Wissenschaftliche Philanthropie und transatlantischer Austausch in der Zwischenkriegszeit: Die sozialwissenschaftlichen Förderprogramme der Rockefeller-Stiftungen in Deutschland [1 ed.] 9783412514884, 9783412514860


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Wissenschaftliche Philanthropie und transatlantischer Austausch in der Zwischenkriegszeit: Die sozialwissenschaftlichen Förderprogramme der Rockefeller-Stiftungen in Deutschland [1 ed.]
 9783412514884, 9783412514860

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Industrielle Welt Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte Herausgegeben von Ulrike von Hirschhausen und Sebastian Conrad Band 97 Judith Syga-Dubois Wissenschaftliche Philanthropie und transatlantischer Austausch in der Zwischenkriegszeit

Judith Syga-Dubois

Wissenschaftliche Philanthropie und transatlantischer Austausch in der Zwischenkriegszeit Die sozialwissenschaftlichen Förderprogramme der Rockefeller Stiftungen in Deutschland

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein und des Institut de recherche en Langues et Littératures européennes (ILLE) der Université de Haute-Alsace.

Zugl. Dissertation Universität Bielefeld/École des hautes études en sciences sociales (Paris), 2016 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2019, by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: New York, c. 1930, View of the Grand Central District in midtown Manhattan with the NY Central Building at left © akg-images/UIG/ Underwood Archives Korrektorat: Dore Wilken, Freiburg Einbandgestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Michael Rauscher, Wien Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51488-4

Inhalt

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Verzeichnis der Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



9 11 14 15 17

Erster Teil: Transatlantische Aufbruchsstimmung: Die sozialwissenschaftliche Forschungsförderung des Laura Spelman Rockefeller Memorials (LSRM) zwischen methodischen Neuausrichtungen, hochgesteckten Erwartungen und deutsch-amerikanischen Missverständnissen

1. Vorsichtige Annäherungen: Das LSRM und die deutschen Sozialwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Sozialwissenschaftliche Forschungsförderung als Herausforderung für die Rockefeller Philanthropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Beardsley Rumls Konzeption eines breit angelegten und privat finanzierten sozialwissenschaftlichen Förderprogramms . . . . . . . . . . . . 1.3 „… they have lived for ten years on their own flesh“: Erste Kontakte des LSRM nach Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung der deutschen Sozialwissenschaften (1924–1928) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 „Pures Gold“ für die deutschen Universitäts- und Staatsbibliotheken als unverbindlicher Einstieg in die Förderpraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Von Büchern zu Forschungsprogrammen: Die institutionelle Forschungsförderung durch das LSRM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung: Die sozialwissenschaftlichen Stipendienprogramme des LSRM und des Social Science Research Councils (SSRC). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Zielsetzungen und Richtlinien: Auf der Suche nach dem perfekten „Fellow“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Entsendung deutscher Stipendiaten ins Ausland: Eine deutsch-amerikanische Koproduktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Der Empfang ausländischer Stipendiaten in Deutschland als Bestand­teil des transnationalen amerikanisch-europäischen Austauschs . . . . .

51 51 62 79 97 97 113 135 136 150 196

6

Inhalt

3.4 Zeit für Bilanzen: Die Evaluierung der Stipendienprogramme von SSRC und LSRM . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 216 Zwischenfazit: Das LSRM und die deutschen Sozialwissenschaften . . . . . . . . 225 Zweiter Teil: Krisenzeiten. Die Förderung der deutschen Sozialwissenschaften durch die Rockefeller Foundation (RF) in den 1930er-Jahren

4. Interne Neuausrichtungen, Wirtschaftskrise, Sorge um Deutschland: Die deutschen Sozialwissenschaften in der Förderpolitik der RF (1929–1933) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Amerikanische Neuausrichtungen und ihre schwierige Umsetzung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Die Förderung von Institutionen und kollektiven Forschungsprojekten in unsicheren Zeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Bewusste Ablehnung und tote Winkel in der institutionellen Forschungsförderung der RF in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Sozialwissenschaftliche Forschungsförderung im Nationalsozialismus: Grenzen und Möglichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 „Dark prospects“: Reaktionen der RF auf die Machtübernahme und die Errichtung der NS-Diktatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Die Umgehung des institutionellen Förderverbots: Die indirekte Weiterförderung deutscher Institute im nationalsozialistischen Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Das Hilfsprogramm der RF für „deposed scholars“ . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF in Deutschland vor und nach 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Zentralisierung, Kostenreduzierung, Methodenzentrierung: Die Neuausrichtung der Stipendienprogramme ab 1929 . . . . . . . . . . . . 6.2 Die Stipendienvergabe im nationalsozialistischen Deutschland . . . . . . 6.3 Die deutschen Fellows der RF (1929–1940) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Ausländische Fellows in Deutschland in den 1930er-Jahren . . . . . . . . . Zwischenfazit: „America first“? – Die Unterstützung der RF für die deutschen Sozialwissenschaften in den 1930er-Jahren . . . . . . . . . . . . . . . . . .

235 237 250 287 302 303 324 354 369

370 405 415 431

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7

Inhalt

Dritter Teil: Erfahrungen und Erlebnisse der deutschen LSRM- und RF-Fellows von der Ausreise bis zur Rückkehr

7. Die Erfahrungen der deutschen Fellows in den USA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Die Vorbereitungen auf den Amerikaaufenthalt: Reiseplanung und Spracherwerb . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Erste Kontakte mit den LSRM- und RF-Mitarbeitern und praktische Fragen des Amerikaaufenthalts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Der Verlauf der Stipendienzeit in den USA: Drei Beispiele . . . . . . . . . . 7.4 Forschungsaktivitäten und persönliche Kontakte der deutschen Fellows in den USA: Transatlantische Methodentransfers . . . . . . . . . . 8. Deutsche Fellows in anderen Gastländern: Mit amerikanischen Geldern in Europa, dem Orient und Australien . . . . 8.1 Auseinandersetzungen um die selbstständige Ausgestaltung der Stipendienzeit in Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Bibliotheksarbeit und politische Spannungen: Die deutschen Fellows in Frankreich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Ein weltweites Netz: Deutsche Fellows in Italien, Australien, Rumänien und im Orient . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9. Nach der Stipendienzeit: Rückkehr nach Deutschland, Emigration und Verhalten im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Rückkehr oder Emigration: Das Stipendium als Karrieresprungbrett oder Weg in die berufliche Sackgasse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Die (ehemaligen) LSRM- und RF-Stipendiaten im Nationalsozialismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Die berufliche Entwicklung der ehemaligen LSRM- und RFStipendiaten nach Beginn des Zweiten Weltkriegs . . . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenfazit: Junge Sozialwissenschaftler im internationalen Austausch – Neue Perspektiven und transnationale Missverständnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . Fazit und Ausblick: Das transnationale Rockefeller Universum und die deutschen Sozialwissenschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

463 464 473 485 508 539 539 547 559 586 587 611 644 658 662

Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Quellenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Archivquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Gedruckte Quellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .



683 683 685 695

8

Inhalt

Anhang

Verzeichnis der Anhänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 739 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 782

Danksagung

Grundlage dieses Buches ist meine Dissertation, die ich im Cotutelle-Verfahren an der Universität Bielefeld und der École des hautes études en sciences sociales (EHESS, Paris) angefertigt habe. Mein herzlicher Dank gilt meinen wissenschaftlichen Betreuern Prof. Dr. Thomas Welskopp (Universität Bielefeld) und Prof. Dr. Michael Werner (EHESS), die mein Projekt von Anfang an und auf vielfältige Weise unterstützt haben. Für ihre Teilnahme an der deutsch-französischen Prüfungskommission danke ich Prof. Dr. Ingrid Gilcher-Holtey (Universität Bielefeld), Prof. Dr. Anne Lagny (ENS Lyon), Prof. Dr. Peter Schuster (Universität Bielefeld) und Prof. Dr. Jakob Vogel (Sciences Po Paris). Ihre Anregungen haben mir in vielerlei Hinsicht weitergeholfen. Prof. Dr. Gilles Pécout, mein Tutor an der École normale supérieure, hat mir besonders bei der Konzeption der Arbeit beratend zur Seite gestanden. Den Mitgliedern der Forschungsgruppe „Philanthrophie américaine et sciences sociales en Europe 1919–1939: Circulations intellectuelles, réseaux et constructions institutionnelles“ am Centre Georg Simmel (EHESS), besonders Prof.  Dr.  Ludovic Tournès, Prof. Dr. Frédéric Attal und Dr. Morgane Labbé, verdanke ich viele vergleichende Hinweise. Die gemeinsam erarbeitete Datenbank der sozialwissenschaftlichen Rockefeller Stipendiaten der Zwischenkriegszeit war mir eine unersetzbare Hilfe. Prof. Dr. Arnd Bauerkämper, Prof. Dr. Christian Fleck und Prof. Dr. Bénédicte Zimmermann bin ich für ihr Interesse und zahlreiche Anregungen dankbar. Das Rockefeller Archive Center (RAC) in Tarrytown hat die Entstehung dieser Arbeit durch einen „grant-in-aid“ für einen mehrwöchigen Archivaufenthalt gefördert. Die Mitarbeiter, besonders Tom Rosenbaum, haben mir jede Hilfe zukommen lassen. Weiterhin gilt mein Dank den Angestellten des Bundesarchivs Koblenz, des Bundesarchivs Berlin, des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz in Berlin, des Archivs der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, des Universitätsarchivs und der Universitätsbibliothek Heidelberg, des Niedersächsischen Landesarchivs und der Landesbibliothek in Oldenburg sowie den Mitarbeitern des Archivs der Yale University in New Haven, des Archivs der Columbia University und des Archivs des Leo Baeck Instituts in New York für die exzellente Betreuung während meiner Forschungsaufenthalte. Den Doktoranden des Centre Georg Simmel und des Doktorandenkollegs „Construire les différences – Unterschiede denken“ (EHESS-Humboldt Universität Berlin) danke ich für die Diskussionen während der Tagungen in Berlin und Paris. Für die finanzielle Unterstützung meiner Archivaufenthalte bin ich der Deutsch-Französischen Hochschule, der École normale supérieure, dem Remarque Institut der New York University und der EHESS sehr dankbar. Der Bielefeld Graduate School

10

Danksagung

in History and Sociology (BGHS) danke ich für die anregenden Seminare in Bielefeld und der Hans Böckler Stiftung für ihre Förderung im Rahmen des ideellen Doktorandenprogramms. Meinen aktuellen und ehemaligen Kollegen und Kolleginnen an der Université Paris VII-Denis Diderot, der Université Bordeaux Montaigne und der Université de Haute-Alsace bin ich für die gute Zusammenarbeit sehr dankbar. Besonders freue ich mich über die Aufnahme meiner Studie in die Reihe Industrielle Welt des Böhlau Verlags. Außerdem bedanke ich mich bei allen Freundinnen und Freunden, meiner Familie und besonders meinem Mann für ihre Begleitung in diesem transnationalen Abenteuer.

Abkürzungsverzeichnis

1. Allgemeine Abkürzungen AAD Akademischer Austauschdienst Abb. Abbildung ANRC Australian National Research Council APA Außenpolitisches Amt der NSDAP ARPLAN Arbeitsgemeinschaft für Planwirtschaft Aufl. Auflage BAB Bundesarchiv Berlin BAK Bundesarchiv Koblenz BDC Berlin Document Center CEIP Carnegie Endowment for International Peace CNS Caisse nationale des sciences CURS Conseil universitaire de la recherche sociale DAAD Deutscher Akademischer Austauschdienst DDP Deutsche Demokratische Partei DFG Deutsche Forschungsgemeinschaft DHfP Deutsche Hochschule für Politik Diss. Dissertation DNVP Deutschnationale Volkspartei EC Emergency Committee in Aid of Displaced German/Foreign Scholars EG Europäische Gespräche EHESS École des hautes études en sciences sociales ENS École normale supérieure ESS Encyclopaedia of the Social Sciences FF Ford Foundation GEB General Education Board Gestapo Geheime Staatspolizei GG Geschichte und Gesellschaft GM Goldmark GStA PK Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz HA Hauptabteilung Hg. Herausgeber HZ Historische Zeitschrift IAP Institut für Auswärtige Politik

12

Abkürzungsverzeichnis

IEB International Education Board IIE Institute of International Education IIIC International Institute of Intellectual Cooperation ISC International Studies Conference KWG Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft LB Landesbibliothek LCRC Local Community Research Committee LSE London School of Economics LSRM Laura Spelman Rockefeller Memorial NDB Neue Deutsche Biographie NKWD Volkskommissariat des Innern (sowjetische politische Geheimpolizei) NL Nachlass NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NS Nationalsozialismus NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSD-Dozentenbund Nationalsozialistischer Deutscher Dozentenbund o. D. Ohne Datum OKW Oberkommando der Wehrmacht OSS Office of Strategic Services o. Verf. Ohne Verfasser PA Personalakte RAC Rockefeller Archive Center RF Rockefeller Foundation RG Record Group RM Reichsmark SMT Sowjetisches Militärtribunal SNA Social Network Analysis SPD Sozialdemokratische Partei Deutschlands SSA Social Science Abstracts SSD Social Science Division SSRC Social Science Research Council UA Universitätsarchiv UB Universitätsbibliothek UNESCO United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization Univ. Universität USA United States of America

Abkürzungsverzeichnis

2. In internen Dokumenten der RF und des LSRM verwendete Abkürzungen AG Alan Gregg AMB Albrecht Mendelssohn Bartholdy AWF August Wilhelm Fehling BR Beardsley Ruml DHS David H. Stevens EED Edmund E. Day (auch „Rufus“) FMR Flora M. Rhind GEV George E. Vincent GKS George K. Strode HMG H. M. Gillette JHW Joseph H. Willits JMP Janet M. Paine JVS John J. Van Sickle LKF Lawrence K. Frank MM Max Mason O’B Daniel P. O’Brien RAL Robert A. Lambert RBF Raymond B. Fosdick SHW Sydnor H. Walker SM Stacy May SMG Selskar M. Gunn (auch „Mike“) TBA Thomas B. Appleget TBK Tracy B. Kittredge (auch „Kit“) WW Warren Weaver

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Verzeichnis der Tabellen

Tabelle 1: Aufwendungen des LRSM für europäische Institutionen zur Förderung der Sozialwissenschaften, 1924–1928.......... Tabelle 2: Die Verteilung des „library grant“ des LSRM von 1924 durch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft............ Tabelle 3: Die Verteilung der vom LSRM für die Beschaffung sozialwissen­ schaftlicher Literatur zur Verfügung gestellten Mittel durch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, 1926–1932..... Tabelle 4: Einnahmen des Instituts für Auswärtige Politik für das Rechnungsjahr 1929/1930...................... Tabelle 5: Die Forschungsthemen der LSRM-Stipendiaten.......... Tabelle 6: Die berufliche Stellung der LSRM-Stipendiaten zum Zeitpunkt der Nominierung........................... Tabelle 7: Bewerberinnen und LSRM-Stipendiatinnen, 1925–1928...... Tabelle 8: Berufe der Väter und Familienstand der LSRM-Stipendiaten.... Tabelle 9: Gutachter der LSRM-Stipendiaten................. Tabelle 10: Die ausländischen Stipendiaten des LSRM mit Deutschland als Zielland, 1925–1928......................... Tabelle 11: SSRC-Stipendiaten mit Deutschland als Zielland, 1925–1928... Tabelle 12: Herkunftsländer und Disziplinen der sozialwissenschaftlichen LSRM- und RF-Stipendiaten, 1924–1934.............. Tabelle 13: Bewerber um ein sozialwissenschaftliches RF-Stipendium, deren Unterlagen in der Sitzung des Deutschen Komitees im März 1932 begutachtet wurden...................... Tabelle 14: Die deutschen Rockefeller Stipendiaten („Research Fellows“, „Special Fellows“ und „Training Fellows“), 1929–1940....... Tabelle 15: Die Berufe der Väter der RF-Stipendiaten (Auswahl)........ Tabelle 16: Die Gutachter der Rockefeller Stipendiaten, 1929–1940...... Tabelle 17: Entwicklung der Stipendienvergabe für Forschungsprojekte mit Aufenthalt in Deutschland, 1929–1938............... Tabelle 18: Berufliche Stellung der ehemaligen LSRM- und RF-Fellows 1943, 1951 und 1972.........................

 76 100 102 117 165 175 177 181 184 201 204 373 388 416 424 427 432 646

Verzeichnis der Abbildungen

Abbildung 1: Die Ausgaben des LSRM für die Sozialwissenschaften, 1923–1928...........................    73 Abbildung 2: Der Reiseplan A. W. Fehlings für seinen Aufenthalt in den USA, Juli bis Dezember 1924..................    93 Abbildung 3: Das europäische Stipendienprogramm des LSRM: Länder mit Landesvertretern...................... 139 Abbildung 4: Die jährliche Anzahl an Neubewilligungen im europäischen Stipendienprogramm des LSRM, 1924–1928......... 143 Abbildung 5: Ausgaben des LSRM für das europäische Stipendienprogramm in den Sozialwissenschaften, 1924–1928........ 146 Abbildung 6: Anzahl der Bewerbungen für die LSRM-Stipendien und der Bewilligungen, 1925–1928................... 163 Abbildung 7: Promotionsorte und Beschäftigungsorte zum Zeitpunkt der Bewilligung der deutschen LSRM-Stipendiaten........ 174 Abbildung 8: Studienorte der SSRC-Fellows, 1925/26–1930/31....... 403 Abbildung 9: Die Entwicklung der Stipendienvergabe an deutsche ­Sozialwissenschaftler, 1925–1940................ 420 Abbildung 10: Promotionsorte und Beschäftigungsorte der 45 „Research Fellows“ der RF, 1929–1940................... 423 Abbildung 11: Die Sommerreise: Beispiel einer Reiseroute........... 483

Einleitung

In der Zeit des Ersten Weltkrieges begann der Aufstieg der USA zur einflussreichen Wissenschaftsnation1. Der junge deutsche Historiker August Wilhelm Fehling, der die Vereinigten Staaten im Sommer 1924 auf Einladung des Laura Spelman Rockefeller Memorials (LSRM) erstmals bereiste, konstatierte rückblickend: Neben dem wachsenden Selbstbewußtsein und dem Ehrgeiz, auch in den Wissenschaften eine führende Stellung einzunehmen, war es der Krieg, der mit seinem zeitweiligen Ausscheiden der Mittelmächte aus dem internationalen Wissenschaftsaustausch den Ausbau der Forschung vorantrieb2.

Auf vielen Wissensgebieten seien die USA, so Fehling, den „alten Kulturländern Europas ebenbürtig, auf manchen haben sie sie überflügelt“3. In der Tat hatte der Krieg in den USA zu einer größeren Unabhängigkeit von europäischen Wissenschaftstraditionen und zu Fortschritten in der natur- und sozialwissenschaftlichen Forschung geführt4. Die USA traten aus ihrem international „wenig beachtete[n] Schattendasein“5 der Vorkriegszeit heraus und begannen ihre Entwicklung zur weltweit führenden Wissenschaftsmacht. Für Deutschland bedeutete der Erste Weltkrieg hingegen den Verlust seiner bisherigen Vorbildfunktion, auch wenn das Land in den Augen vieler Amerikaner 1

Vgl. Geiger, Roger L., To Advance Knowledge. The Growth of American Research Universities, 1900–1940 (Transaction series in higher education), New Brunswick, 2004, S. 233 (Im Folgenden zitiert als Geiger, To Advance Knowledge). Der Erste Weltkrieg führte in den deutsch-amerikanischen Wissenschaftsbeziehungen zu tiefen Enttäuschungen und beendete Kooperationen wie den deutsch-amerikanischen Professorenaustausch. Vgl. Wala, Michael, „Gegen eine Vereinzelung Deutschlands“: Deutsche Kulturpolitik und akademischer Austausch mit den Vereinigten Staaten von Amerika in der Zwischenkriegszeit, in Berg, Manfred; Gassert, Philipp (Hgg.), Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Detlef Junker, Stuttgart, 2004, S. 305 (Im Folgenden zitiert als Wala, „Gegen die Vereinzelung Deutschlands“). Siehe auch Doering-Manteuffel, Anselm, Wie westlich sind die Deutschen? Amerikanisierung und Westernisierung im 20. Jahrhundert, Göttingen, 1999, S. 21–22 (Im Folgenden zitiert als DoeringManteuffel, Wie westlich sind die Deutschen?). 2 Fehling, Wilhelm August, Die Vereinigten Staaten von Amerika. Land und Menschen unter dem Sternenbanner, Berlin, 1933, S. 308–309. 3 Ebd., S. 309. 4 Vgl. Geiger, To Advance Knowledge, S. 233–234. 5 Paulus, Stefan, Vorbild USA? Amerikanisierung von Universität und Wissenschaft in Westdeutschland 1945–1976, München, 2010, S. 35 (Im Folgenden zitiert als Paulus, Vorbild USA?).

18

Einleitung

weiterhin zu den führenden Wissenschaftsnationen gehörte6. International waren die deutschen Wissenschaftler weitgehend isoliert, zudem hatten viele Forschungseinrichtungen in Krieg und Inflation ihr Vermögen verloren. Die Bedeutung privater Forschungsförderung ging zurück7, während sich der Staat zunehmend in die Koordinierung von Wissenschaft und Forschungsförderung einbrachte8. Die Republik als Staatsform wurde von der deutschen Professorenschaft dieser Zeit mehrheitlich abgelehnt9. Bis Mitte der 1920er-Jahre blieb das im 19. Jahrhundert entstandene Muster deutsch-amerikanischer Wissenschaftsbeziehungen jedoch bestehen, so Roger L. Geiger: „Americans still went to Europe to learn, and European scientists who traveled to the United States did so to teach“10. Die Förderung der amerikanischen und europäischen Sozialwissenschaften durch die Rockefeller Philanthropie entsprach dieser Logik allerdings schon nicht mehr. Ab 1922 entwickelte Beardsley Ruml, Direktor des Laura Spelman Rockefeller Memorials (LSRM), ein zweigleisiges Förderprogramm, in dem sowohl Forschungsprojekte in den USA und Europa finanziert als auch Stipendien an Nachwuchswissenschaftler vergeben wurden. Ziel der Fördermaßnahmen war eine weltweite Stärkung sozialwissenschaftlicher Forschung, die zur Lösung gesellschaftlicher Probleme beitragen sollte. Den amerikanischen Initiatoren ging es dabei nicht um einen unidirektionalen Wissenstransfer zugunsten der Vereinigten Staaten, sondern um die Etablierung grenzüberschreitender Austauschbeziehungen. Weltweit sollten bis zu zwanzig miteinander vernetzte Stätten sozialwissenschaftlicher Spitzenforschung auf- und ausgebaut werden. Im europäischen Stipendienprogramm lag der Fokus nur im ersten Jahr darauf, junge Forscher mit amerikanischen Methoden vertraut zu machen. Schon dem zweiten Jahrgang standen neben den USA eine ganze Reihe weiterer Gastländer für ihren Studienaufenthalt zur Verfügung. Deutschland wurde, trotz seiner Isolation in der internationalen Wissenschaftskommunikation nach dem verlorenen Krieg, von Beginn an in die Planungen der europäischen Programme einbezogen. Zwischen 1924 und 1940 finanzierten erst 6 7

Vgl. ebd., S. 86. Vgl. Strachwitz, Rupert Graf, Von Abbe bis Mohn – Stiftungen in Deutschland im 20. Jahrhundert, in Adam, Thomas (Hg.), Stifter, Spender und Mäzene. USA und Deutschland im historischen Vergleich, Stuttgart, 2009, S. 116–118. 8 Fehling konstatierte 1926 einerseits einen wachsenden staatlichen Einfluss auf die Universitäten und andererseits eine weiterhin große Bedeutung der Länder in der Bildungspolitik. Vgl. Fehling, Wilhelm August, Collegiate Education for Business in Germany, in Journal of Political Economy 34 (1926), S. 546. 9 Vgl. Stölting, Erhard, Die Soziologie in den hochschulpolitischen Konflikten der Weimarer Republik, in Franke, Bettina; Hammerich, Kurt (Hgg.), Soziologie an deutschen Universitäten. Gestern – heute – morgen, Wiesbaden, 2006, S. 18 (Im Folgenden zitiert als Stölting, Die Soziologie). 10 Vgl. Geiger, To Advance Knowledge, S. 233.

Einleitung

19

das Laura Spelman Rockefeller Memorial und später seine Nachfolgeorganisation, die sozialwissenschaftliche Abteilung der Rockefeller Foundation (RF), die Durchführung mehrerer sozialwissenschaftlicher Forschungsprogramme an deutschen Instituten. Knapp 80 junge deutsche Sozialwissenschaftler gingen als Rockefeller Fellows für ein bis drei Jahre ins Ausland. Zeitgleich besuchten ausländische Stipendiaten Deutschland im Rahmen ihrer durch die Rockefeller Stiftungen finanzierten und den Social Science Research Council (SSRC) betreuten Stipendienzeit. August Wilhelm Fehling wurde 1924 zum Landesvertreter des Memorials in Deutschland ernannt und avancierte zum wichtigsten Ansprechpartner der Stiftung in Deutschland. Zeitgleich war er als Geschäftsführer des Professorenkomitees tätig, das die Vorauswahl der deutschen Rockefeller Stipendiaten verantwortete. Bei der Umsetzung der Förderprogramme trafen amerikanische Vorstellungen auf eine deutsche Forschungslandschaft, in welcher der Begriff „social sciences“ nicht mit „Sozialwissenschaften“ übersetzt werden konnte. In der amerikanischen Philanthropie bildeten die sozialwissenschaftlichen Disziplinen eine Leerstelle, bis das Memorial sie zu seinem Förderschwerpunkt machte. Eher als in Deutschland konnte der Begriff der „social science“ sich in den Vereinigten Staaten zu einer, wenn auch nicht fest eingegrenzten, wissenschaftlichen Leitkategorie entwickeln, der eine Vermittlerfunktion zwischen Wissenschaft und Gesellschaft zukam11. Den amerikanischen Sozialwissenschaften wurden in der Zwischenkriegszeit die Psychologie, die Anthropologie, die Wirtschaftswissenschaften, die Soziologie und die Politikwissenschaften zugeordnet, wobei sich im Memorial bald eine Konzentration auf die drei letztgenannten Disziplinen durchsetzte. Die Abgrenzung gegenüber anderen Fachrichtungen blieb jedoch lange unscharf. So fühlten sich Psychologen und Anthropologen der Biologie verbunden, während amerikanische Politikwissenschaftler sich an den Rechts- und Geschichtswissenschaften orientierten. Eine gemeinsame Identität als „social sciences“ entwickelte sich, so Dorothy Ross, erst nach dem Ersten Weltkrieg, ohne dass sich in den 1920er-Jahren ein geschlossener Korpus sozialwissenschaftlicher Disziplinen herauskristallisierte. Dem 1923 gegründeten Social Science Research Council gehörten neben den oben genannten Fachrichtungen auch die Geschichte und die Statistik an12. Der amerikanische Soziologe Louis Wirth hielt noch Mitte der 1930er-Jahre in einem Bericht zu den Aktivitäten des SSRC fest: „Some of the

11 Vgl. Sala, Roberto, Die Karriere eines erfolgreichen Konstrukts: Die Genese der „Sozialwissenschaften“ in Deutschland und den USA, in Reinecke, Christiane; Mergel, Thomas (Hgg.), Das Soziale ordnen. Sozialwissenschaften und gesellschaftliche Ungleichheit im 20.  Jahrhundert, Frankfurt am Main, 2012, S. 279 (Im Folgenden zitiert als Sala, Die Karriere). 12 Vgl. Ross, Dorothy, The Development of the Social Sciences, in Oleson, Alexandra; Voss, John (Hgg.), The Organization of Knowledge in Modern America, 1860–1920, Baltimore, London, 1980, S. 107 (Im Folgenden zitiert als Ross, The Development of the Social Sciences).

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difficulties social scientists face are due to lack of agreement on what social science is or aspires to become“13. In den 1920er-Jahren konzentrierte sich die amerikanische sozialwissenschaftliche Forschung auf nur fünfzehn universitäre Zentren. Schwerpunkte waren die University of Chicago, die Columbia University und die Harvard University. Eine Fakultät für Soziologie gab es nur in Chicago, wo sie bis 1929 mit der Anthropologie zusammengelegt war14. Gemeinsam war den amerikanischen Sozialwissenschaften ein Interesse an „regularities underlying social phenomena“, das sich mit dem Ideal objektiver Wissenschaft verband15. Die Zeit zwischen 1905 und 1930 gilt als Blütezeit der „social survey“-Bewegung, in der, oft mit finanzieller Unterstützung philanthropischer Stiftungen, groß angelegte, auf Interviews, Fragebögen und statistischen Erhebungen basierende Untersuchungen mit dem Ziel praktisch verwertbarer Erkenntnisse durchgeführt wurden16. In den Augen der Mitarbeiter des Laura Spelman Rockefeller Memorials waren die amerikanischen Sozialwissenschaften jedoch grundsätzlich zu theoretisch ausgerichtet. Ihnen fehle die Verbindung zur Praxis und der Wille gesellschaftlich nützliches Wissen zu kreieren, lautete ein wiederholt vorgetragener Vorwurf. Eine besondere staatliche Förderung der amerikanischen Sozialwissenschaften gab es in den 1920er-Jahren nicht, sodass die Forschungstätigkeit weitgehend von privater Finanzierung abhing17. Auch in Deutschland bildete sich in der Zwischenkriegszeit keine eindeutige Definition der sozialwissenschaftlichen Disziplinen heraus. Der Begriff der „Sozialwissenschaften“ stand in Konkurrenz zu anderen Bezeichnungen, wie den „Staatswissenschaften“, den „Wirtschaftswissenschaften“ oder der „Soziologie“18. Nationalökonomie und Soziologie galten vielen Zeitgenossen als sozialwissenschaftliche Kerndisziplinen, die wissenschaftliche Erforschung der Politik stand noch in ihren

13 L. Wirth, Report on the History, Activities and Policies of the Social Science Research Council, 1936–1937, in RAC-SSRC, RG XII.2, Accession 2, Series 4.001, box 704, folder 8457, Chapter 1, S. 1. 14 Vgl. Bulmer, Martin, Support for Sociology in the 1920s: The Laura Spelman Rockefeller Memorial and the Beginning of Modern, Large-Scale, Sociological Research in the University, in The American Sociologist 17 (1982), S. 187 (Im Folgenden zitiert als Bulmer, Support for Sociology). 15 Vgl. Ross, The Development of the Social Sciences, S. 108. 16 Vgl. Sealander, Judith, Curing Evils at their Source: The Arrival of Scientific Giving, in Friedman, Lawrence Jacob; McGarvie, Mark D. (Hgg.), Charity, Philanthropy, and Civility in American History, Cambridge, New York, 2003, S. 236–237 (Im Folgenden zitiert als Sealander, Curing Evils). 17 Vgl. Bulmer, Martin; Bulmer, Joan, Philanthropy and Social Science in the 1920s: Beardsley Ruml and the Laura Spelman Rockefeller Memorial, 1922–1929, in Minerva 19 (1981), S. 347 (Im Folgenden zitiert als Bulmer et al., Philanthropy and Social Science). 18 Vgl. Sala, Die Karriere, S. 268.

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Anfängen und wurde nicht als eigene Disziplin wahrgenommen19. Sozialwissenschaftliche Lehre und Forschung konzentrierte sich in wenigen Einrichtungen, vor allem den Universitäten von Frankfurt am Main, Hamburg und Köln sowie der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin und dem Hamburger Institut für Auswärtige Politik. Es handelte sich um relativ neue Institutionen, die in der Zeit um den Ersten Weltkrieg gegründet worden waren. Eine republikfreundliche und liberale Grundhaltung20 fand sich in den neueren Forschungs- und Bildungseinrichtungen eher als in den Fakultäten der etablierten Universitäten. Von der finanziellen Unterstützung der amerikanischen Philanthropie profitierten die neuen Institute und Universitäten überproportional häufig. Die Institutionalisierung sozialwissenschaftlicher Disziplinen wurde durch den Widerstand der traditionellen Wissenschaften21, aber auch durch interne Faktoren erschwert. So gab es in der deutschen Soziologie keinen Konsens über Gegenstand, Aufgabe und Selbstverständnis soziologischer Forschung. Wissenschaftler wie Max Weber, Ferdinand Tönnies, Georg Simmel oder Werner Sombart besetzten Lehrstühle anderer Fachrichtungen, wie der Nationalökonomie, der Rechtswissenschaften oder der Philosophie22. Der erste soziologische Lehrstuhl wurde 1925 an der Universität Leipzig eingerichtet, ihm folgten bis zum Ende der Weimarer Republik vier weitere23. Die Disziplin blieb durch ein hohes Maß an Heterogenität und interne Rivalitäten

19 Zur Entwicklung der Politikwissenschaften in der Weimarer Republik siehe Gangl, Manfred (Hg.), Das Politische. Zur Entstehung der Politikwissenschaft während der Weimarer Republik (Schriften zur politischen Kultur der Weimarer Republik 11), Frankfurt am Main, 2008 und Bleek, Wilhelm, Geschichte der Politikwissenschaft in Deutschland, München, 2001 (Im Folgenden zitiert als Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft). 20 Vgl. Blomert, Reinhard; Eßlinger, Hans Ulrich; Giovannini, Norbert, Einleitung, in Blomert, Reinhard (Hg.), Heidelberger Sozial- und Staatswissenschaften. Das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften zwischen 1918 und 1958, Marburg, 1997, S. 13. 21 Vgl. Stölting, Die Soziologie, S. 11–12. 22 Vgl. Kern, Horst, Empirische Sozialforschung. Ursprünge, Ansätze, Entwicklungslinien, München, 1982, S. 115–116 (Im Folgenden zitiert als Kern, Empirische Sozialforschung). Siehe auch Lichtblau, Klaus, Krise als Dauerzustand? Weltanschauliche Implikationen der Weimarer Soziologie, in Köster, Roman; Plumpe, Werner; Schefold, Bertram; Schönhärl, Korinna (Hgg.), Das Ideal des schönen Lebens und die Wirklichkeit der Weimarer Republik. Vorstellungen von Staat und Gesellschaft im George-Kreis, 2009, S. 16–17 (Im Folgenden zitiert als Lichtblau, Krise als Dauerzustand) und Köster, Roman, Universalismuskonzepte in der Nationalökonomie der Weimarer Republik, in Köster, Roman; Plumpe, Werner; Schefold, Bertram; Schönhärl, Korinna (Hgg.), Das Ideal des schönen Lebens und die Wirklichkeit der Weimarer Republik. Vorstellungen von Staat und Gesellschaft im George-Kreis, 2009, S. 50 (Im Folgenden zitiert als Köster, Universalismuskonzepte). 23 Vgl. Klingemann, Carsten, Soziologie, in Elvert, Jürgen; Nielson-Sikora, Jürgen (Hgg.), Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus, Stuttgart, 2008, S. 394.

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geprägt24 und zeichnete sich im Vergleich zur amerikanischen Soziologie durch eine starke geisteswissenschaftliche Orientierung und eine geringere Bedeutung empirischer Sozialforschung aus25. Politische und gesellschaftliche Problemstellungen fanden nur am Rande Eingang in die Arbeit der deutschen Soziologen26, umgekehrt blieb auf Seiten der Wirtschaft und Politik das Interesse an der universitären Soziologie marginal. Diese Isolierung ging mit einer geringen außeruniversitären Forschungsförderung einher27. Auch die Wirtschaftswissenschaften bildeten in der Weimarer Republik kein eindeutiges Profil aus. Sie waren als Staatswissenschaften entweder der juristischen oder der philosophischen Fakultät zugeordnet, nur an den Universitäten Köln und Frankfurt am Main gab es eigene Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Fakultäten28. Innerhalb der Nationalökonomie hatte die zuvor dominante „Historische Schule“, die sich in Abgrenzung zur klassischen Ökonomie gebildet hatte, ihre Vormachtstellung verloren29. In Frankfurt, Heidelberg und Kiel entwickelte sich unter der Bezeichnung der „deutschen Ricardianer“ eine theoretisch interessierte Nationalökonomie, die die klassischen angelsächsischen Ansätze aufnahm und weiterentwickelte30. Auch in den Wirtschaftswissenschaften blieb vielfach eine enge Orientierung an den Geisteswissenschaften bestehen31. Eine Schwierigkeit in der Umsetzung der Rockefeller’schen Programme in Deutschland bestand in der Eingrenzung der zu berücksichtigenden Disziplinen. Fehling 24 Vgl. Lichtblau, Krise als Dauerzustand, S. 19. 25 Vgl. Klingemann, Soziologie, S. 395. 26 Vgl. Käsler, Dirk, Die frühe deutsche Soziologie 1909 bis 1934 und ihre Entstehungs-Milieus. Eine wissenschaftssoziologische Untersuchung, Opladen, 1984, S. 493. 27 Vgl. Kern, Empirische Sozialforschung, S. 117–119. 28 Vgl. Krohn, Claus-Dieter, Entlassungen und Emigration deutschsprachiger Wirtschaftswissenschaftler nach 1933, in Hagemann, Harald (Hg.), Zur deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Emigration nach 1933, Marburg, 1997, S. 41 (Im Folgenden zitiert als Krohn, Entlassungen und Emigration). 29 Vgl. Krohn, Claus-Dieter, Wirtschaftswissenschaften, in Krohn, Claus-Dieter; Zur Mühlen, Patrik von; Paul, Gerhard; Winckler, Lutz (Hgg.), Handbuch der deutschsprachigen Emigration 1933– 1945, Darmstadt, 1998, S. 904 (Im Folgenden zitiert als Krohn, Wirtschaftswissenschaften). 30 Vgl. Janssen, Hauke, Nationalökonomie und Nationalsozialismus. Die deutsche Volkswirtschaftslehre in den dreißiger Jahren, Marburg, 22000, S. 29–32 (Im Folgenden zitiert als Janssen, Nationalökonomie und Nationalsozialismus). Siehe auch Krohn, Wirtschaftswissenschaften, S. 906. Zur Nationalökonomie in der Weimarer Republik siehe auch die ausführliche Studie Köster, Roman, Die Wissenschaft der Außenseiter: Die Krise der Nationalökonomie in der Weimarer Republik, Göttingen, 2011 (Im Folgenden zitiert als Köster, Die Wissenschaft der Außenseiter). 31 Vgl. Hagemann, Harald, Volkswirtschaftslehre in den 1920er Jahren, in Köster, Roman; Plumpe, Werner; Schefold, Bertram; Schönhärl, Korinna (Hgg.), Das Ideal des schönen Lebens und die Wirklichkeit der Weimarer Republik. Vorstellungen von Staat und Gesellschaft im George-Kreis, 2009, S. 31–32 (Im Folgenden zitiert als Hagemann, Volkswirtschaftslehre).

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teilte Ruml 1925 mit, er habe einige Schwierigkeiten gehabt, gegenüber seinen deutschen Korrespondenzpartnern das Feld der Sozialwissenschaften zu definieren. „But I believe that I covered all the fields you combine under that name“32, fügte er hinzu. Für die Beschreibung des Stipendienplans des LSRM griff er zum Teil auf die englischen Begriffe zurück: Die einbezogenen Forschungsgebiete sind […] in erster Linie Nationalökonomie, Soziologie und ‚political science‘, sowie auch neuere Geschichte, Psychologie und Anthropologie. Daneben können auch […] die Gebiete der Philosophie, Geographie, Rechtswissenschaft und Pädagogik Berücksichtigung finden, doch nur insoweit das besondere Arbeitsfeld des Antragstellers in naher Beziehung zu den vorgenannten ‚social sciences‘ steht33.

Zu einer Angleichung der Begrifflichkeiten kam es in der Zeit der Weimarer Republik nicht. Noch im Jahr 1932 erklärte Fehling, die Stipendien seien „für die ‚social sciences‘, und zwar unter Zugrundelegung der amerikanischen Sprachbedeutung bestimmt“34. Eine Besonderheit der Förderung der Rockefeller Stiftungen für die deutschen Sozialwissenschaften war das Stipendienprogramm. In den internationalen Austauschprozessen stellte es etwas völlig Neues dar, das die bisherigen Maßstäbe in Bezug auf die Anzahl der bereitgestellten Stipendien und die geographische Ausbreitung übertraf. Für die Zielgruppe der bereits seit einigen Jahren wissenschaftlich tätigen Nachwuchswissenschaftler in den sozialwissenschaftlichen Disziplinen gab es in der Zwischenkriegszeit kein anderes spezifisches Programm für Auslandsaufenthalte. Darüber hinaus war Rumls Stipendienplan darauf ausgerichtet, ein Bildungsideal zu propagieren, das sich von den gängigen Anforderungen unterschied. Gezielt sollten Nachwuchskräfte ausgewählt werden, deren wissenschaftliche Fragestellungen in ihren Ländern aus dem üblichen Rahmen zu fallen drohten und dort nicht ausreichend gefördert wurden. Originalität und Interdisziplinarität waren wichtige Auswahlkriterien, gesucht wurden unerkannte Talente, bei denen der wissenschaftliche Ertrag 32 Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 11. März 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 33 Brief von A. W. Fehling an die Philosophische Fakultät der Universität Bonn, 19. April 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 34 Brief von A. W. Fehling an A. Morsbach, 22. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. Zur Frage der Übersetzung und der Entwicklung transnationaler Begrifflichkeiten siehe auch Strath, Bo, Europäische und Globalgeschichte. Probleme und Perspektiven, in Arndt, Agnes (Hg.), Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen, 2011, S. 61–86 und Keller, Márkus, Übersetzen, Vergleichen, Verstehen und wieder Vergleichen. Begriffliche Probleme des Vergleichs am Beispiel der deutschen und ungarischen Bürgertumsforschung, in Arndt, Agnes (Hg.), Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen, 2011, S. 190–217.

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durch die im Ausland gesammelten Erfahrungen umso größer auszufallen versprach. Die Bereitschaft, auch untypische Kandidaten aufzunehmen und deren Auslandsaufenthalte als Experimente zu betrachten, war im LSRM und später in der sozialwissenschaftlichen Abteilung der Rockefeller Foundation hoch. In weitaus geringerem Ausmaße konnten sozialwissenschaftliche Nachwuchsforscher auf Stipendien anderer in- und ausländischer Institutionen hoffen. Das International Education Board (IEB), wie das LSRM eine Stiftung der Rockefeller Familie, vergab Stipendien in den Naturwissenschaften, der Land- und Forstwirtschaft und der Hauswirtschaft. Durch die unterschiedliche fachliche Ausrichtung kam es nur in Ausnahmefällen zu Überschneidungen mit den sozialwissenschaftlichen Stipendien35. Vereinzelt vergab auch die Carnegie Stiftung Stipendien an Sozialwissenschaftler36. Studenten und Dozenten konnten sich für völkerrechtliche Studien bei der Division of International Law des Carnegie Endowment for International Peace um ein Stipendium bewerben37, wobei mehr als ein deutscher Antrag pro Jahr nur selten bewilligt wurde38. Die 1936 gegründete Ford Foundation beschränkte ihre Aktivitäten in der Zwischenkriegszeit auf den Bundesstaat Michigan und bot keine Stipendien für Ausländer an39. Die Stipendien der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft für die Durchführung von Forschungsarbeiten40 konnten für einen Aufenthalt im Ausland genutzt werden, wenn die wissenschaftliche Arbeit diesen erforderte. Ein eigenes Stipendienprogramm für Auslandsstudien führte die Notgemeinschaft jedoch nicht durch. Stipendien des Akademischen Austauschdienstes41 35 Vgl. Brief von A. W. Fehling an Prof. Dr. Kappen, 6. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr.  14. Vgl. auch die Korrespondenz in BAB, R  8088/705 Reichsverband der deutschen Hochschulen (Rockefeller Foundation). 36 Vgl. Tournès, Ludovic, Sciences de l’homme et politique. Les fondations philanthropiques américaines en France au XXe siècle, Paris, 2011, S. 286 (Im Folgenden zitiert als Tournès, Sciences de l’homme et politique). 37 Vgl. Brief von A. W. Fehling an G. Schwarzenberger, 20. Juni 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 38 Vgl. Brief von A. W. Fehling an K. O. Rabl, 22. Januar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. Das Carnegie Endowment ermöglichte weiterhin amerikanischen Wissenschaftlern und Journalisten Besuche in Deutschland. Mehrere ausländische Professoren lehrten als CarnegieGastprofessoren an der Deutschen Hochschule für Politik. Vgl. Füssl, Karl-Heinz, Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch im 20.  Jahrhundert: Bildung, Wissenschaft, Politik, Frankfurt am Main, 2004, S. 76–77 (Im Folgenden zitiert als Füssl, Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch). 39 Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 286. 40 Vgl. Mertens, Lothar, „Nur politisch Würdige“. Die DFG-Forschungsförderung im Dritten Reich 1933–1937, Berlin, 2004, S. 46 (Im Folgenden zitiert als Mertens, „Nur politisch Würdige“). 41 Der Akademische Austauschdienst ging auf eine Idee Carl Joachim Friedrichs zurück, der ein deutsch-amerikanisches Austauschprogramm initiierte, mit dem 1924 die ersten deutschen Studenten in die Vereinigten Staaten reisten. Ein Jahr später wurde die in Heidelberg eingerichtete Staatswissenschaftliche Austauschstelle nach Berlin verlegt und das Programm unter dem Namen

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und des Amerika Werkstudenten Dienstes42 richteten sich an Studenten und kamen für die Zielgruppe der jungen promovierten Sozialwissenschaftler nicht in Frage. Natürlich bestand auch die Möglichkeit, auf eigene Kosten ins Ausland zu gehen43. Carl J. Friedrich, der 1926 den Eindruck hatte, „als ob sich fast die gesamte deutsche Professorenwelt aufgemacht hätte, um die amerikanischen Verhältnisse zu studieren“, befürchtete, dass die oft nur kurzen Reisen nicht geeignet seien, „die in Deutschland vorherrschenden Zwangsvorstellungen zu zerstreuen“44. Fehling beobachtete bei den deutschen Amerikafahrern zwei entgegengesetzte Haltungen: Am häufigsten sind wohl die beiden Extreme, Begeisterung und Predigt über wissenschaftliche Überflügelung oder Ablehnung und die Anschauung von der Nicht-Konkurrenzfähigkeit der amerikanischen Wissenschaft. Zu der ersten Gruppe gehören natürlich meist Naturwissenschaftler und Techniker, zu der zweiten Geisteswissenschaftler und Bibliothekare45.

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Akademischer Austauschdienst (AAD) auf weitere Länder ausgedehnt. 1931 erfolgte die Vereinigung mit der Alexander von Humboldt-Stiftung zum Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD). Die Hälfte der 1200 deutschen Stipendiaten der Zwischenkriegszeit wählte die USA als Gastland. Unter den Stipendiaten waren jährlich zehn bis fünfzehn Studenten sozialwissenschaftlicher Disziplinen. Fehling trat 1933 dem Auswahlgremium des DAAD bei. Vgl. Paulus, Vorbild USA?, S. 87–89 und Lietzmann, Hans J., Politikwissenschaft im „Zeitalter der Diktaturen“: Die Entwicklung der Totalitarismustheorie Carl Joachim Friedrichs, Opladen, 1999, S. 20. Siehe auch Impekoven, Holger, Die Alexander von Humboldt-Stiftung und das Ausländerstudium in Deutschland 1925–1945: von der „geräuschlosen Propaganda“ zur Ausbildung der „geistigen Wehr“ des „Neuen Europa“, Göttingen, 2013, S.  61–62 (Im Folgenden zitiert als Impekoven, Die Alexander von Humboldt-Stiftung). Siehe auch Laitenberger, Volkhard, Akademischer Austauschdienst und auswärtige Kulturpolitik. Der Deutsche Akademische Austauschdienst (DAAD) 1923–1945, Göttingen, 1976, S. 73 (Im Folgenden zitiert als Laitenberger, Akademischer Austauschdienst), A.  W.  Fehling, „Konzept. Tgb. Nr.  754/28“, o.  D. [Mai/Juni 1928], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. Der 1925 eingerichtete und 1930 eingestellte Dienst ging auf eine Initiative des amerikanischen Department of Labor und der Wirtschaftshilfe der deutschen Studentenschaft zurück. Die 500 Teilnehmer arbeiteten als Werkstudenten in Fabriken und landwirtschaftlichen Betrieben mit. Vgl. Wala, „Gegen eine Vereinzelung Deutschlands“, S.  314 und Füssl, Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch, S. 74. Fehling stellte fest, die „Zahl derer [sei] nicht gering, die auf eigene Mittel hinübergegangen sind“. A. W. Fehling, „Konzept. Tgb. Nr. 754/28“, o. D. [Mai/Juni 1928], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. Brief von C. J. Friedrich an A. W. Fehling, 5. November 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 1. Brief von A. W. Fehling an C. J. Friedrich, 22. Dezember 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 1.

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Manchmal seien ihm jedoch auch „tiefer gehend[e] und fein abgewogen[e] Urteile“ begegnet. Die Kritik der Geisteswissenschaftler an den amerikanischen Wissenschaftlern interpretierte Fehling als Selbstberuhigung, die die deutschen Besucher der Mühe enthebe, „einem anderen Wissenschaftstyp gerecht zu werden, und vielleicht etwas für die eigene Arbeit zu lernen“46. Insgesamt, so stellte Fehling im Januar 1925 fest47, steige das Interesse an Amerika und die Verfügbarkeit amerikanischer Produkte in Deutschland48. Die Vereinigten Staaten wurden zu einem positiven wie negativen Bezugspunkt kultureller Selbstvergewisserung49. Nur zurückhaltend engagierten sich LSRM und RF in der institutionellen Förderung in Deutschland. Die deutsche Forschung verfügte in der Zwischenkriegszeit über verschiedene Finanzierungsmodelle. Neben den staatlich finanzierten Universitäten hatten sich seit der Jahrhundertwende private und gemischt finanzierte außer­ universitäre Forschungseinrichtungen entwickelt sowie die Anfänge einer industriellen Forschungsförderung mit kommerzieller Zielsetzung50. Kürzungen staatlicher Zuschüsse und der Wegfall privater Förderung in der Weltwirtschaftskrise erschwerten die kosten- und zeitintensive empirische Forschung in den Sozialwissenschaften erheblich. In den 1920er-Jahren fehlten die materiellen Grundlagen, vor allem die Verfügbarkeit ausländischer Literatur, um am internationalen Wissenschaftsaustausch teilzunehmen. In den 1930er-Jahren führten die Folgen der Weltwirtschaftskrise zu sinkenden Forschungsbudgets. Waren die den deutschen Forschungsinstituten durch LSRM und RF zur Verfügung gestellten Summen im Vergleich zu den Gesamtausgaben der Stiftungen auch äußerst gering, so bedeuteten sie für die deutschen Empfänger oft eine bedeutende Ausweitung der Forschungsaktivitäten ihrer jeweiligen

46 Ebd. 47 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 15. Januar 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 48 Vgl. Rodgers, Daniel T., Atlantiküberquerungen. Die Politik der Sozialreform, 1870–1945, Stuttgart, 2010, S. 422 (Im Folgenden zitiert als Rodgers, Atlantiküberquerungen). 49 Vgl. Doering-Manteuffel, Wie westlich sind die Deutschen?, S.  20 und Trommler, Frank, Die Lincoln-Stiftung im Kontext der Weimarer Republik, in Richardson, Malcolm; Reulecke, Jürgen; Trommler, Frank (Hgg.), Weimars transatlantischer Mäzen. Die Lincoln-Stiftung 1927 bis 1934. Ein Versuch demokratischer Elitenförderung in der Weimarer Republik, Essen, 2008, S. 72. Zum Amerikabild der Deutschen und zu den USA als Projektionsfläche deutscher Selbstverortung siehe auch Becker, Frank; Reinhardt-Becker, Elke, Einleitung: Unter dem Atlantik hindurch – über den Atlantik hinweg, in Becker, Frank; Reinhardt-Becker, Elke (Hgg.), Mythos USA. „Amerikanisierung“ in Deutschland seit 1900, Frankfurt am Main, 2006, S. 10 und Weisbrod, Bernd, Das doppelte Gesicht Amerikas in der Weimarer Republik, in Kelleter, Frank; Knöbl, Wolfgang (Hgg.), Amerika und Deutschland. Ambivalente Begegnungen, Göttingen, 2006, S. 196–197. 50 Vgl. Rausch, Helke, US-amerikanische „Scientific Philanthropy“ in Frankreich, Deutschland und Großbritannien zwischen den Weltkriegen, in Geschichte und Gesellschaft 22 (2007), S. 91–92 (Im Folgenden zitiert als Rausch, US-amerikanische „Scientific Philanthropy“).

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Institutionen51. Besonders die deutschen Wirtschaftswissenschaften profitierten von der Rockefeller Förderung, während sich die institutionelle Förderung der deutschen Soziologie und der Politikwissenschaften als schwierig herausstellte.

Fragestellungen Das Laura Spelman Rockefeller Memorial und die Rockefeller Foundation verbaten ihren lokalen Ansprechpersonen, die Förderprogramme durch Werbung bekannt zu machen und rieten den unterstützten Institutionen, die finanziellen Beihilfen nur in ihrem Jahresbericht kurz zu erwähnen. Dies ist einer der Gründe, warum das Rockefeller Engagement für die deutschen Sozialwissenschaften bisher nur unzureichend bekannt ist. Das erste Anliegen dieser Arbeit ist es daher, die Entstehung und Durchführung der Programme sowie ihre Einstellung zu Beginn des Zweiten Weltkrieges zu beleuchten und damit auch Antworten auf die Frage nach den Interessen und Motivationen aller Beteiligten zu geben. Es wird zunächst nach den Gründen für die Konzipierung des Programmes auf amerikanischer Seite gefragt sowie nach den ersten Kontakten nach Deutschland. Durch welche Faktoren wurde die Kontaktaufnahme erleichtert oder erschwert? Wie wurden die Angebote in die deutsche Forschungslandschaft eingeführt und auf welches Interesse stießen sie? Weiterhin stehen die Selektionskriterien im Zentrum des Interesses. Wie wurden die geförderten Personen und Institutionen ausgewählt und welche Evaluierungsmechanismen kamen dabei zum Tragen? Welchen Einfluss hatten die amerikanischen und deutschen Akteure auf das Ergebnis des Auswahlprozesses und welche Hindernisse stellten sich Antragstellern in den Weg? Die amerikanischen Stiftungsmitarbeiter versuchten, sich mit Hilfe der von August Wilhelm Fehling vermittelten Informationen und regelmäßiger Reisen ein umfassendes Bild der sozialwissenschaftlichen Forschungslandschaft zu erarbeiten. Welchen Eindruck erhielten sie von der deutschen Forschung und welche Auswirkungen auf die reale Fördertätigkeit hatte dieser? Welche Zentren und Tendenzen sozialwissenschaftlicher Forschung wurden von den Stiftungsmitarbeitern in Deutschland ausgemacht und welche Wissenschaftler, Universitäten oder Forschungsinstitute wurden nicht wahrgenommen oder bewusst vernachlässigt? Weiterhin stehen die methodischen und inhaltlichen Ziele der Rockefeller’schen Fördertätigkeit in Deutschland und ihre Umsetzung im Mittelpunkt der Untersuchung. Welche Schwerpunkte wurden gesetzt, welche Vorhaben waren von einer 51 Vgl. Gemelli, Giuliana, Europe–U.S.A. American Foundations and European Scientific Integration: Actors and Networks (1920’s–1970’s), in Mélanges de l’Ecole Française de Rome. Italie et Méditerranée 114 (2002), S. 411.

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Förderung ausgeschlossen? Inwieweit wurde auf nationale Besonderheiten Rücksicht genommen und wie gestalteten sich die deutsch-amerikanischen Verhandlungsprozesse, in die die Stiftungsmitarbeiter, Fehling, die deutschen Antragsteller und in einigen Fällen die Mitarbeiter des Deutschen Komitees als zusätzliche Evaluierungsinstanz involviert waren? Untersucht wird, welche Arbeiten mit Rockefeller Geldern durchgeführt wurden und inwieweit sie den zuvor definierten Zielsetzungen entsprachen. Nicht nur die deutsche Wissenschaft, sondern auch die deutschen politischen Umstände interessierten die amerikanischen Stiftungsmitarbeiter zunehmend. Wie reagierte die Rockefeller Stiftung auf die politische Instabilität im Deutschland der frühen 1930er-Jahre? Wie ging man mit politisch engagierten Bewerbern für die Stipendien um? Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 wurden die amerikanischen Stiftungsverantwortlichen vor die Frage gestellt, ob und unter welchen Bedingungen Forschungsförderung im NS-Regime möglich und wünschenswert war. Welche Positionen wurden in der Stiftung vertreten und welche Entscheidungen getroffen? Welche Auswirkungen hatte das NS-Regime auf das Stipendienprogramm? Schließlich stehen die Erfahrungen der Rockefeller Stipendiaten im Fokus der Analyse, wobei sowohl die deutschen Fellows wie auch, soweit möglich, die Stipendiaten der anderen Länder, die Deutschland als Gastland wählten, berücksichtigt werden. Wie organisierten sie ihre Auslandsaufenthalte in materieller und wissenschaftlicher Hinsicht? Welche persönlichen Erfahrungen machten sie im Ausland, in einer von nationalem Konkurrenz- und Überlegenheitsdenken und internationaler Öffnung gleichermaßen geprägten Zeit? Erfüllten sich die Hoffnungen der Stiftungsmitarbeiter auf transnationale Methodentransfers, enge Kontakte zwischen Sozialwissenschaftlern verschiedener Länder und die Verbreitung der während der Stipendienzeit gewonnenen Erkenntnisse nach der Rückkehr ins Heimatland? An der Förderung der Sozialwissenschaften durch die Rockefeller Philanthropie waren Wissenschaftsorganisatoren und Wissenschaftler verschiedener Länder beteiligt. Welche nationalen Unterschiede in den universitären Systemen und Wissenschaftskulturen traten in der Umsetzung der Programme hervor und wie wurde mit diesen Differenzen umgegangen? Inwieweit erschwerten sie die Durchführung der in den USA konzipierten Fördermaßnahmen und inwieweit lässt sich eine gegenseitige Befruchtung feststellen? Schließlich stellt sich die Frage, welches Gewicht institutionellen und personellen Faktoren in der philanthropischen Fördertätigkeit und in der Ausgestaltung der Wissenschaftslandschaften der Zwischenkriegszeit zukommt. Der Analyse sowohl persönlicher Verbindungen und Netzwerkbeziehungen als auch institutioneller Mechanismen und Entscheidungsprozesse kommt daher eine besondere Bedeutung zu.

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Methodische Überlegungen Methodisch profitiert diese Untersuchung von den in den letzten Jahren geführten Auseinandersetzungen um grenzübergreifende Analyseansätze wie die vergleichende Geschichtsforschung, die Transferforschung und die „histoire croisée“52. Nationalgeschichtliche Analyserahmen, wie sie in der deutschen Geschichtswissenschaft bis weit in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts hinein vorherrschend waren53, wurden seit den 1980er-Jahren von vergleichenden Historikern und Transferforschern gleichermaßen in Frage gestellt. In einer intensiv geführten historiographischen Debatte erhoben die Anhänger der Kulturtransferforschung gegenüber der vergleichenden Geschichtswissenschaft den Vorwurf, im Vergleich nationale Zugehörigkeiten festzuschreiben und das Hinterfragen nationaler Identitäten zu erschweren54. Zudem warfen sie den Komparatisten vor, ihre Untersuchungsobjekte für den Vergleich

52 Die Verflechtungen zwischen „westlichen“ und „nicht-westlichen“ Gesellschaften sind in letzter Zeit ebenfalls verstärkt ins Blickfeld der Geschichtswissenschaft gerückt. Vgl. Arndt, Agnes; Häberlen, Joachim C.; Reinecke Christiane, Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, in Arndt, Agnes (Hg.), Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen, 2011, S. 14 (Im Folgenden zitiert als Arndt, Agnes et al., Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis). 53 Vgl. Bauerkämper, Arnd, Wege zur europäischen Geschichte. Erträge und Perspektiven der vergleichs- und transfergeschichtlichen Forschung, in Arndt, Agnes (Hg.), Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen, 2011, S. 33 (Im Folgenden zitiert als Bauerkämper, Wege zur europäischen Geschichte). Historiker wie Marc Bloch hatten jedoch bereits in der Zwischenkriegszeit die Nation als analytischen Rahmen geschichtswissenschaftlicher Studien hinterfragt. Patel konstatierte 2003 für die amerikanische Geschichtsschreibung, diese sei bis heute weitgehend nationalzentriert. Vgl. Patel, Kiran Klaus, Transatlantische Perspektiven transnationaler Geschichte, in Geschichte und Gesellschaft  29 (2003), S. 626 (Im Folgenden zitiert als Patel, Transatlantische Perspektiven). 54 Vgl. Espagne, Michel, Die Rolle der Mittler im Kulturtransfer, in Lüsebrink, Hans-Jürgen; Reichardt, Rolf (Hgg.), Kulturtransfer im Epochenumbruch. Frankreich–Deutschland 1770 bis 1815, Leipzig, 1997, S. 310. Vgl. Espagne, Michel, Les transferts culturels franco-allemands, Paris, 1999, S. 36, 46 (Im Folgenden zitiert als Espagne, Les transferts culturels franco-allemands). Zur vergleichenden Geschichtsforschung siehe Welskopp, Thomas, Stolpersteine auf dem Königsweg: methodenkritische Anmerkungen zum internationalen Vergleich in der Gesellschaftsgeschichte, in Archiv für Sozialgeschichte 35 (1995), S. 339–367 und Haupt, Heinz-Gerhard; Kocka, Jürgen, Historischer Vergleich: Methoden, Aufgaben, Probleme. Eine Einleitung, in Haupt, HeinzGerhard; Kocka, Jürgen (Hgg.), Geschichte und Vergleich. Ansätze und Ergebnisse international vergleichender Geschichtsschreibung, Frankfurt, New York, 1996, S. 9–45. Siehe auch Kaelble, Hartmut, Die interdisziplinären Debatten über Vergleich und Transfer, in Kaelble, Hartmut; Schriewer, Jürgen (Hgg.), Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main, 2003, S. 469–493.

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eindeutiger zu konstruieren, als sie es in der Realität seien55, und historische Kontinuitäten56 sowie Beziehungen zwischen den Vergleichseinheiten zu vernachlässigen57. Die im Idealfall in gleicher Distanz zu den Untersuchungsobjekten angesiedelte Beobachterposition sei in der Praxis kaum realisierbar58. Der in Abgrenzung zur vergleichenden Geschichtswissenschaft von Michael Werner und Michel Espagne entwickelte Ansatz der Kulturtransferforschung nimmt dagegen Transferbewegungen, Anverwandlungen und Akkulturationsprozesse in den Blick59. Prozesshaftigkeit und materielle Konkretheit von Transfers werden betont: Die transferierten Elemente werden von bestimmten Trägergruppen produziert, von Vermittlern transportiert und von Rezipienten aufgenommen60. Dem Aufnahmekontext wird dabei besondere Aufmerksamkeit zuteil, der Blick wird auf Auswahlmechanismen61, Aneignungsstrategien, aber auch auf Transferblockaden und Abwehrreaktionen gelenkt62. Mittlerweile ist vielfach betont worden, dass es sich bei Vergleich und Kulturtransfer nicht um sich gegenseitig ausschließende Ansätze handeln muss, sondern dass sich die Perspektiven durchaus ergänzen können63. So baut die Trans55 Vgl. Espagne, Michel, Sur les limites du comparatisme en histoire culturelle, in Genèses 17 (1994), S.  112 (Im Folgenden zitiert als Espagne, Sur les limites). Vgl. auch Müller, Urs, Feldkontakte, Kulturtransfer, kulturelle Teilhabe. Winckelmanns Beitrag zur Etablierung des deutschen intellektuellen Felds durch den Transfer der Querelle des anciens et des modernes (Deutsch-Französische Kulturbibliothek, Bd. 24.1), Leipzig, 2005, S. 14–15. 56 Vgl. Espagne, Les transferts culturels franco-allemands, S. 37. 57 Vgl. Werner, Michael; Zimmermann, Bénédicte, Vergleich, Transfer, Verflechtung. Der Ansatz der Histoire croisée und die Herausforderung des Transnationalen, in Geschichte und Gesellschaft 2002 (28), S. 612 (Im Folgenden zitiert als Werner et al., Vergleich, Transfer, Verflechtung). Es könne nur verglichen werden, was nicht vermischt sei, so Michel Espagne. Vgl. Espagne, Sur les limites, S. 112. 58 Vgl. Werner, Michael; Zimmermann, Bénédicte, Penser l’histoire croisée: entre empirie et réflexivité, in Werner, Michael; Zimmermann, Bénédicte (Hgg.), De la comparaison à l’histoire croisée, Paris, 2004, S. 17 (Im Folgenden zitiert als Werner et al., Penser l’histoire croisée (2004)). 59 Vgl. Werner, Michael, Neue Wege der Kulturgeschichte, in François, Etienne; Hoock-Demarle, Marie-Claire; Meyer-Kalkus, Reinhart; Werner, Michael (Hgg.), Marianne – Germania. Deutschfranzösischer Kulturtransfer im europäischen Kontext 1789–1914, Leipzig, 1998, S. 739. 60 Vgl. Lüsebrink, Hans-Jürgen; Reichardt, Rolf, Kulturtransfer im Epochenumbruch. Fragestellungen, methodische Konzepte, Forschungsperspektiven. Einführung, in Lüsebrink, Hans-Jürgen; Reichardt, Rolf (Hgg.), Kulturtransfer im Epochenumbruch. Frankreich – Deutschland 1770 bis 1815, Leipzig, 1997, S. 19. 61 Vgl. Espagne, Les transferts culturels franco-allemands, S. 23. 62 Vgl. Jurt, Joseph, Das wissenschaftliche Paradigma des Kulturtransfers, in Berger, Günter; Sick, Franziska (Hgg.), Französisch-deutscher Kulturtransfer im Ancien Régime, Tübingen, 2002, S. 22. 63 Vgl. Arndt et al., Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, S. 14. Siehe auch Budde, Gunilla-Friederike; Conrad, Sebastian; Janz, Oliver, Vorwort, in Budde, Gunilla-Friederike (Hg.), Transnationale Geschichte. Themen, Tendenzen und Theorien. Festschrift für Jürgen Kocka zum 65. Geburtstag, Göttingen, 2006, S. 11, Bauerkämper, Wege zur europäischen Geschichte,

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ferforschung logisch auf einen vorhergehenden Vergleich auf64 und die an Transferbewegungen beteiligten Akteure stellen selbst oft vergleichende Beobachtungen an. Vergleichende Untersuchungen profitieren von einer Analyse der zwischen den Vergleichseinheiten bestehenden Beziehungen65. Der Analyse der Rockefeller’schen Förderprogramme für die deutschen Sozialwissenschaften wird allerdings weder eine vergleichszentrierte, noch eine auf Transfers konzentrierte Perspektive gerecht. Zwar ist festzustellen, dass die Akteure, seien es die deutschen Sozialwissenschaftler, die Stiftungsmitarbeiter oder die Landesvertreter, oft verglichen: Die amerikanischen Stiftungsverantwortlichen ließen vergleichende Studien zu den Sozialwissenschaften verschiedener europäischer Länder anfertigen, deutsche Institutsdirektoren stellten in ihren Anträgen die Stärken ihrer Institutionen im Vergleich zu anderen heraus, im Deutschen Komitee wurden die Vorzüge und Schwächen der einzelnen Bewerber beurteilt und die ins Ausland entsandten Stipendiaten verglichen Eigenes mit Fremdem. Auch Aussagen über die Auswirkungen der Förderprogramme lassen sich nur unter Einbezug einer vergleichenden Perspektive treffen. Aber die komplexen Aushandlungsprozesse und die genuin transnationale Ausrichtung der Programme sind durch Vergleiche kaum zu erfassen. Der Transferbegriff ist für die vorliegende Untersuchung insofern problematisch, als er oft einen unidirektional gedachten Übertragungsprozess von einem exportierenden in einen importierenden Kontext impliziert. Ein Produkt, etwa die von LSRM und RF favorisierten empirischen Forschungsmethoden, wird nach dem Schema Diffusion – Rezeption – Aneignung verbreitet. Die Rockefeller Programme verbanden jedoch nicht rein entsendende und rein aufnehmende Kulturen. Die „amerikanischen Sozialwissenschaften“ und die in den USA konzipierten Förderprogramme waren durchlässig für äußere Einflüsse66 und das Ergebnis komplexer historischer Verflechtungsprozesse. Auch war das Stipendienprogramm nicht binational, sondern transnational ausgerichtet, sodass deutsche Stipendiaten mit amerikanischem Geld in Frankreich, Australien oder Rumänien forschten. Sie brachten dabei ihre eigenen Wissenschaftstraditionen und persönlichen Forschungsinteressen in die Gastländer ein. In der Praxis muss es daher schwerfallen, einzelne Transferprozesse zu isolieren67. Die Stiftungen bauten in Deutschland keine neuen Strukturen auf, sondern klinkten sich in bereits bestehende Prozesse ein. Wie Ludovic Tournès bemerkt, müssen die

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S. 49 und Kocka, Jürgen, Arbeit an der Geschichte: Gesellschaftlicher Wandel im 19. und 20. Jahrhundert (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 200), Göttingen, 2011, S. 108. Vgl. Müller, Feldkontakte, Kulturtransfer, kulturelle Teilhabe, S. 19. Vgl. Kaelble, Die interdisziplinären Debatten über Vergleich und Transfer, S. 478. Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 10. Vgl. Eisenberg, Christiane, Kulturtransfer als historischer Prozess. Ein Beitrag zur Komparatistik, in Kaelble, Hartmut; Schriewer, Jürgen (Hgg.), Vergleich und Transfer. Komparatistik in den Sozial-, Geschichts- und Kulturwissenschaften, Frankfurt am Main, 2003, S. 404.

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Akteure der philanthropischen Aktivitäten gleichzeitig als Empfänger und Sender verstanden werden, auch wenn sie sich in einem ungleichen Kräfteverhältnis befanden68. Als einen Weg aus der „Sackgasse der Diskussion zwischen Komparatisten und Transferspezialisten“69 präsentierten Michael Werner und Bénédicte Zimmermann 2002 den Ansatz der „histoire croisée“, der im Deutschen auch mit Verflechtungsgeschichte übersetzt wird70. Er ist für die Analyse der amerikanischen Stiftungsaktivitäten in Deutschland die vielversprechendste Forschungsperspektive. Die Vertreter der „histoire croisée“ plädieren für eine an Gegenstand und Forschungsfrage variabel angepasste Versuchsanordnung aus vergleichenden, transfergeschichtlichen und verflechtungsgeschichtlichen Bausteinen. Betont werden eine Pluralisierung der Sichtweisen und eine verstärkte Selbstreflexivität im Forschungsprozess71. Im Zentrum der „histoire croisée“ steht das französische Verb „croiser“, das sich mit kreuzen, überkreuzen oder verflechten übersetzen lässt72. In den Blick wird nicht nur der Berührungspunkt zweier oder mehrerer Untersuchungsobjekte genommen, sondern auch die auf den Kontakt folgenden Veränderungen73. Die Verflechtung beschränkt sich nicht auf die Forschungsobjekte, sondern bezieht auch die Analysedimensionen und das Verhältnis von Forscher und Gegenstand mit ein74. So halten Werner und Zimmermann den Wissenschaftler an, mindestens zwei Blickwinkel auf das Untersuchungsobjekt einzunehmen und verschiedene räumliche und zeitliche Maßstäbe anzusetzen75. Für die Analyse von Verflechtungsprozessen wird eine pragmatische Methode vorgeschlagen, die von den Untersuchungsgegenständen und konkreten Situationen ausgeht und eine kontinuierliche Anpassung von Kategorien und Konzepten im Forschungsprozess ermöglicht76. Eine Schwierigkeit besteht darin, dass es bisher nur wenige größere empirische Arbeiten gibt, in denen der Ansatz

68 Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 11. 69 Werner et al., Penser l’histoire croisée (2004), S. 16. 70 Michael Werner und Bénédicte Zimmermann haben sich 2002 gegen eine Übersetzung des französischen Begriffs „histoire croisée“ ausgesprochen. Vgl. Werner et al., Vergleich, Transfer, Verflechtung, S. 607. 71 Vgl. Werner et al., Vergleich, Transfer, Verflechtung, S. 636. 72 Vgl. ebd., S. 618. Vgl. Werner, Michael; Zimmermann, Bénédicte, Penser l’histoire croisée entre empirie et réflexivité, in Annales ESC 58 (2003), S. 15. 73 Vgl. Werner et al., Penser l’histoire croisée (2004), S. 22 und Zimmermann, Bénédicte, Histoire comparée, histoire croisée, in Delacroix, Christian; Dosse, François; Garcia, Patrick; Offenstadt, Nicolas (Hgg.), Historiographies. Concepts et débats, Paris, 2010, S. 174. 74 Vgl. Werner et al., Vergleich, Transfer, Verflechtung, S.  618. Siehe auch Werner et al., Penser l’histoire croisée (2004), S. 26. 75 Vgl. Werner et al., Penser l’histoire croisée (2004), S. 19. 76 Vgl. Werner et al., Vergleich, Transfer, Verflechtung, S. 620–621.

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der „histoire croisée“ herangezogen wird77. Wiederholt wurde die Frage aufgeworfen, ob der Anspruch nach Multiperspektivität und Selbstreflexivität sich auch bei der Bearbeitung größerer Forschungsprojekte einlösen lasse78 oder ob dies zu einer praktisch nicht zu bewältigenden Arbeitsmenge führen müsse79. Die sozialwissenschaftlichen Förderprogramme der Rockefeller Philanthropie, und in besonderem Ausmaße das Stipendienprogramm, sind durch ihre transnationale Ausrichtung „verflochtene“ Untersuchungsgegenstände par excellence. Die amerikanischen und europäischen Teile der Programme wurden zeitgleich und in Bezug aufeinander konzipiert, auch die Umsetzung erfolgte parallel. Die Programme wurden kontinuierlich weiterentwickelt, wobei die Erfahrungen aus den verschiedenen Ländern in die Reflexionen eingingen. Die Stiftungsmitarbeiter standen in engem Kontakt mit Vertrauenspersonen in den lokalen Kontexten, zwischen den Landesvertretern und den Stipendiaten entwickelten sich nationenübergreifende persönliche Bindungen. Auch die homogenisierende Tendenz der von den Stiftungsmitarbeitern mobilisierten Kategorien („empirische Sozialwissenschaften“, „amerikanische Sozialwissenschaften“) kann in verflechtungsgeschichtlicher Perspektive hinterfragt werden. Die Förderpolitik von LSRM und RF wurde auf verschiedenen Ebenen definiert. Auf globalem Niveau agierten die Treuhänder („Trustees“), die für die generelle Ausrichtung der Programme und deren Vereinbarkeit mit den Grundsätzen der Stiftung verantwortlich waren. Ihr Blick war auf übergeordnete Ziele und langfristige Planungen gelenkt. Die Stiftungsmitarbeiter („Foundation Officers“) waren mit der konkreten Umsetzung betraut. Durch enge Kontakte zu Ansprechpartnern in aller Welt und eine ausgedehnte Reisetätigkeit handelten sie sowohl konzeptionell als auch praktisch auf einer transnationalen Ebene. Die Handlungskompetenz der Landesvertreter lag auf nationalem Niveau, wobei sie nicht nur mit den Foundation Officers, sondern auch untereinander in Kontakt standen. Die Stipendiaten verbanden verschiedene Ebenen miteinander: Sie waren in lokale wissenschaftliche Zusammenhänge in ihren Heimatländern eingebunden, im Ausland wurden sie als Vertreter ihrer nationalen Wissenschaftskultur wahrgenommen und nahmen sich oft auch selbst als solche wahr. In den meisten Fällen etablierten sie während ihrer Stipendienzeit lang 77 Vgl. Bauerkämper, Wege zur europäischen Geschichte, S. 49. Arndt hält fest, dass es bisher im deutschen Sprachraum keine Studie gebe, die sich auf den Ansatz der „histoire croisée“ stütze und die Anwendbarkeit in methodischer und empirischer Hinsicht überprüfen würde. Vgl. Arndt, Agnes, Der Bedeutungsverlust des Marxismus in transnationaler Perspektive. „Histoire croisée“ als Ansatz und Anspruch an eine Beziehungsgeschichte West- und Ostmitteleuropas, in Arndt, Agnes (Hg.), Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen, 2011, S. 88 (Im Folgenden zitiert als Arndt, Der Bedeutungsverlust). 78 Vgl. Arndt, Der Bedeutungsverlust, S. 107. 79 Vgl. Arndt et al., Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, S. 16.

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anhaltende Kontakte zu ausländischen Wissenschaftlern und Stipendiaten verschiedener Nationalitäten. Philanthropischen Stiftungen wurde vorgeworfen, Projekte im Ausland lediglich anzustoßen und die Projekte nach kurzer Förderdauer sich selbst zu überlassen. Für die sozialwissenschaftlichen Förderprogramme von LSRM und RF gilt diese Kritik nicht: Die institutionelle Förderung erstreckte sich in der Regel über drei bis fünf Jahre mit der Möglichkeit einer Verlängerung. Handelte es sich um eine begrenzte Nothilfe, wurde von den Stiftungen auf die Einmaligkeit der Spende hingewiesen. Sowohl das Memorial als auch die RF achteten darauf, nicht zum alleinigen Geldgeber von Forschungszentren zu werden80. Viele der ehemaligen Fellows erhielten auch nach der Rückkehr in ihr Heimatland Unterstützung durch die Rockefeller Philanthropie, etwa durch Einbindung in geförderte Forschungsprogramme oder die Bewilligung von „grants-in-aid“ genannten Forschungsbeihilfen. Durch das Zusammenkommen amerikanischer und deutscher Initiativen entstand ein transnationaler Grenzraum81, in dem sich verschiedene Deutungen verflechten konnten und etwas Neues entstand. In ähnlicher Weise hat Daniel T. Rodgers in seiner Untersuchung zur Sozialpolitik festgestellt, dass deren Ursprünge weder in einem hypothetischen „Europa“ noch in einem gleichermaßen imaginären „Amerika“ lägen, sondern im Raum zwischen den beiden82. Dass transnationale Prozesse die Bedeutung des Nationalen nicht schmälern müssen83, hat die Migrationsforschung am Beispiel von Migranten gezeigt, die in der Diaspora zu überzeugten Akteuren des Nationalen werden konnten84.

80 Siehe zur Förderdauer auch Tournès, Ludovic, Introduction. Carnegie, Ford, Soros: Généalogie de la toile philanthropique, in Tournès, Ludovic (Hg.), L’argent de l’influence. Les fondations américaines et leurs réseaux européens, Paris, 2010, S. 19. 81 Den Begriff des transnationalen Grenzraums hat Johannes Paulmann in die Debatte eingeführt. Er bezeichnet Handlungsfelder, „in denen Vertreter und Vertreterinnen verschiedener Herkunft aus ähnlichen oder unterschiedlichen Motiven zusammentrafen, um ein bestimmtes Interesse in mehr oder weniger festen Formen transnational zu verfolgen“. Paulmann, Johannes, Grenzüberschreitungen und Grenzräume. Überlegungen zur Geschichte transnationaler Beziehungen von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die Zeitgeschichte, in Conze, Eckart; Lappenküper, Ulrich; Müller, Guido (Hgg.), Geschichte der internationalen Beziehungen. Erneuerung und Erweiterung einer historischen Disziplin, Köln, 2004, S. 183. 82 Vgl. Rodgers, Atlantiküberquerungen, S.  15. Siehe zu Rogers auch die Anmerkungen in Patel, Transatlantische Perspektiven, S. 633–634. 83 Vgl. Patel, Kiran Klaus, Überlegungen zu einer transnationalen Geschichte, in Osterhammel, Jürgen (Hg.), Weltgeschichte, Stuttgart, 2008, S. 69. 84 Vgl. Reinecke, Christiane, Zur Analyse transnationaler und nationaler Handlungslogiken in der Migrationsgeschichte, in Arndt, Agnes (Hg.), Vergleichen, verflechten, verwirren? Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, Göttingen, 2011, S. 244.

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Eine genauere Betrachtung der Vermittlerrolle August Wilhelm Fehlings bietet einen guten Einstieg in das transnationale Rockefeller Universum der Zwischenkriegszeit und die damit verbundenen Netzwerke. Vor diesem Hintergrund lassen sich Fragen nach Macht und Einfluss der verschiedenen Akteure stellen, die durch ihre Position innerhalb des Netzwerkes und ihr Verhältnis zu anderen Kreisen bedingt werden85. Im Vergleich zu anderen Disziplinen hat sich die geschichtswissenschaftliche Forschung bisher mit netzwerkanalytischen Untersuchungen zurückgehalten86 und auch in der Erforschung der amerikanischen Philanthropie wurde bisher nur selten auf Anregungen aus der Netzwerkanalyse zurückgegriffen87. Das LSRM und die RF initiierten, pflegten, und integrierten Netzwerke auf verschiedenen Niveaus. Ludovic Tournès benennt zwei Grundmerkmale der philanthropischen Netzwerkpolitik: Sie war erstens „expansionistisch“ ausgelegt und verfolgte das Ziel, den Beziehungskreis der Stiftungen kontinuierlich zu erweitern, und sie war zweitens weltweit ausgerichtet. Die Stiftungen bemühten sich um Kontakte in die Praxis, zu Behörden und Wohlfahrtsorganisationen und integrierten sich in europäische Netzwerke, etwa

85 Vgl. Berghahn, Volker Rolf, Industriegesellschaft und Kulturtransfer: Die deutsch-amerikanischen Beziehungen im 20. Jahrhundert (Kritische Studien zur Geschichtswissenschaft 182), Göttingen, 2010, S. 250 (Im Folgenden zitiert als Berghahn, Industriegesellschaft). 86 Vgl. Lemercier, Claire, Analyse de réseaux en histoire, in Revue d’histoire moderne et contemporaine 52 (2005), S. 89. Auch in der transnationalen Geschichtsschreibung wird das Netzwerk oft als Metapher und nicht als definierter und operationalisierbarer Begriff verwendet, konstatiert Ravi Ahuja. Ahuja, Ravi, Netzwerke und Arbeitsmärkte: Annäherungen an ein Problem transterritorialer Arbeitsgeschichte, in Unfried, Berthold (Hg.), Transnationale Netzwerke im 20. Jahrhundert. Historische Erkundungen zu Ideen und Praktiken, Individuen und Organisationen [43.  Linzer Konferenz der International Conference of Labour and Social History, 13.–16. September 2007 und Internationale wissenschaftliche Tagung: Transnationale Netzwerke, Beiträge zur Geschichte der Globalisierung, Wien 16.–18. November 2007], Leipzig, 2008, S. 99. 87 Ausnahmen bilden die Studien von Giuliana Gemelli zu den Netzwerken der Ford Foundation in den 1960er- und 1970er-Jahren, die Studie von Volker Berghahn zu den Netzwerken Shepard Stones und die Arbeiten von Ludovic Tournès zu den Aktivitäten der amerikanischen Philanthropie in Frankreich. Vgl. Gemelli, Giuliana, Networks as drivers of innovation and European scientific integration: The role of the Ford Foundation in the late Sixties and early Seventies, in Unfried, Berthold (Hg.), Transnationale Netzwerke im 20.  Jahrhundert. Historische Erkundungen zu Ideen und Praktiken, Individuen und Organisationen [43. Linzer Konferenz der International Conference of Labour and Social History, 13.–16.  September 2007 und Internationale wissenschaftliche Tagung: Transnationale Netzwerke, Beiträge zur Geschichte der Globalisierung, Wien 16.–18.  November 2007], Leipzig, 2008, Berghahn, Industriegesellschaft, besonders Teil  C „Amerikanische Stiftungen, „Massenkultur“ und transatlantische Netzwerke 1918–2000“, S.  231–276, und Tournès, Ludovic (Hg.), L’argent de l’influence. Les fondations américaines et leurs réseaux européens, Paris, 2010. Siehe auch Tournès, Sciences de l’homme et politique.

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im Kontext des Völkerbundes88. Durch finanzielle Förderung konnten bestimmte Tendenzen in den Netzwerken gestärkt werden, ohne dass die Stiftungen die komplexen Beziehungsgebilde vollständig kontrollierten. Forschungsförderung blieb eine von Aushandlungsprozessen vor Ort bestimmte Unternehmung. Die Kooperationsbereitschaft ausländischer Akteure bestimmte in hohem Maße, ob und in welcher Weise die von den Stiftungsmitarbeitern konzipierten Aktivitäten durchgeführt werden konnten89. Bei einem Verständnis der Rockefeller’schen Förderprogramme als „verflochtene“, sich gegenseitig bedingende und transnational vernetzte Untersuchungsgegenstände erscheint die Konzentration auf die Umsetzung in einem einzigen Land auf den ersten Blick als problematisch. Das Programm wurde nicht nur für Deutschland, sondern für mehrere europäische Länder entwickelt und sollte darüber hinaus schrittweise erweitert werden. Vor diesem Hintergrund wurde für die vorliegende Analyse ein weit gefasster Rahmen gewählt, der alle Konstellationen umfasst, in denen die deutschen Sozialwissenschaften von der Rockefeller Philanthropie berücksichtigt wurden, unabhängig davon, ob die Kontakte in den Vereinigten Staaten, Deutschland oder einem dritten Land wie Frankreich, Italien, Großbritannien oder Australien stattfanden. Auch wenn eine detaillierte, auf umfangreichen Archivrecherchen beruhende Arbeit aus pragmatischen Gründen einer räumlichen Eingrenzung bedarf, ermöglichen die konsultierten Quellenbestände eine Herangehensweise, die über den bilateralen Rahmen hinausgeht. Darüber hinaus ist diese Arbeit in das größere, von Michael Werner und Ludovic Tournès geleitete Forschungsprojekt „Philanthropie américaine et sciences sociales en Europe 1919–1939: Circulations intellectuelles, réseaux et constructions institutionnelles“ an der École des hautes études en sciences sociales (EHESS) eingegliedert, in dem die Umsetzung der Programme in verschiedenen europäischen Ländern untersucht wird. Die Untersuchung der Fördermaßnahmen in Deutschland verdeutlicht die globale Dimension der Wissenschaftspolitik der RF und bietet einen Einstieg in das komplexe Gebilde des Rockefeller Universums in der Zwischenkriegszeit. Durch die im Vergleich zu anderen Ländern hervorragende Quellenlage und die enge Vernetzung der Programmteile untereinander lassen sich aus der Analyse der Deutschland betreffenden Aktivitäten Rückschlüsse auf das transnationale Funktionieren der Rockefeller Philanthropie ziehen, die über den deutschen Fall hinaus von Bedeutung sind.

88 Vgl. Tournès, Ludovic, Les États-Unis et la Société des Nations (1914–1946). Le système international face à l’émergence d’une superpuissance, Bern, 2016 (Im Folgenden zitiert als Tournès, Les États-Unis). 89 Vgl. Tournès, Introduction. Carnegie, Ford, Soros: Généalogie de la toile philanthropique, S. 12, 17–18.

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Der Forschungsstand In den letzten Jahren hat sich die historische Forschung den transatlantischen Aktivitäten in der Forschungsförderung zugewandt. Dabei legt die Forschungsliteratur zum Engagement amerikanischer philanthropischer Stiftungen in Europa den Schwerpunkt auf die Periode nach dem Zweiten Weltkrieg90. Eine weitere Gruppe aktueller Untersuchungen hat die amerikanische Unterstützung von naturwissenschaftlichen Disziplinen wie der Physik, der Biologie und der Medizin zum Thema91. Auch in den breit angelegten Forschungsunternehmungen, die seit den 1990er-Jahren von Giuliana Gemelli koordiniert werden, nehmen die Sozialwissenschaften nur einen geringen Raum ein92. Für das Frankreich der Zwischenkriegszeit wurde das Vorgehen der 90 Siehe zum Beispiel Berghahn, Volker, Transatlantische Kulturkriege. Shepard Stone, die FordStiftung und der europäische Antiamerikanismus (Transatlantische Historische Studien  21), Stuttgart, 2004, Gemelli, Giuliana (Hg.), The Ford Foundation and Europe, 1950’s–1970’s. Crossfertilization of learning in social science and management (Memoirs of Europe 5), Brüssel, 1998, Sachse, Carola, What Research, to What End? The Rockefeller Foundation and the Max Planck Gesellschaft in the Early Cold War, in Central European History 42 (2009), S. 97–141 (Im Folgenden zitiert als Sachse, What Research, to What End), Müller, Tim B., Die gelehrten Krieger und die Rockefeller-Revolution. Intellektuelle zwischen Geheimdienst, Neuer Linken und dem Entwurf einer neuen Ideengeschichte, in Geschichte und Gesellschaft  33 (2007), S.  198–227 (Im Folgenden zitiert als Müller, Die gelehrten Krieger), Hauptmann, Emily, From Opposition to Accommodation: How Rockefeller Foundation Grants Redefined Relations between Political Theory and Social Science in the 1950s, in American Political Science Review 100 (2006), S. 643– 649, Scheil, Stefan, Transatlantische Wechselwirkungen. Der Elitenwechsel in Deutschland nach 1945, Berlin, 2012, Staley, David J., The Rockefeller Foundation and the patronage of German Sociology, 1946–1955, in Minerva 33 (1995), S. 251–264 (Im Folgenden zitiert als Staley, The Rockefeller Foundation). 91 Vgl. Macrakis, Kristie, The Rockefeller Foundation and German Physics under National Socialism, in Minerva 27 (1989), S. 33–57 (Im Folgenden zitiert als Macrakis, The Rockefeller Foundation), Schneider, William H. (Hg.), Rockefeller Philanthropy and Modern Biomedicine: International Initiatives from World War I to the Cold War, Bloomington, 2002, Siegmund-Schultze, Reinhard, Rockefeller and the Internationalization of Mathematics between the Two World Wars: Documents and Studies for the Social History of Mathematics in the 20th Century, Basel, Boston, 2001, Schleiermacher, Sabine, Die Rockefeller Foundation und ihr Engagement bei einer Neuorientierung von Medizin und Public Health in Deutschland in den 1950er Jahren, in Medizinhistorisches Journal 45 (2010), S. 43–65, Page, Benjamin B., The Rockefeller Foundation and Central Europe: A Reconsideration, in Minerva 40 (2002), S. 265–287, Glick, Thomas F., Dictating to the Dictator: Augustus Trowbridge, the Rockefeller Foundation, and the Support of Physics in Spain, 1923–1927, in Minerva 43 (2005), S. 121–145, Picard, Jean-François, La Fondation Rockefeller et la recherche médicale, Paris, 1999, Fisher, Donald, The Rockefeller Foundation and the Development of Scientific Medicine in Great Britain, in Minerva 16 (1978), S. 20–41. 92 Vgl. Gemelli, Giuliana (Hg.), The „unacceptables“. American foundations and refugee scholars between the two wars and after, Brüssel, New York, 2000, Gemelli, Giuliana (Hg.), The Role of

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amerikanischen philanthropischen Stiftungen bereits von Brigitte Mazon93 und Ludovic Tournès94 analysiert, Donald Fisher und Marie Scot haben Untersuchungen zu Großbritannien veröffentlicht95. Die Deutschland behandelnde Geschichtsschreibung hat bisher Arbeiten zu den transatlantischen Wissenschaftsbeziehungen96 und der Geschichte der einzelnen sozialwissenschaftlichen Disziplinen in Deutschland vorgelegt97. In der Literatur zur Forschungsfinanzierung in der Weimarer Republik

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American Foundations in Europe: Grant-Giving Policies, Cultural Diplomacy, and Trans-Atlantic Relations, 1920–1980, Brüssel, 2003. Vgl. Mazon, Brigitte, Aux origines de l’Ecole des hautes études en sciences sociales. Le rôle du mécénat américain (1920–1960), Paris, 1988, Mazon, Brigitte, La Fondation Rockefeller et les sciences sociales en France, 1925–1940, in Revue de sociologie française 26 (1985), S. 311–342 (Im Folgenden zitiert als Mazon, La Fondation Rockefeller). Vgl. Tournès, Ludovic, Les élites françaises et l’américanisation: le réseau des boursiers de la fondation Rockefeller (1917–1970), in Relations internationales 116 (2003), S. 501–513 (Im Folgenden zitiert als Tournès, Les élites françaises), Tournès, Ludovic, L’institut scientifique de recherche économique et sociale et le début de l’expertise économique en France 1933–1940, in Genèses. Sciences sociales et histoire 65 (2006), S. 49–70 (Im Folgenden zitiert als Tournès, L’institut scientifique), Tournès, Ludovic, La fondation Rockefeller et la naissance de l’universalisme philanthropique américain, in Critique Internationale 35 (2007), S. 173–197 (Im Folgenden zitiert als Tournès, La fondation Rockefeller et la naissance de l’universalisme), Tournès, Ludovic, Penser global. Agir local. La fondation Rockefeller en France (1914–1960), in Dulphy, Anne; Frank, Robert; Matard-Bonucci, Marie-Anne; Ory, Pascal (Hgg.), Les relations culturelles internationales au XXe siècle: De la diplomatie culturelle à l’acculturation, Brüssel, 2010, S. 375–382 (Im Folgenden zitiert als Tournès, Penser global), Tournès, Sciences de l’homme et politique. Vgl. Fisher, Donald, American Philanthropy and the Social Sciences in Britain, 1919–1939. The Reproduction of a Conservative Ideology, in Sociological Review 28 (1980), S. 277–315 (Im Folgenden zitiert als Fisher, American Philanthropy and the Social Sciences in Britain, 1919–1939), Scot, Marie, „Rockefeller’s Baby“: la London School of Economics et la recherche économique dans l’Angleterre de l’entre-deux-guerres, in Tournès, Ludovic (Hg.), L’argent de l’influence. Les fondations américaines et leurs réseaux européens, Paris, 2010, S. 84–104 (Im Folgenden zitiert als Scot, „Rockefeller’s Baby“). Vgl. Vom Brocke, Bernhard, Der deutsch-amerikanische Professorenaustausch. Preußische Wissenschaftspolitik, internationale Wissenschaftsbeziehungen und die Anfänge einer deutschen auswärtigen Kulturpolitik vor dem Ersten Weltkrieg, in Zeitschrift für Kulturaustausch 31 (1981), S. 128–182, Laitenberger, Akademischer Austauschdienst, Füssl, Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch, Bleek, Wilhelm, Die Gründung der Wissenschaft von der Politik in den USA. Ein Kapitel amerikanisch-deutschen Kulturtransfers, in Funke, Manfred; Jacobsen, Hans-Adolf; Knütter, Hans-Helmuth; Schwarz, Hans-Peter (Hgg.), Demokratie und Diktatur. Geist und Gestalt politischer Herrschaft in Deutschland und Europa. Festschrift für Karl Dietrich Bracher, Düsseldorf, 1987, S. 521–533 (Im Folgenden zitiert als Bleek, Die Gründung der Wissenschaft), Düwell, Kurt, Deutschlands auswärtige Kulturpolitik, 1918–1932. Grundlinien und Dokumente, Köln, Wien, 1976. Vgl. Lepsius, Mario Rainer (Hg.), Soziologie in Deutschland und Österreich 1918–1945. Materialien zur Entwicklung, Emigration und Wirkungsgeschichte (Kölner Zeitschrift für Soziologie

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werden die von den amerikanischen Stiftungen beigesteuerten Mittel nicht immer erwähnt98. In Untersuchungen zur Geschichte des Stifterverbands der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft wird die Rockefeller Stiftung nur als Gegenmodell zitiert99. Eine detaillierte Untersuchung der Rolle der amerikanischen Stiftungen in der Entwicklung der deutschen Sozialwissenschaften der Zwischenkriegszeit steht noch aus. Bisher wurden nur Teilaspekte in Studien behandelt, wie etwa in der Geschichte der empirischen Sozialforschung von Christian Fleck100, der Analyse der Abraham und Sozialpsychologie Sonderheft 23), Opladen, 1981, Kastendiek, Hans, Die Entwicklung der westdeutschen Politikwissenschaft, Frankfurt am Main, New York, 1977 (Im Folgenden zitiert als Kastendiek, Die Entwicklung), Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, Bleek, Wilhelm, Politische Wissenschaft(en), in Elvert, Jürgen; Nielson-Sikora, Jürgen (Hgg.), Kulturwissenschaften und Nationalsozialismus, Stuttgart, 2008, S. 445–468 (Im Folgenden zitiert als Bleek, Politische Wissenschaft(en)), Eisfeld, Rainer, Ausgebürgert und doch angebräunt. Deutsche Politikwissenschaft 1920–1945, Baden-Baden, 1991 (Im Folgenden zitiert als Eisfeld, Ausgebürgert), Franke, Bettina; Hammerich, Kurt (Hgg.), Soziologie an deutschen Universitäten. Gestern – heute – morgen, Wiesbaden, 2006, Gerhardt, Uta, Soziologie der Stunde Null. Zur Gesellschaftskonzeption des amerikanischen Besatzungsregimes in Deutschland 1944–1945/1946, Frankfurt am Main, 2005, Herrschaft, Felicia; Lichtblau, Klaus (Hgg.), Soziologie in Frankfurt: Eine Zwischenbilanz, Wiesbaden, 2010, Klingemann, Carsten, Soziologie im Dritten Reich, Baden-Baden, 1996 (Im Folgenden zitiert als Klingemann, Soziologie im Dritten Reich), Klingemann, Carsten, Soziologie und Politik: Sozialwissenschaftliches Expertenwissen im Dritten Reich und in der frühen westdeutschen Nachkriegszeit, Wiesbaden, 2009 (Im Folgenden zitiert als Klingemann, Soziologie und Politik), Stölting, Die Soziologie, Hagemann, Volkswirtschaftslehre, Köster, Die Wissenschaft der Außenseiter, Janssen, Nationalökonomie und Nationalsozialismus. 98 Vgl. Pfetsch, Frank  R., Staatliche Wissenschaftsförderung in Deutschland 1870–1975, in Vom Bruch, Rüdiger; Müller, Rainer  A. (Hgg.), Formen außerstaatlicher Wissenschaftsförderung im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, Stuttgart, 1990, S. 113–138. Pfetsch erwähnt private Gelder aus dem Ausland nicht. 99 Vgl. Feldman, Gerald D., The Private Support of Science in Germany, 1900–1933, in Vom Bruch, Rüdiger; Müller, Rainer A. (Hgg.), Formen außerstaatlicher Wissenschaftsförderung im 19. und 20. Jahrhundert. Deutschland im europäischen Vergleich, Stuttgart, 1990, S. 102, Schulze, Winfried; Bergmann, Sven; Helm, Gerd, Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, 1920– 1995, Berlin, 1995, S. 62. 100 Vgl. Fleck, Christian, Transatlantische Bereicherungen. Zur Erfindung der empirischen Sozialforschung, Frankfurt am Main, 2007 (Im Folgenden zitiert als Fleck, Transatlantische Bereicherungen). Siehe auch Fleck, Christian, Long-Term Consequences of Short-Term Fellowships, in Gemelli, Giuliana (Hg.), The „unacceptables“. American foundations and refugee scholars between the two wars and after, Brüssel, New York, 2000, S. 51–81 (Im Folgenden zitiert als Fleck, Long-Term Consequences), Fleck, Christian, Probleme beim Schreiben einer Kollektivbiographie deutschsprachiger Soziologen, in Buchinger, Eva; Felt, Ulrike (Hgg.), Technik- und Wissenschaftssoziologie in Österreich: Stand und Perspektiven. Sonderheft  8, Österreichische Zeitschrift für Soziologie, Wiesbaden, 2006, S. 225–253, Fleck, Christian, Akademische Wanderlust im Wandel, in Grandner, Margarete Maria; König, Thomas (Hgg.), Reichweiten und Außensichten: Die Universität Wien als Schnittstelle wissenschaftlicher Entwicklungen und gesellschaftlicher Umbrüche,

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Lincoln-Stiftung durch Malcolm Richardson101 oder den Untersuchungen Katharina Rietzlers zur philanthropischen Unterstützung von Friedensforschung und Studien auf dem Gebiet der Internationalen Beziehungen102. Einen geographisch und chronologisch erweiterten Überblick bietet Helke Rausch103. Besonders den verschiedenen Arbeiten Christian Flecks verdankt diese Arbeit viel, er gehört auch zu den wenigen Wissenschaftlern, die sich mit den Rockefeller’schen Stipendienprogrammen beschäftigt haben. Im Gegensatz zu anderen Landesvertretern des LSRM104 wurde August Wilhelm Fehling in der Forschung bisher nicht beachtet105. Lothar Mertens veröffentlichte 2005 einen Artikel mit dem Titel „America first – Zur Forschungs-

Göttingen, 2015, S. 127–152 (Im Folgenden zitiert als Fleck, Akademische Wanderlust im Wandel). 101 Die Abraham Lincoln-Stiftung verteilte in den Jahren 1926 bis 1933 Stipendien an über sechzig deutsche Stipendiaten. Vgl. Richardson, Malcolm; Reulecke, Jürgen; Trommler, Frank (Hgg.), Weimars transatlantischer Mäzen. Die Lincoln-Stiftung 1927 bis 1934. Ein Versuch demokratischer Elitenförderung in der Weimarer Republik, Essen, 2008. Fehling war mit der Verwaltung dieser Stipendien nicht befasst. Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. von Schelting. 9. August 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 102 Vgl. Rietzler, Katharina, Experts for Peace. Structures and Motivations of Philanthropic Internatio­ nalism in the Interwar Years, in Laqua, Daniel (Hg.), Internationalism Reconfigured: Transnational Ideas and Movements Between the World Wars, London, 2011, S. 45–65 (Im Folgenden zitiert als Rietzler, Experts for Peace), Rietzler, Katharina, Philanthropy, Peace Research, and Revisionist Politics: Rockefeller and Carnegie Support for the Study of International Relations in Weimar Germany, in GHI Bulletin Supplement 5 (2008), S. 61–79 (Im Folgenden zitiert als Rietzler, Philanthropy, Peace Research). 103 Vgl. Rausch, US-amerikanische „Scientific Philanthropy“, S. 73–98, Krige, John; Rausch, Helke (Hgg.), American Foundations and the Coproduction of World Order in the Twentieth Century, Göttingen, 2012. 104 Siehe zum italienischen Landesvertreter Luigi Einaudi die Arbeiten Attal, Frédéric, Luigi Einaudi, la Fondazione Rockefeller e le scienze sociali in Italia, in Ventunesimo secolo: rivista di studi sulle transizioni  31 (2013), S.  41–62 und Gemelli, Giuliana, Un imprenditore scientifico e le sue reti internazionali: Luigi Einaudi, la Fondazione Rockefeller e la professionalizzazione della ricerca economica in Italia, in Le Carte e la Storia (2005), S. 189–202. Zum dänischen Vertreter H. Munch-Petersen vergleiche die Arbeit Buus, Henriette, Indretning og efterretning: Rockefeller Foundations indflydelse på den danske velfærdsstat 1920–1970, Kopenhagen, 2008. Zum schwedischen „Advisor“ Gösta Bagge siehe Craver, Earlene, Gösta Bagge, the Rockefeller Foundation, and Empirical Social Science Research in Sweden, 1924–1940, in Jonung, Lars (Hg.), The Stockholm School of Economics Revisited, Cambridge, 1991, S. 79–101. 105 Auf Grundlage dieser Arbeit lässt sich Fehling als kompetenter Verhandlungsführer auf transnationaler Ebene definieren. Siehe Syga-Dubois, Judith, Managing Scientific Exchange in Interwar Germany. August Wilhelm Fehling and Rockefeller Foundation Fellowships, in Tournès, Ludovic; Scott-Smith, Giles (Hgg.), Global Exchanges. Scholarships and Transnational Circulations in the Modern World, New York, Oxford, 2018, S. 113–126.

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politik der Rockefeller Foundation in Deutschland und Europa“106, in dem er der Rockefeller’schen Philanthropie als Motivation für ihr Engagement in Deutschland vor allem Eigennutz zuschrieb und damit eine Debatte aus den 1980er-Jahren zum Stiftungsengagement im Ausland weiterführte. Die Forschung zu den Aktivitäten der großen amerikanischen Stiftungen im Ausland war im Zeichen des Kalten Krieges lange von zwei gegensätzlichen Interpretationen geprägt, wie die Positionen der Soziologen Martin Bulmer und Donald Fisher exemplarisch zeigen. Unter Bezugnahme auf die Quellen im Rockefeller Archive Center kamen sie zu unterschiedlichen Einschätzungen der Intentionen der amerikanischen Philanthropen und dem Einfluss der Förderpolitik auf die sozialwissenschaftliche Forschung der Zwischenkriegszeit107. Nach Bulmer lehnte die Rockefeller Stiftung die Verfolgung geschäftlicher oder politischer Ziele ab, sie verzichtete auf Werbung und die Unterstützung politisch kontroverser Themen108. Um einer Einflussnahme entgegenzuwirken seien bis 1934 überwiegend mehrjährige „block grants“ vergeben worden, die den Institutionen zur freien Verfügung gestanden hätten109. Unter den Officers, bei denen Bulmer die eigentliche Entscheidungsgewalt verortete, seien nicht nur Republikaner, sondern auch Demokraten gewesen, die an den sozialen Fortschritt durch wissenschaftliche Forschung glaubten. Rumls Einfluss habe sich in der Forschungsförderung darauf beschränkt, bereits bestehende Tendenzen zu erkennen und zu stärken110. Zwar habe die Auswahl der als förderungswürdig eingestuften methodischen Ansätze Auswirkungen auf sozialwissenschaftliche Konzeptionen gehabt, doch sei die Beeinflussung nicht unidirektional gewesen, da die Officers oft selbst ausgebildete Sozialwissenschaftler gewesen seien. So wirkten die Stiftungen zwar auf die Wissenschaft ein, doch beeinflusste diese im Gegenzug auch die Philanthropie. Zwischen ihren geschäftlichen Interessen und der Arbeit ihrer Stiftungen habe die Rockefeller Familie eine scharfe Trennlinie gezogen111.

106 Vgl. Mertens, Lothar, America first – Zur Forschungspolitik der Rockefeller Foundation in Deutschland und Europa, in Wagner, Helmut (Hg.), Europa und Deutschland – Deutschland und Europa. Liber amicorum für Heiner Timmermann zum 65. Geburtstag, Münster, 2005, S. 547– 561 (Im Folgenden zitiert als Mertens, America first). 107 Vgl. Bulmer, Martin, Philanthropic Foundations and the Development of the Social Sciences in the Early Twentieth Century: A Reply to Donald Fisher, in Sociology 18 (1984), S. 572 (Im Folgenden zitiert als Bulmer, A Reply). 108 Vgl. Sealander, Judith, Private wealth & public life. Foundation philanthropy and the reshaping of American social policy from the Progressive Era to the New Deal, Baltimore, 1997, S. 8 (Im Folgenden zitiert als Sealander, Private wealth), Bulmer, A Reply, S. 573. 109 Vgl. Bulmer, A Reply, S. 574. 110 Vgl. Bulmer, Support for Sociology, S. 190. 111 Vgl. Bulmer, A Reply, S. 573, 577.

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Für Donald Fisher hingegen, der für die Interpretation der Stiftungsaktivitäten das Hegemoniekonzept Antonio Gramscis heranzog112, vertraten die philanthropischen Stiftungen die Interessen der gesellschaftlichen Führungsschicht und verfolgten das Ziel, die bestehende soziale, politische und wirtschaftliche Ordnung zu erhalten. Indem Großindustrielle neben der Wirtschaft auch die Produktion und Verbreitung von Wissen kontrollierten, sicherten sie sich eine hegemoniale Stellung in den USA und im Ausland113. In den Sozialwissenschaften hätten Stiftungen in bedeutendem Ausmaße Einfluss auf Auswahl des Forschungs- und Lehrpersonals, Inhalte, methodische Ansätze und die Entwicklung der Forschungsstätten genommen114. Durch die selektive Förderpraxis hätten sie maßgeblich auf die Entwicklung der amerikanischen und britischen Sozialwissenschaften der Zwischenkriegszeit eingewirkt. Die Vermeidung öffentlichen Interesses und die Ablehnung, Gebäude oder Fakultäten nach den Stiftern zu benennen, seien dem Versuch geschuldet, die Einflussnahme geheim zu halten115. Als „sophisticated conservatives“ hätten Trustees und Officers durch die Forschungsförderung das Ziel einer effizienteren und dadurch kontrollier- und planbareren Gesellschaft verfolgt116. In ähnlicher Weise argumentierte auch Robert Arnove, der einen zersetzenden („corrosive“) Einfluss philanthropischer Stiftungen auf demokratische Gesellschaften feststellte117.

112 Vgl. Fisher, Donald, The Role of Philanthropic Foundations in the Reproduction and Production of Hegemony: Rockefeller Foundations and the Social Sciences, in Sociology 17 (1983), S. 206 (Im Folgenden zitiert als Fisher, The Role of Philanthropic Foundations). Siehe auch Sealander, Private wealth, S. 9 und Karl, Barry Dean; Katz, Stanley N., Foundations and Ruling Class Elites, in Daedalus. Journal of the American Academy of Arts and Sciences 116 (1987), S. 2–6. 113 Vgl. Sealander, Private wealth, S. 8. 114 Vgl. Fisher, American Philanthropy and the Social Sciences in Britain, 1919–1939, S. 301. Siehe auch Fisher, Donald, American Philanthropy and the Social Sciences. The Reproduction of a Conservative Ideology, in Arnove, Robert F. (Hg.), Philanthropy and Cultural Imperialism. The Foundations at Home and Abroad, Boston, 1980, S. 233. 115 Vgl. Fisher, American Philanthropy and the Social Sciences in Britain, 1919–1939, S. 299. 116 Vgl. ebd., S. 256. Siehe auch Fisher, The Role of Philanthropic Foundations, S. 223. 117 Vgl. Arnove, Robert  F., Introduction, in Arnove, Robert  F. (Hg.), Philanthropy and Cultural Imperialism. The Foundations at Home and Abroad, Boston, 1980, S. 1. Ähnlich argumentieren auch Berman, Edward H., The Ideology of Philanthropy. The influence of the Carnegie, Ford, and Rockefeller foundations on American foreign policy, Albany, 1983, S. 4 und Brown, Richard E., Rockefeller medicine men. Medicine and capitalism in America, Berkeley, 1980, S.  8–9. Auch Nicolas Guilhot sieht in der Förderung empirischer, unpolitischer Forschungsansätze durch das LSRM eine gegen den Sozialismus gerichtete Strategie. Vgl. Guilhot, Nicolas, Une vocation philanthropique. George Soros, les sciences sociales et la régulation du marché mondial, in Actes de la recherche en sciences sociales 151–152 (2004), S. 38–39. Whitaker widmet sein Buch denjenigen, die sich noch nie für die Unterstützung einer Stiftung beworben haben. Vgl. Whitaker, Ben, The Foundations. An Anatomy of Philanthropy and Society, London, 1974, S. 8.

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In ihrer Zusammenfassung der Bulmer-Fisher-Debatte kommt Salma Ahmad zur Schlussfolgerung, dass Bulmer den Einfluss der Eliten auf Philanthropie und Wissenschaft unterschätze, während Fisher ihm zu viel Bedeutung zugestehe. Eine im Gesamtbild überzeugende Interpretation der politischen, sozialen und intellektuellen Rolle der Stiftungen sieht sie bei keinem der Autoren118, ohne selbst eine alternative Interpretation anzubieten119. Seit den 1990er-Jahren hat sich die Kontroverse beruhigt und ein Perspektivwandel stattgefunden. Sowohl Bulmer als auch Fisher gingen davon aus, dass ein zuvor in den USA konzipiertes wissenschaftliches Programm von einem passiven Rezipienten aufgenommen wurde. Die „fils de l’influence“ (wörtlich: „Fäden des Einflusses“) seien allerdings schwer zu entwirren, so Pierre-Yves Saunier, und erlaubten in den meisten Fällen keine einfachen Antworten120. Die Frage des „Einflusses“ führe daher oft in eine Sackgasse121. Heute werden für die Beurteilung des Engagements der philanthropischen Stiftungen im Ausland Ansätze bevorzugt, die die Interaktion zwischen Gebern und Empfängern in den Mittelpunkt stellen und die lokalen Kontexte berücksichtigen122. Die Frage nach den politischen Zielsetzungen der Rockefeller’schen Förderpolitik kann nicht nur im Hinblick auf eine direkte Beeinflussung von Wissenschaft durch kapitalistische Interessen der Unternehmensgründer diskutiert werden. Beardsley Ruml erhoffte sich durchaus politische Auswirkungen seiner Förderbemühungen im In- und Ausland. Im Sinne einer reformorientierten Sozialtechnologie setzte er auf eine Verwissenschaftlichung politischer Entscheidungen. Anstelle parteipolitischer Konflikte sollten sozialwissenschaftliche Forschungsergebnisse zur Grundlage der Politik werden. Einem Eintreten für konkrete politische Zielsetzungen verweigerte sich Ruml jedoch. Auch im Ausland galt politische Neutralität als Grundprinzip des Handelns von LSRM und RF. 118 Vgl. Ahmad, Salma, American Foundations and the Development of the Social Sciences between the Wars: Comment on the Debate between Martin Bulmer and Donald Fisher, in Sociology 25 (1991), S. 517. Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt D. L. Seim. Vgl. Seim, David L., Rockefeller Philanthropy and Modern Social Science (Studies in Business History 4), London, 2013, S. 1 (Im Folgenden zitiert als Seim, Rockefeller Philanthropy). 119 Vgl. Sealander, Private wealth, S. 9. 120 Vgl. Saunier, Pierre-Yves, Administrer le monde? Les fondations philanthropiques et la public administration aux Etats-Unis (1930–1960), in Revue française de science politique 53 (2003), S. 239. 121 Vgl. ebd., S. 241. 122 Vgl. Rosenberg, Emily  S., Missions to the World: Philanthropy abroad, in Friedman, Lawrence Jacob; McGarvie, Mark  D. (Hgg.), Charity, Philanthropy, and Civility in American History, Cambridge, New York, 2003, S. 242 (Im Folgenden zitiert als Rosenberg, Missions to the World: Philanthropy aborad) und Tournès, Ludovic, La philanthropie américaine et l’Europe: Contribution à une histoire transnationale de l’américanisation, in Bulletin de l’Institut Pierre Renouvin 31 (2010), S. 175.

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Zur Quellenlage Der Zugang zu den Archivbeständen der amerikanischen philanthropischen Stiftungen verbesserte sich in den 1970er- und 1980er-Jahren bedeutend. Im Januar 1974 wurde in Tarrytown bei New York das Rockefeller Archive Center (RAC) gegründet, das der Forschung seit August 1975 zur Verfügung steht. Die Rockefeller Stiftung hat in diesem Archivzentrum nicht nur die Materialien der verschiedenen Rockefeller Stiftungen und die Nachlässe der Familienmitglieder zusammengetragen, sondern auch die Bestände weiterer Stiftungen und Wissenschaftsorganisationen, wie des Social Science Research Council (SSRC)123. Das RAC stellt damit das umfassendste Archiv zur Geschichte der amerikanischen Philanthropie dar124. Konsultiert wurden für diese Arbeit die Bestände des Laura Spelman Rockefeller Memorials, der Rockefeller Foundation und des SSRC. Außerdem wurden in den USA die Nachlässe mehrerer deutscher Wissenschaftler durchgesehen, die mit der Umsetzung der Programme in Deutschland befasst waren: die Albrecht Mendelssohn Bartholdy Collection im Archiv des Leo Baeck Instituts, New York, die Nachlässe Arnold Wolfers und Hajo Holborns in der Yale University Library, New Haven, und die Ernst Jäckh Papers in der Rare Book and Manuscript Library der Columbia University, New York. Die Quellen der Rockefeller Stiftungen ermöglichen eine Analyse der Entwicklung der Förderprogramme durch die Stiftungsmitarbeiter und des Verlaufs interner Diskussionen. Die Officers der RF waren angehalten, ein offizielles Tagebuch („Diary“) zu führen, in dem sie ihren Berufsalltag dokumentierten. Die „Diaries“ geben ein detailliertes Bild der internen Funktionsweise der Stiftungen. Neben regelmäßigen Mitarbeiterbesprechungen, über die in vielen Fällen Protokolle vorliegen, funktionierte die Kommunikation in LSRM und RF durch die Zirkulation von Memoranden, die sich die Officers zur Kommentierung weiterleiteten. Im Allgemeinen wurden in diesen Dokumenten, sowie in der Korrespondenz mit Antragstellern und Stipendiaten, Konflikte und Kritik vermieden oder sehr vorsichtig ausgedrückt. Zudem gaben die Schriftstücke den Officers die Möglichkeit, gegenüber ihren Vorgesetzten Kompetenz und Effizienz zu demonstrieren125. Im RAC können außerdem die „Fellowship Cards“ der Rockefeller Stipendiaten eingesehen werden. Für jeden Fellow wurde eine solche Karteikarte angelegt, die Basisinformationen zur Höhe des Stipendiums und 123 Vgl. Buxton, William J., Civil Society and its Discontents: Bringing Culture, Communication, and the Humanities into the History of Philanthropy, in Buxton, William  J. (Hg.), Patronizing the Public: American Philanthropy’s Transformation of Culture, Communication, and the Humanities, Lanham, 2009, S. 15, Fußnote 25. 124 Vgl. Sealander, Private wealth, S. 6. 125 Vgl. Platt, Jennifer, A history of sociological research methods in America. 1920–1960, Cambridge, New York, 1996, S. 174.

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der Dauer der Stipendienzeit sowie den Titel des Forschungsprojekts enthält. Darüber hinaus wurden ab den frühen 1930er-Jahren Briefwechsel und den Stipendiaten betreffende Memoranden auf den „Fellowship Cards“ zusammengefasst. Nicht alle deutschen Fellows haben hingegen Eingang in die 1951126 und 1972127 von der RF veröffentlichten „Directories“ gefunden. Zur Förderpolitik des LSRM und der RF wurden außerdem die Jahresberichte der Stiftungen hinzugezogen, die aber bewusst kurz gehalten sind. Über die Ziele der Förderprogramme wurde in den veröffentlichten und allgemein zugänglichen Jahresberichten nur sehr verkürzt informiert, die Aktivitäten sollten für sich selbst sprechen. Interessenten sollten außerdem davon abgehalten werden, ihre Anträge zu sehr auf vermeintliche Erwartungen der Stiftungsmitarbeiter abzustellen128. In Deutschland wurde der bisher noch nicht für eine Analyse der Rockefeller’schen Förderprogramme herangezogene umfangreiche Nachlass August Wilhelm Fehlings ausgewertet. Die Witwe Fehlings, Anna Margarete Fehling, gab diese Dokumente nach dem Tod ihres Mannes an das Bundesarchiv Koblenz. Vorher überprüfte sie die Akten auf größtmögliche Vollständigkeit und bat bei verliehenen Dokumenten um deren Rückgabe129. Als Historiker verwahrte Fehling die mit seiner Tätigkeit für das LSRM und die RF zusammenhängenden Akten mit großer Sorgfalt. Die Materialien sind in über 70 chronologisch angelegten Ordnern archiviert. Innerhalb der Ordner sind die Korrespondenzen in alphabetischer Reihenfolge abgeheftet. Der Nachlass bietet eine Fülle von Informationen sowohl zur institutionellen Förderung als auch zum Stipendienprogramm. Es finden sich Anträge und Briefwechsel mit Antragstellern in den institutionellen Förderprogrammen, Protokolle der Auswahlsitzungen des Deutschen Komitees für die Vergabe der Rockefeller Stipendien und Korrespondenz mit jungen Sozialwissenschaftlern, die sich für ein Stipendium interessierten. Es liegen auch umfangreiche Briefwechsel mit den sich im Ausland befindenden Stipendiaten und den Ex-Fellows nach ihrer Rückkehr nach Deutschland vor. Außerdem enthält der Nachlass etliche deutsch- und englischsprachige Zwischen- und Abschlussberichte der Stipendiaten. Fehling bewahrte nicht nur die an ihn adressierten Briefe, sondern auch Durchschläge der von ihm versandten Korrespondenz und Briefentwürfe zu heiklen Themen auf. Zudem erhielt er durch seine unterschiedlichen 126 The Rockefeller Foundation, Directory of fellowship awards, for the years 1917–1950, New York, 1951. 127 The Rockefeller Foundation, Directory of fellowship and scholarships, 1917–1970, New York, 1972. Siehe Kapitel 9.3. 128 Siehe zum Beispiel die Korrespondenz zum Jahresbericht von 1929 in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 2, besonders den Brief von M. Mason an E. E. Day vom 30. Juni 1930. 129 Fehling starb im September 1964. Vgl. Brief von A. M. Fehling an E. Boettcher, 13. Oktober 1964, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 61 und Brief von A. M. Fehling an A. Vagts, 1. Oktober 1973, in BAK, NL 1269 A. Vagts, Nr. 4.

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Ansprechpartner Kopien von Briefwechseln zwischen Dritten, etwa deutschen Stipendiaten und amerikanischen Professoren. Die Dokumente sind oft erstaunlich detailliert und ermöglichen eine Rekon­ struktion und Einschätzung der deutschen Handlungsweisen und Strategien. In der Korrespondenz mit Stipendiaten, die sich gegenüber Fehling kritischer über ihre Erfahrungen äußerten als gegenüber den Foundation Officers, ist allerdings eine Tendenz sichtbar, die eigenen Erfolge auch im Hinblick auf mögliche Verlängerungen des Stipendiums hervorzuheben und Konflikte zu verschweigen. Um weitere Einblicke in die Erfahrungen der deutschen Stipendiaten im Ausland zu erhalten, wurden zusätzlich mehrere Nachlässe von Fellows konsultiert (Gottfried Pfeifer, Arvid Harnack, Eckart Kehr, Alfred Vagts, Egmont Zechlin) sowie veröffentlichte Briefwechsel und Tagebücher130. In der Zeit des Nationalsozialismus verwahrte Fehling keine Dokumente auf, von denen für ihn oder andere eine Gefahr ausgehen konnte. Als ein deutscher Stipendiat während seiner Stipendienzeit im faschistischen Italien von der italienischen Geheimpolizei verhaftet wurde und in Folge des Gefängnisaufenthalts Selbstmord beging, vermied Fehling jede schriftliche Äußerung zu den Geschehnissen und beschränkte sich auch gegenüber den Stiftungsmitarbeitern auf mündliche Informationen. Hinweise auf die Hintergründe des Todesfalls bieten daher nur die amerikanischen Quellen im RAC. Nach 1936 verlor Fehling seine Stellung als Berater der RF in Deutschland, sodass über die letzten Stipendiaten und den Verlauf ihrer Stipendienzeit im Nachlass keine Informationen vorliegen. Eine andere Leerstelle betrifft die ausländischen Rockefeller Stipendiaten, die Deutschland als Gastland auswählten. Eine vollständige Liste dieser Fellows existiert nicht, die Stipendiaten konnten aber dank der bisher unveröffentlichten Datenbank des Forschungsprojekts an der EHESS identifiziert werden. Die Namen der SSRC-Fellows wurden aus den Archivbeständen des SSRC im RAC zusammengetragen. In Fehlings Nachlass finden sich zwar Informationen zur Verwaltung der ausländischen Stipendiaten, doch nur zwischen wenigen ausländischen Fellows und Fehling entstand eine engere Verbindung, die zu regelmäßiger Korrespondenz führte.

130 Kehr, Eckart; Hallgarten, George W. F., Auszug aus dem Briefwechsel zwischen George W. F. Hallgarten und Eckart Kehr, 1931–1933, in Radkau, Joachim; Geiss, Imanuel (Hgg.), Imperialismus im 20. Jahrhundert. Gedenkschrift für George W. F. Hallgarten, München, 1976, Lösch, August, Aus Tagebüchern und Briefen 1925 bis 1945 (zusammengestellt von Marga Künkele-Lösch), in Riegger, Roland (Hg.), August Lösch in Memoriam, Heidenheim, 1971, Strauss, Leo, Drei Briefe an Carl Schmitt, in Meier, Heinrich (Hg.), Carl Schmitt, Leo Strauss und „Der Begriff des Politischen“. Zu einem Dialog unter Abwesenden, Stuttgart, 1988, Strauss, Leo, Korrespondenz Leo Strauss-Karl Löwith, in Ders. (Hg.), Gesammelte Schriften, Hobbes’ politische Wissenschaft, Bd. 3, Stuttgart 2001, S. 607–697.

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Neben Fehlings Nachlass wurden ergänzend Recherchen in den Nachlässen der anderen Mitglieder des Deutschen Komitees durchgeführt (Nachlass Friedrich Schmidt-Ott im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz, Nachlass Hermann Oncken in der Landesbibliothek Oldenburg, Nachlass Hermann Schumacher im Niedersächsischen Landesarchiv, Oldenburg, Nachlass Paul Fridolin Kehr im Archiv der Akademie der Wissenschaften, Berlin, Nachlass Albrecht Mendelssohn Bartholdy im Leo Baeck Institut, New York). Besonders die Nachlässe Schmidt-Otts und Schumachers führten, trotz vieler Überschneidungen durch den Versand von Kopien durch Fehling, zu zusätzlichen Erkenntnissen. Durch die Korrespondenz Schumachers mit einigen der Stipendiaten konnten die Briefwechsel mit Fehling um eine weitere Perspektive ergänzt werden. Die Nachlässe Onckens und Kehrs erwiesen sich als unergiebig: Sie enthalten kaum Dokumente zur Arbeit des Deutschen Komitees. Zum Engagement der Stipendiaten im Nationalsozialismus wurden im Bundesarchiv Berlin die Personalunterlagen und die Hochschullehrerkartei aus dem Bestand des Reichsministeriums für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung (R 4901) herangezogen, sowie die BDC-Unterlagen. Auch über die institutionelle Förderung sind die Quellen des LSRM und der RF im RAC und der Nachlass Fehlings die wichtigsten Archivbestände. Um diese um die Perspektive der geförderten Institutionen zu ergänzen, wurden im Archiv der Universitätsbibliothek Heidelberg die Nachlässe Alfred Webers und Gustav Radbruchs konsultiert, sowie im Universitätsarchiv Heidelberg die Personalakten Alfred Webers und Arnold Bergstraessers. Die Nachlassbestände Webers und Bergstraessers im Bundesarchiv Koblenz wurden ebenfalls durchgesehen. Zur Deutschen Hochschule für Politik wurden die Bestände des Reichsministerium des Innern (R 1501) im Bundesarchiv Berlin genutzt sowie die im Geheimen Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz verwahrten Unterlagen. Die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft war in vielen Fällen an der Vermittlung von Fördergeldern beteiligt, für LSRM und RF stellte sie ein Pendant zum amerikanischen SSRC dar. Die Archivmaterialien zur Notgemeinschaft werden als Bestand R 74 im Bundesarchiv Berlin konserviert und wurden ebenfalls konsultiert. Insgesamt erwies sich das Kreuzen deutscher und amerikanischer sowie individueller und institutioneller Quellen als fruchtbar für die Analyse der verschiedenen von den Akteuren eingenommenen Perspektiven. In vielen Fällen ergänzten sich die Archivbestände oder erlaubten es, zu einer bestimmten Frage unterschiedliche Positionen und Wahrnehmungen herauszuarbeiten. Eine Herausforderung war die umfangreiche und vielfältige Korrespondenz Fehlings mit den deutschen Stipendiaten, die den Grundstock für die Analyse ihrer Tätigkeiten und Erfahrungen im Ausland bildet. Für die ersten beiden Teile dieser Arbeit wurde eine chronologische Darstellungsweise gewählt. Der erste Teil behandelt die Entstehung einer neuen Art des Gebens,

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der „scientific philanthropy“, in den USA. Nicht das Spenden für den einzelnen wohltätigen Zweck war das Ziel der großen amerikanischen Stiftungen, sondern die wissenschaftliche Erforschung gesellschaftlicher Missstände mit dem Ziel, diese grundsätzlich zu beheben. Das LSRM war Teil dieser Bewegung. In Deutschland förderte es drei Institutionen und vergab Stipendien an 25 deutsche Nachwuchswissenschaftler. Der zweite Teil behandelt die Förderpolitik der sozialwissenschaftlichen Abteilung der Rockefeller Foundation in Deutschland, die die Programme des LSRM Anfang 1929 übernahm. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise und einer neuen Einschätzung der Entwicklung der amerikanischen Sozialwissenschaften wurden Änderungen eingeführt, die auch die Förderpolitik in Deutschland betrafen. Die NS-Machtübernahme und stiftungsinterne Prioritätenverschiebungen führten ab 1935 zu einer starken Reduzierung der Fördertätigkeit in Deutschland. Der dritte und letzte Teil nimmt die Aktivitäten und Erfahrungen der deutschen Rockefeller Stipendiaten im Ausland in den Fokus, wobei nicht nur die in die USA reisenden Fellows Beachtung finden, sondern auch diejenigen, die andere Gastländer auswählten. Untersucht wird, wie die Stipendienzeit ablief, welche Forschungsaktivitäten durchgeführt wurden und welche Erfahrungen die Stipendiaten mit den ausländischen Sozialwissenschaften und ihren Vertretern machten. Der Weg der Fellows wird von der Ausreise bis zur Rückkehr nach Deutschland oder der Entscheidung zur Emigration verfolgt. Eine besondere Beachtung wird der beruflichen Entwicklung der Fellows in der Zeit des Nationalsozialismus geschenkt. Den Abschluss der Arbeit bildet ein Ausblick auf die Lebenswege der Stipendiaten im und nach dem Zweiten Weltkrieg.

Erster Teil: Transatlantische Aufbruchsstimmung: Die sozialwissenschaftliche Forschungsförderung des Laura Spelman Rockefeller Memorials (LSRM) zwischen methodischen Neuausrichtungen, hochgesteckten Erwartungen und deutschamerikanischen Missverständnissen

1. Vorsichtige Annäherungen: Das LSRM und die deutschen Sozialwissenschaften

Mehr als 20 Millionen Dollar gab das Laura Spelman Rockefeller Memorial von 1923 bis 1928 für die Förderung sozialwissenschaftlicher Forschungen aus. Nicht nur amerikanische Wissenschaftler profitierten von diesem von privater Hand gespendeten Geldsegen, auch europäische und in weitaus geringerem Maße außereuropäische Forscher und Institutionen wurden bedacht1. Der Psychologe Beardsley Ruml überwand die in der Rockefeller Philanthropie vorherrschende Skepsis gegenüber sozialwissenschaftlicher Forschungsförderung und initiierte ein weltweit einmaliges, inhaltlich breit angelegtes Förderprogramm für empirische Sozialwissenschaften.

1.1 Sozialwissenschaftliche Forschungsförderung als Herausforderung für die Rockefeller Philanthropie Die Entstehung der großen amerikanischen Stiftungen am Anfang des 20. Jahrhunderts2 fußte auf dem extremen, ungeregelten Wachstum der amerikanischen Wirtschaft in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das zur Anhäufung privater Vermögen von bisher unbekanntem Ausmaße führte3. In weniger als einem halben Jahrhundert entwickelten sich die USA zur führenden Industrienation der Welt4. Der mit der rasanten industriellen Entwicklung einhergehende Reichtum konzentrierte sich in den Händen einiger weniger Industrieller. Ganze Teile der amerikanischen Bevölke-

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Vgl. The Social Sciences. Under the Laura Spelman Rockefeller Memorial, 1923–1928. Extract from DR469 Agenda for Special Meeting of Trustees April 11, 1933, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 12, S. 40. Vgl. Howe, Barbara, The Emergence of Scientific Philanthropy, 1900–1920: Origins, Issues, and Outcomes, in Arnove, Robert F. (Hg.), Philanthropy and Cultural Imperialism. The Foundations at Home and Abroad, Boston, 1980, S. 25 (Im Folgenden zitiert als Howe, The Emergence). Vgl. Fite, Gilbert Courtland; Reese, Jim E., An Economic History of the United States, Boston, 3 1973, S. 334. Zur Jahrhundertwende kamen 30 % der weltweit hergestellten Industrieprodukte aus den Vereinigten Staaten, 20  % aus Großbritannien, 17  % aus Deutschland und 7  % aus Frankreich. Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 25.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

rung, etwa die Landbevölkerung und Bergarbeiter, waren von den wirtschaftlichen Verbesserungen weitgehend ausgeschlossen5. John D. Rockefeller Senior gelang es in dieser Zeit, sich im Petroleumgeschäft eine Monopolstellung zu erarbeiten. Er hatte sich 1863 dem Rohölgeschäft zugewandt6 und vier Jahre später die größte Raffinerie der USA eröffnet. Das Unternehmen wurde 1870 in eine Aktiengesellschaft mit dem Namen „Standard Oil Company of Ohio“ umgewandelt7. Geschickt und ohne Skrupel nutzte der Industrielle die Größe seines Unternehmens, um Preise zu kontrollieren, Konkurrenzunternehmen aufzukaufen und bei den Eisenbahngesellschaften die Transportkosten zu drücken. Um 1880 kontrollierte Rockefeller etwa 90 % der amerikanischen Raffineriekapazitäten8. Zur Verwaltung seines Wirtschaftsimperiums schuf Rockefeller Sr. eine komplexe juristische Struktur aus von Treuhändern geleiteten Tochtergesellschaften, die es Kritikern erschwerte, konkrete Verantwortlichkeiten auszumachen9. In der Öffentlichkeit häuften sich bald Vorwürfe über die Monopolstellung, das rücksichtslose Vorgehen gegenüber Konkurrenten und die gewaltsame Niederschlagung von Arbeiterprotesten. Nicht zu Unrecht, wie Walter Licht bemerkt, wurde John D. Rockefeller Sr. als rücksichtsloser und unbarmherziger Geschäftsmann wahrgenommen10. Vor dem Hintergrund dieser Kritiken verabschiedete der amerikanische Kongress 1890 den „Sherman Antitrust Act“, der „unlawful restraints and monopolies“ verbot. Da die Regierung jedoch kaum etwas unternahm, um die vagen Bestimmungen umzusetzen, änderte sich in der Praxis wenig11. Dem wirtschaftlichen Erfolg taten die rechtlichen Beschränkungen und wiederholten Gerichtsverfahren keinen Abbruch: In den 1890er-Jahren erwirtschaftete die Standard Oil Company jährlich 45 Millionen Dollar Gewinn12. Mitte der 1890er-Jahre zog sich Rockefeller, durch Krankheiten geschwächt, aus dem Geschäftsleben zurück und widmete sich seinen philanthropischen Interessen13. 5 6

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Dagegen stieg die Zahl der Millionäre von etwa hundert in den späten 1870er-Jahren auf mehr als 40.000 im Jahr 1916. Vgl. Sealander, Curing Evils, S. 218. Die erste erfolgreiche Ölbohrung in den Vereinigten Staaten erfolgte 1859 durch Edwin Drake. Vgl. Collier, Peter; Horowitz, David, Die Rockefellers. Eine amerikanische Dynastie, Frankfurt am Main, 1976, S. 19 (Im Folgenden zitiert als Collier et al., Die Rockefellers). Vgl. Abels, Jules, Die Rockefeller Milliarden. Geschichte eines großen Vermögens, Düsseldorf, Wien, 1966, S. 89. Vgl. Diner, Steven J., A very Different Age. Americans of the Progressive Era, New York, 1998, S. 16 (Im Folgenden zitiert als Diner, A very Different Age). Vgl. Collier et al., Die Rockefellers, S. 37. Vgl. Licht, Walter, Industrializing America. The Nineteenth Century, Baltimore, 1995, S. 141–142 (Im Folgenden zitiert als Licht, Industrializing America). Vgl. Diner, A very Different Age, S. 16. Vgl. Licht, Industrializing America, S. 142. Vgl. Collier et al., Die Rockefellers, S. 45.

Vorsichtige Annäherungen

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Vom Petroleummonopolisten zum „scientific philanthropist“: Die neuen Formen philanthropischen Handelns

Durch seinen baptistischen Glauben motiviert, hatte John D. Rockefeller Sr. bereits in jungen Jahren kleine Beträge für wohltätige Zwecke gespendet14. Als sich mit steigendem Reichtum die Hilfsgesuche mehrten, war er zwar bereit zu geben, unterzog aber alle Bitten einer gründlichen Überprüfung15. Unterstützt wurde er von dem 38-jährigen Pfarrer einer Baptistengemeinde, Frederick T. Gates, mit dem er in den 1880er-Jahren über die Förderung einer Baptisten-Universität, der späteren University of Chicago, verhandelt hatte und den er später als Berater einstellte16. Gates warnte Rockefeller davor, mit seinen Spenden ausschließlich einzelnen Projekten oder Personen zu helfen. „Ideas, not projects“ sollten seiner Meinung nach unterstützt werden, im besten Fall „big ideas“17. Gates kann daher als eigentlicher Architekt des „scientific giving“ gelten18. Diese neue Form des wohltätigen Handelns richtete sich nicht mehr, wie die traditionelle „charity“, an notleidende Individuen, sondern zielte darauf, mit Hilfe der Wissenschaft, Ursachen sozialer Probleme zu ermitteln und zu beseitigen19. An die Stelle des Baus von Krankenhäusern trat die Förderung medizinischer Forschung, Almosenvergabe an Bedürftige wurde durch den Versuch ersetzt, die Ursachen der Armut zu bekämpfen20. Inspiriert von den Ideen Frederick T. Gates entwickelte sich die amerikanische Philanthropie zu einem „capitalist venture in social betterment“21. Um das Prinzip der „wissenschaftlichen Philanthropie“ praktisch umzusetzen, waren neue Organisationsformen notwendig. 1901 gründete John D. Rockefeller Sr. seine erste philanthropische Einrichtung, das Rockefeller Institute for Medical

14 Vgl. Seim, Rockefeller Philanthropy, S. 7. Siehe auch Masseys-Bertonèche, Carole, Philanthropie et grandes universités privées américaines. Pouvoir et réseaux d’influence, Pessac, 2006, S. 75 (Im Folgenden zitiert als Masseys-Bertonèche, Philanthropie). 15 Vgl. Bremner, Robert H., American Philanthropy, Chicago, 21988, S. 106. 16 1889 spendete Rockefeller 600.000 Dollar für die Lehreinrichtung. Vgl. Howe, The Emergence, S. 27. 17 Sealander, Private wealth, S.  22. Siehe auch Zunz, Olivier, Philanthropy in America. A history, Princeton, 2012, S. 19 (Im Folgenden zitiert als Zunz, Philanthropy in America). 18 Parmar, Inderjeet, Foundations of the American Century: The Ford, Carnegie, and Rockefeller Foundations and the Rise of American Power, New York, 2013, S. 16. Der Ausdruck „scientific giving“ wird John D. Rockefeller Sr. zugeschrieben, der ihn 1909 in einem Artikel verwendete. Vgl. Rockefeller, John D., Random Reminiscences of Men and Events, New York, 1909, S. 147. Vgl. Sealander, Curing Evils, S. 251, Fußnote 50. 19 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 53. 20 Vgl. Sealander, Curing Evils, S. 221. 21 Zunz, Philanthropy in America, S. 2.

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Research22. Zwei Jahre später folgte das General Education Board (GEB)23, das sich der Verbesserung des amerikanischen Hochschulwesens und der praktischen Ausbildung angehender Mediziner widmete24. 1909 errichtete John D. Rockefeller Sr. die Rockefeller Sanatary Commission (RSC), deren Ziel die Bekämpfung der Hakenwurmkrankheit in den Südstaaten der USA war25. John D. Rockefeller Sr. selbst nahm nur wenig Einfluss auf die Förderpolitik der von ihm gegründeten Institutionen. Er überließ Gates und seinem ältesten Sohn John D. Rockefeller Jr. die Initiative26. Die Philanthropie ermöglichte dem jungen Rockefeller, sich in den verschiedenen Unternehmungen des Vaters eine eigene Rolle zu erarbeiten27. Ab 1910 betrieb die Rockefeller Familie die Gründung einer großen Stiftung mit übergeordneter Zielsetzung, deren Legalisierung jedoch auf den Widerstand des amerikanischen Kongresses stieß. Nach mehreren Skandalen28 lag dem Obersten Gerichtshof ein Antrag der Regierung auf Zerschlagung der Standard Oil Company vor. Der Zeitpunkt für die Stiftungsgründung war daher denkbar ungünstig, und John D. Rockefeller Sr. musste seine Schenkung zunächst zurücknehmen29. Erst 1913 wurde die Stiftung nach mehreren gescheiterten Versuchen im Bundesstaat New York registriert. Die mit 100 Millionen Dollar ausgestattete „Rockefeller Foundation“ wurde dem von Frederick T. Gates geprägten Ziel „to promote the well-being of mankind throughout the world“ gewidmet30. 22 Vgl. Seim, Rockefeller Philanthropy, S. 41. 23 Vgl. Geiger, Roger L., The History of American Higher Education: Learning and Culture from the Founding to World War II, Princeton, 2015, S. 479–481. 24 In einem von der Carnegie Stiftung in Auftrag gegebenen Bericht hatte Abraham Flexner, Treuhänder des GEB, die medizinische Ausbildung in den USA zuvor scharf kritisiert. Vgl. Collier, Peter; Horowitz, David, The Rockefellers. An American dynasty, New York, 1976, S. 62 (Im Folgenden zitiert als Collier et al., The Rockefellers). 25 Vgl. Farley, John, To Cast Out Disease. A History of the International Health Division of Rockefeller Foundation (1913–1951), New York, 2004, S. 2, 29. 26 Vgl. Collier et al., The Rockefellers, S. 62–63. 27 Vgl. ebd., S. 100. 28 Bereits 1895 war die Rockefeller Philanthropie in der „tainted money controversy“ stark kritisiert worden. Der kongregationalistische Pfarrer Washington Gladden hatte in diesem Jahr einen Artikel mit dem Titel „Tained money“ veröffentlicht, in dem er die Wohltätigkeit der reichen „robber barons“ als Manöver darstellte, sich das Wohlwollen der Öffentlichkeit und Seelenheil im Himmel zu erkaufen. Gladden wiederholte die Vorwürfe, als John D. Rockefeller 1905 dem Congregational Board of Foreign Missions 100.000 Dollar spenden wollte. Vgl. Cutlip, Scott M., Fundraising in the United States: Its Role in American Philanthropy, New Brunswick, 1965, S. 36 (Im Folgenden zitiert als Cutlip, Fundraising in the United States). 29 Vgl. Fosdick, Raymond B., Die Geschichte der Rockefeller Stiftung, Wien, Würzburg, 1955, S. 31 (Im Folgenden zitiert als Fosdick, Die Geschichte). 30 Vgl. Collier et al., The Rockefellers, S.  64–65. Der Text der Gründungsurkunde ist abgedruckt in The Rockefeller Foundation, Annual Report 1913–1914, New York, 1915, S. 7–9. Siehe auch

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Auch wenn nur wenige Millionäre derart hohe Summen zur Gründung philanthropischer Stiftungen bereitstellten, war John D. Rockefeller Sr. nicht der einzige Großindustrielle, der sich der Philanthropie verschrieb. Der Stahlunternehmer Andrew Carnegie baute ebenfalls ein philanthropisches Imperium auf31. Viele seiner Aktivitäten konzentrierten sich jedoch auf traditionelle „charity“, wie die Unterstützung Bedürftiger oder der Bau von Konzerthäusern und Bibliotheken32. In der Presse wurden die philanthropischen Aktivitäten Rockefellers und Carnegies zu einem Wettrennen stilisiert33, doch es gab auch Verbindungen zwischen den beiden Philanthropen. Gegen den Willen Frederick T. Gates berief Rockefeller Carnegie 1908 als Treuhänder des General Education Board. Etliche Mitarbeiter Carnegies wechselten im Laufe der Zeit zur Rockefeller Philanthropie, deren umfassender Anspruch und Orientierung hin zum „scientific giving“ sie anzog34. Zudem ließ Rockefeller seinen Treuhändern und Angestellten mehr Entscheidungsfreiheit, während Carnegie die strategischen Entscheidungen meistens allein traf35. Im Unterschied zu Carnegie gelang es Rockefeller, ein Vertrauensverhältnis zu Experten aufzubauen, die ihn berieten und mit ihm zusammenarbeiteten36. Neben diesen beiden großen Stiftungen entstanden Anfang des 20. Jahrhunderts weitere philanthropische Einrichtungen, die jedoch enger gesetzte Ziele verfolgten. Die 1907 gegründete Russell Sage Foundation konzentrierte sich auf die Verbesserung der Lebensbedingungen in den USA, der Rosenwald Fund kümmerte sich um die Verbesserung der „race relations“, der Milbank Memorial Fund und der Common-

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Stöhr, Hermann, So half Amerika. Die Auslandshilfe der Vereinigten Staaten 1812–1930, Stettin, 1936, S. 300. Vgl. Tournès, Ludovic, La Dotation Carnegie pour la paix internationale et l’invention de la diplomatie philanthropique (1880–1914), in Tournès, Ludovic (Hg.), L’argent de l’influence. Les fondations américaines et leurs réseaux européens, Paris, 2010, S. 31 (Im Folgenden zitiert als Tournès, La Dotation Carnegie). Eine Brücke zur wissenschaftlichen Philanthropie schlug Carnegie 1910 mit der Gründung des „Carnegie Endowment for International Peace“ (CEIP), das sich für die Erforschung von Kriegsursachen und internationale Verständigung einsetzte. Die 1911 entstandene „Carnegie Corporation“ war mit einem Kapital von 125 Millionen Dollar die reichste Stiftung der Welt. Vgl. Sealander, Curing Evils, S. 225. Siehe auch Lagemann, Ellen Condliffe, The Politics of Knowledge: The Carnegie Corporation and the Formulation of Public Policy, in History of Education Quarterly 27 (1987), S. 209. Vgl. Sealander, Curing Evils, S. 225. Vgl. Harr, John Ensor; Johnson, Peter  J., The Rockefeller Century, New York, 1988, S.  63 (Im Folgenden zitiert als Harr et al., The Rockefeller Century). Sealander beschreibt das Verhältnis der beiden Philanthropen als „cordial, but cool“. Vgl. Sealander, Private wealth, S. 21. Vgl. Sealander, Private wealth, S. 21. Vgl. Geiger, To Advance Knowledge, S. 45. Vgl. Harr et al., The Rockefeller Century, S.  64. Siehe auch Jonas, Gerald, The Circuit Riders. Rockefeller Money and the Rise of Modern Science, New York, London, 1989, S. 22 (Im Folgenden zitiert als Jonas, The Circuit Riders).

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wealth Fund verschrieben sich der Verbreitung neuer Ideen im Gesundheitswesen37. Insgesamt spendete nur eine Minderheit der wohlhabenden Familien in großem Maßstab. Etliche engagierten sich ausschließlich im lokalen Rahmen, indem sie Geld für Waisenhäuser oder den Bau von Schulen gaben38. Über die Beweggründe der Stiftungsgründer ist viel spekuliert worden. Steuervorteile spielten in der Philanthropie des frühen 20. Jahrhunderts kaum eine Rolle. Die meisten Amerikaner zahlten zu dieser Zeit keine Einkommenssteuer39, die Einkünfte der Bundesregierung der Vereinigten Staaten bestanden hauptsächlich aus Zollgebühren40. Seit 1913 konnte eine Einkommenssteuer von 1 % auf Einkommen über 20.000 Dollar erhoben werden, Steuerabzüge für Spenden wurden 1917 eingeführt41. Erst in den 1930er-Jahren, vor allem nach dem Federal Tax Act von 1935, kamen Steuervorteile als Motivation für philanthropisches Handeln in Betracht42. John D. Rockefeller Sr. und Frederick T. Gates sahen als gläubige Baptisten im privaten Reichtum eine Gabe Gottes, derer sich der Besitzer durch Wohltätigkeit würdig erweisen müsse43. Für Carnegie hingegen war Besitz das Ergebnis persönlicher Anstrengungen. Durch sozialdarwinistische Einflüsse geprägt, war er der Ansicht, in jeder Generation sollten die Talentiertesten zu Reichtum kommen. Er forderte daher, Vermögen nicht zu vererben, sondern zu Lebzeiten zu spenden44. Eine gängige Definition beschreibt die philanthropische Stiftung als eine „nongovernment, nonprofit organization having a principal fund of its own, managed by its own trustees or directors, and established to maintain or aid social, educational, charitable, religious, or other activities serving the common welfare“45. Oft arbeiteten die Stiftungen zu diesem Zweck mit fortschrittlich eingestellten Eliten aus dem akademischen Bereich, lokalen Behörden, dem Gerichtswesen und den entstehenden Berufsvereinigungen zusammen46. Die Stiftungen waren nach dem Modell der großen 37 Vgl. Sealander, Curing Evils, S. 225. Siehe auch Cutlip, Fundraising in the United States, S. 34–35. 38 Vgl. Sealander, Curing Evils, S. 219–220. Siehe auch McCarthy, Kathleen D., U.S. Foundations and International Concerns, in McCarthy, Kathleen  D. (Hg.), Philanthropy and Culture. The International Foundation Perspective, Philadelphia, 1984, S. 4 (Im Folgenden zitiert als McCarthy, U.S. Foundations and International Concerns). 39 Vgl. Sealander, Private wealth, S. 5. 40 Vgl. Sealander, Curing Evils, S. 225. 41 Vgl. Whitaker, The Foundations, S. 47. 42 Vgl. Sealander, Curing Evils, S. 225. Brigitte Mazon betont dagegen, dass Steuervorteile durchaus eine Rolle gespielt haben könnten. Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S. 316. 43 Vgl. Cutlip, Fundraising in the United States, S. 33. 44 Vgl. Bremner, American Philanthropy, S. 101. Dass Carnegie selbst keinen Sohn hatte, dem er sein Vermögen hätte vererben können, mag zu dieser Sichtweise beigetragen haben. 45 Andrews, Frank Emerson, Philanthropic Foundations, New York, 1956, S. 11. Zitiert nach Arnove, Introduction, S. 4. 46 Vgl. Zunz, Philanthropy in America, S. 10–11.

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Konzerne aufgebaut47: Im Board of Trustees, einem Gremium, das die Funktionen des Aufsichtsrats im Unternehmen erfüllte, waren die Stifter, Familienmitglieder, Vertraute und Prominente vertreten. Der Präsident des Boards war in der Regel ein enger Vertrauter des Stiftungsgründers. Die Trustees gaben die allgemeinen Richtlinien der Stiftung vor. Besonders zu Anfang waren sie aber auch ins Tagesgeschäft der Stiftungsverwaltung eingebunden48. Detailentscheidungen überließen die Treuhänder einem neuen Typ von Angestellten, den sogenannten Foundation Officers. Diese hatten oft einen akademischen oder privatwirtschaftlichen Hintergrund und wurden aufgrund ihrer Kompetenzen eingestellt. Obwohl die endgültige Entscheidungsgewalt bei den Trustees lag, waren es in der Praxis oft die Foundation Officers, die die Vergabepolitik formulierten und ihre Umsetzung kontrollierten. So hatten die Mitarbeiter der Rockefeller Stiftungen im Alltag eine relativ große Entscheidungsfreiheit, mussten aber gleichzeitig die Programme so ausrichten, dass sie für die Trustees hinnehmbar waren und den beschlossenen Richtlinien entsprachen49. Früh wurden die amerikanischen Philanthropen international tätig. Bereits vor dem Ersten Weltkrieg waren sie in Lateinamerika, in Asien und in geringem Umfang auch in Europa aktiv, wo sich seit 1911 das Carnegie Endowment for International Peace engagierte50. Bereits 1905 schlug Gates vor, international zu arbeiten, wobei er sich hiervon auch positive Auswirkungen auf die Geschäfte der Standard Oil Company versprach51. 1913, in der ersten Sitzung des Board of Trustees der Rockefeller Foundation, vertrat er die Idee einer weltweiten amerikanischen Mission, um andere Völker aufzuklären und ihnen zu einer rationalen Organisation ihrer Gesellschaften nach amerikanischem Vorbild zu verhelfen52. Der Gedanke eines universalistischen Auftrags der Vereinigten Staaten hatte seit Ende des 19. Jahrhunderts, verbunden mit den erstarkenden internationalen Ambitionen auf wirtschaftlicher und politischer Ebene, in den amerikanischen Führungsschichten weite Verbreitung gefunden53. Als 47 48 49 50

Vgl. Sealander, Private wealth, S. 2. Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 58. Vgl. Fisher, American Philanthropy and the Social Sciences in Britain, 1919–1939, S. 302–303. Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 53. Siehe auch Tournès, La Dotation Carnegie. Eine ausführliche Studie zum CEIP in Europa hat Jens Wegener durchgeführt: Wegener, Jens, Creating an „International Mind“? The Carnegie Endowment for International Peace in Europe, 1911–1940, Dissertation am European University Institute, Florenz, 2015. Siehe auch Rietzler, Katharina, From Peace Advocacy to International Relations Research. The Transformation of Transatlantic Philanthropic Networks, 1900–1930, in Rodogno, Davide; Struck, Bernhard; Vogel, Jakob (Hgg.), Shaping the Transnational Sphere. Experts, Networks and Issues from the 1840s to the 1930s, New York, Oxford, 2015, S. 173–193. 51 Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 55. 52 Vgl. Collier et al., The Rockefellers, S. 94. Siehe auch Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 56. 53 Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 54–55.

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erstes groß angelegtes Ziel wurde von der Rockefeller Foundation die Verbreitung medizinischen Wissens in Lateinamerika und China ins Auge gefasst54. In die ab 1913 durchgeführte Kampagne gegen die Hakenwurmkrankheit wurden bis zu ihrem Abschluss 1950 52 Länder einbezogen55. Der Erste Weltkrieg gilt als Schlüsselmoment der Internationalisierung der amerikanischen Philanthropie. Die Rockefeller Foundation engagierte sich jetzt auch in Europa und gab etwa 22 Millionen Dollar für Kriegshilfeaktionen aus56. Die neu gegründete Rockefeller Foundation’s War Relief Commission spendete Millionen für die Typhusbekämpfung in den mit den USA verbündeten Staaten. Am Ende des Ersten Weltkriegs hatte sich die Idee verbreitet, mit privatem Geld andere Staaten in Notsituationen zu unterstützen. Amerikanische Philanthropen organisierten Hilfsaktionen für die Opfer des japanischen Erdbebens von 1923–1924 und halfen während einer Dürreperiode in China57. Die Rockefeller Stiftung errichtete 1917 ein dauerhaftes Büro in Paris, von dem aus sie ein Programm zur Tuberkulose-Prävention in Frankreich koordinierte58. Merle Curti schätzt, dass zwischen 1919 und 1939 von Seiten der privaten Philanthropie 1,3 Billionen Dollar für die verschiedensten internationalen Aktivitäten ausgegeben wurden59. Von Beginn an wurde die „scientific philanthropy“ von Kritik begleitet, die nicht selten von Sozialwissenschaftlern formuliert wurde. Einige zeitgenössische Kommentatoren sahen in den Stiftungen den verlängerten Arm der Großkonzerne, die durch philanthropische Tätigkeiten ihre Macht ausbauten. Andere hielten die von den Stiftungen betonte Unvoreingenommenheit in der Forschungsförderung für unglaubwürdig, besonders wenn Fragen von öffentlichem Interesse behandelt wurden60. Ein scharfer Kritiker war der britische Politiker und Professor an der London School of Economics Harold Laski. Er bemängelte 1928 die engen Verbindungen zwischen Stiftungen und Forschungseinrichtungen61, nachdem er vier Jahre an amerikanischen Universitäten gelehrt und die frühen philanthropischen Förderprogramme für sozi-

54 Vgl. ebd., S. 61. 55 Vgl. Rosenberg, Missions to the World: Philanthropy abroad, S. 251. 56 Vgl. Fosdick, Die Geschichte, S. 40. Siehe auch Curti, Merle, American Philanthropy Abroad, New Brunswick, 1988, S. 227–228. 57 Vgl. Rosenberg, Missions to the World: Philanthropy abroad, S. 249. 58 Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S. 318–319. Das Büro befand sich in dem Gebäude 20, rue de la Baume. Die Kampagne gegen Tuberkulose fand von 1917 bis 1922 statt. Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 53 und Tournès, La fondation Rockefeller et la naissance de l’universalisme, S. 185–187. 59 Zitiert in Rosenberg, Missions to the World: Philanthropy abroad, S. 249. 60 Vgl. Howe, The Emergence, S. 33. 61 Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 400.

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alwissenschaftliche Forschungsprojekte an der University of Chicago mit eigenen Augen kennengelernt hatte62: I doubt whether the results to be achieved are likely to be proportionate to the labor involved. I doubt, in the second place, whether the effect upon university institutions is likely, in the long run, to be healthy; and I doubt, in the third place, whether the result of the policy will not be to give to the foundations a dominating control over university life which they quite emphatically ought not to have63.

Harold Laski kritisierte die hohen Summen, die Stiftungen für einzelne Forschungsprojekte ausgaben und die Kosten, die die Auswahl der zu fördernden wissenschaftlichen Unternehmungen verursachte64. Die von den Stiftungen zu vergebenden Förderungen verleiteten Universitätspräsidenten und -professoren dazu, Forschungsprojekte zu initiieren, von denen sie glaubten, die Stiftungen könnten sich für sie interessieren. Umstrittene Themen würden auf diese Weise nicht gewählt, ebenso wenig wie langfristige Forschungsprojekte, die keine schnellen Ergebnisse versprachen65. Die Einflussnahme durch Stiftungsgelder bezeichnete Laski als Bedrohung der universitären Forschung. Er zeichnete außerdem ein sehr negatives Bild der Foundation Officers als intellektuell zweitrangige, jedoch wegen ihres Einflusses von allen Seiten hofierte Personen66. Sechs Jahre später untersuchte Eduard C. Lindeman von der New York School of Social Work unter dem Titel „Wealth and Culture“67 die Tätigkeiten amerikanischer Stiftungen in den 1920er-Jahren68. Er stellte fest, dass mehr als ein Drittel der Trustees der großen amerikanischen Stiftungen aus dem Geschäftsleben stammten, fast neun von zehn aus den nordöstlichen Bundesstaaten kamen, vier von fünf eine akademische Ausbildung genossen hatten und von diesen ein Drittel in Harvard, Yale oder Princeton studiert hatte. Die Führungsschicht der Stiftungen rekrutiere sich aus einer 62 Vgl. Karl, Barry Dean, The Citizen and the Scholar: Ships That Crash in the Night, in Kruskal, William (Hg.), The Social Sciences, their Nature and Uses. Papers Presented at the 50th  Anniversary of the Social Science Research Building, the University of Chicago, December  16–18, 1979, Chicago, 1982, S. 105 (Im Folgenden zitiert als Karl, The Citizen and the Scholar). 63 Laski, Harold J., Foundations, Universities, and Research, in Laski, Harold J. (Hg.), The Dangers of Obedience  & Other Essays, New York, London, 1968 (1930), S.  155 (Im Folgenden zitiert als Laski, Foundations, Universities, and Research). Der Artikel wurde erstmals 1928 in Harper’s Magazine CLVIII, S. 295–303 veröffentlicht. 64 Vgl. Laski, Foundations, Universities, and Research, S. 161–163. 65 Vgl. ebd., S. 163–164. 66 Vgl. Karl, The Citizen and the Scholar, S. 111. 67 Vgl. Lindeman, E., Wealth & Culture: A Study of One Hundred Foundations and Community Trusts and Their Operations During the Decade 1921–1930, New York, 1936. 68 Vgl. Bremner, American Philanthropy, S. 153.

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kleinen, nicht repräsentativen Gruppe der Bevölkerung und sei in ihren Aktionen niemandem verantwortlich69. „Nothing“, schlussfolgerte er, „is so repugnant as the arrogance of those who presume to impose cultural norms upon a society on no basis of warrant other than […] pecuniary success under […] a competitive economy“70. Auf das Spannungsfeld zwischen selbstloser Spende und gezielter Einflussnahme durch philanthropische Aktivitäten wird später in Bezug auf die Förderung der Sozialwissenschaften weiter eingegangen. Festgestellt werden kann hier, dass diese Diskussion die Geschichte der philanthropischen Stiftungen seit ihrer Entstehung begleitet. Ein geringes Interesse an sozialwissenschaftlicher Forschungsförderung

Sozialwissenschaftlicher Forschungsförderung standen die Trustees der Rockefeller Foundation äußerst skeptisch gegenüber, während Medizin und Naturwissenschaften sie besonders interessierten. Die Überzeugung, dass dem „Wohlergehen der Menschheit“ auch durch sozialwissenschaftliche Forschung gedient werden könnte, setzte sich nur langsam durch. Als sich John D. Rockefeller Jr. 1912 für die Gründung eines wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsinstituts einsetzte, lehnten die älteren Berater der Rockefeller Familie die Idee ab. Mit den Universitätsökonomen konnte auf dieser Grundlage keine Übereinkunft gefunden werden, und die Gründung des Instituts wurde auf unbestimmte Zeit verschoben71. 1914 schlugen Wirtschaftswissenschaftler um den Wirtschaftshistoriker der Harvard University Edwin F. Gay den Trustees der Rockefeller Foundation die Förderung eines wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsprogramms vor. Frederick T. Gates empfahl die Ablehnung des Antrags mit dem Argument, die wirtschaftlichen Grundprinzipien seien allgemein bekannt72. Im Kreis der Rockefeller Trustees wurde Ökonomie nicht als wissenschaftliche Disziplin verstanden, sondern als Teil des Allgemeinwissens. Die Versuche, wirtschaftswissenschaftliche Grundlagenforschung in die Förderung aufzunehmen, scheiterten daher.

69 Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 400. 70 Zitiert in Bremner, American Philanthropy, S. 153. 71 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 60. Siehe auch The Rockefeller Foundation, Annual Report 1913–1914, S. 16–17. 72 Vgl. Seim, Rockefeller Philanthropy, S.  73. Siehe auch Craver, Earlene, Patronage and the Directions of Research in Economics: The Rockefeller Foundation in Europe, 1924–1938, in Minerva 24 (1986), S. 205 (Im Folgenden zitiert als Craver, Patronage and the Directions) und Grossman, David M., American Foundations and the Support of Economic Research, 1913–1929, in Minerva 20 (1982), S. 60.

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Vor allem aber waren es die Folgen des sogenannten Ludlow Massakers von 1913/1914, die die RF für Jahre von der Förderung sozialwissenschaftlicher Forschung abhielten73. Im September 1913 streikten die Bergarbeiter in der Prärie von Colorado für höhere Löhne, die Reduzierung der täglichen Arbeitszeit auf acht Stunden, die Verbesserung der Sicherheitsbestimmungen, das Einsetzen von selbst ausgewählten Wiegekontrolleuren und das Recht, ihren Wohnort selbst zu bestimmen. Außerdem forderten sie die Anerkennung der Gewerkschaften durch die Minenbesitzer. Im April 1914 kam es zu mehrtägigen Kämpfen zwischen den Streikenden der Colorado Fuel and Iron Company und Einheiten der Nationalgarde. Als Letztere ein Lager der Streikenden in Brand setzten74, starben zwei Frauen und elf Kinder. Die streikenden Arbeiter besetzten daraufhin Bergwerke, griffen Streikbrecher und Polizisten an und brachten de facto das südliche Colorado unter ihre Kontrolle. Erst nach blutigen Gefechten mit mindestens 50 Toten beendete der Einsatz der US-Kavallerie den Streik75. Die Rockefeller Familie, Teilhaberin der Colorado Fuel and Iron Company, war während des Streiks starker öffentlicher Kritik ausgesetzt. Ihr wurde vorgeworfen, allein ihre Interessen als Minenbesitzer zu verteidigen und nichts zur Beilegung des Konflikts beizutragen76. Im Anschluss an die blutige Niederschlagung des Streiks beauftragte Rockefeller im Juni 1914 William Lyon Mackenzie King, später Premierminister von Kanada, mit der Durchführung einer Studie zu Industriebeziehungen77. Die Trustees beschrieben den Auftrag im Jahresbericht der Rockefeller Stiftung für 1913–1914 wie folgt: It seemed to the Trustees, especially in view of the industrial conflict in Colorado, that the Foundation could do no greater service than by instituting a careful and thorough inquiry into the causes of industrial unrest and maladjustment, with the object, not of passing judgment upon the merits of any particular controversy, but rather of assembling in a purely objective way, and with scientific accuracy, the expertise of this and other countries, as illustrating both the evils inherent in modern industrial conditions, and the successful or promising experiments that had been made78. 73 Vgl. Craver, Patronage and the Directions, S. 205. 74 Vgl. Harr et al., The Rockefeller Century, S. 125. 75 Vgl. Levine, Allan, William Lyon Mackenzie King. A Life Guided by the Hand of Destiny, Vancouver, 2011, S. 90 (Im Folgenden zitiert als Levine, Mackenzie King). 76 Vgl. Harr et al., The Rockefeller Century, S. 126. Für eine nähere Beschreibung des Streiks und seiner Niederschlagung siehe auch Collier et al., The Rockefellers, S. 108–134. 77 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 60. Siehe auch Slaughter, Sheila; Silva, Edward T., Looking Backwards: How Foundations Formulated Ideology in the Progressive Period, in Arnove, Robert F. (Hg.), Philanthropy and Cultural Imperialism. The Foundations at Home and Abroad, Boston, 1980, 71 und Levine, Mackenzie King, S. 92. 78 The Rockefeller Foundation, Annual Report 1913–1914, S. 18.

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Mackenzie King legte bald einen sechsseitigen Vorbericht vor, der zur Grundlage des später von ihm verfassten „Industrial Representative Plan“ wurde. Er schlug darin vor, dass Arbeitervertreter und Unternehmensleitungen sich ohne Beteiligung unabhängiger Gewerkschaften auseinandersetzen sollten. Er setzte sich für die Bildung von Betriebsgewerkschaften („company unions“) ein, die, bis zu ihrem Verbot durch den Wagner Act von 1935, ein wichtiges Instrument der Unternehmer gegen die erstarkende Gewerkschaftsbewegung darstellten. Für Rockefeller war die Bereitstellung von Arbeitsplätzen eine Wohltat („charity“) gegenüber den Arbeitern, die dazu berechtigte, gegenüber gewerkschaftlichen Bestrebungen harte Gegenmaßnahmen zu ergreifen79. Die Öffentlichkeit reagierte ablehnend auf Mackenzie Kings Studie, die in offensichtlichem Zusammenhang mit dem brutal beendeten Streik stand80. Man warf der Rockefeller Familie vor, durch die Recherche das eigene Image aufbessern zu wollen81. Die „United States Commission on Industrial Relations“, eine von der Bundesregierung eingesetzte Kommission, begann eine Untersuchung gegen die Stiftung durchzuführen und die Stiftungsverantwortlichen zu öffentlichen Befragungen vorzuladen. Im Mittelpunkt der Ermittlungen stand die Frage, ob es eine klare Trennung zwischen den Interessen der Rockefeller Familie und den Interessen der von ihr gegründeten und finanzierten Stiftung gebe82. Auf die Unternehmens- und Stiftungsverwaltung durch die Rockefeller Familie hatte der kritische Bericht der Kommission wenig Einfluss83. Nach diesen Erfahrungen zog sich die Rockefeller Stiftung allerdings aus der Förderung der Sozialwissenschaften zurück.

1.2 Beardsley Rumls Konzeption eines breit angelegten und privat finanzierten sozialwissenschaftlichen Förderprogramms Das 1918 von John D. Rockefeller Sr. im Andenken an seine verstorbene Frau errichtete Laura Spelman Rockefeller Memorial (LSRM) wurde zur weltweit wichtigsten philanthropischen Organisation für sozialwissenschaftliche Forschungsförderung. In den ersten Jahren seines Bestehens hatte das LSRM in der Tradition karitativer Einrichtungen an das Engagement Laura Spelman Rockefellers für Frauen und Kinder angeknüpft84. Es wurde von John D. Rockefeller Jr. persönlich geleitet, der sich 79 80 81 82 83 84

Vgl. Collier et al., The Rockefellers, S. 113, 121. Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 60. Vgl. Geiger, To Advance Knowledge, S. 144. Vgl. Fosdick, Die Geschichte, S. 38. Vgl. Harr et al., The Rockefeller Century, S. 140. Vgl. Seim, Rockefeller Philanthropy, S. 103. Siehe auch Masseys-Bertonèche, Philanthropie, S. 113.

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aus den Alltagsgeschäften jedoch heraushielt. Die Entscheidungsmacht lag bei einigen Trustees, denen Rockefeller besonders vertraute, und den wenigen festen Angestellten85. 1921 stieg die Unzufriedenheit mit der sich auf viele Einzelaktionen, wie Nothilfe für Europa, Unterstützung von Pfadfindern oder Forschungsförderung im Bereich des Kindeswohls, verteilenden Förderpolitik. 1922 sollte dem LSRM durch die Einstellung eines Direktors eine wissenschaftlichere Ausrichtung gegeben werden86. Philanthropisches Neuland: Die Entwicklung der „Memorial Policy in the Social Sciences“

1921 begann die Suche nach einer geeigneten Persönlichkeit zur Leitung des LSRM. Der Anwalt und enge Berater J. D. Rockefellers Jr., Raymond B. Fosdick87, sichtete etwa vierzig Bewerbungen und entschied sich für den 27-jährigen, übergewichtigen Zigarrenliebhaber mit dem „brilliantly creative mind“88, Beardsley Ruml. Mit dem Einverständnis von Rockefeller Jr., für den Ruml bereits punktuell gearbeitet hatte, und George E. Vincent, Präsident der Rockefeller Foundation, wurde Ruml 1922 als Direktor des LSRM eingesetzt89. 1894 in Cedar Rapids, Iowa, als Sohn eines Arztes geboren, hatte Ruml am Dartmouth College studiert und anschließend bei James R. Angell mit einer psychologischen Arbeit zum Thema „mental testing“ an der University of Chicago promoviert90. Im Ersten Weltkrieg beteiligte er sich im amerikanischen Kriegsministerium an der Auswahl der für militärische Karrieren geeigneten Soldaten. Nach Kriegsende zog er nach Philadelphia, wo er mit Kollegen die Firma „Scott Company“ gründete, die psychologische Beratungsdienste für Unternehmen anbot91. Für kurze Zeit arbeitete er als Assistent seines Mentors Angell, der 1920–1921 als Präsident der Carnegie Corporation tätig war92. Hier sammelte Ruml erste Erfahrungen in der Konzeptionierung philanthropischer Programme zur Forschungsförderung93. James R. Angell und Abraham Flexner vom GEB hatten Raymond B. 85 Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 358. Vgl. Bulmer, Support for Sociology, S. 186. 86 Vgl. Seim, Rockefeller Philanthropy, S. 104–105. 87 Fosdick war als „senior advisor“ für das LSRM tätig und vertrat John D. Rockefeller  Jr. in den 1920er-Jahren in verschiedenen Rockefeller Boards. Er war Demokrat und stand den Ideen Woodrow Wilsons nahe. Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 359. 88 Harr et al., The Rockefeller Century, S. 186. 89 Vgl. Seim, Rockefeller Philanthropy, S. 105. 90 Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 354. 91 Vgl. Bulmer, Support for Sociology, S. 186. 92 Vgl. Sealander, Private wealth, S. 85. 93 Vgl. Seim, Rockefeller Philanthropy, S. 105.

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Fosdick auf den jungen Psychologen aufmerksam gemacht und seine Bewerbung unterstützt94. Beardsley Ruml leitete das LSRM von 1922 bis zu dessen Auflösung im Januar 192995. Mit 7500 Dollar jährlich96 lag sein Gehalt weit unter den Verdienstmöglichkeiten in der Privatwirtschaft97, dafür bot die Stelle großen Gestaltungsspielraum. Das Memorial, die kleinste der Rockefeller Stiftungen, war mit einem Stiftungsvermögen von 74 Millionen Dollar ausgestattet. Jährlich standen Ruml etwa 4 Millionen Dollar zur Verfügung98. Unter seiner Leitung entwickelte sich das LSRM zur wichtigsten amerikanischen Stiftung in der sozialwissenschaftlichen Forschungsförderung99, in die von 1923 bis 1928 über 20 Millionen Dollar investiert wurden100. Bei der Ausarbeitung des Förderprogramms arbeitete Ruml mit den RF-Trustees Raymond B. Fosdick und Arthur Woods, den er Ende 1922 zum „acting president“ des Memorials machte, zusammen. Engen Kontakt pflegte er außerdem zu den Leitern der anderen Rockefeller Stiftungen. Besonders George E. Vincent, ebenfalls ausgebildeter Sozialwissenschaftler, unterstützte seine Pläne101. Das Memorial war eine kleine Organisation mit wenigen Mitarbeitern, dessen Geschäftsräume sich in dem Gebäude am Broadway in New York befanden, in dem auch die RF untergebracht war. Ruml wurde in seiner Arbeit von zwei Assistenten unterstützt, dem 1923 eingestellten Wirtschaftswissenschaftler Lawrence K. Frank und einem früheren Kollegen aus der Scott Company, dem Anthropologen Leonard 94 Vgl. Harr et al., The Rockefeller Century, S. 187. Ruml war mit Abstand der jüngste Direktor einer Rockefeller Stiftung. Die anderen Einrichtungen wurden von erfahrenen Wissenschaftlern und in der philanthropischen Welt bekannten Persönlichkeiten geleitet. So war der Präsident der RF, George E. Vincent, ein angesehener Soziologe und ehemaliger Präsident der University of Minnesota. Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 357. 95 Anschließend wurde Ruml Direktor des Spelman Funds of New York. 1930 zog er nach Washington, wo er als Assistent von Arthur Woods arbeitete, der dem von Hoover eingerichteten „Federal Committee on Employment“ vorstand. Von 1931 bis 1934 leitete Ruml als Dekan die sozialwissenschaftliche Fakultät der University of Chicago, später war er als erfolgreicher Geschäftsmann in New York tätig. In den 1930er-Jahren setzte er sich bei Franklin D. Roosevelt für eine an John M. Keynes orientierte Wirtschaftspolitik ein. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelte er die PayAs-You-Go Income Tax. Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 356 und Bulmer, Support for Sociology, S. 186. 96 Vgl. Harr et al., The Rockefeller Century, S. 187. 97 Vgl. Coben, Stanley, Foundation officials and fellowships: Innovation in the patronage of science, in Minerva 14 (1976), S. 233 (Im Folgenden zitiert als Coben, Foundation officials and fellowships). 98 Vgl. Bulmer, Support for Sociology, S. 186. Zum Vergleich: Die RF war mit 183 Millionen Dollar und das GEB mit 129 Millionen Dollar ausgestattet worden. 99 Vgl. Sealander, Private wealth, S. 85. 100 Vgl. Bulmer, Support for Sociology, S. 185. 101 Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 359.

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Outhwaite. Später kam mit der Wirtschaftswissenschaftlerin Sydnor H. Walker eine weitere ehemalige Kollegin Rumls dazu. Darüber hinaus stützte sich Ruml auf den Rat von Mitarbeitern, die nur kurze Zeit für das Memorial arbeiteten, wie der Historiker Guy Stanton Ford oder der Wirtschaftswissenschaftler Edmund E. Day, der dem Memorial 1927 beitrat und von Frank die Geschäftsführung des Stipendienprogramms übernahm102. Auf den regelmäßig stattfindenden Mitarbeiterbesprechungen („staff meetings“) wurden die Belange des Memorials diskutiert. Weil das LSRM relativ wenige, oft über drei bis fünf Jahre laufende Forschungsprogramme förderte, konnte die Organisation klein und unbürokratisch gehalten werden. Die interne Organisation war ganz auf den Direktor zugeschnitten, dem in der Praxis große Entscheidungsgewalt zukam. Die endgültige Entscheidung über Annahme oder Ablehnung eines Antrags wurde aber von den Trustees getroffen, die in den meisten Fällen den Empfehlungen Rumls folgten103. Ruml ging davon aus, dass er für die Umsetzung seiner Pläne nur eine begrenzte Zeitspanne zur Verfügung haben würde, da bereits Anfang der 1920er-Jahre die Idee existierte, das Memorial in die größere RF zu integrieren104. Nur der Widerstand Frederick T. Gates und weiterer älterer Trustees verhinderten dies105. Es war diese Skepsis gegenüber den Sozialwissenschaften, die Ruml bis 1929 vor einer stärkeren Einbindung in die RF und den damit einhergehenden Einschränkungen schützte. Als Direktor des LSRM reduzierte Beardsley Ruml die Hilfe für soziale Wohlfahrtsorganisationen. Weiterhin ließ er die Zahlungen für Nothilfe und religiöse Gemeinschaften auslaufen. Die vielen kleineren Aktionen wurden durch ein längerfristiges Programm ersetzt. Indem Ruml sich dafür einsetzte, die Mittel des Memorials hauptsächlich für die Förderung sozialwissenschaftlicher Forschung zu nutzen, betrat er philanthropisches und wissenschaftspolitisches Neuland. Weder von privaten Stiftungen, noch auf bundes- oder einzelstaatlichem Niveau wurden den Sozialwissenschaften in den USA in dieser Zeit größere finanzielle Mittel gewährt. Zwar hatte die Russell Sage Foundation die amerikanische Survey-Bewegung finanziell gefördert und auch die Carnegie Stiftung einzelne sozialwissenschaftliche Projekte unterstützt, doch waren dies spezialisiertere und punktuellere Aktivitäten als das von Ruml entwickelte Förderprogramm106. Im Ersten Weltkrieg war die praktische Bedeutung der Sozialwissenschaften deutlich zutage getreten. Psychologen, unter ihnen auch Ruml, hatten ihre Kenntnisse für die Auswahlverfahren der Armee eingesetzt, Soziologen hatten öffentliche Kam102 Vgl. ebd., S. 360. 103 Vgl. ebd., S. 360–361. 104 Vgl. Fosdick, Die Geschichte, S. 184. 105 Vgl. Harr et al., The Rockefeller Century, S. 187. 106 Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 368.

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pagnen entwickelt, während Wirtschaftswissenschaftler sich mit logistischen Pro­ blemen der Kriegswirtschaft und effizienter Zuteilung der Mittel befasst hatten107. Im amerikanischen Wissenschaftsbetrieb waren die Sozialwissenschaften jedoch marginalisiert. In den 1920er-Jahren gab es in den Vereinigten Staaten nur fünfzehn große universitäre Zentren sozialwissenschaftlicher Forschung, in denen durchschnittlich jeweils dreizehn Professoren (einschließlich „Associate“ und „Assistant Professors“) Soziologie, Wirtschafts- oder Politikwissenschaften lehrten. In den Jahren 1918 bis 1922 entstanden mehr als drei Viertel der sozialwissenschaftlichen Doktorarbeiten an den fünf Universitäten Columbia, Chicago, Harvard, Wisconsin und Pennsylvania108. Ein geschlossener Korpus sozialwissenschaftlicher Disziplinen hatte sich noch nicht herausgebildet, auch eine gemeinsame Identität als „social sciences“ begann sich nach dem Ersten Weltkrieg erst langsam zu entwickeln. Psychologie, Anthropologie, Wirtschaftswissenschaften, Soziologie und Politikwissenschaften wurden in der Zwischenkriegszeit als sozialwissenschaftliche Kerndisziplinen angesehen109. Eine intensive Debatte wurde in den 1920er-Jahren zu der Frage geführt, was Sozialwissenschaft ausmachte und welche Potenziale in ihr steckten110. Im Oktober 1922 legte Ruml den Treuhändern des LSRM ein zuvor mit Fosdick und Vincent abgestimmtes „General Memorandum“ mit Vorschlägen für die zukünftige Ausrichtung der Förderpolitik vor. Heute gilt der Text, den die Trustees ohne Änderungsvorschläge billigten, als Schlüsseldokument der Geschichte der amerikanischen Sozialwissenschaften111. Ruml, der an den weit verbreiteten Gedanken anknüpfte, soziale Missstände durch wissenschaftliche Erforschung beheben zu können112, schlug vor, das Programm auf empirische Forschung zur Entwicklung konkreter Lösungsansätze für gesellschaftliche Probleme auszurichten. Verantwortlichen aus Wirtschaft, Politik und sozialem Leben sollten Wege zu sozialen Verbesserungen

107 Vgl. Seim, Rockefeller Philanthropy, S. 106–107. 108 Vgl. Bulmer, Support for Sociology, S. 187. 109 Die einzelnen Disziplinen hatten mit der Expansion des amerikanischen Universitätssystems im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts begonnen, voneinander unabhängige intellektuelle und soziale Identitäten herauszubilden. In den 1880er-Jahren wurden die ersten „graduate departments“ und Fachzeitschriften gegründet, es folgte die Bildung nationaler Vereinigungen (1885: Wirtschaftswissenschaften, 1892: Psychologie, 1902: Anthropologie, 1903: Politikwissenschaften, 1905: Soziologie). Vgl. Ross, The Development of the Social Sciences, S. 107–108. 110 Vgl. Seim, Rockefeller Philanthropy, S. 107. 111 Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 361. 112 Vgl. Ross, The Development of the Social Sciences, S. 108. Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich die amerikanische „social survey“ Bewegung entwickelt, der die Annahme zu Grunde lag, man müsse die Gesellschaft nur mit wissenschaftlichen Methoden vermessen, um sie zu verstehen. Ziel der mit Hilfe von Fragebögen, Interviews und statistischen Methoden durchgeführten Studien waren praktische Anwendungen. Vgl. Sealander, Curing Evils, S. 237.

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aufgezeigt werden113. Von der Förderung ausgeschlossen wurden Projekte im Bildungsund Gesundheitsbereich, um die sich andere Rockefeller Stiftungen kümmerten, sowie historische Forschung ohne Gegenwartsbezug und ethnologische Studien weit entlegener Orte. Als konkret zu fördernde Untersuchungsgegenstände schlug Ruml „problems of child life, of leisure time and recreation, vocational problems, problems affecting the immigrant, the aged and poor, problems of neighborhood relationships“114 vor. Er verknüpfte damit geschickt die alten sozialen Förderschwerpunkte des LSRM mit Themen von sozialwissenschaftlichem und gesellschaftlichem Interesse. Rumls disziplinäre Schwerpunktsetzung war 1922 wenig präzise. Im Memorandum nannte er Soziologie, Ethnologie, Anthropologie und Psychologie als besonders zu berücksichtigende Disziplinen, sowie einzelne Aspekte der Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Politikwissenschaften und Biologie115. Bereits ein Jahr später bestimmte er die Wirtschafts- und Politikwissenschaften neben der Soziologie zu den drei Hauptfördergebieten des LSRM116. Eine zu enge Festlegung der Förderpolitik nach traditionellen akademischen Kategorien lehnte er ab: We are interested in the problems that arise in connection with the tendency of human beings to associate (or dissociate). In terms of traditional academic categories we have therefore a special interest in sociology, economics and political science, in large areas of psychology, anthropology and history; but we should not hesitate to take up, in instances bearing directly on our main interests, work in fields such as geography. The central core of subjects we would purpose to support as such; the subjects on the fringe with reference to their relation to the core117.

Ruml kam zu der Schlussfolgerung, dass es in vielen Fällen nicht auf die disziplinäre Zuordnung, sondern auf Zielsetzungen, wissenschaftliche Ansätze und Fähigkeiten der beteiligten Wissenschaftler ankomme118. Die von einigen Sozialwissenschaftlern eingebrachte Idee, auch die Theologie zu den sozialwissenschaftlichen Disziplinen

113 Vgl. The Laura Spelman Rockefeller Memorial, Final Report, New York, 1933, S. 11. 114 Memorial Policy in Social Science. Extracts from various memoranda and dockets (From a General Memorandum, October 1922), in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 10, S. 5. 115 Vgl. ebd., S. 2. 116 Neben den drei Kerndisziplinen wurden die Anthropologie, die Psychologie und die Geschichte als weitere förderwürdige Disziplinen genannt, soweit das konkrete Thema eine Verbindung zu einer der drei Kerndisziplinen aufwies. Vgl. The Laura Spelman Rockefeller Memorial, Report for 1923, New York, 1924, S. 15. 117 Brief von B. Ruml an A. Flexner, 9. Januar 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 676. 118 Vgl. ebd.

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zu zählen119, fand im Memorial keinen Widerhall. In der praktischen Förderpolitik des LSRM setzte sich die von Ruml ab 1923 verfolgte Hierarchisierung mit den drei Kerndisziplinen Wirtschafts- und Politikwissenschaften und Soziologie und einer Reihe zweitrangig zu berücksichtigender Disziplinen durch. Den in den 1920er-Jahren vorherrschenden Wissensstand und die methodische Ausrichtung der Sozialwissenschaften hielt Ruml für unterentwickelt. Hierfür machte er mangelnde Finanzierung, unzureichende Ausstattung zur Erhebung und Auswertung von Daten, schlecht ausgebildetes Personal und fehlenden Nachwuchs verantwortlich. „As a result, production from the universities is largely deductive and speculative, on the basis of second hand observations, documentary evidence and anecdotal material“120, kritisierte er. Eine bei seinem Mitarbeiter Lawrence K. Frank in Auftrag gegebene Studie mit dem Titel „The Status of Social Science“ (1923) bestätigte, dass viele Doktorarbeiten ohne empirische Forschung auskämen und nur wenige Universitätsabsolventen Techniken der Feldforschung und Statistik beherrschten121. In einem weiteren Bericht wurde das Fehlen allgemein akzeptierter wirtschaftswissenschaftlicher Definitionen bemängelt. Ein Vergleich mit der Chemie diente der Illustration dieser Schwächen: If a legislator asks three chemists for information as to the source of supply and uses of sulphuric acid he gets from each a report, made on the same scientific basis, that he can argue from and act upon with confidence. If he consults three Economic authorities on the much discussed question of the relations of labour and capital he comes away with a confused idea that he does not know who is a labourer or what capital is and with a firm conviction that the Science of Economics is too theoretical and indefinite for practical use122.

Ein idealisiertes Bild der Naturwissenschaften mit ihren Laborexperimenten wurde zur Messlatte für die sozialwissenschaftliche Forschung, deren besondere Schwierigkeiten auch Ruml hervorhob: [T]he subject matter of the social science is extraordinary difficult to deal with. It cannot be brought into the laboratory for study; elemental phases are almost impossible to iso119 Vgl. John Candler Cobb, „The Social Sciences“, September 1925, in RAC-LSRM, Series  3.06, box 63, folder 676, S. 4–5. J. C. Cobb führte eine Umfrage zu diesem Thema unter Sozialwissenschaftlern durch und bemerkte, dass diese Frage umstritten sei. 120 Memorial Policy in Social Science. Extracts from various memoranda and dockets (From a General Memorandum, October 1922), in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 10, S. 3. 121 Vgl. Seim, Rockefeller Philanthropy, S. 110–112. 122 John Candler Cobb, „The Social Sciences“, September 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder  676, S.  8. Cobb schlug vor, die Sozialwissenschaften in „Economics“, „Sociology“ und „Hygiene“ zu teilen.

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late; important forces cannot be controlled and experimented with, but must be observed if, when and as operative123.

In der Frage, wie sozialwissenschaftliche Forschung zwischen traditionellen Formen historischer Gelehrsamkeit und moderner Datenerhebung auszusehen habe124, bezog Ruml klar Stellung: Ziel der Förderpolitik des LSRM war die Förderung eines „more realistic approach“125. Über die allgemeine Förderung der sozialwissenschaftlichen Forschung hinaus strebte das Memorial daher eine Veränderung der Forschungspraxis und damit eine Einflussnahme auf Methoden, Ansätze und Fragestellungen an. Ein flexibles Förderprogramm sollte zu den gewünschten Ergebnissen führen. Im Unterschied zu einigen anderen Rockefeller Stiftungen, wie dem Rockefeller Institute for Medical Research, sollten die LSRM-Mitarbeiter Forschungsarbeiten nicht selbst durchführen. Die wissenschaftliche Arbeit wurde Wissenschaftlern an den – zuvor von Ruml scharf kritisierten – sozialwissenschaftlichen Fakultäten und Forschungsinstituten übertragen: The stability of the organization, the presence of a wide range of professional opinion, the existence of scholarly and scientific standards of work, recognized and reasonably effective channels of inter-university communication, all make for a favorable environment of investigation126.

Das Memorial plante, sich auf bereits bestehende Institutionen zu stützen, Komitees oder lose Forschungszusammenhänge hielt Ruml für weniger geeignet. Geförderte Projekte sollten möglichst Forschung, Lehre und engen Kontakt mit praktisch tätigen Organisationen verbinden. Während die Wissenschaft von der Bereitstellung von „real ‚clinical‘ material“ und einem „social laboratory“ profitiere, könne in der Praxis auf die Forschungsergebnisse zurückgegriffen werden127. An ausgewählten Universitäten mit sozialwissenschaftlichem Interesse sollten Mittel für die kosten- und zeitintensive Feldforschung bereitgestellt werden, etwa für die Ausrüstung und Einstellung von Hilfspersonal. Ruml dachte in erster Linie an die Universitäten Chicago, Columbia, Wisconsin, Pennsylvania, Harvard und Iowa. Durch die Vergabe von Stipendien wollte Ruml die Zahl der für empirische Forschung ausgebildeten Nachwuchskräfte erhöhen. Zur Verbreitung der Ergebnisse sah er die 123 Memorial Policy in Social Science. Extracts from various memoranda and dockets (From a General Memorandum, October 1922), in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 10, S. 3. 124 Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 369. 125 The Laura Spelman Rockefeller Memorial, Final Report, New York, 1933, S. 12. 126 Memorial Policy in Social Science. Extracts from various memoranda and dockets (From a General Memorandum, October 1922), in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 10, S. 5. 127 Vgl. ebd., S. 6, 10–11.

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Gründung und Stärkung von Zeitschriften und die Organisation von Ausstellungen vor128. Um die Zusammenarbeit von Wissenschaftlern und die Koordinierung von Forschungsarbeiten zu unterstützen förderte das LSRM den 1923 eingerichteten Social Science Research Council (SSRC)129. Mitte der 1920er-Jahre wurde die anfängliche Ablehnung der Unterstützung bei der Neugründung von Lehrstühlen, Fakultäten und Instituten aufgegeben. Zwölf bis zwanzig Institutionen sollten weltweit zu „well-rounded and effective research institutions“ ausgebaut werden, wobei man im LSRM überzeugt war „today there is not one“130. Potenzial sah Ruml in der London School of Economics, der Columbia University, der Harvard University, der University of Chicago und der Brookings Graduate School in Washington. In diesen Einrichtungen sollte das Memorial nicht nur die Forschung erleichtern, sondern darüber hinaus unterstützend tätig werden131. Um den Vorwurf direkter Einflussnahme auf die geförderten Forschungsprojekte zu vermeiden, erarbeitete Ruml 1924 einen Richtlinienkatalog, der es dem LSRM erlauben sollte, auch kontroverse Themen in die Förderung einzubeziehen. Dies sei laut Ruml möglich, wenn Objektivität, Kompetenz, Forschungs- und Meinungsfreiheit garantiert seien132. Sechs negative und sechs positive Prinzipien sollten das Memorial vor Kritik bewahren: It appears advisable 1. Not to contribute to organizations whose purposes and activities are centered largely in the procurement of legislation. 2. Not to attempt directly under the Memorial to secure any social, economic, or political reform. 3. Not to contribute more than a conservative proportion toward the current expenses of organizations engaged in direct activity for social welfare. 4. Not to carry on investigations and research directly under the Memorial, except for the guidance of the Memorial.

128 Vgl. ebd., S. 7–9. 129 Vgl. Memorial Policy in Social Science. Extracts from various memoranda and dockets (From the Docket of the Board of Trustees Meeting, February 26, 1924), in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 10, S. 17. 130 Memorial Policy in Social Science. Extracts from various memoranda and dockets (From the Report of the Executive Committee and Director to the Board of Trustees for the year 1924– 1925), o. D., in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 10, S. 29. 131 Vgl. ebd. 132 Vgl. The Social Sciences. Under the Laura Spelman Rockefeller Memorial, 1923–1928. Extract from DR469 Agenda for Special Meeting of Trustees April 11, 1933, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 12, S. 40.

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5. Not to attempt to influence the findings or conclusions of research and investigations either through the designation of personnel, specific problems to be attacked, or methods of inquiry to be adopted; or indirectly through giving inadequate assurances of continuity of support. 6. Not to concentrate too narrowly on particular research institutions, avoiding thereby the danger of institutional bias. Certain principles would seem to make assistance from the Memorial desirable. It appears appropriate. 7. To offer fellowships to students of competence and maturity for study and research under supervision of responsible educational and scientific institutions. 8. To contribute to agencies which may advance in indirect ways scientific activity in the social field. 9. To make possible the publication of scientific investigations sponsored by responsible institutions or organizations through general appropriations to be administered in detail by the sponsoring agency. 10. To contribute toward the expenses of conferences of scientific men for specific purposes. 11. To make possible, under the auspices of scientific institutions, governmental agencies, or voluntary organizations, demonstrations which may serve to test, to illustrate, or to lead to more general adoption of measures of a social, economic, or governmental character which have been devised, studied, and recommended by responsible agencies. 12. To support scientific research on social, economic, and governmental questions when responsible educational or scientific institutions initiate the request, sponsor the research, and assume responsibility for the selection and competence of the staff and the scientific spirit of the investigations133.

Ein Teil dieser zwölf Gebote der Forschungsförderung enthielt Ideen aus dem General Memorandum von 1922, wie die Ablehnung direkter Wohlfahrtsarbeit. Das vierte Prinzip verhinderte, dass sich das Memorial selbst in eine Forschungseinrichtung verwandelte, das sechste verbat dem LSRM eine zu starke Konzentration auf einige wenige Institutionen. Die Prinzipien legten das Memorial auf eine bestimmte Art der philanthropischen Forschungsförderung fest: Die Vergabe von Fördermitteln an Forschungseinrichtungen oder übergeordnete Wissenschaftsorganisationen, oft in 133 The Laura Spelman Rockefeller Memorial, Final Report, New York, 1933, S. 14–15. Siehe auch Memorial Policy in Social Science. Extracts from various memoranda and dockets (From the Report of the Executive Committee and Director to the Board of Trustees for the year 1923–24), o. D., in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 10, S. 21–23 und B. Ruml, Memorandum: „Conditions Affecting the Memorials’s Participation in Projects in Social Science“ presented to Trustees, 10 July 1924, in RAC-LSRM, Series 1, box 4, folder 9.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Gestalt pauschaler Zuweisungen („block grants“ oder „institutional grants“), sowie die Bewilligung von Stipendien. Ein weiteres wichtiges Grundprinzip der LSRM-Förderpolitik blieb in dem Dokument unerwähnt: Die Vermeidung jeglicher öffentlicher Aufmerksamkeit. Das LSRM hielt seine Jahresberichte so knapp wie möglich, sie gehen kaum über eine Aufstellung der geleisteten Zahlungen hinaus und erläutern weder die Ziele noch die Motive des Förderprogramms. Zu keinem Zeitpunkt veröffentlichte das Memorial einen allgemein zugänglichen Text zu seinen Grundprinzipien. Die Bewilligungs­ schreiben an die Empfänger von Fördermitteln endeten in der Regel mit dem Satz: „The Memorial would appreciate it if no public announcement were made of the gift, other than that which is made by you in your regular annual report“134. Diese Zurückhaltung sollte neben der Vermeidung öffentlicher Kritik und der Aufrechnung der an unterschiedliche Empfänger geleisteten Zahlungen auch verhindern, dass Bewerber ihre Anträge zu stark auf vermeintliche Förderkriterien ausrichteten. Die Nachteile einer solchen Grundsatzentscheidung – ein geringer Bekanntheitsgrad und der Verzicht auf öffentliche Anerkennung – nahm das Memorial in Kauf. In den Jahren 1923 bis 1928 gab das LSRM knapp die Hälfte (46 %) seiner Gesamtausgaben für die Sozialwissenschaften aus, wobei die Summen von Jahr zu Jahr stark variierten. Während 1923 nur 4 % der Gesamtausgaben für die Sozialwissenschaften vorgesehen waren, erreichten die Bewilligungen für diesen Förderbereich 1927 mit knapp 8,5 Millionen Dollar (81 %) ihr Maximum. Fast zwei Drittel der Gesamtsumme für sozialwissenschaftliche Forschung wurde 1927 und 1928 auf Grundlage einer ausgereiften Konzeption und einer sich anbahnenden Neuorganisation der Rockefeller Philanthropie ausgegeben135. Auch wenn eine große Anzahl von Institutionen Unterstützung erhielt, konzentrierte sich die Förderung stark auf einige Zentren. Mehr als die Hälfte der Gesamtausgaben wurde fünf Institutionen zugesprochen, der University of Chicago, der Columbia University, der Brookings Institution, der Harvard University und der London School of Economics136. Die geförderten Institutionen wurden integraler Bestandteil des Rockefeller Universums. Sie waren beliebte Anlaufpunkte für europäische Stipendiaten und stellten ein großes Kontingent der amerikanischen Fellows.

134 Beispiele finden sich in RAC-LSRM, Series III, box 74 und 75. 135 Vgl. The Social Sciences. Under the Laura Spelman Rockefeller Memorial, 1923–1928. Extract from DR469 Agenda for Special Meeting of Trustees April 11, 1933, o. D., o. Verf., in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 12, S. 40. 136 Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 386.

73

Ausgaben in tausend Dollar

Vorsichtige Annäherungen

12000 10000

Ausgaben für die Sozialwissenschaften Weitere Ausgaben

8000 6000 4000 2000 0

1923

1924

1925

Jahr

1926

1927

1928

Abbildung 1: Die Ausgaben des LSRM für die Sozialwissenschaften, 1923–1928. (Quelle: The Laura Spelman Rockefeller Memorial, Annual Reports, New York, 1923–1928. ­Diagramm nach einer Tabelle von Bulmer, Support for Sociology, S. 187).

Das Experiment in der Praxis: Die Forschungsförderung des LSRM in den USA

Die private University of Chicago, deren Entwicklung seit dem Ende des 19. Jahrhunderts eng mit der Rockefeller Philanthropie verbunden war, erhielt mit 3,4 Millionen Dollar die höchste Summe. In der sozialwissenschaftlichen Forschungslandschaft der 1920er-Jahre nahm die Universität durch ihre Ausrichtung auf empirische, kollektive und interdisziplinäre Forschungsprojekte eine Sonderstellung ein137. Im Jahr 1923 erhielt das mit Unterstützung des LSRM gegründete „Local Community Research Committee“ (LCRC) eine erste Spende von 21.000 Dollar für soziologische Stadtforschungen in Chicago138. Insgesamt wurde das LCRC vom Memorial mit mehr als 600.000 Dollar gefördert. Mit diesen Mitteln führten Studenten von Robert Park und Ernest Burgess empirische Stadtstudien durch und Clifford Shaw arbeitete zur Verbrechensforschung139. 1927 erhielt die University of Chicago 1,1 Millionen Dollar für die Errichtung, Ausstattung und Unterhaltung eines „Social Science 137 Vgl. Bryson, Dennis R., Socializing the Young: The Role of Foundations, 1923–1941, London, 2002, S. 34. 138 Zur Geschichte des LCRC siehe Bulmer, Martin, The Early Institutional Establishment of Social Science Research: The Local Community Research Committee at the University of Chicago, 1923–30, in Minerva 18 (1980), S. 51–110, Bulmer, Martin, The Chicago School of Sociology. Institutionalization, Diversity, and the Rise of Sociological Research, Chicago, 1984, S. 129–150 (Im Folgenden zitiert als Bulmer, The Chicago School) und Topalov, Christian, Le Local Community Research Committee, la recherche sur projet et l’„âge d’or“ de la sociologie de Chicago (1923–1930), in Genèses 94 (2014), S. 81–113. 139 Vgl. Bulmer, Support for Sociology, S. 189.

74

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Research Building“140. Während die Chicagoer Sozialwissenschaften weltweite Bekanntheit erlangten, blieb der substantielle Beitrag der Rockefeller Philanthropie zur „Chicagoer Schule“ lange im Dunkeln. Auch hier hatte sich das LSRM die öffentliche Bekanntmachung der Förderung verbeten141. Das sogenannte „Chicago experiment“ galt dem Memorial als gelungenes Beispiel für die Entwicklung eines bedeutenden sozialwissenschaftlichen Forschungszentrums mit interdisziplinärer Zusammenarbeit von Wirtschaftswissenschaftlern, Soziologen und Politologen sowie außeruniversitären Akteuren142. Weitere Schwerpunkte lagen auf Studien zur Kindesentwicklung („child development“) an der Iowa State University, der Columbia University, der Yale University und der University of Minnesota, Forschungen über „Rassenbeziehungen“ („race relations“) an der Fisk University und der University of North Carolina und Arbeiten im Bereich der Sozialtechnologie („social technology“) an verschiedenen juristischen Fakultäten. Weiterhin wurden die „business schools“ an der Harvard University und der University of Pennsylvania gefördert143. Nicht immer klappte die Zusammenarbeit zwischen Philanthropie und Wissenschaft reibungslos. Beardsley Ruml hatte auch Wisconsin als mögliches Zentrum sozialwissenschaftlicher Forschung ausgemacht, doch die Treuhänder der Universität verboten 1925 die Annahme jeglicher philanthropischer Spenden. Richard T. Ely, dessen „Institute for Land Economics“ das Interesse des Memorials geweckt hatte, wechselte daraufhin an die Northwestern University, an der er vom LSRM mehr als 100.000 Dollar erhielt. Zwar nahmen die Trustees in Wisconsin ihr Verbot bald zurück, doch die philanthropischen Stiftungen verhielten sich nach der anfänglichen Ablehnung zurückhaltend144. Neben der direkten Unterstützung von Forschungseinrichtungen ließ das Memorial große Beträge über den Social Science Research Council verteilen, den es mit insgesamt 2,7 Millionen Dollar förderte. In den ersten zehn Jahren seines Bestehens erhielt der Council mehr als 90 % seines Budgets durch LSRM und RF145. Der SSRC verdankte seine Gründung 1923 der Initiative des Chicagoer Politikwissenschaftlers

140 Vgl. Geiger, To Advance Knowledge, S. 155. 141 Vgl. Bulmer, Support for Sociology, S. 189. 142 Vgl. Memorial Policy in Social Science. Extracts from various memoranda and dockets (From the Docket of the Board of Trustees Meeting, February 26, 1924), in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 10, S. 15–16. 143 Vgl. Geiger, To Advance Knowledge, S.  154 und Bernstein, Alison  R., Funding the Future: Philanthropy’s Influence on American Higher Education, Lanham, 2014, S. 48–50 (Im Folgenden zitiert als Bernstein, Funding the Future). 144 Vgl. Geiger, To Advance Knowledge, S. 154. 145 Vgl. ebd., S. 152.

Vorsichtige Annäherungen

75

Charles E. Merriam und dem Interesse Beardsley Rumls146. Die Einrichtung gilt heute als „the first national social science institution anywhere in the world“147. In der Orientierung der amerikanischen Sozialwissenschaften hin zu empirischen und systematischen Ansätzen kam ihr eine bedeutende Rolle zu148. Spenden an den SSRC waren für das Memorial mit geringem Verwaltungsaufwand verbunden und schützten vor dem Vorwurf direkter Einflussnahme. Neben der Verwaltung und Verteilung der Fördermittel übernahm der SSRC auch die Auswahl der Stipendiaten für das amerikanische Stipendienprogramm des LSRM. Auf unbekanntem Gebiet: Das LSRM in Europa

Das LSRM beschränkte seine Förderung der Sozialwissenschaften nicht auf die Vereinigten Staaten, sondern bezog sehr früh weitere Länder ein. Diese Ausweitung stellte das Memorial jedoch vor Schwierigkeiten: „The situation with respect to other foreign universities in social science is practically unknown to us“149, konstatierte man 1923/24. Als Erstes wurden daher Informationen zur Lage der Sozialwissenschaften im Ausland benötigt150. Vertreter des Memorials reisten nach Europa, in den Nahen Osten und nach Asien, um dort den Förderkriterien entsprechende Institutionen auszumachen151. 1924 erhielt die London School of Economics (LSE) als erste ausländische sozialwissenschaftliche Einrichtung eine Zuwendung von 115.000 Dollar. In den beiden folgenden Jahren wurde das Engagement im Ausland, besonders in Europa, ausgeweitet. In einem Memorandum von 1925/26 stellten die Verantwortlichen des LSRM fest, dass die ausländischen Zuwendungen in der Förderpolitik an Bedeutung gewonnen hätten. Das LSRM war zu diesem Zeitpunkt in England, Deutschland, Norwegen, Schweden, der Schweiz und Syrien aktiv152. Die unten stehende Tabelle gibt Aufschluss über die geförderten Institutionen in Europa. Dazu kamen Förderprogramme in Syrien und China, auf die hier nicht weiter eingegangen wird. 146 Vgl. Bernstein, Funding the Future, S. 50. 147 Fisher, Donald, Fundamental Development of the Social Sciences. Rockefeller Philanthropy and the United States Social Science Research Council, Ann Arbor, 1993, S. 4 (Im Folgenden zitiert als Fisher, Fundamental Development). 148 Vgl. ebd., S. 5, 27. 149 Memorial Policy in Social Science. Extracts from various memoranda and dockets (From the Report of the Executive Committee and Director to the Board of Trustees for the year 1923–24), o. D., in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 10, S. 23. 150 Vgl. ebd., S. 23–24. 151 Vgl. Craver, Patronage and the Directions, S. 207. 152 Vgl. Directors Report, Social Science, 23. Februar 1926, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 676, S. 7.

76

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Tabelle 1: Aufwendungen des LRSM für europäische Institutionen zur Förderung der Sozialwissenschaften, 1924–1928.*

London School of Economics

1924

1925

115

155

1926

1927

1928

Gesamt

875

100

1.245

Cambridge University for Political science

150

150

Institute for International Studies, Genf

100

100

The Reference Service on International Affairs of the American Library, Paris

12,5

Notgemeinschaft, Berlin („library 52,5 grants“)

16,5

Deutsche Hochschule für Politik, Berlin

12,5

57,5

50

University of Stockholm

75

National Institute of Industrial Psychology, London

50

10

79

25

75 75

20

Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, Heidelberg University of Oslo, Institute for Comparative Research in Human Culture

82,5

35

70 60

60

20

55

Preußische Staatsbibliothek, Berlin

27

14

41

Bayerische Staatsbibliothek, München

17,5

10

27,5

Department of Public Instruction of the Canton of Geneva

10

International Institute for the Study of African Languages and Cultures, London

25

University of Liverpool Institut für Auswärtige Politik, Hamburg

20

25 20

18 17,5

25 25

25

Institute of Economics and History, Kopenhagen Royal Anthropological Institute, London

15

18 17,5

77

Vorsichtige Annäherungen 1924

1925

International School of Geneva American Library Association (books and periodicals for European libraries)

1926

1927

1928

16 7,73

Gesamt

16 7,73

*in tausend Dollar (Quelle: The Laura Spelman Rockefeller Memorial, Annual Reports, New York, 1923–1928. Eigene Aufstellung).

Außerhalb Amerikas wollte Ruml ein Netz aus mehreren „world centers“ für sozialwissenschaftliche Forschung aufbauen. Für 1926 stellte er fest, dass nur die London School of Economics als solches bezeichnet werden könne153. Die 1895 gegründete LSE war Anfang der 1920er-Jahre die führende britische Institution in den Bereichen Wirtschafts- und Politikwissenschaften und Soziologie154 und verfügte über die größte sozialwissenschaftliche Bibliothek in Europa155. 1923 lernte Ruml den Direktor der LSE, William Beveridge, kennen156. Beide teilten ähnliche Ansichten zur Entwicklung der Sozialwissenschaften und knüpften freundschaftliche Beziehungen. Bis Ende 1928 erhielt die LSE 1,25  Millionen Dollar, womit das LSRM zum wichtigsten philanthropischen Förderer der Einrichtung wurde157. Einen zweiten Schwerpunkt sozialwissenschaftlicher Forschung in England versuchte das LSRM in Cambridge aufzubauen. Dort erwies sich das philanthropische Engagement der Amerikaner jedoch als wesentlich schwieriger als in London. Bereits 1924 hatte der vom Memorial nach Europa geschickte John J. Coss berichtet, dass die Wirtschaftsfakultät der Cambridge University kein Interesse an einer Ausweitung ihrer Aktivitäten habe. Er empfahl daher, in Cambridge vorerst nichts zu unternehmen158. Im Jahr darauf bot das LSRM der Universität die Einrichtung von zwei Lehrstühlen, einen für Soziologie und einen für Politikwissenschaften, an159. Letzte153 Vgl. Directors Report, Social Science, 23. Februar 1926, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 676, S. 7. 154 Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 394. Siehe auch Scot, „Rockefeller’s Baby“ und Fisher, American Philanthropy and the Social Sciences in Britain, 1919–1939. 155 Vgl. Bulmer, Support for Sociology, S. 188. 156 Vgl. Scot, Marie, La London School of Economics and Political Science, 1895–2010. Internationalisation universitaire et circulation des savoirs, Paris, 2011, S. 103 (Im Folgenden zitiert als Scot, La London School of Economics and Political Science, 1895–2010). 157 Vgl. Seim, Rockefeller Philanthropy, S. 123. 158 Vgl. Memorandum J. J. Coss an B. Ruml, 28. Februar 1928, RAC-LSRM, Series III, box 51, zitiert in Craver, Patronage and the Directions, S. 208. 159 Vgl. Bulmer, Martin, Sociology and Political Science at Cambridge in the 1920’s: An Opportunity Missed and an Opportunity Taken, in Cambridge Review 102 (1981), S. 156–159.

78

Transatlantische Aufbruchsstimmung

rer wurde 1926 eingerichtet und mit dem politischen Philosophen Ernest Barker besetzt, der den vom Memorial favorisierten empirischen Methoden fernstand160. Wohl aufgrund ihrer konservativen Haltung und der fehlenden Integration der Soziologie in die Lehre lehnte die Universität die Einrichtung des soziologischen Lehrstuhls ab161. Das Cambridger Beispiel ähnelt dem von Wisconsin und zeigt, dass philanthropische Förderung nur Ergebnisse erzielen konnte, wenn zwischen den Verhandlungspartnern ein Einverständnis gefunden wurde. Neben der London School of Economics förderte das Memorial in Europa drei weitere interdisziplinär ausgerichtete Forschungszentren: Das Institut Universitaire des Hautes Études Internationales in Genf, das Sozialwissenschaftliche Institut an der Universität Stockholm und das Institut für Ökonomie und Geschichte an der Universität Kopenhagen162. In Deutschland hatte das LSRM die Wahl zwischen einer ganzen Reihe kleinerer sozialwissenschaftlicher Zentren. In erster Linie kämen Berlin, Kiel und Hamburg in Frage, in zweiter Heidelberg und Köln, so Ruml. Gefördert wurden schließlich das Institut für Auswärtige Politik in Hamburg, das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften in Heidelberg und die Deutsche Hochschule für Politik in Berlin. Für Österreich vermerkte Beardsley Ruml, dass die undurchsichtige Situation in Wien keine Aktivitäten erlaube163. Er spielte damit auf die die Wiener Wirtschaftswissenschaftler entzweienden Auseinandersetzungen zwischen Hans Mayer und Othmar Spann an. Die Vertreter des LSRM wandten ihr Interesse infolgedessen der außeruniversitären wirtschaftswissenschaftlichen Forschung zu164. Französische Institutionen wurden vom Memorial nicht gefördert165. Mit Ausnahme der London School of Economics blieb das Memorial bei der institutionellen Förderung der europäischen Sozialwissenschaften zurückhaltend. In den Augen des LSRM waren die europäischen Sozialwissenschaften zu theoretisch und philosophisch ausgerichtet. Außerdem befürchtete man, die Fördermittel könnten anders als im Sinne des Programms verwendet werden. Daher konzen160 E. E. Day fasste später zusammen: „Cambridge was offered two professorial endowments, one in political science, and one in sociology; declined that in sociology and appointed a political philosopher; than, practically nothing in a scientific way was accomplished“. Staff Conference, 14. Januar 1930, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 2, S. 2. 161 Vgl. Bulmer, Support for Sociology, S. 189 und Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 396. 162 Vgl. Craver, Patronage and the Directions, S. 208. 163 Vgl. Directors Report, Social Science, 23. Februar 1926, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 676, S. 7. 164 Vgl. Craver, Patronage and the Directions, S. 209. 165 Vgl. Staff Conference, 14. Januar 1930, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 2, S. 2. Erst später, als das LSRM bereits in der sozialwissenschaftlichen Abteilung der RF aufgegangen war, wurden französische Einrichtungen in die Förderung aufgenommen. Siehe dazu die zahlreichen Arbeiten von Ludovic Tournès.

Vorsichtige Annäherungen

79

trierte sich die Förderung in Europa auf wenige Institute. Das LSRM legte seinen Schwerpunkt auf die Ausbildung einer neuen Generation von Sozialwissenschaftlern durch die Einrichtung eines europäischen Stipendienprogramms166. Zu der 1926 geplanten Ernennung eines dauerhaften Vertreters des LSRM in Europa kam es nicht167. Auch wenn die in Europa vergebenen Beträge im Vergleich zu denen in der USA gering waren, bedeuteten sie für die geförderten Institute in den von den Kriegsfolgen geplagten europäischen Ländern einen bedeutenden finanziellen Zuschuss.

1.3 „… they have lived for ten years on their own flesh“: Erste Kontakte des LSRM nach Deutschland In der europäischen Wissenschaftslandschaft war Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg weitgehend isoliert. Die alliierten Akademien der Wissenschaften hatten einen Wissenschaftsboykott verhängt, im Friedensvertrag von Versailles waren alle internationalen wissenschaftlichen Konventionen mit Deutschland aufgelöst worden168. Fast alle internationalen wissenschaftlichen Institute und Büros wurden aus Deutschland abgezogen169, in den neu gegründeten Wissenschaftsvereinigungen waren deutsche Wissenschaftler nicht vertreten170. Ihnen wurde unter anderem die Unterstützung des Krieges und die Leugnung der von Deutschen verübten Kriegsverbrechen in Belgien und Frankreich vorgeworfen171. Nur 165 der 275 zwischen 1919 und 1925 stattfindenden internationalen Kongresse in den Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften fanden mit deutscher Beteiligung statt. Oft wurde die deutsche

166 Vgl. Craver, Patronage and the Directions, S. 208–209. 167 Vgl. Directors Report, Social Science, 23. Februar 1926, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 676, S. 7–8. 168 Vgl. Flachowsky, Sören, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat. Wissenschaftspolitik im Kontext von Autarkie, Aufrüstung und Krieg, Stuttgart, 2008, S. 47 (Im Folgenden zitiert als Flachowsky, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat). 169 Vgl. Vierhaus, Rudolf; Vom Brocke, Bernhard, Forschung im Spannungsfeld von Politik und Gesellschaft. Geschichte und Struktur der Kaiser-Wilhelm-/Max-Planck-Gesellschaft, Stuttgart, 1990, S. 201 (Im Folgenden zitiert als Vierhaus et al., Forschung im Spannungsfeld). 170 In den 1923 verabschiedeten Statuten der Internationalen Akademie-Union wurde jedoch im Gegensatz zum Internationalen Forschungsrat auf einen expliziten Ausschlussparagraphen verzichtet. Vgl. Reinbothe, Roswitha, Deutsch als internationale Wissenschaftssprache und der Boykott nach dem Ersten Weltkrieg, Frankfurt am Main, New York, 2006, S. 164 (Im Folgenden zitiert als Reinbothe, Deutsch als internationale Wissenschaftssprache). 171 Vgl. ebd., S. 11–12.

80

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Sprache nicht als offizielle Konferenzsprache zugelassen172. Von den deutschen Wissenschaftlern wurde die meistens auf die Initiative Frankreichs und Belgiens zurückgehende Isolierung als zutiefst ungerecht empfunden und mit einem Gegenboykott beantwortet173. Nicht alle Bereiche des wissenschaftlichen Austauschs waren von den Boykottmaßnahmen gleichermaßen betroffen. So war die Isolierung der deutschen Wissenschaft im Informations- und Druckschriftenaustausch weniger ausgeprägt174. Auch persönliche Kontakte zwischen deutschen und ausländischen Gelehrten waren nicht vollständig abgebrochen und erleichterten eine vorsichtige Wiederannäherung. Erst mit dem Eintritt Deutschlands in den Völkerbund wurde der alliierte Wissenschaftsboykott 1926 aufgehoben175. Die amerikanische Philanthropie war trotz der europäischen Konflikte an einer Zusammenarbeit mit deutschen Wissenschaftlern interessiert. Die absichtliche Ausgrenzung eines Landes mit langer wissenschaftlicher Tradition widersprach den universalistischen Idealen der Philanthropen. Zudem wurde die Gründung konkurrierender wissenschaftlicher Organisationen und eine damit einhergehende Spaltung der internationalen Wissenschaft befürchtet176. In den Quellen zur Förderpolitik des LSRM finden sich keine Hinweise auf eine kontrovers geführte Debatte zu dieser Frage. Deutschland wurde von Anfang an in den Planungen berücksichtigt. Bei der Konzeption seines Deutschlandprogramms konnte das LSRM auf Erfahrungen der Rockefeller Foundation zurückgreifen, die sich nach dem Ersten Weltkrieg auf die Förderung von Medizin und Gesundheitswesen konzentrierte. Da Deutschland über ein gut ausgebautes medizinisches Ausbildungssystem verfügte, stand es nicht im Zentrum der Förderpolitik. Ab 1921 finanzierte die RF die Anschaffung medizinischer Fachliteratur177, 1922 wurden 55 auf Medizin spezialisierte Bibliothe-

172 Vgl. Schroeder-Gudehus, Brigitte, Deutsche Wissenschaft und internationale Zusammenarbeit: 1914–1928. Ein Beitrag zum Studium kultureller Beziehungen in politischen Krisenzeiten, Genf, 1966, S. 112–114 (Im Folgenden zitiert als Schroeder-Gudehus, Deutsche Wissenschaft). 173 Vgl. Flachowsky, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat, S. 47. 174 Vgl. Schroeder-Gudehus, Deutsche Wissenschaft, S. 124. 175 Vgl. Reinbothe, Deutsch als internationale Wissenschaftssprache, S. 428. 176 Vgl. Rietzler, Philanthropy, Peace Research, S. 65–66. „Es ist mir nicht bekannt geworden, dass [die RF und das IEB] ihre objektive, wissenschaftliche Haltung verloren oder an dem geistigen Krieg gegen Deutschland sich beteiligt haben. So viel ich weiß, lehnt die ‚Rockefeller-Foundation‘ grundsätzlich jeden wissenschaftlichen Boykott ab“, antwortete Scheel 1925 auf eine Anfrage, ob ein Stipendium der RF oder des IEB angenommen werden könne. Brief von Prof. Dr. Scheel an Dr.-Ing. Dencker, 13. August 1925, in BAB, R 8088/705 Reichsverband der deutschen Hochschulen (Rockefeller Foundation). 177 Vgl. Brief von R. M. Pearce an F. Schmidt-Ott, 2. Juni 1922, in BAB, R 73, Nr. 217. Siehe auch Macrakis, The Rockefeller Foundation, S. 33–34.

Vorsichtige Annäherungen

81

ken unterstützt178. Die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft erhielt im Folgejahr Mittel für Kurzzeitstipendien („resident fellowships“), die junge Privatdozenten in der Wissenschaft halten sollten179. Die Stipendien wurden von einem Komitee deutscher Naturwissenschaftler vergeben, an dem auch je ein Vertreter der RF und der Notgemeinschaft teilnahmen180. Die Deutschlandpläne des LSRM konkretisierten sich Anfang 1924. Ruml und Fosdick begannen mit einer Sammlung von Ideen, zu der als Deutschlandexperte der Historiker der Columbia University James T. Shotwell seine Einschätzungen beitrug. Shotwell, Gegner isolationistischer amerikanischer Tendenzen und Fürsprecher eines „more international approach to world affairs“181, hatte der amerikanischen Delegation bei den Friedensverhandlungen in Versailles angehört und leitete das seit 1919 vom Carnegie Endowment for International Peace initiierte internationale Editionsprojekt einer wirtschaftlichen und sozialen Geschichte des Ersten Weltkriegs182. Als Vertreter des „American Council of Learned Societies“ in der Internationalen Akademie-Union hatte er sich für eine Beteiligung deutscher Wissenschaftler an den Projekten der Akademie-Union eingesetzt. Auf dem internationalen Historikerkongress 1923 in Brüssel, dem Shotwell als Ehrenpräsident vorsaß, setzte er durch, dass die Einladung zur Gründung eines Internationalen Komitees für Geschichtswissenschaften zur Vorbereitung der nachfolgenden Kongresse auch an deutsche Historiker ging183.

178 Vgl. Richardson, Malcolm, Philanthropy and the Internationality of Learning: The Rockefeller Foundation and National Socialist Germany, in Minerva 28 (1990), S. 22 (Im Folgenden zitiert als Richardson, Philanthropy and the Internationality of Learning). 179 Insgesamt finanzierte die RF in Deutschland fast 700 „resident fellowships“. Vgl. Richardson, Philanthropy and the Internationality of Learning, S. 23. 180 Vgl. Brief von A. Gregg an H. Poll, 14. Dezember 1922, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 8, folder  47. Vorsitzender des Ausschusses war Selskar M. Gunn als Vertreter der RF. Siehe auch die Satzungen des Ausschusses zur Förderung des wissenschaftlich-medizinischen Nachwuchses (Hilfsausschuss der Rockefeller Foundation), 4. Februar 1923, in BAB, R 73, Nr. 303 (Gewährung von Forschungsstipendien), Blatt 15 und 16. Das International Education Board unterstützte ab 1923 die deutschen Naturwissenschaften, besonders die Mathematik und Physik. Vgl. Macrakis, The Rockefeller Foundation, S. 35. 181 Vgl. Josephson, Harold, James T. Shotwell and the Rise of Internationalism in America, London, 1975, S. 95. 182 Vgl. Chatriot, Alain, Une véritable encyclopédie économique et sociale de la guerre. Les séries de la Dotation Carnegie pour la Paix Internationale (1910–1940), in L’Atelier du Centre de recherches historiques. Revue électronique du CRH (2009), Absatz 10. Carnegie Endowment for International Peace, Economic and Social History of the World War, 150 Bd., New Haven, 1924–1940. 183 Vgl. Brief von J. T. Shotwell an R. B. Fosdick, 17. Januar 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558, S. 2. Vgl. auch Petke, Wolfgang, Karl Brandi und die Geschichtswissenschaft, in Boockmann, Hartmut; Wellenreuther, Hermann (Hgg.), Geschichtswissenschaft in Göttingen: eine Vor-

82

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Dem LSRM riet Shotwell, in Deutschland nicht auf traditionelle „charity“ zu setzen, da Almosenempfänger der Gesellschaft nichts zurückgeben könnten. Eine Stimulation produktiver Wissenschaft könnte in den Politik- und Sozialwissenschaften jedoch zu ähnlichen Fortschritten wie in der Medizin führen. In der Not der deutschen Professoren sah der Historiker eine Gelegenheit für konstruktives Handeln: We should support the effort to enlarge the point of view of German scholars; keep them busy on their own tasks and not simply spending their time in self-pity as some do, or in turning to other tasks, commercial, or even of manual labor as in the case of the younger men184.

Das Memorial entschloss sich, sein Deutschlandprogramm nicht auf Nothilfe für die Bevölkerung aufzubauen, sondern wie in den USA auf die Unterstützung von Wissenschaftlern zu setzen. Vor der Verabschiedung konkreter Maßnahmen entsandte es einen Vertreter in verschiedene europäische Länder, der sich unter anderem ein Bild von der Lage der deutschen Sozialwissenschaften machen sollte. Diese Sondierungsreise sollte möglichst unauffällig erfolgen, um auf deutscher Seite keine Hoffnungen zu wecken und dem LSRM alle Möglichkeiten offenzuhalten185. Die deutschen Sozialwissenschaften aus amerikanischer Perspektive: Die Erkundungsreise des Historikers Guy Stanton Ford

Die Mitarbeiter des LSRM entschieden sich für den von Shotwell vorgeschlagenen Historiker Guy Stanton Ford von der University of Minnesota186. Ford hatte 1899/1900 für Recherchen zu seiner Doktorarbeit ein Jahr in Deutschland verbracht187 und dort in Archiven in Berlin, Hannover und Dresden gearbeitet188. Vor seiner Abfahrt informierte er eine Reihe deutscher Professoren über die geplante Reise und schickte ihnen einige seiner Publikationen. In den Briefen formulierte er das Ziel der lesungsreihe, Göttingen, 1987, S. 301. Die deutschen Historiker waren zu diesem Kongress nicht eingeladen worden. 184 Brief von J. T. Shotwell an R. B. Fosdick, 17. Januar 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558, S. 3. 185 Vgl. Brief von G. E. Vincent an L. D. Coffman, Präsident der University of Minnesota, Minneapolis, 23. Januar 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558. 186 Vgl. Notiz vom 21. Januar 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558. In der Notiz heißt es irrtümlich, G. S. Ford sei von der University of Michigan. 187 Vgl. Albertson, Dean, Portrait: Guy Stanton Ford, in The American Scholar 26 (1957), S. 351. 188 Die Dissertation trug den Titel „Hanover and Prussia, 1795–1803. A study of Neutrality“ (1903), 1922 folgte eine Biographie des Freiherrn vom Stein. Vgl. Epstein, Fritz T., William E. Lingelbach, Guy Stanton Ford, in HZ 197 (1963), S. 515.

Vorsichtige Annäherungen

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Reise bewusst vage: Er wolle sich mit den Wissenschaftlern über die „intellectual conditions in the present critical circumstances“189 in Deutschland austauschen. Zu seinen Aufgaben gehörte der Besuch deutscher Universitäten und Bibliotheken, in letzteren sollte er sich über die Bestände ausländischer sozialwissenschaftlicher Literatur informieren und die Situation mit der von 1914 vergleichen. Für Berlin bekam Ford den Auftrag, mehr über die Aktivitäten der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft herauszufinden. Im Falle eines konkreten Hilfsbedarfs sollte Ford Institutionen ausfindig machen, die für eine Kooperation geeignet waren, das Memorial aber nicht auf ein langjähriges Unterstützungsprogramm festlegten190. Guy Stanton Ford erreichte Deutschland im Februar 1924 und traf dort auf einen anderen Vertreter des Memorials, den Philosophen John J. Coss von der Columbia University, der in Europa die Möglichkeiten eines sozialwissenschaftlichen Stipendienprogramms untersuchte191. Coss war auf der Suche nach Ansprechpartnern, denen Ruml die Vorauswahl der Stipendiaten auf nationaler Ebene übertragen wollte192. In Deutschland trafen die beiden Amerikaner auf eine konservative, der Weimarer Republik oft kritisch gegenüberstehende Professorenschaft193, in der der Wunsch nach Wiederherstellung der alten Größe des Reiches weit verbreitet war194. Einige renommierte Gelehrte, wie Friedrich Meinecke und Hermann Oncken, respektierten als sogenannte Vernunftrepublikaner die demokratische Verfassung, blieben der Republik aber innerlich fremd195. Während die traditionellen universitären Diszi­ plinen Philosophie, Geschichte, Jura und Theologie an Bedeutung verloren, expandierten seit Anfang des 20. Jahrhunderts die natur- und technikwissenschaftlichen Disziplinen. Neben den universal gebildeten Gelehrten trat auch hier der spezialisierte und pragmatisch denkende Experte. War die Forschungslandschaft der Vorkriegszeit durch kleine, isoliert arbeitende Wissenschaftlergruppen gekennzeichnet, wurden in 189 Brief von G. S. Ford an B. Ruml, 15. Februar 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558. 190 Vgl. ebd. 191 Vgl. Brief von G. S. Ford an B. Ruml, 12. März 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558, S. 2. Als dritten Gesandten schickte das LSRM Frank Aydelotte, Präsident des Swarthmore College, nach England. Ford und Coss besuchten England, Frankreich, Deutschland, die Tschechoslowakei und Österreich. Vgl. Memorandum: Fellowships in the Social Sciences, 15. April 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 678, S. 1. 192 Vgl. Resume of the Development of the Fellowship Program in the Social Sciences under The Laura Spelman Rockefeller Memorial, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 2. 193 Vgl. Flachowsky, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat, S. 49. 194 Vgl. Sontheimer, Kurt, Die Haltung der deutschen Universitäten zur Weimarer Republik, in Abendroth, Wolfgang (Hg.), Nationalsozialismus und die deutsche Universität, Berlin, 1966, S. 31–32 (Im Folgenden zitiert als Sontheimer, Die Haltung). Siehe auch Sontheimer, Kurt, Die deutschen Hochschullehrer in der Zeit der Weimarer Republik, in Schwabe, Klaus (Hg.), Deutsche Hochschullehrer als Elite. 1815–1945, Boppard am Rhein, 1988, S. 223. 195 Vgl. Sontheimer, Die Haltung, S. 28, 37.

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der Weimarer Republik vernetzte Infrastrukturen, das Arbeiten in staatlichen oder von der Industrie betriebenen Laboren und die Zusammenarbeit in größeren Forschungszusammenhängen wichtiger196. Wirtschaftlich war die deutsche Forschungslandschaft stark von den Folgen der Inflation gekennzeichnet. Viele wissenschaftliche Einrichtungen hatten ihr in Staatsund Reichsanleihen investiertes Stiftungsvermögen verloren. Die rasante Geldentwertung führte dazu, dass kaum noch Forschungsmaterialien, Apparate und Fachliteratur angeschafft werden konnten. Die Höhe der Papier- und Druckpreise erschwerte die Veröffentlichung von Forschungsergebnissen, renommierte Fachzeitschriften stellten ihr Erscheinen ein197. Die „Not der deutschen Wissenschaft und der geistigen Arbeiter“ wurde in den Nachkriegsjahren zu einem weit verbreiteten Topos der öffentlichen Diskussion198. Als Ford in Deutschland eintraf, war durch die Währungsreform von November 1923 bereits eine Stabilisierung der wirtschaftlichen Lage erreicht worden. Im April 1924 veröffentlichte die von dem amerikanischen Präsidenten J. Calvin Coolidge eingesetzte Expertenkommission unter dem Vorsitz Charles Dawes einen neuen Finanzierungsplan für die deutschen Reparationsleistungen, in dem die Zahlungen von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Deutschen Reiches abhängig gemacht wurden. Die deutsche Regierung erhielt zudem einen amerikanischen Kredit über 110 Millionen Golddollar199. Der „Dawes-Plan“ und der dadurch erreichte Fluss amerikanischen Kapitals nach Deutschland leitete eine fünfjährige Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs ein200. Eine wirkliche Notsituation fanden Ford und sein Kollege Coss in Deutschland nicht vor. Nach einer Woche Aufenthalt schickte Ford eine Entwarnung an Ruml: Sofortmaßnahmen seien nicht notwendig, für alle Entscheidungen könne seine Rück-

196 Vgl. Flachowsky, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat, S. 44, 50–51. 197 Vgl. Vierhaus et al., Forschung im Spannungsfeld, S. 198–200. 198 Vgl. Schulze et al., Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, 1920–1995, S. 49. 199 Vgl. Adams, Willi Paul, Die USA im 20. Jahrhundert (Oldenbourg Grundriss der Geschichte), München, 2008, S. 53 (Im Folgenden zitiert als Adams, Die USA im 20. Jahrhundert). 200 Vgl. Heideking, Jürgen; Mauch, Christof, Geschichte der USA, Tübingen, 42006, S.  245–246. Die deutsche Industrie und die öffentliche Hand profitierten von den langfristigen amerikanischen Anleihen. Sie erreichten für die Zeit von 1925 bis 1930 eine Gesamthöhe von 1,65 Milliarden Dollar. Vgl. Glaser-Schmidt, Elisabeth, Verpaßte Gelegenheiten (1918–1932), in Larres, Klaus; Oppelland, Torsten (Hgg.), Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert. Geschichte der politischen Beziehungen, Darmstadt, 1997, S.  42. Nach Währungsreform und Dawes-Plan vermehrte sich das Volumen des Warenverkehrs zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland um fast 40 %. Vgl. Wala, Michael, Weimar und Amerika. Botschafter Friedrich von Prittwitz und Gaffron und die deutsch-amerikanischen Beziehungen von 1927 bis 1922 (Transatlantische Historische Studien 12), Stuttgart, 2001, S. 108.

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kehr in die USA abgewartet werden201. Ford führte seine Reise zunächst in die kleineren Universitätsstädte Bonn, Gießen und Marburg; den Besuch in Berlin hatte er für einen späteren Zeitpunkt vorgesehen. Nicht zuletzt auf Grund seiner zuvor versandten Briefe gelang es dem amerikanischen Historiker, Kontakt zu den deutschen Wissenschaftlern aufzunehmen202. Über die Gespräche mit deutschen Professoren und Bibliothekaren verfasste er für das LSRM ausführliche Memoranden, durch die seine Vorgehensweise nachvollziehbar wird. Der Vertreter des Memorials befragte seine Gesprächspartner vorrangig zur finanziellen Situation der Universität, der Lage der Privatdozenten und der Ausstattung der Bibliothek. Er interessierte sich aber auch für die Anzahl der Studenten, ihre Studienbedingungen und ihre Verteilung auf die verschiedenen Fakultäten. Seine Fragen beschränkten sich nicht auf die Sozialwissenschaften, vielmehr versuchte er ein Gesamtbild über den Zustand der deutschen Universitäten zu erhalten. Besonders trostlos erschien Ford die Lage an der Universität im von Frankreich besetzten Bonn. Sein Gesprächspartner Heinrich Göppert, ein auf Arbeitsrecht spezialisierter Jurist, beklagte sich über die schlechten Aussichten für Nachwuchswissenschaftler. Vakante Professorenstellen würden nicht besetzt und viele Forscher verließen die Wissenschaft aus finanziellen Gründen. Familien aus der Mittelklasse könnten die langen akademischen Ausbildungs- und Wartezeiten nicht mehr finanzieren203. Ford erfuhr außerdem, dass die Universitätsbibliothek keine Zeitschriften und Bücher mehr aus dem Ausland erhalte. Der Bonner Geschichtsprofessor Aloys Schulte erklärte, die Anschaffungen der Bibliothek seien auf ein Viertel des Vorkriegsniveaus gesunken. Ford erhielt von den Professoren eine Liste mit einem halben Dutzend Titeln, die besonders dringend benötigt wurden204. Der Bibliothekar der Universitätsbibliothek gab ihm eine weitere Aufstellung mit fehlenden Zeitschriftenbänden aus den Kriegsjahren205. In Gießen und Marburg empfand Ford die Stimmung als nicht ganz so bedrückend, die Probleme ähnelten aber den in Bonn formulierten Klagen206. Neun Marburger Professoren gaben auf seine Frage, welche Maß-

201 Vgl. Brief von G. S. Ford an B. Ruml, 23. Februar 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558. 202 Vgl. ebd. 203 Vgl. G. S. Ford, Memorandum of Interview with Professor Göppert of Bonn University on February 18th, 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558, S. 1–3. 204 Vgl. G. S. Ford, Memorandum of Interview with Professor A. Schulte, Feb. 18th, 1924, in RACLSRM, Series 3.06, box 52, folder 558, S. 4–6. 205 Vgl. G. S. Ford, Memorandum of Interview with Librarian, February 19, 1924 [Bonn University], in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558, S. 6. 206 Vgl. G. S. Ford, Memorandum of Interviews on University of Giessen. February 21; 1924, with Professors Roloff, Viegener (both in History), Horne (English literature and Phylilogy [sic]) and the Librarian, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558, S. 7.

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nahmen für die Geistes- und Sozialwissenschaftler am sinnvollsten wären, einhellig die Antwort: „Give them the periodical literature and latest books from abroad“207. Als roter Faden zieht sich die Bitte um Bereitstellung von Büchern und Zeitschriften, besonders ausländischer Provenienz, durch die Gespräche. Dazu kamen weitere alarmierende Auskünfte, die Ford von Bibliotheksdirektoren per Post erhielt208. Als Ergebnis hielt der Historiker fest, das Problem der deutschen Sozialwissenschaften sei ihre intellektuelle Isolation. An Ruml schrieb er über die deutschen Sozialwissenschaftler: Intellectually as well as physically they have lived for ten years on their own flesh. More than they realize they are out of touch with what has been done in the fields you have in mind. And there is a touch of the pathetic and tragic to see how they have shrunk down to a certain acceptance of all these things as they are, physically and intellectually […]. Just to have us come and go about and seem to be interested in them before we had in any sense laid our cards on the table, was a matter they appreciated with deep gratitude209.

Durch Hilfe aus dem Ausland könnten die deutschen Wissenschaftler neue Hoffnung und intellektuelle Kontakte nach außen gewinnen, so Ford. Gemeinsam mit Coss schlug er als erste Maßnahme eine Unterstützung der Universitätsbibliotheken bei der Beschaffung ausländischer sozialwissenschaftlicher Literatur aus der Zeit zwischen 1914 und 1924 vor sowie die rasche Einrichtung eines Stipendienprogramms für die Ausbildung des sozialwissenschaftlichen Nachwuchses210. Ford und Coss drängten darauf, die ersten Nominierungen möglichst bald vorzunehmen211. 207 G.  S.  Ford, Memorandum of Interview in Marburg, in RAC-LSRM, Series  3.06, box  52, folder 558, S. 10. 208 Siehe zum Beispiel den Brief des Geschichtsprofessors A. Wahl der Universität Tübingen: „The best way of helping our younger men in the direction you suggest would be in my opinion to procure them or the libraries of our seminaries or the University library the means of buying as many books and periodicals – especially non-German – as possible“, Brief von A. Wahl vom 4. März 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 657. 209 Brief von G. S. Ford an B. Ruml, 12. März 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558, S. 1. 210 Vgl. G. S. Ford, J. J. Coss, Report on the need of assistance evident in connection with Professors of economics, political science, sociology and history, psychology and anthropology in German universities, 14. April 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658. Der Bericht enthält die gleichen Empfehlungen wie der Brief von G. S. Ford an B. Ruml vom 12. März 1924, in RACLSRM, Series 3.06, box 52, folder 558. 211 Vgl. G. S. Ford, J. J. Coss, Report on Fellowships in the Social Sciences Proposed for Establishment in France, Germany, Czecho-Slovakia, Austria, in Memorandum: Fellowships in the Social Sciences, 15. April 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 668, S. 4–5. Ford und Coss schlugen zusätzlich die Bewilligung von „resident fellowships“ in Deutschland vor. Diesem Rat folgte das Memorial jedoch nicht. Vgl. ebd., S. 6.

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Ein folgenreicher Kontakt: Ford und Coss zu Besuch bei Friedrich Schmidt-Ott in der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft in Berlin

Ihrem Auftrag entsprechend besuchten Ford und Coss im März 1924 die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft im Berliner Schloss. Mit Absicht hatte Ford den Besuch der Notgemeinschaft nicht an den Anfang seines Deutschlandaufenthaltes gelegt, er wollte bei der persönlichen Kontaktaufnahme bereits über einen eigenen Eindruck der deutschen Sozialwissenschaften verfügen212. Ruml hatte der Notgemeinschaft eine dem SSRC vergleichbare Rolle zugedacht, er war auf der Suche nach einer deutschen Vermittlerorganisation zur Verwaltung größerer Bewilligungen. Das Treffen mit dem Präsidenten der Notgemeinschaft, Friedrich Schmidt-Ott213, an dem wohl auch dessen persönlicher Referent, der 28-jährige Historiker August Wilhelm Fehling, teilnahm, wurde zum Ausgangspunkt für eine langjährige enge Zusammenarbeit zwischen LSRM und Notgemeinschaft sowie zwischen Ruml und Fehling. Die Notgemeinschaft war drei Jahre vor dem SSRC gegründet worden und umfasste im Unterschied zu diesem alle Wissenschaftsgebiete. Sie war entstanden, um einen „völligen Zusammenbruch“214 der deutschen Wissenschaft abzuwenden215 und deren Interessen gegenüber Reich und Ländern zu vertreten. Nachdem die über einen „Stifterverband“ in der Industrie eingeworbenen privaten Spenden216 weit 212 Vgl. Brief von G. S. Ford an B. Ruml, 23. Februar 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558. 213 Vgl. Brief von B.  Ruml an F.  Schmidt-Ott, 23.  September 1923, in RAC-LSRM, Series  3.06, box 61, folder 657. In einem Bericht der Notgemeinschaft wird vermutet, dass das LSRM durch die Aktivitäten der medizinischen Abteilung der Rockefeller Stiftung und die mit der Notgemeinschaft in Kontakt stehenden amerikanischen Bibliothekare H. M. Lydenberg und J. Th. Gerould sowie F. Boas auf die Notgemeinschaft aufmerksam geworden sei. Vgl. Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Vierter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft umfassend ihre Tätigkeit vom 1. April 1924 bis zum 31. März 1925, S. 16–17. 214 Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft über ihre Tätigkeit bis zum 31. März 1922, Berlin, o. D. [1922], S. 5. 215 Vgl. Flachowsky, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat, S. 70. A. W. Fehling stellte dem Amerikaner A. Woods die Notgemeinschaft mit folgenden Worten vor: „As far as I know, the Notgemeinschaft is the first organisation of this kind which was created in times of distress not by the state but by the various scientific institutions themselves, and is based upon the principle of selfadministration. In the course of time, it became so to speak a central body for the promoting of German research as a whole. The most astonishing fact is, that the work of the past years could be done with an amount of less than a million Dollars“. Brief von A. W. Fehling an A. Woods, 12. Dezember 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658. 216 Vgl. Schulze et al., Der Stifterverband für die deutsche Wissenschaft, 1920–1995, S. 47. Für eine detaillierte Analyse des Stifterverbands siehe Schroeder-Gudehus, Brigitte, The Argument for the Self-Government and Public Support of Science in Weimar Germany, in Minerva 10 (1972), S. 59–95.

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hinter den Erwartungen zurückblieben217, übernahm das Reich über 95 % der Finanzierung218. Die Notgemeinschaft gewährte Druckzuschüsse für wissenschaftliche Veröffentlichungen, stellte Apparate, Chemikalien und Versuchstiere zur Verfügung, bezahlte die Anschaffung ausländischer Literatur und vergab Forschungs- und Reisestipendien, durch die die Abwanderung junger Forscher aus der Wissenschaft verhindert werden sollte219. Die Fördertätigkeit bezog sich ausschließlich auf den Bereich der Forschung, Lehrveranstaltungen wurden nicht unterstützt220. Der 64-jährige Jurist und ehemalige preußische Kultusminister Friedrich SchmidtOtt221 stand als Monarchist der Republik kritisch gegenüber und nahm nach 1918 keine öffentlichen Ämter mehr an. Er war jedoch der Ansicht, dass die Förderung der Wissenschaften für den Wiederaufbau Deutschlands grundlegend war und setzte sich für die wissenschaftliche Selbstverwaltung ein222. Die Struktur der Notgemeinschaft war ganz auf ihn zugeschnitten223. Im Rückblick bezeichnete er die Präsidentschaft als vielleicht „schönste Aufgabe [s]eines Lebens“224. Schmidt-Ott wird als eine 217 Vgl. Hammerstein, Notker, Die Deutsche Forschungsgemeinschaft in der Weimarer Republik und im Dritten Reich. Wissenschaftspolitik in Republik und Diktatur, 1920–1945, München, 1999, S. 56 (Im Folgenden zitiert als Hammerstein, Die Deutsche Forschungsgemeinschaft). 218 Vgl. Vierhaus et al., Forschung im Spannungsfeld, S. 230. Als erste Bewilligung erhielt die Notgemeinschaft für 1920 und 1921 jeweils 20 Millionen Mark. Von 1925 bis 1930 wurden jährlich 6 bis 8 Millionen Rentenmark gezahlt, 1933 waren es auf Grund der Wirtschaftskrise nur mehr 4 Millionen. Eine Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben der Notgemeinschaft für 1920–1933 findet sich bei Zierold, Kurt, Forschungsförderung in drei Epochen: Deutsche Forschungsgemeinschaft. Geschichte, Arbeitsweise, Kommentar, Wiesbaden, 1968, S. 38–39 (Im Folgenden zitiert als Zierold, Forschungsförderung). Die von der Rockefeller Philanthropie gespendeten Beträge sind nicht einzeln aufgeführt, sondern in einer Spalte mit dem Titel „Sonstige private Spenden, auch aus dem Ausland“ zusammengefasst. 219 Vgl. Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft über ihre Tätigkeit bis zum 31. März 1922, S. 10, 14. Die Höhe der Stipendien, durch die eine wissenschaftliche Tätigkeit „ohne Nebentätigkeiten bei mäßigen Ansprüchen“ ermöglicht werden sollte, betrug zunächst 100 RM, im Oktober 1924 wurde der Betrag auf 150 RM angehoben. Vgl. Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Vierter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft umfassend ihre Tätigkeit vom 1. April 1924 bis zum 31. März 1925, Berlin, o. D. [1925], S. 78–79. 220 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 25. 221 Vgl. Flachowsky, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat, S. 66. 222 Vgl. Hammerstein, Die Deutsche Forschungsgemeinschaft, S.  45. Siehe auch Marsch, Ulrich, Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. Gründung und frühe Geschichte, 1920–1925 (Münchner Studien zur neueren und neuesten Geschichte  10), Frankfurt am Main, New York, 1994, S. 44. 223 Vgl. Treue, Wolfgang, Friedrich Schmidt-Ott, in Treue, Wolfgang; Ribbe, Wolfgang (Hgg.), Berlinische Lebensbilder 3. Wissenschaftspolitik in Berlin, Berlin, 1987, S. 248 (Im Folgenden zitiert als Treue, Friedrich Schmidt-Ott). 224 Vgl. Schmidt-Ott, Friedrich, Erlebtes und Erstrebtes, 1860–1950, Wiesbaden, 1952, S. 174.

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Person mit großem diplomatischen Geschick und Organisationstalent beschrieben, die einmal gesteckte Ziele hartnäckig verfolgte225. Sein autokratischer Führungsstil wurde ihm jedoch wiederholt vorgeworfen226. Die USA kannte Schmidt-Ott aus eigener Anschauung: Zwischen 1888 und 1913 war er mehrmals in hochschul- und kulturpolitischen Angelegenheiten dort gewesen, unter anderem auf den Weltausstellungen 1892 in Chicago und 1904 in St. Louis. Gute Kontakte hatte er zur Columbia University und zu Wissenschaftlern in Boston. Den zwischen 1904 und 1914 stattfindenden deutsch-amerikanischen Professorenaustausch hatte er von Berliner Seite aus verwaltet. Mit Vertretern der Rockefeller Philanthropie stand er spätestens seit August 1920 in Kontakt227. Mit großer Wahrscheinlichkeit zog Schmidt-Ott seinen engen Mitarbeiter August Wilhelm Fehling zu dem Treffen mit den beiden Amerikanern hinzu228. Fehling war zwar noch nie in den Vereinigten Staaten gewesen229, hatte aber gute englische Sprachkenntnisse. Ohne konkrete Versprechungen zu machen, erwähnten die Amerikaner eine mögliche Förderung deutscher Universitätsbibliotheken230. Fehling muss bei dem Gespräch einen so günstigen Eindruck gemacht haben, dass ihm angeboten 225 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 40. 226 Vgl. Treue, Friedrich Schmidt-Ott, S. 248. Siehe auch Mertens, Lothar, Friedrich Schmidt-Ott, in Haar, Ingo; Fahlbusch, Michael (Hgg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München, 2008, S. 633. 227 Vgl. Kirchhoff, Jochen, Wissenschaftsförderung und forschungspolitische Prioritäten der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft. 1920–1932. Dissertation, München, 2003 (online verfügbar unter: http://edoc.ub.uni-muenchen.de/13026/1/Kirchhoff_Jochen.pdf, zuletzt eingesehen am 11. Dezember 2018), S. 105 (Im Folgenden zitiert als Kirchhoff, Wissenschaftsförderung). Am deutsch-amerikanischen Professorenaustausch hatten 16 amerikanische und 19 deutsche Professoren teilgenommen. Vgl. Paulus, Vorbild USA?, S. 65, 78–79. Zum deutsch-amerikanischen Professorenaustausch siehe auch Fuchs, Eckhardt; Hoffmann, Dieter, Philanthropy and Science in Wilhelmine Germany, in Adam, Thomas (Hg.), Philanthropy, Patronage, and Civil Society. Experiences from Germany, Great Britain, and North America, Bloomington, 2004, S. 109–110 und Metzler, Gabriele, Deutschland in den internationalen Wissenschaftsbeziehungen 1900–1930, in Grüttner, Michael; Hachtmann, Rüdiger; Jarausch, Konrad H.; John, Jürgen; Middell, Matthias (Hgg.), Gebrochene Wissenschaftskulturen. Universität und Politik im 20.  Jahrhundert, Göttingen, 2010, S. 60, sowie Klautke, Egbert, Unbegrenzte Möglichkeiten. „Amerikanisierung“ in Deutschland und Frankreich (1900–1933) (Transatlantische Historische Studien 14), Stuttgart, 2003, S. 23. 228 In einem Brief von 1935 über die Beendigung des Rockefeller Programms in Deutschland schrieb Fehling an Schmidt-Ott: „Mit herzlichem Dank für alles, was Eure Exzellenz, auf dessen freundlichen Vorschlag meine Betreuung mit dieser wirklich schönen Aufgabe zurückging, in diesen Jahren für mich getan haben …“. Brief von A. W. Fehling an F. Schmidt-Ott, 27. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 229 Lebenslauf A. W. Fehling, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 230 Vgl. Brief von B.  Ruml an F.  Schmidt-Ott, 23.  September 1923, in RAC-LSRM, Series  3.06, box 61, folder 657.

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wurde, auf Kosten des LSRM in die USA zu reisen, um dort die Mitarbeiter des LSRM und die amerikanische Universitätslandschaft kennenzulernen231. Er wurde für die Stelle des Landesvertreters des Memorials in Deutschland vorgesehen. Kurz nach der Zusammenkunft in Berlin schickte Fehling einen Lebenslauf und eine Zusammenfassung seiner Doktorarbeit an Coss, der zwischenzeitlich von Berlin nach München gereist war232. Fehling war erst Anfang 1923 bei der Notgemeinschaft angestellt worden, wo er unter anderem für die Referate Stipendien, Reisen und Versuchstierbeschaffung zuständig war233. Zuvor hatte der 1896 als Sohn eines Kaufmanns in Hamburg geborene Historiker kurz für die Zentralstelle für Erforschung der Kriegsursachen über die Vorgeschichte des Weltkriegs gearbeitet234. Studiert hatte Fehling Geschichte, Philosophie und Germanistik in Berlin und Rostock, mit kurzen Aufenthalten in München und Heidelberg. 1922 hatte er in Rostock bei Willy Andreas mit einer Arbeit über „Karl Schapper und die Anfänge der Arbeiterbewegung bis zur Revolution von 1848“ mit dem Prädikat „summa cum laude“ promoviert, musste seine wissenschaftliche Ausbildung anschließend aber aus wirtschaftlichen Gründen abbrechen235. Entscheidend geprägt wurde er durch die Jugendbewegung und das Militär236. 1910 hatte er sich den Wandervögeln angeschlossen, während des Studiums war er aktives Mitglied einer Jugendgruppe der Deutschen Akademischen Freischar237. Am Ersten Weltkrieg hatte er als Kriegsfreiwilliger teilgenommen238. Fehling galt als „Ethiker der Praxis“ mit hohem Verantwortungs- und Gerechtigkeitsgefühl, „in seiner Sachlichkeit und Zuverlässigkeit“ ein treuer Mitarbeiter Schmidt-Otts239. Franz Kock, dem Fehling aus 13-jähriger Zusammenarbeit nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt war, charakterisiert ihn als nicht immer bequemen Mitarbeiter und Gesprächspartner, der jedoch auf Grund seiner Hilfsbereitschaft, seines Pflichtgefühls und seiner Sachkunde hoch geschätzt worden sei:

231 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. J. Coss, 16. März 1924, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6. Die Entscheidung, ob die Reise stattfinden konnte, lag bei den Trustees des LSRM. 232 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. J. Coss, 16. März 1924, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 233 Vgl. Flachowsky, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat, S. 204. 234 Vgl. Lebenslauf A. W. Fehling, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 235 Vgl. ebd. Als seine Spezialgebiete bezeichnete Fehling die Sozialgeschichte des 19. Jahrhunderts und die Vorgeschichte des Weltkriegs. 236 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 44. 237 Vgl. Kock, Franz, August Wilhelm Fehling, in Klose, Olaf; Rudolph, Eva (Hgg.), Schleswig-Holsteinisches Biographisches Lexikon, Bd. 4, Neumünster, 1976, S. 65–66 (Im Folgenden zitiert als Kock, August Wilhelm Fehling). 238 Vgl. Lebenslauf A. W. Fehling, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 239 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 44.

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In Diskussionen im größeren Kreis hielt er sich zurück, gelegentlich humorvolle bis bissige Bemerkungen einwerfend, aber temperamentvoll eingreifend, wenn vitale Punkte berührt wurden. Ein oft unbequemer, aber richtungsweisender Mahner im Grundsätzlichen – zuweilen übertrieben strenger Moralist im Kleinen – war er sich bewußt, Entscheidungen schon durch seine Anwesenheit zu beeinflussen240.

Auch wenn diese Charakterisierung den Fehling der späten 1940er- und 1950er-Jahre beschreibt, so dürfte sie doch einen Einblick in die Persönlichkeit Fehlings in den 1920er- und 1930er-Jahren geben. Sein Organisationstalent kam ihm bei seiner Arbeit für die Notgemeinschaft, wie auch bei seiner späteren Tätigkeit für das LSRM, zugute241. Die Notgemeinschaft nahm durch ihre Fördertätigkeit schnell eine wichtige Rolle in der deutschen Wissenschaftslandschaft ein und verfügte durch ihre Vertrauensmänner über Kontakte in jede deutschen Universität. Sie hatte ein Instrumentarium zur Begutachtung von Anträgen und zur Förderung junger Wissenschaftler entwickelt, auf das das Memorial zurückgreifen konnte. Den amerikanischen Besuchern erschien sie geeignet, eine dem SSRC ähnliche Rolle zu übernehmen. Transatlantische Reisen zur Vertiefung der persönlichen Kontakte

Im April 1924 erhielt August Wilhelm Fehling eine persönliche Einladung von Ruml zu einer dreimonatigen Reise in die Vereinigten Staaten, um sich dort ein Bild der amerikanischen Sozialwissenschaften zu verschaffen242. Außerdem konkretisierte der Direktor des LSRM sein Stellenangebot und bot Fehling ein Jahreshonorar von 240 Kock, August Wilhelm Fehling, S. 67–68. 241 Von 1927 bis 1939 war Fehling auch Geschäftsführer der Cecil-Rhodes-Stiftung in Deutschland, die Stipendien für Auslandsaufenthalte an der Universität Oxford vergab (Vorsitzender war auch hier Schmidt-Ott). Als Soldat nahm Fehling am Zweiten Weltkrieg teil, zuletzt in der Stellung eines Majors und Regimentskommandeurs. 1945 war er vier Monate in amerikanischer Kriegsgefangenschaft in Österreich. Anschließend arbeitete er kurz beim Landesarbeitsamt in Rendsburg, bis er Ende 1945 durch den Schleswig-Holsteinischen Oberpräsidenten Theodor Steltzer zum Leiter der Abteilung Wissenschaft im Amt für Volksbildung, dem späteren Kultusministerium, ernannt wurde. Zugleich übernahm Fehling die Vertretung des Kurators der Christian-AlbrechtsUniversität in Kiel. Das Amt des Kurators wurde Fehling 1953 auch formal übertragen. 1946 wurde Fehling als Oberregierungsrat in die Beamtenlaufbahn übernommen, 1949 wurde er zum Regierungsdirektor, 1953 zum Ministerialrat ernannt. 1961 ging Fehling in den Ruhestand, er starb drei Jahre später. Vgl. Kock, August Wilhelm Fehling, S. 65–67. 242 Das Memorial bot an, die Reisekosten nach England zu übernehmen und A. W. Fehling für den Aufenthalt dort 300 Dollar zur Verfügung zu stellen. Für die Reise in die USA, den Aufenthalt und die Rückreise stellte das Memorial 1500 Dollar bereit. Vgl. Brief von B. Ruml an A. W. Feh-

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750 Dollar für seine Tätigkeit als Landesvertreter des Memorials an. Ruml sprach diese Angebote aus, noch ehe die Trustees ein sozialwissenschaftliches Förderprogramm für Deutschland bewilligt hatten, damit, sobald deren Einverständnis vorlag, keine Zeit mehr verloren ging243. Fehling nahm sowohl die Einladung wie auch die Ernennung zum „representative“ des LSRM in Deutschland an. Bereits im Mai reiste er nach London244, wo er an der London School of Economics Vorträge hörte und mit William Beveridge zusammentraf. Der Englandaufenthalt diente auch dazu, Fehlings Englischkenntnisse aufzufrischen245. Im Juli 1924 erreichte Fehling mit dem Schiff die Vereinigten Staaten. Auf seiner Rundreise durch die USA besuchte er viele Universitäten und knüpfte Kontakte zu amerikanischen Sozialwissenschaftlern246 (s. Abb. 2). Dem Memorial schickte Fehling regelmäßig kleine Memoranden, in denen er über den Reiseverlauf und seine Erlebnisse berichtete247. Zur Erleichterung der Kontaktaufnahme hatte ihn das Memorial mit Empfehlungsschreiben ausgestattet248. Der Aufenthalt förderte auch den persönlichen Austausch zwischen Fehling und den Mitarbeitern des LSRM. So lud Ruml seinen deutschen Gast zu einem „picknick day“ in sein Haus ein249 und Coss schlug ihm vor, ein gemeinsames Wochenende „out of town“ zu verbringen250. Als Fehling Anfang Dezember 1924 seine Arbeit als Referent der Notgemeinschaft wieder aufnahm, waren statt der ursprünglich von Ruml vorgeschlagenen drei über sechs Monate vergangen251. Der Dawes-Plan hatte zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation beigetragen: In Berlin stellte Fehling fest, dass sich die Währung ling, 25. April 1924, in GStA PK, HA Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 243 Vgl. ebd. 244 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 16. Mai 1924, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 245 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. J. Coss, o. D. [wahrscheinlich Juni/Juli 1924], in BAK, NL 1106 A.  W.  Fehling, Nr.  6. Es ist nicht klar, wo A.  W.  Fehling Englisch gelernt hat. Als er im Frühjahr 1924 die Vertreter des Memorials kennenlernte, scheint es keine Sprachprobleme gegeben zu haben. Selten weist er in der Korrespondenz darauf hin, dass es für ihn einfacher sei, auf Deutsch zu schreiben. Vgl. Brief von A. W. Fehling an C. E. Merriam, 15. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 7. 246 Vgl. Reiseplan, in GStA PK, HA Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 247 Vgl. Brief von F. B. Stubbs an A. W. Fehling, 26. August 1924, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 248 Siehe zum Beispiel das Empfehlungsschreiben für A. W. Fehling von F. B. Stubbs für die University of Pittsburgh (Dr. Charters), 11. August 1924, in BAK, NL1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 249 Brief von A. W. Fehling an B.Ruml, 12. Dezember 1924, in BAK, NL1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 250 Telegramm von F. M. Rhind (Assistentin von F. B. Stubbs) an A. W. Fehling, 22. Oktober 1924, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 251 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an J.  J.  Coss, 31.  Januar 1924 [eher 1925], in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 6.

