkeit m i t weiterer Lit.). ·— Meurer, Die Haager Friedenskonferenz, Bd. I. Das Friedensrecht der H a a g e r Konferenz, 1905. — Nippold, Die zweite Haager Friedenskonferenz, I. Teil. Das Prozeßrecht, 1908. — Union Interparlementalre. Resolutions des conferences et decisions principales du conseil, 2. ed., 1911. — Strupp, Die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, 1914. — Wehberg, K o m m e n t a r zu dem Haager A b k o m m e n , b e t r e f f e n d die friedliche Erledigung internationaler Streitigkeiten vom 18. X . 1907, 1911. Strupp.
Schiedsgerichtsbarkeit
im
Völkerbund
( S c h i f f a h r t - u n d ZolI)verträge m i t ÖsterreichUngarn, Belgien, Bulgarien, Italien, P o r t u g a l , R u m ä n i e n , Serbien, Schweden u n d der Schweiz, sowie in die Telegraphenverträge mit Norwegen u n d den niederländischen Kolonien, in dem Vertrag über die G o t t h a r d b a h n 1909 m i t der Schweiz u n d ferner a u c h in den A n n e x zur Marokkokonvention m i t F r a n k r e i c h über die P a c h t u n g afrikanischer Gebiete vom 4. IX. 1911. Österreich-Ungarn h a t eine solche Schiedsgerichtsklausel in seinen Handels- u n d Konsularverträgen m i t dem Deutschen Reich, Belgien, Bulgarien, Italien, R u m ä n i e n , Serbien, Siam und der Schweiz (und zwar in besonders weitem U m f a n g im Vertrage mit Siam 1869). Manche dieser Verträge verpflichten nur zur schiedsgerichtlichen A u s t r a g u n g von Differenzen über die Auslegung der einzelnen Tarifsätze u n d über die A n w e n d u n g der Meistbegünstigungsklausel. Andere jedoch gehen b e d e u t e n d weiter und erstrecken diese Verpflichtung a u c h auf Streitigkeiten über Fragen des Niederlassungsrechtes, der Z u lassung von Aktiengesellschaften, insbesondere von Versicherungsgesellschaften von Handlungsbevollmächtigkeiten, über die Befreiung vom Militärdienst, über Arbeiterversicherung und die Fragen der E i s e n b a h n tarife, über die Rechte juristische Personen, unbewegliche Güter zu erwerben, u. a. m . Die Anregung zur A u f n a h m e einer solchen B e s t i m m u n g in H a n d e l s v e r t r ä g e n h a t t e insbesondere der italienische Minister Mancini gegeben.
s. Völkerbundsgerichtshof. Der erste Fall, in dem ein sch. Gericht Schiedsgerichtshof s. Schiedsgerichtsbarkeit. zur Auslegung eines Handelsvertrages w i r k S c h i e d s g e r i c h t s h ö f e , g e m i s c h t e s. u n t e r lich z u s t a n d e k a m , d ü r f t e der Streit zwischen Versailler Frieden. Schweden u n d Spanien über die Akzise auf Alkohol von 1880 gewesen sein. Aus neuerer Zeit sind besonders zu erwähnen der Streit über den Begriff Vin nouveau im italienischSchiedsgerichtsklausel. schweizerischen H a n d e l s v e r t r a g e (1911) u n d Unter Schiedsgerichtsklausel versteht m a n der über die Zollbehandlung der D a m p f der die in einem S t a a t s v e r t r a g , über was immer t u r b i n e n zwischen F r a n k r e i c h u n d was f ü r eine Materie, a u f g e n o m m e n e Be- Schweiz (1912). s t i m m u n g , daß Streitigkeiten über AusIn jüngster Zeit ist die Schiedsgerichtslegung u n d A n w e n d u n g dieses Vertrages klausel in eigentlich politischen Verträgen durch ein Schiedsgericht entschieden werden ü b e r n o m m e n worden, so in den Bulgarischsollen. Eine solche Schiedsgerichtsklausel rumänischen Friedensvertrag A n n e x 3 A r t . 1 f i n d e t sich zunächst in vier Universalver- m i t ausführlicher Regelung des Verfahrens, t r ä g e n : In der Brüsseler Antisklavereiakte in den Friedensverträgen zwischen Griechen1890, A r t t . 5 4 , 5 5 ; im Vertrag über E i s e n b a h n - land u n d der Türkei, Protokoll 3 u n d außer f r a c h t r e c h t 1890, A r t . 57 § 3 ; im Weltpost- der bereits e r w ä h n t e n deutsch-französischen v e r t r a g 1905, A r t . 23 u n d in der Radio- Marokko-Konvention auch in die spanischtelegraphischen K o n v e n t i o n 1906, A r t . 18 französische Marokko-Konvention von 1912 u n d Z u s a t z k o n v e n t i o n 1912. Ferner haben [vgl. auch neuestens die Friedensverträge die allermeisten S t a a t e n in ihre Handels- der alliierten u n d assoziierten Mächte m i t verträge oder auch in andere Verträge solche den M i t t e l m ä c h t e n , die ein vollständiges Schiedsgerichtsklauseln a u f g e n o m m e n . So Schiedsgerichtssystem e n t h a l t e n . Der H e r ζ. B. das Deutsche Reich in seine Handels- ausgeber].
Schiedsgerichtsklausel — Schiffahrt auf Eigengewässern Eine Zusammenstellung, sowohl der Materien, auf die sich die sch. Gerichtsbarkeit in den einzelnen Verträgen bezieht, als auch der Staaten, zwischen denen eine solche besteht, gibt L a n g e in seinem Buche L'Arbitrage obligatoire, Brüssel 1914. Lammasch f .
Schiedsgerichtskonvention s. Schiedsgerichtsbarkeit. Schiedshof Im Haag, Internat, s. Hager Schiedshof. Schiedsverträge s. Schiedsgerichtsbarkeit.
Schiffahrt auf Eigengewässern. Zum Staatsgebiet gehört außer dem Landgebiet auch das Staatswassergebiet, das durch die Eigengewässer oder Hoheitsgewässer des Staates, die nationalen Gewässer im engeren Sinne gebildet wird. Zu diesen Eigengewässern, also zum Staatsgebiet gehören die nationalen Ströme, die nationalen Kanäle sowie die Binnenmeere und Binnenseen im engeren Sinne. Auf ihnen kann nach herrschender Meinung der Uferstaat — soweit er nicht durch Verträge gebunden ist — kraft seiner autonomen Gebietshoheit den Angehörigen anderer Staaten die Schiffahrt und die Fischerei verbieten oder sie ihnen unter Auferlegung gewisser, die eigenen Staatsangehörigen begünstigenden Bedingungen gestatten. Die Gerichtsbarkeit über fremde Handelsschiffe und das Durchsuchungsrecht steht ihm — von besonderen Vereinbarungen abgesehen — hier unbeschränkt zu.
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die nationalen Kanäle im engeren Sinne, soweit sie zwei freie Meere miteinander verbinden, die Entwicklung immer mehr dahin drängt, sie der uneingeschränkten Staatsgewalt der Uferstaaten zu entziehen und auch für sie den für die internationalen Wasserstraßen aufgestellten Grundsätzen analog zur Einführung zu bringen, 4. Binnenmeere und Binnenseen im engeren Sinne, d. h. solche, die auf allen Seiten vom Lande umschlossen sind oder doch mit dem Meere nicht in schiffbarer Verbindung stehen, soweit sie mehrere Staaten bespülen, 5. Binnenseen im weiteren Sinne, d. h. solche, die mit dem Meere in schiffbarer Verbindung stehen und die als offenes Meer behandelt werden, soweit sie nicht ausschließlich von einem Uferstaat umgeben werden oder soweit der Uferstaat nicht die Verbindung mit dem offenen Meere beherrscht. Für alle diese Modifikationen vgl. die Art. „Wasserstraßen, internationale", „Binnenmeere" und „Binnenseen". Für die Eigengewässer im engeren Sinne kann der Uferstaat souverän über die Zulassung Staatsfremder zur Schiffahrt (und zur Fischerei) bestimmen; indes hat schon B l u n t s c h i (d. moderne Völkerrecht d. zivilisierten Staaten, Nördlingen 1872), Art. 314 die Frage aufgeworfen, warum ein Staat, der einen Fluß im Alleinbesitz hat, an diesem mehr Recht haben soll als die sämtlichen Uferstaaten zusammen an ihrem Gemeinflusse? Wenn diese genötigt sind, ihre Flüsse dem Weltverkehr zu öffnen, so fragt Bluntschi weiter, warum soll jener seine Flüsse dem Welthandel absperren dürfen? Tatsächlich gibt es keinen stichhaltigen Grund für diese verschiedene Behandlung im Völkerrecht, tatsächlich ist denn auch seit langem bereits die Entwicklung dahin gegangen, die nationalen Gewässer den übrigen gleichzustellen; davon zeugt eine große Zahl partieller völkerrechtlicher Verträge, die den vertragschließenden Staaten gegenseitige Rechte auf ihren Gewässern einräumen, die den durch Anwendung der für konventionelle und internationale Wasserstraßen geltenden allgemeinen völkerrechtlichen Normen entstehenden Rechten keineswegs nachstehen, trotzdem ist aber die Schiffahrtsfreiheit aller auch auf nationalen Flüssen ein wohl noch in weiter Ferne liegendes Zukunftspostulat (vgl. auch den Art. „Verkehrskonferenz von Barcelona").
Diese allgemein anerkannten Grundsätze haben dann notwendig gewisse Modifikationen erfahren müssen, soweit es sich um Gewässer handelt, deren Ufer mehreren Staaten angehören. Hier sind zu unterscheiden 1. Ströme, die, ohne vom Meer aus schiffbar zu sein, das Gebiet mehrerer Staaten durchfließen, die deshalb unter der geteilten Herrschaft der Uferstaaten stehen, 2. Ströme, die das Gebiet mehrerer Staaten durchfließen und vom Meere aus schiffbar sind, sog. internationale Ströme; letztere sind nicht mehr Eigengewässer, sondern internationale Ströme (vgl. den Art. ^Wasserstraßen, internationale"). 3. Kanäle, die Literatur: vom Landgebiet mehrerer Staaten umgeben werden und die darum auch unter der ge- Lederle, Das Recht der internationalen Gewässer, Mannheim 1920, u. d. bei dem teilten Herrschaft dieser stehen, für die aber, Art. „Wasserstraßen, internationale" ansoweit sie für den internationalen Handelsgegebene weitere Literatur. verkehr von Bedeutung sind, ebenso wie für O. T h . L. Z s c h u c k e .
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Schiffahrt auf internat. Gewässern — Schiffahrtsordnungen
Schiffahrt auf internat. Gewässern s. Internat. Flüsse (im Nachtrag) sowie Verkehrskonferenz von Barcelona. Schiffahrt auf internat. Strömen s. Internat. Flüsse (im Nachtrag) sowie Verkehrskonferenz von Barcelona. Schiffahrt von Staatsfremden s. Internat. Flüsse (im Nachtrag) sowie Verkehrskonferenz von Barcelona. Schiffahrtsabgaben s. Nachtrag.
Schiffahrtsordnungen enthalten über" die Ausübung der Schiffahrt auf internationalen und diesen gleichgestellten Gewässern einheitliche polizeiliche Bestimmungen. Im engeren Sinne versteht man unter Schiffahrtsordnungen die Ausführungsgesetze zwischenstaatlicher Vereinbarung zu internationalen Abkommen, die den Verkehr auf internationalen Gewässern in mehr oder minder weitem Umfang, den Untertanen aller oder nur bestimmter Staaten zugestehen. Je nach der Bedeutung eines Gewässers enthalten die grundlegenden Verträge schon selbst die notwendigen polizeilichen Anordnungen, wie die Neckarschifffahrtsordnung vom 1. VII. 1842 (MNRG. IV S. 630) in den Artt. 51 ff. und die Schiffahrtsund Hafenordnung für den Bodensee vom 22. IX. 1867 (MNRG. XX S. 117); die Schiffahrtsordnung für den Untersee und den Rhein zwischen Konstanz und Schaffhausen vom 28. IX. 1902 (MNRG. X X S. 139), die Konventionen zwischen Frankreich und der Schweiz vom 9. VII. 1887 bzw. vom 10. IX. 1902 (MNRG. 2. sir. XIV S. 357 bzw. Eidgen. amtl. Samml. 2. s6r. X I X S. 281) für den Genfersee. Eine andere Form des Erlasses stellen die im gegenseitigen Einvernehmen der Uferstaaten verfaßten einzelstaatlichen Verordnungen dar, die ζ. B. beim Rhein den Transport gewisser gefährlicher Stoffe betreffen (vgl. wegen dieser Verordn. die Zusammenstellung bei MR. 3. s. IX S. 866). Nachdem durch Staatsverträge die Überwachung des Flußverkehrs auf den wichtigsten internationalen Strömen besonderen Kommissionen überwiesen worden ist, hat sich im Interesse einer geregelten Schiffahrt die Notwendigkeit ergeben, gleichförmige detaillierte Polizeivorschriften, die Schifffahrtsordnungen, zu erlassen. Soweit dabei die Flußkommissionen nicht ein selbständiges Verordnungsrecht besitzen, wie die europäische Donaukommission, bedürfen die Schiffahrtsordnungen zu ihrer Verbindlichkeit der Genehmigung der Uferstaaten, wenn diese nicht selbst regelrechte Staatsverträge
darüber abschließen. Die letzten offiziellen Fassungen der Schiffahrtsordnungen sind für die Donau: Schifffahrtsordnung vom 2. XI. 1865, 8. XI. 1870, 10. XI. 1875 und 19. V. 1881 (MR. X V I I I S. 144, XX S. 40, 2. s. III S. 572, IX S. 254), für den Rhein: Schiffahrtsordnung vom 17. X. 1868 mit Ergänzungen (MR. 2. s. IV S. 599 und 613, VIII S. 202, X I X S. 113), für die Donau von ihrer Mündung bis Galatz die Sch.- u. PolO. v. 10. XI. 1911 (MNRG. 3. sir. IX S. 252) und für den Rhein die RheinschiffahrtspoIO. v. 14. IX. 1912 (MNRG 3. sir. IX S. 835). Die Schiffahrtsordnungen enthalten im allgemeinen Bestimmungen über die Schiffsführer, die Bemannung und Ausrüstung der Fahrzeuge, das Verhalten während der Fahrt und des Stilliegens, das Signalwesen, den Leinpfad und feste Anlagen am Ufer oder im Fluß, die Beförderung von Petroleum und ähnlichen Stoffen, schließlich über die Strafen bei Vergehen gegen die Schiffahrtsordnung. Im einzelnen weichen die zuletzt genannten Schiffahrtsordnungen sehr voneinander ab, schon aus dem Grunde, weil die Donau in dem fraglichen Teil internationalisiert, d. h. der Stromlauf selbst, die Anlagen und die Verwaltungsbeamten der europäischen Donaukommission der Gebietshoheit der Uferstaaten entzogen sind. Infolgedessen nehmen in der Donau-SchO. die Bestimmungen hinsichtlich der Polizeiorgane, ihrer Befugnisse und der Pflichten der Schiffer diesen gegenüber sowie die Festsetzung der verwirkten Strafen einen breiten Raum ein. Räumlich erstreckt sich die Geltung der Schiffahrtsordnung grundsätzlich nur auf den betreffenden Fluß selbst, nicht auch auf seine Nebenflüsse. Diese an sich selbstverständliche Regel bedarf wegen der in den Friedensverträgen der Entente mit den Mittelmächten vorgesehenen Neuregelung des Schiffahrtsrechtes auf den deutschen Strömen der Erwähnung, da deren Internationalisierung auch die schiffbaren Teile der Nebenflüsse, die mehr als einem Staat den natürlichen Zugang zum Meere vermitteln, ergreift (Artt. 331, 338, 362 des Friedensvertr. von Versailles, nach den Beschlüssen der neu gebildeten Flußkommissionen auch die von diesen erlassenen Schiffahrtsordnungen der Hauptströme ebenso für zu bestimmende Abschnitte der Nebenflüsse Geltung erlangen können (Art. 344 c des Friedensvertr. von Versailles). Deutschland ist im voraus an die so erlassenenBestimmungengebunden (Artt. 338, 349, 379 Friedensvertr. von Versailles). Vorläufig bleiben jedoch die bestehenden Schifffahrtsordnungen in Kraft (Art. 345 Friedensvertr. von Versailles).
Schiffahrtspolizei — Schiffe mit humanitärem Zweck Literatur: Lederle, Das Recht der internationalen Gewässer, 1920, S. 123. — Vgl. die Literatur zu Schiffahrt. Wessel.
Schiffahrtspolizei.
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Strandung, über den Schutz der unterseeischen Kabel, das Einhalten der Fahrlinien, die höchste zulässige Geschwindigkeit usw. Eine besondere i n t e r n a t i o n a l e s e e s c h i f f a h r t s p o l i z e i l i c h e R e g e l u n g enthält der Haager Vertrag über die Fischerei in der Nordsee vom 6. V. 1882 (MR. 2. s. I X S. 556), das Branntweinabkommen vom 16. X I . 1887 (MR. 2. s. X I V S. 540) und die Brüsseler Antisklavereiakte vom 2. V I I . 1890 (MR. 2. s. X V I I S. 345). Über die S c h i f f f a h r t s p o l i z e i a u f den i n t e r n a t i o n a l e n S e e n , F l ü s s e n , K a n ä l e n sowie diesen gleichgestellten Gewässern s. Schiffahrtsordnung. E. Mewes.
Die Beobachtung der für die Sicherheit und Freiheit der Schiffahrt aufgestellten Regeln liegt im allgemeinen kraft des Souveränitätsprinzipes der Polizeigewalt des Staates ob, in dessen Gebiet die Gewässer sich befinden, wenn auch in einigen Fällen eine internationale Regelung erfolgt ist. Die Interessengemeinschaft der Staaten auf dem Gebiete des Verkehrs zeigt besonders in neuester Zeit bei den internationalen Gewässern und Strömen die Tendenz, ein gleichförmiges Schiffahrtspolizeirecht zu schaffen. Schiffbruch s. Seerecht (im Nachtrag). Die betreffenden Normen, die in den verschiedensten Formen zutage treten, sei es in völkerrechtlichen Verträgen, sei es in Schiffe mit humanitärem Z w e c k . Landesgesetzen oder Polizeiverordnungen haben einmal die S c h i f f e selbst und deren Unter Schiffen mit humanitärem Zweck B e s a t z u n g zum Gegenstand, zum anderen sind diejenigen Schiffe zu verstehen, die mit die S i c h e r h e i t des W a s s e r w e g e s und die religiösen, wissenschaftlichen oder menschenRegelung des S c h i f f s v e r k e h r s . — Um freundlichen Aufgaben betraut sind, ferner zur Schiffahrt zugelassen zu werden, muß die Lazarettschiffe. Soweit die Schiffe der das betreffende F a h r z e u g gewisse Voraus- ersteren Art nicht mit dem Patent von setzungen der Seetüchtigkeit, Einrichtung Kriegsschiffen versehen sind, nehmen sie und Ausrüstung erfüllen. Dazu gehört u. a. nicht die Stellung von Staatsschiffen ein. die Stabilität, die vorschriftsmäßige Anlage Nach dem X I . Haager Abkommen von 1907 der Dampfkessel, eine genügende Ausrüstung sind sie von der Wegnahme durch Kriegsmit Proviant, Sanitätsmitteln und Signal- schiffe Kriegführender befreit. Diese Ausapparaten. Häufig bilden auch Mängel der nahmestellung kann ihnen jedoch nur dann Beladung die Ursache von Seeunfällen; zugestanden werden, wenn sie sich jeder daher wurden schiffahrtspolizeiliche Verord- kriegerischen Tätigkeit enthalten und wenn nungen auch über die zugehörige Stauung einwandfrei festgestellt werden kann, daß sie der Güter erlassen (Tiefladelinie, Freibord- durch ihre Tätigkeit nicht die machtpoliregel). Zum Ausweise für die B e s a t z u n g tischen Interessen ihres Heimatstaates in der Fahrzeuge dienen die Schiffspapiere (s. d.). irgendeiner Weise unterstützen. Die SonderVon besonderer Bedeutung ist hier das Patent stellung für solche Schiffe kann nur zutreffen,, über die Befähigung zur Führung des Schiffes wenn sie mit ihren Aufgaben schon vor Ausund das Quarantänewesen zur Bekämpfung bruch der Feindseligkeiten beschäftigt waren. gemeingefährlicher Krankheiten (s. inter- Das X I . Haager Abkommen Art. 4 spricht nationales Gesundheitsrecht). Ferner ist es allgemein nur von Schiffen, die mit religiösen, Aufgabe der Schiffahrtspolizei, für die wissenschaftlichen oder menschenfreundS i c h e r h e i t d e r V e r k e h r s w e g e Sorge zu lichen Aufgaben betraut sind. Demnach· tragen, wie das Auslegen von Bojen und können unter diesen Begriff bei den oben ähnlichen Zeichen, die Beseitigung von angeführten Voraussetzungen auch KriegsSchiffahrtshindernissen, die Untersuchung schiffe fallen. C a l v o sagt hierzu ( P e r e i s , und Verklarung von Seeunfällen, Lotsen- S. 2 0 1 ) : „ I I va sans dire seulement que pour zwang usw. Der Schiffahrtspolizei liegt auch conserver intact Ie privilfcge que leur est die Regelung des S c h i f f s v e r k e h r s ob. octroye, ces sortes de navires sont rigouHierher gehören die polizeilichen Bestim- reusement tenus de s'abstenir de tout acte mungen über das Schiffsmeldewesen, über hostile et que le gouvernement sous les die Verhütung des Zusammenstoßes von auspices duquel ils remplissent leur missionSchiffen auf See und das Verhalten der scientifique, est astreint ä notifier d'avance Schiffe nach einem Zusammenstoß (s. See- a u x belligerants le caractfere du bätiment straßenrecht). Über die Hilfeleistung bei explorateur, son nom, sa force, son armement,
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Schiffe mit h u m a n i t ä r e m Zweck
le b u t de son voyage, et les p r i n c i p a u x points d ' a t t i r a g e . " Die wichtigste Stellung unter den Schiffen m i t h u m a n i t ä r e m Zweck nehmen die Lazar e t t s c h i f f e ein. In dem Abkommen vom 29. V I I . 1899, betreffend die A n w e n d u n g der G r u n d s ä t z e der Genfer Konvention vom 22. V I I I . 1864 auf den Seekrieg, wurden die bisher nur f ü r den Landkrieg geltenden Bes t i m m u n g e n auf den Seekrieg ausgedehnt, nachdem die im J a h r e 1868 vorgeschlagenen, auf den Seekrieg bezüglichen „ Z u s a t z a r t i k e l " z u m Genfer Abkommen keine allgemeine Anerkennung gefunden h a t t e n . Modernen Verhältnissen a n g e p a ß t wurden die Bestimm u n g e n im X. A b k o m m e n der zweiten H a a g e r Friedenskonferenz von 1907. Dieses A b k o m m e n unterscheidet drei verschiedene A r t e n von Lazarettschiffen, u n d zwar a) militärische Lazarettschiffe, d. h. solche Schiffe, die als solche vom S t a a t e r b a u t oder eingerichtet worden sind (Art. 1); b) Lazarettschiffe, die auf Kosten von P r i v a t p e r s o n e n oder amtlich a n e r k a n n t e n Hilfsgesellschaften der kriegführenden Parteien ausgerüstet worden sind (Art. 2); c) Lazarettschiffe, die auf Kosten von P r i v a t p e r s o n e n oder amtlich a n e r k a n n t e n Hilfsgesellschaften neutraler S t a a t e n ausgerüstet worden sind (Art. 3). Von Interesse sind nur die militärischen L a z a r e t t s c h i f f e ; die unter b und c g e n a n n t e n Schiffe sind im Weltkriege bei keiner der kriegführenden Parteien in Erscheinung get r e t e n ; praktisch m ü ß t e n sie doch auch den militärischen Schiffen eingereiht u n d somit den gleichen Bestimmungen wie diese u n t e r worfen sein. Es t r i t t n u n die Frage a u f , zu welcher Kategorie von Schiffen das Lazarettschiff zu rechnen ist. Als Kauffahrteischiff ist es nicht a n z u s e h e n , auch wenn es ein aus einem solchen umgewandeltes Schiff ist. Denn das wesentliche Merkmal des Kauffahrteischiffes ist durch die U m w a n d l u n g in Wegfall gekommen. Lazarettschiffe gehören zu den Staatsschiffen, weil sie ihren sanitären Zwecken, eingegliedert in den militärischen Verband einer kriegführenden Macht, u n t e r der Aufsicht des betreffenden Staates, nachgehen. Die deutsche Prisenordnung sagt in A r t . 2 : „ S t a a t s s c h i f f e sind die Kriegsschiffe, sowie die zu Staatsdienstzwecken verwend e t e n und unter staatlicher Befehlsgewalt s t e h e n d e n Schiffe." Lazarettschiffe werden zu Staatsdienstzwecken verwendet und stehen u n t e r staatlicher Befehlsgewalt. Nun dienen a b e r die Lazarettschiffe nicht nur den Interessen einer Partei, sondern beiden Parteien g e m e i n s a m ; A r t . 4 des X. Haager Abk o m m e n s schreibt vor, die Schiffe „sollen den
Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Kriegführenden ohne Unterschied der N a t i o n a l i t ä t Hilfe und Beistand g e w ä h r e n " . Aus diesem a u ß e r h a l b des kriegerischen Konflikts stehenden Beruf der Lazarettschiffe folgt, daß sie eines besonderen Schutzes bedürfen und daß sie sehr genauen und bes t i m m t e n Einschränkungen in ihrer Verwendung und ihrer T ä t i g k e i t u n t e r w o r f e n sein müssen. Unter die Kategorie der Kriegsschiffe sind die Lazarettschiffe nicht einzubeziehen, da sie gar keiner kriegerischen Tätigkeit dienen sollen und durch ihre h u m a n i t ä r e Aufgabe eher dazu b e s t i m m t sind, dem Gegner noch Vorteile zu gewähren. Indirekt wird der Nicht-Kriegsschiffcharakter der Lazarettschiffe in A r t . 1 des X . Haager A b k o m m e n s a u s g e d r ü c k t : „ A u c h dürfen diese Schiffe bei einem A u f e n t h a l t in neutralen H ä f e n nicht als Kriegsschiffe behandelt w e r d e n " ζ. B. nach 2 4 s t ü n d i g e m A u f e n t h a l t zum Auslaufen gezwungen werden. Entsprechend der Sonderstellung der Lazarettschiffe sind, um diese d u r c h f ü h r e n zu können, besondere Bestimmungen d a f ü r getroffen worden. A r t . 1 s a g t : „ L a z a r e t t s c h i f f e . . . sind zu achten u n d dürfen während der Dauer der Feindseligkeiten nicht weggenommen w e r d e n . " A r t . 5 b e s t i m m t die äußere Kenntlichm a c h u n g als Lazarettschiffe. Die militärischen Lazarettschiffe sind kenntlich zu m a c h e n durch einen äußeren weißen Anstrich m i t einem wagerecht laufenden, etwa 1 y 2 m breiten grünen Streifen. Die in den A r t t . 2, 3 bezeichneten Schiffe sind kenntlich zu m a c h e n durch einen äußeren weißen Anstrich m i t einem wagerecht laufenden, etwa 1 y 2 m breiten roten Streifen. Die Boote dieser Schiffe sowie die kleinen, zum Lazarettdienste verwendeten Fahrzeuge müssen d u r c h einen ähnlichen Anstrich kenntlich g e m a c h t sein. Alle Lazarettschiffe sollen sich d a d u r c h erkennbar machen, daß sie neben der Nationalflagge die in dem Genfer A b k o m m e n vorgesehene weiße Flagge m i t dem roten Kreuze, und a u ß e r d e m , sofern sie einem neutralen S t a a t e angehören, a m H a u p t m a s t e die Nationalflagge des Kriegführenden, dessen Leitung sie sich unterstellt haben, hissen . . . Wollen sich die vorstehend e r w ä h n t e n Schiffe u n d Boote auch während der N a c h t den ihnen gebührenden Schutz sichern, so haben sie m i t Genehmigung des Kriegführenden, den sie begleiten, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen, d a m i t der sie kenntlich m a c h e n d e Anstrich genügend sichtbar ist. Diese Schutzmaßregeln bedingen wieder gewisse Verpflichtungen der Lazarettschiffe, so dürfen sie nach A r t . 4 „ i n keiner Weise die Bewegungen der Kriegsschiffe b e h i n d e r n " u n d
Schiffe mit humanitärem Zweck — Schiffsbesatzung (Gefangennahme) müssen sich dem Aufsichtsrecht und Durchsuchungsrecht der Kriegführenden unterziehen. Nach Art. 8 darf das Personal keine anderen Waffen führen als zur Aufrechterhaltung der Ordnung und zur Verteidigung der Verwundeten gebraucht werden. Weiter sagt Art. 8 : „ D e r den Lazarettschiffen . . . gebührende Schutz hört auf, wenn sie dazu verwendet werden, dem Feinde zu s c h a d e n . " Mißbraucht also ein Lazarettschiff seine Sonderstellung, um kriegerische Aktionen vorzunehmen, so hat es natürlich keinen Anspruch mehr darauf, als solches behandelt zu werden. In diesem Falle nimmt es den Charakter des Kriegsschiffes an und verfällt somit von Seiten des Feindes der diesem Charakter entsprechenden Behandlung. Wird ζ . B . das Lazarettschiff entweder offensichtlich oder unter irgendeiner Verschleierung zu Truppen-, Munitions- oder Kriegsmaterialtransport verwendet, so verliert es damit ohne weiteres seinen Charakter als Lazarettschiff und ist unter die Kategorie der Hilfsschiffe zu rechnen und somit als Kriegsschiff anzusehen, kann also jederzeit angegriffen und vernichtet werden (vgl. „Kriegsschiffe, völkerrechtliche Stellung"). Oder wenn ζ. B . das Lazarettschiff unter Bedeckung von Kriegsschiffen fährt, im Geleitzug, so ist anzunehmen, daß das Lazarettschiff unerlaubte Objekte mit sich führt, weil es geschützt werden muß gegen das Durchsuchungsrecht des Feindes, dem eine Durchsuchung auf diese Weise nicht mehr möglich ist. Bezüglich der Rückverwandlung von Lazarettschiffen in Kauffahrteischiffe wurden etwaige Bestimmungen weder in das I. Haager Lazarettschiffsabkommen noch in das X . Abkommen der II. Haager Konferenz aufgenommen, doch ging die übereinstimmende Ansicht dahin, daß die einmal erfolgte Verleihung der Lazarettschiffseigenschaft nicht wieder einseitig zurückgenommen werden d a r f ; die Gedanken entsprechen denen über die Rückverwandlung von Kriegsschiffen. Louis Renault führt in seinem Bericht über die Verhandlungen, die im J a h r e 1899 über das Lazarettschiffsabkommen auf der I. Haager Konferenz stattfanden, folgendes a u s : „ I I va sans dire que l'affectation hospitalifere donnie ä un navire et communiquee ä l'adversaire ne pourra £tre modifiee pendant la duree de la guerre. Autrement des abus seraient possibles; on donnerait le caractfere hospitalier ä un navire, pour le faire parvenir en sicurite ä un endroit determine et lä on le transformerait en bätiment destine ä des opirations hostiles . . . " Es ist klar, daß das Schiff in den Augen des Feindes durch Rückverwandlung seinen
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Charakter als Staatsschiff nicht verloren hat, wohl aber geht es seiner Vorzugsstellung als Lazarettschiff und des damit verbundenen Schutzes verlustig; es kann wie jedes andere feindliche Kriegsschiff behandelt werden. Literatur: Haager Konferenz, Actes et Documents. Deuxifeme Confirence international de la paix. (Herausgegeben vom niederländischen Ministerium des Auswärtigen). — Kinzelbach, Hans, Der Begriff des Kriegsschiffs im modernen Völkerrecht, Tübingen 1922, — v. Liszt, F., Das Völkerrecht, Berlin 1918. — Lützow, Englands Lazarettschiffmißbrauch, Berlin 1921. — Pereis, Fr., Das internationale öffentliche Seerecht der Gegenwart. 2. Auflage, Berlin 1903. — Zorn, Philipp, Die beiden Haager Friedenskonferenzen von 1899 und 1907 ( I I I . Bd., I I . Abt. im Handbuch des Völkerrechts). Berlin 1915. Kinzelbach.
Schiffsbesatzung
(Gefangennahme).
Nach überliefertem Völkerrecht kann die Besatzung eines feindlichen Handelsschiffes zu Gefangenen gemacht werden. Als Grund hierfür wird die Geeignetheit des Handelsschiffmatrosen oder Fischers für die Kriegsmarine angeführt (vgl. insbesondere die Erklärung Lord Palmerstons in der Sitzung des Unterhauses vom 17. I I I . 1862 über die Bedeutung der Gefangennahme der französischen Neufundlandfischer in einem englisch-französischen Krieg), ein Grund, der heute nicht in dem Maße mehr zutrifft wie zur Segelschiffszeit. Auch bezüglich neutraler Staatsangehöriger, die auf feindlichen Handelsschiffen dienten, wurde eine Ausnahme nicht gemacht, wenigstens nicht allgemein (ζ. B . nicht in Nr. 18 des halboffiziellen britischen Manual of Naval Prize Law von Lushington-Holland, 1888). Vergeblich bestritt der Norddeutsche Bund 1870 in Noten des Grafen Bismarck vom 4. X . und 16. X I . 1870 die weitere Rechtmäßigkeit der Gefangennahme aus dem Grunde, daß die Kaperei abgeschafft sei durch die Pariser Erklärung und es sich bei der Gefangennahme darum gehandelt habe, Bemannung von Kapern zu verhüten. 1917 kam im Haag auf Grund eines englischen Vorschlages, der zunächst nur Neutrale vor der Gefangennahme schützen wollte, und durch einen belgischen Vorschlag erweitert wurde (Act et Doc. Bd. I I I S. 1174/5 Annexe 45ff.), die Bestimmungen des 11. Haager Abkommens Abschn. 3 Artt. 5 — 8 über die Behandlung von Besatzung feindlicher Handelsschiffe zustande. Art. 5 sieht vor, daß n e u t r a l e Matrosen
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Schiffsbesatzung ( G e f a n g e n n a h m e )
Die vieldeutige Formel des A r t . 8 bed e u t e t einen K o m p r o m i ß , der geschlossen worden ist nach Ablehnung der englischen Formel, „ n e n a v i g u a n t que dans un b u t p u r e m e n t commercial", die wiederum m i t dem englischen A n t r a g auf E i n f ü h r u n g des Begriffes eines Hilfsschiffes z u s a m m e n h i n g (vgl. Act et Doc. Bd. I I I S. 959, 975, 986 u n d K a p i t ä n , Offiziere u n d Matrosen usw. über den Hilfsschiffsantrag A r t . et Doc. f e i n d l i c h e r N a t i o n a l i t ä t von feindlichen Bd. I I I S. 1135 Annexe 2 S. 846ff, 8 6 2 f f . Handelsschiffen. 917). Besatzungsmitglieder feindlicher Nationalität auf n e u t r a l e n Handelsschiffen Das Institut h a t auf seiner Oxforder dürfen nach allgemeinen Grundsätzen T a g u n g 1913 in den Entwurf des „Manuel des von dem Schiff nicht heruntergeholt werden. lois de la guerre m a r i t i m e " ähnliche e t w a s W e n n das Schiff zur Prise g e m a c h t wird, detailliertere Bestimmungen a u f g e n o m m e n erscheint ihre „ I n t e r n i e r u n g " nicht „Ge- ( A r t t . 59—65). Bei den Beratungen über den f a n g e n n a h m e " n a c h A n k u n f t im H a f e n dem A r t . 8 entsprechenden A r t . 64 wurde zulässig, falls ü b e r h a u p t Internierung f ü r auf A n t r a g O p p e n h e i m s (Bd. XXVI berechtigt erachtet wird. Falls das Schiff, S. 571/3) festgestellt, daß wenn ein Schiff auf dem sie sich befinden, sich einer neu- an den Feindseligkeiten teilgenommen h a b e tralitätswidrigen U n t e r s t ü t z u n g oder der- „ p a r un acte le lögitime d i f e n s e " (bewaffnetes gleichen schuldig g e m a c h t h a t , so d a ß es Handelsschiff) die Besatzung das Recht h a b e , prisenrechtlich „als f e i n d l i c h " zu b e t r a c h t e n auf Behandlung als Kriegsgefangene; liege war, k a n n m a n m i t der deutschen Prisen- aber ein „ a c t e d ' a t t a q u e en violation du droit o r d n u n g von 1909 (Ziff. 100) die Grundsätze i n t e r n a t i o n a l " vor auf Seiten eines Schiffes, über Gefangennahme u n d das Haager Ab- so sei die Besatzung der Strafgerichtsbarkeit k o m m e n f ü r a n w e n d b a r halten. ausgesetzt. Diesen S t a n d p u n k t h a t der k u r z vor dem Krieg erlassene Befehl des deutschen Sie sollen nach A r t . 6 u n t e r der Bedingung Admiralstabs vom 22. VI. 1914 ( v e r ö f f e n t nicht zu Gefangenen gemacht werden (ä licht als Anlage zur Prisenordnung in Reichscondition), daß sie sich feierlich schriftlich gesetzblatt 1914 S. 300) über Verhalten beim verpflichten, w ä h r e n d des Krieges keinen Z u s a m m e n t r e f f e n mit b e w a f f n e t e n H a n d e l s Dienst zu n e h m e n „ a y a n t r a p p o r t avec les schiffen im Kriege als Richtlinie f ü r die opörations de la g u e r r e " . Ihre Verpflichtung K o m m a n d a n t e n der deutschen Kriegsschiffe ist also wesentlich enger als die der neu- a k z e p t i e r t . tralen Offiziere — m a n erwog dabei, daß eine Verpflichtung f ü r einen Seemann nicht Im Weltkrieg h a b e n die Bestimmungen auf Handelsschiffen seiner Flagge zu dienen, des Haager A b k o m m e n s über die Beeine E x i s t e n z b e d r o h u n g wäre (vgl. die satzungen feindlicher N a t i o n a l i t ä t keine Ä u ß e r u n g von Sir E r n e s t S a t o w , Act et praktische A n w e n d u n g gefunden, indem m a n Doc. Bd. I I I S. 959). Zudem ist die es nach englischem Vorbild unterließ, die Verpflichtung bei der Vieldeutigkeit des Angabe der schriftlichen E r k l ä r u n g zu f o r Begriffes der Kriegsoperation u n k l a r . dern. Die Seeleute, von den bei Kriegsaususw. auf feindlichen Handelsschiffen bedingungslos freigelassen werden sollen, ein neutraler K a p i t ä n und neutrale Offiziere dagegen n u r , falls sie ein formelles s c h r i f t liches Versprechen g e b e n , w ä h r e n d des Krieges auf keinem feindlichen Schiff (einschließlich Handelsschiff) Dienst zu n e h m e n .
A r t . 7 verpflichtet die S t a a t e n , die Frei- b r u c h im H a f e n festgehaltenen feindlichen gelassenen nicht entgegen den Bedingungen Handelsschiffen wurden auf beiden Seiten i n t e r n i e r t . Das 11. Haager A b k o m m e n h a t t e der Freilassung zu verwenden. auf sie keine A n w e n d u n g , da diese Schiffe A r t . 8 endlich sieht vor, d a ß sich die j a nicht waren „ c a p t u r 6 par u n b e l l i g 6 a n t " Bestimmungen nicht auf die Besatzung der- (Art. 5). jenigen Schiffe beziehen „ q u e p r e n n e n t p a r t a u x hostilit6s". Zu diesem Artikel b e m e r k t Bezüglich neutraler Besatzungsmitglieder der R a p p o r t (Act et Doc. Bd. I S. 267 [269] k a m es wiederholt zu Auseinandersetzungen u n d Bd. I I I S. 1027 [1029]), Zweck des zwischen dem Deutschen Reiche u n d n e u A b k o m m e n s sei lediglich, „ d e p r o t i g e r les tralen S t a a t e n wegen der deutschen P r a x i s , equipages des navires qui poursuivent paci- neutrale Matrosen vonfeindlichen b e w a f f n e t e n f i q u e m e n t une entreprise de commerce". Handelsschiffen zu Gefangenen zu m a c h e n Zu entscheiden, ob ein Schiff „ p o u r s u i t (s. dazu die deutsche Aufzeichnung vom pacifiquement une entreprise de commerce 30. I I I . 1917, a b g e d r u c k t zusammen mit dem ou s'il participe a u x hostilit6s est une question niederländischen Protest in dem holländischen de fait qui n ' a pas p a r ü possible de rössoudre Orangebuch, Dezember 1916 bis April 1918 p a r une rfegle f i x e " . S. 67ff.). Grau.
Schiffsbeschlagnahmestreit, der norwegisch-amerikanische
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Shipping Act von 1916 hatte der U. S. Shipping Board die Befugnis erhalten, den Verkauf oder den Flaggenübergang von I. Unter Bezugnahme auf das ganze Ab- amerikanischen oder in Amerika erbauten kommen vom 18. X. 1907 über die friedliche Schiffen zu verhindern. Auf Grund einer Beilegung internationaler Streitigkeiten und weiteren Akte sind dann eine Reihe von auf die amerikanisch-norwegische general Schiffsneubauten nach Eintritt Amerikas in arbitration convention vom 4. IV. 1908 haben den Krieg beschlagnahmt und nach dem die Union und Norwegen am 30. VI. 1921 Versailler Frieden nicht wieder herausgegeben die Einsetzung eines Drei-Männerschieds- worden. gerichts im Haag vertraglich stipuliert, das III. Aus den Gründen des Schiedsgerichts gewisse mit dem Weltkrieg in Zusammenhang verdient zunächst Hervorhebung die Stellungstehende Forderungen norwegischer Staats- nahme zu der Beschlagnahme ü b e r h a u p t : angehöriger Jgegen die Union prüfen sollte. „The United States took, both in fact and Aus dem Kompromiß ist hervorzuheben in law, the contracts under which the ships Art. I 1, wonach das Schiedsgericht nach in question were being or were to be conArtt. 59 und 87 des Friedensabkommens structed." Und zwar „the claimants were amtieren sollte, ferner aus Art. IV: „The fully and for ever deprived of their property decision of the majority of the members of and that this amounts to a requisitioning by the Tribunal shall be the decision of the the exercise of the power of eminent domain Tribunal. . . . The decision shall be accepted within the meaning of American municipal as final and binding upon the two Govern- law." Die Aufrechterhaltung der Beschlagments." Die drei Schiedsrichter waren nahme auch nach Unterzeichnung des VerA n d e r s o n (von Amerika ernannt), V o g t sailler Friedens sei unzulässig gewesen: „The (von Norwegen bestimmt), V a l l o t t o n (vom reasons which have been given afford no Schweizer Bundespräsidenten ernannt). Das legal interest which this International TriSchiedsgericht ist am 22. VII. 1922 zusammen bunal could recognize as being superior to getreten und hat — in A b w e s e n h e i t d e s the rights of private foreign citizens in their a m e r i k a n i s c h e n S c h i e d s r i c h t e r s — am own property." In r e c h t l i c h e r Hinsicht 11. X. 1922 sein Urteil gefällt, durch das hatte die Union die Auffassung vertreten, die Union zu 12 Millionen Dollars Schadens- das Schiedsgericht sei an das amerikanische ersatz verurteilt wurde. N a c h Schluß der Landesrecht gebunden; Norwegen hatte die Sitzung hat der amerikanische Agent Dennis Anwendbarkeit des Völkerrechts im Hinblick folgende Erklärung abgegeben (Proceedings auf Art. I des Kompromisses, in dem ein S. 161): ,,I have of course had no opportunity Urteil „in accordance with law and equity" to consult with my Government in regard gefordert wurde und auch den allgemeinen to the award which has just been pronounced, Grundsatz behauptet, wonach kein interbut I deem it my duty on behalf of the nationales Schiedsgericht (sc. ohne besondere United Staates to reserve all the rights of the Vereinbarung!!) an das Landesrecht einer United States arising out of the plain and Partei gebunden sei. Dazu nimmt das manifest departure of the award from the Schiedsgericht in folgenden Ausführungen terms of submission and from the „essential Stellung: „As regards private law this error", to use the languages of the autho- Tribunal hat not the power to modify, count rities, by which it is invalidated." Gleich- or improve the contracts agreed between zeitig sandte der amerikanische Vertreter ein jι citizens of the two countries, nor to modify Schreiben, wonach die beiden anderen their consequences. It may have to resolve Schiedsrichter „have disregarded the terms certain conflicts of private law in the absence of submission and exceeded the authority of contract. „L'Ordre Public International" conferred upon the United States — Norway is obviously not at stake when this Tribunal Arbitration Tribunal by the special agree- deals with such contracts. But should the ment of June 30, 1921, which imposes definite public law of one of the Parties seem conlimits upon its jurisdiction. I h a v e t h e r e - trary to international public policy („Ordre f o r e r e f u s e d t o be p r e s e n t w h e n t h e Public International") an International Tria w a r d is a n n o u n c e d . " bunal is not bound by the municipal law of the States which are Parties to the arbiII. Den von Norwegen übernommenen tration." Gemäß seiner Befugnis zur Fest(15) Klagen norwegischer Staatsangehöriger stellung seiner eigenen Zuständigkeit nach lag folgender Tatbestand zugrunde: die Art. 73 des Friedensabkommens hat das wachsende Schiffsnot in Europa hatte auch Schiedsgericht die Worte „law and equity" Norwegen veranlaßt, in den Vereinigten in dem Abkommen von 1921 unter Ablehnung Staaten auf ihre Rechnung Schiffe erbauen der angelsächsischen traditionellen Auszu lassen. Auf Grund der United States 31 Wörterbuch des Völkerrechts. Bd. II.
Schiffsbeschlagnahmestreit, der norwegisch-amerikanische.
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Schiffsbeschlagnahmestreit — Schiffspapiere
legung jener ausgelegt als „general principles of justice as distinguished from any particular system of jurisprudence or the municipal law of any State" (a. a. O. 141). Die Sentenz fährt fort: „This Tribunal is . . . a regular legal institution, which possesses by consent of the two Parties a compulsory jurisdiction, independent of the national courts of the Parties. Both Parties come before the Tribunal on a footing of perfect equality. The Tribunal cannot ignore the municipal law of the Parties, unless that law is contrary to the principle of the equality of the Parties, unless that law is contrary to the principle of the equality of the Parties, or to the principles of justice which are common to all civilised nations. But the Tribunal is not bound by the special rules instituted in any of the two countries for the purpose of restricting (for instance in favour of the sovereign against its own „justiciables") the equality between parties which would otherwise be the basis of justice as applied between private litigants. The Tribunal cannot agree, therefore, with the contention of Norway that it should be entirely free to disregard the municipal law of the United States, when this has been implicitly accepted by Norwegian citizens in their dealings with American citizens although this law may be less favourable to their present claims than the municipal laws of certain other civilised countries. But the Tribunal cannot agree, on the other hand, with the contention of the United States that it should be governed by American Statutes whenever the United States claim jurisdiction. The Tribunal is at liberty to examine if these Statutes are consistent with the equality of the two Contracting Parties, with Treaties passed by the United States, or with established principles of international law, including the customary law and the practice of judges in other international courts." Die amerikanische Gesetzgebung in concreto sei nicht völkerrechtswidrig gewesen, wohl aber ihre Handhabung durch amerikanische Beamte gegenüber den betroffenen Norwegern, da „in the exercise of eminent domain the right of friendly alien property must always be fully respected" (a. a. O. 143). Das entspräche dem amerikanischen, •verfassungsmäßig verankerten Recht. „No State can exercise towards the citizens of another civilised State the power of eminent domain without respecting the property of such foreign citizens or without paying just compensation as determined by an impertial tribunal, if necessary. . . . The United States are responsible for having thus made a discriminating use of the power
of eminent domain towards citizens of a friendjy nation, and they are liable for the damaging action of their officials and agents towards these citizens of the kingdom of Norway (S. 151)." Dementsprechend wurde die Ersatzsumme ex aequo et bono festgestellt. IV. Das Urteil ist rechtlich in mehrfacher Hinsicht von Interesse. Es stellt sich mit Recht auf den Standpunkt, daß für ein internationales Schiedsgericht zwar eine Entscheidung nach einem Landesrecht in Frage kommen kann, daß aber — der bedeutsame Hinweis auf einen „Ordre Public International" ist nur eine beachtliche Umschreibung dafür — bei einer Kollision zwischen Landesrecht und Völkerrecht das zwischenstaatliche Schiedsgericht letzterem den Vorzug zu geben hat. Daß ein Staat gehalten sei, Staatsfremde in Fragen der Enteignung Einheimischen gleichzustellen, also sie ev. zu entschädigen, vermag ich ganz allgemein nicht für richtig zu halten: hier verweist das Völkerrecht auf das Landesrecht. Wo dieses allerdings — wie in concreto — keinen Unterschied macht, hat auch der Staatsfremde einen Anspruch, dessen Nichtbeachtung, da ein Staat ein Recht darauf hat, daß seine Staatsangehörigen nicht schlechter gestellt werden als andere, nicht durch besondere Staatsverträge bevorzugte Staatsfremde, ein echtes völkerrechtliches Delikt darstellt. Ein solches hat, wie das Schiedsgericht annimmt, die Union durch ihre Organe begangen (vgl. S t r u p p , Völkerrechtliches Delikt, 1920, I.—VII. Abschnitt). — Die von amerikanischer Seite behauptete Zuständigkeitsüberschreitung, die das von dem Vertreter der Union geübte Verfahren und eine Nichtigkeitsbehandlung des Urteils rechtfertigen würde, ist bisher nicht begründet worden. Vgl. dazu S t r u p p , Die Zuständigkeit der gemischten Schiedsgerichte des Versailler Friedensvertrags, 1923. M a t e r i a l i e n : Die Proceedings of the Tribunal of Arbitration, erschienen 1922 im Haag bei Langenhuysen. Strupp.
Schiffspapiere. Da die Flagge nur das äußere Symbol ist, auf welcher der maritime Rechtsschutz eines Schiffes basiert, so bedarf es zumal in Kriegszeiten des Nachweises für die rechtmäßige Autorisation. Um einer illegalen Führung derselben wirksam begegnen zu können, war man schon frühzeitig zur Einführung der Schiffspapiere gekommen. Die näheren Be-
Schiffspapiere Stimmungen über Zahl, Beschaffenheit und Inhalt, haben bis heute noch keine internationale Regelung erfahren und sind daher der nationalen Gesetzgebung eines jeden Staates überlassen, obwohl das Institut de droit international 1896 in Venedig im Interesse einer gleichmäßigen Regelung ein Projekt hierüber ausgearbeitet hatte. Nach den neuen Seerechten gehören heute zu den Schiffspapieren folgende Dokumente, die sich im allgemeinen in a) I n d i v i d u a l i t ä t s - , b) B e s a t z u n g s - und c) L a d u n g s p a p i e r e kategorisieren lassen. Zu der ersten Gruppe gehören: 1. der M e ß b r i e f (certificate of measurement, certificat de jaugeage). Dieser wird über die amtliche Schiffsvermessung ausgefertigt zwecks Feststellung der Größe und Tragfähigkeit der Schiffe. Sie basiert auf den seit 1854 zuerst in England eingeführten Moorsom-Verfahren, das von den meisten seefahrenden Staaten übernommen worden ist. Dieses führte zu einer großen Reihe von Staatsverträgen zwecks gegenseitiger Anerkennung der Meßbriefe (aufgezählt bei Knitschky-Rudorff, Seegesetzgebung 1903). Besondere Vermessungsvorschriften sind von den einzelnen Staaten im Anschluß an die Beschlüsse der internationalen Kommission zur Regelung der Abgaben auf dem Suezkanal erlassen. Der Meßbrief dient hauptsächlich zur Festsetzung der Schifffahrtsabgaben wie auch zur Identifizierung der Schiffe, da er eine genaue Beschreibung des Schiffskörpers enthält. 2. Das S c h i f f s z e r t i f i k a t (certificate of registry, lettre de mer). Da die für Schiffe geltende Rechtsordnung voraussetzt, daß sie einen Heimatsstaat haben, so müssen sie in das Schiffsregister des zugehörigen Heimatstaates eingetragen sein. Die hierüber ausgestellte Urkunde heißt Schiffszertifikat, wodurch die Berechtigung zur Führung der Nationalflagge und die Staatszugehörigkeit der Schiffe nachgewiesen wird. Die Registrierung ist nach englischem Vorbilde in allen Seestaaten eingeführt. Das Schiffszertifikat kann durch einen amtlich ausgestellten Z e r t i f i k a t s a u s z u g ersetzt werden, namentlich üblich bei den Zoll- und Hafenbehörden des Auslandes. 3. Der B i e l b r i e f (builder's certificate, acte de construction) enthält eine amtliche Bescheinigung über den Bauort und Zeit, ferner Angaben über Konstruktion des Schiffes, den Erbauer, Eigentümer, Zweckbestimmung sowie über den Namen des Schiffes. 4. Das F l a g g e n a t t e s t (-zeugnis, -schein, provisional certificate, permis de navigation) ist ein Zertifikat, das von den Konsuln ausgestellt wird, wenn im Ausland ein Schiff Eigentum eines Angehörigen seines
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Landes wird, oder von der Registerbehörde bei der Überführung eines neuerbauten Schiffes in einen anderen Hafen. Zu der zweiten Kategorie sind zu rechnen: 1. Der S e e p a ß (-brief oder Schiffspatent, seabrief, sealetter, lettre de mer). Er ist eine Urkunde, durch die der Kapitän berechtigt wird, ein bestimmtes Schiff unter der Flagge des Staates zu führen, in dessen Namen die Ausfertigung geschieht. 2. D i e M u s t e r r o l I e (crew-list, röle d ' i q u i p a g e ) gilt als amtliche Urkunde nicht nur bezüglich der privatrechtlichen Verhältnisse zwischen der Schiffsbesatzung, sondern auch als Beweis für die Nationalität der zur Schiffsbesatzung gehörigen Personen. Sie enthält u. a. Namen und Nationalität des Schiffes, Namen und Wohnort des K a p i t ä n s und der sonstigen Besatzung wie deren dienstliche Stellung und die Bestimmungen des Heuervertrages. 3. Der G e s u n d h e i t s p a ß (bill or certificate of health, lettre, -passe-port, -certificat de santfi) ist ein von der Hafenbehörde des Abgangshafens ausgestelltes Attest über den dortigen Gesundheitszustand betr. ansteckender Krankheiten, beglaubigt von dem Konsul des Staates, zu dem der Bestimmungshafen gehört. 4. A t t e s t e über die An- und Abmeldungen beim staatszugehörigen Konsul. 5. Das S c h i f f s j o u r n a l (Tagebuch oder Logbuch, log-book, journal de bord) ist obligatorisch auf größeren Seeschiffen vom Kapitän bzw. Steuermann zu führen und gibt ein ausführliches Bild der ganzen Reise einschließlich aller wichtigen Ereignisse an Bord. 6. Das M a s c h i n e n j o u r n a l wird auf den Seedampfschiffen von dem leitenden Maschinisten geführt. Zu den Ladungspapieren zählen: 1. Die C h a r t e p a r t i e (charter-party, police d'affretement) ist eine Vertragsurkunde über die Befrachtung eines ganzen Schiffes oder eines Teiles desselben zwischen dem Eigentümer des Schiffes und dem Befrachter. 2. Das K o n n o s s e m e n t (bill of lading, connaissement, police de chargement) beurkundet, daß der Schiffer bestimmte Güter empfangen und sich verpflichtet hat, diese an einen bestimmten Empfänger auszuliefern. Es enthält den Namen des Schiffers, des Schiffes, des Abladers und des Empfängers, des Abgangs- und Bestimmungshafens usw. 3. Das M a n i f e s t (Ladebuch, manifest of cargo, freight-list, manifest, diclaration du chargement) wird auf Grund der einzelnen Konnossemente zusammengestellt und enthält ein Verzeichnis aller geladener Güter. Neben diesen Hauptpapieren können noch von Bedeutung sein u. a. die Zollklarierungsdokumente, die Fakturen und ähnliche Schriftstücke. E. Mewes. 31·
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Schiffsrecht —
Schleswig-Holstein
Schiffsrecht s. Nachtrag. Schiffsübertragung s. Nachtrag. Schlesien s. Nachtrag.
Schlesische Anleihenkontroverse. Während des Seekrieges von 1744/48 war die Ladung einer Anzahl neutraler, insbesondere preußischer Schiffe von England beschlagnahmt und durch Urteil des britischen Admiralitätsgerichts eingezogen worden, teils weil sie als Kriegskonterbande angesehen, teils weil ihre neutrale (preußische) Eigenschaft nicht als nachgewiesen erachtet wurde. Die von den betroffenen preußischen Staatsangehörigen bei ihrer Regierung erhobene Beschwerde wurde 1751 einer besonderen Kommission zur Prüfung überwiesen und von ihr für begründet erklärt. Als die englische Regierung die geforderte E n t schädigung trotzdem verweigerte, ergriff Friedrich II. im J a h r e 1752 die bereits vorher angedrohten Repressalien: er legte Beschlag auf Kapital und Zinsen der schlesischen Anleihe, welche Kaiser Karl V I . in den J a h r e n 1733/6 unter Verpfändung der Einkünfte Schlesiens von englischen Privatleuten aufgenommen, und deren Verzinsung und Tilgung Preußen beim Erwerbe Schlesiens übernommen h a t t e .
des angeblich geschädigten Neutralen dürfe nur in re minime dubia, bei offenbarer J u s t i z verweigerung oder Rechtsbeugung bzw. bei ernster, von der Staatsgewalt selbst anbefohlener oder unterstützter Verletzung Beschwerde erheben und zu Repressalien greifen. Daß Friedrich I I . zu Repressalien erst schritt, nachdem er den Fall durch eine Kommission sorgfältig hatte untersuchen lassen, kann ihm nicht zum Vorwurf gereichen. Wohl aber hätte er seine Untertanen zunächst auf E r schöpfung des Instanzenzuges vor den englischen Gerichten verweisen müssen, vorausgesetzt, daß die Kosten erschwinglich waren. Bestritten war endlich, ob Preußen, wenn Repressalien überhaupt s t a t t h a f t waren, zu dem Zwecke in das Privatvermögen britischer Untertanen eingreifen durfte. Selbst wenn man die Zulässigkeit solcher Eingriffe im allgemeinen anerkannte, so glaubte man mitunter, den Rechten aus Anleihen eine Sonderstellung einräumen zu müssen, weil der in sie eingreifende Schuldnerstaat das Vertrauen mißbrauche, durch welches er in den Besitz des Geldes gekommen sei. So V a t t e l . Dieses Argument konnte jedoch Friedrich II. nicht entgegengehalten werden. Der Streit wurde im J a h r e 1756 beigelegt: England zahlte 2 0 0 0 0 Pfund Sterling E n t schädigung, Preußen hob die Beschlagnahme auf und zahlte den Gläubigern Kapital und Zinsen aus. Vgl. Deklaration zum W e s t minstervertrage vom 16. I. 1756 [ W e n c k , Codex iuris gentium recentissimi III, 87]. Vgl. „Consolato del m a r e " , „ R e p r e s s a l i e n " , „ S e e k r i e g s r e c h t " und „Geschichte des Seekriegsrechts".
Dem Grundsatz des Consolato del mare entsprechend zog England die feindlichen Güter auf neutralem Schiffe ein und verlangte vom Reklamanten den Nachweis des neutralen Eigentums. Doch war diese Regel nicht allgemein anerkannt. Nach Preußens Ansicht sollte die Flagge die Ware decken, Literatur: weil dieser Grundsatz von England in Ver- Bonfils, Droit international public (3) § 980. trägen mit Frankreich und Holland anerkannt — Bulmerlncq und Geffcken, v. H o l t z e n sei, und weil das neutrale Schiff dem neud o r f f s Handbuch IV, 92/3, 97, 782. — tralen Gebiet gleichstehe. Den GebietsCalvo I V (4) § 1917. — Hall, International law (4) 260, 4 5 4 (Α. 1). — Hefftercharakter des Schiffes erkannte England Geffcken (8) § 111 (A. 5). — Ch. v. Marnicht a n ; die Verträge betrachtete es als tens, Causes celfebres du droit des gens I I , Ausnahme und als für das Verhältnis zu I f f . — Nys, Le droit international III, dritten Staaten nicht maßgebend. Ebenso 712/3. — Oppenheim, International law II lehnte es die Anwendbarkeit der Verträge (2) 4 4 , 557. — Pereis, Internationales a b , in welchen es dritten S t a a t e n gegenüber öffentliches Seerecht (2) 226/7, 3 0 3 (Α. 1). die Konterbandeartikel festgelegt hatte, — Phillimore, Commentaries I I I (3) 33. — während Preußen gleichmäßige Behandlung Vattel I I , 7 § 8 4 , I I , 18 § 344. — Wheaton, aller Neutralen und deshalb für sich die VorHistoire des progrfes du droit des gens I (4) teile dieser Verträge in Anspruch n a h m ; es 260/71. Heilborn. berief sich zudem auf übereinstimmende, mündliche Zusagen der englischen Minister. Preußens Bezugnahme auf das Gutachten Schleswig-Bestimmungen des Versailler Vertrages s. unter Versailler Frieden. der von Friedrich II.eingesetzten Kommission ließ England nicht gelten, erklärte vielmehr seine eigenen Prisengerichte für ausschließlich Schleswig-Holstein. zuständig zur Entscheidung über die Ansprüche Neutraler aus Aufbringung von Gestützt auf die holsteinische R i t t e r s c h a f t Schiffen und Waren. Auch der Heimatstaat und den gewaltigen Aufschwung des Deutsch-
Schleswig-Holstein turns in den Ostseeländern zur Hansezeit, haben die Schauenburger in zweihundertjährigem Kampfe das dänische Herzogtum Schleswig mit der deutschen Grafschaft Holstein verbunden. Als 1326 Gerhard der Große in der Constitutio Waldemariana den dänischen König zur Anerkennung des Grundsatzes zwang, daß nie ein Herr in Dänemark und Schleswig zusammen regieren solle, war ein wichtiger Schritt auf dem Wege zu diesem Ziele getan. Mit dem Vertrag von Nyborg 1386 war dann Schleswig in den erblichen Lehnsbesitz der Schauenburger übergegangen. Als sie 1459 ausstarben, übernahm die Ritterschaft ihr politisches Erbe, da ihr Interesse es verlangte, daß die schleswigsche Hälfte nicht von der holsteinschen getrennt wurde. Ihr Werk war die Wahl des ersten dänischen Königsaus dem Hause Oldenburg, Christians I., zum Herzog von Schleswig und Grafen von Holstein. Das Ripener Privileg vom 6. III. 1460 und seine „tapfere Verbesserung" vom 4. IV. 1460 wurden die Grundlagen für das künftige staatsrechtliche Verhältnis beider Länder zu Dänemark. Es ist eine Streitfrage, ob sie aus Schleswig und Holstein eine staatsrechtliche Einheit gemacht haben. Nach der Ansicht der Stände war dies der Fall, und der Wortlaut der Privilegien gab ihnen darin recht. Fürstlicherseits wurden die beiden Lande dennoch als ein reines Familienerbe angesehen, von dem jeder männliche Sproß einen Erbteil beanspruchen konnte, wenn er nicht anderweitig zufriedengestellt war. Im Laufe der Geschichte hat diese zweite Auffassung faktisch das Übergewicht bekommen, ohne allerdings die Ansicht der Stände zu verändern. Die Stände bekamen 1460 ein freies Wahlrecht: unter den Mitgliedern der königlichen Familie sollten sie ihren Herzog (Holstein wurde 1474 Herzogtum) wählen. Beide Länder behielten besondere Landesversammlungen, besondere Oberbeamte und besonderes Recht (Sachsenspiegel und Jütisches Gesetz). Zollpolitisch und münztechnisch bildeten sie eine von Dänemark gesonderte Einheit (Zollgrenze an der Königsau, lübsche Münze). Vertreter beider Länder bildeten einen Landesrat, der die gemeinsamen Interessen gegen die Krone schützen sollte. Eckstein der ständischen Rechte war das Steuerbewilligungsrecht. Erst im 19. Jahrh. traten die Worte der Privilegien in den Vordergrund, die besagten, daß die beiden Lande für ewig ungeteilt („up ewig ungedeelt") zusammenbleiben sollten.
