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German Pages [528] Year 2019
Henning Bühmann
Die Stunde der Volksmission Rechristianisierungsbestrebungen im deutschen Protestantismus in der Zwischenkriegszeit
Arbeiten zur Kirchlichen Zeitgeschichte
Herausgegeben im Auftrag der Evangelischen Arbeitsgemeinschaft für Kirchliche Zeitgeschichte von Siegfried Hermle und Harry Oelke Reihe B: Darstellungen Band 73
Vandenhoeck & Ruprecht
Henning Bühmann
Die Stunde der Volksmission Rechristianisierungsbestrebungen im deutschen Protestantismus in der Zwischenkriegszeit
Vandenhoeck & Ruprecht
Im Jahre 2015 an der Philosophischen FakultÐt der UniversitÐt Erfurt angenommene Dissertation. Das Werk wurde fþr den Druck þberarbeitet.
Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber https://dnb.de abrufbar. 2020, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Gçttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschþtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Satz: 3w+p, Rimpar
Vandenhoeck & Ruprecht Verlage j www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2197-0874 ISBN 978-3-666-57075-9
Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Thema und Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Methodik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Der Terminus „Volksmission“ – begriffsgeschichtliche Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Forschungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Quellenlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Gliederung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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A) Programme und theoretische Texte zur Volksmission 2.
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Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Gerhard Hilbert – der Stichwortgeber . . . . . . . . . . . 2.2 Zeitdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Theologische Verortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Formen der Volksmission . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Zielsetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.6 Institutionelle Reformforderungen und Akteure der „Kirchlichen Volksmission“ . . . . . . . . . . . . . . . . 2.7 Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anleitungen zur praktischen Arbeit: Gerhard Füllkrug, Handbuch der Volksmission (1919) . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Gerhard Füllkrug – der Herausgeber des Handbuchs und Organisator der Volksmission im Central-Ausschuss . . . 3.2 Hintergrund und Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Inhalte und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Zeitdeutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.5 Definition und Aufgaben der Volksmission . . . . . . . . 3.6 Besondere Arbeitszweige . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.7 Die Rezeption in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . 3.8 Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
4.
5.
Volksmission in der Perspektive von „konservativer Revolution“ und Lutherrenaissance: Heinrich Rendtorff, Pflüget ein Neues (1924) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.1 Heinrich Rendtorff – Volksmissionar zwischen Praxis, Theorie und Kirchenleitung . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Volksmissionsverständnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Ekklesiologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Verhältnis von Glaube und Volkstum . . . . . . . . . . . 4.5 Kritik an der Moderne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.6 Praxis der Volksmission . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.7 Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Lutherische Standortbestimmung zu Beginn des NS-Regimes: Riederauer Thesen der bayerischen Landeskirche (1933) . . . . 5.1 Hintergrund und Entstehung . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Volksmission und lutherisches Bekenntnis . . . . . . . . 5.3 „Schöpfungsordnungen“ als Teil des göttlichen Gesetzes . 5.4 Geschichtstheologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Verhältnis zur völkischen Ideologie . . . . . . . . . . . . 5.6 Kritische Würdigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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B) Die Institutionalisierung einer volksmissionarischen Bewegung und ihre Entwicklung 1914–34 6.
Die Anfänge der Volksmission im Central-Ausschuss 1914–1918 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1 Voraussetzungen: der „Central-Ausschuss für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche“ in der Organisationsstruktur des deutschen Vereinsprotestantismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Diskurse über die Aufgaben der Inneren Mission seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges . . . . . . . . . . . 6.3 Gerhard Hilberts Vortrag „Die besonderen Aufgaben der Inneren Mission bei der allgemeinen Volksmission der Kirche“ auf der Novemberkonferenz 1916 . . . . . . 6.4 Die Übernahme der Volksmission als Aufgabe des Central-Ausschusses in der Endphase des Ersten Weltkrieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
7.
8.
Volksmission in der Weimarer Republik am Beispiel der Abteilung für (evangelistische) Volksmission im Central-Ausschuss 1918–1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Volksmission zu Beginn der Weimarer Republik (1918–1925) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Die „Kommission für volkstümliche Verkündigung des Evangeliums in Wort und Schrift“ im „Volkskirchendienst 1918“ als Teil der Volkskirchenbewegung (1918–1919) . . . . . . . . 7.1.2 Der Aufbau einer Abteilung für Volksmission im Central-Ausschuss und die institutionelle Verselbstständigung der Volksmissionsbewegung (1919–1925) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Stagnation und innere Widersprüche (1925–1929) . . . . 7.2.1 Finanzierungsschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Strukturprobleme im Deutschen Evangelischen Verband für Volksmission . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Volksmission und nationalistische Ideologien . . . 7.2.4 Die Emanzipation der Apologetischen Centrale . . 7.3 Systemkrise und politische Radikalisierung (1929–1933) . 7.3.1 Selbstlähmung des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Streitigkeiten im Central-Ausschuss . . . . . . . . 7.3.3 Vom Antikommunismus zu Verhandlungen mit der NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 Eingeständnisse ausbleibenden Erfolges . . . . . . 7.3.5 Die Folgen des Devaheim-Skandals (1931–1933) . Volksmission und die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ 1933–1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Erste Stellungnahmen zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Die Auswirkungen der versuchten Gleichschaltung der Inneren Mission . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Der Weg zur Auflösung des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Ausblick: Auseinandergehen und neue Allianzen . . . . .
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C) Volksmissionarische Praxis an ausgewählten Beispielen 9. Protagonisten . . . . . . . . . . . 10. Rahmenbedingungen . . . . . . . 11. Regionale Einsatzgebiete . . . . . 11.1 Süddeutsche Landeskirchen 11.2 Norddeutsche Landeskirchen
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Inhalt
11.3 Landeskirchen in der Mitte Deutschlands . . . . . . . . . 11.4 Altpreußische Union . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.5 Volksmission außerhalb des Deutschen Reiches: Schweiz, Österreich und deutschsprachige Diaspora in Osteuropa . 11.6 Auswertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12. Volksmissionswochen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1 Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Dauer und Veranstaltungsorte . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Ablauf und einzelne Veranstaltungsformen . . . . . . . . 12.3.1 Allgemeine Vorträge . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.2 Einladeaktionen und Hausbesuche . . . . . . . . . 12.3.3 Bibelstunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.4 Veranstaltungen für besondere Zielgruppen . . . . 12.3.5 Sprechstunden der Volksmissionare . . . . . . . . . 12.3.6 Liturgische Feiern und Nachversammlungen . . . 12.3.7 Entscheidungsriten . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Besucherzahlen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.5 Nacharbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.6 Rückmeldungen von Gemeindepfarrern . . . . . . . . . . 13. Resümee . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 441 Quellen- und Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . Unveröffentlichte Quellen . . . . . . . . . . Unveröffentlichte Arbeiten . . . . . . . . . Veröffentlichte Quellen und Darstellungen
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Personenregister / Biografische Angaben . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 Institutionenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 512 Organigramme und Dokumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519
Vorwort Diese Monografie basiert auf meiner Dissertationsschrift mit dem Titel „,Die Stunde der Volksmission‘. Rechristianisierungsbestrebungen im deutschen Protestantismus in der Zwischenkriegszeit unter besonderer Berücksichtigung der Evangelistischen Abteilung des Central-Ausschusses für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche“. Diese wurde im Wintersemester 2014/15 an der Philosophischen Fakultät der Universität Erfurt eingereicht, die Verteidigung fand am 2. November 2015 statt. Für die Drucklegung wurden einzelne Passagen überarbeitet, an einigen Stellen Literaturhinweise ergänzt sowie neuere Literatur eingearbeitet. Schließlich wurde die Arbeit in erheblichem Umfang gekürzt. Für hilfreiche Hinweise zur Überarbeitung danke ich den beiden Betreuern des Dissertationsverfahrens und dem anonymen Gutachter der „Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte“. Habent sua fata libelli. – Das Thema der Volksmission hat mich nicht nur über einen langen Zeitraum begleitet, es haben in dieser Zeit auch viele Menschen Einfluss auf das Projekt genommen. Die folgenden Danksagungen können daher nur unvollständig sein. Der größte Dank gebührt natürlich meinem Doktorvater, Prof. Dr. Anselm Schubert. Ich bin ihm für sein großes Engagement, sein stets gleichbleibendes Interesse, seine wertvollen Hinweise und für seine Ermutigungen, gerade in schwierigen Zeiten, dankbar. Neben ihm danke ich auch Prof. i. R. Dr. Josef Pilvousek, der kurzfristig zusätzlich zu seiner Pfarrvertretung in Gotha das Zweitgutachten übernommen hat. In Erfurt hatte ich das Privileg, im Rahmen des Theologischen Forschungskollegs eine inspirierende Umgebung zu haben. Ich danke Prof. Dr. Benedikt Kranemann und den Fellows und Mitdoktoranden für diese wunderbare Zeit, die von 2010 bis 2013 auch mit einem Stipendium verbunden war. Ein ähnlicher Dank gebührt auch der Erfurter Graduiertenschule „Religion in Modernisierungssituationen“, die u. a. im Sommer 2010 einen Forschungsaufenthalt in Berlin förderte. Weitere finanzielle Förderung erhielt ich von 2013 bis 2014 durch ein Stipendium des Arbeitskreises für evangelikale Theologie und im Frühjahr 2015 durch ein Abschlussstipendium der Universität Erfurt. Für die gute Betreuung bei meinen Archivrecherchen in Berlin danke ich Herrn Dr. Michael Häusler und dem Team des Archivs für Diakonie und Entwicklung sowie den Mitarbeitern des Evangelischen Zentralarchivs. Hilfreiche Hinweise für die Arbeit und ihre Überarbeitung gaben neben anderen Prof. Dr. Giancarlo Collet, Prof. Dr. Peter Cornehl, Prof. Dr. Anselm Doering Manteuffel, Prof. Dr. Manfred Gailus, Prof. Dr. Hartmut Lehmann und Prof. Dr. Wolfgang Ratzmann, Priv.-Doz. Dr. Gisa Bauer, Pfarrerin Dr. Su-
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Vorwort
sanne Böhm, Dr. Rainer Bookhagen, Dr. Uwe Kaminsky, Dr. Jürgen König, Dr. Jan Carsten Schnurr, Dr. des. Benedikt Brunner, Grace Anders, Hartmut Bährend, Peter Bahr, Peter Beier, Uwe Bertelmann, Werner Beyer, Michael Bing, Hans-Peter Bock, Bert Buchholz, Andreas Butz, Ulrich Dühr, Mirjam Friedrich, Wolfgang Günther, Renate Hartmann, Karen Jens, Lea Lerch, Heinrich Löber, Petra Oelschläger, Kristin Schubert und Cornelia von Uckro. Viele Menschen haben mich in den letzten Jahren bei der inhaltlichen und formalen Korrektur meiner Texte unterstützt. Stellvertretend seien Dr. Robert Müller, Dr. Jan Carsten Schnurr, Rolf Blase, Heike Bühmann, Corinna Ehlers, Lea Lerch, Anna Karger-Kroll und Franziska Turre genannt. Daneben danke ich den Freunden in Tübingen, besonders im Albrecht-Bengel-Haus, in der ESG Erfurt und im Checkpoint Jesus, dass sie gerade in schwierigen Phasen immer für mich da waren. Als ich dann neu in Göttingen war, half mir Dr. Steffie Schmidt bei der Vorbereitung auf die mündliche Verteidigung. Für die Aufnahme in die B-Reihe der Arbeiten zur kirchlichen Zeitgeschichte danke ich den Herausgebern Prof. Dr. Siegfried Hermle und Prof. Dr. Harry Oelke. Mit der Aufnahme in diese Reihe ging eine Übernahme von großen Teilen der Druckkosten durch die Evangelische Arbeitsgemeinschaft für kirchlichhe Zeitgeschichte einher. Für einen ungemein großzügigen und unbürokratischen Druckkostenzuschuss danke ich der Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste unter der damaligen Leitung von Herrn Oberkirchenrat Dr. Erhard Berneburg. Die restlichen Kosten übernahm die VELKD, wofür Herrn Oberkirchenrat Dr. Andreas Ohlemacher herzlich gedankt sei. Für Hilfe bei der redaktionellen Überarbeitung des Manuskripts und die Erstellung der Register danke ich Wiebke Blanck, für die Betreuung Herrn Spill und Frau Dr. Körner vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht. Bei der Korrektur der Druckfahnen halfen mir Heike Bühmann, Dr. des. Corinna Ehlers, Dr. Hans-Christian Gebbe, Timo Janssen, Dr. des. Georg Kalinna, Laura Müller, Christina Stier und Anke Wagner-Wolff. Für alle Fehler, die trotz der vielfältigen Überarbeitungen noch im Manuskript geblieben sind, trage ich selbstverständlich die Verantwortung. Widmen möchte ich diese Arbeit meinen Eltern, Hubertus und Heike Bühmann. Sie haben nicht nur mein Studium finanziert, sondern mich immer ermutigt, meinen akademischen Interessen nachzugehen und mich auch während meiner Doktorarbeit immer wieder unterstützt. Dafür bin ich ihnen herzlich dankbar. Henning Bühmann Göttingen, im Oktober 2019
1. Einleitung 1.1 Thema und Fragestellung Die Revolution des Jahres 1918 und die Entstehung der Weimarer Republik bildeten für die deutschen evangelischen Landeskirchen den größten Strukturbruch seit der Reformation. In den Jahren 1918/19 wurde die durch den Summepiskopat der Fürsten gewährleistete enge Verbindung zwischen Staat und protestantischen Kirchen gelöst. Obwohl die in der Weimarer Reichsverfassung hergestellte „hinkende Trennung“ (Ulrich Stutz) den öffentlich-rechtlichen Status und den Einfluss der Kirchen weiterhin garantierte, ist sich die kirchengeschichtliche Forschung einig, dass die Entwicklung von 1918 für den deutschen Protestantismus traumatisch wirkte und ihn für nationale Ideologien und antidemokratische Lösungen anfällig machte1. Diese institutionelle Trennung von Staat und Kirche war nur ein Teil des mehrdimensionalen, den Weg Europas in die Moderne prägenden Prozesses, der ungenau als Säkularisierung bezeichnet wird2. Es stand zu erwarten, dass diese Entwicklung durch die „Explosion der Moderne“3 in den 1920er-Jahren eher verstärkt als gebremst werden würden. Und tatsächlich stieg die Zahl der Kirchenaustritte nach 1918 auf ein Vielfaches des Vorkriegsniveaus4. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, wie verschiedene Kreise des deutschen Protestantismus nach dem Ende des Ersten Weltkrieges mit den Säkularisierungstendenzen der deutschen Gesellschaft umgegangen sind und welche Gegenmaßnahmen hier ergriffen wurden. Diese Studie wird sich zur Klärung dieser Frage auf die historische Analyse eines Begriffes konzentrieren, der nach 1916 im deutschen Protestantismus eine breite Rezeption fand. Seit einer Schrift des Rostocker Theologieprofessors Ger-
1 Vgl. insbesondere Nowak, Kirche. 2 Neuere Forschungen zur Säkularisierung haben zu Recht ein allzu geradliniges Bild eines unumkehrbar verlaufenden Prozesses des Bedeutungsverlustes von Religion zerstört und auf parallele Entwicklungen der Rechristianisierung nicht nur in Nordamerika hingewiesen; vgl. Lehmann, Säkularisierung. Ein Transformationsprozess des Religiösen im Europa des langen 19. Jahrhunderts, der auch Formen der Säkularisierung im Sinne des Bedeutungsverlustes von Religion überhaupt beinhaltete, ist aber nicht zu leugnen. Für eine nuancierte, neue Forschungsdebatten aufnehmende Fallstudie für Frankreich, England und Deutschland siehe McLeod, Secularisation. 3 Nowak, Geschichte, 205–242. 4 Beispielhaft für Berlin, den Schwerpunkt der Kirchenaustrittsbewegungen, siehe Gailus, Protestantismus, 30–40.
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Einleitung
hard Hilbert5 wurde „Volksmission“ – ein Begriff, der vorher meist in einem katholischen Kontext verwendet wurde – zu einem in evangelischen Kirchenleitungen und im Vereinsprotestantismus viel diskutierten Schlüsselkonzept. Ziel dieser Arbeit ist es, am Beispiel des Diskurses über die Notwendigkeit einer „Volksmission“ und anhand der vorgeschlagenen und durchgeführten Aktionen einen Einblick in den Umgang theologisch und politisch konservativer Kreise des deutschen Protestantismus mit der Moderne und dem mit ihr verbundenen Säkularisierungsprozess zu erhalten. Die Diskussion über den Zustand der evangelischen Kirchen in Deutschland und der allgemeinen Lage sowie die vorgeschlagenen Gegenmaßnahmen können Leitbilder und Gegenwartsdeutungen im protestantischen Lager klären. Die Analyse der praktischen Volksmission wird sich auf die Arbeit der Abteilung für Volksmission im Centralausschuss für Innere Mission (im Folgenden: CA) konzentrieren. Der CA, das organisatorische Zentrum des deutschen Verbandsprotestantismus6, betrieb unter seinem ersten geschäftsführenden Direktor, Gerhard Füllkrug, maßgeblich die institutionelle Umsetzung von Hilberts Vorschlägen. Zusammen mit der seit 1921 ebenfalls im CA institutionalisierten Apologetischen Centrale (AC) und der Wichern-Vereinigung am Rauhen Haus in Hamburg gehörte die Abteilung für Volksmission des CA (seit 1929: Evangelistische Abteilung) zu den großen überregional tätigen Volksmissionsorganisationen. Diese Abteilung bildete außerdem das organisatorische Zentrum des 1925 gegründeten Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission, der insgesamt 47 Organisationen und Verbände umfasste, die sich die Umsetzung des Konzeptes „Volksmission“ auf die Fahnen geschrieben hatten7. Aus diesem Grunde lassen sich am Beispiel des CA eher als an regionalen Trägern volksmissionarischer Arbeit allgemeine Entwicklungen ausmachen. Ferner ist es über die Koordinationsfunktion des CA möglich, auch einen Einblick in die Aktivitäten regionaler volksmissionarisch aktiver Verbände zu erhalten. In diachroner Perspektive erscheint es sinnvoll, die Untersuchung mit der Vorgeschichte von Hilberts Programm der Volksmission zu beginnen und sie über das Jahr 1933 hinauszuführen, da nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten die Verwendung des Begriffes „Volksmission“ einen geradezu inflationären Höhepunkt erlebte. Allerdings kann die Zeit nach 1933, in der auch die Institutionalisierung dieses Arbeitsfeldes durch die Einrichtung von Ämtern für Volksmission in amtskirchlicher Trägerschaft zu einem Abschluss kam, nicht in voller Breite dargestellt werden. Es empfiehlt sich daher zwar, die Euphorie des Jahres 1933 und die Bedeutung volksmissionarischer Konzepte in den verschiedenen Fraktionen des Kirchenkampfes miteinzubeziehen, eine Auseinanderset5 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916). Zu Hilbert arbeitet derzeit Uwe Bertelmann (Gießen / Greifswald) an einem praktisch-theologisches Dissertationsprojekt. 6 Vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, v. a. 1–24. 7 Auflistung der Mitglieder, vor allem regionale Verbände für Innere Mission in F llkrug, Werk, 365–367.
Methodik
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zung mit der Funktion und Bedeutung von „Volksmission“ im Verhältnis zur nationalsozialistischen Entkonfessionalisierungspolitik nach 1936 aber würde den Rahmen der Arbeit sprengen. Ebenso wäre eine Einbeziehung der nach dem Ende des NS-Regimes aufkommenden Rechristianisierungsvisionen8 zwar aufgrund von personellen und ideellen Kontinuitäten reizvoll, aber praktisch nicht zu bewältigen.
1.2 Methodik Insgesamt soll diese Darstellung einen Beitrag zu einer gegenüber modernen Forschungstrends aufgeschlossenen kirchlichen Zeitgeschichte bilden, welche die Geschichte der christlichen Kirche in den Kontext von sozialen und kulturellen Entwicklungen der Gesellschaft im 20. Jahrhundert stellt9. Dabei ist sie methodisch an der Schnittstelle von Ideengeschichte und Sozialgeschichte verortet, indem sie zugleich die Entwicklung eines Konzepts und dessen gesellschaftsgeschichtlichen Kontext untersuchen möchte10. Die Entwicklung des Volksmissionsgedankens und seine praktische Umsetzung fanden in den 1920er- und frühen 1930er-Jahren vor dem Hintergrund einer strukturellen Transformationen unterworfenen und von Konflikten überschatteten Gesellschaft statt11. Es bleibt zu sehen, in welchem Ausmaß diese politischen und gesellschaftlichen Transformationen das Konzept der Volksmission betrafen. Die Berücksichtigung des historischen Kontextes soll nicht davon abhalten, theologische Entwürfe und Frömmigkeitsformen als solche ernst zu nehmen. Der historische Kontext beeinflusst zwar immer die Form der Rezeption theologischer Dogmen und den aktuellen theologischen Diskurs. Theologie und Frömmigkeit gehen mit der Interpretation der biblischen Offenbarung und der Verortung in der theologischen und kirchlichen Tradition aber immer auf etwas Vorgegebenes zurück. Daher wäre es verfehlt, theologische Entwürfe zu Evangelisation und Volksmission als rein interessengeleitet oder als ein bloßes Überbauphänomen zu betrachten. Ein weiteres Ziel dieser Arbeit ist es, nicht nur den Diskurs über Volksmission vom Ersten Weltkrieg bis zum Beginn nationalsozialistischer Herrschaft nachzuvollziehen, sondern den Zusammenhang von theoretischem Diskurs, organisatorischer Entwicklung und volksmissionarischer Praxis zu analysieren. Grund dafür ist einmal die Überzeugung, dass die volksmissionarische Praxis Zugänge zum Verständnis des Begriffes eröffnet, die nicht allein durch die Analyse der programmatischen Schriften gewonnen werden können. Das gilt besonders für 8 Vgl. Greschat, Rechristianisierung, 1–24. 9 Vgl. Greschat, Zeitgeschichte. 10 Zu neueren Ansätzen einer gesellschaftsgeschichtlich abgestützten Ideengeschichte vgl. Raphael / Tenorth, Ideen. 11 Vgl. die methodisch weiterhin anregende Gesamtdarstellung Peukert, Weimarer Republik.
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Einleitung
die Analyse von Auseinandersetzungen um die volksmissionarische Praxis, die häufig Rückschlüsse auf die zugrunde liegenden Konzepte erlauben. Zugleich bietet der Blick auf die institutionelle Verankerung und auf die Verkündigungspraxis auch die Möglichkeit, Rückfragen zur Stimmigkeit der theoretischen und programmatischen Prämissen der Volksmissionsprogramme zu stellen und zu prüfen, inwieweit sie die erhoffte Wirksamkeit hatten. In der folgenden Darstellung werden ausführliche Analysen programmatischer Texte und detaillierte Auswertungen von Verhandlungsprotokollen unternommen. Seit den 1980er-Jahren hat die deutsche Geschichtswissenschaft durch die Wende zur Alltagsgeschichte von der Anthropologie den Wert dichter Beschreibungen für die Analyse historischer Vergangenheit zu schätzen gelernt12. So soll durch die ausführliche Darstellung auch eine umfassende Rekonstruktion der Bedingungen der protestantischen Volksmission in Deutschland und der Zielsetzungen und Selbstwahrnehmungen der Akteure möglich werden. Durch eine größere analytische Tiefenschärfe können Ambivalenzen und Zwischentöne schärfer wahrgenommen werden. Dabei soll aber die Einbindung der Geschichte der Volksmission in der Zwischenkriegszeit in die Gesamtentwicklung der deutschen Gesellschaft und des Protestantismus immer im Blick bleiben13. Das Ziel, das mit der gesamten Arbeit verfolgt werden soll, wurde bereits 1932 von Martin Gerhardt, dem Nestor der Geschichtsschreibung der Inneren Mission in Deutschland, formuliert: „In der jüngsten Entwicklung der Inneren Mission steht im Mittelpunkt das, was heute als Volksmission bezeichnet wird. Sie hat gegenwärtig einen solchen Umfang angenommen, daß sie wohl schon für eine geschichtliche Darstellung reif ist. […] An diese Arbeiten gilt es anzuknüpfen, wobei die Volksmission ganz in den Rahmen der jüngsten Kirchengeschichte hineingestellt werden müßte.“14
1.3 Der Terminus „Volksmission“ – begriffsgeschichtliche Anmerkungen In seiner theologischen Examensarbeit von 1993 diagnostizierte der Diakoniehistoriker Volker Herrmann: „Der Begriff ,Volksmission‘ ist keine formale evangelische ,Erfindung‘, ihm geht vielmehr ein katholischer Gebrauch voraus und einher.“15 Hier soll die Entwicklung des Begriffes dargestellt werden, bis er 1916 gleichsam offiziell vom deutschen Protestantismus adoptiert wurde. Die 12 Vgl. Medick, Missionare, 48–84. 13 Dies steht im Gegensatz zur herkömmlichen Mikrogeschichte, die zwar ebenfalls den genauen Blick auf einen kleineren Gegenstand propagiert, aber statt deren Verortung in Makrostrukturen eher große Theorien infrage stellen möchte; vgl. Ulbricht, Mikrogeschichte, 9–29. 14 Gerhardt, Hauptaufgaben, 291. 15 Herrmann, Verhältnis, 2.
Der Terminus „Volksmission“ – begriffsgeschichtliche Anmerkungen
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offizielle Verwendung des Wortfeldes Mission für christliche Glaubensverkündigung stammte ebenfalls aus einer katholischen Quelle: Die frühen Jesuiten benutzten den Begriff „missio“ für die ihnen vom Orden gestellte Aufgabe und Sendung, ob sie nun die Gewinnung asiatischer oder amerikanischer Heiden, die Rückgewinnung der reformatorisch gewordenen Gebiete oder die Stärkung des Katholizismus durch Bußpredigten innerhalb katholisch gebliebener Gebiete betraf16. Mission war daher im katholischen Gebrauch nie allein auf die Heidenmission beschränkt. Die katholische Volksmission ist aus diesem Grund ein Produkt des konfessionellen Zeitalters. So läuft eine direkte Linie volksmissionarischer Praxis von den Bußpredigten der Jesuiten bis zu den katholischen Volksmissionen in den Kulturkämpfen des 19. Jahrhunderts. Erst mit dem zweiten Vaticanum brach diese Linie ab17. Dies betraf auch die Veranstaltungsformen der seit dem 17. Jahrhundert als missio interna von der Heidenmission abgegrenzten Form der Volksmission innerhalb katholischer Gemeinden18. Dazu gehörten für die ganze Gemeinde bestimmte Predigtzyklen durch Ordensgeistliche, welche die Zuhörer zum Ablegen einer das ganze Leben umfassenden Beichte motivieren sollten, und eine abschließende allgemeine Kommunion. Dieses im Einzelnen variable Gerüst wurde durch zahlreiche Riten wie festliche Umzüge und Bußprozessionen oder rituelle Missionserneuerungen einige Monate nach Abschluss der Volksmission ergänzt19. In den protestantischen Volkskirchen Europas, die anders als der Katholizismus die parakirchlichen Strukturen der Orden weitgehend aufgelöst hatten und die religiöse Praxis ganz auf die pfarrerzentrierte Ortsgemeinde zu konzentrieren versuchten, konnte sich eine solche Praxis abgesehen vom regulären kirchlichen Leben nur in Ansätzen entwickeln. Zwar betonte der Pietismus konfessionsübergreifend die Notwendigkeit von Erweckung und Bekehrung unter getauften Christen. Seine staatlich geförderten, geduldeten oder heimlichen Gemeinschaftsbildungen erreichten jedoch zumindest in Kontinentaleuropa insgesamt nicht den Grad an Öffentlichkeit und Verbindlichkeit, den die Missionswochen für das katholische Europa hatten. Das Wortfeld Mission blieb daher ganz für die äußere Mission der protestantischen Kirchen reserviert, die durch die frömmigkeitsgeschichtlichen Impulse des Pietismus ihren großen Aufschwung nahm20. Erst im 19. Jahrhundert verband sich der Missionsbegriff im evangelischen 16 Vgl. zur Begriffsbildung Collet, Glaubenswerbung; allgemein zur katholischen Missionsgeschichte vgl. Sievernich, Mission, v. a. 71–91. Der Autor dankt den Professoren Michael Sievernich (Mainz) und Giancarlo Collet (Freiburg im Uechtland) für wertvolle Hinweise zur katholischen Missionsgeschichte. 17 Vgl. die knappe historische Skizze in Klosterkamp, Volksmission, 5–53. 18 Vgl. Heitz, Volksmission, 15 f. 19 Vgl. einen knappen Überblick zu der Genese dieser Formen in Klosterkamp, Volksmission, 11–17. 20 Vgl. Wellenreuther, Pietismus.
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Deutschland mit einer religiösen Verkündigung unter getauften Christen. Dies erklärt sich aus den Einflüssen der Erweckungsbewegung in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, für deren Selbstverständnis das Werk der Weltmission eine konstitutive Bedeutung hatte21. Zugleich gehörten die Förderung der äußeren Mission, karitatives Engagement und Verkündigung von Pfarrern und Laien zu den Spezifika der erweckten Kreise in ganz Deutschland22. Vorbilder dafür kamen aus den angelsächsischen Ländern, wo die aus der Massenwirkung der methodistischen Erweckungspredigt und deren Rezeption in den traditionellen Kirchen entstandene Verkündigung an die durch die industrielle Revolution verelendeten Bevölkerungsgruppen bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Missionsarbeit bezeichnet wurde23. In Deutschland war es Johann Hinrich Wichern, der für seine Arbeit im Rauhen Haus in Hamburg, mit der er karitatives Engagement und Evangeliumsverkündigung verbinden wollte, ab 1839 den Begriff „inländische Mission“ verwendete. Seit 1841 benutzte er den seitdem untrennbar mit ihm verbundenen Begriff „Innere Mission“24. Obwohl der Göttinger Theologe Friedrich Lücke den Begriff „innere Mission“ etwa zur gleichen Zeit verwendete, ist Wichern „nicht nur als der Vater der Sache, sondern auch des Namens der I. M. anzusehen“25. Den Durchbruch erlebte die Verwendung des Begriffes Innere 21 So prägte die Erweckungsbewegung das Genre der Missionsgeschichte; vgl. Schnurr, Weltreiche, 88–103; die Bedeutung der Weltmission für die internationale Verflechtungsgeschichte hat Rebekka Habermas im Jahre 2008 auf dem Historikertag in Dresden neu ins Bewusstsein gerufen; vgl. Habermas, Mission. 22 Dies begann bei der Basler Christentumsgesellschaft, die zu den Keimzellen der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts gehörte. Sie verband klassische religiöse Schriftenverbreitung mit Förderung der Heiden- und Judenmission; vgl. Weigelt, Pietismus, 710–719. Bereits bei der Christentumsgesellschaft wurde die Abwehr falscher Lehre mit einer missionarischen Zielsetzung verbunden; vgl. Breitschwerdt, Theologisch konservativ, 86 f. Martin Greschats Beschreibung ist treffend, auch wenn der Begriff Volksmission im frühen 19. Jahrhundert noch nicht verwendet wurde: „Der leitende Gesichtspunkt dabei war die Ausbreitung der eigenen religiösen Überzeugung. Es ging also um Volksmission, dann auch um Heidenmission sowie, in unmittelbarem Zusammenhang damit, um Zuwendung, Hilfeleistung und Fürsorge für Schwache und Kranke, Benachteiligte und Notleidende aller Art“ (Greschat, Erneuerung, 192). 23 In Glasgow wurde 1824 eine Stadtmission gegründet, in London 1835; vgl. Scharpff, Geschichte, 101. 24 Vgl. Talazko, Wichern, 188–207, hier: 199. Bezeichnend ist, dass Wichern zeitweilig auch die Gründung eines Missionsseminars für die Äußere Mission im Rauhen Haus beabsichtigte; vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 6. 25 Steinweg, Innere Mission, 3 f. Lücke verstand unter dem Begriff innere Mission eine innere Stärkung der angeblich in ihrem christlichen Leben erstarrten altorientalischen und orthodoxen Kirchen durch protestantische Missionare; vgl. L cke, Mission, v. a. 13 f. Allerdings ermahnte er die Missionsfreunde, die seinen Vortrag besuchten, auch dazu, für das christliche Leben in Deutschland Verantwortung zu tragen: „Sodann aber liegt in jenem Einwurfe eine tadelnde Mahnung, eine heilsame Weisung in Betreff der ganzen gegenwärtigen Einrichtung des christlichen Missionswesens, welche wir jetzt am wenigsten überhören dürfen, wo die Aufgabe immer dringender wird, der Mission nicht an, sondern in der Kirche, in dem innersten Lebensprocesse, gleichsam im Herzen der Kirche den rechten Platz, die rechte Funktion anzuweisen“ (ebd., 7).
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Mission mit Wicherns Stegreifrede 1848 und der Veröffentlichung der Denkschrift „Die innere Mission der deutschen evangelischen Kirche“26. Wichern sah die von ihm propagierte Innere Mission im Verhältnis zur Äußeren Mission als „Zwillingsschwester, mit ihr Tochter des Einen Geistes“27. Er bzeichnete sie damit gemeinsam mit der Mission unter Heiden und Juden als Erfüllungen des Missionsbefehls Christi28. Als Objekt der Inneren Mission betrachtete er vorrangig getaufte Christen evangelischer Konfession, die sich faktisch von der Kirche entfernt hatten.29 Wichern sah zunächst die karitativen Liebeswerke als den Weg, verarmte Bevölkerungsgruppen wieder in die christliche Gemeinschaft zu integrieren30. Dennoch war für ihn das Werk der Liebe untrennbar mit der Verkündigung verbunden, die auch außerhalb der Kirche das öffentliche Leben prägen müsse. Das wurde an der bekannten Zielbestimmung deutlich, die er der Inneren Mission gab: „[…], daß zuletzt im Umkreis der evangelischen Kirche kein Glied derselben mehr sei, das nicht das lautere Wort Gottes in rechter, d. h. grade ihm eignender Weise hörte und die ihm sich darbietende Gelegenheit zu diesem Hören fände, auch ohne sie zu suchen.“31
Objekt dieser Verkündigung war aber nicht nur der Einzelne, sondern das christliche Volk als Ganzes, „damit endlich die Strömungen des Heils sich in alle Adern des Volkslebens ergießen können.“32 Nur durch Innere Mission könne die evangelische Kirche eine umfassende Volkskirche werden33. Zugleich machte Wichern bereits 1848 deutlich, dass er mit dieser religiösen Erneuerung des deutschen Volkes auch eine Hoffnung für die Zukunft Europas verband wie einst im Zeitalter der Reformation34. In Wicherns Theologie hatten diese Hoffnungen 26 Wichern, Denkschrift; zur Entstehung der Inneren Mission vgl. ausführlich Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 1, v. a. 85–130. 27 Wichern, Denkschrift, 7. Im Folgenden sollen neben der Denkschrift Wicherns noch zwölf Thesen Wicherns von 1857 herangezogen werden; vgl. Wichern, Thesen. 28 „Die innere Mission, aus demselben Quell des Glaubens und der Hoffnung entspringend wie die Juden- und Heidenmission, ist die Fortsetzung oder Wiederaufnahme der ursprünglichen Missionsarbeit in der christlichen Welt […]“ (Wichern, Thesen, 195). 29 „Ihre Aufgabe ist hinsichtlich der Lehre: im Umkreis ihrer Kirche diese Lehre denjenigen Massen, welche sie nicht kennen, oder denen sie toter Buchstabe geworden oder geblieben, in Geist und Leben, nicht aber den Bestand der Lehre selbst in anderen zu verwandeln“ (Wichern, Denkschrift, 8). 30 „[…] aber das Eigenthümliche, Neue, bis dahin so nicht in Erscheinung Gekommene lag in jenen Regungen und Gestaltungen der Liebe –, die, jener Gefühligkeit, Schwächlichkeit überdrüssig oder sich nach und nach von ihr befreiend, im Glauben mächtig, für Christum wirksam, ihn verklären und zu ihm retten wollte“ (ebd., 2). 31 Ebd., 49. Zu Wicherns Ideen zu unkonventionellen Predigtorten vgl. ebd., 69–73. 32 Ebd., 20. 33 „Die evangelische Kirche unseres Vaterlandes ist ihrem Prinzip nach wesentlich eine Kirche der inneren Mission; durch sie erst wird und kann sie zur Volkskirche ausgeboren werden“ (ebd., 21). Zum Volkskirchenbegriff bei Wichern vgl. Leipold, Volkskirche, 18–20. 34 Vgl. Wichern, Denkschrift, 21.
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ihre Grundlage in einer hohen Wertung der nationalen Identität, die er als Teil von Gottes Heilsplan betrachtete und der er eine Kollektividentität zusprach35. Wicherns Konzept der Inneren Mission verband die Diakonie mit einer missionarischen Botschaft. Er knüpfte hier gezielt an die Heidenmission als Vorbild an36. Zugleich ist jedoch auffällig, welche Bedeutung der Volksbegriff bei Wichern hatte. Nicht nur der Einzelne, sondern das ganze deutsche Volk war für ihn Objekt der Inneren Mission. Damit war eine Grundlage für die Verbindung von Volksbegriff und Missionsbegriff geschaffen. Allerdings benutzte Wichern den Begriff „Volksmission“ nicht37. Ein Grund dürfte das Erstarken der katholischen Volksmission gegen Ende des Vormärz gewesen sein. Dies war eine Reaktion auf die ersten Kulturkämpfe und zugleich eine parallele Entwicklung zu der Entstehung katholischer Parteien. Eines der ersten im 19. Jahrhundert erschienenen Werke zur katholischen Volksmission, das im Jahr 1850 vom badischen katholischen Politiker Franz Joseph Ritter von Buß verfasst wurde, machte diese Verbindung deutlich38. Wichern kritisierte diese katholischen Parallelen zu seiner Inneren Mission massiv als „den tiefen, inkurablen Schaden in dem Prinzip aller jener römisch-kirchlichen Bestrebungen“39. Durch Wicherns permanente Aktivitäten gelang es in der Zeit bis zur Reichseinigung 1871 tatsächlich, den Missionsbegriff von seiner Konzentration auf die Äußere Mission zu lösen und ihn auf Deutschland zu übertragen, auch wenn bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die Missionswissenschaft diesen Gebrauch als unangemessen kritisierte40. Dabei umfasste die Arbeit der Inneren 35 „Wir glauben nach dem göttlichen Wort, daß nicht bloß die Individuen, sondern auch die Völker als solche eine Verheißung haben, daß einst, nach Ausscheidung aller Ungerechtigkeit und derer, die sie und nicht die Gerechtigkeit lieb haben, auch das Leben der Völker durch Gottes Gnade geheiligt und verklärt werden wird, daß nicht bloß in einzelnen Gläubigen, sondern auch in gläubigen Nationen die von Gott ihnen verliehenen Eigentümlichkeiten, Anlagen und nationalen Güter zu einer Wiedergeburt gelangen sollen“ (Wichern, Thesen, 209). Wichern übernahm damit das antiaufklärerische, von der Romantik beeinflusste Verständnis des Begriffes „Volk“, das bereits den Diskurs während der Befreiungskriege und im Vormärz geprägt hatte vgl. Retterath, Volk, 50–58. 36 Martin Werth sieht sicher nicht zu Unrecht als einen Grund für die Übernahme des Missionsbegriffes, dass auf diese Weise „das Missionsengagement des 18. und 19. Jh. [Jahrhunderts, H. B.] für die Arbeit in der Heimat benutzt werden sollte“ (Werth, Theologie, 51). 37 Vgl. Gerhardt, Wichern, 269. 38 Buss, Volksmission; vgl. auch Lange, Ritter von Buss, 70. Zu dem durch die Kulturkampfgesetzgebung nur zeitweilig gebremsten Aufschwung der katholischen Volksmission im 19. Jahrhundert vgl. Heitz, Volksmission; Gatz, Rheinische Volksmission. Inwiefern die Verwendung des Volksbegriffes in der katholischen Volksmission bereits ein Konzept des Volkes als „Ethnos“, als Abstammungsgemeinschaft, bzw. als politischer Gemeinschaft („Demos“) hatte oder eher einem traditionellen Verständnis des Volkes als „Plebs“, das primär die Unterschichten umfasste, folgte, kann hier nicht diskutiert werden. Vgl zu diesen drei Polen des Volksverständnisses Retterath, Volk, 64 f. 39 Vgl. Wichern, Mission der evangelischen und römischen Kirche, 252. 40 „Wir folgen der kontinentalen, auch in der angelsächsischen Welt immer mehr angenommenen Ausdrucksweise, wonach Mission die Ausbreitung des Christentums unter Nichtchristen bedeutet“ (Richter, Missionskunde, Bd. 2, 2). Eine ähnliche Kritik an der Verwendung der
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Mission nicht nur karitative Maßnahmen, sondern auch viele Arbeitszweige zur Beeinflussung der kulturellen Sphäre, etwa Schulgründungen, literarische Produktion und Einfluss auf das Kunst- und Bühnenwesen. Jochen-Christoph Kaiser, der in einem Artikel von 1998 diese Arbeitszweige der Inneren Mission wieder in Erinnerung gerufen hat, bezeichnete sie als Volksmission avant la lettre41. In der Reichsgründungszeit, als Hoffnungen auf religiöse Besserung im Gefolge der Reichseinigungskriege sich nicht zu erfüllen schienen und die politische Emanzipation der Katholiken und Arbeiter als Bedrohung des status quo erschien, transformierten sich diese Hoffnungen immer stärker zu einer Auseinandersetzung mit der Gegenwart: „Wicherns umfassende Vision […] war in atemberaubender Weise dem Bewusstsein gewichen, in eine Entscheidungsschlacht geworfen zu sein.“42 In dieser Situation setzte mit Adolf Stoecker eine neue Beschäftigung mit dem Verhältnis von Volkstum und Kirche ein, die auch für die Genese des Begriffes Volksmission von Bedeutung war. Stoeckers Name war vor allem mit dem Begriff „Stadtmission“ verbunden. Dieser war nicht von ihm geprägt, sondern hatte, wie gezeigt, angelsächsische Wurzeln und war bereits durch Wichern nach Deutschland gebracht worden43. Durch Stoeckers erfolgreiche stadtmissionarische Arbeit in Berlin wurde die Tätigkeit der Stadtmission popularisiert. Davon zeugte auch die Unterstützung der Berliner Stadtmission durch große Kreise des grundbesitzenden ostelbischen Adels44. Stoecker sah sein gesamtes vereinsprotestantisches, kirchliches und politisches Handeln als Mittel zur Durchsetzung der Vision einer bekenntnistreuen, aber staatsunabhängigen, im ganzen Volk anerkannten und politisch kaisertreuen Kirche in einem geeinten und sozial befriedeten monarchischen Staat45. Seine antisemitischen Parolen dienten dabei einerseits als Agitationsmittel zur Rekrutierung kleinbürgerlicher Schichten, andererseits als Mittel zur Bekämpfung des von ihm als größte Gefahr angese-
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Missionsterminologie auf die Heimat zeigte eine knappe Anmerkung des praktischen Theologen und schlesischen Generalsuperintendenten Martin Schian zum Begriff Volksmission: „Aber sie gibt auch zu Missverständnissen Anlaß, weil man bei dem Wort ,Mission’ leicht an Nichtchristen denkt; die Volksmission knüpft aber selbst bei ganz Entfremdeten an eigene Eindrücke aus Kindheit und Jugend an“ (Schian, Grundriß, 299). Nichtsdestotrotz blieb Innere Mission bis in die 1960er-Jahre für das Selbstverständnis des heutigen Diakonischen Werkes prägend; vgl. die kritische Diskussion zur Namensänderung in Talazko, Geschichte. „Die meisten Anstrengungen dieser Art lassen sich unter ein erweitertes und fast modern anmutendes Verständnis von ,Volksmission‘ subsumieren, auch wenn dieser Begriff erst 1916/17 geprägt wurde“ (Kaiser, Volksmission, 38). Zur organisatorischen Entwicklung der Inneren Mission im 19. Jahrhundert siehe unten 169–175. Strohm, Innere Mission, 26. Siehe oben 16, Anm. 23; vgl. auch Wichern, Denkschrift, 83–89. Vgl. am Beispiel der Thaddens auf Trieglaff Thadden, Trieglaff, 100–102. Zur Arbeit der Stadtmission, die in den letzten Jahrzehnten ein wenig hinter die Diskussionen um Stoeckers politisches Engagement und seinen Antisemitismus zurückgetreten ist; vgl. Hitzer, Netz, 241–275. Vgl. Greschat, Zeitalter, 210–215.
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henen Liberalismus, den er rhetorisch mit dem Judentum verband46. Stoecker setzte daher in seiner politische Agitiation und christliche Verkündigung verbindenden Rhetorik zwar bei der Sammlung der Kerngemeinde an, hatte aber letztlich das Ziel, die von ihm als überpersönliche Einheit verstandene deutsche „Volksseele“ zu erreichen47. Seine Anhänger und er selbst nutzten für diese Aktivitäten gelegentlich den Begriff Volksmission48. Stärker war jedoch zunächst die Forderung nach einer „öffentlichen Mission“ der evangelischen Kirche, die in der von Stoecker geprägten Freien Sozialen Konferenz und der von ihm gegründeten Christlich-Sozialen Partei vor allem in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts an Gewicht gewann. Über Stoeckers Schwiegersohn und politischen Nachfolger Reinhard Mumm gewann sie Einfluss auf die Programmdiskussionen innerhalb der Inneren Mission49. Die persönliche Prägung jüngerer Theologen durch die Stoecker-Tradition gab dieser innerhalb des Vereinsprotestantismus und vor allem der Inneren Mission ein deutlich größeres Gewicht als in der Gesamtgesellschaft50. Dass der Volksmissionsbegriff nicht automatisch die von Stoecker angestrebte „deutsch-national aufgeladene und ideologisierte Kirche“51 als Ziel haben musste, zeigte jedoch die 1888 erschienene Heftreihe „Über Stadt- und Volksmission“52 des jüdischen Konvertiten Paulus Stephanus Cassel. Diese erste evangelische Publikation, die den Volksmissionsbegriff im Titel trug, grenzte sich vom Antisemitismus Stoeckers ab und betonte außerdem, dass eine echte Stadt- und Volksmission nicht nur die unteren Klassen kontrollieren dürfe, sondern sich auch an die Reichen richten müsse53. Neben verschiedenen Ableitungen des Missionsbegriffes prägte auch die Rezeption des Begriffes Evangelisation die Diskussion um erweckliche Verkündigung an getauften Angehörigen der evangelischen Landeskirchen. Die Wendung auf Deutschland überlagerte damit die ursprünglich mit diesem Begriff primär 46 Vgl. ebd., 212 f. 47 „[…] das Motiv des Kampfes um die Volksseele wird zum beherrschenden Thema, verliert die dort noch eher symbolisch hintergründige Bedeutung und wird als reales Aktionsfeld der Diakonie begriffen“ (Strohm, Innere Mission, 29). Friedrich Mahling bescheinigte Stoecker, dass er den Begriff der Volksseele in den protestantischen Diskurs gebracht habe; vgl. Mahling, Volkskirche, 105 f. Zum Kerngemeindenkonzept Stoeckers vgl. Greschat, Zeitalter, 213 f. 48 Der ehemalige Stadtmissionsinspektor Max Braun berichtete in seiner populären Stoeckerbiografie: „Er [Stoecker, H. B.] meinte, die Innere Mission müsse man besser ,öffentliche‘ oder ,Volksmission‘ nennen. ,Mission aber muß auch wirkliche Mission sein, d. h. eine aggressive und soziale Arbeit‘ – ein Kriegsdienst zur Ueberwindung aller schlechten Gewalten und zugleich ein Friedenswerk zum Aufbau religiös sittlicher Wohlfahrt“ (Braun, Stoecker, 147); zu Max Braun vgl. Zirlewagen, Art. Braun. 49 Vgl. Friedrich, Innere Mission, 45–48. Im Jahre 1911 gründete der Kaufmann Johann Karl Vietor als theologisches konservatives Pendant zum Evangelischen Bund der Deutsche Evangelische Volksbund für öffentliche Mission; vgl. Olpen, Vietor, 409–437. 50 Dies zeigt u. a. die Biografie des IM-Funktionärs Gerhard Füllkrug; siehe unten 64–66. 51 Leipold, Volkskirche, 22. 52 Cassel, Stadt- und Volksmission, Bd. 1–3. 53 Zur Biografie Cassels vgl. Bautz, Art. Cassel, 950. Zur Kritik an dem Besuchsdienst der Berliner Stadtmission als Sozialdisziplinierung für die unteren Schichten vgl. Hitzer, Netz, 252 f.
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verbundene Wendung an katholische und orthodoxe Christen54. Bereits Wichern hatte als Zielsetzung der Inneren Mission auch von der „Evangelisierung des Volkes“55 gesprochen. Der Begriff Evangelisation gewann allerdings erst in den 1870er- und 1880er-Jahren an Bedeutung. Die mit ihm bezeichnete Praxis der Missionspredigt durch Reiseprediger oder Laien in nichtkirchlichen Räumen ging letztlich auf die Entstehung des Methodismus in England und die beiden großen Erweckungen in Nordamerika zurück. Deren Impulse wurden seit der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts über die entstehenden Freikirchen der Baptisten und Methodisten auch nach Deutschland getragen56. Die Praxis der Massenevangelisation wurde vor allem durch die erfolgreiche Evangelisationstätigkeit des amerikanischen Evangelisten Dwight L. Moody in Großbritannien nach Europa gebracht57. Daneben entstanden durch die Oxforder Heiligungsbewegung um den Fabrikanten Robert Pearsall Smith und seine Ehefrau Hannah Whitall Smith seit 1874 Kristallisationskerne für eine internationale Bewegung, welche die Forderung nach sofortiger Bekehrung als Aneignung des Heils mit der Aussicht auf das Erreichen einer von der Möglichkeit der Sündlosigkeit charakterisierten Stufe der Heiligung ergänzte58. Durch Smiths Evangelisationsreise nach Deutschland im Frühjahr 1875 wurden zwar nur wenige Menschen neu für die pietistischen und erweckten Zirkel gewonnen, sie bildeten aber einen Anlass für die Belebung dieser Gruppen und ihre Transformation zur Gemeinschaftsbewegung59. Aus diesen Kreisen entstand um 1880 eine reguläre deutsche Evangelisationsbewegung, die die Abhaltung von Evangelisationen, wie man sie in Großbritannien und den Vereinigten Staaten erlebt hatte, innerhalb der deutschen Landeskirchen einbürgern wollte. Der wichtigste Protagonist war der Bonner praktische Theologe Theodor Christlieb, der als Auslandspfarrer in London Kontakte zu den evangelistisch aktiven Kreisen in Großbritannien geknüpft hatte und nach seiner Berufung an die Universität Bonn die Ausweitung dieser Arbeit 54 In diesem Sinne benutzte das Kirchliche Jahrbuch den Evangelisationsbegriff im Zusammenhang mit den Diasporakirchen noch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein; vgl. etwa Neumann, Evangelisation; vgl. auch Steinweg, Innere Mission, 458; allgemein zur Ableitung des Evangelisationsbegriffes vgl. Werth, Theologie, 5–12. 55 Vgl. Belege in B rend, Blick, 26 f. 56 Vgl. zur Geschichte der deutschen Freikirchen Voigt, Freikirchen, v. a. 96–111. Besonders die von Rückwanderern aus den USA ausgehende Bildung von methodistischen Kirchen ist hier zu nennen, da sie die Praxis der Evangelisation erstmals in Deutschland umsetzte; vgl. ebd., 104. Eine materialreiche Darstellung der Geschichte der Evangelisation findet sich in Scharpff, Geschichte. 57 Zum Wirken Moodys vgl. G bler, Auferstehungszeit, 136–159. Hier können die für den Transfer wichtigen Netzwerke der evangelischen Allianz nicht berücksichtigt werden; vgl. etwa Railton, Evangelicalism. 58 Vgl. umfassend zur Heiligungsbewegung und ihrem Einfluss auf Deutschland Holthaus, Heil; zur Theologie der Heiligung Ohlemacher, Reich, 163–190. Die Oxfordbewegung genannte Heiligungsbewegung der 1870er-Jahre ist weder mit der anglokatholischen Oxfordbewegung noch mit der zeitweilig Oxford Group genannten Moralischen Aufrüstung zu verwechseln. 59 Vgl. Lange, Bewegung, 35–38, 46–68.
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auf Deutschland propagierte, indem er die flächendeckende Einführung von Evangelisationen und eine besondere Organisation der Erweckten innerhalb der Landeskirche forderte. Wie aus einem Aufsatz von 1882 deutlich wird, verband er damit auch das Ziel, eine weitere Ausbreitung methodistischer Gruppen zu unterbinden60. Das schloss aber eine Kooperation nicht aus. Über Stoecker vermittelte Christlieb den deutsch-amerikanischen Methodisten Friedrich v. Schlümbach im Jahre 1882 an die Berliner Stadtmission. Dieser hielt dort über mehrere Monate Evangelisationen ab und sorgte so für die Verbreitung dieser für Deutschland neuen Veranstaltungsform61. Ab 1886 begann der aus Württemberg stammende ehemalige Basler Missionar Elias Schrenk ebenfalls auf Veranlassung Christliebs als erster deutscher landeskirchlicher Evangelist mit der Abhaltung von Vorträgen62. Christlieb stärkte die Evangelisation 1883 durch die Gründung einer eigenen Anstalt als Ausbildungsstätte für Evangelisten. Dies war das zunächst in Bonn, später in Wuppertal ansässige Johanneum, das bis heute besteht. Ein Jahr später wurde auf einer Konferenz in Bonn ein deutscher Evangelisationsverein gegründet, ebenfalls auf Anregung Christliebs63. Aus diesen Anfängen und demselben Personenkreis entstand 1888 die Gnadauer Pfingstkonferenz als Dachorganisation der Gemeinschaftsbewegung64. Für die Gründer des Verbandes, die bereits im Evangelisationsverein versammelt waren, hatte Evangelisation eine sehr hohe Priorität. Dies zeigte sich in dem 1887 verfassten Einladungsschreiben zur ersten Gnadauer Pfingstkonferenz: „Da die dem Christentum entfremdeten Massen längst nicht mehr in unsere Kirchen kommen, so müssen wir ihnen nachgehen […] und evangelisierend in Sälen, Hallen […] zu wirken versuchen.“65 Dabei dachte man nicht nur an eine private Sammlung innerhalb der Landeskirche, sondern forderte, Evangelisation auch vonseiten der Amtskirche zu unterstützen und Evangelisten in ein offizielles Verhältnis zur Kirche zu bringen. Dies wurde besonders an einem Vortrag über das evangelistische Amt deutlich, den Theodor Christlieb 1888 auf einer kirchlichen Festwoche in Wuppertal hielt. Er forderte dort die Einführung eines Evangelistenamtes, das dem Pfarrer als ordentlichen Amtsträger zur Seite stehen sollte66. Auch wenn es Christlieb dabei 60 „[…] was ist in unseren kirchlichen Zuständen zu bessern, zu ergänzen, wo sind etwa neue oder kräftigere Hebel einzusetzen zur Weckung oder Stärkung des geistlichen Lebens, um die Evangelisationsarbeit des Methodismus mehr und mehr überflüssig zu machen und daher für die Zukunft seine Ausbreitung in möglichst bescheidenen Schranken zu halten?“ (Christlieb, Frage, 619). Zu Biografie und theologischem Profil Christliebs vgl. Voigt, Christlieb. 61 Vgl. Hahn-Bruckart, Schlümbach, 242–337. 62 Zu Schrenk vgl. die materialreiche Darstellung Klemm, Schrenk. 63 Vgl. ebd., 260–266. Zu Konzept und Geschichte des Johanneums, das faktisch vor allem Gemeinschaftsprediger ausbildete; vgl. auch Werth, Theologie, 13–30. 64 Vgl. die detaillierte Analyse der Vorgeschichte in Ohlemacher, Reich Gottes, v. a. 61–121. 65 Vgl. Abdruck des Einladungsschreiben zur ersten Gnadauer Konferenz vom 13. / 14. April 1887 in Ohlemacher, Reich Gottes, 232–237, hier: 234; eine detaillierte Analyse des Einladungsschreibens ebd., 61–121. 66 Vgl. Christlieb, Bildung; zur Analyse des Textes vgl. Werth, Theologie, 18–28.
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nicht primär um einen evangelistischen Reisedienst ging, wurde aus den einleitenden Worten seines Vortrages deutlich, dass er mit der Ausbildung im Johanneum der ganzen Kirche dienen wollte: „Es ergeht seit Jahren immer dringender der Ruf nach Evangelisation, d. h. Neuevangelisierung nicht bloß einzelner da und dort, sondern auch größerer Gruppen, ganzer Kreise in systematischer Weise.“67 Da einige Anhänger der Gemeinschaftsbewegung68 zu den frühen Förderern der Inneren Mission gehörten, wurde das Thema Evangelisation seit 1888 auf mehreren Kongressen der Inneren Mission behandelt. Zugleich gab es in den 1890er-Jahren mehrere Diskussionen im Rahmen kirchlicher Gremien69. Dabei ging es einerseits darum, die Impulse der Gemeinschaftsbewegung für die kirchliche Arbeit aufzunehmen, andererseits jedoch auch um eine Domestikation der mit Misstrauen beäugten Evangelisten70. Dazu trugen als exaltiert und exzentrisch geltende Evangelisten und Evangelistinnen ohne Anbindung bei, wie z. B. die Gräfin Adeline von Schimmelmann71. Die aus dieser Disziplinierungsabsicht geborenen Versuche, eine kirchliche Regelung für Evangelisationen zu finden, mussten daher scheitern: „Die Evangelisationsbewegung behielt ihr Heimatrecht innerhalb der evangelischen Kirche, freilich nur bei ihren Freunden“72. Die Zahl der Pfarrer, die wie Schrenk und der russlanddeutsche Pfarrer Samuel Keller hauptamtliche reisende Evangelisten wurden, war verhältnismäßig klein73. Allerdings hatten einzelne im Rahmen der Gemeinschaftsbewegung agierende Werke, wie z. B. die Zeltmission, eine erhebliche Breitenwirkung74. Stark gehemmt wurde die Wirksamkeit der Gemeinschaftsbewegung jedoch ab 1907, als sich aus ihr die ersten deutschen Pfingstgemeinden entwickelten. Die enthusiastischen Vorkommnisse verstärkten einerseits das Misstrauen gegen die Gemeinschaftsbewegung in weiten Teilen des Protestantismus, andererseits lähmte die Auseinandersetzung zwischen Befürwortern und Gegnern der Zungenrede die landeskirchlichen Gemeinschaften für mehrere Jahre75. Für die Innere Mission, die selbst erst nach und nach die volle kirchliche Anerkennung erhielt, war die Frage der Evangelisation deshalb problematisch, weil sie mit der Wortverkündigung in die eigentliche Sphäre der Aufgaben des 67 Christlieb, Bildung, 247. 68 Siehe besonders den Schleswig-Holsteiner Gemeinschaftspionier Jasper von Oertzen; vgl. Ohlemacher, Reich Gottes, 48–55. 69 Vgl. im Detail Klemm, Schrenk, 385–417. 70 Der spätere Armenienmissionar Johannes Lepsius nannte beispielsweise die 1897 von der preußischen Generalsynode anvisierten Regeln für eine kirchliche Evangelisation „ein mit Wohlwollen unterdrücktes Mißtrauensvotum gegen den Geist der freien Evangelisation“ (zitiert nach Klemm, Schrenk, 407). 71 Vgl. Albrecht, Schimmelmann. 72 Beyreuther, Kirche, 198. 73 Vgl. die Aufstellung der deutschen Evangelisten in: Fleisch, Gemeinschaftsbewegung, Bd. 1, 227–232. 74 Zur Zeltmission vgl. ebd., 383–387. 75 Zur Auseinandersetzung um Zungenrede und Pfingstgemeinden vgl. Lange, Bewegung, 169–226.
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Pfarramtes einbrach. Obwohl sich auch bei Wichern die Forderung nach Verkündigung von Laien fand, setzte sich die Innere Mission daher wieder von diesen Forderungen ab und betonte bereits 1889, dass Evangelisation immer nur unter der Aufsicht des Pfarrers stattfinden könne und nur zur Behebung der gegenwärtigen Notstände diene, aber nicht als dauerhafte Aufgabe der Kirche zu betrachten sei76. Insgesamt wurde die Innere Mission daher bis 1916 kein Träger der Massenevangelisation wie die Gemeinschaftsbewegung, war aber insgesamt der Evangelisation gegenüber aufgeschlossener als die Gesamtkirche77. Dies zeigte sich daran, dass gerade auf Kongressen der Inneren Mission die Frage nach der Einbeziehung der Evangelisation auch um die Jahrhundertwende nicht zur Ruhe kam. Ein wichtiger Impuls kam dabei auf dem Kongress der Inneren Mission in Straßburg im Jahre 1899 durch den Heilbronner Stadtpfarrer und späteren Tübinger praktischen Theologen Paul Wurster78. Für die Geschichte des Volksmissionsbegriffes war dieser Vortrag wichtig, da Wurster die Evangelisation, die er mit apologetischen Elementen angereichert und nicht in die Verantwortung der Kirchenleitung, aber in die der Inneren Mission gestellt wissen wollte, als Volksmission bezeichnete. Mit diesem Begriff verband er eine Kritik der Inneren Mission: „[…] die allgemeine directe ,Volksmission‘ hat sie nicht herzhaft und zeitig genug in Angriff genommen“79. Wurster war einer von mehreren Befürwortern der verstärkten Aufnahme der Evangelisation durch die Innere Mission an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert80. Neben der hier zitierten Stimme Wursters und den Gedankenspielen Stoeckers gibt es weitere Zeugnisse dafür, dass der eigentlich katholisch geprägte Begriff der Volksmission langsam in den evangelischen Diskurs eindrang. Ein rheinischer Diakon proklamierte beispielsweise 1908 auf einem Vereinsfest in Essen: „Soldatenmission – Volksmission!“81 Er meinte damit, dass die Mission unter den Soldaten zum Anliegen des ganzen Volkes werden müsse82 und zugleich durch die Arbeit an den Wehrpflichtigen die gesamte deutsche männliche Jugend erreicht 76 Erich Beyreuther betrachtet diese Stellungnahme zu Recht als Resultat der Sorge, innerhalb der Kirche anerkannt zu bleiben; er charakterisierte die Stellungnahme als „notgedrungen und – um nicht anzustoßen – dem ganzen Tenor der Verlautbarung nach sehr ängstlich“ (Beyreuther, Kirche, 197). 77 „Die Innere Mission, später das Diakonische Werk, war zwar nur selten Antriebskraft für die Volksmission, aber sie war oft Schutz und Förderer“ (B rend, Blick, 38). 78 Vgl. Wurster, Evangelisation; siehe auch Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 150 f. 79 Wurster, Evangelisation, 204 [Hervorhebung durch Quelle, H. B.]. Zum Volksmissionsbegriff vgl. auch ebd., 210. Eine Zusammenfassung von Wursters Konzept, das Ähnlichkeiten zu dem 1916 von Hilbert vorgeschlagenen besaß, in: Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 150 f. Wurster benutzte den Missionsbegriff bewusst, da er ihn für adäquater hielt als die Bezeichnung Evangelisation; so nannte er 1895 die Evangelisation die „Veranstaltung von Missionspredigt“ (Wurster, Lehre [Hervorhebung durch Quelle, H. B.]; vgl. auch Klemm, Schrenk, 586, Anm. 4 k). 80 Ein weiteres Beispiel bildete Bunke, Kirchliche Evangelisation. 81 Thimm, Soldatenmission. 82 Ebd., 19.
Der Terminus „Volksmission“ – begriffsgeschichtliche Anmerkungen
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werden solle83. Einige Jahre später, im Jahre 1910, berichtete der aufstrebende junge Pfarrer und spätere Generalsuperintendent Otto Dibelius in einem Vortrag in Danzig über seine Erfahrungen bei einem Forschungsaufenthalt in Schottland, wo er das dortige kirchliche Leben erkundete84. In seinem Vortrag ging er darauf ein, was die evangelischen Kirchen in Deutschland von den schottischen Freiwilligkeitsgemeinden lernen könnten, und propagierte dabei die Sammlung von Kerngemeinden und deren Einwirken auf den größeren Teil der Gemeinde, „der also sozusagen Missionsgebiet ist, und von dem gewiß noch so mancher zu der lebendigen Gemeinde hinzuzugewinnen sein wird.“85 In seinem Vortrag bezog er sich auch auf den Gründer des Methodismus, John Wesley dessen organisatorische Fähigkeiten er positiv würdigte: „John Wesley ist der eigentliche Vater der Methodisten geworden, der den Methodismus zu der Volksmission, fast dürfte man sagen, Volkskirche, gemacht hat, die er heute in den Ländern englischer Zunge ist.“86
Dibelius rückte den Begriff Volksmission in diesem kurzen Kommentar ebenfalls in ein enges Verhältnis zu einer umfassenden Wirksamkeit auf ein ganzes Volk. Solche Kommentare müssen vor dem historischen Hintergrund des ausgehenden ersten Jahrzehnts des 20. Jahrhunderts gelesen werden. Seit 1906 hatte sich die Zahl der Kirchenaustritte in Deutschland massiv erhöht, man sprach von einer ersten Kirchenaustrittsbewegung87. Die Innere Mission hatte darauf mit einem verstärkten Angebot ihrer seit 1904 durch den Berliner Theologieprofessor Reinhold Seeberg organisierten Instruktionskurse für Apologetik in Berlin reagiert88. Auch die Gründung der „Wichern-Vereinigung“ in Hamburg im Jahre 1908 war in diesen Zusammenhang einzuordnen89. Offenbar gewann der Volksmissionsbegriff in dieser Zeit Plausibilität, um eine umfassendere Arbeit als die bisherige Evangelisation zu bezeichnen. Allerdings gab es weiterhin ablehnende Stimmen. So betonte der Berliner Theologe Friedrich Mahling, ein wichtiger Theoretiker und Praktiker der Inneren Mission, noch 1914 den katholischen Ursprung der Technik der Volksmission und kritisierte daher einen Gebrauch des Begriffes im Rahmen der evangelischen Kirche:
83 84 85 86 87 88 89
Ebd., 26. Vgl. zu dieser Forschungsreise auch Dibelius, Leben. Vgl. Dibelius, Großstadtgemeinden, 19. Ebd., 13. Vgl. Kaiser, Sozialdemokratie. Vgl. Beyreuther, Kirche, 211 f. Vgl. Herrmann, Inneren Mission. Die Wichern-Vereinigung spielte im Ersten Weltkrieg eine wichtige Rolle für die Übernahme der Volksmission in das Aufgabenfeld der Inneren Mission; vgl. die Darstellung der Entstehung der Volksmission während des Ersten Weltkrieges v. a. unten 176–181, 188–190.
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Einleitung „Eben darum, weil dieser Name etwas geschichtlich Bestimmtes, konkret Gewordenes aussagt, lehnen wir ihn für den Sprachgebrauch unserer evangelischen Inneren Mission ab. Er würde bei uns zu Mißverständnissen führen.“90
Während der Missionsbegriff also spätestens mit dem Entstehen der Inneren Mission auch auf Arbeiten innerhalb Deutschlands angewendet werden konnte, war der Begriff Volksmission bis 1916 weitgehend katholisch geprägt. Allerdings sickerte er langsam in den protestantischen Diskurs. Die hier nachgewiesenen Verwendungen des Begriffes durch evangelische Theologen vor 1916 sind aber einzelne Beispiele und kein Beleg für eine systematische Verwendung. Daher ist es angemessen, eine Geschichte der Volksmission mit der Verwendung des Begriffes durch Hilbert im Jahre 1916 zu beginnen, als die Diskussion um die Aufnahme der Volksmission in die evangelische Kirche begann und in einem großen Umfang zur Beschreibung von Aktivitäten der Glaubensverkündigung genutzt wurde.
1.4 Forschungsstand Während die Geschichte der katholischen Volksmission in ihrer Rolle für die Stabilisierung des katholischen Milieus im 19. und 20. Jahrhundert vergleichsweise gut aufgearbeitet ist91, ist die Bedeutung des Rufes nach „Volksmission“ im deutschen Protestantismus der Zwischenkriegszeit zwar immer wieder thematisiert, aber nicht erschöpfend behandelt worden. Die noch immer einzige wissenschaftliche Gesamtdarstellung findet sich in Erich Beyreuthers „Geschichte der Evangelisation und Volksmission“92. Der Autor bindet die Theorie und Praxis der Volksmission in der Zwischenkriegszeit überzeugend in die Gesamtgeschichte erwecklicher Verkündigung ein, seine Darstellung ist allerdings betont kirchenhistorisch und sehr positivistisch. Problematisch ist auch die teilweise apologetische Darstellung von Initiativen in der Zeit des Nationalsozialismus93. Eine erste Zusammenfassung bildet Klaus Teschners Artikel in der Theologischen Realenzyklopädie94. Hartmut Bärends für ein breites Publikum geschriebener „Gang durch die Geschichte der kirchlichen Volksmission“95 bringt interessante Beobachtungen zur Zwischenkriegszeit96. Ihren wahren Wert gewinnt die Monografie jedoch in der Beschreibung der Zeit ab 1960, als der Autor 90 Mahling, Volkskirche, 128 [Hervorhebung durch Quelle, H. B.]. Mahling bevorzugte stattdessen den Begriff „Volksseelsorge“ (ebd., 129); zu diesem Aufsatz vgl. auch Herrmann, Verhältnis, 3. 91 Für die Jahre 1880 bis 1945 vgl. besonders Klosterkamp, Volksmission; für das 19. Jahrhundert Gatz, Rheinische Volksmission; Heitz, Volksmission. 92 Beyreuther, Kirche, 204–258. 93 Ebd., 236–258. 94 Teschner, Art. Volksmission. 95 B rend, Blick. 96 Vgl. ebd., 41–85.
Forschungsstand
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selbst die Geschicke der missionarischen Dienste in Deutschland leitend mitgestaltete97. Wiederholt thematisiert wurde der volksmissionarische Diskurs im Bereich der Diakoniegeschichte. So beschreibt Gerhardt in seiner Geschichte des Centralausschusses für Innere Mission auch dessen volksmissionarische Arbeitszweige, bleibt aber noch stärker als Beyreuther auf der organisationsgeschichtlichen Ebene stecken. Kaiser betont in seiner Darstellung des sozialen Protestantismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts zwar den „doppelte[n] Auftrag [der Inneren Mission, H. B.], durch volksmissionarisches und karitatives Handeln die sozialen Schäden der Industrialisierung zu heilen“98, konzentriert seine Darstellung aber weitgehend auf die karitative und gesellschaftspolitische Dimension. Einen guten Überblick zu evangelistischen und apologetischen Aktivitäten im Rahmen der Inneren Mission geben zwei Beiträge im Katalog der DiakonieAusstellung von 199899. In einem Artikel ordnet Theodor Strohm „Volksmission“ als Leitbild überblicksartig in die Geschichte der Diakonie ein100. Er betont für die Zeit der Weimarer Republik die Tendenzen zu einer Verselbstständigung des Arbeitsfeldes gegenüber der karitativen Tätigkeit. Gleichzeitig betont er die Affinität volksmissionarischer Aktivität zu nationalen und völkischen Diskursen, die er besonders dem Einfluss der Programmatik Stoeckers zuweist. Gut erforscht ist durch Matthias Pöhlmanns101 Dissertation die Geschichte der 1921 im Rahmen des Centralausschusses eingerichteten Apologetischen Centrale. Pöhlmann beschreibt, auch anhand einer Analyse des Kleinschrifttums, die Gründung dieses Instituts als eine Folge der Pluralisierung des religiösen Feldes in Deutschland nach 1900. Hierbei betont er die Bedeutung der Forderung nach „Volksmission“ für die Verstärkung praktischer Apologetik im Rahmen des Vereinsprotestantismus102. Während die praktische Apologetik der Zwischenkriegszeit also verhältnismäßig gut erforscht ist, gilt dies nicht für die evangelistische Volksmission. Volker Herrmann gibt in mehreren Beiträgen103 zwar gute Ansätze für weitere Forschungen zur Entwicklung der Volksmission während der Weimarer Republik. So betont er die Verbindung von volksmissionarischen Motiven und nationalistischen bzw. völkischen Ideologemen und die Vieldeutigkeit des Begriffes „Volksmission“. Schwierig bleibt aber seine allzu dichoto97 Vgl. ebd., 11 f. Einen Gesamtüberblick über den eng mit volksmissionarischem Impetus verbundenen Begriff Volkskirche für das 20. Jahrhundert bietet die parallel zu dieser Arbeit entstandene Dissertation Brunner, Volkskirche. Auf sie kann im Folgenden nur punktuell verwiesen werden, sie bietet aber wertvolle Ergänzungen zu den Erkenntnissen dieser Studie. 98 Kaiser, Sozialer Protestantismus, 5. 99 Herrmann, Volksmission; Pçhlmann, Angriffskrieg. 100 Strohm, Innere Mission. 101 Pçhlmann, Kampf. 102 Ebd., 55–62. Vgl. auch Pçhlmann, Weltbildwandel. Für die apologetische Programmatik vgl. jetzt auch Dietzel / Bruns, Wendland, v. a. 177–195. 103 Herrmann, Inneren Mission; Herrmann, Birnbaum. Zu Walter Birnbaum und seinen Aktivitäten in der Wichern-Vereinigung vgl. auch Herrmann, Gerhardt, 150–158.
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Einleitung
mische Abgrenzung zwischen einer „alten“ an der Bekennenden Kirche und einer „neuen“ an den Deutschen Christen orientierten Volksmission nach 1933; es ist hier wohl eher von Übergängen als von absoluten Abgrenzungen auszugehen. Für das Verhältnis von volksmissionarischen Ansätzen und Nationalismus wichtig ist Christoph Weilings Dissertation zur Christlich-deutschen Bewegung, die Anfang der 1930er-Jahre Mission an der völkischen Bewegung treiben wollte104. Weilings Arbeit gibt Einblicke in die Mentalität konservativen evangelischen Christentums in der Endphase der Weimarer Republik. Er betont auch den volksmissionarischen Impetus der Christlich-deutschen Bewegung, aus der sich später sowohl Deutsche Christen als auch Anhänger der Bekennenden Kirche rekrutierten. Hierbei ist hervorzuheben, dass Weiling anders als viele Kirchenhistoriker die gleitenden Übergänge zwischen den beiden Kirchenparteien betont. Ferner zeigt Weiling, wie unterschiedlich auch bei einer grundsätzlich nationalen Orientierung das Verhältnis von Volkstum und Christentum in volksmissionarisch aktiven Kreisen gesehen werden konnte. Die Rolle der Christlich-deutschen Bewegung erhellt die Bedeutung volksmissionarischer Diskurse in der Verfallsphase der Weimarer Republik. Sie zeigt gleichzeitig die Verbindung der Forderung nach Volksmission und der Durchführung von entsprechenden Konzepten mit der Forderung einer Beteiligung der Protestanten an der deutschen „Volkswerdung“. Bereits mehrfach wurde auf die Konjunktur volksmissionarischer Diskurse im Jahre 1933 hingewiesen. Neuere Beiträge zu diesem Jahr, die sich vor allem mit den Deutschen Christen beschäftigen, stammen von Siegfried Hermle und Notger Slenczka105. Den Beiträgen ist zu entnehmen, dass die Betonung einer durch die neue Regierung möglich gewordenen missionarischen Wirksamkeit und der Rückgewinnung des deutschen Volkes für das Christentum ein Punkt war, der viele protestantische Kirchenmänner für die NSDAP und die Deutschen Christen empfänglich machte. Dies zeigte sich an der erhöhten Konjunktur des Begriffes „Volksmission“ im Jahre 1933. Wenig bearbeitet ist die regionale Differenzierung volksmissionarischer Aktivitäten. Arbeiten existieren für Bayern, Hannover und Westfalen, wobei sich die meisten Beiträge vorrangig mit der NS-Zeit befassen106. Besonders ambitioniert ist die Arbeit von Dirk Riesener, der anhand des Begriffes „Volksmission“ die Geschichte des Amts für Gemeindedienste in Hannover von der Gründung bis zur Gegenwart nachzuzeichnen versucht, den Schwerpunkt allerdings auf die Zeit nach 1945 setzt107. Das gleiche gilt für Markus Schmidts Studie zum Volksmissionskreis Sachsen, die mit dem Erbe der Oxford-Gruppenbewegung zudem eine für die Zeit des Nationalsozialismus wichtige theolo104 Weiling, Bewegung. Der Christlich-deutschen Bewegung gehörten eine Vielzahl volksmissionarisch aktiver Protestanten an; vgl. die Mitgliederliste ebd., 339–345. 105 Hermle, Aufstieg; Slenczka, Ende. 106 Zu Bayern: Henn, Volksmission; zu dem maßgeblichen Protagonisten Helmut Kern auch Öffner, Kern. Für Hannover Blatz, Erbstücke; Otte, Nebeneinander; Riesener, Volksmission; Schendel, Aufbau. Für Westfalen: G nther, Entwicklung. 107 Vgl. Riesener, Volksmission.
Quellenlage
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gische Strömung untersucht, die hier aus Gründen des Umfanges kaum berücksichtigt werden kann108. Volksmissionarische Bestrebungen in den anderen Landes- und Provinzialkirchen, insbesondere in fast allen zur Altpreußischen Union gehörenden Gebieten, wurden dagegen noch gar nicht aufgearbeitet. Der Überblick über bisherige Forschungen zum protestantischen Volksmissionsdiskurs zwischen den Weltkriegen hat viele fruchtbare Ansätze zutage gebracht, die auch von der Breite des Diskurses zeugen. Es fehlt aber eine zusammenfassende, die Methoden der modernen Sozial- und Ideengeschichte nutzende Gesamtdarstellung, die das Phänomen in den Kontext der Gesamtgeschichte einbettet.
1.5 Quellenlage Als Quellen für den Volksmissionsdiskurs kommen zunächst die in den 1920erund 1930er-Jahren entstandenen programmatischen Schriften und Handbücher infrage. Darin werden das Wesen der „Volksmission“ und deren Praxis erörtert und als eigenes Handlungsfeld abgegrenzt. Sie geben zugleich einen Einblick in die Entwicklung des Volksmissionsgedankens109. Unter ihnen haben die Handbücher110 zur Volksmission den Vorzug, dass sie durch eine Vielzahl von Beiträgern, die meistens auch selbst an der Volksmissionsarbeit beteiligt waren, ein Panorama von Ansätzen und Einstellungen aufzeigen. Ferner können die Handbücher auch dabei helfen, den Inhalt von Lehrgängen für Volksmissionare zu rekonstruieren. Einige dieser programmatischen Texte sollen im Folgenden exemplarisch analysiert werden, um einen Einblick in Merkmale und Entwicklungen des Volksmissionsgedankens zu bekommen. Wertvolle Quellen sind verschiedene Zeitschriften. Dazu gehört vor allem die vom CA von 1920 bis 1932 herausgegebene Zeitschrift „Die Volksmission“. Um die Einbindung der Volksmissionsbewegung in den Verbandsprotestantismus zu analysieren, ist auch eine Durchsicht der entsprechenden Verbandsblätter nötig, wie vor allem der Verbandszeitschrift der Inneren Mission111. Neben diesen beiden Quellengattungen ist auch das apologetische und evangelistische Kleinschrifttum zu nennen. Volksmissionarische Traktate sind in den 1920er- und 1930er-Jahren in großer Anzahl erschienen. Schon aufgrund ihres Umfanges kann diese Quellengattung allerdings nicht systematisch analysiert, sondern nur punktuell herangezogen werden. Dieses Vorgehen entspricht auch der Überzeu108 Vgl. Schmidt, Spiritualität; grundsätzlich zur Oxford-Gruppenbewegung Schoerring, Aufrüstung. 109 Vgl. in chronologischer Reihenfolge Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916); Hilbert, Volksmission; Rendtorff, Neues; Schreiner, Geist; Riederauer Thesen; Wieneke, Volksmission. 110 F llkrug, Handbuch; F llkrug, Werk. 111 Die herkömmlichen Abkürzungen lauten „Volksmission“ bzw. „IMED“ (bis 1931) / „IMis“ (ab 1932); die zitierten Artikel sind im Literaturverzeichnis aufgeführt.
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Einleitung
gung, dass sich aus den Handbüchern und programmatischen Schriften die Zielsetzung der volksmissionarischen Bestrebungen besser erheben lässt. Hauptsächlich soll diese Arbeit auf der Analyse archivalischer Quellen aufbauen. Durch die bekannte konfessionelle und regionale Differenzierung des deutschen Protestantismus ist das für die Praxis der Volksmission relevante Archivmaterial auf mehrere Archive verteilt. Ferner lässt, wie anfängliche Korrespondenzen mit landeskirchlichen Archiven ergaben, die Archivlage durch Vernichtung von Akten, Kriegsverluste und eine ungenaue Archivführung mancher Organisationen stellenweise zu wünschen übrig. Aus diesem Grund werden für diese Arbeit vor allem die vollständig erhaltenen und gut erschlossenen Bestände des Archivs für Diakonie und Entwicklung112 in Berlin genutzt. Hier befinden sich die vollständig erhaltenen Akten der Evangelistischen Abteilung des Centralausschusses der Inneren Mission. Diese Archivalien geben nicht nur Einblicke in die internen Abläufe der Abteilung für Volksmission und deren Entscheidungsprozesse, sondern enthalten auch die Korrespondenzen der Volksmissionare mit ihrer Zentrale und ihre Arbeitsberichte über die Abhaltung von Volksmissionswochen. Außerdem enthalten sie Rückmeldungen von Pfarrern über volksmissionarische Einsätze in ihren Gebieten. Für das Verhältnis zu anderen volksmissionarisch aktiven Organisationen ist der ebenfalls im Archiv für Diakonie und Entwicklung befindliche Bestand des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission wesentlich. Wertvolle Parallelüberlieferungen zu den Konflikten zwischen den volksmissionarischen Organisationen bieten außerdem das Archiv der Apologetischen Centrale113 und der Bestand zur Volksmission in der Überlieferung des Provinzial-Ausschusses Brandenburg. Da alle diese Bestände im Archiv für Diakonie und Entwicklung liegen, ist mit ihnen ein konzentriertes Arbeiten möglich. Wertvolle Einblicke zum Verhältnis der Amtskirche zu den volksmissionarischen Organisationen geben verschiedene Bestände im Evangelischen Zentralarchiv114. Hier finden sich u. a. Akten zu den Versuchen, nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten 1933 ein volksmissionarisches Amt im Rahmen der Deutschen Evangelischen Kirche einzurichten.
1.6 Gliederung Der Hauptteil dieser Arbeit wird sich in drei Teile gliedern. Anschließend an die Einleitung sollen zunächst theoretische Ansätze zur Volksmission im Mittelpunkt stehen. Dazu werden wichtige theoretische und programmatische Texte vorgestellt, in denen die Notwendigkeit von „Volksmission“ postuliert und über 112 Im Folgenden ADE Berlin. 113 Vgl. zum Archivbestand Pçhlmann, Kampf, 25–28. 114 Im Folgenden EZA Berlin.
Gliederung
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die evangelistische Praxis reflektiert wird. Dabei interessieren mich besonders die Einflüsse des historischen Kontexts und die theologische Verortung dieser Texte. Themen der Analyse werden zudem die mit der Volksmission verbundenen Zielvorstellungen sein. Grundlagen für diesen ersten Hauptteil sind publizierte Texte. Zu Beginn wird die 1916 erschienene Broschüre „Kirchliche Volksmission“ von Hilbert115 vorgestellt, die immer wieder als „der große Anstoß zur planmäßigen und umfassenden Inangriffnahme einer kirchlich gebundenen volksmissionarischen Arbeit in den deutschen Landeskirchen“116 bezeichnet wurde. Anschließend sollen exemplarische Texte aus den 1920erJahren und aus der Zeit des beginnenden Nationalsozialismus vorgestellt werden117. Aus diesen Quellen lässt sich das Feld eines Diskurses erschließen, der von der Endphase des Ersten Weltkrieges bis in die ersten Jahre des Nationalsozialismus verfolgt werden soll. Nach der Darstellung theoretischer Entwürfe erfolgt eine Darstellung der Institutionengeschichte der Volksmissionsbewegung. Diese beginnt mit der Diskussion um die Aufnahme von Volksmission in das Aufgabenfeld der Inneren Mission im Ersten Weltkrieg, die ab 1918 in der Gründung einer Abteilung für Volksmission im CA mündete. In der Darstellung soll ein Schwerpunkt auf der Entwicklung dieser Abteilung liegen. Ferner soll das Verhältnis zwischen den verschiedenen Volksmissionsorganisationen anhand der Akten des 1925 gegründeten Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission dargestellt werden. Die Geschichte dieses Verbandes war von mehreren Kontroversen überschattet. Aus diesen Konflikten lassen sich Strukturprobleme innerhalb der Volksmissionsbewegung erheben. Zudem wurden auf den in den 1920er-Jahren jährlich stattfindenden Konferenzen auch aktuelle Fragen, wie etwa das Verhältnis zur völkischen Bewegung, behandelt. Nachdem bereits 1931 Umstrukturierungen innerhalb des CA notwendig waren, mussten sich die im DEVVM vereinigten Organisationen 1933 zu den Ansprüchen der Deutschen Christen auf eine führende Rolle in der Volksmission positionieren. Im April 1934 zerbrach daher der Volksmissionsverband118. Diese Entwicklung soll ausführlich dargestellt und um eine knappe Darstellung der Entwicklungen nach 1934 ergänzt werden, um das Verhältnis zwischen Volksmission und nationalsozialistischem Staat skizzieren zu können. In einem weiteren Schritt soll dann die praktische volksmissionarische Arbeit dargestellt werden. Dabei erfolgt eine Konzentration auf die 1920er-Jahre119. Am Beispiel der Tätigkeit der vom Central-Ausschuss für Innere Mission angestellten Evangelisten sollen Rahmenbedingungen, Inhalte und Ablauf dieser 115 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916). 116 Beyreuther, Kirche, 213. 117 F llkrug, Handbuch; Rendtorff, Neues. Für die Volksmission in der Anfangsphase des „Kirchenkampfes“ wird exemplarisch ein Programm der bayerischen Volksmission herangezogen: Riederauer Thesen. 118 Vgl. auch den Überblick in Herrmann, Birnbaum. 119 Im Jahr 1927 fanden insgesamt 725 Volksmissionswochen statt; vgl. Beyreuther, Kirche, 225.
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Einleitung
Evangelisationsveranstaltungen rekonstruiert werden. Die Tätigkeit der Volksmissionare des Central-Ausschusses ist insofern für die vorliegende Arbeit von Bedeutung, als sie in verschiedenen Regionen in ganz Deutschland tätig waren. Als Grundlage für diesen dritten Hauptteil werden ebenfalls vorrangig archivalische Quellen genutzt. Als wertvoll erwies sich vor allem der Schriftverkehr der Volksmissionare mit dem Central-Ausschuss in Berlin-Dahlem. Außerdem sandten die Volksmissionare regelmäßige Arbeitsberichte, aus denen nicht nur die Programme, sondern auch Besucherzahlen hervorgehen. Neben diesen Berichten der Volksmissionare wird punktuell auch der Schriftverkehr mit den Gemeinden herangezogen werden. Zum Abschluss soll in einem Resümee der Ertrag aus den theoretischen Entwürfen, den institutionellen Voraussetzungen und der Rekonstruktion der praktischen Umsetzung zusammengefasst und Schlussfolgerungen zum Selbstverständnis und zu den Möglichkeiten und Grenzen der Volksmissionsbewegung zwischen dem Ende des Ersten Weltkrieges und der beginnenden nationalsozialistischen Herrschaft gezogen werden. Dabei soll vor allem nach der Einbindung der dargestellten Geschichte der Volksmission in die Gesamtgeschichte des deutschen Protestantismus und nach dem letztlichen Erfolg der Volksmissionsbewegung gefragt werden. Im Folgenden werden Zitate immer in der Orthografie des Quellentextes wiedergegeben; auch Hervorhebungen folgen, soweit nicht anders angegeben, dem Original. Abkürzungen zu bibliografischen Angaben folgen den Vorgaben des Abkürzungsverzeichnisses der Theologischen Realenzyklopädie120. Bibelzitate werden formal nach dem Abkürzungssystem der vierten Auflage des Lexikons „Religion in Geschichte und Gegenwart“ und inhaltlich nach der Lutherübersetzung in der Revision von 1984 wiedergegeben.
120 Vgl. Schwertner, IATG2.
A) Programme und theoretische Texte zur Volksmission
2. Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) 2.1 Gerhard Hilbert – der Stichwortgeber1 Gerhard Hilberts 1916 erschienene Schrift „Kirchliche Volksmission“2 wurde von den Theoretikern und Protagonisten der Volksmission in den 1920er- und 1930er-Jahren immer wieder als ein „Posaunenstoß in das evangelische Volk hinein“3 bezeichnet, durch den die schon zeitgenössisch so bezeichnete „Volksmissionsbewegung“ angestoßen worden sei. Hilbert war 1868 in Leipzig geboren worden und hatte ab 1888 an den neulutherisch geprägten Universitäten Leipzig und Erlangen Theologie studiert. Anschließend hatte er Pfarrstellen in Annaberg, Leipzig und seit 1910 an der St. Annen-Kirche in Dresden inne. Für seine apologetischen Beiträge erhielt er 1912 den Ehrendoktor der Leipziger Theologischen Fakultät. Im Jahre 1913 wurde er in Rostock auf den Lehrstuhl für Praktische Theologie berufen4. Zum Zeitpunkt seiner Schriften war er daher Professor an einer ebenfalls streng lutherischen Fakultät. Nach einem Bericht des sächsischen Innenministeriums von 1934 gehörte er während des Ersten Weltkrieges der Deutsch-völkischen Partei an, einer antisemitischen Splitterpartei, und unterstützte die DNVP bis kurz vor deren Auflösung 19335. Seine Professsur gab Hilbert 1925 auf, um in Leipzig als Superintendent zu wirken. In dieser Situation versuchte er, die in seiner akademischen Wirksamkeit begründeten Gedanken praktisch umzusetzen, wobei er besondere Hoffnungen auf Kontakte zu kirchen- und christentumskritischen Teilen der völkischen Bewegung setzte und bereits 1930 ein Engagement evangelischer Pfarrer in der NSDAP befürwortete6. Im Jahre 1933 verband er mit der 1 Der folgende biografische Abriss ist aufgrund eines erschwerten Zuganges zu Primärquellen knapp gehalten. Die im Entstehen befindliche Dissertation von Uwe Bertelmann über Hilbert verspricht einen auf archivalischen Quellen beruhenden ausführlichen biografischen Überblick. 2 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916). Ursprünglich war die Schrift 1916 als Aufsatz in der Neuen Kirchenzeitung erschienen. Eine zweite Auflage mit veränderter Einleitung erschien 1919. Die beiden Auflagen werden hier durch Hinzusetzung der Jahreszahl unterschieden. 3 So etwa in F llkrug, Geschichte, 28. 4 Lebensdaten nach Bautz, Art. Hilbert. 5 Vgl. Wilhelm, Diktaturen, 105. 6 In der Forschung wurden bisher vor allem die Kontakte Hilberts zur völkischen DeutschChristlichen Arbeitsgemeinschaft Großdeutschlands gewürdigt; vgl. etwa Nowak, Kirche, 251. Allgemein zur Situation der Leipziger evangelisch-lutherischen Kirche vgl. Wilhelm, Diktaturen, 34–59. Ende 1930 versandte Hilbert mit der Einladung zu einer Ephorenkonferenz die
36 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) Machtübertragung an die Nationalsozialisten und der Etablierung einer reichsweiten Deutschen Evangelischen Kirche Hoffnungen auf eine verstärkte Umsetzung der Volksmission, betonte aber die Notwendigkeit der Eigenständigkeit der kirchlichen Entwicklung7. Nachdem er sich im weiteren Verlauf des Kirchenstreites immer mehr in Richtung des Pfarrernotbundes orientierte, wurde er im April 1934 durch das von den Deutschen Christen dominierte sächsische Landeskirchenamt gemeinsam mit acht weiteren Superintendenten abgesetzt8. Er selbst weigerte sich zwar, diese Absetzung anzuerkennen und wurde nach der Dahlemer Synode von der sächsischen Bekennenden Kirche zeitweilig als „Notsuperintendent“ eingesetzt, konnte sich aber nicht durchsetzen und wurde daraufhin 1935 endgültig pensioniert. Er starb am 16. Mai 1936 in Leipzig9.
2.2 Zeitdeutung Hilberts Situationsdeutung war, wie schon Volker Herrmann festgestellt hat, ganz der Stagnation des Kriegsjahres 1916 verhaftet: „Die Krisensituation des Kriegsjahres 1916 ist dem Buch von der ersten bis zur letzten Seite zu entnehmen.“10 Hilbert setzte sich dabei vor allem innerkirchlich mit den Hoffnungen der Kriegstheologie auf eine Besserung der religiösen Verhältnisse in Analogie zu den Befreiungskriegen11 auseinander: „[…] werden die Hoffnungen sich erfüllen, die er [der Krieg, H. B.] am Anfang erweckte? Wird es, wenn auch nicht zur inneren Wiedergeburt, so doch zu einer Aufwärtsbewegung des religiös-sittlichen Lebens kommen, wie nach den Befreiungskriegen vor 100 Jahren oder wird sich wiederholen, was nach 1870 geschah, daß die Massen sich immer mehr von Gott abkehren, daß wiederum Gottesfurcht
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Thesen des Leipziger „Ausschusses für völkische Fragen“, in denen speziell für den Beitritt in die NSDAP geworben wurde; dieses Schreiben wurde nach 1945 von vielen nationalsozialistisch belasteten Pfarrern als Legitimation für ihren Parteieintritt verwendet; vgl. Hein, Landeskirche, 192 f. Die Rolle Hilberts in der Volksmissionsbewegung in den späten 1920er-Jahren und während der Weltwirtschaftskrise wird im zweiten Teil dieser Arbeit gestreift, siehe unten 232 f., 264 f. Vgl. ausführlich Wilhelm, Diktaturen, 66–71. Zahl nach Fischer, Landeskirche, 112, Anm. 120. Zur Entwicklung des Kirchenkampfes in Leipzig vgl. Wilhelm, Diktaturen, 88–123. Ausführlich zu den Entwicklungen in der sächsischen Landeskirche bis 1936 Fischer, Landeskirche, 13–41. Der Autor danke Uwe Bertelmann (Gießen) für Hinweise zu Hilbert und die Zurverfügungstellung einer digitalen Version der ersten Auflage von Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916). Herrmann, Verhältnis, 4; ab Mitte 1916 fand als Reaktion auf einen perzipierten Verlust der 1914 erreichten Einheit im rechten politischen Lager eine Radikalisierung des Volksgemeinschaftsdiskurses statt; vgl. Bruendel, Volksgemeinschaft, 144–176; Retterath, Volk, 74–78. Vgl. etwa Pressel, Kriegspredigt.
Zeitdeutung
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und Gottesliebe ersticken unter schrankenloser Hingabe an die irdischen Güter des Lebens?“12
Hilbert wollte nicht leugnen, dass Gott hinter dem religiösen und nationalen Aufschwung im August 1914 stehe, was die Prämisse der deutschen Kriegstheologie war: „Es unterliegt keinem Zweifel: unter den übergewaltigen Erfahrungen des Krieges haben viele den lebendigen Gott auch wirklich erlebt. Und dieser Gott trägt durchaus die Züge des Vaters unseres Herrn Jesu Christi.“13 Er grenzte sich aber gegen die in seinen Augen allzu optimistische Vision einer „inneren Wiedergeburt des deutschen Volkes“ ab: „Solche übertriebenen Hoffnungen mußten enttäuschen. Denn allein der persönliche Glaube an Jesum Christum vermag das radikale Böse im Menschenherzen zu überwinden“14. Hilbert sah daher 1916 Anzeichen einer Erlahmung des mit dem Augusterlebnis 1914 verbundenen religiösen Aufbruches: „Die Stoßwirkung ist vorbei. Der Ansturm auf die Gotteshäuser läßt merklich nach.“15 Er verwies dabei auf die ambivalente Wirkung des Krieges auf die Sittlichkeit des deutschen Volkes, wobei er besonders auf die Selbstsucht der einzelnen Stände verwies, welche im Interesse der persönlichen Bereicherung die Erfordernisse der Kriegswirtschaft außer Acht ließen. Zudem nannte er die im Heer und in der Heimat vorkommenden sexuellen Ausschweifungen. Er kam zu einer resignierten Schlussfolgerung: „Derselbe Krieg, der die edelsten und höchsten sittlichen Kräfte entbunden hat, er hat doch auch ohne allen Zweifel die Leidenschaften geweckt und viel gute Zucht und Sitte zerstört.“16 Trotzdem kam er 1916 doch zu einer insgesamt positiven Wertung des Augusterlebnisses, indem er postulierte, „daß der Krieg alles in allem eine Aufwärtsbewegung des religiösen Lebens bringen wird.“17 Er sah im Erlebnis des Ersten Weltkrieges eine praeparatio evangelica, welche Einzelne für die christliche Verkündigung aufnahmebereit mache: „Wir werden sicher eine offene Tür finden zum Herzen unseres Volkes, auch im Frieden.“18 Hilbert warnte aber vor allem davor, darauf zu vertrauen, dass die durch den Kriegsausbruch beendete Kirchenaustrittsbewegung der ersten Jahre des 20. Jahrhunderts19 und die mit ihr verbundene Agitation der Kirchengegner ausgestanden sei. Diese Bewegungen seien nur durch den Burgfrieden von 1914 gewaltsam zum Schweigen gebracht und nicht inhaltlich überwunden. Zudem gäben die schweren Erfahrungen des Krieges den Gegnern ein scheinbar einleuchtendes Gegenargument in der Theodizeefrage, da vor dem 12 13 14 15 16 17 18 19
Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 4. Ebd., 8. Ebd., 9. Ebd. Ebd., 10. Ebd. Ebd., 11. Zur ersten Welle von Kirchenaustritten in der Zeit nach 1900 vgl. Kaiser, Sozialdemokratie.
38 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) Hintergrund der Leiden und Kriegsverluste die Frage nach der Güte Gottes aufbreche: „In der Stille aber schmiedet die Schar der alten Christentumsfeinde aus den Erlebnissen des Krieges neue, wirksame Waffen zum Kampf.“20 Aus diesem Grund sah Hilbert nach dem Ende des Krieges eine neue Welle der Kirchenaustrittspropaganda auf die evangelischen Kirchen zukommen, obwohl er einen deutschen Sieg annahm: „Wir gehen sehr schweren Zeiten entgegen, auch nach einem siegreichen Kriege!“21 Gleichzeitig erkennt man an Hilberts Situationsbeschreibung von 1916, wie stark er durch die Eindrücke der Vorkriegszeit geprägt war. Immer wieder wies er in seiner Schrift auf die Kirchenaustrittsbewegung und die Entkirchlichungstendenzen der Vorkriegszeit hin: „entgegengesetzte Mächte ringen um die Seele unseres Volkes. Die innere Lebenseinheit ging ihm verloren.“22 Vor diesem Hintergrund sah der Rostocker Theologe in Deutschland eine Situation, wie sie auch auf den Missionsfeldern bestünde, die Voraussetzung für seinen Ruf nach Volksmission: „Ist diese Darstellung richtig, dann werden auch nach dem Friedensschluß die Verhältnisse in unserem Vaterland denen auf den Missionsfeldern gleichen: hier wie dort eine Minderheit bewußter Christen, hier wie dort die Masse der Werdenden und Schwankenden, hier wie dort entschlossene Gegner. Forderte diese Sachlage schon vor dem Kriege volle Berücksichtigung, so noch mehr nach dem Friedensschluß.“23
Die Diagnose änderte sich in der zweiten Auflage von Hilberts Schrift, die er 1919 mit einem aktualisierten Vorwort versah, nicht wesentlich: „Der Fortgang der Ereignisse haben (sic!) mir recht gegeben: unsere Kirche kann nur Volkskirche bleiben als Volksmissionskirche – das drängt sich heute jedem mit Gewalt auf.“24 Hilbert konnte daher die Schrift weitgehend ohne Änderungen erneut abdrucken. Allerdings sah man in der Auseinandersetzung mit dem Kriegsende, der Trennung von Kirche und Staat und der Diskussion um die Kirchenverfassung neue Akzente. Dabei offenbarte sich auch Hilberts Verortung auf der Seite der antidemokratischen Rechten25. Insgesamt aber
20 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 10. 21 Ebd., 11. 22 Ebd., 13; die Metaphorik von Volkskörper und Volksseele prägte den Volksdiskurs während des Ersten Weltkrieges und wurde auch von der politischen Mitte rezipiert vgl. Retterath, Volk, 78–91. 23 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 11. 24 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1919), 4 25 Im neuen Vorwort machte Hilbert, das Motiv der Dolchstoßlegende aufnehmend, die Revolution für die Form des Kriegsendes verantwortlich (ebd., 5). Er warnte vor einer zu großen Demokratisierung der Volkskirche, da sie mit einer Entchristlichung verbunden sei: „Wird man fordern, daß wie auf dem Gebiete des Staates, so auch innerhalb der Kirche der Wille der Mehrheit das oberste Gesetz sei, dann wird es früher oder später zu einer Entchristlichung der Volkskirche kommen: um ,das Volk‘ zu behalten, wäre ,die Kirche‘ zerstört!“ (ebd., 9). Als
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kommt er in seiner Abwägung der Chancen und Risiken zur gleichen Einschätzung wie 1916: „Denn die Sachlage ist günstiger geworden und schwieriger zugleich“26. Sein Programm der „Kirchlichen Volksmission“ sah Hilbert aber sowohl 1916 als auch 1919 als Antwort auf diese Situation. Es gelte einmal, die bereits vom Evangelium Erfassten in ihrem Glauben zu stärken und gleichzeitig auch an die Kritiker und Gegner der Kirche heranzutreten: „es gilt auch den Versuch, sie [die Gegner, H. B.] zu gewinnen für Christus und sein Reich.“27 Für diesen Zweck forderte Hilbert bereits 1916 eine spätestens mit dem Ende des Krieges einsetzende koordinierte Aktion der deutschen evangelischen Landeskirchen: „Mit einem Worte: Wir brauchen eine kirchliche Volksmission. Die Kirche als organisierte Anstalt, die Kirche in ihren berufenen Organen […] hat im vollen Umfang diese eigentliche ,Innere Missionstätigkeit‘ in Angriff zu nehmen. Womöglich schon im Kriege muß sie begonnen werden; sicherlich muß sie sofort nach dem Friedensschluß mit voller Wucht überall im deutschen Vaterland einsetzen.“28
2.3 Theologische Verortung Aus Hilberts Sozialisation an den Universitäten Leipzig und Erlangen und seiner Verortung in den Landeskirchen Sachsen und Mecklenburg wird seine Prägung durch eine konservative lutherische Theologie deutlich. Aus dem Gedankengang seiner Schrift ist aber erkennbar, dass Hilbert den Reformator Martin Luther in einer durch Pietismus und Erweckungsbewegung geprägten Tradition rezipiert. So bezieht er sich in der hier zu analysierenden Schrift besonders intensiv auf Luthers Deutsche Messe von 1526. Luther hatte dort neben der lateinischen Messe und dem deutschsprachigen Gottesdienst darüber nachgedacht, eine besondere Gruppe von Gemeindegliedern in kleineren informellen Gottesdiensten zu sammeln. Diese dritte Weise des Gottesdienstes war neben den ebenfalls von Hilbert als Beispiel zitierten pietistischen Konventikeln die wichtigste Legitimation für die Einrichtung eigenständiger Gemeinschaftsstunden29. In der Tat gab Hilbert bereits im Vorwort an, wesent-
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Gegengewicht zum Mehrheitswillen betonte Hilbert in dieser Umbruchszeit auch die Bedeutung des Bekenntnisses; vgl. Brunner, Volkskirche, 77 f. (Kapitel 2.5.1). Hilbert, Kirchliche Volksmission (1919), 9. Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 12. Ebd., 12. Im Jahre 1919 schrieb er fast wortgleich: „Wir brauchen eine kirchliche Volksmission. […] War sie schon im Kriege eine Notwendigkeit, so muß sie erst recht sofort nach dem Friedensschluß mit voller Wucht überall im deutschen Vaterlande einsetzen“ (Hilbert, Kirchliche Volksmission [1919], 9). Zum Verweis auf die dritte Weise des Gottesdienstes vgl. Hilbert, Kirchliche Volksmission
40 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) liche Impulse für sein Volksmissionsprogramm aus der Mitarbeit in der sächsischen Gemeinschaftsbewegung empfangen zu haben30. Neben Luther zitiert Hilbert am ausführlichsten den Halleschen Theologen Martin Kähler. Zwar hatte Hilbert nicht in Halle studiert, er war jedoch später in Beziehung zu Kähler getreten und betrachtete diesen als seinen eigentlichen theologischen Lehrer31. Kähler vertrat als Systematiker eine betont schriftgebundene Theologie und setzte sich von der Vermittlungstheologie des 19. Jahrhunderts ab. Gleichzeitig betonte er in seinem Rückgriff auf Luthers Rechtfertigungstheologie die existentielle Dimension des Glaubens32. Zugleich war Kähler außerordentlich an Fragen der Äußeren und Inneren Mission interessiert; er begriff den Missionsbefehl Mt 27 als eine Grundaufgabe der Kirche33. Die Bedeutung, die Hilbert Kähler beimaß, zeigt sich daran, dass er seine Schrift mit einem Zitat des 1912 verstorbenen Theologen abschloss und seine Forderungen so mit Kählers theologischem Vermächtnis legitimierte: „Denselben Gedanken äußerte er [Kähler, H. B.] 1912: ,Das kirchliche Elend in Deutschland hat seinen Hauptgrund darin, daß wir in Deutschland nie recht missioniert worden sind. Zuerst kamen die irischen Mönche und haben uns pastoriert. Die Reformation schenkte uns manchen gläubigen Prediger, aber keine Gemeinden. Jetzt haben wir in vielen Gegenden Parochien, aber keine Gemeinden. Die Mission muß nachgeholt werden.‘“34
Hilberts Glaubensbegriff zeigt eine erwecklich-lutherische Prägung. In dem von ihm 1925 verfassten evangelistischen Traktat „Heilsgewißheit“ betonte er, dass Glauben maßgeblich eine persönliche Beziehung zwischen Gott und Mensch sei: „Erst in dieser persönlichen Liebesgemeinschaft aber besteht das Heil. Die Seele geborgen in Gott“35. Dabei betonte er die Rechtfertigung, die der Mensch nur empfangen könne: „Der Glaube ist aber entschlossenes Absehen von uns selbst; der Glaube sieht Jesus Christus an, der hat genug für uns all getan.“36 Der Akt des Glaubens sei allerdings „eine bewußte Tat der Persönlichkeit […], ein williges Sichöffnen und Sichliebenlassen.“37 Hilbert betonte daher die Notwendigkeit persönlicher Bekehrung, wie er besonders in
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(1916), 22 f. u. ö.; zu den pietistischen Konventikeln ebd., 42; zur Rezeption von Luthers Deutscher Messe vgl. auch Hilbert, Ecclesiola; allgemein Zimmermann, Gemeinde, 215–217; die Ekklesiologie Hilberts charakterisiert treffend Meier, Volkskirche 33 f. Hilbert, Kirchliche Volksmission 1916, 4. So widmete Hilbert 1909 seine erste apologetische Veröffentlichung Kähler; vgl. Beyreuther, Kirche, 217. Vgl. Kraus, Art. Kähler. Kählers missionstheologische Schriften sind gesammelt in: K hler, Schriften. Zitiert in: Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 55. Dieses Zitat konnte bisher nicht verifiziert werden, es findet sich aber auch in anderen zeitgenössischen Quellen. Hilbert, Heilsgewißheit, 7. Ebd., 10. Ebd., 12.