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Vorsichtige Annäherungen

Vancouver

Minneapolis Madison Chicago Detroit Buffalo

Seattle Yellowstone Park

Portland

Reno San Francisco Los Angeles

Denver Salt Lake City Colorado Springs

Iowa City

St. Louis Pittsburgh

Boston Westpoint New Haven New York Princeton Philadelphia Baltimore Washington

Start / Ende Zwischenstation

Abbildung 2: Der Reiseplan A. W. Fehlings für seinen Aufenthalt in den USA, Juli bis Dezember 1924. (Quelle: Reiseplan, in GStA PK, HA Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916).

während seiner Abwesenheit weiter stabilisiert habe und das Interesse an den USA allgemein gestiegen sei. Zeitschriften veröffentlichten Berichte zum amerikanischen Verkehrs- und Bildungssystem, es erschienen mehr Bücher mit Beiträgen amerikanischer Autoren und sogar amerikanisches Kaugummi sei nun erhältlich. In den deutschen Sozialwissenschaften interessiere man sich genau wie in den USA für die Erstellung von Konjunkturprognosen, man plane sogar die Einrichtung eines deutschen Konjunkturinstituts nach dem Modell des Harvard Economic Service, berichtete Fehling nach New York252. Fehling wurde durch den halbjährigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten zum Experten für die Rockefeller Philanthropie, die amerikanischen Sozialwissenschaften und die Pläne des LSRM für Deutschland. Während der folgenden langjährigen Tätigkeit für das LSRM zehrte Fehling von diesem in nur sechs Monaten erlangten Expertenstatus. Für das Memorial hingegen war der Aufenthalt Fehlings in den USA eine Gelegenheit, Fehling intensiv kennen und einschätzen zu lernen und ihm die Ziele des Förderprogramms im persönlichen Gespräch näherzubringen. Bereits ein halbes Jahr später, im Sommer 1925, sahen Fehling und Ruml sich wieder. Der Amerikaner unternahm zusammen mit seiner Frau eine Europareise, während der er sich persönlich ein Bild von der Lage der deutschen Sozialwissenschaften machen wollte. Neben dem Austausch mit den Ansprechpartnern des Memorials in Deutschland stand „eine Orientierung über besonders wichtige deutsche 252 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 15. Januar 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Institute auf dem Gebiete der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften“253 im Zentrum der Reise. Während Fehling in den USA allein gereist war, ließ sich Ruml von Fehling begleiten. Er besuchte unter anderem die Universität und verschiedene wissenschaftliche Institutionen in Berlin254, das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften in Heidelberg255, das Institut für Auswärtige Politik in Hamburg und das Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr in Kiel256. Er reiste außerdem nach Frankfurt und München257. Einen Besuch in Köln empfahl Fehling besonders, da die noch sehr junge Universität von besonderer Bedeutung für die Sozialwissenschaften sei258. Fehling kündigte den Instituten den Besuch Rumls vorher an und erwähnte, dass dieser besonders daran interessiert sei, herauszufinden, „ob und wieweit neben spezieller fachwissenschaftlicher Forschung eine Tendenz vorhanden ist, auf verschiedenen Gebieten, z. B. Nationalökonomie, Anthropologie und Verwandtem zusammen zu arbeiten“259. Da Ruml kein Deutsch sprach, informierte Fehling, dass es vorteilhaft wäre, ihn mit Englisch sprechenden Fakultätsmitgliedern in Kontakt zu bringen260. Die Deutschlandreise intensivierte die persönlichen Kontakte zwischen den Ehepaaren Ruml und Fehling: „You cannot imagine how many times we have spoken of you and Mrs. Fehling and the good times which we had in Germany“, schrieb Ruml später. Er hoffe, er und seine Frau seien den Fehlings nicht zu sehr zur Last gefallen. Von Zeit zu Zeit würden sie von Gewissensbissen geplagt, da sie im Jahr 1925 so viel von Fehlings Zeit in Anspruch genommen hätten261. Fehling gab seine Stelle bei der Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft nicht auf, sondern verband die Arbeit für die Notgemeinschaft mit der für das LSRM262. Während er in der Notgemeinschaft feste Arbeitszeiten und ein Büro hatte, erledigte er die Arbeit für das Memorial von seiner Wohnung in Berlin Zehlendorf

253 Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 2. Juni 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 254 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an Prof.  [unleserlich], Berlin, 1.  Juni 1925, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 7. 255 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an A.  Bergstraesser, o.  D. [Mai/Juni 1925], in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 7. 256 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 2. Juni 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 257 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 11. Juni 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 7. 258 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 10. April 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Es hat sich leider nicht feststellen lassen, ob B. Ruml die Universität Köln besucht hat oder nicht. Das gleiche gilt für Leipzig, dessen Besuch A. W. Fehling ebenfalls empfahl. 259 Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, o. D. [Mai/Juni 1925], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 7. 260 Vgl. ebd. 261 Brief von B. Ruml an A. W. Fehling, 8. August 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 262 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an J.  J.  Coss, 31.  Januar 1924 [eher 1925], in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 6.

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aus263. Seine Frau Anna Margarete unterstützte ihn dort, vom LSRM bezahlt, bei den Schreibarbeiten264. Auf Kosten des Memorials wurde 1925 eine Telefonleitung eingerichtet265, eine neue Schreibmaschine angeschafft266 und eine deutsche und eine amerikanische sozialwissenschaftliche Zeitschrift abonniert267. Die im Rahmen seiner Arbeit anfallenden Ausgaben, vor allem für Büromaterial, Portoauslagen und Reisen, rechnete Fehling über einen vom Memorial eingerichteten „rotating fund“ ab268. Mehrmals im Jahr schickte er dem Memorial eine detaillierte Abrechnung. Von der Notgemeinschaft erhielt Fehling ein Gehalt von umgerechnet 80 Dollar im Monat, vom Memorial zunächst 62,50 Dollar269. Schon im September 1925 stellte Fehling fest, dass sowohl die Arbeit für die Notgemeinschaft als auch die für das Memorial ihn immer stärker in Anspruch nahmen. „Day by day, it becomes more difficult to combine both without neglecting one or the other“270, schrieb er an Ruml. Auch hatte Fehling die Hoffnung auf eine akademische Karriere nicht aufgegeben und plante immer noch, eine Habilitationsschrift zu verfassen. Er bot Ruml an, seine Arbeit bei der Notgemeinschaft zu reduzieren und erbat als Ausgleich eine Gehaltserhöhung. Er begründete dies auch mit der Ablehnung einer ihm angebotenen Assistentenstelle271. Das Memorial kam dem Gesuch nach und erhöhte Fehlings Gehalt zum 1. Oktober 1925 um mehr als das Doppelte auf 142,50 Dollar monatlich272. Knapp ein Jahr später, im September 1926, 263 A. W. Fehling wohnte in der Cecilienstr. 24 in Berlin Zehlendorf. 264 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an F.  B.  Stubbs, 19.  Juli 1925, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr.  8. Frau Fehling wurde für diese Arbeit vom Memorial im Jahr 1925 mit 0,30  Dollar die Stunde bezahlt. Sie arbeitete, zumindest im Jahr 1934, zwischen 80 und 90 Stunden im Monat für A. W. Fehling. Vgl. A. W. Fehling, Statement of Account from January 1st to March 31st, 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 265 Vgl. Brief von A. W. Fehling an F. B. Stubbs, 1. September 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 266 Vgl. Brief von F. B. Stubbs an A. W. Fehling, 7. August 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 267 Vgl. Brief von A. W. Fehling an F. B. Stubbs, 1. September 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. A. W. Fehling erhielt das von Alfred Weber herausgegebene Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik und die American Economic Review. Später im Jahr wurden ihm auch verschiedene Bände der Political Science Quarterly und der Social Forces zugestellt. Vgl. Brief von A. W. Fehling an F. B. Stubbs, 8. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 268 Vgl. Brief von A. W. Fehling an F. B. Stubbs, 19. Juli 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 269 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 22. September 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 270 Ebd. 271 Vgl. ebd. Fehling dachte an eine Erhöhung seines Gehalts auf 150 oder 170 Dollar monatlich. 272 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 5. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Dies entsprach knapp 600 RM. Vgl. Brief von F. M. Rhind an A. W. Fehling, 22. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

wurde seine Vergütung auf 250 Dollar im Monat (etwa 1050 RM) angehoben273, für Fehling „a very agreable [sic] surprise“274. Bei ähnlich langer Arbeitszeit, er war in der Notgemeinschaft drei Tage pro Woche freigestellt275, verdiente er beim LSRM nun mehr als das Dreifache seines deutschen Gehalts. Sowohl das LSRM als auch Fehling selbst achteten auf die räumliche und verwaltungstechnische Trennung der beiden Tätigkeiten, die sich in der Praxis sinnvoll ergänzten. Beide Stellen erforderten Kenntnisse des deutschen Wissenschaftssystems, Organisationsgeschick und diplomatische Fähigkeiten. Etliche Institutionen und Wissenschaftler, die sich bei Fehling über Fördermöglichkeiten durch das LSRM erkundigten, waren diesem bereits durch seine Arbeit in der Notgemeinschaft bekannt. Auch in der Stipendienverwaltung, die er für das LSRM übernahm, hatte er in der Notgemeinschaft bereits Erfahrungen gesammelt. Fehling boten die zwei Standbeine eine doppelte finanzielle Absicherung. Dem Memorial, mit seiner Abneigung gegen langfristige Verpflichtungen, kam Fehlings Verankerung in Deutschland wohl ebenfalls entgegen. Zwar empfing Fehling in einigen Fällen Bewerber für LSRM-Stipendien in der Notgemeinschaft, die Korrespondenz ließ er sich jedoch ausschließlich an seine private Adresse schicken. In der Notgemeinschaft wurde seine Post geöffnet und in den internen Postweg gegeben. Dies suchte er für die Rockefeller Korrespondenz zu vermeiden. Während Fehling viele der für das Memorial anfallenden Arbeiten allein ausführte, wurde er bei der Umsetzung des Stipendienprogramms durch ein von Friedrich Schmidt-Ott geleitetes Professorenkomitee unterstützt276. Nachdem im Laufe des Jahres 1924 die Grundlagen für ein sozialwissenschaftliches Förderprogramm in Deutschland durch die Konsultation in New York, die Sondierungsreisen Fords und Coss’ und die gegenseitigen Besuche Fehlings und Rumls gelegt waren, erfolgten die ersten Bewilligungen.

273 Vgl. Brief von F. M. Rhind an A. W. Fehling, 5. Oktober 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 274 Brief von A. W. Fehling an F. B. Stubbs, 21. Oktober 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 275 Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 44. 276 Siehe hierzu das 3. Kapitel dieser Arbeit.

2. Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung der deutschen Sozialwissenschaften (1924–1928)

Ford und Coss beschrieben die deutschen Sozialwissenschaftler nach dem Ersten Weltkrieg als isoliert und von wichtigen internationalen Diskussionen abgeschnitten. Die ersten Hilfsmaßnahmen sollten die Isolierung durchbrechen: „Library grants“ genannte Zuschüsse an Bibliotheken erleichterten den Einbezug neuer ausländischer Forschungsergebnisse in die wissenschaftliche Arbeit. Zudem war das LSRM in Deutschland auf der Suche nach Instituten, die zu Zentren sozialwissenschaftlicher Forschung von Weltrang ausgebaut werden konnten. Die ersten Bibliotheksbeihilfen können als vorsichtiges Herantasten an die deutschen Ansprechpartner verstanden werden. Nach erfolgtem Vertrauens- und Kompetenzbeweis kamen dann auch in­stitutionelle Beihilfen in Betracht.

2.1 „Pures Gold“ für die deutschen Universitäts- und Staatsbibliotheken als unverbindlicher Einstieg in die Förderpraxis Im Mai 1924 befürworteten die Trustees des LSRM die Unterstützung deutscher Bibliotheken bei der Anschaffung sozialwissenschaftlicher Literatur aus dem Ausland1. Während in den USA einige Stimmen mit Verweis auf den erst sechs Jahre zuvor beendeten Weltkrieg warnten, amerikanische Hilfe „might not be well received at the present time“2, bezeichnete der amerikanische Botschafter in Deutschland, Alanson B. Houghton, die Pläne des Memorials als „pure gold“: „He was sure that it would accomplish great good, and that it would be received most cordially“3, so der „acting president“ des LSRM Arthur Woods. In sehr zurückhaltenden Worten unterbreitete Ruml Schmidt-Ott das amerikanische Hilfsangebot: It is some time since they [Dr.  Ford and Dr.  Coss] were in Germany and we wonder whether a possible contribution from Americans would be acceptable to those concerned, 1

2 3

Vgl. Memorial Policy in Social Science. Extracts from various memoranda and dockets (From the Report of the Executive Committee and Director to the Board of Trustees for the year 1923–24), o. D., in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 10, S. 20. Brief von B. Ruml an G. S. Ford, 14. Juli 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 657. Brief von Arthur Woods an B. Ruml, 11. Juli 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 657.

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since it may be that the need has already been filled, or there may be other plans for filling it. It was their impression that the situation might best be met by considering the need of the Libraries at Berlin and Munich separately and for the other University Libraries, studying through the Notgemeinschaft the absolutely essential requirements in the fields above mentioned4.

Sollte die Hilfe des LSRM erwünscht sein, bat er um eine Aufstellung des Bedarfs an ausländischer sozialwissenschaftlicher Literatur in den deutschen Universitätsbibliotheken5. Friedrich Schmidt-Ott nahm das Angebot dankend an. Er verwies auf die seit 1914 um 35 % gestiegenen deutschen Buchpreise, die vielen „noch immer zerstört[en]“ Tauschbeziehungen, die in den letzten zehn Jahren entstandenen Lücken in den Bibliotheksbeständen und die zunehmende Zahl von Anträgen für die Beschaffung ausländischer Literatur bei der Notgemeinschaft. „Hilfe von anderer Seite kann daher nur willkommen sein“6. In der Darlegung der Bedürfnisse folgte er den zuvor mit Ford und Coss besprochenen Grundlinien: Acht geographisch günstig liegende oder stark an den Sozialwissenschaften interessierte Bibliotheken sollten besonders gefördert werden7. Darüber hinaus sollten alle 23 deutschen Universitätsbibliotheken einen Betrag zum Füllen der nach 1914 entstanden Lücken sowie Zeitschriftenabonnements der zehn wichtigsten amerikanischen Zeitschriften erhalten8. Schmidt-Ott schlug vor, die Auswahl der Bücher und Zeitschriften einer gemeinsamen Entscheidung der jeweiligen Bibliotheksdirektoren und der Vertrauensmänner der Notgemeinschaft zu überlassen. So würde den örtlichen Bedürfnissen nicht vorgegriffen und Doppelanschaffungen vermieden. Er bot an, die Beschaffung der Werke zu günstigen Preisen durch die Einkaufsstelle der Notgemeinschaft vornehmen zu lassen9.

4 5 6 7

8 9

Brief von B. Ruml an F. Schmidt-Ott, 23. September 1923, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 657. Vgl. ebd. Brief von F.  Schmidt-Ott an B.  Ruml, 27.  Oktober 1924, in RAC-LSRM, Series  3.06, box  61, folder 657. Ford hatte an die Universitätsbibliotheken von Berlin, Bonn, Breslau, Göttingen, Hamburg, Heidelberg, Leipzig und München gedacht. Frankfurt und Köln waren, trotz sozialwissenschaftlicher Ausrichtung, von Ford nicht berücksichtigt worden. Vgl. Brief von G. S. Ford an B. Ruml, 12. März 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 558. Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an B. Ruml, 27. Oktober 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 657. Vgl. ebd. Die Notgemeinschaft hatte 1921 einen Vertrag mit dem Börsenverein der Deutschen Buchhändler geschlossen, in dem dieser sich verpflichtete, dem Bibliotheksausschuss der Notgemeinschaft gegen Selbstkosten und Spesen ausländische Literatur zu besorgen. Die RF hatte im Bereich der Medizin bereits mit dem Bibliotheksausschuss zusammengearbeitet. Vgl. Notgemein-

Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung

99

Im Dezember 1924 wurden der Notgemeinschaft erstmals 52.500 Dollar zur Verfügung gestellt. Sie wurde damit nach der London School of Economics zur zweiten vom Memorial bedachten ausländischen Institution. Bei der Verteilung der Mittel wurden Schmidt-Ott kaum Vorgaben gemacht: „The expenditure of this appropriation is left entirely in your discretion, with only the general limitation that it be used to strengthen the collection of the German University libraries in the field of the social sciences“10. Schmidt-Ott wusste diese liberale Verfahrensweise zu schätzen und dankte Ruml „für die Freiheit, die Sie uns lassen, individuell den einzelnen Bibliotheken zu helfen“11. Die minimalen Vorgaben für die Vergabe der Mittel sprechen gegen die These, das Memorial habe mit den „library grants“ konkrete wissenschaftliche oder andere Ziele verfolgt. Schmidt-Ott wurde weder diktiert, welche Strömungen sozialwissenschaftlicher Forschung bevorzugt werden sollten, noch wurde ihm eine Liste mit Autoren oder Titeln übermittelt. Der Betrag sollte auch nicht ausschließlich für die Anschaffung amerikanischer Literatur genutzt werden, sozialwissenschaftliche Werke anderer Länder konnten ebenso berücksichtigt werden. Für das LSRM waren die „library grants“ ein idealer Einstieg in die Förderung: Der Verwaltungsaufwand für das Memorial war äußerst gering, eine langfristige Festlegung auf weitere Förderung bestand nicht, zudem waren Ausmaß und Anspruch des Projekts überschaubar. Förderung auf geographisch und inhaltlich breiter Basis: Die Verteilung der „library grants“ an deutsche Universitätsbibliotheken

Die Vermittlung zwischen LSRM und deutschen Empfängern übernahm SchmidtOtt. Im Februar 1925 kontaktierte er die Vertrauensmänner der Notgemeinschaft und die Direktoren der Universitätsbibliotheken. Er bat mit dem Hinweis, dass die Werke in erster Linie für die Universitätsbibliotheken mit ihrem großen Leserkreis

schaft der deutschen Wissenschaft, Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft über ihre Tätigkeit bis zum 31. März 1922, S. 25–27. 10 Brief von B. Ruml an F. Schmidt-Ott, 12. Januar 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658. 11 Brief von F. Schmidt-Ott an B. Ruml, 4. Februar 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658. Im 1925 veröffentlichten Bericht der Notgemeinschaft wird die amerikanische Großzügigkeit mit ähnlichen Worten erwähnt: „Die Verteilung der Summe wurde der Notgemeinschaft in völliger Freiheit anheimgestellt, eine großzügige Art des Gebens, welche es ihr ermöglichte, dort einzugreifen, wo es am dringendsten erforderlich war“. Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Vierter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft umfassend ihre Tätigkeit vom 1. April 1924 bis zum 31. März 1925, S. 17.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

und in zweiter Linie für Seminarbibliotheken bestimmt seien, um Bücherwünsche12. Den Vertrauensmännern und Bibliotheksdirektoren wurde die Entscheidung überlassen, welche wissenschaftlichen Institute und Seminare berücksichtigt werden sollten13. An den mit den amerikanischen Vertretern des LSRM besprochenen Plänen nahm Schmidt-Ott eine kleine Änderungen vor: Er legte einen geringen Betrag zur Seite, um ihn für Sonderbewilligungen zu verwenden. Außerdem wurde die Universitätsbibliothek Köln in die Reihe der besonders zu fördernden Bibliotheken aufgenommen, da das dortige Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften „nach seiner Entwicklung im letzten Jahre eine besondere Berücksichtigung“ verdiene14. Schmidt-Ott teilte diese Entscheidungen dem Memorial per Brief mit, von dort kamen keine Einwände. Die folgende Tabelle gibt Aufschluss über die Verteilung des ersten „library grant“ des LSRM an Universitätsbibliotheken und Institute. Tabelle 2: Die Verteilung des „library grant“ des LSRM von 1924 durch die Not­gemeinschaft der deutschen Wissenschaft. Empfänger

Betrag

Verwendungszweck

Universitätsbibliotheken von Berlin, Bonn, Göttingen, Breslau, Leipzig, München, Hamburg, Heidelberg und Köln

Je 8000 Mark

Anschaffung sozialwissenschaftlicher Literatur

Universitätsbibliotheken von Erlangen, Frankfurt, Freiburg, Gießen, Greifswald, Halle, Jena, Kiel, Königsberg, Marburg, Münster, Rostock, Tübingen und Würzburg

Je 4000 Mark

Anschaffung sozialwissenschaftlicher Literatur

Alle 23 deutschen Universitätsbibliotheken

Je 2000 Mark

Lückenergänzung 1914–1924

Alle 23 deutschen Universitätsbibliotheken

Je zwei Mal 400 Mark

Abonnement laufender Zeitschriften

12 Der Brief liegt im RAC nur in englischer Übersetzung vor. Brief von F. Schmidt-Ott an „Dear director“, 24. Februar 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658. Die Literatur wurde über die vom Börsenverein der Deutschen Buchhändler in Leipzig für die Notgemeinschaft eingerichtete Einkaufsstelle erworben. Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an das LSRM, 2. März 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658. 13 Vgl. Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Vierter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft umfassend ihre Tätigkeit vom 1. April 1924 bis zum 31. März 1925, S. 17. In dem Bericht ist vermerkt, dass infolgedessen eine starke Berücksichtigung der Seminare stattgefunden habe. 14 Brief von F. Schmidt-Ott an das LSRM, 2. März 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658.

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Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung Empfänger

Betrag

Verwendungszweck

Bibliothek der Technischen Hochschule, München

Zwei Mal 2000 Mark

Arbeiten der sozialwissenschaftlichen Abteilung

Bibliothek des Preußischen Statistischen Landesamts in Berlin

2500 Mark

Unterstützung bei der Herausgabe sozialwissenschaftlicher Zeitschriften

Institut für Auswärtige Politik in Hamburg

2000 Mark

Keine Angabe

Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin

2000 Mark

Publikationen des Völkerbundes

Seminar für Völkerrecht in Rostock

300 Mark

Keine Angabe

(Quelle: Briefe von F. Schmidt-Ott an das LSRM, 2. März und 13. Oktober 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658 und Brief von F. Schmidt-Ott an G. S. Ford, 9. April 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658. Siehe auch Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Vierter Bericht, o. D. [1925], S. 18 und Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Fünfter Bericht, 1926, S. 34).

Entsprechend Fords und Coss’ Vorschlägen wurde auf breiter Basis gefördert, alle deutschen Universitätsbibliotheken wurden berücksichtigt. Erst Schmidt-Ott führte durch seine Abweichung von den Plänen des LSRM eine strategischere Dimension ein, die einzelne Institute bevorzugte. Vermutlich in Absprache mit Schmidt-Ott begann August Wilhelm Fehling im Sommer und Herbst 1925 mit eigenen Nachforschungen zur Situation der kleineren Instituts- und Seminarbibliotheken15. Im Institut für Auswärtige Politik erkundigte er sich etwa nach der Lage der Bibliothek des Hamburgischen Weltwirtschaftsarchivs16. Zwischen 1925 und 1928 verteilte die Notgemeinschaft den zurückgehaltenen Teil der vom Memorial bereitgestellten Summe in niedrigen Beträgen an Antragsteller, die für die Bearbeitung konkreter Forschungsfragen ausländische Literatur benötigten. Die finanzierten Werke wurden den Wissenschaftlern nicht als Privateigentum überlassen, sondern blieben in den jeweiligen Universitäts- oder Seminarbibliotheken. Schmidt-Otts Zielsetzung ging dabei über die Lückenfüllung in den Bibliotheken hinaus. Nach New York berichtete er, es seien neben „nationalökonomischen, historischen und staatswissenschaftlichen Arbeiten […] soziologische, anth15 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 12. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 16 Paul Marc vom Institut für Auswärtige Politik lobte daraufhin die dortige Ausstattung und die Hilfsbereitschaft der Bibliothekare, fügte aber hinzu, dass er eine Unterstützung nur befürworten könne, wenn dies nicht zu einer Kürzung der eigenen Zuwendungen führe. Vgl. Brief von P. Marc an A. W. Fehling, 22. August 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 7.

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ropologische und kulturgeschichtliche Arbeiten berücksichtigt“ worden. Es sei möglich gewesen, „besonders auch neue aussichtsreiche Forschungsrichtungen“ anzuregen und zu unterstützen17. Aus der breit angelegten amerikanischen Förderung wurde durch Initiative Schmidt-Otts die gezielte Unterstützung neuer sozialwissenschaftlicher Forschungsansätze. Das LSRM trug diesen Kurs mit. Als die Rücklagen im Sommer 1928 aufgebraucht waren, wurde Schmidt-Ott eine erneute Bewilligung von 10.000 Dollar (rund 42.000 RM) für die individuelle Förderung sozialwissenschaftlicher Forschungsaufgaben von 1929 bis Ende 1931 zugesprochen18. Die folgende Übersicht gibt einen Eindruck über die Verteilung der Gelder. Sie basiert auf den im Rockefeller Archive Center erhaltenen Dankesschreiben und ist nicht unbedingt vollständig. Tabelle 3: Die Verteilung der vom LSRM für die Beschaffung sozialwissenschaftlicher Literatur zur Verfügung gestellten Mittel durch die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, 1926–1932. Empfänger

Betrag

Datum

Historisches Seminar der Universität Berlin, F. Meinecke

2.000 Mark Jan. 1926

Verwendungszweck

Anschaffung von Literatur für die Bibliothek

Institut für politische Auslands- 2.000 Mark Mai 1926 kunde der Universität Leipzig, R. Schmidt

Anschaffung sozialwissenschaftlicher Literatur

Wirtschaftswissenschaftliche Abteilung der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Tübingen

2.500 Mark Mai 1926

Anschaffung sozialwissenschaftlicher Literatur

Institut für Ostdeutsche Industrie, Albertus-Universität Königsberg, F. R. Mann

Keine Angabe

Zeitschriften

Deutsche Hochschule für Politik, Berlin

1.500 Mark Juni 1926

Anschaffung von Literatur

Soziologisches Seminar der Universität Leipzig

2.000 Mark Juli 1926

Anschaffung sozialwissenschaftlicher Literatur

Juni 1926

17 Brief von F. Schmidt-Ott an B. Ruml, 30. August 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 659. 18 Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an B. Ruml, 30. August 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 659. Brief von B. Ruml an F. Schmidt-Ott, 7. November 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 659.

103

Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung Empfänger

Betrag

Datum

Verwendungszweck

A. Walther, Professor der Soziologie, Universität Göttingen

2.000 Mark Juli 1926

Anschaffung sozialwissenschaftlicher fremdsprachiger Literatur

Institut für Wirtschaftswissenschaften, Universität Jena

150–200 Mark

Aug. 1926

Keine Angabe

„United Political Science Seminaries“ der Universität Leipzig

200 Mark

Nov. 1926

Keine Angabe

Staatswissenschaftliches Seminar der Universität Erlangen

1.000 Mark Dez. 1926

Anschaffung ausländischer staatswissenschaftlicher Literatur

Volkswirtschaftliches Seminar der Handelshochschule in Mannheim

1.000 Mark Feb. 1927

Beschaffung ausländischer Literatur

Institut für Finanzwissenschaft an der Universität Breslau

1.000 Mark April 1927 Anschaffung von Literatur

E. Rothacker, Heidelberg

3.000 Mark Juni 1927

Historisches Seminar der Universität Königsberg, H. Rothfels

2.400 Mark März 1928 Förderung der Arbeiten des Instituts über das gegenwärtige England

Bibliothek des Preußischen Statistischen Landesamtes, W. F. Schubert

Keine Angabe

Seminar für Staatenkunde und historische Geographie, Universität Berlin, W. Vogel

1.000 Mark Jan. 1929

Beschaffung von Literatur zur Unterstützung der Arbeiten über das Problem des Zusammenhangs der ländlichen Siedlung mit der Naturlandschaft

Seminar für Soziologie an der Universität Hamburg, A. Walther

500 Mark

Beschaffung französischer Literatur für den Aufsatz A. Walthers „Das Problem des Sozialunterrichts, geprüft an dem französischen Typus“ für das „Pädagogische Zentralblatt“

Bücherkredit zur Durchführung von Forschungen zur Geschichte der kulturphilosophischen Grundbegriffe

April 1928 Ergänzung der Lücken in den ausländischen Zeitschriften „Transactions of the Manchester Statistical Society“, „The Annales of the American Academy of Political and Social Science“ und „Revue économique internationale“

Jan. 1929

104

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Empfänger

Betrag

Datum

Verwendungszweck

Staatswissenschaftliches Seminar der Universität Bonn, A. Spiethoff und J. Schumpeter

1.000 Mark Jan. 1929

Für Arbeiten zur Wechsellagenforschung, Bewilligung von sechs amerikanischen Zeitschriften

Institut für Wirtschaftswissenschaft an der Universität Gießen, H. L. Stoltenberg

2.000 Mark Juni 1929

Beschaffung ausländischer und deutscher Literatur für Forschungen zur Sozialpsychologie und Soziologie

Institut für internationales Recht an der Universität Kiel, W. Schücking

2.000 Mark Juni 1929

Beschaffung von Literatur

Nationalökonomisches Seminar 2.000 Mark Juli 1929 der Universität Freiburg im Breisgau

Beschaffung ökonomischer Literatur

Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften der Stadt Köln, C. Eckert

Beschaffung von sozialwissenschaftlicher Literatur

2.000 Mark Juli 1929

Juristisches Seminar der Univer- 4.000 Mark Aug. 1929 sität Kiel, W. Wedemeyer

Anschaffung von ausländischer sozialwissenschaftlicher Literatur

Volkswirtschaftliches Seminar an der Universität Freiburg, K. Diehl

2.000 Mark Sept. 1929

Keine Angabe

Institut für Sozialforschung an der Universität Frankfurt, F. Pollock

2.000 Mark Okt. 1929

Beschaffung der für die Arbeit des Instituts benötigten amerikanischen soziologischen Literatur

Institut für Betriebssoziologie und soziale Betriebslehre, Berlin, G. A. Briefs

2.000 Mark Okt. 1929

Anschaffung einer Reihe wichtiger amerikanischer und deutscher Bücher für die neu gegründete Bibliothek

Institut für Finanzwissenschaft an der Universität Breslau, Professoren Bräuer und Gutmann

1.500 Mark Feb. 1930

Literatur für die Forschungen von Bräuer und Gutmann. Die auf Wunsch der Professoren beschafften Werke sollen großteils der Universitätsbibliothek übermittelt werden

Seminar für bayerische und deutsche Rechtsgeschichte in München, K. Beyerle

1.000 Mark März 1930 Beschaffung von Literatur für Forschungen über die Rechtsund Verfassungsgeschichte der italienischen Städte

105

Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung Empfänger

Betrag

L. F. Clauss

3.000 Mark April 1930 Für seine rassenpsychologischen Forschungen in Palästina

Universität Erlangen

1.000 Mark Juli 1930

Für die Beschaffung von Literatur zur Alkoholfrage

Geopolitisches Seminar der Deutschen Hochschule für Politik, Berlin

2.000 Mark Juli 1930

Für die Beschaffung der für die dortigen Arbeiten benötigten Bücher

Deutsches Auslandsinstitut in Stuttgart

1.000 Mark Okt. 1930

Ankauf nicht in Deutschland vorhandener Literatur u. a. über Südamerika

Institut für Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Bonn, A. Spiethoff und J. Schumpeter

1.000 Mark Dez. 1930

Ergänzung der Zuwendung von 1929. U. a. Anschaffung einiger amerikanischer Konjunkturbeobachtungsdienste

Seminar für Soziologie an der Universität Hamburg

2.000 Mark Jan. 1931

Für die Anschaffung von Büchern zur Unterstützung der Forschungen über die Soziologie der Großstadt und eine vergleichende Soziologie der modernen Völker

Institut für Ostdeutsche Wirtschaft an der Albertus Universität Königsberg, O. Schneider

2.000 Mark Feb. 1931

Zur Beschaffung ausländischer Literatur

Historisches Seminar der Universität Königsberg, H. Rothfels

2.000 Mark Dez. 1931

Für die Frage der Randstaaten

Institut für Mittel- und Süd­ost­europäische Wirtschaftsforschung, Leipzig, K. Wiedenfeld

1.000 Mark Dez. 1931

Für besondere Forschungsarbeiten

Seminar für englische Philologie, Göttingen, H. Hecht

2.000 Mark Dez. 1931

Für die Anschaffung soziologischer Literatur aus dem angelsächsischen Kulturkreis

Soziologisches Institut, Köln, B. Kuske

2.000 Mark Dez. 1931

Für besondere Arbeiten

Seminar für Soziologie, Leipzig, 500 Mark H. Freyer

Datum

Dez. 1931

Verwendungszweck

Für die besonderen Arbeiten im Institut

106

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Empfänger

Betrag

Datum

Verwendungszweck

K. Mannheim, Frankfurt a. M.

500 Mark

Dez. 1931

Für besondere Forschungen im soziologischen Institut, für die Anschaffung von Literatur zur sozialen Struktur Osteuropas

(Quelle: Korrespondenz in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 659 und 660).

Die Aufstellung zeigt, dass von 1926 bis 1931 eine Reihe der in der Weimarer Republik aktiven Sozialwissenschaftler durch einen „library grant“ mit der amerikanischen Philanthropie in direkten Kontakt kam. Ein inhaltlich breites Spektrum von Arbeiten wurde gefördert, die Beträge lagen zwischen 150 und 4000 Reichsmark. Mit Hilfe der Rockefeller Gelder wurden Forschungen zur Rechts- und Verfassungsgeschichte italienischer Städte, zur Soziologie der Großstadt oder zum „Zusammenhang der ländlichen Siedlung mit der Naturlandschaft“ durchgeführt. Den Schwerpunkt der Bewilligungen bildeten Wirtschaftswissenschaften und Soziologie, mit großem Abstand gefolgt von Politik- und Rechtswissenschaften. Die von dem überzeugten Monarchisten Schmidt-Ott organisierte Vergabepraxis war liberal: Auch das marxistisch orientierte Institut für Sozialforschung in Frankfurt19 wurde 1929 bedacht. Die Dankesbriefe der deutschen Wissenschaftler zeigen, dass sich über diese Art der Forschungsförderung ein zwar nicht sehr tiefgehender, aber konstanter deutschamerikanischer Austauschprozess entwickelte, in dem die Amerikaner von aktuellen sozialwissenschaftlichen Forschungen in Deutschland erfuhren und die Deutschen die amerikanische philanthropische Wissenschaftsförderung kennenlernten.

Gesonderte Bewilligungen für die Staatsbibliotheken in Berlin und München, um „tausend abgerissen[e] Fäden wieder anzuknüpfen“ Für die beiden größten deutschen wissenschaftlichen Bibliotheken, die Preußische Staatsbibliothek in Berlin und die Bayerische Staatsbibliothek in München, stellte das LSRM, auch auf Anregungen Fords und Coss’, gesondert Mittel bereit. Der Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek, Fritz Milkau, erbat 107.000 RM, um die Lücken in der Volkswirtschaftslehre, den Sozial- und Staatswissenschaften, der Jurisprudenz, der neueren Geschichte und der Psychologie zu schließen. Nur durch „Kenntnis dieser Literatur“ könnten die deutschen Gelehrten „an der Förderung der Wissenschaft fruchtbar mitarbeiten“, nur „durch jene Literatur [könne] die 19 Das Institut war 1923 gegründet worden und nahm im Folgejahr seine Arbeit auf. Vgl. Rosen, Zvi, Max Horkheimer, München, 1995, S. 26–33, Walter-Busch, Emil, Geschichte der Frankfurter Schule: Kritische Theorie und Politik, München, 2010, S. 14–19.

Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung

107

Möglichkeit gewonnen werden […], die tausend abgerissenen Fäden wieder anzuknüpfen“20. Im Dezember 1924 bewilligte das LSRM stattliche 27.000 Dollar, die dem von Milkau genannten Betrag entsprachen21. Milkau investierte die Spende in 7400 Bände sozialwissenschaftlicher Literatur, davon ein knappes Drittel Monographien und gut zwei Drittel Zeitschriftenbände. Über 90 % der Werke waren ausländischen Ursprungs und konnten den Disziplinen Rechts-, Staats- und Wirtschaftswissenschaften oder der Geschichtswissenschaft zugeordnet werden. Schwerpunkte waren Internationales Recht, vergleichende Rechtswissenschaft, Währungs- und Finanzprobleme, Wirtschaft öffentlicher Betriebe, Betriebswirtschaft und Konjunkturforschung22. Für die Auswahl, schrieb Milkau nach New York, habe er „[a]lle Leute, die auf diesen Gebieten arbeiten, […] unter der Hand benachrichtigt und [diese] helfen uns, das Beste auszusuchen“23. Als Milkaus Nachfolger Hugo Andres Krüß 1927 um weitere 14.000 Dollar bat, da zu vielen sozialen Problemen wie Mädchenhandel, Alkoholismus und Gefängnisfrage sowie zu Betriebswissenschaft, Konjunkturwissenschaft und Währungsfragen, weiterhin Literatur fehle24, erkundigte sich das LSRM bei Fehling über die Zukunftsaussichten der Bibliothek. Fehling verwies auf die staatliche Förderung (552.000 RM im Jahr 1926), die Zuschüsse der Notgemeinschaft (110.000 RM) sowie die Tatsache, dass jedes in den preußischen Provinzen erscheinende Buch der Bibliothek kostenfrei überlassen werden müsse. Die Staatsbibliothek stehe daher auf eigenen Beinen, könne jedoch die Lücken in der ausländischen Literatur nicht aus eigenen Mitteln auffüllen. Fehling lobte die Verwendung der ersten Bewilligung: Die Bibliothek habe zwar nur eine geringe Zahl an Bänden gekauft, doch seien die Anschaffungen systematisch auf die sozialwissenschaftlichen Felder verteilt worden und von hoher wissenschaftlicher Qualität. Die Literatur würde problemlos an alle Wissenschaftler verliehen25. Fehling befürwortete daher das Gesuch, dem im Mai 1927 stattgegeben wurde26. Ein

20 Brief von F. Milkau an B. Ruml, 20. Oktober 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 62, folder 662. 21 Vgl. Brief von B. Ruml an F. Milkau, 12. Januar 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 62, folder 662. 22 Vgl. H.  A.  Krüß, Bericht über die Anschaffungen aus dem Laura-Spelman-Rockefeller-Memorial-Fonds, o. D., geschickt mit einem auf den 21. Februar 1927 datierten Brief, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 62, folder 662. 23 Brief von F. Milkau an B. Ruml, 17. April 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 62, folder 662. 24 Vgl. Brief H. A. Krüß an F. Milkau, 21. Februar 1927, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 62, folder 662. 25 Vgl. A. W. Fehling, Report of the Prussian State Library, Berlin, o. D., an das LSRM verschickt am 4. März 1927, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 62, folder 662, S. 1–2, 4. 26 Vgl. Brief von B. Ruml an A. W. Fehling, 2. Juni 1927, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 62, folder 662.

108

Transatlantische Aufbruchsstimmung

weiterer Antrag wurde 1930 mit Verweis auf den nicht mehr gegebenen Nothilfecharakter und die Umstrukturierung der Rockefeller Programme abgelehnt27. Nicht so reibungslos verlief die Zusammenarbeit mit der Bayerischen Staatsbibliothek. Mit den vom LSRM bewilligten 17.500 Dollar wurde mit über 6200 Bänden verhältnismäßig viel angeschafft, doch nach Meinung Fehlings fehlte es an Systematik. Die Rechtswissenschaften seien zu stark in den Vordergrund gerückt, während die Lückenfüllung bei den Zeitschriften vernachlässigt worden sei. Die Vergabekriterien missverstehend sei auch ältere sozialwissenschaftliche Literatur angeschafft worden28. Als Generaldirektor Hans Schnorr von Carolsfeld um eine weitere Bewilligung bat, befürwortete Fehling das Gesuch nur mit Einschränkungen. Er verglich den Bestand der Staatsbibliothek mit amerikanischen Bibliographien und stellte weiterhin größere Lücken in der Nachkriegsliteratur fest29. Er schlug eine zweckgebundene Bewilligung für die Anschaffung amerikanischer und englischer Literatur, besonders von Zeitschriften, vor30. Eine strengere Kontrolle schien ihm nach gründlicher Überprüfung geboten und er zögerte nicht, diesen Eindruck an das Memorial weiterzugeben. Fehlings Bewertung zeigt sein Bemühen um eine Beurteilung nach möglichst nachvollziehbaren Kriterien. Als Angestellter des Memorials, dem er rechenschaftspflichtig war, erlaubte er sich, auch einflussreiche deutsche Institutionen zu kritisieren. Neben seiner Aufgabe als Gutachter im Auftrag des LSRM wurde Fehling zum Vermittler zwischen deutscher und amerikanisch-philanthropischer Antragspraxis. Hans Schnorr von Carolsfeld hatte in seinem Antrag ein düsteres Bild der finanziellen Lage der Münchener Bibliothek gezeichnet, indem er auf die Unsicherheit und Knappheit der Zuschüsse hinwies. Gerade für die Anschaffung ausländischer Literatur ständen „nur ganz ungenügende Mittel zur Verfügung“. Nur durch die Gewährung weiterer Mittel von amerikanischer Seite könnte das „so schön und grosszügig ein-

27 Vgl. Brief von E. E. Day an H. A. Krüß, 22. Januar 1930, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 18, folder 168. Die „Humanities Division“ der RF förderte von 1933 bis 1937 mit bis zu 50.000 Dollar die Erstellung eines Gesamtkatalogs der Preußischen Bibliotheken. Vgl. Dokumente in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 18, folder 169. Zur geisteswissenschaftlichen Abteilung der RF siehe Buxton, William  J., John Marshall and the Humanities in Europe: Shifting Patterns of Rockefeller Foundation Support, in Minerva 43 (2003), S. 133–153. 28 Vgl. A. W. Fehling, Report on the „Bayrische Staatsbibliothek“ Munich, o. D. [Oktober/November 1926], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 29 Fehling vermisste besonders C. A. Beard, „American Government“; J. J. Turner „The Frontier in American History“ und J. E. Commons „History of Labor in the United States“. A. W. Fehling, Report on the „Bayrische Staatsbibliothek“ Munich, o. D. [Oktober/November 1926], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10, S. 4. 30 Vgl. ebd., S. 5.

Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung

109

geleitete Werk“ fortgeführt werden31. In New York führte der pessimistische Ton zu Irritationen. Die Bibliothekshilfen waren als zeitlich befristete Zuschüsse in einer vorübergehenden Notsituation konzipiert worden. Nach deren Überwindung sollte das Werk aus eigenen Kräften weitergeführt werden. Dieses Ziel sah man nun bedroht. Besorgt wandte sich Ruml an Fehling: Dr.  von Carolsfeld’s letter seems to imply a permanent inability of the government to continue the support of the library along the lines in which we have assisted it. If this is the case, I feel that we were perhaps in error in making the appropriation in the first place. On the other hand it may be that an emergency situation still exists and that the estimates hitherto made were inadequate for the purposes which we had in mind32.

Für eine Weiterförderung müsse eine ausreichend hohe Wahrscheinlichkeit bestehen, dass die Regierung zu einem späteren Zeitpunkt die Verantwortung für den Fortgang der Arbeit übernehme33. Fehling bemühte sich, das Missverständnis auszuräumen, indem er das Memorial über die deutsche Antragspraxis aufklärte: [T]he letter Dr. Schnorr von Carolsfeld wrote to you, was a little to [sic] pessimistic. The accustomed tone of pessimism which is genereally [sic] used to incite the willingness of the ministries to increase their support, may have coloured also his report to you34.

Die unterschiedlichen Erwartungen und Strategien auf deutscher und amerikanischer Seite erforderten die Vermittlung Fehlings. Seine Intervention hatte Erfolg: Im Mai 1927 wurden der Bayerischen Staatsbibliothek 10.000 Dollar bewilligt35. Während die Verteilung der ersten „library grants“ fest in den Händen der Notgemeinschaft und Schmidt-Otts lag, wurde Fehling der bevorzugte Ansprechpartner des LSRM für die Evaluierung der Bewilligungen.

31 Auszug aus Bericht der Bayerischen Staatsbibliothek, ohne Verfasser [wahrscheinlich H.  S. von Carolsfeld], 22. Februar 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. Der komplette Bericht der Bibliothek konnte leider weder im Nachlass Fehling noch in den Archivbeständen des LSRM gefunden werden. 32 Brief von B. Ruml an A. W. Fehling, 30. September 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 33 Vgl. ebd. 34 A. W. Fehling, Report on the „Bayrische Staatsbibliothek“ Munich, o. D. [Oktober/November 1926], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10, S. 5. 35 Vgl. Brief von B. Ruml an A. W. Fehling, 2. Juni 1927, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 62, folder 662.

110

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Unterstützung für die Bibliotheken ausgewählter sozialwissenschaftlicher Institute

Beruhten die „library grants“ an Universitäts- und Staatsbibliotheken auf amerikanischen Vorschlägen, bemühte sich Schmidt-Ott im Sommer und Herbst 1925 in eigener Initiative um eine Ausweitung der Bibliotheksförderung auf sozialwissenschaftliche Institute. Im Blick hatte er drei Institutionen, die Ruml auf seiner Sommerreise 1925 bereits besucht hatte: Das von Alfred Weber geleitete Institut für Sozial- und Staatswissenschaften in Heidelberg, das Bernhard Harms unterstehende Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr in Kiel sowie das Historische und das Staatswissenschaftlich-Statistische Seminar der Universität Berlin. Dem Memorial präsentierte er diese drei Einrichtungen als „first-rank research institutions“, die sich trotz ihrer Exzellenz bisher keine systematische Anschaffungspolitik für ihre Bibliotheken leisten könnten36. Schmidt-Otts Vorstoß war von Fehling sorgfältig vorbereitet worden. Auf das 1914 gegründete Kieler Weltwirtschaftsinstitut war das LSRM bereits Ende 1923 aufmerksam geworden37. Das Institut zeichnete sich durch eine enge Verbindung von Theorie und empirisch-statistischen Untersuchungen aus, zudem engagierten sich die Kieler Wirtschaftswissenschaftler in den wirtschaftspolitischen Diskussionen der Weimarer Republik und der Verteidigung der demokratischen Staatsform38. Bernhard Harms wurde bereits im Sommer 1924 von Fehling gebeten, eine Aufstellung der im Institut fehlenden sozialwissenschaftlichen Literatur einzureichen. Ein wenig verunsichert, wie viel man von den Amerikanern wohl erbitten könne, schrieb er an Fehling, er gedenke „gleich auf das Ganze zu gehen, d. h. alle wirklich bedeutende uns fehlende amerikanische Literatur namhaft zu machen“. Dies liege auch im Interesse der amerikanischen Wissenschaft, „deren Vertreter gerade neuerdings sehr darauf bedacht sind, daß ihre Leistungen in Deutschland gewürdigt werden“39. Für den Erwerb der fehlenden amerikanischen Literatur veranschlagte Harms eine Summe von 5000 bis 6000 Dollar, die sich auf 10.000 Dollar erhöhen würde, wenn die Werke anderer Länder ebenfalls berücksichtigt würden. Dazu kämen Kosten für die Buch36 Brief von F.  Schmidt-Ott an B.  Ruml, 19.  Oktober 1925, in RAC-LSRM, Series  3.06, box  61, folder 658, S. 1. 37 Vgl. Brief des LSRM an das Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr in Kiel, 5. November 1923, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 73, folder 771. Das Memorial bat das Institut um Zusendung der letzten Ausgabe von „Das Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr an der Universität Kiel“. 38 Vgl. Hagemann, Harald, Zerstörung eines innovativen Forschungszentrums und Emigrationsgewinn. Zur Rolle der „Kieler Schule“ 1926–1933 und ihrer Wirkung im Exil, in Hagemann, Harald (Hg.), Zur deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Emigration nach 1933, Marburg, 1997, S. 299, 311. 39 Brief von B. Harms an A. W. Fehling, 18. August 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8.

Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung

111

bindung und die Bearbeitung der Materialien40. Fehling erhielt eine nach Relevanz sortierte Liste, die zuerst die fehlenden offiziellen Publikationen, dann Statistiken („auf die wir ganz besonderen Wert legen“) und schließlich Serienwerke und Zeitschriften enthielt41. Im Heidelberger Institut für Sozial- und Staatswissenschaften (InSoSta) kontaktierte Fehling seinen alten Bekannten Arnold Bergstraesser42. Das 1924 aus dem Volkswirtschaftlichen Seminar der Universität hervorgegangene Institut war in der Weimarer Republik für seine politische Liberalität, seine Offenheit gegenüber dem Ausland43 und seine an die Reformpädagogik der Jugendbewegung angelehnte Lehre bekannt. Es war republikanisch-demokratisch ausgerichtet und bemühte sich, die Isolation und Provinzialität der deutschen Wissenschaft nach dem Ersten Weltkrieg zu überwinden44. Als Forschungsschwerpunkte nannte das Institut „oekonomischtheoretische, kultursoziologische, politisch-soziologische Studien“ und „wirtschaftspolitische Arbeiten insbesondere auf den Gebieten der industriellen Standortslehre, der internationalen Handelspolitik und der Wirtschafts- und Gesellschaftskunde des Auslandes“45. Nicht zufällig entstand am Institut die „Staatswissenschaftliche Austauschstelle“, die 1925 in „Akademischer Austauschdienst e. V.“ umbenannt und von Heidelberg nach Berlin verlegt wurde46. Das Heidelberger Institut verfügte über eine gut ausgestattete Bibliothek, die Mitte der 1920er-Jahre etwa 40.000 Bände umfasste47. Das InSoSta befand sich 1924 in einer Umbruchphase. Neben einer Literaturliste sollten dem Memorial daher auch Pläne für einen Ausbau des Instituts vorgelegt werden. Zwischen Fehling und Bergstraesser entspann sich eine rege Diskussion um die Form der Antragstellung. Hatte Fehling zunächst empfohlen, die beiden Gesuche miteinander zu verbinden, erschien es ihm kurz darauf Erfolg versprechender, zunächst 40 Vgl. Auszug aus einem Brief von B. Harms (wahrscheinlich an F. Schmidt-Ott oder A. W. Fehling adressiert) vom 14. Oktober 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658, S. 2. 41 Vgl. Brief von Fleck, Direktorialdezernent im Institut für Wirtschaftswissenschaft und Seeverkehr, an A. W. Fehling, 15. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 42 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum. J. V. S. Visit to Heidelberg, May 13, 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195, S. 3. Sie kannten sich wohl aus der Jugendbewegung. 43 Vgl. Jansen, Christian, Das Institut der Außenseiter. Inneruniversitäre Spannungen und Öffentlichkeit, in Blomert, Reinhard (Hg.), Heidelberger Sozial- und Staatswissenschaften. Das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften zwischen 1918 und 1958, Marburg, 1997, S. 27. 44 Vgl. Blomert et al., Einleitung, S. 12. 45 Finanzielle Angaben über das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, 23. Juni 1928, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-SchmidtStiftung“. 46 Vgl. Blomert et al., Einleitung, S. 17. Bergstraesser war seit 1924 Geschäftsführer des Austauschdienstes. Vgl. Füssl, Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch, S. 73. 47 Vgl. Brief von A. Weber an das LSRM, z. H. A. W. Fehling, 20. Oktober 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658, S. 1.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

nur die Bücheranforderung zusammen mit denen der anderen Institute über die Notgemeinschaft nach New York leiten zu lassen48. Arnold Bergstraesser schickte Fehling daraufhin zwei separate Dokumente. Zur Formulierung des Ausbauplans erläuterte er: Ich habe hier stark betont, dass es sich nur darum handelt, den Ausbauplan des Instituts Ihnen bzw. dem Memorial mitzuteilen, für den Fall, dass eine Teilnahme des Memorial an der Aufbringung dieser Mittel ermöglicht werden könnte. Ich glaube, Ihre Anregung damit richtig zu interpretieren und ich bin sicher, dass Sie dafür Sorge tragen, dass nicht ein Missverständnis des Voranschlags den Eindruck unerwarteter und unbescheidener Forderungen erweckt. In unserer Lage war das einzig Mögliche, den Gesamtplan des Ausbaus vorzulegen und dem Memorial anheimzustellen, ob und in welcher Höhe und ebenso an welchen Etatpositionen es sich beteiligen will49.

Das Heidelberger Gesuch war die erste aus Deutschland an das LSRM herangetragene Bitte um institutionelle Unterstützung. Im „Voranschlag für den Ausbau des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften“ wurden die Kosten für den Ausbau der soziologischen Bibliothek, die Bezahlung einer bibliothekarischen Hilfskraft und eines Assistenten sowie die Einrichtung eines Fonds für Reisekosten auf 97.400 RM veranschlagt50. In einem begleitenden Brief an Ruml befürwortete Fehling eine Unterstützung der Pläne51. Die Kosten für die benötigte ausländische Literatur schätzte Alfred Weber auf 2500 Dollar52 (etwa 10.500 RM). Er verfasste einen Begleitbrief an das LSRM, in dem er betonte, das Institut wolle sich in Zukunft auf geschichtssoziologische Arbeiten und Auslandsstudien konzentrieren, wofür die Bestände der Bibliothek stark erweitert werden müssten53. Auch beim Historischen und beim Staatswissenschaftlich-Statistischen Seminar der Universität Berlin erbaten Schmidt-Ott und Fehling eine Liste der benötigten Literatur, die jedoch nicht rechtzeitig eingereicht wurde. Schmidt-Ott setzte die 48 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 12. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 49 Brief von A. Bergstraesser an A. W. Fehling, 20. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 50 Vgl. Anlage  2 zum Brief von A.  Weber an das LSRM, 20.  Oktober 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658. 51 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 20. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8, S. 6–7. 52 Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an B. Ruml, 19. Oktober 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658, S. 3. 53 Vgl. Brief von A. Weber an das LSRM, z. H. A. W. Fehling, 20. Oktober 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658, S. 2.

Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung

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Kosten der dort benötigten Literatur daher pauschal mit etwa 4000 Dollar an. Gesammelt schickte Schmidt-Ott die Listen, den Brief Alfred Webers und einen Auszug aus einem Brief Bernhard Harms an Ruml54. Seine Initiative hatte Erfolg, da das Memorial im November 1925 jeweils genau die beantragten Beträge bewilligte55: 10.000 Dollar gingen nach Kiel, 2500 Dollar nach Heidelberg und 4000 Dollar nach Berlin56, wo das Historische und das Staatswissenschaftlich-Statistische Seminar je 2000 Dollar erhielten57. Darüber hinausgehende Fördermittel, etwa für den Institutsausbau in Heidelberg oder die Buchbindung in Kiel, wurden nicht gewährt58. Den Institutsleitern wurde mitgeteilt, dass die Spenden nicht die Institutshaushalte entlasten, sondern zu einer substantiellen Verbesserung der Ausstattung der Bibliotheken führen sollten59. Die Bewilligung exakt der von den Institutionen beantragten Beträge zeigt, dass sich in der Zusammenarbeit zwischen Schmidt-Ott, Fehling und Ruml ein auch durch persönliche Bekanntschaft gefestigtes Vertrauensverhältnis gebildet hatte. Die nach New York weitergeleiteten und von den deutschen Vermittlern befürworteten Anträge wurden nicht weiter hinterfragt oder überprüft. Das LSRM zeigte hier eine große Bereitschaft, auf deutsche Wünsche einzugehen. In der Verwaltung der „library grants“ für Deutschland, für die das Memorial insgesamt 147.500 Dollar ausgab, etablierten sich Mechanismen, die ab 1925 auch der institutionellen Förderung zugutekamen.

2.2 Von Büchern zu Forschungsprogrammen: Die institutionelle Forschungsförderung durch das LSRM Das Heidelberger Institut für Sozial- und Staatswissenschaften hatte 1925 mit seiner Bitte um institutionelle Unterstützung zunächst keinen Erfolg, da die Einrichtung den Verantwortlichen des LSRM als zu jung und ungefestigt erschien. Das Memorial war in Deutschland auf der Suche nach einer Institution mit dem Potenzial, zu einem „world 54 Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an B. Ruml, 19. Oktober 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 658, S. 2, 4. 55 Vgl. Brief von B.  Ruml an F.  Schmidt-Ott, 19.  November 1925, in RAC-LSRM, Series  3.06, box 61, folder 658. 56 Vgl. Brief von F.  Schmidt-Ott an B.  Ruml, 17.  Dezember 1925, in RAC-LSRM, Series  3.06, box 61, folder 658. 57 Vgl. Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Fünfter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaften 1926, Berlin, 1926, S. 34. 58 Vgl. Brief von B. Ruml an A. W. Fehling, 6. November 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 59 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Weber, 10. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8.

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center“ sozialwissenschaftlicher Forschung ausgebaut zu werden. Welche Einrichtung hatte die besten Voraussetzungen zu einer deutschen London School of Economics zu werden? Ruml interessierte sich für bereits fest etablierte, zentral gelegene, auf empirische Forschung ausgerichtete und nicht nur von einer einzigen Forscherpersönlichkeit getragene Institute mit hohem Ansehen. Eine grundsätzliche Skepsis prägte seinen Blick auf die deutsche sozialwissenschaftliche Forschungslandschaft, die ihm zu philosophisch ausgerichtet schien. Durch Fehlings Vermittlung erhielten das Hamburger Institut für Auswärtige Politik 1925 und das InSoSta in Heidelberg 1928 „institutional grants“. Die Deutsche Hochschule für Politik wurde ab 1926 gegen Fehlings Willen gefördert. Mit insgesamt 155.000 Dollar investierte das LSRM eine ähnlich hohe Summe in die drei Institutionen wie in die deutsche Bibliotheksförderung. Das Institut für Auswärtige Politik in Hamburg als erster Empfänger institutioneller Förderung

Spätestens im April 1924 wurde Ruml auf den Direktor des im Jahr zuvor in Hamburg gegründeten Instituts für Auswärtige Politik (IAP), den renommierten Juristen Albrecht Mendelssohn Bartholdy, aufmerksam. Ford und Coss empfahlen Ruml, Mendelssohn Bartholdy in das deutsche Professorenkomitee zur Vorauswahl der Stipendiaten aufzunehmen60. Gleich zu Beginn seiner Deutschlandreise besuchte Ruml im Juni 1925 das Hamburger Institut61. Fehling hatte diesen Besuch sorgfältig vorbereitet: Mendelssohn Bartholdy übermittelte ihm kurz vorher eine Aufstellung mit den zukünftigen Plänen des Instituts62. Das Institut für Auswärtige Politik hatte im November 1924 seine Arbeit aufgenommen63 und verfügte erst über fünf, ab 1926 über acht Mitarbeiter64. Es war ganz 60 Vgl. J. J. Coss, G. S. Ford, Report on Fellowships in the Social Sciences Proposed for Establishment in France, Germany, Czecho-Slovakia, Austria, in Memorandum: Fellowships in the Social Sciences, 15. April 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 678, S. 6. 61 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 2. Juni 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 62 Vgl. A. Mendelssohn Bartholdy, Aufstellung der Bedürfnisse des Instituts, 29. Mai 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 63 Vgl. Nicolaysen, Rainer, Verfechter der Verständigung – der Jurist und Friedensforscher Albrecht Mendelssohn Bartholdy, in Nicolaysen, Rainer (Hg.), Das Hauptgebäude der Universität Hamburg als Gedächtnisort. Mit sieben Porträts in der NS-Zeit vertriebener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Hamburg, 2011, S. 216 (Im Folgenden zitiert als Nicolaysen, Verfechter der Verständigung). 64 Vgl. Weber, Hermann, Rechtswissenschaft im Dienst der NS-Propaganda. Das Institut für Auswärtige Politik und die deutsche Völkerrechtsdoktrin, in Gantzel, Klaus Jürgen (Hg.), Wissenschaftliche Verantwortung und politische Macht. Zum wissenschaftlichen Umgang mit der Kriegsschuldfrage 1914, mit Versöhnungsdiplomatie und mit dem nationalsozialistischen Großmachtstreben.

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auf die Person Mendelssohn Bartholdys zugeschnitten65 und sollte der Friedensforschung und der Erforschung der politischen Beziehungen zwischen den Völkern dienen66. Das Institut gilt als erstes politikwissenschaftliches Forschungsinstitut in Deutschland und als eine der weltweit ersten Einrichtungen der Friedensforschung67. Außenpolitisch strebte es die Wiedergewinnung internationaler Anerkennung für Deutschland an, innenpolitisch verteidigte es den Rechtsstaat und ein liberales Wirtschaftsklima68. Mendelssohn Bartholdy, Enkel des Komponisten Felix Mendelssohn Bartholdy, war 1920 als Professor für Internationales Privatrecht und Auslandsrecht an die im Jahr zuvor gegründete Hamburger Universität berufen worden. Der überzeugte Befürworter der Weimarer Republik69 und des Völkerbundes70 hatte 1919 der deutschen Delegation auf der Pariser Friedenskonferenz angehört71. Das Carnegie Endowment for International Peace unterstützte das Institut, indem es dort auf Vorschlag Shotwells das Sekretariat für die deutsche Ausgabe der Carnegie-Weltkriegsgeschichte etablierte72.

65

66 67 68

69 70

71 72

Wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen zum Umfeld und zur Entwicklung des Instituts für Auswärtige Politik Hamburg/Berlin 1923–1945, Berlin, Hamburg, 1986, S. 197 (Im Folgenden zitiert als Weber, Rechtswissenschaft im Dienst). Sein Stellvertreter war der Byzantinist Paul Marc, Bruder des im Ersten Weltkrieg gefallenen Malers Franz Marc. Er hatte die Geschäftsführung des Instituts inne. Vgl. Huhn, Michael, „Europäische Gespräche“. Eine außenpolitische Zeitschrift der Weimarer Zeit, in Gantzel, Klaus Jürgen (Hg.), Wissenschaftliche Verantwortung und politische Macht. Zum wissenschaftlichen Umgang mit der Kriegsschuldfrage 1914, mit Versöhnungsdiplomatie und mit dem nationalsozialistischen Großmachtstreben. Wissenschaftsgeschichtliche Untersuchungen zum Umfeld und zur Entwicklung des Instituts für Auswärtige Politik Hamburg/Berlin 1923–1945, Berlin, Hamburg, 1986, S. 123 (Im Folgenden zitiert als Huhn, „Europäische Gespräche“) und Gantzel-Kress, Gisela, Zur Geschichte des Instituts für Auswärtige Politik. Von der Gründung bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme, in Gantzel, Klaus Jürgen (Hg.), Kolonialrechtswissenschaft, Kriegsursachenforschung, internationale Angelegenheiten. Materialien und Interpretationen zur Geschichte des Instituts für Internationale Angelegenheiten der Universität Hamburg 1923–1983 im Widerstreit der Interessen, Baden-Baden, 1983, S. 62 (Im Folgenden zitiert als Gantzel-Kress, Zur Geschichte des Instituts). Vgl. Huhn, „Europäische Gespräche“, S. 80. Vgl. Nicolaysen, Verfechter der Verständigung, S. 216. Vgl. Blomert, Reinhard, Intellektuelle im Aufbruch. Karl Mannheim, Alfred Weber, Norbert Elias und die Heidelberger Sozialwissenschaften der Zwischenkriegszeit, München, 1999, S. 16 (Im Folgenden zitiert als Blomert, Intellektuelle im Aufbruch). Vgl. Nicolaysen, Verfechter der Verständigung, S. 199. Vgl. Huhn, „Europäische Gespräche“, S.  75. Zusammen mit Johannes Lepsius und Heinrich Thimme gab er die Quellensammlung „Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871– 1914“ heraus. Mendelssohn Bartholdy zog sich jedoch bald aus der praktischen Umsetzung zurück. Vgl. Nicolaysen, Verfechter der Verständigung, S. 213. Vgl. Weber, Rechtswissenschaft im Dienst, S. 194. Vgl. Huhn, „Europäische Gespräche“, S. 83. Siehe auch die Korrespondenz zwischen A. Mendelssohn Bartholdy und C. Melchior mit dem Reichsamt des Innern, Hamburg, aus dem Jahr 1923 in

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Im Herbst 1925 leitete Fehling einen Antrag des Instituts für Auswärtige Politik um Unterstützung nach New York weiter73. Mendelssohn Bartholdy wünschte die Einrichtung zweier Assistentenstellen, damit Institutsmitglieder für Forschungen zu „questions of foreign policy as, for example, the working of colonial mandates, or the influence of economic factors on diplomatic relations between certain nations, or the methods of education and selection of diplomatists“ freigestellt werden könnten. Weiterhin sollten Studenten und jungen Wissenschaftlern die Benutzung ausländischer Archive und Bibliotheken und der Kontakt zu ausländischen Wissenschaftlern ermöglicht werden. Mit Hilfe des Memorials könnten vier Mal im Jahr längere Forschungsartikel in der Institutszeitschrift „Europäische Gespräche“ publiziert werden74. Der Antrag kam den Vorstellungen des LSRM sehr entgegen. Erste politikwissenschaftliche Ansätze in Deutschland konnten gestärkt werden, und das Renommee und Engagement Mendelssohn Bartholdys wie auch die praktische, auf Friedenssicherung und Völkerverständigung gerichtete Orientierung der Forschung entsprachen dem Selbstverständnis des LSRM. Nachteilig waren aus dieser Sicht die periphere Lage sowie die starke Ausrichtung des Instituts auf die Person Mendelssohn Bartholdys. Für letzteres Problem fand das Memorial eine ungewöhnliche Lösung. Ende 1925 bewilligten die Trustees des LSRM dem Institut eine Beihilfe von insgesamt 20.000 Dollar für fünf Jahre75. Das Institut für Auswärtige Politik selbst wurde jedoch nur über eine Bereitstellung von 4000 Dollar (16.800 RM) für das Jahr 1926 informiert. Für das Folgejahr wurde der gleiche Betrag in Aussicht gestellt76. Fehling erfuhr vom Memorial den Grund für diese Zurückhaltung: Für den Fall, dass Mendelssohn Bartholdy Hamburg verlassen sollte, wollte Ruml sich nicht für fünf Jahre verpflichten77. Da Mendelssohn Bartholdy seinem Institut aber treu blieb, konnten bis 1930 die gesamten 20.000 Dollar abgerufen werden78. Mendelssohn

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BAB, R 4701/2370, Reichspostministerium, Beziehungen zu Institutionen und Organisationen und die Dokumente in BAB, R 3901/10508 Reichsarbeitsministerium (Veröffentlichungen über Kriegswirtschaft und Verwandtes). Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 20. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. A. Mendelssohn Bartholdy, Dokument ohne Titel („The statuary aim of the Hamburg Institut …“), Mai 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Vgl. Appropriations for social science and social technology made by the Laura Spelman Rockefeller Memorial up to December, 1, 1927 (confidential), in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 676. Vgl. Brief von P. Marc an A. W. Fehling, 2. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Vgl. Brief von B. Ruml an A. W. Fehling, 6. November 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Vgl. Appropriations for social science and social technology made by the Laura Spelman Rockefeller Memorial up to December, 1, 1927 (confidential), in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 676.

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Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung

Bartholdy wurde darüber hinaus 1925 als Gast des LSRM zu einer Reise in die Vereinigten Staaten eingeladen, konnte diese aber nicht sofort antreten79. Die vom LSRM jährlich gespendeten umgerechnet knapp 16.800 RM waren ein bedeutender Beitrag für die Arbeit des Instituts, wie ein Blick auf dessen Einnahmen im Rechnungsjahr 1929/1930 zeigt80. Das Institut finanzierte sich aus Mitteln der Stadt Hamburg, Reichsmitteln und privaten Spenden. Tabelle 4: Einnahmen des Instituts für Auswärtige Politik für das Rechnungsjahr 1929/1930. Quelle

Betrag

Stadt Hamburg

10.000 RM

Auswärtiges Amt

15.000 RM

Reichsinnenministerium

15.000 RM

Förderergesellschaft

10.000 RM

LSRM/RF

16.768 RM1

(Quelle: nach Huhn, „Europäische Gespräche“, S. 84 und „Statement of account for the year 1929“, Anlage zum Brief von A. Mendelssohn-Bartholdy an die Rockefeller Foundation („Dear Sir“), 18. August 1930, in RACLSRM, Series 3.06, box 52, folder 561). 1 Vgl. „Statement of account for the year 1929“, Anlage zum Brief von A. Mendelssohn-Bartholdy an die Rockefeller Foundation („Dear Sir“), 18. August 1930, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 561.

Der Beitrag des LSRM war höher als die einzelnen Zuschüsse der Stadt Hamburg, des Auswärtigen Amtes, des Reichsinnenministeriums und der Förderergesellschaft, er machte über ein Fünftel der Gesamteinnahmen aus. Die Gelder wurden jedoch auf ausdrücklichen Wunsch des LSRM nicht in das Budget des Instituts eingerechnet, sondern getrennt verwaltet81. Mendelssohn Bartholdy nutzte die finanziellen Mittel, um jungen Forschern die Durchführung politikwissenschaftlicher Forschungsprojekte zu ermöglichen82. Die Arbeiten konzentrierten sich auf die wissenschaftliche Behandlung aktueller außenpolitischer Fragestellungen, etwa zur verfassungsrechtlichen Stellung Danzigs unter

79 Mendelssohn Bartholdy musste die Reise aufgrund seiner Tätigkeit als erster deutscher Richter am Internationalen Schiedsgericht in Den Haag zur Auslegung des Dawes-Planes verschieben. Vgl. Brief von P. Marc and A. W. Fehling, 2. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 80 Die sozialwissenschaftliche Abteilung der RF übernahm 1929 die vom LSRM eingegangenen Verpflichtungen. Das LSRM wurde im Januar 1929 aufgelöst (siehe Kapitel 4). 81 Vgl. Brief von A.  Mendelssohn Bartholdy an das LSRM, 31.  März 1927, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 561. 82 Vgl. Brief von A. Mendelssohn Bartholdy an B. Ruml, 10. Juli 1926, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 561.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Aufsicht des Völkerbundes83, zu den Entscheidungen des Internationalen Schiedsgerichts zur Auslegungen des Dawes-Planes84 oder dem Mandatssystem des Völkerbundes85. Eine Volksausgabe der von Mendelssohn Bartholdy mit herausgegebenen Aktensammlung „Die Große Politik der Europäischen Kabinette 1871–1914“ zur Vorgeschichte des Ersten Weltkriegs wurde ebenfalls finanziert86, außerdem wurde über die arabische Staatenbildung87 und die politische Willensbildung im britischen Weltreich geforscht88. Ein Großteil der Monographien erschien in der 1927 gegründeten Reihe „Politische Wissenschaft“, die von der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin und dem Institut für Auswärtige Politik gemeinsam bei W. Rothschild (Berlin-Grunewald) herausgeben wurde. Die Wahl des Titels der Reihe, die zunächst „Politik und Wissenschaft“89 heißen sollte, zeigt die Unsicherheiten bezüglich des wissenschaftlichen Studiums der Politik. Der Geschäftsführer des Hamburger Instituts teilte Walther Rothschild Anfang 1927 unter ausdrücklicher Bezugnahme auf die amerikanischen Geldgeber mit: Nachdem Sie sich mit ‚Politik als Wissenschaft‘ nicht befreunden konnten, kehrt Herr Professor [A. Mendelssohn-Bartholdy] gerne zu seinem eigenen und ursprünglichen, im Schreiben vom 21. von Ihnen selbst akzeptierten Vorschlag ‚Politische Wissenschaft‘ zurück, der insofern programmatisch wirken wird, als wir ja mit allen unseren Bestrebungen und auch mit dieser Schriftenreihe etwas der amerikanischen ‚Political Science‘ Entsprechendes schaffen wollen; dass dies gleich im Titel zum Ausdruck kommen würde, wäre uns auch um der amerikanischen Stifter willen wertvoll, die diese Schriften-Serie ermöglicht haben. ‚Politik und Wissenschaft‘ klingt wohl ganz gut, deckt aber unsere Absichten

83 Vgl. Harder, Hans Adolf, Danzig, Polen und der Völkerbund. Eine politische Studie, Berlin, 1928. 84 Vgl. Schoch, Magdalene, Die Entscheidungen des Internationalen Schiedsgerichts zur Auslegung des Dawes-Plans, Berlin-Grunewald, 1927. 85 Vgl. Anlage zum Brief von A. Mendelssohn Bartholdy an B. Ruml, 10. Juli 1926, in RAC-LSRM, Series  3.06, box  52, folder  561. Siehe auch den Bericht zur Arbeit des Instituts für Auswärtige Politik vom 16.  Dezember 1926, der dem Brief A.  Mendelssohn Bartholdy an das LSRM vom 31. März 1927 beigelegt ist, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 561. 86 Vgl. Anlage zum Brief von A. Mendelssohn Bartholdy an B. Ruml, 10. Juli 1926, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 561. 87 Vgl. Oehlrich, Conrad, Die Phasen der Staatenbildung in Arabien in und nach dem Weltkriege, in Vergangenheit und Gegenwart: Monatsschrift für Geschichtsunterricht und politische Erziehung 21 (1931), S. 449–458. 88 Vgl. Alport, Erich, Nation und Reich in der politischen Willensbildung des britischen Weltreiches, Berlin, 1933. 89 Vgl. Vertrag zwischen A. Mendelssohn Bartholdy und H. Simons, 7. Dezember 1926, in GStA PK, I HA. Rep. 303 (Deutsche Hochschule für Politik), neu, Nr. 632.

Ein „Rockefeller Plan“ gegen die Isolierung

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nicht, denn wir wollen nicht Politik und Wissenschaft treiben, sondern nur Politik der Wissenschaft90.

Die Debatte zwischen den Wissenschaftlern und den Herausgebern zeigt, dass von einer institutionell anerkannten Disziplin der „Politikwissenschaft“ Ende der 1920erJahre noch keine Rede sein kann. Im Jahr 1928 verfolgte Mendelssohn Bartholdy die Idee, mit amerikanischer Hilfe ein großes Institut für alle sozialwissenschaftlichen Disziplinen in Hamburg zu gründen91. Das Memorial zeigte sich interessiert: „BR [Beardsley Ruml] feels that Hamburg presents a splendid opportunity for unified action. A building to house all of the social sciences a possible program“92. Die Pläne scheiterten schließlich an fehlender Unterstützung aus der Hamburger Politik und Wirtschaft93. Die Förderung des Instituts für Auswärtige Politik endete 1930, wobei das LSRM seit 1928 regelmäßig auf die auslaufende Förderung hingewiesen hatte94. Eine Verlängerung wurde, auch wegen der Umstrukturierung der Rockefeller Philanthropie ab 1929 und grundsätzlicher Änderungen der Förderpolitik, nicht ausgesprochen. Mendelssohn Bartholdy leitete das Institut, bis er 1934 nach England emigrierte95. 1937 wurde das Institut nach Berlin verlegt und zusammen mit der Deutschen Hochschule für Politik in ein nationalsozialistisches Propaganda-Institut des Auswärtigen Amtes mit dem Namen „Deutsches Institut für Außenpolitische Forschung“ verwandelt96.

90 Auszug aus einem Brief P. Marcs an W. Rothschild, zitiert in Brief von W. Rothschild an Simons, 3. Januar 1927, in GStA PK, I HA. Rep. 303 (Deutsche Hochschule für Politik), neu, Nr. 632. 91 Vgl. Brief von A.  Mendelssohn Bartholdy an B.  Ruml, 17.  Oktober 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 561. 92 Memo of Conversation of SMG, with B. Ruml, Paris, August 15, 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 676. 93 Vgl. Brief von A.  Mendelssohn Bartholdy an B.  Ruml, 17.  Oktober 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 561. 94 Vgl. Brief von A.  Mendelssohn Bartholdy an E.  E.  Day, 29.  November 1929, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 52, folder 561. 95 Mendelssohn Bartholdy war 1933 als Professor zwangsemeritiert worden. Er starb 1936 in Oxford an Magenkrebs. Vgl. Brief von A. Vagts an J. T. Shotwell, 2. Januar 1936 (?), in Leo Baeck Institute, A. Mendelssohn Bartholdy Collection, AR 3505. Vgl. Huhn, „Europäische Gespräche“, S. 94. 96 Vgl. Gantzel-Kress, Zur Geschichte des Instituts, S. 65. Friedrich Berber leitete das Institut bis er sich 1944 in die Schweiz absetzte.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Finanzielle Mittel für die Erforschung des „wirtschaftlichen Schicksals Europas“ am Institut für Sozial- und Staatswissenschaften in Heidelberg

„I suspect that this is about all that we should be inclined to do for Heidelberg at the present time“97, schrieb Ruml im November 1925 an Fehling, nachdem dem Institut für Sozial- und Staatswissenschaften 2500 Dollar für die Bibliothek bewilligt worden waren98. Nach dem Umzug des Instituts ins Palais Weimar99 griff Arnold Berg­ straesser die Idee einer Förderung Anfang 1928 wieder auf und bat Fehling um eine Besprechung in der Frage einer „eventuellen Unterstützung der Arbeiten“ durch das LSRM100. Nach einem Telefongespräch, in dem Bergstraesser Fehling über die Entwicklung des Instituts informierte, setzte sich Fehling mit dem Memorial in Verbindung, um unverbindlich nach den Erfolgsaussichten einer Bewerbung zu fragen101. Er betonte die positive Entwicklung des Heidelberger Instituts und die sehr gut ausgestattete Bibliothek: It got a nice old building with ample space for staff and library, it consolidated its equipment in the fields of economic, sociology, political science, and cultural history, and enlarged its special facilities for research in the study of contemporary France, England, the United States and East Asia. After several years of strong efforts, the Institute is now in a position to provide an astonishing valuable basis for productive research in these lines. Since about one year the Faculty begins to pursue broader research projects102.

Fehling empfahl dem Memorial eine Förderung von 8000 bis 9000 Dollar jährlich über drei oder fünf Jahre, durch die besonders Stipendien, Reisebeihilfen und Materialbeschaffung finanziert werden könnten103. Ruml zeigte sich interessiert104 und kündigte für Ende Juni 1928 einen zweiten Besuch des Instituts an. Fehling empfahl Bergstraesser dringend, bis dahin „eine 97 Brief von B. Ruml an A. W. Fehling, 6. November 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 98 Vgl. Brief von F.  Schmidt-Ott an B.  Ruml, 17.  Dezember 1925, in RAC-LSRM, Series  3.06, box 61, folder 658. 99 Vgl. Blomert et al., Einleitung, S. 16. 100 Brief von A. Bergstraesser an A. W. Fehling, 31. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 101 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 8. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 102 Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 9. Februar 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. 103 Vgl. ebd. 104 Vgl. Brief von B. Ruml an A. W. Fehling, 25. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. Fehling teilte Bergstraesser mit, dass das Memorial keinen Grund sehe, aus dem das Institut

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gewisse Klärung der Forschungspläne des Instituts“ zu erzielen105. Alfred Weber stellte Ruml das geplante Forschungsprogramm persönlich vor und übergab ihm einen Antrag auf Unterstützung. Nach dem Treffen Rumls mit den Institutsmitgliedern, an dem auch Fehling teilnahm, hielt der deutsche Landesvertreter die Erfolgsaussichten für gut. Fehling berichtete Bergstraesser, dass Weber beim Memorial den positivsten Eindruck hinterlassen habe, „während ein gewisses Mißtrauen in einer Richtung vorhanden ist, die man zunächst am wenigsten annehmen würde. Im Lande der Gegensätze gibt es neben erstaunlich psychologischer Naivität auch manchmal ebenso erstaunliche Einsichten“106. Ob mit dieser Anspielung der Nationalökonom Carl Brinkmann, Bergstraessers Konkurrent im Institut, gemeint war, dem gegenüber in der Rockefeller Stiftung zumindest später eine gewisse Ablehnung bestand, ist aus den Quellen nicht eindeutig zu ersehen. Der im Juni 1928 verfasste Antrag des Instituts107 lag den Mitarbeitern des LSRM in New York im Oktober in einer übersetzten Fassung vor108. Das Dokument beinhaltete eine ausführliche Selbstdarstellung des Instituts und seiner Finanzlage und stellte das geplante Forschungsprogramm vor. Mit den Rockefeller Geldern sollte die „wirtschaftliche Zukunft Europas“, mit besonderer Berücksichtigung deutscher Fragen, untersucht werden. Ausgehen wollten die Heidelberger Sozialwissenschaftler vom „europäischen Produktionsproblem, d. h. der Frage, welche Chancen für die europäische Wirtschaft auf Grund der für Europa bestehenden industriellen Standortsgrundlagen zu erwarten sind“109. Auf dieser Basis sollten aktuelle Fragen der internationalen Handelspolitik, wie die Auswirkungen von Zollunionen oder die handelspolitische Arbeit des Völkerbundes, analysiert werden110. Alfred Weber hatte in den Jahren 1904 bis 1907 seine industrielle Standortlehre entwickelt und 1909 in einer Publikation vorgestellt111. Die Wahl des Standortes keinen Antrag stellen sollte. Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 14. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 105 Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 7. Juni 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 106 Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 14. August 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 107 Vgl. Finanzielle Angaben über das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, 23.  Juni 1928, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur RobertSchmidt-Stiftung“. 108 Vgl. „Translated from the German“, 20. Oktober 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. Der Eingangsstempel ist auf den 24. Oktober 1928 datiert. 109 Finanzielle Angaben über das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, 23. Juni 1928, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-SchmidtStiftung“, S. 4. 110 Vgl. ebd. 111 Vgl. Weber, Alfred, Über den Standort der Industrien, Tübingen, 1909. Siehe dazu Weber, Al­fred; Nutzinger, Hans  G., Schriften zur industriellen Standortlehre. Alfred Weber Gesamtausgabe,

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industrieller Unternehmen orientierte sich laut Weber am Vorhandensein von Rohstoffen, der Marktnähe und der Verfügbarkeit von Arbeitskräften. Während absatzorientierte Industriezweige wie das Bierbraugewerbe, die weit verbreitete Rohstoffe (Ubiquitäten) nutzten, sich am vorteilhaftesten in der Nähe von Ballungszentren ansiedelten, müssten schwergewichtige Rohstoffe verarbeitende Industriezweige, wie die Zuckerindustrie, sich nahe der Rohstoffquellen etablieren. Für Unternehmen der Stahlindustrie sei ein Standort in der Nähe von Kohlebergwerken von Vorteil. Für eine dritte Kategorie von Industrien, wie das Textilgewerbe, stelle die Verfügbarkeit von Arbeitskräften das wichtigste Element bei der Standortwahl dar112. Das dem LSRM vorgeschlagene Forschungsprogramm bot Weber die Möglichkeit, seine Standortlehre durch empirische Untersuchungen zu verschiedenen europäischen Ländern zu fundieren113. Die theoretische Grundlage des Programms ging in der englischen Übersetzung jedoch verloren. Hier sollte die Frage untersucht werden, „what sort of an economic future for Europe may be expected on the basis of the study of the present status of industry“114. Der für Weber entscheidende Punkt, die Untersuchung der industriellen Standortgrundlagen nach den von ihm entwickelten Prinzipien, tauchte nicht mehr auf. Dem Erfolg des Antrags hat dies jedoch nicht geschadet, der Fokus des Memorials lag auf der Erforschung aktueller Problemlagen, zu denen die wirtschaftliche Zukunft Europas durchaus gehörte. Wichtig war auch, dass die Heidelberger, ganz im Sinne der Förderpolitik des LSRM, betonten, eng mit „öffentlichen Stellen und berufenen Experten“ zusammenarbeiten zu wollen115. Bd. 6, Marburg, 1998. Die 1909 erstmals publizierte „Reine Theorie des Standorts“ wurde 1922 in einer überarbeiteten zweiten Auflage veröffentlicht und trug wesentlich zur Bekanntheit Al­fred Webers bei. Vgl. Nutzinger, Hans  G., Alfred Weber als Vertreter der „inneren Emigration“, in Hagemann, Harald (Hg.), Zur deutschsprachigen wirtschaftswissenschaftlichen Emigration nach 1933, Marburg, 1997, S. 537. 112 Eberhard Demm bezeichnet Webers Standorttheorie als „durchaus adäquat“ für eine Zeit, in der Kohle die wichtigste Energiequelle war. Vgl. Demm, Eberhard, Ein Liberaler in Kaiserreich und Republik: der politische Weg Alfred Webers bis 1920, Boppard am Rhein, 1990, S. 44–45. Edgar Salin, ein Schüler Alfred Webers, diskutierte Ende der 1920er-Jahre die Probleme Webers Standorttheorie. Er bemerkte, dass die wirklich beobachtbaren Standorte der Industrien den von Weber entwickelten Kriterien häufig nicht entsprachen. Oft seien Standorttraditionen und zufällige Ansiedelungen zu berücksichtigen, sodass der Standort in der Praxis nicht nur nach rationalen Kriterien gewählt werde. Vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 55. 113 Vgl. Demm, Eberhard, Von der Weimarer Republik zur Bundesrepublik. Der politische Weg Al­fred Webers 1920–1958 (Schriften des Bundesarchivs 51), Düsseldorf, 1999, S. 122. 114 „Translated from the German“, 20. Oktober 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580, S. 3. 115 Finanzielle Angaben über das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, 23. Juni 1928, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-SchmidtStiftung“, S. 4–5.

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Die Forschungsarbeiten wurden in drei Untersuchungsbereiche geteilt, (I.) „Die Europäische Produktion in der Weltwirtschaft“, (II.) „Kapitalwanderung. Europas Wirtschaftsschicksal“ und (III.)  „Rationalisierungsproblem der deutschen Verwaltung“116. Drei neue Stellen sollten eingerichtet und mit jüngeren Wissenschaftlern „ersten Ranges“ besetzt werden. Außerdem beantragte Weber einen Fonds zur Literatur- und Materialbeschaffung, für Reisekosten und die Anstellung von Bibliotheksgehilfen und Schreibkräften. Insgesamt errechnete er einen jährlichen Finanzbedarf von 46.000 RM117. Dies war eine beträchtliche Summe, besonders wenn man bedenkt, dass der Haushaltsplan des Instituts für 1928/29 nur Einnahmen in der Höhe von insgesamt 225.000 RM vorsah118. Bergstraesser übernahm die auf Englisch geführte Korrespondenz mit dem LSRM und war in praktischen Fragen mehr noch als Alfred Weber die Ansprechperson für Ruml und Fehling119. Im November 1928 wurden dem InSoSta 60.000 Dollar für ein fünfjähriges Forschungsprogramm bewilligt, wobei jährlich nicht mehr als 12.000 Dollar abgerufen werden durften120. Dies entsprach sogar mehr als den von Weber beantragten 46.000 RM. Durch die Neuorganisation der Rockefeller Philanthropie im Jahr 1929 wurde das Programm zwar vom LSRM bewilligt, in der Durchführung aber von der sozialwissenschaftlichen Abteilung der RF betreut. Eine nähere Analyse des Programms befindet sich daher in den Kapiteln 4 und 5 zur institutionellen Förderung durch die Rockefeller Foundation. Die Förderung der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin: Ernst Jäckh als agiler Wissenschaftsorganisator im deutsch-amerikanischen Kontext

Kam die Förderung der Institute in Hamburg und Heidelberg mit Unterstützung und Vermittlung Fehlings zustande, wandte sich dieser vergeblich gegen eine Bewilligung für die Deutsche Hochschule für Politik in Berlin. Das Memorial förderte die Institution sogar mit insgesamt 75.000 Dollar, der höchsten Summe, die für die 116 Forschungsprogramm des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften. Anlage 7, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“. 117 Vgl. Finanzielle Angaben über das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, 23.  Juni 1928, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur RobertSchmidt-Stiftung“, S. 1 und 5–6. 118 Vgl. Institut für Sozial- und Staatswissenschaften. Haushaltsplan für 1928/29, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“. 119 Vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 109. 120 Vgl. Brief von B. Ruml an A. Weber, 19. November 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580.

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institutionelle Förderung in Deutschland ausgegeben wurde. Die Verhandlungen zwischen dem Hochschuldirektor Ernst Jäckh und Beardsley Ruml zeigen sowohl die Grenzen des Einflusses Fehlings wie auch den Pragmatismus Rumls, der durchaus bereit war, von den 1922 von ihm selbst entwickelten Prinzipien abzuweichen. Die Deutsche Hochschule für Politik entsprach in vielen Punkten nicht den Förderkriterien des LSRM. Ihre Gründung ging auf die 1918 eingerichtete „Staatsbürgerschule“ des sozial-liberalen Politikers Friedrich Naumann zurück121. Nach dessen Tod übernahm der Orientalist Ernst Jäckh die Leitung, baute die Schule nach dem Vorbild der Pariser École libre des sciences politiques aus122 und gründete auf dieser Grundlage 1920 die Deutsche Hochschule für Politik (DHfP)123. Die DHfP war zum einen als „Abendschule in volkspädagogischer Absicht“124 konzipiert, zum anderen sollte sie der ergänzenden Ausbildung von Partei- und Verbandsfunktionären dienen und auf diese Weise an der Heranbildung einer liberaldemokratischen politischen Elite mitwirken125. Eine „Akademische Abteilung“ wurde erst zum Wintersemester 1927/28 eingerichtet126, es folgte 1932 eine kurzlebige „Forschungs­ 121 Vgl. Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S. 199. 122 Vgl. Freie Universität Berlin, Otto-Suhr-Institut an der Freien Universität Berlin, vormals Deutsche Hochschule für Politik. Geschichte, Forschung und Lehre, Politische Bildungsarbeit, Berlin, 1962, S. 7. Die École libre des sciences politiques hatte sich bei ihrer Gründung 1871 auf das Modell der Berliner Universität berufen. Vgl. Gangl, Manfred, Die Gründung der „Deutschen Hochschule für Politik“, in Gangl, Manfred (Hg.), Das Politische. Zur Entstehung der Politikwissenschaft während der Weimarer Republik, Frankfurt am Main, 2008, S. 79 (Im Folgenden zitiert als Gangl, Die Gründung). Siehe auch Gangl, Manfred, Die „Ecole libre des sciences politiques“ in Paris und die Berliner „Deutsche Hochschule für Politik“, in Bock, Hans Manfred; Mieck, Ilja (Hgg.), Berlin – Paris (1900–1933). Begegnungsorte, Wahrnehmungsmuster, Infrastrukturprobleme im Vergleich, Bern, 2005, S. 69–204. 123 Die DHfP war im Gebäude der alten Bauakademie am Berliner Schinkelplatz untergebracht. M.  Gangl betont, dass die Liberalen, die Jäckh für die Gründung der DHfP gewann, für elitäre Demokratiekonzeptionen eintraten und ein tiefes Misstrauen gegenüber den Massen hegten. Vgl. Gangl, Die Gründung, S.  83–85. Zur DHfP in der Bauakadamie siehe Haiger, Ernst, Deutsche Hochschule für Politik, Auslandswissenschaftliche Fakultät und Deutsches Auslandswissenschaftliches Institut in der Bauakademie, 1920–1945, in Fouquet-Plümacher, Doris (Hg.), Mythos Bauakademie. Die Schinkelsche Bauakademie und ihre Bedeutung für die Mitte Berlins. Ausstellungskatalog, Berlin, 1998. Zur Gründung der DHfP siehe auch die Zeitungsausschnitte und Eröffnungsreden in BAB, R 1501 Reichsministerium des Inneren, 113523 Hochschule für Politik Bd. 1. 124 Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S. 205. 125 Vgl. ebd. Jäckh betonte die überparteiliche Ausrichtung der Hochschule, in der von den Deutschnationalen bis zur Sozialdemokratie alle politischen Strömungen vertreten seien. Ausgeschlossen wurde die Zusammenarbeit mit den Kommunisten und den „Völkischen“. Vgl. Kastendiek, Die Entwicklung, S. 130–131. 126 Die Studenten der Akademischen Abteilung hatten entweder ein Universitätsstudium oder das Studienprogramm der „Seminaristischen Abteilung“ erfolgreich abgeschlossen. Vgl. Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S. 205.

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abteilung“127. Die DHfP war auf die Lehre ausgerichtet und keine genuine Forschungsorganisation. Sie entsprach daher eher den Förderkriterien des Carnegie Endowment for International Peace, dessen Ziele Friedensforschung und politische Bildung waren128. 1926 wurde ein Carnegie-Lehrstuhl für Außenpolitik und Geschichte eingerichtet, auf dem renommierte ausländische Wissenschaftler lasen129. 1931 wurde 127 Vgl. Kastendiek, Die Entwicklung, S. 136. Wurde die Einrichtung der Akademischen und der Forschungsabteilung in der älteren Literatur als Zeichen einer zunehmenden Verwissenschaftlichung der Hochschule gedeutet, wird heute mit Blick auf die geringe Zahl der Diplome vor einer Überbewertung der Verwissenschaftlichung gewarnt. Vgl. Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S. 205. Auch die Selbstdarstellung als „Schule der Demokratie“ und Gegengewicht zu den konservativ ausgerichteten Universitäten wird heute relativiert, vor allem mit Verweis auf die 1927 eingerichtete Arbeitsgemeinschaft mit dem von dem deutschnationalen Historiker Martin Spahn als Konkurrenzorganisation aufgebauten „Politischen Kolleg“. Diese Zusammenarbeit ermöglichte den deutschnationalen Kräften einen direkten Einfluss auf die DHfP. Vgl. Gangl, Die Gründung, S. 91. Siehe auch Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S. 213. Die umfangreichste Untersuchung der Hochschule hat Steven D. Korenblat in seiner amerikanischen Dissertation (Korenblat, Steven, The Deutsche Hochschule für Politik, Public affairs institute for a new Germany, 1920– 1933, Chicago, 1978 (Im Folgenden zitiert als Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik)) vorgelegt, die jedoch in der deutschen Forschung kaum Resonanz fand. Als einziger Autor widmet er der amerikanischen Förderung der DHfP größere Aufmerksamkeit. In Deutschland führte der zehn Jahre später veröffentlichte Band von A. Missiroli zu einem erneuten Interesse an der DHfP. Zum 40-jährigen Bestehen der nach dem Zweiten Weltkrieg wiedergegründeten DHfP erschienen 1991 verschiedene Studien, die einen kritischen Blick auf die Entwicklung der Hochschule in der Weimarer Republik warfen. Siehe Missiroli, Antonio, Die Deutsche Hochschule für Politik, Sankt Augustin, 1988 (Im Folgenden zitiert als Missiroli, Die Deutsche Hochschule für Politik), Lehnert, Detlef, „Schule der Demokratie“ oder „politische Fachhochschule“? Anspruch und Wirklichkeit einer praxisorientierten Ausbildung der Deutschen Hochschule für Politik 1920–1933, in Göhler, Gerhard; Zeuner, Bodo (Hgg.), Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Politikwissenschaft, Baden-Baden, 1991, 65–93 (Im Folgenden zitiert als Lehnert, „Schule der Demokratie“), Söllner, Alfons, Gruppenbild mit Jäckh. Anmerkungen zur „Verwissenschaftlichung“ der Deutschen Hochschule für Politik während der Weimarer Republik, in Göhler, Gerhard; Zeuner, Bodo (Hgg.), Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Politikwissenschaft, Baden-Baden, 1991, S. 41–64 (Im Folgenden zitiert als Söllner, Gruppenbild), Haiger, Ernst, Politikwissenschaft und Auslandwissenschaft im „Dritten Reich“, in Göhler, Gerhard; Zeuner, Bodo (Hgg.), Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Politikwissenschaft, Baden-Baden, 1991, S.  94–136 und Eisfeld, Ausgebürgert. Zur Unterstützung der DHfP durch das LSRM, und später die RF, blieben auf deutscher Seite leider kaum Quellen erhalten. Ernst Jäckh ließ 1933 die Akten und Korrespondenzen der DHfP verbrennen. Vgl. Missiroli, Die Deutsche Hochschule für Politik, S. 44. 128 Vgl. Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 205. 129 Es trugen zum Beispiel Charles A. Beard, Pierre Renouvin und Nicolas M. Butler vor. Den Eröffnungsvortrag hielt James T. Shotwell zur Frage „Stehen wir an einem Wendepunkt der Weltgeschichte?“ Vgl. Missiroli, Die Deutsche Hochschule für Politik, S. 36 und Nickel, Erich, Politik und Politikwissenschaft in der Weimarer Republik, Berlin, 2004, S. 143. Siehe auch die Korrespondenz in GStA PK, I HA Rep. 76 V a Sekt. 2, Tit. X. Nr. 200. Eine Liste der auf dem Carnegie-

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ein zweiter Lehrstuhl als ständige Professur geschaffen, auf den der deutsche Historiker Hajo Holborn berufen wurde130. Bereits 1924, während seiner ersten Reise durch die USA, hatte der Direktor der DHfP Jäckh versucht, das Interesse des LSRM zu wecken. In den folgenden Jahren hielt er regelmäßigen Kontakt zu Ruml131. Jäckh bewunderte die USA, deren geeinte Gesellschaft unter Führung eines starken Präsidenten ihm ein Vorbild für Deutschland war132. Im Sommer 1925 besuchte Ruml zwar die Vorlesungsräume der DHfP, traf jedoch niemanden von der Direktion an133. Anfang 1926 schickte Jäckh einen ausführlichen Bericht über die Tätigkeiten der Hochschule direkt an das LSRM und bat um Übernahme eines voraussichtlichen Defizits von 311.000 Mark für das folgende Jahr. Der fehlende Betrag entstände durch den mit der wirtschaftlichen Lage zu erklärenden Einnahmerückgang und durch die geplante Ausweitung der Aktivitäten134. Es sollten Lehrstühle zu amerikanischen Themen eingerichtet, amerikanische Gastprofessoren eingeladen, deutsche Professoren zu Forschungsaufenthalten in die USA entsandt und ein deutsch-amerikanisches Stipendienprogramm eingerichtet werden135. Ruml entging nicht, dass das von Jäckh errechnete Defizit vor allem durch die beträchtliche Ausweitung der Hochschulaktivitäten bedingt war. Nachdem er die Förderung von Ausbildungsstipendien ausgeschlossen hatte, erbat er genauere Informationen zu den in Aussicht genommenen Forschungsarbeiten136. Jäckh räumte ein, dass der Fehlbetrag durch die Streichung des Austauschprogramms auf 200.000 Mark gesenkt werden könne und betonte, dies entspreche weniger als der Hälfte der Bewilligungen für die LSE, „the english parralel [sic] of our German institute“. „I cannot imagine that this work being in complete conformity with the spirit and purpose of the Laura Spelman Rockefeller Memorial Foundation could not attain the support Lehrstuhl gehaltenen Vorträge befindet sich in GStA PK, I HA Rep. 303 Deutsche Hochschule für Politik, alt, Nr. 2087. 130 Vgl. Missiroli, Die Deutsche Hochschule für Politik, S.  36. Zum Berufungsverfahren siehe die Dokumente im Nachlass H. Holborn im Archiv der Yale University: Archiv der Yale University, Hajo Holborn Papers, Office Files, Correspondence, Speeches, Group 579, Series I, box 1, folder 2. 131 Vgl. Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 205–207. 132 Vgl. Eisfeld, Ausgebürgert, S. 57. Siehe auch Eisfeld, Rainer, Amerikanische Lösungen für Weimarer Probleme? Amerikabilder und ihre Folgen bei Ernst Jäckh und Arnold Wolfers, in Gangl, Manfred (Hg.), Das Politische. Zur Entstehung der Politikwissenschaft während der Weimarer Republik, Frankfurt am Main, 2008, S. 182–187. 1929 veröffentlichte Jäckh ein Buch zu seinen Reisen in den USA: Jäckh, Ernst, Amerika und wir. Amerikanisch-deutsches Ideen-Bündnis, Stuttgart, Berlin, Leipzig, 1929. 133 Vgl. Brief von W. Simons an B. Ruml, 29. Juli 1925, RAC-LSRM, Series 3.06, box 51, folder 537. 134 Vgl. Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 207. 135 Vgl. ebd., S. 208. 136 Vgl. Brief von B.  Ruml an E.  Jäckh, 14.  Januar 1926, in RAC-LSRM, Series  3.06, box  51, folder 537.

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of your board“137. Bei Fehling erkundigte sich das Memorial nach seiner Einschätzung der DHfP. In einer zweieinhalbseitigen vertraulichen Stellungnahme legte Fehling die vom LSRM erarbeiteten Kriterien an die Beurteilung der Hochschule an: Exzellenz in der wissenschaftlichen Forschung, Praxisbezug und, dies war eines der Ziele des Stipendienprogramms des LSRM, Ausbildung späterer Führungspersönlichkeiten. Deutlich benannte Fehling die Schwachpunkte: The Academy is something between a university or a professional college of the same rank and a people’s university (extension courses). I. e. from the viewpoint of research and instruction it ranks below the former and above the later group. Consequently a university or a professional college professor would hardly change his place for a professorship at the Academy, and no young scholar who has a chance of advancing in the university career, would go to or remain at the Academy138.

Waren die Studenten der DHfP als zukünftige „political leaders“ einzuschätzen? Fehling antwortete „May be, may be not. As things are now, it may be doubted“139. Er verwies darauf, dass die Hochschule keine Abschlüsse von praktischem Wert verleihe. Das Niveau der die DHfP besuchenden Journalisten, Sozialarbeiter und Gewerkschafter sei nicht höher als das von Universitätsstudenten. Auf der wissenschaftlichen Seite sah es seiner Meinung nach nicht besser aus: „From the viewpoint of research in the fields of political science, the contribution of the institute was, according to its chief purpose, to foster political education, up to now of no great importance“140. Fehling erkannte jedoch an, dass sich die Leitung der Hochschule dieser Probleme bewusst sei und an ihrer Behebung arbeite. Die letzten fünf Jahre seien von langsamer, aber stetiger Verbesserung geprägt gewesen. „However, it is difficult to foresee, if ideas and aims of the institution will have appeal and strength enough to gain an adequate

137 Brief von E. Jäckh an B. Ruml, 12. Februar 1926, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 51, folder 537. Siehe auch Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 208. Tatsächlich hatte sich auch die LSE für die Deutsche Hochschule für Politik interessiert. Vgl. Scot, Marie, La London School of Economics and Political Sciences, une université entre national et transnational, in Dulphy, Anne; Frank, Robert; Matard-Bonucci, Marie-Anne; Ory, Pascal (Hgg.), Les relations culturelles internationales au XXe siècle: De la diplomatie culturelle à l’acculturation, Brüssel, 2010, S. 384. 138 A. W. Fehling, „Die Deutsche Hochschule für Politik“, o. D. [verschickt an B. Ruml am 31. Januar 1926], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. Der Bericht befindet sich auch in RAC-LSRM, Series 3.06, box 51, folder 537. 139 Ebd. 140 Ebd.

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position in the educational system“141, schloss er seinen Bericht. Während das Gutachten nach Meinung Steven D. Korenblats, der eine ausführliche Analyse der DHfP unter Einbezug der amerikanischen Förderung veröffentlicht hat, mehr über Fehlings „own educational and social attitudes than it did about the Hochschule“142 aussage, zeigt es im Kontext der deutsch-amerikanischen Verhandlungen um eine Förderung der Hochschule eher, dass Fehling die vom Memorial vorgegebenen Förderkriterien ernst nahm, ernster wohl als Ruml selbst. Ruml befürwortete trotz der ablehnenden Beurteilung Fehlings und der offensichtlich taktierenden Argumentation Jäckhs eine einmalige Notbeihilfe, die im März 1926 bewilligt wurde. Für die Jahre 1926 und 1927 erhielt die DHfP 50.000 Dollar. Anders als in Hamburg und Heidelberg wurde eine zusätzliche Bedingung eingeführt: Für fünf Dollar aus anderen Quellen wurde ein Dollar vom LSRM gezahlt, wobei eine jährliche Gesamtsumme von 25.000 Dollar nicht überschritten werden durfte143. Eine zu starke Abhängigkeit von den amerikanischen Geldern sollte auf diese Weise vermieden werden. Anweisungen, für welche Zwecke das Geld ausgegeben werden sollte, beinhaltete das offizielle Bewilligungsschreiben nicht. In den Briefwechseln mit Jäckh hatte Ruml jedoch betont, dass das LSRM nur Forschungsförderung betreibe und Ausbildungstätigkeiten nicht unterstütze. Die Deklaration als Notbeihilfe ermöglichte es dem LSRM, die weitere Entwicklung der DHfP abzuwarten, ohne langfristige Verpflichtungen einzugehen. Als sich Jäckh für das Jahr 1928 um eine Fortführung der Nothilfe bemühte144 und auf die wachsende wissenschaftliche Anerkennung und die Einrichtung der Akademischen Abteilung verwies145, blieb Fehling bei seiner kritischen Einschätzung. Die Hochschule habe sich zwar gut weiterentwickelt und einige der jüngeren Wissenschaftler seien zu hohem Ansehen gekommen, doch liege der Schwerpunkt weiterhin nicht auf der Forschung, sondern auf „diffusion of knowledge in the field of political science“. Fehling warnte das LSRM: „Most of the items for which funds are requested cannot be classified as research; some are purely instructional in nature and others are definitely political in implication“. Vor allem der vorgeschlagene Austausch zwischen deutschen und französischen Gelehrten und Politikern berühre „problems of internal German policy of a very delicate nature“, sodass „a very unfavorable reaction might be brought about if a grant were made for this propose by American 141 Ebd. 142 Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 209. 143 Vgl. Brief von B. Ruml an Dr. Simons, 18. März 1926, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 51, folder 537. 144 Vgl. Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 210. 145 Vgl. Brief von E. Jäckh an B. Ruml, 29. November 1927, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 51, folder 537.

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Foundations“146. Er erinnerte das Memorial damit an seine eigene Richtlinie, sich nicht direkt für soziale, wirtschaftliche oder politische Reformen einzusetzen. Trotz Fehlings Bedenken wurden der DHfP im April 1928 die beantragten 25.000 Dollar zu den gleichen Konditionen wie 1926 gewährt147. Die Gelder des LSRM investierte die DHfP vor allem in die Finanzierung der Seminare und Forschungsarbeiten der Akademischen Abteilung, Veröffentlichungen und die Bibliotheksausstattung148. Die meisten größeren Forschungs- und Publikationsprojekte der DHfP wurden durch die LSRM-Spende mitfinanziert149. 1928 ermöglichte das Geld die Durchführung einer, zusammen mit dem Institut für Auswärtige Politik organisierten, großen Tagung zu den Problemen der Demokratie150. Auch die Schrift „Politik als Wissenschaft“151 zum zehnjährigen Bestehen der DHfP und vier Aufsatzbände der Reihe „Politische Propädeutik“152 wurden vom LSRM unterstützt153. Die Förderung der DHfP durch das Memorial war ein Sonderfall. Die Hochschule war kein Forschungszentrum, sondern auf Ausbildung und politische Bildung ausgerichtet. Sie legte kein kohärentes Forschungsprogramm vor, sondern erhielt „Nothilfe“ für den Ausgleich seines durch eine Erweiterung der Tätigkeit überzogenen Budgets. Einige der zu fördernden Projekte hatten zudem eine klare politische Ausrichtung. Fehlings Rat, auf den Ruml in der Regel vertraute, wurde in diesem Fall 146 Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 3. Mai 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 51, folder 537. 147 Vgl. Brief von B. Ruml an E. Jäckh, 6. April 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 51, folder 537. 148 Vgl. Voranschlag für das Geschäftsjahr 1928/29 vom 26. Januar 1928, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 51, folder 537. Brief von Dr. Simons an F. B. Stubbs, 11. Juni 1927, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 51, folder 537. 149 Zum Beispiel eine Studie von Gerhard Schulze-Gävernitz über „Grundlagen des Kapitalismus“ (es handelt sich wahrscheinlich um die Studie Schulze-Gävernitz, Gerhart von, Die Maschine in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung, Tübingen, 1930) und das Werk „Probleme der Souveränität“ von Hermann Heller (Heller, Hermann, Die Souveränität. Ein Beitrag zur Theorie des Staats- und Völkerrechts, Berlin, Leipzig, 1927). 150 Die Vorträge der Konferenz wurden in zwei Bänden herausgegeben. Wolfers, Arnold (Hg.), Probleme der Demokratie (Politische Wissenschaft. Schriftenreihe der deutschen Hochschule für Politik in Berlin und des Instituts für auswärtige Politik in Hamburg), Berlin, 1928, Jäckh, Ernst (Hg.), Ausgleich als Schicksal und Aufgabe (Politische Wissenschaft. Schriftenreihe der deutschen Hochschule für Politik in Berlin und des Instituts für auswärtige Politik in Hamburg), Berlin, 1929. Vgl. Eisfeld, Ausgebürgert, S. 58. Zu den unter der Bewilligung des Memorials veröffentlichten Werken siehe auch „List of books published under LSRM-Grant“, o. D., in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 151 Vgl. Jäckh, Ernst (Hg.), Politik als Wissenschaft. Zehn Jahre Deutsche Hochschule für Politik, Berlin, 1930. 152 Vgl. Strunz, Johann (Hg.), Politische Propädeutik (Schriftenreihe im Auftrag der deutschen Hochschule für Politik), Leipzig, 1930. 153 Vgl. Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 217.

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nicht befolgt. Wie erklärt sich diese ungewöhnliche Förderung? Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist die Person Ernst Jäckhs, der als gewandter Netzwerker einen direkten Kontakt zu Ruml aufbauen konnte. Mit großer Hartnäckigkeit wies er auf das Potenzial der Hochschule als deutsches Pendant zur LSE hin. Zudem kamen die internationale Ausrichtung, die Kombination von Ausbildung und Forschung und der aufklärerische, überparteilich-demokratische Anspruch Ruml vermutlich entgegen. Auch die zentrale Lage in Berlin entsprach sicher eher den amerikanischen Vorstellungen als Hamburg oder Heidelberg. So verkörperte die DHfP zwar nicht das Idealbild eines zu fördernden sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts, konnte sich aber dennoch neben der Unterstützung der Carnegie Philanthropie auch die des LSRM sichern. Abgelehnte Fördergesuche und enttäuschte Erwartungen

Neben den drei erfolgreichen Anträgen aus Hamburg, Heidelberg und Berlin gab es auch Ablehnungen. In der Regel versuchte das Memorial, nur ausgewählte Institutionen zur Antragstellung aufzufordern. Einrichtungen, an denen das Memorial kein Interesse hatte, wurde im Vorfeld diskret, und oft durch Fehling, von der Einreichung eines Antrags abgeraten. Als Beispiel hierfür kann die Anfrage Theodor Valentiners, Leiter des „Instituts für Jugendkunde“ in Bremen, gelten. Er bat Fehling 1925 um die Vermittlung eines Kontakts zur Rockefeller Stiftung, um dort die Finanzierung von Studien in „experimental psychology“ zu beantragen. Fehling beschrieb dem LSRM die Bremer Einrichtung als klein und ohne Verbindung zur Universität, sie gehöre nicht zu den „outstanding research places in this field“. Mit Einverständnis des Memorials vertröstete er den Institutsleiter auf einen unbestimmten späteren Zeitpunkt154. Weiterhin wurden außerhalb des Förderprogramms liegende Anträge abgelehnt. Die Universität Köln bat 1925 um einen auf zehn Jahre angelegten Kredit von 3 Millionen RM für die Finanzierung eines Anbaus und betonte im Antrag die große Bedeutung der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät als größter wirtschaftswissenschaftlicher Ausbildungsstätte in Europa. Das LSRM, das weder Kredite vergab noch in den Bau von Gebäuden investierte, lehnte das Gesuch ab155.

154 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 5. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 155 Vgl. Brief von E.  Schmalenbach an Marshall und B.  Ruml, 26.  September 1925 und Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 23. Juli 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Die Rückzahlung des Kredits und die Zahlung der Zinsen sollten von der Stadt Köln übernommen werden. Brief von C. Eckert an die Rockefeller Stiftung, 20. Juni 1925, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 73, folder 767.

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In Hamburg führte eine Vielzahl von Faktoren zur Ablehnung eines Gesuchs des Professors für Überseegeschichte Adolf Rein. Dieser hatte das LSRM 1927 mit Unterstützung Mendelssohn Bartholdys um 10.000 Dollar gebeten, um eine Handbibliothek für das von ihm geplante „Institut für die neuere Geschichte Amerikas“ aufzubauen. Im Hamburger Senat entstand aber das Missverständnis, das Memorial denke an eine längerfristige Zuwendung von 10.000 Dollar jährlich156. Ohne dass ein Antrag gestellt und dessen Bewilligung abgewartet worden wäre, beschlossen Senat und Hamburger Bürgerschaft, dem neuen Institut für drei Jahre je 8000 RM zur Verfügung zu stellen, „solange gewaehrt [sei, dass] der Stipendienausschuss des Spelman-Rockefeller Memorials auch seinerseits den in Aussicht gestellten Betrag (10 000 Dollar jaehrlich) leistet“157. Sobald das LSRM seine Finanzierung beende, müsste das neue Institut geschlossen werden. Fehling brachte dieser Beschluss in eine „gewisse Verlegenheit“158: Das LSRM vermied prinzipiell langfristige Verpflichtungen und sprach Bewilligungen nur für höchstens fünf Jahre und unter der Bedingung aus, dass die Institutionen anschließend aus lokalen Quellen finanziert würden159. Ende 1927 formulierte Rein erneut einen Antrag an das Memorial, in dem er 30.000 Dollar für drei Jahre für den „Ausbau der Amerikaabteilung (Amerika-Seminar)“ an der Universität Hamburg beantragte160. Das Gesuch legte Fehling zunächst den Mitgliedern des Deutschen Komitees für die Vergabe der LSRM-Stipendien zur Begutachtung vor161. Der Historiker Hermann Oncken fragte, ob die Konzentration auf die Literaturbeschaffung bei einer so hohen Summe gerechtfertigt sei und schlug vor, dass sich das Institut neben amerikanischer Geschichte auch mit Volkswirtschaft und Recht beschäftigen und ein allgemeineres Arbeitsprogramm verfolgen solle162. Fehling versprach Oncken, dass Rein ein Arbeitsprogramm aufstellen und die Verwendung des Geldes nicht allein auf die Bücheranschaffungen beschränken würde. Die Aufgabe des Instituts wäre allgemein die Untersuchung von Problemen der 156 Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an A. Mendelssohn Bartholdy, 7. Dezember 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 157 Brief von Dr.  v.  Wrochem an A.  Mendelssohn Bartholdy, 27.  Juli 1927, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 158 Brief von A.  W.  Fehling an A.  Mendelssohn Bartholdy, 19.  August 1927, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 159 Vgl. ebd. 160 Vgl. Brief von A. Rein an A. W. Fehling, 25. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 161 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn Bartholdy, 30. Dezember 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 162 Vgl. Brief von H. Oncken an A. W. Fehling, 18. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14.

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Überseegeschichte. Fehling fügte hinzu: „Ich weiss aus den Erfahrungen anderer Länder, dass man drüben nicht allzusehr geneigt ist, gerade Seminare für Amerikakunde zu unterstützen, um jedes zu vermeiden, dass nach Propaganda aussehen könnte“163. Auch nach diesen Änderungen fand Oncken die Summe noch sehr hoch und schlug außerdem Verbesserungen diplomatischer Natur vor: Auf S. 4 würde ich den Forschungsgegenstand 2. Interessenpolitik und Prinzipienpolitik der Vereinigten Staaten gegenüber Mexiko (1910–1914) streichen. Er ist gewiß interessant, aber er ist sehr delikat und man braucht den Leuten doch nicht nach New York zu schreiben, daß man ihr Geld mit zur Untersuchung ihrer schmutzigen Wäsche verwendet (daß Rein in Hamburg darüber arbeiten läßt, dagegen habe ich natürlich nichts). Um den Plan schmeichelhaft zu machen, würde ich in der Denkschrift auch ausführen, daß eine Sammlung auch allen europäischen Materials über Amerika angestrebt werden soll, […] die auch als Anlaufstelle für amerikanische Anfragen dienen könnte164.

Der Antrag wurde im Februar 1928 mit dem Vermerk, das Komitee halte die von Rein „entwickelten Pläne für wichtig und einer wohlwollenden Prüfung wert“165 nach New York geschickt. Diese mit Bedacht gewählten Worte drückten sowohl die Unterstützung des Gesuchs wie gewisse Vorbehalte aus, womit dem LSRM signalisiert wurde, dass man sowohl eine positive wie auch eine negative Entscheidung akzeptieren würde166. Das Memorial vertagte die Entscheidung bis zu einer zweiten Reise Rumls nach Deutschland im Sommer 1928167. Im Juni 1928, als der Besuch Rumls näher rückte, schrieb Fehling an Mendelssohn Bartholdy, ob es nicht vielleicht besser sei „anzuregen, einen Unterstützungsantrag nicht auf das Institut von Herrn Professor Rein allein zu beschränken, sondern etwa die sonst über angelsächsische Fragen arbeiten-

163 Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 6. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 164 Brief von H. Oncken an A. W. Fehling, 13. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 165 Brief von A. W. Fehling an das LSRM, 24. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. Die Mitglieder des Deutschen Komitees stimmten dem Antrag zu, mit dem Bedenken, dass bei der Höhe der Summe ein allgemeines Arbeitsprogramm zu fordern wäre. Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn-Bartholdy, 24. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 166 Vgl. Antrag von A. Rein an das LSRM, 4. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. Rein wählte schließlich die Formulierung, 30.000 Dollar für den Ausbau des „überseegeschichtlichen Seminars (einschliesslich der Amerika-Abteilung)“ zu beantragen. Das Geld sollte vor allem für die Bibliothek verwendet werden, zudem sollten eine Schreibkraft und ein wissenschaftlicher Hilfsarbeiter eingestellt werden. Ein weiterer Teil der Summe sollte für Druckzuschüsse, Besuche auswärtiger Archive und Bibliotheken und die Beschaffung von Reproduktionen ausgegeben werden. 167 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Rein, 7. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15.

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den Institute, wie Ihr Institut für Auslandsrecht, mit einzubeziehen“168. Er hatte das Gefühl, dass dem Memorial der geforderte Betrag für ein sich noch in den Anfängen befindendes Institut zu hoch erscheinen könnte169. Mendelssohn Bartholdy hoffte daraufhin, das Projekt in den Aufbau eines Instituts für Sozialwissenschaften in Hamburg umwandeln zu können, traf aber bei den Hamburger Professoren auf Ablehnung. Er könne es daher nicht verantworten, Ruml zu „ganz vorläufigen und unverbindlichen Besprechungen mit wahrscheinlich negativem Ergebnis“ nach Hamburg zu rufen, teilte er Fehling in Zurücknahme seiner ursprünglichen Unterstützung mit170. Zu einer Förderung der Pläne Reins durch das LSRM kam es infolgedessen nicht. Ursachen waren die schlecht funktionierende und von Missverständnissen geprägte Kommunikation zwischen den Hamburger Wissenschaftlern und den Vertretern des Memorials, die Natur des Antrags (die hohe beantragte Summe, der Wunsch nach langfristiger Förderung ohne gesicherte Anschlussfinanzierung, die Förderung eines noch in den Anfängen stehenden Instituts) und die halbherzige Unterstützung des Deutschen Komitees und Mendelssohn Bartholdys. Der Bezug zu den sozialwissenschaftlichen Disziplinen war zudem wenig ausgeprägt, und die starke Konzentration auf Amerikastudien entsprach nicht der vom LSRM gewünschten thematischen Ausrichtung. Die genannten Beispiele erfolgreicher und abgelehnter Anträge zeigen die Mechanismen der institutionellen Förderung des LSRM in Deutschland. Die Mitarbeiter des Memorials suchten in Deutschland sozialwissenschaftliche Spitzenforschung, die sie nicht in Universitäten, sondern in kleinen, jungen und institutionell relativ unabhängigen Instituten fanden. Genauso wichtig wie die Institutionen an sich wurden für sie einzelne Forscherpersönlichkeiten wie Alfred Weber oder Albrecht Mendelssohn Bartholdy. Den drei geförderten Einrichtungen war außerdem ein liberales und demokratisches Klima gemein. In die Einzelheiten der geförderten Forschungsprogramme mischte das LSRM sich nicht ein, es erwartete aber in längeren Abständen Berichte über den Fortgang der Arbeiten und die Zusendung der finanzierten Publikationen. Fehling spielte in der Auswahl der zu fördernden Institute eine wichtige, aber, wie das Berliner Beispiel zeigt, keine alles determinierende Rolle. Systematisch wurde er nach seiner Beurteilung von Institutionen und Wissenschaftlern gefragt und in vielen Fällen folgte Ruml seinen Einschätzungen. Die Ablehnung des Gesuchs des Bremer Instituts für Jugendkunde verdeutlicht Fehlings Rolle als „gate keeper“: 168 Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn Bartholdy, 14. Juni 1928, in BAK NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 169 Vgl. ebd. 170 Vgl. Brief von A. B. Mendelssohn Bartholdy an A. W. Fehling, 18. Juli 1928, in BAK NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Es gelang der von Fehling abgelehnten Einrichtung nicht, eine eigene Verbindung zum LSRM aufzubauen.

3. Methodischer Wandel durch Nachwuchs­ förderung: Die sozialwissenschaftlichen Stipendienprogramme des LSRM und des Social Science Research Councils (SSRC)

Die beiden Stipendienprogramme des LSRM, ein amerikanisches und ein europäisches, bildeten neben der institutionellen Förderung den zweiten Grundpfeiler des 1922 von Beardsley Ruml entworfenen Förderprogramms. Sie waren in ihrer quantitativen und geographischen Ausdehnung ein einzigartiges Experiment. Ruml orientierte sich an den Stipendien, die die Rockefeller Foundation seit 1914 in den Bereichen Medizin und Gesundheitswesen und ab 1919 in den Naturwissenschaften vergab. Von den Ergebnissen dieser Programme zeigte er sich stark beeindruckt1. Das Ende 1924 eingeführte „European Fellowship Program“ richtete sich zunächst an junge Briten, Deutsche, Franzosen, Österreicher und Tschechen, denen ein Stipendium für einen Amerikaaufenthalt bewilligt wurde2. Bereits kurze Zeit später wurde das Programm auf weitere Länder ausgedehnt. Zeitgleich entschied sich das LSRM für die Finanzierung eines Stipendienprogramms für amerikanische PostDoktoranden, denen Mittel für Forschungsaufenthalte sowohl in den USA als auch im Ausland zur Verfügung gestellt wurden. Während das Memorial das europäische

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Vgl. Memorandum: Fellowships in the Social Sciences, 15. April 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 678, S. 1. Die ersten Rockefeller Stipendien wurden 1914 durch die China Medical Commission vergeben. Ab 1917 gewährte das International Health Board Stipendien zur Seuchenbekämpfung. 1919 richtete die Division of Medical Education der RF ein Stipendienprogramm für Ausländer in „medical education“ ein. Waren die Stipendien zuerst einzeln bewilligt worden, wurde 1921 von der RF eine Gesamtsumme für Stipendien, Reisekosten und Studiengebühren zur Verfügung gestellt. Vergeben wurden die Fellowships über das International Health Board, das China Medical Board und die Division of Medical Edcuation. Als Studienorte standen sowohl die USA als auch das Ausland, besonders Europa, zur Verfügung. Ab 1922 kamen „resident fellowships“ für junge Mediziner in den USA und „travelling fellowships“ dazu. In Deutschland gab die RF bis 1928 410.000  Dollar für „resident fellowships“ an junge Mediziner aus. In den Naturwissenschaften vergaben RF und GEB Stipendien über den National Research Council. Vgl. T. B. Appleget, Report on Fellowship Programs of the Rockefeller Foundation, 1932, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 318. Vgl. J. J. Coss, G. S. Ford, Report on Fellowships in the Social Sciences Proposed for Establishment in France, Germany, Czecho-Slovakia, Austria, in Memorandum: Fellowships in the Social Sciences, 15. April 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 678, S. 4–5.

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Programm mit der Unterstützung nationaler Landesvertreter selbst verwaltete, übertrug es die Verwaltung des amerikanischen Programms dem SSRC3.

3.1 Zielsetzungen und Richtlinien: Auf der Suche nach dem perfekten „Fellow“ In den Jahren 1924 und 1925 entwickelten die Mitarbeiter des LSRM und des SSRC die Leitlinien beider Stipendienprogramme. Sie definierten die Zielgruppe, entwickelten Auswahlprozeduren und bestimmten Kriterien, an denen der Erfolg der Programme gemessen werden sollte. Die übergeordnete Zielsetzung war für beide Programme die gleiche: Durch die Stipendienvergabe sollte die Entwicklung der empirischen Sozialwissenschaften gestärkt und an den Universitäten fester verankert werden4. Grundlagen und Ziele des europäischen Fellowship-Programms

Beardsley Ruml legte im April 1924 das grundlegende Ziel des europäischen Fellowship-Programms fest: „The purpose of this plan is to bring to the United States unusually able, mature students in the Social Sciences to enable them to secure opportunities for study which are specially adapted to their needs“5. Das Programm richtete sich, gemäß der sich seit 1922 herauskristallisierenden disziplinären Eingrenzung der „social sciences“, in erster Linie an Wirtschafts- und Politikwissenschaftler sowie Soziologen, während in zweiter Linie auch Historiker, Psychologen und Anthropologen in Betracht kamen. Philosophen, Geographen, Juristen und Pädagogen wurden bei außergewöhnlicher Eignung berücksichtigt, wenn ihr Forschungsprojekt in Bezug zu einer der Kerndisziplinen stand6. Ihre Fähigkeit zu „original work“ sollten die Fellows bereits unter Beweis gestellt haben. Während ihres Auslandsaufenthalts sollten sie neue empirische Forschungsmethoden und Ideen kennenlernen und diese nach ihrer Rückkehr im Heimatland, vorzugsweise in einer Führungsposition, wei-

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Vgl. Resume of the Development of the Fellowship Program in the Social Sciences under The Laura Spelman Rockefeller Memorial, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 6. Siehe auch Fisher, Fundamental Development, S. 43. Vgl. T. B. Kittredge (?), Social Science Fellowship Program in Europe – Rockefeller Foundation, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 384, S. 4. Die hier betonte Konzentration auf die USA gab Ruml schon bald auf. Memorandum: Fellowships in the Social Sciences, 15. April 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 678, S. 2. Vgl. ebd.

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tervermitteln7. Neben akademischer „leadership“ dachte das LSRM auch an hohe Positionen im „public service“. Ein erster Studienabschluss („undergraduate degree“) wurde vorausgesetzt, in der Regel sollten junge Doktoren ausgewählt werden. Die europäischen Stipendiaten erhielten an den amerikanischen Universitäten den Status von „research workers“8. Dem ersten Jahrgang der europäischen LSRM-Stipendiaten stand 1924 als Zielland nur die USA zur Verfügung. Ruml plante jedoch ein weltweites Netzwerk von Staaten, die Stipendiaten sowohl empfangen als auch entsenden würden: „Ultimately, the plan should be so organized that a student of proper qualifications might study at any university or institution in the world where he would fine [sic] the most advantageous facilities“9. Das Stipendienprogramm war also keine Einbahnstraße von Europa in die Vereinigten Staaten, sondern auf transnationale Verflechtung angelegt. Um nationalen Besonderheiten Rechnung zu tragen, wurden die Stipendiaten nicht vom LSRM, sondern von den jeweiligen Landesvertretern vorausgewählt. Diese sollten die Bewerber „quiet and without publicity“ begutachten und Empfehlungen aussprechen. Die endgültige Entscheidung lag bei den Trustees des LSRM in New York10. Coss und Ford hatten Ruml Vorschläge für die Ernennung der Landesvertreter gemacht, die dieser ohne Änderungen umsetzte. Für Frankreich wurde der Wirtschaftswissenschaftler Charles Rist11 ausgewählt, für Österreich der Historiker Al­fred F. Pribram12 und für Großbritannien James R. M. Butler, ebenfalls Geschichtswissenschaftler13. Die Tschechoslowakei erhielt zwei „representatives“: Den österreichi7 8 9

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Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 6. Vgl. Memorandum: Fellowships in the Social Sciences, 15. April 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 678, S. 3. Resume of the Development of the Fellowship Program in the Social Sciences under The Laura Spelman Rockefeller Memorial, o.  D., in RAC-RF, RG 1.2, Series  100 ES, box  50, folder  380, S. 6–7. Vgl. Memorandum: Fellowships in the Social Sciences, 15. April 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 678, S. 2. Vgl. Tournès, Penser global, S. 379. Siehe auch Tournès, Ludovic, La fondation Rockefeller et la construction d’une politique des sciences sociales en France (1918–1940), in Annales. Histoire, sciences sociales 63 (2008), S. 1371–1402 (Im Folgenden zitiert als Tournès, La fondation Rockefeller et la construction). Vgl. Feichtinger, Johannes, Wissenschaft zwischen den Kulturen: österreichische Hochschullehrer in der Emigration 1933–1945, Frankfurt am Main, 2001, S. 158 (Im Folgenden zitiert als Feichtinger, Wissenschaft zwischen den Kulturen). Vgl. Darwall-Smith, Robin, A History of University College, Oxford, Oxford, 2008, S. 443, 446. Laut Fleck wurde bereits von Beginn an ein Komitee in England mit der Kandidatenauswahl beauftragt. Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 76. Dieses scheint jedoch erst Anfang der 1930er-Jahre aktiv geworden zu sein.

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schen Nationalökonomen Alfred Ammon für die deutschen und den Prager Professor Joseph Macek für die tschechischen Kandidaten. In Deutschland wurde Fehling von einem Professorenkomitee unter der Leitung Friedrich Schmidt-Otts unterstützt. Alle nationalen Berater wurden zu einer Reise in die USA eingeladen, „in order to become personally acquainted with the institutions in which, and the professors under whom, the Fellows would work“14. 1925 erfolgte, nach einer Erkundungsreise William E. Lingelbachs in Europa, die Ausweitung des Programms auf Italien, die Niederlande, Dänemark, Schweden und Norwegen. Nachdem der Rockefeller Vertreter Edwin R. Embree Australien besucht hatte, wurde auch dieses Land, als außereuropäische Ausnahme, in den Stipendienplan aufgenommen. In Italien konnte das LSRM den Wirtschaftswissenschaftler (und späteren italienischen Staatspräsidenten) Luigi Einaudi gewinnen15, in den Niederlanden übernahm der Mediävist Johan Huizinga16 diese Aufgabe. In Schweden wurde das LSRM von dem Wirtschaftswissenschaftler Gösta Bagge17, in Norwegen von dem Juristen Fredrik Stang und in Dänemark von dem Kopenhagener Professor H. Munch-Petersen18 vertreten. In Australien wurde der Wirtschaftswissenschaftler Douglas Berry Copland zum Landesvertreter ernannt19. Die Landesvertreter erhielten Honorare unterschiedlicher Höhe sowie die Erstattung der mit ihrer Arbeit verbundenen Kosten20. 14 Amonn, Butler, Fehling, Macek und Pribram folgten der Einladung 1924, Rist im Jahr darauf. Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 29. 15 Vgl. Attal, Luigi Einaudi, S. 41–62, Parisi, Daniela, Giovanni Demaria and the Rockefeller Foundation: Seesaw relationships during a thirty-year span (1930–1958), in Storia del Pensiero Economico 2 (2010), S. 81–91, Gemelli, Un imprenditore scientifico, S. 189–202, Da Empoli, Domenico, The Role of the Rockefeller Foundation in the Training of Italian Economists, in Asso, Pier Francesco; Fiorito, Luca (Hgg.), Economics and institutions. Contributions from the history of economic thought. Selected Papers from the 8th Aispe Conference: Contributions from the history of economic thought, Mailand, 2007, S. 406–414. 16 Zu Huizinga und dem deutschen Rockefeller Stipendiaten Christoph Steding vgl. Krumm, Christian, Johan Huizinga, Deutschland und die Deutschen. Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Nachbarn, Münster, 2011, S. 267–275. 17 Vgl. Craver, Gösta Bagge, the Rockefeller Foundation, and Empirical Social Science Research in Sweden, 1924–1940. 18 Zur Förderung der dänischen Sozialwissenschaften vgl. Buus, Indretning og efterretning, S. 51–52, 69–127. 19 Vgl. Resume of the Development of the Fellowship Program in the Social Sciences under The Laura Spelman Rockefeller Memorial, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 9. 20 Butler erhielt das höchste Honorar (insgesamt 11.173 Dollar bis Ende 1928), sein Land stellte auch die meisten Stipendiaten. An zweiter Stelle stand Fehling (9630  Dollar) gefolgt von Rist (9333 Dollar), Huizinga und Einaudi (je 3000 Dollar). Die Mitglieder des Deutschen Komitees

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Aufnahme 1924 Aufnahme 1925

Australien (verkleinert)

Abbildung 3: Das europäische Stipendienprogramm des LSRM: Länder mit Landesvertretern. (Quelle: Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380).

Ab Oktober 1925 galt für die Stipendiaten die freie Länderwahl im Rahmen der teilnehmenden Länder. Ein Länderwechsel während des Stipendiums war bei inhaltlicher Berechtigung möglich21. Weitere geographische Ausweitungen wurden 1926 mit Verweis auf die hohen Verwaltungskosten zurückgestellt22. Als Fehling 1927 die Frage aufwarf, ob nicht auch Forschungsaufenthalte in Mittel- und Südamerika unterstützt werden könnten, entschieden Day und Ruml, „it would be exceedingly difficult to administer such fellowships unless we had some representatives in that general region“23. wurden nicht bezahlt, ihnen wurden aber die Unkosten erstattet. Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 29. 21 Vgl. Resume of the Development of the Fellowship Program in the Social Sciences under The Laura Spelman Rockefeller Memorial, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 8. 22 Vgl. Directors Report, Social Science, 23. Februar 1926, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 676, S. 8. 23 Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 27. Oktober 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13.

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Die Entwicklung von Kriterien und Methoden der Bewerberauswahl überließ das LSRM den Landesvertretern, eine öffentliche Bekanntmachung des Stipendienplans wurde vom LSRM allerdings nicht gewünscht. Die „representatives“ wurden beauftragt, bei jedem Bewerber zu überprüfen, ob ein konkretes Forschungsprojekt vorliege, ob dieses in Verbindung mit der geplanten Karriere des Bewerbers stehe und ob es einen Auslandsaufenthalt erfordere24. Vielversprechende Kandidaten mit originellen Ideen jenseits der traditionellen disziplinären Grenzen waren ausdrücklich erwünscht: The Memorial’s wide interest in the study of human conduct in social groups as we find it embodied in historic institutions, in culture, in economic organizations and in social customs should give you interest in and freedom to recommend any vigorous and well trained student who in the attack on his problem disregards artificial academic or departmental categories and seeks to fuse or synthesize existing knowledge and scholarly technique so far as it has value for his problem. It may well be that the most fruitful research does not fall directly in any one field listed as a social science but in the debatable area, the no man’s land between two or more so called social sciences. If some promising and well equipped applicant has a definite objective in this unexplored terrain you are just as free to recommend him25.

Auf diese Weise baute das Programm zwar einerseits auf universitären Strukturen und disziplinären Grenzen („so called social sciences“) auf, versuchte aber gleichzeitig diese zu verändern, bzw. zu überwinden. In der Praxis schickten die Landesvertreter die Unterlagen der ausgewählten Bewerber mit einem befürwortenden Gutachten nach New York. Die Bewerbungen umfassten ein „Personal History Record“ mit Angaben zu Identität, Forschungsthema, gewünschten Studienorten und Namen der Wissenschaftler, mit denen Kontakt aufgenommen werden sollte, eine Photographie, Abschriften der Zeugnisse und Diplome, Gutachten sowie ein ärztliches und zahnärztliches Attest. Das LSRM begutachtete die eingesandten Unterlagen „from the point of view of the field of work, subject of study selected by the candidate, and his competence for the work indicated“26.

24 Vgl. The Laura Spelman Rockefeller Memorial, General Instructions to Representatives in the Selection of Travelling Fellows in the Social Sciences, in LB Oldenburg, NL H.  Schumacher, HS 362.2200, Blatt 2, Anlage 1, S. 1–2. 25 The Laura Spelman Rockefeller Memorial, General Instructions to Representatives in the Selection of Travelling Fellows in the Social Sciences, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 2, Anlage 1, S. 2. 26 Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 1.

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Wählte ein europäischer Stipendiat ein europäisches Gastland, prüfte der „originating representative“ zuerst, ob für die Durchführung der Forschungsaufgabe der Aufenthalt im gewählten Gastland erforderlich war, ob der Bewerber charakterlich für Studien in dem betreffenden Land geeignet schien und ob die erforderlichen Sprachkenntnisse vorlagen und die Einarbeitung in die verfügbare Literatur erfolgt war. Die Bewerbungsunterlagen wurden anschließend mit Bitte um Kommentierung an den Vertreter des Studienlandes geschickt. Der „receiving representative“ konnte Verbesserungsvorschläge unterbreiten, wenn er der Meinung war, der Bewerber könne auf Schwierigkeiten oder Hindernisse im Hinblick auf Forschungsaufgabe oder Studienort stoßen. Der aufnehmende Landesvertreter versicherte sich auch, dass der Fellow in den gewählten Einrichtungen willkommen war und legte die Höhe des monatlichen Stipendiums fest. Außerdem gehörte es zu seinen Aufgaben, dem LSRM den genauen Ankunftstag des Stipendiaten zu telegraphieren27. Alle Zahlungen an Stipendiaten wurden direkt von New York aus durchgeführt28. Wollte ein Fellow sein Gastland wechseln, wurde der Landesvertreter des neuen Gastlandes ebenfalls um eine Stellungnahme gebeten29. Das Heimatland wurde als Studienland ausgeschlossen. Reisen in Länder ohne nationalen Vertreter wurden nur „students of known ability and competence who have specific projects requiring such travel“ bewilligt30. Bewerber aus Ländern ohne nationalen Vertreter wurden ebenfalls nur in Ausnahmefällen berücksichtigt. Hier holte das LSRM selbst Erkundigungen ein oder übertrug diese Aufgabe dem Landesvertreter eines anderen Landes31. Einzelne Jugoslawen, Mexikaner, Syrer und Chinesen erhielten Stipendien, der Großteil der Stipendien entfiel aber auf die regulär ins Programm aufgenommenen Länder. In die USA reisende Stipendiaten wurden im Hafen von New York von einem Mitarbeiter des LSRM abgeholt und in einem Hotel untergebracht. Erst nach einem Gespräch mit den LSRM Officers wurde der erste Studienort endgültig festgelegt. 27 Vgl. The Laura Spelman Rockefeller Memorial, General Institutions to Representatives in the Selection of Travelling Fellows in the Social Sciences, 1. April 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 6–9. 28 Vgl. Travelling Fellowships in Countries other than the United States, o. D., o. Verf., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 4. 29 Vgl. The Laura Spelman Rockefeller Memorial, General Institutions to Representatives in the Selection of Travelling Fellows in the Social Sciences, 1. April 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 9. 30 Travelling Fellowships in Countries other than the United States, o. D., o. Verf., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 6. 31 Siehe als Beispiel den Brief von B. Ruml an A. W. Fehling, 28. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9, zur Bewerbung des Jugoslawen Radoje Vouktchevitch aus Belgrad, der sich um ein Stipendium für einen Aufenthalt an der London School of Economics bewarb.

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Die Kontaktaufnahme mit der gewählten Universität erfolgte in der Regel durch das LSRM32. Die Verwaltung der Stipendien und die wissenschaftliche Beratung der Fellows in New York übernahm bis Oktober 1927 Lawrence K. Frank33 und anschließend Edmund E. Day. Für die Abwicklung der finanziellen Angelegenheiten des LSRM, einschließlich der Auszahlung der Stipendien, war Frank B. Stubbs zuständig34. In den europäischen Ländern wurden die Stipendiaten von den jeweiligen Landesvertretern beraten35. Von 1924 bis 1928 bewilligte das LSRM 178 Bewerbern aus 22 Ländern ein Stipendium. Großbritannien entsandte mit 53 Stipendiaten das größte Kontingent36, gefolgt von 25 Deutschen, 19 Franzosen, 14 Tschechen, zwölf Österreichern, neun Niederländern und acht Italienern. Aus den USA, Ungarn, Jugoslawien und Schweden kamen jeweils drei bis fünf Stipendiaten, aus Rumänien, der Schweiz und Syrien je zwei und aus Bulgarien, Mexiko, Polen und der Türkei je einer. Unter den Stipendiaten befanden sich 33 Frauen. Als Gastland wählten von 159 Stipendiaten, die ihr Stipendium bis Ende 1928 begonnen hatten, 64,2 % die USA, 17,6 % gingen sowohl in die USA als auch nach Europa, während sich 18,2 % nur in Europa aufhielten. Dort waren die beliebtesten Länder England, Deutschland und Frankreich, gefolgt von der Schweiz, Italien und Österreich. Die meisten LSRM-Stipendien wurden in den Wirtschaftswissenschaften (66), der Soziologie (23) und den Politikwissenschaften (20) vergeben, es folgten Geschichte (18), „Social Work and Technology“ (10) und Psychologie (9). Durchschnittlich waren die Stipendiaten des Memorials 28 Jahre alt37. Die meisten Bewilligungen wurden im Jahr 1927 ausgesprochen. Die LSRM-Stipendiaten erhielten in den USA ein Grundstipendium von 1800 Dollar im Jahr38 und in Europa einen entsprechenden Betrag in der Landes32 Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 3. 33 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an P.  Kehr, 16.  Februar 1927, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 11. Frank war vor allem ein Spezialist für „child study“. Zu Frank siehe auch Bryson, Dennis R., Lawrence K. Frank, Knowledge, and the Production of the „Social“, in Poetics Today 19 (1998), S. 401–421. 34 Außerdem war Charlotte A. Hanes als Fellowship-Sekretärin an der Verwaltung des Programms beteiligt. Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an F.  Grüger, 21.  Dezember 1927, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 35 Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 3. 36 32 waren Engländer, sieben Schotten, sechs Iren, fünf Waliser, zwei Kanadier und einer Südafrikaner. 37 Vgl. Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, S. 11, 16, 19, 22. 38 Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 3.

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Anzahl der Neubewilligungen

60 50 40 30 20 10 0

1924

1925

1926 Jahr

1927

1928

Abbildung 4: Die jährliche Anzahl an Neubewilligungen im europäischen Stipendienprogramm des LSRM, 1924–1928. (Quelle: Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 11).

währung. Während die Stipendiaten in den USA ihre Stipendienrate monatlich im Voraus bekamen, erhielten die Fellows in Europa die ersten drei Monatszahlungen zu Beginn des Stipendiums, anschließend wurde das Stipendium am Monatsanfang in der Form eines in der Landeswährung ausgestellten „Letter of Credit“39 ausgezahlt40. Die Mindestlänge des Stipendiums betrug ein Jahr, wobei das LSRM, besonders für die Vereinigten Staaten, einen zweijährigen Aufenthalt empfahl41. Das Stipendium wurde in der Regel zu Beginn des Studienjahres im September oder Oktober angetreten. Es begann am Tag der Ankunft am Studienplatz und endete am Tag der Abfahrt. Für die direkte An- und Abreise erhielten die Fellows eine Erstattung der Reisekosten. Innerhalb der Vereinigten Staaten erstattete das Memorial im Zusammenhang mit der Forschungsaufgabe genehmigte Reisen. Außerdem ermöglichte es den Stipendiaten eine längere Sommerreise durch die USA zwischen dem ersten und dem zweiten Stipendienjahr, für die 420 Dollar zur Verfügung gestellt wurden42. Im Falle der 39 Vgl. A. W. Fehling, Merkblatt für die Amerikastipendien des Laura Spelman Rockefeller Memorials, o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 2. 40 Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 2. 41 Vgl. The Laura Spelman Rockefeller Memorial, General Instructions to Representatives in the Selection of Travelling Fellows in the Social Sciences, in LB Oldenburg, NL H.  Schumacher, HS 362.2200, Blatt 2, Anlage 1, S. 4. 42 Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 4–5.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Bewilligung eines dritten Jahres bezahlte das LSRM eine Heimfahrt nach dem zweiten Stipendienjahr43. In Europa wurde den Stipendiaten nur die An- und Abreise zum Studienplatz bezahlt, weitere Reisekosten wurden nicht erstattet. Auch Studienund Einschreibegebühren übernahm das LSRM nur in den Vereinigten Staaten44. Eine Abrechnung über das monatliche Stipendium wurde nicht verlangt, auch für die Reisekostenerstattung wurde keine detaillierte Kostenaufstellung gefordert45. Verheiratete Fellows erhielten bis zu 1200 Dollar jährlich für den Familienunterhalt46. Ihnen wurde geraten, Ehefrauen und Kinder im Heimatland zurückzulassen, wenn keine eigenen finanziellen Mittel für Reise- und Unterhaltskosten im Gastland zur Verfügung standen. Man befürchtete, dass die Kosten und die Suche einer angemessenen Unterkunft den Fellow von der Nutzung der mit der Bewilligung verbundenen Möglichkeiten abhalten könnten47. Reisekosten für Familienmitglieder wurden in keinem Fall übernommen48. Die Stipendiaten waren verpflichtet, dem Memorial einen kurzen jährlichen Bericht über ihre wissenschaftliche Arbeit und ihre Aktivitäten zuzusenden, in dem folgende Punkte behandelt werden sollten: (a) Subjects studied, with dates and places. (b) Environment: Your experience and relationships with fellow students, teachers and citizens of the country in which you have studied. What special advantage or difficulties have you encountered? (c)  Expenses: Is the present Fellowship stipend sufficient to meet your necessary expenses? (d) General: Any suggestions relative to the conduct of the Fellowship program will be appreciated49.

Der Abschluss des Forschungsprojekts oder Veröffentlichungen wurden von den Stipendiaten nicht erwartet. Die Fellows verpflichteten sich jedoch, den jeweiligen Anforderungen der Gastinstitutionen zu entsprechen, etwa in Bezug auf die Teilnahme 43 Vgl. Memorandum: Fellowships in the Social Sciences, 15. April 1924, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 63, folder 678, S. 3. 44 Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 5. 45 Vgl. A. W. Fehling, Merkblatt für die Amerikastipendien des Laura Spelman Rockefeller Memorials, o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 2. 46 Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 3. 47 Vgl. The Laura Spelman Rockefeller Memorial, Bulletin of Information for Recipients of Fellowships, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 2, Anlage 2, S. 3. 48 Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 4. 49 The Laura Spelman Rockefeller Memorial, Bulletin of Information for Recipients of Fellowships, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 2, Anlage 2, S. 3.

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an Lehrveranstaltungen und Prüfungen. Das LSRM behielt sich vor, eine Stipendienbewilligung zurückzuziehen „in case of conduct that is, in the opinion of the officers, unbecoming to the holder of a Fellowship“50. Die Landesvertreter wurden angewiesen, die zukünftigen Stipendiaten auf die amerikanischen Einreisebestimmungen hinzuweisen: „No student must come thinking that he or she can augment their income by lecturing, teaching or any gainful employment. Such activity is prohibited under the immigration act governing the admission for foreign students“51. Die Stipendiaten erhielten, nach den Regelungen des restriktiven United States Immigration Act von 1924, eine Einreiseerlaubnis als „bona fide students“ und „non-quota immigrants“, die es ihnen erlaubte, so lange in den USA zu bleiben, wie sie an einer akkreditierten Bildungseinrichtung, in diesem Fall dem LSRM, studierten. Nach erfolgter Bewilligung des Stipendiums konnten die Fellows beim jeweiligen amerikanischen Konsulat ein Visum beantragen52. In den ersten Jahren des Stipendienprogramms stand es europäischen Stipendiaten, deren Studienort ein englischsprachiges Land war, frei, an einem drei- bis viermonatigen Englischkurs an der London School of Economics teilzunehmen. Der Kurs sollte der Verbesserung der mündlichen Sprachkenntnisse dienen, ausreichende schriftliche Beherrschung der Sprache wurde vorausgesetzt53. Den Fellows für nicht englischsprachige Länder wurde angeboten, den Sommer vor dem Beginn der Forschungsarbeiten im Gastland zu verbringen. Zwei Monate konnten zur Vervollkommnung der Sprachkenntnisse genutzt werden, wurden allerdings auf die Gesamtzeit des Stipendiums angerechnet54. Zusätzlich zu den Stipendien für Nachwuchswissenschaftler experimentierte das LSRM kurzzeitig mit „visiting professorships“ für fortgeschrittene Wissenschaftler. Diese wurden zu einer Forschungsreise durch die USA eingeladen. In Deutschland erhielten Adolf Rein von der Universität Hamburg und Wilhelm Röpke von der Universität Jena im Jahr 1926/27 ein solches Stipendium55. Das Programm wurde 50 Ebd., S. 3–4. 51 The Laura Spelman Rockefeller Memorial. General Instructions to Representatives in the Selection of Travelling Fellows in the Social Sciences, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 2, Anlage 1, S. 5. 52 Vgl. The Laura Spelman Rockefeller Memorial, United States Immigration Requirements, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 2. 53 Vgl. A. W. Fehling, Merkblatt für die Amerikastipendien des Laura Spelman Rockefeller Memorials, o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 2–3. 54 Vgl. The Laura Spelman Rockefeller Memorial, General Institutions to Representatives in the Selection of Travelling Fellows in the Social Sciences, 1. April 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 2. 55 Vgl. Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, fol-

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Ausgaben in tausend US-Dollar

250 200 150 100 50 0

1924

1925

1926 Jahr

1927

1928

Abbildung 5: Ausgaben des LSRM für das europäische Stipendienprogramm in den Sozialwissenschaften, 1924–1928. (Quelle: Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 13).

anschließend nicht fortgeführt. Fehling vermutete, dass dies an der extensiven Ausnutzung des Programmes durch einige Professoren und praktische Schwierigkeiten bei deren Auswahl durch die Landesvertreter lag56. Die Kosten für das gesamte europäische Stipendienprogramm beliefen sich Ende 1928 auf knapp 700.000 Dollar. Von dieser Summe wurden 562.200 Dollar für Stipendien, 78.700 Dollar für die „fellowship representatives“ und 38.500 Dollar für „visiting professors“ ausgegeben. Knapp 3000 Dollar gingen in die Verwaltung des Programms und 5800 Dollar an die LSE für die Durchführung der Sprachkurse. Das LSRM rechnete monatliche Kosten von durchschnittlich 235 Dollar pro Stipendiat aus57. Ein etwas weniger geheimes Programm: Die Fellowships des SSRC

Während die Verwaltung des europäischen Stipendienprogramms in enger Kooperation der Mitarbeiter des LSRM und der Landesvertreter durchgeführt wurde, fand der 380, S. 30. 56 Vgl. A. W. Fehling, Bemerkungen zum Fragebogen des Memorials, o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 3. 57 Vgl. Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 18, 26.

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die Verwaltung des amerikanischen Stipendienprogramms durch den SSRC auf nationaler Ebene statt. Das LSRM stellte dem SSRC im Dezember 1924 425.000 Dollar für einen im Juli 1925 beginnenden fünfjährigen Zeitraum zur Verfügung58. Die Verwaltung der Stipendien wurde einem dreiköpfigen Komitee unter Vorsitz des Wirtschaftswissenschaftlers Wesley C. Mitchell übertragen59. Die SSRC-Stipendien wurden an Sozialwissenschaftler verliehen, auf eine nähere disziplinäre Eingrenzung wurde anfangs verzichtet60. Das Programm richtete sich an amerikanische und kanadische Post-Doktoranden, die sich für Forschungsvorhaben im In- und Ausland bewerben konnten61. In diesem strategisch wichtigen Moment der universitären Karriere sollte jungen Dozenten, denen ihre institutionellen Verpflichtungen kaum Zeit für empirische Forschungen ließen, die Möglichkeit gegeben werden, sich zu „real research men“ zu entwickeln. „The most hopeful sign in social science is the growing tendency to be objective, to use quantitative materials, to devise methods of precise measurement, and to invent a technique for the collection and handling of facts“62, heißt es in einem Projektvorschlag des SSRC. Wie das LSRM versuchte auch der SSRC disziplinäre Grenzen zu überwinden und durch die Stipendiatenvergabe eine verstärkte Zusammenarbeit der im SSRC vertretenen Disziplinen zu erreichen63. Im Zentrum des Programms stand die methodische Ausbildung, weniger die Umsetzung eines konkreten Forschungsprojekts64. Bei der Bekanntmachung konnte der SSRC sich auf seine Mitgliedsorganisationen, unter anderem die „American Political Science Association“, die „American Economic Association“ und die „American Sociology Society“, stützen. Für den ersten Jahrgang gingen 1925 107 Bewerbungen ein, aus denen 15 Stipendiaten ausgewählt 58 Vgl. Resume of the Development of the Fellowship Program in the Social Sciences under The Laura Spelman Rockefeller Memorial, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 6. Siehe auch Fisher, Fundamental Development, S. 43. 59 Dem Komitee gehörten außerdem der Politikwissenschaftler Charles E. Merriam und als Ge­schäfts­ führer der Soziologe Francis Stuart Chapin an. Vgl. SSRC, Council Minutes, 31. Dezember 1914, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020. 60 Im SSRC war zunächst vorgeschlagen worden, den einzelnen sozialwissenschaftlichen Disziplinen bestimmte Quoten zuzuweisen. Dies lehnte Ruml ab, sodass die ursprünglichen Pläne geändert wurden. Vgl. Fisher, Fundamental Development, S. 44. 61 Vgl. Brief von G. E. Vincent an E. E. Day, 16. Januar 1929, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 375, S. 2. 62 J. R. Commons, E. E. Day, W. F. Ogburn, A. B. Hall, A suggested plan for petition for post doctorate fellowships to be used for the recruiting and training of research scholars in the social sciences, 29. November 1924, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020. 63 W.  C.  Mitchell, Report of the Committee on Research Fellowships, 28.  März 1925, in RACSSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020. 64 Vgl. Donald Slesinger, Report of Donald Slesinger to the Fellowship Committee, SSRC, Council

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wurden. Acht von ihnen blieben in den USA, sechs reisten nach Europa und einer kombinierte beides. Die erfolgreichen Bewerber waren zumeist promovierte Männer und Frauen, die bereits mehrjährige Erfahrungen in Lehre und Forschung vorweisen konnten. Das Komitee hatte beschlossen, diese Altersgruppe besonders zu berücksichtigen, da für sie nur wenige Stipendien angeboten wurden. Die SSRC-Stipendiaten erhielten zwischen 1500 und 3500 Dollar im Jahr, wobei der Betrag vom Komitee individuell festgelegt wurde. Zusätzlich konnten Reisekosten oder besondere Zuschüsse bewilligt werden. Im Unterschied zu den LSRMStipendien beschwerten sich einige SSRC-Stipendiaten über die geringe Dotierung, einige nahmen während der Stipendienzeit Kredite auf65. Forschungsaufgaben und Studienplätze waren vielfältig: Während Luther Lee Bernard „Family Disorganization as a Socially Inherited Behavior Pattern“ in Chicago erforschte, arbeitete Charles Warren Everett in London über das Leben Jeremy Benthams. Harold F. Gosnell plante, in den USA, England, Frankreich, Belgien und Deutschland „Factors Determining the Extent of Popular Participation in Elections in Typical European States“ zu bestimmen66. Im Dezember 1925 stellte das Stipendien-Komitee einen „Travelling Secretary“ ein, der evaluierende Interviews mit den Bewerbern führte67. Ein Jahr später wurde das Komitee auf fünf Personen vergrößert68. Waren die Vergaberegeln 1925 sehr offen gehalten, setzten sich nun strengere Kriterien durch. Der ideale Stipendiat sollte zwischen 25 und 35 Jahre alt sein, einen Doktortitel erlangt haben und die amerikanische oder kanadische Staatsbürgerschaft besitzen. Auch die Disziplinen wurden 65 66 67

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Agenda, 6. April 1929, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020, S. 1. Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 9. Vgl. W. C. Mitchell, Report of the Committee on Research Fellowships, 28. März 1925, in RACSSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020. Vgl. Ch. E. Merriam, F. S. Chapin, W. C. Mitchell, Annual Report of the Committee on Research Fellowships to the Social Science Research Council, 3.  April 1926, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020. Der Sozialpsychologe Floyd H. Allport und der Historiker Arthur M. Schlesinger wurden vom SSRC in das Gremium gewählt. Als Merriam und Allport 1928 ausschieden, wurden sie durch R. C. Brooks und V. A. C. Henmon ersetzt. Als der „Travelling Secretary“ Saunders eine Stelle an der University of Wisconsin annahm, wurde die Stelle erst mit Donald Slesinger, dann mit John Van Sickle, zuvor Associate Professor an der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der University of Michigan, besetzt. Vgl. SSRC, Council Minutes, 18. Dezember 1926, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020. SSRC, Council Minutes, 7. April 1928, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020. SSRC, Council Minutes, 21. Januar 1928, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020. The Social Science Research Council, Annual Report 1927–1928, New York, 1928, S. 31.

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eingegrenzt, indem die Bibliotheks- und Sprachwissenschaften ausgeschlossen wurden. 1929 wurde festgelegt, dass Stipendien nur in Anthropologie, Wirtschaftswissenschaften, Geschichte, Politikwissenschaften, Psychologie, Soziologie und Statistik sowie verwandten Feldern wie Rechtswissenschaft und Humangeographie vergeben wurden69. Die Stipendiaten mussten dem Komitee vierteljährlich über den Fortgang ihrer Arbeit berichten70. Zwischen 1925 und 1929 variierte die Anzahl der vergebenen Stipendien zwischen zwölf und 26 pro Jahr, insgesamt wurden bei 363 Bewerbungen 87 Stipendien vergeben. Über die Hälfte der Stipendiaten waren an der University of Chicago (20,6 %), der Columbia University (19,5 %) und der Harvard University (15 %) ausgebildet worden oder hatten an diesen Institutionen ihren höchsten akademischen Abschluss erreicht. Unter den 87 Stipendiaten waren 21 Wirtschaftswissenschaftler, 18 Historiker, 14 Politikwissenschaftler, jeweils acht Psychologen und Soziologen, sechs Anthropologen, vier Rechtswissenschaftler und je zwei Statistiker und Geographen. Im Vergleich zum europäischen Programm fällt besonders die stärkere Stellung der Geschichte auf. Die meisten Fellows erhielten eine einjährige Bewilligung, Verlängerungen wurden seltener als im europäischen Stipendienprogramm ausgesprochen71. Bis Mitte 1929 gab das LSRM über den SSRC knapp 320.000 Dollar für das amerikanische Programm aus, das heißt deutlich weniger als für den europäischen Stipendienplan (700.000 Dollar)72. Wegen der aus Sicht des SSRC-Komitees unbefriedigenden Bewerberlage wurde der zur Verfügung stehende Betrag von 425.000 Dollar nicht ausgeschöpft73. Gemeinsam war den Programmen von LSRM und SSRC das Ziel, empirische und induktive Forschungsansätze durch Nachwuchsförderung zu stärken. In der Auswahl der Fellows spielten persönliche Gespräche mit den Bewerbern, aber auch die eingereichten Unterlagen und vertrauliche Stellungnahmen von Professoren eine große Rolle. Während das Memorial auf die Durchführung einer klar definierten 69 Vgl. Donald Slesinger, Report of Donald Slesinger to the Fellowship Committee, SSRC, Council Agenda, 6. April 1929, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020, S. 1. 70 Vgl. C. Merriam, F. Stuart Chapin, W. C. Mitchell, Annual Report of the Committee on Research Fellowships to the Social Science Research Council, 3.  April 1926, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020, S. 9. 71 Vgl. Report of the Committee on Research Fellowships in the Social Science, Appendix N-99, Council, 25.–31.  August 1939, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series  7.002, box 339, folder 2020. 72 Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317, S. 9. 73 Vgl. Donald Slesinger, Report of Donald Slesinger to the Fellowship Committee, SSRC, Council Agenda, 6. April 1929, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020, S. 4.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Forschungsaufgabe großen Wert legte, stand im SSRC-Programm die Methodenvermittlung an erster Stelle. Die vom LSRM eingeführte Hierarchisierung der sozialwissenschaftlichen Disziplinen wurde vom SSRC nicht übernommen. Galten für die europäischen Stipendiaten in den USA einheitliche Stipendiensätze, wurde die Höhe der Bewilligung für die SSRC-Fellows individuell bemessen. Der Soziologe Christian Fleck hat den ersten Jahrgang der LSRM-Fellows mit dem der SSRC-Stipendiaten verglichen und betont, dass die SSRC-Fellows im Schnitt vier Jahre älter waren und bei Antritt ihres Stipendiums mehrheitlich bereits eine universitäre Position innehatten. Die Zahl der Stipendiaten, die später keine wissenschaftliche Karriere verfolgten, sei beim SSRC geringer gewesen als beim Memorial. In Bezug auf künftige „leadership“ sei der SSRC daher erfolgreicher gewesen. Fleck schließt aus dem Vergleich, dass die „Institutionalisierung der Sozialwissenschaften und die Professionalisierung ihrer Nachwuchsausbildung in den USA Mitte der 1920er-Jahre weiter vorangeschritten war“74 als in Europa75.

3.2 Die Entsendung deutscher Stipendiaten ins Ausland: Eine deutsch-amerikanische Koproduktion Mit 25 deutschen LSRM-Stipendiaten, die zwischen 1925 und 1928 ins Ausland gingen, stand Deutschland im europäischen Stipendienprogramm an zweiter Stelle der Fellows entsendenden Länder. Die USA wurden von 20 der deutschen Stipendiaten als Gastland gewählt, zwölf von ihnen kombinierten ihre dortige Tätigkeit mit einem Aufenthalt in England, einer verband seine Forschungen mit Besuchen in England und Italien und einer arbeitete auch in England und Frankreich. Zwei der Fellows besuchten ausschließlich England, eine Stipendiatin England und die Schweiz und ein Stipendiat die Niederlande, während ein weiterer Schweden, die Schweiz und England aufsuchte. Der Aufenthalt in England erklärt sich in den meisten Fällen durch den dort angebotenen Sprachkurs an der London School of Economics, die Schweiz war wegen der internationalen Institutionen in Genf beliebt76.

74 Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 86–90, Zitat S. 90. 75 Ab 1924 finanzierte das LSRM ein drittes Stipendienprogramm im Bereich „child study“, in Zusammenarbeit mit dem „Committee on Child Development“ des National Research Council sowie des „Council on Parental Education“. Auf dieses Programm kann hier jedoch nicht weiter eingegangen werden. Vgl. Memorandum on the Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellowships – Social Sciences, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 317. 76 Vgl. Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 19.

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Die Grundlagen für die Stipendienverwaltung in Deutschland hatten Ford und Coss im März 1924 in ihren Gesprächen mit Schmidt-Ott und Fehling in der Notgemeinschaft festgelegt. Nicht der Landesvertreter allein sollte die Vorauswahl der deutschen Bewerber vornehmen, sondern ein fünfköpfiges ehrenamtlich tätiges Komitee unter der Leitung Schmidt-Otts. Auch die Zusammensetzung des Gremiums wurde in Berlin entschieden, zumindest wird in dem im Februar 1925 versandten Berufungsschreiben an den Historiker Hermann Oncken auf eine im März 1924 gegebene Zustimmung verwiesen77. Dieses Arrangement erwies sich als sehr haltbar – das Deutsche Komitee wurde in derselben Besetzung bis zur Beendigung des Programms beibehalten. Das Memorial mischte sich in die Details der Bewerberauswahl nur wenig ein. So hielt es Ruml nicht für notwendig, während seiner Deutschlandreise 1925 einige der Kandidaten kennenzulernen78. Mit einer Ausnahme wurden alle zwischen 1925 und 1928 vom Komitee empfohlenen Bewerber vom LSRM akzeptiert79. Das Komitee zur Vorauswahl der Bewerber: Eine Ausnahme für Deutschland

Nur in Deutschland wurde die Vorauswahl der Bewerber einem Komitee übertragen, in den anderen europäischen Ländern wurde sie direkt von den Landesvertretern vorgenommen80. Die Einrichtung des Deutschen Komitees ermöglichte es dem 77 In dem Brief an H. Oncken, in dem er aufgefordert wird, dem Komitee beizutreten, wird darauf verwiesen, dass Oncken Coss und Ford im März 1924 mitgeteilt habe, sich an dem geplanten Stipendienprogramm beteiligen zu wollen. Vgl. Brief von B. Ruml an H. Oncken, 13. Februar 1925, in Niedersächsisches Landesarchiv, NL H. Oncken 271–14, Nr. 684 (Berufung Onckens, 1907– 1941). 78 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 11. Juni 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 7. 79 Der Kandidatin Renate von Heinemann wurde das Stipendium 1928 zur Überraschung der Komitee-Mitglieder nicht gewährt. Neben dem LSRM vergab auch das International Education Board (IEB) in den 1920er-Jahren Stipendien an europäische Wissenschaftler. Die Bewilligungen erfolgten überwiegend in den Naturwissenschaften, aber auch in den Bereichen „agricultural economics“ und „rural sociology“. Ingesamt wurden zwischen 1925 und 1928 22 Stipendien vergeben, davon 16 an Europäer. Unter ihnen war ein Deutscher, I. Fauser, der 1924 ein Stipendium erhielt. 1929 wurde das Programm von der Rockefeller Foundation weitergeführt, wobei die naturwissenschftliche Abteilung die Verwaltung übernahm, die Stipendien für „agricultural and rural sociology problems“ jedoch in die sozialwissenschaftliche Abteilung überführt wurden. Vgl. T. B. Kittredge (?), Social Science Fellowship Program in Europe – Rockefeller Foundation, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 384, S. 5. T. B. Kittredge, Social Science Fellowship Appointments, 1924–1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 383. Vgl. auch Coben, Foundation officials and fellowships, S. 229. 80 Ein in Großbritannien eingerichtetes Komitee scheint erst Anfang der 1930er-Jahre aktiv geworden zu sein.

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Memorial, die Vorauswahl der Stipendiaten mehreren Personen zu übertragen. Dem Landesvertreter Fehling fehlte es an wissenschaftlicher Reputation und institutionellem Einfluss, um Entscheidungen gegenüber gestandenen Universitätsprofessoren durchzusetzen. Schmidt-Ott hatte als Präsident der Notgemeinschaft weder die Zeit noch das Interesse, die Vorauswahl zu übernehmen. Vielleicht erschien die deutsche sozialwissenschaftliche Forschungslandschaft den Vertretern des LSRM auch als zu fragmentiert, um die Entscheidungsgewalt einem einzelnen Sozialwissenschaftler zu übertragen. Möglicherweise spiegelte sich in der Einsetzung des Komitees aber auch eine besondere Wertschätzung der deutschen Wissenschaft wider, die vor dem Ersten Weltkrieg vielen amerikanischen Gelehrten als Ideal galt. Die Einrichtung des Professorenkomitees hatte viele Vorteile: Das wissenschaftliche Prestige der Mitglieder sicherte die Akzeptanz der Entscheidungen unter der deutschen Professorenschaft, verschiedene Fachrichtungen waren vertreten und die kollektive Form erschwerte Außenstehenden Kritik an einzelnen Mitgliedern und Entscheidungen. Es ist wenig erstaunlich, dass die Präsidentschaft des Deutschen Komitees dem 65-jährigen Friedrich Schmidt-Ott übertragen wurde, denn er verfügte bereits über enge Verbindungen zur Rockefeller Philanthropie. Außerdem ermöglichte er dem LSRM eine stete Verbindung zum Verwaltungsapparat der Notgemeinschaft. Er war als erfahrener Wissenschaftsorganisator mit gutem Überblick über die deutsche Forschungslandschaft bekannt. Bestand unter den Komitee-Mitgliedern Uneinigkeit, wurde Schmidt-Ott die endgültige Entscheidung überlassen. Er repräsentierte das Komitee nach außen und führte in Ausnahmefällen von besonderer Relevanz oder in schwierigen Angelegenheit die Korrespondenz. In den meisten Fällen ließ er Fehling jedoch „freie Hand“81. Auch die Berufung des liberalen und weltoffenen Albrecht Mendelssohn Bartholdy überrascht nicht. Der hoch angesehene Völkerrechtler, „Pionier der deutschen Friedensforschung“82 und Direktor des Instituts für Auswärtige Politik, setzte sich für gewaltfreie Konfliktregelungen durch Völkerbund und internationale Schiedsgerichtsbarkeit ein, engagierte sich für die Demokratisierung der deutschen Gesellschaft83 und stand empirischer Forschung aufgeschlossen gegenüber. Sein Schüler Fritz Morstein Marx bezeichnete ihn als einen der Gelehrten, die „neue Wege suchten, vor allem solche, die aus dem Trümmerhaufen des deutschen geisteswissenschaftlichen Historizismus älterer Prägung“ hinausführten, ohne sich auf ein „allein selig-

81 Brief von A. W. Fehling an J. J. Coss, 18. März 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 7. 82 Lackmann, Thomas, Albrecht Mendelssohn Bartholdy. Völkerrechtler und Pionier der deutschen Friedensforschung ( Jüdische Miniaturen 169), Berlin, 2015. 83 Vgl. Gantzel-Kress, Gisela, Mendelssohn Bartholdy, Albrecht, in NDB 17 (1994), S. 62–63.

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machendes Rezept“ zu beschränken84. Im Komitee setzte sich Mendelssohn Bartholdy besonders für junge Wissenschaftler direkt nach der Promotion und Frauen ein. Mit 50 Jahren war Mendelssohn Bartholdy das jüngste Mitglied des Gremiums. Der 15 Jahre ältere Mediävist und Archivar Paul Fridolin Kehr, Spezialist für mittelalterliche Papsturkunden und umfangreiche Quelleneditionen, war hingegen das Gegenteil eines empirisch arbeitenden Sozialwissenschaftlers. Durch und durch Positivist, bestand geschichtswissenschaftliche Arbeit für ihn weitgehend aus archivarischer Urkundenforschung85. An größeren historischen Darstellungen zeigte er ebenso wenig Interesse wie an der universitären Lehre. Kehr war vor allem für sein Organisationstalent und seine Leistungen als Wissenschaftsorganisator bekannt86. Von 1903 bis 1915 hatte er das Preußische Historische Institut in Rom geleitet und dieses zu einem anspruchsvollen Forschungs- und Ausbildungszentrum ausgebaut. Als er 1925 Mitglied des Deutschen Komitees wurde, hatte er bereits eine ganze Reihe prestigereicher Ämter übernommen: 1915 die Generaldirektion der Preußischen Staatsarchive in Berlin, 1917 die Direktion des neu errichteten Kaiser-WilhelmInstituts für Deutsche Geschichte, 1919 den Vorsitz der Zentraldirektion der Monumenta Germaniae Historica und 1924 mit der Wiedereröffnung des römischen Instituts dessen kommissarische Direktion87. Im Komitee war der Historiker für seine Strenge bei der Auswahl der Stipendiaten bekannt88. Zwei seiner Neffen, Eckart Kehr und Peter Rohden, waren unter den erfolgreichen Bewerbern. Als einziges Komitee-Mitglied war Kehr noch nicht in die Vereinigten Staaten gereist89. Mit dem 1869 geborenen Hermann Oncken war ein weiterer Historiker im Komitee vertreten. Onckens Interesse für die angelsächsische Welt war 1905/06 während eines Aufenthalts als Austauschdozent in Chicago90 geweckt worden, er 84 Vgl. Morstein-Marx, Fritz, Albrecht Mendelssohn Bartholdy, in Universität Hamburg (Hg.), Lebensbilder hamburgischer Rechtslehrer. Veröffentlicht von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät aus Anlass des 50-jährigen Bestehens der Universität Hamburg, 1919–1969, Hamburg, 1969, S. 53. Siehe auch Weber, Rechtswissenschaft im Dienst, S. 203. 85 Vgl. Fleckenstein, Josef, Paul Kehr. Lehrer, Forscher und Wissenschaftsorganisator in Göttingen, Rom und Berlin, in Boockmann, Hartmut; Wellenreuther, Hermann (Hgg.), Geschichtswissenschaft in Göttingen: eine Vorlesungsreihe, Göttingen, 1987, S. 246 (Im Folgenden zitiert als Fleckenstein, Paul Kehr). 86 Vgl. Rösener, Werner, Das Max-Planck-Institut für Geschichte (1956–2006): Fünfzig Jahre Geschichtsforschung, Göttingen, 2014, S. 17. 87 Vgl. Fleckenstein, Paul Kehr, S. 252, 256–257. 88 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 15. März 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 89 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 74–75. Im Nachlass Kehrs im Archiv der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften (NL P. F. Kehr, Nr. 2, 18) befinden sich keine Dokumente zu seiner Tätigkeit für das Deutsche Komitee. 90 Vgl. Studt, Christoph, „Ein geistiger Luftkurort“ für deutsche Historiker: Hermann Onckens Austauschprofessur in Chicago 1905/06, in HZ 264 (1997), S. 361–389.

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interessierte sich für amerikanische Geschichte und beklagte im Ersten Weltkrieg die versäumte Verständigung mit England91. Oncken war ein „politischer Historiker“, der den Nationalliberalen nahestand. Hatte er im Kaiserreich für eine Integration der Arbeiterschaft in den Nationalstaat geworben und im Krieg die gemäßigten Kriegsziele der Regierung Bethmann-Hollweg verteidigt, so akzeptierte er die Weimarer Republik als „Vernunftsrepublikaner“92. Oncken verstand sich als Erneuerer Leopold von Rankes93, in der Quellenarbeit forderte er „absolut sachliche Objektivität“ und beim Urteilen eine „universale Betrachtungsweise“94. In seiner Arbeit nahm die Zeit der Reichsgründung einen wichtigen Platz ein. Als einer der wenigen bürgerlichen Historiker interessierte sich Oncken für Arbeiterbewegung und Sozialismus, in späteren Jahren konzentrierte er sich jedoch zunehmend auf eine Geschichte der Außenpolitik95. Eine interessengeleitete außenpolitische Machtpolitik war für ihn das bestimmende Moment in der Geschichte, auch im Vergleich zur Innen- und Wirtschaftspolitik und zum Militärischen96. 1923 war Oncken an die Universität München berufen worden, die er 1928 für eine Professur in Berlin verließ97. Als Mitglied zahlreicher Kommissionen und Akademien98 hatte der mitreißende Redner auch eine wissenschaftsorganisatorische Schlüsselposition inne99. Die Nationalökonomie war durch den 57-jährigen Hermann Schumacher vertreten. Schumacher war 1893 mit einem Stipendium in New York gewesen, wo er

91 Vgl. Adams, Willi Paul, Die Geschichte Nordamerikas in Berlin, in Hansen, Reimer; Ribbe, Wolfgang (Hgg.), Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert: Persönlichkeiten und Institutionen, Berlin, New York, 1992, S. 612. 92 Hardtwig, Wolfgang, Deutsche Geschichtskultur im 19. und 20. Jahrhundert, München, 2013, S. 98–99 (Im Folgenden zitiert als Hardtwig, Deutsche Geschichtskultur). 93 Vgl. Schwabe, Klaus, Hermann Oncken, in Wehler, Hans-Ulrich (Hg.), Deutsche Historiker, Bd. 3, Göttingen, 1973, S. 189. 94 Zitiert in Hertz-Eichenrode, Dieter, Die „Neuere Geschichte“ an der Berliner Universität. Historiker und Geschichtsschreibung im 19./20. Jahrhundert, in Hansen, Reimer; Ribbe, Wolfgang (Hgg.), Geschichtswissenschaft in Berlin im 19. und 20. Jahrhundert: Persönlichkeiten und Institutionen, Berlin, New York, 1992, S. 295. 95 Vgl. ebd., S. 293–294. 96 Vgl. Schwabe, Hermann Oncken, S. 198. 97 Vgl. Studt, Christoph, Oncken, Karl Hermann Gerhard, in NDB 19 (1999), S. 538. Er blieb bis zu seiner, durch eine von seinem Schüler Walter Frank organisierten Hetzkampagne begründeten, Emeritierung an der Berliner Universität. 98 Vgl. Günther, Wolfgang, Oncken, Karl Hermann Gerhard, in Friedl, Hans; Günther, Wolfgang; Günther-Arndt, Hilke; Schmidt, Heinrich (Hgg.), Biographisches Handbuch zur Geschichte des Landes Oldenburg, Oldenburg, 1992, S. 537–541. 99 Vgl. Hardtwig, Deutsche Geschichtskultur, S. 98–99.

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die Organisation des Getreidehandels untersucht hatte100, und ging 1906/07 als erster Kaiser-Wilhelm Professor an die Columbia University101. Schumacher hatte zudem ausgedehnte Studienreisen in Ostasien unternommen. Von 1917 bis 1935 war er als Professor an der Universität Berlin tätig, seine Veröffentlichungen behandelten unter anderem die wirtschaftlichen Verhältnisse in den USA und Ostasien102. Er interessierte sich für weltwirtschaftliche, verkehrswirtschaftliche und industrieökonomische Themen. Schumacher gilt als Vertreter der Spätphase der Historischen Schule und plädierte für eine Verbindung theoretischer und historischer Forschung103. In heftigen Konflikt geriet er Anfang der 1920er-Jahre mit dem Bonner Nationalökonomen Arthur Spiethoff um die Nachfolge der Herausgeberschaft von „Schmollers Jahrbuch“104. Hermann Schumacher engagierte sich besonders für das Stipendienprogramm und war Fehling in Berlin ein wichtiger Ansprechpartner und Ratgeber105. Neben der starken Vertretung der Geschichtswissenschaft, die keineswegs eine der von Ruml favorisierten Kerndisziplinen war, fällt das Fehlen eines Vertreters für Soziologie auf. Das LSRM hätte hier zum Beispiel Alfred Weber aus Heidelberg berufen können. Auch die Psychologie war nicht vertreten, wie der Vorsitzende der Gesellschaft für experimentelle Psychologie, K. Marbe aus Würzburg, 1927 bemängelte. Er hatte den Eindruck gewonnen, dass Psychologen nicht ausreichend berücksichtigt würden106. Schmidt-Ott antwortete ihm, dass die Zusammensetzung des Komitees auf den ausdrücklichen Bestimmungen des LSRM beruhe und kein Grund vorliegen dürfte, es zu erweitern107. Während für die Begutachtung der Anträge junger Historiker im Komitee eine geballte, aber eher traditionell ausgerichtete Kompetenz zur Verfügung stand, waren Nationalökonomen von der Einschätzung Schumachers abhängig, wie auch Schumpeter gegenüber der Rockefeller Stiftung kritisch anmerkte108. Anthropologen, Psychologen und Soziologen fanden im Komi100 Goldschmidt, Nils, Hermann Schumacher – nur ein weiterer Erbe Schmollers oder der erste Ordoliberale? Anmerkungen zu einem „missing link“ zwischen der Historischen und der Freiburger Schule, in Backhaus, Jürgen (Hg.), Historische Schulen, Münster, 2005, S. 56 (Im Folgenden zitiert als Goldschmidt, Hermann Schumacher). 101 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 74–75. 102 Vgl. Krumeich, Gerd; Lepsius, M. Rainer (Hgg.), Max Weber. Briefe: 1915–1917, Bd. 9, Tübingen, 2008, S. 898 (Personenverzeichnis). 103 Vgl. Goldschmidt, Hermann Schumacher, S. 53, 58. 104 Vgl. Köster, Die Wissenschaft der Außenseiter, S. 54–55. 105 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 24. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11, S. 3. 106 Vgl. Brief von K. Marbe an F. Schmidt-Ott, 14. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 107 Vgl. F. Schmidt-Ott an K. Marbe, 25. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 108 Der Mitarbeiter der Rockefeller Stiftung John Van Sickle vermerkte im Oktober 1931 in seinem „Diary“ zu einem gemeinsamen Essen mit Schumpeter: „S. [Schumpeter] is frankly dissatisfied

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tee keinen genuinen Fachvertreter vor. Mit der Ausnahme Mendelssohn Bartholdys wurde die Auswahl der jungen Sozialwissenschaftler älteren Vertretern ihrer Disziplinen mit eher wenig auf Empirie ausgerichteten Arbeitsweisen übertragen, die dem vom LSRM definierten Profil selbst keineswegs entsprachen. Dafür genossen die Professoren hohes Ansehen, hatten zu einem Großteil internationale Erfahrungen gesammelt und waren mit der Wissenschaftsorganisation vertraut. Durch sein junges Alter stellte Fehling eine ihn mit der Zielgruppe verbindende Ausnahme dar, doch auch er gehörte keiner der Kerndisziplinen des Programms an. Eine Bewerbersuche unter erschwerten Bedingungen

Fehling begann im Dezember 1924 mit der Suche nach geeigneten Bewerbern, indem er mit verschiedenen Professoren über das Programm sprach und sich der Unterstützung des amerikanischen Botschafters Alanson B. Houghton versicherte109. Wegen der Geheimhaltungspolitik des LSRM kam ein Aushang am Schwarzen Brett der Universitäten oder eine Erwähnung in der Presse nicht in Frage110. Erst Anfang Februar 1925 konnte das Komitee, nach telegraphischer Mitteilung seiner offiziellen Einsetzung111, mit der Arbeit beginnen112. Die erste Sitzung fand im März, noch ohne Vorliegen der endgültigen Fassung der Richtlinien des Stipendienplans, statt113. Erste with the fellowships in Germany. He feels that there are so many fractions, especially in Economics, and that the gaps between them are so great, that it is impossible for a German to be impartial. Specially he alleges that Schumacher who represents Economics on the German Committee, is so bitter against Spiethoff, Schumpeter’s collegue, that candidates from this camp have no chances with the Committee […]. He was obviously hoping that I would say that applications might come directly to Paris [Pariser Büro der RF]. I told him that direct applications could not be received, and added that Fehling was eminently fair and judicious and that I would see to it that we three got together some day to discuss these problems“. J. Van Sickle, Diary, 20. Oktober 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 84. 109 Vgl. Brief von A. W. Fehling an F. B. Stubbs, 5. Februar 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 110 Vgl. Protokoll der Sitzung des Komitees für die Auswahl der Laura Spelman Rockefeller Stipendiaten am 7. März 1925, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 1, Anlage 1. 111 Vgl. Telegramm von B. Ruml an A. W. Fehling, 5. Februar 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 6. 112 Schmidt-Ott wurde aufgefordert, eine erste Sitzung einzuberufen, um Wege zu definieren, wie „these fellowships may made most serviceable to German students in the field of social sciences and may most effectively advance world knowledge in this field“. Brief von B. Ruml an F. SchmidtOtt, 13. Februar 1925, in GStA-PK, VI. HA Familienarchive und Nachlässe, NL F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 113 Vgl. Protokoll der Sitzung des Komitees für die Auswahl der Laura Spelman Rockefeller Stipendiaten am 7. März 1925, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 1, Anlage 1.

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deutsche Bewerbungsunterlagen sollten nun möglichst schnell nach New York geschickt werden, da schon im ersten Jahr des Programms 1924/25 keine Deutschen unter den 16 Stipendiaten gewesen waren. Die offiziellen Richtlinien, die im April 1925 in Berlin eintrafen, durften den Bewerbern auf Wunsch des LSRM nicht ausgehändigt werden. Allenfalls Auszüge sollten mitgeteilt werden, damit die Antragsteller ihre Bewerbung nicht künstlich nach Wünschen des LSRM ausrichteten. Fehling übersetzte ein Merkblatt mit dem Titel „Travelling Fellowships in the Social Sciences“ ins Deutsche114, das sich jedoch nicht direkt an interessierte junge Sozialwissenschaftler richtete, sondern an Persönlichkeiten, die für die Empfehlung von Kandidaten in Frage kamen115. Das Merkblatt wurde aus Kostengründen in Deutschland gedruckt, anschließend übersandte Fehling dem Memorial 500 Exemplare für Österreich und die Tschechoslowakei. Die Anschrift des LSRM wurde nicht genannt, nur die Adressen der Landesvertreter konnten per Hand eingefügt werden116. Eine direkte Kontaktaufnahme zwischen den deutschen Sozialwissenschaftlern und dem Memorial war somit ausgeschlossen. Den ausgewählten Stipendiaten durfte Fehling ein „Bulletin of Information for Recipients of Fellowships“ mit den Vergabebedingungen und den Verpflichtungen der Stipendiaten zukommen lassen117. Nicht nur das Merkblatt musste übersetzt werden, auch die amerikanischen Regeln wurden dem deutschen Kontext angepasst. Das Memorial forderte den Abschluss eines „undergraduate degree“, das Komitee grenzte die Zielgruppe auf „vor allem jüngere Leute, allerdings nicht vor der Promotion, am besten in den Jahren zwischen dem Doktorexamen und der Habilitation“ ein, schloss aber Privatdozenten nicht aus118. Kein Stipendium wurde an Bewerber ohne Doktortitel vergeben. Das Deutsche Komitee grenzte sich damit von den Auslandsstipendien für jüngere Nachwuchskräfte ab, die vom Akademischen Austauschdienst vergeben wurden. Die von Ruml defi-

114 Vgl. Broschüre „Reisestipendien für Sozialwissenschaftliche Studien“, o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 115 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Schumacher, 14. April 1925, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 2. 116 Für Irritationen sorgte in New York, dass Fehling das Merkblatt in Fraktur hatte drucken lassen. Fehling fühlte sich daraufhin bemüßigt zu erklären, dies mache für den deutschen Leser keinen Unterschied. Er war der Meinung, dass diese Schrift sich „doch der deutschen Sprache […] am besten anpasst“. Brief von F. B. Stubbs an A. W. Fehling, 15. April 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Brief von A. W. Fehling an O. Bretheau, 3. Juni 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 7. 117 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Schumacher, 14. April 1925, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 2. 118 Vgl. Protokoll der Sitzung des Komitees für die Auswahl der Laura Spelman Rockefeller Stipendiaten am 7. März 1925, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 1, Anlage 1.

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nierten sozialwissenschaftlichen Disziplinen übersetzte Fehling mit „Nationalökonomie, Soziologie, Politik, sowie auch Geschichte, Psychologie und Anthropologie“119. Die Auswahl der Stipendiaten des ersten Jahrgangs erfolgte allein auf Grundlage der Empfehlungen der Komitee-Mitglieder und einiger gezielt angesprochener Professoren. In der ersten Sitzung fielen verschiedene Namen, wohl hauptsächlich von jungen Historikern. Im Protokoll der Sitzung heißt es korrigierend: „Erwünscht scheint, dass von vier Stipendiaten etwa drei den Gebieten der ‚Social Sciences‘ (einschliesslich ‚Political Sciences‘) angehören und nur einer Historiker ist“120. Im Juli wurden Bewerber ausgewählt, die von Oncken, Mendelssohn Bartholdy und Harms121 vorgeschlagen worden waren, anschließend brachte Schumacher noch eine Bewerberin ein122. Der Auswahlprozess war nicht auf Transparenz ausgelegt, da nur eine kleine Gruppe Eingeweihter von der Existenz des LSRM-Programms wusste. Für die Auswahl des zweiten Jahrgangs wurden alle sozialwissenschaftlichen Fakultäten123 und die Kultusministerien der Länder124 über den Stipendienplan informiert. Den Technischen Hochschulen wurde die Information jedoch „mit Rücksicht auf die geringe Zahl der Stipendien“ vorenthalten125. Den erhofften Erfolg 119 Broschüre „Reisestipendien für Sozialwissenschaftliche Studien“, o.  D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 120 Vgl. Protokoll der Sitzung des Komitees für die Auswahl der Laura Spelman Rockefeller Stipendiaten am 7. März 1925, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 1, Anlage 1. 121 Oncken hatte Otto Vossler vorgeschlagen, Mendelssohn Bartholdy Arvid Harnack und Harms Andreas Predöhl. Vgl. Protokoll der Sitzung des Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 9.  Juli 1925, in LB Oldenburg, NL H.  Schumacher, HS 362.2200, Blatt 5, Anlage 1, S. 1–2. 122 Es handelte sich um Eva Flügge. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 27. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 123 Vgl. A.  W.  Fehling, „an die in Frage kommenden Fakultäten“ (Musterrundschreiben), o.  D. [November 1928], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Fehling schickte das Rundschreiben an die Philosophischen und Juristischen Fakultäten sowie die Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultäten (wo vorhanden). An den Universitäten Berlin, Hamburg und München waren Mitglieder des Komitees tätig, sodass keine Informationsschreiben verschickt wurden. Vgl. A. W. Fehling, Liste der Fakultäten für das Rockefeller-Stipendien-Rundschreiben, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 124 Siehe die Briefe A. W. Fehlings an das Ministerium für Kultus und Unterricht Baden, das Ministerium für Unterricht und Kultus Bayern, das Landesamt für das Bildungswesen Hessen, das Ministerium für Volksbildung Sachsen und weitere, 26. November 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 125 Brief von A. W. Fehling an das Ministerium für Volksbildung in Dresden, 30. Dezember 1925, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr.  8. Das Ministerium hatte angefragt, ob die Technische Hochschule zu Dresden nicht auch Kenntnis von der Einrichtung der Stipendien erhalten sollte. Schließlich wurde einem Kandidaten, Erich Wohlfahrt, von der Technischen Hochschule Dresden ein Stipendium verliehen.

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vorwegnehmend verwies Fehling darauf, dass von den „erfahrungsgemäss sehr zahlreich einlaufenden Anträgen nur ein kleiner Teil Berücksichtigung finden“126 könne. Mit dieser Informationskampagne wurde die Grundlage für einen offeneren Bewerbungsprozess gelegt, der nicht allein auf persönlicher Bekanntschaft beruhte. Vertrauensmänner, wie sie die Notgemeinschaft an den Universitäten etabliert hatte, wurden für die Auswahl der LSRM-Stipendiaten nicht eingesetzt. Das Komitee, „das doch die Verantwortung für die Vorschläge trüge“, fürchtete dadurch eine zu starke Einschränkung seiner Entscheidungsfreiheit127. Die erhofften hohen Bewerberzahlen128 blieben jedoch aus. Trotz der Merkblätter und zusätzlicher Gespräche mit Professoren gingen nur wenige Bewerbungen ein. Fehling bat daraufhin die Vertrauensmänner der Notgemeinschaft um Vorschläge129. Auch in den Folgejahren stieg die Zahl der Bewerber kaum. Anfang 1929 sah Fehling sogar die Akten des Akademischen Austauschdiensts in Berlin in der Hoffnung durch, dort auf potenzielle Kandidaten zu stoßen130. Außerdem bemühte er sich um eine Intensivierung seiner Kontakte zu jüngeren Professoren, von denen er sich weitere Empfehlungen versprach131. Einen direkten Zugang zum Stipendienprogramm gab es für die Zielgruppe der jungen Doktoren nicht. Der Kontakt erfolgte grundsätzlich über eine Empfehlung durch die Komitee-Mitglieder132, deren Kontaktpersonen133 oder die sozialwissen-

126 A. W. Fehling, „an die in Frage kommenden Fakultäten“ (Musterrundschreiben), o. D. [November 1928], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 127 Protokoll der Sitzung des Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 9. Juli 1925, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 5, Anlage 1, S. 4. 128 Vgl. Brief von A. W. Fehling an F. B. Stubbs, 19. Juli 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 129 Vgl. Brief von A. W. Fehling an Prof. Appel, 21. April 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. Gleichlautende Briefe schickte Fehling unter anderem an Prof. Dr. Herzog, Gießen, Prof. Dr. Him­ stedt, Freiburg, Prof.  Dr.  Hoops, Prof.  Dr.  Kautzsch, Frankfurt, Prof.  Dr.  Krüger, Greifswald, Prof.  Dr., Linck, Prof.  Dr.  Mann, Königsberg, Prof.  Dr.  Pflüger, Bonn, Prof.  Dr.  v.  Rümelin, Prof.  Dr.  Sievers, Leipzig, Prof.  Dr.  Clemens Schaefer, Marburg, Prof.  Dr.  Schenck, Münster, Prof. Dr. Edw. Schröder, Göttingen und Prof. Dr. Stählin, Erlangen. 130 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 12. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 131 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 24. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11, S. 3. 132 Mendelssohn Bartholdy schlug zum Beispiel für den zweiten Jahrgang Charlotte Lorenz vor. Brief von A. Mendelssohn Bartholdy an A. W. Fehling, 12. Mai 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr.  9. Dietrich Gerhard wurde von Hermann Oncken „sehr warm“ empfohlen. Brief von H. Oncken an A. W. Fehling, 22. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 133 Zum Beispiel Bernhard Harms und Arnold Bergstraesser. Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an B. Harms, 11. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13, Brief von A. Bergstraes­ ser an A. W. Fehling, 22. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. Hans Rothfels

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schaftlichen Fakultäten134. In einigen Fällen sprach Fehling mögliche Kandidaten direkt an, so schrieb er einem jungen Kieler Wirtschaftswissenschaftler: „Sollten Sie Wert darauf legen, für einige Zeit nach Amerika zu gehen, ein Vorschlag, der Sie hoffentlich nicht unangenehm überrascht hat, so könnte ich Ihnen […] nähere Auskünfte geben“135. Er begann, einige junge Sozialwissenschaftler von einem frühen Stadium ihrer Karriere an im Blick zu behalten, um ihnen zu gegebenem Zeitpunkt ein Stipendium vorzuschlagen136. Die amerikanischen Kontaktpersonen und Mitarbeiter des LSRM gaben ebenfalls Empfehlungen, so war Ford während seines Besuchs in Marburg 1924 ein „available candidat“ aufgefallen137. Der New Yorker Anthropologe Franz Boas schlug einen Bewerber vor, den er als Werkstudenten an der Columbia University kennengelernt hatte138. Ein irrtümlicher Aushang am Schwarzen Brett der Universität Köln führte zwei Jahre später zu einer Anfrage bei Fehling139. Nach einigen Jahren empfahlen ehemalige LSRM-Stipendiaten neue Bewerber140. Eine Interessentin hatte von einer tschechischen LSRM-Stipendiatin von den Stipendien

teilte 1928 mit, er könne leider keinen geeigneten Bewerber nennen. Vgl. Brief von H. Rothfels an A. W. Fehling, 21. Dezember 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 134 Der Dekan der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Frankfurt, Wilhelm Gerloff, leitete beispielsweise die Anträge von Erich Preiser und Hans Scherpner weiter. Vgl. Brief von W. Gerloff an A. W. Fehling, 17. Juni 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. Wilhelm Kromphardt erfuhr von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Münster von den Stipendien. Vgl. Brief von W. Kromphardt an A. W. Fehling, 5. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 135 Brief von A. W. Fehling an A. Predöhl, 21. Mai 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 7. 136 Dies war der Fall bei Josef Back. „All these years, I had the opportunity of watching closely his development. At various occasions I discussed Dr. Back’s qualification for a Rockefeller fellowship with his teachers who all recommend him very warmly. Finally, I encouraged him to apply“. A. W. Fehling, Bemerkungen über die Bewerber 1929, 24. März 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 16. Oktober 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 137 Es handelte sich um Wilhelm Röpke, der später als „visiting professor“ in die USA reiste. Brief von G. S. Ford an A. W. Fehling, 30. März 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Ford setzte sich auch für Margarethe Münnich und Else Mentz ein sowie für Robert Weidenhammer. Brief von G. S. Ford an A. W. Fehling, 16. April 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Brief von A. W. Fehling an G. S. Ford, 8. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 138 Es handelte sich um Kurt Schneider. Vgl. Brief von F. Boas an A. W. Fehling, 16. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 139 Vgl. Brief von J. Knapp an A. W. Fehling, 31. Oktober 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 140 Erich Wohlfahrt empfahl Walter Beck. Vgl. Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 12. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. Ferdinand Laun erzählte Gerhard Mackenroth von den Stipendien. Vgl. Brief von G. Mackenroth an A. W. Fehling, 24. September 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13.

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

161

erfahren, sich dann an das Memorial gewandt und war von diesem an Fehling weiterverwiesen worden141. Die Risiken der wissenschaftlichen Internationalisierung

Nicht alle der informierten Nachwuchskräfte bewarben sich um ein Stipendium. Ein Sozialwissenschaftler entschied sich dagegen, weil eine Bewilligung für ihn mit finanziellen Einbußen verbunden gewesen wäre142. Ein anderer lehnte die Bewerbung aufgrund von Schwierigkeiten mit dem Wohnungsamt ab, das von ihm verlangte, seine Wohnung vollständig aufzugeben und die Möbel kostspielig bei einem Spediteur unterzubringen143. Auch die Mindestdauer von einem Jahr erschien manchen zu lang144, andere hatten „Angst um ihre Karriere“145. Eine Hauptschwierigkeit bei der Kandidatensuche sah Fehling darin, „first class men“ zu einer Bewerbung zu bewegen. Ihre Zahl sei gering und „bei den schwierigen Verhältnissen in Deutschland“ bedeute es ein Risiko, die universitäre Laufbahn für einen längeren Auslandsaufenthalt zu unterbrechen. Junge Forscher hätten zumeist eine Assistentenstelle, die ihnen nicht offen gehalten werden könne. Privatdozenten könnten zwar an ihre Universitäten zurückkehren, würden aber meist nicht oder nur gering bezahlt146. Um die Spitzenkräfte an ihren Lehrstühlen zu halten, würden die Professoren oft junge Wissenschaftler empfehlen, die sie als „pretty good“ einschätzten. In manchen Fällen versprachen Professoren Unterstützung bei der Bewerbung als Ersatz für ein nicht eingelöstes Versprechen einer universitären Stelle. „In such cases one may get a very favourable judgement and hear too late that it was somewhat colored by some of the above mentioned circumstances“147. Insgesamt zog Fehling eine ernüchternde Bilanz: „So kommt es, daß man die Menschen, die man am liebsten herüberschicken würde, nur in seltenen Fällen unter den Bewerbern findet“148. Sozialwissenschaftler, die sich für eine Bewerbung entschieden hatten, mussten einige Hürden nehmen, bevor ihre Unterlagen dem Komitee zur Begutachtung 141 Vgl. Brief von E. Krümmel an A. W. Fehling, 14. September 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 142 Vgl. Brief von K. Ritter an A. W. Fehling, 24. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 143 Vgl. Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 13. Juli 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 144 Vgl. Brief von G. Altbert an A. W. Fehling, 24. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 145 Brief von A. Predöhl an A. W. Fehling, 13. Juli 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 146 Vgl. Brief von A. W. Fehling an L. G. Robinson, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 147 Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 24. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11, S. 2. 148 Brief von A. W. Fehling an L. G. Robinson, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11.

162

Transatlantische Aufbruchsstimmung

vorgelegt wurden. Fehling fasste seine Strategie beim Eingang einer Anfrage folgendermaßen zusammen: Auf eine kurze Anfrage nach den Stipendien hin bitte ich zunächst um etwas nähere Darlegung des Falles mit der Begründung, erst dann eine sinnvolle Auskunft geben zu können. Damit habe ich bereits eine ungeschminktere Grundlage zur Beurteilung des Falles in die Hand bekommen. Von Anfang an kann ich dann schon alles ausscheiden, was grundsätzlich nicht in Frage kommt. Scheint der Bewerber prinzipiell geeignet, erhält er die Zusammenstellung der für einen Antrag notwendigen Unterlagen […] und bestimmte Auskünfte über für ihn speziell wichtige Fragen unter ausgewählter Benutzung der Formulierungen des Merkblattes […]. Auch jetzt schicke ich noch nicht den Personal History Record, sondern warte erst den selbstgeschriebenen Lebenslauf, der schon rein äußerlich wertvolle Aufschlüsse gibt über soziale Herkunft, Charakter usw. ab. Aus dem Lebenslauf erfahre ich auch, ohne daß der Antragsteller die ihm nur als geeignet erscheinenden Referenzen angibt, die Professoren, die mit seiner Arbeit vertraut sind und an die ich mich einer Auskunft wegen wenden kann. Mit dem Antrage eingesandte Gutachten oder Stellungnahmen mir besonders nahe gelegter Referenzen sind fast immer ein wenig gefärbt und nicht so wertvoll149.

Diese intransparente Vorgehensweise ermöglichte Fehling eine strenge erste Vorauswahl der Kandidaten auf einer bewusst vage gehaltenen Grundlage. Interessenten, deren Projekte nicht in den Rahmen des Stipendienplans passten, etwa weil die Bewerber noch nicht promoviert waren oder das Thema außerhalb der Sozialwissenschaften lag, wurden bereits frühzeitig über die geringen Erfolgsaussichten informiert. Die Bewerbungsprozedur und die Anforderungen an die Kandidaten waren öffentlich nicht bekannt. Im Verlauf des Verfahrens erfuhren die Antragsteller zwar mehr über benötigte Unterlagen, die Entscheidungskriterien für die Auswahl blieben ihnen jedoch unbekannt. Über jeden in die engere Auswahl genommenen Bewerber wurde von Fehling ein zusammenfassender Bericht verfasst, der den Mitgliedern des Komitees drei Wochen vor der Auswahlsitzung zugeschickt und auf dessen Grundlage die Entscheidung gefällt wurde. Ab 1927 erhielten die Professoren Abschriften „aller für die Beurteilung wichtigen Vorgänge“150, also der Bewerbungsunterlagen einschließlich der eingeholten Gutachten. Die Anzahl der abgelehnten Bewerber ist nicht ganz einfach zu bestimmen. Manche Bewerbungen wurden zwar eingereicht, aber aufgrund fehlender formaler 149 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 16. Oktober 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 150 Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 28. Februar 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11.

163

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

Anzahl Bewerbungen

25 20

Bewilligt Abgelehnt

15 10 5 0

1925

1926

Jahr

1927

1928

Abbildung 6: Anzahl der Bewerbungen für die LSRM-Stipendien und der Bewilligungen, 1925–1928. (Quelle: Protokoll der Sitzung des Komitees für die Auswahl der Laura Spelman Rockefeller Stipendiaten am 7. März 1925, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 1, Anlage 1, Protokoll der Sitzung des Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 9. Juli 1925, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 5, Anlage 1, Protokoll der Sitzung des Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 26. April 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, Protokoll der dritten Sitzung des deutschen Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 22. April 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, Protokoll der vierten Sitzung des deutschen Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 8. März 1928, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, ergänzt durch Korrespondenz in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8–18).

Voraussetzungen im Komitee nicht behandelt. In einigen Fällen wurden zu spät eingereichte Anträge per Korrespondenz entschieden, oft vertröstete Fehling die Bewerber jedoch auf das Folgejahr. Die vier Jahrgänge des LSRM-Stipendienprogramms zählten zwischen vier und acht deutsche Stipendiaten. Die Abbildung 6 berücksichtigt erfolgreiche und abgelehnte Bewerber, deren Unterlagen von den Mitgliedern des Komitees begutachtet wurden. Nur 1928 fiel dem Komitee die Auswahl schwer, als unter den Antragstellern „11 Herren [waren], die alle schon Ausgezeichnetes geleistet haben und denen man die Gewährung des Stipendiums wünschen möchte, während wohl kaum über 6–8 Herren vorgeschlagen werden können“151. Das Komitee leitete acht Anträge weiter, von denen sieben bewilligt wurden. Eine weitere Bewerbung wurde später nachgereicht, sodass der vierte Jahrgang mit acht Stipendiaten der umfangreichste war. 151 Brief von A. W. Fehling an Prof. Dr. Marcks, 2. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15.

164

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Die Auswahlkriterien des Deutschen Komitees: „Wissenschaftliche Leistung und Charaktereignung“

In den jährlichen Auswahlsitzungen begutachteten die Mitglieder des Deutschen Komitees die Anträge der Bewerber. Zu Beginn der Sitzung referierte Fehling die vom Memorial übermittelten Neuerungen, einschließlich der Zahl der Bewerbungen, die das Komitee weiterleiten durfte. Der Ausgang der Diskussionen über die Kandidaten war prinzipiell offen, auch Fehling konnte ihn oft nicht vorhersehen und bedauerte manche Entscheidung des Komitees. Die starke Unterstützung eines Antrags durch eines der Komitee-Mitglieder war keine Erfolgsgarantie, so wurde der von Oncken favorisierte Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode ebenso abgelehnt152 wie die Kandidatin Mendelssohn Bartholdys Emmy Wagner153. Dem Memorial gegenüber sprach Fehling 1927 die Schwierigkeit an, sich im Komitee auf Kandidaten zu einigen: „It may also happen that a member of the Committee is too optimistic in regard to the ability of his own candidate. That means sometimes a delicate diplomatic task“154. Das Komitee konnte einen Antrag entweder befürwortend an das LSRM weiterleiten, ihn ablehnen oder eine spätere Wiederbewerbung empfehlen. Die wissenschaftliche Qualifikation überprüften die Komitee-Mitglieder durch Begutachtung der vom Bewerber eingereichten wissenschaftlichen Arbeiten sowie des Arbeitsplans, außerdem lagen in der Regel mehrere Gutachten mit Einschätzungen der bisherigen Leistungen des Antragstellers vor. Wenn möglich, besprach der Fachvertreter die Arbeiten und den Studienplan persönlich mit dem Bewerber. Das Komitee legte fest, dass neben der Dissertation zumindest eine größere Arbeit veröffentlicht worden sein sollte, um die vom Memorial geforderte Fähigkeit zu eigenständiger wissenschaftlicher Arbeit nachzuweisen, machte in dieser Frage jedoch auch Ausnahmen. Länge und Aussagekraft der eingereichten Arbeitspläne variierten stark. Einige Bewerber reichten ausführliche Schilderungen von bis zu zehn Seiten Länge ein, andere begnügten sich mit einer kurzen Skizze. In mehreren Fällen machte das Deutsche Komitee eine Präzisierung oder Eingrenzung des Arbeitsplans zur Bedingung für eine Befürwortung. Hielten die Mitglieder des Komitees ein Thema für außerhalb des Stipendienprogramms liegend oder aus anderen Gründen für unerwünscht, konnte 152 Zu dieser Entscheidung siehe weiter unten in diesem Kapitel. Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an F. Schmidt-Ott, GStA PK, VI. HA Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F.  Schmidt-Ott, Nr. 916. 153 Wagner hatte eine Freistelle des Akademischen Austauschdienstes in Cleveland zugesprochen bekommen und das Komitee lehnte es ab, sich bereits in Amerika aufhaltende Stipendiaten zu übernehmen. Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn Bartholdy, 9. Februar 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 154 Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 24. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11, S. 3.

165

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

der Bewerber kaum auf eine Weiterleitung seines Antrags hoffen. Die angenommenen Stipendiaten waren anschließend nicht an den eingereichten Arbeitsplan gebunden und konnten vor Ort Änderungen vornehmen155. Die folgende Tabelle nennt die Forschungsthemen der 25 deutschen LSRM-Stipendiaten, so wie sie im deutschen Antrag oder in der Korrespondenz mit Fehling und auf der von der Rockefeller Stiftung für jeden Stipendiaten angelegten „Fellowship Card“156 formuliert wurden. Tabelle 5: Die Forschungsthemen der LSRM-Stipendiaten. Jahr-

Name (Disziplin, durch

Forschungsthema im deutschen

Forschungsthema auf der Fellow-

gang

LSRM festgelegt)

Antrag oder in der Korrespon-

ship Card

denz mit Fehling

1925

Flügge, Eva (Economics)

Relation between Economics and Business Administration in U.S.A.

1925

Harnack, Arvid (Economics)

Die amerikanischen Gewerkschaften

History of Labour Movement in U.S.A. Federal Res. Banking System

1925

Predöhl Andreas (Economics)

„Location of industry“ und „economic theory“

Economics – U.S.A. and in London

1925

Vossler, Otto (History/Political science)

Die Entwicklung der demokratischen Ideen

Democratic ideas of revolutionary period, especially in writings of Jefferson and Madison

1926

Brok, Otto (Political science)

Das Großstadtproblem in den Vereinigten Staaten

American Municipalities and Municipal Government

1926

Heberle, Rudolf (Sociology)

Untersuchung der amerikanischen Soziologie nach materialer und methodischer Hinsicht

Sociology – U.S.A.

155 „Das Memorial ist ja grundsaetzlich mit einer solchen Verschiebung der urspruenglichen Themen einverstanden: Mr.  Frank, unser frueherer adviser, ging dabei so weit, eine Veraenderung der in Europa aufgestellten Studienplaene auf Grund des hier vorgefundenen Materials mehr oder minder für unerlaesslich anzusehen“, schrieb einer der Stipendiaten an Oncken. Brief von H. Trützschler v. Falkenstein an H. Oncken, 12. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 156 Zu jedem Stipendiaten wurde eine solche Karte angelegt, die den Mitarbeitern einen schnellen Überblick zu Herkunft, Familienstand, Beginn des Stipendiums, Forschungsprojekt und bisheriger Korrespondenz mit einem Fellow ermöglichte. Vgl. Fleck, Akademische Wanderlust im Wandel, S. 132–133. Für die ersten LSRM-Stipendiaten sind die Karten jedoch oft nur wenig detailliert.

166

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Jahr-

Name (Disziplin, durch

Forschungsthema im deutschen

Forschungsthema auf der Fellow-

gang

LSRM festgelegt)

Antrag oder in der Korrespon-

ship Card

denz mit Fehling

1926

Kühne, Otto (Economics)

Arbeit an einem Werk über die englisch-amerikanische mathematische Schule in der Nationalökonomie

Economics

1926

Merkert, Emil (Economics)

Studium des amerikanischen Verkehrswesens

Competition of Railroad and Automobile Transportation in U.S.A.

1926

Scherpner, Hans (Social welfare)

Fortsetzung bisheriger Studien über die Geschichte des Fürsorgewesens, insbesondere Untersuchung zum Einfluss der holländischen Fürsorgeanstalten auf die deutschen auf Grund des Quellenmaterials

History of Child Welfare and Social Work in Holland; its influence on the same work in Germany

1926

Trützschler, Heinz von Falkenstein (History)

Die Geschichte der panamerikanischen Bewegung

Policy of U.S. in regard to the Latin-American Republics

1926

Wohlfahrt, Erich (Psychology)

Wesen und Methoden des amerikanischen Behaviorismus und ähnlicher spezifisch amerikanischer Richtungen, Studium der amerikanischen Forschungen auf dem Gebiete der Psychologie der industriellen Arbeit, hierbei Durchführung einer praktischen Arbeit über ein Teilproblem aus den Gebieten der Monotonie und

Theoretical Investigations into Problem of Personality and Question of their Applicability in Vocational Guidance Practice

Ermüdung bei industrieller Arbeit, soziale Fürsorge und Psychologie 1927

Gerhard, Dietrich (History)

Die Entwicklung der England and Eastern Europe englisch-russischen Beziehun- at the beginning of the Oriengen seit Peter dem Großen tal Question, 1774–98

1927

Grüger, Franz (Statistics)

Die amerikanische Statistik

Methods of gathering Industrial and Agricultural Statistics

167

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung Jahr-

Name (Disziplin, durch

Forschungsthema im deutschen

Forschungsthema auf der Fellow-

gang

LSRM festgelegt)

Antrag oder in der Korrespon-

ship Card

denz mit Fehling

1927

Laun, Justus Ferdinand (Sociology)

Das soziale Christentum in England, Geschichte der christlich-sozialen Bewegung

The Christian Social Movement in England. The Church & Social Progress

1927

Liepmann, Clara Maria (Sociology)

Pädagogische, psychologische und psychiatrische Untersuchungen zum amerikanischen Strafvollzug

Methods of Investigations of Behavior Problems and Criminality, Practical case work

1927

Trömel, Werner (Economics)

1. Studium des europäischenasiatischen Wettbewerbs bei Porzellan und Spielwaren in den Vereinigten Staaten 2.Vertrautmachen mit den amerikanischen Methoden der Konjunkturforschung und ihrer Anwendung auf die verschiedenen Wirtschaftszweige

Competition in U.S. between Toy Industries of Europe and Asia. Industrial Development in the United States

1927

Vagts, Alfred (History)

Die ökonomischen Motive der amerikanischen China-Politik

American-German Diplomatic Relations, 1888–1906

1928

Beushausen, Gertrud (Economics)

Die Dauerarbeitslosigkeit in England nach 1920 als wirtschaftspolitisches Problem

Organization English Labour Market. The Unemployment Problem

1928

Freund, Rudolf (Economics)

Die Agrarverhältnisse des Agricultural Economics nordamerikanischen Kontinents in ihrer geschichtlichen Entwicklung und gegenwärtigen Gestalt

1928

Kirchhoff, Paul (Anthropology)

Studium der Kultur der Athapasken-Stämme

Culture of Athabaskan Tribes

1928

Linhardt, Hanns (Economics)

1927: Die Betriebswirtschaft der amerikanischen Banken 1928: Die amerikanischen Investment Trusts (innere Rechtsverhältnisse, Kapitalbeschaffung, Kapitalanlage, Leitung der Trustgeschäfte, innere Verwaltung)

Economics – U.S.A. and England

168

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Jahr-

Name (Disziplin, durch

Forschungsthema im deutschen

Forschungsthema auf der Fellow-

gang

LSRM festgelegt)

Antrag oder in der Korrespon-

ship Card

denz mit Fehling

1928

Mackenroth, Gerhard (Economics)

Probleme, die den WirtEconomics – in Europe schaftswissenschaften durch die Tatsache der internationalen Verschuldung gestellt werden

1928

Pfeifer, Gottfried (Geography)

Kulturgeographische Untersuchung des Westens der Vereinigten Staaten: Die vordringende angelsächsisch geprägte Kolonialkultur traf hier auf das Gebiet spanischer Kolonisation. Wie prägt sich nun dies Zusammentreffen in der Gestaltung der Kulturlandschaft aus?

Development and Geographic conditions of Settlement and Economy in the semi-arid South-western States

1928

Schneider, Kurt (Economics)

Forschungsmethoden in „Agricultural Economics“

Business Cycles in relation to Agriculture, Cooperative Marketing of Butter

1928

Staehle, Hans (Economics)

Mathematische Statistik und Keine Angabe ihre Anwendungen auf die Verifizierung und den Ausbau der nationalökonomischen Theorie

(Quelle: Fellowship Cards der LSRM-Stipendiaten, in RAC-RF, RG 10 Fellowship Cards; Anträge der Stipendiaten in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2207.2, HS 362.2230.1, HS 362–2231.1, HS 362.2237.3, HS 362.2260.2, HS 362.2275.1, HS 362–2280.1, HS 362–2280.9.2, HS 362.2289.3, HS 362.2309.3; HS 362.2349.2, HS362.2359.3, HS 362.2362.1; Korrespondenz mit den Stipendiaten in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8, Nr. 9, Nr. 10, Nr. 14).

Ein besonderes Interesse der LSRM-Stipendiaten galt der amerikanischen Konjunkturforschung und Statistik. Im Einklang mit den Vorgaben des LSRM lag auch das Thema Otto Broks zu den amerikanischen Großstädten, das sich mit den soziologischen Forschungsarbeiten an der University of Chicago verbinden ließ. Das Projekt von Clara Maria Liepmann entsprach mit seiner methodologischen Ausrichtung und dem praktischen Bezug ebenfalls den amerikanischen Wünschen. Die Forschungsinteressen des einzigen Psychologen zeigten Parallelen zu Rumls eigener wissenschaftlicher Ausbildung und seiner Tätigkeit während des Ersten Weltkriegs. Die von den Historikern gewählten Forschungsfragen wirken hingegen traditionell und lassen nicht davon ausgehen, dass Geschichte als Sozialwissenschaft verstanden wurde. Das

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

169

Komitee setzte hier andere Prioritäten: Dietrich Gerhard wurde sein kaum zu den Absichten des LSRM passendes Thema nicht zum Vorwurf gemacht, vielmehr beeindruckte der von Friedrich Meinecke empfohlene Historiker das Komitee mit seiner Promotion mit dem Prädikat „summa cum laude“, seiner breiten Allgemeinbildung und der Perspektive einer aussichtsreichen wissenschaftlichen Laufbahn157. Wie weit gefasst ein Thema sein konnte, zeigen die Angaben des Soziologen Rudolf Heberle. Er hatte es bereits im Bewerbungsprozess vermieden, ein präziseres Thema zu nennen. Im Herbst 1925 schrieb er an Fehling: Obwohl ich mehrere Pläne habe, für deren Verwirklichung eben ein Aufenthalt in den U.S.A. Voraussetzung sein würde, kann ich mich natürlich jetzt, ohne mich eingehender mit amerikanischen Verhältnissen vertraut gemacht zu haben, noch nicht auf bestimmte Ziele festlegen. Eines aber kann ich schon jetzt bestimmt in Aussicht stellen, nämlich, dass ich mich bemühen werde, die amerikanische Soziologie in materialer und methodologischer Hinsicht einmal einer gründlichen Untersuchung zu unterziehen. Dies wäre auf jeden Fall ein Ergebnis von einigem Wert für die deutsche Wissenschaft und für meine eigene spätere Lehrtätigkeit158.

Als das Forschungsprojekt im Frühjahr 1926 für die Vorlage beim LSRM konkretisiert werden sollte, hielt er am Forschungsziel „Soziologie in Amerika (ihre Geschichte und ihre Methoden)“ fest: „[I]ch denke, diese Formulierung wird genügend präzise sein“159. Seine Forschungen in den USA gingen anschließend in eine ganz andere Richtung, für eine Beschreibung der amerikanischen soziologischen Schulen interessierte er sich wenig160. Das Forschungsthema des Psychologen Erich Wohlfahrts wurde mit Hilfe Fehlings und durch Wünsche des Deutschen Komitees bestimmt. Die Aufforderung nach 157 Vgl. Protokoll der dritten Sitzung des deutschen Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 22. April 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 158 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 30. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 159 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 2. März 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. Im Rückblick erinnerte sich Heberle daran, dass ihm an der LSE von Graham Wallas geraten worden sei, dass er die verschiedenen Richtungen der amerikanischen Soziologie auch später mit Hilfe einer guten Bibliothek studieren könne. Vgl. Heberle, Rudolf, Soziologische Lehr- und Wanderjahre, in Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 28 (1976), S. 202 (Im Folgenden zitiert als Heberle, Soziologische Lehr- und Wanderjahre). 160 Im Rückblick schrieb Heberle 1977: „The project which I had submitted when applying for the fellowship had been suggested by someone else. It was to be an inquiry into the various „schools“ of sociology in this country“. Heberle, Rudolf, Reminiscences of a Sociologist, in Journal of the History of Behavioral Sciences 13 (1977), S. 135 (Im Folgenden zitiert als Heberle, Reminiscences of a Sociologist).

170

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Präzisierung seiner Pläne hatte Wohlfahrt zunächst „in Verlegenheit“ versetzt, „weil in Deutschland nach [s]einen bisherigen Informationen denkbare Unklarheit über die Personalverhältnisse und die Forschungseinrichtungen der amerikanischen psychologischen Institute“ bestehe. Wohlfahrt wollte sich in den USA einen Überblick „derjenigen Forschungsmethoden unserer jungen Wissenschaft verschaffen, die sich in Deutschland nicht in dieser Ausgeprägtheit finden“, etwa des amerikanischen Behaviorismus und des „Structuralism“161, und bat Fehling um Ratschläge. Gemeinsam einigten sie sich auf folgende „unverbindliche“ Formulierung: (1)  Principles and methods of behaviorism and similar specific American conceptions (tendencies) of psychology with a view to a systematic treatise. (2) Field work in industrial psychology, especially continuation of my research on the monotonous and fatiguing effects of highly rationalised labour and on the ways of their diminution. (3) Psychology as related to social work, for example vocational guidance based upon psychology, particularly study of psychological methods applied to prisoner caring162.

Das Komitee empfahl in seiner Auswahlsitzung, den Wohlfahrts eigentlichen Interessen entsprechenden Problemkreis „soziale Fürsorge und Psychologie“ in den Vordergrund zu stellen und den dritten zum ersten Punkt zu machen163. Dieser Eingrenzung trug die Formulierung auf der „Fellowship Card“ Rechnung. Das von Werner Trömel genannte Thema ging auf ein Gespräch mit Hermann Schumacher zurück, der starken Einfluss auf die Ausformulierung der Forschungsaufgabe nahm. Trömel hatte sich mit der Idee um ein Stipendium beworben, in den USA die dortige Betriebswirtschaft sowie die Konjunkturforschung und deren Anwendung in der Praxis zu erforschen. Als drittes „Lieblingsgebiet“ hatte er das Geldwesen genannt und Arbeiten in Verbindung mit Irving Fisher vorgeschlagen. Er befürchtete selbst, dass die Zeit für die drei Vorschläge nicht ausreichen würde und bestimmte als Priorität die Studien zur Konjunkturforschung164. Vor der Komiteesitzung im April 1927 besprach Trömel seinen Arbeitsplan mit Schumacher und änderte seine Forschungsaufgabe daraufhin wie folgt: In erster Linie beabsichtige ich, den europäischen-asiatischen Wettbewerb bei Porzellan und Spielwaren in den Vereinigten Staaten zu studieren. Ich gestatte mir, ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass ich nicht beabsichtige, die Kenntnisse, die ich mir bei diesen Un161 Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 15. März 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 162 Brief von A. W. Fehling an E. Wohlfahrt, 12. Mai 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 163 Vgl. ebd. 164 Brief von W.  Trömel an A.  W.  Fehling, mit Lebenslauf, 4.  Februar 1927, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 11.

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

171

tersuchungen erwerben werde, zugunsten einer der in Betracht kommenden Wirtschaftsgruppen zu verwerten […]. In zweiter Linie möchte ich mich, wie ich bereits angegeben habe, mit den amerikanischen Methoden der Konjunkturforschung und ihrer Anwendung auf die verschiedenen Wirtschaftszweige vertraut machen165.

Wie war es zu diesem grundlegenden thematischen Wechsel gekommen? Trömel hatte sein Studium aufgrund von finanziellen Schwierigkeiten für eine praktische Tätigkeit in der Spielwaren- und Porzellanindustrie unterbrechen müssen, zum Zeitpunkt der Bewerbung war er Assistent an der Handelshochschule Nürnberg und am „Institut für Wirtschaftsbeobachtung“, das von der deutschen Porzellanindustrie in enger Verbindung zur Handelshochschule eingerichtet worden war. Schumacher scheint ihm also geraten zu haben, einen ihm in Deutschland gut bekannten Wirtschaftszweig in den USA zu erforschen. Ihm selbst war das zweite Thema, die amerikanische Konjunkturforschung, jedoch wichtiger. Den größten Unterschied zwischen dem in Deutschland gewählten und dem in den USA auf der „Fellowship Card“ vermerkten Forschungsprojekt gibt es bei Alfred Vagts. Aus „Die ökonomischen Motive der amerikanischen China-Politik“ wurde „American-German Diplomatic Relations, 1888–1906“. In einem Brief an Fehling führte Vagts zu seinem ersten Vorschlag aus: Es würde sich darum handeln festzustellen, wie weit die Expansion der Vereinigten Staaten über ihren eigenen äussersten Westen hinaus nach China durch wirtschaftliche Erwägungen bestimmt war, wie weit diese Expansion innerhalb der Vereinigten Staaten bei den politischen Parteien und der öffentlichen Meinung Billigung und Widerspruch gefunden hat, wie gross die amerikanische Investition in China gewesen ist und ist166.

Als Paul Marc vom Institut für Auswärtige Politik Fehling die Bewerbungsunterlagen schickte, fragte er „rein privat“ um eine Einschätzung, „ob das Thema der von Vagts geplanten Arbeit die Amerikaner nicht vielleicht chokieren [sic] könnte“. Vagts wäre in diesem Fall bereit, „seinen Absichten eine andere Wendung zu geben“167. Auch der Bewerber selbst wollte „der Delikatheit des Themas Rechnung […] tragen“, fügte aber hinzu: „andererseits darf ich nach meinen eigenen amerikanischen Erfahrungen annehmen, dass eine ‚economic interpretation‘ einer gewissen Politik in Amerika im allgemeinen weniger Bedenken entgegengebracht werden als in Deutschland, wo der ‚Marxismus‘ die letzten Jahre zu einem törichten ‚scare‘ geworden ist“168. Fehling war 165 Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 27. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 166 Brief von A. Vagts an A. W. Fehling, 24. Februar 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 167 Brief von P. Marc an A. W. Fehling, 25. Februar 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 168 Brief von A. Vagts an A. W. Fehling, 22. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11.

172

Transatlantische Aufbruchsstimmung

der Meinung, dass es sich „sicherlich […] um eine etwas delikate Fragestellung“ handele, doch glaubte er, dass bei der ihm bekannten Einstellung der Mitarbeiter des LSRM im Fall einer Weiterleitung durch das Komitee „kaum Schwierigkeiten gemacht würden“. Sollte das Komitee Bedenken haben, könnte immer noch eine andere Formulierung gefunden werden169. In der Auswahlsitzung wurde beschlossen, den Antrag weiterzuleiten, auch wenn Schumacher vom nationalökonomischen Standpunkt her Kritik an Vagts bisherigen Arbeiten geäußert hatte170. In den USA arbeitete Vagts auch wirklich zu dem gewählten Thema. Er habe „als erstes die amerikanische und einen guten Teil der englischen Buchliteratur über China seit den 60er Jahren durchgearbeitet“171, berichtete er Fehling. Ob es sich bei dem auf der „Fellowship Card“ notierten Forschungsprojekt um ein Versehen handelte oder ob Vagts zwei Forschungsprojekte vorantrieb, und dem LSRM gegenüber nur eines erwähnte, ließ sich nicht feststellen. Dem Geographen Gottfried Pfeifer riet Fehling 1928 zu einer Präzisierung und Beschränkung seiner Pläne172. Die Erfahrung habe gezeigt, „dass fast alle die Herren, die mit allzu weit gesteckten Plänen herübergingen, drüben von selbst zu einer starken Einschränkung und Begrenzung gezwungen wurden“173. Auch riet er davon ab, die Notwendigkeit eines Autos zu erwähnen, da schon „viel Unangenehmes“ im Zusammenhang mit Automobilen vorgekommen sei174. Eva Flügge, Stipendiatin des ersten deutschen Jahrgangs, riet den Bewerbern, sich „so wenig wie möglich auf einen bestimmten Arbeitsplan festzulegen“. Ihr sei kein Stipendiat bekannt, der seinen ursprünglichen Arbeitsplan durchgeführt habe. Das Memorial lasse den Stipendiaten „ganz freie Hand, ihre Themen zu ändern oder auch auf greifbare Resultate ganz zu verzichten“175. Bei der Wahl des Studienorts war Fehling ebenfalls beratend tätig. Der Historiker Otto Vossler wollte aufgrund der Bibliothek, der Professoren und „schließlich auch d[er] angenehmere[n] Umgebung“176 in Harvard arbeiten, während Fehling betonte, dass nur „sachliche Gründe massgebend“ sein könnten und Chicago empfahl. Dort sei von Merriam ein Forschungsschwerpunkt in „political science“ geschaffen worden. Harvard sei seit dem Ersten Weltkrieg in einigen Gebieten „sicher schon von jünge169 Brief von A. W. Fehling an A. Vagts, 4. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 170 Vgl. Protokoll der dritten Sitzung des deutschen Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 22. April 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 4. 171 Brief von A. Vagts an A. W. Fehling, 8. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 172 Vgl. Brief von A. W. Fehling an G. Pfeifer, 9. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 173 Brief von A. W. Fehling an G. Pfeifer, 14. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 174 Brief von A. W. Fehling an G. Pfeifer, 5. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 175 Brief von E. Flügge an A. W. Fehling, 5. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 176 Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 7. Juli 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8.

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

173

ren Anstalten überflügelt“ worden, zudem seien die Bestimmungen für Stipendiaten in Harvard „sehr konservativ“ und ließen nicht die gleichen Freiheiten wie Chicago. Vossler, dem die Entscheidung letztlich überlassen wurde177, ging, trotz der Ratschläge Fehlings, nach Harvard178. Auch Otto Brok riet Fehling zu Chicago, um dort bei Small, Faris, Park und Burgess zu arbeiten: „Small ist wohl der bekannteste von ihnen, der die ganze Entwicklung der Soziologie in Amerika führend mitgemacht und sie auch wiederholt historisch geschildert hat“, erklärte Fehling. Die anderen seien jünger, Burgess sei „der Mann, der im Verein mit anderen die von mir erwähnten Untersuchungen über die Struktur Chicagos durchgeführt hat“179. Fehling kam bei der Beratung seine sechsmonatige Reise durch die USA zugute. Der endgültige Studienort der Stipendiaten wurde erst nach der Ankunft in den Vereinigten Staaten in einem Gespräch mit den Mitarbeitern des LRSM bestimmt. Knapp die Hälfte der 25 Stipendiaten bekam ihr Stipendium, nach der disziplinären Zuordnung des LSRM, im Bereich der Wirtschaftswissenschaften. Jeweils drei der Stipendiaten verfolgten ein historisches oder soziologisches Projekt, je ein Stipendium wurde in Geographie, Anthropologie, Statistik, Politikwissenschaften, Soziale Wohlfahrt und Psychologie vergeben. Ein Stipendiat wurde sowohl in die Geschichte wie auch die Politikwissenschaften eingeordnet180. Während die vom LSRM als prioritär definierten Wirtschaftswissenschaften gut vertreten waren, gab es nur wenige Stipendiaten in der in Deutschland kaum entwickelten „political science“. Die Soziologie war als dritte Kerndisziplin des LSRM nur mit drei Vertretern präsent, wobei Frankfurt und Köln, deren Universitäten soziologische Schwerpunkte hatten, keine Stipendiaten entsandten181. Die Nominierung von Anthropologen wurde dadurch erschwert, dass die Stiftung zusätzliche Bewilligungen für Feldforschung nicht vorsah182. 177 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 14. Juli 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 178 Vgl. O. Vossler, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 179 Brief A. W. Fehling an O. Brok, 10. Mai 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 180 Siehe auch Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 19. 181 Aus Köln bewarben sich 1926 zwei Wirtschaftswissenschaftler (Heinz Busch und Emil Merkert), aus Frankfurt einer (Erich Preiser), aber keine Soziologen (der Frankfurter Stipendiat Hans Scherpner wurde vom LSRM in die Kategorie „social welfare“ eingeordnet und verfolgte ein historisches Forschungsprojekt). 1927 wurde ein Psychologe aus Frankfurt abgelehnt, aus Köln lagen keine Bewerbungen vor. 1928 bewarb sich ein Frankfurter, der die „Bildnerei der Geisteskranken“ untersuchen wollte. Bewerbungen von jungen Kölner oder Frankfurter Soziologen waren nicht eingegangen. 182 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 13.–14. Dezember 1929, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929–1930, S. 9.

174

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Kiel

Kiel

Greifswald

Hamburg

Gießen

Jena

Berlin

Münster

Halle Köln

Königsberg

Hamburg Berlin

Bonn

Greifswald

Köln

Leipzig

Frankfurt

Thale Halle Gießen

Dresden

Frankfurt Nürnberg

Heidelberg Tübingen

Tübingen München

München

Promotionsort

Anzahl Stipendiaten 1

2

3

4

Beschäftigungsort zum Zeitpunkt der Nominierung

6

Abbildung 7: Promotionsorte und Beschäftigungsorte zum Zeitpunkt der Bewilligung der deutschen LSRM-Stipendiaten. (Quelle: Promotionsorte nach der Datenbank des Forschungsprojekts „Philanthropie américaine et sciences sociales en Europe 1919–1939: Circulations intellectuelles, réseaux et constructions institutionnelles“ (EHESS, Paris, unveröffentlicht), Beschäftigungsorte nach den Bewerbungsunterlagen in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2207.2, HS 362.2230.1, HS 362–2231.1, HS 362.2237.3, HS 362.2260.2, HS 362.2275.1, HS 362–2280.1, HS 362–2280.9.2, HS 362.2289.3, HS 362.2309.3; HS 362.2349.2, HS362.2359.3, HS 362.2362.1 und der Korrespondenz mit den Stipendiaten in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8–18).

Wie die Karten in Abb. 7 illustrieren, waren die deutschen Fellows zum Zeitpunkt ihrer Nominierung in 15 deutschen Städten beschäftigt183, promoviert hatten sie an 14 Universitäten. Sechs der Stipendiaten waren zum Zeitpunkt ihrer Vorauswahl in einer in Berlin angesiedelten Institution beschäftigt, vier kamen aus Hamburg, wo Mendelssohn Bartholdy für das Programm warb, zwei aus Kiel. Aus Heidelberg, wo das LSRM das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften unterstützte, kamen keine Stipendiaten. Eine eindeutige Bevorzugung bestimmter Regionen ist nicht erkennbar. Da es sich bei den Stellen, von denen sich die jungen Sozialwissenschaftler bewarben, oft um befristete Beschäftigungen handelte, ist eine zusätzliche Betrachtung der Promo­ tionsorte sinnvoll. Berlin, Hamburg und Kiel waren Schwerpunkte, trotzdem bestätigt sich der Eindruck einer breiten Streuung der Herkunft der Stipendiaten. Christian Flecks Analyse, die deutschen Stipendiaten kämen „vornehmlich aus jenen Universitätsstädten, wo Mitglieder des Nominierungskomitees wirkten: Berlin,

183 Für einen Stipendiaten wird „Tübingen/Chicago“ angegeben, er befand sich als Austauschstudent des „American-German student exchange“ in den USA. In der folgenden Karte wird nur Tübingen angezeigt.

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

175

Hamburg und München“184, muss zumindest für den zweiten bis vierten Jahrgang, als alle sozialwissenschaftlichen Fakultäten über die Stipendien informiert waren, korrigiert werden. Die Karte zeugt vielmehr von einem Versuch des Komitees, eine große Zahl deutscher Universitäten in den Stipendienplan einzubeziehen. Eine sichere Stelle, auf die sie nach dem Auslandsaufenthalt zurückkehren konnten, hatten nur die beiden Privatdozenten Otto Kühne und Justus Ferdinand Laun. Die Assistentenstellen (neun der Stipendiaten) konnten nur in wenigen Fällen freigehalten werden, ebenso wie die Anstellungen als wissenschaftliche Hilfsarbeiter an universitären und anderen öffentlichen Einrichtungen (vier der Stipendiaten). Tabelle 6 Die berufliche Stellung der LSRM-Stipendiaten zum Zeitpunkt der Nominierung. Jahr-

Name

Berufliche Stellung zur Zeit der Nominierung für das LRSM-Stipendium

1925

Flügge, Eva

Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften, Secretary, Berlin

1925

Harnack, Arvid

Universität Hamburg

1925

Predöhl Andreas

Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr, Universität Kiel, Assistent

1925

Vossler, Otto

Universität München

1926

Brok, Otto

Keine Angabe

1926

Heberle, Rudolf

Institut für Ostdeutsche Wirtschaft, Universität Königsberg, Repetent und Assistenz am Staatswissenschaftlichen Seminar der Universität Königsberg

1926

Kühne, Otto

Universität Greifswald, Privatdozent

1926

Merkert, Emil

Universität Köln

1926

Scherpner, Hans

Seminar für Fürsorgewesen und Sozialpädagogik, Universität Frankfurt, Assistent

1926

Trützschler, Heinz Auswärtiges Amt, Aktenpublikation „Die grosse Politik der von Falkenstein europäischen Kabinette“, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter

1926

Wohlfahrt, Erich

Technische Hochschule Dresden, Assistent

1927

Gerhard, Dietrich

Historische Zeitschrift, Redaktionsassistent

1927

Grüger, Franz

Preußisches Statistisches Landesamt, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter

1927

Laun, Justus Ferdinand

Universität Gießen, Privatdozent

1927

Liepmann, Clara Maria

Keine Angabe

gang

184 Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 94.

176 Jahr-

Transatlantische Aufbruchsstimmung Name

Berufliche Stellung zur Zeit der Nominierung für das LRSM-Stipendium

1927

Trömel, Werner

Handelshochschule Nürnberg, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter

1927

Vagts, Alfred

Institut für Auswärtige Politik, Hamburg, Assistent

1928

Beushausen, Gertrud

Lehrkraft an einer Sozialen Frauenschule, Thale am Harz

1928

Freund, Rudolf

Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr, Universität Kiel, Assistent

1928

Kirchhoff, Paul

Museum für Völkerkunde, Nordamerikanische Abteilung, Neuordnung der Bestände

1928

Linhardt, Hanns

Institut der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften, Universität Münster, Assistent

1928

Mackenroth, Gerhard

Stadtgemeinde Halle, wissenschaftlicher Hilfsarbeiter

1928

Pfeifer, Gottfried

Geographisches Institut, Universität Kiel, Assistent

1928

Schneider, Kurt

„Research Institut for Agricultural Marketing“, Universität Berlin, Technischer Assistent

1928

Staehle, Hans

Universität Chicago, American-German student exchange, Fellow

gang

(Quelle: Bewerbungsunterlagen in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2207.2, HS 362.2230.1, HS 362–2231.1, HS 362.2237.3, HS 362.2260.2, HS 362.2275.1, HS 362–2280.1, HS 362–2280.9.2, HS 362.2289.3, HS 362.2309.3; HS 362.2349.2, HS362.2359.3, HS 362.2362.1 und der Korrespondenz mit den Stipendiaten in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8–18).

Bei der Behandlung der Stipendiaten machten das Deutsche Komitee, und auf dessen Empfehlung auch das Memorial, keinen Unterschied zwischen Assistenten und Privatdozenten. Fehling erklärte: „From the viewpoint of the fellowship program preference may be given sometimes to a ‚Privatdozent‘ sometimes to a doctor“185. Allein Professoren hatten in Fehlings Augen Anrecht auf eine bevorzugte Behandlung. Sie würden sich jedoch im Allgemeinen nicht um die Stipendien bewerben, da es für sie schwierig sei, ihre Arbeitsstellen für ein Jahr zu verlassen186. Vieles spricht dafür, dass das LSRM Frauen einen zwar stark begrenzten, aber festen Platz im Stipendienprogramm einräumte. In den Merkblättern des Memorials wurde ausdrücklich von „men and women“ gesprochen187. Mendelssohn Bartholdy erhielt während einer Amerikareise 1927 den Eindruck, „daß wir gut tun, gelegentlich 185 Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 24. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 186 Vgl. ebd. 187 „These fellowships are open to men and women alike“. Traveling Fellowships in the Social Sciences. GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916.

177

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

geeignete weibliche Stipendiaten vorzuschlagen“. Die Bewerberin Emmy Wagner hielt er dabei für „gut geeignet“188. Das Komitee entschied jedoch, für den Jahrgang 1927 stattdessen die Unterlagen Clara Maria Liepmanns mit folgender Einschränkung nach New York weiterzuleiten: Miss Liepmann is not quite of the same calibre as the other candidates. As there was no really exceptional woman candidate, and as she is considered an idealistic person who did a very good piece of work in her special field of penology, the Committee decided to present her application too to the Memorial but with the above comment and with the chance of an unfavorable decision of the Memorial189.

Die Bewerberin wurde zwar wissenschaftlich nicht genauso hoch eingeschätzt wie ihre männlichen Konkurrenten, trotzdem wurde ihre Bewerbung weitergeleitet und in New York angenommen. Ein Blick auf die Anzahl der zugelassenen Kandidatinnen zeigt, dass sich insgesamt nur acht Frauen um ein Stipendium beworben haben. In den drei Jahrgängen mit Bewerberinnen wurde jeweils eine Frau ausgewählt. 1926 wurde kein Stipendium an eine Frau vergeben, es lagen jedoch auch keine Anträge vor. Es lässt sich vermuten, dass das Komitee für das Jahr 1927, den Wünschen des Memorials entgegenkommend, einen zweiten rein männlichen Jahrgang vermeiden wollte. Tabelle 7: Bewerberinnen und LSRM-Stipendiatinnen, 1925–1928.

Anzahl der Bewerberinnen

Anzahl der Stipendiatinnen

1925

3

1

1926





1927

3

1

1928

2

1

(Quelle: Protokoll der Sitzung des Komitees für die Auswahl der Laura Spelman Rockefeller Stipendiaten am 7. März 1925, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 1, Anlage 1, Protokoll der Sitzung des Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 9. Juli 1925, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 5, Anlage 1, Protokoll der Sitzung des Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 26. April 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, Protokoll der dritten Sitzung des deutschen Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 22. April 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, Protokoll der vierten Sitzung des deutschen Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 8. März 1928, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, ergänzt durch Korrespondenz in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8–18).

188 Brief von A. Mendelssohn Bartholdy an A. W. Fehling, 18. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 189 Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 30. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12.

178

Transatlantische Aufbruchsstimmung

1928 schickte das Deutsche Komitee zum ersten Mal zwei Anträge von Frauen befürwortend nach New York. Während Gertrud Beushausen das Stipendium erhielt, wurde Renate von Heinemann abgelehnt190. In der Charakterisierung für das Memorial hatte Fehling sie als „not as brilliant as some of her competitors“ beschrieben. „The first impression is that of a rather shy individual“. Fehling lobte allerdings auch ihre „great energy and serious inclination to scientific work“ und betonte, dass ein Stipendium ihr ermöglichen würde, ihre „personal and research qualities“ zu entwickeln191. Eine Begründung für die Ablehnung durch das LSRM findet sich in den Quellen nicht, die kritische Beschreibung der Bewerberin durch Fehling dürfte jedoch ihren Teil zur Ablehnung beigetragen haben. Im Deutschen Komitee setzte sich Mendelssohn Bartholdy immer wieder für Kandidatinnen ein. Fehling sprach hingegen in den von ihm verfassten Schriftstücken zumeist von den „Herren“, auch wenn eine gemischte Stipendiatengruppe gemeint war192. Er hatte zwar keine generell negative Meinung zu Wissenschaftlerinnen, betonte aber, in strenger Auslegung der Richtlinien des LSRM, deren unsichere berufliche Chancen. In der Weimarer Republik studierten zwar immer mehr Frauen, doch nur wenige schlugen eine wissenschaftliche Karriere ein. Erst 1920 war das preußische Habilitationsverbot für Frauen aufgehoben worden193, bis 1933 wurden 50 bis 70 Frauen habilitiert, etwa ein Viertel von ihnen an der Universität Berlin194. Wissenschaftlerinnen arbeiteten als Assistentinnen, Privatdozentinnen und in seltenen Fällen als (nichtbeamtete) außerordentliche Professorinnen, bis 1945 wurde an der Berliner Universität jedoch keine Frau zur ordentlichen Professorin berufen195. Diese 190 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 30. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 191 A. W. Fehling, Beschreibung der befürworteten Bewerbungen für 1928, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15, S. 2. 192 Zum Beispiel im Brief von A. W. Fehling an Prof. Dr. Marcks, 2. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 193 Vgl. Hoffmann, Petra, Weibliche Arbeitswelten in der Wissenschaft: Frauen an der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1890–1945, Bielefeld, 2014, S. 234 (Im Folgenden zitiert als Hoffmann, Weibliche Arbeitswelten). Zum Frauenbild in der Wissenschaftslandschaft der Weimarer Republik siehe auch Vogt, Annette, Vom Hintereingang zum Hauptportal? Lise Meitner und ihre Kolleginnen an der Berliner Universität und in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, Stuttgart, 2007, S. 123–244. 194 Vgl. Altenstraßer, Christina, Umstrittene Anerkennung: Habilitation und Geschlecht. Das Beispiel der Berliner Staatswissenschaften 1920–1933, in Auga, Ulrike; Bruns, Claudia; Harders, Levke; Jähnert, Gabriele (Hgg.), Das Geschlecht der Wissenschaften: Zur Geschichte von Akademikerinnen im 19. und 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main, 2009, S. 240. 195 Vgl. Hoffmann, Weibliche Arbeitswelten, S. 345. An der Philosophischen Fakultät der Berliner Universität wurden zwischen 1919 und 1932 zwölf Wissenschaftlerinnen habilitiert, bei insgesamt 221 Habilitationen. Vgl. Vogt, Annette, Schwestern und Freundinnen. Zur Kommunikations- und Beziehungskultur unter Berliner Privatdozentinnen, in Labouvie, Eva (Hg.), Schwestern und

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

179

eingeschränkten Möglichkeiten von Frauen in der Wissenschaft waren für Fehling ein Grund, in ihnen nicht in gleichem Maße wie in den männlichen Bewerbern zukünftige Entscheidungsträger zu sehen. In den Gutachten zu Bewerberinnen finden sich häufig Bemerkungen, die das weibliche Geschlecht und eine Einschätzung der wissenschaftlichen Fähigkeiten miteinander verknüpfen196. A. Löwe befand etwa mit der Bemerkung, dass er „keineswegs auf dem Standpunkt stehe, dass Mangel an schöpferischer Begabung eine weibliche Eigenschaft schlechthin“ sei, dass Charlotte Lorenz der „Blick für grössere Zusammenhänge und das notwendige Fingerspitzengefühl, um einen wissenschaftlichen Tatbestand in seiner Gesamtbedeutung zu beurteilen“ fehlten. Sie würde „eine ausgezeichnete Assistentin für einen wissenschaftlich produzierenden Menschen“ abgeben197. Die letztlich erfolglose Hedwig von Römer erschien einem Gutachter geeignet, „die deutsche Frau“ (und nicht etwa die deutsche Wissenschaftlerin) im Ausland zu repräsentieren198. Alfred Weber empfahl Hedwig Tönniessen als eine seiner „begabtesten Schülerinnen“, die „auch die äußeren Dinge der Organisation, der Reise, des Herankommens an Menschen sehr gut bewältigen wird, trotzdem sie eine Frau ist“199. Dieses Zitat zeigt besonders deutlich, wie wenig selbstverständlich es war, Reisestipendien an junge Frauen zu verleihen. Die Ablehnung mehrerer Bewerber und Bewerberinnen wurde durch ihre unzureichende wissenschaftliche Qualifizierung gerechtfertigt, wobei einige Kandidaten von den Mitgliedern des Komitees Hilfe bei der Ausarbeitung ihrer Studienpläne erhielten und andere nicht. Schumacher urteilte 1926, die Dissertation eines der Bewerber vermittele das „Bild eines fleißigen, aber nicht sehr klaren Kopfes“, auch der Arbeitsplan sei „reicher an Worten als an Einsicht“200. Ein anderer Bewerber wurde zurückgewiesen, da Schumacher „nach längerer Rücksprache“ die wissenschaftliche Eignung bezweifelte und Mendelssohn Bartholdy auf besondere Schwierigkeiten des Forschungsthemas hinwies. Da der Bewerber über die Einwirkung der Bundesstaatsgewalt auf das Trust- und Kartellwesen in den Vereinigten Staaten arbeiten Freundinnen: zur Kulturgeschichte weiblicher Kommunikation, Köln, Weimar, Wien, 2009, S. 152 (Im Folgenden zitiert als Vogt, Schwestern und Freundinnen). 196 Alle Bewerberinnen wurden von Männern begutachtet. Allein Gerhard Mackenroth legte seiner Bewerbung ein Empfehlungsschreiben von Dr. Luise Sommer (Wien) bei. Vgl. Brief von L. Sommer an G. Mackenroth, 30. Dezember 1927, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2289, Blatt 8. 197 Brief von A. Löwe an A. W. Fehling, 20. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 198 Brief von B. Harms an A. W. Fehling, 16. Februar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 199 A.  Weber, Gutachten über H.  Tönniessen, 5.  Februar 1929, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 18. Tönniessen wurde das Stipendium 1929 verliehen. 200 H. Schumacher, Gutachten zum Antrag von E. Egner, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10.

180

Transatlantische Aufbruchsstimmung

wollte201, kann vermutet werden, dass nicht nur die fehlende „wissenschaftliche Eignung“, sondern auch der enge Bezug des Themas zu den wirtschaftlichen Tätigkeiten der Rockfeller Familie zur Ablehnung beigetragen haben. Andere Gründe für die Ablehnung waren literarische statt sozialwissenschaftlicher Forschungsinteressen202, nicht wissenschaftliche, sondern praktisch ausgerichtete Ziele203 oder eine zu geringe Verbindung von Arbeitsplan und Gastland204. Auch fehlende wissenschaftliche Originalität205 wurde bei einem Bewerber bemängelt, während einem anderen vorgeworfen wurde, seine Phantasie sei stärker als seine Denkfähigkeit206. Neben Bedenken gegenüber der Person beurteilte Schumacher das Thema einer Antragstellerin, die in den USA über „Die Grundlagen der amerikanischen Konjunkturtheorie und die Möglichkeiten der Wirtschaftsvoraussage“ arbeiten und dabei „die amerikanische Frauenfrage, soweit sie die soziale Lage der gewerblichen Arbeiterin betrifft“ einbeziehen wollte207, als „arg abgegriffen“208, obwohl es durch Praxisbezug, Aktualität und eine mögliche empirische Ausrichtung durchaus in den Stipendienplan gepasst hätte. Auch die Persönlichkeit der Antragsteller wurde kritisch bewertet. Eine der Hauptschwierigkeiten sei es, „Menschen zu finden, bei denen wissenschaftliche Leistung und Charaktereignung in dem richtigen Verhältnis stehen“, klagte Fehling. Dieser Punkt sei gerade in Deutschland besonders schwierig, da das deutsche „akademische System bei der Auswahl des Nachwuchses ein übergroßes Gewicht auf die wissenschaftliche Leistung legt, während z. B. Amerika neben den wissenschaftlichen die pädagogischen und allgemein menschlichen Qualitäten viel stärker berücksichtigt“209. Oft finde er Bewerber vor, die zwar eine gute wissenschaftliche Arbeit verfasst hätten, doch bei denen es eher zweifelhaft sei, ob diese Leistung Defizite in anderer Richtung aufwiege. „Anyway, it is often difficult to refuse such a man because there is no reliable

201 Vgl. Protokoll der Sitzung des Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 26. April 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 202 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. Mentz, 25. August 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 203 Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an v. Gröning, 31. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 204 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an Studienrat Meissinger, 6.  Februar 1928, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 205 Vgl. Herr Lasser, Gutachten für E. Barth, 10. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 206 Vgl. Kessler, Gutachten zum Antrag von R.  Weidenhammer, 1.  April 1927, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 207 Brief von C. Lorenz an A. W. Fehling, 21. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 208 H. Schumacher zu den Anträgen 1927, 8. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 209 Brief von A. W. Fehling an L. G. Robinson, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11.

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method to prove the existence or non-existence of these other qualifications with the same exactness as the value of printed works“210. Der eingereichte Lebenslauf gab Fehling erste Informationen zum bisherigen Lebensweg der Bewerber. Die folgende Aufstellung enthält die Berufe der Väter und den Familienstand der erfolgreichen Kandidaten. Tabelle 8: Berufe der Väter und Familienstand der LSRM-Stipendiaten. Name, Vorname

Berufe der Väter der LSRM-Stipendiaten

Familienstand des ­Stipendiaten

Beushausen, Gertrud

Bergakademieprofessor, gest. 1904

ledig

Brok, Otto

Papierwarenfabrikant, gest. 1907

ledig

Flügge, Eva

Universitätsprofessor, Dr. med.

ledig

Freund, Rudolf

Postinspektor

verh., 1 Sohn

Gerhard, Dietrich

Vater Justizrat, Mutter Schriftstellerin

ledig

Grüger, Franz

Keine Angabe

verh., 2 Kinder

Harnack, Arvid

Professor, verstorben

ledig

Heberle, Rudolf

Oberlehrer, pensioniert

verh., 1 Sohn

Kirchhoff, Paul

Architekt, verstorben

ledig

Kühne, Karl Otto

Mittelschulrektor, Dr.

ledig

Laun, Justus Ferdinand

Kaufmann

verh.

Liepmann, Clara Maria

Professor für Strafrecht und Kriminalpolitik

ledig

Linhardt, Hanns

Post-Assistent im Ruhestand

ledig

Mackenroth, Gerhard

Oberstadtsekretär, gest. 1924

ledig

Merkert, Emil

Keine Angabe

ledig

Pfeifer, Gottfried

Studienrat am Friedrich Wilhelms Gymnasium in Berlin

ledig, seit mehreren Jahren verlobt

Predöhl, Andreas

Senator, Dr. jur.

verh.

Scherpner, Hans

Versicherungsbeamter

verh., 1 Kind

Schneider, Kurt

Kaufmann, gest. 1920

ledig

Staehle, Hans

Kaufmann

ledig

Trömel, Werner

Prokurist der Jutespinnerei Tränkner & Wurzker in Leipzig-Lindau, gest. 1918

ledig, Heirat vor der Abfahrt

Trützschler v. Falkenstein, Heinz

Hauptmann a. D., gest. 1909

ledig

210 Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 24. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11, S. 3.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Name, Vorname

Berufe der Väter der LSRM-Stipendiaten

Familienstand des

Vagts, Alfred

Mühlenbesitzer und Landwirt

ledig, Heirat nach der Bewilligung

Vossler, Otto

Professor für Romanistik in München

Keine Angabe

Wohlfahrt, Erich

Vater 1911 gestorben, „comes from a family in modest circumstances“

ledig, Heirat vor Abfahrt

­Stipendiaten

(Quelle: Lebensläufe und Korrespondenz im Nachlass A. W. Fehling, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8–18, und im Nachlass H. Schumacher, LB Oldenburg, HS 362.2207, HS 362.2211, HS 362.2230, HS 362.2231, HS 362.2237, HS 362.2242, HS 362.2244, HS 362.2260, HS 362.2272, HS 362.2275, HS 362.2278, HS 362.2280, HS 362.2289, HS 362.298, HS 362.2309, HS 362.2313, HS 362.2335, HS 362.2338, HS 362.2249, HS 362.2359, HS 362.2360, HS 361.2361, HS 362.2362, HS 362.2363, HS 362.2371).

Während die soziale Herkunft der männlichen Bewerber nicht ausschließlich auf Akademikerhaushalte beschränkt war, waren alle drei Stipendiatinnen Töchter von Universitätsprofessoren. In seinen Charakterisierungen der Stipendiaten für das LSRM hob Fehling positiv hervor, wenn sich Bewerber ihren Weg an die Universität mühsam hatten erarbeiten müssen. Hanns Linhardt, so Fehling, sei das siebte von acht Kindern eines mittleren Postbeamten, der die Schule vor dem Abitur habe verlassen müssen, um als „apprentice in business“ zu arbeiten. Erst später habe er das Abitur nachholen und schließlich promovieren können. Paul Kirchhoff beschrieb Fehling als „an orphan who made his way under extreme difficult conditions. His father was an architect. He left his son without any means“211. Nur durch Hilfe einiger Freunde und Universitätsdozenten habe der Bewerber die akademische Ausbildung abgeschlossen. Er mache den Eindruck eines „high gifted and promising man, a solid and serious research worker. He may have got a certain bitterness caused by the steady need he went through, but he certainly did not lose at all his strength and energy“212. Ein Experiment war die Verleihung des Stipendiums an Werner Trömel. Dessen Ausbildung sei durch den Krieg stark behindert worden, erklärte Fehling. Durch den Tod des Vaters verlor die Familie dessen Einkommen, die Inflation vernichtete ihr Vermögen und hinterließ die Witwe, Trömel und vier kleine Geschwister ohne finanzielle Mittel. Während seiner Studien arbeitete Trömel daher gleichzeitig als persön211 A. W. Fehling zu den Bewerbern 1928, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. Kutscher erwähnt diese Schwierigkeiten in seinem Nachruf nicht. Dort heißt es: „Die Gradlinigkeit und Unbeugsamkeit, der ein warmes soziales Gerechtigkeitsgefühl entsprach, mag Paul Kirchhoff von seinen westfälischen Eltern, dem Architekten Richard Kirchhoff und dessen Gattin Minna, geb. Wentrup geerbt haben“. Kutscher, Gerdt, Paul Kirchhoff (17. August 1900–12. September 1972), in Zeitschrift für Ethnologie 98 (1973), S. 167. 212 A. W. Fehling zu den Bewerbern 1928, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15.

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licher Sekretär eines Fabrikdirektors. Die wirtschaftlichen Schwierigkeiten seien auch der Grund, warum er bisher nur seine Dissertation veröffentlicht habe. „He appeals to my sympathy. I had the impression of a very attractive and serious personality with deep scientific interests“213, schloss Fehling. Auch das LSRM betrachtete die Verleihung des Stipendiums als interessanten Versuch: We shall be especially interested in Dr. Troemel to see what influence the less academic experience may have upon the character of the work he does. As you know, we are not overly influenced by formal academic degrees and your selection of Dr. Troemel is for that reason an interesting experiment214.

Gerade die untypischen Lebensläufe weckten die Aufmerksamkeit und Sympathie Fehlings, auch wenn ein Großteil der erfolgreichen Bewerber aus dem Bildungsbürgertum stammte und ein weiterer Teil Fabrikanten, Kaufleute oder leitende Angestellte zum Vater hatte215. Fehling hatte seine wissenschaftliche Ausbildung selbst aus finanziellen Gründen unterbrechen müssen und brachte für Schwierigkeiten dieser Art besonderes Verständnis auf. Für die Einschätzung der Persönlichkeit wurden neben persönlichen Gesprächen, deren Bedeutung Fehling gegenüber dem LSRM stark hervorhob216, die vertraulich eingeholten Gutachten einbezogen. In seinen Anfragen bat Fehling um eine Einschätzung des Charakters der Bewerber und ihrer Eignung für den Auslandsaufenthalt. Wie die folgende Auflistung zeigt, waren durch das Begutachtungssystem relativ viele Wissenschaftler in das Stipendienprogramm einbezogen.

213 A. W. Fehling zu den Kandidaten des Jahres 1927, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12, S. 2. 214 Brief von L. K. Frank an A. W. Fehling, 27. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 215 In der Weimarer Republik ging der Anteil an Geistlichen und Universitätsabsolventen unter den Vätern der deutschen Hochschullehrer zurück, während der Anteil der Fabrikanten, Großkaufleute und leitenden Angestellten anstieg. Den Wendepunkt für diese Veränderung sieht Ringer nicht 1919, sondern bereits 1890. Vgl. Ringer, Fritz, Das gesellschaftliche Profil der deutschen Hochschullehrerschaft 1871–1933, in Schwabe, Klaus (Hg.), Deutsche Hochschullehrer als Elite. 1815–1945, Boppard am Rhein, 1988, S. 95–99. 216 Vgl. Brief von L. K. Frank an A. W. Fehling, 26. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Tabelle 9: Gutachter der LSRM-Stipendiaten. Jahrgang

Name, Vorname

Gutachter (in fett die Mitglieder des Deutschen Komitees)

1925

Flügge, Eva

Prof. Schumacher (Berlin)

1925

Harnack, Arvid

Prof. Mendelssohn Bartholdy (Hamburg)

1925

Predöhl Andreas

Prof. Harms (Kiel)

1925

Vossler, Otto

(empfohlen durch Prof. Oncken)

1926

Brok, Otto

Prof. Schumacher (Berlin)

1926

Heberle, Rudolf

Prof. Mann (Königsberg), Prof. Harms (Kiel)

1926

Kühne, Otto

Prof. Biermann

1926

Merkert, Emil

Prof. Schmalenbach, Geheimrat Eckert, Prof. Thiess, Prof. Esch

1926

Scherpner, Hans

Prof. Schumacher (Berlin), Prof. Klumker (Frankfurt)

1926

Trützschler, Heinz von Falkenstein

Prof. Meinecke (Berlin), Legationsrat Stieve, Dr. Friedrich Thimme

1926

Wohlfahrt, Erich

Prof. Krüger (Leipzig), Prof. Sander (Leipzig), Prof. Sachsenberg (Dresden), Dr. Beck

1927

Gerhard, Dietrich

Prof. Meinecke (Berlin)

1927

Grüger, Franz

Prof. Saenger (Berlin), Prof. Meerwarth (Berlin) Prof. Schumacher (Berlin)

1927

Laun, Justus Ferdinand

Prof. G. Bertram (Gießen), Prof. Siegmund-Schultze (Berlin)

1927

Liepmann, Clara Maria

Dr. Wilhelm Hertz (Direktor des Landesjugendamts Hamburg), Prof. Mendelssohn Bartholdy (Hamburg), Prof. Grünhut ( Jena), Prof. Pohl (Göttingen)

1927

Trömel, Werner

Kessler ( Jena), Prof. Vershofen, Prof. Gutmann ( Jena)

1927

Vagts, Alfred

Prof. Mendelssohn Bartholdy (Hamburg), Prof. Hashagen (Hamburg)

1928

Beushausen, Gertrud

Prof. Gottl-Ottilienfeld (Berlin), Prof. Salin (Basel), Prof. v. Eckart (Institut für Zeitungswesen, Univ. Heidelberg), Prof. v. Schubert (Heidelberg)

1928

Freund, Rudolf

Prof. Salin (Basel), Prof. Harms (Kiel), Geh. Rat Alfred Weber (Heidelberg)

1928

Kirchhoff, Paul

Fritz Krause (Ethnologisches Museum, Leipzig), Prof. Preuss (Direktor Staatliches Museum für Völkerkunde), Dr. Walter Lehmann (Director of the Department of African, Oceanic, and American Collections at the Ethnological Museum at Berlin and Dahlem)

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Jahrgang

Name, Vorname

Gutachter (in fett die Mitglieder des Deutschen Komitees)

1928

Linhardt, Hanns

Prof. Bruck (Münster), Prof. Kalveram (Frankfurt, Institut für Wirtschaftswissenschaft), Prof. Isaac (Nürnberg), Prof. F. Zizek (Frankfurt), Prof. Jacobi (Münster), Prof. Hellauer (Frankfurt)

1928

Mackenroth, Gerhard

Prof. Aubin (Halle), Prof. Cassel (Djursholm), Prof. Röpke ( Jena), Prof. Schumpeter (Bonn), Dr. Luise Sommer (Wien) (die vier letzten Gutachten wurden von Mackenroth selbst eingeholt)

1928

Pfeifer, Gottfried

Prof. Waibel (Kiel)

1928

Schneider, Kurt

Prof. Brinkmann (Rektor der landwirtschaftlichen Hochschule Bonn Poppelsdorf ), Prof. Kappen (Institut für Chemie der Landwirtschaftlichen Hochschule Bonn Poppelsdorf ), Prof. Boas (New York), Prof. Erdmann (Univ. of California)

1928

Staehle, Hans

Prof. Schumpeter (Bonn)

(Quelle: Bewerbungsunterlagen der Stipendiaten, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2207, HS 362.2211, HS 362.2360, HS 362.2230, HS 362.2231, HS 362.2237, HS 362.2242, HS 362.2260, HS 362.2275, HS 362.2278, HS 362.2280, HS 362.2289, HS 362.2309, HS 362.2335, HS 362.2338, HS 362.2349, HS 362.2359, HS 362.2362, ergänzt durch Nachlass A. W. Fehling, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8–18).

Nur für den ersten Jahrgang wurden kaum externe Gutachter hinzugezogen. Während für einige der Kandidaten nur eine Bewertung vorlag, konnte das Komitee bei vielen Bewerbern auf eine Reihe von Gutachten zurückgreifen, die sich nicht selten widersprachen und ein vielschichtiges Bild vermittelten. Ein gewisser Überschwang in der Beurteilung der Persönlichkeit der Bewerber war nicht selten. Ein Antragsteller wurde als „Gentleman im wahren Sinne des Wortes“217 bezeichnet, ein anderer als „ungewöhnlich ernster und tiefgründiger Mensch“218. Gute Umgangsformen wurden besonders hervorgehoben: In der „Art seines Auftretens und in seinem persönlichen Benehmen“ habe einer der Kandidaten „stets den allerbesten Eindruck gemacht“219. Von Vorteil erschien auch ein freundliches Wesen: Werner Trömel wurde als „sympathischer Typus einer aufstrebenden Generation“220 charakterisiert. 217 B. Harms, Gutachten über A. Predöhl, August 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 218 Brief von B. Harms an A. W. Fehling, 1. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 219 A.  Mendelssohn Bartholdy, Gutachten über A.  Harnack, 13.  Mai 1925, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 220 F.  Gutmann, Gutachten über W.  Trömel, 27.  Februar 1927, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 11.