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tischen Interessen Dänemarks hineingezogen wurde. Dazu mußten die Stände vor der zunehmenden Fürstenmacht schrittweise zurückweichen. Eine erste Landesteilung 1490, ein Kompromiß zwischen dem Wahlrecht der Stände und dem Gesamterbrecht des Hauses Oldenburg, hatte keine dauernden Folgen. Nach dem Sturze König Christians II. 1523 t r a t wiederum der Zustand von 1460 ein: Personalunion der Herzogtümer mit Dänemark. Noch einmal können die Stände ihre Rechte sogar erweitern. Für Schleswig wurde 1524 der Gerichtszug zum dänischen Reichsrat untersagt und damit noch ein wichtiges Band zerschnitten. Eine mächtige Verstärkung des Deutschtums in Schleswig brachte die Reformation. Deutsche Sprache drang seitdem in Kirche und Schule bis in den Norden des Landes vor. 1535 gewann Dänemark die Herzogtümer zu einem gegen Lübeck gerichteten „Unionsvertrage". Als auch Holland ihm beitrat, nahm Lübeck den ihm damit angesagten Kampf an und brach 1536 in der „Grafenfehde" für immer zusammen. Die Herzogtümer hatten sich selber ihres natürlichen Rückhalts gegen dänische Übergriffe beraubt. 1544 erfolgte gegen den heftigen Widerstand der Stände eine zweite Teilung der Herzogtümer, die dauernd blieb. Zuerst wurden drei, seit 1581 zwei Anteile gebildet, denen gleiche Gebiete in Schleswig und Holstein entsprechend den steuerlichen Einkünften zugeteilt wurden (königlich-Kopenhagener und herzoglich-Gottorper Anteil). Was seitdem an der Landesregierung noch ungeteilt blieb (der ständische Verwaltungsapparat, die oberste Gerichtsbarkeit und die allgemeine Landesgesetzgebung) war mehr oder minder eine staatsrechtliche Fiktion. In Wirklichkeit bestand Teilung. Dieser Schwächung der Herzogtümer folgte die Regelung ihrer Lehnsverhältnisse. 1548 stellte Kaiser Karl V. für Holstein und das diesem Lande zugesprochene Dithmarschen das Lehnsverhältnis wieder her, das infolge der peripheren Lage des Landes unklar geworden war. 1579 einigten sich unter Vermittlung deutscher Fürsten die schleswigholsteinschen Stände zu Odense mit Dänemark wenigstens teilweise über die staatsrechtliche Stellung Schleswigs. Schleswig sollte fortab in demselben Lehnsverhältnis zu Dänemark stehen wie Holstein zum Deutschen Reich. Es war fortab erbliches Lehen im Hause Oldenburg. Offen blieb dabei die Frage der Sukzession.
Trotz aller Sicherungen blieb die von den Hansestädten vorausgesehene Gefahr nicht Die Unterwerfung Dithmarschens 1559 aus, daß durch die Verbindung mit dem brach dem römischen Recht in den Herzogdänischen Königshaus Holstein mit Schleswig tümern Bahn, verschob jedoch zugleich das zusammen fortan immer mehr in die poli- Kräfteverhältnis gegenüber Dänemark zu
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Schleswig-Holstein
ihren Gunsten. Als 1564 die königliche Linie aus ihrem Anteil an Schleswig-Holstein jüngeren Mitgliedern des Königshauses Herrschaftsgebiete abgegeben hatte (Norburg, Sonderburg, Glücksburg, Plön) und von den Ständen für diese Fürsten die Huldigung, d. h. die Gleichberechtigung verlangte, lehnten die Stände diesen Anspruch mit Erfolg ab. Als „abgeteilte Herren" hatten sie keine politischen Regierungsrechte. Dennoch wurden sie lehnsrechtlich 1582 vom dänischen König hinsichtlich Schleswigs und 1590 vom deutschen Kaiser hinsichtlich Holsteins den beiden regierenden Linien gleichgestellt; sie waren somit voll erbberechtigt. Von diesen „abgeteilten Herren" bestanden im 19. Jahrh. nur noch die Linien Sonderburg-Augustenburg (Kaiserin Augusta Viktoria) und Sonderburg-Glücksburg (seit 1864 auf dem dänischen Thron), die seit 1761 als „jüngere königliche Linie" die nächsten Erben in dem Mannesstamm des dänischen Königshauses waren. Die Rivalität zwischen der kgl. und der hzgl. Linie und das Streben beider Linien nach Überwindung der ständischen Gerechtsame bestimmte die Entwicklung der Folgezeit. 1608 führte die hzgl. Linie auf dem Verordnungswege die Primogenitur ein. Die kgl. Linie folgte ihr 1650 durch eine in Übereinkunft mit den Ständen getroffene Bestimmung. Damit war das ständische Wahlrecht erloschen. Seit den Wirren des 30jährigen Krieges Schloß sich die Gottorper Linie der aufsteigenden schwedischen Macht an. Einer dynastischen Verbindung folgte die politische Kooperation. Nach dem Siege Karls X. von Schweden über Dänemark wurde 1658 im Frieden von Roskilde die dänische Lehnshoheit über den hzgl. Anteil in Schleswig aufgehoben. Im Kopenhagener Frieden von 1660 wurde die Souveränität des neuen Landes, das mit Dänemark im Unionsverhältnisse bleiben sollte, von den Mächten anerkannt. König Friedrich III. zog nun die Konsequenzen und hob auch für den kgl. Anteil von Schleswig das Lehnsverhältnis auf. Die Mißerfolge im Kampf gegen Schweden u n d Gottorp hatten die Stellung des dänischen Reichsrats und Adels sehr geschwächt. 1660 wurde in Dänemark die absolute Monarchie in einer Reinheit wie sonst nirgends in Europa begründet. Der absolute Staat gab sich hier 1665 in der „lex. regia" sogar eine Verfassungsurkunde. Sie gab u. a. der näheren weiblichen Linie das Erbrecht vor der weiteren männlichen Linie. Der Plan, das „Königsgesetz" auch auf den kgl. Anteil in den Herzogtümern zu übertragen, wurde von Schweden durchkreuzt. Immerhin bedeutete
diese Entwicklung in Dänemark eine Stärkung der Stellung des Königs auch in den Herzogtümern. Trennung der beiden Länder und enge Verknüpfung Schleswigs mit Dänemark ist seitdem bis über die Mitte des 19. Jahrh. hinaus das Ziel der dänischen Politik. Unter Nachahmung des französischen Vorgehens im Elsaß sucht der dänische König, den hzgl. Anteil und die Gebiete der abgeteilten Herren durch ,,Reunionen" einzuziehen. 1722 zog er das Gebiet der Norburger, 1761 das der Plöner, 1779 das der älteren Glücksburger Linie ein. Nach mehreren mißglückten Versuchen (1675 und 1684) gewann er nach dem Zusammenbruch Schwedens im Nordischen Krieg auch den hzgl. Anteil an Schleswig. 1720 wurde im Frieden von Frederiksberg unter englischfranzösischer Garantie dieser Teil vom dänischen König eingezogen. Die mit dieser Veränderung zusammenhängenden Ereignisse des Jahres 1721 sind für die Beurteilung der staatsrechtlichen Stellung Schleswigs in der Folgezeit von grundlegender Bedeutung geworden. Als die Stände das hzgl. Anteils dem neuen Herren den Huldigungseid leisten mußten, wurde ihnen eine Eidesformel vorgelegt, die eine doppelte Deutung zuließ. Die eine Deutung besagte, daß die Stände sich verpflichteten, als Herren in Schleswig die dänischen Könige anzuerkennen, die nach dem Königsgesetz in Dänemark folgen würden. Nach der anderen Deutung hätten sie die Gültigkeit des Königsgesetzes auch für Schleswig anerkannt. In diesem Fall wäre damals also der hzgl. Anteil an Schleswig in Dänemark (wie ebenso auch der kgl. Anteil) einverleibt worden. Im ersteren Falle wäre nur eine Einverleibung des hzgl. in den kgl. Anteil erfolgt, im übrigen die staatsrechtliche Stellung Schleswigs zu Dänemark aber nicht geändert worden. Diese Doppeldeutigkeit, gegen die die Stände hinterher eine salvierende Erklärung abgaben, hat der dänische König mit Rücksicht auf Rußland nicht in seinem Sinne zu beseitigen gewagt. So erklärt sich zu einem wesentlichen Teil der scharfe Gegensatz des schleswig-holsteinschen und des dänischen Rechtsstandpunktes in den Kämpfen des 19. J a h r h . Die tatsächliche Entwicklung hat dem schleswig-holsteinschen Standpunkt darin recht gegeben, daß 1721 die staatsrechtliche Stellung Schleswigs zu Dänemark nicht verändert worden ist. In dieser Auffassung haben sich die deutsche (Volquardsen) und die dänische (Erslev) Wissenschaft jetzt geeinigt, ohne daß allerdings der politische Kampf der Dänen dem bisher Rechnung getragen hat. Die Erbfolgefrage blieb 1721 unverändert, da die abgeteilten Herren nicht auf ihr Erb-
Schleswig-Holstein recht verzichteten. Da auch das ständische Steuerbewilligungsrecht nicht beseitigt wurde und die Ritterschaft wiederholt ihrer Ansicht Ausdruck gab, daß sie ihre Stellung nicht als durch das Königsgesetz ersetzt ansah (ihre Privilegien wurden nach wie vor bei jedem Thronwechsel bestätigt), ist SchleswigHolstein aus der Verfassungsform des dualistischen Ständestaats unmittelbar in die des konstitutionellen Verfassungsstaates des 19. Jahrh. hinübergeglitten. 1768 verzichtete Holstein gegen Geldentschädigung auf die letzten Hoheitsansprüche über Hamburg. 1773 gaben die auf den russischen Thron gekommenen Gottorper ihren hzgl. Anteil an Holstein in Tausch gegen die um das frühere Bistum Lübeck vermehrte Grafschaft Oldenburg-Delmenhorst. Dadurch wurde ganz SchleswigHolstein wieder in eine Hand gebracht und mutatis mutandis der Zustand von 1460 wiederhergestellt. Dänemark, Norwegen und SchleswigHolstein, durch die dänische Krone vereinigt, stehen seitdem mit im wesentlichen selbständiger Verwaltung nebeneinander im dänischen Gesamtstaat. Seiner Erhaltung dient die Politik des großen Bernstorff (gest. 1797). Gleichzeitig erlebte Dänemark seit der Hinrichtung des Ministers Struensee (1772) einen ersten Aufschwung nationalen Empfindens mit deutsch-feindlichem Einschlag. Das den Herzogtümern seit 1460 zustehende Indigenat wurde 1776 durch ein für alle Länder der dänischen Krone gemeinsames Indigenat ersetzt. Im gleichen Jahre wurde die dänische Flagge auch für Holstein vorgeschrieben, allen in Schleswig-Holstein beheimateten Schiffen die Führung der Bezeichnung „dänisches Eigentum" aufgezwungen u. a. Demgegenüber war das deutsche Nationalgefühl in den Herzogtümern noch nicht erwacht. Nach der Auflösung des Deutschen Reiches 1805, die Holstein zum souveränen Fürstentum machte, verkündete der dänische König 1806, daß Holstein fortab ein „ungetrennter" Teil (die Fassung „unzertrennlicher" Teil scheiterte am Einspruch der Augustenburger Linie, die ihre Erbrechte nicht verkümmern lassen wollte) der dänischen Monarchie sei. Mit Napoleon brach auch das mit ihm engverbundene Dänemark zusammen. Der Kieler Friede nahm ihm 1814 Norwegen und Helgoland, gab ihm Vorpommern und Rügen. Ein Jahr später trat es beides gegen Lauenburg an Preußen ab. Diese Veränderungen bedeuteten eine völlige Verschiebung des Kräfteverhältnisses der deutschen und dänischen Bevölkerung im Gesamtstaat zueinander (2: 3). Die finanziellen Nöte ver-
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anlaßten die dänische Regierung zu wiederholten Verletzungen der steuerlichen und münztechnischen Sonderrechte der Herzogtümer (1812 Raub der Altonaer Bank). Trotzdem mußte der dänische Staat 1813 den Staatsbankrott erklären. Um aus ihm herauszukommen, zog er die wohlhabenden Herzogtümer in rücksichtsloser Einseitigkeit zugunsten des Königreichs heran. In der Abwehr dieser Übergriffe erhielt die alte, ruhende ständische Verfassung neue Antriebe. Beim Steuerbewilligungsrecht nimmt die Ritterschaft den jetzt volkstümlich werdenden Kampf wieder auf. Ihr Sekretär und Wortführer war seit 1815 F. C. Dahlmann. Neben ihm wirkte besonders der Staatsrechtslehrer N. Falck, ein Nordschleswiger. 1822 brachte die Ritterschaft, wenn auch ohne Erfolg, die Frage vor den Frankfurter Bundestag und damit zum ersten Male vor das deutsche Forum. Gleichzeitig wirkten der Aufschwung des nationalen Gedankens in Deutschland und der Art. 13 der Wiener Schlußakte (ständische Vertretungen) nach Schleswig-Holstein hinein. Dennoch ist diese erste Phase des neuen Kampfes (1815—1830) als nationale Bewegung gescheitert. Erst die Julirevolution 1830 gab dem nationalen Gedanken die Spannkraft zur Sprengung der überlieferten staatsrechtlichen Formen. In den Herzogtümern gab der großdeutsch denkende Nordfriese U. J . Lornsen im November 1830 das Signal zu einem neuen Abschnitt des Kampfes (1830—1848). Er forderte umfassende Verwaltungsreformen mit dem Ziele völliger Trennung der Herzogtümer von Dänemark (reine Personalunion). Persönlich scheiterte er, weil er der Zeit zu weit vorausgeeilt war. Sachlich sah sich die dänische Regierung aber durch sein Auftreten veranlaßt, 1834 gesonderte landständische Vertretungen für Schleswig, Holstein, J u t land und die dänischen Inseln einzuführen. Wurde so Schleswig-Holstein in der Ständefrage noch weiterhin zerrissen, so mußte seine Einheit erneut bekräftigt werden, als man im gleichen Jahre an die Verwaltungsreform ging. Rechtsprechung und Verwaltung wurden in der oberen Instanz getrennt und ein für beide Herzogtümer gemeinsames Oberappellationsgericht in Kiel geschaffen. Gleichzeitig wurde eine gemeinsame schleswig-holsteinische „Regierung" mit dem Sitz in Schleswig geschaffen, die sich als mittlere Instanz zwischen die deutsche Kanzlei in Kopenhagen und die lokalen Behörden schob. In dieser Zeit entwickelte sich die „schleswig-holsteinische Bewegung" als politische Partei mit den Zielen: Zusammenschluß der Herzogtümer, reine Personalunion mit Dänemark.
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Schleswig-Holstein
Gleichzeitig erlebte in Dänemark der nationale Gedanke einen starken Aufschwung und suchte sich Nordschleswig als Kampffeld aus. Von Kopenhagen aus dauernd geistig und materiell gespeist, suchte eine hastige dänische Agitation hier das natürliche Erwachen der plattdänisch sprechenden Bevölkerung zu deutschem Nationalgefühl, das im mittleren Teil des Landes schon erfolgt war, durch eine laute „Erweckung" zu durchkreuzen. 1838 forderten die schleswigschen Stände einmütig ihre Vereinigung mit den holsteinischen Ständen. 1847 konnte die reichsdänische Agitation in Nordschleswig als gescheitert gelten. Die dänische Partei im Lande erklärte sich gegen eine Einverleibung in Dänemark, überhaupt gegen eine Veränderung der staatsrechtlichen Stellung Schleswigs. Dennoch verkündete der dänische König 1846 im „Offenen Brief" die Absicht, Schleswig und Holstein zu zerreißen und Schleswig fester an Dänemark heranzuziehen. In Schleswig und Lauenburg gelte das dänische Königsgesetz von 1665, während die Stellung Holsteins eine andere sei. Das bedeutete den entscheidenden Bruch der dänischen Regierung mit der schleswig-holsteinischen Bewegung und den des dänischen Königshauses mit der „jüngeren kgl. Linie", dem Hause Sonderburg. Die dänischen Könige hatten die ganze Kraft seit Jahrhunderten eingesetzt, um die Ansprüche des Hauses Gottorp niederzuringen. Den politisch ohnmächtigen „abgeteilten Herren" hatten sie keine besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Ganz unvorhergesehen fanden diese jetzt einen mächtigen Rückhalt an der schleswigholsteinischen Bewegung, die ihre dynastischen Ansprüche aufnahm, da diese ohne weiteres zur völligen Trennung der Herzogtümer von Dänemark führen mußten, wenn die ältere kgl. Linie ausstarb. Die „Verwahrungsakte" der holsteinischen Stände formulierte die drei Fundamentalsätze der schleswig-holsteinischen Bewegung: 1. Schleswig und Holstein sind selbständige Staaten, 2. sie sind untrennbar miteinander verbunden, 3. in ihnen herrscht der Mannesstamm. Mit dieser staatsrechtlichen Frage verstrickte sich nun immer mehr die nationale Frage in Nordschleswig. Daß sie in ihrer endlichen Auswirkung zu einer nationalen Teilung Schleswigs führen würde, hatte als erster schon Lornsen erkannt (1832). 1842 hatte der Führer der schleswig-holsteinischen Bewegung, Beseler, in der schleswigschen Ständeversammlung diesem Gedanken eine praktische Form gegeben, als er beantragte, das Amt Hadersleben gegen die reichs-
dänischen Enklaven in Schleswig-Holstein auszutauschen (Teile Nordfrieslands) und so die nationale Frage zu lösen. Dieser nationale Teilungsgedanke war dabei auf schleswigholsteinischer Seite von der Erkenntnis begleitet, daß er durch ein beiderseitiges Minderheitenrecht ergänzt werden müsse ( F a l c k 1816, O l s h a u s e n 1839). Im Januar 1848 bestieg Friedrich VIII. den dänischen Thron, der letzte aus dem Mannesstamm der kgl. Linie. Eine Erhaltung des dänischen Gesamtstaats durch Verständigung mit den Augustenburgern lehnte der König aus dynastischen Vorurteilen ab. Als er sich vielmehr anschickte, das Programm des „offenen Briefes" durchzuführen, traten unter dem Eindruck der Pariser Februarrevolution die Stände Schleswigs und Holsteins zu gemeinsamer, privater Tagung am 18. III. 1848 in Rendsburg zusammen und beschlossen die Übersendung eines Ultimatums an den dänischen König, Sie forderten die sofortige Vereinigung der Ständeversammlungen beider Länder, die Aufnahme Schleswigs in den Deutschen Bund und demokratische Freiheiten. Dafür bot man zur Lösung der nationalen Frage eine kirchspielsweise Abstimmung in Nordschleswig an. Als die Abgesandten mit diesem Programm in Kopenhagen erschienen, hatte hier die Revolution den König zur Einführung des parlamentarischen Systems und zur Berufung eines eiderdänischen Ministeriums gezwungen. Sie stießen daher auf glatte Ablehnung. Die Trennung Schleswigs von Holstein und seine Einverleibung in Dänemark sollten nunmehr erfolgen. Im Geiste des altgermanischen Widerstandsrechts gegen den rechtsbrüchigen Fürsten nahm die Bevölkerung der Herzogtümer einmütig den Kampf an. Die alte Opposition gegen den Fürsten drängte dabei auch den Adel auf die Seite der Volksbewegung. Am 24. III. übernahm eine „Provisorische Regierung" die Regierung, bis der König-Herzog wieder in das alte Rechtsverhältnis zurückgekehrt sei. Gleichzeitig erklärte sie den Anschluß SchleswigHolsteins an die deutsche Einheits- und Freiheitsbewegung. Dieses eigentümliche Kompromiß von Legitimität und Revolution hat auf die Dauer die Schwungkraft der schleswig-holsteinischen Erhebung gelähmt. In der nationalen Frage erneuerte die Provisorische Regierung am 28. III. die Zusage einer Volksabstimmung unter ausdrücklicher Billigung der Stände. Nach dreijährigem offenem Kampf endete die Erhebung 1851 infolge des Fehlschlagens der deutschen Einheits- und Freiheitsbewegung. Die Herzogtümer wurden durch
Schleswig-Holstein Preußen-Österreich entwaffnet und gegen einige dänische Zusicherungen hinsichtlich des Schutzes der deutschen Bevölkerung an Dänemark ausgeliefert. Schleswig und Holstein wurden völlig getrennt und die alte Zollgrenze von der Königsau an die Eider verlegt. Durch Gewalt suchte Dänemark jetzt, das deutsche Element in Schleswig zu unterdrücken. Der Erfolg war mehr als negativ. Mittelschleswig ging von plattdänischer zu plattdeutscher Umgangssprache über. Eine Gesamtstaatsverfassung von 1855 kam einer Einverleibung Schleswigs in Dänemark sehr nahe. Die Erbfolgefrage wurde im L o n d o n e r P r o t o k o l l vom 8. V. 1852 ohne Beitritt des Deutschen Bundes dahin geregelt, daß der Prinz Christian aus dem Hause Glücksburg auf Grund kognatischer Erbfolge als Thronfolger im dänischen Gesamtstaat von allen Großmächten und Schweden anerkannt wurde. Ein Verzicht des Augustenburgers wurde von Dänemark nicht eingeholt, da es seine Erbansprüche nicht anerkannte, würde auch nur zur Folge gehabt haben, daß die Häuser Oldenburg und Gottorp ihrerseits Ansprüche angemeldet hätten. Durch eine Erklärung vom 30. X I I . 1852 verpflichtete sich Herzog Christian August jedoch gegen die Abmachungen des Londoner Protokolls, keinen Einspruch zu erheben, ohne aber dadurch seinen ältesten, mündigen Sohn Friedrich zu binden. Nach dem Tode Friedrichs VIII. bestieg am 16. II. 1863 der „Protokollprinz" als Christian IX. den dänischen Thron. Am gleichen Tage erklärte Friedrich von Augustenburg, daß er auf Grund seines agnatischen Erbrechts die Herrschaft in den Herzogtümern übernehme. Mitten in diesen Wechsel fiel die Entscheidung über eine neue dänische Verfassung, die den Gesamtstaatsgedanken mit Rücksicht auf Holstein endgültig fallen ließ, für Holstein eine eigene Verfassung, für Schleswig jedoch die Einverleibung in Dänemark in Aussicht stellte. Die Unterzeichnung dieser Verfassung am 18. XI. bedeutete den Bruch der Preußen und Österreich 1851/52 gegebenen Zusicherungen. Da Dänemark die Aufhebung dieser Verfassung ablehnte, erklärten die beiden deutschen Großmächte den Krieg. Nach der Erstürmung der Düppeler Schanzen suchte im April 1864die L o n d o n e r K o n f e r e n z durch eine nationale Teilung Schleswigs die Streitfrage zu lösen. Da Dänemark einer solchen Entscheidung auch jetzt noch widerstrebte und eine von Preußen vorgeschlagene Linie nördlich Flensburg— nördlich Tondern (Bernstorfflinie) ablehnte, auch nicht auf den deutschen Vorschlag eines selbständigen Staates Schleswig-Holstein
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unter dem Augustenburger einging, hatte die Konferenz kein praktisches Ergebnis. Die deutschen Mächte hatten fortan freie Hand für die Zukunft. Nach dem Übergang nach Alsen erfolgte am 30. XI. 1864 der W i e n e r F r i e d e . Dänemark trat die Herzogtümer mit Lauenburg an Preußen und Österreich ab. Das nun folgende Kondominat führte zu scharfen Gegensätzen, da Österreich im Einklang mit der Stimmung des Landes den Augustenburger begünstigte, Bismarck hingegen die Annektion der Herzogtümer durch Preußen erstrebte. Am 14. VIII. 1865 kam es im V e r t r a g v o n G a s t e i n noch einmal zu einem Kompromiß. Er teilte die provisorische Verwaltung unbeschadet des gemeinsamen Eigentumsrechts so, daß Schleswig unter Preußen, Holstein unter Österreich kamen, der Kieler Hafen und die Festung Rendsburg gemeinsam blieben und Lauenburg gegen Geld an Preußen abgetreten wurde. Fast gleichzeitig (1. IX. 1865) erklärten die preußischen Kronjuristen unter Ablehnung oldenburgischer Erbschaftsansprüche auf Schleswig-Holstein sich auch gegen die Rechte der Augustenburger, weil ihr Verhalten ein Verstoß gegen die Erklärung vom 30. X I I . 1852 sei. Angesichts dieser Entwicklung suchte Dänemark-noch einmal, durch eine aktive Politik die letzten Chancen auszunützen. Auf Betreiben der französischen Regierung machte es im Frühjahr 1866 Preußen ein geheimes Bündnisangebot für den Fall des erwarteten Waffenganges mit Österreich. Es hoffte, so einen erheblichen Teil Schleswigs wiederzugewinnen. Die Besprechungen zwischen Bismarck und Baron Plessen (23. IV. und 8. V.) verliefen jedoch ergebnislos, da Dänemark zu wenig zu bieten hatte. Der preußisch-österreichische Krieg endete am 29. VIII. 1866mit dem P r a g e r F r i e d e n . Österreich übertrug seine Rechte an den Herzogtümern mit der Einschränkung des § 5 (Volksabstimmung in Nordschleswig) auf Preußen. Am 12. I. 1867 wurden die Herzogtümer von Preußen annektiert. Damit hatte der staatsrechtliche Streit zwischen Schleswig-Holstein und Dänemark eine unerwartete Lösung gefunden. Bestehen blieb jedoch die nationale Frage in Nordschleswig, die durch den § 5 neue Antriebe erhalten hatte. Nachdem preußisch-dänische Verhandlungen über seine Ausführung in den Jahren 1867/68 ergebnislos verlaufen waren, wurde er im W i e n e r V e r t r a g vom 11. X. 1878 von den beiden beteiligten Kontrahenten Preußen und Österreich aufgehoben. War damit auch der dänischen Bewegung die rechtliche Grundlage entzogen, so gewann sie dennoch an Geschlossenheit und
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Nachdruck, seitdem Preußen durch eine scharfe Grenzpolitik sie gewalttätig zu u n t e r drücken suchte. Höhepunkte dieser Politik waren der Spracherlaß vom 18. X I I . 1888 und die Zeit des Oberpräsidenten Koller 1897—1901. Der deutsch-dänische Optantenvertrag vom 11. I. 1907 regelte zwar teilweise die durch den § 5 überaus verwirrten Staatszugehörigkeitsverhältnisse (die Stellung der „ S t a a t s h e i m a t l o s e n " , d. s. Optantenkinder, blieb unentschieden), brachte jedoch der dänischen Bewegung eine unvermeidliche Verstärkung. Das Ergebnis des nationalen Kampfes von 1864—1914 war der endgültige Verlust Mittelschleswigs mit Flensburg f ü r das D ä n e n t u m . Dafür wurde dieses nördlich der Linie Tondern—Flensburg k o m p a k t e r , als es je zuvor in den Zeiten der Verbindung mit Dänemark gewesen war.
Programm fordert die Revision der Grenzentscheidung von 1920 durch eine gerechte Durchführung des nationalen Selbstbestimmungsrechts und die Schaffung eines gesetzlichen Minderheitenschutzes, den Dänemark wie schon 1867/68 so auch 1920/21 beharrlich abgelehnt hat. Literatur: A. D e u t s c h e : I. Katalog der s.-h. Landesbibliothek, 2 Bde., Schleswig 1896—1907. — 2. Zeitschrift für s.-h. Geschichte, Bd. I f f . , Kiel 1870ff. — 3. R. Hansen, Kurze s.-h. Landesgeschichte, 1912. — 4. A. Springer, Dahlmann, 2 Bde., Leipzig 1870—72. — 5. H. Christlern, Dahlmanns politische Entwicklung bis 1848, Leipzig 1921. — 6. V. Pauls, Die Ereignisse des J a h r e s 1721; Heimat, Nov. 1921, Kiel. — 7. K. Jansen, Lornsen, Kiel 1872. — 8. H. Hagenah, Revolution u n d Legitimität in der Erhebung S.-H., Kiel 1916, in Quellen und Forschungen der Gesellschaft f ü r s.-h. Gesch., Bd. 9. — 9. J . Brock, Die Vorgeschichte der Erhebung S.-H's. Göttingen 1916. — 10. K. J a n s e n und K. Samwer, S.-H's Befreiung, Wiesbaden 1897. — II. P. Ingwersen, Der § 5 des Prager Friedens, Flensburg 1919. — 12. A. Köster, Der Kampf u m Schleswig, Berlin 1921. — 13. E. Thorn, Die erste Teilung S., H a m b u r g 1921. — 14. J . TIedje, Denkschrift über die s. Frage, Drucksache Nr. 43 der Geschäftsstelle f ü r die Friedensverhandlungen. Vertraulich. — 15. Derselbe, Die deutsche Note über S., Berlin 1920. — 16. S.-H. J a h r b u c h ( K u n s t kalender), herausgeg. von E. Sauermann, Hamburg, 1920—22. — 17. N. Falck, Sammlung der wichtigsten Urkunden, welche auf das Staatsrecht der Herzogtümer S. und H . Bezug haben. Kiel 1847.
Der Zusammenbruch Deutschlands im Herbst 1918 brachte die nordschleswigsche Frage erneut auf die Tagesordnung. Auf Grund des Versailler Diktates f a n d am 10. II. 1920 in der ersten Zone (Nordschleswig) und am 14. III. 1920 in der zweiten Zone (Mittelschleswig) eine Volksabstimmung s t a t t . Trotz feindlicher Besetzung des Abstimmungsgebiets, t r o t z des starken psychologischen Druckes, den die Gesamtabstimm u n g in der ersten Zone auf die Deutschen ausüben m u ß t e und trotz der Wahlrechtsbeschränkungen, die einseitig zugunsten der Dänen wirkten, wurden in Nordschleswig 25329 Stimmen f ü r Deutschland und 75431 f ü r Dänemark abgegeben. In dem gemeindeweise abstimmenden Mittelschleswig war das Ergebnis: 51303 f ü r Deutschland, 12859 f ü r Dänemark. Trotz zusammenhängender deutscher Mehrheiten im Südteil der ersten Zone (der „ T i e d j e g ü r t e l " mit Tondern, Hoyer und B. D ä n i s c h e : I. F. von Jessen, H a a n d b o g i det nordslesvigske Spörgsmaals Historie, Tingleff zeigte 6735 Deutsche gegen 5658 Kopenhagen 1901. Franz. Ausgabe: Dänen) wurde der deutsche Grenzvorschlag Manuel historique de la question du Slesvig. der „Tiedjelinie", der unter Berücksichtigung — 2. Steenstrup und andere, D a n m a r k der wirtschaftlichen Lebensnotwendigkeiten Riges Historie. 6 Bde., Kopenhagen. — Flensburgs beiden Seiten gleiche nationale — 3. H. Begtrup, Danmarks Historie i det Minderheiten zuwies, nicht beachtet. Noch 19. Aarhundrede, 2 Bde., Kopenhagen über die Südgrenze der ersten Zone (die 1920. — 4. H. P. Hanssen u. a . : Sönderjydske Aarböger, Flensburg 1889ff. — „Clausenlinie") hinaus wurden kleinere Teile 1889ff. — 5. M. Mackeprang, Nordschlesder zweiten Zone nördlich Flensburgs trotz wig 1864—1911, J e n a 1912. — 6 . K. Erslev, deutscher Mehrheiten Dänemark zugeAugustenbergernes Arvekrav, Kopenhagen, sprochen. Am 5. VII. 1920 wurde Dänemark 1915. — 7. A. Frils, Die Aufhebung des in Paris von den Alliierten die Souveränität § 5 des Prager Friedens, Histor. Zeitschr., über das so erworbene Gebiet übertragen. Bd. 125. — 8. Derselbe, Den danske Regering og Nordslesvigs Genforening med Eine Beruhigung des nationalen Kampfes D a n m a r k , Bd. 1, Kopenhagen 1921. — ist durch diese Entscheidung nicht erreicht — 9. Derselbe, Det nordslesvigske Spörgsworden. Das Kampfgelände hat sich infolge maal 1864—79, Bd. 1, Kopenhagen 1921. — einer verstärkten dänischen Agitation seit10. Zu Nr. 8 und 9 die Besprechung von dem auf ganz Schleswig ausgedehnt. Im V. Pauls, Gotting, gelehrte Anzeigen 1922, dänischen Folketing vertritt Pastor Dr. Nr. 10—12. — II. P. Lauridsen, Da SönderSchmidt-Wodder die Interessen der deutschen jylland vaagnede, 8 Bde., Kopenhagen Minderheit Nordschleswigs. Ihr politisches 1909—21. — 12. Le Sage de Fontenay,
Schleswig-Holstein — Schnaebile-Affäre Det nordslesvigske Spörgsmaals diplomatiske Historie, Kopenhagen 1914—20. Amtl. Darstellung, Kopenhagen 1922. — 13. P. Christensen, Slesvig delt, Flensburg 1922. — 14. Zu Nr. 11—13 die Besprechung von K. Alnor, Zeitschrift für s.-h. Gesch., Bd. 52, Kiel 1923. Alnor.
Schließung von Meeresteilen s. Meer. Schmuggel S. Nachtrag.
Schnaeb£l£-Affäre. Der an der s. Z. französisch-deutschen Grenze zu Pagny stationierte französische Polizeikommissar Schnaebile hatte sich nachweislich an einem Landesverrat, begangen im Gebiete des Deutschen Reiches, beteiligt, wegen dessen gegen die Reichsangehörigen Klein und Genossen ein Prozeß beim Reichsgericht schwebte. Der mit der Untersuchung betraute Landrichter zu Straßburg i. E. ordnete daher am 8. III. 1887 an, es solle auf Schnaeb£16 gefahndet und dieser im Betretungsfalle verhaftet werden. Am 20. IV. 1887 wurde daraufhin Schnaeb61e, der vom deutschen Polizeikommissar Gautsch zu einer Besprechung an der Grenze eingeladen war, durch den Polizeikommissar v. Tausch auf deutschem Gebiete verhaftet und in das Untersuchungsgefängnis zu Metz eingeliefert. Die französische Regierung verlangte jedoch die Freilassung Schnaeb616s, und am 29. IV. wurde diese auch vom Untersuchungsrichter auf höhere Weisung hin verfügt. In der Note des Reichskanzlers an den französischen Botschafter vom 28. IV. 1887 [Staatsarchiv X L V I I I , S. 328ff.; F l e i s c h m a n n , Völkerrechtsquellen Nr. 55] hießt es, der Reichskanzler habe den Befehl zur Freilassung Schnaebilis von dem Kaiser erbeten, indem er „von der v ö l k e r r e c h t l i c h e n A u f f a s s u n g geleitet worden, daß G r e n z ü b e r s c h r e i t u n g e n , welche a u f G r u n d d i e n s t licher V e r a b r e d u n g e n zwischen Bea m t e n b e n a c h b a r t e r S t a a t e n erfolgen, j e d e r z e i t als unter der s t i l l s c h w e i g e n d e n Z u s i c h e r u n g f r e i e n G e l e i t e s stehend anzusehen seien", und der Kaiser habe „dahin zu entscheiden geruht, daß in B e t r a c h t d e r v ö l k e r r e c h t l i c h e n M o t i v e , welche für unbedingte Sicherstellung internationaler Verhandlungen sprechen, der p. Schnaebέlέ trotz seiner Festnahme auf deutschem Gebiet und trotz der gegen ihn vorliegenden Schuldbeweise in Freiheit zu setzen sei". — Der Fall bot seinerzeit der Juristischen Kritik zwei Seiten. Sie hat sich einmal mit der Frage beschäftigt, ob die Aufhebung des Haftbefehls auf Anweisung
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des Kaisers vereinbar war mit den reichsrechtlich anerkannten Grundsätzen über die Unabhängigkeit der Strafrechtspflege von der Exekutive (vgl. bes. v. H o l t z e n d o r f f , Deutsche Revue, 13. Jahrg. II S. 63f. und Rivue de droit internat. et 16gislatif con p a r i X X S. 220 und dazu T r i e p e l , Völkerrecht und Landesrecht S. 31 Iff.), und sodann mit der Motivierung des Antrags des Reichskanzlers wie der Entschließung des Kaisers aus völkerrechtlichen Gesichtspunkten. Hier kommt nur diese in Betracht. Sie beruht auf dem für die Fortbildung des internationalen Verkehrsrechts höchst bedeutsamen Gedanken, daß im Grenzverkehr benachbarter Staaten den Beamten des einen Staates die im anderen amtlich tätig sind, unter bestimmten Voraussetzungen eine gewisse Exemtion von der Territorialgewalt dieses zukommt. Die Entwicklung und Anerkennung dieses Prinzips hängt zusammen mit der tatsächlichen Ausgestaltung des zwischenstaatlichen Verkehrs. Früher wurde dieser, soweit im Auslande selbst tätige Funktionäre der Staaten in Betracht kamen, nur oder fast doch ausschließlich durch die diplomatischen Vertreter derStaaten (die Botschafter, Gesandten) besorgt, die nach uraltem Gewohnheitsrechtssatz das Recht der Exterritorialität genießen, das ihnen eine ungestörte Wahrnehmung ihrer amtlichen Funktionen sichert. In neuerer Zeit hat nun die Belebung des zwischenstaatlichen Verkehrs dazu geführt, daß auch andere, nicht diplomatische Agenten der Staaten zu amtlicher Tätigkeit im Auslande berufen und zugelassen werden. Dahin gehören die Mitglieder von internationalen Kommissionen, die Delegierten zu internationalen Konferenzen, Kommissare, die zur Teilnahme an Grenzregulierungen, zur Wahrnehmung der Interessen ihres Staates auf internationalen Ausstellungen entsandt werden, und vor allem eine Reihe im Grenzdienste angestellter Beamte, die nicht nur wie die oben erwähnten Funktionäre in Erledigung eines einzelnen Amtsauftrages, sondern dauernd in die Lage kommen können, fremdes Staatsgebiet in amtlicher Eigenschaft betreten zu müssen, so die Eisenbahnbeamten, welche den Zug über die Grenze führen, der Exekutivbeamte, welcher den auszuliefernden Verbrecher dem Exekutivbeamten des Nachbarstaates übergibt, der Zollbeamte, Polizeibeamte usw., der behufs mündlicher Besprechung einer Dienstangelegenheit mit einemBeamten des Nachbarstaates zusammen kommt. Alle diese Funktionäre genießen in dem fremden Staat, dessen Gebiet sie in dienstlicher Verrichtung betreten, nach geltendem Völkerrecht nicht das Privileg der Exterri-
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SchnaebiI6-Affäre — Schutzrecht der Christen im Orient
torialität. Es liegt aber auf der Hand, daß sie, solange sie sich in Verrichtung von Dienstgeschäften im fremden S t a a t e aufhalten, wenigstens gegen einen Zugriff der fremden Staatsgewalt gesichert sein müssen. Wenn sie „der Gefahr ausgesetzt wären, auf Grund von Ansprüchen, welche die Gerichte des Nachbarstaates an sie machen, verhaftet zu werden, so würde in der dadurch für sie gebotenen Vorsicht eine Erschwerung der laufenden Grenzgeschäfte liegen, welche mit dem Geiste und den Traditionen der heutigen internationalen Beziehungen nicht im E i n klang s t e h t " (aus der oben erwähnten Note). Diese Überlegung hat den deutschen Reichskanzler im Fall Schnaeb616 zu der Schlußfolgerung geführt, daß geschäftliche Zusammenkünfte von Grenzbeamten „jederzeit als unter dem Schutze gegenseitig zugesicherten freien Geleites stehend gedacht werden s o l l t e n " und ihm die Freilassung des auf deutschem Gebiet wegen in diesem begangenen Verbrechens verhafteten französischen Polizeibeamten völkerrechtlich begründet erscheinen lassen. Für das Völkerrecht aber hat die Note vom 28. IV. 1887 deshalb eine bleibende Bedeutung, weil in ihr ein Prinzip zum ersten Male ausdrücklich anerkannt und als Rechtsatz formuliert ist, das in der Praxis zweifellos seit langem latent war. Auf diese Note wird daher auch in der neueren völkerrechtlichen Literatur regelmäßig hingewiesen, wenn in ihr als gewohnheitsrechtliche Norm des Völkerrechts der umfassendere, nicht nur die geschäftlichen Zusammenkünfte der Grenzbeamten deckende Satz aufgestellt wird, daß Funktionäre eines Staates, die mit Zustimmung eines anderen Staates in das Gebiet dieses zur Verrichtung einzelner Amtsgeschäfte kommen, während ihres amtlichen Aufenthaltes im Empfangsstaate freies Geleit (sauf-conduit, sauf-garde), d. h. Unverletzlichkeit ihrer Person und ihrer Papiere genießen.
Die Schiffseigner erhoben Klage gegen den Kapitän des Schleppers und dessen E i g e n tümer, den belgischen S t a a t . Die Beklagten haben die Unzuständigkeit des Gerichtes geltend gemacht, und zwar nicht nur, soweit der zweite, sondern auch soweit der erste Beklagte in Frage komme, da dieser als Kapitän im Staatsdienst mit der Führung des dem S t a a t e gehörenden Schiffes beauftragt gewesen sei. I I . Das Gericht zu Dordrecht hat die E x t e r r i t o r i a l i t ä t auch des jure gestionis auftretenden Schiffes im Staatseigentum b e j a h t : ,, . . . aprfes que l ' f i t a t beige, dans sa souver a i n e t i , a fait rentrer dans Ie cercle de ses attributions politiques, l'exploitation d'un service public de remorquage, la respons a b l e r6sultant des actes de cette exploiatation, accomplis en territoire n6erlandais, ne peut 6tre soumise ä l'appriciation du juge neerlandais . . . " Hinsichtlich des ersten B e klagten wurde, die Zuständigkeit b e j a h t : „ . . . s'il est possible de considörer le premier defendeur, dans le prisent cas, comme fonctionnaire, cette qualit£ ne Ie place pas encore, suivant le droit des gens, dans le m€me position que l ' ß t a t dont il est le fonctionnaire; qu'en effet, dans les relations internationales, un 6tranger n'est ordinairement plac6 dans la position de l ' f i t a t auquel il appartient que s'il peut gtre c o n s i d e r comme le reprisentant de cet fitat", wobei es sich auch hier um eine Fiktion handele, die nur einen Akt der internationalen Courtoisie darstelle. I I I . Sieht man von der Entgleisung a b , wonach die angebliche „ F i k t i o n " der E x territorialität der Staatsrepräsentanten nur Courtoisie sei (denn dann bestände j a keine R e c h t s p f l i c h t ! ! ) , so ist dem Urteil beizutreten. IV. Siehe „ S t a a t s s c h i f f e " , „ I c e K i n g " , „West-Chatala". Literatur : Van Slooten, Bulletin de Γ Institut International I n t e r m e d i a t e X , 1924, S. 5 — 1 0 . Strupp.
Literatur: Stoerk, Die staats- u. völkerrechtlichen Verhältnisse des Rechtsfalles Schnäbele (Vortrag, geh. am 14. V. 1887 in Greifswald, Schutz, völkerrechtl. im Auslande s. innicht im Handel). — Derselbe in H o l t z e n digenat, völkerrechtliches. d o r f f s Hdb. II S. 663, 669. — Llszt, (10) Schutzgenossen s. Fremdenrecht. S. 125. — Triepel a. a. 0 . S. 388. — OppenS c h u t z h e r r s c h a f t s. P r o t e k t o r a t e , völkerheim (2) I S. 5 1 1 . v. S c h o e n . rechtliche.
Schuddinek-Fall.
Schutzrecht der Christen im Orient.
(in Übersetzung im Bulletin de Γ Institut Von einem solchen, j a von „ P r o t e k t o r a t " International Intermidiaire X [1924], 2 f f . ) wird fast ausschließlich in der französischen I. Am 11. V. 1922 wurde das holländische Wissenschaft gesprochen. Ein solches SchutzSchiff „Hendrika I I " bei Dordrecht von dem recht hat Frankreich lange in Anspruch geSchlepper „Angleur Τ . Ε . I 3 8 1 " gerammt. nommen. Es scheint sogar tief in der fran-
Schutzrecht der Christen im Orient zösischen Denkweise begründet, wie die phantastische Schrift Pierre D u b o i s ' De recuperatione terre sancte dartut (Titel der Schrift s. im Art. Palästina). Frankreich hat 1528 zuerst mit dem Sultan diplomatische Beziehungen angeknüpft: vielleicht war der Grund der Annäherung die gleiche Feindschaft beider Mächte gegen den römischdeutschen Kaiser (vgl. Art. Kapitulationen). Mit den politischen Motiven mischten sich religiöse Interessen. In den Verträgen, die seit 1535 geschlossen wurden, wird Gewissensfreiheit für die Franzosen festgestellt. Das moslemische Recht unterscheidet vier Gruppen von Menschen: außer den Anhängern Mohammeds, Moslemin und den Harbi, den Feinden die Zimmi, die Christen und Juden, die den Mohammedanern unterworfen sind und die Mustamin, die Ausländer, die unter dem Schutze von Verträgen stehen. In diese dritte Gruppe gehörte vor allem Frankreich. Durch den erwähnten Vertrag und spätere (s. im Art. Kapitulationen) erhielten die Franzosen eine ganz besondere Stellung, die sich in der Vorstellungswelt der Türken dermaßen festsetzte, daß bis vor kurzem alle Fremden — mit Ausnahme der Russen — als Farang (Franken) bezeichnet wurden und daß in der Tat auch Angehörige anderer Nationen sich unter den Schutz des französischen Konsuls stellen mußten, um jener Vorrechte teilhaftig zu werden, die freilich mehr wie einmal von den Türken verletzt wurden (s. M a r t e n s a. a. O. S. 122). Von dieser herabwürdigenden Vormundschaft Frankreichs sich zu lösen machten die Großmächte, besonders England, Preußen, Österreich seit dem 17. Jahrh. dauernde Anstrengungen und es gelang ihnen, eine Frankreich ebenbürtige Stellung zu erreichen. Von jeher hat Rußland eine ganz andere Stellung gegenüber der Türkei eingenommen und man möchte sagen, daß es sich für dieses vielmehr um religiöse Motive gehandelt hat — ihm ist wirklich der Schutz der orthodoxen Christen — nicht nur der Russen — am Herzen gelegen. Dies Ziel verfolgt es besonders in der Politik von 1774—1856 (KutschukKainardji bis Pariser Frieden). Die völkerrechtliche und politische Bedeutung des sog. französischen Protektorats über die Katholiken im Orient hat sich gewandelt. Vom völkerrechtlichen Standpunkt darf jetzt als anerkannt gelten, daß die einzelnen Mächte i h r e Staatsangehörigen schützen. Bildeten einst die Kapitulationen die Brücke über den religiösen Abgrund, der zwischen Islam und Christentum klafft, so mußte mit dem Fortschritt der Welt in bezug auf „Religionsfreiheit" aus dem französischen Protektorat gewissermaßen ein Kollektiv-
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protektorat der Familie der zivilisierten Staaten hervorwachsen (vgl. den art. pays hors chr6tient6), zugleich aber der Gedanke des nationalen Schutzes sich geltend machen. So wurde, wie häufig, das Wort vom französischen Protektorat eine Phrase, die besonders die römische Kurie nach Bedarf anwendete, und Minister C o m b e s bemerkte treffend: „Wer könnte behaupten, daß der Papst unserem Protektorat den gleichen Wert beimessen würde, wenn Frankreich die Wohltaten desselben auch auf die reformierten Kirchen a u s d e h n t e ? " Maßgebend ist heute Art. 62 des Berliner Vertrags von 1878: er sichert die Freiheit der Religionsübung in l'extension la plus large für Angehörige aller Nationalitäten, ihre Geistlichen, Pilger, Einrichtungen, Gesellschaften, Gottesdienste, heiligen Stätten (s. d. Art.) und erkennt „le droit de protection officielle" den diplomatischen Agenten und Konsuln der einzelnen Staaten zu, läßt aber für Frankreich „les droits acquis expressement" bestehen und den status quo. Somit besteht kein Zweifel mehr: jeder Staat schützt seine Untertanen, ohne Rücksicht auf die Konfession. Auch das von Rom getrennte Frankreich schützt s e i n e Untertanen ebenso wie das Frankreich, das die älteste Tochter der Kirche war und handelt nach seinen Verträgen, die ohne Mitwirkung des Papstes abgeschlossen wurden. Daraus, daß die Schutzbefohlenen im Orient Katholiken sind, folgt nicht, daß die Regierung Helfershelfer des Proselytentums werde: sie widersetzt sich der Bedrückung der Gewissensfreiheit; die Achtung vor dieser Freiheit läßt sich sehr gut mit dem Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche in Einklang bringen, während die Ultramontanen jede Freiheit verurteilen, die mit der katholischen Doktrin unvereinbar ist, und die Idee des Vaterlandes für die katholischen Missionare erst weit hinter anderen Bemühungen kommt. Dies führte C o m b e s aus, unter besonderem Hinweis auf die Abschaffung selbst des französischen Unterrichts in den syrischen Anstalten während des französischen Kulturkampfes! Vielleicht darf zum Schluß noch bemerkt werden, daß derselbe Staatsmann vor der materiellen Überschätzung des Protektoratsgedankens warnte, indem er auf China hinwies, wo Frankreich als Handelsmacht trotz des alleinigen Protektorats, von anderen Mächten überflügelt wurde. — In dem Sinne, daß durch die Protektoratsverträge die Sultane den französischen Herrschern die Einmischung in die religiösen Angelegenheiten t ü r k i s c h e r Untertanen (auch katholischer) als Recht gewähren wollten, ist das Schutzrecht eine „Illusion, die irreführt",
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Schutzrecht der Christen im Orient — Schweden-Norwegen
wie schon Graf Saint-Priest, französischer Bevollmächtigter am Goldenen Horn 1768 bis 1778) dargelegt hat ( P h i l l i m o r e , Commentaries I, 478). Literatur: Außer den bei den Art. Kapitulationen, Pays hors c h r i t i n t i und Heilige Stätten am besten F. Martens, übers, v. B e r g b o h m II, S. 118ff. und desselben Konsularwesen im Orient, sowie GirgaB, Die Rechte der Christen im Orient in russ. Sprache, 1865. — Quellen bei Testa, Recueil des traitis de la Porte Ottomane avec les puissances 6trangferes 1864, Τ. I Reichsverfassung (neue Schwarzburger), Art. 112; Art. 3 Abs. 6 d. VU. v. 1871. — Aubes, Le protectorat de la France en Orient, 1904. — Die sehr bedeutsame Rede des Ministerpräsidenten C o m b e s in den Verh. der französischen Deputiertenkammer vom 25. XI. 1904. — Vgl. auch Einiges aus der bei Bonfils S. 405 angeführten Lit. ν. K i r c h e n h e i m f .
Schutzzoll s. Weltwirtschaft und Weltwirtschaftsrecht. Schwarze Listen s. Wirtschaftskrieg. Schwarzes Meer s. Nachtrag.
Schweden-Norwegen.
die diplomatischen Angelegenheiten dem gemeinsamen Staatshaupt vorzutragen; so ausdrücklich Grundgesetz § 7 für den Fall der Interimsregierung. Norwegen hatte keinen Minister des Auswärtigen. Die auswärtige Politik lag: demnach in den Händen Schwedens. Norwegen fühlte sich hierdurch zurückgesetzt, und das wurde der Anlaß für die Lösung der Union. Verhandlungen über anderweitige Behandlung der diplomatischen Angelegenheiten im letzten Jahrzehnt des 19. Jahrh. blieben erfolglos. Einem norwegischen Gesetzesvorschlag über Errichtung eines eigenen Konsulatwesens verweigerte der König 1905 die Sanktion, weil die Gemeinschaft in dieser Angelegenheit nicht ohne gegenseitiges Übereinkommen gelöst werden könne; das daraufhin von den norwegischen Staatsräten eingereichte Entlassungsgesuch bewilligte er „zur Zeit" nicht. Infolgedessen erklärte ihn das Storting am 7. VI. 1905 der Krone verlustig und die Union für aufgelöst. Nach längeren Verhandlungen erkannte Schweden in den Karlsteder Abkommen vom 26. X. 1905 die Auflösung der Union an, und beide Mächte regelten deren nähere Bedingungen [Aall und G j e l s v i k 391—403; RG. XIV doc. 1—8, XVI, 714—722]. Einen Grenzstreit entschied der permanente Haager Schiedshof am 23. X. 1909 [ibid. XVII, 177]. Russischen Ausdehnungsbestrebungen gegenüber hatte die territoriale Integrität der vereinigten Königreiche der von ihnen mit Frankreich und Großbritannien am 21. XI. 1855 geschlossene Vertrag verbürgt. Er ist, wie allseitig anerkannt wurde, mit Auflösung der Union außer Kraft getreten. In einem Vertrage vom 2. XI. 1907 wurden die Unabhängigkeit und Gebietsintegrität Norwegens vom Deutschen Reich, Frankreich, Großbritannien und Rußland verbürgt [ M a r t e n s , NRG. 1. S6r. 628; RG. XV, doc. 11—13].
Durch den Kieler Frieden zwischen Dänemark und Schweden vom 14. I. 1814 vorbereitet ( M a r t e n s , NR. I, 666), kam die Union zwischen Schweden und Norwegen durch das von beiden zu Moß am 14. VIII. 1814 unterzeichnete Abkommen (ibid. II, 62) und anschließende Unterhandlungen zwischen einem norwegischen Storting und schwedischen Kommissaren zustande; das Storting wählte den schwedischen König zum Könige Norwegens, und ein gemeinsames Grundgesetz (Reichsakte) wurde vom norwegischen Vgl. „Realunion". Storting am 31. VII., vom schwedischen Reichstag am 6. VIII. 1815 angenommen Literatur: (ibid. II, 608, A a l l u. G j e l s v i k 369, 379). Aschehoug, Das Staatsrecht der vereinigten Hiernach war beiden Reichen gemeinsam: Königreiche Schweden und Norwegen, 1. die Person des Königs einschl. seines StellFrei burg i. Β. 1886. — Bernatzlk, G r ü η h u t s vertreters, auch über die Lebensdauer der Zeitschr. X X V I (1899). — Εΰέη, SchweDynastie hinaus; 2. Krieg und Frieden mit dens Friedensprogramm und die skandidem Auslande. Das Heerwesen war getrennt; navische Krise, Halle a. S. 1905. — auch eine gemeinsame auswärtige VerNansen, Norwegen und die Union mit Schweden, Leipzig 1905. — Nordlund, Die waltung war nicht vorgesehen, obwohl die schwedisch-norwegische Krise, Halle a. S. Union ohne einheitliche auswärtige Politik 1905. — Morgenstierne, Das Staatsrecht nicht bestehen konnte. Tatsächlich hatten des Königreichs Norwegen, Tübingen 1911. beide Reiche gemeinschaftliche Gesandte und — Aall und Gjelsvik, Die norwegischKonsuln im Auslande, aber keinen gemeinschwedische Union, ihr Bestehen und ihre schaftlichen Minister des Auswärtigen. Der Lösung, Breslau 1912. — Vgl. Literatur schwedische Minister des Auswärtigen hatte zu „Realunion". Heilborn.
Schwedisch-norwegischer K ü s t e n m e e r s t r e i t — Schweiz
Schwedisch-norwegischer Küstenmeerstreit. I. Die A u f f i n d u n g ertragreicher H u m m e r b ä n k e h a t t e 1897 Schweden u n d Norwegen v e r a n l a ß t , die beiderseitigen Küstengewässer gegeneinander abzugrenzen. Diese K o m mission, die auf Grund des Röskilder Friedens von 1658 die Grenzlinie ziehen sollte, kam aber gerade hinsichtlich der GrisbadanaSchären, die jene H u m m e r b ä n k e enthielten, zu keinem Ergebnis. 1908 wurde der Streitfall einem H a a g e r Schiedsgericht m i t der Zus t ä n d i g k e i t s n o r m übertragen, ,,zu entscheiden, inwieweit die Grenzlinie durch den G r e n z v e r t r a g vom J a h r e 1661 m i t zugehöriger K a r t e als ganz oder auf eine gewisse Strecke festgelegt b e t r a c h t e t werden m u ß , und wie die so festgelegte Grenzlinie zu ziehen ist, sowie, sofern etwa die Grenzlinien nicht als durch g e n a n n t e n Vertrag m i t K a r t e festgelegt angesehen w i r d , dieselbe festzulegen u n t e r Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse u n d der völkerrechtlichen P r i n zipien". II. Das Schiedsgericht ( L o e f f [Vorsitz], B e i c h m a n n , H a m m a r s k j ö l d ) h a t am 23. X. 1909 sein Urteil abgegeben. Es h a t f ü r die Feststellung der Grenze sowohl das Prinzip der Mittellinie zwischen bewohnten Ländern wie das des Talwegs oder der wichtigsten F a h r s t r a ß e als nicht genügend f ü r das Völkerrecht des 17. J a h r h u n d e r t s nachweisbar erklärt u n d Wendungen, daß m a n zur E r m i t t l u n g des Grenzenlaufs eine auf die allgemeine R i c h t u n g der Küste senkrechte Linie wählen müsse. III. Eine K r i t i k der Sentenz kann wegen der U m s t ä n d l i c h k e i t des Falles hier nicht einmal v e r s u c h t werden. Ich verweise auf meine Darstellung in S c h ü c k i n g s Werk vom H a a g , II. Serie, Bd. I, Teil II, 1917, S. 47—140. Strupp.
Schweiz. I. D i e E n t w i c k l u n g d e r S c h w e i z b i s z u m W i e n e r K o n g r e ß . Den Unabhängigk e i t s k ä m p f e n der Schweiz u n d ihren Siegen ü b e r Karl den K ü h n e n von Burgund war eine Periode militärischen T a t e n d r a n g e s gefolgt, in denen die Eidgenossenschaft, durch ihre Söhne auf allen wichtigen Schlachtfeldern v e r t r e t e n , höchste militärische mit gleichwertigen politischen Erfolgen zu v e r k n ü p f e n v e r m o c h t h a t . Nicht zum Vorteil der so notwendigen inneren Festigung. Und fügten auch Reisläufertum u n d Bündnissen mit den wichtigsten damaligen Militärmächten noch finanzielle Vorteile zu den politisch-militärischen hinzu, so t r a t doch das Ungesunde,
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das darin erblickt werden m u ß , daß sich ein kleines, junges, k a u m zur Selbständigkeit gelangtes u n d durch Sonderinteressen einzelner Landesteile u n d Orte im Innern doch unkonsolidiertes Volk mit solcher K r a f t auf große, j a auf Großmachtspolitik geworfen h a t t e , n u r zu bald in die Erscheinung. Die Niederlage von Marignano (1516), vou Bicocea (1522) u n d v o n P a v i a (1525) und der Rückzug der Schweizer aus der Lombardei sind die natürlichen u n d unvermeidlichen Folgen jener Periode überquellenden U n t e r n e h m u n g s dranges gewesen. Ist auch die bereits 1498 a u f g e t a u c h t e u n d seitdem wiederholt erklärte Absicht, an fremden Konflikten nicht teilzunehmen, das Gebiet der aktiven Politik zu verlassen, der f r e m d e n Fürsten und Herren „ m ü ß i g zu gehen", platonischer N a t u r geblieben u n d höchstens als interessanter Ausdruck einer gewissen Einsicht f ü r Wichtigeres und f ü r Notwendigeres, nämlich d a f ü r , erst einmal im Innern des Bundes eine gewisse Festigung der Dinge herzustellen, anzusprechen, so zogen sich doch eben nach dem italienischen Kriege, der einen tiefen Eindruck auf das stolze Volk geübt haben m u ß , und u n t e r Zwingiis Einfluß wenigstens die evangelischen Orte von äußeren Händeln zurück (vgl. S c h w e i z e r 172ff., H i l t y 30). Es k a m hinzu, daß ihre zunächst rein tatsächliche Loslösung vom deutschen Reiche die Eidgenossen in dieser Richtung desinteressierte, daß Verträge mit Österreich von 1474 (vgl. S c h w e i z e r 163ff. [sog. „ewige Richtung"]), mit Frankreich von 1516 das Verbot enthielten, an einem Krieg gegen das eine bzw. andere L a n d — u n d beide gehörten j a zu den wichtigsten Kriegsgegnern der damaligen Zeit — teilzunehmen, daß andererseits die großen europäischen K ä m p f e so intensiv m i t religiösen Gegensätzen verquickt wurden, daß eine wirkliche Beteiligung auf der einen oder anderen Seite zu — auch ohnehin keineswegs seltenen — K ä m p f e n der Eidgenossen u n t e r e i n a n d e r unverweigerlich f ü h r e n m u ß t e , die zum Teil wenigstens durch Verträge einzelner eidgenössischer Orte verboten waren, Verträge, die die Verpflichtung enthielten, bei Kämpfen von Eidgenossen „stille zu sitzen", also neutral zu bleiben. Es m u ß als wertvolles S y m p t o m in der Richtung des Vordringens der Neutralitätsidee ü b e r h a u p t gebucht werden, wenn, t r o t z manches Anreizes selbst im Dreißigjährigen Kriege, wie sie besonders f ü r die evangelischen Orte in dem Erscheinen der Schweden an der Grenze liegen mochten, die Schweizer sich nicht tiefer in den Kriegsstrudel hineinziehen ließen. Zwar h a t t e n die katholischen K a n t o n e mit Savoyen u n d Spanien, die reformierten mit Venedig, Spaniens Gegnerin,
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Schweiz
(1615) einen Bund geschlossen, zwar wurde durch seine verfehlte Politik Graubünden ( 1 6 1 7 — 1 6 3 9 ) Schauplatz wildester Kämpfe. Und zahlreiche Neutralitäts-, insbesondere Gebietsverletzungen, insbesondere der — wohl von Zürcher Staatsmännern herbeigeführte — Durchmarsch des schwedischen Feldmarschalls Horn 1633, wie ein J a h r später der von Kaiserlichen führten beinahe zu einer Spaltung der Eidgenossen und zum inneren Kriege. Es bedeutete aber nicht nur eine Vermeidung der Spaltung, sondern noch darüber hinaus eine bedeutsame Kräftigung des Neutralitätsgedankens, der durch die gestreiften Zwischenfälle keinen Abbruch erlitten hatte, sondern im Gegenteile gestärkt worden war, daß 1647 ein eidgenössisches Heer von 3 6 0 0 0 Mann zum Schutze des Schweizer Gebietes aufgestellt und damit eine bewaffnete Neutralität (der sog. Defensionalvertrag (erneuert 1668) proklamiert wurde (s. S c h w e i z e r 209ff.). Nach außen intakt, wenn auch im Innern nach wie vor von Kämpfen durchwühlt, ist der Schweiz kampflos, wie eine reife Frucht, die Unabhängigkeit im Frieden von Münster 1648 in den Schoß gefallen. Mit R e c h t weist S c h w e i z e r 189 darauf hin, daß der Übergang von einer immer gelegentlichen Neutralität zu einer „permanenten Neutralität als Staatsmaxime zeitlich nicht so genau bestimmt werden kann wie die internationale Anerkennung derselben oder wie die Schöpfung einer künstlichen, nur auf Vertrag anderer Mächte beruhenden Neutralisation". Von da ab läßt sich der Gedanke, in einem äußeren Kriege neutral bleiben zu müssen, mehr und mehr als politische Maxime, j a darüber hinaus als landesrechtlicher, trotz vielfacher Gegensätze, j a selbst trotz innerer Kriege, von den Eidgenossen beachteter Grundsatz erkennen. S c h w e i z e r 284 datiert die Anerkennung der Neutralität als S t a a t s m a x i m e von 1674 an. Im Oktober 1688 wird sie als „ h e r g e b r a c h t e " Politik, 1689 als „Grundfeste deroselben S t a n d s " amtlich bezeichnet. 1684 bezeichnet sich die Schweiz als „Neutralstandt", der von fremden Staaten im wesentlichen — von gelegentlichen Vorfällen, so der mit Abberufung der Schweizer Söldner beantworteten, vertragswidrigen Besetzung der Franche-Comti durch Conde 1668, dem Durchmarsch des Generals Grafen Mercy während des spanischen Erbfolgekrieges im J a h r e 1709 abgesehen, um einige wichtigere Fälle zu nennen — Beachtung fand, ohne damit freilich v ö l k e r r e c h t l i c h legalisiert zu sein. Man könnte zum Vergleich etwa an die Monroedoktrin denken, die j a a u c h amerikanischer Auffassung vielfach als R e c h t erscheinen mag, aber gleichgültig, ob
sie wirklich schon als S t a a t s r e c h t s s a t z der Union und nicht nur als politische Richtlinie (s. Monroedoktrin) anzusehen ist, jedenfalls von den fremden S t a a t e n zwar allergrößte Beachtung erfährt, ohne aber damit als — wenn auch nur relativer — Völkerrechtssatz anerkannt zu sein. Die einmal von den Schweizern akzeptierte Neutralität nach außen, zu der, wie schon hervorgehoben, auch noch die zahlreichen Söldnerdienste, die noch bis 1859 von Schweizern geleistet wurden, wie die Defensivallianzen mit F r a n k reich, nach damals gültigem Neutralitätsrecht in keinem Widerspruche standen, ist bis zu der Vernichtung der staatlichen Selbständigkeit mit dem Einmarsch der, freilich vom Wadtland gerufenen, Franzosen 1798 von den Eidgenossen in stetig wachsendem Maße ( S c h w e i z e r 4 9 9 f f . ) beachtet worden. Und wie die damals gewaltsam aufoktroyierte enge Verbindung mit Frankreich die Schweiz zum Kampfschauplatz gemacht hat, so ist auch — trotz theoretischer Anerkennung der Schweizer Neutralität durch den Defensivallianzvertrag vom 27. I X . 1 8 0 3 1 ) — (s. Politisches J a h r b u c h I, 4 0 2 ; S c h w e i z e r 4 9 9 f f . ; H i l t y 3 3 ; D i e r a u e r 155) solange Napoleon siegreich war, die Schweiz nichts anderes als Vasall Frankreichs gewesen, dem es seit 1812 1 2 0 0 0 Mann zu stellen h a t t e ( S c h w e i z e r 5 3 7 f f . ; B o r g e a u d 18ff.). Die Niederlage Napoleons bei Leipzig bestimmte dann die Tagsatzung am 15. I X . 1813 ( S c h w e i z e r 539), die Neutralität in dem Kampfe zwischen 1 ) Dessen A r t t . 1 u. 2 l a u t e t e n : „II y aura ä perpetuite paix et amitie entre la Republique frangaise et la Suisse, et une alliance defensive entre les deux nations qui durera 5 0 ans. La paix perpetuelle de 1516, e t a n t la base fondamentale des alliances faites depuis cette 6poque entre les deux E t a t s , est rappelee dans le prösent traite de la manifere la plus expresse, ainsi que l'acte de Mediation du 3 0 Pluviose au X I (19 fevrier 1803). — Art. I I : L'un des effets ce dette alliance etant d'empecher qu'il ne soit porte atteinte ä l'ind6pendance et ä la sürete de la Suisse, la Republique frangaise promet d'employer constamment ses bons offices pour lui procurer sa neutraltite et pour lui assurer la jouissance de ses droits envers les autres puissances.