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einem Vortrag auf der Novemberkonferenz der Inneren Mission 1916 deutlich machte: „[…] es gibt keinen persönlichen Glauben ohne bewußte Entscheidung für Christum, […]. Auch das Kind frommer Eltern muß zum persönlichen Glauben durchdringen, muß ,sich bekehren‘.“38 In Hilberts Theologie kam also die Deutung der Rechtfertigung als einer geschenkten fremden Gerechtigkeit mit dem Insistieren auf einer bewussten persönlichen Heilsannahme zusammen. Gleichzeitig betonte Hilbert die Notwendigkeit eines klaren Bekenntnisses und einer Glaubensgewissheit des einzelnen Christen: „Es genügt nicht, daß wir religiöse Menschen sind, wir müssen Christen sein! Und nicht nur ,unbewußte‘!“39 Damit grenzte er sich von theologischen Strömungen ab, die unter Berufung auf Richard Rothes Theologie eines Aufgehens der Kirche im Staat die Existenz eines unbewussten Christentums in den christlichen Völkern postulierten40. Hilbert ging auf die durchaus missionarische Intention der Theorie eines unbewussten Christentums nicht ein, er konterte mit einem Zitat Kählers: „Unbewußtes Christentum ist noch kein Christentum. . . . Ein Besitz dem etwa nur der Titel fehlte, ist es nicht. . . . Kein echtes, kein eigentliches Christentum ohne die lebendige Gemeinschaft mit dem lebendigen Christus.“41
Aus diesem Zitat, mit dem Hilbert sich voll solidarisierte, spricht die Distanz zu einem theologisch liberalen Kulturprotestantismus, der seiner Ansicht nach die Notwendigkeit eines klaren christlichen Bekenntnisses vernachlässigte. Hilbert drängte darauf, diese Erkenntnis auch auf die Betrachtung der religiösen Situation in Deutschland anzulegen. Er grenzte sich dabei explizit von Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher, dem „Kirchenvater des 19. Jahrhunderts“ (Karl Barth), ab. Schleiermacher hatte 1801 im Vorwort seiner ersten Predigtsammlung vor dem Hintergrund der von ihm wahrgenommenen Diskrepanz zwischen der allgemeinen Kirchenzugehörigkeit und dem Verhalten der Gemeindemitglieder im Berlin des frühen 19. Jahrhunderts seine homiletische Grundentscheidung dargelegt, zu predigen, „als gäbe es noch Gemeinen [sic!] der Gläubigen und eine christliche Kirche“42. Schleiermacher hatte damit die Hoffnung verbunden, durch seine Predigten auf die Beendigung der von ihm beklagten Missstände hinzuwirken: „Vielleicht kommt die Sache auch dadurch wieder zu Stande, daß man sie voraussezt“43. Hilbert betonte in Abgrenzung zu dieser homiletischen Grundentschei38 Hilbert, Volksmission, 4. 39 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 28. Auslassungen durch Vorlage. Der Verfasser dankt Uwe Bertelmann (Gießen) für Hilfe beim Nachprüfen des Zitates. 40 Zur Bedeutung Rothes treffend Rendtorff, Theorie, 136. 41 Zitiert in: Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 28 f. 42 Schleiermacher, Predigten, Bd. 1, 10 f. 43 Ebd., 11.
42 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) dung, dass es notwendig sei, den Tatsachen ins Auge zu blicken: „Einer Widerlegung bedarf diese Regel [Schleiermachers, H. B.] wohl nicht mehr: der Wirklichkeitssinn der Gegenwart geht über sie einfach weg zur Tagesordnung.“44 Er sah Schleiermachers Entscheidung, nicht von der Wirklichkeit auszugehen, als Folge einer nicht mehr aktuellen geistesgeschichtlichen Epoche: „Der Romantiker in Schleiermacher macht sich hier geltend, wie mich dünkt.“45 Die Auseinandersetzung mit Schleiermacher zeigt ein wesentliches Charakteristikum der gesamten Argumentation Hilberts, die sowohl seine zeitgeschichtliche Deutung als auch seine theologische Argumentation prägte. Hilbert beanspruchte, mit seiner Diagnose den Zustand von Kirche und Volk richtig erfasst zu haben, und warf eventuellen Kritikern vor, durch Vorurteile geblendet zu sein: „Wer nicht von einem ,Ideal‘ oder von einem ,Dogma‘ sich gefangen nehmen läßt, wer die Dinge so sieht, wie sie sind, den wird diese Wirklichkeit zu dem Urteil zwingen: wir brauchen eine kirchliche Volksmission.“46
Die Auseinandersetzung mit den Vertretern der Theorie eines unbewussten Christentums zeigt Hilberts Abgrenzung von der liberalen Theologie. Gleichzeitig musste er sich aber auch mit der Tatsache auseinandersetzen, dass viele Vertreter einer „positiven“ Theologie seine Sicht der kirchlichen Lage kritisieren würden, da sie die Tatsache, dass der bei weitem größte Teil des deutschen Volkes getauft war, nicht berücksichtigte. Gegenüber dem Einwand von einer sakramentalen Tauftheologie her, dass die absolute Mehrheit der Deutschen ja noch in die Kirche eingegliedert war, verhielt Hilbert sich allerdings eher defensiv: „Oder will man geltend machen: Die Glieder unserer Gemeinde sind getaufte Christen und keine Heiden!?“47 Hilbert argumentierte gegen diesen Einwand ebenfalls mit der religiösen Statistik, die eine solche Zuversicht auf die intakte Religiosität des Volkes nicht zuließe48. Allerdings konzedierte er den Vertretern einer hohen Sakramentstheologie, anders als seinen liberalen Kontrahenten, eine particula veri ihres Anliegens: „Denn auch das innere Leben des einzelnen ist abhängig von der Gesamtheit, aus der es erwächst und in der es steht. Noch ist der Geist Jesu Christi eine Macht in der Seele unseres Volkes und darum auch in der des einzelnen, ob er es nun wahr haben will oder nicht. Solange dies der Fall ist, haben wir ein Recht, von einer Volkskirche zu reden und allen Kindern, für die es begehrt wird, die Taufe zu erteilen.“49 44 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 12. 45 Ebd. 46 Ebd., 13. Mit „Ideal“ meint Hilbert die homiletische Grundentscheidung Schleiermachers, bei „Dogma“ denkt er an eine hohe Sicht der sakramentalen Wirksamkeit der Taufe. 47 Ebd. 12. 48 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 13. 49 Ebd., 12 f.
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Auffällig ist, dass Hilbert hier das Anliegen konzediert, das auch hinter der Aussage vom „unbewussten Christentum“ steht. Auch Hilbert glaubte, dass das deutsche Volk noch im hohen Maße vom Christentum geprägt sei und hielt daher die Volkskirche, die er im Wesentlichen durch die allgemeine Taufe definierte50, für berechtigt. Dieses Zugeständnis steht in einer nicht unwesentlichen Spannung zum Gesamtduktus seiner Ausführungen, die ja eher auf das bewusste Bekenntnis des Glaubens hinliefen. Zu erklären ist diese Spannung wohl durch den Umstand, dass Hilberts erweckliche Theologie mit einer bewussten Bejahung der bestehenden Volkskirche verbunden war, er eine „Kirchliche Volksmission“ wollte. Zudem war die Bejahung der Volkskirche wohl auch Konsequenz seines schon in der Einleitung zum Ausdruck kommenden Anliegens, auf das ganze deutsche Volk einzuwirken. Wenn wir nun Hilberts Vorstellungen von den Mitteln betrachten, mit denen der christliche Glaube verbreitet werden sollte, so war sein theologisches Denken durch eine betonte Worttheologie ausgezeichnet. Hier kommt einmal der Einfluss Luthers zum Ausdruck. Dieser Einfluss wurde aber wohl vor allem durch die das Kerygma betonende Lutherrezeption seines Lehrers Kähler bestimmt. Hilbert glaubte, dass eine klare biblische Verkündigung auch in der Gegenwart wirksam sein würde: „Wo immer das Wort von Christus lauter und rein und in der Kraft seines Geistes verkündet wird, da findet es ein starkes Echo, gerade in der Gegenwart; es erweist sich ,als ein Hammer, der Felsen zerschmeißt‘ und zugleich auch als Geist und Leben; es weckt den lebendigen Glauben, der Wiedergeburt und Bekehrung in sich schließt.“51
Hilbert vertrat also eine optimistische Theologie der Verkündigung. Sobald das Wort Gottes lauter und rein gepredigt werde, werde es auch Glauben wecken und geradezu von selbst zur Erneuerung der Kirche führen: „Die Kirche hat einfach die gottgegebenen Gnadenmittel und Gnadengaben zu benutzen; dann geschieht alles ,von ihm selber‘“52. Deutlich wird diese theologische Prägung durch seine Abgrenzung von der Gemeindereform Emil Sulzes. Sulze hatte in verschiedenen Schriften aufgrund seiner Erfahrungen als Pfarrer in Dresden eine stärkere Aufgliederung der stark angewachsenen Parochien in den Großstädten in Bezirke, eine stärkere Einbeziehung der Laien in das kirchliche Leben, die er mit der Forderung der „Seelsorge aller an allen“ charakterisierte, und eine stärkere Gemeinschaftsbildung innerhalb der Parochien gefordert53. 50 Zu Hilberts Volkskirchenbegriff vgl. jetzt Brunner, Volkskirche, 76–80 (Kapitel 2.5.1). Die Verbindung zwischen allgemeiner Kindertaufe und Volkskirche betonte im zeitgenössischen Diskurs auch Rendtorff, Kirche, Landeskirche, 28 f. 51 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 14. 52 Ebd., 42. 53 Vgl. Sulze, Gemeinde.
44 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) Diese Forderungen korrespondierten durchaus mit Hilberts Forderung nach einer „lebendigen Gemeinde“, die er als ein Ziel der Volksmission definierte54. Doch grenzte sich Hilbert stark von Sulze ab. Zunächst kritisierte er, dass Sulze voraussetze, „daß unsere Gemeinden wirkliche Gemeinden sind“55. Das ist die gleiche Haltung, die auch Hilberts Position zu Schleiermachers homiletischer Grundentscheidung bestimmte, den Glauben seiner Hörer vorauszusetzen. Diese Haltung Hilberts ist auch dadurch bestimmt, dass sich Sulze selbst auf Schleiermacher und andere neuprotestantische Theologen berief56. Daneben sah er aber auch die Mittel, die Sulze zur Erneuerung der Kirchengemeinden propagierte, als untauglich an: „Es ist durchaus unmöglich, durch äußere Organisation, so wichtig sie in anderer Beziehung ist, lebendige Gemeinden zu schaffen.“57 Hilbert charakterisierte Sulzes Forderung als eine bloß organisatorische Reform, während tatsächlich nur durch göttliches Eingreifen eine Erneuerung möglich sei: „Nicht der Gemeindegeist wird es tun, sondern der Geist Gottes, der durch das Wort wirkt und das Charisma schafft“58.
2.4 Formen der Volksmission Seinen zweiten Abschnitt über „Die Notwendigkeit der Volksmission“ leitete Hilbert mit einer rhetorischen Frage ein: „Ist die Kirche dieser Fülle von Aufgaben gewachsen? Vor allem: lassen sie sich lösen durch die Mittel, die sie bisher gebrauchte, in den Formen, in denen bislang das kirchliche Leben sich abspielte?“59 Hilbert antwortete mit einem klaren Nein. Er sah die herkömmlichen kirchlichen Handlungsformen als nicht ausreichend für die gegenwärtige Situation an: „Die Kirche kann sich künftighin nun und nimmermehr beschränken auf das, was sie bisher ordnungsmäßig zur Ausrichtung ihrer gottgegebenen Aufgabe getan.“60 Wie er schon in der Einleitung deutlich gemacht hatte, forderte er also eine grundlegende Erweiterung des amtlichen kirchlichen Handelns: „Ebensowenig darf die Kirche in dem ,darstellenden Handeln‘ ihre Hauptaufgabe sehen, statt im ,wirksamen Handeln‘. Soll im Gottesdienst der gemeinsame religiöse Besitz zur Darstellung kommen, so setzt dies eine ,wirkende Tätigkeit‘ voraus, durch die der Besitz beschafft, erhalten und vermehrt wird. Wir brauchen
54 55 56 57 58 59 60
Diese analoge Zielsetzung betont zu Recht Herbst, Gemeindeaufbau, 168. Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 41. Zur theologischen Würdigung von Sulze vgl. Zimmermann, Gemeinde, 206–209. Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 41. Ebd. Ebd., 13. Ebd., 20.
Formen der Volksmission
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eine kirchliche Volksmission – sonst stellen wir am Ende dar, was wir gar nicht besitzen!“61
Hilbert nahm hier die aus der praktischen Theologievorlesung Schleiermachers stammende Unterscheidung von „darstellendem“ und „wirksamem“ Handeln auf. Schleiermacher unterschied „wirksames Handeln“, das auf eine Veränderung im Einzelnen bzw. auf eine bestimmte Aktivität hinwirkte, vom „darstellenden Handeln“, das dazu bestimmt war, eine bereits vorhandene gemeinsame Grundlage zum Ausdruck zu bringen62. Die Feier des Gottesdienstes ordnete er dem darstellenden Handeln zu; hier kämen die inneren Zustände, welche die versammelte Gemeinde bestimmten, zum Ausdruck: „Der Zwekk des Cultus ist die darstellende Mittheilung des stärker erregten religiösen Bewußtseins.“63 Hilbert forderte eine stärkere Betonung des „wirksamen Handelns“ in der Missionspredigt. Der Hintergrund für diese Forderung ist wohl die bereits im Zusammenhang mit Hilberts theologischer Verortung herausgearbeitete Abgrenzung von Schleiermachers homiletischer Grundentscheidung, religiöse Empfindungen dadurch zu bewirken, dass er in der Predigt ein religiöses Bewusstsein voraussetzte. Hilbert sah das Hauptproblem der evangelischen Landeskirchen in Deutschland nicht nur in der mangelnden praktischen Umsetzung der seiner Meinung nach notwendigen missionarischen Dimension kirchlichen Handelns. Er sah im Hintergrund eine mangelhafte Zeitdiagnose, welche den wahren Umfang der Entchristlichung der deutschen Gesellschaft nicht erkannte, und gleichzeitig eine fehlerhafte Theologie, die nicht genügend Wert darauf lege, auch unter bereits Getauften durch Evangeliumsverkündigung Glauben zu wecken und ihn nicht schon vorauszusetzen: „Stehen wir dann nicht in der Gefahr, daß wir ,erbauen‘ wollen, ohne Grund gelegt zu haben?“64 Der Begriff „Volksmission“ diente Hilbert gleichzeitig der Parallelisierung zu der seit dem 19. Jahrhundert als Feld kirchlicher Arbeit anerkannten Heidenmission. Mit der Parallelsetzung von außereuropäischen Missionsfeldern und den Verhältnissen in Deutschland begründete er auch das von ihm geforderte Programm volksmissionarischer Arbeitszweige: „Wenn wir in Deutschland über 300 000 erklärte ,Heiden‘ haben, wenn unsere heimischen Verhältnisse zumal in den Großstädten immer mehr denen der Missionsfelder gleichen, sollten wir nicht auch Apologetik und Evangelisation, Bibelstunde und religiösen Vortrag als eine feste Ordnung der Kirche einführen müssen, um ,Seelen‘ zu gewinnen und wirklich ,lebendige Gemeinden‘ zu schaffen?“65
61 62 63 64 65
Ebd., 20 f. Die betreffenden Passagen sind abgedruckt in: Herbst, Quellen, 187–197, v. a. 188. Ebd., 189. Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 20. Ebd., 21.
46 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) In dieser kurzen Zusammenfassung werden die wesentlichen programmatischen Forderungen Hilberts deutlich. Erster Punkt war die Aufnahme apologetischer und evangelistischer Verkündigungsformen in die „kirchlichen Formen und Ordnungen“66. Er wies darauf hin, dass seiner Erfahrung nach apologetische Vorträge, gerade wenn sie mit freier Aussprache verknüpft seien, auch Menschen anziehen würden, die selten zur Kirche kämen oder gar bewusste Gegner des Christentums seien67. Gleichzeitig betonte er die Notwendigkeit apologetischer Vorträge als Reaktion auf entgegengesetzte Propaganda selbst in den ländlichen Gebieten Deutschlands68. Die Apologetik hatte damit für Hilbert also durchaus auch das Ziel einer Beeinflussung der breiteren Öffentlichkeit. Ihr wesentliches Ziel aber sah Hilbert darin, Raum für die Möglichkeit des Glaubens zu schaffen: „Sie [die Apologetik, H. B.] muß öffentlich die Wahrheit des Evangeliums verteidigen und seine Unersetzbarkeit für alle darlegen; sie muß vor allem erweisen, daß keine Wissenschaft die letzten entscheidenden Fragen des persönlichen Lebens zu lösen vermag, daß andrerseits die wirklichen Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung sehr wohl mit dem vereinbar sind, was der Glaube erlebt und bekennt.“69
Hilbert setzt sich damit von Konzepten einer „neuen Apologetik“ ab, die als wesentliches Ziel dieser theologischen Disziplin die Begründung und Verteidigung einer christlichen Weltanschauung sehen: „Sie [die Apologetik, H. B.] hat nicht die christliche Weltanschauung theoretisch zu begründen oder mitzuteilen, sondern nur die Aussagen des christlichen Glaubens zu verteidigen.“70 Apologetik war für Hilbert nicht primär eine theoretische Begründung eines christlichen Glaubensinhaltes, sie sollte stattdessen Raum für die Verkündigung des Evangeliums schaffen: „so muß ich Rede stehen darüber, weshalb ich denn glaube; ich muß die Tatsachen bezeugen, die mich innerlich zum Glauben nötigen.“71 Insofern nannte Hilbert die Apologetik eine „vorbereitende Arbeit“72 und betonte ihre unauflösbare Verbindung mit der Evangelisation: „Also keine Evangelisation ohne Apologetik: die Apologetik zieht die Fernstehenden an und schafft Raum für das persönliche Glaubenszeugnis; aber noch viel
66 67 68 69 70
Ebd., 25. Ebd., 25 f. Ebd., 25. Hilbert dürfte hier speziell an die sozialistische Arbeiterbewegung gedacht haben. Ebd. Ebd., 26. Als Beispiel nannte er die Frage der Existenz Gottes, bei der kein Gottesbeweis zu führen sei, sondern allein die Tatsache belegt werden müsse, dass ein Beweis der Nichtexistenz Gottes unmöglich sei (ebd.). 71 Ebd., 27. 72 Ebd.
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weniger Apologetik ohne Evangelisation: diese erst streut den Samen des göttlichen Wortes in das bereitete Land.“73
Das Charakteristikum der Evangelisation war für Hilbert, „daß sie Missionspredigt ist; entsprechend der biblischen Bedeutung des Wortes faßt sie solche ins Auge, die noch nicht im Glauben stehen“74. Diese Zielvorgabe müsse Form und Inhalt der evangelistischen Predigt sowie ihren Ort und ihre Zeit bestimmen. Sie habe sich in ihrem Wesen nicht an der Sonntagspredigt zu orientieren: „Vor allem muß alles ,Kirchliche‘ und ,Liturgische‘ ferngehalten werden“75. Als weiteres Charakteristikum für die Evangelisation nannte Hilbert die tägliche Predigt während einer ganzen Woche, die er in bestimmten Abständen für alle Parochien forderte: „soll die Evangelisation in jeder Gemeinde höchstens alle zwei Jahre einmal stattfinden, dann aber alltäglich mindestens eine Woche lang.“76 Er dachte bei Evangelisation also nicht an eine Glauben weckende Predigt im Allgemeinen, sondern an die spezifische Veranstaltungsform der Evangelisationswoche. Hilbert unterschied die evangelistische Predigt von der normalen Sonntagspredigt im Wesentlichen durch ihre Intention: „während die Gemeindepredigt in erster Linie erbauen will, will sie [die Evangelisation, H. B.] vor allem ,Grund legen‘“77. Mit dieser auf den Korintherbrief rekurrierenden Formulierung kam Hilbert zugleich auf seine programmatische Forderung nach einem „wirksamen Handeln“ der Kirche zurück. Die Evangelisationswochen, die Hilbert vorschlug, unterschieden sich nicht wesentlich von denen, die seit den 1880er-Jahren in der Gemeinschaftsbewegung üblich geworden waren und die wichtige Inspirationen durch die amerikanischen und englischen Massenevangelisationen Dwight L. Moodys empfangen hatten78. Hilbert grenzte sich aber von einer Evangelisationspraxis ab, die „Treiberisches oder Methodistisches“79 beinhaltete. Dieser Vorwurf wurde gegenüber der Evangelisationstätigkeit der Gemeinschaftsbewegung im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert immer wieder erhoben, oft mit der nationalistischen Implikation, sie sei ein fremdes „englisches“ Konzept80. Hilbert betonte in seiner Darstellung der Evangelisation daher die Notwendigkeit der Nüchternheit. Als Kronzeugen für die Bedeutung der Evangelisation nannte er Wicherns Forderung nach Straßenpredigten und besonders den württembergischen Evangelisten Elias Schrenk, der als erster freier Evangelist in Deutschland stets die Nüchternheit der Evangelisation 73 74 75 76 77 78 79 80
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 28. Ebd. Zu Moody siehe auch G bler, Auferstehungszeit, 136–159. Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 27. Zum Methodismusvorwurf vgl. besonders Voigt, Christlieb, v. a. 107–117.
48 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) betont hatte und für eine enge Anbindung seiner evangelistischen Tätigkeit an die evangelischen Landeskirchen eingetreten war81. Hilbert versuchte, die in weiten Kreisen der evangelischen Kirchen kritisch betrachtete Evangelisation als für die volkskirchliche Praxis tauglich zu erweisen. So beantwortete er den ebenfalls häufig gemachten Vorwurf, dass Evangelisationen in den Kirchengemeinden spaltend wirkten, mit dem durch eigene Erfahrungen begründeten Hinweis, dass bei einer durch Ortspfarrer und Kirchengemeinde selbst getragenen Evangelisation dieses Risiko nicht entstünde: „vielmehr gelingt es unschwer, die von der Evangelisation Angefaßten der ,Kirche‘ zuzuführen.“82 Hilbert betonte, dass die Evangelisation „auch bei uns feste ,Kirchenordnung‘ sein“83 müsse. Dies gelte auch für die Zukunft: „Da die Einheit der Weltanschauung nach der Entbindung des Individualismus für immer dahin ist, werden wir auch in Zukunft stets ,moderne Heiden‘ unter uns haben, werden also der Missionspredigt, der Apologetik und der Evangelisation nie entbehren können.“84
Hilbert sah den Verlust einer einheitlichen christlichen Weltanschauung als endgültig an; das war wohl auch der wesentliche Grund für seine Ablehnung, eine solche durch ein apologetisches Programm aufs Neue zu begründen. Stattdessen sollte sich die evangelische Kirche durch die Verbindung von Apologetik und Evangelisation zusätzlich zu ihren bisherigen Arbeitsfeldern auf Fernstehende hin orientieren. Hilbert hielt apologetische und evangelistische Verkündigung allein aber nicht für ausreichend, hinzu müssten Ansätze der Gemeinschaftsbildung innerhalb der evangelischen Parochien kommen85. Er verwies auf den Verlust der christlichen Frömmigkeitsübung in den Familien, die traditionell als Pendant zum öffentlichen Sonntagsgottesdienst in einem privaten Rahmen für die christliche Sozialisation gesorgt habe: „Die wenigsten finden ja für ihr neuerwachtes Glaubensleben den Schutz und Halt eines wahrhaft christlichen Hauses.“86 Das idealisierte „ganze Haus“ der Vormoderne müsse in der Kirche der Gegenwart ein funktionales Äquivalent erhalten, das sah Hilbert als Voraussetzung für den Erfolg der apologetischen und evangelistischen Verkündigung an: „Die Evangelisation bleibt ein Schlag ins Wasser, wenn es an der entsprechenden Nacharbeit fehlt.“87 81 Vgl. Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 27 f.; siehe auch Klemm, Schrenk. Weitere Erkenntnisse zu Elias Schrenk verspricht die noch unpublizierte Dissertation von Werner Schmückle (Stuttgart). 82 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 29. 83 Ebd., 28. 84 Ebd. 85 Ebd., 30. 86 Ebd. 87 Ebd., 29.
Formen der Volksmission
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Hilbert sah auch eine christliche Veranstaltungsform, die diesen Rahmen von Privatheit bieten konnte und deren flächendeckende Einführung er einforderte: „In der Gegenwart ist die regelmäßige Bibelstunde in jeder Gemeinde eine unbedingte Notwendigkeit.“88 Hilbert stand eine Bibelstunde vor Augen, die zwar unter der Leitung des Ortspfarrers stand, die aber in einem betont nichtliturgischen Rahmen stattfinden sollte und in der die Möglichkeit zur offenen Aussprache gegeben war89. Dabei betonte er immer wieder den privaten Rahmen, der „schlicht, familienhaft, persönlich“90 sein sollte: „vielmehr muß die ganze Bibelstundengemeinde sich fühlen als eine Familie“91. An dieser Wortwahl wird deutlich, wie stark Hilbert von dem Leitbild des christlich geprägten „ganzen Hauses“ geprägt war, das ihm als Vorbild für die Bibelstunden vorschwebte. Es wäre allerdings zu fragen, ob die von ihm intensiv gebrauchten Metaphern der Privatheit nicht eher der bürgerlichen Kleinfamilie des 19. Jahrhunderts als der patriarchalisch strukturierten Lebens- und Arbeitsgemeinschaft des „ganzen Hauses“ in der Frühen Neuzeit zuzuordnen sind. An diesen Metaphern wird außerdem deutlich, dass die Bibelstunden gleichzeitig dazu dienen sollten, eine betont nichthierarchische, „brüderliche“ Gemeinschaft zu stiften: „Hier spricht der Bruder zum Bruder, der Freund zum Freunde“92. Undeutlich bleibt allerdings die Rolle, die Hilbert dem Pfarrer als Leiter der Bibelstunde zumaß. Einerseits sollte auch dieser durch Verzicht auf Talar und liturgischen Rahmen nicht als öffentliche Person auftreten, andererseits „wie ein Hausvater seine Gäste“93 die Teilnehmer per Handschlag begrüßen. Auch wenn Hilbert den Handschlag als Zeichen der brüderlichen Verbundenheit am liebsten auch im Gottesdienst einführen wollte94, zeigt der Vergleich des Pfarrers mit einem Hausvater doch unterschwellig eine Autoritätsposition an. Zwei weitere Aufgaben sollte die Bibelstunde erfüllen. Zunächst sei sie das ideale Mittel, um durch eine Einführung in die Bibel für ihre Teilnehmer „die religiöse Selbständigkeit zu begründen“95. Hilbert dachte speziell an die Gewöhnung an die selbstständige Bibellektüre, die er als wesentliches Charakteristikum religiöser Mündigkeit betrachtete. Die zweite Aufgabe sah Hilbert in der Einführung der Teilnehmer in die praxis pietatis: „hier allein können wir die schlichten einfältigen Christen beten lehren.“96 Neben den liturgischen Gebeten des Sonntagsgottesdienstes sollte die Bibelstunde speziell das freie Gebet einüben. Hier sah Hilbert einen wichtigen Punkt, in dem die Kirche von 88 89 90 91 92 93 94 95 96
Ebd., 30. Ebd., 31. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 32. Ebd., 31. Ebd., 32.
50 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) den Stunden der Gemeinschaftsbewegung lernen könne97. Insgesamt bilden die Bibelstunden für Hilbert einen Ort zur kirchlichen und glaubenspraktischen Sozialisation der durch Apologetik und Evangelisation für eine intensivere Glaubenspraxis gewonnenen Gemeindeglieder. Daneben fordert Hilbert aber eine zweite Form der Nacharbeit: „den religiösen Vortrag.“98 Er sollte neben der auf einzelne Bibelstellen verweisenden Bibelstunde eine Zusammenfassung der christlichen Lehre bieten und gleichzeitig aktuelle Fragen christlicher Sitte klären99. Zur Einführung in die Bibel und das Gebet durch die Bibelstunden sollte also zusätzlich die Katechese treten100. Während die Bibelstunde für Hilbert speziell an die gerichtet war, die im Sinne von Luthers „Deutscher Messe“ mit Ernst Christen sein wollten101, ist die Adressatengruppe der religiösen Vorträge nicht ganz eindeutig. Zwar behandelte Hilbert die religiösen Vorträge wie die Bibelstunde im Zusammenhang mit der Nacharbeit von Evangelisationen und sah ein Interesse der Gemeinden an verstärkter Schulung erst „wenn die Gemeinde wirklich lebendig ist“102. Gleichzeitig verbanden sich mit den religiösen Vorträgen für Hilbert aber auch Hoffnungen auf die Möglichkeit einer christlichen Volkserziehung103. Die kirchlichen Arbeitsformen Apologetik, Evangelisation, Bibelstunde und religiöse Vorträge sollten gleichzeitig der Stärkung des Kontaktes zwischen Seelsorger und Gemeindegliedern dienen: „Die Seelsorge muß sich vor allem wieder anschließen an die Wortverkündigung.“104 Hilbert hatte die Hoffnung, durch Verwirklichung seines volksmissionarischen Programmes dieses Ziel erreichen zu können: „Wird aber wirkungsvoll das Evangelium verkündigt, dann […] entsteht Gewissensnot und Sehnsucht nach Trost und Hilfe – also das Bedürfnis nach persönlicher Seelsorge.“105 Ein Schwerpunkt von Hilberts Programm lag also in der Ermöglichung und Förderung persönlicher Seelsorge.
97 98 99 100 101
102 103 104 105
Ebd. Ebd., 33. Hilbert dachte speziell an eine Vertiefung des Katechismuswissens; vgl. ebd., 33 f. „[E]in etwas gehobener Konfirmandenunterricht“ (ebd., 33), wie Hilbert einen ungenannten höheren Beamten zitierte. Hilbert bezog sich explizit auf Luthers dritte Weise des Gottesdienstes: „Wenn je, so ist es jetzt an der Zeit, die Forderung Luthers zu erfüllen!“ (ebd., 30). Noch deutlicher wird diese Bezugnahme in einer weiteren Reformschrift Hilberts von 1920, in der er sein Programm mit Rückgriff auf Luther begründete; vgl. Hilbert, Ecclesiola. Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 34. Ebd.; die Frage der Volkserziehung wird im Folgenden im Zusammenhang mit der Zielsetzung der Volksmission nach Hilbert diskutiert, siehe unten 52. Hilbert, Kirchliche Volksmission, 37. Ebd.
Zielsetzungen
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2.5 Zielsetzungen An der Betonung der Seelsorge ist auch der erste Schwerpunkt von Hilberts Zielsetzung abzulesen: Er wollte Einzelne mit volksmissionarischer Verkündigung erreichen und sie durch Bibelstunden und religiöse Vorträge in ihrem Glauben und ihrer Erkenntnis fördern. Zur Evangelisation sagte Hilbert explizit: „Ziel ist, die Entfremdeten wie die Gewohnheitschristen zu bewußtem Glauben zu führen.“106 Dabei glaubte er nicht an eine schnelle Bekehrung der Massen, nahm aber an, dass die von ihm geforderte Umstellung und Ergänzung der kirchlichen Arbeit Resultate bringen würde: „Jede Missionsarbeit erfordert zuerst Geduld; rasche Erfolge darf hier niemand erwarten; aber die Erfahrung lehrt, daß der treuen Geduldsarbeit schließlich die Frucht nicht fehlt.“107 Hilbert sah den Kernpunkt seiner Reformvorstellungen also in einer auf den Glauben des Einzelnen gerichteten Verkündigung und Seelsorge. Dieser ersten Zielsetzung stellte er eine weitere gegenüber, die besonders für die Nacharbeit durch Bibelstunden und Vorträge galt: „Wenn die Kirche in der beschriebenen Art wirklich ,Volksmission‘ treibt, dann werden sich ganz von selbst ohne große Neuorganisation auch wirkliche Gemeinden, wirklich lebendige Gemeinden bilden.“108 Er hielt die Einrichtung von Bibelstunden für ein bewährtes Mittel, um eine Gemeinschaftsbildung innerhalb der Kerngemeinde zu erzielen: „ganz von selbst bildet sich das Bewußtsein des Verbundenseins im Innersten und Heiligsten“109. Hilbert sah daher in seinem Programm „die Antwort auf diese brennendste, ja entscheidende Frage der Gegenwart“110 gegeben. Der Rostocker Theologe lehnte es ab, „daß man die Bibelstundengemeinde zu einer ,Arbeitsorganisation‘ ausbaut“111. Er hielt es aber für eine natürliche Entwicklung, dass die Bibelstundenbesucher sich auch in die Aufgaben der Gemeinde einbringen würden. Hilbert betonte immer wieder, dass diesem Vorschlag bereits Erfahrungen zugrunde lägen, die dessen Wirksamkeit bezeugten: „Warum soll die Kirche nicht das ihrerseits versuchen, was in den christlichen Vereinen junger Männer, den Blaukreuzvereinen, den Gemeinschaften sich als wirksam erwiesen?“112 Wenn Hilbert in der Einrichtung von Bibelstunden einen Weg zur Erneuerung der ganzen jeweiligen Kirchengemeinde sah, musste er sich gegen den Vorwurf absichern, durch die Sammlung der Kerngemeinde eine „Zer106 107 108 109
Ebd., 29. Ebd. Ebd., 38. Ebd., 38 f. Hilbert betonte, dass dadurch auch der „Sektenbildung“ (ebd., 38), womit er wohl vor allem die Ausbreitung von evangelischen Freikirchen meinte, begegnet werden könne. 110 Ebd., 39; der Begriff der „lebendigen Gemeinde“ stammte aus der Gemeindebewegung um Emil Sulze, mit dem Hilbert sich in seinen Schriften kritisch auseinandersetzte. 111 Ebd., 40. 112 Ebd.
52 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) sprengung der Volkskirche“113 zwischen Kerngemeinde und kirchlichen Randsiedlern zu bewirken. Er betonte: „,Sammlung‘ ist doch noch lange nicht ,Scheidung‘.“114 Hilbert sah den Lösungsweg darin, dass die Bibelstunde grundsätzlich für alle offen sein müsse: „Nicht äußere Schranken dürfen in der Volkskirche aufgerichtet werden – jeder ist willkommen; die Sammlung vollzieht sich allein durch das innere Bedürfnis und den inneren Trieb.“115 Hilberts Ideal war, „daß die Parochialgemeinde die Organisationen schafft und daß in der Bibelstundengemeinde die geistlichen Kräfte dafür heranwachsen.“116 Er hatte also bei seinen Vorstellungen von einer Reform der Gemeinde die bestehenden Kirchengemeinden im Blick. Der Kernpunkt seines Programmes aber lag in der Schaffung einer ecclesiola in ecclesia: „eben damit werden sich ganz von selbst in der großen Volkskirche kleine Kerngemeinden herausbilden, die wiederum ganz von selbst ein Salz sind für ihre Umgebung.“117 Der Gemeindekern, die ecclesiola in ecclesia, sollte auf die ganze Parochie wirken, und Hilbert hoffte auf einen noch weiteren Radius: „Haben wir in jeder Gemeinde solch einen Kern wirklich lebendiger Glieder, so ist er es, der je länger je mehr zum Missionar wird für das ganze Volk.“118 Daraus wird ersichtlich, dass Hilbert durchaus die Vision hatte, durch sein Reformprogramm über die Entstehung von Kerngemeinden hinaus zu wirken. Er hatte die Hoffnung auf eine religiöse Erneuerung des deutschen Volkes nicht vollkommen aufgegeben, obwohl er die Möglichkeit der Restauration einer christlichen Weltanschauung verneinte. Für Hilbert verbanden sich solche Gedanken besonders mit den religiösen Vorträgen: „In Bibelstunden und Vorträgen allein kann der Geistliche auch wirklich Erzieher werden der Gemeinde, ja vielleicht auch des Volkes.“119 Hilbert bezog sich hier positiv auf die Forderung „nach Volkserziehung, nach Fortsetzung der Erziehung über Schulzeit und Jugendzeit hinaus.“120 Hilbert sah in dem Verlust der christlichen Lebensordnung, welche in der Vergangenheit das Leben in Deutschland geprägt habe, eine Gefahr für die Zukunft: „Das Volk im ganzen aber bedarf der festen Sitte, da nicht nur die Kinder und die Jugend außerstande sind, aus eigener Einsicht und Kraft das allzeit zu treffen, was sittlich gut ist.“121 Als Beispiele nannte Hilbert speziell die Fragen der Haushaltung und der Kindererziehung, in denen das Verschwinden von Normen die jungen Eltern verunsichere122. 113 114 115 116 117 118 119 120 121 122
Ebd., 42. Ebd. Ebd., 43. Ebd., 44. Ebd. Ebd.; vgl. auch Brunner, Volkskirche 79 f. (Kapitel 2.5.1). Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 34. Ebd. Ebd. Ebd., 34 f.
Reformforderungen und Akteure der „Kirchlichen Volksmission“
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Hilbert sah in dieser Frage der öffentlichen Volkserziehung die Kirche in der Pflicht: „Es gibt nur eine Macht, die das zu leisten vermag: Die Kirche! Sie allein besitzt die Persönlichkeiten und die sitteschaffende Einheit der Weltanschauung.“123 Als Mittel für die Durchsetzung der kirchlichen Sitte lehnte er allerdings staatlichen Zwang ab und trat für „die freie Beeinflussung des Volkes in öffentlichen Vorträgen“124 ein. Hilbert hatte die Hoffnung, dass mit religiösen Vorträgen auch über die Kerngemeinde hinaus Interesse geweckt werden könnte und „auch Fernstehende herzugezogen werden und den Wert und die Notwendigkeit der Kirche für das Leben der Gesamtheit erkennen.“125 Auffällig ist, dass Hilbert hier wiederum speziell an Vorträge zu Fragen der Erziehung, solche über „das christliche oder deutsche Haus“126 und über ethische Themen dachte. Offenbar sah er in der Schaffung und Erhaltung einer christlichen Sitte trotz des von ihm diagnostizierten Verlustes der weltanschaulichen Einheit ein erreichbares Ziel. Hilbert sah in der Erhaltung und Neuformulierung christlicher Sitte eine weitere wesentliche Aufgabe der Volksmission. Ziel der „kirchlichen Volksmission“ war insofern nicht nur die Erneuerung von Kirchengemeinden, sondern indirekt auch eine Wirkung auf das ganze Volk oder zumindest die noch kirchennahen Schichten, die Hilbert für eine an traditionellen Leitbildern orientierte christliche Sittlichkeit gewinnen wollte: „Selbst wenn es aber als unmöglich sich erweisen sollte, das Volk als Ganzes wieder zur Annahme einer christlichen Sitte zu bewegen, wertvoll genug ist es, wenn auch nur in den Kreisen, die sich noch zur Kirche halten, die Reste alter Sitte gewahrt und neue Sitte gebildet wird.“127
2.6 Institutionelle Reformforderungen und Akteure der „Kirchlichen Volksmission“ Da Hilbert die Forderung nach „kirchlicher Volksmission“ als ein allgemeines Reformprogramm für die evangelischen Landeskirchen verstand, stellte er in einem abschließenden Teil seiner Reformschrift umfangreiche Forderungen an einzelne Berufsgruppen und Institutionen, wie sie in das Programm mit einbezogen werden sollten. Diese Reformforderungen erinnern in ihrem Duktus an Philipp Jacob Speners Schrift „Pia Desideria“, ohne allerdings die kirchlichen mit gesellschaftlichen Reformforderungen zu verbinden128. 123 124 125 126 127 128
Ebd., 35. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. So etwa die Forderung einer Reform des Theologiestudiums; vgl. ebd., 45.
54 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) Einen wesentlichen Anteil an der Verwirklichung der kirchlichen Volksmission maß Hilbert den Geistlichen zu. Dabei dachte er auch an eine geistliche Erneuerung des Pfarrstandes: „Lebendige Gemeinden zu schaffen wird nur gelingen, wenn die Geistlichen im lebendigen Glauben stehen“129. Daher verlangte er während des Studiums eine verstärkte Pflege des christlichen Lebens, wie sie die römisch-katholische Kirche in ihren Priesterseminaren leiste. Konkret dachte er an die Einführung von Bibelbesprechstunden für Theologiestudenten „zur Pflege des inneren Lebens“130. Gleichzeitig forderte er eine stärkere Berücksichtigung des „Charismas“, also besonderer Begabungen, bei der Aufteilung von Aufgaben des kirchlichen Amtes131. Hilbert sah Bibelstunden und religiöse Vorträge als Aufgabe für jeden Pfarrer an, die neben der Predigt zu Kernkompetenzen werden müssten132. Evangelisationen und apologetische Vorträge seien dagegen von einem bestimmten Charisma abhängig. Die für Apologetik bzw. Evangelisation begabten Geistlichen müssten zu einem Engagement in diesen Arbeitsfeldern angeregt und darin gefördert werden133. Hilbert plädierte dafür, dass die Pfarrer sich gegenseitig unterstützen sollten. Dabei dachte er zunächst an nebenamtliche Evangelisationen und apologetische Vorträge134. Gleichzeitig zielte er aber auf eine stärkere Professionalisierung dieses Bereiches wie an seiner Forderung nach der Einstellung hauptamtlicher Apologeten und Evangelisten zu erkennen ist135. Neben der Aktivierung der Geistlichen sah es Hilbert aber auch für notwendig an, „die in der Gemeinde schlummernden Charismata zu wecken und in den Dienst der Gemeinde zu stellen!“136 Dabei dachte er speziell an die Einbeziehung von Nichttheologen, die weit besser als die Geistlichen die einfachen Gemeindeglieder erreichen könnten: „Erfahrungsgemäß macht das Zeugnis von Laien einen viel stärkeren Eindruck auf die Menschen unserer Tage, weil hier von vornherein das Mißtrauen ausgeschaltet ist, mit dem Amtsträger zu kämpfen haben“137. Hilbert sah die „kirchliche Volksmission“ daher als eine ideale Gelegenheit an, um die Nichttheologen in den evangelischen Kirchengemeinden zu aktivieren und „dem Charisma der Laien Raum zu seiner Entfaltung und Betätigung“138 zu geben.
129 130 131 132 133 134 135 136 137 138
Ebd. Ebd. Ebd., 45 f. Ebd., 47. Er dachte auch an Kurse über die Abhaltung von Bibelstunden für bereits im Pfarramt befindliche Geistliche; ebd. Ebd., 48. Ebd. Ebd. Ebd., 49. Ebd. Ebd., 50.
Reformforderungen und Akteure der „Kirchlichen Volksmission“
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Insgesamt kann man diesen Ruf nach einer stärkeren Einbeziehung von Laien als Ergänzung der Forderungen nach Beteiligung der Geistlichen verstehen: Hilbert ging von einer wesentlichen Rolle der Geistlichen bei der Durchführung seines Programmes aus. Da es aber sein Ziel war, die Kerngemeinden zu aktivieren, konnte er auf eine Mitarbeit von Laien nicht verzichten und betrachtete ihre Mitarbeit als segensreich für die Kirche. Neben einer stärkeren Einbeziehung der Lehrer in das kirchliche Leben139 forderte er die Einrichtung eines „clerus minor“140 von Gemeindehelfern, welche die Pfarrer in ihrer Arbeit vor allem in den Großstädten bei der Jugendpflege und diakonischen Aufgaben unterstützen sollte. Der Grund für diese Forderung nach einer Entlastung der Pfarrer war primär die auf die Geistlichen zukommenden weiteren Aufgaben, „wenn die Kirche als solche Volksmission zu treiben beginnt.“141 Hilberts Forderung nach einem clerus minor ist im Kontext seiner Vorstellung von der notwendigen Aktivierung der Laien zu sehen. So forderte er als Voraussetzung für ihre Einstellung die gleiche geistliche Kompetenz, die er durch sein Programm in der Kerngemeinde wecken wollte142. Die bisherigen Forderungen bewegten sich auf der Ebene der einzelnen Kirchengemeinden. Daneben sprach Hilbert aber auch die Kirchenleitungen an: „eine großzügige Volksmission, […], wird nur möglich sein, wenn auch das Kirchenregiment seine Mithilfe nicht versagt, sondern sie nach Kräften fördert, ja in die Hände nimmt.“143 Um sie für die Pfarrer verbindlich zu machen, bedürfe die Volksmission einer Förderung und rechtlichen Verbindlichmachung durch die Konsistorien und Oberkirchenräte144. Zudem sollten die Superintendenten im Rahmen ihrer Visitationstätigkeit die religiösen Verhältnisse in den einzelnen Gemeinden beobachten und ggf. die Abhaltung von Volksmissionswochen veranlassen145. Hilbert hatte die Hoffnung, dass durch eine Förderung der Volksmission durch die Kirchenleitung und die Ephoralebene Vorbehalte gegen die Abhaltung von Volksmissionswochen schwinden würden und appellierte an das Verantwortungsgefühl der Kirchenleitungen für den religiösen Zustand in den Gemeinden. Gleichzeitig warnte er aber auch vor der Gefahr, dass bei einem Versagen der Landeskirchen andere religiöse Gruppen eine verstärkte Evangelisationstätigkeit beginnen und dadurch letztlich den Einfluss der evangelischen Landeskirchen schwächen würden:
139 Ebd. Zu den Konflikten um die geistliche Schulaufsicht und Küsterdienste sowie die Positionierungsversuche ländlicher Volksschullehrer im protestantischen Milieu vgl. besonders Pyta, Dorfgemeinschaft, 155–158. 140 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 50. 141 Ebd. 142 Ebd. 143 Ebd., 50. 144 Ebd., 53. 145 Ebd.
56 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) „Die Volksmission wird kommen in Deutschland, denn sie muß kommen; versagt die Kirche, so werden sie andere beginnen und durchführen – sicher zum Schaden der Kirche, auch wenn sie nicht gegen die Kirche arbeiten.“146
Hilbert betrachtete also die Umsetzung seines Programmes als Voraussetzung für das langfristige Überleben der deutschen evangelischen Kirchen als Volkskirchen. Volksmission entspreche also dem Eigeninteresse der Kirchenleitungen. Neben den Organen der Gesamtkirche nahm Hilbert auch die protestantischen Vereine in die Pflicht: Sein Augenmerk galt vor allem den Vereinen für Innere Mission; die Aufgaben der Inneren Mission sollte er wenige Monate später in einem Vortrag auf der Novemberkonferenz des Central-Ausschusses für Innere Mission genauer ausführen. Hilbert beklagte, „daß die evangelische Kirche die innere Mission nicht […] als eine wirkliche Missionstätigkeit zur Überwindung des Unchristentums in der Heimat in Angriff nahm.“147 Die Innere Mission habe also Wicherns Vorstellung von einer Verbindung von tätiger Nächstenliebe und Wortverkündigung nur unzureichend umgesetzt, indem sie sich auf karitative Tätigkeiten konzentrierte148. Hilbert betonte dennoch die Bedeutung der Inneren Mission für die Umsetzung seines Reformprogrammes: „In ihr [der IM, H. B.] hat uns der Herr der Kirche das Hauptwerkzeug gegeben zur Durchführung des großen Werkes.“149 Für ihn war die durch den Central-Ausschuss deutschlandweit organisierte Innere Mission „der gegebene Mittelpunkt […], in dem alle Bestrebungen zusammengefaßt und von dem aus die Mittel zur Arbeit, die sachlichen Hilfsmittel sowohl wie die Personen dargeboten werden können“150. Die Schaffung einer neuen, speziell für die Volksmission verantwortlichen Organisation erschien Hilbert als „schädlich, weil Kräfte zersplitternd.“151 Hilbert wollte keine neue Organisation zur Förderung der Volksmission gründen, sondern auf die bestehenden Institutionen zurückgreifen und diese für die Umsetzung seines Programmes einspannen. Dabei berief er sich auf die Nähe seiner Forderungen zu Wicherns Forderungen. Er sah in der deutschlandweit koordinierten Inneren Mission offenbar auch eine bessere Möglichkeit, die Volksmission nicht nur in einer einzelnen Landeskirche einzuführen, sondern für den ganzen deutschen Protestantismus verbindlicher zu machen, als es durch die eher unverbindlichen Konferenzen der Kirchenleitungen möglich gewesen wäre. Seine konkreten Forderungen richteten sich aber zunächst an die einzelnen Landes- und Provinzialvereine der Inneren 146 Ebd., 52 f. Hilbert könnte hier sowohl an freikirchliche Evangelisten als auch an die Gemeinschaftsbewegung gedacht haben. 147 Ebd., 23 f. 148 Ebd., 14. Diese Diagnose wurde auch von Vertretern der Inneren Mission wiederholt gestellt; vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 150 f. 149 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 53. 150 Ebd., 54. 151 Ebd.
Reformforderungen und Akteure der „Kirchlichen Volksmission“
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Mission: Sie sollten die Arbeit der Volksmission dokumentieren, Ausbildungskurse veranstalten, Listen begabter Redner führen und hauptamtliche Apologeten und Evangelisten einstellen sowie die seminaristische Ausbildung der von Hilbert geforderten Gemeindehelfer übernehmen152. Auch für die Integration der Volksmission in die einzelnen Landeskirchen sollte also der jeweilige Landesverband für Innere Mission verantwortlich sein. Hilbert versprach sich davon eine verstärkte Integration der Inneren Mission in die Gesamtkirche: „Gerade wenn dies geschieht, würde die Verbindung und das Zusammenarbeiten zwischen Kirche und Innerer Mission ein immer engeres [sic!] werden zum Segen für beide.“153 Ein weiterer Adressat seines Reformprogrammes war der Gnadauer Gemeinschaftsverband: „wenn die Kirche von sich aus die Volksmission in Angriff nimmt, könnte vielleicht auch eine Annäherung erfolgen zwischen Kirche und Gemeinschaft, die von allen ernsten Christen so dringend ersehnt wird.“154 Während er aber bei der Inneren Mission anscheinend eine weitgehende Integration in das kirchliche Handeln erstrebte, sah er eine Eingliederung der Gemeinschaftsbewegung in die Kirche als unmöglich an: „dazu ist sie viel zu selbständig und zu stark geworden!“155 Die Gemeinschaften konnten also nicht als Grundlage für die Kerngemeinden dienen, deren Sammlung Hilbert propagierte. Stattdessen schwebte ihm ein Nebeneinanderarbeiten der Gemeinschaften und der kirchlichen Volksmission mit dem gleichen Ziel der Missionierung des deutschen Volkes vor. Dabei hatte er aber die Hoffnung auf eine Verstärkung der Zusammenarbeit von Landeskirche und Gemeinschaftsbewegung: „ja daß ein Austausch der Kräfte allmählich eintritt und ein Arbeiten Hand in Hand“156. Wenn wir die Vorschläge Hilberts für die institutionelle Umsetzung seines Volksmissionsprogrammes zusammenfassen, können wir sein Programm als eine Forderung nach einer „konzertierten Aktion“157 bezeichnen: Kirchenleitungen, Pfarrerschaft und protestantische Vereine sollten das Ziel der Volksmission gemeinsam in Angriff nehmen, sobald durch den erhofften Siegfrieden die Voraussetzungen dafür geschaffen seien. Durch die teilweise recht umfangreichen Reformforderungen erhielt die Schrift teilweise einen Charakter, der an die „Pia Desideria“ erinnert. Das gilt besonders, weil Hilbert die institutionellen Reformvorschläge immer wieder mit der Forderung nach einer geistlichen Erneuerung verband. Schwerpunkt seiner Reformforderungen war die Einführung von Bibelstunden und regelmäßigen Vorträgen evangelistischer, apologetischer und katechetischer Art in den einzelnen Kirchengemeinden, wofür Hilbert vor allem den Ortsgeistlichen die Verantwortung zumaß. Gleichzeitig forderte er die Aktivierung der Laien in den 152 153 154 155 156 157
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 55. Den Begriff nutzt auch Herrmann, Gerhardt, 281.
58 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) Kerngemeinden und die systematische Einstellung von seminaristisch ausgebildeten Gemeindehelfern, für die er als Aufgabenspektrum allerdings eher unterstützende Tätigkeiten vorsah. Weiterer Adressat von Hilberts Reformforderungen waren die Kirchenleitungen und die Superintendenten: Sie sollten die Tätigkeit der Volksmission fördern und notfalls auch Evangelisationswochen in Gemeinden anordnen können. Die „kirchliche Volksmission“ sollte so zu einer Aufgabe der Gesamtkirche werden. Zudem sollte das gemeinsame Projekt der kirchlichen Volksmission die Integration der protestantischen Vereine in die kirchliche Organisation stärken. Das galt besonders für die Innere Mission, der Hilbert die überregionale Koordination der Volksmission anvertrauen wollte. Hilbert verkündete, er habe keinen Zweifel, dass sein Programm im Rahmen der existierenden Kirche umsetzbar sei: „Wenn alle in Betracht kommenden Stellen ihre Aufgaben erkennen und das Ihre dazu tun, so läßt sich die von mir geforderte Volksmission überall in den evangelischen Kirchen Deutschlands durchführen.“158
2.7 Kritische Würdigung Die Denkschrift „Kirchliche Volksmission“ bildete einen durchdachten Vorschlag zur flächendeckenden Aufnahme von Evangelisation, Apologetik und Maßnahmen des „missionarischen Gemeindeaufbaus“ in die Arbeit der deutschen evangelischen Landeskirchen. Insgesamt war Hilberts Konzept einer „kirchlichen Volksmission“ im Wesentlichen allerdings nicht originell, wie er selbst zugab: „Es ist mir selbstverständlich wohl bewußt, daß diese Zielsetzung nicht neu ist.“159 Apologetische Vorträge und Evangelisationswochen, Bibel- bzw. Gemeinschaftsstunden und religiöse Vorträge wurden am Anfang des 20. Jahrhunderts in vielfältiger Form in den evangelischen Kirchen Deutschlands propagiert und abgehalten. Hilbert forderte nun, die flächendeckende Einrichtung dieser kirchlichen Handlungsfelder zu einem Anliegen der organisierten evangelischen Kirche als Ganzes zu machen. Auch damit stellte er sich in eine Tradition von kirchlichen Reformprogrammen, die er implizit, wie Speners „Pia Desideria“ oder explizit, wie Wicherns Rede auf dem Kirchentag 1848, rezipierte160. Einen deutlichen Einfluss auf das Programm hatte auch die Praxis der Gemeinschaftsbewegung161. Obwohl Hilbert also im Wesentlichen auf bestehende Konzepte und Praktiken rekurrierte, diente ihm „Volksmission“ als Chiffre für eine generelle 158 159 160 161
Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 45. Ebd., 55. Vgl. etwa ebd., 23 f. Dies wird an inhaltlichen Parallelen zu dem von 1882 stammenden Aufsatz von Theodor Christlieb zur methodistischen Frage deutlich; vgl. Christlieb, Frage.
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Kirchenreform: Der volksmissionarische Auftrag sollte alle Ebenen der ekklesialen Organisation und alle Dimensionen kirchlichen Handelns durchdringen. Durch das Zusammenwirken von Kirchenleitung, Pfarrerschaft, Laien, kirchlichen Verbänden und Gemeinschaftsbewegung sollte die gesamte kirchliche Struktur verändert werden. Hilberts Leitbild dabei war die ecclesiola in ecclesia, die er mit dem Rekurs auf Luthers „Deutsche Messe“ als genuin reformatorisches Anliegen darstellte: Evangelisation, Apologetik und die Organisation von Gemeinschaftsstunden innerhalb der Kirchengemeinde sollten der Bildung einer innerhalb der Volkskirche bestehenden Kerngemeinde dienen, die auf die Gesamtgemeinde missionarisch einwirken sollte. Insgesamt liefen seine Vorschläge doch auf eine Stufung der Mitgliedschaft in der Volkskirche zwischen den Angehörigen der „großen Gemeinde“ und den „entschiedenen“ Mitgliedern der Kerngemeinde hinaus. Die Propria des Pietismus und der Gemeinschaftsbewegung – Evangelisation und Gemeinschaftsstunde – sollten, angereichert um eine auf die Proletarier und antichristliche Strömungen des Bürgertums zielende Apologetik, unter der Leitung des Ortspfarrers ihren Ort innerhalb der Kirchengemeinde finden. Auch hier ist eine deutliche Parallele zu Speners „Pia desideria“ zu erkennen. Während Hilbert den Bezug zu Spener nicht explizit machte, bezog er sich intensiv auf Luthers Ideen zur dritten Weise des Gottesdienstes. Das wurde v. a. in seiner 1920 erschienenen Schrift „Ecclesiola in ecclesia: Luthers Anschauungen von Volkskirche und Freiwilligkeitskirche in ihrer Bedeutung für die Gegenwart“ deutlich, wo er Luthers Aussagen zur dritten Weise des Gottesdienstes in der „Deutschen Messe“ als theologische Grundlage für das von ihm favorisierte Neben- und Ineinander einer auf eigener Entscheidung basierenden Mitgliedschaft in der Kerngemeinde und einer durch die Taufe vermittelte allgemeine Zugehörigkeit zur Volkskirche heranzog162. Hilbert konnte also für seine Konzeption durchaus eine theologische Tradition heranziehen. Fraglich ist aber, ob sein Programm überhaupt das Potenzial hatte, in vollem Umfang realisiert zu werden: Immerhin bestand zu Beginn des 20. Jahrhunderts innerhalb der deutschen evangelischen Kirchen ein Pluralismus an Lehrmeinungen, der sich in kontroversen theologischen Diskussionen manifestierte163. Es ist fraglich, ob eine grundsätzliche Kirchenreform im Sinne einer pietistischen Kerngemeindebildung dabei realistische Chancen auf eine kirchenamtliche Rezeption hatte. An Hilberts eindeutigen Stellungnahmen gegen die Theologie Schleiermachers und gegen die von Sulze inspirierte Gemeindebewegung zeigt sich, dass er Volksmission auch nicht als ein konsensfähiges Projekt aller theologischen Richtungen des deutschen Protestantismus proklamierte, sondern sich deutlich aufseiten einer positiven Theologie positionierte. Eine wichtige Prämisse von Hilberts Programm der „kirchlichen Volks162 Vgl. Hilbert, Ecclesiola. 163 Dies zeigte sich z. B. im Apostolikumsstreit 1892–1893; vgl. Kasparick, Lehrgesetz, 41–97.
60 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) mission“ war die immer wieder von ihm betonte Parallele der Zustände in der Heimat und auf dem Missionsfeld: Auch die Heimatkirche müsse sich durch Übernahme missionarischer Arbeitsformen zur Missionskirche umstellen, indem einerseits Evangelisationspredigt und apologetische Vorträge die Funktion der Missionspredigt übernahmen, während andererseits die Kerngemeinden missionarisch ebenso auf die Kirchenfernen einwirken sollten, wie die neu gegründeten christlichen Gemeinden auf die umliegenden Heiden. Dieser missionarische Impetus durchzog die gesamte Schrift „Kirchliche Volksmission“ wie auch das weitere Oeuvre Hilberts164. Theologische Grundlage dieser Proklamierung Deutschlands zum Missionsfeld war seine Forderung, dass Christsein nicht allein aufgrund der geschehenen Taufe zu konstatieren sei, sondern nicht „ohne die lebendige Gemeinschaft mit dem lebendigen Christus“165 bestehen könne. Der theologische Ansatz, mit dem sich Hilbert einerseits gegen Theorien eines unbewussten Christentums und andererseits gegen eine hohe Sakramentstheologie abgrenzte, machte die Notwendigkeit spezieller missionarischer Verkündigungsformen und die Forderung nach der Integration freiwilligkeitskirchlicher Elemente (Kerngemeinde als Sammlung der Entschiedenen) plausibel. Allerdings sind andere seiner Thesen nicht mit den zugrundeliegenden Prämissen kompatibel. Auffällig ist etwa, dass er zwar vehement gegen die Theorie eines unbewussten Christentums polemisierte, allerdings gleichzeitig für die Beibehaltung der allgemeinen Kindertaufe mit der Postulierung einer christlichen Prägung der Volksseele optierte: „Denn auch das innere Leben des einzelnen ist abhängig von der Gesamtheit, aus der es erwächst und in der es steht. Noch ist der Geist Jesu Christi eine Macht in der Seele unseres Volkes“166. Diese Spannung lässt sich am besten aus der Spannung erklären, die sich zwischen Hilberts Befürwortung der allgemeinen Volkskirche und seiner Forderung nach einer persönlichen Entscheidung für Christus ergibt – eine Spannung, die in den verschiedenen Konzepten von Volksmission und Evangelisation immer wieder deutlich wird. Gleichzeitig ist aber Hilberts Beschwörung der angeblich vom Christentum beeinflussten Volksseele ein Beleg dafür, dass die Zielvorstellung seiner Volksmission unklar blieb. Evangelisation und Apologetik sollten sich primär an den Einzelnen richten und ihn zum Glauben führen, daraus sollten die Kerngemeinden entstehen, die wiederum zu „lebendigen Gemeinden“ werden sollten. Hilbert warnte immer wieder vor einer allzu optimistischen Einschätzung der Erfolgsmöglichkeiten 164 In „Volksmission und Innere Mission“ verschärfte Hilbert diese Gleichsetzung noch, indem er betonte, dass die Analogie zwischen Heimatkirche und Missionsfeld auch schon im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit gegolten habe: „immer haben [in Deutschland, H. B.] eigentlich dieselben Zustände geherrscht, wie wir sie auf dem Missionsfeld antreffen – nur, dass man dafür blind war“ (Hilbert, Volksmission, 4). 165 Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 28 f. 166 Ebd., 12.
Kritische Würdigung
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von Evangelisation, wie beispielsweise in seiner Einschätzung der Wirkungen des Ersten Weltkrieges auf die Frömmigkeit deutlich wurde. Gleichzeitig lassen sich aber in seinen Forderungen immer wieder Hoffnungen auf eine größere Wirkung der Volksmission finden, die auf eine Rolle der Kirche als Erzieherin des Volkes hinausliefen167. Noch einmal sei Hilberts einleitende These zur religiös-weltanschaulichen Situation des deutschen Volkes zitiert: „entgegengesetzte Mächte ringen um die Seele unseres Volkes. Die innere Lebenseinheit ging ihm verloren.“168 Trotz seiner Konzentration auf den Einzelnen und die Kerngemeinde hatte Hilbert Hoffnungen auf eine durch Volksmission erreichte allgemeine Erneuerung des deutschen Volkes. Auffällig ist, dass sich diese Hoffnung immer wieder mit der Semantik einer organischen Sprache verband: Nicht nur die Einzelseele, sondern auch die Volksseele sollte erneuert werden. Zwar finden sich diese Zielbestimmungen nicht voll ausgeführt, sie zeigen aber, dass die Semantik des organisch gedachten Volkes und der Volksseele von Anfang an eine wichtige Komponente der Idee einer Volksmission bildeten. Trotzdem besteht zwischen der organischen Semantik und der doch vorrangig auf das Individuum gerichteten Botschaft eine unübersehbare Spannung. Bezüglich des Einflusses der Zeitdiagnose auf Hilberts Konzept ist ein gemischter Befund festzustellen. Einerseits zeigen sowohl die Einleitung von 1916 als auch die Einleitung von 1919 eine Krisenwahrnehmung für die Zukunft von Volk und Kirche, die Hilbert als Impetus für die Forderung nach Volksmission sah. Dabei beeinflussten sich politische und religiöse Wahrnehmung gegenseitig. Insgesamt entspricht seine Zeitdeutung zu großen Teilen der Entwicklung des konservativen Diskurses in der Endphase des Ersten Weltkrieges und in der Frühphase der Weimarer Republik. Allerdings zeigte sich bereits im Vorwort von 1916, dass blinde Kriegsbegeisterung einer nüchterneren Einschätzung gewichen war, da Hilbert bereits hier auch negative Folgen des Krieges auf Sittlichkeit und religiöses Leben prognostizierte. Die zeitliche Diagnose erhält ihre Dringlichkeit durch den Ersten Weltkrieg bzw. in der Einleitung von 1919 zusätzlich durch die Revolution und die anstehende Trennung von Kirche und Staat. Hilbert sah diese Ereignisse allerdings eher als Symptome denn als Ursache der von ihm diagnostizierten Krise der Kirche. Fast noch stärker flossen in seine Deutung die Erfahrungen des 19. Jahrhunderts mit seinen Entkirchlichungstendenzen und die Kirchenaustrittsbewegung in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts mit ein. Alle diese Entwicklungen seien lediglich Symptome dafür, dass Deutschland Missionsland geworden sei. Hilberts Krisendiagnose scheint also auf den ersten Blick dem klassischen Säkularisierungsparadigma zu entsprechen, nach dem durch zunehmende Entkirchlichung die Heimatkirche wieder zur Missionskirche werde. In späteren Beiträgen Hilberts, besonders in seinem Vortrag vor der Novem167 Ebd., 35. 168 Ebd., 13.
62 Der Ruf nach Volksmission: Gerhard Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916) berkonferenz des Centralausschusses für Innere Mission, wird allerdings deutlich, dass er auch für die Vormoderne nicht einfach vom Idealzustand eines im Ganzen christlichen Volkes ausging169. Die Moderne brachte also eher die von jeher bestehenden Verhältnisse ans Licht, als dass sie wirklich neue Verhältnisse schuf. Prinzipiell war Hilbert daher in der Einschätzung der Möglichkeiten von Volksmission pessimistischer als beispielsweise Wichern, der 1848 als Folge seines Aufrufes zur Inneren Mission die Vorstellung hatte, durch seinen Aufruf zur Inneren Mission „die Rettung des evangelischen Volkes aus seiner geistigen und leiblichen Noth“170 erreichen zu können. Den wesentlichen Unterschied zur Vormoderne sah Hilbert dagegen darin, dass die Einheit der christlichen Weltanschauung nunmehr unwiederbringlich verloren sei. Zudem beklagte er die Auflösung des christlich geprägten „ganzen Hauses“ als gemeinschaftsstiftendes Element innerhalb der Gesellschaft, das durch die organisierte Kerngemeinde ersetzt werden müsse171. Ähnlich wie in seiner Forderung nach der Wiederherstellung christlicher Sitte klangen hier Leitbilder der Frühen Neuzeit an, allerdings eher in einer aus dem 19. Jahrhundert stammenden Idealisierung denn als tatsächlicher Rückgriff auf die Lebens- und Wirtschaftsgemeinschaft der Vormoderne. Diese Idealisierung und Sakralisierung der vormodernen Familie ist ebenfalls im protestantischen Diskurs des 19. und frühen 20. Jahrhunderts immer wieder zu finden172. Wenn aber die vormoderne Familie als Leitbild für die Kerngemeinde gelten sollte, wurde deren Verfasstheit undeutlich: Einerseits betonte Hilbert die Notwendigkeit einer Gemeinschaftsbildung innerhalb der Gemeinde, um die Gläubigen mündig und selbstständig zu machen, andererseits sollte die Bibelstunde doch unter der wohlwollend-patriarchalischen Leitung des Pfarrers stehen, der als Hausvater seine Gäste mit Handschlag begrüßte. Hieran zeigte sich, dass Hilbert zwar den Anspruch hatte, mit seinem Programm der Volksmission auf die Herausforderung der Moderne zu reagieren, in seinen Leitbildern aber noch wesentlich durch vormoderne Zustände geprägt war: Gemeinschaftsbildung stellte er sich primär in den Bahnen traditionaler Strukturen vor. Trotz dieser problematischen Punkte hatte das Programm innovative Potenziale: Hilbert wollte Apologetik und besonders Evangelisation, die bisher ein Randgebiet kirchlichen Lebens waren, in die allgemeine Arbeit der Kirche integrieren, bis hin zur kirchenamtlichen Reglementierung; durch die Förderung des Gemeindeaufbaus sollte sich die Kirche insgesamt ändern: Die
169 Siehe unten 182–187. 170 Wichern, Denkschrift, 263. 171 Auch hier löste Hilbert den Widerspruch, der zwischen seiner Leugnung einer allgemeinen Christianisierung des deutschen Volkes und dem angeblichen Verlust einer christlichen Lebenseinheit durch Modernisierungsprozesse liegt, nicht überzeugend auf. 172 So etwa bei Wichern: „Es gilt die Restituierung der Familie auf ihrem göttlichen Lebensgrund“ (Wichern, Denkschrift, 53).
Kritische Würdigung
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deutsche Volkskirche sollte sich bewusst als Missionskirche verstehen173. Mit dieser Wendung zur Missionskirche hängt eine grundlegende Änderung des kirchlichen Selbstverständnisses zusammen: Hilbert verabschiedete sich von einer Deutung der deutschen Gesellschaft als einheitliches Corpus Christianum, indem er auch innerhalb der deutschen Gesellschaft die gleichen Zustände wie auf dem Missionsfeld postulierte174. In der im 20. Jahrhundert durch eine Verstärkung religiöser Individualisierung und Traditionsabbrüche geprägten deutschen Gesellschaft ist diese Einsicht wohl unmittelbar einsichtig geworden. Historisch war der wesentliche Beitrag Hilberts, dass er den Begriff der „Volksmission“ in den deutschen Protestantismus einbrachte und allgemein verwendungsfähig machte: Anders als der Begriff „Evangelisation“, der bereits durch die Gemeinschaftsbewegung besetzt war, hatte der Begriff Volksmission noch keine besondere Prägung und war daher anschlussfähig. Bereits im Kirchlichen Jahrbuch von 1917 wurde dies hervorgehoben: „Volksmission hat Prof. D Hilbert das Geforderte genannt, weil der Begriff ,Evangelisation’ schon etwas verbraucht oder zu eng ist.“175 Anders als der mit der Gemeinschaftsbewegung verbundene Evangelisationsbegriff war der Begriff „Volksmission“ offen genug, auch weitere Kreise anzusprechen; zumal Hilbert beanspruchte, nicht nur eine neue Gemeinschaftsbewegung zu gründen, sondern Gemeinschaftsbildung im Zentrum der Gemeinden zu betreiben. Allerdings zeigen sich an der Analyse von Hilberts Programm auch Unschärfen, die offenbar im Begriff der „Volksmission“ selbst liegen und für die oben benannten Probleme des Ansatzes wesentlich verantwortlich sind: Mit dem Begriff „Volk“ war einerseits die Problematik der Volkskirche verbunden, deren Bejahung in einem Spannungsverhältnis zum betont missionarischen Ansatz stand – um den Preis, dass Hilbert faktisch eine gestufte Mitgliedschaft in der Kirche vorsah176. Andererseits war mit dem Volksbegriff untrennbar das „organische Denken“ verknüpft, das sich in Hilberts Schrift wiederholt in der Beschwörung der „Volksseele“ und dem Gebrauch von organischer Semantik äußerte. Auch wenn in Hilberts Konzept die missionarische Dimension überwog, war diese Dimension bei ihm präsent und verband sich, wie die zeitdiagnostische Einleitung von 1916 zeigte, mit einer rechtskonservativen und antidemokratischen Weltsicht. Es bleibt zu sehen, wie weitere Entwürfe von Volksmission das Gewicht zwischen Volk und Mission verteilten.
173 „Daher hängt die Zukunft der Kirche davon ab, daß sie sich als Missionskirche begreift und zusammenfaßt“ (Hilbert, Volksmission, 23). 174 Vgl. seine erste These auf der Novemberkonferenz 1916: „Die religiös-sittlichen Zustände der deutschen Landeskirchen gleichen in der Gegenwart denen auf den Missionsfeldern und werden ihnen auch in Zukunft gleichen, wie sie ihnen von Anfang an immer geglichen haben“ (ebd.). 175 Bunke, Innerkirchliche Evangelisation (1917), 299. 176 Auch wenn die Teilnahme an der Bibelstunde für jeden Willigen offen sein sollte.
3. Anleitungen zur praktischen Arbeit: Gerhard Füllkrug, Handbuch der Volksmission (1919) 3.1 Gerhard Füllkrug – der Herausgeber des Handbuchs und Organisator der Volksmission im Central-Ausschuss Wenn man Hilbert als den Inspirator der Volksmission in Deutschland bezeichnen kann, so war Gerhard Füllkrug deren Organisator. Er war von 1916 bis 1932 der für Volksmission verantwortliche Direktor im Central-Ausschuss und gab in dieser Funktion 1919 das hier zu analysierende „Handbuch der Volksmission“ heraus1. Obwohl eine wissenschaftliche Biografie Füllkrugs ein Desiderat bleibt, kann sein Lebenslauf anhand eines von ihm gegen Ende des Zweiten Weltkrieges verfassten autobiografischen Typoskripts gut nachvollzogen werden2. Gerhard Füllkrug wurde 1870 in Krotoschin (Krotoszyn) in der damaligen preußischen Provinz Posen geboren und wuchs in dieser von Auseinandersetzungen zwischen Deutschen und Polen geprägten Provinz auf3. Er studierte in Tübingen, Berlin, Erlangen und Halle Theologie und erhielt 1899 in Jena mit einer alttestamentlichen Arbeit den Lizentiatengrad4. Nach eigenen Angaben prägten ihn vor allem die neulutherische, das fromme Subjekt betonende Theologie Reinhold Franks in Erlangen und die biblizistische Frömmigkeitstheologie Martin Kählers in Halle5. Während seines Studiums wurde er Mitglied in den Vereinen Deutscher Studenten (VDSt) in Berlin und Halle. Diese verkörperten einen in den 1880er-Jahren neu entstandenen Typ von Studentenverbindungen, welcher die Hinwendung der Studentengenerationen des späten 19. Jahrhunderts zu einem national geprägten Antiliberalismus forcierte und ferner die Entwicklung eines völkisch geprägten Antisemitismus in Universität und Gesellschaft des Kaiserreiches förderte6. Mit dem späteren evangelischen Theologen und christlich-sozialen Politiker Reinhard Mumm, einem Bundesbruder und lebenslangen Freund, vertrat er innerhalb der VDSt die Notwendigkeit eines 1 Mir zugänglich in der Ausgabe von 1919: F llkrug, Handbuch. 2 F llkrug, Enge (Fundort: ADE Berlin, Ms S 258). Das Original dieses Typoskriptes befindet sich im Archiv der Neinstedter Anstalten, wo Füllkrug von 1943 bis 1948 seinen Lebensabend verbrachte. 3 Vgl. Balzer, Polenpolitik. 4 Vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 3, 1; Kapitel 4, 5. 5 Vgl. ebd., Kapitel 3, 4 f. 6 Vgl. resümierend Jarausch, Studenten, 82–93. Zur Frühgeschichte der VDSt und ihrer Wirkungsgeschichte Kampe, Studenten.
Füllkrug – Herausgeber des Handbuchs und Organisator der Volksmission 65
christlich fundierten Nationalbewusstseins und orientierte sich an der Tradition Stoeckers7. Die Verbindung von Christentum, Nationalismus und Treue zum Hohenzollernhaus, in der er durch Herkunft und Studium sozialisiert worden war, prägten ihn ein Leben lang8. Nach mehreren Hilfspredigerstellen wurde Füllkrug 1900 zum Pfarrer in der Posenschen Gemeinde Bentschen (Zbaszyn) gewählt, wo er in den folgenden Jahren durch den Aufbau des protestantischen Vereinswesens und regelmäßige Evangelisationen in Kooperation mit den örtlichen landeskirchlichen Gemeinschaften eine blühende Gemeindearbeit schuf9. Durch sein Engagement war Füllkrug neben seinem Gemeindepfarramt auf vielen Tagungen und Konferenzen präsent. Aus seiner Autobiografie entsteht das Bild eines vereinsprotestantischen Multifunktionärs, der im Rahmen der Inneren Mission, des Gustav-Adolf-Vereins und anderer protestantischer Vereine reichsweite Verbindungen pflegte. Obwohl Füllkrug nach eigenen Angaben ein mehrfaches Angebot ablehnte, als Vereinsgeistlicher in die Jungmädchenarbeit einzutreten10, lässt sich aus seinem Engagement und der gleichzeitig beginnenden schriftstellerischen Tätigkeit11 auf eine Aufstiegsorientierung Füllkrugs schließen, die sich nicht auf eine Superintendentur im Posener Land beschränkte12. Nach einer lediglich einige Monate dauernden Episode an der Martinikirche in Kassel wurde Füllkrug im Sommer 1916 als hauptamtlicher Sekretär des CA nach Berlin-Dahlem berufen13. Zunächst war er der einzige hauptamtliche Mitarbeiter des Gremiums. Seit 1918 fungierte er dann als geschäftsführender Direktor und war für die Koordination der verschiedenen Abteilungen verantwortlich. In dieser Funktion gab es allerdings in den 1920er-Jahren mehrfach schwere Auseinandersetzungen mit den anderen Vereinsgeistlichen der Inneren Mission14. Jochen-Christoph Kaiser attestierte ihm daher ein Defizit an „Überzeugungskraft und Durchsetzungsvermögen – also Führungsqualitäten“15. Dennoch war der Aufbau einer „Abteilung für Volksmis-
7 Vgl. auch Friedrich, Fahne, 32–42. 8 So beschrieb er Anfang der 1920er-Jahre in einer Predigt das exilierte Kaiserpaar als Beispiel für das christliche Erdulden von Unrecht in gegenseitiger ehelicher Treue; vgl. F llkrug, Familien, 92 f. 9 Vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 5, 1–12. 10 Vgl. ebd., Kapitel 18, 7. 11 Füllkrug veröffentlichte die meisten seiner Schriften im Verlag des ihm persönlich bekannten Friedrich Bahn in Mecklenburg; vgl. ebd., Kapitel 14, 1. 12 1912 ließ sich Füllkrug von Reinhold Seeberg, der ihm bereits aus seiner Erlanger Studienzeit bekannt war, eine Aufgabe zur Moralstatistik des Selbstmordes stellen; es wird aber nicht ersichtlich, ob hiermit akademische Zielsetzungen verknüpft waren; vgl. ebd., Kapitel 14, 2. Die Schrift erschien letztlich erst 1919: F llkrug, Selbstmord. 13 Vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 6, 3 f. 14 Siehe unten 236–256. 15 Kaiser, Sozialer Protestantismus, 89.
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Anleitungen zur praktischen Arbeit: Handbuch der Volksmission (1919)
sion“ im CA und die Koordination der deutschen Volksmissionsorganisationen im Wesentlichen durch das Wirken Gerhard Füllkrugs geprägt16. Im Frühjahr 1932 wurde Füllkrug im Gefolge des Zusammenbruchs der vom CA aufgebauten Devaheim-Bausparkasse, an dem er persönlich nicht beteiligt war, pensioniert und widmete sich anschließend dem Aufbau der von ihm gegründeten und geleiteten „Vereinigung für Volksmission“17. Nachdem er mit seiner neuen Gesellschaft zunächst innerhalb der volksmissionarischen Organisationen marginalisiert worden war, gelang ihm ab 1934 als Geschäftsführer der neu gegründeten, zur Bekennenden Kirche neigenden Arbeitsgemeinschaft deutscher Volksmissionare (AdV) ein Comeback innerhalb der Volksmissionsbewegung18. Er starb im Jahre 1948 in Neinstedt, da seine Villa in Dahlem 1943 einem Bombentreffer zum Opfer gefallen war19.
3.2 Hintergrund und Entstehung Das „Handbuch für Volksmission“ erschien im Frühjahr 1919 im Schweriner Verlag Friedrich Bahn, der vor allem theologisch-konservative und erbauliche Literatur herausgab20. In den Jahren 1914 bis 1918 war besonders der Anteil an Kriegspredigten beträchtlich. So charakterisierte der „Bayerische Hausfreund“ in seiner Rezension des „Handbuchs für Volksmission“ Bahn als „rührige[n] Verlag, der schon während des Krieges zur Aufmunterung des Volkes viele Kriegsschriften herausgegeben hat“21. In den Jahren 1920 und 1921 wurde das „Handbuch für Volksmission“ durch sechs in Broschürenform gedruckte „Hefte zum Handbuch für Volksmission“ ergänzt22. Ziel dieser Reihe war es, die im „Handbuch für Volksmission“ nicht genügend ausgeführten Themen ausführlicher zu behandeln23. Als zweiter Band des Handbuches für Volksmission wurden, ebenfalls bei Bahn, unter dem Titel „Brennende Fragen der Evangelisation und des christlichen Volkslebens“ die
16 Vgl. unten 188–219. 17 Zu den Folgen des Devaheim-Skandals vgl. unten 273–281. Zur Vereinigung für Volksmission vgl. auch unten 276–278. 18 Vgl. zu Füllkrugs Verhalten in der NS-Zeit auch unten 291–295, 296–298. 19 Vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 15, 10; Bautz, Art. Füllkrug. 20 Dazu kam allerdings auch in einem recht beträchtlichen Ausmaß vaterländische Literatur, etwa Blau, Hindenburg. 21 Vgl. Zeitungsausschnitt Aus dem Verlag von Friedrich Bahn in Schwerin in Mecklenburg, Bayer. Hausfreund II/VII 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). Zum Verlagsprogramm Bahns während des Ersten Weltkrieges vgl. z. B. Anon., Kriegspredigten. 22 Das erste dieser Hefte: F llkrug, Bedeutung. 23 Etwa die Frage zur Volksmission in ländlichen Gebieten; vgl. F llkrug, Volksmission auf dem Lande.
Hintergrund und Entstehung
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Vorträge einer Konferenz von Vertretern der Volksmission und der Gemeinschaftsbewegung im April 1921 in Spandau herausgegeben24. In seinen Memoiren stellte Füllkrug die Entstehung des Handbuchs für Volksmission als ein Produkt der Anfänge der Weimarer Republik dar. Es sei im Winter 1918/19 entstanden, „als das Reisen noch recht schwierig war, und wir Zeit zur ruhigen Arbeit in der Studierstube hatten“25. Die Planungen für das Handbuch reichten allerdings schon in die Endphase des Ersten Weltkrieges hinein. So waren mehrere Artikel schriftliche Fassungen von Vorträgen, die auf – vom Central-Ausschuss für Innere Mission initiierten – Kursen für Volksmission gehalten worden waren. Besonders ein Ende Oktober von den Generalsuperintendenten des Rheinlandes und Westfalens veranstalteter Lehrgang in Essen enthielt mehrere Vorträge, die später im „Handbuch für Volksmission“ erschienen26. Autoren, deren Beiträge schließlich im Handbuch für Volksmission aufgenommen wurden, waren auch als Redner für eine die Novemberkonferenz des Central-Ausschusses 1918 begleitende Fachtagung für Apologetik eingeplant27. Diese Konferenz musste dann wegen der Ereignisse im November 1918 ausfallen. Füllkrug konnte im Oktober 1918 den Mitgliedern des Central-Ausschusses mitteilen, dass neben bereits vergriffenen „Richtlinien zur Abhaltung von Volksmissionen“ und einem gerade erschienenen Verzeichnis von für den Verkauf bei Volksmissionswochen geeigneten Schriften auch ein „Handbuch für Volksmission“ in Planung sei28. Mit dem Verlag „Bahn“ in Schwerin und dessen ihm persönlich bekannten Inhaber Friedrich Bahn hatte er bereits seit längerem engere Beziehungen; Füllkrug hatte dort die meisten seiner Schriften veröffentlicht29. So zeigten einzelne Kapitel noch deutlich ihren Entstehungszusammenhang in der Endphase des Ersten Weltkrieges30. Daher konnte
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F llkrug, Fragen. F llkrug, Enge, Kapitel 10, 9. Vgl. IMED 14 (1919), 30. Emil Pfennigsdorf (Bonn), „Die Technik und Organisation der apologetischen Methode“; Walter Michaelis, „Der Evangelist und das Pfarramt“; Samuel Keller, „Der Evangelist und die Ortsgemeinde“; Paul Blau, „Die gegenwärtigen brennenden Fragen, die zur apologetischen Behandlung nötigen“ (vgl. Protokoll Sitzung CA vom 9. 7. 1918 [ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1918, 17]). 28 Protokoll Sitzung CA vom 8. 10. 1918 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1918, 20 f.). 29 Z. B. F llkrug, Seelenkunde; F llkrug, Fahnen. Auch Hilbert veröffentlichte Kriegspredigten bei Bahn; vgl. etwa Hilbert, Krieg. 30 Besonders deutlich wird das an dem Aufsatz „Kriegsaufgaben der Apologetik“ des Posener Generalsuperintendenten Paul Blau; vgl. Blau, Kriegsaufgaben. Blau geht zwar in einem kurzen Paragrafen auf den „Ausgang des Krieges“ ein, das ganze Kapitel macht aber den Eindruck, im Wesentlichen vor der Novemberrevolution konzipiert worden zu sein, wie schon am Titel deutlich wird. Auch das von dem Bonner praktischen Theologen Emil Pfennigsdorf erstellte Literaturverzeichnis zur Apologetik enthielt noch einen eigenen Abschnitt zum Thema „Krieg und Christentum“, in dem u. a. einschlägige Broschüren von Hilbert und Füllkrug aufgeführt wurden; vgl. Pfennigsdorf, Verzeichnis, 198.
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Anleitungen zur praktischen Arbeit: Handbuch der Volksmission (1919)
Füllkrug die ersten Kapitel bereits Anfang Dezember 1918, knapp einen Monat nach Kriegsende, an seinen Verleger senden31. Obwohl die Konzeption des „Handbuches“ in die Zeit vor der Novemberrevolution fällt, hatte das Kriegsende auf die ganze Gestalt des Handbuches wesentliche Auswirkungen. Besonders deutlich wird dies an den Bemühungen Füllkrugs, das Handbuch um einen Beitrag zur „öffentlichen Mission“ zu ergänzen, bei dem er Schwierigkeiten hatte, einen Autor zu finden und den er letztlich selbst verfasste32. Insgesamt ist das „Handbuch der Volksmission“ als Produkt des Überganges von der letzten Kriegsphase zu den Anfängen der Weimarer Republik zu sehen. Die Planungen geschahen noch zu einer Zeit, als sich die deutsche Niederlage anbahnte33. Die endgültige Abfassung und die Herausgabe des Handbuchs geschah in den ersten Monaten nach der Novemberrevolution. Die Unsicherheit dieses Zeitabschnittes wirkte sich vor allem darin aus, dass der Verlust des Krieges als Deutungsrahmen für die Arbeit der Volksmission fungierte und durch die Einbeziehung der „öffentlichen Mission“ auch die Interessenvertretung der Kirche und die Bekämpfung von Gegnern einen stärkeren Impetus erhielt. Dieser Deutungsrahmen muss bei der Analyse des Inhaltes besonders berücksichtigt werden.
3.3 Inhalte und Autoren Im Verhältnis zu den Schriften Hilberts, die ein Programm initiieren wollten, war das „Handbuch der Volksmission“ eher als ein Wegweiser für praktisches Handeln bestimmt: „[Es] soll den Pastoren ein wirkliches Hand- und Hilfsbuch sein in der Arbeit für die Volksmission.“34 Im Vorwort proklamierte Füllkrug: „Die Arbeit der Volksmission ist seit den Hilbert’schen Vorträgen beständig gewachsen. Die Gedanken sind zur Tat geworden.“35 Die ersten Kapitel versuchten aber, einen Gesamtüberblick über das Phänomen „Volksmission“ zu vermitteln. Füllkrug leitete das Handbuch mit einem historischen Überblick ein36. In diesem Überblick konzentrierte er sich weitgehend auf die in Wicherns Programm der Inneren Mission bestehenden Konvergenzen zur Idee der Volksmission und der Auseinandersetzung in den 31 Schreiben von Füllkrug an Friedrich Bahn, 3. 12. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 2, 268). 32 F llkrug, Mission; vgl. zur Entstehung des Kapitels mehrere Schriftwechsel Füllkrugs in: ADE Berlin, CA / EvA 2, 267–274. 33 „Durften wir bis vor wenigen Wochen noch immer hoffen auf ein erträgliches […] Ende, jetzt stehen wir vor einem völligen Zusammenbruch, in dem unser Glaube am empfindlichsten mithineingezogen zu werden glaubt“ (Blau, Kriegsaufgaben, 174 f.). 34 IMED 14 (1919), 31. 35 F llkrug, Vorwort, III. 36 F llkrug, Gedanke.
Inhalte und Autoren
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verfassten Kirchen und der Inneren Mission um die Aufnahme der Evangelisation, die dann in Hilberts Aufruf von 1916 kulminierte, den Füllkrug folgendermaßen charakterisierte: „Hilberts Broschüre war ein Posaunenstoß in das evangelische Volk hinein.“37 Dagegen behandelte Füllkrug die Gemeinschaftsbewegung nur kursorisch38. Auf diese historische Rückkopplung folgte ein ebenfalls von Füllkrug verfasstes Kapitel „Die Aufgabe der Volksmission in der Gegenwart“39. In diesem Kapitel fasste der Autor die Aufgaben der Volksmission im gegenwärtigen Kontext zusammen. Dabei spielte der historische Hintergrund des Kriegsendes eine herausragende Rolle, wie auch in der historischen Darstellung. Für die Analyse der Deutung von Volksmission und ihrer zeitgeschichtlichen Verortung sind diese beiden Kapitel und das ihnen vorausgehende Vorwort40 wichtiger als die detaillierten praktischen Vorschläge in den darauffolgenden Kapiteln. An diese beiden grundsätzlichen theoretischen Artikel schlossen sich zwei Kapitel zu den Vorbildern der Volksmission an: Ernst Bunke, der Vorsteher des Johannesstiftes in Spandau, schrieb ein Kapitel über das Verhältnis von Kirche und Gemeinschaft in der Volksmission41. Er war für diese Aufgabe durch den Umstand qualifiziert, dass er sich bereits Ende des 19. Jahrhunderts unter explizitem Verweis auf das Vorbild der Gemeinschaftsbewegung publizistisch um die Aufnahme der Evangelisation in das Aufgabenfeld der Inneren Mission bemüht hatte42. Außerdem bearbeitete er im Kirchlichen Jahrbuch, das vom Bertelsmann Verlag herausgegeben wurde und zur wichtigsten Quelle für die kirchliche Statistik geworden war, die Rubrik „Innerkirchliche Evangelisation“, in der er primär die Entwicklung in der Gemeinschaftsbewegung, später auch die volksmissionarischen Bestrebungen im Rahmen von Kirche und Innerer Mission beobachtete43. Der Berliner Pfarrer Gustav Diettrich, der einmal an katholischen Exerzitien teilgenommen hatte, beschrieb die Bedeutung der durch das kanonische Recht institutionell geordneten katholischen Volksmission als Vorbild für die evangelische Kirche44. In diesen beiden Artikeln wurde das Verhältnis der Volksmission zur Gemeinschaftsbewegung bzw. die Möglichkeit erörtert, inwiefern man von der katholischen Volksmission für die eigene Kirche lernen könne. Der praktische Teil des Handbuches wurde durch ein ebenfalls von Füllkrug verfasstes Kapitel über „Die Volksmission in der Gemeinde“ eingeleitet45. Durch dieses eher allgemeine Vorschläge enthaltende Kapitel sollte die all37 38 39 40 41 42 43 44 45
Ebd., 14. Ebd., 8. F llkrug, Aufgabe. F llkrug, Vorwort. Bunke, Kirche. Vgl. Bunke, Kirchliche Evangelisation. Vgl. etwa Bunke, Innerkirchliche Evangelisation (1917), 279–309. Diettrich, Volksmission. F llkrug, Die Volksmission in der Gemeinde, in: ebd., 50–63.
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Anleitungen zur praktischen Arbeit: Handbuch der Volksmission (1919)
gemeine Arbeit der Volksmission in der einzelnen Gemeinde verankert werden, wie es ja auch der Intention Hilberts entsprach. Den Mittelpunkt des Handbuches bildeten dann zwei umfangreiche, von mehreren Autoren bearbeitete Kapitel zur Voraussetzung und Technik der Evangelisation46 und der Apologetik47. Gerade im Kapitel zur Evangelisation ist auffällig, dass mit Walter Michaelis48 und Samuel Keller zwei profilierte Gemeinschaftsleute zu den Autoren gehörten. Michaelis, den langjährigen Vorsitzenden des Gnadauer Verbandes, wollte Füllkrug als Evangelist für den Central-Ausschuss gewinnen49. Keller, der bereits seit 1898 als freier Evangelist in ganz Deutschland gewirkt hatte, entfaltete neben Elias Schrenk unter den frühen Evangelisten die größte Breitenwirkung. Er hatte viel Erfahrung mit Evangelisationen in Deutschland und war daher ebenfalls ein wichtiger Gesprächspartner für die entstehende Volksmissionsbewegung50. Keller gab Hinweise zu der Frage „Wie hält man den Segen der Evangelisation fest?“51 Er betonte die Notwendigkeit einer Nacharbeit durch Sammlung der „Angeregten“ in einer sie tragenden Gemeinschaft und die Notwendigkeit der Fürbitte für die „Erweckten“: „Selbstlose, treue Fürbitte, – brennende Liebe, – echte Demut – wandelnde Vorbilder –, das sind auch Nacharbeiter, die eine Verheißung haben.“52 Sowohl Keller als auch Michaelis gehörten zum gemäßigten Flügel der Gemeinschaftsbewegung, die für eine Zusammenarbeit mit der offiziellen Kirche und den anderen evangelischen Verbänden offen waren53. „Psychologische Winke für den Evangelisten“ gab der Inspektor der Rheinischen Mission, Albert Hoffmann, der später die volksmissionarische Arbeit in Westfalen leiten sollte54. Hinzu kam ein Aufsatz des Lübecker Hauptpastors Alfred Haensel über die für eine Evangelisation notwendige Vorarbeit55 und ein Unterkapitel, in dem der westfälische Generalsuperintendent Wilhelm Zoellner die in seiner Provinz veranstalteten regelmäßigen Jugendevangelisationen vorstellte56. Während das Kapitel zur Evangelistik vor allem von Pastoren geschrieben worden war, die sich evangelistisch betätigt hatten, waren die Artikel zur 46 47 48 49 50 51 52 53
54 55 56
F llkrug, Handbuch, 64–120. Ebd., 149–198. Michaelis, Gestaltung. Schreiben Füllkrug an Samuel Jaeger, 2. 12. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 2, 267). Vgl. Schreiben Füllkrug an Keller, 4. 5. 1917 (ADE Berlin CA / EvA 2, 14). Zu Kellers Biografie vgl. den Überblick in Scharpff, Geschichte, 363 f. Keller, Segen. Ebd., 102. Keller war mit Johannes Lepsius an der Gründung des Eisenacher Gemeinschaftsverbandes beteiligt, der sich um eine offenere Stellung der Gemeinschaften zur konservativen Universitätstheologie bemühte; vgl. Scharpff, Geschichte, 364; zur theologischen und kirchenpolitischen Position von Walter Michaelis; vgl. dessen Autobiografie Michaelis, Erkenntnisse. Hoffmann, Winke; zur Volksmission in Westfalen vgl. G nther, Entwicklung, 101–149. Haensel, Vorbereitung. Zoellner, Jugendevangelisationen.
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Apologetik vor allem von Professoren verfasst, die sich ebenfalls als praktische Apologeten betätigt hatten. Die einzige Ausnahme bildete der Aufsatz des Posener Generalsuperintendenten Paul Blau zu „Kriegsaufgaben der Apologetik“. Hilbert hatte das einleitende Unterkapitel zur Aufgabe und Gestaltung apologetischer Vorträge übernommen57. Emil Pfennigsdorf, Professor für Praktische Theologie in Bonn, übernahm neben einem Unterkapitel zum Einsatz von Flugblättern für Apologetik und Innere Mission auch ein Verzeichnis apologetischer Literatur58. Pfennigsdorf war Herausgeber der Zeitschrift „Zum Geisteskampf der Gegenwart“, in der Fragen der Theorie der Apologetik und der praktischen Apologetik besprochen wurden59. Der Greifswalder Theologe Eduard v. d. Goltz steuerte noch ein Verzeichnis von möglichen Themen für apologetische Vorträge bei60. Alle Aufsätze zu den Themen Evangelisation und Apologetik waren stark auf die Praxis ausgerichtet. Das ist daran ersichtlich, dass beide Kapitel mit einer umfangreichen „Handreichung für die Arbeit“ abschlossen, in der Themen für evangelistische bzw. apologetische Vorträge ausgeführt wurden und auch entsprechende Literatur benannt wurde61. Zur Evangelisation steuerte Füllkrug sogar einen ausgearbeiteten Entwurf einer Evangelisationswoche bei62. Zu diesen beiden betont praktischen Kapiteln zur Evangelisation bzw. zur Apologetik trat noch ein von dem für die Heimatarbeit der Berliner Mission zuständigen Missionsinspektor Georg Beyer verfasstes hinzu, in dem dieser ebenfalls einen ausgearbeiteten Vorschlag für eine Missionswoche vorstellte. Füllkrug hatte neben der Gemeinschaftsbewegung und der katholischen Volksmission die Äußere Mission zu einem wesentlichen Impulsgeber für die Arbeit der Volksmission erklärt63. Da der Vorschlag von Beyer aber eher praktisch als grundsätzlich war, erhielt er einen Ort zwischen den Kapiteln zur Evangelisation und zur Apologetik. In Beyers Entwurf für eine Missionswoche war die Information über die deutsche Heidenmission und die Werbung für diese Aufgabe mit einer auf die Weckung und Stärkung des Glaubens der Hörer zielenden Intention verbunden64. Beyer sah das Beispiel der Heidenmission als „ein ganz besonders wirksames Mittel, der heimatlichen Christenheit den Tiefstand ihres christlichen Lebens und die Möglichkeit seiner Überwindung zu veranschaulichen.“65 57 Blau, Kriegsaufgaben; Hilbert, Aufgabe. 58 Pfennigsdorf, Flugblätter; Pfennigsdorf, Verzeichnis. 59 Im Jahre 1933 stellte sich Emil Pfennigsdorf klar auf die Seite der DC; vgl. Hermle, Aufstieg, 321–324. 60 Goltz, Themata. 61 Zur Evangelisation: F llkrug, Handreichung; zur Apologetik: Goltz, Themata; Pfennigsdorf, Verzeichnis. 62 F llkrug, Handreichung, 115–117. 63 F llkrug, Aufgabe, 21. 64 Beyer, Heidenmission. 65 Ebd., 121.
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Anleitungen zur praktischen Arbeit: Handbuch der Volksmission (1919)
Der praktische Teil wurde durch das von Füllkrug verfasste Kapitel über die „Öffentliche Mission“ abgeschlossen66. Es folgte ein Kapitel „Die Mitarbeiter in der Volksmission“67, in dem Füllkrug viele der Forderungen Hilberts im letzten Teil der „Kirchlichen Volksmission“ wiederholte. Er forderte auf allen Ebenen die Einbindung der Pastoren, kirchlichen Mitarbeiter und Laien in die Arbeit der Volksmission. So regte er die Bildung einer regelmäßigen Volksmissionsschulung für Theologen68 und die volksmissionarische Schulung der Diakone und Diakonissen der Inneren Mission69 an. Aus diesem inhaltlichen Überblick ist bereits deutlich geworden, dass Füllkrug einen hohen Anteil der Kapitel selbst verfasste. Das gilt besonders für die Texte, in denen die Volksmission konzeptionell begründet wurde. Die Kapitel zur Evangelisation und zur Apologetik wurden dagegen von anderen Autoren geschrieben, die praktische Erfahrungen in der Evangelisation und Apologetik hatten. Es ist hier auffällig, dass im „Handbuch der Volksmission“ die Apologetik stärker durch Universitätstheologen bearbeitet wurde, während die Evangelisation primär von Praktikern abgehandelt wurde. Allerdings lag, wie an den Titeln der Unterkapitel zu sehen ist, auch im apologetischen Kapitel des „Handbuches“ die Betonung auf der praktischen Apologetik. Autoren wie Hilbert und Emil Pfennigsdorf waren auch als praktische Apologeten hervorgetreten. Die Auswahl der Autoren des „Handbuchs für Volksmission“ zeigt die Betonung der Praxis gegenüber theoretischen Erörterungen70. Die meisten Autoren standen zudem in engen Beziehungen zur Inneren Mission. Mehrere arbeiteten in der „Kommission für Volksmission“ mit, die in diesem Zeitraum als Kommission des Berliner Volkskirchendienstes 1918 entstanden war71. Auch in ihrer Theologie sind Konvergenzen zu beobachten: Sie waren durch konservative theologische Positionen geprägt und gleichzeitig für das Anliegen der Evangelisation offen. Zudem waren sie weniger an theologischer Arbeit als an der praktischen Tätigkeit interessiert. Die meisten Autoren kamen daher aus dem Pfarramt, der Inneren Mission oder der Kirchenleitung.
3.4 Zeitdeutung Auch wenn die Planungen des „Handbuchs für Volksmission“ noch in die Endphase des Ersten Weltkrieges reichten, zeigte das im Frühjahr 1919 erschienene fertige Buch deutlich die Spuren des Kriegsendes. Im Vorwort setzte Füllkrug die Wandlungsprozesse in Staat und Gesellschaft der unwandelbaren 66 67 68 69 70 71
F llkrug, Mission; siehe oben 67 f. sowie unten 83–87. F llkrug, Mitarbeiter. Ebd., 214. Ebd., 215 f. F llkrug, Vorwort, III. So Georg Beyer und Ernst Bunke; zur Kommission für Volksmission vgl. unten 208 f.
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Botschaft des Evangeliums gegenüber: „Die Revolution in Deutschland erschütterte alle Grundlagen, auf denen Volk und Staat, Kirche und Innere Mission gebaut waren. Eine Grundlage aber blieb und bleibt ewig bestehen: Es ist in keinem andern Heil.“72 Diese Rhetorik, die neutestamentliche Zeitdeutungen aufnahm (neben Apg 4,12 ist besonders an Hebr 13,8 zu denken), diente zunächst der Selbstvergewisserung: In allen Umwälzungen und Unsicherheiten73 sei die ewig geltende Botschaft des Evangeliums fest und beständig. Im Verhältnis zum Jahre 1916, als Hilbert noch von einem deutschen Sieg ausging und annehmen konnte, dass sich das politische System sowie die privilegierte Stellung der Kirche nicht ändern würden, hatten sich die Voraussetzungen für die Umsetzung des Programmes geändert. Das Bekenntnis zum unveränderten Evangelium, das in allen Wechselläufen der Zeit bestehen bleibe, hatte insbesondere die Funktion, in dieser Unsicherheit Halt zu vermitteln. Wie bei dieser Gegenüberstellung zu erwarten ist, beschrieb Füllkrug die Folgen der Revolution mit sehr negativen Bildern: „Der Krieg ist für Deutschland verloren, unsere durch Jahrhunderte bewährte Staatsform ist zusammengebrochen, das monarchische Regiment hat aufgehört, die Autoritäten, die uns und den Geschlechtern vor uns als unverletztlich und unantastbar galten, sind mit Gewalt beseitigt.“74
Auch im historischen Überblick wird die negative Deutung der Revolution durch Randbemerkungen kenntlich gemacht. So bemerkte Füllkrug zu einem extensiven Zitat aus einem Aufsatz Wicherns von 1848, in dem dieser sich zur Märzrevolution äußerte: „Alle diese Wichernschen Gedanken und Worte hätten im Winter 1918/19 klarer und schärfer nicht ausgesprochen werden können.“75 Diese Parallelisierung der Novemberrevolution mit der von 1848 lässt sich in der zeitgenössischen Publizistik der Inneren Mission mehrfach feststellen76. Sie stellte die Kritik an den Protagonisten der Republikgründung von 1918 in eine historische Tradition. Skeptisch äußerte sich Füllkrug besonders gegenüber der Demokratisierung, die er aber als ein unabwendbares Geschehen betrachtete: „Auf der einen Seite werden wir Alle, Männer und Frauen, die Pflicht haben, am politischen Leben uns ganz anders als früher aktiv zu beteiligen, auf der andern
72 F llkrug, Vorwort, III. 73 Das Vorwort ist auf den 18. Februar 1919 datiert; die endgültige Regelung des Verhältnisses von Staat und Kirche hatte also noch nicht stattgefunden, und auch die Stabilisierung der Weimarer Republik stand noch aus. 74 F llkrug, Aufgabe, 16. 75 F llkrug, Gedanke, 3. 76 So begann die Dezemberausgabe 1918 der Zeitschrift „Innere Mission“ mit einem Wicherntext aus den Fliegenden Blättern von 1848; vgl. Wichern, Revolution; vgl. auch Kaiser, Sozialer Protestantismus, 68 f.
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Anleitungen zur praktischen Arbeit: Handbuch der Volksmission (1919) Seite wird vielleicht ein tiefer Ekel über die politischen Kämpfe die Seele erfüllen.“77
Wie schon in der zeitgeschichtlichen Diagnose Hilberts spielte der Gedanke der mangelnden Einheit des durch Kämpfe zerrissenen Volkes auch in Füllkrugs Diagnose der Folgen der Revolution eine wichtige Rolle und machte sich an seiner kritischen Haltung zur Demokratie fest. Die weltanschaulichen Spaltungen würden die notwendige Einheit im Volk zerstören. Aus dieser Demokratieskepsis, die vor allem mit dem Topos der „Zerrissenheit“ des in unterschiedliche politische Fraktionen zerfallenen Volkes operierte, spricht eine Pluralismuskritik, die sich auch sonst in dem Selbstverständnis evangelischer Kirchenleute „über den Parteien“ zu stehen, widerspiegelte78. Seine Distanz zu den partizipatorischen Reformen hinderte Füllkrug allerdings nicht daran, auch für die Volksmission die von der Revolutionsregierung proklamierte Redefreiheit in Anspruch zu nehmen: „Jetzt sind alle Schranken für die persönliche Beteiligung am kirchlichen Leben gefallen“79. Zudem betrachtete er die Beständigkeit des unwandelbaren Evangeliums in der trostlosen Gegenwart als eine potentielle praeparatio evangelica: „Die harte Faust des Feindes wird noch lange auf uns liegen und die Unruhe im Innern wird unsere Herzen beschweren. Ob da nicht Viele die Blicke nach oben richten und nach einer höheren, ewigen Hand fassen werden, um selber die rechte Stellung zu finden in den irdischen Dingen, und nicht unterzugehen im großen Weh und Herzeleid um Volk und Vaterland?“80
Eine wichtige Rolle spielte in Füllkrugs zeitgenössischer Diagnose zudem die noch nicht abschließend geklärte Frage der Modalitäten der Trennung von Kirche und Staat. Füllkrug nannte besonders die Frage des Religionsunterrichtes, der möglicherweise in Zukunft durch Eltern und die Kirche selbst verantwortet werden müsse. Zudem würde besonders für die Staatsbediensteten die ungeschriebene Pflicht der Kirchenmitgliedschaft und der Teilnahme an den Kasualien wegfallen. Besonders in den Großstädten werde wohl auch die Kirchenaustrittsbewegung stärkere Erfolge haben als vor dem Krieg81. Eine große Gefahr sah Füllkrug neben der aktiven Kirchenfeindschaft auch darin, „daß sie [die Kirche, H. B.] für Viele im Volke etwas ganz Gleichgiltiges [sic!] wird und daß ihre Stimme im Volksleben überhaupt nicht mehr gehört wird.“82 77 F llkrug, Aufgabe, 16 f. 78 Vgl. Wright, Parteien. 79 F llkrug, Gemeinde, 54. Füllkrug hatte hier Offiziere und Beamte im Auge, die im Kaiserreich evtl. bei der Mitarbeit in evangelischen Vereinen Schwierigkeiten bei Beförderungen bekommen hätten; vgl. ebd. 80 F llkrug, Aufgabe, 17. 81 Ebd., 17 f.; Füllkrug nahm allerdings an, dass aus Rücksicht auf ein christliches Begräbnis viele den Schritt des Kirchenaustritts nicht tun würden; ebd., 18. 82 Ebd.