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Vor allem aber war wichtig, dass die Bewerber als „gut[e] Repräsentant[en] des deutschen akademischen Nachwuchses“221 erschienen. Dieser Verweis findet sich in einem großen Teil der befürwortenden Gutachten. So wurde Otto Brok attestiert, er werde sich „durch seine bescheidene idealistische Art, sein ernstes Streben und die Vielseitigkeit seiner Interessen“ als ein „würdiger und werbender Vertreter des jungen deutschen Gelehrtentums“222 erweisen. Ein anderer Gutachter glaubte, aus seiner „eigenen Kenntnis des Auslandes und speziell der Vereinigten Staaten“ ableiten zu können, dass Trömel „in den Vereinigten Staaten ein Repräsentant des Deutschtums, und der Deutschen Wissenschaft im allerbesten und allervornehmsten Sinne sein würde“223. In einigen Gutachten wurden die Kandidaten mit den Stipendiaten anderer Länder verglichen. Eine Ablehnung wurde damit begründet, dass die deutschen Stipendiaten „sich auch gegenüber einer ausgewählten Schar von neun anderen europäischen Ländern zu behaupten haben“224. In einem befürwortenden Gutachten heißt es, dem Bewerber könne das Stipendium verliehen werden, „ohne die Befürchtung, damit im Ausland schlecht abzuschneiden“225. Die Stipendiaten waren sich dieses Blickes bewusst: Hans Staehle betonte, er wüsste von einem vorherigen Aufenthalt in den USA, wie leicht man dort dazu neigt, aus dem Verhalten ausländischer Stipendiaten auf den Stand der von diesen vertretenen Wissenschaft in dem jeweiligen Heimatlande zu schliessen und auch den Eindruck, den man vom einzelnen Ausländer erhält, zum Ausgangspunkt kühner Verallgemeinerungen zu machen226.

Für einige Gutachter waren die Stipendien ein Mittel der Völkerverständigung. Wilhelm Hertz, Direktor des Landesjugendamts Hamburg, meinte, ein Auslandsstudium würde nicht nur der Bewerberin Clara Maria Liepmann zugutekommen, sondern auch „dem Gedanken der Befreundung und Versöhnung der Nationen in der richtigen Weise dienen“. Es sei ihm bekannt, dass Liepmann „sich mit großer

221 Brief von B. Harms an A. W. Fehling, 1. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 222 H. Schumacher, Gutachten über O. Brok, 27. April 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 223 Brief von Prof.  Vershofen an A.  W.  Fehling, o.  D. (Februar/März 1927?), in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 224 Brief von F.  Schmidt-Ott  (?) an Ministerialdirektor Richter, 6.  Mai 1926, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 9, S. 2. 225 Brief von J. V. Bredt an A. W. Fehling, 1. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 226 Brief von H.  Staehle an A.  W.  Fehling, 5.  September 1928, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 17.

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Freudigkeit in den Dienst dieses Gedankens gestellt“227 habe. Den Nutzen für Deutschland hatten die Gutachter ebenfalls im Blick: Harms bemerkte, die Verwirklichung der Reisepläne eines Bewerbers sei „sogar im Interesse des Reiches“, da es sich bei dem Kandidaten um den Verfasser des Gesetzesentwurfs für den endgültigen Reichswirtschaftsrat228 handele. Ein Professor erhoffte sich von den Studien Hanns Linhardts in den USA Anregungen zur Verbesserung des deutschen Bankwesens229, Schumpeter meinte, Hans Staehle sei „wie wenige geeignet, bei uns weniger bekannte amerikanische Forschungsmethoden lebendig zu erfassen“230. Eine negative Einschätzung der Persönlichkeit führte fast immer zur Ablehnung der Bewerbung. Harms warnte mit Verweis auf die „Kompliziertheit seiner Persönlichkeit“231 vor einem Antragsteller, ein anderer wurde von Schumacher wegen „der äusserst kleinbürgerlichen Art seiner ganzen Persönlichkeit“232 abgelehnt. Der „merkwürdige[n] Bewerberin“ Charlotte Lorenz wurde vorgeworfen, sie verfolge „ihre rein egoistischen Ziele mit einer bemerkenswerten Zielsicherheit und mit grösster Rücksichtlosigkeit“233. Die „Personenfrage“ blieb ein wichtiges Problem. 1928 konstatierte Fehling, dass die „Erfahrungen der letzten Jahre […] oft trübe“ waren. „Persönlichkeiten, die wissenschaftliches Können und menschliche Zuverlässigkeit vereinen, scheinen in Deutschland auszusterben“234. Sozialwissenschaften und Politik: Der Umgang mit persönlichem Engagement und politischen Forschungsplänen

Bewerber mit klarem politischem Engagement oder heiklen Arbeitsplänen stellten das Komitee vor schwierige Abwägungen. 1926 ging einen Tag vor der Auswahlsitzung der Antrag des kommunistisch orientierten Wirtschaftswissenschaftlers Jürgen Kuczynski ein. Die Bewerbung ging auf eine Anregung von Harold Glenn Moulton, Direk-

227 W. Hertz, Gutachten über Clara Maria Liepmann, 2. Januar 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 228 Vgl. B. Harms, Gutachten über E. Barth, 12. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 229 Vgl. Prof.  Dr.  Kalveram, Gutachten über H.  Linhardt, 20.  Januar 1927, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 230 Brief von J. Schumpeter an A. W. Fehling (Gutachten über H. Staehle), 21. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 231 Brief von B. Harms an A. W. Fehling, 18. August 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 232 H. Schumacher zu den Anträgen 1927, 8. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 233 Ebd. 234 Brief von A.  W.  Fehling an S.  Kähler, 28.  November 1928, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 17.

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tor des „Institute of Economics“ in Washington, zurück235. Kuczynski gab an, in den USA „die theoretische und praktische Behandlungsweise des Konjunkturproblems in Amerika“ kennenlernen zu wollen, außerdem wünschte er „die Geschichte und Theorie der Finanz in den Vereinigten Staaten“ zu studieren und sich mit den Zweigen der Volkswirtschaft vertraut zu machen236. In der Auswahlsitzung wurde die Entscheidung vertagt: Bei diesem Antrage liegen gewisse Bedenken wegen der radikalen politischen Einstellung des Bewerbers vor, aus der gegebenenfalls Nachteile für die weitere Entwicklung des Stipendienplanes erwachsen könnten. Das Komitee beschließt, zunächst Gutachten bei den Erlanger Universitätslehrern einzuholen und später Herrn Dr. Kuczynski zu einer persönlichen Vorstellung bei dem Herrn Vorsitzenden und Herrn Geheimrat Schumacher aufzufordern237.

Nach der Sitzung bat Fehling Prof. von Eheberg und Prof. Hensel in Erlangen, bei denen Kuczynski 1925 mit der Arbeit „Der ökonomische Wert. Eine wirtschaftstheoretische, soziologische und geschichtsphilosophische Studie“ promoviert hatte, um ihre Einschätzung238. Von Eheberg teilte mit, er habe die Dissertation auf „ausreichend bis gut“ geschätzt, die mündliche Prüfung sei „eine normale, aber keineswegs eine besonders bemerkenswerte Leistung“ gewesen239. Von Hensel erbat Fehling eine vertrauliche Beurteilung, „ob auf Grund der persönlichen Erlanger Erfahrungen Ihres Beachtens aus der politisch radikalen Einstellung des Antragstellers Schwierigkeiten oder Nachteile für die weitere Entwicklung des Stipendienplanes erwachsen könnten“240. Es sei schwierig, so Hensel in seiner Antwort, „bei einem so jungen Menschen mit einiger Sicherheit eine in der Zukunft liegende Entwicklung vorauszusagen“, er glaube jedoch nicht, dass diese „eindeutig in kommunistischen Rahmen verlaufen“ werde. Ein Aufenthalt in den USA wäre sehr nützlich, um die „Gegenströmungen“ zu stärken241.

235 Vgl. Protokoll der Sitzung des Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 26. April 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 4–5. 236 Brief von J. Kuczynski an A. W. Fehling, 22. April 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 237 Protokoll der Sitzung des Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 26. April 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 5–6. 238 Brief von A. W. Fehling an v. Eheberg, 29. April 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 239 Brief von v. Eheberg an A. W. Fehling, 1. Mai 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 240 Brief von A. W. Fehling an P. Hensel, 29. April 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 241 Brief von P. Hensel an A. W. Fehling, 1. Mai 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9.

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Nach Bewertung des Antrags, der Gutachten und Kuczynskis letztem Buch „Zurück zu Marx!“242 durch Schumacher entschloss sich das Komitee zur Ablehnung. Dem Bewerber wurde mitgeteilt, dass es nicht möglich gewesen sei, den Antrag, zusätzlich zu den während der Komiteesitzung ausgewählten, nach New York zu schicken243. Den Entwurf dieses den eigentlichen Ablehnungsgrund unterschlagenden Schreibens hatte Fehling zuvor Schumacher zugesandt244, der auch meinte, dass „wir so am leichtesten aus der schwierigen Sache herauskommen“245. Kuczynski ging schließlich mit einem anderen amerikanischen Stipendium, das er mit Hilfe seines Vaters bekam246, an die Brookings Institution in Washington247. Zu einer Klarstellung der Haltung des Memorials führte zwei Jahre später die Bewerbung von Julian Gumperz, einem amerikanischen Staatsbürger, der in Deutschland gelebt und studiert hatte. Gumperz hatte auf ein Stipendium der Brookings School für eine Studie über die amerikanische Gesellschaft und „the changes effected in American social life since the United States entered into an active stage of imperialist policy“ gehofft, die Einrichtung war jedoch kurz zuvor aufgelöst worden. Gumperz war nun am Institut für Sozialforschung in Frankfurt mit vorbereitenden Studien für sein Forschungsprojekt beschäftigt248. Das LSRM war bereit, im Falle von Fehlings Einverständnis, der den Antragsteller durch gelegentliche Kontakte 242 Kuczynski, Jürgen, Zurück zu Marx!, Leipzig, 1926. 243 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an J.  Kuczynski, 20.  Juli 1926, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 10. 244 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Schumacher, 14. Juli 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 245 Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 17. Juli 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. Im Nachlass Kuczynskis im Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften befinden sich keine Dokumente über diese Bewerbung (NL J. Kuczynski, in Archiv der BerlinBrandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Nr. 40, 125, 165, 167). 246 Vgl. Kuczynski, Jürgen, Memoiren. Die Erziehung des J. K. zum Kommunisten und Wissenschaftler, Berlin, Weimar, 1975, S. 112. 247 Kuczynski trat 1930 der KPD bei und war als Wirtschaftsredakteur der „Roten Fahne“ tätig. Vgl. Kessler, Mario, Jürgen Kuczynski – ein linientreuer Dissident?, in Utopie kreativ Heft 171 (2006), S.  43. 1930 meldete er sich noch einmal bei der Rockefeller Foundation, um sich über die Möglichkeiten eines Stipendiums für Forschungen zu Arbeitsbedingungen in Deutschland zu informieren. Tracy B. Kittredge erklärte ihm, dass die Stipendien nicht für Studien im eigenen Land gedacht seinen und verwies ihn an Fehling. Dort scheint eine erneute Bewerbung jedoch nicht eingegangen zu sein. 1936 ging Kuczynski nach London ins Exil, er arbeitete dort für die britische Kommunistische Partei und den sowjetischen Geheimdienst. 1944/45 war er als Statistiker für die amerikanische Armee tätig, 1945 wurde er Präsident der Zentralverwaltung für Finanzen in der Sowjetischen Besatzungszone. Es folgte eine akademische Karriere in der DDR. Vgl. Brief von T. B. Kittredge an J. Kuczynski, 20. Juni 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. Vgl. Kessler, Jürgen Kuczynski – ein linientreuer Dissident?, S. 43. 248 Brief von J. Gumperz an das LSRM, 29. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15.

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persönlich kannte, ein Stipendium zu vergeben249. Fehling schickte dem LSRM einige von ihm zusammengetragene Informationen und fragte in diesem Fall direkt nach der gewünschten Verfahrensweise: He is a very able man of high qualities, worth of any assistance. I would not hesitate to call him an exceptional individual, but there is one question which I feel I have to bring before you. Dr. Gumperz is a communist who took part in the communistic movement here in Germany. He is the son of a well-to-do industrialist, and gave up a lot, when following the creed he sincerely believed in. As far as I know, he still sticks to his ideas. One of his academic teachers here in Berlin whom I am very well acquainted with, expressed the opinion to me that he thinks Dr. Gumperz not only an unusually gifted man but also a very sincere person and straight character who would certainly desist from any political activity during a stay in the United States, if he promised to do so250.

An Gumperz selbst schrieb Fehling, dass die Sitzung für deutsche Antragsteller schon stattgefunden habe und daher für das Jahr 1928/29 nur an eine, durch seine amerikanische Staatsbürgerschaft begründete, Behandlung außerhalb der deutschen Gruppe zu denken sei251. Wenige Tage später teilte das Memorial mit: Day thinks that if Dr. Gumperz is nominated, his application should come in the usual way through the German Committee. If the Committee is satisfied that Dr. Gumperz will desist from political activities while on a fellowship, the Memorial is not interested in his convictions and will be glad to consider his application on the same basis as the others252.

Eine Befürwortung durch das Deutsche Komitee scheint jedoch nicht erfolgt zu sein, ein Stipendium erhielt Gumperz nicht. Während das LSRM sich offen zeigte, war das Komitee nicht bereit, Bewerber mit radikalen politischen Ansichten zu unterstützen. So wurde auch der pazifistische und antimilitaristische Dozent der Universität Heidelberg Emil Gumbel, der sich im Herbst 1928 für ein Stipendium für England interessierte253, abgelehnt254. Standen bei den als links eingestuften Kandidaten die Persönlichkeit und die Furcht vor politischer Betätigung im Ausland im Zentrum der Beurteilung, waren es bei den politisch rechts stehenden Bewerbern die Arbeitspläne. Der Historiker 249 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 26. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 250 Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 26. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 251 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Gumperz, 31. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 252 Brief von M. Ch. Cole an A. W. Fehling, 4. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 253 Vgl. E. Gumbel, Lebenslauf, 21. Dezember 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 254 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. Gumbel, 2. März 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19.

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Otto Graf zu Stolberg-Wernigerode bewarb sich für ein Stipendium für die USA, um dort das Thema „Der Deutsche und sein Staate im Spiegel der öffentlichen Meinung der Vereinigten Staaten von Nordamerika. Ein Beitrag zu den deutsch-amerikanischen Beziehungen im Zeitalter des Imperialismus 1898–1914“ zu untersuchen. Auch wenn er dabei „selbstverständlich auch nicht auf Kritik verzichten“ könne, so würde diese sich „immer in sachlichen Grenzen bewegen“ und „vor allem auch gerade für diesen Zeitraum sich gegen deutsche Politik wenden“255, versprach er. Stolberg war von Oncken auf die Stipendien aufmerksam gemacht worden und sprach im September 1926 bei Fehling vor. Gegenüber Oncken machte Fehling sogleich seine Bedenken deutlich: Es scheint mir, und zwar nicht nur vom Standpunkt des Memorials aus, sondern auch von dem des Antragstellers aus, besser zu sein, für die Bearbeitung eines solchen heiklen Themas einen anderen als den Weg eines amerikanischen Stipendiums zu wählen. Meiner Empfindung nach liegt die Gefahr vor, dass jemand, der ein derartiges Thema, über das sicher vieles für Amerika nicht allzu Schmeichelhafte zu sagen ist, mit Hilfe eines von amerikanischer Seite gestifteten Stipendiums bearbeitet, sich innerlich beengt fühlen muss bezw. dass vom Memorial aus eine spätere Publikation der Ergebnisse nachteilige Folgen für den Stipendienplan nach sich ziehen könnte, da es im Sinne der Stiftung liegt, derartige leicht zu Konflikten führende Themen nach Möglichkeit zu vermeiden256.

Oncken gab zu bedenken, dass die Pläne des Antragstellers älter seien als die Idee eines Rockefeller Stipendiums. „Aber es war dabei nur von den Beziehungen Deutschlands zu den USA in den Jahrzehnten vor dem Kriege die Rede, nicht von einem ‚insbesondere in der Zeit unmittelbar vor dem Kriegsausbruch‘. Dieser Zusatz würde, das erkenne ich an, die Bewerbung ganz unmöglich machen“257. Das von Fehling angeforderte Gutachten von Erich Marcks betonte vor allem die „politischen Interessen“ des Bewerbers, dessen Grundhaltung „national“ sei258. Fehling erklärte ihm, dass das „politische Bekenntnis der Antragsteller […] in der Tat in keiner Weise zum Entscheidungsgrund gemacht [werde], es sei denn, daß es sich um Vertreter so extremer Standpunkte handeln würde, daß die politische Parteistellung die wissenschaftliche Objektivität zu gefährden droht“. Er fügte hinzu: 255 Brief von Graf O. von Stolberg, an A. W. Fehling, 22. Januar 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 256 Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 18. September 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 257 Brief von H. Oncken an A. W. Fehling, 23. September 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 258 Brief von E. Marcks an A. W. Fehling, 19. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11.

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Von deutscher Seite aus ist naturgemäß besonderer Wert darauf zu legen, nur solche Antragsteller zu befürworten, die sich drüben als verantwortliche Vertreter des gesamten Deutschlands fühlen werden. Im Übrigen ist es erwünscht, daß Vertreter der verschiedenen politischen Weltanschauungen unter den Stipendiaten sind“259.

Die Bewerbung wurde vom Deutschen Komitee abgelehnt. Fehling hatte zwar Onckens Befürwortung am Anfang der Auswahlsitzung ausführlich vorgetragen (Oncken selbst war aus gesundheitlichen Gründen verhindert), doch die Bedenken bezüglich des Arbeitsplans überwogen, zumal auch „mit einer publizistischen Verwertung der Studienergebnisse“ zu rechnen sei. Die Erlaubnis zur Benutzung der offiziellen Akten sei keineswegs gegeben, zudem schienen die bisher vorliegenden wissenschaftlichen Arbeiten nicht unbedingt auf ein „wissenschaftliches Weiterkommen“ schließen zu lassen260. Oncken bedauerte die Ablehnung, billigte jedoch die Entscheidung des Komitees261. Ein Jahr später erklärte sich Schmidt-Ott bereit, Graf Stolberg durch die Notgemeinschaft einen Betrag von 1500 RM für seine Forschungen zur Verfügung zu stellen262. Stolberg reiste auch ohne das Stipendium in die USA, wo er in Washington im State Department Akten der Bismarck-Zeit konsultierte263. Auch der spätere NS-Historiker Walter Frank interessierte sich für ein LSRMStipendium, um in Frankreich über den Nationalismus der Dritten Republik zu arbeiten. Fehling riet Frank in einem persönlichen Gespräch von einem Antrag an das Memorial ab, da das Thema zu politisch sei, um es mit ausländischem Geld zu bearbeiten, und verwies ihn an die Notgemeinschaft264. Trotzdem wurde der Antrag im Februar 1928 eingereicht und vom Komitee abgelehnt, wobei eine Wiederbewer-

259 Brief von A. W. Fehling an E. Marcks, 5. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 260 Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 2. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 261 Vgl. Brief von A. W. Fehling an F. Schmidt-Ott, 29. Mai 1927, GStA PK, VI. HA Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 262 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 20. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 263 Der LSRM-Stipendiat Alfred Vagts sah ihn dort, ohne ihn zu sprechen, in der deutschen Botschaft wurde ihm erzählt, Stolberg heiße in Washington nur „the gloomy count“. Brief von A. Vagts an A. W. Fehling, 8. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. Zu Otto Graf zu StolbergWernigerode siehe auch Buddrus, Michael; Fritzlar, Sigrid, Die Professoren der Universität Rostock im Dritten Reich. Ein biographisches Lexikon (Texte und Materialien zur Zeitgeschichte 16), München, 2007, S. 394–396 (im Folgenden zitiert als Buddrus et al., Die Professoren). 264 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Heiber (Institut für Zeitgeschichte, München), 27. November 1962, in Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, Archiv, ZS 2040, 13 (online verfügbar unter http://ifz-muenchen.de/archiv/zs/zs-2040.pdf, zuletzt eingesehen am 12. Dezember 2018).

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bung offengelassen wurde. Von dieser Möglichkeit machte Frank jedoch keinen Gebrauch265. Gegen den Wunsch Fehlings lehnte die Rockefeller Foundation 1929 ein Stipendium an den Rassenforscher Ludwig Ferdinand Clauss ab. Der Schüler Edmund Husserls wollte dessen phänomenologische Ansätze auf die von ihm entwickelte „Rassenseelenforschung“ anwenden266 und bewarb sich um ein Stipendium für eine „psycho-ethnologische Durchforschung der vorderasiatischen Menschenarten und ihrer Gemeinschaftsformen“ vor allem in Palästina. Sein letztes Buch „Von Seele und Antlitz der Rassen und Völker“ legte er der Bewerbung bei267. Fehling und SchmidtOtt setzten sich für die Bewilligung eines Sonderstipendiums ein, das die von der Notgemeinschaft bereitgestellten Mittel für die Reise ergänzen sollte268. Die Rockefeller Foundation lehnte den Antrag mit der Begründung ab, dass eine bereits begonnene Untersuchung nicht unterstützt werden könne269. Der Rassenforscher erhielt schließlich 3000 RM aus dem vom LSRM eingerichteten Fonds zur Unterstützung

265 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Heiber (Institut für Zeitgeschichte, München), 25. Juni 1963, in Institut für Zeitgeschichte München – Berlin, Archiv, ZS-2040–16. Das Gesuch war allerdings nicht an das Deutsche Komitee, sondern an das Präsidium der Notgemeinschaft gerichtet. Bei einer Wiederbewerbung forderte das Deutsche Komitee eine Beschränkung der Untersuchung auf die Napoleonische Tradition vor 1870. Vgl. Protokoll der vierten Sitzung des deutschen Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 8. März 1928, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 266 Vgl. Hau, Michael, Körperbildung und sozialer Habitus. Soziale Bedeutungen von Körperlichkeit während des Kaiserreiches und der Weimarer Republik, in Vom Bruch, Rüdiger; Kaderas, Brigitte (Hgg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik: Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20.  Jahrhunderts, Stuttgart, 2002, S.  137. Im Rahmen seiner Rassenforschungen hatte Clauss 1927 mit seiner jüdischen Mitarbeiterin Margarete Landé eine Reise in den Nahen Osten unternommen. Vgl. Wolfradt, Uwe, Art. Ludwig Ferdinand Clauss, in Wolfradt, Uwe; Billmann-Mahecha, Elfriede; Stock, Arnim (Hgg.), Deutschsprachige Psychologinnen und Psychologen 1933–1945. Ein Personenlexikon, Wiesbaden, 2015, S. 68 (Im Folgenden zitiert als Wolfradt, Art. Ludwig Ferdinand Clauss). 267 Vgl. L.  F.  Clauss, Personal History Record, 9.  August 1929, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 20. 268 Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an E. E. Day, 29. August 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 269 Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 23. Oktober 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. Fehling hatte mit dieser Ablehnung nicht gerechnet. Er schrieb an E. E. Day, dass Clauss ein „exceptional individual“, „a very gifted man“ sei. Seine Forschungen beurteilte er als „a real stimulus to research in the ticklish field of race questions“, sein letztes Buch, das Fehling gut kenne, sei „written in a very objective way without race prejudice from any side“. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 14. Oktober 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20.

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der Sozialwissenschaften270. Trotz der Ablehnung erhielt der spätere NS-Dozent für Rassenpsychologie271 auf diesem Weg Gelder der Rockefeller Philanthropie. Die Aufgaben des Deutschen Komitees nach der Ausreise der Stipendiaten

Die Aufgaben des Deutschen Komitees waren mit der Vorauswahl der deutschen Stipendiaten nicht beendet. Fehling forderte von den ausgereisten Nachwuchswissenschaftlern zunächst unregelmäßig, dann aufgrund mangelnder Rückmeldung ab 1927 in dreimonatigen Abständen, Berichte über den Verlauf ihres Auslandsaufenthalts. Ausschnitte der Briefe und Berichte ließ er den Mitgliedern des Komitees zukommen. Die Stipendiaten waren aufgefordert, in allen wichtigen Fragen zuerst das Deutsche Komitee zu kontaktieren. Vor allem versuchte Fehling zu verhindern, dass die deutschen Stipendiaten sich mit Kritik direkt an das Memorial wandten272. Sonderwünsche der deutschen Fellows versuchte er zu begrenzen. So riet er Trömel von einem Erstattungsantrag für Arztkosten ab, da es sich nicht um eine ernstere Erkrankung gehandelt habe273. Wollte ein deutscher Stipendiat seinen Aufenthalt im Ausland verlängern, reichte er sowohl in New York als auch in Berlin einen Verlängerungsantrag ein. Das LSRM erklärte sich bereit, gegen den Willen des Komitees keine Verlängerungen auszusprechen. Hatten die Stipendiaten zu diesem Zeitpunkt nicht ausführlich über ihre Arbeit und Zukunftspläne berichtet, entschied das Komitee sich gegen eine Verlängerung. Wollte ein Fellow die Verlängerungszeit in einem anderen Land verbringen, prüften die Mitglieder des Komitees die Kohärenz mit den ursprünglichen Plänen, um zu verhindern, „that a Fellow might use some vague research plan as excuse for seeing still another country he wants to see“274. Auch dieses Verfahren stellte eine deutsche 270 Vgl. Brief von A. W. Fehling an L. F. Clauss, 31. März 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. Brief L. F. Clauss an E. E. Day, 1. Oktober 1930, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 660. 271 Er wurde 1943 wegen „Rassenschande“ entlassen, da ihm ein Verhältnis mit M. Landé, die er bis zum Ende des Krieges erfolgreich versteckte, vorgeworfen wurde. Vgl. Wolfradt, Art. Ludwig Ferdinand Clauss, S. 68. Zu Clauss siehe auch die Biographie Weingart, Peter, Doppel-Leben. Ludwig Ferdinand Clauss: Zwischen Rassenforschung und Widerstand, Frankfurt am Main, 1995 und die kritischen Bemerkungen von Böhnigk, Volker, Kulturanthropologie als Rassenlehre: nationalsozialistische Kulturphilosophie aus der Sicht des Philosophen Erich Rothacker, Würzburg, 2002, S. 110. 272 Einer der Stipendiaten hatte sich gleich nach der Ankunft beim LSRM über die Höhe des Stipendiums beschwert, das seiner Meinung nach einem Privatdozenten unangemessen war. Vgl. Brief von A. W. Fehling an D. Gerhard, 29. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 273 Brief von A. W. Fehling an W. Trömel, 14. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 274 Brief von A. W. Fehling an L. K. Frank, 16. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12.

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Ausnahme dar: Für die Stipendiaten der anderen europäischen Länder wurde die Entscheidung über Verlängerungen allein von den Mitarbeitern des LSRM getroffen. Für die Deutschen hingegen blieb das Komitee auch nach der Ausreise ein wichtiger Ansprechpartner. Auf Einladung Rumls führte Fehling im Sommer 1927, gemeinsam mit seiner Frau, eine zweite Amerikareise durch275. Er gewann zwar den Eindruck, dass das LSRM von der Entwicklung des Stipendienprogramms „im allgemeinen befriedigt“ war und die deutschen Stipendiaten „als Gesamtgruppe im Vergleich mit denen der anderen Nationen durchaus gut abgeschnitten“ hatten, doch wurde ihm auch mitgeteilt, dass einige Deutsche ohne ausreichende Kenntnis der amerikanischen Fachliteratur angereist seien und viel Zeit mit der Einarbeitung verloren hätten. Das LSRM äußerte den Wunsch nach nicht zu jungen Bewerbern, „und zwar weniger im Sinne des Lebensalters als der menschlichen Reife“276. Den wichtigsten Gewinn des Programms sah Fehling auf deutscher Seite in der Durchbrechung der wissenschaftlichen Isolation und der Förderung des grenzüberschreitenden Austauschs277. Die in den USA arbeitenden Stipendiaten besuchte er während seiner Reise persönlich und gewann den Eindruck, dass, mit Ausnahme Otto Kühnes, jeder „Herr“ (es waren allerdings auch zwei Stipendiatinnen gemeint), sein Bestes tue, um „seine Amerikajahre so weit wie möglich nutzbringend zu gestalten“278. Den Fragen, welche Forschungsprojekte die Stipendiaten durchführten, welche persönlichen Erfahrungen sie im Ausland machten und wie sich der Kontakt zu ausländischen Wissenschaftlern gestaltete, wird im dritten Teil dieser Arbeit nachgegangen.

275 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 6. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. „Ich freue mich sehr auf meine Reise, da man doch jetzt mit einer ganz anderen Unterlage herüberkommt als das erste Mal und aus den Erfahrungen der bisherigen Stipendiaten viel wird lernen können“, schrieb Fehling an die Stipendiatin Eva Flügge. Brief von A. W. Fehling an E. Flügge, 6. Juli 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 276 Vgl. A. W. Fehling, Bericht, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14, S. 1. 277 „Such fellowships are one of the best ways for the young German students to get into a lively contact with the science of the world after the long artificial isolation during and after the war. Reading the reports of the Fellows, I feel that this aim will be reached and that the fellowships really help to promote a better understanding of the foreign nations and to establish an international friendship between citizens of the various countries who are to be of importance in their countries some years from now“. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 24. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11, S. 1–2. 278 Zwei der Stipendiaten, Otto Vossler und Andreas Predöhl, waren bereits auf der Rückreise nach Europa. A. W. Fehling, Bericht, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14, S. 1.

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3.3 Der Empfang ausländischer Stipendiaten in Deutschland als Bestandteil des transnationalen amerikanisch-europäischen Austauschs Der europäische Stipendienplan des LSRM und das amerikanische SSRC-Programm waren von Anfang an nicht bilateral, sondern transnational und multidirektional ausgerichtet. Während die LSRM-Stipendiaten ab 1925 ihr Studienland unter den am Programm teilnehmenden Ländern auswählen konnten, aber auf jeden Fall ins Ausland gehen mussten279, konnten die SSRC-Fellows entweder in ihrem Herkunftsland oder im Ausland arbeiten. Ein Großteil der europäischen Stipendiaten wählte die USA als Gastland, doch war dies keine zwingende Bedingung. Das LSRM bezahlte ebenso die Stipendienraten für Franzosen, die nach Italien gingen oder für Tschechen, die in den Niederlanden forschten. Ruml betonte, jeder Stipendiat solle das Land wählen, das für sein Forschungsprojekt das geeignetste sei und sich dort mit den neuesten sozialwissenschaftlichen Methoden und mit den wichtigsten Wissenschaftlern bekannt machen280. Nach Deutschland kamen zwei Gruppen ausländischer Sozialwissenschaftler: Die von ihrem jeweiligen Landesvertreter ausgewählten europäischen LSRM-Stipendiaten und die amerikanischen oder kanadischen Fellows, die das SSRC-Komitee bestimmt hatte. Als deutscher Landesvertreter war Fehling eng in die Verwaltung des europäischen Programms eingebunden. Da der SSRC sich seiner nicht bediente, hatte er keinen Kontakt zu den SSRC-Fellows. Dies änderte sich erst 1928 durch eine Kooperationsvereinbarung zwischen den beiden Programmen. Zwischen 1925 und 1928 gingen 25 deutsche Stipendiaten ins Ausland, im gleichen Zeitraum kamen 30 ausländische Sozialwissenschaftler nach Deutschland, davon 22 LSRM-Fellows und acht SSRC-Stipendiaten. Fehling war als Landesvertreter für die Beratung und Unterstützung der Stipendiaten aus den europäischen Ländern zuständig. Er arbeitete hierbei eng mit seinen europäischen Kollegen zusammen, auf das Deutsche Komitee griff er nur in Einzelfällen zurück. Während er bei der Auswahl und Beratung der deutschen Stipendien auf eine strenge Einhaltung der von LSRM und Deutschem Komitee gesetzten Regeln drang, war er in der Administration der ausländischen Stipendiaten wesentlich liberaler und konzessionsbereiter. Zu den 279 Über das International Education Board (IEB) kamen bereits vorher amerikanische Stipendiaten nach Deutschland, wie etwa Arnold F. Hinrichs, der 1924–1925 ein Stipendium bekam, um in Deutschland sieben Monate bei den Professoren Gustav Oldenburg und Friedrich Aereboe zu studieren. Sein Forschungsthema war „Farm organization forms“. A. F. Hinrichs, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 102. Fellowship Cards, IEB-US. 280 Vgl. Resume of the Development of the Fellowship Program in the Social Sciences under The Laura Spelman Rockefeller Memorial, o.  D., in RAC-RF, RG  1.2, Series  100  ES, box  50, folder 380, S. 6–7.

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deutschen Stipendiaten hielt Fehling eine enge Verbindung, mit den ausländischen Stipendiaten hatte er oft nur zu Beginn ihrer Stipendienzeit in Deutschland Kontakt. Die Informationen über ihren Aufenthalt sind daher sehr viel spärlicher als die über die deutschen Stipendiaten. Die LSRM-Fellows waren nicht die einzigen Ausländer an den deutschen Universitäten. Gerade in den Inflationszeiten zu Beginn der 1920er-Jahre, als das Leben für sie in Deutschland besonders preisgünstig war, stieg die Zahl ausländischer Studenten für kurze Zeit stark an. 1928 waren knapp 5 % der Studenten an deutschen Universitäten Ausländer, an der Berliner Universität war ihr Anteil mit 9,3 % besonders hoch. Beliebt waren Großstädte wie Berlin, Leipzig, Hamburg und München, während Königsberg vor allem Studenten aus Danzig und Litauen anzog und in Greifswald wegen der geographischen Nähe viele Schweden immatrikuliert waren. In seiner Analyse der Studentenschaft der Universität Berlin betont Michael Grüttner, dass unter den ausländischen Studenten besonders viele Osteuropäer, oft aus der deutschen Minderheit stammend, waren, während Engländer und Franzosen dort kaum studierten281. In Preußen und einer Reihe weiterer Länder wurden Ausländer 1924/25 den inländischen Studenten gleichgestellt, doch erst ab 1927 mussten sie im ganzen Reichsgebiet keine besonderen Gebühren mehr entrichten282. Neue Herausforderungen für die Fellowship-Verwaltung in Deutschland

Für die Mitglieder des Deutschen Komitees war der Empfang ausländischer Stipendiaten in Deutschland, trotz der Präsenz ausländischer Studenten an den Universitäten, keine Selbstverständlichkeit. Als Fehling die Professoren im März 1926 informierte, dass nun „auch einzelne Stipendiaten der anderen einbezogenen Länder[n] eine deutsche Universität zum Studium auswählen“283 könnten, wies Hermann Schumacher sofort auf „grössere Schwierigkeiten“ hin: Die Organisation der deutschen Universitäten mache „ihre Eingliederung sehr viel schwieriger als in England und den

281 Vgl. Grüttner, Michael, Die Studentenschaft in Demokratie und Diktatur, in Vom Bruch, Rüdiger; Grüttner, Michael (Hgg.), Geschichte der Universität Unter den Linden, Die Berliner Universität zwischen den Weltkriegen 1918–1945, Bd. 2, Berlin, 2012, S. 192–193 (Im Folgenden zitiert als Grüttner, Die Studentenschaft in Demokratie und Diktatur). Bis 1942 besuchten auch 37 ausländische Gelehrte als Gastprofessoren die Berliner Universität. Vgl. Charle, Christophe, Die intellektuellen Netzwerke zweier Zentraluniversitäten. Paris und Berlin 1890–1930, in Bock, Hans Manfred (Hg.), Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik. Kultureller Austausch und diplomatische Beziehungen, Tübingen, 2005, S. 110. 282 Vgl. Füssl, Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch, S. 75. 283 Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 27. März 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9.

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Vereinigten Staaten“. Eine Lösung werde sich daher „nur von Fall zu Fall finden lassen“284. Um die Ankunft der ersten ausländischen LSRM-Stipendiaten vorzubereiten, informierte Fehling alle sozialwissenschaftlichen Fakultäten über die Erweiterung des Programms und betonte, es werde vorausgesetzt, „daß solchen Stipendiaten freundliches Entgegenkommen nicht versagt wird“285. Auch die Bildungs- bzw. Kultusminister, die über die Annahme ausländischer Studenten an deutschen Universitäten zu entscheiden hatten, wurden in Kenntnis gesetzt. Da die Zulassungsregeln sehr unterschiedlich waren, plante Fehling den persönlichen Besuch der Verantwortlichen an verschiedenen Universitäten286. Für die Immatrikulation ausländischer Stipendiaten an den preußischen Universitäten vereinbarte er mit Dr. Kartzke vom Preußischen Kultusministerium287, ihm die Unterlagen der betreffenden Fellows mit einem Begleitschreiben vor Beginn der Vorlesungen zuzusenden. In Ausnahmefällen konnte die Immatrikulation auch während des Semesters erfolgen. Jeder Stipendiat musste eine kurze Sprachprüfung ablegen, die aus einem Diktat, einer Leseübung zu einem wissenschaftlichen Fachtext und dem Niederschreiben einer kleinen Erzählung bestand, es sei denn, Fehling bestätigte „eine hinreichende Kenntnis der deutschen Sprache“288. Stipendiaten ohne ausreichende Deutschkenntnisse wurden als Gast zugelassen, mit dem Nachteil, in dieser Zeit keine staatlichen Prüfungen absolvieren zu dürfen289. An den nicht-preußischen Universitäten mussten die Bewerbungsunterlagen vier bis sechs Wochen vor Semesterbeginn den jeweiligen Kultusministerien vorgelegt werden290. Die Immatrikulation eröffnete den Fellows den Zugang zu den Universitäts- und Seminarbibliotheken, erleichterte den Kontakt zu deutschen Wissenschaftlern und

284 Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 3. April 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 285 Brief von A. W. Fehling an die Philosophische Fakultät der Universität Bonn, 19. April 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 286 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 14. April 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 287 Es handelte sich wahrscheinlich um Georg Kartzke, Referent im preußischen Kultusministerium, Professor für amerikanische Sprache und Literatur sowie seit 1925 Leiter des Instituts für Ausländer an der Universität Berlin. Vgl. Martin, Bernd; Kuß, Susanne; Leutner, Mechthild, Deutschchinesische Beziehungen, 1928–1937: „gleiche“ Partner unter „ungleichen“ Bedingungen; eine Quellensammlung (Quellen zur Geschichte der deutsch-chinesischen Beziehungen 1897–1995 3), Berlin, 2003, S. 533. 288 A. W. Fehling, Aktennotiz über eine Besprechung mit Dr. Kartzke im Preussischen Kultusministerium am 17. Februar 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 289 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an L.  Einaudi, 21.  März 1928, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 15. 290 Vgl. Brief von A. W. Fehling an L. K. Frank, 23. Februar 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11.

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

199

hatte einige praktische Vorteile291, während sich die Verpflichtungen auf die Belegung einer zwei- bis vierstündigen Vorlesung beschränkten292. Fehling empfahl den Stipendiaten daher die Einschreibung. Für die anderen Landesvertreter fasste er die Regelungen in einem Memorandum zusammen293. Ressentiments gegenüber den ausländischen Stipendiaten waren nicht ausgeschlossen. Fehling hielt daher fest: „Als Unterkunft empfiehlt sich insbesondere bei Ausländern aus den ehemals feindlichen Ländern auf eine Familienunterbringung zu verzichten und auf gewerbsmässige Pensionen zurückzugreifen“294. Die Einstellung zu ausländischen Studenten hing in der Nachkriegszeit stark von deren Herkunftsländern und ihrer Positionierung im Ersten Weltkrieg ab295. Die Erweiterung des Stipendienplans forderte von den Landesvertretern eine verstärkte Kooperation untereinander. Dem australischen Berater D. B. Copland aus Melbourne bezahlte das Memorial eine Europareise296, die ihn im Sommer 1927 auch nach Berlin, Kiel, Hamburg, Heidelberg, Frankfurt und Köln führte297. Die anderen Landesvertreter wurden nicht zu Europareisen eingeladen und auch Fehling führte keine Reise in die am erweiterten Stipendienplan teilnehmenden Länder durch. Erst 1928 kamen die Landesvertreter aller Länder auf Einladung des LSRM zu einer gemeinsamen Konferenz in Paris zusammen. Wählte ein europäischer Stipendiat Deutschland als Gastland, kontaktierte der jeweilige Landesvertreter Fehling und bat ihn um Kommentierung und Befürwortung des Forschungsprojekts. Hielt sich der Fellow bereits in den Vereinigten Staaten auf und beantragte eine Verlängerung seines Stipendiums, übernahm das LSRM die Korrespondenz mit dem deutschen „representative“. Fehling begutachtete den Antrag, nahm Kontakt mit den deutschen Universitäten auf und konsultierte in besonders schwierigen Fällen die Fachvertreter des Deutschen Komitees298. Bei Bedarf schlug er Änderungen der Forschungsfrage, des Studienorts oder der wissenschaftlichen Kontaktpersonen vor. In der Praxis hielt sich Fehling allerdings mit einer Bewertung 291 Vgl. ebd. 292 Vgl. A. W. Fehling, Memorandum, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 293 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. R. M. Butler, 31. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 294 A. W. Fehling, Aktennotiz über eine Besprechung mit Dr. Kartzke im Preussischen Kultusministerium am 17. Februar 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 295 Vgl. Füssl, Deutsch-amerikanischer Kulturaustausch, S. 75. 296 Vgl. Brief von A. W. Fehling an C. Brinkmann, 26. Juni1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 297 Vgl. Brief von D. B. Copland an A. W. Fehling, 9. Juli 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 298 Vgl. Protokoll der Sitzung des Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 26. April 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 7.

200

Transatlantische Aufbruchsstimmung

der Themen oder der disziplinären Ausrichtung stark zurück. Seine Anmerkungen betrafen oft die praktische Umsetzung des von dem entsendenden Landesvertreter verantworteten Studienprogramms. Die ausländischen Stipendiaten wandten sich in vielen Fällen vor der Ausreise für eine letzte Beratung an Fehling. Anschließend teilten sie ihm für den Beginn der Stipendienauszahlung das Datum der Ankunft am Arbeitsplatz mit. Oft blieb dies der einzige Kontakt zum deutschen Landesvertreter. Die Höhe des Stipendiums legte Fehling in Absprache mit Schmidt-Ott auf einen umgerechnet 100 Dollar entsprechenden monatlichen Betrag in Reichsmark fest, der seiner Meinung nach die Kaufkraft der für die USA bestimmten 150 Dollar sogar übertraf299. Die Höhe der in den anderen Ländern ausgezahlten Stipendienraten war Fehling nicht bekannt und wurde den Landesvertretern vom LSRM nicht allgemein mitgeteilt. Fehling hatte jedoch auf Grund der Erfahrungen der deutschen Stipendiaten in den Niederlanden und England den Eindruck, dass die Verfahrensweisen national sehr unterschiedlich waren. In Einzelfällen seien, je nach Antragsteller oder Stadt, individuell angepasste Beträge vorgeschlagen wollten. Ihn selbst erreichten aus anderen Ländern Bitten, dem einen oder anderen Stipendiaten einen höheren Betrag zu bewilligen, was er mit Verweis auf die Unmöglichkeit einer „gerechte[n] Einstufung“ der aus verschiedenen Bildungssystemen kommenden Stipendiaten ablehnte300. Nicht verhindern konnte Fehling, dass Stipendiaten, die zuvor in den USA gewesen waren, nach ihrer Einreise in Deutschland weiterhin den amerikanischen Satz von 150 Dollar erhielten301. Als die ersten der 100-Dollar-Stipendiaten in finanzielle Schwierigkeiten gerieten, setzte er sich beim LSRM erfolgreich für eine Erhöhung um 50 Dollar ein302. Die ausländischen Fellows in Deutschland: Forschungsprojekte und ihre Umsetzung

Die genaue Anzahl der LSRM-Stipendiaten, die Deutschland besuchten, ist nicht leicht zu bestimmen. 15 Ausländer seien nach Deutschland gekommen, heißt es in einem Bericht des LSRM, womit das Land nach den USA (130 Stipendiaten) und England (28  Stipendiaten) auf dem dritten Platz lag, gefolgt von Frankreich 299 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. R. M. Butler, 22. Juli 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 300 Vgl. A. W. Fehling, Bericht, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14, S. 4. 301 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. R. M. Butler, 15. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 302 Dies betraf den Kanadier Philip Joseph und den Jugoslawen Victor Korosec. Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 6. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. Siehe auch Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 3. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15.

201

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

(10 Stipendiaten)303. Eine Auswertung des Nachlasses Fehlings, der „Fellowship Cards“ im Rockefeller Archive Center und der Datenbank des Forschungsprojekts „Philanthropie américaine et sciences sociales en Europe 1919–1939: Circulations intellectuelles, réseaux et constructions institutionnelles“ (EHESS, Paris) führt jedoch zu der Zahl von 22 LSRM-Stipendiaten, für die sich ein Deutschlandaufenthalt nachweisen lässt. Tabelle 10: Die ausländischen Stipendiaten des LSRM mit Deutschland als Zielland, 1925–1928. Name,

Zeit der

Heimat-

Vorname

Fellow-

land

Studienländer

Disziplin

Thema

(nach LSRM)

ship

Amundsen, Leiv

1926–29 Norway

United History States, Egypt, United Kingdom, Germany

Social life in Egypt; greek and graeco-roman period

Denoyer, Pierre

1925–28 France

United States, United Kingdom, Germany

Economic conditions of press in US in comparison with England and Germany

De Simone, Luigi

1927–29 Italy

United Econo­ States, Germics many, United Kingdom

Influence of „Time“ factor in economic analysis, as demonstrated in Cotton trade

Ficek, Karel

1924–28 Czecho­ slovakia

United States, United Kingdom, Germany

Recent Developments in Business and Industrial Organization and their social Implications

Fried­ lander, ­Lilian

1928–29 United Kingdom

Switzerland, Political Czechoslova- Science kia, Austria, Germany

Labor legislation in the U.S., interstate competition and internation competition

Gachon, Jean

1925–27 France

United States, United Kingdom Germany

Political Science

The Role of the Senate in the Development of the Foreign Policy of the USA

Handjieff, Wassil

1928–31 Bulgaria

Germany

Sociology

Peasant social institutions of South Eastern Europe

Sociology

Econo­ mics

303 Vgl. Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 17.

202

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Name,

Zeit der

Heimat-

Vorname

Fellow-

land

Studienländer

Disziplin

Thema

(nach LSRM)

ship

Harper, Heber

1927–30 United States

Switzerland, France, Germany, Italy

Education

Comparative Study of Education as related to International Politics

Hawgood, John A.

1928–29 United Kingdom

United States, Austria, Germany

History

Modern European History, political science and sociology. Influence of American ideas in 19th century, Germany and the converse

Jones, 1926–29 United Georges T. Kingdom

United States, Germany

Econo­ mics

Study of certain industries in relation to increasing and diminishing returns

Joseph, Philip

1927–28 Canada

United King- History dom, Germany

Political and Economic Relations of Great Powers with China from 1900

KoefoedPetersen, Otto

1927–29 Denmark

France, Germany

History, ancient

Social, economic and juridic systems in ancient near east

Korosec, Victor

1928–29 Yugoslavia

Germany

History General Law

?

Maiwald, Karel

1925–28 Czechoslovakia

United States, United Kingdom, Switzerland, Germany

Econo­ mics

Problems of labour legislation and effect on private enterprise

Mariotte, Pierre

1926–28 France

United States, Germany

Political Science

American and European conceptions of the league of nations

Mühlestein, Hans A.

1927–30 Switzerland

Germany

History, ancient

Relation of Etruscan culture to development of western Mediterranean civilization

Myers, Earl D.

1928–30 United States

England, Germany, Austria

Sociology

Laws and administrative measures for dealing with juvenile delinquency

203

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung Name,

Zeit der

Heimat-

Vorname

Fellow-

land

Studienländer

Disziplin

Thema

(nach LSRM)

ship

Passerin 1926–29 Italy D’Entrèves, Alexander

United King- Political dom, Science ­Germany, Austria

16th Century and Modern English Political Theory. Political Philosophy of Hooker. Philosophy of Law

Siebers, Peter A. M.

1926–28 Netherlands

United States, Europe­

Sociology

City planning, Regional Planning and landscape architecture with ref. to Zuyder Zee reclamation Project

Vanoni, Ezio

1928–30 Italy

Germany

Econo­ mics

Public finance; the bearing of economic principles on interpretation of tax systems and tax laws

Wickwar, William H.

1927–31 United Kingdom

France, Germany, Switzerland

History

French thought in the 18th Century; (Holbach) and Young Hegelianism in Germany (Arnold Ruge)

Williams, David

1926–28 United Kingdom

United States, France, ­Germany

History

The philosophy and teaching of history

(Quelle: Datenbank des Forschungsprojekts „Philanthropie américaine et sciences sociales en Europe 1919–1939: Circulations intellectuelles, réseaux et constructions institutionnelles“ (EHESS, Paris, unveröffentlicht), Fellowship Cards der ausländischen LSRM-Stipendiaten, in RAC-RF, RG 10 Fellowship Cards, Korrespondenz mit den ausländischen LSRM-Stipendiaten in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8–18).

Die 22 LSRM-Stipendiaten kamen aus zwölf Ländern. Mit fünf Stipendiaten stellte Großbritannien das größte Kontingent, gefolgt von Frankreich und Italien mit jeweils drei Stipendiaten. Zwei Amerikaner und ein Kanadier erhielten ein Stipendium des LSRM, obwohl ihnen das Programm des SSRC offengestanden hätte. Es fällt auf, dass Deutschland selten als vorrangiges Gastland gewählt wurde. Die ersten ausländischen LSRM-Stipendiaten kamen nach Aufenthalten in den USA oder Großbritannien nach Deutschland. So hatten die Franzosen Jean Gachon und Pierre Denoyer sowie die Tschechen Karel Ficek und Karel Maiwald ein Jahr in den USA und mehrere Monate in England verbracht, bevor sie nach Deutschland kamen304. 304 Vgl. A.  W.  Fehling, Liste der Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellows, o.  D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12, S. 1–2.

204

Transatlantische Aufbruchsstimmung

Besonders auf Historiker schien Deutschland eine große Anziehungskraft auszuüben. Acht Stipendiaten verfolgten geschichtswissenschaftliche Forschungsprojekte, obwohl Geschichte keine vom LSRM als prioritär eingestufte Disziplin war. Drei der historischen Fragestellungen betrafen die alte Geschichte, die Ruml in seinen ersten Überlegungen ausgeschlossen hatte. Die zweitgrößte Gruppe waren die Wirtschaftswissenschaftler mit fünf Stipendiaten, gefolgt von den Soziologen und Politikwissenschaftlern mit je vier Stipendiaten. Unter den ausländischen LSRM-Stipendiaten befand sich nur eine Frau. Unter den Stipendiaten, die über das amerikanische Programm vom FellowshipKomitee des SSRC ausgewählt wurden, befanden sich acht Fellows, die Deutschland als Studienland angaben. Tabelle 11: SSRC-Stipendiaten mit Deutschland als Zielland, 1925–1928. Name,

Jahr

Stellung

Thema

Grosnell, Harold F.

1925

Instructor of Political Science, Univ. Chicago

Factors Determining the Extent of Popular Participation in Elections in Typical European States

Hansen, Marcus Lee

1925

Assistant A Basic Study of the Origins Professor, History, in the Foreign Elements in the Smith College Settlements of the Upper Mississippi Valley

Great Britain, Switzerland, Germany, Scandinavian Countries

Dorn, Walter L.

1927

Instructor in History, Dean in the Colleges of Arts and Li­tera-ture, Chicago

Public Administration of Frederic II of Prussia

Berlin, Vienna, Paris, London

Ferguson, 1927 Wallace K.

Assistant in Medieval and Intellectual History, Cornell

A Study of the Social and England, France, Political Ideas of Erasmus Germany based on his Unacknowledged Publications

Ham, W. T.

Instructor and Tutor in Economics at Harvard and Radcliffe

Industrial Relations in the Building Trades in England and Germany

Vorname

Studienländer und -städte

1927

Washington D. C., England, France, Belgium, Germany

Great Britain, Germany, France

205

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung Name,

Jahr

Stellung

Thema

Hartsough, 1927 Mildred L.

Instructor in Economics and Sociology, Smith College

A Study of Economic Concentration in Western Germany and the Rhineland, with Some Reference to Its Political Aspects

Berlin, Hamburg, and Rhonish [sic] Cities

Pollock, James K.

Instructor in Political Science, University of Michigan

The Use of Money in English, French and German Elections

England, France, Germany

Assistant Professor of Psychology, Chicago

A critical Survey of Current United States, Thought and Research (U.S., England, England, and Germany) on Germany Psychological Aspects of Labor Unrest and Industrial Morale – part of a general study in the Field of Industrial Motivation

Vorname

Studienländer und -städte

1927

Kornhau- 1928 ser, Arthur W.

(Quelle: Eigene Aufstellung aus Dokumenten in RAC, SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020).

Von den acht SSRC-Fellows wollte sich nur eine Stipendiatin vorrangig in Deutschland aufhalten. Die anderen sieben wählten, wie auch viele der LSRM-Stipendiaten, Deutschland nur als Zwischenstation. Vier der Stipendiaten verfolgten wirtschaftswissenschaftliche Forschungsprojekte, zwei arbeiteten zu historischen Themen. Jeweils drei der Fellows hatten an der University of Chicago und der Harvard University promoviert, zur Zeit der Bewilligung waren drei der Stipendiaten an der University of Chicago angestellt. Der deutsche Landesvertreter stand mit keinem der SSRCStipendiaten in Kontakt. Fehlings Beratungstätigkeit für die ausländischen LSRM-Fellows begann im Januar 1926, als ihn aus New York die erste Anfrage erreichte. Der 24-jährige Tscheche Karel Ficek plante, sein drittes Stipendienjahr in England und Deutschland zu verbringen. Ficek gehörte zum ersten Jahrgang der LSRM-Fellows und war 1924 in die USA gereist, um dort an dem hoch aktuellen Thema der Kreditinflation zu arbeiten305. In Deutschland wollte er, nach seinem knapp gehaltenen „Plan of Study“, aktuelle Tendenzen „in education for business“ untersuchen. Nachdem er in den USA 305 Ein zweites Interessengebiet Ficeks war „unintended consequences of laws protecting labor“. C. Ficek, Personal History Record (Kopie), 15. September 1924, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9.

206

Transatlantische Aufbruchsstimmung

bereits verschiedene Handelshochschulen kennengelernt hatte, plante er von Oktober 1927 bis Februar 1928 deutsche Handelshochschulen zu besuchen und in Frankfurt bei den Professoren Oppenheimer und Hahn zu studieren306. Der deutsche Landesvertreter tat sich aufgrund des kurzen Statements mit der Beratung schwer. Er teilte dem Memorial mit, dass Ficek in Deutschland die Handelshochschulen oder wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Fakultäten in Köln, Berlin und Leipzig sowie in Frankfurt, Mannheim und München besuchen könne. Von dem geplanten Aufenthalt an der Universität Frankfurt riet Fehling ab. Franz Oppenheimer sei zwar zweifellos „one of the outstanding men in the field of sociology“, doch rechtfertigte dies die Wahl Frankfurts in seinen Augen nicht. Berlin, Kiel, Köln, Leipzig oder Heidelberg seien „at least as good for Mr. Ficek’s purpose“307. Ob aus dieser Ablehnung eines Studiums bei Oppenheimer, der seit 1919 den Lehrstuhl für Soziologie und Theoretische Nationalökonomie an der Frankfurter Universität innehatte308, eine generelle Skepsis Fehlings gegenüber der Frankfurter Soziologie oder der soziologischen Forschung im Allgemeinen spricht, lässt sich nur vermuten. Ficek reiste entgegen Fehlings Ratschlägen nicht nach Berlin, sondern ging nach Frankfurt309. Einem anderen tschechischen Stipendiaten, Karel Maiwald, der zuvor in den USA über „comparative labor legislation“ gearbeitet hatte und im Sommer 1927 einen Aufenthalt in Deutschland plante, riet Fehling hingegen zu einem Aufenthalt in Frankfurt, allerdings in den Rechtswissenschaften. Maiwald selbst hatte ein Studium in Leipzig, Hamburg und Berlin vorgeschlagen310. Ausführlich legte Fehling die Vorund Nachteile der Studienorte dar, je nach Ausrichtung des Forschungsprojekts auf die Rechts- oder die Politikwissenschaften. Von rechtswissenschaftlicher Seite sei ein Aufenthalt in Frankfurt bei dem Arbeitsrechtler Hugo Sinzheimer sinnvoll, „probably our best man in labor law, who is frequently engaged by the Government in question of labor legislation“. Mit dem Verweis auf eine enge Verbindung zur Praxis, 306 Vgl. Plan of Study of Mr Charles Ficek, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. A. W. Fehling, Liste der Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellows, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12, S. 2. 307 Brief von A. W. Fehling an L. K. Frank, 5. Februar 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 308 Vgl. Lichtblau, Klaus, Einleitung, in Lichtblau, Klaus (Hg.), Franz Oppenheimer. Schriften zur Soziologie, Wiesbaden, 2015, S. 11. Oppenheimer vertrat die Idee einer „Universalsoziologie“, in die er neben der Nationalökonomie auch die Geschichtswissenschaft, die Ethik, die Sozialphilosophie und die Psychologie einbezog. Vgl. Lichtblau, Klaus; Taube, Patrick, Franz Oppenheimer und der erste Lehrstuhl für Soziologie an der Universität Frankfurt, in Herrschaft, Felicia; Lichtblau, Klaus (Hgg.), Soziologie in Frankfurt: Eine Zwischenbilanz, Wiesbaden, 2010, S. 67. 309 Vgl. Brief von C. Ficek an A. W. Fehling, 7. Dezember 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 310 Vgl. Anlage „Fellowship Maiwald“ zum Brief von C. A. Hanes an A. W. Fehling, 19. November 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10.

Methodischer Wandel durch Nachwuchs­förderung

207

in diesem Fall der Ausarbeitung der Arbeitsgesetzgebung, kam Fehling einem Wunsch des LSRM nach. In Hamburg hingegen sei Eduard Heimann, ehemaliges Mitglied der „Sozialisierungskommission“, sehr an aktuellen „problems of labor“ interessiert. Für Leipzig empfahl Fehling das von Erwin Jacobi gegründete Institut für Arbeitsrecht. Berlin, mit den Sitzen der Ministerien, Gewerkschaften und Parteien, sei aber wohl der am besten geeignete Ort311. Maiwald folgte Fehlings Hinweisen und entschied sich für Berlin, mit späteren Besuchen in Frankfurt und Hamburg312. Nach Ankunft der Stipendiaten in Deutschland war Fehling bei der Materialbeschaffung behilflich. Ficek und Maiwald, die während Fehlings zweiter Amerikareise in Deutschland eintrafen, erhielten Empfehlungsschreiben für die Deutsche Hochschule für Politik, die Humboldt-Stiftung und die Notgemeinschaft, über die sie Zugang zur Preußischen Staatsbibliothek erhalten sollten313. Der 26-jährige dänische Ägyptologe Otto Nikolay Koefoed-Petersen, Neffe des Landesvertreters für Dänemark H. Munch-Petersen314, erhielt durch Fehlings Vermittlung eine Benutzungserlaubnis für das Zettelmaterial des von John D. Rockefeller Jr.315 unterstützten Ägyptischen Wörterbuchs316. Für den Kanadier Philip Joseph korrespondierte Fehling mit Mendelssohn Bartholdy über die Nutzung der Akten des Auswärtigen Amtes zu Josephs Forschungsprojekt „Das Verhältnis der Grossmächte zu Ostasien in den letzten Jahrzehnten“317. Mendelssohn Bartholdy bot dem Kanadier zwar gleich einen Arbeitsplatz am Institut für Auswärtige Politik an, glaubte jedoch nicht, dass der Stipendiat an das Material des Auswärtigen Amtes für die Jahre 1914–1927 herankommen könne318. Den französischen Stipendiaten Jean Gachon begleitete Fehling persönlich

311 Vgl. Brief von A. W. Fehling an C. A. Hanes, 10. Dezember 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 312 Vgl. A. W. Fehling, „Aufstellung der Laura Spelman Rockefeller Fellows, für die gegebenenfalls eine Immatrikulation in Frage kommt. Am 22. Juni 1927 Dr. Kartzke gegeben“, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12, S. 1. 313 Vgl. Brief von A. W. Fehling an C. F. Ficek, 19. Juli 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. Zur Humboldt-Stiftung siehe Impekoven, Die Alexander von Humboldt-Stiftung.  Maiwald erhielt, für eine eventuelle Immatrikulation, ein Schreiben für Dr. Kratzke vom Institut für Ausländer an der Berliner Universität. Vgl. Brief von A. W. Fehling an K. Maiwald, 19. Juli 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 314 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 4. Januar 1930, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929– 1930, S. 16. 315 Vgl. Brief von A. Erman an A. W. Fehling, 5. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 316 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Erman, 5. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 317 A. W. Fehling, Liste der Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellows, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12, S. 1. 318 Für diese Zeit sollte sich Joseph zunächst auf die veröffentlichten Akten stützen. Für Ergänzungen im Einzelnen könne der Mitherausgeber der Aktenpublikation, Friedrich Thiemme, vermitteln.

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zur Hochschule für Politik319 und stellte ihm für die dortige Bibliothek eine Bürgschaft mit einer Haftung für beschädigte oder verlorene Bücher aus320. Fehling vermittelte dem Franzosen außerdem eine Nutzungserlaubnis für die Bibliothek des Reichstags321. Wenn Fehling selbst nicht weiterhelfen konnte, suchte er nach Vermittlern. Als der Franzose Pierre Denoyer für sechs Monate nach Deutschland kommen wollte, um den deutschen Journalismus zu studieren, schrieb Fehling dem französischen Landesvertreter, er habe keine grundsätzlichen Bedenken gegen den Plan, verfüge aber über keine näheren Verbindungen zur Presse. Durch eine Vermittlung über die Deutsche Hochschule für Politik könnten Denoyer die Wege jedoch geebnet werden322. Ehemalige deutsche Stipendiaten zog Fehling ebenfalls zu Beratung und Unterstützung heran. So verwies er den Briten Georges T. Jones, der vor seiner Ankunft in Deutschland in den USA323 eine Untersuchung „of certain industries in relation to increasing and diminishing returns“ durchgeführt hatte, an Franz Grüger. Dieser sollte sich des Ausländers „besonders annehmen“ und auch bei der Wohnungssuche für Jones und dessen Familie behilflich sein324. Den italienischen Fellow Luigi De Simone, der im Herbst 1929 von New York aus nach Deutschland reiste325, verwies Fehling an Heinz von Trützschler in Hamburg und an Andreas Predöhl in Kiel326 für die Beratung zu seiner Forschungsaufgabe „Influence of ‚Time‘ factor in economic analysis, as demonstrated in Cotton trade“327. Dass die Stipendiaten selbst zu wissenschaftlichen Vermittlern werden konnten, zeigt der Fall des auf Steuer- und Finanzrecht spezialisierten Italieners Ezio Vanoni. Er studierte ab Oktober 1928 ein Semester in Frankfurt und ging anschließend nach

Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. R. M. Butler, 31. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 319 Vgl. A.  W.  Fehling, Liste der Laura Spelman Rockefeller Memorial Fellows, o.  D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12, S. 1. 320 Vgl. Brief von A. W. Fehling an Dr. Thieme, 13. Juli 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 321 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Gachon, 20. Juli 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 322 Vgl. Brief von A. W. Fehling an C. Rist, 9. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 323 Vgl. Brief von J. R. M. Butler an A. W. Fehling, 13. November 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 324 Jones starb im Mai 1929 bei einem Autounfall in Paris. Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. R. M. Butler, 23. November 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. Siehe auch Brief von A. W. Fehling an J. R. M. Butler, 17. Mai 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 325 Vgl. Brief von L. De Simone an A. W. Fehling, 6. Oktober 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 326 Vgl. Brief von A. W. Fehling an L. De Simone, 7. Oktober 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 327 L. De Simone, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 Fellowship Cards.

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Berlin328. Fehling vermittelte dem Italiener den Kontakt zu Wilhelm Gerloff, Professor für wirtschaftliche Staatswissenschaften an der Universität Frankfurt329 und Albert Hensel, Steuerspezialist in Bonn. Letzterer hatte Vanoni bereits kennengelernt und versicherte Fehling seine Bereitschaft, den Fellow zu unterstützen. Er erfreue sich der „durch ihn angeknüpften wissenschaftlichen Verbindung mit dem Auslande“330. Der Kontakt war so fruchtbar, dass Vanoni erfolgreich um eine Verlängerung seines Stipendiums bat, um im Sommersemester 1929 in Bonn Grundfragen der Finanzverwaltung und des Steuerrechts zu studieren331. Als Hensel im Frühjahr 1929 die Universität Bonn unerwartet für einen Ruf nach Königsberg verließ, blieb auch Vanoni nicht. Auf Hensels Rat ging er nach Berlin, wo er sich am kommunalwissenschaftlichen Institut der Universität Berlin und beim Finanzministerium beraten lassen wollte332. Der Franzose Jean Gachon, der im Sommer 1927 in Deutschland den Einfluss französischer und amerikanischer Ideen auf die deutsche Verfassung von 1919333 und, wie er Fehling auf Deutsch schrieb, die „Machtvollkommenheiten des Presidenten und des Parlements bezüglich Aussen-Politik“334 studieren wollte, sah sich selbst als Vermittler zwischen den Völkern. An das LSRM schrieb er: I am always sorry to see that the peoples, not very different in themselves, can not understand each other easily. The explanation of the differences and points of contacts of political institutions (chiefly about foreign affairs) may perhaps have some effects on the understanding between nations335.

Seine Studie zum Thema „treaty-making power“336 war für ihn ein konkreter Beitrag zur Völkerverständigung. Über die Lebensumstände der Stipendiaten in Deutschland lassen sich leider nur wenige Informationen finden. Jean Gachon fragte Fehling um Rat bei der Wohnungssuche, er wünschte mit seiner Frau in einer Umgebung zu wohnen, in der er schnell

328 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 20. Oktober 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 329 Vgl. Brief von A. W. Fehling an W. Gerloff, 18. Oktober 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 330 Brief von A. Hensel an A. W. Fehling, 29. März 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 331 Außerdem wollte Vanoni noch nach München und Berlin. Vgl. Brief von E. Vanoni an A. W. Fehling, 4. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 332 Vgl. Brief von E. Vanoni an A. W. Fehling, 30. Mai 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 333 Vgl. Brief von J. Gachon an L. K. Frank, 4. Februar 1927, BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 334 Brief von J. Gachon an A. W. Fehling, 10. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 335 Brief von J. Gachon an L. K. Frank, 4. Februar 1927, BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 336 Ebd.

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Fortschritte in der deutschen Umgangssprache machen konnte337. Fehling fiel die Beantwortung der Frage „nach einer Pension“ nicht leicht: Der Franzose gehöre zu den „ersten Rockefeller Stipendiaten, die nach Deutschland kommen, so daß noch keinerlei Erfahrungen vorliegen“. Fehling schickte ihm die Namen einiger Pensionen, die ihm das Institut für Ausländer an der Berliner Universität empfohlen hatte338. Die Möglichkeit einer Unterbringung in einer Gastfamilie, die Fortschritte in der Umgangssprache vermutlich am besten gefördert hätte, sprach Fehling nicht an. Sie wäre den Wünschen des Ehepaares aber vielleicht auch nicht entgegengekommen. Erfahrungen mit antifranzösischen Ressentiments erwähnte Gachon in seinen Briefen an Fehling nicht. Nach seiner Weiterreise nach München teilte er Fehling, dieses Mal auf Englisch, mit, er sei in Berlin gut empfangen worden und besonders Viktor Bruns, Direktor des Instituts für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht, sei „particularly kind“ zu ihm gewesen. Er habe ein Büro und die Bibliothek in dessen Institut benutzen können. Gachon bedauerte, im Oktober nach Frankreich zurückkehren zu müssen und drückte seine Hoffnung aus, noch im folgenden Jahr als „private student“ nach Deutschland zurückzukommen339. Nicht glücklich wurde Luigi De Simone in Deutschland. Dies lag jedoch weniger an seinen Erfahrungen in Deutschland als an der Situation in seinem Heimatland, dem faschistischen Italien340. De Simone traf Fehling im November 1929 in Berlin und erklärte, er wolle nicht nach Italien zurückkehren. „His decision seems to be forced upon him more or less by circumstances, as well by the general situation as by the special one of his home university“, berichtete Fehling dem LSRM. Unter den bestehenden Umständen plane De Simone „a new start in life“341. Statt sich auf seine Forschungsaufgabe zum Baumwollhandel zu konzentrieren, suchte er eine Stelle in Deutschland. Im Dezember 1929 hatte nur „Ullstein’s“ ihm eine Beschäftigung versprochen, sobald er die Sprache ausreichend beherrsche. De Simone bat um weitere Unterstützung, da er die nötigen Sprachkenntnisse nicht vor März 1930 erwerben könne342. In New York war man jedoch der Meinung, der Italiener hätte nach 337 Vgl. Brief von J. Gachon an A. W. Fehling, 10. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 338 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Gachon, 20. Juli 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 339 Brief von J. Gachon an A. W. Fehling, 10. September 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 340 Vgl. Parisi, Daniela, Overseas Pioneering Specialization in Economics in the 1920s: The Case of Luigi De Simone, in Asso, Pier Francesco; Fiorito, Luca (Hgg.), Economics and institutions. Contributions from the history of economic thought. Selected Papers from the 8th Aispe Conference: Contributions from the history of economic thought, Mailand, 2007, S. 422. 341 Brief von A.  W.  Fehling an E.  E.  Day, 30.  November 1929, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 20. 342 Vgl. Brief von L. De Simone an E. E. Day, 13. Dezember 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21.

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Abschluss des Stipendiums in sein Heimatland zurückkehren müssen und lehnte eine weitere Förderung ab343. Stipendiaten aus Ländern ohne Landesvertreter: Eine Auswahl „nicht mit ganz dem gleichen strengen Maßstab“

Eine zweite Gruppe in Deutschland arbeitender LSRM-Stipendiaten kam aus Ländern ohne eigene Landesvertreter. Auf Wunsch des LSRM bearbeitete Fehling in einigen Fällen die Bewerbungen nicht deutscher Kandidaten für ein Studium in Deutschland344. Er hatte auch die Möglichkeit, von sich aus Bewerber vorzuschlagen. In diesen Fällen handelte Fehling nicht als „the Memorial’s representative for Germany“ und die Bewerber wurden nicht in das deutsche Kontingent eingerechnet345. Eine Analyse der Auswahlprozesse zeigt, dass Fehling in diesen Fällen viel liberaler und offener vorging als bei der strengen Auswahl der deutschen Stipendiaten durch das Komitee. Der Schweizer Archäologe und Frühhistoriker Hans Mühlestein war in vielerlei Hinsicht das Gegenteil eines idealen LSRM-Fellows und bekam dennoch 1927, von Mendelssohn Bartholdy und Oppenheimer unterstützt, ein zweijähriges Stipendium346. Mühlestein hatte keine universitären Abschlüsse und sein Interessensgebiet, die etruskische Kunst, stand den vom Memorial favorisierten Disziplinen fern. Zudem kritisierte Fehling eine Tendenz Mühlesteins, „to allow his enthusiasm to carry him too far into conclusions which lost their basis of reality“. Vitalität und Originalität seiner Arbeit wögen dies aber auf347. Als Fellow zeigte Mühlestein wenig Neigung, sich an die Regeln des Stipendienprogramms zu halten. Nachdem er sein Stipendium schon mit Verspätung angetreten hatte348, nutzte er die ersten Monatsraten, um damit seinen Umzug nach Frankfurt, 343 Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 3. Januar 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. De Simone blieb zunächst in Berlin und ging 1931 nach Paris, wo er bis 1933 blieb. Vgl. Parisi, Overseas Pioneering Specialization in Economics in the 1920s: The Case of Luigi De  Simone, S. 422–423. 344 Vgl. Brief von C. A. Hanes an A. W. Fehling, 26. Oktober 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 345 Vgl. Brief von L. K. Frank an A. W. Fehling, 16. Dezember 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 346 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn Bartholdy, 17. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 347 Vgl. A.  W.  Fehling, Memorandum (zu Hans Mühlestein), o.  D. [an B.  Ruml geschickt am 15. Fe­bruar 1927], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 348 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Mühlestein, 12. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11.

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den Kauf von Möbeln und einen Baukostenzuschuss für eine Dreizimmerwohnung zu finanzieren. Anschließend bat er das LSRM um Kostenerstattung und eine Erhöhung des Stipendiums. Fehling war über diese zusätzlichen Wünsche nicht erfreut, entschied sich aber gegen eine negative Stellungnahme beim Memorial349. Als Mühlestein, dem das Stipendium 1928 die Promotion ermöglicht hatte, anschließend zur Erholung in die Schweiz reiste, setzte Fehling sich sogar für die Weiterzahlung des Stipendiums im Heimatland ein. „Mr Mühlestein is without any doubt an exceptional individual of high abilities, but with its strongness as well as its weakness“350, argumentierte er. Während Fehling bei den deutschen Stipendiaten auf strikte Einhaltung der Regeln achtete, war er bei nicht deutschen Fellows außerhalb des deutschen Kontingents durchaus zu unkonventionellen Experimenten bereit. So erhielt auch der Jugoslawe Victor Korosec ein Stipendium, obwohl sein Studienfach, die Rechtswissenschaft, außerhalb des Stipendienplans lag. Fehling hatte ihn deswegen zuerst an die Humboldt-Stiftung verwiesen351. Als Korosec dann aber trotzdem einen Antrag für rechtswissenschaftliche Studien in Leipzig einreichte352, befürwortete Fehling diesen gegenüber dem LSRM353. Edmund E. Day, der sich im LSRM für eine strengere Anwendung der bestehenden Regeln einsetzte, wies sogleich darauf hin, dass die Rechtswissenschaften nicht „within the range of social sciences as bearing upon contemporary social problems“ lägen, war aber bereit, Fehling zuliebe kurz vor der Einführung strengerer Regeln noch eine letzte Ausnahme zu machen354. Als Stipendiat arbeitete Korosec in Leipzig bei dem Rechtshistoriker Paul Koschaker, der ihn als seinen „weitaus begabtesten Schüler“355 bezeichnete, zum Staats- und Völkerrecht bei den Hethitern356. Mit Fehling hielt er als einer der wenigen Fellows engen Kontakt357.

349 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Mühlestein, 19. Juli 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 350 Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 11. Juli 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 351 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Koschaker, 9. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 352 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Koschaker, 9. Juli 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 353 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 26. Oktober 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 354 Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 25. Oktober 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 355 Brief von P. Koschaker an A. W. Fehling, 16. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 356 Vgl. Brief von A. W. Fehling an V. Korosec, 11. Februar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 357 1931 erhielt Korosec, inzwischen Professor in Jugoslawien, ein zweites Stipendium für Studien in England. Vgl. V. Korosec, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 Fellowship Cards.

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Skeptisch stand Fehling Bewerbungen junger osteuropäischer Sozialwissenschaftler gegenüber, die seine Adresse vom amerikanischen Konsulat oder von durch Deutschland reisenden amerikanischen Wissenschaftlern erhielten. Generally it is not a type of student desirable for a Memorial’s fellowship. In most cases, the only purpose for their study is, to fulfill the requirements for examination and to acquire just the amount of knowledge necessary to pass an examination as quick as possible. Living in very bad circumstances, they are anxious to get a stipend, and they all seem to think themselves entitled to it by some unwritten law. Some of them, even those who just finished their first or second term take it as a personal offense if they are pointed out that the fellowships of the Memorial are meant for a maturer type of student358.

Eine Ausnahme machte Fehling jedoch, als sich 1928 der bulgarische Soziologe Wassil Handjieff für ein Studium in Leipzig interessierte. Trotz einiger Bedenken unterstützte Fehling die Kandidatur. Handjieff, der bereits in Leipzig promoviert hatte, wollte dort über „Peasant social institutions of South Eastern Europe“ arbeiten359. Der Leipziger Soziologe Hans Freyer setzte sich persönlich für ihn ein360. Aus Sicht des Stipendienplans waren vor allem Handjieffs Zukunftsaussichten problematisch, da es an den beiden Universitäten in Sofia weder einen Lehrstuhl noch eine Assistentenstelle für Soziologie gab, und Handjieff kaum Kontakt zu seinen bulgarischen Kollegen hatte. Fehling befürchtete außerdem, dass sein Engagement für die Bulgarische Bauernpartei seine Karriere gefährden könne361. Eine zweite Schwierigkeit betraf Fehlings Ansicht nach die meisten osteuropäischen Bewerber: All of them live and study on very small means and will hardly ever get a salary as high as the stipend rate. A fellowship would mean a decisive change of living condition to them, the consequences of which are not to bee [sic] foreseen. In spite of the high estimation of Dr. Handjieff ’s character, both of his teachers [Freyer, Kessler], on account of their experiences with a large number of Slawonic students studying at Leipzig, are doubtful about the advisability of such a large monthly stipend362.

358 Brief von A.  W.  Fehling an E.  E.  Day, 12.  September 1928, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 17. 359 H. Freyer, Gutachten für W. Handjieff, 25. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16 und W. Handjieff, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 Fellowship Cards. 360 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Freyer, 7. Juni 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 361 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 12. September 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 362 Brief von A.  W.  Fehling an E.  E.  Day, 12.  September 1928, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 17.

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Für Handjieff sprachen, neben der Unterstützung durch die Leipziger Soziologen, seine Kenntnisse des aktuellen Lebens der bulgarischen Bauern, seine Ausbildung und sein bemerkenswerter Enthusiasmus. Fehling schlug daher vor, Handjieff ein Stipendium von 75 Dollar monatlich zu bewilligen363. Als das LSRM die Bewerbung trotz der deutschen Befürwortung ablehnen wollte, verglich Fehling Handjieff mit Korosec, der im Vorjahr ein Stipendium bekommen hatte. Dieses sei durch Korosecs feste Stelle eine relativ sichere Investition gewesen, während eine Bewilligung zugunsten des brillanteren und originelleren Handjieff risikoreicher, aber auch gewinnträchtiger, sei. Fehling gewichtete hier die beiden Bedingungen für ein Stipendium, sichere Zukunftsaussichten und überdurchschnittliche Forschungsfähigkeiten, zugunsten Handjieffs und argumentierte weiter: Wäre dieser ein Deutscher, könne man ihm zunächst ein deutsches Stipendium beschaffen und ihn weitere ein bis zwei Jahre beobachten. Da dies unmöglich sei „it may be advisable to help these men at an earlier period of development to give them a chance to show their ability for original and valuable research work“364. Handjieff erhielt schließlich ein einjähriges Stipendium von 75 Dollar (etwa 310 RM)365, mit dem er eine „kulturphilosophische und soziologische Analyse der ländlichen Geistesart und deren objekt-geistigen Erzeugnisse“366 durchführte. Als er im Oktober 1929 um eine Verlängerung bat, sprach sich Fehling Freyer gegenüber dafür aus, den Fall „nicht mit ganz dem gleichen strengen Maßstab“ zu messen, der bei der Arbeit deutscher LSRM-Stipendiaten angelegt werde. „Ausschlaggebend ist wohl, wie Sie die in der Persönlichkeit liegenden Möglichkeiten – und das mehr vom Standpunkt seiner Heimat als von uns aus – bewerten“367. Sowohl Fehling als auch Freyer368 unterstützten den Antrag, dem im November 1929 stattgegeben wurde369. Verschiedene Bewerber waren an einem Aufenthalt in Deutschland interessiert, konnten ihn aber letztlich nicht durchführen. Der Grieche Stavros Huvardas bewarb

363 Vgl. ebd. 364 Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 1. Oktober 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 365 Vgl. Telegramm von E. E. Day an A. W. Fehling, 26. Oktober 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 366 W. Handjieff, Bericht über meine Arbeit für die drei Monate: November, Dezember und Januar, 1. Februar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 367 Brief von A. W. Fehling an H. Freyer, 17. Oktober 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 368 Vgl. Brief von H. Freyer an A. W. Fehling, 28. Oktober 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 369 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Freyer, 12. November 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20.

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sich für Forschungen in den Rechtswissenschaften und der Papyrologie370, woraufhin Fehling anmerkte, diese Studien fielen nicht in den engeren Bereich der Sozialwissenschaften371. Das Memorial war jedoch trotzdem an dem Bewerber interessiert, das Thema sei vielleicht „a little out of the usual line of the social sciences, but there is nothing in the general policy to exclude it“372. Es arbeite auch bereits ein norwegischer Fellow an der University of Michigan mit der dortigen Papyrus-Sammlung, betonte Lawrence K. Frank373. Fehling erkundigte sich daraufhin bei Paul Koschaker über den Kandidaten, der jedoch ein so ungünstiges Urteil abgab, dass Fehling eine Bewilligung ablehnte374. Das negative Urteil des österreichischen Vertreters Pribram375 führte dazu, dass Alexander Mahr ein drittes Stipendienjahr, das er in Deutschland verbringen wollte, nachdem er zwei Jahre lang in den USA und England zum Thema „Economic organization of native people in Uganda“ gearbeitet hatte, nicht bewilligt wurde376. Der Antrag des staatenlosen Emigranten aus Russland Boris Ischboldin für ein Studium an der Hochschule für Kolonialpolitik in Köln, wo er eine Habilitationsschrift zum „Imperialismus als Wirtschaftssystem“ vorbereiten wollte377, wurde trotz großer Unterstützung durch Erwin von Beckerath und Leopold von Wiese378 abgelehnt, da das LSRM noch nicht in der Lage sei „Bewerbungen von russischer Seite und der staatenlosen Emigranten einzubeziehen“379. Nur selten befasste sich Fehling mit der Nominierung von nicht deutschen Stipendiaten für ein Studium außerhalb Deutschlands. Dies war bei einigen ausländischen Bewerbern der Fall, die sich zum Zeitpunkt der Bewerbung in Deutschland aufhielten. 1928 setzte sich Fehling etwa für den Ungarn Thomas Balogh ein, der in den Vereinigten Staaten eine Studie zu „Changes in relations between money markets of 370 Vgl. Brief von L. K. Frank an A. W. Fehling, 16. Dezember 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 371 Vgl. Brief von C. A. Hanes an A. W. Fehling, 26. Oktober 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 372 Vgl. Brief von L. K. Frank an A. W. Fehling, 16. Dezember 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 373 Vgl. ebd. 374 Vgl. Brief von A. W. Fehling an L. K. Frank, 13. Januar 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 375 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 6. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 376 Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 6. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 377 Brief von B. Ischboldin an A. W. Fehling, 2. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 378 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. von Beckerath, 12. April 1928 und Brief von A. W. Fehling an L. von Wiese, 11. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 379 Brief von A. W. Fehling an B. Ischboldin, 15. August 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16.

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Europe and America“ durchführen wollte. Nachdem Fehling verschiedene positive Gutachten eingeholt hatte380, leitete er den Antrag mit einer Empfehlung nach New York weiter, wo das Stipendium bewilligt wurde381. Insgesamt gab es nur wenige Anfragen des LSRM für die Bearbeitung von Stipendienangelegenheiten ausländischer Bewerber. Es handelte sich um Einzelfälle, bei denen der Ausländer eine besondere Beziehung zu Deutschland hatte, etwa weil er an einer deutschen Universität promoviert oder enge Kontakte zu deutschen Wissenschaftlern hatte. Nach der Übernahme des LSRM durch die Rockefeller Foundation Anfang 1929 verlor Fehling die Möglichkeit, nicht deutsche Kandidaten für ein Studium in Deutschland oder einem anderen Land vorzuschlagen. Die Bewerber wurden nun an das Pariser Büro der Stiftung verwiesen382.

3.4 Zeit für Bilanzen: Die Evaluierung der Stipendienprogramme von SSRC und LSRM In den Jahren 1927 und 1928 erreichten die Stipendienprogramme von SSRC und LSRM in Bezug auf die Anzahl der Bewilligungen und die Kosten ihren Höhepunkt. LSRM und SSRC führten Evaluierungen mit für sie teils sehr ernüchternden Ergebnissen durch. Mit Erschrecken stellte das LSRM in einer internen Analyse fest, dass nur etwa ein Drittel der ehemaligen Stipendiaten nach ihrer Rückkehr ins Heimatland im akademischen Bereich tätig waren383. In Frankreich und den Niederlanden verließen fast die Hälfte der Geförderten die akademische Laufbahn384. Bei einer Untersuchung des SSRC-Programms zeigte sich, dass das Auswahlkomitee die anfangs definierten Ziele aus den Augen verloren hatte: Weder die Auswahl der Bewerber noch die Ergebnisse der Stipendiaten wurden als zufriedenstellend bewertet. 380 Brief von A. W. Fehling an E. Hantos, 23. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. Brief von E. Hantos an A. W. Fehling, 28. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. Brief von A. Navratil an A. W. Fehling, 27. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. Brief von K. v. Szladitz an A. W. Fehling, 4. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 381 Balogh verbrachte ein Jahr an der Harvard und an der Columbia University und ein weiteres in Chicago und Europa. Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. Balogh, 27. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. Brief von T. Balogh an A. W. Fehling, 30. August 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 382 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 24. Oktober 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 383 Es handelte sich um zwei Franzosen, zwei Engländer und einen Ungar. Vgl. Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 24. 384 Vgl. T. B. Kittredge (?), Social Science Fellowship Program in Europe – Rockefeller Foundation, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 384, S. 4.

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Im Memorial zeichnete sich 1927 ein Wandel in der Verwaltungspraxis des europäischen Stipendienprogramms ab. Im Herbst des Jahres übernahm der Wirtschaftswissenschaftler Edmund E. Day von Lawrence K. Frank die Geschäftsführung des Stipendienprogramms. Er war zuvor Professor in Harvard und „dean of business administration“ an der University of Michigan gewesen385. Day setzte sich für eine strengere Einhaltung der Regeln ein und drang darauf, die ungeschriebenen Regelungen der Stipendienverwaltung in offizielle Richtlinien zu verwandeln. Anträge der Stipendiaten auf Sonderbewilligungen und Reisen prüfte er kritischer als sein Vorgänger386. Nicht zufällig wurde 1928 zum ersten Mal eine vom Deutschen Komitee befürwortete Bewerberin abgelehnt. Im Memorial scheint sich der Eindruck durchgesetzt zu haben, dass die von Ruml favorisierte Liberalität in hohen Kosten und vielen Unklarheiten ihre Kehrseite hatte. Ein transatlantisches Missverständnis: Die Konferenz der Landesvertreter in Paris

Vielleicht aus eigener Unzufriedenheit, vielleicht aber auch als Reaktion auf erste Kritik im Memorial, lud Ruml im Januar 1928 alle europäischen Landesvertreter in ein Pariser Hotel ein387, um ihre Einschätzungen zur Verwaltung des Programms einzuholen. Zur Vorbereitung schickte Ruml den Teilnehmern einen Fragebogen mit 19 Fragen388, in denen nach Eingrenzungen des Stipendienplans gefragt wurde. Ruml selbst nahm an der Veranstaltung nicht teil, erhielt aber im Anschluss eine gemeinsame Stellungnahme der „representatives“. Der französische Vertreter Charles Rist wurde zum Vorsitzenden der Konferenz, der Österreicher Alfred F. Pribram zum „ViceChairman“389 und Fehling zum „Secretary of the Conference“ ernannt390. Das LSRM bot den Landesvertretern über den Fragebogen mehrere Möglichkeiten an, dem europäischen Stipendienprogramm schärfere Konturen zu geben. Es fragte nach einer engeren Definition der einzubeziehenden Disziplinen391, der Ein385 Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 398. 386 Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 13. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 387 Vgl. Resume of the Development of the Fellowship Program in the Social Sciences under The Laura Spelman Rockefeller Memorial, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 9. Die Veranstaltung fand im Hotel „Pont Royal“ in der Rue du Bac statt. Vgl. Brief von F. B. Stubbs an A. W. Fehling, 18. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 388 Vgl. Brief von A. Mendelssohn Bartholdy an A. W. Fehling, 19. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 389 Vgl. Brief von B. Ruml an A. W. Fehling, 22. Dezember 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 390 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 9. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 391 „1. Should programs of study bear a clear relationship to contemporary social problems? 2. Should a candidate be appointed to a fellowship to pursue a subject in which he has no specific training,

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führung einer festen Altersgrenze und der Berücksichtigung von Bewerbern mit außerakademischen Karrierezielen392. Die Fragen lassen durchscheinen, dass das Memorial Änderungen im Stipendienplan für unumgänglich hielt, diese aber in Kooperation mit den Landesvertretern entwickeln wollte. Die „representatives“ verkannten jedoch die Lage und verteidigten die bisherige liberale Haltung und ihre eigene weitgehende Autonomie, ohne auf die Vorschläge zur Straffung des Programms einzugehen. Im Gegenteil, sie gaben ihrer Hoffnung Ausdruck, that we shall be allowed, as heretofore, a wide discretion in making recommendations in individual cases, and we should deprecate any tendency to substitute a body of rigid rules for the flexible and informal methods by which the fellowship scheme has hitherto been administered, and to which it owes, in our opinion, a great part of its success393.

Anstelle von „rigid rules“ sollte es bei der informellen Handhabung durch die Landesvertreter bleiben, denen im Einzelfall die Entscheidung überlassen werden sollte, wer für ein Stipendium vorgeschlagen wurde. Sie forderten, auch weiterhin Kandidaten außerhalb der sozialwissenschaftlichen Kerndisziplinen zu berücksichtigen, sprachen sich für die Aufnahme von Bewerbern mit Berufswünschen in der freien Wirtschaft aus und lehnten eine strikte Altersgrenze von 35 Jahren ab. Vom LSRM wünschten sie eine Anhebung des europäischen Stipendiensatzes auf einheitlich 150 Dollar, die Übernahme von Studiengebühren und Reisekosten in Europa und die Einrichtung von bis zu sechsmonatigen Übergangsstipendien für die Wiedereingliederung im Heimatland. Der Sprachaufenthalt in London sollte nicht auf die Stipendienzeit angerechnet werden, sondern eine zusätzliche Bewilligung darstellen und spätere Wiederbewerbungen für ein zweites Stipendium sollten nicht ausgeschlossen werden. Die Frage, ob Absolvententreffen organisiert werden sollten oder nicht, müsse bei den jeweiligen Landesvertretern liegen394. but only a keen interest? 3. To what extent ought the Fellows to include in their plans before arriving in this country details as to the persons under whom and the institutions at which they propose to work?“ The Laura Spelman Rockefeller Memorial, Questions for Discussion at Representatives’ Conference, Paris, France – January 26–28, 1928, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 1. 392 Vgl. The Laura Spelman Rockefeller Memorial, Questions for Discussion at Representatives’ Conference, Paris, France – January 26–28, 1928, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 1. 393 Dokument ohne Titel und Verfasser (Antworten der „representatives“ auf den Fragebogen des Memorials), 28.  Januar 1928, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 6. 394 Zur Frage des Kontakts zu den ehemaligen Stipendiaten setzten die Landesvertreter ein Komitee ein, das weitere Vorschläge erarbeiten sollte. Dokument ohne Titel und Verfasser (Antworten

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Den eigentlichen Vorteil der Pariser Konferenz sah Fehling, der einer strengeren Regelung wahrscheinlich weniger ablehnend als andere „representatives“ gegenübergestanden hatte, nicht in der gemeinsamen Stellungnahme, sondern in der Aussprache und der Stärkung des persönlichen Kontakts zwischen den Landesvertretern. I think, every one of us sees the whole thing much clearer now, learning about the manifold experiences of ten others. Personally I got a great deal out of it, and lost all my fear about administrative difficulties, I felt before. To learn the differences between the needs and conditions of the small and large countries was especially illuminating395.

Der niederländische Landesvertreter Huizinga schrieb nach der Konferenz an Fehling, er denke gerne „[m]it lebhafter Freude […] an die Tage in Paris zurück“, die für das Stipendienprogramm von entscheidender Bedeutung gewesen seien396. Schon bald sollten die Landesvertreter jedoch merken, dass sie die Situation falsch eingeschätzt hatten und ihre kostenintensiven und regelungsfeindlichen Vorschläge im LSRM wohl eher die Seite der Verfechter einer schärferen Linie gestärkt hatten. Das Ende der „liberale[n] Haltung“ des LSRM

Das LSRM hatte weder Mühe noch Ausgaben gescheut397, um die Landesvertreter in Paris zusammenzubringen, aber in der Praxis war man nicht bereit, die geforderte liberale und teure Vorgehensweise weiterzuführen. Nur die Erhöhung der Stipendiensätze für Europa auf 150 Dollar wurde im März 1928 beschlossen. Das „Executive Committee“ stellte Ruml frei, dort auch die Studien- und Einschreibegebühren zu erstatten398. Gleichzeitig wurden die Regeln drastisch verschärft: Von der Mitnahme der Familie in die USA wurde stärker als bisher abgeraten399, Stipendiaten, die nach Abschluss des Sprachkurses in London unzureichende Englischkenntnisse besaßen, konnte das Stipendium entzogen werden400, und ein drittes Studienjahr sollte nur der „representatives“ auf den Fragebogen des Memorials), 28. Januar 1928, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 1–5. 395 Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 9. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 396 Brief von J. Huizinga an A. W. Fehling, 3. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 397 Die Durchführung der Konferenz kostete das LSRM knapp 3500 Dollar. Vgl. Summary Account of the Social Science Fellowship Program under The Laura Spelman Rockefeller Memorial as of December 31, 1928, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 18. 398 Vgl. Resume of the Development of the Fellowship Program in the Social Sciences under The Laura Spelman Rockefeller Memorial, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 380, S. 9. 399 Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 13. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 400 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 28. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15.

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noch in Ausnahmefällen bewilligt werden401. Der Zwang zur Rückkehr ins Heimatland wurde nun in alle Schriftstücke aufgenommen und die Fellows mussten sich mit ihrer Unterschrift zur Rückkehr verpflichten402. Falls ein Stipendiat nach der Nominierung oder während der Stipendienzeit heiratete, schlug Day sogar eine automatische Annullierung des Stipendiums vor. Zuvor hatten Vermählungen als Privatangelegenheit gegolten, die nur zum Zeitpunkt der Nominierung und bei Verlängerungen zwecks Bewilligung einer Familienbeihilfe abgefragt wurden403. Fehling, den Day um seine Meinung gebeten hatte, schlug vor, Stipendiaten, die vor der Ausreise heirateten als unverheiratete Fellows zu behandeln und nur den Stipendiaten, die sich während des Auslandsaufenthalts vermählten, das Stipendium zu entziehen404. Fehling war mit der strengeren Politik des LSRM im Wesentlichen einverstanden, bedauerte jedoch, dass die Änderung „so plötzlich und schroff “ erfolgte und die Landesvertreter auf der Pariser Konferenz nicht über die Planungen informiert worden waren. Mendelssohn Bartholdy erklärte er, die neue Politik des Memorials hänge damit zusammen, daß man drüben das Gefühl gehabt hat, die liberale Haltung während der ersten drei Jahre sei von seiten der Stipendiaten – und das gilt für alle Länder – zu weitgehend ausgenutzt worden. Von den Stipendiaten ist mir drüben immer wieder gesagt worden, sie sähen nicht ein, warum sie nicht direkt ans Memorial herantreten sollten, da es doch alles bewillige und bei einer vorherigen Rückfrage bei der Heimatvertretung ihnen nur Schwierigkeiten entstehen könnten. Ich habe die Herren wiederholt darauf aufmerksam gemacht, daß man auch an die späteren Jahre denken und versuchen solle, lieber einmal auf einen Sonderwunsch im Interesse des ganzen Planes zu verzichten. Man hat mir aber nierrecht [sic] glauben wollen, daß das Memorial mit diesen Dingen nicht ganz einverstanden sei und eine veränderte Politik im Bereich des Möglichen läge405.

Fehling war für die deutschen Stipendiaten von Anfang an auf eine strikte Einhaltung der Regeln bedacht gewesen. Das Memorial habe zwar „höchst ungern direkt Einspruch gegen die Pläne der Stipendiaten“ erhoben, sodass es „in fast allen Fällen notwendig“ sei, „herauszufühlen, wo es ernstlich dagegen ist“, es werde aber „im Grunde erwartet“, dass man dies tue, erklärte er einem der Stipendiaten406. Die Fellows 401 Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 9. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 402 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 30. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 403 Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 21. November 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 404 In der Praxis wurden diese Vorschläge zu den heiratenden Fellows nicht umgesetzt. 405 Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn Bartholdy, 23. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 406 Brief von A. W. Fehling an F. Grüger, 3. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15.

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sahen in den neuen Richtlinien vor allem eine Einschränkung ihrer Entscheidungsfreiheit: „Ich habe nach alledem den Eindruck, dass Mr. Day – selbstverstaendlich mit den besten Absichten – uns nicht so viel Selbstaendigkeit gewaehren will, wie wir nach den Erfahrungen der frueheren Stipendiaten mit Mr. Frank angenommen haben“407, schrieb Franz Grüger. Von verschiedenen Seiten erreichten Fehling Anfragen deutscher Stipendiaten, wie die neuen Richtlinien einzuschätzen seien. Einige schlugen Fehling aufgrund der strengeren Bestimmungen vor, von der Beantragung geplanter Reisen oder Sonderbewilligungen in New York abzusehen408. Deutsch-amerikanische Meinungsverschiedenheiten

In die Zeit der Verschärfung der Verwaltungspraxis fällt auch die erste große Meinungsverschiedenheit zwischen dem Deutschen Komitee und dem LSRM. Ohne das Memorial vorher konsultiert zu haben, hatte das Komitee auf seiner Sitzung im Frühjahr 1928 entschieden, von allen deutschen Bewerbern, die sich zur Zeit der Antragstellung in den USA aufhielten, vor einer Befürwortung die Rückkehr nach Deutschland abzuwarten. Bis dahin sollten die Bewerbungen zurückgestellt werden409. Als Fehling dem Memorial diesen Beschluss mitteilte, entschied man in New York, die entsprechenden Bewerbungen in Zukunft selbst zu prüfen und dem Komitee damit die Verantwortung für einen Teil der Vorauswahl zu entziehen410. Hatte das LSRM zuvor die Einführung deutscher Zusatzregeln in der Vorauswahl hingenommen, war Edmund E. Day nun nicht mehr bereit, die neue deutsche Verfahrensweise zu akzeptieren. Die amerikanische Neuregelung war jedoch nicht in Fehlings Sinn. Dem Komitee gegenüber äußerte er die Befürchtung, dass durch die Prüfung in den USA „mancherlei Unklarheiten“ in den Stipendienplan kämen: Die Bewerber seien oft schon lange Zeit im Ausland, sodass ihre Rückkehrabsichten und ihre Karriereperspektiven in Deutschland fraglich schienen, dennoch würden sie durch amerikanische Professoren oft „sehr warm“ empfohlen. Vor allem aber lehnte Fehling die Teilung der deutschen Stipendiatengruppe ab, durch die die vom LSRM direkt ausgewählten Fellows dem Komitee gegenüber nicht mehr rechenschaftspflichtig waren411.

407 Brief von F. Grüger an A. W. Fehling, 16. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 408 Vgl. Brief von A. Predöhl an A. W. Fehling, 20. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 409 Vgl. Protokoll der vierten Sitzung des deutschen Komitees für die Verteilung der Laura Spelman Rockefeller Memorial Stipendien am 8. März 1928, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 3. 410 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 7. Juni 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16, S. 1. 411 Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 7. Juni 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16, S. 2.

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Auf Anregung Schumachers fasste Fehling die Bedenken in einer „kleinen Denkschrift“412 zusammen, die nach New York geschickt wurde413. Man sei bereit, den Beschluss zur Rückkehr der Bewerber nach Deutschland einer Nachprüfung zu unterziehen. Falls das Memorial besonderen Wert „darauf leg[e], daß auch weiterhin Anträge von schon in Amerika befindlichen Bewerbern ohne vorherige Rückkehr Berücksichtigung finden sollen, würde das Komitee diesem Wunsche zu entsprechen bereit sein“414, heißt es in Fehlings Briefentwurf. Das Deutsche Komitee erreichte mit diesem Vorschlag, dass das LSRM die unerwünschte Neuregelung weitgehend fallen ließ. Nur den Zwang zur Rückkehr halte man in einigen Fällen für eine zu hohe Hürde, teilte Day mit415. Der schließlich gefundene Kompromiss bestand darin, dass das LSRM die in New York eingehenden Anträge an das Komitee weiterleitete und dort in seltenen Fällen bei besonders fähigen Kandidaten auf die Rückkehr nach Deutschland verzichtet wurde416. Der Konflikt zeigte deutlich die Grenzen der Entscheidungsfreiheit des Komitees. Das LSRM war bereit, den Auswahlprozess in weiten Teilen der deutschen Seite zu überlassen und sich nicht in Einzelentscheidungen bei der Vorauswahl einzumischen. Mit der Forderung nach Rückkehr aller sich in den USA befindenden Bewerber war das Komitee aus Sicht des LSRM aber zu weit gegangen. Eine kritische Bewertung des SSRC-Programms

Auch beim SSRC wuchs 1927 das Gefühl, eine Generalüberprüfung des Programms sei dringend notwendig417. Die Zahl der Bewerber, die von 1925 bis 1927 konstant bei etwa 100 im Jahr gelegen hatte, war 1928 auf 52 gefallen. Im SSRC-Komitee vermutete man, dass sich einige Bewerber an das neu eingerichtete „Committee on Grantsin-Aid“ gewandt hätten und sich die Angebote gegenseitig Konkurrenz machten418. 412 Brief von A.  W.  Fehling an H.  Schumacher, 19.  Juni 1928, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 16. 413 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 14. August 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 414 A. W. Fehling, „Konzept. Tgb. Nr. 754/28“, o. D. [Sommer 1928], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16, S. 4. 415 Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 27. September 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 416 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an P.  Kehr, 10.  Oktober 1928, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 17. 417 Vgl. SSRC, Council Minutes, 21.  Januar 1928, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series 7.002, box 339, folder 2020. 418 Vgl. ebd.

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Zwar stieg die Zahl der Kandidaten im Folgejahr auf 93, doch eine generelle Unzufriedenheit mit der Qualität der Bewerbungen blieb bestehen. Das SSRC-Komitee beauftragte Donald Slesinger, der von 1927 bis 1928 als „Fellowship Secretary“ mit dem Stipendienprogramm befasst gewesen war, mit einer Evaluierung des Programms. Auf Grundlage seiner persönlichen Erfahrungen sowie der Auswertung von Fragebögen und einiger Interviews fertigte er einen zwölfseitigen äußerst kritischen Bericht an, in dem er konstatierte, dass die wichtigsten Ziele des Stipendienprogramms nicht erreicht worden waren: Anstelle der gewünschten interdisziplinären Forschungsarbeiten hätten vier Fünftel der Stipendiaten „on problems that could be studied by the sort of narrow specialist the council are trying to avoid“ gearbeitet. Die Zielsetzungen des Programms sei weder den Bewerbern noch den sie unterstützenden Professoren bekannt. Fast alle Kandidaten des Jahres 1928 verständen die Stipendienzeit nicht als Teil ihrer methodischen Ausbildung, sondern als wissenschaftlichen Beitrag in ihrem sozialwissenschaftlichen Feld419. Die Vorbildung einiger Bewerber sei ebenfalls ungenügend: „A sociologist in 1928 planned to jump right into a study of child behavior in a French School, without first learning either French, or something about children“420. Viele Bewerber hätten keine Vorstellung von ihrer zukünftigen Karriere und hangelten sich von Fellowship zu Fellowship421. Slesinger empfahl, nicht nur die Anträge sorgfältiger zu prüfen, sondern auch neue Verfahrensweisen zu entwickeln. Die Stipendiaten sollten in engem Kontakt mit führenden Wissenschaftlern oder in kollektiven Forschungsprojekten arbeiten422. Bei ihrer Auswahl dürfe den Empfehlungsschreiben der Fakultäten nicht zu viel Glauben geschenkt werden, da diese teilweise durch Eigennutz motiviert seien, etwa um die Stelle des Stipendiaten freizumachen oder sich eines „troublesome young fellow“ zu entledigen. Er forderte zudem eine energischere Bewerbung des Programms, etwa durch das Versenden und Aushängen von Plakaten und persönliche Anschreiben an gezielt ausgewählte Sozialwissenschaftler. Der „Fellowship Secretary“ könnte durch die Lektüre von Dissertationen und Fachartikeln und den Besuch von Seminaren junge Talente ausfindig machen. Zusammengefasst warf Slesinger dem FellowshipKomitee vor, die anfangs gesetzten Ziele aus den Augen verloren zu haben und in der Auswahl der Stipendiaten ungenügend definierte Kriterien zu verwenden423. 419 Donald Slesinger, Report of Donald Slesinger to the Fellowship Committee, SSRC, Council Agenda, 6. April 1929, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020, S. 1–2, 11. 420 Ebd., S. 2. 421 Vgl. ebd., S. 3. 422 Ebd., S. 2. 423 Donald Slesinger, Report of Donald Slesinger to the Fellowship Committee, SSRC, Council Agenda, 6. April 1929, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020, S. 2–6, 12.

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Mit der Nominierung des fünften Jahrgangs ging die fünfjährige Bewilligungsperiode des SSRC-Programms im Sommer 1929 zu Ende. Eine zu diesem Zeitpunkt durchgeführte eigene Bestandsaufnahme fiel wesentlich unkritischer als die Untersuchung Slesingers aus. Im „Report of the Committee on Research Fellowships in the Social Science“ wurde zwar eingeräumt, dass die Bemühungen, Stipendiaten mit an ihr Fachgebiet angrenzenden sozialwissenschaftlichen Feldern in Berührung zu bringen, wenig zufriedenstellend waren und es die meisten Bewerber vorzögen, orthodoxe Fragestellungen zu behandeln, insgesamt kam man jedoch zu dem Ergebnis, das Stipendienprogramm habe sich bewährt: „Certainly the results to date are as favorably as any large business would expect from a program designed to discover new technical talent“424. In Zukunft wollte man reiferen Antragstellern den Vorzug geben. Der „Fellowship Secretary“ sollte den Fellows bei der Etablierung der Kontakte zu amerikanischen Wissenschaftlern behilflich sein. Für Europa schlug das FellowshipKomitee eine Kooperation mit der Rockefeller Foundation vor: Deren „European Fellowship Secretary“ könnte Kontakte für SSRC-Fellows in Europa arrangieren, während der „Council Fellowship Secretary“ im Gegenzug den europäischen Rockefeller Fellows zur Verfügung stände425. Das „Executive Committee“ des SSRC entschied, die Rockefeller Foundation um 450.000 Dollar für eine fünfjährige Fortsetzung des Stipendienprogramms zu bitten426. Sowohl für das LSRM- als auch für das SSRC-Programm begann 1929 eine neue Phase. Das LSRM wurde als eigenständige Organisation aufgelöst und als sozialwissenschaftliche Abteilung in die größere Rockefeller Foundation integriert. Der Direktor des LSRM, Beardsley Ruml, dem die beiden Stipendienprogramme ihre Entstehung weitestgehend verdankten, schien das Vertrauen der Rockefeller Trustees jedoch verspielt zu haben. Nicht ihm, sondern seinem Mitarbeiter Edmund E. Day, wurde die Leitung der neuen Abteilung übertragen.

424 Report of the Committee on Research Fellowships in the Social Science, Appendix N-118, Council, 25.–31. August 1929, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020. 425 Vgl. Report of the Committee on Research Fellowships in the Social Science, Appendix  N-99, Council, 25.–31.  August 1929, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series  7.002, box 339, folder 2020. 426 Vgl. SSRC, Council Minutes, 26.  August 1929, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series 7.002, box 339, folder 2020.

Zwischenfazit: Das LSRM und die deutschen Sozialwissenschaften

Geprägt von Optimismus, dem Glauben an eine bessere Zukunft und an das praktische Potenzial der Sozialwissenschaften bei der Behebung sozialer Missstände, hatte Beardsley Ruml mit seiner Förderpolitik Anfang der 1920er-Jahre philanthropisches Neuland betreten. Durch die Finanzierung sozialwissenschaftlicher Forschung investierte das von ihm geleitete LSRM in ein Feld, das weder von einer der Rockefeller Einrichtungen noch von anderen großen amerikanischen Stiftungen besetzt war. Die Förderung empirischer Forschungsprojekte zur Stärkung der praktisch ausgerichteten, induktiven Ansätze in den Universitäten trat in den Mittelpunkt der Förderpolitik, während die Ausgaben für traditionelle „charity“ immer weiter zurückgingen. Durch eine nicht öffentliche Vergabepolitik, die Kooperation mit Vermittlerorganisationen wie dem SSRC oder der Notgemeinschaft und die Vergabe von „block grants“ sollte das Risiko kritischer öffentlicher Begleitung gemindert werden. Neben den Vereinigten Staaten bildete Europa von Beginn an einen zweiten Förderschwerpunkt. In der praktischen Umsetzung traf die Förderpolitik des LSRM bald auf Widerstände. Einige Institutionen lehnten philanthropische Forschungsfinanzierung generell als unangemessene Einflussnahme privater Akteure auf die Wissenschaft ab. Besonders in den europäischen Ländern war es für das Memorial schwierig, seinen Kriterien entsprechende sozialwissenschaftliche Institute zu finden. Die europäische Forschungs- und Universitätslandschaft war den Mitarbeitern des LSRM weitgehend unbekannt. Durch Erkundungsreisen sorgfältig ausgewählter Gesandter, wie Guy Stanton Ford und John J. Coss, wurden erste Grundlagen für die späteren Entscheidungen gelegt. In Deutschland, so stellten Ford und Coss 1924 fest, fehlte nach dem Weltkrieg und der Inflationszeit die Basis für die von Ruml geplanten institutionellen und individuellen Fördermaßnahmen. Den wissenschaftlich isolierten deutschen Sozialwissenschaftlern musste zunächst durch großzügige „library grants“ der verlorene Anschluss an internationale wissenschaftliche Diskussionen ermöglicht werden. Die Bewilligung der Bibliothekshilfen war zugleich als unverbindlicher Einstieg in die Forschungsförderung in Deutschland geeignet. Mit der Verteilung der Mittel über die Notgemeinschaft wurden Möglichkeiten für eine zukünftige Kooperation getestet, wobei die Auswahl der Bücher den Vertrauensmännern der Notgemeinschaft und den Bibliotheksdirektoren überlassen wurde. War zunächst an eine relativ gleichmäßige Streuung der Hilfen an den deutschen Universitäten gedacht, initiierte Schmidt-Ott eine gezieltere Förderpolitik. Er orga-

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nisierte für einige Einrichtungen Sonderbewilligungen und machte das LSRM auf die Bibliotheken der sozialwissenschaftlichen Institute in Heidelberg und Kiel aufmerksam. Das Memorial akzeptierte diesen Wechsel in der Ausrichtung der Förderung und stellte der Notgemeinschaft einen Fonds für die Bücheranschaffungen für kleinere Projekte zur Verfügung. Die Einführung von „library grants“ war der spezifischen deutschen Nachkriegssituation geschuldet. In der späteren institutionellen und individuellen Förderung versuchte das LSRM rein auf Bibliotheks- und Archivarbeiten ausgerichtete Forschungsprojekte ohne empirische Dimension zu vermeiden. Während die Bibliothekshilfen von der Notgemeinschaft und ihrem Präsidenten verwaltet wurden, kam dem Landesvertreter des LSRM in Deutschland bald die Rolle eines kritischen Begutachters der deutschen Adressaten der Zuwendungen zu. Vom Memorial eingestellt, sah Fehling sich für eine strikte Einhaltung der in New York festgelegten Regeln verantwortlich, die er manchmal strenger auslegte als der Direktor des LSRM selbst. Schon bald hatte Fehling eine entscheidende Vermittlerposition inne: Die Amerikaner vertrauten fast immer seinen Vorschlägen, die Deutschen kamen in vielen Fällen nur über ihn mit dem Memorial in Kontakt. Für die Amerikaner war er eine wichtige Informationsquelle zur deutschen Forschungslandschaft, für die Deutschen war er durch seinen sechsmonatigen Amerikaaufenthalt im Jahr 1924 zum Experten für die USA geworden. In der institutionellen Förderung hielt sich das Memorial in Deutschland zurück, nur drei Institute wurden gefördert. Die LSRM-Mitarbeiter scheiterten bei der Suche nach einer großen, zentral gelegenen und auf die Sozialwissenschaften ausgerichteten Forschungsinstitution. So etwas wie eine deutsche London School of Economics, die einer besonderen Förderung für würdig befunden worden wäre, gab es nicht. Zwar notierten die Mitarbeiter des LSRM 1928, dass in Deutschland noch viel getan werden könnte und bescheinigten Hamburg und Heidelberg, wo sie das Institut für Auswärtige Politik und das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften förderten, gute Aussichten, in Berlin hielten sie die Lage jedoch für zu unübersichtlich („no urge for cohesion“). Auch die Mitarbeiter des LSRM mussten bemerkt haben, dass die gegen Fehlings Willen geförderte Deutsche Hochschule für Politik in Berlin ihren Kriterien nicht entsprach. Drei oder mehr wichtige sozialwissenschaftliche Zentren könnten in Deutschland entwickelt werden, meinte Ruml. „Breslau, Hamburg and Heidelberg outstanding at the present time“ wurde notiert, wobei Ruml zu Breslau mit Bleistift „Kiel?“ im Hinblick auf das dortige Weltwirtschaftsinstitut vermerkte1.

1

Memo of Conversation of SMG [S. M. Gunn] with B. Ruml, Paris, August 15, 1928, in RACLSRM, Series 3.06, box 63, folder 676. Ruml betonte außerdem die Bedeutung von Fehling: er „makes an excellent arrangement for Memorial“.

Zwischenfazit: Das LSRM und die deutschen Sozialwissenschaften

227

„Two or three centers“ seien in Deutschland gefördert worden, schrieb Edmund E. Day im Rückblick, doch keines könne ein „exclusive preferment“ beanspruchen2. Erfolgreicher als die institutionelle Förderung war in Deutschland die Umsetzung des Stipendienprogramms. Das Programm war konzipiert als eine Investition in die nächste Generation von Sozialwissenschaftlern, die durch einen Auslandsaufenthalt in Kontakt mit neuen Methoden und Denkweisen kommen sollte, um diese anschließend in ihrem Heimatland zu verbreiten. Hier wird besonders deutlich, dass die LSRM-Philanthropie dezidiert transnational ausgerichtet war und sich nicht auf bilateralen Austausch beschränkte. Das Programm wurde in New York entworfen und anschließend in amerikanisch-europäischer Koproduktion mit Hilfe nationaler Partner umgesetzt. Dies ermöglichte es einerseits, im supranationalen Rahmen zu denken und andererseits, nationalen Besonderheiten Rechnung zu tragen. In Deutschland erwies sich die Entscheidung für die Auswahl der Stipendiaten durch ein Professorenkomitee als erfolgreich: Sein Nutzen wurde zu keinem Zeitpunkt in Zweifel gezogen. Später wurde ein weiteres Komitee für Großbritannien eingerichtet, während die Landesvertreter der anderen Länder ab 1929 an Bedeutung verloren und schließlich abgesetzt wurden. Deutsche Interessenten für ein LSRM-Stipendium mussten zunächst die informelle Vorauswahl durch Fehling überstehen, der bei geringen Erfolgsaussichten nachdrücklich von einer Bewerbung abriet. Im zweiten Schritt bestimmte das Komitee, welche Anträge nach New York weitergeleitet wurden. Fehling schickte die Bewerbungsunterlagen mit einem die Kandidaten beschreibenden Begleitbrief an das Memorial. Gegenüber den Bewerbern und der deutschen Professorenschaft verantwortete das Komitee, und besonders Schmidt-Ott als Vorsitzender, die Auswahl. Eine direkte Verbindung zum Memorial hatten weder die Bewerber noch die deutschen Professoren, auch die Mehrheit der Komitee-Mitglieder stand mit Ruml nicht in persönlichem Kontakt. Das LSRM, das vor allem mit Fehling als seinem Landesvertreter in ständigem Austausch stand, hatte darüber hinaus direkte Verbindungen nur zu Schmidt-Ott und Mendelssohn Bartholdy, dessen Hamburger Institut gefördert wurde. Fehlings Position lässt sich als die eines Mittlers mit geteilter Loyalität beschreiben: Von Memorial und Notgemeinschaft angestellt, aus seinem Arbeitszimmer die Geschäfte des Memorials in Deutschland führend, war er sowohl ein „gate keeper“ für die deutschen Sozialwissenschaftler als auch ein „Botschafter“ des LSRM in Deutschland. Den unterschiedlichen Anforderungen versuchte Fehling durch äußerst korrekte Umsetzung der Regeln, diplomatisches Geschick in den Verhandlungen und unermüdliche Vermittlungsversuche gerecht zu werden, wobei er seinen eigenen Standpunkt auch bei Widerspruch verteidigte. Während die anderen Landesvertre2

Vgl. Staff Conference, 14. Januar 1930, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 2, S. 2.

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ter des Memorials prestige- und einflussreiche Professoren waren, gehörte der junge Doktor Fehling selbst noch zur Zielgruppe des Stipendienplans. Sein Einfluss war daher weniger seinen in der Vergangenheit erworbenen Meriten als seiner Position im amerikanisch-europäisch-deutschen Netzwerk und seinen persönlichen Fähigkeiten geschuldet. Entsprachen die Ergebnisse des Stipendienprogramms den Erwartungen der Stiftungsmitarbeiter? In den Jahren 1927 und 1928 kam das Memorial in eigenen Evaluationen zu niederschmetternden Resultaten. Viele der Stipendiaten schlugen nicht den vom LSRM gewünschten Weg einer akademischen Karriere ein. Auch die Forschungsprojekte der Fellows entwickelten sich nicht immer entsprechend der Vorgaben. Zum Teil waren die Stipendiaten schlecht vorbereitet, oft hatten sie nur unzureichende Sprachkenntnisse. Ähnliche Probleme sah Slesinger bei den Stipendiaten des amerikanischen, über den SSRC verwalteten, Parallelprogramms. Die Evaluierungen lassen aber auch erkennen, dass viele Stipendiaten weiter wissenschaftlich arbeiteten oder außerhalb der Wissenschaft einflussreiche Positionen erlangten, in denen das während der Stipendienzeit angeeignete Wissen genutzt werden konnte. Ein zweiter wesentlicher Punkt, den Fehling stark betonte, wurde in den internen amerikanischen Bewertungen vernachlässigt: Die Erfahrung der Internationalisierung, der persönliche Kontakt zu ausländischen Wissenschaftlern und das gemeinsame Erleben der Stipendienzeit in einer Gruppe junger Nachwuchswissenschaftler waren ebenfalls Früchte der individuellen Förderung. Für den deutschen Wissenschaftsbetrieb war die Einbindung in die Förderprogramme ein wichtiger Beitrag zur Beendigung der internationalen Isolation. 1927/28 zeichnete sich eine grundlegende Umorientierung in den Stipendienprogrammen ab. Der Optimismus der ersten Jahre war Ernüchterung gewichen, innerhalb des LSRM brachen Konflikte über die Verwaltung der Programme aus. Auch im SSRC suchte man nach neuen Wegen für die Bewerberauswahl und die Stipendienverwaltung. Im Memorial wurde den liberalen, flexiblen und eher informellen Verfahren Rumls Edmund E. Days Gegenmodell eines bürokratisch gestrafften, klar definierten und streng verwalteten Stipendienprogramms entgegengestellt. Während Ruml im Einzelfall Originalität und Experimentierfreude höher bewertete als förmliche Korrektheit, achtete Day als neuer Geschäftsführer des Stipendienprogramms auf Kohärenz in der Umsetzung und eine strenge Einhaltung der deutlich verschärften Richtlinien. Nach einer Phase, die von enger Kooperation zwischen Ruml und den Landesvertretern und der Entwicklung einer Vertrauensbeziehung geprägt gewesen war, kam es 1928, im Umfeld der Pariser Konferenz der Landesvertreter, zu europäisch-amerikanischen Missverständnissen. Während das Memorial bereits an einer schärferen Fassung seiner Regeln und einer stringenteren Ausrichtung des Stipendienprogramms arbeitete, plädierten die Landesvertreter in Verkennung der amerikanischen Absich-

Zwischenfazit: Das LSRM und die deutschen Sozialwissenschaften

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ten für eine noch liberalere und kostenintensivere Politik. Dementsprechend waren sie von der ihren Interessen entgegengesetzten, unmittelbar nach der Konferenz erfolgenden, Neuorientierung der Förderpolitik völlig überrascht. Fehling hatte die Erwartungen des Memorials klarer als einige der anderen nationalen Vertreter gesehen: Die deutschen Stipendiaten waren von Beginn an einer stärkeren Kontrolle durch Fehling und das Komitee unterworfen worden. Der Konflikt zwischen Komitee und LSRM um die Rückkehr der sich bereits in den USA befindenden deutschen Bewerber zeigt, dass das Memorial eher bereit war, die Verantwortung der deutschen Seite einzuschränken, indem es die Auswahl selbst übernahm, als eine aus ihrer Sicht überzogene deutsche Regelung mitzutragen. Die Zeit einer weitgehenden Entscheidungsfreiheit der lokalen Kooperationspartner ging mit diesem Politikwechsel zu Ende. Auch unter den Landesvertretern gab es Meinungsunterschiede, die in der gemeinsamen Stellungnahme der Pariser Konferenz nur an einigen Stellen spürbar sind. Besonders zwischen den Vertretern großer und kleiner Länder gab es unterschiedliche Herangehens- und Sichtweisen. Positiv hat die Konferenz vor allem zu einer produktiven Aussprache und einer engeren persönlichen Bindung zwischen den „representatives“ geführt. Dies geschah allerdings zu einem Zeitpunkt, als sich im Memorial das Bild von den Landesvertretern zu wandeln begann. Hatten sie zuerst den Status von Botschaftern des Memorials in ihren jeweiligen Ländern gehabt, rückte ab 1927/28 ihre Stellung als weisungsgebundene Angestellte in den Vordergrund. Nicht mehr eine eigenständige Interpretation der amerikanischen Förderpolitik, sondern die regelgerechte Verwaltung der Stipendienangelegenheiten war jetzt die wesentliche Anforderung. Dieses neue Verständnis zeigte sich auch in dem Titel, den Fehling 1929 erhielt: Er war nun nicht mehr „Representative of the Memorial“, sondern „Fellowship Advisor in the Social Science for Germany“3 und büßte damit, zumindest auf dem Papier, einen Teil seiner Verantwortlichkeit und Selbstständigkeit ein. Im europäischen Vergleich belegte Deutschland sowohl in der institutionellen Förderung als auch im Stipendienprogramm vom Umfang her den zweiten Platz hinter Großbritannien. Deutschland gehörte zu den besonders früh in das institutionelle Förderprogramm aufgenommenen Ländern. 1924 erhielten im ersten Förderjahr neben der London School of Economics, der mit einer Zuwendung von 115.000 Dollar eindeutig eine Spitzenposition in der Rockefeller Philanthropie eingeräumt wurde, die Notgemeinschaft und die beiden Staatsbibliotheken in Berlin und München insgesamt 97.000 Dollar. Institutionen anderer europäischer Länder wurden nicht bedacht. 1925 nahm Deutschland hinter Großbritannien (222.500 Dollar) und Schweden (75.000  Dollar) und vor Frankreich (12.500  Dollar) mit 3

Vgl. Brief von G. E. Vincent an A. W. Fehling, 5. Februar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

36.500 Dollar den dritten Platz ein. Betrachtet man den Zeitraum von 1924 bis 1928, in dem das Memorial europäische Institutionen unterstützte, erhielten in Großbritannien angesiedelte Einrichtungen 1.532.500 Dollar (davon allein 1.245.000 Dollar für die LSE), in Deutschland wurden 302.500 Dollar ausgegeben. Dahinter folgten die Schweiz mit 141.000 Dollar (ausschließlich für Institutionen in Genf ), Frankreich mit 82.500 Dollar (allerdings nicht für französische Forschungsinstitute, sondern für die American Library in Paris), Schweden mit 75.000 Dollar, Norwegen mit 55.000 Dollar und Dänemark mit 18.000 Dollar. Italienische, österreichische oder niederländische Einrichtungen erhielten keine finanziellen Mittel. Im Unterschied zu den meisten anderen berücksichtigten Ländern wurden in Deutschland mehrere Institutionen bedacht. Auch die Bibliotheksbeihilfen gab es nur für Deutschland. Die Zurückhaltung des LSRM in der institutionellen Förderung in Deutschland war im europäischen Kontext kein Sonderfall. In Großbritannien kann die London School of Economics als eindeutiges Zentrum des Förderinteresses des Memorials ausgemacht werden. Zwischen Ruml und Beveridge entwickelte sich eine kontinuierliche Zusammenarbeit und die LSE wurde zum Modell unterstützenswerter sozialwissenschaftlicher Forschungsinstitutionen, an dem sich das Memorial auch in anderen europäischen Ländern orientierte. Der gescheiterte Versuch der Einrichtung eines soziologischen Lehrstuhls an der Cambridge University zeigt allerdings, dass auch in Großbritannien die Umsetzung von Förderprojekten von der Kooperationsbereitschaft lokaler Partner abhing. Erfolgreicher waren die Verhandlungen mit dem National Institute of Industrial Psychology, dem International Institute for the Study of African Languages and Cultures und dem Royal Anthropological Institute in London sowie der University of Liverpool und der politikwissenschaftlichen Fakultät der Cambridge University. In Frankreich hatte die Rockefeller Philanthropie, anders als in Deutschland, ihr Engagement bereits während des Ersten Weltkriegs intensiviert. Die Rockefeller Foundation leistete humanitäre Hilfe und führte zwischen 1917 und 1922 eine Kampagne gegen Tuberkulose durch4. Die Disziplinen der Wirtschaftswissenschaften, Soziologie, Psychologie und Ethnologie hatten sich in Frankreich bereits seit dem Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt5, doch eigene sozialwissenschaftliche Fakultäten waren nicht entstanden. Die Wirtschaftswissenschaften galten als Teil der Rechtswissenschaften, die Soziologie wurde der Philosophie zugeordnet6. Wie in Deutschland setzte nach dem Ersten Weltkrieg ein Institutionalisierungsprozess ein, doch blieben die französischen Sozialwissenschaften in der Zwischenkriegszeit ins-

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Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 68–71. Vgl. Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1373. Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 208.

Zwischenfazit: Das LSRM und die deutschen Sozialwissenschaften

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titutionell zersplittert und auf die traditionellen rechtswissenschaftlichen und geisteswissenschaftlichen Fakultäten verteilt7. Beide Länder verfügten über lange intellektuelle Traditionen, doch die das LSRM Anfang der 1920er-Jahre interessierenden Disziplinen waren kaum in den traditionellen Universitätsbetrieb integriert. Auch die französischen Sozialwissenschaften erschienen Ruml als zu spekulativ und philosophisch. Den französischen Universitäten fehlte es zudem an materiellen Ressourcen um Forschungsinitiativen zu fördern8. Private Forschungsförderung entsprach zudem nicht den französischen akademischen Traditionen. Stärker als in Deutschland war die akademische Ausbildung auf Bücherwissen ausgerichtet, Forschung spielte nur eine untergeordnete Rolle9. Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Stiftungsengagement in Deutschland und Frankreich bestand in der Beziehung der amerikanischen Mitarbeiter zu ihren lokalen Ansprechpartnern. Einen französischen „Fehling“ fanden die Mitarbeiter des LSRM nicht. Zum Landesvertreter für Frankreich wurde im April 1924 der Wirtschaftswissenschaftler Charles Rist ernannt. Er war als Professor für Rechtswissenschaft an der Universität von Paris tätig10. Ihm wurde die Auswahl der französischen Stipendiaten übertragen11. Die ersten französischen Fellows reisten bereits 1924 in die USA, während der erste deutsche Jahrgang erst Anfang 1925, nach der Einsetzung des Deutschen Komitees, ausgewählt wurde. Rist besuchte wie Fehling als Gast des Memorials die USA, um die Verantwortlichen der Stiftung und amerikanische Sozialwissenschaftler kennenzulernen12. Während seiner Europareise im Sommer 1925 besuchte Ruml neben Deutschland auch Frankreich. Seit 1924 plante er, in Paris ein sozialwissenschaftliches Institut zu fördern13 und beauftragte den Amerikaner William Lingelbach mit einer Studie über die französischen Sozialwissenschaften. Dessen Urteil fiel vernichtend aus: Es fehle an Koordination und Kontakt zwischen den an verschiedenen Fakultäten tätigen Forschern14. Eine Vertrauensbeziehung wie mit Fehling entwickelte sich zwischen Ruml und dem 20 Jahre älteren Rist nicht. Den Vorschlag des Landesvertreters, in Paris ein von der Universität unabhängiges wirtschaftswissenschaftliches Institut einzurichten, lehnte der Direktor des LSRM ab. Im Memorial wurden Institutsneugründungen generell kritisch gesehen, auch die Konzentration auf eine einzige sozialwissenschaftliche Disziplin und die fehlende Anbindung an die Universität wurden bemängelt. 7 8 9 10 11 12 13 14

Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S. 319. Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 209. Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S. 319–320. Vgl. Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1374. Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 211. Vgl. Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1375. Vgl. Tournès, L’institut scientifique, S. 51. Vgl. Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1375.

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Transatlantische Aufbruchsstimmung

Als Rist 1926 eine Stelle in der Banque de France annahm, brach der Kontakt zum LSRM zeitweilig ab15. Enttäuscht von der Zusammenarbeit mit Rist sahen sich die Stiftungsmitarbeiter nach neuen Kooperationspartnern um. Sie traten in Kontakt mit Marcel Mauss, dem Direktor des Institut d’Éthnologie in Paris, der im Mai 1926 auf Einladung des LSRM die USA besuchte. Doch auch zu Mauss riss die Verbindung aus bisher nicht bekannten Gründen bald ab. Als Folge der vergeblichen Suche nach vertrauensvollen Ansprechpartnern und der als äußerst unübersichtlich empfundenen sozialwissenschaftlichen Forschungslandschaft setzte das LSRM in Frankreich nur sein Stipendienprogramm um16. Während Großbritannien zum Zentrum der Rockefeller Philanthropie in Europa wurde und das Memorial in Deutschland immerhin drei Institutionen förderte, scheiterte der amerikanische Förderwille in Frankreich.

15 Vgl. ebd., S. 1375–1376. 16 Vgl. Saunier, Pierre-Yves, Paris in the Springtime: un voyage de sciences sociales en 1929, in Revue d’histoire des sciences humaines 2004 (11), S. 137 (Im Folgenden zitiert als Saunier, Paris in the Springtime).

Zweiter Teil: Krisenzeiten. Die Förderung der deutschen Sozialwissenschaften durch die Rockefeller Foundation (RF) in den 1930er-Jahren

4. Interne Neuausrichtungen, Wirtschaftskrise, Sorge um Deutschland: Die deutschen Sozialwissenschaften in der Förderpolitik der RF (1929–1933)

Gegen den Willen Beardsley Rumls wurde das LSRM Anfang 1929 als „Division of Social Science“ in die Rockefeller Foundation integriert1. Ihm sei bei der Verteilung der Gelder des Memorials zu freie Hand gelassen worden, lautete ein Vorwurf2. „At any rate, with detonations constantly growing louder, Ruml started his program and succeeded in giving away $ 25,000,000 before he could be stopped“3, kritisierte sein Kollege Edwin R. Embree später, wobei er die tatsächlich von Ruml ausgegebenen Beträge noch deutlich unterschätzte. Ruml wurde im Rahmen der Neuorganisation keine Stelle in der sozialwissenschaftlichen Abteilung angeboten, stattdessen übernahm er die Leitung des neu eingerichteten Spelman Funds of New York, der praktisch ausgerichtete Projekte in der sozialen Arbeit in den USA förderte4. 1929 wies er seinen Nachfolger Edmund E. Day zwar noch auf verschiedene Projekte in Deutschland hin, auf die konkrete Ausgestaltung der Rockefeller’schen Förderprogramme hatte er jedoch keinen Einfluss mehr. Das Ausscheiden Rumls löste bei den deutschen Kontaktpersonen Betroffenheit aus. Schmidt-Ott schickte ihm mit einem Wort des Bedauerns über das Ende der Zusammenarbeit das Blatt „Melancholie“ von Dürer, eine Auszeichnung für besondere Förderer der Notgemeinschaft5. Fehling drückte seine Hoffnung aus, dass der

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Vgl. Richardson, Theresa, Transformation and Continuity in Rockefeller Child-Related Programs: Implications for the Emergence of Communications as a Field of Concern, in Buxton, William J. (Hg.), Patronizing the Public: American Philanthropy’s Transformation of Culture, Communication, and the Humanities, Lanham, 2009, S. 47 (Im Folgenden zitiert als Richardson, Transformation). Vgl. Bulmer et al., Philanthropy and Social Science, S. 397. Embree, Edwin R., untitled MS, c. 1930, Embree papers, RF archives, AC9, box 1. Zitiert in Kohler, Robert E., A Policy for the Advancement of Science: The Rockefeller Foundation, 1924–1929, in Minerva 16 (1978), S. 488 (Im Folgenden zitiert als Kohler, A Policy for the Advancement). Insgesamt gab das Memorial von 1923 bis 1928 über 45 Millionen Dollar aus, davon über 20 Millionen für die Sozialwissenschaften. Zu Rumls Aktivitäten im Rahmen des Spelman Funds vgl. Reagan, Patrick D., Designing a New America: The Origins of New Deal Planning, 1890–1943, Amherst, 1999, S. 157–159. Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an B. Ruml, 16. Januar 1929, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 659.

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Krisenzeiten

persönliche Kontakt andauern werde und freute sich auf ein Wiedersehen „somewhere in the world“. Er ergänzte: But, anyhow, it is too bad that there will be no more ‚promotion of social sciences‘ together with you. Many thanks for all you did for me during these years which I will not forget, especially not the trips we made together in Europe, and my experiences in the United States which I owe primarily to you6.

In der jahrelangen Zusammenarbeit hatten sich enge Verbindungen zwischen den beiden Familien gebildet. Die Auflösung des LSRM war Teil einer generellen Umstrukturierung der Rockefeller Philanthropie. Bereits 1925 war auf personale und thematische Überschneidungen der einzelnen Stiftungen hingewiesen worden7. Auf Vorschlag eines „Interboard Committee“ unter Leitung Raymond B. Fosdicks8 wurden die Einzelstiftungen, mit Ausnahme des International Health Boards und des China Medical Boards, 1929 zu einer Mutterstiftung mit vier Abteilungen (Medizin, Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaften) zusammengeschlossen. Die neuen Abteilungen übernahmen die Verpflichtungen ihrer Vorgängerorganisationen, hatten aber weder deren Unabhängigkeit noch deren finanzielle Ausstattung9. Die neu strukturierte Rockefeller Foundation erhielt die Aufgabe, das Wohlergehen der Menschheit durch „advancement of knowledge“ zu fördern10. Dafür war sie mit einem Stiftungsvermögen von 225 Millionen Dollar ausgestattet11. Das Board of Trustees kam zwei Mal jährlich, im April und Dezember, zusammen, monatlich 6 7

Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 15. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. Vgl. B. Ruml, R. M. Pearce, „Report of the Committee on the Interboard Conference, on Mental Hygiene, Psychology and Psychiatry“, 18. Dezember 1925, in RAC-RF, RG 3, Series 906, box 2, folder  17, Program and Policy Psychiatry, 1916–1940, zitiert bei Richardson, Transformation, S.  47. Zu den verschiedenen Problemen innerhalb der Rockefeller Stiftungen siehe Kohler, A Policy for the Advancement, S. 490–498. 8 Vgl. Kohler, A Policy for the Advancement, S. 502. 9 Vgl. Geiger, To Advance Knowledge, S. 163. Das International Education Board wurde aufgelöst, während das General Education Board in die Abteilung für Naturwissenschaften eingegliedert wurde. Zu den Aktivitäten der RF in den Geisteswissenschaften siehe Richardson, Malcolm, The Humanities and International Understanding: Some Reflections on the Experience of the Rockefeller Foundation, in McCarthy, Kathleen D. (Hg.), Philanthropy and Culture. The International Foundation Perspective, Philadelphia, 1984, S. 25–41. 10 Vgl. Jonas, The Circuit Riders, S. 150–151. 11 Vgl. Kohler, A Policy for the Advancement, S. 508–509. Siehe zur Neuorganisation auch Vincent, George, E., Foreword, in The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1928, New York, 1929, S. 2. Sowohl das Vermögen als auch die Erträge konnten verwendet werden. Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1939, New York, 1940, S. 6.

Interne Neuausrichtungen, Wirtschaftskrise, Sorge um Deutschland

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traf sich das „Executive Committee“. Während der Präsident und die Treuhänder die allgemeine Ausrichtung der Förderpolitik bestimmten, wurden Planung und Ausführung der Programme den Mitarbeitern der Abteilungen überlassen12. Der Soziologe George E. Vincent wurde 1929 an der Spitze der Stiftung durch den Mathematiker Max Mason ersetzt, der die Stiftung bis 1936 leitete. Ihm folgte Raymond B. Fosdick nach, der der Stiftung bis 1948 vorstand13. Die von Edmund E. Day geleitete sozialwissenschaftliche Abteilung stand 1929 vor der Aufgabe, ein neues Förderprogramm zu entwickeln. Die bereits kurz nach seinem Amtsantritt einsetzende Wirtschaftskrise führte zu einem drastischen Einnahmerückgang, der in den Planungen berücksichtigt werden musste. Trotz der sich ab 1929 langsam durchsetzenden Amerikanisierung der Programme blieb Deutschland ein in der Förderung berücksichtigtes Land. Zu den alten Bedenken, die Ruml von einer intensiveren Förderung der deutschen sozialwissenschaftlichen Institute hatten absehen lassen, kam ab 1930 die sich verschärfende politische Instabilität Deutschlands.

4.1 Amerikanische Neuausrichtungen und ihre schwierige Umsetzung in Deutschland Die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise machten sich in der RF schnell bemerkbar: Das Einkommen der Stiftung sank von mehr als 14 Millionen Dollar 1929 auf 8,2 Millionen Dollar im Jahr 193314. Gab die von Edmund E. Day geleitete sozialwissenschaftliche Abteilung 1929 über 5 Millionen Dollar für die Sozialwissenschaften aus, waren es 1933 nur noch 1,6 Millionen und 1934 1,16 Millionen Dollar15. Ruml hatten dagegen jährlich etwa 4 Millionen Dollar zur Verfügung gestanden16. In der Konzeptionierung und Verwaltung der Programme wurde Day von einem kleinen Mitarbeiterstab unterstützt. Nur Sydnor H. Walker folgte ihm vom LSRM zur RF. Einem ehemaligen Kollegen von der University of Michigan und kurzzeitigem Fellowship-Sekretär des SSRC, dem Wirtschaftswissenschaftler John Van Sickle, übertrug Day 1929 die Verantwortung für die Stipendienbearbeitung im Pariser Büro

12 Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1939, S. 6–7. 13 Vgl. Richardson, Transformation, S. 48–49. 14 Vgl. R. B. Fosdick, J. R. Angell, W. W. Stewart, Report of the Committee on Appraisal and Plan, Submitted at a meeting of the Trustees of the Foundation December  11, 1934, in RAC-RF, RG 3.1, Series 900, box 22, folder 170, S. 33. 15 Vgl. Extract from the Report of the Appraisal Committee Presented Trustees Meeting, December 11, 1934, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 13. 16 Vgl. Bulmer, Support for Sociology, S. 186.

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Krisenzeiten

der RF17. Van Sickle kannte Europa aus eigener Anschauung, da er nach dem Ersten Weltkrieg einige Jahre in Wien bei der „American Unofficial Delegation“ der Reparationskommission und anschließend als Berater der österreichischen Regierung gearbeitet hatte18. Durch seine Stationierung in Paris waren dort erstmals die Sozialwissenschaften vertreten. Wenig später wurde Van Sickle zum „Assistant Director“ der Pariser Geschäftsstelle ernannt19. 1934 verließ er Paris, um in New York als „Associate Director“ das „Social Security“ Programm der RF zu koordinieren. In Paris übernahm Tracy B. Kittredge seine Aufgaben; er hatte Van Sickle bereits seit 1931 in der Verwaltung des europäischen Stipendienprogramms unterstützt20. Kittredge hatte an der Universität Oxford Anthropologie, Geschichte und Politikwissenschaft studiert und dort einen M.A. und ein Diplom in Sozialanthropologie erworben. Später arbeitete er als Generalsekretär der Liga der Rotkreuz-Gesellschaften21. 1932 stieß außerdem Stacy May als „Assistant Director“ zur sozialwissenschaftlichen Abteilung in New York22, er wurde das vierte Mitglied in Days Mitarbeiterstab23. Wie schon Ruml war auch Day der Meinung, dass sozialwissenschaftliche Forschung nach wie vor zu philosophisch orientiert sei24. Er beschloss, die neue Förderpolitik auf die Erforschung sozialer Phänomene mit wissenschaftlichen Methoden zu konzentrieren, wobei die Ergebnisse genutzt werden sollten, um „substantial and significant methods of social control“ zu entwickeln25. Der Anwendungsorientierung von Forschungsergebnissen kam damit eine noch größere Rolle zu als zur Zeit des LSRM. Im Unterschied zu Ruml, der die Bewilligung größerer Beträge an interdisziplinär ausgerichtete Institutionen bevorzugt hatte, plädierte Day für kleinere Beihilfen an konkrete Projekte in klar definierten Forschungsfeldern26.

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Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 53. Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 103. Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Fick, 27. Mai 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. Vgl. J. Van Sickle, Diary, 24. Februar 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 10. Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 4. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. Vgl. Rutherford, Malcolm, The Institutionalist Movement in American Economics, 1918–1947: Science and Social Control, Cambridge, 2011, S. 262 (Im Folgenden zitiert als Rutherford, The Institutionalist Movement). Vgl. Craver, Patronage and the Directions, S. 210. Vgl. E. E. Day auf der Princeton Conference, 29. Oktober 1930. Meeting of the Board of Trustees of the Rockefeller Foundation, Princeton University, October 29, 1930, in RAC-RF, RG 3, Series 900, box 22, folder 167, S. 116. Staff Conference, 14. Januar 1930, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 2, S. 1. Vgl. Craver, Patronage and the Directions, S. 211.

Interne Neuausrichtungen, Wirtschaftskrise, Sorge um Deutschland

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„General program“ und „fields of concentration“: Die neue Förderpolitik der RF

Die Mitarbeiter der RF entschieden sich zunächst für eine Fortführung der Förderpolitik des LSRM. Das Hauptprogramm („general program“) beinhaltete die Unterstützung institutioneller Zentren, die Vergabe von Stipendien, die Förderung des SSRC und die Verteilung kleinerer Beihilfen („grants-in-aid“)27. Im Oktober 1930 wurde es durch drei Sonderbereiche („fields of concentration“) in „economic planning and control“, „international relations“ und „community organization and planning“ ergänzt. Man hoffte, dass eine solche Spezialisierung schneller zu den gewünschten wissenschaftlichen Ergebnissen und einem konkreten gesellschaftlichen Nutzen führen werde. Alle Ausgaben, die keinem der drei „fields of concentration“ zugeordnet werden konnten, wurden in den folgenden Jahren stark reduziert28. Der Sonderbereich „economic planning and control“ war eine direkte Reaktion auf die Weltwirtschaftskrise. 1930 wurde mehr als ein Drittel des Budgets in diesem Feld ausgegeben29. Im Zentrum standen Untersuchungen über „hazards of economic enterprise, particularly as these relate to uncertainty of competitive outcome in such ways as to raise issues of general economic stability“30. Die RF förderte die statistische Analyse von Konjunkturschwankungen und die Entwicklungen praktischer Maßnahmen gegen „die schädlichen Wirkungen der wirtschaftlichen Unstabilität“31. Institutionen, die sich mit der Erhebung und Auswertung wirtschaftlicher Daten befassten und Studien, die sich mit einzelnen Aspekten der Wirtschaftskrise auseinandersetzten, wurden für Zuwendungen ausgewählt32. In Europa konzentrierte man sich auf die Stärkung von Konjunkturforschungsinstituten33. 1933 wurde im Zuge von Roosevelts „New Deal“ kurzfristig ein „Special Committee for Emergency Projects“ mit einem Budget von 1,5 Millionen Dollar eingerichtet, das ausschließlich für Untersuchungen der durch die Weltwirtschaftskrise ausgelösten sozialen Probleme in den USA eingesetzt wurde34. 27 Vgl. Social Sciences – Proposed Program. Extract from DR469 Agenda for Special Meeting of Trustees April 11, 1933, o. D., o. Verf., in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 12, S. 88. Siehe auch The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1932, New York, 1933, S. 263–264. 28 Vgl. The Social Sciences. Under The Rockefeller Foundation, 1929–1932. Extract from DR469 Agenda for Special Meeting of Trustees April 11, 1933, o. D., o. Verf., in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 12, S. 45. 29 Vgl. Craver, Patronage and the Directions, S. 211. 30 The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1930, New York, 1931, S. 221. 31 Fosdick, Die Geschichte, S. 191. 32 Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1932, S. 274–275. 33 Vgl. Craver, Patronage and the Directions, S. 212. 34 Zwei Arten von Projekten sollten durchgeführt werden: „Studies providing for concurrent appraisal and improved planning of important sections of the Federal Government’s recovery, relief, and reconstruction programs“ und „undertakings involving collaboration of private agencies in

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Krisenzeiten

Die Einrichtung des Programms zu „international relations“ war den steigenden politischen Spannungen auf internationaler Ebene geschuldet. Durch „thoughtful und dispassionate research“ sollten nationale Vorurteile abgebaut und damit zu einer friedlichen Konfliktlösung beigetragen werden35. Empirisch fundierte Erkenntnisse sollten eine rationalere Behandlung internationaler Konfliktfälle fördern. Nichtstaatliche Organisationen sowie Forschungsprojekte wurden unterstützt, um eine „appropriate machinery for continuous conference among nations“36 zu schaffen. Ein zweites Ziel war die Einsetzung und Ausbildung von Experten, die zur gewaltfreien Beilegung internationaler Auseinandersetzungen beitragen sollten37. Die im Bereich „community organization and planning“ durchgeführten Projekte wurden entweder vom LSRM übernommen oder entstanden aus dem Interesse der RF an „social planning“38. Studien und Experimente in der sozialen Wohlfahrt wurden finanziert, wie auch wissenschaftliche Arbeiten, die das Wissen über soziale Prozesse vermehren sollten39. 1933 wurde allerdings angemahnt, dass bisher kein gut strukturiertes Programm formuliert worden sei40. Die Bewilligungen konzentrierten sich auf amerikanische und in zweiter Linie auf britische Einrichtungen, eine Ausweitung des Programms auf kontinentaleuropäische Länder war nicht vorgesehen41. Neben diesen offiziellen Schwerpunktfeldern engagierte sich die RF in der Kulturanthropologie42, in der die Möglichkeit genutzt werden sollte, „primitive Kulturen“ zu untersuchen, bevor sie durch die „Verwestlichung“ der Welt zerstört würden43. Außerdem wurden Untersuchungen zur Persönlichkeits- und Verhaltensforschung

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the prosecution of emergency programs of federal, state and local governments“, The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1933, New York, 1934, S. 285. Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1930, S. 227. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1931, New York, 1932, S. 248. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1932, S. 278. Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1933, S. 258–259. Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1931, S. 257. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1932, S. 282. Vgl. Social Sciences – Proposed Program. Extract from DR469 Agenda for Special Meeting of Trustees April 11, 1933, o. D., o. Verf., in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 12, S. 102. „Slow speed would appear to be the proper idea to apply to these fields for the present, so far as Europe is concerned. I would not even go so far as to provide yet for a general survey of the situation by a competent authority“, Auszug aus einem Brief von E. E. Day an S. M. Gunn, 25. Januar 1932, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 2. Vgl. The Social Sciences. Under The Rockefeller Foundation, 1929–1932. Extract from DR469 Agenda for Special Meeting of Trustees April 11, 1933, o. D., o. Verf., in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 12, S. 51. Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1932, S. 290.

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gefördert44. Von den 17,8 Millionen Dollar, die zwischen 1929 und 1933 insgesamt für die Sozialwissenschaften ausgegeben wurden, gingen 7,1 Millionen in das Hauptprogramm und knapp 7,8 Millionen in die Sonderbereiche. Mit 3,4 Millionen Dollar stand das Programm „community organization and planning“ an erster Stelle, gefolgt von „economic planning und control“ (knapp 2,4 Millionen Dollar) und „international relations“ (2 Millionen Dollar)45. Schon 1932 kamen Zweifel an der Ausrichtung der Programme auf. Days persönliche Sekretärin, Flora M. Rhind, verfasste eine fünfseitige Stellungnahme zur Frage „What’s wrong with the SS [Social Science] Program?“, in der sie unklare Förderziele und eine zu breite Streuung der Projekte kritisierte. Sie forderte eine Konzentration auf die Lösung aktueller sozialer Probleme und die Frage, wie wissenschaftlicher Fortschritt für die Gesellschaft nutzbar gemacht werden könne46. Rhind unterstützte damit eine stiftungsinterne Tendenz, die bereits 1930 zur Einführung der Sonderprogramme geführt hatte. Die Trustees der Stiftung evaluierten die Programme ebenfalls kritisch und forderten eine Konzentration auf klar definierte Themenbereiche47. Politische Instabilität und philosophische Sozialwissenschaften: Die Entscheidung für eine „policy of caution“ in Deutschland

Aus deutscher Sicht war die Umstrukturierung der Rockefeller Philanthropie äußerst undurchsichtig. Mitte Januar 1929 war Fehling über die Auswirkungen auf Deutschland noch nichts bekannt48. Schmidt-Ott erhielt von George E. Vincent die Nachricht, die Foundation werde zwar die Verpflichtungen des LSRM übernehmen, man sehe

44 Hier wurde vor allem das Yale Institute of Human Behavior gefördert. In „criminology“ und „legal research“ führte die RF zudem vom LSRM begonnene Projekte zu Ende. Vgl. The Social Sciences. Under The Rockefeller Foundation, 1929–1932. Extract from DR469 Agenda for Special Meeting of Trustees April 11, 1933, o. D., o. Verf., in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 12, S. 52. 45 Vgl. Social Sciences-Program and Policy. Extract from the Report of the Appraisal Committee. Presented Trustees Meeting December 11, 1934, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 13, S. 63–64. 46 Vgl. Stellungnahme von F.  M.  Rhind an E.  E.  Day, Subject: SS Program, 31.  Oktober 1932, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 2, S. 2–4. 47 Vgl. R. B. Fosdick, J. R. Angell, W. W. Stewart, Report of the Committee on Appraisal and Plan, Submitted at a meeting of the Trustees of the Foundation December  11, 1934, in RAC-RF, RG 3.1, Series 900, box 22, folder 170. 48 Aus der Zusammensetzung des neuen Board of Trustees schloss er, dass es zu einer „starke[n] Änderung der bisherigen Politik des Memorials“ kommen werde. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 14. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18.

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sich aber in keiner Weise zu Verlängerungen oder neuen Bewilligungen verpflichtet49. Den Abteilungsleiter Edmund E. Day hatte Fehling bereits in den USA kennengelernt, ihr Verhältnis war jedoch, auch aufgrund der Meinungsverschiedenheiten in der Endphase des LSRM, distanziert. An Mendelssohn Bartholdy schrieb Fehling vertraulich, er sei Day bisher „nie näher gekommen“. Nach den anfänglich „etwas kriegerischen Beziehungen“ müsse er jetzt aber zugeben, dass „es sich verwaltungsmäßig ausgezeichnet mit ihm arbeiten lässt“. Der weite Horizont Rumls und dessen „trotz sehr kurzer Reisen erstaunlich[e] Kenntnis europäischer Verhältnisse“ fehle Day jedoch50. Aus den Stellenbesetzungen, Andeutungen Rumls und Informationen einiger befreundeter Amerikaner schloss Fehling auf die neue Ausrichtung der Rockefeller’schen Forschungsförderung: Schlagwortartig ausgedrückt, könnte man wohl sagen: Bürokratisierung, Einschränkung der liberalen und individuellen Behandlung sowohl der Stipendien wie aller Anträge, Unterlassung gewagter Experimente. Als Abrundung kann man am besten noch hinzufügen, daß Day gewissermaßen als Sparkommissar in das Memorial hineingekommen ist. Ausgeschaltet hat man jedenfalls alle die, die in jeder Beziehung etwas Geniales hatten (– auch in geldlicher Hinsicht –). Für mich persönlich bedeutet diese Änderung leider gerade den Verlust aller derer, die mir menschlich nahe standen51.

Gerade die Mitarbeiter mit engen Beziehungen zu Deutschland seien aus der Stiftung ausgeschieden52. Auch Fehlings eigene berufliche Zukunft war unklar, er bezog einen erheblichen Teil seines Gehalts, 3000 Dollar im Jahr, aus seiner Tätigkeit als Landesvertreter53. Er bat Ruml, ihm Bescheid zu geben, sollte an eine Beendigung des „representative system“ gedacht werden54. Im Februar 1929 wurde Fehling zum „Fellowship Advisor in the Social Science for Germany“ ernannt55. Der neue Titel hob die hierarchische 49 Vgl. Brief von G.  E.  Vincent an F.  Schmidt-Ott, 16.  Januar 1929, in RAC-LSRM, Series  3.06, box 61, folder 659. 50 Brief von A.  W.  Fehling an A.  Mendelssohn Bartholdy, 19.  Januar 1929, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 51 Ebd. 52 Vgl. ebd. 53 Vgl. Brief von A. W. Fehling an Herrn Cannon Jun., 1. Juni 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. Brief von T. B. Appleget an A. W. Fehling, 26. Februar 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 54 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 15. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 55 Vgl. Brief von G. E. Vincent an A. W. Fehling, 5. Februar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18.

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Beziehung stärker hervor und legte zudem eine Beschränkung auf das Stipendienprogramm nahe. In der Praxis zeigte sich hingegen bald, dass sich seine Verantwortlichkeiten nicht verringerten. Im April des Jahres reiste Fehling auf Einladung Days in die USA56, um über die Änderungen in der Förderpolitik der RF persönlich informiert zu werden. Eine entscheidende Veränderung für die amerikanisch-deutsche Kooperation war die Entsendung John Van Sickles ins Pariser Büro57. Mehr noch als Day wurde Van Sickle, der über „ganz gut[e]“ Deutschkenntnisse verfügte58, zu Fehlings Ansprechpartner. Van Sickle besuchte Deutschland noch Ende 192959. Weiterhin arbeitete Fehling mit Selskar M. Gunn, Vizepräsident der Foundation und von 1927 bis 1932 im Pariser Büro tätig, wo er die Gesamtheit der europäischen Programme koordinierte60, und Tracy B. Kittredge, der 1931 zur Unterstützung Van Sickles in Paris eingestellt wurde, zusammen. Die Umstrukturierung der Rockefeller Philanthropie bedeutete für Fehling, dass an die Stelle eines Ansprechpartners mit großer Unabhängigkeit und Entscheidungsbefugnis mehrere Rockefeller Mitarbeiter mit unterschiedlichen Entscheidungskompetenzen traten. Auch wurde die geographische Distanz geringer: Während für Ruml Europareisen mit großem Aufwand verbunden gewesen waren, konnten Van Sickle und Kittredge mit dem Zug nach Deutschland reisen. Sollte über einen deutschen Antrag entschieden werden, korrespondierte Fehling zunächst mit Van Sickle und Kittredge. Diese konsultierten die „staff conference“, an der alle in Paris tätigen Foundation Officers teilnahmen. Kleine Beträge konnten aus dem Fonds für „grants-in-aid“ vor Ort bewilligt werden, Anträge über größere Summen wurden mit einer positiven Empfehlung nach New York weitergeleitet und von Day und seinen Mitarbeitern begutachtet. Day, oder in seiner Vertretung Walker, nahmen an den monatlich stattfindenden „staff conferences“ aller Abteilungsleiter teil. Wurde der Antrag auch dort befürwortet, konnte ein vorläufiges Bewilligungsschreiben aufgesetzt und dem Board of Trustees zur endgültigen Entscheidung vor56 Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 11. Februar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 57 Vgl. A.  W.  Fehling, Bericht (vertraulich), o.  D. [Mai 1929], in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 19, S. 3. 58 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Farner, 9. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 59 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 13.–14. Dezember 1929, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929–1930, S. 9. 60 1932 ging Gunn nach China, um dort das Stiftungsprogramm in „Rural Reconstruction“ zu leiten. Vgl. „Selskar Michael Gunn“, in The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1944, New York, 1945, S. X–XIII. Gunn hatte am MIT und an der Harvard Public Health School studiert und anschließend als Bakteriologe und in der Seuchenbekämpfung gearbeitet. Seit 1922 war er Mitarbeiter der Rockefeller Stiftung. Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 103.

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gelegt werden. Im Vergleich zum LSRM war der Entscheidungsprozess wesentlich länger und involvierte auch Mitarbeiter, die nicht der sozialwissenschaftlichen Abteilung angehörten. Die Einladung Fehlings in die USA und die frühe Deutschlandreise Van Sickles bezeugten ein weiterhin bestehendes Interesse der Rockefeller Philanthropie an den deutschen Sozialwissenschaften. Schon bald gab es in New York und Paris jedoch Bedenken bezüglich der politischen Stabilität Deutschlands, die eine Grundbedingung für ein größeres Förderprogramm darstellte. Fehling als wichtige amerikanische Informationsquelle zur deutschen Politik

Gleich zu Beginn der Kooperation zwischen Fehling und den neuen Mitarbeitern der RF lenkte im Herbst 1929 ein anonym eingehendes Memorandum die Aufmerksamkeit der Officers auf die politische Lage in Deutschland. Fehling, bereits bevorzugter Ansprechpartner in Fragen zu Hochschulsystem und deutschen Sozialwissenschaften, wurde nun auch eine wichtige Informationsquelle zur deutschen Innenpolitik. In dem anonymen englischsprachigen Memorandum wurden schwere Anschuldigungen gegenüber der deutschen Regierung erhoben61. Der Autor warf Deutschland heimliche Aufrüstung vor, warnte vor dem Anwachsen reaktionärer Kräfte und sagte voraus, dass ein neuer Krieg mit einem Angriff Preußens auf Polen beginnen und sich anschließend auf ganz Europa ausdehnen würde. Sollte keine grundlegende Verbesserung in den deutsch-französischen Beziehungen eintreten, würde Deutschland, sobald sich eine Erfolg versprechende Möglichkeit bieten würde, einen Krieg gegen Frankreich beginnen. Ein Zusammenschluss Deutschlands mit Österreich würde zu einer Gefahr für die osteuropäischen Staaten. Europa stehe daher vor einer neuen Katastrophe, die im Osten ausbrechen und fälschlicherweise durch „self-defense against agression“ gerechtfertigt werden würde62. Die RF nahm diese, viele der späteren Entwicklungen vorwegnehmende Warnung zumindest so ernst, dass sie Fehling um eine persönliche Stellungnahme bat. Das Schreiben sei nichts als ein oberflächliches, spekulatives „piece of propaganda“63, lautete Fehlings Einschätzung. In seiner nicht namentlich gekennzeichneten englischsprachigen Antwort versuchte er die erhobenen Vorwürfe zu entkräften. Der Autor überschätze die Stärke der reaktionären Gruppen, bei der letzten Wahl hätten Deutschnationale und Nationalsozialisten zusammen 20 % der Stimmen erhalten. Geheime Kriegsvorbereitungen hielt Fehling, „in a country which is permanently 61 Vgl. Brief von B. Ruml an A. W. Fehling, 14. Oktober 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 62 Memorandum, o. Verf., o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 63 Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 11. November 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20.

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observed by quite a number of individuals of various nations […], and by its own radical workers too“ für unwahrscheinlich. Auch bei einem Zusammenschluss mit Österreich, für den sich Gegner und Befürworter in allen Parteien fänden, besäße das Land nicht so viele Rohstoffe wie das Vorkriegsdeutschland. Die reaktionäre Bewegung habe 1924 ihren Höhepunkt erreicht, danach habe sich ihre Bedeutung verringert. Neuwahlen würden zu einer Radikalisierung der Rechten, aber kaum zu einem Anstieg ihrer Gesamtstimmen führen. Zu einer radikalen Neuausrichtung der Außenpolitik würde es nur kommen, wenn diese 10 bis 20 % der Bevölkerung durch die Einrichtung einer Diktatur an die Macht kämen. Dies sei äußerst unwahrscheinlich, und würde eine solche doch errichtet, erlaubten interne Konflikte keine ernstzunehmende Kriegspolitik64. Zehn Monate später wurde Fehling erneut um eine vertrauliche Einschätzung gebeten65. Die NSDAP war bei den Reichstagswahlen am 14. September 1930 mit 18,3 % zweitstärkste Partei hinter der SPD (24,5 %) geworden. Fehlings auf Deutsch verfasstes Memorandum ist dieses Mal weit pessimistischer66. Der starke Stimmenzuwachs für die NSDAP sei ein Novum in der deutschen Parteiengeschichte, betonte er. Die Wahl sei nicht als reine „Protest-“ oder „Wirtschaftskrisenwahl“, sondern als Ausdruck einer neuen politischen Situation zu verstehen. Das „deutsche Volk in seinen breiteren Schichten“ habe das Nachkriegsjahrzehnt „fast passiv“ und „stumpf “ über sich ergehen lassen, jetzt sei das Kriegserlebnis neu aufgebrochen und dem Mittelstand der Vermögensverlust durch Inflation und geringe Bezahlung bewusst geworden, dazu komme die Notlage von Bauern und Grundbesitzern. Die Ablehnung des Versailler Vertrags und der Reparationsregelungen sowie der „Kampf gegen die für den Novemberumsturz verantwortlich gemachten Parteien, Sozialisten und Kommunisten, den Marxismus“ seien die Folge dieses neuen Bewusstseins. Der NSDAP sei es gelungen, diese „noch unklaren Empfindungswellen“ aufzufangen67.

64 Dokument ohne Titel, Verfasser und Datum [A. W. Fehling, November 1929], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 65 Vgl. Telegramm von E. E. Day an A. W. Fehling, 30. September 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. Die per Post geschickte Bestätigung des Telegramms wurde anstatt an Fehlings Privatadresse an die Notgemeinschaft geschickt, woraufhin Fehling mitteilte: „All letters without the note ‚personal‘ are opened there [in der Notgemeinschaft] and are going through many hands before they reach me. As my correspondance with the Foundation in regard to the social sciences has to do nothing with the Notgemeinschaft, this is sometimes very disagreeable. I would be very obliged to you, if you could inform the department of the New York office in question to use exclusively the address ‚Berlin-Zehlendorf-Mitte, Schädestrasse 6‘ in social science matters“. Brief von A. W. Fehling an F. Rhind, 16. Oktober 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 66 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 8. Oktober 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 67 A. W. Fehling, Kurze Charakteristik der Parteien, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23.

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Die NSDAP sei jedoch nicht bereit, die Regierung zu übernehmen, urteilte Fehling. Ihre Anhänger kämen aus ganz unterschiedlichen Schichten und verfolgten nicht die gleichen Ziele. Während ein Teil „ganz den Kampf gegen das Judentum als Verkörperung der Großfinanz“ betonte, dächten andere „vor allem an den Korridor und Oberschlesien“ oder die „Ungerechtigkeit der Besitzverhältnisse“. Die Hälfte der neuen Abgeordneten sei nicht auf ihre Aufgabe vorbereitet, es gäbe kein „durchdachtes Aktionsprogramm“. Eine gewaltsame Machtergreifung schloss Fehling weiterhin aus. Noch weniger sei allerdings an einen Umsturzversuch der Kommunisten zu denken: „[G]egen links [ist] die Reichswehr zweifellos hundertprozentig sicher“. Fehling sah Zeiten politischer Unsicherheit voraus: Sowohl eine Rechtsregierung mit der NSDAP als auch eine große Koalition mit der SPD trügen „von vornherein den Keim des Zerfalls in sich“. Neuwahlen würden keine Verbesserung bringen, sondern „eher eine Verstärkung der radikalen Flügelparteien bedeuten“. Andererseits trage auch die NSDAP „zahlreiche Keime des Zerfalls in sich“, ein „Niedergang“ bei späteren Neuwahlen sei nicht auszuschließen, in ihrer „augenblicklichen Ausdehnung“ werde sich die Partei kaum halten können. Die „nationale und sozialrevolutionäre Welle“ sei aber mehr als eine Parteitendenz, sie müsse als „Volksbewegung“ ernstgenommen werden68. Während Fehling im November 1929 die gegen die deutsche Politik geäußerten Vorwürfe scharf zurückwies, ist sein Memorandum von Oktober 1930 von der Sorge um die politische Zukunft Deutschlands geprägt. Seine Analyse ist detailliert und behandelt differenziert etliche Punkte, die in der heutigen Forschung kontrovers diskutiert werden, wie die Gründe der massiven Wählerbewegung zur NSDAP und das sozialstrukturelle Profil der NSDAP-Wählerschaft69. Mit klaren politischen Sympathiebekundungen hielt Fehling sich zurück, seine Stellungnahme verdeutlicht jedoch, dass er kein Anhänger der „radikalen Flügelparteien“ war und der nationalsozialistischen Bewegung kritisch gegenüber stand. Er war kein Mitglied einer politischen Partei, blieb aber der Jugendbewegung verbunden. In beiden Dokumenten betonte Fehling, dass von Deutschland außenpolitisch keine Bedrohung ausgehe und das Leben in Deutschland seinen Gang gehe. Er wird bei seinen in sachlichem Ton gehaltenen Einschätzungen versucht haben, den Eindruck zu vermitteln, dass philanthropische Aktivitäten in Deutschland, trotz politischer und ökonomischer Unsicherheit, weiterhin möglich seien. In New York sei Fehlings Bericht mit Interesse von allen Mitarbeitern gelesen worden, teilte Day mit. „You gave us a most instructive account of a situation which is doubtless difficult enough to understand when one is on the ground, but which 68 Ebd. 69 Für einen aktuellen Überblick vgl. Kolb, Eberhard; Schumann, Dirk, Die Weimarer Republik (Oldenbourg Grundriss der Geschichte), München, 2013, S. 270–273.

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becomes almost unintelligible when viewed from this side of the water“. Er bat Fehling darum, der Foundation von Zeit zu Zeit seine Eindrücke zu politischen Tendenzen in Deutschland zukommen zu lassen und fügte hinzu: „We hope that nothing will happen to give the prospect a forbidding turn“70. Schon bald hatte man in der RF jedoch den Eindruck, dass Berichte aus zweiter Hand zum Verständnis der komplexen deutschen Situation nicht ausreichten. Die Mitarbeiter des Pariser Büros führten daher im Jahr 1931 eine Reihe von Deutschlandreisen durch. „The need of closer knowledge of what is going on in Germany“: Die Deutschlandreisen der Pariser RF-Mitarbeiter 1931

Selskar M. Gunn und John Van Sickle planten Ende 1930 von Paris aus eine ausgedehnte Deutschlandreise71. „Mr. Gunn and I both feel the need of closer knowledge of what is going on in Germany“72, schrieb Van Sickle, der bereits Ende 1929 in Deutschland gewesen war, an Fehling und bat ihn, die beiden Amerikaner als „guide, companion and friend“ zu begleiten. War zunächst an eine Rundreise gedacht73, fanden schließlich drei kürzere Reisen statt. Die erste führte Gunn und Van Sickle im Januar 1931 von Berlin über Hamburg, Kiel und Königsberg zurück nach Berlin74. Im Mai reiste Van Sickle mit Fehling zusammen nach Leipzig, Heidelberg und Frankfurt75, eine dritte Reise führte ihn im Juni nach München76. Im November 1931 kam Van Sickle ein weiteres Mal nach Berlin, dieses Mal in Begleitung seines gerade im

70 Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 5. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 71 Teile dieses Unterkapitels sind für den Artikel „Les employés américains de la Fondation Rockefeller en voyage dans l’Allemagne des années 1930“ ins Französische übersetzt worden. Der Artikel geht der Frage nach, inwieweit Reiseerlebnisse der Stiftungsmitarbeiter für die Gestaltung der Förderprogramme von Bedeutung waren. Vgl. Syga-Dubois, Judith, Les employés américains de la Fondation Rockefeller en voyage dans l’Allemagne des années 1930: des observateurs singuliers de la crise de la République de Weimar et du nazisme, in Viaggiatori. Circolazioni scambi ed esilio 2 (2018), S. 122–150. 72 Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 18. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 73 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 27. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 74 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 12. Januar 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 8–10. 75 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 23. Mai 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36. 76 Gunn befand sich zu diesem Zeitpunkt in China. Vgl. J. Van Sickle, Diary, 1. Juni 1931, in RACRF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 31–32.

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Pariser Büro eingetroffenen Kollegen Tracy B. Kittredge77. Die Reisen hatten zwei Ziele: Die Rockefeller Mitarbeiter wollten sich ein Bild der politischen Lage machen und dabei alle wichtigen Zentren sozialwissenschaftlicher Forschung besuchen. In ihren Berichten nach New York betonten die Officers die großen wirtschaftlichen und politischen Probleme78. Einige ihrer Gesprächspartner warnten vor der Gefahr eines Bürgerkrieges. Die Spannungen seien so groß, dass bei anhaltenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten Unruhen ausbrechen könnten: „In the beginning at least such trouble is more likely to be internal than external – and more likely to take the form of fascism than communism“, so Van Sickle. Die Anhänger Adolf Hitlers seien extrem anti-jüdisch, „but the same spirit seems to prevail among other political parties in Germany“79. Gunn klagte: „I came away with the impression that even intelligent and well-informed persons were merely guessing, and that nobody could really predict what is likely to happen in Germany during the next few months“80. Auch im Mai empfand Van Sickle die Situation als sehr beunruhigend. Das Land sei von Pessimismus geprägt, nur wenige seiner Gesprächspartner sähen Anzeichen einer Verbesserung. Während der Einfluss der moderaten Mitte zurückginge, verzeichneten die extreme Rechte und Linke stetigen Zulauf81. Gegenüber den besuchten Institutionen deklarierte Fehling den Besuch der Amerikaner als „bloße Informationsreise“82, um keine Hoffnungen auf finanzielle Unterstützung zu wecken. In Heidelberg zeigte sich Van Sickle sehr zufrieden mit der Entwicklung des Forschungsprogramms zum wirtschaftlichen Schicksal Europas, das die Rockefeller Foundation am Institut für Sozial- und Staatswissenschaften finanzierte83. Unter der Vielzahl von Einrichtungen, die er während seiner Reisen besichtigte, beeindruckte ihn vor allem Hans Freyers soziologisches Institut in Leipzig: Freyer himself is one of the leading sociologists and has come into the field from philosophy. In his own work he is primarily concerned with philosophic and dialetic [sic] prob-

77 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 10. November 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 106. 78 Vgl. Brief von S. M. Gunn an M. Mason, 19. Januar 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36, S. 1. 79 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 20. Januar 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36, S. 3. 80 Brief von S. M. Gunn an M. Mason, 19. Januar 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36, S. 4. 81 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 23. Mai 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36. 82 Brief von A. W. Fehling an F. Pollock, 8. Mai 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 83 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 23. Mai 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36.

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lems and the history of sociological thought. As Director of the Institute, however, he is directing students into research of a more realistic nature. He is undertaking comparative studies in city planning, regional planning and colonization84.

Die induktiv ausgerichteten Studien von Freyers Studenten würden durch fehlende finanzielle Mittel stark behindert, stellte er fest. Eine kleine Beihilfe könne hier Abhilfe leisten. Freyer erklärte sich bereit, einige der amerikanischen Rockefeller Stipendiaten im Institut zu empfangen85. In München fragte der Direktor der Bayerischen Staatsbibliothek Fehling, ob er die „amerikanischen Herren“ auf die Unhaltbarkeit der Raumverhältnisse der Bibliothek aufmerksam machen sollte, oder ob dies „mehr Schaden als Nutzen“86 stifte. Fehling teilte ihm mit, dass die Unterstützung von Bibliotheksbauten außerhalb des Förderprogramms liege, es aber nicht schaden könne, die Notlage im Gespräch zu erwähnen, „für später und damit die Herren wissen, wo überall der Schuh drückt“87. Aufgrund seiner Beobachtungen empfahl Gunn der Stiftung eine zurückhaltende Förderpolitik: It certainly is not the time to start in with building programs. It may be that before very long, provided things seem to settle down even at a low level, we might have a definite opportunity to aid certain carefully selected existing scientific institutions which otherwise might suffer a serious breakdown in their programs. It will be quite necessary for us to maintain close contacts with the situation88.

Van Sickle befürwortete ebenfalls ein „watchful waiting“. Neue größere Projekte könnten warten, meinte er, aber kleine Beihilfen an einige Institute seien „perhaps more justified than ever“89. In New York und Paris stieß der Vorschlag auf vorsichtiges Interesse und ernsthafte Bedenken. Day befürchtete, dass die Verwaltung der Förderung einen bedeutenden Mehraufwand für das Pariser Büro mit sich bringen könnte90. 84 J. Van Sickle, Memo of JVS re Institut für Soziologie, Leipzig, 16. Mai 1931, in RAC-RF, RG 2 (1931), Series 717, box 64, folder 520. 85 Vgl. ebd. 86 Brief von E.  Gratzl an A.  W.  Fehling, 31.  Dezember 1930, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 25. 87 Brief von A. W. Fehling an E. Gratzl, 27. Mai 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 88 Brief von S. M. Gunn an M. Mason, 19. Januar 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36, S. 4. 89 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 20. Januar 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36. 90 Vgl. Brief von E. E. Day an J. Van Sickle, 3. Juni 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36.

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Gunn empfahl schließlich eine weitere, genauere Untersuchung der Lage: „Fehling’s opinion is good but we are a bit to prone to be satisfied with it without looking further“91. Dies war eine Kritik, die zu Zeiten des Memorials nicht formuliert worden war. Die politische Instabilität, die allgemeine Unsicherheit und die Verringerung der räumlichen Distanz durch die Nutzung des Pariser Büros ließen erstmals Zweifel an Fehling als hauptsächlicher Informationsquelle und Vermittlerinstanz aufkommen.

4.2 Die Förderung von Institutionen und kollektiven Forschungsprojekten in unsicheren Zeiten Nach der optimistischen und zukunftsgerichteten Ära Ruml, die aber zum Ende hin von starker Kritik begleitet wurde, dominierte in der Rockefeller Stiftung nun eine Sichtweise, die die alten Bedenken gegenüber den deutschen Sozialwissenschaften aufnahm und verstärkte. Die führenden deutschen Wissenschaftler seien eher Sozialphilosophen und -historiker als Sozialwissenschaftler, konstatierte Kittredge 1932. Ein besonders herausragendes Institut oder Seminar gebe es in Deutschland nicht. Fast alle Einrichtungen hingen mehr oder weniger von der Reputation eines einzigen Wissenschaftlers ab. Kittredge stellte jedoch auch ein wachsendes Interesse an induktiver Arbeit unter den jüngeren Forschern fest92. Die Erfahrungen in der konkreten Förderpraxis in Deutschland zwischen 1929 und 1933 waren in den einzelnen Disziplinen sehr unterschiedlich. Während in Berlin die Einrichtung eines großen politikwissenschaftlichen Instituts scheiterte, war die Stiftung mit den von ihr unterstützten wirtschaftswissenschaftlichen Forschungsprogrammen in Heidelberg, Kiel und Bonn zufrieden. Die Soziologie war die große Verliererin der Förderpolitik in Deutschland: Obwohl mehrere Institute das Interesse der Officers geweckt hatten, wurde keines gefördert. Neu war die Finanzierung von sogenannten „Gemeinschaftsarbeiten“ über die Notgemeinschaft. Mit ihnen wurde an die „library grants“ des LSRM angeknüpft: Der Notgemeinschaft wurden zur eigenständigen Weiterverteilung größere Beträge bewilligt. Dieser neuen Entwicklung verdankte die Gemeinschaftsarbeit „The Anthropological Constitution of the German People“ ihre Förderung, obwohl das Programm den Förderzielen der RF nicht entsprach.

91 Inhaltsangabe (braunes Formular) eines Briefs von S. M. Gunn an E. E. Day, 31. Dezember 1931, in RAC-RF, RG 2 (1931), Series 717, box 64, folder 521. 92 Vgl. T. B. Kittredge, Social Sciences in Germany, 9. August 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 186, S. 8–9.

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Amerikanische Träume und deutsche Realitäten: Der Versuch, in Berlin ein Institut für internationale Beziehungen zu gründen

In Deutschland gebe es kein Äquivalent zur amerikanischen „Political Science“, notierte Kittredge 1932, „[i]n Germany most of what we understand by the term comes within the field of law“93. Der RF waren vor allem das von Viktor Bruns geleitete Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Berlin, Hans Kelsens Institut für Völkerrecht an der Universität Köln, die bereits vom LSRM unterstützte Deutsche Hochschule für Politik sowie das ebenfalls von Ruml geförderte Institut für Auswärtige Politik in Hamburg aufgefallen94. 1929 hatte Ruml während einer Sommerreise durch Deutschland die Idee, die RF könne in Berlin die Einrichtung eines großen Instituts für internationale Beziehungen fördern95. Aufbauen sollte die Neugründung auf dem von Viktor Bruns geleiteten Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht. Gemeinsam mit vier Berliner Professoren, unter ihnen die Mitglieder des Deutschen Komitees Schumacher und Oncken, sollte Bruns das Institut leiten. Zur Finanzierung würde ein substantieller Betrag der RF beitragen, während die Notgemeinschaft einen Teil der Literatur- und Reisekosten und die Berliner Universität die Professorengehälter tragen könnten96. Nachdem Ruml seinem Nachfolger Day diesen Vorschlag unterbreitet hatte97, wurden umgehend Fakten geschaffen. Day informierte zwar Fehling über die Pläne98, legte den Trustees im Dezember 1929 aber einen Bewilligungsantrag vor, der nicht mit deutschen Kooperationspartnern abgesprochen war. Anscheinend wollte man auf amerikanischer Seite Klarheit über die Finanzierungsbereitschaft der RF schaffen, bevor die Verhandlungen mit deutschen Wissenschaftlern begannen. Die Treuhänder bewilligten tatsächlich eine zehnjährige Unterstützung des einzurichtenden „Institute for Research in International Law and International Relations of the Kaiser Wilhelm Gesellschaft“: Das „Executive Committee“ erhielt die Erlaubnis, bis zu 750.000 Dol-

93 94 95 96

Ebd., S. 22. Vgl. ebd., S. 24–26. Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 143. Vgl. Brief von B.  Ruml, „Proposal for an Institute of International Research in Germany“, der Brief erreichte die RF am 9. August 1929, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 184. 97 Vgl. Brief von B. Ruml an E. E. Day, 12. August 1929, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 184. 98 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 4. November 1929, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 184.

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lar für das Projekt auszugeben99. Dies war mit Abstand die höchste Summe, die in der Zwischenkriegszeit für ein Projekt in Deutschland bereitgestellt wurde. Die Mitarbeiter der sozialwissenschaftlichen Abteilung standen nach dieser Bewilligung vor einer paradoxen Situation: Es stand ein sehr hoher Betrag zur Verfügung, ohne dass von deutscher Seite Interesse signalisiert oder ein Antrag eingereicht worden wäre. Auch die Bereitschaft des bestehenden Kaiser-Wilhelm-Instituts, als Grundlage für eine Neugründung zu dienen, war vorher nicht geprüft worden. Die RF war hier in mehrerer Hinsicht von ihren eigenen Richtlinien abgewichen: Institutsneugründungen mit Rockefeller Geld wurden normalerweise vermieden und Bewilligungen wurden nur aufgrund von eingereichten Forschungsprogrammen ausgesprochen. In Paris standen die Stiftungsmitarbeiter vor der Frage, wie die ungewöhnliche Bewilligung in die Praxis umgesetzt werden sollte. Mit Fehling besprachen sie mögliche Vorgehensweisen. Schnell kamen Zweifel an der Eignung des von Ruml ausgewählten Kaiser-Wilhelm-Instituts auf. Die RF fürchtete eine Reduzierung der staatlichen Subventionen, Fehling wies auf eine mögliche Privilegierung des internationalen Rechts, des Hauptschwerpunkts des Instituts, gegenüber den von der Rockefeller Foundation gewünschten Forschungen in den internationalen Beziehungen hin. Ein drittes Problem war die Leitung des neuen Instituts, da an Viktor Bruns anscheinend nicht mehr gedacht war. Vergeblich suchten die Officers und Fehling nach einem „obvious leader“100. Bereits zu diesem Zeitpunkt zeichneten sich schwerwiegende Probleme bei der Umsetzung der Pläne ab. Zur Auszahlung der Bewilligung benötigte die RF einen deutschen Antrag. Dieser sollte durch ein von Gunn vorgeschlagenes Prozedere zustandekommen. Da es an konkreten deutschen Partnern mangelte, sollte Van Sickle, über Fehling vermittelt, in Berlin mit verschiedenen in Frage kommenden Wissenschaftlern zusammentreffen und das Gespräch dabei auf die Probleme bei der Erforschung internationaler Beziehungen lenken. Gleichzeitig würde die RF in Genfer wissenschaftlichen Kreisen die Absicht verlauten lassen, am Aufbau mehrerer nationaler Zentren in diesem Bereich interessiert zu sein. Die auf diese Weise von der amerikanischen Unterstützungsbereitschaft informierten deutschen Wissenschaftler würden daraufhin einen Antrag einsenden, auf dessen Grundlage formelle Verhandlungen aufgenommen werden könnten101. Im Februar 1930 reiste Van Sickle nach Berlin, um die geplanten Gespräche mit deutschen Wissenschaftlern zu führen. Zuerst traf er sich mit Fehling, der ihm jedoch 99 Vgl. Bewilligung durch das Board of Trustees, 13. November 1929, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 184. Die Bewilligung wurde am 16. Dezember 1931 zurückgezogen. 100 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 27. Januar 1930, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929– 1930, S. 30. 101 Vgl. ebd.

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von weiteren Schritten abriet. Eine wichtige Persönlichkeit, deren Namen Fehling nicht nennen wollte, habe ihn über vertrauliche Pläne informiert102. Zwei Monate später erfuhr Van Sickle, dass es sich um Ernst Jäckh gehandelt hatte, der die Einrichtung eines Friedensinstituts an der DHfP plante. Eine Zusammenarbeit mit der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft lehnte Jäckh mit der Begründung ab, schon der Name „smells of militarism“. Fehling empfahl der RF, Jäckhs Pläne nicht zu unterstützen und eine Einigung der deutschen Wissenschaftler abzuwarten103. So stand Rockefeller Geld in bisher unerreichter Höhe bereit, doch der Eingang eines deutschen Antrags ließ auf sich warten. Jäckh richtete 1930 mit Hilfe der Carnegie Stiftung die Stresemann Gedächtnisstiftung und die Friedensakademie ein104. An eine Zuwendung für diese Projekte dachte man in der RF jedoch nicht. Auch eine Konzentration auf Bruns Institut, das man für zu einseitig auf die Rechtswissenschaften ausgerichtet hielt, erfolgte nicht. Die Pläne waren damit in einer Sackgasse festgefahren, aus der kein Ausweg gefunden wurde. Mitte 1930, ein Jahr nach Rumls ersten Plänen, notierte Van Sickle, Fehling glaube „that nothing can be done in Berlin in the near future“105. Das Projekt scheiterte an Fehlentscheidungen auf mehreren Ebenen: Die RF hatte das Projekt ohne Absprachen mit deutschen Wissenschaftlern initiiert, sich frühzeitig auf Bruns Institut festgelegt und diese Entscheidung nach den ersten konkreten Planungen widerrufen. Anschließend war sie mit ihrer komplizierten Strategie, einen deutschen Antrag zu provozieren, gescheitert. Auf der deutschen Seite war man spät, und wahrscheinlich unvollständig, über die Möglichkeiten einer Institutsgründung informiert worden. Die Konkurrenz zwischen der DHfP, deren Direktor Jäckh konsequent seine eigenen Pläne verfolgte, und dem Kaiser-Wilhelm-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht verhinderte die Ausarbeitung eines gemeinsamen Antrags.

102 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 17. Februar 1930, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929– 1930, S. 51. 103 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 15. April 1930, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929– 1930, S. 74. 104 Vgl. Freie Universität Berlin, Otto-Suhr-Institut an der Freien Universität Berlin, vormals Deutsche Hochschule für Politik. Geschichte, Forschung und Lehre, Politische Bildungsarbeit, S. 26–27. Vgl. Rietzler, Philanthropy, Peace Research, S. 70–71. Zum Programm der Friedensakademie siehe auch Jäckh, Ernst, Weltsaat. Erlebtes und Erstrebtes, Stuttgart, 1960, S. 102–104. Im Frühjahr 1931 versuchte die Rockefeller Foundation, mehr über die Pläne der Carnegie Stiftung in Bezug auf Jäckhs Stresemann-Stiftung herauszubekommen. Vgl. Brief von S. M. Gunn an E. E. Day, 10. März 1931, in RAC-RF, RG 2 (1931), Series 717, box 64, folder 520. 105 J.  Van Sickle, Diary, 4.  Juli 1930, in RAC-RF, RG  12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929–1930, S. 102.

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Gemeinschaftsarbeiten auf dem Gebiet der zwischenstaatlichen Beziehungen als Institutsersatz

Notgedrungen schlugen Schmidt-Ott und Fehling schließlich als Alternative zur Institutsgründung die Förderung von durch die Notgemeinschaft koordinierten „Gemeinschaftsarbeiten auf dem Gebiet der zwischenstaatlichen Beziehungen“ vor. Die Leitung sollte einem von Schmidt-Ott geführten Komitee von Fachvertretern verschiedener Disziplinen übertragen werden. Auf diese Weise könne die „gegenwärtig nicht ratsame Errichtung eines neuen Fachinstituts mit einem eigenen kostspieligen Arbeitsapparat vermieden sowie unnötige Doppelarbeit oder Konkurrenz mit schon bestehenden in verwandter Richtung tätigen Instituten ausgeschaltet werden“, so Schmidt-Ott. Der zukünftigen Entwicklung bleibe es vorbehalten, ob der Zusammenschluss „später festere Formen annehmen“106 werde. In der RF wurden die schwierige finanzielle Situation der Notgemeinschaft107 und die unklaren Beziehungen zwischen Notgemeinschafts-Komitee und Jäckhs Plänen an der DHfP als Probleme gesehen, obwohl die Antragsteller betonten, Schmidt-Ott sei Mitglied des „Stresemann-Board“ und Jäckh habe die Initiierung eigener Projekte zurückgestellt. Schließlich erschienen Gunn die neuen Pläne aber „much wiser than the scheme passed on by the Trustees“108. Im Sonderprogramm für „international relations“ erhielt die Notgemeinschaft Ende 1931 den Betrag von 25.000 Dollar für die Arbeit des „Committee for Research in International Relations“109, während die Bewilligung von 1929 zurückgenommen wurde110. Im Februar 1932 traf sich das koordinierende Wissenschaftlerkomitee111 und erarbeitete die zu behandelnden Forschungsthemen. Als „Hauptaufgaben“ wurden 106 Brief von F. Schmidt-Ott an J. Van Sickle, 24. Juli 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 188. 107 Vgl. Brief von A. W. Fehling an S. M. Gunn, 27. November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 108 Brief von S. M. Gunn an E. E. Day, 8. November 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 188. 109 Bewilligung für die Notgemeinschaft, Committee for Research in International Relations, 16. Dezember 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 184. 110 Vgl. Staff Conference, 27. November 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 188. 111 Vgl. F. Schmidt-Ott, A. W. Fehling, Protokoll über die Besprechung am Sonnabend, den 13. Fe­bruar 1932, in der Notgemeinschaft, betr. die Inangriffnahme von Gemeinschaftsforschungen auf zwischenstaatlichem Gebiet, 22.  Februar 1932, in LB Oldenburg, NL H.  Schumacher, HS  362.2200, Blatt  362. Eingeladen waren der Wirtschaftswissenschaftler Herbert von Beckerath aus Bonn, der Völkerrechtler Viktor Bruns aus Berlin, der Kieler Wirtschaftswissenschaftler Bernhard Harms, der Prälat und Kirchenrechtler Ludwig Kaas aus Trier, der Staats- und Völkerrechtler Erich Kaufmann aus Berlin, der Hamburger Jurist Albrecht Mendelssohn Bartholdy, der

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Untersuchungen zu „Fragen der neuesten Handelspolitik in ihren Beziehungen zum Wirtschaftssystem und ihrer Bedeutung für die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise“ (von Beckerath, Kaufmann, Weber/Bergstraesser, Wolfers) und die „krisenhafte Preisentwicklung“ verschiedener Welthandelsartikel (Schumacher) bestimmt. Dazu kamen eine Reihe kleinerer Forschungsvorhaben, etwa zur Höhe der bisher von Deutschland geleisteten Reparationszahlungen (Wiedenfeld, Kaufmann), zu den Wechselwirkungen zwischen Staatsauffassung und Ausgestaltung des internationalen Privatrechts (Mendelssohn-Bartholdy, von Beckerath) und zum „Problem der Verbindung zum Meere für die küstenlosen Staaten in seinen europäischen und außereuropäischen Erscheinungsformen“112. Die politischen Implikationen der Studien zu den „küstenlosen Staaten“ blieben der RF nicht verborgen. Gunn sah in ihrer Behandlung eine Art Test für die wissenschaftliche Qualität der Untersuchungen: One naturally has some forebodings in connection with the last subject chosen for investigation, viz., the inquiry into the problem of an outlet to the sea for European and nonEuropean States. The German interest in this matter is of course in connection with the Polish Corridor which is one of the most difficult of existing European problems. It will be interesting to see how objective the Germans can be in this investigation113.

Der Berliner Staats- und Völkerrechtler Erich Kaufmann setzte sich in der Besprechung außerdem für eine Studie über Minderheitenverhältnisse im Gebiet des Weichselkorridors ein, wobei er eine Untersuchung über den „Wechsel des Besitzstandes seit

Historiker Hermann Oncken und der Staatswissenschaftler Hermann Schumacher aus Berlin, der Völkerrechtler Walther Schücking (Kiel), der Reichsgerichtspräsident Walter Simons (Berlin), der Staats- und Völkerrechtler Heinrich Triepel (Berlin), der Nationalökonom Kurt Wiedenfeld (Leipzig), der Privatdozent der Volkswirtschaftslehre Arnold Wolfers (Berlin) und der Heidelberger Nationalökonom und Soziologe Alfred Weber. Harms, Triepel, Oncken und Schücking sagten die Teilnahme aus gesundheitlichen oder terminlichen Gründen ab, Weber ließ sich durch Arnold Bergstraesser vertreten. Als Gäste nahmen an der Besprechung der ehemalige Außenminister und Präsident der Stresemann-Gedächtnisstiftung Julius Curtius, Ernst Jäckh und der Referendar (und spätere Widerständler gegen das NS-Regime) von Haeften teil sowie von der Notgemeinschaft Viktor Schwoerer und August Wilhelm Fehling. Vgl. A.  W.  Fehling, Bericht (Entwurf ), o.  D. [nach dem 13. Februar 1932], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 54, S. 1. 112 A.  W.  Fehling, Bericht (Entwurf ), o.  D. [nach dem 13.  Februar 1932], in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 54, S. 2–5. 113 Brief von S. M. Gunn an E. E. Day, 30. März 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 188.

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1914“ als besonders dringlich empfand. Die Sitzungsteilnehmer entschieden jedoch, dass eine „Durchführung mit amerikanischen Mitteln nicht angängig erschien“114. Im November 1932 erfuhr Kittredge im Gespräch mit Schmidt-Ott und anderen Mitgliedern des Komitees in Berlin, dass die Einrichtung einer permanenten Organisation zum Studium der internationalen Beziehungen weiterhin nicht in Betracht gezogen wurde115. Stattdessen waren die Planungen des Komitees für die Gemeinschaftsarbeiten konkretisiert und fünf Arbeitsgruppen unter der Leitung eines oder mehrerer Wissenschaftler gegründet worden. Die Forschungen wurden von jüngeren promovierten Mitarbeitern durchgeführt, von denen etwa 20 ein Stipendium erhielten. Kittredge zeigte sich beeindruckt: „The grant to the Notgemeinschaft had made possible a nation-wide program of research, and is meeting the immediate needs of nearly all the chief centres cooperating“116. Herbert von Beckerath hatte in Bonn mit Untersuchungen zur Autarkiefrage in Großbritannien, Deutschland, Russland, Frankreich und den USA begonnen. In Berlin koordinierte Arnold Wolfers Forschungen zur Handelspolitik und zur internationalen privatwirtschaftlichen Marktregulierung. Alfred Weber beaufsichtigte in Heidelberg Analysen gegenwärtiger Handelsverträge und ihrer wirtschaftlichen Folgen sowie Untersuchungen verschiedener nationaler Haltungen gegenüber internationalen Fragen und Organisationen. Kurt Wiedenfeld ließ in Leipzig Studien zu Handelsproblemen im südöstlichen Europa und der Bedeutung des Gebietes für den Welthandel durchführen. Der Preisverfall von etwa zwanzig Rohstoffen wurde unter der Leitung Hermann Schumachers untersucht. Mendelssohn Bartholdy betreute die geplanten Untersuchungen zum internationalen Recht117. Wegen fehlender Mittel waren die Studien zu Ländern ohne Küstenzugang kaum vorangegangen, nur von Beckerath hatte Material zu Südost-Europa und Wiedenfeld zum Balkan und der Tschechoslowakei zusammengetragen. Die Untersuchungen zu den Reparationszahlungen waren vollständig verschoben worden118.

114 F. Schmidt-Ott, A. W. Fehling, Protokoll über die Besprechung am Sonnabend, den 13. Februar 1932, in der Notgemeinschaft, betr. die Inangriffnahme von Gemeinschaftsforschungen auf zwischenstaatlichem Gebiet, 22. Februar 1932, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 362. 115 Vgl. T.  B.  Kittredge, Memorandum „Project of Notgemeinschaft Committee for the Study of International Relations“, an J. V. Sickle, 21. November 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 188, S. 1. 116 Ebd., S. 4. 117 Ebd. 118 Vgl. Report on the present state of the collective investigations in the domain of International Relations, o. D. [Ende 1932], o. Verf., in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 188, S. 4.

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Trotz des geglückten Anfangs verlief die Zusammenarbeit nicht reibungslos. Fehling hatte Van Sickle darauf hingewiesen, dass einige der Programmteile seiner Meinung nach nicht in den Bereich der internationalen Beziehungen fielen119. Während eines Mittagessens in Berlin sprach Van Sickle diese Frage an, woraufhin SchmidtOtt das Gespräch auf Schumachers Rohstoffstudien lenkte120, die dieser daraufhin näher erläuterte. Als Van Sickle andeutete, die Arbeiten seien eher dem Feld „economic stabilization“ zuzuordnen, war Schumacher „extremely upset as he has set his heart on completing a series of studies which he is convinced are of the greatest significance“. Der Konflikt konnte jedoch beigelegt werden: Schmidt-Ott sicherte Schumacher sofort anderweitige Unterstützung durch die Notgemeinschaft zu und Van Sickle betonte, dass auch Untersuchungen zu Rohstoffen „from the point of view of their effects on international relations“ durchgeführt werden könnten. Man trennte sich „on reasonably cordial terms“. Schmidt-Ott versicherte Van Sickle, dass nicht in die „international relations“ fallende Studien aus dem Programm ausgegliedert würden121. Generell beurteilte Van Sickle die Verwaltung der Gelder durch das Notgemeinschaftskomitee positiv: Das System sei flexibel und fördere Forschung in den wichtigsten sozialwissenschaftlichen Zentren Deutschlands. Noch im Februar 1933 setzte er sich für eine Weiterförderung ein122. Im Sommer kamen ihm allerdings Zweifel, ob die Forschungen und die Notgemeinschaft123 im NS-Regime noch ausreichende Unabhängigkeit genössen124. Auf eine Weiterförderung wurde schließlich verzichtet. Da nicht alle Studien bis Ablauf der Bewilligungsfristen fertig gestellt werden konnten, erreichte Fehling eine Verlängerung der Freigabe der Gelder bis Ende 1934125. Verschiedene Studien erschienen ab 1934126: Van Sickle analysierte Hans Gestrichs 119 Vgl. Aufstellung der Kontakte mit dem Notgemeinschaft Committee for research in international relations, o. D. [1934], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 188 (Notiz zum 23. Januar 1933). 120 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 22. Februar 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 188. 121 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 22. Februar 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 190. 122 Vgl. ebd. 123 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 7. Juli 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 93, folder 736, S. 4–5. 124 Vgl. J.  Van Sickle, Report on Rockefeller Foundation Activities in Germany. Social Sciences, 22. Juni 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36, S. 8. 125 Vgl. Briefe von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 21. September und 14. Oktober 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 126 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum „International Relations Research in Germany under the Notgemeinschaft“, 6. März 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 188. Es erschienen die Studien: Lösch, August; Goerzel, Ida; Gottschalk, Hellmut, Technische Umwälzungen, internationale Standortsverschiebungen und Protektionismus in der Nachkriegszeit, Ber-

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„Geldpolitik und Weltwirtschaft“127 auf „evidences of restriction upon the freedom of expression of the investigators“, konnte jedoch keine Hinweise auf politische Einflussnahme entdecken. Im Gegenteil, er betonte „the forthright manner in which the author defends on economic grounds the principles of liberalism in the field of economic relations“128. Die Arbeiten wurden auf Seite der RF als Erfolg verbucht. Schumachers Studien wurden 1932 wie versprochen aus den von der RF unterstützten Gemeinschaftsarbeiten ausgegliedert, er erhielt aber noch die ihm zugesagten Gelder129. Ende 1933 lag erst eine Arbeit, die sich mit Kautschuk befasste, zum Druck vor. Für die Fertigstellung der anderen Studien beantragte Schumacher bei der Rockefeller Foundation 24.000 RM130, erhielt jedoch nur 3000 Dollar (etwa 10.000 RM)131. Es folgten weitere Abschlussfinanzierungen132, bis 1937 ein letzter Antrag, trotz Befürwortung durch Kittredge und Fehling, am Veto Fosdicks scheiterte, der Förderungen im nationalsozialistischen Deutschland nicht weiter mittragen wollte. Mit der Qualität der ab 1936 veröffentlichten Studien133 war die Stiftung lin, 1934, Haberler, Gottfried von; Verosta, Stephen, Liberale und planwirtschaftliche Handelspolitik (Zwischenstaatliche Wirtschaft 8), Berlin, 1934, Mackenroth, Gerhard; Krebs, Franziska, Die Wirtschaftsverflechtung des britischen Weltreiches (Zwischenstaatliche Wirtschaft, Voraussetzungen und Formen internationaler Wirtschaftsbeziehungen 12), Berlin, 1935. 127 Gestrich, Hans, Geldpolitik und Weltwirtschaft. Eine Untersuchung der weltwirtschaftlichen Konsequenzen monetärer Konjunkturpolitik (Zwischenstaatliche Wirtschaft 10), Berlin, 1934. 128 J.  Van Sickle, Memorandum on Hans Gestrich’s „Geldpolitik und Weltwirtschaft“, Junker und Dunnhaupt Verlag, Berlin, 1934, o. D., in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 20, folder 188. 129 Vgl. Brief von S. H. Walker an J. Van Sickle, 4. April 1933, und Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 22. Februar 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 190. 130 Vgl. Brief und Bericht von H.  Schumacher an A.  W.  Fehling, 26.  Dezember 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. 131 Vgl. Bewilligung für H. Schumacher („Research Aid Grants – Paris, March 27, 1934“), 27. März 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 190. 132 Schumacher erhielt 1935 4000 RM und 1936 2800 Dollar. Vgl. Brief von T. B. Kittredge an J. Van Sickle, 12. Mai 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 190 und Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 15. Juni 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 133 In der Reihe „Wandlungen der Weltwirtschaft“ vom Bibliographischen Institut in Leipzig erschienen: Flügge, Eva, Rohseide. Wandlungen in der Erzeugung und Verwendung der Rohseide nach dem Weltkrieg (Wandlungen in der Weltwirtschaft  1), Leipzig, 1936, Flügge, Eva, Kunstseide. Der internationale Aufbau der Kunstseidenindustrie und seine Folgen (Wandlungen in der Weltwirtschaft 3), Leipzig, 1936, Schüler, Hans Hermann, Wolle. Wandlungen in der Erzeugung und Verwendung der Wolle nach dem Weltkrieg (Wandlungen in der Weltwirtschaft 2), Leipzig, 1936, Lange, Ernst Georg, Steinkohle. Wandlungen in der internationalen Kohlenwirtschaft (Wandlungen in der Weltwirtschaft  4), Leipzig, 1936, Wegner, Herbert, Silber. Wandlungen in der Erzeugung und Verwendung nach dem Weltkrieg (Wandlungen in der Weltwirtschaft 5), Leipzig, 1936, Lynge, Erik, Der Walfang; ein Beitrag zur Weltwirtschaft der Fettstoffe (Wandlungen in der Weltwirtschaft  7), Leipzig, 1936, Wollnik, Josef, Zinn. Wandlungen in der Erzeugung und

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zufrieden134. Schumacher, dem die Forschungen auch persönlich sehr wichtig waren, blickte mit „recht gemischten Gefühlen“ auf die Zusammenarbeit mit der RF zurück, da ihm die politischen Gründe für die Ablehnung der Weiterförderung nicht mitgeteilt worden waren135. „[A] liberal spirit in Germany“: Die Unterstützung der Deutschen Hochschule für Politik

Die RF stand einer Förderung der Deutschen Hochschule für Politik (DHfP) in Berlin 1929 ablehnender gegenüber als das LSRM, das die Hochschule 1926 und 1928 mit Nothilfen unterstützt hatte. Ein Antrag auf Fortführung der Zuwendungen Verwendung des Zinns nach dem Weltkrieg (Wandlungen in der Weltwirtschaft 6), Leipzig, 1936. Für die ersten drei Studien musste bereits im Frühjahr 1936 eine zweite Auflage gedruckt werden. Vgl. T.  B.  Kittredge. Memorandum „Professor Schumacher’s program of raw material studies, conversation of TBK with Dr. Fehling, Berlin, May 7, 1936“, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 190. Es folgten Klopstock, Fritz, Kakao. Wandlungen in der Erzeugung und der Verwendung des Kakaos nach dem Weltkrieg (Wandlungen in der Weltwirtschaft  12), Leipzig, 1937, May, Gerd, Zucker. Grundlagen und Kräfte der Weltmarktentwicklung nach dem Weltkrieg (Wandlungen in der Weltwirtschaft 11), Leipzig, 1937, Flügge, Eva, Baumwolle. Wandlungen in der Erzeugung und der Verwendung der Baumwolle nach dem Weltkrieg (Wandlungen in der Weltwirtschaft 10), Leipzig, 1938, George, Heinz, Kautschuk. Wandlungen in der Erzeugung und der Verwendung des Kautschuks nach dem Weltkrieg (Wandlungen in der Weltwirtschaft 9), Leipzig, 1938, Grottian, Walter, Holz. Holzverbrauch und Holzerzeugung der Welt in der Nachkriegszeit (Wandlungen in der Weltwirtschaft 14), Leipzig, 1938, Sabelberg, Franz, Tee. Wandlungen in der Erzeugung und Verwendung des Tees nach dem Weltkrieg (Wandlungen in der Weltwirtschaft 13), Leipzig, 1938. Rudolf Zaddach verfasste seine Dissertation zum Thema „Die Hanffasern in der Weltwirtschaft“: Zaddach, Rudolf, Die Hanffasern in der Weltwirtschaft, Diss. Univ. Berlin, 1938. Zaddach war Referent für diese Frage im kolonialwissenschaftlichen Komitee. Schumacher bezeichnete ihn, neben dem betagten Prof. Hindorf, als ersten Sachverständigen, den Deutschland habe. Vgl. Brief von H. Schumacher an die Notgemeinschaft, 26. November 1933, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 205.1. Er hat die Arbeit neben der Berufstätigkeit verfasst und scheinbar kein Stipendium in Anspruch genommen. Für die Fertigstellung der Arbeit erhielt er ein Honorar von 600 RM. Vgl. Briefe von H. Schumacher an A. W. Fehling, 30. Juni und 12. August 1934, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 219 und Blatt 223. 134 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an J. Van Sickle und S. H. Walker, 6. März 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 190. 135 „Ich muss sagen, dass sie sich mir gegenüber merkwürdig, wenn nicht befremdlich benommen hat. Ich bedaure das, da ich die Rockefeller Foundation als ein vornehmes Beispiel für den besten Geist des Amerikanertums betrachtet und oft bezeichnet habe, und da ich fürchte, dass auch Sie ähnliche Empfindungen hegen werden“. Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 17. Juni 1938, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 74.

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des Memorials, den Jäckh im April 1929 stellte, wurde als außerhalb des Förderprogramms liegend abgelehnt136. Auch ein zweiter, im März 1930 eingereichter und auf die Folgen der Wirtschaftskrise für die Hochschule Bezug nehmender Antrag137 scheiterte138, da die Hochschule weiterhin als Lehr- und nicht als Forschungsinstitution wahrgenommen wurde139. Für die DHfP bedeuteten der Wegfall der Gelder des LSRM und die Reduzierung staatlicher Beihilfen und privater Spenden große finanzielle Verluste140. Da Jäckh nicht gewillt war, ganze Programme aufzugeben, wurden die Kosten aller Aktivitäten und die Gehälter gekürzt. Ein jährliches Defizit von etwa 150.000 RM blieb bestehen141. Nach der Ablehnung durch Day wandte sich Hans Simons als geschäftsführender Direktor der DHfP142 im Juli 1930 direkt an Thomas B. Appleget, den Vizepräsidenten der RF. Ausführlich erläuterte er, dass die DHfP von Beginn an auch ein Forschungsinstitut hatte sein sollen, nur dass zuerst hätte sichergestellt werden müssen, dass „die Ergebnisse politischer, soziologischer und ökonomischer Forschung auch im Sinne staatsbürgerlicher Erziehung und gesamtpolitischer Leistungsfähigkeit verwandt werden“ könnten. Durch eine Bewilligung könnten überlastete Mitarbeiter für die Forschung freigestellt werden, „nötigenfalls“ könne „sogar eine völlige Trennung von forschender und lehrender Tätigkeit“ durchgeführt werden143. Die Direktion der Hochschule hatte erkannt, dass die fehlende Forschungsausrichtung für die RF ein wichtiges Förderungshindernis war. So wie Jäckh Fehling in den 1920erJahren durch einen direkten Kontakt zu Ruml umgangen hatte, versuchten die Leiter der DHfP jetzt, sich über die negative Bewertung Days durch einen direkten Kontakt zur Vizepräsidentschaft hinwegzusetzen. 136 Vgl. Brief von E. E. Day an E. Jäckh, 17. Mai 1929, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 137 Vgl. Brief von E. Jäckh an E. E. Day, 15. März 1930 und Antrag von W. Simons und B. Drews an die Rockefeller Foundation, März 1930, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. Beantragt wurden je 25.000 Dollar für 1930 und 1931. 138 Vgl. Brief von E. E. Day an E. Jäckh, 14. April 1930, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 139 Vgl. Report on the Deutsche Hochschule für Politik, o. Verf. [ J. Van Sickle?], 1. Februar 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 140 Vgl. Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S.  222. Das Budget sank von knapp 640.000 RM 1928/29 auf 450.000 RM 1932/33. Vgl. Brief von S. M. Gunn an E. E. Day, 10. und 15. März 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 141 Vgl. Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 222–224. Jäckhs Gehalt wurde um die Hälfte gekürzt. 142 Jäckh war seit 1930 Präsident der Hochschule. Vgl. Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S. 209. 143 Alle Zitate aus Brief von H. Simons an T. B. Appleget, 21. Juli 1930, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 19, folder 177.

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Appleget reichte den Brief zur Kenntnisnahme an Day weiter144, doch dessen Bedenken blieben bestehen. Die Hochschule sei zwar exzellent, aber eben doch keine Forschungsanstalt. Zudem wollte Day die weitere Ausgestaltung des sozialwissenschaftlichen Förderprogramms der RF abwarten145. John D. Rockefeller Jr. spendete der DHfP persönlich 15.000 Dollar als Nothilfe unter der Bedingung, dass Reichspräsident von Hindenburg ebenfalls 5000 Dollar beisteuere146. In der Folgezeit versuchte Jäckh, das Interesse der RF durch persönliche Gespräche zu wecken. Nach einem Treffen mit Day in New York im Dezember 1931147 hatte er den Eindruck, dieser stände einer erneuten Bewerbung positiver gegenüber. Im Februar 1932 wies er Gunn in Paris auf die schlechte finanzielle Ausstattung der DHfP hin und lud ihn nach Berlin ein148. Day befürwortete den Besuch mit dem Verweis, dass die Trustees von ihrem strikten Verbot, Lehreinrichtungen zu unterstützen, abgerückt seien. Er lobte den Beitrag der Hochschule zu der Entwicklung objektiver Haltungen in den internationalen Beziehungen149. Gunn besuchte die Hochschule im März 1932 und verhandelte mit Jäckh und Wolfers, die bereits einen Antrag formuliert hatten150. Während diese die Fortschritte in der Forschung betonten, entsprachen die vorgelegten Publikationen in Gunns Augen nicht den wissenschaftlichen Standards151. Er empfahl die Förderung trotzdem, da er die DHfP als „in the best sense of the word a liberal spirit in Germany“ einschätzte. Die bisherigen Forschungsergebnisse seien nicht sehr bedeutend, doch könne sich die Hochschule bei weiterer Entwicklung zu einem bedeutenden Zentrum in Deutschland entwickeln152. Die politisch liberale Ausrichtung der Hochschule wog, in Anbetracht der erstarkenden NSDAP, fehlende wissenschaftliche Exzellenz auf. Nachdem Gunn nach der Weiterreise auch in London Positives über die DHfP gehört 144 Vgl. Brief von T. B. Appleget an H. Simons, 12. August 1930, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 19, folder 177. 145 Vgl. Auszug aus T. B. Applegets „diary“ vom 20. Juli 1931, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 19, folder 177. 146 Vgl. Brief von E. Jäckh und A. Wolfers an die Rockefeller Foundation („Dear Sirs“), 3. März 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 19, folder 177. 147 Vgl. Brief von E. E. Day an die officers, 2. (?) November 1931, in RAC-RF, RG 1.1 Series 717 (Germany), box 19, folder 177. 148 Vgl. Auszug aus einem Brief von S. M. Gunn an E. E. Day, 4. Februar 1932, in RAC-RF, RG 1.1 Series 717 (Germany), box 19, folder 177. 149 Vgl. Auszug aus einem Brief von E. E. Day an S. M. Gunn, 27. Februar 1932, in RAC-RF, RG 1.1 Series 717 (Germany), box 19, folder 177. Vgl. Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 224. 150 Vgl. Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 226. 151 Vgl. Brief von S. M. Gunn an E. E. Day, 10. März 1932, in RAC-RF, RG 1.1 Series 717 (Germany), box 19, folder 177, S. 1–2. 152 Vgl. ebd., S. 5.

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hatte153, schickte er den Antrag mit einer starken Empfehlung nach New York154. Auch Fehling befürwortete, im Gegensatz zu früheren Einschätzungen, nun eine Bewilligung155. Im April 1932 wurde der Hochschule eine einjährige Bewilligung von 35.000 Dollar für Forschungen im Bereich der Politikwissenschaften und der internationalen Beziehungen zugesprochen156. Das „Executive Committee“ erhielt zudem die Erlaubnis, der DHfP 30.000 Dollar für 1933/34 und 25.000 Dollar für 1934/35 zu bewilligen157. Für das Jahr 1933/34 wurden weitere 5000 Dollar in Aussicht gestellt, falls die Hochschule die gleiche Summe in Deutschland einwerben könne. Für das Jahr 1934/35 waren ebenfalls 5000 Dollar eingeplant, wobei für jeden Dollar der RF zwei Dollar aus deutschen Quellen eingenommen werden mussten158. Mit dieser Bewilligung sollten zwei Ziele erreicht werden: „a) to encourage a type of teaching which tends to develop that openness of mind and objectivity of approach essential to the solution of problems of a political nature; b) to promote objective research in this some field of political behavior“159. Während die unsichere politische Lage insgesamt zu einer „policy of caution“ in Bezug auf Deutschland führte, wurden die noch wenig ausgereiften Forschungen an der DHfP als Beiträge zu einer möglichen Lösung der Probleme durch wissenschaftliche Arbeit aufgefasst. Die DHfP richtete mit den Geldern eine Forschungsabteilung unter der Leitung des Völkerrechtlers Fritz Berbers ein160, die die wissenschaftlichen Arbeiten intensivieren und systematisieren sollte161. Ein „Jahrbuch für Politische Forschung“ wurde ins Leben gerufen, unter dem Titel „Politisches Schrifttum“ wurde ein früher von der Hochschule herausgegebener politischer Literaturbericht wieder aufgenommen162. Viele Mitarbeiter publizierten auch in der ab 1934 erscheinenden und von der RF 153 Vgl. Ergänzung vom 15. März zum Brief von S. M. Gunn an E. E. Day, 10. März 1932, in RAC-RF, RG 1.1 Series 717 (Germany), box 19, folder 177, S. 6. 154 Vgl. Brief von S. M. Gunn an E. E. Day, 10. und 15. März 1932, in RAC-RF, RG 1.1 Series 717 (Germany), box 19, folder 177, S. 1–8. 155 Vgl. Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 228. 156 Vgl. Aufstellung der Bewilligungen, Deutsche Hochschule für Politik, in RAC-RF, RG  1.1, Series 717 (Germany), box 19, folder 178. 157 Vgl. Bewilligung, Deutsche Hochschule für Politik (32131), 13. April 1932, in RAC-RF, RG 1.1 Series 717 (Germany), box 19, folder 177. 158 Vgl. Report on the Deutsche Hochschule für Politik, o. Verf. [ J. Van Sickle?], 1. Februar 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 159 Ebd., S. 1. 160 Vgl. Missiroli, Die Deutsche Hochschule für Politik, S. 40. Siehe auch Berber, Friedrich Joseph; Strauss, Ingrid, Zwischen Macht und Gewissen. Lebenserinnerungen, München, 1986, S. 52. 161 Vgl. Deutsche Hochschule für Politik. Mitteilungen Nr. 2, Sommer-Semester 1932, in GStA PK, VI. HA Familienarchive und Nachlässe, Nachlass Cleinow Nr. 63, Bd. Z, Blatt 182. 162 Vgl. ebd., Blatt 183.

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unterstützten „Encyclopedia of the Social Sciences“163. In den Verhandlungen um eine Erhöhung preußischer Zuschüsse, die 1932 von 20.000 RM im Vorjahr auf 12.000 RM gekürzt worden waren, wurde die Rockefeller Finanzierung als Argument vorgebracht: Würde nicht mindestens die Hälfte der Mittel aus deutschen Quellen eingenommen, riskiere man den Verlust der amerikanischen Gelder164. Van Sickle, der Jäckh und Wolfers Anfang 1933 in Paris traf, zeigte sich beeindruckt von der Entwicklung der Hochschule165. Er lobte die Lehre, in der man aus England das „tutorial system“ und aus den USA das Interesse für zeitgenössische Probleme übernommen habe. Stärker als in den Universitäten seien die sozialwissenschaftlichen Disziplinen, die für das Verständnis politischer Probleme wichtig seien, in den Lehrplan integriert worden. Direkte Unterstützung durch die RF erfuhr die Lehre jedoch nicht. Eine Evaluierung der Forschungsaktivitäten hielt Van Sickle für verfrüht, 1932 seien es vor allem unsystematische Einzelforschungen von Mitarbeitern der DHfP gewesen166. „The time may come when German circles would recognize the Hochschule as the logical center for research in international relations – but not yet“167, meinte Van Sickle, als die Frage aufkam, ob das Komitee für die Gemeinschaftsstudien von der Notgemeinschaft an die Hochschule verlagert werden sollte168. Es scheinen der Mangel an Alternativen, die Hoffnung auf eine positive Entwicklung sowie die republikfreundliche Ausrichtung der DHfP in politisch instabilen Zeiten gewesen zu sein, die zur Förderung durch die RF geführt haben. Eines der Grundkriterien der Rockefeller’schen Förderpolitik, die wissenschaftliche Exzellenz, wurde hier, wie bereits zur Zeit des LSRM, zurückgestellt. Insgesamt stellte sich die Förderung der Politikwissenschaft in Deutschland als schwierig heraus. Nach der gescheiterten Institutsgründung war in der Finanzierung des Notgemeinschafts-Komitees ein Ausweg gefunden worden, der jedoch kein Ersatz für ein großes sozialwissenschaftliches Institut in Berlin sein konnte. In der Hochschule für Politik vermutete man ein großes Potenzial, das sich jedoch in der kurzen Zeit bis zur nationalsozialistischen Machtübernahme nicht mehr entfalten konnte. 163 Der erste Band der Encyclopedia enthielt mehr als 70 Artikel, davon 14 von Theodor Heuss, neun von Goetz Briefs, acht von M. H. Boehm, sieben von Sigmund Neumann, sechs von Moritz Bonn und fünf von Eckart Kehr. Vgl. Korenblat, The Deutsche Hochschule für Politik, S. 231. 164 Vgl. Brief von W.  Simons an Reichsminister Dr.  Popitz, Preußisches Finanzministerium, 11. November 1932, in GStA-PK, I HA. Rep. 151 Finanzministerium I C Nr. 7058, Blatt 64. 165 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 31. Januar 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 166 Vgl. Report on the Deutsche Hochschule für Politik, o. Verf. [ J. Van Sickle?], 1. Februar 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177, S. 2–3. 167 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 22. Februar 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 188. 168 Vgl. ebd.

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Die Förderung der deutschen Wirtschaftswissenschaften

Erfolgreicher war die RF in der Förderung der deutschen Wirtschaftswissenschaften. Diese seien in Deutschland gut entwickelt, konstatierte Kittredge, auch wenn sie aufgrund der dominierenden historischen und philosophischen Traditionen in der Vergangenheit im Ausland kein hohes Ansehen genossen hätten169: „The outsider felt a lack of any incisive underlying theoretical system. Economic research was either minutely descriptive or philosophically speculative“170. Kittredge hatte mit seiner Einschätzung insofern recht, als viele deutsche Ökonomen Vertreter der „Historischen Schule“ waren, die sich im frühen 19. Jahrhundert in Abgrenzung zur klassischen Ökonomie angelsächsischer Prägung entwickelt hatte. Die Existenz allgemein gültiger ökonomischer Gesetzmäßigkeiten wurde von ihren Vertretern abgelehnt171. Sie untersuchten wirtschaftliche Probleme, indem sie konkrete Tatsachen unter historischen, ethischen, soziologischen und psychologischen Gesichtspunkten beschrieben und unter Sammelbegriffe fassten172. Daneben hatte sich in Frankfurt, Heidelberg und Kiel, etwa um Walter Eucken, Wilhelm Röpke, Gerhard Colm und Adolf Löwe, eine theoretischere Richtung der Nationalökonomie etabliert, die eine fortentwickelte klassische Ökonomie betrieb173. Nach Ende der eindeutigen Dominanz der „Historischen Schule“ zeichnete sich die deutsche Nationalökonomie durch einen Theorienpluralismus aus. Eine dominierende Strömung bildete sich in der Weimarer Republik nicht heraus174. Die geringe Anzahl theoretisch orientierter Wirtschaftswissenschaftler fiel Kittredge vor allem im Vergleich mit Österreich auf, wo sich unter der Leitung von Eugen Böhm von Bawerk und Friedrich von Wieser eine theoretische Schule entwickelt hatte, die in Kittredges Augen allerdings zu sehr auf theoretischen Analysen basierte.

169 „This appears to have been due to the predominance of the traditions either of the historical or of the philosophical school“. Tatsächlich wurden die Leistungen der ausländischen Ökonomen in Deutschland lange nicht beachtet. Vgl. Kulla, Bernd, Die Anfänge der empirischen Konjunkturforschung in Deutschland 1925–1933 (Volkswirtschaftliche Studien 464), Berlin, 1996 (zugl. Diss. Univ. Frankfurt am Main, 1995), S. 14. 170 T. B. Kittredge, Social Sciences in Germany, 9. August 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 186, S. 9. 171 Vgl. Krohn, Wirtschaftswissenschaften, S. 904. 172 Vgl. Janssen, Nationalökonomie und Nationalsozialismus, S. 29–32. Vgl. Krohn, Wirtschaftswissenschaften, S. 906. Zur Nationalökonomie in der Weimarer Republik siehe auch die ausführliche Studie Köster, Die Wissenschaft der Außenseiter, hier vor allem die Kapitel 4 und 5, S. 121–220. 173 Vgl. Janssen, Nationalökonomie und Nationalsozialismus, S. 29–32. Vgl. Krohn, Wirtschaftswissenschaften, S. 906. 174 Vgl. Köster, Universalismuskonzepte, S. 49.

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Während viele Zeitgenossen die deutsche Nationalökonomie in einer tiefen Krise sahen175, konstatierte Kittredge, die deutschen Wirtschaftswissenschaften befänden sich insgesamt auf dem richtigen Weg. Die Rockefeller Foundation förderte das Heidelberger Institut für Sozial- und Staatswissenschaften und das Kieler Weltwirtschaftsinstitut. Dem Institut für Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften in Bonn, das in ihren Augen zumindest bis zum Weggang Schumpeters 1932 das drittwichtigste Zentrum in Deutschland war, wurde ein „grant-in-aid“ bewilligt176. Das Erbe des LSRM: Die Weiterförderung des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften in Heidelberg

Die praktischen Arbeiten am 1928 vom LSRM mit 60.000 Dollar geförderten Heidelberger Forschungsprogramm zum wirtschaftlichen Schicksal Europas begannen 1929. Die RF erhoffte sich nicht nur wissenschaftlich bedeutende Ergebnisse, sondern auch die Stärkung eines wichtigen sozialwissenschaftlichen Zentrums177. Die in der Universitätsbibliothek Heidelberg verwahrten Unterlagen des Nachlasses Alfred Webers geben Aufschluss über die Organisation des Forschungsprogramms. Für die Arbeiten wurden die Räume des Instituts und der Bibliothek neu eingerichtet und ausgebaut178. Drei Jahre später erschienen die ersten Veröffentlichungen in der Reihe „Zum wirtschaftlichen Schicksal Europas“. In der von Alfred Weber geleiteten Abteilung „Zum produktionswirtschaftlichen Aufbau Europas“ wurde als Erstes Otto Schliers Studie „Aufbau der europäischen Industrie nach dem Kriege“179 publiziert sowie die Untersuchung „Die produktionswirtschaftliche Integration Europas. Eine Untersuchung über die Aussenhandelsverflechtung der europäischen Länder“180 von 175 Vgl. Hagemann, Volkswirtschaftslehre, S.  27–28. Siehe auch Köster, Universalismuskonzepte, S. 48. 176 Vgl. T. B. Kittredge, Social Sciences in Germany, 9. August 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 186, S. 10–13. 177 Vgl. Bewilligungsentwurf (Draft Docket) für das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, Heidelberg, o. D. [November 1933], o. Verf. [ J. Van Sickle], in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 58, S. 1. 178 Vgl. Denkschrift über den Stand und das fernere Programm der Forschungsarbeiten des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg, o.  D. [1932/1933], in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-SchmidtStiftung“. 179 Schlier, Otto, Aufbau der europäischen Industrie nach dem Kriege (Zum wirtschaftlichen Schicksal Europas Teil 1, Arbeiten zur europäischen Problematik 1), Berlin, 1932. Mit einem Vorwort von Alfred Weber. 180 Gaedicke, Herbert; Eynern, Gert von, Die produktionswirtschaftliche Integration Europas. Eine Untersuchung über die Aussenhandelsverflechtung der europäischen Länder (Zum wirtschaftli-

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Herbert Gaedicke und Gert von Eynern181. Diese Arbeiten verstand Weber als Anwendung seiner Standortlehre auf die europäische Wirtschaft182. Weitere Untersuchungen wurden von Arthur Salz, Arthur von Machui, Walter Witzenmann, Hedwig NeumannTönniessen und Georg Hummel durchgeführt183. Arnold Bergstraesser leitete eine zweite Abteilung184, die unter dem Titel „Die äußere Wirtschaftspolitik der europäischen Staaten“ außenwirtschaftliche Fragen und die Außenhandelspolitik verschiedener europäischer Staaten behandelte. Im Jahr 1933 waren bereits sechs Arbeiten erschienen oder befanden sich im Druck185, unter anderem die Studie „Methodenwandel der europäischen Handelspolitik während des Krisenjahres 1931“186 von Walter Greiff. Mit Rockefeller Geldern arbeiteten Heinrich Liepmann über Zollhöhen und Preisbildung am Beispiel einiger Hauptwarengruppen der europäischen Wirtschaft, Otto Spohr und Georg Lanyi über die äußere Wirtschaftspolitik Ungarns und Elfriede Mack über die äußere Wirtschaftspolitik der skandinavischen Staaten187. In der Abteilung „Zur kapitalwirtschaftlichen Struktur Europas“188, die zuerst von Emil Lederer und nach dessen Weggang 1931 von Jakob Marschak geleitet wurde, arbeiteten Marschak zu Kapitalbildung und Kapitalbewegung, Albert Prinzing zu chen Schicksal Europas Teil 1, Arbeiten zur europäischen Problematik 3), Berlin, 1933. Mit einem Vorwort von Alfred Weber. 181 Vgl. Gesamtplan der Arbeiten des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg zum wirtschaftlichen Schicksal Europas, o. D., in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“, S. 1. 182 Vgl. Demm, Eberhard, Alfred Weber als Wissenschaftsorganisator, in Demm, Eberhard (Hg.), Geist und Politik im 20. Jahrhundert. Gesammelte Aufsätze zu Alfred Weber, Frankfurt am Main, Berlin, 2000, S. 229 (Im Folgenden zitiert als Demm, Alfred Weber als Wissenschaftsorganisator). 183 Vgl. Gesamtplan der Arbeiten des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg zum wirtschaftlichen Schicksal Europas, o. D., in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“, S. 1. 184 Im April 1932, mit dem Antritt der Gothein-Gedächtnis-Professur, übernahm Arnold Bergstraesser die Geschäftsführung von Weber, um diesen zu entlasten. Vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 110, 113. 185 Vgl. Demm, Alfred Weber als Wissenschaftsorganisator, S. 229. 186 Greiff, Walter, Der Methodenwandel der europäischen Handelspolitik während des Krisenjahres 1931 (Zum wirtschaftlichen Schicksal Europas T. 1, Arbeiten zur europäischen Problematik 2), Berlin, 1932. Mit einem Vorwort von Arnold Bergstraesser. 187 Vgl. Gesamtplan der Arbeiten des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg zum wirtschaftlichen Schicksal Europas, o. D., in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“, S. 2. 188 In manchen Plänen erscheint die dritte Abteilung als vierte, wie in der Denkschrift über den Stand und das fernere Programm der Forschungsarbeiten des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg, o. D. [1932/1933], in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“.

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internationalen Kreditverflechtungen in der Krise und Otto Pfleiderer zu Goldstandard und Preispolitik im Rahmen der Krisenbekämpfung189. Carl Brinkmann koordinierte „Arbeiten zur deutschen Problematik“, die in ihrer Konzentration auf Deutschland eine Ausnahme im Programm darstellten. Als Erstes erschien 1932 eine Arbeit von Ernst Falck zur kommunalen Wirtschaftspolitik190, weitere Untersuchungen betrafen regionale auf Deutschland bezogene Fragestellungen191. In einigen Plänen tauchte außerdem eine Abteilung zum „Verhältnis der ausser­ europäischen Entwicklung der Weltwirtschaft zu Europa“ auf, in der Studien zu zwischenstaatlichen Wanderungsbewegungen und zum Verhältnis Europas zu China, Japan, Australien und Argentinien durchgeführt werden sollten. „Die Bevölkerungswanderungen zwischen den einzelnen Staaten sowohl in Europa selbst als vor allem zwischen Europa und Aussereuropa [seien] ‚politisiert‘ worden“, erklärte Weber. „Diese Verhinderung des Ausgleichs zwischen den Arbeitsmärkten [sei] eine wesentliche Störungsursache der weltwirtschaftlichen Beziehungen geworden“ und sollte daher einer Untersuchung unterzogen werden. Dabei sollte auch analysiert werden, inwiefern die industriell nicht entwickelten Gebiete außerhalb Europas durch Exporte eine Industrie „im ‚europäischen‘ Sinne“ aufbauen und damit zur „Schrumpfung der europäischen Industrie selbst“192 beitragen könnten. Das Verhältnis zwischen Industrie- und Agrarstaaten war ein weiterer Schwerpunkt193. 1933 war allerdings in dieser Abteilung noch keine der Arbeiten fertig gestellt194. Schließlich war eine Synthese der Ergebnisse aller Abteilungen geplant. Die zusammenfassenden Studien sollten von Brinkmann, Weber und Bergstraesser verfasst werden195. Insgesamt hofften die Institutsleiter, mit den Forschungen zur Klärung der 189 Vgl. Gesamtplan der Arbeiten des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg zum wirtschaftlichen Schicksal Europas, o. D., in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“, S. 3. 190 Falck, Ernst, Kommunale Wirtschaftspolitik (Zum wirtschaftlichen Schicksal Europas T. 2, Arbeiten zur deutschen Problematik 1), Berlin, 1932. Mit einem Vorwort von Carl Brinkmann. 191 Sie wurden von W.  Bauer und dem Dipl.-Volkswirt Hoffmann durchgeführt. Vgl. Gesamtplan der Arbeiten des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg zum wirtschaftlichen Schicksal Europas, o. D., in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“, S. 3. Siehe auch die Ausführungen in Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 108–120. 192 Denkschrift über den Stand und das fernere Programm der Forschungsarbeiten des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg, o. D. [1932/1933], in UB Heidelberg, NL A.  Weber, Heid.  Hs.  4069, Kiste  2  4/4, Mappe „Materialien zur Robert-SchmidtStiftung“, S. 8. 193 Vgl. ebd., S. 9. 194 Vgl. Demm, Alfred Weber als Wissenschaftsorganisator, S. 230. 195 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum, Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, 2. November 1933, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. Behandelt werden sollten „Deutschlands Wirt-

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aktuellen Wirtschaftsprobleme beizutragen, „in denen die wesentlichen Gefahrenmomente der europäischen, insbesondere der deutschen Situation gelegen“196 seien. Die Ergebnisse sollten in verdichteten, gut lesbaren Darstellungen vorgelegt werden197. Anfang der 1930er-Jahre bewertete die RF den Erfolg des Heidelberger Programms als gut. Das Institut „represents the R. F. principal effort to-date in Germany in the way of aiding an important center. The decision appears to have been an excellent one“, meinte Van Sickle nach einem Besuch im Mai 1931 und resümierte: „Everything combines to make Heidelberg an ideal place for students and researchers alike“198. Von Weber („a delightful man“) und Bergstraesser zeigte er sich beeindruckt. Carl Brinkmann erwähnte er nur kurz mit den Worten „Prof. B. is also an economist. Special field industrial policy. Pleasant urbane. Knows the States well“199. 1933 hielt Van Sickle fest, dass der Ausbau Heidelbergs zu einem wichtigen sozialwissenschaftlichen Zentrum gut vorangeschritten sei und die vorgelegten Studien neue Erkenntnisse über die Interdependenzen der europäischen Nationalökonomien hervorgebracht hätten200. Im November 1932 teilte Weber Fehling mit, dass das Heidelberger Forschungsprogramm bis zum Auslaufen der Bewilligung im Dezember 1933 nicht fertig gestellt werden könne und bat ihn, über eine Weiterförderung nachzudenken201. Fehling riet ihm daraufhin, der RF einen Bericht über den Stand der Arbeit zuzusenden und in dem Begleitschreiben die Absicht zu erwähnen, einen Verlängerungsantrag zu stellen. Weber sollte hinzufügen, dass man sich freuen würde, wenn Van Sickle „in nächster Zeit einmal nach Heidelberg käme, um die bisherigen Ergebnisse und die weiteren Pläne mündlich schaft und Europa“, „Das wirtschaftliche Schicksal Europas“ und „Die wirtschaftliche Europaidee und ihre Wirksamkeit in der europäischen Wirtschaftspolitik“. Vgl. Gesamtplan der Arbeiten des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg zum wirtschaftlichen Schicksal Europas, o. D., in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“, S. 3. 196 „Die Tätigkeit des Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften an der Universität Heidelberg auf dem Gebiet der ausländischen Kulturpolitik“, o. D., in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 1, Nr. 1/6 (Materialien aus den 1920er- und 1930er-Jahren, Korrespondenzen aus den 1950er-Jahren, Mappe Verschiedenes), S. 3. 197 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 23. April 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 54. 198 J.  Van Sickle, Memorandum. J.  V.  S. Visit to Heidelberg, May  13, 1931, in RAC-RF, RG  1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195, S. 1. 199 Alle Zitate dieses Absatzes aus J. Van Sickle, Memorandum. J.V.S. Visit to Heidelberg, May 13, 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195, S. 3–4. 200 Vgl. Bewilligungsentwurf (Draft Docket) für das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, Heidelberg, o. D. [November 1933], o. Verf. [ J. Van Sickle], in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580, S. 2–3. 201 Vgl. Brief von A. Weber an A. W. Fehling, 3. November 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 54.

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besprechen zu können“202. Da die Arbeit in Heidelberg in der RF sehr positiv bewertet wurde, wären die Chancen auf Erfolg gut gewesen203, hätte die nationalsozialistische Machtübernahme die Situation in Heidelberg nicht vollständig verändert. „[T]he best facilities for research“: Das Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr in Kiel

Die Wirtschaftswissenschaftler des Kieler Weltwirtschaftsinstituts teilten mit den Heidelbergern wissenschaftliche Interessen, interdisziplinäre Ausrichtung, liberalsozialistische und republikfreundliche Überzeugungen sowie das Eintreten für eine theoretisch fundierte Wirtschaftspolitik mit dem Ziel der Verbesserung der Lebensbedingungen der Bevölkerung204. Das Institut war den Mitarbeitern des LSRM bereits in den 1920er-Jahren positiv aufgefallen, ohne dass es zu einer Förderung gekommen wäre. Gunn und Van Sickle besuchten das Institut im Januar 1931: „It has the best facilities for research in problems of world economics that I have ever seen. The archive and clipping service is excellently organized, the library is large, well planned, and the service prompt“205, notierte Van Sickle. Dem Institutsleiter Bernhard Harms war es gelungen, eine Anzahl junger, oft aus jüdischen Familien stammender Wirtschaftswissenschaftler nach Kiel zu holen, die in ihren Forschungen großen Wert auf praktische Bezüge und Ergebnisse legten. Zu ihnen gehörten Adolf Löwe, Gerhard Colm, Hans Neisser und später Fritz Burchardt und Alfred Kähler206. Van Sickle bemerkte: „neither race nor politics play any roll in his selections“207. Fehling, der früher Zweifel an der Bedeutung des Instituts geäußert habe, halte es heute für eines der bedeutendsten Zentren wirtschaftswissenschaftlicher Forschung, so Van Sickle208. Van Sickle erfuhr während seines Besuchs 1931 von den aufgrund der Wirtschaftskrise gesunkenen Einnahmen des Instituts und erwog, trotz der politischen Instabilität, die Bewilligung eines „fluid research fund“209. Fehling schickte der RF unterstützend einen ausführlichen Bericht zu Geschichte, finanzieller Lage und Forschungsprojekten des Instituts, in dem er besonders die Arbeit der 1926 eingerichteten 202 Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 28. Januar 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 203 Vgl. Brief von N. S. Thompson an A. Weber, 29. April 1931, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. 204 Vgl. Hagemann, Volkswirtschaftslehre, S. 40. 205 J. Van Sickle, Diary, 10. Januar 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 6. 206 Vgl. Krohn, Entlassungen und Emigration, S. 41. 207 J. Van Sickle, Diary, 10. Januar 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 7. 208 Vgl. ebd. 209 Ebd.

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Abteilung für statistische Weltwirtschaftskunde und internationale Konjunkturforschung hervorhob210. Der Etat von etwa 500.000 RM211 werde zur Hälfte von Preußen und dem Reich, zur anderen Hälfte von der Gesellschaft zur Förderung des Instituts getragen. Infolge der Kürzung staatlicher Gelder um 50.000 RM und Einbußen von privater Seite hätte das Institut seine Ausgaben stark einschränken müssen. Bibliotheksmittel seien gekürzt und Assistenten entlassen worden. Die Forschungstätigkeit sei zu einem Zeitpunkt zum Erliegen gekommen, an dem sie aufgrund der Wirtschaftskrise von besonderer wissenschaftlicher Bedeutung gewesen wäre, so Fehling212. Als „Reformökonomen“ setzten sich die Kieler Wirtschaftswissenschaftler für eine aktive staatliche Konjunkturpolitik in der Wirtschaftkrise der 1930er-Jahre ein213. Um „für alle Fragen gewappnet“ zu sein, bat Fehling die Kieler Wissenschaftler vor einer Parisreise um Sonderdrucke der bisher von der Abteilung durchgeführten Untersuchungen214. Per Eilpaket kamen die Arbeiten und das aktuelle Forschungsprogramm. „[E]s wäre wirklich herrlich, wenn Ihr kürzlicher Besuch hier nebenbei auch einen gewissen Erfolg für den Kampf um die Erhaltung unserer Arbeit hätte“215, hoffte Gerhard Colm. In Paris beschlossen Day, Gunn und Van Sickle, dass Harms zur Antragstellung aufgefordert werden sollte, wobei Fehling eine dreijährige Bewilligung von 6000 bis 8000 Dollar im Jahr vorschlug216. Harms beantragte schließlich 21.000 Dollar für drei Jahre zur Fortführung des Forschungsprogramms217. Van Sickle

210 Vgl. A. W. Fehling, The Institute for International Economics and Maritime Traffic at Kiel (Translation), submitted Jan. 26, 1931, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (German), box 20, folder 180, S. 2. Die Abteilung wurde von Adolf Löwe geleitet. Vgl. Kulla, Die Anfänge der empirischen Konjunkturforschung, S. 152–153. 211 Dies entsprach etwa 125.000 Dollar. J. Van Sickle, Draft Docket, o. D. [März 1931], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180, S. 2. 212 Vgl. A. W. Fehling, The Institute for International Economics and Maritime Traffic at Kiel (Translation), submitted Jan. 26, 1931, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (German), box 20, folder 180, S. 4. 213 Vgl. Dieckmann, Christoph, Wirtschaftsforschung für den Großraum. Zur Theorie und Praxis des Kieler Instituts für Weltwirtschaft und des Hamburger Welt-Wirtschafts-Archivs im „Dritten Reich“, in Kahrs, Horst; Aly, Götz (Hgg.), Modelle für ein deutsches Europa. Ökonomie und Herrschaft im Großwirtschaftsraum, Berlin, 1992, S. 152 (Im Folgenden zitiert als Dieckmann, Wirtschaftsforschung für den Großraum). 214 Brief von A. W. Fehling an G. Colm, 4. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 215 Brief von G. Colm an A. W. Fehling, 6. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 216 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 24. Februar 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 22. 217 Vgl. Aufstellung der Bewilligungen und Kontakte, Kiel, Institut fuer Weltwirtschaft, o. D. [1936], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182, S. 1.

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verfasste umgehend ein vorläufiges Bewilligungsschreiben, in dem er das besondere Interesse der RF an den Kieler Forschungen betonte218. Nicht einverstanden war Fehling mit der Art der Antragstellung durch Harms. Dieser hatte in seinem Begleitschreiben zum Antrag formuliert: „Herr Dr. Fehling hat mir die frohe Botschaft überbracht, daß Sie sich freundlichst des Kieler Instituts in seiner finanziell so bedrohten Lage annehmen wollen. Es drängt mich, Ihnen hierfür von ganzem Herzen zu danken“219. Fehling stellte gegenüber Gunn richtig: „I did not awake more hope, than, say, of 50 % probability, and the letter is the reflection of this statement in an enthusiastic nature“220. Trotzdem unterstützte er den Antrag des Kieler Instituts nach Kräften. Den nur zweiseitigen Antrag221 ergänzte er um ein zweites Memorandum zum Institut, „dem eine weit größere Bedeutung zukommt, als sich aus dem kurzen Schriftsatz von Dr. Harms ersehen läßt“222. Fehling betonte das große Organisationstalent Harms ‘, dem es gelungen sei, viele hervorragend ausgebildete Dozenten nach Kiel zu holen und die Forschungstätigkeit im Institut in den letzten drei Jahren stark zu steigern223. Sein Memorandum schloss mit einer nachdrücklichen Befürwortung des Antrags224 und empfahl sogar, den Betrag auf 10.000 Dollar im Jahr zu erhöhen225. Nachdem die Pariser Mitarbeiter, Day und die „officers conference“ in New York dem Antrag zugestimmt hatten, wurde er dem „Executive Committee“ vorgelegt226. Dieses bewilligte dem Institut im April 1931, wie von Fehling vorgeschlagen, 218 Vgl. J. Van Sickle, Draft Docket, o. D. [März 1931], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180, S. 2. 219 Brief von B. Harms an S. M. Gunn, 23. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 220 Brief von A. W. Fehling an S. M. Gunn, 25. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 221 Dem Antrag lag auch ein ausführlicheres Programm der Studien zu den „Rückwirkungen weltwirtschaftlicher Strukturwandlungen auf den deutschen Aussenhandel“ und eine Aufstellung der Arbeiten der Abteilung für Statistische Weltwirtschaftskunde und Internationale Wirtschaftsforschung bei. Vgl. Brief von B. Harms an S. M. Gunn, 23. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 222 A. W. Fehling, Memorandum, 27. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25, S. 1. Eine englische Übersetzung des Memorandums findet sich in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180. 223 Vgl. A. W. Fehling, Memorandum, 27. März 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180, S. 1. 224 „This request therefore is one for which I can express my full endorsement without any kind of limitation“. A. W. Fehling, Memorandum, 27. März 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180, S. 3. 225 Vgl. A. W. Fehling, Memorandum, 27. März 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180, S. 4. 226 Vgl. Brief von E. E. Day an S. M. Gunn, 21. April 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180.

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30.000 Dollar für die Fortführung des Forschungsprogramms227. Die RF verfolgte mit dieser Zuwendung das Ziel, die in mehreren europäischen Ländern und den USA durchgeführten Arbeiten zu nationalen Konjunkturentwicklungen durch Studien zu internationalen Aspekten zu ergänzen228. Harms verwendete das Geld ausschließlich für die Abteilung für statistische Weltwirtschaftskunde und internationale Konjunkturforschung, an der Untersuchungen über den deutschen Außenhandel finanziert wurden229. Er hoffte, dass diese „für die Überwindung der Weltwirtschaftskrisis Erkenntnisgrundlagen vermitteln, mit denen auch praktisch etwas anzufangen ist“230. Anschließend plante das Kieler Institut Untersuchungen zum internationalen Kapital-, Geld- und Kreditverkehr. Harms lud Day nach Kiel ein, damit er sich persönlich überzeugen könne, dass „die Rockefeller Foundation hier Saat in offene Furchen gelegt“231 habe. Die finanzielle Situation des Instituts verschlechterte sich durch Reduzierung der privaten und öffentlichen Zuwendungen weiter, das Budget war bereits 1931/32 auf 325.000 RM gesunken, für 1932/33 lag die Schätzung nur noch bei 237.000 RM. Fehling befürwortete eine „emergency appropriation“ für das als strategisch wichtig eingeschätzte Institut232. Van Sickle überzeugte sich im Juli 1932 persönlich von der Notlage: Der wissenschaftliche Mitarbeiterstab sei bereits von zwölf auf vier Personen reduziert worden. Ein „emergency grant“ müsse daher ernsthaft in Bedacht gezogen werden. Auch der schwedische Ökonom und Soziologe Gunnar Myrdal betonte gegenüber der RF die Exzellenz von Bibliothek und Archiv, Kiel sei ein ausgezeichneter Platz für Ausländer um Bibliotheksarbeiten, vor allem im Bereich der internationalen Beziehungen, durchzuführen233. Wegen der besonderen Bedeutung Kiels in der deutschen Forschungslandschaft schlug Van Sickle Day eine Bewilligung von 16.000 Dollar vor:

227 Vgl. Bewilligung, Institute for International Economics and Maritime Trade at Kiel (31189), 28. April 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180. 228 Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1931, S. 246. 229 Vgl. Brief von B. Harms an A. W. Fehling, 12. August 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 55. Für die Studie wurden 42.000 RM, die den 10.000 Dollar für 1932 entsprachen, ausgegeben. Davon wurden unter anderem sieben wissenschaftliche Angestellte und drei technische Hilfskräfte bezahlt. Vgl. B.  Harms, Abrechnung für The Rockefeller-Foundation für 1.9.1931– 31.8.1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 55. Das Buch erschien 1932: Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr, Der deutsche Aussenhandel unter der Einwirkung weltwirtschaftlicher Strukturwandlungen (Veröffentlichungen des Enquête-Ausschusses 20,2), Berlin, 1932. 230 Brief von B. Harms an E. E. Day, 12. August 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 55. 231 Ebd. 232 Vgl. Aufstellung der Bewilligungen und Kontakte, Kiel, Institut fuer Weltwirtschaft, o. D. [1936], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182, S. 2. 233 Vgl. ebd.

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Much of the work of German university professors is philosophical speculation or minute historical investigation. The work of a more scientific character is carried on in relatively few places. Kiel is one of these and may perhaps be regarded as the most important. It is the work of the men in these centres which is leading not a few competent foreign economists to predict a bright future for German economists. It seems to me that if we possibly can, we should aid this institute to carry over to better times234.

Die Charakterisierung der deutschen Sozialwissenschaften als zu philosophisch und spekulativ war mittlerweile zu einem in der RF allseits akzeptierten Gemeinplatz geworden, der sowohl wie hier für die Befürwortung als auch für die Ablehnung von Anträgen herangezogen werden konnte. Die Lage des Instituts spitzte sich zu, als Harms vom Finanzminister im August 1932 weitere Kürzungen angekündigt wurden. Mit einem expliziten Hilfsgesuch wandte sich Harms an Day: „all financial sources in Germany are exhausted“235. Im Oktober 1932 entschied das „Executive Committee“, dem Institut die von Van Sickle vorgeschlagenen 16.000 Dollar zu bewilligen236. Der Betrag wurde von Harms mit dem „heisse[n] Dank des von schwerer Sorge befreiten und des Weges wieder sicheren Kieler Institutsdirektors“237 entgegengenommen. Ein „grant-in-aid“ für das Institut für Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften in Bonn

Joseph Schumpeter machte Van Sickle 1931 auf die Arbeiten zur Konjunkturforschung aufmerksam, an denen er mit seinen Kollegen Arthur Spiethoff und Herbert von Beckerath in Bonn am Institut für Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften arbeitete238. Er wurde ermutigt, einen Antrag auf Unterstützung einzureichen. Van Sickle schätzte die Studien als wichtig ein, sie würden jedoch durch Mangel an Assistenten und statistischen Rechenmaschinen behindert. „[A] grant of $ 3000 would

234 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 2. August 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180. 235 Übersetzung eines Briefs von B.  Harms an E.  E.  Day, 24.  August 1932, in RAC-RF, RG  1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180. 236 Vgl. Bewilligung, Institute for International Economics and Maritime Trade, Kiel (32254), 14. Oktober 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180. 237 Telegramm von B. Harms an die Rockefeller Foundation, 13. Oktober 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180. (Groß- und Kleinschreibung wurde angepasst). 238 Vgl. Brief von J. Schumpeter an J. Van Sickle, 4. November 1931, in RAC-RF, RG 1.1, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193.

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do wonders“239, notierte der Amerikaner. Als Day Bedenken gegenüber der Förderung von kleinen Universitäten und einer breiten Streuung der Gelder äußerte, betonte Van Sickle, dass das deutsche Universitätssystem dezentral aufgebaut sei und die hohe Mobilität der Studenten einen oft weitreichenderen Einfluss ermögliche, als es die Größe der Universitäten vermuten lasse240. Obwohl Schumpeter, der der RF als hauptsächlicher Garant für die wissenschaftliche Qualität galt, überlegte, nach Harvard oder Berlin zu gehen, befürworteten sowohl die Mitarbeiter des Pariser Büros wie auch Fehling eine Bewilligung im Rahmen des Programms für „economic stabilization“241. Im Mai 1932 wurden 3000 Dollar aus dem „grant-in-aid“ Fonds des Pariser Büros für die Bearbeitung von vier von Schumpeter, Spiethoff und von Beckerath vorgeschlagenen Forschungsfragen bewilligt: a) Behavior of individual industries during the business cycle. The purpose of this investigation is to test all too numerous explanations of business fluctuations. b) Systematic and critical analysis of the principal current explanations of the business cycle. c) Studies designed to discover the precise way in which each stage of the productive process receives credit from the one that precedes it and gives credit to the one that follows it. d) Studies of the place of medium-sized and small-scale industries in the German economic structure and the part they play in problems of national adjustment242.

Vorgeschlagen wurde die Verwendung von 40 % der Summe für Gehälter junger Assistenten, 25 % für Feldforschung und Publikationskosten, jeweils 15 % für Rechenmaschinen und Literatur und 5 % für Verschiedenes, wobei dem Institut frei gestellt wurde, die Anteile zu verändern. Die Möglichkeiten erweiterter Kooperation zwischen der RF und dem Institut sollten im Laufe des Bewilligungszeitraums untersucht werden243. In den USA wurde das Bonner Institut als ein wichtiges Zentrum der wirtschaftswissenschaftlichen Ausbildung in Deutschland betrachtet. Schumpeter, Spiethoff und von Beckerath galten als „three of Germany’s most competent and 239 Aufstellung „Germany, University of Bonn, Institut fuer Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften“, 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193, S. 1 (Notiz zum 20. Oktober 1931). 240 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 9. November 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193. 241 Aufstellung „Germany, University of Bonn, Institut fuer Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften“, 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193, S. 1 (Notizen zum 9. und 23. November 1931). 242 „Designation under Authorization“, Institute of Administrative and Economic Sciences, Bonn, Germany, 10. Mai 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193, S. 2. 243 Vgl. Brief von S. M. Gunn an A. Spiethoff, 10. Mai 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29.

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effective research leaders“244. Besonders beeindruckte die RF das kollektiv durchgeführte und klar definierte Forschungsprogramm, in dem Empirie und Theorie in interessanter Weise kombiniert würden245. Das Programm sei enger gefasst als das in Heidelberg, „but leadership is more incisive“246, so die Stiftungsmitarbeiter. Ursache für die Bewilligung eines nur einjährigen „grants“ auf niedrigem Niveau waren vor allem Schumpeters Überlegungen, Bonn zu verlassen und die ungeklärte Nachfolge247. Kurz nach der Bewilligung teilte Fehling der Stiftung Ende Mai 1932 mit, dass Schumpeter einen Ruf nach Harvard angenommen habe248. Trotzdem entschieden Day, Gunn, Van Sickle, Walker und May, eine Verlängerung um ein zweites Jahr zu bewilligen. Von Beckerath wurde in der Besprechung als „a thorough-going internationalist with fluent knowledge of both French and English and ability to work with men in these countries“249 charakterisiert. Bei weiterer positiver Beurteilung sollte den Trustees ein Antrag auf längerfristige Unterstützung des Instituts unterbreitet werden250. Im Sommer 1933 reichten Spiethoff und von Beckerath einen fünfseitigen Rechenschaftsbericht ein251: Studien zur Zementindustrie252, zu den Beobachtungsmethoden in der Konjunkturforschung253 und zum Schicksal der Aktiengesellschaf244 „Designation under Authorization“, Institute of Administrative and Economic Sciences, Bonn, Germany, 10. Mai 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193, S. 1. 245 Vgl. T. B. Kittredge, Social Sciences in Germany, 9. August 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 186, S. 12–13. 246 Aufstellung „Germany, University of Bonn, Institut fuer Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften“, 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193, S. 2 (Notiz zum 24. Februar 1933). 247 Vgl. „Designation under Authorization“, Institute of Administrative and Economic Sciences, Bonn, Germany, 10. Mai 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193, S. 1. 248 Vgl. Aufstellung „Germany, University of Bonn, Institut fuer Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften“, 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193, S. 2 (Notiz zum 29. Mai 1932). Schumpeter gehört damit nicht zu den politischen Emigranten nach 1933. Vgl. Fleck, Christian, Etablierung in der Fremde: Vertriebene Wissenschaftler in den USA nach 1933, Frankfurt am Main, 2015, S. 375–376 (Im Folgenden zitiert als Fleck, Etablierung in der Fremde). 249 Record conversation, Social Science Projects in Europe, 30. September 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193. 250 Vgl. ebd. 251 Vgl. Spiethoff, Arthur, Beckerath, Herbert von, „Institut für Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften der Universität Bonn“, 7. Juni 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193. 252 Ehrke, Kurt, Die Übererzeugung in der Zementindustrie von 1858–1913 (Beiträge zur Erforschung der wirtschaftlichen Wechsellagen, Aufschwung, Krise, Stockung 6), Jena, 1933. 253 Kuschmann, Heinz, Die Untersuchungen des Berliner Instituts für Konjunkturforschung. Darstellung und Kritik (Beiträge zur Erforschung der wirtschaftlichen Wechsellagen, Aufschwung, Krise, Stockung 7), Jena, 1933.

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ten254 seien erschienen und weitere in Arbeit255. Van Sickle beschrieb die Situation in Bonn als vielversprechend, die Forscher seien von den Maßnahmen des NS-Regimes nicht betroffen. Spiethoff befürworte das Regime „on the whole“, von Beckerath sei dagegen sehr pessimistisch256. Zu einer längerfristigen Unterstützung kam es nicht mehr257. Festgestellt werden kann, dass die RF mit ihren Förderungen im Bereich der Wirtschaftswissenschaften in Heidelberg, Kiel und Bonn ihre Ziele besser umsetzen konnte als in den Politikwissenschaften. Zwar hatte sie auch hier keine „central institution“ ausmachen können, die Gelder in den drei Instituten jedoch entsprechend ihren Vorgaben eingesetzt. Bis Januar 1933 gab es eine große Bereitschaft zur Weiterförderung, aber auch hier wurde die Entwicklung durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten unterbrochen.

254 Alfter, Josef, Die Lebensschicksale der Aktiengesellschaft in theoretischer Beleuchtung (Bonner staatswissenschaftliche Untersuchungen 19), Jena, 1932. 255 Ciriacy-Wantrup, Siegfried von, Agrarkrisen und Stockungsspannen. Zur Frage der langen „Welle“ in der wirtschaftlichen Entwicklung (Berichte über Landwirtschaft: Sonderheft 122), Berlin, 1936, Gottschalk, Hellmut; Beckerath, Herbert von, Die Lehren aus den Aktienskandalen der Nachkriegszeit (Industriewirtschaftliche Untersuchungen 2), Frankfurt am Main, 1934, Tisch, Cläre, Der wirtschaftliche Sinn der bisherigen Rechtsprechung des deutschen Kartellgerichts (Industriewirtschaftliche Untersuchungen 1), Frankfurt am Main, 1934, Wicharz, Michael, Albert Aftalions Tatsachenbild und Lehre der wirtschaftlichen Wechsellagen (Beiträge zur Erforschung der wirtschaftlichen Wechsellagen, Aufschwung, Krise, Stockung  12), Jena, 1935. Vgl. Aufstellung „Germany, University of Bonn, Institut fuer Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften“, 1936, RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193, S. 2 (Notiz zum 7. Juni und 11. Juli 1933). 256 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 7. Juli 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 93, folder 736, S. 6. 257 Vgl. „Detail of Information“ zur Bewilligung vom 1.  Oktober 1933, in RAC-RF, RG  1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193, S. 3. Im September 1934 stellte das Pariser Büro noch eine Abschlussfinanzierung zur Verfügung. 1936 erhielt Spiethoff 5000 RM für statistische Untersuchungen. Von Beckerath unterstützte die RF aus dem „Special Research Aid Fund for Deposed Scholars“ für die Emigration in die USA. Vgl. Brief von T.  B.  Kittredge an A.  W.  Fehling, 19. September 1934, in BAK NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40, Aufstellung „Germany, University of Bonn, Institut fuer Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften“, 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 193, S. 6 (Notiz zum 19. Mai 1936). Siehe auch Marcon, Helmut; Strecker, Heinrich; Randecker, Günter, 200 Jahre Wirtschafts- und Staatswissenschaften an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen. Leben und Werk der Professoren: die Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät der Universität Tübingen und ihre Vorgänger (1817–2002), Stuttgart, 2004, S. 458–459.

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Die Unterstützung des Notgemeinschafts-Projekts der „Deutschen Rassenkunde“

Der Fonds für Forschungsarbeiten in den internationalen Beziehungen war nicht die einzige von der RF geförderte Gemeinschaftsarbeit in Deutschland. Im November 1929 bewilligten die Trustees, auf fünf Jahre befristet, jährlich 25.000 Dollar für die Durchführung einer anthropologischen Studie der deutschen Bevölkerung258. Die Ergebnisse erschienen in der von Eugen Fischer herausgegebenen Reihe „Deutsche Rassenkunde. Forschungen über Rassen und Stämme, Volkstum und Familien im Deutschen Reich“259. Die Zuwendung entsprach den Kriterien der RF kaum: Das anthropologische Programm der RF war darauf ausgerichtet, die Kultur „primitiver Völker“ vor deren „Verwestlichung“ zu untersuchen, zudem war das deutsche Projekt eher der physischen als der sozialwissenschaftlich ausgerichteten Anthropologie zuzurechnen. Es handelte sich auch nicht um ein neues Forschungsprogramm, vielmehr klinkte sich die Rockefeller Stiftung in ein bereits bestehendes Projekt ein. Zur Zeit der Antragstellung waren die ersten Bände der Reihe bereits im Druck260. Das Projekt verfügte über keine internationale Dimension und stellte daher eine Ausnahme unter den in Deutschland finanzierten Projekten dar. Das Interesse an kollektiven Forschungsprojekten war der Notgemeinschaft und der Rockefeller Foundation gemein. In der Notgemeinschaft hatte sich Schmidt-Ott seit 1925 für die Durchführung von Gemeinschaftsarbeiten eingesetzt. Er war der Meinung, dass „auf vielen Gebieten nur planmäßiger Zusammenarbeit der Erfolg

258 Vgl. Bewilligungsschreiben „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft – Anthropological Study“, 13. November 1929, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 187. 259 Vgl. Wiede, Wiebke, Rasse im Buch: Antisemitische und rassistische Publikationen in Verlagsprogrammen der Weimarer Republik, München, 2011, S. 169 (Im Folgenden zitiert als Wiede, Rasse im Buch). Siehe auch Mertens, Lothar, Rockefeller Foundation, in Haar, Ingo; Fahlbusch, Michael (Hgg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München, 2008, S. 593. Zu den Begriffen der „Rassenkunde“ und der „Rasse“ siehe Lund, Allan A., Rassenkunde und Nationalsozialismus, in Vom Bruch, Rüdiger; Kaderas, Brigitte (Hgg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik: Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart, 2002, S. 324–330. 260 Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an E. E. Day, 5. September 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr.  20, S.  3. Zur Förderung der Anthropologie in Frankreich und Großbritannien durch das LSRM und die RF siehe Rausch, Helke, Expertenkämpfe – Die Rockefeller Foundation im Interessendickicht europäischer Anthropologie, 1925/26–1940, in Krige, John; Rausch, Helke (Hgg.), American Foundations and the Coproduction of World Order in the Twentieth Century, Göttingen, 2012, S. 85–113.

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winkt“261. Während des Ersten Weltkriegs hatte bereits die Kaiser-Wilhelm-Stiftung für kriegstechnische Wissenschaft die Zusammenarbeit zwischen Wissenschaftlern, Industriellen, Politikern und Militär gefördert262. Als die Notgemeinschaft 1925 einen „Sonderfonds“ für Gemeinschaftsarbeiten einrichtete263, wurde, angeregt auch durch amerikanische Erfahrungen264, ein wichtiger Schritt in Richtung geplanter Forschungsförderung getan265. Wissenschaftler wurden aufgerufen, Arbeiten zu „Forschungsaufgaben im Bereich der Volksgesundheit, der Volkswirtschaft und des allgemeinen Volkswohls“ vorzuschlagen266. 1932 wurde festgestellt, dass neben den Naturwissenschaften zunehmend auch „neue sozial- und geisteswissenschaftliche Forschungsaufgaben systematischer gemeinsamer Bearbeitung durch zwanglos zusammenwirkende Forscherkreise erschlossen“267 worden seien. Auf Seiten der Rockefeller Philanthropie war die Unterstützung von kollektiven und interdisziplinären Forschungsprojekten seit den Zeiten des LSRM ein fester Bestandteil der Förderpolitik. In den USA wurden solche Projekte über den SSRC ausgewählt und finanziert. Auf internationaler Ebene förderte die Rockefeller Foundation kollektive Unternehmungen wie die „Encyclopaedia of the Social Sciences“ oder die „International Studies Conference“, an denen auch deutsche Wissenschaftler beteiligt waren. Sozialwissenschaftliche Gemeinschaftsprojekte in europäischen Ländern förderte die Rockefeller Stiftung vor 1929 nicht, der Antrag der Notgemeinschaft war der erste seiner Art268. Das anthropologische Projekt nahm seinen Anfang, als Schmidt-Ott im Dezember 1927 eine Reihe bekannter Anthropologen und Vererbungswissenschaftler, darunter Eugen Fischer, Erwin Baur und Theodor Mollison, zusammen mit Beamten des Reichsinnenministeriums in die Notgemeinschaft einlud, um über aktuelle anthropologische Forschungsaufgaben zu diskutieren. Man sprach sich gegen statistische Massenuntersuchungen in der Linie Franz Boas und für möglichst vollständige 261 Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Vierter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft umfassend ihre Tätigkeit vom 1. April 1924 bis zum 31. März 1925, S. 4. 262 Vgl. Flachowsky, Von der Notgemeinschaft zum Reichsforschungsrat, S. 44. 263 Vgl. F. Schmidt-Ott, A. W. Fehling, Protokoll über die Besprechung am Sonnabend, den 13. Februar 1932, in der Notgemeinschaft, betr. die Inangriffnahme von Gemeinschaftsforschungen auf zwischenstaatlichem Gebiet, 22.  Februar 1932, in LB Oldenburg, NL H.  Schumacher, HS 362.2200, Blatt 362. 264 Vgl. Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 206–207. 265 Vgl. Treue, Friedrich Schmidt-Ott, S. 248. 266 Vgl. Kirchhoff, Wissenschaftsförderung, S. 221. 267 Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft, Elfter Bericht der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft (Deutsche Forschunsggemeinschaft) umfassend ihre Tätigkeit vom 1. April 1931 bis zum 31. März 1932, Berlin, 1932, S. 19. 268 Vgl. Brief von E. E. Day an F. Schmidt-Ott, 26. September 1929, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 20, folder 187.