La R6publique frangaise s'engage, dans le cas oü la Suisse ou une partie quelconque ee la Suisse serait attaquee, de la defendre et de l'aider de ses forces et ä ses frais, mais seulement sur la requisition formelle de la Difcte helvetique." ( R e n a u l t et D e s c a m p s , Recueil international des traites du X I X e sifccle I, 118).
Schweiz ihm und den Verbündeten zu erklären. Die gleichen Behörden, die die Neutralitätserklärungen an beide Kriegsparteien erließen, empfehlen gleichzeitig die französische Werbung zur Vervollständigung der in Rußland dezimierten Regimenter ( H i l t y 35; D i e r a u e r 297 in fine). Freilich ohne praktischen Erfolg. Denn die Eidgenossenschaft besaß weder die militärische Kraft, noch die innere Geschlossenheit, um dieser Erklärung irgendeine positive Wirkung zu geben. So kam es, daß die Verbündeten bei ihrem Vorhaben, Frankreich unter Umgehung des französischen Festungsgürtels durch die Schweiz anzugreifen, keinen Widerstand fanden. (Über die sog. „Kapitulation von Basel" vom 20. XII. 1813 und die Proklamation des Schweizergenerals an die zum Rückmarsch beorderten 12000 Schweizer Soldaten s. Polit. Jahrbuch 1887, auch H i l t y a. a. 0 . Zur Vorgeschichte des Einmarsches D i e r a u e r 296ff., bes. 305; S c h w e i z e r 538ff.). Ab Ende Dezember 1813 zogen ihre Truppen in Stärke von 130000 Mann durch die Schweiz gegen Frankreich. II. D i e V e r h a n d l u n g e n v o n 1814/1815 u n d i h r e E r g e b n i s s e . In der Begründung für die durch den Einmarsch verübte Neutralitätsverletzung an die Schweiz, die von den in Zürich residierenden politischen Agenten Rußlands und Österreichs am 20. X I I . 1813 dem Zürcher Landammann übergeben worden war, findet sich folgender hochbedeutsame Schlußpassus: („Les puissances) ne peuvent admettre une neutralite qui dans les rapports actuels n'existe que de nom. . . . Sans pretention aucune de s'immiscer dans ses rapports interieurs (sc. de la Suisse), elles ne souffiront pas que cet Etat reste placö sous une influence etrangere. Elles reconnaitront sa neutralite le jour, oü il sera libre et independant" ( S c h w e i z e r 547). In dieser feierlichen Erklärung lag zweierlei: De praesenti die Stigmatisierung der Schweizer Neutralität als einer, im Hinblick auf die enge Verbindung mit Frankreich nur scheinbaren, de futuro das feierliche (zwar völkerrechtlich irrelevante, aber), moralisch bindende Versprechen, die landesrechtliche Schweizer Neutralität völkerrechtlich sanktionieren zu wollen. Bereits unter dem 30. V. 1814 konnte die Schweizer Oesandtschaft aus Paris berichten (dazu S c h w e i z e r 549; D i e r a u e r 317—351): „Die Höfe wünschen sehr, daß die Organisation der Schweiz so bald als möglich beendet werde, damit bei einem mit Anfang August in Wien sich versammelnden Kongresse die Unabhängigkeit, Neutralität und Bundeseinrichtung der Schweiz garantiert werden könne." Die Erfüllung dieses Programms war die Aufgabe Wörterbuch des Völkerrechts.
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der Schweizer Gesandten, die berufen waren, ihr Land auf dem großen „diplomatischen M a r k t " an der Donau zu vertreten. Als Instruktion vom 15. IX. 1814 ( S c h w e i z e r 550) hatten sie auf den Weg mitbekommen „die feierliche Anerkennung der schweizerischen Eidgenossenschaft als eines freien, unabhängigen, durch seine eigene Verfassung regierten Staates zu begehren, wobei aber die Erwähnung irgendeiner Garantie sorgfältig zu vermeiden sei" und „die Anerkennung unserer Neutralität, von jeher die Hauptbasis der schweizerischen Politik, drei Jahrhunderte hindurch getreulich verehrt, deren unerläßliche Notwendigkeit die Ereignisse der letzten 16 Jahre sattsam bewiesen habe". In der Instruktion wird mit Recht weiter auf die Bedeutung der Schweizer Neutralisierung auch für die Umliegerstaaten hingewiesen (vgl. S c h w e i z e r a. a. 0 . und den dortigen Hinweis auf die — schon aus dem Jahre 1711 stammenden Rede des französischen Gesandten Du L u c : „La nature a fait de votre i t a t une barrifere, qui rend cette sürete necessaire ä celle de tous vos voisins"). Seitens der Mächte ist der Wunsch der Schweiz auf Neutralisierung, obwohl diese keinen Gegenstand der Wiener Kongreßpunkte gebildet hatte, von vornherein auf keinen Widerstand gestoßen. Stand Kaiser Alexander ihm besonders günstig gegenüber, so sprach sich auch das vom Kongreß eingesetzte Schweizer Komitee in seinem Schlußbericht am 16. I. 1815 dahin aus: „Les puissances alliees se sont engagees ä reconnaitre et ä faire reconnaitre, ä l'epoque de la pacification generale, la neutralite perpetuelle du corps helvetique, de lui restituer les pays qui lui furent enleves . . ., mais de ne considerer ces engagements comme obligatoires qu'autant que la Suisse en compensation des avantages qui lui etaient reserves, offrirait ä l'Europe tant par ses institutions cantonales que par la nature de son systfcme federatif, une garantie süffisante de l'aptitude de la nouvelle confederation ä maintenir sa tranquillite Interieure et par cela meme ä faire respecter la neutralite de son territoire." In dem Bericht wird weiter gesprochen, daß die Mächte die „transaction feraient inserer dans l'instrument de la pacification generale l'acte de la reconnaissance de l'independance et de la neutralite perpetuelle de la Confederation suisse". Wie S c h w e i z e r zutreffend bemerkt, ist hier „zum erstenmal in der Weltgeschichte" die Rede von „ewiger Neutralität" (neutralite perpetuelle). D a r a n l a g die Empfehlung eines — an die Erfüllung einer Reihe einmaliger, der Anerkennung der Neutralität voraus32
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Schweiz
gehender, ihrer Natur nach n i c h t donnent, en vertu de leurs instructions et w i e d e r k e h r e n d e r Handlungen geknüpften pleins-pouvoirs, un plein effet aux dispositions — V e r s p r e c h e n s , d i e l a n d e s r e c h t l i c h de la declaration du 2 0 mars et assurent l'exebestehende, einseitige, v ö l k e r r e c h t - cution des engagements qui y sont stipules." lich bisher irrelevante Schweizer Bevor aber die in Ziffer 3 erbetene „ W i r Neutralität i n t e r n a t i o n a l r e c h t l i c h kunggebung" erreicht war, war bereits das b i n d e n d a u s z u g e s t a l t e n . Das dort vor- Ereignis eingetreten, das noch einmal die geschlagene Versprechen selbst findet sich Neutralität der Schweiz über den Haufen in der, von den Delegierten Österreichs, werfen sollte: Die Flucht Napoleons aus E l b a Spaniens, Frankreichs, Großbritanniens, Por- und seine Landung auf französischem Boden. tugals, Preußens, Rußlands und Schwedens W a r 1814 die Neutralität der Eidgenossenunterzeichneten Deklaration vom 20. I I I . schaft gegen ihren Willen von den Alliierten 1815 ( M a r t e n s , Nouveau Recueil IV, 186): verletzt worden, so brachte es aber diesmal „ L e s puissances appelees ä intervenir dans die besondere diplomatisch-militärische Gel'arrangement des affaires de la Suisse pour samtlage mit sich, daß die Schweizer Bel'execution de l'article 6 du traite de Paris hörden sich freiwillig dazu verstanden, ihr du 3 0 mai 1814, a y a n t reconnu que l'interet so sorgsam gehütetes Gut freiwillig, wenn general reclame en faveur du Corps Helve- auch zögernd, preiszugegeben. Zwar ließ sich, tique l'avantage d'une neutralite perpetuelle solange Napoleon nicht Frankreich, sondern et voulant par des restitutions territoriales nur einige Regimenter hinter sich hatte, die et des cessions lui fournir les moyens d'assurer scharfe Stellungnahme der Tagsatzung gegen son independance et maintenir sa n e u t r a l i t e . . . ihn unter dem Gesichtspunkte rechtfertigen, declarent que dfes la Diete Helvetique aura daß die Eidgenossenschaft die königliche als donne son accession en bonne et due forme die legitime Regierung Frankreichs aneraux stipulations renfermees dans la presente kannt hatte und somit gegenüber dem frantransaction, il sera fait un acte portant la zösischen B ü r g e r k r i e g e von einer Neutrareconnaissance et la garantie de la part de lität im völkerrechtlichen Sinne, da eben die la Suisse dans ses nouvelles frontieres . . . " . j Partei Napoleons nicht als kriegführend von Am 27. V. nahm darauf die Tagsatzung mit ί der Schweiz anerkannt wär, nicht die Rede Majorität die Deklaration und T r a n s a k t i o n : sein konnte (ζ. T . unrichtig S c h w e i z e r an, ihr damit — sub condicione —· V e r t r a g s - ! 5 6 0 f . ) . Das änderte sich mit dem Augenblick, Charakter verleihend: ! wo Frankreich in seiner überwältigenden Mehrheit hinter den Kaiser trat, wo der „ 1 . L a d i f e t e , a u n o m de l a c o n f e d e - Kämpf zu einem solchen jenes Völkerrechtsr a t i o n h e l v e t i q u e , a c c f e d e ä l a d e c l a - subjektes gegen die Verbündeten wurde. Auf r a t i o n emanee le 20 mars 1815 du Congrfes seiten dieser hat sich die Schweiz gestellt, de Vienne, et promet que les stipulations de indem sie sich nach mehrfachem Notencette transaction seront fidfelement et reli- wechsel mit den Alliierten deren Durchmarschgieusement observees. begehren fügte, das in vorsichtigen Wen2. L a difete e x p r i m e p a r l e s p r e - dungen bereits in einem Abkommen vom s e n t e s l a r e c o n n a i s s a n c e e t e r n e l l e de 20. V. anerkannt worden war, das franl a n a t i o n s u i s s e envers les Hautes puis- zösischerseits als Kriegserklärung gewertet sances qui, par la dite declaration, eta- worden ist (vgl. S c h w e i z e r 5 5 5 — 5 7 9 ) . E s blissant une ligne de demarcation plus favo- kann gewiß nicht Gegenstand d i e s e r Darrable qui lui rend d'anciennes et importantes stellung sein, zu prüfen, ob die Schweiz frontieres, reunissent trois nouveaux cantons damals die Möglichkeit gehabt hätte, neutral ä la confederation, et promettent solennelle- zu bleiben. Völkerrechtlich ( l a n d e s r e c h t ment de reconnaitre et de g a r a n t i r l a n e u - l i c h lag u. E . die Sachlage so, daß der Bruch tralite permanente, que l ' i n t e r e t mit ihrem Gewohnheitsrecht in concreto g e n e r a l de l ' E u r o p e c o m m a n d e en durch den Beschluß, aus ihrer Neutralität f a v e u r de l a S u i s s e . Elle temoigne les herauszutreten, staatsrechtlich als legalisiert memes sentiments de reconnaissance pour la erscheinen muß) war ihr Heraustreten aus bienveillance constante, avec laquelle les der Neutralität unanfechtbar, weil der völkeraugustes souverains se sont occupes de ter- rechtlichen Neutralitätspflicht gemäß der miner les differends qui s'etoient eleves entre Offerte vom 20. I I I . und deren Annahme vom les cantons. 27. V. doch nur interpartiale Wirkung zukam, 3 . E n consequence du present acte d'ac- die Vertragsgegner aber mit den S t a a t e n cession et de la note adressee le 20 mars aux zusammenfielen, die gerade ein Heraustreten ministres de Suisse ä Vienne par le prince der Schweiz aus ihrer Neutralität zu ihren de Metternich, president des conferences Gunsten in ihrem Kriege gegen (das kaiserentre les Puissances, la diete etfprime le voeu liche) Frankreich begehrten. que les ministres de S. M. residant en Suisse
Schweiz Schweizerischerseits hatte man gehofft, für die aktive Kriegsteilnahme, insbesondere für die Verteidigung der Grenze Basel—Genf und die Durchmarschgewährung des Veltlin, Konstanz und Chiavenna zu erhalten. Erwies sich diese Hoffnung auch als trügerisch — nur ein Teil des pays de Gex wurde, und zwar von dem besiegten Frankreich, an die Eidgenossenschaft abgetreten — so ist doch die feierliche Anerkennung der Neutralität a m 20. X I . 1815 durch die Signatarmächte des Pariser Friedens erfolgt. Da eine besondere Originalausfertigung der — von dem geschickten Schweizer Delegierten P i c t e t d e R o c h e m o n t ausgearbeiteten — „ A c t e p o r t a n t r e c o n n a i s s a n c e e t g a r a n t i e de l a n e u t r a l i t e p e r p e t u e l l e de l a S u i s s e e t de l ' i n v i o l a b i l i t e de s o n t e r r i t o i r e " mit den Unterschriften der Vertreter der Signatarstaaten nicht existierte, hat sich die Schweiz im Laufe des J a h r e s 1816 von den Großmächten, Spanien, Portugal und Schweden urkundliche Ausfertigungen der Neut r a l i t ä t s a k t e erteilen lassen ( S c h w e i z e r 586). Der authentische T e x t lautet (über die verschiedenen Lesarten und die Gründe, die die hier abgedruckte Akte als die authentische erscheinen lassen, s. Schweizer 587—593): „L'accession de la Suisse ä la Declaration donnee ä Vienne, le 2 0 mars 1815, par les Puissances signataires du traite de Paris, a y a n t ete düment notifiee aux Ministres des Cours Imperiales et Royales, par l'acte de la Difete Helvetique du 27 mai suivant, rien ne s'opposait ä ce que l'acte de la reconnaissance et de la garantie de la neutralite perpetuelle de la Suisse dans ses nouvelles frontieres füt fait conformement ä la Declaration susdite. Mais les Puissances ont juge convenable des suspendre jusqu'ä ce j o u r la signature de cet acte, ä cause des changements que les evenements de la guerre et les arrangements qui devaient en etre la suite, pouvaient apporter aux limites de la Suisse, et des modifications qui pouvaient aussi en resulter dans les dispositions relatives au territoire associe au bienfait de la neutralite du Corps Helvetique. Ces changements se trouvant determines par les stipulations du traite de Paris de ce j o u r , les Puissances signataires de la Declarations de Vienne du 20 mars font, par le present Acte, une reconnaissance formelle et authentique de la neutralite perpetuelle de la Suisse, et elles lui garantissent l'integrite e t l'inviolabilite de son territoire dans ses nouvelles limites, telles qu'elles sont fixees, t a n t par l ' A c t e du Congrfes de Vienne, que par le traite de Paris de ce jour, et telles qu'elles le seront ulterieurement, confor-
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mement ä la disposition du Protocole du 3 novembre ci-joint en extrait, qui stipule en faveur du Corps Helvetique un nouvel accroissement de territoire ä prendre sur la Savoie, pour arrondir et desenclaver le Canton de Geneve. Les Puissances reconnaissent et garantissent egalement la neutralite des parties de la Savoie designees par l'Acte du Congrfes de Vienne du 20 mai 1815, et par le traite de Paris de ce jour, comme devant jouir de la neutralite de la Suisse, de la meme maniere que si elles appartenaient ä celle-ci. Les Puissances signataires de la Declaration du 20 mars reconnaissent authentiquement par le present acte que la neutralite et l'inviolabilite de la Suisse, et son independance de toute influence itrangfere sont dans les vrais interets de la politique de l'Europe entiere. Elles declarent qu'aucune induction defavorable a u x droits de la Suisse, relativement ä sa neutralite et ä l'inviolabilite de son territoire, ne peut ni ne doit etre tiree des evenements qui ont amene le passage des troupes alliees sur une partie du sol helvetique. Ce passage, librement consenti par les Cantons dans la convention du 2 0 mai, a ete le resultat necessaire de l'adhesion tranche de la Suisse aux principes manifest£s par les Puissances signataires du traite d'alliance du 25 mars. Les Puissances se plaisent ä reconnaitre que la conduite de la Suisse dans cette circonstance d'epreuve a montre qu'elle savait faire de grands sacrifices au bien general et au soutien d'une cause que toutes les Puissances de l'Europe ont defendue; et qu'enfin la Suisse etait digne d'obtenir les avantages qui lui sont assures, soit par les dispositiohs du Congrfcs de Vienne, soit par le t r a i t 6 de Paris de ce jour, soit par Ic present acte auquel toutes les Puissances de l'Europa sont invitees ä acceder. E n foi de quoi, la presente Declaration a et6 faite et signee ä Paris le 20 novembre de l'an de grace 1815. Autriche: Metternich. Wessenberg. F r a n c e : Richelieu. Grande-Bretagne: CastIereagh. Wellington. Portugal: Le Comte de Palmella. Β . Joafluim Lobo da Silveira. Prusse: Le Prince de Hardenberg. Le Baron de Humboldt. Russie: Le Prince de Rasoumoffsky. Le Comte Capo d'Istria. III. Die r e c h t l i c h e B e d e u t u n g der D e k l a r a t i o n v o m 20. X I . 1815. Vergleicht man die Wiener Deklaration vom 20. I I I . mit der Pariser Akte vom 20. X I . , so springt ein Unterschied ins Auge: Spricht erstere von einer Anerkennung und Garantie der ewigen Neutralität, eine Fassung, die aller32*
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Schweiz
dings auch in der Überschrift und der Präambel zur Pariser Akte wiederkehrt, so fehlt in dem D i s p o s i t i v t e i l der letzteren die G a r a n t i e d e r e w i g e n N e u t r a l i t ä t („les puissances . . . font par le present acte . . . une reconnaissance formelle et authentique de la neutralite perpetuelle"). Die nun folgende Garantieerklärung bezieht sich (so schon richtig S c h w e i z e r 595, gut F l e i n e r 711) lediglich auf die Unantastbarkeit und Unverletzlichkeit des Schweizer Gebietes in seinen neuen Grenzen, eine Garantie, die sich zwar auf den wichtigsten Teil des Neutralisationsinhaltes bezieht, ohne diesen aber auszuschöpfen. Wohl aber enthält die Erklärung die völkerrechtliche Pflicht der Signatarmächte (das liegt in der „Anerkennung der Neutralität"), die bisher staatsrechtliche Maxime der Eidgenossenschaft als eine im Verhältnis zur Schweiz nunmehr völkerrechtliche mit der Maßgabe anzuerkennen, daß kein S i g n a t a r s t a a t in einem Kriege das Land anders denn als neutrales behandeln darf (s. „Neutralisation"), solange die Schweiz — dieses bewundernswürdige Musterland echter Neutralität — selbst sich neutral verhält. Diese Rechtsstellung der Schweiz ist durch Erklärung Italiens vom
worden sind, zu ihren Gunsten als Äquivalent für den Verzicht auf die Neutralisierung Chablais und Famignys v o n a l l e n S i g n a t a r e n des Versailler Friedens (also nicht ζ. B . von Rußland, wohl aber gemäß dem Frieden von Versailles von Deutschland und von S t . Germain, Art. 375, auch von den Nachfolgerstaaten Österreichs) de futuro anerkannt werden, die sich verpflichtet haben, auch dieUnterschriften der Nichtsignatäre beizubringen, die (wie Spanien, Schweden, Norwegen) die Akte von 1815 unterzeichnet haben. Für diese Auslegung spricht auch, daß in der unter b erwähnten Londoner Erklärung die Fassung des Vertrages vom 20. I. 1815 gewählt wird.
b) Die Schweiz ist dem Völkerbunde nur beigetreten, nachdem die Londoner E r klärung des Völkerbundsrats vom 13. II. 1920 (Zusatzbotschaft des Bundesrats v o m 17. II. 1920, S. 9) ausdrücklich die dauernde Neutralität der Schweiz als mit dem Völkerbundsvertrag vereinbare Maßregel anerkannt hatte. Danach hat die Schweiz (s. Völkerbund) zwar wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen gegen einen renitenten S t a a t zu ergreifen, nicht aber m i l i t ä r i s c h e Zwangsmaßnahmen irgendwelcher Art (s. F l e i n e r 721f., von „neutralite diffe19. V I I I . 1914 personell in dem Sinne er- rentielle" spricht die glänzende Schweizer weitert worden, daß diese Großmacht sich Botschaft vom 4. V I I I . 1919 [französ. Ausverpflichtete, wie bisher, so auch in Zukunft gabe S. 46]). die Akte vom 20. I X . 1815 als für sich verLiteratur bindlich zu erachten (Bundesblatt 1914, IV, S. 712, entsprechend Erklärung der Ver- (außer allen Lehrbüchern des Völkerrechts einigten Staaten von Amerika vom 3. X I I . und den Spezialwerken über Neutralisierung): 1917). Schollenberger-Zoller, Das Bundesstaatsrecht der Schweiz, 2. Aufl., 1920. — Frey, Die IV. A r t . 435 d e s V e r s a i l l e r F r i e d e n s Neutralität der Schweiz, 1900. — Chaund das V e r h ä l t n i s der Schweiz zum puisat, La Suisse et les traites de 1815, Völkerbund. o. J . — Gagliardi, Die Entstehung der a) Art. 435 des Versailler Friedens vom schweizerischen Neutralität, 1915. — Bor28. V I . 1919 bestimmt, soweit er h i e r intergeaud, La neutralite suisse au centre de essiert: „Les Hautes Parties Contractantes la societe des nations, 2e ed., 1921. — tout en reconnaissant les garanties stipulees Judet, Le secret de la Suisse, le breviaire en faveur de la Suisse par les Traites de 1815 et de la neutralite suisse, 2 opuscules par Pictet de Rochemont, 1919. — Payer, L a notamment l'Acte du 20 Novembre 1 8 1 5 . . . " . neutralisation de la Suisse et de la Savoie, Wie verhält sich diese Norm zu der unter 1917. — Schweizer, Geschichte der SchweiIV gegebenen Auslegung der Akte vom zerischen Neutralität, 1895 (grundlegend). 20. X I . 1 8 1 5 ? Beinhaltet sie nur eine An— Hilty, Die Neutralität der Schweiz in erkennung der Garantie in dem 1815 geihrer heutigen Auffassung, 1889. — Diergebenen Umfang oder bedeutet sie, darüber auer, Geschichte der Schweizerischen Eidhinausgehend, in untechnischer Verwendung genossenschaft, Bd. V, 1917. — Cramer, Correspondence diplomatique de Pictet de des Wortes „garanties", zugleich eine AnRochemont et de Francois d'Ivernois, nahme aller 1815 zugunsten der Schweiz 2 vols, 1914. — Schweizer amtliche Neugemachten Zusicherungen, also mit Einschluß tralitätsberichte 1914—1920. — Botschaft der Neutralisation? Μ. E . ist das letztere des Bundesrates an die Bundesversammzutreffend. Dafür spricht vor allem, daß lung, betreffend die Fragen des Beitritts, nicht nur von der Akte vom 20. X I . , sondern, der Schweiz zum Völkerbund, 1919: amtdarüber hinausgehend, von den „traites de liches stenographisches Bulletin der 1 8 1 5 " die Rede ist, womit, zusammenfassend, (Schweizer) Bundesversammlung Novemin prägnanter Kürze, alle die Vorteile irgendber 1919, Februar/März 1920. — Hilty, Politisches Jahrbuch der Schweizer. Eidwelcher Art, die 1815 der Schweiz zuerkannt
Schweiz — Seebeuterecht gencssenschaft, Bd. Iff. — Fleiner, Schweizerisches Bundesstaatsrecht, 1923, 708ff. — Borgeaud, La neutralite suisse au centre de la Societe des Nations, 1921. Strupp.
Schwimmende Gebietsteile s. Schiffe, Staatsgewalt, Staatsgebiet und Gebietshoheit. Scotla-Fall S. Nachtrag. Scott, James Brown s. VRsliteraturgeschichte. Sechs-Seemeilen-Grenze s. Küstenmeer. Seebeuterecht. 1. A l l g e m e i n e s . Im Seekriege richtet sich der Kampf nicht nur gegen die feindlichen Seestreitkräfte und deren Stützpunkte sondern auch gegen den feindlichen Seehandel; für beide Arten des Kampfes stehen den sich bekämpfenden Mächten zahlreiche Mittel zur Verfügung, deren Verwendung im Seekriegsrecht zu regeln versucht worden ist. Somit bildet das Seebeuterecht einen Teil des Seekriegsrechts; es umfaßt die Regelung derjenigen Kampfesmittel, die zusammen mit der Ausübung des Blockaderechts gegen den feindlichen Seehandel gerichtet sind. Es unterscheidet sich daher in dieser Hinsicht vom Konterbanderecht (s. d.) insofern, als es sich bei der Unterbindung des Konterbandehandels um die Abschneidung der Zufuhr unmittelbarer oder mittelbarer Kriegsbedürfnisse zur See handelt, die an eine kriegführende Macht zum Nachteile des Gegners gelangen sollen, während dagegen die Ausübung des Seebeuterechts allein den feindlichen Seehandel treffen will. Konterbanderecht, Blockaderecht und Seebeuterecht werden unter dem Namen „Prisenrecht" zusammengefaßt, da die umfangreichen Vorschriften hinsichtlich des Verfahrens bei der Beschlagnahme von Schiffen und Waren sich bei diesen Rechtseinrichtungen des Völkerrechts außerordentlich ähneln und oftmals sogar dieselben sind; immerhin aber tragen trotzdem diese drei Rechte einen selbständigen und eigenen Charakter. Die Pariser Seerechtsdeklaration vom 16. IV. 1856 bestimmt, daß die Kaperei abgeschafft sei und bleiben solle, fernerhin daß die neutrale Flagge das feindliche Gut decke, mit Ausnahme der Kriegskonterbande, und daß neutrales Gut unter feindlicher Flagge, mit Ausnahme der Kriegskonterbande, nicht mit Beschlag belegt werden dürfe. Somit darf das Schiff, sofern es neutral ist, mit der darauf befindlichen Ware, ob sie als feindlich oder neutral anzusehen ist, nicht eingezogen
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werden („Frei Schiff, frei Gut"), es sei denn, daß ein Konterbandetransport oder ein Blockadebruch festgestellt ist. Obwohl die Vereinigten Staaten von Amerika der Pariser Seerechtsdeklaration nicht beigetreten sind, haben sie doch anerkannt, daß auch die feindliche Ware auf neutralem Schiffe nicht eingezogen werden dürfe. Ist jedoch das Schiff feindlich, so kann nur das Schiff eingezogen werden, während hinsichtlich der beförderten Ware vorerst geprüft werden muß, ob sie neutral oder feindlich ist; die neutrale Ware ist von der Einziehung befreit („Unfrei Schiff, frei Gut"). Ebenso sind auch die neutralen Güter auf einem Schiff der eigenen Flagge des Kriegführenden oder einer alliierten Macht frei; denn es wäre widersinnig, wenn diese Ware beschlagnahmt werden dürfte, wo doch die neutrale Ware auf feindlichen Schiffen von der Einziehung befreit ist. Dagegen kann die feindliche Ware auf einem Schiffe der eigenen Flagge des Kriegführenden oder eines Alliierten weggenommen werden; denn die Bestimmung in der Pariser Deklaration hat die Unverletzlichkeit der feindlichen Ware ausdrücklich nur für diejenigen Güter erklärt, die auf neutralen Schiffen befördert werden. 2. Die I n d u l t f r i s t . Den feindlichen Schiffen wurde bei Beginn eines Seekrieges gewöhnlich eine Frist gewährt, während welcher ihnen gestattet war, auszulaufen und sich in Sicherheit zu bringen; sowohl im Krimkriege 1854, als auch in den späteren Kriegen 1859 und 1866 (Österreich), 1870/71 (Deutschland/Frankreich), 1877 (Rußland/ Türkei) sowie auch im russisch-japanischen und spanisch-amerikanischen Kriege wurde eine Indultfrist (delai de faveur) zugestanden, deren Dauer allerdings verschieden bemessen war. Die zweite Haager Friedenskonferenz hat versucht, die Gewährung einer Indultfrist von dem Belieben und guten Willen der einzelnen Mächte, die in einen Seekrieg verwickelt werden, unabhängig zu machen und sie als Rechtspflicht dem geltenden Völkerrecht einzugliedern; besonders Rußland und Deutschland haben sich stark für dieses Ziel eingesetzt, es konnte ihnen jedoch nicht gelingen, den Widerstand Englands, welches vor allem durch Japan, Frankreich und Argentinien in dieser Hinsicht unterstützt wurde, zu überwinden. Trotz holländischer Vermittlungsversuche, die darauf hinausliefen, die leicht in Kriegsfahrzeuge umzuwandelnden Kauffahrteischiffe von der Gewährung einer Indultfrist auszunehmen, ist es zu einer Einigung nicht gekommen; Art. 1 des sechsten Abkommens der II. Haager Friedenskonferenz vom 18. X. 1907 bestimmt lediglich, daß es „erwünscht" sei, einem
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feindlichen Kauffahrteischiffe, welches sich beim Ausbruch der Feindseligkeiten in einem feindlichen H a f e n befindet, eine ausreichende Indultfrist zu gewähren: „ B e f i n d e t sich ein Kauffahrteischiff einer der kriegführenden Mächte beim Ausbruche der Feindseligkeiten in einem feindlichen Hafen, so ist es erwünscht, d a ß ihm g e s t a t t e t wird, unverzüglich oder binnen einer ihm zu vergönnenden ausreichenden Frist frei auszulaufen und, mit einem Passagierscheine versehen, u n m i t t e l b a r seinen B e s t i m m u n g s h a f e n oder einen sonstigen, ihm bezeichneten H a f e n aufzusuchen. Das gleiche gilt f ü r ein Schiff, das seinen letzten A b f a h r t s h a f e n vor dem Beginne des Krieges verlassen h a t u n d ohne Kenntnis der Feindseligkeiten einen feindlichen H a f e n anläuft". Aus der Fassung des A r t . 2, in welchem v o n Schiffen gesprochen wird, denen „ d a s Auslaufen nicht g e s t a t t e t worden i s t " , geht zur Genüge hervor, daß die Vertragsmächte des H a a g e r A b k o m m e n s ein R e c h t auf die G e w ä h r u n g einer Indultfrist nicht a n e r k a n n t h a b e n ; somit ist an dem früheren Z u s t a n d nichts g e ä n d e r t worden, nach wie vor s t a n d es im Belieben der feindlichen Kriegsmacht, das Zugeständnis einer ausreichenden Frist zum Auslaufen zu versagen. Insofern ist allerdings eine Milderung erzielt worden, als ein Kauffahrteischiff, welches „infolge höherer Gewalt den feindlichen Hafen nicht binnen der im A r t . 1 e r w ä h n t e n Frist h a t verlassen können oder dem das Auslaufen nicht ges t a t t e t worden i s t " , nicht eingezogen werden darf (Art. 2), w ä h r e n d dagegen in der Zeit vor der II. H a a g e r Konferenz solche Schiffe stets b e s c h l a g n a h m t u n d eingezogen werden konnten. Nach den Bestimmungen des zweiten Absatzes in A r t . 2 dürfen die zurückgehaltenen Schiffe nur entweder u n t e r der Verpflichtung, sie nach dem Kriege ohne E n t s c h ä d i g u n g zurückzugeben, mit Beschlag belegt oder aber gegen E n t s c h ä d i g u n g f ü r den K r i e g f ü h r e n d e n angefordert werden. Ähnlich werden diejenigen feindlichen K a u f f a h r t e i schiffe behandelt, die „ i h r e n letzten A b f a h r t s hafen vor dem Beginn des Krieges verlassen haben u n d in U n k e n n t n i s der Feindseligkeiten auf See betroffen w e r d e n " (Art. 3); die Bes t i m m u n g bietet allerdings dem nehmenden Schiffe außer den übrigen Rechten die Möglichkeit einer Zerstörung gegen E n t s c h ä d i g u n g u n d u n t e r der Verpflichtung, f ü r die Sicherheit der Personen u n d die E r h a l t u n g der Schiffspapiere zu sorgen. Die feindlichen W a r e n werden wie die Schiffe behandelt (Art. 4). A r t . 5 e n t h ä l t die B e s t i m m u n g , daß solche Kauffahrteischiffe die Vorzüge der Bestimmungen in A r t t . 1—4 nicht genießen, deren Bau erkennen läßt, daß sie
zur U m w a n d l u n g in Kriegsschiffe bes t i m m t sind. 3. D a s f e i n d l i c h e S c h i f f . Es wird allgemein angenommen, daß ein Schiff d a n n als feindlich anzusehen ist, wenn es die Flagge des Feindes f ü h r t . In diesem Falle ist also die Flagge das entscheidende M o m e n t bei der Beurteilung der feindlichen Eigens c h a f t , w ä h r e n d die Frage des E i g e n t u m s nicht b e r ü h r t wird u n d es somit einerlei ist, ob der Schiffseigentümer dem feindlichen oder einem neutralen S t a a t e angehört. Soweit gehen die beiden Anschauungen, die sich in bezug auf die Frage der Eigenschaftsbeurteilung eines Schiffes herausgebildet h a b e n , von derselben Auffassung aus. Die f r a n zösische Auffassung t r i t t aber in einen Gegensatz zu der englisch-amerikanischen bei der Beurteilung der Fälle, in denen ein Schiff die n e u t r a l e Flagge f ü h r t . Nach französischer Rechtsprechung galt bisher ein solches Schiff als von der Beschlagnahme befreit, auch dann, wenn ein Miteigentümer des Schiffes feindlich war, w o r a u s zu schließen ist, daß das Schiffseigentum im Seebeuterecht nach französischer Auslegung als ein unteilbares Ganzes angesehen wurde. Die englisch-amerikanische Auffassung dagegen, der sich auch J a p a n angeschlossen h a t t e , ging davon aus, daß ein Schiff, welches eine neutrale Flagge f ü h r t , erst d a n n von der W e g n a h m e befreit wäre, wenn alle Eigent ü m e r neutrale Personen sind. T r i t t der Fall ein, daß einer oder mehrere E i g e n t ü m e r feindlich sind, so gilt der Teil, der auf diese Personen entfällt, als feindliches E i g e n t u m . Nach französischem Recht ist die S t a a t s angehörigkeit, nach englisch-amerikanischer Auffassung das Domizil f ü r die Beurteilung, ob die Schiffseigentümer feindlich sind, m a ß gebend. In diesem Widerstreite der beiden verschiedenen Auffassungen h a t die Londoner Seekriegskonferenz eine E n t s c h e i d u n g durch A n n a h m e des S t a n d p u n k t e s getroffen, wie er durch Deutschland, R u ß l a n d , Italien u n d die Niederlande v e r t r e t e n worden ist, w ä h r e n d Frankreich seine R e c h t s a u f f a s s u n g in einer Denkschrift nicht dargelegt h a t : d a n a c h richtet sich die Beurteilung der feindlichen Eigenschaft eines Schiffes lediglich nach der Flagge des Schiffes, welche dieses berechtigterweise f ü h r t (Art. 57), wobei allerdings die Bestimmungen über den Flaggenwechsel in A r t t . 55 u n d 56 zu berücksichtigen sind. In diesen Abschnitten der Londoner Deklaration wird sowohl der vor als auch nach Beginn der Feindseligkeiten herbeig e f ü h r t e Übergang eines feindlichen Schiffes zur neutralen Flagge geregelt. Die deutsche P r i s e n o r d n u n g h a t sich der Auffassung der Londoner Deklaration angeschlossen u n d
Seebeuterecht durch ihre B e s t i m m u n g e n in den §§ 12—15 eng an diese Vorschriften a n g e l e h n t : „Als feindliche Schiffe sind diejenigen zu behandeln, die nach Beginn der Feindseligkeiten v o n der feindlichen zu einer neutralen Flagge übergegangen sind, wenn a) entweder der K o m m a n d a n t nicht die Überzeugung gewinnt, daß der Ü b e r g a n g auch ohne den Ausbruch des Krieges erfolgt wäre, ζ. B. infolge von E r b g a n g , B a u v e r t r a g ; b) oder der Ü b e r g a n g b e w i r k t ist, w ä h r e n d das Schiff sich auf der Reise oder in einem blockierten H a f e n b e f a n d ; c) oder ein R ü c k k a u f s - oder ein R ü c k fallsrecht v o r b e h a l t e n ist; d) oder die Bedingungen nicht erfüllt worden sind, von denen das Flaggenrecht nach der Gesetzgebung des Flaggenstaates abhängt. Ist der Übergang zur neutralen Flagge innerhalb von 30 T a g e n vor dem A u s b r u c h der Feindseligkeiten erfolgt, so ist das Schiff als feindliches zu behandeln, wenn a) entweder die f ü r die Gültigkeit des Überganges erforderlichen rechtlichen Bedingungen nicht erfüllt sind, also tatsächlich ein gültiger Ü b e r g a n g zur neutralen Flagge nicht s t a t t g e f u n d e n h a t ; b) oder begründete Aussicht besteht, vor dem Prisengericht zu beweisen, daß der Ü b e r g a n g erfolgt ist, um das Schiff den Folgen seiner Eigenschaft als feindliches Schiff zu entziehen (vgl. 12a), so namentlich, w e n n das Schiff nach dem Übergang weiter in der gleichen F a h r t wie vorher verwendet wird; c) oder die Ü b e r t r a g s u r k u n d e nicht an Bord ist, es sei denn, daß gewichtige Gründe d a f ü r sprechen, daß der Übergang auch ohne den Kriegsausbruch erfolgt wäre (vgl. 12a); die A u f b r i n g u n g des Schiffes gibt in solchem Falle nie zu Schadenersatz Anlaß (vgl. 8). Ist der Ü b e r g a n g zur neutralen Flagge f r ü h e r als 30 Tage v o r dem A u s b r u c h der Feindseligkeiten erfolgt, so ist das Schiff n u r d a n n als feindliches zu behandeln, wenn a) der Ü b e r g a n g s p ä t e r als 60 T a g e vor A u s b r u c h der Feindseligkeiten erfolgt ist, w e n n ferner b) der Ü b e r g a n g nur bedingt oder unvollständig ist oder der Gesetzgebung der beteiligten L ä n d e r nicht entspricht oder zur Folge h a t , daß die Kontrolle über d a s Schiff oder der Gewinn aus seiner Verwendung in denselben H ä n d e n wie vorher verbleibt, u n d wenn a u ß e r d e m c) b e g r ü n d e t e Aussicht besteht, vor dem Prisengericht zu beweisen, daß der Übergang erfolgt ist, um das Schiff den Folgen seiner j E i g e n s c h a f t als feindliches Schiff zu e n t - !
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ziehen. Dieses k a n n im besonderen angen o m m e n werden, w e n n sich die Übertragungsu r k u n d e nicht an Bord b e f i n d e t ; die Aufbringung des Schiffes gibt in solchem Falle nie zu Schadensersatz Anlaß (vgl. 8). Ist der K o m m a n d a n t nicht in der Lage festzustellen, welcher Flagge ein zu einer neutralen Flagge übergegangenes Schiff vorher angehört h a t , so ist er berechtigt anzunehmen, daß es der feindlichen Flagge angehört h a t . " 4. D i e f e i n d l i c h e W a r e . Ebenso wie sich bei der Beurteilung der Schiffseigens c h a f t zwei Auffassungen gegenüberstehen, finden auch die Bestimmungen des A r t . 58 der Londoner Deklaration, welcher sich mit der neutralen oder feindlichen Eigenschaft der W a r e b e f a ß t , zwei entgegengesetzte Meinungen vor. A r t . 58 l a u t e t : „Die neutrale oder feindliche Eigenschaft der an Bord eines feindlichen Schiffes vorgefundenen W a r e n wird durch die neutrale oder feindliche Eigens c h a f t des Eigentümers b e s t i m m t " , wozu A r t . 59 ergänzend h i n z u f ü g t : „ Ist die neutrale Eigenschaft der an Bord eines feindlichen Schiffes vorgefundenen Ware nicht nachgewiesen, so wird v e r m u t e t , daß die W a r e feindlich i s t " . Die feindliche oder neutrale Eigenschaft des Eigentümers richtet sich entweder nach seiner Staatsangehörigkeit oder nach seinem W o h n s i t z ; denn es ist auf der Londoner Seekriegskonferenz nicht gelungen, zwischen den Anschauungen des Nationalitätsprinzips und des Domizilprinzips eine Einigung herbeizuführen, was v o n nicht zu unterschätzender B e d e u t u n g und von w e i t t r a g e n d s t e n Folgen begleitet gewesen ist. Nach englisch-amerikanischer Auffassung ist der Wohnsitz des Eigentümers f ü r die Beurteilung der Wareneigenschaft m a ß g e b e n d und entscheidend, eine Lehre, welche sogar dahin f ü h r t e , englische S t a a t s angehörige im feindlichen Lande in den Grenzen des Seebeuterechts als Feinde zu betrachten. Dieser Auffassung h a b e n sich J a p a n , Spanien u n d die Niederlande angeschlossen, w ä h r e n d Deutschland, R u ß l a n d und Italien in den Denkschriften zur Londoner Seekriegskonferenz der französischen Meinung b e i t r a t e n . Diese t r i t t d a f ü r ein, d a ß wie bei der Frage bezüglich der neutralen oder feindlichen Eigenschaft des Schiffseigentümers so a u c h bei der Beurteilung, ob eine W a r e als feindlich oder neutral anzusprechen ist, die Staatsangehörigkeit das entscheidende Moment bildet. Die das Eigent u m beweisenden U r k u n d e n müssen nach französischer Lehre vorliegen, wenn eine D u r c h s u c h u n g des Schiffes s t a t t f i n d e t ; außerdem m u ß der E i g e n t ü m e r seine neutrale Eigenschaft beweisen. Die deutsche Prisen-
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Ordnung hat im § 20 dieses Nationalitätsprinzip durchgeführt: a) „Der Kommandant hat das an Bord eines feindlichen Schiffes betroffene Gut als feindliches Gut anzusehen, es sei denn, daß dessen Eigenschaft als neutralen Gutes einwandfrei erwiesen ist. b) Die Eigenschaft des auf einem feindlichen Schiff betroffenen Gutes als neutralen oder feindlichen Gutes bestimmt sich nach der Staatsangehörigkeit des Eigentümers. Besitzt dieser keine oder sowohl eine neutrale wie die feindliche Staatsangehörigkeit, so bestimmt sich die Eigenschaft des Gutes nach dem Wohnsitz des Eigentümers. Güter, die einer Aktiengesellschaft gehören, werden als feindliche oder neutrale angesehen, je nachdem die Gesellschaft ihren Sitz in feindlichem oder neutralem Lande hat. Der Nachweis, wessen Eigentum Teile der Ladung sind und ob sie neutrales Gut sind, wird an Bord im allgemeinen kaum geführt werden können. c) Die Eigenschaft des an Bord eines feindlichen Schiffes verfrachteten Gutes als feindlichen Gutes bleibt bis zur Ankunft am Bestimmungsort bestehen, ungeachtet eines während der Reise nach Ausbruch der Feindseligkeiten eingetretenen Eigentumswechsels. d) Neutrales Gut kann während der Reise in feindliches Eigentum übergehen." Die unter c im § 20 der deutschen Prisenordnung getroffene Vorschrift ist eine aus der Londoner Deklaration übernommene Bestimmung, nach deren Art. 60 Abs. 1 die feindliche Eigenschaft der an Bord eines feindlichen Schiffes verladenen Ware bis zur Ankunft am Bestimmungsorte bestehen bleibt, ungeachtet eines während der Reise nach Beginn der Feindseligkeiten eingetretenen Eigentumswechsels. Diese Regelung entspricht der englischen Auffassung, wonach der Eigentumswechsel in transitu hinsichtlich der Ware als ungültig anzusehen ist, während die französische Meinung auf dem Standpunkt steht, daß ein Eigentumswechsel in transitu dann zulässig sein soll, wenn er in gutem Glauben vorgenommen worden ist. 5. B e s c h r ä n k u n g e n in d e r A u s ü b u n g des S e e b e u t e r e c h t s . Im elften Abkommen der II. Haager Friedenskonferenz vom 18. X. 1907 haben die Vertragsmächte sich gewisse Beschränkungen in der Ausübung des Beuterechts im Seekriege auferlegt. In der Zeit vor diesem Abkommen unterlagen Briefpostsendungen stets der Durchsuchung und Wegnahme, wenn sie sich auf feindlichen Schiffen befanden; es gab nur wenige sog. Postverträge, die eine derartige Beschlagnahme zu verhindern suchten. Art. 1 Abs. 1 des elften Abkommens bestimmt, daß
„die auf See auf neutralen oder feindlichen Schiffen vorgefundenen Briefpostsendungen der Neutralen oder der Kriegführenden, mögen sie amtlicher oder privater Natur sein, unverletzlich sind. Erfolgt die Beschlagnahme des Schiffes, so sind sie von dem Beschlagnehmenden möglichst unverzüglich weiterzubefördern". Diese Bestimmungen finden im Falle des Blockadebruches keine Anwendung auf die Briefsendungen, die nach dem blockierten Hafen bestimmt sind oder von ihm kommen (Art. 1 Abs. 2). Trotz der Unverletzlichkeit der Briefpostsendungen sind die Postdampfer nicht den Gesetzen und Gebräuchen des Seekriegs entzogen, welche die neutralen Kauffahrteischiffe im allgemeinen betreffen; jedoch ist vorgeschrieben, daß ihre Durchsuchung nur im Notfall unter möglichster Schonung und mit möglichster Beschleunigung vorgenommen werden soll (Art. 2). Nach Art. 3 und 4 desselben Abkommens sind verschiedene Arten von Fahrzeugen von der Wegnahme befreit. So sind vor allem die ausschließlich der Küstenfischerei oder den Verrichtungen der kleinen Lokal-Schifffahrt dienenden Fahrzeuge sowie ihr Fischereigerät, ihre Takelage, ihr Schiffsgerät und ihre Ladung von der Beschlagnahme ausgenommen (Art. 3 Abs. 1); diese Vorzugsstellung genießen die Küstenfischerei-Fahrzeuge auch dann, wenn sie sich von dem Küstenmeere entfernen oder an den Küsten eines anderen Staates fischen, sie hört aber auf, sobald sie in irgendwelcher Art an den Feindseligkeiten teilnehmen (Art. 3 Abs. 2). Die von Holland im Jahre 1907 angestrebte Befreiung auch für solche Schiffe, die der Hochseefischerei dienen, hat nicht in die Wirklichkeit umgesetzt werden können. Durch Art. 3 Abs. 3 werden die Vertragsmächte ausdrücklich dazu verpflichtet, nicht den harmlosen Charakter dieser Fahrzeuge auszunutzen, um sie etwa unter Beibehaltung ihres friedlichen Aussehens zu militärischen Zwecken zu verwenden. Im übrigen haben die Kriegsschiffe die Befugnis, den Fischereifahrzeugen unter Umständen einen bestimmten Kurs vorzuschreiben (vgl. Protokolle der II. Haager Friedenskonferenz, III, S. 972). Die französischen Instruktionen von 1920 haben folgende Verkehrsbeschränkung angeordnet: „Toutefois vous ne tolererez la peche et la petite navigation locale sur les cötes de l'ennemi que pendant le jour". In gleicher Weise wie die KüstenfischereiFahrzeuge sind solche Schiffe von der Wegnahme befreit, die mit religiösen, wissenschaftlichen oder menschenfreundlichen Aufgaben betraut sind (Art. 4); sie verfallen daher auch der Möglichkeit einer Beschlag-
Seebeuterecht nähme, wenn sie in irgendwelcher Art an den Feindseligkeiten teilnehmen. Ein Geleitbrief, wie er auf der Konferenz von italienischer Seite vorgeschlagen worden war, ist für diese Schiffe mit religiösem, wissenschaftlichem oder menschenfreundlichem Charakter nicht notwendig. In dem elften Abkommen der II. Haager Friedenskonferenz ist fernerhin im dritten Kapitel die Behandlung der Besatzung der von einem Kriegführenden weggenommenen feindlichen Kauffahrteischiffe geregelt. Die Mannschaft darf in diesem Fall, sofern sie einem neutralen Staate angehört, nicht zu Kriegsgefangenen gemacht werden, während Kapitäne und Offiziere eines solchen Schiffes ein förmliches schriftliches Versprechen abgeben müssen, während der Dauer des Krieges auf keinem feindlichen Schiff Dienste zu nehmen, wenn sie dieselben Vergünstigungen genießen wollen (Art. 5). Kapitän, Offiziere und Mannschaft, die einem feindlichen Staate angehören, werden ebenfalls nicht zu Kriegsgefangenen gemacht, wenn sie sich unter Bekräftigung mit einem förmlichen schriftlichen Versprechen verpflichten, während der Dauer der Feindseligkeiten keinen Dienst zu übernehmen, der mit den Kriegsunternehmungen im Zusammenhang steht (Art. 6). Die feindliche Kriegsmacht darf die unter Abgabe der Verpflichtung freigelassenen Personen, deren Namen ihr von der nehmenden Kriegsmacht mitgeteilt werden, wissentlich nicht verwenden (Art. 7). Sobald Schiffe an den Feindseligkeiten teilnehmen, entfallen die Vergünstigungen der A r t t . 5—7 (Art. 8).
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noch Ladung von der Einziehung. Es muß jedoch der Beweis erbracht werden, daß bei dem Schiff stets die Absicht bestanden hat, die Waren bis zu ihrer letzten Bestimmung zu befördern. Läßt sich dieser Beweis nicht erbringen, und ist das Vorhandensein der Waren an Bord während des zweiten Teiles der Reise dadurch begründet, daß sich für sie eine günstige Absatzgelegenheit in dem neutralen Hafen nicht gefunden hat, so unterliegt weder Schiff noch Ladung der Kondemnierung". Dieser Auffassung hinsichtlich der feindlichen Küstenfrachtfahrt haben sich Deutschland, Rußland und J a p a n angeschlossen. Von einer internationalen Regelung der Lizenzfahrten ist abgesehen worden: „Der Fall, wo ein neutrales Schiff eine ihm in Friedenszeiten nicht gestattete Schiffahrt betreibt, bleibt außer Betracht und wird durch diese Regeln in keiner Weise berührt" (Art. 57 Abs. 2 der Londoner Deklaration), während die deutsche Prisenordnung in § 16a bestimmt, daß ein neutrales Schiff als feindliches Schiff zu behandeln ist, wenn „es eine Schiffahrt betreibt, die ihm von der feindlichen Staatsgewalt erst nach Ausbruch des Krieges oder innerhalb zweier Monate vorher gestattet ist". Zur Beförderung von Parlamentären und anderen Personen, die bevollmächtigt sind, mit dem Gegner zu verhandeln, können feindliche Kauffahrteischiffe benutzt werden; in diesem Falle sind solche Schiffe als sog. Kartellboote vom Seebeuterecht ausgenommen (§ 6 der deutschen Prisenordnung; Art. 13 des amerikanischen naval war code; Art. 32ff. des englischen naval prize law; § 35 der japanischen Seeprisenordnung) und dürfen Es ist bemerkenswert, daß nach Art. 9 sogar nicht einmal durchsucht werden. die Bestimmungen sowohl über die Briefpostsendungen und die Befreiung gewisser 6. E n g l a n d i m S e e k r i e g e 1 9 1 4 — 1 8 Fahrzeuge von der Wegnahme als auch über u n d d a s S e e b e u t e r e c h t . England hat die Behandlung der Besatzung auf wegge- die für den Seekrieg niedergelegten Benommenen feindlichen Kauffahrteischiffen stimmungen nicht beachtet, und es bedarf zwischen den Vertragsmächten nur dann für die deutsche Wissenschaft der größten Anwendung finden, wenn die Kriegführenden moralischen Kraft, sich ohne tiefsten Schmerz sämtlich Vertragsparteien sind. und gerechte Empörung mit den unzähligen Leuchtturmboote und Lotsenschiffe sind völkerrechtswidrigen Handlungen Englands meist nicht von der Wegnahme befreit; zu befassen und sie mit der gewohnten Obsoweit keine besonderen Bestimmungen ge- jektivität zu behandeln; ist es doch England troffen sind, liegt es im Belieben jedes Staates, gelungen, durch skrupelloseste Umgehung wie solche Schiffe zu behandeln sind. Was der völkerrechtlichen Abmachungen unter die sog. Lizenzfahrten betrifft, so nahm den Vorwänden der Humanität, der GerechEngland in seiner Denkschrift zur Londoner tigkeit und des Eintritts für den Schutz der Konferenz folgenden Standpunkt ein: „Unter- kleinen und neutralen Staaten den Ausgang nimmt ein neutrales Schiff im Kriege eine des großen Weltkriegs maßgebend zu beFahrt, die ihm im Frieden nicht gestattet einflussen. ist, ζ. B. f ü h r t es im Kriege Fahrten aus, die Schon zu Beginn des Seekrieges hat im Frieden ausschließlich den Schiffen England unter Nichtbeachtung der in der feindlicher Nationalität vorbehalten sind, Pariser Seerechtsdeklaration von 1856, in so befreit die Einschiebung eines neutralen den Bestimmungen der Haager FriedensHafens in den Verlauf der Reise weder Schiff konferenzen und in der Londoner Deklaration
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von 1909 festgelegten Grundsätze deutsche Schiffe, selbst in neutralen Gewässern, weggenommen und vernichtet, hat deutsche Reservisten, obwohl sie noch in keinem militärischen Dienstverhältnis standen, aus neutralen Schiffen heraus gefangengesetzt und hat fast alle Waren, deren Beförderung auf neutralen Schiffen stets als erlaubt gegolten hat, als Kriegskonterbande beschlagnahmt; England hat unter Verletzung der grundlegenden und ältesten Sätze des Völkerrechts durch die versuchte Sperrung der Nordsee die Freiheit der Meere vergewaltigt, hat den Handel der neutralen Staaten mit Getreide, Petroleum, Kupfer, Baumwolle, Kaffee, Häuten, Nitraten, Tran und Kohlen geschädigt und teilweise unmöglich gemacht. Die Fälle sind zu zahlreich, als daß jedes einzelne Vorkommnis des Seeraubs eingehend betrachtet werden könnte; immerhin aber ist es notwendig im Interesse sowohl der völkerrechtlichen Wissenschaft als auch derjenigen Staaten, welche Seehandel betreiben, den durch den Weltkrieg hervorgerufenen Tatbestand durch einzelne besonders treffende Beispiele festzulegen. Es ist bemerkenswert, daß selbst solche Staaten Beschwerde über die englischen Eingriffe in die Rechte der Neutralen geführt haben, die später als Verbündete mit England zusammen gegen die Mittelmächte Krieg führten. In der Protestnote der Vereinigten Staaten von Amerika vom 28. X I I . 1914 heißt es u. a. folgendermaßen: ,,. . . Die Regierung der Vereinigten Staaten hat mit wachsender Besorgnis beobachtet, welche große Anzahl von Schiffen mit amerikanischen Waren, die für neutrale Häfen in Europa bestimmt waren, auf hoher See beschlagnahmt und in britische Häfen gebracht wurde. . . Es ist deshalb sehr bedauerlich, daß, obgleich nahezu fünf Monate seit dem Ausbruch des Krieges vergangen sind, die britische Regierung ihre Politik nicht merklich geändert hat und Schiffe und Ladungen, die in friedlicher Ausübung rechtmäßigen Handels •— den die Kriegführenden eher schützen als unterbrechen sollten — zwischen neutralen Häfen verkehren, in nicht weniger schädigender Weise behandelt. . . Die amerikanische Regierung sieht sich genötigt, den Schluß zu ziehen, daß die augenblickliche Politik Seiner Majestät Regierung gegen neutrale Schiffe und Ladungen über die offensichtliche Notwendigkeit eines Kriegführenden hinausgeht und eine Einschränkung der Rechte amerikanischer Bürger auf hoher See bedeutet, die nicht durch die Regeln der internationalen Gesetze gerechtfertigt oder von dem Gesetze der Selbsterhaltung gefordert wird. . . Mit einem
W o r t : der rechtmäßige Handel wird erheblich gestört durch die Unsicherheit in der Behandlung, die er durch die britischen Behörden erfährt. . . Die Produzenten und Exporteure, Schiffahrts- und Versicherungsgesellschaften drängen, und nicht ohne Grund, auf Aufhebung der Bedrohung des transatlantischen Handels, die allmählich, aber sicher ihre Geschäfte vernichtet und sie mit finanziellem Untergang bedroht." Auch Italien hat lebhaft Beschwerde über die englische Handlungsweise geführt; denn seine Schiffahrt unterlag zu Beginn des Krieges völlig der englischen Aufsicht bei Gibraltar. Unter dem Vorwande, daß irgendwelche auf den Schiffen befindliche Waren dazu bestimmt sein könnten, nach Deutschland oder Österreich weiterversandt zu werden, setzte England nach eigenem Belieben fest, welche Waren für die Einfuhr zugelassen werden sollten. So sind beispielsweise die Schiffe „Regina d'Italia", „Duca di Genova" und „San Giovanni" mit Kupferladungen vor Gibraltar festgehalten worden, obgleich erst sechs Tage nach ihrer Ausreise von New York das Kupfer als Kriegskonterbande erklärt worden ist. Erst nachdem das gesamte Kupfer gelöscht worden war, konnten die Schiffe ihre Reise fortsetzen. Die „Regina Elena" wurde nach Toulon geschleppt, da sie Güter an Bord hatte, welche an Orders und nicht an eine bestimmte Person ausgeliefert werden sollten; der „Tirreno" wurde zurückgehalten, da die Ware an eine 12 Jahre in Genua ansässige Firma schweizerischer Herkunft gerichtet war. Noch mehr als manche überseeischen Länder hatten die neutralen nordischen Staaten Holland, Dänemark, Schweden und Norwegen unter den Folgen der englischen Seekriegsführung zu leiden. In der gemeinsamen Protestnote Dänemarks, Norwegens und Schwedens wird darüber Klage geführt, daß die Grundsätze über Durchsuchung und Kaperung, die seit Jahrhunderten anerkannt seien, nicht mehr beachtet und bestehende Rechte von England verletzt würden. „England legt nämlich Beschlag auf Güter, die unter neutraler Flagge beispielsweise von Amerika nach Schweden gesandt werden, und verlangt, damit die Waren freigegeben werden können, entweder, das seitens des schwedischen Staates ein Ausfuhrverbot in bezug auf die fraglichen Warengattungen verhängt sein soll oder aber, daß der schwedische Kaufmann, f ü r welchen die Ware bestimmt ist, das Versprechen abgeben soll, daß er die Waren nicht nach Deutschland sende. Derartige Ansprüche hat England nur gegen die kleinen Staaten erhoben, obwohl es wieder-
Seebeuterecht holt versichert hat, daß ihm das Wohl der kleinen neutralen Mächte ganz besonders am Herzen liege." (Qoeteborg Handels-och Sjoefartstidning). Spanien hatte darunter zu leiden, daß der bedeutende Ausfuhrhandel in Eisenerzen nach Rotterdam, von dem ein großer Teil der Bevölkerung lebt, von England unterbunden wurde. Die Londoner Deklaration ist somit völlig unbeachtet geblieben; mit nach und nach vorgenommenen Änderungen und neuen Vorschriften hat England allmählich seine wichtigsten Bestimmungen beseitigt und damit den Handel der Neutralen lahmgelegt . (vgl. den Art. „Konterbanderecht" Abschn. 7). Ebenso völkerrechtswidrig war die Handlungsweise Englands, Handelsschiffe unter neutraler Flagge nach deutschen und österreichisch - ungarischen Staatsangehörigen, nicht nur auf hoher See sondern auch in Hoheitsgewässern, zu durchsuchen und, falls sich solche an Bord befanden, diese gefangen zu nehmen. Auch gegen Art. 1 des elften Abkommens der zweiten Haager Friedenskonferenz ist seitens Englands verstoßen worden: auf den italienischen Postdampfer „Letimbro" wurde durch die kriegführenden Geschwader im Mittelmeer ein brutaler Überfall verübt; ferner haben englische Schiffskommandanten die zwischen Barcelona und Genua verkehrende Briefpost neutraler schweizerischer Handelshäuser wiederholt erbrochen und durchsucht, was aus dem Stempelaufdruck „Opened by Censor" hervorging.