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Allerdings sah Füllkrug die Folgen der Trennung von Kirche und Staat nicht nur negativ. Er hatte auch die Hoffnung, dass damit die Abhängigkeit der Kirche vom Staat beendet sein würde83. Füllkrug zeigte hier also durchaus Sympathien für die Trennung von Kirche und Staat. Als Mann des Vereinsprotestantismus, der ja immer auf die freie christliche Liebestätigkeit rekurrierte, waren ihm die Nachteile der staatskirchlich verfassten Kirche bewusst, welche als Gegenleistung für ihre gesicherte Stellung verpflichtet war, „den jeweiligen Wünschen und Interessen des Staates zu dienen.“84 Im Übrigen prognostizierte Füllkrug, dass durch die Trennung von Kirche und Staat ein von ihm positiv konnotiertes „Gesundschrumpfen“ der evangelischen Kirche stattfinden würde: „Unsere Kirchgemeinden werden dadurch an manchen Orten wohl an Zahl kleiner, an Mitteln ärmer, an Mitläufern geringer, aber auch an treuen, bewußten, lebendigen Gliedern reicher und stärker werden.“85 Diese grundsätzliche Begrüßung der Trennung von Staat und Kirche ist auffällig, da sie in einer Spannung zu Füllkrugs eindeutiger Orientierung auf die alte Ordnung steht. Allerdings entsprach die Forderung nach der Unabhängigkeit der Kirche auch dem politischen Kurs der evangelischen Kirchenführer und publizistischen Meinungsäußerungen in den Jahren 1918 und 191986. Dabei war diese Kritik an einer dem Staat zur Dienstleistung verpflichteten Kirche nicht Produkt einer auf eine Stärkung der synodalen Mitwirkungsrechte drängenden liberalen Kirchenreform, sondern eher durch die Kritik Adolf Stoeckers inspiriert, nach dessen Volkskirchenvision eine vom Landeskirchenregiment unabhängige Kirche neben dem Staat zur Stütze einer sozialen Monarchie werden sollte87. Den Sinn für die notwendige Freiheit der Kirche bildete deren Aufgabe am Volksganzen. Obwohl Füllkrug die Ende 1918 bereits erneut einsetzende Kirchenaustrittsbewegung als ein „Gesundschrumpfen“ positiv zu deuten versuchte, war er vom Gedanken der Volkskirche beherrscht: „[…] die Kirche wird ganz frei sein. Sie darf darum keine Freikirche werden, sondern kann ihren Beruf am Volke nur erfüllen, wenn sie Volkskirche wird.“88 Dabei betonte er, dass das Wesen dieses Volkskircheseins in der Sendung an das ganze Volk liege: „Das Gesicht der evangelischen Kirche der Zukunft wird ein anderes Aussehen haben, sie darf unter keinen Umständen bloß ein kleiner Verein werden mit dem Zwecke der Selbsterbauung, sondern sie bekommt jetzt von Christo ihrem Herrn 83 84 85 86
Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Brunner, Volkskirche, 55–61 (Kapitel 2.3.2); Jacke, Kirche, v. a. 80–85. Selbst die hochkonservative Kreuzzeitung begrüßte grundsätzlich das Ende des landesherrlichen Kirchenregimentes; vgl. ebd., 81. 87 Zu Stoeckers volkskirchlicher Konzeption und seiner Kritik am landesherrlichen Kirchenregiment vgl. Pollmann, Kirchenregiment, 143–151; vgl. auch F llkrug, Gedanke, 6. 88 F llkrug, Aufgabe, 18.
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Anleitungen zur praktischen Arbeit: Handbuch der Volksmission (1919) den großen Auftrag, von neuem Mission zu treiben an denen die noch nicht oder nicht mehr zur Gemeinde Jesu Christi gehören.“89
3.5 Definition und Aufgaben der Volksmission Aus der Zeitdeutung, die Füllkrug in den einleitenden Kapiteln des „Handbuches für Volksmission“ gab, wird deutlich, dass sich der Stellenwert und damit auch das Aufgabenfeld der Volksmission für ihn aus „der Neugestaltung unserer Kirchgemeinden“90 ergab. Füllkrug definierte Volksmission als „ein[en] Sammelname[n] für alle die Arbeiten der Kirche, die die Missionierung unseres evangelischen Volkes bezwecken“91. Für Füllkrug stand bei seiner Definition von „Volksmission“ ein Wort Wicherns im Vordergrund, das im zeitgenössischen Diskurs oft zitiert wurde. Wichern hatte von der Inneren Mission als Sendung „des heilserfüllten am heillosen Volke“92 gesprochen. Füllkrug wandte dieses Zitat auf das Wesen der Volksmission an: „Sie [die Volksmission, H. B.] ist eine Mission des heilserfüllten Volksteiles an den deutschen Brüdern und Schwestern, die das Heil in Christo noch nicht gefunden haben.“93 Füllkrug unterschied so, der Konzeption der damaligen Missionswissenschaft folgend, Missionssubjekte als Träger der Mission und Missionsobjekte, die durch das Mittel der Volksmission zu missionieren seien94. Dabei blieb der Volksbegriff, den Füllkrug immer wieder affirmativ aufnahm, allerdings unscharf. Die Bezüge auf die Befreiungskriege und das Augusterlebnis zeigen eine Prägung durch nationalprotestantische Mentalitäten. Der Volksbegriff aber wurde von ihm eher als eine Chiffre benutzt, welche die nun zu erfüllende Aufgabe der Volksmission begründen sollte. Vollkommen unberücksichtigt, wie schon in Hilberts Broschüren, blieb die Tatsache der konfessionellen Spaltung der deutschen Bevölkerung. Füllkrug sah die katholische Volksmission als Vorbild für die nun zu betreibende evangelische Arbeit, weil sie „ein ähnliches Ziel verfolgte und oftmals auch Erfolge verzeichnen konnte.“95 Katholische Christen aber kamen trotz der auf das ganze Volk abzielenden Rhetorik nicht als eine eventuelle Zielgruppe in den Blick. Zudem wurde das 89 Ebd., 18 f. Mit „Gemeinde Jesu“ ist hier wohl nicht die verfasste Kirche, sondern die Gemeinschaft der Glaubenden gemeint. 90 Ebd., 19. 91 Ebd., 20. 92 Vgl. zu diesem Zitat Beyreuther, Kirche, 127. Es findet sich bei Wichern v. a. in Wichern, Liebesarbeit, 170 f. 93 F llkrug, Aufgabe, 19. 94 Vgl. das Standardwerk der damaligen Missionswissenschaft: Warneck, Missionslehre, Bd. 1, 23. 95 F llkrug, Aufgabe, 21.
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katholische Vorbild gegenüber der evangelischen Volksmission abgewertet, wie im Handbuch aus dem vom Berliner Pfarrer Diettrich geschriebenen Aufsatz über die katholische Volksmission deutlich wird: „Das Ziel der katholischen Missionspredigt ist ein rein kirchliches. […] Unsere Evangelisationsreden verfolgen ein höheres Ziel. Sie wollen das Glaubensleben wecken.“96 Diettrich benutzte hier einen typischen antikatholischen Topos, dass nämlich die katholische Kirche nicht so sehr auf eine innere Glaubensentscheidung, sondern auf eine äußere Unterwerfung unter die Kirche aus sei. Dennoch sah der Autor mehrere Anknüpfungspunkte, an denen die evangelische Volksmission von der katholischen lernen könne97. Als Subjekt der Volksmission betrachtete Füllkrug ähnlich wie Hilbert nicht nur die Pfarrer, sondern alle im erwecklichen Sinne gläubigen Christen: „Volksmission ist Arbeit des Volkes am Volke, lebendiger Gemeindeglieder und gläubiger Christen aus allen Ständen und Schichten“98. Er verwies als Vorbild auf Erfolge der Äußeren Mission in Korea und auf der indonesischen Insel Nias, die im Wesentlichen auf das Zeugnis von Laien zurückzuführen seien: „das kann und wird auch in unserem lieben deutschen Volke möglich sein, wo sich nur etliche bereit finden lassen, in den Dienst des Heilandes zu treten und seine Zeugen zu werden.“99 Eine wichtige Aufgabe der Volksmission sah Füllkrug daher in der Schulung und Ausrüstung von Laien zum Zeugnis ihres Glaubens100. Wie Hilbert verband also auch Füllkrug mit der Volksmission die Idee einer stärkeren Beteiligung der Laien am kirchlichen Dienst, da die Pastoren allein diese Arbeit gar nicht leisten könnten. Er zählte diesen Gedanken „zur tiefsten Erfassung des Wortes Volksmission.“101 Die Forderung nach einer stärkeren Einbeziehung der Laien hatte ihre theologische Grundlage im allgemeinen Priestertum der Gläubigen102. Es wurde ferner durch die Verantwortung des Laien für den jeweils einzelnen persönlichen Lebenskreis begründet. Diese theologischen Grundsätze scheinen die Gleichheit von Pastoren und Laien in der Gemeinde vorauszusetzen und die hierarchischen Unterschiede einzuebnen. Das allgemeine Priestertum der Gläubigen war gewiss theologisch unumstritten die Basis für die Bildung einer aktiven Kerngemeinde. In der Metaphorik, die Füllkrugs Ausführungen durchzog, wurde aber immer wieder auf Militär und Krieg rekurriert: 96 Diettrich, Volksmission, 35. 97 Er nannte die Generalbeichte zum Abschluss der katholischen Volksmission als Vorbild für die Aussprache nach einer Evangelisation und die Erneuerung des Taufgelübdes im Verlaufe der katholischen Missionswoche. Einen besonderen Schwerpunkt legte Diettrich auf die Exerzitien, für die er die Einrichtung von entsprechenden evangelischen Seelsorgeheimen forderte: „Sie [die Exerzitien, H. B.] sind das große Netz, mit dem aus der Schar der Erweckten heraus der [katholischen, H. B.] Kirche immer neue Arbeitskräfte zugeführt werden“ (ebd., 45). 98 F llkrug, Aufgabe, 21. 99 Ebd. 100 Ebd., 22. 101 Ebd., 21. 102 Vgl. F llkrug, Vorwort, IV.
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Anleitungen zur praktischen Arbeit: Handbuch der Volksmission (1919) „Wie aber ein Volksheer ohne Offiziere und Führer nicht denkbar ist, so brauchen auch die Mitarbeiter der Volksmission Führer und Leiter, die selber mit dem Beispiel des Mutes und der Tat vorangehen, die bereit und in der Lage sind, Mitarbeiter und Mannschaften auszubilden, bis wir eine geistliche Volkswehr erhalten, die den großen Kampf aufnimmt gegen alles ungöttliche und unchristliche Wesen im deutschen Volke.“103
Dabei betonte er, dass die Führer ihre Autorität dadurch beweisen müssten, dass sie mit ihrem Beispiel vorangingen. Die Laien charakterisierte er als „Frontkämpfer in der Volksmission“104 und „unter ihren Arbeits- und Standesgenossen Pioniere des Christentums“105. Wie Hilbert sah also auch Füllkrug in den Pfarrern Autoritätsfiguren, die in der Organisation und Ausrichtung der Volksmission führend sein sollten. Die Verwendung der Metaphorik des Volksheeres zeigt auch, dass Volksmission wie bei Hilbert eine Aufgabe des gesamten „heilserfüllten Volkes“ werden sollte. Als Missionsobjekt bezeichnete Füllkrug zunächst die nicht im erwecklichen Sinne gläubigen Glieder der evangelischen Kirche, das „heillose Volk“. Zugleich sollten die bisherigen Erweckten im Glauben gestärkt werden. Füllkrug verwies dabei mit pathetischen Worten auf den gesellschaftlichen Umbruch als Anfechtung für viele Mitglieder der Kerngemeinde, die in dieser Situation gestärkt werden müssten: „die feste Mauer, an die sie sich bisher lehnten, ist umgestürzt und der Efeu, der an ihr sich emporrankte, streckt seine Ranken klagend in die Luft oder rankt am Boden weiter.“106 Als weitere Zielgruppe nannte Füllkrug Kirchenmitglieder, „die noch zu keiner inneren Stellung zu Christo gekommen sind“107, sich aber aus Sitte und Gewohnheit am kirchlichen Leben beteiligten. Bei diesen kirchlichen „Randsiedlern“ betonte er, dass es wichtig sei, es ihnen „in der Kirche heimatlich und heimisch zu machen […], damit sie sich zuhause darin fühlen und gern wiederkommen.“108 Aufgabe an dieser Gruppe von Kirchenmitgliedern sei es also, bisherige Bindungen zur Kirche zu stärken. Gleichzeitig müssten sie durch das Hinwirken auf eine Glaubensentscheidung „eigentlich erst jetzt recht gewonnen werden“109. Hier wurde wieder das erweckliche Element in der Volksmission deutlich. Neben diesen beiden der Kirche noch verbundenen Gruppen sah Füllkrug in „denen, die einst zu ihr [der Kirche, H. B.] gehörten, dann aber ihre Gemeinschaft verlassen haben oder stillschweigend hinter sich gegangen sind“110, die schwierigste Zielgruppe111. Wie 103 104 105 106 107 108 109 110 111
F llkrug, Mitarbeiter, 211. Ebd., 216. Ebd., 217. F llkrug, Aufgabe, 19. Ebd., 19 f. Ebd., 20. Ebd. Ebd. Ebd.
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schon in Hilberts Broschüren sollte der Weg der Volksmission von innen nach außen gehen – über die Stärkung und Aktivierung einer Kerngemeinde sollten letztlich auch die der Kirche vollständig Entfremdeten und Ausgetretenen angesprochen werden. Dieser Weg von innen nach außen wurde von Füllkrug mit einem Dienst am Volksganzen begründet, wobei immer die auch für die Zeitdarstellung typische Krisenrhetorik mitschwang: „Unser Volk, das unter schwersten Gewitterstürmen darniederliegt, braucht Kraft, das Leid zu tragen und zu glauben an die Hand seines Gottes.“112 Bereits im Vorwort verband Füllkrug mit der konsequenten Durchführung der Volksmission die Hoffnung auf eine Erneuerung des ganzen Volkes. Die Situation der Gegenwart wurde von ihm zu einem Kairos erklärt, in dem durch eine volksmissionarische Offensive die Rettung des deutschen Volkes eingeleitet werden könne: „Jeder Christ im deutschen Vaterlande weiß, daß wir jetzt an einem Wendepunkt der deutschen Geschichte und der christlichen Kirche in Deutschland stehen. Das Volk Gottes [in Deutschland, H. B.] hat von seinem himmlischen König die Aufgabe bekommen, jetzt einzutreten in den Riß. […] Es wird zur Rettung unseres deutschen Volkes einen wesentlichen Teil beitragen, wenn es seinen Beruf erkennt und erfüllt“113.
Wie Hilbert hatte also auch Füllkrug den Anspruch, über eine Umstellung im Innern der Kirche auf eine sittliche Erneuerung des ganzen Volkes – und damit auch auf eine Umkehrung des von ihm als Folge deutscher Schuld gesehenen Ausgangs des Krieges hinzuwirken: „Gott hat es [das deutsche Volk, H. B.] in die Tiefe gestoßen und wir selbst tragen die Schuld daran.“114 „Volksmission“ bedeutete für Füllkrug also durchaus die Einwirkung auf das Volksganze – und im Sinne eines Tun-Ergehens-Zusammenhanges die Möglichkeit, durch Volksmission auch das irdische Schicksal des Volkes zu wenden. Anders als bei Hilbert, der zwar in der Einleitung seiner Broschüren auch diesen Dienst am Volksganzen betonte, aber bezüglich der Möglichkeit einer Rechristianisierung der Gesellschaft skeptisch blieb, wird bei Füllkrug nicht deutlich, wie weit er eine religiöse Erweckung, die auf die ganze deutsche Gesellschaft zurückwirkte, für möglich hielt. Identisch mit Hilberts Vorschlägen ist aber der Weg, durch die religiöse Erneuerung des Einzelnen auf die Erneuerung des ganzen Volkes hinzuwirken. Auch die theologische Ausrichtung, die eine erwecklich-theologische Grundhaltung mit einer bewussten Bejahung der Volkskirche verband, war bei beiden gleich. Es bleibt aber fraglich, wie weit es möglich war, über „neue Wege“ nicht nur die bereits kirchlich sozialisierten Schichten, sondern auch die der traditionellen Frömmigkeit entglittenen Schichten des Bildungsbürgertums und der Arbeiterschaft anzusprechen. 112 Ebd., 19. 113 F llkrug, Vorwort, IV. 114 F llkrug, Aufgabe, 16.
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3.6 Besondere Arbeitszweige Im Wesentlichen unterschieden sich die Arbeitszweige der Volksmission, die im „Handbuch“ behandelt wurden, nicht von denen, die bereits Hilbert ihr zugewiesen hatte. Einzige Ausnahme ist, dass Füllkrug auch die „öffentliche Mission“ unmittelbar zu einem Arbeitszweig der Volksmission erklärte und die verschiedenen in der Gemeinde angesiedelten Aufgaben des Pfarramtes neben Apologetik und Evangelisation stellte115. Im Folgenden sollen Evangelisation und Apologetik nur kurz angerissen werden, da sie sich im Wesentlichen mit den bereits ausführlich behandelten Vorstellungen Hilberts decken. Ein besonderes Augenmerk soll dagegen auf die Einbeziehung der öffentlichen Mission in das Arbeitsfeld der Volksmission gelegt werden, da diese Einbeziehung ein Spezifikum des 1919 erschienenen Handbuches ist. Die Aufgabe der Evangelisation wurde im Handbuch der Volksmission vor allem von Praktikern beschrieben116. So benannte Walter Michaelis, der langjährige Leiter des Gnadauer Verbandes, die „Verkündigung der göttlichen und heiligenden Liebe Gottes“117 als eine wichtige Aufgabe. Die Evangelisation sollte den Hörern ihre Sünde und die Gnade Gottes verkündigen und damit zugleich zur Bekehrung führen118. In diesem Aufruf zur Bekehrung sah Michaelis das Spezifikum gegenüber dem normalen Gottesdienst, in dem der Bekehrungsaufruf nicht an jedem Sonntag Thema sein könne119. Insgesamt erscheint Evangelisation im „Handbuch der Volksmission“ als eine theoretisch wenig durchdrungene Predigtform, die vor allem durch ihren auf Erweckung und Bekehrung fokussierten Inhalt charakterisiert ist. Der von Hilbert verfasste Artikel zur Apologetik war dagegen um eine Definition und Zweckbestimmung der Apologetik mit stärkerer theoretischer Durchdringung bemüht120. Laut Hilbert müsse Apologetik „weder bekehren noch erbauen, sondern belehren.“121 Während sich Evangelisation primär an den menschlichen Willen richte, sei ein apologetischer Vortrag Teil des intellektuellen Diskurses: „[…] er sucht die gegen das Christentum geltend gemachten Einwendungen auf dem Wege verstandesmäßiger Überlegung zu widerlegen“122. Die Apologetik sei damit als „Vorarbeit für die Herz und Willen packende Bezeugung des Evangeliums“123 der Evangelisation klar unterge115 116 117 118 119 120
Ebd., 21. Vgl. v. a. Michaelis, Gestaltung; Hoffmann, Winke. Michaelis, Gestaltung, 71. Ebd., 73. Ebd., 73 f. Vgl. Hilbert, Aufgabe. Näheren Aufschluss zu Hilberts Apologetikbegriff wird die in Arbeit befindliche Dissertation von Uwe Bertelmann (Gießen) geben. 121 Hilbert, Aufgabe, 151. 122 Ebd. 123 Ebd., 154.
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ordnet. Ihre Aufgabe der Verteidigung des Christentums erfülle sie durch Widerlegung gegnerischer Angriffe und durch kritische Untersuchung und Widerlegung anderer Weltanschauungen124. Hilbert favorisierte hierbei die Form der offensiven Auseinandersetzung: „Auch bei geistigen Kämpfen ist der Hieb die beste Parade und die Offensive die beste Defensive.“125 Wie bereits in seiner Schrift von 1916 betonte Hilbert, dass es nicht Ziel der Apologetik sei, eine christliche Weltanschauung aufzubauen. Hier machte Hilbert ähnliche Vorbehalte deutlich, wie er sie in „Kirchliche Volksmission“ gegenüber dem herkömmlichen Volkskirchendenken geäußert hatte: „[…] verführt nicht der Besitz der christlichen Weltanschauung viele zu der Selbsttäuschung, daß sie bereits wahre Christen sind?“126 Stattdessen betonte Hilbert die innere Verknüpfung zur Evangelisation, die als Appell an den menschlichen Willen tatsächlich zur Bekehrung führen könne, während diese durch die Apologetik bloß vorbereitet werde127. Da Volksmission auch nach den Vorstellungen des „Handbuchs für Volksmission“ primär in der Gemeinde verankert sein sollte, fasste Füllkrug unter dem Stichwort „Volksmission in der Gemeinde“ alle Aufgaben zusammen, die im Zusammenhang mit der Volksmission durch die Gemeindepfarrer übernommen werden sollten. Selbstverständlich gehörten hierzu die von Hilbert propagierten Bibelbesprechstunden unter der Leitung des Pfarrers128. Füllkrug gab im Handbuch sehr detaillierte Vorschläge zur Gründung und Abhaltung dieser Veranstaltungsform129. Seine Vorschläge deckten sich im Wesentlichen mit den bereits in Hilberts Schriften erarbeiteten Vorstellungen, „daß die ganze Stunde etwas Familienhaftes, Heimeliches bekommt“130, bzw. führten diese näher aus. In den Bibelstunden sollten auch aktuelle Fragen besprochen werden, z. B. zum Verhältnis von Staat und Kirche, zur Schulfrage und zum Gehorsam gegen die neue Obrigkeit. Füllkrug betonte aber, dass der Schwerpunkt auf der Erarbeitung des Bibeltextes liegen sollte131. Schließlich hatte Füllkrug die Hoffnung, in den Bibelbesprechstunden „den heimge124 Vgl. ebd., 154 f. 125 Ebd., 157 – „Wenn der Nachweis gelingt, daß nicht die wissenschaftlich gefundenen Tatsachen wider das Christentum stehen, sondern vielmehr Glaube wider Glaube, so ist alles gewonnen, was durch die Apologetik zu gewinnen ist: es ist die Bahn frei für die Bezeugung des Evangeliums“ (ebd., 157). 126 Ebd., 154. 127 Ebd., 172. Im Rahmen dieser Arbeit kann nicht im Einzelnen erörtert werden, inwieweit dieses Verständnis der Apologetik sich mit der Arbeit der Apologetischen Centrale deckte. Berührungspunkte ergaben sich in der Betonung des angreifenden Charakters der Apologetik und der inneren Verbindung von Evangelisation und Apologetik. Allerdings sollte die „neue Apologetik“ der Apologetischen Centrale auch die Funktion der Begründung und Festigung einer christlichen Weltanschauung haben; vgl. Pçhlmann, Kampf, 66–78; vgl. zur Konzeption der AC v. a. unten 236–238. 128 F llkrug, Gemeinde. 129 So warnte er vor der Behandlung der Apokalypse und des Hebräerbriefes; ebd., 60. 130 Ebd., 57. 131 Ebd., 62.
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kehrten Männern die Möglichkeit zu geben, […], über das zu sprechen, was ihr Herz bewegt“132. Füllkrug betonte, dass die Teilnehmer der Bibelstunde zur Mitarbeit in der Kirchengemeinde herangezogen werden sollten und sich gleichzeitig nicht durch ein Elitebewusstsein vom Rest der Parochie abgrenzen sollten, so „daß keine ecclesiola in ecclesia entsteht.“133 Auch religiöse Lehrvorträge gehörten für Füllkrug zum Aufgabenfeld des Pfarrers, die dieser etwa zweimal monatlich veranstalten sollte134. Als Gegenstand dieser Vorträge nannte Füllkrug neben katechetischen Themen auch die Aufklärung über andere religiöse Strömungen und Weltanschauungsfragen135. Zudem dachte er an eine maßvolle Aufklärung über Entwicklungen in der modernen Theologie136. Neben Lehrvorträgen schlug Füllkrug in Aufnahme einer Idee Wicherns vor, dass auch einfache Rezitationen von Bibeltexten und Erzählungen aus dem Leben Jesu eine missionarische Wirkung auf die Hörer hätten137. Zusätzlich zu diesen beiden auch von Hilbert zum Kern seines Volksmissionsprogrammes gezählten Veranstaltungsformen sollte der Gedanke der Volksmission ferner die gesamte Wortverkündigung im Pfarramt bestimmen, die einen verständlichen und stärker erwecklichen, auf eine Glaubensentscheidung dringenden Inhalt haben sollte: „Die Predigt der Gegenwart und Zukunft wird deshalb schlichter, einfacher und volkstümlicher sein müssen, gerade und schnell auf das Ziel losgehen“138. Gerade Bestattungspredigten, in denen die Zahl der unregelmäßigen Kirchgänger unter den Besuchern hoch sei, sah Füllkrug als evangelistische Gelegenheit139. Daneben schlug Füllkrug noch Veranstaltungsformen vor, die sich leicht in die kirchliche Sitte integrieren ließen und mit denen zu bestimmten Gelegenheiten auch gelegentliche Kirchgänger zu erreichen seien. Er verwies hierfür auf Erfahrungen, die er in seiner ehemaligen Gemeinde in der Provinz Posen gemacht hatte. So schlug er eine stille Andacht zum Jahreswechsel, Gottesdienste mit Posaunenbegleitung auf dem Friedhof zu Ostern140 und am Totensonntag sowie jährliche Missionsfeste im Freien vor. Detailliert schilderte er eine kurze Andacht zu Beginn der Ernte auf den Feldern, bei welcher im Namen des dreieinigen Gottes der erste Sensenschnitt rituell begangen werden könne141. Alle Veranstaltungsformen waren durch das Erbe der Er132 133 134 135 136 137 138 139 140
Ebd., 61. Ebd., 63. Ebd., 54. Ebd., 55. Ebd. Ebd., 55 f. Ebd., 50. Ebd. „Zu dieser Ostermorgenandacht waren auch viele Katholiken gekommen, denen etwas Ähnliches in ihrer Kirche fehlte“ (ebd., 52). 141 „Das sind kirchliche Sitten, die wir auch in Dorf- und Kleinstadtgemeinden ein- und durchführen können, die Leute gewöhnen sich bald daran und gewinnen sie lieb. Und überall bietet
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weckungsbewegung im 19. Jahrhundert geprägt oder gingen (wie die Friedhofsandacht zu Ostern) auf die Brüderunität zurück142. Die von Füllkrug vorgeschlagenen Feiern verband ferner, dass sie eine volkstümliche, symbolische Handlung mit Wortverkündigung vereinigten und den Bestand einer Tradition suggerierten143. Auch für die Großstadt empfahl Füllkrug den Rückgriff auf traditionelle bzw. traditionell aussehende Formen, um den nicht zur Kirche Kommenden nachzugehen; dabei spielte die Musik eine große Rolle. Er empfahl beispielsweise die u. a. durch die Berliner Stadtmission geübte Praxis des Kurrendesingens in großstädtischen Hinterhöfen. Dem Choralgesang attestierte er eine Wirkung auch auf das vollständig entkirchlichte Proletariat: „Erinnerungen an alte Zeiten werden wach, und die Klänge von unten erwecken in manchem harten Herzen eine Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies.“144 Diese Formen aber zeigten auch ein Problem an: Sie waren im 19. Jahrhundert in einer zwar schon bedrohten, aber noch halbwegs intakten ländlichen Sozialordnung verortet, in welcher das konservative evangelische Milieu durch die Erweckungsbewegung stabilisiert worden war. Die Ausrichtung auf die bestehende Gemeinde und das Ziel, über die Kerngemeinde hinaus zu wirken, waren hier nicht gut miteinander zu vereinbaren. Eine Besonderheit des „Handbuches der Volksmission“ war die komplette Einordnung der „öffentlichen Mission“ in das Arbeitsfeld der Volksmission. Der Begriff der „öffentlichen Mission“ war in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts geprägt worden145. Gleichzeitig wurde der Begriff „öffentliche Mission“ immer wieder mit der Zielsetzung Adolf Stoeckers verbunden, durch ein Engagement im gesellschaftspolitischen Raum „auf die Erneuerung und Belebung des evangelisch deutschen Volksgeistes und auf eine Geltendmachung der Lebensmächte des Evangeliums für das gesamte öffentliche, sonderlich das soziale Leben“146 hinzuwirken. Zudem prägte der Begriff „öffentliche Mission“ das Wirken des mit Füllkrug befreundeten Stoeckernachfolgers Reinhard Mumm als Protagonisten der Christlich-Sozialen Bewegung im ausgehenden Kaiserreich und in der Weimarer Republik147. Mumm for-
142 143 144 145 146 147
sich uns dabei eine Gelegenheit und Möglichkeit Gottes Wort an die Menschen heranzubringen, die es sonst vielleicht nicht oder nur selten hören“ (ebd., 51 f.). Zur Einführung dieser neuen Gottesdienstformen und zu ihrer Bedeutung für Vergemeinschaftungsprozesse im entstehenden protestantischen Milieu vgl. Reeken, Kirchen, v. a. 237–260. F llkrug, Gemeinde, 52. Ebd. Beispielhaft sei auf den 1912 entstandenen Deutschen Evangelischen Volksbund für öffentliche Mission verwiesen, der sich als konservatives Pendant zum Evangelischen Bund verstand; vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 261. Stoecker, Reden, 162. Vgl. Friedrich, Innere Mission, 45–48. Zur Biografie Mumms vgl. Friedrich, Fahne.
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derte immer wieder, den Gedanken der „öffentlichen Mission“ als eigenes Arbeitsfeld im Rahmen der Inneren Mission zu verankern148. Füllkrug begründete im „Handbuch der Volksmission“ die öffentliche Mission als integralen Bestandteil der Volksmission. Dabei unterschied er sie von der auf den Einzelnen bezogenen Methodik der Apologetik und derjenigen der Evangelisation. Das Proprium der öffentlichen Mission sei „Beeinflussung der Menge, der Massen oder auch der Menschen, an die die Kirche in keiner Weise mehr mit ihrer Wortverkündigung heranzukommen imstande ist.“149 Zur Begründung dieser Predigt an die Massen zitierte Füllkrug Wichern, dessen Sicht auf das Jahr 1848 er so auf die Gegenwart übertrug: „[…] wir behalten es als Ziel der Hoffnung im Auge, daß noch auf Märkten und von Dächern das lebendige Wort Gottes allem Volk zum Trost und aller Welt zum Schrecken gepredigt werden soll. Geschieht’s nicht eher, so wird’s geschehen bei der nächsten Revolution, die sich mit ganz anderen Schrecknissen und mit viel größerem Grimme als die jüngst erlebte erheben wird.“150
Diese politische Frontstellung durchzog den größten Teil des Kapitels zur öffentlichen Mission; sie sollte sich an die Massen richten, um „die Gesamtheit der Menschen, wo sich auch nur eine solche zusammenfindet, zu beeinflussen.“151 Füllkrug benutzte für seine Definition der „öffentlichen Mission“ Topoi der Massenpsychologie und der konservativen Kritik an der Masse, ohne allerdings einschlägige Autoren wie den Psychologen Gustave Le Bon zu zitieren. Er betonte u. a. die Empfänglichkeit der Masse für die Suggestion und die Wirkung von Propaganda auf das Unterbewusstsein des Menschen: „das prägt sich schließlich fast unbewußt der Seele ein, sinkt unter die Schwelle des Bewußtseins, um dann zur rechten Zeit und Stunde wieder emporzutauchen“152. In dieser Beeinflussbarkeit sah er gleichzeitig eine Voraussetzung für die Wirksamkeit eines klaren christlichen Bekenntnisses in der Öffentlichkeit: „Aber die Zeit ist jetzt, wo alles im Fluß und in der Bewegung ist, so günstig wie noch nie. Die Formen des Volks- und öffentlichen Lebens sind alle weich und fließend. Wer mit fester Hand, mit klarem Willen und mit der Gabe der Neugestaltung in diese weichen Massen der Gedanken, Stimmungen, Gefühle, Hoffnungen und Wünsche hineinzugreifen weiß, sich darin Gott verantwortlich fühlend und von ihm abhängig im Wollen und Gelingen […], der wird immer
148 In den 1920er- und 1930er-Jahren galt öffentliche Mission neben karitativer Tätigkeit und Volksmission als dritter Arbeitszweig der Inneren Mission (vgl. Steinweg, Innere Mission, 23). 149 F llkrug, Mission, 199. 150 Ebd., 200. 151 Ebd., 201. 152 Ebd., 201; vgl. auch Le Bon, Psychologie.
Besondere Arbeitszweige
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Menschen hinter sich haben, die seiner Führung und Hilfe begehren und bedürfen, um selbst fest zu werden und zum Ziele zu kommen.“153
Die Botschaft des Christentums wäre danach die Heilung für die Zerrissenheit der Gegenwart. Die als unsicher, schwankend und beeinflussbar beschriebenen Massen bedürften nur einer auf dem Grund des Christentums stehenden Führung, um sich von ihr führen zu lassen. Trotz dieser angeblich günstigen Situation musste Füllkrug allerdings konstatieren, dass die evangelische Kirche bisher darauf verzichtet habe, auf die breite Öffentlichkeit zu wirken. Daher habe sie dieses Feld ihren Gegnern überlassen154. Die öffentliche Mission sollte nun durch Agitation dieser angeblichen Verführung durch die Kirchenfeinde das Zeugnis des Christentums entgegensetzen. Als Vorbild sollte dafür auch die Agitation des politischen Gegners dienen: „Einem Liebknecht war es möglich, durch seine Verkündigung einer kommenden besseren Zeit Tausende mit sich fortzureißen, die an ihn, seine Botschaft und sein ,System‘ glaubten. Um wie viel mehr hat die christliche Kirche die Verheißung und die Aufgabe, allen Menschen Rettung und neues Leben zu verkündigen.“155
Öffentliche Mission sollte also eine Adaption der politischen Methoden der Massenagitation, welche die politische Kultur der gesamten Weimarer Republik prägte, durch Vertreter der Kirche sein. Als primären Inhalt dieser Agitation bestimmte Füllkrug in erwecklicher Zuspitzung das Zeugnis des Evangeliums: „Immer wieder, immer von neuem, auf jedem nur möglichen Wege den Menschen zu sagen, um was es sich handelt, daß in keinem anderen Heil sei als in Christus allein“156. Das Anliegen der öffentlichen Mission war also durchaus missionarisch. Füllkrug schlug verschiedene „kontroverspublizistische Formen“157 vor, mit denen dieses Ziel erreicht werden könnte. Er forderte, dass engagierte Laien auf Kirchenaustrittsversammlungen das Wort ergreifen sollten, um Vorwürfen zu widersprechen158. Versammlungen, auf denen die Kirche und das Christentum angegriffen wurden, sollten durch zeitlich naheliegende Gegenversammlungen beantwortet werden, und dort sollten Vorwürfe der Gegner entkräftet werden. Als positives Beispiel nannte er die Massenkundgebungen gegen die Kultuspolitik des bereits zurückgetretenen preußischen Kultusministers Adolf Hoffmann159. Neben Massenversammlungen forderte Füllkrug erneut in Nachfolge Wicherns die Straßenpredigt an belebten Plätzen160. Außerdem schlug Füllkrug eine Verstärkung der Schriftenmission vor. 153 154 155 156 157 158 159 160
F llkrug, Mission, 203. Ebd., 202. Ebd. Ebd., 201. So treffend Pçhlmann, Kampf, 58. F llkrug, Mission, 204 f. Ebd., 205 f. Ebd., 206 f.
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Neben der klassischen Kolportage161 dachte er besonders an Flugblätter, mit denen die Kirche in den Meinungskampf eingreifen könne. Dabei konnte er das evangelistische Anliegen durchaus mit einer politischen Positionierung verbinden, wenn er z. B. eine christliche Antwort auf gegenüber dem ehemaligen Monarchen kritische Flugblätter forderte162. Schließlich forderte Füllkrug, mit Verweis auf die umfangreiche Präsenz von Reklameplakaten im öffentlichen Raum, die Nutzung dieses Mediums für die Präsentation christlicher Themen sowie für die Ankündigung von Evangelisationen und religiösen Vorträgen: „Es muß den Leuten geradezu in die Augen springen, daß das Christentum und die Kirche auch noch da sind und sich rühren und regen.“163 Füllkrug sah es als erforderlich an, auf diesen Plakaten „zu den großen Ereignissen des Tages und der Gegenwart vom Standpunkt des bibelgläubigen Christentums aus Stellung zu nehmen“164. So sollte die christliche Botschaft durch ihr Einbringen in aktuelle Diskurse interessant gemacht werden. Aus diesen diversen Aktionsformen lassen sich die verschiedenen Adressaten und Gegner erkennen. Einerseits sollte die öffentliche Mission auf die „Masse“ wirken, andererseits waren speziell die im Blick, die keinen besonderen Kontakt zur Kirche hatten. Einige der vorgeschlagenen Aktionsformen hatten das Ziel, durch Wortverkündigung missionarisch zu wirken; bei den meisten Agitationsformen war das primäre Anliegen allerdings die Abwehr von als gottlos klassifizierten freidenkerischen und sozialistischen Positionen. In der Abgrenzung von angeblich gegen die Hohenzollerndynastie und das Vaterland gerichteten Flugblättern wurde zudem deutlich, dass Füllkrug nicht trennscharf zwischen religiöser und politischer Positionierung unterschied. Das wesentliche politische Anliegen in der Anfangsphase der Weimarer Republik blieb natürlich die Kirchenfrage, in der sich die Kirche auch gegen die neue Regierung verteidigen müsse: „Zur öffentlichen Mission gehört es auch, wenn die christliche Kirche oder christliche Vereine und Verbände Widerspruch erheben gegen alle Übergriffe der revolutionären Regierung gegen die Rechte der christlichen Kirche.“165 Die Einbeziehung der „Öffentlichen Mission“ als eigenes Teilgebiet der Volksmission war die einzige wesentliche inhaltliche Ergänzung, die Füllkrug zu den Vorschlägen Hilberts machte. In der Frontstellung gegen den „antichristlichen Geist“ und die prognostizierte Kirchenkritik, die ja auch Hilbert in seinen Broschüren durch „Volksmission“ bekämpfen wollte, war die Konfrontation allerdings bereits angelegt. Durch die politische Entwicklung im November 1918 verschärfte sich diese Frontstellung aber. Da der Obrigkeits161 162 163 164 165
Ebd., 209 f. Ebd., 209. Ebd., 208. Ebd., 208 f. Ebd., 210.
Die Rezeption in Deutschland
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staat als Bündnispartner wegfiel und die Kirche scheinbar in ihrem Charakter als Volkskirche bedroht war, wurde Volksmission zu einer Waffe in der Auseinandersetzung um die kirchliche Selbstbehauptung und, wie Matthias Pöhlmann mit Recht feststellt, „zum Instrument für den Kampf gegen einen ,gottlosen‘ Staat.“166 Positiv ist die Diskussion um „öffentliche Mission“ als eine Adaption der in der Massengesellschaft geltenden Publikationsformen und der Vertretung eigener Interessen in der nun einmal von einer konfrontativen politischen Kultur beherrschten Weimarer Republik zu deuten. Ob allerdings die meistens doch schon aus der Tätigkeit Wicherns und Stoeckers bekannten Formen der Schriftenmission, der Straßenpredigt und der agitatorischen Massenversammlungen wirklich „neue Wege und Mittel“167 sein konnten, um an die „Entfremdeten“ heranzukommen, muss als fraglich gelten. Auch die Verbindung von politischer Agitation und Mission hätte doch wohl kaum Wirkung auf die Entfremdeten haben können. Insgesamt ist inhaltlich Gerhardt recht zu geben. Er hielt das hier analysierte Kapitel für einen der schwächeren Beiträge zum Handbuch168. Daher entwickelten sich die Pressearbeit und die Publizistik in der Inneren Mission auch weitgehend unabhängig von deren volksmissionarischen Diensten169.
3.7 Die Rezeption in Deutschland Das „Handbuch für Volksmission“ erschien im Frühjahr 1919 und fand eine breite Rezeption, wie an zahlreichen Besprechungen in der evangelischen Presse deutlich wurde. Im Folgenden soll nun anhand dieser Rezensionen die Aufnahme des „Handbuchs“ in seinem Erscheinungsjahr dargestellt werden170. So soll festgestellt werden, wie weit der Gedanke der „Volksmission“ in den verschiedenen theologischen Richtungen und den protestantischen Vereinen aufgenommen wurde. Sehr positiv war die Aufnahme in den Vereinsblättern der Inneren Mission. Eine Rezension in der Zeitschrift der provinzialsächsischen Inneren Mission nannte das Handbuch „die erste grundlegende Veröffentlichung für eine 166 167 168 169
Pçhlmann, Kampf, 58. F llkrug, Mission, 200. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 261. Vgl. zur Geschichte des „Propagandadienstes“ der Inneren Mission Pçhlmann, Angriffskrieg, 209–213. 170 Die hier herangezogenen Rezensionen finden sich als Zeitungsausschnitte in einer im Archiv des Diakonischen Werkes aufbewahrten Sammlung von Besprechungen theologischer Werke unter der Signatur ADE Berlin, CA / EvA 108. Leider sind die genauen Daten (Datum, Jahrgang, Seite) aus den Zeitungsausschnitten nicht immer exakt abzulesen und fehlen deshalb teilweise in den folgenden Belegstellen.
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evangelische Volksmissionierung in Deutschland.“171 Der Autor kritisierte zwar, dass das Ziel der Volksmission nicht genügend zusammengefasst sei und auch die Wirkungen auf die Sittlichkeit und karitative Tätigkeit stärker hätten ausgeführt werden müssen, er kam aber zu einem positiven Fazit: „Wir können nicht dankbar genug sein für dies Buch und hoffen, daß recht viele sich dadurch in die Arbeit einführen lassen möchten.“172 Die Rezension im Blatt des Berliner Johannesstiftes kritisierte lediglich den hohen Preis des Buches; ansonsten lobte Ernst Bunke, der für das Handbuch den Artikel über „Volksmission und Gemeinschaftsbewegung“ verfasst hatte, das besprochene Werk überschwänglich173. Die umfangreiche Rezeption in den Verbandsblättern der Inneren Mission verwundert nicht. Auffällig ist aber, dass auch die Publizistik der Äußeren Mission von dem Handbuch recht umfangreich Notiz nahm. Überhaupt wurde das Thema „Volksmission und Heidenmission“ im Rahmen der deutschen (Heiden-)Missionsbewegung sehr ausführlich besprochen174. Siegfried Knak, Inspektor und seit 1921 Direktor der Berliner Missionsgesellschaft, betonte wie die Berufsarbeiter der Inneren Mission: „Volksmission ist eins der Losungsworte, mit denen die Kirche in die Kämpfe der neuen Zeit hineingeht.“175 In den Blättern der Frauenmissionshilfe wurde aufgrund dieser Konvergenzen zwischen Heidenmission und heimatlicher „Volksmission“ gegen Vorwürfe Stellung genommen, „daß jetzt keine Zeit für Heidenmission sei“176, da das primäre Anliegen nunmehr die Rettung der heimatlichen Kirche sei. Hintergrund für diese Einschätzung der Volksmission waren auch praktische Notwendigkeiten: Es war absehbar, dass nach Kriegsende der größte Teil der Missionsfelder den deutschen Missionaren verschlossen werden würde, was ein Rezensent offen benannte: „Ich wünsche vielen unserer deutschen Missionare, die der Krieg von ihren Arbeitsfeldern vertrieben hat, daß dieses Buch ihnen den Blick eröffne in ein neues 171 Zeitungsausschnitt Menzel, Lic. Gerhard Füllkrug, Handbuch der Volksmission, Blätter für Innere Mission 14.16 / Okt. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). 172 Ebd. 173 Zeitungsausschnitt Ernst Bunke, Bespr., Werkblatt des Johannesstiftes 5.1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). In der Ankündigung des ersten „Heft zum Handbuch der Volksmission“ war die Kritik am hohen Buchpreis regelrecht polemisch: „Der Preis ist zeitgemäß für die Handarbeiter, die nur noch Zigaretten für 50 Pf. rauchen, für alle anderen etwas hoch; aber es geht bei den heutigen Druckkosten nicht anders“ (Zeitungsausschnitt Brüderblatt des Johannesstiftes, 1.1920 [ADE Berlin, CA / EvA 108]). 174 Vgl. Zeitungsausschnitt Sammelrezension Handbuch der Volksmission; Georg Beyer, Missionswochen; Siegfried Knak, Haben wir es mit neuem Heidentum in unserem Volk zu tun; Hilbert, Volksmission und Heidenmission; Johannes Warneck, Die Erfahrungen der Mission und der kirchliche Umbau; Monniger, Was die Heidenmission der Volksmission zu sagen hat, in: Jahrbuch der evangelischen Missionskonferenzen 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 108). 175 Zeitungsausschnitt Knak, Besprechung, AMZ 6.1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). 176 Zeitungsausschnitt Besprechung, Lydia: Blätter aus der Frauenmission 11 / 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108).
Die Rezeption in Deutschland
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Feld, das ebenfalls weiß ist zur Ernte, und wo sie im dornenvollen und doch fröhlichen Dienst am Evangelium das Leid der letzten Jahre vergessen können, bis ihnen Gott wieder den Weg öffnet in die nichtchristliche Welt.“177
Wie zu erwarten wurde das Handbuch für Volksmission auch in den Blättern der 1918 als Reaktion auf die gesellschaftlichen und kirchlichen Umwälzungen entstandenen Volkskirchenbewegung rezensiert. Die vom Evangelischen Bund herausgegebene „Volkskirche“, die gleichzeitig ein Blatt für die Volkskirchenbewegung mit ihren diversen Bünden sein wollte, veröffentlichte eine positive Rezension des Kirchenhistorikers Leopold Zscharnack: „Das alles sind in der Tat dringende volkskirchliche Fragen, die neben den Verfassungsfragen nicht vergessen und durch sie nicht etwa in den Hintergrund geschoben werden dürfen“178. Allerdings kritisierte er, dass die Auswahl der Mitarbeiter zu einseitig gewesen sei; so hätten zum Thema „Christentum und Weltkrieg“ auch liberale Theologen wie Otto Baumgarten und Erich Foerster Gehör verdient179. Hier zeigte sich, dass die Autoren des Handbuches nicht für die ganze evangelische Kirche sprechen konnten. Häufig besprochen wurde das „Handbuch für Volksmission“ in den diversen theologischen Literaturzeitschriften. Beispielhaft hierfür steht die vom späteren Tübinger Neutestamentler Gerhard Kittel verfasste Rezension im „Theologischen Literaturblatt“. Dieser, damals Privatdozent in Leipzig, war als Geschäftsführer des von der Allgemeinen Lutherischen Konferenz ausgehenden Christlichen Volksdienstes ebenfalls mit Fragen der Evangelisation befasst180. Kittel betrachtete das besprochene Werk als „vorzügliches Hilfsmittel für alle, die praktisch Volksmission, insbesondere Evangelisation, treiben wollen“181. Eine Rezension im „Theologischen Literaturbericht“ kritisierte dagegen an diesen theoretischen Ausführungen, dass „die Zielsetzung der Volksmission zu wenig deutlich herausgearbeitet ist.“182 Auch deren Autor betonte aber: „[…] die grundsätzliche Rechtfertigung [der Volksmission, H. B.] liegt von selbst in dem furchtbaren Notstand des sittlich-religiösen Zusammenbruchs der Ge-
177 Zeitungsausschnitt Missionsmagazin und Bibelblätter 7 / 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108); vgl. auch Lehmann, Missionaries. 178 Zeitungsausschnitt Zscharnack, Zur volksmissionarischen Aufgabe der Volkskirche, in: Volkskirche: Halbmonatsschrift für den Aufbau und Ausbau unserer evangelischen Kirche 1.3 / 5. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). 179 Ebd. 180 Vgl. Bunke, Innerkirchliche Evangelisation (1920), 264. 181 Zeitungsausschnitt Gerhard Kittel (Leipzig), Füllkrug, Lic. Gerhard, Handbuch der Volksmission, Schwerin i M. 1919, F. Bahn, Theologisches Literaturblatt. 40.15 (1919) (ADE Berlin, CA / EvA 108). 182 Zeitungsausschnitt Jordan (Wittenberg), Besprechung, Theologischer Literaturbericht 41.3 / 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 108).
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Anleitungen zur praktischen Arbeit: Handbuch der Volksmission (1919) genwart gegeben, der noch ganz anders schreckhaft uns anstarrt, als dereinst das Jahr 1848 die damaligen Kirchenleute.“183
In den konservativen Kirchenblättern war die Aufnahme fast einhellig positiv. „Daß jetzt gerade Volksmission blutnotwendig ist, darüber herrscht in christlichen Kreisen nur eine Meinung“184, schrieb der Rezensent in der „Evangelischen Kirchenzeitung“ und sah das „Handbuch“ als Antwort auf die Frage, wie diese Volksmission nun durchzuführen sei. Der „Reichsbote“ bezeichnete Volksmission als „Losung des Tages“185 und sah den wesentlichen Wandel der Gegenwart in einer Tatsache: „Die Staatskirche ist eben zur Missionskirche geworden.“186 Diese Einschätzung der Gegenwart findet sich in fast allen Rezensionen in konservativen evangelischen Zeitungen. Die praktischen Vorschläge des „Handbuchs für Volksmission“ wurden als wichtiger Beitrag zur Lösung der Entchristlichung gesehen187. Daher enthielten diese Beiträge keine kritischen Bemerkungen und waren auch mit der zeitgeschichtlichen Deutung einverstanden. Der Rezensent in der von der „Positiven Union“ herausgegebenen „Reformation“ etwa bescheinigte dem besprochenen Werk: „Sachlichkeit, Nüchternheit, Freisinn [sic!] von ,Prophezeiungen‘ kennzeichnen es.“188 Eher kritisch war allerdings die Rezension des Studienleiters des Loccumer Predigerseminars und konservativ-volkskirchlichen Lutheraners Paul Fleisch189 in der „Evangelischen Wahrheit“, dem Sonntagsblatt der Hannoverschen Landeskirche. An der historischen Darstellung der Entwicklung der Volksmission monierte er eine mangelnde Klärung des Verhältnisses von Kirche und Gemeinschaftsbewegung in den Artikeln des Handbuchs der Volksmission190. Positiv war die Aufnahme in den Blättern der Gemeinschaftsbewegung. Mit Keller und Michaelis hatten ja prominente Vertreter des gemäßigten, der verfassten Kirche positiv gegenüberstehenden Flügels an der Abfassung des „Handbuches“ mitgewirkt. Aber auch in der Zeitschrift „Auf der Warte“, deren Autoren der Kirche kritisch gegenüberstanden, lobte der Rezensent Karl Möbius (gleichzeitig der Herausgeber des Blattes): „Das Buch gibt davon Zeugnis, daß die Kirche endlich aufwacht und sich nun der Evangelisation
183 Ebd. 184 Zeitungsausschnitt Besprechung, Beilage Evangelische Kirchenzeitung 19.93 / 11. 5. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). 185 Zeitungsausschnitt Br., Handbuch der Volksmission, Reichsbote 3. 9. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). 186 Ebd. 187 Ebd. 188 Zeitungsausschnitt A. B-Be., Besprechung, Reformation 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). 189 Zu Fleisch vgl. Meyer-Blanck, Wort, 98–120. 190 Vgl. Zeitungsausschnitt Paul Fleisch, Besprechung, Evangelische Wahrheit: Hannoversche Halbmonatsschrift für religiöse und kulturelle Fragen der Gegenwart 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108).
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ernstlich annehmen will; es geht auch an schwierigen Fragen nicht vorbei.“191 Möbius ging sogar so weit, das Buch auch den Gemeinschaftspredigern zu empfehlen: „er [der „Reichgottesarbeiter“, H. B.] wird sicherlich viel Anregung daraus empfangen.“192 Dies ist umso auffälliger, als in derselben Zeitschrift bis zum Ende des Ersten Weltkrieges ein großes Misstrauen gegen Bestrebungen zum Anliegen der Inneren Mission in der Volksmission bestand, da Möbius nicht eindeutig evangelistische Verkündigung und Konkurrenz gegenüber den Gemeinschaften befürchtete193. Selbst die Freikirchen lobten das Handbuch. Die Zeitschrift der methodistischen „Evangelischen Gemeinschaft“ kritisierte zwar die mangelnde Berücksichtigung der freikirchlichen Evangelisation, schrieb aber: „Ein Handbuch der Volksmission – so etwas wäre vordem im ,christlichen‘ Deutschland nicht möglich gewesen. Das ist nun anders geworden.“194 Das Interesse der konservativen und besonders der erwecklich geprägten Organe an dem Handbuch war nicht verwunderlich. Aber auch Organe des liberalen Protestantismus wie die Gemeindebewegung äußerten sich positiv. Trotz der Distanz, die Hilbert zum Programm Sulzes wahrte, würdigte der Autor „das Bemühen, die V.[olks]-M.[ission] als Betätigung der Kirche und der Gemeinde aufzufassen“195, und kam zu einer uneingeschränkten Empfehlung196. Auch Martin Schian, Professor für Praktische Theologie in Gießen und nach 1924 Generalsuperintendent in Schlesien, betonte den Wert für die praktische Arbeit197. Andere liberale Publikationsorgane äußerten moderate Kritik. In der „Evangelischen Freiheit“ betonte der Rezensent zwar die theologisch konservative Ausrichtung der Protagonisten des Volksmissionsgedankens, bemerkte jedoch dazu: „Aber umso mehr hat diese [die liberale Seite, H. B.] Anlaß in dieser Beziehung von der anderen Seite zu lernen. Denn wir werden ohne eine breit angelegte,
191 Vgl. Zeitungsausschnitt Möbius, Besprechung, Auf der Warte 40 / 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). 192 Ebd. 193 Vgl. Bunke, Innerkirchliche Evangelisation (1918), 161. 194 Zeitungsausschnitt Besprechung, Evangelischer Botschafter 25 / 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108); ähnlich Zeitungsausschnitt Der Wahrheitszeuge: Zeitschrift für Gemeinde und Haus: Organ der deutschen Baptisten 41.1 / 11. 5. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). 195 Zeitungsausschnitt H. Matthes, Hilfsmittel zur Gemeindearbeit, Mitteilungen an die Mitglieder des ,Deutschen Evangelischen Gemeindetages‘ 24 / Juni 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). So begrüßte der Autor besonders die Aktivierung der „angeregten“ Laien und die Zuweisung von Aufgaben an diese; vgl. ebd. 196 Ebd. 197 Vgl. Zeitungsausschnitt Schian, Besprechung, Deutsch-evangelisch 7. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108).
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Anleitungen zur praktischen Arbeit: Handbuch der Volksmission (1919) volkstümlich gestaltete Volksmission weder als Kirche noch als Sekte bestehen können.“198
Er kritisierte zwar „Engigkeit in Auffassung und Ziel“199 bei einigen Beiträgen und auch die mangelnde Berücksichtigung der „wirtschaftlichen und sozialen Hemmungen und Gegenwirkungen gegen eine durchschlagende Volksmission“200, betonte aber den praktischen Wert des Buches: „Aber es packt die Sache einfach an. Und das ist immer das beste.“201 Die Rezension in der „Christlichen Welt“ sah ebenfalls das Anliegen der „Christianisierung des Volkes“202 als notwendig an, auch wenn man den Missionsbegriff für „ein Volk, das in seiner überwiegenden Mehrheit noch christlich sein will“203 nicht unbedingt angewandt wissen wollte. Diese Rezension betonte den praktischen Nutzen des Handbuches, kritisierte aber die einseitige theologische Richtung: „Freilich werden Viele [sic!] finden, daß es durch eine weniger einseitige Auswahl der Mitarbeiter noch reicher und großzügiger geworden wäre.“204 Der Rezensent kritisierte, dass das Handbuch ein zu großes Gewicht auf eine orthodoxe Soteriologie und Christologie lege, was besonders in apologetischen Vorträgen hinderlich sei205. Der Rezensent in der Christlichen Welt erhoffte eine von theologischen Kontroversen freie gemeinsame Arbeit aller kirchlichen Strömungen des deutschen Protestantismus206. Auffällig ist, dass nicht nur alle konservativen Rezensenten, sondern auch fast alle liberalen Zeitungen das Anliegen des Handbuches teilten und auch den praktischen Nutzen der vorliegenden Arbeit würdigten, ja zu einer Aufnahme der Volksmission aufmunterten. Diese Tatsache zeigt, dass dem Anliegen der Volksmission in der Anfangsphase der Weimarer Republik durch seine Verbindung mit dem Volkskirchengedanken ein über die Träger im Vereinsprotestantismus hinausgehendes Potenzial innewohnte. Auch der Begriff „Volksmission“ wurde, abgesehen von der Besprechung in der „Christlichen Welt“, nicht weiter problematisiert. Obwohl er erst seit 1916 einen breiteren Gebrauch im innerprotestantischen Diskurs gefunden hatte, war der Begriff 1919 bereits etabliert. Die Ursache für diese schnelle Rezeption ist wohl nicht zuletzt in der historischen Situation zu sehen: Die durch den 198 Zeitungsausschnitt J. Iversen, Besprechung Handbuch der Volksmission, Evangelische Freiheit Januar 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 108). 199 Ebd. 200 Ebd. 201 Ebd. Auch an Füllkrugs Beiträgen lobte der Rezensent deren „feine praktische Bemerkungen“, ebd. 202 Zeitungsausschnitt Stephan, Handbuch der Volksmission, Die christliche Welt 33.43 / 23. 10. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 108). 203 Ebd. 204 Ebd. 205 Ebd. 206 Ebd.
Kritische Würdigung
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Systembruch ausgelösten Ängste ließen nach neuen Methoden fragen, und der Begriff „Volksmission“ klang innovativer als der durch die Gemeinschaftsbewegung in einer bestimmten Richtung geprägte Terminus „Evangelisation“207.
3.8 Kritische Würdigung Das „Handbuch der Volksmission“ entstand in der Endphase des Ersten Weltkrieges und in der Übergangsphase zur Weimarer Republik. Sein Herausgeber, Gerhard Füllkrug, war für die Konzeption maßgeblich verantwortlich und verfasste auch große Teile des Textes. Hinzu kamen Praktiker der Evangelisation und Apologetik, deren Beiträge teilweise auf Vorträge bei Volksmissionskursen zurückgingen, die kurz vor Kriegsende von der Inneren Mission und den Kirchenleitungen veranstaltet wurden. Während die Broschüren Hilberts ein Programm aufstellen wollten, durch das die evangelischen Kirchen in Deutschland Volksmission zu ihrem ureigenen Thema machen sollten, wollte das „Handbuch der Volksmission“ vor allem Anleitungen zur praktischen Arbeit geben. Den Kernbestand bildeten daher sehr ausführliche Kapitel zur praktischen Gestaltung der Evangelisation und Apologetik. Neben Evangelisten und Apologeten waren vor allem Gemeindepfarrer die Adressaten für dieses Buch. In Konzeption und Zielsetzung unterschied sich Füllkrugs Konzept der Volksmission, das dem „Handbuch der Volksmission“ zugrunde lag, nur in Nuancen von dem volksmissionarischen Programm Hilberts. Wie Hilbert betonte Füllkrug die Notwendigkeit, dass Evangelisation und Apologetik nicht nur ein Anliegen bestimmter Kreise sein, sondern die ganze Kirche und die konkrete Gemeindearbeit prägen sollten. Auch er wollte über die Schaffung einer Kerngemeinde die der Kirche nur noch lose Verbundenen und dann die „Fernstehenden“ erreichen. Dabei vertrat er die Notwendigkeit der Umgestaltung der Kirche durch eine verstärkte Aktivierung der Laien innerhalb der Kerngemeinde, ohne allerdings die hervorgehobene Rolle der Pastoren grundsätzlich infrage zu stellen. Noch stärker und eindeutiger als bei Hilbert war im „Handbuch der Volksmission“ die Betonung der Notwendigkeit des eigenen Tuns für das Heil des ganzen Volkes. Hierbei ging es nicht nur um die Sittlichkeit, sondern – im Sinne eines Tun-Ergehens-Zusammenhanges – auch darum, die Voraussetzungen für eine nationale Erneuerung zu schaffen. Die Betonung des Dienstes am Volke, die Füllkrug wiederholt mit Zitaten Wi207 Ernst Bunke schrieb hierzu: „Prof. D. Hilbert, der den Namen in den evangelisch-kirchlichen Sprachgebrauch eingeführt hat, wollte den Ausdruck ,Evangelisation‘ vermeiden, weil er vielfach ein Gepräge bekommen hat, das den Männern der Kirche nicht gefiel“ (Zeitungsausschnitt Bunke, Besprechung, Werkblatt des Johannesstiftes 5.1919 [ADE Berlin, CA / EvA 108]); vgl. auch Herrmann, Volksmission, 317.
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Anleitungen zur praktischen Arbeit: Handbuch der Volksmission (1919)
cherns begründete, führte bei Füllkrug zur Bejahung der Volkskirche. Er sah sie als Basis für die Volksmission und forderte daher unbedingt ihre Erhaltung. Trotz dieser grundsätzlichen Ähnlichkeiten ergaben sich durch die veränderte Situation nach der Novemberrevolution 1918 aber Akzentverschiebungen in der Zielvorstellung. Die Autoren des Handbuchs blieben weitgehend auf die Frage konzentriert, wie Volksmission in Deutschland auf diese neue Situation zu reagieren habe. Füllkrug ging es dabei vor allem darum, Volksmission als conditio sine qua non für die Zukunft von Kirche und Gesellschaft in Deutschland darzustellen. Rhetorisch nutzte er dafür geradezu leitmotivisch das Bild vom beständigen Evangelium, das in den Wandlungsprozessen der Gegenwart als fester Orientierungspunkt gelten könne und damit die Voraussetzung für eine Überwindung von Niederlage, Revolution und Republik biete. Es wird deutlich, „daß die Volksmission sich eher aus äußerer Notwendigkeit und wegen der Möglichkeit der Mission denn aus innerer Überzeugung in den neuen politischen Verhältnissen einrichten wollte“208. Besonders deutlich wird diese Frontstellung an dem Versuch Füllkrugs, auch die „öffentliche Mission“ in die Volksmission einzubeziehen. Die in diesem Zusammenhang von ihm vorgeschlagenen Aktionsformen waren Adaptionen von Mitteln des politischen Kampfes für die kirchliche Arbeit. Zudem betonte Füllkrug in diesem Kapitel die Notwendigkeit, die Volksmission mit der Selbstbehauptung der evangelischen Kirche in der Auseinandersetzung mit dem neuen Staat zu verbinden. Diese Verbindung lief parallel zu den Bestrebungen der Volkskirchenbewegung und der Kirchenleitungen, durch Mobilisierung der Laien die Stellung der Kirche zu erhalten und gleichzeitig durch Aktivierung des Gemeindelebens eine stärkere Basis zu gewinnen209. Diese Interessenkonvergenz erklärt die positive Rezeption, die das „Handbuch für Volksmission“ in den Besprechungen der publizistischen Organe aller theologischen Richtungen erhielt. Vor dem Hintergrund der Revolution und der unklaren Zukunft der Kirche konnten auch Liberale und andere, welche vor dem Ersten Weltkrieg die Evangelisation der Gemeinschaftsbewegung kritisiert hatten, bei allen Vorbehalten im Einzelnen der grundsätzlichen Idee eines volksmissionarischen Aufbruches einiges abgewinnen210. Die Verbindung von Mission und Kirchenpolitik, die mit einer politischen Positionierung im rechten politischen Spektrum einherging, war aber gleichzeitig ein großes Hindernis für das Ziel, über die der Kirche naheste208 So treffend Herrmann, Volksmission, 217. 209 Vgl. auch Jacke, Kirche, 83 f. 210 Hartmut Bärend, der als Leiter der AMD selbst mehrere Jahre Erfahrung in diesem Bereich hat, konstatiert: „Es ist wohl eine Art Gesetzmäßigkeit, dass sich Krisenzeiten für die Volksmission und Evangelisation positiv auswirken“ (B rend, Blick, 59).
Kritische Würdigung
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henden Schichten hinaus auch die nicht mehr kirchlich gebundenen Schichten, vor allem das Proletariat, anzusprechen. Während die Proklamierung des feststehenden Grundes in allem Wandel für die verunsicherten alten Eliten und das kleinbürgerlich und ländlich geprägte Milieu attraktiv wirken konnte, war sie kaum geeignet, die kirchenferne Arbeiterschaft zu überzeugen. Besonders deutlich wird das an den von Füllkrug für die Gemeindearbeit vorgeschlagenen Veranstaltungsformen, die sich an einer traditionellen Lebenswelt orientierten und als Resonanzboden ein der Kirche gegenüber aufgeschlossenes Milieu voraussetzten. Die Zielsetzung, eine gemeinsame weltanschauliche Basis zu schaffen, auf der eine Erneuerung des ganzen Volkes möglich werden würde, war durch die sehr konfrontative militaristische Rhetorik, die genau in die politische Kultur der Weimarer Republik passte, kaum möglich.
4. Volksmission in der Perspektive von „konservativer Revolution“ und Lutherrenaissance: Heinrich Rendtorff, Pflüget ein Neues (1924) 4.1 Heinrich Rendtorff – Volksmissionar zwischen Praxis, Theorie und Kirchenleitung Heinrich Rendtorffs Lebenslauf1 steht für die Kontinuitäten zwischen Kaiserreich und früher Bundesrepublik. Er wurde 1888 als Sohn einer prominenten Theologenfamilie geboren2. Er studierte in Tübingen, Halle und Leipzig und promovierte bei dem von ihm als seinen theologischen Lehrer betrachteten neulutherischen Theologen und späteren sächsischen Landesbischof Ludwig Ihmels3. Neben dem Studium wurde er besonders durch die Jugendbewegung und die Deutsche Christliche Studentenvereinigung (DCSV) beeinflusst4. Im Jahre 1914 wurde er unmittelbar nach dem Ende seiner theologischen Ausbildung an die Westfront eingezogen, wo er Dienst als Leutnant leistete. Die Kriegserfahrung hatte einen bedeutenden Einfluss auf sein Selbstverständnis, da er entsprechend gängiger Topoi das Erlebnis der Gemeinschaft an der Front und die angebliche Herausbildung der Persönlichkeit im Kampf nach 1918 als „Elemente zur Überwindung der Krise“5 betrachtete. Nach 1918 übernahm er kurzzeitig ein Pfarramt in der schleswig-holsteinischen Landeskirche. Rendtorffs Interesse an der Volksmission wurde geweckt, als im Dezember 1919 in seiner Gemeinde beinahe hundert Kirchen-
1 Das Leben Heinrich Rendtorffs würde aufgrund seiner Bedeutung für die Kirchengeschichte der Zwischen- und Nachkriegszeit eine eigene wissenschaftliche Monografie verdienen. Bisher existiert nur eine von Angehörigen und Freunden kurz nach seinem Tod verfasste Sammlung biografischer Texte; vgl. Toaspern, Arbeiter. Daneben gibt es zwei auch mentalitätsgeschichtlich interessante Darstellungen von Christoph Weiling; vgl. Weiling, Rendtorff; sowie Weiling, Bewegung, 163–176. 2 Sein Vater Franz Rendtorff wurde 1910 auf eine Professur in Leipzig berufen und war von 1916 bis 1934 Vorsitzender des Gustav-Adolf-Vereins; vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 204 f. Rendtorffs Mutter war eine Schwester des Tübinger Theologen Adolf Schlatter; vgl. Toaspern, Arbeiter, 11. 3 Vgl. Weiling, Bewegung, 164. 4 Zum Einfluss der Jugendbewegung vgl. ebd.; im Jahre 1928 wurde Rendtorff zum stellvertretenden Vorsitzenden der DCSV gewählt; vgl. Kupisch, Studenten, 142 f. 5 Weiling, Bewegung, 165; für Belege aus Rendtorffs Oeuvre vgl. ebd.
Rendtorff – Volksmissionar zwischen Praxis, Theorie und Kirchenleitung
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austrittserklärungen gesammelt wurden6. Nachdem er einen von Füllkrug geleiteten Volksmissionskurs besucht hatte, war Rendtorff von 1921 bis 1924 hauptamtlicher Volksmissionar der schleswig-holsteinischen Inneren Mission7. Im Rahmen seiner Tätigkeit hielt er nicht nur Evangelisationen ab, sondern auch Vorträge, in denen er in Propsteikonventen für die Volksmission warb8. Im Herbst 1924 wurde er zum Direktor des schleswig-holsteinischen Predigerseminars in Preetz berufen. Rendtorff nutzte dieses Amt, um den Gedanken der Volksmission auch unter den Seminaristen zu verbreiten9. Seine 1924 einsetzende umfangreiche literarische Tätigkeit10 war zugleich die Grundlage für die Berufung zum Professor der Praktischen Theologie an der Universität Kiel im Frühjahr 192611. Dieses Amt erwies sich allerdings als Zwischenstation, da Rendtorff 1930 zum Landesbischof von Mecklenburg–Schwerin gewählt wurde: „Man erwartete von ihm vor allem auf dem Gebiet der Volksmission, […] weitere Belebung und tatkräftige Förderung.“12 Der schnelle Aufstieg Rendtorffs in der kirchlichen Hierarchie – nur 11 Jahre von der ersten Pfarrstelle zur Bischofswahl – zeigt, dass Volksmission in dieser Zeit ein Weg zum kirchenpolitischen Aufstieg sein konnte13. In der Tat widmete sich Rendtorff in allen seinen Ämtern dem Gedanken der Volksmission14. Ab 1931 übernahm er zusätzlich die Leitung der Christlichdeutschen Bewegung, die unter seiner Führung ihren Fokus immer stärker auf die Mission der antidemokratischen Rechten konzentrierte15. Zugleich gehörte Rendtorff im April 1931 zu den ersten evangelischen Kirchenführern, die sich positiv zum Nationalsozialismus äußerten16. Auch 1933 war er einer der ersten Bischöfe, die das neue Regime begrüßten, und er spielte eine Schlüsselrolle bei der Bestimmung Ludwig Müllers zum Reichsbischof17. Klaus Scholder beschrieb das Verhältnis Rendtorffs zum Nationalsozialismus als paradigmatisch für die evangelische Kirche: 6 Dieses Erlebnis wurde von seinen Angehörigen im Nachhinein zu einer Art Erweckungserlebnis stilisiert; vgl. Toaspern, Arbeiter, 19. 7 Zu seiner Arbeit in Schleswig-Holstein vgl. Rendtorff, Volksmission. 8 Vgl. Rendtorff, Neues, 8. 9 Er organisierte mit seinen Seminaristen im Herbst 1925 eine „kirchliche Aufbauwoche“ mit evangelistischen Vorträgen; vgl. Toaspern, Arbeiter, 29. 10 Vgl. Rendtorff, Bibliographie. 11 Hier trat er die Nachfolge von Otto Baumgarten an; vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 30. 12 Toaspern, Arbeiter, 37. 13 Dies betont mit Bezug auf die Wahl Rendtorffs auch Weiling, Rendtorff, 565. 14 Zu Rendtorffs volksmissionarischen Aktivitäten in Mecklenburg vgl. den Bericht des dortigen Oberkirchenrates; zitiert in: Toaspern, Arbeiter, 42. 15 Vgl. Weiling, Bewegung, 163–176; zur Entwicklung der Volksmission in der Weltwirtschaftskrise vgl. auch unten 256–271. 16 „So muß die evangelische Kirche um ihres Berufes willen aus der nationalsozialistischen Bewegung das große Wollen heraushören und dankbar begrüßen, muß aber zugleich über dieses Wollen als ein menschliches, d. h. Unvollkommenes und Gebrochenes, den heiligen Willen Gottes verkündigen“ (zitiert nach: Scholder, Kirchen, Bd. 1, 177). 17 Vgl. Wright, Parteien, 215–218.
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Volksmission: „Konservative Revolution“ und Lutherrenaissance „Nationale Gutgläubigkeit, politische Blindheit und vor allem jener verheerende volksmissionarische Enthusiasmus, der in diesen Jahren so viel Unheil anrichtete, waren in der Figur des mecklenburgischen Landesbischofs bis zu seiner Wendung [zur Bekennenden Kirche im Jahre 1934, H. B.] auf geradezu beispielhafte Weise vereinigt.“18
Trotz seines intensiven Werbens um das neue Regime musste Rendtorff jedoch nach mehreren Auseinandersetzungen mit dem mecklenburgischen Gauleiter sein Bischofsamt Anfang 1934 an einen Kandidaten der DC abgeben19. Er übernahm ein Pfarramt in Stettin, orientierte sich kirchenpolitisch um und wurde Mitglied des Bruderrates der BK in Pommern20. Auch in der Bekennenden Kirche war Volksmission sein Kernanliegen, und er nutzte dafür dieselben Legitimationsmuster wie in der Weimarer Republik und im Jahre 193321. So war Rendtorff an der Sammlung der Volksmissionare der Bekennenden Kirche in der Arbeitsgemeinschaft deutscher Volksmissionare beteiligt und wurde ab 1941 deren Leiter, ein Amt, das er bis zu seinem Tod 1960 innehatte22. Nach 1945 sah Rendtorff, der 1945 erneut seinen ehemaligen Lehrstuhl in Kiel übernahm, wiederum Chancen für eine erfolgreiche Volksmission23. Auch nach seiner Emeritierung im Jahre 1956 widmete er sich bis zu seinem Tod Vorträgen und Bibelarbeiten, mit denen er eine entsprechende Zielsetzung verband24. Die Volksmission war für Rendtorff ein Begriff, der über die Systemumbrüche von 1918, 1933 und 1945 hinaus das handlungsleitende Motiv in seiner kirchlichen Arbeit bildete25. Diese lebenslange Beschäftigung mit der Volksmission rechtfertigt eine ausführliche Analyse von Rendtorffs Schrift „Pflüget ein Neues“ von 1924. Rendtorff hatte als Angehöriger der durch den Fronteinsatz im Ersten Weltkrieg und die politischen und geistigen Strömungen der Zwischenkriegszeit geprägten „Frontgeneration“ einen anderen Hintergrund für seine Beschäftigung mit „Volksmission“ als ihre bisher dargestellten Vertreter Hilbert und Füllkrug und deren Beiträge.
18 Scholder, Kirchen, Bd. 1, 607. 19 Zur Ereignisgeschichte vgl. Beste, Kirchenkampf. 20 So fand 1935 eine Provinzialsynode der BK in seiner Gemeinde statt; vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 2, 200. 21 So schrieb er 1934, als der „Kirchenkampf“ einen weiteren Höhepunkt erlebte: „1920 und 1934 – die Zeiten kann man nicht miteinander vergleichen. Aber der Herr der Ernte ist derselbe. […] Die Ernte ist groß. Es ist Erntezeit für Gott“ (Rendtorff, Aufgebot, 44). 22 Vgl. Toaspern, Arbeiter, 101–108. Bedeutsam war vor allem seine Rolle in der Entstehung der heute noch bestehenden Evangelischen Bibelwochen ab 1935; vgl. ebd., 117–137. 23 Vgl. zu der von Rendtorff geleiteten Arbeitsgemeinschaft der Volksmissionare B rend, Blick, 88–92. Allgemein zu den Hoffnungen auf eine Rechristianisierung nach 1945 vgl. auch den wegweisenden Artikel Greschat, Rechristianisierung. 24 Vgl. Toaspern, Arbeiter, 162. 25 Vgl. für die Zeit nach 1945 Rendtorff, Dank, 64.
Volksmissionsverständnis
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4.2 Volksmissionsverständnis Rendtorff betonte zu Anfang seines Büchleins, dass es dringend notwendig sei, Theorie und Praxis der Volksmission „einer umfassenden theologischen Bearbeitung zu unterziehen“26. Er gibt im Vorwort an, die Schrift sei in seiner Tätigkeit als Volksmissionar aus Vorträgen gegenüber Pfarrkonventen entstanden und solle für die Volksmission werben27. Zugleich verstand er sie als Beitrag eines Praktikers zur notwendigen theoretischen Diskussion28. Um diesem doppelten Charakter der Schrift gerecht zu werden, soll nicht nur Rendtorffs Argumentationsgang nachgezeichnet werden, sondern auch die Rhetorik Rendtorffs thematisiert werden, mit der er für die Aufgabe der Volksmission warb. Als unmittelbaren Zweck seiner Schrift nannte Rendtorff im Vorwort von „Pflüget ein Neues“ eine zielgenaue Bestimmung des Volksmissionsbegriffes, den er durch die rapide Aufnahme im innerprotestantischen Diskurs bedroht sah29. Rendtorff sah darin eine „Gefahr ihrer Veräußerlichung und Verflachung.“30 Damit nahm er eine Kritik auf, die in den publizistischen Äußerungen volksmissionarisch interessierter Protestanten wiederholt geäußert wurde31. Zugleich betonte er aber wiederum die gegenwärtige schwierige Lage als Motiv der Volksmission, die zugleich Gefahr und Möglichkeit sei. Er schloss das Vorwort mit dem Bild vom reifen Erntefeld, das geradezu ein Leitmotiv seines missionarischen Impetus bildete: „,Da er das Volk sah jammerte ihn [Jesus, H. B.] desselben, denn sie waren verschmachtet und zerstreuet wie Schafe, die keinen Hirten haben. Da sprach er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber wenige sind der Arbeiter. Darum bittet den Herrn der Ernte, daß er Arbeiter in seine Ernte sende.‘ Matth. 9,36.“32
Im ersten Kapitel der Schrift stellte Rendtorff die Frage nach dem Wesen kirchlicher Volksmission. Er sah dieses nicht in der Methodik, sondern in einer einheitlichen Zeitdeutung: „Die Volksmission will Ernst machen mit der Wirklichkeit.“33 Er nahm die im innerprotestantischen Diskurs breit rezipierte Deutung der Kriegsniederlage und der Novemberrevolution als Indikator des religiösen und sittlichen Niederganges des gesamten Volkes auf: „Die Entwicklung der letzten Jahre hat alle Schleier rücksichtslos zerrissen und uns die 26 Rendtorff, Neues, 7. 27 Ebd., 7 f.; auch sein 1922 erschienener Bericht zur Volksmission in Schleswig-Holstein trägt den Untertitel „Ein Bericht zur Rechenschaft und zum Mutmachen“; vgl. Rendtorff, Volksmission. 28 Rendtorff, Neues, 8. 29 Ebd., 7 f. 30 Ebd., 7. 31 Vgl. u. a. Bunke, Innerkirchliche Evangelisation (1921), 309. 32 Rendtorff, Neues, 8. 33 Ebd.
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Wahrheit offenbar gemacht.“34 Rendtorffs Deutung der Volksmission ist daher von einem Pathos der Wirklichkeit bestimmt35. Als Kehrseite zu dieser Sachlichkeit sah er „[r]ückhaltlose Offenheit für die Wirklichkeit Gottes, für das Tun Gottes“36 als ein typisches Merkmal der Volksmission. Zum Pathos der Sachlichkeit trat bei Rendtorff ein Pathos des Kairos; das Bild des Erntefeldes wurde mit dem Gedanken der Krisis verbunden: „Solche Zeit der Scheidung ist Erntezeit für unseren Gott. Das Feld ist weiß zur Ernte!“37 In den theologischen und politischen Diskursen im frühen 20. Jahrhundert hatte die Verwendung eschatologischer und apokalyptischer Begriffe und Metaphern Hochkonjunktur. Im Anschluss an Kurt Nowak und Friedrich Wilhelm Graf hat Anselm Doering-Manteuffel diesen Sachverhalt mit einem Wandel des Zeitverständnisses im frühen 20. Jahrhundert erklärt, der eine viele intellektuelle Strömungen übergreifende Abkehr von einem Fortschrittsoptimismus und dem klassischen historistischen Denken beinhaltete38. Rendtorff sah den Ruf zur Mission unmittelbar in der historischen Situation gegeben, welche zugleich den Willen Gottes zur Aktion offenbare: „Da steht übermächtig die Forderung der Stunde als die Forderung Gottes, der mit der Aufgabe zugleich die Kraft gibt“39. Der Aktivismus war ebenfalls ein typisches Signum politischer Bewegungen im frühen 20. Jahrhundert. Anselm DoeringManteuffel hat auch am Beispiel der Richtlinien der später von Rendtorff geleiteten Christlich-deutschen Bewegung aufgezeigt, dass sich die mit diesem Aktivismus verbundenen Begrifflichkeiten eines Christentums der Tat „im Magnetfeld der Ideologie des europäischen Faschismus bewegt[en].“40 Ein gemeinsamer Nenner der unterschiedlichen faschistischen Bewegungen in Europa war nämlich die Berufung auf das Primat der Tat und eine anti-intellektuelle Berufung auf das Leben an sich, die sich mit Stanley Payne unter dem Schlagwort des Vitalismus zusammenfassen lässt41. Damit ist nicht gesagt, dass Rendtorff 1924 explizit eine faschistische Ideologie vertrat. Es zeigten sich aber Konvergenzen, die seine Offenheit für die nationalsozialistische Bewegung in der Endphase der Weimarer Republik und zu Beginn des Dritten Reiches zu 34 Ebd. 35 Dieses Pathos lässt sich in den publizierten Aussagen Rendtorffs immer wieder finden. Dies wird z. B. an einer Rede deutlich, die er als Professor 1927 zum Andenken der gefallenen Angehörigen der Kieler Universität gehalten hatte. Geradezu leitmotivisch brachte er in dieser Ansprache den Anspruch vor, „in schlichter Sachlichkeit“ (Rendtorff, Deutsche, 8) die Motive der Kriegstoten vorzubringen. 36 Rendtorff, Neues, 11. 37 Ebd. 38 Doering-Manteuffel, Suchbewegungen, 189. Zum theologiegeschichtlichen Kontext vgl. auch Graf, Geschichte. Auch in der politischen Mitte wurde im Rahmen von Volksgemeinschaftsdiskursen der Volksbegriff mit existentiellen Kategorien aufgeladen vgl. Retterath, Volk, 337 f. 39 Rendtorff, Neues, 13. 40 Doering-Manteuffel, Suchbewegungen, 194. 41 Payne, Geschichte, 17.
Volksmissionsverständnis
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erklären vermögen. In seinem Pathos der Sachlichkeit, seinem Antihistorizismus und seinem vitalistisch aufgeladenen Aktivismus vertrat Rendtorff Anliegen, die im Bereich der antidemokratischen Rechten anschlussfähig waren und auch die nationalsozialistische Bewegung beherrschten42. In der Aufnahme der Gedankenwelt der „konservativen Revolution“ und aktueller Tendenzen in der evangelischen Theologie ist auch das Spezifikum von Rendtorffs Gedanken zur Volksmission zu sehen: Grundsätzlich lehnen sich seine Gedanken zur Art und Zielsetzung der Volksmission eng an die Schriften Hilberts und Füllkrugs an. Gleichzeitig nahm Rendtorff aber das Lebensgefühl der jungen Generation und die Ideen, die den intellektuellen Diskurs der „konservativen Revolution“ prägten, auf und stellte sein Konzept der Volksmission in diese Bezüge hinein. Das macht die Ambivalenz des Buches „Pflüget ein Neues“ aus: Einerseits wird deutlich, dass Rendtorff wesentlich stärker in zeitgenössische intellektuelle Diskurse eingebunden war als die bisher betrachteten Autoren. Andererseits weist die Nähe zu den zeitgenössischen rechtsintellektuellen Diskursen bereits auf die Probleme hin, die an Rendtorffs Wirken in der Endphase der Weimarer Republik deutlich wurden. Im darauffolgenden zweiten Kapitel über „Das Ziel der Volksmission“43 diskutierte Rendtorff verschiedene mögliche Ziele, die sich mit „Volksmission“ verbinden könnten, um Gefahren und Wahrheitsmomente dieser Motive zu klären und um letztlich zu einer eigenen Definition der Zielsetzung zu kommen. Rendtorff stellte zuerst die Frage, ob es das Ziel der Volksmission sei, das Volk wieder zu verkirchlichen44. Er akzeptierte die Notwendigkeit, die Folgen der Entkirchlichung zu bekämpfen, lehnte aber Verkirchlichung als Ziel der Volksmission ab. Dabei argumentierte er mit einer konservativ-romantischen Abwertung des bloß Gemachten gegenüber dem Gewordenen45. Wenn das Ziel der Volksmission allein die Rückführung der Massen in die Kirche sei, bestünde die Gefahr, „daß eine mechanische Organisation gebaut wird statt eines wachstümlichen Organismus“46. Als weitere mögliche Zielsetzung nannte Rendtorff eine Verchristlichung des Volkes im Sinne einer Vermittlung echten Glaubens an die Gesamtheit des Volkes47. Rendtorff lehnte
42 An Erinnerungen an Heinrich Rendtorffs Wirksamkeit in der schleswig-holsteinischen Theologenausbildung in Preetz wird deutlich, in welchem Ausmaß diese vitalistische Philosophie verbunden mit einem aktivistischen soldatischen Habitus auch handlungsleitend werden konnte: „Der Pastor war ihm [Rendtorff, H. B.] nicht Träger eines traditionsgeprägten Amtes, sondern ein Offizier, der an der Front steht und in wacher Kampfbereitschaft die Lage ernstnimmt. Und das Predigerseminar war ihm, wie ein ehemaliger Kandidat sagt, ,ein Rekrutendepot unmittelbar hinter der Front‘, ständig auf diese hin ausgerichtet“ (Toaspern, Arbeiter, 29). 43 Rendtorff, Neues, 13–25. 44 Ebd., 14 f. 45 Vgl. zum Stichwort „Organismus“ Sontheimer, Denken, 322–327. 46 Rendtorff, Neues, 15. 47 Ebd., 15–18.
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die Verchristlichung des Volkes als letztes Ziel ab, wobei er sein ekklesiologisches Verständnis offenlegte: „Ein wahrhaft christliches Volk gab es nie. Das Christentum war von jeher aristokratisch, das heißt schmaler Weg durch die enge Pforte. Wo Einzelpersönlichkeiten von überragender Größe, wo kleinere oder größere Christenkreise von innerlichster Geschlossenheit vorhanden waren, da wirkten sie in das Volksleben hinein, da war die Frucht ihres Lebens ein Niederschlag in Volkssitte, Volksrecht und Weltanschauung, der ein Volk nahe herankommen läßt an das Bild eines christlichen Volkes.“48
Wie die bisher betrachteten Theoretiker der Volksmission sah Rendtorff die Notwendigkeit einer Kerngemeinde, die auf das Volksganze einwirken müsse. Dem entsprach ein eher elitäres Glaubensverständnis, das die Notwendigkeit der eigenen Bekehrung betonte. Dabei nahm Rendtorff bewusst zeitgenössische Diskurse auf, indem er den Wert der Führerfigur und der in sich geschlossenen Gruppe betonte. Die von Rendtorff verwendeten semantischen Felder gehörten zu den Leitbegriffen der Rechten in der Weimarer Republik49. Rendtorff betonte den elitären Anspruch eines „wahren Christentums“, der in seiner Begründung mit der Demokratiekritik der Weimarer Rechten korrespondierte50. Zugleich begründete er die Entscheidung für die Bekehrung Einzelner theologisch als Konsequenz seines Glaubensbegriffs, der „den Einzelnen aus seinen Bindungen herauslöst und ihn allein vor Gott stellt“51. Diese Fokussierung auf das Gewissen wies Überschneidungen zu der von Karl Holl geprägten Lutherrenaissance auf, deren innere Mitte Heinrich Assel am Beispiel Karl Holls als eine „gewissenstheologische Reflexion auf die unableitbar individuelle, aber gerade so allgemein-menschliche Erlebbarkeit von Rechtfertigung“52 bezeichnet hat. Rendtorff war kein Schüler Holls, sondern war in seinem Luthertum durch seinen Leipziger Lehrer Ihmels geprägt53. Seine Rezeption der Theologie des Göttinger Systematikers Emanuel Hirsch und des Erlangers Paul Althaus54 lassen aber darauf schließen, dass er bewusst die Nähe zu den Protagonisten der Lutherrenaissance suchte. Von seinem Ansatz bei der Glaubenserfahrung her postulierte Rendtorff die Notwendigkeit einer Umkehr des Menschen zu Gott. In der Hinwirkung auf die persönliche Bekehrung sah Rendtorff die Daseinsbedingung der Volks-
48 Ebd., 17. 49 Zum Führerbegriff vgl. Sontheimer, Denken, v. a. 268–280. 50 Vgl. ebd., 211–233.; zu Rendtorffs Rezeption von Begriffen der Jugendbewegung vgl. Weiling, Bewegung, 164 f. 51 Rendtorff, Neues, 20. 52 Assel, Aufbruch, 469. 53 Vgl. Weiling, Rendtorff, 562. 54 Hirsch und Althaus sind Autoren von zwei der acht Bücher, die Rendtorff als Quellen für seine Schrift angab; vgl. Rendtorff, Neues, 158.
Ekklesiologie
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mission55. Rendtorff grenzte sich dabei allerdings von einer von ihm als „,methodistisch‘“56 bezeichneten Verengung des Bekehrungsbegriffes ab; das sei „eine Verkündigung, die ein fertiges Schema an die Menschen herandringt und sie in ein Erlebnis nach diesem Schema hineindrängen, hineinnötigen will.“57. Er forderte daher, dass auch auf Wachstumsprozesse und die bereits vorhandene christliche Prägung der Hörer Rücksicht genommen werden müsse58. Zugleich sollte in der Volksmission stärker als in der bisherigen Evangelisation die Verwurzelung des Einzelnen in seiner Umgebung berücksichtigt werden: „[…] sie sieht dann im Volk gewissermaßen den geometrischen Ort für den Einzelnen.“59 Insgesamt war Rendtorffs Konzeption also wie bei Hilbert und Füllkrug primär auf eine Verkündigung an den Einzelnen ausgerichtet: „sie [die Volksmission, H. B.] will den Einzelnen vor Gott stellen, will ihm zeigen, daß die Botschaft des Evangeliums von Gericht und Gnade ihn zur Entscheidung aufruft“60. Rendtorff wollte daher „Volksmission“ von kirchlichen Handlungsoptionen abgrenzen, denen primär daran lag, die kirchlichen Verhältnisse der frühen Neuzeit zu repristinieren oder eine Rechristianisierung im Sinne der Erneuerung einer in seinen Augen oberflächlichen Volksfrömmigkeit durchzuführen. Unter rhetorischer Aufnahme von gängigen Metaphern der Glorifizierung des „Organischen“ und der Zivilisationskritik grenzte sich Rendtorff von einer erwecklichen Verkündigung ab, die dem einzelnen Hörer in der Forderung einer schematischen „ordo salutis“ nicht gerecht werde. Volksmission müsse die Prägungen des Einzelnen und dessen in seiner Zugehörigkeit zum (deutschen) Volk liegenden Kontext in die Verkündigung mit einbeziehen. Auch wenn Rendtorff klug genug war zu sehen, dass zwischen der Ausrichtung der volksmissionarischen Verkündigung auf den Einzelnen und dieser Berücksichtigung seines Kontextes eine Spannung bestand, bot er zumindest in diesem Kapitel keine Lösung an.
4.3 Ekklesiologie Rendtorff vertrat die These, dass eine Besinnung auf den volksmissionarischen Gedanken ein wichtiger Teil der notwendigen Reform der Kirche sei. Rendtorff begann daher ein Kapitel zum Verhältnis von Volksmission und Kirche mit einer positiven Bestandsaufnahme. Die Kirche biete als Garant der 55 Ebd., 21. 56 Ebd. 57 Ebd. Rendtorff konzedierte allerdings: „Mit dem echten Methodismus hat sie [die verfehlte „methodistische“ Verkündigung, H. B.] nichts zu tun“ (ebd). 58 Ebd., 22. 59 Ebd., 19. 60 Ebd., 24
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Wahrheit, der Vollmacht und der Hoffnung die Antwort auf die Fragen und Probleme der gegenwärtigen Situation und genieße das Vertrauen der Bevölkerung61. Die Analyse der bisherigen Realisierung dieser Möglichkeiten konnte laut Rendtorff dagegen nur desaströs ausfallen: „[…] fragt man nach der Wirkung, die von ihr in unser Volk hinein ausgeht, dann wird aus dem Danken und Lobpreisen tiefschmerzliche Erkenntnis und bittere Buße.“62 Rendtorff diagnostizierte eine mangelnde Wirksamkeit der kirchlichen Verkündigung auf das Volk. Als Beispiel nannte er gerade die Passageriten Taufe, Konfirmation, Trauung und Bestattung, die trotz ihrer verbliebenen Popularität ein Beispiel für die mangelnde Wirkmächtigkeit der bisherigen Verkündigung seien. Explizit machte Rendtorff die Problematik an den von ihm suggestiv geschilderten unterschiedlichen Deutungen der Konfirmation durch den Pfarrer und das Kirchenvolk deutlich: „Keinen Tag im Kirchenjahr gibt es, wo der gewissenhafte Pastor so erschütternd die Kluft fühlt, die die Masse seiner Gemeinde von dem Evangelium trennt.“63 Rendtorff kritisierte besonders die häufige Verwendung des Wortes „noch“ in der zeitgenössischen kirchlichen Publizistik: „Für den Geist wirklicher Mission ist es [das Wort „noch“, H. B.] einfach tötlich [sic!]. […] ihm ist die Losung ein schmerzliches ,noch nicht‘ und ein hoffnungsfreudiges ,schon‘“64. Rendtorff sah in diesem Wechsel der Anschauung das Charakteristikum der Volksmission: „ihm [dem Missionsgeist, H. B.] handelt es sich um Angriff, um Vorstoß, um Bewegung und Kampf und Sieg.“65 Damit brachte er den auf Aktion drängenden Gestus, der sein Konzept der Volksmission prägte, in einer von militärischen Begriffen geprägten Sprache zum Ausdruck und stellte dieses angeblich neue Kirchenverständnis einem vorgeblich defensiven, auf die bloße Erhaltung des Bestandes ausgerichteten Konzept gegenüber. Rendtorff forderte als Konsequenz dieser Gegenwartsanalyse eine konsequente Umstellung der kirchlichen Arbeit: „Ein Pfeil im Gewissen unserer Kirche will die Volksmission sein, daß sie die Stunde erkenne, in die Gott sie hineingeführt hat, und grundsätzlich sich umstelle zur Missionskirche.“66 In einer Umstellung der kirchlichen Arbeit zur missionarischen Form sah Rendtorff eine für das Überleben der Volkskirche essenziell notwendige Voraussetzung: „Ihr [der Volkskirche, H. B.] gelingt der Uebergang aus einer […] erhaltenden in eine missionarische Arbeit, oder ihr Schicksal ist besiegelt.“67 Rendtorff begründete die Notwendigkeit einer Umstellung der kirchlichen Arbeit mit einer veränderten historischen Situation der Kirche: „Wir wurden 61 Ebd., 25–30. 62 Ebd., 30 f. 63 Ebd., 31. Rendtorff beteiligte sich an der Debatte um die Reform der Konfirmation; vgl. Rendtorff, Konfirmation. 64 Rendtorff, Neues, 34. 65 Ebd. 66 Ebd., 36. 67 Rendtorff, Neues, 38.
Ekklesiologie
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Diaspora-Kirche. Wo heute lebendige Gemeinden um Gottes Wort sich sammeln, da leben sie in der Diaspora, da sind sie zerstreut in eine Welt, die dies Leben aus Gott nicht kennt.“68 Rendtorff nahm hier eine Theologie auf, die im Rahmen des Gustav-Adolf-Vereins entwickelt worden war. Sein Vater, Franz Rendtorff, hatte seit 1924 in verschiedenen Beiträgen eine der veränderten Situation nach 1918 angemessene Deutung des Diasporabegriffes vorgenommen, in der er bestrebt war, gegenüber einer nationalistischen Volkstumsideologie den theologischen Gehalt festzuschreiben. Franz Rendtorff sah das Phänomen der Diaspora in einer Dialektik von Gericht und Gnade verankert. Diese Theologie wurde in der Bekennenden Kirche und in der DDR immer stärker auf die schrumpfenden Volkskirchen übertragen69. Diesen Gedanken nahm Rendtorff bereits 1924 vorweg. Durch die historische Entwicklung seien auch die evangelischen Landeskirchen in Deutschland auf dem Weg zu einer Diasporakirche: „Wo heute einzelne Christenmenschen in Gehorsam und Glauben ihren Weg gehen, da sind sie in der Diaspora, da haben sie in ihrer Familie, in ihrem Beruf, im Wirtschaftsleben, im politischen Leben gegen den Strom einer Zeit zu schwimmen, die von Gott nichts weiß.“70
Rendtorff sah drei Möglichkeiten, wie eine Kirche auf diese Entwicklung zur Diasporakirche reagieren könnte. Zunächst nannte er die Möglichkeit der Angleichung an die Umwelt71. Als weitere Option nannte er die „scharfe Trennung von der Welt“72. Auch diesen Weg lehnte Rendtorff ab, da er nach Erfahrungen von Sekten und Freikirchen innerhalb von wenigen Generationen nur noch äußerlich aufrechtzuerhalten sei73. Als dritte Möglichkeit der Reaktion nannte der Autor die missionarische Option: „Mission. Nur dann ist das Hineingestelltsein in eine gottwidrige Welt ohne eigenen inneren Tod zu ertragen, wenn diese Welt geschaut wird als ein Feld der Arbeit […], als ein Feld der Mission.“74 Die Aufgabe der Volksmissionsbewegung sah Rendtorff in der Aufforderung an die Gesamtkirche, sich auf diesen Wandel einzustellen75. Im Folgenden behandelte Rendtorff die Gestalt der einzelnen Gemeinde. Er ging von dem gegebenen Zustand der volkskirchlichen evangelischen Gemeinde als „Nachwuchskirche“76 aus. Das bedeutete für das einzelne Kirchenmitglied aufgrund der Kintertaufe, „daß seine Zugehörigkeit zur Ge68 69 70 71 72 73 74 75 76
Ebd., 39. Zu Franz Rendtorffs Diasporatheologie vgl Rçhrig, Diaspora, 65–80, 113–121. Rendtorff, Neues, 39. Ebd. Ebd. Ebd., 40. Ebd. Ebd. Diesen Begriff hatte sein Vater Franz Rendtorff 1911 in einem Vortrag als wesentliches Merkmal der empirischen Volkskirche genannt; vgl. Rendtorff, Kirche, Landeskirche, 28 f.
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meinde ein selbstverständliches Stück der geschichtlich bestimmten Welt ist, in die es hineingeboren wurde“77. Diese Gegebenheit der Kirchenmitgliedschaft sah Rendtorff zunächst als eine positive Eigenschaft; die Volkskirche sei die historisch gegebene Institution, durch welche die christliche Botschaft an das gesamte Volk vermittelt würde78. Die Erhaltung der Volkskirche sei „Glaubensgehorsam gegen die in der Geschichte uns deutlich gewordene Sendung Gottes.“79 Nach Rendtorffs Ansicht wurde aber durch die selbstverständliche Kirchenmitgliedschaft zugleich der Zustand der Kirche als corpus permixtum festgeschrieben. Dadurch verlöre die Parochie die Fähigkeit, Subjekt der Volksmission zu sein: „Die sichtbare Einzelgemeinde kann nicht Missionsgemeinde sein.“80 Zugleich befinde sich die Selbstverständlichkeit der Gemeindezugehörigkeit in einer volkskirchlichen Situation in einem Spannungsverhältnis zum Charakter des Glaubens. Rendtorff betonte, wiederum ein Anliegen Hilberts aufnehmend, dass gerade die praktischen Erfahrungen mit erwecklicher Verkündigung in der Volkskirche darauf hinweisen würden, dass für diese eine Gemeinschaft von Erweckten notwendig sei81. Allerdings seien weder die landeskirchlichen Gottesdienste noch die protestantischen Verbände fähig, eine solche Vergemeinschaftung herzustellen82. Daher sah er aus der praktischen Erfahrung heraus eine Gemeindereform als notwendig an: „Die Volksmission drängt nicht aus einer Theorie, sondern aus der großen Not heraus zu einem Gedanken der Gemeinde, der sich von dem Gedanken der selbstverständlichen Nachwuchsgemeinde weit entfernt, nämlich zu dem Gedanken der lebendigen Gemeinde. Ihr Maßstab ist einfach die Kraft, die von ihr ausgeht, die Wirkung, die sie ausübt an Menschen, die ihrer bedürfen, an ihrer Umwelt.“83
Als Charakteristika dieser „lebendigen Gemeinde“ nannte Rendtorff drei Gesichtspunkte. Zunächst müsse sie eine bewusste Gemeinschaft der Glieder untereinander ermöglichen, sodass „in ihnen ein lebendiges Gliedbewußtsein erwächst, das sie in die Gemeinschaft hineinstellt als Empfangende, die von ihr abhängig sind, und zugleich als Gebende, die ihr verantwortlich sind.“84 Statt einer folgenlosen selbstverständlichen Zugehörigkeit müsse also ein bewusstes Engagement in der Gemeinschaft erfolgen. Wie Hilbert sah Rendtorff die „lebendige Gemeinde“ als Gemeinschaft von Erweckten, die im Glauben ein bewusstes Verhältnis zu einem gemeinsamen Zentrum hatten. Rendtorff sah durch dieses gemeinsame Zentrum die „lebendige Gemeinde“ als einen 77 78 79 80 81 82 83 84
Rendtorff, Neues, 42. Ebd., 43. Ebd., 52. Ebd., 43. Ebd., 46. Ebd., 47. Ebd. Ebd., 48.
Ekklesiologie
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Organismus konstituiert: „Nur wo das [die gemeinsame Ausrichtung auf Gott, H. B.] der Fall ist, ist die Gemeinde ein Organismus, der Mission treiben kann, der Durchgangsstelle für Gottes errettendes Tun sein kann.“85 Die organische Metaphorik bildet den Schlüssel zum Verständnis von Rendtorffs Bild einer lebendigen Gemeinde, das im Übrigen als Aufnahme pietistischer und erwecklicher Gemeinschaftskonzepte zu verstehen ist, allerdings mit seinen Leitbegriffen „Gemeinschaft“, „Organismus“ und „lebendig“ auch in die Diskurse der „konservativen Revolution“ eingebettet war. Die organische Beschaffenheit sei laut Rendtorff darauf zurückzuführen, dass die Entstehung der ,lebendigen Gemeinde‘ als göttliches Wirken verstanden werde. Zudem sei diese Gemeinschaft auf Wachstum ausgelegt, was sich in ihrer missionarischen Wirkung auf die Umwelt manifestiere. Dieses organische Wachstum stellte er als für die Zukunft der deutschen evangelischen Kirche wesentlich dar. Rendtorff attestierte der Volksmissionsbewegung insofern eine Schlüsselrolle in der seines Erachtens notwendigen Kirchenreform. Er betonte, dass die von den Volksmissionaren verkündete Botschaft alle nach dem Ersten Weltkrieg in Angriff genommenen neuen kirchlichen Arbeitsfelder durchdringen müsse: „[…] eine kirchliche Arbeitsgemeinschaft für soziale Hilfsarbeit, zur Besprechung von Weltanschauungsfragen, zur Veranstaltung religiöser Vorträge usw. ist an sich noch nicht ein Stück lebendiger Gemeinde, wenn nicht das, was diesen Kreis zusammenhält, das gemeinsame Schöpfen aus dem lebendigen Quell ist, die innere Verbundenheit mit Gott durch sein lebendiges Wort.“86
Neben dem durch den gemeinsamen Glauben konstituierten Fundament in Gott und der unter den Mitgliedern der „lebendigen Gemeinde“ bestehenden Gemeinschaft sah Rendtorff die gemeinsame Aktivität und die missionarische Ausrichtung auf die nicht diesem Kreis Angehörigen als Kennzeichen87. Während die Gemeinschaft also das Innenverhältnis der „lebendigen Gemeinde“ betraf, war die Sendung nach außen gerichtet. Auch die Tätigkeit der „lebendigen Gemeinde“ sah Rendtorff als gleichsam automatisch aus der Gemeinschaft hervorgehend88. Diesem organischen Wachstum setzte Rendtorff rhetorisch die Organisation entgegen: „Gerade wo es sich um Leben im innerlichen Sinne handelt, darf […] auch niemals ein Organisationsschema von außen herangebracht werden.“89 Die organische Metaphorik diente dazu, die Volksmission von einer negativ apostrophierten „mechanischen“, „äußerlichen“ und „künstlichen“ Reform abzuheben. Allerdings bemerkte Rendtorff die Spannung, die zwischen seiner Option für die Volkskirche und seiner eher freiwil85 86 87 88 89
Ebd. Ebd., 49. Ebd., 50. Ebd. Ebd., 50.
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Volksmission: „Konservative Revolution“ und Lutherrenaissance
ligkeitskirchlichen Vision der „lebendigen Gemeinde“ bestand: „Wie leidet gerade der Missionsberuf der Kirche darunter, daß sie als Volkskirche sich dem anpaßt, was das Volk haben will und tragen kann.“90 Rendtorff sah das Verhältnis zwischen diesen beiden Größen, der als Gottes Wille verstandenen Volkskirche und der für die Erfüllung des missionarischen Auftrages notwendigen Gemeinschaft der Entschiedenen „als Pole einer lebendigen, mit dem Wesen des Evangeliums gegebenen Spannung“91, die sich gerade in der Frage der Gestaltung der Zukunft der deutschen Landeskirchen auswirken müsse. Bei der rhetorischen Gestaltung dieser Spannung als einer Auseinandersetzung von zwei Wahrheiten, die beide in Gottes Willen verankert seien, klingt aber sein Lösungsvorschlag erstaunlich konservativ und in der Tradition der innerkirchlichen Erweckungsbewegungen verankert: „Ist vielleicht das um der Missionsaufgabe der Kirche willen zu fordernde Ziel lebendige Gemeinden in der Volkskirche? Sammlung ohne Zerbrechen des geschichtlich Gewordenen?“92 Rendtorff favorisierte wie Hilbert, auf den er sich explizit bezog, das Konzept einer auf dem Freiwilligkeitsprinzip beruhenden ecclesiola in ecclesia, die auf die volkskirchlich verfasste große Gemeinde missionarisch wirken solle und fest in ihr verankert sein müsse. Rendtorff wollte die Frage, wie die „lebendigen Gemeinden“ künftig zu organisieren seien, nicht vorab klären, sondern sah es in dieser Frage für notwendig an, die Dinge im wahrsten Sinne des Wortes wachsen zu lassen93. Als Charakteristikum betonte er die enge Verbindung von innerer Sammlung und nach außen gerichteter Sendung: „Gemeinschaftsbildung innerhalb der Gemeinde und Missionsgedanke treten hier in innigster Verbindung auf. Der Missionsgedanke treibt zur Gemeinschaftsbildung; nur so weit er das Leben der sich bildenden Gemeinschaft beherrscht, kann und wird sie gesund und lebenskräftig bleiben.“94
Das Kapitel über „Volksmission und Gemeinde“ hatte die Funktion, Rendtorffs Ekklesiologie eine praktische Dimension zu geben. Inhaltlich folgte er Hilbert und Füllkrug darin, der bestehenden Parochie die Stellung eines Subjekts der Volksmission zu verweigern. Auch er vertrat das Konzept einer Kerngemeinde als ecclesiola in ecclesia, in der sich die durch volksmissionarische Verkündigung angesprochenen Gemeindeglieder sammeln sollten, um auf die Gesamtgemeinde zu wirken. Es fällt auf, in welchem Ausmaß auch Rendtorff die Erneuerung dieser altbekannten Konzeption rhetorisch als conditio sine qua non für die Zukunftsfähigkeit der Kirche darstellte. Eine Schlüsselvokabel in diesem Kapitel bildet der Gemeinschaftsbegriff. Rendtorff stellte die durch volksmissionarische Verkündigung herzustellende „lebendige Gemeinde“ die Metapher 90 91 92 93 94
Ebd., 52. Ebd., 54. Ebd., 55 f. Ebd., 56. Ebd.
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vom Leib Christi aufnehmend als ein gegliedertes Ganzes dar. Noch stärker als Hilbert und Füllkrug benutzte er für die Entstehung dieser Gemeinschaft organische Metaphorik, die seinen Text nicht nur mit dem theologischen Denken der Protagonisten einer nationalistischen „politischen Theologie, sondern auch mit dem gängigen Vokabular der „konservativen Revolution“ verband95. Diese Nähe prägte auch Rendtorffs Volksverständnis.