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genealogisch-erbbiologische Forschungen an isolierten Bevölkerungsgruppen auf Grundlage der Genealogie aller Familien eines Untersuchungsgebiets aus. Fischer, einem der führenden deutschen Wissenschaftler in Eugenik, Rassenbiologie und -hygiene, wurde die Ausarbeitung eines kooperativen Forschungsprojektes übertragen, die er im Februar 1928 vorlegte269. Die Notgemeinschaft förderte die anthropologische Gemeinschaftsarbeit jährlich mit umgerechnet 25.000 Dollar270. An der „anthropologischen Vermessung der deutschen Bevölkerung“ waren mehrere deutsche anthropologische Institute beteiligt. Zur Vereinheitlichung der Methoden wurde eine Liste von zu berücksichtigenden Merkmalen festgelegt. Auch erbpathologische und eugenische Fragestellungen sollten verfolgt werden271, während reine Blutgruppenanalysen nicht gesondert unterstützt werden sollten272. Die Untersuchungen begannen 1928 relativ unkoordiniert273, im September 1929 erschien der erste Band der „Deutschen Rassenkunde“. Im Geleitwort bedankte sich Fischer bei Schmidt-Ott, der sich „seit dem ersten Auftreten des Gedankens“ für das Projekt eingesetzt habe, „so daß die nicht unerheblichen Mittel bewilligt wurden“274. Es war Beardsley Ruml, der Schmidt-Ott anlässlich eines Besuchs in Berlin auf die Möglichkeit einer Rockefeller Förderung hinwies, woraufhin sich dieser an Day wandte. Mit Fehlings Unterstützung wurde ein Antrag formuliert275 und Anfang September 1929 eingereicht. Ziel des Projekts sei eine „wirklich wissenschaftliche 269 Vgl. Schmuhl, Hans-Walter, Grenzüberschreitungen. Das Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik, 1927–1945 (Geschichte der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im Nationalsozialismus 9), Göttingen, 2005, S. 114–116 (Im Folgenden zitiert als Schmuhl, Grenzüberschreitungen). Fischer lehrte seit 1927 Anthropologie in Berlin. Seine Reputation gründete auf seinen 1908 durchgeführten Studien zu „Rassenkreuzungen“ im damaligen DeutschSüdwestafrika. Er vertrat die Idee „reiner Rassen“ und sah etwa in den sogenannten „Rheinlandbastarden“, den Kindern deutscher Mütter und während der Besetzung des Rheinlandes zwischen 1920 und 1927 in Deutschland stationierter afrikanischer Soldaten der französischen Armee, eine Bedrohung für die deutsche Bevölkerung. Vgl. Kühl, Stefan, Die Internationale der Rassisten. Aufstieg und Niedergang der internationalen Bewegung für Eugenik und Rassenhygiene im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main, 1997, S. 78–79. 270 Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an E. E. Day, 5. September 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20, S. 6. 271 So mussten etwa „Größte Kopflänge – größte Kopfbreite – Gesichtshöhe – Nasenhöhe – Nasenbreite“ auf jeden Fall aufgenommen werden, über die Blutgruppe, Ohrhöhe und Armlänge waren Angaben „sehr erwünscht“. Vgl. Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 116–117. 272 Vgl. Spörri, Myriam, Reines und gemischtes Blut: Zur Kulturgeschichte der Blutgruppenforschung, 1900–1933, Bielefeld, 2013, S. 135. 273 Vgl. Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 117–118. 274 Fischer, Eugen, Gedenkwort, in Klenck, Wilhelm; Scheidt, Walter, Niedersächsische Bauern I. Geestbauern im Elb-Weser-Mündungsgebiet (Deutsche Rassenkunde 1), Jena, 1929, S. V. 275 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an B.  Ruml, 29.  August 1929, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 20.

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Grundlage für die Beurteilung der anthropologischen Zusammensetzung der Bevölkerung“ unter Einbezug einer „Betrachtung des Menschen in seiner sozialen Umwelt“276, so Schmidt-Ott. In der Untersuchung von sechzig ländlichen Gebieten sollten neben anthropologischen auch genealogische und historische Gesichtspunkte berücksichtigt werden. Zusätzlich sollten bestimmte Bevölkerungsgruppen wie der westfälische Adel oder die „altansässige Judenschaft in Frankfurt“ untersucht werden277. Letzteres war ein Projekt Franz Weidenreichs, dem damals einzigen jüdischen Wissenschaftler auf einem Lehrstuhl für Anthropologie278. Besonders betonte Schmidt-Ott die Erweiterung des ursprünglichen Plans um eugenische Fragestellungen, mit denen Informationen über „Zahl und Verbreitung einiger wichtiger pathologischer Erblinien in der Bevölkerung“ gewonnen werden sollten. Eine Gruppe Mörder und Schwerverbrecher sollte mit einer Gruppe Straftäter mit leichten Gefängnisstrafen verglichen werden279. Im Gefängnis Straubing sollte diese Studie unter psychiatrischen, familiär-erbbiologischen, soziologischkriminologischen und psychologischen Gesichtspunkten unter der Leitung Ernst Rüdins, Johannes Langes, Theodor Viernsteins und Oskar Vogts durchgeführt werden280. Zudem erwähnte Schmidt-Ott in dem Antrag die Zwillings- und Hochbegabtenforschung Rüdins. Zur Unterstützung der Studien erbat er jährlich 25.000 Dollar für fünf Jahre281. Um einen möglichst großen Spielraum bei der Verwendung der Gelder zu haben, hielten Schmidt-Ott und Fehling die Angaben zur konkreten Verteilung der Mittel auf die Forschungsreihen und zum finanziellen Engagement der Notgemeinschaft vage282. Day versprach dem Vorschlag „careful consideration“, schränkte aber ein, dass die Reaktion der Trustees, da es sich um den ersten derartigen Förderantrag aus Europa handele, nicht vorhersehbar sei283. Während die eugenische Ausrichtung in der RF 276 Brief von F.  Schmidt-Ott an E.  E.  Day, 5.  September 1929, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 20, S. 1–2. 277 Vgl. ebd., S. 2–3. 278 Vgl. Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 117. Das Projekt wurde allerdings nicht veröffentlicht. 279 Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an E. E. Day, 5. September 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20, S. 4. 280 Rüdin war Leiter der genealogischen Abteilung der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in München, Vogt leitete das Kaiser-Wilhelm-Institut für Hirnforschung und Viernstein die bayerische kriminalbiologische Sammelstelle. Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an E. E. Day, 5. September 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20, S. 5. 281 Vgl. Brief von F. Schmidt-Ott an E. E. Day, 5. September 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20, S. 6. 282 Vgl. „Gemeinschaftsforschungen auf dem Gebiet der Anthropologie“, o.  D., ohne Verfasser, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 74. 283 Vgl. Brief von E. E. Day an F. Schmidt-Ott, 26. September 1929, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 20, folder 187.

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nicht weiter kommentiert wurde, betonten die amerikanischen Dokumente die Berücksichtigung sozialer und wirtschaftlicher Fragen284. Fehling beurteilte das Projekt auf Anfrage der RF als „well planned and promising“, was angesichts der Tatsache, dass er an der Formulierung des Antrags führend beteiligt war, wenig überrascht285. Die fünfjährige Bewilligung wurde Ende 1929 ausgesprochen, wobei besonders die kooperative Dimension der Arbeiten hervorgehoben wurde: Das Projekt galt als „a most promising venture in co-ordinating the work of German universities and scientists“, zudem wurde die Notgemeinschaft als „a satisfactory organization in which to center financial and general supervisory responsibility for the study“286 bezeichnet. Die Unterstützung ermöglichte der RF auch eine Fortsetzung der engen Zusammenarbeit mit Schmidt-Ott, auf die in New York viel Wert gelegt wurde. Die unverbindlichen Angaben zur Weiterfinanzierung durch die Notgemeinschaft waren in New York trotz aller Formulierungskunst aufgefallen: Day erinnerte Schmidt-Ott daran, dass man von einem weiteren finanziellen Engagement der Notgemeinschaft ausgehe287. In Deutschland verschärfte die RF-Bewilligung die Verteilungskämpfe zwischen den beteiligten Anthropologen. Der Psychiater und Rassenhygieniker Ernst Rüdin wollte nun die von ihm in Südbayern durchgeführten „bevölkerungspolitischen Gesamtkataster“ stärker in das Programm integrieren. Durch genealogische und massenstatistische Methoden ermittelte Daten zur Bevölkerung in fünf Untersuchungsgebieten mit je 10.000 Einwohnern sollten als Grundlage für eine „empirische Erbprognose“ dienen. Diese Untersuchungen gingen weit über das ursprüngliche Konzept hinaus, doch Rüdin gelang es, beträchtliche Mittel aus dem Rockefeller Fonds für diese Studien, die nicht in der Reihe „Deutsche Rassenkunde“ veröffentlicht wurden, zu erhalten288. Als die Notgemeinschaft Rüdin, der bereits über 60.000 RM für Untersuchungen eines ersten Bezirks im Bayerischen Allgäu erhalten hatte, 1931 das Geld für die Untersuchung eines zweiten Bezirks nicht sofort zur Verfügung stellen wollte, wandte sich dieser mit der Bitte um eine zusätzliche Bewilligung direkt 284 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 132–133. Dies ist auch insofern erstaunlich, als der Präsident der Rockefeller Foundation, Max Mason, sich gegen die Förderung der Eugenik in den USA ausgesprochen hatte. Vgl. Jonas, The Circuit Riders, S. 167. 285 Vgl. Telegramm von A. W. Fehling an E. E. Day, 13. Oktober 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 286 Bewilligungsschreiben „Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft – Anthropological Study“, 13. November 1929, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 187. Im Jahresbericht der Foundation werden als Forschungsziele „an analysis of the population of Germany as to anthropological composition and social-economic relationships“ angegeben. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1929, New York, 1930, S. 263. 287 Vgl. Brief von E. E. Day an F. Schmidt-Ott, 27. November 1929, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 187. 288 Vgl. Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 118–119.

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an die RF289. Fehling berichtete den Stiftungsmitarbeitern, dass der Konflikt zwischenzeitlich beigelegt worden sei, war aber auch der Meinung, dass Rüdin sparsamer vorgehen sollte. Eine Sonderbewilligung der RF an Rüdin lehnte er, auch um keinen Präzedenzfall zu schaffen, ab290. Die Foundation folgte seinem Rat291, insgesamt erhielt Rüdin dennoch etwa ein Drittel der von der RF bewilligten Gesamtsumme292. Auch Eugen Fischer versuchte, Mittel für Untersuchungen am Kaiser-WilhelmInstitut für Anthropologie in Berlin, etwa zur Erblichkeit von Tuberkulose, zur differenzierten Fortpflanzung und sogar für experimentelle Versuche zur Beeinflussung der Schädelform bei Ratten, aus dem Fonds der Gemeinschaftsarbeit zu erhalten293. Van Sickle besuchte das Institut in Dahlem 1931. Ernüchtert stellte er fest: „The Institute is very nicely housed, but one did not gain the impression of scientific activity commensurate with the equipment“294. Beeindruckt war der Amerikaner hingegen von der technischen Organisation der Arbeit in dem von dem Ethnologen Georg Thilenius und seinem Stellvertreter Walter Scheidt geleiteten Museum für Völkerkunde in Hamburg295. In der Gemeinschaftsarbeit war es Thilenius’ Aufgabe, anthropologische und ethnologische Untersuchungen miteinander zu verbinden296. Van Sickle berichtete über die Arbeiten: In a number of villages in this district S [Scheidt] has taken physical measurements of every single person, traced back the genealogical line to about 1650. This study has already revealed interesting results of radical changes in economic bases of life upon family 289 Vgl. Brief von E. Rüdin an D. O’Brien, 15. Oktober 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 290 Brief von A. W. Fehling an S. M. Gunn, 21. November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 291 Vgl. Brief von S. M. Gunn an E. Rüdin, 14. Dezember 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 292 Vgl. Roelcke, Volker, Programm und Praxis der psychiatrischen Genetik an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie unter Ernst Rüdin, in Schmuhl, Hans-Walter (Hg.), Rassenforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten vor und nach 1933, Göttingen, 2003, S.  54. Siehe auch Weindling, Paul, The Rockefeller Foundation and German Biomedical Sciences, 1920–1940. From Educational Philanthropy to International Science Policy, in Rupke, Nicholas (Hg.), Science, Politics and the Public Good, Basingstoke, London, 1988, S. 131–135. 293 Vgl. Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 119. 294 J. Van Sickle, Diary, 13. Januar 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 10. 295 Vgl. J.  Van Sickle, Diary, 9.  Januar 1931, in RAC-RF, RG  12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 4–5. Zu Thilenius und Scheidt notierte Van Sickle: „Dr. T. is about 70 years of age – grey hair, full beard, erect, vigorous – a remarkable and winning person. Dr. Scheidt is about 35 – a voluminous writer, a dynamo of energy and a fountain of enthusiasm. The fastest talker I have ever heard in my life. His personal traits stand in the way of his promotion“. 296 Vgl. Laukötter, Anja, Von der „Kultur“ zur „Rasse“ – vom Objekt zum Körper? Völkerkundemuseen und ihre Wissenschaften zu Beginn des 20. Jahrhunderts (zugl. Diss. HU Berlin, 2006), Bielefeld, 2007, S. 304.

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survivals. Now they are beginning on the more cultural aspect of the problem: the presence of various artifacts and how they came into the community, attitudes toward them. Later they will study attitudes toward concepts297.

Von der RF nur am Rande wahrgenommen, setzte sich zwischen den teilnehmenden Anthropologen nicht wissenschaftliche Kooperation, sondern Konkurrenz um die Abrufung möglichst hoher Beträge für eigene Forschungsinteressen durch. Die Idee der Gemeinschaftsarbeit hatte hauptsächlich dem Einwerben finanzieller Mittel gedient. Das zusammengetragene Material blieb lückenhaft, es wurden keine einheitlichen Kriterien angewandt und viele Teilprojekte wurden nicht fertiggestellt. Die ersten Arbeiten waren „insgesamt recht konventionell“, so das Urteil Hans-Walter Schmuhls298. Bis 1933 erschienen zehn Bände der „Deutschen Rassenkunde“, insgesamt wurden bis 1938 17 Bände vorgelegt299. Zur Qualität der ersten zehn Untersuchungen300 urteilte Kittredge: Eine gemeinsame Methode oder Zielsetzung sei nicht verfolgt worden. Drei der Monographien seien „descriptions of the physical characters of the groups studied“, andere konzentrierten sich auf ethnologische Probleme, zwei betonten genealogische und soziologische Faktoren und vier verbänden anthropologische, soziologische und historische Analysen. Da solche Studien zu Bevölkerungen in entwickelten Ländern jedoch nur selten durchgeführt würden, handele es sich dennoch um einen wichtigen Beitrag „in the scientific study of problems of race and culture“301. 1933 kam es in der Notgemeinschaft zu einer „raschen ideologischen Selbstanpassung“302 an den NS-Staat. In einem Rundbrief an die Mitglieder definierte Schmidt-Ott im November als „neue Aufgaben“, die den „Zielsetzungen des nationalen Staates“ dienen sollten, auch Forschungen, die der Rasse, dem Volkstum und der Gesundheit des deutschen Volkes gewidmet sind. Neben der anthropologischen Erhebung, den anthropologischen, erbpa-

297 J. Van Sickle, Diary, 9. Januar 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 4–5. 298 Vgl. Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 117–122, Zitat S. 118. 299 Vgl. Wiede, Rasse im Buch, S. 169. 300 Es handelte sich um vier Studien von Scheidt, drei von Saller, eine von Keiter (Kiel), eine von Ried (München) und eine von Göltern (Berlin). 301 T. B. Kittredge, „Progress Report. Grant to Notgemeinschaft for Anthropological Studies of the Population of Germany“, 10. Juni 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 187. 302 Mertens, „Nur politisch Würdige“, S. 58.

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thologischen und soziologischen Forschungen in geschlossenen Bezirken stehen die Arbeiten, die der empirischen Erbprogose dienen303.

Eugen Fischer forderte in einem Vortrag im Mai 1933 in Königsberg, um das Ziel einer „Erhaltung guter, gesunder deutscher Familien“ zu erreichen, müssten „erblich Krank[e] und die rassenmäßig in unser Volk nicht passenden […] ausgemerzt werden“304. Sowohl auf Seiten der Notgemeinschaft als auch auf der der beteiligten Wissenschaftler zögerte man nicht, die mit amerikanischen Geldern finanzierten Forschungen in den Dienst des NS-Regimes zu stellen. Die Rockefeller Foundation befürchtete erst im Juni 1933 eine Vereinnahmung der Ergebnisse durch die Nationalsozialisten. Walker fragte bei Kittredge nach, ob die Studien durch außerhalb der Wissenschaft liegende Betrachtungen beeinflusst worden seien. In Paris hatten die RF-Mitarbeiter jedoch den Eindruck, in den bisher veröffentlichten Studien und Berichten sei „complete objectivity“ gewahrt worden: „This is best shown by the fact that the conclusions effectively demonstrate that there is no such thing as an Aryan race in Germany“305. Abzuwarten bleibe, ob die Nationalsozialisten die Studien für die Unterstützung ihrer Theorien benutzen würden, so Kittredge306. Im Juni 1933 erhoffte sich Walker von den Studien sogar „some real influence in the present confused state of the German mind on race questions“307. Aufgrund dieser Einschätzung des Pariser Büros wurde entschieden, die Ende 1934 auslaufende Bewilligung nicht vorzeitig abzubrechen. Fischer wurde allerdings im Februar 1933 mitgeteilt, dass mit einer Verlängerung der Förderung nicht gerech303 Rundbrief von F. Schmidt-Ott an die Mitglieder der Notgemeinschaft, 10. November 1933, zitiert in Mertens, „Nur politisch Würdige“, S. 58. Vgl. Mertens, Friedrich Schmidt-Ott, S. 633 und Mertens, Lothar, Einige Anmerkungen zur NS-Wissenschafts- und Forschungspolitik, in Vom Bruch, Rüdiger; Kaderas, Brigitte (Hgg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik: Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20.  Jahrhunderts, Stuttgart, 2002, S. 231 (Im Folgenden zitiert als Mertens, Einige Anmerkungen). 304 Zusammenfassung des Vortrags von Eugen Fischer über „Die Fortschritte der menschlichen Erblehre als Grundlage eugenischer Bevölkerungspolitik“, o. D. [Mai 1933], S. 3, zitiert in Mertens, „Nur politisch Würdige“, S. 59. 305 Brief von T. B. Kittredge an S. H. Walker, 17. Juni 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 187. 306 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an S. H. Walker, 17. Juni 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 187. Van Sickle kam in einem Bericht zu den sozialwissenschaftlichen Aktivitäten der Stiftung in Deutschland zum gleichen Ergebnis: „The research has been carried out in a thoroughly scientific spirit. The studies demonstrate that there is no such thing as an Aryan race. It remains to be seen of course whether the new government will try to warp the findings to support the national-socialist racial theory“. J. Van Sickle, Report on Rockefeller Foundation Activities in Germany. Social Sciences, 22. Juni 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36, S. 7. 307 Brief von S. H. Walker an J. Van Sickle, 27. Juni 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 187.

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net werden könne308. Kittredge meinte, dass die nationalsozialistische Regierung wahrscheinlich Mittel für weitere anthropologische Studien „along the same lines“ bereitstellen würde309. Rockefeller Gelder wurden hier durch staatliche Zuwendungen des NS-Regimes ersetzt. Tatsächlich profitierte die Rassenforschung im „Dritten Reich“ als Leitwissenschaft der nationalsozialistischen Erb- und Rassenpolitik von einer großzügigen Forschungsfinanzierung, der Einrichtung von Lehrstühlen und dem Zugang zu Datenmaterial ohne Berücksichtigung von Menschen- und Bürgerrechten310. Auch die an der Gemeinschaftsarbeit beteiligten Anthropologen stellten sich in vielen Fällen in den Dienst der Diktatur, etwa durch Vorträge, als Beisitzer der Erbgesundheitsgerichte, durch Anfertigung von „Abstammungs- bzw. Rassegutachten“311 und Mitarbeit an der nationalsozialistischen Gesetzgebung312. Im November 1933 wandte sich Fehling mit einer „hypothetischen Frage“ an das Pariser Büro: Was würde die Foundation tun oder sagen, wenn sie erfahren würde, dass ein deutscher Institutsdirektor, der ihm unterstellte Mitarbeiter über Rockefeller Gelder bezahle, diese wegen „rassischer“ oder politischer Gründe entlasse und durch Parteimitglieder ersetze? Der „Associate Director“ der medizinischen Abteilung in Paris Robert A. Lambert antwortete, dass er nicht glaube, die RF würde solche Wissenschaftler unterstützen. In seinem „Diary“ notierte er, man könne in einem solchen Fall nichts tun als „feel grieved at the exhibition. We certainly could not interfere if money was given, as it usually is, without strings, and the project was 308 Vgl. J.  Van Sickle, Memorandum „The Anthropological Investigation of the German People“, 19. Februar 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 187. Robert A. Lambert vom Pariser Büro traf Fischer im Mai 1933 in Berlin. In sein „Diary“ notierte Lambert: „When I ask if he thinks race and political opinion can be taken out of the universities in that time, he answers with an emphatic ‘yes’“. R. A. Lambert, Diary, 25. Mai 1933, in RAC-RF, RG 12.1, Robert A. Lambert Diaries, box 255, 1932–1933, S. 88. 309 T. B. Kittredge, „Progress Report. Grant to Notgemeinschaft for Anthropological Studies of the Population of Germany“, 10. Juni 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 187. 310 Vgl. Schmuhl, Hans-Walter, Rasse, Rassenforschung, Rassenpolitik. Annäherungen an das Thema, in Schmuhl, Hans-Walter (Hg.), Rassenforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten vor und nach 1933, Göttingen, 2003, S. 8 (Im Folgenden zitiert als Schmuhl, Rasse, Rassenforschung). 311 Vgl. Schmuhl, Rasse, Rassenforschung, S. 13–14. 312 So wurde das Zwangssterilisierungsgesetz („Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“) vom Juli 1933 von der Mehrheit der deutschen Rassenhygieniker unterstützt. Vgl. Kröner, Hans-Peter, Von der Eugenik zur NS-Rassenhygiene: Zur politischen Schuld der Medizin im „Dritten Reich“, in Knigge-Tesche, Renate (Hg.), Berater der braunen Macht. Wissenschaft und Wissenschaftler im NS-Staat, Frankfurt am Main, 1999, S. 114. Roelcke kommt zu der Einschätzung, dass Rüdin die Tötung von Kranken aktiv unterstützte. Roelcke, Programm und Praxis der psychiatrischen Genetik an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie unter Ernst Rüdin, S. 42. Er setzt sich damit von Weber ab, der eine passive Duldung konstatiert. Vgl. Weber, Matthias M., Ernst Rüdin. Eine kritische Biographie, Berlin, Heidelberg, 1993, S. 274–279.

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not affected“. Im Pariser Büro war man sich ziemlich sicher, dass Fehling auf Ernst Rüdin angespielt hatte313. Rüdin erhielt dennoch über das Jahr 1935 hinaus Rockefeller Mittel für seine Forschungen314. Wiebke Wiede hat die „Deutsche Rassenkunde“ auf die dort vertretenen Rassenkonzeptionen hin untersucht und kommt zu dem Schluss: „Primordial rassistisch codiert konnte die ‚Deutsche Rassenkunde‘ wegen des fehlenden Gesamtkonzepts gar nicht sein, wenngleich ihre Klassifizierungskategorien breite Anschlussmöglichkeiten für hierarchische, rassistische Wertungen“315 boten. Explizite Be- und Abwertungen bestimmter ethischer Gruppen konnte sie in den Monographien nicht feststellen, verweist aber auf den „Diskurs- bzw. Methodenzusammenhang mit rassistischen Vermessungsprojekten“ und das Ziel der Reihe, die räumliche Verteilung von Rassentypen zu untersuchen316. Christian Fleck stellt fest, dass man Referenzen an die nationalsozialistischen Machthaber vergebens sucht und folgert: „Den Autoren schien es gar nicht notwendig, ihre ideologische Nähe durch martialische Zitate unter Beweis zu stellen“317. Die Studien bestanden zu großen Teilen aus wenig kohärenten anthropometrischen Datensammlungen318. Fleck konnte in einer Inhaltsanalyse der 17 Bände nachweisen, dass 48 % der Seiten der „Deutschen Rassenkunde“ auf physische Anthropologie entfallen. Gut 12 % behandeln historische Fragestellungen, weitere 12 % zeigen Fotodokumente, 9 % entfallen auf die Bereiche Soziologie und Demographie und 8 % auf die Volkskunde, während 4 % die Methodik der Rassenkunde betreffen319. Der geringe sozialwissenschaftliche Anteil war auch Fehling nicht verborgen geblieben: 1934 bat er die RF vor der Beurteilung der Ergebnisse die Publikation weiterer Studien abzuwarten, da eine derzeitige Evaluation das Projekt eher in den Natur- als

313 R.  A.  Lambert, Diary, 16.  November 1933, in RAC-RF, RG  12.1, Robert A. Lambert Diaries, box 255, 1932–1933, S. 178. Zur Förderung der Hirnforschung durch die naturwissenschaftliche Abteilung der Rockefeller Foundation nach 1933 siehe Stahnisch, Frank W., Flexible Antworten – offene Fragen: Zu den Förderungsstrategien der Rockefeller Stiftung für die deutsche Hirnforschung im Nationalsozialismus, in Journal für Neurologie, Neurochirurgie und Psychiatrie. Zeitschrift für Erkrankungen des Nervensystems 12 (2011), S. 56–62 (Im Folgenden zitiert als Stahnisch, Flexible Antworten). 314 Vgl. Stahnisch, Flexible Antworten, S. 60. 315 Wiede, Rasse im Buch, S. 182. Wiede weist auch auf das Vorbild der Rassenkunde des schwedischen Volkes von Herman Lundborg hin, der Eugen Fischer stark beeindruckt hatte. Lundborgs Werk war 1926 bei Gustav Fischer veröffentlicht worden. Methodisch sei die „Deutsche Rassenkunde“ an Walter Scheidts Arbeit zur Elbinsel Finkenwärder angelehnt gewesen. Vgl. ebd., S. 169. 316 Wiede, Rasse im Buch, S. 170. 317 Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 137. 318 Vgl. Wiede, Rasse im Buch, S. 182. 319 Vgl. die Tabelle 3 bei Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 137.

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in den Sozialwissenschaften verorten müsse320. Für den Gustav Fischer Verlag war die Reihe kein kommerzieller Erfolg. Die Auflage der Einzelstudien lag bei 2000 Exemplaren, von denen im ersten Jahr durchschnittlich knapp hundert Exemplare verkauft wurden321. Im Ergebnis wurden die Ziele der RF, mit Ausnahme der Fortführung des Kontakts zur Notgemeinschaft, nicht erreicht. Anstelle der gewünschten fruchtbaren Kooperation zwischen Wissenschaftlern war ein reines Zweckbündnis zum Einwerben von Mitteln entstanden, das durch interne Verteilungskämpfe und Konkurrenzdenken geprägt war. Neue sozialwissenschaftliche Methoden wurden nicht entwickelt, da die Arbeiten nur zu äußerst geringem Teil sozialen und wirtschaftlichen Fragen nachgingen. Die Rockefeller Mitarbeiter überließen die Koordination der Arbeiten der Notgemeinschaft und verfolgten den Fortgang der Arbeiten viel nachlässiger, als sie es etwa in Kiel oder Heidelberg taten. Dem Urteil Weindlings, dass das Projekt für die RF nach 1933 zum „embarrassment“ wurde322, kann hinzugefügt werden, dass es bereits vorher in weiten Teilen als gescheitert angesehen werden konnte und auch vor 1933 schon äußerst problematisch war.

4.3 Bewusste Ablehnung und tote Winkel in der institutionellen Forschungsförderung der RF in Deutschland Der größte weiße Fleck in der Rockefeller’schen Forschungsförderung im Deutschland der Zwischenkriegszeit war die Soziologie. Die Belebung der soziologischen Forschung nach 1928, das größere öffentliche Interesse und die Anziehungskraft der Disziplin auf junge Wissenschaftler323 führten nicht zu einem vermehrten Interesse der Stiftungsmitarbeiter. Trotz Beachtung der Forschungen Karl Mannheims, Hans Freyers oder Andreas Walthers erhielt keines der deutschen soziologischen Institute eine Zuwendung der RF. Dies lag zum Teil an grundsätzlichen deutsch-amerikanischen Verständigungsproblemen: Einem in den USA ausgebildeten Wissenschaftler, so Kittredge, müsse die Bewertung der philosophisch orientierten deutschen Arbeiten 320 Vgl. Aufstellung der Kontakte mit der Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, o. D., ohne Verfasser, in RAC-RF, RG  1.1, Series  717 (Germany), box  20, folder  187 (Notiz zum 20.  Mai 1934), S. 2–3. 321 Vgl. Wiede, Rasse im Buch, S. 170. 322 Weindling, Paul, Health, Race and German Politics Between National Unification and Nazism, 1870–1945, Cambridge, 1993, S. 468. 323 Vgl. Tenbruck, Friedrich, Wie kann man die Geschichte der Sozialwissenschaft in den 20er Jahren schreiben?, in Nörr, Knut Wolfgang; Schefold, Betram; Tenbruck, Friedrich (Hgg.), Geisteswissenschaften zwischen Kaiserreich und Republik. Zur Entwicklung von Nationalökonomie, Rechtswissenschaft und Sozialwissenschaft im 20. Jahrhundert, Stuttgart, 1994, S. 43.

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schwerfallen: „To understand many a German sociological article one must know well the entire history of German philosophy“324. Bei der Beurteilung dieser Charakterisierung muss allerdings auch bedacht werden, dass keiner der Pariser RF-Mitarbeiter Soziologe war und somit fehlende Fachkenntnisse sowie die Sprachbarriere zu der negativen Einschätzung beigetragen haben können. Auch führten empirische Ansätze nicht automatisch zur Förderung. Die sozialwissenschaftlichen Einrichtungen in Frankfurt und Köln, die in der Zeit der Weimer Republik zu den empirisch ausgerichteten Standorten gehörten, gingen trotzdem leer aus. Während sich die Stiftungsmitglieder über die deutsche Soziologie zumindest informierten, lagen Psychologie, Neuere Geschichte und alle kleinen Universitätsinstitute außerhalb ihres Interessenfelds. Die Frankfurter Sozialwissenschaften: Ein bewusst vernachlässigtes „important university center“

Die sozialwissenschaftlichen Einrichtungen in Frankfurt waren den Rockefeller Mitarbeitern durch Besuche und Berichte gut bekannt, dennoch wurde das „very important university center“ nicht gefördert. 1932 notierte Van Sickle in einem Memorandum: The atmosphere is international and Jewish. Many Jews are on the faculty. From the point of view of research Frankfürt [sic] is of first importance. Any large aid here just now would be badly received by German public opinion. A series of small grants-in-aid might on closer examination prove advisable325.

Ob aus diesen Worten auf antisemitische Vorurteile des Foundation Officers geschlossen werden muss, ist schwierig zu beurteilen. Eine besondere Sympathie spricht auf jeden Fall nicht aus ihnen. Die RF förderte die grenzüberschreitende Ausrichtung von Forschungsprogrammen und die Vernetzung von Instituten, Frankfurt erschien den Mitarbeitern jedoch als zu international. Mit Sicherheit kann man aus Van Sickles Bemerkung schließen, dass die RF bereit war, bei der Ausrichtung ihrer Förderpolitik weitgehende Zugeständnisse an das Klima im Empfängerland zu machen326.

324 T. B. Kittredge, Social Sciences in Germany, 9. August 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 186, S. 18. 325 J.  Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S.  M.  Gunn, 31.  Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 2. 326 Siehe auch Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 152.

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Auch hier sollte eine öffentliche Diskussion der Fördertätigkeit um jeden Preis verhindert werden. Das 1924 eröffnete Institut für Sozialforschung war Anfang der 1930er-Jahre noch weit von der späteren weltweiten Anerkennung entfernt327. Van Sickle beschrieb die von Max Horkheimer328 geleitete Einrichtung als junges, zur Universität in loser Verbindung stehendes und durch private Mittel eingerichtetes Institut, das sich ursprünglich auf Untersuchungen zur Arbeiterbewegung konzentriert habe. Horkheimer habe das Programm erweitert, „a promising start has been made in inductive research as opposed to philosophical speculations“. Bei einem Besuch Van Sickles im Mai 1931 wurden gerade Fragebögen von Arbeitern ausgewertet329: „This was said to be the first use of the questionnaire in Germany“, hielt er fest. Horkheimer und sein Assistent Friedrich Pollock330 seien „able, energetic crystal clear in thought and word“, umgeben von einer Gruppe „that is Jewish, radical, free-thinking and a thorn in the flesh of the conservative, catholic element at the university“331. Das Institut werde in Frankfurt gemeinhin als „breeding ground for communists and as being financed from Moscow“332 angesehen, heißt es in einem anderen Bericht. Fehling kannte das Institut nicht besonders gut und hatte keine persönlichen Beziehungen zu seinen Mitarbeitern. Ein erster Besuch hatte bei ihm aus nicht bekannten Gründen einen „verheerenden Eindruck“ hinterlassen. Pollock hoffte, dass dieser durch einen zweiten Besuch, den Fehling mit Van Sickle unternahm, berichtigt worden sei und er eine Unterstützung durch die RF jetzt nicht mehr als „vergebene Liebesmühe“333 ansehe. Fehling bedankte sich für die freundliche Aufnahme und betonte, Van Sickle habe „ein starkes Interesse“ gewonnen. Von der Einreichung eines Antrags riet er dennoch ab. Er habe „bei einer gesprächsweisen Berührung dieser Dinge den bestimmten 327 Vgl. Barboza, Amalia, Das utopische Bewusstsein in zwei Frankfurter Soziologien: Wissenssoziologie versus Kritische Theorie, in Herrschaft, Felicia; Lichtblau, Klaus (Hgg.), Soziologie in Frankfurt: Eine Zwischenbilanz, Wiesbaden, 2010, S. 162. 328 Vgl. Rosen, Max Horkheimer, S. 19–24. 329 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S. M. Gunn, 31. Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 2–3. 330 Vgl. Heerich, Thomas, Autologische Spiegelung der Verwalteten Welt: Friedrich Pollock (1894– 1970), in Faber, Richard; Ziege, Eva-Maria (Hgg.), Das Feld der Frankfurter Kultur- und Sozialwissenschaften vor 1945, Würzburg, 2007, mit einer Bibliographie Pollocks Arbeiten (S. 114– 120). Siehe auch Walter-Busch, Geschichte der Frankfurter Schule: Kritische Theorie und Politik, S. 21–25. 331 J.  Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S.  M.  Gunn, 31.  Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 3. 332 T. B. Kittredge, Social Sciences in Germany, 9. August 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 186, S. 20. 333 Brief von F. Pollock an A. W. Fehling, 4. Juni 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26.

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Eindruck“ gewonnen, dass die „Foundation in diesem Jahre an die Unterstützung irgend eines größeren Forschungsprojektes nicht mehr denkt“. Zudem würde sie bei „dem Spezialfall des Instituts“ wohl die weitere Entwicklung der Forschungspläne abwarten wollen334. Die Frankfurter entschieden sich nach dieser Auskunft gegen eine Antragstellung. Anfang der 1930er-Jahre setzte sich Pollock bei Fehling für die Bewilligung eines Rockefeller Stipendiums für den Institutsassistenten Kurt Mandelbaum ein, der sich in den USA mit soziologischen empirischen Methoden vertraut machen sollte335. Fehling machte jedoch „organisatorisch[e] Schwierigkeiten“336 und fehlende Vorarbeiten geltend und das Stipendium wurde nicht bewilligt. Es blieb bei einer Zuwendung von 2000 RM, die das Institut im Herbst 1929 aus dem LSRMFonds der Notgemeinschaft für die Beschaffung amerikanischer soziologischer Literatur bekam337. Über die Gründe für Fehlings distanzierte Haltung, die schließlich dazu führte, dass kein offizieller Antrag eingereicht wurde, lassen sich nur Vermutungen anstellen: Er stand dem Marxismus generell sehr kritisch gegenüber und es fehlte der enge persönliche Kontakt zum Institut, der ihn etwa mit Heidelberg verband. Vielleicht erschien ihm auch das Forschungsprogramm noch nicht ausgereift genug. Zur Befürwortung eines unkonventionellen Experiments im Sinne Beardsley Rumls war Fehling nicht bereit, obwohl die empirischen Forschungen durchaus einen Anknüpfungspunkt hätten bieten können. Der konservative Soziologe Heinz Marr, Leiter des 1903 gegründeten Frankfurter Sozialen Museums338, bemühte sich ebenfalls um eine Bewilligung. Auf Anraten eines ehemaligen Rockefeller Stipendiaten stellte er bei Fehling einen Antrag auf Unterstützung, um die Arbeit der auf sozialpolitische Fragestellungen ausgerichteten Bibliothek aufrechterhalten zu können. Während Fehling in Bezug auf das Institut für Sozialforschung distanziert blieb, schilderte er Van Sickle den Fall Heinz Marrs ausführlich und wohlwollend: Wissenschaftliche Institutionen, „die auf Privatmittelund Initiative zurückgehen“ seien in Deutschland „nicht zahlreich und ihre Notlage

334 Brief von A. W. Fehling an F. Pollock, 14. Juni 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 335 Vgl. Brief von F. Pollock an A. W. Fehling, 12. Juni 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 336 Brief von F. Pollock an A. W. Fehling, 4. Juni 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. Fehling führte außerdem an, dass Mandelbaum noch keine Arbeit zu diesen Themen veröffentlicht habe. Der Antrag wurde in der Komitee-Sitzung zurückgestellt, um die Veröffentlichung einer weiteren Arbeit neben der Dissertation abzuwarten. Vgl. Brief von A. W. Fehling an F. Pollock, 16. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28 und Brief von A. W. Fehling an A. Löwe, 10. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 337 Vgl. Brief von F. Pollock an E. E. Day, 21. Oktober 1920, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 659. 338 Vgl. Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S. 103.

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besonders bedauerlich“339. Die Foundation lehnte eine Unterstützung jedoch ab340. 1932 unterstützte Fehling einen zweiten Antrag, der trotz eines positiven Memorandums von Van Sickle scheiterte341. In New York wurde dem Sozialen Museum wahrscheinlich kein Potenzial als führende sozialwissenschaftliche Einrichtung zugesprochen, während eine reine Nothilfe für die Bibliothek für die RF nicht attraktiv war. Für das Seminar für Soziologie von Karl Mannheim, der im Januar 1930 den Lehrstuhl Oppenheimers an der Frankfurter Universität übernommen hatte, lehnte die RF eine Unterstützung ebenfalls ab. Mannheims Wissenssoziologie galt in den 1930er-Jahren als die Frankfurter Soziologie, mit dem Institut für Sozialforschung stand Mannheim in einer Konkurrenzbeziehung342. Es sei „a very active seminar“343, hielt Van Sickle nach einem Besuch fest, bei dem er Mannheim allerdings nicht persönlich kennenlernte. Gearbeitet würde unter anderem an zeitgenössischen sozialen Problemen wie den Auswahlmechanismen in Parteien, Gewerkschaften und Kirchen, zu Frauen in der Politik, einer Soziologie der Emigration und dem Einfluss von Bildung auf die soziale Stellung344. Mannheim schickte Fehling einen ausführlichen Bericht, in dem er betonte, das Seminar forciere „in erster Reihe die ganz konkreten, aus der Gegenwartsproblematik entstehenden, mit empirischen Methoden zu bewältigenden Fragestellungen, um die deutsche Soziologie aus dem spekulativen und rein historischen, oder aber oft bloss formalistischen Studien herauszuführen“. Gerade von der amerikanischen Soziologie habe man viel gelernt, nur habe man nicht die amerikanischen Fragen übernommen, sondern solche bevorzugt, die „unseren besonderen Nöten und Spannungen“ oder „dem Lebenskreis des Bearbeiters“345 entstammten. Es fehlten jedoch „die elementarsten Mittel für die Fragebogen-Erhebung und die technische Verarbeitung“346.

339 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 16. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 340 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Marr, 2. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 341 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S. M. Gunn, 31. Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 3. 342 Vgl. Barboza, Amalia, Die verpassten Chancen einer Kooperation zwischen der „Frankfurter Schule“ und Karl Mannheims „Soziologischem Seminar“, in Faber, Richard; Ziege, Eva-Maria (Hgg.), Das Feld der Frankfurter Kultur- und Sozialwissenschaften vor 1945, Würzburg, 2007, S. 63–65. 343 J.  Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S.  M.  Gunn, 31.  Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 4. 344 Vgl. ebd. 345 K. Mannheim, Arbeits-Plan des Seminars für Soziologie an der Universität Frankfurt/Main, o. D. [am 23. Mai 1931 an A. W. Fehling geschickt], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26, S. 2. 346 Brief von K. Mannheim an A. W. Fehling, 2. Juni 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26.

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Fehling machte Mannheim keine Hoffnung auf Unterstützung, versicherte aber, er wolle bei „gegebener Möglichkeit einen Versuch machen“347. Er nahm das Seminar in eine Liste für mögliche „grants-in-aid“ an „one-man-institutes“ auf348 und befürwortete eine kleine Bewilligung. Van Sickle hingegen hatte den Eindruck gewonnen, dass die fortgeschrittenen Studenten Mannheims eher „historical-philosophical investigations“349 durchführten. Als Mannheim sich Anfang 1932 für die Zuwendung von 500 RM aus dem Notgemeinschafts-Fonds bedankte, nutzte er die Gelegenheit, um noch einmal die Möglichkeit einer Förderung durch die RF anzusprechen: May I at this opportunity mention that part of the work in the seminar is devoted to informing German circles about American sociology, and that you have in this way, therefore, indirectly contributed to the cultural interrelation and understanding between the two countries. Should you be further interested in our research, we will be glad to send you a copy of our schedule of work350.

An den Rand des Schreibens hatte einer der Rockefeller Mitarbeiter die Frage notiert, ob die RF weiteres Interesse haben sollte. Day antwortete „No“351. Nachdem Mannheim 1933 entlassen worden war, bat der neue kommissarische Seminarleiter Heinz Marr352 Fehling um weitere Mittel aus dem LSRM-Fonds, für „jetzt besonders wichtige Aufgaben auf dem Gebiet der Gesellschaftslehre, der Volkskunde, Rassenpflege“353. Fehling informierte ihn daraufhin, dass die Zuwendung des LSRM von der RF nicht erneuert worden sei354.

347 Brief von A. W. Fehling an K. Mannheim, 7. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. K. Mannheim hoffte daraufhin auf Unterstützung, sobald sich die Verhältnisse gebessert hätten. Vgl. Brief von K. Mannheim an A. W. Fehling, 23. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 348 Vgl. A. W. Fehling, Liste für „grants-in-aid“ an „one-man institutes“, o. D. (am 27. Juni 1931 an J. Van Sickle geschickt), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26, S. 1. 349 J.  Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S.  M.  Gunn, 31.  Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 5. 350 Brief von K. Mannheim an E. E. Day, 13. Januar 1932, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 61, folder 660. 351 Ebd. 352 Vgl. Herrschaft, Felicia, Lichtblau, Klaus, Chronik zur Geschichte der Soziologie in Frankfurt, in Herrschaft et al., Soziologie in Frankfurt: Eine Zwischenbilanz, S. 511. Siehe auch Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S. 105–107. 353 Vgl. Brief von H. Marr an A. W. Fehling, 14. Juli 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. 354 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Marr, 1. August 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45.

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Die Frankfurter Wirtschaftwissenschaften wurden zwar als bedeutendes Forschungszentrum für „business stability“ angesehen355, gefördert wurde die von Eugen Altschul geleitete Gesellschaft für Konjunkturforschung356 aber nicht. Altschul galt als „the best qualified man in the country“357 im Bereich der Konjunkturforschung und Meredith B. Givens vom SSRC und Wesley C. Mitchell setzten sich bei Day für eine Förderung ein358, die auch von Van Sickle unterstützt wurde. Als Day Ende 1933 nachfragte, wie in der Frage entschieden worden sei, antwortete Van Sickle, dass kein Antrag auf Förderung eingegangen sei und Altschul Deutschland mittlerweile habe verlassen müssen359. Die Frankfurter Sozialwissenschaften wurden von der RF bewusst nicht gefördert. Die Stiftung war durch Fehling und die Besuche der Pariser Mitarbeiter vor Ort über die Aktivitäten informiert, entschied sich aber gegen eine Unterstützung. Die marxistische Ausrichtung des Instituts für Sozialforschung, die antisemitische Stimmung der frühen 1930er-Jahre, mögliche antisemitische Vorbehalte in der Stiftung und die fehlende Unterstützung Fehlings haben sich wahrscheinlich gegenseitig bedingt und zur Ablehnung geführt. Karl Mannheims Seminar wurde als „one-man-institute“ eingeschätzt und das Soziale Museum nicht als sozialwissenschaftliche Forschungseinrichtung wahrgenommen. So blieb es auf Seiten der RF bei einem distanzierten Interesse ohne praktische Folgen. Die unbekannten Kölner Sozialwissenschaften

Weitgehend unbeachtet blieben in der RF der Wissenschaftsstandort Köln und das 1929 auf Initiative des damaligen Kölner Oberbürgermeisters Konrad Adenauer

355 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S. M. Gunn, 31. Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 4. 356 Siehe zur Frankfurter Konjunkturforschung Kulla, Die Anfänge der empirischen Konjunkturforschung, S. 168–180. 357 T. B. Kittredge, Social Sciences in Germany, 9. August 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 186, S. 14. 358 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S. M. Gunn, 31. Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 4. 359 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 18. Dezember 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 700, box 91, folder 721. Altschul war im April 1933 als Privatdozent der Universität Frankfurt entlassen worden und emigrierte in die USA. Vgl. Hagemann, Harald, Widerstand und Emigration. Die Lage der deutschsprachigen Nationalökonomie nach 1933 und die Rolle Freiburger Wirtschaftswissenschaftler, in Goldschmidt, Nils (Hg.), Wirtschaft, Politik und Freiheit. Freiburger Wirtschaftswissenschaftler und der Widerstand, Tübingen, 2005, S. 7.

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gegründete Institut für Sozialwissenschaften360. Die Kölner Universität war 1919 als „neue Universität“ wiedergegründet worden und hatte den Anspruch, praxisbezogener, methodisch vielfältiger und den Natur- und Sozialwissenschaften gegenüber offener zu sein als die älteren deutschen Hochschulen361. Van Sickle stellte 1932 fest: „Cologne is an important center which has not yet been visited by anyone from the Social Science Division of the Rockefeller Foundation“362. Die Sozialwissenschaften seien gut vertreten, doch könne nur durch einen persönlichen Besuch Genaueres herausgefunden werden. Als Indiz für die Bedeutung des Standorts führte er an, dass Schmidt-Ott die Universitätsbibliothek 1924 bei der Verteilung der „library grants“ des LSRM zu den besonders zu berücksichtigenden Einrichtungen gezählt hatte363. Kittredge aber widmete dem Institut in einem über 30 Seiten langen Bericht zu den deutschen Sozialwissenschaften nur wenige Sätze: Die Einrichtung „is said to be of considerable significance“364. Van Sickle bemerkte, der Leiter der soziologischen Sektion des Instituts Leopold von Wiese sei „one of Germany’s best known sociologists“365. Die Arbeiten des Kölner Instituts für Sozialwissenschaften zur Erforschung von Massenbewegungen und der sozialen Frage aus katholischer Perspektive (Max Scheler) und zur christlichen Gewerkschaftsbewegung (Theodor Bauer) wurden von der RF nicht wahrgenommen. Leopold von Wiese, auf den die RF aufmerksam geworden war, bezeichnete die Zwischenkriegsjahre im Nachhinein als die ruhigsten in seinem Leben. Der Schriftführer der Deutschen Gesellschaft für Soziologie und Herausgeber der Kölner Vierteljahreshefte für Soziologie hatte, so die Einschätzung Reinhard Blomerts, in dieser Zeit „weder ein persönliches noch forschungsstrategisches Profil“366. Der Besuch der RF-Mitarbeiter fand im Februar 1933 unter dem Zeichen der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten statt und ergab keine Förderchancen für das Kölner Institut367. Die kleineren Kölner Einrichtungen wie das Institut für Internationale Finanzwissenschaften (Prof. Mann) und das Institut für Verkehrswissen360 Vgl. Alemann, Heine von, Leopold von Wiese und das Forschungsinstitut für Sozialwissenschaften in Köln 1919 bis 1934, in Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 28 (1976), S. 650. Zur Arbeit des Instituts siehe auch S. 652–654. 361 Vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 14. 362 J.  Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S.  M.  Gunn, 31.  Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 1–2. 363 Vgl. ebd. 364 T. B. Kittredge, Social Sciences in Germany, 9. August 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 186, S. 21. 365 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S. M. Gunn, 31. Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 1–2. 366 Vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 15. 367 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 24. Februar 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725.

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schaften (Prof. E. von Beckerath) wurden von der RF ebenfalls nicht weiter beachtet. Van Sickle notierte nur, dass Eugen Schmalenbach den Ruf genieße, Deutschlands bester Professor in Betriebswirtschaft zu sein368. Soziologische „one-man-institutes“ in Hamburg und Leipzig.

Ernsthaft erwog die RF eine Förderung von Freyers und Walthers soziologischen Seminaren. Trotz der Vorsicht gegenüber sogenannten „one-man-institutes“ wurde an eine Förderung auf niedrigem Niveau von etwa 500 bis 1000 Dollar jährlich über drei oder fünf Jahre gedacht369. Andreas Walther, der 1925 selbst in den USA gewesen war370, galt der RF als einer der wenigen induktiv arbeitenden Wissenschaftler in Deutschland, der jedoch kaum Mittel für seine Forschungsarbeiten habe und nur von einem Assistenten und einem „map maker“ unterstützt werde. Van Sickle besuchte das seit drei Jahren bestehende und mit einem Etat von 1500 RM arbeitende Institut Anfang 1931371. Vor allem die kartographierten statistischen Studien beeindruckten den Amerikaner, der eine kleine Beihilfe empfahl. Zu Walther selbst notierte er: „Not forceful but a thoroly good man. Will never get thru his own efforts what he deserves“372. Das Institut beschäftigte sich 1931 mit einer kartographischen Untersuchung der Reichstagswahlen von 1930 und Arbeiten zur Soziologie der Großstadt, die in ihrer Methodik der Chicagoer Schule nahestanden. Eine Bewilligung, so teilte Fehling mit, würde für die Heranziehung von Studenten zu technischen Arbeiten, die Beschaffung von Kartenmaterial und Fachliteratur sowie die Herstellung von Zeichnungen genutzt werden373. Fehling verwies Van Sickle auf die Alternative einer Bewilligung aus dem LSRM-Fonds der Notgemeinschaft. Kurz darauf erhielt Walther auf diesem Weg 2000 RM für die Anschaffung von Büchern für seine Forschungen

368 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S. M. Gunn, 31. Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 1–2. 369 Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 16. Juni 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 370 Vgl. Junge, Torsten, Andreas Walther, in Haar, Ingo; Fahlbusch, Michael (Hgg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München, 2008, S. 729. 371 Vgl. Brief von A. Walther an A. W. Fehling, 8. Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 372 J. Van Sickle, Diary, 9. Januar 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 6. 373 Vgl. A. W. Fehling, Liste für „grants-in-aid“ an „one-man institute“, o. D. (am 27. Juni 1931 an J. Van Sickle geschickt), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26, S. 1.

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über die Soziologie der Großstadt und eine vergleichende Soziologie der modernen Völker374. Eine direkte Bewilligung durch die RF blieb infolgedessen aus. Auch Hans Freyers soziologisches Seminar an der Universität Leipzig machte auf Van Sickle bei seinem Besuch im Mai 1931 einen sehr guten Eindruck. Freyers eigene Arbeiten seien zwar philosophisch ausgerichtet, seine Studenten führten jedoch Projekte „of more realistic nature“ durch. Gerade diese Untersuchungen seien durch fehlende finanzielle Mittel bedroht375. Fehling informierte Van Sickle, dass der Etat des Freyer’schen Seminars mit dem des Hamburger Seminars vergleichbar sei. Von den empirischen Untersuchungen erwähnte er eine „Arbeit über den Typ des erfolgreichen Siedlers“. Fehling lobte, Hans Freyer gehöre mit Karl Mannheim zu den „aktivsten und besten Vertretern der jungen Generation, die, obwohl sie beide aus einer mehr philosophischen Richtung herkommen, mit Energie der empirischen Soziologie in Deutschland Eingang zu schaffen suchen“376. Aber auch Freyer erhielt keine Bewilligung, sondern nur 500 RM aus dem Fonds der Notgemeinschaft für besondere Arbeiten im Institut377. Die beiden Institute litten aus Sicht der RF unter vergleichbaren Schwachstellen: Geringe Größe, periphere Lage und Abhängigkeit von einer zentralen Forscherpersönlichkeit ließen an ihrem Potenzial als „really important centers“ zweifeln. Als Alternative zu einem „grant-in-aid“ bot sich daher die Förderung über den Notgemeinschafts-Fonds an. Konjunkturforschung, Rechtswissenschaft, Psychologie und Neuere Geschichte

Die Konjunkturforschung war einer der Schwerpunkte der sozialwissenschaftlichen Förderpolitik der RF, doch weder Altschuls Gesellschaft für Konjunkturforschung in Frankfurt noch Ernst Wagemanns Institut in Berlin wurden unterstützt. Der RF galt das Berliner Institut zwar als „the largest and most important organization“378 in dem Bereich, es sei jedoch finanziell ausreichend abgesichert. Sie konzentrierte sich

374 Vgl. Brief von Jürgens an E.  E.  Day, 20.  Januar 1931, in RAC-LSRM, Series  3.06, box  61, folder 660. 375 Vgl. J. Van Sickle, Memo of JVS re Institut für Soziologie, Leipzig, 16. Mai 1931, in RAC-RF, RG 2 (1931), Series 717, box 64, folder 520. 376 A. W. Fehling, Liste für „grants-in-aid“ an „one-man institute“, o. D. (am 27. Juni 1931 an J. Van Sickle geschickt), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26, S. 2. 377 Vgl. Brief von F.  Schmidt-Ott an E.  E.  Day, 22.  Dezember 1931, in RAC-LSRM, Series  3.06, box 61, folder 660. 378 T. B. Kittredge, Social Sciences in Germany, 9. August 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 186, S. 13.

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daher auf die Förderung der Konjunkturforschung in Kiel und Bonn379. Schumpeter hatte Van Sickle außerdem berichtet, Wagemann sei „a difficult man to get along with and rather persona non grata with the other professors“380. Charles J. Bullock, der 1917 Mitbegründer des Harvard Commitee on Economic Research gewesen war381, schlug der RF 1932 die Einrichtung eines „Institute of Economic Research conceived on broad lines“ in Berlin vor, die Pläne wurden jedoch nicht weiterverfolgt382. 1935 lehnte die RF eine Förderung des Konjunkturforschungsinstituts ab, stellte dem Institut jedoch anheim, einen Mitarbeiter für ein Rockefeller Stipendium vorzuschlagen383. In den Rechtswissenschaften interessierte sich die RF für das von Hans Kelsen geleitete Institut für Völkerrecht und internationales Recht in Köln. Den Österreicher und seinen Assistenten, den ehemaligen österreichischen RF-Stipendiaten Erich Hula, hielten die Foundation Officers für fähige, theoretischer als ihre deutschen Kollegen ausgerichtete, Völkerrechtler384. Van Sickle betonte außerdem Kelsens „Theorie of International Law which challenges the accepted German theory of

379 Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 23. Dezember 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 380 J. Van Sickle, Memorandum, Interview with C. J. Bullock, Subject: Possibility of an Institute of Economic Research at Berlin, o. D. [T. B. Kittredge schickte das Memorandum am 16. November 1932 an A. W. Fehling], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. 381 Vgl. Kulla, Die Anfänge der empirischen Konjunkturforschung, S. 24. 382 Bullock berichtete, Wagemann erwäge die Kooperation mit Lederer, Bonn und Schumacher. Fehling hielt die Pläne, über die er nicht informiert war, aufgrund von Wagemanns anderweitigen Verpflichtungen für wenig realistisch. Vgl. J. Van Sickle, Memorandum, Interview with C. J. Bullock, Subject: Possibility of an Institute of Economic Research at Berlin, o. D. [T. B. Kittredge schickte das Memorandum am 16.  November 1932 an A.  W.  Fehling], in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 31. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 19. November 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. 383 Das Institut sei immer noch das größte in Europa, durch den erzwungenen Rücktritt Wagemanns als Direktor des Statistischen Reichsamts habe es jedoch seinen direkten Zugang zu statistischen Daten verloren, konstatierte Van Sickle nach einem Besuch in Berlin 1935. Auch die Unabhängigkeit der Arbeit stehe nicht außer Zweifel: „It is probable that Wagemann does not deliberately falsify the materials which he issues, but it is equally probable that he does not reject officially supplied data even though he suspects its lack of representativeness“. Der ehemalige Stipendiat Franz Grüger war der Meinung, den Statistiken und Interpretationen des Instituts dürfe nicht länger vertraut werden. J. Van Sickle, Memorandum. German Business Cycle Institute. JVS conversation with Prof. Wagemann, Berlin, Oct. 21, 1935, in RAC-RF, RG 2 (1935), Series 717, box 126, folder 955. Wagemann war 1933 als Leiter des Statistischen Reichsamtes abgelöst worden, blieb aber Direktor des Instituts für Konjunkturforschung. Vgl. Hagemann, Volkswirtschaftslehre, S. 43. 384 Vgl. T. B. Kittredge, Social Sciences in Germany, 9. August 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 186, S. 24.

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absolute national sovereignty“385. Bereits kurz nach der Gründung geriet das Institut durch die Wirtschaftskrise in finanzielle Schwierigkeiten. Fehling konnte die so schnell nach der Gründung eingetretene Notsituation jedoch nicht nachvollziehen und sprach sich gegen eine Bewilligung aus. Wenn Professoren von der Reputation Kelsens die Universität wechselten, verlangten sie normalerweise die Zusicherung ausreichender Mittel für ihr Seminar, so Fehling. Auch sei das Institut nicht als „strategic center of international law“ einzuschätzen, die führenden Institutionen befänden sich in Berlin. Für Jurastudenten sei zudem die Universität von Bonn attraktiver386. Aus der Sicht der RF sprach auch die erst kürzlich erfolgte Gründung gegen eine Unterstützung387. Die Stiftung entschloss sich gegen eine institutionelle Förderung, doch Hula erhielt 1932 800 Dollar für die Anstellung eines Assistenten in Teilzeit und die Beschaffung von Literatur und Material388. Die Beihilfe sollte die Institutsarbeit erleichtern, indem Hula von Verwaltungsaufgaben entlastet wurde389. 1933 wurde die Förderung nicht verlängert390, Kelsen und Hula verließen Deutschland noch im selben Jahr. Kein Interesse entwickelte die RF an der deutschen Psychologie, obwohl psychologische Projekte in anderen Ländern durchaus gefördert wurden. Ein Grund für diese Zurückhaltung war die Skepsis Fehlings gegenüber psychologischen Arbeiten. Schon 1925 hatte Fehling zu einem Text von Wesley C. Mitchell zur quantitativen Analyse ökonomischer Probleme bemerkt: „Insbesondere kann ich seinen Ausführungen über das, was die experimentelle Psychologie den Sozialwissenschaften an für sie brauchbarem Tatsachenmaterial liefern kann, nicht beistimmen“391. Als Rudolf Heberle 1931 für die Teilnahme am „Yale Seminar“, einer internationalen Arbeitsgruppe zur Persönlichkeitsforschung an der Yale University, einen Psychologen vorschlagen wollte, bat Fehling ihn, davon abzusehen: „Ich habe, vertraulich bemerkt, eine gewisse Scheu vor den Vorschlägen der Psychologen und glaube, daß in diesem Fall ein Ethnologe etwa der Richtung Malinowskis in London oder ein Soziologe der 385 J. Van Sickle, Memorandum. Institute of International Law (Director Prof. Kelsen, Asst. Dr. Hula), 11. Juli 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 21, folder 194. 386 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 19. Mai 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 387 Vgl. J.  Van Sickle, Memorandum. Institute of International Law (Director Prof.  Kelsen, Asst. Dr. Hula), 11. Juli 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 21, folder 194. 388 Vgl. Detail of Information, Research Aid Grants, in RAC-RF, RG  1.1, Series  717, box  21, folder 194. 389 Vgl. J.  Van Sickle, Memorandum. Institute of International Law (Director Prof.  Kelsen, Asst. Dr. Hula), 11. Juli 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 21, folder 194. 390 Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 4. März 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. 391 Brief von A. W. Fehling an C. E. Merriam, 15. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 7, S. 2.

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Wieseschen Schule mehr davon haben würde“392. Das Psychologische Institut von Wolfgang Köhler393 in Berlin war 1931 von Van Sickle besucht worden, der es aber am Vormittag verlassen vorgefunden hatte394. Auch die Neuere Geschichte interessierte die RF auf institutioneller Ebene nicht. Fehling setzte sich vergeblich für eine Förderung von Hans Rothfels ein, den er als „eine[n] der interessantesten Neueren Historiker, die wir haben“395 bezeichnete. Ebenfalls wenig Beachtung fanden die kleinen deutschen Hochschulen. Die Universitäten von Jena, Halle, Gießen, Erlangen, Greifswald und Rostock wurden von den Rockefeller Mitarbeitern nicht besucht und in den Berichten kaum erwähnt. Auch Fehling riet von der Förderung kleinerer Universitäten ab396. Forschungsinstitute geringer Größe, die in den Augen der RF keine Aussichten auf eine führende Position in ihrer Disziplin hatten, etwa das Institut für Wirtschaftsbeobachtung an der Handelshochschule in Nürnberg, das Forschungsinstitut für Organisationslehre in allgemeiner und vergleichender Soziologie von Johann Plenge in Münster oder das Institut für Betriebssoziologie und Soziale Betriebslehre von Götz Briefs an der Technischen Hochschule in Berlin, hatten keine Aussicht auf Unterstützung397. Durch den der Notgemeinschaft zur Verfügung gestellten LSRM-Fonds für die Anschaffung sozialwissenschaftlicher Literatur kamen jedoch auch kleine Institute in Kontakt mit der Rockefeller Philanthropie. Da die RF außerhalb ihres Stipendienplans die Finanzierung einzelner Wissenschaftler ablehnte, wurde deren Förderung in der Regel nur im institutionellen Rahmen in Betracht gezogen. Wissenschaftler an kleinen Einrichtungen, wie etwa der Soziologe Theodor Geiger, der an der Technischen Hochschule in Braunschweig lehrte, waren für die Rockefeller Foundation uninteressant. Bis 1933 wurde Geiger von der RF nicht wahrgenommen, die Stiftung unterstützte dann aber seine Emigration nach Dänemark aus dem „Special Research Aid Fund for Deposed Scholars“. 392 Brief von A. W. Fehling an R. Heberle, 14. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 393 Köhler, Mitbegründer der Gestalttheorie, hatte die Institutsleitung der großzügig ausgestatteten Einrichtung 1922 übernommen. Er galt als der Naturwissenschaftler unter den Gestalttheoretikern der deutschen Psychologie und wurde durch seine Versuche mit Schimpansen auf Teneriffa bekannt. Vgl. Lück, Helmut E., Geschichte der Psychologie: Strömungen, Schulen, Entwicklungen (Grundriss der Psychologie 1), Stuttgart, 42009, S. 77. 394 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 8. Januar 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 1. Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 155. 395 A. W. Fehling, Liste für „grants-in-aid“ an „one-man institute“, o. D. (am 27. Juni 1931 an J. Van Sickle geschickt), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26, S. 1. 396 1930 betonte er, dass Rostock nur eine sehr kleine Universität habe, die einzige im Land Mecklenburg, das nicht mehr als 700.000 Einwohner zähle. Vgl. Brief von A. M. Fehling (Fehlings Ehefrau) an M. Ch. Cole, 16. September 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 397 T. B. Kittredge, Social Sciences in Germany, 9. August 1932, in RAC-RF, RG. 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 186, S. 14–15, 18, 21, 26.

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Auch Leopold von Wiese und Ferdinand Tönnies wurden trotz ihres partiellen Interesses an induktiven Forschungen kaum beachtet398. Werner Sombart wird in den Rockefeller Akten nur in einer Auflistung bedeutender Wirtschaftswissenschaftler erwähnt399. Zu einem größeren institutionellen Unterstützungsprogramm kam es in Deutschland nach 1929 nicht. Die politische und wirtschaftliche Instabilität der 1930er-Jahre, die wenig zentralisierte und durch „one-man institutes“ geprägte Forschungslandschaft, die in den Augen der RF zu philosophisch-historisch ausgerichteten Forschungsmethoden und die Konkurrenz unter deutschen Wissenschaftlern führten dazu, dass die RF von der Bewilligung größerer Summen Abstand nahm. Eine deutsche London School of Economics wurde auch unter dem von Day geleiteten Förderprogramm nicht gefunden oder aufgebaut. Von 1924 bis 1933 gaben LSRM und RF in Deutschland insgesamt 830.650 Dollar für sozialwissenschaftliche Forschungsförderung aus, davon über ein Drittel (300.000 Dollar) für das Stipendienprogramm und ein weiteres Drittel für die institutionelle Förderung (240.000 Dollar)400. 150.000 Dollar gingen an die zwei Gemeinschaftsarbeiten, dazu kamen gut 4000 Dollar für kleine „grants-in-aid“ an ehemalige Stipendiaten401. Deutsche Wissenschaftler waren außerdem an einer Reihe internationaler Projekte, die von der RF unterstützt wurden und für die sich genaue Zahlen nicht ermitteln lassen, beteiligt. Im Rahmen des von William Beveridge und Edwin F. Gay angeregten „International Scientific Committee on Price History“ führte Moritz J. Elsas in Frankfurt Arbeiten durch402. Bis 1933 war Deutschland durch ein eigenes Komitee 398 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 154–155. 399 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum „Suggestion for a German trip“, an S. M. Gunn, 31. Mai 1932, in RAC-RF, RG 2 (1932), Series 717 S, box 77, folder 617, S. 5. 400 Die höchste Summe ging mit 110.000 Dollar an die Berliner DHfP, gefolgt vom Heidelberger Institut für Sozial- und Staatswissenschaften (60.000 Dollar). Das Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr in Kiel wurde mit 46.000 Dollar und das Hamburger Institut für Auswärtige Politik mit 20.000 Dollar gefördert. Schließlich erhielt das Bonner Institut für Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften 3000 Dollar (diese Bewilligung wurde später erneuert). Vgl. Van Sickle, Report on Rockefeller Foundation activities in Germany, Social Sciences, in RAC-RF, RG 2 (1933–1934), Series 717, box 93, folder 736, S. 2–9. 401 Vgl. J.  Van Sickle, Report on Rockefeller Foundation activities in Germany, Social Sciences, in RAC-RF, RG 2 (1933–1934), Series 717, box 93, folder 736, S. 2–9. Zusätzlich hatte das LSRM zwei „Travelling Professorships“ an Röpke und Rein vergeben. 402 Vgl. Elsas, Moritz John, Umriss einer Geschichte der Preise und Löhne in Deutschland. Vom ausgehenden Mittelalter bis zum Beginn des neunzehnten Jahrhunderts, Leiden, 1936. Die internationale Kommission führte eine vergleichende Studie von Löhnen und Preisen zwischen dem 16. Jahrhundert und dem Anfang des 19. Jahrhunderts in den USA und verschiedenen europäischen Staaten durch. Durch eine wirtschaftstheoretische und statistische Aufarbeitung archivarischer Quellen sollte die Existenz von „langen Wellen“ im Ablauf der Konjunkturzyklen belegt werden. Elsas musste 1933 emigrieren, er veröffentlichte die ausgewerteten Daten in zwei Bänden

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in der 1928 vom Institut für intellektuelle Zusammenarbeit des Völkerbundes eingerichteten „International Studies Conference“ (ISC) vertreten. Diese war die erste supranationale Organisation, die wissenschaftliche Kooperation zwischen Forschungsinstitutionen im Bereich der internationalen Beziehungen organisierte403. Die RF nutzte sie zur Vernetzung der verschiedenen von ihr geförderten europäischen Institutionen404, in Deutschland war besonders die Berliner DHfP in der Kooperation aktiv405. Außerdem war Hermann Schumacher einer der ausländischen Berater der von dem Wirtschaftswissenschaftler Edwin R. A. Seligman herausgegebenen „Encyclopaedia of the Social Sciences“, zu der viele deutsche Sozialwissenschaftler beitrugen406. Für die Kooperation auf internationalem Niveau und die institutionelle und individuelle Forschungsförderung in Deutschland bedeutete die Machtübernahme der Nationalsozialisten eine tiefgreifende Zäsur. In der RF stellte sich die Frage, inwieweit eine weitere Tätigkeit im nationalsozialistischen Deutschland noch möglich und erwünscht war. Die Verlängerungsanträge der bereits geförderten Institute wurden nach 1933 einer genauen Überprüfung unterzogen. im Londoner Exil. 1935 schloss die Gestapo die Frankfurter Arbeitsstelle, entließ das Personal und konfiszierte das Aktenmaterial. Der amerikanische Botschafter William E. Dodd erwirkte mit Hilfe K. O. Bertlings vom Amerika Institut die Freigabe der Akten, die nach London verschifft wurden. Nach 1945 galt das Material als verschollen, bis es der Wirtschaftshistoriker Wilhelm Abel 1963 im Keller der LSE entdeckte. Vgl. http://www.gko.uni-leipzig.de/historisches-seminar/ seminar/sozial-und-wirtschaftsgeschichte/sammlungen.html, zuletzt eingesehen am 12.  Dezember 2018. Zur Konfiskation durch die Gestapo siehe den Briefwechsel zwischen A.  W.  Fehling und J. Van Sickle, September 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. Vgl. K. O. Bertling, Aufzeichnung. Amerika Institut, Berlin, 14. September 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. Siehe auch Denzel, Markus A., Konjunkturen im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, in Buchheim, Christoph; Fouquet, Gerhard; Gommel, Rainer (Hgg.), Sozial- und Wirtschaftsgeschichte: Arbeitsgebiete – Probleme – Perspektiven, 2005, S. 197. 403 Vgl. Rietzler, Experts for Peace, S. 57. Siehe auch Pedersen, Susan, The Guardians: The League of Nations and the Crisis of Empire, Oxford, 2015, S. 327. 404 Vgl. Rietzler, Katharina, Expertenwissen, Internationalismus und Idealismus: Amerikanische Stiftungen als Förderer der Disziplin der Internationalen Beziehungen in der Zwischenkriegszeit, in Steffek, Jens; Holthaus, Leonie (Hgg.), Jenseits der Anarchie: Weltordnungsentwürfe im frühen 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main, 2014, S. 274. Siehe auch Riemens, Michael, International Academic Cooperation on International Relations in the Interwar Period: The International Studies Conference, in Review of International  Studies  37 (2011), S.  911–928 und Long, David, Who killed the International Studies Conference?, in Review of International Studies 32 (2006), S. 603–622. 405 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 9. Dezember 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44. 406 Auch die LSRM-Landesvertreter Luigi Einaudi und Charles Rist gehörten zu den Beratern. Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 75.

5. Sozialwissenschaftliche Forschungsförderung im Nationalsozialismus: Grenzen und Möglichkeiten

Die Nationalsozialisten begannen ihre Herrschaft in Deutschland1 mit der Abschaffung der Menschen- und Bürgerrechte, der Verfolgung der jüdischen Bevölkerung, Bücherverbrennungen und Terror gegen die politischen Gegner. In den USA, wo man durch die Auslandskorrespondenten der amerikanischen Zeitungen gut über die Vorgänge in Deutschland informiert war, führten die Verfolgungsmaßnahmen des NS-Regimes zu allgemeinem Entsetzen in der Bevölkerung und der Entwicklung einer Protestbewegung2. Die amerikanische Presse informierte intensiv über die Ereignisse3, vor allem die organisierten Boykottmaßnahmen gegen jüdische Geschäfte ab dem 1. April 1933 erschreckten die amerikanische Öffentlichkeit4. Die Urteile der Kommentatoren über die Radikalität des NS-Regimes und den Grad der gesellschaftlichen Zustimmung in Deutschland fielen unterschiedlich aus. So erhofften sich einige Berichterstatter einen mäßigenden Einfluss der Konservativen auf Adolf Hitler, andere verwiesen auf Richtungskämpfe innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung oder hofften auf politische Mäßigung in der Regierungsverantwortung. Für viele Amerikaner war unvorstellbar, dass sich die deutsche Bevölkerung nicht gegen die Willkürmaßnahmen wehren würde. Verbreitet war auch die Einschätzung, die „Sturmabteilung“ (SA) unterstände nicht der Kontrolle Hitlers und dieser würde den Gewaltexzessen bald Einhalt gebieten. In den Augen vieler 1

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Teile des Kapitels sind für den Artikel „Les employés américains de la Fondation Rockefeller en voyage dans l’Allemagne des années 1930“ ins Französische übersetzt worden. Vgl. Syga-Dubois, Judith, Les employés américains de la Fondation Rockefeller en voyage dans l’Allemagne des années 1930: des observateurs singuliers de la crise de la République de Weimar et du nazisme, in Viaggiatori. Circolazioni scambi ed esilio 2 (2018), S. 122–150. Vgl. Hönicke, Michaela, Das nationalsozialistische Deutschland und die Vereinigten Staaten von Amerika (1933–1945), in Larres, Klaus; Oppelland, Torsten (Hgg.), Deutschland und die USA im 20. Jahrhundert. Geschichte der politischen Beziehungen, Darmstadt, 1997, S. 62–63 (Im Folgenden zitiert als Hönicke, Das nationalsozialistische Deutschland). Vgl. Doerries, Reinhard R., Transatlantic Intelligence in Krieg und Frieden: die Rolle von Nachrichtendiensten in den deutsch-amerikanischen Beziehungen, in Berg, Manfred; Gassert, Philipp (Hgg.), Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Detlef Junker, Stuttgart, 2004, S. 291. Vgl. Gassert, Philipp, Keine rein geschäftliche Angelegenheit: Die „Feindvermögensfrage“ und die Auseinandersetzungen um die amerikanischen Investitionen im Dritten Reich, in Berg, Manfred; Gassert, Philipp (Hgg.), Deutschland und die USA in der Internationalen Geschichte des 20. Jahrhunderts. Festschrift für Detlef Junker, Stuttgart, 2004, S. 343.

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Amerikaner stellte Hitler nur ein Übergangsphänomen dar, konkret war von seinem Programm wenig bekannt5. Nur eine Minderheit erkannte bereits 1933/34, dass Hitler sofort mit der Umsetzung seines Mitte der 1920er-Jahre in der Schrift „Mein Kampf “ entwickelten Programms begann und warnten vor einem neuen Krieg6. Empörung und Entsetzen blieben zudem auf Teile der amerikanischen Bevölkerung beschränkt. Die Regierung Roosevelt, die durch ihren Botschafter in Berlin, William E. Dodd, und andere offizielle und inoffizielle Informationsquellen detailliert informiert wurde, räumte 1933 dem Kampf gegen die wirtschaftliche Depression in den USA oberste Priorität ein7. Dazu kam eine allgemeine Ernüchterung in Bezug auf das amerikanische Engagement in Europa während des Ersten Weltkriegs und in der Zwischenkriegszeit8. Die Brutalität der Nationalsozialisten stellte auch die Rockefeller Mitarbeiter vor eine neue Situation. Die Officers in Paris und New York verfolgten die politischen Veränderungen in Deutschland sehr genau. Der Grundsatz der Stiftung, Wissenschaftsförderung unabhängig von politischen Systemen und Konflikten zu gewähren und durch wissenschaftlichen Austausch zur internationalen Verständigung beizutragen, wurde 1933 in Frage gestellt9. Die Trustees und Mitarbeiter der sozialwissenschaftlichen Abteilung mussten entscheiden, ob das sozialwissenschaftliche Förderprogramm nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 eingestellt werden sollte10.

5.1 „Dark prospects“: Reaktionen der RF auf die Machtübernahme und die Errichtung der NS-Diktatur Für ihre Einschätzung der Lage im nationalsozialistischen Deutschland griffen die Officers im Pariser Büro auf Presseinformationen, Reisen nach Deutschland und 5

Vgl. Reuther, Thomas, Die ambivalente Normalisierung: Deutschlanddiskurs und Deutschlandbilder in den USA, 1941–1955 (Transatlantische Historische Studien 11), Stuttgart, 2000, S. 71 (Im Folgenden zitiert als Reuther, Die ambivalente Normalisierung). 6 Vgl. Hönicke, Das nationalsozialistische Deutschland, S. 63. 7 Vgl. Reuther, Die ambivalente Normalisierung, S. 72. 8 Vgl. Hönicke, Das nationalsozialistische Deutschland, S. 63–64. 9 Zuvor hatte die Stiftung sowohl ihr Engagement im Gesundheitsbereich im diktatorischen Portugal weiter-, als auch Programme im faschistischen Italien durchgeführt. In der Sowjetunion war die RF in der Bereitstellung medizinischer Fachzeitschriften aktiv. Vgl. Richardson, Philanthropy and the Internationality of Learning, S. 26. 10 Zur Frage der weiteren Förderung der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft siehe Schüring, Michael, Minervas verstoßene Kinder: vertriebene Wissenschaftler und die Vergangenheitspolitik der MaxPlanck-Gesellschaft, Göttingen, 2006, S. 109–119 (Im Folgenden zitiert als Schüring, Minervas verstoßene Kinder).

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Berichte Fehlings sowie weiterer Kontaktpersonen, wie geförderter Wissenschaftler und internationaler Rockefeller Stipendiaten, zurück. In Form von Memoranden wurden die Informationen nach New York weitergeleitet. Wie viele Amerikaner setzten auch die Stiftungsmitarbeiter ihre Hoffnungen auf eine baldige Entspannung der Lage und registrierten optimistisch jedes Anzeichen für Verbesserungen, nur um kurz darauf ihre Einschätzung revidieren zu müssen. In der RF war das Jahr 1933 von intensiven Diskussionen geprägt, in denen sich die Pariser Mitarbeiter überwiegend für eine, wenn auch reduzierte, Weiterförderung aussprachen, während die Officers in New York für einen Rückzug aus Deutschland plädierten. Im Dezember 1933 entschieden schließlich die Trustees, die institutionelle Förderung im Herrschaftsbereich des NS-Regimes zu beenden. Fehleinschätzungen und enttäuschte Hoffnungen

Im Februar 1933, weniger als einen Monat nach der Machtübernahme und kurz vor den Reichstagswahlen am 5. März, übermittelte Van Sickle seinem Vorgesetzten Day eine weitsichtige Einschätzung der politischen Entwicklung: „To me it seems obvious that, if civil war is avoided, as seems probable, extreme nationalism will be in the saddle. Civil liberties will be greatly restricted. How far the freedom of expression of the social scientist will be affected remains to be seen“11. Ende März befürchtete der „Associate Director“ der medizinischen Abteilung der RF in Paris, Robert A. Lambert, eine Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen Dienst durch Einführung äußerst niedriger Aufnahmequoten. Wie viele ausländische Beobachter sah er Hitler jedoch nicht als Urheber der Diskriminierungsmaßnahmen: „[I]t is difficult to see how Hitler can hold his horses even though he may recognize the folly of such a policy“12. Der Brief wurde gut eine Woche vor dem Erlass des Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums vom 7. April 1933 verfasst. Mit diesem Gesetz konnten alle Beamten entlassen werden, die nach dem 9. November 1918 in die Beamtenlaufbahn eingetreten waren und nicht „die für ihre Laufbahn vorgeschriebene oder übliche Vorbildung oder sonstige Eignung“ besaßen. Alle Beamten „nichtarischer Abstammung“ waren in den Ruhestand zu versetzen oder zu entlassen, wenn sie nicht schon vor August 1914 Beamte gewesen waren, im 11 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 24. Februar 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. Zu den Diskussionen um die Fortführung der Rockefeller Aktivitäten in Deutschland siehe auch Richardson, Philanthropy and the Internationality of Learning, S.  27  ff. Richardson geht auch auf die Medizin und die Naturwissenschaften ein. 12 Brief von R.  A.  Lambert an A.  Gregg, 29.  März 1933, in RAC-RF, RG  2 (1933), Series  717, box 91, folder 725.

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Ersten Weltkrieg gekämpft oder in diesem Vater oder Sohn verloren hatten. Auch Beamten, die „nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“, konnten entlassen werden13. Es folgte eine beispiellose Entlassungswelle, die 1935, als die Ausnahmen zurückgenommen wurden, noch einmal anstieg. Insgesamt wurden an den 23 Universitäten 19,3 % der Hochschullehrer (Professoren, Privatdozenten und Lehrbeauftragte) entlassen, wobei die Zahlen für Frankfurt (36,5 %), Berlin (knapp 35 %), Heidelberg, Hamburg, Göttingen und Köln (zwischen 20 % und 25 %) besonders hoch waren, während in Tübingen nur 4 % der Hochschullehrer betroffen waren14. Der Officer der medizinischen Abteilung Daniel O’Brien wurde Anfang April 1933 auf einer Deutschlandreise Zeuge des Boykotts jüdischer Geschäfte, den er als sehr effizient ausgeführt erlebte15. Ein medizinischer RF-Stipendiat berichtete aus Heidelberg: „[A]nti-semitic propaganda and action are now being conducted with such violence that it is impossible to know where and when they will stop“16. Die RF-Mitarbeiter nahmen die alarmierenden Berichte sehr ernst, glaubten jedoch, dass es sich um vorübergehende Begleiterscheinungen der politischen Umwälzung handelte. Vor allem die dauerhafte Entlassung jüdischer und oppositioneller Wissenschaftler konnten sie sich nicht vorstellen: „Sensitiveness to foreign opinion, as well as realization on the part of political leaders of the serious effects on institutions, will undoubt-

13 Vgl. Rürup, Reinhard, Schicksale und Karrieren. Gedenkbuch für die von den Nationalsozialisten aus der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft vertriebenen Forscherinnen und Forscher, Göttingen, 2008, S. 50–51 (Im Folgenden zitiert als Rürup, Schicksale und Karrieren). Die Badische Regierung kam dem Gesetz mit einer Bekanntmachung vom 5. April zuvor, nach der „alle im Badischen Staatsdienst und Staatsbetrieben, in Gemeinden, Gemeindebetrieben und anderen öffentlichrechtlichen Körperschaften sowie als Lehrkräfte an Privatschulen beschäftigte Angehörige der jüdischen Rasse (ohne Rücksicht auf die konfessionelle Zugehörigkeit) bis auf weiteres vom Dienst zu beurlauben sind“. Ein Brief des Ministers des Kultus und Unterrichts an den Rektor der Handelshochschule Mannheim, in dem die Durchsetzung der Bekanntmachung angeordnet wurde, lag der Rockefeller Stiftung vor. Vgl. Brief des Minister des Kultus und Unterrichts an den Rektor der Handelshochschule Mannheim, 6. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. Vgl. Mussgnug, Dorothee, Die vertriebenen Heidelberger Dozenten. Zur Geschichte der Ruprecht-Karls-Universität nach 1933 (Heidelberger Abhandlungen zur mittleren und neueren Geschichte 2), Heidelberg, 1988, S. 21–22 (Im Folgenden zitiert als Mussgnug, Die vertriebenen Heidelberger Dozenten). 14 Vgl. Rürup, Schicksale und Karrieren, S. 50. 15 Vgl. Brief von D.  O’Brien an A.  Gregg, 11.  April 1933, in RAC-RF, RG  2 (1933), Series  717, box 91, folder 725, S. 3, 6. 16 Auszug eines aus dem Französischen übersetzten Briefs von F. Roulet an das Pariser Büro der RF, 3. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. Siehe auch Eckart, Wolfgang Uwe; Sellin, Volker; Wolgast, Eike (Hgg.), Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus, Berlin, Heidelberg, 2006.

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edly lead to such modification of decrees as will permit retention of majority of ablest men“17, schrieb Lambert am 12. April 1933 nach New York. Immer wieder hofften die Pariser Stiftungsmitarbeiter, Anzeichen für die von ihnen erwartete Mäßigung des Regimes entdeckt zu haben. Am 26. April registrierten sie, dass im von den Nationalsozialisten kontrollierten Berliner Tageblatt Bücherverbrennungen bedauert und eine Erhöhung der Quote für jüdische Studenten befürwortet wurde. Doch schon am nächsten Tag lasen sie ein Interview mit Joseph Goebbels, in dem dieser die Juden als Feinde bezeichnete18. Lambert hoffte, die Verfolgungen würden aufhören, sobald die Anführer Disziplin unter ihren Anhängern hergestellt hätten. „To-day’s book-burning shows that the mob is still out of hand. I do not believe for a moment that even Goebbels – however unscrupulous he may be – approves of such a silly and disgraceful business“19. Doch die Bücherverbrennungen des 10. Mai 1933 waren von der nationalsozialistischen „Deutschen Studentenschaft“ organisiert worden und Propagandaminister Goebbels trat in Berlin als Hauptredner auf20. Ende Mai 1933 musste auch Lambert nach einer Deutschlandreise eingestehen: „[I]t had become evident that a prompt modification of the Nazi policy toward Jews and non-conformists such as I hoped to see would not take place“21. Gartengespräche: Die Schwierigkeiten transatlantischer Kommunikation im NS-Regime

Die Zensur des Briefverkehrs und die Angst vor Denunziationen erschwerten die Kommunikation der Stiftungsmitarbeiter mit ihren deutschen Gesprächspartnern. Im Pariser Büro bemerkte man bald, dass kaum mehr mit schriftlichen oppositionellen Äußerungen aus Deutschland gerechnet werden konnte. Als „quite significant“ notierte Lambert, dass Fehling es ablehnte, eine Anfrage zu einem jüdischen Stipendienbewerber schriftlich zu beantworten22. O’Brien wurde in Berlin von Fehling 17 Brief von R. A. Lambert an A. Gregg, 12. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. 18 Vgl. Brief von R. A. Lambert an A. Gregg, 26. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725, S. 2. 19 Brief von R. A. Lambert an A. Gregg, 10. Mai 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 726. 20 Vgl. Grüttner, Die Studentenschaft in Demokratie und Diktatur, S. 251. Vgl. Rede vom 10.5. 1933, in Heiber, Helmut (Hg.), Goebbels. Reden 1932–1945, Bd. 1, Düsseldorf, 1971, S. 108–112. 21 Brief von R. A. Lambert an A. Gregg, 1. Juni 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 727. 22 Vgl. R.  A.  Lambert, Diary, 27.  März 1933, in RAC-RF, RG  12.1, Robert A. Lambert Diaries, box 255, 1932–1933, S. 46.

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gebeten, keine Briefe mit sensiblen Informationen an die Notgemeinschaft zu schicken. „He feels that a very great part of the mail of the NDW [Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft] may be censored“23. Die strenge Trennung von Fehlings Tätigkeiten für die Notgemeinschaft und die RF erwies sich nun als äußerst nützlich. Auch bei Gesprächen in Deutschland spürten die Officers eine starke Zurückhaltung: „An almost universal condition of fear prevails in which people are afraid to express, verbally or in writing, their feelings about the present conditions“. Die meisten Gesprächspartner lehnten eine Diskussion zur politischen Lage ab, und diejenigen, die offener sprachen, baten um äußerste Diskretion bei der Weitergabe der Informationen. „Several of these persons feared, if their statements were repeated, they would be taken and shot by the Nazis!“24 Warren Weaver, Direktor der naturwissenschaftlichen Abteilung, berichtete zu Gesprächen in Deutschland: „[O]ne must meet the individual men and go out in the garden to talk. Only there does the truth begin to come out“25. Da der Postweg kein sicheres Mittel der Informationsübermittlung von Deutschland ins Ausland mehr war und deutsche Kontaktpersonen im eigenen Land nicht mehr frei zu sprechen wagten, gewannen Gespräche im Ausland, vor allem im Pariser Büro, an Bedeutung. Eine Erinnerung von Fehlings Ehefrau zeigt, dass die RF gerade in der Anfangszeit den Ernst der Lage verkannte und ihre Vertrauenspersonen in Gefahr zu bringen drohte. Frau Fehling war in lebhafter Erinnerung geblieben, wie „das naive Rockefeller Office aller Abhörwahrscheinlichkeit zum Trotz bei uns aus Paris anrief, sorgfältig buchstabierend „Ja, E-x-c-h-a-n-c-e-l-l-o-r- B-r-ü-n-i-n-g“. A. W. [Fehling] setzte sich daraufhin mit Brünings Rechtsanwalt in Verbindung, und zum Glück war er selbst schon in der Schweiz“26. Der ehemalige Reichskanzler hatte Deutschland im Mai 1934, nachdem er eine Warnung aus der Gestapo erhalten hatte, kurz vor dem sogenannten „Röhm-Putsch“ verlassen und war mit Unterstützung englischer Freunde und des Berliner Eugenikers Hermann Muckermann in die Niederlande eingereist. Über Großbritannien gelangte er in die Schweiz, später emigrierte er in die USA27. Die Mehrheit der deutschen Kontaktpersonen der RF, die selbst nicht unter Verfolgungsmaßnahmen zu leiden hatten, zeigte sich optimistisch und prophezeite

23 Brief von D. O’Brien an A. Gregg, 11. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725, S. 4. 24 Ebd., S. 2–3. 25 W. Weaver, Interviews, 24.–25. Mai 1933, Berlin, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 726, S. 2. 26 Brief von A. M. Fehling an A. Vagts, 23. November 1972, in BAK, NL 1269 A. Vagts, Nr. 4. 27 Vgl. Volkmann, Peer Oliver, Heinrich Brüning (1885–1970). Nationalist ohne Heimat (Forschungen und Quellen zur Zeitgeschichte 52), Düsseldorf, 2007 (zugl. Diss. Augsburg, 2004), S. 267– 270.

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ein bevorstehendes Ende der Gewalttaten28. Der Generaldirektor der Preußischen Staatsbibliothek Hugo Andres Krüß hoffte, die RF sei wegen der deutschen Entwicklungen nicht allzu beunruhigt. „He had the conviction that a satisfactory solution would be found for the Jewish question, pointing out that this had been given undue importance abroad […]. Dr. K. felt that the present period of tension would soon disappear“29. Solche optimistischen Einschätzungen standen in starkem Kontrast zu den Berichten über Drohungen, Hausdurchsuchungen und Gewalttaten30, die die RF zur gleichen Zeit erreichten. Fehlings Einsatz für eine Weiterförderung der deutschen Sozialwissenschaften

Eine wichtige Kontakt- und Vertrauensperson der RF blieb August Wilhelm Fehling. Ende April 1933 sprach er mit den Stiftungsmitarbeitern in Paris über die Lage in Deutschland31 und setzte sich, wie er glaubte erfolgreich, für eine Fortsetzung der sozialwissenschaftlichen Forschungsförderung in Deutschland ein32. Als ihn Gerüchte erreichten, die RF überlege, sich aus Deutschland zurückzuziehen, warnte er Day eindringlich, dass ein Rückzug nicht nur die Erfolge in der internationalen wissen28 Vgl. Richardson, Philanthropy and the Internationality of Learning, S. 28. 29 T.  B.  Kittredge, Memorandum: Conversation of TBK with Dr.  H.  A.  Krüss, Director General of the State Liberary, Berlin, Paris, 11. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. 30 Siehe die von Weaver zusammengetragenen Informationen in W. Weaver, Interviews, 24.–25. Mai 1933, Berlin, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 726. Siehe auch das Interview Van Sickles mit einem namentlich nicht genannten deutschen Wirtschaftswissenschaftler („one of the foremost economists in Germany“, „one of the first to be dismissed from the universities because of the double crime of race and socialist tendencies“): „[I]n early March, while he and his wife were absent from the city, two brown-shirts entered their house and at the point of the pistol threatened his grandmother and his young daughter, ransacked the house from garret to cellar and were furious because they only could get their hands on 300 Marks and his gold watch and chain. Prof. ----put in a complaint to the police and to the Insurance Company. The Insurance Company went to the police and found that his complaint had not even been recorded. Nevertheless a small settlement was made by the insurance company. He states that this type of thing is happening all the time“. J. Van Sickle, Memorandum, Conversation of JVS with Professor ----. 18. Mai 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 726. 31 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 5. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. Fehling schrieb: „The days in Paris were a great pleasure for me and I was extremely glad about the general attitude of the Foundation and especially your personal view on further activities in Germany“. 32 „Bei meinem letzten Besuch in Paris vor vierzehn Tagen, stand alles noch glänzend, und ich konnte Grund haben zu glauben, daß sich alles halten ließe“. Brief von A. W. Fehling an G. Mackenroth, 13. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 61, S. 1–2.

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schaftlichen Kooperation zerstören würde, sondern auch schwerwiegende politische Folgen hätte: If the Foundation would change its policy towards Germany at this moment of the first – naturally unbalanced – steps of a new development and in a phase were nobody knows the character of the later stabilization, I am terribly afraid of a misinterpretation of the previous activities of the Foundation in Germany. In addition, the outstanding rôle which the Foundation plays in international life, would cause similar decisions of other organizations, and we would be pushed back to the basis of 1919, with only one difference, a new beginning would be much more difficult33.

Ein Rückzug würde alle liberalen Elemente in Deutschland hilflos zurücklassen und die bisherige Arbeit der RF als durch „political and racial considerations“ motiviert diskreditiert werden34. Von einem Treffen des RF-Präsidenten Max Mason mit deutschen Regierungsstellen versprach Fehling sich viel: „decisive results would be accomplished in favor of academic and scientific freedom“35. War Fehling im April noch optimistisch gewesen, befürchtete er im Mai, die Stiftung könne „ihre Tätigkeit hier in Deutschland völlig einstell[en]“. Gegenüber einem ehemaligen deutschen RF-Stipendiaten klagte er, es sei ihm „sehr schmerzlich“, sollte die Arbeit, in die er „acht Jahre hindurch viel Kraft und Liebe hinein gesteckt habe, zerschlagen“ und „den vielen, deren wenn auch kärgliches Dasein hieran hing, die Grundlage genommen“ werden. „Weit ernster“ erschien ihm allerdings die kulturpolitische Bedeutung eines Rückzugs: Es ist merkwürdig, daß man anscheinend nicht weiß, was in den letzten Jahren auf kulturpolitischem Gebiet […] geleistet ist und zwar in einer Form der Gleichberechtigung und des nationalpolitischen Stolzes, der sich neben den jetzigen Bitten um gut Wetter wohl sehen lassen kann. Es wird Jahre kosten, was hier aus Unkenntnis kaputt gemacht wird, wieder aufzubauen36.

Das Wissen um die Schwierigkeiten der Wiederaufnahme der internationalen Wissenschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg und der Stolz auf das in den letzten Jahren auch von ihm Aufgebaute zeigen sich in dieser Bemerkung. 33 Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 13. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 4. 34 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 24. Mai 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 726, S. 1. 35 Ebd., S. 2. 36 Brief von A. W. Fehling an G. Mackenroth, 13. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 61, S. 1.

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Ein Anhänger der nationalsozialistischen Bewegung war Fehling nicht37. Aus der Freischar trat er 1933 „mit Bedauern“ aus, da er „wohl eine Einschaltung bejahe, aber eine Anwendung der Beamtengesetze, die [ihm] gegen den Sinn der Freischar zu verstoßen schien, nicht mitmachen wollte“38. Als der ehemalige Fellow Gerhard Mackenroth ihm im Mai 1933 mitteilte, er sei „aus ehrlicher Überzeugung, daß es für Menschen [s]einer Gesinnung jetzt keinen anderen Weg mehr gibt“39, in die NSDAP eingetreten, reagierte Fehling ambivalent: Ihr Brief kam nicht unerwartet. Das, was inzwischen geschehen ist, gehörte zu den Dingen, über die ich mit Ihnen sprechen wollte. Ich wollte Ihnen durchaus in dieser Richtung zuraten. Denn ist es so, daß man sagen kann, diejenigen, vor denen die Zukunft liegt, sollen es tun, die aber, die eine Vergangenheit haben, für die sie in jeder Hinsicht gerade stehen können, sollen es lassen40.

Im Mai 1934 musste Fehling sich von einem anderen ehemaligen Stipendiaten vorwerfen lassen, sein 1933 veröffentlichtes Buch „Die Vereinigten Staaten von Amerika. Land und Menschen unter dem Sternenbanner“41 enthalte „einig[e] bedenklich[e] liberalisierend[e] Stellen“, er werde es „aber nicht auf den Scheiterhaufen bringen“42. 1935 zeigte sich Fehling erfreut, dass einer seiner früheren Schützlinge das „Waffenhandwerk“, dem seine „stille Liebe“ gehöre, schätzen lerne und erklärte, er habe sich „vor Monaten zur Übung gemeldet, aber über die Einreichung der arischen Unterlagen ist die Sache bisher noch nicht gediehen“43. In persönlichen Briefen vermied Fehling die Schlussformeln „Mit deutschem Gruß“ und „Heil Hitler“ weitgehend. Im März 1934 korrigierte er sich in einem Briefentwurf an einen ehemaligen Fellow: Aus „Mit deutschem Gruß“ wurde „Mit

37 G.  Mackenroth hatte Fehling positiv über den Nationalsozialismus geschrieben. Fehlings Antwortbrief endet mit den Worten: „Mit herzlichen Grüßen aus der Hauptstadt des dritten Reiches (bei meiner radikalen Frau hat der politische Teil Ihres Briefes besonderen Beifall gefunden)“. Ob daraus ein gewisses Interesse Frau Fehlings an nationalsozialistischem Gedankengut abgeleitet werden kann, lässt sich nur vermuten. Brief von A. W. Fehling an G. Mackenroth, 10. Februar 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 61. 38 Brief von A. W. Fehling an Dr. Baumgarten, 27. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 39 Brief von G. Mackenroth an A. W. Fehling, 10. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 60. 40 Brief von A. W. Fehling an G. Mackenroth, 13. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 61. 41 Fehling, Die Vereinigten Staaten von Amerika. 42 Brief von B. Pfister an A. W. Fehling, 27. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 43 Brief von A.  W.  Fehling an K.  Schneider, 27.  August 1935, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 43.

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bestem Gruß“44. Als Schmidt-Ott Fehling im Januar 1935 zum Frühstück in den Automobilclub einlud und „Mit Heil Hitler! Ihr ganz ergebener Dr. Schmidt-Ott. Staatsminister“45 zeichnete, schloss Fehling seine Antwort „Mit den besten Empfehlungen. Eurer Exzellenz sehr ergebener…“46. Anders verhielt es sich bei offizielleren Briefen. 1934 unterzeichnete er mit „Heil Hitler! Ihr sehr ergebener…“47 einen Brief an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 1936 schloss er eine Antwort an die Gesellschaft der Berliner Freunde der Deutschen Akademie, in der er die Aufforderung zum Beitritt in die Gesellschaft aus wirtschaftlichen Gründen ablehnte, „Mit Deutschem Gruß, Heil Hitler!“48. In den Briefen an die RF zeigte Fehling kein Verständnis für die nationalsozialistische Politik, betonte aber die Hoffnung auf baldige Besserung der Lage. Später erinnerte er sich an sein letztes Zusammentreffen mit dem RF-Officer Alan Gregg im Juni 1934: „we […] talked about the German situation and its dark prospects. A forthnight later was that fatal date of June 30th, when for the first time also the circle of my friends was seriously touched“49. An eine Emigration, etwa in die USA, dachte Fehling nicht. Van Sickle schrieb 1937: „I had absolutely no reason to believe that Fehling would be interested in leaving Germany. Indeed, when I last saw him, he was very emphatic in stating that he thought it was his duty to stay in Germany“. Der Stiftungsmitarbeiter fügte allerdings hinzu: „I cannot help feeling, however, that something will arise sooner or later that will cause him to change his mind“50. Er 44 Brief von A. W. Fehling an H. Meier (Entwurf ), 10. März 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 45 Brief von F. Schmidt-Ott an A. W. Fehling, 17. Januar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 46 Brief von A. W. Fehling an F. Schmidt-Ott, 21. Januar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 47 Brief von A. W. Fehling an Ministerialrat Löpelmann, 13. April 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 48 Brief von A. W. Fehling an die Gesellschaft der Berliner Freunde der Deutschen Akademie, 13. Mai 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. 49 Brief von A. W. Fehling an A. Gregg, 12. Juli 1946, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 5. Am 30. Juni 1934 fand der sogenannte „Röhm-Putsch“ statt, in dem SS-Einheiten die Führung der SA liquidierten. Weitere Opfer waren NS-Gegner sowie in Ungnade gefallene Nationalsozialisten. Adolf Morsbach, Leiter des Deutschen Akademischen Austauschdiensts, wurde am 30. Juni 1934 verhaftet. Er hatte sich an diesem Tag mit Röhm treffen wollen. Er wurde über sechs Wochen im KZ Dachau interniert und verkraftete den Lageraufenthalt weder körperlich noch seelisch. Vgl. Hachtmann, Rüdiger, Vernetzung um jeden Preis. Zum politischen Alltagshandeln der Generalverwaltung, in Maier, Helmut (Hg.), Gemeinschaftsforschung, Bevollmächtigte und der Wissens­ transfer. Die Rolle der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft im System kriegsrelevanter Forschung des Nationalsozialismus, Göttingen, 2007, S. 99. 50 Brief von J. Van Sickle an C. J. Friedrich, 3. Februar 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 16, folder 151.

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hatte Fehlings Namen deshalb gegenüber Ernest J. Jaqua erwähnt, der einen deutschen Wissenschaftler für das Scripps College in Kalifornien suchte51. Die Stelle wurde schließlich an Arnold Bergstraesser vergeben52, während Fehling in Deutschland blieb. Die wenigen Hinweise zu Fehlings politischen Ansichten lassen auf ein Ablehnen der nationalsozialistischen Ideologie und die Bereitschaft, sich im alltäglichen Leben zu arrangieren, schließen. Die stiftungsinternen Diskussionen des Jahres 1933

Die RF befand sich 1933 in einem Dilemma: Sollte sie in Deutschland bei offiziellen Stellen intervenieren oder den Grundsatz der politischen Neutralität wahren? Während Fehling sich für auf diplomatische Weise vorgetragene Interventionen einsetzte, sprachen sich andere Rockefeller Korrespondenten, wie der Biologe Otto Warburg, gegen eine Einmischung aus, die die Lage der in Deutschland verbliebenen Juden nur erschwere53. Die RF hatte außerdem zu entscheiden, ob alle in Deutschland durchgeführten Forschungsprogramme abgebrochen werden müssten und ob diese Entscheidung in den Abteilungen oder durch die Trustees für die ganze Stiftung getroffen werden sollte. Van Sickle gehörte zu den Officers, die sich am stärksten für eine Weiterführung der Aktivitäten in Deutschland einsetzten. Ein „scientific embargo“ hielt er im Mai 1933 für verfrüht54. Sollte ein öffentlicher Rückzug nötig werden, müsse er so durchgeführt werden, dass er „thoughtful Germans the seriousness for the blow that has been dealt to scholarship“ vor Augen führe. Ein zu früher Rückzug, so Van Sickle, könne hingegen den Eindruck erwecken, „that we doubted the ability of a ‚pure‘ German to do objective work“. Van Sickle setzte sich für jährliche Bewilligungen auf moderatem Niveau ein55. Day stand der Weiterführung der sozialwissenschaftlichen Programme in Deutschland kritischer gegenüber. Er versicherte Fehling im Juni 1933 zwar, dass die RF nicht an eine generelle Änderung in der Förderpolitik in Deutschland denke, schränkte jedoch ein, dass sie in den Sozialwissenschaften besonderen Wert auf die Förderung 51 Vgl. Brief von J. Van Sickle an C. J. Friedrich, 3. Februar 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 16, folder 151. 52 Vgl. Brief von E. J. Jaqua an J. Van Sickle, 28. Januar 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 16, folder 151. 53 Vgl. Richardson, Philanthropy and the Internationality of Learning, S. 31–32. 54 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 12. Mai 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 19, folder 178, S. 3. 55 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 8. Mai 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725.

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objektiver und unparteiischer Forschung lege und die Unabhängigkeit von politischen Zielen sowie die Freiheit, Regierungsentscheidungen öffentlich zu kritisieren, die Essenz des Förderprogramms ausmachten. Da einige dieser Bedingungen in Deutschland nicht erfüllt seien, sehe er nicht, wie die Stiftung ihr Programm ohne radikale Veränderungen fortführen könne56. Auch in den anderen Abteilungen befürworteten die Pariser Mitarbeiter eher eine Weiterführung eingeschränkter Aktivitäten, während die Officers in New York kritischer waren. „Difference is due undoubtedly to fact that we here are in closer contact with the situation, and are meeting daily people who have suffered from the persecution“57, analysierte Robert A. Lambert. Im Pariser Büro versuchte man, als Entscheidungsgrundlage einen Überblick über die finanziellen Verpflichtungen der RF in Deutschland und die in den geförderten Projekten erfolgten Änderungen zu erlangen58. Van Sickle schrieb die geförderten sozialwissenschaftlichen Institute an und bat um eine Liste aller vor Januar 1933 an den Projekten beteiligten Mitarbeiter und ihrer aktuellen Stellung. Die Institutsdirektoren wurden aufgefordert, ihn über alle erfolgten und zukünftigen Personaländerungen zu informieren. Er wies auf die Möglichkeit hin, Wissenschaftler, die in Deutschland nicht länger arbeiten konnten, für Arbeiten im Ausland zu bezahlen59. Im Juni 1933 besuchte Van Sickle Kiel, Heidelberg und Bonn60. Nach dem fast zweiwöchigen Aufenthalt im nationalsozialistischen Deutschland kehrte er „very depressed and doubtful regarding the future of scientific work there, especially as regards the social sciences“61 nach Paris zurück. In den Instituten hatte die RF ihre wichtigsten Ansprechpartner verloren: Harms war in Kiel in Schwierigkeiten geraten und Weber hatte sich nach Konflikten mit Heidelberger Nationalsozialisten beurlauben lassen und um seine Emeritierung gebeten62. Nur im Bonner Institut habe es 56 Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 2. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 4, S. 1–2. 57 R. A. Lambert, Diary, 8. Mai 1933, in RAC-RF, RG 12.1, Robert A. Lambert Diaries, box 255, 1932–1933, S. 74. 58 Vgl. R.  A.  Lambert, Diary, 15.  Juni 1933, in RAC-RF, RG  12.1, Robert A. Lambert Diaries, box 255, 1932–1933, S.107. 59 Siehe zum Beispiel Brief von J. Van Sickle an B. Harms, 19. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. Ein ähnlicher Brief wurde an das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften in Heidelberg geschickt. 60 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 21. Juni 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 93, folder 736. 61 Brief von J. Van Sicke an E. E. Day, 7. Juli 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 93, folder 736, S. 1. 62 Vgl. Schultes, Kilian, Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, in Eckart, Wolfgang Uwe; Sellin, Volker; Wolgast, Eike (Hgg.), Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus, Berlin, Heidelberg, 2006, S. 560.

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keine Entlassungen gegeben, konstatierte Van Sickle63. Die Ergebnisse freier Recherchen könnten den politischen Führern die Gefahren ihres isolationistischen Kurses aufzeigen, meinte er. Doch gerade solche Arbeiten müssten auf politischen Widerstand stoßen: „Every proposal coming from Germany will require an unusually thorough and skeptical scrutiny“64. Die im Sommer 1933 durchgeführte Deutschlandreise des Stiftungspräsidenten Max Mason zeigt, dass die Frage der Weiterförderung in Deutschland auch an der Spitze der RF als äußerst wichtig eingeschätzt wurde. Mason traf sich mit Vertretern der Notgemeinschaft, der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft, des preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung und des Reichsinnenministeriums. Unter seinen Gesprächspartnern waren mehrere Staatssekretäre und höhere Beamte65. Leicht optimistisch kehrte Mason nach New York zurück. Er berichtete, dass das Führungspersonal moderater eingestellt sei als die nationalsozialistische Bewegung: „Officials claim that they were forced into excesses by popular pressure“. Eine Reihe angesehener Juden „are not to be disturbed“66. Im Reichsinnenministerium hatte er seine Hoffnung ausgedrückt, dass auf Notgemeinschaft und Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft kein politischer Einfluss ausgeübt werde und betont, dass „non-politically minded personnel would be looked upon as a criterion by the Foundation of an objective nature in the support of German science“67. Eine über diese allgemein gehaltenen Bemerkungen hinausgehende Kritik des NS-Regimes erschien Mason in Deutschland als nicht angemessen68. Die Position weitgehender Nichteinmischung brachte Mason auch zum Ausdruck, als Van Sickle für den Fall einer Entlassung Fehlings in der Notgemeinschaft einen „timely and tactful protest on our part“ vorschlug. „What I particularly want to know now is whether you see any objection to my going directly to the proper Ministers to discuss this matter and make known our attitude in the event that I fear should really

63 Vgl. Brief von J. Van Sicke an E. E. Day, 7. Juli 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 93, folder 736, S. 4–6. 64 J. Van Sickle, Report on Rockefeller Foundation Activities in Germany. Social Sciences, 22. Juni 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 36, S. 9. 65 Er traf zum Beispiel Hans Heinrich Lammers und Rudolf Buttmann. Ausführliche Aufzeichnungen zu den Gesprächen gibt es nicht. Richardson verweist darauf, das Mason generell kein Freund ausführlicher Schreibarbeit war. Vgl. Richardson, Philanthropy and the Internationality of Learning, S. 32–33. 66 Protokoll Staff Conference, 20. Juli 1933, in RAC-RF, RG 3, Series 904, box 4, folder 25, S. 19. 67 Brief von M. Mason an J. Van Sickle, 27. Juli 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 16, folder 151. 68 Vgl. Brief von M. Mason an J. Van Sickle, 27. Juli 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 16, folder 151.

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occur“69. Mason lehnte den Vorschlag ab, da die RF in seinen Augen kein Recht auf Protest im Fall einer Entlassung Fehlings habe70. Masons Einschätzung der Lage wurde von den mittlerweile deutlich pessimistischeren Pariser Mitarbeitern nicht geteilt71. Durch seine Gespräche im Ministerium sei Mason zu einer neuen Sichtweise gelangt, während die Officers bisher hauptsächlich mit Professoren und „university administrators“ gesprochen hätten, meinte Lambert. In seinem „Diary“ notierte er: I feel obliged, however, to correct MM [Mason]’s impression that we have been listening largely to the weepy tales of persecuted Jews. As a matter of fact all of us have seen more Aryans in Germany than Jews. In spite of the assurances given MM by Nazi leaders that they are working for moderation, recent observers in Germany, including JVS [ John Van Sickle], have come away with the impression that the restrictions on Jews are, if anything, being tightened rather than relaxed72.

Die Pariser Officers hatten sowohl den Boykott jüdischer Geschäfte als auch die Bücherverbrennungen miterlebt und mit jüdischen, oppositionellen und nationalsozialistischen Wissenschaftlern gesprochen. Seit April 1933 liefen bei ihnen Hilfsgesuche entlassener Forscher ein, die um Unterstützung bei der Stellensuche im Ausland baten. Die auch im Pariser Büro zunächst geteilte Ansicht, Hitler und seine Minister würden sich für eine Mäßigung einsetzen, revidierten die Officers in Paris früher als die Entscheidungsträger in New York. Die Entscheidung der Trustees gegen institutionelle Bewilligungen in Deutschland und für eine allgemeine Revision des sozialwissenschaftlichen Förderprogramms

Die Entscheidung über die Zukunft der Aktivitäten in Deutschland lag nicht bei den Stiftungsmitarbeitern, sondern bei den Trustees in New York. Nach knapp einem Jahr intensiver Beobachtung und Diskussion beschlossen diese im Dezember 1933 zur Überraschung der Mitarbeiter, die auf eine Weiterführung der Programme in 69 Brief von J. Van Sickle an M. Mason, 8. Juli 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 16, folder 151. 70 Vgl. Brief von M. Mason an J. Van Sickle, 27. Juli 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 16, folder 151. 71 Vgl. Richardson, Philanthropy and the Internationality of Learning, S. 33. Siehe auch Schüring, Minervas verstoßene Kinder, S. 113. 72 R. A. Lambert, Diary, 3. Juli 1933, in RAC-RF, RG 12.1, Robert A. Lambert Diaries, box 255, 1932–1933, S.114.

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reduzierter Form gehofft hatten, in Zukunft keine neuen Bewilligungen für deutsche Institutionen mehr auszusprechen: „The point was made […] that new appropriations by the Foundation to German institutions at this time would inevitably be completely misunderstood by the public and create widespread opposition“73. Mit dieser Grundsatzentscheidung sollte jeglicher Verdacht auf Zusammenarbeit zwischen RF und NS-Regime widerlegt werden. Ein offizielles Verbot wurde jedoch nicht ausgesprochen: „No formal blanket action of this type was taken. Of course, we do not want such matters made definite, and put on record“74, erläuterte Mason. Die Entscheidung der Treuhänder war daher nicht als öffentlicher Protest gegen das nationalsozialistische Deutschland gedacht und bedeutete keinen völligen Rückzug aus Deutschland. Der Unterstützung einzelner Wissenschaftler durch „grants-in-aid“ oder Stipendien stimmten die Trustees ausdrücklich zu75. Van Sickle erläuterte Fehling die Entscheidung bei einem dreitägigen Besuch in Berlin im Februar 1934. Fehling war wichtig, den Anschein eines definitiven Boykotts der deutschen Wissenschaft zu vermeiden und Anträge erst nach einer „sympathetic consideration“ des Einzelfalls abzulehnen. Er hoffte auf gelegentliche Hilfen für einzelne Forscher, deren Mut, Unabhängigkeit und wissenschaftliche Kompetenz außer Zweifel ständen. Verschiedene Gesprächspartner bestätigten Van Sickle, dass Verbindungen zur ausländischen Wissenschaft einen Schutz für Wissenschaftler bedeuten konnten, da das NS-Regime unnötige Komplikationen mit dem Ausland zu vermeiden suche76. Die New Yorker Officers der sozialwissenschaftlichen Abteilung waren jedoch nicht Willens, die Bestimmungen der Trustees so großzügig auszulegen, wie es die Pariser Mitarbeiter wünschten. S. H. Walker, die für das Programm in „international relations“ zuständig war, lehnte die Förderung neuer Projekte und die Vergabe von Stipendien an Deutsche in diesem Bereich ab77. Nur im Programm zur Konjunkturforschung wurden einige „personal grants“ an deutsche Wissenschaftler bewilligt78. „I want to see a few bridges maintained“79, schrieb Van Sickle nach New York.

73 Brief von M. Mason an G. K. Strode, 18. Dezember 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 700, box 91, folder 720. 74 Ebd. 75 Vgl. ebd. 76 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum. Social Science Research in Germany – Visit of JVS to Berlin, February 25–27, 1934, o. D., in RAC-RF, RG 2 (1934–1935), Series 717, box 110, folder 845. 77 Vgl. Brief von S. H. Walker an T. B. Kittredge, Future Planning in International Relations in Germany, 17. Oktober 1935, in RAC-RF, RG 2 (1935), Series 717, box 126, folder 955. 78 Vgl. Brief von J.  Van Sickle an S.  H.  Walker, 29.  Oktober 1935, in RAC-RF, RG  2 (1935), Series 717, box 126, folder 955. 79 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 16. Februar 1934, in RAC-RF, RG 2 (1934–1935), Series 717, box 110, folder 845.

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Eine zweite folgenreiche Entscheidung der Trustees bestand im Dezember 1933 in der Einsetzung eines „Committee on Appraisal and Plan“ unter der Leitung Fosdicks, das alle RF-Programme einer kritischen Bewertung unterzog80. Ein Jahr später legte es einen Bericht vor, in dem ein „shift in emphasis“ in der sozialwissenschaftlichen Forschungsförderung gefordert wurde81. Die Gutachter waren zu dem Ergebnis gekommen, dass empirische Methoden jetzt fest in der universitären Forschungspraxis der amerikanischen Sozialwissenschaften verankert seien. Die durch die Wirtschaftskrise reduzierten Mittel der Stiftung sollten nicht mehr für ein breit angelegtes, unspezifisches Programm, sondern nur noch für die Erforschung konkreter Probleme des sozialen, politischen und wirtschaftlichen Lebens verwendet werden82. Die Trustees folgten den Vorschlägen und beendeten im Dezember 1934 das sozialwissenschaftliche Förderprogramm, wobei laufenden Projekten eine Abschlussfinanzierung gewährt wurde83. Bis April 1935 gab es in der RF keine offizielle Förderpolitik für die Sozialwissenschaften, sodass Bewilligungen auf ein Minimum reduziert wurden. Obwohl Day die Beendigung des alten Programms ablehnte84, legte seine Abteilung den Trustees im April 1935 Vorschläge für neue thematische Schwerpunkte vor, von denen „international relations“, „economic security“ und „public administration“ als Hauptbestandteile in das neue Programm aufgenommen wurden85. Alle Aktivitäten der Abteilung, einschließlich der institutionellen Förde80 Siehe den Bericht des Komitees: R. B. Fosdick, J. R. Angell, W. W. Stewart, Report of the Committee on Appraisal and Plan, Submitted at a meeting of the Trustees of the Foundation December 11, 1934, in RAC-RF, RG 3.1, Series 900, box 22, folder 170. Die Situation in Deutschland wurde nur ein Mal erwähnt: „… it would be futile for us at the present moment to attempt to carry on an extensive program in the social sciences in Germany or in any other country where the government system has clamped down so completely on the growth of free thought“. Ebd., S. 46. Vgl. Richardson, Philanthropy and the Internationality of Learning, S. 47. 81 Vgl. R. B. Fosdick, J. R. Angell, W. W. Stewart, Report of the Committee on Appraisal and Plan, Submitted at a meeting of the Trustees of the Foundation December  11, 1934, in RAC-RF, RG 3.1, Series 900, box 22, folder 170, S. 1. 82 Vgl. Social Sciences-Program and Policy. Extract from the Report of the Appraisal Committee. Presented Trustees Meeting December 11, 1934, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 13. S. 67–69. 83 1935 wurden 824.000 Dollar für den Abschluss von institutioneller Förderung, allgemeinen Forschungsprojekten und des Stipendienprogramms bereitgestellt. Vgl. Beschluss des Board of Trustees der Rockefeller Foundation, 10. April 1935, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 1. Das endgültige Auslaufen aller Bewilligungen des alten Programms war für 1940 vorgesehen. Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1935, New York, 1936, S. 194. 84 Vgl. Brief von E. E. Day an T. B. Kittredge, 17. Januar 1935, in RAC-RF, RG 3., Series 910, box 1, folder 3. 85 Die weiteren Vorschläge waren 4. „Criminology“, 5. „Housing“, und 6. „Public Finance and Taxation“, wobei die letzten beiden Themenbereiche aufgrund der finanziellen Lage zurückgestellt wurden. Vgl. New Program in the Social Sciences, Trustees Meeting, 10. April 1935, in RAC-RF,

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rung und der Vergabe von Stipendien und „grants-in-aid“, mussten von jetzt an in Verbindung mit den neuen Schwerpunkten stehen86. Der Förderschwerpunkt „international relations“ sollte zur Erforschung von Konfliktursachen und der Verbreitung sachlicher Informationen zur Verbesserung zwischenstaatlicher Beziehungen beitragen. Neben Forschungseinrichtungen wurden Organisationen, die Informationsmaterial zu internationalen Fragen verbreiteten und mit Diskussionen, Studiengruppen und Vorträgen die Öffentlichkeit sensibilisierten, unterstützt. Das Programm „economic security“ (auch „social security“) war enger gefasst als der vorherige Schwerpunkt „economic planning and control“87. Im Mittelpunkt standen Untersuchungen über konjunkturelle Schwankungen, die für Krankheit, familiäre Desintegration, Kriminalität und soziale Instabilität verantwortlich gemacht wurden88. Weiterhin sollten Studien zu Sozialversicherungen in den USA gefördert werden89. Dieser Schwerpunkt stand in enger Verbindung zur zweiten Phase der New-Deal-Gesetzgebung. 1935 war der „Social Security Act“ verabschiedet worden, in dem die amerikanische Bundesregierung erstmalig eine gesetzliche Alters- und Arbeitsunfähigkeitsrente, eine Arbeitslosen- und Unfallversicherung und Sozialhilfe für Blinde und bedürftige Kinder beschlossen hatte90. Das Programm zur öffentlichen Verwaltung sollte die Anwerbung und Ausbildung von qualifizierten Beamten in den USA fördern91. Im Jahr 1937 flossen mehr als zwei Drittel der für die Sozialwissenschaften ausgegebenen Gelder in die drei Schwerpunktprogramme92. Die Auswahl der neuen Förderschwerpunkte wurde unter anderem damit begründet, dass sie von grundlegender Bedeutung für das zeitgenössische Leben in den USA seien93. Europäische Problemstellungen wurden nicht in die Planungen einbezogen. Kittredge sah deshalb für die Umsetzung in Europa besondere Schwierigkeiten. Während „factual study“ in den USA weit vorangeschritten seien, seien in einigen

86 87 88 89 90 91 92

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RG 3, Series 910, box 2, folder 13. Vgl. E. E. Day, Memorandum on SS Statement regarding Budget for 1936, 22. November 1935, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 14, S. 1. Vgl. E. E. Day, Memorandum on SS Statement regarding Budget for 1936, 22. November 1935, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 14, S. 2. Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1935, S. 217–218, 244–246. Vgl. Fosdick, Raymond  B, President’s review for 1936, in The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1936, New York, 1937, S. 34. E.  E.  Day, Memorandum on SS Statement regarding Budget for 1936, 22.  November 1935, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 14, S. 2. Vgl. Adams, Die USA im 20. Jahrhundert, S. 65. Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1935, S. 232. Knapp 600.000 Dollar wurden für „social security“, über 500.000 Dollar für „international relations“ und 245.000 Dollar für „public administration“ ausgegeben. Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1937, New York, 1938, S. 239. Social Sciences – Program and Policy. Extract from Statement of Program. Presented at Special Trustees Conference, December 15, 1936, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 14, S. 11.

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europäischen Ländern rein theoretische Herangehensweisen noch immer vorherrschend. Die Anstrengungen des Pariser Büros hätten sich daher auf die Einführung von „realistic types of social, economic and political research“ konzentriert94. In den neuen Schwerpunktgebieten finde bisher kaum Forschung statt, sodass zuerst qualifizierte Institutionen und Forschergruppen für die Themen zu interessieren seien95. Er plädierte für eine große Autonomie des Pariser Büros bei der Umsetzung der Richtlinien96 und wurde in New York von Sydnor H. Walker unterstützt. Fosdick, der 1936 Präsident der RF wurde, entschied sich jedoch für eine konsequente Anwendung der neuen Regelungen auch in Europa97. Fehling erhielt die grundlegenden Informationen zur Neuausrichtung der Förderpolitik von Kittredge, noch bevor diese offiziell beschlossen wurde. Inwieweit die Programme auf Deutschland ausgedehnt würden, könne er noch nicht sagen, teilte der Officer Fehling mit98. Im März setzte sich Fehling während eines mehrtägigen Aufenthalts in Paris für ein weiteres Engagement der RF in Deutschland ein. Die von der RF unterstützten Arbeiten in Berlin, Kiel, Bonn und Heidelberg entwickelten sich zufriedenstellend, berichtete er, eine Zensur der Veröffentlichungen habe nicht stattgefunden. Vor allem in den Wirtschaftswissenschaften gebe es weiterhin unabhängige Forschung, die die RF in ihrem zukünftigen Programm berücksichtigen könne99. Das Ende des „general program“ und der offiziellen Beratungstätigkeit Fehlings

Nach der Verabschiedung der neuen Förderrichtlinien im April 1935 begannen die Stiftungsmitarbeiter mit der Beendigung des alten Hauptprogramms. Fehling wurde im Mai mitgeteilt, dass seine Stelle als „Fellowship Advisor“ im Dezember 1936

94 Vgl. Memorandum von T.  B.  Kittredge an S.  H.  Walker, General Policy affecting future Social Science Program in Europe, 23. Januar 1935, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 3, S. 1. 95 Vgl. Memorandum von T. B. Kittredge an J. Van Sickle und S. H. Walker, 10. März 1936, in RACRF, RG 3, Series 910, box 1, folder 3. 96 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an E. E. Day, 4. Februar 1936, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 3. 97 Vgl. Memorandum von S. H. Walker an R. B. Fosdick, o. D., Eingangsstempel vom 2. Oktober 1936, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 3. 98 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 4. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 99 Der Absatz ist allerdings mit einem handschriftlichen Fragezeichen markiert. Vgl. Brief von T. B. Kittredge an S. H. Walker, J. Van Sickle und S. May, General Situation in Germany, 13. März 1935, in RAC-RF, RG 2 (1935), Series 717, box 126, folder 955, S. 3.

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auslaufe. Für das Liquidationsjahr wurde sein Gehalt um die Hälfte gekürzt100. Besonders Van Sickle bedauerte diese Entscheidung und schrieb Fehling einen in persönlichem Ton gehaltenen Brief: „I do not intend to allow the termination of your official connection with the Foundation to affect a friendship that I particularly prize. This letter brings affectionate greetings to the whole Fehling household“101. Fehling antwortete, dass die Umstellung für ihn nicht leicht sein werde, er aber seit Längerem mit einer solchen Entscheidung habe rechnen müssen. „Es waren schöne Jahre, in denen ich viel sehen, erleben und lernen konnte, und ich werde stets mit besonderer Freude und Dankbarkeit an diese Jahre unserer Arbeitsverbundenheit zurück denken“, resümierte er und beendete den Brief mit „Auf baldiges Wiedersehen. In alter Freundschaft“102. Auch Day verabschiedete Fehling mit persönlichen Worten. „Though my own contacts have not been as close as I would have liked, I have always felt much indebted to you for the splendid advice you have given“103. In Fehlings Antwort klingt an, dass er die Arbeit für die RF seit Anfang 1933 als schwere Belastung empfunden hatte: „I would have liked better to leave after a more productive period as the last times unfortunatelly were“104. Gegenüber seinen deutschen Korrespondenzpartnern wurde Fehling deutlicher. Schmidt-Ott schrieb er, er sei sehr betrübt, „daß die recht aufreibenden Bemühungen der beiden letzten Jahre, die Zusammenarbeit mit der Foundation in alter Weise aufrechtzuerhalten, keinen besseren Erfolg hatten“105. Hans E. Friedrich, der sich mit einer Frage zum Stipendienplan an ihn gewandt hatte, teilte er mit: „Die Arbeit der letzten Jahre war aufreibend und unfruchtbar und wurde mir von drüben nicht gerade erleichtert“106. Während des Sommers 1935 hörte Fehling nur wenig von Kittredge und Van Sickle, auch die Reisetätigkeit der Amerikaner ließ nach. „Es ist eben schon Abwicklung“107, konstatierte er. Fehling kehrte ab dem 1. Januar 1937 voll zu der inzwischen „Deutsche Forschungsgemeinschaft“ genann-

100 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Appleget, 31. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. Fehling hatte in diesem Brief auf die Wechselverluste bei der Auszahlung seines Gehaltes hingewiesen, woraufhin die Stiftung eine Erhöhung unbekannter Höhe bewilligte. Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 3. August 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 101 Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 16. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 74. 102 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 31. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 103 Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 16. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 74. 104 Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 31. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 105 Brief von A. W. Fehling an F. Schmidt-Ott, 27. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 106 Brief von A. W. Fehling an H. E. Friedrich, 2. Juli 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 107 Brief von A. W. Fehling an D. Gerhard, 23. September 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43.

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ten Notgemeinschaft zurück108. Bereits Ende 1936 hatte er dort zusätzlich die Bearbeitung der Bereiche Haushalt und Finanzen übernommen109. Noch bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs setzten sich Fehling, Van Sickle und Kittredge für die punktuelle Förderung sozialwissenschaftlicher Projekte in Deutschland ein. 1936 befürwortete Kittredge eine Unterstützung Fritz Berbers im Bereich der internationalen Beziehungen: „A small measure of support from the Foundation for the efforts being made by a number of German scholars to maintain objective studies of international problems would be particularly important at the present juncture“110, schrieb er. Walker und Day blieben bei ihrer skeptischen Haltung111, Fosdick empfahl selbst bei kleinen Beihilfen und Stipendien Zurückhaltung. „Unless we are grievously misinformed in this country in regard to the situation in Germany, we would be merely throwing away our money in trying to promote at this time any kind of scientific research in the social sciences“112. Eine Behinderung der Forschung durch das NS-Regime sah er vor allem in den Sozialwissenschaften und weniger in der Medizin und den Naturwissenschaften113. Im September 1937 setzte sich Fehling in Paris für die Förderung von Arbeiten zu internationalen oder das Ausland betreffenden Fragen ein. Er dachte dabei an die Finanzierung von Auslandsreisen und die Beschaffung ausländischer Literatur. Eine Unterstützung von Seiten der RF hielt er weiterhin für intellektuell und psychologisch besonders wichtig114. Die Unterscheidung zwischen unabhängigen Individuen und staatlichen Instituten bezeichnete Fehling in ungewöhnlich offener Kritik als „unwise“ und realitätsfern. Neben den Forschungen in Kiel erwähnte er die Arbeiten in Frei-

108 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Pfister, 10. Dezember 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. Die Umbenennung erfolgte 1935. Mertens, Lothar, NS-Wissenschaftspolitik am Beispiel der DFG 1933–1937, in Geschichte und Gesellschaft 29 (2003), S. 394 (Im Folgenden zitiert als Mertens, NS-Wissenschaftspolitik). 109 Vgl. Brief von A. W. Fehling an Baumgarten, 11. Dezember 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. Fehling war in der Notgemeinschaft schon für Geographie und Geologie, Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft zuständig. Vgl. Zierold, Forschungsförderung, S. 180. 110 Brief von T.  B.  Kittredge an S.  H.  Walker, 11.  Juni 1936, in RAC-RF, RG  2 (1936–1937), Series 717, box 141, folder 1050. 111 Vgl. Brief von S. H. Walker an T. B. Kittredge, 26. Juni 1936, in RAC-RF, RG 2 (1936–1937), Series 717, box 141, folder 1050. 112 Brief von R. B. Fosdick an S. H. Walker, 25. September 1936, in RAC-RF, RG 2 (1936–1937), Series 717, box 141, folder 1050. 113 Vgl. Fosdick, Raymond B., President’s review for 1937, in The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1937, S. 14. 114 Vgl. Memorandum von T. B. Kittredge an S. H. Walker und J. Van Sickle, Support of Social Science Activities in Germany, 30. September 1937, in RAC-RF, RG 2 (1937), Series 717, box 152, folder 1128, S. 1.

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burg von Eucken, Pfister und Lutz sowie in Bonn von Spiethoff und seinen Mitarbeitern115. Kittredge meinte, die von Fehling vorgeschlagene Art von Arbeiten könnte in Deutschland „without undue embarrassment“116 unterstützt werden. Nach Besuchen in Berlin, Köln und Bonn im Dezember 1937 behauptete er trotz der zahlreichen von den Nationalsozialisten verhängten Publikationsverbote: „Apart from the antisemitic legislation, there appears to be very little difficulty in publishing results of research“117. Weder seien wissenschaftliche Bücher einer Zensur unterworfen, noch seien ihm Schwierigkeiten durch veröffentlichte Werke bekannt. Für 1938 schlug er die Bereitstellung einer begrenzten Anzahl von Beihilfen und Stipendien vor. Fosdick notierte auf dem Memorandum, er akzeptiere Kittredges Empfehlungen mit einigen Vorbehalten. „I think that TBK [Kittredge] has painted a rosier picture than the facts indicate. His own description this summer of the Kiel Institute would make impossible a grant to that institution“118. Van Sickle, der kleine Bewilligungen an deutsche Wissenschaftler befürwortete, warf Kittredge ebenfalls eine Beschönigung der Situation vor. Autoren unliebsamer Publikationen seien von der Einweisung in Konzentrationslager bedroht: „This situation must be very paralyzing to freedom of thought“119. Im Mai 1938 lehnte Fosdick jede weitere Fördertätigkeit für die deutschen Sozialwissenschaften definitiv ab120. Überhaupt zeigte sich Fosdick von den Ergebnissen sozialwissenschaftlicher Forschung enttäuscht. „It must be sadly admitted that in this whole area of activity no body of generalized knowledge and no accepted scientific principles are available such as have been developed in mathematics or physics or chemistry“121, konstatierte 115 Vgl. A. W. Fehling, Memorandum. Forschungsgemeinschaft and the Social Sciences, 28. September 1937, in RAC-RF, RG 2 (1937), Series 717, box 152, folder 1128, S. 3. 116 T. B. Kittredge, Memorandum an S. H. Walker und J. Van Sickle, Support of Social Science Activities in Germany, 30. September 1937, in RAC-RF, RG 2 (1937), Series 717, box 152, folder 1128, S. 1. 117 T. B. Kittredge, Memorandum an S. H. Walker und J. Van Sickle. Aid for German Social Science Projects, 21. Dezember 1937, in RAC-RF, RG 2 (1937), Series 717, box 152, folder 1128, S. 1. 118 Ebd., S. 1, 3. 119 J. Van Sickle, Memorandum. Comment on TBK’s memo of December 21, 1937 on the German Social Sciences, 21. Januar 1938, in RAC-RF, RG 2 (1938), Series 717, box 168, folder 1221. 120 Vgl. Brief von R. B. Fosdick an T. B. Kittredge, 13. Mai 1938, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 121 Fosdick, Raymond B., President’s review for 1938, in The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1938, New York, 1939, S.  50. Fosdick bemerkte aber auch, dass einige vielversprechende Ansätze in den Sozialwissenschaften entwickelt worden seien und die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Forschung „in a modest way […] represent genuine contributions to human welfare and knowledge“. Fosdick, Raymond B., President’s review for 1938, in The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1938, S. 52.

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er in der „President’s Review“ von 1938. Als einziges der RF-Programme wurde das sozialwissenschaftliche Förderprogramm 1938 erneut durch ein Komitee evaluiert122. Der den Trustees Ende des Jahres vorgelegte Bericht kritisierte das Programm als zu eng gefasst und zu starr interpretiert123. In den Jahren 1937 und 1938 verlor die sozialwissenschaftliche Abteilung einen Großteil ihrer Mitarbeiter. Im April 1937 verlangte Fosdick Van Sickles Kündigung124. Im März 1938 absolvierte der Stiftungsmitarbeiter seinen letzten Arbeitstag, ohne eine neue Stelle gefunden zu haben125. Day nahm 1937 die Präsidentschaft der Cornell University an. Das europäische sozialwissenschaftliche Förderprogramm wurde auf ein Minimum reduziert. Erst im Februar 1939 wurde der Wirtschaftswissenschaftler Joseph H. Willits zum neuen Direktor der sozialwissenschaftlichen Abteilung ernannt126. Willits führte die Forschungsprojekte zu internationalen Beziehungen und wirtschaftswissenschaftlichen Fragen weiter127, insgesamt hatten die Sozialwissenschaften jedoch ihre vormals bedeutende Stellung in der Rockefeller Stiftung verloren. Bei Kriegsausbruch im September 1939 wurde das Pariser Büro zunächst offen gehalten und die Mitarbeiter angewiesen, Informationen für die Entwicklung eines Programms für die Kriegs- und Nachkriegszeit zusammenzutragen. In verschiedenen von der RF unterstützten europäischen Institutionen wurden Projekte über Friedensabkommen und Wiederaufbaumaßnahmen nach Kriegsende initiiert128. Für eine Mitarbeit deutscher Wissenschaftler setzte sich jetzt selbst Kittredge nicht mehr ein: „German intellectuals in so far as they have retained their positions or influence, have been able to do so only by becoming servants of the regime“129. 1940 liefen die letzten Bewilligungen der institutionellen Förderung in Europa aus, das europäische Stipendienprogramm und die Programme zur Konjunkturfor122 Vgl. Development of the Social Science Program. Summary Statement. 30. Januar 1939, in RACRF, RG 3, Series 910, box 3, folder 16, S. 7. 123 Vgl. Report of the Trustee Committee on Social Science (Dodds, Dulles, Stewart, RBF). Presented at Board Meeting, December 7, 1938, in RAC-RF, Series 910, box 3, folder 16, S. 1. 124 Vgl. R. B. Fosdick, Diary, 30. August 1937, zitiert in Craver, Patronage and the Directions, S. 221. Da John Van Sickle Schwierigkeiten bei der Arbeitssuche hatte, wurde seine Stelle bei der Rockefeller Foundation um ein Jahr verlängert. Siehe ebd. 125 Er schrieb an seinem letzten Arbeitstag an Fehling: „One of my regrets in leaving is the realization that in doing so the real distance between us is enormously lengthened. I shall think of you and Mrs. Fehling often and always with affection“. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 31. März 1938, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 74. 126 Vgl. Craver, Patronage and the Directions, S. 221. 127 Vgl. Fosdick, Die Geschichte, S. 195. 128 Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum an S. M. Gunn. War Aims and Peace objectives, 21. Oktober 1939, in RAC-RF, RG. 6.1, Series 1.1, box 40, folder 491, S. 1. 129 T.  B.  Kittredge, Memorandum für J.  H.  Willits, German views of war and post-war problems, 21. November 1939, in RAC-RF, RG. 6.1, Series 1.1, box 40, folder 491, S. 6.

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schung waren abgeschlossen130. Mit der Ausweitung des Zweiten Weltkriegs zog sich die RF aus Europa zurück, schloss das von Paris nach La Baule und schließlich nach Lissabon verlegte europäische Büro131 und konzentrierte sich auf die Förderung der Sozialwissenschaften in den USA und anderen Regionen der Welt, vor allem in Lateinamerika132.

5.2 Die Umgehung des institutionellen Förderverbots: Die indirekte Weiterförderung deutscher Institute im nationalsozialistischen Deutschland Durch die Entscheidung der Trustees im Dezember 1933 endete die institutionelle Förderung deutscher sozialwissenschaftlicher Institute. Die Treuhänder hatten sich jedoch mit einer Unterstützung des Heidelberger Instituts für Sozial- und Staatswissenschaften, dessen Antrag auf Weiterförderung abgelehnt wurde, durch „grants-inaid“ einverstanden erklärt133. Diese Entscheidung ermöglichte eine Fortsetzung des Stiftungsengagements in Heidelberg und Kiel. Während in Heidelberg Alfred Weber als Garant für die wissenschaftliche Qualität der Arbeiten galt, waren es in Kiel die ehemaligen LSRM- und RF-Stipendiaten, die Andreas Predöhl am Weltwirtschaftsinstitut versammelte. Da die Deutsche Hochschule für Politik in Berlin in eine nationalsozialistische Propagandaeinrichtung umgewandelt wurde, kam sie für eine Förderung kaum mehr in Betracht. Für sie wurde ein Teil der alten Bewilligung in einen „liquidation grant“ umgewandelt. Jäckhs Versuche, Unterstützung für ein neues politikwissenschaftliches Institut in Berlin zu erhalten, scheiterten. War die RF bereits vor 1933 nicht immer konsequent in der Anwendung ihrer Richtlinien gewesen, verlor die Förderpolitik mit der NS-Machtübernahme weiter an Eindeutigkeit. Den Stiftungsmitarbeitern fiel es sichtlich schwer, sich von einmal in die Förderung aufgenommenen Personen zu trennen. Die Bedeutung der Einzelpersonen in den Förderentscheidungen stieg nach 1933 weiter an und führte zu problematischen Entscheidungen der Pariser Mitarbeiter. So setzte sich Kittregde

130 Vgl. Craver, Patronage and the Directions, S. 221. 131 Vgl. Fosdick, Raymond B., President’s review for 1940, in The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1940, New York, 1941, S. 7–8. 132 Vgl. Development of the Social Science Program. Summary Statement. 30. Januar 1939, in RACRF, RG 3, Series 910, box 3, folder 16, S. 10. Sydnor H. Walker hatte zuvor eine Reise durch Südamerika durchgeführt, um mögliche Tätigkeitsfelder für die sozialwissenschaftliche Abteilung der Rockefeller Foundation zu untersuchen. 133 Vgl. Brief von M.  Mason an G.  K.  Strode, 18.  Dezember 1933, in RAC-RF, RG  2 (1933), Series 700, box 91, folder 720.

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1937 und 1938 für deutsche Wissenschaftler ein, deren Engagement für das NSRegime außer Frage stand. Drei individuelle Beihilfen an Alfred Weber, Arnold Bergstraesser und Carl Brinkmann für die Beendigung des Forschungsprogramms in Heidelberg

Die fünfjährige Bewilligung des LSRM von 1928 für die Durchführung eines Forschungsprogramms zum wirtschaftlichen Schicksal Europas am Institut für Sozial- und Staatswissenschaften in Heidelberg lief bis Dezember 1933134, wobei Weber bereits Ende 1932 mitgeteilt hatte, dass er einen Antrag auf Weiterförderung plane. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme verlor das Institut mehrere seiner wichtigsten Mitarbeiter. Arthur Salz135 und Jakob Marschak136 emigrierten 1933, Heinrich Liepmann und Hans von Eckart, Leiter des „Instituts für Zeitungswesen“, wurden entlassen137. Alfred Weber versuchte im Frühjahr 1933 das Hissen der Hakenkreuzfahne vor dem Institut durch die SA zu verhindern. Die Auseinandersetzungen mit Heidelberger Nationalsozialisten führten dazu, dass er sich zu Beginn des Sommersemesters 1933 beurlauben ließ und einen Antrag auf vorzeitige Emeritierung stellte138. 134 Vgl. Brief von N. S. Thompson an A. Weber, 29. April 1931, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. 135 Arthur Salz emigrierte im September 1933 nach Cambridge, wo er eine auf neun Monate befristete Gastdozentur übernahm. Anschließend nahm er eine Professur in den USA an. Vgl. Mussgnug, Die vertriebenen Heidelberger Dozenten, S. 146. 136 Marschak hatte 1930 eine außerordentliche Assistentenstelle am InSoSta angenommen, die zum 1.  Januar 1933 in eine „ordentliche“ Assistentenstelle umgewandelt worden war. Den Abstammungsfragebogen füllte er im April 1933 nicht aus, sondern emigrierte zunächst nach Wien. Vgl. Mussgnug, Die vertriebenen Heidelberger Dozenten, S. 44. 137 Vgl. Forschungs-Programm. Mitarbeiterliste des Jahres 1932–1933, o. D., in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“. Hans von Eckardt wurde nach Auseinandersetzungen mit nationalsozialistischen Studenten aus politischen Gründen entlassen. Ihm wurde jede publizistische und politische Tätigkeit verboten. Vgl. Schultes, Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, S. 559. 138 Er lebte anschließend zurückgezogen und isoliert, wurde aber bis 1945 als „inaktiver ordentlicher Professor“ im Vorlesungsverzeichnis geführt. Vgl. Brintzinger, Klaus-Rainer, Die nationalsozialistische Gleichschaltung des InSoSta und die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät 1934– 1945, in Blomert, Reinhard (Hg.), Heidelberger Sozial- und Staatswissenschaften. Das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften zwischen 1918 und 1958, Marburg, 1997, S. 58 (Im Folgenden Brintzinger, Die nationalsozialistische Gleichschaltung). Zu Webers Protest gegen das Fahnenhissen siehe Vézina, Birgit, „Die Gleichschaltung“ der Universität Heidelberg im Zuge der nationalsozialistischen Machtergreifung (Heidelberger rechtswissenschaftliche Abhandlungen. Neue Folge  32), Heidelberg, 1982, S.  24–25 und Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S.  126, sowie die Quellen im Bundesarchiv Koblenz (BAK, NL 1197 A. Weber, Nr. 32). Während des

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Da in Heidelberg viele jüdische und republikfreundliche Wissenschaftler tätig waren, war die Zahl der Entlassungen durch das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ vom 7. April 1933 besonders hoch139. Von den im Wintersemester 1932/33 dem InSoSta angehörenden Mitarbeitern (zwei Ordinarien und sieben weitere habilitierte Wissenschaftler) waren 1936 nur noch Carl Brinkmann und der Extraordinarius Walter Waffenschmidt im Amt140. Beim Besuch John Van Sickles im Institut im Februar 1933 hofften die Institutsmitglieder auf eine Weiterförderung der Arbeiten für drei Jahre. Van Sickle prognostizierte eine Kürzung und empfahl, bei der RF einen Förderantrag über 10.000 Dollar jährlich zu stellen. In der RF begründete er die Halbierung der Förderung mit der finanziellen Lage der Stiftung und damit, dass das Programm zum Teil von Forschern ohne Verbindung zum Institut durchgeführt werde und deshalb nicht vollständig der Ausbildung der Heidelberger Nachwuchskräfte zugutekomme141. Anfang Mai fragte Van Sickle Fehling nach Personalveränderungen: „I understand that Prof. Weber is out“142. Die Stiftungsmitarbeiter wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, dass Weber, für den die Arbeit am Forschungsprogramm nach Aufgabe seiner Professur „zentral“ geworden war143, bei der badischen Regierung erreicht hatte, die Rockefeller Forschungen weiter leiten zu dürfen144. Die Institutsleitung war im April 1933 auf Carl Brinkmann übergegangen, was die Spannungen zwischen diesem und dem übergangenen Arnold Bergstraesser verschärfte. „Persönlich ist es mit Brinkmann nicht immer leicht“145, schrieb letzterer an Fehling. Ein anderes Mal teilte er ihm mit: „Der Satz im Brief van Sickles, den Sie mir mitgeteilt haben, stellt fälschlicherweise meinen Namen vor den Brinkmanns“ und bemerkte „ich bitte auf solche Dinge sehr Acht zu geben“146. Die Präferenzen Zweiten Weltkriegs stand Alfred Weber über seine Schüler Carlo Mierendorff und Theo Haubach in Verbindung mit dem „Kreisauer Kreis“ und beteiligte sich an Diskussionen zur zukünftigen Neuordnung Deutschlands. Vgl. Nutzinger, Alfred Weber als Vertreter der „inneren Emigration“, S. 542. 139 Vgl. Hagemann, Volkswirtschaftslehre, S. 45. 140 Vgl. Schultes, Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, S. 557. 141 Vgl. J.  Van Sickle, Memorandum. Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, Heidelberg, 23. Februar 1933, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. 142 Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 4. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 54. 143 Vgl. Brief von A. Bergstraesser an A. W. Fehling, 20. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 54. 144 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum, Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, Heidelberg, 12. Mai 1933, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. 145 Brief von A. Bergstraesser an A. W. Fehling, 11. August 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 54. 146 Brief von A.  Bergstraesser an A.  W.  Fehling, 20.  Mai 1933, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 54.

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der RF waren eindeutig: Während man Brinkmann wenig Vertrauen entgegenbrachte, wurde Bergstraesser in Paris hoch geschätzt. Nach einem zweiten Besuch in Heidelberg147 im Juni schrieb Van Sickle, auch Bergstraesser, der Anfang des Monats noch hoffnungsvoll gewesen sei, seiner Tätigkeit in Heidelberg weiter nachgehen zu können, sei nun voller Zweifel. „He is a marvelous fellow, popular with the students, war-wounded, lost an eye at the front, a Nationalist in a reasonable sense of the word. If such men as Bergstrasser [sic] cannot stay in Germany, then indeed the future for the social sciences is bleak“148. Im Herbst besuchte Van Sickle Heidelberg noch einmal und bat um eine Aufstellung der ausstehenden Unternehmungen mit präzisen Angaben zu Themen, Namen der beteiligten Wissenschaftler und Kosten. Er hoffte, durch diese Maßnahme politische Einflussnahme verhindern zu können149. Die Situation in Heidelberg schätze er als „[f ]rankly pessimistic“150 ein: Weber befürchte, Deutschland nach der Veröffentlichung seines nächsten Buches verlassen zu müssen, während Bergstraessers Situation sehr unsicher sei, da überraschend eine jüdische Großmutter festgestellt worden sei151. Brinkmann, der das Vertrauen der Badener Regierung habe, könne das Institut als Einziger retten, sein kürzlicher Gesinnungswandel spreche jedoch gegen ihn152.

147 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 23. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 54. 148 Auszug aus einem Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 7. Juli 1933, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. 149 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum, 2. Oktober 1933, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. 150 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 28. Oktober 1933, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. 151 Blomert bemerkt, dass es sich um einen nichtarischen Großvater handelte. In einer Anlage zum Fragebogen, den der Engere Senat der Universität Heidelberg am 3.  Juli 1933 an das Badische Kultusministerium schickte, hatte Bergstraesser handschriftlich eine Erklärung notiert, warum er die Rubrik zur Abstammung nicht ausfüllte: „da Beziehungen zu der Familie meines Großvaters mütterlicherseits nicht bestehen und ich erst im August die erforderlichen Feststellungen machen kann. Die israelitische Abstammung dieses Großvaters steht jedoch fest, es ist daher die Frage zu 4c beantwortet“. Bergstraesser scheint die falsche Darstellung, die Van Sickle erreichte, nicht berichtigt zu haben. Vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 417, Fußnote 34. Auf Seiten der RF wurde davon ausgegangen, dass Bergstraessers Großmutter ein außereheliches Kind gewesen und von einer jüdischen Familie aufgezogen worden sei. Vgl. Brief von T. B. Kittredge an J. Van Sickle, 17. November 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. 152 Zu Brinkmann notierte Van Sickle: „I do not doubt his willingness to compromise to the limit to curry favor in government quarters. If I were a Nazi, I would not trust him, and as a representative of the Rockefeller Foundation, I do not trust him. He is jealous of Weber and Bergstrasser, and would show his hand more freely if he did not realize that any Rockefeller Foundation grant depends on their staying“. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 28. Oktober 1933, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580.

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Während die Stiftungsmitglieder Brinkmann, der in den 1930er-Jahren zu einer stark nationalistischen und antiliberalen Haltung tendierte153, aber nicht der NSDAP beitrat154, als überzeugten Nationalsozialisten sahen, erschien ihnen Bergstraesser als national eingestellter, jedoch nicht nationalsozialistischer Wissenschaftler. Die Akzentverschiebungen in Bergstraessers Denken gegen Ende der Weimarer Republik wurden in der RF nicht wahrgenommen. Bergstraesser hatte spätestens seit 1930/31 auf eine autoritäre Umstrukturierung der Republik gehofft, 1932 hatte er zur Entlassung des pazifistischen jüdischen Sozialisten Emil Gumbel aus dem Universitätsdienst beigetragen155. 1933 zitierte Bergstraesser Hermann Göring als Referenz156 und veröffentlichte eine Arbeit in der nationalsozialistisch ausgerichteten Hanseatischen Verlagsanstalt157. Am InSoSta betreute er Doktorarbeiten junger Nationalsozialisten, etwa die Arbeit des bereits 1930 der NSDAP beigetretenen Franz Alfred Six zum Thema

153 Vgl. Blomert et al., Einleitung, S. 20–21. Im Nationalsozialismus arbeitete Brinkmann an sachlich gehaltenen Studien zur deutschen Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie an Arbeiten zur Raumund Weltwirtschaftslehre. Er verfasste aber auch antienglische Propagandaschriften. Vgl. Körner, Heiko, Carl Brinkmann. Eine wissenschaftsbiographische Skizze, in Blomert, Reinhard (Hg.), Heidelberger Sozial- und Staatswissenschaften. Das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften zwischen 1918 und 1958, Marburg, 1997, S. 162. 154 Vgl. Brintzinger, Die nationalsozialistische Gleichschaltung, S. 73. 155 Vgl. Schmitt, Horst, Ein „typischer Heidelberger im Guten wie im Gefährlichen“. Arnold Bergstraesser und die Ruperto Carola 1923–1936, in Blomert, Reinhard (Hg.), Heidelberger Sozialund Staatswissenschaften. Das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften zwischen 1918 und 1958, Marburg, 1997, S. 172 (Im Folgenden zitiert als Schmitt, Ein „typischer Heidelberger im Guten wie im Gefährlichen“). Gumbel waren kritische Äußerungen zum Gedenken an den Ersten Weltkrieg vorgeworfen worden. Siehe auch Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S.  122– 123. Bereits Ende der 1920er-Jahre hatte sich Bergstraesser dem rechtskonservativ-nationalistisch ausgerichteten Tat-Kreis angenähert. Vgl. Bauerkämper, Arnd, Demokratie als Verheißung oder Gefahr? Deutsche Politikwissenschaftler und amerikanische Modelle 1945 bis zur Mitte der sechziger Jahre, in Bauerkämper, Arnd; Jarausch, Konrad H.; Payk, Marcus M. (Hgg.), Demokratiewunder: transatlantische Mittler und die kulturelle Öffnung Westdeutschlands 1945–1970, Göttingen, 2005, S. 257 (Im Folgenden zitiert als Bauerkämper, Demokratie als Verheißung). Gumbel emigrierte in die USA und zeigte sich nach dem Zweiten Weltkrieg enttäuscht davon, dass die deutschen Universitäten nur in wenigen Fällen „von sich aus sämtliche Entlassungen, die unter Nazidruck erfolgt waren“ zurücknahmen. Brief von E. Gumbel an G. Radbruch, 14. März 1947, in UB Heidelberg, NL G. Radbruch, Heid. Hs. 3716 III 419–421, Blatt 3. Weber sprach sich vehement gegen eine Aufnahme Gumbels an der Heidelberger Universität aus. Vgl. A. Weber, Erklärung, 26. Juni 1956, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 1, Nr. 1/6. 156 Vgl. Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S. 133. 157 Die Hanseatische Verlagsanstalt verfolgte das Programm einer „nationalsozialistischen Wissenschaft“ und veröffentlichte nach 1933 „kaum noch ein Buch ohne antisemitische Exkurse und Anspielungen“. Lokatis, Siegfried, Hanseatische Verlagsanstalt. Politisches Buchmarketing im „Dritten Reich“, Frankfurt am Main, 1992, S. 72–73.

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„Die politische Propaganda des Nationalsozialismus“158. Reinhard Blomert betont, dass Bergstraesser sich 1934 jedoch vom Nationalsozialismus distanziert habe159. Anfang November 1933 empfahl Van Sickle für das Heidelberger Institut eine Bewilligung von 10.000 Dollar für ein Jahr. Seinen Vorgesetzten Day warnte er, dass er vielleicht zu sehr von seiner Wertschätzung für Weber und Bergstraesser beeinflusst worden sei: „If you decide to throw it out, I shall not be offended“160. Vor allem wollte er nicht, dass Brinkmann die alleinige Kontrolle über die Rockefeller Gelder erhielt161. Die New Yorker Stiftungsmitarbeiter legten den Antrag den Trustees vor, die ihn ablehnten162. Als der Bescheid am 1. Januar 1934 per Telegramm in Heidelberg eintraf163, reiste Bergstraesser zu Verhandlungen nach Paris. Die negative Entscheidung erklärte Kittredge in einem Brief an Weber mit der kritischen finanziellen Lage der Stiftung und der Unsicherheit des zukünftigen Wechselkurses des Dollars164. Die politischen Gründe verschwieg er, vermutlich um den Anschein politischer Neutralität zu wahren und eine Auseinandersetzung oder öffentliche Aufmerksamkeit in dieser Frage zu vermeiden. Bergstraesser willigte in Paris ein, einige der geplanten Arbeiten zu streichen165 und errechnete mit Kittredge einen Mindestbetrag von 24.000 RM oder 7500 Dollar für den Abschluss des Programms166. Da dies der Höchstsumme entsprach, die in Paris mit Einverständnis der New Yorker Kollegen vergeben werden konnte, plädier158 Brief des Dekans der Philosophischen Fakultät der Universität Heidelberg an den Rektor der Universität Heidelberg, 19. September 1935, in UA Heidelberg, PA 3276, A. Bergstraesser. Als Hauptamtsleiter für Aufklärung und Propaganda und Leiter der Reichsfachabteilung Zeitungswissenschaften der NS-Studentenschaft trieb Six die nationalsozialistische Umgestaltung der Universität Heidelberg voran. Vgl. Brintzinger, Die nationalsozialistische Gleichschaltung, S. 65. Siehe zu Franz Alfred Six auch die Biographie Hachmeister, Lutz, Der Gegnerforscher. Die Karriere des SS-Führers Franz Alfred Six, München, 1998. 159 Bergstraesser betreute auch die Dissertationen von jüdischen Doktoranden. Vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 313. 160 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 28. Oktober 1933, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. 161 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 6. November 1933, in RAC-LSRM, Series 3.06, box 54, folder 580. 162 Vgl. Brief von S.  H.  Walker an J.  Van Sickle, 19.  Dezember 1933, in RAC-LSRM, Series  3.06, box 54, folder 580. 163 Vgl. Telegramm von J. Van Sickle an A. Weber, 1. Januar 1934, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“. 164 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. Weber, 11. Januar 1934, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“. 165 Vgl. Aufstellung der Kontakte und Bewilligungen, Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, 21. November 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195, S. 5. 166 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an E. E. Day, 10. Januar 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195.

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ten die Pariser Officers für einen „grant“ an das InSoSta. Dies könne auch dem in Deutschland verbreiteten Eindruck entgegenwirken, die Stiftung gebe ihre Mittel nur noch für entlassene Wissenschaftler aus, meinte Kittredge167. In New York wurde der Vorschlag jedoch als Verstoß gegen das Verbot institutioneller Förderung aufgefasst. Hier sah man als einzige Fördermöglichkeit individuelle Beihilfen an die Heidelberger Sozialwissenschaftler168. Das Pariser Büro bewilligte daraufhin „grants“ von 7200 RM an Weber, 9300 RM an Bergstraesser und 8500 RM an Brinkmann für die Fertigstellung der unter ihrer Leitung begonnenen Studien169. Die Veröffentlichung der letzten Arbeiten zog sich über mehrere Jahre hin und wurde von der RF mit verschiedenen Zuschüssen unterstützt. Für die Arbeiten von Otto Pfleiderer170, Georg Hummel171 und Heinrich Liepmann172 erhielt Alfred Weber im Dezember 1934 900 RM173, im Juni 1935 2000 RM174 und im September 1936 1900 Dollar175. Die wiederholten Anträge begründete Weber auch damit, dass Brinkmann die Verantwortung für die unter seiner Leitung begonnenen Arbeiten nicht übernehme, sodass er sich um die Betreuung der wichtigsten Arbeiten selbst kümmere. Im September 1934 erhielt Weber eine Sonderbewilligung für die Veröffentlichung der ursprünglich nicht in seiner Abteilung angesiedelten Arbeit „Kapitalbildung“176 von Jacob Marschak177 und Walther Lederer, die im Verlag Junker und Dünnhaupt 167 Vgl. ebd. 168 Vgl. Brief von S. H. Walker an J. Van Sickle, 10. Januar 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. Brief von M. Mason an G. K. Strode, 18. Dezember 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 700, box 91, folder 720. 169 Vgl. Telegramm von T. B. Kittredge an A. Weber, 11. Januar 1934, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“. 170 Pfleiderer, Otto, Pfund, Yen und Dollar in der Weltwirtschaftskrise. Monetäre Konjunkturpolitik in Großbritannien, Japan und den Vereinigten Staaten, ihre volks- und weltwirtschaftliche Bedeutung, Berlin, 1937. 171 Georg Hummel beendete seine Studie nicht. Vgl. Brief von A. Weber an T. B. Kittredge, 14. Februar 1937, in UB Heidelberg, NL A. Weber, Heid. Hs. 4069, Kiste 2 4/4, Mappe „Materialien zur Robert-Schmidt-Stiftung“. 172 Liepmann, Heinrich, Tariff levels and the economic unity of Europe. An examination of tariff policy, export movements and the economic integration of Europe, 1913–1931, London, 1938. 173 Vgl. „Research Aid Grant“ an A. Weber, 17. Dezember 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. 174 Vgl. „Research Aid Grant“ an A. Weber, 14. Juni 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. 175 Vgl. „Grant-in-aid“ an A. Weber, 25. September 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. 176 Marschak, Jacob; Lederer, Walther, Kapitalbildung, London, 1936. Der theoretische Teil war von Marschak, der statistische von Lederer. 177 Jakob Marschak änderte nach 1933 die Schreibweise seines Vornamens in Jacob. Vgl. Hagemann, Harald, Jacob Marschak (1898–1977), in Blomert, Reinhard (Hg.), Heidelberger Sozial- und

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in Berlin erscheinen sollte178. Die Studie wurde schließlich in England publiziert, nachdem eine Veröffentlichung in Deutschland durch den Widerstand Brinkmanns erschwert und dann durch eine Verschärfung der antisemitischen Bestimmungen 1935 unmöglich wurde. Die RF bezahlte 750 RM für den Verlagswechsel179. Auch Heinrich Liepmanns Arbeit wurde wegen der antisemitischen Gesetzgebung in englischer Sprache in London veröffentlicht180. Brinkmann bekam im April 1935 3000 RM für die Veröffentlichung zweier unter seiner Leitung entstandener Werke181 mit dem Hinweis, dies sei die letzte Bewilligung für das Programm182. Er setzte sich bei der Stiftung für eine weitere Zusammenarbeit ein und verwies auf die jungen Kräfte und die neuen Gesichtspunkte, mit denen die begonnenen Untersuchungen zur deutschen Planwirtschaft fortgeführt werden

Staatswissenschaften. Das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften zwischen 1918 und 1958, Marburg, 1997, S. 221. 178 Im Bereich der Kapitalbildung und -bewegung galt Marschak der RF als der kompetenteste Wissenschaftler, zudem passte das Thema in das Sonderprogramm der Foundation zu „economic planning and control“. Walther Lederer war ein Neffe Emil Lederers. Vgl. „Research Aid Grant“ an A. Weber, 18. September 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. Siehe Brief von J. Van Sickle, 24. Februar 1937, und Brief von T. B. Kittredge an S. H. Walker, 21.  Dezember 1935, in RAC-RF, RG  1.1, Series  717 (Germany), box  21, folder  195. Als noch geplant war, das Werk von Marschak und Lederer in der vom InSoSta herausgegebenen Reihe zum wirtschaftlichen Schicksal Europas herauszugeben, hatte der Verleger eine Klärung beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda angestrebt. Das Ministerium meinte im März 1935, es sei nicht angebracht, die Veröffentlichung abzulehnen, auch „mit Rücksicht auf die Beziehung der Rockefeller Foundation zu diesen Arbeiten“. Brinkmann wollte allerdings vermeiden, dass sein Institut „auch heute noch in einer näheren Verbindung mit diesen Herren [Marschak und Lederer] stehe“. Das Rektorat schlug vor, dass die Studie nicht unter dem Namen des Instituts erscheine, sondern im Titel ein Hinweis auf die Rockefeller Stiftung gegeben werde. Fehling hatte sich Brinkmann gegenüber für eine Veröffentlichung der Studie in der Reihe des Instituts eingesetzt. Vgl. Brief von C. Brinkmann an den Rektor der Universität Heidelberg, 2. März 1935, in UA Heidelberg, B 66082. Brief des Rektorats an C. Brinkmann, 6. März 1935, in UA Heidelberg, B 66082. Brief von A. W. Fehling an C. Brinkmann, 6. April 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 54. 179 Die Studie wurde von William Hodge  & Co in London publiziert. Vgl. „Grant-in-aid“, an A. Weber, 25. März 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. Brief von T. B. Kittredge an A. Weber, 8. April 1936, ebd. 180 Vgl. „Grant-in-aid“ an A. Weber, 25. September 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. Die Arbeit erschien bei Allen & Unwin in London. 181 Vgl. „Research Aid Grant“ an C. Brinkmann, 29. April 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. Es handelt sich um Arbeiten von Willi Hüfner und Karl Schiller. 182 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an C. Brinkmann, 1. Mai 1935, RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195.

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könnten183. Wissenschaftliches Arbeiten sei am Heidelberger Institut nach wie vor möglich, versicherte er184. Kittredge begründete das Ende der Förderung mit der 1934 beschlossenen Umstrukturierung der sozialwissenschaftlichen Förderprogramme und fügte hinzu, über zukünftige Förderprogramme in Europa sei noch nicht entschieden worden185. Insgesamt waren in Webers Abteilung zur europäischen Problematik vier Arbeiten erschienen und in Brinkmanns zur deutschen Problematik sechs186. Bergstraessers Reihe wurde aufgrund seiner persönlichen Schwierigkeiten nicht fertiggestellt187. 1937 erhielt die RF die letzte Studie aus Webers Abteilung, das Werk „Pfund, Yen und Dollar in der Weltwirtschaftskrise“ von Otto Pfleiderer und die letzte Arbeit der von Brinkmann geleiteten Serie, ein Buch zur Wirtschaftslenkung in Australien von 183 Vgl. Brief von C. Brinkmann an T. B. Kittredge, 13. Mai 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. 184 Vgl. ebd. Brinkmann schrieb in deutscher Sprache an die RF, obwohl er als Rhodes-Stipendiat in den Vereinigten Staaten gewesen war. Vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 118. 185 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an C. Brinkmann, 16. Mai 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. 186 Bei Weber: Schlier, Otto, Aufbau der europäischen Industrie nach dem Kriege, Berlin 1932, Greiff, Walter, Der Methodenwandel der europäischen Handelspolitik während des Krisenjahres 1931, Berlin 1932, Gaedicke, Herbert; et al., Die produktionswirtschaftliche Integration Europas, Berlin 1933, und Pfleiderer, Otto, Pfund, Yen und Dollar in der Weltwirtschaftskrise, Berlin 1937, und bei Brinkmann: Falck, Ernst, Kommunale Wirtschaftspolitik, Berlin 1932, Hoffmann, Hildegard, Landwirtschaft und Industrie in Württemberg. Insbesondere im Industriegebiet der schwäbischen Alb (Zum wirtschaftlichen Schicksal Europas Teil 2, Arbeiten zur deutschen Problematik 2), Berlin, 1935, Hüfner, Willi, Wirtschaftliche Verflechtungen in Südwestdeutschland (Zum wirtschaftlichen Schicksal Europas Teil  2, Arbeiten zur deutschen Problematik  3), Berlin, 1935, Schiller, Karl, Arbeitsbeschaffung und Finanzordnung in Deutschland, Berlin, 1936, Hüfner, Willi, Die Neuordnung der deutschen Verkehrswirtschaft unter dem Einfluss der Arbeitsbeschaffungsmassnahmen (Zum wirtschaftlichen Schicksal Europas Teil 2, Arbeiten zur deutschen Problematik 5), Berlin, 1936 und Prinzing, Albert, Wirtschaftslenkung, das australische Beispiel, Berlin, 1937. Für die Arbeit von Karl Schiller findet sich im Universitätsarchiv Heidelberg ein negatives Gutachten, das H. Arnold von der Reichsstelle zur Förderung des deutschen Schrifttums für den Verleger Junker und Dünnhaupt verfasste. Er wirft K. Schiller darin mangelndes Verständnis der nationalsozialistischen Arbeitsbeschaffung vor und kritisiert, dieser habe die nationalsozialistische Literatur kaum zur Kenntnis genommen. Vgl. H. Arnold, Gutachten für Verleger, 22. September 1936 in UA Heidelberg, B-6680/2 (Institut für Sozial- und Staatswissenschaften. Allgemeines Aversum, Direktion, Schenkungen, 1930–1945). 187 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an J. Van Sickle, 20. Februar 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. Bergstraesser hatte einige fertig gestellte Publikationen nach seiner Beurlaubung in Heidelberg mit nach Bayern genommen, ohne dass es Fehling gelang, sie für die Veröffentlichung von ihm zurückzubekommen. Vgl. T.  B.  Kittredge, Memorandum, International Relations Program of Notgemeinschaft. 6. Januar 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195.

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Albert Prinzing188. Die Stiftungsmitarbeiter analysierten die beiden Arbeiten im Hinblick auf die Einhaltung wissenschaftlicher Standards. Die Studie Otto Pfleiderers „seems to maintain a high standard – as is to be expected of any study made under the supervision of Professor Weber“, urteilte Van Sickle. Bei Prinzings Arbeit „Wirtschaftslenkung – Das australische Beispiel“ sei dies nicht der Fall: In this study the author stresses throughout the influence of race and territory upon Australian developments, and every effort appears to have been taken to make the study ideologically acceptable to its German readers. Brinkmann states in his introduction that the information contained in the book reveals the gradual development of a new ‚super-parliamentary and super-bureaucratic leadership group‘. Thus Australia, according to Brinkmann, appears to be an example ‚of complete public direction of economic life which, in common with the new German economic thinking, possesses at least two essential characteristics – anti-liberalism and anti-bolshevism‘. So Australian developments are made to give aid and comfort to German policy189.

Brinkmann stellte seinen Schüler Prinzing, der seit 1933 NSDAP-Mitglied war190, nach Beendigung der Rockefeller Forschungen als ordentlichen Forschungsassistenten ein191. Der aktive NS-Studentenfunktionär wurde später Professor an der Auslandwissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin192. 1934 wurden das InSoSta mit der bis dahin selbstständigen Handelshochschule Mannheim zur Staats- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Heidelberg zusammengeschlossen193. Die wegfallenden Rockefeller Gelder wurden zum Teil durch Mittel der 1935 gegründeten Reichsarbeitsgemeinschaft für Raumforschung und der Reichsstelle für Raumordnung ersetzt194. Weber lebte zurückgezogen, berichtete Kittredge nach einem Gespräch mit ihm 1936, Heidelberg sei „still

188 Prinzing, Albert, Wirtschaftslenkung, das australische Beispiel, Berlin, 1937. 189 J. Van Sickle, Memorandum. Studies undertaken at the Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, Heidelberg, under the direction of Professors Weber and Brinkmann, 4. März 1937, in RACRF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195, S. 1–2. 190 Vgl. A.  Prinzing, Lebenslauf, in UA Heidelberg, B-6681/1 (Universität Heidelberg, Generalia, Institute, Institut für Sozial- und Staatswissenschaften. Assistentenstellen, 1930–1938). 191 Vgl. Brief von C. Brinkmann an den Dekan der Wirtschafts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Heidelberg, 18.  November 1935, in UA Heidelberg, B-6681/1 (Universität Heidelberg, Generalia, Institute, Institut für Sozial- und Staatswissenschaften. Assistentenstellen, 1930–1938). 192 Vgl. Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S. 138–139, 141. 193 Vgl. Schultes, Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, S. 557. 194 Vgl. Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S. 138, Fußnote 60.

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one of the centers of extreme Nazi agitation“195. Bergstraesser hatte 1934 überlegt, sich für ein RF-Stipendium zu bewerben196, sich aber dagegen entschieden, als in der Stiftung Bedenken aufgrund seiner unsicheren Zukunftsaussichten aufkamen197 und sich seine Lage in Heidelberg zu verbessern schien198. Im Sommersemester 1935 protestierten nationalsozialistische Studenten gegen Bergstraessers Vorlesungen, die Geheimpolizei zog nach einer Reise nach London seinen Reisepass ein199. Für das Wintersemester 1935/36 und das Sommersemester 1936 ließ Bergstraesser sich unter Fortzahlung seiner Bezüge beurlauben200, im August 1936 wurde er entlassen201. Er lebte zurückgezogen mit seiner Mutter in der Nähe von München202, bis er 1937 in die USA emigrierte203. Er nahm eine Stelle am Scripps College in Kalifornien an204, die während der ersten drei Jahre mit Geldern aus dem Hilfsprogramm für entlassene Wissenschaftler der RF bezuschusst wurde205. 195 T. B. Kittredge, Interview mit Alfred Weber, 6. August 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. 196 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an J. Van Sickle, 17. November 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. 197 Vgl. Brief von S. May an T. B. Kittredge, 8. Januar 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195, S. 1–2. 198 Vgl. Auszug aus einem Brief von T. B. Kittredge an S. May, 8. März 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. Fehling empfahl der Stiftung, ihm eine „visiting professorship“ für die USA anzubieten. Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum, International Relations Program of Notgemeinschaft, 6. Januar 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. 199 Vgl. Interview T. B. Kittredge mit Wilhelm Wolfgang Schütz, 18. September 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. Die nationalsozialistischen Fachschaften riefen im Mai/Juni 1935 zu einem Boykott der Vorlesungen Bergstraessers auf. Vgl. Schultes, Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, S. 558. Zur Londoner Rede Bergstraessers vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 315–316. 200 Vgl. Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S. 137. 201 Er wurde aufgrund des § 18 der Reichshabilitationsordnung von 1934 entlassen, der Entlassungen ermöglichte, wenn es im „Universitätsinteresse geboten“ schien. Vgl. Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S. 132. Blomert betont, das Bergstraessers Entlassung nicht durch die „rassische“ Zugehörigkeit begründet wurde, sondern aufgrund eines gezielt beschafften Gutachtens erfolgte. Vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 319–320. Ab Oktober 1936 war Bergstraesser ohne Einkommen. Vgl. Mussgnug, Die vertriebenen Heidelberger Dozenten, S. 160. 202 Vgl. T. B. Kittredge, Interview mit Alfred Weber, 6. August 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. 203 Vgl. Mussgnug, Die vertriebenen Heidelberger Dozenten, S. 160. 204 Vgl. Schmitt, Ein „typischer Heidelberger im Guten wie im Gefährlichen“, S. 174. 205 Bergstraesser erhielt ein Gehalt von 4000  Dollar im Jahr. Insgesamt übernahm die Rockefeller Stiftung den Betrag von 6000 Dollar für drei Jahre. Vgl. Brief von T. B. Kittredge an den Generalkonsul der USA, 18. Oktober 1937, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 54. Die Vermittlung der Stelle schrieb Bergstraesser vor allem Kittredge zu. Vgl. A. Bergstraesser, Interview, 1963, S. 25–26,

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Die Hoffnungen der RF, in Heidelberg ein starkes Zentrum für sozialwissenschaftliche Forschung aufzubauen, wurden durch die nationalsozialistische Machtübernahme zunichte gemacht. Das Forschungsprogramm wurde nur in Teilen zu Ende geführt und die veröffentlichten Monographien erfüllten nicht immer die erwünschten Standards. Die Machtverschiebungen im Institut und die steigenden Spannungen zwischen den Institutsmitgliedern wurden von der RF mit Sorge registriert. Die Entscheidung der Trustees, aber auch die Schwierigkeiten bei der Beendigung des 1928 begonnen Forschungsprogramms und die Verdrängung der wichtigsten Ansprechpartner, führten zu einer Situation, in der die Stiftungsmitarbeiter die Durchführung weiterer Programme in Heidelberg nicht mehr in Betracht zogen. War in Heidelberg das in Weber und Bergstraesser gesetzte Vertrauen der Hauptgrund für die Weiterförderung nach 1933 gewesen, interessierte Kiel die RF als Sammelbecken ehemaliger Stipendiaten. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel: „Grants-in-aid“ für „former fellows“

Die Universität Kiel entwickelte sich ab 1933 zu einem Vorposten der nationalsozialistischen Wissenschaftspolitik. Viele Studenten hatten sich vergleichsweise früh der nationalsozialistischen Bewegung angeschlossen. Mit der Vertreibung der jüdischen und oppositionellen Lehrkräfte verlor die Universität etwa ein Viertel ihres Lehrkörpers206. Nicht erst seit 1933 wurde die Universität als „Grenzlanduniversität“ bezeichnet, eine Idee, die sich mit den nationalsozialistischen Expansionsplänen leicht ver-

in BAK, NL 1260 A. Bergstraesser, Nr. 2 (Der Interviewer ist wohl Peter Jochen Winters für ein Portrait, das am 27. Dezember 1963 in Christ und die Welt erschienen ist). Bergstraesser wurde in den USA in Emigranten-Kreisen für sein Verhalten im Nationalsozialismus stark kritisiert. Während des Krieges wurde er zeitweilig interniert. Vgl. Schultes, Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, S. 559, Fußnote 23 und Krohn, Claus-Dieter, Der Fall Bergstraesser in Amerika, in Exilforschung 3 (1986), S. 254–276. Kittredge stellte Bergstraesser in diesem Zusammenhang im Dezember 1941 ein sehr positives Gutachten aus: „Professor Bergstraesser is one of the most distinguished German scholars in the field of the social, political and cultural history of Germany and of Europe in modern times. Although a patriotic German nationalist, he refused from the beginning to collaborate in any way with the Nazi movement“. T. B. Kittredge, Gutachten (To whom it may concern), 16. Dezember 1941, in BAK, NL 1260 A. Bergstraesser, Nr. 69. Zum Verhältnis Bergstraessers zu Weber nach dem Zweiten Weltkrieg siehe Brief von A. Bergstraesser an A. Weber, 21. April 1948, in BAK, NL 1197 A. Weber, Nr. 19. 206 Vgl. Cornelißen, Christoph, Die Universität Kiel im „Dritten Reich“, in Cornelißen, Christoph; Mish, Carsten (Hgg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus, Essen, 22010 (2009), S. 11–12.

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binden ließ207. Die NS-Machtübernahme stellte auch für Harms Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr, das 1931 und 1932 von der RF mit insgesamt 46.000 Dollar gefördert worden war, einen Wendepunkt dar208. Am 12. April 1933 drangen SA-Mitglieder und Studenten des „Kampfausschusses wider den undeutschen Geist“ in das Institut ein und vertrieben die Mitarbeiter von ihren Arbeitsplätzen. Ende des Monats wurden Gerhard Colm und Hans Neisser, letzterer hatte sich kurz zuvor für eine RF-Fellowship interessiert209, von ihren universitären Verpflichtungen entbunden. Von der NS-Gesetzgebung waren sie sowohl wegen ihrer jüdischen Herkunft wie auch als SPD-Mitglieder betroffen. Wenig später musste der ehemalige RF-Stipendiat Rudolf Freund seine Stelle aufgeben210. Von Fehling erfuhren die Stiftungsmitarbeiter, dass der Institutsleiter Bernhard Harms in Schwierigkeiten sei, nachdem er gegen die Entlassung seiner Mitarbeiter protestiert habe211. Unerwähnt blieb in der Korrespondenz zwischen Fehling, dem Pariser Büro und New York, dass Harms die NS-Machtübernahme zunächst begrüßt hatte. Im März 1933 interpretierte er diese zustimmend als „Deutsche Revolution“212, im September 207 Vgl. Meyer-Pritzl, Rudolf, Die Kieler Rechts- und Staatswissenschaften. Eine „Stoßtruppfakultät“, in Cornelißen, Christoph; Mish, Carsten (Hgg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus, Essen, 22010 (2009), S. 153 (Im Folgenden zitiert als Meyer-Pritzl, Die Kieler Rechts- und Staatswissenschaften). 208 Vgl. Bewilligung, Institute for International Economics and Maritime Trade at Kiel (31189), 28. April 1931, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180. Bewilligung, Institute for International Economics and Maritime Trade, Kiel (32254), 14. Oktober 1932, in RACRF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 180. 209 Hans Neisser hatte sich schon Anfang 1933 an die RF gewandt und um eine „Special Fellowship“ für einen sechsmonatigen Aufenthalt in England gebeten, um dort Konjunkturforschungen durchzuführen. Kittredges erster Eindruck war positiv: „we should be favorably disposed toward Dr. Neisser’s request“. Fehling bat Kittredge jedoch, die Entscheidung vorerst zu verschieben. Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 21. März 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 24. März 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. 210 Vgl. Petersen, Hans-Christian, Expertisen für die Praxis. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft 1933–1945, in Cornelißen, Christoph; Mish, Carsten (Hgg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus, Essen, 22010 (2009), S. 63 (Im Folgenden zitiert als Petersen, Expertisen für die Praxis). 211 Van Sickle hatte Fehling gebeten, so viele Informationen wie möglich zur Situation in Kiel zu einem Treffen in Paris mitzubringen. Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 14. April 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 28. April 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181, S. 1–2. Siehe auch Craver, Patronage and the Directions, S. 217. 212 B. Harms, Ansprache gehalten bei Eröffnung des Frühjahr-Lehrgangs der deutschen Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung am 26. März 1933 in Weimar, S. 4–5. Hausarchiv IWW, zitiert bei Dieckmann, Wirtschaftsforschung für den Großraum, Fußnote 44, S. 187.

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1934 schrieb er an Werner Sombart, dass es in „Krisenzeiten wie den jetzigen […] nichts anderes als konzentrierten Führerwillen“213 geben könne. Diese Einstellung hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich engagiert für den Verbleib Colms und Neissers am Institut einzusetzen. „Ich selbst stehe als ‚Judenfreund‘ einstweilen noch in der Drecklinie, doch ist es zu irgendwelchen Behelligungen nicht gekommen“, berichtete er Fehling. Die Ausschreitungen interpretierte er als „Begleiterscheinungen der Revolution, die nicht tragisch genommen werden dürfen, sofern die Hoffnung berechtigt ist, dass die zentralen Stellen sich schliesslich auch gegenüber dem Tatendrang von undisziplinierten jungen Leuten durchsetzen werden“214. Im Auftrag von Harms sollte Fehling Van Sickle bitten, sich für eine weitere Bewilligung einzusetzen215. Tatsächlich unterstützte Van Sickle das Kieler Anliegen und sah in der Weiterförderung einen Beitrag zur Bewahrung der wissenschaftlichen Freiheit in Deutschland216. Anfang Mai gestattete er Harms, ohne Rücksprache mit seinen Kollegen, in den Verhandlungen mit Regierungsstellen in Berlin die folgende Position der RF bekannt zu machen: Gäbe es keine radikalen Veränderungen im Forschungsprogramm, würde dieselbe Objektivität wie zuvor gewahrt und wäre das Personal zufriedenstellend, sei er bezüglich einer Fortführung der Nothilfe zuversichtlich217. Eine solche indirekte Zusage entsprach nicht den Gepflogenheiten der Stiftung und erklärt sich nur durch die positive Einstellung Van Sickles gegenüber dem Kieler Institut. Harms hoffte nach seinem Besuch in Berlin, Neisser, der in England arbeitete, und Colm, der Frontsoldat im Ersten Weltkrieg gewesen war, am Institut halten zu können218. Während sich Harms, Fehling und Van Sickle für eine Verlängerung der Förderung einsetzten, schlugen Emil Lederer und Jacob Marschak, die der RF über das Heidelberger Forschungsprogramm gut bekannt waren, vor, die RF-finanzierten Forschungsprogramme aus Kiel und Heidelberg nach Genf zu verlegen. In vertraulichen Gesprächen in Paris betonte Marschak, die einzigen kompetenten Wissenschaftler in den

213 Brief von B. Harms an W. Sombart, 28. September 1934, in Hausarchiv IWW, zitiert bei Dieckmann, Wirtschaftsforschung für den Großraum, Fußnote 44, S. 187–188. 214 Brief von B. Harms an A. W. Fehling, 24. April 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 55. 215 Vgl. ebd. 216 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 28. April 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181, S. 2. 217 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum. Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr, Kiel, JVS telephone conversation with Prof. Harms Paris – Kiel, 2. Mai 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 218 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum, Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr, Kiel, JVS telephone conversation with Prof. Harms Paris – Berlin, 4. Mai 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181.

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Programmen seien die nun vertriebenen Juden gewesen. Van Sickle antwortete unverbindlich, der Vorschlag wurde in der Stiftung nicht ernsthaft in Betracht gezogen219. Anfang Mai 1933 formulierte Van Sickle einen Bewilligungsentwurf für die Verlängerung der Nothilfe für das Jahr 1933/34. Die Notsituation bestehe weiter und die Forschungsarbeiten der Gruppe seien gerade in einer Zeit wichtig, in der isolationistische Tendenzen zunähmen. Zudem sollte Harms Position in Kiel nicht weiter geschwächt werden. In den Entwurf nahm er die Möglichkeit einer Zurücknahme der Zusage auf, sollten die Institutsaktivitäten dem Bewilligungsanlass nicht mehr entsprechen220. Noch bevor über die Bewilligung entschieden war, erfuhr die Rockefeller Stiftung im Juni 1933, dass Harms das Institut zum 1. Oktober des Jahres verlassen würde221. Der Institutsleiter hatte sich dem Druck der SA gebeugt und im Kultusministerium um seine Entlassung gebeten222. Sein Nachfolger wurde Jens Jessen, der seit drei Jahren NSDAP-Mitglied war223 und im Mai 1933 auf den Lehrstuhl für Volks-, Weltwirtschaftslehre und Finanzwissenschaften in Kiel berufen wurde224. Van Sickle war Jessen in Kiel bereits begegnet: „He is certainly a moderate when compared with other Nazis“. In Kiel hatte der Stiftungsmitarbeiter Artikel von Jessen gelesen, dar-

219 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum. Research at Universities of Kiel and Heidelberg, JVS conversation with Dr. J. Marschak, Paris, 3. Mai 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 220 Vgl. J. Van Sickle, Draft Docket, o. D. [Mai 1933], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181, S. 1–2. 221 Vgl. Aufstellung der Bewilligungen und Kontakte, Kiel, Institut fuer Weltwirtschaft, o. D. [1936], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182, S. 4. Harms, der 1939 starb, nutzte seine letzten Lebensjahre für verschiedene Studienreisen, von denen einige von der RF mit „special fellowships“ unterstützt wurden. 1934 reiste er u. a. nach Ägypten und Palästina, 1936 nach England und 1937 nach Kanada und in die USA. Vgl. Salin, Edgar, Bernhard Harms in memoriam, a. a. O. S. XVIII, zitiert in Zottmann, Anton, Fünfzig Jahre Institut für Weltwirtschaft an der Universität Kiel. Reden und Ansprachen anläßlich des Festaktes am 18. Februar 1964 im Stadttheater Kiel, Kiel, 1964, S. 47 (Im Folgenden zitiert als Zottmann, Fünfzig Jahre). Das Auswärtige Amt habe ihm nahegelegt, nach Palästina zu reisen und dort die Lage zu untersuchen, schrieb Harms im September 1933 an Fehling: „Im Laufe der nächsten 12 Monate sollen dorthin mit planmäßiger deutscher Hilfe 15.000 deutsche Juden angesiedelt werden. Da die englische Regierung pro Kopf 1000 £ verlangt, ist das eine ziemlich kostspielige Angelegenheit und berührt außerdem, was mit Recht als noch wichtiger  (?) angesehen wird, die Devisenlage. Eigentlich tut mir’s nachträglich leid, daß die Rockefeller Foundation statt 2500 $ nicht 3500 $ zur Verfügung gestellt hat“. Brief von B. Harms an A. W. Fehling, 29. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 55. 222 Vgl. Petersen, Expertisen für die Praxis, S. 63. 223 Vgl. Auszug aus einem Brief von J.  Van Sickle an E.  E.  Day, 7.  Juli 1933, in RAC-RF, RG  1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181, S. 1. 224 Vgl. Meyer-Pritzl, Die Kieler Rechts- und Staatswissenschaften, S. 157.

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unter seinen Beitrag „Reparationen“ zum Wörterbuch der Volkswirtschaft225, den er als „well documented […] but filled with a deep resentment that is highly natural in a patriotic German“ beurteilte. Jessen sei „a man of rather narrow sympathies, somewhat intolerant, reasonably able, and, as far as he sees the truth, absolutely honest“226. Der Direktionswechsel und die Veränderungen im Personal des Instituts führten dazu, dass die RF ihre alte Bewilligung als hinfällig ansah, dem Institut aber die Möglichkeit einer erneuten Antragstellung einräumte227. Einen detaillierten Bericht über die Situation in Kiel erhielt die Stiftung von dem schwedischen ÖkonomenEhepaar Alva und Gunnar Myrdal, die drei Wochen am Institut verbracht hatten. Sie beschrieben die Einrichtung als wichtigen Akteur in der neuen nationalsozialistischen Universitätslandschaft, doch sei es äußerst schwierig, in Kiel jemanden zu finden, der als Garant für die Freiheit von Forschung und Lehre gelten könne. Fragestellungen, Ergebnisse, Veröffentlichungen und Personalauswahl seien von politischen Faktoren beeinflusst. Die Myrdals berichteten von einer „frontal discussion“ mit Jessen, den sie als „honest but naive“ und „a man of principles, doctrinaire as to the Nazis ideas of race and nationale Gesinnung as first requirements“ beschrieben. Die Gruppe junger Nachwuchskräfte in dem von der RF geförderten Forschungsprogramm arbeite auf hohem Niveau: „[I]t is a shame if they should be deprived of all possibilities to continue scholarly work“. Einer der stärksten Gründe für weiteres Engagement in Deutschland sei die Möglichkeit, Einfluss auf die weitere akademische Entwicklung zu nehmen228. In New York entschied Day, dem Kieler Institut zwar die letzte Rate von 10.000 Dollar aus der 1931 bewilligten Zuwendung auszuzahlen, die Nothilfe von 16.000 Dollar aber nicht erneut zu gewähren. Harms wurde eine „special fellowship“ angeboten229. Wie schon in Heidelberg wurde die Ablehnung diplomatisch mit der wirtschaftlichen Situation der Stiftung begründet230. Im Februar 1934 wurde Jessen von einer weiteren Antragstellung abgeraten231. Als Kittredge das Institut im Juli 225 Jessen, Jens, Reparationen, in Elster, Ludwig (Hg.), Wörterbuch der Volkswirtschaft, Bd. 3, Jena, 4 1933, S. 35–95. 226 Auszug aus einem Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 7. Juli 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181, S. 1. 227 Vgl. ebd. 228 Alle vorhergehenden Zitate sind aus: Brief von G. und A. Myrdal an J. Van Sickle, 20. Juli 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 229 Vgl. Aufstellung der Bewilligungen und Kontakte, Kiel, Institut fuer Weltwirtschaft, o. D. [1936], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182, S. 5. 230 Vgl. Brief von J. Van Sickle an J. Jessen, 28. Juli 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 231 Vgl. Aufstellung der Bewilligungen und Kontakte, Kiel, Institut fuer Weltwirtschaft, o. D. [1936], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182, S. 5.

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besuchte, war Jessen nach Konflikten mit Parteidienststellen als Institutsdirektor entlassen und nach Marburg versetzt worden232. Aus der Presse erfuhr die RF wenig später, dass der ehemalige LSRM-Stipendiat Andreas Predöhl, zu diesem Zeitpunkt noch kein NSDAP-Mitglied233, zum „Führer“ des Instituts und „Prorektor“ der Universität Kiel ernannt worden war. Kittredge beschrieb ihn als „national in politics“ und „definitely liberal both in his general intellectual attitude and in his economic doctrines“234. Durch die Ernennung Predöhls zum Direktor verbesserten sich die Chancen auf eine Zuwendung, da die RF ihren ehemaligen Stipendiaten in der Regel großes Vertrauen entgegenbrachte. Kittredge brachte sogleich personenbezogene Bewilligungen für Predöhl, den Bibliothekar Wilhelm Gülich und eventuell für den ehemaligen Stipendiaten Rudolf Heberle ins Spiel235. Entscheidungsgrundlage für die Förderung war ein Memorandum Predöhls, der Forschungen zu quantitativen und qualitativen Veränderungen im Welthandel und zum deutschen Außenhandel plante. Leo Drescher und Hermann Bente sollten „agrarische Probleme“ untersuchen und Walter Egle „Rohstoffprobleme“ und die Frage, inwieweit die deutsche Wirtschaft von ausländischen Rohstoffen unabhängig sei. Predöhl selbst wollte Fragen zu deutschen Industrieexporten nachgehen236. Der RF galt vor allem die Beteiligung mehrerer ehemaliger Stipendiaten (Predöhl, Drescher und Egle) als Qualitätsgarantie. Zudem sei eine Zusammenarbeit mit Heberle und einem österreichischen Stipendiaten geplant, schrieb Kittredge nach New York237. Kurz darauf kam mit Gerhard Mackenroth ein weiterer Ex-Fellow nach Kiel238. Auch 232 Vgl. Zottmann, Fünfzig Jahre, S. 50. Jessen wurde im Jahr darauf nach Berlin berufen. Er hatte Kontakt mit Widerstandsbewegungen aufgenommen, war am Aufstand des 20. Juli 1944 beteiligt und wurde nach seiner Verhaftung im November 1944 hingerichtet. Siehe auch Schroeter, Klaus R., Zwischen Anpassung und Widerstand: Anmerkungen zur Kieler Soziologie im Nationalsozialismus, in Prahl, Hans-Werner (Hg.), Uni-Formierung des Geistes. Universität Kiel im Nationalsozialismus. Bd. 1, Kiel, 1995, S. 278 (Im Folgenden zitiert als Schroeter, Zwischen Anpassung und Widerstand). 233 Predöhl trat 1937 in die NSDAP ein. Er war außerdem Vertrauensmann für Dozenten im NSJuristenbund und Mitarbeiter und Referent im Arbeitskreis Volkswirtschaft der Reichsdozentenführung. Vgl. Petersen, Expertisen für die Praxis, S. 67. 234 T.  B.  Kittredge, Memorandum: University situation in Germany. Report of TBK on visit July 13/30, 1934, o. D., in RAC-RF, RG 2 (1934–1935), Series 717, box 110, folder 845, S. 3. 235 Vgl. Aufstellung der Bewilligungen und Kontakte, Kiel, Institut fuer Weltwirtschaft, o. D. [1936], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182, S. 6. 236 Vgl. A. Predöhl, Memorandum re the research activities of the Institut für Weltwirtschaft, 25. September 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 237 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an J. Van Sickle, 29. September 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 238 Mackenroth wurde auf Initiative Predöhls als außerordentlicher Professor an die Universität Kiel berufen. Vgl. Bolte, Karl Martin, Gerhard Mackenroths Wissenschaftsposition, Arbeits-

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Day war mit einer Vergabe kleinerer Beihilfen an die „former fellows associated with Predohl [sic]“ einverstanden239. Die New Yorker Officers betonten jedoch, dass das Forschungsprogramm so eng umrissen sein müsse, dass mehr als eine Verlängerung für den Abschluss der Arbeiten nicht nötig sei240. „On the whole it appears probable that the Institute at Kiel will be able to develop its research program without any interference from official quarters“241, urteilte Kittredge äußerst optimistisch. Im Dezember 1934 erhielt die Kieler Gruppe vier einjährige „research aid grants“: Je 3000 Dollar für Predöhl und Mackenroth, 2000 Dollar für Drescher und 2500 Dollar für Heberle242. Hermann Bente wurde eine „Special Fellowship“ für zwei Forschungsaufenthalte in England bewilligt243. Als Ersatz für Egle, der in den USA eine Stelle angenommen hatte244, stand in Kiel kein weiterer Ex-Fellow zur Verfügung, sodass ein fünfter „grant-in-aid“ nicht bewilligt wurde245. Der Antrag der RF bei der Reichsbank zur Freigabe von Registermark scheiterte allerdings. Anstelle von 4 Registermark konnten mit einem Dollar nur 2,3 Goldmark erworben werden246. Im März

schwerpunkte und Arbeitssituation – Informationen zur Entstehung der Bevölkerungslehre, in Schmid, Josef (Hg.), Bevölkerungswissenschaft. Die „Bevölkerungslehre“ von Gerhard Mackenroth – 30 Jahre danach, Frankfurt am Main, 1985, S. 19. Er übernahm das Extraordinariat von Jens Jessen. Für die Berufung waren seine Befürwortung des Nationalsozialismus, sein Eintritt in die NSDAP 1933 und seine fachlichen Qualifikationen entscheidend. Vgl. Henßler, Patrick, Abgrenzung, Anbiederung oder Überzeugung? Gerhard Mackenroth und die NS-Rassen- und Bevölkerungspolitik, in Mackensen, Rainer; Reulecke, Jürgen; Ehmer, Josef (Hgg.), Ursprünge, Arten und Folgen des Konstrukts „Bevölkerung“ vor, im und nach dem „Dritten Reich“: Zur Geschichte der deutschen Bevölkerungswissenschaft, Wiesbaden, 2009, S. 143, 147 (Im Folgenden zitiert als Henßler, Abgrenzung, Anbiederung). 239 Brief von J. Van Sickle an T. B. Kittredge, 15. August 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 240 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum, Institute of World Trade, Kiel, 10. Oktober 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 241 Brief von T. B. Kittredge an J. Van Sickle, 13. November 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181, S. 3. 242 Vgl. Aufstellung der Bewilligungen und Kontakte, Kiel, Institut fuer Weltwirtschaft, o. D. [1936], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182, S. 7. 243 Vgl. H. Bente, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences, Germany. 244 Vgl. Brief von A. Predöhl an T. B. Kittredge, 6. Februar 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 245 Vgl. Brief von J. Van Sickle an T. B. Kittredge, 26. Februar 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 246 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. Predöhl, 8. Februar 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. Zum Registermark-Verfahren vgl. Ebi, Michael, Export um jeden Preis: die Deutsche Exportförderung von 1932–1938, Teil 2, Wiesbaden, 2004 (zugl. Diss. Mannheim 2003), S. 40–44.

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1935 erklärte sich die Reichsbank einverstanden, die Hälfte der Beträge in Registermark auszuzahlen. Der in Kiel verfügbare Betrag stieg dadurch um 20 %247. Predöhl holte mit Harald Fick einen weiteren ehemaligen Fellow nach Kiel und berichtete der Stiftung im September 1935, er habe für diesen die Ernennung zum Professor für Finanzwissenschaft erreicht. Drescher hatte sich zwischenzeitlich habilitiert. Predöhl bat um eine Verlängerung der Beihilfen um ein Jahr für den Abschluss der Studien. Er berichtete, dass Mackenroth und Drescher zu „new forms of trade agreements now being experimented with, involving collective bargaining under government suspices for the purchase and sale of merchandise and materials abroad“ arbeiteten, während er selbst und zwei Assistenten Studien zu „transfers of industrial plants in Germany and the changes of the structure of the steel and iron industry in the principal European countries“ durchführten248. Die politischen Implikationen dieser Arbeiten erwähnte Predöhl nicht, auch die RF fragte nicht nach. Die Nationalsozialisten hatten unmittelbar nach der Machtübernahme mit einer extensiven Aufrüstungspolitik begonnen, in der der Außenhandel die benötigten Rohstoffe und Nahrungsmittel sicherzustellen hatte249. Dem amerikanischen Ideal eines freien Weltmarktes setzte das NS-Regime das Streben nach Autarkie250 und die Bilateralisierung des Handels entgegen. Seit Ende 1933/Anfang 1934 sollten Handelsverträge nach dem Prinzip bilateraler Verrechnung ohne Inanspruchnahme von Devisen abgeschlossen werden251, da die knappen Devisenreserven für den Ankauf von Rüstungsgütern benötigt wurden252. Gegenüber Fehling machte Predöhl keinen Hehl daraus, dass er bereit war, die Forschungsergebnisse des Instituts in den Dienst des NS-Regimes zu stellen: „Selbstverständlich stelle ich aber das Institut für alle grossen wissenschaftlichen Aufgaben unseres Gebietes, an denen politische oder parteipolitische Instanzen interessiert sind, zur Verfügung. Mit freundlichen Grüßen und Heil Hitler!“253 Dieses doppelte Spiel wollte man in der RF nicht sehen. Das große Vertrauen in die wissenschaftliche Redlichkeit der ehemaligen Fellows verstellte den Stiftungs247 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an J. Van Sickle, 7. März 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 248 T. B. Kittredge, Memorandum. Conversation of TBK and SHW with Professor Predöhl, 13. September 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 249 Vgl. Volkmann, Hans-Erich, Außenhandel und Aufrüstung in Deutschland, 1933–1939, in Volkmann, Hans-Erich; Chiari, Bernhard (Hgg.), Ökonomie und Expansion: Grundzüge der NSWirtschaftspolitik, München, 2003, S. 105–106 (Im Folgenden zitiert als Volkmann, Außenhandel). 250 Vgl. Hönicke, Das nationalsozialistische Deutschland, S. 66. Siehe auch Tooze, Adam, Ökonomie der Zerstörung. Die Geschichte der Wirtschaft im Nationalsozialismus, München, 2006, S. 116. 251 Vgl. Volkmann, Außenhandel, S. 111. 252 Vgl. Hönicke, Das nationalsozialistische Deutschland, S. 66. 253 Brief von A. Predöhl an A. W. Fehling, 31. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 56.

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mitgliedern, insbesondere Kittredge, den Blick auf die Annäherung Predöhls an die NS-Diktatur. 1935 stiegen in New York die Bedenken gegenüber einer Weiterförderung durch „grants-in-aid“. Walker hielt die Vergabe dieser Beihilfen, die in Wirklichkeit eine institutionelle Förderung des Instituts waren, nicht mehr für gerechtfertigt. Auch eine von den Pariser Mitarbeitern vorgeschlagene Förderung im „international relations“-Programm müsste den Trustees als „one of institutional support in Germany“ vorgelegt werden. „As far as we know the edict has not yet been lifted that the Foundation will not give support of this character in Germany“254. Als Kittredge vorschlug, der Kieler Gruppe eine Beteiligung an der „International Studies Conference“ von 1937 zu ermöglichen, wollte Walker zunächst die Entscheidungen der deutschen Regierung abwarten. „We do not believe, you see, that the German Government will have a representation at the International Studies Conference which does not reflect the official view point“255. Trotz der zunehmenden Skepsis in New York wurden die „grants-in-aid“ im Dezember 1935 verlängert: Predöhl und Mackenroth erhielten noch einmal je 3000 Dollar, Drescher und Bente je 2000 Dollar und Heberle 2500 Dollar für die Fertigstellung ihrer Forschungsarbeiten256. Ein halbes Jahr später reichte Predöhl einen Antrag über 50.000 RM ein. Er argumentierte nun, dass bei Untersuchungen ausländischer ökonomischer Probleme und internationaler Handelsbewegungen eine Gefahr politischer Einflussnahme nicht bestehe und wies darauf hin, dass die Finanzierung mit ausländischem Geld den Forschern größere wissenschaftliche Freiheit garantiere. Während von der RF getragene Untersuchungen keiner staatlichen Kontrolle unterlägen, sei bei aus deutschen Quellen finanzierten Arbeiten „some control of the formulation of the results“257 möglich. Kittredge betonte gegenüber seinen New Yorker Kollegen, dass Predöhl vorbereitende Studien für die „International Studies Conference“ 1937 zum Thema „Peaceful change“ durchführe und Studien zu Rohstoffen und „existing methods for the control of production and distribution of specific raw materials“ plane. Für die Durchführung benötige Predöhl die Hilfe der Forschungsassistenten, die in den letzten beiden Jahren aus Rockefeller Mitteln bezahlt worden seien258.

254 Brief von S.  H.  Walker an T.  B.  Kittredge, Renewal of research aid grants for former fellows, 14. Dezember 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 181. 255 Ebd. 256 Vgl. Aufstellung der Bewilligungen und Kontakte, Kiel, Institut fuer Weltwirtschaft, o. D. [1936], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182, S. 10. 257 Brief von T. B. Kittredge an S. H. Walker, Policy with regard to grants in Germany, 24. Juli 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182, S. 3. 258 Vgl. ebd., S. 2.

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In New York nutzte Kittredges Befürwortung nichts. „I cannot share Mr. Kittredge’s apparent belief that the Institute of Kiel is sufficiently free of political control to make it possible to do objective work there“259, urteilte Fosdick. Walker teilte Kittredge im Herbst 1936 mit, man habe sich gegen eine Weiterförderung des Kieler Forschungsprogramms entschieden. Es könnten nur Studien, die als Teil größerer internationaler Projekte durchgeführt würden, für eine Förderung vorgeschlagen werden260. Kittredge hielt eine Kontrolle der Kieler Studien durch die „International Studies Conference“ jedoch nicht für machbar, da Deutschland nicht mit dem Völkerbund kooperiere und auch die anderen nationalen Arbeitsgruppen ohne direkte internationale Aufsicht arbeiteten261. Walker262 und Van Sickle, der seit 1934 in New York arbeitete, sahen ohne eine Veränderung der Richtlinien durch die Trustees keine Fördermöglichkeit263. Eine Anfrage Predöhls nach weiterer Unterstützung zur Fertigstellung der Studien und zur Bearbeitung neuer Projekte264 wurde abgelehnt, wobei Kittredge dies verschleiernd mit Problemen der Stiftungsmitarbeiter bei der Ausarbeitung des kürzlich von den Treuhändern verabschiedeten neuen Förderprogramms begründete265. Auch nach diesem Beschluss endete die Förderung der Kieler Gruppe nicht vollständig. 1938 erhielt Predöhl 4500 RM für eine Untersuchung zu „exchange control measures in Germany“ im Rahmen einer deutschen Beteiligung an der „International Studies Conference“. Die Bewilligung wurde durch das „International Institute of Intellectual Cooperation“ in Paris ausgesprochen266. Noch im Juli 1939 teilte Predöhl der RF mit, er habe die Erlaubnis erhalten, an der Konferenz in Bergen teilzunehmen. Sollte er eingeladen werden, stände er als Experte zur Verfügung. Kittredge schloss aus diesen Informationen, dass die Kieler Wissenschaftler weiterhin in der Position seien, an internationalen wissenschaftlichen Unternehmungen teilzunehmen und 259 Brief von R. B. Fosdick an S. H. Walker, 25. September 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 260 Vgl. Brief von S. H. Walker an T. B. Kittredge, Policy with regard to Grants in Germany, 28. September 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 261 Vgl. Brief von T.  B.  Kittredge an S.  H.  Walker, Application from Institute für Weltwirtschaft, 6. Oktober 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 262 Vgl. Brief von S. H. Walker an T. B. Kittredge, 16. November 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 263 Vgl. Brief von J. Van Sickle an T. B. Kittredge, 11. Januar 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 264 Vgl. Briefe von T. B. Kittredge an S. H. Walker und J. Van Sickle, 21. und 28. Dezember 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 265 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. Predöhl, 25. Januar 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 266 Vgl. Brief von R. Letort an die Chase National Bank in Berlin, 23. März 1938, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182.

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setzte sich für eine weitere Förderung ein267. In einem langen Brief erläuterte er Fosdick seine Haltung im Mai 1938268. Dessen Antwort war jedoch eindeutig: „Because of political limitations, research at Kiel is not really free“269. Im Dezember 1939, knapp drei Monate nach dem deutschen Überfall auf Polen, teilte Predöhl Kittredge mit, dass die wissenschaftliche Arbeit des Instituts durch den Krieg keine Unterbrechung erfahren habe. Er und seine Mitarbeiter studierten nun die „kriegswirtschaftlichen Maßnahmen in aller Welt […], da diese für die künftigen weltwirtschaftlichen Beziehungen zweifellos eine erhebliche Bedeutung behalten werden“270. Predöhl, der sein Institut 1939 als „Träger nationalsozialistischen Kulturwillens“ bezeichnete, richtete die Institutsarbeit im Zweiten Weltkrieg auf das Konzept des „Großraums“ aus271. Mit einer Vielzahl von Gutachten arbeiteten die Institutsmitarbeiter den nationalsozialistischen Expansionsplänen zu. Für die Expertise der Kieler Wissenschaftler interessierten sich das Wehrwirtschafts- und Rüstungsamt des Oberkommandos der Wehrmacht, das in den besetzten Ländern Rohstoffe und industrielle Kapazitäten für die deutsche Kriegswirtschaft zu sichern hatte, aber auch die NSDAP-Reichspropagandaabteilung, das Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete und Privatfirmen. Das Institut war, so lautet das Urteil Hans-Christian Petersens, „ein integraler und zentraler Bestandteil des Regimes und der von ihm vollzogenen Politik“272. In der Rockefeller Förderung war das Institut sowohl das politisch exponierteste als auch das am längsten geförderte. Vor allem Kittredges Rolle erscheint als äußerst undurchsichtig: Hatte er die politischen Implikationen der Forschungen, die drastische Einschränkung der Forschungsfreiheit und die Anpassungsbereitschaft der Kieler Wissenschaftler aus blindem Vertrauen in die wissenschaftliche Exzellenz der ehemaligen Fellows wirklich nicht wahrgenommen oder verschwieg er diese seinen New Yorker Kollegen aus taktischen Gründen? Die New Yorker Kollegen waren in Bezug auf die Kieler Ex-Fellows auf dem rechten Auge weit weniger blind als die Pariser Kollegen, setzten ihre Überzeugungen aber nur zögerlich in die Praxis um. 267 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an S. May, 26. Juli 1939, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 268 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an R. B. Fosdick, 3. Mai 1938, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 269 Brief von R. B. Fosdick an T. B. Kittredge, 13. Mai 1938, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 270 Brief von A. Predöhl an T. B. Kittredge, 21. Dezember 1939, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182. 271 Die Zitate sind aus Predöhl, Andreas, Wirtschaftswissenschaften und Wirtschaftspraxis, in Festschrift für E.  Hermann, Vorsitzender des Vorstandes der Vereinigte Glanzstoff-Fabriken A.  G., Wuppertal-Elberfeld 1939, zitiert in Petersen, Expertisen für die Praxis, S. 68. 272 Petersen, Expertisen für die Praxis, S. 71–75, Zitat S. 75.

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Ein „liquidation grant“ für die gleichgeschaltete Deutsche Hochschule für Politik

Das „Executive Committee“ der RF hatte 1932 die Erlaubnis erhalten, der Deutschen Hochschule für Politik in Berlin für das Jahr 1933/34 eine Zuwendung über 30.000 Dollar zu bewilligen273. Nachdem Van Sickle die DHfP im Februar 1933 besucht hatte, befürwortete er die Weiterförderung. Jäckh hatte ihm versichert, er sei zuversichtlich, die Hochschule durch den Sturm der politischen Umwälzungen zu bringen. Arnold Wolfers, geschäftsführender Direktor der DHfP, hatte betont, dies sei der schlechteste Moment für Budgetkürzungen. Objektive Forschung zu politischen Problemen werde in universitären Kreisen zunehmend anerkannt, und die Veröffentlichungen der Schule seien exzellent, betonte Van Sickle gegenüber seinen Kollegen. Den neuen politischen Gegebenheiten habe sich Jäckh geschickt angepasst, „by going further and further to the Right in selecting his lecturers, without sacrificing the old Left element in his permanent staff. Lammars [Hans Heinrich Lammers] – Hitler’s right-hand man – now lectures at the School“. Die Bedeutung der DHfP sei durch diese Zugeständnisse an die Nationalsozialisten nicht zerstört worden, urteilte er274. In der Tat war der politische Einfluss von rechts in der DHfP in den letzten Jahren der Weimarer Republik gestiegen. Jäckh selbst vertrat seit Anfang der 1930erJahre zunehmend autoritäre Positionen275. In der 1932 eingerichteten Forschungsabteilung waren vor allem rechtskonservative und nationalsozialistische Wissenschaftler tätig. Ihr Leiter, der Völkerrechtler Fritz Berber, wurde später ein enger Berater des Außenministers Joachim von Ribbentrop276. Auf die Machtergreifung der Nationalsozialisten reagierte Ernst Jäckh mit weitgehender Anpassung. Er suggerierte eine enge Verbindung zwischen den national-sozialen Gründungsideen der Hochschule und dem Nationalsozialismus und stellte nationalsozialistische Dozenten ein. Besonders behilflich war ihm dabei der Dozent Hans Heinrich Lammers, der bereits 1932 in die NSDAP eingetreten war und im Januar 1933 Staatssekretär in der Reichskanz-

273 Der Betrag konnte um 5000 Dollar erhöht werden, sollte die Hochschule die gleiche Summe in Deutschland einwerben. Vgl. Report on the Deutsche Hochschule für Politik, o.  Verf. [ J.  Van Sickle?], 1. Februar 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 274 Brief von J. V. Sickle an E. E. Day, 22. Februar 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 275 Vgl. Eisfeld, Rainer, From the Berlin Political Studies Institute to Columbia and Yale: Ernst Jaeckh and Arnold Wolfers, in Rösch, Felix (Hg.), Émigré Scholars and the Genesis of International Relations: A European Discipline in America?, Basingstoke, New York, 2014, S. 119 (Im Folgenden zitiert als Eisfeld, From the Berlin Political Studies). 276 Vgl. Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S. 206. Siehe auch Bleek, Politische Wissenschaft(en), S. 447.

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lei wurde277. Mit den amerikanischen Geldern der Rockefeller und Carnegie Stiftungen lud Jäckh „Vertreter des italienischen Faschismus“ an die Hochschule ein, wie er Lammers stolz berichtete278. Sein Ziel sei nun, so teilte Jäckh Anfang März der RF mit, die Nationalsozialisten von der Wichtigkeit der DHfP zu überzeugen279. Trotz des opportunistischen Verhaltens Jäckhs bewilligte das „Executive Committee“ der Hochschule die in Aussicht gestellten 30.000 Dollar280. In späteren Darstellungen betonte Jäckh vor allem seinen energischen Widerstand gegen den Gleichschaltungswillen der neuen Machthaber und verschwieg seine weitgehenden Konzessionen281. Mit Verweis auf die amerikanischen Förderer und die Mitgliedschaft der DHfP in verschiedenen internationalen Vereinigungen versuchte er, die Eingliederung der Hochschule in Goebbels Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda zu verhindern. Die amerikanischen Gelder seien an die Voraussetzung „unbedingte[r] Wissenschaftlichkeit“ geknüpft, betonte er282. Auch in den Verhandlungen mit dem Innenministerium brachte Jäckh die amerikanische Förderung als ein Argument für den Erhalt der Hochschule ein283 und versprach, beim Umbau von Kuratorium und Kollegium „der politischen Situation Rechnung zu tragen“284. Er lud Hitler ein, eine Vorlesung in der Reihe „Politik in der Praxis“ zu halten285 und 277 Vgl. Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S.  221–222. Siehe auch Missiroli, Die Deutsche Hochschule für Politik, S. 44. 278 Vgl. Brief von E. Jäckh an H. H. Lammers, 12. März 1933, in BAB R 43 II-948, Fiche 1, Blatt 22 und 23. 279 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 4. März 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 280 Vgl. Bewilligung, Deutsche Hochschule für Politik (33034), 17. März 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 281 Vgl. Eisfeld, Ausgebürgert, S. 103. Siehe auch Söllner, Gruppenbild, S. 47. Vgl. Jäckh, Ernst, Der goldene Pflug. Lebensernte eines Weltbürgers, Stuttgart, 1954, S.  24 (Im Folgenden zitiert als Jäckh, Der goldene Pflug). 282 Brief von E. Jäckh an H. H. Lammers, 12. März 1933, in BAB R 43 II-948, Fiche 1, Blatt 22 und 23. In einem Aktenvermerk des Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung zur Finanzlage der DHfP heißt es: „RM 200.000.– amerikanisches Geld. Gebunden an die Personen Jaekh und Wolfers. Voraussichtlich kommt diese Summe zum Fortfall, wenn beide Personen ausscheiden. Es besteht durchaus die Möglichkeit, dass dann sich bei nicht vorsichtiger Behandlung der Angelegenheit die genannten Herren mit den amerikanischen Geldern als eingetragener Verein selbständig machen“. Aktenvermerk, Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, 19. April 1933, in BAB, 4901/1445, Blatt 394. 283 Vgl. Brief von E. Jäckh an den Reichsminister des Innern, 17. März 1933, in BAB R 43 II-948, Fiche 1, Blatt 28. Die Beträge seien zwar beschlossen, so Jäckh, kämen Ende April aber nur zur Auszahlung, wenn die DHfP im Etat des Reichsministeriums des Innern bleibe. 284 Brief von E. Jäckh an den Reichsminister des Innern, 17. März 1933, in BAB R 43 II-948, Fiche 1, Blatt 29. 285 Vgl. Brief von E. Jäckh an H. H. Lammers, 24. März 1933, in BAB R 43 II-948, Fiche 1, Blatt 36.

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behauptete in einer Rede, die von Hitler geforderte Erfassung aller „wirklich lebendigen Kräfte des Volkes“ sei in der Hochschule verwirklicht286. Am 1. April 1933 fand ein knapp einstündiges Gespräch zwischen Jäckh und Hitler statt. Van Sickle traute Jäckh durchaus zu, Hitler zu überzeugen: „[I]f we may judge by his past successes, he will win over the new Chancellor. In return, Jäckh will doubtless have to sacrifice some of his Jewish and Left teachers and considerable teaching freedom. Wolfers believes, however, that freedom of research will be maintained“287. Jäckh verfasste nach dem Gespräch einen Bericht, den er auch an die RF schickte288. Im Begleitbrief betonte er, die Unterredung sei „quite satisfactory“ verlaufen, „we do not foresee any serious trouble“289. Unerwähnt ließ Jäckh gegenüber der RF, dass der Reichskommissar Bernhard Rust in der Nacht vor dem Gespräch mit Hitler die vorübergehende Schließung der Hochschule angeordnet hatte290. Jäckh gelang es auch nicht, die Kontrolle durch das Propagandaministerium zu verhindern291. Als Goebbels entschied, die DHfP zu verstaatlichen und seinem Ministerium zu unterstellen, legte Jäckh die Präsidentschaft der Hochschule nieder292. Er schlug vor, die DHfP in eine vom Staat kontrollierte

286 E. Jäckh, Eröffnung des Lehrgangs für preussische Studienassessoren in der Deutschen Hochschule für Politik am 27. März 1933 durch ihren Präsidenten Professor Dr. Ernst Jäckh, in BAB R 43 II-948, Fiche 2, Blatt 50. 287 J. Van Sickle, Memorandum. Deutsche Hochschule für Politik, Berlin. Conversation of JVS with Dr.  Wolfers, Paris March  30, 1933, in RAC-RF, RG  1.1, Projects  717 (Germany), box  19, folder 177. 288 Vgl. Translation. Memorandum of conversation between Reichs Chancellor Adolf Hitler, and the President of the Deutsche Hochschule für Politik, in the presence of Secretary of State, Dr. Lammers, Saturday, April 1, 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178. Für die deutsche Fassung des Berichts von Jäckh siehe „Ergebnis der Besprechung zwischen dem Herrn Reichskanzler Adolf Hitler und dem Präsidenten der Deutschen Hochschule für Politik in Gegenwart des Herrn Staatssekretär Dr. Lammers, in BAB R 43 II-948, Fiche 2, Blatt 62 oder Missiroli, Die Deutsche Hochschule für Politik, S. 158–169. 289 Brief von E. Jäckh an J. Van Sickle, 7. April 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178. Zur Einordnung des Gesprächs Jäckhs mit Hitler siehe auch Rausch, Helke, Liberalismus und Nationalsozialismus bei Ernst Jäckh – liberaler Phoenix, Grenzgänger und atlantischer „Zivil-Apostel“, in Heuss-Forum, Theodor-Heuss-Kolloquium 2017, S.  6–7, online verfügbar unter www.stiftung-heuss-haus.de/heuss-forum_thk2017_rausch (zuletzt eingesehen am 12. Dezember 2018). 290 Vgl. Brief von E. Jäckh an B. Rust, 1. April 1933, in BAB, R 4901/1445. 291 Vgl. E.  Jäckh, „Ergebnis der Besprechung zwischen dem Herrn Reichskanzler Adolf Hitler und dem Präsidenten der Deutschen Hochschule für Politik in Gegenwart des Herrn Staatssekretär Dr. Lammers“, in BAB R 43 II-948, Fiche 2, Blatt 62. 292 Vgl. Brief von E. Jäckh an H. H. Lammers, 16. April 1933, in BAB R 43 II-948, Fiche 3, Blatt 91. Zu Jäckhs Rücktritt vgl. Eisfeld, Ausgebürgert, S. 103.

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Lehranstalt und ein privat finanziertes Forschungsinstitut für Weltpolitik zu spalten, für das er sich weiterhin amerikanische Förderung erhoffte293. Die Auflösung der DHfP erfolgte am 27. April 1933, wobei Jäckh zum Liquidator ernannt wurde294. Alle liberalen Angestellten wurden entlassen, erhielten aber noch ihre ausstehenden Gehälter295. Einige, wie Theodor Heuss, blieben in Deutschland, während fast die Hälfte der hauptamtlichen Mitarbeiter ins Exil gingen, darunter Hans Simons und der Inhaber des Carnegie-Lehrstuhls Hajo Holborn296. Die Akten der DHfP ließ Jäckh nach eigenen Angaben verbrennen, damit „der NaziNachfolger nicht irgendeine Korrespondenz finden könnte, mit der er irgendeinen Kollegen belasten könnte“297. Die neue Hochschule für Politik wurde als nationalsozialistische Schulungsanstalt aufgebaut und 1940 in die „Auslandswissenschaftliche Fakultät“ der Berliner Universität eingegliedert298. Neben der Liquidation der alten Hochschule versuchte Jäckh die RF für die Unterstützung des geplanten Forschungsinstituts zu gewinnen, in dem das Forschungsprogramm der alten DHfP fortgesetzt werden sollte. Das geplante Institut sollte von Jäckh als Direktor, Wolfers als stellvertretendem Direktor und Berber als Generalsekretär geleitet werden, für den Vorstand war Lammers als Vertreter Hitlers vorgesehen. Der neue Mitarbeiterstab sollte neben anderen Wolfers, Berber, Haas, Heuss, Boehm

293 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 29. April 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box  19, folder  178. In dem Schreiben, mit dem Jäckh Holborn über die Auflösung der DHfP informierte, teilte er ihm außerdem mit: „Voraussichtlich wird es gelingen, in irgendeiner organisatorischen Form die bisher von der Forschungs-Abteilung der Hochschule betriebene Forschung weiterzuführen“. Er bat um Mitteilung, ob Holborn einen Forschungsauftrag annehmen wolle. Brief von E. Jäckh an H. Holborn, 3. Mai 1933, in Archiv der Yale University, Hajo Holborn Papers, Office Files, Correspondence, Speeches, Group 579, Series I, box 1, folder 2. 294 Vgl. Brief von W. Simons an B. Rust, 28. April 1833, in BAB R 4901/1445. Siehe auch Söllner, Gruppenbild, S. 48. 295 Vgl. Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S. 223. Zur Deutschen Hochschule für Politik nach 1945 siehe Göhler, Gerhard; Buchstein, Hubertus, Die ersten fünfzehn Jahre – Von der „Deutschen Hochschule für Politik“ zum „Otto-Suhr-Institut“, in Leviathan. Zeitschrift für Sozialwissenschaft 17 (1989), S. 127–139 und Göhler, Gerhard, Die Wiederbegründung der Deutschen Hochschule für Politik. Traditionspflege oder wissenschaftlicher Neubeginn, in Göhler, Gerhard (Hg.), Kontinuitäten und Brüche in der deutschen Politikwissenschaft, Baden-Baden, 1991, S. 144–164. 296 Vgl. Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S. 224. Zur schwierigen Stellensuche Holborns in den USA vgl. Brief von H. Holborn an A. Vagts, 5. Februar 1935, in Archiv der Yale University, Hajo Holborn Papers, Office Files, Correspondence, Speeches, Group 579, Series I, box 1, folder 5. 297 Jäckh, Weltsaat. Erlebtes und Erstrebtes, S. 140–145. 298 Vgl. Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S.  223. Siehe auch Bleek, Politische Wis­sen­ schaft(en), S. 449–450, 453.

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und Jäckh umfassen299. Jäckh plante, auch den Carnegie-Lehrstuhl an das neue Institut zu verlegen. Wolfers hatte zwar entschieden, für ein Jahr an die Yale University zu gehen, doch Jäckh versicherte der RF, er würde anschließend zurückkommen. In der RF galt Wolfers als „important element in any reorganization“, da ihm der Erfolg der Forschungsabteilung der DHfP zugeschrieben wurde300. Ohne eine neue Genehmigung aus New York könnten keine Gelder ausgezahlt werden, wurde Jäckh mitgeteilt. „Needless to say Jäckh is on tenter hooks. He has had four terrible weeks and is worn out. He needs a rest but will not get it until he knows our decision, upon which the fate of the whole combination depends“, schilderte Van Sickle Day seine Eindrücke. Er empfahl, die 30.000 Dollar auszuzahlen und für 1934/35 keine Zusagen zu machen301. Im Laufe des Monats Mai rückten die Rockefeller Mitarbeiter jedoch von der Unterstützung Jäckhs ab. Am 10. Mai 1933 erfuhr die RF durch einen ihrer Stipendiaten, dass Wolfers Deutschland definitiv verlassen werde. Nur zwei Tage zuvor hatte Jäckh betont, dass in Deutschland die Freiheit der Forschung gewahrt bliebe und man auf einen günstigen Bescheid aus New York warte. Sogar den Entlassungen gewann Jäckh etwas Positives ab: „[D]ie Forschungsarbeit kann aus der jetzigen Situation nur gewinnen, die einige Herren von der bisherigen Bürde ihrer Lehrarbeit befreit“302. Van Sickle, für den der Verbleib Wolfers eine Grundvoraussetzung für die Förderung gewesen war, fühlte sich durch Jäckhs positive Darstellung der Situation hintergangen: „Jäckh makes no mention whatever of the elemination of Wolfers from the picture. This seems to me evidence of the fact that he is not being altogether frank with us“. Einen Transfer der 30.000 Dollar aus der alten Bewilligung zugunsten des neuen Instituts lehnte er nun ab303. Wolfers bestätigte Van Sickle in einem langen Telefongespräch, dass es für ihn nicht länger möglich sei, in Deutschland zu arbeiten, befürwortete aber eine Förderung der Pläne Jäckhs durch die RF. Van Sickle sprach sich in der Stiftung für weitere Nachforschungen aus304. Das „Executive Committee“ beendete die Diskussion über 299 Van Sickle notierte: „Three Jews are among them“. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 29. April 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178, S. 3. 300 Ebd., S. 4. 301 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 29. April 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178, S. 5. 302 Brief von E. Jäckh an J. Van Sickle, 8. Mai 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 303 J.  Van Sickle, Memorandum. Proposed Institute for International Relations Research. JVS conversation with W. L. Holland, Paris, May 10, 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. A. Wolfers zeigte sich gerührt über ein Geschenk und ein Abschiedsschreiben von Studierenden der DHfP. Vgl. Brief von A. Wolfers an Hedloff, 24. Juni 1933, in Archiv der Yale University, Arnold Wolfers Papers, box 1, folder 14. 304 Da die Sitzung des „Executive Committee“ am gleichen Tag stattfand, schickte er dem Brief ein Telegramm voraus. Vgl. Brief von J.  Van Sickle an E.  E.  Day, 12.  Mai 1933 (subject: Proposed

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die Unterstützung des Instituts jedoch mit dem Verweis auf die fehlende Forschungsfreiheit. Stattdessen wurden am 12. Mai 10.000 Dollar für die Abwicklung der Forschungsprogramme der alten DHfP bereitgestellt305. Die RF finanzierte damit ein Drittel des Liquidations-Fonds, aus dem die ausstehenden Gehälter und Honorare von etwa zwanzig entlassenen Mitarbeitern bezahlt wurden306. Nur wenig später, am 1. Juni 1933, hielt Jäckh in London auf der 6. „Conference of Institutions of the Scientific Study of International Relations“, einem Zusammenschluss, an dessen Entstehung die DHfP sechs Jahre zuvor führend beteiligt gewesen war, eine Ansprache. Er berichtete von der Verstaatlichung der DHfP, die er mit diesen Worten verteidigte: „That seems to be quite natural and logical and results from a new principle and practice of a state which aims at the socalled ‚totalitarian state‘“. Er sei zurückgetreten, um die neuen Beamtengesetze nicht auf Freunde und Mitarbei­ ter anwenden zu müssen: „The national socialist Government has shown full appreciation of my decision“ und habe die Liquidation „in a correct and generous spirit, to which in full fairness I would like to give the same recognition here“ erlaubt307. Zurück in Berlin, berichtete er Lammers, er habe in London „in einer so loyalen und fairen Weise“ über die Verstaatlichung der DHfP gesprochen, „dass auch Ihr Pg [Parteigenosse, NSDAP-Mitglied] Professor Hoetzsch, der die deutsche Delegation anführte, mir ausdrücklich erklärte, dass er meinen Bericht ‚ganz ausgezeichnet‘ fände“308. Der RF gegenüber betonte Jäckh seine guten Kontakte zu den nationalsozialistischen Machthabern309 und empfahl sich im Bereich der internationalen Beziehungen In­stitute for International Relations Research), in RAC-RF, RG  1.1, Projects  717 (Germany), box 19, folder 178, S. 1–2. Wolfers verteidigte das NS-Regime in der Emigration in den USA. Vgl. Eisfeld, From the Berlin Political Studies, S. 123. 305 Resolution  33162, Deutsche Hochschule für Politik, 12.  Mai 1933, in RAC-RF, RG  1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. Der Betrag entsprach 38.422 RM und sollte wie folgt ausgegeben werden: 30.490 RM für Gehälter und Honorare (Berber, Düssell, Haas, Heuss, Jäckh, Neumann, Reicholdt und Wolfers), 2700 RM für das Sekretariat, 3000 RM für „rent of research quarters“, 345 RM für „removal of research quarters“, 834 RM für Telefon, Telegramm und Porto, 790  RM für „part of professional travel“ ( Jäckh und Wolfers), 56  RM für Bankgebühren und 207 RM für Verschiedenes. Siehe „Liquidation Account of the Deutsche Hochschule für Politik“, Berlin, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178. 306 Vgl. Brief von E. Jäckh an J. Van Sickle, 21. Mai 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178. 307 Address, given by Ernst Jäckh in London, 1933, June 1, at the 6. Conference of Institutions for the Scientific Study of International Relations, in BAB, R 4901/1145, Blatt 452–453. Seine Ablehnung der Anwendung der Beamtengesetzte auf die DHfP hatte er auch in seinem „Abschiedsbrief “ an Lammers ausgedrückt. Vgl. Jäckh, Der goldene Pflug, S. 24. 308 Brief von E. Jäckh an H. H. Lammers, 8. Juni 1933, in BAB R 43 II-948, Fiche 3, Blatt 95. Dem deutschen Koordinationskomitee für die Konferenzen stand der Historiker Otto Hoetzsch vor. 309 An Van Sickle schrieb Jäckh im Juli 1933: „Wie ich Ihnen am Telefon bereits sagte, ist das gestrige Zusammensein mit den Vertretern der nationalsozialistischen Regierung sehr anregend verlaufen

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als Vermittler zwischen deutschen Wissenschaftlern und der Stiftung. Van Sickle hielt jedoch Fehling für die verlässlichere Kontaktperson. Der Stiftungsmitarbeiter gab außerdem eine Einschätzung von John Wheeler-Bennett vom Londoner Chatham House nach einem Deutschlandaufenthalt wieder: „[H]e had the impression that Jäckh was manoeuvering, or was being manoeuvered into the post of an intellectual ambassador for the new régime“. Van Sickle selbst zeigte sich ebenfalls erstaunt über die „extraordinary capacity of adaption shown by Jäckh“310. Im März 1934 lehnte die RF jede weitere Finanzierung von Jäckhs Plänen ab311. Im Juli konstatierte Kittredge: „J. [ Jäckh] occupies a curious position in the international picture. Is apparently in London most of the time; returns to Germany and apparently even attends Nazi social events“312. Jäckh emigrierte schließlich nach England, wo er für das Foreign Office arbeitete und als Direktor des New Commonwealth Institute tätig war, das mit Hilfe der RF Veranstaltungen zu internationalen Fragen veranstaltete, bis er 1940 eine von der RF geförderte Stelle an der Columbia University in New York annahm313. Unabhängig von Jäckh wurde von der neuen nationalsozialistischen Hochschule unter Fritz Berber versucht, Gelder der RF einzuwerben. Obwohl sich die Einrichtung eindeutig der NS-Propaganda verschrieben hatte und gegenüber der RF mit dem von Goebbels gezeigten Interesse an geplanten Forschungen warb, lehnte die Stiftung Unterstützung nicht von vornherein ab314. Kittredge traf sich im Dezember 1933 mit Fritz Berber und dem ehemaligen Außenminister Julius Curtius in Berlin, um sich über die Projekte informieren zu lassen. Fehling riet von einer Förderung ab, da er nicht glaubte, dass Curtius als ehemaliger Politiker der Weimarer Republik eine

dank dem allerseitigen Freimut. Ich hoffe das nächste Mal, wenn Sie hierher kommen, für Sie ähnliche Eindrücke vermitteln zu dürfen“. Brief von E. Jäckh an J. Van Sickle, 1. Juli 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178. 310 J. Van Sickle, Memorandum. Conversations of JVS with Dr. Jäckh (Berlin), Paris, July 17 and 18, 1933, 18. Juli 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178. 311 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 22. März 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178. 312 Auszug aus T. B. Kittredges Diary, 17. Juli 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178. 313 Vgl. Korenblat, Steven, A School for the Republic? Cosmopolitans and Their Enemies at the Deutsche Hochschule für Politik, 1920–1933, in Gangl, Manfred (Hg.), Das Politische. Zur Entstehung der Politikwissenschaft während der Weimarer Republik, Frankfurt am Main, 2008, S. 98–99. 314 T.  B.  Kittredge, Memorandum für J.  Van Sickle, Conversation with Dr.  Fritz Berber, Berlin, November 28, 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 93, folder 736.

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führende Rolle in einem von Nationalsozialisten gegründeten Institut innehaben könne315. In der RF entschied man sich für eine abwartende Haltung316. Im Dezember 1937 traf sich Kittredge ein weiteres Mal mit Berber. Dieser war mittlerweile Leiter des aus einer Zusammenlegung mit dem Hamburger Institut für Auswärtige Politik hervorgegangenen Instituts für Außenpolitische Forschung317. Kittredge bat Berber um eine detaillierte Schilderung seines Instituts318, woraufhin sich letzterer eine „substantial aid“ der RF für Auslandsreisen, Veröffentlichungen und die Anschaffung ausländischer Bücher erhoffte319. Trotz der eindeutig nationalsozialistischen Ausrichtung des Instituts empfahl Kittredge die Bewilligung eines „grants“. Ein kleiner Betrag in ausländischer Währung sollte den Mitarbeitern gelegentliche Reisen ins Ausland ermöglichen320. Zu einer solchen Förderung kam es nicht, doch Berber hoffte noch im August 1940, mitten im Krieg, von Kittredge eine Förderung zu erwirken321. 315 T. B. Kittredge, Memorandum, Plans for research in International Relations in Germany. Conversations of TBK with Dr. Curtius, Dr. Berber, and Dr. Fehling, Berlin, December 13, 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 93, folder 736. 316 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 19. Dezember 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 93, folder 736. 317 Vgl. Brief von F. Berber an T. B. Kittredge, 31. Dezember 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178, S. 1. 318 Vgl. Memorandum von T.  B.  Kittredge an S.  H.  Walker, 3.  Januar 1938, in RAC-RF, RG  1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178. Berber hatte das Institut von Anfang an klar nationalsozialistisch ausgerichtet. Vgl. Toppe, Andreas, Militär und Kriegsvölkerrecht: Rechtsnorm, Fachdiskurs und Kriegspraxis in Deutschland 1899–1940. Herausgegeben in Verbindung mit dem Institut für Zeitgeschichte München – Berlin, München, 2008, S. 218. 319 Vgl. Brief von F. Berber an T. B. Kittredge, 31. Dezember 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178, S. 3. 320 Vgl. Memorandum von T. B. Kittredge an S. H. Walker, 3. Januar 1938, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178. 321 Berber schrieb im August 1940 an Kittredge, er freue sich zu hören, dass das amerikanische Interesse an zukünftigen internationalen Beziehungen weiter wachse. Er führte aus: „You know that from my side there is as ever the keenest interest to cooperate on this subject. There has been as you know some difficulty, as contrary to the practice of former years and former conferences neither the Secretary nor the Rapporteur général of the International Studies conference had asked the German Studies Committee for a contribution. Meanwhile the situation in Europe has changed considerably and I am sure that even groups and persons who until now had thought that it was possible to do researchwork on the future of the international Organisation of Europe and the world with­ out Germany’s participation have learned better. The German Government has asked me lately to act as special commissioner for the International Institute of Intellectual Cooperation in Paris. I have accepted this task in the hope that a fruitful cooperation between Europe and America could still be secured whilst the continuation of the International Studies Conference without the participation of Germany is merely a onesided untertaking. I should be glad to hear from you as soon as possible what you think about these possibilities of cooperation because my further steps would

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Die Verhandlungen zwischen den Rockefeller Mitarbeitern, Jäckh und Berber zeigen, wie unklar die Förderkriterien und die Abgrenzung zu nationalsozialistischem Gedankengut im Pariser Büro waren. Die Analyse der Weiterförderung der Institute in Heidelberg und Kiel sowie die anfängliche Bereitschaft zur Unterstützung der Deutschen Hochschule für Politik verdeutlichen, wie die Pariser Mitarbeiter das im Dezember 1933 von den Trustees beschlossene institutionelle Förderverbot umgingen. Wie Sydnor H. Walker in New York richtig bemerkte, waren die wiederholten personenbezogenen Beihilfen an die Heidelberger und die Kieler Wissenschaftler nichts anderes als eine Unterstützung der zuvor begonnenen Forschungsarbeiten, nur dass das Geld nun nicht mehr dem Institut, sondern Einzelpersonen bewilligt wurde. Kittredge leitete sogar Anträge von Institutionen, die klar unter der Kontrolle des NS-Regimes standen, befürwortend nach New York weiter, wo diese jedoch keine Unterstützung fanden.

5.3 Das Hilfsprogramm der RF für „deposed scholars“ Neben der Frage der Forschungsförderung im NS-Regime, in der die Pariser Mitarbeiter zu weitgehenden Zugeständnissen bereit waren, war die Rockefeller Stiftung seit Anfang 1933 mit zahlreichen Hilfsgesuchen entlassener Wissenschaftler konfrontiert322. So bat Schumpeter um Hilfe für Jacob Marschak, der seine Heidelberger Stelle verloren hatte, und schickte Day eine Liste mit Namen entlassener Wirtschaftswissenschaftler323. „In a single morning this week, four German Jewish Social Scientists called on us to ask for help“, schrieb John Van Sickle am 1. Mai 1933 nach New York und fragte „What should be the Foundation’s policy?“324. In Deutschland wurden im Jahr 1933 1202 Hochschullehrer entlassen, darunter 107 Nationalökonomen, 77 Juristen und 30 Soziologen325. Insgesamt verloren im NS-Regime 4000 Wissen-

of course depend to some degree upon American attitudes“. Brief von F. Berber an T. B. Kittredge, 19. August 1940, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 178. 322 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 29. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. Zur Unterstützung von 26 Mitarbeitern der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft siehe Schüring, Minervas verstoßene Kinder, S. 119–129. 323 Vgl. Brief von J. Schumpeter an E. E. Day, 19. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. Zur Emigration Marschaks siehe auch Coser, Lewis, A., Refugee scholars in America. Their Impact and Their Experience, New Haven, London, 1984, S. 151–153. 324 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 1. Mai 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. 325 Vgl. Fleck, Etablierung in der Fremde, S. 39, Tabelle 1.

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schaftler ihre Stellen, 2500 von ihnen verließen Deutschland, wobei 1700 in die USA gingen326. Mit den entlassenen Wissenschaftlern wollte sich die RF zunächst nicht befassen, an die Einrichtung eines eigenen Hilfskomitees dachte man nicht327. Auch eine Änderung der Richtlinien des europäischen Stipendienprogramms, in dem von den Fellows Karriereperspektiven im eigenen Land erwartet wurden, oder die Einrichtung eines Sonderprogramms, wurden abgelehnt328. Als ein Professor aus Amsterdam nach der Einrichtung eines Hilfsprogramms der RF für emigrationswillige jüdische Wissenschaftler fragte, teilte Robert A. Lambert, Mitarbeiter des Pariser Büros, mit, die Stiftung könne keine zusätzlichen Verantwortlichkeiten übernehmen329. Auch auf der „Officer’s Conference“ in New York am 21. April 1933 überwog die Skepsis. Die Immigrationsgesetze und die finanziellen Probleme der meisten amerikanischen Universitäten, die die Wissenschaftler aufnehmen sollten, wurden als Hauptschwierigkeiten eines Hilfsprogramms angesehen. „Some opinion expressed that action would have too strong a political flavor and be resented by Germans“, notierte Alan Gregg, der diese Einschätzung allerdings nicht teilte330. Mason sprach sich dafür aus, die Frage der Emigration auf individueller Basis zu behandeln331. Eine Anfrage Alvin H. Hansons, der die RF an einem gemeinsam mit jüdischen Organisationen, philanthropischen Stiftungen und Universitäten organisierten Hilfsprogramm beteiligen wollte332, wurde ausweichend beantwortet333. Den Vorschlag Alvin Johnsons, eine „University in Exile“ einzurichten, fand Day einerseits einer wohlwollenden Betrachtung wert, andererseits drückte er die Befürchtung einer zu großen

326 Vgl. Krohn, Claus-Dieter, American Foundations and Refugee Scholars between the Two Wars, in Gemelli, Giuliana (Hg.), The „unacceptables“. American foundations and refugee scholars between the two wars and after, Brüssel, New York, 2000, S.  35 (Im Folgenden zitiert als Krohn, American Foundations and Refugee Scholars). 327 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 1. Mai 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. 328 Vgl. Brief von A. Gregg an R. A. Lambert, 18. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. 329 Vgl. Brief von R. A. Lambert an I. Snapper, 5. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. 330 „I personnally doubt if any resentment would be likely“. Auszug aus A. Greggs Diary, 21. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. 331 Vgl. Protokoll Staff Conference, 21. April 1933, in RAC-RF, RG 3, Series 904, box 4, folder 25, S. 14. 332 Vgl. Brief von A. H. Hansen an S. May, 26. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. Zu Johnsohn siehe Krohn, American Foundations and Refugee Scholars, S. 39. 333 Vgl. Handschriftliche Notiz [S. H. Walker?], in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725.

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Belastung unter den aktuellen finanziellen Umständen aus334. In der großen Anzahl der entlassenen Wissenschaftler sah er eines der Hauptprobleme335. Die Einrichtung eines „Special Research Fund for Deposed Scholars“

Während man in New York vor allem die administrativen und finanziellen Probleme eines Engagements sah, waren die Pariser Mitarbeiter direkt mit der Not der Verfolgten konfrontiert. Mit einigen der entlassenen Forschern bestanden enge Verbindungen über die vorherige Fördertätigkeit. Van Sickle schlug Day Ende April 1933 vor, junge Wissenschaftler, die sich bereits im Ausland etabliert hatten, im Stipendienprogramm zu berücksichtigen336. Nach einer Diskussion mit Lambert empfahl er, die Foundation solle auf einer „share-the-expense-basis“ zeitlich begrenzt mit Universitäten und Forschungsinstituten zusammenarbeiten, die einen entlassenen deutschen Wissenschaftler aufnehmen wollten337. Fehling, der ebenfalls um seine Meinung gebeten wurde, setzte auf eine Unterstützung in Deutschland. Er hatte jungen Juden bereits im März 1933 geraten, das Ende der Krise in Deutschland abzuwarten338 und wiederholte diese Einschätzung Ende April trotz der zwischenzeitlich erfolgten Massenentlassungen. Von der RF wünschte er die Förderung der entlassenen Forscher in Deutschland durch ihre Beteiligung an über die Notgemeinschaft koordinierten kollektiven Forschungsprogrammen. Van Sickle schrieb nach New York: Fehling thinks it would be highly useful if some way could be found to aid a few of the outstanding German Jewish scholars who have been ousted from their positions, through some local grants which would not directly involve the Foundation. He feels that such grants should only be made to men who are prepared to stick it out in Germany. He does 334 Brief von E. E. Day an J. Schumpeter, 5. Mai 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. 335 An Wesley C. Mitchell in New York schrieb er: „Frankly, I am not hopeful regarding the possibilities for effective treatment of the many distressing cases that are being reported day by day from the other side“. Brief von E. E. Day an W. C. Mitchell, 5. Mai 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. 336 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 29. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. 337 Vgl. Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 2. Mai 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. Das Prozedere könne nicht nur in Deutschland, sondern auch in Italien Anwendung finden, wo durch die aktuellen Entwicklungen ebenfalls Wissenschaftler aus den Universitäten gedrängt würden, fügte Van Sickle hinzu. 338 Vgl. Excerpt from RAL’s Diary, 2. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725.

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not approve of the exodus so early in the struggle, and he is glad to note that many of the very best men are staying to see the matter through339.

Van Sickle schloss seinen Brief mit der Bemerkung, dass die individuellen Fälle sehr deprimierend seien, doch „we should not forget, however, that during the past fifteen years the Jewish liberal element has been definitely favored in Germany, and that they have, as a result, attained to a situation which inevitably produced a reaction“340. Diese antisemitisch grundierte Einstellung steht im Kontrast zu Van Sickles Wunsch, eine Hilfsaktion für die entlassenen Forscher zu initiieren. Christian Fleck interpretiert die Bemerkung als Zeichen einer zumindest zeitweiligen Desorientierung und einer Flucht in einfache Erklärungen und vermutet, dass sie auch durch Berichte deutscher Kontaktpersonen mitbewirkt wurde341. Ob Fehling sich auf diese Weise gegenüber den RF-Mitarbeitern geäußert hat, lässt sich nicht feststellen. Bemerkungen dieser oder ähnlicher Art sucht man in seiner Korrespondenz vergeblich. Im Mai 1933 lehnten die New Yorker Officers ein „comprehensive program“ ab, baten das „Executive Committee“ aber um die Einrichtung eines Unterstützungsfonds342. 140.000 Dollar wurden in einem „Special Research Fund for Deposed Scholars“ bereitgestellt, um Institutionen in den USA und Europa bei der Aufnahme in Deutschland entlassener Wissenschaftler zu unterstützten. Die Mittel wurden nur an Institutionen, nicht an Einzelpersonen ausgezahlt, weiterhin sollte der Beitrag der RF nicht mehr als die Hälfte der benötigten Gesamtsumme343 und nicht mehr als insgesamt 6000 Dollar pro Person betragen. Die Unterstützung sollte den Zeitraum von drei Jahren nicht überschreiten, nach Ende der Förderperiode lehnte die RF jede Verantwortung für das weitere Schicksal der emigrierten Wissenschaftler ab344. Die Abteilungen der Stiftung waren für die Durchführung des Programms in den jeweiligen Disziplinen zuständig345. 339 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 29. April 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 717, box 91, folder 725. 340 Ebd. 341 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 157–158. 342 Vgl. Protokoll Staff Conference, 11. Mai 1933, in RAC-RF, RG 3, Series 904, box 4, folder 25, S. 16. 343 Der Anteil der aufnehmenden Einrichtung an den Kosten musste nicht aus dem eigenen Budget entnommen, sondern konnte auch bei anderen Hilfskomitees eingeworben werden. Vgl. T.  B.  Appleget, The Rockefeller Foundation Special Research Aid Fund for Deposed Scholars, 1933–1939, o. D., used at Trustees Meeting Dec. 6, 1939, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 2, folder  8, S.  2 und T.  B.  Appleget, Diary, 22.  Mai 1933, in RAC-RF, RG  12.1, Appleget Diary (TBA), box 14, 1933. 344 Vgl. „Officers agreements concerning aid to deposed scholars and conditions governing grants“, o. D., in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 1, folder 3. 345 Vgl. Protokoll Staff Conference, 20. Juli 1933, in RAC-RF, RG 3, Series 904, box 4, folder 25, S. 19.

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Im September 1933 wurden weitere 150.000 Dollar in den Fonds eingezahlt346. Insgesamt erhielt Days Abteilung 1933 100.000 Dollar für die Unterstützung entlassener Sozialwissenschaftler347. Bei der Umsetzung des Hilfsprogramms arbeitete die RF eng mit dem von Stephen P. Duggan organisierten „Emergency Committee in Aid of Displaced German (später: Foreign) Scholars“348 (EC) zusammen. In der Regel wurden die Universitäten durch kursierende Listen oder persönliche Kontakte auf die entlassenen Wissenschaftler aufmerksam und stellten anschließend bei der RF, dem EC oder beiden Einrichtungen einen Antrag349. In der Auswahl der zu fördernden Wissenschaftler gewann Fehling als Ansprechpartner für Evaluierungen große Bedeutung. Fehling als Ansprechpartner für die Evaluierung entlassener Wissenschaftler

Bei August Wilhelm Fehling gingen nach der NS-Machtergreifung bald Anfragen entlassener Wissenschaftler auf der Suche nach Hilfe ein. Sofern sie nicht für ein Rockefeller Stipendium in Frage kamen, verwies Fehling sie an die Hilfsorganisationen in Großbritannien, den USA und der Schweiz350. Er teilte außerdem mit, dass die RF nur in den Fällen helfen könne, in denen die Einladung einer ausländischen Universität vorläge. Dies war für viele der entlassenen Wissenschaftler eine unüberwindbare Hürde. Ab dem Sommer 1933 erhielt Fehling aus dem Pariser Büro regelmäßig Anfragen zu den wissenschaftlichen Leistungen, Sprachkenntnissen und menschlichen Qualitäten von Wissenschaftlern, für die entweder Universitäten Gelder aus dem „Special Aid Fund for Deposed Scholars“ beantragt hatten oder für die die RF einen solchen Antrag für die nähere Zukunft erwartete351. Fehling erhielt Listen mit den Namen 346 Vgl. Protokoll Staff Conference, 20. September 1933, in RAC-RF, RG 3, Series 904, box 4, folder 25, S. 21. 347 Vgl. Social Science – Program and Policy. Excerpt from Interim Report of activities of the RF. Presented at the Trustees Meeting December 13, 1933, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 12, S. 22. 348 Vgl. Loyer, Emmanuelle, La débâcle, les universitaires et la Fondation Rockefeller: France/ÉtatsUnis, 1940–1941, in Revue d’histoire moderne et contemporaine 48 (2001), S. 143 (Im Folgenden zitiert als Loyer, La débâcle). Siehe auch Fleck, Etablierung in der Fremde, S. 56 ff., 83 ff. und zur Zusammenarbeit zwischen Emergency Committee und RF, S. 176–178. Vgl. Katz, Barry, The Accumulation of Thought: Transformations of the Refugee Scholar in America, in The Journal of Modern History 63 (1991), S. 742. 349 Siehe auch Fleck, Etablierung in der Fremde, S. 108–109, 176–178. 350 Siehe die Korrespondenz in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34 und 35. 351 Vgl. Brief von S. H. Walker an T. B. Kittredge, 27. September 1934, in RAC-RF, RG 2 (1934), Series 717, box 109, folder 839.

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der Forscher352, über die möglichst detaillierte Informationen gewünscht wurden. Seine Antworten gingen an die Stiftungsmitarbeiter in Paris, die die Informationen in ihrer Korrespondenz mit New York nutzten. Die Unterlagen zeigen, dass Fehling in vielen Fällen die wichtigste, und oft auch die einzige Informationsquelle war353. Fehling empfand diese Tätigkeit als nicht unproblematisch und hatte Schwierigkeiten, die gewünschten Informationen zu den ihm oft unbekannten Forschern zusammenzutragen. „He naturally hesitates, under present circumstances, to write very much about German emigrés“, schrieb Kittredge nach New York, um die manchmal längeren Bearbeitungszeiten zu erklären. Oft müsse Fehling die Gelegenheit für „verbal inquiries“ abwarten354. Kannte Fehling die Wissenschaftler besser, waren Loyalitätskonflikte zwischen Freundschaft und Pflichtbewusstsein gegenüber der RF nicht ausgeschlossen. Als die Stiftung nach seinem Freund Goetz Briefs fragte, der seine Stelle nicht verloren hatte, sondern freiwillig ins Exil gehen wollte, zögerte Fehling die Antwort zunächst hinaus. „Fehling […] hesitated to put in writing any comments which might make it appear that he was aiding Briefs to expatriate himself “355, so Kittredge. Schließlich wies Fehling die RF auf den Umstand des freiwilligen Exils hin356. Briefs erhielt die gewünschte Rockefeller Beihilfe trotzdem357. Im Herbst 1933 versuchte Fehling seine Tätigkeit bei den offiziellen deutschen Stellen abzusichern und traf sich im Auswärtigen Amt mit Vizekonsul von Heinz und Prof. Dr. Rheindorf. Fehling stellte fest, dass es allen Anwesenden „im deutschen Interesse“ geboten schien „die Einflußmöglichkeiten dahin auszunutzen, geeigneten 352 Anfang September 1933 erhielt Fehling eine Liste mit folgenden Namen: Balogh, Elemir, Berlin; Elias, Norbert, Heidelberg; Gurvitch, Aron, Berlin; Hintze, Mme Hedwig, Berlin; Liebreich, Mme  A.; Marcuse, Alexander, Berlin; Muller, Alexander; Neumann, Fritz, Hamburg; Weiss, Dr. Ida, Frankfurt. Brief von Hawkes an A. W. Fehling, 1. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 353 Vgl. Brief von J. Van Sickle an S. H. Walker, 23. März 1934, in RAC-RF, RG 2 (1934), Series 717, box 109, folder 839. 354 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an S. H. Walker, 16. November 1934, in RAC-RF, RG 2 (1934), Series 717, box 109, folder 839. 355 Ebd. 356 Der „Special Research Aid Fund for Deposed Scholars“ war für Wissenschaftler gedacht, die in Deutschland nicht mehr arbeiten konnten. „The situation of German scholars abroad is so precarious that it would seem a mistake to encourage men of distinction to leave Germany by assuring them of salaries abroad for a period of from one to three years“, schrieb Kittredge an Van Sickle. In Fällen, in denen Hochschullehrer ihre Lehrbefugnis verloren hätten, aber weiterhin eine Pension bekämen oder private Mittel hätten, müsse die persönliche Situation besonders sorgfältig geprüft werden, bevor die Foundation zu einem Gehalt an einer ausländischen Institution beitrage. Brief von T. B. Kittredge an J. Van Sickle, 30. Januar 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 1, folder 4. 357 Vgl. Rockefeller Archive Center, Tabelle  2: Refugee Scholars Aided, 1933–1945, http://www. rockarch.org/collections/rf/refugee2.php, zuletzt eingesehen am 13. Dezember 2018.

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und zuverlässigen Persönlichkeiten zu helfen und diejenigen auszuschalten, bei denen Gefahr einer späteren antideutschen Tätigkeit besteht“358. Von Heinz erklärte sich bereit, für Fehling Auskünfte bei den Hochschulreferenten der Länder einzuholen. Tatsächlich wandte sich Fehling mit Anfragen an den Vizekonsul, er bat zum Beispiel um Beratung bei der Bewertung des Historikers Veit Valentin und von Wilhelm Friedmann, einem außerordentlichen Professor und Lektor für Italienisch an der Universität Leipzig359. Zu den von der RF aufgestellten Grundsätzen kam von deutscher Seite das Kriterium hinzu, das NS-Regime öffentlich nicht zu kritisieren. Die im Auswärtigen Amt abgestimmten Formulierungen benutzte Fehling bei seinen schriftlichen Erkundigungen, so schrieb er an den Kanzler der Universität Gießen, dass das deutsche Interesse erfordert, nur solche Persönlichkeiten von hier aus zu empfehlen, bei denen man ihrem Charakter und ihrer bisherigen Haltung nach sicher sein kann, daß sie sich im Auslande von jeder Hetze gegen Deutschland fernhalten, und es scheint wichtig, die vorhandenen Einflußmöglichkeiten auf die Besetzung der angebotenen Stellen in diesem Sinne zu nutzen360.

Die Absprachen mit dem Auswärtigen Amt waren auch ein Schutz vor Kritik an seiner Tätigkeit durch deutsche Kontaktpersonen. Als Beispiel für die Art der von Fehling formulierten Einschätzungen kann folgender Auszug aus einem vertraulichen Brief an Van Sickle vom 28. August 1933 dienen. Er zeigt auch, dass die von der RF genannten Wissenschaftler nicht immer entlassen und zur Emigration bereit waren361:

358 A. W. Fehling, Aktennotiz über eine Besprechung mit dem Auswärtigen Amt, 10. Oktober 1933 (Anwesend: Vizekonsul v. Heinz, Prof. Dr. Rheindorf, Dr. Fehling), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 359 Zu Valentin schrieb Fehling später: „The delicate question is the character, which, to put it in a nice way, combines many possibilities. It was not without his own faults that in spite of the scientific achievements which were quite conform with the previous political ideas he never succeeded to get a full professorship at a university“. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 20. November 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. Siehe auch Brief von A. W. Fehling an Vizekonsul v. Heinz, 27. Oktober 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 360 In der Anfrage ging es um den Gießener Assyriologen Julius Lewy. Brief von A. W. Fehling an R. Herzog, 27. Oktober 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 361 Siehe auch den Brief von A.  W.  Fehling an M.  Ch.  Cole, 22.  April 1934, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 39: „According to my information there is no reason to assume that Prof. Levy would have to leave his Heidelberg position. He was lecturing all the time before a crowded audience and announced his courses for the next semester in the usual way“. Die Anfrage betraf den Juristen Ernst Levy, Heidelberg.

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Prof. Eduard Norden has its old position and there is nothing known about a change. In the bulletin of Berlin University which just came out, he is announcing his lectures for the winter 1933/34. Prof. Leo Spitzer, formerly Marburg, is considered a good representative of his field, of a wide knowledge. His personal behavior was not always to everyone’s taste. Prof. Wilhelm Friedmann, Leipzig, has not the same standing. Prof. Siegfried Marck was a pupil of Prof.  Kühnemann and Prof.  Hönigswald. His name as scientist seems to be rather unknown in Germany. He was a socialist and party member […]. The scientific weight of Dr. Heichelheim seems to be very controversial. I heard and read some very favorable opinions and extremely critical ones, both by good and serious experts of the field. The judgement of the personality was more uniform, but tending to the minus side362.

Fehling formulierte auch Bewertungen zu Theodor Geiger von der Technischen Hochschule Braunschweig363 und Robert Kuczynski, für den in England eine Stelle in Aussicht stand364. Auf die Anfrage einer Bewertung von Arthur Nussbaum von der Universität Berlin365 antwortete Fehling:

362 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 28. August 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 363 „I do not know Prof. Theodor Geiger personally, but I heard very favorably comments about his research, his teaching and personality, by Dr Heberle, Kiel, and some other men of the younger group. I mentioned his name especially in regard to Dr Myrdal’s inquiry. Dr Geiger seemed to be just the right person for the task in question, as he combines sociological theory with the realistic approach and a good command of applied statistics“. Brief von A.  W.  Fehling an J.  Van Sickle, 19. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 364 „Dr.  Robert Kuczinski [sic] has […] originality. He is not an all-rounded economist, he is the specia­list of quality. […] Dr.  Kuczinski was a well-to-do man who did not care for a university career, but used his money to broaden his training and education. […] He would not be the person to lecture for exemple successfully in economic theory. He is more a man of research in a special branch, an outsider of caliber, but also with the shortcomings of a ‚free lance‘. His reputation, by the way, is much better in your country than here. There is one point that may deserve consideration as far as England would be concerned. Dr. Kuczinski has the reputation of being a socialist with a strong radical flavor. […] In making such inquiries and statements as the above ones, I realize that enormous difficulty to come to a fair judgement, all the more in cases where I do not know the men personally and where the fields are remote to my ordinary work. So I would want you to check my information by other sources“. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 25. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 365 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 18. November 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. Zum Antisemitismus an den amerikanischen Universitäten vgl. Krohn, Claus-Dieter, Wissenschaft im Exil. Deutsche Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler in den USA und die New School for Social Research, Frankfurt am Main, 1987, S. 30 (Im Folgenden zitiert als Krohn, Wissenschaft im Exil), Norwood, Stephen H., Complicity and Conflict: Columbia University’s Response to Fascism, 1933–1937, in Modern Judaism 27 (2007), S. 254.

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As to Prof. Nußbaum, there is no question in regard to his scientific standing. He is a first rate man. Also the judgements about his character are favorable. There is only one weak point, which he cannot help. Even his ‚non-arian‘ colleagues say that his appearance is ‚very jewish‘. This may be worth while to know for the decision where he best can be placed366.