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Admiralität hat von Beginn des Krieges an den englischen Reedereien empfohlen, ihre Schiffe durch neutrale Flaggen und Abzeichen zu maskieren; es ist festgestellt worden, daß dieses System der Täuschung von den englischen Handelsschiffen vielfach befolgt worden ist. Bei der vorletzten Fahrt der „Lusitania" von New York nach Liverpool hißte diese beim Eintritt in die Gewässer des Kriegsgebiets eine neutrale Flagge. Was das „armierte Handelsschiff" betrifft, so war diese Erfindung schon vor dem Kriege von Churchill eingeführt worden. Durch die Bewaffnung der Handelsschiffe ist jedoch alles das zunichte gemacht, was die völkerrechtlichen Vereinbarungen im Interesse der auch in Kriegszeiten zu achtenden Handelsschiffahrt an Bestimmungen und Vorschriften geschaffen haben; denn gerade in der Trennung der Begriffe „Handelsschiff" und „Kriegsschiff" liegt zunächst die einzige Möglichkeit, Kaperei und Seeräuberwesen zu beseitigen. England hat fast alle Handelsschiffe, ja selbst Lustjachten und Fischdampfer bewaffnet, welche mit ausgebildetem Personal versehen waren; deutsche U-Boote, die sich solchen Schiffen näherten, um Nationalität, Ladung usw. zu untersuchen, sind angegriffen worden.
Diese Art der englischen Seekriegsführung hat Zustände geschaffen, die in die Zeiten zurückzuführen scheinen, wo Krieg, Handel und Seeräubertum nicht zu trenneii waren; eine größere Enttäuschung hat wohl selten ein Recht erlebt, denn das Völkerrecht steht Wiederholt hat die englische Admiralität nunmehr vor den Trümmern eines seiner versucht, manche ihrer völkerrechtswidrigen wichtigsten Gebäude, vernichtet durch die Handlungen damit zu motivieren, daß gewissenlosen Taten Englands. deutsche Fischereifahrzeuge unter neutraler Literatur: Flagge Minen in der Nordsee ausgelegt haben sollen, was jedoch unzutreffend ist, weshalb Bluntschli, Das Beuterecht im Kriege und das Seebeuterecht insbesondere, Nörddenn auch eine Note der deutschen Regierung lingen, 1878. — Boeck, Propriete privee darauf hinwies, daß „der Aufwand an starken ennemie sous pavilion ennemie, Paris 1882. Worten und sittlicher Entrüstung, womit der — Duboc, Le droit de visite et la guerre de britische Protest die deutsche Regierung vor course, 1902. — Dupuis, Le droit de la den neutralen Mächten denunziert, durch das guerre maritime d'apres les doctrines anglaises contemporaines, Paris 1899. — deutsche Vorgehen in keiner Weise gerechtEndres, Die völkerrechtlichen Grundsätze fertigt sei". „Dieser Protest ist offenbar ein der Kriegführung zu Lande und zur See, Mittel, um die englischerseits beliebten Berlin 1909. — Eyck, Der englische Lordschweren Verletzungen der in der Londoner kanzler gegen das Seebeuterecht, in Seekriegsrechtserklärung niedergelegten Re„Deutsche Juristen-Zeitung", 1. X. 1906. geln des geltenden Völkerrechts zu ver— Ferber, Internationale Rechtsverhältdecken." Die von holländischer Seite eingenisse der Kriegs- und Handelsschiffe in leitete Untersuchung hatte im übrigen erKrieg und Frieden, Kiel 1895. — Fonseka, geben, daß die angeschwemmten Minen Der deutsche Seehandel und die Prisendurchgehends englische waren und sich unter gerichte, Berlin 1873. — Geßner, Das Recht des neutralen Seehandels und eine ihnen keine deutsche befunden hat. Revision der darüber geltenden GrundSchließlich sind noch der vielfach vorgesätze des Völkerrechts, Breslau 1855. — kommene englische Flaggenschwindel und Hammann, Der Streit um das Seebeutedie Einrichtung des „armierten Handelsrecht, Berlin 1907. — Klobukowski, Die Seebeute oder das feindliche Privateigenschiffes" erwähnenswert. Die britische
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Seebeuterecht — Seekriegsrecht, Geschichte des
t u m zur See, Bonn 1877. — de Lescure, Le t r a i t e m e n t des Neutres sur mer pendant les dernieres guerres, Montpellier 1903. — Liepmann, Nach welchen Gesichtspunkten ist f ü r Zwecke des Seebeuterechts die feindliche oder neutrale Eigenschaft der Ware zu bestimmen?, in „Zeitschrift f ü r Internationales Privat- und Öffentliches R e c h t " , X V I I . Bd., 3. Heft. — Löwenthal, Das Untersuchungsrecht des internationalen Seerechts in Krieg und Frieden, 1905. — v. Maitzahn, Die Blockade als Mittel des Seekriegs in „Deutsche R u n d s c h a u " , Bd. 119, S. 399. — Marstrand-Mecklenburg, Das japanische Prisenrecht in seiner Anwendung im russisch-japanischen Kriege, Berlin 1908. — v. Mirbach, Die völkerrechtlichen Grundsätze des Durchsuchungsrechts zur See, Berlin 1903. — Niemeyer, Seebeuterecht im „ T a g " vom 6. III. 1909. — Pereis, Das internationale öffentliche Seerecht der Gegenwart, Berlin 1903. — Pohl, Deutsche Prisengerichtsbarkeit, Tübingen 1911. — Röpcke, Das Seebeuterecht, Leipzig 1904. — v. Schleinitz, Der Seehandel, das Seekriegsrecht und die Haager Friedenskonferenz, in „Deutsche Revue", Mai 1907. — Travers Twiss, The rights and duties of Nations in time of war, London 1863. — Willms-Bonn, Art. „Beuterecht und Seebeuterecht" und „Frei Schiff — Frei G u t " im Politischen Handwörterbuch, Leipzig 1923. — Ph. Zorn, Die Fortschritte des Seekriegsrechts durch die zweite Haager Friedenskonferenz, Tübingen 1908,. — Das Beuterecht im Seekriege gegenüber Fischereifahrzeugen, in „Zeitschrift f ü r internationales Privat- und Öffentliches R e c h t " , J a h r g . 1902, 1. u, 2,. Heft. — Handbuch des Völkerrechts IV. Bd., 1. u. 2. Abtlg. Besonderer Teil, Berlin 1915: Wehberg, Seekriegsrecht. — Vergl. auch die im Art. „Konterb'anderecht" angegebene Literatur! Henningsen.
Seekriegsrecht, Geschichte des. Dem Altertum wareinSeekriegsrecht überhaupt unbekannt. Was an Ansätzen zur Bildung eines Blockade- oder Konterbanderechts anzutreffen war, h a t t e mit den modernen Rechtsinstituten nur den Namen gemein. Ebensowenig konnte von einem Neutralitätsrecht die Rede sein. Die E n t wicklung läßt sich vielmehr, um ein Wort Kleens zu gebrauchen, dahin kennzeichnen, daß sich wohl vereinzelt Stimmen f ü r die Schonung der am Kriege nicht beteiligten Staaten erhoben haben, aber ein Unterschied zwischen Kriegführenden und Neutralen nicht anerkannt wurde. Der Seekrieg t r u g durchaus den Charakter eines Vernichtungskrieges. Seekrieg und Seeraub waren nahezu identisch. Das rücksichtslose Beutemachen
h a t t e zur notwendigen Folge, daß die neutralen Staaten ihren Untertanen Repressalienbriefe erteilten, auf Grund deren sie sich an den Angehörigen desselben Staats f ü r ihnen zugefügte Nachteile schadlos halten konnten. Den ersten Markstein in der Entwicklung bildete das Consolato del mare von 1370, dessen Grundsätze als gemeines Seerecht bis zur Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 in Geltung waren und dessen Inhalt sich in den beiden folgenden Rechtssprüchen zusammenfassen l ä ß t : 1. Frei Schiff, Unfrei Gut, d. h. feindliche Ware darf, wenn sie sich auf neutralen Schiffen befindet, weggenommen werden. 2. Unfrei Schiff, Frei Gut, d. h. neutrale Ware, auch wenn sie sich auf feindlichen Schiffen befindet, unterliegt nicht der Wegnahme. Dieser zwar folgerichtige, aber weitgehende Schutz des neutralen Eigentums f ü h r t e dazu, daß der feindliche Handel während eines Krieges von den Neutralen übernommen und ein ausgedehnter Transport von Konterbande getrieben wurde. So drängte die Entwicklung auf eine Regelung des Konterbanderechts. Wiederholt verpflichteten sich einzelne Staaten in Verträgen, ihren Untertanen den Konterbandehandel zu untersagen. Wurde ein Schiff beim Konterbandetransport überrascht, so verfiel es mit sämtlichen von ihm beförderten Waren der Einziehung. Eine Milderung schaffte erst die französische Ordonnanz von 1584, indem sie die Einziehung nur gegen Ersatz des Wertes gestattete. Darüber hinaus verbot die französische Ordonnanz von 1681 die Einziehung des Schiffes und der einwandfreien Ladung. Im übrigen f ü h r t e die teilweise Regelung des Rechts des neutralen Handels durch das Consolato del mare zur Ausbildung des Visitationsrechts, das später im pyrenäischen Vertrage vom J a h r e 1659 ausführlich geordnet wurde, und in dieser Gestalt im wesentlichen noch heute in Übung ist. Wurden den Neutralen durch das Consolato del mare weitgehende Rechte zugebilligt, so wurde andererseits gegen die feindlichen Staatsangehörigen und ihr Eigentum um so schärfer vorgegangen. Art. 41 der Magna Charta von 1215 gestattete ζ. B. die Festnahme feindlicher Kaufleute bei Kriegsausbruch und die Einziehung ihrer Güter ohne Entschädigung. Jedoch gewährten die Statutes of stapels den Kaufleuten befreundeter Staaten eine Frist von 40 Tagen zum Verlassen des Landes. Hier dürften wohl
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die ersten Anfänge der sog. d£Iai de faveur Englands, zur Ausbildung des Convoirechts, liegen. dessen Bedeutung darin ruht, daß die KriegsIn die gleiche Zeit etwa fielen auch die schiffe keine Durchsuchung der von ihnen Ansätze zur Entwicklung des jus angariae, begleiteten Kauffahrteischiffe zu dulden d. h. des Rechts zur Anforderung fremder brauchen. Schiffe zum Gebrauch in Kriegszeiten. Heiß umstritten war bereits in dieser Parallel damit liefen die Bestrebungen zur ersten Periode des Seekriegsrechts der BeEindämmung des Seeräuberunwesens. Um griff der Konterbande. Während Frankreich die Piraten von den zum Beutemachen be- in seinen Ordonnanzen von 1583 und 1584 rechtigten Schiffen zu unterscheiden, wurde wie auch in der Ordonnance de la marine die Ausübung des Prisenrechts von staat- von 1681 nur Kriegsmunition als Konterlicher Autorisation in Form eines Mark- oder bande betrachtete und der pyrenäische VerKaperbriefes abhängig gemacht. In praxi trag dieser Auffassung folgte, vertrat Engwurden jedoch oft auch Schiffe und Waren land von Anfang an den Standpunkt, daß neutraler Personen weggenommen, da bei der Lebensmittel und Schiffe sowie die zu ihrer Ausübung des Kaperrechts schwierige Rechts- Ausrüstung erforderlichen Materialien unter fragen auftraten, und es zudem an einer den Konterbandebegriff zu rechnen seien. wirksamen Kontrolle mangelte. So erhob Beweis dafür ist u. a. Art. 20 des Soutsich allgemein die Forderung, daß die Recht- hamptoner Vertrages von 1625. Einer Ermäßigkeit der Wegnahme durch ein Prisen- weiterung des Konterbandebegriffs diente die Lehre von Hugo G r o t i u s , der den Begriff verfahren nachgeprüft werden sollte. Hinsichtlich der Geltung des Consolato der Gegenstände usus ancipitis, d. h. der del mare ist zu bemerken, daß seine Grund- sowohl für den Krieg wie für den Frieden sätze von einer ganzen Reihe von Staaten dienenden Gegenstände in die Wissenschaft anerkannt wurden, daß aber im übrigen zwei einführte. Der Utrechter Vertrag und die Prinzipien ihm dieHerrschaft streitigmachten, auf ihn folgenden Handelsverträge benämlich die französische Ordonnanz und das schränkten den Begriff der Konterbande auf holländisch-portugiesische Recht. Die Or- Kriegsmunition, Salpeter, Pferde und Ausdonnance de la marine von 1681 schränkte den rüstung, wobei noch hervorzuheben ist, daß Schutz des neutralen Eigentums wesentlich diese Grundsätze in der Praxis keineswegs immer anerkannt werden. In diesem Zuein, indem sie bestimmte: sammenhangsei daran erinnert, daß Friedrich 1. Unfrei Schiff, Frei Gut, d. h. neutrale der Große im österreichischen Erbfolgekrieg Waren dürfen auf feindlichen Schiffen gegenüber Englands Bräuchen die Freiheit weggenommen werden. feindlicher Güter auf neutralen Schiffen 2. Unfrei Gut, Unfrei Schiff, d. h. ein forderte und die Weigerung Englands, die Schiff, das feindliche Waren transpor- verlangten Entschädigungen an die preutiert, darf sogar weggenommen werden, ßischen Reeder zu zahlen, mit der Beschlagwenn es neutral ist. nahme englischer Schiffe beantwortete. Danach war also die Beschlagnahme nur verboten, wenn sowohl Schiff wie Ware Die Blockade wurde im 16. und 17. Jahrneutrale Eigenschaft besaßen. Wesentlich hundert in Gestalt der fiktiven Blockade ausmilder war das holländisch-portugiesische geübt. So hat Holland ganze Küstenstriche Prinzip, weil die Holländer und Portugiesen für blockiert erklärt, auch wenn keine ausdurch ihren ausgedehnten Seehandel als reichenden Seestreitkräfte zur Durchführung Neutrale unter einem Seekrieg besonders zu dieser Maßnahme zur Verfügung standen. leiden hatten. Danach galten folgende Dieser weitgehenden Auffassung Schloß sich Rechtsparömien: auch England an. Beide Mächte erklärten 1. Frei Schiff, Frei Gut: Ist das Schiff ζ. B. im Vertrag von Whitehall von 1689 die neutral, so ist auch die auf ihm befind- gesamte französische Küste für blockiert. Aus der fiktiven Blockade ergeben sich zwei liche feindliche Ware frei. 2. Unfrei Schiff, Unfrei Gut: Auf feind- wichtige Folgen: lichen Schiffen darf neutrale Ware beDa es häufig unmöglich ist, die Blockadeschlagnahmt werden. brecher beim Durchbruch selbst zu fassen, Nach diesem System, das vor allem in den sah man den Blockadebruch bereits dann Utrechter Verträgen von 1713 und 1714 als erwiesen an, wenn nur die „zweifelsfreie anerkannt wurde, war also die nationale Absicht des Blockadebruchs" bestand (droit Flagge für die Behandlung des Gutes ent- de privention). Dementsprechend ging man andererseits auch dazu über, Blockadescheidend. Die starke Entwicklung des Seeverkehrs brecher nach gelungenem Blockadebruch bis im Anschluß an die Entdeckung neuer Erd- zur Erreichung ihres Bestimmungsortes aufteile führte, allerdings unter dem Widerstand II zubringen (droit de suite). Daraus hat sich
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Schweden zur Neutralisierung der Nordsee zusammen, ohne jedoch große Erfolge zu erzielen. Die anhaltenden Schädigungen führten sodann im Februar 1781 dazu, daß die Kaiserin Katharina von Rußland eine Flotte von 15 Kriegsschiffen zum Schutze der neutralen Schiffahrt mobilisierte, ein Unternehmen, das seine Spitze gegen England hatte. Am 28. I. 1780 wurde die berühmte Deklaration an die Höfe von London, Versailles und Madrid erlassen. Zum Schutze der neutralen Schiffahrt verlangte sie die Beachtung folgender Grundsätze: 1. daß die neutralen Schiffe ungehindert von Hafen zu Hafen und an den Küsten der kriegführenden Staaten entlang fahren dürfen; 2. daß die den Untertanen der kriegführenden Mächte gehörigen Güter auf neutralen Schiffen frei sein sollen; 3. daß nur unmittelbare Kriegsbedürfnisse Konterbande sein sollen; 4. daß ein Hafen nur dann als blockiert gelten soll, wenn die Einfahrt mit augenscheinlicher Gefahr verbunden ist; 5. daß diese Grundsätze in den Prozessen und Urteilen über die Legalität der Prisen zur Anwendung kommen sollen. Fast gleichzeitig mit der Deklaration wurden Verträge mit den neutralen Mächten vorbereitet. . Es kam zum Abschluß zweier Konventionen vom 9. VII. (28. VI.) 1780 zwischen Rußland und Dänemark und vom 1. VIII. (21. VII.) 1780 zwischen Rußland und Schweden. Man bezeichnet diese Verträge wegen ihrer einheitlichen Grundsätze als den russisch-dänisch-schwedischen Allianzvertrag von 1781 (I. bewaffnete Neutralität). Rückblickend läßt sich sagen, daß die Am 19. (8.) V. 1781 t r a t auch Preußen bei, Frühzeit des Seekriegsrechts eine völlige Des- getreu seinen Grundsätzen, die es in der organisation zeigt, wobei allerdings nicht nur Instruktion an die Kaperschiffe während des England sondern auch andere Staaten in Siebenjährigen Krieges vertreten hatte und Verfechtung ihrer wirtschaftlichen Interessen die später in der Pariser Seerechtsdeklaration bedenkliche, der heutigen Rechtsüberzeugung wie folgt formuliert wurden: zuwiderlaufende Maßnahmen erlassen haben. Frei Schiff, Frei Gut, 2. D a s Z e i t a l t e r d e r b e w a f f n e t e n Unfrei Schiff, Frei Gut. N e u t r a l i t ä t . Den Anlaß zur Bildung der Damit ging man allerdings über die Grundersten bewaffneten Neutralität bildete der sätze der bewaffneten Neutralität hinaus, Unabhängigkeitskrieg der amerikanischen denn diese wollten neutrale Güter auf feindKolonien. Während die Vereinigten Staaten lichen Schiffen von der Wegnahme nicht ausvon Amerika und Frankreich neutrale Waren schließen. England hat diese Grundsätze auf feindlichen Schiffen von der Beschlag- niemals anerkannt, sich jedoch vorübernahme ausnehmen und auch im Konter- gehend dem Zwang der Erklärung von 1780 banderecht milde Auffassungen vertraten, beugen müssen. handhabten England und Spanien das In den folgenden Verträgen ist der GrundKonterbande- wie Blockaderecht in rigoroser satz des Consolato del mare: Frei Schiff, Weise, insbesondere wandten sie das droit Unfrei Gut nicht wieder angenommen worden. de pr£vention und das droit de suite an. Er blieb jedoch als gemeines Völkerrecht in Wegen der dadurch verursachten Belästi- Geltung, wenn nicht, was häufig der Fall war, gungen der neutralen Schiffahrt schlossen etwas anderes vereinbart war. Der Krieg sich bereits 1779 Rußland, Dänemark u n d ! zwischen England und Frankreich gegen Ende später die Theorie der einheitlichen Reise entwickelt (siehe den Art. Continous Voyage I S. 203ff.)· Gegenüber diesem rigorosen Vorgehen Hollands und Englands schlossen sich Dänemark und Schweden im Jahre 1693 zu einer Defensivallianz zusammen, die zur Aufhebung der Blockade führte und als Vorläufer der späteren bewaffneten Neutralität bezeichnet werden kann. Wie über das Prinzip so herrschten auch über die Einzelheiten der Blockade große Meinungsverschiedenheiten. Es entwickelte sich daraus ein ständiger Kampf zwischen den Kriegführenden (speziell England) und den Neutralen, der sich vor allem um dieTatbestandsmerkmale drehte. Bedeutsam für die erste Epoche des Seekriegsrechts ist die Rule of the war von 1756. Ihre Entstehung ist darauf zurückzuführen, daß Frankreich während des Siebenjährigen Krieges dazu überging, den Handel zwischen seinen amerikanischen Kolonien und dem Mutterlande neutralen, insbesondere holländischen Schiffen zu übertragen. Diese Schiffe wurden von England wie feindliche Schiffe behandelt. Man suchte nun die Rule dadurch zu umgehen, daß man die neutralen Schiffe nach neutralen Häfen dirigierte, von wo die Waren nach dem endgültigen Bestimmungslande verfrachtet wurden. England begegnete jedoch diesem Manöver dadurch, daß es die auf diese Weise beförderten Waren als Konterbande behandelte. Hier liegt die Wurzel der Lehre der einheitlichen Reise bei der Kriegskonterbande. Auf Betreiben der Neutralen wurde aber später den autorisierten neutralen Schiffen der Handel zwischen den Kolonien und den neutralen Häfen gestattet.
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des 18. Jahrh. entwickelte sich immer mehr zu einem Vernichtungskrieg gegen den beiderseitigen Handel. Nachdem Frankreich sämtliche Schiffe, auf denen sich englische Waren befanden, beschlagnahmt hatte, ging England dazu über, das Convoirecht zu bestreiten. Darüber entstand ein Konflikt zwischen Dänemark und England, in den Rußland eingriff. Unter Führung Rußlands bildete sich die 2. bewaffnete Neutralität durch Abschluß einer Konvention zwischen Rußland, Dänemark, Schweden und Preußen vom 14. bzw. 16. X I I . 1800. In dieser wurden die Grundsätze der ersten bewaffneten Neutralität, insbesondere das Convoirecht, erneuert. Daraufhin beschlagnahmte England Schiffe der Konventionsmächte. Dänemark wurde durch den Seekrieg Nelsons vor Kopenhagen verhindert, die in Aussicht genommenen Repressalien anzuwenden. Nach dem Thronwechsel in Rußland wurde ein russischenglischer Vertrag vom 17. (5.) VII. 1801 abgeschlossen. Dessen wichtigste Bestimmungen lauteten dahin, daß feindliches Eigentum auf neutralen Schiffen beschlagnahmt werden könne, daß die Blockade nur dann als effektiv zu betrachten sei, wenn die Einfahrt in den blockierten Hafen nur mit augenscheinlicher Gefahr möglich ist und daß die Untersuchung bei Convoischiffen nur durch staatliche Kriegsschiffe zulässig sein sollte. Darin lag die Preisgabe der Grundsätze der ersten Neutralität. Gleichzeitig wurde jedoch das Verbot jedes Handels mit dem Feinde beseitigt und der Begriff der Konterbande umgrenzt.
I Order in Council vom 11. XI. 1807 auch auf die Häfen aller derjenigen Länder aus, die britische Schiffe von ihren Häfen ausgeschlossen hatten. Dieses Vorgehen Englands beantwortete Napoleon mit dem Mailänder Dekret vom 17. XII. 1807. Dadurch wurde englischen Schiffen nicht nur der Zutritt zu den Häfen Frankreichs und seiner Verbündeten verboten, sondern sie wurden kurzerhand als gute Prise erklärt. Dieser Kontinentalsperre traten Preußen, Dänemark, Rußland und 1809 noch Österreich und Schweden bei. 1812 sprangen jedoch Rußland und Schweden, 1813 Preußen ab. Mit der Abdankung Napoleons endete auch die Kontinentalsperre. Die Nachteile, die aus den rechtswidrigen Maßnahmen für beide Teile sich ergeben hatten, ließen den Staaten die Schaffung einheitlicher, allgemein anerkannter Grundsätze für das Seekriegsrecht als notwendig erscheinen. Von 1823 ab betrieben die Vereinigten Staaten von Amerika die Abschaffung des Seebeuterechts. Es kam jedoch nicht zum Abschluß entsprechender Vereinbarungen, da die Vereinigten Staaten infolge veränderter politischer Verhältnisse an ihrem ursprünglichen Ziel der völligen Abschaffung des Seebeuterechts nicht festhielten. Dagegen wurde im Vertrag vom 1. V. 1828 zwischen Preußen und den Vereinigten Staaten der Grundsatz Frei Schiff, Frei Gut aufs neue anerkannt. Darüber hinausgehend nahmen Rußland und die Vereinigten Staaten durch Vertrag von 1854 den Grundsatz Unfrei Schiff, Frei Gut an.
3. D i e K o n t i n e n t a l s p e r r e u n d d i e w e i t e r e E n t w i c k l u n g b i s 1856. Im Vertrage vom 15. II. 1806 hatte Napoleon Preußen verpflichtet, den Engländern Hannover, die Weser und die Elbe zu verschließen. England antwortete durch die Orders in Council vom 16. IV. und 14. V. 1806, indem es alle Häfen von Brest bis zur Elbe in Blockadezustand erklärte. Das hatte zur Folge, daß Frankreich durch das (Berliner) Dekret vom 21. XI. 1806 die britische Küste in Blockadezustand erklärte. Jeder Handel und jede Korrespondenz mit Briten wurde verboten. Englische Untertanen, die sich in den von Frankreich oder seinen Verbündeten besetzten Ländern befanden, sollten zu Kriegsgefangenen gemacht werden, und jeder Handel mit englischen Waren verboten sein. Napoleon begründete diese ungewöhnlich scharfe Maßnahme mit den fortgesetzten Völkerrechtsbrüchen Englands.
4. D i e P a r i s e r S e e r e c h t s d e k l a r a t i o n . Bei Ausbruch des Krimkrieges im Jahre 1854 war die Rechtslage für die Neutralen insofern besonders ungünstig, als sowohl neutrales Gut auf feindlichen Schiffen (nach französischem Recht) wie auch feindliches Gut auf neutralen Schiffen (nach englischem Recht) der Wegnahme ausgesetzt war. England und Frankreich einigten sich daher in der Weise, daß die Prinzipien Frei Schiff, Frei Gut und Unfrei Schiff, Frei Gut angenommen und gleichzeitig auf die Ausstellung von Kaperbriefen verzichtet wurde. Auf Anregung des Grafen Walewski wurde gelegentlich der Friedenskonferenz am 16. IV. 1856 die Pariser Seerechtsdeklaration von England, Frankreich, Österreich, Preußen, Rußland, Sardinien und der Türkei unterzeichnet. Sie enthielt folgende vier Grundsätze:
England seinerseits erklärte durch die Order in Council vom 7. I. 1807 sämtliche Häfen Frankreichs und seiner Kolonien für blockiert und dehnte die Blockade durch die
1. Die Kaperei ist und bleibt abgeschafft. 2. Die neutrale Flagge deckt das feindliche Gut mit Ausnahme der Kriegskonterbande. 3. Neutrales Gut unter feindlicher Flagge,
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mit Ausnahme der Kriegskonterbande, darf nicht mit Beschlag belegt werden. 4. Die Blockade muß, um rechtsverbindlich zu sein, wirksam sein, d. h. durch eine Streitmacht aufrechterhalten werden, welche hinreicht, um den Zugang zur Küste des Feindes wirksam zu verhindern. Die Bestimmungen der Deklaration wurden als unteilbar erklärt und die Signatarmächte verpflichteten sich, kein seekriegsrechtliches Abkommen zu treffen, das nicht auf diesen Prinzipien beruhte. Der Deklaration sind später eine ganze Reihe von Staaten beigetreten. Die Vereinigten Staaten begründeten ihren Nichtbeitritt damit, daß die Abschaffung der Kaperei für diejenigen Staaten, die nicht über eine große Kriegsflotte verfügten, schwere Nachteile haben müsse. Sie wollten, wie aus der Antwort des Staatsministers Marcy an die Signatarmächte vom 28. VII. 1856 hervorgeht, auf die Kaperei nur dann verzichten, wenn eine Einigung über die Beseitigung des Seebeuterechts erzielt wäre und wünschten dem ersten Satz der Deklaration eine Bestimmung über das Seebeuterecht hinzugefügt zu sehen. Eine Einigung kam jedoch nicht zustande, da der amerikanische Präsident Buchanan später die weitere Bedingung stellte, daß das Recht der Blockade auf die Verhütung der Einfuhr von Kriegsmaterialien und sonstiger Konterbande beschränkt werde. Die grundsätzliche Bedeutung der Pariser Seerechtsdeklaration, die zunächst als Anerkennung kriegerischer Freiheiten anmutet, liegt zunächst in der Tatsache, daß die völlige Desorganisation auf dem Gebiete des Seekriegsrechts nunmehr wenigstens einer teilweisen Kodifikation wichtiger Materien wich. Sodann wurde vor allem die Effektivität der Blockade, die von England seit Jahrhunderten bestritten war, sowie die Anerkennung des Grundsatzes Frei Schiff, Frei Gut festgelegt. Darin lag der erste Schritt zur völligen Aufhebung des Seebeuterechts. 5. N e u e s t e E n t w i c k l u n g . Im Mittelpunkt der weiteren Entwicklung stand nunmehr die Unverletzlichkeit des neutralen Eigentums im Seekrieg. Zu diesem Grundsatz bekannte sich Italien 1865 in seinem neuen Handelsgesetzbuch, allerdings unter der ausdrücklichen Bedingung der Gegenseitigkeit. Im preußisch-österreichischen Krieg 1866 wurde auf die Ausübung des Seebeuterechts überhaupt verzichtet, im deutschfranzösischen Krieg 1870/71 scheiterte der Verzicht daran, daß Frankreich die Unverletzbarkeit der deutschen Handelsschiffe nicht zugestehen wollte.
Bedeutsam für die Ausgestaltung des Seekriegsrechts wurde der amerikanische Sezessionskrieg. Der Springbokfall lenkte die Aufmerksamkeit auf die Gefahren, die mit der Theorie der fortgesetzten Reise bei der Blockade verbunden waren. Der Alabamafall warf die Frage auf, inwieweit neutrale Staaten verpflichtet seien, die Ausrüstung von Kriegsschiffen auf ihren Gebieten zu verhindern. Der letztere Fall führte zur Aufstellung der drei Washingtoner Regeln vom 8. V. 1878 (siehe die entsprechenden Artikel). In der Zeit bis zur ersten Haager Konferenz bemühte sich insbesondere das Institut de Droit International um die Lösung der seekriegsrechtlichen Probleme. Von ihnen beschäftigten sich die Rfegles sur le traitement de la propri6t6 privße dans la guerre maritime von 1875 und 1877 mit der Unverletzlichkeit des Privateigentums im Seekrieg, das Reglement international des prises maritimes von 1882, 1883 und 1887 mit dem Problem des internationalen Prisenhofs. Das spanisch-amerikanische Krieg von 1898, den man auch the war of coal and cables nannte, veranlaßte das Institut im Jahre 1902 zur Aufstellung der „Rfegles concernant les cables sousmarins en temps de guerre". Die erste Haager Konferenz widmete sich fast ausschließlich dem Problem des Landkriegsrechts. In seekriegsrechtlicher Beziehung kam es nur zum Abschluß eines Abkommens über die Stellung des Roten Kreuzes im Seekrieg. Während des russisch-japanischen Krieges wurde die Minenfrage, soweit das Problem der Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe durch die Fälle Petersburg und Smolensk (s. die entsprechenden Art.) a k u t . Auf der zweiten Haager Konferenz von 1907 ließ sich eine Einigung über das Blockade- und Konterbanderecht nicht erzielen, wohl aber glückte die Schaffung eines Abkommens betreffend die Errichtung eines internationalen Prisenhofes, sowie der Abschluß von weiteren sechs Abkommen, die sich unter anderem auf die Legung unterirdischer, selbsttätiger Kontaktminen, auf die Rechte und Pflichten neutraler Mächte im Falle eines Seekrieges und auf die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe beziehen. Die Ratifizierung des Abkommens des internationalen Prisenhofes scheiterte jedoch wegen der Bedenken bezüglich des von dem Prisenhof anzuwendenden materiellen Rechts. Zur Klärung dieser Frage berief England 1908 die Londoner Seekriegskonferenz, an der sämtliche größeren Seemächte teilnahmen. Hier gelang endlich eine Einigung in fast allen Punkten, vor
Seekriegsrecht, Geschichte des — Seen, völkerrechtliche Stellung der allem hinsichtlich des Blockade- und Konterbanderechts. So kann die Londoner Seekriegsdeklaration trotz der vom englischen Oberhaus verweigerten Ratifikation als ein außerordentlich bedeutsamer Schritt in der Entwicklung des Seekriegsrechts bezeichnet werden. In den Entscheidungen über die Fälle Carthage und Manouba vom 6. V. 1913 hat der Haager ständige Schiedsgerichtshof zum Ausdruck gebracht, daß die Londoner Deklaration „ f ü r das Seekriegsrecht der K u l t u r s t a a t e n als maßgebend betrachtet werden m u ß " . Trotzdem ist im Weltkriege die Londoner Deklaration beiseite geschoben worden. Über diese jüngste Phase unterrichtet der Art. „Seekriegsrecht und Völkerrecht". Literatur: Azunl, Systeme universel de principes du droit maritime de l'Europe. — Bergbohm, Die bewaffnete Neutralität, Berlin 1884. — Bluntschll, Das Beuterecht im Krieg und das Seebeuterecht insbesondere, Nördlingen 1878. — de Boeck, De la propriöti ρ π ν έ ε ennemie sous pavilion ennemi, 1882. — Cussy, Phases et causes cilfebres du droit maritime des nations, 1856. — Elnicke, Rechte u n d Pflichten der neutralen Mächte im Seekrieg, Tübingen 1912. — Kleen, Lois et usages de la n e u t r a l i t i , 1898/1900. — Krauel, Preußen und die bewaffnete Neutralität von 1780, Sonderabdruck aus der Festgabe f ü r G i e r k e , Breslau 1910. — Niemeyer, Urkundenbuch zum Seekriegsrecht, Berlin 1913. — Pohl, Deutsche Prisengerichtsbarkeit, Tübingen 1911. — Strupp, Documents pour servir ä l'histoire du droit des gens, 1923. — Wehberg, Das Seekriegsrecht, 1915 (dort auch weitere Literatur). — Zorn, Die Fortschritte des Seekriegsrechts durch die II. Haager Friedenskonferenz, Tübingen 1908. Kurt Eisenträger.
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das Gebiet eines anderen Staates berühren. Vielfach sind sie nichts anderes als natürliche Erweiterungen eines Flusses und unterliegen daher in der Regel den f ü r mehrstaatliche Wasserläufe geltenden Rechtsgrundsätzen. Die Frage, ob und inwieweit die Rücksichtnahme auf die Interessen eines höher oder tiefer gelegenen Staates eine Beschränkung in der Ausübung der Gebietshoheit verlangt, ist bestritten. Dem reinen Territorialprinzip, wonach jeder Staat völlig frei über die auf seinem Gebiet befindlichen Gewässer verfügen kann, steht die Ansicht gegenüber, daß nach dem Grundsatze der gegenseitigen Achtung der Gebietsintegrität kein Staat wesentliche Änderungen in den natürlichen Abflußverhältnissen oder in der Beschaffenheit der Gewässer zum Schaden eines anderen Staates vornehmen dürfe. Diese einen Teil des internationalen Nachbarrechts bildenden Beschränkungen der Gebietshoheit sind n a t u r gemäß bei den G r e n z s e e n (lacs frontifere, boundary lakes) größer, da sich hier jede Einwirkung auf den physischen oder chemischen Zustand in allen Teilen eines Sees geltend m a c h t . Im einzelnen weichen jedoch die Lehrmeinungen nicht unerheblich voneinander ab. Als einen Niederschlag der herrschenden Auffassung können die von dem Institut de droit international auf der Madrider Tagung von 1911 (Annuaire 1911 S. 365) angenommenen Regeln über die Ausnutzung der internationalen Gewässer angesehen werden. Wenn auch die Regeln in erster Linie die Verhältnisse der fließenden internationalen Gewässer im Auge haben, so sollen sie doch entsprechende Anwendung auf die Grenzseen und diejenigen Seen finden, deren Abflüsse das Gebiet eines anderen Staates berühren. Es kann daher auf den Art. „ I n t e r n a t . Flüsse" verwiesen werden. In der Staatenpraxis findet sich diese Gleichstellung der Seen mit den Flüssen ζ. B. in der Karistader Konvention zwischen Seekriegsrecht und Weltkrieg s. u n t e r Norwegen und Schweden vom 26. X. 1905 ( M a r t e n s , N R G . 3. Serie I, 44) und in dem Weltkrieg und Völkerrecht. britisch-amerikanischen Vertrag über die kanadischen Grenzgewässer vom 11. I. 1909 ( M a r t e n s , N R G . 3. Serie IV, 208). Seen, völkerrechtliche Stellung der. Soweit Seen Teile internationaler Ströme Landseen werden entweder ganz von dem Gebiete e i n e s Staates umschlossen oder bilden, gelten auch f ü r sie die f ü r diese verliegen an der Grenze zweier oder mehrerer traglich vereinbarten Grundsätze über die Staaten. Im ersteren Falle unterstehen sie Schiffahrtsfreiheit. Das ist ζ. B. ausdrückder Gebietshoheit dieses Staates in der lich f ü r die Seen des Kongogebiets durch gleichen Weise, wie jeder andere Teil des Art. 15 der Berliner Kongoakte vom 26. II. Staatsgebietes. Der Staat besitzt daher die 1885 bestimmt. Unrichtig ist aber die Anvolle Souveränität über ein solches Gewässer. sicht, daß nationale Seen der internationalen Völkerrechtliche Bedeutung erlangen solche Schiffahrt offen stehen, sofern sie nur einen Seen als Teile eines Flußsystems, das sich schiffbaren Zugang vom Meere haben. Sie über das Gebiet mehrerer Staaten erstreckt, stehen vielmehr den nationalen Strömen insbesondere wenn die Zu- oder Abflüsse auch gleich, die auch bei unmittelbarer Verbindung 33 WSrterbuch des Völkerrechts. Bd. H.
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Seen, völkerrechtliche Stellung der — Seeschiffe in Binnengewässern
m i t dem Meere der allgemeinen Schiffahrt nicht geöffnet sind. Dagegen können die Anwohner eines Grenzsees regelmäßig auf allen Teilen des Sees ohne Rücksicht auf den Verlauf der Hoheitsgrenze die Schiffahrt betreiben. Die Vereinbarungen zwischen den U f e r s t a a t e n beschränken sich daher häufig auf Bestimmungen zur Sicherheit der Schifff a h r t , über die B e n u t z u n g der H a f e n - u n d sonstigen Anlagen sowie über die Zollkontrolle, ζ. B. die internationale Schiffahrtsu n d H a f e n o r d n u n g f ü r den Bodensee vom 22. IX. 1867 ( m e h r f a c h abgeändert), der französisch-schweizerische Vertrag über die Schiffahrt auf dem Genfersee vom 10. IX. 1902, die italienisch-schweizerische Vereinb a r u n g über die A u s ü b u n g des Zolldienstes auf dem Langen- u n d Luganersee vom 8./18. I. 1901. Grundsätzlich regelt auch bei gemeinsamen Grenzseen jeder S t a a t die A u s ü b u n g der J a g d u n d Fischerei selbständig. Der Grenzsee bildet also nicht etwa ein gemeinsames J a g d - o d e r Fischereigebiet, sofern nicht den Angehörigen der U f e r s t a a t e n d u r c h Vert r a g oder H e r k o m m e n das Recht auf dem ganzen Seegebiet eingeräumt ist. Die Frage ist n a m e n t l i c h hinsichtlich des Bodensees s t r i t t i g ; das Nähere siehe beim A r t . „ B o d e n see". Zahlreicher wie die internationalen Verträge, die das materielle Fischereirecht zum Gegenstand h a b e n , sind die Vereinb a r u n g e n zum Schutze der Fischerei, da hier n u r bei einheitlichem Vorgehen aller beteiligten S t a a t e n ein praktischer Erfolg erzielt werden k a n n . Diese Vereinbarungen e n t h a l t e n regelmäßig Bestimmungen über Schonzeiten, Schongebiete, Beschaffenheit der Fanggeräte, Einleitung schädlicher Stoffe usw. (vgl. ζ. B. den Fischereivertrag zwischen Italien u n d der Schweiz vom 13. VI. 1906; M a r t e n s , N R G . 2. Serie X X X I I I , 471). Über die Hoheitsverhältnisse an den Grenzseen siehe den A r t . „ B i n n e n s e e n " u n d hinsichtlich den Verhältnissen bei den einzelnen Seen die betreffenden Spezialartikel. Literatur: Die Lehrbücher des Völkerrechts; ferner Caratheodory in H o l t z e n d o r f f II S. 378ff. — Lederle, Das Recht der internationalen Gewässer, 1920. — Schultheß, Das internationale Wasserrecht, 1916. Lederle. Seepolizei S. Seerecht (im Nachtrag). Seerecht, Grundzüge s. N a c h t r a g .
Seeschiffe in Binnengewässern, namentlich im Krieg. Mit der B e f a h r u n g des freien Meeres durch alle Nationen zum Zwecke friedlichen
Verkehrs ist notwendigerweise die Befugnis der Schiffe, in die Territorialgewässer eines f r e m d e n S t a a t e s einzulaufen sowie dessen H ä f e n zu benutzen, v e r b u n d e n . Desgleichen bedürfen auch die Kriegsschiffe des Hafens, um dort die erforderlichen E r g ä n z u n g e n ihres Proviantes u n d Feuerungsmaterials vornehmen zu können. Allein diese N o t wendigkeit erzeugt noch nicht das Recht eines Schiffes, f r e m d e Binnengewässer zu befahren, oder die Pflicht f ü r einen S t a a t , f r e m d e n Schiffen die E i n f a h r t zu g e s t a t t e n , da seine Binnengewässer und H ä f e n u n t e r seiner eigenen Territorialgewalt stehen. So ist das Gastrecht der Schiffe im Frieden wie im Krieg nur Brauch oder Courtoisie, soweit nicht die Bestimmungen zahlreicher Handelsverträge eingreifen, daß die Schiffe der Vert r a g s m ä c h t e u n t e r ihrer Flagge die Territorialgewässer des a n d e r e n Teiles befahren, seine H ä f e n anlaufen u n d deren E i n r i c h t u n g e n benutzen d ü r f e n (ζ. B. A r t . II des Handelsvertr. zwischen Deutschland u n d Mexiko vom 28. V I I I . 1869 [MR. X I X S. 471]). Im übrigen b e s t i m m t jeder S t a a t nach seinen Gesetzen, welche Binnengewässer er f r e m d e n Schiffen eröffnen will. Kriegshäfen und befestigte Plätze sind dem Verkehr ohne weiteres nicht zugänglich. Es bedarf stets einer besonders einzuholenden Erlaubnis (vgl. § 1 der schwedischen Vero r d n u n g vom 22. IV. 1904 (MR. 3. s. V S. 813); § 1 norweg. Verordn. vom 10. V. 1906 (MR. 3. s. I I I S. 871); Art. 6 russ. Verordn. vom 5. I. 1914 (MR. 3. s. V I I I S. 748)). Wo diese nicht gefordert wird, ist der beabsichtigte Besuch auf diplomatischem Wege rechtzeitig mitzuteilen (§ 1 deutsch. Verordn. vom 14. V. 1912 (MR. 3. s. V I I I S. 326); A r t . 1 r u m ä n . Verordn. vom 22. X I . 1912 (MR. 3. s. V I I I S. 339). Die sonstigen Binnengewässer und H ä f e n sind den Kriegsschiffen im Frieden im allgemeinen zugänglich; doch f i n d e n sich vielfach E i n s c h r ä n k u n g e n in betreff der Zahl der Kriegsschiffe, die gleichzeitig in einem H a f e n anlegen dürfen. In der Regel sind es drei (schwed. Verordn. § 1, deutsch. Verordn. § 1, französ. Dekret vom 21. V. 1913 A r t . 3 [MR. 3. s. V I I I S. 331]). R u m ä n i e n läßt nur ein Kriegsschiff zu (Art. 2 r u m . Verordn.). Sollen mehr Kriegsschiffe gleichzeitig einen H a f e n besuchen, so bedarf es besonderer Genehmigung. Die A u f e n t h a l t s d a u e r ist gleichfalls b e s c h r ä n k t , sie s c h w a n k t zwischen 10—14 Tagen. Ausgenommen von diesen Regeln sind überall h a v a r i e r t e Schiffe u n d solche, die Souveräne, deren Familienangehörige, Botschafter, Gesandte oder Begleitpersonal der genannten Personen an Bord haben (deutsch. Verordn. § 2, russ.
Seeschiffe in Binnengewässern, namentlich im Krieg Verordn. A r t . 8 , französ. Dekr. A r t . 5). In allen Fällen müssen sämtliche Schiffe auf A u f f o r d e r u n g durch die zuständige Behörde i n n e r h a l b einer b e s t i m m t e n Frist die Binnengewässer verlassen. Selbst wenn die E i n f a h r t in die Binnengewässer eines S t a a t e s g e s t a t t e t i s t , können f r e m d e Kriegsschiffe den A n k e r p l a t z nicht frei wählen, sondern erhalten ihn von der zuständigen Behörde zugewiesen. In den Gewässern haben sich die Kriegsschiffe aller verdächtigen H a n d l u n g e n zu e n t h a l t e n , welche die Sicherheit des f r e m d e n S t a a t e s gefährden können. So dürfen sie insbesondere keine Messungen vornehmen u n d Aufzeichnungen d a r ü b e r machen. Militärische Übungen aller Art dürfen ohne Einwilligung des f r e m d e n Staates nicht vorg e n o m m e n werden, ebenso nicht T a u c h e r a r b e i t e n u n t e r Wasser. Das An-Land-gehen der Schiffsbesatzung ist nur zu b e s t i m m t e n Tageszeiten, die im E i n v e r n e h m e n mit den örtlichen Marinebehörden festgesetzt werden, gestattet. Im Falle des Ausbruchs eines Krieges wird seit dem Krimkrieg herkömmlich allen Schiffen der n u n m e h r feindlichen Mächte, die in den Binnengewässern des anderen S t a a t e s weilen, eine Frist zum Auslaufen gegeben. Das 6. Haager A b k o m m e n von 1907 über die Behandlung der feindlichen K a u f fahrteischiffe beim Ausbruch der Feindseligkeiten (MR. 3. s. I I I S. 533) gibt darüber verschiedene Regeln, ohne die Gewährung einer Frist zur Pflicht zu machen. Verweigert ein S t a a t einem feindlichen K a u f fahrteischiff die Erlaubnis zur A u s f a h r t , oder ist dieses infolge höherer Gewalt nicht in der Lage, innerhalb der gesetzten Frist die Gewässer zu verlassen, so darf es von dem S t a a t zwar entschädigungslos beschlagnahmt, m u ß aber nach Beendigung des Krieges zurückgegeben werden, oder es kann gegen E n t s c h ä d i g u n g eingefordert werden (Art. II) (s. u n t e r Indult). Im Kriege s t e h t es jedem S t a a t frei, der neutralen Schiffahrt seine H ä f e n ganz zu verschließen oder das Einlaufen in sie von besonderenBedingungen abhängig zu m a c h e n . Von größerer Wichtigkeit ist die Frage, o b den Kriegsschiffen der Kriegführenden die neutralen Binnengewässer offenste.hen. Grundsätzlich ist Gastrecht ein Recht der Neutralen, Kriegsschiffen Kriegführender das Einlaufen in ihre Binnengewässer zu ges t a t t e n , ein Recht, das in einigen Fällen zur Pflicht w i r d . Bei den Verhandlungen der 2. Haager Friedenskonferenz t r a t e n sich die Anschauungen der s t ü t z p u n k t r e i c h e n Mächte England u n d J a p a n u n d des s t ü t z p u n k t a r m e n Deutschland und R u ß l a n d scharf
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gegenüber, indem E n g l a n d neutralen Mächten nur das Recht zubilligte, E i n f a h r t s - u n d A u f e n t h a l t s v e r b o t e f ü r Kriegsschiffe Kriegf ü h r e n d e r in den neutralen Gewässern zu erlassen, w ä h r e n d R u ß l a n d auch ein Recht der Zulassung f o r d e r t e . Das 13. Haager A b k o m m e n über die Rechte u n d Pflichten der Neutralen im Falle eines Seekrieges (MR. 3. s. I I I S. 713) e n t h ä l t in den A r t t . 9 f f . die Gastrechtsbestimmungen f ü r den Krieg. Das A b k o m m e n ist von den H a u p t s e e m ä c h t e n gar nicht oder mit erheblichen Vorbehalten ratifiziert. D a n a c h haben die Neutralen bei Kriegsausbruch b i n n e n 24 Stunden oder evtl. längerer Frist das Auslaufen aller Kriegsschiffe der Kriegführenden zu veranlassen, sobald der Beginn der Feindseligkeiten b e k a n n t geworden ist (Art. 13 des 13. H a a g . Abk.). A r t t . 7 u. 8 der holländischen N e u t r a l i t ä t s p r o k l a m a t i o n vom 6. V I I 1914 (Holl. Orangebuch 1914—1915 S. 2f.) bestimmte dementsprechend, d a ß Kriegsschiffe Kriegführender innerhalb 24 S t u n d e n die holländischen Gewässer zu verlassen h a t t e n , eine Frist, die durch die Regel verlängert wurde, daß Kriegsschiffe u n d d a m i t gleichgestellte Fahrzeuge erst 24 S t u n d e n nach dem Auslaufen eines Kriegs- oder Handelsschiffes der Gegenpartei das Rechtsgebiet der Niederlande verlassen d u r f t e n . Der grundlegende Artikel des Kriegsgastrechtes ist A r t . 9 des 13. A b k o m m e n s , der dem neutralen S t a a t freie H a n d läßt, o b er den Kriegsschiffen Kriegführender den Zut r i t t zu seinen H ä f e n g e s t a t t e n oder versagen will. Dementsprechend setzten Schweden und Norwegen in ihren N e u t r a l i t ä t s e r k l ä rungen des J a h r e s 1912 fest, d a ß der Z u t r i t t grundsätzlich erlaubt ist, wenn b e s t i m m t e Bsdingungen eingehalten werden, während Holland Kriegsschiffe u n d diesen gleichgestellte Fahrzeuge, wozu auch b e w a f f n e t e Handelsschiffe rechneten, im Weltkrieg grundsätzlich nicht in seine Binnengewässer zuließ (Art. 4 ; vgl. auch die beiden Denkschriften der niederl. Regierung betr. die Zulassung von Kriegsschiffen und bewaffneten Handelsfahrzeugen der Kriegführenden in das niederl. Rechtsgebiet 1917). Das Recht der Neutralen, ihre H ä f e n zu verschließen, erleidet indes aus H u m a n i t ä t s gründen A u s n a h m e n , in diesen Fällen darf die E i n f a h r t herkömmlich nicht verweigert werden. Allgemein zugelassen werden Schiffe in Seenot, wenn sie h a v a r i e r t sind oder wegen ungünstigen Wetters Zuflucht suchen, aus Mangel an P r o v i a n t u n d Kohlen, kurz aus allen Gründen, die ein Kriegsschiff seeu n t ü c h t i g machen (Art. 5 holl. N e u t r a l i t ä t s prokl.). Auch in dem Fall, d a ß ärztliche Hilfe von dem E i n f a h r t begehrenden Schiffe
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Seeschiffe in Binnengewässern, namentlich im Krieg
erfordert wird, wird diese zu gestatten sein (vgl. den Fall des Dampfers „Melita" in der 2. holl. Denkschrift S. 3f.). Solange sich Kriegsschiffe Kriegführender in neutralen Binnengewässern befinden, haben sie sich jeder feindseligen und die Neutralität gefährdenden Handlung zu enthalten. Es dürfen nur solche Arbeiten ausgeführt werden, die die Seetüchtigkeit des Schiffes wiederherstellen, nicht aber solche, die sie verbessern oder die Kampffähigkeit und -stärke erhöhen. Insbesondere darf ein Schiff in neutralen Binnengewässern kein Prisengericht abhalten. Für die Einnahme von Proviant ist der Friedensbestand maßgebend (Art. 9 holl. Neutr.-Prokl.; Artt. 17—19 des 13. Haager Abk.; § 3 Ziff. 5 deutsch. Vorschriften vom 14. V. 1913; Art. 8 des französischen Dekr. vom 18. X. 1912 (MR. 3. s. VII S. 79)). Hinsichtlich der Ergänzung von Brennstoff bestehen zwei Systeme, das Bunkersystem und die Nächste-Hafen-Regel, die bedeutet, daß ein Schiff nur soviel Kohle einnehmen darf, wie nötig i s t , um den nächsten eigenen Hafen zu erreichen, während nach dem Bunkersystem die Bunker gefüllt werden dürfen. Nach dem Haager Abkommen ist es den neutralen Staaten freigestellt, ein System zu wählen. Ferner darf dasselbe Schiff erst nach Ablauf von 3 Monaten in einem Hafen desselben Landes Kohle einnehmen (Artt. 19, 20 Haag. Abk.; Art. 9 holl. Neutr.-Prokl.). Prisen dürfen, abgesehen von den Fällen der Seenot, ungünstiger See, wegen Mangels an Proviant und Feuerungsmaterial, nur eingebracht werden, wenn sie der neutralen Macht zur Verwahrung bis zur Entscheidung über die Prise übergeben wird (Artt. 21—23 Haag. Abk.; Art. 10 französ. Dekr. v. 18. X. 1912; Art. 10 holl. Neutr.-Prokl.). Die Aufenthaltsdauer ist in der Regel auf 24 Stunden beschränkt (s. unter Twentyfour Hours' Sojourn). Die Ausfahrtsordnung mehrerer Schiffe verschiedener Kriegsparteien steht ebenfalls unter der 24-StundenRegel (s. diese), d. h. ein Kriegsschiff der einen Kriegspartei darf erst 24 Stunden nach dem Auslaufen eines Schiffes der anderen Partei die neutralen Gewässer verlassen. Die Achtung seiner Neutralität kann jeder Staat von den fremden Kriegsschiffen nötigenfalls erzwingen, er ist sogar dazu verpflichtet. Schließlich kann er auch einem Kriegführenden das Einlaufen in seine Gewässer gänzlich untersagen, wenn die Schiffe dieses Kriegführenden fortwährend Zuwiderhandlungen gegen die Neutralitätsgesetze begehen. Umfangreiche Verhandlungen über die Gastrechtsfrage pflog das Institut de droit
international und nahm eine Anzahl Regeln auf seiner Haager Tagung im Jahre 1898 über die Rechtsverhältnisse der Schiffe in fremden Häfen in Friedens- und Kriegszeiten (Annuaire Bd. 17 S. 273) und ferner auf der Pariser Tagung im Jahre 1910 an. Auf Grund zweier Entwürfe von Du p u i s (Ann. Bd. 23 S. 96ff.) und de L a p r a d e l l e (Ann. a. a. O. S. 128ff.) fanden lebhafte Erörterungen s t a t t . Der Entwurf von 1898 geht davon aus, daß der Zutritt in die Binnengewässer als frei präsumiert wird, mit Ausnahme der Kriegshäfen und Marinestationen, gesteht aber den Staaten das Recht zu, wegen Gefährdung lebenswichtiger Interessen ihre Häfen zu verschließen oder nur bedingungsweise zu öffnen. Ausgangspunkt ist auch hier das Souveränitätsprinzip. Indessen dürfen die Bedingungen nicht derart sein, daß der Einfahrtszweck in Frage gestellt wird. Bei der zweiten Tagung in Paris ergab sich ein unüberbrückbarer Gegensatz zwischen Du p u i s und de L a p r a d e l l e . D u p u i s behandelte das Gastrecht als Gnade der Neutralen, die ihre Häfen frei öffnen oder verschließen könnten. Gegenüber der Regelung im 13. Haager Abkommen wich D u p u i s ' Entwurf in folgendem ab. Es fehlten die Beschränkungen der Aufenthaltszeit; nicht die 3-, sondern 1-Monatsregel unter Berücksichtigung der Entfernung; Ausbesserung von Kampfschäden ist verboten; die Prisenaufbewahrung fehlt. De L a p r a d e l l e gab den Kriegführenden ein Recht auf Benutzung der Häfen und verließ damit das absolute Souveränitätsprinzip. Nach ihm waren Beschränkungen des Gastrechts aus Gründen der Staatserhaltung zulässig. — Eine Einigung wurde nicht erzielt. Eine besondere Frage ist, ob auf Seeschiffe in Binnengewässern Seekriegsrecht anzuwenden ist, wenn sie bei der Okkupation feindlichen Gebietes in Häfen beschlagnahmt werden. Anläßlich der Beschlagnahme der belgischen Schiffe „Comte de Smet deNaeyer" und „ P r i m a v e r a " im Hafen von Antwerpen führte das Oberprisengericht in Berlin aus, daß es nicht darauf ankommt, ob das betreffende Schiff tatsächlich noch Seeschifffahrt betreibt, daß es ebenfalls nicht durch Seestreitkräfte auf dem Seekriegsschauplatz aufgebracht zu sein braucht, um Prisenrecht zur Anwendung zu bringen, sondern daß dieses überall dort Platz greift, wo Seeverkehr stattfindet (Entsch. d. Oberprisengerichts, Berlin 1918 S. 198 u. 209). Der Art. 53 Abs. II der Haager Landkriegsordnung schützt zwar die Beförderungsmittel vor entschädigungsloser Einziehung, bezieht sich aber nicht auf diese Fälle, die durch das Seekriegsrecht geregelt sind.
Seeschiffe in Binnengewässern, namentlich im Krieg — Seestraßenrecht Literatur: v. Kaltenborn, Kriegsschiffe auf neutralem Gebiet, 1850. — Ortolan, Diplomatie de la mer, Paris 1864, Bd. I, S. 139, II 283. — Pereis, Rechtsstellung der Kriegsschiffe in fremden Hoheitsgewässern, Arch. f. öff.: R. 1886, S. 461 ff. — Gover, De la fourniture du charbon ou autres provisions aux bellig6rants (Clunet 1898, S. 535). — Guillaume, Admission des bätiments de guerre Strangers dans les eaux et les ports beiges, RD1. 1901, S. 927 ff. — Polltls, Über dasselbe RG. 1901, S. 42. — Danlnos, Le droit d'asile dans les ports neutres, Paris 1903. — Pereis, Das internat. öffentl. Seerecht der Gegenwart, Berlin 1903 §§ 13ff. — Anom, Über die Benutzung neutraler Häfen und neutralen Küstengebiets im Kriegsfall, Marine-Rundschau 1903, S. 665ff. — Llepmann, Der Kieler Hafen im Seekrieg, Berlin 1906. — DonkerCurtius, Des navires de guerre dans les eaux neutres, Bordeaux 1907. — Traini, Das Gastrecht im Seekrieg, Würzb. Diss. 1912; — Jaekel, Die Rechtsstellung der Kriegsschiffe Kriegführender in neutralen Gewässern, Greifsw. Diss. 1910. — Elnlcke, Rechte und Pflichten der neutralen Mächte im Seekrieg nach dem Haager Abkommen, Tübingen 1912, S. 153ff. — Mörschell, Die völkerrechtl. Stellung der Kriegsschiffe der Kriegführenden in neutralen Gewässern, Würzb. Diss. 1912. — Pipy, Les origines de Pasile maritime en temps de guerre, RG. 1913, S. 574ff. — Meurer, Das Gastrecht der Schiffe in Krieg und Frieden, Berlin 1918. Wessel.
Seesperre s. Blockade. Seestraßenrecht. Aus dem Prinzip der Meeresfreiheit und dem derivativen Erwerb der Souveränität eines Staates, die sich im allgemeinen auf sein eigenes Territorium beschränkt, über seine staatszugehörigen Schiffe auch auf hoher See ergibt sich, daß die Ausgestaltung des öffentlichen und privaten Seerechtes eine Angelegenheit der einzelnen Staaten ist. Die Interessengemeinschaft der Staaten auf dem Gebiete des Verkehrs hat aber schon frühzeitig ein materiell gemeinsames nationales Recht hervorgebracht, u. a. auf dem Gebiete des Seestraßenrechts. Hierunter sind diejenigen Normen zu verstehen, die zur Vermeidung von Zusammenstößen der Schiffe auf See erlassen sind, sowie deren Verhalten nach einer Kollision regeln. Hinsichtlich des Begegnens von Schiffen hatten sich naturgemäß schon frühzeitig gewisse internationale Gebräuche gebildet, die aber erst durch ein englisches Gesetz vom 29. VII. 1862, die
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„Regulations for preventing collisions a t s e a " eine bestimmte Regelung erfuhren. Diese wurden seit 1880 von der Mehrzahl der Seemächte in einem gemeinsamen Reglement übernommen und dienten der I n t e r nationalen Marinekonferenz in W a s h i n g t o n 1889 zur Grundlage, als die Zweckmäßigkeit einiger Normen in Frage gestellt war (MR. II. s. Τ. XVI, S. 363). Die Resolutionen, die von den dort vertretenen Mächten gefaßt wurden, zerfielen in folgende Hauptabschnitte: I. Schiffssignaie oder andere Mittel, die deutlich die Richtung anzeigen, in welcher sich die Schiffe bei Nebel, Regen, Schneefall, dickem Wetter und bei Nacht bewegen. (Die verschiedenen Arten der Lichterführung, Schall[Sirenenjsignale und Verminderung der Fahrtgeschwindigkeit bei Nebel); Steuer und Segelvorschriften (bei Kollisionsgefahr); Schallsignale für Schiffe, die einander in Sicht sind; kein Schiff darf seine besonderen Vorsichtsmaßregeln vernachlässigen; für Häfenund Inlandschiffahrt gelten die jeweiligen landesgesetzlichen Vorschriften; über Notsignale. II. Regeln, um die Seetüchtigkeit von Schiffen zu bestimmen. III. Bezeichnung der Ladegrenze. IV. Gleichförmige Regulierung bezüglich der Schiffsbezeichnungen. V. Rettung von Leben und Eigentum Schiffbrüchiger. VI. Notwendige Qualifikationen für Offiziere und Seeleute, einschl. Atteste für dieSehschärfe undFarbenunterscheidungsvermögen. VII. Kurs für Dampfer auf häufig befahrenen Strecken. VIII. Nachtsignale, um Informationen auf See zu übermitteln. IX. Warnungen vor nahendem Sturm. X. Berichterstattung, Markierung und Beseitigung von Wracks oder von Hindernissen, die der Schiffahrt gefährlich sind. XI. Bekanntmachung von Gefahren für die Schifffahrt (Veränderung der Lichter, Bojen und anderer Tag-und Nachtzeichen). X I I . Gleichmäßiges System von Bojen und Baken. X I I I . Errichtung einer ständigen internationalen Marinekommission. Diese neuen Regeln traten in den Staaten der Konferenzteilnehmer nach einigen unbedeutenden Abänderungen (MR. II. s. Τ. X X I I S. 113) am 1. VII. 1897 in Form von Gesetzen, Verordnungen usw. in Kraft. Die Sanktionierung liegt in der Verantwortlichkeit des Schiffsführers für die Befolgung der Vorschriften. Sie ist teils privatrechtlich, teils strafrechtlich geregelt. Es kommt das Recht desjenigen Staates zur Anwendung, dessen Flagge das Schiff führt, bzw. in dessen Hoheitsgewässern die Verletzung geschehen ist. — Der Gebietshoheit eines Staates über die K ü s t e n g e w ä s s e r entspricht seine Verpflichtung, zur Vermeidung von Unglücks-
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Seestraßenrecht — Seewehr, die freiwillige
fällen die erforderlichen Vorschriften zu erlassen und Küste sowie Fahrstraße gehörig zu kennzeichnen. Im wesentlichen stimmen auch hierin die verschiedenen nationalen Gesetze überein. Z u r E r h a l t u n g d e r S e e wege wie Errichtung und Erhaltung von Seezeichen sind gleichfalls als Merkmal internationaler Interessengemeinschaft verschiedene Verträge geschlossen. Als typisches Beispiel sei auf den deutsch-holländischen Vertrag vom 16. X. 1896 (MR. II. s. Τ. XXV S. 56) hingewiesen über die Unterhaltung des Leuchtturmes auf Borkum sowie über die Betonnung, Bebakung und Beleuchtung der Fahrstraßen der Unterems und ihrer Mündungen. Ferner die Konvention zwischen einer großen Anzahl von Seemächten und dem Sultan von Marokko betr. der Verwaltung und Unterhaltung des Leuchtturmes am Kap Spartel vom 31. V. 1865 (MNRG. Τ. X X S. 350). Das i n t e r n a t i o n a l e S e e p r i v a t r e c h t betreffen die beiden Konventionen vom 23. IX. 1910 in Brüssel (M. R. III. s. Τ. VII S. 711) zwischen der Mehrzahl der Seemächte: a) Das Übereinkommen zur einheitlichen Feststellung von Regeln über den Zusammenstoß von Schiffen (Ersatzpflicht wegen des den Schiffen oder den an Bord befindlichen Sachen oder Personen zugefügten Schadens (Art. 1). b) Über die Hilfeleistung und Bergung in Seenot (Anspruch auf angemessene Vergütung, Art. 2). Die beiden Abkommen sind noch nicht allgemein bestätigt (cf. commercial code of signals). Literatur : Pereis, F., Verhalten der Seeschiffe bei unsichtigem Wetter nach dem intern. Seestraßenrecht, Berlin 1898. — Sassen, Seeunfälle Breslau 1920. — Ausführlichere Literaturangabe bei Prien, Der Zusammenstoß von Schiffen nach den Gesetzen des Erdballs, Berlin 1896. E. Mewes.