4.4 Verhältnis von Glaube und Volkstum Während sich Rendtorff insgesamt eng an die Volksmissionskonzeption Hilberts und Füllkrugs anschloss, war die Verhältnisbestimmung von „Volksmission“ und „Volkstum“ ein eigenständiger Beitrag zum Volksmissionsdiskurs. Das Verhältnis zu Nation und Volkstum war zwar implizit ein Anliegen, das alle bisher betrachteten Beiträge zum Thema Volksmission bewegte; in den bisher vorgestellten Texten wurden diese Begriffe aber vorausgesetzt und nicht eigens erörtert. Auch ein 1920 erschienener Beitrag Füllkrugs über „Die Bedeutung der Volksmission für Erweckung und Erneuerung unseres Volkes“ bot kaum theoretische Reflexion: „Wir, die wir unser Volk und Vaterland lieb haben, wollen darauf hoffen, daß eine religiöse Erweckung uns auch ein nationales Aufwachen und eine soziale Neubelebung unseres Volkes bringt.“96 Rendtorff versuchte dagegen, in dem hier zu analysierenden Kapitel den Zusammenhang von Volksmission und Volkstum systematisch zu behandeln, obwohl er dabei nicht immer konsistent und theoretisch reflektiert vorging und auch selbst nicht beanspruchte, das Thema umfassend zu behandeln97. Daher nahmen Beiträge zum Verhältnis von anderen Akteuren der Volksmissionsbewegung zum Thema „Volksmission und Volkstum“ immer wieder explizit auf Rendtorffs Ausführungen Bezug98. Es ist auffällig, dass im Jahre 1924, als Rendtorffs Schrift „Pflüget ein Neues“ erschien, innerhalb des Vereinsprotestantismus und der evangelischen Publizistik die Diskussion um den Umgang mit der völkischen Bewegung begann, die durch den Putsch von Adolf Hitler und Erich Ludendorff am 9. November 1923, den anschließenden Hitlerprozess und kleinere Wahlerfolge der Deutsch-Völkischen Freiheitspartei bei den Reichstagswahlen 1924 für Aufsehen gesorgt hatte99. Wie 1933 95 Vgl. Sontheimer, Denken, 322–325. 96 F llkrug, Bedeutung, 20. 97 „Eine gründliche theologische Untersuchung über ihr Verhältnis [d. i. von Volkstum und Volksmission, H. B.] tut uns dringend not“ (Rendtorff, Neues, 66). 98 Vgl. F llkrug, Volkstum, 88–95; Glondys, Volksmission. 99 Beispiele in Scholder, Kirchen, Bd. 1, 134–140; zum zeitgeschichtlichen Kontext ebd., 134. Zusätzlich zu den bei Scholder genannten Beispielen ist noch ein Vortrag des Leipziger IMFunktionärs Georg Gustav Philipp Faust zu nennen, den dieser im Mai 1924 vor dem CentralAusschuss für Innere Mission über die völkische Bewegung hielt. Dieses Referat schloss
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gehörte Rendtorff – damals noch ein weitgehend unbekannter Volksmissionar – also auch schon in der Weimarer Republik zu den ersten, die sich zu dem brisanten Thema „völkische Bewegung“ äußerten100. Rendtorff begann seine Darlegung des Verhältnisses der Größen „Volksmission“ und „Volkstum“ mit einem Bezug auf mehrere Begriffe, die in der Weimarer Republik im rechten Lager geradezu omnipräsent waren. Er begründete das Interesse an der Volkstumsbewegung mit der Frage nach der Bildung von Gemeinschaften, die sowohl die Kirche als auch die Volksmission betreffen würden. Er sah nämlich in der Frage nach der Volksgemeinschaft, welche die völkische Bewegung umtrieb, eine analoge Frage zur Gemeinschaftsbildung innerhalb der Kirchengemeinden. Dabei berief er sich auf die Gegenüberstellung von Gemeinschaft und Gesellschaft, ohne allerdings den Soziologen Ferdinand Tönnies explizit zu zitieren101. Den angeblichen gegenwärtigen Zustand beschrieb er mit einer für die Weimarer Rechte typischen Dekompositionsmetaphorik: „Auf allen Lebensgebieten ist die organische Gemeinschaft, die die Einheit in der Vielheit und die Vielheit in der Einheit bedeutet, ersetzt worden durch die Gesellschaft, die vereinzelte Individuen zu bestimmten Zwecken auf dem Wege der Organisation zusammenfaßt.“102
Rendtorff nahm mit der Entgegensetzung von „Gemeinschaft“ und „Gesellschaft“ sowie „Organismus“ und „Organisation“ Begriffe auf, die aus dem 19. Jahrhundert stammten und, wie wir gesehen haben, auch in Hilberts und Füllkrugs Publikationen eine Rolle spielten, und bezog sie auf die Gegenwartskritik von Kirche und Staat. Er bezog sich dabei stärker und bewusster als Hilbert und Füllkrug auf die von ihm umworbenen rechten Strömungen, denen diese Topoi als „polemische Begriffe, die nicht primär Wirklichkeit erfassen [sollten], sondern als Waffen gegen die Wirklichkeit [der Weimarer Republik, H. B.]“103 dienten. So nannte Rendtorff als Beispiel für die angeb-
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ebenfalls mit einer sehr freundlichen Stellungnahme: „Die Kirche hat die Pflicht, sich eingehend mit der völkischen Bewegung zu beschäftigen und derselben mit den ihr verliehenen Gaben zu dienen“ (Protokoll Sitzung CAvom 12. 5. 1924 [ADE Berlin, CA 94, A I b 2 bb, 1916/ 1926]). Allerdings scheint Rendtorff mit dem Begriff „Volkstumsbewegung“ nicht nur die im engeren Sinne völkische Bewegung gemeint zu haben, sondern alle Bewegungen, die in den 1920erJahren die Notwendigkeit einer auf den Volksbegriff bezogenen Erneuerung betonten; vgl. zusammenfassend zum Volksbegriff Sontheimer, Denken, 308–315; Breuer, Anatomie, 78–86. Rendtorff, Neues, 57. Ebd. Zur Bedeutung dieser Begriffe vgl. Tçnnies, Gemeinschaft; Sontheimer, Denken, 308–323; Retterath, Volk, 62–64; sowie zusammenfassend für die Kirchengeschichte des 20. Jahrhunderts Brunner, Volkskirche, 357–359 (Kapitel 5) Sontheimer, Denken, 323. Wie Jörn Retterath gezeigt hat, wurde das Gemeinschaftsdenken allerdings auch in den Parteien der politischen Mitte intensiv rezipiert; vgl. Retterath, Volk, 272–327. Für weitere Beispiele der Verwendung des Organismus- und des Gemeinschaftsbe-
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liche Zerrissenheit des deutschen Volkes die politischen Verhältnisse104. Rendtorff stellte sich also in vollem Umfang hinter die Gegenwartskritik der antidemokratischen Rechten und in die Tradition völkischen Denkens. An diese Einführung in die Problematik schloss Rendtorff eine Definition des Volksbegriffes an. Als mögliche Definitionen nannte er die Einheit des geografischen Raumes, die gemeinsame Sprache, die in der gemeinsamen Abstammung resultierende Rasse und die Gleichheit der Lebensbedingungen105. Alle diese Bedingungen seien zwar als Identitätsmerkmale des Volkes von Bedeutung, mit ihnen würde jedoch nicht das Wesentliche erfasst. Ambivalent war besonders Rendtorffs Haltung zum Rassebegriff. Rendtorff würdigte die angebliche gemeinsame Abstammung zwar als „Wurzel, auf der einheitlich lebendiges Volkstum wächst“106, er warnte jedoch vor einer Verabsolutierung des Rassebegriffs: „Beweis dafür sind die Verzerrungen, die sich überall da ergeben, wo die Rassenzusammengehörigkeit betont und in den Vordergrund gerückt wird, ohne daß ihr geistig seelische Kräfte entsprechen. Ein Hinweis auf die Zerrbilder eines völkischen Christentums mag das erhärten.“107
Den Grund für diese Reserve bildete die Prämisse von Rendtorffs organischem Denken: „Das Wesen des Volkstums als einer organischen, schöpferischen Kraft liegt in den geheimnisvollen Tiefen des persönlichen Lebens.“108 Das Wesentliche des Volkstums sah Rendtorff also in einer rational nicht fassbaren Verbundenheit der Angehörigen eines Volkes. Vor dem Hintergrund einer pluralistischen Gesellschaft konnte sein Ideal des Volkstums nur den Charakter eines Postulates haben: „Durch gleiches ,Volkstum‘ verbunden sein heißt gleich empfinden, heißt gleich werten, heißt gleich wollen.“109 Die äußeren Bedingungen, inklusive der Abstammungslehre, seien nur vor dem Hintergrund dieser gemeinsamen Bestimmung von Bedeutung. Rendtorff definierte also „Volkstum“ primär als geistige Wirklichkeit, weshalb er sich von einer Überbetonung der Rasse abgrenzte. Wie andere Vertreter der „konservativen Revolution“ sah Rendtorff Volkstum eher als eine Aufgabe denn als einen Zustand: „Volstum [sic!] im innersten Sinne ist das, was aus einem Volk auf Grund seiner natürlichen körperlichen und geistig-seelischen Bedingungen im Hinblick auf seine Idee werden will und werden soll.“110
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griffes im Volkskirchendiskurs vgl. jetzt Brunner, Volkskirche, 98 (Kapitel 2.5.3), 110–123 (Kapitel 2.5.4), 125 f. (Kapitel 2.6). Rendtorff, Neues, 59. Ebd., 60–62. Ebd., 61. Ebd., 61 f. Ebd., 62 f. Ebd., 62. Ebd., 63 f.; zum Unterschied zwischen konservativem und nationalsozialistischem Rassenverständnis vgl. auch Weiling, Bewegung 150–152.
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Rendtorff beschrieb diese eigene Definition des Volkstumsbegriffes als eine „sittlich-religiöse“111. Volkstum war danach eine sittliche Größe, welche vor allem ein dem Volk als Kollektiv gegebenes Handlungsideal beschreiben sollte, das den Einzelnen in die Pflicht nahm. Rendtorff benutzte dafür ein Theologumenon, das in den Kontext der Lutherrenaissance gehört, den Berufsgedanken: „Der Gedanke des Volkstums findet seine Krönung in dem sittlichen Gedanken des Berufes, ebenso wie der Gedanke einer sittlichen Einzelpersönlichkeit zum Berufsgedanken sich hindrängt.“112 Der Volkstumsbegriff war also für Rendtorff nur unter dem Aspekt der von Gott einem Volk gegebenen Berufung möglich. Rendtorff führte diesen Gedanken weiter zu einer Theologie der Schöpfungsordnungen: „Der geheime Lebensgrund, aus dem das so verstandene Volkstum mit all seinen Möglichkeiten und Anlagen herauswächst, ist Gott der Schöpfer.“113 Aus diesem Grund sei die von der völkischen Bewegung angestrebte Erneuerung nur in Verbindung mit einer religiösen Komponente möglich: „[…] eine organische Gemeinschaft ist nur möglich, wo sie herauswächst aus der Tat Gottes und hineinmündet in den Gehorsam gegen Gottes Willen. Eine letzte Lösung des soziologischen Problems auf allen Gebieten ist nur auf religiösem Wege möglich.“114
Rendtorff beanspruchte damit, dass die Wiederherstellung einer Gemeinschaft des Volkes allein durch eine religiöse Erneuerung erreichbar sei. Nur durch eine breite Aufnahme des Evangeliums im deutschen Volk sei es möglich, die erstrebte „organische“ Gesellschaftsordnung zu schaffen und beizubehalten. Rendtorff erklärte daher, dass völkische Bewegung und Volksmissionsbewegung aufeinander angewiesen seien. Dabei argumentierte Rendtorff damit, dass sowohl eine volksmissionarische Erneuerung der evangelischen Kirche als auch die Volksmission durch rational nicht erfassbare „innerste“ Beweggründe angetrieben würden: „Auf Grund ihrer inneren Dynamik werden beide, […], einander entgegengetrieben. Daß sie einander finden in einem lebensvollen Verhältnis, ist für beide eine Lebensfrage.“115 Rendtorff sah den volksmissionarischen Auftrag der evangelischen Kirche, der durch die Volksmissionsbewegung wahrgenommen wurde, und den ebenfalls im Willen Gottes liegenden Erneuerungswillen der völkischen Bewegung zwar nicht als einheitlich an, da dies für ihn zwei getrennte Dynamiken waren. Sie sollten sich allerdings gegenseitig vertiefen: „Ein Christentum, das es auf die Dauer nicht fertig bringt, Gemeinschaft bildend und gestaltend in das Volk hineinzuwirken, ist ebenso zum Absterben verurteilt 111 112 113 114 115
Rendtorff, Neues, 63. Ebd., 64. Ebd. Ebd., 65. Ebd.
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wie ein Volkstum, das es nicht fertig bringt, sich auf seine letzten religiösen Lebensgrundlagen zu besinnen und aus ihnen sich ständig zu erneuern.“116
Diese Argumentation, dass religiöse und „völkische“ Erneuerung aufeinander angewiesen seien, bildete einen Cantus firmus in Rendtorffs Äußerungen zum Verhältnis von Kirche und Volk117. Beide müssten laut Rendtorff in ein Verhältnis zueinander gebracht werden, ohne jedoch miteinander identifiziert zu werden. Dabei lag die Betonung auf der Notwendigkeit einer religiösen Vertiefung der nationalen Erneuerung. In der Gegenwart beklagte er eine mangelnde gegenseitige Verständigung. Während die völkische Bewegung wegen ihrer Entchristlichung eine Restauration vorchristlichen Heidentums versuche, ließen große Teile der modernen Theologie „das Verständnis für die lebensvolle, bluterfüllte Besonderheit des Volkstums“118 vermissen. Auch eine strikte Trennung zwischen der kulturellen Bedeutung des Volkes und der christlichen Verkündigung lehnte er ab: „tatsächlich kommen bei solcher Abgrenzung beide zu kurz, indem das Volkstum mißtrauisch entwertet, indem Gottes unbedingtes und unbeschränktes Herrschaftsrecht verkannt wird.“119 Rendtorff bekannte sich im theologischen Feld der 1920er-Jahre daher eindeutig zu einer lutherisch geprägten Theologie, welche die Anliegen der nationalen Rechten aufnahm. Er grenzte sich damit von den Strömungen der dialektischen Theologie und des Religiösen Sozialismus ab. Die Argumentation, dass Volksmission notwendig sei, um den perzipierten mangelhaften Zustand des Volkes zu heilen, war auch in den bisher analysierten Texten deutlich zu erkennen: Die religiöse und politische Situation wurde regelmäßig zum stärksten Argument für die Notwendigkeit von „Volksmission“ erklärt. Bei Rendtorff wird deutlich, dass er dieses Verhältnis von „Volksmission“ und Entstehen einer „organischen Volksgemeinschaft“ theologisch begründen wollte. Diese Begründung erfolgte durch eine Theologie der Schöpfungsordnungen, wie sie in den 1920er-Jahren durch junge Theologen der Lutherrenaissance öffentlichkeitswirksam aufgestellt wurde. Rendtorff nannte explizit zwei Werke der mit ihm befreundeten Theologen Emanuel Hirsch und Paul Althaus als Quelle seiner Ausführungen120. Dabei ist der Einfluss des Erlanger Theologen Althaus besonders deutlich. Hier geht es vor allem um die Theologie der Berufung. Althaus erklärte in seiner von Rendtorff zitierten Schrift die Kategorie des Berufes zu einer nicht nur individualethischen, sondern auch sozialethischen Kategorie. Auch die von ihm wie von Hirsch und Rendtorff als Kollektivpersonen gedachten Völker hätten gottgegebene Aufgaben zu erfül116 Ebd. 117 Christoph Weiling zitiert zwei beinahe identische Äußerungen Rendtorffs aus der im Namen der christlich-deutschen Bewegung herausgegebenen Zeitschrift „Gott und Volk“; vgl. Weiling, Rendtorff, 559 f. 118 Rendtorff, Neues 66. 119 Ebd. 120 Althaus, Staatsgedanke; Hirsch, Schicksal.
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len: „Es ist zunächst eine natürliche Tatsache, daß Völker meist durch das Bewußtsein führender Schichten oder Männer, sich als Einheit wollen und erfassen, und irgendwie einen geschichtlichen Beruf spüren.“121 Althaus sah die Feststellung dieser Sendung eines Volkes aber nicht als Sache der Gesamtheit, sondern als Angelegenheit von göttlich berufenen Führungspersönlichkeiten an, die in dem organisch verfassten Volkskörper die Leitungsfunktion innehatten: „Worin dieser besteht, das zu entscheiden ist in jeder neuen geschichtlichen Lage die schöpferische Tat seiner Führer.“122 Althaus verband das organische Denken also mit einem elitären Kult des großen Staatsmannes. Rendtorff hatte diesen Gedankengang seines gleichaltrigen bayerischen Kollegen im Auge, als er den Berufsgedanken in seine Volkstumsdefinition aufnahm123. Neben diesen eindeutigen begrifflichen Rezeptionen finden sich zahlreiche Motive aus den Schriften von Althaus und Hirsch in dem hier analysierten Kapitel. Das gilt etwa für die Bedeutung, die Rendtorff der Geschichte und der Gegenwart zurechnete, indem er beiden sogar eine eingeschränkte Offenbarungsqualität beimaß: „Gottes Ziele mit der Menschheit, wie wir sie aus unserer Bibel, aus der Geschichte kennen und wie wir sie in besonderem Geschehen von Zeit zu Zeit ahnend erfassen“124. Das gilt ferner für seine Betonung des Gewissens in seiner Volkstumstheologie125. Schließlich ist bei allen drei Autoren auffällig, wie stark die Gegenwartsdeutung in die Theologie Eingang fand126. Rendtorff lässt sich damit bereits mit seiner ersten größeren Veröffentlichung im Jahre 1924 eindeutig im Lager der politischen Theologie verorten, welche vor dem Hintergrund des Kriegsendes 1918 „die politische Ethik zur Schlüsselfrage theologischen Verstehens und kirchlichen Handelns“127 erklärte und den Fragen nach der nationalen Erneuerung und dem Verhältnis zur völkischen Bewegung besondere Bedeutung beimaß. Auch wenn Rendtorff sich bemühte, „Volkstumsbewegung“ und „Volksmission“ konzeptionell voneinander zu trennen, überwogen doch die gemeinsamen Anliegen. Aus seinen grundsätzlichen Ausführungen zog Rendtorff drei praktische Folgerungen für das Verhältnis von „Volksmissionsbewegung“ und „Volkstumsbewegung“. Zunächst seien aus der Praxis der völkischen Bewegung Beispiele für den notwendigen Charakter der Volksmission zu gewinnen. Rendtorff bezog sich dabei auf den organischen Charakter, den Kirche und 121 122 123 124 125 126
Althaus, Staatsgedanke, 37. Ebd., 42. Vgl. Rendtorff, Neues, 64. Ebd., 73. Vgl. ebd., 64. Laut Heinrich Assel bemerkte Karl Barth bereits 1922, dass bei seinem Göttinger Kollegen Hirsch in der theologischen Diskussion „völkische Bindung zur Verstehensbindung der Schrift avancierte“ (zitiert nach: Assel, Aufbruch, 25). 127 Scholder, Kirchen, Bd. 1, 130.
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Volk seinen Ausführungen nach gemeinsam hatten. Da auch das Wesen der Kirche „organischen“ Gesetzen folge, sei es möglich, aus der Erneuerung des Volkes Lehren für die notwendige Erneuerung der Kirche zu ziehen: „Wie Volksgemeinschaft nur wächst aus dem innersten Lebensorgan des Volkes, so kann in durchgängiger Entsprechung christliche Gemeinschaft nur wachsen aus dem innersten Organ christlichen Lebens, das wir neutestamentlich verstehen als das corpus Christi, als das von ihm aus wirksam werdende Gotteswort.“128
Rendtorff verband mit der organischen Sprache die Kritik, die bereits Hilbert in seinem Volksmissionsprogramm gegen angeblich bloß „gemachte“ und nicht organisch gewachsene Reformen geäußert hatte: „Eine Kirche wird […] zum leerlaufenden Mechanismus, wenn nicht in ihr sichtbar oder unsichtbar eine Gemeinschaft lebt, […] die mit innerer Notwendigkeit gewachsenes Leben ist“129. Als Beispiel für eine fehlgeleitete Organisation nannte Rendtorff übrigens die Verfassungswirklichkeit der Weimarer Republik, in der die Schaffung von neuen Organisationen „zu einer Beschleunigung des Zersetzungsprozesses“130 geführt hätte. Der Autor verband damit die Beschwörung einer organisch gewachsenen Kirche mit einer massiven Gegenwartskritik. Die Nacharbeit an den durch volksmissionarische Verkündigung Gewonnenen in den Bibelstunden sollte daher laut Rendtorff von einer bloßen Technik abgegrenzt sein: „Die Sammlung kleiner Kreise um Gottes Wort ist nicht gedacht als die Schaffung einer neuen Organisation, sondern sie ist gedacht als ein Gehorsam gegen Leben, das Wachsen will und das zum Zusammenschluß führt.“131
Als Grundlage für organisches „Wachstum von der Zelle aus“132 nannte Rendtorff die Wortverkündigung: „Dazu gibt es keinen anderen Weg, als den Weg der rein innerlichen, evangelistisch zugespitzten Verkündigung des Wortes Gottes.“133 Die völkische Bewegung sei dafür ein Vorbild, da auch eine Erneuerung des Volkstums nicht über die Pflege von Folklore, sondern nur durch „die unermüdliche begeisterte und deshalb begeisternde Verkündigung der Idee des Volkstums“134 möglich sei. Ähnlich solle auch das Evangelium als „Träger göttlichen Geistes, Same göttlichen Lebens“135 ohne Hintergedanken und ohne gezielte Abzweckung auf die Bildung von Kerngemeinden verkündet 128 Rendtorff, Neues, 68. 129 Ebd., 70. 130 Ebd., 69. Auch in republikanisch gesonnenen Diskursen aus den Anfangsjahren der Weimarer Republik kamen wiederholt Bilder der Krankheit des Volkskörpers vor; vgl. Retterath, Volk, 343–351. 131 Rendtorff, Neues, 70. 132 Rendtorff zitierte hier einen Mitbegründer der Berneuchener Bewegung, den Hamburger Pfarrer Ludwig Heitmann; vgl. Rendtorff, Neues, 70. 133 Ebd., 70. 134 Ebd., 70 f. 135 Ebd., 71.
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werden. Es ist wohl an das Gleichnis von der selbst wachsenden Saat zu denken (Mk. 4,26–29). Dennoch müsse die Evangelisationsverkündigung vor einer individualistischen Verengung geschützt werden, welche bewirke, „[…], daß die von ihr Erfaßten aus ihren natürlichen Gemeinschaften innerlich ausscheiden, für sie unfruchtbar werden, ohne doch ihrerseits zu einer neuen Gemeinschaft zusammenzuwachsen.“136 Als Beispiel nannte Rendtorff die Gemeinschaftsbewegung, der er vorwarf, daß sie „weithin auf unsere Kirche als Kirche zersetzend gewirkt hat, indem sie gerade wertvolle Kräfte ihr entzogen hat, ohne doch die Kraft zu einer wirklichen Ersetzung der Kirche zu haben.“137 Hier nahm Rendtorff den biblischen Gedanken vom Sauerteig auf, der den ganzen Teig zu durchsäuern habe (Mt 13,33–35). Wie in seinen ekklesiologischen Kapiteln ausgeführt138, sollten in Rendtorffs Konzeption die sich unter der volksmissionarischen Verkündigung sammelnden „Zellen“ auf ihre Umwelt wirken und diese in sich hineinziehen. Für diese Gemeinschaftsbildung innerhalb der Volkskirche sei die völkische Bewegung „ein Anschauungsunterricht größten Stils für die Wachstumsgesetze organischer Gemeinschaft.“139 Der sowohl dem Volk als auch der Communio Sanctorum zugeschriebene organische Charakter ermöglichte diesen Vergleich. Eine weitere praktische Aufgabe der Volksmission an der völkischen Bewegung nannte Rendtorff: „Sie [die Volksmission, H. B.] hat der Volkstumsbewegung zu dienen, indem sie ihr zu ihrer Selbstbesinnung auf Ziel und Beruf hilft.“140 Bei der Analyse dieses Gedankenganges sind zwei Dinge auffällig. Zunächst ist das Objekt der Verkündigung undeutlich. Rendtorff nannte die Volkstumsbewegung, die in der Gefahr stünde, ihre wahre Berufung nicht zu finden, eine Aufgabe: „Heiße Angst vor der Verflachung erfüllt heute so manchen tiefer schauenden völkischen Führer.“141 Rendtorff schien hier die Volkstumsbewegung ansprechen zu wollen. In Rendtorffs Argumentationsgang wurde diese Aufgabe immer stärker als eine Predigt an das Volksganze dargestellt, als ob es Aufgabe der Volksmission sei, durch ihre Wortverkündigung nicht nur auf eine religiöse, sondern auch auf eine nationale Erneuerung bzw. deren religiöse Vertiefung hinzuwirken: „Volkstum ist das, was auf Grund der natürlichen Anlage und der geschichtlichen Gegebenheiten aus einem Volk nach Gottes Willen werden will und werden soll – wer wäre wohl berufener, diese Wahrheit in unser Volk hineinzurufen und in seinem Bewußtsein zu verankern, als gerade die Volksmission?“142
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Ebd., 71. Ebd., 72. Ebd., 40 f.; vgl. oben 103–109. Rendtorff, Neues, 72. Ebd. Ebd. Ebd., 72 f.
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Rendtorff sah darin eine zentrale Aufgabe der volksmissionarischen Verkündigung. Er sprach von Gedanken zum Verhältnis von Volkstum und Glaube, „die zu dem ständigen Rüstzeug aller Volksmissionspredigt gehören sollten.“143 Obwohl Rendtorff zwischen Volkstumsbewegung und Volksmission strikt trennen wollte, sah er es als Aufgabe der Volksmission an, gleichsam an der Bekehrung der Volksseele mitzuwirken. Im Verhältnis zu den vagen Hoffnungen, die Hilbert 1916 auf eine auf das ganze Volk übergreifende religiöse Erneuerung hatte, ist das eine wesentlich optimistischere Einschätzung der Möglichkeiten evangelistischer Verkündigung – auch wenn er kaum an eine Massenbekehrung gedacht haben dürfte. Zugleich zeigt sich aber, dass der Anspruch Rendtorffs, zwischen politischer und religiöser Erneuerungsbewegung zu trennen, von ihm konzeptionell nicht strikt eingehalten wurde. Außerdem wurde durch diese bewusste Mitarbeit die Gefahr noch größer, dass „Volksmission“ als Mittel in der politischen Auseinandersetzung mit der Weimarer Republik instrumentalisiert wurde. Rendtorff entfaltete die an die Volksseele gerichtete Botschaft wiederum in drei Schritte. Zunächst solle die Volksmission verkünden, „dass über und in aller Geschichte ein Gotteswille waltet, der unendlich viel höher ist als alle menschlichen Ziele und Gedanken.“144 Aufgabe dieses Schrittes der Verkündigung sollte es sein, „den ewigen Maßstab der Gottesziele und Gottesgedanken“145 an das deutsche Volk zu verkünden. Dabei warnte er vor der Annahme, dass eine glorreiche Zukunft des Volkes aus Gründen der Erwählung Gottes unausweichlich sei. Das deutsche Volk habe es selbst in der Hand, durch sein Handeln der Berufung zu entsprechen oder stehe in der Gefahr, von Gott verworfen zu werden: „Wieviel größer ist doch der Glaube, daß auch das stolzeste und begnadetste Volk so völlig die Verantwortung für sein eigenes Schicksal in der Hand hat, daß es mit der Möglichkeit einer Verwerfung durch Gott rechnet.“146
Als ersten Schritt sah Rendtorff also eine Gesetzespredigt als notwendig an, die sich im Stile der alttestamentlichen Propheten an das ganze Volk wandte und es aus falscher Sicherheit rufen sollte. Die Berufung stelle in eine Verantwortung: „Sonst wird die Hybris unser Schicksal.“147 Rendtorff setzte sich damit von einer Verkündigung ab, die vor allem in der Bestätigung der völkischen Bewegung bestand; auch sie musste zur Buße gerufen werden und wissen, „daß Untreue gegen unseren von Gott uns gesetzten Beruf zu unserem Untergang führen muß.“148 Die Verkündigung der Volksmission hatte nicht die Aufgabe, das Volkstum ohne Vorbedingungen zu sakralisieren, sondern es 143 144 145 146 147 148
Ebd., 73. Ebd., 73. Ebd., 74. Ebd., 73 f. Ebd., 74. Ebd.
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auch von der Majestät Gottes her infrage zu stellen. Auffällig ist, dass Rendtorff sich hier stark an der Botschaft der Propheten orientierte und damit das deutsche Volk in die Nähe des alttestamentlichen Gottesvolkes rückte – bis hin zur Gefahr einer endgültigen Verwerfung. Auf die Gesetzesverkündigung folgt das Evangelium; das Zeitgeschehen sollte laut Rendtorff in das Licht des göttlichen Wirkens gestellt werden, eine „Deutung der Not und des Leidens in ihrer tiefen letzten Sinnhaftigkeit“149 erfolgen. Rendtorff ging davon aus, dass es notwendig sei, in der Gegenwart das Handeln Gottes zu erkennen. Erst durch eine solche Deutung der Gegenwart vor dem Angesicht Gottes sei es möglich, die angeblich nötigen Lehren aus der Gegenwart zu ziehen: „Erst wenn durch das Geschehen des Schicksals der reine Sturmwind Gottes hindurchweht, kann es Segen schaffen. Es ist ein erschütternder Gedanke, und wir sehen ihn weithin Wirklichkeit werden, daß unser Volk diese Notzeiten durchleben könnte, ohne in der Tiefe zu wachsen, ohne in seinem Gewissen und Glauben auszureifen.“150
Laut Rendtorff boten der verlorene Krieg und die erlebten politischen und ökonomischen Wirren einen „großen Anschauungsunterricht Gottes für das Wort: Gerechtigkeit erhöhet ein Volk aber die Sünde ist der Leute Verderben.“151 Für Rendtorff konnte eine innere Erneuerung nur von einer religiösen Erweckung begleitet sein, für welche die Volksmission der berufene Akteur sei: „Wer kann berufener sein, unermüdlich unserem Volk sein Schicksal zu deuten, als Gottes Tun, als wieder die Kirche und in ihrem Dienst auf vorgeschobenem Posten die Volksmission?“152 Als dritten Schritt entfaltete Rendtorff aus der Deutung der Gegenwart den Ruf zum Glauben: „Wenn das Wahrheit ist, wenn nicht Poincar das letzte Wort hat, wenn es nicht die Stunde der Franzosen für uns ist, sondern Gottes Stunde – was hat es dann für eine Not?“153 Rendtorff stellte die Botschaft des Glaubens als Transzendierung der politischen Verhältnisse dar. Er sah als Resultat eine Verwandlung des ganzen Volkes als möglich an: „wo ein Volk in seinem eigenen konkreten Schicksal diesen Gott an der Arbeit sieht und seinem Tun gehorsam sich beugt, […] da erwächst tapfere Zuversicht und fröhlicher Glaube.“154 Statt eines nationalen Chauvinismus müsse der Glaube an die deutsche Zukunft ganz auf Gott ausgerichtet sein:
149 150 151 152 153 154
Ebd. Ebd. Ebd., 75 f. Ebd., 75. Ebd., 76 f. Ebd., 76.
Verhältnis von Glaube und Volkstum
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„Nicht deshalb glauben wir an die Zukunft unseres Volkes, weil es ein so einzigartiges und wertvolles Volk ist, sondern deshalb, weil wir wissen, daß es seine Geschichte mit Gott gehabt hat und heute hat und morgen haben wird.“155
Dem Anspruch nach sollte ein durch die christliche Botschaft vertiefter Nationalismus die im Volkstum empfangenen Gaben als Aufgaben verstehen und das Ergehen des deutschen Volkes ganz in Gottes Hände legen156. Die veränderte Einstellung würde sich auch auf das Verhalten ausüben: „Ein sterbensbereites Volk wird im tiefsten Sinne tapfer leben.“157 Insgesamt ist Christoph Weiling Recht zu geben, dass Rendtorff die völkische Bewegung nicht einfach bestätigte, sondern den völkischen Impuls dadurch vertiefen wollte, dass er die Angehörigen der völkischen Bewegung zum Evangelium rief und den Ruf Gottes über das Volkstum stellte158. Dennoch blieben Rendtorffs Ausführungen nicht von einer Sakralisierung des deutschen Volkes frei; so redete er an einer Stelle von einem durch das Evangelium angesprochenen deutschen Volk in einer beinahe christologischen Sprache: „Dann kann vielleicht solche Art, sein [des deutschen Volkes, H. B.] schweres Schicksal zu erleben, der Menschheit eine Quelle unendlichen Segens werden, dann kann vielleicht dies Leiden als stellvertretendes Leiden von Gott, dem Herrn der Geschichte, für seine Zwecke gebraucht werden.“159
Trotz allen Anspruches, durch eine volksmissionarische Verkündigung nicht die bestehende nationalistisch-völkische Ideologie einfach zu bestätigen, sondern zu vertiefen und sie vom Anspruchsdenken in eine Aufgabe zu verwandeln, benutzte Rendtorff hier eine christologische Metaphorik. Diese konnte sich zumindest dem Missverständnis aussetzen, die Sakralisierung des nationalen Leidens durch die Verkündigung zu bestätigen. Zum Abschluss seiner Ausführungen über „Volksmission und Volkstum“ gab Rendtoff Hinweise für die notwendige organisatorische Stellung der Volksmissionsbewegung zur Volkstumsbewegung. Auch hier betonte Rendtorff die Notwendigkeit der „lebendigen Verbindung“160 der beiden Größen. Daraus leitete er zwei Forderungen ab. Zunächst sollten die Protagonisten der Volksmissionsbewegung sich grundsätzlich mit den Anliegen der völkischen Bewegung solidarisieren: „Unsere Volksmissionare müssen Männer sein, die mit heißem deutschen Herzen mitten in der Gegenwart darin stehen.“161 Diese Positionierung begründete er mit der angeblich im Volkstum liegenden Berufung Gottes162. Rendtorff forderte von den Volksmissionaren Parteilichkeit. 155 156 157 158 159 160 161 162
Ebd. Ebd. Ebd. Vgl. Weiling, Bewegung, 174 f. Rendtorff, Neues. Ebd., 78. Ebd. Ebd.; vgl. oben 111–115.
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Da er eine nationale Erneuerung als göttliche Forderung sah, konnten Volksmissionare nicht in Äquidistanz zu den unterschiedlichen politischen Richtungen stehen, sondern sollten sich politisch mit der antidemokratischen Rechten solidarisieren. Das taten faktisch auch Hilbert und Füllkrug. Bei Rendtorff geschah aber der Schritt, diese Präferenz über die Rezeption einer Ordnungstheologie theologisch zu begründen, wobei er weniger stark durch das Kaiserreich geprägt war als seine Vorgänger. Allerdings betonte Rendtorff bereits 1924 die Notwendigkeit, „daß die Volksmission […], sich ihre Selbständigkeit wahren und ihre Arbeit gegen die Bewegung des Volkstums klar und scharf abgrenzen muß.“163 Trotz der politischen Nähe zur antidemokratischen Rechten sah Rendtorff die Volksmissionsbewegung nicht einfach als Teil der konservativen und völkischen um die Erneuerung des Volkstums bemühten Gruppen. In seiner Wahrnehmung stand die Volksmission diesen Gruppen gegenüber: „Die Volksmission dient letzten Endes nicht unserem Volk, sie dient nur einem, dem lebendigen Gott.“164 Diese Abgrenzung sei „gerade um des Dienstes willen, den sie [die Volksmission, H. B.] dem Volkstum erweisen soll“165, notwendig. Zusammenfassend ist Rendtorffs Volkstumsbegriff durch die Aufnahme von Diskursen der „konservativ-revolutionären“ antidemokratischen Rechten geprägt. Dabei orientierte sich Rendtorff an Strömungen, die Volkstum als eine geistige Größe sahen, und grenzte sich von einer starken Betonung der Rasse ab. Diese ideologische Verortung stimmte auch mit der in der Analyse schon mehrfach deutlich gewordenen Prägung durch die Denkrichtungen einer „konservativen Revolution“ überein. So hatte Rendtorffs Definition des Volkstums einen auf die Zukunft gerichteten Charakter, indem er als Kern der „völkischen Identität“ ein gottgewolltes Telos postulierte, das gleichsam die gegebene Identität zu einer Aufgabe machte. Die bedeutende Rolle, welche die Kategorie des Berufes in seiner Argumentation spielte, zeigt die Bedeutung von Althaus und Hirsch für Rendtorffs Volkstheologie und ermöglicht eine Zuordnung Rendtorffs zu den politischen Theologen der Lutherrenaissance. Die Betonung des Berufsgedankens machte es Rendtorff möglich, die Erneuerung des Volkstums von einer religiösen Erneuerung des Volkes abhängig zu machen und so die Botschaft der Volksmission als eine conditio sine qua non der völkischen Erneuerung darzustellen. Auffällig ist, dass Rendtorff zwar die Angehörigen der Volkstumsbewegung ansprechen wollte, in seiner skizzierten Predigt aber gleichsam die Volksseele insgesamt ansprach. Offenbar war der Bezug auf die „Volkstumsbewegung“ für Rendtorff nicht allein eine strategische Positionierung, um Angehörige der antidemokratischen Rechten für die Botschaft der Volksmission zu interessieren, sondern entsprang einer theologisch begründeten Volkstumsideologie. 163 Rendtorff, Neues, 78. 164 Ebd. 165 Ebd.
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In der Argumentation Rendtorffs wird deutlich, dass er sowohl die Erneuerung der Kirche durch die Volksmission als auch die nationale Erneuerung des deutschen Volkes durch die „Volkstumsbewegung“ mit organischen Metaphern bezeichnete und sie daher als vergleichbar darstellte. Tertium comparationis war die zivilisationskritische Aufnahme von Tönnies’ Unterscheidung von Gemeinschaft und Gesellschaft und des romantischen, seit Fichte mit dem Volksbegriff verbundenen Organismusdenkens. Dem „Mechanischen“, „Gemachten“ setzte er das „Echte“, „Organische“, „Gewachsene“ entgegen. Diese Termini prägten in Rendtorffs Darstellung sowohl die nationale als auch die religiöse Erneuerung. Alle diese Topoi sind bekanntlich im konservativen, völkischen und nationalsozialistischen Diskurs spätestens seit der wilhelminischen Epoche geradezu ubiquitär vorhanden und oft mit antiwestlichen und antisemitischen Gehalten aufgeladen166. Bei Rendtorff lässt sich zeigen, wie stark die Forderung nach einer „organischen“, nach den eigenen Gesetzen gewachsenen Gemeindeform sein ekklesiologisches Denken und seine Definition von „Volksmission“ bestimmt hat. Das ermöglicht Rückschlüsse auf die bereits bei Hilbert immer wieder auftauchende Ablehnung eines „bloßen Betriebes“ und einer angeblich nur organisatorischen Reform der Kirche167. Sie zeigen einen inneren Zusammenhang mit dem organischen Denken, das im Rahmen der Kirche und im Rahmen des Volkes einen Referenzpunkt bildete. Anders als Hilbert, der ja auch von einer „Volksseele“168 reden konnte und trotz seiner Betonung des Konzeptes der ecclesiola in ecclesia Hoffnungen auf eine gesamtgesellschaftliche Wirkung der volksmissionarischen Verkündigung hatte, war bei Rendtorff der Fokus stärker auf die Gesamtgesellschaft gerichtet, wenn er auch die beiden Sphären nicht gleichsetzen wollte. Insgesamt ist das organische Denken ein Diskurszusammenhang, der mehr oder weniger reflektiert alle bisher analysierten Schriften durchzieht und der sowohl auf die Kirche als auch auf das Volk angewendet wurde: Auffällig ist, dass zwar mit dem Organismusbegriff eine scheinbar intakte Form gemeint war, er aber in den Quellen immer im Sinne eines normativen Begriffes gebraucht wurde: Der Wachstumsprozess einer „organischen“ Gemeinschaft musste noch angestoßen werden, sowohl bei der Erneuerung des deutschen Volkes als auch beim Aufbau von Kerngemeinden in der Volkskirche. Die lebendige Kirche und das erneuerte Volk mussten erst geschaffen werden. Kurt Sontheimer hat diese Schwierigkeit des Organismusbegriffs treffend charakterisiert: „Dieselben Leute, die sich in schönen Worten über den Gedanken des Wachstums und der organischen Reife ergehen konnten und versicherten, daß organische Gebilde nicht einfach konstruiert werden könnten, legten zumeist in denselben 166 Vgl. Sontheimer, Denken. 167 Vgl. etwa Hilberts Ablehnung von Sulzes Gedanken zur Gemeindereform; Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 40 f. 168 Vgl. etwa ebd., 11.
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Artikeln und Schriften ein glühendes Bekenntnis zur gesellschaftlichen Umwälzung ab und gaben einen revolutionären Impetus zu erkennen, der ihren organischen Grundprinzipien ins Gesicht schlug.“169
4.5 Kritik an der Moderne Rendtorff behauptete, dass das Verhältnis von „Volksmission und Volkstum“ beispielhaft für die Problematik der Inkulturation der Wortverkündigung in die Lebenswelt der Adressaten der Verkündigung stünde. Er leitete damit zum nächsten Kapitel über, in dem er den Weg der Volksmission zwischen Anpassung an die Hörer und Treue gegenüber dem eigenen Auftrag behandeln und dabei gleichzeitig eine Charakteristik der geistigen Situation der Moderne geben wollte: „Die Volksmission kann den Weg zu unsrem Volke nur finden, wenn sie ihnen so weit entgegengeht, wie es nur irgend möglich ist. Zwischen dieser Pflicht des äußersten Entgegenkommens und dem Beruf, den wir als den einzigen Beruf der Volksmission erkannten, Gottes Willen zu verkündigen, auch da, wo er dem Empfinden und Wünschen und Wollen der Menschen zuwider ist, besteht eine starke Spannung. Von ihr soll im Folgenden die Rede sein.“170
Rendtorff ging bei der Mehrzahl der Hörer von einem vertieften Unverständnis des Christentums aus. Die moderne Lebenswelt und die Botschaft des Evangeliums seien auseinandergefallen. Er veranschaulichte das durch mehrere Beispiele aus Gesprächen mit jungen Leuten. Höhepunkt bildete die Rede eines jungen sozialistischen Arbeiters, welche diese große Kluft illustrieren sollte: „,Sie gehen jetzt wieder nach Hause,‘ sagte er mir; ,da liegt auf Ihrem Schreibtisch in Ihrem stillen Studierzimmer Ihre Bibel, da stehen alle Ihre Bücher um Sie herum und bestärken Sie in Ihrem Glauben, und dann stehen Sie Sonntags auf der Kanzel und sprechen zu lauter Menschen, die in derselben Luft atmen. Aber ich gehe morgen früh wieder in meine Fabrik. Sie sind ein ehrlicher Mensch – kommen Sie zu uns in die Fabrik, und ich garantiere Ihnen, in einem Jahr sind Sie in der Partei, in zwei Jahren aus der Kirche ausgetreten, in drei Jahren Atheist.‘“171
Dieses Gespräch hatte im Text die Funktion, die innerhalb der Gesellschaft bestehenden Verständnisbarrieren narrativ zu illustrieren172. Rendtorff beschrieb diese Kluft in Termini der Säkularisierungstheorie. Er benutzte dafür allerdings nicht diesen Begriff, der im Rahmen der deutschen evangelischen 169 170 171 172
Sontheimer, Denken, 325. Rendtorff, Neues, 78 f. Ebd., 81. „Klafft hier nicht ein Abgrund auf, der den so geprägten Menschen der Gegenwart es unmöglich macht, unsere Predigt überhaupt zu verstehen?“ (Ebd.).
Kritik an der Moderne
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Theologie erst nach seiner Rezeption auf der Weltmissionskonferenz in Jerusalem 1928 an Bedeutung gewann173, sondern sprach von Verweltlichung: „Der Mensch der Gegenwart hat den im Spät-Mittelalter einsetzenden Prozeß hinter sich, in dem die Kultur sich von der Führerschaft der Kirche löste und ihre selbständigen Wege zu immer größerer Verweltlichung ging, in der Kunst, der Philosophie, der Rechtswissenschaft und, am weitgehendsten und das Gegenwartsleben am meisten beherrschend, in der Naturwissenschaft.“174
Den Kern dieses Verweltlichungsprozesses sah Rendtorff in einem neuen Selbstbewusstsein, das der Rechtfertigung aus Gott entgegenstehe: „,Aus eigener Kraft‘ – in diese eine Losung läßt sich dieses neue Lebensgefühl, diese neue Lebensstimmung zusammenfassen.“175 So stehe der moderne Mensch „befremdet und verständnislos vor der Forderung, daß er sich als Sünder fühlen und als höchstes Ziel vergebende Gnade erbitten und erstreben soll.“176 Der Autor folgerte daraus eine Kluft zwischen der Botschaft des Evangeliums und dem modernen Menschen177. Die Gegenüberstellung von christlichem Glauben mit dem Verständnis der Rechtfertigung allein aus Gnaden und dem letztlich als menschliche Werkgerechtigkeit betrachteten modernen Denken präsentierte sich hier als massive Kulturkritik178. Rendtorff sah es als eine Möglichkeit, dass „[d]ie Kirche im Bunde mit allem Idealismus“179 an der Besserung der Gesellschaft arbeiten und sich so an der Gestaltung der Gegenwart beteiligen könne180. Trotz einer grundsätzlichen Sympathie für eine Weltgestaltung aus christlicher Verantwortung betonte Rendtorff, dass sich hier letztlich zwei Alternativen gegenüberstünden: „Entweder Freundschaftsarbeit, die sich hineinstellt mit allem Idealismus und mit allem sittlichen Ernst der Gegenwart in eine breite Kampfesfront, oder Mission.“181 Rendtorff argumentierte für die Mission, indem er den Volksmissionar in die Rolle des Propheten stellte, der gegenüber der sündigen Menschheit den Willen Gottes verkünden müsse182. Letztlich sah er eine totale Konfrontation zwischen der Botschaft des Evangeliums und dem, was er als modernes Denken bezeichnete: „Die Kraft unserer Predigt wie aller prophe-
173 174 175 176 177 178 179 180 181 182
Vgl. Nowak, Säkularismus-Debatte. Rendtorff, Neues, 82. Ebd., 82 f. Ebd., 83. Ebd., 84. Diese Zivilisationskritik nach dem Vorbild des Fin de Si cles hatte bereits die Beschwörung des „Geists von 1914“ geprägt und war mit antidemokratischer Tendenz in die Weimarer Republik transponiert worden; vgl. Besslich, Wege. Rendtorff, Neues, 85. Ebd. 84–86. Ebd., 89. Ebd., 92.
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tischen Predigt beruht darauf, daß wir das sogenannte moderne Bewußtsein nicht anerkennen, weil Gott es nicht anerkennt.“183 Rendtorff begründete die Notwendigkeit dieses Neins theologisch mit dem in der Zwischenkriegszeit beliebten Begriff der Krisis. Das moderne Bewusstsein müsse in der Gottesbegegnung gebrochen werden184. Weiterhin argumentierte Rendtorff vom Hörer her und postulierte dessen geheimes Sehnen nach einer einfachen und klaren Botschaft: „Wie ist er [der moderne Mensch, H. B.] armselig mit all seinen Relativitäten und Kompliziertheiten. Wie horcht er auf, wenn ihm Klares, Bestimmtes, Festes begegnet.“185 Hier wurde der angeblich unklaren und vieldeutigen Gegenwart die Eindeutigkeit des Evangeliums entgegengesetzt. Trotz seiner massiven Ablehnung modernen Denkens betonte Rendtorff am Ende des hier analysierten Abschnitts die Notwendigkeit, in der volksmissionarischen Verkündigung ein tiefes Verständnis für die Hörer und eine unbedingte Orientierung am göttlichen Willen zu verbinden und die Spannung zwischen diesen beiden Polen auszuhalten. „Beides ist da: die unbedingte Verpflichtung zu eindeutigem, ungebrochenen Gehorsam gegen den göttlichen Auftrag und die unbedingte Verpflichtung zu werbendem, suchendem, nachgehendem Verständnis für den Menschen in der Gegenwart. […] Es gibt für eine wirkliche Volksmission, es gibt für eine wirklich missionarisch arbeitende Kirche, keine Möglichkeit durch irgend eine Formel oder Methode sich dieser Spannung zu entziehen.“186
4.6 Praxis der Volksmission Nach einem Durchgang durch die Theorie der Volksmission endete Rendtorff mit zwei Abschnitten über die praktische Umsetzung des Programms. Zunächst beschrieb er die Abhaltung von Volksmissionswochen187. Dabei hielt er sich im Wesentlichen an die Vorschläge, die bereits in Hilberts Schriften und im „Handbuch der Volksmission“ zu finden waren. Dabei waren Rendtorffs Ausführungen jedoch primär an potentielle Veranstalter von Volksmission gerichtet188. Da sich Rendtorffs Schrift speziell an Pastoren wandte, legte er 183 Ebd., 94. 184 Er zitierte Joh 3, 19; vgl. ebd., 96. Rendtorff benutzte den Krisisbegriff in zahlreichen seiner Werke; vgl. dazu Weiling, Bewegung, 164. Zum Krisisbegriff in zeitgenössischen kirchlichen und theologischen Diskursen vgl. jetzt Brunner, Volkskirche, 93–97 (2.5.3). 185 Rendtorff, Neues, 96 f. 186 Rendtorff, Neues, 99. 187 Kapitel „Die Volksmissionswoche“, ebd.,101–138. 188 Dies wurde gleich zu Anfang seiner Ausführungen deutlich, als Rendtorff mit einem Hinweis auf die Souveränität Gottes vor einer Überschätzung der Volksmissionswoche als Methode warnte (ebd., 102). Offenbar hatte er in seiner eigenen Praxis genügend Beispiele solcher Enttäuschungen erlebt.
Praxis der Volksmission
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gesteigerten Wert auf die Nacharbeit am Ende einer Volksmissionswoche. Er regte an, bereits in der Volksmissionswoche Veranstaltungen durchzuführen, die auch für die Nacharbeit nützlich seien. So schlug Rendtorff vor, dass der Volksmissionar die einzelnen Vereine in der Gemeinde besuchen sollte und ihnen konkrete Vorschläge für „die Ueberleitung der Volksmission in die geregelte Arbeit“189 machen sollte. Er nannte es „eine schwere Versündigung“190, wenn die Gemeinde nach dem Ende der Volksmission den Angesprochenen keine Heimat biete. Allerdings sah sich Rendtorff nach sechs Jahren Erfahrung mit der neuen Volksmission auch genötigt zuzugeben, dass in diesem Bereich Probleme bestanden: „Es muß hier offen ausgesprochen werden, daß es die große Not kirchlicher Volksmission gegenüber der etwa von den Gemeinschaften des Gnadauer Verbandes getragenen Evangelisationen ist, daß die Nacharbeit vielfach so im Argen liegt.“191
Aufgrund dieser Erfahrungen intensivierte Rendtorff am Ende noch einmal den Appell an seine Amtsbrüder, auch ihre Gemeindearbeit in volksmissionarischem Geist auszuführen. Er erinnerte daher an die mit dem Konzept Volksmission verbundenen kirchenreformerischen Vorstellungen: „Nur ein Vortrupp, […] will und kann die Volksmission sein. Entscheidend bleibt, daß der von ihr vertretene Geist immer mehr eingeht in das ganze kirchliche Leben.“192 Rendtorff betonte, dass sich faktisch alle seine Forderungen an die Kirche bei deren gegenwärtigem Zustand zunächst an die Pfarrer richteten: „Mission am Volk nicht ohne Mission an der Kirche, Mission an der Kirche nicht ohne Mission an der Gemeinde, Mission an der Gemeinde nicht ohne Mission an den Trägern des kirchlichen Amtes, an den Pastoren.“193
Rendtorff forderte von seinen Amtsbrüdern zunächst Offenheit für den Dienst von Laien in der Gemeinde194. Daher müsse ein von „Demut und Sachlichkeit“195 geprägter neuer Geist in der Amtsführung das Verhältnis zu den Mitarbeitern in der Gemeinde prägen. Daneben sollte „Beweglichkeit in der Arbeitsweise“196 das Wirken des Pfarrers bestimmen. Statt eines methodischen Konservativismus sollten die Pfarrer die von Hilbert vorgeschlagene und auch von Rendtorff propagierte volksmissionarische Arbeitsweise – wie Kerngemeindebildung und Bibelstunden – aufnehmen und kreative Wege zum Erreichen der Entfremdeten suchen. 189 190 191 192 193 194 195 196
Ebd., 137. Ebd. Ebd., 138. Ebd., 139. Ebd., 140. Ebd., 142. Ebd. Ebd., 144.
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Volksmission: „Konservative Revolution“ und Lutherrenaissance
Wie Hilbert und Füllkrug betonte auch Rendtorff, dass der Wille, Menschen für den christlichen Glauben zu gewinnen, in der gesamten Amtsführung des Pfarrers deutlich werden solle197. Als wichtigste Aufgabe volksmissionarischen Wirkens nannte er die Amtshandlungen Taufe, Trauung, Bestattung und Konfirmation, für die er jeweils Anregungen gab, wie diese für eine erweckliche Predigt nutzbar gemacht werden könnten198. Ferner meinte Rendtorff, „daß der Pastor mit seinem ganzen Hause Missionsdienst tun soll.“199 Der Pfarrer sollte sein eigenes Haus für Bibelstunden und Kleingruppen zur Verfügung stellen und damit das bisherige distanzierte Verhältnis von Pfarrer und Gemeinde überwinden200. Mit Aufforderung kam der Autor zum wesentlichen Anliegen seiner Schrift, der Aufforderung an die Pfarrer, aus dem christlichen Glauben zu leben. Mit explizitem Verweis auf seine eigene Soldatenzeit nannte Rendtorff ein militärisches Kommando als Vorbild für den Dienst des Pfarrers: „Dies ,Still gestanden!‘ ist die Grundhaltung des Pastors, der rechten Dienst tun will.“201 In dieser Aufgabenbestimmung verband sich die militärische Sozialisation des Autors mit seiner Sorge um eine Vertiefung des geistlichen Lebens seiner Amtsbrüder202. Daher schloss er seine Schrift mit der Forderung nach planmäßiger Seelsorge an den Pastoren durch die Laien in der Bibelstunde und im gemeinsamen Pfarrkonvent ab203. Auffällig ist zudem die Rolle, die Rendtorff den leitenden Geistlichen und speziell den Bischöfen zusprach, „die uns zu Führern berufen werden, daß sie uns Seelsorger werden möchten“204. Wie die einzelne Gemeinde zu einer seelsorgerlichen Gemeinschaft werden sollte, so sollte auch die ganze Kirche umgestaltet werden. Während Rendtorffs praktische Forderungen insgesamt wenig originell waren, zeigte dieser Appell an seine Amtsbrüder die konkrete Intention der Schrift an. Sie war als Werbung für den Volksmissionsgedanken an Pastoren gedacht. Diese sollten für die Einladung von Volksmissionaren in ihre Gemeinden gewonnen werden. Zum Abschluss betonte Rendtorff noch einmal die Bedeutung der Pfarrer für die Zukunft des Volksmissionskonzeptes: „Ein solcher Pastorenstand […], kann Werkzeug Gottes in entscheidender Stunde sein, damit unsere Kirche den ihr aufgetragenen Dienst am deutschen Volk erfülle.“205 197 Dabei nahm er auch Hilberts Abgrenzung von der Kultpredigt auf; stattdessen solle die Predigt missionarisch sein; vgl. ebd., 145 f. 198 Ebd., 146–149. 199 Ebd., 149. 200 Ebd., 149 f. 201 Ebd., 153. 202 „Das ist die tiefe Not des Pastorenstandes, daß er unter der Fülle der von ihm geforderten Verrichtungen, daß er in der Betriebsamkeit seines Amtslebens die Stille vor seinem Gott verlernt hat“ (ebd.). 203 Ebd., 155 f. 204 Ebd., 157. 205 Ebd.
Kritische Würdigung
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4.7 Kritische Würdigung Der Intention nach sollte „Pflüget ein Neues“ eine Werbung für Volksmission sein, welche vor allem an Pastoren gerichtet war, die sich für den volksmissionarischen Auftrag begeistern sollten. Mit dieser Werbung verband Rendtorff das Ziel einer grundsätzlichen Klärung des Anliegens der Volksmission. Er stellte sich dabei im Wesentlichen auf den Boden des Volksmissionsprogramms, das Gerhard Hilbert geprägt hatte und das im „Handbuch der Volksmission“ praktisch ausformuliert worden war. In ihrer Gedankenführung war die Schrift trotz ihres gut lesbaren und suggestiven Stils nicht immer stringent und wiederholte sich an wichtigen Punkten mehrfach206. Trotz dieser inhaltlichen Schwächen und der weitgehenden Rezeption der Konzeption von Hilbert setzte Rendtorff in zweifacher Hinsicht eigene Akzente. Zunächst kann an Rendtorffs Semantiken seine Prägung durch die Sprache der „konservativen Revolution“ und der konservativen Kulturkritik nachgewiesen werden. Dies zeigt sich besonders an der ständigen Beschwörung der Wirklichkeit, an seiner Gegenüberstellung von Gemeinschaft und Gesellschaft und am häufigen Rekurs auf den Organismusbegriff. Diese Argumentationen haben sich auch in den bisher analysierten Texten gefunden, allerdings nicht in der Breite und Selbstverständlichkeit wie in dieser Schrift. Am Lebenslauf Rendtorffs ist deutlich geworden, dass er als Jugendbewegter und ehemaliger Kriegsteilnehmer einer anderen Generation als Hilbert und Füllkrug angehörte und sich die konservative Kulturkritik daher bei ihm in einer von aktuellen Autoren geprägten Sprache manifestierte207. Auch Rendtorffs Theologie lässt zeitgenössisch aktuelle Einflüsse erkennen, wie an der Verwendung in der Diskussion befindlicher theologischer Begriffe und an der Bezugnahme auf aktuelle Autoren zu belegen ist. Seine Betonung der Majestät Gottes, die Bedeutung der Rechtfertigung als Erlebnis und die Berufung auf Hirsch und Althaus ermöglichen es, ihn in das Spektrum der Lutherrenaissance einzuordnen. Gerade die Nähe zu diesen beiden Protagonisten der „politischen Theologie“208 zeigt allerdings, dass zwischen dieser theologischen und seiner Orientierung an der „konservativen Revolution“ ein enger Zusammenhang besteht. Ferner war Rendtorff mit seiner Verhältnisbestimmung von Volksmission und Volkstum der Erste, der das Zusammengehen mit der politischen Rechten nicht nur praktizierte, sondern es konzeptionell zu begründen versuchte. Grundlage für diese Verhältnisbestimmung war die Anschauung, dass sowohl 206 Dies lässt sich wohl vor allem aus dem Entstehungskontext erklären, da „Pflüget ein Neues“ ursprünglich aus Vorträgen vor Pfarrern erwuchs; vgl. ebd., 8. 207 Weiling betonte den Einfluss diverser Autoren wie Arthur Moeller van den Brucks, des TatKreises und Wilhelm Stapels auf seine Entwicklung; vgl. Weiling, Rendtorff, 564 f. 208 Scholder, Kirchen, Bd. 1, 124–150.
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Christentum als auch Volkstum geistige Größen und ihre Verkörperungen in Volk und Gemeinde als Organismen zu betrachten seien209. Er grenzte sich daher von einem Volkstumsbegriff ab, der sich zu exklusiv auf die menschliche Abstammung bezog210. Als Ziel der Verhältnisbestimmung suchte Rendtorff nach einer „lebendigen Verbindung“211 von Glaube und Volkstum. Dabei betonte er klar die Priorität der Glaubensbindung. Die Volksmission könne nur einen Beitrag zur Sinnstiftung leisten, wenn sie sich ganz auf ihre Berufung zur Glaubensverkündigung konzentriere: „Die Volksmission dient letzten Endes nicht unserem Volk, sie dient nur einem, dem lebendigen Gott.“212 Letztlich war es diese Betonung der kirchlichen Eigenständigkeit, die Rendtorff trotz seiner deutlichen Sympathien für nationales Gedankengut schließlich in die Bekennende Kirche brachte. Die Frage nach dem Verhältnis zur völkischen Bewegung, die Heinrich Rendtorff 1924 noch positiv, aber grundsätzlich abwägend beantwortete, gewann in der Krisenzeit der Weimarer Republik an Brisanz, da mit der NSDAP eine Partei an Bedeutung gewann, die zwar als nationale Partei große Hoffnungen weckte, bei der vonseiten der Kirche allerdings immer die Befürchtung bestand, dass zumindest einzelne ihrer Anhänger die Unabhängigkeit der Kirche nicht anerkennen würden. Besonders nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten konzentrierte sich die im Jahre 1924 von Rendtorff aufgeworfene Frage nach dem Verhältnis von Glaube und Volkstum auf die Frage nach dem Verhältnis von Kirche und NS-Staat. Dass der Volksmissionsdiskurs ein wesentliches Medium für die Bestimmung dieses Verhältnisses war und dass durchaus unterschiedliche Antworten möglich waren, soll die Analyse eines im Herbst 1933 entstandenen volksmissionarischen Programms zeigen.
209 210 211 212
Vgl. Rendtorff, Neues, 67–71. Vgl. auch Weiling, Bewegung, 167 f. Rendtorff, Neues, 78. Ebd., 78.
5. Lutherische Standortbestimmung zu Beginn des NS-Regimes: Riederauer Thesen der bayerischen Landeskirche (1933) 5.1 Hintergrund und Entstehung Der Volksmissionsdiskurs gewann in der Anfangsphase des nationalsozialistischen Regimes enorm an Breitenwirkung. Im Jahre 1934 fasste ein Autor in der Göttinger „Monatsschrift für Pastoraltheologie“ kritisch den Einfluss des Jahres 1933 auf protestantische Standardformeln zusammen: „Dem ,Jahrhundert‘ der Kirche ist die ,Stunde‘ der Volksmission im kirchlichen Vokabular gefolgt.“1 Die Deutschen Christen erklärten im Laufe dieses Jahres Volksmission zu einer ihrer Kernkompetenzen2. Auch die gegen die deutschchristliche Machtübernahme in der Kirche oppositionell auftretende Jungreformatorische Bewegung nahm das Stichwort „Volksmission“ auf3. Beispielhaft für die Volksmissionsprogramme aus einer Landeskirche, in der es den Deutschen Christen nicht gelang, die Herrschaft in der Kirche anzutreten, sind die im Oktober 1933 verfassten „Riederauer Thesen“ der bayerischen Landeskirche4. Sie sind inhaltlich deutlich spannender als der Aufruf der Reichskirchenregierung zur Volksmission vom November 1933, an dessen Erarbeitung sich zwar auch Vertreter der Volksmissionsbewegung der Zwischenkriegszeit beteiligten, bei dem theologische Gesichtspunkte aber kaum eine Rolle spielten5. Die theologisch argumentierenden Riederauer Thesen lassen sich dagegen besser zu den vorher analysierten Programmen in Beziehung setzen. 1 Henning, Grundfragen, 279. Zum Begriff vgl. besonders den Aufruf der Reichskirchenregierung zur Volksmission vom 10. 11. 1933: „Die Stunde der Volksmission ist da“ (Hossenfelder, Aufruf, 23; allgemein Hermle, Aufstieg). 2 Vgl. besonders das Programm der Reichskirchenregierung mit den dazu gehörenden Richtlinien und dem liturgischen Sofortprogramm (Hossenfelder, Aufruf). 3 Vgl. etwa Lilje, Existenz,146; kritisch Busch, Thesen 84 f. 4 Eine ähnliche Funktion nahm auch das von Landesbischof Theophil Wurm unterzeichnete Volksmissionsprogramm der Evangelischen Kirche in Württemberg ein; vgl. Sch fer, Landeskirche, Band 2, 770–786. Auf eine separate Analyse deutschchristlicher Programme wird verzichtet, da die Volksmissionskonzeption der Deutschen Christen bereits mehrfach in der Forschung behandelt wurde und der Ertrag daher gering wäre; vgl. zum Volksmissionsprogramm der Reichskirchenregierung R ppel, Gemeinschaftsbewegung, 127–139; Hermle, Aufstieg; zum historischen Hintergrund Scholder, Kirchen, Bd. 1, 695–700. 5 Vgl. Niederschrift der vorbereitenden Sitzung zur Bildung einer volksmissionarischen Kammer vom 3. 11. 1933 (EZA Berlin, 1 / 1142).
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Lutherische Standortbestimmung zu Beginn des NS-Regimes
Da die Riederauer Thesen nur vor dem Hintergrund der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen im Gefolge der Machtübertragung an die Nationalsozialisten verständlich werden, muss bei der Analyse dem Entstehungsprozess der Thesen besondere Aufmerksamkeit beigemessen werden. Die Bestimmung des Verhältnisses von nationalsozialistischem Staat und evangelischer Kirche sowie die Standortbestimmung in den landläufig als „Kirchenkampf“ bezeichneten kirchenpolitischen Auseinandersetzungen war für die mit dem Begriff „Volksmission“ verbundenen Inhalte und Vorstellungswelten wesentlich. Für die bayerische Landeskirche stellte sich die Frage des Verhältnisses zum Nationalsozialismus früher als für andere Landeskirchen, da die ober- und mittelfränkischen Kerngebiete des Protestantismus in Bayern zu den frühesten und nachhaltigsten Hochburgen der NSDAP gehörten6. Dabei ist die Tatsache bedeutsam, dass sich die sozialen Trägerschichten des Nationalsozialismus mit den bäuerlichen und kleinbürgerlichen Schichten deckten, aus denen sich die protestantischen Kerngemeinden rekrutierten7. Einen bedeutenden Anteil an dem Erfolg der NSDAP in Franken hatte der frühere Volksschullehrer und oberfränkische Gauleiter Hans Schemm. Dessen auf die konservative fränkische Landbevölkerung zielende Rhetorik bezog sich immer wieder auf die Notwendigkeit einer christlich fundierten Volksgemeinschaft und deren angebliche Gefährdung durch Marxismus und Liberalismus8. Diese betont kirchenfreundliche Haltung Schemms korrespondierte mit einer Affinität zahlreicher Pfarrer der bayerischen Landeskirche zum rechten völkisch-antirepublikanischen Milieu. Über 100 Theologiestudenten und junge Pfarrer beteiligten sich 1919 an den Freikorpsunternehmen gegen die Münchener Räterepublik und teilweise auch an den antirepublikanischen Putschversuchen von 1920 und 19239. Typisch war der Lebenslauf des Pfarrers Helmut Kern, ab 1933 landeskirchlicher Beauftragter für Volksmission. Er war zwischen Kriegsdienst an der Westfront und theologischem Examen Mitglied des Freikorps Epp10. Diese antirepublikanische Sozialisation betraf auch die Studentenjahrgänge der Weimarer Republik, die durch das Elternhaus, ihre Lehrer und ältere Mentoren ebenfalls antidemokratisch sozialisiert wurden und teilweise bereits als Schüler und vor allem während des Theologiestudiums in NS-Organisationen eintraten11. Im Zusammenhang mit den Wahler6 Vgl. Hambrecht, Aufstieg. 7 Kershaw, Opinion, 161. 8 Vgl. K hnel, Schemm, v. a. 119–121 und 168–244. Die Auftritte Schemms schlossen häufig mit dem Gesang „Ein feste Burg ist unser Gott“ (ebd., 135). 9 Vgl. Broszat / Frçhlich / Wiesemann, Bayern, Bd. 1, 370. 10 Vgl. Henn, Volksmission, 31; zum Lebenslauf vgl. auch Öffner, Kern. 11 Zur antirepublikanischen Sozialisation bietet Björn Mensings Dissertation einen wertvollen, durch eine breite Archivbasis und die statistische Auswertung von Fragebögen fundierten Überblick; vgl. Mensing, Pfarrer, 21–71.
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folgen der NSDAP im Zuge der Weltwirtschaftskrise lenkte sich das Interesse immer stärker auf die NSDAP, wozu insbesondere das Werben Hans Schemms beitrug12. Die spektakulären Wahlerfolge der NSDAP in der Zeit der Weltwirtschaftskrise mussten sich daher auf die bayerische Volksmission auswirken. Diese hatte sich zunächst als eine Arbeitsgemeinschaft junger Pfarrer gebildet und war durch die Neuendettelsauer„Gesellschaft für äußere und innere Mission im Sinne der lutherischen Kirche“ organisiert worden. 1929 standen insgesamt fünf „Heimatmissionare“ im Dienst der Neuendettelsauer Missionsanstalt, die zudem in den meisten bayerischen Dekanaten über Vertrauensleute verfügte13. Noch im Juni 1930 entließ die Neuendettelsauer Mission einen langjährigen Heimatmissionar wegen nationalsozialistischer Betätigung14. Die massiven Stimmengewinne der NSDAP in den Reichstagswahlen im September 1931 ließen es den Verantwortlichen jedoch als notwendig erscheinen, mit der neuen Partei ins Gespräch zu kommen. Die bayerische Volksmission wurde ab 1931 zu einem Schrittmacher der Annäherung von Kirche und Nationalsozialismus15. Nachdem bereits im Januar 1931 ein Vortrag des damaligen Münchener Stadtvikars Eduard Putz auf einer Pfarrkonferenz mit dem Appell, die NSDAP vonseiten der Kirche zu unterstützen, für Furore gesorgt hatte, begann im März 1933 unter der Ägide der Neuendettelsauer Heimatmission eine Serie von vertraulichen und offiziellen Kontaktaufnahmen mit Funktionären der NSDAP16. Am 13. März 1931 trafen sich in Nürnberg auf Veranlassung der Neuendettelsauer Heimatmission insgesamt 28 Kirchenmänner – vor allem Pfarrer und Angestellte des Neuendettelsauer Missionswerkes – mit dem Nationalsozialisten Schemm17. Die meisten der an diesem explizit als vertraulich bezeichneten und unabhängig von der Münchener Kirchenleitung initiierten Gespräch teilnehmenden Pfarrer waren gegenüber dem Nationalsozialismus eindeutig positiv eingestellt18. In der Tat ergaben sich im Verlauf der Besprechung deutliche inhaltliche Überschneidungen in der Einschätzung der politischen Situation, die Kern im Hinblick auf den Kampf der NSDAP gegen den „Bolschewismus“ pointiert zusammenfasste: „Wir wissen, daß wir weithin in einer Front stehen. Wir von 12 Vgl. ebd., 119–124. 13 Vgl. Henn, Volksmission, 7. 14 Vgl. Mensing, Pfarrer, 100; der Entlassene wich in eine Karriere als nationalsozialistischer Parteifunktionär und hauptamtlicher Redner aus; vgl. ebd., 266. 15 Die folgende Beschreibung der Annäherung fußt auf der minutiösen Darstellung und Analyse der Veranstaltungen in K hnel, Schemm, 194–244. 16 Bezeichnend ist, dass immer Schemm als Gauleiter von Oberfranken an diesen Diskussionen und Verhandlungen beteiligt war, sein Nürnberger Kollege Julius Streicher „galt offensichtlich als unzumutbar und wurde übergangen“ (ebd., 202). 17 Eine Liste der Teilnehmer ebd., 203 f. 18 Laut Mensing war beinahe die Hälfte der bereits 1931 der NSDAP angehörigen Geistlichen bei diesem Gespräch anwesend; vgl. Mensing, Pfarrer, 131.
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der Volksmission, die ich manchmal den Nationalsozialismus in der Kirche nenne.“19 Zugleich ergaben sich vonseiten der Volksmission allerdings Anfragen, die bereits die Themen der innerkirchlichen Auseinandersetzungen vorwegnahmen. So machte Eduard Putz, der zu den größten Verfechtern eines Engagements von Pfarrern in der NSDAP gehörte, deutlich, dass seine politische Option für den Nationalsozialismus nicht bedingungslos war: „Der Christusbote sagt allen, die bei der Rasse stehenbleiben, das ist Götzendienerei.“20 So betonten die kirchlichen Vertreter bei der Besprechung in Nürnberg als Bedingung für ein Zusammengehen von Volksmission und Nationalsozialismus ein Eingehen der NSDAP auf die Anliegen der Kirche. Berndt Hamm nannte diese Position „ein deutliches Zwei-Sphären-Modell, und zwar nicht als Trennungsmodell, sondern als Modell wechselseitiger Verantwortung und Fürsorge von Politik und Kirche.“21 In der Verhältnisbestimmung zum Nationalsozialismus, die auch auf einer weiteren Konferenz der volksmissionarischen Arbeitsgemeinschaft unter Beteiligung Schemms zum Ausdruck kam22, hatte die bayerische Volksmission damit „eine Vorreiterrolle für die Landeskirche übernommen.“23 Sie hatte unmittelbar nach den ersten Wahlerfolgen Kontakte zu nationalsozialistischen Funktionären aufgenommen, als die bayerische Kirchenleitung die bayerischen Pfarrer noch prononciert auf eine parteipolitische Neutralität verpflichten wollte24. Die Hoffnungen auf den Nationalsozialismus als Bundesgenossen, trotz aller Vorbehalte, gegenüber völkisch-religiösen Tendenzen in der NSDAP und der Wille, innerhalb der nationalsozialistischen Bewegung volksmissionarisch zu wirken, waren wichtige Dispositionen, die auch nach Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft das Verhältnis der bayerischen Landeskirche zu den neuen Machthabern bestimmten. Dies zeigte sich am Verhalten der bayerischen Volksmission im Jahre 1933, deren Protagonisten sich gezielt für eine Annäherung an den nationalsozialistischen Staat einsetzten. Auf Druck der nationalsozialistischen Pfarrer trat Kirchenpräsident Friedrich Veit am 12. April zurück und wurde durch den bisherigen Oberkirchenrat Hans Meiser ersetzt25. Kern gehörte als Leiter der bayerischen Volksmission zu den unbedingten Befürwortern dieses Wechsels, der mit der Einführung des Führerprinzips in der Landeskirche verbunden
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Zitiert nach: ebd., 132. Zitiert nach: K hnel, Schemm, 211 f. Hamm, Normalität, 74. Vgl. K hnel, Schemm, 236–244. Ebd., 240. Vgl. Mensing, Pfarrer, 126 f. Vgl. ebd., 160–162. Dekan Friedrich Langenfass aus München fasste die Intention der Änderung an der Kirchenspitze treffend zusammen: „Wir brauchen dann ein Ermächtigungsgesetz und wir brauchen einen Landesbischof“ (zitiert nach: Baier, Landesbischof, 100).
Hintergrund und Entstehung
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war26. Er unterstützte im Sommer 1933 die Glaubensbewegung Deutsche Christen und wurde ein führendes Mitglied in ihren Reihen27. Allerdings war diese Unterstützung für die DC und den Nationalsozialismus nicht bedingungslos. Wegen seiner „unquestioned loyalty to Meiser and growing aversion to the centralizing demands of the ,Reich Church‘“28 wurde Kern zu einer Stütze des persönlichen Regiments des Landesbischofs. Im Spätsommer und Herbst 1933 gehörte der Aufbau einer in die landeskirchliche Struktur integrierten Volksmission daher zur landesbischöflichen Machtsicherung. Dafür war die kirchenpolitische Entwicklung in Bayern entscheidend. Seit Mai 1933 hatte sich aus dem Kreis prononciert nationalsozialistischer Pfarrer eine eigene bayerische Bewegung der Deutschen Christen herausgebildet, der auch Helmut Kern angehörte. Sie war besonders bei der Kirchenwahl von 1933 in Erscheinung getreten und betonte auch in Bayern den volksmissionarischen Auftrag29. Das Beharren der bayerischen DC auf eine Eigenexistenz stellte jedoch ein Problem für die bayerische Kirchenpolitik dar, weil durch die Auseinandersetzungen in den anderen Landeskirchen, besonders in der altpreußischen Union, die Gefahren deutlich geworden waren, die von einer kirchlichen Machtübernahme der DC ausgingen30. Im Sinne einer Befriedung der Landeskirche musste also Meisers Politik darauf abzielen, die bayerischen DC in die Landeskirche zu integrieren und ihnen die Unterstellung unter die Führung des Landesbischofs und die Anerkennung des Bekenntnisses abzuverlangen31. Auch auf der ersten Sitzung der neu gewählten bayerischen Landessynode vom 12. bis 14. September 1933 wurde deutlich, dass Volksmission eine Brücke der Verständigung bilden konnte32. Bereits vor der Synode hatte der Landesbischof Ende August 1933 im Landeskirchenamt einen Ausschuss zur Vorbereitung der Volksmission eingerichtet, auf den alle folgenden Denkschriften und Initiativen zurückgingen33. Am 12. September 1933 konnte Meiser einen durch den Ausschuss er26 Baier, Christen, 44. 27 Vgl. Henn, Volksmission, 25. Henn sah die zeitweilige Unterstützung der DC durch Kern und andere Neuendettelsauer Heimatmissionare als einen Versuch der Überwindung von innen her. Auch wenn in Kerns Verhalten das Bemühen erkennbar wird, im Rahmen der bayerischen DC ideologische Exzesse zu verhindern, erscheint diese Interpretation von Kerns Verhalten doch apologetisch, da sie die inhaltliche Nähe Kerns zum Nationalsozialismus und den DC vernachlässigt; vgl. auch Broszat / Frçhlich / Wiesemann, Bayern, Bd. 1, 371. 28 Kershaw, Opinion, 161. 29 Vgl. Baier, Christen, 47. 30 So trat der von Meiser abgelehnte Reichsleiter der DC Joachim Hossenfelder während des kirchlichen Wahlkampfes im Juli 1933 in Nürnberg auf; vgl. ebd., 52. 31 Vgl. Baier, Christen, 63. 32 Vgl. etwa Kremmel, Pfarrer, 164. Solche Hoffnungen prägten auch neue Arbeitsfelder in den Konzentrationslagern, allerdings zeigte sich schnell, dass etwa die Seelsorge in Dachau von Seiten des Staates immer wieder auf Schwierigkeiten von Seiten der SS stieß; vgl. jetzt Scherf, Kirche, 55 f., 67–72. 33 Vgl. Tçllner, Frage, 121, Anm. 506; zum Lebenslauf des Ausschussvorsitzenden Oberkirchenrat Oscar Daumiller vgl. Baier, Landesbischof, 104 f.
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arbeiteten Plan für die Abhaltung von Volksmissionen vorlegen, der umfassende Schulungen für Pfarrer und Laien vorsah und die volksmissionarische Arbeit zur Sache der ganzen Kirche machte34. Am 15. September 1933, einen Tag nach dem Ende der Synodalsitzung, wurde Helmut Kern zunächst vorläufig zum Beauftragten für Volksmission ernannt35. Gemeinsam mit ihm wurden zwei in den Schuldienst abgeordnete Pfarrer ebenfalls mit der Verantwortung für die Volksmission betraut: Theodor Ellwein als Beauftragter für Volksmission unter Gebildeten und Ernst Theodor Fikenscher als Verantwortlicher für volksmissionarische Jugendarbeit36. Beide waren NSDAP-Mitglieder. Auch von den im Laufe des Herbstes ausgewählten und im Dezember 1933 offiziell ernannten volksmissionarischen „Kapitelbeauftragten“ in den Pfarrkonventen der einzelnen Dekanate waren insgesamt 43,3 % Mitglieder der NSDAP oder einer Parteiorganisation. Das war ein im Verhältnis zur Pfarrerschaft deutlich überproportionaler Anteil, woran erkenntlich wird, dass ein Einfluss auf die Angehörigen der NS-Bewegung intendiert war37. Daneben stand aber zugleich der Gedanke, die nationalsozialistisch gesinnten Pfarrer und besonders die Anhänger und Sympathisanten der Deutschen Christen in die Gesamtkirche einzubinden. Dies wurde daran deutlich, dass der Landesbischof im Oktober 1933 auf die bayerische Glaubensbewegung massiv einwirkte, um deren Eigenständigkeit zu beschränken; er machte es ihnen zur Auflage, sich ganz in das offizielle Volksmissionsprogramm der Landeskirche einzufügen38. Die „Zusammenfassung aller volksmissionarischen Kräfte“39 sollte damit auch der Integration der neuen kirchenpolitischen Bewegung dienen. In der Tat gelang der nicht risikolose Versuch der Einbindung der DC in die bayerische Volksmission weitgehend40. Bereits auf einer von erregten Debatten geprägten Sitzung des bayerischen Pfarrvereins, auf der Kern am 27. September sein Konzept vorstellte, notierte der Chronist: „Einig war man aber in dem Willen, sich der volksmissionarischen Aktion des Herrn Landesbischofs […] bedingungslos zur Verfügung zu stellen.“41 Für die inhaltliche Vorbereitung der theologischen Schulungsarbeit wurde ein Arbeitsausschuss eingerichtet, der vom 1. bis zum 5. Oktober 1933 in 34 Der Plan Meisers wurde durch seinen Abdruck im kirchlichen Amtsblatt am 7. November 1933 der gesamten Pfarrerschaft zur Kenntnis gebracht; vgl. Meiser: Betreff: Volksmission, 159 f. 35 Zum Datum vgl. Kremmel, Pfarrer, 166. Die offizielle Beauftragung erfolgte mit einem im kirchlichen Amtsblatt veröffentlichten Dekret am 25. Oktober 1933; vgl. Meiser: Betreff: Volksmission, 155. 36 Vgl. ebd. 37 Vgl. Mensing, Pfarrer, 163 f.; Broszat / Frçhlich / Wiesemann, Bayern, Bd. 1, 373 f. 38 Baier, Christen, 70. 39 Schreiben Meiser an Reichskirchenregierung 30. 10. 1933 (EZA Berlin, 1 / 1146, 5). 40 Auch in Hannover versuchte Landesbischof August Marahrens die DC durch ihre Einbindung in eine landeskirchliche Volksmissionsstrategie zu integrieren, scheiterte jedoch an den Forderungen der radikalen DC-Führung nach einer Hegemonie ihrer Kirchenpartei in der Arbeit; vgl. Blatz, Erbstücke, 75–79. 41 Zitiert nach: Kremmel, Pfarrer, 166.
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Riederau am Ammersee tagte und sich auf den Text der Riederauer Thesen einigte42. Die Kirchenleitung war hierbei durch den bayerischen Beauftragten für Volksmission unter Gebildeten, Theodor Ellwein, und den Hilfsreferenten im Landeskirchenamt, Christian Stoll, vertreten43. Die Leitung des Arbeitskreises übernahm allerdings der neuberufene Erlanger Kirchenhistoriker Hermann Sasse44. Dieser betonte nach 1945, dass die Riederauer Thesen auch in das ebenfalls Ende 1933 entstandene Betheler Bekenntnis eingegangen seien, was in der Forschung unterschiedlich beurteilt wird45. Die Riederauer Thesen waren anders als das Betheler Bekenntnis jedoch insgesamt kein grundlegendes theologisches Papier, sondern eine für die Praxis bestimmte Schrift. Die Zusammensetzung des Arbeitskreises kann nicht im Einzelnen rekonstruiert werden. Er scheint jedoch die unterschiedlichen Stellungnahmen zum Nationalsozialismus abgebildet und sowohl Anhänger der Deutschen Christen als auch ihre Kritiker einbezogen zu haben46. Dies wurde auch an den beiden Herausgebern der Riederauer Thesen, Stoll und Ellwein, deutlich, die beide im Jahre 1933 eine Karriere begannen: Ellwein entwickelte sich zum Vertreter eines neutralen Kurses und war Mitte der 1930er-Jahre eine Schlüsselfigur in den Versuchen des Reichskirchenministeriums zur Befriedung der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen, auch in Kooperation mit den radikalen DC. Da er durch diese Orientierung aus dem Konsens der bayerischen Landeskirche herausfiel, konnte er nach 1945 seine Karriere nicht fortsetzen. Stoll war als Mitarbeiter im bayerischen Landeskirchenamt und als Dekan in Schwabach an der Abwehr der Angriffe auf die bayerische Landeskirche beteiligt und war durch seine Mitwirkung an den Sammlungsbemühungen der Lutheraner bis zu seinem Unfalltod 1946 eine wichtige Figur in der Frühgeschichte der VELKD. Dabei vertrat er in enger Anlehnung an Hermann Sasse eine konfessionell-lutherische Position, die
42 Zur geplanten theologischen Arbeitsgemeinschaft vgl. Meiser: Betreff: Volksmission, 159; zum Beginn der Schulungsarbeit vgl. Riederauer Thesen, 3; Henn, Volksmission, 11, 17 f. 43 Vgl. ebd., 11; Riederau war ein Ort, an dem regelmäßig theologische Schulungen stattfanden. So hatte Althaus hier im Jahre 1931 bei einer Freizeit über das Verhältnis von evangelischer Kirche und völkischer Bewegung referiert; vgl. Mensing, Pfarrer, 133. 44 Nold, Volksmission, 2; dagegen betont Henn, die Erlanger Fakultät hätte sich nicht beteiligt; vgl. Henn, Volksmission, 11. Der Autor dankt Prof. Dr. Wolfgang Sommer (Neuendettelsau) für Hinweise auf die Quellenlage. 45 Schreiben Hermann Sasse an Eberhard Bethge, zitiert in: Bonhoeffer, Schriften, Bd. 2, 82; kritisch M ller, Bekenntnis, 25–28; befürwortend Lichtenfeld, Merz, 388, Anm. 273; Sommer, Kritik, 335, Anm. 171; vgl. unten 140; 149 Anm. 139. 46 Ein vermutlich von dem – den DC gegenüber kritischen – Inspektor des Nürnberger Predigerseminars Kurt Frör stammendes Schreiben bescheinigte Helmut Kern am 26. Oktober 1933, es sei ihm gelungen, „in sei-nen [sic!] volksmissionarischen Arbeitsgemeinschaften beide Gruppen zu brüderlicher Zusammenarbeit zu vereinen“ (zitiert nach: Kremmel, Pfarrer, 166); vgl auch Riederauer Thesen, 3.
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zwar nicht zum Mainstream der Landeskirche gehörte, ihm aber das Vertrauen des Landesbischofs sicherte47. Die gemeinsame Herausgabe der Riederauer Thesen durch Stoll und Ellwein ist, trotz ihrer unterschiedlichen theologischen und politischen Prägung und Entwicklung, ein Indikator für den Erfolg der integrativen bayerischen Kirchenpolitik. „Landeskirchliche Normalität“48 hat Hamm die von dieser Gruppe geteilte Vorstellung von der Vereinbarkeit von Kirche und Nationalsozialismus und den Willen zur Volksmission genannt und diese Wertvorstellungen als „partiell ideologieresistent und zeitgeistunabhängig, zugleich aber auf ihre Weise regimeloyal“49 bezeichnet. Die Erarbeitung der Riederauer Thesen gehörte nach der Festigung von Meisers Autorität auf der Sitzung der Synode im September 1933 zu den ersten Zeichen einer erfolgreichen Integration der gemäßigten Mehrheit der bayerischen DC in die Landeskirche. Ihre Autoren waren sich mit der Mehrheit der Pfarrer in der Treue zum Landesbischof, der Ablehnung deutschchristlicher Extrempositionen und der Betonung der kirchlichen Unabhängigkeit einig50. Die offiziöse Bedeutung der Riederauer Thesen zeigte sich auch in den Verlautbarungen des bayerischen Amtsblattes. Am 28. November 1933 ordnete ein Erlass Landesbischof Meisers verbindlich für alle Pfarrkapitel in den einzelnen Dekanaten kontinuierliche Schulungen zu theologischen Themen an51. Er stellte dazu eine aus neun Einheiten bestehende Themenreihe auf, welche die Pfarrkapitel unter der Leitung der Dekane bis Juni 1934 durchzuarbeiten hätten, wobei die genannten Schulungsthemen zum großen Teil an die „Riederauer Thesen“ anknüpften52. Meiser kündigte in seinem Erlass an, dass er für diese Pfarrkonferenzen den Dekanaten beizeiten Leitsätze für die einzelnen Einheiten zur Verfügung stellen werde, für welche der unter der Leitung von Stoll und Ellwein stehende Riederauer Arbeitskreis Verantwortung trug. Weitere Schriften wurden explizit als Entfaltung dieser Themenreihen angekündigt53. Daher unterstrich 47 Zu Stoll vgl. biografische Anmerkungen in Stoll, Gott; zu seiner Rolle in den lutherischen Einigungsbemühungen vgl. Schneider, Zeitgeist, 77–92; 100–128; 222–226; zu Theodor Ellwein vgl. Ellwein, Freiheit, 198–237. Für wertvolle Hinweise zu den beiden Lebensläufen dankt der Autor Dr. Axel Töllner (Neuendettelsau). 48 Zu der gesamten Analyse vgl. Hamm, Normalität, 71–98. 49 Ebd., 82. 50 Dies galt allerdings nicht für Theodor Ellweins Engagement in der kirchenpolitischen Mitte nach 1935, als er durch seine Kompromissbereitschaft gegenüber den radikalen DC aus diesem Konsens ausbrach. 51 Vgl. Meiser, Theologische Schulung, 177 f. 52 Die einzelnen Themen waren: 1. „Das Bekenntnis der Kirche in der Gegenwart“; 2. „Gesetz und Evangelium“; 3. „Die Ordnungen Gottes“; 4. „Religion oder Offenbarung?“; 5. „Die völkische Religion und das Christentum“; 6. „Das Alte Testament als Buch der Kirche“; 7. „Gott und die Geschichte (Wort Gottes, Geschichte, Heilsgeschichte)“; 8. „Kirche und Staat“; 9. „Die Kirche und die Judenfrage“ (ebd.). 53 Ebd., 177.
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die Ankündigung der „Riederauer Thesen“ im Amtsblatt der bayerischen Landeskirche vom 28. November 1933 auch den offiziösen Charakter der Riederauer Thesen für die theologische Vorbereitung der anvisierten Volksmission: „Dieses Heft enthält den größten Teil der Leitsätze, die der Behandlung der Themen auf den Pfarrkonferenzen zugrundezulegen [sic!] sind“54. Der theologische Kompromiss erhielt also durch seine Kennzeichnung als offiziöses Schulungsmaterial eine kirchenamtliche Sanktionierung und bietet einen Einblick in die Stellung der bayerischen Landeskirche im Herbst 1933.
5.2 Volksmission und lutherisches Bekenntnis Die „Riederauer Thesen“ bildeten den Startpunkt einer Reihe von im Münchener Christian Kaiser Verlag erschienenen Heften unter dem Obertitel „Bekennende Kirche“55. In dieser Reihe erschienen Hefte, die sich teilweise vertiefend mit den in den Riederauer Thesen angesprochenen Grundsatz-56 und Gegenwartsfragen57 beschäftigten und wahrscheinlich auf Vorträge volksmissionarischer Schulungen zurückgingen58. Die Reihe entwickelte ab 1934 eine immer stärker dezidiert bekenntniskirchliche Haltung, was an der Beteiligung von Autoren wie des dialektischen Theologen Georg Merz und des konfessionellen Lutheraners Hermann Sasse deutlich wurde59. Der Titel „Bekennende Kirche“ hatte im Herbst 1933 noch nicht die Bedeutung einer zusammenfassenden Bezeichnung der kirchenpolitischen Gegner der Deutschen Christen erlangt, aber im Herbst 1933 lag die Bezeichnung gleichsam in der Luft. Dies wird bei einem Blick in das Amtsblatt der bayerischen Landeskirche deutlich, wo die Frage des Bekenntnisses immer größere Bedeutung erlangte. So endete der Mitte September abgefasste und Anfang November 1933 im Amtsblatt veröffentlichte Plan Landesbischof Meisers für die Volksmission mit einem Ruf nach Erneuerung: „die bestehenden Gemeinden sollen handelnde, bekennende, opfernde und im Kampf mit Sünde, Tod und Teufel sich bewährende Gemeinschaften werden“60. Die 54 Anon., Schriftenanzeige. 55 Im Folgenden wird die zweite Auflage, ebenfalls von 1933, zitiert. 56 Z. B. Stoll, Bekenntnis; Ellwein, Gesetz. Im Folgenden werden v. a. die ersten zwischen Herbst 1933 und Frühjahr 1934 erschienen Hefte betrachtet; die Reihe wurde aber über die gesamte Vorkriegszeit fortgeführt. 57 Z. B. Putz, Religiosität; Schlatter / Schmidt / Stoll, Testament. 58 Vgl. besonders Putz, Religiosität. Das von Eduard Putz gestaltete Heft geht offenbar auf Schulungskurse zurück; vgl. Schreiben Helmut Kern an Kapitelbeauftragte für Volksmission vom 6. 11. 1933 (Kleefeld, Amtsbrüder, 14). 59 Merz, Bekenntnis; Sasse, Volk. 60 Meiser, Betreff: Volksmission, 160. Die Bedeutung einer stärkeren Aktivierung der Gemeinden
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Erklärung liegt in dem bereits Ende 1933 einsetzenden Transformationsprozess der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen, die von dem Widerspruch gegen einzelne Rechtsbrüche zu einer Auseinandersetzung über fundamentale theologische Fragen führte: „Im Unterschied zu den mehr konkreten Anlässen des Jahres 1933 […] war jetzt die Wendung zum Grundsätzlichen unverkennbar.“61 Als Geleitwort sind den „Riederauer Thesen“ zwei Zitate beigefügt62. Das erste stammt, der positiven Bezugnahme auf das lutherische Bekenntnis entsprechend, von Luther: „[…] denn es sind drei Dinge, welche die Kirche erhalten und eigentlich der Kirche angehören. Erstens: treu lehren, zum anderen: fleißig beten, und zum dritten: mit Ernst leiden.“63 Durch dieses Lutherzitat wurde der Begriff „Bekennende Kirche“ ausgelegt. Zum rechten Erhalt der Kirche gehörten demnach die reine Lehre des Bekenntnisses, die Ausübung der Frömmigkeit sowie die Bereitschaft des Zeugnisses durch Leiden. „Bekennende Kirche“ sollte also nicht nur die lehrmäßige Geltung der Bekenntnisschriften betonen, sondern daneben insbesondere den Akt des Bekenntnisses herausstellen64. Das zweite Zitat stammte nicht aus einer theologischen Quelle; hier zitierten die Herausgeber stattdessen eine umfangreiche Aussage aus Adolf Hitlers „Mein Kampf“ zur Vergleichbarkeit fundamentaler Rechtsnormen und dogmatischer Prämissen. Der Fokus dieses Zitates lag auf der Notwendigkeit des Erhalts der Dogmen für das Fortbestehen der Religionen: „Der Angriff gegen die Dogmen an sich gleicht deshalb auch sehr stark dem Kampfe gegen die allgemeinen Grundsätze des Staates, und so wie dieser sein Ende in einer vollständigen staatlichen Anarchie finden würde, so der andere in einem wertlosen religiösen Nihilismus.“65
Durch diese geschickte Zitatauswahl machten die Herausgeber der „Riederauer Thesen“ den „Führer“ zum Kronzeugen für die Notwendigkeit einer Verteidigung des Bekenntnisses vor innerkirchlichen und dezidiert nichtchristlichen Kontrahenten. Vor dem Hintergrund der Situation des Jahresendes 1933 musste sich diese Mahnung deutlich gegen die DC richten. Zudem betonten die Herausgeber durch die Wahl eines Hitlerzitates ihre grundsätzliche Loyalität zum NS-Staat, was einerseits eine taktische Dimension hatte, nämlich die Abwehr des Vorwurfs, der kirchenpolitische Protest richte sich
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für den Diskurs in der Bekennenden Kirche betont Brunner, Volkskirche, 202 f. (Kapitel 3.4.2); zum Bekenntnisbegriff ebd., 153 f. (Kapitel 3.3.1). Meier, Reichskirche, 121; zur Geschichte des Begriffes „Bekenntniskirche“ ebd., 119–124. Riederauer Thesen, 5. Ebd. Zu dieser doppelten Bedeutung des Bekenntnisbegriffes vgl. Meier, Kirche, 120. Riederauer Thesen, 5; zum ursprünglichen Zitat vgl. Hitler, Kampf, 293. In dem Kapitel, aus dem dieses Zitat stammt, äußerte sich Hitler zum Einflussverlust der Kirchen als angeblicher Indikator für die Desintegration der Volksgemeinschaft; vgl. ebd., 292–295.
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gegen das Regime, andererseits ohne Zweifel auch dem eigenen Selbstverständnis entsprach. Zudem machten die bayerischen Autoren den radikalen Deutschen Christen implizit den Vorwurf, durch ihre angestrebten dogmatischen Innovationen ein Ziel zu verfolgen, das in Analogie zu den linken Gegnern des Nationalsozialismus stehe. Bereits in diesen beiden Zitaten werden die beiden Zielrichtungen der „Riederauer Thesen“ deutlich. Es ging einerseits um eine Darlegung des Verständnisses der landeskirchlichen Volksmission auf der Basis des (lutherischen) Bekenntnisses, andererseits um eine Verhältnisbestimmung zum nationalsozialistischen Staat und zu den Herausforderungen, die aus der nationalsozialistischen Ideologie heraus auf die Kirche zukamen. Es war vom Namen der Heftreihe her zu erwarten, dass die Besinnung über die Stellung des Bekenntnisses einen wesentlichen Anteil an der theologischen Klärung bilden würde. Leitsätze zum Thema „Das Bekenntnis der Kirche“ bildeten daher das erste Kapitel der „Riederauer Thesen“66. Das Kapitel zur Rolle des Bekenntnisses begann mit einer Definition der Kirche: „Wo die frohe Botschaft durch den Heiligen Geist im Glauben gehört wird, da ist Kirche. Der Glaube kommt aus der Predigt.“67 Mit diesem Bezug auf die reformatorische Worttheologie begründeten die Autoren der „Riederauer Thesen“ die Notwendigkeit der kirchlichen Verkündigung und zugleich ihre mögliche Beeinträchtigung durch Irrtum und Sünde: „Durch diese Bedrohung erhält die Aufgabe der Lehre ihren tödlichen Ernst. Es kommt alles darauf an, daß recht gelehrt wird.“68 Vor diesem Hintergrund sollte das als norma normata von der Bibel abgeleitete Bekenntnis die Norm bilden, anhand derer die rechte Lehre festgestellt werden könnte69. Mit dem Bekenntnis war zunächst das im Konkordienbuch niedergelegte lutherische Bekenntnis70 gemeint, am Ende des Abschnittes gingen die Richtlinien jedoch auch auf die Möglichkeit einer neuen Bekenntnisbildung ein: „[…] die Ergänzung ihres Bekenntnisses erzwingt der Herr der Kirche in Zeiten neuer schwerer Bedrohung der reinen Verkündigung des Evangeliums. Deshalb kann die Bekenntnisbildung zu keinem Zeitpunkt abgeschlossen sein. Sie geschieht jedoch niemals anders als durch die einmütige Darstellung der einträchtigen Lehre (magno consensu) in Übereinstimmung mit der rechtgläubigen Kirche, die durch die Zeiten geht.“71
Auffällig ist, dass die Schulung der bayerischen Pfarrer für ihren volksmissionarischen Dienst gerade mit einer Repetition lutherischer Dogmatik zu den 66 67 68 69 70
Vgl. Riederauer Thesen, 7. Ebd. Ebd. Ebd. Dass nur das lutherische Bekenntnis gemeint war, wurde an den aufgelisteten Irrlehren deutlich: „z. B. Römisch-katholische [sic!] oder reformierte Konfession oder Konsensusunion“ (ebd.). 71 Ebd.
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Bekenntnisschriften beginnen sollte. Hier wird deutlich, dass vor dem Hintergrund der Auseinandersetzungen innerhalb der evangelischen Kirche die Frage nach der rechten Lehre und nach dem Bekenntnis relevant wurde. Indem zu Anfang des Kapitels auf die Bildung der Kirche durch das Wort der Verkündigung verwiesen wurde, hatte die Orthodoxie der Lehre eine unmittelbare Relevanz für die Wirksamkeit der anvisierten Volksmission. Zudem zeigt der oben zitierte Absatz zur Fortführung der Bekenntnisbildung interessante Perspektiven: Im Spätherbst 1933 war offenbar selbst im bayerischen Luthertum ein neues Bekenntnis über das Konkordienbuch hinaus denkmöglich geworden72. Die gleiche Position findet sich in dem von Sasse maßgeblich beeinflussten Betheler Bekenntnis, was die Mitteilungen über dessen Einfluss auf die Entstehung der Riederauer Thesen stützt73. So zeigten sich von hier aus Wege zur Barmer Theologischen Erklärung, auch wenn diese inhaltlich und vor allem in ihrem Rang als Bekenntnisschrift innerhalb der lutherischen Theologie umstritten blieb74. Im Verhältnis zu den inhaltsschweren aber kurzen Ausführungen zum „Bekenntnis der Kirche“ ist der Abschnitt „Was ist lutherische Volksmission?“75 umfangreich. Diese Thesen erhielten ihre Bedeutung dadurch, dass sie Anfang November 1933 im Amtsblatt der bayerischen Landeskirche als Richtlinien für die bayerische Volksmission erschienen waren und damit einen offiziösen Charakter hatten76. Die Ausführungen zur Volksmission begannen mit einer Bestandsaufnahme: Zunächst verwiesen die Autoren auf eine „Tatsache der Entfremdung weitester Kreise unseres Volkes von der Kirche“77 und die bereits mit der Inneren Mission im 19. Jahrhundert beginnenden Gegenmaßnahmen78. Hieraus ergebe sich die Notwendigkeit der Selbstprüfung, ob die evangelische Kirche im rechten Maße auf diese Herausforderung reagiert habe. Hier kam die Deutung der Gegenwart, der Etablierung des nationalsozialistischen Regimes, ins Spiel: „Die gegenwärtige Stunde, in der unser Volk in seinem ganzen geistigen, sozialen, kirchlichen, politischen Bestande von Grund auf erschüttert, in die größte Wallung und Umgestaltung geraten ist und unerhörte Möglichkeiten vor sich sieht, stellt unsere Kirche noch einmal vor jene Aufgabe.“79 72 Die Forderung nach Konsens mit der rechtgläubigen Kirche und dem Magnus consensus könnte sich allerdings auch gegen Versuche deutschchristlicher Bekenntnisbildung richten; zu der ungemein zahlreichen Bekenntnisproduktion im Jahr 1933 vgl. Schmidt, Bekenntnisse. 73 Vgl. Lichtenfeld, Merz, 333, Anm. 32; Sommer, Kritik, 335, Anm. 171; vgl. für die weitgehende Übereinstimmung den Abdruck des Artikels VII.2 in der Endfassung des Betheler Bekenntnisses in M ller, Bekenntnis, 187. 74 Vgl. Meier, Aktualitätsproblem, 87–95. 75 Riederauer Thesen, 8–11. 76 Vgl. Anon., Richtlinien. 77 Riederauer Thesen, 8. 78 Ebd. 79 Ebd.; zum ubiquitären Kairosdenken 1933 vgl. etwa Brunner, Volkskirche, 147 (Kapitel 3.3.1).
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Die Riederauer Thesen beschworen die Gunst der Stunde und sahen die gesellschaftlichen Änderungen des Jahres 1933 positiv als Aufbruch der gesamten Nation. Sie artikulierten damit die Möglichkeiten, die der Kirche ihrer Meinung nach durch diese neue Entwicklung gegeben seien. Dabei betonten die Autoren allerdings nicht so sehr die vorgeblichen volksmissionarischen Chancen, sondern die drohende Gefahr des Gerichtes für den Fall, dass die Kirche nicht auf die Entwicklungen einginge und bezogen sich auf die eschatologische Selbstdeutung Luthers, „[…] daß Gottes Wort an die Völker ein fahrender Platzregen ist und eine Entscheidung für die Existenz eines Volkes und Staates bedeutet.“80 Auf diese einleitenden Bemerkungen folgte eine Definition des Volksmissionsbegriffes. Volksmission sei „eine Teilaufgabe des gesamten missionarischen Auftrags der Kirche.“81 Zunächst betonten die Autoren die Beziehung zwischen Taufe und Missionsauftrag: „Ihre Besonderheit besteht erstlich darin, daß sie sich an die getauften Glieder der Kirche wendet und sie zu ihrem Taufbund zurückruft.“82 In dieser Akzentsetzung wird deutlich, dass die Autoren der Riederauer Thesen von einer hohen Wertung der Taufe ausgingen. Dabei betonten sie den mit ihr verbundenen Bundesschluss Gottes mit dem Täufling stärker als deren sakramentalen Charakter. Als zweite Besonderheit der Volksmission behandelten die Autoren die Frage, ob der Einzelne oder das Kollektiv Ziel der volksmissionarischen Verkündigung sei. Die Lösung der Riederauer Thesen war ähnlich der von Heinrich Rendtorff gegebenen Forderung. Sie legten den Fokus darauf, „[…], daß sie [die Volksmission, H. B.] den Einzelnen in seiner gliedlichen Verbundenheit im Ganzen des Volks und damit das Volk als Ganzes anspricht.“83 Insofern verwundert es nicht, dass mit dem Verweis auf die „Heidenmission des deutschen Luthertums“84 die vom volksorganischen Denken geprägten Inkulturationsstrategien der Missionstheologie rezipiert wurde. Hier nahmen die Riederauer Thesen auf einen für die volksmissionarischen Kreise wichtigen Diskurs Bezug85. Seit dem frühen 20. Jahrhundert brachten deutsche Missionare ihre Erfahrungen aus dem Missionsfeld in ekklesiologische Diskussionen ein. Sie betonten die Notwendigkeit, in der missionarischen Verkündigung und der Organisation der Missionsgemeinden die traditionellen Formen und Bräuche zu berücksichtigen; bekannte Protagonisten waren der Leipziger Missionar Bruno Gutmann und der Neuendettelsauer Missionsdirektor Christian Keysser, der mit seinen Schriften über die Missionserfolge in Neuguinea einen wesentlichen Einfluss
80 81 82 83 84 85
Riederauer Thesen, 8. Zur Rede vom Platzregen vgl. Luther, Burgermeyster, 32 Zeile 6–8. Riederauer Thesen, 8. Ebd. Riederauer Thesen, 8. Ebd. Vgl. etwa Hilbert, Kirchliche Volksmission (1916), 35.