Ob Fehling hier an den Antisemitismus an amerikanischen Universitäten dachte oder doch antisemitische Vorurteile durchscheinen, muss dahingestellt bleiben. Nussbaum war ab 1933 an der Columbia University tätig und erhielt Mittel aus dem RF-Fonds367. Hatten die ersten Anfragen der RF bekannten Wissenschaftlern gegolten, so standen ab Herbst 1933 auch weniger geläufige Namen auf Fehlings Listen368. In Frankfurt fragte Fehling einen Professor nach Informationen zu Ida Weiss und in Heidelberg einen anderen nach Norbert Elias, doch die Namen waren dort unbekannt. Für weitere Untersuchungen bräuchte er die entsprechenden Unterlagen der Foundation, die „personal history records“, oder zumindest die Namen der akademischen Lehrer. „Then I could ask for their reaction, omitting those who brought the cases to your attention, where an inquiry from my part would cause confusion“369. Je weniger die Wissenschaftler Fehling persönlich bekannt und je weiter ihre Spezialgebiete den ihm vertrauten Feldern entfernt waren, desto schwerer fiel ihm die Beurteilung370. Ende September 1933 schrieb er an Van Sickle: As to the rating business, my statements are based upon in almost all cases a synthesis of several, sometimes very conflicting, though expert reactions. The very unpleasant consequence is that sometimes also those will be hurt by my judgements with whom I am cooperating in this matter. Therefore, if you should communicate the contents of my let-

366 Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 20. November 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. 367 Vgl. Rockefeller Archive Center, Tabelle  2: Refugee Scholars Aided, 1933–1945, http://www. rockarch.org/collections/rf/refugee2.php, zuletzt eingesehen am 13. Dezember 2018. 368 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 7. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 369 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 7. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. In diesem Brief beantwortete Fehling auch die Anfrage nach Hedwig Hintze vom 1. September 1933: „Mrs. Hintze is a very intelligent woman, especially interested in French history and problems. Her books were rather favorably reviewed. But as she is the wife of the professor emeritus Otto Hintze, the well-known scholar of constitutional history, it can hardly be an emergency case“. 370 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 25. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36.

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ters to the agencies, please do all you can, that, outside the Foundation, my name remains out371.

Ab 1934 fragte die RF nach „A-B-C ratings“ der deutschen Wissenschaftler372. Fehling beantwortete auch diese Anfragen gewissenhaft, jedoch wie es scheint mit steigendem Unbehagen. In einigen Fällen beriet Fehling die RF bei der Besetzung freier Stellen an amerikanischen Universitäten. Im September 1933 wurden Bewerber für eine Stelle an der Yale University in „comparative government international law“ gesucht, für die Fehling drei oder vier Namen von „really distinguished men who might be available“ mit entsprechenden Sprachkenntnissen nennen sollte373. Fehling sprach mit Albrecht Mendelssohn Bartholdy, „certainly the best man available“, der jedoch zunächst seine Arbeit in Hamburg zu Ende bringen wollte. Einen wirklich passenden Kandidaten konnte Fehling nicht nennen. Er erwähnte Fritz Morstein Marx, einen ehemaligen Stipendiaten, der die geforderten Sprachkenntnisse vorweisen könne, eine breite Ausbildung habe und sich zudem erstaunlich schnell in neue Gebiete einarbeiten könne374. Fehling korrigierte außerdem eine zuvor gegebene negative Einschätzung zu Karl Löwenstein. Er habe Gutes über dessen wissenschaftliche Fähigkeiten und Charakter gehört, teilte er Van Sickle per Telegramm mit375. Karl Löwenstein begann im Januar 1934, unterstützt von der RF, als „lecturer“ an der Yale University376. Fehling empfahl auch einige ehemalige LSRM- und RF-Stipendiaten, wie den Historiker Dietrich Gerhard, „one of our best ex-fellows“, für den Fall, dass Van Sickle 371 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 29. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 372 Vgl. Brief von M. Ch. Cole an A. W. Fehling, 3. April 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 373 Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 16. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 374 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 19. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 375 Vgl. Telegramm A. W. Fehling an E. E. Day, 3. Oktober 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. Zuvor hatte Fehling über Löwenstein berichtet, dass Mendelssohn Bartholdy ihn nicht als besonders fähig einschätze. Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 7. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. Walker schrieb daraufhin an Van Sickle: „We were sorry to have a certain amount of confusion in our action regarding Yale’s request for Karl Loewenstein. I judge that you have received a copy of the cable which Dr. Fehling sent us reversing the earlier opin­ ion that Loewenstein was not eligible according to our standards. The question of his eligibility was apparently not very thoroughly canvassed in the first instance“. Brief von S. H. Walker an J. Van Sickle, 23. September 1933, in RAC-RF, RG 2 (1933), Series 700, box 91, folder 721. 376 Vgl. Rockefeller Archive Center, Tabelle  2: Refugee Scholars Aided, 1933–1945, http://www. rockarch.org/collections/rf/refugee2.php, zuletzt eingesehen am 13. Dezember 2018.

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von einer passenden Stelle höre. Fehling fügte hinzu: „It is one of the cases where a person though of full Jewish origin, has no inner connection with his race“377. Als Hajo Holborn, der ehemalige Inhaber des Carnegie Lehrstuhls an der Deutschen Hochschule für Politik, sich im Februar 1934 aus London an Fehling wandte und ihn um Hilfe bei der Suche nach einer Stelle in den USA bat, konnte er allerdings nicht mehr für ihn tun, als ihn bei Sydnor H. Walker in New York anzumelden378. Das „Emergency Program“ von 1934 bis zum Zweiten Weltkrieg und die Rettungsprogramme 1940

Nachdem die RF sich im Mai 1933 für ein eigenes Hilfsprogramm entschieden hatte, wurde die Beteiligung an anderen internationalen Hilfsaktionen, wie etwa dem im Juni 1933 in London gegründeten Academic Assistance Council379, abgelehnt380. Mehrmals hofften die Rockefeller Officers, das Hilfsprogramm beenden zu können. Im Februar 1934 wurde beschlossen, die Gelder für einen Abschluss des Programms zu nutzen. Day merkte jedoch für die Sozialwissenschaften an, „that there are now being deposed men as good and better than those who have been cared for so that it is impossible to feel that anything has been completed“381. Die große Zahl entlassener und um Hilfe bittender Forscher sank auch in den anderen Abteilungen nicht, da das NS-Regime weitere Hochschullehrer aus den Universitäten drängte. Im November 1935 wurden Juden von der Reichsbürgerschaft ausgeschlossen, jüdische Beamte hatten zum Ende des Jahres in den Ruhestand zu treten. Im Dezember desselben Jahres legte eine Verordnung fest, dass bisher nicht entlassene jüdische Honorarprofessoren, außerordentliche Professoren und Privatdozenten ihre Lehrbefugnis verlo-

377 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 10. Oktober 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 378 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Holborn, 8. Februar 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 38. Holborn, zuvor Inhaber des Carnegie Lehrstuhls an der DHfP, hatte den Eindruck, dass seine Sache in den USA bisher „mehr gute Worte als Förderung erfahren“ habe. „Shotwell scheint sich zwar zu interessieren und vielleicht sogar tätig zu sein, eine Universitätslösung dort zu finden, aber ich habe den Eindruck, dass es an sich ein grosser Nachteil ist, dass ich die amerikanischen Leiter der Carnegie-Stiftung nicht persönlich kenne und dass diese überdies durch ihre finanzielle Situation ein einigermassen unsicherer Faktor für mich geworden ist“. Er wolle daher in die USA fahren und sich dort selbst nach einer Stelle umsehen. Brief von H. Holborn an A. W. Fehling, 3. Februar 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 38. 379 Vgl. Krohn, Wissenschaft im Exil, S. 28. 380 Vgl. Protokoll Staff Conference, 5. Januar 1934, in RAC-RF, RG 3, Series 904, box 4, folder 26, S. 2. Siehe zu den Initiativen Beveridges Fleck, Etablierung in der Fremde, S. 27 ff. 381 Protokoll Staff Conference, 1. Februar 1934, in RAC-RF, RG 3, Series 904, box 4, folder 26, S. 4.

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ren382. Mit dem 1937 erlassenen „Deutschen Beamtengesetz“ konnte nur noch Beamter werden, wer „deutschen oder artverwandten Blutes“ war383. Durch jede dieser Maßnahmen verloren weitere Hochschullehrer ihre Stellen. Deshalb wurde der „Special Research Aid Fund for Deposed Scholars“ bis zum Beginn des Zweiten Weltkriegs fortgeführt, wobei im Laufe der Zeit stärkeres Gewicht auf die Zusicherung einer festen Stelle gelegt wurde384. Ab 1935 verlangte die RF von den aufnehmenden Institutionen eine Versicherung, dass dem unterstützten Wissenschaftler nach Ablauf der Förderperiode eine feste Stellung angeboten würde385. Am Ende des Jahres 1939 hatte die RF mehr als 743.000 Dollar in 305 „grants“ für 197 Wissenschaftler investiert, die in amerikanischen oder europäischen Institutionen untergekommen waren. Knapp 508.000  Dollar gingen an amerikanische und 235.000 Dollar an europäische Einrichtungen. Während die Stellen in Europa meist befristet waren, fanden, laut einem Rockefeller Bericht von 1946, 82 % der in die USA emigrierten unterstützten Wissenschaftler dort eine feste Stelle386. Für die Sozialwissenschaften wurden insgesamt etwa 330.000 Dollar aufgewandt387. Eine Ende der 1930er-Jahre durchgeführte Studie, in die 64 amerikanische Institutionen einbezogen wurden, die mindestens einen „deposed scholar“ aufgenommen hatten, fiel positiv aus: On the whole, the Foundation’s program has been surprisingly successful. Academic departments and even whole institutions have been revitalized. There seems no doubt that the emigre scholars placed in our universities have made a distinctive and important contribution to the cultural life of America388.

382 Vgl. Mussgnug, Die vertriebenen Heidelberger Dozenten, S. 59–60. 383 Auch die Ehepartner mussten diese Bedingung erfüllen, Ausnahmen konnte nur der Reichsinnenminister oder der Stellvertreter Hitlers bewilligen. Vgl. Mussgnug, Die vertriebenen Heidelberger Dozenten, S. 95. 384 Vgl. T. B. Appleget, The Foundation’s Experience with Refugee Scholars, 5. März 1946, in RACRF, RG 1.1, Series 200, box 47, folder 545 A. Das Rockefeller Archive Center hat den Bericht Thomas B. Applegets auf seiner Internetseite publiziert, unter http://www.rockarch.org/collections/ rf/refugee.php (zuletzt eingesehen am 13. Dezember 2018). 385 Vgl. T. B. Appleget, The Rockefeller Foundation Special Research Aid Fund for Deposed Scholars, 1933–1939, o. D., used at Trustees Meeting Dec. 6, 1939, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 2, folder 8, S. 2. 386 Vgl. T. B. Appleget, The Foundation’s Experience with Refugee Scholars, 5. März 1946, in RACRF, RG 1.1, Series 200, box 47, folder 545 A. 387 Vgl. T. B. Appleget, The Rockefeller Foundation Special Research Aid Fund for Deposed Scholars, 1933–1939, o. D., used at Trustees Meeting Dec. 6, 1939, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 2, folder 8, S. 6. 388 Ebd., S. 5.

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Mindestens 60 deutsche Sozialwissenschaftler haben von Hilfen aus dem „Special Research Aid Fund for Deposed Scholars“ der RF profitiert, unter ihnen Eugen Altschul (Frankfurt), Arnold Bergstraesser (Heidelberg), Theodor Geiger (Braunschweig), Emil Gumbel, Ernst Jäckh (Berlin), Hajo Holborn (Berlin), Karl Mannheim (Frankfurt), Albrecht Mendelssohn Bartholdy (Hamburg) und Herbert von Beckerath (Bonn)389. Den Officers stand außerdem der Weg offen, „deposed scholars“ aus dem „ordinary Research Aid Fund“ und dem „ordinary Grant-in-Aid Fund“ zu bezahlen390. Durch die von der RF in Deutschland geförderten Forschungsprogramme konnten jüngere „deposed scholars“ im Land selbst Stipendien erhalten391. 1936 trug die RF zudem 5600 Dollar zur Finanzierung der Veröffentlichung einer 125 Seiten umfassenden „List of Displaced German Scholars“ bei, in der die Namen von 1639 entlassenen deutschen Wissenschaftlern zusammengetragen worden waren. Zur Zeit der Veröffentlichung hatten 835 der aufgelisteten Gelehrten neue Stellen in ausländischen wissenschaftlichen Einrichtungen gefunden, von denen 432 als dauerhaft galten392. Fosdick meinte 1939, es sei zweifelhaft, ob es in Deutschland noch „a single firstclass Jew“ in den Sozialwissenschaften gäbe. Dieser Personenkreis habe Deutschland verlassen, im Land verblieben seien nur noch jüngere Wissenschaftler. Den an die RF herangetragenen Plan, ein Fellowship-Programm für gefährdete Nachwuchswissenschaftler aufzulegen und ihnen die Ausreise zu ermöglichen, lehnte Fosdick ab393. Von 1940 bis 1945 wurde die Hilfe für entlassene Wissenschaftler nicht mehr aus einem Sonderfonds, sondern aus dem Fonds für „grants-in-aid“ finanziert, folgte aber im Wesentlichen den Bewilligungsrichtlinien des „Special Research Aid Fund for Deposed Scholars“. „The persons aided were, in general, well known to the officers, and their work, in many cases, fell within program interests“, beschrieb Appleget die Hilfstätigkeit. 59 Forscher wurden unterstützt, davon 23 Deutsche. Ausgegeben 389 Vgl. Rockefeller Archive Center, Tabelle  2: Refugee Scholars Aided, 1933–1945, http://www. rockarch.org/collections/rf/refugee2.php, zuletzt eingesehen am 13. Dezember 2018. Siehe auch die Tabelle im Anhang. 390 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an S. H. Walker, 27. November 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 1, folder 4, S. 4. 391 Vgl. Brief von M. Mason an G. K. Strode, 2. Februar 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 1, folder 4. 392 Fosdick, Raymond B., President’s review for 1936, in The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1936, S. 57–58. Ein Exemplar der Liste befindet sich in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 2, folder 14. Weitere Informationen finden sich in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 2, folder 12 und 13. 393 Vgl. Brief von R. B. Fosdick an H. C. Hoover, Stanford University, 6. März 1939, in RAC-RF, RG 2 (1939), Series 717, box 185, folder 1324. Hoover hatte laut Fosdick vermutet „that there are hunderds of first-class creative Jews still in Germany“. Fosdick meinte: „Evidently there is not“. Auszug aus einem Brief von R. B. Fosdick an S. M. Gunn, 6. März 1939, in RAC-RF, RG 2 (1939), Series 717, box 185, folder 1324.

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wurden insgesamt knapp 230.000 Dollar, davon 82.000 Dollar im Bereich der Sozialwissenschaften. Gefördert wurden unter anderem Ernst Jäckh für seine Tätigkeit an der Columbia University oder Moritz Bonn, der an der University of Pennsylvania unterkam394. Mit dem Vorrücken der Wehrmacht in Skandinavien, den Niederlanden und Frankreich sowie dem Luftkrieg um England gerieten Wissenschaftler in weiten Teilen Europas in akute Gefahr. Die RF reagierte 1940 mit der Verabschiedung eines neuen Hilfsprogramms, dem „Emergency Program for European Scholars“. Über das Programm wurde 89 Wissenschaftlern Unterstützung bei der Ausreise und ein zweijähriger Lehrauftrag395 an einer amerikanischen Hochschule, meist der New School for Social Research in New York, angeboten. 52 von ihnen erreichten die Vereinigten Staaten, unter ihnen waren 17 Sozialwissenschaftler. Die anderen lehnten entweder die Einladung ab oder die Ausreise aus Europa scheiterte. Die Kosten für das „Emergency Program for European Scholars“ betrugen insgesamt knapp 348.800 Dollar, davon 136.400 Dollar für die Sozialwissenschaften396. Zu den geförderten Sozialwissenschaftlern gehörten Hans Kelsen (Genf ), Adolf Löwe (Berlin) und Karl Löwith (Marburg)397. Ab 1933 übernahm die RF, wenn auch zögernd, die Rolle einer Hilfsorganisation für verfolgte Wissenschaftler. Insgesamt stellte sie mehr als die Hälfte der Mittel, die in den USA für akademische Flüchtlinge aufgebracht wurden398. Mit vielen der unterstützten Forscher und Hochschullehrer hatte sie bereits vor der NS-Machtübernahme in Kontakt gestanden, so befanden sich unter den Unterstützten auch acht ehemalige Fellows und mit Ernst Jäckh, Hans Simons, Arnold Bergstraesser, Albrecht Mendelssohn Bartholdy und Herbert von Beckerath einige ihrer wichtigsten deutschen Kooperationspartner aus der Zeit vor 1933. Die Hilfsprogramme für Wissenschaftler wurden manchmal als eigennützige Maßnahmen zur Rekrutierung von Spitzenpersonal für die amerikanischen Univer-

394 Siehe die Liste im Anhang. Vgl. Rockefeller Archive Center, Tabelle 2: Refugee Scholars Aided, 1933–1945, http://www.rockarch.org/collections/rf/refugee2.php, zuletzt eingesehen am 13. Dezember 2018. 395 Ein zweijähriger Lehrauftrag war die Bedingung für die Beantragung eines „non quota visa“. 396 Vgl. T. B. Appleget, The Foundation’s Experience with Refugee Scholars, 5. März 1946, in RACRF, RG 1.1, Series 200, box 47, folder 545 A. 397 Vgl. Rockefeller Archive Center, Tabelle 1: Emergency Program und Tabelle 2: Refugee Scholars Aided, 1933–1945, http://www.rockarch.org/collections/rf/refugee2.php, zuletzt eingesehen am 13. Dezember 2018. 398 Vgl. Feichtinger, Wissenschaft zwischen den Kulturen, S. 128.

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sitäten interpretiert399, doch aktuelle Arbeiten bezweifeln diese Sichtweise400. In der Wirtschaftskrise mussten die amerikanischen Universitäten Personal entlassen, den Nachwuchskräften wollte man keine ausländischen Konkurrenten entgegenstellen. Der Anstoß zu den Fördermaßnahmen ging nicht von den Stiftungsmitarbeitern, sondern von den „deposed scholars“ und ihren Unterstützern aus, die die RF um Hilfe baten. Die Maßnahmen waren als temporäre Hilfsaktion konzipiert, man hoffte mehrmals, das Programm bald wieder einstellen zu können. Besonders am Anfang wurde davon ausgegangen, dass die Unterstützten bald nach Deutschland zurückkehren könnten. Wie auch schon vor 1933, legte die RF besonderen Wert auf die wissenschaftlichen Qualifikationen der Geförderten und sicherte sich auf verschiedene Weise gegen langfristige Verpflichtungen ab. War es das Ziel einiger Universitäten, mit den emigrierten Wissenschaftlern bestimmte Forschungsfelder zu stärken401, so ging es der RF nicht in erster Linie um die Anwerbung der besten deutschen Forscher für die USA.

399 Vgl. Mertens, America first, S.  553–554, Feichtinger, Wissenschaft zwischen den Kulturen, S. 79–80, 204–205, Söllner, Alfons, Deutsche Politikwissenschaftler in der Emigration: Studien zu ihrer Akkulturation und Wirkungsgeschichte, Opladen, 1996, S. 15, Krohn, Claus-Dieter, Deutsche Wissenschaftsemigration seit 1933 und ihre Remigrationsbarrieren nach 1945, in Vom Bruch, Rüdiger; Kaderas, Brigitte (Hgg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik: Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20.  Jahrhunderts, Stuttgart, 2002, S. 438–439, 441–442 (Im Folgenden zitiert als Krohn, Deutsche Wissenschaftsemigration). 400 Siehe Fleck, Etablierung in der Fremde, S.  58  ff., Lamberti, Marjorie, The reception of refugee scholars from Nazi Germany in America: Philanthropy and social change in higher education, in Jewish Social Studies 12 (2006), S. 158. 401 Vgl. Gemelli, Giuliana, Introduction. Scholars in Adversity and Science Policies (1933–1945), in Gemelli, Giuliana (Hg.), The „unacceptables“. American foundations and refugee scholars between the two wars and after, Brüssel, New York, 2000, S. 22. Siehe auch Krohn, American Foundations and Refugee Scholars, S. 36.

6. Die sozialwissenschaftlichen FellowshipProgramme der RF in Deutschland vor und nach 1933

Neben der institutionellen Förderung und der Umsetzung der Hilfsprogramme ab 1933 betreute die sozialwissenschaftliche Abteilung das europäische Stipendienprogramm der Rockefeller Foundation1. Außerdem finanzierte sie, wie zuvor das LSRM, die Vergabe von Stipendien durch den SSRC an Amerikaner und Kanadier. Edmund E. Day, der sich in der Endphase des Memorials für eine restriktivere und sparsamere Verwaltungspraxis eingesetzt hatte, konnte seine Vorstellungen ab 1929 umsetzen. Die Vereinheitlichung der Stipendienprogramme der fünf Abteilungen der RF verschärfte diese Linie, da das sozialwissenschaftliche Stipendienprogramm durch besondere Großzügigkeit bei der Höhe des Stipendiums und der Familienzuschläge2 sowie bei der Gewährung von Verlängerungen auffiel3. Die Verwaltung des europäischen Stipendienprogramms wurde ins Pariser Büro verlegt4. Deutschland nahm in den Stipendienprogrammen weiterhin einen wichtigen Platz ein. Es stellte das zweitgrößte Stipendiatenkontingent nach Großbritannien und stand den europäischen und amerikanischen Stipendiaten als Gastland zur Verfügung. Die Errichtung der NS-Diktatur führte zu einer Neubewertung der bisherigen Praxis. Galt das Stipendienprogramm der RF bis dahin als Erfolgsgeschichte, wurde jetzt gefragt: Konnte eine Rückkehr ins Heimatland von in Deutschland verfolgten Sozialwissenschaftlern erwartet werden? War das Deutsche Komitee in seinen Entscheidungen hinreichend unabhängig? Welche Karriereaussichten hatten die deutschen Fellows im NS-Regime? Noch während die Pariser Mitarbeiter diese Fragen mit ihren deutschen Kontaktpersonen erörterten, entschlossen sich die Trustees Ende 1934 zur Beendigung des allgemeinen Stipendienprogramms in allen Ländern. 1

2 3 4

Neben den naturwissenschaftlichen, medizinischen und sozialwissenschaftlichen Stipendien vergab die RF nun auch Stipendien in den Geisteswissenschaften, allerdings nur zwei im Jahr 1929, von 414 insgesamt vergebenen Stipendien. Vgl. T. B. Appleget, Report on Fellowship Programs of the Rockefeller Foundation, 1932, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 318, S. 16. Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 4. März 1929, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. Vgl. Brief von E. E. Day an J. Van Sickle, 24. Juni 1930, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES International, box 49, folder 375. Vgl. T. B. Appleget, Report on Fellowship Programs of the Rockefeller Foundation, 1932, in RACRF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 318, S. 54.

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6.1 Zentralisierung, Kostenreduzierung, Methodenzentrierung: Die Neuausrichtung der Stipendienprogramme ab 1929 Wirtschaftskrise, Vereinheitlichungsbestrebungen in der RF und Days persönliche Überzeugungen führten zur Einführung verschiedener Sparmaßnahmen und der Erarbeitung eines neuen Anforderungsprofils für Stipendiaten. In Deutschland wurden die Veränderungen mit Skepsis aufgenommen, da sie als widersprüchlich und dem deutschen Kontext nicht angepasst empfunden wurden. Die Abschaffung der europäischen „Advisors“ und die Erweiterung auf osteuropäische Länder

Durch die Abordnung John Van Sickles als Vertreter der Sozialwissenschaften ins Pariser Büro war es der RF möglich, Bewerbungen aus den europäischen Ländern direkt zu bearbeiten. Durch persönliche Gespräche und Reisen verschaffte sich Van Sickle einen Überblick über die europäische Forschungslandschaft5. Das Landesvertretersystem, eine sozialwissenschaftliche Besonderheit in der Verwaltungspraxis der RF, geriet zunehmend in Kritik. Es war kostspielig6 und schränkte die Entscheidungsfreiheit der Pariser Mitarbeiter ein7. Seit Anfang 1930 diskutierten die Stiftungsmitarbeiter die Abschaffung dieser Einrichtung, die zum Ende des Jahres 1931 durchgesetzt wurde8. Nur im geographisch weit entfernten Australien und in Deutschland wurde das bisherige System beibehalten, in Großbritannien wurde die Auswahl nun ebenfalls von einem Komitee getroffen9. Da Großbritannien und Deutschland die beiden größten Stipendiatengruppen entsandten, war der verbleibende Aufwand im Pariser Büro überschaubar. Eine Absetzung Fehlings oder des Deutschen Komitees wurde zu diesem Zeitpunkt nicht erwogen.

5

Vgl. T. B. Kittredge (?), Social Science Fellowship Program in Europe – Rockefeller Foundation, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 384, S. 6. 6 Vgl. Auszug aus S. M. Gunns Diary, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 375. 7 Vgl. T. B. Appleget, Report on Fellowship Programs of the Rockefeller Foundation, 1932, in RACRF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 318, S. 53. 8 Vgl. Rundbrief von M. Mason an die Landesvertreter, 21. Mai 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 9 Vgl. Notiz „Fellowship advisers – Social Sciences“, 14.  Januar 1931, in RAC-RF, RG  1.2, Series  100  ES, box  49, folder  375. Wann dieses Komitee eingesetzt wurde, ließ sich nicht mit Sicherheit feststellen. Die Korrespondenz Fehlings mit J. R. M. Butler und N. F. Hall spricht dafür, dass es erst ab Anfang der 1930er-Jahre in die Auswahl der britischen Fellows eingebunden war.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

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Unter den Stipendiaten stieß die Reform auf Widerstand. Über zwanzig der aktuellen und ehemaligen Fellows verschiedener Länder10, unter ihnen der Sohn des italienischen „Advisors“ Mario Einaudi, schickten gleichlautende Briefe an den Stiftungspräsidenten Max Mason, in dem sie das neue Auswahlsystem kritisierten. Ohne die persönliche Kenntnis der Bewerber, die notwendigen Sprachkenntnisse und die Möglichkeit des Vergleichs sei die Auswahl der „best available people“ kaum möglich. Sie warnten, dass akademische Rivalitäten zu Problemen führen könnten und die Officers politischer Einflussnahme ausgesetzt seien. Sie betonten auch die Bedeutung der Beratungstätigkeit der „Advisors“ für ausländische Fellows11. Mason lobte zwar den „spirit of co-operation“ unter den Fellows, betonte aber, dass die Officers ihre Entscheidungen in engem Kontakt mit Sozialwissenschaftlern in den europäischen Ländern fällen würden12. Christian Fleck bewertet das neue Auswahlsystem als objektiver und weniger von den alten europäischen Machtstrukturen in der Wissenschaft geprägt13. Hinzugefügt werden muss allerdings, dass es auch wesentlich Amerika-zentrierter war: Während Ruml das Stipendienprogramm in enger Zusammenarbeit mit nationalen Kontaktpartnern aufgebaut und verwaltet hatte, verringerten sich nun die europäischen Einflussmöglichkeiten auf die Ausgestaltung des Programms. In Deutschland führte die Reform nicht zu grundlegenden Veränderungen. Fehling bedauerte sie allerdings, „da die Zusammenarbeit mit den anderen Herren in den verschiedenen Ländern eine sehr enge, oft freundschaftliche, war, und die ganze Einrichtung m. E. wirklich für den Stipendienplan sehr fruchtbar gewesen ist“14. Die RF verstärkte auch im Deutschen Komitee ihren Einfluss. Auf Grundlage einer Kooperationsvereinbarung mit dem SSRC hatte Walter R. Sharp die Beratung der europäischen Stipendiaten in New York übernommen15. Er kritisierte 1931, dass 10 Es schrieben Paul Hartmann (Tschechoslowakei), Ezio Vanoni (Italien), Friedrich Thalmann (Österreich), Renzo Fubini (Italien), Angelo Martinenghi (Italien), Käthe Spiegel (Tschechoslowakei), Oskar Morgenstern (Österreich), Hans Staehle (Deutschland), Paul N. Rosenstein (Österreich), Gerhard Mackenroth (Deutschland), Jacques Lambert (Frankreich), Erich Hula (Österreich), Rudolf Heberle (Deutschland), Alexander P. d’Entrèves (Italien), Alberto Breglia (Italien), Zdenek Peska (Tschechoslowakei), Pietro Rota-Sperti (Italien), Mario Einaudi (Italien), Alexander Mahr (Österreich) und Erich Voegelin (Österreich). Siehe Anhang zu M. Mason an K. Spiegel, 11. November 1931, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376. 11 Brief von K. Spiegel u. a. an M. Mason, o. D. [August 1931], in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 2. 12 Brief von M. Mason an K. Spiegel, 11. November 1931, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376. 13 Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 105. Siehe auch Fleck, Long-Term Consequences, S. 60. 14 Brief von A. W. Fehling an R. Heberle, 3. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 15 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 17. Juni 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30.

372

Krisenzeiten

einige der von den nationalen Komitees sowie vom australischen Berater ausgewählten Stipendiaten den Richtlinien für Arbeitspläne, wissenschaftliche Qualifikationen oder menschliche Qualitäten nicht entsprächen16. Kittredge versprach daraufhin, bei den Komitees durch „tactful discussions“ auf eine Einhaltung der Regeln zu dringen17. „It would appear essential that there should be identity of views between the S. S. [Social Science] Division and the advisors“18, machte er deutlich. Die hierarische Beziehung zwischen den RF-Mitarbeitern und dem Deutschen Komitee wurde jetzt stärker betont, während sie zur Zeit des LSRM oft implizit geblieben war. 1931 wurde das Stipendienprogramm auf mehrere osteuropäische Länder, unter anderem Ungarn, Polen und die baltischen Länder, ausgeweitet19. Die Beendigung des Vertretersystems erleichterte diesen Schritt, da die Bewerbungen direkt an das Pariser Büro geschickt werden konnten. Day ging die Ausweitung „into some of the less advanced countries“ jedoch zu schnell. Er sprach sich für eine langsame Einführung des Programms aus, um zuerst Kontakte zu wichtigen Zentren und Organisationen aufbauen zu können. „After all, our efforts should be to skim the top cream“20, urteilte er. Kittredge hingegen sah in der Stipendienvergabe die Möglichkeit, gerade in Ländern, in denen kein größeres institutionelles Förderprogramm geplant war, eine Gruppe gut ausgebildeter Wissenschaftler aufzubauen21. Van Sickle rechtfertigte eine große Zahl an Neubewilligungen für den ersten Jahrgang damit, dass es in den Ländern eine große Zahl vielversprechender Männer mit gesicherten Karrieren gebe. Die Garantien für eine erfolgreiche akademische Laufbahn seien dort sogar größer als in anderen Ländern. Für die Zukunft erwartete er aber einen Rückgang der Bewerberzahlen22. Der Stipendiatenaustausch blieb, zumindest für Deutschland, einseitig: Während in der Folgezeit zahlreiche osteuropäische Stipendiaten Deutschland besuchten, reiste nur ein deutscher Fellow nach Osteuropa. 16 Vgl. T.  B.  Kittredge, Memorandum. Fellowship Program in the Social Sciences, 24.  November 1931, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 3. 17 T. B. Kittredge, Memorandum. Fellowship Procedure, an J. Van Sickle, 26. November 1931, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 3. 18 T. B. Kittredge, Memorandum. Fellowship Program in the Social Sciences, 24. November 1931, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 4. 19 Vgl. Memorandum. Fellowship Program in the Social Sciences, o.  D., in RAC-RF, RG  1.2, Series 100 ES, box 50, folder 383, S. 2. Zu Polen vgl. Labbé, Morgane, The Rockefeller Foundation Turns to the East: Polish Social Sciences Fellows during the Interwar Period, in Rockefeller Archive Centre 2011, 17 S. 20 E.  E.  Day, Subject: Kittredge’s report on the fellowship program, o.  D., in RAC-RF, RG  1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 1. 21 Vgl. T.  B.  Kittredge, Memorandum. Fellowship Program in the Social Sciences, 24.  November 1931, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 1. 22 Brief von J.  Van Sickle an E.  E.  Day, 26.  November 1932, in RAC-RF, RG  1.2, Series  100 ES, box 49, folder 376.

373

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

Eine Ausdehnung des Programms auf Portugal und Belgien, die von den Pariser Officers vorgeschlagen wurde, lehnte Day mit der Bemerkung ab, diese Länder versprächen „much less significant results“. Er war auch gegen die Aufnahme von Stipendiaten aus der UdSSR23. Auf Fehlings Bitte hin erklärte Day sich jedoch bereit, einen geeigneten deutschen Bewerber, am besten einen Anthropologen, nach Russland zu schicken24. Das Projekt wurde aber nicht umgesetzt. Eine Ausweitung auf Spanien hielt Day für überlegenswert, sie kam aber nicht zustande25. 1934 wurde eine Integration der Türkei diskutiert, doch wurde eine Entscheidung darüber bis zum Besuch eines Officers der sozialwissenschaftlichen Abteilung vor Ort zurückgestellt26. Wegen der Ausweitung des Stipendienprogramms kam es Anfang der 1930er-Jahre zu einem starken Anstieg der Neubewilligungen. 1929 und 1930 wurden jeweils gut 40 Bewilligungen ausgesprochen, 1931 waren es 7327. Die folgende Tabelle gibt Aufschluss über die Herkunftsländer und die Disziplinen der knapp 500 sozialwissenschaftlichen LSRM- und RF-Stipendiaten des europäischen Programms zwischen 1924 bis 1934. Tabelle 12: Herkunftsländer und Disziplinen der sozialwissenschaftlichen LSRM- und RF-Stipendiaten, 1924–1934. Herkunftsland

Wirt-

Sozio-

Politik/

Ge-

Anthro-

Geogra-

Psycho-

schaft/

logie/

Recht

schichte

pologie

phie

logie/

Statistik

Krimino-

Gesamt

Philoso-

logie

phie

Großbritannien u. Irland

31

10

19

12

6

4

10

92

Deutschland

33

8

12

9

2

2

2

68

Frankreich

13

8

16

5

4

2

1

49

Australien u. Neuseeland

21

1

2

3

5

2



34

23 E.  E.  Day, Subject: Kittredge’s report on the fellowship program, o.  D., in RAC-RF, RG  1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 2. 24 Vgl. Vertraulicher Bericht, o.  Verf. [A.  W.  Fehling], o.  D. [1929/1930], in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F.  Schmidt-Ott, Nr.  915, S.  5. Zu den Beziehungen des LSRM und der RF zu Russland siehe Gross Solomon, Susan; Krementsov, Nikolai, Giving and Taking Across Borders: The Rockefeller Foundation and Russia, 1919–1928, in Minerva 39 (2001), S. 280–283. 25 Vgl. E. E. Day, Subject: Kittredge’s report on the fellowship program, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 2. 26 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 18. Juni 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 27 Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1937, S. 293.

374 Herkunftsland

Österreich

Krisenzeiten Wirt-

Sozio-

Politik/

Ge-

Anthro-

Geogra-

Psycho-

schaft/

logie/

Recht

schichte

pologie

phie

logie/

Statistik

Krimino-

Philoso-

logie

phie

Gesamt

10

1

9

1

1

1

3

26

7

9

2

1

3

1

3

26

Tschechoslowakei

12

5

5

1

1



1

25

Italien

13



4



2



1

20

5

5

2

1

2

3



18

Polen

Niederlande Ungarn

11



3







1

15

Bulgarien

5

1

4







2

12

Schweden

6

2

1

1

1



1

12

China

4

4

1



2





11

Rumänien

3

5

2







1

11

Dänemark

4

2



4







10

Norwegen

3

2

1

2





1

9

Finnland

5

1









1

7

Kanada



1

1

2

2





6

Estland

1

1

2





1



5

Lettland

2

1

1

1







5

Schweiz



1

1

2







4

USA



4











4

Jugoslawien

3

2

2



1





4

Belgien

1

1





1





3

Griechenland

1

2











3

Syrien

2



1









3

Türkei

2











1

3

Litauen

1









1



2

Südafrika



1





1





2

Mexiko

1













1

Gesamt

200

78

91

45

34

17

29

494

(Quelle: The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1935, S. 182). (Ohne die 11 Bewilligungen für das Yale Seminar).

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

375

Die größten Stipendiatenkontingente stellten wie schon zur Zeit des LSRM Großbritannien (92), Deutschland (68) und Frankreich (49), als neu hinzugekommenes Land teilte sich Polen mit Österreich den fünften Platz28. 200 der knapp 500 Stipendiaten waren Wirtschaftswissenschaftler. Manche Länder, zum Beispiel Ungarn, entsandten fast ausschließlich Ökonomen. In einigen anderen Ländern stellten sie mehr als die Hälfte der Stipendiaten (Italien, Australien/Neuseeland). Die zweitgrößte Fachrichtung waren die Politik- und Rechtswissenschaften (91), gefolgt von der Soziologie/Kriminologie (78). Parallel zum Anstieg der Neubewilligungen von durchschnittlich 35,4 pro Jahr (1924–1928) auf 52,8 (1929–1933)29 wurden verschiedene Sparmaßnahmen diskutiert. Fehling wurde dabei als langjähriger Ansprechpartner des LSRM konsultiert und durfte an den Verhandlungen zwischen dem Stiftungspräsidenten und den fünf Abteilungsleitern in New York teilnehmen. Er setzte sich zusammen mit Day erfolgreich für die Erhaltung des sozialwissenschaftlichen Grundstipendiums von 150 Dollar ein, das in Angleichung an die anderen Abteilungen auf 120 Dollar gesenkt werden sollte30. Auf Wunsch Days verfasste Fehling ein Memorandum, in dem er darlegte, dass der niedrigere Satz den Stipendiaten zu viel Energie für das „budgetting“ abverlangen würde und für „outstanding men“ nicht attraktiv sei31. Grundsätzlich war Fehling mit der strikteren und sparsameren Verwaltungspraxis Days einverstanden. Die im Vergleich zur Notgemeinschaft hohen Stipendiensätze des LSRM hatten ihm gezeigt, „daß die Höhe der Klage proportional mit der Höhe des Stipendiums zuzunehmen pflegt“32. Geändert wurden die Abrechnungsmodalitäten für genehmigte Reisekosten, die nun nicht mehr pauschal erstattet wurden33. Die Sprachkurse der London School of Economics wurden als „relatively expensive and not altogether satisfactory“34 bewertet und daher eingestellt. Verlängerungen für ein drittes Stipendienjahr wurden nur noch in wenigen Ausnahmefällen bewilligt,

28 Vgl. T. B. Appleget, Report on Fellowship Programs of the Rockefeller Foundation, 1932, in RACRF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 318, S. 51. 29 Eigene Berechnungen nach The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1937, S. 293. 30 Vgl. Vertraulicher Bericht, o.  Verf. [A.  W.  Fehling], o.  D. [1929/1930], in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 915, S. 5. 31 A. W. Fehling, Memorandum an E. E. Day, Basic stipend for Fellows coming to the United States, 4. März 1929, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 32 Brief von A. W. Fehling an R. Heberle, 16. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 33 Vgl. Office Procedure in Connection with Social Science Fellows Studying in the U.S., o. D. [1929], in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 3. 34 T. B. Kittredge, Memorandum. Fellowship Procedure, 26. November 1931, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 1.

376

Krisenzeiten

als ideale Stipendienzeit galt ein zweijähriger Aufenthalt35. Der Empfang der Stipendiaten am Hafen und die Hotelreservierung für die ersten Tage in New York wurden für alle Abteilungen vom zentralen „Fellowship Service“ der RF durchgeführt, der den Immigrationsbehörden in Washington auch Ankunfts- und Abfahrtszeiten der Fellows mitteilte36. Strenger gehandhabt wurden auch die ärztlichen Voruntersuchungen: Für jeden Bewerber musste ein von einem Arzt ausgefülltes Formular vorgelegt werden, in dem zum Beispiel nach Tuberkulosefällen oder „nervous or mental disorders“ in der Familie gefragt wurde. Haut, Augen, Ohren und Blut wurden untersucht, schließlich musste der Arzt die Frage beantworten, ob er den Bewerber für Lebensversicherungen empfehlen würde. Das Dokument wurde direkt an die RF oder den „Advisor“ geschickt37. Für Deutschland wurden bis 1934 kreisärztliche Gesundheitszeugnisse akzeptiert38, danach mussten die Untersuchungen von einem von der RF akkreditierten Arzt durchgeführt werden39. Im Gastland war die Stiftung bereit, bei Krankenhausaufenthalten oder längeren medizinischen Behandlungen die Hälfte der Kosten zu tragen40. Das neue Profil des idealen RF-Fellows: Reifere Stipendiaten, stärkere Begleitung

Nachdem das LSRM festgestellt hatte, dass ein großer Teil der Stipendiaten nicht die erwünschte akademische Karriere verfolgte, entschieden die RF-Mitarbeiter sich für die Bevorzugung „reiferer“ Kandidaten. Diese bräuchten weniger Betreuung, seien zu selbstständiger wissenschaftlicher Arbeit fähig und hätten oftmals eine feste Stelle im Heimatland41. Das Risiko, dass Stipendiaten sich für eine Karriere in der 35 Vgl. E. E. Day, Subject: Kittredge’s report on the fellowship program, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 2. 36 Vgl. Office Procedure in Connection with Social Science Fellows Studying in the U.S., o. D. [1929], in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 2. 37 Vgl. Rockefeller Foundation, Medical Examination of Candidate for Fellowship, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 38 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 16. Dezember 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 39 In Deutschland wurde jeweils ein Arzt in Berlin, Breslau, Frankfurt, Freiburg im Breisgau, Hamburg, Königsberg, Leipzig, Marburg und Stettin ausgewählt. Vgl. Brief von T.  B.  Kittredge an A. W. Fehling, 28. November 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. Brief von Mrs. Rioland an A. W. Fehling, 14. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 40 Vgl. Internal Fellowship Regulations. General Principles, o.  D. [1931], in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 41 Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 10. März 1930, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 1.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

377

Geschäftswelt entschieden, sei wesentlich geringer. Anders als in den Naturwissenschaften war eine feste akademische Stelle keine Stipendienvoraussetzung, da man jüngere Bewerber nicht grundsätzlich ausschließen wollte42. Für Deutschland betonte Fehling, dass eine zu strenge Regelung unerwünschte Folgen haben könnte, da die Zeit zwischen Promotion und Professur mit besonderen Schwierigkeiten verbunden sei. Gerade bei älteren Fellows, betonte Fehling, müsste es die Stipendienzeit erlauben, eine Habilitationsschrift zu verfassen43. Im Deutschen Komitee bestanden zur Frage des erwünschten Alters der Stipendiaten unterschiedliche Meinungen. Besonders Mendelssohn Bartholdy favorisierte eine Stipendienvergabe direkt nach der Promotion44. 1932 errechnete Kittredge, dass das durchschnittliche Alter der Stipendiaten von 27–28 Jahren für die Zeit vor 1930 auf 32–33 Jahre für die anschließenden Jahrgänge gestiegen war. Auch der Anteil der Stipendiaten, die nach dem Stipendium in der Wissenschaft blieben, habe sich wie erwünscht erhöht45. Zunehmendes Gewicht wurde auf den Kontakt der Stipendiaten mit ausländischen Wissenschaftlern gelegt. Bei Verlängerungsanträgen wurden systematisch Gutachten im Gastland eingeholt. Einige deutsche Fellows hatten 1928 Schwierigkeiten bei der Verlängerung um ein drittes Jahr, da sie „zum Teil während der ersten zwei Jahre so isoliert gearbeitet hatten, daß keiner der in Betracht kommenden Gelehrten sich irgendwie zu ihrer Arbeit äußern konnte“. Fehling riet den Stipendiaten der folgenden Jahrgänge, bei ihrer Arbeit „die Fühlungnahme mit den betreffenden Fachvertretern nicht zu vernachlässigen“46. Eine weitere wichtige Änderung war, dass das Erlernen neuer Methoden in den Mittelpunkt rückte, während die Bedeutung der konkreten Forschungsprojekte zurückging47. Fehling informierte die Mitglieder des Deutschen Komitees:

42 Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 10. März 1930, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 2. T. B. Appleget, Report on Fellowship Programs of the Rockefeller Foundation, 1932, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 318, S. 53. 43 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 24.–25. Februar 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 10. 44 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 17. Februar 1930, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929– 1930, S. 51. 45 Vgl. T. B. Kittredge an J. H. Willits, Report on SS Fellowship Program (1924–1941), 19. Januar 1942, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 378, S. 4. 46 Vertraulicher Bericht, o. Verfasser [A. W. Fehling?], o. D. [ca. 1929], in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 915, S. 5–6. 47 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn Bartholdy, 19. November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27.

378

Krisenzeiten

Während früher auf die Durchführung eines bestimmten Arbeitsplans besonderes Gewicht gelegt wurde, schiebe sich demgegenüber jetzt der Gedanke in den Vordergrund, den Sinn des Stipendienplanes in einer lebendigen Vermittlung neuer Wissenschaftsrichtungen, Methoden und Techniken zu sehen. Bei der Wahl des Landes würde es in Zukunft also mit darauf ankommen, ob es gerade für das in Betracht kommende Gebiet über eine besonders hoch entwickelte Forschung verfüge. Im Grunde bedeute das neue Ziel eine Umwandlung der bisherigen Forschungs- zu Ausbildungs-Stipendien, eine Aenderung, die sich schwer mit dem Wunsche der Foundation nach reiferen Antragstellern, deren akademisches Fortkommen gesichert erscheine, in Einklang bringen lasse48.

Im Deutschen Komitee wurde diese Entwicklung sehr kritisch betrachtet, ein Festhalten an den alten Regeln wäre „im Grunde allen lieb gewesen“. Gerade die Freistellung von beruflichen Verpflichtungen und die Gelegenheit zum Fertigstellen einer größeren, die „Zukunft absichernden Arbeit“ war in den Augen der Komitee-Mitglieder ein großer Vorteil des Stipendienplans gewesen. Sie entschlossen sich, auch weiterhin an der Bearbeitung einer konkreten Forschungsaufgabe festzuhalten49. Schumacher befürchtete, sonst „könnte der amerikanische Aufenthalt sogar Schaden, statt Nutzen stiften“50. Dass es der RF mit der Neuausrichtung sehr ernst war, wurde dem Deutschen Komitee bewusst, als Van Sickle 1931 die vorgeschlagenen Bewerber dahingehend kritisierte, dass es in einigen Fällen wohl eher um Forschungsbeihilfen als um Stipendien gehe: „[T]he fellows will return home without securing any new ideas regarding methods and other possible approaches to subjects in which they are interested“51. Fehling versprach, dieses Kriterium bei der Auswahl des nächsten Jahrgangs stärker zu berücksichtigen und meinte, dass die „Differenzen in der Praxis kaum sehr groß sein werden“. Nicht für richtig hielt er es, die „spezielle Forschungsaufgabe ausdrücklich als quantité négligeable“ hinzustellen: „Denn die Arbeit ist einmal das, was die Gestaltung des Auslandsaufenthalts konkreter und damit auch kontrollierbarer macht, und zudem, was noch wichtiger ist, sie ist das, was dem Fellow das Weiterkommen nach Rückkehr ebnen soll“52. Den Stipendiaten, die 1931 einen Verlängerungsantrag

48 A. W. Fehling, Protokoll der 7. Auswahl-Sitzung des Deutschen Komitees (Sozialwissenschaftliche Rockefeller Stipendien) am 2. März 1931, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 1–2. 49 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn Bartholdy, 19. November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 50 Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 15. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 51 Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 8. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 52 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 11. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

379

stellten, riet Fehling, neben dem „eigentlichen Thema“ auch zu erwähnen, wie „das Stipendium die Erlernung neuer Methoden möglich gemacht“53 habe. Die deutschen Stipendiaten standen der Neuerung ebenfalls eher skeptisch gegenüber. Leo Liepmann wandte sich Anfang 1932 aus London mit der Bitte um Rat an Fehling. Er habe den Eindruck, die RF lege besonderen Wert auf den eifrigen Besuch von Vorlesungen und Seminaren sowie auf einen engen Kontakt zu LSE, während es für seine Forschungsaufgabe am besten sei, möglichst viel Zeit nur der Arbeit zu widmen54. Fehling antwortet vertraulich und „nicht offiziell“, dass die Foundation steigenden Wert „auf Orientierung über gegenwärtige Wissenschaftsströmungen und Methoden und persönliche Fühlungnahme“ lege, aber gleichzeitig auch starkes Interesse am beruflichen Erfolg zeige, für den in Deutschland der Abschluss einer größeren Arbeit das Wichtigste sei. Fehling riet Liepmann dazu, den persönlichen Kontakt nicht durch den zeitaufwendigen Seminarbesuch, sondern durch „persönliche Berührung und Aussprachen“ herzustellen und diesen Punkt in den Berichten stärker hervorzuheben55. Spätestens ab 1933 legte die RF Wert auf eine stärkere Kontrolle der Stipendiaten, vor allem in der ersten Hälfte der Stipendienzeit. Kittredge hielt fest, dass in den ersten Monaten intensiver betreute Stipendiaten zufriedener mit ihrer Arbeit seien als Fellows, die von Beginn an allein gearbeitet hätten. Er regte an, dass die Stipendiaten ihre Reisetätigkeit reduzieren und die erste Hälfte ihres Aufenthalts an einem Ort verbringen sollten56. Europäische Stipendiaten wollte er stärker in amerikanische Seminare und Forschungsprojekte einbeziehen57. Neben den „Research Fellowships“ wurden „Training Fellowships“ und „Special Fellowships“ eingeführt. Die „Training Fellowships“ richteten sich an junge Wissenschaftler zwischen 21 und 30 Jahren, denen ein intensives Training in Forschungsmethoden und der Anwendung von theoretischen Analysewerkzeugen in der eigenen und verwandten Disziplinen ermöglicht werden sollte58. Die mit 120 Dollar monat-

53 Brief von A. W. Fehling an B. Pfister, 18. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 54 Vgl. Brief von L. Liepmann an A. W. Fehling, 4. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 55 Brief von A. W. Fehling an L. Liepmann, 8. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 56 Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum. Problems involved in the administration of Social Science Fellowships, Discussions in Paris, on April 28, 29 and 30, 1933, in RF-RAC, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 5. 57 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an S. May, 29. Mai 1934, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377. 58 Vgl. T. B. Kittredge an J. H. Willits, Report on SS Fellowship Program (1924–1941), 19. Januar 1942, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 378, S. 3.

380

Krisenzeiten

lich dotierten Stipendien59 waren für die osteuropäischen Länder, aber auch für England und Frankreich gedacht. Für Deutschland hielt Fehling die Einführung einer zweiten Kategorie von Stipendiaten nicht für hilfreich60. Gelegentlich vergab die RF außerdem „Special Fellowships“ an angesehene Wissenschaftler zwischen 35 und 50 Jahren, deren Forschungsprojekte einen sechs- bis zwölfmonatigen Auslandsaufenthalt erforderten61. Die Höhe der Bewilligung wurde für jeden Wissenschaftler individuell bestimmt62. An deutsche Sozialwissenschaftler wurden insgesamt sechs „Special Fellowships“ und eine „Training Fellowship“ vergeben63. Der Sonderfall des Yale Seminars „The Impact of Culture on Personality“

Ein ungewöhnliches und einmaliges Experiment war für die RF die Vergabe von elf Stipendien an Nachwuchswissenschaftler verschiedener Länder für die Teilnahme an dem 1932/33 von Edward Sapir durchgeführten Seminar „The Impact of Culture on Personality“ an der Yale University64. Nur in diesem Fall legte die RF sich, in Zusammenarbeit mit dem SSRC, auf ein genaues Kandidatenprofil fest. Die Idee stammte von dem ehemaligen LSRM-Mitarbeiter Lawrence K. Frank65, der Wissenschaftler unterschiedlicher Nationalitäten zusammenbringen wollte, um den Einfluss kultureller Prägung auf die Persönlichkeitsbildung untersuchen zu lassen66. Die Leitung 59 Vgl. Brief von J. Van Sickle an B. Malinowski, 10. Juni 1930, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 375. 60 Vgl. Auszug aus John Van Sickles Diary, 13.  Januar 1932, in RAC-RF, RG  1.2, Series  100  ES, box 49, folder 376. 61 Vgl. T. B. Kittredge an J. H. Willits, Report on SS Fellowship Program (1924–1941), 19. Januar 1942, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 378, S. 3. 62 Vgl. „Fellowship Announcement“, o. Verf., o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 378. 63 Das Stipendium an Arthur Sommer wurde ebenfalls als „Special Fellowship“ deklariert, dann aber wie eine „Research Fellowship“ verwaltet. 64 Vgl. Irvine, Judith T., Editor’s Introduction, in Sapir, Edward; Irvine, Judith T. (Hgg.), The psychology of culture. A course of lectures, Berlin, New York, 1994, S. 4 (Im Folgenden zitiert als Irvine, Editor’s Introduction). Vgl. Eggan, Fred, An Overview of Edward Sapir’s Career, in Cowan, William; Foster, Michael  K.; Koerner, Konrad (Hgg.), New Perspectives in Language, Culture, and Personality. Proceedings of the Edward Sapir Centenary Conference (Ottawa, 1–3 October 1984), Amsterdam, Philadelphia, 1986, S. 9. 65 Nach 1929 wurde Frank Mitarbeiter des General Education Board. Vgl. Fisher, Fundamental Development, S. 78. Siehe auch Darnell, Regna, Edward Sapir. Linguist, Anthropologist, Humanist, Berkeley, 1990, S. 333 (Im Folgenden zitiert als Darnell, Edward Sapir) und Darnell, Regna; Handler, Richard; Irvine, Judith T. (Hgg.), The Collected Works of Edward Sapir: Volume III: Culture, Berlin, 1999, S. 203 (Im Folgenden zitiert als Darnell et al., The Collected Works). 66 Vgl. Darnell et al., The Collected Works, S. 203.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

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des Seminars wurde dem Anthropologen und Linguisten Edward Sapir übertragen67, der bisher vor allem theoretisch gearbeitet hatte. Ihm wurde der junge Psychologe John Dollard zur Seite gestellt68. Das Seminar sollte das interdisziplinäre Studium der Persönlichkeit auf eine empirische Grundlage stellen. Dollard, der sich in den 1930er-Jahren stark für die Psychoanalyse interessierte, ergänzte Sapirs kulturellen und anthropologischen Schwerpunkt durch eine soziologische und psychologische Perspektive. Im Zentrum der Veranstaltung sollte die Lebenserfahrung der ausländischen Teilnehmer stehen69. Die Bewerbersuche gestaltete sich jedoch schwierig. Die Teilnehmer sollten Forschungserfahrungen in Kulturanthropologie, Kultursoziologie, Psychologie oder Psychiatrie und ein Interesse an Fragen der Persönlichkeitsbildung haben, über gute Kenntnisse der eigenen Kultur verfügen sowie fähig sein, in objektiver und distanzierter Weise über die eigene und fremde Kulturen zu diskutieren70. Zur umfangreichen Vorbereitung gehörte die Ausarbeitung einer autobiographischen Skizze, in der der eigene Lebensweg im Hinblick auf die Einflüsse der Kultur auf die Persönlichkeit untersucht werden sollte71. Es ist wohl den Schwierigkeiten bei der Bewerbersuche zuzuschreiben, dass der Seminarbeginn um ein Jahr verschoben wurde72. Dollard erhielt ein SSRC-Stipendium, um 1931/32 in Europa Bewerbungsgespräche zu führen und sich ein Bild der europäischen Kulturen zu machen73. In Deutschland war Fehling seit Januar 1931 mit der Bewerbersuche befasst74. Die von ihm angeschriebenen ehemaligen RF-Stipendiaten Paul Kirchhoff und Erich Wohlfahrt sagten ab75, wobei letzterer seine Entscheidung revidierte76. Fehling schrieb auch Leopold von Wiese in Köln an77, der bereits von Ernest Burgess aus 67 Vgl. Irvine, Editor’s Introduction, S. 4. 68 Vgl. Darnell, Edward Sapir, S. 303, 332–334. 69 Vgl. Brief von L. K. Frank an A. W. Fehling, 14. Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 70 Vgl. ebd. 71 Vgl. Brief von L.  K.  Frank an A.  W.  Fehling, 21.  Mai 1931, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 25. 72 Vgl. Darnell, Edward Sapir, S. 335. 73 Vgl. Brief von L. K. Frank an W. Sharp, 23. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 66, S. 1. 74 Vgl. Brief von L. K. Frank an A. W. Fehling, 14. Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 75 Vgl. Briefe von A. W. Fehling an P. Kirchhoff und E. Wohlfahrt, 4. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 76 Vgl. Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 23. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 77 Vgl. Brief von A. W. Fehling an L. von Wiese, 17. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24.

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Chicago über das Seminar informiert worden war und einen seiner Schüler vorschlug78, sowie den Psychologen Felix Krueger, der ebenfalls den Namen eines seiner Schüler nannte79. Fehling kontaktierte auch Hans Freyer in Leipzig80 und Karl Mannheim in Frankfurt81, beriet potenzielle Bewerber und leitete Bewerbungsunterlagen an die RF weiter82. Sein Favorit war der von Wohlfahrt vorgeschlagene staatliche Gefangenenseelsorger Walter Beck83. Fehling fertigte eine deutsche Übersetzung der Informationsbroschüre zum Yale Seminar an84, wobei ihm die Übertragung des Titels nicht ganz leicht fiel. Hatte er erst „Zusammenstoß von Kultur und Persönlichkeit“ mit dem Zusatz „(innere Verknüpftheit)“ notiert, entschied er sich schließlich für den englischen Titel mit der Ergänzung „(Kultur und Persönlichkeit)“85. Schließlich bewarben sich Walter Beck, Willy Gierlichs, Dr. Kluge86, Joseph Pieper, Hans Gerth87 und Gerhard Mackenroth88, wobei Fehling der RF letzteren 78 L. von Wiese schlug Dr. Kehren vor. Vgl. Brief von L. von Wiese an A. W. Fehling, 20. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. Leopold von Wiese stand in enger Verbindung mit Robert Park, beide waren stark von Georg Simmel beeinflusst. Vgl. Zenderland, Leila, Representing German sociology: Willy Gierlichs and Walter Beck in 1930s America, in Soeffner, Hans-Georg (Hg.), Transnationale Vergesellschaftungen. Verhandlungen des 35. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Soziologie in Frankfurt am Main 2010, Wiesbaden, 2012, S.  3 (Im Folgenden zitiert als Zenderland, Representing German sociology). 79 Vgl. Brief von A. W. Fehling an Lawrence K. Frank, 7. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. Brief von A. W. Fehling an W. Beck, 5. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 80 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Freyer, 7. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 81 Vgl. Brief von A. W. Fehling an K. Mannheim, 7. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 82 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an W.  Beck, 1.  Oktober 1931, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 26. 83 Vgl. Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 23. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 84 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 26. September 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 85 A. W. Fehling, Übersetzung. Yale Seminar 1932–33, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 86 Kluge wurde von Andreas Walther, Hamburg, unterstützt. Kluge war Assistent am Romanischen Seminar der Universität Hamburg. Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 26. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26, Brief von A. Walther an A. W. Fehling, 20. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 87 Vgl. Brief A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 26. Oktober 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. Hans Gerth, geboren 1908, war wesentlich jünger als die anderen Bewerber. Seine Kandidatur wurde von Karl Mannheim und Max Horkheimer unterstützt. Siehe auch H. Gerth, Application form for Fellowship to attend the Yale seminar 1932–33, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 88 In Rockefeller Kreisen wurde außerdem Arnold Bergstraesser als möglicher Bewerber genannt. Fehling wies jedoch darauf hin, dass er nur schwer ein Jahr ins Ausland gehen und weiterhin eine

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als „one of the best fellows we ever had“ in Erinnerung rief, einschränkend aber seine Persönlichkeit als „unausgereift“89 bezeichnete. Wohlfahrt hatte keine Unterlagen eingereicht. Van Sickle und Kittredge baten Fehling mit Beck, Gierlichs und Pieper persönliche Gespräche zu führen90. „Our recommendation to the New York Committee will naturally be based very largely upon your own comment“91, schrieb ihm Kittredge. Im Dezember 1931 bereiste Dollard Deutschland und traf sich mit den Bewerbern92. Fehling schloss sich dessen Vorauswahl an und sprach selbst keine starke Empfehlung aus93. Das „Committee in charge of the Yale Seminar“ unter der Leitung Franks wählte schließlich Beck und Gierlichs als deutsche Teilnehmer aus94, wobei Beck als Vertreter der Leipziger und Gierlichs als Repräsentant der Kölner Soziologie galt. Beide hatten bereits Erfahrungen in der praktischen Anwendung sozialwissenschaftlichen Wissens gemacht95. Neben den beiden Deutschen erhielten auch zwei Polen, ein Chinese, ein Franzose, ein Inder, ein Italiener, ein Finne, ein Ungar, ein Japaner, ein Türke und ein Norweger ein Stipendium96. Neun Teilnehmer kamen aus Europa und vier aus Asien. Acht Disziplinen waren repräsentiert: Psychiatrie, Psychologie, Soziologie, Literatur- und Erziehungswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften und

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tragende Rolle im Heidelberger Rockefeller Projekt innehaben könne. Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 10. Oktober 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge 12. Oktober 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 24. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. Vgl. T.  B.  Kittredge, Memorandum. German Candidates for the Yale Seminar Fellowship, 29. Oktober 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 7. Oktober 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. Vgl. Brief von A. W. Fehling an W. Beck, 19. November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 16. Dezember 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. Martin Scheerer war erst im Dezember 1931 in die Liste der möglichen Teilnehmer am Yale Seminar aufgenommen worden. Dollard führte ein Interview mit ihm, in dem Scheerer ihm von seinen Forschungen über magische Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen berichtete. Da Scheerer, ein amerikanischer Staatsbürger „of Jewish parentage“, der im Kindesalter nach Deutschland gekommen war, nicht als genuiner Vertreter der deutschen Kultur galt, forderten Dollard und Fehling ihn nicht zu einer offiziellen Bewerbung auf, sondern leiteten Dollards positiven Bericht, der auch auf die Schwierigkeiten hinwies, an die RF weiter. J. Dollard, Report on Dr. Martin Scheerer, 15. Dezember 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 26. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. Beck sollte die norddeutsche und Gierlichs die süddeutsche Kultur repräsentieren. Vgl. Zenderland, Representing German sociology, S. 1. Vgl. Zenderland, Representing German sociology, S. 4. Vgl. die Liste im Anhang. Social Science Fellowships: active fellows 1932–33, in RAC, RG 1.2, Projects, 100 ES International, box 50, folder 383.

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Linguistik. Die praktische Durchführung des aus Vorlesungen von Gastdozenten und Diskussionsveranstaltungen bestehenden Seminars lag bei Dollard97. Im ersten Semester beschäftigten sich die Teilnehmer mit dem Bereich „Kultur“ (Begrifflichkeiten, kulturelle Formen, Umwelt und Kultur), im zweiten mit dem der „Persönlichkeit“ (Persönlichkeitstypen, „early adjustment“, „formation of individual symbolisms“)98. Die gemeinsam auf dem Campus untergebrachten Teilnehmer füllten Fragebögen zur Kultur ihrer Herkunftsländer aus und verfassten Berichte nach gemeinsamen Vorgaben, zum Beispiel über Religion und Familienleben99. Diese wurden von Dollard gelesen, aber nicht veröffentlicht. In den Sommerferien bearbeitete jeder Teilnehmer ein längeres Forschungsprojekt100. Die Stipendiaten sollten auf diese Weise eine kritische Sicht auf die biologischen, psychologischen und soziologischen Sichtweisen in Bezug auf Kultur und Persönlichkeit gewinnen101. Einigen Teilnehmern missfiel der paternalistische Anstrich der Seminarorganisation, andere, wie Walter Beck, beschwerten sich über die Distanz zur empirischen Forschung. In der „promiscuity of terms and approaches“ fiel es Beck schwer, wissenschaftliche Methoden zu identifizieren. Er erwähnte aber auch die Bemühung der Seminarleitung, die Teilnehmer mit dem neuen Forschungsfeld bekannt zu machen und eine gemeinsame begriffliche Grundlage zu schaffen102. Sapir versuchte, die internationale Politik nicht zum Thema der Seminardiskussion werden zu lassen und Begriffe wie Rasse, Religion, Kultur und Persönlichkeit in ihren verschiedenen Bedeutungen zu diskutieren. Gierlichs, der 1932 der nationalsozialistischen Bewegung nahestand, lehnte dies ab und forderte den Seminarleiter jüdischer Herkunft zunehmend heraus103. Die unmittelbaren Ergebnisse des Seminars enttäuschten Teilnehmer, Organisatoren und Geldgeber. Eine Synthese der individuellen Erfahrungen hatte sich in dem Jahr nicht erzielen lassen. Die Stiftungsmitarbeiter waren der Meinung, dem Projekt habe es an Kohärenz gemangelt, hielten sich Sapir und Dollard gegenüber jedoch mit Kritik zurück. Als sich Teilnehmer für eine Verlängerung bewarben, informierte Stacy May 97 Vgl. Darnell, Edward Sapir, S. 335, 341–342. 98 Vgl. Irvine, Editor’s Introduction, S. 5. 99 Zu den Antworten Becks und Gierlichs siehe Zenderland, Representing German sociology, S. 5–6. 100 Darnell, Edward Sapir, S. 338–340. 101 Vgl. Sapir, Edward, The Study of „Culture and Personality“, in Sapir, Edward; Irvine, Judith  T. (Hgg.), The psychology of culture. A course of lectures, Berlin, New York, 1994, S. 245. 102 Vgl. Darnell, Edward Sapir, S. 339–340. 103 Vgl. Zenderland, Representing German sociology, S.  6–7. Gierlichs hätte es vorgezogen, die Schlüsselbegriffe zu Beginn des Seminars zu definieren, anstelle sie in einem „‚gentlemen agreement‘“ „so wenig wie möglich zu berühren“. Gierlichs, Willy, Soziologischer Brief aus den Vereinigten Staaten, in Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 11 (1933), S. 467, zitiert in Zenderland, Representing German sociology, S. 7.

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sie, dass das Projekt nicht weitergeführt werde und somit nur individuelle Anträge an das Pariser Büro gerichtet werden könnten. In einem im Mai 1933 vorgelegten Bericht bezeichneten Sapir und Dollard das Seminar zwar als „a decided success“, erkannten aber auch an, dass der SSRC systematischere Ergebnisse erwartet haben könnte. Diese Ziele hätten den Bedürfnissen der Teilnehmer angepasst werden müssen104. Zwei der Teilnehmer starben kurz nach Seminarende, zehn bewarben sich bei der RF um eine Weiterförderung. Dabei fühlten sich die Stipendiaten von der Stiftung ungerecht behandelt: „To be member of the Seminar seems to be a distinct disadvantage in the consideration of the European representatives“105, schrieb Beck im Juli 1933 an Dollard. Sowohl Beck als auch Gierlichs reichten Bewerbungen für eine zweite Fellowship ein106. Da ihre Unterlagen aber erst nach der Auswahl für das Jahr 1933 in Deutschland eintrafen, lehnte Fehling die Vergabe ab. Er erklärte Kittredge außerdem, dass er eine Rückkehr der Yale-Stipendiaten ins mittlerweile nationalsozialistische Deutschland für besser halte, „to look for their work here under changed conditions“107. Gierlichs kehrte nach der Ablehnung im September 1933 als Privatdozent an die Universität Köln zurück108. 1934/35 übernahm er während einer Beurlaubung Leopold von Wieses die stellvertretende Leitung des Kölner Seminars für Soziologie, 1939 wurde er zum verbeamteten außerplanmäßigen Professor ernannt. Der NSDAP trat er 1937 nach Aufhebung der Mitgliedersperre bei. Im NS-Regime betätigte er sich sowohl politisch als auch wissenschaftlich im Sinne des Nationalsozialismus109. Nachdem er 1943 zur Wehrmacht eingezogen wurde und 1944 zum „NS-Führungsstab“ der Marine-Stabskompanie des Oberkommandos der Kriegsmarine abkommandiert wurde, beging er im Juni 1945 in einem Kriegsgefangenenlager Selbstmord110. Beck erhielt von der RF die Erlaubnis, im Sommer 1933 Forschungen an der Atlantikküste und in Chicago im Zusammenhang mit den Arbeiten des Yale Seminars 104 Vgl. Darnell, Edward Sapir, S. 340–342. 105 Ebd., S. 343. 106 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 8. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. 107 Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 18. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 108 Vgl. W. Gierlichs, Fellowship Card, in RAC-RF, RG. 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 109 Vgl. Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S.  61–63. Zur Aufhebung der Mitgliedersperre 1937 siehe Wetzel, Juliane, Die NSDAP zwischen Öffnung und Mitgliederentwicklung, in Benz, Wolfgang (Hg.), Wie wurde man Parteigenosse? Die NSDAP und ihre Mitglieder, Frankfurt am Main, 2009, S. 75–76. Zu Gierlichs soziologischen Ansätzen siehe auch Gutberger, Jörg, Sozialstruktur- und Sozialraumforschung im Nationalsozialismus – Eine Skizze der Forschungslinien, in Jahrbuch für Soziologie-Geschichte 1992 (1994), S. 54. 110 Vgl. Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S. 69. Siehe auch Zenderland, Representing German sociology, S. 3.

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Krisenzeiten

durchzuführen111. Im April 1933 wurde die Behörde der Staatlichen Gefängnisfürsorge in Sachsen, bei der Beck angestellt war, aufgehoben und Beck in den Ruhestand versetzt. Er kehrte im Oktober des Jahres nach Deutschland zurück, reiste aber bereits im Februar 1934 erneut in die USA112, wo er als „lecturer in psychology“ am Institute of Religious Education and Social Service der Boston University angestellt wurde113. Die Hälfte seines Gehaltes übernahm das Emergency Committee in Aid of Displaced German Scholars114, obwohl Beck in Deutschland nicht verfolgt wurde. Beck bewarb sich im Frühjahr 1934 ein zweites Mal vergeblich um ein RF-Stipendium115. Wieder erreichte seine Bewerbung das Deutsche Komitee nach der Auswahlsitzung. Außerdem betonte Fehling, Becks Zukunftsaussichten seien vage und er zweifele an seinen Rückkehrabsichten116. Sein Antrag wurde abgelehnt, doch erhielt Beck auch 1934/35 Hilfe aus dem Fonds des „Emergency Committee“117. Als dieses Komitee 1935 kritisch bemerkte, dass Beck öfter nach Deutschland fahre als es entlassene Wissenschaftler gewöhnlich täten, betonte Dean Henry Meyer, dass Beck dennoch keine Aussichten auf eine wissenschaftliche Stelle in Deutschland habe118. Im August 1936 trat Beck allerdings in Deutschland eine Stelle als Heerespsychologe am Psychologischen Laboratorium des Reichskriegsministeriums an119. An Stacy May schrieb er: „It was a hard decision, to give up the professorship at Boston University“, doch: „The call of the fatherland, however, was stronger in the end“120. Beck hatte eine Art Doppelleben geführt: Während die nationalsozialistischen Behörden nicht wussten, dass seine Stelle in Boston durch die Flüchtlingshilfe mitfinanziert wurde, dachten die

111 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 3. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 112 Vgl. W.  Beck, Lebenslauf, 28.  Februar 1937, in BAB, BDC-Unterlagen, RK-I-23, W.  Beck, Blatt 2474. 113 Vgl. W. Beck, Fellowship Card, in RAC-RF, RG. 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. In seinem 1937 verfassten Lebenslauf spricht er von einer „Gastprofessur“. W. Beck, Lebenslauf, 28. Februar 1937, in BAB, BDC-Unterlagen, RK-I-23, W. Beck, Blatt 2474. 114 Vgl. Brief von H. H. Meyer an S. May, 22. Mai 1934, in RAC, RF, RG 2 (1934), Series 717, box 110, folder 845. 115 Vgl. Brief von W. Beck an S. May, 23. März 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 116 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 10. April 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 117 Vgl. Brief von S. H. Walker an H. H. Meyer, 5. Juni 1934, in RAC, RF, RG 2 (1934), Series 717, box 110, folder 845. 118 Vgl. Zenderland, Representing German sociology, S. 9. 119 Vgl. W.  Beck, Lebenslauf, 28.  Februar 1937, in BAB, BDC-Unterlagen, RK-I-23, W.  Beck, Blatt 2474. 120 Brief von W. Beck an S. May, 30. November 1936, in RAC-RF, RG 2 (1936–1937), Series 717, box 141, folder 1050.

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Verantwortlichen in Boston, Beck würde in Deutschland eine Stelle an der Universität Breslau annehmen121. Das Yale Seminar blieb, sicher auch wegen der als enttäuschend empfundenen und wenig konkreten Ergebnisse, ein einmaliges Experiment. Es zeigt, dass die sozialwissenschaftliche Abteilung der Rockefeller Stiftung bereit war, auch ungewöhnliche Projekte zu unterstützen, wenn die Gelegenheit sich bot. Weitere zielgerichtete Stipendien im Rahmen kollektiver Projekte wurden allerdings nicht vergeben, obwohl sich die RF ab 1935 stärker auf bestimmte Förderfelder konzentrierte. Konflikte bei der Auswahl der deutschen Stipendiaten im Jahr 1932

Die Modalitäten der Stipendiatenauswahl durch das Deutsche Komitee änderten sich nach der Umorganisation von 1929 nur wenig. Weiterhin hatte Fehling Probleme bei der Bewerbersuche. „The few application I got this year at first, showed that it becomes necessary to interest the university people again in the fellowship plan“122, konstatierte er. Die nötige Anzahl „wirklich erstklassiger Kräfte“ habe sich noch nicht beworben123. Die Auswahlsitzungen fanden weiterhin jährlich im Frühjahr statt. Die Zahl der an das Pariser Büro weitergeleiteten Bewerbungen variierte von Jahr zu Jahr. Fehling strebte eine „gewisse Verteilung der Stipendien auf alle einbezogenen Wissensgebiete […], wie auch auf sämtliche deutsche Universitäten“124 an und achtete auf Vielfalt im Hinblick auf Interessensgebiete und Persönlichkeit der Stipendiaten. 1930 schrieb er einem Gutachter, er habe eine gewisse Scheu, „zwei Jahre hintereinander zwei in ihrem Entwicklungsgang so ähnliche, stark zum Theorisieren und zur Philosophie neigende Persönlichkeiten in angelsächsische Länder gehen zu lassen“125. Beim Auswahlprozess des Jahres 1932, der hier näher beleuchtet wird, lagen dem Deutschen Komitee zwanzig Bewerbungen vor126. Sechs Kandidaten planten wirtschaftswissenschaftliche, vier rechtswissenschaftliche, drei historische und je zwei ethnologische oder soziologische Forschungsprojekte, dazu kam jeweils ein Antrag in Philosophie, Pädagogik und Kommunalwissenschaft. Dreizehn Antragsteller wollten in die USA, je zwei in die Schweiz und nach Italien und je einer nach Aust-

121 Vgl. Zenderland, Representing German sociology, S. 9. 122 Brief von A. W. Fehling an B. Ruml, 15. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18, S. 1–2. 123 Brief von A. W. Fehling an W. Eucken, 18. Februar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 124 Brief von A. W. Fehling an K. Diehl, 31. März 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 125 Brief von A. W. Fehling an W. Eucken, 25. Januar 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 126 Vgl. A. W. Fehling, Konzept. Niederschrift über die 8te Auswahlsitzung des Deutschen Komitees, o. D. (10. März 1932), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29, S. 3.

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Krisenzeiten

ralien, England und Frankreich127. Die allesamt männlichen und promovierten Bewerber waren zwischen 23 und 33 Jahre alt. Tabelle 13: Bewerber um ein sozialwissenschaftliches RF-Stipendium, deren Unterlagen in der Sitzung des Deutschen Komitees im März 1932 begutachtet wurden. Name (Stellung/

Ziel

Forschungsprojekt

Gutachter

USA

Untersuchungen an nordamerikanischen Indianerstämmen über das Tempo des durch den Einfluß der Zivilisation hervorgerufenen Kulturwandels

Prof. Lehmann, Berlin, Prof. Thilenius, Hamburg, Prof. Thurnwald, Berlin, Prof. Westermann, Berlin

Bertold Beierle USA (Steinen in Baden)

Fortsetzung einer Arbeit über das „Problem der Vollstreckung der Entscheide internationaler gerichtlicher Instanzen“

Zeugnis von Prof. Schindler, Zürich, Zeugnis von Prof. Simonius, Basel, Prof. Wieland, Basel, Prof. Wackernagel, Basel, Prof. Baumgarten, Frankfurt, Geh. Rat. v. Rohland, Freiburg, Prof. Ruck, Basel

Josef Cohn (Berlin)

England

Untersuchungen zur Soziologie des englischen Judentums

Geheimrat Weber, Heidelberg, Prof. Mannheim, Frankfurt

Walter Egle (Assistent, Weltwirtschaftsinstitut Kiel)

USA

Die Bedeutung der Bedarfsuni- Prof. Briefs, Berlin, formierung in den hochkapita- Prof. Colm, Kiel, Geh. Rat. listischen Ländern für den Harms, Kiel Anwendungsbereich des technischen Verfahrens der Massenproduktion

Harald Fick (Privatdozent, Univ. Jena)

Italien

Untersuchungen über das Steuersystem des italienischen Staates im Zusammenhang mit der italienischen Steuertheorie

Ort)

Herbert Baldus (Wiesbaden)

Zeugnis der Vereinigung der Deutschen Arbeitgeber-Verbände, Zeugnis von Prof. Raab, Dresden, Zeugnis vom Arbeitgeber- und Wirtschaftsverband Zeulenroda, Gutachten von Prof. v. Dietze, Jena, Prof. Gutmann, Göttingen, Prof. Mombert, Gießen, Prof. Weyermann, Jena

127 Vgl. A. W. Fehling, Überblick, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 50.

389

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF Name (Stellung/

Ziel

Forschungsprojekt

Gutachter

Eduard Heyck (Hamburg)

USA

Vergleichende Darstellung des neuzeitlichen Frachtwesens

Prof. Leo, Hamburg, Geh. Rat Rehme, Leipzig

Eckart Kehr (DHfP, Berlin)

USA

Vergleichende Untersuchung in Zusammenhang mit einer Arbeit über die Verflechtung von Wirtschaft und Politik (besonders Preußens) in der Zeit der französischen Revolution und Napoleons

Prof. Hartung, Berlin, Geh. Rat. Meinecke, Berlin, Charles A. Beard, California Institute of Technology

Hans Keller (München)

USA

Naturrecht und Positivismus in der Methodik der völkerrechtlichen Wissenschaft

Zeugnis von Prof. Schücking, Kiel, Dr. Morsbach, Berlin. (Ergänzungen zum im Vorjahr zurückgestellten Antrag)

Oskar Klug (Privatdozent, Univ. Genf )

USA

Die amerikanische Genossenschaftsbewegung

Prof. Briefs, Berlin, Prof. Heimann, Hamburg, Prof. Liefmann, Freiburg, Prof. GottlOttlilienfeld, Berlin

Kurt Mandelbaum (Assistent, Institut für Sozialforschung, Frankfurt)

USA

Einarbeitung in die Ergebnisse und Methoden der amerikanischen Soziologie

Prof. Horkheimer, Frankfurt, Prof. Löwe, Frankfurt, Dr. Pollock, Frankfurt

Hans Morgenthau (Frankfurt)

Schweiz

Das Wesen des Politischen. Eine Untersuchung über die Grenzen der Wirksamkeit des öffentlichen Rechts

Ort)

Karl Heinz AustraliPfeffer en (Austauschstudent, England)

Bau und Gliederung der australischen Gesellschaft

Dr. Deissmann, London, Prof. Freyer, Leipzig, Dr. Morsbach, Berlin.

Ludwig Poltz USA (Stipendiat der Studienstiftung, Hamburg)

Das Verhältnis zwischen England und den Vereinigten Staaten vom ersten Venezuela Konflikt 1895 bis etwa zum Jahre 1906

Zeugnis von Prof. Hashagen, Hamburg, Zeugnis des Bankhauses Schröder, Prof. Hashagen, Hamburg, Prof. Rein, Hamburg, Gutachten der Studienstiftung

390 Name (Stellung/

Krisenzeiten Ziel

Forschungsprojekt

Gutachter

Klaus Wilhelm Italien Rath (Assistent, Univ. Frankfurt.)

Die gegenwärtigen Bestrebungen in der theoretischen Finanzwirtschaft Italiens unter besonderer Berücksichtigung ihrer wissenschaftstheoretischen Bedeutsamkeit

Prof. Gerloff, Frankfurt, Prof. Pribram, Frankfurt, Prof. Gottl-Ottlilienfeld, Berlin

Oskar Schrader (Stadtsyndikus, Saalfeld)

USA

Die Entwicklung, Stand und Zielsetzung der kommunalen Verwaltungsprobleme in den Vereinigten Staaten

Zeugnis vom Reichsstädtebund, Zeugnis vom Statistischen Reichsamt, Gutachten von Präsident Dr. Haeckel, Reichsstädtebund, Berlin, Prof. Kessler, Leipzig

Hermann Schüler (Berlin)

USA

Wandlungen im Verhältnis von Prof. Eckardt, Berlin, Staat und Wirtschaft in Recht Prof. Eulenberg, Berlin, und ökonomischer Theorie in Prof. Carl Schmitt, Berlin den Vereinigten Staaten

Heinrich Sesemann (Lehrer, Berlin)

USA

Vergleichende Untersuchungen in Zusammenhang mit einer Arbeit über die Beziehungen von Gesellschaft und Erziehungsorganisationen

Christoph Steding (Waltringhausen)

Schweiz

Die öffentliche Meinung in der Prof. Heidegger, Freiburg, Schweiz in ihrer Stellung zur Prof. Mommsen, Marburg, Reichsgründung Prof. Schultze-Jena, Marburg

Ort)

Prof. Petersen, Jena, Prof. Scheibner, Jena

Leo Strauss Frank(Stipendiat der reich Akademie für die Wissenschaft des Judentums, Berlin)

1) Die politische Wissenschaft von Hobbes 2) Philosophie und Gesetz in der islamischen Scholastik

Prof. Cassirer, Hamburg, Prof. Schaeder, Berlin, Prof. Carl Schmitt, Berlin

Günter Wagner (Berlin)

Untersuchung von Akkulturationsproblemen in Nordamerika, insbesondere Entwicklung und Verarbeitungsprozess des Peyotekultes

Prof. Boas, New York, Prof. Thilenius, Hamburg, Prof. Westermann, Berlin, Prof. Lauffer, Hamburg

USA

(Quelle: Materialien zu den Bewerbern 1932. Zusammengestellt von A. W. Fehling, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 50).

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Das Komitee beschloss, sieben Anträge weiterzuleiten (Egle, Fick, Keller, Pfeffer, Steding, Strauss und Wagner), wobei Keller seinen Antrag in Absprache mit Mendelssohn Bartholdy präzisieren und Steding den seinen auf weitere Staaten ausdehnen sollte. Der Antrag Schülers sollte im nächsten Jahr der RF vorgelegt werden, da der Bewerber noch an Schumachers RF-geförderten Studien zu Rohstoffpreisen mitarbeitete. Mandelbaum und Rath wurde eine erneute Bewerbung zu einem späteren Zeitpunkt zugestanden, bei Schrader sollte eine persönliche Rücksprache mit Schumacher abgewartet werden128. Fehling hielt den Jahrgang 1932 für „the strongest group we ever had to present since the beginning of the fellowship program“129. Vor eine Zerreißprobe stellte das Komitee die Bewerbung Eckart Kehrs130. Der junge Historiker, ein Schüler Friedrich Meineckes, hatte 1928 das erste Mal eine Bewerbung geplant, um in Paris und London seine Studien über die preußische Kriegsfinanzpolitik zwischen 1806 und 1815 zu erweitern131, sich dann jedoch bei der Notgemeinschaft beworben132. 1930 veröffentlichte er eine erweiterte Fassung seiner Dissertation unter dem Titel „Schlachtflottenbau und Parteipolitik“133, in der er dem traditionellen, auch von Hermann Oncken vertretenen „Primat der Außenpolitik“, ein verstärktes Interesse für Innenpolitik und wirtschaftliche und gesellschaftliche Einflüsse entgegensetzte134. Auf der Grundlage umfangreicher Quellenstudien betonte Kehr das „Klassenbündnis“ zwischen dem preußischen Junkertum und der Schwerindustrie in der deutschen Flottenpolitik. Er kam zu dem Schluss, dass der deutsche Imperialismus weitgehend von den materiellen Interessen bestimmter Wirtschafts-

128 Vgl. A. W. Fehling, Konzept. Niederschrift über die 8te Auswahlsitzung des Deutschen Komitees, o. D. (10. März 1932), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29, S. 3. Strauss bedankte sich bei Carl Schmitt für seine Unterstützung der Bewerbung, dieser „immerhin beinahe lebenswichtigen Angelegenheit“. Brief von L. Strauss an C. Schmitt, 13. März 1932, in Strauss, Drei Briefe an Carl Schmitt, S. 131. 129 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 12. April 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 130 Vgl. A. W. Fehling, Konzept. Niederschrift über die 8te Auswahlsitzung des Deutschen Komitees, o. D. (10. März 1932), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29, S. 3. 131 Brief von E. Kehr an „Sehr verehrter Herr Professor“, 19. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. 132 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich, Einleitung, in Kehr, Eckart; Wehler, Hans-Ulrich (Hgg.), Der Primat der Innenpolitik: gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin, 21970 (1965), S. 7 (Im Folgenden zitiert als Wehler, Einleitung). 133 Kehr, Eckart, Schlachtflottenbau und Parteipolitik 1894–1901: Versuch eines Querschnitts durch die innenpolitischen, sozialen und ideologischen Voraussetzungen des deutschen Imperialismus, Berlin, 1930. 134 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich, Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung: Studien zu Aufgaben und Traditionen deutscher Geschichtswissenschaft, Göttingen, 1980, S. 230.

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zweige und sozialer Gruppen bestimmt gewesen sei135. Zur Zeit der Antragstellung war Kehr Dozent an der DHfP in Berlin und arbeitete an einer vom Preußischen Geheimen Staatsarchiv geplanten Publikation der Akten der Reformzeit136. Kehr bewarb sich für das RF-Stipendium, um die Beziehungen zwischen Wirtschaft und Politik in anderen Staaten zu erforschen, ausländische Forschungsmethoden kennenzulernen und mit englischen und amerikanischen Nationalökonomen in Kontakt zu treten. In New York plante er ein Trimester bei Edwin R. A. Seligman zu verbringen, an dessen „Encyclopaedia of the Social Sciences“ er mitarbeitete. Anschließend erwog er einen Aufenthalt in Chicago bei Jacob Viner. Den Rest des Stipendienjahrs wollte er in Washington der Verwertung „der gewonnenen Methoden in archivalischen und bibliothekarischen Studien zur Untersuchung der Wirtschaftsbeziehungen der Vereinigten Staaten zum Kontinent 1789–1815“ widmen. Ein zweites Stipendienjahr wollte er in England verbringen137. Der Gefahr einer Ablehnung durch das Deutsche Komitee war sich Kehr durchaus bewusst. Einem Freund schrieb er Ende 1931: hoffentlich funktioniert auch der Apparat der Rockefeller-Foundation, auf daß er mich 2 Jahre nach USA verfrachte, allerdings sind diesmal mehr Bewerber als Plätze, und einen ‚Putschinski‘ wird man schließlich trotz alles offiziellen Wohlwollens lieber in die 2. Reihe stellen, hinter die ‚bedeutenden‘ und braveren Nationalliberalen138.

Gutachten holte Fehling bei Friedrich Meinecke und dem Koreferenten der Dissertation Fritz Hartung ein. Meineckes Antwort fiel kurz aus, er wolle lieber persönlich mit Fehling über Kehr sprechen. Dieser sei „zweifellos ein sehr begabter, energischer und von großer Arbeitskraft erfüllter Forscher“, dem man helfen müsse, der sich jedoch „zur Zeit in einem Gärungszustande“ befinde139. Für Hartung gehörte Kehr „zu den begabten jungen Doktoren“, sein Flottenbuch sei zwar in seiner Grundthese „überspitzt“, doch zeige es „auf alle Fälle eine überdurchschnittliche Fähigkeit, historischen Stoff selbstständig durchzuarbeiten und nach eigenen Gesichtspunkten zu gruppieren“. Kritisch bewertete er die „menschlichen Eigenschaften“: In der Studentenzeit habe es Kehr „an der Leichtigkeit des Auftretens und der Beweglichkeit im Umgang mit 135 Vgl. Ritter, Gerhard A., Einleitung, in Meinecke, Friedrich (Hg.), Akademischer Lehrer und emigrierte Schüler. Briefe und Aufzeichnungen 1910–1977, München, 2006, S.  94 (Im Folgenden zitiert als Ritter, Einleitung). 136 Vgl. E. Kehr, Lebenslauf, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 50. 137 Vgl. E. Kehr, Arbeitsplan, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 50. 138 Brief von E. Kehr an G. W. F. Hallgarten, 24. Dezember 1931, veröffentlicht in Kehr et al., Auszug aus dem Briefwechsel zwischen George W. F. Hallgarten und Eckart Kehr, 1931–1933, S. 269. 139 Brief von F.  Meinecke an A.  W.  Fehling (Gutachten für E.  Kehr), 22.  Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 50.

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Menschen, die gerade für den Verkehr im Auslande notwendig sind“ gefehlt140. Auf Veranlassung des ehemaligen Fellows Alfred Vagts schickte außerdem Charles A. Beard, der Kehr nicht persönlich kannte, ein äußerst positives Gutachten, in dem er Kehrs Flottenbuch als „remarkable“ bezeichnete141. Schon vor der Auswahlsitzung hatte Fehling Kehr zu einem Gespräch mit Schmidt-Ott in die Notgemeinschaft gebeten, der Bewerber musste jedoch aus gesundheitlichen Gründen absagen142. In der Komiteesitzung kam es zum Eklat: Mendelssohn Bartholdy unterstützte Kehrs Kandidatur nachdrücklich, während Oncken eine Befürwortung strikt ablehnte. Laut Vagts, der an der Sitzung allerdings nicht teilnahm, soll Mendelssohn Bartholdy bei einer Ablehnung sogar mit dem Austritt aus dem Komitee gedroht haben143. Schließlich einigten sich die Professoren darauf, das Gespräch Schmidt-Otts mit Kehr abzuwarten und diesem die Entscheidung zu überlassen144. Kehr erfuhr von der Auseinandersetzung und begann am Erfolg seines Antrags ernsthaft zu zweifeln. An G. W. F. Hallgarten schrieb er: Ihr Oncken hat sich jetzt auch mir gegenüber als der Schweinehund herausgestellt, der er ist – er hat mir das Rockefeller-Stipendium verweigert, weil ich ein ‚Agitator‘ sei. Begründung: ich schriebe in der ‚Gesellschaft‘ und lieferte mit dem Flottenbuch dem Ausland Material ‚gegen uns‘. Die endgültige Entscheidung liegt aber bei Schmitt-Ott [sic], zu dem ich noch hingehen will, um ihm klar zu machen, dass ich keiner sei. Erfolg fraglich145.

Die Besprechung, an der neben Kehr und Schmidt-Ott auch Karl Griewank von der Notgemeinschaft teilnahm, fand am 18. März 1932 in der Notgemeinschaft statt146. Von der Unterredung gibt es zwei vermutlich von Griewank ausgearbeitete Protokolle. Das erste, kürzere, wurde dem auf den 26. März 1932 datierten Protokoll der Auswahlsitzung beigefügt. Das zweite, auf den 29. März datierte, führt die Einwände Onckens 140 Brief von F. Hartung an A. W. Fehling (Gutachten für E. Kehr), 19. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 50. 141 Brief von C.  Beard an E.  E.  Day (Gutachten für E.  Kehr), 31.  Januar 1932, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 142 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. Kehr, 5. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. 143 A. Vagts, Erinnerung an Albrecht Mendelssohn-Bartholdy, 1968, S. 21–22, in Leo Baeck Institute, Mendelssohn Bartholdy Collection, ME 648. MM II 2, online verfügbar unter: http://www.lbi.org/digibaeck/results/?qtype=pid&term=530213 (zuletzt eingesehen am 13. Dezember 2018). 144 Vgl. A. W. Fehling, Konzept. Niederschrift über die 8te Auswahlsitzung des Deutschen Komitees, o. D. (10. März 1932), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29, S. 3. 145 Brief von E. Kehr an G. W. F. Hallgarten, 17. März 1932, veröffentlicht in Kehr et al., Auszug aus dem Briefwechsel zwischen George W. F. Hallgarten und Eckart Kehr, S. 272. 146 Vgl. Anlage zur Niederschrift über die Sitzung vom 10. März 1932, o. Verf., 26. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29.

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gegen die Bewerbung Kehrs weiter aus. Danach erklärte Schmidt-Ott Kehr, dass es im Komitee Befürchtungen gegeben habe, „sein Auftreten in Amerika könnte politisch einseitig genutzt werden. Er selbst habe nicht den Wunsch, auf die Ueberzeugung des Stipendiaten irgendwie einzuwirken“ oder „die wissenschaftliche Ueberzeugung zu fesseln“. Kehr antwortete, er habe „immer nur wissenschaftliche Ziele verfolgt“ und es „bisher immer abgelehnt, politisch tätig zu sein, oder einer Partei beizutreten“. Es liege ihm fern, durch seine Arbeit Material, das gegen Deutschland benutzt werden könnte, liefern zu wollen. Zu seinem Forschungsthema meinte Kehr, dass er die Möglichkeit angedeutet habe, bei seinen Forschungen über die Beziehungen zwischen Amerika und Europa und Europa und Europa im Zeitalter der Befreiungskriege könne sich vielleicht eine Abhängigkeit von politischen Handlungen von den wirtschaftlichen Verhältnissen zeigen. Er habe jedoch diese Möglichkeit nur theoretisch angedeutet147.

Schmidt-Ott regte zunächst eine Aussprache zwischen Oncken und Kehr über die Fassung des Themas an, in einer telefonischen Rücksprache erklärte Oncken jedoch, „er müsse es für aussichtslos halten, auf die Auffassung von Herrn Dr. K e h r oder die Gestaltung der Arbeit so einzuwirken, dass die antibourgeoisistische Grundtendenz daraus verschwindet“. Als Mindestmaß forderte er eine Erklärung Kehrs, sich in den USA politisch zurückzuhalten. Als sich das per Telegramm kontaktierte Komitee-Mitglied Paul Kehr, dessen Neffe der Bewerber war, zustimmend äußerte, entschied sich Schmidt-Ott für die Befürwortung der Bewerbung148. Kehr selbst hatte damit nicht gerechnet. Er schilderte die Besprechung folgendermaßen: Ich war eben bei Schmidt-Ott und mir ist alles klar geworden. Man will mich nicht hinüber lassen a) weil ich Sozi bin –– für Oncken und Schumacher einwandfrei erwiesen, b) weil man die rüstungsinteressierten Rockefellerleute nicht vor den Kopf stoßen will. Klassenkampf in Reinkultur – dabei war Sch.-O. persönlich sehr nobel149.

Mendelssohn Bartholdy freute sich besonders „über die glückliche Lösung des Falles Kehr“: „Ich halte es aus den verschiedensten Gründen für einen wahren Segen, dass es so gegangen ist, wie es ja auch bei dem Wohlwollen unserer Vorsitzenden zu hoffen war“150. 147 „Exzellenz Schmidt-Ott machte …“ (Dokument ohne Titel und Verf.), 29. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 148 Ebd. 149 Brief von E. Kehr an G. W. F. Hallgarten, 17. März 1932, Zusatz vom 13. März 1932, veröffentlicht in Kehr et al., Auszug aus dem Briefwechsel zwischen George W. F. Hallgarten und Eckart Kehr, S. 273. 150 Brief von A.  Mendelssohn Bartholdy an A.  W.  Fehling, 31.  März 1932, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 57.

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Fehling hatte große Schwierigkeiten, sein Kurzportrait Kehrs für die RF anzufertigen, wie die vielen Korrekturen in seinen Entwürfen zeigen. Die Ausführungen, dass Kehr die „Tendenz einer vorwiegend wirtschaftlichen Interpretierung der Geschichte“ und eine „Umwertung der bisherigen Auffassungen über die Zeit der Napoleonischen Kriege“ verfolge, die „im Gefühl seiner akademischen Lehrer weit über das Ziel hinausschossen“, strich Fehling wieder. Er betonte schließlich, auch die „wissenschaftlichen Gegner, die im Grunde allein im Komitee vertreten waren“, hätten „die starke Begabung, die große Fähigkeit zur Meisterung eines gewaltigen Stoffes und die persönliche Integrität des Menschen“ anerkannt151. Kehr, der den Beginn seines Stipendiums aus gesundheitlichen Gründen verschieben musste152, erreichte kurz vor der NS-Machtübernahme Mitte Januar 1933 New York. Bei der Einreise wurde er von den Immigrationsbehörden zunächst aufgrund seiner Gesundheit aufgehalten153. Im März 1933 wandte sich Fehling an Paul Kehr: Schmidt-Ott sei „soeben darauf aufmerksam gemacht worden, daß Herr Dr. Eckart Kehr in den Vereinigten Staaten sich möglicherweise gegen die neue Regierung öffentlich aussprechen könnte“. Aufgrund der „bindenden Zusage“ Kehrs sehe Schmidt-Ott zwar keine Gefahr, bitte Paul Kehr jedoch darum, per Telegramm „noch einmal im Namen des Deutschen Komitees und im Interesse des Stipendienplanes in dieser Richtung auf ihn einzuwirken“154. Kehr hingegen hielt im Graduate History Club der University of Chicago einen kritischen Vortrag über „Neuere deutsche Geschichtsschreibung“, in dem er sich von der Ideengeschichte seines Lehrers Meinecke distanzierte, die er mitverantwortlich für den Ausschluss der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an den deutschen Universitäten und die internationale Isolierung der deutschen Geschichtswissenschaften machte155. Die ihm 151 A. W. Fehling, Dokument ohne Titel (Entwurf zu den ausgewählten Bewerbern 1932), o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 152 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. Kehr, 4. Juli 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. 153 Vgl. Wehler, Einleitung, S. 19. 154 Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 24. März 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. 155 Vgl. Ritter, Einleitung, S.  97. Der aus dem Englischen übersetzte Vortrag wurde 1965 von H.-U. Wehler veröffentlicht. Kehr, Eckart, Neuere deutsche Geschichtsschreibung, in Kehr, Eckart; Wehler, Hans-Ulrich (Hgg.), Der Primat der Innenpolitik: gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin, 21970 (1965), S. 254–268. Der Vortrag befand sich unter den Papieren, die nach Kehrs Tod nach Deutschland geschickt wurden. Früh hatte Ernst Correll, Washington, der den Text für ein „masterpiece“ hielt, vorgeschlagen, ihn im Andenken an Kehr zu veröffentlichen. Während Vagts sich stark dafür einsetzte, lehnten Fehling und einige Mitarbeiter der RF die Publikation mit Verweis auf mögliche negative Folgen für Kehrs Familie ab. Kehrs Familie sprach sich gegen die Veröffentlichung aus. Als Fehling das Manuskript schließlich einsehen konnte, schrieb er: „After reading it I frankly confess that I do not understand the attitude of Dr. Vagts. It is a typical occasional lecture with all its weaknesses. I understand now why Kehr himself wrote to his wife that he did not like the idea of publishing

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angebotene Veröffentlichung des Vortrags im Journal of Modern History lehnte Kehr aber ab156. Den letzten Kontakt mit Kehr hatte Fehling in einem Briefwechsel Ende April/ Anfang Mai. Fehling befürwortete darin, dass Kehr seine Frau, die er kurz vor der Abreise geheiratet hatte, in die USA nachkommen ließ157. Am 31. Mai erreichte Fehling die telegraphische Nachricht von Kehrs Tod. Der 31-jährige Historiker war am 29. Mai in einem Washingtoner Krankenhaus an einem angeborenen Herzfehler gestorben, den er selbst seinem engen Umfeld verheimlicht hatte158. Für die RF war sein Tod Anlass, die Regelungen für die ärztlichen Voruntersuchungen der deutschen Bewerber zu verschärfen159. Heute gilt Kehr als einer der Wegbereiter der modernen Sozialgeschichte, seine Arbeiten führten in der Mitte der 1960er-Jahre zu heftigen Debatten in der deutschen Geschichtswissenschaft160. Hatte das Deutsche Komitee zur Zeit des LSRM die Befürwortung politisch links stehender Kandidaten abgelehnt, konnte sich Kehr auf einflussreiche Unterstützer inner- und außerhalb des Komitees stützen. Vor allem verdankte er die positive Entscheidung Schmidt-Ott, der sich nach reiflicher Überlegung für den außergewöhnlichen Bewerber einsetzte. Mit zehn Bewilligungen im Jahr 1932 erreichte das Stipendienprogramm der RF in Deutschland seinen Höhepunkt, die Auswahl des Folgejahres fand schon unter den Bedingungen des NS-Regimes statt.

it. Without regard of political reasons it is not a nice action towards the late friend to publish this lecture in this form. Dr Vagt’s justification seems strange. It is a matter of course that before taking steps for a publication he had to make available to the family the material in question and ask for their consent in the special case. There were six month time to send over fourteen pages“. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 31. Dezember 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. Siehe auch Brief von E. Correll an S. May, 8. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 24. Juli 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 12. November 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 26. Dezember 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. 156 Vgl. Brief von W. L. Dorn an S. May, 18. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. 157 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. Kehr, 13. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. 158 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an H.  Oncken, 31.  Mai 1933, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 34. Zu den Todesumständen siehe auch Brief von H. Kehr an H. Rosenberg, 11. August 1933, in BAK NL 1376 H. Rosenberg, Nr. 31. 159 Vgl. S. May, Memorandum für T. B. Kittredge, 7. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 57. 160 Vgl. Ritter, Einleitung, S. 97.

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Das europäische Stipendienprogramm zwischen positiven Bewertungen und scharfer Kritik

Fehling zeigte sich im September 1932, nachdem er die Karrierewege von 31 ehemaligen deutschen Fellows untersucht hatte, begeistert über die Erfolge des Stipendienprogramms. „It cannot be exactely determinated to what extent the individual was aided in his scientific development by his fellowship study. But the very best result is already clear for one third of the total“, behauptete er. Unter den Fellows seien zwei Professoren (Predöhl, Vossler), fünf Privatdozenten (Flügge, Heberle, Scherpner, Gerhard, Mackenroth) und drei Assistenten an Forschungsinstituten (Pfeifer, K. Schneider, Meier). Nur zwei Stipendiaten seien in die Privatwirtschaft gegangen161. Vossler verdanke seine Professur für Romanistik und anglo-amerikanische Geschichte allein der Rockefeller Fellowship, Meiers Tätigkeit im Ibero-Amerikanischen Institut der Universität Hamburg „is due to his visit to France supplementing his former activity in Spain made possible through a fellowship“162. Unter den Disziplinen hätte besonders die theoretische Nationalökonomie profitiert: Because of the peculiar development shown in this branch of science in Germany before the war (Historische Schule and jüngere Historische Schule), sympathy for its development, particularly the Anglo-American theory, was as good as lost […]. The fellowship plan had its reward here by making a breach which made it possible for the first time for the younger generation to cooperate actively on the spot in the scientific activities of foreign countries163.

Gerade in der Nationalökonomie hielt Fehling die Einbeziehung jüngerer Kandidaten für wichtig, bei denen Sympathien für ausländische Entwicklungen und neue Ansichten eher geweckt werden könnten. Die Erfahrung mit älteren Stipendiaten (Back, Pfister) habe gezeigt, dass diese Schwierigkeiten hätten „of learning all over again“. In der Soziologie hätten Heberles theoretische Studien durch das Stipendium eine Erweiterung hin zur „pragmatic side“ gefunden. In den Politikwissenschaften sei zwar Wissen über ausländische Arbeiten nach Deutschland gebracht worden, doch: „Immediate progress in this direction is hindered here because the German university does not know political science as a department complete with its own 161 A. W. Fehling, Report on the Total Results of the Foundation’s Social Sciences Fellowship Plan for Germany, 21. September 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151, S. 1. 162 Ebd., S. 3. 163 Ebd., S. 2.

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professorships“. Die ehemaligen Stipendiaten profitierten von ihren Verbindungen zu Wissenschaft und Kultur eines fremden Landes, sie seien „usually the only ones who can be considered for positions with such preconceived ideas and they are always engaged frist and foremost“164. Außerdem betonte Fehling die Bedeutung des Kontakts zwischen den jungen Wissenschaftlergenerationen verschiedener Länder165. Schon bei der Auswahl könnten die Möglichkeiten späterer Zusammenarbeit berücksichtigt werden. „The tying of new bonds among the younger generation is more important for the future than the continuation of bonds already made, as with older people they generally slacken“. Mit Verweis auf die institutionelle Förderung in Deutschland, deren Resultate in den nächsten zwei Jahren zutage treten würden, schloss Fehling: „The total outcome of the Foundation’s sponsorship of the development of the social sciences in Germany cannot be valued highly enough. […] The fresh spirit of enterprise appearing in various places could not have developed without help“. Dass die Hilfe der RF in universitären Kreisen nur wenig bekannt sei, liege an der strikten Disziplin, mit der die Programme „out of publicity and the press“ gehalten würden. Fehling schlug eine Lockerung dieses Grundsatzes, insbesondere im Hinblick auf den Stipendienplan vor166. Kurze Zeit später wurde von Thomas B. Appleget das gesamte europäische Stipendienprogramm evaluiert. Zur beruflichen Entwicklung der Stipendiaten zitierte er Fehlings Bericht, demzufolge 17 der 31 ehemaligen deutschen Fellows im universitären Leben ständen167. In seinem „Diary“ klagte er: „Only about a half of these [German fellows] are in anything like academic positions“168. Außerdem kritisierte Appleget die unklare Orientierung des Stipendienplans. Da das Ziel die internationale Forschungserfahrung sei, sollten Verlängerungen vermieden werden169: Drei Stipendien von einem Jahr hielt er für sinnvoller als ein Stipendium von drei Jahren170. Day 164 Ebd., S. 2–3. 165 Ebd., S.  3. Mackenroth schloss während seines Aufenthalts in Schweden Freundschaft mit dem Ehepaar Myrdal. Sie endete, als sich Mackenroth Anfang der 1930er-Jahre den Nationalsozialisten anschloss und wurde nach dem Krieg wieder aufgenommen. Vgl. Eliæson, Sven, Gunnar Myrdal: A Theorist of Modernity, in Acta Sociologica 43 (2000), S. 333. 166 Alle vorhergehenden Zitate sind aus A. W. Fehling, Report on the Total Results of the Foundation’s Social Sciences Fellowship Plan for Germany, 21. September 1932, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151, S. 4–5. 167 Vgl. T. B. Appleget, Report on Fellowship Programs of the Rockefeller Foundation, 1932, in RACRF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 318, S. 54. 168 Auszug aus T. B. Applegets Diary, 17. Oktober 1932, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376. 169 Vgl. T. B. Appleget, Report on Fellowship Programs of the Rockefeller Foundation, 1932, in RACRF, RG 1.2, Series 100 E, box 43, folder 318, S. 57. 170 Vgl. ebd., S. 58.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

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beurteilte das Programm hingegen positiv: „It seems to me clear that it is through our fellowship operations that we get our best line upon opportunities in other forms“. In vielen Situationen könne die RF sich auf ehemalige Stipendiaten stützen. Bis auf Frankreich und Italien sei das Programm ein wirklicher Erfolg, so Day. In Frankreich waren viele Fellows in die Wirtschaft gegangen, da sie die für eine Hochschulkarriere erforderliche selektive „Agrégation“ nicht bestanden hatten. Im faschistischen Italien, so konstatierte die RF, habe das Programm unter einer Umgebung, die der Entwicklung der Sozialwissenschaften nicht förderlich gewesen sei, gelitten171. 1933 waren sich die Mitarbeiter der sozialwissenschaftlichen Abteilung über die Fortführung des Programms einig. Von den Kosten in Höhe von etwas mehr als 300.000 Dollar im Jahr entfielen etwa ein Drittel auf das amerikanische und zwei Drittel auf das Stipendienprogramm für Ausländer. Einsparungen hielten die Mitarbeiter für möglich, sie planten aber auch Ausweitungen auf den Nahen und Fernen Osten und auf dem „pre-doctoral level“, sodass insgesamt ein Etat in gleicher Höhe benötigt wurde172. Der Aspekt der internationalen Verständigung wurde jetzt stärker betont: „The international exchange of young scientists in training is not only a means of promoting more friendly international relations, it is, in addition, a means of invaluable scientific training“173. Dennoch entschieden sich die Trustees für eine Kürzung und stellten Ende 1933 150.000 Dollar für das europäische und 90.000 Dollar für das amerikanische Programm zur Verfügung174. Das europäische Programm wurde damit um 25 % gekürzt, während das amerikanische nur eine Einbuße von 10 % hinnehmen musste. Wie alle RF-Programme wurde auch das Stipendienprogramm zwischen Dezember 1933 und Dezember 1934 einer Evaluierung durch ein dreiköpfiges Komitee unter der Leitung Fosdicks unterzogen175. Die Gutachter empfahlen eine drastische Reduzierung aller Stipendienprogramme der RF, diese verschlängen mit 1,5 Millionen Dollar einen zu großen Teil des Einkommens. Das sozialwissenschaftliche Stipendienprogramm wurde scharf kritisiert. Das Profil müsse geschärft werden, die Stipendien seien auf zu viele Felder verstreut und würden nicht in den „fields of concentration“ vergeben. Die Stipendien dauerten mit 18,4 Monaten durchschnittlich zu lange und würden auch an Personen mit außerhalb der Wissenschaft liegenden 171 Auszug aus einem Brief von E.  E.  Day an S.  M.  Gunn, 25.  Januar 1932, in RAC-RF, RG  1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376. 172 Vgl. Social Sciences – Proposed Program. Extract from DR469 Agenda for Special Meeting of Trustees April 11, 1933, o. D., ohne Verfasser, in RAC, RFA, RG 3, Series 910, box 2, folder 12, S. 94. 173 Social Science – Program and Policy. Excerpt from Interim Report of activities of the RF. Presented at the Trustees Meeting December 13, 1933, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 2, folder 12, S. 21. 174 Vgl. ebd. 175 Vgl. T. B. Kittredge (?), Social Science Fellowship Program in Europe – Rockefeller Foundation, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 384, S. 7.

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Krisenzeiten

Berufswünschen vergeben. Die Ausweitung auf einige osteuropäische Staaten wurde ebenfalls in Frage gestellt: Das Pariser Büro habe selbst zugegeben, dass die dortigen Fellows „would probably be for some years inferior in quality to that of the older established university departments in the countries of Western Europe“176. Nachdem die Trustees das allgemeine sozialwissenschaftliche Stipendienprogramm gegen den Willen der Mitarbeiter der sozialwissenschaftlichen Abteilung 1934 beendet hatten, wurden bis 1936 noch übergangsweise Bewilligungen nach den alten Kriterien ausgesprochen, wobei die Anzahl der Stipendien stark reduziert wurde177. Für das europäische Programm wurden statt der 1932 zur Verfügung stehenden 200.000 Dollar nur noch 100.000 Dollar bewilligt. Kittredge rechnete aus, dass mit diesem Betrag, ziehe man Gehälter der verbliebenen „Advisors“, Verlängerungen und bereits zugesagte „Special Fellowships“ ab, nur 12 bis 15, bei äußerster Sparsamkeit 20 Neubewilligungen ausgesprochen werden könnten178. 1935 wurden nur noch 85.000 Dollar bewilligt, die bis 1937 für die Beendigung des allgemeinen Stipendienprogramms ausgegeben werden konnten. Zusätzlich stellten die Trustees 75.000 Dollar für das Jahr 1935 und 100.000 Dollar für das Jahr 1936 für Stipendien in „international relations“, „social security“ und „public administration“ bereit179. Einen Teil der Mittel für „international relations“ und „social security“ erhielt das Pariser Büro180. Ab 1935 sank die Zahl der jährlich durch das Pariser Büro bewilligten sozialwissenschaftlichen Fellowships deutlich: Nach 49 Stipendien 1934 waren es 1936 und 1937 nur noch jeweils 16. Die Stipendien wurden jetzt prioritär an Sozialwissenschaftler mit Verbindungen zu von der RF geförderten Forschergruppen oder Instituten vergeben181. Mit dem Kriegsausbruch 1939 wurde das europäische Stipendienprogramm ausgesetzt. In den folgenden zwei Jahren wurden nur mehr ein Dutzend Bewilligungen in Europa ausgesprochen182.

176 R. B. Fosdick, J. R. Angell, W. W. Stewart, Report of the Committee on Appraisal and Plan, Submitted at a meeting of the Trustees of the Foundation December 11, 1934, in RAC-RF, RG 3.1, Series 900, box 22, folder 170, S. 78–80. 177 Vgl. T. B. Kittredge (?), Social Science Fellowship Program in Europe – Rockefeller Foundation, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 384, S. 7. 178 Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum. Fellowship appointments in 1935, an S. May, 9. Januar 1935, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377. 179 Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1935, S. 201–202. 180 Vgl. „Allocation to Paris office for special fellowships“, 2.  Juli 1935, in RAC-RF, RG  1.2, Series 100 ES, box 49, folder 375. 181 Vgl. Brief von J. Van Sickle an C. Rist, 11. Dezember 1935, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377. 182 Vgl. T. B. Kittredge an J. H. Willits, Report on SS Fellowship Program (1924–1941), 19. Januar 1942, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 378, S. 2.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

401

Die Entwicklung des SSRC-Stipendienprogramms: Auslandsstudium und Interdisziplinarität

1929 übernahm die RF vom LSRM die Finanzierung des amerikanischen Stipendienprogramms, das über den SSRC verwaltet wurde. Deutschland stand den SSRCFellows weiterhin als Gastland zur Verfügung und wurde von einer steigenden Zahl der Stipendiaten ausgewählt. Das „Executive Committee“ des SSRC bat im August 1929 um 450.000 Dollar für eine fünfjährige Weiterführung des Programms183, erhielt aber nur 180.000 Dollar für die nächsten zwei Jahre184, da sich die RF nicht längerfristig binden wollte. Bei der Betreuung der Stipendiaten kooperierten RF und SSRC: Der Fellowship Secretary des SSRC Sharp beriet bis 1932 die europäischen Stipendiaten in New York, Van Sickle und Kittredge standen den SSRC-Stipendiaten in Paris zur Verfügung185. Die Anbindung der SSRC-Fellows an das Pariser Büro blieb jedoch wenig intensiv. Van Sickle stellte 1933 fest, dass die amerikanischen Stipendiaten von den ihnen in Europa gebotenen Möglichkeiten nicht profitiert hätten186. Ausgewählt wurden die SSRC-Fellows von einem fünfköpfigen Komitee des SSRC187, dessen reguläres Mitglied Sharp 1932 wurde. Die Stelle des Fellowship Secretary übernahm Donald R. Young188. Die individuelle Bemessung der Höhe des Stipendiums189 wurde 1930 durch ein jährliches Grundstipendium von 1.500 Dollar (später 1.800 Dollar) ersetzt, das je nach individueller Situation aufgestockt wurde190. Die Änderungen beseitigten die Unzufriedenheit der Stipendiaten nicht: Nach wie vor berichteten vier von fünf SSRC-Stipendiaten von finanziellen Schwierigkeiten. 183 Vgl. SSRC, Council Minutes, 26.  August 1929, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series 7.002, box 339, folder 2020. 184 Vgl. SSRC, Executive Agenda, 3.  April 1930, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series 7.002, box 339, folder 2021. 185 Vgl. SSRC, Executive Minutes, 15. November 1929, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2020. 186 Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum. Problems involved in the administration of Social Science Fellowships, Discussions in Paris, on April 28, 29 and 30, 1933, in RF-RAC, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 5. 187 Vgl. die Tabelle mit den Mitgliedern des SSRC-Komitees im Anhang. 188 Vgl. SSRC, Executive Minutes, 12.  September 1932, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series  7.002, box  339, folder  2021. SSRC, Executive Minutes, 4.  Juni 1931, in RACSSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2021. 189 Vgl. W. R. Sharp, Report on the Results of the Research Fellowship Program for the Period 1925– 1931 (confidential), 1.  Juni 1931, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series  7.002, box 339, folder 2021, S. 9. SSRC, Council Agenda, 4.–5. April 1930, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2021. 190 Vgl. SSRC, Council Agenda, 4.-5.  April 1930, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series 7.002, box 339, folder 2021, appendix K-2.

402

Krisenzeiten

Sharp entgegnete, dass viele Fellows Reisekosten für die Familie, Souvenirs und den Besuch von Sehenswürdigkeiten von ihrem Stipendium bezahlten191. Weiterhin wurden die meisten Stipendien an Wirtschafts- und Geschichtswissenschaftler vergeben. Von den zwischen 1925 und 1931 eingehenden 662 Bewerbungen wurden 505 abgelehnt. Wirtschaftswissenschaftler waren im Bewerbungsverfahren besonders erfolgreich, während die Soziologen als besonders schlecht qualifiziert angesehen wurden und nur wenige Stipendien erhielten. Die Wirtschaftswissenschaften stellten 22 % der Bewerber und 27 % der Stipendiaten, während 20 % der Kandidaten, aber nur 11 % der Fellows Soziologen waren192. Ziel des Stipendienprogramms war weiterhin das Erlernen von Forschungsmethoden benachbarter sozialwissenschaftlicher Disziplinen193. Ab 1933 wurde im Ausschreibungstext auf die Bevorzugung interdisziplinärer Projekte hingewiesen194, doch nur 15 % der Bewerbungen verbanden zwei oder mehr sozialwissenschaftliche Disziplinen. Dieser Anteil stieg im Folgejahr auf 22 %. 1936 stellte man im SSRC fest, dass es möglich gewesen sei, die Fellows zu „interdisciplinary training“ zu motivieren195. Die Zahl der Auslandsaufenthalte nahm ab 1930 zu, die Mehrheit der Arbeitspläne sah nun einen solchen vor. Nur ein Fünftel der Kandidaten wollte in den USA bleiben. Europa war das Ziel der meisten Sozialwissenschaftler, nur wenige bewarben sich für den Nahen Osten, Lateinamerika, Russland oder Australien196. Bis 1931 hatten nur 14 Fellows außerhalb der USA und Europas gearbeitet, keiner war nach Afrika gegangen197 (Abb. 8). Mit den steigenden politischen und wirtschaftlichen Spannungen in Kontinentaleuropa stieg die Nachfrage für Stipendien in Großbritannien198. Ab 1939 wurde den Stipendiaten, die einen Aufenthalt in Europa vorgesehen hatten, angeboten, 191 Vgl. W. R. Sharp, Report on the Results of the Research Fellowship Program for the Period 1925– 1931 (confidential), 1.  Juni 1931, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series  7.002, box 339, folder 2021, S. 9. 192 Vgl. SSRC, Council Agenda, 4.–5.  April 1930, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series 7.002, box 339, folder 2021. 193 Vgl. SSRC, Annual Report of the Secretary of the Committee on Social Science Personnel, September 1936, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023. 194 Vgl. SSRC, Broschüre, Research Fellowships in the Social Sciences, 1933–34, in RACSSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 338, folder 2012. 195 Vgl. SSRC, Annual Report of the Secretary of the Committee on Social Science Personnel, September 1936, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023. 196 Vgl. SSRC, Council Agenda, 4.–5.  April 1930, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series 7.002, box 339, folder 2021. 197 Vgl. W. R. Sharp, Report on the Results of the Research Fellowship Program for the Period 1925– 1931 (confidential), 1.  Juni 1931, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series  7.002, box 339, folder 2021, S. 3. 198 Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1937, S. 292.

403

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

40 Anzahl Fellows

30

West- und Mitteleuropa Vereinigte Staaten Sonstige

20 10 1925

1926

1927

Jahr

1928

1929

1930

Abbildung 8: Studienorte der SSRC-Fellows, 1925/26–1930/31. (Quelle: W. R. Sharp, Report on the Results of the Research Fellowship Program for the Period 1925–1931 (confidential), 1. Juni 1931, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2021, Table V, Analysis of Appointments by geographic areas of studies, S. 26).

stattdessen ein Studienprogramm in den USA zu absolvieren199. Mit dem Kriegseintritt der USA 1941 wurden keine Fellows mehr nach Europa und Asien gesandt, dafür aber die Verbindungen nach Lateinamerika ausgebaut200. Nicht nur in der RF, auch im SSRC intensivierte man die Betreuung der Stipendiaten. Sie erhielten eine stärkere Unterstützung bei der Wahl der Gastinstitutionen, dem Aufbau von wissenschaftlichen Kontakten und der Integration in bestehende Forschergruppen. Dies war eine Reaktion darauf, dass die nur sehr geringe Einflussnahme auf die Pläne der Fellows in manchen Fällen zu unnötigen Reisekosten, unklugen Studienplänen und zögerlichen Kontaktaufnahmen geführt hatte201. 1931 zeichnete Sharp ein sehr positives Bild der SSRC-Stipendiaten. Sie seien „an ensemble of accomplishments that probably could not be equaled by any group of young American social scientists of the same number and age range, no matter how selected“202. Zu einem wesentlich kritischeren Urteil kam das vom SSRC eingesetzte „Committee on Social Science Personnel“ 1932203. Wegen der schon zu stark gefes199 Vgl. SSRC, Committee on Social Science Personnel. Annual Report 1938–39, in RACSSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2025. 200 Vgl. Q. McNemar, Supplementary Report, and Results of a Questionnaire Study, 29. März 1942, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 340, folder 2027, S. 19. 201 Vgl. ebd., S. 11. 202 Ebd., S. 16–19. 203 Vgl. Committee on Social Science Personnel, Report of the Committee on Social Science Personnel, September 1932, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series  7.002, box  339, folder 2021.

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Krisenzeiten

tigten wissenschaftlichen Ausrichtung der Fellows bei Erhalt des Stipendiums sei eine Hinführung zur Arbeit mit „primary date of social behavior“ nicht mehr möglich. Stipendien, die in der Zeit der Doktorandenausbildung vergeben würden, seien hier erfolgreicher204. Der SSRC beschloss daraufhin, die Zahl der Stipendien für Promovierte zu verringern und ein neues Stipendienprogramm für Doktoranden zu entwickeln205. Die Anzahl der vergebenen Stipendien ging stark zurück: Nach 31 Neubewilligungen im Jahr 1932 wurden 1933 nur mehr 14 Stipendien bewilligt206. Ab 1935 wurden nach langen Diskussionen „Pre-Doctoral Fellowships of Graduate Study“ für die Graduiertenausbildung in den USA und „Pre-Doctoral Field Fellowships“ für fortgeschrittene Doktoranden, die auch für einen Auslandsaufenthalt verwendet werden konnten, vergeben207. Die RF stellte ihre Mittel nur für die „Field Fellowships“ und die „Post-Doctoral Fellowships“ zur Verfügung208. Die Auswahl sämtlicher Stipendiaten wurde dem in „Committee on Social Science Personnel“ umbenannten Auswahlkomitee übertragen209. Insgesamt profitierten zwischen 1925 und 1940 über 500 Sozialwissenschaftler von den verschiedenen SSRC-Fellowships (Post- und Pre-Doctoral Fellowships, Southern Fellowships, Agricultural and Rural Sociology Fellowships)210. Für ein Studium in Deutschland kamen nur die „Post-Doctoral Fellows“ und ein Teil der „Pre-Doctoral Fellows“ in Frage, da die anderen Stipendien ausschließlich für Studien in den USA bestimmt waren211. Insgesamt zeichnete sich die Stipendienverwaltung der RF und des SSRC ab 1929 durch klarere Verwaltungspraktiken, effektiveres Kostenmanagement und eine stärkere Kontrolle der Stipendiaten aus. Hatte das LSRM sehr auf die Eigeninitiative der Fellows gesetzt, wurde jetzt auf die Einhaltung der Richtlinien gedrungen. Für die Umsetzung der Stipendienprogramme in Deutschland war jedoch nicht das Jahr 1929 der entscheidende Wendepunkt, sondern die Machtübernahme durch die 204 Committee on Social Science Personnel, Report of the Committee on Social Science Personnel, September 1932, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2021, Appendix XVI, S. 5–6. 205 Vgl. SSRC, P&P Minutes, 7.–9. September 1932, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2021. 206 Vgl. Report of the Committee on Social Science Personnel to the Council, 1934–35, in RACSSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023. 207 Vgl. ebd. 208 Vgl. SSRC, P&P Minutes, 25. Juli 1936, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023. 209 Das 1930 eingesetzte „Committee on Social Science Personnel“ wurde aufgelöst. Vgl. SSRC, Executive Minutes, 12.–14.  September 1933, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series 7.002, box 339, folder 2022. 210 Vgl. Fisher, Fundamental Development, S. 200. 211 Für nähere Angaben zu den ausländischen Fellows des SSRC und der RF in Deutschland siehe das Kapitel 6.4.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

405

Nationalsozialisten 1933 und die Aufgabe des Stipendienprogramms durch die RF Ende 1934.

6.2 Die Stipendienvergabe im nationalsozialistischen Deutschland Stand in den Diskussionen um die Fortführung der institutionellen Förderung im NS-Regime die Frage der Forschungsfreiheit im Mittelpunkt, waren es beim Stipendienprogramm die Fellows selbst – ihre Auswahl, die Organisation ihres Auslandsaufenthalts und die späteren Karriereaussichten. Drei Fragen wurden besonders intensiv diskutiert: War die Auswahl durch das Deutsche Komitee unbeeinflusst von den neuen Machthabern? Wie sollte mit Bewerbern umgegangen werden, die im Heimatland keine Karriereaussichten mehr hatten? Sollte die RF ehemalige Stipendiaten, die durch die Nationalsozialisten verfolgt wurden, unterstützen? Das Deutsche Komitee im Nationalsozialismus

Im Deutschen Komitee war Mendelssohn Bartholdy unmittelbar von der NS-Machtübernahme betroffen. Er teilte Fehling am 1. September 1933 mit, dass seine Professur in Hamburg aufgehoben werde212. 1934 emigrierte er mit Unterstützung der RF nach England213. Oncken wurde 1935 zwangsemeritiert, nachdem einer seiner Schüler, der überzeugte Nationalsozialist Walter Frank, ihn auf dem Titelblatt des Völkischen Beobachters als korrupt und wie alle Geheimräte „vom Werden ihrer Nation und ihrer Zeit hilflos überrannt“ bezeichnet hatte214. Schmidt-Ott hatte als Präsident die Notgemeinschaft zwar in vorauseilendem Gehorsam selbst gleichgeschaltet und sich den neuen Machthabern angebiedert, wurde aber im Juni 1934 gegen seinen Willen durch den Nationalsozialisten Johannes Stark ersetzt215. 212 Vgl. Brief von A. Mendelssohn Bartholdy an A. W. Fehling, 1. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 213 Vgl. Huhn, „Europäische Gespräche“, S. 94. 214 Vgl. Haar, Ingo, Historiker im Nationalsozialismus: deutsche Geschichtswissenschaft und der „Volkstumskampf “ im Osten, Göttingen, 22002, S. 229 (Im Folgenden zitiert als Haar, Historiker im Nationalsozialismus). 215 Vgl. Mertens, „Nur politisch Würdige“, S.  62–63, 67–70. Bis 1945 gehörte Schmidt-Ott dem Aufsichtsrat der IG Farben an. Vgl. Vom Brocke, Bernhard, Schmidt-Ott, Friedrich Gustav Adolf Eduard Ludwig, in NDB 23 (2007), S. 165–167. Zur Deutschen Forschungsgemeinschaft ab 1934 siehe Mertens, Lothar, Deutsche Forschungsgemeinschaft unter Johannes Stark, in Haar, Ingo; Fahlbusch, Michael (Hgg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München, 2008, S. 116–122.

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Krisenzeiten

Kittredge notierte, keines der Komitee-Mitglieder sei „in sympathy with the present régime, but their attitude is not one of active opposition. They recognize the good aspects of the Nazi movement and are disposed to wait for its evolution from the revolutionary to the administrative stage“. Die Professoren versicherten Kittredge ihre Unabhängigkeit und dass die führenden Nationalsozialisten die Kontakte mit amerikanischen und britischen Institutionen erhalten wollten. Zudem seien kaum Mitglieder der NSDAP unter den Bewerbern, da vor April 1933 nur wenige „universitary men“ der Partei beigetreten seien. „The Committee feels that they will not be expected to show any preference to party members among the candidates. Nor do they intend to do so. In fact, it would appear probable that active membership in the party would weigh against a candidate rather than for him“. Mit Ausnahme der jüdischen Bewerber hätten die sozialwissenschaftlichen Stipendiaten genauso gute Aussichten auf eine akademische Karriere wie zuvor „and probably more rapidly“216, erklärten die Komitee-Mitglieder laut einer Zusammenfassung des Gesprächs durch Kittredge. Ende 1933 wurde die Zusammensetzung des Komitees Gegenstand interner Diskussionen in der RF. Das 72-jährige Komitee-Mitglied Paul Kehr wollte seine Tätigkeit beenden217 und auch Hermann Oncken erreichte das Rentenalter. Im Dezember 1933 entschied sich die RF auf Vorschlag Kittredges gegen Veränderungen, da „[d]iscontinuance of the Committee at this time, or even alteration in its personnel, would have political implications“. Kittredge zeigte sich überzeugt, dass das Komitee auch weiterhin „the type of men we can have confidence in“218 nominieren würde. Ein Jahr später verlangte Day von Kittredge einen ausführlichen Bericht zur Lage des Deutschen Komitees, den dieser nutzte, um die Vor- und Nachteile der aktuellen Zusammensetzung abzuwägen. Gegen das Komitee spreche, dass die relativ alten Mitglieder nicht mehr in Fühlung mit der neuen Wissenschaftlergeneration ständen. Da sie außerdem „practically unanimously opposed to the present régime“ seien, könne ihre Inanspruchnahme durch die RF in Deutschland als „anti-Nazi policy“ interpretiert werden. Andererseits seien die Professoren weiterhin sehr angesehen und ihre Entscheidungen würden nicht in Frage gestellt. Dies sei ein Schutz für Fehling: „His refusal to associate himself with the new régime might make him 216 Alle vorherigen Zitate sind aus: T.  B.  Kittredge an J.  Van Sickle, Memorandum, Conversations with A. W. Fehling, Dr. Schmidt-Ott, Prof. H. Oncken, and Prof. Schumacher, Berlin, November 26–27, 1933, o. D., in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151, S. 1–2. 217 Paul Kehr hatte bereits 1931 gegenüber Friedrich Schmidt-Ott Rücktrittsabsichten geäußert, die dieser aber zurückwies. Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an P.  Kehr, 19.  November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 218 Brief von J. Van Sickle an E. E. Day, 1. Dezember 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

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subject to attack if his action in Germany were not covered by a committee composed of personalities as distinguished as the present members of the German committee“219. Eine Absetzung könne außerdem von Mitgliedern, die sich wie Schmidt-Ott und Kehr besonders engagiert hätten, als Affront empfunden werden220. Im Januar 1935 entschied sich die RF für eine einjährige Weiterführung des Komitees ohne Änderungen in seiner Zusammensetzung221. Mit personellen Veränderungen zu einem späteren Zeitpunkt hatte sich Fehling zuvor einverstanden erklärt. Er dachte an eine Berufung ehemaliger Stipendiaten wie Predöhl, Vossler oder Adolf Rein, der mit einer „visiting fellowship“ des LSRM die USA bereist hatte und unter den Nationalsozialisten Rektor der Universität Hamburg geworden war222. Mendelssohn Bartholdy bezeichnete Rein wegen der von ihm betriebenen Gleichschaltung der Universität als „Professor Unrein“223 und hätte wohl kaum mit diesem in einem Komitee zusammengearbeitet. Doch Fehling war augenscheinlich zur Berufung eines dezidiert nationalsozialistischen Professors und dem daraus resultierenden Ausschluss Mendelssohn Bartholdys bereit. Diese Planungen wurden durch die Einstellung des allgemeinen Stipendienprogramms und die Auflösung des Deutschen Komitees zum 31. Dezember 1935 gegenstandslos. Fehlings Stelle wurde auf reduziertem Niveau um ein Jahr verlängert und lief Ende 1936 endgültig aus224. Ab Ende 1936 antwortete Fehling auf alle Anfragen von Interessenten mit einer „discouraging reply“ und verwies sie an das Pariser Büro225. Trotzdem setzte er sich bei der RF weiter für die Bewilligung einzelner Stipendien an deutsche Sozialwissenschaftler ein.

219 T. B. Kittredge, Memorandum: Present situation of German Advisory Committee – conversations TBK with AWF and various professors in Berlin and Kiel – Nov. 1–4, 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151, S. 3. 220 Ebd. 221 Vgl. E. E. Day, Resolved that …, 3. Januar 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151. 222 Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum: Present situation of German Advisory Committee – conversations TBK with AWF and various professors in Berlin and Kiel – Nov. 1–4, 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151, S. 4. 223 Vgl. Vagts, Alfred, Albrecht Mendelssohn Bartholdy. Ein Lebensbild, in Mendelssohn-Studien 3 (1979), S. 223. 224 Vgl. Brief von T. B. Appleget an A. W. Fehling, 15. Mai 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151. Siehe auch Brief von T. B. Appleget an H. Oncken, 15. Mai 1935, in Niedersächsisches Landesarchiv, NL H. Oncken 271–14, Nr. 684 (Berufung Onckens, 1907– 1941). 225 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an S. May, S. H. Walker und J. Van Sickle, 8. Dezember 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151.

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Krisenzeiten

Neue Kriterien für die Bewerberauswahl?

Die Frage, inwieweit den veränderten politischen Umständen bei der Bewerberauswahl Rechnung getragen werden sollte, bestimmte die Diskussionen der Stiftungsmitarbeiter ab Mai 1933. Die Richtlinie, von allen Stipendiaten eine Rückkehr ins Heimatland und gute Karriereaussichten zu verlangen, ließ sich nicht mehr anwenden, ohne unter das Beamtengesetz fallende Kandidaten auszuschließen. „Is it to be understood that scholars who fail to sympathize with the Nazi movement or principles are ipso facto excluded from consideration?“226 fragte E. R. A. Seligman von der Columbia University. In der Frage, wie streng die bisherigen Kriterien angewendet werden sollten, divergierten die Meinungen in Berlin, Paris und New York. Fehling legte auf eine „assurance of a future position which would permit the Fellow to continue his scientific work in Germany“ großen Wert. Kittredge riet ihm jedoch, unter den gegenwärtigen Umständen eine „somewhat more liberal interpretation to this clause than in the past“ anzuwenden227. Bewerber mit dem Ziel der Emigration sollten abgelehnt, eine feste Stellenzusage jedoch nicht verlangt werden. „I think that we would be unwilling to see candidates of higher personal qualities disqualified in favor of others with less qualification merely because the latter may now be assured more definitely of an academic appointment“228. Day fügte jedoch handschriftlich hinzu: „Criterion is presumption that a person will be able to work effectively under present regime“229. E. R. A. Seligmans oben zitierte Anschuldigung wies er zurück, indem er betonte, dass unter den 1934 vom Komitee ausgewählten Bewerbern zwei Sozialwissenschaftler jüdischer Herkunft seien. Allerdings hätte „any one definitely opposed to or excluded from the present regime“ kaum Chancen, da die RF lange Zeit die Position vertreten habe, dass Stipendiaten gute Aussichten auf eine Karriere im Heimatland haben sollten. „It has never been our intention that the fellowship appointments should be used as a means of expatriation. This doubtless has some bearing on the character of the recommendations from our German committee operating under conditions which now prevail in Germany“230. Auch Kittredge blieb dabei, dass neben der wissenschaftlichen Qualität auch die Wahrscheinlichkeit, mit der ein

226 Brief von E. R. A. Seligman an E. E. Day, 23. Mai 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151. 227 Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 30. Oktober 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151, S. 1. 228 Ebd. 229 Ebd., S. 2. 230 Brief von E. E. Day an E. R. A. Seligman, 8. Juni 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

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Bewerber anschließend im Heimatland einer sinnvollen Arbeit nachgehen könne, als Auswahlkriterium herangezogen werden sollte231. Der New Yorker Officer Stacy May gab zu bedenken, dass die RF für das Schicksal ehemaliger Fellows zwar keine direkte Verantwortung trage, es aber auch eine praktische und menschliche Seite gebe. Dies spreche dafür, nur erstklassige Bewerber aufzunehmen, für die später einfacher eine Stelle gefunden werden könne. Wenn Unwägbarkeiten sehenden Auges eingegangen würden, müsse die RF die Konsequenzen tragen: „[W]hen the time comes for salvaging them“ solle großzügig mit Verlängerungen und „grants-in-aid“ umgegangen werden232. Van Sickle riet dagegen in anderer Hinsicht zu besonderer Vorsicht bei der Auswahl der Fellows: „It is obvious that many of the men appear to harbor in secret hope that the fellowship period may open up positions for them abroad. We must guard the fellowship program against this danger“233. Die Zahl der deutschen Stipendien müsse in den nächsten Jahren äußerst gering gehalten werden234. In den Richtlinien für 1935 heißt es: „Preference is given to those properly qualified candidates who have definite assurances of a position at the end of the fellowship period which will enable them to continue their research under favorable conditions“235. Mendelssohn Bartholdy forderte die RF 1935 zur Beendigung des Stipendienprogramms in Deutschland auf und plädierte dafür, „men of liberal tradition and those falling under the non-Aryan clause“, die im NS-Regime keine Aussicht auf eine Stelle hätten, nicht zur Rückkehr zu bewegen und ihnen Verlängerungen für zwei bis drei Jahre zu gewähren. In dieser Zeit würden sich ihre Aussichten in Deutschland verbessern. Zudem setzte er sich dafür ein, erneute Bewilligungen an ehemalige Fellows auszusprechen, deren Stellen in Deutschland gefährdet seien. Kittredge antwortete ihm, dass das Stipendienprogramm in Deutschland stark reduziert und Verlängerungen und erneute Bewilligungen im Einzelfall geprüft würden. Er stellte aber auch klar: „The fellowships were definitely intended for men whose careers were in universities of their own country“236. Außerdem wies er Mendelssohn Bartholdy 231 Vgl. Memorandum von T. B. Kittredge an S. May, European Fellowship Program, 6. Juli 1934, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377, S. 1. 232 Brief von S. May an T. B. Kittredge, 3. August 1934, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377. 233 Brief von J. Van Sickle an T. B. Kittredge, 28. November 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195. 234 Vgl. ebd. 235 Rockefeller Foundation, Fellowship Program in the Social Sciences in Europe, o.  D. (1935), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44. 236 T.  B.  Kittredge, Memorandum. Fellowship Program in Germany. Conversation of TBK with Prof. Mendelssohn-Bartholdy, Paris, January 17, 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151, S. 2.

410

Krisenzeiten

auf den Hilfsfond für entlassene Wissenschaftler der Stiftung hin237. Auch Fehling sprach sich gegen die Ausgabe der Gelder des Stipendienprogramms für „men now outside of Germany“ aus238. Eine offizielle Änderung der Regeln für die Stipendienvergabe erfolgte nicht, die Stipendiaten mussten sich weiterhin zu einer Rückkehr ins Heimatland verpflichten. Fehling legte sehr großen Wert auf die Einhaltung dieser Regel und verlangte von den Stipendiaten eine Art persönliches Versprechen zur Rückkehr. Sollten zu viele Fellows das Programm zur Emigration nutzen, befürchtete er negative Auswirkungen auf die Anzahl der in Deutschland zu vergebenden Stipendien. Er war daher sehr ungehalten, wenn Fellows im Ausland blieben239. Eine immer schwierigere Bewerbersuche

Für Fehling wurde die Bewerbersuche zunehmend schwieriger, da er großen Wert auf die korrekte Anwendung der von der RF festgelegten Richtlinien legte und nach Kandidaten suchte, die ein bis zwei Jahre im Ausland verbringen wollten, um anschließend in Deutschland eine akademische Karriere anzustreben. Viele Kandidaten kamen für seine Vorauswahl nicht mehr in Frage, da sie ihre Stellen verloren oder ungünstige Zukunftsaussichten hatten. Im Sommer 1933 wandte sich Hans Rothfels, der einzige deutsche Ordinarius für Neuere Geschichte jüdischer Herkunft240, vertraulich an Fehling, da er zwei Kandidaten vorschlagen und in Erfahrung bringen wollte: „a) ob eine Empfehlung durch mich in Gefahr steht, schädigend zu wirken, b) ob bezüglich der Kandidaten die persönlichen Nachweisungen sich bis auf die 4 Grosseltern zu erstrecken haben“241. Fehling antwortete: Zu a) kann ich Sie vollkommen beruhigen. Unsere Gewichte sind nicht neu geeicht. Mit dem Punkt b) liegt es schwieriger. Die Foundation verlangt seit Jahren neben einer schriftlichen Erklärung über die Absichten der Rückkehr nach Deutschland einen Nachweis über die akademischen Zukunftsaussichten. Sind diese von vornherein negativ, bewilligt die Foundation den Antrag nicht242.

237 Vgl. ebd. 238 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an S. H. Walker, J. Van Sickle und S. May, General Situation in Germany, 13. März 1935, in RAC-RF, RG 2 (1935), Series 717, box 126, folder 955, S. 5. 239 Zur Frage der Rückkehr und der Emigration siehe das 9. Kapitel dieser Arbeit. 240 Vgl. Eckel, Jan, Hans Rothfels: Eine intellektuelle Biographie im 20. Jahrhundert, Göttingen, 2005, S. 184. 241 Brief von H. Rothfels an A. W. Fehling, 4. Juli 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 242 Brief von A. W. Fehling an H. Rothfels, 8. Juli 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

411

Im November 1933 riet er Rothfels davon ab, Heinrich Schaudinn zu einer Bewerbung zu ermutigen. Die RF halte an guten Karriereaussichten im Heimatland fest und auch wenn eine Ausnahme gemacht würde, würde die Wahl des Komitees wohl nicht auf Schaudinn fallen. Er könne sich, wenn er Boden gefasst habe, später bewerben243. Während Fehling viele Anfragen entlassener Wissenschaftler erreichten, bewarben sich Sozialwissenschaftler mit Karriereaussichten in der NS-Diktatur kaum. „Even good Nazis are hesitant to go away fearing to miss opportunities for advancement“244, notierte Lambert im September 1933 in sein „Diary“. Für das Jahr 1935, so hatte Kittredge mitgeteilt, standen zwei bis drei Stipendien zur Verfügung245. Der Stiftungsmitarbeiter kündigte außerdem seine Teilnahme an der Auswahlsitzung an246. Die Anträge seien „sehr wenige an der Zahl und zudem von geringem Gewicht“, klagte Fehling. „Oft sind sogar persönliche Schwierigkeiten die eigentliche Triebfeder der Bewerbung“. Wenn es nicht gelänge, ein oder zwei „wirklich gute Kandidaten zu finden“, sähe er die Zukunft des Stipendienplans pessimistisch. Er bat ehemalige Fellows um Ratschläge und unterzeichnete mit „Ihr sorgenvoller Fehling“247. Gleichzeitig sah er das Problem, niemandem raten zu können „eine gute Stellung zu früh aufs Spiel“ zu setzen248. Nach einigen Absagen blieben drei bis vier Interessenten in Berlin sowie zwei in Frankfurt und zwei in Leipzig249. Die letzte Sitzung des Deutschen Komitees fand am 1. April 1935 statt, „im Hause Seiner Exzellenz“ Friedrich Schmidt-Ott, in Berlin Steglitz250. Kittredge war entgegen seiner ursprünglichen Planung verhindert251. Schon im Vorfeld hatte Fehling 243 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Rothfels, 24. November 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. 244 R. A. Lambert, Diary, 13. September 1933, in RAC-RF, RG 12.1, Robert A. Lambert Diaries, box 255, 1932–1933, S.160. 245 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 10. Januar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 246 Vgl. A. W. Fehling an F. Schmidt-Ott, 15. Januar 1935, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 2. Fehling zitiert in dem Schreiben an SchmidtOtt einen Brief des Pariser Büros der Rockefeller Stiftung. 247 Brief von A. W. Fehling an G. Mackenroth, 30. Dezember 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 61. 248 Brief von A. W. Fehling an G. Mackenroth, 22. Januar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 61. 249 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 1. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 250 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Schumacher, 1. April 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 251 Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum an S. May und J. Van Sickle, Problem of German fellowship appointments, 15. Februar 1935, in RAC, RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 184, S. 1.

412

Krisenzeiten

die Mitglieder des Komitees darauf hingewiesen, dass nur Bewerber ausgewählt werden sollten, die „mit Bestimmtheit zurückkehren und bei denen eine Gewähr für den Antritt einer entsprechenden Universitätsstellung gegeben ist oder die über ein Einkommen verfügen, das eine weitere wissenschaftliche Arbeit sicher stellt“252. Die Komitee-Mitglieder einigten sich auf drei Kandidaten und leiteten zusätzlich noch eine vierte Bewerbung nach Paris weiter. Als vielversprechendsten Antragsteller schätzte Fehling Hans Erich Stier ein. Dieser plante in Italien eine Untersuchung über die Auswirkungen des Romgedankens im italienischen Faschismus253 durchzuführen, zog seine Bewerbung dann jedoch zurück. „I am terribly disappointed“254, schrieb Fehling an Kittredge. Auch die beiden anderen Bewerber sagten ab, sodass nur der vierte Antragsteller, Helmut Haufe, für ein Stipendium in Rumänien in Frage kam255. Kittredge hielt die Stipendien noch eine Weile offen256, doch Fehling gelang es nicht, passende Bewerber zu finden257. 1937 standen dem Pariser Büro Mittel für letzte Bewilligungen im Rahmen des alten Stipendienplans zur Verfügung, mit denen alte Zusagen erfüllt werden sollten258. Für Deutschland nannte Fehling zwei Fälle, doch keiner der ehemaligen Bewerber wollte das Stipendium in Anspruch nehmen259. Im Bereich der „international relations“ wurden in Deutschland keine Stipendien vergeben, da eine politische Einmischung bei unliebsamen Forschungsergebnissen befürchtet wurde260. Fehling setzte sich weiter für gelegentliche Bewilligungen ein und betonte, dass ein Auslandsaufenthalt für junge Sozialwissenschaftler mit internationalen Forschungsthemen äußerst wichtig sei261. Als 1938 die Anfrage eines Bonner Anthropologen für eine „Special 252 Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 29. März 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 253 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Junker, 12. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 254 Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 14. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. Stier hatte die Vertretung einer Professur in alter Geschichte an der Universität Münster angenommen. 255 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 14. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 256 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 18. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 257 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 13. August 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 258 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 17. Oktober 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44. 259 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 31. Oktober 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44. 260 Brief von S. H. Walker an J. M. Paine, 26. Juli 1936, in RAC-RG, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 150. 261 Memorandum von T. B. Kittredge an S. H. Walker und J. Van Sickle, Support of Social Science Activities in Germany, 30. September 1937, in RAC-RF, RG 2 (1937), Series 717, box 152, folder 1128, S. 1.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

413

Fellowship“ für die USA einging262, riet Stacy May Kittredge von der Aufforderung zu einer formalen Bewerbung ab: „The intellectual climate here is far from conductive to encouraging a satisfactory adjustment on return to Germany – or even to inducing a desire to return – and day by day it grows less rather than more favorable“263. Die letzte Bewilligung an nicht emigrierte deutsche Sozialwissenschaftler ging 1938 an Walther Hoffmann, Herausgeber des Weltwirtschaftlichen Archivs in Kiel. Der Direktor des Weltwirtschaftsinstituts Predöhl hatte sich besonders für ihn eingesetzt. Hoffmann hatte bei Löwe promoviert und war von Colm nach Kiel geholt worden. 1933 hatte er sich als SA-Mann an den Angriffen gegen Colm und Neisser beteiligt264. Ein Stipendium für die USA lehnten Van Sickle und Kittredge ab265, Hoffmann erhielt stattdessen eine einjährige Bewilligung für England, Italien und die skandinavischen Länder, um dort „Methods of stabilizing economics in Europe, with special respect to the organization for foreign trade“ zu untersuchen. Er begann sein Stipendium im Januar 1939 in England, um es im Juni 1939, aus der RF unbekannten Gründen, zu unterbrechen. „No explanation of shortened period given, but presumably because of war clouds over Europe“266, wurde auf seiner Fellowship Card notiert. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Hoffmann als Pionier der quantitativen Wirtschaftsgeschichte bekannt267. In den 1950er-Jahren erhielt er weiterhin Unterstützung durch die RF268. Die Stiftung bewilligte bis 1941 noch drei weitere Stipendien, die an exilierte Sozialwissenschaftler (Svend Riemer, Jacob Marschak und Albert O. Hirschmann) vergeben wurden. Für die bereits im Ausland forschenden Stipendiaten wurde es ab 1933 schwierig, Verlängerungen zu erhalten. Den Stipendiaten jüdischer Herkunft fehlten die notwendigen Karriereaussichten. Im Mai 1933 schlug Van Sickle statt einer einjährigen Verlängerung eine Weiterförderung von drei bis vier Monaten für einen der jüdischen Fellows vor269. Für die anderen Stipendiaten befürchtete Fehling, dass eine lange Abwesenheit die Wiedereingewöhnung erschwere und der Karriere schaden könne270. 262 Es handelte sich um Wilhelm Milke, Assistent am historischen Seminar der Universität Bonn. 263 Brief von S. May an T. B. Kittredge, 17. März 1938, in RAC-RF, RG 2 (1938), Series 717, box 168, folder 1221. 264 Vgl. Dieckmann, Wirtschaftsforschung für den Großraum, S. 163, 189. 265 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum. Comment on TBK’s memo of December 21, 1937 on the German Social Sciences, in RAC-RF, RG 2 (1938), Series 717, box 168, folder 1221. 266 W. Hoffmann, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 Fellowship Cards. 267 Vgl. Dieckmann, Wirtschaftsforschung für den Großraum, S. 189. 268 Vgl. W. Hoffmann, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 Fellowship Cards. 269 Vgl. R.  A.  Lambert, Diary, 22.  Mai 1933, in RAC-RF, RG  12.1, Robert A. Lambert Diaries, box 255, 1932–1933, S. 84. 270 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 8. August 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43.

414

Krisenzeiten

Die RF hatte 1935 mitgeteilt, dass Stipendien nun auf ein Jahr beschränkt würden, ließ dann aber Ausnahmen zu271. Dem Stipendiaten August Lösch verwehrte die RF 1935 trotz Fehlings Zustimmung eine Verlängerung. Er kehrte im Dezember nach Deutschland zurück. „Empfindungslos übern Rhein. Deutschland! Erster Eindruck: alles beim Alten. Soliditierung des Systems. Daß man nicht mehr sagen darf, was man denkt, ist schwer. Aber untragbar ist, daß man nicht mehr so leben darf “272, notierte er in sein Tagebuch. Ihm wurde für das Jahr 1936/37 als Ersatz für die abgelehnte Verlängerung eine zweite Fellowship gewährt273. „[I]t is a case of salvaging investment“: Der Umgang mit entlassenen und verfolgten ehemaligen Stipendiaten

Ab 1933 stellte sich den Mitarbeitern der RF die Frage, wie mit ehemaligen Fellows umgegangen werden sollte, die aufgrund der NS-Machtübernahme in Schwierigkeiten gerieten. Eine Entscheidung musste gefällt werden, als der Vater der ehemaligen Stipendiatin Elisabeth Feist die RF um Hilfe bat, weil seine Tochter als Jüdin und Frau in Deutschland keine berufliche Perspektive mehr habe. Van Sickle vertrat in diesem Fall den Standpunkt, dass eine Förderung nicht in Frage komme, da für Feist in Deutschland eine wissenschaftliche Karriere nicht mehr möglich sei. Ginge es nur darum, eine schwierige Zeit zu überbrücken, läge der Fall anders. „Grants-in-aid“ sollten seiner Meinung nach genutzt werden, um ehemalige Stipendiaten in Kontakt mit ausländischen Universitäten zu bringen. Er sprach sich dafür aus, Ex-Fellows in das Hilfsprogramm für „deposed scholars“ aufzunehmen274. Dieser Vorschlag widersprach allerdings Days Konzeption des Hilfsprogramms, dessen Bedingungen („prominence or demonstrated rare promise“) ehemalige Stipendiaten nur in Ausnahmefällen erfüllten. Für die meisten käme daher, so Day, nur das „regular grant-in-aid program“ in Frage275. Im Februar 1934 entschieden die Rockefeller Mitarbeiter auf einer „Staff Conference“ jedoch, „selected deposed exfellows“ aus dem „special fund for deposed scholars“ zu unterstützen, entweder durch 271 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Lösch, 17. Juli 1935 in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 272 A. Lösch, Tagebucheintrag vom 17. Dezember 1935, in Lösch, Aus Tagebüchern und Briefen 1925 bis 1945, S. 93. 273 Vgl. A. Lösch, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 274 Vgl. Auszug aus einem Brief J. Van Sickles an S. Walker, 5. Oktober 1933, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376. 275 Vgl. Brief von E. E. Day an J. Van Sickle, 4. November 1933, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 2. Brief von S. May an T. B. Kittredge, 13. Januar 1934, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

415

„research aid“ an Institutionen oder durch „a purely placement mechanism“276. 1935 betonte Day, die RF solle dort unterstützen, wo es ohne hohe Ausgaben möglich sei. Die Stiftung habe bereits viel in die Fellows investiert „and it is a case of salvaging investment“. Mason erklärte, die Hilfe solle „under conditions of permanent appointment and final appropriation“ verwaltet werden277. Acht der ehemaligen Fellows profitierten schließlich von einer Bewilligung, weitere wurden durch Beihilfen des Pariser Büros unterstützt278. Im Ergebnis vermied die RF dauerhafte Unterstützungsleistungen für ehemalige Stipendiaten und half ausschließlich temporär, wenn zukünftige Karrieren im Aus- oder Inland wahrscheinlich erschienen.

6.3 Die deutschen Fellows der RF (1929–1940) Insgesamt wurde von 1929 bis 1940 45 Stipendiaten, die dem deutschen Kontingent zuzurechnen sind, eine „Research Fellowship“ bewilligt, sechs erhielten eine „Special Fellowship“ und einer eine „Training Fellowship“. Deutsche Staatsbürger, die von Beratern anderer Länder vorgeschlagen wurden, werden in der folgenden Analyse nicht berücksichtigt. So wurde der Prager Professor Robert Neuner vom tschechoslowakischen Berater nominiert, erst später fand die RF heraus, dass er Deutscher war279. Zwei gebürtige Deutsche, die ihre Laufbahn in der Schweiz und Österreich begannen, erhielten von dort aus ihr Stipendium280. „Research Fellowships“, „Special Fellowships“ und „Training Fellowships“ für deutsche Sozialwissenschaftler

Da Fehling eine Vergabe von „Training Fellowships“ in Deutschland ablehnte, erhielt die große Mehrheit der deutschen Stipendiaten „Research Fellowships“. In der folgenden Tabelle sind alle in Deutschland vergebenen Stipendien erfasst.

276 Protokoll Staff Conference, 1. Februar 1934, in RAC-RF, RG 3, Series 904, box 4, folder 26, S. 4. 277 Staff Conference, 24. Oktober 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 1, folder 5. 278 Vgl. T. B. Kittredge, Possible Further Grants-in-Aid to Deposed Scholars Social Sciences, 14. Oktober 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 1, folder 5. 279 Fehling war mit der Verwaltung des Stipendiums nicht weiter befasst. Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 20. Juni 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 280 Es handelte sich um Arthur Schweitzer (Schweiz) und Gerhard Tintner (Österreich).

416

Krisenzeiten

Tabelle 14: Die deutschen Rockefeller Stipendiaten („Research Fellows“, „Special Fellows“ und „Training Fellows“), 1929–1940. Jahr

Name, Vorname

Geburts-

Institution in Deutsch-

datum

land

Zielland

Disziplin

1929 1

Back, Josef

1903

Univ. Freiburg

USA

Economics

2

Feist, Elisabeth

1904

(keine Angabe)

Frankreich

Political Science

3

Kohn, Leo*

1894

Hebrew Univ. von Jerusalem, London

Irland, England

Political Science, Law

4

Meier, Harri

1905

Univ. Hamburg

Frankreich

Political Science

5

Meynen, Emil 1902

Univ. Köln

USA, England

Geography

6

Tönniessen, Hedwig

1902

Univ. Heidelberg

England, Frankreich, Orient

Sociology

1

Erdsiek, Gerhard

1897

Prov. Court, Berlin

England

Law

2

Mellerowicz, Konrad

1891

Handelshochschule, Berlin

USA

Economics

3

Morstein Marx, Fritz

1900

Hamburg (Regierungsrat)

USA

Political Science

4

Pfister, Bernhard

1900

Univ. Freiburg

England

Economics

5

Rittershausen, 1898 Heinrich

Notgemeinschaft, Berlin (Stipendiat)

Frankreich

Economics

6

Rohden, Peter 1891 Richard

Univ. Berlin

Frankreich

Political Science

1

Drescher, Leo

1902

Deutsches Forschungsinstitut für Agrar- und Siedlungswesen, Berlin

USA

Agricultural Economics

2

Koch, Woldemar Otto

1902

Univ. Königsberg

Italien

Economics

3

Krause, Heinz 1902

Deutsches Forschungsinstitut für Agrar- und Siedlungswesen, Berlin

Australien

Agricultural Economics

1930

1931

417

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF Jahr

Name, Vorname

Geburts-

Institution in Deutsch-

datum

land

Zielland

Disziplin

4

Kromphardt, Wilhelm

1897

Univ. Münster

USA

Economics

5

Leibbrandt, Georg

1899

Reichsarchiv, Berlin

USA, Frankreich, England

History

6

Liepmann, Leo

1900

Univ. Breslau

England

Economics

7

Raschhofer, Hermann

1905

Univ. Tübingen

Frankreich, Italien

Political Science

8

Sommer, Artur*

1889

Univ. Gießen

England

Economics

9

Zechlin, Egmont

1896

Univ. Marburg

USA, England, Frankreich

History

1

Beck, Walter

1898

Leipzig (Gefängniswesen)

USA

Sociology (Yale Seminar)

2

Egle, Walter

1904

Univ. Kiel

USA

Economics

3

Fick, Harald

1904

Univ. Jena

Italien

Economics

4

Gierlichs, Willy

1900

Berlin, State Police Institut

USA

Sociology (Yale Seminar)

5

Kehr, Eckart

1902

Deutsche Hochschule für Politik, Berlin

USA

Economics

6

Keller, Hans Karl Ernst

1908

Deutsche Botschaft, Paris

USA, England, Italien

Political Science

7

Pfeffer, Karl Heinz

1906

London, Stipendiat des Anglo-German Student Exchange

Australien

Sociology

8

Steding, Christoph

1903

Waltringhausen, wiss. Arbeit im Elternhaus

Schweden

History

9

Strauss, Leo

1899

Akademie für die Wissenschaft des Judentums, Berlin

Frankreich, England

Political Science

10

Wagner, Günter

1908

Stipendiat des Council of Learned Societies, USA

USA, England

Anthro-pology, Archaeology

1932

418 Jahr

Krisenzeiten Name, Vorname

Geburts-

Institution in Deutsch-

datum

land

Zielland

Disziplin

1933 1

Dobbert, Gerhard

1897

Statistisches Reichsamt, Berlin

Italien

Economics

2

Flad, Ruth Hilda

1902

Schulinspektorin

Frankreich

History

3

Harms, Bernhard*

1876

Univ. Kiel

England, Irland, Belgien, Holland, Palästina, Naher Osten

Economics

4

Löwith, Karl

1897

Univ. Marburg

Italien

Philosophy

5

Rheinstein, Max

1899

Kaiser-WilhelmInstitut für ausländisches und internationales Privatrecht

USA

Law

6

Schelting, Alexander von

1894

Archiv für Sozialwis- USA, senschaft und Schweiz, Sozialpolitik, Frankreich Heidelberg

Sociology

7

Schneider, Erich

1900

Univ. Bonn

England, Skandinavien

Economics

8

Wollenweber, Hellmut

1903

Univ. Rostock

USA

Economics

1934 1

Ciriacy-Wan- 1906 trup, Siegfried von

Univ. Bonn

USA

Economics

2

Kessler, Friedrich

Handelshochschule Berlin

USA

Law

3

Lösch, August 1906

Univ. Bonn

USA

Economics

4

Lutz, Friedrich

Univ. Freiburg

USA, England

Economics

5

Schoch, Maria 1897 Magdalene

Univ. Hamburg

USA

Law

Beckerath, Erwin von*

Univ. Köln

Rumänien, Türkei, Bulgarien, Griechenland

Economics

1901

1901

1935 1

1889

419

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF Jahr

Name, Vorname

Geburts-

Institution in Deutsch-

datum

land

Zielland

Disziplin

2

Bente, Hermann*

1896

Univ. Kiel

England

Economics

3

Haufe, Helmut

1906

Univ. Königsberg

Rumänien

Sociology

Gülich, Wilhelm*

1895

Univ. Kiel

USA

Library Science

1

Marschak, Jacob

1899

Univ. Oxford, Großbritannien

USA

Economics

2

Riemer, Svend 1905

Univ. Stockholm, Schweden

USA

Sociology

Hoffmann, Walther

1903

Univ. Kiel

England

Economics

Hirschmann, Albert O.**

1915

International Studies USA Conference, Bergen, Paris

1936 1 1938

1939 1 1940 1

Economics

(Quelle: Datenbank zu den Rockefeller Stipendiaten, Fellowship Cards, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences, Germany). * „Special Fellowship“. ** „Training Fellowship“. Angegeben ist das Jahr der Bewilligung, nicht das der Inanspruchnahme.

Fehling und das Deutsche Komitee waren an der Auswahl der Forschungsstipendiaten bis einschließlich 1935 beteiligt, für die Vergabe von „Special Fellowships“ wurden sie nicht immer herangezogen. Sonderfälle waren die „Special Fellowships“ an Kohn, Sommer und Gülich. Kohns Antrag für eine „Research Fellowship“ war 1928 nach der Auswahlsitzung in Berlin eingetroffen281, 1929 stellte das Deutsche Komitee seine zweite Bewerbung zurück282. Problematisch war in den Augen der Komitee-Mitglieder, dass Kohn seit 1919 in London lebte, sodass eine universitäre 281 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an L.  Kohn, 13.  August 1928, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 16. 282 Vgl. A. W. Fehling, Protokoll der fünften Sitzung des Deutschen Komitees für die Verteilung der Stipendien des früheren Laura Spelman Rockefeller Memorials, der jetzigen sozialwissenschaftlichen Abteilung der Rockefeller Foundation am 2. März 1929, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916.

420

Krisenzeiten

10

Research Visiting/Special Training

Fellowships

8 6 4 2 0

1926

1928

1930

1932 Jahr

1934

1936

1938

1940

Abbildung 9: Die Entwicklung der Stipendienvergabe an deutsche Sozialwissenschaftler, 1925–1940. (Quelle: Eigene Berechnungen).

Karriere in England oder Irland wahrscheinlicher erschien als in Deutschland283. Nachdem Fehling den Antrag mit Day besprochen hatte284, bekam Kohn eine „Special Fellowship“ für Großbritannien und Irland285, die nicht über das Deutsche Komitee verwaltet wurde286. Dem 42-jährigen Artur Sommer wurde mit Rücksicht auf sein fortgeschrittenes Alter eine „Special Fellowship“ verliehen, da diese mit weniger Verpflichtungen bei Berichterstattung und Kostenabrechnung verbunden war287. Sommers Stipendium wurde wie das der „Research Fellows“ vom Deutschen Komitee verwaltet und sogar entgegen den Regeln für „Special Fellowships“ verlängert. Der 38-jährige außerordentliche Professor der Berliner Handelshochschule Konrad Mellerowicz erhielt hingegen eine normale „Research Fellowship“. Für die „Special Fellowship“ an Wilhelm Gülich, Bibliothekar des Kieler Weltwirtschaftsinstituts, war die sozialwissenschaftliche Abteilung der RF verantwortlich, die Bewilligung wurde jedoch von der geisteswissenschaftlichen Abteilung ausgesprochen288.

283 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 13. August 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 284 Vgl. Brief von A. W. Fehling an L. Kohn, 28. März 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 285 Vgl. J.  Van Sickle, Diary, 12.  November 1930, in RAC-RF, RG  12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929–1930, S. 148. 286 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 25. Juni 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 287 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 6. Mai 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 288 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 27. April 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

421

Hatte das LSRM zwischen 1925 und 1928 25 reguläre Stipendien und zwei „visiting professorships“ vergeben, bewilligte die RF zwischen 1929 und 1940 52 Stipendien, sodass insgesamt 79 Wissenschaftler bedacht wurden. Die meisten Bewilligungen gab es 1932 mit zehn Stipendien. 1933 und 1934 war die Anzahl der verliehenen Stipendien schon geringer, ein wirklicher Einbruch ist jedoch erst 1935 zu verzeichnen (Abb. 9). Drei Stipendiaten erhielten eine zweite Fellowship zu einem späteren Zeitpunkt: August Lösch (1934/35, 1936/37), Friedrich Lutz (1934/35, 1937/38) und Egmont Zechlin (1931/32, 1935/36). Heinrich Rittershausen (bewilligt 1930, in Anspruch genommen 1931/32) bekam 1935 eine Verlängerung von vier Monaten, Erich Schneider (1933/34) erhielt 1936 eine sechsmonatige Verlängerung. Gastländer, Geschlecht, Herkunft und Forschungsprojekte der deutschen RFFellows.

Von den 52 RF-Stipendiaten besuchten 26 die USA, davon 19 als einziges Land und sieben in Verbindung mit einem Aufenthalt in Europa. Nach England gingen 17 der Stipendiaten, für sieben war es die einzige Station ihrer Stipendienzeit. Frankreich besuchten insgesamt elf Fellows, wobei fünf ausschließlich dort arbeiteten. An vierter Stelle stand mit sechs Stipendiaten Italien. Die weiteste Anreise hatten die beiden Fellows, die nach Australien gingen. Keiner der deutschen Stipendiaten ging nach Österreich, nur ein Fellow besuchte Osteuropa. Die Wirtschaftswissenschaften belegten weiterhin eine Spitzenstellung (25 Stipendiaten), gefolgt von den Politikwissenschaften (8), der Soziologie (7), den Rechtswissenschaften (5, davon ein Stipendiat, der von der RF „Law“ und „Political Science“ zugeordnet wurde) und Geschichte (4). Zur Zeit des LSRM hatten die Wirtschaftswissenschaften ebenfalls die Hälfte der Fellows gestellt, gefolgt von der Soziologie und der Geschichte (jeweils 3). Die Politikwissenschaften konnten ihren Platz stark verbessern, sie waren vor 1928 kaum ins Gewicht gefallen und standen nun an zweiter Stelle. Dafür sank der Anteil der Historiker. 1933 bat Kittredge Fehling explizit darum, die Vorauswahl strenger als zuvor auf die Kerngebiete der Sozialwissenschaften zu beschränken289. Für Frauen wurde die Nominierung nach 1929 noch schwieriger. Hatte das LSRM vier Sozialwissenschaftlerinnen gefördert, kamen von 1929 bis 1940 nur vier weitere Frauen dazu (Feist (1929), Tönniessen (1929), Flad (1933) und Schoch (1934)). 1932 hielt Wilhelm Mommsen, der sich bei Fehling für Ruth Flad über die Stipendien informierte, fest, dass „trotz aller angeblichen Gleichberechtigung für Frauen in der 289 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn Bartholdy, 13. Januar 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32.

422

Krisenzeiten

akademischen Karriere an ein Fortkommen kaum zu denken ist“. Er verwies aber darauf, dass Elisabeth Feist, „die ja wohl ohne Zweifel nicht so begabt ist, wie Fräulein Flad“ trotzdem ein Stipendium bekommen habe290. Fehling rechtfertigte die Nominierung Feists durch ein besonders schwaches Bewerberjahr und hob hervor, dass weder 1931 noch 1932 „ein weiblicher Bewerber“ ernstlich in Betracht gekommen sei, wobei „natürlich auch die allgemein ungewissen akademischen Zukunftsaussichten der Frau“ eine Rolle gespielt hätten. Nach zwei (eigentlich drei) „frauenlosen Jahren“ hätte ein vielversprechender Antrag vielleicht doch „gute Aussichten“291. Auch Oncken verband in seiner Bewertung Geschlecht und wissenschaftliche Befähigung: Flad vereine „einen hohen Grad specifisch wissenschaftlicher Befähigung mit einer feinen und sicheren weiblichen Haltung“, sie verfüge auch über ein „sehr verfeinerte[s] Einfühlungsvermögen“292. Die Bewerberin bekam das Stipendium, aber keine Verlängerung. Diese lehnte Van Sickle 1934 ab, weil die Nationalsozialisten den Zugang von Frauen zum akademischen Arbeitsmarkt noch einmal eingeschränkt hatten: „The risks for the future in the case of one of her sex seem to me so great that we might well avoid further commitment“293. Mendelssohn Bartholdy war in dieser Frage anderer Meinung. Seiner Einschätzung nach hätte der „männliche Anwärter vor dem weiblichen wahrscheinlich einen leichten Vorsprung […], falls beide die gleiche Bürgschaft für rückhaltloses Bekenntnis zum neuen Staat“ geben würden. Die „nationalsozialistisch gesinnte Frau“ hätte jedoch den Vorzug „vor dem zweifelhaften Mann“, was die „äussere Laufbahn“ angehe. „Dass eine Frau heute so gut wie vor Jahren eine grosse Erfindung machen, ein neues Gesetz entdecken und ein grundlegendes Werk schreiben kann, versteht sich ganz von selbst“294. Mit Ausnahme des Jahres 1933 (sechs Kandidatinnen, eine Nominierte) bewarben sich weiterhin nur wenige Sozialwissenschaftlerinnen um ein Stipendium295. Im Vergleich zu der Zeit des LSRM diversifizierten sich die Promotionsorte und Beschäftigungsorte der Forschungsstipendiaten zum Zeitpunkt der Bewilligung. Die 45 „Research Fellows“ hatten in 16 (von 23) deutschen Universitäten promoviert und waren in 16 deutschen und fünf ausländischen Städten beschäftigt. 290 Brief von W. Mommsen an A. W. Fehling, 11. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 291 Brief von A. W. Fehling an W. Mommsen, 16. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 292 H. Oncken, Gutachten zu R. Flad, 20. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. 293 Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 11. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 294 Brief von A. Mendelssohn Bartholdy an A. W. Fehling, 10. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 295 Für das Jahr 1929 konnten zwei Bewerberinnen ausgemacht werden, für das Jahr 1933 sechs und für das Jahr 1934 eine Bewerberin.

423

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

Kiel

Kiel

Königsberg

Hamburg

Königsberg

Rostock

Hamburg Berlin

Köln Leipzig Bonn Marburg Jena Frankfurt

13

Waltringhausen Münster

Berlin

Köln

Leipzig

Bonn Marburg

Jena

Breslau

Frankfurt Heidelberg

Würzburg Heidelberg

Tübingen

Tübingen München

Freiburg

Freiburg

Innsbruck

Promotionsort

Anzahl Stipendiaten

Beschäftigungsort zum Zeitpunkt der Nominierung

13 1

2

3

4

5

13

Abbildung 10: Promotionsorte und Beschäftigungsorte der 45 „Research Fellows“ der RF, 1929–1940. (Quelle: Eigene Berechnungen nach den Tabellen im Anhang).

Die LSRM-Stipendiaten hatten hauptsächlich in Berlin, Hamburg und Kiel promoviert, jetzt war die Liste der Promotionsorte wesentlich länger. An der Spitze standen mit je fünf Promovenden Jena, München, Berlin und Heidelberg. Da die RF ab Anfang der 1930er-Jahre „reifere“ Bewerber wünschte (13 der Fellows waren bereits Privatdozenten, einer außerordentlicher Professor), lag die Promotion bei einem größeren Teil der Stipendiaten schon länger zurück, sodass ein Blick auf den Arbeitsort zum Zeitpunkt der Bewilligung des Stipendiums sinnvoll ist: 13 der Stipendiaten hielten sich in Berlin auf, jeweils drei arbeiteten in Freiburg, Bonn, und Hamburg. Auch hier zeichnet sich, mit Ausnahme der Konzentration der erfolgreichen Antragsteller in Berlin, kein klares Bild ab. Städte wie Kiel, Heidelberg und Bonn, in denen die RF sozialwissenschaftliche Institute förderte, traten trotz der Absicht einer engen Verbindung von individueller und institutioneller Forschung nicht besonders hervor. Die Forschungsthemen der Stipendiaten waren vielfältig. Weiterhin großer Beliebtheit erfreuten sich wirtschaftswissenschaftliche Themen im Bereich der Konjunkturforschung, aber auch Phänomene, die in den USA besonders deutlich hervortraten („American trusts and holding companies“ (Back), „Importance of standardization of demand in highly developed industrial countries for extension of mass production methods“ (Egle), „Traffic systems in US“ (Mellerowicz)). Forschungen im Bereich der Landwirtschaft (Agricultural Economics, Agricultural Sociology) zogen mehrere Fellows an („A study of planning in agriculture in US“ (v. Ciriacy-Wantrup), „Economic and social causes of the movement from the Farm“ (Drescher), „Agricultural economics in Australia“ (Krause)). Nachdem die Stiftung ab Anfang der 1930er-Jahre den Fokus auf das Erlernen neuer Methoden legte, betonten mehrere Bewerber den Wunsch, sich mit ausländischen Forschungsmethoden vertraut zu machen. In Italien

424

Krisenzeiten

interessierten sich die Forschungsstipendiaten für die italienische Finanzwissenschaft und das politische und wirtschaftliche System des Faschismus („Public finance of the Fascist Regime in Italy“ (Dobbert), „Italian financial and fiscal policies“ (Fick)). Nach Frankreich zog es Stipendiaten mit historischen Forschungsprojekten. Besonders in den frühen 1930er-Jahren wurden Stipendien noch in den Randgebieten der Sozialwissenschaften vergeben, so arbeitete Feist zur Staatstheorie Jean Bodins, Strauss beschäftigte sich mit der Geschichte politischer Theorien vom 15. bis zum 18. Jahrhundert und Flad bearbeitete ein Thema zu Voltaire296. Bei der Analyse der sozialen Herkunft der RF-Stipendiaten fällt auf, dass weit weniger Väter akademische Berufe ausübten als zur Zeit des LSRM. Allein fünf der 25 LSRM-Fellows hatten Professoren zum Vater gehabt, während unter den hier berücksichtigten 43 RF-Stipendiaten297 keine Söhne von Universitätsprofessoren waren. Nur vier der Väter übten akademische Berufe aus. Dagegen kamen acht Fellows aus Kaufmannsfamilien, sechs Väter waren Geistliche und fünf Fabrikanten. Ärzte und hohe Verwaltungsbeamte fanden sich jeweils vier unter den Vätern. Zwei der Stipendiaten waren Bauernsöhne, zwei Väter arbeiteten bei der Post. An die Stelle der akademischen war die ökonomische und geistliche Ober- und Mittelschicht getreten. Tabelle 15: Die Berufe der Väter der RF-Stipendiaten (Auswahl). Fellow (Jahr der Bewilligung)

Beruf des Vaters

Back, Josef (1929)

Straßenbaumeister

Beck, Walter (1932)

Kaufmann

Ciriacy-Wantrup, Siegfried von (1934)

Pfarrer

Dobbert, Gerhard (1933)

Pastor

Drescher, Leo (1931)

Protestantischer Landpfarrer

Egle, Walter (1932)

Kaufmann

Erdsiek, Gerhard (1930)

Kaufmann

Feist, Elisabeth (1929)

Direktor eines jüdischen Waisenhauses in Berlin

Fick, Harald (1932)

Der Vater, der früh starb, war praktischer Arzt in Neuteich, einem kleinen Ort im jetzigen Freistaat Danzig

296 Für die Angabe aller Forschungsprojekte sowie der beruflichen Stellung der „Research Fellows“ siehe die Tabelle im Anhang. 297 Für einige der Väter konnte der Beruf nicht ermittelt werden. Die „Special Fellowships“ an Harms, Bente und von Beckerath wurden hier nicht berücksichtigt.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

425

Fellow (Jahr der Bewilligung)

Beruf des Vaters

Flad, Ruth Hilda (1933)

Aus einer alten Juristenfamilie, Vater ist jetzt in Leipzig als Senatspräsident des Reichsgericht tätig

Haufe, Helmut (1935)

Ober-Verwaltungsinspektor

Kehr, Eckart (1932)

Leiter der Ritterakademie auf dem Dom zu Brandenburg (verstorben)

Keller, Hans Karl Ernst (1932)

Bayrischer Beamter, Oberregierungsrat in Ludwigshafen

Kessler, Friedrich (1934)

Damaliger Amtsrichter (jetzt Oberlandesgerichtsrat)

Koch, Woldemar Otto (1931)

Kaufmann

Krause, Heinz (1931)

Mittlerer Postbeamter

Kromphardt, Wilhelm (1931)

Protestantisches Pfarrer

Leibbrandt, Georg (1931)

Russisch-deutsche Bauern aus der Gegend von Odessa

Liepmann, Leo (1931)

Direktor einer Großbankfiliale

Lösch, August (1934)

Einziger Sohn einer geschiedenen Ehe, wuchs beim Großvater auf

Löwith, Karl (1933)

Kunstmaler (verstorben)

Lutz, Friedrich (1934)

Brauereibesitzer

Marschak, Jacob (1938)

Juwelier

Meier, Harri (1929)

Hamburger Kaufmann

Mellerowicz, Konrad (1930)

Fabrik-Direktor in Posen

Meynen, Emil (1929)

Essig-Fabrikant und Kaufmann

Morstein Marx, Fritz (1930)

Volksschullehrer

Pfeffer, Karl Heinz (1932)

Studienrat

Pfister, Bernhard (1930)

Apotheker

Raschhofer, Hermann (1931)

Bezirksgerichtsvorsteher

Rheinstein, Max (1933)

Weingutbesitzer

Rittershausen, Heinrich (1930)

Geheimer Regierungsrat in Erfurt

Rohden, Peter Richard (1930)

Sanitätsrat Dr. med.

Schelting, Alexander von (1933)

Als Sohn des kaiserlich russischen Staatsrates Roman Georg v. Schelting in Odessa geboren. Mutter entstammt einer deutsch-baltischen Familie

Schneider, Erich (1933)

Rektor (Leiter einer Volksschule)

Schoch, Maria Magdalene (1934)

Kaufmann (1914 verstorben)

Sommer, Artur (1931)

Postschaffner

Steding, Christoph (1932)

Bauer aus der Gegend der Weser

Strauss, Leo (1932)

Kaufmann

426

Krisenzeiten

Fellow (Jahr der Bewilligung)

Beruf des Vaters

Tönniessen, Hedwig (1929)

Kirchenrat (protestantisch)

Wagner, Günter (1932)

Berliner Industrieller

Wollenweber, Hellmut (1933)

Bonner Arzt und Sanitätsrat

Zechlin, Egmont (1931)

Vater im Krieg Militärgeistlicher, jetzt höherer Posten innerhalb der protestantischen Geistlichkeit. Mutter stammt aus bekannter Beamtenfamilie

(Quelle: Bewerbungsunterlagen der Stipendiaten, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2202, HS 362.2214, HS 362.2217, HS 362.2218, HS 362.2219, HS 362.2222, HS 362.2223, HS 362.2226, HS 362.2227, HS 362.2255, HS 362.2257, HS 362.2258, HS 362.2260, HS 362.2263, HS 362.2265, HS 362.2268, HS 362.2270, HS 362.2277, HS 362.2278, HS 362.2279, HS 362.2281, HS 362.2281, HS 362.2282, HS 362.2287, HS 362.2289, HS 362.2291, HS 362.2294, HS 362.2296, HS 362.2299, HS 362.2308, HS 362.2310, HS 362.2317, HS 362.2321, HS 362.2323, HS 362.2327, HS 362.2334, HS 362.2337, HS 362.2340, HS 362.2347, HS 362.2350, HS 362.2354, HS 362.2358, HS 362.2372, HS 362.2373, Bewerbungsunterlagen, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, besonders Nr. 19, 25, 21, 27, 29).

Stipendiaten, die aus „einfachen Verhältnissen“ ihren Weg an die Universität gefunden hatten, brachte Fehling weiterhin besonderes Interesse entgegen. Zu Back, Sohn eines Straßenbaumeisters, teilte Fehling der RF mit: „His career is more or less characteristic for a son of a family of the lower classes whose exceptional gifts destine him for academic work“298. Sowohl Back als auch Pfister seien „unter wirtschaftlich beengten Verhältnissen aufgewachsen“, ihr „Studium spielte sich ganz wesentlich in Freiburg ab“299. Steding, Sohn eines Landwirts, war vor dem Studium in der Landwirtschaft tätig gewesen und wurde bei seinen wissenschaftlichen Arbeiten von seinen Eltern finanziell unterstützt300. „Das Urwüchsige, natürlich Kraftvolle der Herkunft trifft mit einer ungewöhnlichen geistigen Begabung und Lebendigkeit zusammen“301, urteilte Fehling. Heinz Krause, Sohn eines mittleren Postbeamten, verlebte seine Schuljahre in einem thüringischen Bauerndorf und konnte sich dort „die hauptsächlichen landwirtschaftlichen Handfertigkeiten aneignen und einen Einblick in den Betrieb der Bauernhöfe bekommen“. Er ging durch die landwirtschaftliche Praxis, bevor er 1921 das Studium der Landwirtschaft aufnahm. Erst später wechselte er zur Volkswirtschaftslehre über und wählte als Hauptarbeitsgebiet die Agrarökonomik. Artur Sommer, aus „ganz einfachen Verhältnissen“ stammend, musste sich sein Stu298 A.  W.  Fehling, Bemerkungen über die Bewerber 1929, 24.  März 1929, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 299 A. W. Fehling, Bemerkungen über die Bewerber 1930, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 300 Vgl. C. Steding, Lebenslauf, 28. Dezember 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 50. 301 A. W. Fehling, Dokument ohne Titel (Entwurf zu den ausgewählten Bewerbern 1932), o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

427

dium zum Teil als Hauslehrer finanzieren302. August Lösch, Sohn eines geschiedenen Paares, der bei seinem Großvater aufwuchs, konnte mit Hilfe eines Stipendiums der Studienstiftung des deutschen Volkes studieren. Magdalene Schoch, deren Vater 1914 gestorben war, kümmerte sich um ihre jüngeren Schwestern, ihr einziger Bruder starb im Ersten Weltkrieg. Als sie 1916 ihr Studium begann, unterstützte Schoch zusätzlich ihre Mutter, sodass sie, bis auf ein Semester in München, in Würzburg studierte. Der Deutsch-Balte Gerhard Dobbert musste sein Studium unterbrechen, um sich seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Er arbeitete in Davos als Sekretär eines italienischen Bankiers und Erzieher dessen kranken Sohnes. Anschließend setzte er mit seinen Ersparnissen das Studium fort303. Die Stipendien waren also nicht allein auf die Ober- und die gehobene Mittelschicht begrenzt, auch wenn die meisten der Fellows wohl diesen Schichten zugerechnet werden können. Die Auflistung der Personen, die Beurteilungen für die Stipendiaten abgaben, zeigt, dass auch in den 1930er-Jahren ein weites Netz von Wissenschaftlern in die Organisation der Stipendienvergabe einbezogen war. Die Komitee-Mitglieder selbst traten als Gutachter kaum noch in Erscheinung. Tabelle 16: Die Gutachter der Rockefeller Stipendiaten, 1929–1940. Jahrgang

Name, Vorname

Gutachter (in fett die Mitglieder des Deutschen Komitees)

1929

Back, Josef

Prof. Walter Eucken, Geheimrat Diehl, Freiburg, Prof. Husserl, Freiburg

1929

Feist, Elisabeth

Prof. Häpke, Marburg, Prof. Heidegger, Freiburg

1929

Kohn, Leo

Albert Einstein, Berlin, Hugh Kennedy, Chief Justice of the Irish Free State, Richard Thoma, Heidelberg, H. J. Laski, London

1929

Meier, Harri

Prof. Krüger, Hamburg, Prof. Küchler, Hamburg, Dr. Großmann, Hamburg, Prof. Moldenhauer, Madrid

1929

Meynen, Emil

Geheimrat Penck, Berlin, Prof. Thorbecke, Köln

1929

Tönniessen, Hedwig

Geheimrat Weber, Heidelberg, Prof. Gottl-Ottlilienfeld, Berlin

1930

Erdsiek, Gerhard

Marschall von Bieberstein, Freiburg, Prof. Gerland, Jena

1930

Mellerowicz, Konrad

Geh. Reg. Rat Demuth, Prof. Schumacher, Berlin

1930

Morstein Marx, Fritz

Prof. Laun, Hamburg, Prof. Perels, Hamburg

302 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 4. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 303 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 2. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 63.

428

Krisenzeiten

Jahrgang

Name, Vorname

Gutachter (in fett die Mitglieder des Deutschen Komitees)

1930

Pfister, Bernhard

Prof. Briefs, Berlin, Prof. Diehl, Freiburg, Prof. Eucken, Freiburg, Prof. Heimann, Hamburg

1930

Rittershausen, Heinrich

Prof. Kalveram, Frankfurt, Prof. Weber, München, Dr. Morsbach, Berlin

1930

Rohden, Peter Richard

Geheimrat Meinecke, Berlin

1931

Drescher, Leo

Prof. Gutmann, Breslau, Prof. Kessler, Leipzig, Prof. v. Dietze, Jena, Geheimrat Sering, Berlin

1931

Koch, Woldemar Otto

Prof. Schneider, Königsberg, Prof. Teschemacher, Tübingen, Prof. Mann, Köln, Prof. Vleugels, Königsberg

1931

Krause, Heinz

Prof. v. Dietze, Jena, Prof. Kessler, Leipzig, Geheimrat Sering, Berlin

1931

Kromphardt, Wilhelm

Prof. Bruck, Münster, Prof. E. v. Beckerath, Köln, Prof. Spiethoff, Bonn

1931

Leibbrandt, Georg

Prof. Gerber, Tübingen, Prof. Goetz, Leipzig, Prof. Uhlig, Tübingen, Geheimrat Wiedenfeld, Leipzig

1931

Liepmann, Leo

Geh. Justizrat Prof. Fischer, Oberlandesgerichtsrat a. D., Breslau, Prof. Gutmann, Breslau, Prof. Pape, Jena

1931

Raschhofer, Hermann

Prof. Gerber, Tübingen, Prof. Smend, Berlin, Prof. Heller, Berlin, Prof. Kaufmann, Berlin

1931

Sommer, Artur

Prof. Lenz, Gießen, Prof. Salin, Basel

1931

Zechlin, Egmont

Prof. Hoetzsch, Berlin, Prof. Mommsen, Marburg

1932

Beck, Walter

(Yale Seminar, keine Behandlung durch das Dt. Komitee)

1932

Egle, Walter

Prof. Briefs, Berlin, Prof. Colm, Kiel, Geh. Rat. Harms, Kiel

1932

Fick, Harald

Prof. v. Dietze, Jena, Prof. Gutmann, Göttingen, Prof. Mombert, Gießen, Prof. Weyermann, Jena

1932

Gierlichs, Willy

(Yale Seminar, keine Behandlung durch das Dt. Komitee)

1932

Kehr, Eckart

Prof. Hartung, Berlin, Geh. Rat. Meinecke, Berlin, Charles A. Beard, USA

1932

Keller, Hans Karl Ernst

Prof. Schücking, Kiel, Prof. v. Zwiedineck-Südenhorst, München, Prof. Weber, München

1932

Pfeffer, Karl Heinz

Dr. Deissmann, Deutscher Akademischer Austauschdienst, Zweigstelle London, Prof. Freyer, Leipzig, Dr. Morsbach, Berlin

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

429

Jahrgang

Name, Vorname

Gutachter (in fett die Mitglieder des Deutschen Komitees)

1932

Steding, Christoph

Prof. Heidegger, Freiburg, Prof. Mommsen, Marburg, Prof. Schultze-Jena, Marburg

1932

Strauss, Leo

Prof. Cassirer, Hamburg, Prof. Schaeder, Berlin, Prof. Schmitt, Berlin

1932

Wagner, Günter

Prof. Westermann, Berlin, Prof. Boas, New York, Prof. Thilenius, Hamburg, Prof. Lauffer, Hamburg

1933

Dobbert, Gerhard

Prof. Diehl, Freiburg; Prof. Teschemacher, Tübingen, Prof. Salin, Basel

1933

Flad, Ruth Hilda

Prof. Mommsen, Marburg

1933

Löwith, Karl

Prof. Heidegger, Freiburg, Prof. Jaspers, Heidelberg

1933

Rheinstein, Max

Geheimrat Heymann, Berlin, Geheimrat Rabel, Berlin

1933

Schelting, Alexander von

Prof. Brinkmann, Heidelberg, Prof. Lederer, Berlin, Geheimrat Weber, Heidelberg

1933

Schneider, Erich

Prof. Bruck, Münster, Prof. Schumpeter, Bonn, Prof. König, Jena

1933

Wollenweber, Hellmut

Prof. Beckmann, Bonn, Prof. Brinkmann, Bonn, Prof. v. Dietze, Berlin, Prof. Seraphim, Rostock, Geheimrat Sering, Berlin

1934

Ciriacy-Wantrup, Siegfried von

Prof. v. Beckerath, Bonn, Prof. Spiethoff, Bonn, Prof. Brinkmann, Bonn

1934

Kessler, Friedrich

Prof. Gieseke, Berlin, Prof. Eckhardt, Kiel, Geheimrat Rabel, Berlin

1934

Lösch, August

Prof. Eucken, Freiburg, Prof. H. v. Beckerath, Bonn, Prof. Schumpeter, Harvard, Prof. Spiethoff, Bonn

1934

Lutz, Friedrich

Prof. Lampe, Freiburg, Prof. Eucken, Freiburg, Prof. Schumpeter, Harvard, Prof. Stucken, Jena

1934

Schoch, Maria Magdalene

Prof. Delaquis, Hamburg, Prof. Raape, Hamburg, Votum über die Habilitationsschrift, Referenten Prof. Pagenstecher und Prof. Mendelssohn Bartholdy

1935

Haufe, Helmut

Prof. Freyer, Leipzig, Prof. Ipsen, Königsberg, Prof. Volz, Leipzig.

1938

Marschak, Jacob

(nicht durch das Dt. Komitee empfohlen)

1938

Riemer, Svend

Prof. Myrdal, Stockholm, Prof. Dorothy Thomas, New Haven

1939

Hoffmann, Walther

Prof. Predöhl, Kiel

1940

Hirschmann, Albert O.

Prof. J. B. Condliffe, Australien

(Quelle: Bewerbungsunterlagen der Stipendiaten, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2202, HS 362.2214, HS 362.2217, HS 362.2218, HS 362.2219, HS 362.2222, HS 362.2223, HS 362.2226,

430

Krisenzeiten

HS 362.2227, HS 362.2255, HS 362.2257, HS 362.2258, HS 362.2260, HS 362.2263, HS 362.2265, HS 362.2268, HS 362.2270, HS 362.2277, HS 362.2278, HS 362.2279, HS 362.2281, HS 362.2281, HS 362.2282, HS 362.2287, HS 362.2289, HS 362.2291, HS 362.2294, HS 362.2296, HS 362.2299, HS 362.2308, HS 362.2310, HS 362.2317, HS 362.2321, HS 362.2323, HS 362.2327, HS 362.2334, HS 362.2337, HS 362.2340, HS 362.2347, HS 362.2350, HS 362.2354, HS 362.2358, HS 362.2372, HS 362.2373 (ergänzt durch die Unterlagen aus dem Nachlass Fehling, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling)).

1937 analysierte Fehling den Werdegang von 63 deutschen Stipendiaten, davon sieben Frauen. Flügge sei Privatdozentin in Berlin und lebe mit ihrem Mann in Genf, notierte er, Schoch lehre weiterhin in Hamburg und Beushausen sei Direktorin einer Schule für Soziale Arbeit304. 15 der 56 Männer hielten sich im Ausland auf (L. Liepmann, Strauss, Egle, Löwith, v. Schelting, Rheinstein, Kessler, Gerhard, Vagts, Freund, Kirchhoff, Morstein Marx, Staehle, E. Schneider, Wagner), 42 waren in Deutschland tätig. Acht hatten Professuren inne (Predöhl, Mackenroth, Fick in Kiel, Vossler in Leipzig, Back in Königsberg, Mellerowicz in Berlin, Kromphardt in Münster und Zechlin in Hamburg), 15 waren als Dozenten tätig305 und vier hatten andere Stellen in der Wissenschaft306. Von Trützschler, Harnack und Erdsiek waren in den Staatsdienst gegangen, Grüger und Trömel in die Wirtschaft. Brok arbeite als Journalist für eine amerikanische Zeitung in Berlin, Leibbrandt als „Head of Training School“ des Außenpolitischen Amtes und Keller sei „[s]till connected with the International of the Nationalists“. Keine Nachrichten lagen von Laun (Pastor in Hessen), Kühne und Merkert („living in his home town, doing private research“) vor. Haufe sei bezüglich seiner Zukunftspläne noch unentschieden, dazu kämen die „active fellows“ v. Ciriacy-Wantrup, Lösch und Lutz (den Fehling bereits zu den Dozenten gezählt hatte)307. Drei Viertel der untersuchten Fellows verfolgten eine Karriere in Deutschland und ein Viertel im Ausland.

304 Über Tönniessen hatte Fehling keine aktuellen Nachrichten. A. W. Fehling, Memorandum re German Social Science Fellows, 27. September 1937, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 73. 305 Heberle (Kiel), Scherpner (Frankfurt), Pfeifer (Bonn), Linhardt (Münster), Meynen (Berlin), Meier (Rostock), Pfister (Freiburg), Rittershausen (Frankfurt), Rohden (Berlin), Drescher (Berlin), Koch (Köln), Raschhofer (Berlin), Pfeffer (Leipzig), Wollenweber (Berlin), Lutz (Freiburg). Vgl. ebd. 306 Krause (arbeitete mit Sering in Berlin), Sommer (arbeitete in einem Forschungsprojekt der Deutschen Forschungsgemeinschaft in Berlin), Wohlfahrt (arbeitete für das Psychologische Institut des Kriegsministeriums), Steding (Mitglied des Reichsinstituts für Neuere Geschichte). Die Stipendiaten Kehr und Dobbert waren während der Stipendienzeit verstorben. 307 Nicht mit in die Aufstellung einbezogen hatte Fehling die Stipendiaten des Yale Seminars Beck und Gierlichs. Nicht erwähnt wird der Stipendiat Kurt Schneider. Vgl. A. W. Fehling, Memorandum re German Social Science Fellows, 27. September 1937, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 73.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

431

6.4 Ausländische Fellows in Deutschland in den 1930er-Jahren Als Gastland gewann Deutschland Anfang der 1930er-Jahre an Beliebtheit. Bis 1929 waren über das europäische Stipendienprogramm 22 LSRM-Fellows nach Deutschland gereist und acht SSRC-Stipendiaten hatten Deutschland als Zielland angegeben. In der Zeit von 1929 bis zum Zweiten Weltkrieg kamen 66 RF-Fellows nach Deutschland und 39 SSRC-Stipendiaten planten einen Aufenthalt in diesem Land. Die RF-Fellows sollten sich vor der Einreise von Fehling beraten lassen, ein intensiver Kontakt entwickelte sich aber, wie zur Zeit des LSRM, nur selten. Der SSRC stellte Fehling im Vorfeld den Lebenslauf, das Studienprogramm und eine Liste der Wissenschaftler, die der Stipendiat aufsuchen wollte, zur Verfügung308. Die amerikanischen Fellows waren aufgefordert, nicht erst bei Problemen Kontakt mit Fehling aufzunehmen. Ihre Beratung empfanden die RF-Mitarbeiter im Pariser Büro nicht immer als einfach: Die SSRC-Fellows zeigten nur wenig Interesse an der Erlernung neuer Methoden und Ansätze, wollten so schnell wie möglich publizieren und würden aus zeitlichen und sprachlichen Gründen oft auf Gespräche verzichten, beschwerte sich Van Sickle309. Als in der Stiftung 1933 Überlegungen für eine Reduzierung der Höhe der Stipendien für Deutschland aufkamen, setzte sich Fehling für die höheren Sätze ein und betonte, dass die Lebenshaltungskosten je nach Region stark variierten. Er schätzte, dass ein amerikanischer Fellow für den Unterhalt in Deutschland ohne Reisekosten monatlich 400 RM benötigte, für ein Ehepaar veranschlagte er 550–600 RM, für eine vierköpfige Familie 800 RM310. Während einige der Stipendiaten in Deutschland umfangreiche Forschungsprojekte durchführten, blieben viele nur wenige Wochen. Eine Tabelle mit den Namen der 66 RF-Stipendiaten, die Deutschland ihm Rahmen ihrer Stipendienzeit besuchten, Angaben zu Forschungsprojekten, zu weiteren Gastländern und von ihnen besuchten deutschen Städten findet sich im Anhang. Unter den 66 Fellows waren nur zwei Frauen. Die meisten Stipendiaten entsandte Frankreich (11), gefolgt von Polen (6), den Niederlanden, Großbritannien, Österreich, Bulgarien und der Tschechoslowakei (jeweils 4). Aus Italien, Lettland, Estland und Jugoslawien kamen jeweils drei, aus Norwegen, Australien, Rumänien, Litauen und Neuseeland je zwei Stipendiaten. Außerdem besuchten ein Chinese, eine Irin, ein Kanadier, ein Amerikaner, ein Schwede, ein Türke und ein Ungar Deutschland im 308 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 15. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 309 Vgl. Brief von J. Van Sickle an S. May, 12. Mai 1933, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376. 310 Vgl. Brief von A. W. Fehling an S. May, 7. September 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 16, folder 155.

432

Krisenzeiten

Rahmen des Programms. Deutschland war als Gastland besonders bei osteuropäischen Stipendiaten beliebt, die oft vergleichsweise jung waren und mit Ausbildungsstipendien („Training Fellowships“) nach Deutschland kamen. Einige hatten das Ziel, in Deutschland zu promovieren. Insgesamt besuchten bis zum Zweiten Weltkrieg 88 LSRM- und RF-Stipendiaten Deutschland, während 79 deutsche Sozialwissenschaftler ins Ausland reisten. Besonders beliebt war eine Reise nach Deutschland Anfang der 1930er-Jahre. 1931 gaben 20 und 1932 14 der neu bewilligten Stipendiaten einen Aufenthalt dort als Ziel an. Die letzte RF-Fellowship für Deutschland wurde 1938 bewilligt. Die Anzahl der Historiker unter den Fellows sank im Vergleich zur Zeit des LSRM stark: Während unter den 22 LSRM-Stipendiaten acht Geschichtswissenschaftler waren, bekamen bis 1940 nur mehr drei Historiker ein RF-Stipendium. Königsdisziplin war mit deutlichem Vorsprung die Wirtschaftswissenschaft, die ein Drittel (22 von 66) der Fellows stellte. An zweiter Stelle standen die Politikwissenschaften mit 15, an dritter die Rechtswissenschaften mit 12 Stipendiaten. Die Konzentration auf Wirtschaft (besonders Konjunkturforschung) und Politik (besonders internationale Beziehungen) spiegelte die Schwerpunktsetzung der RF in den 1930er-Jahren wider. Die Soziologie nahm mit sechs Stipendiaten keinen herausragenden Platz ein. Stipendien in Randgebieten wie der Geographie oder der Philosophie wurden kaum mehr vergeben. Die Zahl der SSRC-Stipendiaten mit Deutschland als Gastland stieg nach 1929 stark an: In 39 bewilligten Anträgen war eine solche Reise geplant, in vier weiteren wurde „Europe“ oder „Continental Europe“ ohne weitere Präzisierungen genannt. Da die Fellows jedoch nur selten Kontakt zu Fehling aufnahmen, ist die Zahl der tatsächlichen Aufenthalte nur schwer zu überprüfen. Eine Tabelle der 43 Stipendiaten mit Angaben zu Abschlüssen, Forschungsprojekten und zur beruflichen Stellung bei der Nominierung findet sich im Anhang. Einen Höhepunkt erreichte die Zahl der Neubewilligungen für einen Aufenthalt in Deutschland im Jahr 1930 mit 12 erfolgreichen Bewerbern. Die letzten beiden Stipendien wurden 1938 bewilligt. Tabelle 17: Entwicklung der Stipendienvergabe für Forschungsprojekte mit Aufenthalt in Deutschland, 1929–1938. 1929

1930

1931

1932

1933

1934

1935

1936

1937

1938

Gesamt

SSRC

4

12

7

5

4

1

4

1

3

2

43

RF

7

5

20

14

7

2

4

5

1

1

66

(Quelle: Eigene Auszählung anhand der Tabellen im Anhang).

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

433

Auch unter den 43 SSRC-Stipendiaten befanden sich nur zwei Frauen. 13 Fellows planten hauptsächlich in Deutschland zu arbeiten, während die anderen Deutschland nur als eines der zu besuchenden Länder aufführten. Ein Blick auf die Disziplinen zeigt Parallelen zur Auswahl der RF-Stipendiaten: Die Wirtschaftswissenschaften nahmen eine führende Stellung ein (12 Stipendiaten), gefolgt von den Politikwissenschaften (9 Stipendiaten). Außerdem wurden sechs historische und vier rechtswissenschaftliche Forschungsprojekte durchgeführt. Jeweils drei Themen lassen sich der Erziehungswissenschaft, Soziologie, Geographie und Psychologie zurechnen. Anthropologen und Philosophen waren nicht unter den Stipendiaten, dafür kann im Vergleich mit den RF-Stipendien die relativ starke Stellung der Geschichte betont werden. Ein Rockefeller Netzwerk zur Betreuung der ausländischen Stipendiaten

Die Aufenthalte der RF- und SSRC-Fellows in Deutschland waren von einer hohen innerdeutschen Mobilität geprägt, wobei Fehling anregte, dass je ein Semester an einer Universität verbracht werden sollte. Fehling achtete auch darauf, dass die Stipendiaten einen möglichst umfassenden Eindruck der deutschen Universitätslandschaft erhielten und brachte sie mit von der RF geförderten Institutionen und Wissenschaftlern in Kontakt. Die Stipendienzeit des Australiers John L. K. Gifford, der in Deutschland zu Fragen des Goldstandards und Methoden der Kreditkontrolle arbeiten wollte311, verdeutlicht dies. Der australische „Advisor“ hatte für Gifford den liberalen Wirtschaftswissenschaftler Melchior Palyi als Tutor vorgeschlagen312, doch Fehling wies auf einen „Schönheitsfehler“ dieses Plans hin: Palyi gehöre zur Berliner Handelshochschule, die zum Studentenmilieu der Universität große Unterschiede aufweise. Zum „Verständnis der deutschen Sozialwissenschaften“ sei es „sehr wünschenswert“, dass Gifford auch die Atmosphäre an der Universität kennenlerne313. Gifford akzeptierte den Rat: „I am very keen to learn as much as possible during the period of the Fellowship about German economic conditions and about the university life“314.

311 Vgl. J. L. K. Gifford, Bewerbungsformular, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 66. 312 Vgl. Brief von D. B. Copland an A. W. Fehling, 21. November 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 313 Vgl. Brief von A. W. Fehling an D. B. Copland, 3. Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 314 Brief von J. L. K. Gifford an A. W. Fehling, 31. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26.

434

Krisenzeiten

Als der Stipendiat nach einer sechswöchigen Dampferfahrt Deutschland erreichte, erfuhr er jedoch, dass Palyi zu beschäftigt war, um seine Betreuung zu übernehmen315. Gifford ging für zwei Semester nach Kiel, wo er als Gasthörer an den Konjunkturforschungsseminaren von Colm und Neisser teilnahm316. In Heidelberg ließ er sich über Alfred Webers Forschungsprogramm zum wirtschaftlichen Schicksal Europas informieren und redete lange mit Marschak. Er nahm an „two Marschak, one Brinkmann, one Weber and two Bergstraesser seminars and one Bergstraesser lecture“ teil und hielt vor der Fachschaft auf Deutsch ein Referat zur Devaluation. In München führte er Gespräche mit Adolf Weber und Otto von Zwiedineck-Südenhorst, in Frankfurt sprach er mit Adolf Löwe, Eugen Altschul und Karl Mannheim317. Er erhielt eine 12-monatige Verlängerung des Stipendiums, um seine Studien in Kiel und später in Frankreich fortzusetzen318. Seine Kieler Professoren „have expressed a high opinion of his ability and of the work which he has accomplished there“319, heißt es in der Empfehlung für die Verlängerung. Gifford führte noch einen Besuch in Berlin durch, bei dem er statistisches Material zu Lebenshaltungskosten und zur Textilindustrie zusammentrug, bevor er nach Paris weiterreiste320. Auch der Niederländer Joseph Frederic Halkema-Kohl, der 1931 die deutsche wirtschaftliche und innen- und außenpolitische Lage erforschen wollte, besuchte die Zentren der Rockefeller Förderung321. Fehling empfahl ihm für Heidelberg das dortige RF-Forschungsprogramm, in Hamburg das Institut für Auswärtige Politik, in Kiel die Arbeiten von Colm und in Berlin den Kontakt zu Oncken und Jäckh322. Mit den Ergebnissen war Fehling allerdings unzufrieden: „F [Fehling] is not so favorably impressed by Mr. Halkema-Kohl. HK appears to be attempting a rather superficial and journalistic survey of what leading personalities think of the possibilities of European economic collaboration, rather than an analysis of the economic factors 315 Vgl. Brief von J. L. K. Gifford an A. W. Fehling, 9. September 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 316 Vgl. Brief von J. L. K. Gifford an A. W. Fehling, 22. Dezember 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 317 Vgl. Brief von J. L. K. Gifford an A. W. Fehling, 12. August 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 318 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 12. August 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 319 Recommendation for renewal of fellowship, 5. August 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 320 Vgl. Brief von J. L. K. Gifford an A. W. Fehling, 4. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. 321 Vgl. Brief von J. Halkema-Kohl an A. W. Fehling, 8. September 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 322 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Halkema-Kohl, 8. September 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

435

involved“, notierte Van Sickle nach einem Gespräch mit dem „Advisor“. Kittredge hielt Halkema-Kohl daraufhin zu „more systematic work in some German institution“323 an. Ein Verlängerungsantrag für Studien in Rom, Wien, Budapest und Prag wurde 1932 abgelehnt324. Eng in die Betreuung der ausländischen Wissenschaftler einbezogen waren die ehemaligen deutschen LSRM- und RF-Fellows. Den Franzosen Philippe Boegner, der die Konkurrenz zwischen Eisenbahn und Autoverkehr in Deutschland erforschen wollte325, brachte Fehling in Kontakt mit Emil Merkert, der die gleiche Fragestellung von 1926 bis 1929 in den USA bearbeitet hatte326. Den Niederländer Hendrikus Van der Valk, der sich für Konjunkturforschung, Arbeitsbeschaffung und Industriepolitik interessierte, verwies Fehling an den ehemaligen LSRM-Fellow Rudolf Heberle in Kiel327. Der Chinese Hung-Chun Chang, der sich 1934328 in Deutschland über „Maßnahmen für den Wiederaufbau der Landwirtschaft“329 informierte, wurde von Kurt Schneider beraten330. Anlässlich einer Berlinreise Kittredges lud Fehling alle in Berlin arbeitenden RF- und SSRC-Fellows zu einem gemeinsamen Treffen im November 1932 ein331, solche größeren Treffen blieben jedoch die Ausnahme. Feldforschung, Fragebögen, Besuche staatlicher Einrichtungen

Für einige der Fellows lassen sich empirische Forschungsmethoden nachweisen, so zeigten mehrere Stipendiaten Interesse an Feldforschung. Die Quellenlage ist aber 323 J. Van Sickle, Diary, 10. November 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 106. 324 Vgl. Brief von J. Van Sickle an J. Halkema-Kohl, 20. Juni 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 325 Vgl. Brief von P. Boegner an A. W. Fehling, o. D. (1932), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 326 Vgl. Brief von E. Merkert an A. W. Fehling, 11. Mai 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 327 Vgl. Brief von A. W. Fehling an R. Heberle, 11. Juni 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 56. 328 Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 31. August 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 329 Brief von A. W. Fehling an K. Schneider, 13. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 330 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 28. April 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 331 Eingeladen waren G.  Demaria (Italien), O.  Ionescu (Rumänien), A.  T.  Kliimann (Estland), K. R. Nebiolu (Türkei), V. Viliamas (Litauen) auf Seite der RF-Fellows und die SSRC-Stipendiaten K. R. Bopp, N. Cantor und M. Ploscowe (alle USA). Nur Boegner sagte seine Teilnahme aus privaten Gründen ab. Vgl. Brief von A. W. Fehling (Adressat unbekannt), 4. November 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. Brief von P. Boegner an A. W. Fehling, 7. November 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31.

436

Krisenzeiten

dürftig, sodass sich keine verallgemeinernden Aussagen treffen lassen. Der Pole Krzyzanowski wollte bei Leopold von Wiese in Köln arbeiten, an dessen kollektiven Forschungsarbeiten teilnehmen und selbstständige Untersuchungen zu „nationality problems“ durchführen332. Im Ruhrgebiet plante er unter den dort lebenden Polen Feldforschung zu betreiben: „I should like to investigate the attitude of the people in this invasion of foreign workmen and its influence upon national consciousness of the latter and vice versa; further, any possible conflicts that have arisen between different nationalities“333. Fehling war gegen diese Pläne, die Krzyzanowski nicht mit ihm abgesprochen hatte. Der RF erklärte er: „I had no objection against the research plan itself. Only he must be aware that under the present strained condition in the Ruhr district he might have inconveniences and must undertake nothing without the agreement of his advisors in Cologne“334. Kittredge rechtfertigte die Planungen und betonte, dass Krzyzanowski das Erlernen und Erproben soziologischer Feldforschungsmethoden sehr wichtig sei und der Fellow vermutet habe, dass er als Pole Schwierigkeiten haben würde, individuelle Feldforschung unter Deutschen zu betreiben335. Fehling meinte allerdings, „that a work on some German communities would bring about at least not more difficulties than the work among Polish groups“336. Krzyzanowski arbeitete während des Wintersemesters in Köln, nahm an einer Forschungsreise des Seminars von Leopold von Wiese teil und besuchte Frankfurt und Leipzig337. Hans Freyer machte ihn „auf vieles Neues aufmerksam“, doch von „den vier besuchten Milieus (Köln, Münster, Frankfurt, Leipzig)“ schien ihm „Frankfurt am lebhaftesten zu sein“338. Er bekam eine weitere Fellowship für eine Teilnahme am Yale-Seminar und verließ Deutschland im Juli 1932339. Ein Jahr später starb er in den USA bei einem Autounfall340. Ob er die beabsichtigte Feldforschung im Ruhrgebiet durchgeführt hat, ließ sich nicht feststellen.

332 Vgl. J. Krzyzanowski, Bewerbungsformular, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 66. 333 J. Krzyzanowski, Proposed subject of Study, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 66, S. 1. 334 Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 14. Oktober 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 335 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 16. Oktober 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 336 Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 19. Oktober 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 337 Vgl. Brief von J. Krzyzanowski an die Rockefeller Foundation, 2. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 338 Brief von J. Krzyzanowski an A. W. Fehling, 1. Juli 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 339 Vgl. Brief von J. Krzyzanowski an A. W. Fehling, 10. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 340 Vgl. J. Krzyzanowski, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards HSS-Poland.

Die sozialwissenschaftlichen Fellowship-Programme der RF

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Der SSRC-Fellow Lowell R. Kelly von der Universität von Hawaii benutzte Fragebögen für seine Studie über Faktoren der Ehefähigkeit und -unfähigkeit341. Er sah drei Monate lang die Unterlagen einer Berliner Eheberatungsstelle durch und erstellte eine mehr als 100 Gründe für Eheschwierigkeiten aufzählende Liste. Diese schickte er mit Bitte um Beurteilung der Wichtigkeit der einzelnen Punkte an 75 Leiter deutscher und österreichischer Eheberatungsstellen und andere Experten. „In spite of the fact that such cooperation among scientists here is unusual, I am inclined to believe that the returns will be satisfactory“342, schrieb er an Fehling, den er ebenfalls als „Fachmann“ konsultierte und um ein Ausfüllen des Fragebogens bat343. Kelly besuchte das Institut für Sexualwissenschaft in Berlin, wo er sein Projekt jedoch nur mit dem Archivleiter Karl Giese durchsprechen konnte344. Im März 1933 traf er sich in Dresden mit dem ehemaligen RF-Fellow Erich Wohlfahrt, zudem besuchte er die Eheberatungsstelle der Stadt und die mit „vocational guidance and testing“ befasste Abteilung im Dresdener Arbeitsamt345. Fehling lehnte die Beantwortung des Fragebogens mit Verweis auf zeitliche Schwierigkeiten ab346. Schließlich nutzten mehrere Stipendiaten ihren Aufenthalt in Deutschland zum Besuch staatlicher Einrichtungen. Für den Bulgaren Nicholas Dolaptchieff, Professor für Strafrecht an der Universität von Sofia, erwirkte Fehling die Möglichkeit der Teilnahme an einer Sitzung des Jugendgerichts und stellte Kontakt zu Jugendrichtern her347. Dem 24-jährigen Niederländer Bernhard Röling von der Universität Nijmegen half der Landesvertreter bei der Organisation von Gefängnisbesuchen348. Röling arbeitete in Marburg und München und besuchte Gefängnisse in Deutschland, England und der Schweiz349. Weitere Reisen zu diesem Zweck nach Dänemark und Belgien sah Kittredge kritisch, ebenso wie eine Verlängerung des Stipendiums: Social Science fellowships are not, as a rule, intended for the type of field studies in which you are now engaged, but are designed rather to permit fellows to familiarize themselves 341 Vgl. E. L. Kelly, Bewerbungsformular, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 66. 342 Brief von E. L. Kelly an D. Young, 14. März 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34, S. 1. 343 Vgl. Brief von E. L. Kelly an A. W. Fehling, 10. April 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. 344 Vgl. Brief von E. L. Kelly an D. Young, 14. März 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34, S. 1. 345 Vgl. ebd., S. 2. 346 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. L. Kelly, 13. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. 347 Vgl. Brief von A. W. Fehling an N. Dolaptschieff, 23. April 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 348 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. V. A. Röling, 27. November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 349 Vgl. B. V. A. Röling, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards HSS Netherlands.

438

Krisenzeiten

with the fundamental problems of their field of work and with the methodology employed by the leading scholars in their field in the analysis of these problems350.

Feldforschung diene der Verifizierung theoretischer Studien anhand von „first hand observation of the data pertaining to his subject“351. Röling erhielt eine Verlängerung von zwei Monaten, um die Arbeiten abzuschließen352. Auch gegenüber dem Rumänen Octavian Ionescu von der Universität von Jassy betonte die RF, dass das Erlernen von Methoden das Ziel der Stipendien sei. Im Rahmen seines Verlängerungsantrags353 kam es 1933 zu einer längeren Auseinandersetzung, die Fehling für Kittredge zusammenfasste: I had the impression that there is some difference of opinion about the main subject of his fellowship year. Dr. Ionescu arranged his work according to the supposition that the basis of his appointment is to carry out a study on the influence of economic factors on German private law after the war […] and, besides, that the Foundation expects him to make himself acquainted with the German theory and methods in economics and sociology, while the Foundation seems to lay the whole emphasis on the second point of his program. From his report and from the previous interviews, I got the impression that he is working very hard and that he tries to combine both tasks as efficiently as possible354.

Ionescu habe sich ernsthaft bemüht, Kontakte mit Professoren herzustellen und deren Hinweise zu nutzen, betonte Fehling. „He seems only to be a little puzzled about the line of activity he should emphasize most“355. Im Juli 1934 wurde Ionescu eine einjährige Verlängerung gewährt356. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Erlernen von Methoden und der Durchführung eines Forschungsprojekts erlebten sowohl die deutschen Stipendiaten im Ausland wie auch die ausländischen Stipendiaten in Deutschland. Alle mussten, oft unter Vermittlung Fehlings, einen Kompromiss aus den Vorstellungen der RF und den eigenen Wünschen akzeptieren. 350 Brief von T. B. Kittredge an B. V. A. Röling, 16. August 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 351 Ebd. 352 Vgl. B. V. A. Röling, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards HSS Netherlands. 353 Vgl. Research Fellowship Renewal O. Ionescu, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 354 Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 10. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35, S. 1. 355 Ebd., S. 2. 356 Vgl. O. Ionescu, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards HSS Rumania. Nach seiner Rückkehr erhielt Ionescu im März 1936 ein Humboldt-Stipendium und kam nach Deutschland zurück, um weiter an seinen unter dem RF-Stipendium begonnenen Studien zu arbeiten. Vgl. Brief von O. Ionescu an A. W. Fehling, 17. März 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45.

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Forschungsinteressen der Fellows: Wissenstransfer, Kriminalbiologie und Leipziger Soziologie

Die Forschungsinteressen der ausländischen Fellows in Deutschland waren sehr vielfältig, sodass hier nur einige nicht repräsentative Ausschnitte beleuchtet werden können. Eine Aufstellung aller bearbeiteten Themen findet sich in den Tabellen im Anhang. Viele Stipendiaten verfolgten Forschungsprojekte, die in enger Verbindung zu ihrem Heimatland standen. So bereitete sich der italienische Ethnologe Renato Boccassino in Deutschland auf Feldforschung in Afrika vor357. Der italienische „Advisor“ Einaudi hielt die Verleihung des Stipendiums 1931 für besonders nützlich, da es seiner Meinung nach zu der Zeit keinen hervorragenden Ethnologen oder Sozialanthropologen in Italien gebe, obwohl diese Themen aufgrund Italiens kolonialer Verantwortlichkeiten nun von größerer Bedeutung seien358. Der Fellow sollte nach seiner Rückkehr der italienischen Kolonialpolitik zur Verfügung stehen. Der Bulgare Luben Dikoff, Professor für Privatrecht an der Universität von Sofia, wollte erforschen, „wie das Grundeigentum in Deutschland geregelt ist“ und „ganz privat“ Materialien für eine eventuelle Neuordnung dieses Rechts in Bulgarien sammeln359. Hawgood Lawrence Childs, SSRC-Fellow und Professor für Politikwissenschaft an der Bucknell University, studierte den Allgemeinen Deutschen Gewerkschaftsbund und den Reichsverband der Deutschen Industrie „as unofficial agencies of government, with the hope of discovering methods of improving state-group relationships in the United States“360. Mehrere Stipendiaten waren an kriminologischer und kriminalbiologischer Forschung interessiert. Der Slowene Bozo Skerlj, ein Anthropologe aus Ljubljana, interessierte sich für die Frage, „wie sich die Methoden der Anthropologie für soziologische Studien und für Studien sozialer Gruppen (z. B. Bäckergehilfen, Schneiderinnen, Kriminelle, Prostituierte)“361 nutzen ließen. Er verwies auf sein bald erscheinendes 357 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 12. August 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 358 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 11. April 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 21. 359 Brief von L. Dikoff an A. W. Fehling, 7. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 360 Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 8. Mai 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. H. Childs, Plans for Study, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. In den USA hatte Childs bereits ein Buch mit dem Titel „Labor and Capital in National Politics“ (1930) herausgebracht. 1937 kehrte er mit einer Fellowship der John Simon Guggenheim Memorial Foundation nach Deutschland zurück, „for a study of labor and capital in Germany politics“. Vgl. John Simon Guggenheim Memorial Foundation, Auszug aus dem Foundation’s Report for 1937–38, online verfügbar unter http://www.gf.org/fellows/all-fellows/harwood-l-childs/ (zuletzt eingesehen am 12. Dezember 2018). 361 B. Skerlj, Bewerbungsformular, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 66.

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Buch „Die Prostituierten Ljubljanas in anthropologischer und soziologischer Beziehung“, in dem er versucht habe, seine „These vom biologischen, erblichen Ursprung der Prostitution nachzuweisen“ und „von diesem Standpunkt den Einfluss der sozialen Umwelt auf das Erbgut“362 zu prüfen. Im Rahmen des Stipendiums wollte er im Norden Europas Vergleichsmaterial zu Kriminellen und Prostituierten erhalten. Er plante am Kaiser-Wilhelm-Institut für Anthropologie, menschliche Erblehre und Eugenik in Berlin bei Eugen Fischer363 und Otmar von Verschuer364 zu arbeiten und mit dem Dresdener Hygieniker Rainer Fetscher und dem Sexualforscher Magnus Hirschfeld Kontakt aufzunehmen365. Fehling riet Skerlj bei Fischer in Berlin zu beginnen und dann nach München zu gehen, wo die „eigentliche kriminalbiologische Zwillingsarbeit“, für die sich der Skerlj ebenfalls interessierte, entstanden sei. Er könne dort Theodor Viernstein treffen, „der seit Jahren kriminalbiologisch tätig ist“366. Der Rassenhygieniker Viernstein war als Gefängnisarzt tätig und hatte 1923 den Bayerischen Kriminalbiologischen Dienst gegründet367. Skerlj arbeitete in der folgenden Zeit bei Fischer und von Verschuer und erhielt die Erlaubnis, das Forschungsmaterial von mehr als 400 Zwillingspaaren zu benutzen. Kittredge notierte nach einem Besuch: „S. [Skerlj] seems to be highly esteemed by Prof. Fischer and his assistants and to be doing systematic and satisfactory work“368. Als problematisch wurden die Forschungsinteressen Skerljs weder von Fehling noch von der RF wahrgenommen. Helmut Kristal, Dozent an der Universität Tartu in Estland, wollte 1933 zum Thema „Besserungsmöglichkeiten der Kriminellen“ und der Umgestaltung der „heut362 B. Skerlj, Mein Studienplan, 27. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 363 Vgl. B. Skerlj, Bewerbungsformular, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 66. 364 Otmar von Verschuer war Leiter der Abteilung für menschliche Erblehre. Er war Zwillingsforscher, Eugeniker und hegte in der Weimarer Republik Sympathien für die völkische Bewegung. Nach 1933 war er einer der führenden Rassenhygieniker des NS-Regimes. Vgl. Schmuhl, Grenzüberschreitungen, S. 75. Siehe auch Kröner, Hans-Peter, „Rasse“ und Vererbung: Otmar von Verschuer (1896–1969) und der „wissenschaftliche Rassismus“, in Ehmer, Josef; Ferdinand, Ursula; Reulecke, Jürgen (Hgg.), Herausforderung Bevölkerung. Zu Entwicklungen des modernen Denkens über die Bevölkerung vor, im und nach dem „Dritten Reich“, Wiesbaden, 2007, S. 201–213 und Petermann, Heike, Die Vorstellungen der Rassenhygieniker und das Bevölkerungsprogramm im „Dritten Reich“, in Mackensen, Rainer (Hg.), Bevölkerungslehre und Bevölkerungspolitik im „Dritten Reich“, Opladen, 2004, S. 129–132. 365 Vgl. B. Skerlj, Mein Studienplan, 27. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 366 Brief von A. W. Fehling an B. Skerlj, 4. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 367 Vgl. Wetzell, Richard, Kriminalbiologische Forschung an der Deutschen Forschungsanstalt für Psychiatrie in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus, in Schmuhl, Hans-Walter (Hg.), Rassenforschung an Kaiser-Wilhelm-Instituten vor und nach 1933, Göttingen, 2003, S. 71, 75. 368 J. Van Sickle, Diary, 11. November 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 108.

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zutage verwendeten Methoden der Verbrecherbehandlung“369 arbeiten. Mit dem Thema sei er in eine bittere Kontroverse geraten, konstatierte Fehling, der ihn auf die Broschüre „Liberales oder autoritäres Strafrecht?“ von Georg Dahm und Friedrich Schaffstein hinwies370. Dahm, Schaffstein und weitere jüngere Kriminalisten setzten sich für ein nationalsozialistisches Strafrecht ein371. Aus der Gruppe „which now had to give up their positions“ empfahl Fehling den Sozialpädagogen Albert Krebs, ehemaliger Direktor der Strafanstalt Untermaßfeld/Thüringen, der 1933 als SPD-Mitglied aus politischen Gründen entlassen worden war372. Kristal arbeitete in München bei dem Kriminologen Franz Exner, der allerdings über Kriminalbiologie statt über den Strafvollzug las, und das „parallel mit der Vorführung der Strafgefangenen“373. Im Lauf des Semesters kam Kristal auch mit Edmund Mezger und Ernst Rüdin in Kontakt374. Exner und Mezger stellten ihre rechtswissenschaftlichen Forschungen in den Dienst des NS-Staates und waren unter anderem an der Erarbeitung des nationalsozialistischen „Gemeinschaftsfremdengesetzes“ beteiligt375. Im März 1934 bat Kristal die RF um die Erlaubnis, einige Wochen bei dem österreichischen Kriminalbiologen Adolf Lenz an der Universität Graz arbeiten zu dürfen. Die von Lenz angewendeten Untersuchungsmethoden unterschieden „sich in vielem von denjenigen in München […] insbesondere durch die größere Berücksichtigung der sozialen Bedingtheit des Verbrechens im Vergleich zu den mehr erbbiologisch orientierten Untersuchungen in München“. Für seine Arbeit sei das Studium der Grazer Methoden „sehr wertvoll“376. Kristal besuchte auch Freiburg, Hamburg und Köln377 und verbrachte ein zweites Studienjahr in Italien und der Schweiz378.

369 Brief von H. Kristal an A. W. Fehling, 25. Juli 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 370 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 1. Juli 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35, S. 1–2. 371 Vgl. Ditt, Thomas, „Stoßtruppfakultät Breslau“: Rechtswissenschaft im „Grenzland Schlesien“ 1933–1945 (Beiträge zur Rechtsgeschichte des 20. Jahrhunderts 67), Tübingen, 2011, S. 101. 372 Vgl. Wiemann, Günter, Kurt Gellert: ein Bauernführer gegen Hitler. Widerstand, Flucht und Verfolgung eines Sozialdemokraten, Berlin, 2007, S. 117. 373 Brief von H. Kristal an A. W. Fehling, 25. Oktober 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 374 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. v. Hentig, 28. April 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 375 Vgl. Werle, Gerhard; Vormbaum, Moritz, Das Strafrecht an der Friedrich-Wilhelms-Universität, 1871–1945, in Tenorth, Heinz-Elmar (Hg.), Geschichte der Universität Unter den Linden 1810– 2010: Praxis ihrer Disziplinen. Transformation der Wissensordnung, Bd. 5, Berlin, 2010, S. 121. 376 Brief von H. Kristal an die Rockefeller Foundation, 13. März 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 377 Brief von A. W. Fehling an G. Aschaffenburg, 3. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 378 Vgl. H. Kristal, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards HSS Estonia.

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In ganz anderer Richtung arbeitete der 24-jährige Rumäne Anton Golopentia, ein Schüler des rumänischen Agrarsoziologen Dimitrie Gusti379, der ein starkes Interesse an Freyers Soziologie in Leipzig entwickelte. Er kam im November 1933 mit der Absicht zu promovieren nach Deutschland380. Golopentia hielt sich zunächst in Berlin auf381, besuchte im April 1934 das schlesische Grenzschulheim Boberhaus382 und ging anschließend nach Leipzig383. Dort profitierte er von den engen Kontakten, die sich zwischen Freyer und Gusti entwickelt hatten384. Golopentia nahm an Seminaren teil, hielt Referate über Rumänien385 und kam in Kontakt mit einem Kreis „von entschieden politischen jungen Menschen“386. Als „äußerst anregend“ beschrieb

379 Dimitrie Gusti war der führende rumänische Soziologe der Zwischenkriegszeit, der realsoziologische, interdisziplinär ausgerichtete und bevölkerungsbiologisch orientierte Studien rumänischer Dörfer verfolgte. Soziologie verstand Gusti als „Wissenschaft von der Nation“. Vgl. Wedekind, Michael, Wissenschaftsmilieus und Ethnopolitik im Rumänien der 1930/40-er Jahre, in Ehmer, Josef; Ferdinand, Ursula; Reulecke, Jürgen (Hgg.), Herausforderung Bevölkerung. Zu Entwicklungen des modernen Denkens über die Bevölkerung vor, im und nach dem „Dritten Reich“, Wiesbaden, 2007, S. 234 (Im Folgenden zitiert als Wedekind, Wissenschaftsmilieus). 380 Vgl. Brief von A. Golopentia an A. W. Fehling, 9. Juli 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35, S. 2–3. 381 Vgl. A. Golopentia, Rapport d’activité 1933/34 et projet de travail 1934/35, 3. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40, S. 1. Von den an der Berliner Universität besuchten Kursen war er enttäuscht. Vgl. Cotoi, Calin, The Imagining of National Spaces in Interwar Romania. The Emergence of Geopolitics, in Romanian Review of Political Sciences and International Relations 4 (2007), S. 82 (Im Folgenden zitiert als Cotoi, The Imagining of National Spaces). 382 Vgl. Klingemann, Soziologie und Politik, S. 78. Siehe auch Gutberger, Jörg, Volk, Raum und Sozialstruktur. Sozialstruktur- und Sozialraumforschung im „Dritten Reich“ (Beiträge zur Geschichte der Soziologie 8), München, 1996, S. 113–114 (Im Folgenden zitiert als Gutberger, Volk, Raum und Sozialstruktur). Zur Abraham Lincoln-Stiftung und der Boberhausbewegung siehe Richardson, Malcolm, Die Abraham Lincoln-Stiftung, Rockefellers Philanthropie und der Versuch, die Weimarer Republik zu stärken, in Richardson, Malcolm; Reulecke, Jürgen; Trommler, Frank (Hgg.), Weimars transatlantischer Mäzen. Die Lincoln-Stiftung 1927 bis 1934. Ein Versuch demokratischer Elitenförderung in der Weimarer Republik, Essen, 2008, S. 45. 383 Vgl. Brief von A.  Golopentia an die Rockefeller Foundation, 9.  März 1934, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 384 Freyer und Gusti hatten gemeinsam empirische agrarsoziologische Untersuchungen durchgeführt, an denen teilweise auch das Boberhaus beteiligt war. Vgl. Klingemann, Soziologie und Politik, S. 78. 385 Vgl. Cotoi, Calin, Reactionary Modernism in Interwar Romania: Anton Golopentia and the Geopolitization of Sociology, in Kamusella, Tomasz; Jaskułowski, Krzysztof (Hgg.), Nationalisms Today, Bern, 2009, S. 134. 386 A. Golopentia, Tätigkeitsbericht, 16. November 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44, S. 2.

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er den Versuch Freyers, „politische Menschen, die ‚höheren Menschen‘, durch die wissenschaftliche Ausrüstung des ursprünglichen Patriotismus zu züchten“387. Der erste Kontakt mit dem nationalsozialistisch eingestellten ehemaligen Stipendiaten Karl-Heinz Pfeffer verlief allerdings fatal: „Er empfing mich freundlich, während des Gesprächs sagte ich aber nebenbei etwas das mich dem Neuaufbau gegenüber skeptisch erscheinen lassen konnte. Meine Berichtigungen brachten immer neue Begründungen hervor“. Seitdem habe er Pfeffer „wohl gut zehnmal gesehen. Dr. Pfeffer immer streng und ‚Heil Hitler‘, ich immer kleinlaut“. Beim Teeabend im Kameradschaftshaus wollte Golopentia versuchen, Pfeffer doch noch für sich zu gewinnen388. Knapp zwei Monate später berichtete er, dass Problem „Dr. Pfeffer“ habe sich gelöst. Sie vertrügen sich jetzt gut, „so wohl sichtbar geworden ist, dass ich genug ähnlicher Struktur bin und auch ein wenig zum Radikalismus neige, in der Politik“389. Die Erfahrung des „völkische[n] Staat[s]“ führte bei Golopentia zu einer Beschäftigung mit der eigenen Herkunft390. Er denke alles „zur grösseren Ehre der Bukarester Gusti-Unternehmungen“391 um, berichtete er Fehling. Da Kittredge von einem Aufenthalt bei Heidegger in Freiburg aus Angst, Golopentia könne „zu stark zur Philosophie abgedrängt“ werden, abriet, ging der Fellow von Leipzig nach Hamburg zu Andreas Walther392. Verglichen mit Freyer, bei dem man fühle, dass da „jemand die Gegenwart übersieht und das Wesentliche und Nötige ergriffen hat“, sei Walther ein „zarter Professor, jemand der Geschehenes in wissenschaftliche Sprache übersetzt“393, so Golopentia. Er besuchte auch das Weltwirtschaftsinstitut in Kiel („Man kommt um den Eindruck nicht umhin, dass es gute Praktiker sind, die sich aber nicht ganz zurecht finden in der Zeit“) und sprach in Heidelberg mit Jaspers und Bergstraesser. In Freiburg entsprach Heidegger so sehr seinen Erwartungen, dass er „den Mut zu ihm zu gehen nicht mehr zusammenbrachte“394.

387 Brief von A. Golopentia an A. W. Fehling, 5. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 388 Brief von A. Golopentia an A. W. Fehling, 13. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39, S. 2–3. 389 Brief von A. Golopentia an A. W. Fehling, 5. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. Laut Wedekind war Golopentia sozialdemokratisch orientiert. Vgl. Wedekind, Wissenschaftsmilieus, S. 257. 390 Vgl. Cotoi, The Imagining of National Spaces, S. 82. 391 Brief von A. Golopentia an A. W. Fehling, 5. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 392 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Golopentia, 14. März 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 393 Brief von A.  Golopentia an A.  W.  Fehling, 17.  April 1935, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 43. 394 Brief von A.  Golopentia an A.  W.  Fehling, 7.  August 1935, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 43.

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Seine Doktorarbeit, für die er 1934 eine Verlängerung des RF-Stipendiums395 und 1935 ein Humboldt-Stipendium bekam396, beendete er 1936. Bei Hans Freyer und Arnold Gehlen promovierte er mit einer Arbeit über „Die Information der Staatsführung und die überlieferte Soziologie“397, in der er ein Wiederanknüpfen an die „staats- und cameralwissenschaftliche“ Forschung des 18. und 19. Jahrhunderts für die Entwicklung einer praxisorientierten Planungssoziologie forderte398. Ziel sei eine „Diagnose des Gesamtzustandes der Nation“, um die für eine „allseitige und zureichende Informierung der Staatsverwaltung nötigen Forscher erziehen zu können“399. Er forderte eine Art „Freyersche Gegenwartswissenschaft, aber betrieben mit der Präzision der Naturwissenschaften, unter Anwendung von Statistik, Erhebungen, Wahrscheinlichkeitsrechnung in den Fällen in denen es zulässig ist“400. Zurück in Rumänien arbeitete er wieder für Gusti, bis er 1940 in den Dienst des Statistischen Zentralinstituts trat401. Studien und Informationen zum Nationalsozialismus

Durch die ausländischen Stipendiaten erhielt die RF Informationen und Einschätzungen über die nationalsozialistische Bewegung und den NS-Staat. Der Stipendiat Georges Gurvitch kehrte 1930 „very depressed“ von einem Stipendienaufenthalt in Deutschland und Italien nach Frankreich zurück. Van Sickle notierte: „Feels that Hitlerism is sweeping Germany and that union of Germany, Russia and Italy and a European War not unlikely; – or else civil war in Germany. Fears for our whole western civilization“402. Über den neuseeländischen Stipendiaten W. L. Holland erhielt die Stiftung 1933 Informationen über das Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Holland

395 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 19. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 396 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Golopentia, 12. September 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 397 Vgl. Wedekind, Wissenschaftsmilieus, S. 256–257. 398 Vgl. Gutberger, Volk, Raum und Sozialstruktur, S. 36, 537. 399 A. Golopentia, Tätigkeitsbericht, 16. November 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44, S. 1. 400 Brief von A. Golopentia an A. W. Fehling, 8. September 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 401 Vgl. Wedekind, Wissenschaftsmilieus, S. 256–257. Golopentia starb 1951 im Gefängnis. Vgl. Gutberger, Volk, Raum und Sozialstruktur, S. 537. 402 J. Van Sickle, Diary, 29. Dezember 1930, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929– 1930, S. 160.

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hatte zunächst geplant, dort drei Wochen zu verbringen403, blieb dann aber zwei Monate. Er berichtete von dem Mut, mit dem Harms seine Mitarbeiter verteidigt habe, „even to the point where he had been placed on the prescribed lists“404. Ein amerikanischer Stipendiat scheint selbst in Schwierigkeiten geraten zu sein, zumindest heißt es in der Einleitung des „Directory of SSRC Fellows, 1925–1939“: „An economist behaved so badly in Germany that he landed in a concentration camp, although on our records we carry the adress „c/o American Express Co., Berlin“405. Der Nationalsozialismus weckte auch das wissenschaftliche Interesse einiger Fellows. Der Franzose Louis Rougier406 erhielt 1933 ein Stipendium, um eine Untersuchung „of the freedom of intellectual effort and the various restrictions of freedom of thoughts and expression in certain more important European countries, including Germany“407, durchzuführen. Bis Sommer 1934 arbeitete er in Berlin, Rom, Wien und München408. Der Franzose René Capitant, Professor für Verfassungsrecht an der Universität Straßburg, plante im Sommer 1933 „[d]ie Regierung des Reiches – seine Entwicklung seit 1919“ zu untersuchen409. Im Zentrum sollte die Weimarer Verfassung von 1919 stehen, „a study of the way in which the Constitution had functioned, and an attempt at an analysis of the reasons for the failure of parliamentary democracy in Germany“. Mit Van Sickle und Kittredge besprach Capitant die Frage, ob der Besuch eines französischen Wissenschaftlers in Deutschland zum gegenwärtigen Zeitpunkt zweckmäßig sei. Die beiden Officers unterstützten die Bewerbung. Sollten deutsche Entwicklungen bis zur Ausreise seinen Besuch jedoch unerwünscht erscheinen lassen, 403 Vgl. Brief von W. L. Holland an A. W. Fehling, 5. März 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. 404 J.  Van Sickle, Memorandum. Proposed Institute for International Relations Research. JVS conversation with W. L. Holland, Paris, May 10, 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Projects 717 (Germany), box 19, folder 177. 405 Carl C. Brigham, Introduction to Directory of SSRC Fellows, 1925–1939, SSRC, New York, September 1939, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2025. 406 Teile der folgenden Ausführungen zu Rougier, Capitant, Sutton und De Wilde bilden in französischer Übersetzung die Grundlage für den Artikel Syga-Dubois, Judith, Les séjours en Italie fasciste et en Allemagne nazie des boursiers en sciences sociales de la Fondation Rockefeller: des expériences scientifiques et personnelles contrastées, in Dard, Olivier; Mattiato, Emmanuel; Poupault, Christophe; Sallée, Frédéric (Hgg.), Voyager dans les États autoritaires et totalitaires de l’entredeux-guerres: confrontations aux régimes, perceptions des idéologies et comparaisons, Chambéry, 2017, S. 214–217 (Im Folgenden zitiert als Syga-Dubois, Les séjours). 407 Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 12. August 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 408 Vgl. L. Rougier, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards HSS France. 409 1932 hatte Capitant bereits einen Artikel zur politischen Rolle des Reichspräsidenten veröffentlicht. Vgl. Capitant, René, Le rôle politique du Président du Reich, in Politique (15. März 1932).

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könne er von dem Stipendium zurücktreten410. Fehling holte „verschiedentlich Erkundigungen“ ein und teilte Capitant dann mit, er sehe „gar keine Schwierigkeiten“ für seine Arbeit in Deutschland. „Wie mir von zuständiger Seite erklärt wurde, würde man jede Arbeit mit Freude begrüßen, die zu einer wissenschaftlichen Durchdringung und einem inneren Verstehen der staatlichen Wandlungen beiträgt“411. Fehlings Einsatz erklärte sich auch dadurch, dass er in dieser Zeit für die Weiterführung der RF-Programme in Deutschland kämpfte. Eine Ablehnung der in Paris gebilligten Forschungspläne hätte eine Schwächung seiner Verhandlungsposition bedeutet. Er riet Capitant nicht in Berlin, sondern in Köln bei Carl Schmitt und seinen Schülern anzufangen, „die ja der Entwicklung der letzten Jahre besonders nahe standen“412. Schmitt hatte sich in den ersten Jahren des NS-Regimes als führender Rechtstheoretiker hervorgetan413. Capitant hatte die Werke Schmitts bereits für französische Zeitschriften positiv besprochen414. Das Treffen zwischen Capitant und Schmitt in Köln war durch starke Meinungsverschiedenheiten geprägt415. Der Franzose reiste bald nach Berlin weiter, wo er seine Arbeit in Verbindung mit den Juristen der Berliner Universität und Mitgliedern der Verfassungsabteilung des Reichsministeriums des Innern durchführte. Außerdem besuchte er im Mai 1934 Königsberg, um sich einen Eindruck von den „Aufbauplänen Ostpreußens“ zu verschaffen416. 1935 veröffentlichte Capitant eine kritische Analyse des Nationalsozialismus417, dessen Bedeutung und Gefährlichkeit er früh

410 Vgl. T. B. Kittredge, J. Van Sickle, Interview mit René Capitant, 1. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 411 Brief von A. W. Fehling an R. Capitant, 19. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35, S. 1. 412 Ebd., S. 1–2. 413 Vgl. Klingemann, Soziologie im Dritten Reich, S. 27. 414 Vgl. Capitant, Le rôle politique du Président du Reich. Siehe auch Le Brazidec, Gwénaël, René Capitant, Carl Schmitt. Crise et réforme du parlementarisme: de Weimar à la Cinquième République (Logiques juridiques), Paris, 2000, S. 19 (Im Folgenden zitiert als Le Brazidec, René Capitant, Carl Schmitt). 415 In sein Buch „Réforme du parlementarisme“ schrieb R. Capitant in Berlin im Mai 1934 als Widmung: „A monsieur Carl Schmitt, ces quelques pages, en sincère hommage et avec l’espoir que, malgé leur libéralisme, il puisse encore les comprendre“. Vgl. Le Brazidec, Réné Capitant, Carl Schmitt, S. 19. 416 Vgl. Brief von A. W. Fehling an G. Fremerey, 9. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 417 Capitant, René, L’idéologie national-socialiste, in L’année politique française et étrangère (1935), S. 117–205.

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erkannt hatte418. Während des Zweiten Weltkriegs engagierte er sich in der Résistance419. Zu den letzten Stipendiaten, die Deutschland vor dem Kriegsausbruch besuchten, gehörten unter gänzlich entgegengesetzten Vorzeichen der Engländer Claud W. H. Sutton und der Amerikaner John De Wilde. Der 39-jährige Sutton erhielt 1937 ein RF-Stipendium, um in Deutschland die nationalsozialistische Bewegung, ihre innere Organisation, ihr Verhältnis zu staatlichen Institutionen und ihre Außenpolitik zu erforschen420. Dass Sutton ein Jahr zuvor ein demokratiekritisches Buch mit dem Titel „Farewell to Rousseau. A Critique of Liberal Democracy“421 veröffentlicht hatte, war für die Stiftung kein Ablehnungsgrund. Claud Sutton war Mitglied der British Union of Fascists, für ihn war Faschismus ein Merkmal verschiedener nationaler Bewegungen, das „with a kind of necessity“ aus der Lage der europäischen Kultur erwachse422 und eine Alternative zum Marxismus und liberaler Demokratie darstelle423. Sein 13-monatiger Deutschlandaufenthalt begann im April 1937. Es sei ihm geglückt, sehr nützliche Kontakte herzustellen und sich Zugang zu vielen wertvollen Informationsquellen zu beschaffen, berichtete er der RF. Besonders Fritz Berber in Berlin habe ihn unterstützt und ihm angeboten, einen Teil seiner Studien zur Organisation des deutschen Wirtschaftsleben zu veröffentlichen424. 1938 erhielt als letzter RF-Fellow der Amerikaner John De Wilde, der bereits 1930–1931 mit einem Austauschstipendium des Institute of International Education in Kiel gewesen war425, ein einjähriges Stipendium, um in Deutschland „[a] study of government regulation of economic life“ durchzuführen. Er plante ausgedehnte Reisen und Interviews mit Regierungsbeamten, Geschäftsleuten, Bauern und Arbeitern, um sich einen persönlichen Eindruck der nationalsozialistischen Wirtschafts-

418 Vgl. Beaud, Olivier, René Capitant et sa critique de l’idéologie nazie (1933–1939), in Revue française d’histoire des idées politiques 14 (2001), S. 353. 419 Vgl. Le Brazidec, René Capitant, Carl Schmitt, S. 17. 420 Vgl. C. W. H. Sutton, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, HSS-UK. 421 Sutton, Claud, Farewell to Rousseau. A critique of liberal-democracy, London, 1936. 422 Sutton, Claud, The third alternative (1937), in Griffin, Roger (Hg.), International fascism. Theories, causes and the new consensus, London, New York, 1998, S. 258 (Im Folgenden zitiert als Sutton, The third alternative (1937)). Er vertrat ein „curious amalgam of Fascism and Nazism“, so R. Griffin. Griffin, Roger, Presentation, in Griffin, Roger (Hg.), International fascism. Theories, causes and the new consensus, London, New York, 1998, S. 241. 423 Vgl. Sutton, The third alternative (1937), S. 263. 424 Vgl. C. W. H. Sutton, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, HSS-UK. 425 Vgl. J. De Wilde, Personal History Record, 11. Dezember 1937, in RAC-RF, RG 10.1 Fellowship Files, folder 200E, De Wilde, John Charles, 1928, 1934–1938.

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politik zu verschaffen426. Fehling unterstützte ihn bei seiner Kontaktsuche in Berlin427. Über seine Eindrücke verfasste De Wilde im Juni 1938 einen siebenseitigen Bericht für die Foreign Policy Association, zu deren Mitarbeitern er gehörte. Das NS-Regime sei so stark wie nie zuvor und werde von der Bevölkerung akzeptiert, so der Stipendiat. Mit der Zeit werde der Druck zur Konformität für das Individuum fast unbemerkbar, zudem hätten die Deutschen durch harte Arbeit kaum Zeit zum Nachdenken. Nicht ohne Bewunderung berichtete er von der Monopolisierung der Wohlfahrt durch den NS-Staat, der den Massen Konzertbesuche, Sport und Urlaubsreisen ermögliche. Die größten Vorbehalte gegen das Regime sah er bei den Intellektuellen, „[y]et even among them there are few who do not openly or secretly admire many things which the Nazis have done. They frequently excuse the abolition of liberty with the assertion that it was probably necessary to ‚get Germany out of the hole‘“428. In der Durchsetzung ihrer Ziele würden die Nationalsozialisten kein Zögern und keine Skrupel kennen: Dies sei oft ihre Stärke, könne aber auch eine Schwäche sein429. Zur Außenpolitik notierte De Wilde: „Any regime as dynamic and restless as the present one, so continuously intent on showing the people ‚progress‘, must be source of danger to the rest of Europe“430. Seine eigenen demokratischen Überzeugungen versteckte De Wilde nicht: Auch wenn Deutschland auf den ersten Blick ökonomisch erfolgreich erscheine und die Frage, warum das ökonomische Leben in den USA nicht wirklich funktioniere „embarrassing“ sei, „it convinces me more stongly than ever that our primary concern must be to make our democracy work“431. Ende September 1938 schickte Kittredge einen Brief an De Wilde in Berlin. Er forderte ihn mit Verweis auf die unruhigen Zeiten auf, den Kontakt zum Konsulat zu halten und sich, sollte die Kommunikation mit Paris zusammenbrechen, direkt an das New Yorker Büro zu wenden. „In case of danger, this letter is to authorize you to use our own judgment concerning change of place or plans. The Foundation will pay expenses involved“432. Im Dezember 1938 kehrte De Wilde nach achtmonatigem

426 J. De Wilde, Personal History Record, 11. Dezember 1937, in RAC-RF, RG 10.1 Fellowship Files, folder 200E, De Wilde, John Charles, 1928, 1934–1938. 427 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an S. H. Walker, 22. Februar 1938, in RAC-RF, RG 10.1 Fellowship Files, folder 200E, De Wilde, John Charles, 1928, 1934–1938. 428 Brief von J. De Wilde an den „Research Staff “ der Foreign Policy Association, 6. Juni 1938, in RAC-RF, RG  10.1 Fellowship Files, folder  200E, De  Wilde, John Charles, 1928, 1934–1938, S. 1–2. 429 Ebd., S. 3. 430 Ebd., S. 6. 431 Ebd., S. 3. 432 Brief von T. B. Kittredge an J. De Wilde, 29. September 1938, in RAC-RF, RG 10.1 Fellowship Files, folder 200E, De Wilde, John Charles, 1928, 1934–1938.

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Aufenthalt in Deutschland und Südosteuropa in die USA zurück433. Über seine Erfahrungen in Deutschland hielt er Vorträge434 und veröffentlichte 1939 das Buch „Building the Third Reich“435. Insgesamt war Deutschland sowohl als Gastland wie auch als entsendendes Land fest in das Netz der Rockefeller’schen Stipendienprogramme eingebunden, bis der Nationalsozialismus den wissenschaftlichen Austausch zuerst erschwerte und dann unmöglich machte. Ab 1935 fand Fehling kaum noch den Regeln konforme Bewerber und die ausländischen Stipendiaten wendeten sich anderen Zielländern, wie Großbritannien und später Lateinamerika, zu.

433 Vgl. J. De Wilde, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, HSS-USA. 434 Vgl. Brief von S. May an D. F. Leet, 10. Dezember 1938, in RAC-RF, RG 10.1 Fellowship Files, folder 200E, De Wilde, John Charles, 1928, 1934–1938. 435 De Wilde, John C., Building the Third Reich, New York, 1939.

Zwischenfazit: „America first“? – Die Unterstützung der RF für die deutschen Sozialwissenschaften in den 1930er-Jahren

Die Neuausrichtung der Rockefeller Philanthropie, die 1929 zur Einrichtung einer großen Mutterstiftung mit fünf Abteilungen führte, bedeutete für die sozialwissenschaftliche Förderpolitik einen tiefgreifenden Wandel. Die Verwaltung der Programme wurde nun nicht mehr von einer kleinen und relativ unabhängigen Einrichtung durchgeführt, sondern von einer Großorganisation übernommen. Der Leiter der sozialwissenschaftlichen Abteilung, Edmund E. Day, trat mit der Absicht an, Verschwendung und Beliebigkeit, die er schon an der Förderpolitik des LSRM kritisiert hatte, zu bekämpfen. Ihm standen dafür jedoch weder Rumls finanzielle Autonomie, noch dessen weitreichende Entscheidungskompetenzen zur Verfügung. Die bald nach seinem Amtsantritt einsetzende Weltwirtschaftskrise reduzierte die Einnahmen der RF deutlich, sodass die Pläne zu einer inhaltlich-organisatorischen Neuausrichtung und die Verschlechterung der finanziellen Möglichkeiten sich gegenseitig beeinflussten. Trotzdem war auch unter Days Leitung die Förderung ungewöhnlicher Experimente möglich, wie die Bereitstellung von 750.000 Dollar für die Einrichtung eines politikwissenschaftlichen Instituts in Berlin oder die Vergabe von Stipendien an Edward Sapirs „Yale Seminar“ zeigten. Die vom LSRM in Deutschland gesetzten inhaltlichen Schwerpunkte der institutionellen Förderung wurden beibehalten. Die RF übernahm von ihrer Vorgängerin die Einschätzung, dass die deutschen Sozialwissenschaften zu philosophisch und theoretisch ausgerichtet seien. Als institutionelle Gegengewichte bekamen das Institut für Sozial- und Staatswissenschaften in Heidelberg und die Deutsche Hochschule für Politik in Berlin sowohl vom LSRM als auch von der RF Gelder. Neu in die Förderung aufgenommen wurden Bernhard Harms Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr in Kiel und das Bonner Institut für Gesellschafts- und Wirtschaftswissenschaften, wobei das Kieler Institut auch Ruml bereits positiv aufgefallen war. Wie das LSRM setzte die RF auf Institute, die weniger stark in das Universitätssystem eingebunden waren als Seminare oder Fakultäten. Die Forschungsprogramme in Heidelberg, Kiel und Bonn galten der Stiftung als gelungene Fördermaßnahmen, mit denen sowohl sozialwissenschaftliche Zentren wie auch koordinierte wirtschaftswissenschaftliche Forschungsprojekte mit Gegenwartsbezug unterstützt wurden. Zwischen den führenden Wissenschaftlern und den Repräsentanten der RF in Paris entwickelte sich eine enge, auf gegenseitigem Vertrauen basierende Beziehung.

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Andere institutionelle oder kollektive Forschungsprojekte verdankten ihre Unterstützung durch die RF weniger ihrer Übereinstimmung mit den Förderrichtlinien als der Berücksichtigung anderer Faktoren. Die von Day an seinem Vorgänger kritisierte Beliebigkeit konnte auch von ihm nicht verringert werden. Transatlantische Missverständnisse und organisatorischer Dilettantismus brachten eines der größten nach 1929 geplanten Projekte zum Scheitern. Die Einrichtung eines Instituts für die Erforschung internationaler Beziehungen in Berlin, das mit großer Anziehungskraft, internationalem Renommee und innovativer Forschung glänzen sollte, blieb ein amerikanischer Traum. Um in Deutschland keine falschen Hoffnungen aufkommen zu lassen – diese Überlegung findet sich immer wieder in dem konsultierten Quellenmaterial – sollten Verhandlungen mit deutschen Ansprechpartnern erst nach der Bereitstellung des Geldes beginnen, wobei der übliche Förderweg (Signalisierung eines Interesses von beiden Seiten, Vorgespräche, Einreichen eines Antrags, Begutachtung in Paris und New York, Vorlage bei den Trustees, Bewilligung) nicht eingehalten wurde. Die Trustees bewilligten ohne Vorlage eines konkreten Vorschlags einen sehr hohen Betrag. Die Probleme der Institutsgründung wurden den RFMitarbeitern erst bei der detaillierten Planung bewusst. Die RF-Officers wollten weder das von Ruml vorgeschlagene Kaiser-Wilhelm-Institut noch dessen Direktor Viktor Bruns, hatten aber auch keinen Gegenvorschlag. Die Hoffnung auf einen von allen beteiligten deutschen Wissenschaftlern getragenen Antrag erfüllte sich nicht. Schmidt-Ott fand schließlich einen Ausweg, indem er über die Notgemeinschaft koordinierte Gemeinschaftsarbeiten vorschlug. Nur mit dem großen Vertrauensvorschuss für Schmidt-Ott und dem Interesse an kollektiver Forschungsarbeit lässt sich die fern jeder Richtlinie liegende Förderung der „Deutschen Rassenkunde“ erklären. Das von der Notgemeinschaft initiierte anthropologische Gemeinschaftsprojekt war weder sozialwissenschaftlich ausgerichtet, noch passte es thematisch in das Förderprogramm der RF. Die Hoffnung der Officers auf eine enge und fruchtbare Kooperation zwischen Anthropologen in ganz Deutschland erfüllte sich nicht, stattdessen entbrannten innerdeutsche Konflikte um die Verteilung der amerikanischen Mittel. Die inhaltliche Ausrichtung wurde in der RF nicht als problematisch erkannt, man hoffte sogar, dass die Forschungsergebnisse sich gegen die von der nationalsozialistischen Bewegung propagierte Rassenlehre einsetzen ließen. Dass sich die führenden Anthropologen vor und nach 1933 in den Dienst der nationalsozialistischen Bewegung stellten, entging der RF. Die schrittweise Beendigung des allgemeinen Förderprogramms und die Einführung privilegierter Sonderbereiche waren für die Förderung der deutschen Sozialwissenschaften nachteilig. Durch die von der amerikanischen Wirtschaftskrise bestimmte Definition der Aktionsfelder amerikanisierte sich die Ausrichtung der Programme, europäische Fragestellungen wurden in der Konzeption nicht berücksichtigt. Stattdessen wurde das für die Bedürfnisse der USA erarbeitete Programm auch in Europa

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durchgeführt. Auch das Stipendienprogramm wurde in den 1930er-Jahren stärker auf die USA zentriert: Während Ruml auf eine enge Kooperation mit den Landesvertretern gesetzt hatte, war die RF durch die Abordnung John Van Sickles und später Tracy B. Kittredges ins Pariser Büro in der Lage, die Stipendienbewerbungen aus Europa selbst zu bearbeiten. Das Landesvertretersystem wurde daher 1931 abgeschafft. Kontaktpersonen mit einer institutionellen Verbindung zur RF gab es nur noch in Deutschland, Großbritannien und Australien. Diese „Amerikanisierung“ des Programms wurde begleitet von einer Ausweitung auf die osteuropäischen Staaten, wo der Stipendienplan wegen der Verstärkung des Pariser Büros ohne großen zusätzlichen Aufwand eingeführt werden konnte. In den Jahren 1931/1932 erreichte das Programm sowohl weltweit als auch in Deutschland seinen quantitativen Höhepunkt. Die neuen Regeln für die Anforderungen an die Stipendiaten – ein „reiferes“ Alter und das Interesse am Erlernen neuer Methoden – wurden in Deutschland als sich gegenseitig ausschließend empfunden und führten sowohl bei den deutschen Stipendiaten im Ausland wie auch bei den ausländischen Fellows in Deutschland zu Verwirrung über die von ihnen zu erfüllenden Anforderungen. Doch spielte sich hier – auch durch die Vermittlung Fehlings – ein modus vivendi ein: Die Stipendiaten bemühten sich um Kontakte zu Wissenschaftlern im Gastland, konnten jedoch auch ihre eigenen Forschungsarbeiten weiterführen. 1932/33 fielen die Evaluierungen des Stipendienprogramms sowohl durch Fehling wie auch durch die Mitarbeiter der RF positiv aus. In der Chronologie der Rockefeller’schen Fördertätigkeit bedeutete die Beendigung des allgemeinen Förderprogramms Ende 1934 einen tiefen Einschnitt. Damit verschwand das Erbe des LSRM aus der Rockefeller Philanthropie. Während in der sozialwissenschaftlichen Abteilung die Ergebnisse des alten Programms im Wesentlichen positiv evaluiert worden waren, folgten die Trustees den Vorschlägen des Evaluierungskomitees unter der Leitung Fosdicks. Die geringeren zur Verfügung stehenden Beträge sollten nur noch in drei Schwerpunktprogrammen eingesetzt werden. Durch diese Entscheidung wurde der Spielraum und die Flexibilität der RFMitarbeiter stark eingeschränkt und die Berücksichtigung europäischer Besonderheiten erschwert. In Deutschland trafen zwei Entwicklungen zusammen: Die allgemeine Änderung der Förderpolitik, die alle europäischen Länder betraf, und die besondere Situation durch die Machtübernahme der Nationalsozialisten. In der RF war das Jahr 1933 durch Diskussionen zu den Fördermöglichkeiten im nationalsozialistischen Deutschland geprägt und mündete in das Verbot institutioneller Förderung durch die Trustees. Ab 1934 durften nur noch Stipendien und „grants-in-aid“ vergeben werden. Entlassene Spitzenwissenschaftler, die die Einladung einer ausländischen Universität besaßen, konnten aus dem Hilfsprogramm für „deposed scholars“ unterstützt werden.

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Die alten Forschungsprogramme wurden nicht abrupt abgebrochen, sondern durch Abschlussfinanzierungen beendet. Über die Ereignisse in Deutschland war die RF durch die Pariser Mitarbeiter und deren Kontaktpersonen gut informiert, wobei die Meinung vorherrschte, dass das NS-Regime ein vorübergehendes Phänomen der Jahre 1933 und 1934 sei. Jedes Signal für eine Verbesserung wurde hoffnungsvoll interpretiert, ungläubig verfolgte man die Entlassung eines großen Teils der deutschen Ansprechpartner. Die Nähe zu hohen Regierungsbeamten, wie sie zum Beispiel Ernst Jäckh praktizierte, wurde zunächst noch als Qualitätsbeweis angesehen, bis die Stiftungsmitarbeiter erlebten, dass selbst eine Unterredung mit Hitler eine Institution wie die DHfP nicht vor der Gleichschaltung bewahren konnte. Während die Pariser Mitarbeiter, vor allem Kittredge, bis in die späten 1930er-Jahre noch Fördermöglichkeiten sahen und dabei auch vor der Kooperation mit dezidiert nationalsozialistisch orientierten Instituten und Wissenschaftlern nicht zurückschreckten, war man in New York wesentlich skeptischer. Es war Fosdick, der schließlich als Stiftungspräsident ein Machtwort sprach und die Weiterförderung von Projekten in Deutschland beendete. Lange schlossen sich jedoch Hilfen für vom NS-Regime verfolgte Wissenschaftler und die Finanzierung deutscher Institute, die ihre Ergebnisse eben diesem Regime zur Verfügung stellten, nicht aus. Fehling, der das europäische Stipendienprogramm in Deutschland mit großem Engagement und klaren Prinzipien verwaltet hatte und auch an der institutionellen Förderung beratend beteiligt war, bemühte sich ab 1933 um die Bewahrung der zuvor aufgebauten Kooperation und versuchte leidenschaftlich, die RF zur Fortführung ihrer Programme zu bewegen. Wie Kittredge zeichnete er ein geschöntes Bild der Wirklichkeit. Hatte seine Prinzipientreue vor 1933 zu einer kohärenten Verwaltung des Stipendienprogramms geführt, war sein Festhalten an Rückkehrverpflichtungen und das Beharren auf beruflichen Karriereaussichten im Heimatland für Bewerber, die Opfer der nationalsozialistischen Diktatur waren oder bald werden konnten, ein inhumanes Ausschlusskriterium. Stipendiaten, die wegen ihrer jüdischen Herkunft oder politischen Einstellung eine Rückkehr nach Deutschland ablehnten, trafen bei Fehling auf großes Unverständnis. Seine Sorge um die Einhaltung der Richtlinien und die Fortführung des Stipendienprogramms machten ihn blind für die Nöte der verfolgten Wissenschaftler. In der Stiftung kamen die Mitarbeiter der sozialwissenschaftlichen Abteilung auch nach 1933 zu einer positiven Bewertung ihrer europäischen Programme. 1936 betonte Kittredge, es gebe nun eine Reihe von vernetzten Institutionen und Individuen in den verschiedenen Ländern. „When any problem arises of finding an individual competent for some international coordinating role, one usually finds that the list of possible candidates is made up very largely of former Foundation fellows“, bemerkte er. Das allgemeine Förderprogramm zur Entwicklung der Sozialwissenschaften habe

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in Europa definitiv Früchte getragen: „A new movement has been set under way in European universities, and a new personnel has come into existence, largely through the program carried out by the Memorial and by the Rockefeller Foundation during the past ten years“1. In Deutschland wurden viele der positiven Entwicklungen, die die RF etwa in Bezug auf die DHfP konstatiert hatte, durch die NS-Machtübernahme zunichte gemacht. Zu den Zielen der RF herrschen in der Literatur unterschiedliche Ansichten. Lothar Mertens skizzierte die Rockefeller’sche Förderpolitik in Deutschland 2005 unter dem Titel „America first“ und behauptete, die Förderpolitik der RF diente wohl weniger den immer wieder propagierten philanthropischen Ideen und globalen Hilfen zur Selbsthilfe, als viel mehr einer gezielten Propagandierung des ‚american way of life‘ und des amerikanischen Demokratieverständnisses sowie der direkten und indirekten Förderung der amerikanischen Forschung und Wissenschaft2.