Seewehr, die freiwillige. Die Freiwillige Seewehr des Norddeutschen Bundes wurde durch AKO. am 24. Juli 1870 ins Leben gerufen und bezweckte die Heranziehung von Teilen der Handelsflotte auf einer völkerrechtlich arterkannten Basis für den Seekrieg. Sie wurde notwendig, weil die Kaperei durch die Pariser Seerechtsdeklaration von 1856 (s. Art. 467 a, 301 und 500) abgeschafft war, man aber im Falle eines Seekrieges nicht auf die Unterstützung der Kriegsflotte durch die Handelsflotte verzichten konnte und wollte. Über die besonderen Aufgaben dieser Neuschöpfung läßt sich aus dem amtlichen
Aktenmaterial feststellen, daß sie in der Hauptsache zum Offensivtorpedodienst herangezogen werden, daneben aber auch den Dienst bei den Stromsperren der Elbe und Jade versehen und somit die Bundesmarine in der Abwehr etwaiger Landungsversuche der französischen Blockadegeschwader unter „Fourischat" und „Bouet Willaumez" unterstützen sollte. Die Richtlinien für die Aufstellung dieser Freiwilligen Seewehr sind in oben genannter AKO. gegeben, die sich an alle deutschen Seeleute und Reeder richtet. Die tauglich befundenen Schiffe wurden von den Reedern mit Freiwilligen bemannt und gehörten für die Zeit der Indienststellung zur Bundesmarine, führten die Kriegsflagge und waren somit legitime Seestreitkräfte. Zum Zwecke der militärischen Ausbildung der Seewehrfreiwilligen, die zur Bundesmarine gehörten, deren Uniform und Rangabzeichen trugen, wurde am 14. Sept. 1870 die erste Abteilung der Flottenstammdivision der Ostsee von Kiel nach Wilhelmshaven verlegt. Aus dem amtlichen Aktenmaterial läßt sich feststellen, daß diese Neuerscheinung auf dem Gebiete des Seekriegswesens entgegen der bis heute einstimmig in der völkerrechtlichen Literatur vertretenen Ansicht tatsächlich ins Leben getreten ist. Die Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit dieser Neuschöpfung wurde besonders in Frankreich lebhaft erörtert und bestritten. Der französische Botschafter in London, Marquis de Lavalette protestierte bei der britischen Regierung gegen die Errichtung der Seewehr und übergab am 20. August 1870 eine diesbezügliche Verbalnote. Frankreich stützt den Protest auf folgende Punkte der AKO.: 1. Die geheuerten Schiffe sind Privatschiffe. 2. Sowohl Mannschaften wie auch Offiziere sollten von den Reedern angeworben werden und konnten infolgedessen Ausländer sein. 3. Die Offiziere der Seewehr gehörten der Bundesmarine nicht an, trotzdem sie Patente erhalten und Uniform tragen sollten, da ihnen der Eintritt in das Offizierkorps der Bundesmarine erst im Falle außerordentlicher Verdienste in Aussicht gestellt war. In tatsächlicher Beziehung sei festgestellt, daß der Inhalt der Verordnung in der französischen Verbalnote nicht richtig wiedergegeben ist, da sich die AKO. nur an die deutschen Seeleute und Schiffseigner richtete. Einerseits ist es unhaltbar, die völkerrechtliche Stellung eines Kriegsschiffes von
Seewehr, die freiwillige
— Selbständigkeit des Staates
den privatrechtlichen Eigentumsverhältnissen abhängig zu machen und andererseits m u ß es aufs höchste befremden, daß gerade Frankreich an der getroffenen Lösung der Personalfrage Anstoß nahm und behauptete, daß Ausländer in weitem Umfang sowohl als Offiziere wie auch als Mannschaften in die Seewehr eingestellt werden konnten. Steht doch diese von Frankreich amtlich vertretene Ansicht in krassem Widerspruch m i t der von der französischen Regierung geübten Praxis, die sich nicht scheute, die Fremdenlegion Seite an Seite mit den regulären Truppen bei Orleans kämpfen zu lassen. Auch der letzte P u n k t der französischen Verbalnote erledigt sich, da den Offizieren der Freiwilligen Seewehr, die als inaktive Offiziere der Bundesmarine galten, nur der Übergang zur A k t i v i t ä t in Aussicht gestellt war. In der Literatur ist die Frage der völkerrechtlichen Zulässigkeit der Freiwilligen Seewehr des öfteren behandelt und entweder im Sinne der französischen Verbalnote oder der englischen Antwortnote entschieden. Gegen die völkerrechtliche Zulässigkeit der Freiwilligen Seewehr des Norddeutschen Bundes können tatsächlich keine begründeten Zweifel erhoben werden. Die Schiffe der Seewehr waren äußerlich durch die Kriegsflagge legitimiert, auf Staatskosten ausgerüstet und von vorübergehend im Staatsdienst stehenden Offizieren und Mannschaften besetzt. Sie war nicht nur nach dem damals geltenden Völkerrecht zulässig, sondern sie steht auch mit dem heute geltenden Völkerrecht, nachdem diese Materie auf der I I . Haager Friedenskonferenz geregelt ist, voll und ganz im Einklang. Literatur: Scheuermann in Ζ V Band, X I I . — WHlms, Die Umwandlung von Kauffahrteischiffen in Kriegsschiffe. — Franco-German W a r Nr. 1, London 1871. — Marine-Ministerium. Akten betreffend die Allerhöchst befohlene Bildung einer Freiwilligen Seewehr pp. Cap. X V I I , T i t . 2, Sect. 2, Nr. 1 und 2. Scheuermann.
S e e z e i c h e n s. Seestraßenrecht. S e e z e r e m o n l e l l s. Zeremoniell zur See.
Selbständigkeit des Staates. Die Selbständigkeit des Staates spielt in der Völkerrechtsliteratur eine große Rolle. Meist wird sie bei der Lehre von den „ G r u n d r e c h t e n " (droits absolus des fitats) erörtert.
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Zu diesen „ G r u n d r e c h t e n " pflegt man in erster Linie das Recht auf Unabhängigkeit und Selbständigkeit zu zählen, die französischen Autoren sprechen von einem droit de souverainetö, dem ein droit d'indipendance entweder „als dieselbe Idee unter einem anderen A s p e c t " gegenübergestellt wird (ζ. B . F o i g n e t ) , während die souverainetö wieder in eine souverainete exterieure und eine souverainet6 int6rieure unterschieden wird, oder sie identifizieren das droit d'independance mit der souverainetG ext6rieure, der dann die Selbständigkeit als souverainet6 int6rieure beigeordnet wird. C h r i t i e n spricht von einem „droit d'exi s t e n c e " , das sich ihm in das droit d'indipendance und das droit d'autonomie-souverainet6 intärieure zerlegt. R i v i e r handelt von dem Recht der Unabhängigkeit o d e r Selbständigkeit, das man nach ihm unter dem Begriff des Selbsterhaltungsrechtes subsumieren konnte. H a l l kennt neben dem right of independance, rights of sovereignty; andere englische Autoren (ζ. B . H o l l a n d ) sprechen von „internal sovereignty". Diese Unterscheidung von äußerer und innerer Souveränität ist in der französischen Literatur herrschend; so sagt E s m e i n (EI£ments de droit constitutione!), daß die souveraineti „ a deux faces, la souverainete int6rieure ou le droit de commander ä tous les citoyens composant la nation et meme ä tous ceux qui risident sur le territoire et la sover a i n e t i extörieure . . . " Auf dieser Unterscheidung baut die französische Theorie auch den Unterschied von Protektorat und Vassalitätsverhältnis auf, indem nach ihr das Protektorat durch Verzicht auf die äußere (Gairal, Despagnet), das Vassalitätsverhältnis aber durch Verleihung der inneren Souveränität seitens des Oberstaates entsteht. Nach v. L i s z t ergibt sich „die gegenseitige Anerkennung der inneren Selbständigkeit jedes Staates aus dem Grundgedanken des Völkerrechtes. Diese innere Selbständigkeit t r i t t nach ihm völkerrechtlich als Gebiets- und Personalhoheit entgegen und äußert sich allen übrigen Staaten gegenüber als Autonomie in Gesetzgebung, Rechtspflege und Verwaltung innerhalb des dem S t a a t e zustehenden Machtkreises". Die meisten Autoren nennen als Konsequenzen der inneren Selbständigkeit das Recht des Staates, frei sich seine Verfassung zu wählen, seine Regierungsform und Verwaltungsorganisation zu bestimmen, Gesetze und Verordnungen zu erlassen usw. R i v i e r stellt die Selbständigkeit geradezu in den Mittelpunkt seiner Darlegungen und entwickelt beinahe sämtliche Völkerrechtsnormen als Ausflüsse des Rechtes der Selbständigkeit.
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Selbständigkeit des Staates — Selbsthilfe
„Kein Staat", sagt v. H o l t z e n d o r f f , „braucht sich Einmischungen des Auslandes in Angelegenheiten gefallen zu lassen, welche als innerstaatliche anerkannt sind." Aber aus dieser Negation ergibt sich noch kein subjektives Recht (vgl. dazu S t r i s o w e r in G r ü n h u t s Zeitschrift, 1890, XVII, S. 717/18 und H e i l b o r n , System, S. 300). Um diese ganze Lehre von dem Rechte der inneren Selbständigkeit kritisch zu prüfen, bedarf es eingehender Untersuchungen über die sog. „Grundrechte" und über die Souveränität. Die Zweiseitentheorie, die auch sonst in der Völkerrechtstheorie vorkommt und auf die unhaltbare dualistische Konstruktion von Staats- und Völkerrecht zurückzuführen ist, stellt sich den Staat als ein Ding mit einer Eigenschaft, „Souverän i t ä t " genannt, vor, das zwei Seiten besitzt, eine nach außen gekehrte, als „völkerrechtliche" und eine nach innen, den Untertanen zugewendete, als innere oder „staatsrechtliche" Souveränität bezeichnete. Diese innere Souveränität ist aber mit dem Begriffe der Kompetenzhoheit zusammenfallend. Man behauptete nun weiterhin, die innere Souveränität könne allein vorhanden sein, auch wenn die äußere Souveränität fehle: die „halbsouveränen" Staaten (vgl. dazu S o m l o , Juristische Grundlehre, 1917, S. 282/83; N e l s o n , Die Rechtswissenschaft ohne Recht, 1917, S. 66/69). Gegen diese Auffassung, als ob Völker- und staatsrechtliche Souveränität zwei Seiten desselben Begriffes seien, ζ. B. R e h m , Allgemeine Staatslehre, 1899, S. 69/70. Nach ihm sind staats- und völkerrechtliche Souveränität zwei verschiedene Begriffe. Vgl. jetzt die Kritik an der völkerund staatsrechtlichen Souveränitätslehre bei K e l s e n , Das Problem der Souveränität und die Theorie des Völkerrechts, 1920, bes. S. 37/40. Die Souveränität als summa potestas, als R e c h t s v o r a u s s e t z u n g s b e g r i f f , ist nicht zerreißbar, aber sie steht im Widerspruch mit der Möglichkeit des Völkerrechts, die „Souveränität" der Staaten war bisher das Haupthindernis für die Ausgestaltung des Völkerrechts. Das muß endlich als wissenschaftliche Überzeugung durchdringen. Dann wird auch die Zeit gekommen sein, in welcher die Lehre vom Primat der Völkerrechtsordnung als die einzig mögliche Konstruktion des Völkerrechts anerkannt sein wird. Diese Überzeugung beginnt sich seit langer Zeit, oft gegen den Willen der betreffenden Autoren, Bahn zu brechen. Sehr richtig sagt S o m l o (op. cit. S. 283), daß eine „Geschichte der Literatur über den Souveränitätsbegriff vielmehr zur Geschichte einer Benennung als zur Geschichte eines Begriffs führen
würde". Gegenüber dem geltenden Völkerrecht wird immer mehr nur der Name, nicht das Wesen der Souveränität, die nach Ph. Z o r n „das einzige essentielle Begriffsmerkmal des Staates ist", aufrecht zu erhalten gesucht. Das zeigt sich darin, daß gelegentlich von einer „Überspannung des Souveränitätsbegriffes" (so bei L a m m a s c h , Völkerrecht nach dem Kriege, 1917, S. 82) gesprochen wird, oder wenn R i v i e r , bei dem die Selbständigkeit das Fundament seines Lehrgebäudes bildet und der sie als das Recht, jede fremde Einmischung in . . . seiner inneren Verwaltung fernzuhalten, definiert, zugeben muß, daß diese Regel b e d e u t e n d d u r c h b r o c h e n ist und die völkerrechtliche Gemeinschaft die Staaten zu Selbstbeschränkungen veranlaßt habe. Allein nach der unseres Erachtens einzig richtigen Konstruktion vom Primat des Völkerrechts ist nur die Völkerrechtsordnung souverän, die Rechtsordnungen der einzelnen Staaten dagegen erscheinen als delegierte Teilordnungen der Völkerrechtsordnung. Freilich ist dieser Begriff der Souveränität ein R e c h t s v o r a u s s e t z u n g s b e g r i f f ; die „Souveränität der S t a a t e n " , ist dagegen auch ein völkerrechtlicher R e c h t s i n h a l t s begriff; in d i e s e m Sinn behält sie ihre Bedeutung, in d i e s e m Sinn ist sie auch mit einer überstaatlichen Völkerrechtsordnung nicht nur vereinbar, sondern erst durch sie möglich. Denn dieser völkerr e c h t s i n h a l t l i c h e Begriff der Souveränität ist nichts anders als die von der Völkerrechtsordnung den „ S t a a t e n " verliehene Kompetenz. (Vgl. jetzt dazu grundlegend A. V e r d r o ß : Die Einheit des rechtlichen Weltbildes auf Grundlage der Vö'kerrechtsverfassung. Mohr, Tübingen 1923). Literatur: Fast sämtliche Lehr- und Handbücher des Völkerrechtes; die außerordentlich umfangreiche dogmengeschichtliche, dogmatische und kritische, staats-völkerrechtliche und rechtstheoretische Literatur zum Souveränitätsproblem. Kunz.
Selbsterhaltung, Recht auf s. Notstand.
Selbsthilfe. Selbsthilfe ist entweder Selbstverteidigung oder Selbsthilfe im engeren Sinne, d. i. Verwirklichung eines Rechtes gegen Widerstand durch den Berechtigten selbst. Die berechtigte Selbsthilfe bedeutet Ausschluß der Rechtswidrigkeit; die Handlung, die an sich ein völkerrechtliches Delikt darstellen würde,
Selbsthilfe wird dadurch, daß sie erlaubte Selbsthilfehandlung ist, zu einer rechtsgemäßen Handlung. Sie ist nicht nur von der Rechtsordnung „ e r l a u b t " im Sinne von nicht verboten, sondern positiv erlaubt, gesollt. Es ist von eminenter Bedeutung, festzuhalten, daß die erlaubte Selbsthilfe im Dienste der Rechtsschutzfunktion steht. Es ist zweifellos, daß die Selbsthilfe für das heutige Völkerrecht großenteils die von der positiven Völkerrechtsordnung gewollte Form des Rechtsschutzes ist. Systematisch ist die Stellung der Selbsthilfe im Lehrgebäude des Völkerrechts daher nicht, wie dies vielfach geschieht, als Ausfluß des problematischen „Grundrechtes der Selbsterhaltung" zu behandeln, auch nicht lediglich in der Lehre vom Ausschluß der Rechtswidrigkeit, sondern in der Lehre vom Schutz der völkerrechtlichen Normen, in der Lehre von der völkerrechtlichen Exekution. Ob die Selbsthilfe in der Form der „Notwehr" dem Völkerrechte bekannt ist, ist bestritten; allgemein wird dagegen anerkannt, daß Selbsthilfehandlungen unter der Voraussetzung wahren völkerrechtlichen Notstandes zulässig sind. Die Arten und die Mittel völkerrechtlicher Selbsthilfe sind sehr mannigfaltige; man unterscheidet gewöhnlich nichtkriegerische Selbsthilfe und den Krieg. Unter den Mitteln nichtkriegerischer Selbsthilfe pflegt gewöhnlich an erster Stelle die R e t o r s i o n genannt zu werden, d. i. die Erwiderung einer bloßen Unbilligkeit (nicht Unrechtes) durch eine adäquate Unbilligkeit (nicht Unrecht); die Anwendung der Retorsion steht in enger Beziehung zu dem völkerrechtlichen Prinzip der R e z i p r o z i t ä t . Zur Retorsion wird besonders die Verschärfung des Paßzwanges, die Sperrung der Grenzen, der Ausschluß fremder Staatspapiere vom amtlichen Börsenverkehr, der Zollkrieg usw. gerechnet. Doch erscheint uns H e i l b o r n s Gesichtspunkt (System, S. 352/353), daß es sich hier zwar um ein hochbedeutsames Mittel der Selbsthilfe handelt, das aber für das Recht nicht in Betracht komme, beherzigenswert. Als die beiden Hauptarten nichtkriegerischer Selbsthilfe werden Repressalie und Intervention bezeichnet: nicht ganz genau; denn die Repressalie kann sowohl Friedenswie Kriegsrepressalie sein. R e p r e s s a l i e ist eine „in concreto" erlaubte Völkerrechtsverletzung in Erwiderung einer vorausgegangenen" ( S t r u p p ) ; ihre juristische Konstruktion, ihre Bedeutung und Tragweite ist sehr bestritten. Was die I n t e r v e n t i o n anbelangt, die nach v. L i z s t unter der Voraussetzung
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berechtigter Selbsthilfe erlaubt sein soll, darf folgendes nicht übersehen werden; die Intervention ist entweder erlaubt auf Grund eines speziellen Vertrages oder des Ansuchens und der Einwilligung des Staates, gegen den interveniert wird, oder sie stellt sich als Repressalie oder als gerechtfertigte Notstandshandlung dar, oder endlich sie bildet den Tatbestand eines völkerrechtlichen Delikts. Die einzelnen Mittel der Selbsthilfe sind nun die einzelnen Repressalien- bzw. Interventionshandlungen; hier ist besonders die Xelenasie, die Androlepsie, die Beschlagnahme fremden Eigentums, das Embargo, die Friedensblockade (le blocus pacifique) zu erwähnen. Schließlich ist auch der Krieg eine Form völkerrechtlicher Selbsthilfe. Denn gegenüber der modernen Lehre, wonach Kriege stets erlaubt sind, muß mit S t r i s o w e r der „orthodoxe" Satz betont werden, daß „nach geltendem Völkerrecht der Krieg nur zum Schutz eines Rechtes von Seiten des zu diesem Schutz berufenen Staates zulässig ist". Der Krieg ist nicht nur, wie es H e i l b o r η ausdrückt, „eine von der Rechtsordnung anerkannte Maßnahme der Selbsthilfe", sondern er ist der von der Völkerrechtsordnung nicht bloß „erlaubte", sondern angeordnete Zwangsakt zur Durchsetzung des objektiven und nicht bloß des subjektiven Rechts gegen seine Verletzer; dieses „ E r l a u b e n " der Völkerrechtsordnung ist gleichbedeutend mit einem „ S o l l e n " , das auf das „ E r m e s s e n " des Sollenden gestellt i s t " ( K e l s e n , Problem der Souveränität, 1920, S. 264/265). „International law thus recognises war as a permitted mode of giving effect to its decisions" ( H a l l , 7. ed. 1917, S. 61). Es ist richtig, daß das Völkerrecht vom innerstaatlichen Recht sich dadurch unterscheidet, daß dieses die Selbsthilfe prinzipiell verbietet, jenes sie in weitem Maße erlaubt. Daraus folgt aber nicht, daß das Völkerrecht nicht Recht wäre; es ist wohl heute die überwiegende Meinung der Rechtstheoretiker, daß die Erzwingbarkeit kein essentielles Merkmal des Rechtsbegriffes bildet. Jede entwickelte Rechtsordnung steht der Selbsthilfe prinzipiell ablehnend gegenüber; denn die Selbsthilfe ist zweifellos nur eine sehr unvollkommene Form des Rechtsschutzes, ihr Nachteil besteht darin, daß sie dem Verletzten selbst die Entscheidung über die Art und das Maß der Exekution Iäßt, daher einerseits leicht zu Willkür verleitet, andererseits den Verletzten schutzlos läßt, wenn er zur Selbsthilfe nicht greifen will, oder nicht die Kraft dazu besitzt. Die Selbsthilfe war auch für die inner-
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Selbsthilfe — Serbisch-kroatischi-slowenischer Staat (Südslawien)
staatlichen Rechte in langen Perioden ihrer Entwicklung die einzige oder doch überwiegende Rechtsschutzform. Nur sehr langsam wurde ζ. B. das unbeschränkte Selbsthilferecht der Fehde durch die treuga Dei beschränkt, erst 1235 zu einem bloß subsidiären, erst 1495 schlechthin verboten. Der breite Raum, den die Selbsthilfe im Völkerrecht einnimmt, gehört daher zu den „Unvollkommenheiten" des Völkerrechts, ist ein Beweis, daß sich das Völkerrecht erst auf einer primitiven Stufe seiner Entwicklung befindet. Zugleich lehrt der Vergleich mit dem innerstaatlichen Recht die Richtung, die das Völkerrecht künftighin einzuschlagen hat: Beschränkung der Selbsthilfe, Ersetzung durch die obrigkeitliche Exekution, v. L i s z t bezeichnet es 1920 als eines der Hauptprobleme der Zukunft, „ob es gelingen wird, in die Neuorganisation des Staatenbundes das Moment des Zwanges einzuführen". Voraussetzung dafür ist eine straffere Organisation der Staaten der sog. Völkerrechtsgemeinschaft. Schon das bisherige Völkerrecht suchte die Selbsthilfe zu beschränken: Schiedsgerichtsbarkeit (besonders die obligatorische), Vermittlung, Conseil de conciliation, Commission internationale d'enqu^te, WilsonBryans Friedensplan 1913, Drago-Porter Konvention der II. Haager Konferenz 1907. Diese Institutionen sind auszubauen. Daneben muß das Repressalienrecht geregelt werden; denn die Repressalie (im Verein mit der Allbeteiligungsklausel und der Kriegsraison) ist, wie L a m m a s c h („Völkerrecht nach dem Kriege") warnend hervorhebt, „geeignet, das gesamte Völkerrecht aus den Angeln zu heben". Den Ansatz zur Beschränkung der kriegerischen Selbsthilfe und Ersatz durch obrigkeitliche Exekution — für die theoretische Bewältigung ist das Ausgehen von der unserer Meinung nach einzig richtigen Konstruktion vom Primat der Völkerrechtsordnung notwendig — gibt jetzt der V ö l k e r b u n d s p a k t (Teil 1 der Friedensverträge von 1919/1920). In der Constitutio Moguntina von 1235 heißt es: „ut nullus se ipsum vindicet, nisi prius querelam suam coram judice propositam secundum jus usque ad d i f f i n i t i v a m sententiam prosequatur". Wie hier die Fehde, so wird durch Artt.l 1,12,13,15undl6des Völkerbundspaktes der Krieg zu einem bloß s u b s i d i ä r e n Selbsthilfemittel herabgedrückt. Denn wenn ein Völkerbundsmitglied entgegen den Verpflichtungen der Artt. 12, 13 und 15 zum Kriege schreitet, setzt es dadurch eine Kriegshandlung gegen alle anderen Bundesmitglieder, welche gegen dasselbe nach Art. 16
den Wirtschaftsboykott verhängen; auch ist der Völkerbundsrat zum Vorschlag verpflichtet, „mit welchen Land-, See- oder Luftstreitkräften jedes Mitglied zu der bewaffneten Macht beizutragen hat, die den B u n d e s v e r p f l i c h t u n g e n A c h t u n g zu s c h a f f e n , bestimmt ist." Literatur: Sämtliche Lehr- und Handbücher des Völkerrechtes, Literatur über Notstand, Kriegsrecht, Repressalie, Friedensblockade usw. sowie über die Mittel der Streiterledigung, vgl. noch Held, Völkerrechtliche Selbsthilfe in R o t t e c k und W e l c k e r s Staatslexikon XVIII. — Wurm, Völkerrechtliche Selbsthilfe; ebenda XIV. — v. Kaltenborn, Zur Revision der Lehre von den internationalen Rechtsmitteln in der Ztschr. f. d. ges. Staatswissenschaft XVIII, S. 69ff. — Wagner, Zur Lehre von den Streiterledigungsmitteln, 1900. — 0 . Nippold, Die Fortbildung des Verfahrens in völkerrechtlichen Streitigkeiten; ferner die Kriegs- und Nachkriegsliteratur über Entwicklung des Völkerrechts und die Literatur zum Völkerbundspakt. Kunz.
Selbstverwaltungskolonien, englische s. Nachtrag. Seiden s. VRsliteraturgeschichte. Serajewo s. VRsgeschichte. Serbien s. Serbisch-kroatisch-slowenischer Staat.
Serbisch-kroatisch-slowenischer Staat (Südslawien) oder Jugoslawien ist eines der nach dem Weltkriege neuentstandenen Reiche. Es nennt sich selbst in seiner Verfassung vom 28. VI. 1921 Art. 1: K ö n i g r e i c h d e r S e r b e n , K r o a t e n u n d S l o w e n e n , um mit diesem Namen zugleich die stamm- und sprachverwandten Völker anzudeuten, die in diesem Staate die langersehnte Vereinigung gefunden haben. „Der Staat der Serben, Kroaten und Slowenen ist eine verfassungsmäßige, parlamentarische und e r b l i c h e M o n a r c h i e " (Art. 1). Die Krone ist erblich nach der Ordnung der Erstgeburt in der Familie K a r a g e o r g e v i t c h , die von dem tapferen Georg Petrovitch mit dem Beinamen Karadjordje aus Topola abstammt, der im Jahre 1804 die Befreiung der Serben vom Türkenjoch mit einem Aufstand einleitete. Der König hat bei seiner Thronbesteigung vor der Nationalversammlung einen Eid auf die Verfassung abzulegen (Art. 58). Das Wappen des Königreichs ist ein auffliegender weißer Doppeladler auf rotem Schild. Die
Serbisch-kroatisch-slowenischer Landesfarben sind blau-weiß-rot u n d zwar in horizontaler Lage zum a u f r e c h t e n S c h a f t der F a h n e (Art. 2). Der G e b u r t s t a g des neuen Reiches ist der 19. X I . 1918, als die N a t i o n a l v e r s a m m lung in Agram die Vereinigung der Serben, K r o a t e n u n d Slowenen zu einem S t a a t beschloß. Am 24. X I . 1918 sprach die m o n t e n e grinische S k u p s c h t i n a in Podgoritza die Absetzung des Königs Nikolaus und den Anschluß an Jugoslawien aus, was dem Kronprinzen Alexander am 17. X I I . 1918 a m t l i c h durch eine A b o r d n u n g übermittelt wurde. Am 21. X I I . 1918 bildete sich die erste jugoslawische Regierung u n t e r der P r ä s i d e n t s c h a f t von S t o j a n P r o t i t c h u n d am 16. III. 1919 t r a t in Belgrad das erste jugoslawische P a r l a m e n t z u s a m m e n . Die Grenzen des neuen Staates w u r d e n d u r c h die Verträge von Neuilly u n d von St. Germain (27. X I . 1919) festgelegt. Die F ü h r u n g der Grenzlinien war nicht leicht im ehemaligen Ungarn gegen R u m ä n i e n u n d in Mazedonien gegen Bulgarien. Sie sollten auf ethnographischer Grundlage gezogen werden, aber es war unvermeidlich, daß Volkssplitter n a c h beiden Seiten hin u n b e rücksichtigt bleiben m u ß t e n . Bulgarien behielt im großen u n d ganzen seinen Bestand vom Bukarester Frieden, m u ß t e jedoch den nach Mazedonien hineinragenden Zipfel von S t r u m i t z a an Südslawien a b t r e t e n . Unzufrieden sind die Südslawen m i t ihrer Grenze im Nordwesten gegen Italien (Görz), wo gerade der intelligenteste Teil der Slowenen u n t e r italienische H e r r s c h a f t geraten ist. Auch b e w i r k t es Beunruhigung, daß Italien die Adria als ein italienisches Meer a u f f a ß t . In dem neuen Königreich sind außer dem ehemaligen Königreich Serbien und Montenegro zusammengeschweißt Kroatien u n d Slawonien, Slowenien (das frühere österreichische Krain u n d Teile von Steiermark), Bosnien u n d Herzegowina, der größte Teil von Dalmatien, B a n a t u n d Batschka (ehemals ungarisch). Die Neuerwerbungen geschahen meist auf Kosten des ehemaligen österreichisch-ungarischen Staates, dessen südslawische Bewohner längst den Zus a m m e n s c h l u ß mit dem nationalen serbischen Königreich ersehnten. Dieser W u n s c h verdichtete sich in der g r o ß s e r b i s c h e n B e w e g u n g , die in den letzten J a h r z e h n t e n beständig von sich reden m a c h t e u n d die jetzt ihr Ziel erreicht h a t . Die Südslawen pflegten zu s a g e n : „ W i r haben erst den Kopf frei, Serbien, u n d einen Arm, Montenegro, aber der übrige Körper s c h m a c h t e t noch u n t e r f r e m d e m J o c h . " Sie stellten als Vorbilder ihrer politischen Bestrebungen stets das geeinte Deutschland und Italien hin.
Staat (Slidslawien)
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Die serbischen Schulbücher bezeichneten die von Serben b e w o h n t e n Teile ÖsterreichUngarns schon seit J a h r z e h n t e n als „ v o r läufig von Österreich v e r w a l t e t " . Das neue südslawische Königreich h a t einen F l ä c h e n r a u m von 247916 qktn u n d r u n d 12 Mill. E i n w o h n e r , 47 auf den q k m . Die Zahl der Frauen ü b e r t r i f f t die der Männer nach der Statistik von 1920 um 250000, was sicher m i t den Verlusten des W e l t krieges z u s a m m e n h ä n g t , in dem die serbische Armee r u n d 365000 Tote buchte. Von den Einwohnern sind 8 % Mill. Serbokroaten, 1 Mill. Slowenen, Deutsche, Albanier u n d Magyaren gibt es je Mill. Dazu k o m m e n noch R u m ä n e n , J u d e n , Bulgaren u. a., so daß also die Bevölkerung keine einheitliche mehr ist, wie sie es in dem alten nationalen serbischen Königreich war. Auch s t a r k e kulturelle Verschiedenheiten walten ob. Ebenfalls b u n t ist das Bild in konfessioneller Hinsicht geworden. Zwar die Mehrheit der Bevölkerung gehört der morgenländisch-orthodoxen Konfession an, nämlich 5 % Mill., aber 4 % Mill, sind römisch-katholisch, f a s t 1 %Mill. M o h a m m e d a n e r , 225000 evangelisch. Das ehemalige Königreich Serbien war a u c h konfessionell ein E i n h e i t s s t a a t . Der gewaltige Zuwachs von a n d e r e n Konfessionen, besonders von römisch-katholischen Christen, stellt den jungen großserbischen S t a a t vor neue A u f g a b e n . Die Südslawen, die heute in die drei dialektisch verschiedenen S t ä m m e der Serben, K r o a t e n u n d Slowenen zerfallen, k a m e n im 6. J a h r h . in die Donaugegend u n d besiedelten die Gebiete südlich der Drau u n d besonders den Nordwesten und das Innere des Balkans bis tief nach Mazedonien hinein. Sie lernten das Christentum von zwei Seiten her kennen, von Rom u n d Byzanz. Die nördlich der Save w o h n e n d e n K r o a t e n u n d S l o w e n e n , u n t e r denen fränkische Missionare w i r k t e n , w a n d t e n sich dem r ö m i s c h e n C h r i s t e n t u m zu, w ä h r e n d die S e r b e n das orientalische Christentum annahmen, vornehmlich aus zwei G r ü n d e n : weil ihnen der P a t r i a r c h von Konstantinopel die M u t t e r sprache im Gottesdienst zusagte u n d weil sie die H e r r s c h a f t Roms f ü r c h t e t e n . Dieses religiöse Auseinanderfallen h a t t e nicht nur zur Folge, d a ß sich in den kirchlichen B a u t e n die abendländische oder morgenländische Zugehörigkeit a u s d r ü c k t e , sondern je nach der Konfession erhielten die Südslawen v e r s c h i e d e n e S c h r i f t z e i c h e n . Die K r o a t e n u n d Slowenen schrieben mit lateinischen Lettern, während die Serben das sog. c y r i l l i s c h e A l p h a b e t b e k a m e n , d. h. die Buchstaben, welche die Slawenapostel Methodius u n d Cyrill nach der griechischen Majuskelschrift f ü r die slawischen Christen f o r m t e n .
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Serbisch-kroatisch-slowenischer Staat (Südslawien)
So bilden vornehmlich Religion und Schrift zwischen Kroaten und Serben einen Unterschied; auch die Mohammedaner in Bosnien und Herzegowina sind meist serbischer Abkunft. Stärker als alle Unterschiede ist das Bewußtsein der nationalen Zusammengehörigkeit. Nirgends herrscht Sehnsucht nach der Vergangenheit, sondern allgemein der Wille, das gemeinsame Staatswesen zu fördern und aufzubauen. „Die Amtssprache des Königreiches ist die serbisch-kroatischslowenische" (Art. 3). Es ist die gleiche Sprache mit dialektischen Unterschieden und teilweisem anderem Wortschatz, die von allen südslawischen Staatsbürgern verstanden wird. Die österreichisch-ungarische Verwaltung redete, um die nationale Zusammengehörigkeit zu verschleiern, gern von einer „bosnischen" Sprache, aber eine solche hat es nie gegeben; es wurde hier ebenso wie in Montenegro und Dalmatien ein serbischer Dialekt gesprochen. Die Regierung hat in den vormals österreichisch-ungarischen oder türkischen Landen alle Ortsnamen slawisiert. So heißt Agram jetzt Zagreb, Marburg Maribor, Laibach Ljubljana, Neusatz Novisad, Esseg Osijek, Spalato Split, Ragusa Dubrovnik, Cattaro Kotor, Üsküb Skolpje, Monastir Bitolj. Auch die Verschiedenheit des Glaubens soll die Staatseinheit nicht behindern; deshalb ist jedermann Glaubensund Gewissensfreiheit gewährleistet. Die anerkannten Glaubensbekenntnisse sind vor dem Gesetz gleichberechtigt und können ihre religiösen Vorschriften öffentlich ausüben. Der Genuß der bürgerlichen und politischen Rechte ist vom Religionsbekenntnis unabhängig (Art. 12).
Nationalversammlung liegt hauptsächlich auf dem Gebiete der Gesetzgebung und in der Feststellung des jährlichen Staatsbudgets (Art. 113). Auch die Stärke des stehenden Heeres wird jährlich im Budget bestimmt (Art. 119). Es gilt im südslawischen Staat a l l g e m e i n e W e h r p f l i c h t (Art. 119). Das Heer steht unter dem Oberbefehl des Königs, der auch die militärischen Chargen nach den Bestimmungen des Gesetzes verleiht (Art. 49). Südslawien ist gegenwärtig die z w e i t e M i l i t ä r m a c h t E u r o p a s und folgt in dieser Hinsicht sofort auf Frankreich. Aus der Verfassung, die ganz von modernem Geist durchweht ist, verdient noch Erwähnung: Es ist Freiheit der Person gewährleistet (Art. 5). Kein Staatsbürger kann aus dem Staat ausgewiesen werden (Art. 10). Ein Geburtsadel wird in Serbien nicht anerkannt (Art. 4). Pressefreiheit ist verbürgt (Art. 13). Schul- und Universitätsunterricht ist frei (Art. 16). In den Schulen soll der Geist der nationalen Einheit und der kirchlichen Duldsamkeit gepflegt werden (Art. 16). Die Arbeitskraft (Art. 23) und Ehe (Art. 28) stehen unter staatlichem Schutz. Weitgehende soziale Fürsorge wird gesetzlich zugesichert (Artt. 27 u. 31). Die Todesstrafe kann für rein politische Delikte nicht verhängt werden; ausgenommen sind nur die Fälle eines Attentats auf die Person des Herrschers (Art. 9). Wucher jeder Art ist verboten (Art. 36). Fideikommisse werden aufgehoben (Art. 38). Der enteignete Großgrundbesitz soll an diejenigen als Eigentum verteilt werden, die den Boden selbst bearbeiten (Art. 43).
Bei der Neugestaltung der V e r w a l t u n g Jugoslawiens hat man einen strengen Z e n t r a l i s m u s beobachtet. Der Sitz der Regierung ist Belgrad. Zum Zwecke der Verwaltung wird das Königreich in Distrikte, Kreise, Bezirke und Gemeinden zerlegt (Art. 95). Bei der Aufteilung in Distrikte soll den natürlichen, sozialen und ökonomischen (Art. 95), aber auch den überkommenen geschichtlichen Verhältnissen Rechnung getragen werden (Art. 135). Ein Distrikt soll höchstens 800000 Einwohner umfassen. An der Spitze eines jeden Distrikts steht ein Obergespan (veliki zupan), der vom König ernannt wird. Auf je 40000 Einwohner entfällt ein Abgeordneter zur Nationalversammlung, die auf vier Jahre gewählt wird (Art. 69). Wahlberechtigt ist jeder gebürtige oder naturalisierte Staatsbürger mit vollendetem 21. Lebensjahr (Art. 70). Die Nationalversammlung tritt alljährlich am 20. X. in der Hauptstadt Belgrad zu ordentlicher Tagung zusammen (Art. 75). Die Betätigung der
Das heutige Südslawien ist eines der reichsten und gesegnetsten Länder Europas. Es besitzt alles, was ein Volk zum Leben, zu kulturellen und wirtschaftlichem Aufstieg braucht: fruchtbare Ackerflächen, auf denen alle Getreidearten sowie Mais und Tabak gedeihen, hervorragenden Gemüse- und Obstbau (Pflaumen); holzreiche Waldungen; unerschöpfliche Kohlen- und Erzlager; viele Mineral- und Thermatquellen und besonders üppige Rebengelände. Südslawien ist heute eines der bedeutendsten Weinländer Europas. Ebenso nennenswert ist die Vieh- und Geflügelzucht, in Serbien namentlich die Schweinemästerei. Das Land bietet unübersehbare Export- und Importmöglichkeiten und wird deshalb begreiflicherweise wirtschaftlich sehr umworben. Die Industrie ist im Verhältnis zu den Bodenschätzen noch wenig entwickelt. Südslawien ist vorherrschend noch A g r a r s t a a t . Das Bauerntum ist sich seiner Macht bewußt geworden und ringt gegenwärtig um die führende
Serbisch-kroatisch-slowenischer Staat (Südslawien) Stellung im Staate, will dieselbe den Advokaten, Bankiers und Arbeitern abnehmen. Südslawien ist derjenige der am Kriege beteiligten Staaten, der sich verhältnismäßig wieder am raschesten zu geordneten Zuständen erhoben hat. Die Zentralisierung, die das südslawische Staatswesen kennzeichnet, wurde so bald als möglich für das s ü d s l a w i s c h e K i r c h e n w e s e n nachgeahmt. Das mittelalterliche Serbenreich war seit dem Jahre 1219 kirchlich selbständig. Das kirchliche Oberhaupt führte den Patriarchentitel und residierte in Ipek. Das serbische Patriarchat bestand bis zum Jahre 1766, also noch unter türkischer Herrschaft. Die Kirche hat sich in der Türkenzeit um Erhaltung der serbischen Sprache und des serbischen Nationalbewußtseins unvergleichliche Verdienste erworben und hat das heutige Südslawien mit vorbereitet. Im Jahre 1766 kam die serbische Christenheit wieder unter die Oberhoheit des ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel. Als am Anfange des 19. J a h r h . wieder ein Fürstentum Serbien entstand, bildete sich 1832 auch eine eigene serbische Landeskirche, die mit der Ausdehnung des Staates automatisch wuchs. Ihr Oberhaupt war der Metropolit von Belgrad, unter dem noch vier Bischöfe standen. Das maßgebende Gesetz über die Kirchenverfassung entstand im Jahre 1890. Nach dem Balkankriege zählte Serbien acht Bistümer. Durch das neue K i r c h e n v e r f a s s u n g s g e s e t z v o m 17. VI. 1921 wurden auch die orthodoxen Kirchengemeinschaften der neuerworbenen Gebiete (Kirche von Montenegro, Kirche von Bosnien-Herzegowina, Patriarchat von Karlowitz, serbisch-orthodoxe Kirche von Dalmatien) in das großserbische Kirchenwesen eingegliedert. Dasselbe umfaßt nunmehr 17 Diözesen. An der Spitze steht der Metropolit von Belgrad als Patriarch der serbischen Nationalkirche. Ihm stehen als Kirchenbehörden (durch Gesetze vom 23. X. und 24. X I I . 1920) zur Seite die Metropolitanversammlung, die Metropolitansynode, welche die laufenden Geschäfte besorgt, der Oberste geistliche Gerichtshof in Belgrad und der Oberste Verwaltungsrat (Amtssitz: Karlowitz). Wenn sowohl politisch wie kirchlich das ehemalige Königreich Serbien in dem südslawischen Staat die Führerrolle übernommen hat, so ist dies die natürliche Folge davon, daß dieses Land die alten nationalen Erinnerungen am sorgsamsten gepflegt und die Wiederaufrichtung eines großserbischen Reiches am zielbewußtesten angestrebt hat. Als die Südslawen im 6. Jahrh. in ihre heutigen Wohnsitze einrückten, bildeten sie
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verschiedene Gaufürstentümer und kleine Königreiche, die teilweise unter fremde Botmäßigkeit (Ungarn, Byzanz, Bulgarien) gerieten. Erst im 12. J a h r h . gelang es der Dynastie der N e m a n j i d e n (1168—1369), die Serben in einem Reiche zu sammeln. Das Reich gelangte zu Macht, Ansehen und hoher Kultur; lebhafter Handel verband es mit Konstantinopel und mit italienischen Städten. Mit Stefan Nemanja Schloß Friedrich Barbarossa Freundschaft. Prinz Sava wurde erster Erzbischof der unabhängigen serbischen Nationalkirche und Nationalheiliger des serbischen Volkes. Seine höchste Blüte erlebte es im 13. Jahrh. unter Urosch und im 14. unter Duschan, der im Jahre 1349 auch ein vortreffliches Gesetzbuch herausgab. Das serbische Reich zerfiel nach der unglücklichen Schlacht gegen die Türken auf dem Amselfelde (15. VI. 1389), deren Gedächtnis aber dem serbischen Volke ein Anstoß zur nationalen Wiedergeburt wurde. Erst im 19. Jahrh. gelang den Serben im Paschalik Belgrad die Befreiung vom verhaßten Türkenjoch unter Führung von Karadjordje und Milosch Obrenowitch. Letzterer wurde 1817 erster erblicher Fürst von Serbien. Bis 1867 stand das Fürstentum noch unter türkischer Oberhoheit. Ein Unglück für das Land war die Rivalität der Dynastien Obrenovitch und Karageorgevitch. Nach dem russisch-türkischen Kriege wurde es um die Gebiete von Nisch und Pirot erweitert und 1882 Königreich. Eine noch umfangreichere Erweiterung, namentlich in dem meist von Südslawen bewohnten Mazedonien, brachte der Frieden von Bukarest (10. VIII. 1913) nach dem zweiten Balkankriege. Die außerhalb des erstarkenden nationalen Königreichs in Bosnien-Herzegowina, in Dalmatien und sonst in Österreich-Ungarn wohnenden Serben ersehnten immer heißer den Anschluß an Serbien. Große Erregung rief in Serbien und bei allen Südslawen die Annexion von Bosnien-Herzegowina am 5. X. 1908 hervor, die gegen den Wortlaut des Berliner Kongresses von 1878 erfolgte, besonders weil sich Serbien hierdurch politisch und wirtschaftlich seitens der habsburgischen Monarchie bedroht fühlte und dauernd von dem ersehnten Zugang zum Meer abgeschlossen sah. Schon damals drohte kriegerische Verwicklung. Die Leistungen Österreich-Ungarns in Bosnien-Herzegowina sind gewöhnlich überschätzt worden, ebenso in Dalmatien. Das Schul- und Agrarwesen wurde vernachlässigt, das Verkehrswesen lediglich unter strategischem Gesichtspunkt ausgebaut. Das unvorsichtige Erscheinen des ErzherzogsThronfolger in Sarajewo am serbischen Nationalfeiertage, am Gedächtnistage von
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Serbisch-kroat.-slowen. S t a a t (Südslawien) — Serbokroatisch-ital. Differenzpunkte
Kossowo (28. VI. nach gregorianischem Kalender), v e r a n l a ß t e seine E r m o r d u n g u n d n a c h w i r k e n d den Weltkrieg, der die großserbische Bewegung an die Verwirklichung ihres Zieles b r a c h t e : A u f r i c h t u n g eines südslawischen Reiches. Vor dem Bündnis mit Österreich-Ungarn wurden die Südslawen, insonderheit die Serben, allgemein in Deutschland günstig b e u r t e i l t ; seitdem wurden sie leider immer mehr d u r c h die g e f ä r b t e österreichischungarische Brille b e t r a c h t e t , was f ü r die Beziehungen beider Länder ein Unglück war. Schon der Weltkrieg h a t viele Deutsche zu einer Berichtigung ihrer Anschauungen vera n l a ß t . Südslawien h a t zum Schutze seines Bestandes u n d seiner Interessen am 7. VI. 1921 mit R u m ä n i e n u n d der Tschechoslowakei die sog. K l e i n e E n t e n t e geschlossen. In der nächsten Zeit verdienen die Beziehungen Südslawiens zu Italien und Bulgarien besondere diplomatische Beachtung.
sächlich möglich aber ist die E i n s c h r ä n k u n g der Küstenverteidigung im Osten, vorausgesetzt, daß die ganze Ostküste der A d r i a bis nach Valona italienischem Einfluß u n t e r stellt wird, so daß n u r die Straße von O t r a n t o zu schützen wäre. D a m i t ist nicht gesagt, daß Italien dieses aus der militärischen Lage sich ergebende Ziel im E r n s t e r s t r e b t ; die italienischen S t a a t s m ä n n e r müssen ihre Zielp u n k t e n a t u r g e m ä ß enger stecken, da sie mit entgegenwirkenden K r ä f t e n rechnen müssen. Wie so häufig stellen sich der Erreichung militärisch zweifellos zu r e c h t fertigender Ziele nationale wie wirtschaftliche Ansprüche entgegen; nationale, die hier v o n den u n m i t t e l b a r a n die Adria angrenzenden Südslawen und Albanesen geltend g e m a c h t werden, wirtschaftliche, die von dem Meere abliegenden Völkern, wie den Magyaren, erhoben werden. Von diesen, die italienischen Ziele kreuzenden Ansprüchen ist der nationale der gewichtigste. Ihm zu begegnen zu einer Zeit, da die Neuregelung der Gebietsverhältnisse durch das Losungswort von dem Selbstbestimmungsrecht der Völker b e s t i m m t werden sollte, war eine schwierige Aufgabe, doppelt schwer f ü r einen S t a a t , der seine E n t s t e h u n g dem Nationalitätenprinzip verd a n k t e . Natürlich suchte Italien seine Ansprüche mit dem Nationalitätsgedanken, soweit es irgend anging, zu decken, aber d a m i t ließ sich nur der Erwerb des Stadtgebiets von Triest, der Westküste v o n Istrien, der S t a d t Fiume und der von Zara rechtfertigen, darüber hinaus m u ß t e der Gesichtspunkt der militärischen Sicherung zur Stütze dienen.
Literatur: Viadan Georgewltsch, Die serbische Frage, S t u t t g a r t 1909. — B. Markovitsch, Die serbische Auffassung der bosnischen Frage, Berlin 1908. — K. Schwarzlose, Deutschland und Serbien in Vergangenheit und G e g e n w a r t , E r f u r t , K- Villaret, 1906, J a h r b . d. E r f u r t e r A k a d . d. Wiss. — Albert Mousset, Le R o y a u m e des Serbes, Croates et Slovfenes, Paris 1921. — H. Wendel, Kreuz und quer d u r c h den slawischen Süden, F r a n k f u r t a. M. 1922. — A. Hudal, Die serbisch-orthodoxe Nationalkirche, Graz 1922. [Zolger im J a h r b u c h des öffentl. Rechts, 1922 (vorzüglich.) 2. D e r L o n d o n e r V e r t r a g . Der miliD. Herausgeber.] Schwarzlose. tärische Gesichtspunkt war neben dem nationalen bestimmend f ü r den E i n t r i t t Italiens in den Krieg gegen die Mittelmächte, u n d er herrscht geradezu vor, in dem Vertrage Serbokroatisch-Italienische Differenzvon London vom 26. IV. 1915, der die Bepunkte. dingungen f ü r die Teilnahme Italiens a m Als Gebietszuwachs 1. E i n f ü h r u n g . Der Schauplatz der Weltkriege regelte. jugoslawisch-italienischen Streitfälle ist die wurde Italien in Aussicht gestellt: im AlpenOstküste des adriatischen Meeres. Die gebiet Südtirol bis zum Brenner, im Osten Ansprüche Italiens auf diesen Küstenstrich Görz u n d Gradisca, sowie Istrien und Teile werden häufig f ü r eine Folgerung aus dem von K r a i n ; ausgehend von Tarvis sollte die Nationalitätenprinzip gehalten. Das sind sie Ostgrenze bis zum Schneeberg ziehen u n d aber doch nur zum Teil. Für das heutige von da südwärts gerichtet h a r t im Westen Italien ist das Adriaproblem im wesentlichen von Fiume das Meer erreichen. Auch die ein strategisches. Italiens Verteidigung ist istrischen Inseln, ausgenommen Veglia, wurD a n n ungefähr durch die ungeheure Küstenentwicklung aufs den Italien zugesprochen. äußerste erschwert. Italien darf keine die H ä l f t e Dalmatiens, nämlich der LandesMachtpolitik verfolgen im Widerspruch zu teil von Zara bis z u m K a p P l a n k a , so daß solchen Mächten, die seine Küste bedrohen Sebenico an Italien fiel, T r a u und Spalato können. Eine selbständige Machtpolitik ist aber außerhalb seiner Grenze blieben. Von f ü r Italien erst möglich, wenn es seine Küsten- den Inseln wurden nicht nur die diesem verteidigung um ein Bedeutendes herab- Gebietsteil vorgelagerten, sondern auch die setzen k a n n . Dies ist f ü r die Westküste weiter südlich gelegenen Lesina und CurzOla nur in ganz geringem Maße d e n k b a r , t a t - nebst einigen kleineren Italien zugeteilt. Die
Serbokroatisch-italienische Differenzpunkte übrigen österreichischen und ungarischen Gebiete an der Adria sollten nördlich von Italienisch-Dalmatien an Kroatien, die südöstlich gelegenen an Serbien und Montenegro fallen. In der südlichen Adria beanspruchte Italien den Hafen von Valona und die Insel Sasseno sowie die Schutzherrschaft über den Staat Albanien, es verpflichtete sich jedoch, Gebietserweiterungen Serbiens und Montenegros in Nordalbanien und Griechenlands in Südalbanien zuzulassen. Um eine strategische Grenze zu gewinnen, sollten also Gebiete mit deutscher, serbokroatischer und albanischer Bevölkerung in die Grenzen Italiens eingeschlossen werden. Dieselbe militärische Grundrichtung spricht aus der Bestimmung, daß die nicht Italien zufallende Küste Dalmatiens und die albanische Küste bis über Durazzo hinaus samt den nicht Italien zugesprochenen Inseln neutralisiert werden sollten. Das war im wesentlichen die Serbien zugedachte Küstenstrecke, während die Kroatien verbleibende Küste von dieser Beschränkung befreit blieb. Man rechnete eben damals nicht im Ernst mit dem völligen Zusammenbruch des Habsburgerreiches und dachte an eine Fortdauer der Verbindung Kroatiens zum mindesten mit Ungarn. Das Bild wurde indes völlig verschoben, als noch während des Krieges Vertreter der sämtlichen Südslawen, Serben, Kroaten und Slovenen unter Zurückstellung ihrer Verschiedenheiten die Bildung eines gemeinsamen Staates beschlossen (Pakt von Corfu 20. VII. 1917), wobei sie das gesamte südslawische Gebiet beanspruchten, „vom Isonzo bis zum Wardar", wie die Losung lautete. Der darin sich ausprägende Gegensatz zu Italien trat gleich beim Kriegsende in die Erscheinung, indem das serbischkroatisch-slovenische Nationalkomitee gegen die Besetzung Polas und anderer Küstenorte Istriens und Dalmatiens durch italienische Streitkräfte beim italienischen Außenminister wie auch beim Präsidenten Wilson heftigen Einspruch erhob (5. XI. 1918). Und als das Nationalkomitee in einer Adresse an den Regenten von Serbien den Einspruch wiederholte, machte sich Serbien die Ansprüche des Komitees zu eigen, indem der Prinzregent hervorhob, daß der Vertrag von London ohne Teilnahme Serbiens zustande gekommen und von ihm nie anerkannt worden sei (1. XII. 1918). Auf der anderen Seite stellten italienische Bevölkerungsgruppen in den Küstenorten und Inseln der Adria (Spalato, Arbe usw.) noch weit über die Grenzen des Londoner Vertrags hinausreichende Forderungen zugunsten Italiens.
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der Aufmarsch beider Parteien auf der Friedenskonferenz. Wegen des zu erwartenden Widerspruchs konnte Italien sich nicht auf eine einfache Erinnerung an den Vertrag von London beschränken, sondern mußte seine Ansprüche in eingehender Denkschrift begründen (7. II. 1919). Das war an sich nicht schwer: um die Einbeziehung fremdsprachiger Bevölkerung in die Grenzen Italiens zu rechtfertigen, brauchte die Denkschrift nur darauf zu verweisen, daß die anderen Siegerstaaten, Polen, Tschechien usw. dem Nationalitätenprinzip noch viel mehr Gewalt antaten als Italien es beabsichtigte. Auch die Begründung mit Rücksichten der Landesverteidigung mußte in einem Kongreß, der die Landesgrenzen hauptsächlich nach diesem Gesichtspunkt regelte, Gehör finden. Bedenklicher dagegen war, daß die italienische Regierung sich an den Zusicherungen des Londoner Vertrages nicht genügen ließ, sondern noch darüber hinausgehend Fiume und die Neutralisierung der gesamten in den Händen der Slawen bleibenden Küstenstrecke verlangte. Die neuen Forderungen begründete die Denkschrift mit der durch den nichterwarteten Zusammenbruch des Habsburgerreiches veränderten Lage: die Loslösung Fiumes vom slawischen Hinterland rechtfertigte man damit, daß es nicht mehr zu Ungarn gehörte, für das Fiume der Ausfuhrhafen gewesen war, während Kroatien an seinem Handel kaum beteiligt war. Die Ausdehnung der neutralisierten Zone bezeichnete man als notwendig gegenüber einer gesteigerten Bedrohung Italiens durch Serbien, die sich aus der Vereinigung Kroatiens mit Serbien ergab.
Auf der anderen Seite legte sich die jugoslawische Delegation in ihren territorialen Forderungen keinerlei Schranken auf: sie verlangte die ganze Ostküste der Adria einschließlich aller Inseln und der Städte Görz und Triest und den nordalbanischen Bezirk bis zum Drin. Natürlich war sich die jugoslawische Regierung bewußt, daß sich derartig uferlose Ansprüche nicht verwirklichen ließen; aber sie glaubte doch, indem sie vorschlug, den Streitfall durch Präsident Wilson entscheiden zu lassen, eine den Nationalitätenverhältnissen möglichst sich angleichende Grenze zu erhalten (11. II. 1919). Die italienische Regierung lehnte freilich eine schiedsgerichtliche Schlichtung ab (11. II. 1919), konnte aber nicht hindern, daß Wilson sich gleichwohl zum Schiedsrichter aufwarf. 4. D i e e r s t e I n t e r v e n t i o n W i l s o n s . Von Anfang an widersprach Wilson der Über3. D e r B e g i n n d e r P a r i s e r K o n - lassung von Fiume an Italien. Auf italief e r e n z . Unter diesen Zeichen vollzog sich nischer Seite war man Zugeständnissen nicht
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Serbokroatisch-italienische Differenzpunkte
abgeneigt, aber ein Ausgleich war schwierig, weil die Vereinigten Staaten, die den Londoner Vertrag nicht unterzeichnet hatten, an den Verhandlungen nicht teilnahmen; völlig unmöglich wurde eine Verständigung, als Wilson plötzlich im Temps eine Botschaft über die adriatische Frage veröffentlichen ließ (23. IV. 1919); darin erklärte er nicht nur die Zuweisung Fiumes an Italien für unzulässig, sondern er wandte sich auch gegen die Vereinigung eines Teils der Inseln und Dalmatiens mit Italien, die nur einen Sinn gehabt hätte, wenn die österreichischungarische Monarchie fortbestanden hätte. Die Botschaft bedeutete weniger durch ihren Inhalt, als durch ihre Form, den unerwarteten Appell an die Öffentlichkeit, eine Brüskierung Italiens. In einer gleichfalls veröffentlichten Note (24. IV.) bemühte sich zwar Ministerpräsident Orlando, einen verärgerten Ton zu vermeiden. Daß aber die in der Wilsonschen Botschaft sich kundgebende Unfreundlichkeit doch sehr ernst genommen wurde, zeigt die sofortige Abreise der italienischen Delegation aus Paris. 5. W i e d e r a u f n a h m e d e r V e r h a n d l u n g e n . Der Schritt der italienischen Unterhändler sollte keinen endgültigen Bruch mit den verbündeten Mächten bedeuten, vielmehr wollte Orlando durch die unmittelbare Fühlungnahme mit der Volksvertretung eine feste Stütze für die weiteren Verhandlungen gewinnen. In der Tat wurde seine Politik in der Deputiertenkammer mit überwältigender Mehrheit (382 gegen 40 St.), im Senat einstimmig gebilligt. Von der Vertrauenskundgebung des Parlaments getragen, konnte die italienische Delegation, ohne der Würde Italiens etwas zu vergeben, nach Paris zurückkehren (5. V.), wo sich schon nach wenig Tagen ein Kompromiß anzubahnen schien auf der Grundlage einer Internationalisierung des Hafens von Fiume und einer Einschränkung der italienischen Ansprüche in Dalmatien. Da traten zwei Ereignisse ein, die die Stellung Italiens erschütterten: der Rücktritt des Kabinetts Orlando (19. VI.), dem ein Kabinett Nitti mit Tittoni als Außenminister folgte, und der Vorfall von Fiume, wo der Dichter d'Annunzio an der Spitze zu ihm übergegangener italienischer Truppen einzog und eine vorläufige Regierung bildete, nachdem der Präsident des Nationalrats den Anschluß an Italien verkündet hatte. Wenn auch der Handstreich als Vorbeugemittel gegen eine serbische Besetzung gerechtfertigt erscheinen mag, so war es doch ein gewagter Schritt, die Friedenskonferenz vor eine vollendete Tatsache stellen zu wollen. Denn er brachte die italienische Regierung,
obwohl sie den Handstreich desavouierte und Fiume blockierte, den Verbündeten gegenüber in eine schiefe Lage, was um so peinlicher war, als Italien eben eine engere Fühlungnahme mit England und Frankreich gefunden hatte. Wilson wollte die Ostgrenze Italiens mitten durch Istrien (bis an den Arsa) legen, aus Fiume und seinem Hinterland einen Pufferstaat bilden, über dessen endgültige Zugehörigkeit eine Volksabstimmung entscheiden sollte, und die italienische Schutzherrschaft über Albanien verhindern. England und Frankreich dagegen willigten in die Zugehörigkeit Fiumes zu Italien, vorausgesetzt, daß die Eisenbahn und der Hafen dem Völkerbund unterstellt würden, und unterstützten die italienischen Ansprüche auf Albanien. 6. E i n i g u n g d e r A l l i i e r t e n m i t W i l s o n . Wilson, sicherlich verstimmt durch das eigenmächtige Vorgehen d'Annunzios, versagte dem Abkommen der beiden europäischen Großmächte seine Zustimmung, er kam nur in einigen Punkten entgegen (amerikan. Denkschrift v. 27. X.): Er verlegte die italienische Grenze etwas nach Osten, so daß ganz Istrien zu Italien k a m ; verzichtete auf die Volksabstimmung im Freistaat Fiume, die Italien beanstandet hatte, weil die slawische Mehrheit den Ausschlag zugunsten Jugoslawiens gegeben hätte; er billigte, daß (innerhalb des Freistaats) der Stadt Fiume ihre Autonomie in ähnlicher Weise zugesichert würde, wie früher unter ungarischer Herrschaft; er gestand der Stadt Zara das Recht zu, ihre diplomatische Vertretung einem beliebigen Staate, also ζ. B. Italien, zu übertragen. Endlich hatte er gegen ein allerdings sehr verklausuliertes Mandat Italiens über Albanien nichts mehr einzuwenden. Diese Bedingungen machten sich Frankreich und England zu eigen und empfahlen sie dem neuen italienischen Außenminister Scialoja zur Annahme (Denkschrift vom 9. XII. 1919). Von den von Italien zu dem Programm Wilsons erhobenen Forderungen wurde nur die auf Übertragung des diplomatischen Schutzes über Zara bewilligt. Dagegen wiesen die drei Mächte den Vorschlag, Fiume als besonderen Staat aus dem geplanten Pufferstaat loszulösen, zurück. Von den Inseln der Adria gestanden die Alliierten Italien nur den Besitz von Lussin, Unie, Lissa und Pelagosa zu, während sie die italienische Forderung auf Lagosta unberücksichtigt ließen. 7. E i n i g u n g d e r A l l i i e r t e n mit I t a l i e n . Es hat den Anschein, als ob England und Frankreich mehr aus Höflichkeit gegen Wilson den amerikanischen Stand-
Serbokroatisch-italienische Differenzpunkte p u n k t ü b e r n a h m e n , als weil sie ihn wirklich durchsetzen wollten, denn Clemenceau erklärte dem italienischen Außenminister, daß keinerlei Druck auf Italiens Entschlüsse beabsichtigt sei. Darin zeigt sich deutlich, daß Wilsons Einfluß, der bei Beginn der Friedenskonferenz dem eines Diktators gleichgekommen war, im Sinken begriffen war. Daher k o n n t e die italienische Regierung es wagen, nun von England und Frankreich die Erfüllung des Londoner Vertrags zu f o r d e r n ; jedoch schlug sie folgende Modalitäten v o r : Fiume bildet einen Freistaat in dem von Wilson vorgeschlagenen Umfang, aber die Grenze zwischen ihm u n d Italien ist auf die im Londoner Vertrag zugestandene Ostgrenze Italiens zu verlegen; das Italienertum in Fiume ist zu gewährleisten; die Inseln Cherso u n d Lagosta sind Italien zuzuweisen; Zara ist zur freien S t a d t zu erheben; die Inseln u n d die gesamte Küste der Adria bis zur Vojussa sind zu neutralisieren; den Italienern in Fiume und Dalmatien ist der Erwerb der italienischen Staatsangehörigkeit ohne Wegverlegung des Wohnsitzes zu ermöglichen (Denkschrift v. 6. I. 1920). Schrittweise kamen Clemenceau und Lloyd George entgegen: sie erklärten sich mit der Annektion v o n Lagosta und mit der Erleichterung des Erwerbs der italienischen Staatsangehörigkeit einverstanden. Die Neutralisierung wollten sie freilich nur f ü r die Inseln, nicht aber f ü r das Festland gelten lassen (9. I. 1920). Die Italianität Fiumes hielten Frankreich und England f ü r ausreichend gesichert, indem das Stadtgebiet dieselbe Stellung einnehmen sollte wie das „Corpus s e p a r a t u m " zur Zeit der ungarischen H e r r s c h a f t . Da aber die italienische Regierung trotzdem eine Verdrängung des italienischen Elements durch die slawische Mehrheit des P u f f e r s t a a t s befürchtete (Denkschrift v. 10. I.), so verzichteten die Alliierten ü b e r h a u p t auf den P u f f e r s t a a t und f a ß t e n die Bildung eines lediglich auf das Corpus s e p a r a t u m beschränkten, also in seiner Mehrheit italienischen, unabhängigen Freistaats von Fiume ins Auge, der nach dem Wunsch Italiens durch einen Küstenstreifen m i t Italien z u s a m m e n h ä n g e n und das Recht haben sollte, über seine diplomatische Vert r e t u n g zu b e s t i m m e n . Mit Vorschlägen auf dieser Grundlage t r a t nun Clemenceau an die jugoslawische Regierung heran (14. I.), die, durch wesentliche Zugeständnisse in Albanien günstig gestimmt, sich mit der Beschränkung des Freistaats auf das Gebiet des Corpus s e p a r a t u m einverstanden erklärte.