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auf das Selbstverständnis der bayerischen Landeskirche im Sinne einer bewussten Volkschristianisierung ausübte86. Die dritte These zur Definition der lutherischen Volksmission bezog sich auf ihr Verhältnis zum ordinierten Amt und zur regulären Wortverkündigung. Hier gelangten die Autoren zu einer sehr umfassenden Definition: „Volksmission im weiteren Sinne ist die gesamte rechtverstandene Wortverkündigung der Kirche.“87 Die Autoren betonten, dass die volksmissionarische Verkündigung inhaltlich nicht von der normalen Predigt verschieden sei und gerade dem alltäglichen Dienst der Pfarrer eine besondere Bedeutung für die Zukunft der Kirche zuzumessen sei88. Die Notwendigkeit der Einbindung der Volksmission in das Gesamtgeschehen kirchlicher Verkündigung gehörte, wie an den vorher analysierten Beispielen deutlich wurde, zu den Propria des Volksmissionsdiskurses. Genauso konnte die Formulierung allerdings auch der Selbstvergewisserung der Pfarrer dienen: „Dieser Dienst, welcher in der schlichten Treue des Gemeindepfarrers täglich getan wird, ist Volksmission allerersten Ranges und kann niemals durch außerordentliche volksmissionarische Veranstaltungen ersetzt oder verdrängt werden.“89
Siegfried Hermle hat gezeigt, dass die Betonung des volksmissionarischen Auftrages der gesamten Kirche im Kontext des Jahres 1933 eine Abgrenzung vom Monopolanspruch der Deutschen Christen, in besonderem Maße für die Aufgabe der Volksmission qualifiziert zu sein, beinhaltete90. Diese Selbstvergewisserung der Pfarrer umfasste aber noch ein weiteres Element: Alle bisher behandelten volksmissionarischen Konzepte gingen von der hervorgehobenen Rolle des Ortspfarrers in den anvisierten Gemeindereformen aus. Gleichzeitig wohnte dem Aufruf zur Volksmission aber immer eine Spitze gegen das hierarchische Denken innerhalb der Kirche inne91. Demgegenüber betonten die Riederauer Thesen fast ausschließlich die Bedeutung des kirchlichen Amtes92. Den Laien kamen im Verhältnis zum Amt lediglich unterstützende Funktionen zu. Statt einer Überwindung der Pastorenkirche visierten die Riederauer Thesen also die Stabilisierung der leitenden Rolle des Pfarramtes an93. 86 87 88 89 90 91
Vgl. Gutmann, Gemeindeaufbau; Keysser, Papuagemeinde; allgemein Hoekendijk, Kirche. Riederauer Thesen, 8. Ebd. Ebd. Vgl. Hermle, Aufstieg, 340, Anm. 143. Siegfried Hermle konstatiert diesen Aspekt der Überwindung der Pastorenkirche auch in den meisten Konzepten des Jahres 1933; vgl. ebd., 139. 92 Riederauer Thesen, 9. 93 Der zweite Band der Reihe „Bekennende Kirche“ zitierte zustimmend eine hohe Wertung der Ordination: „Der Pfarrer der evangelisch-lutherischen Kirche wird […] ordiniert und ,damit zum geistlichen Stand und Beruf im Dienst der evangelisch-lutherischen Kirche geweiht‘“ (Stoll, Bekenntnis, 19). Allerdings betonte Theodor Ellwein in einer Vorstellung des Riede-
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Nach diesem Plädoyer für die klassischen Aufgaben des Pfarramtes erläuterten die Autoren die Aufgaben der „Volksmission im engeren Sinn.“94 Diese sollte zur klassischen Predigt hinzutreten und sich besonders im Zielpublikum von dieser unterscheiden: „Denn die Kirche muß das Evangelium auch dort verkündigen, wo die Stimme des Gemeindepfarrers nicht gehört wird“95. In dieser Zielsetzung, die Kirchenfernen zu erreichen, unterschied sich die bayerische Volksmission nicht wesentlich von allen anderen volksmissionarischen Entwürfen, die in dieser Arbeit behandelt werden. In der folgenden These erläuterten die Autoren die Konsequenzen aus der Definition von Volksmission als Bestandteil der allgemeinen Verkündigung. Sie betonten die grundsätzliche Gleichartigkeit beider Formen96. Diese These ergab sich konsequent aus der Parallelisierung von Volksmission und Predigt innerhalb der Gemeinde; beide hatten das Evangelium zu bezeugen und waren „an das Bekenntnis unserer evangelisch-lutherischen Kirche gebunden.“97 Aus der Einbeziehung in die Verkündigung der Kirche folgte weiterhin, dass eine Berufung nach CA XIV zu den Voraussetzungen eines volksmissionarischen Auftrages zu zählen sei98. Die Riederauer Thesen sahen diese vor allem in einer strikten Unterordnung unter die Leitung des Landesbischofs gegeben: „Die Volksmission als bekenntnismäßiges Handeln der Kirche ist Angelegenheit der verfaßten Landeskirche und wird vollzogen unter dem Auftrag und der Verantwortung des an das Bekenntnis der lutherischen Kirche gebundenen Landesbischofs.“99
Der Anspruch, dass Volksmission in direktem Zusammenhang mit kirchlichem Handeln zu stehen habe, war – wie gezeigt – ein Proprium des gesamten Volksmissionsdiskurses der Zwischenkriegszeit. Die strikte Unterordnung unter den Landesbischof war äußerlich eine Adaption des Führerprinzips in die evangelische Kirche. Andererseits war auch die Spitze gegenüber dem Kirchenregiment der DEK nicht zu übersehen: Das bayerische Volksmissionsprogramm war betont eigenständig gehalten, der Reichsbischof und die Reichskirchenregierung wurden überhaupt nicht erwähnt; die Treue galt allein dem Landesbischof. Dies entsprach der Politik gegenüber den bayerischen DC, denen Meiser eine strikte Unterordnung unter den Landesbischof
94 95 96 97 98 99
rauer Programms auch die Notwendigkeit der Förderung der Mitarbeit von Laien gegenüber dem Pfarramt; vgl. Ellwein, Probleme, 280. Riederauer Thesen, 9. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Allerdings wurde in den Riederauer Thesen nicht explizit die Ordination der Volksmissionare gefordert, grundsätzlich war also auch eine Beauftragung von Laien möglich. Ebd.
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abnötigte100. Die Treue galt dem Landesbischof außerdem nicht als Person, sondern als Garant der Bekenntnistreue. Aus dem ganzen Duktus der Argumentation in den Riederauer Thesen wird deutlich, dass die Situation des Spätherbstes 1933 immer stärker als ein Kampf um den Erhalt des lutherischen Bekenntnisstandes gesehen wurde und die Auseinandersetzung bereits vor dem Sportpalastskandal in die Bahnen eines Konfliktes um das Bekenntnis geriet. Die Bekenntnisgemäßheit war daher eine wesentliche Forderung der Autoren der Riederauer Thesen für das Gelingen der anvisierten Volksmission. Während die Riederauer Thesen die geistigen Voraussetzungen und die organisatorische Einbindung der Volksmission sehr detailliert darlegten, blieb die Darlegung der Mittel verhältnismäßig vage und konventionell: „Evangelistischer Vortrag, Freizeit und Schulung, indirekte Evangelisation durch die Geschulten, Blätter- und Schriftenmission, Bedienung der Tagespresse.“101 Nach dieser Auflistung verschiedener Veranstaltungsformen folgte eine Zusammenfassung der Forderungen, die an die volksmissionarische Verkündigung zu stellen seien. Zunächst betonten die Riederauer Thesen, dass „Verständlichkeit und echte Volkstümlichkeit“102 die volksmissionarische Verkündigung auszeichnen müssten. Diese Forderung nach einer verständlichen und packenden Predigtweise gehörte zu den Standardforderungen an eine evangelistische Verkündigung, wie sie auch in der Volksmissionsliteratur immer wieder erhoben wurde103. Dass die lutherische Volksmission in die Gegenwart des Jahres 1933 verortet werden sollte, drückten die Autoren ebenfalls klar aus, indem sie aktuelle Diskussionen als außerordentlich angemessene Themen der volksmissionarischen Verkündigung benannten104. Zu der Orientierung am Bekenntnis der Kirche sollte also in den Augen der Autoren der Riederauer Thesen die Sensibilität für die gegenwärtige Situation und die aktuellen Fragen treten. Dies galt nicht nur für politische Fragen, sondern volksmissionarische Predigt sollte allgemein „Verständnis für die jeweilige innere und äußere Lage der Zuhörer“105 haben. Die Orientierung am Hörer sollte damit sowohl den allgemeinen historischen Kontext als auch die Situation des Einzelnen betreffen. Die Notwendigkeit des Spagates zwischen der Botschaft des Evangeliums und der Berücksichtigung der Situation des Hörers – die Grundsituation aller Homiletik – war eine in der Literatur der 100 Vgl. Baier, Christen, 70. Zum historischen Hintergrund dieser Aktion vgl. Kremmel, Pfarrer, 182–184. Bereits zwei Wochen später konnte Helmut Kern einen Erfolg mitteilen: „Die im zweiten Rundbrief hinausgegebenen Gehorsamserklärungen laufen nunmehr zu Hunderten beim Herrn Landesbischof ein“ (Kern an Kapitelsbeauftragte am 23. 11. 1933, in: Kleefeld, Amtsbrüder, 17). 101 Riederauer Thesen, 9. 102 Ebd., 10. 103 Vgl. etwa Michaelis, Gestaltung, 78 f. 104 Riederauer Thesen, 10. 105 Ebd.
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Volksmissionsbewegung immer wieder erörterte Problematik106. Allerdings sahen die Riederauer Thesen, wie durch ihren gesamten Duktus deutlich wurde, in der Machtübertragung an die Nationalsozialisten und den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen des Jahres 1933 eine Veränderung des Kontextes, die es notwendig machte, die Dinge anhand des vorgegebenen Bekenntnisses noch einmal neu zu hinterfragen. Als Gefährdung der Volksmission betrachteten die Autoren eine mangelnde Abgrenzung von Propaganda: „[…] eine auch mit dem besten Willen unternommene Mission hört auf Mission zu sein, wo sie zur Propaganda wird.“107 Die Gegenüberstellung von Mission und Propaganda ging auf den systematischen Theologen Martin Kähler zurück, der damit eine Missionsweise bezeichnete, in der „man eben nur das eigene Kirchentum weiterträgt und auch nur dieses weitertragen will.“108 Vor dem Hintergrund des Jahres 1933 hatte der Propagandabegriff aber eine neue Dimension bekommen, da er von der nationalsozialistischen Bewegung uneingeschränkt positiv benutzt wurde. Zu den Konsequenzen einer Verwechslung von Mission und Propaganda, die zumindest implizit den radikalen DC vorgeworfen wurde, gehörten laut den Riederauer Thesen u. a. „Verrat des Evangeliums an den Zeitgeist und an die Zeitgötzen, Auflösung des Dogmas und der richterlichen Schärfe des Wortes“109. Durch die Abgrenzung von Mission und Propaganda war die von der bayerischen Volksmission verantwortete Volksmission zumindest ihrem Anspruch nach keine Kopie des nationalsozialistischen Veranstaltungs- und Propagandarepertoires, sondern eine aus dem Wesen der evangelisch-lutherischen Kirche selbst erwachsende Veranstaltungsform. Das bedeutete aber keine Abgrenzung vom Nationalsozialismus, dessen Propaganda als dem politischen Bereich angemessen charakterisiert wurde110. Um die Verwurzelung der Volksmission im Bekenntnis deutlich zu machen, endete dieser Abschnitt der Riederauer Thesen mit zwei Verwerfungsurteilen für dogmatische Häresien. So werteten sie die propagandistische Form der Mission als Konsequenz eines synergistischen Heilsverständnisses, als „Ergebnis einer falschen unlutherischen Grundhaltung, die da wähnt, bei der Verkündigung und Aufnahme des Wortes sei das eigene Vermögen des Menschen entscheidend.“111 Die Betonung des sola gratia gegenüber einem Synergismus war jedoch nur eine Seite der Verwerfungen. Als Gegenpol verwarfen die Riederauer Thesen unter Verweis auf die Kraft des Evangeliums
106 107 108 109 110
Vgl. etwa Rendtorff, Neues, 79–101. Riederauer Thesen, 10. K hler, Mission, 113. Riederauer Thesen, 10. „Mission ist nicht Propaganda für eine Idee, wie sie im weltlichen Ideenkampf üblich ist, und die Ausbreitung der Kirche Christi ist etwas anderes als die Ausbreitung eines weltlichen Machtbereichs“ (ebd). 111 Ebd.
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„wie zur Zeit der Reformation und in den Tagen der Apostel“112 auch „jeden falschen Pessimismus und den daraus erwachsenden unlutherischen Quietismus.“113 Hier nahmen sie sicher die das Jahr 1933 prägenden und nicht allein von den DC vertretenen affirmativen Forderungen nach „deutschem Luthergeist und heldischer Frömmigkeit“114 auf. Die Riederauer Thesen wollten durch diese Abgrenzungen die Waage zwischen göttlicher Alleinwirksamkeit und dem Aufruf zur Aktivität halten.
5.3 „Schöpfungsordnungen“ als Teil des göttlichen Gesetzes Auf den ausgearbeiteten Beitrag zum Verständnis der Volksmission folgte ein längerer Abschnitt zum Verhältnis von „Gesetz und Evangelium.“115 Als primären Zweck der Offenbarung des Gesetzes nannten die Riederauer Thesen den Umstand, dass in ihm „der verlorene und immer neu zu suchende Sinn des Lebens als gegenständliche Forderung gegenwärtig“116 werde. Die Sünde wurde von den Riederauer Thesen vor allem als selbstmächtige Verweigerung der Gemeinschaft gesehen117. Die Riederauer Thesen betrachteten dieses Autonomiestreben im Sinne der Lehre von der Erbsünde als grundsätzliche Tendenz des natürlichen Menschen nach dem Fall118 und betonten, „daß das Gesetz zwar vor dem Menschen die Forderungen Gottes aufrichtet, ihm aber nicht die Kraft zur Erfüllung gibt.“119 Daran war das Bemühen der Autoren der Riederauer Thesen erkennbar, die Bedeutung von Gesetz und Evangelium anhand der Interpretation des biblischen Zeugnisses und der Theologie Luthers zu beleuchten. Praktisch bedeutete diese Interpretation des Gesetzes als Grundlage der Gemeinschaft jedoch die Aufnahme und theologische Überhöhung einer zivilisationskritischen Gemeinschaftsideologie: „Wo Gottes Herrschaft über dem Menschen Wirklichkeit wird, da wird die anmaßende Selbstherrlichkeit und ichhafte Vereinzelung des Menschen überwunden und die reine, lautere, ungestückte (sic!), freiquellende, auch über Feinde freudig ergehende Liebe geschenkt, die das Liebesgebot überflüssig macht.“120 112 Ebd., 11. 113 Ebd. 114 So die Richtlinien der Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ (26. Mai 1932) (Edition in: Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 47); zur Lutherrezeption 1933 vgl. K llmer, Inszenierung. 115 Riederauer Thesen, 11–14. 116 Ebd., 11. 117 Ebd., 12 118 „[…] die zugleich unentrinnbare und schuldhafte Voraussetzung, durch die der Mensch in der lebendigen Folge seiner Entscheidungen immer schon bestimmt und gerichtet ist“ (ebd.). 119 Ebd. 120 Ebd., 13.
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Zum Abschluss des Abschnittes über Gesetz und Evangelium brachten die Riederauer Thesen diesen Sachverhalt in das Schema eines „dreifache[n] Amt[es] des Gesetzes“121. Dabei nahmen die Autoren gerade bei dem ersten Gebrauch, der begrenzten Aufrechterhaltung einer bürgerlichen Gerechtigkeit in einer gottentfremdeten Welt, explizit auf eine Theologie der Ordnungen Bezug: „Gott erhält in seiner Barmherzigkeit die gefallene Welt kraft des Gesetzes in Notordnungen“122. Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium diente also der Legitimation der folgenden ausführlichen Thesenreihe über „[d]ie ,Schöpfungsordnungen‘.“123 Die Riederauer Thesen argumentierten, dass die Theologie der Ordnungen primär die Mittel der Herrschaft Gottes über die Welt nach dem Sündenfall seien: „Diese erhaltende Gnade wird wirksam in den ,divinae ordinationes‘, den göttlichen Ordnungen, die der Erhaltung des Lebens dienen und seiner Selbstzerstörung wehren sollen.“124 Als Inhalt dieser Ordnungen nannten die Autoren einerseits die in Genesis 8 genannte zyklische Abfolge der Tages- und Jahreszeiten. Andererseits zählte der Text die in der Ständelehre der altprotestantischen Orthodoxie genannten Bereiche „der Ehe, der Familie, der oeconomia (der Arbeit, Technik, Wirtschaft), der Obrigkeit (Autorität der Eltern, Recht, Staat)“125 auf. Nach dieser Auflistung der bestehenden Ordnungen diskutierten die Autoren die Rolle des Volkes im Verhältnis zu diesen Ordnungen. Die Bekenntnisschriften hätten zur Frage des Volkes geschwiegen, nun aber sei eine Klärung des Verhältnisses des ersten Glaubensartikels unerlässlich126. Aus der ausführlichen Diskussion der Frage des Volkstums in den Riederauer Thesen wurde dann deutlich, dass eine Einordnung des Volkstums in die Ordnungstheologie das Hauptinteresse dieser Thesenreihe war. In einer Argumentation mit biblischen Texten zum Thema Volk rezipierten die Riederauer Thesen wesentliche nationalistische Topoi, ohne allerdings das Volk direkt den anderen Ordnungen gleichzusetzen: Das Bestehen der Völker sei Teil der göttlichen Ordnung, Geschichte sei ihrem Wesen nach Geschichte der Völker, diese hätten jeweils eine eigene göttliche Berufung. Auch der Missionsauftrag erstrecke sich auf ganze Völker127. Den Schwerpunkt legten sie jedoch auf die universale Geltung der Ordnungen für alle Völker: „Alle diese Ordnungen, Ehe, Obrigkeit und dergl. sind in der Welt vorhanden, auch bei denen, die sie nicht erkennen, und bewahren sie vor dem Verfall, auch
121 122 123 124 125 126 127
Ebd., 14. Ebd. Ebd, 14–16. Ebd., 15. Ebd.; Hervorhebung durch Quelle. Ebd., 15 f. Ebd, 16.
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dort, wo man nicht für sie als Gottes Gabe dankt. Von ihrem Segen leben die Völker.“128
Die Einteilung der Menschheit in Völker wurde damit einerseits als Mittel göttlicher Erhaltung dargestellt, andererseits waren die Völker als Ganze Subjekte der göttlichen Ordnungen. Insgesamt lag der Schwerpunkt der Ordnungstheologie der Riederauer Thesen nicht auf den Ordnungen als einem Element der guten Schöpfung Gottes, sondern auf ihrer Funktion als Mittel der göttlichen Bewahrung der gefallenen Welt. Ihre konkreten Formen seien daher nicht als Ganzes gut, sondern von der Sünde betroffen: „Der menschlichen Vernunft sind daher die Ordnungen Gottes, die er in der Geschichte gewahrt wissen will, verhüllt und verfinstert.“129 Aus diesem Grunde müsse die natürliche Erkenntnis durch das christliche Zeugnis vertieft werden, sie bildete die „Voraussetzung dafür, daß das Evangelium verstanden werden kann, denn an dieser Ordnung des Gesetzes wird unsere Sünde klar.“130 Hier wird wiederum die Verbindung deutlich, die von den Autoren der Riederauer Thesen zwischen der lutherischen Unterscheidung von Gesetz und Evangelium und der Ordnungstheologie gezogen wurde: Als Teil der Weltregierung Gottes in der Welt nach dem Sündenfall gehörten die Ordnungen, unter ihnen explizit auch die Gliederung der Menschheit in Völker, zum göttlichen Gesetz, das in der allgemeinen Offenbarung angelegt war und durch die biblische Offenbarung bestätigt und vertieft wurde. Als Teil des Gesetzes spielten sie allerdings gegenüber dem Evangelium eine untergeordnete Rolle131. Mit dieser Deutung unterschied man sich nicht nur von den Deutschen Christen, die zu einem großen Teil ihre Rassetheologie als direkt wahrnehmbare göttliche Offenbarung betrachteten132. Auch Althaus setzte einen anderen Akzent, indem er die „Schöpfungsordnungen“ zunächst als Elemente einer im Schöpfungshandeln Gottes verankerten Uroffenbarung betrachtete, die zwar vom Sündenfall betroffen sei, letztlich aber über diesen hinausweise133. Stärkere Bezüge der Ordnungstheologie in den Riederauer Thesen finden sich dagegen zu Walter Künneth. Dieser hatte im Sommer 1933 gemeinsam mit Helmuth Schreiner ein Werk herausgegeben, in dem in mehreren Aufsätzen die „Botschaft der Kirche im Dritten Reich“134 verhandelt wurde. Gleich zu Beginn dieses Werkes fand sich ein Aufsatz Künneths. Dieser lehnte den 128 129 130 131
Ebd. Ebd. Ebd. Die Riederauer Thesen trugen diesem Verständnis der Ordnungen als Mittel der Erhaltung der Welt Rechnung, indem sie den Begriff Schöpfungsordnungen in Anführungsstriche setzten (vgl. ebd., 14). 132 Vgl. etwa Hossenfelder, Kampf, 16. 133 Althaus, Stunde, 39 f.; zu Althaus’ Ordnungstheologie vgl. auch Mann, Ordnungen, v. a. 61–68. 134 K nneth / Schreiner, Nation.
Geschichtstheologie
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Begriff Schöpfungsordnungen als zu unreflektiert ab und sprach vorzugsweise von „,Erhaltungsordnung‘“135. Dabei betonte er, dass diese in der Zeit zwischen Sündenfall und Parusie gültig seien136. Wie in den Riederauer Thesen bildete die Ordnungstheologie in Künneths Konzeption eine Möglichkeit, die Inhalte der nationalsozialistischen Theologie bei aller Ambivalenz positiv zu deuten137. Ambivalent ist dagegen das Verhältnis des Ordnungsverständnisses zur Theologie Hermann Sasses, unter dessen Leitung die Vorbereitungsgruppe in Riederau tagte. Einerseits lässt sich die Unterscheidung zwischen Naturordnungen und den das menschliche Leben prägenden Ordnungen der lutherischen Ständelehre nicht nur in den Riederauer Thesen, sondern auch in anderen Texten Sasses finden138. Allerdings war Sasse insgesamt gegenüber der Anwendung der Ordnungstheologie auf das Volk an anderen Orten deutlich kritischer: „Innerhalb dieser Ordnungen [Natur- und Rechtsordnungen, H. B.] hat das Volk keinen Platz. Es steht gewiß in allerengster Beziehung zu ihnen. Aber es gehört nicht in sie hinein.“139 Durch die Zuordnung des Volkes zu den göttlichen Ordnungen sollte zwar eine Überbetonung abgewehrt werden. Zugleich erhielten die Ordnungen durch die Einordnung in das Gesetz aber auch eine hohe Dignität, da ihr Bestehen als Voraussetzung für die Evangeliumsverkündigung betrachtet wurde. Einerseits erklärten die Riederauer Thesen, dass allein die christliche Verkündigung eine vertiefte Erkenntnis der Ordnungen ermögliche und betonten damit die Notwendigkeit des ungehinderten Zeugnisses, andererseits konnte auf diesem Wege die Unabhängigkeit der Kirche als Voraussetzung für ihren Dienst am Nationalsozialismus plausibel gemacht werden. Problematisch war jedoch, dass die Volkstumsideologie damit zum Bestandteil christlicher Ethik wurde.
5.4 Geschichtstheologie In den nächsten beiden Abschnitten der Riederauer Thesen ging es um ein theologisches Verständnis der Geschichte, zugespitzt auf die gerade geschehenen Ereignisse. Die Riederauer Thesen näherten sich der Thematik in zwei 135 136 137 138 139
K nneth, Offenbarung, 10. Ebd., 11. Ebd., 20–23. Riederauer Thesen, 15; Sasse, Volk, 20–22. Ebd., 23. Auch in dem gemeinsam mit Dietrich Bonhoeffer und anderen erstellten ersten Entwürfen für den Artikel zu den Ordnungen im Betheler Bekenntnis (Betheler Bekenntnis, Art. IV, 2) wurde eine Klassifizierung der Rasse als Schöpfungsordnung strikt abgelehnt; vgl. Abdruck der verschiedenen Fassungen, in M ller, Bekenntnis, v. a. 91 f., 131 f., 182; zum Entstehungsprozess des Betheler Bekenntnisses vgl. ebd., 76–80; Lichtenfeld, Merz, 327–402; Sommer, Kritik, 330–335.
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Schritten. Zunächst enthielten sie eine allgemeine Thesenreihe zum Thema „Wort Gottes und Geschichte.“140 Ein zweiter, wesentlich umfangreicherer Abschnitt befasste sich damit, „[v]ölkisches Erwachen und Heilsgeschichte“141 in Beziehung zu setzen. Durch diese Akzentsetzung wurde deutlich, dass es den Autoren der Thesen vor allem um Kriterien für eine christliche Gegenwartsdeutung ging. Die Auseinandersetzung mit der Geschichtstheologie begann mit einer allgemeinen Verwerfung: „Wir lehnen eine innerweltliche Sinndeutung der Geschichte als letztes Prinzip ab.“142 Dabei nannten die Riederauer Thesen auch explizit dem Nationalsozialismus zugrunde liegende Weltbilder, nämlich „die rassebiologische, rassepsychologische, naturbiologische und heldische Geschichtsauffassung“143. Die Verabsolutierung dieser „innerweltliche[n] Sinndeutung der Geschichte“144 – nicht allein rassischer sondern auch materialistischer und idealistischer Provenienz – sei als eine säkulare „Religion“145 und damit als Götzendienst zu betrachten146. Zugleich allerdings sahen sie von einer Theologie der Uroffenbarung her in der Suche nach letzten innerweltlichen Prinzipien „die Sehnsucht nach dem verlorenen Paradies, den Bau von Altären für den unbekannten Gott“147. Durch den Verweis auf die Areopagrede des Paulus (Apg 17,23) konnten diese innerweltlichen Ideologien als positive Anknüpfungspunkte für christliches Zeugnis dienen148. Diesem Ahnen, das als revelatio generalis klassifiziert wurde, stellten die Riederauer Thesen jedoch das biblische Zeugnis als deutlich überlegen gegenüber. Während die allgemeine Offenbarung keine verlässliche Gotteserkenntnis ermögliche, sei das Wirken Gottes für den Glauben zunächst allein in der durch die Bibel bezeugten Heilsgeschichte erkennbar149. Durch diese in der lutherischen Theologie des Wortes wurzelnde Offenbarungstheologie grenzten die Riederauer Thesen die in der Schrift ein für allemal geschehene göttliche Offenbarung gegenüber der revelatio generalis ab: „Gottes aktueller Befehl an die Kirche ergeht nicht im ,Kairos‘, nicht aus der Geschichte allein, sondern dadurch, daß der Herr der Geschichte seine Kirche
140 141 142 143 144 145 146 147 148
Riederauer Thesen, 16–18. Ebd., 18–22. Ebd., 16. Ebd., 17. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Zu dieser zeittypischen Anknüpfungsapologetik vgl. Schweitzer, Antwort, 58–67; allgemein Pçhlmann, Kampf, 67–71. 149 Riederauer Thesen, 17. Beachtenswert erscheint der in dieser Aussage deutlich werdende Vergleich des Verhältnisses von Inspirationsverständnis und lutherischer Abendmahlstheologie.
Geschichtstheologie
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durch geschichtliche Führungen jeweils in besonderer Weise unter das biblische Offenbarungswort stellt.“150
Die Autoren der Riederauer Thesen lehnten es damit ab, theologische Erkenntnisse unabhängig von Schrift und Bekenntnis aus historischen Ereignissen abzuleiten. Allerdings maßen sie dem geschichtlichen Wirken, womit im Herbst 1933 auch die Machtübertragung an die Nationalsozialisten gemeint sein musste, doch einen theologischen Sinn zu. Durch das Wirken Gottes in der Geschichte erreiche dieser, „daß in einer neuen Situation der Reichtum der biblischen Offenbarung neu, vielleicht unerhört gewaltig zutage tritt.“151 Der Wille, einerseits auf die zeitgenössische Situation einzugehen, andererseits aber nur die Bibel als Quelle für Offenbarungen anzuerkennen, kam auch in der letzten These des Abschnitts zum Ausdruck: „Es gibt aber auch für die Kirche kein Gebot der Stunde als göttliches Gebot, das ohne maßgebende Leitung der biblischen Offenbarung feststellbar wäre. Wer das Gebot der Stunde für die Kirche nur aus den geschichtlichen Ereignissen (etwa auch des Seelenlebens) feststellen zu können glaubt, stellt sich damit gegen Luther auf die Seite der Schwärmer.“152
Die Thesen zum Verhältnis von Offenbarung und Geschichte grenzten sich zwar von einem Verständnis des Nationalsozialismus als einer heilsgeschichtlichen Offenbarungsquelle ab, ließen jedoch Raum für eine Affirmation des NS-Regimes. Dies wurde im folgenden Abschnitt deutlich, der direkt die positive Anerkennung der angeblichen religiösen Wirkungen der nationalsozialistischen Herrschaft thematisierte. Die Entwicklung zu einer immer größeren Emanzipation von den göttlichen Ordnungen sei für Kirche und Volk insgesamt bedrohlich geworden: „Damit war die Grundlage nicht nur eines echten Volkskirchentums, sondern auch des völkischen Zusammenlebens in Ehe, Familie, Berufsstand, Staat zerstört.“153 Zum Erhalt der Volkskirche als Rahmen der kirchlichen Verkündigung konnte nur eine Erneuerung der angeblich aus göttlicher Urheberschaft stammenden Ordnungen dienen. Diese soziologisch-theologische Deutung verbanden die Riederauer Thesen mit einer prononcierten politischen Positionierung aufseiten des neuen Regimes:
150 Ebd. Dieser These dürfte eine Rede des bayerischen Pfarrvereinsvorsitzenden Wilhelm Ferdinand Schmidt auf einer Versammlung am 27. September 1933 zugrunde liegen, in der er äußerte, der Wille Gottes sei „nie mehr durch die Geschichte allein [zu erkennen, H. B.], sondern durch die Anwendung des Offenbarungswortes auf die konkrete Lage“ (zitiert nach: Kremmel, Pfarrer, 165). 151 Riederauer Thesen, 17 f. 152 Ebd, 18; die gleiche These wurde in fast identischem Wortlaut ebenfalls bereits am 27. September auf einer Tagung des bayerischen Pfarrerverbandes von dessen Vorsitzenden Schmidt aufgestellt; vgl. Kremmel, Pfarrer, 165. 153 Riederauer Thesen, 18.
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„Der Versuch, die innerlich heimatlos gewordenen Menschen in den Formen der westlichen Demokratie zusammenzufassen, mußte an seiner inneren Unmöglichkeit scheitern. Die Auflösung des Volkskörpers drohte sich im Massenmenschentum des Bolschewismus zu vollenden.“154
Dieser als trostlos empfundenen Entwicklung setzten die Riederauer Thesen den Nationalsozialismus als eine aus dem Erleben des Krieges von 1914 bis 1918 und aus dem Widerspruch gegen die Weimarer Republik entstandene Ablehnung der gesamten Säkularisierungsdynamik entgegen155. In der Darstellung der Ziele des Nationalsozialismus bzw. der völkischen Bewegung wurde damit eine Interessenkonvergenz von Kirche und neuem Staat betont. Die Ereignisse des Jahres 1933 deuteten die Riederauer Thesen deshalb mit einer religiösen Semantik: „Damit ist dem deutschen Volk ein Wiedererwachen geschenkt, in dem sich der Schöpfer lebendig bezeugt.“156 Diese positive Einschätzung wurde im Folgenden nicht aufgehoben, jedoch durch die bereits eingeführte Unterscheidung von allgemeiner und spezieller Offenbarung differenziert. Zunächst betonten die Riederauer Thesen den inneren Zusammenhang der in der Inkarnation Christi mündenden Heilsgeschichte und der Weltgeschichte, die im Wesentlichen als eine dem heroischen Weltbild entsprechende Geschichte der Völker konzipiert war157. Dabei bezogen sie sich auf die Erwählung Israels als verbindendes Glied zwischen Heils- und Weltgeschichte: „Aus freier durch kein menschliches Verdienst bestimmter Entscheidung hat er das israelitische Volk zum Schauplatz seiner Heilsoffenbarung gemacht.“158 Die Riederauer Thesen lehnten damit Bestreitungen einer besonderen heilsgeschichtlichen Bedeutung Israels ab, auch wenn sie diese Bedeutung ganz in der Erscheinung Christi begründet sahen und sie nicht auf das gegenwärtige Judentum anwandten159. Die Riederauer Thesen setzten nun dem Wirken Gottes, das sich im Rahmen der allgemeinen Geschichte in seinem Erhaltungshandeln gegenüber den Völkern offenbare, das göttliche Erlösungshandeln gegenüber: „Dieser erhaltenden Liebe tritt aber die erlösende Liebe in Christo als eine neue Tat Gottes gegenüber. Die Geschichte der Verheißung und Erfüllung ist die Heilsgeschichte. […] Es ist Ungehorsam gegen Gottes Heilsoffenbarung im weiten Feld der allgemeinen Geschichte ein selbsterwähltes Heil zu suchen.“160 154 Ebd. 155 Vgl. ebd., 18 f. 156 Ebd., 19. Es ist nicht explizit vom Nationalsozialismus, sondern allein vom „völkische[n] Lebenswillen“ (ebd. 18) die Rede. 157 „Wir glauben an die göttliche Weltregierung. Gott führt die Völker, ruft sie in die Geschichte und ruft sie wieder ab, wenn sie opferscheu, träg und ehrfurchtslos geworden sind“ (ebd., 19). 158 Ebd. 159 Vgl. auch Tçllner, Frage, 124, Anm. 522. 160 Riederauer Thesen, 19; die so beschriebene Verknüpfung von Volkstum als Schöpfungsund Kirche als Erlösungsordnung findet sich zeitgenössisch bei Heinz-Dietrich Wendland; vgl. Brunner, Volkskirche, 189–191 (3.4.2).
Geschichtstheologie
153
Der göttlichen Erlösung gegenüber sei der nationale Aufbruch von 1933 als „ein neues Ergreifen der göttlichen Erhaltungsordnung“161 klar untergeordnet. Dies bedeutete allerdings keine Funktionslosigkeit: Die theologischen Anliegen der völkischen Bewegung sollten laut der Riederauer Thesen der Kirche als Ruf zur Buße und als neuer Hinweis auf die Bedeutung der Ordnungen dienen162. Die Riederauer Thesen gingen jedoch noch weiter: Da der zu Anfang des Abschnittes beschriebene Zerfall der Ordnungen den Erhalt der Volkskirche an sich bedroht habe, sollten die Ereignisse von 1933 auch als helfendes Eingreifen Gottes zum Erhalt der Evangeliumsverkündigung verstanden werden163. Als Gegenbeispiel verwiesen die Autoren der Riederauer Thesen auf den Zustand der Kirche in der Sowjetunion: „Wir bekennen im Blick auf das bolschewistische Rußland mit der F. C. (Sol. Decl. XI): ,Es ist wohlverdiente Strafe der Sünde, wenn Gott an einem Land oder Volk die Verachtung seines Wortes also straft, daß es auch über die Nachkommen geht, wie an den Juden zu sehen […].‘“164
Indem die Riederauer Thesen die vorgebliche Rettung Deutschlands vor einer kommunistischen Christenverfolgung zur Grundlage der volksmissionarischen Möglichkeiten erklärten, wiesen sie der staatlichen Neuordnung des Nationalsozialismus doch eine eminent positive Funktion zu, grenzten diese aber im Sinne der Zwei-Regimenten-Lehre deutlich von der Vergebung der Sünden ab: „[…] er [Gott, H. B.] hat ihr [der völkischen Bewegung, H. B.] das politische Schwert in die Hand gegeben, aber nicht den Schlüssel des Himmelreiches, der in der Predigt der Sündenvergebung besteht.“165 Aus diesem Grund blieben die Riederauer Thesen nicht bei der positiven Affirmation des Nationalsozialismus stehen, sondern betonten noch einmal dessen grundsätzliche Erlösungsbedürftigkeit: „Auch seinen vorzüglichsten Trägern und seinen Vorkämpfern kann die Pforte zum Himmelreich nicht anders aufgetan werden als durch das: ,Gehe hin in Frieden, deine Sünden sind dir vergeben!‘“166 Der Schwerpunkt in der Auseinandersetzung lag damit nicht in der Bejahung des Nationalsozialismus: Auch ihm gegenüber wollten die Riederauer Thesen das Zeugnis der Rechtfertigung allein aus Gnaden und allein durch Glauben zu Gehör bringen und so in dem durch Augsburger Bekenntnis 161 Riederauer Thesen, 20. 162 „Gott hat der Kirche dieses völkische Wiedererwachen geschenkt, um ihr die Augen aufzutun für ihren Auftrag an der Welt der Schöpfung, nämlich die Ordnung der erhaltenden Gnade Gottes zu predigen“ (ebd.). 163 Ebd. 164 Ebd. Möglicherweise spielt diese These auf den antisemitischen Topos der angeblich von Juden dominierten Oktoberrevolution an; zur antikommunistisch und teilweise antisemitisch geprägten Wahrnehmung der Sowjetunion im Rahmen des Protestantismus vgl. Meier, Sowjetrußland. Die Warnung vor dem Kommunismus gehörte auch zum Standardrepertoire der DC; vgl. etwa Brunner, Volkskirche, 147 (Kapitel 3.3.1). 165 Riederauer Thesen, 21. 166 Ebd.
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und Konkordienformel abgesteckten Rahmen einer lutherischen Theologie bleiben.
5.5 Verhältnis zur völkischen Ideologie Zwei Thesenreihen über die Frage, ob es ein „[a]rtgemäßes Christentum“167 gebe und zur Verteidigung des Alten Testamentes168 gegen völkische Angriffe bildeten den Abschluss der Thesen. Dabei ist unerheblich, ob der Text noch nach dem Sportpalastskandal am 13. November überarbeitet wurde oder – wie der Zeitpunkt des Konventes zur Erarbeitung der Thesen in Riederau am Ammersee Anfang Oktober 1933 und die Datierung des Vorwortes auf den 10. November 1933 nahelegen – bereits vorher feststand. Die Auseinandersetzung um die „Volksnomostheologie“ und damit auch um eine spezielle deutsche Form des Christentums bestimmte die theologische Diskussion seit Sommer 1933169. Die Auseinandersetzung mit völkischen Umdeutungen des Christentums begann in den Riederauer Thesen mit einer Beurteilung der von Menschen gemachten natürlichen Religion, die als Produkt menschlicher Vorstellungskraft auf die Umwelt Bezug nehme, aber im Sinne der in den vorherigen Thesenreihen entfalteten Ordnungs- und Geschichtstheologie Produkt der natürlichen Gottesahnung sei170. Die Offenbarung reagiere zwar auf diese religiöse Disposition, sei aber qualitativ anderer Art171. Nach dieser grundsätzlichen Unterscheidung von Religion und Offenbarung gingen die Autoren auf die verschiedenen Formen völkischer Religiosität ein, wobei sie dezidiert antichristliche Entwürfe von Umdeutungen des Christentums unterschieden172. Dabei wurde deutlich, dass gerade die innerkirchlichen Umdeutungen des Christentums im Visier der Riederauer Thesen lagen. Die Lehren von einer angeblichen arischen Herkunft Jesu und einer Verfälschung des Christentums durch Paulus und die anderen Urchristen wurden als historisch unhaltbar abgelehnt173. Zugleich argumentierten die Riederauer Thesen jedoch theologisch: „Gott ist der Herr der Welt, aber unverworren mit seiner Schöpfung. Er kann deshalb […] auch nicht als ein 167 „Artgemäßes Christentum“ (Riederauer Thesen, 22–26). 168 „Das Alte Testament als Buch der Kirche“ (Riederauer Thesen, 26 f.). 169 Vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 533–539 sowie Tilgner, Volksnomostheologie. Die hier analysierten Abschnitte sind entscheidend für das Verhältnis von Kirche und Judentum innerhalb der bayerischen Landeskirche; vgl. die erste Analyse in Tçllner, Frage, 121–125. 170 „Die Völker und Rassen der Menschheit haben sich in diesen Religionen ihrem Lebensraum entsprechend ihre Tempel gebaut. Der menschliche Geist legt in dem allen Zeugnis ab von der Sehnsucht nach dem unbekannten Gott, welche ihm trotz des Falles als ein Stück der Gottesebenbildlichkeit geblieben ist“ (Riederauer Thesen, 22). 171 Ebd. 172 Ebd., 22 f. 173 Ebd., 23.
Verhältnis zur völkischen Ideologie
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Aufflammen rassischer Seelenwerte verstanden werden.“174 Außerdem wehrten sie sich noch einmal gegen eine Sakralisierung der Rasse: „Auch der arische Mensch muß von oben wiedergeboren werden, da auch sein Blut unter dem Gesetz der Sünde steht.“175 Die Riederauer Thesen versuchten jedoch, die Anliegen der völkischen Religiosität aufzunehmen und ihnen damit ein relatives Recht zuzusprechen. Sie argumentierten mit der Inkarnation, durch die Christus „den Menschen als ein Mensch, d. i. artgemäß erschienen“176 sei. Gerade die Einbindung Jesu in seine neutestamentlich-jüdische Umwelt galt als Paradigma der Inkulturation des Evangeliums, die allerdings nicht der Glorifizierung des Judentums gelte: „Freilich war das nicht Verdienst oder Verherrlichung der jüdischen Rasse, sondern freies göttliches Erbarmen, das die Knechtsgestalt annimmt um zu retten.“177 Hier nahmen die Riederauer Thesen die Erwählungstheologie wieder auf, nach der Israel von Gott aus freier Gnade „zum Schauplatz seiner Heilsoffenbarung“178 erwählt worden sei. Aus dieser Inkarnationstheologie heraus erneuerten die Riederauer Thesen die bereits in der Definition lutherischer Volksmission in der zweiten Thesenreihe aufgestellte Forderung nach einer volkstümlichen Form volksmissionarischer Verkündigung, die sie unter Bezugnahme auf 1. Kor. 9,19–23 begründeten: „Der christliche Prediger hat aber in der Liebe Christi die Pflicht wie Paulus den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche, den Deutschen ein Deutscher und den Papua ein Papua zu sein.“179 Inhaltlich dachten die Autoren der Riederauer Thesen an eine Orientierung der Verkündigung an den Anliegen der Hörer, hier speziell bezogen auf bestimmte Völker180. Auch die spezifische Ausprägung von Liturgie und Frömmigkeit sei zu berücksichtigen181. Für diese äußeren Unterscheidungen nutzten die Riederauer Thesen den Begriff „artgemäß“182. Im Anschluss an diese grundsätzlichen Ausführungen diskutierten die Autoren den wichtigsten Wert, der allen Entwürfen Deutschen Christen-
174 175 176 177 178 179
Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd., 19. Siehe oben 152. Riederauer Thesen, 24. Deutschchristliche Volksmissionsprogramme betonten die angeblich notwendige Hinwendung zum Deutschtum deutlich exklusiver; vgl. jetzt Brunner, Volkskirche, 192–198 (Kapitel 3.4.2). 180 „Sie [die Verkündigung, H. B.] nimmt auf die Landschaft, auf die vitalen und seelischen Kräfte des Volkes, auf seine Nöte, auf seine Sehnsüchte, auf seine geistigen Leistungen, überhaupt auf seine Weise zu denken und zu erleben in liebevollem Verständnis Rücksicht. In diesem Sinn muß sie artgemäß sein“ (Riederauer Thesen, 24). 181 „Nie dürfen wir die an ein bestimmtes Volk und an eine bestimmte Landschaft gebundene Ausprägung des Christentums schematisch übertragen“ (ebd.). 182 Ebd.
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tums183 und neugermanischer Religiosität zugrunde lag, nämlich „heldische Aufopferung im Dienste der völkischen Ehre.“184 Bei aller zugestandenen Wertschätzung des menschlichen Heroismus betonten die Riederauer Thesen dessen Ambivalenz: „Doch schwebt dieses Heldentum zwischen Vergötzung und Verzweiflung.“185 Ein Vorbild für das christliche Heldentum sei dagegen Christus selbst186. Auch der eng mit der Kategorie des Heroismus verbundene Gedanke des Führertums erfahre im christlichen Glauben eine eigene Prägung: „Ein christlicher Führer lebt nicht aus dem Selbstbewußtsein und dem Selbstgenuß des natürlichen Menschen, sondern er ist Führer in der Demut vor Gott und aus der Kraft des hl. Geistes.“187 Ähnlich der Kategorie des Führertums hatte auch der Gedanke des Opfers für Christen eine besondere Bedeutung: „Sie [die Aufopferung des natürlichen Menschen, H. B.] hat ihre Ehre im Rahmen des völkischen Lebens. Wir sind durch das Vorbild und die Kraft Christi dazu gerufen.“188 So unterscheide sich eine Sicht des natürlichen Menschen auf den Tod Jesu am Kreuz, der diesen „ganz in das große Opfergesetz des Lebens“189 einordne, von der christlichen Sicht, die sich ganz auf die paulinische Kreuztheologie beziehe190. Die Riederauer Thesen nahmen die Anliegen der völkischen Bewegung, Heroismus, Führerprinzip und Opfer, bewusst auf, indem sie das Heldentum Jesu betonten. Dabei blieben sie aber auf der Linie der paulinischen Kreuzestheologie bei der Paradoxie des Heilsereignisses, dass in der Schwachheit des Kreuzes die Kraft Gottes verborgen liege (1. Kor. 1,23 f.). Einer von den Autoren der völkischen Bewegung vollzogenen Ablehnung der soteriologischen Bedeutung des Todes Jesu, da sie zu „der arischen Erbtüchtigkeit“191 im Widerspruch stehe, stellten sie damit ein Bekenntnis zur Heilsbedeutung des Kreuzes gegenüber. Trotz aller Problematik, die in der Betonung der Schöpfungsordnungen und der Betonung von Volks- und Rassenunterschieden192 lag, lehnten die Verfasser der Riederauer Thesen die Erhebung von Rasse und Volkstum zu letzten Werten klar ab, auch wenn sie den Nationalsozialismus 183 Vgl. die Forderung nach „heldischer Frömmigkeit“ in Art. 4 Richtlinien der Glaubensbewegung „Deutsche Christen“ (26. Mai 1932), in: Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 47; vgl. auch Brunner, Volkskirche, 150 (Kapitel 3.3.1). 184 Riederauer Thesen, 25. 185 Ebd. 186 „Das Heldentum Christi ist Erweis von Geist und Kraft. Auch wo wir ihn als das Lamm Gottes anbeten, kennen wir ihn als den, der in kämpfendem Gehorsam der Held war“ (ebd.). 187 Ebd. 188 Ebd. 189 Ebd., 26. 190 Ebd. 191 Ebd., 23. 192 So führte Eduard Putz aus: „Er [Gott, H. B.] ermöglicht auch eine richtige Lösung aller Rassefragen, denn der Mensch, der vor Gott dem Schöpfer steht, nimmt auch ernst das wunderbare Geschenk, das Gott in der Eigenart der Rasse gegeben hat und schützt es vor Verderbung und Zerstörung. Aber er findet auch den richtigen Weg, um nicht durch einen Rasseaberglauben die Sittlichkeit zu zerstören“ (Putz, Religiosität, 48).
Verhältnis zur völkischen Ideologie
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politisch bejahten und angebliche Wahrheitsmomente der völkischen Christentumsentwürfe aufnehmen wollten. Auch wenn nicht explizit auf die ZweiReiche-Lehre verwiesen wurde, scheint sie dieser Konzeption zugrunde zu liegen193. Der letzte Abschnitt der Riederauer Thesen befasste sich ebenfalls mit einem Thema, das mit der Frage eines arisierten Christentums verwandt war und ebenfalls eine erhebliche aktuelle Bedeutung hatte, der Frage nach der Geltung des Alten Testamentes194. Dabei grenzten sich die Autoren von einer Bestreitung von dessen Kanonizität ab: „Die Kirche muß in dieser Verwerfung des Alten Testamentes einen Angriff auf den tragenden Grund ihrer Verkündigung erblicken.“195 Als Argumente der Gegner des Alten Testaments wurde in den Thesen sein jüdischer Ursprung196 und die angebliche Unvereinbarkeit seiner Ethik „mit dem sittlichen Empfinden und Streben des deutschen Menschen“197 genannt. In der Argumentation konzentrierten sich die Riederauer Thesen vor allem auf die Bedeutung des AT als „Zeugnis von dem kommenden Christus.“198 Das Alte Testament wurde damit ganz auf Christus hin gelesen199. Dagegen könnten bestimmte Aspekte an der Darstellung des AT kritisiert werden, „ohne daß das Wort Gottes, durch das es Buch der Kirche ist, durch diese Kritik berührt wird.“200 So sei das Alte Testament weder „als Lehrbuch der Geschichts- und Naturwissenschaft“201 verbindlich, noch könne es „als Lehrbuch einer bestimmten Sittlichkeit“202 gelten. Neben der Ablehnung des Alten Testamentes aufgrund von historisch-naturwissenschaftlicher und ethischer Kritik verwarfen die Riederauer Thesen auch ein Verständnis des AT, nach dem es allein eine „religiöse Urkunde des Judentums“203 sei. Gegenüber seiner christologischen Bedeutung war seine Funktion als Geschichtsbuch des israelitischen Volkes zweitrangig204. Der Abschluss der Riederauer Thesen brachte jedoch als eine weitere auch das Volk Israel betreffende Dimension des Alten Testamentes ein, „daß Gottes im Alten Testament bezeugtes Wort geschichtliches Handeln mit einem be193 Die Auseinandersetzung mit völkischen Ideologemen entsprach der Praxis der Apologetischen Centrale zwischen 1933 und 1937; vgl. Pçhlmann, Kampf, 240–242; Iber, Glaube, v. a. 82–87; zu deutschchristlichen Versuchen einer Funktionalisierung des Christentums für die Volkswerdung vgl. etwa Brunner, Volkskirche, 183–186 (Kapitel 3.4.1). 194 Riederauer Thesen, 26 f. 195 Riederauer Thesen, 26. 196 „Religions-, Sagen- und Geschichtsbuch einer fremden minderwertigen Rasse“ (ebd.). 197 Ebd. 198 Ebd.; die Betonung der Auslegung des AT als Vorbereitung des Kommens Christi findet sich auch bei dem Erlanger Alttestamentler Otto Procksch; vgl. Tçllner, Frage, 124, Anm. 525. 199 So auch ebd, 124 f. 200 Riederauer Thesen, 27. 201 Ebd. 202 Ebd. 203 Ebd. 204 Zur Rezeption des AT vgl. Nicolaisen, Auseinandersetzung.
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Lutherische Standortbestimmung zu Beginn des NS-Regimes
stimmten, auserwählten Volk ist.“205 Auch hier ging es den Autoren primär um Israel als „Träger der messianischen Verheißung“206. Die Priorität des Heilsereignisses war damit gewahrt. Allerdings galt das Handeln Gottes mit Israel daneben als Vorbild für das Handeln Gottes mit Deutschland im Jahr 1933: „Von dem richtigen Verständnis des Alten Testaments aus empfängt die Kirche auch das rechte Wort für die geschichtliche Stunde ihres Volkes: ,Suchet Gott, so werdet ihr leben!‘“207 Das Handeln Gottes mit Israel im Alten Testament war neben seiner heilsgeschichtlichen Bedeutung Vorbild für sein Handeln in der Geschichte der eigenen Nation208. Auffällig ist, dass mit dieser die Riederauer Thesen abschließenden Erläuterung viele Motive der gesamten Erklärung wieder aufgenommen wurden: Dazu gehörte auch die auf die Völker konzentrierte Ordnungstheologie, welche die Analogie vom Handeln Gottes an Israel und dem Handeln am deutschen Volk überhaupt möglich machte. Damit nahmen die Riederauer Thesen neben der Betonung der Heilsgeschichte auch eine weitere Linie der Apologie des Alten Testamentes auf: Als Handeln Gottes mit dem auserwählten Volk könne es als pädagogischer Maßstab für das Handeln Gottes an Deutschland 1933 dienen209. Im Verhältnis zur heilsgeschichtlichen Bedeutung des Alten Testamentes blieb dieser Gedanke jedoch untergeordnet. Im Zusammenhang mit den beiden letzten Abschnitten der Riederauer Thesen ist auffällig, dass für die in den Riederauer Thesen referierten völkischen Positionen die Auseinandersetzung mit dem jüdischen Erbe im Christentum eine bedeutende Rolle spielte. Durch die antisemitischen Maßnahmen, besonders die Einführung des „Arierparagrafen“, war die Frage des Verhältnisses zum Judentum auch in der evangelischen Kirche virulent210. Daher sah der Schulungsplan des Landesbischofs Ende November 1933 für die bayerischen Pfarrer eine eigene Einheit über „Die Kirche und die Judenfrage“211 vor. Vor diesem Hintergrund ist Axel Töllners Feststellung auffällig, dass, abgesehen von verstreuten Äußerungen, für die Autoren der Riederauer 205 Riederauer Thesen, 27. 206 Ebd. Töllner deutet an dieser Stelle die christliche Kirche als Erbe der Verheißungen; vgl. Tçllner, Frage, 125. Da im Kontext aber Amos und Hosea zitiert werden, scheint es eher um das biblische Israel und nicht das nachneutestamentliche Judentum als Objekt göttlichen Handelns zu gehen; vgl. Riederauer Thesen, 27. 207 Ebd., 27. 208 Zur Bedeutung der Bundestheologie für nationalistische Ideen vgl. Lehmann, Germans; Schnurr, Weltreiche, 213; Smith, Peoples, 50–65. 209 In der bayerischen Landeskirche äußerte sich auch Paul Althaus in diesem Sinne; vgl. Althaus, Stunde, 15 f. Nicolaisen kommentiert kritisch: „Damit gibt er [Althaus, H. B.] zwar die Einzigartigkeit der Geschichte Israels im Grunde preis, vermag sie aber immerhin als ,wertvoll‘ auch für den deutsch-christlichen Glauben zu retten“ (Nicolaisen, Auseinandersetzung, 67). 210 Die Generalsynode der Altpreußischen Union hatte Anfang September 1933 die Einführung des „Arierparagrafen“ für evangelische Pfarrer beschlossen; vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 598 f. 211 Vgl. Meiser, Schulung, 178.
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Thesen das Verhältnis zum Judentum „als relevante Größe für die theologische Reflexion außerhalb ihres Blickfeldes“212 lag. Dies galt allerdings nur für das nachneutestamentliche Judentum. Der Verteidigung der kanonischen Geltung des Alten Testamentes entsprach ein prononciertes Festhalten an der Erwählung Israels aus freier Gnade als historischer Tatsache213. Für das nachneutestamentliche Judentum gingen die Thesen dagegen eindeutig von einer Verwerfungstheologie aus214. Die Rede von einer „jüdischen Rasse“215 zeigte gleichzeitig, dass die Betrachtung der Juden in Deutschland als eine eigene, von den „Deutschen“ ethnisch separierte Gruppe ohne Abstriche übernommen wurde. Für das Verhältnis von Christen und Juden mussten somit nach der in den Riederauer Thesen beschriebenen Ordnungstheologie216 selbst im Verhältnis zu Christen jüdischer Abstammung besondere Maßstäbe gelten. Immerhin gab es, anders als in anderen Schulungsschriften der bayerischen Landeskirche217, in den Riederauer Thesen keine eindeutige antijüdische Polemik. Dennoch bildete das Fehlen einer Auseinandersetzung mit dem auch gegen getaufte Christen gerichteten Antisemitismus eine Weichenstellung. Die prononcierte Anerkennung des nationalsozialistischen Staates musste ja auch als Anerkennung seiner antisemitischen Maßnahmen erscheinen218. Selbst zu der Frage der Übernahme des „Arierparagrafen“ in die kirchliche Gesetzgebung schwiegen die Riederauer Thesen219. In Bayern, wo Ende September 1933 ein Gutachten der Erlanger theologischen Fakultät220 den „Arierparagrafen“ theologisch bekräftigte, fuhr Landesbischof Meiser in dieser Frage einen abwartenden Kurs. Er brachte einerseits die bayerischen DC dazu, darauf zu verzichten, einen Antrag auf Einführung des „Arierparagrafen“ zu stellen, andererseits sorgte er hinter den Kulissen für die Entschärfung eines Aufrufes, der für den Fall der Einführung des „Arierparagrafen“ den status confessionis 212 Tçllner, Frage, 125. Seit Anfang des Jahres 1934 wurde die Auseinandersetzung mit der „Judenfrage“ allerdings auch durch die Sorge, als staatsfeindlich zu erscheinen, verhindert; vgl. ebd., 125 f. 213 Vgl. Riederauer Thesen, 19, 23, 27. 214 Vgl. das Zitat aus Artikel 9 der Konkordienformel, in dem der Unglaube der Juden für die Kirche als mahnendes Beispiel von Gottes Gericht herausgestellt wird, in: Ebd., 19 f. Siehe oben 153 f. 215 Riederauer Thesen, 23. 216 Ebd., 13 f. 217 So enthielt der im siebten Heft der Reihe „Bekennende Kirche“ veröffentlichte Aufsatz von Adolf Schlatter über das Verhältnis von Altem Testament und Talmud eine scharfe Ablehnung angeblicher jüdischer Gesetzesreligion im Talmud; Schlatter / Schmidt / Stoll, Testament, 27. 218 Andere bayerische Schulungsunterlagen waren in ihrer Befürwortung deutlicher; so lässt sich in erhaltenen Schulungsvorträgen des Winters 1933/34 eine politische Bejahung der antijüdischen Maßnahmen ablesen; vgl. Tçllner, Frage, 126 f. 219 Zur kirchlichen Diskussion trotz der inzwischen umfangreichen Literatur immer noch unübertroffen Gerlach, Zeugen, 46–145. 220 Abgedruckt in Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 164–167.
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Lutherische Standortbestimmung zu Beginn des NS-Regimes
feststellte. Vor allem aber gelang es ihm, innerhalb der bayerischen Landeskirche eine öffentliche Auseinandersetzung über den Ausschluss von „Nichtariern“ aus dem Pfarramt zu unterbinden221. Dabei wurde er von Helmut Kern, dem Beauftragten für bayerische Volksmission, unterstützt. Als der bayerische Pfarrverein Mitte November 1933 die bayerischen Amtsbrüder zu einer Gehorsamserklärung gegenüber dem Landesbischof aufforderte, erhob einer der angesprochenen Geistlichen Bedenken gegen den Inhalt dieser Erklärung222. Der Enzelheimer Pfarrer KarlHeinz Constantin Becker wandte sich am 17. November 1933 an Kern mit der Aufforderung, der Landesbischof solle auf eine offizielle Verurteilung des „Arierparagrafen“ und der Zwangspensionierung „nichtarischer“ Pfarrer in der Reichskirche hinwirken. In seiner Antwort am folgenden Tag enthielt sich Kern einer direkten Stellungnahme zum „Arierparagrafen“ und betonte vor allem die Notwendigkeit, die Gehorsamserklärung gegenüber der kirchlichen Führung nicht durch irgendwelche Bedingungen zu schwächen223. Zugleich äußerte Kern jedoch Bedenken darüber, es innerhalb einer Volkskirche als status confessionis zu betrachten, „wenn ich fordere, daß dem Papua das Evangelium papuanisch, den Deutschen deutsch und von Deutschen gepredigt wird“224. Bei dieser Erklärung Kerns ist die sprachliche Parallele zu der Forderung der Riederauer Thesen auffällig, „den Juden ein Jude, den Griechen ein Grieche, den Deutschen ein Deutscher, den Papua ein Papua zu sein.“225 Die Riederauer Thesen hatten nicht ausgeführt, ob für sie die „arische“ Abstammung zur „echte[n] Volkstümlichkeit“226 der volksmissionarischen Verkündigung dazugehörte. Mit der Betonung der Möglichkeit nach dem siebenten Artikel der Confessio Augustana, in Fragen der Liturgie und Kirchenordnung flexibel auf die historische Situation zu reagieren, schlossen sie eine solche Beschränkung aber auch nicht prinzipiell aus227. Um eine breite Zustimmung für das Projekt einer allgemeinen Volksmission in der bayerischen Landes221 Tçllner., Frage, 51–56. 222 Vorangegangen war bereits eine Aufforderung Helmut Kerns an die Kapitelbeauftragten für Volksmission, einen entsprechenden Entwurf an die Pfarrer ihres Kapitels weiterzuleiten; vgl. Schreiben Helmut Kern an Kapitelbeauftragte vom 6. 11. 1933 (Kleefeld, Amtsbrüder, 12–14). 223 Zur Analyse des Schriftwechsels zwischen Kern und Becker vgl. Tçllner, Frage, 84–88. 224 Schreiben Helmut Kern an Karl-Heinz Constantin Becker vom 18. 11. 1933 (zitiert nach: Tçllner, Frage, 86). 225 Riederauer Thesen, 24. Die inhaltlichen Bezüge Kerns zum Erlanger Gutachten und dem oben zitierten Passus der Riederauer Thesen betont auch Tçllner, Frage, 86, Anm. 359. 226 Riederauer Thesen, 10. 227 Vgl. ebd., 24. Das Erlanger Gutachten argumentierte ebenfalls mit dem siebenten Artikel der Confessio Augustana für die Möglichkeit, als Kriterium für die Besetzung des Pfarramtes in deutschen evangelischen Gemeinden die Abstammung des Kandidaten in Betracht zu ziehen und so „der historisch-völkischen Gliederung der christlichen Menschen zu entsprechen“ (Gutachten der Theologischen Fakultät Erlangen, in: Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 164).
Kritische Würdigung
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kirche zu erreichen und auch Anhänger der im Allgemeinen gemäßigten bayerischen Deutschen Christen einzubeziehen, war diese Ambivalenz sicher ein probates Mittel. Allerdings zeigt sie aus heutiger Sicht auch die Problematik des Integrationskurses von Landesbischof Meiser, der um der Einheit der Landeskirche willen auf klare Stellungnahmen verzichtete228.
5.6 Kritische Würdigung Inhaltliche Stellungnahmen zu den Riederauer Thesen beschäftigen sich fast ausschließlich mit der Nähe des Textes zu nationalsozialistischen Positionen. Bereits Ernst Henn sah im Nachhinein die Klassifizierung des Nationalsozialismus als eine unbewusste Annäherung an die göttlichen Schöpfungsordnungen kritisch229. Positiv dagegen wertete Henn auch mehr als zwanzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges die durch die Riederauer Thesen erreichte erneute Einbindung der gemäßigten DC in die bayerische Landeskirche230. Die zwischen 1977 und 1983 im Zusammenhang mit dem Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte zu Bayern in der NS-Zeit entstandenen Arbeiten betonten dagegen eher deren Ambivalenz. Martin Broszat charakterisierte vor allem das Kapitel der Riederauer Thesen über das Verhältnis des Nationalsozialismus zur christlichen Heilsgeschichte als „das Zwittergebilde weltlich-ideologischer und theologisch-religiöser Aussagen, die […] das ,völkische Erwachen‘ begrüßten, zugleich aber die religiöse Verklärung des Dritten Reiches ablehnten.“231 Zugleich betonten Broszat und ebenso Ian Kershaw die Desillusionierung, die sich aus dem Ausbleiben der erhofften religiösen Erneuerung und den wachsenden Konflikten zwischen Kirche und Staatsapparat ergaben232. Die Riederauer Thesen wären damit gleichsam die Momentaufnahme der Hoffnungen und Überzeugungen des Jahres 1933. Neuere kirchenhistorische Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes in Bayern betonen ebenfalls vor allem die Berührungspunkte zwischen den Inhalten der Riederauer Thesen und der nationalsozialistischen Ideologie. Mensing charakterisierte ohne explizite Erwähnung der Thesen die inhaltliche 228 Zum bayerischen Umgang mit „nichtarischen“ Pfarrern vgl. die Analyse von Einzelfällen in Tçllner, Frage, 179–238, 329–422. 229 Vgl. Henn, Volksmission, 16. 230 „Es ist anzunehmen, daß innerhalb der bayerischen Landeskirche keinem Versuch, der Lage von Schrift und Bekenntnis her gerecht zu werden und die Aufgabe der Kirche und ihrer Prediger zu bestimmen, annähernd die gleiche Breiten- und Tiefenwirkung beschieden war, wie diesen Riederauer Thesen zur lutherischen Volksmission“ (ebd., 16). 231 Broszat / Frçhlich / Wiesemann, Bayern, Bd. 1, 372. 232 Ebd., 375 f. Ähnlich Kershaw, der allerdings stärker den nationalistischen Grundkonsens innerhalb der bayerischen Landeskirche betonte; Kershaw, Opinion, 184.
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Lutherische Standortbestimmung zu Beginn des NS-Regimes
Nähe der volksmissionarischen Kräfte der bayerischen Landeskirche zum Nationalsozialismus und ihre mit der Machtübertragung an Hitler verbundenen Hoffnungen233. Töllner analysierte vor allem die Haltung der hier behandelten Quelle zum Judentum, wobei er in einer intensiven Textarbeit die Ambivalenz der Thesen herausarbeitete234. Insgesamt analysierte er treffend den „antimodernen, antidemokratischen und antiurbanen Grundton“235 der Thesen und zog das Dokument als Zeugnis dafür heran, „welche kirchlichen Hoffnungen sich mit dem neuen nationalsozialistischen Regime verbanden.“236 Obwohl sich seiner Analyse nach gerade in der Rezeption des Rassegedankens Überschneidungen mit dem Nationalsozialismus ergaben, sah Töllner auch die hier gezogene Grenze, da die Riederauer Thesen und repräsentative Äußerungen der Kirche die Endgültigkeit der Rasse als maßgebliche Kategorie bestritten hätten237. Siegfried Hermle legte seiner Analyse allein das auch im bayerischen Kirchenblatt veröffentlichte Kapitel „Was ist lutherische Volksmission“ zugrunde und verglich es mit zeitgleichen sächsischen und hannoverschen DC-Volksmissionsprogrammen. Dabei kam er zu einem differenzierten Ergebnis: Im Vergleich zu diesen Programmen fiel in der bayerischen Landeskirche seiner Auswertung nach die Betonung der Aufgaben der DC für die Volksmission und die Vorbildfunktion der Propaganda der NSDAP schwächer aus, dagegen „[…] wurde das entsprechende Konzept der bayerischen Landeskirche mit einem stärkeren innerkirchlichen Akzent versehen.“238 Als inhaltliche Kernpunkte nannte er die volkskirchliche Verankerung der Riederauer Thesen und ihren Rekurs auf die lutherische Theologie. Zudem sprach er den Riederauer Thesen einen sehr offenen Volksmissionsbegriff zu, da „in der bayerischen Landeskirche jeder Dienst als Volksmission galt“239. Hermles Analyse ist damit die bisher einzige, die sich auch mit der theologischen Verortung der Riederauer Thesen näher befasst hat. Die hier vorgenommene inhaltliche Analyse zeigt, dass die Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ideologie den Inhalt der Riederauer Thesen in der Tat wesentlich prägte. Auch die Hoffnungen auf einen religiösen Aufbruch und ein gutes Miteinander von nationalsozialistischem Staat und evangelischer Kirche lassen sich geradezu ubiquitär finden. Dennoch sollte neben dieser ideologiekritischen Sicht nicht darauf verzichtet werden, die Thesen als theologischen Entwurf ernst zu nehmen. Allerdings waren sie kein Entwurf aus einem Guss, sondern das Resultat einer Gemeinschaftsarbeit. Als 233 Vgl. Mensing, Pfarrer, 163 f. 234 Vgl. Tçllner, Frage, 121–124; zu seiner berechtigten Kritik vgl. die Analyse des Abschnittes zu artgemäßem Christentum und Altem Testament, siehe oben 154–161. 235 Tçllner, Frage, 122. 236 Ebd., 122 f. 237 Ebd., 148 f. 238 Hermle, Aufstieg, 332. 239 Ebd., 340, Anm. 143.
Kritische Würdigung
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theologische Inhalte, welche die ganzen Riederauer Thesen prägten, kann einerseits die dezidierte Proklamierung, lutherische Volksmission treiben zu wollen, bezeichnet werden, wie es sich besonders in den zahlreichen Verweisen auf die Bekenntnisschriften äußerte. Andererseits gehört dazu die Betonung des Bekenntnisbegriffes240. Hier bereitete sich bereits im Herbst 1933 das zeitweilige Zusammengehen der nicht von den DC dominierten Landeskirchen und der im Pfarrernotbund vereinigten kirchenpolitischen Opposition in den Landeskirchen unter DC-Herrschaft vor. Zugleich zeigten sich in den Verhältnisbestimmungen zur nationalsozialistischen Ideologie und zu den Forderungen der Deutschen Christen die Prägung durch die Ordnungstheologie und die Lehre von der allgemeinen Offenbarung. Berndt Hamm hat diese theologischen Versatzstücke „geradezu als Markenzeichen der lutherischen Mittelgruppe und Normalität“241 bezeichnet. Die theologische Argumentation war aber immer untrennbar mit der kirchenpolitischen Selbstverständigung der bayerischen Landeskirche verknüpft. So lässt sich die Übertragung der Leitung der Volksmission auf den Landesbischof242 nicht ohne die bereits 1933 deutlich werdenden Zentralisierungsgelüste des Reichskirchenregiments und der Reichsleitung der Deutschen Christen angemessen würdigen. Auch die von Siegfried Hermle betonte Einbeziehung der Volksmission in die kirchliche Gesamtarbeit243 lässt sich aus der Bemühung um die Einheit innerhalb der Landeskirche und die Integration der Anhänger einer Umgestaltung der Kirche in die kirchlichen Strukturen und Arbeitsfelder erklären. Teil dieser kirchenpolitischen Standortbestimmung war die Verhältnisbestimmung zum nationalsozialistischen Staat. Im Rahmen der volksmissionarisch aktiven Kreise in Bayern war diese Diskussion bereits vor 1933 geführt worden und hatte große Überschneidungen mit der nationalsozialistischen Ideologie erbracht. Diese perzipierte Nähe bestimmte auch die entsprechenden Abschnitte der Riederauer Thesen244. Allerdings war diese Zustimmung niemals bedingungslos, sondern immer von der Erwartung getragen, dass der Staat die Kirche in ihrer Eigenständigkeit achten würde und sich dem volksmissionarischen Ruf zur Buße nicht verschließen dürfe245. Trotz dieser Abgrenzung überwogen in der Zeit bis 1934 die Hoffnungen auf eine Unterstützung, die sich nicht wesentlich von denen der DC unterschie240 241 242 243 244
Vgl. besonders Riederauer Thesen, 7. Hamm, Normalität, 76. Vgl. Riederauer Thesen, 9. Vgl. Hermle, Aufstieg, 332. Vgl. v. a. „Völkisches Erwachen und Heilsgeschichte“ (Riederauer Thesen, 18–22) sowie „Artgemäßes Christentum“ (ebd., 22–26). 245 Vgl. u. a. ebd., 21. Die hier zum Ausdruck kommende positive Sicht auf das neue Regime bei gleichzeitiger Betonung der kirchlichen Eigenständigkeit prägte auch außerhalb Bayerns die Volksmissionsdiskurse in der Jungreformatorischen Bewegung; vgl. jetzt Brunner, Volkskirche, 198–203 (Kapitel 3.4.2).
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den. Das machte Helmut Kern in seinen Rundbriefen, die er monatlich an die Kapitelbeauftragten in den bayerischen Dekanaten schickte, deutlich, als er nach dem Sportpalastskandal desillusionierte ehemals zu den DC gehörende Pfarrer zu weiteren seelsorgerlichem Engagement in den Gliederungen der NSDAP aufrief: „Es darf unter keinen Umständen durch die Auflösung der DC. [sic!] irgend ein [sic!] volksmissionarischer Ansatzpunkt zu den nationalen Verbänden verloren gehen.“246 Die 1977 im Rahmen des Projektes „Bayern in der NS-Zeit“ vom Institut für Zeitgeschichte edierten Berichte der Kapitelbeauftragten zeigen, dass auch in den einzelnen Dekanaten entsprechende Hoffnungen herrschten247. Trotz vielversprechender Anfänge musste Helmut Kern jedoch bereits Anfang 1934 konstatieren, dass die Unterstützung durch die NSDAP nicht erfolgte: „Die Zeit des Bewegungskrieges ist augenblicklich vorüber, wir rollen unsre Fähnlein ein und beziehen Schützengrabenstellung“248. Im Laufe der 1930er-Jahre führte diese Einsicht gerade bei dem Volksmissionsbeauftragten Kern zu einer immer kritischeren Haltung zum Nationalsozialismus, ohne dass diese als Widerstand charakterisiert werden konnte. So geriet er 1937 nach der Publikation einer sehr kritischen Broschüre in die Schusslinie der Gestapo und musste von der Landeskirche durch die Versetzung in ein Dekanat vor einem Verfahren wegen Heimtücke geschützt werden249. Der 1941 auf der Krim erfolgte Soldatentod Kerns, dessen Freiwilligenmeldung „fast wie eine Flucht in den Krieg“250 wirkte, bezeugte wohl seine endgültige Desillusionierung. Haupteffekt der Formulierung der Riederauer Thesen und ihrer Verwendung als Schulungsmaterial für Pfarrkonferenzen war die erneute Integration der gemäßigten DC in die Landeskirche. Offensichtlich eignete sich hier der gemeinsame Wille zur Volksmission, um zumindest die gemäßigten Deutschen Christen wieder in ein Loyalitätsverhältnis zum bayerischen Landesbischof zu bringen. Zugleich bedeuteten die Schulung und der gezielte Aufbau einer Organisation von Kapitelbeauftragten für Volksmission, die durch ihre regelmäßigen Berichte über ihre Kapitel und die Briefe Helmut Kerns zusammengehalten wurden, eine wichtige institutionelle Ergänzung der ideologischen Einigung auf die Riederauer Thesen251. Der Erfolg dieser Politik in der Erhaltung der institutionellen Stabilität der Landeskirche zeigte sich dann in den Massenprotesten gegen die Absetzung Meisers im Herbst 1934, die sich zwar nicht explizit gegen den nationalsozialistischen Staat richteten, aber dennoch eines der wenigen Beispiele öffentlichkeitswirksamen Protestes im 246 Schreiben Kern an Kapitelbeauftragte vom 12. 12. 1933 (Kleefeld, Amtsbrüder, 26). 247 Vgl. etwa Monatsbericht des Dekanats Eyrichshof (Unterfranken) vom 15. 12. 1933, in: Broszat / Frçhlich / Wiesemann, Bayern, Bd. 1, 383. 248 Schreiben Kern an Kapitelbeauftragte vom 29. 3. 1934 (Kleefeld, Amtsbrüder, 41). 249 Vgl. v. a. Kern, Kirchenkampf; Henn, Volksmission, 72–77. 250 Öffner, Kern, 65. 251 Vgl. eine Auswahl von Berichten in Broszat / Frçhlich / Wiesemann, Bayern, Bd. 1, 369–400; zu Kerns Rundbriefen vgl. Kleefeld, Amtsbrüder.
Kritische Würdigung
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NS-Staat waren. Hier hatte, wie Ian Kershaw betont, die von Kern organisierte Volksmission eine wichtige Funktion bei der Organisation der als Kristallisationspunkt der Proteste dienenden Bekenntnisgottesdienste, für deren Organisation sich zahlreiche volksmissionarische Kapitelbeauftragte einsetzten252. Daher bleibt die Integration der Landeskirche ein wesentlicher Erfolg der bayerischen Volksmissionspolitik. Diese Integration hatte aber Konsequenzen, wie Berndt Hamm betont: „Das erleichterte das Heimischwerden ehemaliger Deutscher Christen in der landeskirchlichen Normalität. Sie konnten sich weitgehend selbst treu bleiben.“253 Die Passagen zum Verhältnis von Christentum und Nationalsozialismus in den Riederauer Thesen waren Beispiele für solche Brücken. Dennoch gab es auch Spuren des Weges zur gemäßigten Bekennenden Kirche, den die bayerische Landeskirche im Jahre 1934 einschlug, z. B. die Betonung des Bekenntnisses und die Abwehr der radikalen Deutschen Christen in den Thesen. Andererseits konnten die Betonung der Interessengleichheit von Staat und Kirche und die Einbindung des Volksmissionsgedankens in die gesamte volkskirchliche Arbeit auch zu einer Theologie der kirchenpolitisch neutralen Mitte führen. Die Tendenz zur kirchenpolitischen Mitte lässt sich zum Teil durch die allgemeine Haltung des gemäßigten Flügels der Bekennenden Kirche erklären, der die Notwendigkeit sah, sich an die Politik des Staates anzupassen und Kompromissbereitschaft zu zeigen254. Durch die wichtige Rolle, welche die bayerische Volksmission nach 1933 für die gesamte Volksmission der BK in Deutschland spielte, hatte diese Funktion auch Einfluss auf die anderen Landeskirchen255. Eine genauere Analyse zeigt zudem, dass sich nicht allein die Konzepte in den um ihre institutionelle Identität besorgten „intakten“ Landeskirchen positiv auf die nationalsozialistische Ideologie bezogen. Beispielhaft sei ein Thesenpapier des Bruderrates Berlin-Brandenburg zitiert256. Der Autor Siegfried Knak war Direktor der Berliner Mission und gehörte seit Ende 1935 dem Berliner Bruderrat an257. In den Richtlinien, die er herausgab, betonte er zwar die eigenständige Existenz der Kirche im Verhältnis zum Staat, jedoch auch die Notwendigkeit, auf die konkrete Situation der Menschen 252 „Clearly the mass protest of lay people would never have attained such a scale without the direction and stimulation of the clergy. Particularly prominent roles were played by several important members of the Nuremberg clergy and the Church Council, and by Helmut Kern, ‘Special Commissioner for the People’s Mission’“ (Kershaw, Opinion, 175 f.). Zur Bedeutung der Volksmission bei der Gestaltung dieser Proteste sind weitere archivalische Forschungen nötig. 253 Hamm, Normalität, 81. 254 Die Gegensätze zwischen den beiden Flügeln wurden vor allem in der Diskussion um die konsequente Nichtanerkennung der Reichskirchenregierung in den Beschlüssen der Dahlemer Bekenntnissynode im Herbst 1934 deutlich; vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 241–276. 255 Vgl. Henn, Volksmission, 46 f.; siehe auch unten 296–298. 256 Knak, Richtlinien. 257 Vgl. Art. Knak, Siegfried, in: Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 138.
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einzugehen: „In der DEK wird heute dem deutschen Menschen im ,Dritten Reich‘ gepredigt.“258 Auch in der Zeit der beginnenden Entkonfessionalisierungspolitik hoffte er noch auf die Kooperation von Parteiorganisationen mit der Kirche259. An diesen von einem hinter den Beschlüssen der Dahlemer Synode stehenden Bruderrat herausgegebenen Richtlinien zeigte sich, dass die dem volksmissionarischen Enthusiasmus von 1933 zugrunde liegenden Gedanken auch über 1933 hinaus wirksam waren. So verwundert es auch nicht, dass sich in der von den bekenntniskirchlichen Volksmissionen aus Pommern und Brandenburg herausgegebenen Zeitschrift „Pflüget ein Neues“ dezidiert antisemitische Artikel fanden260. Auch in der Bekennenden Kirche grenzten sich nur wenige Theologen so scharf von einer speziellen Verbindung von deutschem Volk und Glauben ab wie der Theologe und Widerständler Dietrich Bonhoeffer, der vor seinen Finkenwalder Studenten betonte: „Verheißung ist gegeben, daß Gottes Wort sich allezeit ein Volk schaffen werde, aber nicht dahin, daß das deutsche Volk sich einst zu Christo bekehren werde.“261 Anders als die von einer offenen Tür (Apk 3,8) ausgehenden Missionare fürchtete er ein über Deutschland ergehendes Verstockungsgericht262. Bonhoeffer und seine Finkenwalder Schüler sahen daher in den von seinen Seminaristen in der Umgebung von Finkenwalde durchgeführten Volksmissionen vor allem die Gelegenheit zu einer innergemeindlichen Erneuerung und verzichteten auf die großen Visionen, die sich immer wieder mit dem Volksmissionsdiskurs verbanden263.
258 259 260 261 262
Knak, Richtlinien, These 26. Ebd., These 30. Vgl. Garbe, Bonhoeffer, 121 f. Vgl. Bonhoeffer, Thema, 513. „Es bleibt die Frage, ob das Volk die Predigt nicht schon gehört und verworfen hat, die Sünde der Väter an den Kindern heimgesucht wird, der Zorn Gottes selbst schon Verstockung wirkt“ (ebd.). 263 Zur Theorie und Praxis der Volksmission bei Dietrich Bonhoeffer vgl. Garbe, Bonhoeffer, v. a. 122–125; Zimmerling, Problem; Zimmerling, Bonhoeffer, 183–208.
B) Die Institutionalisierung einer volksmissionarischen Bewegung und ihre Entwicklung 1914–34
6. Die Anfänge der Volksmission im Central-Ausschuss 1914–1918 6.1 Voraussetzungen: der „Central-Ausschuss für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche“ in der Organisationsstruktur des deutschen Vereinsprotestantismus Um die Organisationsgeschichte der Volksmission verstehen zu können, ist eine grundlegende Kenntnis der Organisationsstrukturen des protestantischen Vereinswesens notwendig, in dem der Ruf nach Volksmission aufgenommen wurde und sich auch institutionell verankerte. Das Entstehen eines protestantischen Vereinswesens im 19. Jahrhundert ist in die Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft eingebettet. Korporative, auf Konfession, Wohnort oder Standeszugehörigkeit beruhende soziale Zugehörigkeiten wurden durch individuell gewählte Vergemeinschaftungsformen ergänzt bzw. abgelöst1. So entwickelte sich „das Vereinswesen zu einer die sozialen Beziehungen der Menschen organisierenden und prägenden Macht“2. Dies geschah auf verschiedenen Ebenen; neben Tendenzen zur Distinktion einer wirtschafts- und bildungsbürgerlichen Oberschicht traten Ideen zur Integration der Gesamtgesellschaft, neben die Forderung nach politischen Reformen der Wille zur Unterstützung staatlicher Aufgaben wie in der Wohlfahrtspolitik3. Die Entstehung eines protestantischen Vereinswesens lief parallel zu diesem allgemeinen Prozess in der bürgerlichen Gesellschaft4. Im Laufe des 19. Jahrhunderts entstanden mit den großen Vereinsbewegungen (Äußere Mission, Innere Mission, Gustav-Adolf-Verein und Evangelischer Bund; ferner Jugend- und Frauenarbeit) mitgliederstarke und das Erscheinungsbild der Kirche prägende Organisationen. Zum Ende des 19. Jahrhunderts war auf diesem Wege ein blühendes, deutschlandweit organisiertes protestantisches Verbandswesen entstanden. Die Vereine konnten innerhalb der Kirchengemeinde erhebliche Anteile besonders der Kerngemeinde mobilisieren und über ihren Mitgliederbestand hinaus das kirchliche Leben prägen. Bedeutsam war, dass die von ihnen propagierten Ziele, etwa Heidenmission oder Diasporapflege, auch von zahlreichen Pfarrern in die Kirchengemeinden hineingetragen und damit zugleich zu Kristallisationspunkten protestantischer 1 2 3 4
Vgl. die idealtypische Darstellung dieses Prozesses in Nipperdey, Verein. Ebd., 2. Zu dieser Ambivalenz vgl. ebd., 31–35 sowie Hardtwig, Vereinswesen. Der folgende Überblick bezieht sich auf H usler, Art. Vereinswesen sowie Kaiser, Verbände.
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Die Anfänge der Volksmission im Central-Ausschuss 1914–1918
Identität wurden und Voraussetzungen für die Entstehung eines protestantischen Milieus boten5. Allerdings war diese Milieubildung niemals so eindeutig erkennbar wie das zeitgleich ausgebildete sozialistische Arbeitermilieu und die katholischen Milieustrukturen, da dem Protestantismus im Kaiserreich die Erfahrung des Minoritätenstatus und der Selbstbehauptung gegen den Staat fehlte6. Zugleich änderte sich die Stellung der Verbände innerhalb der Kirche, indem sie sich von in Distanz zum Kirchenregiment stehenden Organisationen immer stärker zu Schlüsselakteuren in der Gestaltung kirchlichen Lebens wandelten und ins kirchliche Establishment hineinwuchsen, wie an der Prominenz zahlreicher Vereinsfunktionäre und an den Überschneidungen zwischen Amtskirche und den Funktionären der Verbände deutlich wurde7. Hauschild redet hier von der „Parallelität von Vereinskirche und Amtskirche, von freien Verbänden und Landeskirchen“8. Bedeutsam war, dass die oft von einem großen Freundeskreis getragenen9 protestantischen Werk- und Vereinsgründungen sich zwar in der Regel bewusst in den Rahmen der Landeskirche stellten, allerdings in einer klaren Distanz zu den Kirchenbehörden standen: „Nicht die Kirchen selbst übernahmen also das Vereinsprinzip und instrumentalisierten es für ihre Zwecke, sondern einzelne ihrer Glieder, die sich als Christen und zugleich Bürger verbandlich organisierten“10.
Dieser Dualismus zwischen betonter Eigenständigkeit und der immer stärkeren Einbeziehung in den gesamten Protestantismus begleitete die gesamte Geschichte des 1849 gegründeten „Central-Ausschusses für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche“. Als zentrales Gremium der Inneren Mission stand er im Zentrum des eben charakterisierten Verbandsprotestantismus, ja die Konstituierung der Inneren Mission als deutschlandweite Bewegung leitete eine neue Phase in der Entwicklung des Verbandsprotestantismus ein11. Seine Entstehung verdankte er dem Aufschwung karitativer 5 Dies belegt für die Landeskirchen Bremen, Hannover und Oldenburg Reeken, Kirchen, 70–126; grundsätzlich Kaiser, Formierung. 6 Erst während der Weimarer Republik könnte man, wie Jochen-Christoph Kaiser überzeugend dargelegt hat, mit Abstrichen von einer tatsächlichen Entstehung eines Milieus reden; vgl. ebd., 63–68. 7 Dies gilt allerdings nur für die großen Verbände; der Gnadauer Verband der landeskirchlichen Gemeinschaften „auf seinem schmalen Grad in der Stellung zwischen der Mitgliedschaft in der Landeskirche und freikirchlichem Dissentertum“ (ebd., 62) behielt auch in der Weimarer Republik eine Stellung innerhalb der Landeskirche, die am ehesten als prekär zu bezeichnen ist; vgl. Ohlemacher, Gemeinschaftschristentum, 363–464. 8 Hauschild, Lehrbuch, Bd. 2, 791; zu den unterschiedlichen Vereinen vgl. H usler, Vereinswesen, 638–645. 9 Vgl. für das Beispiel der Missionsanstalten Habermas, Mission. 10 Kaiser, Verbände, 196. 11 Vgl. H usler, Art. Vereinswesen, 643; Kaiser, Verbände, 200.
Voraussetzungen: der „Central-Ausschuss für die Innere Mission“
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und evangelistischer Vereine in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, besonders aber dem Wirken Wicherns, der im Vormärz zu den zahlreichen Gründern von karitativen Einrichtungen gehörte12. Seine Bedeutung in der Geschichte des deutschen Protestantismus erhielt Wichern allerdings durch seine weitergehende Gesamtkonzeption einer Inneren Mission. Bereits vor 1848 vertrat er vor dem Hintergrund der politischen und sozialen Situation, die auf die Märzrevolution hinlief, immer stärker die Notwendigkeit eines öffentlichen Gesamtprogramms der Inneren Mission. Beispielhaft dafür steht ein Artikel von 1847, in dem Wichern eine Definition seines Konzeptes gab, die bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein das Selbstverständnis des sozialen Protestantismus geprägt hat: „das praktische Centrum der Inneren Mission […], sofern sie [die Innere Mission, H. B.] die freie Liebesarbeit des heilserfüllten Volkes zur Verwirklichung der christlichen und sozialen Rettung des heillosen Volkes ist und nicht eher ruhen kann, bis das Ganze ein christliches Volk in Staat und Kirche geworden.“13
Aus dieser Definition der Inneren Mission durch Wichern wurde die umfassende Zielsetzung deutlich, „durch volksmissionarisches und karitatives Handeln die sozialen Schäden der Industrialisierung zu heilen.“14 Seiner großen Vision musste automatisch eine stärkere Organisation in enger Anlehnung an Kirche und Staat folgen15. Wichern nutzte daher die sich ihm durch die revolutionäre Situation bietende Gelegenheit, um mit seiner Konzeption in die Öffentlichkeit hineinwirken zu können. Anlass war der in Wittenberg im September 1848 stattfindende erste „Kirchentag“, auf dem engagierte Laien (aber keine Vertreter des Kirchenregiments) als Reaktion auf die in der Frankfurter Paulskirche beratene Bildung eines deutschen Nationalstaates eine verstärkte Kooperation der deutschen Landeskirchen berieten. Wichern hatte sich im Vorfeld des Kirchentages explizit auf die durch die Revolution ermöglichte verstärkte Assoziationsfreiheit bezogen, die er allerdings mit einem gewissen konterrevolutionären Impetus gegen die angeblich antichristlichen politisch-revolutionären Vereine in Stellung brachte16. Auf dem Kirchentag betonte Wichern die Notwendigkeit, „daß sich lebendige geistige Centren für jene verschiedenen, einander oft verwirrend durchkreuzenden Thätigkeiten bilden.“17 Er wollte also eine stärkere Koordination der bisherigen Ansätze. Daher schlug er in Wittenberg die Bildung eines eigenen 12 Vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Band 1, 37–59. 13 Wichern, Liebesarbeit, 170 f. 14 Kaiser, Sozialer Protestantismus, 5. Kaiser subsumiert unter dem Begriff „Volksmission“ alle die Öffentlichkeit erfassenden Handlungsformen der Inneren Mission, nicht allein Evangelisation und Apologetik; vgl. Kaiser, Volksmission, 24–38. 15 „J. H. Wichern, der konservative Protagonist der freien ,christlichen Assoziation‘ hat Staat, Kirche und Vereine als Trias zur Bildung der Volkskirche angesehen“ (Nipperdey, Verein, 32). 16 Vgl. Krimm, Quellen, 409 f. 17 Wichern, Rede, 251.
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Die Anfänge der Volksmission im Central-Ausschuss 1914–1918
Ausschusses für Innere Mission vor, „welcher den Anfang machen wollte, in sich diese große Aufgabe zu verarbeiten und aus dem gewonnenen Material als dem reichen bis dahin verborgenen Erbteil der Vergangenheit zu bilden, was Gott will.“18 Dieser Central-Ausschuss, den Wichern hier als einen Vorschlag erstmals der Öffentlichkeit präsentierte, sollte „eine organisierende und eine produzierende Aufgabe haben“19. Von ihm sollten für die bestehenden Einrichtungen „die kräftige Anregung zu neuer Arbeit, Rat und Ermunterung ausgehen“20. Zugleich sollte der Central-Ausschuss die bisher fehlende Koordination zwischen den einzelnen diakonischen und evangelistisch-missionarischen Einrichtungen ermöglichen21. Wicherns Stegreifrede und die Diskussionsbeiträge auf dem Wittenberger Kirchentag erreichten ihr Ziel: Wichern wurde bei einer abschließenden Präsidiumssitzung beauftragt, die Gründung eines Ausschusses in die Wege zu leiten22. Dieser Ausschuss hatte von Anfang an den Charakter eines Honoratiorengremiums, dem vor allem Adlige und gut vernetzte und z. T. in führenden Positionen befindliche Bildungsbürger, mit Ausnahme Wicherns aber kein hauptamtlich in der Diakonie Beschäftigter, angehörten23. Der Besetzung nach war der Central-Ausschuss also ein adlig-bürgerliches Honoratiorengremium, obwohl eines der Mitglieder vor dem Eindruck warnte, „als sei unsere Sache nichts anderes als eine bloß pietistisch-aristokratische Unternehmung, […] wo ein paar Pastoren, ein paar Grafen und ein paar Geheime Räte an der Spitze stehen“24. Es lässt sich ferner ein sehr geringer Professionalisierungsgrad der Mitglieder diagnostizieren. Die Bestimmung der Satzungen des CA von 1849 verfestigten dessen Rolle als gesellschaftlich und politisch bestens vernetztes, aber nicht professionell agierendes Honoratiorengremium, das sich durch Zuwahl ergänzte25. Auch die Verbindung zu den einzelnen Anstalten blieb locker. Der Anschluss an den CA und regionale Verbände sollte keine Unterordnung bedeuten26. Der Central-Ausschuss beanspruchte also von Anfang an zwar eine zentrale Stellung innerhalb des Organisationsgefüges karitativer und evangelistischer Anstalten und Vereine
18 19 20 21 22 23
Ebd., 252. Ebd., 254. Ebd., 257. Ebd., 254. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 1, 84 f. Neben Wichern bestand der CA aus drei weiteren Theologen, drei preußischen Ministerialbeamten, einem politisch aktiven konservativen Professor der Berliner Universität, zwei Gutsbesitzern sowie einem dem Rauhen Haus verbundenen hamburgischen Juristen. Fünf der elf Mitglieder waren adlig, vier hatten promoviert; vgl. Wichern, Ausgewählte Schriften, Bd. 3, 347. 24 Zitiert nach: Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 1, 82. 25 Vgl. § 4 der Statuten des CA (Wichern, Ausgewählte Schriften, Bd. 3, 348 f.). 26 Vgl. § 10 (ebd., 349 f.).
Voraussetzungen: der „Central-Ausschuss für die Innere Mission“
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im deutschen Protestantismus, er war aber weder der Intention noch seinen rechtlichen Möglichkeiten nach eine zentrale Instanz27. Die Organisationsform des Central-Ausschusses änderte sich in Stellung und Organisationsform in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht grundsätzlich, obwohl sich die steigende Anerkennung der Inneren Mission durch eine Vergrößerung des CA und durch einen steigenden Theologenanteil – oft hochrangige Amtsträger – bemerkbar machte28. Der Mitarbeiterstab blieb klein, während die Zahl der in verschiedenen Werken der Inneren Mission beschäftigten Geistlichen bereits 1870 groß genug war, um eine eigene Konferenz ins Leben zu rufen29. Dagegen steigerte sich die Vernetzung der einzelnen Anstalten. Es entstanden immer mehr Landes- und Provinzialvereine für Innere Mission. Hinzu kamen Fachverbände für gleichartige Verbände und Anstalten. An der Etablierung dieser Verbände lässt sich die steigende Ausbreitung und Diversifizierung der im Rahmen der Inneren Mission betriebenen Arbeitsfelder ablesen30. Dieser Aufschwung schaffte allerdings bereits in der Vorkriegszeit Organisationsprobleme: 1907 thematisierte der IM-Jahreskongress in Essen die Frage „,Wie läßt sich die Einheitlichkeit der Inneren Mission in den einzelnen Ländern und Provinzen wahren?‘“31 Eine wirkliche Professionalisierung der Organisationsstruktur fand jedoch erst nach 1918 statt. Die IM lehnte die Veränderung zwar kompromisslos ab32, dennoch nutzte der Central-Ausschuss die durch die Sozialpolitik der Weimarer Republik möglich gewordenen Spielräume voll aus. Durch die enge Kooperation mit den staatlichen Behörden in Wohlfahrtsfragen und die Kooperation mit den anderen Wohlfahrtsverbänden (Caritas, Deutsches Rotes Kreuz, Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden, Paritätischer Wohlfahrtsverband) wurde der Central-Ausschuss zu einer Institution, „die man […] als ,sozialen Konzern‘ des evangelischen Deutschland bezeichnen kann“33. Um diese Position ausfüllen zu können, mussten die Strukturen der Inneren Mission modernisiert werden. Dies betraf einerseits die Form des 27 Ausführlich legte Wichern seine Vision der Inneren Mission in einer 1849 erschienenen Denkschrift dar, die in einer Beschreibung des CA gipfelte; vgl. Wichern, Denkschrift. 28 Im Jahre 1890 hatte der CA 49 ordentliche Mitglieder, davon 28 Theologen (vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 12). Besonders die preußischen Hofprediger und Generalsuperintendenten wurden intensiv umworben; vgl. ebd., 10 f. Die Beschlussfähigkeit wurde trotz der höheren Mitgliedszahlen durch einen bereits seit 1864 bestehenden „Geschäftsführenden Ausschuss“ ermöglicht, der aus in Berlin wohnenden Mitgliedern bestand; vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 1, 215. 29 Vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 25 f. 30 Zu den Landes- und Provinzialverbänden vgl. ebd., 13–16; zu den Fachverbänden vgl. Beyreuther, Geschichte, 130 f. 1914 bestanden bereits 37 Fachverbände, die sich dem CentralAusschuss angegliedert hatten; vgl. ebd., 187. 31 Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 202. 32 Wicherns Stellung zur 1848er-Revolution wurde in der Verbandszeitschrift kommentarlos wieder abgedruckt; vgl. Wichern, Revolution. 33 Kaiser, Formierung, 57; zur Kooperation vgl. auch Kaiser, Sozialer Protestantismus, 95–186.
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Central-Ausschusses, andererseits das Verhältnis der diversen Verbände und Anstalten der Inneren Mission. Veränderungen im Central-Ausschuss wirkten sich zunächst auf den Mitarbeiterstab aus. Während Gerhard Füllkrug 1916 bei seiner Berufung der einzige hauptamtliche theologische Berufsarbeiter war, vervielfachte sich seit 1918 die Zahl der hauptamtlichen Mitarbeiter. 1928 hatten sich insgesamt fünf Abteilungen mit insgesamt sechs Direktoren und jeweils einem eigenen Mitarbeiterstab herausgebildet34. Der Ausbau eines eigenen Verwaltungsstabes beeinflusste auch die Zusammensetzung des Central-Ausschusses. Bereits in der Endphase des Ersten Weltkrieges fanden Verhandlungen zur Reform der Satzung statt, die auf eine stärkere Repräsentation der hauptamtlichen theologischen Berufsarbeiter in den Beratungen des Central-Ausschusses hinausliefen, um den Central-Ausschuss zu einem Ansprechpartner für kirchliche und staatliche Stellen zu machen. Darüber hinaus wollten die regionalen Verbände der Inneren Mission ebenfalls Vertreter in den Central-Ausschuss entsenden35. Die Fronten in diesem Prozess der Satzungsänderung verliefen zwischen den theologischen Berufsarbeitern, die eine stärkere Beteiligung an grundsätzlichen Entscheidungen einforderten und den bisher dominierenden Honoratioren, die ihre partielle Entmachtung mit einer konterrevolutionären Rhetorik als „,Einführung des Betriebsrätesystems in die Innere Mission‘“36 brandmarkten. Zunächst wurde 1921 die Satzung insofern geändert, als die theologischen Berufsarbeiter des Central-Ausschusses sowie Vertreter der angeschlossenen Verbände neben den bisherigen lebenslangen Mitgliedern Sitz und Stimme im Central-Ausschuss erhalten sollten37. Zudem wurde ein neuer „Central-Verband für Innere Mission“ gegründet, der den Central-Ausschuss mit den Landes- und Provinzialvereinen sowie den Fachverbänden organisatorisch zusammenfasste38. Nachdem sich diese Parallelstruktur als ineffizient erwies, wurde in einer neuen Satzung der Central-Verband wieder aufgelöst. Nunmehr galt der Central-Ausschuss selbst als „die organische Zusammenfassung aller ihm angeschlossenen Verbände, Anstalten und Einrichtungen der Inneren Mission.“39 Die Landes- und Provinzialverbände sowie die in insgesamt 10 Fachgruppen gegliederten überregionalen Fachverbände waren laut dieser Satzung Gliedverbände des CA40. 34 Allgemeine Abteilung, Evangelistische Abteilung, Apologetische Centrale, Wohlfahrt und Diakonie, Wirtschaftsabteilung mit Propaganda-Dienst; vgl. Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 7 f.; vgl. auch das Organigramm der Geschäftsstelle im Jahre 1929 unten 527. 35 Zu diesem sich über die 1920er-Jahre hinziehenden Prozess der Satzungsänderung vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 78–94. 36 So Friedrich Mahling bei einer Sitzung des CA 1920; zitiert nach: Kaiser, Sozialer Protestantismus, 87; zu den Frontstellungen innerhalb des Gremiums vgl. ebd. 37 Vgl. Kaiser, Innere Mission, 28 f. 38 Vgl. dessen Satzung in: Krimm, Quellen, 62 f. 39 Vgl. Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 4. 40 Ebd., 5 f.; zur Struktur vgl. das Organigramm der Verbände der IM 1928 unten 525.
Voraussetzungen: der „Central-Ausschuss für die Innere Mission“
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Auch die Struktur des Central-Ausschusses wurde 1928 wesentlich modernisiert. Zwar blieben Präsident, Vizepräsident und Schatzmeister des CA ehrenamtlich, die Zahl der in den CA zu kooptierenden lebenslangen Mitglieder wurde jedoch auf höchstens 20 begrenzt. Hinzu traten die hauptamtlichen Direktoren der Abteilungen für die Dauer ihrer Amtszeit sowie Vertreter des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses und des Evangelischen Oberkirchenrates (EOK) der altpreußischen Union, jedes Landes- bzw. Provinzialverbands und insgesamt 33 Vertreter der Fachverbände41. Die Rolle der hauptamtlichen Funktionäre wurde noch dadurch gestärkt, dass die Führung der täglichen Geschäfte dem Vorstand des Central-Ausschusses übertragen wurde, dem neben Präsident und Vizepräsident drei Direktoren mit Stimmrecht angehörten. Ihm zur Seite trat ein Verwaltungsausschuss, dem die Vorstandsmitglieder, die übrigen Direktoren und bis zu 24 vom Hauptausschuss gewählte Mitglieder angehörten42. Auf diese Weise wandelte sich in den 1920er-Jahren der Central-Ausschuss von einem Honoratiorengremium zu einem v. a. von hauptamtlichen Funktionären der Inneren Mission geprägten Gremium. Zugleich veränderte sich die Beziehung zu den regionalen Verbänden und den einzelnen Anstalten. Während man vor 1918 nur von einer schwach institutionalisierten Zugehörigkeit reden konnte, wurde der CA nunmehr zu einem übergeordneten Leitungsgremium, das die gesamte IM in der Öffentlichkeit und in der Zusammenarbeit mit dem Staat und anderen Gremien vertreten sollte43. Gerhard Füllkrug, die Evangelisten des Central-Ausschusses und die beratende Kommission für Volksmission agierten im Rahmen des sich auf diese Weise wandelnden Central-Ausschusses. Der 1925 gegründete Deutsche Evangelische Verband für Volksmission bildete eine der Fachgruppen, die neben die Landes- und Provinzialverbände als zweites Gliederungsprinzip der IM traten. Im Folgenden soll nachgezeichnet werden, wie die Volksmission innerhalb dieser Strukturen ihren Platz suchte und welche Probleme sich durch die Widersprüche zwischen den einzelnen Fachbereichen und der dezentralen Organisation ergaben.
41 Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 6. 42 Ebd.; vgl. auch das Organigramm des CA nach 1928 unten 526. 43 Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 5.
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6.2 Diskurse über die Aufgaben der Inneren Mission seit dem Beginn des Ersten Weltkrieges44 Für den innerprotestantischen Diskurs war 1914 die religiöse Deutung des „Augusterlebnisses“ ein wesentlicher Faktor. Die Rahmenbedingungen dieser als Überwindung aller trennenden Schranken innerhalb des Volkes gedeuteten und besonders mit nationalprotestantischem Pathos aufgeladenen Rezeption des Kriegsanfanges sind gut erforscht und können hier nicht im Einzelnen behandelt werden45. Die in der zeitgenössischen Wahrnehmung immer wieder betonte, aber auch in der religiösen Statistik nachweisbare Hebung der Zahl von Gottesdienstbesuchen und Kasualien in den Monaten nach Kriegsbeginn war ein Referenzpunkt für weitreichende Visionen46. Diese Hebung religiösen Lebens wurde nicht allein propagandistisch ausgeschlachtet, sondern gab in Amtskirche und konfessionellen Vereinen Hoffnungen auf die religiöse Erneuerung des ganzen Volkes47. Am 11. August 1914 schrieb der Evangelische Oberkirchenrat an die Geistlichen und Gemeindevertretungen der altpreußischen Union: „Mit hoher Freude sehen alle, die unser Volk lieb haben, wie unter der Not des mit ungeheurem Frevelmut uns aufgezwungenen Krieges das religiöse Bedürfnis in unseren Gemeinden erwacht. Gotteshäuser und Gottesdienst füllen sich. Scheinbar erstorbene Glaubensfunken leuchten wieder auf. […] Man fühlt: Gott spricht in der Not der Schlachten zu unserem Volke. Und Gott sei Preis: Unser Volk findet seinen Gott wieder und spricht zu ihm als seinem Hort und seiner starken Zu44 Die Ergebnisse des folgenden Kapitels wurden im Oktober 2014 auf der Konferenz „Der Erste Weltkrieg und die Theologie“ in Erfurt vorgetragen. 45 Vgl. besonders Bergen, War Protestantism; Hammer, Kriegstheologie; Pressel, Kriegspredigt. Der Quellenbegriff „Augusterlebnis“ beinhaltet die Problematik, dass er propagandistisch als Legitimation des Ersten Weltkrieges diente und in Presse und sonstigen Leitmedien die angebliche allgemeine Kriegsbegeisterung zur alle anderen Emotionen überlagernden allgemeinen Erhebung des „Geistes von 1914“ stilisiert wurde; vgl. jetzt Bruendel, Volksgemeinschaft. Da diese Begrifflichkeit allerdings in den hier analysierten Diskursen ubiquitär ist und als Tatsachenbeschreibung verwendet wird, werden auch im Folgenden die entsprechenden Begrifflichkeiten benutzt; für eine realistische lokalgeschichtliche Analyse der kollektiven Wahrnehmung der Julikrise und des Kriegsbeginns 1914 vgl. Geinitz, Kriegsfurcht. 46 Geinitz belegt für Freiburg konfessionsübergreifend für Soldaten und Zivilisten ein tatsächlich starkes Interesse an religiösen Angeboten, macht aber deutlich, dass dieser Aufschwung nur eine kurze Zeit anhielt und eher von der Suche nach Trost und Sinn als von grundlegend neuen Impulsen geprägt war; vgl. ebd., 206–238. 47 Zur propagandistischen Ausschlachtung vgl. einen Aufruf von prominenten akademischen Theologen, Vertretern des Kirchenregiments und des Vereinsprotestantismus „an die evangelischen Christen im Auslande“ vom September 1914, in dem vor allem die angebliche Unschuld der deutschen Führung am Ausbruch des Krieges proklamiert wurde: „Wohl wissen wir, daß Gott durch dies blutige Gericht auch unser Volk zur Buße ruft, und wir freuen uns, daß es seine heilige Stimme hört und sich zu ihm kehrt“ (abgedruckt in: Hammer, Kriegstheologie, 203).
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flucht. Man kann sagen: Ein Feld weiß und reif zu einer Geistesernte liegt vor uns!“48
Der als bellum iustum gedeutete Erste Weltkrieg wurde so zur Grundlage einer religiösen Erneuerung, welche das ganze Volk prägen könne, erklärt. Diese Hoffnungen bestimmten auch die Wahrnehmung im Rahmen der Inneren Mission. Daher schwenkte die Innere Mission sofort auf die Unterstützung der deutschen Kriegsführung ein. Max Braun, ehemaliger Inspektor der Berliner Stadtmission und Mitglied des Central-Ausschusses, fasste diese Forderung in der ersten Ausgabe der Verbandszeitschrift der Inneren Mission von 1915 zusammen und entsprach damit dem Tenor der gesamten Inneren Mission: „Mit der Mobilmachung unserer Heere in den Augusttagen ist auch eine große Mobilisierung der Inneren Mission nötig geworden.“49 In der Anfangsphase machte Martin Hennig, der Vorsteher des Rauhen Hauses in Hamburg, in der Oktoberausgabe der Verbandszeitschrift der Inneren Mission konkrete Vorschläge zum „Kriegsdienst der Inneren Mission durch Evangelisation“50. Hennig war bereits in den Anfangsjahren des 20. Jahrhunderts wiederholt für eine stärkere Betonung der Wortverkündigung eingetreten und hatte 1908 im Rauhen Haus die „Wichern-Vereinigung zur Förderung des christlichen Volkslebens“ gegründet, die mit diesem Ziel „Volksevangelisation im Sinne D. Joh. Hinr. Wicherns tunlichst in Verbindung mit Schriftenverbreitung und auf dem Boden der evangelischen Landeskirche treiben“51 wollte. In der ursprünglichen Konzeption lag die Tätigkeit der Wichern-Vereinigung zunächst in der Herausgabe von Schriftenreihen und deren Kolportage, war also eng mit der bereits seit langem im Rahmen der Agentur des Rauhen Hauses geschehenden Schriftenmission und Werbung für die Innere Mission verknüpft und konnte aufgrund mangelnder Finanzen bis 1914 nur eingeschränkte Aktivitäten entfalten. Immerhin war sie mit ihrer umfassenden Zielsetzung und dem Renommee des Rauhen Hauses eine Institution, die das Pozential zu einer weit größeren Tätigkeit hatte, wie sich durch ihre Aktivitäten im Rahmen des Ersten Weltkrieges zeigen sollte52. Hennig hatte zu Beginn des Krieges vor, die Wichern-Vereinigung mit dem Ziel einer Evangelisation in der Heimat und unter den Soldaten auszubauen. Darüber hinaus wollte er die Innere Mission insgesamt für dieses Ziel gewinnen und schlug daher vor, dass die Provinzialverbände für Innere Mission Reiseprediger aussenden sollten, welche in den Gemeinden über die Arbeit der 48 Abgedruckt in: ebd., 211. 49 Braun, Aufgaben, 5. 50 Hennig, Kriegsdienst; der Artikel dürfte grundlegende Impulse eines Vortrages aufnehmen, den Hennig Anfang September 1914 auf einer Vorstandssitzung der Wichern-Vereinigung gehalten hatte; vgl. Herrmann, Inneren Mission, 451. 51 Wichern-Vereinigung zur Förderung christlichen Volkslebens – 1908–1912. – (Hennig, Quellenbuch, 631). 52 Zur Frühgeschichte der Wichern-Vereinigung vgl. Gerhardt, Arbeit, 90–92; Herrmann, Inneren Mission, 442–450; Schmuhl, Senfkorn, 196–199; vgl. auch unten 177–181.