Bereits 1930 hatte der Direktor des Berliner Amerika-Instituts K. O Bertling eine ähnliche Meinung vertreten: Die amerikanischen Stiftungen dienten „von Haus aus rein amerikanischen Zwecken“, mit einer finanziellen Beteiligung könnte nur gerechnet werden, „wenn ein völlig einwandfreies amerikanisches Interesse, und zwar durch die dazu bestallten europäischen Vertreter dieser Organisationen, festgestellt werden kann“3. Die Ergebnisse der Analyse des Rockefeller’schen Engagements für die deutschen Sozialwissenschaften stützen diese Einschätzungen nicht. Zwar kam es in der Konzeption der Programme im Zuge der Weltwirtschaftskrise zu einer Konzentration auf amerikanische Probleme, doch sprechen mehrere Gründe dagegen, dass es der RF und ihren Mitarbeitern bei den in Deutschland durchgeführten Aktivitäten hauptsächlich um die Durchsetzung von Vorteilen für die amerikanische Wissenschaft ging. Gegen die These einer direkten Einflussnahme auf die inhaltliche Ausrichtung der deutschen Forschung spricht das lange äußerst allgemein gehaltene institutionelle Förderprogramm, das nicht auf bestimmte Disziplinen oder Wissensgebiete beschränkt war. Auch die schrittweise eingeführten Sonderbereiche waren so breit angelegt, dass eine starke Einschränkung der geförderten Forschungsfragen vermieden wurde. Die Anträge wurden nicht von Stiftungsmitarbeitern ausgearbeitet, sondern von deutschen Wissenschaftlern formuliert und eingereicht. Eine Intervention der Stiftung oder 1 2 3

Brief von T. B. Kittredge an J. Van Sickle und S. H. Walker, 10. März 1936, in RAC-RF, RG 3, Series 910, box 1, folder 3, S. 4. Mertens, America first, S. 553–554. Brief von K. O. Bertling an O. Peters, 26. Juni 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23, S. 1–2.

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Fehlings, die über die Kommunikation der Richtlinien des Förderprogramms hinausging, fand nicht statt. Änderungen wurden an den institutionellen Projekten nicht vorgenommen, die Bewilligungsschreiben ließen den Wissenschaftlern vor Ort große Freiheit bei der Durchführung. Auch in den internen Bewertungen der Ergebnisse durch die Officers war der Nutzen für die amerikanischen Sozialwissenschaften kein Kriterium, vielmehr erhoffte man sich eine allgemeine Stimulation sozialwissenschaftlicher Forschung. Auch die Konzeption der Stipendienprogramme spricht gegen die These des amerikanischen Eigennutzes. Die Rückkehrverpflichtung der Stipendiaten wurde von den Officers und Fehling äußerst ernst genommen. Es wurden auch Stipendiaten zur Rückkehr in den NS-Staat bewegt, die in den USA gute Aussichten auf eine berufliche Zukunft gehabt hätten. Das Deutsche Komitee hatte großen Spielraum bei der Auswahl der Stipendiaten, die RF lehnte keine der weitergeleiteten Bewerbungen ab. Es war eher das Deutsche Komitee, das sich mit der Befürwortung politisch links stehender Bewerber schwer tat. Die inhaltliche Beschränkung der Stipendien, wie für das Yale Seminar, war eine Ausnahme. Zudem spricht die dezidiert transnationale Ausrichtung gegen eine USA-zentrierte Sichtweise. Statt eines binationalen Programms, mit dem deutsche Spitzennachwuchskräfte in die USA hätten gelockt werden können, finanzierten LSRM und RF Forschungsaufenthalte in europäischen Ländern zu Themen, die keinen direkten Amerikabezug hatten. Auch das Hilfsprogramm für „deposed scholars“ war zumindest in dem hier untersuchten Bereich kein Programm für einen forcierten „Brain Drain“4. Die Auswahl der Wissenschaftler erfolgte nicht durch die Stiftungsmitarbeiter, sondern wurde von den Universitäten vorgenommen, die einen der Wissenschaftler aufnehmen wollten. Auch war die Hilfe nicht auf amerikanische Einrichtungen beschränkt, ein knappes Drittel der Gelder ging an europäische Institutionen. Eine nur auf den amerikanischen Vorteil bezogene Sichtweise kann dem Memorial und der Rockefeller Foundation daher nicht unterstellt werden. Europa war ein integraler Teil des Förderprogramms und kein Zusatzprogramm zur Unterstützung der amerikanischen Wissenschaft. Die RF beeinflusste insofern die Forschungslandschaft der Länder, in denen sie sich engagierte, als sie bestimmte, bereits existierende Forschungsrichtungen stärkte. Voraussetzung für die Förderung war die Bereitschaft zur Kooperation mit der RF. Wissenschaftler, die das Vertrauen der RF-Mitarbeiter gewonnen hatten, bekamen oft über viele Jahre Finanzierungen für ihre Projekte. Oftmals war dieses Vertrauen wichtiger als die Erfüllung der jeweiligen Richtlinien. 4

Siehe die allgemeineren Überlegungen zu dieser Frage in Trommler, Frank, Brain Drain or Academic Exile? German Scholars in American Universities, in Friedrich, Wolfgang-Uwe (Hg.), Germany and America. Essays in Honor of Gerald R. Kleinfeld, New York, Oxford, 2001, S. 12–13, 20–21.

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Dies zeigte sich besonders stark ab 1933: Obwohl das Hilfsprogramm nicht für ehemalige Fellows vorgesehen war, wurden verschiedene Wege der Unterstützung gefunden, um einen Neuanfang im Ausland oder eine vorübergehende Finanzierung zur Neuorientierung im Heimatland zu ermöglichen. Ein wichtiges Kriterium für eine Unterstützung war die Einschätzung der wissenschaftlichen Zukunftsaussichten der Ex-Fellows. Kam man hier zu einem negativen Ergebnis, wurde keine Unterstützung gewährt. Die Wirkung der Rockefeller’schen Fördertätigkeit lässt sich mit einer einfachen Kosten-Nutzen-Rechnung oder anderen Kennziffern, wie der Anzahl der aus der Förderung resultierenden Veröffentlichungen, nicht ausreichend beschreiben. Durch das konsequent transnational ausgelegte Stipendienprogramm wurde zahlreichen Nachwuchswissenschaftlern die Möglichkeit gegeben, die wissenschaftliche Kultur anderer Nationen kennenzulernen und selbst Forschungserfahrungen im Ausland zu sammeln. Sie konnten während ihrer Auslandsaufenthalte, die im Zentrum des dritten Teils dieser Arbeit stehen, oft langlebige Kontakte zu ausländischen Wissenschaftlern und den Mitarbeitern der Rockefeller Philanthropie knüpfen. Insgesamt gab die Rockefeller Philanthropie zwischen 1924 und 1941 etwa 10 Millionen Dollar für sozialwissenschaftliche Einrichtungen in Europa aus. Dies war ein äußerst geringer Teil der Gesamtausgaben der Stiftung. Rund 40 % der Mittel gingen an sozialwissenschaftliche Forschungsstätten in Großbritannien und etwa 25 % in die Schweiz. An dritter Stelle standen französische Einrichtungen mit knapp 17 % der Ausgaben, schließlich Deutschland mit 8 % und Österreich mit 2 %5. Im Vergleich zur Zeit des Memorials hatte Deutschland an Bedeutung verloren, während Großbritannien seine Spitzenstellung weiter ausbauen konnte. Die in Großbritannien finanzierten Forschungsprojekte waren, wie Marie Scot in ihrer umfangreichen Studie zur Geschichte der London School of Economics zeigt, oft quantitativ ausgerichtet. Sie führt dies jedoch weniger auf Präferenzen der RF als auf eine positivistische und empirische Ausrichtung einer Reihe britischer Wissenschaftler zurück, sowie auf die politischen und sozialen Herausforderungen der Weltwirtschaftskrise. In den 1930er-Jahren konzentrierte sich die RF sowohl in Deutschland wie auch in Großbritannien auf die Förderung mehrjähriger kollektiver Forschungsprogramme, die im Idealfall interdisziplinär oder international ausgerichtet waren. Eine Überprüfung der an der LSE finanziell unterstützten Arbeiten zeigt, dass auch in Großbritannien Projekte gefördert wurden, die den Zielsetzungen der RF nicht entsprachen. So forschte der Politikwissenschaftler Wolf mit Geldern der RF

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Weitere 8 % gingen an die anderen europäischen Länder. Die Berechnungen stammen von Christian Fleck. Vgl. Fleck, Transatlantische Bereicherungen, S. 124–125.

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zur politischen Philosophie Spinozas, während sich Laski mit dem französischen Philosophen Rousseau beschäftigte6. Für die Rockefeller Philanthropie blieb die LSE die wichtigste europäische Einrichtung in den Sozialwissenschaften. Von 1924 bis 1939 stellte sie etwa ein Viertel des jährlichen Budgets und fast den gesamten Forschungsetat. Aufgrund interner Konflikte zwischen den Wirtschaftswissenschaftlern zog sich die Stiftung allerdings ab Mitte der 1930er-Jahre aus der Förderung zurück. 1938 beantragten Hall und Beveridge erfolgreich die Förderung eines National Institute of Economic and Social Research genannten unabhängigen Forschungsinstituts, das die RF während der ersten sieben Jahre zu 50 % finanzierte7. Insgesamt ähnelten sich die Grundbedingungen der Forschungsförderung in Deutschland und Großbritannien, wobei LSRM und RF in der London School of Economics einen Kooperationspartner mit Vorbildfunktion fanden, der in Deutschland fehlte. In Frankreich eröffnete die von den deutschen Ansprechpartnern eher skeptisch gesehene Neuorientierung der Rockefeller Philanthropie 1929 eine zweite Verhandlungsphase. Van Sickle und Kittredge gelang es, ein tieferes Verständnis für die Besonderheiten der französischen Universitätslandschaft zu entwickeln als Ruml8. Die aus der Zeit des Memorials bekannten Kritikpunkte blieben jedoch bestehen. Der von Day nach Paris gesandte amerikanische Politikwissenschaftler Charles E. Merriam kam in seinem 26-seitigen Bericht zu dem Schluss9, dass in den französischen Sozialwissenschaften Chaos herrsche. Er empfahl eine Konzentration des Stiftungsengagements auf Deutschland und Großbritannien10. Dennoch bat die Stiftung Marcel Mauss, der bereits mit Ruml in Kontakt gestanden hatte, einen Antrag auf institutionelle Förderung einzureichen. Mauss schlug daraufhin unter anderem die Errichtung eines großen sozialwissenschaftlichen Forschungsinstituts in Paris vor, das als 6. Sektion der École pratique des hautes études eingerichtet werden sollte. Er plädierte dafür, alle existierenden Strukturen in der neuen Einrichtung zusammenzulegen11. Den Stiftungsmitarbeitern war dieser Vorschlag jedoch zu unpräzise12, sodass auch dieser Förderversuch scheiterte. Die Zusammenarbeit mit Mauss erschwerte den Kontakt zum französischen Landesvertreter Charles Rist. Dieser zeigte sich enttäuscht von den Parallelverhandlungen mit Mauss und lehnte dessen Projektvorschläge ab. Er setzte sich für die 6 7

Vgl. Scot, La London School of Economics and Political Science, 1895–2010, S. 112–113. Vgl. Scot, „Rockefeller’s Baby“, S. 84, 96–103. Zu weiteren Konflikten an der LSE siehe Scot, La London School of Economics and Political Science, 1895–2010, S. 115–123. 8 Vgl. Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1379. 9 Vgl. Saunier, Paris in the Springtime, S. 128. 10 Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S. 320. 11 Vgl. Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1380. 12 Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S. 325.

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Gründung eines wirtschaftswissenschaftlichen Instituts ein und drohte mit seinem Rücktritt13. Zu der Unzufriedenheit mit den französischen Vorschlägen in der institutionellen Forschungsförderung kam auf amerikanischer Seite die Enttäuschung über den Werdegang der französischen Fellows. Von den zwischen 1924 und 1931 von Rist nominierten 19 Stipendiaten hatten nur zwei eine akademische Karriere eingeschlagen. Ab Anfang der 1930er-Jahre engagierten sich die Stiftungsmitarbeiter stärker in der Auswahl und konzentrierten ihre Bemühungen auf die École normale supérieure, deren zentrale Bedeutung im französischen Universitätssystem Ruml entgangen war14. In der institutionellen Förderung erwies sich erst die Kooperation mit einem dritten Ansprechpartner, dem Historiker und Rektor der Universität von Paris Sébastien Charléty, als Durchbruch. 1931 entspannte sich die verfahrene Situation in einem Gespräch zwischen Charléty, Rist, Mauss und dem französischen Soziologen Célestin Bouglé. Es wurde festgehalten, dass Mauss ‘ und Rists Projekte als kompatibel zu betrachten seien. Der den Amerikanern als schlechter Organisator geltende Mauss wurde zunehmend durch Bouglé ersetzt15. Schließlich erhielt Rist 350.000 Dollar für die Einrichtung seines „Institut scientifique de recherches économiques et sociales“16. Statt der Gründung einer sozialwissenschaftlichen Fakultät bewilligte die RF, auf Vorschlag Charlétys17, mehreren bereits existierenden Institutionen eine Beihilfe von je 3000 Dollar18. 1934 wurde unter Leitung Charlétys ein „fluid research fund“ von 21.000 Dollar eingerichtet, ein Jahr später erhielt die Universität von Paris 25.000 Dollar für die Finanzierung sozialwissenschaftlicher Forschungsprojekte zu aktuellen Problemstellungen. Die Ausgaben wurden über den Conseil universitaire de la recherche sociale (CURS) koordiniert, der bis 1940 insgesamt 166.000 Dollar erhielt. 172.000 Dollar gingen an das 1935 in Paris gegründete und von Charléty geleitete Centre d’études de politique étrangère19. Ab Oktober 1940 verbot die

13 14 15 16

Vgl. Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1381. Vgl. Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1384. Vgl. ebd., S. 1380–1382. Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S.  322. Die Forschungsarbeiten konzentrierten sich auf empirische Wirtschafts- und Sozialforschung. Vgl. Rausch, US-amerikanische „Scientific Philanthropy“, S. 89. 17 Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S. 328. 18 Gefördert wurden das Institut de droit comparé, das Institut d’Ethnologie und das Centre de documentation sociale an der École normale supérieure. Die Beihilfe wurde im folgenden Jahr verlängert. Außerdem erhielten die École coloniale de Paris 1000 Dollar und das Institut de géographie alpine in Grenoble 800  Dollar. Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S.  329 und Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1385. 19 Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S. 331, 335–336.

Zwischenfazit: „America first“?

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amerikanische Regierung Geldtransfers nach Europa, sodass die Subventionen für französische Institute im Februar 1941 ausliefen20. Für Frankreich lässt sich daher eine späte, aber intensive institutionelle Forschungsförderung feststellen. Wie in Deutschland kam es zu einer engen Verbindung individueller und institutioneller Förderung: Mehrere Mitarbeiter an Rists Forschungsinstitut waren ehemalige oder zukünftige Fellows, wie Philippe Schwob und Robert Marjolin21. Auch den französischen Sozialwissenschaftlern wurde bei der Wahl ihrer Forschungsthemen und der konkreten Umsetzung große Freiheiten gelassen. Nur zwei Mal bestimmte die RF die inhaltliche Orientierung französischer Programme: 1938/39 finanzierte sie ein Projekt zu psychischen Krankheiten und 1939 vergab sie Mittel für die Erforschung sozialer Auswirkungen des Kriegsausbruchs22. Während die institutionellen Förderprogramme in Deutschland von den Wirtschaftswissenschaften geprägt waren, war die Leitdisziplin des CURS die Soziologie. Drei der vier Institute, denen die größten Beträge zugestanden wurden, standen in der Tradition Émile Durkheims. Die Geschichtswissenschaft nahm in beiden Ländern nur einen marginalen Platz ein23. Für Frankreich ist dies insofern erstaunlich als die in Straßburg entstehende Annales Bewegung um Marc Bloch und Lucien Febvre sich für eine enge Zusammenarbeit zwischen Geschichts- und Sozialwissenschaften einsetzte. Die Historiker der Annales wurden jedoch von den Stiftungsmitarbeitern nicht wahrgenommen und suchten auch selbst nicht den Kontakt zur amerikanischen Philanthropie24. Sowohl in Deutschland wie auch in Frankreich gab die RF Anstöße zu kooperativem Arbeiten. Dem CURS in Frankreich entsprach in Deutschland organisatorisch das Berliner Komitee zur Koordinierung der Gemeinschaftsarbeiten im Bereich der internationalen Beziehungen. In beiden Komitees wurden von erfahrenen Wissenschaftlern geleitete Arbeitsgruppen eingerichtet, in denen Forschungsarbeiten von jungen Sozialwissenschaftlern durchgeführt wurden. Auf beiden Seiten des Rheins förderte die RF bevorzugt interdisziplinäre Projekte25. Mit einer der Notgemeinschaft entsprechenden Koordinierungsinstanz aller wissenschaftlichen Disziplinen arbeitete die RF in Frankreich hingegen nicht zusammen. Zwar wurde dort 1930 die Caisse nationale des sciences (CNS) gegründet26, doch erwähnten die französischen Ansprechpartner der RF diese Neugründung in ihren Verhandlungen mit den Stif20 21 22 23 24 25 26

Vgl. Tournès, L’institut scientifique, S. 66. Vgl. ebd., S. 52. Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S. 338. Vgl. Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1390. Vgl. Mazon, La Fondation Rockefeller, S. 341. Vgl. Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1392, 1394. Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 220–221.

460

Krisenzeiten

tungsmitarbeitern nicht27. Die Sozialwissenschaften spielten im CNS nur eine untergeordnete Rolle28. Der deutsch-französische Vergleich verdeutlicht noch einmal die herausragende Rolle, die Fehling in der sozialwissenschaftlichen Forschungsförderung in Deutschland innehatte. In Frankreich fehlte der Rockefeller Philanthropie ein solcher Ansprechpartner, der sowohl das Verständnis für die nationale Universitätslandschaft erleichtern wie auch Verhandlungen mit lokalen Akteuren übernehmen konnte. Auch in der Auswahl der Stipendiaten konnte das Verfahren des Deutschen Komitees, in dem mehrere Sichtweisen in einen koordinierten Auswahlprozess einbezogen wurden, die Officers eher überzeugen als Rists weitgehend auf die Studenten der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Pariser Universität bezogenen Vorschläge. Die Konzentration der Officers auf Paris entsprach der zentralen Stellung der Hauptstadt im französischen Wissenschaftssystem29. In Deutschland bemerkten die Stiftungsmitarbeiter bald, dass eine Berücksichtigung allein der Berliner Einrichtungen ihr Engagement stark eingeschränkt hätte und der dezentralen deutschen Forschungslandschaft nicht gerecht geworden wäre. In vergleichender Perspektive müssen gleichzeitig die vielen Verbindungen zwischen den deutschen und französischen Teilen des europäischen Förderprogramms bedacht werden. Fehling stand mit Rist in regelmäßigem Kontakt bei der Vermittlung von Stipendiaten, außerdem trafen sich die Landesvertreter auch persönlich, unter anderem auf der Konferenz in Paris 1928. Französische Stipendiaten besuchten Deutschland, während deutsche Fellows ab 1929 Frankreich als Gastland wählten. Die Stipendiaten verbanden durch ihre Reise- und Forschungstätigkeit deutsche und französische Institutionen. Positive wie negative Erfahrungen in der institutionellen Förderung in den verschiedenen Ländern wurden von den Stiftungsmitarbeitern in zukünftige Entscheidungen einbezogen. Im transnationalen Rockefeller Universum der Zwischenkriegszeit waren alle Programmteile eng miteinander verflochten und bedingten sich gegenseitig.

27 Vgl. Tournès, La fondation Rockefeller et la construction, S. 1385. 28 Als die CNS 1935 in der Caisse nationale des recherches scientifiques (CNRS) aufging, wurde keine sozialwissenschaftliche Untersektion mehr eingerichtet. Vgl. Tournès, Sciences de l’homme et politique, S. 220–221. 29 Vgl. Rausch, US-amerikanische „Scientific Philanthropy“, S. 89.

Dritter Teil: Erfahrungen und Erlebnisse der deutschen LSRM- und RF-Fellows von der Ausreise bis zur Rückkehr

7. Die Erfahrungen der deutschen Fellows in den USA

Knapp 80 promovierte deutsche Sozialwissenschaftler erhielten zwischen 1925 und 1940 durch das LSRM und die RF die Möglichkeit eines längeren, oft mehrjährigen, Forschungsaufenthaltes im Ausland. Entscheidenden Einfluss auf die Gestaltung des Auslandsaufenthalts hatte August Wilhelm Fehling. Zu ihm hielten die deutschen Stipendiaten einen mehr oder weniger engen Kontakt, sie schickten ihm offizielle Berichte über ihre Tätigkeit, Briefe mit Fragen zur Organisation ihres Auslandsaufenthalts und private, manchmal als vertraulich gekennzeichnete Schreiben mit persönlichen Anliegen. Darüber hinaus standen einige Stipendiaten mit einzelnen Komitee-Mitgliedern in näherer Verbindung. Neben den umfangreichen Unterlagen Fehlings konnten einzelne Briefe und Dokumente aus Nachlässen der Fellows hinzugezogen werden sowie veröffentlichte Briefwechsel, Auszüge aus Tagebüchern und Biographien. Die Briefe und Berichte an Fehling und die Stiftung veranschaulichen die Erlebnisse der Reisenden, sind in ihrer Darstellung aber durchaus interessengeleitet, da sie zum Beispiel in die Entscheidungsfindung einer möglichen Verlängerung des Stipendiums eingingen. In mehreren Fällen unterschieden die Fellows zwischen den englischen, für die RF bestimmten, und den deutschen, an Fehling und das Deutsche Komitee gerichteten, Berichten. „[D]er auf Englisch ist nur positiv! Der auf Deutsch enthält auch Schwierigkeiten“1, informierte eine Stipendiatin Fehling über ihre Abschlussberichte. Da das Deutsche Komitee bei Verlängerungsanträgen ein weitgehendes Mitspracherecht hatte, war eine regelmäßige Korrespondenz im Interesse der Stipendiaten. Dennoch klagte Fehling 1927: „Im allgemeinen ist die Berichterstattung, insbesondere sobald Amerika erreicht war, sehr dürftig gewesen“2. Ein Jahr später stellte er aber fest, dass die „Berichterstattung viel besser geworden“ sei, nur Ferdinand Laun, Stipendiat des Jahrgangs 1926, habe „gar nicht von sich hören“ lassen. „Er ist ganz besonders empfindlich, dass durch das Stipendium seine wissenschaftliche Freiheit in irgend einer Weise beengt werden könnte“3, erläuterte Fehling. 1934 beschwerte sich der „Advisor“ erneut, dass einer der Stipendiaten seit Stipendienbeginn nicht eine Zeile geschrieben habe4. Ein anderer schickte seinen Zwischenbericht mit der Bemerkung,

1 2 3 4

G. Beushausen, Report, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 10. März 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 5. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 14. März 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39.

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Erfahrungen und Erlebnisse

dieser sei für Fehlings „Akten oder wenn Sie wollen für Ihren Papierkorb“5. Regelmäßig sandte Fehling den Komitee-Mitgliedern eine Auswahl der Briefe, meist ohne die privat gehaltenen ersten und letzten Sätze, zu, „um so eine lebendigere Fühlung zwischen dem Komitee und den im Ausland befindlichen Herren aufrecht zu erhalten“6. Durch die große Zahl an vorliegenden Dokumenten können bestimmte Tendenzen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den im Ausland gemachten Erfahrungen herausgearbeitet werden. Um der Vielfalt gerecht zu werden, wurde es wenn möglich vermieden, Einzelfälle darzustellen. Trotzdem werden die Reisen einiger Stipendiaten ausführlich geschildert, da sie sich durch eine breite Quellenlage besonders gut rekonstruieren lassen oder ihre Erfahrungen exemplarisch oder von besonderer Originalität sind. Gemeinsam waren den Stipendiaten ausgiebige Reisetätigkeiten, das Entwickeln von Kontakten mit ausländischen Wissenschaftlern und die Anpassung ihrer Forschungspläne an die vorgefundenen Gegebenheiten. Die Stipendiaten waren in einer von starkem Nationalismus geprägten Zeit sozialisiert worden7 und es stellt sich die Frage, wie sie Internationalität erlebten und welche Bedeutung der Kontakt mit ausländischen Forschern für ihre Arbeit hatte. Die Fellows trugen außerdem zur wissenschaftlichen Diskussion ihrer Gastländer bei. Nach Ablauf der Stipendienzeit mussten sie entscheiden, ob sie nach Deutschland zurückkehrten oder regelwidrig im Gastland blieben.

7.1 Die Vorbereitungen auf den Amerikaaufenthalt: Reiseplanung und Spracherwerb Vor dem Beginn der wissenschaftlichen Arbeit im Gastland standen die Reisevorbereitungen. Der Umzug musste organisiert8, die Stelle gekündigt oder eine Freistellung 5 6 7

8

Brief von F. Grüger an A. W. Fehling, 8. Dezember 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. Brief von A.  W.  Fehling an F.  Grüger, 21.  Dezember 1927, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 13. Zur Frage der Ausbildung einer transnationalen Identität bei emigrierten Wissenschaftlern siehe Kirsch, Martin, Wissenschaftler im Ausland zwischen 1930 und 1960 – Transferbedingungen und Identitätswandel einer erzwungenen Migration, in Kaelble, Hartmut; Kirsch, Martin; SchmidtGernig, Alexander (Hgg.), Transnationale Öffentlichkeiten und Identitäten im 20. Jahrhundert, Frankfurt am Main, 2002, S.  179. Siehe auch die Überlegungen zum Vergleich akademischer Kulturen anhand der Erfahrungen emigrierter Wissenschaftler bei Harwood, Jonathan, National Differences in Academic Culture: Science in Germany and the United States between the World Wars, in Charle, Christophe; Schriewer, Jürgen; Wagner, Peter (Hgg.), Transnational Intellectual Networks. Forms of Academic Knowledge and the Search for Cultural Identities, Frankfurt am Main, 2004, S. 57–63. Der Stipendiat E. Zechlin plante, sein möbliertes Zimmer in Marburg für 100 RM für die Zeit von April 1931 bis Juli 1932 an Kollegen zu vermieten und gab ein Mietinserat auf. Vgl. Frees,

Die Erfahrungen der deutschen Fellows in den USA

465

erwirkt und die Unterkunft und Finanzierung der Familie sichergestellt werden. Die Stipendiaten benötigten Visen für die Gastländer, deren Beschaffung in den ersten Jahren mitunter Probleme bereitete. Otto Vossler war 1925 in München die Ausstellung des amerikanischen und britischen Visums zunächst verweigert worden9, da das LSRM der Behörde nicht bekannt war10. Für Arvid Harnack erwirkte Fehling einen Brief vom amerikanischen Generalkonsulat in Berlin, der ihm beim Hamburger Konsulat die Antragstellung erleichtern sollte11. Kofferpacken und Vorbereitung auf den Forschungsaufenthalt

Die LSRM-Stipendiaten sollten die Frage des Reisegepäcks mit ihren Landesvertretern besprechen: „Only necessary personal effects and clothing could be included, bearing in mind the seasonal changes and the duration of the fellowship“12, besagten die Richtlinien. Ein Koffer und ein Handkoffer genüge, so Fehling, vor allem sei „die Bücherzahl auf das Mindestmaß zu beschränken“. Bekleidung sollte hingegen in ausreichendem Maße mitgenommen werden, da sie in den USA teurer sei. Die geläufigste Gesellschaftskleidung sei der Smoking, sodass „Kleidungsstücke wie Cut, Gehrock und Frack“13 zu Hause bleiben konnten. Ein Stipendiat fügte einen weiteren Hinweis hinzu: „([R]elativ) kurze Hosen wie man sie in Deutschland vor einem Jahr trug – mit sichtbaren Knöcheln –“ wirkten in den USA „etwas auffallend“14. Ein anderer Fellow gab den Tipp, „alle Ausrüstung“ in Deutschland zu kaufen, „bis auf Hemden und Strümpfe die hier ebenso billig oder billiger sind“. Anzüge könnten während des Sprachaufenthaltes in London ergänzt werden, wobei bedacht werden sollte, „daß man hier im allgemeinen keine abgetragenen Anzüge trägt wie in Europa, sondern lieber billige, schlechte aber neue“15. Auf die Frage, ob man in England und

9 10 11 12 13 14 15

Daniela, Egmont Zechlin (1896–1992). Biographische Studie eines Historikers vom Kaiserreich bis zum Ende des Nationalsozialismus, zwischen wissenschaftlicher Autonomie und politischer Anpassung, Oldenburg, 2004 (zugl. Diss., Univ. Oldenburg 2004), S. 260 (Im Folgenden zitiert als Frees, Egmont Zechlin). Vgl. Brief A. W. Fehling an A. Harnack, 8. September 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Vgl. Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 7. September 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Harnack, 12. September 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Laura Spelman Rockefeller Memorial, Bulletin of Information for Recipients of Fellowships other than the United States, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2200, Blatt 47, Anl. 3. Brief von A. W. Fehling an E. Merkert, 15. Juli 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 8. August 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 25. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12.

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Erfahrungen und Erlebnisse

Amerika „Schneeschuhlaufen“ könne, konnte Fehling „leider keine Auskunft geben“. Er warnte jedoch: „Jedenfalls möchte ich Sie bitten, ja keine Skier auf die Reise mitzunehmen“16. Zur Vorbereitung auf den Amerikaaufenthalt empfahl Rudolf Heberle seinen Nachfolgern die Lektüre der Bücher „North America“ von John Russel Smith und „America Comes of Age“ von André Siegfried17. Mendelssohn Bartholdy riet hingegen von Siegfrieds Buchs ab: Es handele sich um eine „ganz einseitig französische Auffassung Amerikas“18. Aus den ersten Berichten schlossen die Komitee-Mitglieder, „dass die Herren sich regelmässig auf ihre Tätigkeit in den Vereinigten Staaten nicht in ausreichendem Masse vorbereitet haben“. Dies schien Schumacher besonders für Heberle, aber auch für einen Teil der anderen Stipendiaten zu gelten19. Heberle war bis kurz vor der Abreise mit der Fertigstellung seines Buchs über die Deutschen in Litauen beschäftigt gewesen: Im Juli 1926 hatte er das Manuskript eingereicht, im August die Vorbereitungen für den Amerikaaufenthalt begonnen und am 1. September traf er in London ein20. Geteilte Meinungen zum Sprachkurs an der London School of Economics

Von 1925 bis 193021 hatten die in ein englischsprachiges Gastland reisenden Stipendiaten die Möglichkeit, an der London School of Economics an Sprachkursen teilzunehmen. Mit dem Aufenthalt wurden drei Ziele verfolgt: Die Verbesserung der mündlichen Sprachbeherrschung (die Stipendiaten trafen in den USA schnell auf renommierte amerikanische Wissenschaftler), das Kennenlernen der britischen Grundlagen der amerikanischen Zivilisation22 und das Erleben erster Auslandserfahrungen, um den „Kulturschock“ beim Eintreffen in New York abzumildern. Die Stipendiaten kamen in der Regel im September in London an und reisten im Dezember weiter. 16 Brief von A. W. Fehling an E. Merkert, 10. August 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 17 Vgl. Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 25. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 18 Brief von A. Mendelssohn Bartholdy an A. W. Fehling, 19. Juli 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 19 Vgl. Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 18. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 20 Vgl. Waßner, Rainer, Rudolf Heberle. Soziologie in Deutschland zwischen den Weltkriegen (Materialien der Ferdinand-Tönnies-Arbeitsstelle 11), Hamburg, 1995, S. 29 (Im Folgenden zitiert als Waßner, Rudolf Heberle). 21 Die Sprachkurse wurden zunächst durch die Finanzierung individuellen Sprachunterrichts im Heimatland ersetzt, bis 1932 keine Förderung des Spracherwerbs mehr stattfand. Vgl. Dokument „London School of Economics – Study of English“, o. D. (1926), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 22 Vgl. Heberle, Soziologische Lehr- und Wanderjahre, S. 202.

Die Erfahrungen der deutschen Fellows in den USA

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Spätestens im Januar mussten sie in den USA sein, um zum Semesteranfang im Fe­bruar ihre jeweiligen Gastinstitutionen zu erreichen23. Von den Kursen an der LSE waren viele Stipendiaten enttäuscht: Sie „seien nicht gerade das, was wir speziell bräuchten, aber dafür reichlich“24, kritisierte Vossler. Die Klassen seien zu groß, bemängelte Eva Flügge: „I took private lessons and could compare the two methods which comparison was very much in favor of the private lessons“25. Erich Wohlfahrt, der unter seinen geringen Sprachkenntnissen besonders litt26, erschien der Aufenthalt zwar „auch im Falle ‚guter‘ Sprachbeherrschung einfach unentbehrlich“, er war jedoch mit dem Englischlehrer Mr. Poole unzufrieden. Dieser sei es gewohnt, „blutige Anfänger und Kinder zu unterrichten“, seiner „etwas schwerfälligen Autokratie“ hätten sich „immer wieder Hindernisse seitens der Fellows“27 entgegengestellt. Auch Emil Merkert konstatierte bei Poole eine „schulmeisterliche Veranlagung“28. Schließlich wurde mit Mr. Crotch ein jüngerer Dozent hinzugezogen. Dessen „nachträgliche[s] Miteinspringen“ erschien Wohlfahrt „eine für alle beteiligten Parteien ziemlich blamable Angelegenheit“29, doch Heinz von Trützschler lobte dessen Allgemeinbildung und grammatische Kenntnisse30. Die Stipendiaten wurden in kleine Konversationsgruppen eingeteilt, aber, so Merkert, anstelle von Konversationen erhielten sie weiterhin englischen Sprachunterricht. Sein Fazit: „Ich fand, dass weder Mr. Pool [sic] noch Mr. Crotch absolut geeigneter für uns ist“, der „beste Professor“ sei die „gut englisch sprechende Bevölkerung und unser Wille englisch zu lernen“31. Die Beurteilungen der Sprachkurse verbesserten sich 1927 und 1928. Dietrich Gerhard war der Ansicht, Mr. Crotch sei zwar kein „besonders hervorragender Päda­ goge“, doch habe er die „schwierige Aufgabe (Italiener und Deutsche durcheinander) mit viel Humor und mit viel Takt durchgeführt“ und beides auch behalten, „wenn 23 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Predöhl, 5. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 7. 24 Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 21. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 25 E. Flügge, Annual Report, o. D. (1926), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10, S. 5. 26 Vgl. Brief von L. G. Robinson an A. W. Fehling, 27. Dezember 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 27 Auszug aus einem Bericht des Herrn Dr. Wohlfahrt, 2. Januar 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 28 Auszug aus einem Bericht von E. Merkert, 18. Dezember 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 29 Auszug aus einem Bericht des Herrn Dr. Wohlfahrt, 2. Januar 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 30 Vgl. Auszug aus einem Brief von H. von Trützschler, 31. Dezember 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 31 Auszug aus einem Bericht von E. Merkert, 18. Dezember 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916.

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Erfahrungen und Erlebnisse

wir Deutsche bei den Diskussionen unvermeidlicherweise in unseren Nationalfehler, alles zu ernst zu nehmen verfielen“32. Franz Grüger glaubte allerdings, dass die „Mischung der fellows (Italiener, Franzosen, Tschechen, Österreicher und Deutsche) die alle über verschiedene Vorkenntnisse verfügten, […] für den Fortgang der Studien keinesfalls günstig“33 gewesen sei. Ab 1928 wurde die Stipendiatengruppe für die meisten Stunden aufgeteilt, die Deutschen und Österreicher bekamen alle drei Tage eine besondere Stunde für Diskussionen34. Die Fellows mussten Aufsätze abgeben, Referate halten und eine Prüfung ablegen. „Fräulein Beushausen schrieb das beste Paper, Herr Freund das beste Diktat“ berichtete Hanns Linhardt. Außerdem wurde eine „regelrechte Debatte“ zum Thema „Life is too serious a matter to be taken seriously“ organisiert35. „Wenn Mister Crotsch [sic] mit uns ebenso zufrieden ist wie wir mit ihm, so entwickelt sich das Leben auf der Schule erfreulich“36, lobte Gottfried Pfeifer. Werner Trömel schrieb später aus den USA, der Aufenthalt in London habe ihm „gute Dienste“ geleistet, es habe aber „doch noch ca. drei Monate gedauert, bis [er] [s]ich an die Sprache der Amerikaner gewöhnt habe“37. Die Aufnahme an der LSE beschrieben die Fellows als sehr herzlich. Mr. Robinson, der für organisatorische Fragen zuständig war, „war besorgt um unser Wohl, wie ein guter Engel“38. Er habe „keine Mühe gescheut […], um uns mit Land und Leuten vertraut zu machen“39, urteilte von Trützschler. Ab 1928 kümmerte sich der Historiker und Spezialist für deutsche Geschichte Mr. Judges um die Fellows40. Rudolf Freund berichtete, sie hätten durch Judges und seine Frau „die bestmögliche Hilfe beim Anknüpfen von Beziehungen und im Kennenlernen von interessanten Kreisen und Personen gehabt: darüber hinaus war sein Haus ein rechter Ruhe- und Sammelpunkt für die zuerst etwas verscheuchten Seelen“41. Judges und Crotch begleiteten die Stipendiaten auch auf Ausflüge, etwa nach Cambridge und Oxford42.

32 Brief von D. Gerhard an A. W. Fehling, 18. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 33 Brief von F. Grüger an A. W. Fehling, 8. Dezember 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 34 Vgl. Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 29. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 35 Brief von H. Linhardt an A. W. Fehling, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 36 Brief von G. Pfeifer an A. W. Fehling, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 37 Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 8. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 38 Auszug aus einem Bericht des Herrn Dr. Wohlfahrt, 2. Januar 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 39 Auszug aus einem Brief von H. von Trützschler, 31. Dezember 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 40 Vgl. Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 29. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 41 Brief von R. Freund an A. W. Fehling, 31. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 42 Vgl. ebd.

Die Erfahrungen der deutschen Fellows in den USA

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Für den Besuch von Vorlesungen wurde der Englischunterricht im zweiten Monat „etwas gelockert“. Die Stipendiaten hätten sich energisch an die Arbeit gemacht, berichtete Linhardt. „Verschiedene Herren haben bereits Referate bei einzelnen Professoren übernommen“43. Vossler erklärte, seine „anfängliche Befürchtung“, an der LSE „als Historiker nicht ganz am rechten Platze“ zu sein, habe sich „als ganz unbegründet“44 erwiesen. Neben dem Vorlesungsbesuch gingen einige der Stipendiaten ihren wissenschaftlichen Interessen nach: Franz Grüger sah sich „einiges von der englischen Statistik“45 an, Clara Maria Liepmann besuchte ein Frauengefängnis und nahm an Gerichtsverhandlungen teil46 und Arvid Harnack erhielt durch den Direktor der LSE, William Beveridge, die Möglichkeit, die Sitzungen der Parliament Coal Commission mitzuverfolgen47. Am meisten profitierte der Ethnologe Paul Kirchhoff von der LSE. Ein besserer Platz ließ sich für ihn kaum denken: „[A]bgesehen vom Britischen Museum bietet die Schule mehr an Vorlesungen und Seminaren als irgendeine deutsche Universität – und das Niveau ist sehr hoch“. In zwei Monaten habe er mehr gelernt als jemals in zwei Semestern, vor allem „an neuen Problemstellungen und Arbeitsmethoden“48. Kirchhoff setzte sich in London mit der „funktionalen Methode“ des Anthropologen Bronisław Malinowski auseinander. In Übungen analysierte er ethnographische Feldberichte im Hinblick auf die theoretischen Grundeinstellungen des Autors und deren Einflüsse auf die praktische Arbeit. „Die Tatsache, dass man hier Theorie und Feldarbeit in so inniger Verknüpfung sieht, berührt ausserordentlich angenehm und in Deutschland wäre das, leider!, undenkbar“49, verglich er. Der Aufenthalt hatte einen direkten Einfluss auf seine Forschungspläne: Anstelle der „Rekonstruktion der Verhältnisse“ der nordamerikanischen Indianer vor Ankunft der Weißen plädierte Malinowski dafür, „die Indianer von heute“ zu untersuchen. Er habe sich zwar „mit Händen und Füssen gegen diese Auffassung gesträubt“, berichtete Kirchhoff, nun sei er aber von „dieser neuen Blickrichtung so überzeugt“, dass seine Arbeit in den USA „völlig von diesem Problem beherrscht sein [werde]: wie leben die Indianer in U.S.A. heute?“50. Es sei

43 44 45 46

Brief von H. Linhardt an A. W. Fehling, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 21. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. Brief von F. Grüger an A. W. Fehling, 8. Dezember 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. Vgl. Brief von C.  M.  Liepmann an A.  W.  Fehling, 19.  November 1927, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 47 Vgl. A. Harnack, Annual Report (1926), o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 48 Brief von P. Kirchhoff an A. W. Fehling, 30. November 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 49 Ebd. 50 Ebd.

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Erfahrungen und Erlebnisse

„eigentlich das erste Mal, daß die Londoner Monate auch schon in wissenschaftlicher Hinsicht Positives bedeuten“51, hob Fehling hervor. Den Stipendiaten war bewusst, dass das Milieu der LSE nicht typisch für die englische Universitätslandschaft war. Die LSE war internationaler ausgerichtet als die anderen Universitäten, bereits 1925 waren 20 % der Studenten Ausländer52. Dietrich Gerhard betonte, man gewinne durch die LSE „rasch Zugang zu einem Kreis von jungen und angeregten Menschen, der gewiss zum guten Teil nicht gerade typisch englisch, gerade in dem Durcheinander von Altengländern, Dominienleuten und Amerikanern recht interessant ist“53. Allerdings könnten die Stipendiaten durch die Bindung an die LSE „leicht zu der Ansicht kommen […], dass es in England überhaupt keine Konservativen gibt“54. Heberle hielt die LSE „bei der Zwanglosigkeit der Umgangsformen durchaus für eine unsere Zwecke geeignete Institution; freilich sollte niemand vergessen, dass man hier einen ganz besonderen modernen Typus englischen Universitätslebens mit stark kosmopolitischem Einschlag kennen lernt“55. Vossler begann mit einem LSE-Studenten einen „Deutsch-Englischen Conversationsaustausch“ und versuchte, „bisher freilich ohne übermässigen Erfolg“, die studentischen „literarischen und sportlichen Vereine, besonders de[n] Wanderclub“56 für die Kontaktaufnahme zu nutzen. An der LSE lobten die Stipendiaten den „research students club“, in dem sie „sehr viele schöne Stunden und u. a. 2 besonders hübsche weekendparties verlebt“57 hatten. Einige Stipendiaten besuchten das International Student Movement House, um an politischen Diskussionen teilzunehmen58. Am Ende seines Aufenthalts in London teilte Vossler mit, er habe nun auch mit den Studenten der LSE nähere Kontakte geknüpft, „gar so verschlossen wie ich zu Anfang dachte sind

51 Brief von A. W. Fehling an P. Kirchhoff, 7. Dezember 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 52 Vgl. Scot, La London School of Economics and Political Science, 1895–2010, S. 3. 53 Brief von D. Gerhard an A. W. Fehling, 18. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. „London became a window on the world at large. Amongst my friends were people from the dominions and from India and from the United States“, schrieb er 1980 in einem autobiographischen Artikel. Gerhard, Dietrich, From European to American History: A Comparative View, in Journal of American Studies 14 (1980), S. 32. 54 Brief von A. W. Fehling an D. Gerhard, 8. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 55 Auszug aus einem Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 6. Dezember 1926, in GStA PK, VI. HA Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 56 Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 21. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 57 Auszug aus einem Brief von H. von Trützschler, 31. Dezember 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 58 Vgl. Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 29. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14.

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sie also doch nicht“. Er hoffe nun, durch „diese Bekanntschaft mit der Angelsächsischen Welt eine gute Vorbereitung für Amerika gewonnen zu haben“59. Im Jahrgang 1930 war Bernhard Pfister der einzige Stipendiat, der für eine Teilnahme an den Sprachkursen in Frage gekommen wäre60. Er nahm stattdessen Sprachstunden in Deutschland und erhielt die Erlaubnis, den ersten Monat seines Englandaufenthalts in London zu verbringen61. Im Sommer 1930 beendete die RF ihre Kooperation mit der LSE62 und erwartete nun ausreichende Sprachkenntnisse für einen sofortigen Arbeitsbeginn. 1930/31 bezahlte sie bei Bedarf Sprachstunden im Heimatland, anschließend wurden keine Mittel mehr für den Spracherwerb bereitgestellt63. Überfahrt und Ankunft in New York: „[A]ngenehme Seereise“ und „rough sea“

Für die Überfahrt von London oder einem deutschen Hafen nach New York stand den Stipendiaten ein Budget von 210 Dollar für die Belegung eines Platzes auf einem Dampfer zur Verfügung. Die Preise für die Kabinenklasse lagen bei 130 bis 190 Dollar und für die erste Klasse bei 220 Dollar, zuzüglich 20 bis 25 Dollar Trinkgeld und Kopfsteuer64. Fehling empfahl „die sogenannte Kabinenklasse der ein- oder zweiklassigen Dampfer zu wählen, die in ihrem Preise nach etwa der zweiten Klasse der dreiklassigen Dampfer, im übrigen jedoch der ersten Klasse gleichgesetzt“65 werden könne. Nachdem LSRM-Stipendiaten, die in der dritten Klasse gereist waren, Schwierigkeiten mit den Immigrationsbehörden bekommen hatten, wies Fehling die deutschen Fellows darauf hin, mindestens „die w. oder die Kabinenklasse“ zu wählen66. Die Auswahl der Schifffahrtslinie wurde den Stipendiaten überlassen, Fehling empfahl wegen der Sprachpraxis ein amerikanisches oder englisches Schiff67. Von Umwe59 60 61 62 63 64 65

66 67

Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 2. Januar 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Pfister, 6. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Pfister, 2. August 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 17. Juli 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 16. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Rein, 15. Juli 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. A. W. Fehling, Merkblatt für die Amerikastipendien des Laura Spelman Rockefeller Memorials, o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916, S. 2. Brief von A. W. Fehling an W. Trömel, 11. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. Vgl. Brief von A. W. Fehling an O. Vossler, 4. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8.

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gen zur Verringerung des Fahrpreises riet er dringend ab, er wolle „naturgemäß alles vermeiden was wie die Ausnutzung der Stipendien in einer nicht im Sinne der Stiftung liegenden Richtung aussehen könnte“68. Die Überfahrt nach New York beschrieb Vossler als „herrlich, stürmisch, und wir hatten 3 Tage Verspätung“. Dies sei für die Stipendiaten „ein reiner Gewinn gewesen, da das Stipendium während der Reisezeit nicht suspendiert“69 worden sei. Vom Dampfer zeigte er sich „sehr imponiert“70. Günter Wagner erwähnte eine „sehr angenehm[e] Seereise“71. Auch andere Stipendiaten genossen die Überfahrt („sehr schönes, sonnig-warmes Wetter“, „eine nette und geruhsame Zeit“) und nutzten sie, um die während des Sprachkurses in London geknüpften Kontakte mit anderen Stipendiaten zu vertiefen72. Für Emil Meynen waren „rough sea“ und „heavy swell“ anschließend keine „leeren Begriffe“73 mehr. Von London aus dauerte die Überfahrt etwa 9 Tage74. Die Einreise verlief in den meisten Fällen problemlos. Erich Wohlfahrt wurde jedoch auf dem Schiff zurückgehalten und musste den Einwanderungsinspektor auf Ellis Island passieren: „Das bedeutet Aufenthalt von mindestens einem Tag unter nicht gerade angenehmen Begleitumständen“, berichtete er Fehling. Ihm war in Berlin ein unvollständiges Visum ausgestellt worden75. Eckart Kehr hatte aufgrund gesundheitlicher Probleme Schwierigkeiten und wurde tagelang in Quarantäne festgehalten76. Hanns Linhardt wurde bei der Zollkontrolle „einer sehr strengen Leibesvisitation unterzogen“. Er berichtete: „Ich hatte Verdacht erweckt dadurch, dass ich einen Mantel anhatte und einen zweiten ueber dem Arm trug, in dem eine kleine Camera steckte“77. 68 Brief von A. W. Fehling an W. Lingelbach, 16. Januar 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 69 Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 22. Februar 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 70 Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 2. Januar 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 71 Brief von G. Wagner an A. W. Fehling, 5. Juli 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 72 Auszug aus einem Brief von H. von Trützschler, 31. Dezember 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 73 Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 1. März 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 74 Vgl. R. Heberle, Report covering the first year of fellowship 1926–1927, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13, S. 3. 75 Vgl. Auszug aus einem Bericht des Herrn Dr. Wohlfahrt, 2. Januar 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 76 Vgl. Wehler, Historische Sozialwissenschaft und Geschichtsschreibung, S. 240 und Wehler, HansUlrich, Einleitung, in Kehr, Eckart; Wehler, Hans-Ulrich (Hgg.), Der Primat der Innenpolitik: gesammelte Aufsätze zur preußisch-deutschen Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Berlin, 21970 (1965), S. 19. 77 H. Linhardt, Bericht über die Zeit vom 1. September 1928 bis 1. März 1929, o. D., in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2280, Blatt 23.

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Die Fellows wurden am Pier von einem Vertreter des LSRM oder der RF abgeholt und in ein Hotel gebracht. „Der Empfang in New York war gut vorbereitet“, berichtete Konrad Mellerowicz. „Mr. Leonard erschien am Pier, und alles ging sehr glatt. Es war auch gut so. Ich empfand diese Fürsorge ausserordentlich angenehm“78. Bei der Ankunft Werner Trömels war allerdings „niemand vom Memorial an der Pier“, da seine Ankunftszeit im LSRM nicht bekannt war. „Der Einwanderungsoffizier war nicht unterrichtet, dass das Memorial eine anerkannte Institution sei, sodass ich warten mußte, bis der Landungsagent der Hapag kam und beim Memorial Aufklärung einholte“79. Alfred Vagts hatte dem LSRM zuvor geschrieben, dass er sich von früheren Aufenthalten „genügend in den Landungsumständen“ auskenne und man daher „von der Entsendung einer Hilfsperson absehen wolle“80. Für die ersten Wochen gingen viele der Stipendiaten ins „International House“, Fehling wisse wahrscheinlich, „wie angenehm und bequem“ man es dort habe, schrieb Heinz von Trützschler81.

7.2 Erste Kontakte mit den LSRM- und RF-Mitarbeitern und praktische Fragen des Amerikaaufenthalts Für einen großen Teil der deutschen Stipendiaten waren die USA Neuland, einige hatten das Land bereits besucht. Alfred Vagts war 1924 als einer der ersten deutschen Austauschstudenten in die USA gekommen und hatte in Yale seine Doktorarbeit vorbereitet82. Kurt Schneider bereiste das Land 1927 als Werkstudent über den „Amerika-Werkstudenten-Dienst“, bevor ihm 1928 das LSRM-Stipendium verliehen wurde83. Hans Staehle war seit 1927 als Stipendiat des Akademischen Austauschdienstes in den USA84, als seine Lehrer an der University of Chicago und Joseph Schumpeter sich 1928 erfolgreich für die Vergabe eines LSRM-Stipendiums ein-

78 Brief von K. Mellerowicz an A. W. Fehling, 6. Oktober 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 79 Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 29. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 80 Brief von A. Vagts an A. W. Fehling, 8. April 1928 (Auszug), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 81 Auszug aus einem Brief von H. von Trützschler, 31. Dezember 1926, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 82 Vgl. Rinke, Stefan, Vagts, Alfred, in Adam, Thomas (Hg.), Germany and the Americas. Culture, Politics, and History, O–Z, Santa Barbara, 2005, S. 1085. 83 Vgl. K. Schneider, Lebenslauf von Kurt Schneider, 3. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 84 Vgl. H. Staehle, Lebenslauf, 13. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15.

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setzten 85. Auch für den Anthropologen Günter Wagner war es nicht der erste Aufenthalt86. Die Beratung durch die Stiftungsmitarbeiter Stubbs, Day, Sharp und May

In New York führte die Stipendiaten der erste Weg in die Büros der Stiftung, um dort mit den Mitarbeitern ihren Arbeitsplan zu besprechen und die erste Gastinstitution festzulegen. Bis 1927 trafen die Fellows im LSRM auf Frank B. Stubbs, Referent für die Stipendienangelegenheiten, und den LSRM-Mitarbeiter Lawrence K. Frank. Vossler beschrieb beide als „ausserordentlich freundlich, sehr angenehm und herrlich grosszügig“. Frank vermittelte ihm Kontakte mit Professoren, die ihn bei der Wahl der Universität berieten. Er entschied sich, wie bereits in Deutschland geplant, für Harvard87. Ab 1927 übernahm Edmund E. Day, der spätere Leiter der sozialwissenschaftlichen Abteilung der RF, die Betreuung der europäischen Stipendiaten. Die Gespräche mit ihm zeichneten sich durch ihre Kürze aus88. Day sei „zwar sehr freundlich“ gewesen, habe ihn aber „nicht weiter mit Ratschlägen“ versehen, berichtete Franz Grüger: „Ich gab ihm die Liste meiner Einführungsschreiben, setzte ihm kurz noch einmal meinen Studienplan auseinander, worauf er sagte: Da ist ja alles klar – fahren Sie nur bald nach Washington. Das habe ich dann auch getan“89. Auch Alfred Vagts Pläne fanden Days Billigung: „Mit einem ganz allgemein gehaltenen Introduktionsschreiben ‚an alle‘ bewaffnet, bin ich dann an die Arbeit gegangen, die mich fast alle Tage in der hiesigen Public Library findet“90. Day interessierte sich besonders für Werner Trömels Arbeiten zur Porzellan- und Spielwarenindustrie und verwies ihn an Frank W. Taussig in Harvard. Dieser riet dem Fellow, in Washington bei der Tarifkommission und dem Department of Interior zu beginnen und Fabriken in Pittsburgh und Columbus zu besuchen91. 85 Vgl. Brief von H. Staehle an A. W. Fehling, 13. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 13. Juni 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 86 Vgl. Brief von G. Wagner an A. W. Fehling, 16. Dezember 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 87 Vgl. Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 22. Februar 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 88 Vgl. Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 15. August 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 89 Brief von F. Grüger an A. W. Fehling, 8. Dezember 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 90 Brief von A. Vagts an A. W. Fehling, 8. April 1928 (Auszug), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 91 Vgl. Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 29. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14.

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Als Trömel Day später eine Untersuchung zur Industrialisierung des amerikanischen Südostens vorschlug, bat dieser ihn zum Gespräch. In der Unterhaltung habe Day zuerst bemerkt, die Pläne bedeuteten eine Änderung des Studienplans, sie aber gebilligt, nachdem Trömel auf seine ursprünglichen Absichten hingewiesen habe92. Emil Meynen wurde in New York von Walter R. Sharp vom SSRC beraten: „In freundlicher Weise begegnete er uns allen“, er sei ihm „für seine wertvolle Hilfe und Anregungen sehr zu Dank verpflichtet“. Die RF habe gern gesehen, dass er schon in New York „Fühlung mit verschiedenen Herren nahm“93. Günter Wagner wurde von Sharp mit der Frage empfangen, wann er seine „Reise nach dem mittleren Westen antreten wolle, um dort ‚fieldwork‘ zu tun“. Die von Wagner befürchtete Ablehnung seiner ethnologischen Feldforschungspläne blieb aus, Sharp bewilligte „ohne Einschränkungen“ das ganze Programm. Wagner begann seine Studien mit einem viermonatigen Aufenthalt in Indianerreservaten94. Hans Keller absolvierte 1932 sein Antrittsgespräch beim RF-Officer Stacy May, der sich den Arbeitsplan vortragen ließ, um dem Stipendiaten „schließlich für seine weitere Ausgestaltung und eventuelle Änderung ganz freie Hand zu gewähren“95. Eine nicht näher ausgeführte Kritik am Empfang durch die RF äußerte allein der nationalsozialistische Stipendiat Wollenweber: „Mein Empfang am Schiff – was in der Person des dorthin beorderten Herrn lag – war nicht sehr glücklich“. Die „Hilfsbereitschaft im Büro und die Aufrechterhaltung des späteren Kontakts“ hielt er dann jedoch für vorbildlich96. Sowohl das LSRM wie auch die RF machten den Stipendiaten nur wenige Vorschriften, in der Umsetzung der Pläne erwarteten sie jedoch ein Einhalten der Absprachen und Richtlinien. Als Ankunfts- und Abfahrtsort wurde New York zu einem Sammel- und Treffpunkt für Rockefeller Stipendiaten. Linhardt berichtete kurz nach seiner Ankunft, er habe bereits zwei Tschechen, mit denen er sich schon in London angefreundet hatte, und einen Ungarn getroffen sowie einige deutsche Fellows seines Jahrgangs97. Heberle riet allerdings, nicht länger in New York zu bleiben, als es für einen allgemeinen Eindruck oder die Forschungsaufgabe nötig sei, da die Stadt „in vielem recht ‚unamerikanisch‘“ und die Arbeit in der Columbia-Bibliothek umständlich sei98. 92 Vgl. Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 15. August 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 93 Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 1. März 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 94 Vgl. Brief von G. Wagner an A. W. Fehling, 5. Juli 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 95 Brief von H. Keller an A. W. Fehling, 7. Oktober 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 96 H. Wollenweber, Betrifft: Fragebogen betr. Anpassung des R. Fellows in Amerika, 6. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40, S. 6. 97 Vgl. Brief von H. Linhardt an A. W. Fehling, 29. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 98 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 25. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12.

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Familienfragen: „[A] separation of more than one year may have its serious difficulties“

Den verheirateten Stipendiaten – alle deutschen Frauen waren ledig und kinderlos – stellte sich vor der Abfahrt die Frage der Familienunterbringung. Konnten die Familien innerhalb Europas mit ins Ausland genommen werden, durften sie in die USA nur unter bestimmten Umständen im zweiten Stipendienjahr nachkommen. Mehrere Fellows überraschten und verärgerten Fehling kurz vor der Abreise mit Heiratsplänen, die dieser dem LSRM nachträglich mitteilen musste. Erich Wohlfahrt informierte Fehling erst aus London über seine Hochzeit99 und war im ersten Amerikajahr so „disturbed and unhappy“, dass L. K. Frank eine Familienbeihilfe und den Nachzug der Ehefrau für das zweite Jahr befürwortete100. Werner Trömel berichtete Fehling ebenfalls aus London von seiner bevorstehenden Vermählung. Er war davon ausgegangen, dass unverheiratete Bewerber bei der Auswahl bevorzugt würden. Jetzt wollte er heiraten, um zu vermeiden, dass seine zweijährige Abwesenheit in der Kleinstadt, in der seine Verlobte lebte, „falsch gedeutet würde“. Er hoffte, seine Frau nachholen zu dürfen: Sie schreibe gut Maschine und könne ihm bei den Arbeiten helfen, „abgesehen von den anderen guten Folgen des Verheiratetseins“101. Fehling lehnte die Bewilligung einer Familienbeihilfe ab und betonte, Trömel habe das Komitee dem LSRM gegenüber in eine „peinliche Lage“102 gebracht. So musste der Stipendiat nach seiner Hochzeit am 24. Dezember 1927103 ohne seine Frau in die USA reisen. Im März erfuhr Fehling, Trömel sei wegen der unsicheren familiären Perspektive für das zweite Jahr seines Aufenthalts „in great distress and handicapped in his work“. Er hatte daraufhin ein Einsehen: „As a married man, I feel, that a separation of more than one year may have its serious difficulties“104. Trömel durfte seine Frau nachholen und bekam eine Familienbeihilfe von 1200 Dollar für das zweite Stipendienjahr105. 99 Vgl. Brief von L. K. Frank an A. W. Fehling, 28. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 100 Vgl. ebd. 101 Brief von W.  Trömel an A.  W.  Fehling, 5.  November 1927, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 13. 102 Brief von A. W. Fehling an W. Trömel, 11. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 103 Vgl. W.  Trömel, E.  Hemme, Vermählungsanzeige, 24.  Dezember 1927, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 104 Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 26. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. Von Franz Grüger erfuhr Fehling, dass Trömel „sich solche Sorgen darüber [mache], ob er seine Frau im nächsten Jahr wiedersieht oder nicht“. Brief von F. Grüger an A. W. Fehling, 9. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 105 Vgl. Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 18. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16.

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Alfred Vagts hatte bei einem früheren Amerikaaufenthalt die Bekanntschaft von Miriam Beard, der Tochter des amerikanischen Historikers Charles A. Beard, gemacht. Als diese 1927 in Europa war, heirateten sie „kurz entschlossen“106. Fehling warf Vagts vor, bei einem persönlichen Gespräch in Hamburg nicht einmal eine Andeutung über seine Pläne gemacht zu haben. Eine Familienbeihilfe lehnte er auch für das zweite Stipendienjahr ab und wies auf mögliche Schwierigkeiten bei der Erteilung des Visums hin, da man vermuten könne, dass Vagts „ganz drüben bleiben“107 wolle. Arvid Harnack lernte während seiner Stipendienzeit an der University of Wisconsin die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Mildred Fish kennen, die er nach wenigen Monaten heiratete108. Ab 1928 verschärfte das LSRM die Bestimmungen zum Familiennachzug. Den Fellows sollte vom Mitbringen ihrer Familien jetzt dringend abgeraten werden109. Rudolf Freund brachte die neue Regelung in große private Schwierigkeiten: Seine Frau und ein Kind110 konnten aus finanziellen Gründen nicht zu den Eltern ziehen, die Versuche der Ehefrau, eine Halbtagsstelle zu finden, scheiterten111. Das LSRM bewilligte schließlich einen monatlichen Zuschuss von 70 Dollar112. Das Heiratsverhalten der ledigen Stipendiaten konnte die Regelverschärfung allerdings nicht beeinflussen: Hans Staehle heiratete wenige Tage vor der Abfahrt, um daraufhin vergeblich um eine „special allowance“ zu bitten113. Im Unterschied dazu informierten Erich Schneider114, Gottfried Pfeifer115 und Leo Drescher116 Fehling vor der Weiterleitung ihrer Unterlagen über ihre bevorstehenden Hochzeiten und bewarben sich gleich als verheiratete Kandidaten. Drescher fiel die Trennung besonders schwer, da seine Frau 106 Brief von A. Vagts an A. W. Fehling, 9. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 107 Brief von A. W. Fehling an A. Vagts, 23. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 108 Vgl. Brief von A. Harnack an A. W. Fehling, 7. August 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. Als Harnack die USA 1928 verließ, blieb Mildred Harnack-Fish zunächst in den Vereinigten Staaten, bis sie Harnack nach Deutschland folgte. Vgl. Brief von M. Harnack an C. Harnack, 28. September 1928, in Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, NL A. Harnack. 109 Vgl. Brief von E. E. Day an A. W. Fehling, 13. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 110 Vgl. R. Freund, Personal History Record, 13. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 111 Vgl. Brief von R.  Freund an A.  W.  Fehling, 28.  April 1928, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 15. 112 Vgl. Brief von A. W. Fehling an R. Freund, 21. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 113 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 1. Oktober 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 114 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. Schneider, 28. Dezember 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 115 Vgl. Brief von G. Pfeifer an A. W. Fehling, 21. Mai 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 116 Vgl. Brief von L. Drescher an A. W. Fehling, 19. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23.

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Erfahrungen und Erlebnisse

vor der Ausreise schwanger wurde117. In den USA bat er um die Genehmigung, seine Frau bereits im April nachholen zu dürfen. Die Fernbeziehung koste viel Kraft und er brauche Hilfe bei der Arbeit: „Sodann sind Schreibmaschine und Stenographie Werkzeuge, die die Frau bedienen soll“118. Das Argument, die Hilfe der Ehefrauen bei der wissenschaftlichen Arbeit zu benötigen, wurde von den Stipendiaten wiederholt vorgebracht, um den Nachzug der Familie zu rechtfertigen. In der Zeit, in der die Stipendiaten in New York durch den SSRC betreut wurden, wurden die Regeln der Familienmitnahme weniger streng gehandhabt. Dafür legte Sharp mehr Wert auf die Englischkenntnisse der Ehefrauen119. Nach einer Zeit des Einlebens könne, falls die „erforderlichen Mittel für die Überfahrt und sonstige Mehrkosten“ selbst aufgebracht würden, „die Erlaubnis, die Familie nachkommen zu lassen“, erreicht werden, teilte Fehling einem Bewerber mit120. 1934 wurden die offiziellen Richtlinien angepasst. Der Satz „Experience has shown that the presence of a fellow’s family in the country of study introduces factors that may materially interfere with the fullest realization of the fellowship opportunity“ wurde durch die Bemerkung ersetzt, die RF „does not wish to be put in the position of finally determining whether or not a fellow should marry, or if married, whether or not he should bring his wife to the country of study“121. Für die Fellows war es von diesem Zeitpunkt an einfacher, ihre Familie bei ausreichenden finanziellen Mitteln mit in die USA zu nehmen. Lebensstandard und Wohnverhältnisse

Die Höhe des Stipendiums erschien den meisten Stipendiaten als ausreichend. Es sei hoch genug, um alle normalen Ausgaben eines Studenten zu decken und ermögliche „a standard of living which corresponds rather exactely to that of his social group at home“, urteilte Eva Flügge. Bei längeren Aufenthalten an einem Ort und Nutzung der von den amerikanischen Universitäten gewährten Vorteile sei es sogar „very large“122. Harnack notierte, dass das Stipendium die „necessary expenses“ abdecke, aber nicht zu hoch sei. Ein Wissenschaftler benötige im Ausland genug Geld, um

117 Vgl. Brief von L. Drescher an A. W. Fehling, 1. August 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 118 Brief von L. Drescher an A. W. Fehling, 5. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 119 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 5. April 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 120 Brief von A. W. Fehling an W. Egle, 30. November 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. 121 Brief von T. B. Appleget an G. K. Strode, 6. Januar 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 122 E. Flügge, Annual Report, o. D. (1926), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10, S. 4–5.

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Bücher zu kaufen und „to meet the needs of social intercourse“123. Heberle wünschte sich eine besondere Zuwendung für „den Ankauf von Dokumenten, etc.“, wenn dem Stipendiaten dadurch „zeitraubendes Excerpieren erspart werden“124 könne. Heberle musste mit seinem Stipendium Frau und Kind versorgen und Geld für deren Überfahrt ersparen. Er lieh sich 100 Dollar von der LSE und bat das LSRM um einen Vorschuss von 500 Dollar125. Predöhl sah das Problem, dass verheiratete Stipendiaten im ersten Jahr finanziell schlechter gestellt seien, während sie im zweiten „unverhältnismässig viel günstiger auch als die anderen Stipendiaten“ daständen, da die meisten Ausgaben für die Familie in das erste Stipendienjahr fielen. Er könne ohne Bedenken sagen, dass man in einer günstigeren Situation sei „als etwa als Assistent in Deutschland, selbst wenn man Privatdozenteneinnahmen einer kleinen Universität hinzurechnet“126. Verteilungskonflikte zwischen den deutschen Fellows versuchte Fehling durch Diskretion zu vermeiden. Als Gertrud Beushausen einen Reisezuschuss für eine Englandreise bekam, bat er sie, zu verhindern, „daß sich die ‚underground‘ der Rockefeller Fellows dieser Tatsache bemächtigt“127. Gerhard Erdsiek erhielt zusätzlich zum Grundstipendium eine Sonderbewilligung von monatlich 40 Dollar für den Unterhalt seiner Mutter, die er „vertraulich behandeln“ sollte128. Der Bibliothekar des Kieler Weltwirtschaftsinstituts Wilhelm Gülich, der die USA 1936 mit einer „Special Fellowship“ bereiste, bat vor seiner Abreise eine Reihe von „Rockefeller-Leuten“ um ihre Erfahrungen: Der eine sagt, er wäre ‚gänzlich abgerissen‘ mit zwei Handköfferchen nach Amerika gefahren und mit grossen Koffern zurückgekommen, der andere: ‚Man muss natürlich klug verfahren, und z. B. einen halben Monat später aus Deutschland abreisen und einen halben Monat früher zurückkehren, als man offiziell angäbe. Dadurch gewönne man ein ganzes Monatseinkommen‘. Der Dritte sagt: ‚Die Rockefeller-Leute wünschen zwar, dass man anständig wohnt; ich habe aber in einer drittklassigen Pension gewohnt und mir infolgedessen einen Frack und ein paar Anzüge bauen lassen‘129.

123 A. Harnack, Annual Report (1926), o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 124 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 30. Dezember 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 125 Vgl. R. Heberle, Report covering the first year of fellowship 1926–1927, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13, S. 7. 126 Brief von A. Predöhl an A. W. Fehling, 16. Juni 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 127 Brief von A. W. Fehling an G. Beushausen, 30. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 128 Brief von A. W. Fehling an G. Erdsiek, 6. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 129 Brief von W. Gülich an A. W. Fehling, 26. März 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 56.

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War es Gülich vor der Reise noch peinlich, „überhaupt nur in den Verdacht zu kommen, eine für wissenschaftliche Zwecke geschaffene Stiftung derart ‚auszunutzen‘“130, verlief sein eigener Aufenthalt desaströs. Gegen den Willen der RF reiste er gemeinsam mit seiner Frau in die USA, dort hatte er zahlreiche Sonderwünsche und unternahm ohne Zustimmung der RF eine Reise, auf der er sich eine Verletzung zuzog, die hohe Arztkosten verursachte. Verbittert schrieb er aus San Francisco, es komme der RF gar nicht darauf an, „ihr Geld sinnvoll auszugeben“, sondern nur darauf, „ihr Geld aeusserlich, vielleicht sogar nur scheinbar, korrekt auszugeben“131. Fehling und Predöhl hatten kein Verständnis für Gülichs finanzielle Probleme, da er in Kiel sein volles Gehalt weiterbezog. „2500 Dollar müssten dann eigentlich nach meinen Erfahrungen für gut sechs Monate ausreichen“132, so Predöhl. Folgerichtig lehnte Fehling es ab, bei der RF um weitere Zuwendungen für Gülichzu bitten133. Viele allein reisende Stipendiaten bezogen Zimmer in Studentenwohnheimen, während Familien eher Wohnungen anmieteten. 1928 lebten mehrere Rockefeller Familien in einem Haus in Cambridge: Familie Heberle „oben“, das Ehepaar Burns und Eva Flügge im ersten Stock134. Außerdem gab es an der Harvard University „Häuser“ für Studenten, die jedoch, so berichtete August Lösch, bei Ankunft während des Semesters schon besetzt seien. Er schlug vor, ein Zimmer dauerhaft für die immer zahlreich in Cambridge anzutreffenden RF-Stipendiaten anzumieten135. In New York war das 1924 mit Unterstützung von John D. Rockefeller Jr. gegründete „International House“ eine beliebte Anlaufstelle für die Fellows. Es bot Platz für 400 männliche und 125 weibliche „graduate students“, wobei zwei Drittel der Plätze für Ausländer reserviert waren. Der Kontakt zwischen den Bewohnern wurde durch verschiedene Freizeitangebote, eine Bücherei und Musikräume gefördert136. Ein Einzelzimmer kostete pro Woche 9 Dollar137. In der Cafeteria konnten alle Mahlzeiten eingenommen werden. Dies sei nicht günstiger als anderswo, berichtete Linhardt, aber man habe den „sicheren Vorteil angenehmer Gesellschaft und groesserer 130 Ebd. 131 Brief von W. Gülich an A. W. Fehling, 20. September 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 56. 132 Brief von A. Predöhl an A. W. Fehling, 1. Juli 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 56. 133 Vgl. Briefentwurf von A. W. Fehling an A. Predöhl, 5. Juli 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr.  56. Die Korrespondenz Gülichs mit der Rockefeller Foundation befindet sich in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 18, folder 162. 134 Vgl. Brief von E. Flügge an A. W. Fehling, 24. Juli 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 135 Vgl. A. Lösch, Bericht über meine Tätigkeit als Rockefeller Stipendiat 1934/5, 27. Februar 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. 136 Vgl. Bu, Liping, Education and International Cultural Understanding: The American Elite Approach, 1920–1937, in Garlitz, Richard; Jarvinen, Lisa (Hgg.), Teaching America to the World and the World to America: Education and Foreign Relations since 1870, New York, 2012, S. 121. 137 Vgl. Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 1. März 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21.

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Reinlichkeit“. Ein Großteil der Küchenarbeit, Essensausgabe und Hausadministration wurde von den Bewohnern gegen Entgelt in Eigenarbeit geleistet. Zu den Zimmern, die alle gleich ausgestattet waren, notierte der Fellow: Eiserne Bettstelle, kleiner Schreibtisch, Waeschekommode und zwei Stuehle sind die ganze Ausruestung. Ein Vorbau neben der Tuere, das sogenannte Closet, dient der Unterbringung der Kleider. In den Zimmern gibt es weder fliessendes noch stehendes Wasser. Jedes Stockwerk hat einen gemeinsamen Waschraum mit Brausen. Wenn man den starken Andrang dort vermeiden will, muss man recht frueh oder sehr spaet aufstehen138.

Linhardt lobte die Möglichkeiten, „mit fremden Nationen und anderen Fakultaeten“ zusammenzukommen. Jeden Tag gäbe es andere Unterhaltungsmöglichkeiten wie Gesang, Musik, Theater, Vorträge, Gymnastik, am Wochenende kämen abends „prominente Gaeste, Kuenstler, Business Men oder Gelehrte“139. Wohlfahrt bemerkte: Es ist wohl sicher, dass das Haus nicht gerade der passende Platz fuer strenge und abgeschlossene Arbeit ist. Aber andererseits bewegt sich dieser lueckenlos reichhaltige Mikrokosmos in einer Athmosphaere so entschiedener gegenseitiger Achtung und guten Willens, dass sich der Aufenthalt dort in einer tiefgreifenden Auflockerung gefaehrlicher Einseitigkeiten vielfach bezahlt140.

Mellerowicz urteilte: „So unruhig, wie es mir dargestellt wurde, ist es nicht. Dafür hat man die Annehmlichkeit, immer Menschen – und interessante dazu – zu finden, wenn man es will. Ich fühle mich hier sehr wohl“141. Der „Training Fellow“ Hirschmann lernte Anfang 1941 im International House die zwanzigjährige Russin Sarah Chapiro kennen, die er im Juni des Jahres heiratete142. In Washington lebten viele Stipendiaten in der 1924 eingerichteten „Robert S. Brookings Graduate School“143, zu der auch eine „Residence Foundation“ gehörte144. 138 H. Linhardt, Bericht über die Zeit vom 1. September 1928 bis 1. März 1929, o. D., in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2280, Blatt 23. 139 Ebd. 140 Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 6. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 141 Brief von K. Mellerowicz an A. W. Fehling, 6. Oktober 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 142 Vgl. Brief von A. O. Hirschmann an T. B. Kittredge 21. Juni 1941, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder  717  E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. Siehe auch Adelman, Jeremy, Wordly Economist: The Odyssey of Albert O. Hirschman, Princeton, Oxford, 2013, S. 190–194 (Im Folgenden zitiert in Adelman, Worldy Economist). 143 Vgl. Smith, James Allen, Brookings at Seventy-five, Washington, 1991, S. 21. 144 Vgl. Rutherford, The Institutionalist Movement, S. 163, 165.

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Flügge riet allen Stipendiaten, eine Zeit in der Graduate School zu leben: „Es kommt dort eine Anzahl von Studenten zusammen, die bereits weit genug in ihren Studien sind, um ein allgemeines Interesse daran zu haben und vor allem grosse Lust, wissenschaftliche Fragen zu diskutieren“145. Grüger berichtete: „I lived at the Brookings School and I found a delightful crowd. It was very useful for me to talk to the students there and I got much help through their explanations of American institutions and social conditions“146. Trömel ging mit den Studenten der Brookings School wandern, notierte aber, die „Wohnverhältnisse in der School [seien] übrigens für europäische Begriffe sonderbar, aber in dieser Hinsicht scheinen sich die billigen amerikanischen Wohnungen (8–9 $ die Woche) alle gleich zu sein“147. Heberle meinte: „Last winter the Robert Brookings Graduate School has been an intellectual and social center for me as for most of the Fellows“. 1927 verlor die Graduate School zum Bedauern der Stipendiaten ihre Selbstständigkeit und wurde ein Teil der Brookings Institution148. Ausgedehnte Reisetätigkeiten

Alle deutschen Stipendiaten besuchten während ihrer Stipendienzeit mehrere amerikanische Universitäten. Besonders in der Zeit des LSRM unternahmen die Fellows ausgedehnte Reisen. Der Statistiker Grüger begann seine Arbeit in Washington, fuhr dann in den Süden, wo er die University of North Carolina besuchte, um anschließend über New York nach Cambridge zu reisen. Außerdem besuchte er Boston, Cleveland, Chicago, Denver, Stanford und Madison, um sich den wirtschaftlichen Hintergrund für die in Washington studierten Statistiken zu erarbeiten149. Otto Brok reiste nach einem Aufenthalt in Chicago nach St. Louis, Memphis und Jackson. Er verbrachte einige Zeit in New Orleans, um anschließend über Santa Fe, Phoenix und den Grand Canyon nach Los Angeles weiterzufahren150. Predöhl, ein LSRM-Stipendiat, hatte „reichlich von der Möglichkeit, Reisebewilligungen zu erhalten, Gebrauch gemacht“ und den Eindruck gewonnen, „dass man gut begründete und richtig durchgeführte Reisen gar nicht ungern sieht“. Er betonte: „Von meinen Reisen in Amerika kann ich sagen, dass ich ohne sie meine gegenwärtige Arbeit schlechterdings nicht hätte durch145 Auszug aus einem Bericht von E. Flügge, 3. Februar 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 146 Brief von F. Grüger an E. E. Day, mit Bericht, 20. September 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 147 Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 8. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 148 Vgl. R. Heberle, Annual Report 1928, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 149 Vgl. Brief von F.  Grüger an E.  E.  Day, mit Bericht, 20.  September 1928, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 150 Vgl. Brief von O. Brok an A. W. Fehling, 16. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12.

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Die Erfahrungen der deutschen Fellows in den USA Lake Louise Milwaukee Minneapolis Madison Chicago Detroit Buffalo Seattle

Glacier National Park Spokane

Portland Yellowstone Park

San Francisco

Salt Lake City

Denver

New York Cincinnati Kansas City St. Louis

Washington

Los Angeles San Diego

Start / Ende Zwischenstation

Abbildung 11: Die Sommerreise: Beispiel einer Reiseroute. (Quelle: Brief von E. Merkert an A. W. Fehling, 29. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13).

führen können“151. Mit der Übernahme des LSRM durch die RF wurden Reisebewilligungen allerdings zurückhaltender erteilt. Eine besondere Erfahrung war die „Sommerreise“ zwischen erstem und zweitem Stipendienjahr, für die das LSRM den Stipendiaten auf Antrag 420 Dollar zur Verfügung stellte. In mehreren Fällen führten Stipendiaten verschiedener Nationalitäten die Reise gemeinsam durch. Emil Merkert unternahm seine Sommerreise mit dem irischen Stipendiaten Frederick H. Boland und dem deutschen Fellow Otto Kühne. Sie kauften ein Auto, mit dem sie bis nach Kalifornien fuhren, wo sie den Wagen verkauften und mit der Eisenbahn nach Washington zurückkehrten152 (Abb. 11). Merkert, der zur Konkurrenz zwischen Automobil und Eisenbahn in den USA arbeitete, nutzte die Sommerreise für seine verkehrswissenschaftlichen Untersuchungen: Die Automobilfahrt bot mir reichlich Gelegenheit den Kraftwagentransport u. den Strassenbau zu studieren. In den an unserer Reiseroute gelegenen Staedten besuchte ich deren Universitaeten, ferner eine grosse Zahl State-Commissions, Eisenbahn-, Strassenbahn-, Omnibus- u. Lastkraftwagengesellschaften. Einen laengeren Aufenthalt nahm ich nur in Californien, um den hier hoechst entwickelten Kraftwagenverkehr eingehender zu studieren153. 151 Brief von A. Predöhl an A. W. Fehling, 20. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 152 Vgl. Brief von E. Merkert an A. W. Fehling, 29. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 153 Vgl. ebd.

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Erfahrungen und Erlebnisse

Durch die Reise im Auto habe er die ländlichen Bezirke, die von den Eisenbahnen ohne Halt durchquert würden, studieren können. Er interessierte sich außerdem für die Verkehrsprobleme in den Städten154. Seine Ergebnisse veröffentlichte er 1930 unter dem Titel „Personenkraftwagen, Kraftomnibus und Lastkraftwagen in den Vereinigten Staaten von Amerika: Mit besonderer Berücksichtigung ihrer Beziehungen zu Eisenbahn und Landstraße“. Im Vorwort dankte er der RF für die Ermöglichung des zweijährigen Studienaufenthalts in den USA155. Wohlfahrt unternahm seine Sommerreise mit Heinz von Trützschler und dem Niederländer W. F. A. Haersolte. Fehling schilderte er begeistert seine Eindrücke: Ich kann Ihnen hier nicht schildern, welchen Reichtum an tiefen und einmaligen Erlebnissen diese Zeit uns gebracht hat. Sie wissen ja selbst, welchen katastrophalen Ratlosigkeiten schon unser Raumgefuehl in der amerikanischen Landschaft ausgesetzt ist. Ich werde kaum je vergessen, wie ich an einem grausam klaren Tage angesichts des Canyons des Yellowstone ueberhaupt jeden Masstab fuer Groesse verlor156.

Die Reisegruppe legte in vier Monaten 13.500 Meilen (21.680 km) mit dem Auto zurück. Wohlfahrt stellte detaillierte Kostenrechnungen an und kam zu dem Ergebnis, dass pro Person 393 Dollar Fahrtkosten entstanden seien. Die vom LSRM zur Verfügung gestellte Summe „wird hier schon vom blossen Transport verschlungen“. Die Gruppe verzichtete auf „komfortable“ Übernachtungen, die improvisierte Lebensführung sahen sie als „Quelle der Erholung“. Die Reiseform sei jedoch nicht jedermanns Sache: „Ich wuerde dazu neigen, Frauen ueberhaupt davon abzuraten“157, so Wohlfahrt. Auch Grüger lebte während seiner Reise spartanisch. Er reiste mit günstigen Pullmann- und Zugtickets, verzichtete auf teure Mahlzeiten an Bord und entwickelte ein raffiniertes System der Hotelsuche: I did not take the first hotel I saw in a strange City, but I left my luggage at the station and looked around until I found a convenient one. After a little while one gets accustomed to judge the hotels from the exterior and by the location of it in the town. As a rule I can

154 Vgl. ebd. 155 Vgl. Merkert, Emil, Personenkraftwagen, Kraftomnibus und Lastkraftwagen in den Vereinigten Staaten von Amerika: Mit besonderer Berücksichtigung ihrer Beziehungen zu Eisenbahn und Landstraße, Berlin, 1930, S. V. 156 Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 6. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 157 Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 28. Februar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14.

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say that it is better to take a cheap room in a good hotel instead of an expensive one in a cheap hotel158.

Rudolf Freund trat seine Sommerreise im Juni 1929 in Washington an. In New Orleans, Houston und Galveston interessierte er sich für die Transport- und Verschiffungsanlagen für den Weizen- und Baumwollhandel. Obwohl er kein Anthropologe oder Ethnologe war, schloss er sich einer von Edward Sapir geleiteten Gruppe an, die linguistische Studien unter Navajo-Indianern betrieb. Später sah er sich in Los Angeles Obstfarmen, Ölfelder und Filmstudios an, informierte sich in Seattle und Vancouver über Weizenanbau und machte eine „herrliche Reise durch die canadischen Rockies“. Er beendete seine Reise in Chicago, dem „Zentralpunkt“ des Weizenhandels und der Schlachthausindustrie159. Zahlreiche kleine Unfälle zeigen, dass die Fahrten nicht immer ungefährlich waren. So fuhr Zechlin mit seinem Auto eine Kuh an, blieb in Lehmlöchern stecken und rutschte in Gräben160. Die Reiserouten der deutschen Fellows verdeutlichen, dass die Sommerreisen mit ihrer Mischung aus Tourismus und Studienreise eine besondere Großzügigkeit des LSRM darstellten, die den Fellows ein umfassendes und auf persönlicher Anschauung beruhendes Bild der USA vermittelten.

7.3 Der Verlauf der Stipendienzeit in den USA: Drei Beispiele Beispielhaft werden die Erfahrungen von drei Fellows unterschiedlicher disziplinärer Ausrichtung näher beleuchtet. Die Nationalökonomin Eva Flügge gehörte zu den acht Frauen, die ein Stipendium erhielten. Über ihre Karriere ist bisher wenig bekannt, sodass ein Blick auf ihre Stipendienzeit ermöglicht, einige Lücken in ihrem Lebenslauf zu schließen. Aufmerksamkeit wurde ihr bisher vor allem als Privatdozentin an der Berliner Universität zuteil161. Diesen Karriereschritt verdankte sie ihrer Stipendienzeit in den USA. Der zweite Stipendiat, der Soziologe Rudolf Heberle, ist heute 158 Brief von F. Grüger an E. E. Day, mit Bericht, 20. September 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 159 Vgl. Brief von R. Freund an das Deutsche Committee der Rockefeller Foundation, 21. November 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 160 Vgl. Frees, Egmont Zechlin, S. 270–271. 161 Vgl. Vogt, Annette, Von Fleiß und Sachverstand. Studentinnen und Akademikerinnen an der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Fakultät, in Jahr, Christoph; Schaarschmidt, Rebecca (Hgg.), Die Berliner Universität in der NS-Zeit. Strukturen und Personen, Bd.  1, Wiesbaden, Stuttgart, 2005, S. 181 (Im Folgenden zitiert als Vogt, Von Fleiß und Sachverstand), Vogt, Schwestern und Freundinnen, S.  155, 159–160. Siehe auch Altenstraßer, Umstrittene Anerkennung, S. 241.

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für seine Theorie sozialer Bewegungen und seine in den USA begonnenen Mobilitätsforschungen bekannt. Über ihn liegt eine einschlägige Biographie von Rainer Waßler162 vor, die auf einigen Seiten auch den Amerikaaufenthalt Heberles behandelt. Mit Hilfe der Nachlässe Fehlings und Schumachers, der Materialien im Rockefeller Archiv Center sowie autobiographischer Schriften Heberles163 können die Angaben zur Stipendienzeit ergänzt und deren Auswirkungen auf seine wissenschaftlichen Überzeugungen näher bestimmt werden. Als dritter Stipendiat wurde Erich Wohlfahrt ausgewählt, der im Fach Psychologie ein Stipendium erhielt und sich in den USA auf die Eignungspsychologie konzentrierte164. Sein Wirken wurde besonders im Rahmen von Beiträgen zur Geschichte der Studienstiftung des deutschen Volkes analysiert165. Wohlfahrt gehört zu den Stipendiaten, die ihr in den USA erworbenes Wissen in den Dienst des NS-Staates stellten. Die Forschungsthemen der drei Stipendiaten entsprachen durch ihren Gegenwartsbezug und ihre empirische Ausrichtung den Anforderungen des LSRM und der RF. Flügge, Heberle und Wohlfahrt kamen dem Ansinnen der Stiftung nach, Kontakte zu amerikanischen Sozialwissenschaftlern zu knüpfen und sich von deren Methoden für die eigene Forschungsarbeit anregen zu lassen. Trotzdem können ihre Erfahrungen kaum als repräsentativ gelten, zu unterschiedlich waren die fachlichen Interessen und das persönliche Erleben der deutschen Fellows. Die Verfolgung der individuellen Stipendiatenwege ermöglicht es im Unterschied zur gleichzeitigen Betrachtung möglichst vieler Stipendiaten jedoch, die gesamte Stipendien- und die unmittelbare Folgezeit in den Blick zu nehmen.

162 Vgl. Waßner, Rudolf Heberle. 163 Vgl. Heberle, Soziologische Lehr- und Wanderjahre, S.  197–211. Heberle, Reminiscences of a Sociologist, S.  131–140, Heberle, Rudolf, In Praise of Field Work: An Autobiographical Note, in Zeitschrift für Soziologie 11 (1982), S. 105–112 (Im Folgenden zitiert als Heberle, In Praise of Field Work). 164 Vgl. Wolfradt, Uwe, Art. Erich Wohlfahrt, in Wolfradt, Uwe; Billmann-Mahecha, Elfriede; Stock, Arnim (Hgg.), Deutschsprachige Psychologinnen und Psychologen 1933–1945. Ein Personenlexikon, Wiesbaden, 2015, S. 488–489, Wohlfahrt, Erich; Ulich, Robert; Waterkamp, Dietmar, Zur Bildungssoziologie des akademischen Nachwuchses in Deutschland. Zusammenhänge zwischen Herkunft, Schulvorbildung und Studium, nachgewiesen an den Mitgliedern der Studienstiftung des Deutschen Volkes 1925–1933, Berlin, 2000 (unveröffentlichtes Manuskript 1933). 165 Vgl. Kunze, Rolf-Ulrich, Die Studienstiftung des deutschen Volkes seit 1925: Zur Geschichte der Hochbegabten-Förderung in Deutschland (Edition Bildung und Wissenschaft  8), Berlin, 2001 (zugl. Habil., Univ. Mainz, 1999), Kunze, Rolf-Ulrich, Weder staatlich noch privat: Die „Hochbegabten“ – Förderung der Studienstiftung des deutschen Volkes, 1925 bis heute, in Bosbach, Franz; Robbins, Keith; Urbach, Karina (Hgg.), Geburt oder Leistung? Elitenbildung im deutsch-britischen Vergleich, München, 2003, S. 201.

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Eva Flügge und die amerikanische Automobilindustrie

Die 1895 geborene Eva Flügge studierte ab 1918 Nationalökonomie, Staats- und Verwaltungsrecht, Philosophie und Kunstgeschichte in Berlin und Jena. Sie promovierte 1922, war anschließend kurz als Redaktionsassistentin der Zeitschrift „Recht und Wirtschaft“ tätig, bis sie, als die Zeitschrift ihr Erscheinen einstellte, eine Stelle als Verwaltungsassistentin in der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften annahm. Neben dieser Arbeit leitete sie Nationalökonomische Arbeitsgemeinschaften an der Universität Berlin, die sich mit Themen wie „Die Entwicklung und die Aufgaben der Notenbanken“ (Sommersemester 1922) oder dem „Begriff der Zahlungsbilanz“ (Wintersemester 1922/23) auseinandersetzten. Zur Zeit ihrer Bewerbung um ein LSRM-Stipendium arbeitete sie an einer Studie zu „Jean Jaurès und der deutsche Sozialismus“166. Das Komitee-Mitglied Schumacher zählte Flügge „zu den besten Schülern […], die [s]ein Seminar je aufzuweisen hatte“167. Die Zeit an der LSE von November 1925 bis Februar 1926, während der sie „mit unverschämt guten Sprachkenntnissen“ die anderen Stipendiaten „in den Schatten“168 stellte, nutzte Flügge zur Einarbeitung in die amerikanische Wirtschaftsliteratur169. Als Forschungsthema hatte sie dem LSRM „The problem of overhead cost and the relation between economics & administration in the U.S.“170 angegeben. Nach der Lektüre von J. M. Clarks „Economics of Overhead Costs“ kamen ihr jedoch Zweifel: [O]n the one hand, it would probably be impossible to apply the still somewhat vague new ideas on a concrete problem, on the other hand I made up my mind that in any case I was going to study one of the industries in the United States, because the industrial development, in extension as well as in rapidity, gives quite a different scheme from all our European experiences171.

Sie erreichte New York im März 1926 und reiste gleich nach Chicago weiter, wo sie sich bis Juli aufhielt172. J. M. Clark und L. C. Marshall rieten ihr, als Forschungsthema 166 E. Flügge, Lebenslauf, 25. August 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 167 H.  Schumacher, Gutachten für E.  Flügge, 13.  August 1925, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 8. 168 Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 5. Dezember 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 169 Vgl. Brief von E. Flügge an H. Schumacher, 12. März 1926, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 1. 170 E. Flügge, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 171 E. Flügge, Annual Report, o. D., in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 5. 172 Vgl. Brief von E. Flügge an H. Schumacher, 12. März 1926, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 1. E. Flügge, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany.

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die Automobilindustrie zu wählen173. Sie folgte dem Rat, auch wenn Größe, Bedeutung und schnelle Entwicklung der Industrie es ihr zweifelhaft erscheinen ließen, ob nützliche Ergebnisse bereits erarbeitet werden könnten174. Flügge ging das statistische Material des U.S. Census durch, nahm Kontakt zum National Automobile Chamber of Commerce in New York auf und erbat Informationen von verschiedenen Automobilfirmen. Beim Erstellen einer Bibliographie bemerkte sie, dass ihr Thema noch weitgehend unerforscht war. Die nützlichsten Informationen fand sie in den Zeitschriften „Automotive Industries“ und „Motor Age“ sowie in L. P. Ayres Studie „The Automobile Industry and Its Future“ (1921)175. Von Schumacher, der sie besonders förderte, erhielt sie Emil Honermeiers Werk „Die Ford Motor Company. Ihre Organisation und ihre Methoden“ (1926), ihrer Meinung nach das Beste, das sie bisher über Ford gelesen habe176. Schumacher teilte sie Mitte September mit, ihr ginge es „nach wie vor ganz unbeschreiblich gut, und mit jedem Tag geniesse [sie] das interessante Leben hier und die Arbeit mehr“177. Flügge wurde bewusst, dass der Erfolg ihrer Arbeit von den Informationen, die sie von den Automobilfirmen selbst erhielt, abhängig war178. Sie stattete sich deshalb mit „möglichst vielen Einführungsbriefen“ aus, sah aber „trotzdem der Sache recht zaghaft entgegen“179. Im August 1926 zog sie nach Detroit und besuchte von dort aus verschiedene Unternehmen180. So arbeitete sie in mehreren Abteilungen der General Motors Corporation, wo man ihr „sehr entgegengekommen“ sei und „viel Hilfe und Interesse gezeigt“ habe. Bei Ford erfuhr sie hingegen nicht viel mehr als „was die Ford’schen Propagandaschriften bringen“. Auch Firmen mittlerer Größe wie Studebaker, die Chrysler Corporation und die Packard Company besuchte sie. „Manche der Herren waren ganz mitteilsam, und ich habe einen stattlichen InterviewKasten zusammen“181. Mit persönlich gehaltenen Einführungsschreiben sei es in den 173 Vgl. Brief von E. Flügge an H. Schumacher, 12. März 1926, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 1. 174 Brief von E.  Flügge an L.  K.  Frank, 14.  Mai 1926, in LB Oldenburg, NL H.  Schumacher, HS 362.2360, Blatt 2. 175 Vgl. ebd. 176 Vgl. Brief von E. Flügge an H. Schumacher, 19. Mai 1926, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 3. 177 Brief von E. Flügge an H. Schumacher, 14. September 1926, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 4. 178 Vgl. E. Flügge, Annual Report, o. D., in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 5. 179 Auszug aus einem Bericht von E. Flügge, 3. Februar 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 180 Vgl. E. Flügge, Annual Report, o. D., in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 5. 181 Brief von E. Flügge an H. Schumacher, 14. September 1926, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 4.

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USA „lange nicht so schwierig, Auskunft von Firmen zu erhalten, als es bei uns in Deutschland ist“, wobei manchmal bei der Zuverlässigkeit der Informationen Skepsis geboten sei, schrieb sie Fehling182. Sie entschied sich, ihr Material für eine „allgemeine Monographie“ zu verwenden, da man in Deutschland „mit der allgemeinen Struktur dieser Industrie weniger vertraut“ sei. Die Automobilindustrie sei in eine neue Nachfrageperiode eingetreten, so ihre Ausgangsthese, „in der der Ersatz verbrauchter Automobile ausschlaggebender ist als der Zustrom neuer Käufer“183. Diese Marktstabilisierung betreffe besonders billige Autos, die einer verschärften Konkurrenz durch „second hand cars“ ausgesetzt seien. An die Stelle von Preisreduktionen werde ein „sich auf sorgfältigste Analyse der Marktmöglichkeiten stützender Kampf um den Absatz treten“184, prophezeite sie. Von Detroit reiste sie über Cleveland, Buffalo und Pittsburgh nach Washington, wo sie in der Robert S. Brookings School wohnte. Sie besuchte verschiedene Regierungsstellen, das Bureau of the Census, die Federal Trade Commission und das Automobile Chamber of Commerce. Das Bureau of Public Roads überließ ihr Materialien zu „Highway Economics and on registration of cars“185. „In Washington ist man so auf ‚research worker‘ aller Art eingestellt, dass die Behörden einem die Arbeit sehr erleichtern“186, schrieb sie Fehling. Über Harvard reiste sie im November nach New York, wo sie die Statistiken des dortigen Automobile Chamber of Commerce konsultierte187 und an der „World’s Motor Conference“ teilnahm. Sie begann mit der Verschriftlichung ihrer Forschungsergebnisse. „New York ist ja nun ganz fabelhaft“, schrieb sie, „und ich geniesse das Leben und Treiben, die Theater und Konzerte sehr. – Washington wirkt ja, obwohl es die Hauptstadt ist, gegenüber New-York sehr still und fast ein bisschen leblos“. Verglichen mit Chicago wirke New York allerdings „fast noch nicht als Amerika, mit seinem unendlichen Völkergemisch, seiner differenzierteren Denkweise und seiner mehr weltgültigen Kultur“. Sie sei recht froh, zuerst den Mittelwesten kennengelernt zu haben.

182 Auszug aus einem Bericht von E. Flügge, 3. Februar 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 183 Brief von E. Flügge an H. Schumacher, 14. September 1926, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 4. 184 E. Flügge, Die Automobil-Industrie der Vereinigten Staaten (Gliederung), o. D., in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 4, Anl. 1. 185 E. Flügge, Annual Report, o. D., in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 5. 186 Auszug aus einem Bericht von E. Flügge, 3. Februar 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 187 Vgl. E. Flügge, Annual Report, o. D., in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 5.

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Wenn ich meine Universitätseindrücke zusammenfasse, so würde ich wohl unbedingt Harvard an die Spitze stellen, allerdings hauptsächlich A. Young’s wegen, der ja nun aber für drei Jahre nach London geht. Dann Columbia – Seligmann zeigt viel freundliches Interesse für die fremden Studenten, das ist auch angenehm –, dann die Brookings School, die ja noch sehr im Versuchsstadium ist, und zuletzt Chicago. Geht man mehr nach allgemeinen Eindrücken des Landes, dann würde ich allerdings Chicago voranstellen; etwas wirtschaftlich Interessanteres als Chicago kann es fast nicht geben188.

Ihre Sommerreise unternahm Flügge 1927 mit dem Ehepaar Burns, das sie an der LSE kennengelernt hatte. Auch Andreas Predöhl, der mit Otto Vossler und Oskar Morgenstern reiste, hätte die Stipendiatin gerne in seine Reisegruppe aufgenommen, doch schienen ihm „die hierzulande herrschenden Sitten“189 dieses nicht zu erlauben. Flügge berichtete Fehling: Es gibt ja diesen Sommer eine ganze Völkerwanderung von Laura Spelman-Leuten nach Westen; ich allein weiss von ungefähr dreissig, die etwa zur gleichen Zeit, teils im Auto, teils mit der Bahn, nach Westen gehen. Das wird gewiss viele lustige Begegnungen geben190.

Für Juli 1927 verabredeten sich die LSRM-Stipendiaten in San Francisco zu einer „Rockefeller-Konvention“, „wo dann alle die Reiseerfahrungen besprochen werden sollen“. Flügge und ihre Begleiter planten, „durch die kanadischen Rockies bis nach Vancouver hinauf “ zu fahren, „dann langsam der Küste entlang bis hinunter nach San Diego und über den Grand Canyon zurück“191. Während des zweiten Stipendienjahrs forcierte Flügge die Arbeit an ihrer Habilitation an der Berliner Universität. Diese dürfte auf keine Schwierigkeiten stoßen, teilte Schumacher ihr mit. Folgenden Absatz zu ihren Berufsaussichten als Wissenschaftlerin hatte er in seinem Briefentwurf durchgestrichen, Flügges Antwort lässt aber vermuten, dass er ihr ähnliche Überlegungen mitteilte: Sie werden auch damit rechnen können als Privatdozentin, spätestens nach dem Ablauf von 6  Jahren, den Professortitel zu erhalten. Aber ich kann mir einstweilen nicht vorstellen, dass eine Dame auf ein Ordinariat in der Volkswirtschaftslehre berufen werden

188 Auszug aus einem Bericht von E. Flügge, 3. Februar 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 189 Brief von A. Predöhl an A. W. Fehling, 16. Juni 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 190 Auszug aus einem Bericht von E. Flügge, 3. Februar 1927, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 191 Brief von E. Flügge an A. W. Fehling, 5. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12.

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wird. Da setzen meiner Ansicht nach die eigentlichen Schwierigkeiten und Bedenken in Deutschland ein; in den Vereinigten Staaten sind sie geringer. Die Stellung der Frau im Universitätswesen ist viel gefesteter und natürlicher192.

Er riet Flügge, eine Dozententätigkeit in den USA nicht auszuschlagen. „Wir haben auch vom deutschen Standpunkt aus ein starkes Interesse daran, dass an einer der führenden amerikanischen Universitäten eine deutsche Lehrkraft wirksam ist“. Auf Dauer könne sie „unter den gegebenen Verhältnissen in den Vereinigten Staaten eine grössere Befriedigung finden“193. Dieser Ratschlag lief den Bestimmungen des Stipendienplans und Fehlings Bemühungen zuwider, die Stipendiaten zur Rückkehr zu bewegen. Schumacher stellte hier die berufliche Karriere seines Schützlings über die Ziele des Stipendienprogramms. Flügge lehnte Schumachers Vorschlag ab, da die Situation in den USA, soweit „ein ‚Weiterkommen‘ in Frage steht, nicht viel günstiger“ sei: Ein Ordinariat ist bisher in unserem Fach – abgesehen von Women’s College und kleinen Nebenabteilungen der Universitäten, wie home economics, social service und dergl.,– nicht erreicht worden und wird auch kaum erreicht werden. Was mir offen stände, wäre die Stellung eines ‚instructors‘, der ja dem eigentlichen Lehrkörper noch nicht angehört. Ich werde eine solche Stelle wohl einer deutschen nicht-akademischen Tätigkeit vorziehen, keinesfalls aber einer Dozentur in Deutschland, obwohl ich mir ganz klar darüber bin, dass ein ‚Weiterkommen‘ in Deutschland ausser Frage steht194.

Schumacher hielt das von Flügge eingereichte Manuskript für die Habilitation noch nicht für ausreichend, sodass Flügge ihr drittes Stipendienjahr für Verbesserungen nutzen musste. „Das Einzige, was mich recht bedrückt, ist, daß ich nach zwei so ungestörten und guten Arbeitsjahren kein besseres Resultat liefern konnte“195, teilte sie ihm mit. Im Sommer 1928 war sie „nicht recht in ‚Stimmung‘, die Arbeit ging so langsam und mühsam“ und mit den Ergebnissen war sie „nicht recht zufrieden“. Auch kam das „Ende der Schlaraffenlandzeit ja nun deutlich in Sicht“196. Sie lebte in Cam-

192 Brief von H. Schumacher an E. Flügge, 16. März 1927, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 7. 193 Ebd. 194 Brief von E. Flügge an H. Schumacher, 16. April 1927, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 8. 195 Brief von E. Flügge an H. Schumacher, 20. April 1928, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 12. 196 Brief von E. Flügge an A. W. Fehling, 24. Juli 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16.

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bridge, wo sie ihren zukünftigen Ehemann, den Stipendiaten Heinz von Trützschler, kennenlernte197. Am Ende ihrer Stipendienzeit wurde sie von dem Wirtschaftswissenschaftler Leon C. Marshall gebeten, ihn für sechs Monate an die Johns Hopkins University zu begleiten und beim Aufbau eines Instituts für Wirtschaftsrecht zu unterstützen. Er plante größere Studien, die Flügge mit „einer kleinen Arbeit über die Unternehmertypen der Automobilindustrie einleiten“ sollte. Nachdem Day, Schumacher und Fehling ihr Einverständnis gegeben hatten, sagte sie zu. Sie wollte die Gelegenheit nutzen, um ihre Habilitationsschrift in Baltimore noch einmal durchzuarbeiten und mit den dortigen Wissenschaftlern zu besprechen, befürchtete aber, dass ihre Monographie zur Automobilindustrie „auch nach mehrfachem Umarbeiten zur Habilitation nicht geeignet“ sei198. Im Unterschied dazu wurde ihr Stipendium allseits als voller Erfolg angesehen und ihre Berichte als „besonders erfreulich“199 beurteilt. Ihre Mitstipendiaten fanden, „Fräulein Flügge leistet der Stipendiensache unschätzbare Dienste“200 und Van Sickle bezeichnete sie als „a most intelligent, attractive person“201 mit guten Karriereperspektiven. Zurück in Deutschland geriet sie durch gesundheitliche Probleme in finanzielle Schwierigkeiten. Zusätzlich zu ihrer Arbeit als Sekretärin des Deutschen Komitees für geistige Zusammenarbeit musste sie Nebentätigkeiten annehmen, um Schulden abzubezahlen. Ihre Habilitationspläne verschoben sich ein weiteres Mal. Sie habe eine fertige Arbeit aus den USA mitgebracht, deren „Wert sich, je mehr sie an Aktualität verliert, verringert“, so Fehling, doch tue Schumacher alles, „was in seinen Kräften“ stehe202. Flügge wurde im Sommer 1931 an der Universität Berlin mit ihrer Arbeit zur Automobilindustrie für das Fach der Staatswissenschaften habilitiert. Im Vorwort der Veröffentlichung erwähnte sie ihr LSRM-Stipendium und dankte besonders Schumacher für seinen Rat203. Im gleichen Jahr heiratete sie Heinz von Trützschler204 („the first German interfellow marriage“, so Fehling). Als von Trützschler 1936 als Vize-Konsul 197 Vgl. ebd. 198 Brief von E. Flügge an H. Schumacher, 3. Dezember 1928, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2360, Blatt 15. 199 Brief von A. Mendelssohn Bartholdy an A. W. Fehling, 19. Juli 1927 in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 200 Brief von A. Predöhl an A. W. Fehling, 12. Mai 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 201 J. Van Sickle, Diary, 11. Januar 1931, in RAC-RF, RG 12.1, Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 2. 202 A.  W.  Fehling, Dokument ohne Titel zur finanziellen Situation von E.  Flügge, o.  D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 203 Vgl. Flügge, Eva, Die Automobilindustrie der Vereinigten Staaten, Jena, 1931, S. VI. Eva Flügge hatte 1929 bereits einen Zeitschriftenaufsatz veröffentlicht. Flügge, Eva, Possibilities and Problems of Integration in the Automobile Industry, in Journal of Political Economy 37 (1929), S. 150–174. 204 Vgl. H. Trützschler, Vermählungsanzeige, August 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26.

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nach Genf versetzt wurde, folgte sie ihm in die Schweiz. An der Berliner Universität bat sie für das Wintersemester 1935/36 um Beurlaubung und ein Jahr später um ihr Ausscheiden205. Sie starb nach Informationen von Heberle im Zweiten Weltkrieg an einer Lungenentzündung: „And yet it makes me very sad to think that she might be alive and among us if Heinz had been willing to go into exile“206, so Heberle. Eva Flügge wurde durch das LSRM-Stipendium die Habilitation und damit ein entscheidender Karriereschritt ermöglicht. Ihr Forschungsprojekt entsprach den Rockefeller Zielsetzungen durch den Gegenwartsbezug und die empirische Ausrichtung genau, ihre Erfahrungen im Gastland, mit Ausnahme der Schaffenskrise im Sommer 1928, waren sehr positiv. Die geringen Karriereaussichten für Frauen im deutschen Universitätssystem und ihre Entscheidung für den Umzug nach Genf führten dazu, dass sie ihre in den USA erworbenen Kenntnisse nur kurze Zeit an die Berliner Studenten weitervermitteln konnte. Rudolf Heberle und die Chicagoer Soziologie

Der 1896 in Lübeck geborene Rudolf Heberle studierte Nationalökonomie und Rechtswissenschaft in Göttingen, Freiburg, Marburg und Kiel und promovierte 1923 bei Bernhard Harms mit einer Arbeit zur Geschichte der schwedischen Arbeiterbewegung. In dieser und weiteren Studien griff er auf die Grundbegriffe des Soziologen Ferdinand Tönnies zurück, dessen Tochter Franziska er heiratete207. Zur Zeit seiner Bewerbung als Fellow war Heberle Assistent von Fritz Karl Mann am Staatswissenschaftlichen Seminar der Universität Königsberg und Repetent am Institut für Ostdeutsche Wirtschaft in Königsberg208. „[V]on einem Aufenthalt in den Vereinigten Staaten mit ihren ganz eigenartigen sozialen Problemen verspreche ich mir eine große Bereicherung meiner empirischen Kenntnis des sozialen Lebens und mannigfache Anregungen für meine soziologischen Studien“209, begründete er seinen Antrag. Im Juni 1926 reichte Heberle eine Studie über das Deutschtum in Litauen an der Universität Königsberg als Habilitationsschrift ein210. Er bat Fehling um die Erlaubnis, aus London zurück nach Königsberg zu reisen, um die Probe- und Antrittsvor205 Vgl. Vogt, Von Fleiß und Sachverstand, S. 181. 206 Briefe von R.  Heberle an A.  Vagts, 14.  März 1946 und September 1946, in BAK, NL 1269 A. Vagts, Nr. 12. 207 Vgl. Siegfried, Detlef, Das radikale Milieu: Kieler Novemberrevolution, Sozialwissenschaft und Linksradikalismus 1917–1922, Wiesbaden, 2004, S. 68. 208 Vgl. A.  W.  Fehling, Bericht über die bisher eingegangenen Stipendienanträge, o.  D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9, S. 1. 209 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 7. Oktober 1925, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 8. 210 Er veröffentlichte die Studie 1927: Heberle, Rudolf, Die Deutschen in Litauen, Stuttgart, 1927.

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lesung zu halten211. Nach Rücksprache mit Schmidt-Ott lehnte Fehling dies jedoch aufgrund der „Erfahrungen des letzten Jahres und [den] klaren Richtlinien des Memorials“212 ab. Als Fritz Karl Mann ihn über Bedenken formaler Art bezüglich der Habilitation an der Universität informierte, zog Heberle seinen Habilitationsantrag zurück. Für die Zeit nach dem Stipendium setzte er seine beruflichen Hoffnungen nicht mehr auf die Universität Königsberg, sondern auf das Weltwirtschaftsinstitut in Kiel213. Während seines Londonaufenthalts von September bis Dezember 1926 las Heberle sich in die englische und amerikanische soziologische Literatur ein214. Graham Wallas von der London School of Economics riet ihm, ein weniger „akademisches“ Thema als die Geschichte und Methoden der amerikanischen Soziologie auszuwählen215. So teilte Heberle dem Memorial nach der Ankunft die Änderung seiner Forschungspläne mit, ohne sich bereits auf ein neues Thema festzulegen. Lawrence K. Frank zeigte sich verständnisvoll: „He thought, in fact, every European fellow who did not change his plans should be shipped back“216. Seinen Amerikaaufenthalt begann Heberle in Chicago, um die dortige, empirisch ausgerichtete Soziologie kennenzulernen. Heute wird die Zwischenkriegszeit als das goldene Zeitalter der Chicagoer Soziologie bezeichnet, in dem zum ersten Mal kollektive und interdisziplinäre soziologische Forschungsprogramme mit „extramural research funds“, darunter hohe Beträge des LSRM, durchgeführt wurden, die auch nichtakademische Mitarbeiter in den Forschungsprozess einbezogen217. Chicago entwickelte sich zum führenden Zentrum der empirischen soziologischen Forschung, die Stadt selbst wurde zum wichtigsten Untersuchungsobjekt218. Die Chicagoer Auffassung „von dem was soziologische Forschung leisten soll“ ähnelte Heberles Meinung nach der deutschen Soziologie, „soweit sie durch M. Weber, Simmel und v. Wiese repräsentiert wird“219. Die Amerikaner, so stellte er fest, betonten allerdings stärker die „statistische Fundamentierung“, außerdem fehle der philosophische Ein211 Vgl. Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 2. Juli 1926, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2244, Blatt 1. 212 Brief von A.  W.  Fehling an R.  Heberle, 9.  Juli 1926, in LB Oldenburg, NL H.  Schumacher, HS 362.2244, Blatt 2. 213 Vgl. Waßner, Rudolf Heberle, S. 29, 38. 214 Vgl. R. Heberle, Report covering the first year of fellowship 1926–1927, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13, S. 3–6. 215 Vgl. Heberle, Reminiscences of a Sociologist, S. 135. 216 Ebd. 217 Vgl. Turner, Jonathan H., The Mixed Legacy of the Chicago School of Sociology, in Sociological Perspectives 31 (1988), S. 329–331. 218 Vgl. Bulmer, The Chicago School, S. 3–4. 219 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 25. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. Während Simmel in den USA rezipiert wurde, blieb das Werk Webers lange unbekannt. Siehe

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schlag. Die „Vermengung von Soziologie und sozialreformerischen Bestrebungen, die sonst so typisch ist“220, finde man in Chicago nicht. Später erinnerte sich Heberle an die Schwierigkeiten, die Chicagoer empirischen Studien und seine eigenen soziologischen Konzeptionen zusammenzuführen221. Als Helen und Robert Lynd ihm ihre stadtsoziologische Studie „Middletown“ über die Stadt Muncie in Indiana im Manuskript zu lesen gaben, erklärte Heberle den Autoren, dass dem Buch „eine theoretische Ausrichtung und Vertiefung, etwa durch Bezugnahme auf Tönnies’ bekanntes Werk oder auf Weber [..] gut tun würde“222. Ein engerer Kontakt mit dem Ehepaar Lynd kam nach dieser Kritik nicht zustande. Mit Interesse verfolgte Heberle die Arbeiten zum politischen System der USA und den amerikanischen Parteien des Chicagoer Politikwissenschaftlers Charles E. Merriam223, „da es bei uns soviel ich weiß derartige ‚statistische‘ Studien der politischen Maschinerie noch kaum gibt“224. Während seiner Sommerreise zur Westküste zeigte sich der Fellow beeindruckt von den kulturellen und ökonomischen Gegensätzen der USA und beschloss diese „kulturellen ‚Sections‘ näher zu bestimmen und die Veränderungen ihres sozialen Gefüges infolge der Umschichtung der Industrie“225 zu seinem Forschungsthema zu machen. Doch zwei Monate später änderte er seine Pläne erneut, um sich „auf eine Studie über die Beweglichkeit der Bevölkerung zu beschränken“ und „Bevölkerungsbewegungen im Sinne der Statistiker plus sozialer Auf- bzw. Abstieg“226 zu untersuchen. Die Idee sei ihm gekommen, als er bemerkt habe, dass viele Amerikaner, wenn er sie fragte, wo ihr „home“ sei, eine lange Geschichte migratorischer Mobilität erzählten227. Heberle diskutierte die Idee mit Professoren in Berkeley, Seattle und Chicago und

Kivisto, Peter; Sawtos, William H., Weber and Interpretative Sociology in America, in The Sociological Quarterly 31 (1990), S. 151–152. 220 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 25. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 221 „When I saw what was going on in Chicago under Robert E. Park and elsewhere in the way of empirical research, I had difficulty fitting these studies into my conception of sociology. For, sociology in Germany at that time meant the works of men like Simmel, Toennies, Max Weber, von Wiese and Vierkandt – a general theory of social structures and processes and its application mainly to ‚macrosociological‘ problems“. Heberle, In Praise of Field Work, S. 105. 222 Heberle, Soziologische Lehr- und Wanderjahre, S. 203. 223 Merriam leitete die politikwissenschaftliche Abteilung von 1923 bis 1940. Vgl. Heaney, Michael T.; Hansen, John Mark, Building the Chicago School, in The American Political Science Review 100 (2006), S. 589. 224 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 25. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 225 Ebd. 226 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 13. August 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 227 Vgl. Heberle, Reminiscences of a Sociologist, S. 135.

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rezensierte Pitirim Sorokins Buch „Social Mobility“228. Am Ende des ersten Stipendienjahres standen seine Pläne fest: My idea is, briefly, to analyze the different ‚types‘ of migrations within the U.S., to describe those conditions, which favor the mobility of population, further so show the importance of this type of social mobility for the American economic body, and finally its interrelation with certain ‚social’ phaenomena which may be regarded as typical for American society229.

Heberle führte Gespräche mit Wissenschaftlern, Geschäftsleuten, Arbeitern, Politikern, Journalisten und, wie er im Rückblick nicht ohne Stolz vermerkte, einem „Justice of the Supreme Court“230. In Washington, wohin er mit seiner inzwischen nachgereisten Familie231 zog, arbeitete er in der Library of Congress232. Den Winter verbrachte er mit der Materialsammlung und der Verschriftlichung einer englischsprachigen Abhandlung. Er habe bei der „‚Deutung‘ gewisser Erscheinungen in der amerikanischen Gesellschaft“ die „Tönnie’sche Theorie angewandt“ und glaube nun, über das „was die Amerikaner bisher getan haben, hinausgegangen zu sein“. Der ökonomische Teil der Arbeit sollte auf Bestandteilen „der Alfred Weber’schen Industriellen Standortlehre“ beruhen. Schwierig fand er, die „spezifisch amerikanischen von den allgemeinen Zügen der modernen Gesellschaft zu scheiden“233. Als Heberle sich für den Abschluss der Arbeit um ein drittes Stipendienjahr bewarb, hatte das LSRM sich soeben für eine straffere Verwaltungspraxis entschieden234. Auf Nachfrage konnte Heberle keine amerikanischen Professoren nennen, mit denen er enger zusammengearbeitet hatte. Day gewann den Eindruck, dass bei der Breite des Themas selbst ein volles Jahr nicht ausreichen würde, während Heberle betonte, dass er nicht alle Aspekte der Frage behandeln, sondern seinen theoretischen Ansatz nur an einigen Stellen durch historische und statistische Studien überprüfen 228 Vgl. Heberle, Rudolf, Review: Social Mobility by Pitirim Sorokin, in American Journal of Sociology 34 (1928), S. 219–225. Er kritisierte zwar Sorokins Definition von „Social Mobility“ als zu weit, doch brachte ihm die Rezension nach eigener Aussage die Sympathie und den Respekt des Autors ein. Siehe Heberle, Reminiscences of a Sociologist, S. 135. 229 R.  Heberle, Report covering the first year of fellowship 1926–1927, o.  D., in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 13, S. 3–6. 230 Vgl. Heberle, Soziologische Lehr- und Wanderjahre, S. 204. 231 Vgl. Waßner, Rudolf Heberle, S. 38. 232 Vgl. Brief von R. Heberle an E. E. Day, 12. Dezember 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 233 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 10. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 234 Vgl. Brief von A. W. Fehling an R. Heberle, 28. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15.

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wolle235. Die Feldforschung stände nicht im Vordergrund seines Projekts236, sondern die Anwendung der Theorien Ferdinand Tönnies und Alfred Webers auf das amerikanische Untersuchungsobjekt. In einem ersten, induktiven Teil stellte er Formen und Ausmaß von Mobilität dar, im zweiten, deduktiven Teil beschrieb er die Auswirkungen auf die Struktur der Gesellschaft und soziale Organisationen237. Days Ablehnung eines dritten Stipendienjahrs führte zu einer intensiven Diskussion im Deutschen Komitee. Fehling wusste nicht, ob im LSRM „Bedenken dem Einzelfall gegenüber“ vorlagen, hatte aber das Gefühl, „daß dem Memorial Dr. Heberles Arbeitsrichtung nicht sehr liegt und man meint, er hätte bis zur Inangriffnahme einer bestimmten Arbeit“ zu lange gewartet. Fehling selbst war der Meinung, der Stipendiat habe seine Arbeit mit „Ernst und Gründlichkeit“ aufgenommen238. Mendelssohn Bartholdy hielt Heberles Plan für „sachlich gut“, übertrug Fehling aber seine Stimme, der aufgrund seiner „Pariser und amerikanischen Verhandlungen ein besseres Urteil“239 habe. Auf Schumacher hatte Heberles Bericht „an sich keinen ungünstigen Eindruck“ gemacht, doch war er der Ansicht, dass ein drittes Jahr nicht zur Regel werden dürfe. Da Heberles Pläne sich auch in Deutschland umsetzen ließen, und es „nicht ganz sicher sei“, ob „Nennenswertes aus seiner Arbeit herauskommt“, sprach er sich dafür aus, für das dritte Jahr einen anderen Stipendiaten vorzuschlagen240. Oncken vermutete, das LSRM habe Kritik an Heberles Arbeit und schlug eine Ablehnung des Verlängerungsantrags vor241. Schließlich übermittelte Fehling dem LSRM, das Komitee befürworte eine Verlängerung um einige Monate242. Heberle erhielt eine sechsmonatige Verlängerung243 und verbrachte seine restliche Stipendienzeit bis Februar 1929 an der Harvard University und in Washington244. Zur amerikanischen Soziologie entwickelte er während der zweieinhalb Jahre eine geteilte Meinung. Wirtschaftliche und rechtliche Faktoren würden vernachlässigt, dafür soziopsychologische Betrachtungsweisen betont. Er konstatierte eine „striking weakness of, an even hostility to, theory“. Die Forschung fände im Rahmen der 235 Vgl. Brief von R. Heberle an E. E. Day, 29. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 236 Vgl. Heberle, In Praise of Field Work, S. 108. 237 Vgl. R. Heberle, Annual Report 1928, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 238 Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 27. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 239 Brief von A.  Mendelssohn Bartholdy an A.  W.  Fehling, 30.  April 1928, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 240 Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 2. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 241 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an H.  Oncken, 14.  Mai 1928, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 15. 242 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 8. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 243 Vgl. Brief von A. W. Fehling an R. Heberle, 4. Juli 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 244 Vgl. R. Heberle, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany.

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gesellschaftlichen Ordnung statt, die nicht in Frage gestellt würde. Gemeinsamkeiten zu Tönnies und seinen Schülern sah er in den lebensnahen Forschungen der Chicagoer Schule, die der „Soziographie“ Tönnies ‘ entsprächen245. Eine Überbewertung der amerikanischen Leistungen lehnte Heberle ab. Zwar sei es gewiss imponierend, was alles da drüben unternommen wird, und angesichts des Ueberflusses an methodologischen und theoretischen Erörterungen bei uns, an denen teilzunehmen doch eben nicht Jeder berufen ist, ist das ‘rangehen an die ‚Tatsachen‘ des sozialen Lebens bei den Amerikanern erfrischend, aber es scheint mir mit wissenschaftlicher Objektivität nicht vereinbar, wenn man verschweigt, wieviel Mißgriffe dabei vorkommen und wie schlecht so häufig die methodische Fundierung ist246.

Chicago empfahl er den soziologischen Fellows als Ausgangspunkt, trotz „allem, was sich gegen Ogburn und Burgess als Soziologen sagen lässt“. Die Fellows könnten dort eine „lebendige Anschauung sozialer Probleme des Landes“ erhalten. Für sich selbst hielt er als Ergebnis der Stipendienzeit eine „Bereicherung [s]einer Anschauung des Sozialen Lebens und eine allgemeine intellektuelle ‚Auflockerung‘ durch den Kontakt mit anderen Denk- und Arbeitsweisen und neuen Problemen“247 fest. Heberle brachte eine fast fertige Studie zur amerikanischen Mobilität mit nach Deutschland, die er 1929 unter dem Titel „Über die Mobilität der Bevölkerung der Vereinigten Staaten“248 veröffentlichte und als Habilitationsschrift an der Universität Kiel einreichte249. Da es dort noch keine Professur für Soziologie gab, wurde er von einem Komitee aus Historikern, Philosophen, Geographen und Nationalökonomen geprüft und zum Privatdozenten ernannt, unbezahlt und ohne Lehrauftrag250. Auf Vermittlung Fehlings erhielt er von Juli 1930 bis März 1931 eine Beihilfe der RF von 400 Dollar251. Als er im Dezember 1930 einen Lehrauftrag erhielt, konnte er seine amerikanischen Erfahrungen nutzen: Er hielt eine Vorlesung zur „Empirischen Soziologie“ und Übungen zu politischen Parteien. Für das Sommersemester kündigte er an, in einem Seminar über „Wanderzüge“ arbeiten zu wollen. 1931 plante er weitere Forschungen über „Vorgänge der sozialen Auslese und Anpassung und der ‚Sozialen 245 Vgl. Heberle, Reminiscences of a Sociologist, S. 136. 246 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 11. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 247 Ebd. 248 Heberle, Rudolf, Über die Mobilität der Bevölkerung in den Vereinigten Staaten, Jena, 1929, S. 137. 249 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 31. Oktober 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 250 Vgl. Heberle, Reminiscences of a Sociologist, S. 137. 251 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an H.  Heberle, 15.  Juni 1930, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 22.

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Mobilität‘ im engeren Sinne“ im Rahmen von „Auswanderung und Binnenwanderung“252. Kurz darauf wandte er sich von den teuren und zeitintensiven Mobilitätsstudien ab und dem „Gebiet der Parteisoziologie“ zu. Jetzt zogen ihn Probleme politischer Natur stärker an als die „verhältnismäßig politikfreien Wanderungsfragen“ und er verspürte ein „sehr lebhaftes Verlangen nach ‚field work‘“. Als Untersuchungsobjekt wählte er die „Ursachen und Bedeutung des Anschwellens der Nationalsozialistischen Bewegung“ in Schleswig-Holstein. Auch für dieses Thema kam ein wichtiger Anstoß aus den USA: Charles E. Merriam hatte Heberle in Chicago auf das Werk des französischen Soziologen André Siegfried „Tableau politique de la France de l’Ouest“ (1913) aufmerksam gemacht, das Heberle zum Vorbild nahm253. Zur Finanzierung der Studie wandte sich Heberle an die Notgemeinschaft und die RF254. Eine Besprechung mit Van Sickle in Kiel im Sommer 1932 dauerte zu Heberles Bedauern nur eine Viertelstunde, in der er seinen Wunsch zur Gründung eines soziologischen Seminars an der Kieler Universität ansprach und betonte, aus einer Verbindung amerikanischer Methoden und der Theorie Tönnies könne „etwas Besonderes“ entstehen. Auf Van Sickles Einwand, die RF könne leichter bestehende Einrichtungen unterstützen als neue ins Leben rufen, schlug Heberle vor, mit einer Förderung seiner parteisoziologischen Untersuchungen zu beginnen und später weitere Mittel für andere Projekte zur Verfügung zu stellen255. Kittredge fragte Fehling, ob die Notgemeinschaft die Institutspläne finanziell unterstütze256, doch Fehling verwies auf die Richtlinien, die nur die Förderung von Forschungsprojekten erlaubten257. Von der Notgemeinschaft erhielt Heberle schließlich 1000 RM für seine Parteienstudie und die RF bewilligte im November 1932 eine Zuwendung von 900 Dollar für „assistance and material“258. Ab 1934 wurde der ehemalige Fellow im Rahmen von Predöhls wirtschaftswissenschaftlichem Forschungsprogramm am Weltwirtschaftsinstitut durch weitere „grants“ der RF unterstützt259.

252 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 3. Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 253 Vgl. Heberle, Reminiscences of a Sociologist, S. 137. 254 Vgl. Brief von A. W. Fehling an R. Heberle, 3. Juni 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 255 Vgl. Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 11. Juli 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 256 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 16. August 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 257 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 20. August 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 258 Brief von T. B. Kittredge an R. Heberle, 12. November 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. 259 Vgl. Aufstellung der Bewilligungen und Kontakte, Kiel, Institut fuer Weltwirtschaft, o. D. [1936], in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 182, S. 10.

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Heberle, der die völkische Bewegung schon früh in anonymen Artikeln kritisiert hatte260, hatte zum Zeitpunkt der NS-Machtübernahme soeben Hans Gerth, einen Schüler Mannheims, als Assistenten eingestellt und im Rahmen seiner Untersuchung der nationalsozialistischen Bewegung in Schleswig-Holstein mit Interviews von Politikern und „Landeskennern“ begonnen. Er führte die Untersuchungen auch nach Januar 1933 fort. Das Manuskript wurde im Herbst 1934 fertig261, konnte in Deutschland jedoch nicht mehr veröffentlicht werden. Eine Zusammenfassung erschien in der volkskundlichen Zeitschrift „Volksspiegel“, später publizierte Heberle zwei englischsprachige Aufsätze262. 1945 erschien eine stark gekürzte Fassung unter dem Titel „From Democracy to Nazism“263. Erst 1963 wurde die Studie auf Deutsch unter dem Titel „Landbevölkerung und Nationalsozialismus. Eine soziologische Untersuchung der politischen Willensbildung in Schleswig-Holstein 1918–1932“ veröffentlicht264. Heberle hatte im Sommer 1933 die Möglichkeit zur Emigration265, entschloss sich jedoch dagegen und blieb an der Universität Kiel266. Er trat, wie er später betonte auf Druck der Universität, der SA bei267 und wandte sich erneut den unpolitischeren Mobilitätsstudien zu, die er auch für seine Lehrveranstaltungen als unproblematisches Feld ansah. 1937 veröffentlichte er mit Fritz Meyer ein mit RF- und Notgemeinschaftsgeldern gefördertes Buch „Die Großstädte im Strome der

260 Vgl. Schroeter, Zwischen Anpassung und Widerstand, S. 297. Schroeter betont, dass Heberle die Gefahr jedoch nicht in vollem Ausmaß erkannt habe und einige Bemerkungen auch auf ein gewisses Verständnis für die Bewegung hindeuten. Vgl. ebd., S. 298. 261 Zu einer Beschreibung der genutzten Interviewtechniken siehe Heberle, In Praise of Field Work, S. 109–110. Siehe auch Schroeter, Zwischen Anpassung und Widerstand, S. 299. 262 Heberle, Rudolf, The Political Movements Among the Rural People in Schleswig-Holstein, 1918 to 1932, in The Journal of Politics 5 (1943), S. 3–26, Heberle, Rudolf, The Ecology of Political Parties: A Study of Elections in Rural Communities in Schleswig-Holstein, 1918–1932, in American Sociological Review 9 (1944), S. 401–414. 263 Heberle, Rudolf, From Democracy to Nazism, Baton Rouge, 1945. 264 Heberle, Rudolf, Landbevölkerung und Nationalsozialismus. Eine soziologische Untersuchung der politischen Willensbildung in Schleswig-Holstein 1918–1932 (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 6), München, 1963, S. 7–8. 265 Vgl. Schroeter, Klaus  R., Kieler Soziologie im Nationalsozialismus. Akademisches Wirken im Spannungsfeld von Anpassung und Widerstand, in Cornelißen, Christoph; Mish, Carsten (Hgg.), Wissenschaft an der Grenze. Die Universität Kiel im Nationalsozialismus, Essen, 22010 (2009), S. 193 (Im Folgenden zitiert als Schroeter, Kieler Soziologie). 266 Vgl. Heberle, Rudolf, Zur Soziologie der nationalsozialistischen Revolution. Notizen aus dem Jahre 1934, in Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 13 (1965), S. 438. 267 Heberle argumentierte im Rückblick, dass im WS  1933/34 alle Privatdozenten vor die Wahl gestellt worden seien, entweder in die SA einzutreten oder aus der Universität ausgeschlossen zu werden. Der Eintritt in die SA sei auch als „Tarnung“ erfolgt. Vgl. Schroeter, Kieler Soziologie, S. 188, Fußnote 62.

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Binnenwanderung“268. Im Rahmen seiner Kooperation mit Dorothy Swaine Thomas und dem Science Research Committee on Migration Differentials verbrachte er 1937 einige Monate in den USA269. Auf der Rückreise berichtete er Van Sickle, dass er in Kiel für eine Professur vorgeschlagen worden sei270 und Details aus dem Familienstammbaum habe vorlegen müssen. Van Sickle notierte in sein „Diary“: „A recent letter from his wife, however, indicates that his situation has become serious. His great-grandmother was Jewish and this has been held against him“. Heberles Privatdozentenbeihilfe wurde gekürzt und zum 1. April 1938 eingestellt, sodass er eine neue Stelle suchen musste. Heberle glaube, so Van Sickle, einen „government research job“ finden zu können, doch: „Once a person is in this work, however, he becomes a custodian of state secrets and his chances of ever getting out of the country become very small indeed“. Heberle hoffe daher, dass sich durch seine Kontakte in den USA eine berufliche Möglichkeit ergebe271. Schließlich bekam Heberle eine Stelle an der Louisiana State University und emigrierte im Sommer 1938 mit seiner Familie in die USA272. Die RF übernahm die Hälfte seines Gehalts für die Jahre 1938/39 und 1939/40273. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs kehrte Heberle nicht nach Deutschland zurück274. Für Heberle stellte die Stipendienzeit grundlegende Weichen seiner wissenschaftlichen Karriere. Während seines Amerikaaufenthalts betrieb er Migrations- und Mobilitätsforschung und kam in Kontakt mit der amerikanischen Parteienforschung. Beide Forschungsfelder führte er nach seiner Rückkehr nach Deutschland fort und integrierte sie in seine Lehrtätigkeit. Seine Kenntnis der amerikanischen Soziologie 268 Heberle, Rudolf; Meyer, Fritz, Die Großstädte im Strome der Binnenwanderung. Wirtschaftsund bevölkerungswissenschaftliche Untersuchungen über Wanderung und Mobilität in deutschen Städten, Leipzig, 1937. 269 Vgl. Heberle, Reminiscences of a Sociologist, S. 139. 270 Einen ersten Antrag auf Ernennung zum Professor nahm der Rektor zurück, da Heberle im November 1936 von Studenten des Marxismus bezichtigt worden war. Er wurde zu einem Verhör durch den Dekan, den Rektor und den Dozentenbundführer vorgeladen. Vgl. Uhlig, Ralph; Schmatzler, Cornelia; Wieben, Matthias, Vertriebene Wissenschaftler der Christian-Alberts-Universität zu Kiel (CAU) nach 1933 (Kieler Werkstücke. Reihe A: Beiträge zur schleswig-holsteinischen und skandinavischen Geschichte 2), Frankfurt am Main, New York, 1991, S. 87–88 (Im Folgenden zitiert als Uhlig et al., Vertriebene Wissenschaftler). 271 J. Van Sickle, Diary, 26. November 1937, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1934– 1938. In der Forschungsliteratur wird hingegen ein im Sinne der NS-Gesetzgebung jüdischer Urgroßvater genannt. Vgl. Uhlig et al., Vertriebene Wissenschaftler, S. 88. 272 Vgl. Heberle, Reminiscences of a Sociologist, S. 139. 273 Vgl. Special Research Aid Fund, 25. Februar 1938, in RAC-RF, RG 1.1, Series 200.S, box 364, folder 4322. 274 Vgl. Wittebur, Klemens, Die Deutsche Soziologie im Exil, 1933–1945: Eine biographische Kartographie (Beiträge zur Geschichte der Soziologie 1), Münster, Hamburg, 1991, S. 29 (Im Folgenden zitiert als Wittebur, die Deutsche Soziologie im Exil).

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nutzte er auf dem 7. Deutschen Soziologentag 1930 in Berlin, um für die Verbindung von Theorie und Empirie zu werben: „Wir können von der amerikanischen Soziologie lernen in bezug auf die Problemstellungen und die Frische, mit der an brennende aktuelle Fragen herangegangen wird“, meinte er und schränkte ein: „Wir sehen aber zugleich, was dabei herauskommt, wenn man sich weder über das Erkenntnisobjekt noch das Verhältnis von Theorie und Empirie klar ist“275. Mit der RF verband Heberle ein langjähriger Kontakt, der zu mehreren Zuwendungen und zur Hilfe bei der Emigration führte. In einem englischsprachigen autobiographischen Artikel aus dem Jahr 1977, der auch der RF vorlag, bezeichnete Heberle den Aufenthalt in Chicago und die damit verbundenen Anregungen durch Park und Merriam als einen der bestimmenden Momente seiner wissenschaftlichen Laufbahn276. Erich Wohlfahrt und die amerikanische Eignungspsychologie

Erich Wohlfahrt gehörte zu den wenigen Psychologen, die ein Stipendium des LSRM oder der RF bekamen. 1898 in Leipzig geboren, nahm er als Freiwilliger am Ersten Weltkrieg teil und studierte anschließend Philosophie, Zeitungskunde, Literaturgeschichte und Naturwissenschaften in Leipzig und Heidelberg. 1925 promovierte er mit einer psychologischen Arbeit über den „Auffassungsvorgang an kleinen Gestalten“. Zum Zeitpunkt der Bewerbung um ein Stipendium war er als Assistent am Psychotechnischen Institut der Technischen Hochschule Dresden tätig277. Nach Beratung durch Fehling und das Deutsche Komitee gab er an, während seines Amerikaaufenthalts die Methoden des amerikanischen Behaviorismus kennenlernen und Fragestellungen aus dem Bereich der Sozialen Fürsorge bearbeiten zu wollen278. Er erreichte die USA im Dezember 1926. Sein erster Weg führte ihn von New York nach Philadelphia, wo er am Kongress der American Psychological Association teilnahm. Die Jahreskongresse seien zur ersten Orientierung „des frisch angekommenen Fellows“ geeignet, urteilte er, doch wissenschaftlich hätten sich „tiefer[e] Ein-

275 Heberle, Rudolf, Verhandlungen des siebten deutschen Soziologentages vom 28.  September bis 1. Oktober 1930 in Berlin, Tübingen, 1931, zitiert in Käsler, Dirk, Der Streit um die Bestimmung der Soziologie auf den Deutschen Soziologentagen 1910 bis 1930, in Lepsius, Mario Rainer (Hg.), Soziologie in Deutschland und Österreich 1918–1945. Materialien zur Entwicklung, Emigration und Wirkungsgeschichte, Opladen, 1981, S. 236. 276 Heberle, Reminiscences of a Sociologist, S. 140. Ein Exemplar des Artikels lag der RF vor, siehe Heberle, Reminiscences of a Sociologist, in RAC-RF, RG 1.1, Series 200 S, box 364, folder 4322. 277 Vgl. Wolfradt, Art. Erich Wohlfahrt, S. 488–489. 278 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. Wohlfahrt, 12. Mai 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9.

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sichten“ nicht ergeben279. Bis Mitte April 1927 blieb Wohlfahrt in New York und untersuchte, inwieweit die objektivistische Tendenz der amerikanischen Psychologie „sich in der Methodik des aktuellen psychologischen Experiments“280 äußerte. Besonders interessierte ihn das Gebiet „der Erforschung nicht intellektueller individueller Differenzen im Erwachsenen“. Im LSRM wurde er von Lawrence K. Frank beraten, der „die wertvollsten Direktiven“ gab und ihm die Lektüre „einiger Baende von unveroeffentlichten Rockefeller-Akten“ erlaubte. Die Benutzung der Bibliothek der Columbia University fand er mühselig, die Bücher seien „in oft groteskem Masse in Einzelbibliotheken aufgeteilt“. Auch sei es „in dem beispiellosen Massenbetrieb von Columbia ungewoehnlich schwer […], sich einer individuellen Behandlung oder gar jener kleinen Extrarechte zu versichern, die das Arbeiten so erleichtern“281. Für sein zweites Forschungsfeld, die amerikanische Eignungspsychologie, nahm er Kontakt mit verschiedenen Verbänden auf und besuchte industrielle und städtische Organisationen, die psychologische Ausleseverfahren benutzten. Er wollte herausfinden, „inwieweit man im Rahmen der existierenden Ausleseverfahren es fuer notwendig befunden (oder gewagt) haette, irgendwelche nichtintellektuellen dispositionellen Faktoren der Berufsanwaerter zu beruecksichtigen“. Dieser Frage ging Wohlfahrt auch auf einer dreiwöchigen Reise im Frühjahr 1927 nach, die ihn unter anderem an die University of Wisconsin führte. Über Don D. Lescohier erhielt er Kontakt zur Wisconsin Employment Managers Association, von der Wohlfahrt „viel Aufklaerung ueber die Anwendung psychologischer Ausleseverfahren in der dortigen Industrie“ erhielt282. Als Ergebnis seiner Nachforschungen hielt Wohlfahrt fest, dass von einer „irgendwie ernstzunehmenden Auslesepraxis etwa des Stiles, wie sie die deutsche Industrie teilweise selbstaendig, teilweise im Zusammenhang mit staedtischen Berufsberatungsstellen, entwickelt hat, […] in Amerika kaum die Rede“ sein könne. Wenn überhaupt, würden oft unspezifische Intelligenztests verwendet. Als besonders typisch erschien ihm eine Testreihe des Bureau of Public Personnel Administration, in der „Automobile Drivers, Cooks, Fire Fighters oder Vegetable Gardeners“ mit dem gleichen Testverfahren geprüft wurden. Auch die Erfolgskontrolle durch den Vergleich von Testergebnis und Bewährung im Beruf, die in Deutschland als „das endgueltige, wenn nicht einzige Kriterium fuer den adaequaten Aufbau eines Ausleseverfahrens anzusehen“ sei, gehe in den USA „selten ueber halbherzige Versuche hinaus“283. 279 Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 22. Dezember 1927, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2371, Blatt 2. 280 Ebd. 281 Ebd. 282 Ebd. 283 Ebd.

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Wohlfahrt entschied sich, seine Arbeit „auf interessante, noch im Laboratoriumsstadium befindliche Vorstoesse in das Gebiet des ‚Temperaments‘, ‚Charakters‘ usw.“ zu konzentrieren. Als neues Thema hielt er fest: „Methoden und Ergebnisse der experimentellen Forschung im Gebiet der ‚Persoenlichkeit‘ und ihre Anwendbarkeit fuer die Zwecke des Wirtschaftslebens“. Die Arbeit wollte er später als Habilitationsschrift einreichen. Das Angebot, nach einer schnellen Habilitation als erster Assistent unter Narziss Ach nach Göttingen zu gehen, lehnte er mit Hinweis auf die unerwünschten Folgen eines Abbruchs des Stipendiums für den Stipendienplan in Deutschland ab284. Nach seiner Sommerreise verbrachte Wohlfahrt den Herbst und Winter 1927/28 in Washington285, um an seiner Habilitationsschrift zu arbeiten. Er habe sich nicht um die „systematischen Darstellungen ueber Persoenlichkeit oder Charakterstruktur“ gekümmert, da er „ohne jede theoretische Belastung nur die sich [ihm] selbst auf­ draengenden Induktionen“ aufnehmen wolle. In einer Zeit, in der zahlreiche durch Deduktion konstruierte und weitgehend unvereinbare Charaktersysteme nebeneinander ständen, schien ihm „jeder noch so vorlaeufige Versuch einer in striktem Sinne induktiv gewonnenen Typologie von unbestreitbarem Werte“. Die amerikanischen Methoden und Ergebnisse prüfte er auf ihre Brauchbarkeit für die deutsche Eignungspsychologie, seine Resultate wollte er für den Ausbau des Dresdener Eignungsprüfungsverfahrens verwenden. Dort durchliefen jährlich 1500 Personen das Verfahren und die Zusammenarbeit mit Berufsorganisationen und der Industrie ermögliche eine gründliche Erfolgskontrolle286. Seine Berichte machten auf Fehling und das Deutsche Komitee einen exzellenten Eindruck287, sodass eine Verlängerung für sechs Monate bis Februar 1929 befürwortet und vom LSRM bewilligt wurde288. Dadurch konnte Wohlfahrt in Boston das von Elton Mayo geleitete Forschungsprogramm zu Persönlichkeitsfragen kennenlernen, Material an der Universität Minnesota bearbeiten und die Stanford Universität besuchen. Dort hoffte er, das von Lewis Terman „bisher nur teilweise ausgenuetzte Rohmaterial aus seiner riesenhaft angelegten Untersuchung an hochbegabten Kindern zur eigenen Einsichtnahme und Auswertung“ benutzen zu dürfen289. 284 Ebd. 285 Vgl. Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 22. Dezember 1927, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2371, Blatt 2. 286 Vgl. Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 23. Juni 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 287 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 9. Juli 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 288 Vgl. E. Wohlfahrt, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 289 Vgl. Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 23. Juni 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16.

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Bei seiner Rückkehr nach Deutschland fand Wohlfahrt seine ihm zuvor von Ewald Sachsenberg schriftlich zugesicherte staatliche Assistentenstelle an der Technischen Hochschule Dresden durch einen tschechischen Assistenten besetzt. Andere Angebote hatte er im Vertrauen auf diese Stelle ausgeschlagen, sodass er sich mit einer aus Mitteln der Industrie dotierten Assistentenstelle begnügen musste. Diese fiel bald der „finanziellen Lage der Industrie zum Opfer“, sodass Wohlfahrt Anfang Oktober 1929 kein Einkommen mehr hatte290. „Leider stehen Sie mit den traurigen Erfahrungen nach der Rückkehr nicht allein da. Die Erfüllung des Stipendienziels wird durch diese merkwürdige Gepflogenheit, Versprechungen, Stellen offen zu halten, nicht immer einzulösen, stark herabgesetzt“291, erfuhr er von Fehling. Als Wohlfahrt 1931 überlegte, sich für eine Teilnahme am Yale Seminar zu bewerben, verschwieg er Fehling nicht, dass er, sollte sich ihm in den USA „wieder eine Existenz an einer Universitaet bieten“, diese „nicht nochmals irgendwelchen Satzungen opfern“ werde292. Wohlfahrt widmete sich seiner wissenschaftlichen Arbeit und intensivierte seine Kontakte zum sächsischen Volksbildungsministerium. Er führte „eine auf den amerikanischen Erfahrungen aufbauende und ziemlich umfassende Intelligenzuntersuchung an den Abiturienten der Dresdener hoeheren Schulen“ durch und hoffte, mit weiteren Untersuchungen beauftragt zu werden293. Im Februar 1931 erfuhr Van Sickle, dass Wohlfahrt die Technische Hochschule Dresden verlassen habe und für das sächsische Volksbildungsministerium arbeite, wo er für die Auswahl der Stipendiaten der Studienstiftung des Deutschen Volkes zuständig sei. Für Van Sickle war dies ein „follow-up of his fellowship experience and an ample justification of the appointment“294. Gemeinsam mit dem Referenten für Hochschulen im Ministerium Robert Ulrich und unterstützt von der Carnegie-Stiftung und der zur Rockefeller Philanthropie gehörenden Abraham Lincoln-Stiftung, arbeitete Wohlfahrt an einer Studie zur „Bildungssoziologie des akademischen Nachwuchses in Deutschland

290 Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 12. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 291 Brief von A. W. Fehling an E. Wohlfahrt, 16. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 292 Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 23. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 293 Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 12. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 294 J. Van Sickle, Diary, 24.–25. Februar 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 10.

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1925–1933“295, für die er Unterlagen zu Auswahl und Studienerfolg der Stipendiaten der Studienstiftung analysierte296. Wohlfahrt erhielt den Auftrag, ein Prüfverfahren zu entwickeln, mit dem ungeeignet erscheinende Abiturienten vom Universitätsstudium abgehalten werden konnten. 1933 wurden in Sachsen zentrale Prüfungen zur Studierfähigkeit vor dem Abitur durchgeführt. Eine von Dietmar Waterkamp durchgeführte Analyse der Fragen, die 1934 in einer Arbeit Wohlfahrts veröffentlicht wurden297, zeigt, dass auch Gesinnungsfragen zur Einstellung des Prüflings gegenüber dem Nationalsozialismus gestellt wurden298. In einem mit „Heil Hitler!“ unterzeichneten Brief an Fehling kündigte Wohlfahrt 1934 an, den Bericht zu den Tests an sächsischen Oberprimanern und Untersekundanern an die RF zu schicken299. Anschließend war Wohlfahrt als Wehrpsychologe für die Psychologische Prüfstelle des Wehrkreisverwaltungsamtes IV in Dresden tätig und wechselte von dort an das Psychotechnische Laboratorium des Reichskriegsministeriums in Berlin, das 1938 in Hauptstelle der Wehrmacht für Psychologie und Rassenkunde umbenannt wurde300. Aus einem Gespräch mit Fehling erfuhr die RF Anfang 1936, dass Wohlfahrt nun Direktor eines „Psychological Army Institute“ mit wissenschaftlicher und praktischer Ausrichtung sei. Er entwickle psychologische Eignungstests für Rekruten, die für die Zuteilung der Soldaten in die einzelnen Dienste genutzt würden. Zugleich würden Berichte über intensive Überprüfungen der Bewerber für die Offizierslaufbahn erstellt, wobei Wohlfahrt plane, die Bewerber weiter zu begleiten, um die späteren Erfahrungen mit den Testergebnissen zu vergleichen301. Während des Zweiten Weltkriegs entwickelte Wohlfahrt in Stralsund psychologische Prüfungsaufgaben für die Kriegsmarine302. Kittredge beschrieb im August 1940 die Rolle des ehemaligen Stipendiaten in der Auswahl und Ausbildung der Wehrmachtsangehörigen: 295 Wohlfahrt et al., Zur Bildungssoziologie des akademischen Nachwuchses in Deutschland. Die Autoren veröffentlichten 1935 eine englischsprachige Kurzfassung des Manuskripts. 296 Wohlfahrt scheint in dieser Zeit ein Stipendium der Abraham Lincoln Stiftung erhalten zu haben. Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. Wohlfahrt, 29. Dezember 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. 297 Wohlfahrt, Erich, Geist und Torheit auf Primanerbänken. Die sächsischen Maßnahmen zur Begrenzung des Hochschulzuganges, Dresden, 1934. 298 Vgl. Waterkamp, Dietmar, Einleitung, in Wohlfahrt et al., Zur Bildungssoziologie des akademischen Nachwuchses in Deutschland, S. 22–23. (Im Folgenden zitiert als Waterkamp, Einleitung). 299 Vgl. Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 17. März 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 300 Vgl. Waterkamp, Einleitung, S. 23, Wolfradt, Art. Erich Wohlfahrt, S. 488. 301 Vgl. E. Wohlfahrt, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 302 Vgl. Waterkamp, Einleitung, S. 23.

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In accordance with the German totalitarian concepts the new leaders gave great attention to psychological methods of warfare, not only in the use of propaganda, but in the exploitation of various aspects of military strategy and tactics to produce a maximum destructive effect on populations of potential enemy countries as well as to strengthen the will to subordination among the German people as a means to victory303.

Er habe nur wenige Details über Organisation und Tätigkeit des Instituts erfahren können, das ohne Zweifel vom Kriegs- und Propagandaministerium sowie Hitlers persönlichem Mitarbeiterstab ausgiebig genutzt werde, so Kittredge. Da die Arbeiten als Teil der Vorbereitungen des Totalen Kriegs angesehen würden, seien Untersuchungen und Ergebnisse geheim304. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Wohlfahrt zuerst bei Zeiss in Jena tätig und wurde später in Westberlin Beamter beim Wissenschaftlichen Lehrerprüfungsamt, das er in den 1950er-Jahren leitete305. Die Wege der drei ausgewählten Stipendiaten zeigen, wie unterschiedlich die wissenschaftlichen Fragestellungen und die Herangehensweisen sowie die spätere Verwendung der erhaltenen Kenntnisse waren. Während Flügge und Heberle ihre wissenschaftliche Laufbahn fortführten und als Privatdozenten tätig waren, verlor Wohlfahrt seine Assistentenstelle und arbeitete zuerst für das sächsische Volksbildungsministerium und anschließend für die Wehrmacht. Sein während der Stipendienzeit erweitertes Wissen zur Eignungspsychologie stellte er in den Dienst der nationalsozialistischen Diktatur. Die Rockefeller Mitarbeiter verfolgten die weiteren Karrierewege ihrer ehemaligen Stipendiaten sehr genau und registrierten, auf welche Weise und zu welchem Nutzen sie die in den USA erlernten Methoden einsetzten. Die drei Beispiele verdeutlichen auch das breite Förderspektrum und die großen Freiheiten, die den Stipendiaten bei den Änderungen ihrer Forschungsthemen und der Organisation ihres Aufenthalts zugestanden wurden. Reisen im Rahmen der Projekte wurden großzügig unterstützt. Die Einflussnahme auf inhaltliche Ausrichtung und Forschungsansätze durch die Officers war äußerst gering, die Auswahl im Hinblick auf wissenschaftliche und politische Erwünschtheit der Themen und persönliche Eignung der Kandidaten wurde nicht in den USA, sondern durch das Deutsche Komitee getroffen. Kritik gegenüber der amerikanischen „theorielosen“ Forschung, die die Fellows gegenüber Fehling, aber auch gegenüber der RF und in Vorträgen und Artikeln vertraten, wurde in der Stiftung nicht als problematisch wahrgenommen.

303 T. B. Kittredge, Memorandum, 6. August 1940, in RAC-RF, RG 2 (1940), Series 717, box 204, folder 1440. 304 Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum, 6. August 1940, in RAC-RF, RG 2 (1940), Series 717, box 204, folder 1440. 305 Wohlfahrt starb 1961 in Berlin. Vgl. Waterkamp, Einleitung, S. 23.

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7.4 Forschungsaktivitäten und persönliche Kontakte der deutschen Fellows in den USA: Transatlantische Methodentransfers Eines der Ziele des Rockefeller’schen Stipendienplans war der transnationale wissenschaftliche Austausch. Die Stipendiaten sollten mit ausländischen Wissenschaftlern zusammenkommen und im besten Fall eng mit ihnen zusammenarbeiten. Bei Verlängerungsanträgen bat die RF um die Namen der Forscher, mit denen kooperiert worden war, damit die Officers Gutachten zur Arbeit der Stipendiaten einholen konnten. Die Stipendiaten wurden angehalten, Verbindungen zu Verbänden und Regierungsstellen herzustellen und Fabriken zu besuchen. Bibliotheks- und Archivarbeiten tolerierte vor allem das LSRM, die RF riet den Fellows von zu isoliertem Arbeiten ab. Um den Anforderungen des Programms gerecht zu werden und methodische und inhaltliche Anregungen zu erhalten, nahmen die deutschen Fellows an Vorlesungen, Seminaren und Exkursionen teil, besuchten Kongresse und nahmen Kontakt zu einzelnen Wissenschaftlern für Beratungsgespräche auf. Sie besuchten Automobilfabriken, Feldspatgruben und Anwaltskanzleien, betrieben ethnologische und geographische Feldforschung und verfolgten kontroverse Diskussionen in der amerikanischen Rechtswissenschaft. Forschungsmethoden wurden übernommen und auf amerikanische Untersuchungsobjekte angewandt, gleichzeitig trugen die Stipendiaten ihre Ansichten in Vorträgen vor und brachten sich in amerikanische Forschungsprojekte ein. Mehrere Fellows legten in den USA die Grundlagen späterer wissenschaftlicher Leistungen. Wissenschaftliche Beratung und deutsch-amerikanische Missverständnisse

LSRM und RF favorisierten intensive und kooperative Verbindungen zwischen Stipendiaten und amerikanischen Wissenschaftlern, wie sie Arvid Harnack und Max Rheinstein etablierten. Harnack berichtete, er habe in Madison „congenial students, a good library, and especially an excellent scholar, Professor John R. Commons“ vorgefunden. „He is that one of all scholars of my acquaintance who has had the greatest influence on me. He possesses not only a deep knowledge of economics, but also that sincere humanity which makes people really great“306. Der Jurist Max Rheinstein hatte Elliot E. Cheatham von der Columbia University Law School viel zu verdanken. Dieser räumte ihm einen Platz in seinem Arbeitszimmer ein, sodass tägliche Unterhaltungen möglich wurden, und machte ihn mit vielen wichtigen 306 A. Harnack, Annual Report (1926), o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916.

Die Erfahrungen der deutschen Fellows in den USA

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Persönlichkeiten bekannt. Außerdem führte Cheatham ihn in das Committee on Legal Ethics an der New York Bar Association ein, wo Rheinstein „praktische Fragen der Standesdisziplin der Anwaltschaft“307 studierte. Andere Stipendiaten gingen weniger enge Beziehungen zu amerikanischen Sozialwissenschaftlern ein, suchten aber eine beeindruckende Anzahl an Professoren auf. Josef Back besuchte in New York die Columbia University und die University of New York, um dort „Mr. Saeger, Mr. J. M. Clark, Mr. W. C. Mitchell, Mr. Seligman and Mr. M. W. Watkins“ zu konsultieren. Nur mit Saeger blieb er in längerer Verbindung308. Auch Emil Meynen, der über die Pennsylvania-Deutschen arbeitete, besprach sich in New York mit vielen Wissenschaftlern, darunter F. Boas, H. P. Fairchild und C. Wissler. In New Haven erhielt er am Institute of Social and Religious Research Anregungen für die Erstellung seiner Fragebögen309 sowie Einführungsschreiben für Philadelphia und „Pennsylvania-country“310. Die vielen positiven Gutachten, die amerikanische Gelehrte den deutschen Stipendiaten für ihre Verlängerungsanträge ausstellten, legen nahe, dass es oft zu einem für beide Seiten befriedigenden wissenschaftlichen Austausch kam. Missverständnisse und Ungeschicklichkeiten waren jedoch nicht ausgeschlossen. Otto Brok, der zum Thema der amerikanischen Großstädte arbeitete, fand in Chicago eine große Menge „sehr gut verwertbarer Arbeiten über Chicago, häufig auch mit Statistiken unterbaut“. Er lernte Park und Burgess kennen, die ihm „in jeder Hinsicht sehr behülflich waren“. Mit Park habe er „schon recht lebhafte Diskussionen gehabt“, berichtete er Fehling. Im Laufe des Gesprächs habe er aber bemerkt, dass Park „fabelhaft empfindlich“ sei. „Und man muß mit allg. Bemerkungen über Amerikaner, amerikanische Universitäten recht vorsichtig sein, um nicht zu beleidigen“311. Der Stipendiat Paul Kirchhoff konnte Edward Sapir nicht von seinen wissenschaftlichen Qualitäten überzeugen. Kirchhoff ließ sich zunächst in New York von Boas beraten, bevor er nach Chicago zu Sapir weiterreiste, um sich dort die für eine linguistische Feldforschung benötigten phonetischen Kenntnisse anzueignen. Er beteiligte sich an einer unter Sapirs Führung stattfindenden zweimonatigen Exkursion des Anthropological Laboratory zu den Navajo-Indianern. Kirchhoff erkannte, dass sprachliche Vorarbeiten die Grundlage für tiefergehende ethnographische Forschungen waren und widmete sich in den folgenden Monaten linguistischen Studien. Er erforschte die Dialekte der „Südgruppe des Athapaaktischen“, indem er 307 Brief von M.  Rheinstein an A.  W.  Fehling, 20.  März 1934, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 39. 308 J. Back, Report, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 309 Vgl. Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 1. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 310 Vgl. E. Meynen, Erhebungsbogen, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 311 Brief von O. Brok an A. W. Fehling, 11. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11.

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Aufnahmen machte, grammatische Formen untersuchte und eine neue Klassifizierung der Dialekte vornahm. Das Material diskutierte er mit Sapir, bevor er an der Universität Berkeley mit den Boas-Schülern Alfred L. Kroeber und Robert H. Lowie zusammenarbeitete312. Dass es in Chicago zu Konflikten zwischen Sapir und Kirchhoff gekommen sein muss, erfuhr Fehling über einen Brief Kroebers an Boas, der über die Rockefeller Mitarbeiter in New York und Paris in seine Hände gelangt sein muss. Kroeber hatte zunächst keinen positiven Eindruck von Kirchhoff gewonnen, änderte seine Meinung jedoch nach näherer Bekanntschaft. „He has very wide interests, a balanced judgement, and a good head and capacity for work“, schrieb er Boas. Sapir habe Kirchhoff jedoch als „unacceptable“ bezeichnet und am Ende der Navajo-Exkursion bemerkt, Kirchhoff „was not as sure of himself as he thought he was“. Kroeber führte diese negative Beurteilung auf Kirchhoffs fehlende linguistische Kenntnisse zurück. Der Stipendiat habe aber ein gutes Gefühl für Struktur und adäquate phonetische Kenntnisse, fügte er hinzu: „He probably profited more from Sapir than Sapir realized“. Kroeber sah die größte Schwierigkeit darin, dass Kirchhoff nicht gelernt habe, seine Zeit einzuteilen. Er könne eine ganze Woche an einem unwichtigen Punkt arbeiten, bevor er zur Hauptfragestellung zurückkehre. In Diskussionen auf Deutsch öffne er sich weiter, obwohl sein Englisch gut genug sei313. Trotz einiger Schwierigkeiten und Missverständnisse gelang den deutschen Stipendiaten in vielen Fällen eine fruchtbare und inspirierende Zusammenarbeit mit amerikanischen Sozialwissenschaftlern. Neben Beratungsgesprächen und der Teilnahme an Exkursionen bot der Besuch von Seminaren und Kongressen Gelegenheit zur Kontaktaufnahme. Seminar- und Kongressbesuche, Einblicke in die Arbeitswelt und Archiv- und Bibliotheksarbeiten

In der Teilnahme an Vorlesungen und Seminaren wurde den Stipendiaten „völlige Freiheit gelassen“314. Oft nahmen die Fellows an den Seminaren der Professoren teil, mit denen sie in engeren Kontakt getreten waren oder für deren Forschungen sie sich besonders interessierten. Harnack besuchte an der University of Wisconsin die Seminare John R. Commons und hielt ein Referat über „The coal legislation in Germany“. Während eines zweiten Aufenthalts in Madison übernahm er einen zweistündigen 312 Vgl. Brief von P. Kirchhoff an A. W. Fehling, 4. Oktober 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 313 Brief von A. L. Kroeber an F. Boas, 16. Juli 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 314 Vgl. Brief von E. Flügge an A. W. Fehling, 17. März 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9.

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Vortrag in Commons „main class“ zur deutschen Arbeiterbewegung und sprach zwei Mal beim „friday evening supper“ für fortgeschrittene Studenten315. Hanns Linhardt besuchte verschiedene Kurse an der Columbia University: „Am liebsten bin ich in den Seminaren von Seligman und Willis“, schrieb er an Schumacher. Seligmans Seminar fand in dessen Privatwohnung statt, wie Willis integrierte er „Leute aus der Praxis“ in den Seminarkreis316. Der Ethnologe Günter Wagner war von Kroebers und Lowies Seminaren in Berkeley begeistert. Sie ständen „auf einer recht hohen Stufe“ und aus den Diskussionen könne er „viel mitnehmen“317. Er bedauerte, nicht bis zum Ende des Semesters bleiben zu können, da ihm „so die Diskussion über die Boas-Schule und die Forschungen Thurnwalds entging, die Professor Lowie für die zweite Hälfte des Semesters vorgesehen“ hatte. Während Lowie „mehr der konservative und äusserst vorsichtig abwägende Gelehrte“ sei, „hat Professor Kroeber viel Interesse für neue Fragestellungen und noch nicht erprobte Methoden, ohne dabei jedoch die wissenschaftliche Kritik aufzugeben“. Beide Professoren ergänzten sich sehr glücklich, sodass Wagner Berkeley als einen „der geeignetsten Studienplätze für junge Ethnologen“318 empfahl. Am meisten profitierte der Soziologe Alexander von Schelting von seinen Seminarbesuchen. Er begann seine Stipendienzeit in New York mit der Teilnahme an abendlichen Englisch-Sprachkursen am Columbia Teacher’s College und soziologischen Kursen von Robert S. Lynd und Robert M. MacIver an der Columbia Universität, in denen methodologische Probleme aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchtet wurden. Bei MacIver besuchte er die Kurse „Trends and Types of Social Chance“ und bei Lynd „Current Research of the Family“ sowie gelegentlich „The social setting on contemporary consumption habits“. Außerdem nahm er am „advanced seminar“ MacIvers zu „Methodological Problems of Sociology“ teil. Auch in Chicago war von Schelting ein regelmäßiger Seminarbesucher: Er belegte die Kurse von E. B. Reuter zu „Human Migration in its Cultural Relations“ und „The Negro in America“ sowie die von Louis Wirth zu „Social Research in the Chicago Region“ und „Sociology of Knowledge“. Im Seminar zu „Comparative Method“ von Prof. Knight, M. Palyi und Prof. Gottschalk hielt er einen Vortrag zu „Relations of History and Sociology“. Konkrete Forschungspraxis konnte er in Madison im Department of Rural Sociology studieren. Dort überließ man ihm Fragebögen und für die Feldforschung benutzte 315 Vgl. A. Harnack, Annual Report (1926), o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 316 Brief von H. Linhardt an H. Schumacher, 8. März 1929, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2280, Blatt 24. 317 Brief von G. Wagner an A. W. Fehling, 16. Dezember 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 318 Brief von G. Wagner an A. W. Fehling, 2. März 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34.

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Formulare, außerdem wurde er auf eine Exkursion in ländliche Gebiete Wisconsins mitgenommen. Finally, my interest shifted, from a study ‚in abstracto‘ of these research techniques to their application to a concrete subject in an empirical investigation. Under the influence of the scientific atmosphere and my conversations with scholars in Chicago, I first felt an increasing inclination to undertake a concrete investigation myself, in order to apply, practically, to a definite and restricted topic, the methods and techniques previously studied in theory only, and to satisfy the growing inner demand to acquire immediate contact with facts and primary materials319.

In sein neues Forschungsprojekt „A study of American Textbooks in Sociology“ nahm von Schelting Anregungen von Louis Wirth und Edward Shils auf, merkte aber bald, dass das Thema seinem „strongest interest in the field of concrete research“ nicht entsprach. In Ann Arbor bot MacKenzie ihm an, eine Arbeit über Ukrainer in De­troit zu betreuen und aus seinem Research Fund zu fördern. An der Harvard University nahm der Fellow die ausgedehnten Seminarbesuche und die Teilnahme an Diskussionsveranstaltungen wieder auf und kam mit Pitirim Sorokin und Talcott Parsons in Kontakt. Von Schelting empfahl der RF, allen zukünftigen Stipendiaten zu raten, eigene Arbeiten mit in die USA zu nehmen, um sie bei Gelegenheit vorzustellen320. Ganz im Sinne des Stipendienplans verstärkte der Amerikaaufenthalt mit seinen vielen Anregungen und Diskussionsgelegenheiten von Scheltings Interesse an empirischen Forschungsmethoden und wissenschaftlichem Austausch. Ein anderer Teil der Stipendiaten verzichtete weitgehend auf den Seminarbesuch. Heberle meinte, es läge ihm nicht, „eine Zeitlang an dem Leben einer kleinen Universität“ teilzunehmen, Vorlesungen und Seminare zu besuchen und sich „als Glied der Universitätsgesellschaft einzufügen“. Er nutzte die kurze Stipendienzeit lieber für eigene Arbeiten: „[M]an schafft doch mehr, wenn man sich zurückhält“321. Otto Vossler berichtete aus Washington, er habe von den Vorlesungen noch nicht viel gesehen, die Bibliothek sei aber „die denkbar idealste Einrichtung“322. Hans Staehle beschränkte sich in Chicago darauf, „nur eine Vorlesung zu besuchen“ und sich ansonsten mit seiner eigenen Arbeit zu befassen, „und dies nicht nur, weil das Vorlesungsverzeichnis nicht besonders reizvoll ist“. Der Weg für seine weiteren Untersuchungen liege klar vor ihm, sodass „jede Vorlesung nur Zeitverlust wäre“323. Der 319 A. von Schelting, Report, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44. 320 Vgl. ebd. 321 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 11. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 322 Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 22. Februar 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 9. 323 Brief von A. W. Fehling an H. Staehle, 29. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18.

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Geograph Gottfried Pfeifer erhielt nach Ende seiner Fellowship die Möglichkeit als Lecturer Vorlesungen an der Berkeley University zu halten324 und lernte auf diese Weise den Lehrbetrieb von innen kennen. „[A]n manches recht Schulmässige“ musste er sich erst gewöhnen. „Theoretisches Denken ist beinahe völlig unterentwickelt“, klagte er, doch scheine dies in anderen Fächern wie der Anthropologie und den Wirtschaftswissenschaften anders zu sein325. Eine weitere Möglichkeit zur Kontaktaufnahme war die Teilnahme an wissenschaftlichen Kongressen. Alfred Vagts fuhr zwischen Weihnachten und Neujahr 1927 zur gemeinsamen Tagung der American Historical Association und der American Political Science Association nach Washington. Zwar erstattete das LSRM ihm die Reisekosten nicht, er bereute die Reise „wegen der dort gepflegten oder aufgenommenen persönlichen Beziehungen unter den Fachgenossen“ jedoch nicht326. Paul Kirchhoff hatte seine Überfahrt auf Mitte Dezember 1928 gelegt, um am Ende des Monats am Kongress der American Anthropological Association in New York teilzunehmen: „Dieser Kongress gab mir einen außerordentlich günstigen Anfang in diesem Lande, da er mir die Bekanntschaft so gut wie aller Anthropologen des Ostens und mittleren Westens vermittelte“. Nach Besprechungen mit Boas, Sapir und weiteren Anthropologen änderte er seine Pläne „in vieler Beziehung beträchtlich“327. Nur wenige Stipendiaten wurden Mitglieder wissenschaftlicher oder beruflicher Gesellschaften: Der Betriebswirt Konrad Mellerowicz etwa trat der „Association of Cost Accountants“ bei, die ihn „dauernd mit dem modernsten Material“328 versorgte. Praxiskontakte wurden sowohl vom LSRM wie auch von der RF gefördert. Mehrere der deutschen Stipendiaten besuchten amerikanische Verbände und Vereine. Erich Merkert, der zu zwischenörtlichen Verkehrsproblemen arbeitete, nahm in Washington Kontakt zu den zentralen Organisationen des amerikanischen Verkehrslebens auf. Nur bei den Eisenbahngesellschaften stieß er auf Schwierigkeiten, „da diese von einem konservativen Geist beherrscht, der Veroeffentlichung alles vorenthalten, was nicht ihre Interessen foerdert“329. Fritz Morstein Marx nahm in Chicago mit der International City Managers’ Association, der American Legislatores’ Association und dem Public Administration Clearing House Verbindungen auf. Er profitierte davon, dass die University of Chicago enge Kontakte zur Verwaltungspraxis 324 Vgl. Brief von G. Pfeifer an A. W. Fehling, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 325 Brief von G.  Pfeifer an A.  W.  Fehling, 15.  Dezember 1931, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 28. 326 Brief von A. Vagts an A. W. Fehling, 8. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 327 Brief von P. Kirchhoff an A. W. Fehling, 27. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 328 Brief von K. Mellerowicz an A. W. Fehling, 6. Oktober 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 329 Brief von E. Merkert an A. W. Fehling, 29. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13.

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pflegte und Vertreter von Verbänden und Einrichtungen zu Associate Professors ernannte. Auf einer späteren Reise an die Pazifikküste traf der Fellow erneut Stadtdirektoren und leitende Verwaltungsbeamte, „deren persönliche Mitteilungen das Ergebnis theoretischer Studien oftmals in einem ganz anderen Licht erscheinen ließen“330. Nach seiner Rückkehr veröffentlichte er einen Artikel über die Rolle des amerikanischen City Managers331. Auch amerikanische Regierungsstellen wurden zu Forschungszwecken besucht. Werner Trömel, der die amerikanische Porzellan- und Spielwarenindustrie untersuchte, fand in „Washington überall die freundlichste Unterstützung“. Er besuchte das Department of Commerce, die Tariff Commission, das Bureau of Census, den Geological Survey und das Bureau of Standards. „Ich war erstaunt, zu sehen, wie ausgezeichnet unterrichtet die verschiedenen Regierungsstellen über diese doch verhältnismässig unbedeutenden Industrien sind. Das Arbeiten hier ist daher viel leichter und erfreulicher, als es etwa bei uns für die gleichen Industrien sein würde“332, stellte er fest. Arvid Harnack besuchte in Washington, vermittelt durch John R. Commons, Regierungsstellen und kam in Kontakt mit dem Department of Labor und dem Federal Reserve Board333. Rudolf Freund konnte im März 1929 in Washington die „hearings on farm relief before the Committee on Agriculture both of the Senate and the House of representatives“ besuchen334. Amerikanische Unternehmen und Fabriken wurden von mehreren Fellows besucht. Josef Back sah sich in Washington Fabriken der Eisen-, Kupfer-, Petroleum und Kraftwagenindustrie an335, Trömel besuchte Produktionszentren der Porzellan- und Spielwarenindustrie in New Jersey und Ohio sowie Kaolin- und Feldspatgruben, von denen einige die Besichtigung der Anlagen jedoch nicht gestatteten. In Trenton unterhielt er sich lange mit den Direktoren zweier Porzellanfabriken und begutachtete den Produktionsvorgang: „Ich hatte Schwierigkeiten erwartet, wurde aber sehr angenehm enttäuscht“, schrieb er an Fehling. In New York traf sich Trömel mit Importeuren. Da die Regierungsveröffentlichungen zu seinem Gebiet zahlreich waren, brauchte er seine Gesprächspartner nicht um Einzeldaten zu bitten: „Ich hatte den Eindruck, dass sie dann wahrscheinlich zurückhaltender gewesen wären“336. Mellerowicz war ebenfalls von der Freigiebigkeit der amerikanischen Firmen begeistert. 330 Brief von F. Morstein Marx an O. Schrader, 15. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 331 Morstein Marx, Fritz, Der City Manager in den Vereinigten Staaten, in Der Städtetag: Zeitschrift für kommunale Politik und Praxis (1932), S. 146–148. 332 Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 8. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 333 Vgl. A. Harnack, Report for the year 1928, 29. Juli 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 334 Brief von R. Freund an E. E. Day, 17. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 335 J. Back, Report, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 336 Brief von W. Trömel an A. W. Fehling, 8. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15.

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Die Unternehmen führten viele eigene Untersuchungen durch und stellten sie „NichtKonkurrenten sehr liberal zur Verfügung“. Man müsse nur versprechen, „der Konkurrenz das Material nicht zur Verfügung zu stellen“. Besonders von Macy’s erhielt er „wundervolles Material“, das er zwar nicht veröffentlichen, aber im Kolleg verwenden durfte. Zudem erhielt er Materialien zu den Kalkulationsmethoden der Banken. „Ich weiss nun, dass man in Amerika wirklich kalkuliert – Abteilungs-, Posten- und Kontokalkulationen – und wie man das macht“337. Er ging davon aus, „die Praxis“ werde ihn auch nach der Rückkehr aus den USA mit Material versorgen und plante ein Kolleg zum Thema „Amerikanische Betriebs- und Geschäftsmethoden“338. Harnack besuchte mehrere Fabriken und beobachtete einen Bergarbeiterstreik in Colorado339. Über Commons erhielt er Kontakt zu Arbeiterführern und Arbeitgebern340. Die amerikanische Arbeiter- und Gewerkschaftsbewegung musste in dieser Zeit schwere Rückschläge hinnehmen, wodurch Harnacks Amerikaaufenthalt zu einer Desillusionierung gegenüber dem kapitalistischen System führte341. Nur wenige Stipendiaten arbeiteten selbst in einer amerikanischen Firma mit. Einer von ihnen war Rheinstein, der etwa zwei Monate342 im Anwaltsbüro „einer der führenden Wallstreet-Firmen“ tätig war und dort einen „Einblick in das praktische amerikanische Rechtsleben“ erhielt. Er ging mit den Anwälten zum Gericht und beobachtete die Vorbereitung der Verhandlungen und die Vollstreckung der Urteile343. Die überwiegende Arbeit in Bibliotheken wurde von LSRM und RF kritisch betrachtet und oft auf fehlende Vorbereitung im Heimatland zurückgeführt. Bei den Stipendiaten war der Besuch der amerikanischen Bibliotheken trotzdem sehr beliebt. Alexander von Schelting schrieb Fehling aus Madison, er habe die erste Hälfte seines Aufenthalts vorwiegend mit der Einarbeitung in die Literatur und dem Zusammentragen einiger Materialien verbracht344. Werner Trömel verbrachte den Winter 1929 337 Brief von K. Mellerowicz an A. W. Fehling, 6. Oktober 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 338 Brief von K. Mellerowicz an A. W. Fehling, 14. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 339 Vgl. A.  Harnack, Annual Statement of Academic Work and Activities 1927, o.  D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 340 Vgl. A. Harnack, Annual Report (1926), o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 341 Vgl. Brysac, Shareen, Mildred und Arvid Harnack: The American Connection, in Coppi, Hans; Danyel, Jürgen; Tuchel, Johannes (Hgg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin, 1994, S. 183 (Im Folgenden zitiert als Brysac, Mildred und Arvid Harnack). 342 Vgl. Brief von M. Rheinstein an A. W. Fehling, 20. März 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 343 Ebd. 344 Vgl. Brief von A. von Schelting an A. W. Fehling, 14. August 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43.

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in Washington, „studying chiefly in the library of the Brookings Institution, the Congressional Library, and the Bureau of the Census“345. Hans Keller legte in Harvard „an Hand der umfangreichen Bibliothek den Grundriß“ seiner Arbeit fest, bevor er sich auf „Wanderschaft“ begab346. Auch August Lösch zeigte sich von Harvard begeistert: „Schon rein die technische Moeglichkeit, in den Buecherraeumen einer 3-Millionen-Bibliothek arbeiten zu duerfen, ist Gold wert“347. Besonders ausgiebig fiel das Literaturstudium Emil Meynens aus. In New York sah er die Bestände der „Public Free Library“ durch, wo sich „wohl die größte öffentliche Sammlung über ‚Germans in America‘“ befinde348. Er fertigte eine Literaturliste mit 8000 Titeln an349, die er 1935 vergeblich in Deutschland zu veröffentlichen versuchte350. Der nationalsozialistisch eingestellte Ex-Fellow hoffte, dem „Deutsch-Amerikanertum“ damit „ein Dokument und Monument zu schaffen“351. Die RF lehnte eine Unterstützung ab und Meynens Bibliographie erschien erst 1937352. Ganz anders sah Konrad Mellerowicz die Bibliotheksarbeit: „Zum Besuch von Bibliotheken bin ich noch nicht viel gekommen“, schrieb er an Fehling, „das wirkliche Leben ist hier so interessant“353. In Archiven arbeiteten nur wenige deutsche Stipendiaten. Vagts besuchte das Archiv des State Department in Washington und versuchte, in der Deutschen Botschaft in Washington an Archivmaterialien zu kommen. Ihm wurde jedoch mitgeteilt, diese seien zum größten Teil bei der Abreise des Botschafters Graf von Bernstorff verbrannt worden354. Der Historiker Otto Vossler sah Jeffersons Nachlass in Washington durch und entdeckte „einiges – wie [er] glaube noch unbekanntes – Material zur Erklärung der Menschenrechte 1789 und Amerikanischer Mitarbeit daran“355. Er beantragte eine Verlängerung, um in Pariser Archiven „nach Spuren von Jeffersons Tätigkeit in Frankreich zu suchen“356. Heinz von Trützschler arbeitete im State Department Akten aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die Beziehungen der 345 Brief von W. Trömel an E. E. Day, 30. August 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 346 Brief von H. Keller an A. W. Fehling, 7. Oktober 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 347 Brief von A. Lösch an A. W. Fehling, 18. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 348 Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 1. März 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 349 Ebd. 350 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an E. Meynen, 17. Dezember 1934, in BAB R 73/13145. 351 Brief von E. Meynen an die Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaften, 19. Dezember 1934, in BAB R 73/13145. 352 Meynen, Emil, Bibliographie des Deutschtums der kolonialzeitlichen Einwanderung in Nordamerika, insbesondere der Pennsylvanien-Deutschen und ihrer Nachkommen 1684–1933, Leipzig, 1937. 353 Brief von K. Mellerowicz an A. W. Fehling, 6. Oktober 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 354 Vgl. Brief von A. Vagts an A. W. Fehling, 8. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 355 Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 8. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 356 Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 19. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12.

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USA zu den Nationen südlich des Rio Grande durch357. Die Bestände bescherten von Trützschler einige Überraschungen, obwohl er sich „keine allzu grossen Ent­ huellungen“ versprochen hatte358. Seine Arbeit wurde von Fehling und dem Deutschen Komitee trotz der starken archivarischen Komponente geschätzt359. Van Sickle, der von Trützschler 1930 in Hamburg traf, beschrieb ihn als „[v]ery pleasant, intelligent, young, intends to go into diplomatic service“. Eine Karriere als Wissenschaftler sei unwahrscheinlich: „Another illustration of danger appointing too young. He was only 23 at beginning of fellowship“360. In der Zeit der Verwaltung des Stipendienprogramms durch die RF führten die deutschen Stipendiaten keine Archivrecherchen mehr durch. Fachliche Inspirationen durch die amerikanische Statistik, ethnologische und geographische Feldforschungsmethoden und die Kontroverse um die rechtswissenschaftliche „Case Method“

Die fachlichen Anregungen, die die deutschen Stipendiaten aus den USA zurück nach Deutschland brachten, waren je nach Disziplin sehr unterschiedlich. Hans Staehle, Franz Grüger und Wilhelm Kromphardt machten Erfahrungen mit der amerikanischen Statistik. Staehle entwickelte während seiner Stipendienzeit eine Methode, „die es gestattet, die im Verlaufe einer Zeiteinheit eingetretene Veränderung der Preis-Menge Kombination zu zerlegen in eine Bewegung auf der Nachfragekurve und eine Verschiebung (shift) der Nachfragekurve selbst“. Zur Überprüfung der Methode stellte ihm Henry Schultz sein statistisches Laboratorium an der University of Chicago zur Verfügung361. Zwar habe er schon einige Erfolge in der Anwendung erzielt, doch sei sein Urteil über die praktische Anwendbarkeit „noch nicht endgültig positiv“, teilte er Fehling mit. Am Ende seiner Forschungen sollte eine neue Konjunkturtheorie stehen362.

357 Vgl. Brief von H. von Trützschler an A. W. Fehling, 12. Mai 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 358 Ebd. 359 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 9. Juli 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 360 J. Van Sickle, Diary, 18. Februar 1930, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929–1930, S. 52. 361 Er veröffentlichte im Frühjahr 1929 eine Broschüre, in der er seine Methode vorstellte, Staehle, Hans, Die Analyse von Nachfragekurven in ihrer Bedeutung für die Konjunkturforschung, (Veröffentlichungen der Frankfurter Gesellschaft für Konjunkturforschung 2), Bonn, 1929. 362 Brief von H. Staehle an A. W. Fehling, 31. März 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19.

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Von der RF missverstanden fühlte sich Franz Grüger, der in Washington die zur Erstellung offizieller Statistiken benutzten Methoden erforschte363. Als Day seine weitgefassten Reisepläne ablehnte, führte Grüger dies nicht nur auf eine „etwas konservativere Haltung des Memorials“, sondern auch auf die „Einstellung der amerikanischen Statistiker überhaupt“ zurück. In Deutschland seien Statistiker Nationalökonomen mit umfassenden Interessen, in den USA seien sie spezialisierter und „weit mehr Theoretiker“. Da er die amerikanischen Theorien bereits vor der Abreise studiert habe, interessiere ihn vor Ort „die Anwendungen dieser statistischen Theorien in der Praxis“. Sein Aufenthalt in Washington und eine kurze Reise nach Atlanta seien daher „weit wertvoller“ als ein Studium an einer amerikanischen Universität. Er müsse die „Methoden und Techniken der Statistik, die angewendet werden“ kennenlernen, um beurteilen zu können „wieweit die offiziellen Statistiken brauchbar sind oder nicht“364. Die Ablehnung seiner Reisepläne konnte er aus diesen Gründen nicht nachvollziehen, sie hinderten ihn seiner Meinung nach am vollen Ausschöpfen der Möglichkeiten der Stipendienzeit. Kromphardts Arbeitsplan stellte sich als „zu weit und seine statistische Inangriffnahme unmöglich“ heraus. Er hatte angegeben, Tendenzen der amerikanischen Konjunkturforschung erforschen und aus den amerikanischen Methoden neue Ansätze entwickeln zu wollen. Diese sollten „sich für neue Probleme nutzen lassen, die [er] nicht in der statistischen Erfassung der Wirklichkeit, sondern in der Adaptierung der theoretischen Resultate an die statistische Methode und der statistischen Methoden an die ‚Theorie‘ der Wirtschaft“365 sah. Auch ein Studium „der Beziehungen von Theorie und Statistik“ erwies sich „für die Kleinarbeit des Tages als unzulänglich“, da eine „Basierung der statistischen Arbeit“ unüblich und umstritten sei. Die angelsächsischen statistischen Methoden seien anhand naturwissenschaftlicher Probleme entwickelt worden, dies überschatte die Anwendung in den Sozialwissenschaften. Er habe sich daher dem „Studium der statistischen Technik ergeben“. In Amherst studierte Kromphardt eine unpublizierte statistische Analyse der Industrien von Massachusetts von Charles W. Cobb366, auf die ihn der RF-Officer Stacy May hingewiesen hatte. Cobbs Werk sei „auf durchweg unzünftigen und originalen Methoden 363 Brief von F. Grüger an E. E. Day, 9. März 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 364 Brief von F. Grüger an A. W. Fehling, 16. April 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 15. 365 Brief von W. Kromphardt an A. W. Fehling, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 366 Eine kurze Skizze der Arbeiten war 1930 veröffentlicht worden. Cobb, Charles W., Production in Massachusetts Manufacturing, 1890–1928, in Journal of Political Economy 38 (1930), S. 705– 707, später folgten weitere Arbeiten, etwa Cobb, Charles  W., Notes on Massachusetts manufacturing, Amherst, 1939. Charles W. Cobb war vor allem durch die Cobb-Douglas-Funktion, die er gemeinsam mit Paul H. Douglas am Amherst College in Massachusetts entwickelt hatte, bekannt. Cobb, Charles W.; Douglas, Paul H., A theory of production, in The American Economic Review 18 (1928), S. 139–165.

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aufgebaut“ und er betrachte die Einsichtnahme „als eine der wertvollsten Anregungen“ seines Aufenthalts, auch wenn er noch nicht sagen könne „wieweit dieser bislang unbetretene Pfad zu führen mag“. Am Food Research Institute an der Stanford University versuchte er, „die Cobb-Methode auf Probleme der Agrarwirtschaft anzuwenden und dadurch den „inhaerenten Grenzen der Methode“367 auf die Spur zu kommen. Auf diese Weise wurde die anfängliche Enttäuschung durch methodische Neuorientierungen ausgeglichen. In methodischer Hinsicht besonders anregend war der Amerikaaufenthalt für die Anthropologen Paul Kirchhoff und Günter Wagner, die in den USA ethnologische Feldforschung betrieben. Kirchhoff begleitete den Anthropologen Frank Speck zu den Catwaba-Indianern in South Carolina. Als Speck wegen eines familiären Krankheitsfalls nach zwei Tagen abreisen musste, blieb Kirchhoff in der Reservation, für die ihm sein Begleiter „die wichtigste Voraussetzung erfolgreicher Arbeit verschafft“ hatte: Den „menschlichen Kontakt mit diesen gegen Fremde so vorsichtigen und zurückhaltenden Menschen“368. Nach zwei Wochen reiste der Fellow weiter zu einer Cherokee-Reservation im Westen von North Carolina, in der „Beziehungen zu den weißen Nachbarn“ im Vergleich zu den Catwaba eine geringere Rolle spielten. Entgegen der Prophezeiungen der weißen Ansiedler wurde Kirchhoff von den Ureinwohnern „außerordentlich herzlich“ aufgenommen und lebte „die ganze Zeit wie einer von ihnen“. Er hatte das Gefühl, bald mehr über die Cherokee zu wissen als die Weißen, „die täglich mit ihnen zu tun haben“. Er nahm an Abenden mit Kriegsgesängen, Jagd- und Liebesliedern teil und einem Tanz mit Maskentänzern: Einer von ihnen verkörperte einen Weißen und was er sagte, erregte schallendes Gelächter – aber die Leute waren so taktvoll, mich vorher zu fragen, ob sie sich über mich lustig machen dürften! Nachdem ich dann die ganze Nacht bis zum Morgengrauen mitgetanzt hatte, war das Eis völlig gebrochen und ich wurde in jede Hütte eingeladen. Die ganze Stimmung dieser Nacht, der seltsam monotone Rhythmus, der Schein der Fackeln vor der Hütte, und vor allem: kein einziges Wort Englisch die ganze Nacht – das alles wird mir unvergeßlich bleiben. Die Lebensverhältnisse sind recht primitiv, aber ich habe mich eigentlich dort wohler gefühlt, als hier in der Stadt mit allem Komfort369.

Als Kirchhoff, der sich durch den Aufenthalt mit den ihm „noch nicht vertrauten Methoden der Feldarbeit“ bekannt machen wollte, von seinen Erlebnissen in Washing-

367 Brief von W.  Kromphardt an A.  W.  Fehling, 30.  Juli 1933, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 36. 368 Brief von P. Kirchhoff an A. W. Fehling, 27. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 369 Ebd.

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ton, Philadelphia, New York und Chicago berichtete, erfuhr er, dass „tatsächlich das meiste auch für die amerikanischen Ethnologen neu ist“370. Bei seinen Forschungen griff Kirchhoff auf Anregungen zurück, die er an der LSE von Malinowski erhalten hatte. So interessierte er sich nicht nur für die amerikanischen Ureinwohner, sondern auch für die „weißen Hinterwäldler“, da es nicht möglich sei, „das Problem des Kontaktes zwischen Indianerkultur und westeuropäischer Civilisation zu untersuchen, ohne exakt zu wissen, wie im einzelnen Falle diese westeuropäische Civilisation aussieht“. Die Kultur der Bergbauern in den Appalachen sehe völlig anders aus „als das, was man heute als typisch ‚amerikanisch‘ ansehen kann“: Es gebe keine Autos, Radios und landwirtschaftliche Maschinen, der Schulbesuch sei unregelmäßig und die Bergbauern verließen ihr Tal nur selten. Das „Amerikanische“ liege in ihrer Weltanschauung und Einstellung zum Leben. Für die Bevölkerung, die Kirchhoff als „bei all ihrer Armut sehr gastfreundlich“ erlebte, sei er nicht „mehr ‚ausländisch‘ als ein Mann aus Philadelphia oder Washington“ gewesen371. Neben den weißen Siedlern interessierte sich Kirchhoff auch für die afroamerikanischen Nachbarn der Ureinwohner. Von Chapel Hill aus besuchte er eine „sehr interessante Gruppe von Indianern“, deren Untersuchung „einen interessanten Beitrag zum Kapitel der Beziehungen zwischen Weißen, Indianern und Negern liefern und zugleich ein Seitenlicht auf die Frage der Entstehung des heutigen Abscheus der Weißen gegen Vermischung mit Negern werfen“ könnte. Er beschrieb über 12.000 englisch sprechende und wie amerikanische Farmer lebende Indianer, die außer weißem Blut zweifellos auch Negerblut in ihren Adern haben, sich aber seit etwa drei Generationen von den Negern fernhalten und sie genau so verachten wie es die Weißen tun – weil sie sonst wie Neger angesehen und behandelt würden!372

Nach einer zehntägigen Reise „durch das ‚schwarze Revier‘ bei Charleston“ war Kirchhoff von diesem in der damaligen amerikanischen Ethnologie vernachlässigten Forschungsfeld so fasziniert, dass er mit dem Gedanken spielte, „das Studium der Indianer für das der Neger Nordamerikas einzutauschen“373. Er entschied dann aber, sich in Chicago in die linguistische Feldforschung einführen zu lassen374. Günter Wagner führte in den USA ebenfalls ethnologische Feldforschung durch. Er hatte zuerst Besuche in mehreren Reservaten geplant, sich aber nach Beratung 370 Ebd. 371 Ebd. 372 Ebd. 373 Ebd. 374 Brief von P.  Kirchhoff an A.  W.  Fehling, 4.  Oktober 1930, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 23.

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durch Boas für einen dreimonatigen Aufenthalt bei den Comanche-Indianern entschieden375. Wagner erforschte dort den Peyote-Kult376 und Assimilierungsprozesse der „traditionellen Comanche-Kultur an die amerikanische Kultur“. Er trug viel Material zusammen, war sich aber nicht sicher, ob eine wissenschaftliche Auswertung möglich sei. „[I]n methodischer Hinsicht“ sei der Aufenthalt „sehr lehrreich“ gewesen und werde ihm für spätere Feldforschung in Afrika von Nutzen sein, konstatierte er. Wagner verbrachte außerdem kurze Zeit bei den Yuchi-Indianern, die er bereits bei einem früheren Amerikaaufenthalt untersucht hatte377. Zu einer Publikation seiner Feldforschungsergebnisse kam es nicht378, es blieb für Wagner bei wichtigen methodologischen Anregungen. War der Fellow vor seinem Stipendienaufenthalt vor allem durch die historische Methode Franz Boas’ beeinflusst worden, kam er in Chicago mit A. R. Radcliffe-Brown und seinen struktur-funktionalistischen Auffassungen in Kontakt. Die Rückreise verbrachte Wagner auf demselben Dampfer wie Malinowski und erhielt Einblicke in dessen funktionalistische Herangehensweise. Die Bekanntschaft mit Struktur-Funktionalismus und Funktionalismus prägte, so sein Biograph Udo Mischek, Wagners weitere Arbeiten, auch wenn er die von Boas übernommenen Ansätze nicht gänzlich aufgab379. Nicht nur die Ethnologen, auch die Geographen Gottfried Pfeifer und Emil Meynen nutzten die Stipendienzeit für Feldforschung. Pfeifer beteiligte sich in Berkeley an den wöchentlichen Exkursionen des geographischen Instituts unter der Führung Carl O. Sauers, einem Pionier der geographischen Feldforschung380. Als Gebiet für eigene Untersuchungen wählte der Stipendiat einige „Täler nördlich der Bay in Mapa and Sonoma countries“ aus. „Es handelt sich hierbei um das Gebiet der nördlichsten spanischen Frontier Region, in der schon sehr früh ein Zusammenstoss mit der vordrin-

375 Vgl. Mischek, Udo, Leben und Werk Günter Wagners (1908–1952) (Veröffentlichungen des Instituts für Ethnologie der Universität Leipzig, Fachgeschichte 2), Gehren, 2002 (zugl. Diss., Leipzig, 1999), S. 41 (Im Folgenden zitiert als Mischek, Leben und Werk). 376 Der Peyote-Kult war eine sich seit 1890 unter verschiedenen Indianerstämmen ausbreitende religiöse Bewegung aus indianischen und christlichen Elementen. Vgl. Mischek, Leben und Werk, S. 30, 33–36. 377 Vgl. Brief von G. Wagner an A. W. Fehling, 16. Dezember 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 378 Vgl. Mischek, Leben und Werk, S. 43. 379 Vgl. ebd., S. 45. 380 Zur Rolle Carl O. Sauers in der Entwicklung der amerikanischen geographischen Feldforschung siehe Mathewson, Kent, Between „In Camp“ and „Out of Bounds“: Notes on the History of Fieldwork in American Geography, in Geographical Review 91 (2001), S. 221–222. Siehe auch Pfeifers Nachruf auf Sauer, Pfeifer, Gottfried, Carl Ortwin Sauer † (24.12.1889–18.7.1975), in Geographische Zeitschrift 63 (1975), bes. S. 161–162.

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genden angelsächsischen Kolonisation erfolgte“381, erklärte er Fehling. Pfeifer bereiste diese Landschaft mehrmals und sammelte statistisches und historisches Material382. Als Sauer ihn auf eine halbjährige Forschungsreise nach Sonora einlud, bot sich Pfeifer „die ausserordentlich günstige Gelegenheit“, die „Auseinandersetzungen zwischen spanisch-mexikanischer und amerikanischer Kultur an den heutigen aktuellen Reibungszonen in Nordmexico“ kennenzulernen. Das Gebiet habe durch die „Entwicklung von modernen amerikanischen und europäischen Bergwerks- und Ackerbausiedlungen auch weltwirtschaftlich eine grosse Bedeutung“. Während Sauer an morphologischen und ethnogeographischen Fragen interessiert war, konzentrierte sich Pfeifer auf die Analyse der Wirtschaftsgeographie383 und studierte Hausformen sowie den Ackerbau in den Wüsten. Die Reise, an der die Ehepaare Sauer und Pfeifer teilnahmen, begann im Dezember 1929384 in Mazatlán in Sinaloa, um „von dort aus langsam mit unserem ‚field work‘ nach Norden vorzudringen“. Im Februar 1930 zog die Gruppe nach Culiacán, wo Sauers Frau so schwer erkrankte, dass das Ehepaar nach Nogales zurückkehrte. Pfeifer schloss sich zunächst Kroebers ethnologischen Untersuchungen am Río Mayo und Río Yaqui an, bevor auch er nach Nogales zurückreiste. Von dort aus besuchte er die Altarwüste und reiste noch einmal nach Mexico und ins Yaqui-Gebiet385. Pfeifer bezahlte die Fahrtkosten für die Eisenbahn selbst, die RF übernahm die Kosten anderer Beförderungsmittel und unterstützte ihn bei der Reiseausstattung. Die meisten Strecken wurden mit dem Auto zurückgelegt. „Wir leben, wie die Mexicaner leben, grösstenteils von Tortillas, Frijoles und carne secca“, so Pfeifer. Die Feldforscher übernachteten in „bescheidenen Casas de Huespedes“ oder „bisweilen im Freien“, während ihre Frauen in den grösseren Städten „immer gute Unterkunft mit erträglicher Kost“ fanden. „Kurzum“, schloss der Fellow seinen Reisebericht, „diese Zeit war eine der intensivsten Lehrzeiten in Geographie, die ich bisher gehabt hatte“386. Nachdem er 1936 eine Monographie über die Landschaft des nördlichen Kaliforniens publiziert hatte387, veröffentlichte Pfeifer 1939 eine geographische Studie über

381 Brief von G. Pfeifer an A. W. Fehling, 23. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 382 Vgl. ebd. 383 Vgl. Brief von G. Pfeifer an A. W. Fehling, 23. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 384 Vgl. Williams, Michael, To Pass On a Good Earth: The Life and Work of Carl O. Sauer, Charlottesville, London, 2014, S. 80 (Im Folgenden zitiert als Williams, To Pass On a Good Earth). 385 Vgl. Brief von G. Pfeifer an A. W. Fehling, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 386 Brief von G. Pfeifer an A. W. Fehling, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. Zu dieser Reise siehe auch Williams, To Pass On a Good Earth, S. 80. 387 Pfeifer, Gottfried, Die räumliche Gliederung der Landwirtschaft im nördlichen Kalifornien. Festschrift zum 75jährigen Bestehen, Leipzig, 1936 (Im Folgenden zitiert als Pfeifer, Die räumliche Gliederung). Über das Thema der Grenzen veröffentlichte er 1935 einen Artikel, vgl. Pfeifer, Gott-

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das besuchte Gebiet388, das dort zum ersten Mal beschrieben und analysiert wurde389. Mit Sauer verband Pfeifer eine langlebige Freundschaft390. Während Pfeifer eng mit amerikanischen Geographen zusammenarbeitete, ließ sich Emil Meynen zwar ausführlich beraten, forschte im Feld aber isolierter. Er bearbeitete das von Carl O. Sauer vorgeschlagene Thema „Warum hebt sich das Siedelgebiet der deutschtumspennsylvanischen Farmer so stark von andersstämmigen Farmergebieten ab?“391 Überschwänglich berichtete er im Frühjahr 1930 von seiner ersten Exkursion ins „Pennsylvania-Deutschland“: „Ein solcher Tag der ersten Eindrücke ist für den Geographen wohl immer einer der schönsten seines Lebens. Der Bericht meines Tagebuches ist lang“392. Im April war er „rüstig bei geographischer Feldarbeit“ anzutreffen. Er hatte einen gebrauchten Ford gekauft, eine „Grundforderung für ein unabhängiges Arbeiten“. In den von Pennsylvania-Deutschen bewohnten „townships und boroghs“393 ließ er einen 12-seitigen Erhebungsbogen ausfüllen, in dem Informationen zur Zusammensetzung der Bevölkerung, zur Bewirtschaftung und zu den Lebensumständen abgefragt wurden394. Nach mehreren Exkursionen, unter anderem nach Montgomery, Lancaster, York, Lebanon, Berks und Bucks, stellte er fest, dass die Gebiete im südöstlichen Pennsylvanien, in denen sich früh deutsche Auswanderer angesiedelt hatten, sich von anderen Regionen unterschieden: They not only differ in some folk-lore, or in some striking religious features, but also outstanding in the landscape as a mirror of economic life. The cultural appearance of the landscape (the kind and the intensity of field-cultivation, farm-buildings etc) is different in many communities, and I found in nearly every case the change due to the origin of the settlers395.

fried, Die Bedeutung der „Frontier“ für die Ausbreitung der Vereinigten Staaten bis zum Mississippi, in Geographische Zeitschrift 41 (1935), S. 138–158. 388 Pfeifer, Gottfried, Sinaloa und Sonora. Beiträge zur Landeskunde und Kulturgeographie des nordwestlichen Mexico, in Mitteilungen der Geographischen Gesellschaft in Hamburg  46 (1939), S. 289–460. 389 Vgl. Scofield, Edna, Review: A Study of Northwestern Mexico. Sinaloa und Sonora: Beiträge zur Landeskunde und Kulturgeographie des nordwestlichen Mexico by Gottfried Pfeifer, in Geographical Review 30 (1940), S. 513. 390 Vgl. Williams, To Pass On a Good Earth, S. 175. 391 Fahlbusch, Michael, Emil Meynen, in Haar, Ingo; Fahlbusch, Michael (Hgg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München, 2008, S. 422 (Im Folgenden zitiert als Fahlbusch, Emil Meynen). 392 Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 1. März 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 393 Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 1. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 394 Vgl. E. Meynen, Erhebungsbogen, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 395 Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 1. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22.

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Während die deutschstämmigen Siedler im Alltag Englisch sprachen und in ihren Gefühlen „entirely American“ seien, behielten sie ihre eigenen wirtschaftlichen Gewohnheiten bei396. Besonders in der Landwirtschaft konstatierte Meynen viele Ähnlichkeiten mit Deutschland, doch das „deutsche Dorf mit seiner so bezeichnenden Verbindung von Bauernhof, Gemischtwarenhandlung und Handwerk“ habe sich in Pennsylvanien nicht entwickelt. Er betonte zwar die Wissenschaftlichkeit seiner Arbeit, sah in ihr im Rahmen des 250. Jubiläums der Gründung der ersten deutschen Siedlung in Amerika Germantown 1933 aber auch einen „Rechenschaftsbericht“ zu „einem Markstein in der Geschichte der Pennsylvanien-Deutschen und darüber hinaus des deutschen Mutterlandes und des amerikanischen Volkes“397. Im Ersten Weltkrieg, so notierte Meynen, hätten viele Pennsylvanien-Deutsche als Freiwillige auf der Seite der Amerikaner gekämpft: „Hier sind Probleme, die mich natürlicherweise beschäftigen müssen, doch sie gehen über den Rahmen meiner persönlichen Arbeit hinaus, die nicht urteilen, sondern die Dinge einzig und allein wie sie sind, beschreiben und zu ihrem Verständnis beitragen soll“398. Die Pennsylvanien-Deutschen zeichneten sich für Meynen durch besonderen Fleiß aus: „Das augenfälligste Markzeichen der pennsylvanisch-deutschen Lande sind die ausladenden Schweizer Stallscheunen. Ihre Größe spiegelt die Fruchtbarkeit des Bodens, verrät den Fleiß der Besitzer und die Intensität der Bewirtschaftung. Der deutsche Bauer jätet nicht weniger als dreimal sein Maisfeld“399. Rockefeller Stiftung und Deutsches Komitee bewerteten Meynens Arbeit positiv: Er war einer der wenigen Stipendiaten, denen in den 1930er-Jahren ein drittes Stipendienjahr bewilligt wurde400. Er beeindruckte Van Sickle mit mehreren wohlwollenden Gutachten amerikanischer Professoren401, auch Schumacher nannte die „ungewöhnlichen Gutachten der amerikanischen Herren“ als ausschlaggebend für die Verlängerung sowie die Tatsache, dass die Forschungen in Deutschland nicht vollendet werden könnten402. Ein Komitee-Mitglied sah in Meynens Forschungen „ein Symbol deutscher und amerikanischer Wissenschaftsvereinigung“, das „daher dem Geiste der Foundation“ besonders entspreche403. 396 Ebd. 397 Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 3. August 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 398 Ebd. 399 Ebd. 400 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. Meynen, 6. Mai 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 401 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 10. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 402 Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 15. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 403 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 21. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25.

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Meynen beabsichtigte, seine ausgedehnten Feldforschungen mit „case-studies“ zu ausgewählten typischen Gemeinden abzuschließen404. In der Finanzierung seiner „Geländefahrten“ kam ihm die RF weit entgegen405. Als er im Januar 1932 zu einer Diskussion über seine „field work expenses“ zu Mr. Sharp und Miss Cole geladen wurde, war die „Ursache der Nachfrage“ nicht, dass er zu viel, „sondern zu wenig für ‚field expenses‘ nachgesucht“ hatte406. Meynen erhielt eine Reisekostenerstattung von 706 Dollar für das Jahr 1930 und von 350 Dollar für 1931. Im November 1931 hielt er fest, er habe bisher 8311 Meilen genehmigter Feldforschungsreisen mit dem Auto zurückgelegt407. Im dritten Stipendienjahr dachte Meynen „oft an die deutsche Heimat“408. Um seine Forschungen zu beenden, blieb er noch bis Dezember 1932 in Washington. „Beobachtungsmaterial und exzerpiertes Belegmaterial bilden Stöße von Papier. Bücher und Druckschriften hat man mir in großzügiger Weise zukommen lassen, hierunter namentlich solche Arbeiten, die unsere Bibliotheken im Reiche nicht besitzen dürften“409. Nachdem er 1937 seine umfangreiche Bibliographie veröffentlicht hatte410, publizierte er 1939 seine Forschungsergebnisse411. Der „American way of Life“ erschien dem Nationalsozialisten Meynen nun als Bedrohung der besonderen Lebenskultur der Pennsylvania-Deutschen412. Die rechtswissenschaftlichen Fellows lernten in den USA die „Case Method“ kennen. Bis 1870 war die Ausbildung amerikanischer Juristen nicht einheitlich organisiert gewesen und es gab Anwälte, die kein Jura studiert hatten. Die Zulassungsvoraussetzungen der im 19. Jahrhundert entstandenen Law Schools waren gering, viele verlangten keinen College-Abschluss. An der Spitze der Bemühungen, die Rechtswissenschaften als universitäre Disziplin zu etablieren und die Juristenausbildung zu vereinheitlichen, stand die Harvard University. Christopher C. Langdell entwickelte dort die „Case Method“, in der die Studenten durch Auseinandersetzung mit Gerichts404 Vgl. Brief von E. Meynen an M. C. Cole, 21. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 405 Vgl. Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 26. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 406 Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 2. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 407 Vgl. Brief von E. Meynen an M. C. Cole, 9. November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 408 Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 2. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 409 Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 25. September 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. E. Meynen, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 410 Meynen, Emil, Bibliographie des Deutschtums der kolonialzeitlichen Einwanderung in Nordamerika, insbesondere der Pennsylvanien-Deutschen und ihrer Nachkommen 1684–1933, Leipzig 1937. 411 Meynen, Emil, Das pennsylvaniendeutsche Bauernland, in Deutsches Archiv für Landes- und Volksforschung 3 (1939), S. 253–292. 412 Vgl. Fahlbusch, Emil Meynen, S. 422.

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entscheidungen induktiv ein Verständnis für das amerikanische Recht erlangen sollten413. Vorlesungen und Frontalunterricht wurden durch die fallbasierte Methode abgelöst, die sich an den Law Schools als bestimmende Lehrmethode durchsetzte414. Während sie in Harvard den Lehrbetrieb fast vollständig dominierte, wurde sie an der Columbia und der Yale University durch traditionelle Vorlesungen ergänzt415. „The ‚case method‘ having been initiated at the Harvard Law School, it seemed to be quite appropriate that I should begin my studies in Cambridge, Massachusetts“416, schrieb Hans Keller an die RF. Er verbrachte Herbst und Winter 1932 an der Harvard University und fand zu einem kritischen Urteil über die dort gelehrten Methoden, was er allerdings nur Fehling und nicht der Stiftung mitteilte. Die „positivistische Methode – niemand darf im völkerrechtlichen Seminar das Wort nehmen, der nicht jede seiner Behauptungen durch ein ‚Dokument‘ belegen kann“, sei seiner Arbeit wenig förderlich gewesen. Trotz des „wohlwollenden Interesse[s]“ der Professoren sei er im Wesentlichen „auf die materiellen Hilfsquellen beschränkt“ geblieben und habe vor allem in der Bibliothek gearbeitet. Anfang des Jahres 1933 zog er nach Washington, um dort die Library of Congress zu nutzen417. Die Juristin und langjährige Mitarbeiterin Mendelssohn-Bartholdys Magdalene Schoch zeigte größeres Verständnis für die amerikanischen Methoden, die sie „nicht allein vom theoretischdogmatischen Standpunkt“, sondern auch „unter dem Gesichtspunkt des Rechtsunterrichts und der Reform des juristischen Studiums in Deutschland“ interessierten. Sie hatte während ihres Aufenthalts Gelegenheit, die „Arbeitsmethoden des American Law Institute bei der Abfassung des ‚Restatement on Conflict of Laws‘ kennenzulernen und festzustellen inwieweit dieser Versuch der Systematisierung der Grundsätze des common law die Fallmethode im Rechtsunterricht beeinflusst“. In Yale erlebte sie „mit besonderer Deutlichkeit die Bemühungen um eine Nachprüfung der gesamten Fundamente der Rechtserkenntnis, die so charakteristisch für die heutige amerikanische Rechtswissenschaft ist und die die Geister immer wieder zum Streit ruft“418. Max Rheinstein erhielt an der Columbia Law School, der Harvard University, der University of Pennsylvania und der George Washington University einen „recht 413 Vgl. Lepsius, Oliver, Verwaltungsrecht unter dem Common Law: amerikanische Entwicklungen bis zum New Deal, Tübingen, 1997, S. 221, 224 (Im Folgenden zitiert als Lepsius, Verwaltungsrecht). 414 Vgl. Forrester, John, Wenn p, was dann? In Fällen denken, in Düwell, Susanne; Pethes, Nicolas (Hgg.), Fall – Fallgeschichte – Fallstudie: Theorie und Geschichte einer Wissensform, Frankfurt am Main, 2014, S. 159–160. 415 Vgl. Lepsius, Verwaltungsrecht, S. 238. 416 Brief von H. Keller an S. May, 11. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 417 Brief von H. Keller an A. W. Fehling, 15. April 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 418 Brief von M. Schoch an A. W. Fehling, 5. März 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42.

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guten Eindruck von der Case Method im allgemeinen und ihrer Ausgestaltung durch die individuellen Persönlichkeiten“. Wie Schoch interessierte er sich für den amerikanischen Rechtsunterricht und die Reformbemühungen. Auch er verfolgte die Arbeiten des American Law Institute, das aus „zahllosen Entscheidungen der Gerichte der 48 Einzelstaaten und des Bundes“ das „völlig unüberschaubar gewordene Common Law“ kodifiziere. Er nahm an einigen Arbeitssitzungen teil und wurde zur Vollversammlung eingeladen. „Die Debatten zwischen den hervorragendsten amerikanischen Juristen gehören zu den interessantesten und wertvollsten Eindrücken, die ich hier gewonnen habe“, bemerkte er. Er habe sehen können, „welch überragenden Einfluss die Universitätsprofessoren in der Entwicklung des heutigen amerikanischen Rechts einnehmen“419. Sowohl Rheinstein als auch Friedrich Kessler interessierten sich für die Methode des Rechtsvergleichs. Letzterer plante einen rechtsvergleichenden Artikel zum Börsenrecht und wurde um rechtsvergleichende Hinweise für ein neues „casebook“ zum Wechsel- und Scheckrecht gebeten420. Sowohl für die Anthropologen wie auch für die Juristen stellten die USA ein fruchtbares Forschungsfeld dar, in dem sie methodische Anregungen erhielten und an wissenschaftlichen Projekten beteiligt wurden. Wirtschaftswissenschaftliche Forschungen in der Weltwirtschaftskrise

Der Wirtschaftswissenschaftler Hanns Linhardt wurde während seiner Forschungen zu „amerikanischen Investment Trusts“ von der Weltwirtschaftskrise überrascht421. Anfang 1929 verfolgte er den Amtsantritt des Präsidenten Herbert Hoover und hatte das Gefühl, einen historischen Wendepunkt des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Lebens mitzuerleben: Ich frage mich manchmal, ob es in spaeteren Jahrzehnten so interessant sein wird, zu leben wie jetzt und ob diese rasende Bewegung, ich will nicht sagen Entwicklung, ob sie nach oben oder unten geht. Der augenblickliche Zustand des gesellschaftlichen Lebens kann der Ausgangspunkt sein sowohl zu einer Revidierung aber auch zu einer voelligen Umgestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft422. 419 Brief von M.  Rheinstein an A.  W.  Fehling, 20.  März 1934, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 39. 420 Vgl. Brief von F. Kessler an A. W. Fehling, 21. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 421 H. Linhardt, Anlage zu einem Brief von H. Linhardt an A. W. Fehling, 25. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 422 Brief von H. Linhardt an H. Schumacher, 8. März 1929, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2280, Blatt 24.

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Linhardt plante eine monographische Behandlung seines Themas mit Beschreibungen einzelner Investment Trusts, dem Vergleich statistischer Daten und theoretischen Überlegungen zur ökonomischen Funktion und der Stellung der Trusts im Geld- und Kapitalmarkt423. Der Aufenthalt in den USA führte ihn zu einer kritischen Betrachtung von in der deutschen Wirtschaftswissenschaft behandelten Fragen. Diese deckten sich nur wenig „mit der Dringlichkeitsskala der Probleme“424, schrieb er im April 1929 an Schumacher. Im Mai 1930 teilte er Fehling mit, er habe seine Arbeit zwar weiter verfolgt, aber nicht ausgearbeitet oder veröffentlicht. „Was waere eine Arbeit ueber das Gebiet, die Ende 1929, oder gar Mitte 1929 abschliesst? Die Neuorientierung nach dem Boersenkrach ist noch im Gange“. Schon vor einem Jahr habe ihn ein New Yorker Bankier gefragt, ob er „grosse Freude daran habe, Leichenreden zu halten“425. Auch eine bereits vor der Abreise druckreife Arbeit über britische Investment Trusts veröffentlichte Linhardt nicht, da er sie zuvor „haette auffrischen“ müssen. Stattdessen entschied er sich für eine Umarbeitung und versuchte, die Untersuchung „in der toetlichsten Kleinarbeit“ auf die „breiteste Zahlenbasis zu stuetzen, die ueberhaupt erhaeltlich ist“. Er habe jetzt eine Arbeit „so gut wie fertig“, die „schon allein wegen des Zeitaufwandes kein anderer als ein Rockefeller Fellow“426 hätte schreiben können. Die Stipendienzeit prägte Linhardt nachhaltig. Nach seiner Rückkehr nach Münster notierte Van Sickle im Mai 1931: L’s fellowship proved most up-setting, both scientifically and spiritually. It made him distrust much of the work he had done before and it caused him to lose his catholic faith – and with it the support of his catholic professors. He is still in the throes of a spiritual revolution – is unhappy and depressed. Fehling is convinced however that there is good stuff in him and that he will eventually come out all right427.

Erst 1935 veröffentlichte Linhardt das überarbeitete Manuskript seiner Habilitationsschrift zu den britischen Investment Funds428. Die Arbeit schloss nicht mehr mit der Weltwirtschaftskrise, sondern mit einem Vergleich zu den Jahren 1932/33 ab429. 423 Vgl. H. Linhardt, Anlage zu einem Brief von H. Linhardt an A. W. Fehling, 25. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 424 Brief von H. Linhardt an H. Schumacher, 27. April 1929, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2280, Blatt 25. 425 Brief von H. Linhardt an A. W. Fehling, 30. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 426 Ebd. 427 J. Van Sickle, Diary, 16. Mai 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 45. 428 Linhardt, Hanns, Die britischen Investment Trusts. Betriebs- und finanzwirtschaftliche Forschungen, Berlin, 1935. 429 Vgl. A. W. Fehling, Dokument ohne Titel, o. D., in BAB, R 73/12733.

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Das Buch über amerikanische Investment Trusts publizierte er nicht. In seinem Fall führte die Erfahrung des Auslandsaufenthalts zu einer wissenschaftlichen und persönlichen Neuausrichtung, die für den Stipendiaten selbst nicht ohne Schwierigkeiten war. Ein transnationaler wissenschaftlicher Austausch

LSRM und RF erwarteten, dass der Auslandsaufenthalt die wissenschaftliche Arbeit der Stipendiaten befruchten und ihnen methodische Anregungen geben würde. Neben Eva Flügge und Rudolf Heberle profitierten Otto Brok, Leo Drescher und August Lösch in fachlicher Sicht stark von ihrem Amerikaaufenthalt. Brok war mit dem Plan in die USA gereist, dort „die kulturelle Eigenart der amerikanischen Stadt“ und die Beziehungen von Stadt und Land zu erforschen. Unter Einfluss der „Studien der Parkschen Schule“ begann er jedoch, sich Bevölkerungsproblemen zuzuwenden. Er untersuchte städtische „foreign communities“ und den Alters- und Geschlechtsaufbau der amerikanischen Stadtbevölkerung, bis er sich der „Einfügung dieser verschiedenen Gruppen in die Stadt als politischen Körper“ zuwandte. Der Stipendiat kam in engen Kontakt mit den „theoretischen Postulaten der Chicagoer Soziologie, das ist erstens der Ökologie, ‚der Lehre von den sozialen Gruppen im sozialen Raum‘“ und zweitens der „case study method“. Später wandte er sich dem Studium der Stadtverwaltung in den USA und dem „Geist des amerikanischen Städters“430 zu. Leo Drescher hatte seinen Arbeitsplan zur „verkehrswirtschaftlichen Verflechtung der Landwirtschaft in den Vereinigten Staaten“ im April 1932 in deutscher Perspektive konstruiert: Es ist dabei beabsichtigt, die zur Frage der Verkehrswirtschaft und des Kapitalismus brauchbare amerikanische Literatur einzubauen und kritisch zu würdigen. Die ganze Frage­stellung basiert natürlich auf deutschen Untersuchungen und ist nach Gesichtspunkten orientiert, die in der deutschen Nationalökonomie zuerst ausgesprochen und vertreten wurden431.

Vor Ort wählte er allerdings schnell ein neues Thema, „eine vergleichende Untersuchung über die verschiedenen Auffassungen und Forschungsmethoden auf den Gebieten der Agrarökonomik in Europa und den Vereinigten Staaten“432. Seine Lehrer 430 Brief von O. Brok an A. W. Fehling, 18. Januar 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 431 Brief von L. Drescher an A. W. Fehling, 14. April 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 432 Brief von A. W. Fehling an C. von Dietze, 29. Dezember 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32.

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Constantin von Dietze und Max Sering waren „beide der Meinung, daß die selbständige Wahl dieses Themas sehr für Drescher spricht“ und erklärten sich mit dem neuen Habilitationsthema einverstanden433. Auch Fehling lobte den Stipendiaten, durch die vergleichende Arbeit werde Drescher „ja ein Musterbeispiel für die eigentlichen Ziele des Stipendienplanes!“434 Drescher bezog schließlich auch England, Frankreich und Deutschland in seine Studie über „Aufgaben und Grenzen der agrarökonomischen und agrarsoziologischen Wissenschaften“ ein435. Die RF erlaubte ihm jeweils zweiwöchige Besuche in diesen Ländern am Ende des zweiten Stipendienjahrs436. In Deutschland veröffentlichte Drescher 1934 einen englischsprachigen Artikel, der den amerikanischen „agricultural economists“ das nationalsozialistische, auf der Blut- und Boden-Ideologie fußende preußische Erbhofgesetz von Mai 1933 erklären sollte437. 1937 erschien als Ergebnis seines Amerikaaufenthalts die sich letztlich auf einem deutsch-amerikanischen Vergleich konzentrierende Studie über „Agrarökonomik und Agrarsoziologie“438. August Lösch arbeitete in den beiden Stipendienjahren 1934/35 und 1936/37 die Theorie der räumlichen Ordnung der Wirtschaft aus, mit der er bekannt wurde. Er habe, so schrieb er Fehling, über „Natur und Abgrenzung von Wirtschaftsgebieten viel Neues“ erfahren und sei zu einer wirklichkeitsnäheren Erklärung zwischenstaatlicher und landwirtschaftlicher Wirtschaftsbeziehungen gekommen. Die USA hielt er durch ihre Größe und die geringe historische Festlegung für ein Beobachtungsgebiet, in dem sich das Wirtschaftliche „reiner und einfacher“439 auswirke. Lösch ging von „reinen Wirtschaftsgebieten“ aus, die „durch den Einfluss des Raumes an sich 433 Brief von C. von Dietze an A. W. Fehling, 6. Januar 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 434 Brief von A. W. Fehling an L. Drescher, 22. Dezember 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 435 Brief von L. Drescher an A. W. Fehling, 22. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 436 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 12. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 437 Drescher, Leo, The New German Inheritance Law for Agriculture (Erbhofgesetz), in Journal of Farm Economics 16 (1934), S. 149–151. 438 Drescher, Leo, Agrarökonomik und Agrarsoziologie: über die Aufgaben und Grenzen der Agrarwissenschaften. Ein Vergleich zwischen der Entwicklung in Deutschland und der in den Vereinigten Staaten von Amerika, Jena, 1937. Ein Jahr zuvor hatte er bereits einen Artikel zur amerikanischen Landwirtschaft veröffentlicht. Vgl. Drescher, Leo, Landwirtschaft und Agrarpolitik der Vereinigten Staaten von Amerika bis zur Agricultural Adjustment Administration, in Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik/Journal of Economics and Statistics 143 (1936), S. 163–192, weitere folgten, etwa Drescher, Leo, Die Staatskredite und Subventionen für die Landwirtschaft der Vereinigten Staaten, in Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik/Journal of Economics and Statistics 150 (1939), S. 610–615. Siehe auch Dietze, Constantin Von, Methods and Objectives of Scientific Agrarian Policy, in Land Economics 26 (1950), S. 365 (Im Folgenden zitiert als Dietze, Methods and Objectives). 439 Brief von A. Lösch an A. W. Fehling, 20. Juni 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43.

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entstehen“. Die Stadt betrachtete er als industrielles Zentrum der umliegenden Landschaft und, von Thunen inspiriert, als „Mittelpunkt ihres Absatzes“. Als erstes Ergebnis seiner Untersuchungen hielt er fest, dass es „verschiedene wirtschaftliche Stadttypen, jede mit einem besonderen optimalen Standort“ gebe. In einem weiteren Schritt analysierte Lösch „einfache Wirtschaftsgebiete, die durch ausseroekonomische Faktoren bestimmt sind, also besonders durch Natur, Bevoelkerung und Politik“, um anschließend aus der Überlagerung dieser Gebiete „wirtschaftliche Landschaften, wie sie in Wirklichkeit sind“ zu erhalten440. Seine Grundannahmen hoffte Lösch im amerikanischen Mittelwesten verifizieren zu können441. Algebraisch und geometrisch untersuchte er „das Wesen von Wirtschaftsgebieten“ und „ihre gegenseitigen Beziehungen“, wobei sich ihm die „geometrische Methode als nützlicher“ erwies: Ich fand, dass die wirtschaftlichste Form von Wirtschaftsgebieten das regelmässige Sechseck ist; dass in von Natur aus gleichförmigen Ländern (wie es der amerikanische Mittelwesten ist) die Städte der Tendenz nach regelmässig verstreut sind; dass viele Arten wirtschaftlicher Tätigkeit an Städte einer bestimmten Grösse gebunden sind; dass das Preisniveau eines Staates mehr einem hügeligen Gelände gleicht als einer glatten See; dass diese Unterschiede im Preisniveau sogar über die politischen Grenzen hinweggehen, wie Bergzüge; dass der beste Standort für Erzeugung und für Verbrauch nicht zusammenfällt442.

Die Einzelergebnisse wollte Lösch zu „einer realistischen Anschauung und systematischen Theorie des internationalen Handels“ ausbauen. Seine Forschungsergebnisse besprach er mit Joseph Schumpeter443, über den er im Dezember 1934 in seinem Tagebuch notierte, er sei wie ein Vater für ihn444. In Deutschland beendete Lösch die Arbeiten am Manuskript, das 1940 mit Hilfe eines „grant-in-aid“ der RF von 900 Dollar445 unter dem Titel „Die räumliche Ordnung der Wirtschaft“ veröffentlicht wurde446. Andreas Predöhl holte den ehemaligen Fellow als wissenschaftlichen Mitarbeiter ans Kieler Weltwirtschaftsinstitut. Lösch, der ein 440 A. Lösch, Bewerbung um Erneuerung meines Stipendiums, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 441 Vgl. ebd. 442 A. Lösch, Bericht über meine Tätigkeit als Rockefeller Stipendiat 1934/5, 27. Februar 1936 in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. 443 Ebd. 444 Vgl. Lösch, Aus Tagebüchern und Briefen 1925 bis 1945, S. 89. 445 Vgl. A. Lösch, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences, Germany. 446 Lösch, August, Die räumliche Ordnung der Wirtschaft. Eine Untersuchung über Standort, Wirtschaftsgebiete und internationalen Handel, Jena, 1940. Eine zweite Auflage erschien 1944.

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Gegner des Nationalsozialismus war, starb im Mai 1945 im Alter von 39 Jahren an einer Infektion447. Heute gilt er laut Edwin von Böventer „als einer der größten Theoretiker auf dem Gebiet der räumlichen Wirtschaftsbeziehungen und der Standorttheorie innerhalb einer verallgemeinerten ökonomischen Theorie unter Einbeschluß des Raumes“448. „Die räumliche Ordnung der Wirtschaft“ wurde in zahlreiche Sprachen übersetzt449. Die amerikanische Ausgabe erschien, durch den SSRC unterstützt, 1954 unter dem Titel „The Economics of Location“450. Viele Stipendiaten verwerteten ihre amerikanischen Erfahrungen in Lehrveranstaltungen und wissenschaftlichen Arbeiten. „My intention is to introduce in Germany the great research work which Professor Commons and his pupils carried out in labor history“, erklärte Arvid Harnack und fügte hinzu: „This work is practically unkown there“451. Wilhelm Kromphardt, der in den USA die Tendenzen der Konjunkturforschung erforschte, hatte bereits in seinem Antrag betont, es gehe ihm nicht um eine Übernahme amerikanischer Methoden, sondern „darum, aus dem Studium dieser Methoden neue Methoden zu entwickeln“452. Auch amerikanische Professoren wie John D. Black in Harvard sahen in den Fellows Botschafter amerikanischer Methoden in Deutschland. Black schickte Kurt Schneider zum Bureau of Agricultural Economics: „It seems to me highly important that some German student really spend enough time in the United States to understand what we agricultural economists are trying to do and take it back with him“. Für Black handelte es sich nicht um einen eindirektionalen Transferprozess, denn er ergänzte: „It is also much worth while for us to have Dr. Schneider with us for what he can contribute about the German methods of attack and points of view“453. Kam es also auch zu einem Austauschprozess durch die von den deutschen Fellows in die USA mitgebrachten wissenschaftlichen Vorstellungen? Die Stipendiaten stellten ihre bisherigen Forschungen in Seminaren vor und nahmen an Diskussionsveranstaltungen teil. Emil Meynen formulierte den Anspruch, seine „kulturgeographische Untersuchung des pennsylvanien-deutschen Siedlungsgebietes“ solle „zugleich 447 Vgl. A. Lösch, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences, Germany. Er hatte sich nach der deutschen Kapitulation an Scharlach angesteckt. Vgl. Zottmann, Anton, Erinnerungen an August Lösch, in Riegger, Roland (Hg.), August Lösch in Memoriam, Heidenheim, 1971, S. 27, 31. Siehe auch Mackensen, Rainer, August Lösch – ein deutscher Bevölkerungswissenschaftler 1932–1945, in Zeitschrift für Bevölkerungswissenschaft 16 (1990), S. 416. 448 Böventer, Edwin von, August Lösch, in NDB 15 (1987), S. 59–60. 449 Vgl. ebd. 450 Lösch, August, The Economics of Location: A Pioneer Book in the Relations Between Economic Goods and Geography, New Haven, 1954. 451 Brief von A. Harnack an das LSRM, 9. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 452 Brief von W. Kromphardt an A. W. Fehling, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 453 Brief von J. D. Black an A. W. Fehling, 21. Februar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19.

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für die amerikanische geographische Forschung […] ein methodisch wegweisender Beitrag sein“454. Konrad Mellerowicz war sich sicher, dass die Ergebnisse seiner Forschungen zur Selbstkostenrechnung in Eisenbahnbetrieben sowohl für die deutsche als auch für die amerikanische Seite nützlich seien455: „Die amerikanischen Stellen sind an meiner Arbeit, vor allem soweit sie eine kritische Darstellung der Methoden der Selbstkostenrechnung betrifft, interessiert“. In Deutschland wollte er die amerikanischen Untersuchungen durch Forschungen zu den Selbstkostenrechnungsmethoden der Deutschen Reichsbahn ergänzen, da ihm „nach Kenntnis der amerikanischen Methode, manches zweifelhaft geworden“456 war. Da viele der Stipendiaten mehrere Länder im Rahmen ihrer Stipendienzeit besuchten und mit den Fellows der anderen am Programm teilnehmenden Länder in Kontakt traten, kann von einem multidirektionalen, transnationalen Austauschprozess wissenschaftlicher Methoden ausgegangen werden, der sich nicht auf Deutschland und die USA begrenzte. In den Beratungsgesprächen, der Seminarteilnahme, den Besprechungen mit Stiftungsmitarbeitern und dem informellen Austausch zwischen Fellows und amerikanischen Wissenschaftlern manifestierte sich ein Raum wissenschaftlicher, manchmal auch disziplinenübergreifender, transnationaler Diskussion. Freundschaftliche Kontakte, kulturelle Unterschiede und „Amerikamüdigkeit“

Die Gastfreundschaft und Freundlichkeit der Amerikaner wurde von fast allen deutschen Stipendiaten hervorgehoben. Für Eva Flügge lag einer der großen Vorteile des Stipendiums in der Möglichkeit, das amerikanische private, studentische und geschäftliche Leben kennenzulernen. „That will certainly help to a mutual understanding of the nations, and we surely have to thank the American citizens who so kindly provide those possibilities“457. Clara Maria Liepmann lobte 1928 „die unermüdliche Hilfsbereitschaft der Amerikaner und ihr Eifer, einem alles zu zeigen“. Fehling hatte vor der Ausreise gewarnt, dass sie in den USA „an menschlichen Beziehungen Mangel haben könnte“, doch sei dies „noch nirgends der Fall gewesen“. Sie habe überall

454 Brief von E. Meynen an die Laura Spelman Rockefeller Gedächtnisstiftung, 14. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 455 Vgl. Brief von K. Mellerowicz an J. Van Sickle, 4. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 456 Brief von K. Mellerowicz an A. W. Fehling, 28. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 457 E. Flügge, Annual Report, o. D. (1926), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10, S. 4.

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„Gastlichkeit und Freundlichkeit in überraschendem Masse getroffen und Freundschaften von dauerndem Wert schliessen können“458. Auch Heberle war von Fehling darauf hingewiesen worden, dass er in den USA vielleicht niemanden finden würde, mit dem er sich „richtig ‚aussprechen‘ könne“. Fehling habe insofern Recht behalten, stellte Heberle vor Ort fest, als er „nur mit ganz wenigen Amerikanern Freundschaft geschlossen habe und im allgemeinen konstatieren musste, dass man sich mit Europäern eben doch besser versteht“459. Er habe allerdings auch nicht versucht, sich in das soziale Leben einer der Universitäten einzufügen. Vor der Ausreise habe er geglaubt, „Amerika müsse für Menschen, die stark durch unsere Jugendbewegung beeinflusst sind, ein besonders schwieriges Milieu abgeben“. Seine eigenen Erfahrungen hätten ihm nun gezeigt, „dass dem nicht so ist – wenigstens solange man sich in den Kreisen bewegt, mit denen unser einer eben in der Regel zu tun haben wird, also der jüngeren Intellektuellen-Schicht“. Am schwersten hätten es wohl „die ganz überwiegend intellektuellen und ein gewisser Typ von eckig-schneidigen Leuten“460. Merkert hatte den Eindruck, dass die amerikanische Bevölkerung freundlicher sei, je weiter man nach Westen komme. Er sei überall „herzlichst aufgenommen“ worden. „Die blosse Anwesenheit half Voreingenommenheiten gegen Deutsche zu beseitigen, soweit solche durch die Kriegspropaganda noch vorhanden waren“. Die Studenten und Professoren hätten auch angeboten, ihm „die Umgebung einer Stadt zu zeigen“ und ihn „mit anderen Persoenlichkeiten bekanntzumachen“461. Für Harnack war es im zweiten Stipendienjahr leichter, persönliche Beziehungen einzugehen: Every foreigner who comes to a new country has personal prejudices which hinder his free outlook. They disappear partly after some time. Therefore, in the second year it becomes easier for him to contact with liberal-minded Americans. By ‚liberal minded‘ I understand not so much ‚free from prejudices‘ as ‚willing to understand‘ – prejudices are to be found here quite as often as in Europe462.

Harnack hatte sich bereits im ersten Jahr für das Zusammenbringen amerikanischer und ausländischer Studenten engagiert, dies sei jedoch aufgrund unterschiedlicher 458 Brief von C. M. Liepmann an A. W. Fehling, 24. Oktober 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 459 Brief von R. Heberle an A. W. Fehling, 11. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 460 Ebd. 461 Brief von E. Merkert an A. W. Fehling, 29. November 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13. 462 A. Harnack, Annual Statement of Academic Work and Activities 1927, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14.

Die Erfahrungen der deutschen Fellows in den USA

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Denkweisen schwierig gewesen463. Als Mitglied des Schülerkreises von J. R. Commons nahm er an dessen „Freitagabendzirkeln“ mit Vorträgen teil464. Über seine amerikanische Frau Mildred Fish kam er mit einer Studiengruppe englischer Literatur in Kontakt, zudem baute das Ehepaar einen wöchentlichen Lesezirkel zu Shakespeare auf465. Harnack lud mehrere Professoren der University of Wisconsin und europäische Gelehrte, unter ihnen Rein und Röpke, die als „visiting professors“ des LSRM durch die USA reisten, in sein Haus ein466. Heberle und Brok gründeten in Chicago eine „Deutsche Studentengruppe Chicago“467, die „Dinner“ mit Vorträgen veranstaltete468. Rheinstein fand bei den Mitgliedern der Columbia University „ausserordentlich freundliche[s] Entgegenkommen“, das ihm und seiner Familie „das Einleben leicht gemacht“ habe. „Wir haben viel gesellschaftlichen Verkehr innerhalb und ausserhalb der Columbia Fakultät, viel Anregung und damit einen guten Einblick in amerikanisches Leben“469. August Lösch berichtete im Februar 1935 aus Cambridge, er sei „ueberrascht von der natuerlichen Gastfreundschaft, die man hier findet, und von der Selbstverstaendlichkeit, mit der man jeden gelten laesst und ihm auf alle Faelle eine Chance gibt, ohne Ruecksicht auf Herkunft und Ueberzeugung“. Nirgends sei er auf „irgendwelche Reserven, weil man Deutscher ist“, gestoßen, nie ein ungutes Wort ueber Deutschland. Nicht-verstehen-koennen und Ablehnen des Politischen, ja, aber alles in einer durchaus fairen Form, die eine ruhige Antwort vertraegt. Das einzige Mal, wo ich Hass spuerte, war’s ein amerikanischer Jude, waehrend die paar emigrierten Juden, die ich traf, sich noch ganz als Deutsche fuehlten470.

463 Vgl. A. Harnack, Annual Report (1926), o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 464 Vgl. Brief von A. Harnack an A. W. Fehling, 7. August 1926, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 10. 465 Vgl. A.  Harnack, Annual Statement of Academic Work and Activities 1927, o.  D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 14. 466 Vgl. A. Harnack, Annual Report (1926), o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. 467 Vgl. Brief von O. Brok an A. W. Fehling, 16. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 468 Vgl. Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 25. Juni 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 469 Brief von M.  Rheinstein an A.  W.  Fehling, 20.  März 1934, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 39. 470 Brief von A. Lösch an A. W. Fehling, 18. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42.

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In einem privaten Brief hielt er fest: „Die Weltoffenheit, mit der man hier den Fremden aufnimmt, wo immer er herkommt, ohne auch nur im Geringsten sich selbst zu verlieren, war einer meiner stärksten Eindrücke“471. Nicht alle Stipendiaten knüpften engere Kontakte mit Amerikanern. Gottfried Pfeifer schrieb 1929 an Fehling: „Leider habe ich ausser Verkehr in Fachkreisen noch nicht viel Anschluss gefunden. Und wenn man mit irgend jemand zusammenkommt ist es ja doch nur irgend ein Liebhaber Europas und Amerikamüder – und an denen liegt mir garnicht so viel“472. Auch Alexander von Schelting verbrachte die erste Zeit in New York lesend. Als Gründe führte er sein „limited knowledge of the English language, in its conversational aspects“ und den Zustand seiner Zähne an, deren Behandlung die Möglichkeiten des persönlichen Kontakts einschränkten473. Leo Drescher bemerkte, dass es schwierig sei, Personen für eine wissenschaftliche Aussprache zu finden: „Vielleicht sind wir Deutschen in dieser Hinsicht zu anspruchsvoll. Jedenfalls fällt mir auf, dass die Stipendiaten, die ich bisher getroffen habe, die gleiche Beobachtung gemacht haben“474. Diese Schwierigkeiten muss Lösch seinem Mentor Constantin von Dietze ausführlicher geschildert haben, zumindest schrieb dieser an Fehling, dass dem Stipendiaten „das Einleben“ in die Verhältnisse in Madison „scheinbar nicht ganz leicht“ fiele475. Linhardt teilte Schumacher mit, dass ihm das Ankommen in New York schwergefallen sei476, er habe „wenig Umgang und Ablenkung“477. Nach seiner Rückkehr schilderte er seine ersten Erfahrungen anschaulich: So kam ich als ungehoernter Siegfried in den Kampf mit dem Ungeheuer New York und bin nicht ganz unversehrt daraus hervorgegangen. Dort stiller Beobachter zu sein und nicht von dem Gefuehl gottverlassener Nichtigkeit angefressen zu werden erfordert ein volles Mass von Selbsteinbildung478.

Auch andere Stipendiaten zeigten sich von der Stadt New York in ihrer Größe, Unübersichtlichkeit und Pracht beeindruckt. 471 Brief von A. Lösch an L., April 1935, in Lösch, Aus Tagebüchern und Briefen 1925 bis 1945, S. 90. 472 Brief von G. Pfeifer an A. W. Fehling, 28. März 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 473 A. von Schelting, Report, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44. 474 Brief von L. Drescher an A. W. Fehling, 30. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 475 Brief von C. von Dietze an A. W. Fehling, 28. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 476 Vgl. Brief von H. Linhardt an H. Schumacher, 8. März 1929, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2280, Blatt 24. 477 H. Linhardt, Bericht über die Zeit vom 1. September 1928 bis 1. März 1929, o. D., in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2280, Blatt 23. 478 Brief von H. Linhardt an H. Schumacher, 31. August 1930, in LB Oldenburg, NL H. Schumacher, HS 362.2280, Blatt 27.

Die Erfahrungen der deutschen Fellows in den USA

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Bei den beiden nationalsozialistischen Stipendiaten Wollenweber und Leibbrandt führte der Amerikaaufenthalt zu einer Verfestigung ihrer politischen Haltung. Wollenweber bemerkte, dass er Schwierigkeiten mit der Verständigung nur „in geringem Maße“ gehabt habe: Dank dem Höflichkeits- und selbstverständlichen Achtungsgefühl des Amerikaners und Kanadiers, dank auch seiner Europa vielfach überlegenen Ungezwungenheit, habe ich nie besondere Schwierigkeiten in der Gewinnung der Kontakte gehabt. Der Unterschied in der Pflege in der Gesellschaft liegt vornehmlich in dem vergleichsweise zum Europäer geringer ausgeprägtem Gefühl, daß auch die rechte Pflege gesellschaftlicher Beziehungen viel Zeit beanspruchen muß. Persönlich hatte ich wohl anfangs eine zu starke Konzentrationsfähigkeit vorausgesetzt, deren Fehlen mir aber nicht nur verständlich, sondern heute vielleicht gar recht wertvoll zu sein scheint479.

Freundschaften habe er nicht geschlossen, er sei aber persönliche Verbindungen, „die länger dauerten und dauern werden, als für die Zeit des örtlichen Aufenthalts“ eingegangen, aber nicht mit Amerikanern: Durchweg handelt es sich alsdann um Persönlichkeiten, die in ihrer Grundhaltung mit meinen sozialen Anschauungen und damit im Fundament mit meinen wissenschaftlichen persönlichen Erkenntnissen ähnlichen oder doch verwandten nordeuropäischen Ländern entstammen. Zur Zeit sind dies Isländer, Schotten, Engländer, Norweger, Schweden und Mennoniten480.

Als einen Vorteil der Stipendienzeit sah er, dass das „fremde Leben, Denken und Fühlen“ zur „Überprüfung der eigenen Gedanken und Gefühlswelt“ zwang und bei ihm „die mehr nur erahnte Richtigkeit früherer Anschauungs- und Betrachtungsweise sowie deren Resultate“ erhärtete. Kurz vor der Ausreise hatte Wollenweber Fehling stolz von seinem Antrag auf Mitgliedschaft in der NSDAP berichtet. Als Nachteil der Stipendienzeit nannte Wollenweber: „Das volle und stets bewußt von mir gepflegte Mitschwingen des vollen Heimaterlebens ist naturgemäß nicht möglich“481. Georg Leibbrandt teilte Kittredge mit, dass das Stipendium nicht nur durch die wissenschaftliche Arbeit ein Erfolg für ihn persönlich gewesen sei: „I tried as well to get better knowledge of the country and its institutions, the people and their present day problems“. Er hoffe, „to contribute my modest share in the field of my work to 479 H. Wollenweber, Betrifft: Fragebogen betr. Anpassung des R. Fellows in Amerika, 6. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40, S. 2. 480 Ebd. 481 Ebd., S. 6.

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Erfahrungen und Erlebnisse

the understanding of the people, which to-day more than at any other time is necessary among nations“482. Leibbrandt dachte bei diesen Bemerkungen wahrscheinlich an seine Arbeit für die NSDAP in den USA, mit der er mehr Verständnis für die nationalsozialistische Politik in der amerikanischen Bevölkerung wecken wollte. Trotz vieler positiver Erfahrungen litten einige der deutschen Stipendiaten unter „Europa-Sehnsucht“. Vossler erklärte: „was einem an Amerika nicht gefällt, nimmt man sich verantwortungsfrei doch nicht zu Herzen, es wird eben bloss interessant, nicht ärgerlich oder gar bedrückend“483. Bei Brok nahm die „Amerikamüdigkeit“ am Ende seines Aufenthalts „von Woche zu Woche zu“484. Freund zog das Fazit: „Natürlich hängt das, was ein fellow aus diesem einen oder zwei Jahren macht, in der Hauptsache von ihm selber ab – noch viel mehr in Amerika als in England. Aber so weit die Stiftung einem die Wege ebnen kann, tut sie es, das ist doch der erfreuliche und angenehme Eindruck, den ich aus meinen bisherigen Erfahrungen gewonnen habe“485. Während ein großer Teil der deutschen Stipendiaten sich auf das Leben in den Vereinigten Staaten einließ, Freundschaften knüpfte, sich einlebte und sich mit den amerikanischen Methoden auseinandersetzte, blieben wenige, wie Wollenweber, einer prinzipiellen Ablehnung der amerikanischen Lebensweise verhaftet und profitierten dadurch weniger von dem Stipendienplan und seinen Möglichkeiten.

482 Brief von G.  Leibbrandt an T.  B.  Kittredge, 8.  Januar 1934, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 38. 483 Brief von O. Vossler an A. W. Fehling, 19. Mai 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12. 484 Brief von O. Brok an A. W. Fehling, 5. Juli 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 485 Brief von R. Freund an A. W. Fehling, 31. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18.

8. Deutsche Fellows in anderen Gastländern: Mit amerikanischen Geldern in Europa, dem Orient und Australien

Nach den USA waren England, Frankreich und Italien beliebte Gastländer der deutschen LSRM- und RF-Stipendiaten. Zwei Stipendiaten nahmen die weite Reise nach Australien auf sich, einer Stipendiatin wurde eine viermonatige Orientreise finanziert. Die vom LSRM ermöglichten Sommerreisen für Stipendiaten in den USA wurden in den anderen Gastländern nicht angeboten, generell gab es dort mehr Einschränkungen bei der Erstattung von Reisekosten. Auch wurden die Universitäten seltener gewechselt. Gemeinsam waren den in den Vereinigten Staaten und anderen Gastländern forschenden deutschen Stipendiaten die Auseinandersetzung mit neuen Methoden, der Kontakt zu ausländischen Wissenschaftlern und Organisationen sowie die Anpassung der in Deutschland entwickelten Forschungsprojekte an örtliche Gegebenheiten. In mehreren Aufnahmeländern verliefen die Aufenthalte der deutschen Fellows aus unterschiedlichen Gründen konfliktreicher als in den USA.

8.1 Auseinandersetzungen um die selbstständige Ausgestaltung der Stipendienzeit in Großbritannien Die von der Rockefeller Philanthropie großzügig unterstützte London School of Economics war in England die wichtigste Anlaufstelle der deutschen Stipendiaten. Über den Sprachunterricht kamen auch Fellows, die in die USA weiterreisten, mit „Rockefeller’s Baby“1 in Kontakt. 15 der knapp 80 Rockefeller Stipendiaten entschieden sich für einen längeren Aufenthalt an einer englischen Universität. In Großbritannien wurden die Fellows zuerst von James R. M. Butler, dann von Noel F. Hall, Wirtschaftswissenschaftler am University College of London, beraten. Er räumte den deutschen Fellows insgesamt weniger Freiheiten ein als die Officers in New York. Auch an der LSE versuchte man, die Stipendiaten einer stärkeren Kontrolle zu unterwerfen, als es an den amerikanischen Universitäten der Fall war.

1

Vgl. Scot, „Rockefeller’s Baby“, S. 84 und Scot, La London School of Economics and Political Science, 1895–2010, S. 99.

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Erfahrungen und Erlebnisse

Gegensätzliche Eindrücke von der London School of Economics und der Beratungstätigkeit N. F. Halls

Bei einigen Stipendiaten stieß das inhaltliche und personelle Angebot der LSE auf wenig Gegenliebe. Die Pflicht der Betreuung durch einen Tutor und des Besuchs von Veranstaltungen wurde als Bevormundung wahrgenommen. Die Stipendiatin Gertrud Beushausen kam Ende der 1920er-Jahre nach London, um das Thema „Die ökonomischen Ursachen der Dauerarbeitslosigkeit in England und ihre Bekämpfung“ zu bearbeiten. Vor Ort stellte sie jedoch fest, dass „der Augenblick dafür denkbar ungeeignet“ sei, da es zwar eine große Fülle von Untersuchungen gebe, aber mit der Umsetzung praktischer Maßnahmen gerade erst begonnen werde. Sie beschäftigte sich daher während ihrer Stipendienzeit mit der „staatliche[n] Organisation des englischen Arbeitsmarktes“, der Arbeitsvermittlung und Berufsberatung2. Beushausen arbeitete im Britischen Museum und in der Bibliothek des Ministry of Labour, wo sie Einsicht in unveröffentlichte Dokumente erhielt, sprach mit hohen Beamten, besuchte Arbeitsämter und Berufsberatungsstellen und versuchte, mit Gewerkschaftsvertretern in Kontakt zu treten3. “Anfangs hatte ich in London etwas um meine Selbstständigkeit zu kämpfen“, berichtete sie, da man ihr an der LSE einen Tutor zur Seite stellen wollte. Sie entschied sich für den von ihr geschätzten Wissenschaftler Allan Young, der ihr nach einer Besprechung „volle Freiheit“ ließ. Nach Youngs Tod war ihre Verbindung zur LSE „nur mehr locker“, einen neuen Tutor bekam sie nicht. Die Vorlesungen befriedigten die Stipendiatin ebenfalls nicht: „Ich versuchte zunächst einige mein Arbeitsgebiet berührende Vorlesungen, fand sie aber reichlich primitiv und gab sie wieder auf “. Sie besuchte nur jeweils ein Seminar von Allan Young, Harold Laski und Noel Baker4. In ihrem englischsprachigen Abschlussbericht fehlten diese kritischen Anmerkungen zur LSE. Auch wollte Beushausen die führenden Wirtschaftswissenschaftler Pigou, Keynes und Clay nicht aufsuchen und rechtfertigte dies damit, deren wertvolle Zeit nicht mit Fragen, die man aus ihren Büchern beantworten könne, verschwenden zu wollen. Bei den wenigen Kontaktversuchen habe sie festgestellt, dass die Bücher oft viel informativer seien als die „men themselves“5. Der größte Gewinn ihrer zweijährigen Stipendienzeit lag für sie nicht „auf dem Gebiet des Fachwissens“. Erst in England sei ihr bewusst geworden, wie „hoffnungs2 3 4 5

Brief von G.  Beushausen an die Rockefeller Foundation (Abt. Social Sciences), o.  D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. Vgl. Brief von G. Beushausen an A. W. Fehling, 7. Dezember 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. G. Beushausen, Abschlussbericht an das deutsche Komitee der Rockefeller Foundation (Social Science), o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. G. Beushausen, Report, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23.

Deutsche Fellows in anderen Gastländern

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los man ‚draussen‘ stand und wie von falschen Voraussetzungen aus man an alles heranging“. Sie habe sich nun „wenigstens einen Teil dessen, was englisches Wesen ist, erschlossen“ und sei mit „englischen Menschen der verschiedensten Kreise“ in „wirklich nahe Berührung“ gekommen. Erst im zweiten Jahr sei es zu „einem wirklichen gegenseitigen Verstehen“ gekommen. Auch die „Berührung mit vielen Menschen anderer Länder auf neutralem Boden“ empfand sie als große Bereicherung. „Dass man begierigst Land und Leute, Sitten und Gebräuche von allen Seiten kennenzulernen suchte, Natur und Kunst unerhört genoss, versteht sich von selbst“6. Enttäuscht von Seminarbetrieb und dem Tutoratssystem der LSE, lag für Beushausen der Wert der Stipendienzeit in der Arbeit an ihren eigenen Forschungen und dem Kennenlernen der englischen Kultur. Auch Leo Liepmann vermied, gegen den Rat des englischen „Advisors“ Hall, die Vorlesungen und Seminare der LSE, da er die Zeit lieber in die Arbeit am zweiten Band seines Buches „Currency principle and banking school“ investieren wollte7. Mit der inoffiziellen Erlaubnis Fehlings entwickelte er die von der RF gewünschten Kontakte nicht durch den Besuch von Veranstaltungen, sondern durch persönliche Gespräche. Liepmanns Plan, für einige Zeit nach Cambridge zu gehen und dort mit „wichtigen Herren“ in Verbindung zu treten, hielt Fehling für „ausgezeichnet“8. Bei Bernhard Pfister, der zuerst in London und dann in Cambridge zu Lohntheorie und Lohnpolitik arbeitete9, kritisierte das Deutsche Komitee anlässlich seines Verlängerungsantrags, dass der Stipendiat die ersten Monate überwiegend für literarische Studien verwandt habe, die auch in Deutschland hätten erledigt werden können. Hierdurch sei der Beginn der eigentlichen Forschungsarbeit stark verzögert worden10. Schumacher befand, dass Pfisters Arbeit bisher „in keinem Punkt über das hinaus[gehe], was ein ernster Student in Cambridge zu treiben pflegt“. Ein deutscher Privatdozent, der ein Rockefeller Stipendium erhalten habe, müsse mit den Werken von Marshall, Pigou und Henderson vertraut sein11. Als Van Sickle die Verlängerung jedoch befürwortete und Fehling darauf hinwies, dass die „sehr elementare Arbeit Dr. Pfisters auch auf einen gelinden Zwang von seiten der englischen Berater zurückzuführen“ sei, zog

6

G. Beushausen, Abschlussbericht an das deutsche Komitee der Rockefeller Foundation (Social Science), o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 7 Vgl. Brief von L. Liepmann an A. W. Fehling, 4. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 8 Brief von A. W. Fehling an L. Liepmann, 8. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 9 Vgl. Brief von B. Pfister an A. W. Fehling, 20. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 10 Vgl. Brief von A. W. Fehling an B. Pfister, 4. Mai 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 11 Vgl. Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 25. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25.

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Erfahrungen und Erlebnisse

Schumacher sein Veto zurück12. Pfister erhielt eine einjährige Verlängerung13 für „a thorough training in the methods and ideas of the Cambridge school“14. Legten die Mitglieder des Deutschen Komitees besonderen Wert auf eigene Forschungsleistungen der Fellows, bevorzugte Hall das Studium bei englischen Wissenschaftlern durch die Teilnahme an deren Seminaren und das Durcharbeiten ihrer Werke. Die Ablehnung der „Emigrantenatmosphäre der London School“ durch einige der Stipendiaten

Nach der NS-Machtübernahme nahm die LSE viele aus dem nationalsozialistischen Deutschland emigrierte Wissenschaftler auf. Ihr Direktor Beveridge war führend an der Organisation der britischen Hilfsleistungen beteiligt. Die Angestellten der LSE wurden aufgerufen, zwischen 1 und 3 % ihres Gehalts für Hilfsaktionen zu spenden. Beveridge lud Moritz Bonn, Hermann Kantorowicz und Karl Mannheim ein, an der LSE halbe Stellen mit einem Gehalt von 500 £ zu übernehmen. Zwischen 1933 und 1936 erhielten insgesamt 26 Dozenten ein Stipendium des von Beveridge gegründeten Academic Assistance Council15. Die deutschen Stipendiaten Erich Schneider und Friedrich Lutz hielten sich von den emigrierten Wissenschaftlern in London allerdings fern. Der Wirtschaftswissenschaftler Schneider, der im Frühjahr 1934 nach einem Aufenthalt in Schweden und Dänemark nach London reiste, empfand die „Emigrantenatmosphäre der London School“ als „unerträglich“. Kaum angekommen, bat er Fehling um die Erlaubnis, zurück nach Kopenhagen zu fahren, um dort „in Ruhe zu arbeiten“. Als zusätzliche Begründung gab er an, seine Gesundheit habe bereits gelitten16. Der RF verschwieg er die eigentlichen Gründe für seine Ablehnung der LSE und teilte mit, das Londoner Klima bekomme ihm nicht17. Van Sickle bat Schneider, zunächst N. F. Hall aufzusuchen: „It would be a pity for you to give up your program of study in England if he can suggest a quarter of the town where you could live without discomfort“18. Das Deutsche Komitee lehnte das Gesuch Schneiders ab:

12 13 14 15 16 17 18

Vgl. A. W. Fehling, Aktennotiz, 30. Mai 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. Vgl. Brief von J. Van Sickle an B. Pfister, 11. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 8. Juni 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. Vgl. Scot, La London School of Economics and Political Science, 1895–2010, S. 158–159. Brief von E. Schneider an A. W. Fehling, 29. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. Brief von H. Knox an A. W. Fehling, 1. Juni 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 30. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40.

Deutsche Fellows in anderen Gastländern

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Das Komitee kann die von Ihnen angeführten Gründe nicht als stichhaltig ansehen, um einem im Interesse Ihrer Arbeiten eben beantragten und genehmigten Wechsel des Studienortes rückgängig zu machen. Es steht vielmehr auf dem Standpunkt, daß Ihr Verbleiben im deutschen Interesse liegt, und es erwartet, daß es Ihnen gelingen wird, sich bei aller ruhigen Entschiedenheit der eigenen Haltung und doch mit der aus der Situation als Gast gegebenen Zurückhaltung dort einzuleben19.

Nach einer Eingewöhnung in das „recht verschiedene englische Klima“ sei zu hoffen, dass auch die gesundheitlichen Schwierigkeiten sich geben würden. Diese seien für die RF kein Grund für einen Ortswechsel, da sie im ärztlichen Attest nicht erwähnt worden seien: „Bei fortdauernden allgemeinen Schwierigkeiten des gesundheitlichen Einlebens würde die Foundation wohl einen Abbruch des Stipendiums nahe legen“20. Auch der RF teilte Fehling mit, dass sich Schneiders gesundheitliche Probleme, die für deutsche Fellows nicht ungewöhnlich seien, mit der Zeit legen würden, und fügte hinzu: „His real reason, by the way, is a different one, which, to my opinion, he can overcome as well“21. Schließlich einigte man sich auf einen Kompromiss: Schneider akzeptierte, „dass es im deutschen Interesse“ sei, wenn er zunächst in London bleibe und erhielt von Deutschem Komitee22 und Pariser Büro23 die Erlaubnis, Ende Juli, wenn die englischen Wissenschaftler London verließen, auf eigene Kosten nach Kopenhagen zurückzukehren. Kurze Zeit später berichtete er von der Überwindung der gesundheitlichen Probleme: Seine Frau sei nachgekommen und sie kochten jetzt selbst. Mit den Engländern an der London School sei er „in recht gute Verbindung gekommen“24. Trotzdem blieb er nicht länger, als er es durch die Absprachen mit dem Deutschen Komitee musste, und kehrte im Sommer nach Kopenhagen zurück, um den Rest seiner Stipendienzeit in den skandinavischen Ländern zu verbringen25. Als Friedrich Lutz im Herbst 1934 überlegte, ob er seine Stipendienzeit in London oder Cambridge beginnen sollte, riet ihm Fehling zu Cambridge. Zur LSE teilte Fehling mit: „Die Verhältnisse für einen Deutschen sind durch die Haltung mancher Mitglieder der Fakultät gerade auf Ihrem Fachgebiet und durch die Emigranten so

19 Brief von A. W. Fehling an E. Schneider, 1. Juni 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 20 Ebd. 21 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 4. Juni 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 22 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an E.  Schneider, 6.  Juni 1934, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 40. 23 Vgl. Brief von H. Knox an E. Schneider, 11. Juni 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 24 Brief von E. Schneider an A. W. Fehling, 8. Juni 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 25 Vgl. E. Schneider, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany.

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Erfahrungen und Erlebnisse

schwierig geworden, daß die Selbstbehauptung einen allzu großen Krafteinsatz“26 fordere. Lutz hatte jedoch von anderen Stipendiaten ähnliche Informationen über Cambridge erhalten, wo es zudem schwieriger sei „auszuweichen, was in London immer leichter möglich sein wird“. Er hatte außerdem für London Empfehlungsschreiben für „Leute der City“27: Ich hatte also nicht vor mich allzusehr auf die London School of Economics zu stützen, wohl mich dort zu melden und auch zu arbeiten, aber Verkehr mehr mit den Leuten der Praxis zu suchen. Ich glaube nicht, dass es mir schwer wäre, jeden Verkehr mit Emigranten zu meiden, zumal ich keinen von den dortigen von früher her kenne […]. Natürlich würde ich mich sofort an der deutschen Botschaft melden, und mich in jeder Beziehung von diesen Kreisen distanzieren, die mir alles andere als sympathisch sind28.