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wieder die amerikanische Diplomatie eingriff. In einer Mitteilung vom 20. I. richtete der amerikanische Botschafter in Paris an Clemenceau und Lloyd George die Frage, ob es die Absicht ihrer Regierungen sei, die verschiedenen europäischen Fragen zu entscheiden u n d der amerikanischen Regierung nur die Ergebnisse m i t z u t e i l e n ? Clemenceau und Lloyd George beeilten sich, der amerikanischen Regierung die beruhigende Versicherung zu geben, daß sie die Ausschaltung der Vereinigten S t a a t e n in keiner Weise beabsichtigten (23. I.). Die amerikanische Regierung hielt es aber doch f ü r nötig, den Alliierten über die starken Abweichungen von dem Memorandum vom 9. X I I . 1919 Vorhaltungen zu machen und die Drohung hinzuzufügen, daß, wenn nicht dieses Memorandum zur A n n a h m e gelange, der P r ä s i d e n t die Zurückziehung des Friedensvertrags mit Deutschland in Erwägung ziehen müsse (10. II. 1920). Wilson war namentlich vers t i m m t , weil die Alliierten so unverfroren das Selbstbestimmungsrecht in Albanien verletzten, indem sie diesen S t a a t zwischen Serbien, Italien und Griechenland aufteilen wollten. Er begriff wohl, w a r u m J u g o slawien solche Vorschläge günstig a u f n a h m , aber um so nötiger schien es ihm zu betonen, daß er ebensowenig eine Schadloshaltung Jugoslawiens auf Kosten Albaniens zulassen werde wie eine Vergrößerung Italiens auf Kosten der Jugoslawen. Indes stellte die amerikanische Intervention trotz ihres drohenden Tones nur ein Rückzugsgefecht dar, denn der Präsident erklärte, er h ä t t e nichts gegen eine Verständigung zwischen Italien und Jugoslawien über die Grenze bei Fiume einzuwenden, wenn sie nur nicht auf Kosten eines dritten Staates (nämlich Albaniens) erfolge (25. II.). Obwohl Wilson diesen Satz nicht so verstanden wissen wollte, daß die Parteien völlige Handlungsfreiheit erlangen sollten (9. III.), nützten ihn die Alliierten unverweilt dazu, sich von den Vorschlägen vom 9. X I I . (Wilsons Memor a n d u m ) u n d denen vom 20. I. loszusagen, damit Italien und Jugoslawien auf keinerlei Hindernisse bei ihren Verhandlungen stießen (26. II.).
9. Unmittelbare Verhandlungen zwischen Italien und Jugoslawien. Nun war endlich der Weg geebnet f ü r eine unmittelbare Auseinandersetzung der beiden H a u p t b e t e i l i g t e n : Italien und Jugoslawien. Die Verhandlungen zwischen ihnen wurden am 11. Mai in Pallanza eröffnet. Überraschenderweise boten die serbischen Minister 8. D i e z w e i t e I n t e r v e n t i o n d e r V e r - (Pasic u n d Trumbic) die Überlassung der einigten Staaten. Eine Verständigung S t a d t Fiume an Italien, offenbar, weil sie schien unschwer zu erreichen, als plötzlich f ü r dies Entgegenkommen ganz wesentliche 34 "Wörterbuch des Völkerrechts. Bd. II.
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Gegenleistungen erwarteten. So forderten sie das ganze Landgebiet, während der italienische Unterhändler, Minister Scialoja, das Corpus separatum für einen von der Stadt untrennbaren Bestandteil Fiumes erklärte. Die Serben verlangten weiter außer dem Hafen Baros und Sussak die Eisenbahn, den Bahnhof und den Hafen. Italien dagegen schlug vor, ihre Verwaltung einer gemischten Kommission der Interessentenstaaten zu übertragen. Als Grenze wollten die Serben nur die Wilsonlinie zugestehen; daß sie f ü r Italien strategisch ungünstig war, glaubten sie durch beiderseitige Entmilitarisierung eines Grenzgebiets ausgleichen zu können. Scialoja andererseits beanspruchte f ü r Italien die Insel Cherso, für die er Lissa zum Tausch anbot. Schwierigkeiten bereiteten noch zwei Nebenfragen: die montenegrinische und die albanische. Serbien forderte kurzweg die Anerkennung der Einverleibung Montenegros, die jedoch Italien, das natürlich an dem Vorhandensein mehrerer Staaten am adriatischen Meer ein Interesse hatte, an allerlei Bedingungen, wie Volksabstimmung und Gewährung von Autonomie, knüpfen wollte. Für Albanien befürworteten die serbischen Minister völlige Unabhängigkeit, andernfalls sie Nordalbanien beanspruchten. Der Sturz des Kabinetts Nitti unterbrach die Verhandlungen; ihre Wiederanknüpfung war nicht leicht, da in Belgrad eine etwas gereizte Stimmung herrschte, der Vorfälle in Triest und Gerüchte eines neuen Streifzugs d'Annunzios nach Montenegro oder Albanien Nahrung gaben (Anfrage der britischen Botschaft in Rom Juli 1920). Dabei war e i n Streitpunkt überhaupt in Wegfall gekommen: der albanische. Weil Valona von Malaria heimgesucht und schwer zu verteidigen war, halte sich Giolitti zur Aufgabe dieser Stadt und damit zum Verzicht auf die Schutzherrschaft über Albanien entichlossen. Nur die kleine Insel Sasseno wurde als Stützpunkt behalten. Aber merkwürd.gerweise löste die Räumung Valonas, obwohl sie dem Wunsch Serbiens nach völliger Unabhängigkeit Albaniens entsprach, keine Besserung der Stimmung in Serbien aus (Depesche des italienischen Geschäftsträgers in Paris vom 3. IX. 1920). Schließlich gelang es Giolitti und dem Minister des Auswärtigen, Grafen Sforza, durch eine Annäherung an England und Frankreich (Zusammenkünfte mit Lloyd George in Luzern im August und mit Millerand in Aix-les-Bains im September 1920) einen wirksamen Druck auf Serbien auszuüben, so daß es sich durch englische Vermittlung zur Wiederaufnahme der Verhandlungen bereit erklärte. Darauf erging auf den 5. ΧI. an die serbische Regierung
eine Einladung nach S. Margherita. Den Hauptstreitpunkt bildete die Julische Grenze. Die von den Serben gebotene Entmilitarisierung der beiderseitigen Grenzzone wurde von Italien zurückgewiesen, weil die Zone bis ans Meer gereicht hätte, und so die Verteidigung von Triest erst recht unmöglich geworden wäre. Demgegenüber forderte und erreichte Italien eine strategische Grenze, die den Monte Nevoso (Schneeberg) in sich Schloß. So konnte am 12. XI. 1920 in Rapallo der Vertrag unterzeichnet werden. 10. D e r V e r t r a g v o n R a p a l l o . Nach dem Vertrag verläuft die Festlandsgrenze zwischen Italien und Jugoslawien zunächst auf der Wasserscheide zwischen der WurzenSave und dem Isonzobecken, dann auf der zwischen der Wochein-Save und dem Isonzo, setzt sich fort im allgemeinen in nordsüdlicher Richtung über den Blegos und Javornik, von da in südöstlicher Richtung zum Schneeberg, umfaßt (eine Verbesserung gegenüber dem Londoner Vertrag) auch dessen Ostabhang und erreicht, südwestlich streichend, den Freistaat Fiume. Die Grenze deckt sich also im wesentlichen mit der des Londoner Vertrags. Von den Inseln fallen an Italien Cherso (im Austausch für Lissa), Lussin und die dalmatinischen Inseln Lagosta und Pelagosa. Vom dalmatinischen Festland erhält Italien nur Zara mit kleinem Umland. Fiume bildet eine freie Stadt mit dem Landgebiet des Corpus separatum und einem Streifen istrischen Gebiets. In dem an Jugoslawien fallenden Gebiet wird den Italienern, die bis zum November 1918 Staatsangehörige der österreichisch-ungarischen Monarchie waren, das Recht zugestanden, innerhalb eines Jahres für Italien zu optieren, ohne daß sie ihren Wohnsitz aus Jugoslawien wegverlegen müssen. Von nunmehr jugoslawischen Staatsangehörigen in Italien bereits erworbene Titel werden in Jugoslawien anerkannt; ebenso bleiben bis zum 12. XI. 1920 Italienern in den an Jugoslawien fallenden Gebieten erteilte wirtschaftliche Konzessionen unangetastet. Im Vertrag von Rapallo hat Italien die meisten seiner Forderungen durchgesetzt: in Istrien eine leicht zu verteidigende Grenze, die um ein beträchtliches günstiger ist als die von Wilson gebotene Linie. Für Fiume die Verhinderung des von Wilson geplanten, in seiner Mehrheit slawischen Pufferstaats; Vermeidung einer möglicherweise lästigen Völkerbundskontrolle über den Freistaat; Angrenzen Italiens an den Freistaat. In Dalmatien zwar kein so weites Landgebiet wie nach dem Londoner Vertrag, aber doch die Souveränität über die Stadt Zara, nicht etwa nur die diplomatische Vertretung.
Serbokroatisch-italienische Differenzpunkte Endlich wertvollen Inselbesitz, nicht so ausgedehnt wie nach dem Londoner Vertrag, aber durch Cherso bedeutsam für den späteren Erwerb von Fiume. Ein Zurückweichen Italiens ist im Vertrag selbst nur an zwei Punkten festzustellen: von Neutralisierung der Küste oder auch nur der Inseln ist nicht mehr die Rede, und die Schutzherrschaft über Albanien wird nicht mehr beansprucht. Dazu kommt aber, daß Italien in einer Geheimklausel ein wichtiges Zugeständnis machte, indem der Vorhafen von Fiume, Baros, der Verwaltung eines internationalen Konsortiums unter Beteiligung Serbiens überlassen werden sollte. Obwohl der Vertrag von Rapallo sich in wesentlichen Stücken von den Vorschlägen Wilsons entfernte, stieß er bei der Regierung der Vereinigten Staaten auf keinen Widerspruch. Er wäre auch sinnlos gewesen, da die beiden Gegner an der Adria sich verständigt hatten. Italien und Jugoslawien hatten eben doch auch gemeinsame Interessen, wie das in der gleichzeitig abgeschlossenen antihabsburgischen Konvention zum Ausdruck kam, in der beide Teile zur Verhinderung einer habsburgischen Restauration zusammenzuwirken sich verpflichteten. Freilich mußte alles vermieden werden, was die erfolgte Aussöhnung gefährden konnte. Und da war es vor allem nötig, daß endlich dem d'Annunzioschen Abenteuer ein Ende bereitet wurde. Vergeblich hatte die italienische Regierung schon im Dezember 1919 versucht, das Fiume-Unternehmen d'Annunzios zu liquidieren, vergeblich hatten sich der Nationalrat von Fiume und in einer Volksabstimmung die Bürgerschaft gegen den Verbleib d'Annunzios ausgesprochen, der Dichter war nicht von der Stelle zu bringen. J e t z t aber tat Eile not, denn schon begann jener durch den Versuch einer eigenmächtigen Besetzung der Insel Veglia Italien von neuem bloßzustellen (17. X I . 1920). Italien ging denn auch gegen d'Annunzio vor, der am 29. X I I . kapitulieren und die Stadt verlassen mußte. 11. D i e V e r t r ä g e v o n S. M a r g h e r i t a . Was folgte, war in der Hauptsache nur Ausführung des Vertrags von Rapallo. Die Genehmigung des Vertrages in der italienischen Volksvertretung bereitete keine Schwierigkeiten, so daß am 19. X I I . das Genehmigungsgesetz erlassen werden konnte. In Jugoslawien reichte zwar Minister T r u m b i i unmittelbar nach Abschluß des Vertrages seine Demission ein, aber sein Nachfolger Korosec unterzeichnete den Vertrag ebenfalls ohne Vorbehalt. Nun arbeiteten die von beiden Teilen ernannten Sachverständigenkommissionen in S. Margherita noch
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eine Reihe von Zusatzabkommen aus, die von dem italienischen Minister Schanzer und dem serbischen Gesandten Antoniewii am 23. X . 1922 zu Rom abgeschlossen wurden, nämlich ein Abkommen zur Ausführung des Vertrages von Rapallo, einen Vertrag für das Zollregime und den Grenzverkehr zwischen Zara und seinem Hinterland, einen Vertrag zur Unterdrückung des Schmuggels, ein allgemeines Abkommen über die Aufteilung des Vermögens der Selbstverwaltungsverbände, der Archive usw. Aus den Bestimmungen dieser Abkommen mag nur hervorgehoben werden: Zara bleibt außerhalb des italienischen Zollgebiets, daher dürfen alle Waren aus Jugoslawien in Zara eingeführt werden, ohne italienischen Zöllen zu unterliegen. Auf der anderen Seite darf Jugoslawien in keiner Weise die Ausfuhr von Lebensmitteln nach Zara beschränken. Außerdem ist aus Zara und seinem jugoslawischen Hinterland eine Wirtschaftsgemeinschaft gebildet, indem gewisse Waren, die aus dem südslawischen Teil dieses Gebiets nach Zara ausgeführt werden, keinerlei Ausfuhrabgaben oder sonstigen Beschränkungen unterworfen werden dürfen, und Waren bestimmter Art aus dem Gebiet von Zara nach der südslawischen Zone (allerdings in bestimmter Höchstmenge) zollfrei ausgeführt werden dürfen. Nicht unwichtig ist in einem so wasserarmen Lande wie Dalmatien, daß die Wasserzufuhr für Zara durch eine negative Servitut (Jugoslawien darf keine Arbeiten am See von Boccagnazzo ausführen, die die Wasserversorgung Zaras in Frage stellen) und eine positive Servitut (Jugoslawien muß dort Wasserversorgungsarbeiten seitens Italiens dulden) gesichert ist. Aus dem allgemeinen Abkommen verdient Art. 55 Erwähnung, der den in S. Germain am 10. I X . 1919 geregelten Minderheitenschutz solchen Personen einräumt, die entsprechend dem Vertrag von Rapallo für Italien optiert haben; sie genießen das Recht, ihre eigenen Anstalten, namentlichen Schulen mit italienischer Unterrichtssprache einzurichten, deren Zeugnisse dieselbe Wirkung haben sollen wie die der öffentlichen Schulen; die Lehrer können Italiener sein, müssen jedoch den jugoslawischen Behörden genehm sein; auch bildet die serbokroatische Sprache ein Pflichtfach. 12. D i e K r i s e in F i u m e . Noch waren nicht alle Fragen geklärt, denn schon wieder bereiteten die Ereignisse in Fiume Verlegenheiten. Dort hatte sich zwar d'Annunzio nicht von neuem eingenistet, aber vom Königreich herübergekommene Fascisten hatten den Präsidenten Zanella gestürzt und dem nationalistisch gesinnten Depoli die 34*
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Serbokroatisch-italienische Differenzpunkte
Leitung des Freistaats übertragen (März 1922). Die in diesen Handlungen sich ausprägende Tendenz des Anschlusses an Italien wurde noch verstärkt, als der Führer der Fascisten, Mussolini, seine Ernennung zum Ministerpräsidenten erzwang (Oktober 1922). Zwar trat Mussolini nicht in offenen Gegensatz zu Südslawien, vielmehr legte er die Abmachungen von S. Margherita dem Parlament vor, das sie im Februar genehmigte, worauf sie Mussolini ratifizierte, so daß sie am 26. II. 1923 völkerrechtlich in Kraft treten konnten. Die Abmachungen wurden zusammen mit dem Vertrag von Rapallo am 12. IX. 1923 beim Völkerbund zur Eintragung angemeldet. Aber die Arbeiten einer gemischten Kommission, die die Grenzen des Freistaats bestimmen und die Hafenverwaltung ordnen sollte, rückten nicht von der Stelle, teils weil die Serben Obstruktion trieben, teils weil die italienische Regierung, die doch nicht an den Fortbestand des Freistaats Fiume glaubte, die Vorschläge der Kommission verwarf. Die Krisis verschärfte sich immer mehr, da Serbien eine schiedsgerichtliche Lösung anstrebte, die Italien gerade vermeiden wollte.
13. D e r V e r t r a g v o n R o m . In der Tat hat der am 27. I. 1924 zwischen Mussolini einerseits und den serbischen Ministern Pasid und Nintiid zu Rom abgeschlossene Vertrag hauptsächlich den Serben Vorteile gebracht. Für die Zustimmung zur Einverleibung von Fiume in Italien erhielt Jugoslawien das Landgebiet des Freistaats; den Hafen von Baros und das Delta; die Hoheit über die Fiumara, derart, daß deren Westufer die Grenze bildet. Außerdem wird im Hafen von Fiume selbst das Hafenbecken Thaon de Revel mit seinen Gebäuden für fünfzig Jahre an Jugoslawien verpachtet und ihm unter Vorbehalt der italienischen Staatsgewalt, insbesondere der Gerichtshoheit, zu eigener Verwaltung überlassen. Demgegenüber bedeutet die Zustimmung Serbiens zur Aufnahme von Fiume in das Königreich Italien eher einen Erfolg nationalen Prestiges als eine wertvolle Gebietserweiterung, denn der wirtschaftlichen Entwicklung der Stadt sind durch die bedeutenden Zugeständnisse an Serbien enge Schranken gezogen, die auch durch die in einem Zusatzabkommen enthaltenen Erleichterungen des Grenzverkehrs kaum gemildert werden.
In ihr akutes Stadium trat die Frage von Fiume, als Italien wegen der Ermordung einiger italienischer Offiziere, die mit der Absteckung der griechisch-albanischen Grenze betraut waren, ein scharfes Ultimatum an Griechenland richtete und infolge seiner Nichtannahme die Insel Korfu besetzte (31. VIII. 1923). Da es nicht ausgeschlossen schien, daß der Konflikt mit Griechenland sich noch verschärfte, hatte Mussolini ein besonderes Interesse an der Klärung des Verhältnisses zu Südslawien; er richtete daher an die jugoslawische Regierung eine Aufforderung, bis zum 15. IX. zu einer Neuregelung der Frage von Fiume die Hand zu bieten. Dabei zeigte die italienische Regierung ganz unverhüllt als ihr Ziel die Annektion der Freistadt: als Depoli die Regierung von Fiume niederlegte, übertrug die italienische Regierung ohne weiteres dem italienischen General und Senator Giardino die Leitung der Stadt. Diese Politik erscheint recht kühn, denn Serbien hätte an der Seite von Griechenland Widerstand leisten und dabei auf die Unterstützung Frankreichs und möglicherweise Englands, das durch das eigenmächtige Vorgehen Italiens in Korfu gereizt war, rechnen können. Wenn dar Schritt Mussolinis gleichwohl von Erfolg begkitet war, so erklärt sich dies daraus, daß Jugoslawien die Erwartung hegen konnte, seine Interessen durch die zu treffenden Abmachungen in vollem Maße gewahrt zu finden.
Das Eingehen Italiens auf diese an sich nicht günstige Regelung wird aber verständlich durch die allgemeine Annäherung, die bei dieser Gelegenheit zwischen den beiden Staaten erfolgte: in einem Freundschaftsvertrag verpflichteten sich die beiden Staaten, sich gegenseitig Beistand zu leisten, zur Aufrechterhaltung der Friedensverträge von Trianon, St. Germain und Neuilly (nicht etwa des Versailler Vertrags). Für den Fall eines nicht herausgeforderten Angriffs auf eine der Parteien ist die andere gehalten, Neutralität zu beobachten. Wenn die gemeinsamen Interessen nach Ansicht beider Teile bedroht sind, werden sie sich über gemeinsame Maßnahmen verständigen. Der Vertrag ist auf fünf Jahre geschlossen und kann ein J a h r vor seinem Ablauf gekündigt oder erneuert werden. Die beiden Abkommen sind durch die Gesandten der beiden Staaten in Bern zur Eintragung beim Völkerbund angemeldet worden (7. IV. 1924). Das Schwergewicht der Verträge von 1924 liegt in diesem Abkommen: Italien hat die adriatische Frage hinter der allgemeinen Politik zurückgestellt. Offenbar, um Südslawien von der französischen Gefolgschaft loszulösen und damit den eisernen Ring der französischen Vorherrschaft zu durchbrechen, ist das Freundschaftsabkommen mit Serbien getroffen worden. Die Gegensätze zwischen beiden Staaten sind damit nicht endgültig beseitigt. Insbesondere wird die Grenzziehung bei Fiume eines Tages wieder auf-
Serbisch kroatisch-italienische Differenzpunkte — Servituten, völkerrechtl. gerollt werden. Mussolini selbst hat in einer In Rom gehaltenen Wahlrede die heutige Grenze, die wenige Meter vor der Häusergrenze verläuft, für eine Unmöglichkeit erklärt. Aber doch zeigt die Verständigung Italiens mit Jugoslawien bei Ausbruch der Revolution in Albanien und der italienischsüdslawische Handelsvertrag, daß eine Entspannung zwischen beiden Staaten eingetreten ist, die eine gewisse Ruhepause in der Kette der Adriakonflikte zu gewährleisten scheint. Literatur: Namentlich die Zeitschrift Politica (Rom), die in Bd. IV, Heft II, III v. 30. IV. 1920 eine Raccolta di documenti della questione adriatica von 0 . Tamara und in Anno VI, num. LII, LIII v. 31. I., 29. II. 1924 den Text der Verträge v. 27. I. 1924 enthält. — Dann in der Collezione di politica estera: Fiume nel Trattato del Trianon. — J1 Trattato di Rapallo al Parlamento italiano. — Libro verde sui negoziati per la pace adriatica. — Ferner Dokumente der beiden Häuser des italien. Parlaments, namentlich Camera dei deputati, Sess. 1921, Doc. Nr. III; Negoziati diretti fra il governo italiano e il governo serbo-croato-sloveno per la pace adriatica (20 giugno 1921) und Camera dei dep., sess. 1921—23, Doc. Nr. 1907; Disegno di legge betr. approvazione degli accordi e convenzioni, firmati in Roma il 23 ott. 1922 (6 febbr. 1923). Gmelin.
Servituten, völkerrechtliche. I. D a r s t e l l u n g d e r h e r r s c h e n d e n L e h r e . Nach der herrschenden Lehre der Völkerrechtswissenschaft versteht man unter völkerrechtlichen Servituten (auch Staatsservituten oder Staatsdienstbarkeiten genannt) die d a u e r n d e v ö l k e r r e c h t l i c h e B e s c h r ä n k u n g der G e b i e t s h o h e i t eines Staates zugunsten eines anderen Staates. (Hinsichtlich des Begriffes der Gebietshoheit vgl. das Stichwort „ S t a a t s gebiet und Gebietshoheit".) Ein besonderer Wert wird auf die D a u e r dieser Beschränkung gelegt. Es wird ganz allgemein gelehrt, daß der Unterschied zwischen den Staatsdienstbarkeiten und den rein obligatorischen Rechtsverhältnissen unter den Staaten darin bestehe, daß erstere nicht an zeitliche Klauseln gebunden werden dürfen, sondern sich sozusagen verselbständigen und eine von den sie begründenden Verträgen unabhängige Existenz führen müssen. Die völkerrechtliche Servitut besitzt ferner den Charakter der D i n g l i c h k e i t , d. h. sie ist mit dem Staatsgebiet als solchem verknüpft und bleibt bestehen ohne Rücksicht darauf,
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ob der „dienende" oder „herrschende" Staat derselbe bleibt oder nicht, wobei unter Staatsgebiet der der ausschließlichen Herrschaft eines Staates unterworfene Grund und Boden verstanden wird. S u b j e k t e von Staatsdienstbarkeiten können nur S t a a t e n sein, da nur Staaten völkerrechtliche Verbindlichkeiten einzugehen in der Lage sind. Und zwar müssen diese Staaten u n a b h ä n g i g sein und über ihr Gebiet frei verfügen können. Die ältere Lehre, die als berechtigte Subjekte von Staatsservituten auch Privatpersonen zuließ — wie etwa, soweit wirtschaftliche Staatsdienstbarkeiten in Betracht kamen, eine private Körperschaft oder Familie — darf als aufgegeben angesehen werden. Die Frage des zulässigen U m f a n g e s der Staatsdienstbarkeiten macht der herrschenden Lehre nicht geringe Schwierigkeiten, denn, während der Erhöhung der Machtfülle des herrschenden Staates im Wege des Abschlusses von Servitutsverträgen schlechterdings keine praktisch in Betracht kommende Grenze gesetzt zu sein scheint, gibt der dienende Staat Hoheitsrechte ab und es muß schließlich ein Punkt erreicht sein, wo die Macht des belasteten Staates so gering wird, daß ihre Fülle nicht mehr genügt, um von dem betreffenden politischen Gebilde als Staat im Sinne der Völkerrechtsordnung sprechen zu können. Es erhebt sich daher die Frage, wieweit ein Staat mit der Entäußerung seiner Hoheitsrechte gehen dürfe, ohne seine sog. völkerrechtliche S o u v e r ä n i t ä t (vgl. das gleichlautende Stichwort) einzubüßen. Eine befriedigende Antwort darauf ist bisher nicht erfolgt und man tröstet sich damit, daß auch die Privatrechtstheorie hinsichtlich ihrer Servituten es nicht für nötig befunden habe, eine Grenzscheide zu ziehen, bis zu welcher von Servitut gesprochen werden könne und wo der Begriff des Eigentums nicht mehr zulässig sei. Hinsi chtlich der Ε i η t e i 1 u η g d e r ν ö 1 k e rr e c h t l i c h e n S e r v i t u t e n verdienen insbesondere zwei Gesichtspunkte Erwähnung: a) Am gebräuchlichsten ist die Einteilung in n e g a t i v e oder passive und a f f i r m a t i v e oder aktive Staatsdienstbarkeiten, je nachdem, ob die Unterlassung eines eigenen Hoheitsrechtes oder die Duldung eines fremden Hoheitsrechtes in Frage kommt. Ein Beispiel der ersteren Art ist die Verpflichtung eines Staates, gewisse Grenzstriche nicht zu befestigen (siehe etwa Art. 56 des Friedensvertrages von Saint-Germainen-Laye vom 10. IX. 1919, wonach die Tschechoslowakei sich verpflichtet auf dem Teile ihres Gebietes, der auf dem rechten Donauufer südlich von Preßburg liegt, keine
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Sirvituten, völkerrechtliche
militärischen Werke zu errichten) oder seine Armee über eine bestimmte Kopfzahl hinaus zu verstärken. Die Form affirmativer Staatsservituten können im Sinne der herrschenden Lehre etwa Fischereirechte annehmen, die ein Staat in den eigenen Küstengewässern den Angehörigen eines fremden Staates einräumt. Ein klassisches Beispiel dieser Art bietet die Neufundländer Fischereifrage (vgl. das Stichwort „ N e u f u n d l a n d " , Fischereifrage). b) Was den Zweck, dem die Staatsservituten dienen, betrifft, pflegt man zu unterscheiden zwischen m i l i t ä r i s c h e n und w i r t s c h a f t l i c h e n Staatsservituten, indem die ersteren vornehmlich militärische, die letzteren hauptsächlich ökonomische Interessen zur Voraussetzung haben. Beispiele militärischer Staatsservituten: das Recht eines Staates, bewaffnete Truppen durch fremdes Gebiet marschieren zu lassen oder das Besatzungsrecht, welches darin besteht, einen im Staatsgebiete eines fremden Staates gelegenen Platz dauernd mit Truppen besetzt zu halten. Unter den viel besprochenen Fällen der Völkerrechtsliteratur wären in diesem Zusammenhang die Savoyische Frage (vgl. die Stichwörter „ C h a b l a i s u n d F a u c i g n y " , Neutralisierung von, und „ S a v o y e n " ) und die Frage der Befestigung von Hüningen (vgl. das Stichwort „ H ü n i n g e n " , Festung) zu erwähnen. Aus der neuesten Zeit wäre die in Art. 42 u. 43 des Friedensvertrages von Versailles vom 28. VI. 1919 festgelegte militärische Servitut zu nennen, wonach es Deutschland untersagt ist, auf dem linken Ufer des Rheines und auf dem rechten Ufer westlich einer 50 km östlich des Stromes verlaufenden Linie Befestigungen beizubehalten oder anzulegen oder in der angegebenen Zone ständig oder zeitweise Streitkräfte zu unterhalten oder anzusammeln oder irgendwelche sonstigen Vorkehrungen für eine Mobilmachung zu treffen. Vgl. auch die Stichwörter „ D u r c h z u g s r e c h t " und „ D r o i t d ' £ t a p e " . Unter den wirtschaftlichen Staatsdienstbarkeiten sind von besonderer Bedeutung die Verkehrsservituten und unter diesen diejenigen, die Eisenbahn, Post und Telegraph betreffen. Bezüglich der B e g r ü n d u n g d e r S t a a t s d i e n s t b a r k e i t e n kommt der Hauptsache nach der internationale Vertrag in Betracht als dasjenige Mittel, wodurch im völkerrechtlichen Verkehr Rechte und Verbindlichkeiten unter Staaten zur Entstehung gelangen. Ob die Schaffung von Staatsdienstbarkeiten auch auf andere Weise möglich sei, etwa gewohnheitsmäßig durch Ersitzung seitens des herrschenden oder stillschweigende Duldung durch den dienenden Staat, ist
bestritten. Hinsichtlich der Form der bezüglichen Staatsverträge ist nichts zu bemerken. Was ihren Inhalt betrifft, wird in der Regel eine Einschränkung gemacht und verlangt, daß der in Rede stehende Vertrag einen s p e z i e l l e n T i t e l aufweise, womit man Verpflichtungen ausschließen will, die sich unmittelbar aus dem allgemeinen Inhalte des Völkerrechtes ableiten lassen und namentlich die sog. „Grundrechte" der Staaten, darunter insbesondere das Recht auf Selbsterhaltung (vgl. die Stichwörter „ G r u n d r e c h t e d e r S t a a t e n " und „ S e l b s t e r h a l t u n g " ) betreffen. Über die W i r k u n g d e s S t a a t s s e r v i t u t s v e r t r a g e s lehrt die herrschende Theorie ein Doppeltes. Erstens — so wird behauptet — kommt durch den Vertrag der berechtigte Staat in die Lage, in einem fremden Gebiet unabhängig von einer fremden Staatsgewalt zu e i g e n e m R e c h t einen Hoheitsakt auszuüben oder zu verlangen, daß der fremde Staat in seinem eigenen Gebiet zugunsten des berechtigten Staates sich der Ausübung gewisser Hoheitsrechte enthalte. Zweitens sei die Wirkung des Vertrages die, daß die bestellte Servitut auf jeden Erwerber des einen oder anderen Gebietes aktiv und passiv übergehe, denn die Staatsservitut sei ein d i n g l i c h e s Recht an dem Staatsgebiet, sie klebe gleichsam daran und es ergebe sich schon aus dem Begriff der S t a a t s s e r v i t u t die Folge, daß jeder Sukzessor in das belastete Gebiet rechtsnotwendig das Gebiet nur in dem Zustande erwerben könne, in welchem es die ursprüngliche Staatsgewalt besessen habe. Auch die Lehre vom U n t e r g a n g d e r S t a a t s d i e n s t b a r k e i t e n steht ganz unter dem Einfluß der Auffassung des Staatsgebietes als eines Dinges. Als Erlöschungsgründe der völkerrechtlichen Servituten werden angeführt: a) der die Servitut auflösende S t a a t s v e r t r a g , der das Gegenstück des die Staatsservitut begründenden internationalen Vertrages bildet; b) der einseitige V e r z i c h t des berechtigten Staates; c) die K o n s o l i d a t i o n oder K o n f u s i o n als Vereinigung des berechtigten und verpflichteten Staatsgebietes unter einer und derselben Staatsgewalt, was dann der Fall ist, wenn der zur Ausübung der Dienstbarkeit berechtigte Staat Rechtsnachfolger des zur Dienstbarkeit verpflichteten Staates wird oder umgekehrt; d) der p h y s i s c h e U n t e r g a n g des Objektes, d. h. d e s T e r r i t o r i u m s , an dem die Servitut h a f t e t ; und schließlich e) der U n t e r g a n g d e r b e r e c h t i g t e n
Servituten, völkerrechtliche S t a a t s g e w a l t für den Fall, daß eine völkerrechtliche Sukzession nicht stattfindet. Ob die clausula rebus sie stantibus auf die völkerrechtlichen Servituten Anwendung finde und der belastete Staat unter Berufung auf eine wesentliche Veränderung der Verhältnisse im Wege einer einseitigen Kündigung sich der Staatsservitut entledigen könne, ist bestritten, doch wird die Frage im allgemeinen verneint. II. K r i t i k d e r h e r r s c h e n d e n L e h r e . Der herrschenden Lehre, die wir oben für Zwecke der Orientierung in den Grundzügen' wiedergegeben haben, kann aus verschiedenen Gründen nicht beigestimmt werden. Die wichtigsten Motive der Ablehnung werden im folgenden in Kürze zusammengefaßt. Es ist unmöglich zu einer einwandfreien Theorie des Staatsgebietes zu gelangen, wenn man im Gebiete ein Objekt, ein Ding, das außerhalb der Staatsperson steht und dieser wie eine Sache unterworfen ist, erblickt (vgl. nähere Ausführungen unter dem Stichwort „ S t a a t s g e b i e t und G e b i e t s h o h e i t " ) . Es ist ein Verstoß gegen die Logik des Rechtes, wenn man glaubt, daß dem Staatsgebiet ein vom Staate unabhängiges, selbständiges Dasein zukomme und es daher mit den verschiedensten Staatsgewalten beliebige Verbindungen eingehen könne. In Wahrheit ist das Staatsgebiet nichts anderes als der Inbegriff lokaler Kompetenzen von Staatsorganen und es muß daher auch der den Namen „Völkerrechtliche Servitut" führende Tatbestand mit Hilfe dieser Theorie zu erklären sein. Und zwar so. Das unter der Bezeichnung Gebietshoheit zusammengefaßte Bündel gewisser lokaler und damit verbundener sachlicher Kompetenzen von Staatsorganen ist nicht eine unveränderliche, sondern eine variable Größe. Die einzelnen Staaten können von diesen Kompetenzen im Wege des völkerrechtlichen Vertrages einzelne abgeben bezw. zu ihren bisherigen Kompetenzen neue dazu erwerben. Solches geschieht eben durch die Begründung von Staatsservituten. Diese stellen daher keine Konstituierung dinglicher Rechte dar, sondern sind Verträge, wodurch sich die Staaten in bezug auf eine von der normalen völkerrechtlich festgelegten Regelung abweichende Normierung gewisser lokaler Kompetenzen von Staatsorganen einigen. Die diesbezüglichen Vereinbarungen binden daher auch nur diejenigen S t a a t e n , d i e sie e i n g e g a n g e n h a b e n o d e r i h n e n sei es a u s d r ü c k l i c h , sei es s t i l l schweigend nachträglich beigetreten s i n d . Sollte sich übrigens eine Theorie der Staatensukzession (vgl. das gleichlautende Stichwort) auf einen anderen Standpunkt
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stellen und die Meinung vertreten, daß die Nachfolge in die Servitut eo ipso, d. h. ohne besonderen Vertragsabschluß erfolge — eine Auffassung, die sich aus den Quellen des Völkerrechtes kaum exakt beweisen lassen dürfte —, bleibt der angedeutete Charakter der Staatsservitut trotzdem unangetastet, denn es liegt auf der Hand, daß grundsätzlich auch nichtdingliche Rechte und Pflichten auf die Nachfolgestaaten müssen übergehen können. Wenn sich also ein Staat gegenüber einem oder mehreren anderen Staaten verpflichtet, an bestimmten Stellen keine Festungen zu bauen oder keine Truppen zu halten, bedeutet diese Vereinbarung durchaus nicht eine Belastung des Gebietes nach Analogie der privatrechtlichen Servituten an Grund und Boden, s o n d e r n es h a n d e l t sich um einen g a n z gewöhnlichen v ö l k e r r e c h t l i c h e n V e r t r a g , der bloß unter der Einwirkung einer irreführenden, der Diplomatensprache entlehnten Terminologie und deswegen, weil eine der kontrahierenden Parteien — politisch gesprochen — eine ihr in den meisten Fällen recht unliebsame Last auf sich nimmt, die ihr überdies für zeitlich unbestimmte Dauer aufgebürdet wird, als Servitut bezeichnet zu werden pflegt. Davon, daß jeder beliebige Erwerber des betreffenden Gebietes, auch wenn er vertraglich nicht gebunden ist, gehalten wäre, die Servitut zu respektieren, ist in Wahrheit keine Rede. Wenn völkerrechtliche Servituten gelegentlich über hundert Jahre alt werden, verdanken sie ihre Beständigkeit nicht ihrer angeblichen Dinglichkeit, sondern dem Umstände, daß die kontrahierenden Parteien im Sinne der Völkerrechtsordnung trotz des Verlaufes einer langen Reihe von Jahren identisch geblieben sind und daß sich den ursprünglichen Kontrahenten späterhin weitere Parteien zugesellt haben, was namentlich dann der Fall sein kann, wenn neu entstandene Staaten ihre Anerkennung seitens der Völkerrechtsgemeinschaft begehren und diese von dem Beitritt zu einem bestehenden völkerrechtlichen Servitutsverhältnis abhängig gemacht wird. Das Entscheidende ist und bleibt unter allen Umständen die exzeptionelle lokale Kompetenz. Betrachten wir etwa das militärische Durchzugsrecht. Da die Truppen nichts anderes sind als eine Summe von Staatsorganen, deren Dienstleistung darin besteht, militärische Staatsakte zu setzen, muß ihre lokale Kompetenz bestimmt werden. Diese kann eine gewöhnliche, d. h. auf die Mehrzahl der Fälle passende oder eine ausnahmsweise sein. Eine derartige exzeptionelle lokale Kompetenz für militärische Verwaltungsakte — das ganze Kriegführen ist ja juri-
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Servituten, völkerrechtliche — Die sog. Settlements im äußersten Osten
stisch nichts anderes — wird nun durch die Schaffung der angeführten Militärdienstbarkeit im Wege eines völkerrechtlichen Vertrages konstituiert. Gemäß dem angedeuteten Prinzip werden auch alle übrigen Teile der herrschenden Lehre umzukonstruieren sein, doch würde die Durchführung dieser Aufgabe im einzelnen den Rahmen einer kurzgehaltenen Übersicht sprengen. Literatur: Als H a u p t w e r k in deutscher Sprache ist noch immer anzusehen Clauß, Die Lehre von den Staatsdienstbarkeiten, Tübingen 1894. — Vgl. ferner: Schwenzner, Begriff und Wesen der Staatsservituten, Breslauer Dissertation 1907. — Hollatz, Begriff und Wesen der Staatsservituten, 1910. — Cavaretta, Diritti sui territori altrui, 1905. — Labrouse, Des Servitutes en droit internat. public 1911. — Unter den ausgesprochenen Leugnern des dinglichen Charakters der völkerrechtlichen Servit u t e n verdienen erwähnt zu werden: Bulmerincq, Das Völkerrecht oder das internationale Recht, Freiburg i. B. 1884 ( H a n d b u c h d. öffentl. Rechtes d. Gegenwart in Monographien, hrsgg. v. M a r q u a r d s e n , I. Bd., 2. Halbbd.), S. 290f. — Frlcker, Gebiet und Gebietshoheit, Tübingen 1901 (Festgaben für Albert S c h ä f f l e , S. 1—99). — Gareis, Institutionen des Völkerrechts, 2. Aufl., Gießen 1901, S. 205f. und Radnltzky, Arch. öff. Recht, Bd. 20 (1905), S. 350f. Henrich. Die sog. Settlements i m äußersten Osten. Die beiden großen Staaten im Osten Asiens sahen sich im Laufe des 19. J a h r h . genötigt, ihre seitherige, J a h r h u n d e r t e hindurch ängstlich festgehaltene Politik der Abschließung, überhaupt der Ablehnung jedes Verkehrs mit Fremden aufzugeben. China h a t bereits im J a h r e 1842 gemäß eines in Nanking damals mit Großbritannien geschlossenen Friedens-, Freundschafts- und Handelsvertrags eine Anzahl See- und Flußhäfen sowie Handelsplätze Briten eröffnet, nach weiteren Kämpfen 1857—1868 auch Franzosen, dann ähnliche Verträge auch mit Rußland und den Vereinigten Staaten von Nordamerika, schon am 2. IX. 1861 auch mit Preußen und anderen Ländern geschlossen. J a p a n eröffnete den zivilisierten Verkehr laut des mit den Vereinigten Staaten von Nordamerika geschlossenen sog. Perryvertrags vom 31. III. 1854, dem bald mehrere andere verkehreröffnende und verkehrsichernde Vereinbarungen folgten. Die in Ostasien auf Grund solch früher Verträge sich ansiedelnden Europäer ließen sich dort
zumeist gruppenweise in gemeinsamen Niederlassungen (genannt settlements) nieder, es mochte dies der Sicherheit oder des Verkehrs wegen aus eigenem Antrieb seitens jener Europäer selbst geschehen, in der Regel aber erfolgte schon die Landzuweisung durch die örtliche Behörde des noch außerhalb der Völkerrechtsgemeinschaft stehenden oder erst kurz vorher in diese aufgenommenen Staatswesens distriktsweise f ü r ein bestimmtes Gebiet; in diesem Gebiete gründeten sodann die dort zugelassenen und angesiedelten Europäer ihre Niederlassungen, die sich, solange sie eigene Gerichtskonsulate h a t t e n , unter diesen nicht bloß einer selbständigen, von jeder lokalen Gerichtsbarkeit exempten Jurisdiktion in Zivil- und Strafsachen, sondern auch eigener Administration unter ihren nationalen Konsulaten erfreuten, so daß sie dort eine Art Staat im fremden Lande bildeten, in welchem die dort niedergelassenen europäischen und amerikanischen Nationalen unter ihren eigenen Konsuln exterritorial gegenüber den Ortsbehörden waren. Vgl. die deutsch-chinesischen Niederlassungsverträge vom 3. und 30. X. 1895 und dazu die Verordnung vom 25. X. 1900 (RGBl. 1900 S. 1000) über die Rechte an Grundstücken u n d die Anlegung von Grundbüchern in den deutschen Niederlassungen in Tientsin u n d Hankau. Mannigfache K ä m p f e und Aufstände störten freilich gegen Ende des J a h r h u n d e r t s vielfach und in den folgenden J a h r e n des 20. Chinas Reformbestrebungen, der neuerungsu n d fremdenfeindliche Boxeraufstand (1900) und die durch diesen hervorgerufene Intervention 1900/1901) europäischer Staaten, welche sich inzwischen in Form von P a c h t verträgen dort Territorialbesitz erworben h a t t e n , u n d in der Folge sogar mit militärischen Machtmitteln eingreifen m u ß t e n , ganz besonders, aber es gelang doch, durch das sog. Yangtse-Abkommen vom 16. X. 1900, welches China mit Großbritannien und dem Deutschen Reiche abgeschlossen h a t t e , die Aufrechterhaltung der den genannten u n d anderen beteiligten Nationen zugestandenen Rechte durchzusetzen. Mit J a p a n , welches sich europäischen Rechtsformen im 19. J a h r h . mit erstaunlicher Geschicklichkeit anschloß, hatten die Vereinigten Staaten von Nordamerika schon im J a h r e 1854 einen verkehrseröffnenden Vertrag (den sog. Perryvertrag) geschlossen, auch war dort schon um jene Zeit eine Anzahl von Häfen und Handelsplätzen dem ausländischen Verkehr eröffnet worden. Durch die dortige Revolution vom J a h r e 1868 und die sich daran anschließende Gesetzgebungsreform, die dem Ausländer in J a p a n immer mehr ihn dem Inländer gleich-
Die sog. Settlements im äußersten Osten — Siam stellende Rechte einräumte und das Land als konstitutionelle Monarchie (verfassungssicheres Kaiserreich) neuorganisiert erstehen ließ, hat namentlich seit 1894 und den folgenden nächsten J a h r e n die Exterritorialität der Ausländer ihr E n d e ; die europäischen Konsulate verloren in J a p a n ihre Gerichtsbarkeit und haben seitdem ihre amtliche Tätigkeit dort auf die übrigen konsularischen Rechte (s. G a r e i s , Institutionen des Völkerrechts, 2. Aufl. 1901, § 48; v. U l l m a n n , Völkerrecht, 1908, § 61) zu beschränken, wobei im einzelnen Verschiedenheiten herrschen, so nach dem britisch-japanischen Vertrage vom 16. VII. 1894s. U l l m a n n a . a . 0 . S. 199; ferner nach dem deutsch-japanischen H a n d e l s - u n d Schiffahrtsvertrag vom 4. IV. 1896; andere europäische Mächte haben seitdem ähnliche Verträge mit J a p a n geschlossen, die Gerichtsbarkeit, auch über Ausländer, wird seitdem durchaus von japanischen Gerichten ausgeübt, und damit haben auch die dortigen Settlements ihre selbständige Stellung und Eigentümlichkeiten verloren. Was von J a p a n gilt, ist nun auch von K o r e a zu sagen, welches laut Vertrag vom 22. V I I I . 1910 vom Kaisertum J a p a n vollständig einverleibt worden ist. Literatur: Franz v. Liszt, Das Völkerrecht, systematisch dargestellt § 251, 2. — Ferdinand v. Mertitz, Völkerrecht, 2. Aufl., S. 473, 474 in P a u l Hinnebergs Kultur der Gegenwart, Systematische Rechtswissenschaft, 2. Aufl. 1913. — E. v. Ullmann, Völkerrecht 1908 im öffentlichen Recht der Gegenwart von J e l l i n e k , L a b a n d u n d P i l o t y , III, §§ 17, 54—64. — Franke, Die Rechtsverhältnisse am Grundeigentum in China, 1903. — Ernest Nys, Le droit international, Tome II, 1905, S. 234ff. — L. Oppenheim, International Law, 1905, 1906, I, 191, 369. v. G a r e i s f .
Sevres-Friede ( 1 9 2 0 m i t Türkei) Übersicht s. Lausanner Frieden (s. a. Dardanellen). Shenandvah, Fall der s. Nachtrag. Shimonoseki-Frieden s. VRsgeschichte.
Siam. Unabhängiges Königreich in Hinterindien zwischen dem Golf von Siam u n d dem Golf von Bengalen mit Landgrenzen gegen die britischen und französischen hinterindischen Besitzungen. Siam ist das einzige n a m h a f t e r e Land der Welt mit vollständiger Autokratie. Es gibt dort keine Verfassung, keine Volksvertretungen, keinen verantwortlichen Minister, der König — seit 1910 Maha
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V a j i r v a t h als Nachfolger seines durch seine Reisen in Deutschland bekannten Vaters Maha Chulalongkorn — vereinigt in sich die gesetzgebende, vollziehende und richterliche Gewalt, wenn sich auch seit den 60er J a h r e n des vorigen J a h r h u n d e r t s die Herrscher hierin eine weise Beschränkung auferlegt haben u n d nur in seltenen Ausnahmefällen Maßnahmen gegen den Rat ihrer ersten Beamten treffen, die als Departementschefs eine ministerähnliche Stellung haben und meist den zahlreichen königlichen Prinzen entnommen werden oder in die Rechtsprechung der jetzt im allgemeinen nach westländischen Grundsätzen arbeitenden ordentlichen Gerichte eingreifen. Völkerrechtlich t r a t das Land, abgesehen von früheren tributähnlichen Beziehungen zu China, zum ersten Male in die Erscheinung 1664 durch einen Handelsvertrag mit Holland und am Ende des 17. J a h r h . durch einen Gesandtenaustausch und einen Vertrag mit Frankreich. Dann kamen 1826 und 1833 die ersten Verträge mit England und den Vereinigten Staaten von Amerika, dem solche mit anderen westländischen Staaten folgten, und zwar 1858 Dänemark und die deutschen Hansestädte, 1859 und 1860 Portugal und Holland, 1862 Preußen und später Belgien, Italien, Norwegen und Schweden. Alle diese Verträge waren im großen und ganzen einseitige, wie sie damals von westländischen Mächten mit sog. unzivilisierten Völkern abgeschlossen wurden, sie gaben nur den Westländern Befugnisse, ζ. B. die Gerichtsbarkeit über ihre respektiven Staatsangehörigen und die Bindung der Siamesen auf bestimmte Zölle, während die Siamesen kaum irgendwelche Rechte in den Ländern ihrer Vertragsgegner erwarben. 1893 geriet Siam in Grenzstreitigkeiten mit Frankreich, die zu f r a n zösischen Flottendemonstrationen und zu einem f ü r Siam, das vergebens ein Schiedsgericht vorgeschlagen h a t t e , schimpflichen Friedensvertrag f ü h r t e n und nur die Eifersucht Englands schützte Siam damals vor gänzlicher Annexion durch Frankreich. Nachdem England und Frankreich in der Deklaration vom 15. I. 1896 sich gegenseitig verpflichtet h a t t e n , die damaligen Grenzen Siams zu respektieren, blieb das Land von äußeren Verwicklungen verschont und konnte nun an die Regelung seiner inneren Verhältnisse gehen. Neue auf moderner Grundlage beruhende Gesetze wurden erlassen und damit eine gewisse Unabhängigkeit der Gerichte garantiert, fremde, tüchtige Berater f ü r die verschiedenen Ressorts kamen ins Land, das Selbstgefühl der Siamesen hob sich und schließlich verzichteten eine Reihe von Mächten meistens gegen Gegenvorteile
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Siam —
Siebenbürgen
ganz oder teilweise auf die ihnen v e r t r a g l i c h zustehende Gerichtsbarkeit, so England, F r a n k r e i c h , D ä n e m a r k und zuletzt die Vereinigten S t a a t e n von A m e r i k a . Das war die Grundlage für den E i n t r i t t S i a m s als gleichberechtigtes Mitglied in die V ö l k e r r e c h t s familie. Das D e u t s c h e R e i c h , a u f das der P r e u ß i s c h - S i a m e s i s c h e H a n d e l s v e r t r a g von 1 8 6 2 übergegangen war und dem S i a m dann am 2 2 . V I I . 1917 den Krieg e r k l ä r t h a t t e , ist durch den Versailler F r i e d e n s v e r t r a g vollk o m m e n rechtlos in Siam g e w o r d e n , es besitzt keine G e r i c h t s b a r k e i t und kein Meistbegünstigungsrecht m e h r , seinen Angehörigen ist das H a n d e l t r e i b e n in S i a m , j a ü b e r h a u p t das B e t r e t e n des Landes v e r b o t e n , während den Siamesen die weitgehendsten v ö l k e r r e c h t lichen Befugnisse in D e u t s c h l a n d zustehen. Inwieweit V e r h a n d l u n g e n , die inzwischen von D e u t s c h l a n d m i t S i a m eingeleitet sein sollen, hierin eine Änderung zu unseren Gunsten bringen, b l e i b t a b z u w a r t e n . Literatur: Besonders W . A . G r a h a m , S i a m , a H a n d b o o k of P r a c t i c a l , Commercial a n d P o l i t i c Inf o r m a t i o n , London, A l e x a n d e r Moring, L . , das a u c h die alte L i t e r a t u r e n t h ä l t ; ferner das j ä h r l i c h bei Algar, London, erscheinende D i r e c t o r y for B a n g k o k and S i a m , das in den meisten seiner J a h r g ä n g e a u c h die V e r t r ä g e , die Siam m i t fremden M ä c h t e n abgeschlossen hat und die wichtigsten neueren Gesetze wenigstens auszugsweise b r i n g t ; schließlich die B e m e r k u n g e n zu §§ 1 3 5 — 1 3 7 in dem großen K o m m e n t a r zum F r i e d e n s v e r t r a g von S c h ü c k i n g , der bei F r a n z Vahlen und der Deutschen Verlagsgesellschaft für P o l i t i k und Geschichte, B e r l i n , d e m n ä c h s t erscheinen soll. von
Buri.
S i c h t v e r m e r k s. P ä s s e , P a ß - u n d V i s a z w a n g .
Siebenbürgen ( 5 7 2 4 3 q k m , 2 6 7 8 3 6 7 E w . ) . Von den ältesten Zeiten angefangen bis zur E i n v e r l e i b u n g in den ungarischen S t a a t s k ö r p e r und seiner n a c h dem W e l t k r i e g e erfolgten Angliederung an R u m ä n i e n n i m m t Siebenbürgen eine s t a a t s r e c h t l i c h e Sonderstellung ein. Gegen E n d e des 9. J a h r h . h a b e n die M a g y a r e n das L a n d e r o b e r t . Ob sie das L a n d den Ü b e r resten d a c o r o m a n i s c h e r Bevölkerung abn a h m e n , oder ob sie es als herrenloses Gebiet im W e g e des originären E r w e r b s in B e s i t z n a h m e n , l ä ß t sich schwer feststellen. Denn der S t r e i t der Gelehrten ist d a r ü b e r noch nicht abgeschlossen ist, ob die R e s t e d e r d a c o r o m a n i s c h e n B e v ö l k e r u n g , welche n a c h dem R ü c k z ü g e T r a j a n s 2 9 3 v. Chr. zurückge-
blieben waren, zur Zeit der E r o b e r u n g durch die Magyaren noch vorhanden waren, oder vom S t u r m der Völkerwanderung weggefegt wurden. In letzterem Falle wäre die Lage so, d a ß die N a c h k o m m e n der u n t e r T r a j a n südlich über die Donau zurückgegangenen D a c o r o m a n e n n a c h dem 12. J a h r h . die Donau in nördlicher R i c h t u n g wieder ü b e r s c h r i t t e n und sich m i t E r l a u b n i s der neuen H e r r e n , der M a g y a r e n , neu angesiedelt h a b e n . Seit dem J a h r e 1 5 2 6 s t e h t das L a n d u n t e r t ü r k i s c h e r S o u z e r ä n i t ä t , d. h. Siebenbürgen war der P f o r t e t r i b u t p f l i c h t i g , j e d o c h genoß es im übrigen, m i t R ü c k s i c h t auf den u n a b hängigen C h a r a k t e r der drei herrschenden Rassen (Szekler, M a g y a r e n und S a c h s e n ) volle A u t o n o m i e u n t e r eigenen S t a m m e s fürsten (Zapolya, B e t h l e n - G a b o r , R ä k o c z y u. a.). Im F r i e d e n von W i e n (23. 6. 1 6 0 9 ) m u ß t e R u d o l f I I . von H a b s b u r g S i e b e n bürgen als unabhängiges F ü r s t e n t u m a n e r k e n n e n , und diese A n e r k e n n u n g wurde 1621 im Frieden von Nicolsburg b e s t ä t i g t . N a c h dem erfolglosen Angriff auf W i e n im J a h r e 1 6 8 3 begann die H e r r s c h a f t der T ü r k e n a u c h in Ungarn abzubröckeln und der E i n fluß der H a b s b u r g e r dehnt sich von 1 6 9 0 an a u c h auf Siebenbürgen aus. Das sog. „ L e o p o l d i n i s c h e D i p l o m " vom J a h r e 1691 g a r a n t i e r t die alten a u t o n o m e n R e c h t e der S i e b e n b ü r g n e r und stellt gleichzeitig die V e r einigung m i t U n g a r n wieder her. Im Frieden von Carlowitz 1 6 9 0 wurde S i e b e n b ü r g e n und ganz Ungarn m i t A u s n a h m e des B a n a t s österreichisch. E s ist ein Zeichen der s c h w a n k e n d e n P o l i t i k der damaligen H a b s burger, daß die s t a a t s r e c h t l i c h e Zugehörigkeit Siebenbürgens in den folgenden J a h r zehnten dauernd wechselte. 1711 wird Siebenbürgen wieder H a b s b u r g g a n z u n t e r stellt, 1 7 1 3 sodann Ungarn einverleibt, w ä h r e n d 1 7 6 5 Maria T h e r e s i a es zum G r o ß f ü r s t e n t u m e r h e b t und ein österreichisches K r o n l a n d daraus m a c h t . Als in den 3 0 e r J a h r e n des 19. J a h r h . die E r h e b u n g der Ungarn b e g a n n , h e r v o r gerufen durch die übertriebenen G e r m a n i sierungsversuche Österreichs, sehen wir die Siebenbürger B e v ö l k e r u n g sich s p a l t e n . In dem Unabhängigkeitskampfe 1849 unter K o s s u t h standen die R u m ä n e n und S a c h s e n von Siebenbürgen auf Seiten der Österreicher, und n a c h der Niederwerfung des ungarischen Aufstandes wird Siebenbürgen erneut als österreichisches K r o n l a n d e r k l ä r t , und ihm ein eigener L a n d t a g zugebilligt. In diesem sollten die drei herrschenden Nationen (s. o.), ausgenommen die R u m ä n e n , allein vert r e t e n sein. 1 8 6 3 erhalten a u c h die R u m ä n e n die A n e r k e n n u n g als vierte gleichberechtigte N a t i o n . Auf dem L a n d t a g in H e r m a n n s t a d t
Siebenbürgen — Silberstein (Auslieferungsfall) 1863 wurde Siebenbürgen als vollständig von Ungarn g e t r e n n t a n e r k a n n t u n d m i t Österreich vereinigt, aber schon 2 J a h r e s p ä t e r erklärte der L a n d t a g von Kolozsvär Siebenbürgen als zu Ungarn gehörig. Die Ereignisse des Krieges von 1866 zwangen Österreich das Königreich Ungarn wieder herzustellen (wie bereits der ungarische L a n d t a g 1848 in P r e ß b u r g b e a n t r a g t h a t t e ) u n d ihm seine historischen Grenzen wieder zu gewähren. Auf diese Weise wurde Siebenbürgen neuerdings mit Ungarn vereinigt u n d d a m i t war die Autonomie Siebenbürgens endgültig zu E n d e . Der Siebenbürgner L a n d t a g wurde aufgelöst; Siebenbürgen entsendet von n u n a n eigene Abgeordnete in das ungarische Parlament. Die rücksichtslosen Magyarisierungsversuche der U n g a r n , kirchliche u n d sprachliche Probleme wecken von neuem das Nationalbewußtsein der N i c h t m a g y a r e n . Nach dem W e l t kriege b e a n s p r u c h t e das ehemalige Königreich R u m ä n i e n Siebenbürgen, u n t e r H i n weis auf das N a t i o n a l i t ä t e n p r i n z i p , f ü r sich. Dieser Hinweis war insofern berechtigt, als von den 2678367 Einwohnern die Zahl der R u m ä n e n 1472021 erreichte. Aus diesem Grunde u n d ferner weil sich die Siebenbürgner nicht dagegen w e h r t e n , wurde im Frieden von T r i a n o n vom 4. VI. 1920 (Abschn. 2, A r t . 27, Abs. 3) Siebenbürgen R u m ä n i e n angegliedert. Die Lösung ist als eine nicht sehr glückliche zu bezeichnen, weil, wenn die Siebenbürgner um ihre Meinung gefragt worden wären, sie am liebsten den f r ü h e r e n Z u s t a n d wiederhergestellt gesehen h ä t t e n , nämlich u n t e r eigenen F ü r s t e n ein selbständiges Staatsgebilde zu sein. Sie h a t t e n keineswegs das Bedürfnis m i t AltR u m ä n i e n vereinigt zu werden. Selbst die Meinung m a ß g e b e n d e r rumänischer Politiker wie Ministerpräsident T i t u Majorescu und des b e d e u t e n d s t e n rumänischen Staatsm a n n e s aus der neuesten Zeit P. P. Carp ging d a h i n , daß R u m ä n i e n zufrieden sein solle, wenn es Beßarabien gewinnt u n d die D o n a u m ü n d u n g behält u n d wenn die S t a m m e s b r ü d e r in Siebenbürgen von den Magyaren als gleichberechtigt b e h a n d e l t werden, d a ß aber von einer Vereinigung Siebenbürgens m i t R u m ä n i e n A b s t a n d genommen werden müsse. Literatur: Bielz, Siebenbürgen, H e r m a n n s t a d t 1903. — R u m a n i a and t h e Great W a r , London 1915. — Mailath, Graf Joseph von, La Hongrie rurale, sociale et politique, Paris 1909. — Strupp, Ausgew. dipl. A k t e n s t ü c k e zur orientalischen Frage, Perthes, Gotha 1916. — Teutsch, Geschichte der Siebenbürgner Sachsen, Leipzig 1871. — H a n d b o o k s
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of Foreign Office, 1920, N r . 6. — E n g lische Ausgabe des Friedensvertrages von Trianon T r e a t y Series, Nr. 10. Schmalz.