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Inneren Mission – vor allem diakonische Aktivitäten auf dem Schlachtfeld – berichten und vor diesem Hintergrund ihre Hörer zur Buße aufrufen sollten. Hennig erhoffte sich von solchen Predigten, „daß solcher Dienst manche Gemeinde innerlich weiterführen könnte“53. Da der Gedankengang Hennigs Einblicke in die mit dem Kriegseintritt verbundenen Hoffnungen auf eine mögliche Rechristianisierung des deutschen Volkes gibt, soll er hier etwas ausführlicher wiedergegeben werden. Durch Evangelisation sollte die Innere Mission, deren Tätigkeit Hennig als Teil der deutschen Kriegsführung bezeichnete, zur Gegenwartsdeutung beitragen54. Wie den meisten Predigern im August 1914 erschien ihm der Kriegsausbruch unmittelbar als Offenbarungsgeschehen: „Die Zeit der Apologetik ist fürs erste vorüber. Gott selbst hat geredet. Die ganze Welt fühlt sein Tun.“55 Diese pathetische Berufung auf den Krieg als grundlegendes Handeln Gottes durchzog den gesamten Text. Den Krieg beschrieb Hennig nach dem Schema, Gesetz und Evangelium zunächst als Aufruf zur Buße auch an das deutsche Volk zu sehen, dem er vor allem mangelnden Gehorsam gegenüber der Obrigkeit vorwarf56. Wie die meisten Kriegstheologen von 1914 übernahm er allerdings die stereotypen Schuldzuweisungen an die Kriegsgegner57 und verklärte die deutsche Mobilmachung geradezu als einen heiligen Krieg. Die deutschen Soldaten dürften sich sicher sein, „im Kampfe Gottes Sache zu führen wider Neid und Gewinnsucht, Hoffart und Sittenverderbnis.“58 Daraus folgte direkt der Aufruf zur religiösen und sittlichen Erneuerung, welche Hennig letztlich zur Voraussetzung des militärischen Erfolges erklärte: „Nur gilt’s, daß alle, die das Schwert führen, sich innerlich und äußerlich selbst rein halten von der Schuld, die den anderen belastet. Nur gilt’s, daß das ganze Volk sich zur sittlichen Reinheit verjüngt, indem es Gottes schweren Auftrag ausrichtet.“59 53 Hennig, Kriegsdienst, 370. Die Grundidee von regelmäßigen Predigtreisen durch Vertreter der Inneren Mission hatte Hennig bereits Anfang des 20. Jahrhunderts als Vereinsgeistlicher der Inneren Mission in Brandenburg zu verwirklichen versucht; vgl. Herrmann, Inneren Mission, 451. 54 „Aber die viel größere Aufgabe ist doch, unserem Volke, das in starker Gefahr war, ein gottloses Volk zu werden, die gegenwärtige Zeit zu deuten und ihm diejenigen Seiten des Evangeliums nahe zu bringen, welche die gegenwärtige Kriegszeit uns verständlich macht“ (Hennig, Kriegsdienst, 361 f.). 55 Ebd., 362. 56 „Und mit welcher Beschämung erfüllt es uns, wenn wir des Geistes denken, der seit etwa 25 Jahren bei uns Einzug gehalten hat, dieser Geist des Nörgelns, des Mißtrauens gegen das Regiment, gegen unsere Heeresverwaltung, gegen alles, was Obrigkeit und staatliche Ordnung hieß!“ (ebd., 362 f.). 57 So sprach er Großbritannien eine Zukunft als Träger der Weltmission ab: „Das gilt um so mehr, als England durch seine tückische Verhetzung der Rassen und durch seinen Brudermord sich für solchen Dienst fernerhin unfähig gemacht hat“ (ebd., 368). 58 Ebd., 363. 59 Ebd., 363.
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Allerdings wäre es zu kurz gegriffen, die Forderungen Hennigs allein in einer Funktionalisierung der Evangelisation für den Kriegseinsatz zu sehen. Es verbanden sich damit weitergehende Hoffnungen, die für die deutsch-protestantische Kriegstheologie typisch waren: Der nationale Aufbruch sollte in eine religiöse Erneuerung münden60. Hennig sah dafür die rechte Voraussetzung, da das Wirken Gottes an der Nation geradezu als Vorbild für die religiöse Erneuerung dienen könne: „War’s nicht, als erfaßte unser ganzes Volk ein neuer Geist, als der Feind uns hart bedrängte und das Kriegslied erklang? Mit einem Male waren wir alle Brüder […]. Ein neuer Geist hatte alles verwandelt. Kein Mensch hatte das vollbracht. Gott hatte es geschenkt. Was Gott so der Nation geschenkt hat, das will er seiner Christenheit durch seinen heiligen Geist schenken.“61
Zwar trennte Hennig auf diese Weise formal nationale und religiöse Erneuerung, sah sie aber in der auch religiös begründeten Sendung der Deutschen eins werden, diese seien „sichtlich berufen, allen Nationen zu dienen. Hier liegt der weltgeschichtliche Beruf unseres [deutschen, H. B.] Volkes, ein Missionsbote Gottes in der Welt zu werden“62. Diese Vision bildete eine theologische Überhöhung des immer wieder proklamierten „Geistes von 1914“, mit dem die kulturelle Überlegenheit Deutschlands beschworen wurde63. Zusammengefasst betonte Hennig also einerseits die durch das „Augusterlebnis“ bewirkte Ansprechbarkeit des gesamten Volkes für das Evangelium, die religiös vertieft werden musste, um die angebliche deutsche Sendung zu erfüllen64. Volker Herrmann ist daher für seine Analyse der Motive in Hennigs Aufruf zuzustimmen: „Es wird deutlich, wie sehr bei Hennig Christentum, deutsches Sendungsbewußtsein und Großmachtstreben miteinander verquickt waren. Kaisertreue 60 „Und daß uns Gott jetzt so ernst und gewaltig zu sich zieht, das macht diese Zeit zu einer großen Erweckungs- und Heimsuchungszeit“ (ebd., 366). Hier dürfte die Erinnerung an die Befreiungskriege 1813–1815 paradigmatisch wirken. Symptomatisch dafür ist, dass Hennig eine Herausgabe des Kriegskatechismus von Ernst Moritz Arndt für die Wichern-Vereinigung veranlasste; vgl. IMED 9 (1914), 382. 61 Hennig, Kriegsdienst, 367. 62 Ebd., 368. 63 Deutlich wurde dieser Zusammenhang in einer im September 1914 gehaltenen Predigt des Direktors der Ostasienmission, Johannes Witte. Dieser verband für den Fall des deutschen Sieges Geibels Formel vom deutschen Wesen, an welchem die Welt genesen möge, mit der Geltung des deutschen Christentums auf dem Missionsfeld: „Wenn das in die Welt getragen wird als das Fundament deutschen Wesens, dann wird der Welt Heil widerfahren, dann wird das deutsche Christentum das Licht der Welt“ (abgedruckt in: Hammer, Kriegstheologie, 229). 64 Hennig schloss daher seinen Artikel mit einem flammenden Appell zur Aufnahme dieser allgemeinen Evangelisation, die er als unmittelbaren Ruf Gottes charakterisierte: „Unendlich viel hängt davon ab, wie wir diese Zeit durchleben. Jetzt gilt es, in der Heimat die Kräfte zu sammeln wie draußen im Felde. Jetzt gilt es, einen neuen Sieg zu erringen, da Gott uns zum Kriege gerufen hat. Glaubet ihr nicht, so bleibet ihr nicht!“ (Hennig, Kriegsdienst, 370).
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und eine nationalistische Grundhaltung gehörten zu den Grundfesten seiner Evangeliumsverkündigung.“65
Als der Central-Ausschuss seine Novemberkonferenz 1914 unter das Motto „Was soll geschehen, um unserem Volke den Segen der einmütigen Erhebung zu Gott zu erhalten?“ stellte, lud CA-Präsident Friedrich Albert Spiecker Hennig als Hauptreferent ein66. Bei dieser Gelegenheit wiederholte Hennig seine Vorschläge und regte besonders eine verstärkte Unterstützung der Soldatenseelsorge an67. Die Vorschläge Hennigs entsprachen dem durch die Theologen und IM-Funktionäre Mahling und Seeberg vorgegebenen Kurs, die „zur Reorganisation einer auf umfassenden nationalen und religiösen Konsens abzielenden Volkskirche“68 aufriefen. Praktische Folge der Novemberkonferenz von 1914 war u. a. die Heranziehung von Diakonen und Missionszöglingen zur Soldatenseelsorge an der Front und in Soldatenheimen69. Hennig selbst pflegte die Evangelisation im Rahmen der 1908 von ihm im Rauhen Haus gegründeten Wichern-Vereinigung weiter, die seit 1914 mit Ludwig Weichert, einem Missionar der Berliner Missionsgesellschaft, den ersten hauptamtlichen Evangelisten einstellte: Neben der Gründung von Soldatenheimen an der Front und speziell für Soldaten veranstalteten Sittlichkeitsvorträgen gehörten auch Lichtbildvorträge zu diakonischen Arbeiten unter den deutschen Truppen in ihr Repertoire70. Neben der evangelistischen Dimension war es Ziel dieser Vorträge, „das Band zwischen Heimat und Heer fester zu knüpfen“71. Einen ähnlichen Zweck verfolgten auch die Kriegsflugblätter und sonstigen publizistischen Erzeugnisse der Wichern-Vereinigung, die in einer elementar gehaltenen Sprache die Synthese von Deutschtum und Christentum als Voraussetzung für einen deutschen Sieg und für eine glorreiche deutsche Zukunft erklärten72. Die evangelistische Arbeit der Wichern-Vereinigung passte in den Rahmen der Aktivitäten der verschiedenen Verbände der Inneren Mission. Es ging um die Unterstützung der deutschen Kriegsanstrengungen durch Arbeit an den Soldaten. Dazu gehörte nicht allein die Pflege der Verwundeten, sondern auch die geistige und materielle Unterstützung, etwa durch die Schaffung von
65 66 67 68 69 70
Herrmann, Inneren Mission, 454. Vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 25 f. Vgl. Hennig, Innere Mission, 453 f. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 27. Vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 208. Eine nähere Beschreibung der Arbeit der Wichern-Vereinigung kann hier entfallen, es sei auf Volker Herrmanns grundlegenden Artikel verwiesen; vgl. Herrmann, Inneren Mission, 450–455. 71 Bericht der Wichern-Vereinigung im Protokoll der Sitzung des CA vom 11. 4. 1916 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1916, 18). Laut dieses Berichtes waren bis 1916 mehr als 70 derartige Heimatvorträge durchgeführt worden; vgl. ebd. 72 Vgl. Herrmann, Inneren Mission, 452 f.
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Soldatenheimen zur Entspannung in der Etappe73. Eine besondere Aufmerksamkeit wurde dabei der Literaturversorgung der Soldaten gewidmet. So rüstete der „Ausschuss für fahrbare Kriegsbüchereien“ ab 1916 nach eigenen Angaben innerhalb eines Jahres 250 Bücherwagen mit einer Erstausstattung von jeweils 1000 Bänden aus74. Diese Arbeiten hatten aber keinen evangelistischen Fokus75. Die Arbeit des CA konzentrierte sich in den ersten Kriegsjahren daneben auf die Beeinflussung der öffentlichen Gesetzgebung in den Fragen des Alkoholkonsums und der Prostitution. Im Kampf gegen Geschlechtskrankheiten und Trunkenheit, die zugleich als Schwächung des Heeres wahrgenommen wurden, sah man den wesentlichen Beitrag zur Unterstützung des Krieges durch die Innere Mission76. Die Konzentration auf die öffentliche Sittlichkeit prägte auch die 1916 als „,Clearingstelle‘ des Verbandsprotestantismus“77 gegründete „Konferenz deutscher evangelischer Arbeitsorganisationen“. Dieser Konferenz schlossen sich außer den konfessionell lutherischen Organisationen und den Gemeinschaften fast alle evangelischen Verbände an78. So lag der Schwerpunkt der Arbeit der Inneren Mission zu Kriegsbeginn auf traditionellen Methoden wie der Schriftenmission, Bibliotheksarbeit, Soldatenbetreuung sowie politischer Einflussnahme zur Bekämpfung von unerwünschten Verhaltensweisen und nicht so sehr auf Evangelisation oder Apologetik. Hennigs Vorschlag von 1914 zeigt jedoch, dass die Idee, im Rahmen der Inneren Mission die Evangelisationstätigkeit aufzunehmen, in der Luft lag. Da Hennig auch 1916 an der Diskussion um die Aufnahme der Volksmission im Central-Ausschuss beteiligt war, ist wohl Volker Herrmanns Deutung zuzustimmen, wenn er die Entwicklung der Wichern-Vereinigung ab 1914 als Endpunkt eines Prozesses bezeichnet, der „zur Verselbständigung der missionarisch-verkündigenden Dimension der ,Inneren Mission‘ und zur Entstehung des neuen Arbeitszweigs der ,Volksmission‘ führt.“79. Zunächst aber fanden bis Mitte 1916 im CA keine weiteren Diskussionen um die Evangelisation statt.
73 Vgl. allgemein zu dieser Unterstützung an der Front Scheffen, Liebesarbeit. 74 Vgl. ebd., 91 f.; zu den fahrbaren Kriegsbüchereien vgl. Schrçdel, Bildungskanonen. Der Autor dankt Christian Schrödel für zahlreiche Hinweise zur Literaturversorgung der Soldaten im Ersten Weltkrieg. 75 Ein erster Modellkatalog der fahrbaren Kriegsbüchereien hatte beispielsweise 937 Titel, davon lediglich 40 theologischer Natur; vgl. Ebd, 57. 76 Vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 210–212. 77 Kaiser, Sozialer Protestantismus, 36. 78 Vgl. ebd., 40–47; zu den Themen der Verhandlungen vgl. ebd., 43 f. 79 Herrmann, Inneren Mission, 439.
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6.3 Gerhard Hilberts Vortrag „Die besonderen Aufgaben der Inneren Mission bei der allgemeinen Volksmission der Kirche“ auf der Novemberkonferenz 1916 Gerhard Füllkrug trat seine Stelle als Vereinsgeistlicher des Central-Ausschusses zum 1. Mai 1916 an80. Ebenfalls 1916 erschien Hilberts im ersten Teil analysierter Aufruf zur Volksmission als Aufsatz in der Neuen Kirchenzeitung. Hilberts Beitrag zur Diskussion erregte immerhin so viel Aufsehen, dass bereits auf einer Sitzung des Central-Ausschusses im Juni für die nächste Novemberkonferenz das Thema „Die Aufgaben der Volksmission nach dem Kriege“ vorgeschlagen wurde81. Folgerichtig war Hilbert bei der Novemberkonferenz 1916 mit seinem Referat „Die besonderen Aufgaben der Inneren Mission bei der allgemeinen Volksmission der Kirche“ der Hauptreferent82. Hilberts Vortrag auf der Konferenz am 14. November 1916 bezog sich wesentlich auf das bereits in seiner Schrift „Kirchliche Volksmission“ dargelegte Programm, das bereits im ersten Teil dieser Arbeit analysiert wurde83. Im Verhältnis zu seiner ersten Broschüre war die Darstellung knapper und daher im Ton drängender geworden. Daneben betonte Hilbert stärker das Vorbild Wicherns84. Hilbert begründete die Notwendigkeit der Volksmission von der Ekklesiologie her. Die zugrunde liegende These lautete: „Die religiös-sittlichen Zustände der deutschen Landeskirchen gleichen in der Gegenwart denen auf den Missionsfeldern und werden ihnen in Zukunft gleichen, wie sie ihnen von Anfang an immer geglichen haben.“85 Er betonte stärker als einige Monate zuvor, dass es auch in Zeiten der intakten Kirchlichkeit kein wahrhaft christliches Volk gegeben habe: „Eine ,wirkliche Volkskirche‘ hat es nie in Deutschland gegeben; immer haben eigentlich dieselben Zustände geherrscht, wie wir sie auf den Missionsfeldern antreffen – nur daß man dafür blind war.“86 Daher ließ sich seine Beschreibung der Gegenwart auch nur eingeschränkt als Variante der Säkularisierungsthese lesen:
80 Vgl. Berufungsschreiben CA-Präsident Friedrich Albert Spiecker an Füllkrug vom 26. 2. 1916 (ADE Berlin, CA P, II-58). 81 Vgl. Protokoll Sitzung CA vom 22. 6. 1916 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1916, 18). Aus dem Protokoll ist nicht ersichtlich, von wem dieser Vorschlag kam, daher ist Erich Beyreuthers These, dass der Anstoß zur Einladung von Gerhard Füllkrug ausging, m. E. nicht eindeutig zu belegen; vgl. Beyreuther, Kirche, 213. 82 Vgl. Protokoll Sitzung CA vom 11. 9. 1916 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1916, 27). 83 Vgl. oben 35–63. Der Vortrag auf der Novemberkonferenz 1916 erschien im folgenden Jahr als Broschüre; vgl. Hilbert, Volksmission. 84 Vgl. Textzitate Wicherns, ebd., 5, 7, 9, 11 u. ö. 85 Ebd., 23. 86 Ebd., 4.
Gerhard Hilberts Vortrag auf der Novemberkonferenz 1916
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„Daß die Entkirchlichung der Massen vorwärtsgeschritten ist, läßt sich nicht bezweifeln, wohl aber, daß die Entchristlichung zugenommen hat im deutschen Volk. Viel kirchliche Sitte ist hingefallen, kaum aber lebendiges Glaubensleben.“87
Hilbert explizierte damit Gedanken, die bereits in seiner ersten Schrift vorhanden waren, wie seine Ablehnung der Idee eines unbewussten Christentums. Die Ablehnung der Möglichkeit einer Rechristianisierung der Massen fand sich zwar bereits in seiner ersten Schrift, sie wurde in den gedrängten Ausführungen vor der Novemberkonferenz aber deutlicher und radikaler. Daher lesen sich die Voraussetzungen für eine Volksmission bei Hilbert teilweise als Antithese zu Hennigs Evangelisationsaufruf am Beginn des Krieges, da Hilbert die Zielvision eines christlichen Volkes nicht teilte. Auch für die Zukunft sah Hilbert allein die Existenz einer bewusst christlichen Minderheit innerhalb der Volkskirche als gegeben an: „Meiner Überzeugung nach wird es auch immer dabei bleiben, daß wir in Deutschland Missionsverhältnisse haben.“88 Selbst eine Rückkehr zu einer einheitlich christlichen Weltanschauung zu erwarten, sei nicht realistisch89. Im Anschluss an diese Einführung konzentrierte sich Hilbert auf die Rolle der Inneren Mission in seinem Konzept der Volksmission. Dabei war er weit ausführlicher als in seiner Programmschrift „Kirchliche Volksmission“. Allerdings betonte er auch vor der Inneren Mission, dass er die Volksmission primär als Aufgabe der landeskirchlich verfassten Amtskirche verstand90. Zudem kritisierte er an der Arbeit der Inneren Mission einen angeblichen Verlust der missionarischen Dimension: „[…] die evangelisatorische Seite der Inneren Mission ist im großen und ganzen verschlungen worden von der diakonischen.“91 Trotzdem sah Hilbert, wie er bereits in der „Kirchlichen Volksmission“ ausgeführt hatte, in der Inneren Mission einen wichtigen Akteur der von ihm anvisierten „konzertierten Aktion“92 aller Akteure in der kirchlichen Volksmission. Dabei beschrieb er ihren Doppelcharakter als kirchlich anerkannte Organisation und zugleich freien Verein als Stärke, da sie einerseits frei agieren könne, andererseits das Vertrauen der Gemeinden und der Amtskirche genieße93. Hilberts Vorstellungen nach sollten die Landes- und Provinzialvereine der Inneren Mission im Auftrag des jeweiligen Kirchenregiments die Gesamtkoordination übernehmen: „[…] sie [die Innere Mission, H. B.] hat Mittel und Personen darzubieten wie auch den umfassenden Plan zu entwerfen und durchzuführen“94. Die Innere Mission sollte also die flächende87 88 89 90 91 92 93 94
Ebd., 5. Ebd., 4. Ebd. Ebd., 23. Ebd., 10. Diese Charakterisierung benutzt auch Volker Herrmann vgl. Herrmann, Gerhardt, 281. Hilbert, Volksmission, 14 f. Ebd., 15.
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ckende Organisation übernehmen95. Wie bereits in der „Kirchlichen Volksmission“ beschrieb Hilbert diese Funktion mit einer militärischen Metaphorik als Hauptquartier im Kampf gegen die Gottlosigkeit96. Daneben gab Hilbert verschiedene konkrete Anregungen zu möglicherweise auszubauenden Arbeitsfeldern. So schlug er vor, dass zur Beobachtung religiöser Entwicklungen in Deutschland eine deutschlandweite Stelle eingerichtet werden müsse, wie es in den 1920er-Jahren durch die Einrichtung der Apologetischen Centrale tatsächlich geschah97. Als weitere Aufgabe der Inneren Mission nannte Hilbert die Gewinnung und Schulung von Evangelisten und Apologeten, ob nun Geistlichen oder Laien98. An diesen Vorschlägen wird deutlich, dass Hilbert die Hauptaufgabe der Inneren Mission in der Evangelisation und der Apologetik sah. Wenn man Hilberts volksmissionarisches Programm betrachtet, treten zu den evangelistischen und apologetischen Vorträgen noch die Aufgaben der „Nacharbeit“ durch Bibelstunden und Seelsorge, die man anachronistisch als Gemeindeaufbau bezeichnen kann. Hilbert sah hier zunächst die Einzelgemeinde angesprochen. Die Innere Mission sollte sich der Gemeinschaftspflege nur soweit annehmen wie es notwendig sei, „helfend einzuspringen, weil die Organe der Kirche in die neuen Aufgaben [des Gemeindeaufbaus, H. B.] erst hineinwachsen müssen.“99 Als essenzielle Aufgabe der Inneren Mission betrachtete Hilbert dagegen die Regelung der Ausbildung von Gemeindehelfern, welche dem Pfarrer in der Arbeit zur Hand gehen müssten, um innerhalb der Gemeinde die Arbeit an den verschiedenen Gruppen leisten zu können. Diese Kräfte sollten in den Brüderhäusern und diakonischen Anstalten ausgebildet werden100. Insgesamt war der Vortrag Hilberts auf der Novemberkonferenz also eine Anwendung des Programms der kirchlichen Volksmission auf die Organisation der Inneren Mission. Hilbert erinnerte daher immer wieder an die Notwendigkeit des gemeinsamen Vorgehens aller Beteiligten, vom Kirchenregiment über die Innere Mission bis hin zur Einzelgemeinde101. In seiner
95 These 6 c (ebd., 24); vgl. auch die Analyse von Hilberts volksmissionarischem Programm unten, v. a. 50. 96 Ebd., 20 f. 97 „Die kirchliche Volksmission braucht eine Zentralstelle, in der dafür begabte Persönlichkeiten mit ihrer ganzen Kraft der Kirche die Waffen schmieden für den Geisteskampf, der ihr befohlen ist“ (ebd., 16 f.). 98 Für die Pastoren schlug er vor, die Generalsuperintendenten um Vorschläge zu bitten; vgl. ebd., 17 f. 99 Ebd., 22. Als Ausnahme, wo die Innere Mission direkt tätig werden müsse, nannte er Vereinigungen von Christen verschiedener Berufe, die durch ihre Arbeit nur schwer am regulären Gemeindeleben teilnehmen könnten, wie z. B. Kellner, Bäcker und Eisenbahner; vgl. ebd., 21. 100 Ebd., 22. Zur Diskussion um den clerus minor in der Entwicklung des Berufsbilds des Diakons vgl. H usler, Dienst, 142 f. 101 Hilbert, Volksmission, 21.
Gerhard Hilberts Vortrag auf der Novemberkonferenz 1916
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Konzeption hatte die Innere Mission als „Missionsorganisation der Kirche“102 eine essenzielle Aufgabe, vor allem in der Organisation und in der Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur, während er die Gemeinschaftspflege weitgehend den Einzelgemeinden zuwies. Deutlicher und expliziter als in der kirchlichen Volksmission grenzte sich Hilbert in seiner ekklesiologischen Grundlegung von den Vorstellungen eines christlichen Volkes ab; hier ist eine Desillusionierung vom „Geist von 1914“ erkennbar, die besonders im Vergleich zu den Beiträgen Hennigs Ende 1914 deutlich wird. Daher betonte Hilbert am Ende seines Vortrages noch einmal die Notwendigkeit eines Wandels im Kirchenverständnis, der mit der Aufnahme der Volksmission zu verbinden sei: „Die Kirche Christi ist und bleibt in diesem Äon ihrem Wesen nach Missionskirche. Weil die Kirche dies vergessen hat, weil sie, statt fortgesetzt zu erobern, mit bloßem Pflegen auszukommen meint, darum ist sie immer mehr in die Ecke gedrückt worden als bloß geduldet. Daher hängt die Zukunft der Kirche davon ab, daß sie sich als Missionskirche begreift und zusammenfaßt, daß sie das Werk der Volksmission beginnt und bleibend ausbaut.“103
In der Aussprache während der Novemberkonferenz wurden Hilberts Thesen kontrovers diskutiert. Kritik richtete sich aber nicht so sehr gegen die Forderung nach einer Verstärkung der Evangelisation, sondern gegen die Diagnose Hilberts, dass Deutschland ein neuheidnisches Gebiet geworden sei. Hennigs Kritik an dieser Diagnose wurde von vielen Rednern geteilt: „Wir leben doch unter einem christlichen Volk und das Landeskirchentum erzeuge unbewußtes Christentum mehr als wir denken.“104 Zugleich kritisierte Hennig, dass Hilbert die Evangelisation zu stark von der karitativen Dimension unterschieden habe105. Grundsätzlich aber betonte Hennig, wie bereits 1916, die Notwendigkeit einer verstärkten Wortverkündigung mit evangelistischer Dimension und ihre Verortung im Rahmen der Inneren Mission. Dabei stellte er die Notwendigkeit einer deutschlandweiten Koordination heraus: „Die ganze Evangelisierung müsse von einer Stelle ausgehen, die vielleicht der CA. sein könne. Diese Stelle müsse kirchliches Ansehen haben, damit die Pfarrer ihren Abgesandten freudig aufnehmen. Die Wichernvereinigung habe diesen Dienst leisten wollen, aber es fehle ihr an kirchlicher Legitimation. Provinziell könne die Arbeit nicht getan werden; wir brauchen Männer für das Land- und Stadtvolk.“106 Ebd., 23 u. ö. Ebd., 22 f.; für zeitgenössische Parallelen vgl. oben 36 Anm. 10. Protokoll Novemberkonferenz vom 14. / 15. 11. 1916 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1916, 43). „Jede Arbeit der Kirche müsse evangelisierend wirken. Der leibliche Dienst, den die Innere Mission leistet müsse diakonisch sein, stelle aber stets zugleich eine Verkündigung an die betreffenden Personen dar“ (ebd.). 106 Ebd.
102 103 104 105
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Die Anfänge der Volksmission im Central-Ausschuss 1914–1918
Die Vertreter des Kirchenregiments im Central-Ausschuss äußerten sich ambivalent, wie beispielhaft am schleswig-holsteinischen Generalsuperintendenten Theodor Kaftan deutlich wird. Er begrüßte eine von der Inneren Mission ausgehende Evangelisation und stellte die Mitarbeit der schleswigholsteinischen Landeskirche in Aussicht107. Dabei kritisierte er allerdings, dass Hilbert den christlichen Charakter des deutschen Volkes und zudem die Möglichkeiten der Pastoren unterschätze: „Sie evangelisieren bei jeder Amtshandlung, ohne großes Geschrei auf der Gasse zu machen. Auch an Kranken- und Sterbebetten erfahre man, daß viele [Laien, H. B] mehr haben, als sie sagen können.“108 Neben der Frage nach der Richtigkeit von Hilberts Diagnose waren mehrere kritische Stimmen zur Frage der Organisation zu hören. Pfarrer Hermann Büchsel aus Schwecheln, der spätere Leiter der Neinstedter Anstalten, monierte, dass die Innere Mission durch die feste Einbindung in eine generalstabsmäßig organisierte Volksmission ihre Freiheit verlöre109. Hier wurde deutlich, dass bei aller Verbundenheit zwischen Vereinsprotestantismus und Amtskirche die Innere Mission auf ihre eigene Freiheit beharrte. Ähnliche Vorbehalte hatte auch CA-Präsident Spiecker: „Er [Spiecker, H. B.] würde sich einer strafferen Organisation widersetzen, da die Lebensbedingung der Inneren Mission die Freiheit sei.“110 Die Rezeption des Vortrages war also zunächst verhalten. Anders als Füllkrug in seinen Erinnerungen111 behauptete, lag dies aber nicht daran, dass die Hörer Hilberts Aufsatz „Kirchliche Volksmission“ nicht gelesen und damit den Vortrag nicht verstanden hätten. Vielmehr richtete sich die Ablehnung gegen Kernthesen des Programms: Die Ekklesiologie Hilberts mit ihrer Ablehnung der Möglichkeit einer Bekehrung des gesamten Volkes löste starken Widerspruch aus. Hier waren die Einschätzungen der Möglichkeiten der Volkskirche noch optimistischer als Hilbert sie sah. Ebenso stark war die Skepsis, durch eine stärkere Einbindung in amtskirchliche Strukturen auch die institutionelle Unabhängigkeit der Inneren Mission aufs Spiel zu setzen. Deutlich war allerdings, dass trotz dieser Kritik die Einschätzung der religiösen Entwicklung nüchterner war als 1914. Die Einschätzung, dass nach dem Krieg die Auseinandersetzungen mit Freidenkern und Kirchenaustrittsbewegungen weitergehen würden, vertrat beispielsweise der „Posaunengeneral“ Johannes Kuhlo. Er betonte in der Diskussion zu einem weiteren Vortrag auf der Novemberkonferenz 1916, „daß in den Schützengräben eine 107 Wie Kaftan auf der nächsten Sitzung des CA monierte, hatte der Protokollant der Novemberkonferenz 1916 vergessen, neben seiner im Folgenden dargestellten Kritik diese grundsätzliche Zustimmung zu vermerken; vgl. Nachtrag Protokoll Kaftan auf der Sitzung des CA vom 10. 1. 1917 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1917, 2). 108 ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1916, 44. 109 Ebd. 110 Ebd. 111 F llkrug, Enge, Kapitel 10, 2.
Gerhard Hilberts Vortrag auf der Novemberkonferenz 1916
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antichristliche Propaganda am Werke sei, die Material gegen Pastoren und Anstalten sammle, um es nach dem Frieden zu veröffentlichen.“112 Die Hoffnungen von 1914 waren einer nüchterneren Einstellung gewichen, und trotz aller Anfragen an Hilbert bestand eine Offenheit für eine stärker missionarisch ausgerichtete Arbeit. Dies trifft auch die Einschätzung Boris Barths zum Wandel der Kriegsdeutung im Laufe des Jahres 1916: „An die Stelle der überschwänglichen Stimmung des ersten Kriegsjahres traten düsterere Töne.“113 An der Einladung an Hilbert wurde also deutlich, dass 1916 wieder ein verstärktes Interesse an der Einbeziehung von Wortverkündigung in den Aufgabenbereich der Inneren Mission bestand. Den gleichen Eindruck vermittelt die verstärkte Konzentration des Central-Ausschusses auf die Abhaltung von apologetischen Lehrgängen für Militärseelsorger und eingezogene Theologen. Die Idee dieser Kriegslehrgänge wurde auf der Sitzung des CentralAusschusses im September 1916 formell beschlossen, in der auch die Einladung Hilberts offiziell verkündet wurde114. Während der Novemberkonferenz 1916 stellte der Tätigkeitsbericht der Inneren Mission die geplanten Kriegslehrgänge explizit in den Dienst der deutschen Nation: „Der C-A hofft durch diese neue Arbeit dem Vaterlande und der evangelischen Kirche einen wichtigen Dienst leisten zu können.“115 Nach einem ersten Lehrgang in Berlin fanden im Winter 1916 zwei Lehrgänge für Militärseelsorger in Warschau und Wilna unter der Leitung Seebergs und der Beteiligung mehrerer Professoren statt116. Am folgenreichsten waren die in Warschau und Wilna gehaltenen Vorträge des Kirchenhistorikers Karl Holl über die Wirkung der Befreiungskriege und des Dreißigjährigen Krieges auf die deutsche Frömmigkeitsgeschichte, in denen der Referent eine ähnliche Zeitdeutung wie Hilbert vertrat117. Besonders aus Gerhard Füllkrugs eigenem Vortrag über „Neue Wege zur Einwirkung auf die Frömmigkeit der Mannschaften“118 wird deutlich, dass hier auch Impulse wirksam wurden, die zum Ausbau einer eigenen Volksmissionsarbeit im Central-Ausschuss führten.
112 ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1916, 49. 113 Barth, Dolchstoßlegenden, 122; für die Verschärfung des Diskurses ab Sommer 1916 vgl. Bruendel, Volksgemeinschaft, 144–176; Retterath, Volk, 74–76. Siehe auch oben 36 Anm. 10. 114 Vgl. Protokoll Sitzung CA vom 11. 9. 1916 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1916, 26). 115 Vgl. Protokoll Novemberkonferenz vom 14. / 15. 11. 1916 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1916, 41). 116 Vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 209. 117 Darauf verweist u. a. Beyreuther, Kirche, 212. Trotz der nicht unwichtigen Rezeption von Holls Vortrag gibt es, soweit dem Autor bekannt, bisher keine eingehende Studie zu diesen Kriegslehrgängen. Weitere Kriegslehrgänge des CA fanden im Frühjahr 1917 in Brüssel, im Oktober 1917 in Berlin und im Februar und März 1918 in Lemberg, Warschau und Riga statt, die ebenfalls von Seeberg geleitet wurden; vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 210. 118 Vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 8, 2.
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Die Anfänge der Volksmission im Central-Ausschuss 1914–1918
6.4 Die Übernahme der Volksmission als Aufgabe des Central-Ausschusses in der Endphase des Ersten Weltkrieges Der Vortrag Hilberts auf der Novemberkonferenz 1916 zeigte, dass seine Konzeption für eine allgemeine kirchliche Volksmission zwar nicht unumstritten war, jedoch gerade auf der Leitungsebene des Central-Ausschusses Interesse weckte. Dieses Interesse wirkte sich in den beiden letzten Kriegsjahren des Ersten Weltkrieges darin aus, dass der Central-Ausschuss die Volksmission immer stärker als seine eigene Aufgabe wahrnahm und so der Grundstein für eine Abteilung für Volksmission gelegt wurde. Treibende Kraft war dabei Gerhard Füllkrug, wie bereits Erich Beyreuther feststellte: „Auf dieser Veranstaltung [der Novemberkonferenz 1916, H. B.] wurde Füllkrug gewonnen, der es sich nun zur Lebensaufgabe setzte, die ,Kirchliche Volksmission‘ in die weiten Kreise einzubürgern, zu denen er als geschäftsführender Direktor des Central-Ausschusses Zugang besaß.“119
Bereits auf der ersten Sitzung des CA nach der Novemberkonferenz im Januar 1917 wurde deutlich, dass die Innere Mission dazu tendierte, die Arbeit der Volksmission zu übernehmen. Seeberg, der seit 1904 die Veranstaltung von apologetischen Kursen im Auftrag des Central-Ausschusses120 maßgeblich mitgestaltet hatte, betonte die Notwendigkeit einer einheitlichen Organisation der Volksmission im Einvernehmen mit der Amtskirche und die Notwendigkeit der Propagierung innerhalb der Gemeinden, so „daß es jedem Pfarrer klar gemacht werden müsse, daß er selbst die Aufgabe habe, Apologetik und Evangelisation zu treiben.“121 Ähnliche Stellungnahmen finden sich in fast allen Sitzungsprotokollen des Central-Ausschusses aus der ersten Jahreshälfte des Jahres 1917. In dieser Zeit musste geklärt werden, welche Institution die Organisation der Volksmission übernehmen könnte. Für die Organisation apologetischer Vorträge war klar, dass entsprechende Vorarbeiten unter der Ägide der bereits bestehenden apologetischen Kommission des Central-Ausschusses erfolgen sollten122. Nicht geklärt war dagegen, ob die Evangelisation ebenfalls in Dahlem angesiedelt sein würde. Martin Hennig hatte bei der Novemberkonferenz 1916 angeboten, auf die evangelistische Arbeit der Wichern-Vereinigung zu verzichten, sofern der Central-Ausschuss die Koordination der Volksmission 119 120 121 122
Beyreuther, Kirche, 213 f. Vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 154 f. Protokoll Sitzung CA vom 10. 1. 1917 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1917, 5). Vgl. Vortrag Reinhold Seeberg, Vortragswesen, Evangelisation und Apologetik auf der Sitzung des Central-Ausschusses am 13. 2. 1917 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1917, 9 f.). Seeberg nahm hier auch Hilberts Gedanken zur Einrichtung einer apologetischen Zentralstelle innerhalb des Central-Ausschusses auf; vgl. ebd.
Die Übernahme der Volksmission als Aufgabe des Central-Ausschusses 189
übernehmen würde. In der Besprechung von Hilberts Vortrag auf der CASitzung im Januar 1917 betonte er dagegen, „daß sie [die Wichern-Vereinigung, H. B.] auch in Zukunft bereit und in der Lage sei, die Zentralisation [der evangelistischen Vorträge, H. B.] für Deutschland zu übernehmen.“123 Hennig betonte die Notwendigkeit einer im Rahmen der Inneren Mission zentral organisierten Stelle für Volksmission und skizzierte deren Aufgabe: „Es würde also eine Organisation zu schaffen sein, welche die provinzielle Arbeit der Generalsuperintendenten und ihre Ausschüsse in dieser Richtung ergänzt, ihren Dienst allenthalben anbietet, den Erfolg ihres Anbietens den provinziellen Ausschüssen bzw. den Herren Generalsuperintendenten mitteilt und dann in freier Weise nach Art der Inneren Mission , die kirchliche Aufgabe der Volksmission, so gut sie vermag, im Dienst der Kirche zu lösen versucht.“124
Im Unterschied zu Hilberts Konzept einer amtskirchlichen Volksmission sah Hennig als langjähriger Vereinsgeistlicher vor allem die Innere Mission mit einer solchen Koordinationsaufgabe betraut, die deutschlandweit zentral erfolgen müsse. Dabei dachte er neben der Koordination auch an die Vermittlung und Anstellung von eigenen Evangelisten. Das Programm der Volksmission wurde so stärker in den Rahmen der verbandsprotestantischen Strukturen eingebracht; alternativ sei eine Ansiedlung der Zentrale im Rahmen des CA oder ein Ausbau der Wichern-Vereinigung denkbar: „Für ersteres spricht die Möglichkeit der Gewinnung eines tüchtigen Geschäftsführers für den C.A., der speziell dieser Arbeit sich widmen möchte und die Möglichkeit einer Verbindung der Arbeit mit dem E. O.-K. Preußens, falls derselbe auf den Gedanken einzugehen bereit ist. Für das letztere spricht nur der Umstand, daß die Wichern-Vereinigung unter allen derartigen Korporationen Deutschlands die größte Arbeit geleistet hat und sich überall in dieser Richtung das beste Vertrauen erworben hat.“125
Hennig stellte damit die Verbindung mit dem Central-Ausschuss als möglich, aber nicht zwingend dar. Allerdings stellte er in Aussicht, für den Fall, dass der Central-Ausschuss die Volksmission in die eigene Ägide übernehmen würde, die evangelistische Tätigkeit der Wichern-Vereinigung einzustellen. Die Wichern-Vereinigung würde in diesem Falle die volksmissionarische Arbeit allein dann wieder aufnehmen, wenn der Central-Ausschuss sie nicht weiter betreiben würde126. Auf einer CA-Sitzung im April 1917 wurde entschieden, dass die Arbeit des CA in enger Zusammenarbeit mit der Wichern-Vereini-
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Protokoll Sitzung CA 10. 1. 1917 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1917), 4. Protokoll Sitzung CA 10. 4. 1917 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1917), 6. Ebd. Ebd.
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Die Anfänge der Volksmission im Central-Ausschuss 1914–1918
gung sowie dem Evangelischen Oberkirchenrat der Altpreußischen Landeskirche geschehen müsse127. Gleichzeitig fiel die Entscheidung, eine eigene Kommission für Volksmission einzurichten. Im Rahmen dieser Kommission sollte zuerst ein festangestellter Evangelist gefunden werden, der neben praktischer Evangelisation auch die Koordination der Volksmission in Angriff nehmen sollte. Außerdem sollte ein Stab von Evangelisten aus allen Landeskirchen gewonnen werden, die nebenamtlich für Evangelisationen bereitstanden und über den CA an andere Gemeinden vermittelt werden konnten128. Um die Kirchenbehörden einzubeziehen, gab es Ende April Kontakte zum Evangelischen Oberkirchenrat der altpreußischen Landeskirche. Man wollte diesen in die anvisierte Kommission für Volksmission einbeziehen. Allerdings äußerte Hofprediger Ernst von Dryander im Namen der Amtskirche Bedenken dagegen, dass die Kirchenvertreter in der Kommission überstimmt werden könnten129. Dennoch wurde im Mai 1917 eine paritätisch durch Mitglieder des Central-Ausschusses, der Wichern-Vereinigung und des Evangelischen Oberkirchenrates besetzte Kommission gewählt130. Damit war im Frühjahr 1917 die Entscheidung gefallen, durch den CentralAusschuss die Koordination der Volksmission und ihre Verbreitung und Förderung innerhalb der Inneren Mission in Angriff zu nehmen. Am 7. Juni 1917 traf sich diese „Kommission für Evangelisation“ zum ersten Mal131. Während die Zusammenarbeit mit anderen Vereinen funktionierte, zeigte das Fehlen Dryanders oder eines anderen Vertreters des EOK auf der Sitzung, dass die Zusammenarbeit mit den Kirchenbehörden nicht frei von Friktionen war132. Trotz der prinzipiellen Bereitschaft, in enger Abstimmung mit der Amtskirche zu arbeiten, wurde hier einmal mehr das Autonomiestreben der Inneren Mission deutlich. Um die Evangelisation in die normale Arbeit der Inneren Mission zu integrieren, musste vor allem die Implementierung in den Landes- und Provinzialvereinen sichergestellt werden. In Vorbereitung für die Novemberkonferenz 1917 versandte Füllkrug einen Fragebogen an die Landes- und Provinzialgeistlichen für Innere Mission, um einerseits den Stand der Evan127 Ebd., 6 f. 128 Vgl. Entwurf Schreiben CA an EOK, Frühjahr 1917 (ADE Berlin, CA / EvA 2, 11 a). 129 ADE Berlin, CA / EvA 2, 11 a); Verweis auf Verhandlungen mit dem Hofprediger Ernst v. Dryander im Schreiben Spiecker an Hennig 20. 4. 1917 (ebd., 10 a). 130 Vgl. Protokoll Sitzung CA vom 15. 5. 1917 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1917, 24). Der Kommission gehörten vonseiten des CA Max Braun, Werner Droß – ein ehemaliger Reiseprediger des CA – Gerhard Füllkrug, Martin Hennig, der Berliner Praktische Theologe Friedrich Mahling, CA-Präsident Friedrich Albert Spiecker an. Hinzu kamen Dryander und Hilbert. Einen Monat später wurde auch der Direktor der Berliner Mission in die Kommission kooptiert; vgl. Protokoll Sitzung CA vom 12. 6. 1917 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1917, 26). 131 Vgl. Protokoll der Sitzung der Kommission für Evangelisation vom 7. 6. 1917 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 314–318). 132 Ebd., 316.
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gelisation festzustellen und andererseits das Interesse an der geplanten volksmissionarischen Initiative zu erkunden133. Der Fragebogen umfasste zunächst detaillierte Fragen zur bisherigen evangelistischen Praxis in den einzelnen Landes- und Provinzialkirchen, um so einen Einblick in die Formen und Träger der Evangelisationen in Deutschland zu erhalten. Ferner fragte man nach dem Bestehen einer offiziellen Kommission für Evangelisation in den jeweiligen Kirchen. Neben diesen Erkundigungen zur evangelistischen Praxis traten Fragen auf, die für die Gestaltung der volksmissionarischen Kampagne relevant waren. So fragte die Kommission für Volksmission nach evangelistisch begabten Pfarrern und Laien in den Landeskirchen. Am Ende des Fragebogens stand die Frage, ob bereits für den Winter 1917/18 Evangelisationen gewünscht würden134. Das Begleitschreiben zu diesem Fragebogen betonte selbstsicher: „Die Frage der Notwendigkeit einer umfassenden Volksmission ist längst bejaht.“135 Die Antworten der Landes- und Provinzialvereine waren allerdings nicht eindeutig. Nur vier Landeskirchen baten direkt um die Vermittlung von Evangelisten. Mehrere weitere Vereinsgeistliche (z. B. Westfalen und Baden) gaben an, selbstständig die Organisation der Evangelisation in die Hand nehmen zu wollen136. Die meisten Landes- und Provinzialvereine waren dagegen nicht an einer direkt anschließenden Evangelisation interessiert137. Insgesamt zeigten die Reaktionen der leitenden Vereinsgeistlichen, dass die Landes- und Provinzialvereine die Frage einer evangelistischen Großoffensive noch nicht für ausdiskutiert hielten. Symptomatisch war die Reaktion der Inneren Mission aus Hannover: „Wir halten die Frage der Abhaltung von Evangelisationen im Lande Hannover vorderhand für so wenig geklärt, dass wir zunächst von der Abhaltung derselben absehen möchten“138. Der Skepsis vieler IM–Verbände entsprach auch der Eindruck, den die Antworten der Landes- und Provinzialvereine vom bisherigen Stand der Volksmission gaben139. Während fast alle Landeskirchen über Evangelisation von Gemeinschaften und von freien oder freikirchlichen Evangelisten berichteten, hielten von den zur Inneren Mission gehörenden Werken oft nur die 133 Die folgende Auswertung basiert auf den Antworten zu dieser Enquete und deren Auswertung durch den CA (vgl. ADE Berlin, CA / EvA 8). 134 Vgl. den Fragebogen der Enquete (ADE Berlin, CA / EvA 8). 135 Schreiben CA an die Vorstände der Provinzial- und Landesvereine für die Innere Mission vom 16. 10. 1917 (ADE Berlin, CA / EvA 8) 136 Vgl. Zusammenfassung Ergebnisse der Umfrage Evangelisation 1917 (ADE Berlin, CA / EvA 8). 137 So betonte Bayern, erst nach Kriegsende an die Organisation der Evangelisation gehen zu wollen; Westpreußen lehnte für den Winter ab, da Veranstaltungssäle und Kirchen wegen der kriegsbedingten Mangelwirtschaft nicht zu beheizen seien (ebd.). 138 Ebd. 139 Vgl. die Antworten der Landes- und Provinzialvereine in: ADE Berlin, CA / EvA 8. Die Auswertung kann hier nicht im Einzelnen vorgenommen werden, die Antworten liefern jedoch ein gutes Bild der Evangelisation in Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg.
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Stadtmissionen und die Jugendverbände Evangelisationen ab. Auf die Frage, ob es innerhalb der Landes- bzw. Provinzialkirche eine institutionalisierte Kommission für Evangelisation gebe, antworteten viele Verbände negativ140. Immerhin konnte aus den Antworten der Vereine und aus weiteren Erkundigungen des Central-Ausschusses eine mehr als hundert Namen umfassende Liste von evangelistisch begabten Predigern aus allen deutschen evangelischen Landes- und Provinzialkirchen erstellt werden141. Trotz der durchaus ernüchternden Ergebnisse dieser Umfrage sah Füllkrug das Mandat für eine Organisation als erteilt an. Auf einer Besprechung der Landes- und Provinzialvereine zur Volksmission, die am Vortag der Novemberkonferenz 1917 stattfand, ging es nicht mehr um die Diskussion der Evangelisation, sondern um konkrete Planungen. Auf der Konferenz wurde immerhin deutlich, dass auch mehrere Geschäftsführer von Landes- und Provinzialvereinen der geplanten Volksmission positiv gegenüberstanden und einen Meinungsumschwung in der Kirche wahrnahmen142. Letztlich wurde auf der Tagung beschlossen, einen zentralen Lehrgang mit dem bekannten Evangelisten Samuel Keller abzuhalten. Ferner wollte man durch den CentralAusschuss einen eigenen Evangelisten einstellen und in den Landes- und Provinzialverbänden Konferenzen für volksmissionarisch interessierte Pfarrer abhalten143. Auf der Novemberkonferenz 1917, ein Jahr nach dem Vortrag Hilberts über „Innere Mission und Volksmission“, konnte Füllkrug in seinem Arbeitsbericht die volksmissionarische Offensive des Central-Ausschusses offiziell ankündigen und in die Tradition des Wichernschen Programms stellen144. Am 18. Dezember 1917 wurde nach diesen Vorbereitungen im CA schließlich ein endgültiger Beschluss gefasst, die Volksmission in das Arbeitsprogramm aufzunehmen und Füllkrug mit dem Aufbau und Ausbau der Arbeit in Deutschland zu beauftragen: 140 Ein derartiges Gremium gab es nach den Antworten auf die Enquete in Schlesien, MindenRavensberg, Württemberg, Baden, Großherzogtum Hessen, Elsass, Braunschweig, HessenKassel, Pommern, Ostpreußen, Oldenburg, Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen. In Mecklenburg und in Rudolstadt war eine entsprechende Kommission gerade gebildet worden bzw. in Gründung. In Westfalen war eine Kommission gewählt worden, aber nie zusammengetreten. Große Landeskirchen wie Hannover, Bayern und Sachsen hatten bisher keine Kommission gebildet (ebd.). 141 Vgl. Verzeichnis der Pastoren und Laien, die die Gabe evangelistischer Rede haben. / Auf Grund der beantworteten Fragebogen betr. Volksmission und eines Verzeichnisses von Missionsinspektor Beyer (ADE Berlin, CA / EvA 8). 142 So der mecklenburgische IM-Geschäftsführer Wilhelm Studemund: „Es sei merkwürdig zu beachten, wie die Meinungen darüber sich geändert hätten. Professor Hilbert habe in diesem Jahr kaum mehr Widerspruch gefunden, während das vor einem Jahre in Rostock meistens der Fall gewesen sei“ (Protokoll Besprechung mit den Provinzialausschüssen für Innere Mission über Volksmission, Berlin am 12. 11. 1917 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 309–313, hier 310]). 143 Vgl. ebd. 144 Protokoll Novemberkonferenz vom 13. / 14. 11. 1917 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1917, 37–47, hier: 40).
Die Übernahme der Volksmission als Aufgabe des Central-Ausschusses 193 „Der C.-A. ist damit einverstanden, daß Volksmission im Sinne von Prof. Hilbert in das Arbeitsprogramm aufgenommen werde, und zwar als eine Arbeit im Dienst der Kirche und in freier Entwicklung nach der Maßgabe der vorhandenen geeigneten Kräfte und der Aufnahmewilligkeit der Gemeinden.“145
Die Idee der Volksmission hatte sich innerhalb der Inneren Mission damit durchgesetzt. Wie ist dieser Befund der zunächst zögerlichen und dann immer stärkeren Annahme der Volksmission im Rahmen der Inneren Mission zu erklären? Der Hintergrund dürfte in der innenpolitischen Krise des Jahres 1917 liegen: Im Juli verabschiedete der Reichstag mit der Mehrheit der späteren Weimarer Koalition aus Liberalen, Zentrum und Sozialdemokraten eine Resolution, in der er sich zu einem Verständigungsfrieden bekannte146. Diese Friedensresolution führte allerdings zu einer Radikalisierung der Konservativen: Sie sammelten sich im September 1917 in der Vaterlandspartei, die als Massenbewegung einen Frieden erzwingen wollte, der eine hegemoniale Stellung des Deutschen Reiches in Europa bedeutete. Deren radikales Programm wurde von maßgeblichen Kreisen im Protestantismus unterstützt und getragen147. Immer stärker wurde deutlich, dass der Krieg nicht die im Augusterlebnis von 1914 erhoffte Einheit gebracht hatte, sondern sich in den Kriegsjahren die sozialen Spannungen verstärkt hatten und nun den Durchhaltewillen bedrohten. Das war ein Katalysator für die positive Rezeption des Volksmissionsgedankens148. So äußerte sich Seeberg, der lautstärkste Vertreter einer mit Annexionen verbundenen Kriegszielpolitik im deutschen Protestantismus, im ersten Heft der „Inneren Mission im evangelischen Deutschland“ von 1918 zur Notwendigkeit von Evangelisation und Apologetik149. In einem Artikel über „Deutschlands Zukunft und die Innere Mission“150 beschrieb Seeberg die Aufgaben, die der Inneren Mission nach dem absehbaren Ende des Ersten Weltkrieges zukommen würden151. Auch er distanzierte sich von einer enthusiastischen Deutung des Augusterlebnisses: „Wir wähnten, der Weg führe einfach und gerade bergan zum Gipfel empor. Wir haben erkennen müssen, daß noch manche Tiefe zu durchschreiten sein wird, ehe wir dem Gipfel
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Ebd., 50. Vgl. Neitzel, Blut, 199 f. Vgl. zahlreiche Belege in Brakelmann, Protestantismus, 276–308. Vgl. die Bedeutung der Kriegszieldiskussion als Indikator für eine bildungsbürgerliche „Selbstdefinition in einer zerrissenen Gesellschaft“ (Barth, Dolchstoßlegenden, 135). 149 Boris Barth charakterisiert Seeberg als den „vielleicht exponierteste[n] akademische[n] theologische[n] Annexionist[en]“ (ebd., 162.). Zum Denken Seebergs vgl. auch Brakelmann, Kriegstheologie. 150 Seeberg, Deutschlands Zukunft. 151 „Wolle es Gott, daß bald Frieden kommt. Aber nicht minder soll jeder, der sein Vaterland liebt, Gott darum bitten, daß es ein Frieden wird, der unser Volk für die Zukunft sichert und der ihm die Möglichkeiten zum Wiederaufbau und zu gesundem Wachstum gewährt“ (ebd., 8).
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nahen.“152 Ähnlich wie Hilbert 1916 sah Seeberg jetzt durchaus negative Einflüsse des Krieges auf die deutsche Gesellschaft, die durch die Innere Mission behoben werden müssten153. Dabei maß er der volksmissionarischen Dimension eine hervorgehobene Rolle bei, betonte das Ineinander von Evangelisation und Apologetik und stellte beide in den Dienst der Wiederherstellung der Volksgemeinschaft: „Der Apologet wohnt an demselben Hausflur mit dem Evangelisten, und beider Fenster gehen auf dieselbe Straße, und beider Tätigkeit gilt dem Mann in der Arbeiterbluse und dem im Biberpelz. Aber der Evangelist hat den Widerstand des Willens wider das Evangelium, der Apologet den Widerspruch des Verstandes dawider [sic!] zu überwinden.“154
An der Beschwörung der Volksgemeinschaft wurde deutlich, dass Seeberg Volksmission mit einer nationalpolitischen Aufgabe verband, indem er die Bedeutung des Evangeliums für die Regeneration nach dem Ende des Krieges betonte: „Nur die Völker werden wirklich leben, die die Krankheiten dieser Zeit überwinden und von dem heilenden Hauch ewigen Lebens belebt werden.“155 Zudem sah Seeberg Evangelisation und Apologetik als geeignete Mittel, um die Innere Mission von einem reinen Wohlfahrtsunternehmen abzugrenzen156. Da Arbeitsniederlegungen Anfang 1918 die Erschöpfung des Durchhaltewillens manifestierten, hatte die Betonung der Volksgemeinschaft schließlich eine eminent politische Funktion157. Aus den veränderten Rahmenbedingungen resultierte ein institutioneller Schub, der sich allerdings zunächst v. a. in der theoretischen Vorbereitung und Propagierung des Volksmissionsgedankens äußerte. Bereits im Januar 1918 gab der Central-Ausschuss von Hilbert verfasste Richtlinien für volksmissionarische Veranstaltungen heraus158. Im Herbst 1918, kurz vor dem Ende des 152 Ebd., 2. Zu Beginn des Krieges hatte Seeberg noch die Möglichkeit betont, von der nationalen Begeisterung direkt zu einer Einheit des Volkes zu gelangen und die idealistische Begeisterung in eine religiöse Erweckung zu transformieren; vgl. Brakelmann, Kriegstheologie, 127. Allerdings hielt Seeberg auch zu diesem Zeitpunkt die Herstellung der Volksgemeinschaft und die Überwindung der sozialen Klassen keineswegs für einen zwangsläufigen Prozess: „Aber dieses Augustwunder ist für Seeberg nicht schon die Revision der realen Vorkriegsverhältnisse selbst“ (ebd., 107); zur Bedeutung des Volksgemeinschaftsgedankens im kirchlichen Diskurs vgl. jetzt Brunner, Volkskirche, 140 f. (3.1). 153 „Wenn die Hoffnungen von 1914/15 sich nicht erfüllen, so liegt das vor allem an der Dauer des Krieges. Die Wunden, die dadurch dem Volkskörper geschlagen sind, sind tiefer und furchtbarer, als daß man an eine baldige Heilung denken dürfte“ (Seeberg, Deutschlands Zukunft, 2). Konkret nannte er zunächst Abstumpfung gegenüber der christlichen Botschaft; vgl. ebd. 154 Ebd., 8. 155 Ebd., 9. 156 „So sehr nun aber die Innere Mission sich vor einer gewissen geistlichen Einseitigkeit in acht nehmen soll, so sehr verlöre sie ihr stärkstes Mittel aus der Hand, wenn sie die geistlichen Ziele und Kräfte bei ihrer Arbeit hintanstellen wollte“ (ebd., 7). 157 Vgl. Ullrich, Revolutionierung. 158 Vgl. Central-Ausschuss für die Innere Mission (Hrsg.), Richtlinien für die Arbeit der Volks-
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Ersten Weltkrieges, folgte ein Verzeichnis von volksmissionarischen Schriften, das durch den Evangelisten und späteren Vorsitzenden des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes Michaelis zusammengestellt worden war159. So sollte die Abhaltung von Evangelisationen grundlegend vorbereitet werden. Zu dieser Vorbereitung von Grundlagenliteratur trat die Vermittlung von Evangelisten an interessierte Gemeinden. Bereits im Januar 1918 kündigte die „Innere Mission im evangelischen Deutschland“ an, dass interessierte Gemeinden über die Landes- und Provinzialausschüsse für Innere Mission ein vom CA erstelltes Verzeichnis von Evangelisten beziehen könnten160. Zugleich begann die Innere Mission mit der Vermittlung von Evangelisten an interessierte Gemeinden161. Im Mai 1918 berichtete Füllkrug, dass seit Anfang Februar desselben Jahres an 38 Orten Vorträge im Namen des CA stattgefunden hätten162. Nach den Berichten Füllkrugs überstieg die Nachfrage nach Volksmission damit das Angebot163. Der Central-Ausschuss suchte immer neue potenzielle Evangelisten164. Eine weit größere Bedeutung maß Gerhard Füllkrug der Gewinnung der Pfarrer für die Idee der Volksmission bei165. Zu diesem Zweck nutzte er gezielt Auftritte auf Tagungen in ganz Deutschland, um „den Gedanken der Volksmission überall in den Kreisen der Inneren Mission und der Landeskirchen bekannt zu machen und lebendig zu erhalten“166. Aus den Tätigkeitsberichten Füllkrugs in den Sitzungen des Central-Ausschusses und aus der Verbandszeitschrift der Inneren Mission geht hervor, dass der Großteil seiner Tätigkeit für den Central-Ausschuss im Jahr 1918 in der Tat mit Vorträgen über die Volksmission auf Pfarrerkonventen und auf Tagungen der regionalen Vereine
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mission der Inneren Mission (Rçper / J llig, Macht, 357). Zur Verfasserschaft Hilberts vgl. Protokoll Sitzung des CA vom 8. 1. 1918 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1918, 2). Vgl. Central-Auschuss f r die Innere Mission, Volksmissionsschriften. Zur Autorschaft von Michaelis vgl. Protokoll Besprechung über Volksmission vom 31. 5. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 2, 151, 4). Die Schrift wurde auf der CA-Sitzung im Oktober 1918 vorgestellt; vgl. Protokoll Sitzung CA vom 8. 10. 1918 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1918, 21). Vgl. IMED 13 (1918), 19. Vgl. Protokoll Sitzung CA vom 8. 1. 1918 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1918, 2). „Es sind in dieser Zeit an 38 Orten und 129 Tagen 125 Evangelisationsvorträge, 45 Bibelstunden, 6 Predigten, 5 Fachvorträge in Pfarrkonferenzen und vor Berufsarbeitern gehalten worden“ (Protokoll Sitzung CA vom 14. 5. 1918, ebd., 8). Protokoll Sitzung CA vom 18. 10. 1918 (ebd., 21). So findet sich in den Akten des Central-Ausschusses ein offenbar kurz vor Kriegsende entstandenes Schreiben an Paul Althaus, in dem diesem ohne Erfolg angetragen wurde, sich als Volksmissionar zur Verfügung zu stellen (Schreiben Füllkrug an Althaus [Datum unleserlich, vermutlich September oder Oktober 1918] (ADE Berlin, CA / EvA 2, 225). Im Mai 1918 sagte Füllkrug: „Eine der wichtigsten Aufgaben der Volksmission wird zunächst die sein, die Pastoren selbst für die Arbeit willig zu machen, so daß sie bereit sind, Evangelisation in ihren Gemeinden abzuhalten und sich selbst für diese Arbeit zur Verfügung zu stellen“ (Protokoll Sitzung CA vom 14. 5. 1918 [ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1918, 9]). Ebd.
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für Innere Mission ausgefüllt war167. Neben solchen Vorträgen, die vor allem Werbung für die Volksmission machen sollten, beteiligte sich Füllkrug leitend an zahlreichen volksmissionarischen Lehrgängen der Landeskirchen168. Diese Aktivitäten zeigten, dass das Projekt Volksmission nunmehr aus dem Diskursstadium in das der praktischen Umsetzung gelangte. Allerdings zeigte der verhältnismäßig geringe Umfang der Vermittlung, dass die Bewegung noch in statu nascendi verharrte. Dies war auch den Funktionären bewusst; in seiner offiziellen Ankündigung der eigenen Volksmission im Januar 1918 hatte der CA betont, diese vor allem für die Zeit nach dem Kriegsende vorzubereiten169. Dabei ging auch Füllkrug noch bis kurz vor Kriegsende von einem Frieden mit territorialen Zugewinnen für Deutschland aus. Dies zeigte sich an der Ankündigung einer Evangelisation in Mitau (Jelgava) für März 1919, durch welche die Planung einer deutschen Zukunft für die baltischen Provinzen unterstützt wurde170. Ein Schreiben des Wuppertaler Pfarrers und späteren BK-Funktionärs Paul Humburg zeigte, dass sich mit der Idee einer volksmissionarischen Offensive auch Hoffnungen auf eine Wende des Krieges verbanden. Humburg, der zu dieser Zeit Soldatenheime an der Ostfront betreute, forderte den CA Ende August 1918 auf, für eine stärkere Evangeliumsverkündigung an die in einer kritischen Situation befindlichen Truppen im Westen zu sorgen: „Gewiss wollen wir nicht das Evangelium zu einem Mittel herabwürdigen, die Schlagfertigkeit unseres Heeres zu heben, aber sicher lässt Gott sich von dem Volk finden, das ihn sucht und hilft ihm aus.“171 So 167 Am 14. Mai berichtete Füllkrug im CA über Vorträge, die er in Corbach (Waldeck), Rudolstadt, Augsburg und Magdeburg gehalten hatte; vgl. Protokoll Sitzung CA vom 14. 5. 1918 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1918, 8); vgl. auch IMED 13 (1918), 150. In Dresden fand eine sächsische IM-Tagung statt, auf der Hilbert referierte und Oberhofprediger Franz Dibelius eine allgemeine Evangelisation in Sachsen ankündigte. Außerdem hielt Füllkrug Vorträge in Stettin und bei einem Missionsfest des Rauhen Hauses; vgl. Protokoll Sitzung CA vom 11. 6. 1918 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1918, 11). 168 Der erste Lehrgang fand bereits im Frühjahr 1918 in der diakonischen Anstalt Hephata in Treysa statt; vgl. IMED 13 (1918), 148 f.; außerdem fanden im Herbst 1918 Kurse in Rudolstadt (1.–3. 9. 1918), Arnstadt (16.–18. 10. 1918), Essen (21.–25. 10. 1918) und Braunschweig (4.–6. 11. 1918) statt. Füllkrug war bei fast allen Kursen Referent. Allein bei dem Kurs in Essen, der von der westfälischen und der rheinischen Provinzialkirche veranstaltet wurde, nahm er lediglich teil; vgl. Protokoll Sitzung CA vom 8. 10. 1918 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1918, 20). Ein Tagungsbericht der Kurse im Herbst 1918 findet sich in IMED 14 (1919), 29–31. 169 „Er [der CA, H. B.] hat es für eine Pflicht erkannt, in dieser schweren Zeit des ausgehenden Krieges, des kommenden Waffenstillstandes und des Übergangs vom Krieg zum Frieden die Arbeit der Volksmission in die Hand zu nehmen“ (IMED 13 (1918), 19). 170 Vgl. Schreiben Füllkrug an Paul Wachtsmuth, undatiert (vermutlich September oder Oktober 1918; ADE Berlin, CA / EvA 2, 183). Paul Wachtsmuth, der Vorsteher des Mitauer Diakonissenhauses, wurde Ende März 1919 von lettischen Kommunisten auf einem Todesmarsch aus Mitau (Jelgava) nach Riga verschleppt und dort erschossen; vgl. Hermle, Wachtsmuth. Allgemein zur Geschichte der baltischen Provinzen vgl. Rauch, Geschichte, 43–49. 171 Schreiben Paul Humburg (Minsk) an CA am 28. 8. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 2, 178). In seiner Antwort ging Füllkrug auf dieses Ansinnen positiv ein; vgl. Schreiben Füllkrug an Humburg vom 5. 9. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 2, 179).
Die Übernahme der Volksmission als Aufgabe des Central-Ausschusses 197
kamen der schnelle Zusammenbruch und die Revolution überraschend. Füllkrug berichtete in seinen Memoiren über einen Anfang November 1918 abgehaltenen Volksmissionskurs in Braunschweig, den er im Rückblick als geistliche Auseinandersetzung beschrieb: „Die Spannungen waren auf‘s Höchste gestiegen, aber wir konnten in Ruhe unsere Arbeit durchführen. Am Abend des letzten Tages sollte in einem größeren Gemeindesaal Pastor B. einen Evangelisationsvortrag halten. Da hatten die Roten angedroht, die Versammlung zu stören und Handgranaten zu werfen, falls Pastor B. sprechen würde. Ich trat für ihn ein und konnte vor Fülle kaum in den Saal hineinkommen. Ich hielt meinen Vortrag, und wir konnten in aller Ruhe die Versammlung schließen. Die Menschen standen wie die Mauer, und ihre Gebete umgaben den Redner ebenfalls wie eine Mauer.“172
Die Situation in Braunschweig beleuchtete schlaglichtartig das Selbstverständnis der Volksmissionare und ihr Verhältnis zu dem revolutionären Umbruch von 1918. Der Bericht über die Opposition der Arbeiterbewegung zur kirchlichen Evangelisation zeigte, dass Evangelisation im Rahmen der Novemberrevolution für die Protestierenden das Odium der Konterrevolution trug. Noch deutlicher aber wurde, dass sich das Selbstverständnis von Volksmission gegen die Revolution richtete173. Der gesamte Diskurs über Volksmission während des Ersten Weltkrieges hatte unter der Prämisse stattgefunden, dass der Krieg bei allen problematischen Folgen letztlich mit einem deutschen Sieg enden würde. Nun mussten die Befürworter der Volksmission auch die Folgen der Niederlage verarbeiten und standen außerdem in Opposition zum neuen Regime. Die Niederlage wirkte unmittelbar lähmend auf die beginnende volksmissionarische Arbeit der Inneren Mission: Alle bereits organisierten Volksmissionskurse und die für November 1918 geplanten Fachkonferenzen für Evangelisten und Apologeten wurden zunächst abgesagt174. Wie die Zukunft allerdings zeigen sollte, war die Frage der Trennung von Kirche und Staat ein wesentlicher Impuls zum weiteren Ausbau der Volksmission175. Zugleich zeigte die Entstehung des „Handbuchs der Volksmission“, dass die Vorar172 F llkrug, Enge, Kapitel 10, 4. 173 Ähnlich bereits der Bericht über die Volksmissionskurse vom Spätsommer und Herbst 1918 in der Verbandszeitschrift der Inneren Mission Anfang 1919. Der Bericht über den Volksmissionskurs in Essen verband den Hinweis auf die politischen Ereignisse mit einer religiösen Qualifizierung als Apostasie: „Aber ein starker Glaube an die Zukunft unseres Volkes trotz allen Massenabfalls, an die Gnade Gottes mit ihm, trotz aller Verschmähung des Wortes Gottes und an die Verheißung, die auf jeder treuen und gläubigen Wortverkündigung ruht, bewegte und verband die Herzen“ (IMED 14 (1919), 30). 174 Vgl. IMED 14 (1919), 31. Zu den Planungen für November 1918 vgl. Protokoll Sitzung CA vom 9. 7. 1918 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1918, 17.) 175 Bereits am 8. Oktober, noch vor dem Zusammenbruch, thematisierte der CA die mögliche Trennung von Kirche und Staat; vgl. Protokoll Sitzung CA vom 8. 10. 1918 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1918, 20).
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beiten der Kriegszeit eine wichtige Grundlage für die weitere Entwicklung bildeten176.
176 Vgl. die Analyse des „Handbuchs der Volksmission“ oben 64–95.
7. Volksmission in der Weimarer Republik am Beispiel der Abteilung für (evangelistische) Volksmission im Central-Ausschuss 1918–1933 7.1 Volksmission zu Beginn der Weimarer Republik (1918–1925) 7.1.1 Die „Kommission für volkstümliche Verkündigung des Evangeliums in Wort und Schrift“ im „Volkskirchendienst 1918“ als Teil der Volkskirchenbewegung (1918–1919) In der Situation des Novembers 1918, als sich die Frage nach der Zukunft von Kirche und Staat durch die Kriegsniederlage und den Systemumbruch radikal stellte, gab es verschiedene Initiativen, um das Kirchenvolk zu sammeln. Dies sollte geschehen, um einerseits dem besonders mit dem Namen des preußischen Kultusministers Hoffmann verbundenen Programm eines konsequenten Abbaus der staatlichen Alimentierung des Kirchenwesens und einer radikalen Entkirchlichung der Schule zu begegnen und um andererseits durch eine Mobilisierung des Kirchenvolkes einen Umbau der staatskirchlichen Verfassung und die Bildung einer „echten“ Volkskirche zu erreichen1. Bekannt ist der Aufruf Martin Rades, in Analogie zu den Arbeiter- und Soldatenräten der Novemberrevolution „Volkskirchenräte“ zu bilden2. Eine größere Wirksamkeit erreichte die Initiative des Göttinger Theologen Arthur Titius zur Schaffung von Volkskirchenbünden3. Anders als Rade sah Titius, dessen Bünden sich bereits Mitte 1919 drei Millionen Protestanten angeschlossen hatten, die Notwendigkeit eher in der Sammlung und Aktivierung der Kerngemeinde als in einer gänzlich neuen Struktur der Kirche4. Als erste dieser Volkskirchenbewegungen wurde aber bereits Mitte November 1918 unter der Leitung des Berliner Staatsrechtlers und engagierten Laienprotes-
1 Für eine Typologie der Initiativen vgl. Jacke, Kirche, 54–58. Eine gute Analyse der Organisationen und Diskurse gibt jetzt Brunner, Volkskirche, 45–55, 66–82 (2.3.1 und 2.5.1). 2 Zur Volkskirchenbewegung vgl. aus einer zeitgenössischen, an den Kirchenleitungen orientierten Perspektive Dibelius, Volkskirchenräte. Der Aufruf Rades, publiziert in der Christlichen Welt am 28. 11. 1918, ist abgedruckt in: Greschat, Protestantismus, 146–148. 3 Vgl. Aufruf in der Christlichen Welt am 12. 12. 1918, abgedruckt in: Greschat, Protestantismus, 148 f. 4 Vgl. Jacke, Kirche, 55 f. Aus den Volkskirchenbünden entstand beispielsweise der Evangelische Volksbund in Württemberg, der bis 1933 als Interessenvertretung kirchlicher Belange in der Öffentlichkeit und als Organisation der Kerngemeinde fungierte; vgl. Ehmer, Volksbund.
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Volksmission in der Weimarer Republik
tanten Wilhelm Kahl der „Volkskirchendienst 1918“ in Berlin gegründet5. Der „Volkskirchendienst 1918“ stand in einem engen Zusammenhang zur „Konferenz Deutscher Evangelischer Arbeitsorganisationen“ (KDEAO), die, abgesehen von den landeskirchlichen Gemeinschaften und den konfessionalistischen Lutheranern, das gesamte Spektrum der protestantischen Vereine bündelte6. Insgesamt sieben Mitglieder des Vorstandes des Volkskirchendienstes gehörten dem Arbeitsausschuss der KDEAO an; darunter als Vertreter der Inneren Mission der Präsident des Central-Ausschusses Spiecker und der Berliner Praktische Theologe Mahling7. Unter den verschiedenen volkskirchlichen Bewegungen war der Volkskirchendienst 1918 am stärksten „dem vom Kirchenregiment vorgegebenen Kurs verpflichtet“8. Statt einer Reform der Kirche war das Ziel dieser Vereinigung primär die Mobilisierung des Kirchenvolkes gegen die Kirchenpolitik Hoffmanns und die öffentliche Vertretung der Interessen der evangelischen Kirchen9. Die Nähe zur Kirchenbürokratie wurde vor allem darin deutlich, dass mehrere Mitglieder des Vorstandes des Volkskirchendienstes, u. a. Kahl, Spiecker und Mahling, wenig später durch den Evangelischen Oberkirchenrat in den Vertrauensrat berufen wurden10. Dieser sollte einerseits die verschiedenen Lager im Protestantismus hinter den Kirchenbehörden einen und andererseits als eine Art Honoratiorenversammlung engagierter evangelischer Geistlicher und Laien dem Kampf des EOK gegen das Hoffmannsche Trennungsprogramm Legitimation verleihen11. Der Volkskirchendienst 1918 war also eine von Kirchenbehörden und etabliertem Vereinsprotestantismus organisierte und personell bestimmte Organisation, welche die kirchlichen Belange in der unübersichtlichen und unklaren Zeit nach der Novemberrevolution vertreten sollte. Anders als die Volkskirchenräte und der Volkskirchenbund hatte der Volkskirchendienst kaum kirchenreformerische Impulse12. Auch verfügte er als Arbeitsorganisation zwar über einen Rückhalt in den Kirchenbehörden und im Vereinsprotestantismus, jedoch über keine Massenbasis13. Der Volkskirchendienst 1918 bildete von Beginn an sieben Unterausschüsse, von denen im Folgenden 5 Zur Biografie Kahls, der 1919 für die DVP in der Weimarer Nationalversammlung saß; vgl. Burghard, Kahl. 6 Zur Vorgeschichte und Struktur der KDEAO vgl. ausführlich Kaiser, Sozialer Protestantismus, 25–67. 7 Ebd., 50 f. 8 Ebd., 51. 9 Jacke, Kirche, 54 f. 10 Vgl. Liste der Mitglieder des Vertrauensrates in Mehnert, Kirche, 236 f. 11 Vgl. Jacke, Kirche, 48 f. Auffällig ist, dass Joachim Kahl, der Initiator des Volkskirchendienstes, auch in dem Diskussionsprozess, aus dem der Geistliche Vertrauensrat hervorging, eine wesentliche Rolle spielte. 12 Vgl. auch Dibelius, Volkskirchenräte, 210. 13 Dies unterscheidet ihn besonders vom Volkskirchenbund, dem Otto Dibelius 1919 das Potenzial zusprach, zu einem evangelischen Pendant des katholischen Volksvereins zu werden; ebd., 208.
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nur der von Gerhard Füllkrug geleitete Ausschuss „für volkstümliche Verkündigung des Evangeliums durch Wort und Schrift“ näher betrachtet wird, da er als Einziger über das Jahr 1919 hinaus bestand. Ferner stellte er die Kontinuität zwischen der Volksmission im Ersten Weltkrieg und in der Weimarer Republik dar14. Als formell freie, aber in die Strukturen von Kirchenbehörden und etablierten Verbänden eingebundene Organisation konnte der Volkskirchendienst 1918 im Wahlkampf die Interessen der Kirche vertreten, ohne den EOK formell einzubeziehen15. Da die verschiedenen Volkskirchenbewegungen auch eine Aktivierung der Gemeinden anstrebten, war ein Interesse für Evangelisation und Gemeindeaufbau vorhanden. So nannte der Gründungsaufruf des Volkskirchenbundes explizit dieses Ziel: „Bekämpfung der Kirchenfeindschaft und öffentliche Mission an den Entfremdeten“16. Auch der Werbeausschuss des Geistlichen Vertrauensrates17, der als „zentrale Kontaktstelle zwischen dem Oberkirchenrat und den freien evangelischen Verbänden“18 die Koordination der kirchlichen Interessenvertretung in der Öffentlichkeit übernahm, betonte in seinen an alle preußischen Pfarrer versandten „Mitteilungen“ die Notwendigkeit der Volksmission: „Die Liebe zur Kirche muß in diesen Tagen angefacht werden zu heller Flamme! Das setzt eine doppelte Arbeit voraus: Aufklärung über die künftige Lage der Kirche, voll Werbekraft und Zukunftsfreudigkeit und daneben Evangelisation, die Glauben weckt und Glauben stärkt. Denn nur über den Glauben geht dem deutschen Volk der Weg zur Kirche. Daneben die Volksmission! Der Centralausschuß für Innere Mission hat sie seit langem in Angriff genommen. Er ist bereit, sie in den nächsten Monaten großzügig auszugestalten. Anfragen für Volksmission richte man daher an den CentralAusschuß direkt.“19
14 (1) Ausschuss zur Behandlung der Frage des Verhältnisses von Kirche und Staat; (2) Ausschuss für kirchliche Verfassungsfragen; (3) Ausschuss für Jugendunterricht; (4) Ausschuss für Belebung der Einzelgemeinde; (5) Ausschuss für soziale Wohlfahrtspflege; (6) Ausschuss für volkstümliche Verkündigung des Evangeliums durch Wort und Schrift; (7) Ausschuss für internationale, interkonfessionelle und politische Beziehungen; vgl. Dibelius, Volkskirchenräte, 206. 15 Vgl. Jacke, Kirche, 103 f. 16 Titius, in: Christliche Welt 32.50/51 (12. 12. 1918), 487 (zitiert nach: Greschat, Protestantismus, 148). 17 Dieser Unterausschuss war mit 13 Mitgliedern der stärkste Ausschuss des Vertrauensrates und trat bis zu den Januarwahlen auch am stärksten an die Öffentlichkeit; vgl. Jacke, Kirche, 53. 18 Ebd. 19 Mitteilungen aus der Arbeit der … [sic!] Vertrauensmänner, Nr. 1 (17. 12. 1918), 6 f. (zitiert nach Greschat, Protestantismus, 156 f.). Zum Adressatenkreis der von Otto Dibelius herausgegebenen Mitteilungen vgl. Jacke, Kirche, 53.
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Volksmission in der Weimarer Republik
Die Einbeziehung eines Ausschusses für „volkstümliche Verkündigung“ in die Arbeit des Volkskirchendienstes 1918 entsprach also einem sowohl von der Kirchenleitung als auch von den freien Volkskirchenbewegungen empfundenen Bedürfnis nach einer Verstärkung der Glauben weckenden Verkündigung in der Zeit nach der Novemberrevolution. Dabei war die Evangelisation in dieser Situation auch eng mit dem Bedürfnis verbunden, durch Aktivierung der Massen die als Gefährdung perzipierte radikale Trennung von Kirche und Staat zu bekämpfen. Die Novemberrevolution wirkte als ein Katalysator, welcher der Idee der „Volksmission“ zu einer breiteren Wirkung verhalf und sie gleichzeitig zu einem Agitationsmittel im Kampf gegen die Folgen des Umbruches machte20. Da die Innere Mission sich bereits dieses Themas angenommen hatte, bekamen Spiecker und Füllkrug von Anfang an eine leitende Stellung in dem Ausschuss für volkstümliche Verkündigung, der ein Jahr später vom CentralAusschuss als eigene Kommission übernommen wurde. Wenn man sich die Mitgliederliste dieses Ausschusses ansieht, fällt die Vernetzung mit dem EOK, dem Geistlichen Vertrauensrat und den etablierten protestantischen Verbänden auf, welche schon der Überblick über den Volkskirchendienst 1918 gezeigt hat. Bei der ersten Sitzung des Ausschusses am 2. Dezember 191821 waren neben Füllkrug und Spiecker als Vertreter der Berliner Mission Georg Beyer und für den CVJM Karl Otto v. Kameke anwesend, hinzu kam als prominente Gestalt des Berliner Protestantismus der Hofprediger Bruno Doehring, der in der Weimarer Republik als Pfarrer des Berliner Doms eine bedeutende Rolle am rechten Rand des preußischen Protestantismus spielte22. Auch der Direktor des Evangelischen Bundes, Otto Everling, der zugleich den Werbeausschuss des geistlichen Vertrauensrates leitete23, beteiligte sich an der ersten Sitzung, wie auch der Leiter des Evangelischen Preßverbandes für Deutschland, August Hinderer24. Eine Woche später wurde auch der Berliner Neutestamentler und Ökumeniker Adolf Deißmann in den Ausschuss aufgenommen25. Zu diesen theologisch und politisch konservativen Vertretern des Vereinsprotestantismus trat nun aber mit Friedrich Rittelmeyer ein prononcierter Vertreter der liberalen Theologie. Dieser hatte sich als Pfarrer in Nürnberg einen Namen als Anführer einer jungen Generation von liberalen Theologen 20 Diese Doppelstrategie diagnostiziert auch Jacke und weist zudem darauf hin, dass eine Diagnose eigener Versäumnisse der Kirche weitgehend fehlte; vgl. Jacke, Kirche, 84 f. 21 ADE Berlin, CA / EvA 13, 304–307. 22 Vgl. seine Autobiografie: Doehring, Lebensweg. Obwohl Doehrings bedeutende Rolle für die Kirchengeschichte der Weimarer Republik bekannt ist (vgl. etwa Scholder, Kirchen, Bd. 1, 134 u. ö.), fehlt noch eine biografische Abhandlung. 23 Vgl. Jacke, Kirche, 53. 24 Zu Hinderer vgl. Hçckele-H fner, Hinderer. 25 Vgl. Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 11. 12. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 302 f.).
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gemacht und war 1916 zum Pfarrer des Deutschen Domes in Berlin berufen worden. In dieser Zeit war er bereits Anhänger der Anthroposophie Rudolf Steiners geworden und befand sich auf dem Weg, der ihn 1922 zur Trennung von der evangelischen Kirche und zur Gründung der anthroposophisch geprägten Christengemeinschaft führen sollte26. Die Einbeziehung des erfolgreichen Predigers Rittelmeyer sollte wohl vor allem der Integration aller Fraktionen des Protestantismus in die gemeinsame Front dienen27. In den Verhandlungen des Ausschusses sollte sich aber zeigen, dass die Anwesenheit Rittelmeyers und die damit vorhandenen Differenzen die Aktivitäten des Ausschusses eher lähmten als förderten. In seinem Eingangsreferat auf der ersten Tagung der Kommission am 2. Dezember 1918 betonte Füllkrug, der Volkskirchendienst solle durch die Organisation von Evangelisationen und apologetischen Vorträgen gerade die Entkirchlichten erreichen. Es sei nötig, „vor ausserordentlichen Wegen nicht zurück zu schrecken, […] und vor allen Dingen sobald als möglich praktisch anzufangen.“28 Besonders betonte er die Notwendigkeit einer seelsorgerlichen Betreuung der heimkehrenden Soldaten, die eine Entfremdung von der Kirche verhindern sollte29. In der zweiten Sitzung am 11. Dezember 1918 wurde der Ausschuss in drei Unterkommissionen aufgeteilt, von denen Füllkrug die für Evangelisation, Rittelmeyer die für Apologetik und Deißmann die für die Auseinandersetzung mit Gegnern leiten sollte30. Die Beratungen des Ausschusses umfassten ein relativ breites Spektrum an Themen; einerseits wurde über notwendige Aktionen diskutiert, andererseits wurden konzeptionelle Fragen angesprochen. Hierbei ist auffällig, dass auch Themen und Projekte zur Sprache kamen, die in diesem Stadium noch nicht realisiert, aber zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen des Central-Ausschusses für Innere Mission in Angriff genommen wurden. So waren sich alle Anwesenden einig, dass man eine Zentralstelle für Apologetik unter Leitung eines ausgewiesenen Theologen einrichten müsse31. Die Einrichtung einer Apologetischen Centrale, die 1921 unter der Leitung des Theologen Carl Gunther Schweitzer als eigene Abteilung des Central-Ausschusses etabliert 26 Rittelmeyer, Leben. Rittelmeyer beschreibt zwar sein Erlebnis des Kriegsendes, thematisiert aber nicht seine Einbeziehung in die Volkskirchenbewegung; vgl. ebd., 396–405. 27 Dies war ein Wesensmerkmal des Kampfes gegen die Politik des Preußischen Kultusministeriums in den Jahren 1918/19; vgl. Jacke, Kirche, 48. 28 Sitzung der Kommission am 2. 12. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 304). 29 Ebd. Die Diskussion um eine notwendige seelsorgerliche Betreuung der von der Front zurückkehrenden Soldaten wurde in der unmittelbaren Nachkriegszeit im Rahmen der Inneren Mission und des gesamten Vereinsprotestantismus breit geführt; vgl. etwa Wetzel, Kirche. Hier ist wohl neben der volksmissionarischen Diskussion auch an die logische Fortsetzung der Bemühungen um eine geistige Mobilmachung zu denken, welche der seelsorgerlichen Betreuung, der Schriftenmission und der Einrichtung von Soldatenheimen zugrunde lag; vgl. auch oben 177–181. 30 Sitzung vom 11. 12. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 302). 31 Sitzung vom 19. 12. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 298–301).
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Volksmission in der Weimarer Republik
wurde, war also schon zu diesem Zeitpunkt im Gespräch. Gleiches gilt für gemeinsame Vorträge von Evangelisten der Inneren Mission, des CVJM, der Gemeinschaften und der Freikirchen in Parks und auf öffentlichen Plätzen. Anfang 1919 wurden Besprechungen mit Freikirchenvertretern aus Steglitz anvisiert, um solche Aktionen gemeinsam zu planen32. Auch diese Koalition mit Freikirchen und Gemeinschaften wurde als Reaktion auf die „Entwicklung der politischen Straßenpredigt“33 in einem gesellschaftspolitischen Kontext gesehen. In der zweiten Sitzung des Ausschusses am 11. Dezember 1918 wurde über Arbeitsfelder der „volkstümlichen Wortverkündigung“ diskutiert. Hier wurden als notwendige Maßnahmen die Veranstaltung von Vorträgen und Diskussionsabenden sowie die Verteilung von Flugblättern bei Versammlungen und Plakatmission vorgeschlagen. Ferner wurde unter dem Vorsitz Deißmanns eine „Kommission zur planmässigen Verteidigung des Christentums in gegnerischen öffentlichen Versammlungen“ ins Leben gerufen34. Diese anvisierten Ziele zeigen, dass sich die Mitglieder des Volkskirchendienstes in der durch eine latente Bürgerkriegssituation geprägten Atmosphäre35 auf die Mittel der Massenagitation einstellen wollten, welche auch die politische Auseinandersetzung in der Frühphase der Weimarer Republik und darüber hinaus prägten. Als Gegner wurden besonders die Freidenkerorganisationen bezeichnet, in deren Versammlungen auch dezidiert christliche Stimmen zu Wort kommen müssten. Gleichzeitig müsste auf christlichen Diskussionsveranstaltungen zu kontroversen Themen die Kirche gegen gegnerische Kritik verteidigt werden36. Im Rahmen des „Volkskirchendienstes 1918“ hatte „Volksmission“ immer auch eine konterrevolutionäre Dimension. Sie war eingebettet in die Agitation gegen eine radikale Trennung von Kirche und Staat, welche die Politik des preußischen Kultusministeriums in der Frühphase der Weimarer Republik kennzeichnete37. Die Mittel der Auseinandersetzung orientierten sich an der politischen Massenagitation, die auch die politische Auseinandersetzung in 32 Sitzung vom 19. 2. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 293); hierbei wurde eine Zusammenarbeit mit Methodisten und Baptisten befürwortet, eine Kooperation mit Pfingstlern aber generell ausgeschlossen; ebd. Allerdings wurde die Anstellung des späteren Gründers der pfingstlichen Elim-Gemeinden, Heinrich Vietheer, als Laienevangelist diskutiert; vgl. ebd., 294. Zu Vietheer vgl. auch Voigt, Art. Vietheer. 33 Sitzung vom 15. 1. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 296). 34 Sitzung vom 11. 12. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 302). 35 So die Auseinandersetzungen in Berlin im Dezember 1918 und dem von der kommunistischen „Gruppe Spartakus“ organisierten Januaraufstand um die Jahreswende 1918/19; vgl. Peukert, Weimarer Republik, 42 f. 36 Vgl. etwa Deißmann in der Sitzung der Kommission für Volksmission vom 19. 12. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 300). 37 So forderte der Berliner Pfarrer Krause vor dem Hintergrund des Schulkampfes eine spezifische apologetische Arbeit unter den Lehrern; vgl. Sitzung am 19. 12. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 199).
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dieser Phase prägte, wenn auch immer wieder der Anspruch erhoben wurde, ,rein religiös‘ zu argumentieren. Deutlich wird dies an einer durch die Kommission für das Frühjahr 1919 geplanten Massenveranstaltung im Zirkus Busch, in der unter dem Motto „Jesus Christus unser Herr“ die Implikationen dieses Bekenntnisses für Volk, Kirche, Familie und die einzelne Seele durch Referate deutlich gemacht werden sollten38. Zwar wollte man „einen streng religiösen Charakter“39 gewährleisten, die Wahl des Veranstaltungsortes, eines beliebten Ortes für Massenversammlungen in der Novemberrevolution, und des Themas zeigen aber, dass auch eine politische Wirkung intendiert war. Trotz mehrfacher Anläufe40 scheiterte diese Versammlung aber daran, dass Redner nicht zur Verfügung standen und andere Veranstaltungen den Zirkus Busch besetzten. Gerade die Verantwortungszuweisung für das Scheitern dieser Massenversammlung brachte aber die Divergenzen innerhalb der Kommission zu einem offenen Ausbruch. Auf einer Sitzung der Kommission im Hause Füllkrugs am 19. 2. 1919, an der Rittelmeyer nicht teilnahm, wurde inoffiziell mitgeteilt, dass die eingeplanten Redner Paul Conrad, Mitglied des EOK, und Otto Eismann, ein verschiedenen erwecklich tätigen Organisationen verbundener Hofrat, die Teilnahme abgelehnt hätten, weil auch Rittelmeyer als Referent eingeplant gewesen sei. Die Notlage nach Ende des Krieges vermochte es also nicht, die innerhalb des landeskirchlichen Protestantismus bestehenden Zerklüftungen zwischen positiven und liberalen Strömungen auszugleichen41. Diese auch schon vorher bestehenden Divergenzen sind wohl der Hauptgrund dafür, dass Füllkrug schon im Vorfeld eine stärkere Eigenständigkeit der Unterkommissionen angemahnt hatte und diese auch durchsetzte42. So wurde Rittelmeyer weitgehend ausgegrenzt, bis dahin, dass die Kommission beschloss, beim Evangelischen Oberkirchenrat gegen eine angeblich geplante Ernennung Rittelmeyers zum Generalsuperintendenten zu intervenieren: „Es sei heute Pflicht der ernsten Christen Berlins, alles zu tun, um eine solche Ernennung zu verhindern.“43 Durch die Ausgrenzung Rittelmeyers gewann die Kommission einen homogenen Charakter. Die theologische Bandbreite wurde zwar eingegrenzt, dafür wurde aber auch eine konkrete Arbeit möglich, da eine gemeinsame Basis vorhanden war; die meisten Teilnehmer gehörten ab 1919 zur
38 Sitzung am 15. 1. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 296). 39 Ebd. 40 Sitzung Kommission am 19. 2. 1919 (ebd., 293). Aus dem Protokoll geht nicht eindeutig hervor, ob die „Unterkommission Evangelisation“ oder die Gesamtkommission tagte. 41 Ebd. 42 Sitzung am 29. 1. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 295). Ab Frühjahr 1919 finden sich im herangezogenen Bestand nur noch Protokolle der Unterkommission Evangelisation. 43 Vgl. Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission am 19. 3. 1919 (ADE Berlin, CA, EvA 13, 292). Die angeblich geplante Ernennung Rittelmeyers zum Generalsuperintendenten war ein Anfang 1919 weit verbreitetes Gerücht; vgl. Rittelmeyer, Leben, 381.
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Kommission für Volksmission, die ab 1919 die volksmissionarische Arbeit des CA begleitete44. In der konkreten Arbeit beschränkte sich die Kommission bis Mitte 1919 weitgehend auf die Beobachtung und Evaluierung der im Berliner Raum stattfindenden Evangelisationen und auf den Austausch von Erfahrungen45. Obwohl der Wunsch nach Anstellung eines Berufsevangelisten mehrfach geäußert wurde und Füllkrug in einer umfangreichen Korrespondenz schon seit Frühjahr 1918 versuchte, einen Evangelisten für den Central-Ausschuss zu gewinnen46, wurde bis September 1919 kein Volksmissionar angestellt. Zwar wurden in der Kommission immer wieder Visionen einer groß angelegten Volksmissionskampagne laut47, doch blieb die praktische Umsetzung in der unmittelbaren Nachkriegszeit eher gering; noch war vor allem die Zeit von programmatischen Äußerungen48 und Lehrgängen. Die Mitglieder der Kommission blieben aber von der Notwendigkeit weiterer Arbeit überzeugt: „Wahrscheinlich wird für den nächsten Herbst und Winter ein sehr starkes Verlangen nach Volksmission überall sich zeigen. Wir werden dazu sehr viele tüchtige Redner nötig haben. Die wenigen Berufsevangelisten allein können die Arbeit nicht schaffen.“49
Die Zeit, in der die Kommission für Evangelisation als Teil des Volkskirchendienstes 1918 bestand, war einerseits von Kontinuität geprägt. Die bereits in der Endphase des Krieges angelaufenen Lehrgänge und die Suche nach geeigneten Volksmissionaren liefen weiter. Vor dem Hintergrund des Systemwandels und der unklaren Stellung der Kirche im neuen Staat verstärkte sich andererseits die Sicht auf Evangelisation und Apologetik als Teil des Kampfes der Kirche um ihre öffentliche Stellung. Dies wird besonders an den Überlegungen zur Auseinandersetzung mit den Gegnern und der Aufnahme von Elementen der Massenagitation, wie Straßenpredigt, Massenversammlungen und das (allerdings gewaltlose) „Sprengen“ von gegnerischen Veranstaltungen deutlich. Hier versuchte man, die prägenden Formen der politischen Auseinandersetzung50 der Novemberrevolution zu adaptieren. Allerdings scheinen, soweit aus dem herangezogenen Material ersichtlich,
44 Vgl. unten 208 f. 45 So berichtete Füllkrug auf der Sitzung am 23. 4. 1919 über einen in Dahlem laufenden einführenden Bibelkurs (ADE Berlin, CA / EvA 13, 289). 46 U. a. suchte er den führenden Gemeinschaftsmann Walter Michaelis zu gewinnen (vgl. Schreiben Füllkrug an Samuel Jaeger vom 2. 12. 1918 [ADE Berlin, CA / EvA 2, 267.]). 47 Etwa in Bezug auf volksmissionarische Traktate: „Die besten Schriftsteller der Gegenwart müssen dafür gewonnen werden“ (Sitzung am 23. 4. 1919 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 289]). 48 Vgl. das an der Jahreswende 1918/19 erschienene Handbuch für Volksmission; F llkrug, Handbuch. 49 Sitzung am 23. 4. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 289). 50 Natürlich ohne Gewalt, diese wurde den konterrevolutionären Freikorps überlassen.
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diese Überlegungen zu dieser Zeit weitgehend im Planungsstadium verblieben zu sein. Trotz großer Pläne ist die Umsetzung volksmissionarischer Programme bis Mitte Juli 1919 eher bescheiden zu nennen. Obwohl Volksmission als Mittel zur Selbstverteidigung der Kirche in einer Krisensituation gedeutet wurde, war erst nach der vorläufigen Beruhigung der Verhältnisse Mitte 1919 eine wirkliche Umsetzung des Konzeptes durch hauptamtlich angestellte Volksmissionare möglich. Dennoch offenbarte die Episode des Volkskirchendienstes 1918 einiges Wesentliche für die Geschichte der evangelischen Volksmission in der Zwischenkriegszeit. Einerseits zeigte sich hier besonders deutlich die Frontstellung zu der als Krise wahrgenommenen Revolution, andererseits ist die in den Diskussionen immer wieder vorkommende bewusste Anlehnung an Aktionsformen der politischen Auseinandersetzung wie Massenversammlungen und Agitation im Freien instruktiv. Die Entwicklung der Volksmission im Central-Ausschuss sollte zeigen, dass die Adaption der politischen Kultur auch die Diskussionen in der Folgezeit prägen sollte51. Es war ein allgemeines Charakteristikum der unmittelbaren Nachkriegszeit, dass die Volkskirchenbewegungen vor allem ein Übergangsphänomen in den Jahren 1918 und 1919 waren und sich danach schnell wieder auflösten; dies war auch beim Volkskirchendienst der Fall, dessen Kommissionen im Laufe des Jahres 1919 ihre Arbeit einstellten52. Nach der Durchsetzung des kirchenfreundlichen Staatskirchenrechts und der Stabilisierung der Kirchenbehörden und etablierten Vereine war keine Arbeit unabhängig von den etablierten Strukturen mehr erforderlich. Daher wurde im Sommer 1919 der einstimmige Wunsch der Kommission laut, ihre Arbeit im Rahmen des Central-Ausschusses für Innere Mission fortzuführen53. So erkannte sie der Central-Ausschuss am 8. Juli 1919 als eigene Kommission an, und sie entwickelte sich im Laufe der 1920er-Jahre sukzessive zu einer eigenen Abteilung im Rahmen der Zentralstelle der Inneren Mission54. Die Kontinuitäten zwischen der Behandlung der Volksmission im Central-Ausschuss und im Volkskirchendienst und die Bedeutung von Spiecker und Füllkrug in der Kommission zeigten, dass die Verselbständigung der Volksmission eher eine formale war, als dass sie eine inhaltliche Abtrennung bedeutete55. Die Übernahme der Volksmission in den Central-Ausschuss machte deutlich, dass die Einbezie51 52 53 54 55
Vgl. die Diskussion um Volksmission im Freien unten 203 f; 214–216. Vgl. Dibelius, Volkskirchenräte, v. a. 208–213; F llkrug, Enge, Kapitel 10, 5. Sitzung der Kommission am 18. 6. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 182). Protokoll Sitzung CA am 8. 7. 1919 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1919, 15). Gerade die Zusammenarbeit mit Rittelmeyer, der einen von den IM-Vertretern grundsätzlich verschiedenen Kurs verfolgte, kam ja nicht zustande: „Es stellte sich aber sehr bald heraus, daß die beiden Gegenstände und ihre Sachbearbeiter zu verschiedener Art waren, um miteinander arbeiten zu können. Lic. Dr. Rittelmeyer von der Neuen Kirche und ich hatten eine so verschiedene theologische Einstellung, daß wir uns schnell trennten“ (F llkrug, Enge, Kapitel 10, 5); siehe oben 202–205.
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hung der Volksmission in die Volkskirchenbewegung insgesamt eine Episode war, ehe die Arbeit auch formell wieder in den bestehenden Apparat der Inneren Mission integriert wurde. 7.1.2 Der Aufbau einer Abteilung für Volksmission im Central-Ausschuss und die institutionelle Verselbstständigung der Volksmissionsbewegung (1919–1925) Der Übergang der Kommission in die Obhut des Central-Ausschusses machte eine geordnete Aufnahme der Arbeit möglich. Seit November 1919 war der ehemalige Missionszögling und Divisionspfarrer Willy Ernst Hagen offiziell als Volksmissionar angestellt56. Im Herbst desselben Jahres wurde auch der Pfarrer Johannes Hölzel, über dessen Anstellung als Evangelist im Rahmen der Inneren Mission schon seit Jahren verhandelt worden war, fest angestellt57. Diese beiden Volksmissionare sollten die Volksmission des Central-Ausschusses schon durch ihre lange Zeit in der Abteilung prägen – Hölzel bis Ende der 1920er-Jahre, Hagen bis in den Zweiten Weltkrieg hinein. Zu ihnen traten verschiedene nebenamtliche und für kürzere Zeit hauptamtlich angestellte Volksmissionare. Den Kern der Abteilung bildete jedoch die ursprünglich im Rahmen des Volkskirchendienstes gegründete Kommission für Volksmission, die von 1919 bis 1931 mit ihren monatlichen Tagungen das Zentrum der Abteilung blieb. Die Kommission für Volksmission sollte die Arbeit der Evangelisten des Central-Ausschusses lenken und begleiten und bildete damit die Keimzelle der gesamten volksmissionarischen Abteilung des Central-Ausschusses. Ein Überblick über die Zusammensetzung und Arbeitsweise der Kommission, die stark von Füllkrug geprägt wurde, zeigt bereits Grenzen der Modernisierung der Volksmission58. Zwar bemühte er sich, wie die Politik der Neuaufnahmen in die Kommission zeigte, um eine Vernetzung im Rahmen des Vereinsprotestantismus, indem neben Funktionären der Inneren Mission wie Füllkrugs Kollegen Carl Gunther Schweitzer und Johannes Steinweg auch Vertreter aus dem Kirchenregiment, Funktionäre der IM aus dem Umfeld Berlins (z. B. Helmuth Schreiner als Direktor des Berliner Johannesstiftes) und Vertreter wichtiger anderer Verbände (Frauenhilfe, Jugendverbände, Missionsgesellschaften) integriert wurden59. Doch Füllkrugs persönliche Beziehungen zu vielen Kommissionsmitgliedern lassen vermuten, dass er auch ihre Zusam56 Sitzung am 16. 10. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 276). 57 Sitzung am 1. 9. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 259). Hölzel war bereits Kontaktmann des CA in der Arbeitsgemeinschaft für Volksmission im Freien in Berlin; vgl. Sitzung am 10. 3. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13., 266 f.). 58 Vgl. die Akten der Kommission für Volksmission (ADE Berlin, CA / EvA 13–17). 59 Vgl. zur Zusammensetzung die Liste der Kommissionsmitglieder von 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 17).
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mensetzung maßgeblich mitbestimmt hat60. Insgesamt blieben die Neuaufnahmen in den 1920er-Jahren sporadisch und folgten keinem festen Schema61. Die Praxis der monatlichen Sitzungen, die in der Regel in Füllkrugs Wohnung mit gemeinsamer Kaffeepause und abschließender Gebetsgemeinschaft stattfanden, hatten Ähnlichkeit mit der Form, wie Füllkrug selbst im Rückblick die Arbeitsweise des CAwährend des Ersten Weltkrieges beschrieb: „[…] ein feingeistiges Kränzchen mit nur lebenslänglichen Mitgliedern, die sich alle kannten und Achtung voreinander hatten“62. Die Professionalisierung der Wohlfahrtspflege und die Bürokratisierung der gesamten Inneren Mission, die Jochen-Christoph Kaiser als Signum der 1920er-Jahre analysiert hat63, gingen damit an der Abteilung für Volksmission weitgehend vorbei. Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, wirkte sich ein Mangel an klaren Leitungsstrukturen und fehlende Professionalisierung der Arbeit hinderlich auf die Entwicklung der Volksmission aus. Dennoch setzte die Abteilung für Volksmission in Fortführung der Entwicklungen während des Ersten Weltkrieges durchaus neue Impulse für die regionale Entwicklung volksmissionarischer Arbeitsstellen. Vor allem zu Anfang der hier betrachteten Periode wurden auch weiter Kurse für Volksmission durchgeführt, die als „im Grunde genommen Volksmissionsarbeit an den Pastoren“64 bezeichnet wurden und als Schlüssel zur Verbreitung der Idee der Volksmission galten. Durch solche Kurse wurden häufig in den verschiedenen Landeskirchen und Provinzialvereinen der Inneren Mission eigene volksmissionarische Arbeitszweige initiiert65. So fand 1919 ein Kurs für Volksmission in Kückenmühle in Pommern statt, auf dem neben der Ausbildung von Missionaren auch die Gründung einer Abteilung für Volksmission im pommerschen Provinzialausschuss für Innere Mission stattfand66. Zur 60 Vgl. besonders den Ministerialbeamten Paul Krenzlin; er war ein Bundesbruder im VDSt Halle und persönlicher Freund Füllkrugs; vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 15, 5. 61 Erst die 1931 anvisierte Reform durch die Bildung eines permanenten geschäftsführenden Ausschusses und eine gezielte Kooptation von Vertretern anderer Arbeitsfelder der Inneren Mission konnten einen Beitrag zur Lösung dieses Problems bilden, doch dies kam durch die Auflösung der Kommission 1931 nicht mehr zum Tragen (Arbeitsausschuss Volksmission Frühjahr 1931 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 22 f.]; Sitzung Kommission für Volksmission am 16. 3. 1931 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 14–19]). 62 F llkrug, Enge, Kapitel 7, 3. 63 Vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 67–94. 64 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 15. 1. 1920 (ADE Berlin CA / EvA 13, 269). 65 Die erste Ausgabe der Zeitschrift Volksmission vom Januar 1920 gibt für 1919 und Anfang 1920 folgende Kurse an: 1919: 2.–5. 6. Kurs in Kückenmühle bei Stettin für Pommern; 13.–15. 6. Kurs für Evangelisation in Frankfurt/Main (Keller / Weichert); 21.; 24. 7. Evangelistenkonferenz des CA in der Malche (45 Teilnehmer); 6.–9. 10. Brandenburg (Johannesstift); 6.–10. 10. Kirchenprovinz Sachsen (Halle); 21.–23. 10. Sachsen, Moritzburg; 21.–24. 10. Schlesien (Naumburg/Q.) – geplante Kurse 1920: Hademarschen (Schleswig-Holstein), 5.–8. 1.; Frankfurt/O. (19.–22. 1.), Kassel: 16.–19. 2.; Köslin, 2. Februarwoche (Volksmission 1 (1920), 13 f.). 66 Vgl. Goltz, Gestaltung.