Da Fehling ihm die Wahl überließ29, ging Lutz zuerst nach London, wo er die Professoren der LSE kennenlernte. Die ihn interessierenden „Geld- und Währungsprobleme“ seien allerdings „augenblicklich nicht in Mode“. Er besuchte Seminare am University College und hielt sich von der „School“ möglichst fern30. Kittredge beeindruckte er als „a scholar of definitely unusual ability“, der sich in kurzer Zeit ein gutes Verständnis der britischen Finanz- und Wirtschaftsprobleme angeeignet habe31. 1936 bewarb sich Lutz erfolgreich um ein zweites Stipendienjahr, das er in den USA absolvierte32. Van Sickle hatte allerdings Zweifel an Lutz’ Karriereperspektiven im nationalsozialistischen Deutschland, da seine Einstellung als Professor an drei Universitäten durch Einspruch der NSDAP verhindert worden sei. Lutz wolle zwar in Deutschland seine Lehrtätigkeit wieder aufnehmen, doch sei er sichtlich deprimiert und frage sich, ob er weiterhin lehren und seine Selbstachtung behalten könne. „He is an extremely sensitive and appealing type of person and I feel grave misgivings about his future“33, so John Van Sickle. Lutz kehrte 1938 nach Freiburg zurück, emigrierte aber kurz darauf in die USA, wo er eine Stelle an der Princeton University annahm34. 26 27 28 29 30 31 32 33 34

Brief von A. W. Fehling an F. Lutz, 22. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. Brief von F. Lutz an A. W. Fehling, 15. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. Brief von F. Lutz an A. W. Fehling, 15. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. Vgl. Brief von A. W. Fehling an F. Lutz, 27. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. Brief von F. Lutz an A. W. Fehling, 10. November 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 41. T. B. Kittredge, Interview mit F. Lutz, 4. Juni 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. Vgl. Brief von T. B. Kittredge an F. Lutz, 24. Oktober 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. J. Van Sickle, Diary, 10. Dezember 1937, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1934– 1938. Vgl. F. Lutz, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany.

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Unmittelbare Einblicke in das englische Gerichtswesen: Gerhard Erdsieks Eintauchen in die Praxis

Auch in England führten Stipendiaten empirisch ausgerichtete Forschungsprojekte durch. Der Jurist Gerhard Erdsiek untersuchte „die neuere Entwicklung der englischen Gerichtsverhältnisse“, mit besonderer Beachtung der „Stellung der englischen Nebenrichter und der englischen Gerichtsschreibereien“ sowie „Besonderheiten des englischen Beweisverfahrens“35. Albrecht Mendelssohn Bartholdy empfahl ihm zudem eine „Untersuchung des englischen Armenrechts“ als nicht allein „juristisch, sondern auch sozialgeschichtlich und soziologisch interessante[s] Thema“36. Nach Ende des „ersten Englandquartals“ berichtete der Fellow, er sei bei einer „gebildeten und angenehmen Familie“ untergekommen und von Hall „aufs Bereitwilligste mit Empfehlungen unterstützt“ worden. In allen Universitätsinstituten und Gerichtsbehörden sei er auf Entgegenkommen gestoßen: „Von besonderer Wichtigkeit erweist sich dabei der Rockefeller-Ausweis, der jede andere Empfehlung aussticht“. Nach zwei dem Literaturstudium und der Verbesserung der Sprachkenntnisse gewidmeten Monaten begann er, mit Richtern und Anwälten Kontakt aufzunehmen. „Ich habe nunmehr die Möglichkeit, neben den Vorsitzenden am Richtertisch selbst an den Verhandlungen teilzunehmen und auf diese Weise einen unmittelbaren Eindruck von der Struktur des englischen Gerichtsverfahrens zu gewinnen“37, betonte Erdsiek, der an zahlreichen Sitzungen des High Court und des Court of Appeal sowie mehrerer Country Courts teilnahm38. Von der RF erhielt er die Erlaubnis, drei Monate bei Barristerat-law the Honourable Hubert Parker, „einem angesehenen und wissenschaftlich interessierten Advokaten arbeiten zu dürfen“39. Er habe „trotz intensiver Anspannung“ den größten Teil des ersten Jahres mit „der Schaffung der allgemeinen Grundlagen und Vertrautheit mit der englischen Praxis verwenden“ müssen, schrieb er in seinem Verlängerungsantrag. Im zweiten Jahr wollte er „auf diesem Boden nützlich aufbauen“40. Während Schumacher den Antrag befürwortete, lehnte Mendelssohn Bartholdy ihn ab. Fehling wies Mendelssohn Bartholdy daher auf die geänderte Förderpolitik der RF hin: Die Realisierung einer Forschungsarbeit sei nun weniger wichtig, dafür ständen das Erlernen neuer Methoden und der 35 Brief von G. Erdsiek an die Rockefeller Foundation, 10. Januar 1930, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 917. 36 A. W. Fehling zu den Bewerbern für das Jahr 1930, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 37 Brief von G. Erdsiek an A. W. Fehling, 31. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 38 Vgl. Brief von G. Erdsiek an das Deutsche Komitee, 5. Oktober 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 39 Brief von G. Erdsiek an A. W. Fehling, 31. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 40 Brief von G. Erdsiek an A. W. Fehling, 25. November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27.

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Kontakt zu Wissenschaftlern im Zentrum des Interesses41. Schließlich meldete Fehling dem Pariser Büro, dass im Komitee neben warmer Befürwortung auch Bedenken beständen42. Van Sickle traf Erdsiek in London und gewann einen positiven Eindruck. Besonders angetan war der Amerikaner von der Hilfe, die Erdsiek durch Parker erhielt: They have an arrangement whereby E. goes through the routine work of the office and notes down the problems that interest him, and in the same time Mr. Parker notes down the problems that he considers interesting. Then once a week they go into conference on these questions. E. is gaining an understanding of the administration of justice in England that will probably be unique in his own country43.

Erdsiek sei „alert, intelligent, most likeable and appears destinated to a very successful career“44, notierte Van Sickle. Die Verlängerung um ein zweites Jahr wurde dem Stipendiaten bewilligt45. Erdsiek verbrachte auch das folgende Jahr überwiegend in London, mit kurzen Abstechern nach Oxford und Cambridge. Er wandte sich dem Thema „Mistake and Interpretation in English Law of Contact“ zu und verband das Literaturstudium mit Gesprächen mit Professoren und Anwälten. „Sometimes I was asked to undertake duties beyond the limits of my special research work. So, I was frequently consulted in English legal matters by the German Embassy and by legal societies“, bemerkte er. Zudem hielt er Vorträge, nahm an Kongressen teil und veröffentlichte mehrere Artikel. „I owe the Rockefeller Foundation two most fruitful and furthering years of my career and I am sure the time of my Rockefeller fellowship will turn out to have been the turning point of my professional and personal life“46, lautete das Fazit seines Abschlussberichts. In Deutschland konnte Erdsiek seine juristische Karriere fortsetzen: 1937 notierte die RF, er sei Landgerichtsrat in Berlin47. Aus den Berichten der Stipendiaten gewinnt man den Eindruck, dass sie in England weniger von den Vorlesungen und den Kontakten zu britischen Wissenschaftlern 41 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn Bartholdy, 19. November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 42 Vgl. Brief von A. W. Fehling an G. Erdsiek, 5. Dezember 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 43 J. Van Sickle, Diary, 24. Oktober 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 45. 44 Ebd. 45 Vgl. Brief von H. Knox an A. W. Fehling, 17. Dezember 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 46 Brief (Abschlussbericht) von G. Erdsiek an the Rockefeller Foundation, 27. Januar 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 47 G. Erdsiek, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany.

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profitierten als vielmehr von Fortschritten bei ihren eigenen Forschungen durch Einblicke in in Deutschland nicht verfügbares Material und Kontakte in die Praxis. Die Beurteilung der Rolle N. F. Halls und der Professoren der LSE durch die Fellows war gespalten: Einerseits waren sie wichtige Anlaufstellen, Türöffner und Berater, andererseits wurde ihnen eine zu starke Einschränkung der Entscheidungsfreiheit der Stipendiaten vorgeworfen.

8.2 Bibliotheksarbeit und politische Spannungen: Die deutschen Fellows in Frankreich Sieben deutsche Stipendiaten wählten Frankreich als hauptsächliches Gastland, mindestens vier weitere besuchten es für einen kürzeren Aufenthalt. Sie waren mit wenigen Ausnahmen an historischen, philosophischen und sprachwissenschaftlichen Themen interessiert, die nicht im Zentrum des Stipendienplans standen. Nur wenige Stipendiaten, wie zum Beispiel Peter Rohden, waren auf wissenschaftlicher Ebene an Fragen der französischen Gegenwart interessiert. In Paris wurden die Fellows im Auftrag der RF von dem Wirtschaftswissenschaftler Charles Rist beraten. Frankreich galt im Deutschen Komitee als schwieriges Gastland, die Zerstörungen des Ersten Weltkriegs und die Furcht vor erneuter deutscher Aufrüstung waren jenseits des Rheins äußerst präsent48. Für den Jahrgang 1927 lag dem Deutschen Komitee zum ersten Mal eine Bewerbung für Frankreich vor, der Kandidat wurde jedoch aufgrund einer Nervenkrankheit als ungeeignet abgelehnt49. Erst 1929 reisten die ersten deutschen Fellows ins Nachbarland. „Grenzfälle“ der Sozialwissenschaften: Philosophen, Historiker und Romanisten

Die ersten deutschen Stipendiaten, die nach Frankreich aufbrachen, waren Elisabeth Feist und Harri Meier. Feist hatte 1928 mit einer Arbeit über „Weltanschauung und Staatsidee bei Jean Bodin“ promoviert und führte in Paris ihre Studien über den französischen Staatstheoretiker des 16. Jahrhunderts fort50. Sie hoffte, dort auf wenig 48 Auch der Wissenschaftsboykott der 1920er-Jahre hatte Nachwirkungen. Nur wenige deutsche Professoren wurden zu Vorträgen an der Sorbonne eingeladen. Vgl. Charle, Christophe, Ambassadeurs ou chercheurs? Les relations internationales des professeurs de la Sorbonne sous la IIIe République, in Genèses 14 (1994), S. 48, 51. 49 Vgl. Brief von F. Schumann an A. W. Fehling, 11. Januar 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 11. 50 Vgl. E. Feist, Gesuch auf Gewährung eines Stipendiums, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17.

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bekannte Akten und Flugschriften zu stoßen51. Auf den ersten Blick erscheine ihr Forschungsprogramm als weit von aktuellen Problemstellungen entfernt, urteilte Fehling, doch seien Bodins Theorien und Ideen für die europäische Politikwissenschaft weiterhin von großem Interesse52. Nach einem einmonatigen Sprachkurs in Grenoble begann Feist ihre Arbeit in der französischen Nationalbibliothek in Paris. Sie ließ sich von dem Wirtschaftshistoriker Henri Hauser beraten und nahm an Vorlesungen und Übungen an der Sorbonne teil53. Van Sickle empfahl ihr, „to get out a little more from the library and to talk with scholars interested in the same general field“. Als sie ihm erklärte, dies sei durch ihr spezielles Forschungsthema unmöglich, versprach er, sie mit dem niederländischen Historiker und „Advisor“ der RF Johan Huizinga bekannt zu machen54. Entgegen der Empfehlung Fehlings55 bewarb sich Feist um ein zweites Stipendienjahr für Studien in der Nationalbibliothek und „Provinzarchive[n]- und Bibliotheken“56. Fehling hielt vor allem ihre wissenschaftlichen Zukunftsaussichten für problematisch57 und sah nach einem Gespräch im Mai 1930 in Paris keine Möglichkeit für eine Verlängerung58. Auf Oncken machte Feists Antrag „eher einen verworrenen Eindruck“59, sodass das Komitee die Verlängerung ablehnte60. Feist kehrte nach Ende der einjährigen Stipendienzeit nach Deutschland zurück, wo sie als Studienassessorin tätig war. Sie verlor ihre Stelle 1933 und emigrierte in die USA61. Der Romanist Harri Meier war zur Zeit der Bewerbung Assistent am Romanischen Seminar der Universität Hamburg. Er plante eine Arbeit zur Kolonialgeschichte und Kolonialpolitik der romanischen Länder im 19. Jahrhundert62, die ihm als Habili51 Vgl. R. Häpke, Gutachten über E. Feist, 12. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 52 Vgl. A.  W.  Fehling, Bemerkungen über die Bewerber 1929, 24.  März 1929, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 53 Vgl. E. Feist, Bericht über die Studien in Frankreich vom 1. Sept. 1929–30. November 1929, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 54 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 24. Januar 1930, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929– 1930, S. 29 und 29c. 55 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an A.  Mendelssohn Bartholdy, 20.  Mai 1930, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 56 Brief von E. Feist an die löbliche Kommission der Rockefeller-Foundation, 7. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 57 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an A.  Mendelssohn Bartholdy, 20.  Mai 1930, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 58 Vgl. Brief von A. W. Fehling an W. Mommsen, 30. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 59 Brief von H. Oncken an A. W. Fehling, 21. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 60 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. Feist, 11. Juni 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 61 E. Feist, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 62 Vgl. Brief von H. Meier an A. W. Fehling, 7. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18.

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tationsschrift dienen sollte. Meier sei „not at all a philologist of the type of the funny papers, but a very active, alive and attractive person“, begründete Fehling die Weiterleitung des Antrags. Sein Fachgebiet, die romanischen Sprachen, falle zwar nicht im engeren Sinne unter die Sozialwissenschaften, doch behandle er sein Thema in historischer und soziologischer Perspektive. Da der Lehrstuhl für romanische Sprachen auch die Kulturanthropologie der jeweiligen Länder umfasse, könne man Meier durchaus als Sozialwissenschaftler einordnen63. Als Stipendiat arbeitete Meier wie Feist in der Nationalbibliothek, wo er sich auf das Thema „Frankreichs Stellungnahme zur Loslösung der spanisch-amerikanischen Kolonien vom Mutterland, 1815–1830“ konzentrierte. In seinem ersten Bericht an Fehling beschwerte er sich über den „starren Formalismus“ für Besucher der Nationalbibliothek, die Unerfahrenheit der oft kriegsgeschädigten Angestellten, die „Kühle der Beamten“ und das Fehlen ausländischer und neuerer Literatur. Er begann, im ausschließlich nachmittags geöffneten Archiv des französischen Außenministeriums die diplomatische Korrespondenz durchzusehen. „Ob nicht in den Katalog aufgenommene und darum unzugängliche Geheimkorrespondenzen existieren, die den Wert der Arbeit nicht unwesentlich beeinträchtigen müssten, kann ich mit Gewissheit nicht sagen“64, bemerkte er. Van Sickle machte ihn mit dem amerikanischen Fellow Eugene Staley bekannt, der sich mit einem ähnlichen Thema beschäftigte. Mit Elisabeth Feist diskutierte er „des häufigeren heftig über Bodin“65. In der RF fand man Meier zwar „attractive and intelligent“, doch sei er zu jung nominiert worden, um von seinem Stipendium voll zu profitieren: Seine Arbeit sei „a purely archival piece of work“ und er habe nur wenige Kontakte zu Professoren geknüpft. „He has met several and it is not surprising that there has been no follow-up“66, so Van Sickle. Einer Verlängerung stand der Officer daher skeptisch gegenüber67. Fehling erklärte vermittelnd, dass Meier selbst über den „archival character“ seiner Studie nicht erfreut sei, dies jedoch eine Bedingung für die universitäre Karriere darstelle68. Zudem seien die Pariser Professoren so beschäftigt, dass nur lockere Kontakte möglich seien69. Nach Befürwortung durch das Deutsche 63 Vgl. A.  W.  Fehling, Bemerkungen über die Bewerber 1929, 24.  März 1929, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 64 H. Meier, 1. Bericht (Anfang Nov. 1929–Anf. Febr. 1930), o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 65 Brief von H. Meier an A. W. Fehling, 16. Februar 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 66 J.  Van Sickle, Diary, 2.  Mai 1930, in RAC-RF, RG  12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929–1930, S. 78a. 67 Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 5. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 68 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 9. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 69 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 21. Juni 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22.

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Komitee70 bewilligte die RF ein zweites Stipendienjahr, auf das Meier jedoch verzichten musste, da er auf seine Assistentenstelle in Hamburg zurückberufen wurde71. Leo Strauss, der 1932 ein Stipendium zur Erforschung der „politischen Wissenschaft von Hobbes“ und für Studien „über Philosophie und Gesetz in der islamischen Scholastik“ erhielt, war, wie Fehling argumentierte, ebenfalls ein „Grenzfall“72. Für die Weiterleitung des Antrags sei mitbestimmend gewesen, dass „für die Entwicklung des Gebiets der politischen Wissenschaft in Deutschland eine Förderung jedes Ansatzpunktes wichtig“73 erscheine. Kittredge stattete Strauss in Paris mit Einführungsschreiben aus und gab ihm die Adressen der ehemaligen französischen Stipendiaten Gurvitch und Cavaillès74. Strauss arbeitete vor allem mit dem Philosophen Alexandre Koyré zusammen, den er einmal in der Woche traf und dessen Vorlesungen er besuchte75. Besonders beeindruckte ihn der Arabist Louis Massignon vom Collège de France76, den er in seiner privaten Korrespondenz als „eine glühende Seele, unglaublich gelehrt“77 beschrieb. Auch André Siegfried hinterließ einen starken Eindruck bei ihm78. An Fehling schrieb er, das Kennenlernen der Methoden und Interessen der französischen Soziologie und ihrer Verbindung mit der französischen Demokratie und deren Institutionen habe sein Interesse für die „Genesis der modernen Soziologie aus den erstmalig mit grundsätzlicher Klarheit von Hobbes entwickelten moralischpolitischen Prinzipien“ vertieft79. Carl Schmitt teilte er mit, dass sich die französische Philosophie „im grossen und ganzen noch in dem Vorkriegsstadium“ befinde. Die Arbeiten seien „im allgemeinen, d. h. im Durchschnitt solider als in Deutschland, was wohl mit der durchschnittlich besseren humanistischen Schulung“ zusammen-

70 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Meier, 11. Juni 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 71 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an P.  Kehr, 14.  Oktober 1930, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 23. 72 Brief von A. W. Fehling an E. Cassirer, 16. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 73 A. W. Fehling, Dokument ohne Titel (Entwurf zu den ausgewählten Bewerbern 1932), o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 74 Vgl. T. B. Kittredge, Interview with Dr. Leo Strauss, 8. Oktober 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. 75 Vgl. Brief von L. Strauss an A. W. Fehling, 13. Dezember 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 76 Vgl. T. B. Kittredge, Interview with Dr. Leo Strauss, 8. Oktober 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. 77 Brief von L. Strauss an K. Löwith, 15. November 1932, in Strauss, Korrespondenz Leo Strauss – Karl Löwith, S. 607–608. 78 Vgl. Brief von L.  Strauss an C.  Schmitt, 10.  Juli 1933, in Strauss, Drei Briefe an Carl Schmitt, S. 134. 79 Brief von L.  Strauss an A.  W.  Fehling, 13.  Dezember 1932, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 32.

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hänge80. Vergeblich81 bat er Schmitt um eine Einführung bei dem monarchistischen Schriftsteller Charles Maurras, bei dem er frappierende Parallelen zu Hobbes festgestellt hatte82. Die Stadt Paris blieb Strauss sehr fremd: „‚Formale Anzeigen‘ wie ‚dreckig‘, ‚unordentlich‘, ‚Kleinstadt im Weltformat‘ zeigen Ihnen […] die Richtung meines ersten Eindrucks an“, schrieb er an Karl Löwith. Sympathisch fand er „die Koinzidenz des allgemeinen und des privaten Interesses“, durch die es zu einem „wirklichen Patriotismus“ komme und aus der er sich auch den französischen Pazifismus erkläre83. Den Zielsetzungen des Stipendienplans entsprach bei den Frankreich besuchenden Stipendiaten vor allem das Forschungsprojekt des Berliner Privatdozenten Peter Rohden, der unter André Siegfried und Charles Seignobos84 die französische Innenpolitik und das Parteiwesen erforschen wollte85. Rohden war von 1917 bis Januar 1920 in französischer Kriegsgefangenschaft gewesen86, von Friedrich Meinecke wurde er als „der humane und gesellschaftlich gebildete hommes de lettre“ empfohlen, „den der Franzose sonst am deutschen Gelehrtentypus vermißt“87. Nach einem mehrwöchigen Aufenthalt in Tours zur Verbesserung seiner Französischkenntnisse konstatierte Van Sickle: „He speaks it very fluently – almost without an accent“88. Im Dezember 1930 berichtete Rohden aus Paris, es sei ihm „über alles Erwarten gut geglückt, zu den verschiedensten Kreisen Zugang zu bekommen“. Er habe gleich nach der Ankunft „mit den Professoren angefangen“, da er vermutete, „dort irgendwie vertraute Luft zu atmen“. Bald habe er bemerkt, dass „diese Frage für Herrn Dr. Van Sickle etwas ganz Kapitales darstellt“ und gab der Stiftung „in diesem Punkt durchaus recht“: Um „nur hinter Büchern zu sitzen, bedarf es nicht eines Auslandsaufenthalts“89. Rohden arbeitete in Paris in der Nationalbibliothek, der American Library und der Bibliothek der Carnegie-Stiftung, besuchte politische Versammlungen zu Themen 80 Brief von L. Strauss an C. Schmitt, 10. Juli 1933, in Strauss, Drei Briefe an Carl Schmitt, S. 134. 81 Vgl. Meier, Heinrich, Nachbemerkung, in Strauss, Drei Briefe an Carl Schmitt, S. 137. 82 Vgl. Brief von L.  Strauss an C.  Schmitt, 10.  Juli 1933, in Strauss, Drei Briefe an Carl Schmitt, S. 135. 83 Brief von L. Strauss an K. Löwith, 15. November 1932, in Strauss, Korrespondenz Leo Strauss-Karl Löwith, S. 607–608. 84 Vgl. P. Rohden, Personal History Record, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 85 Vgl. Brief von P. Rohden an A. W. Fehling, 11. Januar 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 86 Vgl. P. Rohden, Lebenslauf, 11. Januar 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 87 F.  Meinecke, Gutachten über P.  Rohden, 23.  Februar 1930, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 21. 88 J. Van Sickle, Diary, 2. Oktober 1930, in RAC-RF, RG 12.1, Diaries, John Van Sickle, 1929–1930, S. 134. 89 Brief von P. Rohden an A. W. Fehling, 26. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23.

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wie „gegen den Faschismus, für die Entwaffnung“, nahm an Vorlesungen und Übungen teil und sprach mit Professoren an der Sorbonne, etwa Albert Mathiez, Philippe Sagnac, Pierre Renouvin und Charles Seignobos. Mit einigen, berichtete er, habe er einen so engen Kontakt entwickelt, dass er sie „immer wieder aufsuche“, sobald er „auf eine Schwierigkeit stoße“90. Im Anschluss an einen Vortrag André Siegfrieds habe er sich ihm vorgestellt und sei sofort in sein Haus eingeladen worden. Der „beste Kenner des französischen Parteiwesens“ stellte sich als „so charmanter Plauderer“ heraus, dass Rohden erst am Schluss der zweistündigen Unterhaltung bemerkte, dass Siegfried ihn den größten Teil der Zeit über Deutschland ausgefragt und er nur einen kleinen Teil seiner Fragen gestellt hatte91. Rohden traf Siegfried mehrmals, dieser gab ihm „bereitwilligst Auskunft“ und bot ihm Empfehlungen für seine Reise in die Provinz an92. Rohden erlebte zwei Kabinettsbildungen mit sowie die Wahl des Staatspräsidenten Paul Doumer (Parti radical) im Mai 1931. Durch eine Verlängerung seines Stipendiums konnte er die Kammerwahlen im April 1932 beobachten93. Zu den von ihm besuchten politischen Veranstaltungen notierte er, dass Straßendemonstrationen außerhalb der Wahlzeit in Frankreich unbekannt seien und sich alles im geschlossenen Raum und unter polizeilicher Sicherung, „die in dem Beobachter zunächst die schlimmsten Befürchtungen“ erwecke, ablaufe. Drinnen geht es jedoch im allgemeinen sehr manierlich zu, wenigstens solange, als die Action Française oder die Kommunisten nicht auf dem Plan erscheinen. Das Publikum schwatzt, raucht, promeniert und spendet bei jeder Berufung auf Menschenrechte und Barrikaden automatisch Beifall, während sogar bei den Sozialisten die schönsten marxistischen Formeln restlos verpuffen94.

Im Sommer 1931 reiste Rohden durch „ganz Westfrankreich von Dieppe bis St. Nazaire“95. Im Februar 1932 notierte Kittredge, Rohden habe freundschaftliche Beziehungen zu einigen Abgeordneten geschlossen und plane, sie auf einigen Wahlkampfreisen zu begleiten96. Im März 1932 ging Rohden nach Lyon, reiste von dort 90 P. Rohden, Bericht an die Rockefeller-Stiftung über meine Tätigkeit von Mitte August 1930 bis Ende Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 91 Vgl. ebd. 92 Brief von P. Rohden an A. W. Fehling, 21. Mai 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 93 Vgl. Brief von P. Rohden an A. W. Fehling, 18. Mai 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 94 P. Rohden, Bericht an die Rockefeller-Stiftung über meine Tätigkeit von Mitte August 1930 bis Ende Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 95 Brief von P. Rohden an A. W. Fehling, 6. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 96 Vgl. Memorandum von T.  B.  Kittredge an J.  Van Sickle, 17.  Februar 1932, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 29.

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aus weiter in den Süden und war Anfang April zurück in Paris97. Durch die engen Kontakte mit französischen Wissenschaftlern und zur „Praxis“ sowie den Gegenwartsbezug seiner Forschungsfrage kam Rohden dem Ideal des RF-Fellows sehr nahe. Sein Frankreichaufenthalt, wie auch der der anderen deutschen Fellows, wurde durch die politischen Ereignisse der Zwischenkriegszeit geprägt. Deutsch-französische Spannungen in der Zwischenkriegszeit

Fast alle Stipendiaten berichteten aus Frankreich von ihren Erfahrungen mit den deutsch-französischen Spannungen, die sich zwischen dem Aufenthalt Elisabeth Feists 1929/30 und dem Ruth Flads 1934/35 verschärften. Feist besuchte Frankreich nach einer 1925/26 mit den Verträgen von Locarno und dem Beitritt Deutschlands zum Völkerbund eingeleiteten und durch die Politik Aristide Briands und Gustav Stresemanns geprägten Periode der Verständigung98. Sie gewann in Frankreich den Eindruck, dass „der Wille zur Verständigung und Auseinandersetzung mit Deutschland auch ausserhalb der akademischen Kreise recht gross zu sein“ scheine. Die Stipendiatin berichtete von der Gründung des „Foyer de la Nouvelle Europe“ im Dezember 1929, einem Verein, der die „geistige Verständigung und engste Zusammenarbeit Europas“ anstrebe und das praktische Ziel verfolge, die „in Paris zu längerem Aufenthalt weilende[n] Ausländer in französische Kreise einzuführen“99. Auch junge Leute, so Feist, zeigten „grosses Interesse an deutschem Leben und unseren geistigen Problemen“. Allerdings habe sie „verschiedentlich Klagen darüber [gehört], dass ein gewisser etwas schwülstiger moderner Stil in Literatur und Philosophie das Studium deutscher Werke für den Ausländer recht schwierig“ mache. Der „klare, logische Geist der französischen Wissenschaft“ wüsste zudem mit der deutschen „von ‚Ideen‘ beherrschten Literaturwissenschaft und Geschichte wenig anzufangen“100. Harri Meier besuchte Vorträge im „Foyer des Etudiants Allemands“, im „Foyer des Etudiants“ und im „Foyer International des Etudiants Catholiques“. In den beiden 97 Vgl. Memorandum von T. B. Kittredge an J. Van Sickle, 4. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 98 Vgl. Müller, Guido, Europäische Gesellschaftsbeziehungen nach dem Ersten Weltkrieg: Das Deutsch-Französische Studienkomitee und der Europäische Kulturbund, München, 2005, S. 11 (Im Folgenden zitiert als Müller, Europäische Gesellschaftsbeziehungen). 99 E. Feist, Bericht über die Studien in Frankreich vom 1. Dez. 1929–28. Feb. 1930, o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916. Die Aktivitäten des Foyers sind bis Ende 1932 nachweisbar. Vgl. Bock, Hans Manfred, Topographie deutscher Kulturvertretung im Paris des 20. Jahrhunderts, Tübingen, 2010, S. 161. 100 E. Feist, Bericht über die Studien in Frankreich vom 1. Dez. 1929–28. Feb. 1930, o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916.

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letzteren wurden Diskussionen zu aktuellen politischen Fragen durchgeführt, die zu einer „gegenseitigen Annäherung der Studenten verschiedener Nationalitäten“ führen sollten. Sie verfehlten ihren Zweck jedoch dadurch, so Meier, „daß die verhaltene und geschickte Diskussionsart der französischen und die sehr heftigen Erwiderungen der deutschen Redner unversöhnlich nebeneinander standen“. Als „sehr nützlich und positiv“ empfand auch er das „Foyer de la Nouvelle Europe“, das „Gelegenheit zum Kennenlernen französischer Familien und zu einem friedlichen internationalen Gedankenaustausch“ gebe. Persönlich sei er überall großem Entgegenkommen und „einem auffallend starken Interesse zu Diskussion, vor allem über Deutschland, die deutsch-französischen Beziehungen, Deutschlands Einstellung zu Frankreich“ begegnet. „Sobald die Zone rein konventioneller Höflichkeit durchbrochen war, herrschte im allgemeinen eine starke Skepsis vor“101. Peter Rohden berichtete von seinen Kontakten zu Politikern, Industriellen und Adligen und fügte hinzu: „Und wenn es nur von den Individuen abhinge, so wäre die deutsch-französische Annäherung ein fait accompli“. Die Schwierigkeiten begännen erst, wenn es sich um kollektive Probleme handele. Wie Meier erwähnte Rohden Verständigungsbarrieren zwischen dem pazifistischen Frankreich und dem impulsiven Deutschland: „[E]in Gemüsegarten und ein Vulkan können sich kaum verständigen“. Die Franzosen „würgen momentan an der Korridor-Pille, aber niemand trau[e] sich sie zu schlucken“102. Ende 1930 berichtete Rohden, er wäre „restlos zufrieden“, wenn die ihn aus Deutschland erreichenden Nachrichten „nicht so beunruhigend lauten würden“: Meine französischen Bekannten bedrängen mich ständig um Auskünfte, was mir sehr peinlich ist, da ich selbst beginne, nichts mehr von dem zu verstehen, was drüben in Deutschland vorgeht. Die französische Sekuritäts-Manie hat etwas ansteckendes. Natürlich kenne ich sehr gut die Schwächen dieser These. Aber die Angst vor Deutschland, die alle Franzosen implicite haben, setzt sich beinahe automatisch um in eine Angst für Deutschland. Jedenfalls ist Paris ein gefährliches Pflaster für einen deutschen Stipendiaten. (Dies natürlich entre nous). Denn die Welt, in der man hier lebt, ist – trotz einiger Börsenkrachs und Korruptionsaffären – derart stabil, dass man alles Augenmass für die deutschen Verhältnisse verliert. Und ich frage mich jetzt schon mitunter seufzend, wie man sich wieder in die deutschen Zustände hineinfindet103.

101 H. Meier, 1. Bericht (Anfang Nov. 1929–Anf. Febr. 1930), o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 102 Brief von P. Rohden an A. W. Fehling, 26. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 103 Ebd.

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Der politisch äußerst angespannten Lage in Deutschland setzte Rohden das Bild eines relativ stabilen, von Sicherheitsdenken gegenüber Deutschland geprägten Frankreichs entgegen. Persönlich sei er nirgends „auf Feindschaft oder auch nur auf Abwehr gestoßen“, obwohl in der Provinz „eine gewisse Reserve“ herrsche, die allerdings mehr „dem Fremden als dem Deutschen“ gelte. Die einzige Schwierigkeit sei die Vorschrift der RF, sich „unbedingt passiv und rezeptiv zu verhalten“: Ich habe anfangs versucht, diese Bestimmung wortwörtlich zu befolgen, indem ich mangelnde Sprachbeherrschung vorschützte. Als ich indes in immer engeren und häufigeren Kontakt kam, wurde dieser Vorwand so unwahrscheinlich, daß ich mich im Interesse dieser persönlichen Beziehungen entschließen mußte, wenigstens im privaten Kreise Rede und Antwort zu stehen. Auf die Dauer wird es ziemlich schwierig sein, sich dem Grundgesetz der französischen Geselligkeit, die auf absoluter Gegenseitigkeit beruht, entgegenstemmen zu wollen. Um jedes Mißverständnis zu vermeiden, darf ich vielleicht betonen, daß ich dem politischen Wert eines solchen Gedankenaustausches äußerst skeptisch gegenüberstehe. Ja, ich habe mitunter den Eindruck, daß sich die Unterhaltung über das deutsch-französische Problem beinahe in den Bahnen eines Corneille-Dramas bewegt. Erster Auftritt: Monolog des Franzosen, Zweiter Auftritt: Monolog des Deutschen, Dritter Auftritt: Dialog zwischen den Vertretern der beiden Nationen, Schlußapotheose: ‚Prenons parti mon âme …‘. Hüllt sich nun in diesem gesellschaftlichen Spiele der Deutsche in Schweigen, oder übersieht er absichtlich das Stichwort, das man ihm zuwirft, so gerät die Unterhaltung naturgemäß ins Stocken104.

Im Februar 1932 konnte Rohden eine „Abkühlung der deutsch-französischen Beziehungen auch im persönlichen Verkehr“ weiterhin nicht feststellen, das „deutschfranzösische Problem“ werde „eifriger als je diskutiert“. Er bemerkte allerdings eine „Akzentverschiebung“: Die Deutschen seien etwas „steifnackiger“, die Franzosen „etwas resignierter“ geworden105. Die nationalsozialistische Machtübernahme am 30. Januar 1933 bedeutete für die deutsch-französischen Beziehungen einen radikalen Bruch, auch wenn nicht alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verbindungen abgebrochen wurden und sich Kontinuitäten in den persönlichen, wirtschaftlichen und politischen Beziehungen feststellen lassen106. Die Demonstrationen der rechtsextremen Ligen in Paris im Fe­bruar 1934 veränderten in Frankreich das politische Klima und schürten Ängste vor einem

104 P. Rohden, Bericht an die Rockefeller-Stiftung über meine Tätigkeit von Mitte August 1930 bis Ende Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 105 Brief von P. Rohden an A. W. Fehling, 6. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 106 Vgl. Müller, Europäische Gesellschaftsbeziehungen, S. 12.

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faschistischen Umsturz107. Ruth Flad kam im Januar 1934 nach Paris, um über die französische Aufklärung und Voltaire zu arbeiten108. Aus ihren Briefen geht hervor, dass sie der nationalsozialistischen Machtübernahme positiv gegenüberstand und das „neue Deutschland“ in Frankreich verteidigte. Sie hörte Vorträge und Diskussionen „von Millerand bis zur jeunesse patriote109 und dem Solberg-Kreis110 über das Verhältnis von Frankreich zu Deutschland“ und hoffte, „dass die Foundation diese nicht eben zur Arbeit im engeren Sinne gehörende Beschäftigung nicht missbillig[e]“111. In ihrem undatierten, nach Juni 1935 verfassten, Abschlussbericht bemerkte sie, dass sie trotz der vielen Besuche von Vorträgen und Versammlungsabenden „der Fremde, der Betrachtende, der Aussenstehende“ geblieben sei. Von den Parisern habe sie zunächst durch das Quartier Latin „ein verfälschtes Bild bekommen“, das sie ab Oktober 1934 durch Kontakt mit Französinnen und ihren Familien korrigieren konnte: „Meine innere Anteilnahme wuchs, je mehr ich das Land und seine Menschen kennen lernte“112. Den sogenannten „Röhm-Putsch“ vom 30. Juni 1934 und die Ermordung des österreichischen Bundeskanzlers Engelbert Dollfuß am 25. Juli 1934 erlebte Flad „im Kreis internationaler Studenten in Besançon“ und am darauffolgenden Wochenende in Badenweiler. Anschließend wurde sie von „concierge und femme de chambre“ gefragt, ob Deutschland einen Krieg anfange: „Die Angst vor dem deutschen Angriff scheint uns unverständlich; aber der normale französische, ja sehr eifrige Zeitungsleser kann Deutschland nicht anders sehen als den envahisseur“. Flad versuchte, „eine der grossen Friedensreden von Hitler nur aus französischen Pressewiedergaben herauszuschälen – ehe [sie] ihren deutschen Text las – es war unmöglich, die Rede zu verstehen“. Es sei „nicht so schwierig“ gewesen, die „einfachen Menschen zu beruhi107 Vgl. Eckert, Hans-Wilhelm, Konservative Revolution in Frankreich? Die Nonkonformisten der Jeune Droite und des Ordre Nouveau in der Krise der 30er Jahre, München, 2000 (zugl. Diss., Univ. Trier, 1996), S. 131 (Im Folgenden zitiert als Eckert, Konservative Revolution). 108 Vgl. Brief von R. Flad an A. W. Fehling, 26. Dezember 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 109 Die rechtsextreme Bewegung „Jeunesses patriotes“ war 1924 gegründet worden. Vgl. Eckert, Konservative Revolution, S. 15, 51. 110 Der Solberg-Kreis (auch: Sohlberg-Kreis) war eine Jugendgruppe um den späteren deutschen Botschafter in Paris (1940–1944) Otto Abetz. Ein Teil der Mitglieder schloss sich rechtsextremen und nationalsozialistischen Organisationen an. Vgl. Hudemann, Rainer, Erinnerungsmuster und Konfliktlösungen. Anmerkungen in deutsch-französischer-luxemburgischer und ukrainisch-polnischer Vergleichsperspektive, in Schmitz-Emans, Monika; Schmitt, Claudia; Winterhalter, Christian (Hgg.), Komparatistik als Humanwissenschaft. Festschrift zum 65. Geburtstag von Manfred Schmeling, Würzburg, 2008, S. 295–296. 111 Brief von R. Flad an A. W. Fehling, 2. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 112 R.  Flad, Bericht über den Aufenthalt zu Studienzwecken, o.  D. (1935), in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 45.

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gen“, dagegen sei die „Einstellung der Bürger“ und Intellektuellen „schwerer zu beeinflussen und schwerer zu ertragen“. Es sei nicht immer leicht gewesen, „innerlich in sich die Verbindlichkeit des Gastes gegenüber dem Gastland lebendig zu halten“113. Flad besuchte häufig das „Office Universitaire franco-allemand“, in dem eine Gruppe der deutschen Studentenschaft versuchte, in Frankreich Verständnis für die „neue deutsche Gedankenwelt“ zu schaffen. Sie nahm an von der „Nouvelle École de la Paix“ organisierten Vorträgen französischer Schriftsteller wie Jules Romain, Julien Benda oder dem späteren Kollaborateur Pierre Drieu la Rochelle teil, die, so Flad, „ihre gegensätzliche Stellungnahme zum heutigen Deutschland vor einem grossen Publikum sogenannter Gebildeter“ darstellten. Auch bei Professoren beobachtete die Stipendiatin kritische Bemerkungen über den NS-Staat, so habe sich André Siegfried „hochmütig urteilend über die Deutschen schlechthin“ gezeigt, während der ehemalige RF-Fellow Edmond Vermeil „mit Verständnis und Gerechtigkeit“ die „französische Grenzlinie gegen das deutsche Denken, das er ausführlich im WS 1934/35 darstellte“ gezogen habe. In Pierre Renouvins geschichtswissenschaftlichen Vorlesungen hätten sich Studenten und Studentinnen „unverhohlen (oft gegen den Willen des Vortragenden) gegen den Feind von damals“ gestellt, es sei zu „feindseligen Diskussionen über die deutsche Kriegsschuld“ gekommen114. Im Privaten stellte Flad ebenfalls eine ablehnende Haltung gegenüber Deutschland fest: In jedem Haus aber habe ich einmal erlebt, dass man sich gegen Deutschland erhitzte – gegen das von 1914 oder das von 1933 – und dass man sich bei mir mit der verletzenden Bemerkung entschuldigte, dass ich in dieser Art nicht deutsch sei – hier wie in allen Aeusserungen konnte ich die berühmte französische Höflichkeit nicht entdecken115.

In der französischen Jugend meinte sie Ansätze zu einem „Weg der Kameradschaft“ zu erkennen, obwohl die jungen Franzosen ihre Kraft in die intellektuelle Ausbildung investierten, sodass kaum Zeit für „Sport, Spiel, Kameradschaft“ bleibe. Insgesamt erschien ihr die Jugend als unpolitisch. Von einem Abend „beim Nachwuchs der action française unter dem Vorsitz Charles Maurras“ war sie enttäuscht. Als Fazit ihres Aufenthalts gab sie an, vor allem gelernt zu haben „zu verteidigen, selbst dann, wenn [sie] ganz alleine als Deutsche einer geschlossenen Meinung“ gegenübergestanden habe: „Ich hoffe, die Dankbarkeit und den Takt des Gastes richtig verbunden zu haben mit der Wahrung meiner nationalen Gesinnung“116. Kittredge drückte nach 113 Ebd. 114 Ebd. 115 Ebd. 116 Ebd.

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Lektüre ihres Berichtes die Hoffnung aus, „dass die Mühe um gegenseitiges Verstehen früher oder später ernstere Komplikationen verhindern“117 werde. Im Januar 1935 organisierte der RF-Officer ein Treffen von Freunden und Stipendiaten der RF in Paris, an dem der Fellow Heinrich Rittershausen als einziger Deutscher teilnahm: Wie immer war es sehr nett, auch habe ich wertvolle Bekanntschaften unter den etwa 30 Anwesenden anknüpfen können. Nicht ganz leicht war es mit den zufällig zahlreichen Nichtariern, unter denen sich mehrere russischer Abkunft befanden. Sie alle kannten in Deutschland und in Frankfurt fast nur Gelehrte wie Mannheim usw. die emigriert sind, die doch in unserem Bewusstsein irgendwo in der Nähe der Gestorbenen eingebettet sind118.

Er werde sonst überall „sehr nett aufgenommen“, berichtete er, mit Emigranten habe er „gar keine Verbindung“. Wie die deutschen Stipendiaten an der LSE hielt Rittershausen sich in Frankreich von emigrierten Wissenschaftlern möglichst fern. Er fügte hinzu: „Deutsche unserer Art sind fast überhaupt nicht da. Die Ansicht über uns empfinde ich als verhältnismäßig gut“. Rittershausen erhielt den Eindruck, dass in der Studentenschaft „Bestrebungen faschistischer Art“ stark seien, nur fürchtete er, dass „der Nat. Sozialismus ebenso schauerlich missverstanden und falsch übernommen“119 werde. Während bei Elisabeth Feist Ende der 1920er-Jahre der Gedanke der Annäherung im Vordergrund stand, berichteten Meier und Rohden von Verständigungsbarrieren. Ruth Flad und Heinrich Rittershausen fühlten sich 1934/35 in Frankreich als Vertreter des nationalsozialistischen Deutschlands, das sie in Verhalten und Diskussionen zu verteidigen suchten. Viel mehr als in den USA oder Großbritannien waren die persönlichen Erlebnisse der Fellows in Frankreich von politischen Konflikten bestimmt. Dies schlug sich allerdings nicht in den durchgeführten Forschungsprojekten nieder, die mit der Ausnahme Rohdens keine Probleme der Gegenwart behandelten. Hier zeigt sich ein Unterschied im Vergleich zu den französischen Stipendiaten, die in Deutschland durchaus politisch brisante Themen bearbeiteten. So beschäftigte sich Cavaillès 1929/30 mit der deutschen Jugendbewegung, Gurvitch 1929/31 mit rechtlichen Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft, Capitant 1933/34 mit der deutschen Verfassung von 1919 und Rougier 1933/34 mit Einschränkungen

117 Brief von T. B. Kittredge an R. Flad, 20. März 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. 118 Brief von H. Rittershausen an A. W. Fehling, 14. Januar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 119 Ebd.

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der Gedankenfreiheit120. Dem Ziel des Stipendienprogramms entsprachen die französischen Fellows in diesem Fall daher weit eher als die deutschen.

8.3 Ein weltweites Netz: Deutsche Fellows in Italien, Australien, Rumänien und im Orient Neben den USA, Großbritannien und Frankreich waren auch Italien, Australien und Rumänien Zielländer der deutschen Stipendiaten. Eine ungewöhnliche Förderung erhielt die Stipendiatin Hedwig Tönniessen: Ihr wurde auf Empfehlung Alfred Webers eine viermonatige Orientreise finanziert. Stipendiaten, die das faschistische Italien als Zielland wählten, wurden von Luigi Einaudi, den Mitarbeitern der RF und Fehling auf die besonderen Forschungsbedingungen in der Diktatur Mussolinis vorbereitet. Während bei einigen der Fellows politische Affinitäten vorlagen, hinterfragten andere den italienischen Korporatismus kritisch. Karl Heinz Pfeffer in Australien und Helmut Haufe in Rumänien verfolgten im Rahmen ihrer Stipendienzeit Forschungsprojekte im Sinne der nationalsozialistischen Ideologie. Sozialwissenschaftliche Forschung im faschistischen Italien

In Italien wurden die Stipendiaten von dem Wirtschaftswissenschaftler und späteren italienischen Staatspräsidenten Luigi Einaudi beraten121. Vor allem Finanzwissenschaftler wie Harald Fick, Woldemar Koch und Gerhard Dobbert wählten Italien als Zielland aus. Während der zuvor mit etlichen Ratschlägen zum Verhalten in der faschistischen Diktatur bedachte und mit den Nationalsozialisten sympathisierende Woldemar Koch sein Stipendienjahr abschließen konnte, erlebte Dobbert das Ende der Stipendienzeit nicht. Er gehört neben Eckart Kehr zu den beiden deutschen Stipendiaten, die ihr Leben während des Auslandsaufenthalts verloren. Bis 1930, als die NSDAP bei den Septemberwahlen über 18 % der Stimmen erhielt, war Hitler für Mussolini kaum von Bedeutung gewesen, obwohl seit Anfang der 1920er-Jahre lockere Verbindungen zur nationalsozialistischen Bewegung bestanden. Für Hitlers außenpolitische Vorstellungen war Rom jedoch ein wichtiger Partner, für Mussolini empfand er Bewunderung. 1930 reisten regelmäßig Delegationen

120 Zu den Forschungsprojekten der französischen Fellows in Deutschland Anfang der 1930er-Jahre siehe das Kapitel 6.4 dieser Arbeit und die Tabelle im Anhang. 121 Vgl. Gemelli, Un imprenditore scientifico e le sue reti internazionali: Luigi Einaudi, S. 189. Attal, Luigi Einaudi, la Fondazione Rockefeller e le scienze sociali in Italia, S. 41–62.

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der NSDAP nach Italien, um das faschistische System kennenzulernen. Ab 1931/32 setzte Mussolini seine Hoffnungen ganz auf Hitler122. Der erste Bewerber um ein Stipendium für Italien war der 1902 in Charkow geborene und 1920 aus Russland emigrierte Woldemar Koch. Er studierte von 1921 bis 1926 an den Universitäten Berlin und Königsberg Wirtschafts- und Sozialwissenschaften123, promovierte Ende 1926124 und war zur Zeit seiner Bewerbung als Russlandreferent am Institut für Ostdeutsche Wirtschaft und Assistent am Seminar für landwirtschaftliche Verwaltungskunde an der Universität Königsberg beschäftigt. „Die bisherige Leistung ist […] quantitativ nicht groß, qualitativ aber ausgezeichnet“, urteilte Fehling. Menschlich mache Koch „einen sympathischen Eindruck“, er sei aber „keine Persönlichkeit, die besonders vital oder repräsentativ wirkt“. Er habe „etwas Zurückhaltendes, ja Gehemmtes an sich, wohl eine Folge seiner Erlebnisse in Rußland“125. Koch war in den Jahren 1921/22 Mitglied der akademischen Gruppe der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP) in Berlin gewesen. Ende 1924/Anfang 1925 schloss er sich der „Nationalsozialistischen Freiheitsbewegung“126 an. Koch hatte zuerst geplant, anknüpfend an seine bisherigen Russlandforschungen „eine Untersuchung der faschistischen Staatswirtschaft (Finanzwirtschaft), besonders […] eine Vergleichung der letzteren mit der Staatswirtschaft des Bolschewismus“ durchzuführen127. Nach einem Gespräch mit Fehling in Königsberg verzichtete er auf den Vergleich und reichte einen revidierten Arbeitsplan ein, in dem er nur kurz auf die „historische Kontinuität“ zwischen den früheren Arbeiten und seinem Forschungsprojekt verwies: „[E]s will mir scheinen, daß der Arbeitsplan in seiner jetzigen Form kaum einen Anstoß bei den italienischen Sachverständigen erregen kann“128. Als Untersuchungsgegenstand wählte Koch die „Wechselbeziehungen zwischen der bewussten Umbildung des kapitalistischen Wirtschaftssystems und die Gestaltung der Finanzwirtschaft“ mit folgenden Fragestellungen aus:

122 Vgl. Woller, Hans, Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert, München, 2010, S. 138–139. 123 Vgl. Roth, Karl Heinz, Intelligenz und Sozialpolitik im „Dritten Reich“: eine methodisch-historische Studie am Beispiel des Arbeitswissenschaftlichen Instituts der Deutschen Arbeitsfront, München, 1993, S. 211 (Im Folgenden zitiert als Roth, Intelligenz). 124 Vgl. W.  G.  Koch, Lebenslauf, o.  D., an A.  W.  Fehling geschickt am 3.  Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 125 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 4. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 126 W. Koch, Fragebogen, 5. März 1936, in BAB, R 4901 24077 Personalakte Koch. Vgl. auch Roth, Intelligenz, S. 211. 127 Vgl. W.  G.  Koch, Arbeitsplan, o.  D., an A.  W.  Fehling geschickt am 20.  Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 128 Brief von W. Koch an A. W. Fehling, 20. Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24.

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In welcher Weise setzt der Staat mit finanzwirtschaftlichen Mitteln die Erweiterung seiner Machtsphäre durch? In welcher Weise wird das Wirtschaftssystem – trotz Aufrechterhaltung des privatkapitalistischen Mechanismus – in den Dienst bestimmter nationalund wirtschaftspolitischer Ideen gestellt? In welcher Weise spiegelt sich das politische System des Fascismus [sic] in der Finanzwirtschaft wider?129

Fehling betonte gegenüber der RF, das Ziel Kochs sei „ein rein wissenschaftliches“, er gehe „ohne eine vorgefaßte Meinung“ an seine Aufgabe heran130. Luigi Einaudi, den Fehling im April 1931 um eine Einschätzung bat, „in wie weit Dr. Kochs Pläne sich verwirklichen“ ließen131, zeigte sich besonders interessiert. Der Stipendiat werde die besten Voraussetzungen vorfinden, teilte er mit132. Van Sickle erfuhr von Kittredge, dass Einaudi das Projekt begeistert aufgenommen habe und zitierte aus einem Brief Kittredges: Einaudi „felt that it might be of great value as an independent study of an important problem, which cannot be properly studied for the moment, for obvious reasons, by Italian scholars“133. Ausländische Wissenschaftler würden einfacher Zugang zu den Materialien finden und hätten eine größere Freiheit in ihrer Bearbeitung134. Koch solle die in Italien verbotene Literatur vor der Einreise einsehen, riet Einaudi, und schickte eine Bibliographie mit, die Fehling an Koch weiterleitete. Van Sickle teilte Fehling mit: Prof. E. [Einaudi] urged that Koch be warned in advance about tactics to be followed here. Prof. E. will give him introductions to prominent Fascists and to equally prominent opponents of the regime. It will be quite in order for Koch to quote the Fascists. He must however never quote non-Fascists and make any communication of the source of any opinion hostile to the regime. Prof. E. can arrange, under these conditions, for Koch to get a comprehensive picture of the whole situation as it affects the subjects Koch expects to study. He should come to Italy with these warnings and conditions firmly fixed in mind135.

129 W. Koch, Arbeitsplan für die Untersuchung der faschistischen Staatswirtschaft (Finanzwirtschaft), o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 130 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 4. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 131 Brief von A. W. Fehling an L. Einaudi, 4. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 132 Vgl. Brief von L.  Einaudi an A.  W.  Fehling, 16.  April 1931, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 25. 133 Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 22. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 134 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 11. April 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 21. 135 Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 22. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25.

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Fehling gab die Warnungen weiter und bat auch Fritz Karl Mann, seinen Schüler gelegentlich „auf gewissenhafte Vorbereitung und besonders vorsichtiges Vorgehen“ hinzuweisen136. Den Stipendiaten ermahnte Fehling, dass der Erfolg des ersten deutschen RFFellows in Italien im allgemeinen Interesse besonders wichtig sei. Da man ihm Gelegenheit geben werde, „mit namhaften Vertretern und Gegnern des Fascismus zusammenzukommen“, sei eine „gute Sprachbeherrschung“ von besonderer Bedeutung: „Nutzen Sie erst dann Ihre Einführungen aus, wenn Sie sich wirklich sicher fühlen“. Weil Koch seine Arbeit über Russland nicht pünktlich beendete, wurde der Stipendienbeginn verschoben, damit Koch keine Bücher über Russland mit nach Italien nehmen musste137. Koch sollte zuerst in Turin bei Einaudi und später in Rom arbeiten. Nach Gesprächen mit den Leitern des Deutsch-Italienischen Instituts in Köln138 befürchtete der angehende Fellow jedoch, dass er „nach längerem Aufenthalt in Turin bei amtlichen Stellen vielleicht weniger Entgegenkommen“ finden würde, denn „Herr Prof. Einaudi ist ja Oppositioneller“139. Nach einer auf dem Brief angebrachten handschriftlichen Notiz sprach sich Fehling gegen eine Änderung der Pläne aus, die nur im Einvernehmen mit Einaudi vorgenommen werden sollte140. Koch reiste über Mailand nach Turin, wo er von Einaudi „sehr freundlich empfangen“ wurde. Dieser bestand auf Turin als erstem Studienort und Koch versicherte Fehling, er werde dem Ratschlag Folge leisten und „frühere Bedenken“ gegenüber einem Aufenthalt dort zurückstellen141. Er beschäftigte sich in Turin mit der italienischen Finanz- und Steuergesetzgebung, der finanzwissenschaftlichen Literatur und dem Besuch von Vorlesungen. Im März 1932 wechselte er nach Rom142, wo er vor allem in den Bibliotheken des Finanzministeriums und der Deputiertenkammer arbeitete. Nach der Stipendienzeit beendete er seine Forschungen am Kölner Institut

136 Brief von A. W. Fehling an F. K. Mann, 7. Mai 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 137 Brief von A.  W.  Fehling an T.  B.  Kittredge, 17.  Oktober 1931, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 27. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 20. Oktober 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 138 Zum von der Kommune und dem italienischen Staat gemeinsam getragenen Kölner Petrarca-Haus siehe Hoffend, Andrea, Das Deutsch-Italienische Kulturinstitut Petrarca-Haus zu Köln (1931– 1944). Propagandazentrale oder seriöse Lehr- und Forschungsstätte?, in Geschichte in Köln 37 (1995), S. 81–98. 139 Brief von W.  Koch an A.  W.  Fehling, 20.  November 1931, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 27. 140 Vgl. ebd. 141 Brief von W. Koch an A. W. Fehling, 2. Dezember 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 142 Vgl. Brief von W. Koch an A. W. Fehling, 13. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28.

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für internationale Finanzwirtschaft mit Hilfe der Notgemeinschaft143. 1935 veröffentlichte er die Schrift „Die Staatswirtschaft des Faschismus“144, die ihm 1936 die Habilitation und weitere Karriereschritte ermöglichte145. Ab 1936 Dozent der wirtschaftlichen Staatswissenschaften in Köln, wurde er 1939 Referent im Arbeitswissenschaftlichen Institut der Deutschen Arbeitsfront (DAF)146. Sein finanzwissenschaftliches Wissen, das er während der Stipendienzeit in Italien vervollständigt hatte, nutzte er im nationalsozialistischen Deutschland für die Verfassung von Denkschriften zur Kriegsfinanzierung und der Verbindung von Finanzpolitik und Sozialplanung147. 1943 erhielt er einen Ruf als außerordentlicher Professor an die Reichsuniversität Posen148. Woldemar Kochs und Gerhard Dobberts wissenschaftliche Profile wiesen erstaunliche Ähnlichkeiten auf, dennoch verlief ihre Stipendienzeit unter gänzlich entgegengesetzten Vorzeichen. Der 1897 geborene Deutsch-Balte Dobbert musste 1917 sein Studium in Göttingen aus finanziellen Gründen abbrechen, erst 1923 nahm er ein durch Ersparnisse finanziertes Studium der Nationalökonomie auf, das ihn nach Zürich, Frankfurt am Main und Freiburg im Breisgau führte. Als Diplom-Volkswirt wurde er im Statistischen Reichsamt in Berlin angestellt, wo er zu russischen Finanzen arbeitete, bis er das Amt 1928 verließ, um sich wissenschaftlichen Studien zu widmen. 1930 promovierte er mit einer Arbeit über den Zentralismus in der Finanzverfassung der Sowjetunion149. Wie bei Koch war sein Interesse für die italienische Wirtschaft durch eine Beschäftigung mit der Sowjetunion geweckt worden. 143 Vgl. Brief von W. Koch an A. W. Fehling, 6. Oktober 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. F. K. Mann erwähnt in seiner Beschreibung nur das Stipendium der Notgemeinschaft und nicht das Rockefeller Stipendium. Vgl. Mann, Fritz Karl, Die finanzwissenschaftliche Lehre und Forschung an der Universität zu Köln 1927–1935, in Universität Köln (Hg.), Finanzwissenschaftliche Forschung und Lehre an der Universität zu Köln 1927–1967, Berlin, 1967, S. 23–24. 144 Koch, Woldemar, Die Staatswirtschaft des Faschismus, Jena, 1935. 145 Vgl. Roth, Intelligenz, S. 211. 146 Zeitgleich wurde er an die Universität Berlin versetzt. Vgl. W. Koch, Lebenslauf, 24. März 1942, in BAB, R 4901 24077 Personalakte Koch. Vgl. Raehlmann, Irene, Arbeitswissenschaft im Nationalsozialismus: Eine wissenschaftssoziologische Analyse, Wiesbaden, 2005, S. 83 (Im Folgenden zitiert als Raehlmann, Arbeitswissenschaft). 147 Vgl. Roth, Intelligenz, S. 11, 212. 148 Vgl. Brief vom Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung an W.  Koch, 38. April 1943, in BAB, R 4901 24077 Personalakte Koch. Irene Raehlmann betont in ihrer Studie zur Arbeitswissenschaft im Nationalsozialismus, dass Kochs Mitgliedschaft in NS-Organisationen marginal geblieben sei. Vgl. Raehlmann, Arbeitswissenschaft, S. 83. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs arbeitete Koch 1947 zunächst als finanzpolitischer Referent beim Länderrat der US-Zone, dann als Referent bei der Bank Deutscher Länder, bis er 1950 einen Lehrauftrag an der TH Stuttgart erhielt. 1950 wurde er ordentlicher Professor an der FU Berlin, bevor er vier Jahre später einen Ruf nach Tübingen annahm. Vgl. Roth, Intelligenz, S. 212. 149 G. Dobbert, Lebenslauf, o. D. [Dezember 1932], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31.

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Für seine Stipendienzeit in Italien schwebte ihm „eine systematische Erforschung der Finanzsysteme von Staaten verschiedener politischer und wirtschaftlicher Strukturen vor“. Nach seinen Russlandforschungen wollte er sich nun Italien als „Gegenspieler der UdSSR“ zuwenden150 und die „Staatsfinanzen des faschistischen Italiens“ nach rechtlichen, wirtschaftlichen und politischen Standpunkten untersuchen151. Das Deutsche Komitee leitete sein Gesuch im Mai 1933 als siebten, zusätzlichen Antrag an die RF weiter und überließ dieser die Wahl zwischen Dobbert und seinem philosophischen Mitbewerber Karl Löwith. Nach „dem wissenschaftlichen Gewichte“ sei Löwith der Vorzug zu geben, betonte Fehling. Dobbert beschrieb er als „eine liebenswürdige, gewinnende Persönlichkeit, die die geistige Beweglichkeit des Balten mit einem gründlichen Fachwissen verbindet“. Seine Zukunftsaussichten schätzte Fehling mit Verweis auf den „Mangel eines geeigneten Nachwuchses auf finanzwissenschaftlichem Gebiet als günstig“152 ein. Die Stiftung akzeptierte sowohl Löwith als auch Dobbert, der sein Stipendium am 1. Januar 1934 begann153. Die „Machtergreifung“ Hitlers im Januar 1933 war in Italien enthusiastisch begrüßt worden, doch der von Hitler bereits in „Mein Kampf “ geforderten „Wiedervereinigung“ mit Österreich stand Mussolini ablehnend gegenüber. Die Verfolgung Oppositioneller und der Antisemitismus im nationalsozialistischen Deutschland sorgten für weitere Unstimmigkeiten154. Nur wenige Monate nach Dobberts Ankunft erreichten die deutsch-italienischen Beziehungen im Sommer 1934 einen Tiefpunkt, als Hitler im Juli den Putsch österreichischer Nationalsozialisten gegen die Dollfuß-Regierung unterstützte155. Dobbert besprach seine Studienpläne wie Koch zuerst mit Einaudi, um anschließend auf dessen Rat nach Rom weiterzureisen156. Zwischen „Theorie und Praxis“ bestehe im faschistischen Italien ein wesentlicher Unterschied, stellte er fest, sodass er sich „wirtschaftlich aber auch politisch genau orientieren“ müsse. Dieses ‚den Dingen auf den Grund gehen‘ ist hier nicht ganz einfach, einmal wegen der Quellen, die man sich von allüberall zusammenholen muss […], zum anderen, weil die fa150 Ebd. 151 Vgl. G. Dobbert, Disposition, o. D. [Dezember 1932], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. 152 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 2. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 63. 153 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an G. Dobbert, 7. August 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 154 Vgl. Falanga, Gianluca, Mussolinis Vorposten in Hitlers Reich. Italiens Politik in Berlin 1933– 1945, Berlin, 2008, S. 15, 21, 23. 155 Vgl. Elvert, Jürgen, Mitteleuropa! Deutsche Pläne zur europäischen Neuordnung (1918–1945), Stuttgart, 1999, S. 246. 156 Vgl. Brief von G. Dobbert an A. W. Fehling, 18. Januar 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 38.

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schistischen Gewährsleute einen ganz bewusst von den Kreisen fernhalten, die der Partei, sagen wir mal, neutral gegenüberstehen und sich ein eigenes Urteil bewahrt haben. Den Wissenschaftler werden aber, auch ohne seine Erkenntnisse öffentlich zu verwerten, die Dinge ‚an sich‘ interessieren und beschäftigen müssen157.

Der Stipendiat konzentrierte seine Studien auf das korporative System158 und die wirtschaftliche und politische Seite der Staatsfinanzen. Den gesetzlichen Bestimmungen komme „in einem autoritären diktatorischen Staat wie Italien[,] nur ein relativer Wert“ zu, die Regierung bestimme die gesamte Staatsfinanzwirtschaft. Parlament und Senat hätten nur formale Bedeutung159. Im Sommer 1934 beschäftigte Dobbert sich mit der Stellung der Staatswirtschaft in der gesamten Volkswirtschaft und der Beteiligung der öffentlichen Hand in den verschiedenen Gebieten der italienischen Wirtschaft. Doch Unterlagen zu diesen Fragen könnten nur mit großer Mühe beschafft werden, klagte er: „Der Staat gibt nur wenig über seine Rolle als Unternehmer bekannt und hat sich unter den verschiedensten juristischen Verkleidungen in die Volkswirtschaft eingenistet. Es gilt hier eine mühsame, aber überaus interessante Pionierarbeit zu leisten“. Anschließend plante der Fellow eine Untersuchung der Frage, inwieweit der Einfluss des Staates den korporativen Prinzipien entspreche. Er hoffte, hier Widersprüche zwischen Theorie und Praxis aufdecken zu können. In der Öffentlichkeit würden diese Fragen „ihrer Natur nach“ nicht behandelt, er wollte aber mit führenden Wissenschaftlern darüber sprechen160. Schnell fand Dobbert für sich eine Vermittlerrolle zwischen italienischer und deutscher Finanzwissenschaft. Noch 1934 gab er einen Sammelband zur faschistischen Wirtschaft mit Beiträgen deutscher (Erwin von Beckerath, Walter Heinrich, E. W. Eschmann …) und italienischer (Volrico Travaglini, Alberto de Stefani, Lello Gangemi, Giuseppe Renzetti …) Autoren heraus161. Er habe „natürlich viele Vertreter der italienischen Wissenschaft kennen gelernt und zahlreiche alte Bekanntschaften aufgefrischt“, berichtete er Fehling. „Neben der alten Generation ist auch die neue faschistische Professorenschaft nicht zu vergessen, die es mit ihrer Aufgabe sehr ernst nimmt und ehrlich mit den Problemen ringt“. Ihm seien wiederholt „aus Deutschland Wissenschaftler und Industrielle zugewiesen worden“, denen er mit Informationen über Italien behilflich war. Er habe versucht, „in Deutschland richtige Vorstellungen über das faschistische Italien zu verbreiten“. Deutschen wissenschaftlichen Zeitschrif157 Brief von G. Dobbert an A. W. Fehling, 1. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 158 Vgl. ebd. 159 G. Dobbert, Zwischenbericht, August 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 160 Ebd. 161 Dobbert, Gerhard (Hg.), Die faschistische Wirtschaft: Probleme und Tatschen, Berlin, 1934.

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ten wie dem Weltwirtschaftlichen Archiv und dem Finanzarchiv vermittelte er die Mitarbeit italienischer Wissenschaftler162. Der Direktor der Bibliothek des Finanzministeriums Lello Gangemi schrieb an Fehling, Dobbert sei von allen bisherigen ihm bekannten Rockefeller Stipendiaten der geeignetste, er repräsentiere sein Land mit viel Würde und bemühe sich, die Kontakte zwischen der italienischen und deutschen Wissenschaft zu stärken163. Alberto de Stefani, früher faschistischer Finanzminister und Mitglied des faschistischen Großrats, teilte mit, dass Dobbert in Italien ein nützliches Werk für die Zusammenarbeit und den italienisch-deutschen Kulturaustausch verrichte164. Der Brief ist auf den 27. Juli 1934, zwei Tage nach der Ermordnung Dollfußes durch österreichische Putschisten, datiert. In einer Zeit äußerster politischer Spannungen lobten Dobberts italienische Gesprächspartner dessen Vermittlungsarbeit. Dobbert stellte einen Verlängerungsantrag um ein Semester165, den er mit den umfangreichen Materialsammlungen begründete166. Als Fehling ihm mitteilte, dass die Aussicht auf eine Stelle nach der Rückkehr eine Bewilligung erleichtern würde, sah Dobbert keine Möglichkeit, seine „wissenschaftliche Placierung in Deutschland“ von Italien aus zu betreiben. Zusicherungen nützten in der „heutigen Unsicherheit“ wenig, es schien im zweckmäßiger, „diese Dinge im gegebenen Zeitpunkt an Ort und Stelle klarzustellen“. Ihm komme es vor allem darauf an, eine gute Habilitationsschrift mit nach Deutschland zurückzubringen. „Inwieweit daneben mein Verbleiben und Wirken als Vertreter der deutschen Wissenschaft in Italien im Sinn und im Interesse der von Rockefeller geförderten Aufgaben ist, steht mir ein Urteil nicht zu“167. Das Deutsche Komitee befürwortete eine Verlängerung168, wobei besonders Schumacher betonte, dass der Stipendiat ein „Bindeglied“ zwischen deutscher und italienischer Wissenschaft sei, „das heute noch wertvoller ist als früher. Schon seine wirksame Vermittlertätigkeit scheint mir auszureichen, um eine

162 Brief von G. Dobbert an A. W. Fehling, 1. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 163 Vgl. Brief von C. Ganemi an A. W. Fehling (Gutachten für G. Dobbert), 24. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 164 Vgl. Brief von A. de Stefani an A. W. Fehling, 27. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 165 Vgl. Brief von A. W. Fehling an G. Dobbert, 15. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 166 Vgl. Brief von G.  Dobbert an A.  W.  Fehling, 27.  Juli 1934, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 40. 167 Ebd. 168 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 11. Oktober 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 41.

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Genehmigung zu rechtfertigen“169. Dobbert erhielt die gewünschte Verlängerung bis Mitte Juni 1935170. Am 30. März 1935 erreichte Fehling jedoch ein Telegramm aus Mailand mit der Nachricht, Dobbert sei am Vortag durch einen Unglücksfall plötzlich verstorben171. „It is a hard blow, he was a very attractive personality and a good scholar as well“172, schrieb Fehling an Kittredge. Als die RF um nähere Informationen zu den Todesumständen bat, wandte sich Fehling an Dobberts Ehefrau Irma, von der dieser getrennt gelebt hatte173 und einen seiner Brüder. Mitte April bat er Paul Kehr, der durch Mailand reiste, um das Einholen von Erkundigungen174. Erst Ende des Monats konnte er der RF einige Informationen, die er über Dobberts Bruder erhalten hatte, weitergeben: „Gerhard Dobbert died in a hospital in Mailand, where he had been brought on account of stomach disorders. Mrs. Dobbert was with him […]. As to further informations I would like to wait for the next stay of Mr. Kittredge in Berlin“175. In Fehlings Nachlass befinden sich keine weiteren Informationen zu dem „Unglücksfall“, nur die Fellowship Card Dobberts enthält weitere Informationen. Im Dezember 1936 wurden dort die Ergebnisse eines Gesprächs zwischen Kittredge und Fehling in Berlin vermerkt: Fehling stated that he had had further details concerning the circumstances of D’s [Dobbert’s] death. It appears that D. had gotten into difficulties with the Fascist authorities in Italy because of the investigation he had made as to methods of municipal administration and as to municipal finance. He was arrested by the Fascist secret police, held in prison for some time, and apparently was very brutally treated. The Italian authorities seem also to have made some communication to the German Gov’t protesting against D’s activity in Italy. As illness resulted from his prison experience, D. was transferred from the prison to a hospital in Milan, and then committed suicide, apparently under the depression resulting from the treatment he experienced. It has been impossible to get any confirmation of 169 Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 7. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 41. 170 Vgl. Brief von G. Dobbert an A. W. Fehling, 6. Januar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 171 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an G.  W.  Bakeman, 30.  März 1934 (1935?), in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 172 Brief von A.  W.  Fehling an T.  B.  Kittredge, 30.  März 1935, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 42. 173 Vgl. Brief von A. W. Fehling an I. Dobbert, 15. April 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 174 Vgl. Brief von A. W. Fehling an G. W. Bakeman, 14. April 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 175 Brief von A. W. Fehling an G. W. Bakeman, 28. April 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43.

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these facts from the authorities either in Italy or in Germany. D’s brother went to Milan and obtained this information from friends of D’s to whom he had spoken while in the hospital176.

Sollten diese ungesicherten Informationen stimmen, führten Dobberts als mühsam und delikat beschriebene Recherchen zu seiner Verhaftung durch die italienische Geheimpolizei. Seine wissenschaftliche Neugier und sein Hinterfragen der offiziellen Angaben wurden im faschistischen Italien als Bedrohung wahrgenommen, sodass er sein Bemühen, einen Blick hinter die Kulissen der faschistischen Finanzpolitik zu werfen, mit dem Leben bezahlte. Fehling vermied im nationalsozialistischen Deutschland jede schriftliche Äußerung zu den Todesumständen, allein mündlich gab er die Informationen an die RF weiter. Dobberts Tod fiel in eine Zeit politischer Spannungen zwischen dem NS-Regime und der faschistischen Diktatur, in der Mussolini sich Frankreich und Großbritannien annäherte. Nach der Wiedereinführung der Wehrpflicht in Deutschland schlossen sich Großbritannien, Frankreich und Italien im April 1935 zur „Stresa-Front“ zusammen und vereinbarten ein gemeinsames Vorgehen im Fall weiterer deutscher Vertragsbrüche177. Anschließend rückten Italien und Deutschland wieder näher zusammen, im November 1936 wurde in Mailand die „Achse Rom-Berlin“ ausgerufen178. Die Orientreise der Stipendiatin Hedwig Tönniessen 1932

Eine außergewöhnliche Stipendienzeit verlebte die Nationalökonomin Hedwig Tönniessen, die von Arnold Bergstraesser in Heidelberg auf das Stipendienprogramm hingewiesen worden war179. Ihr Forschungsthema war der Übergang „eines in seiner Wirtschaftsstruktur noch wesentlich vorkapitalistischen und in seiner alten Sozialstruktur erhaltenen Gebietes in die Sphäre des Kapitalismus und der europäischamerikanischen Zivilisation“ in Vorderasien. Sie wollte herausfinden, ob es in dieser Region „natürlich[e] Grundlagen einer kapitalistischen Wirtschaftsentwicklung“ gebe und welche „Möglichkeiten einer Wirtschaftsentfaltung“ sich bei „einer rati-

176 G. Dobbert, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 177 Vgl. Michalka, Wolfgang, Das Auswärtige Amt und der Weg in den Krieg, in Hürter, Johannes; Mayer, Michael (Hgg.), Das Auswärtige Amt in der NS-Diktatur, Berlin, 2014, S. 97. 178 Vgl. Schieder, Wolfgang, Mythos Mussolini. Deutsche in Audienz beim Duce, München, 2013, S. 180. 179 Vgl. Brief von H. Tönniessen an A. W. Fehling, 29. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18.

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onalen Ausgestaltung“ böten. Ergänzt werden sollte die Studie durch einen Vergleich der französischen und englischen Wirtschafts- und Kolonialpolitik180. Die 1902 geborene „wackere holsteinische Pastorentochter“181 hatte 1928 in Heidelberg promoviert und war zum Zeitpunkt der Bewerbung als zweite Assistentin am Heidelberger Institut für Sozial- und Staatswissenschaften angestellt182. Tönniessen „does not seem very attractive at first sight, due to a bad defect of her eyes“, beschrieb Fehling die Bewerberin, doch im Gespräch gewinne man den Eindruck einer außergewöhnlich begabten Persönlichkeit „with an extraordinary keen and discriminating intellect“183. Tönniessen bewarb sich um einen vorbereitenden Aufenthalt in London, Paris und Genf; die Orientreise selbst sollte durch das Heidelberger Institut oder die Deutsche Forschungsgemeinschaft184 ermöglicht werden185. Der englische „Advisor“, J. R. M. Butler, stand dem Projekt äußerst kritisch gegenüber und bat um Informationen zu Tönniessens Plänen für England, ihren Erfahrungen mit arabischen Ländern und zum Umgang mit dem sehr großen Untersuchungsgebiet186. Fehling musste einräumen, dass die Bewerberin noch nie in Arabien gewesen sei und dies bis zu einer „wirklich gründlichen Durcharbeitung des hier in Europa zugänglichen Materials aufschieben“ wolle. Im Deutschen Komitee habe man von ähnlichen Bedenken abgesehen, „da die Fragestellung nicht auf die Antragstellerin allein und nicht auf einen unbekannten Professor der Nationalökonomie oder der Soziologie zurückgeht, sondern in Alfred Weber auf einen Mann, der weit über seine Fachgenossen hinaus einen besonderen Ruf “187 genieße. Butler zog seine Bedenken daraufhin zurück188. Auch hier zeigt sich der starke Einfluss einzelner Vertrauenspersonen auf die Fördertätigkeit der RF in Deutschland: Eine Empfehlung Webers glaubte man weder im Deutschen Komitee noch in der RF ablehnen zu können. 180 Brief von H. Tönniessen an A. W. Fehling, Anlage 2, Vorläufiger Plan für eine Forschungsarbeit, 3. Februar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 181 Brief von Prof. Dr. von Gottl-Ottlilienfeld an A. W. Fehling, 17. Februar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 182 Vgl. H. Tönniessen, Personal History Record, 7. März 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 183 A.  W.  Fehling, Bemerkungen über die Bewerber 1929, 24.  März 1929, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 184 Vgl. Brief von J. R. M. Butler an A. W. Fehling, 10. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 185 Vgl. A.  W.  Fehling, Bemerkungen über die Bewerber 1929, 24.  März 1929, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 186 Vgl. Brief von J. R. M. Butler an A. W. Fehling, 30. März 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 187 Brief von A. W. Fehling an J. R. M. Butler, 4. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19. 188 Vgl. Brief von J. R. M. Butler an A. W. Fehling, 10. April 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 19.

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Ihre Stipendienzeit verbrachte Tönniessen 1929/1930 in London und Paris, auf den Aufenthalt in Genf musste sie aus zeitlichen Gründen verzichten189. Fehling lehnte eine Verlängerung für ein zweites Jahr in Vorderasien ab190. Im Oktober 1930 trat sie daher eine Stelle als Bibliothekarin am Heidelberger Institut an. Nachdem sie Arabisch gelernt und die einschlägige deutsche Literatur durchgearbeitet hatte, erlaubte ihr Van Sickle einen Antrag für Vorderasien einzureichen, obwohl die Region eigentlich kein Teil des Stipendienplans war191. Fehling riet ihr, in dem Gesuch die Universitäten, die sie besuchen und die Gelehrten, die für eine Beratung in Betracht kämen, zu nennen und sich um eine Befürwortung der Pläne „von englischer sachverständiger Seite“ zu bemühen192. Im Deutschen Komitee wurden die Pläne zuerst abgelehnt. Der Bericht Tönniessens über das erste Stipendienjahr, bemängelte Oncken, rechtfertige in peinlicher Weise alle die Bedenken […], die in unserem Komité von vornherein gegen das ganz dilettantisch formulierte Arbeitsziel der Antragstellerin erhoben wurden. In Wirklichkeit hat das Interesse für moderne orientalische Wirtschaftsformen nur zu einer längeren Bildungsreise nach London und Paris geführt, deren einziges Ergebnis ist (was wir vorher sagten), daß die Beherrschung des Arabischen und Türkischen eine Voraussetzung für den Arbeitsplan sei193.

Oncken konstatierte einen „grobe[n] Fall von Missbrauch des Stipendiums“ und bemerkte, dass wenn die Berichte in New York genau gelesen würden, man dem Deutschen Komitee sehr leicht „den Vorwurf ungenügender Beratung machen“194 könne. Auch Schumacher glaubte, „dass aus den weiteren Arbeiten von Fräulein Dr. Tönniessen wissenschaftlich Wertvolles nicht hervorgehen“ werde195. Fehling verwies erneut darauf, dass das Thema auf Alfred Weber zurückgehe und die Bedenken der RF und Butlers verhindert hätten, gleich ein Stipendium für Vorderasien zu 189 Vgl. Brief von H. Tönniessen an A. W. Fehling, 10. Juni 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 190 Vgl. Brief von H. Tönniessen an A. W. Fehling, 20. Dezember 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 191 Vgl. Brief von H. Tönniessen an A. W. Fehling, 9. Mai 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. 192 Brief von A. W. Fehling an H. Tönniessen, 4. Februar 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. 193 Brief von H. Oncken an A. W. Fehling, 7. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 194 Ebd. 195 Brief von H. Schumacher an A. W. Fehling, 13. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23.

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beantragen. Doch auch er räumte ein: „Dies ändert freilich nichts daran, daß die sprachliche Vorbereitung vor Antritt des Stipendiums hätte liegen müssen“196. Das Komitee rang sich schließlich zur Befürwortung einer viermonatigen Verlängerung für eine Reise in den Nahen Osten durch197, für deren Durchführung die RF im November 1931 600 Dollar bewilligte198. Die Reise fand von Januar bis April 1932 statt. Zu Beginn traf Tönniessen in Konstantinopel (Istanbul) den deutschen Generalkonsul und den spanischen Botschafter, besichtigte Fabriken und führte Gespräche mit Geschäftsmännern und Journalisten. Nach einem Aufenthalt in Ankara fuhr sie über Mossul und Kerkuk nach Bagdad, wo sich, wie sie bemerkte, die westlichen Einflüsse nur langsam bemerkbar machten. Die Stipendiatin besuchte die wenigen modernen Fabriken und Schulen der unter britischem Mandat stehenden Stadt, da sie Bildung für einen wesentlichen Faktor der zukünftigen Entwicklung hielt. Im südirakischen Basra, wo sie zwei Tage blieb, informierte sie sich über den Hafen. Nach insgesamt vierwöchigem Aufenthalt im Irak reiste sie in das unter französischem Mandat stehende Syrien weiter, wo sie in Beirut die beiden Universitäten des Landes aufsuchte. „Beirut is the most typical levantinised town I saw on my journey and probably shows best all the negative influences of western civilisation“, hielt sie fest. Nach einer dreiwöchigen Reise ins Innere Syriens gelangte sie um Ostern 1932 in das britische Mandatsgebiet Palästina. In Jerusalem führte sie lange Gespräche mit verschiedenen Persönlichkeiten, besonders „on the problems of zionism“. Sie traf sowohl auf jüdische wie auf arabische Gesprächspartner und besprach „this very complicated question with neutral observers“. Auf einen Besuch Tel Avivs folgte eine sechstägige Reise nach Transjordanien: I had to join a tour organised by Tho’s Cook to visit the antiquities of Petra as it was thought impossible – I was told so by all persons I asked about it – that I could have travelled in these regions quite by myself, the Bedouin population of these desert regions not being altogether pacified199.

196 Brief von A. W. Fehling an H. Oncken, 10. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 197 Vgl. Brief von H. Tönniessen an A. W. Fehling, 22. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 198 Vgl. Brief vom Sekretariat J. Van Sickle an H. Neumann (geb. Tönniessen), 10. November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. Vgl. H. Tönniessen, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 199 H. Tönniessen, Report on my research-journey to several countries of the Near East from January to April 1932, 1. Juni 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30.

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Über Haifa trat sie die Rückreise nach Europa an200. In ihrem Reisebericht betonte die Stipendiatin, dass die vier Monate sehr kurz gewesen seien und das Reisen oft viel Zeit in Anspruch genommen hätte. Der Kontakt zur lokalen Bevölkerung und Ausländern sei im Allgemeinen „most satisfactory“ gewesen und würde in mehreren Fällen per Korrespondenz fortgeführt201. Insgesamt bestätigt sich nach Tönniessens Beschreibung der Eindruck einer reinen Informationsreise, die den Zielen des Stipendienprogramms nicht entsprach. Zwar führte Tönniessen viele Gespräche und Besichtigungen durch, doch Zeit für intensivere Nachforschungen oder wissenschaftliche Arbeit blieb nicht. Ihre Einschätzungen gehen über die Beurteilung eines mehr oder weniger starken westlichen Einflusses auf die jeweiligen Städte kaum hinaus, zu einer wissenschaftlichen Analyse der wirtschaftlichen Entwicklung oder einem Vergleich der unter britischem und französischem Mandat stehenden Gebiete kam es nicht. Zurück in Heidelberg verfolgte Tönniessen ihre Habilitationspläne weiter, die sie 1934 jedoch aufgeben musste202. Die RF vermerkte 1937 auf ihrer Fellowship Card: „No recent news. T’s [Tönniessen’s] career was destroyed as she married a Jew. She was a research librarian at Heidelberg until 1933“. 1938 bat Tönniessen Van Sickle um Hilfe bei der Suche einer Stelle im Ausland. Anfang 1939 informierte sie ihn über Emigrationspläne nach Sydney und bat um Kontakte zu australischen Wissenschaftlern. Stacy May schrieb daraufhin an D. B. Copland, den langjährigen australischen Stiftungsvertreter. Anschließend verlor sich der Kontakt zu Tönniessen. 1940 konnte ein an sie versandter Annual Report nicht zugestellt werden, auf eine 1950 gestellte Anfrage für die Erstellung des Fellowship Directory antwortete sie nicht203. Die Bewilligung der Orientreise Hedwig Tönniessens zeigt nachdrücklich die große inhaltliche Bandbreite des Stipendienprogramms und die Bereitschaft der RF, Ausnahmen von den im Stipendienplan festgelegten Richtlinien zuzulassen. Eine durch den Nahen Osten reisende Stipendiatin stellte für die RF kein Problem dar. Auch im Deutschen Komitee betraf die Kritik nicht die Idee der Reise selbst, sondern die ungenügende Vorbildung und die unpräzise wissenschaftliche Fragestellung der Stipendiatin. Tönniessen erhielt die Bewilligung trotz der zahlreichen Bedenken wegen der großen Wertschätzung der Komitee-Mitglieder und Mitarbeiter der RF 200 Ebd. 201 Ebd. 202 Vgl. Eßlinger, Hans Ulrich, Emil Lederer: Ein Plädoyer für die politische Verwertung der wissenschaftlichen Erkenntnis, in Treiber, Hubert; Sauerland, Karol (Hgg.), Heidelberg im Schnittpunkt intellektueller Kreise: Zur Topographie der „geistigen Geselligkeit“ eines „Weltdorfes“: 1850– 1950, Opladen, 1995, S. 427 (Im Folgenden zitiert als Eßlinger, Emil Lederer). 203 Vgl. H. Tönniessen, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany.

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gegenüber Alfred Weber, mit dem bereits das LSRM eng zusammengearbeitet hatte. Nur durch seinen Einfluss lässt sich die Vergabe des Stipendiums für einen Arbeitsplan erklären, der absehbar nicht zu den gewünschten wissenschaftlichen Ergebnissen führen konnte. Weimar in Australien? Die soziologische Gesellschaftsstudie Karl Heinz Pfeffers

Zwei deutsche Stipendiaten, Heinz Krause und Karl Heinz Pfeffer, verbrachten ihre Stipendienzeit in Australien. Die RF war anfangs skeptisch, europäische Fellows bei der weiten und teuren Reise zu unterstützen. Von Bremen nach Melbourne dauerte die Überfahrt über sechs Wochen204, für einen Briefwechsel mussten zehn bis elf Wochen eingeplant werden205. Dazu kam die Unsicherheit, ob die australischen Sozialwissenschaften den Fellows genügend Anregung und Kontakt bieten konnten206. Trotzdem erreichte Ende 1931 als erster deutscher Fellow der Nationalökonom Heinz Krause Australien, wo er sich mit der australischen Weizenproduktion beschäftigte207. Der zweite Fellow, der Australien besuchte, war der 1906 geborene Karl Heinz Pfeffer. Er studierte Geschichte, Philosophie, Englisch und Deutsch in Marburg, Frankfurt am Main, Königsberg und Berlin, war 1928/29 als Stipendiat des Akademischen Austauschdienstes in den USA und promovierte 1930 mit einer Arbeit über England im Urteil der amerikanischen Literatur. Anschließend ging er nach Leipzig, wo der Soziologe Hans Freyer „einen stets wachsenden Einfluss auf [s]ein Denken und Arbeiten“ ausübte208. Freyer berichtete Fehling, dass Pfeffer sich in Leipzig „mit Feuereifer in die Sociologie eingebohrt“ habe und erläuterte dessen Pläne einer „breitangelegte[n] Studie über Australien“. Er sei „einer der besten, die wir überhaupt hinauszuschicken haben“209. Fehling versprach, alles zu tun, um Pfeffer zu helfen, doch habe die RF für einen Aufenthalt in Australien an einen habilitierten Wissenschaftler gedacht, der seine Erkenntnisse anschließend in seiner Lehrtätigkeit verbrei-

204 Vgl. Brief von H. Krause an A. W. Fehling, 4. September 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 205 Vgl. Brief von H. Krause an A. W. Fehling, 9. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 206 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Krause, 9. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 207 Vgl. Brief von H. Krause an die Rockefeller Foundation, European Office, 26. Juli 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 208 K. H. Pfeffer, Lebenslauf, o. D. (an A. W. Fehling geschickt am 14. Dezember 1931), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 209 Brief von H. Freyer an A. W. Fehling, 15. August 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23.

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ten könne210. Er riet Pfeffer zu einer weiteren Vorbereitung in Europa und einer intensiven Beschäftigung mit der europäischen Soziologie211. Pfeffer verbrachte das Jahr 1930/31 als Stipendiat des Akademischen Austauschdienstes in Paris, schrieb sich dort in die juristische Fakultät ein und „arbeitete an einem Weg in die Sozialwissenschaften“212. Im Sommer 1931 bearbeitete er in der Bibliothek des Kieler Instituts für Weltwirtschaft die Literatur über Australien. Anschließend setzte er, erneut mit einem Stipendium des Akademischen Austauschdienstes, seine Literaturstudien an der London School of Economics fort und verglich die Ansichten seiner deutschen Lehrer mit denen „entgegengesetzter Richtung“, etwa von H. Laski. Er arbeitete am historischen Teil seiner Arbeit zu „Bau und Gliederung der australischen Gesellschaft“, die er in Australien durch einen „gegenwartskundlichen Hauptteil“ ergänzen wollte. Freyer sagte ihm zu, die Arbeit als Habilitationsschrift anzunehmen213. Ende 1931 bewarb sich Pfeffer um ein RF-Stipendium für den australischen Teil seiner Studie. In seinem an Freyer angelehnten „wirklichkeitswissenschaftlichen“ Ansatz214 ging er von der „deutschen gesellschaftlichen Wirklichkeit“ der frühen 1930er-Jahre aus: Die ‚Krise der Demokratie‘, das Problem der Bildung einer Führerschicht, die innere Auflösung des Gemeinwesens in einen latenten oder offenen Gegensatz der Klassen, die zahlreichen überhitzten Vorschläge zu einer radikalen Heilung dieser Nöte – all diese Erlebnisse der deutschen Gegenwart, vertieft durch ihr historisches und philosophisches Verständnis, liessen in mir den Wunsch wachwerden, unsere kritische Situation an einem neutralen Beispiel zu studieren, um sie dort zunächst einmal in ihrem wahren Gesicht erkennen und vielleicht Ansätze zu ihrer Überwindung finden zu können215.

Ein angelsächsisches Land sei für eine Untersuchung der modernen Demokratie am geeignetsten, wobei Australien „de[n] reinste[n] Fall des ‚reinen Falles‘“ darstelle. Das Land sei „ein Experimentiergarten, in dem der menschliche Versuch ‚individuelle Gesellschaft‘ ungehindert zu Ende ausprobiert wird“, zudem seien die „Dinge nicht 210 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Freyer, 23. August 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 211 Vgl. A. W. Fehling, Dokument ohne Titel (Entwurf zu den ausgewählten Bewerbern 1932), o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 212 K. H. Pfeffer, Lebenslauf, o. D. (an A. W. Fehling geschickt am 14. Dezember 1931), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 213 Ebd. 214 Vgl. Freyer, Hans, Soziologie als Wirklichkeitswissenschaft. Logische Grundlagen des Systems der Soziologie, Berlin, Leipzig, 1930. 215 K. H. Pfeffer, Arbeitsplan, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 50.

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so verwickelt wie in den heutigen Vereinigten Staaten“. Australien sei daher ein „Musterbeispiel“ der deutschen Lage216. Ziel sei es, „durch empirische Erkenntnis fremder Länder eine Theorie unser[er] eigenen Existenz bauen zu helfen“217. In Australien, so Pfeffer, finde man alle „Vorstufen der gegenwärtigen Lage, vom eingeborenen Jäger über den weissen Pionier, den Squatter, den Farmer zur modernen Großstadt“. Die Gesellschaft stehe im „‚dialektischen Moment‘ der Klassengesellschaft […], die nach ihrer Überwindung durch etwas Neues“ rufe. Methodisch wollte Pfeffer die Begriffe „Gemeinschaft“, „Gesellschaft“, „Ständeordnung“ und „Klassengesellschaft“ an der empirischen Wirklichkeit überprüfen, wobei nach möglichen „Elemente[n] einer dialektischen Weiterbildung über die ‚Klassengesellschaft‘ hinaus […] gesucht werden“ sollte. Er wollte die Gesellschaft nach „Schichten“ untersuchen, die er nach „Rasse, Besitz, Bildung, Religion, Geburt, Leistung, Amt“ einteilte. Zuerst sollten die „Gliederungsprinzipien einer industriellen Demokratie“ definiert werden, um anschließend das „Prinzip der Einheit über der Gliederung zu finden“. Er plante, Vertreter aller Gruppen zu treffen und ihren Alltag in „stillschweigende[m] ‚Mitleben‘“ zu beobachten218. Freyer glaubte, die Arbeit könne „außerordentlich wichtig werden“219, und der Leiter des Deutschen Akademischen Austauschdienstes, Adolf Morsbach, betonte, dass Pfeffer der einzige Austauschstipendiat sei, der Stipendien für drei verschiedene Länder bekommen habe220. Für Fehling war Pfeffer „ein sympathischer, liebenswürdiger Mensch, dessen Takt und Kameradschaftlichkeit überall gerühmt“ würden221. Gegenüber Copland begründete Fehling das umfangreiche Forschungsprogramm mit der soliden bibliographischen Vorbereitung in England, zudem habe sich der Bewerber auch in den USA bereits mit Problemen der angelsächsischen Welt auseinandergesetzt222. Copland gab sein Einverständnis223, und der Historiker Ernest Scott,

216 Ebd. 217 K. H. Pfeffer, Lebenslauf, o. D. (an A. W. Fehling geschickt am 14. Dezember 1931), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 218 K. H. Pfeffer, Arbeitsplan, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 50. 219 Brief von H.  Freyer an A.  W.  Fehling (Gutachten zu K.  H.  Pfeffer), 15.  Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 50. 220 Vgl. Brief von N. A. Morsbach an A. W. Fehling (Gutachten zu K. H. Pfeffer), 11. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 50. 221 A. W. Fehling, Dokument ohne Titel (Entwurf zu den ausgewählten Bewerbern 1932), o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 222 Vgl. Brief von A. W. Fehling an D. B. Copland, 12. April 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 223 Vgl. Brief von D. B. Copland an J. Van Sickle, 27. Juni 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30.

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Professor an der Universität Melbourne, sagte Pfeffer seine Hilfe bei der Umsetzung der ambitionierten Pläne zu224. Im September 1932 teilte Pfeffer Fehling seine Ankunft in Australien mit225, im Dezember schickte er seinen ersten Zwischenbericht. Die ersten drei Monate verbrachte er in Melbourne, unterbrochen von einer kurzen Reise nach Canberra und Tagesexkursionen in die Provinzzentren des Staates Viktoria, und nahm Kontakte zu politischen Parteien, Gewerkschaften und beruflichen Verbänden auf. Mitte Dezember ging er nach Sydney, wobei er auf der zehntägigen Reise Siedlungen, Milchwirtschaften, Schafzüchtereien und Weizenfarmen besuchte226. Anschließend reiste er nach West-227 und Südaustralien228. Die Universitäten, Behörden und Verbände hätten ihm jede erdenkliche Hilfe gewährt, betonte Pfeffer. Copland informierte er erst wöchentlich, später vierzehntägig, über seine Fortschritte. Scott, sein eigentlicher Studienberater, half ihm bei der Suche nach historischen Quellen, besprach seine Ergebnisse mit ihm und vermittelte ihm Kontakte. Pfeffer hob hervor, dass er an der Universität Melbourne wie ein Fakultätsmitglied behandelt worden sei, erwähnte aber auch eine Art „akademischer Einsamkeit“: „Trotz aller Hilfsbereitschaft versteht kaum jemand meine Fragestellung. Förderung und Kritik eines wirklichen akademischen Meisters fehlen“. Hilfe erfahre er oft nur von Fachleuten, „die ohne soziologische Theorien das soziale Feld ihrer Tätigkeit kennen“. Meistens könne er nur seine „tatsächlichen Unterlagen kontrollieren lassen“, müsse die „soziologischen Interpretationen“ jedoch selbstständig vornehmen229. „Ich bemühe mich, die Menschen selbst kennenzulernen, die in den gliedernden Gruppen leben“, hob Pfeffer hervor. Er führe etwa vier bis sechs Interviews am Tag, „dazu ein ständiges Wachen, Beobachten, Kenntnisnehmen im ungezwungenen Verkehr“. Abends notierte er die „menschlich[e] Ausbeute eines Tages“. Acht neu definierte Grundprinzipien der sozialen Gliederung (Volkstum, Glaube, Arbeit, Amt, Bildung, Besitz, Spiel und Partei) erfasste er mit Fragebögen, die er „elastisch“ anwandte. Anschließend wollte er zum „Integrationsprinzip“ hinter der sozialen Gliederung vordringen und das „australische Nationalgefühl“ untersuchen230. Sein 224 Vgl. Brief von E. Scott an D. B. Copland, 23. Juni 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 225 Vgl. Brief von K. H. Pfeffer an A. W. Fehling, 28. September 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. 226 Vgl. Brief von K. H. Pfeffer an das deutsche Komitee der Rockefeller Stiftung, 24. Dezember 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 227 Vgl. Brief von K. H. Pfeffer an das Deutsche Komitee, 4. April 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. 228 Vgl. K. H. Pfeffer, III. Bericht, 11. Juli 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 229 Brief von K. H. Pfeffer an das deutsche Komitee der Rockefeller Stiftung, 24. Dezember 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 230 Ebd.

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Ergebnis werde wahrscheinlich lauten, dass die gesellschaftliche Gliederung Australiens „verworren“ und „weder heilig noch schön noch nützlich“ sei. Eine „echte Mitte des Baues“ gebe es nicht, die revolutionären Bewegungen seien schwach. Seine Darstellung werde „Australien als die westliche Gesellschaft in diesem trostlosen Augenblick ihrer Geschichte zeigen“. Seinen eigenen „ideologischen Standort“ plante er in einem „besonderen Kapitel“ darzulegen, um die Arbeit „von der wirklichkeitswissenschaftlichen Aufnahme einer einmaligen, lebendigen Welt an die Schwelle eigener politischer Entscheidungen“ zu führen231. Seine politischen Schlussfolgerungen erörterte Pfeffer anlässlich eines Vortrags für die Australian Society in Perth im April 1933. Er sei mit einem „blank mind“ ins Land gekommen, um sich von den vorgefundenen Tatsachen zu einer realistischen Konzeption der australischen Gesellschaft leiten zu lassen, betonte er. Gegenwärtig habe diese die Stufe der „class-society in its maturity“ erreicht. Was anschließend komme, könne niemand vorhersehen. „A Sociological analysis does not lead to a rational prediction about the future, but to a call to action. At this point political science serves politics. Australia is a pure case of the situation in the countries of western civilisation“232. Als Beschreibung der demokratischsten der modernen Demokratien sei seine Studie „a call to the national revolution“, „a call to overcome the stage in which society is godless and unmusical, in which the state really is the class-state of Karl Marx“. Sein Vortrag endete mit den Worten: „But this call is addressed to Germany“233. Den Anforderungen der RF, sich im Ausland mit politischen Meinungsäußerungen zurückzuhalten, entsprach Pfeffer in diesem Vortrag nicht. Pfeffers Stipendium endete am 25. September 1933234. Fehling riet ihm, in Australien noch möglichst weite Teile seiner Studie zu verschriftlichen, „denn für eine ruhige Auswertung und Formulierung“ werde er im inzwischen nationalsozialistischen Deutschland zunächst „wenig Zeit finden“. Sein volles Interesse werde nach der Rückkehr „wohl erst all dem Neuen“ gelten. Pfeffers Karriereaussichten beurteilte Fehling positiv: „Zudem ist der Boden gelockert, und dem, der etwas Gewichtiges aufzuweisen hat, stehen manche Türen offen“235. Pfeffer, der sich bereits in Australien für die nationalsozialistische Bewegung engagiert hatte, indem er dort gemeinsam mit dem deutschen Konsul einen „Bund der Freunde der Hitlerbewegung“ organi-

231 Brief von K. H. Pfeffer an das Deutsche Komitee, 4. April 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. 232 K. H. Pfeffer, Lecture on the Economic Society of Australia and New Zealand, 28. April 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34, S. 22. 233 Ebd. 234 Vgl. K. H. Pfeffer, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 235 Brief von A. W. Fehling an K. H. Pfeffer, 13. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34.

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sierte, traf nach Inkrafttreten der Aufnahmesperre der NSDAP in Deutschland ein236, sodass er kein Parteimitglied werden konnte. Er trat der SA bei237 und ging zu Freyer nach Leipzig, wo er bis zum Sommer 1934 seine Habilitation abschloss238 und Dozent für Soziologie wurde239. Mit Hilfe eines Druckkostenzuschusses der Deutschen Forschungsgemeinschaft über 800 RM veröffentlichte er 1936 sein Buch „Die bürgerliche Gesellschaft in Australien“240. Gegenüber der Forschungsgemeinschaft, bei der er 2320 RM beantragt hatte, betonte Pfeffer, seine Studie untersuche „an einem selten klaren Musterbeispiel, wie ein Volk in den Verfallserscheinungen des 19. Jahrhunderts, in den Formen von Demokratie und Kapitalismus“241 lebe. In der beigelegten Inhaltsangabe stellte er die politischen Implikationen heraus: Die Arbeit solle zur „Besinnung über die deutsche Lage führen“, indem die „innere Fragwürdigkeit der Werte des 19. Jahrhunderts gezeigt“ würde, sie solle „Waffen liefern gegen den gesellschaftlichen Zerfall“ und für „die Überwindung des Bruches zwischen Staat und Gesellschaft“. Die australische Gesellschaft trage alle Möglichkeiten in sich, die weitere Entwicklung folge „keinem Gesetz, sondern der Tat“242. Auch die „deutsche Wirklichkeit“ werde von einer „‚gesellschaftlichen Entwicklung‘ weg- [und] zur politischen Tat hingewiesen“243. In der „Vorbemerkung“ seines Buchs gab Pfeffer als „Standort“ der Arbeit „das Deutschland der Jahre zwischen 1930 und 1933“244 an, wobei das Werk inzwischen für Deutschland „nur noch den Wert einer historischen Studie“ habe: „Wir stehen auf einer neuen geschichtlichen Stufe“. Es sei jedoch zu fragen, ob „die geschilderte 236 Vgl. Muller, Jerry Z., The Other God that Failed. Hans Freyer and the Deradicalization of German Conservatism, Princeton, 1987, S. 245. 237 Vgl. Brief von K. H. Pfeffer an A. W. Fehling, 10. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 238 Vgl. Brief von K. H. Pfeffer an A. W. Fehling, 20. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 239 Vgl. Bleek, Geschichte der Politikwissenschaft, S. 237. Pfeffer hatte diese Stelle bis 1940 inne, als er einen Lehrstuhl für Volks- und Landeskunde Großbritanniens an der neuen Auslandswissenschaftlichen Fakultät der Universität Berlin erhielt. Von 1943 bis 1945 war Pfeffer als Dekan der Fakultät tätig. 1956 veröffentlichte Pfeffer ein „Handwörterbuch der Politik“, in dem er die Verbrechen des Nationalsozialismus verschwieg. Vgl. die Analyse in Klingemann, Soziologie und Politik, S. 380 ff. 240 Vgl. Brief von J. Stark an K. H. Pfeffer, 14. September 1935, in BAB, R 73/13604. Vgl. Pfeffer, Karl Heinz, Die bürgerliche Gesellschaft in Australien, Berlin, 1936 (Im Folgenden zitiert als Pfeffer, Die bürgerliche Gesellschaft). 241 Brief von K. H. Pfeffer an die Notgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft, 28. Februar 1935, in BAB, R 73/13604. 242 K. H. Pfeffer, Zusammenfassende Inhaltsangabe von „Die bürgerliche Gesellschaft in Australien“, o. D., in BAB, R 73/13604. 243 Ebd. 244 Pfeffer, Die bürgerliche Gesellschaft, S. 11.

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Welt mit ihrem stets drohenden Auseinanderfallen von Staat und Gesellschaft aus den Herzen aller deutschen Menschen vertrieben worden ist“. Seine „politische Kampfschrift“ mit „antiliberaler Grundhaltung“ versuche, „das feindliche System sich durch seine eigenen Aussagen richten zu lassen“245. Dem NSD-Dozentenbund Leipzig galt Pfeffers Arbeit 1937 als Beweis für dessen wissenschaftliche Befähigung. Auch politisch galt er den Nationalsozialisten als „völlig einwandfrei“246. Freyer betonte in einem Brief an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, bei dem er 1937 um die Verlängerung von Pfeffers Assistentenstelle in Leipzig bat, dass dessen Australienstudie das „modernste und umfassendste Buch über Australien“ darstelle: „Lebendige Beobachtungen vereinen sich in ihr mit klarer, politischer Auffassung und Stellungnahme“247. Pfeffer benutzte seine in deutscher Perspektive konzipierte Arbeit als Rechtfertigung des Nationalsozialismus und der NS-Machtübernahme in Deutschland. Seine weitere Karriere im NS-Regime, die auf seiner Habilitationsschrift fußte, schloss sich nahtlos an. Er war nicht der einzige von der Soziologie Freyers beeinflusste Stipendiat, der mit seinen Forschungen die nationalsozialistische Diktatur unterstützte. Helmut Haufe in Rumänien: Ein Rockefeller Stipendiat und die deutsche „Volksforschung“

Der 1906 geborene Helmut Haufe beantragte im Februar 1935 ein RF-Stipendium, um in Rumänien das „Verhältnis von Bauern und Bojaren nach der Agrarreform im rumänischen Altreich und die Aufsiedlung der Baragansteppe“248 zu untersuchen. Er hatte Geographie, Geologie und Naturwissenschaften studiert, bevor er sich der Soziologie Freyers und Ipsens zuwandte249. Letzterer hatte ihn auf die Möglichkeit eines Auslandsstudiums hingewiesen. Haufe erhoffte sich von einem Studienaufenthalt am Rumänischen Sozialinstitut in Bukarest („Institut pentru Stiinta si Reforma Sociala“) ein „tieferes Eindringen in die agrarsoziologische[n] Probleme des östlichen Mitteleuropas und dessen Südosten“. Dies hielt er „nicht nur von der deutschen, sondern von einer gesamteuropäischen Schau her dringend wünschenswert“250. Sein 245 Ebd., S. 475–476. 246 Dozentenbundsgutachten für K. H. Pfeffer, 9. September 1937, in BAB, BDC-Unterlagen, DS/ WI B 37, Blatt 1786. 247 Brief von H.  Freyer an den Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, 23. Oktober 1937, in BAB, BDC-Unterlagen, DS/WI B 37, Blatt 1778. 248 Brief von A. W. Fehling an H. Freyer, 11. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 249 Vgl. H. Haufe, Lebenslauf, 8. Februar 1935, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 920. 250 Brief von H. Haufe an A. W. Fehling, 8. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42.

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Wunsch entspringe der „praktisch[en] Grenzlandarbeit“ der deutschen Jugendbünde und der „theoretischen Einsicht in das politisch-biologische Geschehen des 19. und 20. Jhd.“, besonders der „Beschneidung des deutschen Lebensraums“ durch die Gebietsverluste nach dem Ersten Weltkrieg und „seiner Beschränkung auf den europäischen Raum“ durch die verlorenen Kolonien. In Rumänien wollte er sich auf das Verhältnis der Bauerndörfer zu den Grundherren (Bojaren) konzentrieren sowie auf die bäuerliche Neusiedlung im Baragan und industrielle Ansätze am Karpatenrand, wobei verschiedene Dörfer und Industriesiedlungen miteinander verglichen werden sollten251. Das von Dimitrie Gusti geleitete Bukarester Sozialinstitut hatte Haufe bereits 1930 kennengelernt. Gusti hatte dort realsoziologische Planungsforschungen etabliert und stand in enger Verbindung zur Realsoziologie Ipsens und Freyers252. Rumänische Schüler Gustis hatten bereits als RF-Stipendiaten in Leipzig an Freyers Institut gearbeitet. Die „monographische Methode“ des Bukarester Instituts schien Haufe jedoch für seine Untersuchungen nur bedingt geeignet. Er wollte „die Verfassung des rumänischen Landvolkes unter einem europäischen und politischen Aspekt des ‚hic et nunc‘ sehen und über die rein positivistische Aufnahme hinauskommen“. Auch die amerikanische „Rural Sociology“ treffe die „europäische Problematik einer politischen Soziologie nur unvollkommen“253, betonte er. Freyer unterstützte Haufes Antrag, dieser leiste, „ohne irgendwie an die Genialität heranzureichen, sehr tüchtige und wertvolle Wissenschaft“254. Ipsen maß den Plänen des Bewerbers „wissenschaftlich große Bedeutung zu“, da es sich nicht nur „um eine exakte Erforschung mit modernen wissenschaftlichen Fragestellungen u. Methoden [handele], sondern um eine Sonde in einen Vorgang“, den Ipsen „für einen der entscheidenden Kraftströme [hielt], die die nächste Zukunft im mittleren und östlichen Europa“255 gestalten würden. Als Fehling Haufe auf den Wunsch der RF nach habilitierten Fellows mit gesicherter Berufsperspektive hinwies, reagierte Ipsen sofort: Anscheinend habe die Stiftung „gewisse Erfahrungen gemacht […], die ihr eine Sicherstellung nötig erscheinen lassen“. Die versuchte sachliche Formulierung dieser Sicherstellung fand Ipsen „abwegig“, es könne „wohl nur um die Bürgschaft 251 H. Haufe, Arbeitsplan, 8. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 252 Vgl. Gutberger, Hansjörg, Ein Fallbeispiel der „rekursiven Kopplung“ zwischen Wissenschaft und Politik: Ludwig Neundörfers soziographische Bevölkerungsforschung/-planung, in Mackensen, Rainer; Reulecke, Jürgen; Ehmer, Josef (Hgg.), Ursprünge, Arten und Folgen des Konstrukts „Bevölkerung“ vor, im und nach dem „Dritten Reich“: Zur Geschichte der deutschen Bevölkerungswissenschaft, Wiesbaden, 2009, S. 314. 253 H. Haufe, Arbeitsplan, 8. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 254 Brief von H. Freyer an A. W. Fehling, 1. April 1935, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 920. 255 Brief von G. Ipsen an A. W. Fehling (Gutachten H. Haufe), 21. Februar 1935, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 920.

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eines dazu legitimierten Mannes für die Person des betreffenden in menschlicher, politischer und wissenschaftlicher Hinsicht und eine glaubhafte Versicherung über die Berufsabsichten und ihre mögliche Verwirklichung“ gehen. Dass Haufe noch nicht habilitiert sei, liege vor allem an dem Umzug von Leipzig nach Königsberg: „[H]ier waren zunächst wichtigere Dinge zu tun, als persönliche Avancements; unsre Gesamtarbeit ist für Königsberg neu“256. Dem Deutschen Komitee lag für die Beurteilung der Bewerbung außerdem ein Artikel Haufes mit dem Titel „Rumänien. Geschichtliche Entwicklung und völkische Struktur“ vor, den dieser 1935 im Schulungsbrief des Bundes Deutscher Osten veröffentlicht hatte. Haufe untersuchte darin die Lage der Deutschen in Rumänien, wobei er die deutschsprachigen Juden nicht zu den Deutschen zählte257. Die deutschsprechende Jugend sehe „mit großen Erwartungen“ auf das neu entstandene Reich, Versuche, die darauf abzielten „die Enge des Lebensraumes zu überwinden und das Bewußtsein gemeinsamen Schicksals zu stärken“ fänden bei den Deutschen „starken Rückhalt“. „Über die deutsche Volksgruppe kann die Brücke vom Reich zum Wirtsstaat gehen und ihm durch vorgelebte neue Lebensformen eine bessere Ordnung gezeigt werden“258, so Haufe. Das Deutsche Komitee entschied sich, Haufes Antrag nicht in die erste Reihe der befürworteten Anträge aufzunehmen, ihn aber bei drei verfügbaren Stipendien als vierte Bewerbung nach Paris zu schicken, falls einer der anderen Bewerber abgelehnt würde oder seine Bewerbung zurückzöge259. Die offensichtlich nationalsozialistische Gesinnung Haufes verschleierte Fehling in seiner Beschreibung für die RF. Haufe hatte in seinem Lebenslauf angegeben, von seinem 15. Lebensjahr bis zur Auflösung des Großdeutschen Bundes im Juni 1933 den Bünden der Deutschen Jugendbewegung angehört zu haben. Die sich nach 1933 in Deutschland herausbildenden „neuen Lebensformen“ waren ihm „nicht nur aus der Arbeit [s]einer Kameraden bekannt“, er habe auch 1926 und 1928 insgesamt zehn Wochen „im Arbeitslager der Deutschen Freischar“ verbracht. Der Eintritt „in die SA im November 1933“ erschloss ihm daher „prinzipiell keine neue Lebenswelt“, sondern bot „lediglich eine neue Arbeitsmöglichkeit“. Zur Zeit der Bewerbung gehörte Haufe „dem Sturm 24/43 Königsberg als Sturm-Mann und Bildungsobmann“260 an. In Fehlings Zusammenfassung wurde 256 Brief von G. Ipsen an A. W. Fehling (Gutachten H. Haufe), 21. März 1935, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 920. 257 Vgl. H.  Haufe, Rumänien. Geschichtliche Entwicklung und völkische Struktur, in Schulungsbrief 8 des Bundes Deutscher Osten, herausgegeben vom Institut für Osteuropäische Wirtschaft der Albertus-Universität, o. D. [1935], in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43, S. 8. 258 Ebd., S. 8–9. 259 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Freyer, 9. April 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 260 H.  Haufe, Lebenslauf, 8.  Februar 1935, in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 920.

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Haufes SA-Mitgliedschaft mit keinem Wort erwähnt, während er dessen Erlebnisse in der Jugendbewegung ausführlich schilderte. Fehling empfahl Haufe als „not a brilliant, but a safe case with merits of its own“. Nach der Rückkehr werde Haufe keine Schwierigkeiten haben, eine angemessene Stelle zu finden und seine wissenschaftliche Arbeit fortzuführen261. Haufe erhielt das Stipendium, da andere Kandidaten ihre Bewerbung zurückzo262 gen , und reiste über Wien nach Bukarest. Im Oktober 1935 teilte er Fehling mit, dass dort auf den ersten Eindruck „alles sehr unübersichtlich geordnet (rein räumlich) und für unsere sachlichen Fragen samt deren Beantwortung nur beschränktes Interesse vorhanden“ sei. Vielleicht liege dies „an Klima und Boden“, mutmaßte er, „[d] enn ersteres war bis gestern sehr warm und letzterer bringt auch ohne viel Aufwand gute Ernten!“263 Haufe plante den Kauf eines Autos („es gibt keine Eisenbahn, zu Fuß dauert es zu lange, zu Pferd ist romantisch aber unbequem“)264, doch Fehling riet davon ab, Kittredge dafür um einen Vorschuss zu bitten, da die RF nach mehreren schweren Unfällen dagegen sei. Käme Kittredge nach Bukarest, könne er die Frage mündlich ansprechen265. Im März 1936 plante Haufe „Erkundungsfahrten mit der Bahn“, um den Umfang der „notwendigen Enquêten“ festzustellen. Die Arbeit laufe gut, auch dämpfe der Frühling „die politischen zugunsten der übrigen Leidenschaften“266, schrieb er Fehling. Nach einem Gespräch zwischen Fehling und Kittredge erinnerte der deutsche Landesvertreter Haufe daran, dass der „Foundation an einer intensiven Feldarbeit und einem nahen Kontakt mit den rumänischen Soziologen so besonders gelegen sei“. Er empfahl, sobald wie möglich über seine Arbeiten „draußen“ nach Paris zu berichten267. Fehling hatte Kittredges Beurteilung der Arbeit Haufes richtig eingeschätzt. Der Officer notierte nach einem Gespräch mit dem Stipendiaten, dass dieser die meiste Zeit mit der Arbeit in Bukarester Bibliotheken und Archiven verbracht und der Feldforschung nur ein paar Tage gewidmet habe. Kittredge hatte ihm einen Vorschuss für den Kauf eines Wagens und die Erstattung der Kosten für eine bestimmte Anzahl von Kilometern zugesagt. In Rumänien habe Haufe nicht so einen guten Eindruck wie der SSRC-Fellow Mosley gemacht. Er habe bisher keine engen Beziehungen zu Gusti und seinen Assistenten etabliert, die mit Dorfstudien befasst seien. Kittredge forderte ihn deshalb auf, die Möglichkeiten, sich mit den in Rumänien durchgeführ261 A. W. Fehling, Dokument ohne Titel zu H. Haufe, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 53. 262 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Haufe, 14. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 263 Brief von H. Haufe an A. W. Fehling, 25. Oktober 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44. 264 Brief von H. Haufe an A. W. Fehling, 18. Februar 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44. 265 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Haufe, 27. Februar 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44. 266 Brief von H. Haufe an A. W. Fehling, 4. März 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. 267 Brief von A. W. Fehling an H. Haufe, 15. April 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45.

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ten Arbeiten bekannt zu machen, stärker zu nutzen, auch um seine spätere Feldforschung zu erleichtern268. Im Mai 1936 teilte Haufe mit, er habe sein Gebiet nun „mit Bahn und Schiff umkreist“ und sich auf den Bukarester Ämtern „mit Papierchen für das platte Land“ ausgerüstet. Er werde kaum so systematisch mit Tests und Fragebögen arbeiten, wie der SSRC-Fellow Mosley es in Siebenbürgen tue, auch Gusti scheine „sich mehr mit der L. v. Wiese’schen Methode befreunden zu wollen als mit unserer statistischen […] und sachkundlichen“. Auch arbeite Gusti mehr propagandistisch und kulturpolitisch, so Haufe, während er selbst dagegen versuchen wolle „einen Ausschnitt aus der (in unserem Sinne zusammenfassenden) politischen Situation Rumäniens zu bekommen auf der Grundlage von Agrarverfassung und Gesellschaftsordnung des platten Landes“. Mit der „Bukarester Schule“ wollte er kooperieren, aber sich nicht auf sie beschränken. Von dem erstandenen Auto war er „garnicht so völlig begeistert“, das ausgedehnte Programm sei aber ohne Wagen kaum zu schaffen269. Nach Ablauf seines Stipendiums im September 1936270 arbeitete Haufe seine Studien zu einer Habilitationsschrift mit dem Titel „Die Wandlung der Volksordnung im rumänischen Altreich“ aus, die 1938 von der Philosophischen Fakultät der Universität Königsberg als „wissenschaftlich ausgezeichnet und politisch wichtig“ angenommen wurde. Im Vorwort der 1939 veröffentlichten Arbeit erklärte Haufe, er habe „die bisher üblichen Forschungsansätze zum Wesen des Rumänentums von unseren neueren deutschen Fragestellungen her ergänzen wollen“271. Auch in Rumänien, so Haufe in der Einleitung, versuche sich die „völkische Idee gegen die Nationaldemokratie der bürgerlichen Gesellschaft“ durchzusetzen, Ziel seiner Abhandlung sei es, „die Entwicklung der Volksordnung im 19. und 20. Jahrhundert als Voraussetzung und Grundlage dieser völkischen Neuordnung“272 aufzuzeigen. In einem Gutachten für die Deutsche Forschungsgemeinschaft, bei der Haufe einen Druckkostenzuschuss beantragte, sah Ipsen die Bedeutung des Buches auch darin, dass sich „an dieser beispielhaften Untersuchung zum erstenmal die Fruchtbarkeit der neuen deutschen Volksforschung für Ostmitteleuropa“ bewähre und Haufe „damit in einem Bereich die deutsche Wissenschaft zur Geltung bring[e], der aus letztlich politischen Gründen wissenschaftlich heiss umkämpft“ sei. Besonders die angelsächsische Soziologie bemühe sich seit langem um eine methodische und 268 Vgl. T. B. Kittredge, Interview with H. Haufe, 2. März 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. 269 Brief von H. Haufe an A. W. Fehling, 4. Mai 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. 270 Vgl. H. Haufe, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 271 Haufe, Helmut, Die Wandlung der Volksordnung im rumänischen Altreich. Agrarverfassung und Bevölkerungsentwicklung im 19. und 20. Jahrhundert, Stuttgart, 1939, Vorwort. 272 Ebd., S. 1.

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thematische Durchsetzung in diesem Raum, „wobei sie die Unterstützung aller gegendeutschen Kräfte im Land selbst“ finde. Eine Arbeit wie Haufes sei „die wirksamste Gegenwirkung“273. Der Antrag und Ipsens Unterstützung waren erfolgreich, Haufe erhielt 1440 RM für den Druck des Buches274. Der Einschätzung Bernhard vom Brockes, der Haufe als frei „von den völkischnationalistischen Ideologemen des Lehrers und der grassierenden Blut und BodenIdeologie“ beschreibt, der mit seinen „Arbeiten fruchtbare Anstöße für die Ausbildung einer historischen-soziologischen Theorie des Bevölkerungsprozesses nach 1945“275 gab, kann hier nicht gefolgt werden. In den folgenden Jahren führte Haufe, der 1943 in Russland fiel276, seine osteuropäischen Studien weiter und untersuchte drei Landkreise in Ostpreußen, Pommern und Schlesien. Im Hinblick auf die Entfaltung der Agrargesellschaften behauptete er: Eine „der dringlichsten und am schwersten zu lösenden Fragen ist die Stellung des Judentums. Ihren Ort in diesem ländlichen Gefüge habe ich angedeutet“277. Wissenschaftliche Forschung verband sich mit antisemitischen Vorurteilen, wobei nicht klar wird, an welche „Lösung“ der ehemalige RF-Stipendiat im Hinblick auf die osteuropäischen Juden dachte. Carsten Klingemann geht davon aus, dass gerade die Wissenschaftlichkeit von Haufes Untersuchungen die „ethnopolitischen Konsequenzen zu einer tödlichen Bedrohung werden ließen“278. Wie Karl Heinz Pfeffer in Australien führte Helmut Haufe seine durch die RF finanzierten Forschungen in der Perspektive der nationalsozialistischen Bewegung aus und präsentierte seine Ergebnisse als Rechtfertigung der NS-Machtübernahme. Die Auslandserfahrung diente hier politischen Zielen, die dem Stipendienplan der Rockefeller Stiftung widersprachen. Wie bei Wollenweber, der seine Stipendienzeit in den USA verbrachte, führte der Auslandsaufenthalt nicht zum Aufbrechen, sondern zur Verfestigung extremer Nationalismen. Erstaunlich ist, dass die RF deutsche Stipendiaten, deren Forschungen den Erwartungen der Stiftung kaum gerecht wurden, im Ausland weitgehend gewähren ließ. Die Kritik Kittredges an Haufes Stipendien273 Brief von G. Ipsen an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, 15. April 1939, in BAB, R 73/11525. Siehe auch Klingemann, Soziologie und Politik, S. 76–77. 274 Vgl. Brief von K. Griewank an den Verlag W. Kohlhammer, Stuttgart, 6. Dezember 1939, in BAB, R 73/11525. 275 Vom Brocke, Bernhard, Bevölkerungswissenschaft im nationalsozialistischen Deutschland, in Brunner, José (Hg.), Tel Aviver Jahrbuch für Deutsche Geschichte XXXV. Demographie – Demokratie – Geschichte: Deutschland und Israel, Göttingen, 2007, S. 153. 276 Vgl. Vom Brocke, Bernhard, Bevölkerungswissenschaft — Quo vadis? Möglichkeiten und Probleme einer Geschichte der Bevölkerungswissenschaft in Deutschland, Opladen, 1998, S. 84. 277 H. Haufe, Der preußische Landkreis, in Arbeiten des XIV. Internationalen Soziologen-Kongresses in Bukarest, Mitteilungen, Abteilung D., Stadt und Land, 1. Bd., 1940, S. 65–80, zitiert in Klingemann, Soziologie und Politik, S. 75. 278 Klingemann, Soziologie und Politik, S. 75.

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zeit betraf nicht die inhaltliche oder ideologische Ausrichtung seiner Forschungen, sondern die wenig empirische Arbeitsweise und das Fehlen des Bemühens um enge Kontakte zu rumänischen Wissenschaftlern. Insgesamt bewertete die Stiftung die Fellowships von Stipendiaten als besonders erfolgreich, die den Zielen des methodischen und inhaltlichen Austausches und der empirischen Arbeitsweise am ehesten entsprachen. Die Kontakte zu ausländischen Wissenschaftlern sollten im Idealfall zu einer engen wissenschaftlichen Kooperation führen und über punktuelle Beratungen hinausgehen. Reisen wurden so lange großzügig unterstützt, wie sie wissenschaftlichen Zielen und nicht touristischen Interessen dienten. Den Stipendiaten wurde oft erst zum Zeitpunkt der Entscheidung über Verlängerungsanträge bewusst, dass RF und Deutsches Komitee, trotz der großen Freiheiten, eine Befolgung der Richtlinien und ein Bemühen um die Erreichung der Ziele des Stipendienplans erwarteten und die Ergebnisse der Stipendienzeit intern kritisch beleuchteten. Auch nach der Rückkehr verfolgten die Officers die weitere Karriere der Stipendiaten, um zu überprüfen, ob die Stipendiaten die empirische sozialwissenschaftliche Forschung in ihren jeweiligen Ländern stärkten, wie es die Zielsetzung des Programms vorsah.

9. Nach der Stipendienzeit: Rückkehr nach Deutschland, Emigration und Verhalten im Nationalsozialismus

Die Rückkehr der Fellows in ihr Heimatland war ein zentraler konzeptioneller Bestandteil des Rockefeller’schen Stipendienplans. Schließlich sollten die ehemaligen Fellows zu wissenschaftlichen Botschaftern werden und ihre im Ausland erworbenen Erkenntnisse im Heimatland nutzen und weitergeben. Entsprechend nachdrücklich wurde diese Anforderung sowohl von den Officers wie auch von Fehling und dem Deutschen Komitee vertreten. Der von deutscher Seite eingebrachte Vorschlag, den Stipendiaten die Nutzung der letzten drei Stipendienmonate im Heimatland zu erlauben, um ihnen das Wiedereingewöhnen zu erleichtern1, wurde von der RF allerdings abgelehnt. Die Stiftung verfolgte zwar den weiteren Lebensweg der Stipendiaten genau und half in vielen Fällen mit „grants-in-aid“, eine direkte Verantwortung wollte sie für die zurückgekehrten Fellows jedoch nicht übernehmen. Die in Europa tätigen Stipendiaten organisierten ihre Rückreise nach Deutschland selbstständig und erhielten eine Erstattung der Reisekosten. Für die in den USA forschenden Fellows buchte die RF die Rückreise per Dampfer ab New York. Als der Nationalsozialist Hellmut Wollenweber Fehling im Sommer 1934 darum bat, das Schiff selbst auswählen zu dürfen, da er „nach [s]einen damaligen Erfahrungen wohl diesmal lieber auf einem deutschen Schiff “ reisen wolle2, informierte ihn Fehling, dass die Stiftung die Schiffsplätze belege: „Da es sich um amerikanisches Geld handelt, muß man ihr schon freie Hand für die Wahl lassen. Vor der Wirtschaftskrise spielten diese Dinge keine Rolle. Jetzt gibt es für die Foundation bestimmte Rücksichten“3. Nicht für alle Stipendiaten verlief die Rückkehr nach Deutschland reibungslos. Einige fanden die ihnen versprochenen Stellen besetzt vor, bei anderen verzögerte sich die geplante Habilitation oder sie gerieten in finanzielle Schwierigkeiten. Ab 1933 stellte sich oppositionellen und unter die antisemitische Gesetzgebung des NS-Staates fallenden Stipendiaten die Frage, inwieweit eine wissenschaftliche Karriere oder eine die Lebenskosten deckende berufliche Tätigkeit für sie in Deutschland 1 2 3

Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 29. April 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 22. Brief von H.  Wollenweber an A.  W.  Fehling, 16.  Juli 1934, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 40. Brief von A. W. Fehling an H. Wollenweber, 19. August 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40.

Nach der Stipendienzeit

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noch möglich oder wünschenswert wäre. Gegen Fehlings Willen nutzten mehrere Fellows die Stipendien zur Emigration, wobei die RF, trotz ihrer gegenteiligen Richtlinien, in einigen Fällen Unterstützung leistete. Die Frage der Emigration führte zu Rissen im Netzwerk der Rockefeller Philanthropie in Deutschland, die sowohl die Zusammenarbeit der Mitglieder des Deutschen Komitees als auch die Beziehungen Fehlings zu einigen Stipendiaten erheblich belasteten. Für alle Stipendiaten stellte sich die Frage des persönlichen Verhaltens im Nationalsozialismus, wobei sich unter den knapp 80 deutschen Fellows sowohl Widerstandskämpfer als auch überzeugte Nationalsozialisten, darunter ein Teilnehmer der Wannsee-Konferenz, befanden.

9.1 Rückkehr oder Emigration: Das Stipendium als Karrieresprungbrett oder Weg in die berufliche Sackgasse Einigen deutschen Stipendiaten gelang es nach der Rückkehr problemlos, beruflich Fuß zu fassen und ihre Karriere weiter zu verfolgen, während anderen Wiedereingewöhnung und Stellensuche in Deutschland große Schwierigkeiten bereiteten. Generell waren die akademischen Zukunftsaussichten an den deutschen Universitäten in den 1930er-Jahren für habilitierte Nachwuchswissenschaftler sehr unsicher. 1931 kamen auf 1721 Ordinarien 1364 Privatdozenten und 1301 nichtbeamtete außerordentliche Professoren4. In dieser von Konkurrenz geprägten Situation konnte sich ein längerer Auslandsaufenthalt als entscheidender Wettbewerbsvorteil erweisen oder die Stellensuche aufgrund der unterbrochenen Kontakte zu früheren Förderern erschweren. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten zerstörte für einen Teil der ehemaligen Stipendiaten die Hoffnungen auf eine akademische Karriere, während sie anderen durch die Massenentlassungen im akademischen Bereich einen schnellen Aufstieg ermöglichte. Ungewöhnliche Erfolge, gebrochene Versprechen und finanzielle Schwierigkeiten

Äußerst erfolgreich verlief die Zeit nach der Rückkehr für den Stipendiaten Otto Vossler. Er wurde aufgrund seiner in den USA verfassten Habilitationsschrift 1929 4

Vgl. Grüttner, Michael, Machtergreifung als Generationskonflikt. Die Krise der Hochschulen und der Aufstieg des Nationalsozialismus, in Vom Bruch, Rüdiger; Kaderas, Brigitte (Hgg.), Wissenschaften und Wissenschaftspolitik: Bestandsaufnahmen zu Formationen, Brüchen und Kontinuitäten im Deutschland des 20. Jahrhunderts, Stuttgart, 2002, S. 342 (Im Folgenden zitiert als Grüttner, Machtergreifung).

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zum Privatdozenten an der Berliner Universität und 1930 zum außerordentlichen Professor an der Universität Leipzig ernannt. „This is very exceptional, as Dr. Vossler just finished his first semester of lecturing“, teilte Fehling Van Sickle nicht ohne Stolz über den Erfolg des ehemaligen Stipendiaten mit. „As I heard, the faculty at Leipzig picked him out merely for his knowledge of American history, which he owes to his fellowship time“5. Als Van Sickle Vossler im Mai 1931 in Leipzig traf, empfand er ihn zwar als „extremely tired and […] obviously over-worked“, der Ex-Fellow beeindruckte ihn aber auch als „a first-rate man, intellectually independant in his judgements and extremely serious about his scientific work“6. Mehrere Stipendiaten konnten auf ihre alten Stellen zurückkehren. So nahm Andreas Predöhl seine Arbeit als Assistent am Kieler Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr wieder auf. Er hatte in den USA zu Standortfragen der amerikanischen Industrie gearbeitet7 und kam mit einem weitgehend abgeschlossenen Manuskript zurück. „Was das bedeutet, sieht man erst recht, wenn man hört, wie andere unter dem Assistentenjoch seufzen“, schrieb er an Fehling. Nach dreijähriger Abwesenheit freue er sich jetzt wieder auf das Universitätsleben8. Auch die Stipendiaten Fick und Schneider traten ihre Assistentenstellen in Jena und Bonn wieder an9. Morstein Marx nahm seine Arbeit im Hamburgischen Staatsdienst wieder auf10, bis er 1933 in die USA emigrierte11. Rudolf Freund hatte seine Arbeit zum amerikanischen Weizenanbau am Ende seiner Stipendienzeit noch nicht abgeschlossen, konnte im Januar 1931 aber problemlos auf seine Stelle am Kieler Weltwirtschaftsinstitut zurückkehren. Im Herbst 1932 verbrachte er zwei weitere Monate in den USA, für das Jahr 1933 plante er die Fertigstellung seiner Habilitationsschrift. Im März 1933 musste Freund, der mit einer jüdischen Frau verheiratet war, das Kieler Institut jedoch verlassen. Er ging nach Berlin, wo er für Sering arbeitete, bis er 1934 eine von der RF geförderte Stelle an der Handelshochschule in Stockholm annahm12. 1939/40 unterstützte die RF seine Anstellung an der University of Virginia aus dem Special Research

5 6 7

Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 8. März 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. J. Van Sickle, Diary, 10. Mai 1931, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1931, S. 44. Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 7. September 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 17. 8 Vgl. Brief von A. Predöhl an A. W. Fehling, 13. Juli 1928, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 16. 9 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 14. Januar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 10 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 12. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 11 Vgl. König, Klaus, Morstein Marx, Fritz, in NDB 18 (1997), S. 159–160. 12 Vgl. R. Freund, Curriculum Vitae, 12. März 1937, in RAC-RF, RG 1.1, Series 252 S, box 2, folder 24. Research Aid Fund, 27. März 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 800, box 10, folder 102.

Nach der Stipendienzeit

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Aid Fund13. Der auf seine Rostocker Assistentenstelle zurückkehrende Hellmut Wollenweber lebte sich schnell und dauerhaft im nationalsozialistischen Deutschland ein14. Im Oktober 1934 berichtete er der RF, dass ihm erst jetzt bewusst werde, wie nützlich die Erfahrungen und Eindrücke der Stipendienzeit ihm seien: „I feel I can go further in my own work than I could before“. Er habe die Lage so gut und vielversprechend vorgefunden, wie er es vorausgesehen habe15. Die in der Stipendienzeit durchgeführten Forschungen und die neuen Kenntnisse ermöglichten mehreren Ex-Fellows ein berufliches Weiterkommen. Arvid Harnack nutzte die ersten Kapitel seines Buches über die amerikanische Arbeiterbewegung als Dissertation an der Universität Gießen, wo er zusätzlich zum Titel Dr. jur. den Dr. phil. erwarb16. Gottfried Pfeifer stellte Ende 1933 seine Habilitationsschrift „Räumliche Gliederung der Landwirtschaft im nördlichen Kalifornien“17 fertig und wurde an der Universität Bonn habilitiert18. Otto Brok profitierte auf andere Weise von seinen Erfahrungen in den USA: Er ging zurück nach Berlin und arbeitete dort für die Chicago News19. Hans Staehle brach sein Stipendium ab, nachdem er von 1928 bis 1930 in den USA, Italien und England gearbeitet hatte, um in Genf am International Labor Office (ILO) zu arbeiten20. 1939 berichtete Kittredge jedoch, er sei im Februar von seiner Position zurückgetreten: „With the critical situation in Europe and with his German passport he felt it advisable to submit his resignation“. Im Mai 1939 erreichte Staehle die USA und fand für das Jahr 1939/40 eine Stelle als Visiting Lecturer on Economics an der Harvard University21. Verschiedentlich berichteten Stipendiaten von Schwierigkeiten bei der Rückkehr. Wohlfahrt fand seine Assistentenstelle besetzt vor22, Linhardt berichtete Fehling im 13 Vgl. Special Research Aid Fund, 26. Juni 1939, in RAC-RF, RG 1.1, Series 252 S, box 2, folder 24. Brief des Präsidenten der Universität von Virginia an G.  J.  Beal, 27.  April 1940, in RAC-RF, RG 1.1, Series 252 S, box 2, folder 24. 14 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 14. Januar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 15 Brief von H. Wollenweber an S. May, 15. Oktober 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 41. 16 Vgl. Brief von A. Harnack an das LSRM, 29. Juli 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 17 Pfeifer, Die räumliche Gliederung der Landwirtschaft. 18 Vgl. Brief von G. Pfeifer an A. W. Fehling, 27. Dezember 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. 19 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 12. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 20 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 9. Mai 1930, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929–1930, S. 81. 21 H. Staehle, Fellowship Card, RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. Staehle blieb bis 1947 in den USA und ging dann nach Genf zurück. Vgl. Carré, Philippe, Brief Note on the Life and Work of Hans Staehle, in Econometrica 29 (1961), S. 802. 22 Vgl. Brief von E. Wohlfahrt an A. W. Fehling, 12. Dezember 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23.

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Januar 1931, dass er nach der Stipendienzeit finanziell schlechter gestellt sei als zuvor. Er habe keine Assistentenstelle und lebe von einem kleinen Stipendium aus privaten Mitteln. Enttäuscht sei er dennoch nicht: Das Eingewöhnen, wonach man soviel gefragt wird, hatte für mich gar keine Schwierigkeiten. Ich hätte auch nicht mehr länger drüben bleiben mögen. Nicht weil ich es dort nicht hätte aushalten können – am Ende fühlte ich mich viel besser als am Anfang – sondern, weil die politischen Ereignisse des letzten Jahres, Young Plan, Volksentscheid, Septemberwahlen, Notverordnungen mich so lebhaft interessierten, dass ich einfach nachhause musste23.

Für Heinz Krauses Assistentenstelle an der Jenaer Abteilung des Deutschen Forschungsinstituts für Agrar- und Siedlungswesen wurden während seiner Abwesenheit die Mittel gestrichen. Er erwog, noch einmal an die RF heranzutreten und benutzte diese Möglichkeit als Argument für eine Unterstützung von deutscher Seite, als er im November 1934 ans Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung schrieb: Doch ist einmal die Aussicht an sich gering und dann ist mir zufällig vor Monaten bekannt geworden, dass ein derartiges Gesuch an die Foundation um ein zusätzliches Stipendium mit der Begründung, dass sonst die Ausarbeitung des Materials unterbleiben müsste vom nationalen also in diesem Falle vom deutschen Standpunkt aus gesehen durchaus nicht ratsam ist24.

Fehling, dem Krause seinen Brief vorlegte, hatte gegen den Absatz nichts einzuwenden, stieß sich aber an der Formulierung, die man beim Überfliegen so verstehen könne, „als ob eine Antragstellung bei der Rockefeller Foundation an sich nicht im nationalen Interesse“ läge, wobei Krause die „mit bestimmten Anträgen verbundene Gefahr der Verminderung der Zahl der eigentlichen Stipendien“ meine25. Krause erhielt schließlich ein sechsmonatiges Stipendium der Notgemeinschaft zur Ausarbeitung seiner australischen Materialien26. Nachdem sich 1936 seine Hoffnungen auf eine Stelle in Ecuador zerschlagen hatten, nahm er eine Assistentenstelle bei Sering in Berlin an. 1937/38 erhielt er ein Stipendium des Reichsforschungsrats und 1938/39 23 Brief von H. Linhardt an A. W. Fehling, 13. Januar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 24 Brief von H. Krause an K. Meyer, 24. November 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 56. 25 Brief von A. W. Fehling an H. Krause, 30. November 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 56. 26 Vgl. Brief von H. Krause an A. W. Fehling, 14. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 56.

Nach der Stipendienzeit

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der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Studien zur Agrarverfassung Neuseelands und Australiens27. Während des Zweiten Weltkriegs war er am Deutschen Wissenschaftlichen Institut in Bukarest tätig, 1942 wurde ihm dort die Leitung der sich im Aufbau befindenden landwirtschaftlichen Abteilung übertragen28. Er führte Arbeiten zur Wirtschafts- und Sozialstruktur der „neuen Ostgebiete“ durch sowie zu den „Volkstumsverhältnisse[n] im europäisch-russischen Raum“29. Kurt Schneider erhielt von Edmund E. Day die Erlaubnis30, seine Stipendienzeit zu verkürzen, um eine Assistentenstelle am neu eingerichteten Institut für Landwirtschaftliche Forschung in Berlin anzunehmen. Von einem Verzicht auf die Stelle hatte Fehling angesichts der wenigen Assistentenstellen in Deutschland abgeraten. Der RF gegenüber betonte er, die Position würde Schneider eine gute Grundlage für weiteres wissenschaftliches Arbeiten geben31. 1934 erhielt Schneider ein Stipendium der Deutschen Forschungsgemeinschaft für Studien zu „Produktions- und Absatzverhältnissen von Gemüse und Obst im ostdeutschen Siedlungsraum“32. In finanzielle Schwierigkeiten geriet er 1935, als er eine dauerhafte, aber unbezahlte Stelle als Vertreter des Vorstehers beim Kulturamt Dortmund angenommen hatte, die erst nach einer zweijährigen Ausbildungszeit vergütet wurde33. Er bewarb sich bei der RF um einen „grant-in-aid“ und betonte, er lebe in „financial distress“34. Nachdem Fehling sich für ihn eingesetzt hatte35, bewilligte die Stiftung ihm einen „Research-

27 Vgl. Brief von Mener an H. Krause, 30. Oktober 1937 und Brief von Mentzel an H. Krause, 17. Juni 1938, in BAB, R 73/12385, Krause Heinz, Deutsches Wissenschaftliches Institut Bukarest. 28 Vgl. Brief von Dr.  Diekmann an das Auslandsamt des Forschungsdienstes, 27.  Januar 1942, in BAB, R 73/12385, Krause Heinz, Deutsches Wissenschaftliches Institut Bukarest. In Heinemann, Isabel; Wagner, Patrick (Hgg.), Wissenschaft, Planung, Vertreibung. Neuordnungskonzepte und Umsiedlungspolitik im 20. Jahrhundert (Beiträge zur Geschichte der Deutschen Forschungsgemeinschaft Bd. 1), Stuttgart, 2006 wird Krauses Tätigkeit nur in einer Fußnote (S. 57) erwähnt. 29 Brief von Mentzel an H.  Krause, 7.  Juli 1941, in BAB, R  73/12385, Krause Heinz, Deutsches Wissenschaftliches Institut Bukarest. 30 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an E.  E.  Day, 13.  Januar 1930, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr.  21. J.  Van Sickle, Diary, 13.–14.  Dezember 1929, in RAC-RF, RG  12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929–1930, S. 9. 31 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. E. Day, 30. Dezember 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 32 Brief von K.  Schneider an die Deutsche Forschungsgemeinschaft, 31.  März 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 33 Vgl. Brief von K. Schneider an A. W. Fehling, 26. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 34 Brief von K. Schneider an A. W. Fehling, 28. April 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 35 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 24. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43.

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aid-grant“ von 2200 RM36. Von der Notgemeinschaft erhielt er ein Stipendium von 230 RM monatlich für die Zeit von April bis Oktober 193537. Im Mai 1936 schrieb Schneider, er sei nach dem zweijährigen Vorbereitungsdienst übernommen worden und habe eine Stelle als außerplanmäßiger Beamter im Kulturamt in Bernkastel-Kues erhalten38. Der „grant-in-aid“ hatte ihm, wie Fehling es der RF vorausgesagt hatte, erlaubt, eine finanziell schwierige Periode zu überstehen und eine Grundlage für seine berufliche Laufbahn zu legen. Die größten Schwierigkeiten aller Stipendiaten bei der Rückkehr nach Deutschland hatte Werner Trömel, dessen Stipendienzeit im August 1929 endete. Im Oktober des Jahres berichtete er Fehling, es hätten „sich noch keinerlei Aussichten“ für ihn ergeben. Sein Lehrer Gutmann habe keine Stellung für ihn und riet Trömel, die ihm bekannten Universitäten persönlich aufzusuchen39. Trömel nahm eine Stelle in der statistischen Abteilung einer amerikanischen Reklamefirma an, verlor diese aber im Sommer 1931 durch die Auflösung der Abteilung. Zu einer Veröffentlichung seiner amerikanischen Ergebnisse kam es nicht40. Über Van Sickle erhielt Trömel, den Fehling als sein augenblickliches „Sorgenkind“ bezeichnete41, die Möglichkeit, einen amerikanischen Professor als Assistent auf einer Forschungsreise durch Deutschland zu begleiten42. Anschließend fand er eine befristete Anstellung bei der Stuttgarter und Allianz-Vereinigung43. Im Winter 1931 hatte sich seine finanzielle Lage derart verschlechtert, dass sie zu einer beispiellosen Hilfsaktion ehemaliger Stipendiaten führte. Franz Grüger initiierte im November einen Spendenaufruf, um „die Familie eines ehemaligen Fellows wenigstens für den Winter vor der grössten Not zu bewahren“. Der Stipendiat habe durch Betriebseinschränkungen eine „ganz annehmbare Stellung“ verloren und seit Oktober eine Stelle „im Vereinswesen, die weder seinen Fähigkeiten noch den primitivsten Bedürfnissen der Lebenshaltung genügt“. Die Familie stehe „bereits im Dezember vor dem Nichts“. Er rief die Rockefeller Fellows auf, ihre Solidarität zu 36 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 15. Juni 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 37 Vgl. Brief von K. Schneider an A. W. Fehling, 12. Juni 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 38 Brief von K. Schneider an A. W. Fehling, 29. Oktober 1936, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 45. 39 Brief von W.  Trömel an A.  W.  Fehling, 13.  Oktober 1929, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 20. 40 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 9. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 59. 41 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 23. Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 42 Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, Juli 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 43 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 9. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 59.

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beweisen und „einen der Unseren vor dem völligen Versacken zu bewahren“. Würden zehn bis zwölf Stipendiaten 10 RM zur Verfügung stellen, könnte die größte Not abgewendet werden. Sobald sich die Verhältnisse gebessert hätten, würde der Stipendiat das Geld zurückzahlen44. Nach nur einem Monat hielt Grüger fest, die „Aktion [habe] für unseren Fellow einen vollen Erfolg“ gehabt: „Es sind Gelder aus England, Amerika, Schweiz, Tschechoslowakei, Italien und Deutschland eingegangen, die sofort an die betreffende Stelle weitergeleitet worden sind“. In den Schreiben sei zudem das Bedürfnis zum Ausdruck gekommen, „über den augenblicklichen Anlass hinaus eine dauernde Fühlungnahme zwischen den ehemaligen Rockefeller-Fellows“ herbeizuführen45. Fehling beteiligte sich ebenfalls mit 30 RM an der Hilfsaktion46. Als Bergstraesser im Januar 1932 eine Stelle am Heidelberger Institut zu besetzen hatte, teilte Fehling mit, dass nur Trömel verfügbar sei: Er „gehörte nicht zu den stärksten der Rockefeller Stipendiaten […]. Aber er ist ein netter, sehr zuverlässiger und ehrlicher Mensch, auch klug, nur mangelt ihm der wirklich intensive Drang zu eigener Produktion“. Für die „Ausführung bestimmt angegebener Arbeiten“ würde er sich gut eignen47. Bergstraesser lehnte jedoch ab: „Keine Lust zu Trömel, das könnte einer der Fälle werden, in denen man dann hier Sorgen hat, ihn durchzubringen“48. Auf Schwierigkeiten anderer Art stieß der Anthropologe Paul Kirchhoff, der Ende 1930 zurück nach Berlin kam, ohne dort einen Ansatzpunkt zu finden49. Ein Stipendium der Notgemeinschaft ermöglichte ihm den Abschluss seiner amerikanischen Studien, außerdem arbeitete er bei D. Westermann an seiner linguistischen Ausbildung. Durch Westermanns Vermittlung erhielt Kirchhoff einen Forschungsauftrag des Internationalen Instituts für afrikanische Sprachen und Kulturen in London50 für soziologische und anthropologische Forschungen im südlichen Afrika. Das Britische Kolonialamt verwehrte ihm jedoch mit Verweis auf seine Beziehungen zu kommunistischen Kreisen die Einreise51. 44 Brief von F. Grüger an A. W. Fehling, 9. November 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 45 Ebd. 46 Vgl. Brief von A. W. Fehling an F. Grüger, 11. Dezember 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 27. 47 Brief von A. W. Fehling an A. Bergstraesser, 9. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 59. 48 Brief von A. Bergstraesser an A. W. Fehling, 11. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 59. 49 Vgl. Brief von A. W. Fehling an G. Beushausen, 18. November 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23. 50 Vgl. Brief von A. W. Fehling an das Auswärtige Amt, 12. April 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 51 Vgl. Goody, Jack, The Expansive Moment: The Rise of Social Anthropology in Britain and Africa 1918–1970, Cambridge, 1995, S. 45 (Im Folgenden zitiert als Goody, The Expansive Moment).

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Kirchhoff bat die Deutsche Botschaft um Hilfe, woraufhin Fehling vom Auswärtigen Amt um eine Stellungnahme gebeten wurde52. Fehling beschrieb den ehemaligen Stipendiaten als „komplizierte Persönlichkeit“, über seine politischen Anschauungen wisse er nichts Näheres. Ihm sei berichtet worden, dass er während des Studiums starke innere Krisen durchgemacht, sich von praktischer politischer Tätigkeit jedoch ferngehalten habe. „So ist mir auch von Beziehungen zu kommunistischen Kreisen nie etwas bekannt geworden“, fügte er hinzu. Während seiner Stipendienzeit habe er sich „ausgezeichnet bewährt“, weder „direkt noch indirekt“ habe er von einer politischen Betätigung gehört. Er würde es außerordentlich bedauern, wenn ihm die „für seine wissenschaftliche Zukunft entscheidende Möglichkeit einer mehrjährigen Forscherarbeit in Afrika genommen würde“53. Das Einreiseverbot wurde trotz des Engagements Fehlings und der Anthropologen der LSE nicht zurückgenommen. Nach der Weitergabe der britischen Informationen an Australien wurde Kirchhoff auch dort die Einreise verwehrt. Ein bereits zugesagtes Forschungsstipendium des Australian National Research Council (ANRC) wurde ihm wieder entzogen54. Zu den politischen Aktivitäten Kirchhoffs notiert Jack Goody, dass dieser sicherlich in „left-wing politics“ involviert gewesen sei55. Kirchhoff, dem die RF im August 1932 600 Dollar für die Vorbereitung der Veröffentlichung seines anthropologischen Materials gewährte56, ging Ende 1932 schließlich nach Irland. Malinowski teilte er mit, dass er aufgrund der politischen Situation nicht nach Deutschland zurückkönne. 1934 fand er eine Stelle in Paris und emigrierte schließlich über die USA nach Mexiko57. Manchen ehemaligen Stipendiaten eröffneten die Verfolgungsmaßnahmen der Nationalsozialisten und die politisch gewollte Stärkung einiger Universitäten Karriereperspektiven58. Der in Washington an seiner Habilitationsschrift arbeitende Leo Drescher entnahm einem Brief Fehlings, dass in Deutschland „augenblicklich Bedarf an Privatdozenten“59 bestehe. Er hatte im Frühjahr 1933 zwei Stellen zur Auswahl: 52 Vgl. Brief vom Auswärtigen Amt an A. W. Fehling, 9. April 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 53 Brief von A. W. Fehling an das Auswärtige Amt, 12. April 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. In Fehlings Nachlass finden sich tatsächlich keine Hinweise auf eine Diskussion über Kirchhoffs eventuelles politisches Engagement im Deutschen Komitee. 54 Vgl. Gray, Geoffrey, The „ANRC has Withdrawn its Offer“: Paul Kirchhoff, Academic Freedom and the Australian Academic Establishment, in Australian Journal of Politics and History  52 (2006), S. 365 (Im Folgenden zitiert als Gray, The „ANRC has Withdrawn its Offer“). 55 Goody, The Expansive Moment, S. 47. 56 Vgl. Docket, Research Aid Grants, Paris, 5. August 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 57 Vgl. Gray, The „ANRC has Withdrawn its Offer“, S. 376–377. 58 Vgl. Grüttner, Machtergreifung, S. 346. 59 Brief von L. Drescher an A. W. Fehling, 22. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35.

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Sering und von Dietze boten ihm eine feste Assistentenstelle am Deutschen Forschungsinstitut für Agrar- und Siedlungswesen in Berlin mit der Perspektive an, in einer neu einzurichtenden Abteilung unter der Leitung von Dietzes als wissenschaftlicher Beamter eingestellt zu werden60. Jens Jessen hingegen wollte ihn ans Kieler Weltwirtschaftsinstitut holen61. Drescher entschied sich für Kiel, wo er im Rahmen der Forschungsprogramme des Weltwirtschaftsinstituts 1934 und 1936 zwei Beihilfen der RF von je 2000 Dollar erhielt. 1936 nahm er eine Stelle bei der Bank für Deutsche Industrie Obligationen in Berlin an62. 1938 bemühte sich Drescher um einen Arbeitsplatz im Ausland und bat die RF um Unterstützung. Seinen Brief schickte er aus England ab, um die Kontrolle der deutschen Auslandspost zu umgehen. „Although I have been loyal to the present government I am not willing to become a member of the Nazi-Party nor its organisations; and therefore have no opportunity to advance in university teaching and research work“63. Stacy May antwortete wie gewünscht an Dreschers deutsche Adresse und ohne die Gründe für die Stellensuche zu nennen, dass ein erneutes Stipendium nicht möglich sei, sondern er von einer Universität oder einem Forschungsinstitut eingeladen werden müsste64. Intern äußerte May Zweifel, ob das Hilfsprogramm für Drescher in Frage käme65. Für Kittredge waren Dreschers Schwierigkeiten in Kiel durch seine „rather open opposition to the National-Socialist program“ und seine Frau, die „partly of non-Aryan origin“ sei, bedingt. Er glaubte nicht, dass Wissenschaftler aktive Parteimitglieder sein müssten, um eine Anstellung zu finden66. Drescher kam im April 1939 in die USA, „to see old friends again and renew contacts“67. Stacy May lud ihn ein, für die Zeit des Besuches bei ihm zu wohnen68. Eine Stelle

60 Vgl. Brief von C. v. Dietze an L. Drescher, 16. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 61 Vgl. Brief von L. Drescher an A. W. Fehling, 10. Oktober 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 62 Vgl. L. Drescher, Fellowship Card, RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 63 Brief von L. Drescher an S. May, 7. März 1938, in RAC-RF, RG 2 (1938), Series 717, box 167, folder 1219. 64 Vgl. Brief von S. May an L. Drescher, 30. März 1938, in RAC-RF, RG 2 (1938), Series 717, box 167, folder 1219. 65 Vgl. S. May, Memorandum an. B. Kittredge, 30. März 1938, in RAC-RF, RG 2 (1938), Series 717, box 167, folder 1219. 66 T.  B.  Kittredge, Memorandum an S.  May, 2.  Mai 1938, in RAC-RF, RG 2 (1938), Series  717, box 167, folder 1219. 67 Brief von L. Drescher an T. B. Kittredge, 10. Januar 1939, in RAC-RF, RG 2 (1939), Series 717, box 185, folder 1328. 68 Vgl. Brief von S.  May an L.  Drescher, 21.  Januar 1939, in RAC-RF, RG  2 (1939), Series  717, box 185, folder 1328.

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scheint Drescher dort jedoch nicht gefunden zu haben. 194269 und 194470 gab er in Artikeln Berlin als Standort an, 1945 starb er in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs einen, so Constantin von Dietze, „tragischen Tod“71. Das Stipendium als Weg in die Emigration

Eine ständige Befürchtung Fehlings war, dass die Stipendiaten ihre Fellowships entgegen den Bestimmungen des Stipendienplans zur Auswanderung nutzten. Als Al­fred Vagts Ende 1928 in einem Brief einen „eventual return to Germany“ erwähnte, intervenierte Fehling sogleich. Der mit einer Amerikanerin verheiratete Vagts erklärte ihm daraufhin: Ihre gute Meinung von meinem ‚Dem Weibe anhängen‘ in Ehren – aber ich muss Sie doch gleich beruhigen dahin, dass Sie sicher sein dürfen, dass ich wieder komme. Im Amerikanischen heisst das ‚eventual return to Germany‘, woran Sie sich stossen, nicht eventuelle Rückkehr, sondern schliessliche und endgültige Rückkunft, wobei der genaue Zeitpunkt dieser noch nicht feststeht72.

Einen ihm angebotenen Lehrauftrag für internationale Beziehungen im Political Science Department eines alten „Eastern College“ habe er abgelehnt73. Bittere Realität wurden Fehlings Befürchtungen ab 1933, als die nationalsozialistische Verfolgungspolitik die Karriereaussichten eines Teils der Stipendiaten zerstörte und sich Fellows aus politischen Gründen gegen eine Rückkehr ins nationalsozialistische Deutschland entschieden. Anfang 1935 stellte Kittredge fest, dass von den 25 seit 1932 nominierten Stipendiaten vier Stellen im Ausland angenommen hätten und die zukünftigen Karrieren dreier weiterer Fellows zweifelhaft seien. Von den insgesamt 70 LSRM- und RF-Fellows hätten 16 ihre Stelle verloren oder andere Nachteile durch den Regimewechsel erfahren, zehn von ihnen seien der „non-Aryan category“ zuzuordnen, deren Position „obviously difficult“74 sei.

69 Drescher, Leo, Die verlorenen und gefährdeten Investitionen Englands in Übersee, in Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik/Journal of Economics and Statistics 156 (1942), S. 227. 70 Drescher, Leo, Die Währungs- und Finanzkonferenz in Bretton Woods, in Jahrbücher für Nationalökonomie und Statistik/Journal of Economics and Statistics 160 (1944), S. 235. 71 Dietze, Methods and Objectives, S. 365. 72 Brief von A. Vagts an A. W. Fehling, 20. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18. 73 Vgl. ebd. 74 T. B. Kittredge, Present Position and Prospects of German S.S. [Social Science] Fellows, 15. Fe­bruar 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 184, S. 2–3.

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Walter Egle gehörte zu den Fellows, die aus persönlichen und politischen Gründen nicht nach Deutschland zurückkehrten. Er erhielt im Mai 1934 die Zusage Jens Jessens für eine Stelle am Weltwirtschaftsinstitut mit der Perspektive einer Habilitation. Fehling riet ihm von einem zweiten Stipendienjahr ab, „auch im Hinblick auf Ihre Aussichten in Kiel“, wobei später ein erneuter Antrag bei der RF gestellt werden könne75. Jessen befürwortete den Verlängerungsantrag76, doch kurze Zeit später erfuhr Egle, dass der Institutsdirektor selbst in Schwierigkeiten war. Niemand habe ihm mitgeteilt, „was in Kiel eigentlich los sei“77, klagte er. Fehling zeigte sich im Februar 1935 enttäuscht von Egles Verhalten, der keine Neuigkeiten übermittelte und sich immer noch im Ausland befand, obwohl Frau und Kind, von der Notgemeinschaft unterstützt, in Kiel auf ihn warteten78. Angesichts „der unbestimmten Nachrichten aus Kiel“, teilte Egle schließlich mit, habe er entschieden, es in den USA „auf eigene Faust zu probieren“. Es sei ihm geglückt, eine Stelle als Research Assistent am „Institut for Research in the Social Sciences“ der University of Virginia zu erhalten, die allerdings im August auslaufe. Er hoffe, dass seine Familie bald nachkommen könne79. Egles Frau Mary bat Fehling um Verständnis für die Entscheidung. Ihr Mann habe nicht die Absicht gehabt, im Ausland zu bleiben, sondern nur seine Arbeit zum Abschluss bringen wollen. Die Ablehnung eines zweiten Stipendienjahrs habe er für sich nicht gelten lassen. Predöhl habe ihm für Kiel „keinerlei Aussichten gemacht“ und „das Bewusstsein, als Nebenbedingung anderer Transaktionen der Stiftung nach Kiel abgeschoben zu werden, hat für ihn nichts beglückendes gehabt“80. Fehling vermutete hingegen Eheschwierigkeiten als Grund für den weiteren Aufenthalt Egles in den USA81 und drängte auf eine Rückkehr. Durch seinen verlängerten Amerikaaufenthalt habe Egle die „Möglichkeiten für spätere deutsche Stipendiaten wesentlich verschlechtert“, mit der Annahme des Stipendiums „ging eben Hand in Hand eine Einschränkung der persönlichen Entscheidungssphäre im Hinblick auf die Idee des

75 76 77 78

Brief von A. W. Fehling an W. Egle, 31. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. Vgl. Brief von W. Egle an A. W. Fehling, 11. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. Brief von W. Egle an A. W. Fehling, 25. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 11. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 79 Brief von W. Egle an A. W. Fehling, 20. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 56. 80 Brief von M. Egle an A. W. Fehling, 8. März 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 56. 81 Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum an S. May und J. Van Sickle, Problem of German fellowship appointments, 15. Februar 1935, in RAC, RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 184, S. 1.

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Ganzen“82. Bei Stacy May verfestigte sich der Eindruck, dass die deutschen Fellows, auch bei sorgfältiger Auswahl, „do not work out according to our plan“83. Auch der Stipendiat Friedrich Kessler, der in den USA zum Börsen-, Wechsel- und Scheckrecht forschte, nutzte das Stipendium zur Emigration. Er war mit einer unter die antisemitische NS-Gesetzgebung fallenden Frau verheiratet. Enttäuscht berichtete er Fehling, dass zwei Lehrstühle, für die er in Deutschland vorgeschlagen worden war, mit anderen Wissenschaftlern besetzt worden seien: „Das erfuellt mich mit einiger Bitterkeit und das oft grosse Heimweh nach Deutschland wird dadurch gruend­lich herabgemindert, dass ich weiss, ich bin an der HH [Handelshochschule Berlin] nun ueberzaehlig – und ich kann zu Hause niemals weiterkommen, habe dort keine Zukunft“84. Umgehend erinnerte Fehling ihn an seine Pflicht zur Rückkehr: In ihren Gesprächen vor der Ausreise habe er mit dieser Möglichkeit bereits rechnen müssen und doch fest zugesagt, „unter allen Umständen zurückzukommen“85. Auf Kittredges Bitte erkundigte sich Fehling beim Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht in Berlin, wo Kessler vor der Ausreise als Assistent angestellt gewesen war86, mit welchem Gehalt dieser nach seiner Rückkehr rechnen könne, und fragte bei der Handelshochschule nach, ob ihm dort ein bezahlter Lehrauftrag angeboten werden könne87. Er betonte, es sei „im Interesse des Weitergehens des Stipendienplans für Deutschland sehr erwünscht“, dass Kessler seine alte Tätigkeit wiederaufnehme88. Der Institutsdirektor Ernst Rabel sicherte Kessler seine alte Assistentenstelle zu, ohne ein konkretes Gehalt zu nennen89. Der Rektor der Handelshochschule meinte, dass Kessler zum Wintersemester 1935/36 zurückerwartet werde. Nach Kontakt mit den vorgesetzten Stellen bestehe kein Hindernis für die Fortsetzung seiner Tätigkeit90. Mit dem Gehalt am Institut und den Kolleggeldern

82 Brief von A. W. Fehling an W. Egle, 15. März 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 56. 83 Brief von S. May an T. B. Kittredge, 4. Februar 1935, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377, S. 2. 84 Brief von F. Kessler an A. W. Fehling, 21. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 85 Brief von A. W. Fehling an F. Kessler, 19. März 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 86 Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum an S. May und J. Van Sickle, Problem of German fellowship appointments, 15. Februar 1935, in RAC, RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 20, folder 184, S. 1. 87 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 23. März 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 88 Brief von A. W. Fehling an E. Tiessen, 23. April 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 89 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 30. März 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 90 Vgl. Brief von E.  Tiessen an A.  W.  Fehling, 26.  April 1935, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 43.

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der Handelsschule würde Kessler finanziell wahrscheinlich nicht schlechter stehen als vor der Ausreise, schrieb Fehling an Kittredge91. Kessler bestand jedoch darauf, dass er bei den Vorbesprechungen mit Fehling immer das akademische Lehramt als seinen Beruf betrachtet habe. Seit dem Beamtengesetz seien ihm nicht nur Beförderungen entgangen, er könne nun „ueberhaupt nicht mehr erwarten, in [s]einem Beruf in Deutschland voranzukommen“. Die Arbeit am Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht sei für ihn nur ein Nebenverdienst gewesen, er habe sie in den letzten Jahren immer weiter eingeschränkt. Ob diese Tätigkeit ihn und seine Frau „auch nur einigermassen ernaehren wuerde“ und er die Stelle in Zukunft behalten könne, wisse er nicht. Die Aufgaben seien zudem für einen jüngeren Wissenschaftler ausgelegt und nicht für einen Mann, „der ohne allen Zweifel ordentlicher Professor sein wuerde, wenn das Beamtengesetz nicht gekommen waere“. Er sei nun stark in die Arbeit in den USA eingebunden und hoffe, „hier in Zukunft mit unvergleichlich hoeherem Nutzen und selbstverstaendlich auch mit weitaus groesserer persoenlicher Befriedigung arbeiten zu koennen“92. Fehling, der sich persönlich hintergangen fühlte, konnte den Fellow nicht von einer Rückkehr überzeugen93. Kessler nahm eine Stelle als Visiting Sterling Lecturer an der Yale Law School an, die von der RF finanziell unterstützt wurde94. Fehling teilte dem Rektor der Handelshochschule mit, dass Kessler in den USA bleiben werde. Nach dem Entgegenkommen sei dies „recht bedauerlich“, auch wenn die Entscheidung ihm „seinen persönlichen Lebensweg ebn[e]“95. Stacy May folgerte aus Kesslers Lage, dass „Jews or anti-Nazis“ kaum noch als Stipendiaten in die USA kommen könnten. Im Anschluss hätten sie keine befriedigenden Aussichten in Deutschland96: „His case seems fated to become one of those peculiarly difficult ones in which some academic opportunity is kept open for him but not one that will allow him to live, and hence even the category of political exile is somewhat blurred“97. 91 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 3. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 92 Brief von F. Kessler an A. W. Fehling, 26. April 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 93 Vgl. Brief von A. W. Fehling an F. Kessler, 20. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 94 Vgl. Brief von F. Kessler an A. W. Fehling, 12. Juli 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 95 Brief von A. W. Fehling an E. Tiessen, 17. Juni 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 96 Brief von S. May an T. B. Kittredge, 8. Januar 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 21, folder 195, S. 1. 97 Brief von S. May an T. B. Kittredge, 4. Februar 1935, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377, S. 2. Zu Kesslers rechtswissenschaftlichen Forschungen in den USA vgl. Joerges, Christian, Geschichte als Nicht-Geschichte: Unterschiede und Ungleichzeitigkeiten zwischen Friedrich Kessler und der deutschen Rechtswissenschaft, in Lutter, Marcus; Stiefel, Ernst C.; Hoeflich, Michael H. (Hgg.), Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland. Vorträge und Referate des Bonner Symposions im September 1991, Tübingen, 1993, bes. S. 232–243.

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Der Verlauf der Stipendienzeit Karl Löwiths zeigt Fehlings unnachgiebige Haltung in der Frage der Rückkehr der Fellows nach Deutschland besonders deutlich. Der Marburger Philosoph hatte sich im Dezember 1932 um ein Stipendium für Italien beworben98. Heidegger bezeichnete ihn in seinem Gutachten als wohl wirksamsten Dozenten seines Faches in Marburg und „tadellose[n] Charakter“99. Bei einer Unterredung mit den Komitee-Mitgliedern in Berlin erhielt Löwith den Eindruck, dass Schumacher, Oncken und Kehr „durchaus für“ ihn waren, während Fehling sich „[a] m zweideutigsten äusserte“100. Das Komitee entschied, seine Bewerbung zusammen mit der von Gerhard Dobbert weiterzuleiten und der RF die Entscheidung zu überlassen. Löwith bat im Frühjahr 1933, „darauf Rücksicht zu nehmen, dass [er] als deutscher Jude in einer besonders schwierigen Lage“101 sei. Fehling beschrieb ihn der RF gegenüber als „anregende[n] und erfolgreiche[n] Dozent[en]“, dessen Persönlichkeit aber vielleicht „besondere Kraft und Vitalität“ fehle. Er wies darauf hin, dass der Bewerber „Halbjude“ sei, als Kriegsteilnehmer seine Privatdozentur jedoch behalten habe und auch im laufenden Semester Vorlesungen und Übungen abhalte. Ob Lehrauftrag und Privatdozentenstipendium nach seiner Rückkehr weitergeführt würden, ließe sich „heute mit Sicherheit nicht beantworten“102. Nachdem Löwith auf Wunsch der RF-Officers seinen Arbeitsplan weniger auf die philosophischen Grundlagen des italienischen Faschismus und mehr auf eine „realistic study“ ausgerichtet hatte103, erhielt er im Sommer 1933 das Stipendium104. „In Rom fand ich in der Via Gregoriana bei einer trefflichen Frau ein schönes Zimmer, und es begann dank der Rockefeller Stiftung ein freies Leben“105, berichtete 98 Vgl. Brief von K. Löwith an A. W. Fehling, 12. Dezember 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. Er wurde bei der Vorbereitung seiner Bewerbung von seinem Marburger Freund Leo Strauss, der sich als RF-Fellow in Paris befand, beraten. Vgl. Brief von K. Löwith an L. Strauss, 21. November 1932, in Strauss, Korrespondenz Leo Strauss-Karl Löwith, S. 611–612. Siehe auch Weissberg, Liliane, Karl Löwiths Weltreise, in Boll, Monika; Gross, Raphael (Hgg.), „Ich staune, dass Sie in dieser Luft atmen können“. Jüdische Intellektuelle in Deutschland nach 1945, Frankfurt am Main, 2013, S. 145. 99 Brief von M.  Heidegger an A.  W.  Fehling (Gutachten K.  Löwith), 19.  Januar 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 100 Brief von K.  Löwith an L.  Strauss, 13.  Mai 1933, in Strauss, Korrespondenz Leo Strauss-Karl Löwith, S. 621. Schmidt-Ott und Mendelssohn Bartholdy traf Löwith nicht. 101 Ebd., siehe auch Brief von K.  Löwith an A.  W.  Fehling, 18.  April 1933, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 34. 102 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 2. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 63. 103 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 13. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 104 Vgl. Brief von A. W. Fehling an P. Kehr, 24. Juli 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 105 Löwith, Karl, Mein Leben in Deutschland vor und nach 1933. Ein Bericht, Stuttgart, 1986, S. 81 (Im Folgenden zitiert als Löwith, Mein Leben).

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Löwith später über den Beginn seiner Stipendienzeit. Er arbeitete Vorlesungen zu Nietzsche aus und bereitete die Monographie „Jacob Burckhardt. Der Mensch inmitten der Geschichte“ vor106. 1934 nahm er am Prager Philosophenkongress mit einem Vortrag über Nietzsche teil107. In Rom lernte er unter anderem Gentile und Ugo Spirito kennen, in Neapel traf er sich mit Croce, für den er durch Vossler eine Empfehlung hatte. Die „philosophische und soziologische Gesamtsituation“ sei viel komplizierter, als es von Deutschland aus scheine, konstatierte er108. Als er andeutete, dass ein Jahr für sein Arbeitsprogramm nicht ausreiche, informierte ihn Fehling, dass eine Verlängerung nicht möglich sei109. Als Löwith sich im Dezember dennoch um eine zweimonatige Verlängerung bewarb, wollte Fehling nichts unternehmen, bevor seine Zukunft in Marburg geklärt sei110. Kittredge wusste, dass Löwith Anfang Mai in Marburg zurückerwartet wurde, doch sei nicht klar, ob er ein Gehalt beziehen werde111. Fehling schlug Kittredge vor, Löwith die zweimonatige Verlängerung nach einem Semester in Marburg zu bewilligen. So könne er ihn persönlich sprechen und sich einen Eindruck von Löwiths Situation und Plänen machen112. Schließlich wurde Löwith als „nichtarischem Dozenten“ zunächst das Prüfungsrecht entzogen, dann die Weiterbewilligung des Privatdozentenstipendiums verweigert113 und schließlich die Entziehung des Lehrauftrags beantragt. Die Lehrbefugnis habe er vorläufig behalten können, doch habe sie keine praktische Bedeutung, teilte Löwith Fehling im Februar 1935 mit. Er setzte seine Hoffnungen auf ein Stipendium des Academic Assistance Council114. Fehling zeigte sich durch diese Nachrichten enttäuscht, Löwith hätte besser daran getan, seine Stipendienzeit zu unterbrechen, um seine Interessen in Marburg persönlich zu verteidigen, schrieb er an Kittredge. Er zweifelte daran, dass der Fellow wirklich nach Marburg zurückkommen wolle: „Although I understand and understood his difficult 106 Vgl. Ries, Wiebrecht, Karl Löwith (Sammlung Metzler. Realien zur Philosophie), Stuttgart, 1992, S. 17. 107 Vgl. Löwith, Mein Leben, S. 103–104. 108 Brief von K. Löwith an A. W. Fehling, 11. Juni 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 109 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 16. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 110 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 14. Dezember 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 41. 111 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 22. Dezember 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 41. 112 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 7. Januar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 113 Vgl. Brief von K.  Löwith an A.  W.  Fehling, 3.  Januar 1935, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 42. 114 Vgl. Brief von K. Löwith an A. W. Fehling, 18. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42.

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and delicate position, there remains some divergence between his attitude before and after appointment which I regret“115. In einer langen Unterredung versuchte Löwith, Kittredge im Mai 1935 von einer Verlängerung seines Stipendiums in Italien um einige Monate und einen anschließenden sechsmonatigen Aufenthalt in Spanien zu überzeugen. Sollte das Deutsche Komitee zustimmen, sei man zu einer etwa sechsmonatigen Verlängerung bereit, entschieden die Officers116. Fehling wollte allerdings ein persönliches Gespräch mit Kittredge abwarten und sprach die Befürchtung aus, eine positive Entscheidung könne Auswirkungen auf ähnliche Fälle haben117. Es entstand, so Löwith im Rückblick, die „absurde Lage“, dass er wegen des Verlusts der deutschen Stellung „auch das Stipendium für das Ausland einbüßen sollte. Zum Glück war der Direktor verständnisvoll und fand einen Ausweg durch die Bewilligung eines ‚grant-in-aid‘“118. Im September 1935 erhielt Löwith von der RF 1200 Dollar für die Fortsetzung seiner in Italien begonnenen Studien119. Da durch Fehlings Verweigerung die Verlängerung des Stipendiums unmöglich geworden war, wählten die Officers eine vom Deutschen Komitee unabhängige Förderart. Neben dem Auslaufen des Stipendiums120 machte auch die sich formierende „Achse Berlin-Rom“ Löwith das Leben in Italien immer schwerer. 1936 führte ein Treffen mit seinem Marburger Lehrer Heidegger zu einer tiefen persönlichen Enttäuschung: Heidegger nahm nicht einmal während eines Familienausflugs nach Frascati und Tusculum das Parteiabzeichen mit dem Hakenkreuz ab, vermied aber jede politische Diskussion121. Durch einen japanischen Studenten erhielt Löwith den Hinweis, sich in Japan auf eine universitäre Stelle zu bewerben. Im Oktober 1936 gingen er und seine Ehefrau Ada ins nordjapanische Sendai, wo Löwith an der kaiserlichen Universität Thoku als Gastprofessor angestellt wurde122. Im November 1940 115 Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 25. Februar 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 42. 116 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an A. W. Fehling, 16. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 117 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 21. Mai 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 43. 118 Löwith, Mein Leben, S. 105. 119 Vgl. K. Löwith, Fellowship Card, in RAC-RF, RG. 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 120 Nach Auslaufen der Rockefeller Beihilfen erhielt Löwith Geld von der M. Mendelssohnstiftung. Vgl. Löwith, Karl, Reisetagebuch 1936 und 1941: von Rom nach Sendai, von Japan nach Amerika, Marbach, 2001, S. 13–14 (Im Folgenden zitiert als Löwith, Reisetagebuch). 121 Vgl. Löwith, Mein Leben, S. 57. 122 Der Abschied von Europa fiel Löwith nicht leicht: „Beim Verlassen des Hafens von Neapel überfällt mich beim Klang der fremden Nationalhymne noch einmal das ganze Elend des Zwanges zur Emigration“. Löwith, Reisetagebuch, S. 14. Vgl. Bartikowski, Kilian, Karl Löwiths Exil in Japan

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notierte die RF jedoch, dass Löwith in Japan durch die deutsch-italienisch-japanische Allianz in eine gefährliche Lage gekommen sei123. In den USA setzten sich Tillich und Niebuhr für ihn ein124, die RF unterstützte mit 4300 Dollar die New School for Social Research, die Löwith gemeinsam mit dem Union Theological Seminar für zwei Jahre einstellen wollte. Das Ehepaar Löwith erreichte die USA im März 1941125. Löwith nahm eine Stelle als Lecturer im „Philosophy of Religion Department“ der Hartford Seminary Foundation an. Im Juli 1942 trug die RF weitere 4666 Dollar als Zuschuss zu seinem Gehalt bei126. 1949 wurde der ehemalige RF-Fellow Professor für Philosophie an der New School for Social Research, 1952 erhielt er mit Gadamers Unterstützung eine Professur in Heidelberg127. Auch Leo Strauss wurde durch die NS-Machtergreifung während seiner Stipendienzeit zum „exiled scholar“. Nach seinem Frankreichaufenthalt erhielt er im Herbst 1933 eine Verlängerung für England, wo er seine Studien zu Hobbes fortführte. Die RF betonte bei der Bewilligung, dass er nach Ende der Stipendienzeit im Oktober 1934 keine weiteren Hilfen mehr erwarten könne128. „Fehling was particularly enthusiastic about him both as a man and as a mind“129, notierte Van Sickle später. Die Verlängerung für England wurde ausgesprochen, obwohl Strauss als „an orthodox full-blooded Jew“130 in Deutschland keine Zukunftsperspektive hatte. Nach Ende der Stipendienzeit wurde Strauss vom Academic Assistance Council und dem Sidney Sussex College der University of Cambridge unterstützt, die RF bewilligte ihm einen „Research Aid Grant“ von 150 £ für die Fortführung seiner Forschungen zu Hobbes131. und Italien im Vergleich. Möglichkeiten und Grenzen der Wahrnehmung eines Zeitzeugen, in Müller, Claudia; Ostermann, Patrick; Rehberg, Karl-Siegbert (Hgg.), Die Shoah in Geschichte und Erinnerung: Perspektiven medialer Vermittlung in Italien und Deutschland, Bielefeld, 2015, S.  90, 96. Siehe auch Schwentker, Wolfgang, Karl Löwith und Japan, in Archiv für Kulturgeschichte 76 (1994), S. 415–450. 123 Vgl. Grant in Aid, 15. November 1940, in RAC-RF, RG 1.1 Series 200, box 52, folder 613. 124 Vgl. Khawaja, Noreen, Karl Löwith: In Search of a Singular Man, in Stewart, Jon (Hg.), Kierkegaard’s Influence on Philosophy. German and Scandinavian Philosophy, Bd. 1, Aldershot, 2012, S. 166. 125 Vgl. Grant in Aid, 15. November 1940, in RAC-RF, RG 1.1 Series 200, box 52, folder 613. 126 Vgl. Additional Grant in Aid, 9. Juli 1942, in RAC-RF, RG 1.1 Series 200, box 52, folder 614. 127 Vgl. K. Löwith, Fellowship Card, in RAC-RF, RG. 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 1958 bekam er einen Grant, um Korea zu besuchen. Travel Grant, 1. Januar 1958, in RACRF, RG 1.2, Series 717, box 13, folder 131. 128 Vgl. Brief von T. B. Kittredge an N. F. Hall, 22. Juni 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. Siehe auch Brief von J. Van Sickle an L. Strauss, 26. April 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 401 S, box 80, folder 1049. 129 J. Van Sickle, Diary, 19. Oktober 1936, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1934–1938. 130 Ebd. 131 Vgl. Research Aid Grant, 17.  Dezember 1934, in RAC-RF, RG  1.1, Series  401 S, box  80, folder 1049.

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Strauss stellte seine Studie „The Political Philosophy of Hobbes. Its Basis and Its Genesis“132 fertig und bemühte sich gleichzeitig um eine Stelle in den USA133. Auf Anraten des Academic Assistance Council134 und mit Hilfe eines englischen Unterstützers reiste Strauss 1936 in die USA, wo er am Department of Political Science der University of Pennsylvania einen Vortrag über die Ursprünge des modernen politischen Denkens halten sollte. Die RF unterstützte ihn weiterhin: „He is undoubtedly a young man of real promise and deserving of Foundation support in and when an American University requests our aid“135, notierte Van Sickle. Nur kehrte Strauss nicht mit einer Stellenzusage nach England zurück: „His shyness seems to have handicapped him badly in the USA“136, notierte Kittredge nach einem Gespräch. 1937 erhielt Strauss eine Beihilfe des History Board of Cambridge University für seine Forschungen137. 1938 emigrierte er in die USA138, wo er zuerst an der Columbia University arbeitete und anschließend eine Stelle an der „Graduate Faculty of Political and Social Science“ der New School for Social Research annahm. 1949 wurde er Professor an der University of Chicago139, wo er zwanzig Jahre als einflussreicher Vertreter des amerikanischen Nachkriegskonservatismus am Department of Political Science lehrte140. Der Jurist jüdischer Herkunft Max Rheinstein hatte vor der Ausreise angegeben, nach der Stipendienzeit auf seine Stelle als Privatdozent am Institut für Ausländisches und Internationales Privatrecht zurückzukehren. Er erreichte die USA im September 1933. Als er im Dezember um eine Verlängerung des Stipendiums bat, lehnte Fehling 132 Strauss, Leo, The Political Philosophy of Hobbes: Its Basis and its Genesis, Oxford, 1936. Strauss hatte das Buch in einer deutschen Fassung bereits Anfang 1935 fertiggestellt, die erste veröffentlichte Version war jedoch die englischsprachige von 1936. Vgl. Sheppard, Eugene R., Leo Strauss and the politics of exile. The making of a political philosopher (The Tauber Institute for the Study of European Jewry series), Waltham, 2006, S. 58. 133 Vgl. T. B. Kittredge, Interview with L. Strauss, 11. Oktober 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 401 S, box 80, folder 1049. 134 Vgl. T. B. Kittredge, Interview with L. Strauss, 4. Dezember 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 401 S, box 80, folder 1049. 135 J. Van Sickle, Diary, 19. Oktober 1936, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1934–1938. 136 T. B. Kittredge, Interview with L. Strauss, 4. Dezember 1936, in RAC-RF, RG 1.1, Series 401 S, box 80, folder 1049. 137 Vgl. L. Strauss, Fellowship Card, in RAC-RF, RG. 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 138 Vgl. Bluhm, Harald, Die Ordnung der Ordnung. Das politische Philosophieren von Leo Strauss (Politische Ideen 13), Berlin, 22007, S. 13 (Im Folgenden zitiert als Bluhm, Die Ordnung der Ordnung). 139 Vgl. L. Strauss, Fellowship Card, in RAC-RF, RG. 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. Siehe auch Sheppard, Leo Strauss and the politics of exile, S. 90. 140 Vgl. Bluhm, Die Ordnung der Ordnung, S. 17.

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eine Zusage zu diesem frühen Zeitpunkt ab. Er befürchtete zudem, dass eine zu lange Abwesenheit seine Chancen auf Wiedereinstellung in Deutschland schmälern würde141. Im März 1934 teilte der Reichsminister des Inneren mit, dass gegen die Weiterbeschäftigung Rheinsteins am Institut „bei Rücksicht darauf, dass er als Angehöriger der Zeitfreiwilligen Kompagnie Regensburg des Detachements Schaaf an den Kämpfen gegen die Spartakisten teilgenommen hat […] keine Bedenken“142 beständen. Es war im Ministerium anscheinend nicht bekannt, dass Rheinstein 1923 der „Arbeitsgemeinschaft republikanischer Studenten“ und 1928 der SPD beigetreten war143. Im Mai 1934 notierte die RF, Rheinstein habe seine Stelle in Berlin verloren und sei auf der Suche nach einer Anstellung in den USA. Ihm wurde mitgeteilt, dass eine Verlängerung des Stipendiums nicht möglich sei144. Eine von Fehling gewünschte Rückkehr nach Deutschland lehnte Rheinstein ab. In der RF machte man sich Vorwürfe: Rheinstein habe bei Bewilligung des Stipendiums nach der „Nazi revolution“ relativ gute Aussichten auf eine Karriere in Deutschland gehabt, doch die üblichen Nachfragen im Rahmen der Verlängerung hätten eine Situation ausgelöst, „which made his status at home quite hopeless“. Van Sickle sprach sich für eine Hilfe aus dem Fonds für „displaced scholars“ aus145. Auch Fehling teilte mit, das Deutsche Komitee würde eine solche Beihilfe sicherlich begrüßen146. Im Oktober 1934 übernahm die RF mit 1500 Dollar die Hälfte von Rheinsteins Gehalt an der University of Chicago. Rheinstein begann seine Tätigkeit dort am 1. Januar 1935, die RF finanzierte die Reisekosten von Cambridge nach Chicago im Rahmen des Stipendiums, da Chicago jetzt als „home“ anzusehen sei. Auch nach Ende des Zweiten Weltkriegs lehrte Rheinstein in Chicago als Professor für vergleichende Rechtswissenschaften147. Im Deutschen Komitee lösten die Diskussionen über Rheinstein einen Streit zwischen Fehling und Mendelssohn Bartholdy aus. Letzterer warf Fehling vor, Rheinsteins Verhalten als Bruch seiner Verpflichtungen zu interpretieren. Man habe aber, 141 Vgl. M. Rheinstein, Fellowship Card, in RAC-RF, RG. 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 142 Brief von E. Rabel (?) an A. W. Fehling, 22. März 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 143 Vgl. Rürup, Schicksale und Karrieren, S. 306. Siehe auch Marschall, Wolfgang Freiherr von, Max Rheinstein, in Lutter, Marcus; Stiefel, Ernst C.; Hoeflich, Michael H. (Hgg.), Der Einfluss deutscher Emigranten auf die Rechtsentwicklung in den USA und in Deutschland. Vorträge und Referate des Bonner Symposions im September 1991, Tübingen, 1993, S. 336. 144 Vgl. M. Rheinstein, Fellowship Card, in RAC-RF, RG. 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 145 Ebd. 146 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an A.  Mendelssohn Bartholdy, 28.  Juni 1934, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 147 Vgl. M. Rheinstein, Fellowship Card, in RAC-RF, RG. 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany.

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so Mendelssohn Bartholdy, seit jeher „höhere Gewalt als Entschuldigung für Ausnahmen gelten lassen“. In Deutschland und von Deutschland aus sollte man sich „heute mit der Forderung strikter Einhaltung von Verpflichtungen möglichst zurückhalten“148. Fehling schrieb einen langen Rechtfertigungsbrief, den er anscheinend nicht abschickte. Er habe mit Rheinstein vor der Abfahrt zwei Mal über die Rückkehr gesprochen und ihn über die Möglichkeiten informiert, „wie man ihm helfen könnte, wenn er die Absicht habe, draußen zu bleiben“. Der „Fall der höheren Gewalt“ habe damals schon vorgelegen, trotzdem habe er sich nach Rheinsteins Versicherung, zurückzukommen, bei der RF für ihn eingesetzt. Er habe dann hören müssen, dass sich der Fellow schon bald nach der Ankunft um eine Stellung in den USA bemüht habe. Die Verpflichtung zur Rückkehr sei aber „eine von der Foundation ausdrücklich festgelegte Bedingung für die Stipendien“: Da die RF „eine Lockerung dieser Bestimmungen nicht will, muß ich mich für ihre strikte Einhaltung einsetzen“. Gegenüber der RF habe er befürwortet, dass man Rheinstein zwar kein zweites Stipendienjahr, „aber auf eine andere Weise, wie es auch geschehen ist, hülfe“149. Mendelssohn Bartholdy war vom Verhalten Fehlings und der anderen Komitee-Mitglieder in dieser Frage tief enttäuscht. Dem Stipendiaten Löwith riet er kurz darauf, sich in der Frage einer Verlängerung direkt an Kittredge zu wenden, „weil es beim jetzigen Berliner Komitee aussichtslos sei“150. 1935 bat er die RF darum, keine weiteren Stipendien mehr an Deutsche zu vergeben und sich auf eine Unterstützung der verfolgten Ex-Fellows zu konzentrieren151. Die RF lehnte seinen Vorschlag zu diesem Zeitpunkt ab. Die letzten Nominierungen im Rahmen des Stipendienplans zeigen jedoch einen späten Meinungswandel in der Stiftung zugunsten Mendelssohn Bartholdys Vorschlag. Die letzten Bewilligungen: RF-Stipendien als Emigrationshilfe

Von den letzten vier RF-Stipendien gingen 1938 und 1940 drei an sich bereits im Ausland aufhaltende deutsche Sozialwissenschaftler, die keine Aussicht auf eine sichere Rückkehr nach Deutschland hatten. Es handelte sich um Emigrationsstipendien, die 148 Brief von A. Mendelssohn Bartholdy an A. W. Fehling, 10. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 149 Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn Bartholdy, 12. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 150 Brief von K. Löwith an L. Strauss, 14. Dezember 1934, in Strauss, Korrespondenz Leo Strauss-Karl Löwith, S. 641. 151 Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum. Fellowship Program in Germany. Conversation of TBK with Prof. Mendelssohn Bartholdy, Paris, 17. Januar 1935, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717 (Germany), box 16, folder 151, S. 2.

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die RF in den Jahren zuvor mit Hinweis auf das Hilfsprogramm für entlassene Wissenschaftler im Rahmen des Stipendienplans prinzipiell abgelehnt hatte. Der Soziologe Svend Riemer, der 1930 bei Lederer in Heidelberg promoviert hatte152, war von Bergstraesser für ein RF-Stipendium ins Gespräch gebracht worden. Als Fehling 1932 nach Kiel reiste, bat Riemer ihn um ein Gespräch über seine „Studien und Studienabsichten“153. Im November 1933 zeigte er erneut Interesse, verlor dann aber durch die Auflösung des Akademischen Auskunftsamtes an der Universität Kiel seine Stelle. Da seine Frau „nicht-arisch“ sei, könne er nicht darauf hoffen, wieder eine Anstellung im Staatsdienst zu finden, teilte er Fehling mit154, auch seine Entlassung als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Volkswirtschaftlichen Zentralstelle für Hochschulwesen sei bereits angeordnet155. Riemer kam dieser Anordnung zuvor, als SPD-Mitglied sah er für sich keine Zukunft in Deutschland. Eine erhoffte Unterstützung durch den Academic Assistance Council kam jedoch nicht zustande156. Riemer emigrierte nach Schweden und arbeitete bei Gunnar Myrdal in Stockholm als Assistent des Instituts für Sozialwissenschaften und als Forschungsassistent der Internal Migration Study von Dorothy S. Thomas. Myrdal hielt eine wissenschaftliche Zukunft Riemers in Schweden für fast sicher und empfahl ihn für ein Stipendium für die USA, sobald er in Schweden eine feste Stelle erhalten habe157, auf die er anschließend zurückkehren könne. 1938 ermöglichte ihm das RF-Stipendium die Überfahrt und die berufliche Etablierung in den USA: Riemer wurde 1939 Assistent an der University of Minnesota und 1940 Assistant Professor an der Cornell University. Nach Deutschland kehrte er nicht zurück158. 1938 erhielt auch Jakob Marschak ein Stipendium. Er war der RF seit seiner Zeit als Privatdozent in Heidelberg und Assistent am Institut für Sozial- und Staatswissenschaften bekannt159. 1933 kam er über Aufenthalte in Österreich160, Spanien und den Niederlanden nach England, wo seine Stelle am All Souls College der Oxford University 1933 und 1934 aus dem Special Research Aid Fund der RF mit 1550 Dol152 Vgl. Blomert, Intellektuelle im Aufbruch, S. 93. 153 Brief von S. Riemer an A. W. Fehling, 27. Januar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 28. 154 Vgl. Brief von S. Riemer an A. W. Fehling, 16. November 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. 155 Vgl. Uhlig et al., Vertriebene Wissenschaftler, S. 133–134. 156 Vgl. ebd., S. 134. 157 Vgl. T.  B.  Kittredge, Memorandum, Possible fellowship application from Dr.  Svend Riemer, 26. Februar 1937, in RAC-RF, RG 2 (1937), General Corr., Series 650, box 152, folder 1127. 158 Vgl. Wittebur, Die Deutsche Soziologie im Exil, S. 91–92. 159 Vgl. Special Research Aid Fund, 5. September 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 401, box 64, folder 861. Special Research Aid Fund, 20. Juni 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 401, box 64, folder 861. 160 Vgl. Brintzinger, Die nationalsozialistische Gleichschaltung, S. 59.

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lar unterstützt wurde161. Ihm wurde der Aufbau eines statistischen Instituts an der Oxford University übertragen, dessen Direktor er 1935 wurde162. Das RF-Stipendium erhielt er 1938, um sich in den USA mit neuen Methoden der statistischen Analyse wirtschaftlicher Probleme vertraut zu machen163. Während der Stipendienzeit erhielt er eine Berufung an die Exil-Universität der New School for Social Research in New York. Marschak blieb in den USA und übernahm 1943 einen Lehrstuhl an der University of Chicago, an der er erster Direktor der neu gegründeten Cowles Commission for Research in Economics wurde164. Schließlich ermöglichte die RF durch die Bewilligung einer „Training Fellowship“ die Emigration des 25-jährigen Otto Albert Hirschmann (später: Albert O. Hirschman) in die USA. Dieser hatte 1932 ein Jahr lang Recht und Nationalökonomie in Berlin studiert, Deutschland aber nach der NS-Machtübernahme verlassen. Er führte sein Studium in Paris an der École des Hautes Etudes Commerciales und am Institut für Statistik der Sorbonne fort und verbrachte das Jahr 1935/36 mit einem Stipendium des International Students Service in England. 1938 promovierte er an der Universität von Triest und ging anschließend, als auch in Italien antisemitische Gesetze erlassen wurden165, nach Paris zurück. Als wissenschaftlicher Assistent arbeitete er unter anderem für J. B. Condliffe. Von August bis November 1936 nahm Hirschmann auf Seiten der Republikaner als Freiwilliger am Spanischen Bürgerkrieg teil, im Frühjahr 1939 trat er, ebenfalls als Freiwilliger, der französischen Armee bei. „We got some training, then built a railway to a munition factory -- and retreated and I was demobilized in July 1940“166, beschrieb er seine Kriegserfahrungen während der französischen Niederlage im Sommer 1940. Im August 1940 ging er nach Marseille, wo er bis Dezember zusammen mit dem amerikanischen Journalisten Varian Fry, der vom Emergency Rescue Committee nach

161 Vgl. Special Research Aid Fund, 5. September 1933, in RAC-RF, RG 1.1, Series 401, box 64, folder 861. Special Research Aid Fund, 20. Juni 1934, in RAC-RF, RG 1.1, Series 401, box 64, folder 861. 162 Vgl. Krohn, Claus-Dieter, Marschak, Jacob, in NDB 16 (1990), S. 251–252 (Im Folgenden zitiert als Krohn, Marschak, Jacob). 163 Vgl. The Rockefeller Foundation, Directory of fellowship awards, for the years 1917–1950, S. 141. 164 Vgl. Krohn, Marschak, Jacob, S. 251–252. 165 Vgl. Baumeister, Martin, Ebrei fortunati? Juden in Italien zwischen Risorgimento und Faschismus, in Terhoeven, Petra (Hg.), Italien, Blicke. Neue Perspektiven der italienischen Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Göttingen, 2010, S. 45. Siehe auch Matard-Bonucci, Marie-Anne, L’Italie fasciste et la pérsecution des juifs, Paris, 2007. 166 Brief von O. A. Hirschmann an T. B. Kittredge, 11. Dezember 1941, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. Vgl. auch Hirschman, Albert O., Selbstbefragung und Erkenntnis, München, Wien, 1996, S. 117–120, 124 (Im Folgenden zitiert als Hirschman, Selbstbefragung und Erkenntnis).

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Südfrankreich gesandt worden war167, Flüchtlingen bei der Ausreise half, indem er falsche Visa besorgte und Pässe fälschte168. Als entschiedener Gegner des Nationalsozialismus und Fluchthelfer war er in Marseille in einer gefährlichen Lage169. In den USA setzte sich ein Cousin für ihn ein und suchte verschiedene philanthropische Stiftungen auf170. Auf Anraten Condliffes171 wurde Hirschmann für eine „Training Fellowship“ für die USA vorgeschlagen, das Angebot erreichte ihn nur durch einen glücklichen Zufall172. Hirschmann überquerte ohne Ausreisevisum zu Fuß die Pyrenäen173, um sich in Lissabon in Richtung New York einzuschiffen. Das Stipendium war ihm für das Studium von Problemen des Welthandels zwischen Staaten mit freier und Staaten mit kontrollierter Wirtschaft verliehen worden174. Hirschmann erreichte New York im Januar 1941. Nachdem er dem Emergency Rescue Committee Bericht erstattet und sich in Washington mit Wirtschaftswissenschaftlern ausgetauscht hatte, kam er im Februar 1941 in Berkeley an, ohne ein festes Arbeitsprogramm entwickelt zu haben. Der Wiedereinstieg in die wissenschaftliche Arbeit fiel ihm nicht leicht175. The ten depressing months in the French army, the defeat and above all the following six months in Southern France where, through my direct collaboration with Mr. Fry, I was

167 Vgl. Loyer, La débâcle, S. 143. Siehe auch Eiden-Offe, Patrick, A man, a plan, a canal. Der Ökonom und Sozialwissenschaftler Albert O. Hirschmann, in Merkur 67 (2013), S. 1106. 168 Vgl. Sum, Anna Barbara, Widerspruch als Prinzip. Nachruf auf Albert O. Hirschman (7.  April 1915–10.  Dezember 2012), in Geschichte und Gesellschaft  39 (2013), S.  126 (Im Folgenden zitiert als Sum, Widerspruch als Prinzip). Siehe auch Adelman, Wordly Economist, S. 171–72. 169 „Dr. Otto Hirschmann, although naturalized French and mobilized in the Army during the war, is also in danger. […] von Mises urged some consideration of his case“. Auszug aus T. B. Kittredge, Memorandum, 8. Oktober 1940, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. 170 Vgl. Adelman, Wordly Economist, S. 181–182. 171 Vgl. Brief von J. B. Condliffe an T. B. Kittredge, 21. Oktober 1940, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. 172 Vgl. Adelman, Jeremy, Hirschman’s Choice: Exiles and Obligations of an anti-Fascist, online verfügbar unter http://transatlantica.revues.org/6864, Absatz 40–41 (zuletzt eingesehen am 14. Dezember 2018). 173 Vgl. Brief von O. A. Hirschmann an T. B. Kittredge, 11. Dezember 1941, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. 174 Vgl. J. H. Willits, Social Sciences New York Fellowship Action, Training Fellowship, 31. Oktober 1940, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. Zu Hirschmanns Engagement in Marseille siehe auch Adelman, Wordly Economist, S. 171–183. 175 Vgl. Brief von O. A. Hirschmann an J. B. Condliffe, 6. Dezember 1941, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944.

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in the very center of Vichy xenophobia, Gestapo intrigue and refugee hysteria, made my immediate full-time concentration on foreign trade statistics a rather difficult task176.

Er besuchte zunächst einige „graduate seminars“177, las sich in die Literatur ein und entwickelte ein Forschungsthema zur Frage des Einflusses von „power policy“ auf die Struktur des Welthandels178. Im Rückblick erinnerte er sich, dass er in Berkeley, „so die offizielle Version“, an einem von Condliffe geleiteten Forschungsprojekt mitarbeiten sollte, sich „in Wirklichkeit“ aber sofort daran gemacht habe, „National Power and the Structure of Foreign Trade zu schreiben“179. Im Dezember 1941 wurde Hirschmanns Stipendium in der Hoffnung um ein Jahr verlängert, dass er anschließend eine dauerhafte Stelle in den USA finden würde. In diesem zweiten Stipendienjahr wollte Hirschmann Faktoren erforschen, die den Handel zwischen kleinen und großen Staaten bestimmen, und wirtschaftstheoretische Ansätze auf Probleme des Welthandels anwenden180. Auch in den USA stellte sich Hirschmann dem Kriegseinsatz gegen Deutschland zur Verfügung. Er hoffte, dieses Mal auf einer seinen Fähigkeiten entsprechenden Stelle eingesetzt zu werden181. Kittredge wies den „Adjutant General of the United States Army“ im Kriegsministerium auf Hirschmanns Sprachkenntnisse (Englisch, Französisch, Deutsch, Italienisch sowie Kenntnisse des Litauischen, Russischen und anderer slawischer Sprachen) hin und bürgte für seinen „moral character“182 . Im Januar 1943 endete das RF-Stipendium183, im gleichen Jahr trat Hirschmann in die amerikanische Armee ein184 und erhielt die amerikanische

176 Brief von O. A. Hirschmann an T. B. Kittredge, 21. Juni 1941, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. 177 Vgl. ebd. 178 Vgl. Brief von O. A. Hirschmann an J. B. Condliffe, 6. Dezember 1941, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. 179 Hirschman, Selbstbefragung und Erkenntnis, S. 129. 180 Vgl. J.  H.  Willits, Social Sciences New York Fellowship Action, Training Fellowship Renewal, 19.  Dezember 1941, in RAC-RF, RG  10.1, Fellowship Files, folder  717  E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. 181 „I do not think that I could serve most efficiently by becoming a private for the third time“. Brief von O. A. Hirschmann an T. B. Kittredge, 11. Dezember 1941, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. 182 Brief von T.  B.  Kittredge an „Adjutant General of the U.S. Army, 7.  Januar 1942, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. 183 Vgl. Brief von O. A. Hirschmann an R. F. Evans, 9. Mai 1943, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. 184 Vgl. Brief von J. B. Condliffe an R. F. Evans, 18. Januar 1944, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944.

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Staatsbürgerschaft185. Als Soldat wurde er in Algier stationiert, wo er den Abwurf von Flugblättern über deutschen Militärstützpunkten koordinierte186. Anschließend war er für das Office of Strategic Services (OSS) in Italien tätig187. Nach Ende des Krieges nahm er in den USA seine wissenschaftliche Karriere wieder auf188. Er veröffentlichte 1945 das Werk „National Power and the Structure of Foreign Trade“, an dem er während der Stipendienzeit geschrieben hatte189. Er widersprach darin vor dem Hintergrund der nationalsozialistischen Handelspolitik in Ost- und Südosteuropa der Theorie David Ricardos, Handel habe für alle Beteiligten positive Auswirkungen190. Während sich in der RF die Erkenntnis durchsetzte, dass die Rückkehr in den NS-Staat nicht von allen Fellows erwartet werden konnte, blieb Fehling bei einer äußerst strengen Interpretation der Richtlinien. Selbst wenn die Officers Ausnahmen erwogen, sprach er sich gegen Verlängerungen aus. Die RF reagierte mit der Verleihung von „grants-in-aid“, für die nach den Richtlinien keine Zustimmung des Deutschen Komitees erforderlich war. Spätestens die letzten Bewilligungen zeigen, dass die Grenzen zwischen Stipendien- und Hilfsprogramm in den späten 1930er-Jahren nicht mehr aufrechterhalten wurden.

9.2 Die (ehemaligen) LSRM- und RF-Stipendiaten im Nationalsozialismus Zeitgenossen bezeichneten den Nationalsozialismus als „Privatdozentenkrankheit“, da sich unter den sogenannten „Märzgefallenen“, die sich der NSDAP nach den Märzwahlen von 1933 anschlossen, viele Assistenten, Privatdozenten und außerordentliche Professoren befanden. Junge Wissenschaftler waren unter den Parteimitgliedern überproportional vertreten und an der Gleichschaltung der Universitäten führend beteiligt191. War der Eintritt in die Partei zum Teil durch Opportunismus motiviert, spricht das starke Engagement in den nationalsozialistischen Organisationen für weit verbreitete Sympathien gegenüber dem Nationalsozialismus in dieser 185 Vgl. Brief von A. O. Hirschmann an R. F. Evans, 22. Juli 1943, in RAC-RF, RG 10.1, Fellowship Files, folder 717 E, Hirschmann, Otto Albert, 1940–1941, 1940–1944. Er änderte seinen Namen in Albert O. Hirschman. 186 Vgl. Sum, Widerspruch als Prinzip, S. 127. 187 Vgl. Özçelik, Emre, Albert O. Hirschman: A ‚Beamish‘ Social Scientist for Our Grandchildren, in Development and Change 45 (2014), S. 1115. 188 Vgl. Sum, Widerspruch als Prinzip, S. 127. 189 Hirschman, Albert O., National Power and the Structure of Foreign Trade, Los Angeles, 1945. 190 Vgl. Sum, Widerspruch als Prinzip, S. 127. 191 Vgl. Grüttner, Machtergreifung, S. 341.

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Statusgruppe. Von den Massenentlassungen an den Hochschulen profitierten Teile des wissenschaftlichen Nachwuchses direkt192. Für die aktuellen und ehemaligen Rockefeller Stipendiaten bedeutete die NSMachtübernahme einen Wendepunkt. Die sich im Ausland aufhaltenden Fellows wurden zu Informationsquellen über das neue Regime: „Sie werden in den letzten Wochen wohl viel über Ihre Meinung über die Ereignisse in Deutschland ausgefragt worden sein“, vermutete Fehling im März 1933 in einem Brief an Hans Keller. Der Stipendiat habe „sicher den unsinnigsten Vorstellungen […] entgegentreten müssen, die nach Kriegsrezepten drüben über die hiesigen Vorgänge Verbreitung fanden“193. Einigen Fellows seien Schwierigkeiten „durch die sehr feindliche Atmosphäre an den amerikanischen Universitäten erwachsen“194, teilte Fehling August Lösch mit. Wurden die Stipendiaten zuvor als Vertreter der deutschen Republik und ihrer Wissenschaft angesehen, repräsentierten sie in den Augen mancher ausländischer Gesprächspartner jetzt den NS-Staat. Mehrere Antragsteller und Stipendiaten sorgten sich daher um ihre Aufnahme im Gastland. Ein Kandidat fragte, wie sich das United States Department of Agriculture in Washington und das Institute of Economics „in neuerer Zeit der Aufnahme fremder Forscher“ gegenüber verhalten hätten195. Einem anderen Bewerber teilte Fehling 1934 mit, Chicago sei „im Augenblick ein besonders schwieriger Boden für den Deutschen“196. Ruth Flad, deren Bewerbung 1933 befürwortend an die RF weitergeleitet worden war, riet Fehling, ihre jetzige Stelle nicht vor der endgültigen Bewilligung zu kündigen, da er befürchtete, die RF könne ihre Tätigkeit in Deutschland gänzlich einstellen. Mit Schwierigkeiten in Flads Gastland Frankreich rechnete er nicht, man werde „hier in Deutschland die kulturpolitischen Beziehungen in alter Weise weiter pflegen“. Sollte sie wider Erwarten dennoch Hilfe benötigten, solle sie sich an die RF sowie „gegebenenfalls auch an die deutsche Vertretung“197 wenden. Die Ausreise eines Großteils der Stipendiaten des Jahrgangs 1933 verzögerte sich. Als Alexander von Schelting, der bei der 1933 eingestellten Zeitschrift „Archiv für Sozialwissenschaften und Sozialpolitik“ als Redakteur beschäftigt gewesen war, um die Verschiebung seiner auf Mitte Oktober 1933 terminierten Ausreise bat, bemerkte Fehling, dies sei, bei sieben neuen Fellows, bereits der fünfte Antrag dieser 192 Vgl. ebd., S. 347, 352. 193 Brief von A. W. Fehling an H. Keller, 28. März 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 194 Brief von A. W. Fehling an A. Lösch, 2. Oktober 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 41. 195 Brief von S. Ciriacy-Wantrup an A. W. Fehling, 14. November 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 196 Brief von A. W. Fehling an H. Fischer, 14. November 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 41. 197 Brief von A. W. Fehling an R. Flad, 19. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34.

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Art198. Von Schelting wurde vom Verlag Siebeck mit verschiedenen Projekten betraut199, sodass er erst im Herbst 1934 in die USA fuhr200. Nach einem kurzen Aufenthalt 1936 in Europa wurde er, von der RF unterstützt, Gastprofessor an der Columbia University. 1939 besuchte er Europa erneut und blieb in der Schweiz, ohne eine feste Anstellung zu finden201. Bei anderen Fellows verzögerte sich die Ausreise aufgrund der Vorbereitungen der Habilitation, zu der jetzt die Absolvierung von Wehrsportlagern und Dozentenakademien gehörte202. Siegfried von CiriacyWantrup teilte mit, es sei bei der durch das Ministerium vorgenommenen Ernennung schwer vorhersehbar, „ob überhaupt und vor allem wann dieselbe erfolgt“203. Während einige Stipendiaten sich während und nach der Stipendienzeit für das NS-Regime engagierten, emigrierten andere. Mindestens drei Stipendiaten waren an konkreten Widerstandsaktionen beteiligt. Fellows „of strong Nazi sympathies“: Nationalsozialistisches Engagement während und nach der Stipendienzeit

Von den Stipendiaten Hans Keller, Hellmut Wollenweber und Georg Leibbrandt waren der RF ihre Affinitäten zum NS-Regime bekannt. May informierte Kittredge über negative Auswirkungen der ideologischen Ausrichtung der Stipendiaten auf den Nutzen ihrer Stipendienzeit: In the few cases in which men have been sent to this country of strong Nazi sympathies it has seemed to me that they were too occupied with the gruelling task of reconciling their early academic background with Nazi ideology to devote themselves seriously to their fellowship work204. 198 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. v. Schelting, 29. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 199 Vgl. Brief von A. v. Schelting an A. W. Fehling, 26. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 200 Vgl. Brief von J.  Van Sickle an A.  v.  Schelting, 1.  Mai 1934, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 39. 201 Vgl. Wittebur, Die Deutsche Soziologie im Exil, S.  51. Die RF trug insgesamt 3750  Dollar zu seinem Gehalt an der Columbia University bei. 202 Vgl. Brief von A.  Spiethoff an A.  W.  Fehling, 11.  Juli 1934, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 40. Zur nationalsozialistischen Reichshabilitationsordnung siehe Mertens, Einige Anmerkungen, S. 229–230. 203 Brief von S. Ciriacy-Wantrup an A. W. Fehling, 24. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 204 Brief von S. May an T. B. Kittredge, 4. Februar 1935, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377, S. 1.

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Kellers Konzeption eines supranationalen Völkerrechts, das er dem Internationalismus des Völkerbundes entgegenstellte, hielt May für „sheer metaphysical eyewash“205, auch wenn die RF dem Stipendiaten gegenüber freundlich-distanziertes Interesse zeigte. Keller verbrachte seine Stipendienzeit 1932/33 und 1933/34 in den USA und Italien206. Vor der Ausreise hatte er sich als Herausgeber der Zeitschrift „Deutscheuropa. Vierteljahresschrift für die Erneuerung Europas aus dem Reichsgedanken“ betätigt207. In den USA beschäftigte er sich mit dem Thema „History of the International Mind in America“208 und trug Material für eine „History of the American Literature of International Law“ zusammen209. Für seine Zeitschrift habe ihm die RF „in der freundlichsten Weise ihre Anerkennung“210 ausgesprochen, berichtete er Fehling. Stacy May habe ihm zudem geraten, sich mit dem chinesischen Reich als „Verkörperung universalistischen Völkerrechtsdenkens“ auseinanderzusetzen211. Für die Ausformulierung seiner „German world ideology“, die dem Internationalismus der westlichen Welt das Konzept des Supranationalismus entgegenstellte, habe er unschätzbare Anregungen erhalten212. Ab Oktober 1933 hielt sich Keller sechs Monate in Deutschland auf, bis er im April 1934 nach Italien weiterreiste. In der Berliner US-Botschaft lernte er den Auslandspressechef Ernst Hanfstaengel kennen, der ihn dem Personalchef des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, Hans Rüdiger, empfahl213. Als sich Keller um eine Anstellung bemühte, wurde Fehling um eine Beurteilung des Stipendiaten „hinsichtlich seiner charakterlichen Eigenschaften und seiner beruflichen Fähigkeiten“214 gebeten. Für die Arbeit werde „neben höchster vaterländischer Gesinnung besondere Geschicklichkeit, Takt und Verantwortungsgefühl

205 Ebd. 206 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 15. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 207 Es erschien nur ein Jahrgang mit vier Heften 1932/33. Zeitschrift Deutscheuropa, Herbst 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 208 Vgl. Brief von H. Keller an A. W. Fehling, 15. April 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 209 Vgl. Brief von H. Keller an S. May, 11. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 210 Brief von H. Keller an A. W. Fehling, 25. Juli 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 211 Brief von H. Keller an A. W. Fehling, 15. April 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 212 Brief von H. Keller an S. May, 1. Oktober 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 213 Vgl. Brief von H. Keller an A. W. Fehling, 14. April 1958, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 5. 214 Brief von H.  Rüdiger, Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, an A.  W.  Fehling, 5. Januar 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. Hans Rüdiger war im Ministerium verantwortlich für das Personalwesen. Vgl. Mühlenfeld, Daniel, Vom Kommissariat zum Ministerium. Zur Gründungsgeschichte des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda, in Hachtmann, Rüdiger; Süß, Winfried (Hgg.), Hitlers Kommissare: Sondergewalten in der nationalsozialistischen Diktatur, Göttingen, 2006, S. 84.

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verlangt“215. Fehling schickte Abschriften der Gutachten aus dem Bewerbungsprozess und teilte vertraulich mit, er halte Keller für geeignet, „wobei freilich seiner ganzen Persönlichkeit nach dem romanischen Kulturkreis dem angelsächsischen gegenüber der Vorzug zu geben wäre“. Während seines zweiten Stipendienjahrs seien Nebentätigkeiten jedoch ausgeschlossen, sodass Keller erst ab Ostern 1935 zur Verfügung stände. Über die Bedeutung von Kellers Zeitschrift, deren Ziel ein „neue[s], auf altem deutschen Gedankengut aufbauende[s] Völkerrecht“ sei, ließe sich noch nicht viel sagen216. Keller nahm eine Stelle als Referent der Auslandsabteilung des Ministeriums an, verlor diese jedoch kurze Zeit später wieder, weil er, so schrieb er zumindest im Rückblick, in den USA einen Aufruf zur Verteidigung der Freiheit der Wissenschaft unterzeichnet hatte und kein Parteimitglied war: „Ich wurde vor die Alternative gestellt, man werde die Geh. Staatspolizei auf meinen Fall aufmerksam machen, wenn ich nicht selbst um meine Entlassung aus dem Staatsdienst nachsuche“217. Von weiteren Kooperationen mit NS-Organisationen hielt dieser Fehlschlag Keller nicht ab. 1934 gründete er die „Internationale Arbeitsgemeinschaft der Nationalisten“, zu der er auch Fehling einlud. Die Arbeitsgemeinschaft fördere „den befriedenden, weil seiner völkischen Grenzen bewußten sozialistischen Volksnationalismus durch Erarbeitung eines wirklichen Völkerrechts“ und bekämpfe „jede Erscheinungsform des Internationalismus, hinter der sich volksfremder Imperialismus verbirgt, sei es der jüdische Kommunismus im Osten, der vatikanisch-faschistische Universalismus im Süden oder der freimaurerische Pazifismus des Gegenreichs im Westen“218. Nach außen unterstrich Keller das Bild einer privaten und unabhängigen Organisation, im

215 Brief von H. Rüdiger, Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, an A. W. Fehling, 10. Januar 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 216 Brief von A. W. Fehling an das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda, 12. Januar 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 217 Brief von H. Keller an A. W. Fehling, 14. April 1958, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 5. Keller schrieb daraufhin ein Entlassungsgesuch mit der Begründung, er wolle seine wissenschaftlichen Arbeiten wieder aufnehmen. 1958 wandte er sich im Rahmen eines Antrags auf Wiedergutmachung und nachträglicher Verbeamtung, da er 1934 „wegen Nichtparteizugehörigkeit, namentlich aber wegen europäischer und internationaler Geisteshaltung“ den Dienst habe quittieren müssen, an Fehling. Er behauptete, dieser habe ihn nach Verlust der Stelle beraten und versucht, für ihn eine Verlängerung des Forschungsauftrags der RF zu erreichen. Keller bat um den Nachweis, dass er damals „erstmal vor dem Nichts stand“. Fehling stellte, folgt man dem im Nachlass erhaltenen Entwurf, die Fehler in der Darstellung der Verlängerung des Stipendiums richtig und schrieb, er habe von Kellers Tätigkeit für das Propagandaministerium, soweit er sich erinnere, nichts gewusst. Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Keller (Entwurf ), o. D. (1958), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 218 H. Keller, Einladung, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58.

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Kern unterschied sich seine Auffassung allerdings kaum von den völkerrechtlichen Anschauungen der Nationalsozialisten219. Fehling sagte zwar seine Teilnahme ab, unterstützte Keller aber, als dieser 1934 Autoren für die von ihm geplante Schriftreihe „Internationale Stimmen der Nationalisten“ suchte. Streng vertraulich schrieb Fehling an mehrere ehemalige Stipendiaten: Die Schriftenreihe soll, indem sie der wissenschaftlichen Erarbeitung des Völkerrechts dient, die Auseinandersetzung der fremden Nationalismen mit dem Neuen Deutschland anregen. Daneben soll sie die Formulierung jener neuen übervölkischen Gedankengänge fördern, die in dem in ganz Europa heute erwachenden neuen Nationalismus beschlossen liegen220.

Fehling bat die ehemaligen Stipendiaten, ihm Persönlichkeiten zu nennen, die einer Einladung zur Mitarbeit „mit gewisser Sicherheit“ nachkommen würden. Allerdings müsse das Anliegen „auf persönlichem Wege“ vorgebracht werden, damit nicht der Eindruck entstehe, es „handele sich um ein deutsches offizielles Interesse“221. Den Rockefeller Officers scheint Fehling über diese politisch motivierte Nutzung des Netzwerks ehemaliger Stipendiaten keine Mitteilung gemacht zu haben. Karl Heinz Pfeffer sandte nicht überlieferte Vorschläge ein222, Harri Meier nannte für Spanien den Namen des „ziemlich einflußreichen Faschistenführers“ José Antonio Primo de Rivera, Sohn des Diktators Miguel Primo de Rivera. Er riet außerdem, sich den Unterstützerkreis der Zeitschrift Acción Española anzusehen. Für schwierig hielt er es, „die Spanier von den Rassentheorien unseres neuen Staates zu überzeugen“, abgesehen „von einem in Spanien nicht mehr aktuellen und darum vagen Antisemitismus“. In Mexiko und Argentinien habe jedoch „seit etwa drei Jahrzehnten der Glaube an die Rasse und ihre Zukunftsträchtigkeit nicht wenige Leute ergriffen“. Zur Kontaktaufnahme empfahl er, die deutschen wissenschaftlichen Vermittlungsstellen in Madrid, Barcelona, Buenos Aires und Mexiko heranzuziehen. Wenn gewünscht, könne das Hamburger Ibero-Amerikanische Institut, an dem Meier tätig war, den 219 Vgl. Neulen, Hans Werner, Europa und das 3. Reich. Einigungsbestrebungen im deutschen Machtbereich 1939–1945, München, 1987, S.  23 (Im Folgenden zitiert als Neulen, Europa und das 3. Reich). 220 Herausgegeben werden solle die Reihe von einem internationalen Komitee, es sei bereits an die Professoren Böök (Lund), Burckhardt (Genf ), Caballero (Madrid), Evola (Rom), McGuire (Washington), Rousseau (Paris) und Teleki (Budapest) geschrieben worden. Brief von A. W. Fehling an K. H. Pfeffer, 10. April 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 221 Brief von A. W. Fehling an K. H. Pfeffer, 10. April 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 222 Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an K.  H.  Pfeffer, 4.  Mai 1934, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 39.

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Kontakt herstellen223. Harald Fick nannte für Italien Sergio Panunzio, Professor der Universität Rom und Präsident der faschistischen Fakultät für politische Wissenschaften an der Universität Perugia224, dessen Werk „Allgemeine Theorie des faschistischen Staates“225 er übersetzt hatte. Hans Scherpner meldete für die Niederlande, dass er keine Vorschläge habe, sich aber bei einem Rotterdamer Rechtsanwalt, der der holländischen nationalsozialistischen Bewegung angehöre, informieren wolle226. Tatsächlich schickte er zwei Monate später eine Liste mit mehreren Namen227. 1934 erschien als erstes Buch der Reihe „Eine Stimme aus Frankreich“ von Gustave Hervé, das Keller aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt hatte228. Hervé, in der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg ein überzeugter Antimilitarist, wandte sich in der Zwischenkriegszeit autoritären Gesellschaftsmodellen zu, bewunderte Mussolini und wurde ein Anhänger Philippe Pétains229. Dieser Vorgang zeigt, dass sich das Netzwerk der ehemaligen Stipendiaten durchaus für politische Anliegen im Sinne eines extremen Nationalismus mobilisieren ließ und Fehling sich Kellers Gesuch nicht widersetzte. Bereitwillig stellte ein Teil der Ex-Fellows ihre auch während der Stipendienzeit geschlossenen wissenschaftlichen Kontakte und persönlichen Verbindungen zu faschistischen Kreisen zur Verfügung. Als Ziel seiner Stipendienzeit in Italien hatte Keller angegeben, das völkerrechtliche Weltbild des italienischen Faschismus zu studieren. Mit dem Ergebnis war er jedoch nicht zufrieden: „Denn der Faschismus scheint ein eigenes völkerrechtliches Weltbild, von der imperialistischen ‚Universalità Romana‘ abgesehen, nicht zu besitzen“. Zu einem zweiten Forschungsthema, der „‚reichische[n]‘ Völkerrechtsidee“ im italienischen Mittelalter, konnte er „bei der ungeheuren Fülle des Stoffes“ nur „Anregungen und Material“ sammeln. An Kittredge schrieb Keller, er habe vor allem zur faschistischen „world ideology“ gearbeitet230. Seine Briefe an Fehling unterschrieb er jetzt mit „Heil Hitler“231. Anfang Dezember unterbrach Keller sein Stipendium kurz, um in Berlin die erste Arbeitstagung der „Internationalen Arbeitsgemeinschaft der 223 Brief von H. Meier an A. W. Fehling, 20. April 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 224 Vgl. Brief von H. Fick an A. W. Fehling, 15. April 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 225 Panunzio, Sergio, Allgemeine Theorie des faschistischen Staates, Berlin, Leipzig, 1934. 226 Vgl. Brief von H. Scherpner an A. W. Fehling, 14. April 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 39. 227 Vgl. Brief von H. Scherpner an A. W. Fehling, 20. Juni 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 228 Hervé, Gustave K., Eine Stimme aus Frankreich, Zürich, 1934. 229 Vgl. Heuré, Gilles, Itinéraire d’un propagandiste: Gustave Hervé, de l’antipatriotisme au pétainisme (1871–1944), in Vingtième Siècle 55 (1997), S. 16. 230 Brief von H. Keller an T. B. Kittredge, 20. August 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 231 Brief von H.  Keller an A.  W.  Fehling, 27.  September 1933, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 58.

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Nationalisten“ abzuhalten232. In England, seinem dritten Gastland, interessierte er sich für die Begeisterung der Engländer für den von ihm abgelehnten Völkerbund233. Die Gründung der Arbeitsgemeinschaft sei, so teilte er Kittredge mit, für ihn eine der wertvollsten Errungenschaften seiner Stipendienzeit234. Im Sommer 1935 nahm er in London am zweiten Kongress der Gruppe teil235. In der Folgezeit organisierte Keller in Berlin weitere Veranstaltungen und richtete ein Büro der „Internationale der Nationalisten“ am Kurfürstendamm ein. „Damals wurde mir auch davon gesprochen, daß dieses Büro Beziehungen zum Propagandaministerium hätte“236, erinnerte sich Fehling später. Tatsächlich wurde die „Internationale Arbeitsgemeinschaft der Nationalisten“ bereits seit 1934 vom Reichspropagandaministerium finanziell unterstützt, da Goebbels beabsichtigte, die Organisation als Gegenmodell zu der von Mussolini geförderten CAUR (Comitati d’azione per l’universalità di Roma) aufzubauen237. Keller scheine damit beschäftigt zu sein, das NS-Regime mit einer neuen Doktrin des internationalen Rechts und der internationalen Beziehungen auszustatten, notierte die RF im September 1935. Gleichzeitig habe er Schwierigkeiten mit den „authorities“. Obwohl er auf eine Stelle an einer deutschen Universität hoffte, bat er die RF im Sommer 1935 um Hilfe bei der Stellensuche in den USA238. Auf die Titelseite des 1936 von Keller übersandten Werks „Why ‚Nationalist International‘?“239 schrieb May: „One of the worst examples of

232 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Keller (Entwurf ), o. D. (1958), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 233 Vgl. Brief von H. Keller an T. B. Kittredge, 20. August 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 234 Vgl. ebd. 235 Vgl. Brief von A. W. Fehling an H. Keller (Entwurf ), o. D. (1958), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 58. 236 Ebd. 237 Neulen, Europa und das 3. Reich, S. 23. Die CAUR setzten sich für eine italienische Führungsrolle in einem zukünftigen faschistischen Europa ein und wandten sich gegen den nationalsozialistischen Rassismus. Vgl. ebd., S. 24. 238 Vgl. Memorandum von T.  B.  Kittredge an S.  May, 13.  September 1935, zusammengefasst auf H. Keller, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 239 Bertrand, Louis Karl; Keller, Hans  K.  E.  L. (Hgg.), L’Internationale – ennemie des nations: Hans K. E. L. Keller. Why „The Nationalist international“?, Zürich, 1936. In dem Artikel warb Keller für den Nationalsozialismus und beschrieb, dass die deutsche Armee „all those subjects of the German state who are, like the Jews, not at the same time members of the German people“ ausschließe. „Only those will be given military training in National-Socialist Germany of whom it can be expected that they whole-heartedly support the cause they are fighting for“. Keller, Hans K. E. L., Why the National International?, in Bertrand, Louis Karl; Keller, Hans K. E. L. (Hgg.), L’Internationale – ennemie des nations: Hans K. E. L. Keller. Why „The Nationalist international“?, Zürich, 1936, S. 30.

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work in international relations and illustrating the difficulties with fellows conformist to the Nazi regime“240. 1936 gründete Keller, der weiterhin vom Reichspropagandaministerium Unterstützung erhielt, auf dem dritten Kongress der Arbeitsgemeinschaft in Oslo die Akademie für die Rechte der Völker. Er sah sich einer zunehmenden Kritik durch das Auswärtige Amt ausgesetzt, das 1937 die Liquidierung der Akademie durchsetzte. 1938 sprachen sich zehn Behörden und Parteistellen gegen weitere Aktivitäten von Kellers Arbeitsgemeinschaft aus, auch das Propagandaministerium versagte ihm seine Unterstützung. Bis 1940 wurde er durch die Gestapo gefördert, der seine Auslandskontakte von Nutzen waren241. Als Keller 1949 bei der RF Unterstützung für eines seiner Projekte beantragte, lehnte die Stiftung ab242 . In der RF scheint man sich der politischen Ausrichtung von Kellers Arbeitsplänen relativ schnell bewusst geworden zu sein. Die Politik der Nichteinmischung in die Arbeitsweisen und Pläne der Stipendiaten führte aber dazu, dass gegenüber dem Stipendiaten keine Kritik geäußert wurde, während seine Aktivitäten intern sehr kritisch beurteilt wurden. Der nationalsozialistische Stipendiat Hellmut Wollenweber hatte nach Stiftungsinformationen die amerikanischen Geographen zwar durchaus als fähiger Wissenschaftler beeindruckt, der RF-Officer Stacy May konnte über die konkreten Ergebnisse seiner Stipendienzeit jedoch keine Informationen erhalten: It seems to me that he became diverted from his original inquiry in the field of human geography into a philosophical idyll concerning group consciousness so strong and pure that, while it absorbs all the loyalty of these in a given group, it instills in them a respect rather than a hatred for those in other groups who subscribe to a similar ideology243.

240 H. Keller, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 241 Vgl. Stolleis, Michael, Geschichte des öffentlichen Rechts in Deutschland: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur, 1914–1945, Bd.  3, München, 1999, S.  383, Fußnote 157. Vgl. Neulen, Europa und das 3. Reich, S. 24–25, 405. 242 Vgl. H. Keller, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. Nach dem Zweiten Weltkrieg war Keller parteiloses Mitglied im Münchener Stadtrat. 1965 kandidierte er auf der bayerischen Landesliste der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) für den Bundestag. Vgl. E. H., Alter Kämpfer. Merkwürdiges aus der Truhe eines Wahlkandidaten, in Die Zeit, 23. Juli 1965, S. 7 (online verfügbar im Archiv von Zeit online unter der Adresse http://www.zeit.de/1965/30/alter-kaempfer, zuletzt eingesehen am 14. Dezember 2018). 243 Brief von S. May an T. B. Kittredge, 4. Februar 1935, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377, S. 1.

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Wollenweber hatte als Forschungsthema „economics of land settlement“ in Kanada und den USA angegeben244. Noch vor der Ausreise hatte er sich im Oktober 1933 um Aufnahme in die NSDAP bemüht245, wurde allerdings erst ein halbes Jahr nach seiner Rückkehr, im August 1935, aufgenommen246. In den USA verfolgte er das Ziel, durch Gespräche „etwas für daheim“ zu tun. Er bewunderte die „echt amerikanische Methode […] der Beeinflussung der öffentlichen Meinung“, in der er ein Vorbild für Deutschland sah, und die enge Verbindung zwischen dem amerikanischen Präsidenten und der Bevölkerung durch Radio und Film. In den USA vollziehe sich „ein ähnliches Geschehen“ wie in Deutschland, interpretierte er247. Er propagierte in den USA ein positives Bild des NS-Staates und sammelte Anregungen für die deutsche politische Propaganda. 1934 verschickten die Stipendiaten Paul F. Lazarsfeld, Julian M. Blackburn und Bohdan Zazadzki im Rahmen einer Studie Fragebögen an die aktiven RF-Fellows, um herauszufinden, wie sie sich an das Leben in den USA anpassten248. Wollenweber lehnte die Beantwortung der Fragen „aus grundsätzlichen Erwägungen“ ab249 und beschwerte sich bei der RF über die Aktion. Seine Antworten schickte er direkt an die Stiftung250, ohne eine Weiterleitung an die Initiatoren zu erlauben, weshalb Stacy May sie ihm wieder zurücksandte251. Wollenweber ließ Fehling seine Antworten einschließlich der Korrespondenz mit der RF mit der Bemerkung zukommen, er halte diese Angelegenheit für grundsätzlich wichtig. Er habe die Fragen der im Übrigen jüdischen Fellows nur beantwortet, damit „nicht dem deutschen Fellow der Vorwurf des schlechten Willens gemacht werden koennte“252. Wollenweber verstand sich als Repräsentant des NS-Regimes und bezeichnete sich später als „einer der ersten Rockefellerfellows des neuen Deutschland“253. Fehling hielt den Fragebogen zwar auch für 244 Wollenweber, H., Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10 Fellowship Cards. 245 Brief von H. Wollenweber an A. W. Fehling, 7. Oktober 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 246 Vgl. H. Wollenweber, Hochschullehrer-Kartei, in BAB, R 4901/13281 Kartei Hochschullehrer. Auf der Karte ist außerdem vermerkt, Wollenweber habe sich politisch „nur im Auslande“ betätigt. 247 Brief von H. Wollenweber an A. W. Fehling, 6. Februar 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 38. 248 Vgl. Brief von Paul F. Lazarsfeld, Julian M. Blackburn, Bohdan Zawadzki an „Dear Fellow“, o. D. (1934), in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40, S. 1–3. 249 Brief von H. Wollenweber an „Sehr geehrte Herren“, 8. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 250 Vgl. Brief von H. Wollenweber an S. May, 14. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 251 Vgl. Brief von S. May an H. Wollenweber, 10. Juli 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 252 Brief von H.  Wollenweber an A.  W.  Fehling, 16.  Juli 1934, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 40. 253 Brief von H. Wollenweber an A. W. Fehling, 17. November 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 41.

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„ungewöhnlich“, sodass ihm die Ablehnung sachlich gerechtfertigt schien, nur hätte er, so teilte er Wollenweber mit, „eine andere Form für zweckentsprechender gehalten, auch mit Rücksicht auf die Mentalität des Amerikaners davon Abstand genommen, die Angelegenheit zu ernst zu nehmen und mit deutscher Gründlichkeit durchzufechten“. Mit einigen neutralen Worten hätte er die Beantwortung abgelehnt und dies „eventuell beiläufig in einem Briefe an Herrn Dr. May“ mit einem Verweis auf die kurze Aufenthaltsdauer in den USA erwähnt254. Direkte politische und persönliche Äußerungen vermied Wollenweber bei der Beantwortung des Fragebogens. Die Frage, ob er bei gleicher Bezahlung eine wissenschaftliche Stelle in den USA annehmen würde, beantwortete er mit einem klaren „Nein“. In den USA vertiefe er sich „bewußter und stärker auch in das Erleben des Heimatgeschehens und erlebe ein freudigeres Bekennen eigener Art und heimatkundlicher Erkenntnis“. Er habe auch neue politische Ansichten entwickelt: „Ein Bewußtwerden längst geahnter Tatsachen“. Der Aufenthalt in den USA habe ihn zu einer „wesentlich klarere[n] persönliche[n] Haltung gezwungen“. Die Erfahrung „des vielen Fremden […] gab Gelegenheit, das Eigene besser zu erkennen, was selbstredend an sich schon befriedigt“. Am wenigsten gefallen hatte ihm der Aufenthalt in „Chicago. Melting Pot“. Seinen allgemeinen Zustand beschrieb er als „[z]uversichtlich und zufrieden, völlig ausgeglichen, sobald auf dem Land“, nur vermisse er „einen rechten schönen besinnlichen ruhigen kraftvollen Eichwald“255. Durch die Erlebnisse der Stipendienzeit fühlte sich der Nationalsozialist Wollenweber in seinen zuvor getroffenen Entscheidungen bestätigt. Die RF setzte sich mit dem Stipendiaten nicht über seine politischen Ansichten auseinander, Wollenweber berichtete von einer „herzlichen Aussprache“ mit Stacy May vor der Abreise256. Er setzte seine wissenschaftliche Karriere nach der Rückkehr fort. 1937 erhielt er einen Ruf nach Berlin, wo er die Agrarpolitische Abteilung des Instituts für Wirtschaftswissenschaft leitete. 1942 übernahm er das Ordinariat für Volkswirtschaftslehre an der Universität Graz257. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs 254 Brief von A. W. Fehling an H. Wollenweber, 19. August 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. 255 H. Wollenweber, Betrifft: Fragebogen betr. Anpassung des R. Fellows in Amerika, 6. Mai 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40, S. 2–5. 256 Brief von H. Wollenweber an A. W. Fehling, 17. November 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 41. 257 Dort veröffentlichte er 1943 „Wirtschaft und Persönlichkeit im deutschen Lebenskampf “, einen „Aussprachebeitrag“ zu den Grundlagen, auf denen die „künftig wahrhaft am Staatsgedanken von ‚Blut und Boden‘ einheitlich ausgerichtete ‚deutsche Staatswissenschaft‘ praktisch politische Arbeit auch im europäischen Großraum leisten“ könne. Wollenweber, Hellmut, Wirtschaft und Persönlichkeit im deutschen Lebenskampf, Berlin, 1943, S. 11. Vgl. Planck, Ulrich, Hellmut Wollenweber †, in Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie 24 (1976), S. 215. Der Nachruf erwähnt die nationalsozialistischen Überzeugungen Wollenwebers nicht, stattdessen heißt es zum

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hatte er verschiedene Lehraufträge inne, bis er 1955 außerordentlicher Professor und 1962 persönlicher Ordinarius an der Universität Bonn wurde258. Während die RF wissenschaftliche Ergebnisse seiner Stipendienzeit nicht erkennen konnte, hatte der Amerikaaufenthalt für die Festigung Wollenwebers persönlicher Überzeugungen eine große Bedeutung. Auch bei Georg Leibbrandt waren der RF seine Sympathien für das NS-Regime bekannt. Seine Forschungsarbeit, deren Großteil in die Zeit vor der Machtergreifung falle, habe er aber in exzellenter Weise zu Ende geführt, konstatierte Stacy May259. Bereits in einem Gutachten im Bewerbungsprozess war Leibbrandt eine „deutsche Gesinnung“ bescheinigt worden260. Fehling beschrieb ihn als russisch-deutschen Bauernsohn aus der Gegend von Odessa, der unter „recht abenteuerlichen Verhältnissen“ nach Deutschland gekommen sei. Die Spuren dieser Erfahrungen, so Fehling, „glaubt man in seinem Charakter deutlich zu spüren. Bei aller Gewandtheit ist sein Benehmen nicht frei von Hemmungen, er ist vorsichtig und zurückhaltend“261. Leibbrandt hatte zunächst die Wolgadeutschen in den USA erforschen wollen und in den USA sein Projekt auf alle russischen Siedlungen ausgedehnt262. Er etablierte enge Kontakte mit mehreren amerikanischen Wissenschaftlern. So äußerten sich Charles C. Tansill263 und Lewis L. Lorwin264 sehr positiv über seine Persönlichkeit und wissenschaftlichen Fähigkeiten. Oncken hingegen befürchtete durch die Ausweitung des Themas „oberflächlichen Dilettantismus“265. Im Mai 1933 kehrte Leibbrandt nach Europa zurück und verbrachte die letzten Monate seiner Stipendienzeit überwiegend in Genf266. Jahr 1945, in dem Wollenweber seine Grazer Professur verlor: „[S]eine bis dahin so geradlinig und erfolgreich verlaufene Hochschullehrerlaufbahn brach jäh ab, und wie viele aus seiner Generation mußte er nach dem Zusammenbruch wieder von vorne anfangen“. Vgl. ebd., S. 215–216. 258 Vgl. Van Deenen, Bernd, Gedenkrede für Hellmuth Wollenweber, in Heupel, Aloys; Weltzien, Heinrich Carl; Kötter, Herbert (Hgg.), In Memoriam Heinrich Niehaus und Hellmuth Wollenweber. Reden, gehalten am 19. Oktober 1977 bei der Gedächtnisfeier der Universität Bonn, Bonn, 1978, S. 35–36. 259 Vgl. Brief von S. May an T. B. Kittredge, 4. Februar 1935, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377, S. 1. 260 W.  Goetz, Gutachten zu G.  Leibbrandt, 20.  Februar 1931, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 24. 261 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 4. April 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 262 Vgl. Brief von H.  Oncken an A.  W.  Fehling, 15.  Mai 1932, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 30. 263 Vgl. Brief von C. C. Tansill an W. Sharp, 31. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 264 Vgl. Brief von L. L. Lorwin an W. Sharp, 31. März 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 265 Brief von H. Oncken an A. W. Fehling, 15. Mai 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 30. 266 Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 19. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34.

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Leibbrandt arbeitete während seiner Stipendienzeit entgegen den Regeln des Stipendienplans für die NSDAP, erwähnte diese Tätigkeit in seinen Berichten an die RF und Fehling jedoch nicht267. Nach seiner Rückkehr aus den USA stellte Leibbrandt, der bereits Mitglied der SA war, im Juni 1933 in Genf einen Aufnahmeantrag in die NSDAP, in dem er sein amerikanisches Engagement für die Partei anführte. Sein Gesuch ging nach dem Inkrafttreten der Aufnahmesperre für Deutschland am 1. Mai, aber vor der für die Schweiz geltenden Sperre, die am 1. Juli eingeführt wurde, ein268. Er habe „der Bewegung seit Jahren nahegestanden“, betonte Leibbrandt, und „in Washington gar als Vertrauensmann ihre Interessen wahrgenommen“. Ab 1931 habe er sich in den USA durch Vorträge in Seminaren für die NSDAP eingesetzt, 1932 habe er den Vertreter der NSDAP in Washington unterstützt und nach dessen Abreise Anfang 1933 als Vertrauensmann Lageberichte und Material nach Berlin geschickt. Er sei der „Greuelpropaganda“ entgegengetreten und habe die Interessen der Bewegung gegenüber der Politik und Presse wahrgenommen269. Selbst wenn diese Aufzählung aufgrund des Zwecks des Schreibens übertrieben sein sollte, zeigt sie, dass Leibbrandt dem Gebot der politischen Zurückhaltung nicht entsprochen hatte. Sein Aufnahmeantrag wurde über das Außenpolitische Amt der NSDAP, dessen Mitarbeiter Leibbrandt nach seiner Rückkehr wurde, an die Reichsleitung der Partei weitergeleitet, wo er jedoch erst im August ankam. Die Landesgruppe Schweiz setzte sich bei der Aufnahme-Abteilung in München für den Bewerber ein270, der am 1. Juli 1933 „ausnahmsweise“ in die NSDAP aufgenommen wurde271. Der in den USA geschulte Siedlungsexperte Leibbrandt hatte in den folgenden Jahren eine aktive Rolle in der „Umsiedlungs- und Germanisierungs“-Politik des NS-Regimes inne272. Dem Spezialisten für die Deutschen in der Sowjetunion, über die er in den 1920er-Jahren geforscht hatte, wurde im Oktober 1933 im Außenpolitischen Amt der NSDAP die Leitung der Abteilung Osten (ab 1939 Amt Osten) übertragen. Als 1941 unter Alfred Rosenberg das Reichsministerium für die besetz267 Vgl. G.  Leibbrandt, Report on my Fellowship Activities, 8.  Januar 1934, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 38. 268 Vgl. Brief von W. Gustloff an den Stabsleiter der Aufnahme-Abteilung der NSDAP, 17. September 1933, in BAB, BDC-Unterlagen, PK H0080, Georg Leibbrandt, Blatt 934. 269 Brief von G. Leibbrandt an die NSDAP, Reichsleitung, 20. Juni 1933, in BAB, BDC-Unterlagen, PK H0080, Georg Leibbrandt, Blatt 940–942. 270 Vgl. Brief von W. Gustloff an den Stabsleiter der Aufnahme-Abteilung der NSDAP, 17. September 1933, in BAB, BDC-Unterlagen, PK H0080, Georg Leibbrandt, Blatt 934. 271 Brief der Aufnahme-Abteilung der NSDAP an W. Gustloff, 30. September 1933, in BAB, BDCUnterlagen, PK H0080, Georg Leibbrandt, Blatt 944. 272 Vgl. Thiel, Jens, Der Lehrkörper der Friedrich-Wilhelms-Universität im Nationalsozialismus, in Vom Bruch, Rüdiger; Grüttner, Michael (Hgg.), Geschichte der Universität Unter den Linden, Die Berliner Universität zwischen den Weltkriegen 1918–1945, Bd. 2, Berlin, 2012, S. 526 (Im Folgenden zitiert als Thiel, Der Lehrkörper).

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ten Ostgebiete eingerichtet wurde, wurde Leibbrandt die Hauptabteilung I (Politische Abteilung) unterstellt273. Er war damit für die Abteilungen Allgemeine Politik, Ukraine, Ostland, Kaukasus, Russland und Kultur und Presse verantwortlich274. Der ehemalige RF-Stipendiat teilte Rosenbergs Antisemitismus und Antibolschewismus275. Nach dem deutschen Überfall auf die Sowjetunion beteiligte er sich an den Kulturraubaktionen des „Einsatzstabes Rosenberg“276. Als Teilnehmer der am 20. Januar 1942 stattfindenden Wannsee-Konferenz war Leibbrandt direkt an der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik beteiligt277. Zwischen 1941 und 1943 war ihm das etwa 80-köpfige „Sonderkommando Karl Stumpp“ unterstellt, das hinter der osteuropäischen Frontlinie in unmittelbarem Anschluss an die Massenmorde durch die Einsatzgruppen C und D des SD278 umfangreiche demographische, kulturelle und „rassische“ Erhebungen durchführte279. Schmaltz und Sinner haben eine Vielzahl von Quellen zusammengetragen, die von Leibbrandts Rolle in den nationalsozialistischen Verbrechen, etwa der Anordnung von Massenerschießungen, zeugen280. Der ehemalige Stipendiat fungierte als Kontaktperson zu den Deutschen im Osten, bis er Mitte des Jahres 1943 von der SS aus 273 Vgl. Fleischhauer, Ingeborg, Das Dritte Reich und die Deutschen in der Sowjetunion (Schriftenreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 46), Stuttgart, 1983, S. 48 (Im Folgenden zitiert als Fleischhauer, Das Dritte Reich). 274 Vgl. Schaller, Helmut, Der Nationalsozialismus und die slawische Welt, Regensburg, 2002, S. 111 (Im Folgenden zitiert als Schaller, Der Nationalsozialismus). 275 Vgl. Piper, Ernst, Alfred Rosenberg. Hitlers Chefideologe, München, 2005, S. 292 (Im Folgenden zitiert als Piper, Alfred Rosenberg). Zu Rosenbergs Zusammenarbeit mit Sozialwissenschaftlern siehe Klingemann, Carsten, Sozialwissenschaftler im Einflußbereich Alfred Rosenbergs, in Jahrbuch für Soziologie-Geschichte 1993 (1995), S. 115–160. 276 Vgl. Thiel, Der Lehrkörper, S. 526. 277 Vgl. Schmaltz, Eric J.; Sinner, Samuel D., The Nazi Ethnographic Research of Georg Leibbrandt and Karl Stumpp in Ukraine, and Its North American Legacy, in Haar, Ingo; Fahlbusch, Michael (Hgg.), German scholars and ethnic cleansing, 1919–1945, New York, 2005, S. 52 (Im Folgenden zitiert als Schmaltz et al., The Nazi Ethnographic Research). An den nachfolgenden Besprechungen zur Durchführung der Beschlüsse nahm Leibbrandt nicht teil. Vgl. Fleischhauer, Das Dritte Reich, S. 130, Piper, Alfred Rosenberg, S. 592. 278 Vgl. Klingemann, Soziologie und Politik, S.  237. Dort auch weitere Informationen zur Diskussion, inwieweit die Dorfberichte eine indirekte Beteiligung an Massenvernichtungsmaßnahmen darstellten. Vgl. ebd., S. 237–241. 279 Vgl. Schmaltz, Eric J., Georg Leibbrandt, in Haar, Ingo; Fahlbusch, Michael (Hgg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München, 2008, S. 370–371 (Im Folgenden zitiert als Schmaltz, Georg Leibbrandt). Siehe auch Sinner, Samuel D., Sonderkommando Dr. Stumpp, in Haar, Ingo; Fahlbusch, Michael (Hgg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München, 2008, S. 648. 280 Vgl. Schmaltz et al., The Nazi Ethnographic Research, S. 66–68.

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seinen Ämtern gedrängt wurde281. Er war durch seine proukrainische Einstellung in Ungnade gefallen282. Leibbrandt meldete sich zum Kriegsdienst und wurde in die Marine übernommen283. Für seine Beteiligung an den NS-Verbrechen wurde er in der Nachkriegszeit nicht zur Rechenschaft gezogen284. In den USA hatte Leibbrandt den Stipendiaten Emil Meynen kennengelernt285, mit dem er in der Zeit des Nationalsozialismus eng zusammenarbeitete. Meynen meldete Fehling im Januar 1933, er sei „zurück im Reich“286. 1934 wurde er zum Geschäftsführer der Volksdeutschen Forschungsgemeinschaft ernannt287, er arbeitete außerdem als Redakteur am „Handwörterbuch des Grenz- und Auslandsdeutschtums“ mit288. 1935 schickte er Fehling seinen programmatischen Aufsatz mit dem Titel „Völkische Geographie“289. 1937 trat er nach Aufhebung der Eintrittssperre der NSDAP bei290, im folgenden Jahr war Meynen an der Ausarbeitung der neuen

281 Vgl. ebd., S. 55. Siehe auch Gutsul, Nazarii, Der Einsatzstab Reichsleiter Rosenberg und seine Tätigkeit in der Ukraine (1941–1944). Dissertation, Gießen, 2013 (online verfügbar unter: http://geb. uni-giessen.de/geb/volltexte/2014/11002/, zuletzt eingesehen am 14.  Dezember 2018), S.  94, 289. Leibbrandt vertrat zur Verwaltung des Baltikums andere Ansichten als die SS. Vgl. Jüngerkes, Sven, Sinnstiftungsprozesse einer Verwaltung im Niedergang: Reformversuche im Reichskommissariat Ostland 1943–1944, in Haas, Stefan; Hengerer, Mark (Hgg.), Im Schatten der Macht. Kommunikationskulturen in Politik und Verwaltung 1600–1950, Frankfurt am Main, 2008, S. 266. 282 Piper, Alfred Rosenberg, S. 563. Leibbrandt hatte sich, wie bereits in den USA, für die Mennoniten in der Ukraine interessiert, die die SS aufgrund ihres Pazifismus ablehnte. Vgl. Schmaltz, Georg Leibbrandt, S. 372. 283 Vgl. Schaller, Der Nationalsozialismus, S. 111. 284 Vgl. Thiel, Der Lehrkörper, S. 526. Die Staatsanwaltschaft beim Landgericht Nürnberg eröffnete 1950 ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf mehrfachen Mord, das eingestellt wurde. Vgl. Heilmann, H. D., Das Kriegstagebuch des Diplomaten Otto Bräutigam, in Aly, Götz; Chroust, Peter; Heilmann, H. D.; Langbein, Hermann (Hgg.), Biedermann und Schreibtischtäter. Materialien zur deutschen Täter-Biographie, Berlin, 1987, S. 167. 285 Vgl. Fahlbusch, Michael, „Wo der deutsche  …  ist, ist Deutschland!“: Die Stiftung für Deutsche Volks- und Kulturbodenforschung in Leipzig 1920–1933 (Abhandlungen zur Geschichte der Geowissenschaften und Religion-Umwelt-Forschung Beiheft 6), Bochum, 1994, S. 145 (Im Folgenden zitiert als Fahlbusch, „Wo der deutsche …“). 286 Brief von E. Meynen an A. W. Fehling, 4. Januar 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 32. 287 Vgl. Fahlbusch, Michael, Wissenschaft im Dienst der nationalsozialistischen Politik? Die „Volksdeutschen Forschungsgemeinschaften“ von 1931–1945, Baden-Baden, 1999, S. 131 (Im Folgenden zitiert als Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst). 288 Vgl. Thiel, Der Lehrkörper, S. 526. Vgl. Fahlbusch, „Wo der deutsche …“, S. 130–137. 289 Vgl. Brief von A. W. Fehling an E. Meynen, 16. Dezember 1935, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 44. Meynen, Emil, Völkische Geographie, in Geographische Zeitschrift 41 (1935), S. 435– 441. Vgl. Haar, Historiker im Nationalsozialismus, S. 257 und Fahlbusch, Emil Meynen, S. 423. 290 Vgl. Haar, Historiker im Nationalsozialismus, S. 297.

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Grenzen der Tschechoslowakei im Rahmen des Münchener Abkommens beteiligt291. Der ehemalige RF-Stipendiat wurde einer von Leibbrandts engsten Mitarbeitern im Ministerium und an der Auslandswissenschaftlichen Fakultät, an der Meynen ab 1936 als Privatdozent und ab 1942 als außerplanmäßiger Professor für Geographie tätig war292. Ursprünglich als Editionsprojekt der von Leibbrandt in den 1920erJahren zusammengetragenen Quellen zur Geschichte der Russlanddeutschen gedacht, wurde 1937 die unter Meynens Leitung stehende „Sammlung Georg Leibbrandt“ gegründet, deren Name 1942 in „Publikationsstelle Ost“ der „Osteuropäischen Forschungsgemeinschaft“ geändert wurde. Nach dem Angriff auf die Sowjetunion und der Besetzung der Ukraine wurde sie zu einer wichtigen Anlaufstelle der Besatzungspolitik, indem sie umfangreiche Studien, Karten und aufbereitete russlanddeutsche Materialien zur Verfügung stellte293. Von 1939 bis 1940 war der ehemalige RF-Fellow Frontsoldat, wurde aber aus dem Wehrdienst entlassen, um die Leitung der Abteilung Landeskunde im Reichsamt für Landeskunde und der Kommission für den historischen Atlas Europas zu übernehmen. Außerdem beriet Meynen das Reichsministerium des Inneren und das Auswärtige Amt in Mitteleuropafragen. Er war mit der Ausarbeitung vertraulicher Gutachten zu deutschen Sprachinseln in Ost- und Südosteuropa befasst294, die für die „Umvolkung“ und Umsiedlung von Bevölkerungsgruppen benutzt wurden295. Nach 291 Vgl. Fahlbusch, Emil Meynen, S. 424. Die Annexion Österreichs und des Sudetenlands bereitete er durch Artikel im NS-Schulungsbrief der NSDAP vor. Vgl. Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst, S. 134. 292 Vgl. Thiel, Der Lehrkörper, S. 526. Vgl. Fahlbusch, „Wo der deutsche …“, S. 130–137. 293 Vgl. Fahlbusch, Michael, Im Dienste des Deutschtums in Südosteuropa: Ethnopolitische Berater als Tathelfer für Verbrechen gegen die Menschlichkeit, in Beer, Mathias; Seewann, Gerhard (Hgg.), Südostforschung im Schatten des Dritten Reiches: Institutionen, Inhalte, Personen, München, 2004, S. 180. Inwieweit die Berichte in direkter Verbindung zu Mordaktionen stehen, wird kontrovers diskutiert. C. Klingemann sieht in den „Dorfberichten“ die Einleitung einer „Wende zur empirischen Sozialforschung und damit zur Modernisierung der tradierten Geschichtsschreibung“. Klingemann, Soziologie und Politik, S. 239. Vgl. Haar, Historiker im Nationalsozialismus, S. 354. Siehe auch Herb, Guntram Henrik, Under the Map of Germany. Nationalism and Propaganda 1918–1945, London, New York, 1997, S. 145 (Im Folgenden zitiert als Herb, Under the Map of Germany), Landau, Julia, Publikationsstelle Ost/Sammlung Georg Leibbrandt, in Haar, Ingo; Fahlbusch, Michael (Hgg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München, 2008, S. 486 und Camphausen, Gabriele, Die wissenschaftliche historische Rußlandforschung im Dritten Reich 1933–1945, Frankfurt am Main, 1990, S. 218–220. 294 Vgl. Fahlbusch, „Wo der deutsche  …“, S.  147. Siehe auch Rössler, Mechtild, „Wissenschaft und Lebensraum“. Geographische Ostforschung im Nationalsozialismus. Ein Beitrag zur Disziplingeschichte der Geographie (Hamburger Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 8), Berlin, Hamburg, 1990, S. 112–133 und Herb, Under the Map of Germany, S. 145. 295 Vgl. Fahlbusch, Emil Meynen, S. 425.

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Ende des Zweiten Weltkriegs stellte Meynen seine Kenntnisse der amerikanischen Armee zur Verfügung, zwischen August 1946 und Mai 1947 wurde er zur politischen Überprüfung von den Briten interniert. 1953 konnte er seine Karriere als Leiter der Bundesforschungsanstalt für Landeskunde und Raumordnung fortsetzen. Er wurde mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland und der Alexandervon-Humboldt-Medaille in Gold der Universität Bonn ausgezeichnet296. Auch der gebürtige Österreicher Hermann Raschhofer, manchmal als „einer der schillerndsten Juristen des 20. Jahrhunderts“297 bezeichnet, war Anhänger des Nationalsozialismus. Als RF-Stipendiat arbeitete er von Dezember 1931 bis November 1933 in Italien und Frankreich298 zum Thema „The notion of intervention and nonintervention in international law“299. In einem der Gutachten, die Fehling im Rahmen des Bewerbungsprozesses eingeholt hatte, wurde er als „nationaler Deutscher, aber gebildet und erfahren genug, um sich von jedem Radikalismus und von blinder politischer Leidenschaft fernzuhalten“300 charakterisiert. 1933 begrüßte er die NSMachtübernahme und vertrat in seinen Publikationen antisemitische und „großdeutsche“ Standpunkte301. Zwischen 1936 und 1938 war Raschhofer Mitglied der illegalen NSDAP Österreichs302, er trat auch dem NS-Juristenbund und dem NSD-Dozentenbund bei303. In seinen Forschungen zum Minderheitenrecht bekämpfte er die liberale Minderheitenpolitik des Völkerbundes304. 1936 definierte er das Nationalitätenrecht völkisch, wobei er unter Nationalität eine „völkische Gruppe, die den Einzelnen als Glied einer Teilgruppe von den übrigen Staatsangehörigen unterscheidet“305 verstand. 296 Vgl. Fahlbusch, „Wo der deutsche  …“, S.  149. Siehe auch Fahlbusch, Wissenschaft im Dienst, S. 135–137. 297 Weger, Tobias, Hermann Raschhofer, in Haar, Ingo; Fahlbusch, Michael (Hgg.), Handbuch der völkischen Wissenschaften. Personen – Institutionen – Forschungsprogramme – Stiftungen, München, 2008, S. 505 (Im Folgenden zitiert als Weger, Hermann Raschhofer). 298 Vgl. Salzborn, Samuel, Geteilte Erinnerung: die deutsch-tschechischen Beziehungen und die sudetendeutsche Vergangenheit, Frankfurt am Main, 2008, S. 39 (Im Folgenden zitiert als Salzborn, Geteilte Erinnerung). 299 H. Raschhofer, Personal History Record, 14. März 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 25. 300 H. Gerber, Gutachten zu H. Raschhofer, 6. Februar 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 24. 301 Vgl. Weger, Hermann Raschhofer, S. 505. 302 Vgl. ebd. 303 Vgl. Salzborn, Geteilte Erinnerung, S. 48. 304 Vgl. ebd., S. 39. 305 H.  Raschhofer, Nationalität als Wesen und Rechtsbegriff. Sonderdruck aus 25  Jahre Kaiser Wilhelm-Gesellschaft, Berlin 1937, S. 16 und 20, zitiert in Salzborn, Geteilte Erinnerung, S. 45. Siehe auch Pinwinkler, Alexander, ‚Bevölkerungssoziologie‘ und Ethnizität: Historisch-demografische Minderheitenforschung in Österreich, ca. 1918–1938, in Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 57 (2009), S. 107–109.

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Die RF förderte seine Studien zu Minderheitenproblemen in Ost- und Mitteleuropa mit „grants-in-aid“ von 1200 Dollar im Jahr 1936 und 850 Dollar im Jahr 1937306. Nach einem Gespräch mit Raschhofer in Berlin im April 1936 schätzte Kittredge dessen Standpunkt, unter frappierender Nichtbeachtung der politischen Implikationen seiner Arbeiten, als „moderate and objective“ ein. Seine Studie „would be a definite research of methods of peaceful adjustment of the very difficult problem of German claims in respect to the German minorities in countries of Eastern Europe“. Grenzverschiebungen lehne Raschhofer mit Ausnahme Österreichs, dessen Anschluss an Deutschland von beiden Bevölkerungen gewollt werde, ab, so Kittredge307. 1937 habilitierte sich Raschhofer an der Berliner Universität mit der Arbeit „Der politische Volksbegriff im modernen Italien“308. Der Abschluss seiner von der RF geförderten Arbeiten verzögerte sich durch Krankheit und eine von ihm übernommene Vertretung in Göttingen. Dann erfolgten „die politischen Ereignisse, an denen [er] zum Teil juristisch mitzuarbeiten hatte“, wie er Kittredge am 4. August 1939 informierte. Durch die erfolgten „Gebietsveränderungen“ sei die geplante Arbeit nicht mehr möglich, als Alternative schlug er einen „kritische[n] Überblick auf das MinderheitenSchutzsystem“ vor, oder „eine Arbeit, die sich mit den Hauptetappen der Entwicklung des modernen Volksbegriffes in Mitteleuropa beschäftigt“309. Kittredge überließ ihm die Entscheidung: „I think you know, the Foundation does not itself presume to judge the character of publications which scholars receiving grants from the Foundation for research wish to issue“. Von Interesse sei vielleicht, fügte der Officer hinzu, eine überblicksartige und historische Beschreibung der Stellung der Minderheiten in Ost- und Mitteleuropa und eine Darstellung der Bemühungen, diese mit internationalen Garantien zu schützen310. Raschhofers Arbeiten wurden in Deutschland propagandistisch genutzt, er war außerdem geheimdienstlich für das NS-Regime tätig. Spätestens ab 1941 unternahm der Völkerrechtler Reisen in die Slowakei und verfasste politische Lageberichte und Stellungnahmen. Im Herbst 1944 war er als „politischer Berater“ eines Waffen-SS Obergruppenführers an der Niederschlagung eines Aufstands in der Slowakei beteiligt311. Noch im Frühjahr 1945 schrieb er einen Aufsatz mit dem Titel „Europäischer 306 Vgl. H. Raschhofer, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 307 T. B. Kittredge, Interview mit Raschhofer, Berlin, 6. April 1936, in RAC, RG 1.1 Projects 717 (Germany) box 21, folders 189. 308 Vgl. Salzborn, Geteilte Erinnerung, S. 47. 309 Brief von H. Raschhofer an T. B. Kittredge, 5. August 1939, in RAC, RG 1.1 Projects 717 (Germany) box 21, folders 189. 310 Brief T. B. Kittredge an H. Raschhofer, 7. August 1939, in RAC, RG 1.1 Projects 717 (Germany) box 21, folders 189. 311 Vgl. Salzborn, Geteilte Erinnerung, S. 50.