SUberstein (Auslieferungsfall). I. Das schweizerische Bundesgericht h a t nach A r t t . 23, 24 des Auslieferungsgesetzes vom 22. I. 1892 zu entscheiden, ob eine vom Ausland begehrte Auslieferung s t a t t z u f i n d e n h a t , sobald der Verfolgte Einwendungen erh e b t , die sich auf das schweizerische Auslieferungsgesetz oder die A b m a c h u n g e n m i t dem ersuchenden S t a a t s t ü t z e n . Im Laufe der J a h r e h a t es sich in zahlreichen Fällen mit Auslieferungsanträgen der russischen Regierung auf Grund des schweizerisch-russischen Auslieferungsvertrags vom 5./17. X I . 1873 befassen müssen, in denen die verfolgten Russen Einspruch erhoben, weil A r t . 6 Abs. 1 des Vertrags (les crimes et d£lits politiques sont exceptds de la p r i s e n t e convention) in Verbindung mit A r t . 10 des schweizerischen Auslieferungsgesetzes ihre Auslieferung verbiete. Die neueren Urteile in den Fällen Belenzow (18. V I I . 1906 — E n t s c h . Bd. 32 Teil 1 S. 531), Leo u n d Georg Keresselidze und Magaloff (12. II. 1907 — E n t s c h . Bd. 3 3 Teil 1 S. 169), Kilatschitski (7. V. 1907 — E n t s c h . Bd. 33 Teil 1 S. 403), Victor P l a t o nowitch Wassilieff (13. V I I . 1908 — E n t s c h . Bd. 34 Teil 1 S. 533) bieten zwar kein einheitliches Bild f ü r die Beurteilung der Frage, u n t e r welchen Voraussetzungen eine S t r a f t a t politisch ist, haben aber immerhin zu einer gewissen Klärung des schweizerischen S t a n d p u n k t e s g e f ü h r t . Als Beispiel f ü r die heutigen Rechtsanschauungen der Schweiz k a n n der Fall Silberstein gelten.
II. Am 10. VI. 1911 b e a n t r a g t e der russische Gesandte in Bern die F e s t n a h m e des russischen Staatsangehörigen Boris Mochevitsch Silberstein, gegen den der U n t e r suchungsrichter in Charkow wegen Untreue u n d U r k u n d e n f ä l s c h u n g H a f t b e f e h l erlassen h a t t e . Am 5. IV. 1912 wurde Silberstein in Vevey ermittelt u n d f e s t g e n o m m e n ; am 24. IV. das förmliche Auslieferungsersuchen g e m ä ß A r t . 3 Ziff. 10 u n d 15 u n d A r t . 8 des schweizerisch-russischen Vertrags gestellt. Nach der Anschuldigung handelte es sich um folgenden S a c h v e r h a l t : Seit Mai 1910 war Silberstein Leiter des Zweighauses der Unionb a n k in Lebedinsk gewesen u n d h a t t e in der Zeit von J a n u a r bis Mai 1911 in einer Reihe von Fällen durch Fälschung der U n t e r s c h r i f t Geldbeträge erhoben, die :seines Kassierers 127800 Rubel beliefen. !sich auf insgesamt .Als er sich e n t d e c k t sah, war er aus R u ß l a n d
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Silberstein (Auslieferungsfall) — Simla-Fall
geflüchtet. Der H a f t b e f e h l des U n t e r suchungsrichters s t ü t z t e sich auf A r t t . 354, 359, 362 u n d 1154 des russischen Strafgesetzbuchs von 1866 in der Fassung von 1910. Silberstein widersetzte sich seiner Auslieferung vor allem m i t der Begründung, er habe mit seinen H a n d l u n g e n nur politische Zwecke verfolgt, so daß es sich um politische S t r a f t a t e n h a n d l e ; die S u m m e sei restlos dem russischen Revolutionsausschuß zug e f ü h r t w o r d e n ; als Israelii sei er in R u ß l a n d fortgesetzten Verfolgungen ausgesetzt gewesen, vor denen er sich nur durch Opferung seines Vermögens habe r e t t e n k ö n n e n ; so sei er ein Feind der „ R e g i e r u n g der W i l l k ü r " geworden; er habe beschlossen, sich das Leben zu n e h m e n , sei aber von seinen politischen F r e u n d e n gebeten worden, vorher der Sache der Freiheit einen besonderen Dienst zu leisten; das habe er getan u n d sei d a n n zu seinen Angehörigen n a c h Vevey gereist, u m sie zum letzten Mal zu sehen. Es sei übrigens nicht seine Sache, den politischen Zweck seiner H a n d l u n g e n zu beweisen; u m gekehrt müsse die verfolgende Regierung den Beweis f ü h r e n , daß er Geldbeträge zu seinem persönlichen Vorteil v e r u n t r e u t h a b e .
ein politischer w a r " . . . Im A r t . 10 des Auslieferungsgesetzes ist allerdings der e t w a s unklare Ausdruck „vorschützt" gebraucht, aber m a n wird ihm keinen anderen Sinn als den eben dargelegten, wie er sich a u s Wissens c h a f t u n d Rechtsprechung entwickelt h a t , geben d ü r f e n . . . . Es würde also n o t w e n d i g gewesen sein, zu erfahren, welcher politischen Revolutionspartei die v e r u n t r e u t e n Gelder zugeflossen sind, welches Ziel u n d welche Wege diese Partei bei dem U m s t u r z der politischen und gesellschaftlichen O r d n u n g in R u ß l a n d verfolgte usw. Silberstein h a t über dies alles nichts m i t g e t e i l t . " Zur Sachlage selbst e r k l ä r t e das G e r i c h t : „Alles in allem ergibt sich aus den dem Gericht v o r gelegten Unterlagen, daß sich die A n s c h u l digung auf eine S t r a f t a t des gemeinen R e c h t s bezieht. . . . Selbst wenn m a n aber die Richtigkeit der Angaben Silbersteins über die politische Z w e c k b e s t i m m u n g der von i h m v e r u n t r e u t e n Beträge unterstellen wollte, so w ü r d e m a n doch zu dem Ergebnis k o m m e n , daß bei dem T a t b e s t a n d der C h a r a k t e r des gemeinen Verbrechens ü b e r w i e g t , so d a ß das Bundesgericht g e m ä ß A r t . 10 Abs. 2 des Bundesgesetzes t r o t z d e m die Auslieferung des Verfolgten bewilligen m ü ß t e . Nach d e r s t ä n d i g e n Rechtsprechung des B u n d e s g e r i c h t s reicht der politische Beweggrund oder Zweck, der den T ä t e r b e s t i m m t e , n i c h t a u s , um ein gemeines Verbrechen in ein politisches u m z u w a n d e l n ; es müssen vielmehr im Einzelfall b e s t i m m t e T a t s a c h e n vorliegen, die den politischen C h a r a k t e r der H a n d l u n g beweisen (vgl. Fall Belenzow) . . . W e n n im F a l l Keresselidze . . . eine ablehnende E n t s c h e i d u n g ergangen ist, so ist das gerade geschehen, weil in diesem Fall eine Reihe b e s t i m m t e r T a t s a c h e n d a f ü r sprach, d a ß die s t r a f b a r e H a n d l u n g m i t t e n in einer U m s t u r z b e w e g u n g von einer organisierten politischen P a r t e i , welche die U m w ä l z u n g der b e s t e h e n d e n politischen O r d n u n g e r s t r e b t e , g e p l a n t , v o r bereitet u n d d u r c h g e f ü h r t worden w a r ; ebenso war bewiesen, daß die S t r a f t a t zum Schaden des S t a a t e s begangen war, um f ü r die F o r t setzung des revolutionären K a m p f e s d i e nötigen Mittel zu gewinnen. Alles dies a b e r fehlt gänzlich im vorliegenden Fall . . . "
I I I . Das Bundesgericht entschied am 21. VI. 1912, daß die Auslieferung u n t e r der Bedingung gewährt werde, Silberstein dürfe nicht vor ein Ausnahmegericht gestellt und nicht wegen politischer S t r a f t a t e n verfolgt werden. Zu der von ihm aufgeworfenen Frage der Beweispflicht f ü h r t e das Bundesgericht a u s : „Vor «allem ist festzustellen, d a ß die Grundsätze des S t r a f v e r f a h r e n s in Auslieferungssachen, also Angelegenheiten des internationalen Rechts, nicht a n w e n d b a r s i n d ; die B e h a u p t u n g e n Silbersteins über den politischen Charakter seiner H a n d l u n g e n stellen sich wie ein von dem Beklagten vorgebrachtes Verteidigungsmittel dar, f ü r das ihm die Beweislast um so mehr obliegt, als es sich um Vorgänge h a n d e l t , die in f r e m d e m Lande geschaffen sind u n d vom Richter nicht n a c h g e p r ü f t werden können. Freilich darf m a n von Silberstein nicht den schlüssigen Beweis f ü r sein Vorbringen fordern, aber jedenfalls darf m a n verlangen, d a ß er den Richter i n s t a n d s e t z t , sich ein begründetes Urteil zu bilden, indem er b e s t i m m t e T a t Literatur: sachen, wie es A r t . 10 des Auslieferungsgesetzes vorsieht, f ü r die N a t u r der S t r a f t a t E n t s c h e i d u n g e n des Bundesgerichts ( A m t l . Sammlung), Bd. 33, Teil 1, S. 148. oder die Merkmale a n g i b t , die zur Beurteilung Mettgenberg. der Sachlage notwendig sind. . . . Dieser Gesichtspunkt ist auch im Fall Wassilieff verwertet, wo es wörtlich h e i ß t : „ D e m VerSimla-Fall. folgten, der sich der Auslieferung widersetzt, Der deutsche P o s t d a m p f e r „ E m i r " , der liegt es ob, die T a t s a c h e n darzulegen, aus denen der Richter ableiten k a n n , d a ß der von Deutsch-Ostafrika nach D e u t s c h l a n d Zweck, den der T ä t e r im Auge h a t t e , wirklich b e s t i m m t war, w u r d e nach A u s b r u c h des Weltkrieges auf hoher See von englischen
Simla-Fall — Sizilianisches Schwefelmonopol Kriegsschiffen aufgebracht. Die auf d e m „ E m i r " verladene, hauptsächlich aus Elfenbeinschnitzereien und ähnlichem bestehende P a k e t p o s t w u r d e in G i b r a l t a r a u s g e l a d e n , auf d e m englischen D a m p f e r „ S i m l a " n a c h London transportiert und dort von den englischen B e h ö r d e n m i t Beschlag belegt. Die A d m i r a l t y Division des H i g h Court v e r u r t e i l t e die L a d u n g als Prise u n d e n t schied, d a ß A r t . 1 des X I . H a a g e r A b k o m m e n s v o m J a h r e 1907 ( „ D i e auf h o h e r See auf n e u t r a l e n oder feindlichen S c h i f f e n vorgefundenen Briefpostsendungen . . . sind u n v e r l e t z l i c h " ) m i t R ü c k s i c h t auf den k l a r e n W o r t l a u t u n d Sinn dieser B e s t i m m u n g auf P a k e t p o s t keine A n w e n d u n g f i n d e n k ö n n t e . — Die E n t s c h e i d u n g ist völkerrechtlich zutreffend. Literatur: E. C. M. Trehern, Price Cases, London 1916, S. 2 8 1 f f . — Oppenheim, I n t e r n a t i o n a l L a w , 3. A u s g . , 1921 (herausg. v o n Roxb u r g h ) , 2. B d . , S. 269. Feilchenfeld.
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ein Teil des Gebiets seines S o u v e r ä n s b l e i b e ; d a ß d a s von dem K a p i t ä n der „ S i t k a " k o m m a n d i e r t e Schiff ein Teil des englischen G e b i e t s gewesen sei, d a s von den k a l i f o r nischen G e r i c h t e n m i t e i n e m Angriff b e d r o h t w o r d e n w ä r e ; so sei es n i c h t n u r im E i n k l a n g m i t d e r R e c h t s o r d n u n g , s o n d e r n im h ö c h s t e n Maße v e r s t ä n d i g gewesen, w e n n die „ S i t k a " w e g f u h r u n d d a m i t eine zwecklose S t r e i t i g keit v e r m i e d e n w u r d e . — Das G u t a c h t e n des nordamerikanischen Generalstaatsanwalts entspricht dem geltenden Völkerrecht: danach k a n n ein n e u t r a l e r S t a a t d a s B e t r e t e n seiner H ä f e n f r e m d e n K r i e g s s c h i f f e n m i t Prisen oder K r i e g s g e f a n g e n e n v e r b i e t e n , m u ß a b e r , w e n n ein solches V e r b o t n i c h t erging, d e m f r e m d e n Kriegsschiff a u c h wegen der P r i s e n u n d K r i e g s g e f a n g e n e n die E x t e r r i t o r i a l i t ä t u n d d a m i t die E x e m p t i o n von d e r l o k a l e n G e r i c h t s b a r k e i t zubilligen.
Literatur: Hall-Higgins, A t r e a t i s e on i n t e r n a t i o n a l law, O x f o r d 1917, S. 201. — Halleck-BakerBrucquer, I n t e r n a t i o n a l law (4), L o n d o n 1908, B d . 1, S. 230. — Phillimore, C o m m e n t a r i e s u p o n i n t e r n a t i o n a l law (2), Sitka-Fall. L o n d o n 1873, B d . 3, S. 267. — W h e a t o n Coleman Philippson, E l e m e n t s of i n t e r W ä h r e n d des K r i m k r i e g e s , 1855, h a t t e n a t i o n a l law (5), L o n d o n 1916, S. 160. ein englischer K r e u z e r d a s russische S t a a t s Opet. schiff „ S i t k a " g e k a p e r t . Der K r e u z e r b r a c h t e die „ S i t k a " m i t einigen russischen GeSizilianisches Schwefelmonopol. f a n g e n e n a n Bord n a c h San F r a n c i s c o . W e g e n zweier v o n diesen G e f a n g e n e n w u r d e n In der Frage des sizilianischen Schwefeldie k a l i f o r n i s c h e n G e r i c h t e u m E r l a ß eines m o n o p o l s , die im J a h r e 1840 zu einem w r i t of h a b e a s c o r p u s a n g e g a n g e n , d. h . eines s c h w e r e n K o n f l i k t zwischen G r o ß b r i t a n n i e n Befehls, d u r c h den d e r K o m m a n d a n t der u n d d e m K ö n i g r e i c h Neapel f ü h r t e , h a n d e l t e „ S i t k a " a u f g e f o r d e r t w e r d e n sollte, die es sich u m einen zwischen den beiden S t a a t e n b e i d e n i h r e r F r e i h e i t b e r a u b t e n r u s s i s c h e n b e s t e h e n d e n H a n d e l s v e r t r a g , der von N e a p e l , G e f a n g e n e n vor G e r i c h t zu b r i n g e n . Auf diese n a c h der A n s i c h t E n g l a n d s , g e b r o c h e n w u r d e Weise sollte eine g e r i c h t l i c h e E n t s c h e i d u n g , u n d dessen W i e d e r h e r s t e l l u n g E n g l a n d d u r c h o b die F e s t h a l t u n g r e c h t m ä ß i g w ä r e , h e r b e i - A n w e n d u n g v o n Z w a n g s m a ß r e g e l n d u r c h geführt werden. Der gerichtliche Befehl s e t z t e . Der Fall ist bei P h i l l i m o r e (Comw u r d e erlassen, v o n d e m K o m m a n d a n t e n , der m e n t a i r e s u p o n I n t e r n a t i o n a l law I I I , S . 3 5 f f . ) : m i t d e n G e f a n g e n e n a n Bord u n t e r Segel f o l g e n d e r m a ß e n d a r g e s t e l l t : g i n g , j e d o c h n i c h t b e a c h t e t . Die R e g i e r u n g D u r c h einen 1816 geschlossenen V e r t r a g der V e r e i n i g t e n S t a a t e n legte d a r a u f i h r e m zwischen den beiden S t a a t e n w u r d e n E n g l a n d G e n e r a l s t a a t s a n w a l t die F r a g e z u r B e g u t - gewisse Vorteile in h a n d e l s p o l i t i s c h e r Bea c h t u n g v o r , o b ein g e r e c h t e r G r u n d zur z i e h u n g z u g e s t a n d e n ; es w a r d a r i n a u c h verB e s c h w e r d e E n g l a n d g e g e n ü b e r b e s t ä n d e . e i n b a r t , d a ß die n e a p o l i t a n i s c h e R e g i e r u n g E r v e r n e i n t e dies m i t der B e g r ü n d u n g , d a ß k e i n e m a n d e r e n S t a a t Handelsprivilegien G e r i c h t e eines S t a a t s , gegen den eine N e u - bewilligen solle, die d e n englischen Interessen t r a l i t ä t s v e r l e t z u n g n i c h t erfolgt w a r , n i c h t n a c h t e i l i g w ä r e n . Der Z w e c k des V e r t r a g e s b e f u g t seien, ü b e r die R e c h t m ä ß i g k e i t der w a r , einen f ü r beide Teile g ü n s t i g e n H a n d e l s P r i s e n einer K r i e g s p a r t e i zu e n t s c h e i d e n ; d a ß v e r k e h r ins Leben zu r u f e n . Im J a h r e 1838 die G e r i c h t e d e r V e r e i n i g t e n S t a a t e n s t e t s überließ a b e r der K ö n i g v o n N e a p e l einer sich zu der A n s i c h t b e k a n n t h ä t t e n , ein P r i v a t g e s e l l s c h a f t , zu der n e b e n a n d e r e n S t a a t s s c h i f f eines f r e m d e n , m i t den Ver- S t a a t s a n g e h ö r i g e n a u c h F r a n z o s e n g e h ö r t e n , e i n i g t e n S t a a t e n in F r i e d e n l e b e n d e n S o u v e - d a s Monopol f ü r allen in Sizilien g e w o n n e n e n ä r n s , d a s , in deren H ä f e n g e k o m m e n , sich u n d v e r a r b e i t e t e n Schwefel. D a s ganze d o r t f r i e d l i c h v e r h a l t e , sei der G e r i c h t s b a r - G e s c h ä f t m i t diesem sehr w e r t v o l l e n H a n d e l s keit des L a n d e s n i c h t u n t e r w o r f e n , weil es a r t i k e l w u r d e in die H ä n d e einiger weniger
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Sizilianisches Schwefelmonopol — Sklavenhandel
bevorzugten Personen gelegt. E n g l a n d , das darin einen glatten Bruch des Vertrages von 1816 s a h , protestierte energisch dagegen durch seinen Geschäftsträger in Neapel. Der König von Neapel versprach zwar (1839), d a ß die Monopolbewilligung zurückgenommen und der Betrieb vor dem 1. I. 1840 eingestellt werde, doch ä n d e r t e sich mit diesem Zeitp u n k t nichts in der Sache. Der englische Außenminister, L o r d P a l m e r s t o n , verlangte n u n von der neapolitanischen Regier u n g die sofortige A u f h e b u n g des Monopols und E r s a t z f ü r allen Schaden, den britische U n t e r t a n e n seit E r r i c h t u n g des Monopols erlitten h ä t t e n . Der König erklärte sich dazu bereit u n d ließ dies offiziell in einer Note d u r c h seinen Minister des Äußern der britischen Regierung mitteilen. Nach einiger Zeit aber wurde dem britischen Geschäftsträger in Neapel b e k a n n t gegeben, daß der neapolitanische Ministerrat beschlossen habe, den Forderungen Großbritanniens nicht zuzustimmen, da er in dem Schwefelmonopol keinen B r u c h des Vertrages von 1816 sehe. Darauf schritt die englische Regierung sofort zu G e w a l t m a ß n a h m e n ; die britische Mittelmeerflotte erhielt den Befehl, die Feindseligkeiten gegen die Flotte Neapels ohne Verzug zu eröffnen. Sie n a h m eine Reihe feindlicher Fahrzeuge auf offener See u n d in den H ä f e n von Malta weg. Der König von Neapel versuchte a n f a n g s W i d e r s t a n d zu leisten, n a h m aber d a n n die Vermittlung Frankreichs an. Das Schwefelmonopol wurde aufgehoben.
Begriffen wird übrigens nicht allgemein f e s t gehalten ( O p p e n h e i m , International law, 1912, II §§ 247ff.). v. F r i s c h . Skandinavischer union.
Münzverband
s.
Münz-
Sklavenhandel.
I. V o r b e m e r k u n g . Der Menschenhandel ist gegenüber dem Sklavenhandel der u m fassendere Begriff. Nicht jeder Menschenhandel m u ß Sklavenhandel, aber jeder Sklavenhandel Menschenhandel sein. Beiden Begriffen gemeinsam ist das O b j e k t , nämlich der Mensch in seiner Eigenschaft als Sache. Aber dem Sklavenhandel wesentlich im Gegensatz zum Menschenhandel ist der d e m selben i m m a n e n t e Zweck, der auf die Beg r ü n d u n g eines der Sklaverei dienenden Verhältnisses gerichtet ist. In diesem Z u s a m m e n h a n g h a n d e l t es sich nur u m die völkerrechtlich b e d e u t s a m e B e k ä m p f u n g des Sklavenhandels, der h e u t zutage im wesentlichen u n t e r d r ü c k t ist u n d dessen Darlegung infolgedessen m e h r h i s t o risches als aktuelles Interesse h a t . Die hierm i t z u s a m m e n h ä n g e n d e n auf Beseitigung der Sklaverei gerichteten Bestrebungen spielten schon im Laufe des letzten J a h r h u n d e r t s im Völkerrecht keine Rolle m e h r , da die zivilisierten S t a a t e n dieses I n s t i t u t nicht m e h r k a n n t e n u n d in den L ä n d e r n des Islams sowie in den Kolonien, wo sich die H a u s s k l a v e r e i N a c h dieser, von P h i l l i m o r e dem noch f a n d , aus p r a k t i s c h e n G r ü n d e n eine A n n u a l R e g i s t e r von 1840 e n t n o m m e n e n radikale Beseitigung dieser Institution nicht Darstellung lag von Seiten Neapels ein Ver- empfohlen h a t . t r a g s b r u c h vor und E n g l a n d zwang durch II. G e s c h i c h t l i c h e r Ü b e r b l i c k b i s R e p r e s s a l i e n Neapel zur Einstellung seines z u r B r ü s s e l e r G e n e r a l a k t e v o n 1890. vertragswidrigen Verhaltens. Es f r a g t sich Der Sklavenhandel, der a u c h im M i t t e l a l t e r aber, ob diese englische Darstellung den u n d bis in die jüngste Zeit hinein nicht völlig T a t s a c h e n genau e n t s p r i c h t . B u l m e r i n c q u n t e r d r ü c k t werden k o n n t e , d a t i e r t seine nämlich, der den Fall nur flüchtig e r w ä h n t Blütezeit von der E n t d e c k u n g A m e r i k a s a n . (in v. H o l t z e n d o r f f s H a n d b u c h des Völker- Die A u s b e u t u n g der A r b e i t s k r a f t dezimierte rechts IV, S. 68), spricht von der A n w e n d u n g die Bevölkerung u n d m a c h t e eine E r g ä n z u n g von R e t o r s i o n , weil von Großbritannien derselben durch Import neuen Menschendie Bevorzugung seiner Staatsbürger vor materials notwendig, ein U n t e r n e h m e n , d a s denen Neapels verlangt worden sei. als einträgliches Geschäft d u r c h P a c h t oder Ebenso W u r m (in v. R o t t e c k - W e l c k e r s Monopolisierung der E i n f u h r a f r i k a n i s c h e r Staatslexikon X I I , S. 122). Liegt wirklich Neger von fast allen seefahrenden N a t i o n e n Retorsion vor, dann m u ß sich der Streitfall betrieben wurde. anders abgespielt h a b e n , denn Retorsion ist Die auf die B e k ä m p f u n g des Sklavendie A n w e n d u n g von Vergeltungsmaßregeln handels gerichteten Bestrebungen sind — gegen einen S t a a t , der sich eine U n b i l l i g - wenn auch beeinflußt durch n a t u r r e c h t l i c h e k e i t h a t zuschulden k o m m e n lassen, w ä h r e n d Ideen u n d wirtschaftliche A r g u m e n t e — die Voraussetzung f ü r Repressalien das Vor- letzten Endes religiöser N a t u r und sind auf liegen einer R e c h t s v e r l e t z u n g ist. So die englischem Boden heimisch. Zum ersten Male neuere Theorie (ζ. Β. Η e i l b o r n , System im internationalen Leben sind diese T e n des Völkerrechts, S. 352; v. U l i m a n n , denzen zum Ausdruck gelangt in der D6claVölkerrecht, S. 4 5 4 f . ; v. L i s z t , Völkerrecht, r a t i o n relative l'abolition de la t r a i t e des S. 271). Der Unterschied zwischen den beiden nfegres d ' A f r i q u e ou du commerce des esclaves
Sklavenhandel der Beilage X V zur Wiener Kongreßakte und in den in Aachen und später in Verona gefaßten Beschlüsse und in dem Additionalartikel des zweiten Pariser Friedensvertrages von 1815. Wenn auch eine umfassende internationale Vereinbarung infolge Wiederstandes einzelner S t a a t e n , die ihre Interessen gefährdet glaubten, zu dieser Zeit noch nicht möglich war, so hat England doch sein Ziel durch Abschluß selbständiger Verträge mit zivilisierten wie unzivilisierten Staaten unablässig weiter verfolgt und gefördert (chronologisch zusammengestellt im Ree. manuel et pratique etc. par M a r t e n s et C u s s y V , S . 4 3 6 f f . ) . In diesen Separatverträgen, die im einzelnen inhaltlich stark variieren, ist den Kontrahenten oft ein gegenseitiges Durchsuchungsrecht von des Sklavenhandels verdächtigen Schiffen, in der Regel allerdings nur unter bestimmten örtlichen und sachlichen Voraussetzungen, eingeräumt. Als Beispiel diene der bedeutsamste unter ihnen, der unter den europäischen Großmächten geschlossene sog. Quintupelvertrag vom 20. X I I . 1841; hier besteht für die Signatarmächte ein gegen seitiges Durchsuchungsrecht, das örtlich auf eine bestimmte Zone beschränkt ist, das nur durch Kriegsschiffe und nicht gegenüber Kriegsschiffen ausgeübt werden darf, und dessen Ziel es ist, bei Feststellung eines Sklaventransportes die schuldigen Personen der hier national-organisierten strafrechtlichen Verfolgung auszuantworten. All diese von Großbritannien geschlossenen Verträge bezogen sich jedoch nur auf die Verfrachtung der Neger über den atlantischen Ozean, d. h. auf den von der westafrikanischen Küste nach Amerika betriebenen Handel. Nachdem aber die dortige nationale Gesetzgebung (zuletzt K u b a 1880 und Brasilien 1888) Hand in Hand mit dem von ihnen geschlossenen Verträgen den Sklavenhandel verboten hatte, kam derselbe infolge des Fehlens eines Absatzmarktes von selbst zum Stillstand.
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Operationen, die ζ u L a η d e oder zur See diesem Handel Sklaven zuführen, als v e r b o t e n " und die Mächte für verpflichtet erklärt waren, mit ihren Machtmitteln dafür zu sorgen, daß das Kongobecken „weder als Markt noch als Durchgangsstraße für den S k l a v e n h a n d e l " verwendet wird. III. Die B r ü s s e l e r G e n e r a l a k t e von 1890. Diese stellte eine abschließende, bis um Kriegsausbruch für alle Kontrahenten (teilweise Ausnahme: Frankreich) in Geltung gebliebene, durch einzelne Verträge ergänzte Kodifikation der völkerrechtlichen Bestimmungen über die Bekämpfung des Sklavenhandels zu Lande und zur See dar, der im Verein mit der nationalen Gesetzgebung der Signatarmächte diefast völlige Unterdrückung des Sklavenhandels zu verdanken ist ( T e x t s. Nouv. Ree. g6n. 2. s6r. X V I , S. I f f . ) .
Die Akte unterschied die Ursprungsländer, d. h. die Gegenden, denen die Sklaventransporte entnommen wurden, die Sklaventransporte zu Lande, den Handel zur See und schließlich die Bestimmungsländer, denen die Einfuhr der Sklaven dienen sollte, weil hier die Haussklaverei noch als nationale Institution anerkannt war. Für die Bekämpfung des Sklavenhandels selbst waren Maßregeln militärischer, wirtschaftlicher und strafrechtlicher Natur vorgesehen, militärisch wie ζ. B. die Errichtung militärischer Stationen, wirtschaftlich wie ζ. B . die Anlage von Straßen, Verbesserung der Beförderungsmittel (s. die A r t t . 1, 2, 15—17), Maßregeln, die jedoch alle nur fakultativer Natur waren. Anders dagegen die die S t a a t e n obligatorisch verpflichtenden Strafbestimmungen. Nach dem allgemein für die Generalakte anwendbaren Art. 5 waren strafbar a) die organisateurs, für die die Teilnahme an der Expedition nicht wesentlich war, et coopfirateurs des chasses ä l'homme, die typischen Sklavenjäger, b) tous individus participant ä la capture des esclaves par violence; hier gehörte zum Um so mehr nahm dieser j e t z t eine RichT a t b e s t a n d im Gegensatz zu a die t a t s ä c h tung, dem bisher nur geringere Bedeutung liche Bemächtigung einer Person in der A b zukam, nämlich den Weg von der Ostküste sicht der Versklavung, c) die E n t m a n n u n g , Afrikas nach dem Landinnern und nach dem Orient. Hier versagte aber der durch die d) die convoyeurs et transporteurs d'esclaves, bisherigen Verträge gewährte Schutz, weil e) les marchands d'esclaves, also nur die dieser sich nur gegen den Seetransport, nicht gewerbsmäßigen Sklavenhändler, f) les cosomit gegen die im Innern Afrikas stattfinden- auteurs et les complices etc., eine Personenden Sklavenjagden und den dortigen Sklaven- gruppe, die die Anstifter, G;hilfen und handel richtete. Das Ergebnis der jetzt all- Begünstiger zusammenfaßte. — Obligatorisch seitigen Bemühungen, durch eine internatio- war ferner die den Mächten durch Art. 12 nale Vereinbarung zu einer umfassenden der Generalakte auferlegte Verpflichtung, die Normierung und Bekämpfung dieser unhalt- verbotswidrige Einfuhr von Waffen und baren Zustände zu gelangen, war die Brüsseler Munition unter Strafe zu stellen. — Die Generalakte vom 2. V I I . 1890, nachdem zuvor Einfuhr von Spirituosen war für die Länder, schon auf der Berliner Kongo-Konferenz von in denen sich der Alkoholgenuß noch nicht 1885 im Art. 9 der „Sklavenhandel und die eingebürgert hatte, untersagt, in den übrigen
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Sklavenhandel
Gebieten wurde ein in den letzten Jahrzehnten schon mehrfach erhöhter Einfuhrzoll erhoben. — Schließlich waren für die Behandlung der befreiten Sklaven bestimmte Maßnahmen wie Zurücksendung in die Heimat, Verschaffung eines Unterkommens usw. vorgesehen, an die die Mächte gebunden waren. Um auch den Sklavenhandel zur See zu unterdrücken, waren strenge Vorschriften über die Verleihung des Flaggenrechtes, der Überwachung der einheimischen Schiffe durch Kontrolle der Musterrollen, in die die Mannschaft einzutragen war, und der Passagierlisten erlassen. Diese Normen wurden ergänzt durch die unter den einzelnen Staaten getroffenen besonderen Vereinbarungen über das Durchsuchungsrecht, die mit der Maßgabe bestehen geblieben waren, daß dieses Recht nur innerhalb einer eng begrenzten Zone (Art. 21) und nur gegenüber Schiffen von weniger als 5 0 0 1 Gehalt ausgeübt werden durfte. Im übrigen waren die Kriegsschiffe der Signatarmächte nur zur Prüfung der Schiffspapiere, der sog. verification des papiers de bord berechtigt (Art. 42). — Bestand der Verdacht des Sklavenhandels oder der miß bräuchlichen Flaggenführung, so wurde das Schiff in den nächsten Hafen geführt, in dem die zuständige Behörde der Nation, deren Flagge geführt wurde, ihren Sitz h a t t e . Hier fand ein Untersuchungsverfahren s t a t t . Bestätigte dieses den Verdacht, so wurde das Schiff bei mißbräuchlicher Flaggenführung dem aufbringenden Schiff zugesprochen; handelte es sich dagegen um einen Fall von Sklavenhandel, so wurde das Schiff sequestriert, ein Spruchverfahren eingeleitet, die Schuldigen bestraft und das Schiff als gute Prise der Regierung zugesprochen. Lautete das Urteil auf Freisprechung, so hatte der Kapitän ebenso wie in dem Fall, in dem bereits die Voruntersuchung die Anhaltung des Schiffes für unrechtmäßig erklärt hatte, einen Anspruch auf Schadenersatz. In Ausführung der den einzelnen Staaten obliegenden Pflichten hatten die Signatarmächte dementsprechende, noch heute in Geltung befindliche Gesetze erlassen. Für das Deutsche Reich kommt das Gesetz betr. die Bestrafung des Sklavenhandels und des Sklavenraubes vom 28. V I I . 1 8 9 5 i n B e t r a c h t , das ebenso wie ein Teil der außerdeutschen Gesetze nicht alle an dasselbe durch die Generalakte gestellten Forderungen (s. ζ. B . Artt. 12, 19 Abs. 2) genügt h a t ; s. dazu die Zusammenstellung in den sten. Ber. der Reichstagskomm., 8. Legisl.-Per. 1. Sess. Anl. 6 S. 4 3 2 2 f . IV. Der Friedensvertrag hat die Brüsseler Generalakte im Gegensatz zu den meisten übrigen Kollektivvereinbarungen nicht wieder
in K r a f t gesetzt; vielmehr verpflichtet derselbe das Deutsche Reich (Art. 1 2 6 ) : „ ä reconnattre et agr6er les conventions passies ou ä passer par les Puissances alli6es ou associies ou certaines d'entre elles avec tout autre Puissance, relativement au commerce des armes et des spiritueux ainsi q u ' a u x autres matiferes trait6es dans les Actes g6n6r a u x . . . de Bruxelles du 2. V I I . 1 8 9 0 . " Dementsprechend sind am 10. I X . 1 9 1 9 zwischen den Vereinigten S t a a t e n , Belgien, England, Frankreich, Italien, Portugal und J a p a n , das sich somit zum ersten Male an der Regelung der afrikanischen Fragen beteiligt hat, drei ζ. T . schon ratifizierte Verträge zu S t . Germain abgeschlossen ( T e x t : S t r u p p , Documents etc., B d . I I S. 5 6 4 f . (teilweise)); die sich, abgesehen von der hier nicht interessierenden Kongoakte auf die Brüsseler Generalakte sowie auf die Spirituosen und Waffeneinfuhr beziehen, die teilweise verboten, teilweise Beschränkungen unterworfen wird. Mit diesen beiden letzterwähnten Verträgen sind somit Materien, die bisher hauptsächlich im Zusammenhang mit der Bekämpfung des Sklavenhandels behandelt wurden, von diesem losgelöst und verselbständigt worden (s. dazu d. bes. A r t . im Wörterbuch „Waffenhandel nach A f r i k a " ) . Im übrigen beschränkt sich die neue, die Brüsseler Generalakte ausdrücklich aufhebende (Art. 13) Vereinbarung nur auf die allgemein gehaltene Erklärung d'assurer la suppression complete de l'esclavage sous toutes ses formes et de la trafte des noirs, sur terre et sur mer (Art. 11 Abs. 1). Bei etwaigen Differenzen entscheidet ein gemäß der Völkerbundsatzung zu errichtendes Schiedsgericht. Eine Beitrittsmöglichkeit zu diesem Vertrage besteht nur für die S t a a t e n , die an der Kongo- oder Brüsseler Generalakte von 1890 als Kontrahenten beteiligt waren und Mitglieder des Völkerbundes sind, für das Deutsche Reich also erst von dem Zeitpunkt der Aufnahme in den Völkerbund. Näheres über den Vertrag zu S t . Germain, sowie über die auf völlige Abschaffung der Sklaverei gerichteten Bestrebungen des Völkerbundes s. Schücking-Wehberg, Die Satzung des Völkerbundes 1924, S. 7 1 9 f . Für die Signatarmächte der Generalakte dagegen, die die neue Vereinbarung nicht mit abgeschlossen haben noch ihr später beigetreten sind, ist untereinander, im Verhältnis zu den Kontrahenten der neuen Vereinbarung sowie letzthin auch zu den Zentralmächten, die Vereinbarung von 1890 auch heute noch in K r a f t geblieben, wenn sie auch wie wahrscheinlich nicht mehr praktisch werden wird. V. Über die erfolgreiche Bekämpfung des
Sklavenhandel — Slawismus „ L a b o r t r a d e " , der mit chinesischen Kulis nach Südamerika und den Angehörigen der Papuarassen nach den Südseeinseln vor allem in den 60er und 70er J a h r e n des v. j . betrieben wurde und oft sklavenähnlichen Charakter t r u g , durch die nationale resp. Schutzgesetzgebung der Mächte, s. S a t o r i u s v o n W a l t e r s h a u s e n im H W . d. S t W . VI, S. 285f. Literatur: Außer den Lehrbüchern ist an Spezialliteratur hervorzuheben: Barclay, Le droit de visite, le trafic des esclaves et la Confirence Antiesclavagiste de Bruxelles in Rev. de droit intern., Bd. 22, S. 317ff. u. 455ff. — Desjardins, La France, l'esclavage africaine et le droit de visite in der Rev. de Deux Mondes 107, S. 844f. — Kaysei, Die Gesetzgebung der Kulturstaaten zur Unterdrückung des afrikanischen Sklavenhandels, 1905. — Martitz, Das internationale System zur Unterdrückung des afrikanischen Sklavenhandels in seinem heutigen Bestände, Arch. f. öffentl. Recht, Bd. 1, S. 3 f f . — Queneuil, Rev. gdn. de droit intern, public 1908, Bd. 15, S. 131 ff. — Sarrlen, La traite des nfegres et le droit de visite au cours du X I X . sifecle, 1910. — Scelle, La traite nfegrifere a u x Indes de Castille, 1906, 2 Bde. — Scherling, Die Bekämpfung von Sklavenraub u. Sklavenhandel seit Anfang des J a h r h u n d e r t s , 1897. Leibholz.
Slawismus, das Streben nach Einigung aller slawischen Völker. J e nachdem es sich bloß um ein kulturelles oder politisches bzw. staatliches Einheitsstreben handelt, unterscheidet man den kulturellen und politischen Panslawismus. Der Ausgangspunkt eines solchen Trachtens ist die unleugbar vorhandene nahe Verwandtschaft der slawischen Sprachen und ein gewisses Gefühl der Zusammengehörigkeit, das sich auf das Bewußtsein einer gemeinsamen A b s t a m m u n g gründet, obgleich die slawischen Stämme seit ihrem Auftreten in der Geschichte nicht bloß mundartlich, sondern auch vermöge ihrer körperlichen S t r u k t u r deutlich voneinander geschieden waren. Dieses Gefühl engerer Zusammengehörigkeit oder Verwandtschaft, das trotz der Rassenverschiedenheit die slawischen Völker beseelt, ist bei diesen weit stärker entwickelt als unter den Völkerstämmen der Germanen, Romanen, Kelten und, wenn m a n will, auch der Turanier (Pangermanismus, Panslawismus, Pankeltismus und P a n t u r a nismus). Aus ihrem gemeinsamen Namen (sie selbst nannten sich Slowjene, Slowenen), der sich in der Stammesbezeichnung der W ö r t e r b u c h des Völkerrechts.
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Slowaken, Slowenen und Slowenzen erhalten hat, darf wohl geschlossen werden, daß sich in den Gliedern der Völkerfamilie ursprünglich das Bewußtsein ihres gemeinsamen Ursprungs, das wechselseitige Stammesfehden und Beutezüge nicht ausschloß, noch lange lebendig erhalten hat. Es schwächte sich aber infolge der Verschiedenheit der Sprache und Religion sowie der geschichtlichen Entwicklung namentlich, als sich die zahlreichen kleinen S t ä m m e zu kompakten Staaten vereinigten, deren Bevölkerung nach und nach zu geschlossenen Nationalitäten verwuchsen (Russen, Polen, Tschechen usw.) allmählich immer mehr ab. Indessen wurde dies Gefühl der Gemeinsamkeit in den gelehrten Kreisen, besonders unter den Geschichtsschreibern und Grammatikern stets wacherhalten und von Zeit zu Zeit auch als Bestimmungsgrund einer gemeinsamen Politik benachbarter slawischer Völker zu verwerten gesucht. Es gab jedoch darüber hinaus vor dem Ablauf des 18. J a h r h . nie ein weitere Kreise umfassendes bewußtes Streben nach kultureller oder politischer Einigung aller slawischen Völker. Der kroatische Geistliche J u r i j (Georg) K r i s c h a n i t z s c h , der behufs Förderung der Union beider christlicher Kirchen um die Mitte des 17. J a h r h u n d e r t s dem Zaren Alexej von Moskau eine Einigung aller Slawen unter seinem Zepter nahelegte, war ein Prediger in der Wüste. Erst mit dem Emporkommen der slawischen Studien sowie der Ideen der Demokratie und Nationalität schlug die Stunde für den Panslawismus. Auf die E n t stehung desselben h a t t e die deutsche Wissenschaft u n d die deutsche Nationalidee den größten Einfluß. Man kann insbesondere den Göttinger Professor August Ludwig von Schlözer und J o h a n n Gottfried Herder ruhig als die Väter des Panslawismus bezeichnen. Der erstere betonte als Schöpfer der slawischen Sprachwissenschaft und Völkerkunde mit Nachdruck, daß die von den einzelnen slawischen Stämmen gesprochenen Idiome nur Mundarten der einen slawischen Sprache seien, und betrachtete die slawischen Völker als eine einheitliche Nation. Auf ihm fußend schuf Herder in seinen „Ideen zur Geschichte der Menschheit" die Kulturphilosophie der Slawen (1784), indem er ihre Vergangenheit idealisierte und sie als ursprüngliche Freunde der demokratischen Freiheit und Gleichheit sowie als Verächter des Kriegs den Deutschen mit ihrem kriegerischen und Eroberungsgeist gegenüberstellte. Diese Männer, zu denen sich noch andere Deutsche hinzugesellten, gaben denslawischen Völkern den Anstoß, sich eingehender mit ihrer Vergangenheit und ihrer Eigenart zu 35
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Slawismus
beschäftigen. Die deutsche Romantik ver- reich und dem unverhüllten Streben des tiefte das Streben, die nie versiegenden soeben erwachten madjarischen NationalisQuellen des Volkstums in Literatur, Sitte mus nach völliger Assimilierung der auf dem und Recht wiederaufzuschließen. Die ver- Boden Ungarns wohnenden Slowaken, Serben, schiedenen slawischen Völker hatten bis auf Kroaten und Ruthenen, selbstverständlich Rußland ihre frühere Selbständigkeit ein- nicht ans Licht. Deshalb trat auch der gebüßt. Polen war in drei Teile zerschnitten, slowakische Dichter Johann Kollar in seiner die Rußland, Österreich und Preußen zufielen, Schrift „über die literarische Wechselseitigein Teil der Südslawen schmachtete unter keit zwischen den verschiedenen Stämmen türkischem Joch, ein Teil derselben und die und Mundarten der slawischen Nation" (1837) Tschechen und Slowaken gehorchten dem bloß für die kulturelle und wirtschaftliche Zepter der Habsburger, das kleine Völkchen Einigung der Slawen ein. Angesichts der die der Lausitzer Wenden in Sachsen und Preußen Einheit erschwerenden Zersplitterung in zahlwar dem Erlöschen nahe. Das eingehende reiche kleine und große Stämme, die durch Studium ihrer Sprachen und Altertümer die zahlreichen besonderen Schriftsprachen lehrte diese Völker sich auf ihr Wesen be- verewigt würde, kennt er nur vier Hauptsinnen und ihre enge Verwandtschaft in nationen, nämlich die Russen, Serben, Sprache und Rasse begreifen. Ihren natio- Tschechen und Polen, und ebensoviel H a u p t nalen Stolz und die Zuversicht auf die Be- mundarten der einen slawischen Sprache; hauptung ihrer Sonderart weckten die Prophe- die übrigen mit ihren Unterdialekten, wie die zeiung Herders von ihrer großen Zukunft Klein- und Weißrussen, ferner die Kroaten sowie die große Rolle Rußlands in Europa, und Slowenen, weiters die Slowaken und das sie bald als ihren Befreier anzusehen endlich die Kaschuben und die Lausitzer begannen. Die damals einsetzende sog. Wenden hätten zu weichen. Ein Slowake slawische Wiedergeburt (Renaissance), d. i. war es auch, der das Wort Panslawismus die Neubelebung der Literatur und des natio- prägte (1826). Unter dem Einflüsse Kollars nalen Bewußtseins bei den Tschechen, Slo- bestand in Kroatien eine Bewegung zur Verwenen, Serben, Kroaten, Bulgaren u. a. einigung aller Serben, Kroaten, Slowenen ging Hand in Hand mit der Stärkung des und Bulgaren zu dem einzigen Volke (der gemeinslawischen Empfindens, das alsbald sog. Illyrismus) kräftig ihre Flügel zu regen durch den Einfluß des schönen Schrifttums und suchte der madjarischen Unterdrückungsin weitere Kreise drang. Es bildete nament- politik die geeinte Kraft der Südslawen (ohne lich nach der Julirevolution (1830) die Grund- die Bulgaren, die abseits standen) entgegenlage für das Streben nach der Vereinigung zusetzen. Diese Verschmelzung kam aber der verschiedenen slawischen Völker, welche ebensowenig zustande wie der von den als bloße Stämme des einen slawischen Volks anderen Hauptvölkern gewünschte Verzicht empfunden wurden. In Polen und Rußland der in ihrer Interessensphäre gelegenen erhoben sich schon vorher Stimmen für eine kleineren Stämmen auf ein eigenes nationales solche nationale Einheit. Insbesondere war Leben. Die madjarischen Nationalisten den Dekabristen in Rußland dieser Gedanke waren es nun, welche vor Europa die Benicht fremd. Nach der Julirevolution warb strebungen der Slawen in der Habsburger der Pole Graf Adam Gurowski in seiner Monarchie als panslawistisch denunzierten, Schrift „la ν έ π ί έ sur la Russie" (1834) für ebenso der Liberalismus der Weststaaten, der Rußland, indem er ausfühlte, daß es von sich durch die russische Autokratie und die Natur aus berufen sei, alle Zweige der ihr unter Nikolaus I. zu Unrecht zugeslawischen Familie zu einem politischen schriebene Absicht, eine absolute slawische Ganzen zu verschmelzen. Der Russe Pogodin Universalmonarchie auf den Trümmern suchte um dieselbe Zeit den Zaren für eine Österreichs und der Türkei zu begründen, in aktive Politik nach derselben Richtung zu seiner Sicherheit bedroht fühlte. gewinnen, während die Slawophilen unter Führung Chomjakows und der Brüder KireWie sehr der Einheitsgedanke im Fortjewskij und Aksakow nur von einer geistigen schreiten begriffen war, lehrte der erste Vereinigung aller Slawen unter dem Segen slawische Kongreß in Prag (vom 31. V. bis des orthodoxen Glaubens träumten, Rußland 12. VI. 1848). Als eine Art Gegenparlament aber immerhin die selbstlose Aufgabe zu- gegen die Frankfurter Nationalversammlung wiesen, alle unterdrückten Slawen zu be- gedacht, sollte er der anscheinend ins Leben freien. Im Metternichschen Österreich wurde tretenden deutschen Einheit die der Slawen der literarischen Entwicklung der slawischen entgegensetzen. Infolge der in Prag ausStämme freier Spielraum gelassen. Der gebrochenen Unruhen löste er sich alsbald Gedanke einer politischen Einigung wagte auf; angesichts der widerstreitenden Intersich jedoch bei dem Polizeisystem in Öster- essen der slawischen Stämme wäre ihm auch ohnedies ein positives Ergebnis versagt ge-
Slawismus blieben. Denn die Tschechen traten für den Portbestand und die Unversehrtheit der Donaumonarchie ein. Ihr Führer Palacky hatte kurz vorher unter Absage an Deutschland und Rußland die denkwürdigen Worte gesprochen, daß wenn der österreichische Kaiserstaat nicht längst existierte, man sich im Interesse Europas, im Interesse der Humanität selbst beeilen mtißte, ihn zu schaffen. Nun wirkten sie im Bunde mit den Kroaten für den Austroslawismus, d. i. für die Vereinigung aller slawischen Stämme außerhalb Rußlands unter der Ägide Österreichs. Die Polen wünschten die Wiederaufrichtung ihres Reichs womöglich von Meer zu Meer auf Kosten der drei Teilungsstaaten und der Vertreter der Russen, Bakunin, betrieb vorerst einen allgemeinen Zusammensturz, damit dann erst eine allgemeine slawische Föderation erstehe. Das auf dem Kongreß in Aussicht genommene Schutz- und Trutzbündnis aller Slawen kam daher nicht zustande. Beim zweiten slawischen Kongreß, wenn man die Zusammenkunft zahlreicher Slawenvertreter bei der ethnographischen Ausstellung in Moskau ohne bestimmtes Programm (Mai 1867) als einen solchen bezeichnen kann, standen bereits die Tschechen, durch die Verwerfung der von ihnen angestrebten Sonderstellung der böhmischen Länder (Böhmen, Mähren und Schlesien) innerhalb Österreichs gereizt, auf dem Boden des politischen Panslawismus. Ihnen schwebte der Zusammenschluß aller Slawenstämme auf dem Fuße der Gleichheit vor. Die Russen verstanden es anders. Sie erblickten die Bürgschaft für die nationale Einheit des Völkerstammes in der allgemeinen Annahme der russischen Sprache und Orthodoxie. Sie mochten daher innerhalb ihrer Grenzen von der Entnationalisierung der Polen, Weiß- und Kleinrussen, die Polen in Galizien von der der Ruthenen nicht abgehen. Nur im Verlangen nach Befreiung der unterdrückten Slawen in der Türkei bestand, abgesehen von den unversöhnlichen Gegnern des Panslawismus, den Polen, volle Einigkeit. Auf diesen Punkt konzentrierte in der Tat der nach dem Krimkrieg erstarkte panslawistische Gedanke in Rußland seine Hauptwühlarbeit. Dies war die Aufgabe des im Jahre 1857 gegründeten sog. slawischen Komitees in Moskau und seiner später entstandenen Zweigvereine, die sich der werktätigen Unterstützung der einflußreichsten großrussischen Gesellschaftskreise, aber auch der Gunst der Regierung zu erfreuen hatten. Dostojewskij galt der Plan „das gesamte Slawentum unter den Flügeln Rußlands zu vereinigen" als eine dem Russentum ureigene Aufgabe. In
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der Schrift N. J . Danilewskijs, Rußland und Europa (1869 und 1871) wird schon die Einigung aller Slawen in der Form eines Bundes von acht Staaten unter der Vorherrschaft Rußlands gepredigt. Auch General Fadejew vertrat in seiner Schrift „über die orientalische Frage (1870)" den Gedanken eines slawischen Staatsbundes. Nach ihm gehe der Weg nach Konstantinopel, das eine freie Stadt desselben werden müsse, über Wien. Die slawischen Wohltätigkeitsgesellschaften schürten unablässig die Unzufriedenheit auf der Balkanhalbinsel und drängten endlich erst die Serben und nach deren Niederlage den Zaren Alexander II. zum Kriege mit der Türkei. Gründeten sich die früheren Kriege mit der Pforte auf der Gemeinschaft des Glaubens mit den unglücklichen Untertanen des Sultans, so übernahm der Kaiser nunmehr im Namen der „slawischen Sache" die Aufgabe, die Balkanslawen von dem drückenden Türkenjoch zu befreien. Es war dies also ein nationaler Krieg, als welchen ihn nicht bloß die Russen, sondern mit Ausnahme der Polen auch alle anderen slawischen Völker mit Begeisterung begrüßten. Den Höhepunkt der panslawistischen Strömung bezeichnet der Friede von San Stefano (3. III. 1878). Die nahezu vollständige Befreiung der Balkanslawen war durch russische Hilfe erreicht und ein neuer slawischer Staat in Großbulgarien bis zum Ägeischen Meer geschaffen worden. Rußland mußte jedoch vor England und Österreich zurückweichen und sich im Berliner Vertrag (13. VII. 1878) mit einem stark geminderten Erfolge zufrieden geben. Die öffentliche Meinung, in ihren hochgespannten Erwartungen stark enttäuscht, wandte sich namentlich unter Alexander III., als Bulgarien sich nicht als russisches Werkzeug gebrauchen lassen wollte und eigene Wege einschlug, zum größten Teile von dem slawischen Gedanken ab, den nur noch die ausgesprochen reaktionären Kreise weitergepflegten. Dafür wurde die brutale Russifizierung aller Fremdstämmigen, aber auch der Polen, Ukrainer (Kleinrussen) und Weißrussen zur Richtschnur der Politik genommen, die dann unter Nikolaus II. eine Wendung nach dem „fernen Osten" vollzog. Das ungeduldige Verlangen der Tschechen und anderen Slawen Österreich-Ungarns nach Zertrümmerung des Dualismus, der insbesondere den Madjaren für ihre tyrannische Politik gegenüber den Slowaken, Kroaten, Serben und Ruthenen einen Freibrief gab, und das heiße Streben des serbischen Staates, die südslawische Einheit auf Kosten der Donaumonarchie und der Türkei zu vollenden, verstärkten die panslawistische Strö-
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Slawismus
mung. Jenen Zielen stand Deutschland als enger Bundesgenosse der Donaumonarchie im Wege. Es hatte also mit der unversöhnlichen Feindschaft nicht bloß Frankreichs, sondern auch des Panslawismus zu rechnen, dessen Absichten und Pläne das erstere seit dem Frankfurter Frieden systematisch förderte. Von den Panslawisten ÖsterreichUngarns und der Türkei spannen sich seit langem Fäden zu französischen und bald auch englischen politischen Agenten, welche der nie aussetzende russische Wühlarbeit unterstützten. Die stockrussische Politik und namentlich die Unterdrückung der Polen, Ukrainer (Kleinrussen) und Weißrussen hatte auf einen großen Teil der West- und Südslawen ernüchternd oder abstoßend gewirkt. Als jedoch nach den Niederlagen auf den mandschurischen Schlachtfeldern der Liberalismus in Petersburg einigermaßen Oberwasser erhalten hatte und sich die Aussichten für eine versöhnliche Politik gegenüber den Polen mehrten, schien das Haupthindernis eines Einvernehmens aller slawischen Völker hinweggeräumt. So fand denn auch der Ruf, der nun an die Slawen erging, sich zum Zwecke einer gemeinsamen Politik gegen die übermächtige Stellung Deutschlands in Europa und dem Orient zu einer Beratung zusammenzufinden, allgemeine Zustimmung. Der vom Wortführer der tschechischen Nationalisten Dr. Kramarsch einberufene allslawische Kongreß, der vom 12.—18. VIII. 1908 in Prag stattfand, sollte sich, wie ausdrücklich hervorgehoben wurde, um die amtlichen Kreise in Österreich zu beschwichtigen, bloß auf gemeinsame kulturelle und wirtschaftliche Ziele erstrecken. Man belegte die Einheitsbewegung, um sie von dem politischen und selbst in Rußland wegen seiner rückschrittlichen Vertreter etwas anrüchig gewordenen Panslawismus zu unterscheiden, mit dem Namen des Neoslawistnus. Das Neue sollte darin beruhen, daß sie sich von der Politik fernhalte und allen slawischen Stämmen brüderlich die Achtung ihres nationalen Lebens und ihres Glaubens gewährleiste. Der Hauptgegenstand des Kongresses war die Versöhnung der Russen und Polen als wichtigste Voraussetzung einer alle Slawen umfassenden Organisation. Er schien erreicht. Die Erledigung der anderen Fragen, wie die Vorbereitung einer allslawischen Ausstellung in Moskau, die Gründung einer allslawischen Bank, die Förderung der wechselseitigen geistigen, journalistischen und landwirtschaftlichen Beziehungen, die Anbahnung einer gemeinsamen Sokolorganisation usw. wurden einer künftigen Tagung vorbehalten. Ein ständiger Delegiertenausschuß der sla-
wischen Völker sollte die Verwirklichung der gemeinsamen Beschlüsse in die Wege leiten. Soviel erfuhr man aus den der Öffentlichkeit zugänglichen Verhandlungen. Hinter den Türen aber wurde auf das heftigste gegen die Donaumonarchie und Deutschland Stellung genommen und dadurch den russischen Teilnehmern mit oder ohne feste Zusage die Überzeugung beigebracht, daß Österreich im Falle eines Krieges mit Rußland auf seine slawische, namentlich aber tschechischen Regimenter nicht werde zählen können. Dem polnisch-russischen Friedensschluß wurde von der russischen Regierung, die nunmehr wieder eine ausgesprochene polenfeindliche Richtung einschlug, die Genehmigung versagt. Als Kaiser Franz Josef zudem die formelle Einverleibung Bosniens und der Herzegowina verkündete, ohne daß die Tschechen selbst hiergegen zu stimmen gewagt hätten, ergriff sowohl unter den fortschrittlich gesinnten Russen als auch den Polen und Serben eine arge Mißstimmung Platz. Schon sagte man dem Neoslawismus sein baldiges Ende voraus. Indessen konnte doch im Juli 1910 der zweite vorbereitende Slawenkongreß in Sofia s t a t t finden. Die Verhandlungsgegenstände waren die gleichen wie in Prag. Aber sein H a u p t ziel, die einem Bündnis zwischen dem verfeindeten Serbien und Bulgarien gegen die Donaumonarchie und die Türkei entgegenstehenden Hindernisse zu beseitigen, wurde tatsächlich erreicht. Es wurde am 13. III. 1912 förmlich abgeschlossen und durch den Beitritt Montenegros und Griechenlands zum Balkanbund vervollständigt zu werden. Im Kriege desselben gegen die Türkei erlebte der Panslawismus wieder einen Höhepunkt, indem alle Slawen die Siege der Verbündeten als ebensoviele Niederlagen des Germanentums feierten. Über die Herrschaft der Türkei in Europa war der Stab gebrochen. Alle Slawen waren frei. Anläßlich der Teilung der Beute kam es jedoch zum „Bruderk a m p f e " zwischen Serben und Bulgaren, der für die letzteren unglücklich ausfiel und für den Aufmarsch im Weltkriege, dessen Gespenst sich immer drohender vom politischen Horizont abhob, bestimmend wurde. Der Panslawismus t r a t nun immer offener als Bundesgenosse des Dreiverbands auf und stärkte dessen Zuversicht auf den erfolgreichen Verlauf eines Krieges gegen die deutschen Mächte. Im Weltkrieg ging dann die Saat, welche der Panslawismus gesät hatte, in nie geahnter Weise auf. Das russische Heer eröffnete den Kampf im Namen der slawischen Sache, indem es die Wiederaufrichtung Polens und die Befreiung aller slawischen Völker vom österreichisch-deutschen und türkischen Joche versprach. Die tschechische^
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Slawismus — Smyrna slowakische, polnische und südslawische Emigration betrieb in Europa und den Vereinigten Staaten die gänzliche Vernichtung des Habsburgerreichs und der Türkei sowie die völlige Niederwerfung De: tschlands. Ihrer Wühlarbeit gelang es im österreichischungarischen Heer Verrat zu säen, so daß die aus slawischen Überläufern und Gefangenen gebildeten Legionen an der Seite oder zum Vorteil des Feindes gegen die Mittelmächte kämpften. Die Friedensverträge schufen dann auf den Trümmern Österreich-Ungarns und aus Stücken des deutschen Leibes zwei neue slawische Staaten und machten unter Erfüllung des jugoslawischen Einheitstraumes aus einem vergrößerten Serbien einen adriatischen Uferstaat. Seine zerstörende Kraft hatte der Panslawismus bewiesen. Ob ihm eine aufbauende beschieden sein wird, muß zweifelhaft erscheinen. Zuvörderst ist eine völlige Befreiung aller slawischen Völker nicht erzielt, da nicht bloß Griechen, Italiener und Rumänen, sondern auch slawische Völker über widerwillige slawische Untertanen herrschen. Die Differentiation im Schöße des Völkerstammes hat neuerdings starke Fortschritte gemacht. Neben den Russen, Polen, Serben, Kroaten, Bulgaren, Tschechen, Slowaken und Slowenen, ist auch den Ukrainern (Kleinrussen und Ruthenen), Weißrussen und den in zwei Zweige zerfallenden Lausitzer Wenden nach menschlicher Voraussicht ein eigenes nationales Leben gesichert. Keines mag auf die einem jeden eigentümliche Literatursprache verzichten. Die behufs Förderung der Einheit wiederholt in Angriff genommene künstliche slawische Mischsprache hat daher keine Aussichten. Wohl aber wird wahrscheinlich das Russische dereinst als gemeinsames Verständigungsmittel in Gebrauch kommen. Zur Stunde ist infolge der politischen Sättigung oder des ruhelosen Imperialismus der Hauptvölker der Einheitswille angesichts der vielfach auseinandergehenden Interessen eher schwächer, als vor dem Kriege. In der Tschechoslowakei rüttelt ein Teil der Slowaken an seiner Kette. Im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen betrachten die letzteren zwei Völker die Serben als ihre Zwingherren. Zwischen Polen und Rußland herrscht die alte durch den ziellosen Länderhunger der Polen genährte Feindschaft. Die vom weißen Adler geknechteten Weißrussen und Ukrainer verlangen nach Freiheit. Zwischen den Polen und Tschechen vermag wegen Gebietsstreitigkeiten gleichfalls keine gute Stimmung aufzukommen. Ein dauernder Friedenszustand zwischen Serbien und dem beraubten Bulgarien ist wenig wahrscheinlich. Aber es wäre dennoch verkehrt,
wenn man dem PanslawismuS jede Bedeutung für die Zukunft absprechen wollte. Die slawische Wechselseitigkeit oder Solidarität ist kein leeres Wort: Die Sprachenverwandtschaft und die Stimme des Blutes werden die Politik der Slawen immer, bald stärker, bald schwächer beeinflussen. Das slawische Gemeingefühl ist wenigstens in einem Teil des Völkerstammes stark ausgeprägt. Tschechen und Südslawen sind dauernd auf Gedeih und Verderb aneinander gekettet. Auf ihre und der Slowaken tätige Zuneigung kann Rußland, was auch immer geschehe, stets rechnen, Polen allerdings im besten Falle nur auf Neutralität, es ginge denn gegen Deutschland. Auch die Feindschaft unter den Gliedern der Familie kann sich mildern. Ein ehrlicher Föderalismus vermag vielleicht die in den gleichen Staat widerwillig eingezwängten Stammesverwandten zu1 versöhneil. Die Bolschewiken zeigen wenigstens auf diesem Wege in eine bessere Zukunft. Nach deren voraussichtlichem Sturz werden die kulturellen Einigungspläne von Prag aus gewiß wieder aufgenommen werden, da namentlich die Tschechen sich in der von ihnen gewählten Stellung eines französischen Vorpostens nicht ganz sicher fühlen. Hiervon kann eine stärkere geistige Annäherung innerhalb des Slawentums ihren Ausgang nehmen. Ob aber dann ein etwa wieder auftauchender Plan einer slawischen Föderation zum Ziele führen wird, muß eher bezweifelt werden. Die Vorher Verkündigung, daß den künftigen vereinigten Staaten Europas allgemein vereinigte Gruppen der hauptsächlichen Völkerstämme vorausgehen werden, mag nicht minder auf Unglauben stoßen. Literatur: A." Fischet, Der Panslawismus bis zum Weltkrieg, ein geschichtlicher Überblick, 1919 (bisher das einzige Geschichtswerk auf breiter Grundlage). — Leger, Le monde slave (1873, 1902). — Derselbe, Le Panslavisme et l'interet franqais, Paris 1917. — Slovanstvo (ein tschechisches Sammelwerk) Prag 1912. — Tobolka, „Der Panslawism u s " in der Zeitschr. für Politik, 1913. — R. Kjell£n, Die politischen Probleme des Weltkriegs, 1916. — Uibersberger, „ R u ß land und der Panslawismus" in „Deutschland und der Weltkrieg", 1915. - Louis Eisenmann, La s o l i d a r y slave in der Zeitschr. „La nation tchfeque", Paris, II. Jahrg. 1916/17. — Seton Watson, „Panslavism", in der Contemporary Review Nr. 10, Okt. 1916. Fischel.