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Koordination der volksmissionarischen Bewegung gehörte die Herausgabe einer eigenen Monatsschrift, die ab 1920 zunächst in Kooperation mit der Wichern-Vereinigung am Rauhen Haus in Hamburg und der Berliner Missionsgesellschaft herausgegeben wurde; bereits Ende 1920 war sie aber allein in Trägerschaft des Central-Ausschusses67. In den ersten Planungen wurde eine sehr umfassende Zielsetzung für dieses Blatt anvisiert: „Das Blatt soll nicht bloß belehrend sein, sondern die Tagesaufgaben zeigen. Die vielen Kurse für Volksmission, die jetzt überall stattfinden, verlangten gebieterisch neues Material.“68 „Die Volksmission“, zu der später noch die für den Spenderkreis bestimmten „Volksmissionsgrüße“ traten, wurden 1932 mit der von der Apologetischen Centrale herausgegebenen Zeitschrift „Wort und Tat“ fusioniert69. Für die Koordination der verschiedenen evangelistischen und apologetischen Bestrebungen hatte zudem die Organisation von reichsweiten Konferenzen eine große Bedeutung. Diese fanden alljährlich statt70. Die wichtigste der frühen Konferenzen fand Ende April 1922 in Spandau statt. Die Einladung zu dieser Konferenz wurde von Walter Michaelis, dem Leiter des Gnadauer Verbandes der landeskirchlichen Gemeinschaften, und Gerhard Füllkrug gemeinsam unterzeichnet71. Gemeinschaftsleute wie Walter Michaelis hatten sich bis Kriegsende wesentlich an der Diskussion um Volksmission beteiligt72. Zugleich herrschten bei den Gemeinschaften Misstrauen und unterschwellige Konkurrenz gegenüber einer von der Inneren Mission aufgebauten missionarischen Arbeit. Dies betonte etwa der mecklenburgische Gemeinschaftsfunktionär Heinrich Dallmeyer, als er 1919 Füllkrug fragte: „Aber warum macht er und die Volksmission nicht einfach in der Gemeinschaftsbewegung mit? […] warum helfen dann führende Männer unserer Bewegung der Volksmission in den Sattel?“73 Die Tagung in Spandau, auf der sowohl Vertreter der Volksmission als auch Angehörige der Gemeinschaftsbewegung zu Wort kamen, sollte zur Klärung des Verhältnisses zwischen beiden Bewegungen dienen74. Auf der Konferenz
67 Sitzung vom 1. 9. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 259). 68 Sitzung Kommission für Volksmission am 16. 10. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 276). 69 Vgl. Rundschau, Mitteilungsblatt 3 (1932), 69; zum stärker intellektuellen Profil der Zeitschrift Wort und Tat vgl. jetzt Bruns / Dietzel, Wendland, 177–183. 70 Daraus entstand 1925 der Deutsche Evangelische Verband für Volksmission; vgl. Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 19. 11. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 191); siehe auch unten 218 f.; 222–228. 71 Vgl. Einladung zur Konferenz in Spandau, Februar 1922 (ADE Berlin, CA / AC 255, 402). 72 Vgl. die Beteiligung Michaelis’ an dem im ersten Teil dieser Arbeit analysierten Handbuch der Volksmission; Michaelis, Gestaltung. 73 Zitiert nach Bunke, Innerkirchliche Evangelisation (1920), 266; zur Diskussion zwischen Volksmission und Gemeinschaftsbewegung vgl. ausführlich ebd., 265–267; Bunke, Innerkirchliche Evangelisation (1923), 220–223; Besier / Lessing, Geschichte, Bd. 3, 188 f. 74 Vgl. die 1922 gehaltenen Vorträge in F lllkrug, Fragen. In dieser Diskussion scheinen interne
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wurden die Unterschiede der beiden Bewegungen deutlich. So kritisierten die Angehörigen der Volksmissionsbewegung vor allem das Festhalten zahlreicher Gnadauer an der Verbalinspiration75. Die Gemeinschaftsleute dagegen kritisierten, dass die Volksmissionare zu wenig Wert auf die Bildung von Gemeinschaften und auf die Nacharbeit legen würden76. Diese und andere Streitfragen führten zu einer endgültigen Abgrenzung von den Gemeinschaften. Auf der nächsten Evangelistenkonferenz der Volksmissionare wurde Walter Michaelis nur noch als persönlicher Gast eingeladen77. So blieben Volksmissionsbewegung und der Gnadauer Gemeinschaftsverband trotz weiterbestehender Kontakte getrennt78. Die Abteilung für Volksmission im CA beanspruchte eine Art Koordinationsfunktion für die Volksmission in Deutschland. So wurde 1925 in BerlinDahlem mit der Anlegung einer Kartothek begonnen, in der die seit 1919 stattgefundenen Volksmissionswochen für jede Gemeinde aufgelistet wurden. Ziel war es „festzustellen, welche Teile Deutschlands bereits durchmissioniert seien und welche nicht.“79 Da diese Kartei nicht nur die Aktivitäten des CA, sondern auch anderer Organisationen umfasste, zeigte sich hier der Anspruch, für die Koordination der gesamten volksmissionarischen Arbeit in Deutschland verantwortlich zu sein. Auffällig ist allerdings die immer wieder auftauchende Rede von der „Durchmissionierung“, die sich nicht ohne Spannung zu dem Konzept einer ecclesiola in ecclesia verhielt. Eine Frage, die innerhalb der Kommission wiederholt kontrovers diskutiert wurde, war der Einsatz von Frauen in der Verkündigung. Diese Frage wurde im Frühjahr 1920 durch Hermine Baart de la Faille, die Sekretärin der Deutschen Christlichen Vereinigung Studierender Frauen, aufgeworfen und nach Angabe des Protokolls kontrovers diskutiert. Zunächst tendierte die Kommission für Volksmission dazu, den Dienst von Frauen auf die Vorarbeit und die Evangelisation unter Kindern und Jugendlichen zu konzentrieren80. Im Herbst desselben Jahres wurde festgestellt „dass Frauen als Evangelisten bisher nur zu einzelnen Vorträgen benötigt werden, nicht aber zur Abhaltung ganzer Evangelisationswochen in Betracht kommen.“81 Allerdings wurde die Notwendigkeit von Frauenversammlungen, die durch Frauen geleitet werden
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Diskussionen der Gnadauer zu ihrem Verhältnis zur Volkskirchenbewegung in den Jahren 1918 und 1919 fortgeführt worden zu sein; vgl. jetzt Brunner, Volkskirche, 69–72 (2.5.1). Vgl. Leitsätze der Referate auf der Tagung von Gnadauer Gemeinschaftsverband und Vertretern der Volksmission 1922 mit Anmerkungen Schweitzers (ADE Berlin, CA / AC 255, 394–400, hier 397). Vgl. besonders Modersohn, Evangelisation. Vgl. Sitzung Kommission für Volksmission am 29. 11. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 216). Zum Verhältnis der Gemeinschaftsbewegung und der Volksmission vgl. auch Beyreuther, Kirche, 226. Füllkrug auf der Sitzung vom 8. 1. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 200). Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 10. 3. 1920 (ADE Berlin CA / EvA 13, 268.) Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 1. 9. 1920 (ebd., 258).
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sollten, bald allgemein anerkannt82. So unterstützte die Abteilung für Volksmission finanziell seit 1920 die Bibelschule der Morgenländischen Frauenmission, die sich über den Missionsdienst hinaus auf die Ausbildung von Religionslehrerinnen und Gemeindehelferinnen konzentrierte83. Durch diese Diskussion wurde die Anstellung von Hermine Hardt und Dora Hasselblatt für die Evangelisation und die Nacharbeit unter Frauen möglich84. Insgesamt ging man aber nicht über die Praxis hinaus, Frauen in der Verkündigung an Frauen und Jugendliche zu beschäftigen. Eine weibliche Verkündigung an Männer war noch nicht im Blick. Insofern war die Anstellung von Frauen eher Ausdruck des langsamen Emanzipationsprozesses der Frauen im Dienst der Kirche denn grundsätzliche Innovation85. In den evangelischen Kirchengemeinden herrschte in den frühen 1920erJahren ein großes Interesse an der Veranstaltung von Volksmissionswochen. So konnte bereits 10 Wochen nach der Festanstellung des Volksmissionars Hagen über die Abhaltung von Evangelisationen an 19 Orten berichtet werden, die von der Abteilung für Volksmission vermittelt wurden86. Erich Beyreuther gab die Aufbruchstimmung gut wieder, welche die an Volksmission interessierten Kreise in den evangelischen Kirchen erfasste, wenn er von einer „große[n] Zeit für die Volksmission“87 sprach. Hierbei ist zu bedenken, dass die meisten Provinzial-Ausschüsse für Innere Mission Evangelisation und Apologetik jeweils in ihre eigene Hand nahmen. Hinzu kamen weitere Organisationen, die durch den Beitritt zum bald entstehenden Verband für Volksmission ihre Unterstützung des Konzeptes Volksmission zum Ausdruck brachten. Die Aktivitäten der Abteilung Volksmission waren also nur ein Teil einer breiteren Bewegung im Rahmen von Kirche und Innerer Mission88. Trotz dieser Aufbruchstimmung wurde bereits Anfang der 1920er-Jahre immer wieder darüber diskutiert, dass die Gemeinden unrealistische Erwartungen in die Veranstaltung von Evangelisationswochen setzten: „Viele klammern sich jetzt an die Volksmission und erwarten gleichsam ein Wunder von ihr. Und doch könne ohne die rechte Vor- und Nacharbeit keine Frucht 82 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 30. 9. 1921 (ebd., 242 f.). 83 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 20. 5. 1920 (ebd., 264). Diese Unterstützung lief bis 1926, da die Leiterin, Emmy Gräfin v. d. Goltz, von da ab darauf bestand, die Bibelschule allein fortzuführen; vgl. Sitzung vom 30. 6. 1926 (ebd., 173 f.). Zur Bibelschule der Morgenländischen Frauenmission vgl. Gern, Frauenmission, 14 f. 84 Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 263. Bezeichnend ist, dass in der Diskussion über die Anstellung Hardts der Vorbehalt eine Rolle spielte, „ob ihre Stellung zu den Adventisten und Pfingstleuten nüchtern genug ist“; Sitzung vom 10. 4. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 231). Hier ist auch mit genderspezifischen Stereotypen zu rechnen. 85 Zur Rolle von Frauen im Rahmen der Inneren Mission allgemein vgl. Schmidt, Frau. 86 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission 15. 1. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 269). 87 Beyreuther, Kirche, 222; Hervorhebung durch Quelle. 88 Vgl. die Mitgliederliste in einem Bericht des DEVVM „Aus der Arbeit der Volksmission, Evangelisation und Apologetik“, Dezember 1926 (ADE Berlin DEVVM 10), siehe auch unten 521 f.
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erwartet werden.“89 In den Richtlinien für eine Durchführung von Volksmissionswochen war den Gemeinden, die einen Volksmissionar einluden, die Notwendigkeit einer gründlichen Vorbereitung sowie der Nacharbeit durch Einrichtung einer Bibelstunde und nachgehende Seelsorge an den von den Vorträgen Angesprochenen eingeschärft worden90. Neben die Veranstaltung von Volksmissionswochen traten verschiedene Veranstaltungsformen der Evangeliumsverkündigung an speziellen Orten. 1920 wurde die Vermittlung von Kurseelsorge durch Volksmissionare begonnen, die vor allem in den Sommermonaten eine Hauptaktivität der Volksmissionare bildete91. „Bädermission“, die Entsendung von Berufsarbeitern der Inneren Mission als Prediger in Kurorte, war bereits zu Zeiten Wicherns von der Inneren Mission praktiziert worden92. Ein weiteres 1920 aufgenommenes Arbeitsfeld waren Landkonferenzen auf den Gütern des ostelbischen Adels93. Für diese Arbeit wurde der ehemalige mecklenburgische Landrat Fritz v. Engel gewonnen, der zu den Gemeinschaftskreisen in Mecklenburg gehörte und daneben vor allem in den östlichen Provinzen Preußens wirkte. Als Ziel dieses erfolgreichen neuen Arbeitsfeldes – 1925 und 1926 fanden 54 Konferenzen statt – wurde das Vorhaben formuliert, „wieder Christallisationspunkte [sic!] zu schaffen für christliches Leben.“94 Die Arbeit an den Landadeligen Ostelbiens war ein bewusster Versuch der Gewinnung von Multiplikatoren95, um über die Mission an den Gutsbesitzern und ihren Familien auf den gesamten ländlichen Raum Einfluss zu nehmen. In den 1920er-Jahren wurde die Einrichtung von Gutskonferenzen als innovativ wahrgenommen96. Es lässt sich aber fragen, ob das Setzen auf die traditionelle Führungsschicht vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Wandlungen nach dem Ersten Weltkrieg nicht eher davon zeugt, dass ihre Initiatoren diesen Wandel noch nicht voll erfasst hatten. Zudem war die Mission unter den noch meist kirchlich gesinnten Adeligen eher die Pflege eines ohnehin schon kirchlich gesonnenen Standes als die Rückgewinnung Entkirchlichter.
89 Steinweg auf der Sitzung der Kommission am 20. 11. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 273). 90 Füllkrug / Spiecker, Richtlinien für die der Volksmission der Inneren Mission, November 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 2, 255); vgl. auch unten 414–420. 91 Erste Planungen Sitzung vom 15. 1. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 271). 92 Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 1, 256. 93 Erste Besprechung auf der Sitzung am 15. 1. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 270). 94 Steinweg auf der Sitzung am 15. 1. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 271); zu den Landkonferenzen vgl. den Briefe und Arbeitsberichte von Fritz v. Engel (ADE Berlin, CA / EvA 120–124; 137); Zahlen nach: Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin DEVVM 10), siehe auch unten 523. 95 So wurden die Konferenzen meistens mit einem anschließenden Volksmissionsfest für die Bevölkerung im Gutspark verbunden; vgl. Bericht Füllkrugs über die erste Landkonferenz in Calberwisch (Altmark) im Frühjahr 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 120, 21). 96 So in dem gegenüber Füllkrug und seiner Abteilung sehr kritischen Memorandum Carl Gunther Schweitzers; vgl. ADE Berlin, CA / AC 256, 97.
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Bei einigen der Anfang der 1920er-Jahre in Angriff genommenen Initiativen fällt auf, dass sie einen Schwerpunkt im Raum der Reichshauptstadt Berlin hatten. Dies war, wie gezeigt, auch bei den Überlegungen im Volkskirchendienst 1918 nicht anders. Die Reichshauptstadt galt ja schon im 19. Jahrhundert als eine der am meisten entkirchlichten Städte Europas, deren rasantes Wachstum eine kirchliche Präsenz besonders nötig machte. Zudem wurde die Volksmission in Berlin durch den Berliner Hauptverein erst 1926 mit der Gründung einer Apologetischen Kommission aufgenommen97. Im Frühjahr 1920 wurden die bereits 1919 laut gewordenen Pläne verwirklicht, gemeinsam mit Angehörigen von christlichen Vereinen, Freikirchen und Gemeinschaften Evangelisationspredigten in den Berliner Parks abzuhalten98. Die Koordination eines tragenden Komitees, das mit prominenten Mitgliedern der beteiligten Organisationen besetzt war, übernahm Heinrich Vietheer, der später eine wichtige Rolle beim Aufbau der freikirchlichen Pfingstbewegung spielte99. Es entstand eine Arbeitsgemeinschaft für Volksmission in Großberlin auf der Basis der Evangelischen Allianz. Die Zusammenarbeit mit den Freikirchen war nicht unumstritten100; sie wurde aber von Hölzel, der hier die Interessen der Inneren Mission vertrat, vehement verteidigt101. Die offizielle Ankündigung der „Volksmission im Freien“ in der Zeitschrift „Die Volksmission“ betonte jedoch stärker – und antisemitisch aufgeladen – die angebliche politische Bedrohungssituation: „An den Straßenecken der Großstadt stehen Spartakus und Juda, sie flüstern und raunen, sie reden und hetzen, sie gestikulieren und debattieren, bald sammelt sich ein Kreis von Menschen um sie, man hört ihnen zu, stimmt ihnen bei, ist wohl anderer Meinung, behält aber diese wirklich für sich, um nicht Prügel zu bekommen, und schließlich setzen sich die Gedanken von Spartakus und Juda in den Köpfen fest und die Leute gehen nach Hause mit dem Gedanken, es ist doch etwas Wahres daran, sie haben doch recht […]. Darum hinaus mit den herrlichsten Schätzen, die das deutsche Christenvolk noch hat, mit Gottes Wort und Christi Botschaft in die Öffentlichkeit, auf die Straßen.“102 97 Protokolle der ersten beiden Sitzungen dieser Kommission am 27. 5. und 17. 6. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 176–180). 98 Hölzel resümierend für den Sommer 1920 in der Sitzung am 1. 9. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 258). 99 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 20. 11. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 272). 100 Kritik des Berliner Pfarrer Krauses (ebd). 101 „Im Blick auf die Reichgottesarbeit in Gross-Berlin würde das einen grossen Schritt vorwärts bedeuten. Die Ueberzeugung von der Notwendigkeit einer Einheitsfront gegen den Unglauben bricht sich immer mehr Bahn“ (Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 20. 5. 1920 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 263]). 102 F llkrug, Straßenpredigt, 49 f. Hölzel regte als Leiter der Arbeitsgemeinschaft dagegen an, durch die Abhaltung christlicher Maifeiern auch auf Sozialisten und Kommunisten zuzugehen. Er erhielt dafür aber von den angeschriebenen Pfarrern, Pastoren und Gemeinschaftsleitern
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Die Situationsbeschreibung erfasste gut die Mentalität, die in der volksmissionarischen Arbeit in den frühen 1920er-Jahren vorherrschte. Kommunismusfurcht und antisemitische Stereotype verbanden sich in der Wahrnehmung zu einer imaginierten antichristlichen Verschwörung. Die volksmissionarische Straßenpredigt sollte, wie bereits 1919 vorgeschlagen, eine christliche Antwort auf die politische Propaganda der Arbeiterparteien bilden. Auffällig sind dagegen die gesuchten Bündnispartner: Vor dem Hintergrund des Umbruches 1918 und der gefühlten Bedrohungssituation stand auch der sonst von der Inneren Mission gewahrte Abstand zu den Freikirchen zur Disposition103. Allerdings bedingte die Kooperation mit den Freikirchen eine organisatorische Trennung der Volksmission unter freiem Himmel von der Abteilung für Volksmission im CA, da es nicht opportun erschien, dass ein vom CA herausgegebenes Blatt für die „Volksmission im Freien“ einen baptistischen Prediger als Schriftleiter haben sollte104. Dennoch wurde auch auf den weiteren Sitzungen des Jahres 1920 der Verlauf der Evangelisationsversammlungen weiter begleitet. Berichte über die Volksmission im Freien und vor allem über gelegentliche Anfeindungen bildeten eine beliebte Illustration in Zeitschriftenbeiträgen zur Volksmission105. Diese Anfeindungen waren bei der politischen Aufgabe, die man der Volksmission in den Berliner Parks beimaß, nicht verwunderlich, auch wenn in den Predigten politische Fragen keine Rolle spielen sollten106. Hölzel klagte in einem Artikel in der Zeitschrift „Volksmission“ über Tumulte im Friedrichshain und eine gezielte Sprengung von Evangelisationsversammlungen im Humboldthain107. Offensichtlich bildeten diese Proteste den Todesstoß für diese durch den CA maßgeblich organisierte volksmissionarische Aktion. Solche Versammlungen wurden in den folgenden Jahren nicht wieder aufgenommen, auch wenn Hölzel nur einen taktischen Rückzug ankündigte: „Nach ernster Beratung beschlossen die Brüder [der Arbeitsgemeinschaft, H. B.], für diesen Sommer die Straßenpredigt einzustellen, um ihre Gemeindeglieder
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wenig Resonanz; vgl. etwa Schreiben Otto Dibelius an CA vom 23. 4. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 96.). Das Verhältnis war aber nicht spannungsfrei. So wurde 1919 eine zeitweilige Anstellung des Gemeinschaftspredigers Zimmerling als Volksmissionar durch den Central-Ausschuss damit begründet, dass sonst „das verheißungsvolle junge Werk [Zimmerlings, H. B.] in Karlshorst in die Hände der Baptisten gerät“ (Sitzung vom 18. 6. 1919 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 282]). Sitzung am 20. 5. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 263 f.). Vgl. etwa F llkrug, Seele, 29 f. „Darum muss er [der Redner, H. B.] sich von aller Politik fernhalten und alle verletzenden Bemerkungen über die Zustände im Staatsleben vermeiden“ (Merkblatt für Volksmission im Freien [1920] [ADE Berlin, CA / EvA 96, 65]). Vgl. Hçlzel, Straßenpredigt, 187 f.
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Volksmission in der Weimarer Republik
nicht größeren Gefahren auszusetzen. Dieser Rückzug ist aber nur ein strategischer. Wir räumen das Feld nicht!“108
Im Zusammenhang mit der Gründung der Allianz-Arbeitsgemeinschaft für Volksmission in Groß-Berlin entstand auch der Plan, die Berliner Klosterkirche zu mieten und zu einem Zentrum für Volksmission auszubauen. Sie wurde zu diesem Zweck gepachtet109. Ziel war es, über regelmäßige Evangelisationen und Veranstaltungen besonders die Berliner Jugend zu erreichen. Zudem sollte die Kirche für stilles Gebet mehrere Stunden offen gehalten werden110. Die Pacht der Klosterkirche endete 1926, da sie ab diesem Zeitpunkt wegen Renovierungen nicht mehr benutzbar war111. Allerdings blieb auch bei diesem Projekt die Wirklichkeit hinter den ambitionierten Zielen der Kommission zurück. Hölzel beklagte vor der Kommission bereits im April 1922 unter allseitiger Zustimmung, dass bisher noch kein geeigneter Pfarrer für die Organisation dieser Arbeit gefunden worden sei112. Ausweislich des im Zusammenhang mit der Pacht der Klosterkirche erhaltenen Aktenmaterials wurde sie vor allem für Veranstaltungen von Vereinen sowie für Konzerte und Theateraufführungen vermietet und weniger für eigene Arbeiten genutzt113. Seit 1921 war Carl Gunther Schweitzer, der die neu eröffnete Apologetische Centrale leitete, Mitglied der Kommission. Für den Anspruch der Volksmission war immer das Bestreben leitend, Evangelisation und Apologetik zusammenzubringen. Praktisch aber konzentrierten sich die Verhandlungen weitgehend auf die Evangelisation. Auf der Januarkonferenz 1925 monierte der Volksmissionar Hagen, er vermisse „in den apologetischen Vorträgen oft das Gewissensschärfende und das auf Christum hinführende, fehle dies aber, dann erweise die Apologetik der Volksmission nicht den erwünschten Dienst.“114 Die Emanzipation der Apologetischen Centrale von der Abteilung für Volksmission deutete sich also bereits in den frühen 1920er-Jahren an. Immer wieder beschäftigte die Kommission die Frage nach dem Zusammenhang der verschiedenen Arbeitsgebiete der Inneren Mission. Ein wichti108 Ebd., 188. Zur Geschichte der Volksmission im Freien in Berlin vgl. auch die zugehörigen Protokolle der Arbeitsgemeinschaft (ADE Berlin, CA / EvA 96). 109 Sitzung Kommission für Volksmission vom 13. 7. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 247). 110 Protokolle Sitzungen Kommission für Volksmission am 2. 3. und 13. 4. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 251 und 248); vgl. auch Werbezettel Brennende Fragen und zeitgemäße Antworten, Evangelisationswoche in der Klosterkirche 20.–27. 11. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 90, 50). 111 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 13. 10. 1926 (ADE Berlin CA / EvA 13, 170). 112 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 10. 4. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 230). 113 Vgl. ADE Berlin, CA / EvA 90–92. Im Dezember 1923 gehörte zu den Mietern u. a. der deutschnationale Jugendbund, der dort eine Weihnachtsfeier veranstaltete; vgl. Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 10. 1. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 208). 114 Sitzung vom 8. 1. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 201). Anlass war eine Empfehlung Schweitzers, mit Dora Hasselblatt eine eigene Volksmissionarin für Gebildete einzustellen.
Volksmission zu Beginn der Weimarer Republik (1918–1925)
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ger Impuls war der Beschluss des Deutschen Diakonen-Tages von 1923, „dass in der Arbeit der Inneren Mission eine engere Verbindung von Volksmission und Diakonie hergestellt wird“115. Mit Diakonie sind speziell die in Anstalten ausgeübten Tätigkeiten der bruder- bzw. schwesternschaftlich zusammengeschlossenen männlichen Diakone und weiblichen Diakonissen gemeint. Die Diakone dachten konkret an Werbung für den Beruf des Diakons und der Diakonisse im Rahmen von Volksmissionswochen, sahen Volksmission also als Möglichkeit der Nachwuchswerbung116. Die Anträge des Diakonenverbandes wurden im Rahmen der Kommission positiv aufgenommen117. Die verschiedenen Projekte und Arbeitsfelder, welche die Abteilung in den frühen 1920er-Jahren übernahm, zeugen von dem Willen, das neue Arbeitsfeld „Volksmission“ mit Leben zu füllen und es auszubauen. Die hohe Zahl an Anfragen für Evangelisationen lassen auch das Interesse vieler Gemeindepfarrer für die neue Art der Evangelisation erkennen, die durch die im deutschen Kirchenvolk angesehene Innere Mission eine Art Gütesiegel erhalten hatte. Ziel war es, einen möglichst hohen Anteil der Kosten für die Gehälter und Reisezuschüsse an die Volksmissionare durch Kollekten zu decken. So wurden zusätzlich zur Kollekte der Volksmissionswochen, die grundsätzlich für den Central-Ausschuss bestimmt war, in Anlehnung an die Praxis der Heidenmissionsgesellschaften an interessierte Glieder der evangelisierten Gemeinden Volksmissionsbüchsen ausgegeben. Der Betrag sollte jährlich nach Berlin gesendet werden118. In der Finanzierung wurden also die bewährten, aus dem 19. Jahrhundert stammenden Formen des Vereinsprotestantismus fortgeführt119. Allerdings blieb die Abteilung nicht von den Problemen verschont, welche die Krisenzeit zu Beginn der 1920er-Jahre in Deutschland prägten120. Auffällig wird dies z. B. daran, dass in den Jahren 1922 und 1923 auf jeder Sitzung der Kommission die Gehaltszahlungen der Volksmissionare an die galoppierende Inflation angepasst werden mussten121. In dieser Krisenzeit wurde auch die 115 Entschließungen des 4. Deutschen Diakonentages in Treysa am 13. 11. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 215). 116 Ebd. 117 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 29. 11. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 216). 118 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 11. 9. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 280). Zusätzlich sollten an „besondere Persönlichkeiten“ Werbebriefe geschrieben werden (ebd.). 119 Ähnlich waren ja auch die „Volksmissionsfeste“ im Zusammenhang mit den Landkonferenzen Fritz v. Engels durch die Heidenmission inspiriert. Füllkrug betonte in seinen Memoiren die Bedeutung, welche Missionsfeste und Missionsbüchsen für seine Arbeit in Bentschen (Zbaszyn) gehabt hatten (vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 5, 7). 120 So schloss die Abteilung 1922 mit einem Defizit von 50.000 RM ab; Sitzung vom 26. 10. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 226). 121 In der Sitzung vom 4. 4. 1923 Erhöhung des Honorars für ehrenamtliche Evangelisten auf 1.000 RM pro Tag (ADE Berlin, CA / EvA 13, 223).
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Volksmission in der Weimarer Republik
Entsendung des Volksmissionars Hölzel für einige Jahre zu Auslandsdeutschen nach Brasilien als „Möglichkeit zur Gewinnung neuer Mittel für die Volksmission“122 ernsthaft erwogen. Hilfreich war zu dieser Zeit die Möglichkeit, über die Landkonferenzen anstelle von Geld Spenden von wertbeständigem Getreide zu erhalten123. In der Zeit 1919 bis 1925 entstand aus den Planungen und vorbereitenden Maßnahmen der Kriegszeit und der unmittelbaren Nachkriegszeit eine arbeitsfähige Abteilung, die sich um die Koordination der Volksmission in Deutschland bemühte, selbst Missionare aussandte und eigene Arbeitszweige in Angriff nahm. Die Abteilung für Volksmission im Central-Ausschuss war eine von mehreren Organisationen, die sich dieser Aufgabe widmete. Auffällig ist aber, dass die Umsetzungen wohl auch aus finanziellen Gründen weit hinter den Planungen zurückblieben. Eine Einstellung auf die neue Situation 1918 in Staat und Kirche gelang den Volksmissionaren nicht. Dennoch bleibt auffällig, dass von 1919 bis 1926 eine große Zahl an volksmissionarischen Veranstaltungen stattfand. Insgesamt fanden 5100 Volksmissionsveranstaltungen in fast 2900 Gemeinden124 durch die Organisationen der „Volksmissionsbewegung“, also nicht nur im Rahmen des CA, statt. Trotz aller Begrenzungen des volksmissionarischen Programms und seiner Umsetzungen war es im Laufe der ersten Hälfte der 1920er-Jahre immerhin gelungen, Volksmission zu einem festen Bestandteil kirchlicher Arbeit zu machen und den Begriff in der evangelischen Kirche einzubürgern. Die erste Phase der Etablierung der Volksmission endete im September 1925 mit der Gründung des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission (DEVVM) auf einer Konferenz in Bad Blankenburg, dem im November 1925 bereits 23 Organisationen beigetreten waren125. Mit diesem bereits länger geplanten Zusammenschluss, so konstatierte Gerhardt 1948 in seiner Geschichte des Central-Ausschusses, „war ein Organ geschaffen, das in enger Fühlung mit den zuständigen kirchlichen Stellen und den freien Trägern der Arbeit die evangelische Volkskirche aufbauen half“126. Der Verein, den Füllkrug leitete und dessen Geschäftsstelle sich in Dahlem befand, setzte sich aus den korporativ angeschlossenen volksmissionarischen Organisationen
122 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 26. 10. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 237). 123 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 13. 9. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 218). Bereits im Januar dieses Jahres war beschlossen worden, die Sammelbüchsen zeitweilig durch Sammelbücher zu ersetzen, da Büchsen für große Papiergeldscheine unpraktisch seien; Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 3. 1. 1923 (ebd., 225). 124 Vgl. Herrmann, Volksmission, 217; zur Satzung des Verbandes vgl. das Organigramm unten 520. 125 Vgl. Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 19. 11. 2925 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 191). 126 Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 265.
Stagnation und innere Widersprüche (1925–1929)
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zusammen127. In den Krisenjahren der Weimarer Republik hatte sich damit deutschlandweit eine Struktur von Organisationen herausgebildet, die das Programm der Volksmission umsetzen wollten. Die nächsten Jahre sollten allerdings zeigen, dass das gesamte Organisationsgefüge weit labiler war, als in der Selbstdarstellung der Volksmissionsbewegung zum Ausdruck kam, und dass sie unter zahlreichen inneren Widersprüchen litt.
7.2 Stagnation und innere Widersprüche (1925–1929) Die zweite Hälfte der 1920er-Jahre war durch eine außen- und innenpolitische Beruhigung der Weimarer Republik gekennzeichnet. Die Aufstände und Putschversuche von rechts und links hörten auf und die Wirtschaft stabilisierte sich. Die „Goldenen Zwanzigerjahre“ waren durch kulturelle Innovationen gekennzeichnet. Dennoch blieb das politische System labil. Wie sich spätestens in der Weltwirtschaftskrise zeigen sollte, war auch die scheinbare soziale und kulturelle Stabilisierung der deutschen Gesellschaft trügerisch128. Im Folgenden sollen vor allem die Probleme beschrieben werden, die auch die Auseinandersetzung der Volksmissionsbewegung mit der Systemkrise der Weimarer Republik ab 1929 prägten. Wichtig waren vor allem die Entwicklung des Etats der Abteilung für Volksmission, die Etablierung des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission, das ab 1927 verstärkte Interesse an Kontakten zur völkischen Bewegung und schließlich das immer stärker zur Konkurrenz tendierende Verhältnis zur ebenfalls im Central-Ausschuss angesiedelten Apologetischen Centrale. 7.2.1 Finanzierungsschwierigkeiten Finanziell waren auch die Jahre der Stabilisierung nicht einfach. Da Kollekten zurückgingen129 und auch die Bücherverkäufe während der Volksmissionswochen weniger wurden130, erwiesen sich finanzielle Planungen mehrfach als illusorisch. So musste beispielsweise Anfang 1927 ein hauptsächlich durch das Ausbleiben fest eingeplanter Einnahmen entstandenes Defizit durch ein Darlehen einer anderen Abteilung des Central-Ausschusses ausgeglichen werden131. Mit der Krise der Einnahmen war, wie Füllkrug auf einer Vorstandssitzung des CA zugeben musste, ein Rückgang der Anfragen verbun127 Vgl. Abdruck der Satzung und der Mitgliederliste des 1925 gewählten Verbandsausschusses in Ernst Bunke, Innerkirchliche Evangelisation (1926), 295–336. 128 Vgl. den Überblick in Peukert, Weimarer Republik, 191–242. 129 Sitzung vom 13. 10. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 167 f.). 130 Sitzung 7. 7. 1927 (ebd., 156). 131 Sitzung 9. 2. 1927 (ebd., 162).
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Volksmission in der Weimarer Republik
den: „Die Zeiten sind ruhiger, die Gemeinden ärmer geworden, und dies scheinbar letzte Mittel hat in vielen toten Gemeinden auch nicht den gehofften Erfolg gebracht.“132 Besonders deutlich wurden die Schwierigkeiten bei den Landkonferenzen. Im Juli 1926 musste Engel mitteilen, dass 13 von ihm fest eingeplante Landkonferenzen und fünf Volksmissionsfeste kurzfristig abgesagt wurden133. Ökonomischer Hintergrund war ein Sinken der Weltmarktpreise für Agrarprodukte, was die Absatzmärkte der deutschen Landwirte zerstörte und besonders den Großgrundbesitz in eine tiefe Krise stürzte134. Die Gutsbesitzer konnten große Einladungen nicht mehr finanzieren. Trotz dieser Situation, die es schwierig machte, das Gehalt Engels zu finanzieren, hielt die Kommission seine Aktivitäten bei den Landkonferenzen für nicht ersetzbar135. Obwohl das Defizit des Jahres 1928 geringer wurde, forderte die Finanzabteilung des Central-Ausschusses 1928, die Zuschüsse für die Apologetische Centrale unter Schweitzer136 und die Abteilung für evangelistische Volksmission einzuschränken137. Im November 1928 wurde daher im Rahmen der Kommission für Volksmission über eine mögliche Abgabe der praktischen Evangelisation diskutiert138. Füllkrug sah diese Diskussion als einen „Scheideweg“, er präferierte eine andere Lösung: „Wir müssen dann aber auch den Mut haben, in den Etat einen Glaubensposten einzuschieben.“139 Füllkrug sah also die Lösung für die finanzielle Misere eher in einer Orientierung an den Ende des 19. Jahrhunderts im Rahmen neupietistischer Frömmigkeit entstandenen Glaubensmissionen, die ihre Arbeit dem Anspruch nach ganz durch Spenden finanzieren wollten, ohne eigene Rücklagen zu bilden140. Die Verteidigung der praktischen Evangelisationsarbeit im Rahmen des Central-Ausschusses für Innere Mission übernahm in der Kommissionssitzung am 14. November 1928 das CA-Mitglied Karl Otto v. Kameke: „Es ist unmöglich, organisatorisch zu arbeiten, wenn nicht eine dauernde Verbindung mit der Praxis da ist.“141 Zudem betonte er, dass die Unterstützung durch den Central-Ausschuss notwendig sei, damit „die Arbeit [der Evangelisten, 132 133 134 135 136
137 138 139 140 141
Sitzung des Vorstandes des CA vom 11. 1. 1927 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1927). Schreiben Engel an Füllkrug vom 19. 7. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 121). Vgl. Peukert, Weimarer Republik, 230 f. Kameke und Krenzlin auf der Sitzung der Kommission am 13. 10. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 169). Auch diese hatte ein chronisches Defizit. Füllkrug lehnte es aber Anfang 1929 ab, sie aus zeitweise vorhandenen Überschüssen der evangelistischen Abteilung zu unterstützen; vgl. Protokoll Sitzung des Central-Ausschusses vom 22. 1. 1929 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1926). Dies ist nur ein Beispiel für das im Anschluss zu behandelnde spannungsreiche Nebeneinander der beiden Abteilungen; siehe unten 236–241; 246–256. Sitzung des Central-Ausschusses vom 12. 6. 1928 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1928). Die Haltung Schweitzers in dieser Frage lässt darauf schließen, dass der Antrag durch ihn eingebracht wurde, es sich also um einen Verteilungskampf um begrenzte Mittel zwischen den beiden Abteilungen handelte; vgl. Sitzung vom 14. 11. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 124). Ebd., 122. Vgl. Fiedler, Vertrauen. Sitzung vom 14. 11. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 123).
Stagnation und innere Widersprüche (1925–1929)
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H. B.] nicht als Winkelsache abgetan wird.“142 Kameke betonte also einmal die Notwendigkeit der Verbindung von Theorie und Praxis der Evangelisation. Er forderte, dass die Innere Mission durch die Verwendung von Kollektengeldern Apologetik und Evangelisation verstärkt fördern solle: „Die Wohlfahrtsabteilung hat immerhin die Möglichkeit, mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln auszukommen.“143 In diesem Zusammenhang richtete Kameke auch einen Vorwurf an seine Kollegen im Central-Ausschuss: „Er steht unter dem bedrückenden Gefühl, dass die Volksmission unter voller Anerkennung des C. A., aber nicht immer mit der nötigen Liebe gefördert wird.“144 Dieser Standpunkt bezeichnet eine Problematik im Organisationsgefüge der Arbeit des Central-Ausschusses. Durch den Ausbau des Wohlfahrtsstaates in den 1920er-Jahren hatten die für die Organisation der praktischen Liebestätigkeit zuständigen Institutionen der Inneren Mission Zugriff auf erhebliche Zuwendungen aus öffentlichen Mitteln. Die Innere Mission bildete zusammen mit den anderen in der „Liga der freien Wohlfahrtspflege“ verbundenen Organisationen (Caritas, Rotes Kreuz, Zentralwohlfahrtsstelle der deutschen Juden und Paritätischer Wohlfahrtsverband) ein wesentliches Standbein des Weimarer Sozialstaates145. Diese öffentlichen Mittel waren aber für Evangelisation und Apologetik nicht verfügbar, die sich im Wesentlichen über Spenden und Kollekten finanzieren mussten146. Die kritischen Worte Kamekes zeigten, wie schwer es war, in der Inneren Mission die Wortverkündigung und die praktische Liebestätigkeit zusammenzuhalten. Faktisch kam es hier immer wieder zu Animositäten147. Man kann diesen Befund durchaus als ein Losgelöstsein der Volksmissionsabteilung gegenüber dem Gesamtgefüge der Inneren Mission deuten148. In der folgenden Sitzung Anfang Dezember 1928 wurde die Notwendigkeit der eigenen Abteilung noch einmal deutlich formuliert: „Eine grössere Ausdehnung der Arbeit der Volksmission muss aber für die Zukunft ins Auge 142 143 144 145 146
Ebd. Ebd., 124. Ebd. Hierzu grundlegend Kaiser, Sozialer Protestantismus, 95–185; Sachsse, Kriegsfürsorge. Eine Ausnahme bestand in den Jahren 1927 bis 1928, als Kameke als Ministerialdirektor unter einem deutschnationalen Reichsinnenminister mehrfach Anträge des DEVVM und von regionalen Geschäftsstellen auf Mittel für Kulturförderung positiv beeinflussen konnte; vgl. Schreiben Erich Zweigert (Reichsministerium des Innern) vom 3. 8. 1927; Schreiben Füllkrug an Rohrdantz vom 23. 5. 1928 (ADE Berlin, DEVVM 12). 147 Allerdings ist Herrmanns These überzogen, die Wohlfahrtsarbeit stünde für das Eingehen auf die Bedingungen des Weimarer Systems, während die Volksmission die Ablehnung perpetuiert habe; Herrmann, Volksmission, 217. Beide Arbeitsfelder haben an der „Ambivalenz der Inneren Mission“ (ebd.) gegenüber der Weimarer Republik Anteil. 148 Es ist fraglich, ob die Idee umfangreicher Volksmissionswochen in diakonischen Anstalten, die auf einen Bericht Dora Hasselblatts über angebliche innere Nöte der Schwestern zurückging, wirklich einen Beitrag zur Lösung dieses Problems hätte leisten können; vgl. Sitzung vom 7. 7. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 138).
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Volksmission in der Weimarer Republik
gefasst werden, selbst unter dem Druck finanzieller Not.“149 Die Kommission solle sich vor allem stärker um die Koordination der Volksmissionsarbeit durch andere Organisationen kümmern150. Insgesamt kann man die Reaktion auf die Schwierigkeiten nur als ein verstärktes Beharren auf den bisherigen Tätigkeitsformen bezeichnen. 7.2.2 Strukturprobleme im Deutschen Evangelischen Verband für Volksmission Laut seiner eigenen Satzung war der DEVVM „ein Zusammenschluß evang. Vereinigungen, die unter den dem Christentum und der Kirche innerlich oder äußerlich entfremdeten Gliedern unseres Volkes Mission treiben“151. Für den Erfolg des Verbandes in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre sprach, dass er im Frühjahr 1929 insgesamt 47 Mitglieder hatte152. Der Verband entfaltete ein regelmäßiges Vereinsleben durch jährliche Versammlungen von Vertretern der Mitgliedsorganisationen und regelmäßige Vorstandssitzungen153. Diese Tagungen bildeten Gelegenheiten zum Austausch unter den Mitgliedsorganisationen. Teilweise luden sie prominente Gäste ein. So hielt der damalige Privatdozent Friedrich Gogarten auf der Vertreterversammlung 1927 auf dem Hainstein in Eisenach das Hauptreferat über die Theologie des Wortes Gottes. Die sehr kritische Rezeption des Vortrages auf der Tagung und in Füllkrugs veröffentlichtem Tagungsbericht vorkommende Missverständnisse der dialektischen Theologie zeigten, dass die volksmissionarisch Bewegten nicht unbedingt zu den Speerspitzen der theologischen Aufbrüche in der Weimarer Republik gehörten154. Allerdings zeigt sich bei der Sichtung der erhaltenen Sitzungsprotokolle und der Korrespondenz schnell, dass die Mitgliedsorganisationen des Verbandes ein erhebliches Maß an Diversität auszeichnete155. Im Folgenden sollen anhand der Mitgliederliste des Verbandes156 aus dem Jahr 1929 verschiedene Gruppen von Mitgliedsorganisationen klassifiziert werden: a) Auffällig war, dass mit der Abteilung für Volksmission und der Apologe149 Sitzung vom 3. 12. 1928 (ADE Berlin CA / EvA 13, 107). 150 Ebd. 151 Satzung DEVVM, abgedruckt in Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 333; vgl. auch das Organigramm des Verbandes unten 520. 152 Die folgende Analyse der Mitgliedsorganisationen folgt der Mitgliederliste nach der Selbstdarstellung des Verbandes im 1929 erschienenen Handbuch der Inneren Mission; vgl. ebd., 332–347. Dazu soll punktuell der interne Schriftverkehr des Verbandes herangezogen werden. 153 Vgl. die Sitzungsprotokolle von 1925 bis 1934 in ADE Berlin, BP 1435 und ADE Berlin, BP 1436. 154 Vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 273. 155 Grundsätzlich hat dies bereits Erich Beyreuther erkannt; vgl. Beyreuther, Kirche, 224 f. 156 Vgl. Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 332–347. Zum Stand der Mitglieder Ende 1926 siehe „Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); vgl. unten 521 f.
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b)
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tischen Centrale zwei direkt zum Central-Ausschuss gehörende Abteilungen selbstständige Mitglieder des Verbandes waren. Keiner von beiden war für eine bestimmte Region zuständig, sondern sie beanspruchten einen auf ganz Deutschland bezogenen Aktionsradius und eine Lenkungsfunktion gegenüber den anderen Organisationen157. Die Wichern-Vereinigung in Hamburg bildete ebenfalls einen Verband eigener Art: Mit 10 Berufsarbeitern war sie die größte deutsche volksmissionarische Organisation. Zugleich war sie ähnlich wie die beiden Abteilungen des Central-Ausschusses nicht auf einen regionalen Bereich festgelegt und verfügte mit dem späteren DC-Aktivisten und Göttinger Professor Walter Birnbaum über einen ungemein ehrgeizigen Geschäftsführer158. Die Berliner Missionsgesellschaft mit ihren Heimatmissionaren Georg Beyer und Ludwig Weichert gehörte ebenfalls zu den etablierten Verbänden, da sie, wie gezeigt, schon seit dem Ersten Weltkrieg den Volksmissionsdiskurs mit prägte159. Der Reichsverband der evangelischen Jungmännerbünde war zwar korporatives Mitglied des Verbandes, beteiligte sich aber nach dem erhaltenen Schriftverkehr wenig an den Diskursen innerhalb des Verbandes. Einen großen Anteil nahmen die an die Landes- und Provinzialverbände der Inneren Mission angegliederten Abteilungen bzw. Ausschüsse für Volksmission ein. Deren Geschäftsführer beanspruchten daher ein besonderes Gewicht im Verband160. Teilweise bildeten die landes- und provinzialkirchlichen Abteilungen für Volksmission Dachorganisationen für Ausschüsse für Volksmission in Teilgebieten161. Dagegen waren in einzelnen Landeskirchen nicht die Innere Mission, sondern kirchliche Stellen Mitglieder des Verbandes: Dies konnten mehr oder weniger fest gefügte Arbeitsgemeinschaften von Pfarrern162 oder feste kirchliche Ausschüsse sein163. Die festeste institutionelle Verankerung
157 Zum Selbstverständnis der Abteilung für Volksmission vgl. die Ausführungen über die Verhandlungen in den frühen 1920er-Jahren v. a. oben 210 f.; zur Politik der AC vgl. Pçhlmann, Kampf, 78–83; der Titel dieses Unterabschnitts wurde durch Pöhlmanns Kapitel „Organisatorische Probleme innerhalb des Vereinsprotestantismus“ (ebd., 98–103) inspiriert. 158 Zur Wichern-Vereinigung in den 1920er-Jahren vgl. Gerhardt, Arbeit; Birnbaum, Dorf. Die Wichern-Vereinigung spielte eine Schlüsselrolle bei der Entstehung des DEVVM; vgl. Birnbaum, Zeuge, 85 f. 159 Vgl. oben 71 f. 160 Von den 47 in der Mitgliederliste von 1927 aufgeführten Verbänden waren dies 23; vgl. Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 332–347. 161 So gab es in Nassau zwei Ausschüsse in Wiesbaden und Dillenburg; vgl. ebd., 337; die Volksmissionare in Westfalen waren durch die Verbände für IM in Minden-Ravensberg und in der Grafschaft Mark angestellt; vgl. ebd., 338. 162 So war die lockere Arbeitsgemeinschaft für Volksmission in Hannover der dortigen Inneren Mission nur lose angegliedert; vgl. Otte, Nebeneinander, 7; Riesener, Volksmission, 38. 163 So z. B. im Rheinland; vgl. Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1,
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hatte der Thüringer Volksdienst, der als kirchliches Amt Volksmission und Erwachsenenbildung verband164. Eine besondere Stellung nahm wiederum der Evangelische Volksbund in Württemberg ein. Er war aus der Volkskirchenbewegung zu Beginn der Weimarer Republik entstanden und hatte einen starken Rückhalt im Kirchenregiment. Mit seinen über 100.000 Mitgliedern in mehr als 600 Ortsgruppen war er jedoch außerdem eine kirchliche Massenbewegung. Auch er verband kirchliche Öffentlichkeitsarbeit mit Apologetik und Evangelisation. Zwischen den Verbänden gab es auch inhaltliche Unterschiede: Während die meisten dem Verband angehörenden Organisationen explizit für Evangelisation oder Volksmission zuständig waren und teilweise Apologetik und Evangelisation integrierten, gehörten dem Verband neben der Apologetischen Centrale drei weitere Ämter bzw. Institutionen für Apologetik auf gliedkirchlicher Ebene an165. In anderen Gliedkirchen geschah diese Trennung aber nicht. In Schlesien wurden die Arbeitsfelder Evangelisation und Apologetik z. B. von zwei unterschiedlichen Pfarrern bearbeitet, die jedoch innerhalb des Schlesischen Provinzialvereins für Innere Mission eine gemeinsame Abteilung für Volksmission bildeten. Insgesamt fünf Bibelschulen und Ausbildungseinrichtungen gehörten 1929 zum DEVVM. Dazu gehörte ein an der Gemeinschaftsbewegung orientiertes Institut wie die Bibelschule Malche in Falkenberg (Mark Brandenburg)166 oder die zum Johannesstift gehörende Diakonenausbildung in der Wichern-Schule167. Auffällig ist, dass drei dieser Bibelschulen sich explizit an Frauen richteten168. Einige Verbände trieben nur eine verhältnismäßig kleine Volksmissionsarbeit. So traten die Berliner Stadtmission und die Sudan-Pioniermission nur bei, weil Hans Berg, ein ehemaliger Mitarbeiter der Wichern-Vereinigung, der sich Mitte der 1920er-Jahre mit Walter Birnbaum überworfen hatte, sich ihnen zeitweilig als Evangelist anschloss169. 338. Undeutlich war der Status in Mecklenburg; hier bestand eine eigene landeskirchliche Geschäftsstelle für Volksmission, die von einem Ausschuss beaufsichtigt wurde, in dem neben Angehörigen des Kirchenregiments auch der Leiter des mecklenburgischen Landesverbandes für IM saß; vgl. Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 340. Vgl. ebd. sowie Bçhm, Volksdienst. Der Autor dankt Pfarrerin Dr. Susanne Böhm (Apolda) für die Überlassung dieses unpublizierten Manuskriptes. Eine weitere Beschäftigung mit dem umfangreichen Aktenbestand im Thüringer Kirchenarchiv würde sich lohnen. So das Amt für Apologetik in Westfalen (vgl. Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 344); die Apologetische Centrale in Baden (vgl. ebd., 343); Apologetischer Ausschuss der Inneren Mission in Hessen-Kassel (vgl. ebd., 337). Vgl. ebd., 342. Vgl. ebd., 344. Die Schule der Mädchenbibelkreise, Bibelschule des Morgenländischen Frauenmissionsvereins, Seminar für kirchlichen Frauendienst der weiblichen Jugendvereine; vgl. ebd., 340–343. Vgl. Schreiben Sudan-Pionier-Mission an Füllkrug vom 29. 11. 1928 (ADE Berlin, DEVVM
Stagnation und innere Widersprüche (1925–1929)
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k) Schließlich gehörten dem Verband einige kleine Werke an, die sich an der Gemeinschaftsbewegung orientierten. Hier wären besonders die Himmelreichsmission in Brandenburg an der Havel und die Zelt-Volksmission in Weier bei Offenbach zu nennen170. Aus diesem Überblick wird bereits deutlich, dass die dem Verband angehörenden Organisationen sehr unterschiedlich geprägt waren, was ihre Ausrichtung, theologische Prägung und Organisation betraf. Hinzu kam, dass sich nicht nur überregional und regional aktive Vereinigungen und Institutionen verbanden, sondern teilweise mehrere Organisationen aus der gleichen Gliedkirche Mitglied wurden. In Thüringen waren sowohl der dortige Landesverein für Innere Mission als auch der amtskirchliche Volksdienst Mitglied. Beide hatten ihre Kompetenzen so aufgeteilt, dass die Innere Mission Evangelisationen in Einzelgemeinden veranstaltete und der Volksdienst auf ganze Kirchenkreise bezogene kirchliche Aufbauwochen und die gesamte Rüstzeitarbeit übernahm171. In Württemberg gehörte neben dem Evangelischen Volksbund noch der bereits 1900 gegründete pietistische Verein für Evangelisation dem Verband an. Dieser war eng mit der konservativen Kirchenpartei der Landeskirche verbunden172. Zur Konkurrenz der Organisationen trat in Württemberg noch die unterschiedliche theologische Prägung: Der Verein für Evangelisation sah den gemäßigt liberalen Volksbund mit Misstrauen173. Innerhalb des DEVVM sorgte diese hier nur skizzenhaft dargestellte Diversität der Mitgliedsorganisationen für ständige Spannungen, die schon in der Anfangszeit des DEVVM sichtbar waren. Die Apologeten, neben Schweitzer besonders Johannes Müller-Schwefe, der Leiter des westfälischen Amtes für Apologetik, setzten sich mit anspruchsvollen Programmen von den Evangelisten ab. Dabei spielte ein Begriff eine besondere Rolle, den MüllerSchwefe im Oktober 1928 als Zukunftsaufgabe des Verbandes proklamierte: „Die Hauptaufgabe der Kirche muss eine umfassende Schulung der Laien sein. Der Gedanke der Erwachsenenschulung ist der entscheidende für die nächsten
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12); zur Aufnahme der Berliner Stadtmission vgl. Protokoll Vertreterversammlung DEVVM Neuendettelsau vom 16. 4. 1928 (ADE Berlin CA / EvA 15, 80). Direktor Wilhelm Philipps bat im Namen der Berliner Stadtmission, sie nur mit Abstrichen als Organisation der Volksmission zu betrachten, da sie auch in großem Umfang karitative Arbeit betreibe; vgl. Schreiben Philipps an Füllkrug vom 18. 11. 1927. Vgl. Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 343 f. Vgl. ebd., 340.; Bçhm, Volksdienst, 7–9. Vgl. Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 340 f. Der Verein für Evangelisation erscheint in der hier analysierten Mitgliederliste als volksmissionarische Organisation des württembergischen Landesvereins für Innere Mission; zu seiner Geschichte vgl. Jubiläumsschrift des Württembergischen Vereins für Evangelisation, Stuttgart 24. 5. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 84). Dies trat bei einer Volksmissionsreise Hagens nach Württemberg im Jahre 1926 zutage; vgl. in dieser Arbeit 335–337.
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Jahrzehnte der Kirche.“174 Hieran knüpften sich ehrgeizige Pläne zu umfassenden apologetischen Schulungsprogrammen175 oder zum Aufbau von unter der Aufsicht des Kirchenregiments stehenden Apologetischen Zentralen in allen Landes- und Provinzialkirchen176. Die Apologeten entwickelten so eigene Interessen und Ziele, die sie immer stärker von den vor allem evangelistisch tätigen Organisationen abrücken ließen177. Einen noch größeren Anlass für Probleme boten die dem Verband angehörenden Gemeinschaftswerke. Wie bereits oben dargelegt, hatte sich auf der Spandauer Konferenz von 1922 ergeben, dass die Gemeinschaften nicht in der Volksmission mitarbeiten würden. Es gab allerdings weiterhin punktuelle Zusammenarbeit178. Auch die Gründung des DEVVM fand ohne Einbeziehung des Gnadauer Verbandes statt, obwohl gerade die Wichern-Vereinigung die Gemeinschaften gerne einbezogen hätte179. Erst 1929 und 1930 gab es zwei Konferenzen, in denen sich Vertreter der Gemeinschaftsbewegung und des Volksmissionsverbandes wieder institutionell gemeinsam trafen180. Das Verhalten zwischen Volksmissionsbewegung und Gnadauer Verband kann man insgesamt mit der Bezeichnung „freundliche Distanz“ beschreiben. Während die großen Gemeinschaftsverbände den Beitritt also ablehnten, gab es verschiedene kleine Vereine, die den Beitritt zum DEVVM beantragten. So beantragte die in Brandenburg an der Havel gelegene, der Gemeinschaftsbewegung nahestehende Himmelreichsmission ihre Aufnahme in den Verband. Sie wurde 1927 aufgenommen; es gab allerdings bereits Ende des Jahres Kritik, dass sie am Totensonntag morgens zur üblichen Gottesdienstzeit anlässlich eines Vereinsfestes einen eigenen Gottesdienst geplant habe, was als Distanzierung von der Amtskirche wahrgenommen und daher durch den Verband scharf kritisiert wurde181. In der Tat trat die Himmelreichsmis-
174 Protokoll Sitzung Geschäftsführer DEVVM 17.–19. 10. 1928, ADE Berlin, BP 1435. 175 Vgl. Künneth / Schweitzer, Memorandum über eine Laienführerschulung Januar 1928 (ADE Berlin, DEVVM 11). 176 Vgl. Denkschrift über die Gewinnung der Arbeiter für die Kirche, o. O. o. D. (ADE Berlin, DEVVM 11). 177 Dies manifestierte sich bereits im hier analysierten Zeitraum im Autonomiestreben der Apologetischen Centrale; vgl. unten 236–241. 178 Besonders bei Erkundigungen zu Bewerbungen von Evangelisten hielt Füllkrug beispielsweise engen Kontakt zu Gemeinschaftsleitern und erbat Referenzen von diesen (vgl. ADE Berlin, CA / EvA 24 und ADE Berlin, CA / EvA 25). Zum Verhältnis zu Gnadau vgl. oben 210 f. 179 Vgl. Schreiben Birnbaum an die Abteilung für Volksmission vom 20. 8. 1925 (ADE Berlin, DEVVM 10). 180 Vgl. Protokoll einer Besprechung mit Vertretern des Gnadauer Verbandes vom 6. 1. 1929 (ADE Berlin, CA / AC 255, 89 f.; ADE Berlin, CA / AC 256); Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 6. 11. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 24). Zum Verhältnis von Gnadauer Verband und DEVVM vgl. auch Beyreuther, Kirche, 226 Anm. 415. 181 Vgl. Vorstandssitzung DEVVM vom 17. 10. 1927 (ADE Berlin, CA / AC 255, 174); Schreiben Füllkrug an Prediger Thomas (Himmelreichsmission) vom 24. 10 .1927 (ADE Berlin, DEVVM 11).
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sion im August 1931 aus, um dem zuständigen Gemeinschaftsverband beizutreten182. Eine ähnliche Diskussion gab es, als ebenfalls 1927 die in Baden beheimatete Zelt-Volksmission dem Verband beitreten wollte. Der ostpreußische Generalsuperintendent Paul Gennrich verweigerte seine Zustimmung, da er 1925 schlechte Erfahrungen mit einer parallel zu einer von Evangelisten des Central-Ausschusses in Königsberg stattfindenden, nicht von der den Antrag stellenden Vereinigung durchgeführten Zeltmission gemacht hatte183. Während Ostpreußen die Aufnahme ablehnte, befürworteten sie die Geschäftsführer aus Süddeutschland vehement, da sie den auf Allianzbasis arbeitenden Verband als eher kirchenfreundlich wahrnahmen184. Letztlich setzten sich die Befürworter durch. Hier zeigte sich das auch in den theoretischen Schriften immer wieder zu greifende ambivalente Verhältnis zur Gemeinschaftsbewegung: Einerseits sollte die Volksmission wie die Evangelisation der Gemeinschaften Menschen zum Glauben rufen, andererseits sah man sich in Konkurrenz zu ihnen, da die landeskirchlichen Gemeinschaften als zu distanziert gegenüber der Kirche galten. Allerdings manifestierte die Kritik an der Aufnahme von Gemeinschaftsorganisationen auch die Interessen einer wichtigen Gruppe von Akteuren, nämlich die der Geschäftsführer in den Landes- und Provinzialverbänden der Inneren Mission. Theodor Rohrdantz aus Mecklenburg gab zwar seine Zustimmung zur Aufnahme der Himmelreichsmission, er sah in der Aufnahme von immer mehr Organisationen aber eine problematische Entwicklung, da der Verband seiner Auffassung nach dadurch zu groß werden würde185. Die Geschäftsführer der einzelnen Verbände hatten ein Interesse daran, den Verband möglichst klein zu halten, um in den Abstimmungen Mehrheiten zu erhalten und so ihren Einfluss auf den Kurs des Verbandes zu nehmen. Zudem waren sie daran interessiert, die Kontrolle über Volksmissionswochen auf ihrem Territorium zu behalten, und waren daher gegen die Aufnahme der nicht nur theologisch suspekten, sondern auch in ihrem Einflussbereich kleineren Verbände als gleichrangige Partner. Das hatte auch Konsequenzen für ihr Verhalten gegenüber den überregional aktiven Organisationen innerhalb des Central-Ausschusses und gegenüber der Wichern-Vereinigung. Im April 1928 forderte Gottfried Handtmann, der Geschäftsführer der Volksmission im Pommerschen ProvinzialVerein, dass die überregionalen Organisationen künftig nur noch auf Anfrage 182 Vgl. Schreiben Thomas (Himmelreichsmission) an CA vom 3. 8. 1931 (ADE Berlin, DEVVM 13). 183 Vgl. Schreiben Gennrich an Füllkrug vom 4. 10. 1927 (ADE Berlin, DEVVM 11). Zu den Konflikten in Königsberg vgl. Hçlzel, Armen, 186 sowie Beyreuther, Kirche, 226. 184 Vgl. Schreiben Paul Ernst Werner (Landesverband für IM Baden) an Füllkrug vom 2. 11. 1927 (ADE Berlin, DEVVM 11); Protokoll Vertreterversammlung DEVVM vom 16. 4. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 15, 81). 185 Vgl. Schreiben Rohrdantz an DEVVM am 23. 6. 1927 (ADE Berlin, DEVVM 10).
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der Geschäftsführer der Landes- und Provinzialvereine Volksmissionare in die einzelnen Gebiete entsenden sollten. Dem widersprachen Füllkrug und Birnbaum im Namen von CA und Wichern-Vereinigung vehement und letztlich erfolgreich. Sie verpflichteten sich lediglich, Volksmissionswochen ihrer Organisation rechtzeitig an die zuständigen Landes- und Provinzialgeschäftsstellen zu melden186. Die internen Korrespondenzen und die Protokolle der Gremien des DEVVM zeigten damit von Anfang an mehrere Trennlinien im Programm, die durch die Diversität der Mitgliedsverbände verursacht wurden. Für die Entwicklung des Verbandes waren vor allem die unterschiedlichen Interessen zwischen Apologetik und Evangelisation sowie der Anspruch der Geschäftsführer in den Landes- und Provinzialverbänden auf Kontrolle über die Volksmission in ihren Gebieten wichtig. Dieser Anspruch richtete sich zum einen gegen die kleineren Organisationen, die sie nicht als gleichwertige Partner in den Verband aufnehmen wollten, zum anderen strebten sie nach einer größeren Kontrolle über die Arbeit der überregional agierenden Verbände. Die Nähe mancher kleinerer Verbände zu den Gemeinschaften und die unterschiedliche organisatorische Verankerung in Kirche und Innerer Mission verstärkten zusätzlich die Spannungen innerhalb des Verbandes. Der DEVVM als Institutionalisierung der Volksmissionsbewegung manifestierte damit die inneren Widersprüche der angestrebten einheitlichen Volksmission. In der Zeit der Weltwirtschaftskrise drohten die aus den Spannungen resultierenden internen Auseinandersetzungen den Verband vollends zu paralysieren. 7.2.3 Volksmission und nationalistische Ideologien Im Rahmen des Volksmissionsdiskurses blieben politische und gesellschaftliche Äußerungen nicht aus. In der Mitte der 1920er-Jahre entzündete sich die Diskussion vor allem um die Frage, ob und inwieweit ein Eingehen auf die nationalen Verbände und die Angehörigen völkischer Ideologien notwendig sei, um zu verhindern, dass sich Teile der „vaterländischen Bewegung“ von der Kirche lösten. In der Literatur wird dieser Impuls immer wieder auf den „vaterländischen Kirchentag“ in Königsberg im Sommer 1927 zurückgeführt. Auf diesem Kirchentag hielt Paul Althaus einen Leitvortrag, in dem er das Thema „Kirche und Volkstum“ diskutierte187. Althaus versuchte, die Anliegen der völkischen Bewegung aufzunehmen. Er betonte, dass die Kirche auf diese Entwicklung mit einem Willen zur Volkskirche zu antworten habe, die dem 186 Vgl. Protokoll Vertreterversammlung DEVVM vom 16. 4. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 15, 82 f.). 187 Abdruck des Vortrages in Krumwiede, Kirche, 187–207. Diskussion der Wirkung in Scholder, Kirchen, Bd. 1, 140–145.; Nowak, Kirche, 173–177.
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ganzen Volk diene und sich zugleich auf die natürlichen Lebensumstände des Volkes einlasse188. Seine Ausführungen werden daher zu Recht als Zeugnis einer an dem Wiederaufstieg Deutschlands orientierten politischen Theologie gedeutet, mit der die Anliegen der völkischen Bewegung christlich legitimiert worden seien189. Der Erlanger Theologe schloss seinen Vortrag mit einer konkreten Warnung: „Furchtbar, wenn Volkstumsbewegung und Kirche sich ebenso verfehlten, wie Arbeiterbewegung und Kirche sich weithin verfehlt haben! Heute droht die Gefahr, daß wir eine Volkstumsbewegung bekommen, die der Kirche verloren ist, und eine Kirche, die ihr Volk als Volk in seinem heißesten Wollen nicht mehr findet. Schmerzlicheres könnte uns nicht geschehen. Es wäre das Todesurteil für unser Volkstum, es wäre der Verzicht der Kirchen auf ihre Sendung, die Welt zu durchdringen, ein ganzes Volk, für das sie vor Gott verantwortlich sind, ihm zuzuführen.“190
Althaus wies hier auf die Analogie der Arbeiterbewegung hin, die durch ein mangelndes Eingehen auf die neue Situation der evangelischen Kirche entglitten sei. Für den Fall einer Emanzipation der völkischen Bewegung vom Christentum hielt er die Konsequenzen für noch wesentlich schärfer: Es sei der endgültige Verzicht auf die Sendung der Kirche an das deutsche Volk. Volker Herrmann betrachtete den öffentlichkeitswirksamen Vortrag von Althaus als wesentlichen Impuls für eine Konzentration volksmissionarisch orientierter Kreise auf die völkische Bewegung und eine verstärkte Diskussion des Volkstumsbegriffes191. In der Tat gab es die „Vaterländische Kundgebung“, die Abschlussresolution dieses Kirchentages, einen Aufruf zur Mission an den angeblich Entfremdeten192. Zudem gelang es Füllkrug, der selbst Beisitzer im Präsidium des Kirchentages war193, auf dieser Veranstaltung einen Antrag durchzubringen, der sich explizit auf volksmissionarische Bestrebungen in den deutschen evangelischen Landeskirchen bezog. In diesem Antrag wurden die Pfarrer aufgefordert, zusätzlich zur normalen kirchlichen Tätigkeit in ihrem Amt missionarisch tätig zu werden:
188 Hier fehlte auch nicht der Hinweis auf die Adaption der „natürlichen Gemeinschaftsformen“ durch deutsche Missionare in Tansania und Neuguinea sowie auf die enge Verbindung von Volkstum und Kirche in Siebenbürgen (Krumwiede, Kirche, 203 f.). 189 So Scholder, Kirchen, 141 f. 190 Abgedruckt in Krumwiede, Kirche, 206 f. 191 Herrmann, Verhältnis, 8 f. 192 „Wir müssen bleiben, was wir waren, ein Volk, das seine tiefsten Lebenskräfte aus dem Evangelium schöpft. Solche Arbeit an der Seele unseres Volkes muß geschehen gerade auch im Blick auf die innerlich uns entfremdeten Volksgenossen. Wir können und wollen sie nicht lassen“ (Vaterländische Kundgebung des Königsberger Kirchentages, abgedruckt in: Krumwiede, Kirche, 208). 193 Vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 83.
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„Der Kirchentag sieht mit heißer Sorge auf die vielen Mitglieder unseres Volkes, die sich von der Kirche und dem Christentum abgewendet haben, auch ohne daß sie aus der Kirche ausgetreten sind. Er erkennt die missionarische Arbeit des Pfarramtes neben der alt bewährten anderen pfarramtlichen Tätigkeit als eine jetzt ganz besonders notwendige Aufgabe an und nimmt von dem auf diesem Gebiet in manchen Landeskirchen schon Geleisteten dankbar Kenntnis.“194
Der Königsberger Kirchentag von 1927 war also für die Volksmissionsbewegung insofern ein Erfolg, als sie auf die öffentlichen Kundgebungen des Deutschen Evangelischen Kirchenbundes verweisen konnte, der die Notwendigkeit einer missionarischen Arbeit, die das gesamte deutsche Volk erreichen sollte, hervorhob. Aber auch inhaltlich wirkte die Diskussion um den Volkstumsbegriff, die Althaus in Gang gesetzt hatte, auf die Diskussionen im Rahmen des CA. Das Jahr 1927 war allerdings keine Initialzündung dieser Diskussion, da bereits im Mai 1924 auf einer Gesamtsitzung des CA der Vortrag des Direktors der Inneren Mission in Leipzig, Georg Gustav Philipp Faust, zu dem Ergebnis kam: „Die Kirche hat die Pflicht, sich eingehend mit der völkischen Bewegung zu beschäftigen und derselben mit den ihr verliehenen Gaben zu dienen.“195 Im Herbst 1927 wurden die Überlegungen nun durch eine Volksmissionswoche Hagens in der Gemeinde Leipzig-Stötteritz erneut virulent. Der dortige Pfarrer, Ernst Walter Vogel, war der Leiter der „Deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft Großdeutschlands“, die in Leipzig ihren Schwerpunkt hatte196. Hagen berichtete über sein Zusammentreffen mit Vogel, über dessen Tätigkeit in der Deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft und über die Möglichkeiten, die sich durch die Offenheit der 300 Teilnehmer dieser deutschchristlichen Konferenzen gegenüber Evangelisationen ergeben würden197. Hagen verwies zudem auf die Wirkung des Kirchenaustritts Erich Ludendorffs198, durch welchen viele Anhänger der völkischen Bewegung vollkommen verunsichert seien199. Er wies damit auf den Einfluss Ludendorffs im völkischen Lager hin, den Nowak zu Recht einen „Katalysator“200 für die Tätigkeit der Deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft nannte. Hagen 194 Zitiert nach F llkrug, Kirchentag, 328. 195 Protokoll Sitzung CA vom 12. 5. 1924 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1924). 196 Auf die Kontakte zwischen Innerer Mission und der Deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft hat bereits Kurt Nowak hingewiesen und für seine Darstellung der Deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft auch die hier herangezogenen Akten benutzt (vgl. Nowak, Kirche, 250–252). Für wertvolle Hinweise dankt der Autor Uwe Bertelmann (Gießen), da Hilbert als Leipziger Superintendent mit dieser Arbeitsgemeinschaft ebenfalls intensive Kontakte gepflegt hat. 197 Hagen, Bericht über die Evangelisation in Leipzig Stötteritz (ADE Berlin, CA / EvA 126). 198 Ludendorff war 1926 aus der evangelischen Kirche ausgetreten und wandelte den von ihm gegründeten Tannenbergbund von einem politischen Bund zu einer völkisch-religiösen Sekte; vgl. Borst, Ludendorff-Bewegung. 199 ADE Berlin, CA / EvA 126, 1. 200 Nowak, Kirche, 252.
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schloss daher seinen Bericht über die Evangelisation in Stötteritz mit einem Aufruf, auf die Anliegen der Arbeitsgemeinschaft einzugehen201. Über Hagen entstand schnell ein Kontakt zu Füllkrug und dem CentralAusschuss. Vogel richtete nämlich an Füllkrug die Bitte, mit Unterstützung des Central-Ausschusses „das Band zwischen Kirche und Volkstum fester knüpfen zu helfen.“202 Aus diesem Schriftwechsel entsprang ein intensiver Dialog zwischen der Arbeitsgemeinschaft und der Inneren Mission, der darin gipfelte, dass im November 1928 auf einer Gesamtsitzung des Central-Ausschusses eine eigene Kommission zur Klärung des Verhältnisses zu den Völkischen eingesetzt wurde203. Vogel verfolgte das Ziel, durch Kontakte mit den völkischen Spitzenverbänden zu den Führern der Völkischen in Verbindung zu treten und ihnen die christliche Botschaft zu vermitteln. Insgesamt dachte er also nicht so sehr an eine Massenevangelisation, sondern an eine Beeinflussung von Eliten. Hierbei wünschte er die Hilfe der Inneren Mission. Seine Vision war die Anstellung eines Berufsarbeiters, der als „Frontkämpfer, womöglich früherer Offizier, Mitglied eines völkischen Verbandes, überzeugter positiver Christ, guter Redner und gewandter Schriftsteller“204 das Vertrauen beider Seiten genoss und unter den Völkischen arbeiten könnte. Einen ersten Beitrag zu diesem Ziel sollte die Innere Mission leisten, indem Füllkrug und Helmuth Schreiner im Auftrag des CA mit den Führern aller vaterländischen Verbände unter Einschluss Ludendorffs verhandeln sollten205. Vogel war zudem auch eine Klärung der theologischen Fragen wichtig. Seine Vorschläge für die personelle Besetzung von Verhandlungen zeigten aber, dass ihm eher an einer Sammlung der für die völkischen Fragen offenen Theologen als an einer klaren Verhältnisbestimmung lag206. Denn die von ihm vorgeschlagenen Theologen waren in ihrem Verhältnis zu den Völkischen durchaus unterschiedlich. Während beispielsweise Paul Althaus und Hans von Lüpke, der Gründer der Dorfkirchenbewegung, eine konservativ lutherische Theologie der Schöpfungsordnungen mit einem gewissen Fokus auf das Volkstum vertraten, wollte Vogel auch Vertreter der radikalen Deutschkirche einbeziehen: „Gegen sie wird schwer von der Kirche aus vorzukommen sein. Neben sie sich zu stellen bei Wahrung der eigenen Selbständigkeit dürfte sicher möglich sein und dann wäre die Wirkung auf das Volksganze, soweit es überhaupt noch bewußt deutsch fühlt, eine starke.“207 201 ADE Berlin, CA / EvA 126, 2. 202 Schreiben Vogel an Füllkrug, 15. 11. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 126). Vogel verwies dabei explizit auf den Vaterländischen Kirchentag in Königsberg. 203 Sitzung des CA vom 18. 11. 1927 (ADE Berlin, CA 94, A I b 2 bb 1927/1934). Die Akten dieser „Kommission für völkische Fragen“: ADE Berlin, CA / EvA 19. 204 Schreiben Vogel 29. 11. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 19). 205 Ebd. 206 Ebd. 207 Ebd.
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Die Deutschkirche war daher seit 1925 fest in die Deutsch-christliche Arbeitsgemeinschaft integriert208. Die intensiven Kontakte zur Volksmissionsbewegung wurden besonders am Verlauf einer Tagung in Leipzig am 1. Dezember 1927 deutlich, an der neben Füllkrug als Vertreter der Inneren Mission209 auch Hilbert als Leipziger Superintendent teilnahm. Vogel verfolgte damit den Zweck, diejenigen Angehörigen völkischer Verbände in Kontakt mit Kirchenmännern zu bringen, „bei denen die Gefahr, Luddendorffschen Schritten [des Kirchenaustritts, H. B.] zu folgen, am stärksten vorhanden war.“210 Auf dieser Versammlung, zu der Vertreter aller christlichen Kirchen und der vaterländischen Verbände Leipzigs eingeladen waren, enthielt das Eingangsreferat des Studienrates Kästner deutliche Anklänge an die deutschkirchliche Ideologie: „So würde uns ein Christentum, aufgebaut auf der Edda, näher stehen als auf das alte Testament“211. Gleichzeitig wurde in seiner Rede aber auch deutlich, wie er die Zeitsituation als einen Abwehrkampf verstand, in dem die Kirchen und die völkischen Organisationen zusammengehörten: „Da die rote Gefahr alle Konfessionen bedroht, sollten alle wachsam sein und mitarbeiten.“212 Zugleich betonten die auf der Konferenz anwesenden Vertreter rechter Verbände ihr Interesse daran, die evangelischen Kirchen als Bundesgenossen für ihren Kampf zu gewinnen: „Wir dienen unseren Verbänden am besten, wenn wir die richtige Religion verbreiten, und wenn wir die Jugend gewinnen. Ohne die Jugend sind wir verloren.“213 Gerhard Hilbert als Leipziger Superintendent und zugleich als Vertrauensmann der Volksmission versuchte, den im rechten Lager einflussreichen Ideen der Deutschen Kirche soweit wie möglich entgegenzukommen. Er stellte den heroischen Charakter des Christentums heraus, das die Gläubigen zu einer Auseinandersetzung mit den widergöttlichen Mächten auffordere214. Zugleich betonte er die angeblich unauflösliche Synthese zwischen deutschem 208 209 210 211
Nowak, Kirche, 250. Vgl. Füllkrug, Reisebericht (ADE Berlin, CA / EvA 126). Schreiben Vogel vom 3. 12. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 19). Niederschrift zu der Sitzung der deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft am 1. Dezember 1927 im Königin-Luise-Haus (ADE Berlin, CA / EvA 19). Der Referent ist eventuell mit einem wie Vogel in Leipzig-Stötteritz wohnhaften Studienrat Paul Kästner identisch; vgl. Leipziger Adressbuch 106 (1927), Bd. 1, 465. 212 Niederschrift zur Sitzung der Arbeitsgemeinschaft am 1. 12. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 19). Auch Vogel beschrieb die drohende Sequenz eines kommunistischen Umsturzes: „Reichstagswahlen, drohende Linksregierung, blutige Christenverfolgung“ (Schreiben Vogel vom 29. 11. 1927 [Ebd.]). 213 So Oberleutnant a.D. Friedrich Kurt Schicketanz (vgl. Niederschrift zur Sitzung der Arbeitsgemeinschaft am 1. 12. 1927 [ebd.]), der sächsische Führer des Wehrverbandes „Wehrwolf“; vgl. Berg, Wehrwolf, 99, 110, 122 und 128. Der Wehrwolf war evangelisch geprägt, hatte aber eine Tendenz zur völkischen Religiosität; vgl. ebd., 274–280. 214 „Die falsche Lehre von der Liebe Gottes hat unser Volk gottlos gemacht. In der Heiligkeit Gottes liegt auch, daß gekämpft werden muß“ (vgl. Niederschrift zur Sitzung der Arbeitsgemeinschaft am 1. 12. 1927 [ADE Berlin, CA / EvA 19]).
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Volkstum und Christentum215. Die apologetische Strategie Hilberts gegenüber den Mitgliedern der Deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft bestand also darin, dass er einerseits Christus, so weit wie es ohne die Leugnung orthodoxer Glaubenssätze möglich war, von seinen jüdischen Wurzeln zu lösen versuchte und zugleich am Beispiel Luthers die Synthese zwischen Deutschtum und Christentum so eng wie möglich gestaltete: „Christus ist nicht jüdisch, weil er transzendent ist. Luther ist der Deutscheste der Deutschen, weil er so christlich ist, Gott ganz ergriff.“216 Es ist auffällig, dass Hilbert trotz seines betonten Entgegenkommens in einem Schreiben an den sächsischen Landesbischof Ludwig Ihmels vom 2. Dezember 1927 den Dissens zwischen seiner Auffassung der kanonischen Geltung des Alten Testamentes und der Deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft betonte217. Nowak geht zu Recht davon aus, dass seine Stellungnahme Symptom für ein grundsätzliches politisches Wohlwollen des Leipziger Superintendenten gegenüber der rechten Opposition war218. Genauso stark dürfte allerdings der Impuls gewesen sein, durch diese Zugeständnisse die Angehörigen der nationalen Verbände innerhalb der evangelischen Kirche zu halten219. Laut Vogel, dessen Ziele identisch waren, hatte Hilbert auf die Verbandsvertreter einen guten Eindruck gemacht: „Die Art, wie D. Hilbert als erster Sprecher von der Kirchenseite her katastrophen artig [sic!] mit ungeheurer Wucht unter Einsatz seiner ganzen Persönlichkeit in unseren Kreis die Gotteswirklichkeit in Jesus Christus, ohne die kein Volk lebensfähig bleibt, hereinbrechen ließ, mußte auf die Schar wirklicher Führerpersönlichkeiten als ein überzeugender Sieg des Führergedankens wirken.“220
Die Evangelistische Abteilung des Central-Ausschusses war aber nicht die einzige volksmissionarische Organisation, die mit den rechten Organisationen in Kontakt trat. Dies zeigten im Volksmissionsverband geführte Diskussionen über volksmissionarische Veranstaltungen mit den Wehrverbänden, die bereits im Januar 1928 durch den schleswig-holsteinischen Volksmissionar Wilhelm Ferdinand Schreiner aus Neumünster angeregt wurden221. Anders als die explizit auf die nationalen und völkischen Organisationen bli215 216 217 218
Ebd. Ebd. Vgl. Wilhelm, Diktaturen, 42. „Auch Teile der Leipziger Pfarrerschaft, hier besonders Sup. D. Hilbert, wußten sich mit der völkischen Bewegung sympathisierend verbunden, ohne allerdings deren radikalen Antisemitismus zu teilen“ (Nowak, Kirche, 251). Hilbert selbst brachte auf der Konferenz seine Kritik an der politischen Führung der Republik zum Ausdruck: „Weil an unserer Spitze keine religiösen Persönlichkeiten stehen, darum ist es mit unserem Volk so traurig geworden. […], wenn wir nicht überwinden, gehen wir unter“ (ADE Berlin, CA / EvA 19). 219 Vgl. auch Wilhelm, Diktaturen, 59. 220 Schreiben Vogel am 3. 12. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 19). 221 Dieser war der Bruder des damaligen Vorstehers des Johannesstiftes und späteren Professors in Rostock, Helmuth Schreiner (vgl. Br utigam, Mut, 204).
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ckende Leipziger Deutsch-christliche Arbeitsgemeinschaft sah der schleswigholsteinische Pfarrer immerhin die Notwendigkeit, auch das demokratische Reichsbanner mit einzubeziehen. Ein Schreiben der mecklenburgischen Arbeitsstelle für Volksmission brachte diese Frage im August 1928 erneut auf die Tagesordnung. Als Hintergrund nannte Theodor Rohrdantz einerseits die Konkurrenz der christlichen Jugendarbeit zum Stahlhelm, der bereits einige aktive Mitglieder der mecklenburgischen Jungmännervereine abgeworben habe222. Dabei wies Rohrdantz auch auf die Notwendigkeit hin, das sozialdemokratisch dominierte Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold ebenfalls einzubeziehen, sah hier allerdings größere Schwierigkeiten als beim Stahlhelm223. Rohrdantz betonte andererseits, dass die volksmissionarischen Kreise es seiner Meinung nach aushalten müssten, Anhänger beider Verbände zu integrieren und damit auch auf beide Organisationen zuzugehen224. Die Volksmission könne so auf beiden Seiten der aufgeheizten politischen Situation missionarisch wirken, ohne sich offiziell festlegen zu müssen. Dem widersprach der von Füllkrug um seine Meinung gebetene Volksmissionar Hölzel. Er betonte, dass er für seine Person die Einladung zu Veranstaltungen der Wehrverbände ablehne, da ihm die Festlegung auf eine Seite des politischen Kampfes die Möglichkeit raube, die andere Seite anzusprechen225. Er sah die Aktionen beider Seiten hellsichtig als Vorbereitungen eines Bürgerkrieges, die mit der vorgeblichen Aufgabe der Volksmission, innerhalb des Volkes eine neue Gemeinschaft zu stiften, unvereinbar seien226. Faktisch werde es nur möglich sein, im Rahmen des Stahlhelms zu predigen, da dieser versuche, „seine Ziele mit dem Schein der christlichen Frömmigkeit zu legitimieren.“227 Insgesamt sah Hölzel die Kontaktaufnahme mit den Wehrverbänden daher als eine Abkehr von der wahren Aufgabe der Volksmission:
222 Vgl. Schreiben Rohrdantz an Abteilung für Volksmission am 29. 8. 1928 (ADE Berlin, DEVVM 12); siehe auch Beyreuther, Kirche, 230. 223 Vgl. Schreiben Rohrdantz an die Abteilung für Volksmission am 29. 8. 1928 (ADE Berlin, DEVVM 12). Auf die Idee, auch den kommunistischen Rot-Front-Kämpferbund einzubeziehen, kam im Laufe der Diskussion niemand. 224 Ebd. 225 „Um die Überparteilichkeit der Volksmission zum Ausdruck zu bringen, lehne ich die Beteiligung an Sonderveranstaltungen beider Gruppen ab. Denn die Beteiligung an einer von beiden raubt mir das Vertrauen der anderen Gruppe“ (Schreiben Hölzel an Füllkrug am 5. 9. 1928 [ADE Berlin, DEVVM 12]). 226 „Mir als Volksmissionar liegt es ob, die Volksgemeinschaft aus dem Leben der Liebe Christi herzustellen. Alle Vereinigungen, auch Stahlhelm und Reichsbanner, zerreißen die Volksgemeinschaft. Jede Beteiligung von volksmissionarischer und kirchlicher Seite an ihren Bestrebungen vertieft den Riß, der unser Volk zertrennt. Ihre Bannerweihen und Vereidigungsstunden bereiten den grausigsten aller Kriege, den Bürgerkrieg vor“ (ebd.). 227 Ebd.
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„Die Volksmission begibt sich auf die schiefe Bahn des breiten Weges, an dem Tage, wo sie zu einer Verbündeten des Stahlhelms wird. Ich kann die Brüder in Mecklenburg nur auf das Entschiedenste warnen!“228
Die Tatsache, dass der Volksmissionar Hagen im Spätsommer 1928 von Füllkrug zu einer Stahlhelmfeier geschickt wurde und dort einen Waldgottesdienst abhielt, zeigte, dass Füllkrug zu einer Position tendierte, das Interesse des Stahlhelms an Gottesdiensten für volksmissionarische Bestrebungen zu nutzen. Der Vorschlag Hölzels für eine absolute Abstinenz von politischen Organisationen hatte also keine Chance229. Füllkrug schrieb am 18. 9. 1928 an seinen Korrespondenzpartner vom Stahlhelm, General Karl Litzmann in Mecklenburg: „Es ist uns ein grosses Bedürfnis, auch diesen politisch eingestellten Kreisen das Evangelium zugängig zu machen.“230 Auf einer Tagung des DEVVM im Oktober 1928 wurde deutlich, dass diese Stellung von den meisten Volksmissionsorganisationen geteilt wurde, auch wenn es eine heftige Diskussion gab231. Die Mehrheit der Geschäftsführer betonte die Empfänglichkeit der Stahlhelmleute für die christliche Botschaft und die Tatsache, dass der Stahlhelm selbst sich als christlich verstehe und Dissidenten aus seinen Reihen ausschließe232. Gerade im Hinblick auf das Fehlen der Männer in den Kirchen sei ein Zugehen auf die Wehrverbände notwendig: „Die Volksmission hat die Aufgabe, die Männer zu suchen, wo sie sich zusammenfinden, so z. B. in den neuentstehenden Männerbünden.“233 Der anhaltinische Oberkirchenrat Oskar Pfennigsdorf fasste den Eindruck der Mehrheit zusammen, dass gerade aufseiten der Rechten missionarische Möglichkeiten bestünden: „Man wartet von seiten des Stahlhelm auf die Kirche, und da ist es natürlich, zu ihnen zu gehen, wenn sie uns rufen. Von anderen politischen Parteien sind die Rufe nach der Kirche noch nicht laut geworden.“234 Insgesamt betonten die Vertreter des DEVVM daher ihre Bereitschaft, die Wehrverbände zu betreuen, sofern sie zu ihnen gerufen würden, auch wenn dies faktisch nur beim Stahlhelm der Fall sei: „Wir lehnen es ab, nur zur Dekoration zu dienen, sind aber zu ernstgemeinten Aussprachen über religiöse und sittliche Fragen gern bereit.“235 Zugleich betonten sie aber weiter die Neutralität der Volksmission und die Bereitschaft, auch den republiktreuen Verbänden zu dienen236. Formal stand die Volksmission damit zu ihrer 228 Ebd. 229 Vgl. Schreiben Füllkrug an General Karl Litzmann am 16. 8. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 127); Schreiben Litzmann an Füllkrug am 11. 9. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 127). 230 ADE Berlin, CA / EvA 127. 231 Vgl. Protokoll Sitzung der Geschäftsführer des DEVVM in Stift Uchtenhagen 17.–19. 10. 1928 (ADE Berlin, BP 1435). 232 Ebd. 233 Ebd. 234 Ebd. 235 Ebd. 236 Ebd. Die Option war nicht allein prinzipiell, sondern wurde auch im Rahmen der Volksmis-
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Überparteilichkeit, auch wenn in den Diskussionen in Leipzig, Mecklenburg, Berlin und Uchtenhagen die Parteinahme für die rechte Opposition immer wieder deutlich wurde. Faktisch hatte Hölzel außerdem zu Recht darauf hingewiesen, dass durch die Annahme der Einladungen des Stahlhelms die Angehörigen der republikanischen Parteien und Verbände (wie das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold) endgültig von der Inanspruchnahme volksmissionarischer Seelsorge abgehalten würden. Auch seine Warnung vor einem Bürgerkrieg sollte sich in der Zeit der Systemkrise der Weimarer Republik ab 1929 bewahrheiten. 7.2.4 Die Emanzipation der Apologetischen Centrale Auf einer Sitzung der Kommission für Volksmission am 3. 12. 1928 wurde unter anderem ein Antrag Schweitzers besprochen, in dem dieser die Umbenennung der „Abteilung für Volksmission“ in „Abteilung für Evangelisation“ forderte: „Seitdem aus der Abteilung Volksmission eine besondere Abteilung Apologetik herausgewachsen ist, ist die bisherige Bezeichnung Volksmission für eine der beiden Abteilungen, die zusammen die Volksmissionsarbeit leisten, sachlich nicht mehr zu rechtfertigen.“237
Die Streitigkeiten um die Finanzen hatten das schwierige Verhältnis zwischen Volksmission und Wohlfahrtspflege im Rahmen der Inneren Mission gezeigt. Der Streit mit den Protagonisten der Apologetischen Centrale, Schweitzer und Walter Künneth, offenbarte, dass auch das Zusammenwirken von Evangelisation und Apologetik, das im Rahmen der Volksmission immer wieder gefordert wurde, nicht reibungslos war. Im Rahmen der „Abteilung für Volksmission“ wurde schwerpunktmäßig Evangelisation betrieben, hierdurch sei das Verständnis des Begriffes Volksmission unklar: „Die Arbeit der Volksmission nennt man im Lande vielfach die Evangelisation alten Stils.“238 sionstätigkeit praktisch umgesetzt. Im Dezember 1928 fand eine vom CA veranstaltete Woche mit religiösen Vorträgen in der Potsdamer Friedenskirche statt, bei der an einem Abend explizit der Stahlhelm und andere nationale Verbände eingeladen waren (vgl. Einladung zu religiösen Vorträgen in Potsdam, veranstaltet vom Zentralausschuss für Innere Mission in Berlin in Verbindung mit der Gemeinde der Friedenskirche Potsdam, 30. 11.–2. 12. 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 122]). 237 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 3. 12. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 108). Die Memoranden und Diskussionen zu diesem Vorgang finden sich in folgendem Vorgang: ADE Berlin, CA / EvA 20. Die Diskussion um die Umbenennung hat erstmals Matthias Pöhlmann unter dem bezeichnenden Titel „Organisatorische Probleme innerhalb des Verbandsprotestantismus“ ausgewertet; vgl. Pçhlmann, Kampf, 98–103; zur Veranschaulichung vgl. das Organigramm der Abteilungen des CA unten 527. 238 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 3. 12. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 110).
Stagnation und innere Widersprüche (1925–1929)
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Schweitzer konnte zu Recht darauf verweisen, dass selbst in den aktuellen Protokollen der Kommission immer wieder von „Volksmission“ geredet wurde, wo faktisch nur die Evangelisation gemeint war239. Der Antrag der Apologetischen Centrale offenbarte Differenzen zwischen den beiden Abteilungen, die schon länger existierten. Sie zeigten sich in einem sehr kritischen Memorandum Schweitzers zur gegenwärtigen Lage der Volksmission240. Dort machte er deutlich auf die Namensproblematik aufmerksam: „Ungeklärt und dilettantisch ist die Beurteilung des Verhältnisses von Evangelisation und Apologetik innerhalb der Volksmission. Obwohl das Handbuch der Volksmission ganz klar im Sinne Wicherns unter Volksmission Evangelisation und Apologetik (sogar auch die öffentliche Mission) umfasst, wird in der Praxis immer wieder Volksmission und Evangelisation gleichgesetzt, wozu auch der Name der Abteilung Volksmission im CA im Unterschiede von der Apologetischen Abteilung verführt.“241
Die mangelnde Berücksichtigung der Apologetik242 war aber nur einer der Punkte, die Schweitzer an der Arbeit der Abteilung für Volksmission kritisierte. So kritisierte er auch die mangelnde Integration der Wortverkündigung in das Gesamtkonzept der Inneren Mission: „Die innere und äussere Einheitlichkeit des ganzen Werkes, wie es von Wichern her angelegt ist, ist gefährdet.“243 Zudem würde sich die Abteilung Füllkrugs zu wenig um das Verhältnis zur gegenwärtigen Kultur kümmern und etwa entsprechende politische Stellungnahmen in einer dilettantischen Weise vorbereiten244. Schweitzer betonte, dass sich die Abteilung zu wenig auf die Realität der Volkskirche einstelle und statt Gemeindeaufbau vor allem larmoyante Kirchenkritik betreibe: „[…] stellt man sich neben die Kirche, deren empirischen Zustand man schwarz in schwarz sieht und malt, statt planmässig in sie hineinzuwirken und sie neu aufbauen zu helfen“245. Neben diesen grundsätzlichen konzeptionellen Anfragen wirkte Schweitzers Kritik an der man-
239 Ebd. 240 Schweitzer, Ein Memorandum zur Volksmission (ADE Berlin, CA / AC 256, 96–99). Das Memorandum ist nicht namentlich signiert, aber zusammen mit anderen Memoranden Schweitzers überliefert. Zur Datierung ist der Hinweis auf den Übergang Dora Hasselblatts in den Dienst des Thüringer Volksdienstes im Jahre 1927 wichtig, der zum Zeitpunkt der Abfassung noch nicht vollzogen, aber schon angekündigt war; vgl. ebd., 97. 241 Ebd., 98. 242 In der Diskussion der Namensänderung wurden immer wieder auch Vorbehalte gegen die Apologetik vorgebracht. So betonte der aus einer landeskirchlichen Gemeinschaft stammende Kaufmann Kogelschatz, „dass sich Menschen immer bekehrt haben durch das schlichte Zeugnis. Es ist nicht das richtige, wenn der Schwerpunkt der Arbeit auf die Apologetik gelegt wird“ (Sitzung 3. 12. 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 114]). 243 ADE Berlin, CA / AC 256, 99. 244 Schweitzer verwies hier auf Hölzels angebliches Liebäugeln mit dem Sozialismus, ebd., 98. 245 Ebd.
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gelnden Eignung der Abteilung als „Generalquartier“246 der Volksmission in Deutschland, an der ohne einheitliche Kriterien erfolgenden Auswahl der Evangelisten und daran, dass die Einsätze von Volksmissionaren nicht genügend planmäßig erfolgten, eher nebensächlich. Die grundlegende Schwierigkeit sah er in der theologisch mangelhaften Grundlage der Arbeit Füllkrugs und seiner Abteilung: „Die Abteilung Volksmission im CA schwankt zwischen einer individualistischmethodistischen Haltung und einer reformatorisch-kirchlichen. Sie wird sich endlich eindeutig für die zweite Alternative entscheiden müssen, oder sie hat keine Daseinsberechtigung als kirchliche Volksmission.“247
Das betreffende Memorandum kann nur als ein Generalangriff auf die Arbeit Füllkrugs und seiner Abteilung betrachtet werden. Wie aber die bisherige Analyse der Diskussionen in der Kommission für Volksmission ergeben hat, entbehrten die Schlussfolgerungen des Apologeten durchaus nicht eines gewissen sachlichen Anhaltes. Zu fragen ist, wieso die grundsätzlichen Vorbehalte zwischen Apologetischer Centrale und Abteilung für Volksmission gerade 1928 in der Diskussion um die Umbenennung zum Ausbruch kamen. Hierbei ist auf die Entwicklung dieser Institution zu verweisen. Schweitzer hatte von Anfang an das Ziel, die Apologetische Centrale zu einer Zentralstelle für evangelische Apologetik im ganzen Deutschen Reich zu entwickeln248. 1926 war die AC aus Dahlem in das Spandauer Johannesstift umgezogen. Die Apologetische Centrale gewann daher ein eher autonomes Verhältnis zu den anderen Abteilungen des Central-Ausschusses. Hinzu kam, dass Schweitzer 1927 mit dem frisch promovierten Künneth einen ehrgeizigen und wissenschaftlich fähigen Mitarbeiter gewann. Künneth prägte die Arbeit der Apologetischen Centrale bis zu deren Auflösung durch die Gestapo im Jahre 1937. Schweitzer war mit seinem Assistenten durch die gemeinsame Mitgliedschaft im Wingolf und das Schülerverhältnis zu dem ebenfalls in der IM engagierten Rostocker Theologen Friedrich Brunstädt wissenschaftlich und persönlich eng verbunden249. Es ist davon auszugehen, dass die steigende Eigenständigkeit der eigenen Abteilung und die Unterstützung Schweitzers durch seinen Freund und Schüler Künneth die bereits bestehenden Dissonanzen zum Ausbruch brachten. Dabei dürften auch die bereits geschilderten Etatprobleme eine 246 247 248 249
Ebd., 96. Schweitzer betonte vor allem die Notwendigkeit von Schulungen; ebd., 97. Ebd., 99. Vgl. Pçhlmann, Kampf, 78–82. Vgl. K nneth, 47. Wie auch das gerade abgeschlossene DFG-Projekt zum Netzwerk des ebenfalls zeitweilig in der AC beschäftigten späteren Münsteraner Theologen Heinz-Dietrich Wendland gezeigt hat, lassen sich an den Wingolfiten im Umfeld Friedrich Brundstäds gut die Verbindung einer spezifischen Theologie und gezielter Einflussnahme auf den Vereinsprotestantismus studieren; vgl. Bruns / Dietzel, Wendland, v. a. 26 f.; 149–177; sowie Dietzel / Bruns, Wege.
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Rolle gespielt haben. Ähnlich wie die von Füllkrug geleitete Abteilung war die Apologetische Centrale chronisch von Zuschüssen abhängig und befand sich damit auch in einer direkten Konkurrenzsituation zur Abteilung für Volksmission250. Die prekäre finanzielle Lage dämpfte aber nicht den Anspruch der Apologetischen Centrale. Harald Iber konstatiert für das Ende der 1920erJahre zu Recht ein Bestreben von Schweitzer und seinen Mitarbeitern „sich der fachlichen und kirchenpolitischen Aufsicht durch den CA zu entziehen“251. In diesem Interesse emanzipierten sie sich von der Mutterabteilung und forderten, dass durch eine Umbenennung der „Abteilung für Volksmission“ in eine „Abteilung für Evangelisation“ die beiden Abteilungen formal gleichgestellt würden und die von Füllkrug geleitete Abteilung keine übergeordnete Zuständigkeit mehr haben sollte. In der Diskussion der „Kommission für Volksmission“ wurde vor allem um den Begriff Evangelisation gerungen. Die Sorge der Volksmissionare wurde durch das Kommissionsmitglied Wilhelm Heinrich Karl Krause artikuliert: „Die Evangelisation ist ein spezielles Gebiet der Gemeinschaften. Wir würden unserer Arbeit etwas Belastetes anhängen.“252 Die Sorge innerhalb der Kommission für Volksmission war also, durch die Beschränkung auf den Begriff „Evangelisation“ in einer Linie mit den Gemeinschaften gesehen zu werden. Die Diskussionen innerhalb der Abteilung zeigen an, dass es mit den Propria der Gnadauer Theologie – wie Erweckung, Bekehrung und Heiligung – durchaus starke Berührungspunkte gab. Es bestand trotzdem die Sorge, dass der Kurs der Volksmission als „sektiererisch“ wahrgenommen werden könnte253. Ähnliche Sorgen formulierten auch die durch die Abteilung für Volksmission angestellten Volksmissionare Anfang Januar 1929 in einem Memorandum254. Sie argumentierten, dass sich die AC „im Großen und Ganzen nur an bestimmte Kreise unseres Volkes richten kann“255 und betonten einen stärkeren Anspruch ihrer eigenen Verkündigung: „Die von der Abteilung für Volksmission geleistete Arbeit bezog sich nicht allein auf reinen apologetischen Dienst, so unumgänglich notwendig er für jede volksmissionarische Arbeit ist, sondern bot unter Einbeziehung der wissenschaftlich250 Ein von Matthias Pöhlmann zitiertes Memorandum Schweitzers vom Frühjahr 1924 betonte die Notwendigkeit, die Apologetische Centrale aus finanziellen Gründen von der Evangelisation unabhängig zu halten; vgl. Pçhlmann, Kampf, 99 f. Im Jahre 1926 versuchte Schweitzer, über den kurmärkischen Superintendenten Otto Dibelius von der Inneren Mission unabhängige Zuschüsse zu erhalten; vgl. ebd., 100. 251 Iber, Apologetische Centrale 111. Seine Darstellung der Diskussion um die Umbenennung leidet darunter, dass er nicht die Akten der „Apologetischen Centrale“ und der „Abteilung für Volksmission“ selbst hinzuziehen konnte; vgl. ebd., 112. 252 Sitzung 3. 12. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 112). 253 Gerhard Krause: „Mit jungen Pastoren kann man wohl über Volksmission, aber nicht über Evangelisation reden“ (ebd.). 254 ADE Berlin, CA / EvA 20, 6–8. 255 Ebd., 6.
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Volksmission in der Weimarer Republik
theologischen und sonstigen Ergebnisse der Forschungsarbeit in zeitgemässer Sprache den Vollinhalt des Evangeliums verständlich dar.“256
Den Volksmissionaren ging es also primär darum, nicht mit der als belastet geltenden Evangelisation der Gemeinschaften identifiziert zu werden. Mit ihrem Anspruch auf die in ihrer Verkündigung vollzogene Verbindung von Evangelisation und Apologetik ließen sie aber die grundlegenden Anfragen aus der Apologetischen Centrale zu ihrer Arbeit gar nicht auf sich wirken. Aufgrund des heftigen Widerstandes auf der Kommissionssitzung modifizierten Schweitzer und Künneth ihren Antrag: Sie forderten nun die Umbenennung beider Abteilungen in „Volksmission – Evangelistische Abteilung“ und „Volksmission – Apologetische Abteilung“257. Man bemühte sich, die Frage durch eine aus Füllkrug, Kameke, Krause und Schweitzer zusammengesetzte Unterkommission zu klären und die Nomenklatur in einem gütlichen Einvernehmen zu ändern258. Diese Umbenennung der beiden Abteilungen wurde dann tatsächlich in einem gemeinsamen Konsens beschlossen. Im 1929 erschienenen Handbuch der Inneren Mission stehen beide Abteilungen unter den neuen Namen: 2a) Volksmission: Evangelistische Abteilung – 2b) Volksmission: Apologetische Abteilung259. In der Kontroverse um die Umbenennung der Abteilung wurde die Schwierigkeit der Koordination von Evangelisation und Apologetik offensichtlich. Aus den internen Memoranden wird zudem deutlich, dass nicht nur die Namensfrage strittig war, sondern auch unterschiedliche Konzeptionen des Begriffes „Volksmission“ im Raum standen. Während die Apologeten auf die Schaffung einer wissenschaftlich abgesicherten christlichen Weltanschauung ausgerichtet waren und sich mit anderen weltanschaulichen Richtungen offensiv und auf einem hohen theoretischen Niveau auseinandersetzten260, blieb im Rahmen der nunmehrigen Evangelistischen Abteilung unklar, inwieweit die vollmundige Erklärung der Volksmissionare über ihre Aufnahme moderner und apologetischer Fragestellungen zutraf261. Letztlich 256 Ebd., 7. 257 Künneth / Schweitzer, Memorandum über die Namen der bisherigen Abteilungen Volksmission und Apologetik (ADE Berlin, CA / EvA 20, 2–4). 258 Protokoll der Sitzung der Unterkommission für die Frage der Umbenennung am 25. 1. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 20, 17 f.) In der Kommission für Volksmission war wiederholt moniert worden, dass der Antrag auf Umbenennung der Abteilung ohne Rücksprache mit der bisherigen „Abteilung für Volksmission“ gestellt wurde. So Kameke auf der Sitzung am 3. 12. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 113). 259 Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 7. 260 Vgl. etwa Schreiner, Geist, v. a. 115–196.; Schweitzer, Antwort; Schweitzer, Deutschland; zusammenfassend zum Programm der neuen Apologetik Pçhlmann, Kampf, 66–78; Bruns / Dietzel, Wendland, 187–195 u. ö. 261 Aufschlussreich ist, dass wenig später mehrere Volksmissionare die Teilnahme an einem Kursus der Evangelisch-Sozialen Schule mit der Begründung ablehnten, sie erwarteten davon „keine besondere Anregung für ihre Arbeit“ (Sitzung am 4. 2. 1929 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 89]).
Systemkrise und politische Radikalisierung (1929–1933)
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kann man die Umbenennung der beiden Abteilungen als einen weitgehenden Erfolg der Apologeten betrachten262. Sie machten hiermit ihren Anspruch deutlich, ebenfalls Volksmission zu betreiben. Weitere Zusammenstöße sollten zeigen, dass die Zusammenarbeit auch im weiteren Verlauf schwierig blieb.
7.3 Systemkrise und politische Radikalisierung (1929–1933) Mit dem Beginn der Weltwirtschaftskrise im Oktober 1929 und dem Zerfall der letzten auf eine parlamentarische Mehrheit gestützten Regierung begann, nach der scheinbaren Stabilisierung der Republik in den 1920er-Jahren, eine „totale Krise“263 des gesamten politischen und gesellschaftlichen Systems in Deutschland. Die mit der ökonomischen Verelendung verbundene politische Radikalisierung zerstörte das prekäre Gleichgewicht zwischen Rechts, Mitte und Links und führte zu einer Polarisierung des gesamten politischen Lebens. Die Situation mündete schließlich in der Übertragung der politischen Macht an die NSDAP264. Für die in der Gesellschaft der Weimarer Republik verankerte Volksmission bedeutete dies eine Eskalation der Strukturprobleme, die sich schon in den 1920er-Jahren angedeutet hatten. Bereits im Jahre 1929 ließ sich eine Krise der bisherigen Volksmissionswochen nicht mehr ignorieren oder bagatellisieren. Die Problematik war zunächst inhaltlicher Natur, da einigen Befürwortern der Volksmission ihre eigene Arbeit immer sinnloser vorkam. Im August 1929 veröffentlichte Ludwig Weichert, Heimatmissionar der Berliner Mission, einen Text, den man als Abgrenzung von der bisherigen volksmissionarischen Praxis lesen konnte. Anlass war eine Zeltmission in Tübingen, die Weichert, der dort auf dem Krankenbett lag, nur von Ferne erlebt hatte. Weichert kritisierte die Kürze der herkömmlichen Volksmissionswochen im Verhältnis zur missionarischen Praxis in der Heidenmission265. Er kam zu einem vernichtenden Ergebnis, das sowohl die Praxis des DEVVM als auch die Evangelisation der Gemeinschaftsbewegung umfasste: „Aber die große Zeit der Volksmission ist vorbei. Und die Zeit der gewohnheitsmäßigen Evangelisation ist vorbei. Das neue Geschlecht unserer Zeit will das
262 Vgl. Pçhlmann, Kampf, 101. Dagegen Iber, der die Gleichordnung der beiden Abteilungen eher als eine Einordnung der AC in das Gesamte der Inneren Mission, als „strenge Einbindung und Unterordnung“ betrachtet (Iber, Die Apologetische Centrale, 112). 263 Vgl. das Kapitel „Die totale Krise 1930–1933“ in: Peukert, Weimarer Republik, 243–265. 264 Vgl. ebd., 269 f. 265 „Wo bleibt denn ein Volksmissionar auf seiner Station um von dort aus die Umgebung auf Jahre hinaus zu missionieren?“ (Weichert, Kraut, 167).
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Volksmission in der Weimarer Republik
Evangelium nicht nach den mit jenen Arbeiten gewordenen Methoden erhalten, und es hat Recht daran.“266
Hinzu kam ein immer stärker wahrnehmbarer zahlenmäßiger Rückgang der Volksmissionswochen. Bereits 1928 hatte ein Bericht der mecklenburgischen Geschäftsstelle für Volksmission notiert, es sei „ein bedauerlicher Rückgang an Vorträgen zu verzeichnen gewesen“267. Noch dramatischer klang ein Bericht des sächsischen Landesverbandes für Innere Mission, wo die Zahl der Volksmissionen von 1928 auf 1929 von 46 auf 26 sank und die Kollekte von über 1.000 Reichsmark auf 248 Reichsmark abstürzte. Auch die Zahl der Evangelisten sank von 28 auf 7268. Die Einschätzung der Sachsen klang ähnlich pessimistisch wie die Weicherts: „[…] daß die einst mit so großer Begeisterung und Erwartung begonnene und vielfach so segensreich durchgeführte Evangelisation im Stile und Sinne einer planmäßigen Bearbeitung einer Gemeinde durch eine ganze Woche hindurch ins Stocken geraten ist, ja auf einem toten Punkte angelangt zu sein scheint.“269
7.3.1 Selbstlähmung des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission Vor diesem Hintergrund der in mehreren Landesverbänden wahrgenommenen Krise wirkte die Bitte einer weiteren Institution um Aufnahme in den Verband als Katalysator für eine sich formierende Opposition der Geschäftsführer270. Bereits im Februar 1929 hatte das Amt für Volksmission der Stadt Leipzig um Aufnahme in den Volksmissionsverband gebeten271. Das Amt hatte laut einer an den DEVVM versandten Selbstdarstellung die Aufgabe der Pressearbeit und weitere Felder kirchlicher Öffentlichkeitsarbeit sowie den Aufbau eines apologetischen Archivs übernommen272. Die Volksmission in 266 Ebd., 168. 267 Jahresbericht der Geschäftsstelle für Volksmission [Mecklenburg] 1. 4. 1927–31. 3. 1928 (ADE Berlin, DEVVM 11). 268 Vgl. ADE Berlin, CA / AC 256, 106 f. Die Denkschrift stammte aus dem sächsischen Landesverband. Dessen Geschäftsführer Friedrich Coch kündigte sie im Herbst 1929 in einem Schreiben an, das Füllkrug am 25. 9. 1929 beantwortete (vgl. ADE Berlin, DEVVM 13). 269 Vgl. ADE Berlin, CA / AC 256, 105. 270 Allerdings hatte es bereits von Anfang an Kritik der Geschäftsführer an Aufnahmen von einzelnen Verbänden in ihren Bereichen gegeben. So verweigerte der damalige Geschäftsführer der westfälischen Inneren Mission und spätere Bekenntnispfarrer Martin Niemöller bereits 1927 seine Zustimmung zu einer Aufnahme der Arbeitsstelle für Volksmission in Bochum, ohne dass es zu einem ähnlich lang andauernden Konflikt wie im Fall von Leipzig kam (vgl. Schreiben Niemöller an Füllkrug vom 4. 6. 1927 [ADE Berlin, DEVVM, 10]). Marin Niemöllers für seine Generation typische nationalprotestantische Sozialisation wird jetzt aufgearbeitet in Ziemann, Niemöller. 271 Vgl. Schreiben Pfarrer Arthur Gerhard Richter, Volksmission Leipzig-Stadt, an DEVVM vom 13. 2. 1929 (ADE Berlin, DEVVM 5). 272 Vgl. Richter, Das kirchliche Amt für Presse und Volksmission o. D. (ADE Berlin, DEVVM 5).