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Nationalismus“ für die zu Ehren von Hitlers Geburtstag geplante März/April-Ausgabe der Zeitschrift „Böhmen und Mähren“. Am Ende des Kriegs fand er in kirchlichen Kreisen in Mailand Zuflucht. Zu einem Ermittlungsverfahren gegen ihn kam es in der Nachkriegszeit nicht. 1952 erhielt er eine Professur an der Universität Kiel, drei Jahre später ging er als ordentlicher Professor nach Würzburg312. Der ehemalige LSRM-Fellow Gerhard Mackenroth, der von 1928 bis 1931 im Rahmen seines Stipendiums in Schweden und England gewesen war, näherte sich dem Nationalsozialismus schrittweise an. Im Februar 1932 schrieb er Fehling: „Es tut sich was in Deutschland, bei dem ich mittun möchte, das ist mir sympathischer als die bourgeoise Vergreisung der Westnationen“313. Im gleichen Jahr erhielt er seinen ersten Lehrauftrag als Privatdozent in Halle. Dort beteiligte er sich an der Organisation des freiwilligen Arbeitsdienstes der Universität314. In seinem 1933 in Stockholm veröffentlichten Buch „Tysklands ungdom i revolt“315 („Deutschlands Jugend revoltiert“), das auf einem 1932 vor schwedischem Publikum gehaltenen Vortrag mit dem Titel „Die politischen Fronten und das junge Deutschland“ beruhte, wollte Mackenroth um „Verständnis werben für die deutsche Situation im Auslande“. Er bezeichnete die Publikation als „sehr politisch“, da er auch „die heikelsten Dinge“ wie den Antisemitismus anspreche. Erst nach langen Überlegungen entschied er sich für eine Veröffentlichung unter eigenem Namen316. Das Buch zeigte einerseits Mackenroths Sympathien für die NS-Bewegung, aber auch eine gewisse Skepsis gegenüber der NSDAP, deren Programm ihm zu beliebig interpretierbar erschien und deren Führerkult er ablehnte317. Im Antisemitismus sah Mackenroth hauptsächlich eine Formel, es sei „absurd zu glauben, dass es eine jüdische und eine deutsche Rasse gäbe“318. 312 Vgl. ebd., S. 54. 313 Brief von G. Mackenroth an A. W. Fehling, 10. Februar 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 60. 314 Vgl. Henßler, Patrick, Rassenparadigma und Sozialhygiene in Gerhard Mackenroths wissenschaftlichen Arbeiten und Vorlesungen der Jahre 1933–1943, in Historical Social Research 31 (2006), S. 103 (Im Folgenden zitiert als Henßler, Rassenparadigma). 315 Mackenroth, Gerhard, Tysklands ungdom i revolt, Stockholm, 1933. Vgl. Henßler, Patrick; Schmid, Josef, Bevölkerungswissenschaft im Werden: Die geistigen Grundlagen der deutschen Bevölkerungssoziologie, Wiesbaden, 2007, S. 161, 166–170. 316 Brief von G. Mackenroth an A. W. Fehling, 7. Oktober 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 60. 317 Vgl. Henßler, Abgrenzung, Anbiederung, S. 146. Siehe auch Gutberger, Hansjörg, Bevölkerung, Ungleichheit, Auslese. Perspektiven sozialwissenschaftlicher Bevölkerungsforschung in Deutschland zwischen 1930 und 1960, Wiesbaden, 2006, S.  115 (Im Folgenden zitiert als Gutberger, Bevölkerung, Ungleichheit). 318 Mackenroth, Tysklands ungdom i revolt, S. 131 ff., zitiert in Henßler, Abgrenzung, Anbiederung, S. 151.

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Im Februar 1933 schrieb Mackenroth an Fehling, das „dritte Reich“ habe er sich „ja ein bisschen anders vorgestellt“. Mit einem Freund habe er einen „Fördererkreis für mitteldeutsche Arbeitslager“ ins Leben gerufen, in den Lagern organisierten sie die Freizeitgestaltung, „d.  h. wir hetzen die Leute auf für eine sozialistische Realpolitik“319. Im März 1933 unterzeichnete er das „Bekenntnis der Professoren an den deutschen Universitäten und Hochschulen zu Adolf Hitler und dem nationalsozialistischen Staat“320. Im April bemerkte er jedoch gegenüber Fehling: Und wie lange man dem neuen Regime noch genehm ist, weiss man auch nicht. Wenn man mich mit ‚Heil Hitler!‘ anspricht, so pflege ich ‚Grüss Gott!‘ zu antworten, und das ist ein Grund – da sie mich zum Juden nicht gut machen können–, einen vielleicht einmal als Marxisten zu verschreien. Und dann winkt ja bekanntlich das Dachauer Lager und ein solider Skat mit Genosse Thälmann321.

Im Mai 1933 teilte Mackenroth Fehling schließlich mit, er sei jetzt „aus ehrlicher Überzeugung“322 der NSDAP beigetreten. Im April, so berichtete er, sei er wegen der Vertretung für Schumpeter in Bonn ins Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung gebeten worden323 und habe sich dort mit dem Personalreferenten Johann Daniel Achelis324 getroffen. Da Mackenroth nicht nach Bonn wollte, einigten sie sich auf Marburg. Am Ende des Gesprächs habe er bemerkt, dass er kein Parteimitglied sei, woraufhin Achelis ihm versichert habe, dies mache „in Hochschuldingen nicht den geringsten Unterschied“. Diese Haltung habe ihm den Beitritt erleichtert. Nachdem „die ganzen lahmen Enten der Hochschulkarriere und die Geheimräte in die Partei“ strömten, fürchtete Mackenroth außerdem um sein „Lieblingskind“, den Arbeitsdienst. Im Kultusministerium säßen fähige Leute: „… da soll man mitmachen, damit diese Erfolg haben u. sich durchsetzen“325. In der NSDAP nahm Mackenroth später die Funktion eines Blockwarts ein326, 1934 trat er auch der Reiter-SA bei327. 319 Brief von G. Mackenroth an A. W. Fehling, 7. Februar 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 60. 320 Vgl. Henßler, Rassenparadigma, S. 106. Siehe auch Schroeter, Zwischen Anpassung und Widerstand, S. 325. 321 Brief von G. Mackenroth an A. W. Fehling, 4. April 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 60. 322 Brief von G. Mackenroth an A. W. Fehling, 10. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 60. 323 Vgl. ebd. 324 Vgl. Neumann, Alexander, Physiologie, in Eckart, Wolfgang Uwe; Sellin, Volker; Wolgast, Eike (Hgg.), Die Universität Heidelberg im Nationalsozialismus, Berlin, Heidelberg, 2006, S. 675. 325 Brief von G. Mackenroth an A. W. Fehling, 10. Mai 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 60. 326 Vgl. Gutberger, Bevölkerung, Ungleichheit, S. 105. 327 Vgl. Henßler, Abgrenzung, Anbiederung, S. 147.

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In Marburg erhielt Mackenroth die Stelle des aus politischen Gründen beurlaubten Nationalökonomen Wilhelm Röpke328, im November 1934 ging er als Extraordinarius nach Kiel329. Ende des Jahres 1936 schien seine Karriere jedoch zu einem Stillstand zu kommen. Seine weltanschaulichen Ansichten riefen bei Kollegen und in der NSDAP Kritik hervor, der NSD-Dozentenbund sprach sich gegen die Vergabe eines Ordinariats aus. 1941 nahm Mackenroth einen Ruf an die Reichsuniversität Straßburg an330. In seinen Vorlesungen zu „Bevölkerungslehre, Bevölkerungspolitik und Rasserecht“ im Sommersemester 1942 befürwortete er die Verhinderung der Fortpflanzung sogenannter „Minderwertiger“. Die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ nannte er „die radikalste und sicherste Form“ des Vorgehens bei „der Ausschaltung von Blutströmen im Innern des deutschen Volkes“. Ihre Zielsetzung sei, so Mackenroth, jedoch „in unserer aus christlichen Vorstellungen erwachsenen Sozialmoral noch nicht möglich“ und „gesetzlich nicht statthaft“331. Mackenroth verlor 1945 bei den Bombenangriffen auf Dresden seine Familie332. Nach Durchlaufen eines Entnazifizierungsverfahrens konnte er seine wissenschaftliche Karriere in der Nachkriegszeit bis zu seinem Tod 1955 fortsetzen333. Ein überzeugter Nationalsozialist war auch Josef Back, der 1929/1930 ein Jahr in den USA verbracht hatte, um dort das Thema „American trusts and holding companies“ zu bearbeiten334. 1933 trat er in die NSDAP ein und schloss sich ebenfalls der SA und dem NS-Juristenbund an335. Von den Parteistellen wurde ihm zwar anfangs vorgeworfen, er sei vor der Machtübernahme politisch kaum hervorgetreten 328 Vgl. Henßler, Rassenparadigma, S. 103. 329 Er übernahm die Stelle von Jens Jessen, vgl. Henßler, Rassenparadigma, S. 108. 330 Vgl. Henßler, Rassenparadigma, S. 110–112. 331 G.  Mackenroth, Vorlesung Bevölkerungslehre, Bevölkerungspolitik und Rasserecht, Sommersemester 1942, Nachlass Mackenroth, Bamberg, zitiert in Henßler, Patrick, Gerhard Mackenroth: „Deutsches Wirtschaftsleben“ – Die Darstellung einer „Begründungskette“ zwischen Rasse und Wirtschaft, in Ehmer, Josef; Ferdinand, Ursula; Reulecke, Jürgen (Hgg.), Herausforderung Bevölkerung. Zu Entwicklungen des modernen Denkens über die Bevölkerung vor, im und nach dem „Dritten Reich“, Wiesbaden, 2007, S. 219–221. 332 Seine Frau und die drei Kinder kamen um. Das daraufhin gebrochene Verhältnis zu den USA löste sich, laut Bolte, erst am Ende seines Lebens allmählich auf. Vgl. Bolte, Gerhard Mackenroths Wissenschaftsposition, Arbeitsschwerpunkte und Arbeitssituation – Informationen zur Entstehung der Bevölkerungslehre, S. 34. 333 Vgl. G. Mackenroth, Fellowship Card, in RAC-RF, RG. 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 334 Vgl. J. Back, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 335 Vgl. Rauchenschwandtner, Hermann, Soziale Erkenntniskritik, Wesenswirtschaft und nationalsozialistische Weltanschauung mit besonderer Berücksichtigung von Josef Back, in Goldschmidt, Nils (Hg.), Wirtschaft, Politik und Freiheit. Freiburger Wirtschaftswissenschaftler und der Widerstand, Tübingen, 2005, S. 206 (Im Folgenden zitiert als Rauchenschwandtner, Soziale Erkenntniskritik).

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und nur aus praktischen Erwägungen in die Partei eingetreten. 1937 bescheinigte der Führer des SD-Unterabschnitts Baden jedoch, Back habe sich dann „durch Herausstellen seines Willens zur eifrigen und tätigen Mitarbeit das Vertrauen dieser Stellen allmählich“ erwerben können. Er werde heute „als politisch zuverlässig bewertet“ und habe seine nationalsozialistische Haltung auch durch die „Ausrichtung seiner wissenschaftlichen Arbeit nach den nationalsozialistischen Zielen“ untermauert. Eine Einsetzung auf einen ordentlichen Lehrstuhl wurde befürwortet336. Noch im selben Jahr erfolgte die Berufung als planmäßiger außerordentlicher Professor nach Königsberg. 1940 ging Back an die Universität Innsbruck337. Der Wirtschaftswissenschaftler Wilhelm Kromphardt, der im Dezember 1933 nach einer zweijährigen Stipendienzeit in den USA nach Deutschland zurückkehrte und Anfang 1934 einen Lehrauftrag an der Universität Münster annahm, trat 1934 dem NS-Lehrerbund bei. 1935 wurde ihm vorgeworfen, er habe sich im März 1933 an einem in der Washington Times abgedruckten Telegramm an Hitler beteiligt, das sich unter anderem gegen die Entlassung Albert Einsteins aussprach. Kromphardt bestritt die Vorwürfe und erhielt von der Washington Times eine Bestätigung. Er engagierte sich in mehreren NS-Organisationen wie der NS-Dozentenschaft der Universität, dem NS-Rechtswahrerbund, der NS-Kriegsopferversorgung und dem Reichsluftschutzbund und trat 1937 der NSDAP bei. Im gleichen Jahr übernahm er eine Lehrstuhlvertretung, 1938 wurde er planmäßiger außerordentlicher und 1941 ordentlicher Professor an der Universität Rostock338. Der Romanist Harri Meier hatte seine Stipendienzeit 1929/1930 in Frankreich verbracht. 1933 trat er der SA und 1938 der NSDAP bei. An der Universität Rostock konnte er seine Karriere als Lektor, Dozent und 1936 als Lehrstuhlvertreter fortsetzen, bis er 1940 auf den Wartburg-Lehrstuhl in Leipzig berufen wurde. Von den Parteistellen und der Dozentenschaft erhielt er positive Beurteilungen, er habe sich stets bemüht, sich für den Nationalsozialismus einzusetzen. Meier pflegte Kontakte ins faschistische Spanien und Italien, 1943 wurde er Präsident des Deutschen Kulturinstituts in Lissabon339. Auch Erich Wohlfahrt340 und Karl Heinz 336 Brief des Führers des SD-Unterabschnitts Baden an NSDAP Gauleitung, Gaupersonalamt, 27. Februar 1937, in BAB, BDC-Unterlagen, PK A0103, Josef Back, Blatt 2664. 337 Vgl. Rauchenschwandtner, Soziale Erkenntniskritik, S. 209. 338 Vgl. Buddrus et al., Die Professoren, S. 244–245. 339 Vgl. Franzbach, Martin, Materialien zur Geschichte der Iberoromanistik im Dritten Reich, in Iberoamericana 14 (1990), S. 18, 21–22. Meier selbst betonte in einem Interview im September 1982 die Denunziationen, denen er im Sommersemester 1933 ausgesetzt gewesen sei und die Schwierigkeiten, eine Dozentur zu erhalten. Vgl. Meier, Harri, Stationen seines Lebens und Wirkens. Hamburg – Rostock – Leipzig – Lissabon – Heidelberg – Bonn. Interviews mit Willi Hirdt, Köln, 2005, S. 32, 35. 340 Vgl. Wolfradt, Art. Erich Wohlfahrt, S. 488.

Nach der Stipendienzeit

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Pfeffer341 verfolgten ihre Karrieren im NS-Regime weiter. Otto Kühne war bereits 1932 der NSDAP beigetreten342, Erich Schneider trat der Partei am 1. Mai 1933 bei343. Der ehemalige Stipendiat Otto Brok trat 1934 in die SS ein. Dort bekleidete er 1936 den Rang eines SS-Unterscharführers344. Gottfried Pfeifer345, Harald Fick346 und Konrad Mellerowicz347 waren seit 1933 SA-Männer und seit 1937 NSDAPMitglieder, Walther Hoffmann wurde Politischer Leiter der NSDAP348. Heinz von Trützschler, ebenfalls ein NSDAP-Mitglied, verfolgte seine diplomatische Karriere im Auswärtigen Amt weiter349. Woldemar Koch, der der nationalsozialistischen Freiheitsbewegung bereits Mitte der 1920er-Jahre beigetreten war, wurde Mitglied im NS-Lehrerbund, im Bund Deutscher Osten und in der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt350. Der Anthropologe Günter Wagner, der seine Stipendienzeit von 1932 bis 1934 in den USA und Großbritannien verbracht hatte, bewarb sich von London aus um Stellen im Ausland. Als diese Versuche scheiterten, entschloss er sich 1938/39 zur Rückkehr nach Deutschland. In London bewarb er sich bei der NSDAP Auslandsorganisation um die Parteimitgliedschaft, bevor er im Frühjahr 1939 nach Deutschland zurückkehrte. Im Dezember des Jahres wurde er Mitarbeiter der Antisemitischen Aktion des Propagandaministeriums in Berlin, nachdem sein Antrag auf ein Habilitationsstipendium abgelehnt worden war. Bis 1945 war Wagner in verschiedenen nationalsozialistischen Ministerien und Parteiinstitutionen tätig351, als Referent für 341 Vgl. Brief von K. H. Pfeffer an A. W. Fehling, 10. September 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 40. Pfeffer schreibt als SA-Mann aus der SA Sportschule Dambritsch in Schlesien (Beitritt im November 1933). 1937 trat er in die NSDAP ein. Vgl. Karl Heinz Pfeffer, HochschullehrerKartei, in BAB, R 4901/13273 Kartei Hochschullehrer. 342 Vgl. Otto Kühne, Hochschullehrer-Kartei, in BAB, R 4901/13269 Kartei Hochschullehrer. Er gab an, seit November 1931 inoffizielles Mitglied der NSDAP gewesen zu sein. 343 Vgl. Schultes, Die Staats- und Wirtschaftswissenschaftliche Fakultät, S. 600. 344 Vgl. Otto Brok, Hochschullehrer-Kartei, in BAB, R 4901/13260 Kartei Hochschullehrer. 345 Vgl. Gottfried Pfeifer, Hochschullehrer-Kartei, in BAB, R 4901/13273 Kartei Hochschullehrer. 346 Vgl. Harald Fick, Hochschullehrer-Kartei, in BAB, R 4901/13262 Kartei Hochschullehrer. 347 Vgl. Konrad Mellerowicz, Hochschullehrer-Kartei, in BAB, R 4901/13271 Kartei Hochschullehrer. Siehe auch Mantel, Peter, Betriebswirtschaftslehre und Nationalsozialismus: Eine institutionen- und personengeschichtliche Studie, Wiesbaden, 2009, S. 634 (Im Folgenden zitiert als Mantel, Betriebswirtschaftslehre). 348 Vgl. Walther Hoffmann, Hochschullehrer-Kartei, in BAB, R 4901/13266 Kartei Hochschullehrer. 349 Vgl. Bode, Matthias, Die auswärtige Kulturverwaltung der frühen Bundesrepublik. Eine Untersuchung ihrer Etablierung zwischen Norminterpretation und Normgenese, Tübingen, 2014, S. 356 (Im Folgenden zitiert als Bode, Die auswärtige Kulturverwaltung). 350 Vgl. Woldemar Koch, Hochschullehrer-Kartei, in BAB, R 4901/13268 Kartei Hochschullehrer. Bei Raehlmann heißt es jedoch, Kochs Mitgliedschaft in NS-Organisationen sei marginal gewesen. Vgl. Raehlmann, Arbeitswissenschaft, S. 83. 351 Vgl. Mischek, Leben und Werk, S. 78–79, 84.

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Erfahrungen und Erlebnisse

Kolonialpolitik im Propagandaministerium, beim Kolonialpolitischen Amt und in der Kolonialwissenschaftlichen Abteilung des Reichsforschungsrats. In die NSDAP wurde er 1940 aufgenommen, im gleichen Jahr wurde er an der Berliner Universität habilitiert und Dozent für Volkskunde in Tübingen. 1942 wurde er in eine der Propagandakompanien der Wehrmacht eingezogen352. Auf der Fellowship Card des Betriebswirts Hanns Linhardt, der von 1928 bis 1930 in den USA gewesen war, notierte die RF 1936, dieser sei zwar kein „Nazi“, doch genieße er große Unterstützung in Parteikreisen353. Linhardt hatte einerseits 1933 als einziger Teilnehmer in Zivilkleidung an einem Aufmarsch uniformierter Professoren teilgenommen und besuchte wiederholt seinen entlassenen jüdischen Lehrer Werner Friedrich Bruck in London, andererseits beteiligte er sich an den Schulungsarbeiten der Deutschen Arbeitsfront und übernahm Vorträge als Gaubeauftragter für das Arbeitswerk im NS-Rechtswahrerbund. Nach Konflikten an der Universität Münster und mit der NSDAP wurde er für das Wintersemester 1938/39 von seinen Vorlesungsverpflichtungen entbunden und arbeitete in den folgenden Jahren als freier Wirtschaftsberater354. Sein Antrag auf Aufnahme in die NSDAP wurde 1942 abgelehnt, da ihm unzureichendes Engagement für die Partei und kritische Äußerungen über Hitler vorgeworfen wurden355. Beachtet werden sollte bei der Beurteilung des politischen Engagements der aktiven und ehemaligen Stipendiaten ab 1933, dass auch der Widerstandskämpfer Arvid Harnack und der Kritiker des Nationalsozialismus Artur Sommer Mitglieder nationalsozialistischer Organisationen waren, sodass aus solchen Tatbeständen nicht unmittelbar auf die politischen Überzeugungen geschlossen werden kann. Die Korrespondenz der Stipendiaten mit Fehling und in einigen Fällen der RF zeigt allerdings deutlich, dass etliche Stipendiaten von der nationalsozialistischen Ideologie überzeugt waren und ihre wissenschaftliche Arbeit dem Regime bereitwillig zur Verfügung stellten. Fehling selbst scheint sich gegenüber den Stipendiaten über seine eigenen politischen Positionen weitgehend bedeckt gehalten und sich weder als überzeugter Nationalsozialist noch als Gegner des Regimes dargestellt zu haben. Berührungsängste mit dem Nationalsozialismus hatte er nicht.

352 Vgl. ebd., S. 113, 121. 353 Vgl. H. Linhardt, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 354 Vgl. Mantel, Betriebswirtschaftslehre, S. 178, 186–187. 355 Vgl. Beschluss des Kreisgerichts Münster-Warendorf II der NSDAP, 13. März 1942, in BAB, BDCUnterlagen, PK H160, H. Linhardt, Blatt 84.

Nach der Stipendienzeit

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Unterbrochene Karrieren, Ablehnung des Nationalsozialismus und Widerstand

Während einige der Stipendiaten, die wie August Lösch356 oder Otto Vossler357 dem Nationalsozialismus kritisch gegenüberstanden, in Deutschland blieben, zwang das NS-Regime viele Ex-Fellows in die Emigration. Egle, Kessler, Löwith, Strauss und Rheinstein kehrten am Ende ihrer Stipendienzeit nicht nach Deutschland zurück, andere emigrierten von Deutschland aus. Im Oktober 1933 informierte Fehling Van Sickle, dass nun auch Dietrich Gerhard, einer der besten Ex-Fellows, zu den „men available“ gehöre358. Die RF lehnte einen „grant-in-aid“ jedoch mit Blick auf seine unsicheren Zukunftsaussichten ab359. Gerhard nahm 1935 eine Gastprofessur in Harvard an und wurde 1936 Assistant Professor an der Washington University in St. Louis360. Auch Hedwig Tönniessen, Assistentin und Bibliothekarin am Institut für Sozial- und Staatswissenschaften in Heidelberg, die 1931 mit Konrad Neumann einen „nicht-arischen“ Mann geheiratet hatte, musste ihre Stelle im Oktober 1934 aufgeben361. Sie emigrierte 1938 mit ihrer Familie nach Australien362. Fritz Morstein Marx wurde eine Erneuerung seines Stipendiums im Oktober 1933 wegen seiner ungewissen Karriereperspektiven verweigert363. Er war von der Stadt Hamburg nach einer Denunziation beurlaubt worden und erwartete seine Entlassung364. 1933 emigrierte er in die USA. Alfred Vagts kehrte von einem 1932 begonnenen Studien356 Vgl. Mackensen, August Lösch – ein deutscher Bevölkerungswissenschaftler 1932–1945, S. 430. In der neueren Forschung wird jedoch auch betont, dass Löschs Schriften, etwa „Die räumliche Ordnung der Wirtschaft“ (1940), typische Themen nationaler und völkischer Wissenschaft enthalten. Vgl. Kegler, Karl R., Zwischen Abwanderungsängsten und Großraumphantasien – demographische Aporien der NS-Raumplanung im Osten (1941–1944), in Harlander, Tilman; Pyta, Wolfram (Hgg.), NS-Architektur: Macht und Symbolpolitik, Berlin, 22012 (2010), S. 229–230. A. Zottmann betont, Lösch habe wegen „seiner tiefen Verbundenheit zu seiner Heimat“ eine Professur an einer amerikanischen Universität abgelehnt. Vgl. Zottmann, Erinnerungen an August Lösch, S. 24. 357 Vgl. Memorandum J. M. Paine, 18. März 1948, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 8, folder 43. 358 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 10. Oktober 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 359 Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 24. Januar 1934, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 38. „I know that you will be disappointed and I share your disappointment“, fügte Van Sickle hinzu. Ebd. 360 Vgl. Ritter, Einleitung, S. 42. Bei Gerhard, der in den USA europäische Geschichte lehrte, verstärkte der Auslandsaufenthalt sein Interesse an Universalgeschichte und vergleichender Geschichte. Ebd. S. 43. 361 Vgl. Brintzinger, Die nationalsozialistische Gleichschaltung, S. 60. 362 Vgl. Eßlinger, Emil Lederer, S. 427. 363 Vgl. Brief von T.  B.  Kittredge an F.  Morstein Marx, 16.  Oktober 1933, in BAK, NL  1106 A. W. Fehling, Nr. 36. 364 Vgl. Brief von F. Morstein Marx an A. W. Fehling, 3. September 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 36.

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Erfahrungen und Erlebnisse

aufenthalt in London nicht nach Deutschland zurück, sondern emigrierte ebenfalls in die Vereinigten Staaten365. Friedrich Lutz wurde im NS-Regime wegen seiner liberalen Haltung ein Lehrstuhl verweigert366. In einem Gutachten für die Auslands­ organisation der NSDAP wurde er als „Typ eines Dozenten […], wie wir Nationalsozialisten ihn uns nicht wünschen“ bezeichnet367. Im August 1938 verließ der 31-jährige Freiburger Dozent Deutschland und emigrierte über England in die USA, wo er an der Princeton University eine Stelle annahm368. Er war dort zunächst als Instructor, dann als Assistant, Associate und ab 1947 als Full Professor tätig369. Die Juristin Magdalene Schoch gab zum 1. November 1937 ihre Stelle an der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg aus politischen Gründen auf. Sie war im November 1932 als erste Juristin in Deutschland habilitiert worden und hatte als Privatdozentin für Internationales Privat- und Prozessrecht, Rechtsvergleichung und Zivilprozessrecht gearbeitet. Als Mitbegründerin der Hamburger „Frauenfront“ engagierte sie sich gegen den Nationalsozialismus, verweigerte den „Hitler-Gruß“ und unterstützte ihre jüdischen und sozialdemokratischen Freunde. Sie lehnte es ab, die Namen der jüdischen Herausgeber und Autoren der „Amerika-Post“ zu verschweigen und widmete ihre 1934 veröffentlichte Habilitationsschrift dem emigrierten Mendelssohn Bartholdy370. Aus ihren verschiedenen Ämtern zog sie sich schrittweise zurück, nur ihre Lehrtätigkeit verfolgte sie weiter371.

365 Vgl. Wehler, Hans-Ulrich, Einleitung, in Wehler, Hans-Ulrich (Hg.), Alfred Vagts. Bilanzen und Balancen. Aufsätze zur internationalen Finanz und internationalen Politik, Frankfurt am Main, 1979, S. 9–10. 366 Vgl. Veit-Bachmann, Verena, Friedrich A. Lutz: Leben und Werk, in Vanberg, Viktor (Hg.), Währungsordnung und Inflation. Zum Gedenken an Friedrich A. Lutz (1901–1975), Tübingen, 2003, S. 14. 367 Brief eines unbekannten Absenders an die Leitung der Auslandsorganisation der NSDAP, 15. August 1938, in BAB, BDC-Unterlagen, DS/WI B 35, Lutz Friedrich, Blatt 2194. 368 Vgl. Lenel, Hans Otto, Zum Gedenken an Friedrich A. Lutz, in ORDO: Jahrbuch für die Ordnung von Wirtschaft und Gesellschaft 27 (1976), S. 3. 369 Vgl. Veit-Bachmann, Verena, Friedrich A. Lutz: Lebensdaten, in Vanberg, Viktor (Hg.), Währungsordnung und Inflation. Zum Gedenken an Friedrich A. Lutz (1901–1975), Tübingen, 2003, S. 45. 1947 besuchte Lutz deutsche Universitäten im Auftrag der Rockefeller Stiftung. 1951/52 nahm er eine Lehrstuhlvertretung in Freiburg an, ab 1953 arbeitete er als Professor an der Universität Zürich. Vgl. ebd. 370 Vgl. Nicolaysen, Rainer, Konsequent widerstanden – die Juristin Magdalene Schoch, in Nicolaysen, Rainer (Hg.), Das Hauptgebäude der Universität Hamburg als Gedächtnisort. Mit sieben Porträts in der NS-Zeit vertriebener Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, Hamburg, 2011, S. 171–178 (Im Folgenden zitiert als Nicolaysen, Konsequent widerstanden). 371 Vgl. Stiefel, Ernst  C.; Mecklenburg, Frank, Deutsche Juristen im amerikanischen Exil (1933– 1950), Tübingen, 1991, S. 145 (Im Folgenden zitiert als Stiefel et al., Deutsche Juristen).

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1934 erhielt sie durch Mendelssohn Bartholdys Unterstützung ein einjähriges RF-Stipendium für die USA, im Herbst 1935 kehrte sie nach Hamburg zurück. Ihre Hoffnungen auf eine Professur hatten sich zerschlagen und sie befürchtete, nach einer politischen Überprüfung auch ihre Stelle als Privatdozentin zu verlieren. Trotz der Drohungen des Rektors der Hamburger Universität Adolf Rein nahm sie 1936 an der Beerdigung Mendelssohn Bartholdys in England teil. Als sie 1937 von Kollegen gedrängt wurde, nach Beendigung der Aufnahmesperre der NSDAP beizutreten, entschloss sie sich zur Emigration. In den USA kam sie bei einer Freundin unter, bis ihr im September 1938 eine Stelle als Forschungsassistentin mit einem kleinen Lehrauftrag an der Harvard Law School angeboten wurde372. 1943 wechselte sie, von der Harvard University beurlaubt373, nach Washington, um als Rechtsexpertin den Kriegseinsatz gegen Deutschland beim Office of Economic Warfare und später bei der Foreign Economic Administration zu unterstützen. Nach Ende des Krieges arbeitete sie als Sachverständige für Internationales und Ausländisches Recht im US-Justizministerium374. Aktiven Widerstand gegen das NS-Regime leisteten die Stipendiaten Franz Grüger, Artur Sommer und Arvid Harnack. Franz Grüger wurde 1933 Leiter des Archivs der Reichskreditgesellschaft, eine seinen wissenschaftlichen Fähigkeiten und seiner großen Energie und Fähigkeit für praktisches Arbeiten entsprechenden Tätigkeit, wie Fehling Kittredge informierte375. Im Januar 1936 teilte der ehemalige Stipendiat jedoch mit, dass er die Stelle nur noch ein paar Monate behalten könne. Als NichtParteimitglied werde er seit Monaten beobachtet, zudem sei er mehrmals wegen seiner berufsbedingten Kontakte zu Ausländern denunziert worden376. Er verließ die Reichskreditanstalt im April und ging für Vorlesungstätigkeiten nach Mailand. Van Sickle bot an, seinen Lebenslauf an das Emergency Committee in Aid of Displaced Scholars weiterzuleiten und erlaubte ihm, auf die Unterstützung der RF hinzuweisen, sollte er die Einladung einer amerikanischen Universität erhalten377. Im Mai 1936 teilte Grüger mit, dass er nach Schwierigkeiten mit Parteistellen kaum noch Aussicht auf eine seinen Qualifikationen entsprechende Stelle in Deutsch-

372 Vgl. Nicolaysen, Konsequent widerstanden, S. 179–183. 373 Vgl. Stiefel et al., Deutsche Juristen, S. 146. 374 Vgl. Nicolaysen, Konsequent widerstanden, S. 183–184. 375 Vgl. Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 16. Juni 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 35. 376 Vgl. T. B. Kittredge, Interview mit F. Grueger, 27. Januar 1936, in RAC-RF, RG 2 (1936–1937), Series 717, box 141, folder 1048. 377 Vgl. J. Van Sickle, Memorandum an T. B. Kittredge, 6. Mai 1936, in RAC-RF, RG 2 (1936–1937), Series 717, box 141, folder 1048.

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land habe378. Als die RF ein Stellenangebot der „Amos Parrish Company New York“ an ihn weiterleitete379, hatte er jedoch schon eine Stelle als Wirtschaftsberater angenommen380. Er arbeitete für die „Gesellschaft für Elektrische Unternehmungen“, für die er bis 1938 die Tochtergesellschaft Hirsch-Kupfer und Messing AG leitete. Ab 1940 war er als Geschäftsführer beim Unternehmen „Intercommerciale GmbH Berlin“ in Paris tätig, wo er auch beim Oberkommando der Wehrmacht (OKW) Stelle I. Wirtschaft mitarbeitete, bis er 1941 hauptamtlich einer Einheit der Feldpost zugeteilt wurde381. Grüger engagierte sich in dieser Zeit als Verbindungsmann der Berliner Widerstandsgruppe „Europäische Union“ um Robert Havemann und Georg Groscurth und der französischen Einheit der Gruppe. Nachdem Havemann und Groscurth entdeckt und zum Tode verurteilt worden waren, kam Grüger 1944 in Untersuchungshaft in Brandenburg. Er wurde im Juli 1944 vor dem Volksgerichtshof angeklagt und im September freigesprochen. Im Mai 1945 wurde er in seiner Berliner Wohnung festgenommen und im Juni vom Sowjetischen Militär-Tribunal (SMT) wegen Spionage zum Tode durch Erschießen verurteilt. Nachdem er kurz in einem Spezialgefängnis des NKWD in Frankfurt an der Oder inhaftiert worden war, wurde er im Juli 1945 in die Sowjetunion gebracht und dort im August hingerichtet382. Eine Bestätigung Havemanns, dass Grüger mit der „Europäischen Union“ zusammengearbeitet hatte und im Prozess vor dem Volksgerichtshof freigesprochen worden war, konnte die Exekution nicht mehr abwenden383. Der List-Spezialist und Gießener Privatdozent Artur Sommer trat während seiner Stipendienzeit in England 1932 der SA bei. Er gehörte zum äußeren Kreis des Dichters Stefan George und war ein enger Freund des Nationalökonomen Edgar Salin. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland wurde er 1933 zu einem Kameradschafts378 Vgl. T.  B.  Kittredge, Interview mit F.  Grueger, 7.  Mai 1936, in RAC-RF, RG  2 (1936–1937), Series 717, box 141, folder 1048. 379 Vgl. S. May, Memorandum an T. B. Kittredge, 1. Dezember 1936, in RAC-RF, RG 2 (1936–1937), Series 717, box 141, folder 1048. 380 Vgl. Telegramm von T.  B.  Kittredge an S.  May, 9.  Dezember 1936, in RAC-RF, RG  2 (1936– 1937), Series 717, box 141, folder 1048. 381 Vgl. Weigelt, Andreas, Kurzbiographien (Anlage), in Weigelt, Andreas; Müller, Klaus-Dieter; Schaarschmidt, Thomas; Schmeitzner, Mike (Hgg.), Todesurteile sowjetischer Militärtribunale gegen Deutsche (1944–1947): Eine historisch-biographische Studie, Göttingen, 2015, S.  200– 201. 382 Vgl. ebd. Bei Simone Hannemann heißt es, Grüger sei in die UdSSR deportiert worden und dort an einem unbekannten Ort verstorben. Vgl. Hannemann, Simone, Robert Havemann und die Widerstandsgruppe „Europäische Union“. Eine Studie (Schriftenreihe des Robert-HavemannArchivs 6), Berlin, 2001, S. 154 und die dem Buch vorgeheftete Korrektur (Im Folgenden zitiert als Hannemann, Robert Havemann). 383 Vgl. Hannemann, Robert Havemann, S. 88.

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abend der SA eingeladen, der ihn tief schockierte. Salin berichtete er in einem Brief, der von der Zensur abgefangen wurde, von seinen Eindrücken. Sommer wurde verhaftet und musste einige Monate im Konzentrationslager Osthofen bei Worms verbringen384. Fehling erfuhr im November 1933 von Günter Wagner aus London von der Inhaftierung Sommers. Wagner bat Fehling, sich für Sommer einzusetzen und berichtete: Ich lernte Herrn Dr. Sommer kurz vor seiner Abreise aus London kennen und hatte Gelegenheit, mit ihm über Wirtschaftsprobleme im heutigen Deutschland zu sprechen. Er würdigte in diesem Gespräch die Wirtschaftsmassnahmen der gegenwärtigen Regierung in so positivem Sinne, dass ich ihn für einen überzeugten Nationalsozialisten hielt. Seine Ansichten blieben mir lange Zeit im Gedächtnis und erfüllten mich mit Optimismus, da ich auf sein Urteil als das eines Fachmannes mit einem über heute in Deutschland vertretene Anschauungen hinausreichenden Blick besonders Wert legen zu können glaubte. Umsomehr war ich erstaunt, jetzt von seinen Schwierigkeiten zu hören und bin geneigt anzunehmen, dass seine Festnahme auf Missverständnissen beruht385.

Fehling versicherte Wagner, er werde gerne versuchen, etwas zu tun, doch habe er, wie der Fall liege, nur wenig Hoffnung386. Nach der Entlassung aus dem Konzentrationslager waren Sommers Aussichten auf eine akademische Karriere zerschlagen. Er entschied sich daher, nach einer kurzen Tätigkeit im Archivdienst in Potsdam, für den Eintritt in die Reichswehr387. Während des Krieges gab Sommer als Oberstleutnant und Referent im Wirtschaftsamt des Oberkommandos der Wehrmacht (OKW) Informationen über die Verbrechen der Nationalsozialisten in Osteuropa weiter. Im Herbst 1941 schickte er Salin, der sich in der Schweiz aufhielt, Bilder von Verbrechen mit der Bitte, sie an den päpstlichen Nuntius in Bern weiterzuleiten. 1942 informierte er Salin über den 384 Vgl. Salin, Edgar, Über Artur Sommer, den Menschen und List-Forscher, in Mitteilungen der List-Gesellschaft 6 (1967), S. 82 (Im Folgenden zitiert als Salin, Über Artur Sommer). Siehe auch Laqueur, Walter, The Terrible Secret: Suppression of the Truth about Hitler’s Final Solution, New Brunswick, 2012 (1980), S. 213. Salin hatte sich 1933, wie es scheint vergeblich, um eine Special Fellowship der RF beworben. Fehling beschrieb ihn als eine „very interesting personality and an original thinker“. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 16. November 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. 385 Brief von G. Wagner an A. W. Fehling, 29. November 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. 386 Vgl. Brief von A. W. Fehling an G. Wagner, 7. Dezember 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 37. Fehling berichtete Gerhard Mackenroth davon, vielleicht in der Hoffnung, dieser könne durch seine Kontakte in der NSDAP etwas ausrichten. Vgl. Brief von A. W. Fehling an G. Mackenroth, 11. Dezember 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 61. 387 Vgl. Salin, Über Artur Sommer, S. 82.

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Erfahrungen und Erlebnisse

Bau von Vernichtungslagern, in denen die europäischen Juden und sowjetische Kriegsgefangene vergast werden sollten. Er verlangte, diese Information an Churchill und Roosevelt weiterzuleiten, damit die BBC tägliche Warnungen ausstrahlen könne. Salin versuchte, die Informationen über den amerikanischen Präsidenten der „Bank for International Settlements“ in Basel Thomas McKittrick und den Schweizer Vertreter der „Jewish Agency for Palestine“ Chaim Pozner weiterzugeben. Eine Reaktion erfolgte weder aus den USA noch aus England388. Sommer überlebte den Krieg und konnte mit Hilfe Alfred Webers seine wissenschaftliche Karriere in Heidelberg wieder aufnehmen389. Der bekannteste ehemalige Rockefeller Stipendiat im Widerstand war Arvid Harnack. Die RF erhielt im Mai 1943 durch Oskar Morgenstern nur vage Informationen über sein Schicksal: „H. is supposed to have been shot by the Nazis“390. Harnack und seine Frau, die amerikanische Literaturwissenschaftlerin Mildred Fish391, gehörten in Berlin zur von der Gestapo als „Rote Kapelle“ bezeichneten Harnack/ Schulze-Boysen Gruppe, einer der bedeutendsten Widerstandsgruppen gegen das NS-Regime392. Das Ehepaar hatte sich während Harnacks Stipendienzeit kennengelernt, in Madison trafen sie auch auf die spätere Widerstandskämpferin Greta Lorke (später Kuckhoff )393.

388 Vgl. Laqueur, Walter, The Mysterious Messenger, in Laqueur, Walter (Hg.), America, Europe, and the Soviet Union. Selected Essays, Bd. 2, New Brunswick, 1983, S. 143 (Im Folgenden zitiert als Laqueur, The Mysterious Messenger) und Salin, Über Artur Sommer, S. 85–86. Siehe auch Hilberg, Raul, The Destruction of the European Jews. 3. Band, New Haven, 32003 (1961), S. 1201. Ob die Informationen Washington erreichten, ist nicht bekannt. 389 Vgl. Salin, Über Artur Sommer, S. 88, siehe auch Laqueur, The Mysterious Messenger, S. 143. 390 A. Harnack, Fellowship Card, in RAC-RF, RG. 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. 391 Harnack hatte Fish an der University of Wisconsin kennengelernt und wenige Monate später geheiratet. Vgl. Brysac, Shareen Blair, Mildred Harnack und die Rote Kapelle. Die Geschichte einer ungewöhnlichen Frau und einer Widerstandsbewegung, Bern, 2003, S. 76–77 (Im Folgenden zitiert als Brysac, Mildred Harnack und die Rote Kapelle) und Nelson, Anne, Die Rote Kapelle. Die Geschichte der legendären Widerstandsgruppe, München, 2010, S. 41 (Im Folgenden zitiert als Nelson, Die Rote Kapelle). Den anderen Stipendiaten erschien Harnack zu dieser Zeit als „ein eher verbockter als beweglicher Disputant, darum auch „Hartnack“ genannt“. Vagts, Alfred, Erinnerungen an Hamburg 1923–1932, in Gantzel, Klaus Jürgen (Hg.), Kolonialrechtswissenschaft, Kriegsursachenforschung, internationale Angelegenheiten. Materialien und Interpretationen zur Geschichte des Instituts für Internationale Angelegenheiten der Universität Hamburg 1923–1983 im Widerstreit der Interessen, Baden-Baden, 1983, S. 108. 392 Vgl. Danyel, Jürgen, Zwischen Nation und Sozialismus: Genese, Selbstverständnis und ordnungspolitische Vorstellungen der Widerstandsgruppe um Arvid Harnack und Harro Schulze-Boysen, in Steinbach, Peter; Tuchel, Johannes (Hgg.), Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin, 1994, S. 468 (Im Folgenden zitiert als Danyel, Zwischen Nation und Sozialismus). 393 Sie studierte dort als „graduate student“. Vgl. Brysac, Mildred und Arvid Harnack, S. 181.

Nach der Stipendienzeit

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Mildred Fish-Harnack hatte ihren Mann nach Deutschland begleitet und nach Universitätsstudien in Jena und Gießen im Herbst 1930 an der Berliner Universität mit der Arbeit an ihrer Dissertation zur amerikanischen Literatur begonnen. Von 1931 bis 1932 war sie als Dozentin an der Universität tätig, anschließend wurde die Stelle der politisch links eingestellten Literaturwissenschaftlerin nicht verlängert. Sie verlegte ihre Lehrtätigkeit daraufhin an das Berliner Abendgymnasium für Erwachsene und gab Privatunterricht, zudem engagierte sie sich im „American Women’s Club“394. Durch ihre Übersetzungen trug sie zur Entwicklung der deutschen Amerikanistik bei395. Arvid Harnack hatte 1931 mit Friedrich Lenz die „ARPLAN“ (Arbeitsgemeinschaft für Planwirtschaft) gegründet396, in der Vorteile und Grenzen staatlicher Wirtschaftslenkung diskutiert wurden. Wissenschaftler und Publizisten unterschiedlicher politischer Prägung, wie Emil Lederer, Alfred Meusel, Otto Hoetzsch und Ernst Jünger, beteiligten sich an den Debatten397. Nach der NS-Machtübernahme formierte sich ein oppositioneller Kreis um die Ehepaare Harnack und Kuckhoff, dem Wissenschaftler und Künstler aus der „ARPLAN“ sowie Schüler des Berliner Abendgymnasiums angehörten398. Zahlreiche Mitglieder verband ein früheres Engagement in der Jugendbewegung und ein Interesse an Reformpädagogik399. Die politische Ausrichtung wurde von Harnacks Konzeption eines auf den sozialen Ausgleich ausgerichteten, planwirtschaftlichen Nationalstaates mit einer zwischen Ost und West ausbalancierten Außenpolitik geprägt. Der Kreis war durch seine offene Struktur, die große Bandbreite der politischen Einstellungen und den hohen Frauenanteil gekennzeichnet400. Harnack, der 1935 eine Stelle als Referent im Reichswirtschaftsministerium annahm und dort als Amerikaexperte arbeitete, trat 1937 in die NSDAP ein. Zwischen 1935 und 1938 gab er Informationen aus seiner Tätigkeit an die sowjetische

394 Vgl. ebd., S. 183–184. Vgl. Nelson, Die Rote Kapelle, S. 26. Coburger, Marlies, Die Frauen der Berliner Roten Kapelle, in Coppi, Hans; Danyel, Jürgen; Tuchel, Johannes (Hgg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin, 1994, S. 97 (Im Folgenden zitiert als Coburger, Die Frauen). 395 Vgl. Coburger, Die Frauen, S. 97. 396 Vgl. Zechlin, Egmont, Erinnerungen an Arvid und Mildred Harnack, in Geschichte in Wissenschaft und Unterricht 33 (1982), S. 398 (Im Folgenden zitiert als Zechlin, Erinnerungen). 397 Vgl. Danyel, Zwischen Nation und Sozialismus, S. 473. 398 Vgl. Danyel, Jürgen, Die Rote Kapelle innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, in Coppi, Hans; Danyel, Jürgen; Tuchel, Johannes (Hgg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin, 1994, S. 23 (Im Folgenden zitiert als Danyel, Die Rote Kapelle innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung). 399 Vgl. Danyel, Zwischen Nation und Sozialismus, S. 474. 400 Vgl. Danyel, Die Rote Kapelle innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, S. 24–26.

642

Erfahrungen und Erlebnisse

Botschaft weiter401. 1935 brachte ihn der ehemalige Rockefeller Stipendiat Rudolf Heberle, den Harnack in Madison kennengelernt hatte402, mit Harro Schulze-Boysen zusammen. Harnack war aber eine Zusammenarbeit zu gefährlich, erst fünf Jahre später trafen sie sich ein zweites Mal403. Bis 1939 hatte der Kreis um Harnack auf die Entwicklung einer Massenbewegung gegen das NS-Regime gehofft, mit Kriegsausbruch und Beginn des Russlandfeldzugs änderte sich ihre Einschätzung der Lage404. Die Gruppen um Harnack und Schulze-Boysen wurden 1939/40 zusammengeführt405. Kreise der Jungkommunisten um Hans Coppi und den Psychoanalytiker John Rittmeister sowie der Freundeskreis des Schauspielers Wilhelm SchürmannHoerster schlossen sich an406. Die Harnack/Schulze-Boysen-Gruppe umfasste etwa 150 Personen, die über Freundschaften und private Beziehungen miteinander verbunden waren407. Harnack übermittelte sowohl Informationen an die Amerikaner wie auch an die Sowjetunion, die er über den geplanten Russlandfeldzug informierte408. Er hoffte, damit zu einer schnellen Beendigung des Krieges beizutragen409. Neben Aktionen, die die Deutschen gegen den Krieg mobilisieren sollten, dokumentierte die Gruppe auch nationalsozialistische Verbrechen410. Im August 1942 wurde der Widerstandskreis von der Gestapo durch einen entschlüsselten Funkspruch aus Moskau entdeckt411. Aufgrund eines Kontakts der von Leopold Trepper geleiteten sowjetischen nachrichtendienstlichen Gruppe in Brüssel zur Berliner Gruppe betrachtete die Gestapo die Harnack/Schulze-Boysen-Gruppe 401 Vgl. Roloff, Stefan, Die Rote Kapelle. Die Widerstandsgruppe im Dritten Reich und die Geschichte Helmut Roloffs, München, 2002, S. 116–117 (Im Folgenden zitiert als Roloff, Die Rote Kapelle). 402 Vgl. Chawkin, Boris; Coppi, Hans; Zorja, Juri, Russische Quellen zur Roten Kapelle, in Coppi, Hans; Danyel, Jürgen; Tuchel, Johannes (Hgg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin, 1994, S. 117, Fußnote 29. 403 Vgl. Roloff, Die Rote Kapelle, S. 117. 404 Vgl. Danyel, Die Rote Kapelle innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, S. 24. 405 Vgl. Schuppener, Henriette, „Nichts war umsonst“: Harald Poelchau und der deutsche Widerstand, Berlin, 2006, S. 81 (Im Folgenden zitiert als Schuppener, „Nichts war umsonst“). 406 Vgl. Danyel, Die Rote Kapelle innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, S. 27. 407 1937 erkundigte sich Harnack nach der Möglichkeit, noch einmal als Rockefeller Stipendiat in die USA zu kommen. Van Sickle befürchtete jedoch, dass eine weitere Auslandserfahrung „might decrease the willingness of the beneficiary to adjust himself to German conditions on his return“. J. Van Sickle, Memorandum an T. B. Kittredge, Arvid R. Harnack, former German fellow, 30. November 1937, in RAC-RF, RG 2 (1937) General Corr., Series 650, box 152, folder 1126. 408 Vgl. Roloff, Die Rote Kapelle, S. 125, 130. 409 Vgl. Danyel, Die Rote Kapelle innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, S. 30–31. 410 Vgl. Coppi, Hans, Die „Rote Kapelle“ im Spannungsfeld von Widerstand und nachrichtendienstlicher Tätigkeit. Der Trepper-Report vom Juni 1943, in Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 44 (1996), S. 437 (Im Folgenden zitiert als Coppi, Die „Rote Kapelle“ im Spannungsfeld). 411 Vgl. ebd.

Nach der Stipendienzeit

643

als Teil einer Moskauer Spionageagentur412. Bis zum Frühjahr 1943 wurden 126 Personen, darunter über 40 Frauen413, verhaftet. Ihnen wurde Spionage, Vorbereitung zum Hochverrat oder Feindbegünstigung vorgeworfen414, 48 von ihnen wurden zum Tode verurteilt und hingerichtet415. Arvid und Mildred Harnack wurden im September 1942 während eines Urlaubs mit dem befreundeten Ehepaar Zechlin an der Kurischen Nehrung verhaftet416. Harnack wurde durch das Reichskriegsgericht zum Tode verurteilt und am 22. Dezember 1942 im Gefängnis Berlin-Plötzensee erhängt417. Seine Frau Mildred wurde zu einer sechsjährigen Zuchthausstrafe verurteilt, doch Hitler hob das Urteil auf. In einer zweiten Verhandlung im Januar 1943 wurde auch sie zum Tode verurteilt und Mitte Februar in Plötzensee durch das Fallbeil hingerichtet418. In ihrer fünfmonatigen Haft hatte sie keine Besucher empfangen dürfen, auch Harnack hatte sie vor seiner Hinrichtung nicht noch einmal sehen dürfen. Ihre Leiche wurde dem Anatomisch-Biologischen Institut der Berliner Universität übergeben419. Die von der Gestapo verbreitete Diffamierung der Harnack/Schulze-BoysenGruppe als Landesverräter im Dienst der Sowjetunion wirkte bis weit in die Nachkriegszeit hinein420. In der Bundesrepublik wurden die Mitglieder der sogenannten „Roten Kapelle“ im Zeichen des Kalten Krieges aus der Geschichte des deutschen 412 Vgl. Danyel, Zwischen Nation und Sozialismus, S. 469. Auch der Diplomat Ulrich von Hassell, 1944 wegen Hochverrats zum Tode verurteilt und hingerichtet, bezeichnete die Gruppe im Oktober 1942 in seinem Tagebuch als Salonkommunisten. Vgl. Camarade, Hélène, Écritures de la Résistance. Le journal intime sous le Troisième Reich, Toulouse, 2007, S. 348–349. 413 Vgl. Danyel, Die Rote Kapelle innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, S.  14. Foitzik errechnet einen Männeranteil von 62,6 % und einen Frauenanteil von 37,4 % in der „Roten Kapelle“. Vgl. Foitzik, Jan, Gruppenbildung im Widerstand, in Coppi, Hans; Danyel, Jürgen; Tuchel, Johannes (Hgg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin, 1994, S. 69, Coburger spricht von über einem Drittel Frauen. Vgl. Coburger, Die Frauen, S. 92. 414 Vgl. Benz, Wolfgang, Der deutsche Widerstand gegen Hitler, München, 2014, S. 85. 415 Vgl. Schuppener, „Nichts war umsonst“, S. 81. 416 Vgl. Thiel, Der Lehrkörper, S. 511. Zechlin hat seine Erinnerungen an die Verhaftung der Harnacks 1945 niedergeschrieben und 1982 veröffentlicht. Vgl. Zechlin, Erinnerungen. Seine Unterstützung der Harnacks führte Zechlin, der am 1. Mai 1933 der NSDAP beigetreten war, auch an, um gegen ein Gutachten zu protestieren, in dem 1946 eine weitere Lehrtätigkeit zunächst abgelehnt worden war. Vgl. Brief von E. Zechlin an den Berufungsausschuß für die Ausschaltung von Nationalsozialisten, Schulverwaltung, 27. September 1946, in BAK, NL 1433 E. Zechlin, Nr. 84. 417 Vgl. Schuppener, „Nichts war umsonst“, S.  82. Die Briefe Harnacks aus der Haft befinden sich in seinem Nachlass (Archiv der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, NL A. Harnack). 418 Vgl. Thiel, Der Lehrkörper, S. 511–512. 18 Frauen der „Roten Kapelle“ wurden hingerichtet. Vgl. Coburger, Die Frauen, S. 101. 419 Vgl. Brysac, Mildred Harnack und die Rote Kapelle, S. 14, 17. 420 Vgl. Danyel, Zwischen Nation und Sozialismus, S. 469.

644

Erfahrungen und Erlebnisse

Widerstands ausgeschlossen421. In der DDR instrumentalisierte die Geschichtsschreibung die Widerstandsgruppe als Beweis einer „erfolgreiche[n] Volksfrontpolitik der Moskauer KPD-Führung“422. „Wer sich der Geschichte der Roten Kapelle nähert, muß Berge von historischem Schutt, Lügen, Halbwahrheiten und Verdrehungen überwinden“423, schrieb Johannes Tuchel 1994. Heute hat sich in der Forschung eine differenzierte Sicht auf den Widerstandskreis und seine Einordnung in den deutschen Widerstand gegen das NS-Regime durchgesetzt424.

9.3 Die berufliche Entwicklung der ehemaligen LSRM- und RFStipendiaten nach Beginn des Zweiten Weltkriegs Die Officers verfolgten den weiteren Lebensweg der Stipendiaten mit Interesse und notierten die für sie verfügbaren Informationen auf den Fellowship Cards. Immer wieder fragten sie Fehling nach den Karriereverläufen und verfassten ausführliche Memoranden zum beruflichen Erfolg der ehemaligen Stipendiaten. Die Zahl der erreichten Professuren und anderer akademischer Stellen war auf amerikanischer Seite ein wichtiger Gradmesser für den Erfolg des Stipendienprogramms. Eine Alumni-Organisation der RF wurde trotz mehrfacher Anregungen aus der Stipendiatenschaft nicht gegründet. „Policy is to give no encouragement to organization of fellows“425, entschieden die Officers. Über die Organisation gelegentlicher Teenachmittage oder Dinner für die Fellows ging die RF nicht hinaus426. Am Ende eines „Banquets“ 1929 in London, das die am Sprachkurs der LSE teilnehmenden Fellows organisiert hatten, war Van Sickle von den freundschaftlichen Beziehungen 421 Vgl. Danyel, Die Rote Kapelle innerhalb der deutschen Widerstandsbewegung, S. 17. Siehe auch Steinbach, Peter, Die Rote Kapelle – 50 Jahre danach, in Coppi, Hans; Danyel, Jürgen; Tuchel, Johannes (Hgg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin, 1994, S. 54–55. 422 Coppi, Die „Rote Kapelle“ im Spannungsfeld, S. 435. Zum Umgang der DDR mit der „Roten Kapelle“ siehe Tuchel, Johannes, Das Ministerium für Staatssicherheit und die Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“ in den 1960er Jahren, in Tuchel, Johannes (Hg.), Der vergessene Widerstand: zu Realgeschichte und Wahrnehmung des Kampfes gegen die NS-Diktatur, Göttingen, 2005, S. 232– 270. 423 Tuchel, Johannes, Die Gestapo-Sonderkommission „Rote Kapelle“, in Coppi, Hans; Danyel, Jürgen; Tuchel, Johannes (Hgg.), Die Rote Kapelle im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Berlin, 1994, S. 145. 424 Aus der umfangreichen Literatur siehe zum Beispiel Nelson, Die Rote Kapelle. 425 Zusammenfassung eines Briefs von S. May an J. Van Sickle, 15. August 1933, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376. 426 Vgl. J. Van Sickle, Diary, 13. Mai 1930, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929–1930, S. 83.

Nach der Stipendienzeit

645

zwischen den Fellows so beeindruckt, dass er anbot, nach Beendigung der Stipendienzeit ein weiteres Treffen in Paris zu organisieren. „This proposal was greeted with very real enthusiasm and seems to JVS [Van Sickle] preferable to the proposal once made by the Advisors for a general meeting of inactive Fellows“427. Auch Fehling war der Meinung, Organisationsversuche müssten „aus dem Kreise der gewesenen Fellows selbst hervorgehen“428. Was den Deutschen nicht glückte, schafften die Franzosen: Sie gründeten 1932 eine Vereinigung ehemaliger und aktiver französischer Stipendiaten mit dem Namen „Association pour le développement des Sciences sociales“429. Lange vermieden LSRM und RF die Veröffentlichung einer Liste der ehemaligen Rockefeller Stipendiaten. Als Mendelssohn Bartholdy 1929 die Publikation eines Stipendiatenverzeichnisses in der Hamburg-Amerika-Post anregte, lehnte Fehling dies mit Verweis auf das Publizitätsverbot der RF ab. Aus Furcht vor einer Aufrechnung der Stipendienzahlen für die verschiedenen Länder und der Forderung nach einem Quotensystem sei bereits die Anregung der Landesvertreter gescheitert, jährlich eine Liste der Stipendiaten mit ihren Forschungsaufgaben zu veröffentlichen430, erklärte er. Erst 1932 bereitete die Stiftung ein „Handbook“ mit einer alphabetischen Liste der Stipendiaten vor431. Die Informationen erhielt die RF durch einen Fragebogen, der an die ehemaligen Stipendiaten gesandt wurde432. Fehling hatte dieses Projekt unterstützt und auf regelmäßige Anfragen der deutschen Stipendiaten verwiesen: „They very often prefer, on reasons of some active group spirit among them all, to address some co-fellow who is sure to have more interest and more understanding for their special situation and needs, as other men could have“433. Das „Social Science Handbook“ wurde allen ehemaligen und aktiven sozialwissenschaftlichen Stipendiaten zusammen mit einem Fragebogen für zukünftige Aktualisierungen zugeschickt434. Nach der Beendigung des Stipendienprogramms der Zwischenkriegszeit erstellte die RF 1943 eine interne Liste ihrer europäischen Stipendiaten mit dem Titel „Euro427 J. Van Sickle, Diary, 16. Dezember 1929, in RAC-RF, RG 12.1 Diaries, John Van Sickle, 1929– 1930, S. 13. 428 Brief von A. W. Fehling an J. Faugeras, 23. April 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 29. 429 Vgl. ebd. 430 Vgl. Brief von A. W. Fehling an A. Mendelssohn Bartholdy, 3. August 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 20. 431 Vgl. T. B. Kittredge (?), Social Science Fellowship Program in Europe – Rockefeller Foundation, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 50, folder 384, S. 8. 432 Vgl. Brief von J. Van Sickle an A. W. Fehling, 27. August 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 433 Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 21. September 1931, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26. 434 Vgl. Brief von H.  Knox an A.  W.  Fehling, 18.  Januar 1933, in BAK, NL  1106 A.  W.  Fehling, Nr. 32.

646

Erfahrungen und Erlebnisse

pean Fellowships“. 1951 gab sie das „Directory of fellowship awards for the years 1917–1950“435 mit Informationen zu den Stipendiaten aller Abteilungen heraus, 1972 folgte das „Directory of fellowship and scholarships, 1917–1970“436. Abgefragt wurden die aktuelle berufliche Stellung und der Wohnort der ehemaligen Stipendiaten. Mit Hilfe dieser drei Listen können die Karrieren von 77 deutschen LSRM- und RF-Stipendiaten im Zweiten Weltkrieg und der Nachkriegszeit verfolgt und Aussagen zur Mobilität der Gruppe getroffen werden. Allerdings sind die von der RF veröffentlichten Angaben aus unterschiedlichen Gründen unvollständig: So fehlen im Verzeichnis von 1951 die deutschen Stipendiaten Gertrud Beushausen, Helmut Haufe, Georg Leibbrandt, Eckart Kehr, Heinz Krause, Otto Kühne und Erich Wohlfahrt. Kehr starb während seiner Stipendienzeit, Beushausen war nach ihrem Auslandsaufenthalt nicht weiter wissenschaftlich tätig. Kühne war das Stipendium wegen groben Fehlverhaltens vom Deutschen Komitee entzogen worden. Leibbrandt, Haufe, Krause und Wohlfahrt hatten sich im Nationalsozialismus diskreditiert und könnten aus diesem Grund nicht in die Liste aufgenommen worden sein. Es fällt außerdem auf, dass chronologische Angaben nicht immer korrekt sind, sodass manche berufliche Position zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der „Directories“ bereits wieder aufgegeben war. Auch die beiden deutschen „visiting professors“ des LSRM, Wilhelm Röpke und Adolf Rein, wurden in die Verzeichnisse nicht aufgenommen. Für die folgende Darstellung wurden die Informationen zu 77 der insgesamt 79 deutschen Stipendiaten aus der Liste von 1943 und den Verzeichnissen von 1951 und 1972 um Angaben der Fellowship Cards und Informationen aus der Bibliographie ergänzt437. Tabelle 18: Berufliche Stellung der ehemaligen LSRM- und RF-Fellows 1943, 1951 und 1972. Name, Vorname

Berufliche Stellung 1943

Berufliche Stellung 1951

Back, Josef

Univ. Königsberg, Prof., Univ. Erlangen, Direktor des Volkswirt- Forschungsinstitut für schaftlichen Seminars, Genossenschaftswesen 1937–1940 (1940: Prof., Univ. Innsbruck)1

Prof. Emeritus, Univ. Erlangen

Beck, Walter

Lecturer/Gastprofessor, Univ. Boston, Psychologie, bis 1937 (danach Leitender

(gest. 1953)

Direktor des Seminars für Sozialberufe in Karlsruhe, Referent für Berufsberatung beim

Berufliche Stellung 1972

435 The Rockefeller Foundation, Directory of fellowship awards, for the years 1917–1950. 436 The Rockefeller Foundation, Directory of fellowship and scholarships, 1917–1970. 437 Angaben aus der Bibliographie wurden in Klammern ergänzt.

647

Nach der Stipendienzeit Name, Vorname

Berufliche Stellung 1943

Berufliche Stellung 1951

Berufliche Stellung 1972

Heerespsychologe, Breslau, ab 1940 Dozent für Psychologie, Univ. Breslau2)

Landesarbeitsamt Hessen3

Beckerath, Erwin von

Prof., Univ. Köln (ab 1939: Prof., Univ. Bonn)

Prof., Univ. Bonn

Prof. Emeritus, Univ. Bonn (gest. 1964)

Bente, Hermann

Prof., Univ. Kiel

Prof., Univ. Köln

Prof. Emeritus, Univ. Köln (gest. 1970)

Beushausen, Gertrud

Leiterin der Maria Keller Wohlfahrtsschule, Thale





Brok, Otto

Korrespondent, Chicago Daily News, Berlin





Ciriacy–Wantrup, Siegfried von

Associate Prof., Univ. of California, College of Agriculture, Berkeley

Prof., Univ. of California, Agricultural Economics, Berkeley

Prof. Univ. of California, Agricultural Economics, Berkeley

Dobbert, Gerhard

(gest. 1935)





Drescher, Leo

(Berlin)4

(gest. 1945)



Egle, Walter

Teacher, Rockford College, Economics, Rockford

Prof., Cincinnati Univ., Economics, Cincinnati

Director of Graduate Studies in Economics, Cincinnati Univ.

Erdsiek, Gerhard

Landesgerichtsrat in Berlin

(Ministerialdirektor im Honorarprof., Univ. Bundesjustizministeri- Köln um)5

Feist, Elisabeth

New Haven

Instructor, Bard College, Political Sciences, Annandale– on–Hudson

Associate Prof., Trenton State College, Department of Philosophy, Trenton

Fick, Harald (1951: H. Gerfin)

A. o. Prof., Univ. Kiel

Prof., Univ. Kiel

(gest. 1954)

Flad, Ruth Hilda

Lehrerin in Deutschland





Flügge, Eva

Privatdozentin, Univ. Berlin (bat 1936/37 um ihr Ausscheiden, zuerst in Genf mit

(gest. während des Zweiten Weltkriegs)



648 Name, Vorname

Erfahrungen und Erlebnisse Berufliche Stellung 1943

Berufliche Stellung 1951

Berufliche Stellung 1972

ihrem Mann, dann in Berlin [?])6 Freund, Rudolf

Staff member, Univ. ­ Associate Prof., North of Virginia, Charlottes- Carolina State College ville of Agriculture and Engineering, Department of agricultural economics, Raleigh

(gest. 1956)

Gerhard, Dietrich

Washington Univ., St. Louis

Prof., Univ. Köln und Washington Univ., St. Louis (jeweils ein Semester)

Prof. Emeritus, Washington Univ., St. Louis, wissenschaftliches Mitglied, Max–Planck–Gesellschaft

Gierlichs, Willy Privatdozent, Univ. Köln

(gest. 1945)



Grüger, Franz

Leiter des Archivs der Reichskreditgesellschaft (1941: Wehrmacht)

(gest. 1945)



Gülich, Wilhelm

Bibliothekar, Institut Prof., Institut für für Weltwirtschaft, Kiel Weltwirtschaft, Kiel

(gest. 1960)

Harms, Bernhard

(gest. 1939)





Harnack, Arvid

Referent, Reichswirtschaftsministerium, Berlin

(gest. 1942)



Haufe, Helmut

A. o. Prof., Univ. Königsberg, Philosophisches Seminar

(gest. 1943)



Heberle, Rudolf

Prof., Louisiana State Univ., Department of Sociology, Baton Rouge

Prof., Louisiana State Univ., Agricultural and Mechanical College, Baton Rouge

Boyd Emeritus Prof., Louisiana State Univ., Baton Rouge

Hirschmann, Otto Albert (1943: Albert O.)

US Army, Office of Strategic Services, Washington

Federal Reserve System, Washington D. C.

Lucius N. Littauer Prof., Harvard Univ., John F. Kennedy School of Government, Cambridge

649

Nach der Stipendienzeit Name, Vorname

Berufliche Stellung 1943

Berufliche Stellung 1951

Berufliche Stellung 1972

Hoffmann, Walther

Assistent, Univ. Kiel, Institut für Weltwirtschaft

Prof., Univ. Münster, Direktor der Sozialforschungsstelle, Dortmund

Prof., Univ. Münster (gest. 1971)

Kehr, Eckart

(gest. 1933)





Keller, Hans Karl Ernst

Präsident, Akademie für die Rechte der Völker, Berlin

München

Geschäftsführer, Grotius–Stiftung, München

Kessler, Friedrich

Assistant Prof., Yale Univ., Law School, New Haven

Prof., Yale Univ.

Sterling Prof., Yale Univ.

Kirchhoff, Paul

Instituto Politécnico Nacional, Dept. de antropología, Mexiko

Associate Prof., Washington Univ., Dept. of Anthropology, Seattle

(gest. 1972, Mexiko)

Koch, Privatdozent, Univ. Woldemar Otto Köln

Prof., Freie Univ. Berlin Prof., Univ. Tübingen

Kohn, Leo

Secretary, Board of governors, Hebrew Univ., Jerusalem

Politischer Berater, Außenministerium, Tel Aviv, Israel

Prof., Hebrew Univ., Jerusalem (gest. 1961)

Krause, Heinz

Assistent, International Conference of Agricultural Economists, Berlin





Kromphardt, Wilhelm

A. o. Prof., Univ. Münster

Prof., Univ. Göttingen

Prof., Univ. Heidelberg

Kühne, Karl Otto

(Entzug des Stipendiums)





Laun, Justus Ferdinand

Pastor in Hessen



(gest. 1963)

Leibbrandt, Georg

Leiter der Hauptabtei- – lung I, Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete, Berlin

Wirtschaftlicher Berater, Bonn

Liepmann, Clara Maria

Research Assistant, Russell Sage Foundation, New York





Liepmann, Leo

Lecturer, Research Assistant, London School of Economics, London

Lecturer, Oxford Univ., Lecturer, Oxford Univ., Delegacy for extra Delegacy for extra mural studies mural studies

650

Erfahrungen und Erlebnisse

Name, Vorname

Berufliche Stellung 1943

Berufliche Stellung 1951

Berufliche Stellung 1972

Linhardt, Hanns

A. o. Prof., Univ. Münster (bis 1938, dann freier Wirtschaftsberater)7

Prof., Freie Univ. Berlin Prof., Univ. Erlangen– Nürnberg

Lösch, August

Dozent, Univ. Bonn, Institut für Wirtschaftswissenschaft

(gest. 1945)



Löwith, Karl

Hartford Seminary Foundation, Hartford

Prof., New School for Social Research, New York

Prof., Univ. Heidelberg

Lutz, Friedrich

Queens College, Long Island

Prof., Princeton Univ., Princeton

Prof., Univ. Zürich

Mackenroth, Gerhard

Prof., Univ. Straßburg

Prof., Univ. Kiel

(gest. 1955)

Marschak, Jakob (nach 1933 Jacob)

Direktor, Cowles Commission for Research in Economics, Chicago

Prof., Univ. of Chicago

Prof., Univ. of California, Los Angeles

Meier, Harri

Prof., Univ. Leipzig

Prof., Univ. Heidelberg

Prof., Univ. Bonn

Mellerowicz, Konrad

Prof., Wirtschaftshoch- Prof., Technische schule, Berlin Univ., Berlin

Prof., Technische Univ., Berlin

Merkert, Emil

Private Forschung, Stuttgart



Direktor, Württembergbadische Bau­gesellschaft, Stuttgart

Meynen, Emil

Außerplanmäßiger Prof., Univ. Berlin

Direktor, Bundesanstalt für Landeskunde und Raumforschung, Landshut

Direktor, Institut für Landeskunde, Bad Godesberg

Morstein Marx, Univ. of Chicago, Law Fritz School

Staff Assistant, US–Bu- Prof., Hochschule für reau of the Budget, VerwaltungswissenWashington D. C. schaften, Speyer (gest. 1969)

Pfeffer, Karl Heinz

Privatdozent, Univ. Leipzig (1940: A. o. Prof. u. 1943 O. Prof., Univ. Berlin)8



Prof., Univ. Münster, Sozialforschungsstelle, Dortmund (gest. 1971)

Pfeifer, Gottfried

Oberassistent, Univ. Bonn, Geographisches Institut, (bis 1932: Mitarbeiter California Univ., Berkeley)

Prof., Univ. Heidelberg

Prof. Emeritus, Univ. Heidelberg

651

Nach der Stipendienzeit Name, Vorname

Berufliche Stellung 1943

Berufliche Stellung 1951

Berufliche Stellung 1972

Pfister, Bernhard

Privatdozent, Univ. Freiburg

Prof., Univ. München, Institut für Fremdenverkehr, Staatswirtschaftliche Fakultät

Prof., Univ. München, Hochschule für Politische Wissenschaften

Predöhl, Andreas

Direktor, Institut für Weltwirtschaft, Univ. Kiel

Prof., Univ. Kiel

Prof., Univ. Münster, Institut für Verkehrswissenschaft, Präsident, Deutsches Übersee–Institut, Hamburg

Raschhofer, Hermann

Assistent, Dozent, Univ. Berlin

(1952: Prof., Univ. Kiel)9

Prof., Univ. Würzburg

Rheinstein, Max

Gastprof., Univ. of Chicago, Law School

Prof., Univ. of Chicago, Prof. Emeritus, Univ. of Law School Chicago

Riemer, Svend

Assistant Prof., Washington Univ., Seattle

Associate Prof., Univ. of Wisconsin, Madison

Rittershausen, Heinrich

Privatdozent, Univ. Frankfurt

Prof., Wirtschaftshoch- Prof., Univ. Köln schule, Mannheim

Rohden, Peter Richard

Privatdozent, Univ. Berlin (gest. 1942)





Schelting, Alexander von

Columbia Univ., New York

Wissenschaftlicher Mitarbeiter, UNESCO, Paris

Prof., Univ. Zürich (gest. 1963)

Scherpner, Hans

Privatdozent, Univ. Frankfurt

Prof., Univ. Frankfurt

(gest. 1959)

Schneider, Erich

Prof., Aahus Univ., Dozent, Univ. Bonn

Prof., Univ. Kiel

Direktor, Institut für Weltwirtschaft, Univ. Kiel (gest. 1970)

Schneider, Kurt Univ. Berlin, „Institute of Agricultural Economics“ und Ministerium für Landwirtschaft

„Principal Economist“, Ministerium für Landwirtschaft, Rheinland–Pfalz, Mainz

„Principal Economist“, Ministerium für Landwirtschaft, Rheinland–Pfalz, Mainz

Schoch, Maria Magdalene

Privatdozentin, Univ. Hamburg (1938: Assistentin, Law School, Harvard Univ., Cambridge)10

Attorney at law, US Department of Justice, Office of Alien Property, Washington D. C.

Attorney, Washington D. C.

Sommer, Artur

Forscher, Deutsche Forschungsgemeinschaft (Oberstleutnant der Wehrmacht11)

Prof., Univ. Heidelberg

Prof., Univ. Heidelberg

Prof., Univ. of California, Los Angeles

652

Erfahrungen und Erlebnisse

Name, Vorname

Berufliche Stellung 1943

Berufliche Stellung 1951

Berufliche Stellung 1972

Staehle, Hans

Visiting lecturer, Harvard Univ., Department of Economics, Cambridge

Chief, Economic Commission for Europe, Research and planning division, Statistical Section, Genf

General Agreement on tariffs and trade, Genf

Steding, Christoph

(gest. 1938)





Strauss, Leo

New School for Social Research, New York

Prof., Univ. of Chicago

Prof., Claremont Men’s College, Claremont

Tönniessen, Hedwig

Bibliothekarin, Institut für Sozial- und Staatswissenschaften, Heidelberg, bis 1933 (1938: Emigration, Australien)









Trömel, Werner Statistiker, Stuttgarter Allianz, Stuttgart Trützschler v. Falkenstein, Heinz

Völkerbund, Informati- (1951: im Auswärtigen onsabteilung, Genf Dienst)13 (bis 1933, 1941–1945: Leiter der Unterabteilung Allg. Außenpoli-

Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Irland (bis 1967)

tik im Auswärtigen Amt)12 Vagts, Alfred

Forscher, Princeton Univ., Institute of Advanced Study, Princeton

Schriftsteller, Sherman, Connecticut

Schriftsteller, Sherman, Connecticut

Vossler, Otto

Prof., Univ. Leipzig, Philosophische Fakultät

Prof., Univ. Frankfurt, Historisches Seminar

Prof. Emeritus, Univ. Frankfurt, Historisches Seminar

Wagner, Günter Feldforscher, International Institute of African Languages and Culture (1939: Rückkehr nach Deutschland)14

Govt. Ethnologist, Government of Union of South Africa, Native affairs department, Pretoria, Union of South Africa

(gest. 1952)

Wohlfahrt, Erich

Mitglied, Kriegsministerium, „Psychological Army Institute“

Beamter, Lehrerprüfungsamt, Land Berlin, Berlin

(gest. 1961)

Wollenweber, Hellmut

A. o. Prof., Univ. Berlin Senior Lecturer, Univ. Bonn (1950: Prof.)

Prof. Emeritus, Univ. Bonn

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Nach der Stipendienzeit Name, Vorname

Berufliche Stellung 1943

Berufliche Stellung 1951

Berufliche Stellung 1972

Zechlin, Egmont

A. o. Prof., Univ. Hamburg

Prof., Univ. Hamburg

Prof. Emeritus, Univ. Hamburg

(Quelle: Datenbank des Forschungsprojekts „Philanthropie américaine et sciences sociales en Europe 1919–1939: Circulations intellectuelles, réseaux et constructions institutionnelles“ (EHESS, Paris, unveröffentlicht), Fellowship Cards der deutschen Stipendiaten, in RAC-RF, RG 10 Fellowship Cards, Liste „European Fellowships“ (1943), The Rockefeller Foundation, Directory of fellowship awards, for the years 1917–1950, New York 1951, The Rockefeller Foundation, Directory of fellowship and scholarships, 1917–1970, New York 1972).

1 2

3 4 5 6 7 8

9

10 11 12 13 14

Vgl. Rauchenschwandtner, Soziale Erkenntniskritik, S. 209. Vgl. Wolfradt, Uwe, Art. Walter Beck, in Wolfradt, Uwe; Billmann-Mahecha, Elfriede; Stock, Arnim (Hgg.), Deutschsprachige Psychologinnen und Psychologen 1933–1945. Ein Personenlexikon, Wiesbaden, 2015, S. 25. Vgl. ebd. Drescher gibt 1942 Berlin als Standort an. Vgl. Drescher, Die verlorenen und gefährdeten Investitionen, S. 227. Die RF notiert, dass er 1941 in den USA war. Vgl. Wesel, Uwe, 250  Jahre rechtswissenschaftlicher Verlag C.  H.  Beck, 1763–2013, München, 2013, S. 240. Vgl. Vogt, Von Fleiß und Sachverstand, S. 181. Vgl. Mantel, Betriebswirtschaftslehre, S. 185, 187. Vgl. Wollmann, Hellmut, Soziologie zwischen Kaiserreich, Weimarer Republik und NS-Regime, in Tenorth, Heinz-Elmar (Hg.), Geschichte der Universität Unter den Linden 1810–2010: Praxis ihrer Disziplinen. Transformation der Wissensordnung, Bd. 5, Berlin, 2010, S. 273. Vgl. Salzborn, Samuel, Zwischen Volksgruppentheorie, Völkerrechtslehre und Volkstumskampf. Herrmann Raschhofer als Vordenker eines völkischen Minderheitenrechts, in Sozial.Geschichte 21 (2006), S. 48 (Im Folgenden zitiert als Salzborn, Zwischen Volksgruppentheorie). Vgl. Stiefel et al., Deutsche Juristen, S. 146. Vgl. Salin, Über Artur Sommer, S. 83. Vgl. Bode, Die auswärtige Kulturverwaltung, S. 356. Vgl. ebd. Vgl. Mischek, Leben und Werk, S. 84.

77 Stipendiaten erhielten eine LSRM- oder RF-Fellowship (ohne visiting professors), wobei einem der Stipendiaten des Memorials das Stipendium wieder entzogen wurde. Die Lebenswege und Karrieren der ehemaligen Stipendiaten waren in der ersten Hälfte der 1940er-Jahre durch die nationalsozialistische Herrschaft und den Zweiten Weltkrieg geprägt. 1943 waren von den 76 Stipendiaten fünf bereits verstorben. Von den verbleibenden 71 Fellows befanden sich 65,5 % in Deutschland und 34,5 % im Ausland. Von den sich im Ausland befindenden Stipendiaten lebten 20 in den USA sowie jeweils einer in England, Mexiko, Palästina und Australien. Ein Stipendiat war sowohl im Ausland als auch in Deutschland beschäftigt. 1951 waren zwölf ehemalige Stipendiaten gestorben, über elf der 76 Ex-Fellows lagen der RF zu diesem Zeitpunkt keine Informationen vor oder sie waren nicht in das Directory von 1951 aufgenommen worden. Vor allem über das Schicksal der

654

Erfahrungen und Erlebnisse

Stipendiatinnen war die RF schlecht informiert. Geographische Angaben lagen zu 53 Personen vor: 57 % der ehemaligen Stipendiaten lebten in Deutschland und 42 % im Ausland. In den USA befanden sich 17 der ehemaligen Fellows, drei waren im europäischen Ausland und je einer hielt sich in Israel und Südafrika auf. Zu einer nennenswerten Rückkehrbewegung nach Deutschland unter den emigrierten Stipendiaten kam es zwischen 1945 und dem Anfang der 1950er-Jahre nicht: Lebten 1943 24 Personen im Ausland, waren es 1951 noch 22 (zuzüglich eines Ex-Fellows, der sowohl im Ausland wie auch in Deutschland lebte). Zwanzig Jahre später, 1972, waren 29 ehemalige Stipendiaten nicht mehr am Leben, über sieben der 76 Ex-Fellows lagen keine Nachrichten vor oder sie fehlten im Directory. In Deutschland hielten sich 23 (57,5 %) der 40 lokalisierbaren Personen auf, im Ausland 16 (40 %), wobei ein weiterer Stipendiat sowohl in den USA als auch in Deutschland tätig war. Zwölf der Ex-Fellows befanden sich in den USA, drei in europäischen Ländern und einer in einem außereuropäischen Land. Die Relationen veränderten sich also im Vergleich zu 1951 kaum, auch später kam es nicht zu einer Rückkehrbewegung nach Deutschland. Dies entspricht den allgemeinen Forschungsergebnissen zu in die USA emigrierten Wissenschaftlern, nach denen in fast allen Disziplinen nur 10 bis 15 % zurück nach Deutschland kamen438. Während Stipendiaten wie Josef Back, Hermann Bente, Harald Fick, Walther Hoffmann, Woldemar Koch, Wilhelm Kromphardt, Hanns Linhardt und Konrad Mellerowicz akademische Karrieren in Deutschland absolvierten, machten die emigrierten Stipendiaten Siegfried von Ciriacy-Wantrup, Elisabeth Feist, Rudolf Freund, Rudolf Heberle, Friedrich Kessler, Jacob Marschak, Max Rheinstein, Svend Riemer und Leo Strauss ihre Karriereschritte in den USA. Zurück nach Europa kehrten Karl Löwith, der eine Professur an der Universität Heidelberg annahm, Fritz Morstein Marx, der an die Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer ging und Friedrich Lutz, der Professor in Zürich wurde. Auch Alexander von Schelting beendete seine Karriere als Professor an der Universität Zürich, Hans Staehle ging nach einem Aufenthalt in den USA nach Genf. Dietrich Gerhard unterrichtete Anfang der 1950er-Jahre abwechselnd ein Semester an der Universität Köln und eines an der Washington University in St. Louis. Zu einer Auswanderung deutscher Stipendiaten in der Nachkriegszeit kam es nicht: Die Stipendiaten, die sich 1943 in Deutschland aufhielten, waren dort auch 1951 und 1972 beheimatet. An der unmittelbar nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs einsetzenden Auswanderung Deutscher ins westeuropäische Ausland und in die USA, die

438 Vgl. Krohn, Deutsche Wissenschaftsemigration, S. 443.

Nach der Stipendienzeit

655

bis 1948 mehr als 500 Wissenschaftler und Experten aufnahmen439, waren die ehemaligen Stipendiaten nicht beteiligt. Christian Fleck hat den Anteil der ausgewanderten ehemaligen deutschen und österreichischen Stipendiaten der Zwischenkriegszeit mit denen der Schweiz verglichen, in der eine Flucht aus der Diktatur kein Auswanderungsgrund war. Er kommt zu dem Ergebnis, dass um 1970 ein Drittel der schweizerischen sozialwissenschaftlichen Stipendiaten in den USA lebten und zwei Drittel der österreichischen. Die Emigrationsbewegungen der deutschen Fellows ähnelten denen der Schweiz: Nach Flecks Berechnungen lebten um 1970 36 % der ehemaligen deutschen Stipendiaten außerhalb Deutschlands440. In der hier durchgeführten Auswertung steigt der Auswanderungsgrad der Deutschen auf 40 %, sodass deren Auswanderungsrate zwischen der der Österreicher und der der Schweizer anzusiedeln wäre. Auffällig ist vor allem die sehr hohe Emigrationsrate der österreichischen Stipendiaten. Von den Stipendiaten, die ihr Stipendium nach Ende des Zweiten Weltkriegs bekamen, lebten einige Jahre später immer noch ein Drittel der Schweizer im Ausland, während Deutsche und Österreicher zu 85 % bzw. 82 % in ihr Heimatland zugekehrt waren441. LSRM und RF erwarteten, dass die Fellows im Heimatland eine wichtige Position in der Wissenschaftslandschaft einnehmen und die Verbreitung empirischer sozialwissenschaftlicher Forschung unterstützen würden. Durch die NS-Machtübernahme konnte – unabhängig von Qualität und konkreter Ausgestaltung der Stipendienprogramme – dieses Ziel in Deutschland nur mit Einschränkungen erreicht werden. Viele der geförderten Sozialwissenschaftler mussten Deutschland verlassen, diejenigen, die blieben, entsprachen in ihren Einstellungen nicht unbedingt den Zielen und Erwartungen der Rockefeller’schen Philanthropie. Aus Deutschland emigrierten 35–40 % der Stipendiaten und von den Ex-Fellows, die in Deutschland blieben, erreichten nicht alle eine Position, in der sie die Kenntnisse ihrer Stipendienzeit bekannt machen konnten. 1943 waren von den 71 ehemaligen deutschen Stipendiaten 13 ordentliche Professoren, acht außerordentliche Professoren und 17 Assistenten oder Dozenten. Damit hatten 30 % der Ex-Fellows Professorenstellen (ordentliche und außerordentliche) im In- oder Ausland erlangt und 24 % Assistenten- oder Privatdozentenstellen. 13 weitere Stipendiaten waren in der Forschung tätig, drei arbeiteten als Lehrer oder Schulleiter, von drei weiteren war die berufliche Stellung nicht bekannt. Für Regierungsstellen oder die öffentliche Verwaltung arbeiteten elf ehemalige Stipendiaten, nur 439 Vgl. Herrmann, Dietrich, Einwanderung und Auswanderung, in Junker, Detlef (Hg.), Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945–1990, Bd. 1, 1945–1968, Stuttgart, München, 2001, S. 821. 440 Vgl. Fleck, Long-Term Consequences, S. 73. 441 Vgl. ebd.

656

Erfahrungen und Erlebnisse

zwei hatten Stellen in der Privatwirtschaft. Die von der RF gefürchtete Abwanderung in die Wirtschaft blieb äußerst gering. Direkt mit wissenschaftlicher Forschung befasst waren 51 und damit knapp 72 % der Stipendiaten. 1942 untersuchte die RF die Karrieren von 587 europäischen Ex-Fellows, die seit 1924 LSRM- oder RF-Stipendien erhalten hatten. Trotz eines Durchschnittsalters von unter 40 Jahren hatten 1939 23,5 % (138) Professorenstellen oder „senior lectureships“ und 32 % (190) „junior university positions“ inne. Weitere 12 % (70) waren Mitarbeiter in Forschungsinstitutionen und 13,5 % (80) hatten verantwortliche Positionen in „government departments“. Insgesamt waren etwa 70 % der ehemaligen Stipendiaten in der universitären Lehre und Forschung ihres Heimatlandes beschäftigt, und 10 % hatten Stellen im Ausland angenommen. 12 % waren in der Wirtschaft tätig und hatten ihre wissenschaftliche Tätigkeit aufgegeben442. Vergleicht man den beruflichen Erfolg dieser europäischen Gesamtgruppe mit den deutschen Stipendiaten, so fällt auf, dass letztere etwas erfolgreicher als der europäische Durchschnitt waren. 30 % der Deutschen waren ordentliche Professoren oder außerordentliche Professoren, während nur 23,5 % aller europäischen Fellows Professuren oder „senior lectureships“ innehatten. Fasst man die „senior“ und „junior“ Lehr- und Forschungstätigkeiten zusammen, liegen beide Gruppen bei über 50 % (53,5 % bei den deutschen, 55,8 % bei allen Fellows). 18 % der deutschen und 12 % aller Stipendiaten arbeiteten in Forschungsinstituten, 15,5 % der deutschen und 13,5 % aller Fellows waren für Regierungsstellen oder die öffentliche Verwaltung tätig. Beruflich waren die deutschen Stipendiaten also durchaus erfolgreich, aber eben nur teilweise im Heimatland. Zudem dürfte 1943 ein hoher Teil der von der Regierung angestellten deutschen Fellows nicht den Zielsetzungen der RF entsprochen haben: Stipendiaten wie Georg Leibbrandt, Walter Beck, Emil Meynen, Heinz Trützschler von Falkenstein und Günter Wagner stellten ihre praktischen und wissenschaftlichen Fähigkeiten in den Dienst des NS-Staates, auch die im Nationalsozialismus von ehemaligen Stipendiaten durchgeführten Projekte entsprachen den Standards wissenschaftlicher Forschung oft nicht. Nach 1945 konnten die meisten ehemaligen deutschen Stipendiaten, die sich für die NS-Politik engagiert hatten, ihre Karrieren problemlos weiterführen. Der Teilnehmer der Wannsee-Konferenz Georg Leibbrandt wurde von 1945 bis 1949 zwar von den Alliierten interniert, doch schon 1955 beriet er Konrad Adenauer in der Frage der Freilassung der letzten deutschen Kriegsgefangenen in der Sowjetunion. Später leitete Leibbrandt das Büro der staatlichen Salzgitter AG in Bonn, 1966 erhielt

442 Vgl. T. B. Kittredge an J. H. Willits, Report on SS Fellowship Program (1924–1941), 19. Januar 1942, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 378, S. 7.

Nach der Stipendienzeit

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er das Bundesverdienstkreuz443. Auch der Völkerrechtler Hermann Raschhofer konnte seine akademische Karriere nach 1945 fortsetzen. Ein Ermittlungsverfahren zu seinen Aktivitäten im Nationalsozialismus wurde auch dann nicht eröffnet, als Studenten ihn öffentlich für seine Rolle im NS-Staat kritisierten444. Hellmuth Wollenweber konnte seine wissenschaftliche Karriere nach 1945 ebenfalls fortsetzen445. In der Zeit zwischen 1943 und 1951 waren die deutschen ehemaligen Stipendiaten beruflich sehr erfolgreich: Von den 53 Stipendiaten, die den Krieg überlebten und deren berufliche Position 1951 bekannt war, waren 68 % (36) im In- oder Ausland als Professoren tätig (davon drei außerordentliche Professoren oder Associate Professors). Die zwölf ehemaligen Stipendiaten, die für Regierungsstellen oder in der öffentlichen Verwaltung tätig waren, bildeten die zweitgrößte Gruppe. In Deutschland arbeiteten besonders viele Stipendiaten an der Universität Kiel, wo sich Gerhard Mackenroth, Andreas Predöhl, Erich Schneider und für kurze Zeit Harald Fick einfanden. Auch Fehling lebte in der Nachkriegszeit in Kiel446. 1972 waren unter den 40 noch lebenden Stipendiaten, deren berufliche Stellung bekannt war, 30 (75 %) emeritierte oder aktive Professoren (davon zwei außerordentliche Professoren oder Associate Professors). Fünf ehemalige Stipendiaten hatten immer noch Positionen für Regierungen oder in der öffentlichen Verwaltung inne, drei arbeiteten in der freien Wirtschaft. Ein wichtiges Ziel der Stipendienprogramme von LSRM und RF, nämlich die Etablierung der geförderten Forscher in Spitzenpositionen des Wissenschaftsbetriebs, ist daher für die deutschen Stipendiaten der Zwischenkriegszeit in hohem Maße erreicht worden. Dass Positionen entgegen den Absichten der Initiatoren der Programme oft nicht in Einrichtungen des Heimatlands, sondern im Ausland erreicht wurden, ist weniger dem Stipendienplan als den politischen Umständen geschuldet. Den universalistischen Idealen der Stiftung, der Förderung des Wohlergehens der Menschheit in der ganzen Welt, entsprach hingegen nur ein Teil der deutschen Stipendiaten. Die Officers konnten nicht verhindern, dass die während der Stipendienzeit erworbenen Kenntnisse nicht nur für die von den Stiftern intendierten Zwecke, sondern auch für den NS-Staat eingesetzt wurden.

443 Vgl. Hoppe, Bert; Glass, Hildrun (Hgg.), Die Verfolgung und Ermordung der europäischen Juden durch das nationalsozialistische Deutschland. Sowjetunion mit annektierten Gebieten, München, 2011, S. 550. 444 Vgl. Salzborn, Zwischen Volksgruppentheorie, S. 48. 445 Vgl. Inhetveen, Heide, Emerita vel bene merita? Zum Stand der Land- und Agrarsoziologie, in Orth, Barbara; Schwietring, Thomas; Weiß, Johannes (Hgg.), Soziologische Forschung: Stand und Perspektiven. Ein Handbuch, Opladen, 2003, S. 232. 446 Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 15. Februar 1948, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 5.

Zwischenfazit: Junge Sozialwissenschaftler im internationalen Austausch – Neue Perspektiven und transnationale Missverständnisse

Fast 80 deutsche Stipendiaten erhielten durch das LSRM und die RF die Möglichkeit, weitgehend selbstständig über einen längeren Zeitraum hinweg im Ausland andere Kulturen und Wissenschaftssysteme kennenzulernen, neue Ideen und Perspektiven in ihre Forschung aufzunehmen, wertvolle Kontakte zu ausländischen Wissenschaftlern zu knüpfen und nebenbei ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Nicht alle nutzten diese Chance im Sinne der Stiftung, aber die Mehrheit der deutschen Stipendiaten realisierte – wie von LSRM und RF erhofft – innovative und praktisch ausgerichtete Forschungsvorhaben, die durch die neuen Erfahrungen in der fremden Forschungsumgebung angeregt wurden. Andere Stipendiaten sahen in der im Ausland verbrachten Zeit eher eine Möglichkeit, auf ihre wissenschaftliche Karriere in Deutschland ausgerichtete Publikationen vorzubereiten und lernten entgegen den Intentionen des Programms in erster Linie die Bibliotheken und Archive der Gastländer kennen. Dies wurde während der Laufzeit des Stipendiums toleriert, galt aber bei Verlängerungsanträgen ebenso wie der fehlende Kontakt zur ausländischen Wissenschaft als Verweigerungsgrund. Das Missfallen der RF erregten einige Stipendiaten, die das den Fellows auferlegte Gebot politischer Zurückhaltung nicht ausreichend respektierten oder bewusst umgingen. Diese Kritik formulierten die Stiftungsmitarbeiter allerdings nur intern und nicht gegenüber den Stipendiaten. Waren die Fellows einmal vom Deutschen Komitee vorgeschlagen und ihre Auswahl von den Verantwortlichen der RF bestätigt, wurde ihre Kompetenz auch bei mangelnder Einhaltung wissenschaftlicher Standards nicht offen in Frage gestellt. Die von den Officers gegenüber den Fellows geäußerte Kritik betraf selten grundsätzliche Probleme, sondern eher unzureichende Fortschritte in der Arbeit oder wenig Kooperation mit Forschern vor Ort. Bei der individuellen Ausgestaltung der Auslandsaufenthalte, der Wahl der Universitäten und dem Zuschnitt der Arbeitspläne genossen die Stipendiaten große Freiheiten. Das Stipendium war in vielen Fällen der Anfang einer langjährigen Zusammenarbeit zwischen Stiftung und Stipendiaten. Ein großer Teil der Fellows hielt nach der Rückkehr nach Deutschland den Kontakt zu LSRM und RF durch das Einsenden von Publikationen und gelegentlichen Berichten über ihre berufliche Weiterentwicklung. Die Officers nutzten auf ihren Reisen ebenfalls die Gelegenheit, mit ehemaligen Stipendiaten zusammenzutreffen. Das fortgesetzte Interesse der RF an den ins Heimatland zurückgekehrten Stipendiaten führte in vielen Fällen zur Vergabe von „grants-

Zwischenfazit: Junge Sozialwissenschaftler im internationalen Austausch

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in-aid“ oder Folgestipendien. Das 1933 eingerichtete und den ehemaligen Stipendiaten zunächst weitgehend verschlossene Hilfsprogramm für von den Nationalsozialisten entlassene Wissenschaftler wurde schrittweise für sie geöffnet. Kriterium für die weitere Förderung war die Einschätzung der Karriereperspektiven der jungen Wissenschaftler im In- und zunehmend auch im Ausland durch die Stiftungsverantwortlichen. Nur bei positiven Zukunftsaussichten wurde eine Weiterförderung in Betracht gezogen. Persönliche Bindungen und Freundschaften, die sich während der Stipendienzeit zwischen Stipendiaten und ausländischen Wissenschaftlern entwickelten, überdauerten in zahlreichen Fällen die Rückkehr ins Heimatland. Gerhard Mackenroth verband eine lange Freundschaft mit dem Ehepaar Myrdal, das er während seiner Stipendienzeit in Schweden kennengelernt hatte. Er übersetzte Gunnar Myrdals Bücher ins Deutsche, für Fehling ein „nice example of cooperation among the Rockefeller generation of economists“1. Andreas Predöhl verband eine dauerhafte Freundschaft mit dem österreichischen RF-Fellow Oskar Morgenstern2. Auch die von Stipendiaten organisierte Hilfsaktion für den in finanzielle Schwierigkeiten geratenen Werner Trömel verweist auf persönliche Bindungen und ein gewisses Zusammengehörigkeitsgefühl. Während die RF 1934 verallgemeinernd feststellte, die 330 ehemaligen Stipendiaten in Europa seien durch ein Netzwerk aus Freundschaften miteinander verbunden3, beobachteten Fehling und sein englischer Kollege Hall, dass die Fellows aus den großen Ländern im Ausland weniger enge Verbindungen untereinander aufrechterhielten als die der kleineren osteuropäischen Länder4. Manche persönliche Verbindung überstand die Zeit des Zweiten Weltkriegs. So setzte sich Fehling 1947 bei den amerikanischen Behörden für die Entlassung des ehemaligen Stipendiaten Kurt Schneider aus der amerikanischen Kriegsgefangenschaft ein5. In regelmäßigem Kontakt stand Fehling mit Van Sickle, den er, obwohl beide nicht mehr für die RF tätig waren, über die Lebenswege einzelner ehemaliger Fellows auf dem Laufenden hielt. Van Sickle schickte Fehling CARE-Pakete nach Kiel6, 1 2 3 4

5 6

Brief von A. W. Fehling an T. B. Kittredge, 19. Oktober 1932, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 31. Vgl. Brief von A. Predöhl an A. W. Fehling, 13. Februar 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 21. Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report for 1934, New York, 1935, S. 180. Vgl. T. B. Kittredge, Memorandum. Problems involved in the administration of Social Science Fellowships, Discussions in Paris, on April 28, 29 and 30, 1933, in RF-RAC, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 376, S. 6. Vgl. Brief von A. W. Fehling an „Dear Sirs“, 3. März 1947, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 5. Vgl. Brief von A. W. Fehling an J. Van Sickle, 15. Februar 1948, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 5. Van Sickle bat auch amerikanische Verwandte, Fehling CARE-Pakete zu senden. Vgl. Brief von J. Whyte an A. W. Fehling, 2. März 1947, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 5.

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Erfahrungen und Erlebnisse

von der RF erhielt der ehemalige Landesvertreter in der Nachkriegszeit „food packages“ und Bücherlieferungen7. In der Einschätzung der RF waren die Aktivitäten in der Zwischenkriegszeit in England und den skandinavischen Ländern besonders erfolgreich und in Frankreich und Italien enttäuschend verlaufen. Deutschland nahm zwischen diesen Extremen einen Mittelplatz ein8. Kittredge kam 1942 in einer Analyse des Stipendienprogramms zu dem Ergebnis, dass besonders die Unterstützung relativ junger Fellows erfolgreich gewesen sei. Andererseits hätten diese in der Periode von 1924 bis 1929 auch öfter außerakademische Karrieren eingeschlagen. Von allen Fellows des LSRM hätten insgesamt 10 % internationale wissenschaftliche Reputation erlangt. Bei den Stipendiaten, die nach 1929 nominiert worden waren, arbeiteten laut Kittredge vier Fünftel nach der Stipendienzeit in ihrem Forschungsfeld weiter und hätten „positions of leadership in the newer developments“ in Forschung und Lehre ihrer Heimatländer erreicht. Ein Großteil der besonders erfolgreichen Fellows sei auch nach der Rückkehr von der RF durch persönliche Beihilfen oder Bewilligungen an die Institutionen, an denen sie tätig waren, gefördert worden9. Die RF konstatierte Anfang 1942 aber auch, dass zwei Drittel der ehemaligen sozialwissenschaftlichen Stipendiaten aufgrund des Zweiten Weltkriegs berufliche Veränderungen erfahren hatten. In Großbritannien und den Dominions führten von 155 Ex-Fellows nur 78 ihre wissenschaftliche Tätigkeit fort, davon die Hälfte im Rahmen kriegsbezogener Regierungsprogramme. 40 ehemalige Stipendiaten waren in Vollzeit im Regierungsdienst und einige bei den Streitkräften tätig, weitere 26 hielten sich im Ausland auf. In den von den Achsenmächten besetzten Ländern zählte die RF 245 ehemalige sozialwissenschaftliche Fellows, von denen etwa die Hälfte weiterhin in den vor Kriegsausbruch besetzten Stellen tätig war. Über 125 der ExFellows lagen keine Informationen vor, viele von ihnen hatten zuvor an Instituten gearbeitet, die im Krieg geschlossen worden waren. 65 Stipendiaten befanden sich im Ausland, davon 47 in den USA. Über die 140 ehemaligen Stipendiaten aus Deutschland, Italien, Ungarn, Rumänien und Bulgarien war der RF bekannt, dass 60 weiterhin im akademischen oder staatlichen Bereich arbeiteten, während 40 in die USA oder nach England ausgewandert seien. Über 40 Stipendiaten lagen der RF keine

7

Die Bücherbestellungen waren möglich, da Fehling bei der RF aus der Zwischenkriegszeit noch Mittel zur Verfügung standen. Vgl. Brief von A.  W.  Fehling an Letort, 12.  Juni 1948, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 5. 8 Vgl. T.  B.  Kittredge, „European Institutes of Economic Research“, 7.  Februar 1938, RAC-RF, RG 1.1, Series 700, zitiert in Craver, Patronage and the Directions, S. 215. 9 T. B. Kittredge an J. H. Willits, Report on SS Fellowship Program (1924–1941), 19. Januar 1942, in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 378, S. 8.

Zwischenfazit: Junge Sozialwissenschaftler im internationalen Austausch

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Informationen vor. In Deutschland habe ein Dutzend ehemaliger Fellows strategische technische Positionen inne, notierte Kittredge10. Ein wesentlicher Punkt wurde in den meisten Evaluierungen der RF, die sich hauptsächlich auf quantitative Analysen der weiteren Karrierewege der ehemaligen Stipendiaten konzentrierten, vernachlässigt. In einer Zeit steigender Nationalismen und politischer Spannungen ermöglichte das Stipendienprogramm einen transnationalen Austausch und eine nachhaltige positive Erfahrung der Internationalisierung auf Seiten der Stipendiaten und ihrer Kontaktpersonen im In- und Ausland. Die Stipendiaten bekamen einen tiefen Einblick in die Kultur ihres Gastlands, konnten Vorurteile gegenüber ausländischer Wissenschaft und Gesellschaft korrigieren und gingen neue wissenschaftliche und persönliche Bindungen ein. Die Stipendienzeit bot die Möglichkeit des Perspektivwechsels und des Infragestellens der eigenen Positionen. Die Erfahrungen einiger Stipendiaten mit stark nationalistischer oder nationalsozialistischer Einstellung zeigen jedoch die Grenzen des internationalen Austauschs: Nicht in jedem Fall führte der Auslandsaufenthalt zu einer Öffnung gegenüber neuen Eindrücken und Erfahrungen. Bei einigen Fellows bestärkte er im Gegenteil nationalistische Einstellungen und eine Ablehnung anderer Denk- und Lebensweisen.

10 Vgl. ebd., S. 6.

Fazit und Ausblick: Das transnationale Rockefeller Universum und die deutschen Sozialwissenschaften

Am Anfang des Engagements der Rockefeller Philanthropie für die deutschen Sozialwissenschaften standen der Fortschrittsglaube und der Optimismus Beardsley Rumls. Er wusste die sozialwissenschaftliche Lücke in der philanthropischen Förderlandschaft der USA geschickt zu nutzen und entwickelte auf Grundlage detaillierter Analysen der Lage der amerikanischen und europäischen Sozialwissenschaften ein breit angelegtes Unterstützungsprogramm. Die Finanzierung empirischer Arbeiten, die sich durch zeitlichen Aufwand und große Kosten auszeichneten, sollte sowohl auf institutioneller wie auch auf individueller Ebene ansetzen. Die großen Linien der Förderpolitik – Finanzierung kollektiver Forschungsprogramme und Vergabe von Stipendien an Nachwuchskräfte – waren daher in allen in das Programm einbezogenen Ländern ähnlich. Von Beginn an gab es aber auch länderspezifische Bestandteile, wie die in Deutschland eingeführten „library grants“ für die Anschaffung von Büchern und Zeitschriften. Die Verwaltung der Förderprogramme unter Ruml zeichnete sich durch eine große Liberalität aus. Aber auch unter seinem Nachfolger Edmund E. Day, der für verschärfte Richtlinien und deren strenge Befolgung stand, waren ungewöhnliche und gewagte Projekte möglich. Die Initiative bei der Auswahl der deutschen Stipendiaten wurde August Wilhelm Fehling und dem von Friedrich Schmidt-Ott geleiteten Professorenkomitee überlassen. Auswahlkriterien und Ablauf des Bewerbungsprozesses wurden im Rahmen der allgemeinen Richtlinien von deutscher Seite definiert. Mit Ausnahme des von Sapir geleiteten Seminars zur Persönlichkeitsforschung an der Yale University gab es weder für die Stipendien noch für die institutionellen Förderprogramme inhaltliche Einschränkungen. LSRM und RF verfolgten den Grundsatz politischer Neutralität: Bewerber mit politisch brisanten Forschungsthemen oder starkem politischen Engagement wurden nicht etwa von den Foundation Officers abgelehnt, sondern bereits in den ersten Etappen des Auswahlprozesses von den Mitgliedern des Deutschen Komitees aussortiert. Besonders links eingestellten Kandidaten gegenüber herrschte eine grundsätzliche Skepsis vor, hier waren die Deutschen eindeutig restriktiver als die Amerikaner. Bis auf eine Ausnahme akzeptierten die Stiftungsverantwortlichen in Paris und New York die deutsche Vorauswahl. Sobald die jungen Sozialwissenschaftler das Stipendium erhalten hatten, übten die Officers keine direkte Kritik an ihnen, auch wenn sie sich im Ausland über die geforderte politische Zurückhaltung hinwegsetzten oder in ihren Publikationen wissenschaftliche Standards vernachlässigten.

Fazit und Ausblick

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Wissenschaftlerinnen spielten in der Verwaltung der Programme auf deutscher Seite keine Rolle und wurden äußerst selten als Gutachterinnen am Auswahlprozess der Stipendiaten beteiligt. In der deutschen Wissenschaftslandschaft – dies zeigen die analysierten Gutachten und die Briefwechsel zwischen den Mitgliedern des Deutschen Komitees – bestanden vielfach Vorbehalte, junge Sozialwissenschaftlerinnen mit einem Stipendium ins Ausland gehen zu lassen. Auf der amerikanischen Seite gab es eine größere Bereitschaft, Frauen an den Förderprogrammen zu beteiligen. In den Ausschreibungen wurden Frauen und Männer zur Bewerbung aufgefordert, außerdem scheinen die Officers versucht zu haben, zumindest ein Stipendium pro Jahrgang an eine Antragstellerin zu vergeben. Im Deutschen Komitee war es Mendelssohn Bartholdy, der sich vehement für die Vergabe der Fellowships an weibliche Nachwuchskräfte einsetzte, wobei nicht in jedem Jahr Frauen unter den Bewerbern waren. Im Unterschied zu den männlichen Stipendiaten konnten nur wenige Stipendiatinnen ihre akademische Karriere nach dem Auslandsaufenthalt fortsetzten, ihr Kontakt zur Rockefeller Philanthropie verlor sich in vielen Fällen nach der Rückkehr. Die Liberalität bei der Auswahl der Stipendiaten und der Ausgestaltung der Forschungsprojekte in den geförderten Institutionen führte dazu, dass nicht nur den von LSRM und RF entwickelten Förderkriterien entsprechende Projekte unterstützt wurden. Ein ganzer Teil der Stipendiaten verfolgte keine dezidiert sozialwissenschaftlichen Projekte, sondern arbeitete an historischen oder philosophischen Arbeiten, die hauptsächlich auf Archiv- und Bibliotheksrecherchen fußten. Anderen wurde der Vorwurf gemacht, sich erst nach einer langen Orientierungszeit mit einem bestimmten Forschungsthema näher beschäftigt zu haben. Die Finanzierung der Orientreise einer Stipendiatin war weniger durch das Interesse an den zu erwartenden wissenschaftlichen Ergebnissen, als durch die Fürsprache Alfred Webers begründet. Auch in der institutionellen Förderung entsprachen einige Projekte nicht den Richtlinien. Am auffälligsten war die Diskrepanz zwischen Zielsetzung und Fördertätigkeit in der Unterstützung der von Friedrich Schmidt-Ott initiierten Gemeinschaftsarbeit deutscher Rassenforscher. Die Analyse der geförderten Programme und Personen zeigt über die gesamte Untersuchungsperiode eine starke Personenzentrierung der Rockefeller’schen Fördertätigkeit. Mindestens so wichtig wie ein innovatives, empirisches und gegenwartsorientiertes Forschungsprojekt waren der persönliche Eindruck, den die Amerikaner von den deutschen Antragstellern erhielten, sowie die Reputation der Antragsteller. Auf ihren Reisen besuchten die Stiftungsmitarbeiter deutsche Forschungsinstitutionen, um persönliche Kontakte zu pflegen. In ihren Memoranden und „Diaries“ wurde der Beschreibung der Gesprächspartner hinsichtlich Alter, Aussehen und Persönlichkeit großer Raum gegeben. Eine Förderung kam zustande, wenn sich ein Vertrauensverhältnis zwischen Antragsteller und Stiftungsmitarbeitern gebildet hatte. Zu den

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Erfahrungen und Erlebnisse

Institutsdirektoren Alfred Weber, Bernhard Harms und Albrecht Mendelssohn Bartholdy entwickelte sich ein enger persönlicher Kontakt. Auch ehemalige Stipendiaten genossen einen Vertrauensvorschuss der Stiftung und wurden bei der Vergabe von „grants-in-aid“ bevorzugt. Die engen Bindungen, die sich im Stipendienprogramm bildeten, spiegelten sich auch auf sprachlicher Ebene wider: So wurde Fehling gelegentlich als „Rockefeller Vater“ bezeichnet, er selbst sprach von einem ehemaligen Stipendiaten in Schwierigkeiten als von seinem „Sorgenkind“ und das LSRM wurde von den Stipendiaten mitunter „Tante Laura“ genannt. Die enge Verbindung von individueller und institutioneller Förderung machte die gemeinsame Behandlung beider Förderstränge unabdingbar. Sowohl durch die parallele Konzeption als auch durch Fehling als Vermittler und Organisator waren die Bereiche eng verflochten und bedingten sich gegenseitig. Für ausländische Stipendiaten waren die geförderten Institute in Hamburg, Kiel, Heidelberg und Berlin wichtige Anlaufstellen. Wissenschaftler, die einen ausländischen Fellow beraten hatten, schlugen ihrerseits junge Mitarbeiter für die Stipendien vor. Einige ehemalige deutsche Stipendiaten arbeiteten an den geförderten kollektiven Forschungsprojekten mit. Neben vielfältigen Verbindungen folgten beide Programmteile aber nicht gänzlich deckungsgleichen Prinzipien. Während im Stipendienprogramm die Personenzentrierung der Förderung besonders stark war, wurde in der institutionellen Förderung der Gestaltung der deutschen Forschungslandschaft stärker Rechnung getragen. Auf Seiten der Rockefeller Philanthropie wurden kleinere, relativ unabhängige Institute mit liberaler Grundausrichtung zu den wichtigsten Förderempfängern. Sie sollten sich zu Anziehungspunkten empirisch interessierter Wissenschaftler entwickeln und über den lokalen Rahmen hinaus an Bedeutung gewinnen. Doch auch im institutionellen Programm kam eine Förderung nur bei Sympathie für die leitenden deutschen Wissenschaftler zustande. Negative Folgen der Personenzentrierung in der Fördertätigkeit von LSRM und RF zeigten sich nach der NS-Machtübernahme besonders deutlich. Die Stiftungsmitarbeiter im Pariser Büro, die zu den deutschen Sozialwissenschaftlern enge Verbindungen aufgebaut hatten, taten sich äußerst schwer, von einmal entwickelten Förder- und Vertrauensverhältnissen abzurücken und die Auswirkungen der politischen Veränderungen für die deutsche Wissenschaftslandschaft voll zu realisieren. Gerade Tracy B. Kittredge regte bis Ende der 1930er-Jahre Fördertätigkeiten in Deutschland an, obwohl deren politisch problematische Implikationen unübersehbar und unter den von ihm vorgeschlagenen Institutionen nationalsozialistisch kontrollierte Einrichtungen waren. Ihm galt die Nähe zur Politik auch im Nationalsozialismus noch als Zeichen von Qualität. Während die Trustees und Officers in New York früher von einer Weiterförderung der deutschen Sozialwissenschaften unter den Bedingungen des Nationalsozialismus abrückten, waren die Mitarbeiter in Europa nicht zur Beendigung der Fördertätigkeit bereit. Die langen und kontroversen Diskussionen

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in der Stiftung zeigen die Grenzen des Einflusses der Trustees, deren institutionelles Förderverbot von den Officers vor Ort geschickt umgangen wurde. In Deutschland war die institutionelle Förderung, wenn man die von LSRM und RF gesetzten Ziele und die Resultate vergleicht, in den Wirtschaftswissenschaften am erfolgreichsten. Der Rockefeller Philanthropie gelang es, in Heidelberg, Kiel und Bonn Forschungen zu wichtigen Gegenwartsproblemen zu fördern, die theoretische Überlegungen mit potenziell praktischem Nutzen verbanden. In Kiel führte dieser Erfolg jedoch auch zu einer Weiterförderung von Programmen im Nationalsozialismus, deren wissenschaftliche Ergebnisse jetzt der nationalsozialistischen Wirtschaftspolitik zugutekamen. Die Förderung der im Deutschland der Zwischenkriegszeit noch nicht institutionalisierten Politikwissenschaften erwies sich als schwierig. Die Einrichtung eines Forschungszentrums für internationale Beziehungen in Berlin scheiterte an unzureichenden Vorbereitungen auf amerikanischer Seite und fehlender Einbindung deutscher Verhandlungspartner. Die in die Deutsche Hochschule für Politik gesetzten Erwartungen konnten sich wegen der NS-Machtübernahme nicht erfüllen. Als dritte der sozialwissenschaftlichen Kerndisziplinen gehörte die deutsche Soziologie zu den Verlierern der Rockefeller’schen Fördertätigkeit: Die soziologischen Institute weckten zwar das Interesse der Stiftungsmitarbeiter, die sie auf ihren Reisen besuchten, zu einer Finanzierung kam es jedoch nicht. Insgesamt blieb die institutionelle Förderung in Deutschland auf einem niedrigen Niveau: Dem LSRM fiel es schwer, sich in der unübersichtlichen Forschungslandschaft zu orientieren und geeignete Institute ausfindig zu machen. Außerdem überschatteten politische Unruhen und Bürgerkriegsgefahr die Deutschlandreisen der Mitarbeiter der sozialwissenschaftlichen Abteilung der RF in den frühen 1930er-Jahren. Die Umsetzung des Stipendienprogramms wurde in der Stiftung weitgehend als Erfolg gewertet. Viele der deutschen Stipendiaten erfüllten die Erwartungen der Stiftung und ließen sich von ihren Forschungserfahrungen im Ausland in ihren eigenen Arbeiten inhaltlich oder methodisch inspirieren. Die Verleihung des Stipendiums wurde von den ausgewählten Forschern als große Auszeichnung empfunden, die hohen Erwartungen der Fellows wurden in den meisten Fällen nicht enttäuscht. Der Status des Rockefeller Stipendiaten öffnete im Ausland, vor allem in den USA, Türen, die Nachwuchswissenschaftlern im Allgemeinen verschlossen blieben. Die positive Entwicklung des Stipendienprogramms – Anfang der 1930erJahre stiegen in Deutschland der Bekanntheitsgrad des Programms in der Zielgruppe und die Zahl der Bewerber – wurde durch die Errichtung der NS-Diktatur unterbrochen. Zwar müssen für die Einstellung des Programms neben den politischen auch stiftungsinterne Gründe beachtet werden, doch lassen die Schwierigkeiten Fehlings, Kandidaten für den Jahrgang 1935 zu gewinnen, vermuten, dass das Stipendienprogramm im nationalsozialistischen Deutschland keine Zukunft gehabt hätte. 1935 konnte trotz verzweifelter Bewerbersuche nur ein Stipendium vergeben

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werden, wobei der erfolgreiche junge Sozialwissenschaftler kein Wunschkandidat des Deutschen Komitees war. Vor allem Fehling verweigerte sich lange dieser Erkenntnis und setzte sich vehement für die Weiterführung des Stipendienprogramms nach den alten Richtlinien ein. Das über Jahre in deutsch-amerikanischer Zusammenarbeit aufgebaute Programm endete mit großen Enttäuschungen bei allen Beteiligten. Die Rückkehrverpflichtung der Stipendiaten ließ sich im nationalsozialistischen Deutschland nur unter großen Schwierigkeiten und Nichtberücksichtigung vitaler Interessen der Stipendiaten durchsetzen. Die Besuche ausländischer Fellows in Deutschland gingen zurück und ein Teil der deutschen Stipendiaten nutzte die Stipendienzeit für nationalsozialistische Propaganda. Auch im Deutschen Komitee wuchsen die Spannungen. Die Hoffnung der amerikanischen Stiftungsmitarbeiter, zukünftige wissenschaftliche und gesellschaftliche Führungspersönlichkeiten auszubilden, wurde ad absurdum geführt, als einige der in amerikanischen Methoden geschulten jungen Sozialwissenschaftler ihr Können in den Dienst des Nationalsozialismus stellten und „positions of leadership“ in der NS-Diktatur anstrebten. Erst Ende der 1930er-Jahre trug die RF der veränderten Situation in aller Konsequenz Rechnung und vergab die letzten Stipendien fast ausschließlich an emigrierte Nachwuchskräfte. Die weiteren Lebenswege der ehemaligen deutschen Stipendiaten zeigen, dass ein hoher Anteil von ihnen, wie von LSRM und RF erwünscht, eine wissenschaftliche Karriere einschlug. Von den emigrierten Ex-Fellows entschieden sich nur wenige für eine Rückkehr nach Deutschland, mehrere kamen in den USA zu wissenschaftlichen Ehren. Stipendiaten, die sich für die NS-Diktatur engagiert und an den Verbrechen der Nationalsozialisten beteiligt hatten, konnten im Nachkriegsdeutschland ihre akademische Laufbahn in der Regel fortsetzen. Beurteilt man die Ergebnisse dieser Studie vor dem Spiegel der Debatte über die Beweggründe philanthropischer Stiftungen für ein Engagement im Ausland, so lassen sich in den Quellen kaum Belege für das Postulat „America first“ finden. Vielmehr achteten sowohl das Memorial als auch die sozialwissenschaftliche Abteilung der Rockefeller Foundation darauf, sich in der Frage der Beeinflussung von Forschungsergebnissen nicht angreifbar zu machen. Dieses Bemühen vereinfachte ihre Aktivitäten im Ausland nicht: So erschwerte das Verbot von Aushängen in den Universitäten in Deutschland die Bewerbersuche für das Stipendienprogramm und die Weigerung, eine Liste der Rockefeller Fellows zu erstellen und ihnen zugänglich zu machen, konnte nicht von allen Programmteilnehmern nachvollzogen werden. In der institutionellen Förderung blieben den Antragstellern oft die Bewertungskriterien verborgen und ein transparenter Auswahlprozess fand nicht statt. Die Freiheit, die den Stipendiaten in der Durchführung ihrer Forschungsprojekte gelassen wurde, zeugt von einer starken Akzeptanz des Grundsatzes, nicht in die geförderten Studien einzugreifen. In der institutionellen Förderung setzte man auf die Integrität der leitenden Wissenschaftler. Missfallen an im Rahmen der geförderten Forschungs-

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projekte veröffentlichter Studien wurde, wie Kritik an den Stipendiaten, nur intern geäußert. Versuche, Forschungsergebnisse im Einzelnen zu beeinflussen, können daher nicht festgestellt werden. Auswirkungen auf die sozialwissenschaftliche Forschungslandschaft der Länder, in denen das Memorial und die RF intervenierten, waren hingegen ausdrücklich erwünscht: Sozialwissenschaftliche Forschung allgemein und besonders empirische Ansätze sollten gestärkt werden. Dies konnte in der Realität nur erreicht werden, wenn die Stiftungsmitarbeiter auf lokale Kooperationsbereitschaft trafen. Mangelte es an Ansprechpersonen, wie im Frankreich der 1920er-Jahre, kam es zu einer Ablehnung der Förderung vor Ort, wie an der Cambridge University, oder versperrten Missverständnisse und unzureichende Vorbereitung den Weg zur Förderung, wie in der gescheiterten Gründung eines politikwissenschaftlichen Instituts in Berlin, lief der amerikanische Förderwille ins Leere. Interventionen politischer Natur lehnten sowohl das Memorial als auch die Rockefeller Foundation strikt ab. Gegenüber im nationalsozialistischen Deutschland tätigen Kontaktpersonen versuchte man, politisch motivierte Entscheidungen hinter Sachgründen zu verstecken. De facto waren aber sowohl die Einsetzung der Hilfsprogramme für verfolgte Wissenschaftler als auch die Weiterförderung der weitgehend gleichgeschalteten Kieler Wirtschaftswissenschaftler bis weit in die 1930er-Jahre hinein Entscheidungen von politischer Bedeutung. Darüber hinaus war eines der Ziele des Förderprogramms, Regierungsstellen und Einrichtungen des sozialen und wirtschaftlichen Lebens mit durch wissenschaftliche Behandlung gewonnenen Erkenntnissen zu versorgen. Gerade im Bereich der internationalen Beziehungen erhoffte man sich durch den wissenschaftlich-distanzierten Blick einen mäßigenden und die Verständigung fördernden Einfluss. Nicht Entpolitisierung kann als implizites Ziel der Rockefeller Stiftungen ausgemacht werden, sondern ein Zurückdrängen ideologischer Konflikte zugunsten auf wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhender Betrachtungsweisen. Die These eines starken amerikanischen Isolationismus in der Zwischenkriegszeit ist in der historischen Forschung mittlerweile nuanciert worden. Auch wenn der amerikanische Kongress die Ratifizierung des Versailler Vertrags 1919 ablehnte und dem amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson damit eine politische und persönliche Niederlage bereitete, waren die 1920er- und 1930er-Jahre von einem wachsenden auswärtigen Engagement, vor allem in wirtschaftlichen und finanzpolitischen Fragen, geprägt. Ludovic Tournès kommt in seiner Untersuchung zum Verhältnis der Vereinigten Staaten zum Völkerbund zu dem Schluss, dass die USA nicht isolationistisch agierten, sondern in dieser Zeit ihre ersten zögerlichen Schritte als Supermacht gingen. Reduziert man die amerikanische Außenpolitik nicht allein auf Regierungshandeln, nehmen die Stiftungen einen wichtigen Platz unter den nicht gouvernementalen Akteuren ein. Neben der offiziellen etablierte sich eine philanthropische Dip-

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lomatie, wobei die Grenzen zwischen öffentlicher und privater Sphäre unscharf blieben1. Das Engagement der Rockefeller Philanthropie für die europäischen Sozialwissenschaften lässt sich daher als Weiterführung des Wilsonismus auf nicht gouvernementaler Ebene verstehen, die zu einer engen Verflechtung amerikanischer und europäischer Wissenschaftseliten führte. Bei der Analyse der institutionellen und individuellen Förderprogramme hat sich die an die „histoire croisée“ angelehnte Forschungsperspektive als fruchtbar erwiesen. Für die Untersuchung der transatlantischen personen- und netzwerkbezogenen Austauschbeziehungen war sie unverzichtbar. Ansätze der Globalgeschichte, der „shared history“ und der „entangled history“ widmen sich dagegen den eher asymmetrischen Austauschbeziehungen und Interdependenzen zwischen Gesellschaften aus verschiedenen Weltregionen2. Im Laufe der Untersuchung entstand das Bild sich vielfach überkreuzender Einflüsse, die zur Bildung eines Kontaktraums zwischen amerikanischer Stiftungs- und europäischer, besonders deutscher, Wissenschaftskultur führten, in dem Traditionen der Forschungsförderung, deutsche und amerikanische Auswahlmechanismen, disziplinäre Abgrenzungen und methodische Ausrichtungen sowie persönliche Vorlieben und Abneigungen aufeinandertrafen und sich gegenseitig beeinflussten. Die „histoire croisée“ ermöglicht es, diesen Verflechtungen im Einzelnen nachzugehen und ihre Bedeutung für die Ausbildung der sozialwissenschaftlichen Forschungslandschaft der 1920er- und 1930er-Jahre herauszuarbeiten. Die verflechtungsgeschichtliche Perspektive erlaubt außerdem eine über die Kontroversen der 1980er-Jahre hinausgehende Einordnung des Stiftungsengagements in Deutschland. Durch die pragmatische Herangehensweise der „histoire croisée“ werden Hypothesen im Verlauf des Forschungsprozesses entwickelt und getestet. So hat sich die Einschätzung der Rolle Fehlings in der Umsetzung der Förderprogramme in Deutschland im Laufe der Untersuchung mehrfach gewandelt. Im Ergebnis erscheint er als ein äußerst engagierter und prinzipientreuer Verwalter mit diplomatischem Geschick, den aber gerade diese Prinzipienstrenge in der Verwaltungspraxis davon abhielt, ein tieferes Verständnis der Folgen des Nationalsozialismus für die Wissenschaft zu entwickeln. Der Nachvollzug sowohl der internen Neuorientierungen in der Rockefeller Stiftung als auch der Diskussionen um die Reaktion auf die NSMachtübernahme zeigen ein komplexes Zusammenspiel verschiedener Faktoren, die im Ergebnis zu einer sehr späten Aufgabe der Fördertätigkeit in Deutschland führten. Auch hier wurde die Ausgangshypothese, die das Ende der Fördertätigkeit vor allem politischen Erwägungen zuschrieb, nuanciert. Als besonders hilfreich für die Analyse stellte sich die Einnahme verschiedener Blickwinkel durch das Kreuzen von Quellen unterschiedlicher Provenienz heraus. 1 2

Vgl. Tournès, Les États-Unis, S. 8–13. Vgl. Arndt, Agnes et al., Europäische Geschichtsschreibung zwischen Theorie und Praxis, S. 14.

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Nicht nur die Perspektive der amerikanischen Geber, sondern auch die der Vermittler und Rezipienten wurde im Detail untersucht. Auf diese Weise konnten die Strategien der Akteure, Missverständnisse in der Verständigung – etwa auf und nach der Konferenz der Landesvertreter des LSRM 1928 in Paris – und die Entwicklung der transatlantischen Kontakte über einen längeren Zeitraum hinweg nachvollzogen werden. Den Stipendiaten wurde, als in der Forschung vielfach vernachlässigten Empfängern philanthropischer Geldmittel, besondere Aufmerksamkeit zuteil. Der Nachlass Fehlings ist in dieser Beziehung eine wahre Goldgrube, die einen, wenn auch nicht unverstellten, Einblick in die Erlebnisse und Erfahrungen der Stipendiaten im Ausland ermöglicht. Besonders die große Vielfalt der Forschungsinteressen, Herangehensweisen und persönlichen Erfahrungen und Einschätzungen war so nicht erwartet worden. Die „histoire croisée“ lädt zudem ein, eigene Standpunkte zu reflektieren und zu hinterfragen. Heute sind Auslandsaufenthalte, Kontakte zu ausländischen Wissenschaftlern und die Beteiligung an grenzüberschreitenden Methodendiskussionen Teil der persönlichen Erfahrung vieler Studierender und Forschender. Das Schreiben von Forschungsanträgen und das Einwerben von Drittmitteln gehören zum wissenschaftlichen Alltag. Viele der in der Vergabe der Fördermittel der Rockefeller Philanthropie erprobten Verfahrensweisen sind zu festen Bestandteilen der wissenschaftlichen Praxis geworden. Die vom Deutschen Komitee genutzten Auswahlmethoden, wie das Einfordern eines Lebenslaufs und eines ausformulierten Forschungsprojekts, sowie die Beurteilung wissenschaftlicher Qualifikationen und der persönlichen Eignung der Bewerber unter Einbezug vertraulicher Gutachten, sind heute ein vielgenutzter Standard in Bewerbungsprozessen, auch wenn einzelne Perspektiven, etwa in der Beurteilung von Frauen in der Wissenschaft oder nationaler Wissenschaftskulturen, sich gewandelt haben. Es ist zu vermuten, dass die transnationalen Förderprogramme von LSRM und RF zur Verbreitung und Institutionalisierung dieser wissenschaftlichen Praktiken beigetragen haben. Die Beschäftigung mit der Umsetzung der Rockefeller’schen Förderprogramme in Deutschland führte zur Berücksichtigung vieler über den binationalen Rahmen hinausgehenden Beziehungen. Für eine weitergehende Einschätzung deutscher Besonderheiten – die schon allein durch die Einsetzung eines Komitees zur Bewerberauswahl sichtbar wurden – sind weitere vergleichende Untersuchungen zur Umsetzung der Programme in anderen Ländern erforderlich. Auch Gemeinsamkeiten in der Förderung der europäischen Sozialwissenschaften können nur auf vergleichender Grundlage herausgearbeitet werden, wobei gleichzeitig die gegenseitige Bedingtheit der einzelnen Programmteile nicht außer Acht gelassen werden darf. Dass sich die Stiftungsmitarbeiter in jedem Land den lokalen Gegebenheiten anpassen mussten, zeigen die vergleichenden Bemerkungen zur Förderpraxis in Großbritannien und Frank-

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reich3. War in Großbritannien mit der London School of Economics ein eindeutiges Zentrum des Förderinteresses gegeben, kam es in der unübersichtlichen französischen Forschungslandschaft erst spät zu institutioneller Unterstützung.

Ausblick: Sozialwissenschaftliche Förderaktivitäten der Rockefeller Stiftung im und nach dem Zweiten Weltkrieg Der Zweite Weltkrieg bedeutete für das Rockefeller Engagement in Europa eine extreme Zäsur. Während des Krieges wandte sich die RF von Europa ab und Australien, dem Fernen Osten und insbesondere Lateinamerika zu4. Tatsächlich sank die Zahl der bewilligten Stipendien an europäische Wissenschaftler aller Disziplinen von 141 im Jahr 1939 auf vier im Jahr 1943, während die Zahl der Fellowships an lateinamerikanische Forscher in diesem Zeitraum von 47 auf 107 anstieg5. Durch die Integration zahlreicher Wissenschaftler in die Kriegsanstrengungen erreichte die politische Bedeutung der Sozialwissenschaften in den USA einen Höhepunkt6. Deutsche Emigranten, darunter ehemalige Rockefeller Stipendiaten, hatten am wissenschaftlichen Kriegseinsatz einen erheblichen Anteil, indem sie sich zum Beispiel dem Office of Strategic Services oder dem Office of War Information zur Verfügung stellten7. Trotz direkter Kriegskosten von 281 Milliarden Dollar für die Zeit von 1941 bis 1945 gingen die USA als einziger Kriegsteilnehmer gestärkt aus dem Konflikt hervor. In den 1950er-Jahren erlebte das Land einen bisher nicht gekannten materiellen Aufschwung. Durch Kreditvergabe und Förderprogramme wie den Marshall-Plan trug das Land wesentlich zum Wiederaufbau des zerstörten Europas

3 Zu einer vergleichenden Perspektive auf Deutschland, Frankreich und Großbritannien und methodischen Überlegungen zur komparativen Transferforschung siehe Rausch, US-amerikanische „Scientific Philanthropy“, S. 73–98. 4 Vgl. J.  H.  Willits, Memorandum. Fellowship Policy, 25.  Februar 1941, in RAC-RF; RG  1.2, Series 100 ES, box 49, folder 378. 5 Vgl. Fosdick, Die Geschichte, S. 242. 6 Vgl. Krohn, Claus-Dieter, Ein intellektueller Marshall-Plan? Die Hilfe der Rockefeller Foundation beim Wiederaufbau der Wissenschaften in Deutschland nach 1945, in Braun, Hans; Gerhardt, Uta; Holtmann, Everhard (Hgg.), Die lange Stunde Null. Gelenkter sozialer Wandel in  Westdeutschland nach 1945, Baden-Baden, 2007, S.  232–233 (Im Folgenden zitiert als Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan). Siehe auch Braun, Hans, Sozialwissenschaftliche Forschung als Selbstvergegenwärtigung und Evaluation der amerikanischen Besatzungsherrschaft, in Braun, Hans; Gerhardt, Uta; Holtmann, Everhard (Hgg.), Die lange Stunde Null. Gelenkter sozialer Wandel in Westdeutschland nach 1945, Baden-Baden, 2007, S. 205–208 (Im Folgenden zitiert als Braun, Sozialwissenschaftliche Forschung). 7 Vgl. Müller, Die gelehrten Krieger, S. 201.

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bei8. An den für das Nachkriegsdeutschland konzipierten amerikanischen „Reeducation“-Programmen9 waren Sozialwissenschaftler führend beteiligt10. Am Ende des Krieges konzentrierte sich die Rockefeller Stiftung auf Nothilfemaßnahmen zur Wiedereingliederung zurückkehrender Soldaten in das amerikanische Universitätssystem11. Unter den Geförderten befanden sich auch emigrierte deutsche Wissenschaftler, die sich auf amerikanischer Seite am Krieg beteiligt hatten12. Für renommierte Forscher wurden „Special Fellowships“ bereitgestellt, von denen in der Nachkriegszeit auch europäische Gelehrte profitierten13. In der RF gewannen die Geistes- und Sozialwissenschaften gegenüber den Naturwissenschaften an Gewicht. Im Jahr 1946 gab die Stiftung insgesamt 23,4 Millionen Dollar für ihre Förderprogramme aus, davon 13,75 Millionen in den Bereichen Medizin und Gesundheit, aber auch 3 Millionen für die Sozialwissenschaften. Für Programme in den Naturwissenschaften wurden 1,7 Millionen bereitgestellt, außerdem erhielten die Geisteswissenschaften und das General Education Board je 1,5 Millionen14. Nach wie vor zielte die Förderpolitik der sozialwissenschaftlichen Abteilung auf die Stärkung empirischer Forschungsansätze. In der Phase politischer und sozialer Neuorientierung nach dem Kriegsende sollte die Arbeit der Sozialwissenschaftler die öffentliche Debatte befördern und zur Lösung der politischen und sozialen Probleme der Nachkriegsgesellschaft beitragen15. Im Kalten Krieg schloss sich die RF dem antikommunistischen Konsens an, verteidigte aber auch das Ideal der Forschungs8

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10 11 12 13 14 15

Vgl. Heinemann, Isabel, Vom „Good War“ zum „American Century“. Die US-Gesellschaft und der Zweite Weltkrieg, in Martin, Bernd (Hg.), Der Zweite Weltkrieg und seine Folgen. Ereignisse, Auswirkungen, Reflexionen, Freiburg im Breisgau, 2006, S. 176. Vgl. Gerhardt, Uta, Denken der Demokratie. Die Soziologie im atlantischen Transfer des Besatzungsregimes (Transatlantische Historische Studien  31), Stuttgart, 2007, S.  37 (Im Folgenden zitiert als Gerhardt, Denken der Demokratie). Braun betont, dass die Ergebnisse sozialwissenschaftlicher Studien allerdings nur eingeschränkt Einfluss auf die politischen Entscheidungen gehabt hätten. Vgl. Braun, Sozialwissenschaftliche Forschung, S. 224–225. Vgl. Gerhardt, Denken der Demokratie, S. 25. Vgl. Fosdick, Die Geschichte, S. 242. Vgl. Müller, Die gelehrten Krieger, S. 204. Vgl. Fosdick, Die Geschichte, S. 244. Vgl. Müller, Tim B., The Rockefeller Foundation, the Social Sciences, and the Humanities in the Cold War, in Journal of Cold War Studies 15 (2013), S. 112. Vgl. Rausch, Helke, „Allemagne, année zéro“? Dénazifier et démocratiser (1945–1955), in Tournès, Ludovic (Hg.), L’argent de l’influence. Les fondations américaines et leurs réseaux européens, Paris, 2010, S. 131 (Im Folgenden zitiert als Rausch, „Allemagne, année zéro“). Die Rezeption amerikanischer sozialwissenschaftlicher Werke trug in Deutschland, so betont Frank Trommler, zur Entwicklung der „geistigen Grundlagen“ der Demokratie bei. Vgl. Trommler, Frank, Neuer Start und alte Vorurteile: Die Kulturbeziehungen im Zeichen des Kalten Krieges 1945–1968, in Junker, Detlef (Hg.), Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945–1990, Bd. 1, 1945–1968, Stuttgart, München, 2001, S. 583.

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freiheit16. Sie sah sich weiterhin einem liberalen Internationalismus und der Förderung von Spitzenforschung verpflichtet. In den Sozialwissenschaften wurde der Behaviorismus gefördert, daneben standen aber auch Bewilligungen an Einrichtungen mit anderen Schwerpunkten. Mit dem Argument „fehlender Objektivität“ wurden kommunistische und faschistische Wissenschaftler von der Förderung ausgeschlossen17. In der Stiftung ging man von der Notwendigkeit eines völligen Neubeginns in Europa aus: Einer der Verantwortlichen hielt fest, man müsse anstatt von „recon­ struction“ von „construction“ sprechen. Mehrere Officers, besonders Warren Weaver, sprachen sich gegen die Umsetzung von Förderprogrammen in Deutschland aus, solange das Land nicht als „democratic state in a society of nations“ funktioniere18. Andere sahen bei einem Engagement in Deutschland die Gefahr, die eigene Arbeit und den Grundsatz der politischen Neutralität durch eine zu starke Abhängigkeit von den Besatzungsmächten zu diskreditieren19. Gerade die Sozialwissenschaften wurden aber auch als ein Instrument der Demokratisierung der deutschen Gesellschaft angesehen20. Das Pariser Büro wurde nach Kriegsende nicht wieder eingerichtet21 und Fehling22 nicht erneut als Rockefeller Berater eingestellt. An dem in der Nachkriegszeit zögerlich wieder aufgenommenen Engagement der RF in Deutschland war er nicht mehr beteiligt. Die ersten beiden Nachkriegsjahre nutzte die RF für eine grundlegende Orientierung über die deutsche Forschungslandschaft, während sie in Großbritannien, Frankreich, Schweden, Polen und Jugoslawien bereits wieder größere Bewilligungen aussprach. Wie in den Anfängen des Engagements des LSRM im Deutschland der 1920er-Jahre bestand die erste Aktivität der RF in der Entsendung von Stiftungsver16 Vgl. Müller, Die gelehrten Krieger, S. 214–215. 17 Vgl. Müller, Tim B., Die Macht der Menschenfreunde – Die Rockefeller Foundation, die Sozialwissenschaften und die amerikanische Außenpolitik im Kalten Krieg, in Krige, John; Rausch, Helke (Hgg.), American Foundations and the Coproduction of World Order in the Twentieth Century, Göttingen, 2012, S. 158, 162. 18 Vgl. Sachse, What Research, to What End, S. 113. Zu einer Aussprache über die verschiedenen Gesichtspunkte kam es auf einer „Officer’s Conference“ im April 1947. Vgl. Schüring, Minervas verstoßene Kinder, S. 324. 19 Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 232–233. 20 Vgl. Rausch, „Allemagne, année zéro“, S. 131. 21 Vgl. Brief von A. W. Fehling an K. Oberdiesse, 23. Mai 1958, in BAK, NL Fehling 1106, Nr. 5. Siehe auch Mertens, Rockefeller Foundation, S. 594. 22 Fehling geriet am Ende des Zweiten Weltkriegs in amerikanische Kriegsgefangenschaft, aus der er im Spätsommer 1945 entlassen wurde. „I had a pretty hard time in one of the camps in Austria“, schrieb er im Juli 1946 an Alan Gregg, Direktor der medizinischen Abteilung der RF. „Sometimes I felt a bitter irony of fate in this first contact with the country to which I owe so many happy remembrances connected with the rich professional tasks of the best time of my life“. Brief von A. W. Fehling an A. Gregg, 12. Juli 1946, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 5.

Fazit und Ausblick

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tretern23. Als erste Gesandte24 besuchten die Trustees John D. Rockefeller III. und William I. Myers Deutschland im Sommer 194625. Die Zukunft des Landes, so ihr Fazit, hänge vor allem von wirtschaftlichen Verbesserungen ab. Zur Förderung der Demokratie schlugen sie Stiftungsaktivitäten im Bildungsbereich vor26. Ein erster „grant“ wurde 1946 an den ehemaligen Bonner Wirtschaftswissenschaftler Arthur Spiethoff für die Veröffentlichung seiner Forschungsergebnisse zu Konjunkturzyklen in den USA vergeben27. Eine zweite Erkundungsreise wurde von Januar bis Februar 1946 von Albert R. Mann, einem Agrarwissenschaftler von der Cornell University, durchgeführt. In den drei westlichen Besatzungszonen suchte er die ihm von den verschiedenen Abteilungen der RF übermittelten Kontaktadressen auf und führte Interviews durch28. Mann verstarb bereits kurz nach seiner Rückkehr in die USA, noch bevor er seine Ergebnisse in einem Bericht festhalten konnte. Erst der für die UNESCO in Paris tätige Pädagoge Robert J. Havighurst von der University of Chicago, der mit einer weiteren Mission beauftragt wurde, reichte einen umfangreichen Bericht zur Lage in Deutschland ein29. Havighurst hatte das Land zwischen September und November 1947 bereist30. Die Stiftungsvertreter betonten in ihren Berichten die schwierige materielle und soziale Situation, bemerkten aber auch die überkommenen Strukturen der deutschen Hochschulen, an denen Gegenwartsprobleme kaum in die Lehrpläne integriert seien. Die Universitäten, so Havighurst, seien international isoliert und vordemokratischen Idealen verhaftet. Ein Bewusstsein über die Mitverantwortung an den Verbrechen des Nationalsozialismus fehle. Die wenigen unbelasteten Professoren waren wie der 75-jährige Alfred Weber bereits im Rentenalter. Daher seien die Universitäten als Ausbildungsstätten einer neuen, demokratischen Generation nicht geeignet. Auch auf die geringe Kompetenz der Besatzungsoffiziere im akademischen Bereich wurde hingewiesen31. Havighurst empfahl als Maßnahmen gegen die wissenschaftliche Isolation und zur Förderung der Demokratie die Unterstützung von Austauschprogrammen, Bücher23 24 25 26 27 28 29 30 31

Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 233–234. Vgl. Sachse, What Research, to What End, S. 110. Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 235. Vgl. Staley, The Rockefeller Foundation, S. 255. Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 235. Vgl. Sachse, What Research, to What End, S. 110. Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 235. Vgl. Staley, The Rockefeller Foundation, S. 256. Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 236–237. Zu einer ähnlichen Einschätzung kam 1947 auch ein Gutachten des britischen Verbands der Hochschullehrer über die Situation in der britischen Besatzungszone, das der RF vorlag. Eine dauerhafte Reform sei von den Universitäten selbst nicht zu erwarten, so die Verfasser. Vgl. Schüring, Minervas verstoßene Kinder, S. 325.

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Erfahrungen und Erlebnisse

und Zeitschriftenlieferungen, die Bereitstellung von Sachmitteln und den Aufbau sozialwissenschaftlicher Forschungseinrichtungen. Eine internationale nichtstaatliche Kommission könnte zur Beobachtung des demokratischen Fortschritts in Deutschland, aber auch in anderen Ländern, eingesetzt werden32. Ziel der Vorschläge war die Ausbildung einer neuen Generation von „leaders“, um die Führungskräfte der NS-Zeit in Wissenschaft, Journalismus, Politik und Wirtschaft abzulösen33. Diese und ähnliche Einschätzungen führten in der RF zu einer Verschiebung der Prioritäten: Nicht mehr die Forschung sollte in erster Linie unterstützt werden, sondern die Entwicklung eines demokratischen Bewusstseins in der deutschen Bevölkerung34. Auf Grundlage der Berichte entwickelte die RF 1947 das auf Deutschland und Österreich konzentrierte „European Rehabilitation Program“, für das 476.000 Dollar bereitgestellt wurden35. Die ersten Bewilligungen gingen an amerikanische Einrichtungen. So erhielt die University of Chicago 120.000 Dollar, um an der Universität Frankfurt eine „American faculty“ zu gründen, an der jeweils sechs bis zehn Professoren aus Chicago zwischen einem und sechs Monaten lehren sollten36. Unter den Sozialwissenschaftlern, die an dem Programm teilnahmen, war auch Everett C. Hughes, der 1931 ein SSRC-Stipendium für Deutschland erhalten hatte37. 70.000 Dollar wurden für die Anschaffung wissenschaftlicher Literatur und Zeitschriften bereitgestellt. Auch Austauschprogramme für Journalisten, Lehrer und Studenten sollten finanziert werden, sowie die Entsendung von Gastprofessoren nach Deutschland. Eine 1949 ausgesprochene zweite Bewilligung von knapp 300.000 Dollar war für weitere Bücheranschaffungen, Projekte in der Jugendbildung und Austauschprogramme für Studenten bestimmt. Mit Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 wurde das Programm nicht verlängert, es lief 1951 mit den letzten Bewilligungen aus38. Die einzelnen Abteilungen der RF nahmen ab 1947 die Förderung in Deutschland wieder auf. Die sozialwissenschaftliche Abteilung investierte 34.000 Dollar in Deutschland betreffende Programme. Die Bewilligungen 1947 und 1948 gingen auch hier zunächst an nicht in Deutschland beheimatete Empfänger. 1950 wurde das Stipendienprogramm wieder aufgenommen39. In der Umsetzung der Programme kam den deutschen Emigranten eine Vermittlerrolle zu. So bezahlte die RF Eduard Heimann, 32 33 34 35 36 37

Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 237–238. Vgl. Rausch, „Allemagne, année zéro“, S. 133. Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 237. Vgl. ebd., S. 238. Vgl. The Rockefeller Foundation, Annual Report 1947, New York, 1947, S. 20. Die Unterstützung für das Programm wurde 1951 eingestellt. Vgl. Staley, The Rockefeller Foundation, S. 254. 38 Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 238–239. 39 Vgl. ebd., S. 239.

Fazit und Ausblick

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der bis 1933 an der Universität Hamburg gelehrt hatte und jetzt als Professor an der New School for Social Research in New York tätig war, eine Vortragsreise nach Hamburg. Dem Wirtschaftswissenschaftler Karl Brandt von der Stanford University ermöglichte sie einen mehrwöchigen Aufenthalt an der Universität Heidelberg40. Friedrich Lutz, ein ehemaliger Stipendiat, der nun an der Princeton University arbeitete, erhielt einen „grant“ für eine Europareise41. Der Abteilungsleiter Joseph H. Willits kritisierte 1950, die RF habe sich in Deutschland zu sehr von ihrer eigentlichen Zielsetzung, der Forschungsförderung, entfernt und sich zu stark den Interessen der amerikanischen Besatzungsmacht untergeordnet42. Er warb für eine Loslösung von militärischen Interessen und eine Konzentration auf die höhere Bildung, die die Militärbehörden gegenüber der Schulbildung vernachlässigt hätten43. Das Bild der deutschen Universitäten hatte sich im Vergleich zur unmittelbaren Nachkriegszeit nicht geändert: „As a system of human relations, the German universities are archaic. Their relations with contemporary social life and the real world are often remote and highly academic in the bad case“44, so Willits. Eine Unterstützung der 1948 in Folge von Studentenprotesten gegen die sowjetischen Behörden45 gegründeten Freien Universität in Berlin46 hatte die RF zunächst mit Verweis auf ihre Richtlinien und aus politischen Gründen abgelehnt. Wenig später wurden der neuen Universität dennoch 20.000 Dollar für die Geistes- und Sozialwissenschaften und 3000 Dollar für die Bibliothek des Instituts für Politische Wissenschaft bewilligt. 1953 förderte die RF mit knapp 18.000 Dollar die Erstellung von Lehrmaterialien im Rahmen der Eingliederung der wieder gegründeten Hoch-

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Vgl. Rausch, „Allemagne, année zéro“, S. 134. Vgl. F. Lutz, Fellowship Card, in RAC-RF, RG 10, F/S Recorder Cards, Social Sciences Germany. Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 239. Vgl. Staley, The Rockefeller Foundation, S. 257–258. J. H. Willits, A Report on Germany, 24. Mai 1950, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 7, folder 39, zitiert in Staley, The Rockefeller Foundation, S. 258. 45 Vgl. Greenberg, Udi E., Germany’s Postwar Re-education and Its Weimar Intellectual Roots, in Journal of Contemporary History 46 (2011), S. 10. 46 Vgl. Rausch, „Allemagne, année zéro“, S. 134. Tent bezeichnet die Freie Universität, die auch von der Ford Foundation großzügig unterstützt wurde, als „perhaps the most ambitious experiment ever undertaken in German higher education“. Tent, James F., The Free University of Berlin: A German Experiment in Higher Education, 1948–1961, in Diefendorf, Jeffry M.; Frohn, Axel; Rupieper, Hermann-Josef (Hgg.), American Policy and the Reconstruction of West Germany, 1945–1955, Cambridge, 1993, S. 237. Siehe auch Tent, James F., Der amerikanische Einfluß auf das deutsche Bildungswesen, in Junker, Detlef (Hg.), Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945–1990, Bd. 1, 1945–1968, Stuttgart, München, 2001, S. 609.

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Erfahrungen und Erlebnisse

schule für Politik in die Freie Universität47. Eine weitere Bewilligung von 9500 Dollar ging an das Soziographische Institut der Universität Frankfurt für Gehälter und Reisekosten junger Mitarbeiter. Max Horkheimer erhielt für die Arbeiten des nach Frankfurt zurückgekehrten Instituts für Sozialforschung 5000 Dollar48. Das Institut für Europäische Politik und Wirtschaft wurde mit zwei Beihilfen, 1953 über 20.000 Dollar und 1955 über 19.400 Dollar, bedacht49. In Marburg wurden Wolfgang Abendroths Arbeiten zum deutschen Widerstand gegen den Nationalsozialismus unterstützt, in München das Amerika-Institut50. Die 1946 gegründete Sozialforschungsstelle in Dortmund war eine weitere Empfängerin von Rockefeller Hilfen51, obwohl sich, wie Claus-Dieter Krohn betont, in Dortmund „die Elite der empirischen Sozialforschung aus der NS-Zeit versammelt hatte“ und „unter neuer Terminologie vielfach dort weitermachte, wo sie 1945 aufgehört hatte“52. Dies scheint in der RF jedoch nicht wahrgenommen worden zu sein: Havighurst unterstützte die Förderung der Sozialforschungsstelle und sah in ihr das Potenzial eines „first-class place for the training of younger social scientists“53. 1949 erhielt die Einrichtung 15.000 Dollar für Studien zum Ruhrgebiet. Dem amerikanischen Soziologen und Anthropologen Conrad M. Arensberg wurden 23.000 Dollar bewilligt, damit er sich an der Untersuchung beteiligen und dabei amerikanische 47 Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 240–241. Zur Deutschen Hochschule für Politik siehe auch Söllner, Alfons, Normative Verwestlichung. Der Einfluß der Remigranten auf die politische Kultur der frühen Bundesrepublik, in Bude, Heinz; Greiner, Bernd (Hgg.), Westbindungen. Amerika in der Bundesrepublik, Hamburg, 1999, S. 74–75 (Im Folgenden zitiert als Söllner, Normative Verwestlichung). 48 Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 243. Siehe auch Staley, The Rockefeller Foundation, S.  260–261. Horkheimer gehörte zu den wenigen emigrierten Wissenschaftlern, die sich für eine Rückkehr nach Deutschland entschieden. Vgl. Krohn, Claus-Dieter, Remigranten und Rekonstruktion, in Junker, Detlef (Hg.), Die USA und Deutschland im Zeitalter des Kalten Krieges 1945–1990, Bd. 1, 1945–1968, Stuttgart, München, 2001, S. 811 und Krohn, Deutsche Wissenschaftsemigration, S. 446. Zu den Erfahrungen Adornos zwischen den USA und Frankfurt siehe Claussen, Detlev, „Das nicht Transferierbare zu transferieren“: Theodor W. Adorno zwischen Amerika und Frankfurt am Main, in Kelleter, Frank; Knöbl, Wolfgang (Hgg.), Amerika und Deutschland. Ambivalente Begegnungen, Göttingen, 2006, S. 109–117. 49 Dieses weniger wissenschaftlich als politisch ausgerichtete Institut hatte sich zwischenzeitlich zur Forschungsstätte der neuen Gesellschaft für Auswärtige Politik entwickelt, die von Arnold Bergstraesser geleitet wurde. Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S.  244. Zur Bedeutung Arnold Bergstraessers für die Entwicklung der Politikwissenschaften siehe Söllner, Normative Verwestlichung, S. 82–89 und Bauerkämper, Demokratie als Verheißung, S. 259–264. 50 Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 246. 51 Vgl. Gerhardt, Denken der Demokratie, S. 143. 52 Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 244–245. 53 R. J. Havighurst, Diary excerpt, 6. August 1953, in RAC-RF, RG 1.2, Series 717, box R1123, Dortmund Center for Social Science Research, in zitiert in Staley, The Rockefeller Foundation, S. 261.

Fazit und Ausblick

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Forschungsmethoden in Deutschland bekannt machen könne54. David J. Staley, der den Schriftverkehr zwischen Arensberg und der RF analysiert hat, stellt die Schwierigkeiten des Unterfangens heraus: „Arensberg’s task was to legitimate American methods, but this could only be accomplished by fitting them within an already established context of German social research“55. Die von den Amerikanern erhoffte Demokratisierung der Gesellschaft durch soziologische Forschung hatte schließlich nur eine begrenzte Reichweite56: „[T]he quest to ‚democratise‘ German culture through sociology fell short of expectation. The Rockefeller Foundation could neither ‚democratise‘ nor ‚Americanise‘ German social science“57, so Staley. Die Schwerpunkte des Rockefeller’schen Engagements der Zwischenkriegszeit standen nach 1945 nicht mehr im Zentrum der Förderpolitik, wurden allerdings auch nicht völlig aufgegeben. Nach Heidelberg kamen Gastprofessoren aus dem „European Rehabilitation Program“, unter anderen Alexander Rüstow aus Istanbul. 1953 unterstützte die RF ein von Alfred Weber, Dolf Sternberger und Rüstow initiiertes Forschungsprojekt zur Parlamentarischen Opposition im Mehrparteien-System. In Kiel waren die Gebäude des Weltwirtschaftsinstituts im Krieg zerstört worden. Da die RF den neuen Direktor, den aus der Türkei zurückgekehrten Fritz Baade, nicht als Spitzenwissenschaftler einschätzte und der aus Aarhus nach Kiel gekommene ehemalige RF-Stipendiat Erich Schneider für seine uneindeutige Haltung im Nationalsozialismus in der Kritik stand, erhielt das Institut zunächst nur 700 Dollar aus dem Rehabilitierungsprogramm für Bücheranschaffungen. Schneider wurde ein „travel grant“ für die USA von 3000 Dollar gewährt. Erst nach 1954 wurde dem Institut für Weltwirtschaft eine größere Bewilligung zugesprochen. Außerdem wurde das Kieler Seminar für Wissenschaft und Geschichte der Politik gefördert58. Das Stiftungsengagement war im Deutschland der Nachkriegszeit Spannungen ausgesetzt, die in einigen Punkten den Anfängen der sozialwissenschaftlichen Förderpolitik durch das LSRM in den 1920er-Jahren ähnelten. Für ein den Richtlinien der RF entsprechendes Förderprogramm fehlten im Nachkriegsdeutschland die Grundlagen. Die Isolation der deutschen Wissenschaften sollte aufgebrochen und der Anschluss an die internationale Forschung wieder hergestellt werden. Die wirtschaftliche Situation verbesserte sich zwar relativ schnell, doch die autoritären Strukturen im akademischen Bereich erwiesen sich als langlebig. Vor allem auf der politischen Ebene unterschied sich der Neuanfang nach 1945 von den 1920er-Jahren. Die Deutschen sollten zunächst von einer grundlegenden demokratischen Neuordnung 54 55 56 57 58

Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 244. Staley, The Rockefeller Foundation, S. 262. Vgl. Klingemann, Soziologie und Politik, S. 20. Staley, The Rockefeller Foundation, S. 264. Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 245–246.

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Erfahrungen und Erlebnisse

überzeugt werden, gleichzeitig versuchte die RF den Anspruch politischer Neutralität trotz der Zusammenarbeit mit der amerikanischen Besatzungspolitik aufrechtzuerhalten. Über die Situation im Land waren die Stiftungsmitarbeiter nach dem Zweiten Weltkrieg weit weniger gut informiert als in der Zwischenkriegszeit59, als die Officers des Pariser Büros regelmäßig nach Deutschland reisten und in Fehling einen zuverlässigen Ansprechpartner fanden. Die RF förderte in den späten 1940erund 1950er-Jahren zwar den Wiederaufbau des deutschen Universitätssystems und trug zur Forschungsfinanzierung, zum Aufbau transatlantischer Kontakte und zur Eingliederung einiger Remigranten in die deutsche Wissenschaftslandschaft bei60. Über die Ressourcen für eine grundlegende Restrukturierung des deutschen Universitätssystems, wie sie Havighurst und Willits vorgeschwebt hatte, verfügte die Stiftung jedoch nicht61. Ab 1950 verstärkte die 1936 in Detroit gegründete Ford Foundation (FF) ihr Engagement für die europäischen Sozialwissenschaften62. Die reichste philanthropische Stiftung dieser Zeit gab zwischen 1950 und 1970 in Europa 140 Millionen Dollar aus, dieser Betrag entsprach 3,6 % ihrer Gesamtausgaben63. Ziel der Förderung war im Zeitalter des Kalten Krieges die Verbesserung des Ansehens der USA in der Welt und die Schwächung kommunistischer Tendenzen64. Förderschwerpunkte waren in Europa neben den Sozialwissenschaften auch Management und Betriebswirtschaft, außerdem engagierte sich die Stiftung in der Modernisierung von Forschung und Lehre und der Entwicklung politischer Expertise65. Eine der größten Bewilligungen in Deutschland wurde 1951 der Berliner Freien Universität zugesprochen, die rund 1,3 Millionen Dollar erhielt66. Während die Ford Foundation in bisher unbekanntem Ausmaße Finanzmittel für die europäischen Sozialwissenschaften bereitstellte, zog sich die Rockefeller Stiftung ab Mitte der 1950er-Jahre aus der Förderung sozialwissenschaftlicher Einrichtungen in Europa zurück. In Deutschland erhielten nur noch vereinzelt Institutionen 59 60 61 62 63

Vgl. ebd., S. 247–248. Vgl. Rausch, „Allemagne, année zéro“, S. 141. Vgl. Staley, The Rockefeller Foundation, S. 264. Vgl. McCarthy, U.S. Foundations and International Concerns, S. 4. Vgl. Aubourg, Valérie, La Fondation Ford, des années 1940 aux années 1960. Un acteur de l’américanisation de l’Europe?, in Dulphy, Anne; Frank, Robert; Matard-Bonucci, Marie-Anne; Ory, Pascal (Hgg.), Les relations culturelles internationales au XXe siècle: De la diplomatie culturelle à l’acculturation, Brüssel, 2010, S. 365–366 (Im Folgenden zitiert als Aubourg, La Fondation Ford). 64 Vgl. Tournès, Introduction. Carnegie, Ford, Soros: Généalogie de la toile philanthropique, S. 7–8. 65 Vgl. Aubourg, La Fondation Ford, S. 366. 66 Vgl. Berghahn, Volker, Transatlantische Kulturkriege. Shepard Stone, die Ford-Stiftung und der europäische Antiamerikanismus (Transatlantische Historische Studien  21), Stuttgart, 2004, S. 185.

Fazit und Ausblick

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Beihilfen, wie das IFO-Institut für Wirtschaftsforschung in München 1956 oder das ebenfalls in München beheimatete Institut für Zeitgeschichte 1958. Die RF führte eine bereits am Ende der 1930er-Jahre einsetzende Tendenz fort und verlagerte ihre Aktivitäten in die Länder der „Dritten Welt“. Vor allem in Asien weitete sie ihr Engagement ab den 1950er-Jahren stark aus67. Eine zweite Phase des Engagements der Rockefeller Philanthropie für die europäischen Sozialwissenschaften ging damit zu Ende.

67 Vgl. Krohn, Ein intellektueller Marshall-Plan, S. 248.

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Anhang

Verzeichnis der Anhänge

Anhang 1: Durch den „Special Research Aid Fund for Deposed Scholars“ unterstützte deutsche Sozialwissenschaftler, 1933–1939. 740 Anhang 2: Unter dem Programm „Aid for Deposed Scholars“ geförderte deutsche Sozialwissenschaftler, 1940–1945. 744 Anhang 3: Deutsche Sozialwissenschaftler im „Emergency Program for European Scholars“, 1940–1945. 745 Anhang 4: Die Teilnehmer des Yale Seminars, 1932/33. 746 Anhang 5: Mitglieder des „Committee on Research Fellowships“ des SSRC, 1924–1940. 747 Anhang 6: Deutsche „Research Fellows“ der RF: Promotion, Stellung bei Bewilligung des Stipendiums, Forschungsprojekte, 1929–1940. 748 Anhang 7: Ausländische Rockefeller Stipendiaten in Deutschland, 1929–1938. 754 Anhang 8: SSRC-Stipendiaten mit Deutschland als Zielland, 1929–1938. 766 Anhang 9: Broschüre „Reisestipendien für sozialwissenschaftliche Studien in Amerika“. 773 Anhang 10: Anschreiben Harri Meier, Bewerbung um ein Rockefeller ­Stipendium. 774 Anhang 11: Abschrift des „Personal History Record“ von Alfred Vagts. 775 Anhang 12: Bericht Franz Grügers über seinen Aufenthalt in London (1927). 778 Anhang 13: Bildergalerie 780

740

Anhang

Anhang 1: Durch den „Special Research Aid Fund for Deposed Scholars“ unterstützte deutsche Sozialwissenschaftler, 1933–19391. Name

Disziplin (nach

Letzte Institution vor der

Von RF unterstützte Insti-

RF)

Emigration

tution

Altschul, Eugen

Economics

University of Frankfurt

University of Minnesota

Behrendt, Walther C.

Housing

Prussian Finance Ministry

Dartmouth, University of Buffalo

Bergstraesser, Arnold

History

University of Heidelberg

Scripps College

Bernardelli, Harro

Economics

University of Frankfurt

University of Liverpool

Briefs, Goetz

Economics

Technische Hochschule, Berlin

Catholic University of America

Bruck, Werner

Economics

University of Münster

University College of South Wales, Cardiff

Cassirer, Ernst

Philosophy

University of Hamburg

All Souls College, Oxford

Fischer, Hugo

Sociology

University of Leipzig

Institut for Samfundskorning og Arbeidslaere, Oslo, Norway

Freund, Rudolf

Agricultural Economics

University of Kiel

University of Virginia

Geiger, Theodor

Sociology

Technische Hochschule, Braunschweig

Institute of History and Economics, Copenhagen

Grabowsky, Adolf

Law

Deutsche Hochschule für Politik

University of Basle

Gumbel, Emil J.

Faculté de Droit, University of Lyon

Haas, Wilhelm

Sociology

Hochschule für Politik, Berlin

University of Paris, Institut de Psychologie

Helm, Georges

Economics

University of Würzburg

Tufts Medical School

Hamburger, L.

Labor Law

University of Geneva

Brookings Institute

Heberle, Rudolf

Sociology

University of Kiel

Louisiana State University

Heymann, Hans

Economics

German Foreign Office

Rutgers University

1

Nicht übernommen wurden rein geisteswissenschaftlich ausgerichtete Disziplinen. Aufgrund der Überschneidungen zwischen Philosophie und Sozialwissenschaften wurden die Philosophen in die Aufstellung mit übernommen. Die Tabelle listet nur Personen auf, die aus dem „Special Research Aid Fund for Deposed Scholars“ bezahlt wurden.

741

Anhang Name

Disziplin (nach

Letzte Institution vor der

Von RF unterstützte Insti-

RF)

Emigration

tution

Hintze, Hedwig

History

University of Berlin

University of Paris, Bibliothèque de Documentation Internationale

Hoeniger, Heinrich

Labor Legislation

University of Frankfurt

Fordham University

Honigmann, Ernst

Holborn, Hajo

Institut de Philologie et d’Histoire, University of Brussels Modern History

University of Berlin

Yale University

Homberger, Ludwig Transportation

V.P. German National Railroad co.

American University

Jäckh, Ernst

Economics

Deutsche Hochschule für Politik

New Commonwealth Institute, London

Kähler, Alfred

Economics

Volkshochschule Harrisleefeld

Graduate Faculty of Political and Social Science

Kantorowicz, Hermann

History

University of Kiel

University of Cambridge

Karsen, Fritz

Sociology

Berlin University

International Institute of Social Research

Kessler, Friedrich

Law

Handelshochschule, Berlin

Yale University

Kohn, Hans

Political Science

Near Eastern Correspondence Science for Frankfurter Zeitung

Smith College

Kuczynski, Robert

Demography

Director, Statistisches Amt, Berlin

London School of Economics and Political Science

Landauer, Carl

Economics

Handelshochschule, Berlin

University of California

Landshut, Siegfried

Social Science

University of Hamburg

Hebrew University of Jerusalem

Lehmann, Fritz

Economic Theory

University of Cologne

Graduate Faculty of Political and Social Science

Leipziger, Hugo

Housing

Silesian Housing Administration

University of Texas

742 Name

Anhang Disziplin (nach

Letzte Institution vor der

Von RF unterstützte Insti-

RF)

Emigration

tution

Liepmann, Leo

Economics

University of Breslau

London School of Economics

Loewe, Adolf

Economics

University of Berlin

Victoria University of Manchester

Löwenstein, Karl

International Law

University of Munich

Yale University

Manheim, Ernst

Sociology

University of Leipzig

Kansas City University

Mann, Fritz

Public Finance

University of Cologne

American University

Mannheim, Karl

Philosophy

University of Frankfurt

London School of Economics and Political Science

Marck, Siegfried

Philosophy

University of Breslau

University of Paris, University of Dijon, Central YMCA College

Marschak, Jacob

Economics

University of Heidelberg

All Souls College, Oxford

Mayer, Gustav

History

University of Berlin

London School of Economics

Mendelssohn Bartholdy, Albrecht

International and Comparative Law

Hamburg Institute

Balliol College, Oxford University

Nathan, Otto

Political Science

Hochschule für Politik, Berlin

Princeton University, New York University

Neisser, Hans

Economics

University of Kiel

University of Pennsylvania

Neumann, Sigmund Political Science

Deutsche Hochschule für Politik, Berlin

Wesleyan University

Neuner, Robert

Law

German University of Prague

Yale University

Nussbaum, Arthur

Philosophy of Law

University of Berlin

Columbia University

Plessner, Helmuth

Philosophy

Cologne University

University of Groningen

Pribram, Karl

Economic Statistics

University of Frankfurt

Brookings Institution

Rheinstein, Max

Law

University of Berlin

University of Chicago

743

Anhang Name

Disziplin (nach

Letzte Institution vor der

Von RF unterstützte Insti-

RF)

Emigration

tution

Salomon, Gottfried

Sociology



Bibliothèque de Documentation Internationale contemporaine, Vincennes

Salz, Arthur

Economics

University of Heidelberg

University of Cambridge, Ohio State University

Simons, Hans

International Relations

Deutsche Hochschule für Politik

Graduate Faculty of Political and Social Science

Strupp, Karl

International Law and Relations

University of Frankfurt

International Institute of Social Research

Valentin, Veit

German History and Institutions

University of Freiburg

University of London

Von Beckerath, Herbert

Economics

University of Bonn

Duke University

Von Heine-Geldern, Robert

Anthropology

University of Vienna

American Museum of Natural History

Von Schelting, Alexander

Sociology

Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik

Columbia University

Wagner, Martin

Housing

Director, Town Building Department, Berlin

Harvard

(Quelle: Nach Rockefeller Archive Center, Tabelle 2: Refugee Scholars Aided, 1933–1945, http://www.rockarch. org/collections/rf/refugee2.php, zuletzt eingesehen am 10. Dezember 2018)2, ergänzt durch „List of displaced German Scholars placed with aid of SS Division, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 1, folder 5 und „German Social Scientists whose appointment have been made possible by Rockefeller Foundation Grants“, in RAC-RF, RG 1.1, Series 717, box 1, folder 6).

2

Die Liste des Rockefeller Archive Centers ist insofern unvollständig, als Wissenschaftler, die durch mehrere Hilfsprogramme gefördert wurden, nur für ein Programm aufgeführt werden. In mehreren Fällen wurden Forscher zuerst aus dem „Special Research Aid Fund for Deposed Scholars“ an einer europäischen Universität gefördert, bevor sie mit einem späteren Hilfsprogramm Europa nach 1940 verließen.

744

Anhang

Anhang 2: Unter dem Programm „Aid for Deposed Scholars“ geförderte deutsche Sozialwissenschaftler, 1940–1945. Name

Disziplin (nach

Letzte Institution vor der Emi-

RF)

gration

Von RF geförderte Institution

Baron, Hans

Philosophy

University of Berlin

Institute of Advanced Study

Bonn, Moritz

Economics

Berlin Commercial High School

University of Pennsylvania

Grabowsky, Adolf

International Relations

Deutsche Hochschule für Politik, Berlin

Education Department of Canton of Basle

Jäckh, Ernst

International Relations

Deutsche Hochschule für Politik, Berlin

Columbia University

Kaufmann, Fritz

Philosophy of Law

University of Freiburg

Northwestern University

Rosinski, Herbert

Military Theory

Instructor in Military and Fletcher School of Law and Naval Theory, German Naval Diplomacy Academy

Schwarz, Baldwin

Philosophy

University of Münster

Manhattanville College of the Sacred Heart

Sternberg, Fritz

Economics

German War Ministry

Brookings Institute

Weigert, Oscar

Labor

Director of Labor Exchanges, Germany

American University

(Quelle: Nach Rockefeller Archive Center, Tabelle 2: Refugee Scholars Aided, 1933–1945, http://www.rockarch. org/collections/rf/refugee2.php, zuletzt eingesehen am 10. Dezember 2018).

745

Anhang

Anhang 3: Deutsche Sozialwissenschaftler im „Emergency Program for European Scholars“, 1940–1945. Name

Disziplin (nach

Letzte Institution vor der Emi-

RF)

gration

Economics

University of Muenster

New School

Gumbel, Emil Statistics

University of Heidelberg

New School

Hintze, Hedwig1*

History

University of Berlin

New School

Kelsen, Hans

Philosophy of Law

Institute of International Studies, Geneva

Harvard University

Loewe, Adolf

Economics

University of Berlin

University of Michigan

Löwith, Karl

Philosophy

Privatdozent Marburg

New School

Salomon, Gottfried

Sociology and University of Frankfurt Political Science

New School

Schrecker, Paul

History of Philosophy

University of Paris (University of Berlin)

New School

Sinzheimer, Hugo*

Economics

University of Frankfurt

New School

Brook, W. F.

Von RF geförderte Institution

Terra, Helmut Geography, German-Swiss Asiatic de Geology, and Expedition Anthropology

New School

Von Hildebrand, Dietrich

New School

Philosophy

University of Munich

(Quelle: Nach Rockefeller Archive Center, Tabelle 1: Emergency Program und Tabelle 2: Refugee Scholars Aided, 1933–1945, http://www.rockarch.org/collections/rf/refugee2.php, zuletzt eingesehen am 10. Dezember 2018). Die mit * gekennzeichneten Wissenschaftler haben die USA nicht erreicht („failed to reach America“).

1

Hedwig Hintze hatte von 1933 bis 1935 mit einer Beihilfe aus dem „Special Research Aid Fund for Deposed Scholars“ in der Bibliothèque du Musée de la Guerre in Vincennes gearbeitet. Die Beihilfe wurde 1935 nicht verlängert. Neben der Forschungsarbeit als „maître de recherches“ hatte sie an einer Studie über Jean Jaurès gearbeitet. 1935 ging Hintze zurück nach Deutschland, konnte dort ihre Arbeiten aber nicht fortsetzten. Als Jüdin angesehen (Hintze war protestantischen Glaubens), durfte sie öffentliche Bibliotheken und Universitätsgebäude nicht mehr betreten. Sie erbat im Februar 1939 ein Forschungsstipendium, das ihr die Ausreise in die USA ermöglichen sollte. Da sie keine Einladung einer amerikanischen oder europäischen Universität vorweisen konnte, lehnte die RF die Bitte ab. Vgl. Brief von H. Hintze an die Rockefeller Foundation, 28. Februar 1939 und Brief von T. B. Kittredge an H. Hintze, 11. April 1939, in RAC-RF, RG 2 (1939), Series 717, box 186, folder 1330.

746

Anhang

Anhang 4: Die Teilnehmer des Yale Seminars, 1932/33. Name

Geb.

Nationalität

Ausbildung

Stellung bei Erhalt der Yale Fellowship

Angyal, Andras

1902

Ungar

Dr. med., 1932, Turin

Medical Assistant, Psychiatric Hospital, Turin

Beck, Walter

1898

Deutscher

Dr. phil., Leipzig, 1923

Staatlicher Gefangenenfürsorger, Leipzig

Chitambar, Theodore Parmeshwardatt

1904

Inder (Vereinigtes Königreich)

Master of Arts, Northwestern University, 1929

Graduate Student, Columbia University, Sociology

Dai, Bingham

1899

Chinese

Master in sociology, Chicago Univ., 1932

Graduate Student, Chicago University, Sociology

Ferrero, Leo

1904

Italiener

Doctorate Letters

Independent study

Gierlichs, Willy

1900

Deutscher

Dr., München, 1922

State Police Institute, Counsellor

Halvorsen, Henry

1902

Norweger

Master of Arts, Oslo, 1928

Oslo University, Teacher and Researcher, Psychological Institute

Ishikawa, Michiji

1898

Japaner

Master of Arts, Columbia, 1928

Doctorandus Columbia University

Karadayi, Ali Kemal

1904

Türke

Master of Arts, New York University, 1929

Assistant Professor, International College, Izmir, Türkei

Krzyzanowski, Jan

1904

Pole

Mäki, Niilo

1902

Finne

Master of Arts, Helsinki, 1925

Marjolin, Robert

1911

Franzose

Licence de droit, Paris, 1932

Weinreich, Max

1894

Pole

Dr. Phil., Marburg, 1923

(Quelle: Fellowship Cards, in RAC-RF, RG 10 Fellowship Cards).

Research Director, Yiddish Scientific Institute, Sociology, Vilna

747

Anhang

Anhang 5: Mitglieder des „Committee on Research Fellowships“ des SSRC, 1924–1940. Jahr

Mitglieder des „Committee on Research Fellowships“

Fellowship ­Secretary

1924–26

F. Stuart Chapin**, Charles E. Merriam, Wesley C. Mitchell*

F. Stuart Chapin

1926–27

Floyd H. Allport, F. Stuart Chapin**, Charles E. Merriam, Wesley C. Mitchell*, Arthur M. Schlesinger

F. Stuart Chapin

1927–28

Floyd H. Allport, F. Stuart Chapin, Charles E. Merriam, Wesley C. Mitchell*, Arthur M. Schlesinger

Donald Slesinger

1928–29

R. O. Brooks, F. Stuart Chapin, V. A. C. Henmon, Wesley C. Mitchell, Arthur M. Schlesinger*

John Van Sickle

1929–30

R. O. Brooks, Max Handman, V. A. C. Henmon, Arthur M. Schlesinger*, Malcolm M. Willey

Walter R. Sharp

1930–31

Max Handman, Walter R. Miles, William B. Munro*, Arthur M. Schlesinger, Malcolm M. Willey

Walter R. Sharp

1931–32

Max Handman, William B. Munro*, Edward Sapir, Malcolm Walter R. Sharp M. Willey, Carl F. Wittke

1932–33

Frederic Merk*, William Leiserson, Antioch, Walter R. Sharp, Max Handman, Malcolm M. Willey

Donald Young

1933–34

Frederic Merk*, Carl C. Brigham, William Leiserson, Walter R. Sharp, Malcolm M. Willey

Donald Young

1934–35

Frederic Merk*, Carl C. Brigham, William Leiserson, Walter R. Sharp, Malcolm M. Willey

Donald Young

1935–36

Carl C. Brigham*, William Leiserson, Ralph Linton, Walter R. Sharp, Malcom M. Willey1

Richard H. Shryock2

1936–37

Carl C. Brigham*, Ralph Linton, Frederick C. Mills, Walter R. Sharp, Malcolm M. Willey3

John E. Pomfret4

1937–38

Carl C. Brigham*, A. Irving Hallowell, Frederick C. Mills, Walter R. Sharp, Malcolm M. Willey5

John E. Pomfret, Laura Barrett

1938–39

Carl C. Brigham*, Frederick C. Mills, Robert Redfield, Walter R. Sharp, Malcolm M. Willey6

Laura Barrett

1939–40

Carl C. Brigham*, Charles McKinley, Frederick C. Mills, Robert Redfield, Malcolm M. Willey7

Laura Barrett

(Quellen: SSRC, Council Minutes, 13.–16. September 1932, Council Meeting, 24. Juni 1931, Executive Minutes, 12. September 1932, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2021, SSRC, Executive Minutes, 11. September 1933, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2022, SSRC, Council Minutes, 10.–12. September 1935, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023, SSRC, Executive Minutes, 20. Mai 1936, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023, SSRC, Executive Minutes, 4. September

748

Anhang

1936, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023, SSRC, Executive Minutes, 11. September 1937, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023, SSRC, Executive Minutes, 13. September 1938, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023, SSRC, Executive Minutes, 11. September 1939, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2025). (* Chairman, ** Secretary).

1

Vgl. SSRC, Council Minutes, 10.–12. September 1935, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023. 2 Vgl. SSRC, Executive Minutes, 9. September 1935, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023. 3 Vgl. SSRC, Executive Minutes, 4. September 1936, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023. 4 Vgl. SSRC, Executive Minutes, 20.  Mai 1936, in RAC-SSRC  RG  XII  1, SSRC, Accession  1, Series 7.002, box 339, folder 2023. 5 Vgl. SSRC, Executive Minutes, 11. September 1937, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023. 6 Vgl. SSRC, Executive Minutes, 13. September 1938, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2023. 7 Vgl. SSRC, Executive Minutes, 11. September 1939, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 339, folder 2025.

Anhang 6: Deutsche „Research Fellows“ der RF: Promotion, Stellung bei Bewilligung des Stipendiums, Forschungsprojekte, 1929–1940. Fellow (Jahr-

Promotion

gang)

Institution in

Stellung

Deutschland

Forschungsprojekt (nach Fellowship Card)

Back, Josef (1929)

Dr. rer. pol., Univ. Freiburg, 1926

Univ. Freiburg

Privatdozent (seit 1929)

American trusts and holding companies

Beck, Walter (1932)

Dr. phil., Univ. Leipzig, 1923

Staatsgefängnis Leipzig

Soziale Fürsorge im Gefängniswesen

Yale seminar on impact of culture on personality

Ciriacy-­ Wantrup, Siegfried von (1934)

Dr., Univ. Bonn, 1931

Univ. Bonn

Research Fellow

A study of planning in agriculture in US, an analysis illustrated by the economic policies of the US since 1920

Dobbert, Gerhard (1933)

Dr., Univ. Freiburg, 1930

Statistisches Reichsamt, Berlin

Scientific referent for international finance

Public finance of the Fascist Regime in Italy

Drescher, Leo (1931)

Dr. rer. pol., Univ. Jena, 1928

Deutsches Forschungsinstitut für Agrar- und

Wissenschaftlicher Mitarbeiter

Economic and social causes of the movement from the Farm

749

Anhang Fellow (Jahr-

Promotion

gang)

Institution in

Stellung

Deutschland

Forschungsprojekt (nach Fellowship Card)

Siedlungswesen, Berlin Egle, Walter (1932)

Dr. rer. pol., Univ. Freiburg, 1930

Erdsiek, Gerhard (1930)

Univ. Kiel, Institut für Weltwirtschaft

Research Assistant

Will study importance of standardization of demand in highly developed industrial countries for extension of mass production methods

Dr. jur., Univ. Prov. Court, Jena, 1921 Berlin

Counsellor. In addition, charged with instruct. of county court barristers in connection with civil law and tribunals

Social and legal conditions of the poor laws in civil and criminal proceedings before English and Scotch courts

Feist, Elisabeth (1929)

Dr. phil., Univ. Marburg, 1928





Jean Bodin’s theory of the State

Fick, Harald (1932)

Dr. phil., Univ. Jena, 1927

Univ. Jena, Economic seminar

Dozent and Assistant

Italian financial and fiscal policies

Flad, Ruth Dr. phil., Hilda (1933) Univ. München, 1928



Schulinspektorin

French conceptions of history in France in the 18th century (Voltaire) and in Europe

Gierlichs, Willy (1932)

Dr., Univ. München, 1922

Berlin, State Police Institute

Counsellor

Yale Seminar on Impact of Culture on Personality

Haufe, Helmut (1935)

Dr. phil., Univ. Leipzig, 1931

Univ. Königsberg, Philosphical Institute

Privatdozent (seit 1933)

A study of rural sociology in Rumania with 3 special investigations (relation peasants–landlords after 1919; new peasant settlements in the Baragan plan; beginning of industrialization of the Carpathian Border)

Hoffmann, Walther (1939)

Dr., Univ. Tübingen, 1929

Univ. Kiel, Institut für Weltwirtschaft

Privatdozent

Methods of stabilizing economy in Europe with special respect to the organization of foreign trade

750 Fellow (Jahr-

Anhang Promotion

gang)

Institution in

Stellung

Deutschland

Forschungsprojekt (nach Fellowship Card)

Kehr, Eckart (1932)

Dr. phil., Univ. Berlin, 1927

Deutsche Hochschule für Politik, Berlin

Dozent

Will study economic relations between US, England, and the Continent 1789–1815, American methods of economic research

Keller, Hans Karl Ernst (1932)

Dr. rer. pol., Univ. München, 1930

Deutsche Botschaft, Paris

Honorary Assistant

Jurisprudence in the US and Europe; study of positivism & natural law in American conceptions of international

Kessler, Friedrich (1934)

Dr. jur., Univ. HandelsBerlin, 1928 hochschule Berlin

Privatdozent

Causes of the divergence of American private law from the English

Koch, Woldemar Otto (1931)

Dr. rer. pol., Univ. Königs-berg, 1926

Univ. Königsberg, school of scientific research in agricultural administration

Assistant

An inquiry into Italian financial policy

Krause, Heinz (1931)

Dr. phil., Univ. Jena, 1926

Deutsches Forschungsinstitut für Agrar- und Siedlungswesen, Berlin

Scientific worker, Assistent

Agricultural economics in Australia, especially investigations into cost of production and utilization of wheat, wool and meat; and problem of land ownership

Kromphardt, Wilhelm (1931)

Dr. rer. pol., Univ. Kiel, 1924

Univ. Münster, Institute for economics and social sciences

Assistant

Statistical methods in economic analysis, with special reference to its application to theories of interest

Leibbrandt, Georg (1931)

Dr. phil., Univ. Leipzig, 1926

Reichsarchiv, Berlin

Scientific Assistant

A historical sociological subject: German immigrants from Russia in the US and Canada; has already made an intensive study of German agricultural settlements in Russia and discovered that nearly a million of these immigrants had moved on to US and Canada where they

751

Anhang Fellow (Jahr-

Promotion

gang)

Institution in

Stellung

Deutschland

Forschungsprojekt (nach Fellowship Card)

have now settled in rather compact groups. L. will study the adjustment of these groups to American environment Liepmann, Leo (1931)

Dr. rer. pol., Univ. Jena, 1922

Univ. Breslau Privatdozent (seit 1929)

History of credit theory in England after 1850. L. has been working during current academic year in England

Lösch, August (1934)

Dr. rer. pol., Univ. Bonn, 1932

Univ. Bonn

Research worker

Influence of political frontiers upon the territorial division of labor

Löwith, Karl (1933)

Dr. phil., Univ. München, 1923

Univ. Marburg

Privatdozent (seit 1928)

Italian fascism in theory and practice

Lutz, Friedrich (1934)

Dr. rer. pol., Univ. Tübingen, 1925

Univ. Freiburg

Privatdozent (seit 1932)

Monetary theory and banking practice. Will study in Cambridge on the theoretical side and in London on the practical side

Marschak, Jacob (1938)

Dr. rer. pol., Univ. Univ. Heidel- Oxford, berg, 1922 Institute of statistics

Reader/ Director of the Institute

Familiarize himself with recent methods in statistical analysis of economic problems

Meier, Harri (1929)

Dr. phil., Univ. Hamburg, 1927

Univ. Hamburg, Romanisches Seminar

Freiwilliger wissenschaftlicher Hilfsarbeiter

Political Science, France

Mellerowicz, Konrad (1930)

Dr. rer. pol., Univ. Berlin, 1923

Handelshochschule, Berlin

Außerordentlicher Professor

Traffic systems in US, especially railroads, from standpoint of business economics

Meynen, Emil (1929)

Dr., Univ. Köln, 1926

Univ. Köln, Geography Institute

-

Economic and cultural geography of PennsylvaniaGerman districts in the Middle Atlantic States

Morstein Marx, Fritz (1930)

Dr. jur., Univ. Dept. for Hamburg, Rural 1922 Districts, Hamburg

Regierungsrat (Administra-tive advisor)

Administrative law, especially relations between administrative powers and liberty of the citizens and the development of administrative tribunals

752 Fellow (Jahr-

Anhang Promotion

gang)

Institution in

Stellung

Deutschland

Forschungsprojekt (nach Fellowship Card)

Pfeffer, Karl Heinz (1932)

Dr. phil., Univ. Berlin, 1930

Anglo German Exchange, LSE

Fellow

Sociology in Australia. The social structure and social differentiation of Australia

Pfister, Bernhard (1930)

Dr. rer. pol., Univ. Freiburg, 1926

Univ. Freiburg

Privatdozent (seit 1929)

Economics in England. Problem of prices and wages as a result of deflation, mainly at the London School of Economics and with Prof. Pigou in Cambridge

Raschhofer, Hermann (1931)

Dr., Univ. Innsbruck, 1927

Univ. Tübingen, Völkerrechtliches Seminar

Außerplanmäßiger Assistent

International Law in France and Italy. Will study a historical and sociological analysis of intervention and non intervention in international law, with part ref. to French Revolution and to Movement for Italian unification

Rheinstein, Max (1933)

Dr. jur., Univ. Kaiser-WilMünchen, helm-Institut 1925 für ausländisches und internationales Privatrecht

Member of the Research Staff and Librarian

Jurisprudence (influence of jurisprudence and social science on the practice of law and administration of justice in the US)

Riemer, Dr. Univ. Svend (1938) Heidelberg, 1929

Univ. Stockholm, Schweden, Stockholm School of Social Science

Research Assistant

Sociological methods in the US, with special regard to the cooperation of psychiatry and sociology; control of case studies; questionnaire method

RittershauDr. rer. pol., sen, Heinrich Univ. (1930) Frankfurt, 1922

Notgemeinschaft, Berlin (Stipendiat)

Scholar

Economics in France. French Labour conditions and influence of French banking methods on them; theory of banking and credit in France

Rohden, Peter Richard (1930)

Univ. Berlin

Privatdozent

Political Science in France: French political parties, under supervision of Prof. André Siegfried and Prof. Charles Seignobos

Dr., Univ. Berlin, 1921

753

Anhang Fellow (Jahr-

Promotion

gang)

Institution in

Stellung

Deutschland

Forschungsprojekt (nach Fellowship Card)

Schelting, Alexander von (1933)

Dr. phil., Archiv für Sub-editor, Univ. Heidel- Sozialwissen- General berg, 1922 schaft und secretary Sozialpolitik, Heidelberg

Methods of sociological research in the US

Schneider, Erich (1933)

Dr. rer. pol., Univ. Frankfurt, 1922

Privatdozent (seit 1932)

Economics in Europe

Schoch, Maria Magdalene (1934)

Dr. jur., Univ. Univ. Würzburg, Hamburg, 1920 Department of Intern Law; Institute of International Affairs

Privatdozentin

Law in the US. Relations between Law and the social sciences: 1/ the displacement of established rules and precepts of law through social conditions and habits 2/ the importance of the social ideology of judges. The study would be carried out without marked preference for any law school or thought

Steding, Christoph (1932)

Dr., Univ. Marburg, 1931

Waltringhausen

Research worker

The attitude of neighboring states toward German national unity and the founding of the German Empire in 1871

Strauss, Leo (1932)

Dr. phil., Univ. Hamburg, 1921

Akademie für die Wissenschaft des Judentums, Berlin

Research worker

Studies in history of political doctrines. From 15th–18th century, part in regard to influence exercised by Neo Platonists of the Middle Ages in development of political thought, and the influence exercised by Hobbes and Spinoza. He has also commenced investigations into political ideas of Islam and their relation to political thought of western Christendom

Tönniessen, Hedwig (1929)

Dr. jur., Univ. Univ. Heidel- Assistant Heidelberg, berg, Insti1929 tute for social and

Univ. Bonn

Sociology in England and France and Near East

754 Fellow (Jahr-

Anhang Promotion

Institution in

gang)

Stellung

Forschungsprojekt (nach Fellow-

Deutschland

ship Card)

political sciences Wagner, Günter (1932)

Dr. phil., Univ. Hamburg, 1932

Stipendiat des Council of Learned Societies, USA, linguistic research work among North American indians

Fellow

Cultural Anthropology in the US. and England; will study methods of research and field work in cultural anthropology with reference to problem of cultural assimilation

Wollenweber, Hellmut (1933)

Dr. rer. pol., Univ. Königsberg, 1929

Univ. Rostock

Privatdozent

Economics of land settlement in Canada and US

Zechlin, Egmont (1931)

Dr. phil., Univ. Univ. Heidel- Marburg berg, 1922

Privatdozent

Study of modern trends in history in the US

(Quelle: Fellowship Cards, in RAC-RF, RG 10 F/S Recorder Cards, Social Sciences, Germany).

Anhang 7: Ausländische Rockefeller Stipendiaten in Deutschland, 1929–1938. Name (Her-

Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

Baldauskas, J. (Lithuania)

1931–? Anthro- Social anthropologypology history and evolution of human marriage

Batiffol, 1935– Law Henri-Charles 1936 (France)

A comparative study USA, Germany of private contracts in relation to conflicts in internal and international law; also a general view of the American judicial system

Berlin (26 days): Institute for Foreign and International Civil Law

755

Anhang Name (Her-

Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

Boccassino, Renato (Italy)

1931– Anthro- Social anthropology Austria, USA, 1934 poof Southern Nilotic United Kingdom, logy & peoples – their Uganda, Germany Archeo- economic organizalogy tion and activities. Study of Acoli language

Boegner, Philippe (France)

1931– Econo1932 mics

Economics in England and Germany: railroad and automobile competition

United Kingdom, Germany

Capitant, 1933– Political Political Science, Germany René 1934 Science Evolution of Alphonse German government Charles Marie since 1919 (France)

Cologne, Berlin, Königsberg, Kiel, Munich (12 months)

Cavaillès, Jean 1930– Sociolo- Sociology in Germany (France) 1931 gy Germany: Jugendbewegung movement in Germany

Berlin, Göttingen

Chang, 1933– SocioloHung-Chun 1934 gy (China) (2. Fellowship)

Rural construction in Dutch East Indies, India and Europe, field work

India, England, Denmark, Germany, Switzerland, Italy, Yugoslavia, Poland

Christophersen, Halfdan Olans (Norway)

1932– Political Political Science Me1934 Science thology, Influence of Locke’s philosophy and especially his political thought in France in 18th century

France (12 months), Germany, USA, Holland, Switzerland

Coebergh, Johannes Cornelius (Holland)

1932– Political International Law, Germany, Austria 1934 Science Jurisprudence (the structure of positive law, with special reference to international law & its sources) in Europe (especially Germany & Austria)

Heidelberg, Berlin, Göttingen, Kiel, Leipzig, Munich (4 months) Cologne under Prof. Kelsen (8 months)

756 Name (Her-

Anhang Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

Conolly, Violet (Ireland)

1933– Political International Germany, Italy, 1935 Science Relations. Soviet Turkey, Greece, Economic Policy in Persia, Switzerland the East, Investigation organization of Soviet sales in Turkey and the Levant

Berlin, Breslau, Königsberg, Kiel (6 months)

Cowell, Frank 1929– Political Organization of USA, France, Berlin Richard 1931 Science government printing Switzerland, Austria, (United offices, civil service Germany Kingdom) systems De Wilde, John C. (United States)

1938– Political International Germany, Southeas- Kiel 1938 Science Relations. A study of tern Europe government regulation of economic life in Germany

Demaria, Giovanni (Italy)

1930– Econo1932 mics

Dickinson, 1936– GeograRobert Eric 1937 phy (United Kingdom) Reappointment (1st Fellowship United States, 1931–32)

Study of dynamic economics, with special reference to labor market in US

USA, United Berlin, visits Kingdom, Germany, to HeidelSwitzerland berg and Frankfurt (2 months)

Economic Geogra- Germany, France, phy. Trade areas, Netherlands, their relations to the Belgium region as a unit of planning and economic-administrative organization, A study of the functions and trade areas of metropolitan centers and their relation to the region as a unit of planning and in relation to economic and administrative organization

Berlin, Kiel (Geographisches Institut), Münster (Geographisches Institut), Bonn, Jena (Geographen-Tag), Leipzig (Deutsches Museum für Landeskunde), Bonn (survey of Cologne and the Ruhr) (6 months)

757

Anhang Name (Her-

Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

Dikoff, Luben 1930– Law (Bulgaria) 1931

Comparative basis Italy, France, problems of civil and Germany commercial law; want to work with DelVecchio in Rome, Capitan and Ulmann Levi in Paris and MullerErzbach in Munich

Dolaptchieff, Nicholas (Bulgaria)

1931– Law (?) Law – prevention USA, Europe 1932 and repression of juvenile delinquency – children courts

Fürth, Joseph Herbert (Austria)

1931– Law 1932

Gerbi, Antonello (Italy)

1929– Political Political thought in 1931 Science the early 19th century

Gifford, John Liddle King (Australia)

1931– Econo1933 mics

Golopentia, Anton (Rumania)

1933– Sociolo- Recent developGermany 1935 gy ments in theory and methodology, relationship of sociology to other social sciences

Graham, Gerald S. (Canada)

1929– History German colonial 1930 policy beginning with the early 80’s

Research and private USA, Europe practice of law

Berlin (14 days)

Germany, United Kingdom

Banking policy. To Germany, France study central bank policy with special reference to Australia. Analysis of the effect of stabilization of French Franc on the level of prices and on the economic structure of the country

Germany, United Kingdom

Kiel Institute (18 months)

Berlin, Leipzig, Hamburg, Freiburg (2 years)

758 Name (Her-

Anhang Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

Grassberger, Roland (Austria)

1931– Sociolo- Criminology in US, USA, Germany, Italy 1933 gy Italy, Germany; Origins of crime and problem of control of crime

Gurvitch, Georges (France)

1929– Law 1931

History of Doctrines Germany, Belgium, of Law groups. Italy, Switzerland Relation between Society and State

HalkemaKohl, JosephFrederic (Holland)

1931– Econo1932 mics

Economic basis of Germany, France European coopera­ tion. The possibility of concerted economic action as a basis for economic unification of Europe

Hilgerdt, Folke (Sweden, League of Nations)

1936– Political Statistics – Price Sweden, Germany, 1936 Science studies. Collection United Kingdom of statistics from several European countries on prices of raw materials and finished products at different stages of the business cycle

Holland, 1932– EconoWilliam 1933 mics Lancelot (New Zealand)

Economic History. An analysis of the cause and effects of world economic depression on the Far East, especially Japan and China

Ionescu, Octavian (Rumania)

Private Law, Germany Jurisprudence. Will study influence of economic and social factors on German private law during post-war period

1932– Law 1935

USA, Germany, United Kingdom

Berlin, Kiel, Heidelberg (12 months)

Kiel, Berlin (1 month)

Kiel (2 months)

Freiburg, Frankfurt, Berlin, Jena, Hamburg (19 months)

759

Anhang Name (Her-

Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

Janacek, Jan (Czechoslovakia)

1936– Econo1937 mics

To continue research United Kingdom, on the monetary Germany policy of Central Banks

Kaasik, Nikolai (Estonia)

1931– Interna- Application of Switzerland, Austria, Göttingen, 1933 tional international treaties Holland, Germany Berlin Law (2 months)

Kliimann, Artur Toeleid (Estonia)

1932– Law 1934

Political Science, Germany, Austria, Labor Legislation. Italy Principles of social policy in relation to labor legislation and social insurance

Kresinova, Miroslava (Czechoslovakia)

1930– Econo1931 mics

Economics in England and Germany

United Kingdom, Germany

Kristal, Helmut (Estonia)

1933– Law, 1935 Criminology

Criminology, New legislation. Theoretical and practical aspects of the problem of the treatment of criminals and of their rehabilitation

Germany, Switzerland, Italy, Austria

Krzyzanowski, 1931–? Sociolo- Methods in Jan (Poland) gy (?) sociology and ethnology – research into problems of nationality Kuranda, Peter 1929– Political American Revolu­ (Austria) 1931 Science tion and its influence on Germany. Influence of American war of independance on Germany. Germany and the American constitution

Germany

Kiel, Berlin (22 days)

Berlin (7 months)

Berlin, Munich, Freiburg, Hamburg (12 months)

760 Name (Her-

Anhang Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

Kurylowicz, 1931– Anthro- Relation of linguistic United States, Jerzy (Poland) 1932 pology to problems of Germany, Austria sociology, social anthropology and social psychology. Relations of form and meaning of symbols not only in language but in social life in general; problems of methodology Lambert, Jacques E. (France), (2nd Fellowship)

1932– Political International 1932 Science Relations. Visit research men in England and Germany who are working in field of international relations

United Kingdom, Germany

Short visits to major German universities (2 months)

Laufen-burger, 1935– EconoHenry 1936 mics (France)

Present methods of teaching economics

United Kingdom, Italy, Germany

Berlin and major German economic research centres (2 months)

Lipinski, Edward (Poland)

1935– Econo1937 mics

Possibilities of regulating business cycles. Study of the problem of planning investments with special regard to over populated agricultural countries

United Kingdom, Sweden, USA, Belgium, Netherlands, France

Königsberg (1 month)

Maroger, Gilbert (France)

1936– Political International 1936 Science Relations. Control of production and distribution of raw materials

Germany, Switzerland, Poland, Czechoslovakia, Austria

Berlin, Kiel (1,5 months)

761

Anhang Name (Her-

Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

Martin, Percival William (United Kingdom) (2nd Fellowship, Special Fellowship)

1932– Econo1933 mics

Munk, 1931– EconoFrantisek 1933 mics (Czechoslovakia)

Business FluctuaUnited Kingdom, tions. Economics in France, Germany Europe, particularly England, France, Germany; will make an analysis of parts played by a/ rationalization b/ high wages c/ adequate purchasing power, in promoting industrial prosperity Economic Theory. The cost of distribution

USA, Germany

Berlin, with Prof. Hirsch (1 month)

Nadel, Siegfried (Austria)

1932– Anthro- Methods of United Kingdom, 1934 pology anthropological field Germany work; the function of music in primitive society

Berlin (1,5 months)

Nebiolu, Kasim Rifat (Turkey)

1931– Econo1933 mics

Economics, Banking United Kingdom, policy Germany, Switzerland

Mainly at Reichsbank, Berlin (16 months)

Papierkowski, Zdzislaw (Poland)

1930– Crimi1931 nology

The psychological Austria, Germany background necessary to understand the reliability of evidence of witnesses in criminal proceedings. Criminology in Austria and Germany

Berlin, Gießen, Münster

Perroux, François (France)

1935– Econo1935 mics

Recent evolution of international capitalism. Economics in Austria and

Berlin, Hamburg, Kiel, Bonn (6 months)

Germany, Austria

762 Name (Her-

Anhang Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

Germany. A study of the historical evolution and national structure of contemporary capitalism in Germany and in Vienna Piotrowski, Roman (Poland)

1931– Econo1932 mics

Röling, 1931– Law Bernard Victor 1932 Aloysius (Holland)

Economics in Germany, United Germany and Kingdom England. Economic and legal aspects of trust regulations. Studies the economic and legal aspects of cartels and trusts

Institute of international private law, Berlin (Dr. Rheinstein)

Penal Law – penal Germany, Belgium, reform and United Kingdom preventive detention. The prison problem: with special reference to preventive detention of recidivists and penal reform

Marburg and visits to German penal institutions (7 months)

Rougier, Louis 1933– Philoso- To undertake a study Italy, Germany, (France) 1934 phy of the freedom of Austria intellectual effort and the various restriction of freedom of thought and expression in certain of the more important European countries, including Germany Schreiner, Johan K. (Norway)

1929– History Economic history of France, United 1931 Bergen from 13th to Kingdom, Denmark, 18th centuries Netherlands, Germany

763

Anhang Name (Her-

Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

Silianovski, Dimitri (Bulgaria)

1934– Law 1935

Civil Procedure. Jurisprudence in Italy, France and Germany. Labour Codes: Application of codes of labour legislation, as illustratied by the decisions of the highest courts, in Italy, Germany, France

Italy, France, Germany

Skerlj, Bozo ( Jugoslavia)

1931– Anthro- Sociology-Anthro- Germany, Norway 1932 pology pology. Sociological, anthropological and genealogical factors in study of criminals, prostitutes and other social groups

Simic (Simitch?), Stojimir (Yugoslavia)

1929– Sociolo- Housing Problems 1930 gy

Spekke, Arnold (Latvia)

1932– History Rôle of Baltic Germany, Italy 1933 countries in social movements in 16th century – History of Europe, particularly Germany and Italy

Spitaler, Armin (Czecholovakia)

1932– Econo1932 mics

Prevention of double taxation – Economics in Germany, England and Switzerland

Germany, United Kingdom, Switzerland

Stephens, Frank Burcon (New Zealand)

1934– Econo1936 mics

Public administra­ tion in Great Britain + renewal Europe and US

United Kingdom, USA, Canada, Italy, France, Germany

Leipzig (2 months)

Berlin (10 months), Munich (1 month)

France, Switzerland, Germany

Munich, Berlin, Nürnberg (2,5 months)

Berlin

764 Name (Her-

Anhang Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

Stys, Wincenty Ignacy (Poland)

1932– Econo1934 mics

Suranyi-Unger, 1931– EconoTheodor 1932 mics (Hungary)

Sutton, Claud W. H (United Kingdom)

Economics in Germany, Austria, Europe (Austria, United Kingdom, Germany) + renewal France (England, France). Will study history of industrialization in western countries and of the influence of such industrialization on agricultural structure

Bonn (2 months)

Expects to work out Switzerland, systematically the Germany relation between economic theory and practice in field of international trade, with particular reference to problems of social needs, in its international aspects, as the necessary link between economic theory and economic policy

Kiel (1 month) Library of Institut für Weltwirtschaft und Seeverkehr

1937– Political International 1938 Science relations in Europe. A study of the National Socialist Movement in Germany. Its internal organiza­ tion, its relation to state institutions in Germany and its foreign policy

Valberg, Julius 1931– Political Political Science – John ( Janis) 1933 Science constitutions in (Latvia) their relation to respective levels of

Germany

Germany, Switzerland, USA

Berlin (13 months)

765

Anhang Name (Her-

Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

kunftsland)

Studienorte (Dauer des Aufenthalts)

cultures in the various countries. The varying functions of the State in its historical evolution Van der Valk, Hendrikus M. H. A. (Holland)

1936– Econo1937 mics

Methods of economic research. Study of different methods of economic research applied at the principal Business Cycle institutes in Europe

Switzerland, Germany, Austria, United Kingdom

Vermeil, Edmond (France)

1932– Political Franco-German Germany 1933 Science contemporary problems (History). Study historical causes and essential aspects of the present German crisis; will write a book dealing with important problems of German democracy and questions of foreign policies

Short visits to major German institutes (6 months)

Villiamas, Vladas (Lithuania)

1932– Geogra- Geography Germany 1934 phy (economic, human and political). To study the geo-political problems of Eastern Europe and the Baltic states

Berlin (22 months)

Vitols, John ( Janis) (Latvia)

1931– Econo1933 mics

Bonn (with Schumpeter), 1 year

Laws and dynamics United Kingdom, in political economy Germany

Berlin, Kiel (1,5 months)

766 Name (Her-

Anhang Zeit

Disziplin

Forschungsthema

Gastländer

Studienorte

kunftsland)

(Dauer des Aufenthalts)

Walker, Ronald E. (Australia)

1931– Econo1933 mics

Economic theory. Unemployment

United Kingdom, Germany

Wladikine, Lubomir (Bulgaria)

1932– Political Study the political Italy, France, 1933 Science representation of Germany economic interests; the corporative state; functioning of economic councils

Zujovic, Milan J. (Yugoslavia)

1933– Econo1934 mics

Spent summer in Germany Berlin (ca. 2  months)

Economics, Germany Statistics. Studying statistical economics and completing his knowledge of history of agricultural development in Germany

Munich, Berlin, Kiel (10 months)

(Quelle: Social Sciences-Fellowships given for Study in Germany, 1932–1936 inclusive, o. D., in RAC-RF, RG 1.2, Series 100 ES, box 49, folder 377, Tabelle „S. S. Fellows studying in Germany during academic year 1931– 32“, o. D., in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 26, Brief von H. Kurxan an A. W. Fehling, 21. August 1930, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 23, J. Van Sickle, Interview with Dr. Frantisek Munk, 10. März 1933, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 34. Datenbank des Forschungsprojekts „Philanthropie américaine et sciences sociales en Europe 1919–1939: Circulations intellectuelles, réseaux et constructions institutionnelles“ (EHESS, Paris, unveröffentlicht)). Nicht in die Tabelle aufgenommen wurden Fellows, die zwar Deutschland als Studienland angaben, den Aufenthalt schließlich aber nicht durchführten.

Anhang 8: SSRC-Stipendiaten mit Deutschland als Zielland, 1929–1938. Name

Jahr

Ab-

Berufliche Stellung

Forschungsprojekt

Gastländer

schluss

Leighly, John Barger

1929

Ph.D. California

Assistant Professor of Geography, University of California

The Plans and Modes of Occupation of the Land in the Commercial Towns on the East Side of the Baltic, in their Historical Development

Germany, the Baltic States, Finland

Schaupp, Zora

1929

Ph.D. Bryn Mawr

Instructor in Philosophy and Psychology, University of Nebraska

Infant School Education in Europe; with a special study of the Beacon Hill experiment of Mr. and Mrs. Bertrand Russell

England, Russia, Germany

767

Anhang Name

Jahr

Ab-

Berufliche Stellung

Forschungsprojekt

Gastländer

schluss

Schiller, Arthur

1929

J. D. candidate, Columbia

Research Assistant in Social Science, and Lecturer in Law, Columbia University

The Libellary Procedure of the Fifth and Sixth Centuries A. D.: A Study of the Legal and Papyrological Materials Dealing with the Post-Classical Imperial Legal Procedure of the Roman Empire

Germany, Austria, France or Italy

Wirth, Louis

1929

Ph.D. Chicago

Assistant Professor in Sociology, Tulane University

Segregated Areas and Local Communities in German Cities: A Comparative Study in Methods of Social Research as Affected by Recent Developments in Human Ecology and Social Psychology

Germany

Anderson, Eugene Newton

1930

Ph.D. Chicago

Instructor in History, University of Chicago

A study of the Progressivist Party in Prussia during the Constitutional Conflict, 1862–1866

Germany, especially Berlin

Bowers, Edison L.

1930

Ph.D. Ohio State

Assistant Professor of Economics, Ohio State University

The Preventive Aspects of USA, Unemployment Insurance England, Germany, France

Brady, Robert A.

1930

Ph.D. Columbia

Assistant Professor of Economics, University of California

The ‚Rationalization‘ of Industry in Germany

Germany

Calderwood Jr., Howard B.

1930

Ph.D. Wisconsin

Instructor in Political Science, University of Michigan

The Secretariat of the League of Nations and of Related International Organs in Their Relations with Member Governments

Geneva, Paris, London, Rome, Vienna, Berlin

Ehrmann, Howard Meredith

1930

Ph.D. Yale

Assistant Professor of History, University of Michigan

A Study of Italian Foreign USA, Italy, Policy from 1882–1915, Germany, with reference to the Austria entrance of Italy into the World War

768 Name

Anhang Jahr

Ab-

Berufliche Stellung

Forschungsprojekt

Gastländer

schluss

Hartmann, Georg Wilfried

1930

Ph.D. Columbia

Assistant The Nature and Function Professor in of ‚Insight‘ in the Psychology, Learning Process Pennsylvania State College

Berlin

Herrington, Lovic Pierce

1930

Ph.D. Stanford

Research worker, Stanford University fellowship

An Investigation of the Metabolic Background of Certain Phenomena of Temperament and Personality

Marburg, Germany

Mikol, Vera

1930

A. B. Rad­ cliffe

Research Assistant, Columbia University Council for Research in the Social Sciences

A Comparative Study of Recent Crime News in the Daily Press of Selected European Countries

England, Continental Europe

Puryear, 1930 Vernon John

Ph.D. California

Professor of History, Albany College

Commercial Policies of the Great Powers in the Near East, 1815–1878

London, Paris, Berlin, Vienna, Constantinople

Stimson, Ralph Humphreys

1930

Ph.D. Illinois

Assistant in Political Science, University of Illinois

A Study of the Alleged Influence of Armament Industries, Firms, and Interests upon War Scares, Competition in Armament, and the Outbreak of War

Great Britain, Continental Europe

Winslow, Earle M.

1930

Ph.D. Harvard

Assistant Professor of Economics, Tufts College

Administrative Tariff Practices as Factors in International Friction

Great Britain, France, Germany, Czechoslovakia, Geneva

Young, Ralph Aubrey

1930

Ph.D. Pennsylvania

Instructor in Economics, University of Pennsylvania

The Balance of Internatio- London, nal Payments between Berlin, Germany and the United Geneva States, 1925–1930

769

Anhang Name

Jahr

Ab-

Berufliche Stellung

Forschungsprojekt

Gastländer

Contemporary European theory and research relating to ‚culture‘ and ‚personality‘

France, Germany

schluss

Dollard, John

1931

Candidate for Ph.D. Chicago

Childs, Har- 1931 wood Lawrence

Ph.D. Chicago

Professor of Political Science, Bucknell University

The Influence of Industrial and Labor Organizations on German Government and Politics

Germany

Hartshorne, Richard

1931

Ph.D. Chicago

Assistant Professor of Geography, University of Minnesota

A Geographic Study of the Upper Silesian Boundary

Germany, Poland, Czechoslovakia

Hughes, 1931 Everett Cherrington

Ph.D. Chicago

Assistant Professor of Sociology, McGill University

The Catholic and ‚Christian‘ Trade Unions, Cooperatives and Political Parties of Germany in their relations to secular or ‚neutral’ organizations serving the same ends

Germany

Ploscowe, Morris

1931

LL.B Harvard

Research Assistant, National Commission on Law Observance and Enforcement

A Comparative Study of European and American Preliminary Procedural Processes in Criminal Prosecutions

France, Germany

Rudin, Harry R.

1931

Candi- Instructor in date for History, Yale Ph.D. University Yale

German Imperial Policy in Kamerun

Germany, Kamerun

Wallace, Donald Holmes

1931

Candidate for Ph.D. Harvard

Instructor and Tutor in Economics, Harvard University

The Aluminum Industry in Germany

Germany

Bopp, Karl Richard

1932

Ph.D. Missouri

Assistant Professor of Economics and Finance, University of Missouri

Governmental Control over Finance in Germany

Germany

770 Name

Anhang Jahr

Ab-

Berufliche Stellung

Forschungsprojekt

Gastländer

schluss

Cantor, Nathaniel

1932

Ph.D. Columbia

Assistant Penal Administration in Professor of Social Germany Science, University of Buffalo

Germany

Hale, Oron James

1932

Ph.D. Pennsylvania

Assistant Professor of History, University of Virginia

The Influence of the Newspaper Press on Anglo-German Relations from 1890 to 1914

England, Germany

Kelly, E. Lowell1

1932

Ph.D. Stanford

Associate Professor of Psychology and Director of Admissions, University of Hawaii

Psychological Factors Underlying Marital Compatibility and Incompatibility

Germany, Austria, Switzerland

Waugh, Frederick Vail

1932

Ph.D. Columbia

Principal Agricultural Economist, U.S. Department of Agriculture

Mathematical Theories of Commodity Prices in Relations to Statistical Price Research

Germany, Norway, France, Italy, England

Crawford, William Rex

1933

Ph.D. Pennsylvania

Assistant The Philosophic Basis and Professor of Presupposition of Sociology, Univer- Sociology sity of Pennsylvania

England, Germany, France, Italy, Switzerland

Ellis, Howard E. W.

1933

Lepawsky, Albert

1933

Ph.D. Chicago

Research Assistant The Government of and Instructor in European Metropolitan Policial Science, Regions University of Chicago

England, Germany

Loomis, Charles P.

1933

Candidate for Ph.D. Harvard

Assistant and Tutor in Sociology, Harvard University

Germany

Study of Exchange Control in Central Europe, Vienna, Kiel.

The Typological Method of Research in Sociology

Austria, Germany

771

Anhang Name

Jahr

Ab-

Berufliche Stellung

Forschungsprojekt

Gastländer

Instructor in Political Science, University of Michigan

International Limitations Upon the Penal Competence of States

Germany, France, Italy, Switzerland, Austria, Hungary, Czechoslavakia

schluss

Preuss, Lawrence

1933

Ph.D. Michigan

Kozelka, Richard L.

1934

Ph.D. Assistant Minne- Professor of sota Economics, University of Minnesota

The Theoretical Problems Involved in the Construction and Use of Cost of Living Indices

Switzerland, Germany, Austria, France, Italy, Czechoslovakia

Deutsch, Harold C.

1935

Ph.D. Harvard

Assistant Professor of History, University of Minnesota

Local Government and Administration in Germany

Germany

Morey, Robert2

1935

Ph.D. Princeton

Student-Research, Institute of African Languages and Cultures

Social Conformity as a Function of Early Education

England, Liberia, Germany

Whittlesey, Charles R.

1935

Ph.D. Princeton

Associate Professor of Economics, Princeton University

International Trade and Finance

Germany, Switzerland, Austria

Hartshorne, Edward Y. (Pre-doctoral fel­lowship)

1935

Sociology Chicago

University Committee on History Fellow, University of Chicago

The Relation Between Social Science and Social Control

Germany

Wood, Bryce (Predoctoral fellowship)

1936

Political Science Columbia

Gilder Fellow in Public Law, Columbia University

The Reapportionment of Colonies as a Means of Redressing Inequalities Among States

Geneva, Paris, London, Rome, Berlin

772

Anhang

Name

Jahr

Ab-

Berufliche Stellung

Forschungsprojekt

Gastländer

England, Italy and Germany

schluss

Galbraith, John K.

1937

Ph.D. University of California

Instructor in Economics, Harvard University

Developments in the theory of money and banking in relation to agricultural investment

Greene, Lee S.

1937

Ph.D. University of Wisconsin

Supervisor of Training in Public Administration, TVA and U. of Tennessee

Research techniques used England, in regional planning as Germany developed in England and Germany

Land, Richard O.

1937

Ph.D. Chicago

Associate Social Statistician, Central Statistical Board

The validity and accuracy of population census data

Davison, Roderic Hollett (Pre-doctoral fellowship)

1938

History Harvard

Field training in the study Europe of the westernization of the Ottoman Empire

Franklin, William M. (Pre-doctoral fellowship)

1938

Political Science, The Fletcher School

Field training in a study of the geographic and societal factors in modern European history

England, Germany, Czechoslovakia

Europe

(Quellen: Lists of Research Fellowship Awards in SSRC Archiv, Rockefeller Archive Center). Nicht für alle Stipendiaten konnte der Aufenthalt in Deutschland nachgewiesen werden. Die Tabelle bezieht sich auf die Angaben bei der Bewerbung.

1

2

E.  Lowell Kelly erhielt im Juli 1933 eine Verlängerung um ein Jahr, akzeptierte aber vor deren Beginn eine Stelle am Connecticut State College, Storrs, Connecticut. Vgl. SSRC, Committee on Social Science Personnel, Agenda, 28.–29. Oktober 1933, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 338, folder 2012, S. 4. Das Stipendium für Morey wurde im Juni 1935 annulliert, da der Stipendiat die Verpflichtungen nicht erfüllt habe. Im November wurde Morey eine sechsmonatige „interne fellowship“ für das Institute of Human Relations an der Yale Universität zugesprochen. Vgl. SSRC, Minutes of SSRC Committee on Social Science Personnel, 3. Juli 1936, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 338, folder 2014, S. 2. SSRC, Agenda of SSRC Committee on Social Science Personnel, 23.-24. April 1937, in RAC-SSRC RG XII 1, SSRC, Accession 1, Series 7.002, box 338, folder 2014, S. 3.

Anhang

Anhang 9: Broschüre „Reisestipendien für sozialwissenschaftliche Studien in Amerika“.

(Quelle: „Reisestipendien für sozialwissenschaftliche Studien in Amerika“, o. D., in GStA PK, VI. HA. Familienarchive und Nachlässe, Nachlass F. Schmidt-Ott, Nr. 916).

773

774

Anhang

Anhang 10: Anschreiben Harri Meier, Bewerbung um ein Rockefeller Stipendium.

(Quelle: H. Meier, Antrag auf ein LSRM-Stipendium, 16. Januar 1929, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 18).

Anhang

Anhang 11: Abschrift des „Personal History Record“ von Alfred Vagts.

775

776

Anhang

Anhang

(Quelle: A. Vagts, Personal History Record, 27. April 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 12).

777

778

Anhang

Anhang 12: Bericht Franz Grügers über seinen Aufenthalt in London (1927).

Anhang

779

(Quelle: F. Grüger, Bericht über die Zeit vom 1. September bis Anfang Dezember 1927, 8. Dezember 1927, in BAK, NL 1106 A. W. Fehling, Nr. 13).

780

Anhang

Anhang 13: Bildergalerie

August Wilhelm Fehling (Quelle: Zierold, Forschungsförderung, Tafel 10).

Friedrich Schmidt-Ott (Quelle: Zierold, Forschungsförderung, Tafel 1).

Magdalene Schoch und Albrecht Mendelssohn Bartholdy in Hamburg (1920er-Jahre) (Quelle: Universität Hamburg, Arbeitsstelle für Universitätsgeschichte).

Bernhard Harms (Quelle: Zottmann, Fünfzig Jahre, vor S. 3).

Beardsley Ruml (Quelle: Special Collections Research Center, University of Chicago Library).

Karl Löwith und seine ­Mutter in Rom, 1936 (Quelle: Löwith, Mein Leben, nach S. 80).

781

Anhang

Arvid und Mildred Harnack, 28.09.1930, bei Saalfeld (Quelle: Gedenkstätte Deutscher Widerstand). Friedrich Lutz, Berlin, 1920erJahre (Quelle: Walter Eucken ­Institut).

August Lösch (Quelle: Stadtarchiv Heidenheim an der Brenz, Fotoordner 56).

Gottfried Pfeifer, Fotos von Exkursionen, 1931: „Monterey – Watsonville. Am Pajaro Gap“ (rechts) und „Somersville – Nortonville (verlassene Kohlenorte)“ (links) (Quelle: UB Heidelberg, Heid. Hs. 4044, NL Gottfried Pfeifer, „USA 1929 Photos“). Ernst Jäckh (links) und Earl B. Babcock auf der „Europa“, 1931 (Ausschnitt) (Quelle: Rare Book and Manuscript Library, Columbia University, Ernst Jäckh Papers (MS 0655), box 6, „Hochschule für Politik, Jäckh“).

Personenverzeichnis

Abendroth, Wolfgang 676 Achelis, Johann Daniel 630 Adenauer, Konrad 293, 656 Ahmad, Salma 43 Allport, Floyd H. 747 Altschul, Eugen 293, 296, 366, 434, 740 Ammon, Alfred 138 Amundsen, Leiv 201 Anderson, Eugene Newton 767 Andreas, Willy 90 Angell, James R. 63 Angyal, Andras 746 Appleget, Thomas B. 260, 366, 398 Arensberg, Conrad M. 676 Arnove, Robert 42 Ayres, L. P. 488 Baade, Fritz 677 Babcock, Earl B. 781 Back, Josef 160, 397, 416, 423, 424, 426, 427, 430, 509, 514, 631, 632, 646, 654, 748 Bagge, Gösta 138 Baker, Noel 540 Baldauskas, J. 754 Baldus, Herbert 388 Balogh, Thomas 215, 216 Barker, Ernest 78 Baron, Hans 744 Barrett, Laura 747 Batiffol, Henri-Charles 754 Bauer, Theodor 294 Baur, Erwin 278 Beard, Charles A. 389, 393, 428, 477 Beard, Miriam 477 Beck, Walter 160, 184, 382 – 386, 417, 424, 428, 646, 656, 746, 748 Beckerath, Erwin von 295, 418, 428, 647 Beckerath, Herbert von 215, 255, 256, 273, 274, 276, 366, 367, 429, 565, 743 Behrendt, Walther C. 740 Beierle, Bertold 388 Benda, Julien 557 Bente, Hermann 340, 341, 343, 419, 647, 654

Bentham, Jeremy 148 Berber, Fritz 262, 321, 346, 349, 352, 354, 447 Bergstraesser, Arnold 47, 111, 120, 121, 123, 255, 266, 267, 312, 326 – 330, 332, 334, 335, 366, 367, 434, 443, 568, 593, 607, 740 Bernard, Luther Lee 148 Bernardelli, Harro 740 Bernstorff, Graf von 516 Bertling, K. O. 454 Beushausen, Gertrud 167, 176, 178, 181, 184, 430, 468, 479, 540, 646, 647 Beveridge, William 77, 92, 300, 469, 542 Beyerle, K. 104 Bieberstein, Marschall von 427 Bismarck, Otto von 192 Black, John D. 532 Blackburn, Julian M. 620 Bloch, Marc 459 Blomert, Reinhard 111, 115, 294, 329 Boas, Franz 160, 185, 278, 390, 429, 509, 511, 513, 521 Boccassino, Renato 439, 755 Bodin, Jean 424, 547, 549, 749 Boegner, Philippe 435, 755 Böhm von Bawerk, Eugen 264 Boland, Frederick H. 483 Bonn, Moritz 367, 542, 744 Bopp, Karl Richard 769 Bouglé, Célestin 458 Bowers, Edison L. 767 Brady, Robert A. 767 Brandt, Karl 675 Briand, Aristide 553 Briefs, Götz A. 104, 299, 359, 388, 389, 428, 740 Brigham, Carl C. 747 Brinkmann, Carl 121, 185, 267, 268, 326, 327, 329 – 333, 429, 434 Brocke, Bernhard vom 584 Brok, Otto 165, 168, 173, 175, 181, 184, 186, 430, 482, 509, 529, 535, 538, 589, 633, 647 Brook, W. F. 745

Personenverzeichnis

Brooks, R. O. 747 Bruck, Werner Friedrich 185, 428, 429, 634, 740 Brüning, Heinrich 307 Bruns, Viktor 210, 251, 253, 254, 451 Bullock, Charles J. 297 Bulmer, Martin 41, 43, 73 Burchardt, Fritz 269 Burckhardt, Jacob 601 Burgess, Ernest 73, 173, 381, 498, 509 Butler, James R. M. 137, 539, 569 Calderwood Jr., Howard B. 767 Cantor, Nathaniel 770 Capitant, René 445, 446, 558, 755 Carnegie, Andrew 55, 56 Cassirer, Ernst 390, 429, 740 Cavaillès, Jean 550, 558, 755 Chang, Hung-Chun 435, 755 Chapin, Stuart F. 747 Chapiro, Sarah 481 Charléty, Sébastien 458 Cheatham, Elliot E. 508 Childs, Lawrence 439, 769 Chitambar, Theodore Parmeshwardatt 746 Christophersen, Halfdan Olans 755 Churchill, Winston 640 Ciriacy-Wantrup, Siegfried von 418, 423, 424, 429, 430, 613, 647, 654, 748 Clark, J. M. 487, 509 Clauss, Ludwig Ferdinand 105, 193, 194 Cobb, Charles W. 518 Coebergh, Johannes Cornelius 755 Cohn, Josef 388 Colm, Gerhard 264, 269, 270, 336, 337, 388, 413, 428, 434 Commons, John R. 508, 510, 514, 515, 532, 535 Condliffe, J. B. 429, 608, 610 Conolly, Violet 756 Coolidge, J. Calvin 84 Copland, Douglas B. 138, 199, 572, 575, 576 Coppi, Hans 642 Coss, John J. 77, 83, 84, 86, 90, 92, 96, 97, 101, 106, 114, 137, 151, 225 Cowell, Frank Richard 756 Crawford, William Rex 770 Croce, Benedetto 601

783 Crotch, Mr. 467, 468 Curti, Merle 58 Curtius, Julius 255, 352 Dahm, Georg 441 Dai, Bingham 746 Davison, Roderic Hollett 772 Dawes, Charles 84 Day, Edmund E. 65, 95, 139, 142, 190, 212, 217, 220, 221, 224, 227, 228, 235, 237, 241 – 243, 246, 249, 251, 260, 270 – 272, 274, 275, 279 – 281, 292, 293, 300, 304, 308, 312, 317, 320, 321, 323, 329, 339, 341, 350, 354 – 356, 358, 364, 369, 370, 372, 373, 398, 406, 408, 414, 420, 450, 451, 457, 474, 492, 496, 518, 591, 662 Demaria, Giovanni 756 Denoyer, Pierre 201, 203, 208 De Simone, Luigi 201, 208, 210 De Stefani, Alberto 565, 566 Deutsch, Harold C. 771 De Wilde, John 447, 448, 756 Dickinson, Robert Eric 756 Diehl, Karl 104, 427 – 429 Dietze, Constantin von 388, 428, 429, 530, 536, 595, 596 Dikoff, Luben 439, 757 Dobbert, Gerhard 418, 424, 427, 429, 559, 563 – 568, 600, 647, 748 Dobbert, Irma 567 Dodd, William E. 303 Dolaptchieff, Nicholas 437, 757 Dollard, John 381, 383 – 385, 769 Dollfuß, Engelbert 556, 564, 566 Dorn, Walter L. 204 Doumer, Paul 552 Drescher, Leo 340 – 343, 416, 423, 424, 428, 477, 529, 530, 536, 594, 595, 647, 748 Drieu la Rochelle, Pierre 557 Duggan, Stephen P. 358 Durkheim, Émile 459 Eckart, Hans von 325 Eckert, Christian 104 Egle, Walter 340, 341, 388, 391, 417, 423, 424, 428, 430, 597, 635, 647, 749 Ehrmann, Howard Meredith 767 Einaudi, Luigi 138, 439, 559, 561, 562, 564 Einaudi, Mario 371

784 Einstein, Albert 427, 632 Ekaterinburg.  Siehe Sverdlovsk Ekaterinoslav.  Siehe Dnepropetrovsk;  Siehe Dnepropetrovsk Elias, Norbert 362 Ellis, Howard E. W. 770 Elsas, Moritz J. 300 Ely, Richard T. 74 Embree, Edwin R. 138, 235 Erdsiek, Gerhard 416, 424, 427, 430, 479, 545, 546, 647, 749 Eschmann, E. W. 565 Espagne, Michel 30 Eucken, Walter 264, 322, 427 – 429 Everett, Charles Warren 148 Everett, Hugues C. 674 Exner, Franz 441 Eynern, Gert von 266 Fairchild, H. P. 509 Falck, Ernst 267 Febvre, Lucien 459 Fehling, Anna Margarete 45, 94, 95, 307 Feist, Elisabeth 414, 416, 421, 422, 424, 427, 547 – 549, 553, 558, 647, 654, 749 Ferguson, Wallace K. 204 Ferrero, Leo 746 Fetscher, Rainer 440 Ficek, Karel 201, 203, 205, 207 Fick, Harald 342, 388, 391, 417, 424, 428, 430, 559, 588, 617, 633, 647, 654, 657, 749 Fischer, Eugen 277 – 279, 282, 284, 428, 440, 740 Fish, Mildred 477, 535, 640, 643, 781 Fisher, Donald 38, 41 – 43 Fisher, Irving 170 Flad, Ruth 418, 421, 422, 424, 425, 429, 553, 556 – 558, 612, 647, 749 Fleck, Christian 39, 40, 150, 174, 286, 357, 371, 655 Flexner, Abraham 63 Flügge, Eva 165, 172, 175, 181, 184, 397, 430, 467, 478, 480, 482, 485 – 488, 490 – 493, 507, 533, 647 Ford, Guy Stanton 65, 82, 84 – 86, 96, 97, 101, 106, 114, 137, 151, 160, 225 Fosdick, Raymond B. 63, 64, 66, 81, 236, 237,

Personenverzeichnis

258, 317, 319, 321 – 323, 344, 345, 366, 399, 452, 453 Frank, Lawrence K. 64, 68, 142, 183, 215, 217, 380, 474, 476, 494, 503 Frank, Walter 192, 405 Franklin, William M. 772 Freund, Rudolf 167, 176, 181, 184, 336, 430, 468, 477, 485, 514, 588, 648, 654, 740 Freyer, Hans 105, 213, 248, 287, 295, 296, 382, 389, 428, 429, 436, 442 – 444, 573 – 575, 578, 579 Friedlander, Lilian 201 Friedmann, Wilhelm 360, 361 Friedrich, Carl Joachim 25 Friedrich, Hans E. 320 Fry, Varian 608, 609 Fürth, Joseph Herbert 757 Gachon, Jean 201, 203, 207 Gadamer, Hans-Georg 603 Gaedicke, Herbert 266 Galbraith, John K. 772 Gangemi, Lello 565, 566 Gates, Frederick T. 53, 54, 56, 57, 60, 65 Gay, Edwin F. 60, 300 Gehlen, Arnold 444 Geiger, Theodor 299, 361, 366, 740 Gemelli, Giuliana 37 Gerbi, Antonello 757 Gerhard, Dietrich 159, 166, 169, 175, 181, 184, 363, 430, 467, 470, 635, 648, 654 Gerloff, Wilhelm 160, 209, 390 Gerth, Hans 382, 500 Gestrich, Hans 257 Gierlichs, Willy 382 – 385, 417, 428, 648, 746, 749 Giese, Karl 437 Gifford, John L. K. 433, 434, 757 Givens, Meredith B. 293 Goebbels, Joseph 306, 347, 348, 352, 618 Golopentia, Anton 442, 443, 757 Goody, Jack 594 Göppert, Heinrich 85 Göring, Hermann 328 Gosnell, Harold F. 148 Gottl-Ottlilienfeld, Friedrich von 389, 390, 427 Gottschalk, Prof. 511 Grabowsky, Adolf 740, 744

Personenverzeichnis

Gramsci, Antonio 42 Grassberger, Roland 758 Greene, Lee S. 772 Gregg, Alan 311, 355 Greiff, Walter 266 Griewank, Karl 393 Groscurth, Georg 638 Grosnell, Harold F. 204 Grüger, Franz 166, 175, 181, 184, 208, 221, 430, 468, 469, 474, 482, 484, 517, 518, 592, 637, 638, 648, 779 Grüttner, Michael 197 Gülich, Wilhelm 340, 419, 420, 479, 648 Gumbel, Emil 190, 328, 366, 740, 745 Gumperz, Julian 189 Gunn, Selskar M. 243, 247 – 250, 252, 254, 255, 261, 269 – 271, 275 Gurvitch, Georges 444, 550, 558, 758 Gusti, Dimitrie 442 – 444, 580, 582, 583 Haas, Wilhelm 740 Haersolte, W. F. A. 484 Hale, Oron James 770 Halkema-Kohl, Joseph Frederic 434, 758 Hall, Noel F. 539, 541, 542, 545, 547, 659 Hallgarten, G. W. F. 393 Hallowell, A. Irving 747 Halvorsen, Henry 746 Ham, W. T. 204 Hamburger, L. 740 Handjieff, Wassil 201, 213 Handman, Max 747 Hanfstaengel, Ernst 614 Hansen, Marcus Lee 204 Hanson, Alvin H. 355 Harms, Bernhard 110, 113, 158, 184, 187, 255, 269 – 273, 313, 336 – 339, 388, 418, 428, 445, 450, 493, 648, 664, 780 Harnack, Arvid 46, 165, 175, 181, 184, 430, 465, 469, 477, 478, 508, 510, 514, 515, 532, 534, 535, 589, 634, 637, 640 – 643, 648, 781 Harper, Heber 202 Hartmann, Georg Wilfried 768 Hartshorne, Edward Y. 771 Hartshorne, Richard 769 Hartsough, Mildred L. 205 Hartung, Fritz 389, 392, 428

785 Haufe, Helmut 412, 419, 425, 429, 430, 559, 579 – 584, 646, 648, 749 Hauser, Henri 548 Havemann, Robert 638 Havighurst, Robert J. 673, 676, 678 Hawgood, John A. 202, 439 Heberle, Rudolf 165, 169, 175, 181, 184, 298, 340, 341, 343, 397, 435, 466, 470, 475, 479, 480, 482, 485, 486, 493 – 501, 507, 512, 529, 534, 535, 642, 648, 654, 740 Hecht, H. 105 Heichelheim, Dr. 361 Heidegger, Martin 390, 427, 429, 443, 600, 602 Heimann, Eduard 207, 389, 428, 674 Heinemann, Renate von 178 Heinrich, Walter 565 Heinz, Vizekonsul von 359 Helm, Georges 740 Henmon, V. A. C. 747 Hensel, Albert 209 Hensel, P. 188 Herrington, Lovic Pierce 768 Hertz, Wilhelm 184, 186 Hervé, Gustave 617 Heuss, Theodor 349 Heyck, Eduard 389 Heymann, Hans 740 Hilgerdt, Folke 758 Hindenburg, Paul von 261 Hintze, Hedwig 741, 745 Hirschfeld, Magnus 440 Hirschmann, Albert O. 413, 419, 429, 481, 608, 610, 648 Hitler, Adolf 248, 302 – 304, 310, 315, 342, 346, 347, 349, 443, 453, 507, 556, 559, 564, 617, 629, 630, 632, 634, 636, 643 Hobbes 390, 550, 603, 753 Hoeniger, Heinrich 741 Hoetzsch, Otto 351, 428, 641 Hoffmann, Walther 413, 419, 429, 633, 649, 654, 749 Holborn, Hajo 44, 126, 349, 364, 366, 741 Holland, W. L. 444, 758 Homberger, Ludwig 741 Honermeier, Emil 488 Honigmann, Ernst 741 Hoover, Herbert 64, 527

786 Horkheimer, Max 289, 389, 676 Houghton, Alanson B. 97, 156 Hughes, Everett Cherrington 769 Huhn, Michael 115 Huizinga, Johan 138, 219, 548 Hula, Erich 297, 298 Hummel, Georg 266, 330 Husserl, Edmund 193 Huvardas, Stavros 214 Ionescu, Octavian 438, 758 Ipsen, Gunther 429, 579, 580, 583, 584 Ischboldin, Boris 215 Ishikawa, Michiji 746 Jäckh, Ernst 44, 124, 126, 128, 130, 253 – 255, 260, 263, 324, 346, 347, 349 – 352, 354, 366, 367, 434, 453, 741, 744, 781 Jacobi, Erwin 185, 207 Janacek, Jan 759 Jaqua, Ernest J. 312 Jessen, Jens 338, 339, 595, 597 Johnson, Alvin 355 Jones, Georges T. 202, 208 Joseph, Philip 202, 207 Judges, Mr. 468 Jünger, Ernst 641 Kaasik, Nikolai 759 Kähler, Alfred 269, 741 Kalveram, Wilhelm 185, 428 Kantorowicz, Hermann 542, 741 Karadayi, Ali Kemal 746 Karsen, Fritz 741 Kartzke, Dr. 198, 199 Kaufmann, Erich 181, 255, 424, 428 Kaufmann, Fritz 744 Kehr, Eckart 46, 389, 391, 393 – 396, 417, 425, 428, 472, 559, 646, 649, 750 Kehr, Paul Fridolin 47, 153, 395, 406, 407, 567, 600 Keller, Hans Karl Ernst 389, 417, 425, 428, 430, 475, 516, 526, 612, 613, 615, 617 – 619, 649, 750 Kelly, Lowell R. 437, 770 Kelsen, Hans 251, 297, 367, 745, 755 Kessler, Friedrich 418, 425, 429, 430, 527, 598, 599, 635, 649, 654, 741, 750 Keynes, John Maynard 540

Personenverzeichnis

Kirchhoff, Paul 167, 176, 181, 182, 184, 381, 430, 469, 509, 513, 519, 520, 593, 649 Kittredge, Tracy B. 238, 243, 248, 250, 251, 256, 258, 264, 283, 284, 287, 294, 318 – 320, 322, 323, 329, 330, 332, 333, 339 – 341, 343 – 345, 352, 354, 359, 372, 377, 379, 383, 385, 400, 401, 406, 408, 409, 411 – 413, 421, 435 – 438, 440, 443, 445, 448, 452 – 454, 457, 499, 506, 537, 544, 550, 552, 557, 561, 567, 582, 584, 589, 595, 596, 598, 599, 601, 602, 604, 606, 610, 613, 617, 618, 628, 637, 660, 661, 664 Kliimann, Artur Toeleid 759 Klingemann, Carsten 584 Klug, Oskar 389 Kluge, Dr. 382 Knight, Prof. 511 Koch, Woldemar 416, 425, 428, 559 – 562, 564, 633, 649, 654, 750 Kock, Franz 90 Koefoed-Petersen, Otto 202, 207 Köhler, Wolfgang 299 Kohn, Leo 416, 419, 427, 649, 741 Korenblat, Steven D. 128 Kornhauser, Arthur W. 205 Korosec, Victor 202, 212 Koschaker, Paul 212, 215 Koyré, Alexandre 550 Kozelka, Richard L. 771 Krause, Fritz 184 Krause, Heinz 416, 423, 425, 426, 428, 573, 590, 646, 649, 750 Krebs, Albert 441 Kresinova, Miroslava 759 Kristal, Helmut 440, 759 Kroeber, Alfred L. 510, 511, 522 Krohn, Claus-Dieter 608, 676 Kromphardt, Wilhelm 160, 417, 425, 428, 430, 517, 518, 532, 632, 649, 654, 750 Krueger, Felix 382 Krüß, Hugo Andres 107, 308 Krzyzanowski, Jan 436, 746, 759 Kuczynski, Jürgen 187, 188 Kuczynski, Robert 361, 741 Kühne, Otto 166, 175, 181, 184, 195, 430, 483, 633, 646, 649 Kühnemann, Prof. 361

Personenverzeichnis

Kuranda, Peter 759 Kurylowicz, Jerzy 760 Kuske, B. 105 Lambert, Robert A. 285, 304, 306, 313, 315, 355, 356, 411, 760 Lammers, Hans Heinrich 346, 349, 351 Land, Richard O. 772 Landauer, Carl 741 Landshut, Siegfried 741 Langdell, Christopher C. 525 Langes, Johannes 280 Lanyi, Georg 266 Laski, Harold 58, 427, 457, 540, 574 Laufenburger, Henry 760 Laun, Justus Ferdinand 160, 167, 175, 181, 184, 430, 463, 649 Lazarsfeld, Paul F. 620 Lederer, Emil 266, 337, 429, 607, 641 Lederer, Walther 330 Lehmann, Fritz 741 Lehmann, Walter 184 Leibbrandt, Georg 417, 425, 428, 430, 537, 613, 622, 624, 626, 646, 649, 656, 750 Leighly, John Barger 766 Leipziger, Hugo 741 Leiserson, William 747 Lenz, Adolf 441 Lenz, Friedrich 641 Lepawsky, Albert 770 Liepmann, Clara Maria 167, 168, 175, 177, 181, 184, 186, 187, 469, 533, 649 Liepmann, Heinrich 266, 325, 330, 331 Liepmann, Leo 379, 417, 425, 428, 430, 541, 649, 742, 751 Lindeman, Eduard C. 59 Lingelbach, William E. 138, 231 Linhardt, Hanns 167, 176, 181, 182, 185, 187, 468, 469, 472, 475, 480, 511, 527, 528, 536, 589, 634, 650, 654 Linton, Ralph 747 Lipinski, Edward 760 Loomis, Charles P. 770 Lorenz, Charlotte 159, 179, 187 Lorke, Greta 640 Lorwin, Lewis L. 622 Lösch, August 414, 418, 421, 425, 427, 429,

787 430, 480, 516, 529 – 531, 535, 536, 612, 635, 650, 751, 781 Löwe, Adolf 179, 264, 269, 367, 389, 413, 434, 742, 745 Löwenstein, Karl 363, 742 Lowie, Robert H. 510, 511 Löwith, Karl 367, 418, 425, 429, 430, 551, 564, 600 – 603, 606, 635, 650, 654, 745, 751, 780 Lutz, Friedrich 418, 421, 425, 429, 430, 542 – 544, 636, 650, 654, 675, 751, 781 Lynd, Helen und Robert 495 Lynd, Robert 511 Macek, Joseph 138 Machui, Arthur von 266 MacIver, Robert M. 511 Mack, Elfriede 266 Mackenroth, Gerhard 168, 176, 181, 185, 310, 340 – 343, 382, 397, 430, 629, 630, 650, 657, 659 Mackenzie King, William Lyon 61 Mahr, Alexander 215 Maiwald, Karel 202, 203, 206, 207 Mäki, Niilo 746 Malinowski, Bronisław 298, 469, 520, 521, 594 Mandelbaum, Kurt 290, 389, 391 Manheim, Ernst 742 Mann, Albert R. 673 Mann, F. R. 102 Mann, Fritz Karl 493, 494, 562, 742 Mannheim, Karl 106, 115, 287, 291 – 293, 296, 366, 382, 388, 434, 500, 542, 742 Marbe, K. 155 Marc, Paul 171 Marck, Siegfried 361, 742 Marcks, Erich 191 Mariotte, Pierre 202 Marjolin, Robert 459, 746 Maroger, Gilbert 760 Marr, Heinz 290, 292 Marschak, Jakob 266, 325, 330, 337, 354, 413, 419, 425, 429, 434, 607, 650, 654, 742, 751 Marshall, L. C. 487, 492 Martin, Percival William 761 Marx, Karl 577 Massignon, Louis 550 Mason, Max 237, 309, 314 – 316, 355, 371, 415 Mathiez, Albert 552

788 Maurras, Charles 551, 557 Mauss, Marcel 232 May, Stacy 238, 275, 384, 386, 409, 413, 475, 518, 572, 595, 598, 599, 613, 618 – 622 Mayer, Gustav 742 Mayer, Hans 78 Mayo, Elton 504 Mazon, Brigitte 38 McKittrick, Thomas 640 Meier, Harri 397, 416, 425, 427, 547 – 549, 553, 558, 616, 632, 650, 751, 774 Meinecke, Friedrich 83, 102, 169, 184, 389, 391, 392, 395, 428, 551 Mellerowicz, Konrad 416, 420, 423, 425, 427, 430, 473, 481, 513, 514, 516, 533, 633, 650, 654, 751 Mendelssohn Bartholdy, Albrecht 44, 47, 114, 116 – 119, 131, 132, 152, 156, 158, 164, 174, 176, 178, 179, 184, 207, 211, 220, 227, 242, 255, 256, 363, 366, 367, 377, 391, 393, 394, 405, 407, 409, 422, 429, 466, 497, 545, 605, 606, 636, 645, 663, 664, 742 Mendelssohn Bartholdy, Felix 115 Merk, Frederic 747 Merkert, Emil 166, 173, 175, 181, 184, 430, 435, 467, 483, 513, 534, 650 Merriam, Charles E. 75, 172, 457, 495, 499, 502, 747 Mertens, Lothar 40, 454 Meusel, Alfred 641 Meyer, Fritz 500 Meyer, Henry 386 Meynen, Emil 416, 425, 427, 472, 475, 509, 516, 521, 523 – 525, 532, 625, 627, 650, 656, 751 Mezger, Edmund 441 Mikol, Vera 768 Miles, Walter R. 747 Milkau, Fritz 106 Mills, Frederick C. 747 Mischek, Udo 521 Mitchell, Wesley C. 147, 293, 298, 509, 747 Mollison, Theodor 278 Mommsen, Wilhelm 421 Morey, Robert 771 Morgenstern, Oskar 490, 640, 659 Morgenthau, Hans 389

Personenverzeichnis

Morsbach, Adolf 389, 428, 575 Morstein Marx, Fritz 152, 363, 416, 425, 427, 430, 513, 588, 635, 650, 654, 751 Moulton, Harold Glenn 187 Muckermann, Hermann 307 Mühlestein, Hans 202, 211 Munch-Petersen, H. 40, 138, 207 Munk, Frantisek 761 Munro, William B. 747 Mussolini, Benito 559, 564, 568, 617, 618 Myers, Earl D. 202 Myers, William I. 673 Myrdal, Alva 339 Myrdal, Gunnar 272, 429, 607, 659 Nadel, Siegfried 761 Nathan, Otto 742 Naumann, Friedrich 124 Nebiolu, Kasim Rifat 761 Neisser, Hans 269, 336, 337, 413, 434, 742 Neumann, Konrad 635 Neuner, Robert 415, 742 Norden, Eduard 361 Nussbaum, Arthur 361, 742 O‘Brien, Daniel P. 305, 306 Ogburn, William F. 498 Oncken, Hermann 47, 83, 131, 151, 153, 158, 164, 184, 191, 251, 391, 405, 406, 422, 434, 497, 548, 570, 600, 622 Oppenheimer, Franz 206, 211, 291 Outhwaite, Leonard 65 Palyi, Melchior 433, 511 Panunzio, Sergio 617 Papierkowski, Zdzislaw 761 Park, Robert 73, 173, 502, 509, 529 Parker, Hubert 545 Parsons, Talcott 512 Passerin D’Entrèves, Alexander 203 Perroux, François 761 Peter der Große 166 Petersen, Hans-Christian 345 Pfeffer, Karl Heinz 389, 391, 417, 425, 428, 443, 559, 573, 574, 576 – 578, 584, 616, 633, 650, 752 Pfeifer, Gottfried 46, 168, 172, 176, 181, 185, 397, 468, 477, 513, 521, 522, 536, 589, 650, 781

Personenverzeichnis

Pfister, Bernhard 322, 397, 416, 425, 426, 428, 471, 541, 651, 752 Pfleiderer, Otto 267, 330, 332 Pieper, Joseph 382 Pigou, Arthur Cecil 540, 541, 752 Piotrowski, Roman 762 Plenge, Johann 299 Plessner, Helmuth 742 Ploscowe, Morris 769 Pollock, Friedrich 104, 289, 290, 389 Pollock, James K. 205 Poltz, Ludwig 389 Pomfret, John E. 747 Poole, Mr. 467 Pozner, Chaim 640 Predöhl, Andreas 165, 175, 181, 184, 208, 324, 340 – 344, 397, 407, 413, 429, 430, 479, 480, 482, 490, 499, 531, 588, 597, 651, 657, 659 Preuss, Lawrence 771 Pribram, Alfred F. 137, 215, 217, 390, 742 Primo de Rivera, José Antonio 616 Prinzing, Albert 266, 333 Puryear, Vernon John 768 Pétain, Philippe 617 Rabel, Ernst 429, 598 Radbruch, Gustav 47 Radcliffe-Brown, A. R. 521 Ranke, Leopold von 154 Raschhofer, Hermann 417, 425, 428, 627, 628, 651, 657, 752 Rath, Klaus Wilhelm 390, 391 Rausch, Helke 40 Redfield, Robert 747 Rein, Adolf 131 – 133, 145, 389, 407, 535, 637, 646 Renouvin, Pierre 552, 557 Renzetti, Giuseppe 565 Reuter, E. B. 511 Rheindorf, Prof.Dr. 359 Rheinstein, Max 418, 425, 429, 430, 508, 509, 515, 526, 527, 535, 604, 605, 635, 651, 654, 742, 752, 762 Rhind, Flora M. 241 Ribbentrop, Joachim von 346 Ricardo, David 611 Richardson, Malcolm 40

789 Riemer, Svend 413, 419, 429, 607, 651, 654, 752 Rietzler, Katharina 40 Rist, Charles 137, 217, 231, 458 – 460, 547 Rittershausen, Heinrich 416, 421, 425, 428, 558, 752 Rittmeister, John 642 Robinson, Mr. 468 Rockefeller, John D. III. 673 Rockefeller, John D. Jr. 54, 60, 62, 63, 207, 261, 480 Rockefeller, John D. Sr. 52, 53, 56, 62 Rockefeller, Laura Spelman 62 Rockefeller Familie 24, 41, 54, 60, 61 Rodgers, Daniel T. 34 Rohden, Peter 153, 416, 425, 428, 547, 551, 552, 554, 555, 558, 651, 752 Röling, Bernhard 437, 762 Romain, Jules 557 Römer, Hedwig von 179 Roosevelt, Franklin D. 303, 640 Röpke, Wilhelm 145, 160, 185, 264, 535, 631, 646 Rosenberg, Alfred 623 Rosinski, Herbert 744 Rothacker, E. 103 Rothfels, Hans 103, 105, 159, 299, 410 Rothschild, Walther 118 Rougier, Louis 445, 558, 762 Rüdiger, Hans 614 Rüdin, Ernst 280 – 282, 285, 286, 441 Rudin, Harry R. 769 Rudolf, A..  Siehe Lengyel, Richard Ruml, Beardsley 18, 23, 41, 63 – 70, 74, 77, 78, 81, 83, 84, 86, 87, 91 – 95, 97, 109, 110, 112 – 114, 116, 119 – 121, 123, 124, 126, 128, 129, 132, 133, 135, 136, 139, 151, 155, 157, 168, 195, 196, 204, 217, 224 – 226, 228, 231, 235, 242, 243, 250 – 253, 260, 279, 290, 371, 450 – 452, 458, 662, 780 Rust, Bernhard 348 Rüstow, Alexander 677 Sachsenberg, Ewald 184, 505 Saeger, Mr. 509 Sagnac, Philippe 552 Salin, Edgar 184, 428, 429, 638, 639 Salomon, Gottfried 743, 745

790 Salz, Arthur 266, 325, 743 Sankt Petersburg.  Siehe Leningrad Sapir, Edward 380, 381, 384, 450, 485, 509, 513, 662, 747 Sauer, Carl O. 521, 522 Saunier, Pierre-Yves 43 Schaffstein, Friedrich 441 Schapper, Karl 90 Schaudinn, Heinrich 411 Schaupp, Zora 766 Scheidt, Walter 282 Scheler, Max 294 Schelting, Alexander von 418, 425, 429, 430, 511, 512, 515, 536, 612, 651, 654, 743, 753 Scherpner, Hans 160, 166, 173, 175, 181, 184, 397, 617, 651 Schiller, Arthur 767 Schlesinger, Arthur M. 747 Schlier, Otto 265 Schmalenbach, Eugen 184, 295 Schmaltz, Eric J. 624 Schmidt, R. 102 Schmidt-Ott, Friedrich 47, 87, 88, 90, 96, 97, 99, 101, 106, 109, 110, 112, 113, 138, 151, 152, 155, 163, 177, 192, 193, 200, 225, 227, 235, 241, 254, 257, 277 – 281, 283, 294, 311, 320, 393 – 396, 405, 407, 411, 451, 494, 662, 663, 780 Schmitt, Carl 390, 446, 550 Schmuhls, Hans-Walter 283 Schneider, Erich 418, 421, 425, 429, 477, 542, 633, 651, 657, 677, 753 Schneider, Kurt 168, 176, 181, 185, 397, 435, 473, 532, 591, 592, 651, 659 Schneider, O. 105 Schnorr von Carolsfeld, Hans 108 Schoch, Magdalene 418, 421, 425, 427, 429, 430, 526, 636, 651, 753, 780 Schrader, Oskar 390, 391 Schrecker, Paul 745 Schreiner, Johan K. 762 Schubert, W. F. 103 Schücking, W. 104, 255, 389, 428 Schüler, Hermann 390, 391 Schulte, Aloys 85 Schultz, Henry 517 Schulze-Boysen, Harro 640, 642, 643

Personenverzeichnis

Schumacher, Hermann 47, 154, 155, 158, 163, 168, 170, 172, 174, 176, 177, 179, 180, 182, 184, 185, 187 – 189, 197, 222, 251, 255 – 258, 301, 378, 391, 394, 426, 427, 429, 466, 486 – 488, 490 – 492, 497, 511, 524, 528, 536, 541, 542, 545, 566, 570, 600 Schumpeter, Joseph 104, 105, 155, 185, 187, 265, 273, 274, 297, 354, 429, 473, 531, 630, 765 Schürmann-Hoerster, Wilhelm 642 Schwarz, Baldwin 744 Schwob, Philippe 459 Scot, Marie 38 Scott, Ernest 63, 64, 575, 576 Seignobos, Charles 551, 552, 752 Seligman, Edwin R. A. 301, 392, 408, 509, 511 Sering, Max 428, 429, 530, 588, 590, 595 Sesemann, Heinrich 390 Sharp, Walter R. 371, 401, 403, 475, 478, 525, 747 Shaw, Clifford 73 Shils, Edward 512 Shotwell, James T. 81, 82, 115 Shryock, Richard H. 747 Siebers, Peter A. M. 203 Siegfried, André 466, 499, 550 – 552, 557, 752 Silianovski, Dimitri 763 Simic, Stojimir 763 Simmel, Georg 21, 494 Simons, Hans 255, 260, 349, 367, 743 Sinner, Samuel D. 624 Sinzheimer, Hugo 206, 745 Six, Alfred 328 Skerlj, Bozo 439, 440, 763 Slesinger, Donald 223, 228, 747 Small, Albion W. 173 Smith, John Russel 466 Sombart, Werner 21, 300, 337 Sommer, Artur 417, 419, 420, 425, 426, 428, 634, 637 – 639, 651 Sommer, Luise 185 Sorokin, Pitirim 496, 512 Spann, Othmar 78 Speck, Frank 519 Spekke, Arnold 763 Spiethoff, Arthur 104, 105, 155, 273, 274, 276, 322, 428, 429, 673

Personenverzeichnis

Spirito, Ugo 601 Spitaler, Armin 763 Spitzer, Leo 361 Spohr, Otto 266 Staehle, Hans 168, 176, 181, 185 – 187, 430, 473, 477, 512, 517, 589, 652, 654 Staley, David J. 677 Staley, Eugene 549 Stang, Fredrik 138 Stark, Johannes 405 Steding, Christoph 390, 391, 417, 425, 426, 429, 652, 753 Stephens, Frank Burcon 763 Sternberg, Fritz 744 Sternberger, Dolf 677 Stier, Hans Erich 412 Stimson, Ralph Humphreys 768 Stolberg-Wernigerode, Otto Graf zu 164, 191, 192 Stoltenberg, H. L. 104 Strauss, Leo 390, 391, 417, 424, 425, 429, 430, 550, 551, 603, 604, 635, 652, 654, 753 Stresemann, Gustav 553 Strupp, Karl 743 Stubbs, Frank B. 142, 474 Stumpp, Karl 624 Stys, Wincenty 764 Suranyi-Unger, Theodor 764 Sutton, Claud W. H. 447, 764 Syga-Dubois, Judith 40, 302, 445 Tansill, Charles C. 622 Taussig, Frank W. 474 Terman, Lewis 504 Terra, Helmut de 745 Thilenius, Georg 282, 388, 390, 429 Thimme, Friedrich 184 Thomas, Dorothy 429, 501, 607 Thurnwald, Prof. 388 Tiflis.  Siehe Tbilissi Tönnies, Ferdinand 21, 300, 493, 495 – 499 Tönniessen, Hedwig 179, 266, 416, 421, 426, 427, 559, 568, 570, 572, 635, 652, 753 Tournès, Ludovic 31, 35, 38 Travaglini, Volrico 565 Trepper, Leopold 642 Trömel, Werner 167, 170, 176, 181, 182, 184,

791 185, 194, 430, 468, 475, 476, 482, 514, 515, 592, 593, 652, 659 Trützschler, Heinz von Falkenstein 166, 175, 181, 184, 208, 430, 467, 468, 473, 484, 492, 516, 633, 652, 656 Tuchel, Johannes 644 Vagts, Alfred 46, 167, 171, 176, 182, 184, 192, 393, 430, 473, 474, 477, 513, 516, 596, 635, 652, 777 Valberg, Julius John 764 Valentin, Veit 360, 743 Valentiner, Theodor 130 Van der Valk, Hendrikus 435, 765 Vanoni, Ezio 203, 208, 209 Van Sickle, John 237, 243, 247 – 249, 252, 253, 257, 263, 268 – 270, 272, 273, 275, 276, 282, 284, 288 – 297, 299, 304, 311 – 316, 320, 322, 323, 326, 327, 329, 333, 337, 338, 344, 346, 348, 350, 352, 354, 356, 360, 362, 363, 370, 372, 378, 383, 401, 409, 413, 414, 422, 431, 435, 444, 445, 452, 457, 492, 499, 501, 505, 517, 524, 528, 541, 542, 544, 546, 548, 549, 551, 561, 570, 572, 588, 592, 603 – 605, 635, 637, 644, 659, 747, 766 Vermeil, Edmond 557, 765 Verschuer, Otto von 440 Viernstein, Theodor 280, 440 Villiamas, Vladas 765 Vincent, George E. 63, 64, 66, 237, 241 Viner, Jacob 392 Vitols, John 765 Vogel, W. 103 Vogt, Oskar 280 Voltaire 424, 556, 749 Von Heine-Geldern, Robert 743 Von Hildebrand, Dietrich 745 Vossler, Otto 165, 172, 173, 175, 182, 184, 397, 407, 430, 465, 467, 469, 470, 472, 474, 490, 512, 516, 538, 587, 588, 601, 635, 652 Waffenschmidt, Walter 326 Wagemann, Ernst 296, 297 Wagner, Emmy 164, 177 Wagner, Günter 62, 164, 390, 391, 417, 426, 429, 430, 472, 474, 475, 511, 519 – 521, 633, 639, 652, 656, 754 Wagner, Martin 743

792 Walker, Sydnor H. 65, 237, 243, 275, 284, 316, 319, 321, 343, 344, 354, 364, 766 Wallace, Donald Holmes 769 Wallas, Graham 494 Walther, Andreas 103, 287, 295, 443 Warburg, Otto 312 Waterkamp, Dietmar 506 Watkins, M. W. 509 Waugh, Frederick Vail 770 Waßler, Rainer 486 Weaver, Warren 307, 672 Weber, Alfred 47, 110, 112, 113, 121, 123, 133, 155, 179, 184, 255, 256, 265, 267, 268, 313, 324 – 327, 329, 330, 332, 333, 335, 388, 427 – 429, 434, 496, 497, 559, 569, 570, 640, 663, 664, 673, 677 Weber, Max 21, 494, 495 Wedemeyer, W. 104 Weidenreich, Franz 280 Weigert, Oscar 744 Weindling, Paul 287 Weinreich, Max 746 Weiss, Ida 362 Welskopp, Thomas 29 Werner, Michael 30, 32 Westermann, Diedrich 388, 390, 429, 593 Wheeler-Bennett, John 352 Whittlesey, Charles R. 771 Wickwar, William H. 203 Wiede, Wiebke 286 Wiedenfeld, Kurt 105, 255, 256, 428

Personenverzeichnis

Wiese, Leopold von 215, 294, 299, 300, 381, 385, 436, 494, 583 Wieser, Friedrich von 264 Willey, Malcolm M. 747 Williams, David 203 Willits, Joseph H. 323, 675, 678 Winslow, Earle M. 768 Wirth, Louis 19, 511, 512, 767 Wissler, C. 509 Wittke, Carl F. 747 Witzenmann, Walter 266 Wladikine, Lubomir 766 Wohlfahrt, Erich 166, 169, 175, 182, 184, 381, 383, 437, 467, 472, 476, 481, 484, 486, 502 – 506, 589, 632, 646, 652 Wolfers, Arnold 44, 255, 256, 261, 263, 346, 348 – 350 Wollenweber, Hellmut 418, 426, 429, 475, 537, 584, 586, 589, 613, 619 – 621, 652, 657, 754 Wood, Bryce 771 Woods, Arthur 64, 97 Young, Allan 540 Young, Donald R. 203, 401, 747 Young, Ralph Aubrey 768 Zazadzki, Bohdan 620 Zechlin, Egmont 46, 417, 421, 426, 428, 430, 485, 643, 653, 754 Zimmermann, Bénédicte 32 Zujovic, Milan J. 766 Zwiedineck-Südenhorst, Otto von 428, 434