Smyrna — türkisch Ismir — die berühmteste und wohl schönste Stadt Kleinasiens, soll auch
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Smyrna — Soerfareran-Fall
in diesem völkerrechtlich diplomatischen Werke erwähnt werden. Der bewegliche Sinn der Hellenen, verbunden mit ihrer Auswanderungslust, veranlaßte sie an allen Küsten des Mittelmeeres Pflanzstädte anzulegen, die Sprache und Kultur der Heimat verbreiteten und vererbten. Dazu gehörte auch Smyrna, von den Aiolern unter Theseus gegründet, das sich rühmte, Qeburtsstadt Homers zu sein. Erst zum aioüschen Lande gehörig wurde es 688 v. Chr. die 13. ionische Bundesstadt ( H e r o d o t I, 149). Lit. über diese hellenischen Konföderationen s. H H . I S. 208. In den ersten christlichen Jahrhunderten eine der volkreichsten Städte, an die eines der Sendschreiben des Johannes (Offb. 2, 8—11) gerichtet mit dem berühmten Wort: „Sei getreu bis an den Tod, so will ich dir die Krone des Lebens geben", der Ort, in dem Polykarp starb. Dann Jahrhunderte hindurch den Genuesen gehörig, 1402 durch Timur, der einen Turm aus Menschenköpfen hier errichten ließ, zers t ö r t , 1856 durch Feuer und Erdbeben zerstört, ist sie auch heute die größte und schönste und europäischste Stadt Kleinasiens. Die Pariser Orientkonferenz im März 1922 hatte sich mit der „Revision" des Friedens von Sfevres zu beschäftigen (s. Lausanner Friede). Seine Durchführung ist gescheitert an dem Freiheitswillen, dem Ehrgefühl, der nationalen Festigkeit der Türken. Es galt einen Ausgleich zu schaffen zwischen Türken und Griechen, d. h. in Wahrheit zwischen Engländern und Franzosen (s. d. Art. Syrien und Mesopotamien). In dem Kampf um die Vorherrschaft im nahen Orient spielt auch der Besitz von Smyrna eine Rolle, England wollte nachdem es gezwungen war, Konzessionen zu machen, die Türkei in Schach halten außer durch das griechische Gallipoli durch die griechischen Stützpunkte Adrianopel und Smyrna. Der Lausannerfriede (s. d.) bedeutet das Scheitern dieser Pläne. Literatur: Über Smyrna im allgemeinen und vom Wirtschaft). Standpunkt am ausführlichsten, Scherzer, Smyrna 1872, 2. Aufl., franz. 8°, — Georglades, Smyrne et l'Asie minerve: 1885. — Wilson, Asia minor (Murray). S. 70ff. Encyclop. brit. XXV, 285, wo am Schlüsse gesagt ist, daß Smyrna für die engl. Politik seit Eröffnung des Suezkanals nicht mehr die verkehrswirtschaftl. Bedeutung habe, mehr „for the sentimental realder" und s t r a t e g i s c h in Betracht komme. Für die völkerrechtl. Bedeutungen vgl. zunächst die großen Zeitungen v. 24. VIII. 1923 und die bei Syrien und Mesopotamien erwähnten Werke. v. K i r c h e n h e i m f .
Soci£t£ Suisse schaftskrieg.
de Surelllance
s.
Wirt-
Soerfareran-Fall englische Prisengerichtsentscheidung vom 8. XI. 1915 (Sir Evans) Trehern-Grant Prize Cases Bd. I, S. 589, betreffend den Art. 43 der Londoner Erklärung bez. Einziehung der Konterbande nur gegen Entschädigung, falls das Schiff in Unkenntnis der Feindseligkeiten oder der Konterbandeerklärung angetroffen wird. Das norwegische Segelschiff „Soerfareran" hatte den letzten Hafen verlassen, bevor seine Ladung (Chrom) zur Konterbande erklärt worden war und wurde in Unkenntnis dieser Konterbandeerklärung auf See angetroffen. Sir Evans erklärte, der Art. 43 der L. E., der auf Grund der englischen Declaration of London Orders in Council vom 20. VIII. 1914 bzw. 29. X. 1914 zu beachten war, schütze als Erweiterung der zum Schutz neutraler Schiffe erlassenen Pariser Erklärung nur Neutralen gehöriges Gut, auf in Unkenntnis angetroffenen Schiffen, nicht aber habe er Anwendung auf feindliches Gut auf neutralen Schiffen, wie dies bei „Soerfareran" der Fall sei. Vielleicht sei Art. 43 überhaupt lediglich eine Bestimmung zum Schutz des Schiffes selber, im Gegensatz zur Ladung (vgl. auch „The Rijn", Prize Cases Bd. II, S. 507). Bei der Ausdrucksweise des Generalberichts zur Londoner Erklärung bez. des Art. 43 läßt sich die Entscheidung wohl verteidigen. Im Laufe des Krieges sind die britischen Kronvertreter in der Verfolgung des dem Urteil „Soerfareran" zugrunde liegenden Gedankens, daß Art. 43 L. E. und die Regel II der Pariser Erklärung den Schutz des Neutralen, aber nicht den der Kriegführenden bezwecken (vgl. auch Präambel der Pariser Erklärung „ . . . daß die Ungewißheit . . . zu Meinungsverschiedenheiten zwischen den Neutralen und den Kriegführenden Anlaß gibt, aus denen ernste Schwierigkeiten und selbst Konflikte entspringen können") immer weiter gegangen, so wurde in „The Dirigo" (Prize Cases III, S. 439) behauptet, die Regel II der P. E. schütze nur vor Beschlagnahme auf See, nicht aber vor einer Verurteilung vor dem Prisengericht, wenn das Schiff aus einem rechtmäßigen Grunde eingebracht worden sei. Lord Sterndale wies diese Auffassung zurück. Vorher (Antwerpen, Juli 1918, nur in Lloyds List veröffentlicht) hatte die Krone bereits die Anschauung vertreten, für die Beschlagnahme feindlichen
Soerfareran-Fall. — Somaliland Outs auf neutralem Schiff genüge es nach der Regel II der P. E. bereits, wenn das Out unter eine auf der Konterbandeliste genannte Warengattung fiele, auf die Bestimmung des Guts komme es nicht an, es seien also auch ζ. B. Kohlen, die aus einem kriegführenden Land in ein neutrales Land exportiert wurden, auf neutralem Schiff beschlagnahmbar. (Wegen beschränkender Auslegung der Pariser Erklärung Regel II, in anderer Richtung siehe auch unter „Jeanne", „Miramichi" und „Roumanian" und die dort angeführten englischen Prisengerichtsentscheidungen, wegen des hierbei mitsprechenden Gegensatzes zwischen alter englischer Auffassung und der kontinentalen Auffassung s. auch unter Stichwort „Vorwärts"). Grau.
Sokoloff v. National City Bank. Gegen die National City Bank wurde Klage erhoben, weil sie Wechsel, die auf ein Depöt von Fonds in einer ihrer Filialen in Petersburg gezogen waren, nicht honoriert hatte. Die Beklagte machte geltend, daß ihre Petersburger Filiale von der Sowjetregierung geschlossen und ihre Fonds konfisziert worden waren. Der Kläger berief sich darauf, däß der Gerichtshof die Sowjetregierung nicht in Betracht ziehen könne, solange sie nicht von den Vereinigten Staaten anerkannt sei. Der Gerichtshof akzeptierte aber das Argument der Verteidigung. Judge F o r d sagte, es sei richtig, daß der Gerichtshof gehalten sei, mittels einer juristischen Fiktion die ehemals kaiserliche Regierung (soll heißen: die Regierung K e r e n s k i , die ja von den V. St. anerkannt war) als alleinige souveräne Regierung Rußlands anzusehen. Trotzdem sei es notorisch, daß seit mehr als fünf Jahren in Rußland eine Regierung funktioniere, die nicht die zaristische sei. „Tatsachen aber sind Tatsachen in Rußland wie überall." Der Fall ist eine interessante Illustration zur Lehre von der Rechtsstellung einer allgemeinen, effektiven, aber n i c h t anerkannten de facto-Regierung als völkerrechtlicher Vorfrage in Prozessen vor fremden Tribunalen. Der Fall ist besonders interessant, weil die Entscheidung des amerikanischen Gerichts eine Ausnahme von der seit mehr als hundert Jahren von der anglo-saxonen Gerichtspraxis beobachteten Regel ist, wonach die E x i s t e n z einer de facto-Regierung nur durch den Nachweis der A n e r k e n n u n g seitens des eigenen Staates des Gerichtes erbracht werden kann, über die Frage der Anerkennung aber nicht das Gericht, sondern
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nur die Exekutive zu entscheiden berufen ist. Demgemäß haben auch englisch-amerikanische Gerichte in zahlreichen Fällen letzter Zeit, wo die Frage der nicht anerkannten de facto-Regierung Mexikos und Sowjet-Rußlands hineinspielte, den entgegengesetzten Standpunkt vertreten (vgl. ζ. B. m e i n e Art. über den C i b r a r i o f a l l und P e l z e r v. U n i t e d D r e d g i n g Co.) (vgl. auch zum ganzen Fragenkomplex m e i n e Abhandlung: „Staatsgewalt de facto"). Die Entscheidung des Gerichts im Fall S o k o l o f f v. National City Bank wird von Edwin D. D i c k i n s o n gebilligt, der fordert, daß die Gerichte in solchen Fällen, ohne der Exekutive in der Frage der A n e r k e n n u n g vorzugreifen, die E x i s t e n z einer solchen de facto-Regierung auf andere Weise als bewiesen annehmen sollen. Umgekehrt fordert Quincy W r i g h t (Am. Journ. X V I I , 1923, S. 746), „that recognition of a government actually in control of a foreign state ought not to be deferred except for the soundest reasons, and that if the policy of deferring recognition should be frequently applied, courts may develop the habit of resorting to a direct consideration of the evidence bearing upon the capacity of those purporting to represent the foreign state." Literatur: Sokoloff v. National City Bank: New York Times, Dec. 20, 1922. Sachverhalt hier nach Edwin D. Dickinson, „Les Gouvernements ou Etats non reconnus en droit anglais et americain" (Rev. D. I. Leg. Comp., 3e sir. t. IV, 1923, S. 175/176). J . L. K u n z . Somaliland, Britisch-, Die Verwaltung des früher nominell zum Sandschak Hodeida gehörigen Hafens Seila wurde nach Besetzung durch ägyptische Truppen (im Jahre 1870) durch einen Erlaß des türkischen Sultans vom 1. V I I . 1875 (Noradounghian, Recueil T. III, S. 390) dem Chediven übertragen. Nach Abzug der ägyptischen Truppen im Jahre 1884 Schloß England Schutzverträge mit den Eingeborenen und zeigte im Februar 1885 die Besitzergreifung der Küste von Gubbet Charab bis Ras Galwein an. Im Jahre 1886 dehnte es seine Schutzherrschaft über die Küste der Warsangeli aus. Die Abgrenzung gegen Französisch-Somaliland (s. daselbst) erfolgte durch Notenwechsel vom 2./9. II. 1888, gegen Ital.-Somaliland und das italienische Einflußgebiet in Abessinien durch Protokoll vom 5. V. 1894 (MR., 2. Sit., Τ. X X , S. 803), worin den englischen und italienischen Staatsangehörigen in Seila die
Somaliland
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gleiche Behandlung zugesichert wurde (Art. 3). Die Einbeziehung eines Teiles von Harrar in das englische Einflußgebiet, gegen die Frankreich auf Grund des Notenwechsels von 1888 und Abessinien Beschwerde führten, wurde in der nach Art. 2 des englischabessinischen Freundschaftsvertrages vom 14. V. 1897 (MR., 2. Sir., Τ. X X V I I I , S. 435) getroffenen Vereinbarung vom 4. VI. 1897 (ebendort S. 440) aufgegeben und die Grenze näher der Küste gezogen. Die durch Verordnung vom 13. X I I . 1889 „ B r i t i s h P r o t e c t o r a t e on t h e S o m a l i C o a s t " benannte Kolonie stand bis zum Jahre 1898 unter der Verwaltung von Indien und wurde damals dem Foreign Office, im Jahre 1905 dem Colonial Office unterstellt. Durch den Aufstand Mohammed-ben-Abdullahs, des „tollen Mulla" im Jahre 1899 wurde die englische Herrschaft zeitweilig in Frage gestellt (s. Somaliland, Ital.·).
Küstenstrich Dschibuti gewann durch den Konzessions vertrag vom 9. III. 1894 und den Bau einer Eisenbahn nach Diredaua (Harrar) rasch an Bedeutung (s. Abessinien). Die Verordnung vom 20. V. 1896 (Journal officiel, 24. V.) gab der Kolonie die Bezeichnung „Cöte f r a n j a i s e des S o m a l i s et d i p e n d a n c e s " ; durch Vertrag vom 20. III. 1897 (MR., 3. Sir., Τ. II, S. 120) wurde sie als „possession ou protectorat direct" gegen Abessinien, durch Protokolle vom 24. I. 1900 und 10. VII. 1901 (MR., 3. Sir., Τ. II, S. 830 bis 831) gegen Erythräa abgegrenzt. Innerhalb dieser Grenzen wurden die Eigentumsrechte der französischen Regierung in dem durch Verordnung vom 10. XI. 1917 bestätigten Vertrag mit den Jassa-Häuptlingen vom 31. VIII. 1917 von neuem festgelegt.
Literatur: Angoulvant et Vigniras, Djibouti, Mer Rouge, Abyssinie, Paris 1902. — Rouard de Card, Traitis de dilimitation concernant l'Afrique Literatur: f r a n ; a i s e , Paris 1910. — Le Pointe, La Hamilton, Somaliland, London 1911.—Drakecolonisation frangaise au pays des Somalis, Brockmann, British Somaliland, London Paris 1920. — M. Denys de Rlvolre, 1912. Obock, Paris.
Somaliland, Französisch-,
Somaliland, Italienisch-,
Frankreich erwarb durch Kaufvertrag vom 11. III. 1862 von Sultan Diny als Vertreter der Häuptlinge der Danakil den Hafen Obock und die Küste bis Kap Dumeira. Durch ein in Obock am 20. V. 1862 aufgenommenes Protokoll wurde die Besitzergreifung feierlich bestätigt. Jedoch erst im Jahre 1884 wurde die dauernde Besetzung von Lagarde vollzogen. Durch eine Reihe von Verträgen wurden die Gebiete von Gobad und Tadschura unter französischen Schutz gestellt. Bemerkenswert in völkerrechtlicher Hinsicht ist der durch Verordnung vom 10. X I I . 1884 bestätigte Freundschaftsvertrag vom 21. IX. dieses Jahres (Art. 2: ,,Le sultan Ahmed d o n n e son pays ä la France pour qu'elle le protfege contre tout itranger"). Einen ähnlichen Vertrag Schloß Lagarde mit den Jassa-Häuptlingen am 26. III. 1885. Nach Abzug der seit dem 17. VI. 1870 anwesenden ägyptischen Truppen besetzte Lagarde am 17. XI. 1885 Tadschura, worauf die Anzeige an die Mächte gemäß Art. 34 der Berliner Generalakte vom 26. II. 1885 (MR., 2. Sir., Τ. X, S. 414) erging. Durch französisch-englischen Notenwechsel vom 2./9. II. 1888 (MR., 2. Sir., Τ. X X , S. 757) wurde die Grenze gegen Britisch-Somaliland bestimmt und die beiderseitigen Schutzherrschaften vorbehaltlich der Rechte des türkischen Sultans anerkannt. Der in das französische Einflußgebiet einbezogene
Italien erwarb durch Schutzverträge vom 8. II. und 7. IV. 1889 mit Eingeborenenfürsten das nördliche Somaliland von Obbia bis Kap Guardafui und zeigte dies am 20. V. 1889 gemäß Art. 34 der Berliner Generalakte (MR., 2. Sir., Τ. X, S. 414) den Mächten an. Das südliche Somaliland (Benadir) wurde am 17. XI. 1889 bis zum Flusse Dschuba als italienisches Einflußgebiet erklärt und als solches im deutsch-englischen Vertrage vom 1. VII. 1890 (MR., 2. Sir., Τ. XVI, S. 894) anerkannt. Gemäß Art. 11 dieses Vertrages übernahm England die Schutzherrschaft über die im deutsch-französisch-englischen Protokoll vom 9. VI. 1886 (MR., 2. Sir., Τ. XIV, S. 471) als Besitzungen des Sultans von Sansibar anerkannten Küstengebiete südlich des Flusses Dschuba. Dieser wurde im italienischenglischen Protokoll vom 24. III. 1891 (MR., 2. Sir., Τ. X V I I I , S. 175) als Grenze der beiderseitigen Einflußgebiete bestimmt. Damit verzichtete Italien auf das durch Abkommen mit der „Imperial British East Africa Company" vom 3. VIII. 1889 ihm eingeräumte Recht der Mit Verwaltung der Stadt Kismaju; jedoch wurde gleiche Behandlung der englischen und italienischen Staatsangehörigen in diesem Hafen vereinbart (Art. 3). Durch die mit England als der Schutzmacht des Sultans von Sansibar nach dessen Zustimmungserklärung vom 31. VII. 1892 am 12. VIII. 1892 und 15 V. 1893
Somaliland — Soule-Fall (MR., 2. S i r . , Τ . X X I I , S. 298, 456) geschlossenen und durch Zusatzartikel vom 1. I X . 1896 ergänzten Verträge erwarb Italien das Recht, die Verwaltung in den Häfen der Benadirküste zu übernehmen und die Ausübung einer der italienischen Regierung verantwortlichen Gesellschaft im Namen und unter der Flagge des Sultans zu übertragen. Dies geschah durch Verträge mit der „ S o c i e t ä anonima commerciale italiana del B e n a d i r " vom 15. IV. 1896 und 24. I. 1898 mit Gültigkeit bis zum 16. V I I . 1946. Die letzten Rechte des Sultans löste Italien durch Vereinbarung mit England vom 13. I. 1905 (MR., 2. S i r . , Τ . X X X I V , S. 505) ab, worin England ein Vorkaufsrecht im Falle eines italienischen Verzichtes auf Benadir erwarb. Durch Protokoll vom 5. V. 1894 wurde die Kolonie gegen Britisch-Somaliland (s. daselbst), durch Vertrag vom 16. V. 1908 (MR., 3. S i r . , Τ . I I , S. 121) gegen Abessinien abgegrenzt; mit diesem Lande wurde im Notenwechsel vom 22./25. VI. 1908 ( M R . , 3. S i r . , Τ . IV., S. 828) eine weitgehende Handelsfreiheit vereinbart. Italien Schloß am 5. I I I . 1905 (MR., 3. S i r . , Τ . V I , S. 314) in Iiiig einen Friedens- und Schutzvertrag mit Scheich Mohammed-ben-Abdullah, dem „tollen Mulla", der als „fixed residence" das Gebiet von Nogal und gewisse Rechte in Britisch-Somaliland erhielt; dieser Vertrag wurde ergänzt und abgeändert durch den englisch-italienischen Notenwechsel vom 20. II./19. I I I . 1907 ( M R . , 3. S i r . , Τ . V I , S. 311). Nach Vernichtung der durch die Verträge vom 2. V. 1889 und 24. I I I . und 15. IV. 1891 genährten Hoffnung auf eine Landverbindung zwischen Benadir und E r y thräa durch die Schlacht von Abba Garima (Adua) vom 1. I I I . 1896 und den Friedensvertrag vom 26 X . 1896 sicherte sich Italien diesen Anspruch in Art. 4 des Londoner Vertrags vom 13. X I I . 1906 ( M R . , 3. S i r . , Τ . V, S. 733) für den Fall einer Störung des status quo in Abessinien und von neuem in Art. 13 des Londoner Geheimvertrags vom 26. IV. 1915 (MR., 3. S i r . , Τ . X , S. 329) für den Fall einer Erweiterung des französischen und englischen Kolonialbesitzes in Afrika auf Kosten Deutschlands (s. Abessinien).
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gilt nur für den S t a a t , bei dem sie beglaubigt sind. Zwischen dem Gesandten und dritten Staaten besteht überhaupt keine rechtliche Beziehung. Der Gesandte, der auf dem Weg zu seinem Empfangsstaat das Gebiet anderer Staaten betreten muß, ist für diese nur Privatperson. Das hindert aber nicht, daß die Staaten aus Courtoisie und mit Rücksicht auf das allen gemeinsame Interesse von sich aus oder auf besonderen Antrag den durchreisenden Gesandten die gesandtschaftlichen Privilegien gewährleisten. Vorausgesetzt ist dabei jedoch, daß der diplomatische Agent während seines Aufenthaltes in dem betreffenden Staat für diesen keine Gefahr bedeutet, daß er insbesondere seine Anwesenheit nicht dazu benutzt, unfreundliche oder feindselige Handlungen gegen den Staat zu begehen. Es ist dies das sog. j u s t r a n s i t u s i n n o x i i , eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Ist doch selbst im E m p fangsstaat, wo dem Gesandten das Maximum von Privilegien zusteht, sein „unschuldiges Verhalten" selbstverständliche Voraussetzung und jeder Verstoß dagegen würde den Empfangsstaat zur Ausweisung des Gesandten berechtigen. Die französische Regierung war daher durchaus im Recht, als sie eine Privilegierung des durch Frankreich durchreisenden amerikanischen Gesandten in Madrid, S o u l i , nicht anerkannte (1854). S o u l i , von Geburt Franzose, hatte auf der Reise nach seinem Dienstort längere Zeit in Frankreich Aufenthalt genommen und während dieser Zeit, wie die französische Regierung auf eine Anfrage der amerikanischen mitteilte, die Aufmerksamkeit jener Organe erweckt, die mit der Aufrechterhaltung der Ordnung in Frankreich betraut sind. Nicht gegen die D u r c h r e i s e , sondern gegen den A u f e n t h a l t in Frankreich hat sich die Regierung gewehrt, was sie um so eher konnte, da Herr S o u l i für sie ein einfacher Fremder war. Nachdem übrigens der Gesandte die Versicherung gegeben hatte, daß er nur die Absicht habe, durch Frankreich durchzureisen, wurde ihm dies bewilligt. Die namentlich in der älteren Literatur öfter wiederkehrende Behauptung, den Gesandten stünden die Privilegien auch in dritten Staaten zu, ist unbegründet.
Literatur: Robecchl Bricchetti, Somali e Benadir, MaiLiteratur: land 1899. — Carletti, I problemi del — Benadir, Viterbo 1912. — Felicl, II Benadir Calvo, Droit international, § 1535. Geffcken, in v. H o l t z e n d o r f f s Handbuch ignorato, Rom 1914. Jäschke. des Völkerrechts, I I I , S. 666. — v. UI1tnann, Völkerrecht, S. 192ff. — Zorn, in S t i e r - S o m l o s Handbuch des VölkerSouli-Fall. rechts II, 3, S. 51. — Ch. de Martens, Die völkerrechtlich anerkannte, bevorGuide diplomatique, 4. ed. I, S. 122ff. rechtete Stellung der diplomatischen Agenten v. F r i s c h .
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Souveränität, völkerrechtliche Souveränität, völkerrechtliche.
Obgleich das Wort „Souveränität" einen der bedeutsamsten Grundbegriffe der modernen Völkerrechtstheorie bezeichnet, ist es doch von einer für den Streit um seinen Sinn verhängnisvollen Vieldeutigkeit. Nur sein geläufigster Durchschnittsgehalt, die mit ihm in der neueren Literatur regelmäßig verbundene Bedeutung wird angegeben, wenn Souveränität als eine Eigenschaft des Staates gekennzeichnet wird, derzufolge dieser als höchste Gewalt oder Ordnung menschlichen Verhaltens zu gelten habe. Man pflegt — entsprechend der für die herrschende Lehre charakteristischen, schroffen Scheidung zwischen der Sphäre des Völkerrechts und jener der einzelstaatlichen Rechtsordnung — diese „Souveränität" genannte Eigenschaft nach zwei Richtungen hin, nämlich vom Standpunkt des Einzelstaates aus nach „ I n n e n " und nach „Außen" zu spezifizieren, und demgemäß die souveräne Staatsgewalt als im Verhältnis zu anderen Staaten „unabhängige", und nur im Verhältnis zu ihr eingegliederten oder unterworfenen Personen als „höchste" zu bezeichnen; auf diese Weise zwischen einer v ö l k e r r e c h t l i c h e n und einer staatsrechtlichen Souveränität unterscheidend. Allein diese Unterscheidung ist logisch unhaltbar, denn sie beruht auf der Vermengung zweier miteinander unvereinbarer Grundeinstellungen. In dem Gedanken der Souveränität soll zum Ausdruck kommen, daß der Einzelstaat ein — im Bereich juristische Betrachtung — a b s o l u t Höchstes sei. Das bedeutet aber, daß es von diesem Standpunkte aus im Verhältnis zum Staat kein „Außen", sondern nur ein „ I n n e n " geben kann. Jede andere Macht muß — um überhaupt als existent gelten zu können — als von dem souverän vorausgesetzten Staat anerkannte, delegierte, ihm sohin unterordnete „Macht" angesehen werden. In der Vorstellung, daß der souveräne, der absolut höchste Staat n u r nach Innen der „höchste" nach Außen hin aber bloß „unabhängig" sei, liegt eigentlich schon der Verzicht auf die Souveränität: an Stelle einer absoluten wird eine r e l a t i v e Qualität gesetzt. Nur dadurch, daß n e b e n dem Staat, mit ihm bloß gleich- und ihm nicht untergeordnet andere Staaten vorausgesetzt werden, Mächte, im Verhältnis zu denen der ursprünglich als souverän angenommene Staat nicht mehr der höchste, also nicht mehr höher als sie, sondern ihnen gleichgeordnet ist, entsteht jenes „Außen", zum Unterschied vom „Innen", auf das sich die Qualität des Zuhöchstseins einschränkt und damit eigentlich selbst aufhebt. Diese als das „Außen" des Ein-
zelstaates charakterisierte Sphäre einer Vielheit koordinierter Staaten, setzt eine G l e i c h Ordnung voraus, durch die die Einzelstaaten in ihrem Macht- oder Geltungsbereich gegeneinander abgegrenzt und dadurch koordiniert werden, eine Ordnung, die ü b e r allen Einzelstaaten, weil diese Einzelstaaten verbindend, d. h. gleicherweise verpflichtend und damit zur Gemeinschaft zusammenschließend, vorgestellt werden muß. Diese G l e i c h o r d n u n g ist das Völkerrecht; in seiner Sphäre ist Souveränität des Einzelstaates ebenso ausgeschlossen, wie Souveränität des Einzelmenschen im Bereich der staatlichen Rechtsordnung. Wenn die herrschende Lehre Souveränität als einen eigentlich staatsrechtlichen Begriff kennzeichnet, der im Bereich der Völkerrechtstheorie nicht voll zur Entfaltung kommen kann, so ist dies der etwas unklare, bloß tastende Ausdruck für den folgenden Sachverhalt: Souveränität kommt als Eigenschaft des Einzelstaates nur vom Standpunkt einer Anschauung in Betracht, für die der Staat die absolut höchste und sohin einzige Macht darstellt. Nur von einem solchen Standpunkt hat es einen Sinn, den Begriff der Souveränität zu prägen, nur von einem solchen Standpunkte aus, nur in dieser Bedeutung leistet der Begriff auch, was seine ursprüngliche Aufgabe ist: eine prinzipielle Unterscheidung des Staates von allen anderen Gemeinwesen (Ordnungen), sofern er ihnen als das absolut Höchste, sie alle als universales Ganze zusammenfassend gegenübertritt oder, mit anderen Worten, sich als auf der höchsten Stufe in der Reihe der Gemeinwesen stehend charakterisiert. Diesen Sinn und damit jede spezifische Bedeutung verliert aber Souveränität, sobald man die mit der Vorstellung des modernen Völkerrechts untrennbar verbundene Annahme einer Vielheit koordinierter, als „ S t a a t e n " bezeichneter Ordnungen oder Gemeinwesen und demzufolge eine über diesen Ordnungen oder Gemeinwesen stehende Völkerrechtsordnung oder Völkerrechtsgemeinschaft vollzieht, den Einzelstaat aus einer absoluten und darum ausschließlichen Existenz loslöst und zu einem Zwischenglied in einer kontinuierlichen Reihe macht, die von der höchsten Gemeinschaft des Völkerrechts über die verschiedensten Staatenverbindungen, Gliedstaaten, autonomen Provinzen, Gemeinden bis zu der kleinsten Vertragsgemeinschaft führt, d. h. den Staat r e l a t i v i e r t , bloß als eine der vielen möglichen Stufen der einen universalen Rechtsordnung erkennt, die allein als Ganzes den Charakter der Souveränität zu tragen verdient, und deren höchste Stufe das Völker, recht darstellt. Soll das Völkerrecht in eben.
Souveränität, völkerrechtliche demselben Sinne als R e c h t gelten wie die einzelstaatlichen Rechtsordnungen, dann muß das Rechtsbewußtsein als Erkenntnis des positiven Rechtes die Einheit jenes Normenkomplexes, den man als Völkerrecht bezeichnet, mit diesen einzelstaatlichen Rechtsordnungen gewährleisten, als E i n h e i t e i n e s S y s t e m s von Rechtsnormen begreifen. Diese Einheit, die der erkenntnistheoretische Kern des Problems der Souveränität ist, kann, sofern dabei die G l e i c h o r d n u n g der als „ S t a a t e n " bezeichneten (oder von den Einzelstaaten „getragenen") Einzel- (und sohin Teil-) Rechtsordnungen, dieses Grundprinzip alles Völkerrechts, gewahrt sein soll, nur durch den P r i m a t d e r V ö I k e r r e c h t s o r d n u n g gewährleistet werden; im Gegensatz zu jener Anschauung, die den Primat der einzelstaatlichen und damit den Vorrang der e i g e n s t a a t l i c h e n Rechtsordnung behauptet. Der Ausdruck für die letztere ist das Dogma von der Souveränität des Staates; es ist unvereinbar mit der ersteren und führt konsequent zur Leugnung des Völkerrechts. Unvereinbar mit beiden — den einzig möglichen juristischen Grundanschauungen, und darum von jedem Standpunkt zu verwerfen: die Unterscheidung eines Verhältnisses (des Staates) „nach Innen" und „nach Außen", einer staatsrechtlichen und einer völkerrechtlichen Souveränität; denn in dieser Unterscheidung kommt nur der noch unbehobene Dualismus von Völkerrecht und einzelstaatlicher Rechtsordnung, die Ungelöstheit der der Rechtswissenschaft gestellten Aufgabe zum Ausdruck, zwischen den als Völkerrecht und einzelstaatlichen Rechtsordnungen bezeichneten Massen die Einheit zu stiften. Obgleich der Begriff der Souveränität, sofern er eine spezifische Stellung des Staates in der Rangordnung der rechtlichen Gemeinschaften oder Personen darstellt, offenbar nur eine „ f o r m a l e " Bedeutung hat, versucht man dennoch ihm einen bestimmten I n h a l t abzugewinnen, ihn in einzelne Befugnisse des Staates aufzulösen, als einen Inbegriff von subjektiven Rechten darzustellen, deren Vollgenuß dem Idealbild des Staates entspricht, ohne daß jedoch Einschränkungen dieser auch als Souveränität bezeichneten Rechtsfülle dem Wesen des Staates Abbruch tun soll. Daß man Souveränität in diesem Sinne selbst als ein subjektives „ R e c h t " des Staates bezeichnet und aus dem Grundrecht des Staates auf Freiheit, dieses wieder aus dem Recht des Staates auf Existenz ableitet, soll nur nebenbei als ein Symptom für die Anarchie der rechtswissenschaftlichen Terminologie angemerkt werden, die jeden irgendwie rechtlich relevanten oder vom Standpunkt des
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Darstellers als rechtlich relevant gewünschten Inhalt als subjektives „ R e c h t " darzustellen liebt. Nach der Unterscheidung zwischen dem R e c h t d e r i n n e r e n u n d d e m d e r ä u ß e r e n S o u v e r ä n i t ä t pflegt man als Ausfluß der ersteren anzuführen: das Recht des Staates sich politisch zu organisieren, das heißt, sich eine Verfassung, oder was dasselbe ist, sich Verfassungsgesetze zu geben; daneben wird das Recht des Staates hervorgehoben, sich überhaupt Gesetze zu geben, obgleich das erstere nur ein Spezialfall des letzteren ist. Das „ R e c h t " des Staates, diese Gesetze zu vollziehen, wird als „Recht zur Selbstregierung und Selbstverwaltung", als „Recht zur Leitung der Staatsverwaltung", als „Recht auf Organisation und Betrieb des Verwaltungsapparates", als „Jurisdiktionsund Gerichtsbarkeitsrecht" keineswegs vollständig spezifiziert. Offenbar kommen bei solchen Aufzählungen von Souveränitätsrechten nur ganz besonders wichtige, die Interessen des internationalen Verkehrs besonders berührende Funktionen des Staates zur Darstellung. Gelegentlich wird als spezielles Souveränitätsrecht hervorgehoben: das Recht der freien Ämterbesetzung, das Recht, die religiösen Angelegenheiten der Untertanen frei zu regeln, u. a. Einen Katalog der inneren Souveränitätsrechte aufzählen, ist der Versuch, alle materiellen Kompetenzen die der Staat innerhalb des ihm durch das Völkerrecht garantierten territorialen Bereiches hat, als subjektive Rechte darzustellen. Dieser Versuch ist aussichtslos, da dem Staat innerhalb dieses Bereiches grundsätzlich jede die Ordnung menschlichen Verhaltens betreffende Kompetenz zusteht. Es liefe darauf hinaus, den möglichen Inhalt der einzelstaatlichen Rechtsordnung erschöpfend darzustellen. Die formalen Kompetenzen aber als innere Souveränitätsrechte zu behaupten, wäre offenbar sinnlos, denn diese „ R e c h t e " wären nichts anderes als das „ R e c h t " , Gesetze zu geben und zu vollziehen, präziser: das Recht der Rechtserzeugung, d. h. der Erzeugung des Rechts in seinen verschiedenen Stufen des Bereiches einzelstaatlicher Rechtsordnung: Gesetz, Verordnung, Verwaltungsakt, richterliches Urteil usw. Als R e c h t e d e r ä u ß e r e n S o u v e r ä n i t ä t oder R e c h t e der U n a b h ä n g i g k e i t werden angeführt: Das Recht mit anderen Staaten frei zu verkehren und zu diesem Zwecke Vertreter zu bezeichnen und zu bevollmächtigen (das Recht auf freien Verkehr, das Gesandtschaftsrecht), das Recht Krieg zu führen, das Recht Verträge zu schließen; daneben das Recht auf Gleichheit, das Recht auf Achtung usw. Besonders hervorzuheben pflegt m a n : Das Recht, jede Staatshandlung eines anderen
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Souveränität, völkerrechtliche
Staates auf eigenem Gebiet auszuschließen, das R e c h t des Staates, vor die Gerichtsbarkeit keines anderen Staates gestellt zu werden, das Recht jedes Staates auf E x e m t i o n seiner Gesandten von der Staatsgewalt des E m p fängerstaates, das R e c h t jedes S t a a t e s , seine Angehörigen gegenüber dem Ausland zu schützen. E s ist offenbar, daß auch diese Aufzählung niemals vollständig sein kann. Denn jeder Völkerrechtssatz, jeder Inhalt einer objektiven Völkerrechtsnorm läßt sich schließlich irgendwie als subjektives Recht des Staates darstellen, der an diesem Rechtssatz interessiert ist, dessen Recht durch diese Norm geschützt ist. Souveränität als Inbegriff der einzelnen Souveränitätsrechte stellt sich somit als das objektive Völkerrecht (und wenn man die i n n e r e n Souveränitätsrechte dazu n i m m t : einschließlich der durch das Völkerrecht garantierten einzelstaatlichen Rechtsordnung) dar, sofern dadurch die Interessen des Einzelstaates geschützt werden. Souveränität, in deren Begriff die E i n h e i t des damit als Eigenschaft ausgestatteten Systems zum Ausdruck s t r e b t , wird zum Symbol für das System selbst. An Stelle der E i n h e i t des Inhalts t r i t t der Inhalt als solcher. Das ist eine auch auf anderen Gebieten nicht selten zu beobachtende logische Verschiebung. In den herrschenden Staatsund Völkerrechtstheorien wird dieser Fehler, etwas ungenau, dahin qualifiziert, daß man e r k l ä r t : der Versuch, die Souveränität in eine Fülle von Einzelinhalten aufzulösen, sei darauf zurückzuführen, daß Souveränität aus einer Eigenschaft der Staatsgewalt zur Staatsgewalt selbst umgedeutet werde. Daß ein derartiger Begriff der Souveränität viel zu weit ist, um irgendeinen konkreten Wert zu haben, ist offenbar. Vor allem aber ist der Idealfall eines die ganze Fülle aller rechtlichen Handlungsmöglichkeiten uneingeschränkt besitzenden Staates im Bereich der Völkerrechtsgemeinschaft gar nicht gegeben. „ R e c h t " bedeutet zugleich mit der Ermöglichung die Beschränkung des rechtlichen Handelns. Durch die Völkerrechtsordnung wird jeder S t a a t nicht bloß in bezug auf individuelle Handlungen, sondern auch in generellerHinsicht eingeschränkt. Jedes R e c h t des einen ist notwendigerweise Pflicht, also Bindung, Einschränkung des anderen. T a t s ä c h l i c h führt man j a auch die dieser Begriffsbildung immanente Tendenz nicht zu E n d e . Es scheint offenbar gar nicht auf eine Aufzählung aller möglichen Souveränitätsrechte anzukommen. Man will vielmehr nur eine solche Fülle von R e c h t e n umschreiben, bei der der S t a a t n o c h souverän ist, nicht ein Maximum, sondern ein Minimum,
das eine E i n s c h r ä n k u n g nicht mehr v e r t r ä g t , ohne daß der S t a a t dadurch den Charakter der Souveränität und schließlich den eines selbständigen S t a a t e s überhaupt verliert. Soferne damit f e s t e Grenzen gesucht werden, die den souveränen von dem nicht mehr oder nur noch „ h a l b " souveränen S t a a t , und den nicht souveränen S t a a t von einer autonomen Provinz oder sonst einem Kommunalverband scheiden, so muß auch diese Absicht — wie aus dem bisher Gesagten hervorgeht — s c h e i t e r n : Die inhaltlichen Variationen sind zu mannigfaltig, die Übergänge zu allmählich, um das Ziehen scharfer Linien zu ermöglichen, die den einen Typus vom anderen trennen, ohne daß solche Abgrenzungen den Charakter der Willkür annehmen. Die Einschränkung des Souveränitätsrechts erfolgt grundsätzlich durch V e r t r a g . Durch Vertrag kann ein S t a a t sich verpflichten, eine bestimmte Verfassung — etwa eine monarchische oder republikanische — zu haben, bestimmte Gesetze — ζ. B . über die gleiche Behandlung aller Konfessionen, über die Versicherung der Arbeiter gegen Unfall, Krankheit, Arbeitslosigkeit, über die Verhinderung des Mädchenhandels oder des Alkoholgenusses usw. zu erlassen. Durch Vertrag kann er sich verpflichten, gewisse Angelegenheiten nicht mehr selbständig, d. h. nicht mehr durch Organe zu verwalten, die er selbst beruft, sondern gemeinsam mit einem anderen S t a a t , d. h. durch Organe zu verwalten, die gemeinsam berufen werden. Das gleiche gilt hinsichtlich der Gesetzgebung und Gerichtsbarkeit. Durch Vertrag kann ein S t a a t insbesondere auf eine selbständige Vertretung nach Außen verzichten, sich durch die Organe eines anderen Staates oder durch mit einem anderen S t a a t e gemeinsame, d. h. gemeinsam bestellte Organe vertreten lassen. Die vertragsmäßige Einschränkung kann sich auf jedes beliebige Souveränitätsrecht beziehen und inhaltlich jeden beliebigen Grad haben. W a n n aber hört ein S t a a t auf souverän, wann hört er auf überhaupt ein S t a a t zu s e i n ? Man pflegt in der Regel anzunehmen, daß der Souveränität durch Vertrag kein Abbruch geschehen kann, da jede solche Einschränkung letztlich auf dem eigenen Willen des eingeschränkten Staates beruht, j a durch den Vertrag die Souveränität des Staates geradezu bewährt werde. Allein diejenige „ S o u v e r ä n i t ä t " , die durch Vertrag nicht berührt werden kann, ist offenbar ein ganz anderer Begriff als jene, die verschiedener Grade fähig sein soll und nach der die ganz- von den bloß halbsouveränen, d. h. unter völkerrechtlichem P r o t e k t o r a t eines anderen Staates stehenden und den halb-
Souveränität, völkerrechtliche oder nicht souveränen in einem Bundesstaate stehenden Gliedstaaten unterschieden werden. Die Souveränität, der durch Vertrag kein Abbruch geschehen kann, ist der Ausdruck für die Annahme der f o r m a l e n Qualität des Staates als einer h ö c h s t e n Ordnung, während der andere Begriff auf die Fülle des R e c h t s i n h a l t s zielt. Indes ist der allgemein verbreitete Satz, daß Vertrag der Souveränität keinen Abbruch tue, zumindest in seiner Begründung falsch. Denn wenn überhaupt der Begriff des Vertrages als der mit Rechtswirkung ausgestatteten Willensübereinstimmung zweier k o o r d i n i e r t e n Subjekte vollzogen werden soll, muß die Annahme eines die Staaten als koordinierte Subjekte allererst konstituierenden, über den Staaten stehenden, sie verpflichtenden, und vor allem: zur Einhaltung der Verträge verpflichtenden Völkerrechts vorausgesetzt werden. Dann aber ist der Oeltungsgrund der Vertragspflicht des Einzelstaates nicht sein eigener Wille — dessen Äußerung ist zusammen mit der Willensäußerung des anderen Staates nur der bedingende Tatbestand — sondern der „Wille" des Völkerrechts, der Völkerrechtsgemeinschaft, der in dem Völkerrechtssatz „ p a c t a sunt servanda" zum Ausdruck kommt. Eben weil dieser ,,Wille", der personifikative Ausdruck für Rechtsordnung, ü b e r den vertragschließenden Staaten steht — das zeigt sich praktisch schon darin, daß der Einzelstaat seinen Vertragswillen nicht einseitig ändern, sich nicht selbst entbinden kann — eben darum kann von einer Souveränität des Staates in diesem Sinne nicht die Rede sein. Daß die Verletzung der Vertragspflicht nur die spezifischen völkerrechtlichen Unrechtsfolgen nach sich zieht, nicht aber unter allen Umständen Nichtigkeit des völkerrechtswidrigen Aktes, kann kein Grund dafür sein, den Geltungsgrund der Vertragspflicht letztlich in den Willen des Verpflichteten zu verlegen. Da jeder Vertrag eine Einschränkung der rechtlichen Handlungsmöglichkeit bedeutet, besteht zwischen einem Handelsvertrag, einem Protektoratsvertrag und einem Vertrag, durch den sich bisher selbständige, d. h. nur der Völkerrechtsordnung unterworfene Staateneiner Bundesstaatsverfassung unterwerfen, keine qualitative, sondern nur eine quantitative Differenz. Die so konstituierten S t a a t e n V e r b i n d u n g e n unterscheiden sich voneinander vom Standpunkt einer juristischen Betrachtung nicht wesenhaft, d. h. nicht hinsichtlich der R e c h t s f o r m , sondern nur hinsichtlich des R e c h t s i n h a l t e s des Vertrages. Ob durch eine solche Verbindung von Staaten — „Verbindung" ist gleich-
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bedeutend mit „Verpflichtung" — „gemeins a m e " Organe konstituiert werden, oder die Geschäfte des einen Staates durch die Organe des anderen besorgt werden, ob durch die Verbindung ein neuer Staat, ein Oberstaat entsteht, usw., das ist eine Frage der Deutung des Vertragstatbestandes, die je nach dem Standpunkt verschieden ausfallen kann. Für die Frage der Souveränität sind diese Konstruktionsmomente nicht von Belang. Prüft man die üblicherweise hier in Betracht gezogenen Staatenverbindungen auf die Frage der Souveränität hin, so ergibt sich das folgende Resultat: Das eine sog. „Halbsouveränität begründende P r o t e k t o r a t , demzufolge der protegierte Staat ganz oder teilweise auf das Recht der diplomatischen Vertretung zugunsten des protegierenden Staates verzichtet und sohin durch diesen völkerrechtlich repräsentiert wird, kann als eine Schmälerung der f o r m a l e n Souveränität nicht aufgefaßt werden, sofern die fragliche Einschränkung vertragsmäßig begründet ist, d. h. nach üblicher Anschauung auf dem Willen des beschränkten Staates beruht. Gerade von diesem Standpunkt kann auch nichts gegen eine Auffassung eingewendet werden, nach der die auch den protegierten Staat vertretenden Organe des Protegierenden g e m e i n s a m e , also auch Organe des Protegierten sind, dieser somit nicht durch „ f r e m d e " , durch Organe eines anderen Staates, sondern durch „eigene" Organe vertreten wird. Denn die Annahme, daß die auch den protegierten Staat vertretenden Organe des protegierenden etwa einseitig von dessen Staatsoberhaupt und ohne jede Einflußnahme von Seiten des protegierten Staates berufen werden und funktionieren, kann vom Standpunkt der herrschenden Souveränitäts- und Vertragstheorie entgegengehalten werden, daß diese Art der Berufung und Funktion letztlich auf dem im Protektoratsvertrag geäußerten Willen des protegierten Staates beruht, diese Organe daher als durch den Willen des protegierten Staates — und von dessen Standpunkt n u r durch seinen Willen — eingesetzt und sohin als seine Organe, ihre Funktionen als seine eigene Funktionen zu gelten haben. Von dieser Grundlage aus kann somit von einer „Halbsouveränität" keine Rede sein. Besinnt man sich aber auf den über dem protegierten wie protegierenden Staate gleichermaßen stehenden Willen des Völkerrechts, auf dem allein das Protektoratsverhältnis beruht, dann verschwindet die „Halbsouveränität" des einen Staates in demselben Maße als damit der Ganzsouveränität des anderen der Boden entzogen ist. Es verbleibt
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somit zur Charakterisierung des Protektoratsverhältnisses lediglich der durch den I n h a l t des Protektoratsvertrages bestimmte G r a d d e r E i n s c h r ä n k u n g der Kompetenz. Daß auch der — innerhalb der Völkerrechtsgemeinschaft nicht gegebene — Idealfall unbegrenzter Fülle dieser Kompetenz, als Souveränität bezeichnet, zu keiner Möglichkeit f ü h r t , zwischen ganz- und halbsouveränen Staaten zu unterscheiden, daß auch durch keine feste Grenzlinie ein Minimum von Einschränkung als Maßstab fixiert und dadurch der noch ganz souveräne Staat von dem nunmehr zum Teil, oder gar nicht mehr souveränen Staat geschieden werden kann, geht aus dem früher Gesagten hervor. Müßig ist darum auch die vielumstrittene Frage, ob die zu einem Staatenbund sich zusammenschließenden Staaten ihre Souver ä n i t ä t noch behaupten, während die Gliedstaaten im Bundesstaat ihre Souveränität ganz oder teilweise verlieren. Gerade unter dem Gesichtspunkt der Souveränität betrachtet, besteht zwischen Staatenbund und Bundesstaat keine Wesensdifferenz, wie die herrschende Lehre annimmt, sondern lediglich organisationstechnische Unterschiede. Geht man bei der juristischen Konstruktion vom Standpunkt des Einzelstaates aus, indem man dessen Rechtsordnung als Grundmaß, als oberstes Bezugssystem annimmt, dann ist im Staatenbund wie im Bundesstaat nur dieser Einzelstaat souverän; und dies ist kein Ergebnis fortschreitender Untersuchung, sondern nur ein Ausdruck der Voraussetzung, unter der man an die Deutung des Rechtsmateriales herantritt. Geht man aber von der Völkerrechtsordnung aus — und das muß man wohl, wenn man Verbindungen k o o r d i n i e r t e r Gemeinwesen begreifen will — dann sind die Glieder weder im Staatenbund noch im Bundesstaat, dann ist aber auch die Verbindung selbst weder in dem einen noch in dem anderen Falle souverän, „souverän" in dem formalen Sinne einer absolut höchsten Rangstufe. Es geht insbesondere auch nicht an, die Souveränität der Verbindung und damit den Verlust der Souveränität für die Glieder beim Bundesstaat mit der Behauptung zu begründen, daß durch die Verbindung ein über den Verbundenen stehender Wille und sohin eine juristische Person gebildet sei, während im Staatenbund jedes Glied nur seinem eigenen Willen Untertan bleibe. Diese Theorie hängt mit der Anschauung zusammen, daß der Bundesstaat auf Verfassung, der Staatenbund auf Vertrag beruhe, der erstere somit unter die Kategorie des Staates, der letztere unter die des Vertrages zu subsumieren sei. Allein ganz abgesehen davon, daß die für die
Theorie des Bundesstaates maßgebenden Gebilde durch Vertrag historisch entstanden und rechtlich begründet wurden, sind „Vert r a g " und „Verfassung" keine Gegensätze, da jeder Vertrag eine Verfassung enthält oder doch — wenn man den Verfassungsbegriff enger faßt — enthalten kann. Dann aber bedeutet jeder Vertrag einen über den Verpflichteten stehenden, von ihrem Willen verschiedenen, im Verhältnis zu ihm fremden „Willen", was ja nur der bildliche Ausdruck für die Objektivität der Vertragsordnung ist, an die jeder Kontrahent nunmehr gebunden bleibt, auch wenn er seinen einmal geäußerten Willen ändert. Diese Vertragsordnung aber ist nur der für den konkreten Fall mit einem konkreten Inhalt erfüllte objektive Vertragsrechtssatz. Die Personifikation dieser Vertragsordnung aber ist möglich, ohne Rücksicht auf ihren besonderen Inhalt. Sie ist eine Hilfsvorstellung, deren sich die juristische Erkenntnis nach Bedarf bedienen kann, um die Einheit der abstrakten Normbeziehungen anthropomorph zu veranschaulichen. Zweifellos drängt sich die Personifikation der Ordnung um so stärker auf, je mehr aus der ursprünglich selbständigen Kompetenz der verbundenen Glieder zu gemeinsamer Kompetenz wird, je mehr solche gemeinsame Kompetenz durch arbeitsteilig funktionierende Organe besorgt wird, je mehr bei der Besorgung dieser gemeinsamen Kompetenz das Majoritätsprinzip Platz greift. Dieser Grad ist im übrigen stets schon in der Staatenbundverfassung und nicht erst in der Bundesstaatsverfassung gegeben. Weshalb denn auch die Völkerrechtstheorie niemals gezögert hat, auch den Staatenbund als Person, d. h. als Rechtssubjekt zu behandeln und auch ihm ·— Souveränität zuzusprechen. In dieser Tendenz den Begriff der Souveränität mit dem der Rechtssubjektivität in Zusammenhang zu bringen, wenn nicht gar zu identifizieren, zeigt sich auch eine der vielen Bedeutungen, die dieser Begriff proteusartig annimmt. Eine der häufigsten und die Theorie verwirrendsten ist aber diejenige, nach der Souveränität nicht eine rechtliche, sondern eine f a k t i s c h e Q u a l i t ä t ausd r ü c k t : Souveränität als Zustand vollendeter Machtvollkommenheit eines Staates. Dabei wird, wenn schon nicht an ein Höchstmaß, so doch an ein Mindestmaß faktischer Macht gedacht. Diese Bedeutung, die mit jedem Rechtsbegriff der Souveränität unvereinbar ist, findet sich bei den meisten Autoren, obgleich diese in der Regel den Rechtscharakter des Begriffes betonen und mitunter sogar ausdrücklich die Unabhängigkeit der Souveränität von der Existenz irgendeines Grades
Souveränität, völkerrechtliche — Soviet Republic v. Cibrario tatsächlicher Macht behaupten. Dennoch wird häufig ein hinreichend großes Staatsgebiet und eine entsprechende Bevölkerungszahl, aber auch das Vorhandensein ausreichender Bodenschätze u. ä. als Bedingung f ü r die Souveränität eines Staates angenommen. Andererseits dürfe aber — so wird aus dem Begriffe der Souveränität abgeleitet — diese faktische Macht des Staates nicht übermäßig sein. Mit dem Wesen der Souver ä n i t ä t soll ebenso die Ohnmacht eines Zwerggebildes wie die Übermacht eines Weltimperiums unvereinbar sein. Dabei handelt es sich doch offenbar nicht um Darstellung des Inhalts eines irgendwie nachweisbaren positiven Völkerrechtssatzes, der Maximal- und Minimalbedingungen f ü r die Staatenexistenz vorschreibt. Vielmehr wird damit ein naturrechtliches Prinzip, ein politisches Postulat vorgetragen. Die Vermengung mit solchen Elementen ist aber die verhängnisvollste Verunreinigung einer Theorie des positiven Völkerrechts. Was nur ein von höchst subjektiven Anschauungen getragener Wunsch ist, wird als zum Wesen des Staates gehörig behauptet und so in das Gewand theoretischer Wahrheit gekleidet. Die aus solcher Voraussetzung gewonnenen Konklusionen dienen nur dazu, um unter dem Schein des Rechts das Unrecht zu legitimieren, oder doch rechtlich Mögliches als rechtlich unmöglich erscheinen zu lassen. In diesem politischen Sinne hat schon der Begründer der modernen Souveränitätstheorie, J e a n B o d i n (1530—1596), den fraglichen Begriff gestaltet. Den Wunsch der französischen Könige, von Kaiser und Papst unabhängig zu werden, suchte er durch die B e h a u p t u n g zu realisieren, daß der „ S t a a t " — als welches Gebilde er Frankreich beh a u p t e t , obgleich es erst nach Erfüllung der aufgestellten Forderung „ S t a a t " in diesem Sinne wird — wesentlich souverän sei; woraus die rechtliche Unzulässigkeit jeder Abhängigkeit von Kaiser und Papst folgte. Ein Schluß, nicht minder trügerisch als jener, daß der M o n a r c h oder das V o l k als Träger der Souveränität wesentlich unbeschränkt und daher absolut sein müsse. In dem gleichen p o l i t i s c h e n S i n n e wird der Begriff der Souveränität noch heute mißbraucht — gerade in dieser Verwendungsmöglichkeit liegt der Grund, weshalb m a n diesen Begriff, t r o t z aller Widersprüche, in die er die Völkerrechtstheorie verwickelt, so zähe festhält — wenn die Unzulässigkeit irgendwelcher internationaler Organisation, wenn speziell die Unterwerfung eines Staates unter gewisse internationale Gerichte aus dem Begriff der Souveränität und sohin aus dem Wesen des Staates, des Völkerrechtes
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oder des Rechtes überhaupt gefolgert wird. Man m a g die Intensivierung der internationalen Rechtsorganisation, ihre Vervollkommnung durch Exekutivmittel im Interesse der Menschheit oder Nation wünschen oder a b lehnen; keines von beiden darf mit Berufung auf den Rechtsbegriff der Souveränität geschehen. Es wäre vielmehr höchste Zeit, daß dieser Begriff, nachdem er durch J a h r h u n d e r t e eine mehr als fragwürdige Rolle in der Geschichte der Rechtswissenschaft gespielt h a t , aus dem Wörterbuch des Völkerrechts endgültig verschwinde. Literatur: Hancke, Bodin, eine Studie über den Begriff der Souveränität, 1894. — Landmann, Der Souveränitätsbegriff bei den französischen Theoretikern, 1896. — Dock, Der Souveränitätsbegriff von Bodin bis Friedrich d. G. 1897. — Derselbe, Revolution und Restauration über die Souveränität, 1900. — Merriam, History of the theory of Souvereignty since Rousseau, New York 1900. — Raggi, La Teoria della sovranita, 1908. — Nelson, Die Rechtswissenschaft ohne Recht, 1917. — Kelsen, Das Problem der Souver ä n i t ä t und die Theorie des Völkerrechts, 1920. — Lansing, Notes ou Sovereignty. Washington, 1921. — Verdroß, Die Einheit des rechtlichen Weltbildes, 1923. Kelsen.
Soviet Republic ν . Cibrario, Russian Socialist Federated. Ein Departement der Sowjetregierung Schloß m i t dem Beklagten in Rußland einen Vertrag auf Ankauf kinematographischer Maschinen und überwies an den Handelsa t t a c h e der Vereinigten Staaten in Petersburg eine Million Dollar, die in einer amerikanischen Bank deponiert werden sollten. Diese Summe wurde auch bei der National City Bank deponiert. Bald nachher erhob die Sowjetregierung Klage in New York, um den Beklagten zur Rechnunglegung über gewisse Summen zu verpflichten, in deren Besitz er nach B e h a u p t u n g der Klage durch Betrug gekommen sei. Das Gericht wies aber die Klage der Sowjetregierung a limine ab. Auch als die Sowjetregierung nochmals Klage erhob, um die Summen zurückzuerhalten u n d als Kläger die Personen auftreten ließ, welche zur Zeit des Vertrags abschlusses Mitglieder jener Sowjetregierungskommission gewesen waren (Preobrajenski v. Cibrario), wurde die Klage abgewiesen, da das Gericht den S t a n d p u n k t v e r t r a t , daß die Kommission oder ihre Mitglieder kein weitergehendes Recht haben könnten als die Sowjet-Regierung selbst (vgl. f ü r eine ähn-
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Soviet Republic, v. Cibrario usw. — Sowjetrussisch-deutscher Konflikt usw.
Literatur: liehe Begründung m e i n e n A r t . Pelzer v. United Dredging Co.). Russian Socialist Federated Soviet Republic ν . Cibrario, 1921, 191 Ν . Y . Supp. 543. Dieser Fall ist ein Beispiel für die Stellung Preobrajenski ν . Cibrario, 1922, 192 Ν . Υ . einer allgemeinen effektiven de facto-RegieSupp. 275. — Der Sachverhalt hier nach rung, die aber n i c h t anerkannt ist, vor ausEdwin D. Dickinson, „ L e s Gouvernements ländischen Tribunalen als Klägerin; er ist ou Etats non reconnus en droit anglais eine Illustration zu der typischen angloet a m i r i c a i n " ( R e v . D. I. Leg. Comp. 3" sdr. saxonen Gerichtspraxis, wonach nur die t. I V , 1923, S. 167/168); vgl. zu diesem Exekutive über Anerkennung von de factoFall außer Dickinson Qulncey Wright in Regierungen zu entscheiden kompetent ist A m . Journ. X V I I , 1923, S. 745 und Borchard, Can an unrecognized governund wonach die E x i s t e n z einer de factoment sue in 1922, 31 Yale L a w Journal, Regierung dem Gericht nur durch den NachS. 534—537. J. L. K u n z . weis der A n e r k e n n u n g seitens des Staates des Gerichtes erbracht werden kann (für gleichen Standpunkt vgl. m e i n e A r t . Pelzer j v. United Dredging Co., auch den Fall Luther v. Sagor, für abweichenden Standpunkt ζ. B. Sowjetrussisch-deutscher Konflikt über m e i n e n A r t . Sokoloff v. National City Bank).
die Handelsvertretung.
Der Fall ist noch dadurch komplizierter, daß die Sowjetregierung nicht Eigentum der vorhergehenden Regierung, sondern ihr eigenes zu reklamieren behauptete, das Amerika, dem Land der Erhebung der Klage, anvertraut worden war. Durch die neuere politische Praxis der Verweigerung der Anerkennung allgemeiner effektiver de facto-Regierungen (Mexikos, Sowjet-Rußlands) und Beibehaltung dieser anglo-saxonen Auffassung kommt es zur Situation, daß entweder der Vertreter der letzten anerkannten Regierung, mag sie auch seit Jahren verschwunden sein, weiterhin als einziger legaler Vertreter angesehen wird (so im Case R o g d a i die alleinige Anerkennung des Botschafters K e r e n s k i s im Jahre 1920!), oder aber der betreffende Staat derzeit im Staate des Gerichts überhaupt keinen legalen Vertreter hat. Doch darf dabei nicht vergessen werden, daß der S t a a t der nicht anerkannten de facto-Regierung als Staat weiter anerkannt bleibt (so ausdrücklich bezüglich Mexikos der Secretary of • State in der Mitteilung an das Gericht im Case Viamonto y Fernandez 1923). [ V g l . zum ganzen Fragenkomplex m e i n e A b handlung: „Staatsgewalt de f a c t o " in diesem Wörterbuch, samt Literaturangaben.] Daher die Forderung D i c k i n s o n s , die Gerichte mögen in solchen Fällen zwar nicht Uber die Anerkennung von de facto-Regierungen entscheiden, aber die Existenz auch durch andere Beweise als den der Anerkennung als erbracht ansehen, bzw. es möge für das Eigentum des trotz Nichtanerkennung der de facto-Regierung weiterhin anerkannt bleibenden Staates, der aber derzeit ohne Vertreter ist, ein Bundessequester bestellt werden, um zu verhüten, daß dieses Eigentum zur res nullius werde und evtl. den eigenen Staat einer späteren anerkannten Regierung gegenüber völkerrechtlich haftbar mache.
I. Ein deutscher Kommunist, der von württembergischen Polizeibeamten nach einer westpreußischen Stadt zwecks Einlieferung in das dortige Gerichtsgefängnis eskortiert werden soll, lockt unter falschem Vorwande seine Begleiter in das Gebäude der russischen Handelsvertretung in Berlin. Er läßt seine Transporteure dort festhalten und entflieht. Die deutschen Behörden lassen das Gebäude durchsuchen, dabei werden angeblich auch Behältnisse erbrochen, ferner werden einige Angestellte der russischen Handelsvertretung verhaftet. Rußland behauptet Verletzung einer exterritorialen Mission und erhebt A n sprüche völkerrechtlicher Sühnenatur. II. W i e sonst, so ist auch hier die Frage nach Maßgabe einer der beiden Völkerrechtsquellen (s. d.) zu beantworten. Für beide gesondert ist die Frage zu prüfen, ob bei an sich völliger Gleichwertigkeit beider Quellen der alte Grundsatz gilt, daß das jüngere Recht, also etwa ein späterer, das Gewohnheitsrecht abändernder Rechtssatz, dem älteren vorzugehen hat. a) Betrachtet man zunächst das Völkergewohnheitsrecht, so läßt sich für dieses die Exterritorialität der ausländischen diplomatischen Vertreter mit ihrem Personal, soweit sie nicht Angehörige des Aufenthaltsstaates sind und des Gesandtschaftshotels als unbestrittener völkerrechtlicher Grundsatz feststellen. Die in früheren Jahrhunderten auch in der Theorie — so Ausgangs des X V I I . Jahrhunderts von Wicquefort (de l'ambassadeur) — vielerörterte Frage des handelstreibenden Gesandten, der sich damit seiner privilegierten Stellung im Rahmen seiner Geschäftstätigkeit begebe, ist heute längst im Sinne eines Bestehenbleibens seiner Sonderstellung entschieden. Diese besagt inhaltlich, daß zwar die inländischen Gesetze auch für den exterritorialen Ausländer gelten
Sowjetrussisch-deutscher Konflikt über die H a n d e l s v e r t r e t u n g
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