Systemkrise und politische Radikalisierung (1929–1933)
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Leipzig hatte Gerhard Hilbert nach seiner Übernahme der Superintendentur in dieser Stadt aufgebaut, um seine Gedanken zur Kombination von Evangelisation und Apologetik und sein während des Ersten Weltkrieges aufgestelltes volksmissionarisches Programm praktisch umsetzen zu können273. Bereits auf der Vertreterversammlung des Verbandes im April 1929 wurden Widerstände gegen die Mitgliedschaft der Volksmission Leipzig im DEVVM deutlich, so dass die Entscheidung vertagt wurde274. Opposition gegen die Aufnahme kam von Anfang an von Friedrich Coch, dem späteren sächsischen DC-Bischof, im Namen des sächsischen Landesverbandes für Innere Mission: „Wenn sie [die Leipziger Volksmission, H. B.] aber überhaupt Anschluß sucht bei der Inneren Mission, – warum übergeht sie dann den Landesverein?“275 Als Füllkrug am 2. August 1929 in einem Rundschreiben an die Mitgliedsorganisationen des Verbandes um Stimmen zur Aufnahme der Leipziger Volksmission bat, zeigte sich in einer im Ton immer schärfer werdenden Debatte, dass die Bedenken der sächsischen IM von den meisten anderen IMGeschäftsführern geteilt wurden276. Am maßvollsten war noch die Stellungnahme der Mecklenburger, die aus Dankbarkeit gegenüber Hilbert für die Aufnahme stimmten, jedoch die Aufnahme von weiteren Organisationen in den Verband sehr kritisch sahen277. Handtmann schrieb etwa für den Provinzialverband Pommern, dass der Platz der Leipziger Volksmisssion im Landesverband Sachsen sei278. Coch präzisierte noch einmal sein Bedenken; mit der Aufnahme Leipzigs drohe „ein Präzedenzfall dafür geschaffen zu werden, daß es innerhalb der Länder und Provinzen auch noch ,reichsunmittelbare‘ Stellen geben darf“279. Aus diesem Grunde engagierten sich die Geschäftsführer für Volksmission in den Landes- und Provinzialvereinen für Innere Mission stark in dieser Frage: Neben der Korrespondenz mit Füllkrug als Vorsitzendem des DEVVM fand zeitgleich eine umfangreiche interne Korrespondenz statt, in der die Geschäftsführer ein koordiniertes Vorgehen zur Stärkung ihrer eigenen Stel273 Vgl. Wilhelm, Diktaturen, 36. Näheren Aufschluss zur Volksmission in Leipzig verspricht die Dissertation von Uwe Bertelmann. 274 Vgl. Protokoll Vertreterversammlung Bad Sachsa vom 9. 4. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 15, 74). 275 Schreiben Coch an Füllkrug vom 23. 4. 1929 (ADE Berlin, DEVVM 5). Gerhard Richter antwortete darauf im Namen der Leipziger: „Unser Amt ist, wie Ihnen ja bekannt ist, eine kirchliche Stelle, in der bewußt im Namen der Kirche die Volksmissionsarbeit getrieben werden soll. Darum erscheint es uns nicht angängig die erwähnte Verbindung [mit der sächsischen IM, H. B.] einzugehen“ (Schreiben Richter an Füllkrug am 19. 6. 1929 [ADE Berlin, DEVVM 5]). In einem Schreiben an Füllkrug vom 25. 9. 1929 deutete Coch ferner an, dass zwischen dem Landesverband in Dresden und Leipzig allgemein ein gespanntes Verhältnis bestehe (ADE Berlin, DEVVM 5). 276 Vgl. Schreiben Füllkrug an Mitgliedsorganisationen DEVVM vom 2. 8. 1929 (ADE Berlin, DEVVM 13). 277 Vgl. Abschrift des Schreibens Rohrdantz an DEVVM vom 6. 8. 1929 (ADE Berlin, BP 1435). 278 Vgl. Schreiben Handtmann an DEVVM vom 10. 8. 1929 (ADE Berlin, DEVVM 5). 279 Schreiben Coch an DEVVM vom 9. 8. 1929 (ADE Berlin, DEVVM 5).
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Volksmission in der Weimarer Republik
lung im Verband vereinbarten280. Sie erzwangen im November 1929 die Abhaltung einer außerordentlichen Konferenz der Geschäftsführer, bei der neben der Sorge um den Rückgang der Evangelisationen die Gegensätze um die Aufnahmepolitik des DEVVM zum Ausbruch kamen281. Bereits auf einer unmittelbar vorangehenden Sitzung des Verbandsvorstandes hatten die Geschäftsführer gefordert: „Es muss grundsätzlich die Frage geklärt werden, ob nur Landes- und Provinzialstellen oder auch andere Verbände, die eine gewisse Bedeutung haben, aufgenommen werden können.“282 In der Diskussion auf der Versammlung der Geschäftsführer vertraten vor allem Rohrdantz (Mecklenburg), Coch (Landeskirche Sachsen) und Theodor Wenzel von der IM Brandenburg die Standpunkte der Geschäftsführer. Friedrich Coch stellte den Zusammenhang zwischen dem auf der Konferenz ebenfalls besprochenen Rückgang der Rufe nach Volksmission283 und der Forderung nach einer stärkeren Stellung der Geschäftsführer her: Wegen der problematischen Situation in Sachsen sei dort eine Bündelung der Kräfte notwendig284. Die Kritik machte auch vor der Aufnahme anderer Verbände nicht halt. So kritisierte Rohrdantz die Mitgliedschaft des Thüringer Volksdienstes, der ebenfalls keine Einrichtung der Inneren Mission sei285. Die intensive Diskussion machte deutlich, dass gerade der Rückgang der Rufe Ende der 1920er-Jahre die interne Diskussion verschärfte und die Geschäftsführer der Landes- und Provinzialvereine um ihren Einfluss auf Volksmission in ihrem eigenen Territorium besorgt sein ließ. Obwohl die Aufnahme der Leipziger Volksmission letztlich nicht stattfand, kamen die Streitigkeiten auch 1930 nicht zur Ruhe286. Konkret forderten die Provinzialverbände auf der nächsten Vertreterversammlung des Verbandes im Frühjahr 1930 in Brückenberg die Erweiterung des Verbandsvorstandes um einen Vertreter ihrer Verbände und außerdem eine zusätzliche Stimme der regionalen IM–Verbände im Rahmen der Vertreterversammlungen287. Für die Hintergründe dieses Antrages sind wiederum 280 Vgl. Schreiben Rohrdantz an Provinzialverband für IM Brandenburg vom 7. 8. 1929 (ADE Berlin, BP 1435). Bei der internen Vernetzung der Opposition scheint Theodor Wenzel für Brandenburg eine wichtige Rolle gespielt zu haben. Weitere Korrespondenzen zwischen den Geschäftsführern finden sich in den Akten des Provinzialverbandes Brandenburg (vgl. ADE Berlin, BP 1435 sowie ADE Berlin, BP 1131). 281 Vgl. Protokoll Sitzung Geschäftsführer DEVVM vom 14. 11. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 15, 57–65). 282 Protokoll Sitzung Vorstand DEVVM in Füllkrugs Wohnung am 14. 11. 1929 (ADE Berlin, CA / AC 255, 168). 283 Dies war Thema eines Eingangsreferates von Birnbaum; vgl. Protokoll Sitzung der Geschäftsführer des DEVVM am 14. 11. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 15, 57–59). 284 Ebd., 62. 285 Vgl. ebd.; zum Volksdienst in Thüringen vgl. Bçhm, Volksdienst. 286 Vgl. etwa Schreiben Landesverband für IM Bremen an Wenzel vom 2. 4. 1930 (ADE Berlin, BP 1131); Schreiben Coch an Wenzel vom 4. 4. 1930 (ebd.). 287 Vgl. Abschrift Schreiben Wenzel vom 7. 3. 1930 (ADE Berlin, BP 1435); zur Struktur des DEVVM vgl. das Organigramm unten 520.
Systemkrise und politische Radikalisierung (1929–1933)
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die Korrespondenzen der Geschäftsführer der Landes- und Provinzialverbände aufschlussreich. Intern sahen einige die ganze institutionelle Struktur als überflüssig an. So schrieb ein Vertreter des Landesverbandes Bremen vertraulich an Wenzel (Brandenburg): „Der Deutsche Evangelische Verband für Volksmission ist eine Fehlentwicklung.“288 Dass sich der Unwille besonders gegen den Verbandsvorsitzenden Gerhard Füllkrug richtete, wurde an dem Entwurf einer Erklärung von Gottfried Handtmann aus Pommern deutlich, in der dieser personelle Veränderungen im Central-Ausschuss forderte: „Sollte bei einer Neuregelung im C.A. der Leiter der ,evangelistischen Abteilung‘ sein Amt niederlegen, so möchten wir den dringenden Wunsch aussprechen, diese Stelle nicht wieder neu zu besetzen, sondern die Gesamtarbeit der Volksmission im C.A. der bisherigen apologetischen Zentrale zu übertragen.“289
Eine im Frühjahr 1930 unmittelbar vor der Verbandsversammlung in Brückenberg abgehaltene vertrauliche Besprechung der Geschäftsführer der Landes- und Provinzialverbände zeigte, dass sie nunmehr offen als Vertreter ihrer eigenen Interessen auftraten290. Tatsächlich gelang es ihnen, eine Änderung der Satzung mit einer höheren Stimmenzahl für große Verbände und einer garantierten Vertretung der Geschäftsführer im Verbandsvorstand durchzusetzen291. Mit dem Ziel, einen neuen Vorstand zu wählen, scheiterten sie aber. Johannes Müller-Schwefe und der württembergische Volksmissionar Otto Lohss schlugen als Verbandsvorsitzenden erneut Füllkrug, den bisherigen Amtsinhaber, vor. Dagegen beantragten Schweitzer und Birnbaum eine Personaldiskussion292. Das Ergebnis der Abstimmung war zwar so knapp, dass es nach Ausgang der Wahl nicht verkündet wurde; Füllkrug war jedoch von den Vorstandsmitgliedern wiedergewählt worden. Sein Stellvertreter Birnbaum wurde dagegen einstimmig per Akklamation gewählt293. Der Vertretertag beschloss noch einen Vorschlag an den Vorstand, einen dahingehenden Satzungsänderungsantrag auszuarbeiten, durch den ein regelmäßiger Wechsel des Vorstandes garantiert wurde294. Die Geschäftsführer mussten jedoch erst einmal weiter mit Füllkrug zusammenarbeiten. Kurz nach der Versammlung in Brückenberg schrieb daher der Mecklenburger Rohrdantz an den Brandenburger Wenzel: 288 Schreiben Landesverband für Innere Mission Bremen an Wenzel am 2. 4. 1930 (ADE Berlin, BP 1131). 289 Schreiben Handtmann an Wenzel am 24. 3. 1930 (ADE Berlin, BP 1435). 290 Vgl. Schreiben Füllkrug an Wenzel am 7. 3. 1929; Rohrdantz an Wenzel am 14. 4. 1930; Tagesordnung Konferenz in Brückenberg 28. 4. 1930 (ADE Berlin, BP 1435). 291 Vgl. Protokoll Vertreterversammlung Brückenberg vom 28. 4. 1930 (ADE Berlin, BP 1435). 292 Vgl. Protokoll Sitzung Verbandsausschuss Brückenberg vom 28. 4. 1930 (ADE Berlin, BP 1435). 293 Vgl. ebd. 294 Protokoll Vertreterversammlung Brückenberg vom 28. 4. 1930 (ADE Berlin, BP 1435).
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Volksmission in der Weimarer Republik
„Wie ich auf der Rückreise von Bruder Handtmann erfahren habe, ist in der Vorstandssitzung nach schweren stundenlangen Kämpfen D. Füllkrug wieder zum Vorsitzenden gewählt worden. In der Geschäftsführersitzung wurde, wenn ich nicht irre, vereinbart, D. Füllkrug für den Fall seiner Wiederwahl unbedingt die Treue zu halten und zu verhindern, daß von neuem Intrigen gesponnen werden.“295
Die Korrespondenz der Geschäftsführer bestätigt die Intrigen, welche den Verband an den Rand der Spaltung gebracht hatten, wobei offenbar auch Schweitzer und Birnbaum an den Absprachen beteiligt waren296. Diese lassen sich aber nicht mehr rekonstruieren. Es sei darauf verwiesen, dass die Opposition gegen Füllkrug im DEVVM nur Teil einer spannungsreichen Gesamtsituation war. Die Diskussion im Frühjahr 1930 lief parallel zu einem Misstrauensvotum, das mehrere Direktoren im Central-Ausschuss gestellt hatten. Darin hatten sie gegenüber dem Präsidenten des CA, Seeberg, Füllkrugs Abberufung als Direktor gefordert297. Vor dem Hintergrund der im Frühjahr 1930 bereits sichtbaren Folgen der Weltwirtschaftskrise298 hatten die innerverbandlichen Auseinandersetzungen durchaus ambivalente Folgen. Jochen-Christoph Kaisers Gesamtwürdigung der Spannungen innerhalb des CA lässt sich ohne Weiteres auf die Verwerfungen innerhalb des DEVVM übertragen: „Hinzu traten persönliche Spannungen zwischen den Direktoren [im CA, H. B.], die einen hohen Energieaufwand beanspruchten, die Führungsarbeit oftmals lähmten und die Verantwortlichen darin hemmten, ihren Kontroll- und Koordinierungsverpflichtungen besser nachzukommen.“299
Auch wenn die Auseinandersetzungen mit den Landes- und Provinzialverbänden nach der Konferenz in Brückenberg kaum noch in den Akten greifbar waren, schufen die Lösungsversuche neue Probleme. Dies betraf vor allem die Apologetik. Auf dem Brückenberger Kongress wurde ein neuer Unterausschuss des DEVVM gegründet, der die Laienschulung organisieren sollte300. Dieser Ausschuss spielte in der Zeit bis 1933 eine wichtige Rolle bei der Koordination der in der Laienschulung aktiven Kräfte – 1931 insgesamt 40 Or295 Schreiben Theodor Rohrdantz, Landesgeschäftststelle Mecklenburg, an Wenzel vom 3. 5. 1930 (ADE Berlin, BP 1435). 296 So lässt sich für die Zeit nach 1933 ein Interesse Birnbaums an dem Amt des Vorsitzenden rekonstruieren; vgl. unten 288–295. 297 Vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 239, Anm. 23. 298 Diese benannte Füllkrug in Brückenberg recht deutlich: „Neue Aufgaben sind reichlich vorhanden. Das Heer der Arbeitslosen schreit nach der Volksmission. Der Kampf gegen den Bolschewismus nimmt alle Kräfte in Anspruch. Die Zunahme der Selbstmorde ruft nach dem Evangelium. Die Arbeit der Diakonie bedarf der Unterstützung durch die Volksmission“ (Protokoll Vertreterversammlung Brückenberg vom 28. 4. 1930, ADE Berlin, BP 1435). 299 Kaiser, Sozialer Protestantismus, 239. 300 Vgl. Protokoll Vertreterversammlung Brückenberg vom 28. 4. 1929 (ADE Berlin, BP 1435).
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ganisationen – und entfaltete eine große Aktivität301. Die Bestellung Carl Gunther Schweitzers als Geschäftsführer zeigte, dass die Apologeten in diesem neuen Gremium dominierten. Zugleich bewies die Wahl des ehemaligen westfälischen Superintendenten Zoellner zum Vorsitzenden des Ausschusses, dass sich die Beteiligten um enge Kontakte zum Kirchenregiment bemühten302. An der vollständigen Bezeichnung des Gremiums als „Aktionsausschuß für Laienschulung zur Bekämpfung der Gottlosenbewegung“303 wurde deutlich, dass die Bekämpfung der proletarischen Freidenkerverbände das große Ziel des Ausschusses war. Hintergrund war die auch von der KPD seit 1929 gezielt unterstützte Kirchenaustrittspropaganda, die von den Parteifunktionären als Mittel des revolutionären Kampfes verstanden wurde304. Die im Aktionsausschuss für Laienschulung versammelten Organisationen sahen sich als in einem Kampf befindlich, für den sie durch Schulungen Offiziere, Unteroffiziere und Mannschaften bereitstellen wollten305. Die Orientierung von Aktionen gegen die Freidenker an den Formen der politischen Massenagitation wurde unter anderem im Januar 1932 manifest, als die Wichern-Vereinigung mit der Hamburger Stadtmission und anderen Verbänden in Massenversammlungen die Diskussion mit den dortigen Freidenkern suchte306. Die Arbeit des Aktionsausschusses für Laienschulung war damit ein Beispiel für die auch an anderen Stellen zum Ausdruck kommende Adaption der Formen der politischen Auseinandersetzung sowie für die antikommunistische Instrumentalisierung der volksmissionarischen Arbeitsformen. Bei den Protagonisten der Apologetischen Centrale verband sich mit ihrer führenden Rolle im Ausschuss für Laienschulung der Anspruch, gerade in der Bekämpfung der Freidenker eine Koordinationsaufgabe für die gesamte evangelische Kirche wahrzunehmen307. Für die Volksmissionsbewegung hatte die Einrichtung des Aktionsausschusses jedoch faktisch die Folge einer Spaltung, wie Künneth im September 1932 feststellte. Er sprach von dem Ausschuss als „einer neuen, neben dem Verband [für Volksmission, H. B.] stehenden Organisation“308. Während es bei dem Konflikt zwischen Füllkrug und den Geschäftsführern primär um Machtfragen innerhalb des Verbandes 301 302 303 304 305
Vgl. die Protokolle des Ausschusses (EZA Berlin 1 / 745). Vgl. Stahl, Mission, 349. Vgl. EZA Berlin 1 / 745. Vgl. Kaiser, Arbeiterbewegung, 48–53, 215–219. So Schweitzer 1931 (vgl. Protokoll Tagung Aktionsausschuss für Laienschulung am 31. 5. / 1. 6. 1931 in Berlin [EZA Berlin 1 / 745]). 306 Vgl. zu dieser sogenannten Aktion Ansgar u. a. Protokoll Vorstandssitzung der WichernVereinigung vom 5. 10. 1931 (ADE Berlin, DEVVM 13); Herrmann, Gerhardt, 153. 307 Vgl. Pçhlmann, Kampf, 173–176. Faktisch mussten sich Schweitzer und Künneth dabei vor allem mit dem Evangelischen Pressverband auseinandersetzen, der seit 1931 einen eigenen Informationsdienst gegen die Freidenker herausgab; vgl. ebd., 181–183. 308 Künneth, Vorschläge zur Neugestaltung des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission, September 1932 (ADE Berlin, CA / AC 256, 6).
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ging, demonstrierte die Sonderorganisation der Laienschulung unter der Ägide der Apologetischen Centrale nicht nur den Willen Schweitzers und Künneths zum Ausbau des eigenen Einflusses, sondern zeigte auch, dass die seit dem Ersten Weltkrieg geltende Forderung nach einer Vereinigung von Evangelisation und Apologetik unter dem Signum der Volksmission faktisch nicht zu verwirklichen war. 7.3.2 Streitigkeiten im Central-Ausschuss Die Diskussion um die Laienschulung betraf jedoch nicht nur die Koordination der volksmissionarischen Verbände, sondern auch das Verhältnis von Evangelistischer Abteilung und Apologetischer Centrale. Dies zeigte sich an einem längeren Kompetenzstreit der beiden Abteilungen um Zuständigkeiten für Laienschulung, welche die Evangelistische Abteilung nicht kampflos allein der Apologetischen Centrale überlassen wollte. Noch im November 1929 hatte Künneth auf einer Sitzung der Kommission für Volksmission referiert und dabei ein Zusammengehen gefordert. Daraufhin war ein gemeinsamer Antrag ausformuliert worden309. Bereits im April 1930 waren unterschiedliche Schwerpunkte zwischen Künneth und Füllkrugs Assistenten Ernst Bunke aufgetaucht. Künneth kritisierte dabei vor allem die bisher mangelnde theoretische Fundierung volksmissionarischer Schulungsarbeit: „Er betont die Planlosigkeit der Arbeit und die Unzulänglichkeit derselben, es müssen unbedingt Richtlinien aufgestellt werden.“310 Nach der Gründung des Aktionsausschusses Ende April 1930 in Brückenberg versuchte die Evangelistische Abteilung nun ebenfalls ihre Kompetenz in Schulungsfragen unter Beweis zu stellen311. Daher beschloss die Kommission für Volksmission im Namen der Evangelistischen Abteilung, eine eigenständige Denkschrift zur Laienschulung im Rahmen der Nacharbeit bei Volksmissionen zu verfassen und dafür zunächst einen Fragebogen an die anderen volksmissionarischen Organisationen zu versenden312. Die auf der Kommissionssitzung nicht anwesenden Apologeten kritisierten die Umfrage massiv. Sie betrachteten die Ideen der Evangelistischen Abteilung als eine unnötige Doppelung und zudem als Raub der eigenen Konzepte313. In einem zeitgleich abgefassten vertraulichen Schreiben warnte Schweitzer zudem vor einer erneuten Zuspitzung der internen Auseinander309 Vgl. Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 25. 11 .1929 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 57 f.). 310 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 25. 4. 1930 (Ebd., 49). 311 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 19. 5. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 40). 312 Vgl. ebd., 40; zur Umfrage vgl. Evangelistische Abteilung des CA, Fragebogen zur Laienschulung [Juni 1930] (ADE Berlin, CA / EvA 101). 313 Schreiben Schweitzer an EvA am 28. 5. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 101).
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setzungen innerhalb des Verbandes und wünschte, „dass die in Brückenberg notdürftig hergestellte Einigkeit nicht gleich beim ersten praktischen Falle so belastet wird, dass sie auch nach aussen [sic!] zerbricht.“314 Nur wenige Wochen, nachdem die Konflikte zwischen den volksmissionarischen Organisationen entschärft worden waren, begann damit eine neue Auseinandersetzung. Die Evangelistische Abteilung verfolgte nämlich das Ziel der Laienschulung tatsächlich weiter. Bunke nutzte als Grundlage für seine Ausarbeitung eine Denkschrift Künneths, die dieser bereits im Frühjahr 1930 auf einer Sitzung der Kommission für Volksmission vorgestellt hatte. Künneth hatte hier unterschieden zwischen den von der Apologetischen Centrale bereits veranstalteten Lehrgängen, bei denen die Teilnehmer für längere Zeit an einem Ort gesammelt wurden, und anderen am jeweiligen Ort anzubietenden mehrwöchigen Kursen, bei denen sich die Teilnehmer nur einmal in der Woche für einige Stunden versammelten315. Bunke nahm in seiner Denkschrift die Nomenklatur Künneths von offenen und geschlossenen Lehrgängen auf und plädierte für die Abhaltung von Lehrgängen in den Gemeinden als Form der Nacharbeit: „Es hat an Nacharbeit gefehlt, hier muß die Laienschulung einsetzen. […] Die Laienschulung in offenen Lehrgängen ist ein Weg dazu, den sie [die Evangelistische Abteilung, H. B.] dringend empfehlen möchte.“316
Bunke bemühte sich zwar nach dem Vorbild Künneths, die Aufgabe der Nacharbeit und Laienschulung wissenschaftlich zu fassen; dies gelang ihm jedoch nicht in vollem Ausmaß. Definitionen von Aufgaben und Zielen der volksmissionarischen Laienschulung317 wechselten mit Sentenzen, wenn er etwa die Abhaltung von bibelkundlichen Vorträgen in engem Zusammenhang mit Evangelisationen empfahl: „Man muss das heiße Eisen schmieden, es nicht erst erkalten lassen, um dann später durch neues Feuer die Glut hervorzubringen.“318 Insgesamt machte er eher Vorschläge, als dass er echte Definitionen lieferte. Im Verhältnis zu Künneths Denkschrift fällt auf, dass Bunke einerseits stärker die Notwendigkeit der göttlichen Führung während des Lehrganges betonte319 und andererseits die zeitkritische Krisenmentalität 314 Abschrift Schreiben Schweitzer an Füllkrug [Mai 1930] (ADE Berlin, CA / EvA 101). 315 Vgl. Vortrag Künneth in Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 25. 4. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 50 f.); Richtlinien für die systematische Laienschulung (Leitsätze auf Grund der bisherigen Erfahrungen der Laienschulungsarbeit der Apologetischen Centrale zur Aufklärung über die Frage der Laienschulung und ihren weiteren notwendigen planmässigen Aufbau) [1930] (ADE Berlin, CA / EvA 101). 316 Ernst Bunke, Zur Nacharbeit der Volksmission (Laienschulung durch offene Lehrgänge) [Herbst 1930], (ADE Berlin, CA / EvA 101). 317 Hier favorisierte er einerseits eine Vertiefung der Eindrücke der Volksmissionswochen, andererseits grundlegende apologetische Kenntnisse (vgl. ebd). 318 Ebd. 319 „Der ganze Lehrgang muss durchhaucht sein, von dem Heiligen Geist“ (ebd.).
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deutlicher in den Text einfloss als in der eher abgewogenen Darstellung der Apologetischen Centrale320. Schweitzer und Künneth antworteten im Oktober 1930 mit einer massiven Kritik in Form einer eigenen Denkschrift auf den Vorschlag Bunkes321. Sie kritisierten, dass die Evangelistische Abteilung keine Erfahrung mit Schulungsveranstaltungen und daher auch kein Recht dazu habe, auf diesem Sektor tätig zu werden322. Aus der Denkschrift wurde immer wieder deutlich, dass die wissenschaftlichen Mitarbeiter der Apologetischen Centrale die Vorschläge aus ihrer Schwesterabteilung für unausgereift hielten, etwa wenn sie die konkreten Themenvorschläge Bunkes für Schulungsabende kritisierten. Diese schienen ihrer Meinung nach „allenfalls für die evangelistische Verkündigung geeignet zu sein, schwerlich aber für Schulungszwecke, die von denen der Erbauung zu unterscheiden sind“323. Im November 1933 versuchten beide Abteilungen, den Konflikt dadurch zu entschärfen, dass die Evangelistische Abteilung bei ihrem Konzept nicht mehr von Laienschulung sprach, sondern allein von Nacharbeit an den durch die volksmissionarische Verkündigung gewonnenen Menschen redete: „Diese Arbeit der Helferkreise ist nicht Laienschulung, sondern Nacharbeit in bestimmter Form.“324 So sprach ein Ende 1930 entstandener neuer Entwurf für „Richtlinien für die Nacharbeit der Volksmission“325 weit weniger von Schulung, sondern betonte vor allem den Aspekt der Einführung in die Bibel und der Sammlung der Kerngemeinde326. Aber auch dieser Entwurf war der Apologetischen Centrale noch zu unspezifisch. In einem Gegenentwurf forderte Künneth stattdessen für Schulungen in der Nacharbeit „eine besondere Ausbildung der Lehrenden in sachlicher wie in methodischer Hinsicht“327. Anders als die eher beschauliche Nacharbeit, die Bunke vorschwebte, sah Künneth die Aufgabe der Nacharbeit darin, „Schulungskurse zur sachge320 Vgl. ebd. In einer frühen Fassung des Aufsatzes betonte Bunke, dass die Schulungen auch konkrete Themenvorschläge beinhalten sollten, zu denen u. a. die Fragen von Staat, Volk und Antisemitismus gehörten; vgl. Bunke, Zur Nacharbeit der Volksmission (Laienschulung durch offene Lehrgänge) [1930] (ADE Berlin, CA / EvA 101). 321 Allein die Forderung nach Bibelkursen begrüßten die beiden Apologeten als weiterführend, stellten sie allerdings als interne Sache der Evangelistischen Abteilung dar; vgl. Schweitzer / Künneth, Bemerkungen der Apologetischen Centrale zu der Denkschrift Zur [sic!] Nacharbeit der Volksmission (Laienschulung durch offene Lehrgänge) von P. Ernst Bunke – Berlin, vorgetragen in der Sitzung der Kommission für evangelistische Volksmission am 20. Oktober 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 101). 322 Vgl. ebd. 323 Vgl. ebd. 324 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 6. 11. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 24). 325 Vgl. Anon. (Ernst Bunke), Richtlinien für die Nacharbeit der Volksmission – Entwurf (ADE Berlin, CA / EvA 101). 326 Vgl. ebd. 327 Künneth, Entwurf Richtlinien für die Schulung im Rahmen der volksmissionarischen Nacharbeit [Februar 1931] (ADE Berlin, CA / EvA 101).
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mässen Ausrüstung für den Weltanschauungskampf“328 zu geben. Insgesamt konnten erst im März 1931, ein Jahr nach Beginn der Auseinandersetzungen, Richtlinien für die Nacharbeit in der Kommission für Volksmission verabschiedet werden329. Offenbar im Zusammenhang mit dieser Kontroverse um Kompetenzen in der Laienschulung entstand ein weiteres Papier über „Grundsätze für die Volksmission“330. Hierin sollten die Probleme durch ein jeweils eigenständiges, aber koordiniertes Vorgehen der beiden Abteilungen gelöst werden331. Ferner nahm das Papier als Kompromissformel wiederum die gegenseitige Verflochtenheit von Evangelisation und Apologetik auf und zog daraus Konsequenzen für das Miteinander der beiden Institutionen: „Die Evangelistische wie die Apologetische Abteilung der Volksmission […] sind also auf einander angewiesen und zu gemeinsamen Dienst am gleichen Werk berufen.“332 Der Versuch der Evangelistischen Abteilung, das neue Konzept der Laienschulung für ihre eigene Nacharbeit aufzugreifen und der dadurch erneut zwischen den beiden Abteilungen heraufbeschworene Konflikt hatten jedoch gezeigt, dass dieses Nebeneinander nicht funktionierte. Während es den Protagonisten in der Apologetischen Centrale um eine exakte Kenntnis der gegnerischen Strömungen und um eine wissenschaftlich redliche Auseinandersetzung ging, war die Konzeption der Evangelisten kaum am aktuellen theologischen und wissenschaftlichen Diskurs orientiert und eher theoriefremd333. Trotz aller Lippenbekenntnisse zur gegenseitigen Durchdringung von Evangelisation und Apologetik war das Interesse an apologetischer Schulung für evangelistisch arbeitende Volksmissionare nicht sonderlich ausgeprägt. Als die Apologetische Centrale im April 1932 eine apologetische Schulung für Volksmissionare in den Organisationen des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission anbot, war die Resonanz mit drei Anmeldungen desaströs334. Zusätzlich zu diesen nicht zu leugnenden inhaltlichen Grundlagen der Kontroverse war jedoch auch das taktische Interesse Schweitzers und Künneths an einer größtmöglichen Unabhängigkeit von der Inneren Mission und an einer Anerkennung als allgemeinkirchliche Kompetenzstelle für Apologe328 Ebd. 329 Vgl. Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 16. 3. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 18). 330 Grundsätze für die Volksmission (ADE Berlin, CA / EvA 13, 319). 331 Vgl. ebd. 332 Ebd. 333 Dies zeigt bereits Beyreuther, Kirche, 232 f. 334 Schreiben Künneth und Schweitzer an Mitgliedsorganisationen DEVVM [Frühjahr 1932] (ADE Berlin, DEVVM 13). Bereits im Vorfeld der Organisation dieses Lehrgangs hatte Künneth Enttäuschungen im Hinblick auf Schulungen für evangelistisch arbeitende Volksmissionare angedeutet: „Die Erfahrungen des letzten Jahres, die wir mit den Volksmissionaren machen mussten, sind ja nicht sehr erfreulich“ (Schreiben Künneth an Füllkrug am 14. 1. 1932 [ADE Berlin, DEVVM 13]).
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tik und Laienschulung für den Konfrontationskurs gegen die von Füllkrug geleitete Abteilung maßgeblich335. Wenn die beiden Apologeten im Oktober 1930 betonten, dass Laienschulung „ureigenplanmässig [sic!]“336 zum Aufgabenspektrum der AC gehörte, dann wollten sie damit zugleich die Unabhängigkeit. Hierfür gab es vor allem materielle Gründe: Sowohl die Apologetische Centrale als auch die Evangelistische Abteilung arbeiteten von 1929 bis 1931 mit deutlichen Defiziten und waren daher von Zuschüssen abhängig337. Vor dem Hintergrund sinkender Mittel musste diese Konkurrenz jedoch in regelrechte Verteilungskämpfe ausarten, zu denen auch die Profilierung der Abteilungen gehörte338. Die Zusammenfassung von Evangelisation und Apologetik unter dem Namen Volksmission blieb damit eher ein Postulat als eine gelebte Praxis. Die Konkurrenz der Abteilungen war jedoch nicht die einzige Trennungslinie im Central-Ausschuss. Daneben war auch die Frage des Verhältnisses von Volksmission und den beiden anderen Dimensionen der Inneren Mission, der karitativen Tätigkeit und der damals „öffentliche Mission“ genannten sozialund gesellschaftspolitischen Lobbyarbeit, umstritten339. Wie oben gezeigt, war die Zielsetzung, die Volksmission als integralen Bestandteil in die sonstigen Arbeitszweige der Inneren Mission einzubeziehen, unumstritten. In der Weltwirtschaftskrise, als die Zahl der Arbeitslosen bis 1931 auf 21,9 % der deutschen Bevölkerung stieg, war gerade die karitative Dimension der Inneren Mission stärker als bisher gefordert, zumal der Weimarer Wohlfahrtsstaat an der sozialpolitischen Bewältigung der Krise scheiterte340. Die Aufgabe, sich gerade den Erwerbslosen zuzuwenden, erkannten Evangelistische Abteilung und DEVVM durchaus. Im Frühjahr 1930 hielt 335 Zum Kurs der AC vgl. Iber, Apologetische Centrale, 110–113. 336 Schweitzer / Künneth, Bemerkungen der Apologetischen Centrale zu der Denkschrift Zur Nacharbeit der Volksmission (Laienschulung durch offene Lehrgänge) von P. Ernst Bunke – Berlin, vorgetragen in der Sitzung der Kommission für evangelistische Volksmission am 20. Oktober 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 101). 337 So hatte die Evangelistische Abteilung 1931 ihren Etat um 5.000 Reichsmark überschritten, die AC sogar um 15.470 Reichsmark; vgl. Protokoll Sitzung Verwaltungsausschuss CA vom 15. 1. 1930 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1930). Zur Abhängigkeit der Apologetischen Centrale mit ihren Expansionsplänen von Zuschüssen vgl. auch Iber, Apologetische Centrale, 111. 338 Im Januar 1931 wurde der Etat der Evangelistischen Abteilung von 79.000 Reichsmark auf 74.900 Reichsmark gekürzt; vgl. Protokoll Sitzung Verwaltungsausschuss CA vom 13. 1. 1931 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1931). Die Apologetische Centrale erhielt dagegen aus Mitteln des CA 87.000 Reichsmark; vgl. Iber, Apologetische Centrale, 113 Anm. 28. 339 Diese Trias bildete die Standardgliederung der Aufgaben der Inneren Mission; exemplarisch sei hier eine Werbeschrift Helmuth Schreiners für das von ihm geleitete Spandauer Johannesstift von Ende der 1920er-Jahre zitiert: „Das Werk der Bildung will einen Kreis schließen, der die Einheit und Universalität unseres Dienstes deutlich macht, die Einheit von Liebestätigkeit, Volksmission und öffentlicher Mission“ (Schreiner, Reichtum, 18). 340 Zu den Arbeitslosenzahlen vgl. Peukert, Weimarer Republik, 246. Die Folgen der Krise für den Wohlfahrtsstaat und die Folgen für die Innere Mission, die in die sozialstaatlichen Strukturen fest eingebunden war, schildert prägnant Sachsse, Kriegsfürsorge, 204 f.
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Hölzel, der sozialen Problemen gegenüber aufgeschlossenste Evangelist des Central-Ausschusses, in den ostpreußischen Städten Elbing und Friedland spezielle volksmissionarische Versammlungen für Arbeitslose ab341. Auch auf einer Tagung des DEVVM wurde die Arbeit an den Erwerbslosen als wichtige Zukunftsaufgabe identifiziert342. Auf einer Sitzung der Kommission für Volksmission wurden auch damit verbundene politische Befürchtungen offensichtlich: „Es darf nicht so bleiben, dass die Arbeitslosen nur bei der kommunistischen Partei Teilnahme finden.“343 Trotz der hohen Bedeutung, die dabei der diakonisch-karitativen Dimension der Sorge um das Proletariat beigemessen wurde, sorgte die Evangelistische Abteilung kaum für Verbindungen zu anderen Stellen344. Im Zusammenhang mit der Kontroverse um die Laienschulung kritisierte Johannes Steinweg, der vor allem für Wohlfahrtsfragen zuständige Direktor im CA, diese mangelnde Verbindung von diakonisch-karitativer und volksmissionarischer Arbeit. Er betonte im November 1930, dass die Evangelistische Abteilung nicht nur mit der Apologetischen Centrale stärker zusammenarbeiten müsse, sondern auch mit den Abteilungen für Wohlfahrtspflege, und schlug konkret ein Zusammengehen mit den in den Gemeinden verankerten Frauenverbänden und den Männerdiensten vor345. Steinweg hatte zu diesem Zeitpunkt gerade Füllkrug in der Koordinationsfunktion als geschäftsführender Direktor abgelöst346. In stärkerem Maße als Füllkrug war er wissenschaftlich tätig und verfasste 1928 eine Gesamtdarstellung der Inneren Mission347. In seiner Definition der Volksmission hatte er die innere Einheit der missionarischen Verkündigung und der christlichen Liebestätigkeit stark betont: „Man hat oft gesagt, der Liebestätigkeit fehle das Moment der ,Mission‘, sie sei Diakonie, ,Dienst‘. Aber das ist eine unzulässige Trennung dessen, was zusammengehört.“348 Die Ermahnungen Steinwegs zeigten, dass trotz der bereits mehrfach aufgekommenen Forderung nach einer stärkeren Verzahnung von Evangelisation und Wohlfahrtspflege diese bisher nicht verwirklicht war. Auch ein Versuch Füllkrugs in diese Richtung war nicht von Erfolg gekrönt. Im Dezember 1930 341 Vgl. Hçlzel, Arbeit; vgl. auch unten 393–395. 342 „Das Heer der Arbeitslosen schreit nach der Volksmission“ (Protokoll Vertreterversammlung in Brückenberg vom 28. 4. 1930 [ADE Berlin, BP 1435]). 343 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 19. 5. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 40). 344 Kontakte zur Berliner Stadtmission, die ebenfalls Mission unter den Arbeitslosen treiben wollte, scheinen keine konkreten Ergebnisse gehabt zu haben; vgl. ebd., 41. 345 Vgl. Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 6. 11. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 24). 346 Steinwegs offizielle Wahl in dieses Amt hatte einen Tag vorher stattgefunden vgl. Protokoll Sitzung Hauptausschuss CA vom 5. 11. 1930 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1930). Zu den Hintergründen dieses Machtwechsels vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 239, Anm. 23. 347 Vgl. Steinweg, Innere Mission. 348 Ebd., 455.
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regte er eine zeitweilige Beschäftigung des württembergischen Jugendsekretärs Karl Edler an, der im Mohnbachtal Berufsschullehrgänge für arbeitslose Jugendliche initiiert hatte, und bat um Gelder der Mitgliedsorganisationen des DEVVM349. Füllkrug beabsichtigte, Programme für die Abhaltung von volksmissionarischen Kursen unter Arbeitslosen zu entwickeln350. Die auf fünf Monate angelegte Beschäftigung Edlers begann mit Besuchsreisen zu vielversprechenden Projekten an verschiedene Orte Deutschlands und einer Freizeit für arbeitslose Jugendliche351. Aber bereits Ende März 1931 waren die Finanzen erschöpft und Zweifel an der Zukunftsträchtigkeit der Zusammenarbeit mit Edler wachgeworden352. Es zeigte sich erneut, dass die Koordination von Wohlfahrtspflege und volksmissionarischer Verkündigung innerhalb des CA offenbar nicht gelang. Eine grundlegende Reform der Strukturen der Evangelistischen Abteilung im Hinblick auf eine größere Verzahnung mit den anderen Arbeitsbereichen wurde im Frühjahr 1931 versucht. Dabei wurde auf Initiative Steinwegs353 die Kommission für Volksmission auch um mehrere Mitglieder erweitert, welche die Provinzial- und Landesvereine für Innere Mission sowie die männliche und weibliche Diakonie vertreten sollten. So erhielt die Gesamtkommision im Frühjahr 1931 fünf neue Mitglieder. Als Vertreter der Provinzialvereine wurde der Direktor des brandenburgischen Provinzialausschusses, Theodor Wenzel, aufgenommen, um die regionalen Geschäftsführer stärker in die Beratung einzubeziehen. Weitere Neumitglieder vertraten u. a. die weibliche und männliche Diakonie und sollten für den Kontakt zu den diakonischen Verbänden sorgen354. In einem undatierten Geschäftsordnungsentwurf wurde die Kommission in einen monatlich tagenden Arbeitsausschuss und einen zweimal jährlich tagenden Gesamtausschuss aufgeteilt. Während der Arbeitsausschuss die Geschäfte führen sowie die Angelegenheiten der Berufsarbeiter erörtern sollte und für grundlegende Fragen zuständig war, sollte der Gesamtausschuss Haushaltsfragen, die Anstellung von Berufsarbeitern und gegebenenfalls neue Arbeitsfelder festlegen. Füllkrug behielt die Geschäftsfüh-
349 Vgl. Schreiben Füllkrug an Mitgliedsorganisationen des DEVVM vom 15. 12. 1933 (ADE Berlin, BP 1435). Zu den Lehrgängen im Mohnbachtal vgl. Edler, Findet die Volksmission den Weg zu den Arbeitslosen? (ADE Berlin, CA / AC 256, 73). 350 Vgl. Richtlinien für die Anstellung eines Berufsarbeiters zur Veranstaltung von ErwerbslosenKursen unter volksmissionarischem Gesichtspunkt [Ende 1930] (ADE Berlin, BP 1436). 351 Vgl. Bericht über die Arbeit des Jugend- und Wohlfahrtssekretärs Edler unter den Arbeitern im Auftrage des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission [Januar und Februar 1931] (ADE Berlin, BP 1436). 352 „[…] gibt Herr Edler selbst zu, dass es ihm nicht gelungen sei, die wirklich volksmissionarische Linie in seiner bisherigen Tätigkeit zu ziehen“ (Schreiben Füllkrug an Mitgliedsorganisationen DEVVM [ADE Berlin, BP 1436]). 353 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 16. 3. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 16). 354 Schreiben Füllkrugs an Peter Andreas Petersen vom 2. 4. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 16).
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rung; ihm sollte aber ein Stellvertreter zur Seite gestellt werden355. Der Geschäftsführende Ausschuss umfasste neben den vorher schon besonders aktiven Kommissionsmitgliedern vor allem die Direktoren für Wohlfahrt (Steinweg) und für die Apologetische Centrale (Schweitzer)356. Neben einer effektiveren Verhandlungsführung innerhalb der Abteilung wurde durch die Reformen die stärkere Einbeziehung der Evangelistischen Abteilung in das Gesamtgefüge der Inneren Mission angestrebt. Die Erweiterung der Kommission um Vertreter der Diakonie hatte außerdem die Bedeutung, die Verbindung von Evangelisation und christlicher Liebestätigkeit zu verstärken. So kündigte Füllkrug im Juli 1931 an, auch in der Volksmission des Central-Ausschusses regelmäßig auf die männliche und weibliche Diakonie hinzuweisen, enger mit diakonischen Anstalten zu kooperieren und in Lehrgängen und Vorträgen auf ein engeres Verhältnis zwischen Volksmission und karitativer Tätigkeit hinzuwirken357. Im Wesentlichen unterschied sich dieses Versprechen kaum von den bereits in den frühen 1920er-Jahren gemachten Absichtserklärungen. Die Auseinandersetzungen um das Verhältnis von Volksmission und der vor allem in den Einrichtungen der männlichen und weiblichen Diakonie verkörperten karitativen Aktivitäten der Inneren Mission manifestierte eine weitere Konfliktlinie, die im Gefolge der Weltwirtschaftskrise stärker als in den 1920er-Jahren deutlich wurde. Innerhalb der Abteilungen des CentralAusschusses führten sowohl die Apologetische Centrale als auch die Evangelistische Abteilung eine Sonderexistenz358. Volker Herrmann hat diese Eigenständigkeit der missionarischen Verkündigung als Vorboten für die Verselbstständigung der missionarischen Dienste aus dem Bereich der Inneren Mission nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges gedeutet359. Zu einfach ist es allerdings, wenn Herrmann eine weitgehend antirepublikanische Volksmission und die auf die Herausforderungen des Weimarer Sozialstaates eingehende Wohlfahrtspflege einander entgegensetzt360. Immerhin waren auch die organisatorisch modern agierenden Bereiche der Wohlfahrtspflege dem Ideal 355 Entwurf Geschäftsordnung für die Ausschüsse der Abteilung Evangelistische Volksmission (ADE Berlin, CA / EvA 16). 356 Mitglieder des Arbeitsausschusses wurden Bunke, Füllkrug, Kameke, Krause, Krenzlin, Otto Moeller – der Leiter des Evangelischen Hilfsvereins in Brandenburg –, Wilhelm Philipps, Carl Gunther Schweitzer, Steinweg und Theodor Werdermann von der Evangelischen Frauenhilfe; vgl. Sitzung des Arbeitsausschusses, Datum unleserlich (ADE Berlin, CA / EvA 13, 22 f). 357 Vgl. Protokoll Sitzung Arbeitsausschuss Kommission für Volksmission vom 22. 7. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 6). 358 Hierfür war auch die Einschränkung Füllkrugs auf Volksmission und eine Allgemeine Abteilung verantwortlich; vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 89; sowie 238 f. 359 Vgl. Herrmann, Volksmission, 221. Hartmut Bärend betont dagegen im Hinblick auf die Einbindung der heutigen Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste in die Diakonie: „Insgesamt hat es der Volksmission bis heute gut getan, dass sie organisatorisch mit der Inneren Mission verbunden ist“ (B rend, Blick, 94). 360 Vgl. Herrmann, Volksmission, 217.
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einer christlich formierten Gesellschaft verbunden und gegenüber der Demokratie skeptisch361. Die Konflikte um die Einbindung der Volksmission in die gesamte Innere Mission zeigten jedoch, dass trotz mehr als einem Jahrzehnt andauernder volksmissionarischer Praxis nicht nur die organisatorische Verankerung und die Verbindung von Evangelisation und Apologetik unklar blieb, sondern auch die Einbindung in die Gesamtarbeit der Inneren Mission versäumt worden war. Letztlich hatten Reformversuche auch keine Zukunft, da die IM ab Herbst 1931 ganz mit der Bewältigung des DevaheimSkandals beschäftigt war362. 7.3.3 Vom Antikommunismus zu Verhandlungen mit der NSDAP Neben diese innerprotestantischen Koordinationsprobleme trat eine inhaltliche Adaption an die politische Radikalisierung der Gesamtgesellschaft. In der Weltwirtschaftskrise polarisierte sich die politische Kultur noch einmal. Das wurde zunächst in einem moderaten Anstieg der kommunistischen Mandate im Reichstag deutlich. Vor allem aber prägte der Durchbruch der NSDAP die Reichstagswahlen der frühen 1930er-Jahre. Die Partei Hitlers erhielt im Herbst 1930 erstmals ein Fünftel der Stimmen und konnte diesen Anteil 1932 verdoppeln363. Erich Beyreuther hat für die Zeitschrift „Die Volksmission“ bereits 1968 als Auswirkung dieser Krise eine stetige Verschärfung der antikommunistischen und nationalistischen Inhalte, verbunden mit deutlichen antisemitischen Tendenzen diagnostiziert364. So zeigten mehrere Beiträge aus dem Jahrgang 1931 die Verwendung antijüdischer Stereotype365. Prononciert, jedoch zu weitgehend, beurteilte Theodor Strohm die Entwicklung des Blattes: „Die Zeitschrift Volksmission mutierte zu einem völkisch nationalen Blatt mit stark antisemitischen Untertönen.“366 Dem widerspricht, dass nur einzelne Artikel und nicht das ganze Blatt eindeutig antisemitisch war. Dennoch ist zu sagen, dass vor dem Hintergrund der politischen Systemkrise die bereits in den 1920er-Jahren vorhandenen nationalistischen, antikommunistischen und antisemitischen Stereotypen deutlicher artikuliert wurden.
361 Dies wurde spätestens in der Weltwirtschaftskrise deutlich, als auch die für den diakonischen Bereich verantwortlichen Direktoren die Einbindung der Inneren Mission in die Strukturen des Wohlfahrtsstaates für den Devaheim-Skandal verantwortlich machten; vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 239 f., 245 f. 362 Siehe unten 273–281. 363 Vgl. Zusammenstellung der Wahlergebnisse in Peukert, Weimarer Republik, 206. 364 Vgl. Beyreuther, Kirche, 233 f. 365 Vgl. Beyreuther, Kirche, 233 f.; vgl. besonders F llkrug, Volk. 366 Strohm, Innere Mission, 35.
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Im Folgenden sollen anhand von zwei wichtigen Handlungsfeldern der Volksmission während der Weltwirtschaftskrise deren politische Implikationen aufgezeigt werden. Es handelt sich einerseits um Versuche, evangelistische Bewegungen in Russland zu unterstützen, andererseits um die Fortsetzung der Bemühungen, die nationalen Bewegungen und nunmehr vor allem die immer erfolgreicheren nationalsozialistischen Parteiformationen unter die volksmissionarische Verkündigung zu bringen. Beide zeigen deutliche politische Optionen der Volksmissionsbewegung, die bereits in den 1920er-Jahren formuliert und diskutiert wurden. Die Warnung vor dem Kommunismus bezüglich der Verhältnisse in Osteuropa gab es bereits in den 1920er-Jahren in der Zeitschrift Volksmission367. Vor dem Hintergrund der Systemkrise steigerte sich nicht nur die Sorge vor dem Kommunismus, sondern die Volksmissionsorganisationen in Deutschland versuchten ab 1930 auch, mit den freikirchlich geprägten Evangeliumschristen in Russland in Kontakt zu kommen. Hintergrund waren im Zusammenhang mit der Verschärfung der Kulakenumsiedlungen Ende der 1920er-Jahre stattfindende kirchliche Kundgebungen gegen angebliche Christenverfolgungen, die zugleich vor einer kommunistischen Machtübernahme in Deutschland warnen sollten368. Im Kontext dieser Kundgebungen versuchten die Volksmissionsorganisationen im Januar 1930 Kontakt zu den russischen Evangeliumschristen zu bekommen. Dies geschah auf einer auf Initiative der Wichern-Vereinigung in Hamburg veranstalteten Konferenz, bei der Vertreter der Evangeliumsbewegung, unter ihnen deren geistiger Führer Iwan Stepanowitsch Prochanow, und der im DEVVM vereinten Organisationen anwesend waren369. Für die Vermittlung des Kontaktes war der „Missionsbund Licht im Osten“ verantwortlich, der von Deutschland aus die Evangeliumschristen förderte und im Frühjahr 1931 in den DEVVM aufgenommen wurde370. Die Evangeliumschristen wollten mit dieser Tagung versuchen, Kontakte zu den protestantischen Landeskirchen aufzunehmen und zu ihnen in ein näheres Verhältnis zu treten. Für die Volksmissionsbewegung in Deutschland war dagegen die gemeinsame Front gegen den vermeintlich auch im Westen drohenden Kommunismus wichtig: „Obwohl russische Verhältnisse nicht auf deutsche übertragen werden dürfen, ist kaum etwas so geeignet, mitzuhelfen, dass unsere deutsche Kirche erwacht und gegen den kommenden, jetzt schon planmässig vorbereiteten Ansturm des bol-
367 Vgl. etwa Engel, Baltikum, v. a. 273 f. 368 Vgl. Meier, Sowjetrußland, v. a. 297–302. 369 Bericht über die Konferenz im Rauhen Haus am 18. und 19. Januar 1930 (ADE Berlin, DEVVM 55, 1–10). Die folgenden Ausführungen zu den Kontakten der Volksmissionsbewegung im Osten wurden erstmals auf einem Workshop des Theologischen Forschungskollegs im Oktober 2011 vorgetragen. 370 Vgl. Schreiben Füllkrug an Licht im Osten vom 24. 4. 1931 (ADE Berlin, DEVVM 13).
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schewistischen Atheismus sich rüstet, wie die Kenntnis von den grossen Taten Gottes in Sowjetrussland.“371
Die Evangeliumsbewegung diente einmal als Vorbild für die Gemeinden in Deutschland, die einen ähnlichen Missionscharakter entwickeln sollten wie die Evangeliumschristen in der Sowjetunion372. Andererseits war der vermeintlich auch im Westen drohende Kommunismus als gemeinsamer Feind ein Grund, Koalitionen zu suchen. Das Interesse an den Vorgängen in Russland war so stark, dass durch die Wichern-Vereinigung sogar erwogen wurde, die Einrichtung eines Institutes zur Beobachtung der Vorgänge in Russland unter Leitung des Theologen und Osteuropahistorikers Hans Koch zu fördern373. Die Kontakte nach Russland zeigen das grundsätzliche Interesse, auch unter den Völkern Osteuropas missionarisch wirksam zu werden. Gleichzeitig ist hier aber auch ein der Situation in Deutschland geschuldeter starker antikommunistischer Impetus zu beobachten. Da aber Russland selbst für deutsche Volksmissionare nicht zugänglich war, beschränkten sich die Beziehungen zur russischen Evangeliumsbewegung im Wesentlichen auf solche sporadischen Kontakte. Anders lag die Situation in Polen. Auf einem Volksmissionslehrgang für Pastoren der Unierten Evangelischen Kirche in Posen (Poznan´) thematisierte Kurt Erich Eichstädt, der Geschäftsführer der dortigen Volksmissionsabteilung, die zwei Dimensionen der Volksmission: Einerseits solle sie in den eigenen Gemeinden Menschen zum Glauben rufen, andererseits solle sie „in die slawische Umwelt hinein“374 wirken. Eichstädt dachte dabei speziell an das Gebiet Wolhynien im Osten Polens, heute in der Westukraine, in dem auch eine deutsche Minderheit lebte. Die Wolhyniendeutschen gehörten zur Evangelisch-Augsburgischen Kirche Polens. In dieser Kirche rangen die ganze Zwischenkriegszeit hindurch das polnische Kirchenregiment unter dem Generalsuperintendenten und späteren Bischof Julius Bursche und eine starke Minderheit deutschnationaler, oft völkisch gesinnter Pastoren um den Kurs der Kirche, deren Glieder mehrheitlich deutsche Wurzeln hatten375. Eichstädt schlug in einem Rundbrief an die DEVVM-Mitgliedsverbände von 1931 die Schulung von Evangelisten für Wolhynien vor, die einmal die 371 Birnbaum (Wichern-Vereinigung) / Walter Jack (Missionsbund Licht im Osten), Einladung zur Besprechung am 18. / 19. 1. 1930, Nov. 1929 (ADE Berlin, DEVVM 55). 372 So enthielten Nachrichten über die Evangeliumschristen in Russland immer wieder enthusiastische Wertungen als eine vermeintlich ganz Russland prägende Reformation; vgl. etwa F llkrug, Die religiöse und politische Lage, 48 f. Ähnliches gilt für Darstellungen in der Kirchenpresse, die seit Mitte der 1920er-Jahre ebenfalls das Aufblühen der Evangeliumschristen in Russland als Zeugnis für die den Kommunismus besiegende Macht des Christentums sahen; vgl. für Württemberg Trauthig, Kampf, 263 f. 373 Protokoll Vorstandssitzung der Wichern-Vereinigung, 15. 10. 1931 (ADE Berlin, DEVVM 13). 374 Kurt Erich Eichstädt, Arbeitsbericht über die Volksmissionskonferenz in Langenolingen 1931 (ADE Berlin, DEVVM 31). 375 Vgl. umfassend Krebs, Identität.
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verstreuten wolhyniendeutschen Gemeinden in ihrer Identität – wohl auch gegen den Kurs ihrer eigenen Kirchenleitung – stärken und Tendenzen zur Zersplitterung dieser Gemeinden bekämpfen sollten. Daneben sollten sie durch Predigten die Evangeliumsbewegung unter den Ukrainern in Wolhynien unterstützen und zur Bildung einer ukrainischen protestantischen Volkskirche führen: „Wir stehen mit brennendem Herzen hinter dieser Arbeit, weil wir glauben, dass das ukrainische Volk einmal die Brücke nach dem heidnisch gewordenen Russland werden kann. Rechtzeitig müssen wir Missionskräfte an der Grenze Russlands sammeln.“376
Auch wenn die Unterstützung der anderen Organisationen im DEVVM aufgrund der geschilderten eigenen finanziellen Probleme nur spärlich war, waren diese Kontakte nach Osten symptomatisch377. Die Unterstützung der Evangeliumsbewegung auch über die Grenzen der deutschen Gemeinden hinaus hatte vor allem eine politische Dimension: es ging darum, dem Kommunismus etwas entgegenzusetzen. Immer wieder beschworen die Protagonisten eine im Grenzland der Sowjetunion einzudämmende „bolschewistische Welle“378. Ähnliche Gedankengänge wurden im Osten Europas auch von anderen deutschen Kirchenführern geäußert: Im Baltikum evangelisierte die Baltische Russlandhilfe des Rigaer Pastors Oskar Schabert unter Russen an der Grenze Estlands379. In Galizien unterstützte die dortige deutsch-evangelische Kirche den Aufbau ukrainischer lutherischer und reformierter Gemeinden aus den ursprünglich aus dem unierten griechisch-katholischen Ritus stammenden ukrainischen Konvertiten380. Immer hatten diese Kontakte zu nichtdeutschen Christen auch die Funktion, den als große Gefahr wahrgenommenen Kommunismus einzudämmen. Auch in der volksmissionarischen Verkündigung wurde immer wieder auf die Ereignisse in Osteuropa verwiesen. So berichtete Engel 1931 aus seinen Erfahrungen mit Vorträgen zur Situation der Christen in der Sowjetunion, „dass es Eindruck macht, wenn man ihnen [den Gemeinden, H. B.] mal die 376 Schreiben Eichstädt an die Mitgliedsverbände des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission vom 28. 10. 1931 (ADE Berlin, DEVVM 13). 377 Auf einer Verbandssitzung 1931 konnten die von Eichstädt erbetenen Zuschüsse von monatlich 50 RM zur Anstellung eines ukrainischsprachigen Evangelisten nicht vollständig eingeworben werden; er erhielt nur Garantien im Rahmen von 31 Reichsmark (Protokoll Vorstandssitzung DEVVM in Friedrichroda 2. 7. 1931 [ADE Berlin, BP 1436]). 378 Vgl. z. B. Kurt Eichstädt, Bericht über Wolhynien (ADE Berlin, DEVVM 13). 379 Zur Baltischen Russlandhilfe vgl. Bitter, Schabert, 211–216. Aus den Protokollen werden allerdings nicht unerhebliche Konflikte zwischen der Baltischen Russlandarbeit und den Evangeliumschristen deutlich, da diese den Deutschbalten eine zu negative Darstellung der Verhältnisse in Russland vorwarfen; vgl. Bericht über die Konferenz im Rauhen Haus am 18. und 19. Januar 1930 [ADE Berlin, DEVVM 55, 3]). 380 Zu dieser bisher wenig erforschten Konversionsbewegung in Galizien vgl. summarisch JehleWildberger, Keller, 217–228.
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Not dort, aber auch die Gefahren für unser Volk vor Augen führt“381. Besonders in Brandenburg sind aus den frühen 1930er-Jahren wiederholte Vorträge im Auftrag des dortigen Provinzial-Ausschusses für Innere Mission aktenkundig, die der russlanddeutsche Pfarrer Erhard Torinus hielt. In diesen warnte er vor dem Kommunismus und stellte gleichzeitig den Glauben der russischen Christen in der Evangeliumsbewegung als einziges Mittel dar, um dem „Bolschewismus“ gegenüber standhalten zu können382. Die Erfahrungen der deutschsprachigen Diasporakirche im Osten Europas und der russischen Evangeliumschristen wurden so als Legitimation für die eigene antikommunistische Stellungnahme verwendet. Dies schuf Offenheit zur NSDAP, die den wirksamsten Schutz gegen eine kommunistische Machtübernahme zu versprechen schien. In einem offenen Brief rief Torinus 1932 dazu auf, bei der Reichspräsidentenwahl Hitler zu unterstützen: „Gott hat Hitler und seine Bewegung auf den Plan gerufen, um unser Volk vor dem antichristlichen Bolschewismus zu retten und sich seiner nochmals zu erbarmen. Alle Gläubigen gehören daher in die nationalsozialistische Freiheitsbewegung hinein“383.
Neben der Abgrenzung nach links erhielt auch die bereits in der Mitte der 1920er-Jahre erhobene Forderung nach einer Verkündigung unter den nationalen Verbänden erneut Aktualität. Auf der Januarkonferenz 1930 war die Evangelisation unter den Verbänden erneut Thema: „Eine weitere Aufgabe stellen die politischen und nationalen Verbände. Die vorhandenen Bedenken heben die Pflicht nicht auf, da zu dienen, wohin man gerufen wird.“384 Im März 1930 gab es eine Chance, einen dafür geeigneten Kandidaten zu gewinnen. Der bisherige kurmärkische Jugendpfarrer Walter Wilm385 bat den CA um eine mögliche Beschäftigung, speziell hinsichtlich der vaterländischen Verbände386. Wilm bereitete in dieser Zeit offenbar bereits gemeinsam mit seinem 381 Schreiben Engel an Füllkrug am 1. 4. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 122). Füllkrug allerdings warnte vor einer alleinigen Beschränkung auf dieses Thema: „Ich fürchte, dass mit Vorträgen über den Bolschewismus und über Russland und die Märtyrer dort nicht sehr viele gewonnen werden, wenn auch ein Vortrag immer in die Reihe hineinpasst“ (Schreiben Füllkrug an Engel am 4. 5. 1931 [ADE Berlin, CA / EvA 122]). 382 Quellenmaterial zu diesen Vorträgen vgl. ADE Berlin, BP 1398. 383 Torinus, Offener Brief! An alle gläubigen vaterlandslieben deutschen Christen [1932] (ADE Berlin, BP 1398). Auch 1937 und 1938 wirkten von „Licht im Osten“ ausgesandte Prediger; vgl. ADE Berlin, BP 1399; vgl. auch Nowak, Kirche, 324. Auch der Weg des Berliner DCPfarrers Johannes Schleuning zum Nationalsozialismus wurde, wie Manfred Gailus herausarbeitet, maßgeblich durch seine russlanddeutsche Herkunft geprägt; vgl. Gailus, Protestantismus, 466–474. 384 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 6. 1. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 54). 385 Zur Biografie Wilms vgl. Weiling, Bewegung, 33–38; ferner den biografischen Abriss unten 310–318. 386 Vgl. Hinweis auf seine Bewerbung im Frühjahr 1930 in Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 12. 8. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 30).
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Vater Werner Wilm die Gründung der Christlich-deutschen Bewegung vor, die als konservative Lobbyorganisation innerhalb der evangelischen Kirche zugleich in den nationalen Verbänden missionarisch wirken wollte387. Dafür suchte er eine Stelle, von der aus er den Aufbau der neuen Bewegung betreiben konnte388. Praktisch wurde die Berufung Walter Wilms jedoch erst möglich, als Hölzel nach verschiedenen Auseinandersetzungen um seine arbeiterfreundliche Position sowie Enttäuschungen wegen mangelhafter Nacharbeit in den von ihm evangelisierten Gemeinden im Sommer 1930 einen Ruf in die Wuppertaler Stadtmission annahm389. Mitte Juli 1930 war bereits deutlich, dass Füllkrug klar eine Nachfolge durch Wilm bevorzugte390. Offiziell wurde die Absicht zur Einstellung Wilms auf einer Sitzung der Kommission für Volksmission verkündet. Füllkrug erklärte, mit der Einstellung Wilms sei keine Abkehr von der bisherigen Linie der Arbeit verbunden, wie sie Hölzel betrieben habe391. Allerdings waren sich die Mitglieder der Kommission einig, dass die von Wilm geplante Arbeit an den nationalen und völkischen Verbänden sich wesentlich von der klassischen Gemeindeevangelisation Hölzels unterscheiden würde392. Füllkrug machte im August 1930 die Hoffnungen deutlich, die sich mit der Neueinstellung Wilms verbanden: „P. Wilm erhält den besonderen Auftrag, Volksmission zu treiben unter den vaterländischen Verbänden und völkischen Kreisen, besonders auch unter der vaterländischen sowie der marxistischen Jugend. Zu allen diesen Kreisen hat er jetzt schon lebhafte Verbindungen, die unsere anderen Volksmissionare nicht haben, sodass wir hoffen, jetzt eine offene Tür zu solchen Kreisen zu finden, die weder von der Kirche noch von der Gemeinschaft noch von den anderen Evangelisten des C.A. erreicht werden.“393
Die Berufung eines prononciert politischen Volksmissionars war allerdings nicht allgemein konsensfähig. Bereits im August hatte Hagen, der gerade in 387 Zur Christlich-deutschen Bewegung vgl. Sonne, Theologie, 101–124; Weiling, Bewegung. Sie trat allerdings erst im Herbst 1930 unter der nominellen Leitung des späteren Widerstandskämpfers Ewald v. Kleist-Schmenzin an die Öffentlichkeit (vgl. ebd., 16 f.). 388 Vgl. ebd., 113. 389 Vgl. Beyreuther, Kirche, 229 f.; zum politischen Profil Hölzels vgl. auch den biografischen Abriss unten 305–310. 390 „[…] wir glaubten, uns zuerst an Pastor Wilm wenden zu müssen in der Ueberzeugung, dass für ihn sich neue bisher verschlossene Türen in der Volksmission sich [sic!] auftun werden“ (Schreiben Füllkrug an Kameke am 16. 7. 1930 [ADE Berlin, CA / EvA 135, 147]); Schreiben Füllkrug an Wilm 16. 7. 1930 [ADE Berlin, CA / EvA 135, 146]). 391 „Die Anstellung von Pfarrer Wilm für die besonderen Arbeitsgebiete der Volksmission soll nicht ein Abschwenken von dem Hölzelschen Typus der Arbeit bedeuten, sondern einen Ausbau der volksmissionarischen Tätigkeit“ (Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 12. 8. 1930 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 30]). 392 Ebd., 32. 393 Schreiben Füllkrug an Seeberg am 14. 8. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 136 f.); vgl. auch Weiling, Bewegung, 113, Anm. 519.
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Polen evangelisierte, Bedenken der dortigen Partnerorganisation angemeldet: „Hier in Posen [Inn. Mission] findet man seine Berufung nicht glücklich in der Befürchtung der politischen Stempelung unserer Arbeit.“394 Besondere Nahrung für Kritik bot ein Gottesdienst, den Wilm im Herbst 1930 auf einer Tagung der Deutsch-Völkischen Freiheitsbewegung, einer rechten Splitterpartei, gehalten hatte. Pikant daran war, dass die Deutsch-Völkische Freiheitsbewegung enge Kontakte zu den innerkirchlichen völkischen Extremisten des „Bundes für deutsche Kirche“ hielt395. Der Berliner Generalsuperintendent Emil Karow äußerte sich daraufhin in einem Schreiben an Seeberg besorgt über den möglichen Schaden, den Wilm dem Ansehen des CA zufügen könne: „Dass Wilm den Kreisen um die Deutschkirche so nahe steht, war mir nicht bekannt. Hätte ich es gewusst, dann hätte ich meine Bedenken in der Vorstandssitzung noch stärker geäussert. Die Volksmissionsabteilung wird mit allem Ernst darauf hinwirken müssen, dass durch seine sonstige Betätigung nicht der Anschein erweckt wird, als stände der C.A. hinter seinen deutsch-völkischen Anschauungen.“396
Diese Warnungen wirkten allerdings nicht, da Wilm ab November 1930 tatsächlich im Dienst der Evangelistischen Abteilung stand. Laut dem Berufungsschreiben Seebergs sollte er Missionsarbeit an den vaterländischen und völkischen Verbänden sowie an konservativen und sozialistischen Jugendlichen treiben397. Das Berufungsschreiben ermahnte Wilm auch zur Überparteilichkeit; doch stand kaum zu erwarten, dass er im Dienst an den nationalen Verbänden von seiner bisherigen prononcierten politischen Tätigkeit absehen würde398. Dass sich im Jahre 1931 auch die Generalsuperintendenten Martin Schian in Schlesien und Otto Hegner in der Grenzmark Posen-Westpreußen über Wilms stark politisierte Verkündigung beschwerten, bewies allerdings die Fruchtlosigkeit dieser Mahnungen399. Es zeigte zugleich, dass die Konzeption Wilms über die grundsätzliche Sympathie des größten Teils der kirchlichen Hierarchie mit den rechten Republikgegnern deutlich hinausging. Instruktiv war besonders die Kritik des schlesischen Generalsuperinten394 Schreiben Hagen an Füllkrug am 22. 8. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 127). Hagen schrieb allerdings auch: „Gott weiß wie sehr uns ein Mann fehlt, der in den Kreisen Eingang hat, die wir zum Neubau unseres Volkstums dringend brauchen“ (ebd.). 395 Vgl. Weiling, Bewegung, 34 f. 396 Schreiben Karow an Seeberg am 7. 10. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 127); siehe auch Weiling, Bewegung, 113 f. Faktisch grenzte sich Wilm allerdings von der Deutschkirche deutlich ab; siehe unten 314 f. 397 Vgl. Schreiben Seeberg an Wilm am 22. 10. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 124). 398 „Wir erwarten aber von Ihnen, dass Sie es vermeiden, politische Bestrebungen in die Arbeit der Volksmission und des Central-Ausschusses für Innere Mission hineinzutragen“ (ebd.). 399 Zur Opposition Hegners zu Plänen der Christlich-deutschen Bewegung, speziell die Verbindung zum Stahlhelm zu suchen; vgl. Heine, Geschichte, 15 f. sowie zur Datierung Weiling, Bewegung, 126 f.
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denten Martin Schian, die dieser Anfang Januar 1931 gegenüber Steinweg äußerte. Anlass war eine Pastorenfreizeit, die Wilm gemeinsam mit dem Berliner Domprediger und damaligen deutschnationalen Reichstagsabgeordneten Bruno Doehring auf dem schlesischen Landsitz des ehemaligen Kronprinzen Wilhelm von Preußen in Oels abhielt. Auch Schian sorgte sich darum, dass die Tätigkeit Wilms in der Öffentlichkeit als Parteinahme der Inneren Mission für eine bestimmte politische Richtung angesehen werden könnte400. Noch stärker sorgte ihn das ungeklärte Verhältnis zwischen Wilms Christlich-deutscher Bewegung und der aufstrebenden NSDAP. Schian zitierte die Korrespondenz eines ungenannt bleibenden rheinischen Kirchenmannes und eines nationalsozialistischen Parteifunktionärs, der zufolge Wilms Missionsarbeit im Sinne des Nationalsozialismus geschehe, und warnte vor den Konsequenzen: „Auch hier nehme ich ohne weiteres an, dass der nationalsozialistische Führer, der diesen Brief geschrieben hat, nicht etwa von Wilm selbst veranlasst war, diese unheilvolle Wendung zu gebrauchen, die die Volksmissionstätigkeit des Zentralausschuss geradezu als eine Art Abteilung der nationalsozialistischen Partei erscheinen lassen würde. Aber diese Wendung zeigt, wie gross die Gefahr der Vermischung und der Verwechselung ist.“401
Anlass dieser warnenden Stimme Schians war auch ein gerade in der Schriftenreihe der Christlich-deutschen Bewegung erschienenes Heft des Soldiner Pfarrers und NS-Kommunalpolitikers Friedrich Wieneke, in welchem dieser sich unbedingt für den Nationalsozialismus aussprach und auch die nationalsozialistische Rassenlehre ohne Abstriche als mit dem christlichen Glauben kompatibel befürwortete402. Die Antwort Füllkrugs auf diese Warnung bestand allerdings nicht in einer weiteren Anweisung an Wilm zu einer größeren Überparteilichkeit, sondern lediglich in der Bitte, mit Schian persönlich zusammenzutreffen. Zugleich teilte er ihm das Lob des emeritierten westfälischen Generalsuperintendenten Zoellner mit. Aufschlussreich war auch Füllkrugs Bitte, die von Schian zitierten Hefte der Christlich-deutschen Bewegung selbst einmal zu sehen403. Offenbar war er über die Aktivitäten seines Untergebenen nicht genau im Bilde. Dass die kritische Einschätzung Schians von Füllkrug ignoriert wurde, lag an den Ergebnissen einer vertraulichen Korrespondenz mit mehreren Gewährspersonen, die er um Auskünfte über die Tätigkeit Wilms bat404. Die 400 „Ich nehme zwar als selbstverständlich an, dass Wilm zwischen seiner dienstlichen Tätigkeit und dieser ,nationalen‘ Tätigkeit einen scharfen Strich zieht. Erfahrungsgemäss wissen aber die anderen in der Regel von dieser Unterscheidung nicht“ (Schreiben Schian an Steinweg am 7. 1. 1931 [ADE Berlin, CA / EvA 135, 87]); vgl. auch Weiling, Bewegung, 114. 401 Schreiben Schian an Steinweg am 7. 1. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 87). 402 Wieneke, Christentum; vgl. auch Weiling, Bewegung, 130–136. 403 Vgl. Schreiben Füllkrug an Wilm am 13. 1. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 89). 404 Vgl. Auswertung und Zitate in Weiling, Bewegung, 114–116.
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Gewährsleute gaben außerordentlich positive Urteile, was allerdings vor allem an der Zusammensetzung des angeschriebenen Kreises lag: „Da aber Füllkrug sich mit diesen Zeilen ausschließlich an die Wilm nahestehenden Kampfgefährten der Christlich-deutschen Bewegung wandte, konnte das Urteil nicht negativ ausfallen.“405 Alle Antworten bejahten den Erfolg von Wilms Arbeit. Zusätzlich gelang es Wilm, finanzielle Unterstützung für die unter chronischer Geldnot leidende Abteilung zu erlangen406. Schließlich waren nicht alle Inhaber leitender geistlicher Ämter Wilms Amtsführung gegenüber so kritisch wie Karow und Schian. Generalsuperintendent Otto Zänker, Schians konservativerer Kollege in Schlesien, war auf der kritisierten Pfarrerkonferenz in Oels ebenfalls anwesend und nach Wilms eigener Auskunft positiv angetan407. Für die Einschätzung der Arbeit Wilms im Rahmen der volksmissionarisch aktiven Zirkel in den evangelischen Kirchen war ein weiteres vertrauliches Schreiben noch symptomatischer. Am 22. Januar 1931 hielt Wilm einen Vortrag über die künftigen Aufgaben der Volksmission in Leipzig, wo es bereits 1927 zu ersten Kontakten zwischen Volksmissionaren und Völkischen gekommen war408. In seinem Vortrag rief Wilm die Leipziger dazu auf, Gruppen zu bilden, die im Rahmen der nationalen Verbände evangelistisch tätig sein sollten und zugleich gegenüber den Thesen der Deutschkirche ein genuines Luthertum vertreten sollten409. Nach dem von Georg Wilhelm analysierten Protokoll der Ephoralkonferenz am 22. Januar 1931 gab es durchaus Kritik an Wilms Thesen410. Die Zweifel teilte der zuständige Superintendent Gerhard Hilbert jedoch nicht, den Füllkrug kurz nach dem Auftritt in Leipzig um seine Beurteilung Wilms bat411. In seiner Antwort vom 11. Februar 1931 gab Hilbert eine enthusiastische Darstellung des Vortrages. Wilm sei der richtige Mann, um die nun wichtigste Aufgabe der Volksmission zu erfüllen. Diese müsse nämlich jetzt dafür sorgen, dass die völkische Bewegung sich nicht wie einst die Sozialisten in eine antikirchliche Richtung entwickeln 405 Ebd., 114. 406 So wurde er im Winter 1931 für das erfolgreiche Verteilen von Sammelbüchsen gelobt (Sitzung Arbeitsausschuss Kommission für Volksmission, Anfang 1931 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 22]). 407 Vgl. Schreiben Wilm an Füllkrug [Januar 1931] (ADE Berlin, CA / EvA 135, 84). Die Bischöfe Alexander Bernewitz in Braunschweig, Heinrich Rendtorff in Mecklenburg-Schwerin, Gerhard Tolzien in Mecklenburg-Neustrelitz und der ostpreußische Generalsuperintendent Paul Gennrich schlossen sich wie der ehemalige Generalsuperintendent Wilhelm Zoellner der Christlich-deutschen Bewegung an; vgl. Liste der Mitglieder und Mitarbeiter der Christlichdeutschen Bewegung [1930–1933], in: Weiling, Bewegung, 339–345. 408 In dem Blatt der deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft in Leipzig, mit der Füllkrug und Hagen damals Kontakt hatten, wurde bereits 1929 eine Rede Wilms zitiert; vgl. Mitteilungsblatt Deutsch-christliche Arbeitsgemeinschaft Groß-Deutschlands Ring Leipzig und Umgebung, Hornung 1929 – Ringführertagung 20. Hornung 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 19). 409 Vgl. Wilhelm, Diktaturen, 55. 410 Vgl. ebd., 56. 411 Vgl. Schreiben Füllkrug an Hilbert am 8. 2. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 73).
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würde412. Die Arbeit Wilms konnte sich damit auch auf den Begründer des Volksmissionsgedankens berufen. Dass es Hilbert bei der Kontaktaufnahme mit den Völkischen jetzt primär um die NSDAP ging, wurde wenige Wochen später in einem Schreiben an den Vorsitzenden dieser Partei deutlich. Hilbert äußerte sich kritisch gegenüber antikirchlichen Positionen im nationalsozialistischen Schrifttum und warnte vor einer Monopolisierung des Rassegedankens413. In einem abschließenden Rat an Hitler wurde jedoch seine Sympathie mit der neuen politischen Kraft deutlich, die er mit dem Wirken Stoeckers verglich: „Wenn Sie sich etwa auf der Linie halten, die Adolf Stöcker [sic!] in seiner Stellung zum Judentum eingenommen hat, so könnten Sie dessen gewiss sein, dass die ganze Gefolgschaft dieses großen evangelischen Kirchenmannes, die heutzutage, wenn ich recht sehe, immer stärker wird, zu Ihnen stehen wird.“414
Hilberts positive Rezeption von Wilms christlich-deutschem Programm war symptomatisch. Zahlreiche Volksmissionare und IM-Geschäftsführer traten durch Wilms Werbung veranlasst der Christlich-deutschen Bewegung bei. Hinzu kamen auch andere im Vereinsprotestantismus aktive Personen wie der im Evangelischen Bund engagierte Greifswalder Kirchenhistoriker Hermann Wolfgang Beyer415. Füllkrug selbst, der im Januar 1931 noch nichts Genaueres über die Publikationen der Christlich-deutschen Bewegung wusste, identifizierte sich immer mehr mit dem Programm Wilms416. Die Identifikation wurde deutlich, als Wilm im Juli 1931 die Christlich-deutsche Bewegung und eine in ihrem Rahmen entstandene Pfarrerarbeitsgemeinschaft als „Vermittlungsstellen für den Eingang zu den vaterländischen Kreisen“417 vorstellte. Es wurde beschlossen, die in dieser Arbeitsgemeinschaft versammelten Pfarrer direkt für die Unterstützung der Volksmission zu gewinnen418. 412 Vgl. Schreiben Hilbert an Füllkrug am 11. 2. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 72); siehe auch Weiling, Bewegung, 118 f.; Wilhelm, Diktaturen, 55. 413 Vgl. ebd., 56. 414 Schreiben Hilbert an Hitler am 26. 2. 1931 (zitiert nach: Wilhelm, Diktaturen, 56); vgl. auch oben 35 f.; 232 f. 415 Zu H. W. Beyers Engagement vgl. Garbe, Theologe, 447–456. Aus der Volksmissionsbewegung engagierten sich Friedrich Eppelein und Helmut Kern in Bayern; Johannes Grell in Brandenburg; Niklot Beste, Theodor Rohrdantz und Walter Studemund in Mecklenburg; Gottfried Handtmann in Pommern, Adolf Wendelin in Sachsen, Otto Lohss in Württemberg; vgl. Liste der Mitglieder und Mitarbeiter der Christlich-deutschen Bewegung [1930–1933], in: Weiling, Bewegung, 339–345. Zu diesen und weiteren Mitgliedern der CdB im Vereinsprotestantismus vgl. auch ebd., 119. 416 Vgl. besonders Schreiben Füllkrug an Rendtorff am 11. 11. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 21 f.). Gerhard Füllkrug wurde ab 1932 als Mitglied der Christlich-deutschen Bewegung geführt (vgl. Liste der Mitglieder und Mitarbeiter der Christlich-deutschen Bewegung [1930–1933] in: Weiling, Bewegung, 341). 417 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 22. 7. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 5). 418 Vgl. ebd.
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Aus den kritischen Rückmeldungen zu Wilms Tätigkeit419 wurde deutlich, dass Wilm zwischen dem Aufbau der Christlich-deutschen Bewegung und seiner volksmissionarischen Tätigkeit kaum trennte. Dies zeigte sich auch in einem Wandel der Arbeitsweise. Walter Wilms Vorgänger Hölzel hatte vor allem klassische Evangelisationswochen in Gemeinden veranstaltet420. Einen Wandel der Form machte Wilm in einem Beitrag deutlich, den er 1931 in der Zeitschrift „Volksmission“ publizierte421. Anders als die klassischen Volksmissionswochen müsste die Arbeit an der nationalen Bewegung auf übergemeindlicher Ebene geschehen422. Wilm stellte hier sein Konzept vor, zu dem zunächst innerhalb der verschiedenen Organisationen erbetene Dienste wie Festgottesdienste, Vorträge und Seelsorge gehörten. Den Schwerpunkt der Arbeit sollten jedoch Aktivitäten bilden, die nicht auf einzelne regionale Bünde beschränkt waren. Wilm nannte hier vor allem Freizeiten und auf nationale Fragen zugeschnittene öffentliche Vorträge423. Die Arbeitsweise Wilms als Volksmissionar entsprach damit im Wesentlichen der Arbeit, die in den Organisationen der Christlich-deutschen Bewegung geleistet wurde. Zu ihr gehörte die Sammlung von Laien in „Kampfringen“ und von Pfarrern in „Arbeitsgemeinschaften“, die im Wesentlichen interne Veranstaltungen durchführten, welche Schlüsselfiguren in den Verbänden beeinflussen sollten424. Die auch zu Wilms Aufgabengebiet gehörende Mission unter jugendlichen Angehörigen der Arbeiterbewegung blieb dagegen im Hintergrund, wie bereits Erich Beyreuther festgestellt hat: „Praktisch erreichte er [Wilm, H. B.] nur vaterländische Gruppen.“425 Hinzu kam die Tatsache, dass Wilm immer wieder massiv gegen die Kirche polemisierte. Christoph Weiling beschreibt gut das Dilemma der Volksmission Wilms: „Für Wilms Arbeit resultierte daraus eine spannungsgeladene Verkündigung: er missionierte im Dienst der Kirche, indem er den nationalen Kreisen das reformatorische Evangelium nahebrachte; er missionierte aber auch gegen die beste419 420 421 422 423
Siehe oben 261–263; vgl. auch Weiling, Bewegung, 114–116. Zur Veranstaltungsform der Volksmissionswoche vgl. unten 362–429. Wilm, Arbeit. Ebd., 143 f. Vgl. ebd., 144. In der Form ähnelte diese Arbeit den von Fritz v. Engel organisierten Landkonferenzen. Wilm und Engel arbeiteten daher auch gut zusammen. Nach drei von Wilm geleiteten Konferenzen für Söhne von Gutsbesitzern schrieb Engel: „Er ist einer der wenigen Pfarrer, der es versteht, die Herzen dieser Jugend zu gewinnen u. zu fesseln“ (Engel, Arbeitsbericht, ca. 1931 [ADE Berlin, CA / EvA 137]). 424 Vgl. die sich auf das Jahr 1932 konzentrierende Auswertung der Schulungstätigkeit in der Christlich-deutschen Bewegung in: Weiling, Bewegung, 230–241. Die Veranstaltungen nahmen auch 1932 direkt auf die von Wilm 1931 aufgestellte Terminologie Bezug (vgl. ebd., 238–241). 425 Beyreuther, Kirche, 230. Ein von Wilm wesentlich geförderter Arbeitskreis „Glaube und Arbeiter“ setzte sich aus nichtsozialistischen Angehörigen der Evangelischen Arbeiterbewegung zusammen und zählte lediglich 30 Mitglieder (vgl. Weiling, Christlich-deutsche Bewegung, 116). Nach einem Bericht Wilms arbeitete dieser Bund vor allem unter Erwerbslosen (vgl. Protokoll Sitzung Arbeitsausschuss Kommission für Volksmission vom 22. 7. 1931 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 5]).
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hende Kirche, indem er kirchenkritische Positionen der Rechten aufnahm […]. Daher war seine Volksmission eine Mission an der völkischen Bewegung, aber auch eine in ihr und mit ihr.“426
Historisch bedeutsam war die Christlich-deutsche Bewegung durch die Schaffung eines Begegnungsraums zwischen konservativen Kirchenleuten und Geistlichen und Vertretern der NSDAP427. Der Kontakt mit dem Nationalsozialismus beschränkte sich jedoch nicht auf diese internen Diskussionen. Nicht umsonst war es mit Heinrich Rendtorff ein Anhänger der CdB und der größte Förderer der Volksmission unter den evangelischen Bischöfen, der im April 1931 als erster Leiter einer Landeskirche eine Stellungnahme zur NSDAP abgab. Rendtorff mahnte die aufstrebende Partei zwar dazu, dass sie sich vom Evangelium her infrage stellen lassen müsse; er betonte jedoch zugleich seine Sympathie für die nationalen Ziele der Partei428. Diese Stellungnahme des mecklenburgischen Landesbischofs war nur eine prominente Stimme in den vielfältigen Verhältnisbestimmungen zum Nationalsozialismus, die in der ersten Hälfte des Jahres 1931 stattfanden429. Auch Wilm setzte sich in der Öffentlichkeit immer wieder für stärkere Kontakte zur NSDAP ein. Bereits im November 1930 hatte er gemeinsam mit Künneth vor dem Hauptausschuss des CA ein Referat zum Thema des Nationalismus gehalten430. Am 21. April 1931 hielten die beiden bei einem sächsischen IM-Kongress in Dresden gemeinsam mit dem fränkischen Volksschullehrer und nationalsozialistischen Politiker Schemm Vorträge zu folgendem Thema: „Was hat der Ruf des Nationalsozialismus uns evangelischen Christen zu sagen?“431 Wilm betonte dort den christlichen Charakter des Nationalsozialismus, der damit für eine kirchliche Beeinflussung offen sei. Zudem meinte er, im Programm besonders in der Wirtschaftspolitik und in der Frontstellung gegen den Pazifismus gleiche Interessen von Kirche und NSDAP zu entdecken. Auch in der Gegnerschaft zum Judentum sah Wilm ein verbindendes Element, wenn er sich auch leicht von antisemitischen Ausschreitungen abgrenzte432. Das enthusiastische Referat Wilms bildete den Rahmen für eine erfolgreiche Rede Schemms, in der dieser vor einem großen kirchlichen Publikum für den Nationalsozialismus werben konnte433. 426 Weiling, Bewegung, 118. 427 Vgl. dazu bereits Meier, Deutschen Christen, 10 f. 428 Vgl. Nowak, Kirche, 315 f. Rendtorff wurde im April 1931, zeitgleich mit dem Erscheinen des Aufrufes, durch Wilm für die CdB gewonnen (vgl. Weiling, Bewegung, 156 Anm. 41). 429 Vgl. insgesamt Scholder, Kirchen, Bd. 1, 172–183. 430 Vgl. Protokoll Sitzung Hauptausschuss CA vom 5. 11. 1930 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1930). 431 Vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 175 f. 432 Vgl. K hnel, Schemm, 224–226. 433 Vgl. ebd., 226–230; Scholder, Kirchen, Bd. 1, 177. Zur Bedeutung Hans Schemms für die Kontakte zwischen Kirche und NSDAP vgl. auch die Darstellung der Vorgeschichte der Riederauer Thesen oben 129–137.
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Die Bedeutung, die vonseiten der NSDAP der CdB beigemessen wurde, zeigte sich an dem Kontakt, den nationalsozialistische Funktionäre 1930 und 1931 zu ihr suchten. Verantwortlich für die nationalsozialistische Kirchenpolitik war zu diesem Zeitpunkt vor allem der brandenburgischer Gauleiter Wilhelm Kube, der zu den entscheidenden Förderern Wienekes gehörte434. Kube war der Initiator der Gründung einer dezidiert nationalsozialistischen Kirchenpartei für die Kirchenwahlen von 1932. Zeitweilig dachte er darüber nach, die CdB in eine solche umzufunktionieren435. Letztlich scheiterte diese Umfunktionierung vor allem an der Frage der Rassenlehre. Die meisten Mitglieder der Bewegung grenzten sich unter dem Einfluss Heinrich Rendtorffs von einer Überbetonung dieses Themas, wie sie ihrer Meinung nach die NSDAP vertrat, ab. Daraufhin gründete, auf Veranlassung Kubes, Wieneke mit dem Berliner Pfarrer Joachim Hossenfelder und anderen nationalsozialistischen Pfarrern Anfang 1932 die Glaubensbewegung Deutsche Christen436. An dem Auseinandergehen von CdB und DC wurde zunächst deutlich, dass die von Wilm initiierte Bewegung trotz der Kontakte zur NSDAP vor allem eine Organisation elitärer, der DNVP zuneigender Konservativer war, denen die nationalsozialistische Massenbewegung suspekt war437. Die Abgrenzung von der entstehenden nationalsozialistischen Kirchenbewegung ging zugleich mit einer Reform des eigenen Kurses der CdB unter dem neuen Vorsitzenden Heinrich Rendtorff einher. Stärker als Wilm betonte dieser gegenüber der Hervorhebung der Schöpfungsordnungen die Theologie des Kreuzes und die Notwendigkeit der Buße auch für die Aktivisten der nationalistischen Verbände438. Die Kontaktsuche von Kreisen der Volksmission zu den Nationalsozialisten beschränkte sich aber nicht auf den im Auftrag des Central-Ausschusses tätigen Wilm und seine Christlich-deutsche Bewegung. Der oben zitierte Brief Gerhard Hilberts an das Braune Haus in München vom Februar 1931 zeigte die teilweise naiven Vorstellungen, inwieweit man Hitler einer christlichen Politikberatung gegenüber für empfänglich hielt439. Dass die Zustimmung zum Nationalsozialismus im Rahmen der Volksmissionare immer mit Bedingungen bezüglich einer christlichen Zähmung des Antisemitismus und der Rassenideologie verknüpft wurde, zeigten die intensiven Verhandlungen der 434 Vgl. die knappe Charakterisierung in Gailus, Christen, 248 f.; Scholder, Kirchen, Bd. 1, 249–253. 435 Vgl. ebd., 251–253; Weiling, Bewegung, 136–144 sowie 149–163. 436 Vgl. ebd., 158–163. Weiling charakterisiert den Unterschied zwischen CdB und GDC folgendermaßen: „Damit [mit der GDC, H. B.] war eine Art nationalsozialistischer Kirchenmission entstanden, die im Gegensatz zur christlich-deutschen Volksmission stand, denn das Volk sollte nicht von der Kirche, sondern die Kirche umgekehrt vom (nationalsozialistischen) Volk geprägt werden“ (ebd., 161). 437 Vgl. ebd., 151 f. 438 Vgl. ebd., 163–181.; siehe auch die Biografie Heinrich Rendtorffs oben 96–98. 439 Siehe oben 265.
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Neuendettelsauer Volksmission mit Gauleiter Schemm. Zugleich offenbarte jedoch gerade dieses bayerische Beispiel die Bedeutung, die den Kontaktaufnahmen zwischen volksmissionarisch bewegten Geistlichen und kirchenfreundlichen Nationalsozialisten für den Kurs einer ganzen Landeskirche zukommen konnte440. Reflektierter, jedoch ebenso mit unübersehbar positiver Grundtendenz war die Beschäftigung der Apologetischen Centrale mit der NSDAP. Im Januar 1931 fand in Spandau ein von 150 Pfarrern besuchter Kurs statt, auf dem einerseits grundsätzlich die Stellung zur Politik der Gegenwart, andererseits speziell die Frage des Verhältnisses zum Nationalsozialismus behandelt wurde. Der als Referent zum Thema Nationalsozialismus auftretende völkische Publizist Wilhelm Stapel war zwar selbst nicht Parteimitglied, gab jedoch ein sympathisierendes Urteil zur aufstrebenden NSDAP ab, die allerdings durch die evangelische Kirche vor die Gottesfrage gestellt werden müsse441. Auf der oben erwähnten Tagung in Dresden, auf der Künneth gemeinsam mit Wilm und Schemm auftrat, gab Künneth ein abgewogenes Urteil, in dem er zwar die Überbetonung der Rasse, einzelne Aspekte der nationalsozialistischen Kulturpolitik und die gewalttätige politische Praxis kritisierte, der NSDAP jedoch den Willen zur Christlichkeit attestierte und die nationalistische Ideologie befürwortete. Nach Analyse Scholders „gab der Vortrag, den Walter Künneth am 21. April 1933 in Dresden hielt, wohl die Meinung einer großen Mehrheit im deutschen Protestantismus wieder“442. Schließlich sprach sich auch Helmuth Schreiner, Vorsteher des Johannesstifts und eng mit Künneth und Schweitzer verbunden, im Juni 1931 vor dem EOK in Berlin zu dieser Frage aus. Er betonte in seinem Beitrag, dass sich der Nationalsozialismus in seiner Stellung zur Gottesfrage zwischen Christentum und Neuheidentum entscheiden müsse443. Zugleich sah er jedoch Hitler als Vertreter eines kirchennahen Kurses innerhalb der NSDAP und betonte seine Sympathien für die Bewegung, „[…] solange und soweit sie nicht eine Religion des Blutes verkündigen würden“444. Trotz ihres höheren theologischen Reflexionsgrades waren auch die Angehörigen der Apologetischen Centrale um ein Gespräch mit den Nationalsozialisten bemüht und zeigten trotz aller kritischen Anfragen ihre Befürwortung wichtiger Anliegen der aufstrebenden Partei. Möglicherweise wirkten ihre sich als ernsthafte intellektuelle Stellungnahmen gerierenden Beiträge noch stärker in die Breite der evangelischen Kirche als die immer wieder Anstoß erregenden nationalistischen Parolen Wilms445. 440 Vgl. oben 129–132. 441 Vgl. Bornikoel, Stellung, 35 f.; Scholder, Kirchen, Bd. 1, 173; vgl. auch Stapel, Kapitel. 442 Scholder, Kirchen, Bd. 1, 176; zur Konferenz in Dresden vgl. auch ebd, 176 f.; K hnel, Schemm, 222–224. 443 Vgl. Schreiner, Nationalsozialismus. 444 Scholder, Kirchen, Bd. 1, 178. 445 Vgl. am Beispiel Friedrich Wienekes Weiling, Bewegung, 158 f.
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Die Bedeutung volksmissionarisch aktiver Kreise bei den ersten Begegnungen zwischen Kirchenvertretern und nationalsozialistischen Funktionären ist nicht zu übersehen. Dabei kam es nicht so sehr auf eine bedingungslose Übernahme nationalsozialistischer Ideologie an. Es ging vielmehr darum, Gemeinsamkeiten zu erkunden und möglichst missionarisch auf die NSDAP einzuwirken446. Häufig bildeten Volksmissionare gemeinsam mit anderen Vertretern evangelischer Verbände die Initiatoren solcher Kontakte447. Klaus Scholder hat die Versuche der CdB, mit den Vorläufern der DC zusammenzugehen, als ein kirchliches Pendant zur Harzburger Front von Stahlhelm, DNVP und NSDAP bezeichnet448. In der Tat dürften ähnlich gelagerte Hoffnungen auf eine Zähmung der neuen Partei eine Rolle gespielt haben, wie sie bei den politischen Konservativen zu finden waren. Christoph Weilings Diagnose einer Krisenwahrnehmung im Vereinsprotestantismus trifft für diese Organisationen in besonderem Maße zu, diese Zeitdeutung führte zu dieser Vorreiterrolle in der Verhältnisbestimmung zum Nationalsozialismus: „Vor allem Geistliche, die in der ,Inneren Mission‘, dem ,Männerdienst‘ und der ,Frauenhilfe‘ arbeiteten, bemerkten diese Gefahr, weil sie in ihrer Arbeit ,vor den Toren der geordneten Kirche‘ (J.H. Wichern) die wachsende Entfremdung von der Kirche hautnah erleben konnten.“449
Wie aus den Diskussionen in den 1920er-Jahren hervorging, waren die Offenheit nach rechts, die sich nun an der Diskussion einer Verhältnisbestimmung zur neu erstarkten NSDAP festmachte, und die Skepsis gegenüber der Republik also von Beginn an ein prägendes Leitmotiv der Volksmissionare. Hinzu trat der als reale Bedrohung betrachtete Kommunismus, gegen den der Nationalsozialismus scheinbar als Bündnispartner dienen konnte450. In einer Bewegung, die sich selbst als Avantgarde in der evangelischen Kirche verstand, bedeutete die Annäherung an die NSDAP schließlich die Kontaktaufnahme mit der derzeitigen Vorhut der umworbenen nationalen Bewegung. So lässt sich die Stellungnahme des bayerischen Volksmissionars Helmut Kern verstehen, der auf einer Diskussionsveranstaltung mit Hans der Volksmission eine vergleichbare Rolle in der Kirche wie der NSDAP in der Politik attestierte:
446 Kurt Nowak monierte allerdings zu Recht, dass in kirchlichen Verlautbarungen der gewalttätige Politikstil der Nationalsozialisten eher selten frontal kritisiert wurde; vgl. Nowak, Kirche, 312. 447 So wäre daneben auch der Evangelische Bund zu nennen, der ebenfalls prononciert auf die NSDAP zuging; vgl. Nowak, Kirche, 219 f. 448 Scholder, Kirchen, Bd. 1, 253 f. 449 Weiling, Christlich-deutsche Bewegung, 119. 450 Kurt Meier schrieb zum Vorfeld der Machtübertragung an die Nationalsozialisten: „Daß die als ,nationale Erhebung‘ und ,geschichtliche ,Wende‘ stilisierte Machtübernahme die ,bolschewistische Gefahr‘ gebannt hatte, beherrschte damals auch das kirchliche Denken“ (Meier, Sowjetrußland, 304).
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„Die Hauptsache ist der Kampf gegen den Bolschewismus. Dem stimmt niemand mehr zu als wir von der Volksmission. Wir wissen, daß wir weithin in einer Front stehen. Wir von der Volksmission, die ich manchmal den Nationalsozialismus in der Kirche nenne.“451
7.3.4 Eingeständnisse ausbleibenden Erfolges Das Bewusstsein, eine Avantgarde zu sein, war jedoch nicht so leicht mit den bereits 1929 sichtbaren Schwierigkeiten der klassischen innergemeindlichen Volksmission in Verbindung zu bringen. Während die Säkularisierungsfurcht nach der Novemberrevolution und die Krisen in den frühen 1920er-Jahren die Anfrage nach Volksmissionaren in den Kirchengemeinden hatten ansteigen lassen, blieben solche massenhaften Aufträge und vor allem die damals wahrgenommene große Resonanz jetzt in der Weltwirtschaftskrise aus452. Die Volksmissionsorganisationen mussten sich daher mit Anfragen auseinandersetzen, wie sie 1929 der desillusionierte Weichert gestellt hatte und wie sie in kritischen Worten Heinrich Rendtorffs zur spaltenden Wirkung der Volksmission aufleuchteten453. Wie im Herbst 1931 in der Zeitschrift Volksmission zu lesen war, sahen die vom Central-Ausschuss beschäftigten Volksmissionare die eigene Aufgabe weiterhin als essenziell für die Zukunft der evangelischen Kirche: „Alle Volksmissionare [des CA, H. B.] treten der Auffassung entgegen, daß die Zeit der Volksmission vorüber wäre. Sie halten sie vielmehr für notwendiger denn je.“454 In dem bereits 1930 entstandenen und im Jahre 1931 erschienenen, von Füllkrug herausgegebenen Sammelband „Vom Werk des Glaubens: Neues Handbuch der Volksmission“455 wurde auch diese Problematik deutlich. Durch viele neue Beiträge und den das Handbuch von 1919 weit überschreitenden Umfang zeigte das neue Handbuch den Fortschritt und die Entwicklung, welche die zum DEVVM gehörenden Organisationen in den 1920er-
451 Zitiert nach Mensing, Pfarrer, 132; siehe auch oben 131 f. 452 Allerdings stieg die Nachfrage teilweise. So erhöhte sich die Zahl der Missionsaufträge an die Wichern-Vereinigung von 1929 bis 1930 von 153 auf 193 (vgl. Anon., Wichern-Vereinigung, 36). Zu den Aufträgen und der Wahrnehmung von Erfolgen vgl. auch unten 333–361; 410–413. 453 Zur Kritik Weicherts vgl. oben 241 f. Rendtorff diagnostizierte in seiner Kritik des Verhältnisses von Volkskirche und Volksmission, dass die Entscheidung in einer auf Sozialisation und Erziehung setzenden Volkskirche ein Fremdkörper bleiben werde; vgl. Rendtorff, Kirche, 183 f. Obwohl Füllkrug das vor allem als Angriff auf die volksmissionarische Praxis betrachtete, ging es Rendtorff allerdings vorrangig darum, der Eigenart der Volksmission gegenüber herkömmlicher Gemeindearbeit zu verteidigen: „Das scheint mir der Auftrag der Volksmission an die Kirche zu sein. Sie soll ihr helfen, sich selbst zu verstehen, ihren eigenen göttlichen Sinn glaubend und tätig zu erfassen“ (ebd., 196). 454 Anon., Arbeit, 230. 455 Vgl. F llkrug, Werk.
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Jahren gemacht hatten456. Zugleich mussten sich die Autoren auch mit den enttäuschten Hoffnungen auseinandersetzen. Füllkrug bekannte in einem Beitrag zur aktuellen Lage von Kirche und Volksmission: „Vor zehn Jahren dachten wir noch, daß wir unbedingt in Deutschland eine Erweckung brauchten und hofften, daß sie irgendwie kommen müßte. Jetzt ist es überall stiller davon geworden.“457 Auch seine Hoffnungen auf einen wesentlichen Trendwechsel durch die Ablösung der Stabilisierung in den Goldenen Zwanzigern durch die Weltwirtschaftskrise klangen eher gedämpft458. Füllkrug mahnte zwar, es sei nicht richtig, für das Scheitern dieser Hoffnungen der Volksmission die Verantwortung zu geben459. Außerdem meinte er weiterhin positive Ansätze zu sehen, etwa Ansätze zu einer geschrumpften, aber ihres Glaubens bewussteren Kirche460. Zugleich konnte er auf den Kommunismus und die Freidenker als „grimme, starke Feinde“461 verweisen, mit denen man sich auseinanderzusetzen habe. Insgesamt aber klang es in dieser Situation zu einfach, wenn er dafür vor allem die angeblich zu hohen Erwartungen der Pfarrer verantwortlich machte462. Vor dem Hintergrund des von den Volksmissionaren selbst mit ihrem Tun verbundenen Anspruchs, die ganze Kirche reformieren zu können, wirkte dieser Vorwurf ein wenig hilflos. So konnte Füllkrug gegen diese Probleme allein an der Notwendigkeit der Volksmission und an der Hoffnung auf göttlichen Beistand festhalten: „Unsere Kirche muß wieder Mission treiben im eigenen Volk, dann werden ihr zwar nicht die Massen zufallen, aber Gott der Herr wird sich zu ihr bekennen und aus der Missionsarbeit und dem Missionskampf ihr neue Kräfte zuwachsen und neues Leben zuströmen lassen.“463
Ausbleibender Erfolg und innere Widersprüche, die den DEVVM mehrfach an den Rand der Spaltung brachten, zeigen, dass die Volksmission, wie sie von der Evangelistischen Abteilung betrieben wurde, im Jahre 1931 an einem toten Punkt angelangt war. Hier dürfte ein weiterer Grund dafür liegen, dass 1931 der Kontakt zur aufstrebenden NSDAP gesucht wurde, die erfolgreich große 456 So auch Herrmann, Volksmission, 220. Instruktiv ist der internationale Überblick zu volksmissionarischen Bestrebungen in F llkrug, Werk, 320–353. 457 F llkrug, Die religiöse und kirchliche Lage, 47. 458 „[…] es ist nicht unmöglich, daß diese wirtschaftliche Not, die sehr viele andere Nöte zur Folge haben wird, viele Menschen wieder nach Gott und seinem Heil wird fragen lassen“ (ebd.). 459 Ebd. 460 „Unsere Kirche wird wieder eine bewußte Kirche. Das Gewohnheitskirchen- und Christentum hat zum Teil ein Ende genommen. Die Gegensätze treten schärfer empor, die Farben und Konturen prägen sich mehr aus“ (ebd., 49). 461 F llkrug, Werk, 10. 462 „Die Volksmission, die vor zehn oder elf Jahren an vielen Stellen gerufen wurde, war natürlich nicht die Zauberkünstlerin, die die Nöte in den Gemeinden beseitigen konnte“ (F llkrug, Werk, 10). Vgl. auch die entsprechenden Vorwürfe an die Geistlichen in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre, siehe unten 428 f. 463 F llkrug, Die religiöse und kirchliche Lage, 51.
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Gruppen des Volkes an sich binden konnte464. Bevor allerdings 1933 diese Hoffnungen eine scheinbare Erfüllung finden sollten, fand mit dem Zusammenbruch der Devaheimgesellschaft im Sommer 1931 ein Ereignis statt, das beinahe den finanziellen Bankrott der Inneren Mission bedeutete und damit zu den inneren Widersprüchen der Volksmissionsbewegung noch eine externe Bedrohung hinzufügte. Damit begann eine Periode von Umstrukturierungen der institutionellen Gestalt der Volksmissionsbewegung, die nahtlos in die Verwerfungen der NS-Zeit überging. 7.3.5 Die Folgen des Devaheim-Skandals (1931–1933) Das Arrangement der verschiedenen Organisationen, die für Volksmission zuständig waren, wurde im Herbst 1931 durch den Devaheim-Skandal erschüttert465. Im September 1931 begann ein zur Aufarbeitung dieses Skandals eingesetzter Elfer-Ausschuss, die notwendigen Umgestaltungen vorzunehmen. Ziel der Reformen war es, mit diesen Maßnahmen die bedrohte Reputation der Inneren Mission wiederherzustellen und die Struktur des CentralAusschusses weit zu verkleinern, sodass sie mit einem um 75 % geschrumpften Etat auskommen konnte466. Deshalb mussten Präsident Seeberg und fünf der acht bisherigen Direktoren sowie ein Großteil der Mitarbeiter aus dem Central-Ausschuss ausscheiden467. Die Umgestaltung war zunächst besonders für die Evangelistische Abteilung und die Apologetische Centrale bedrohlich. Beide waren wegen ihrer chronischen Defizite und geringen Einnahmen von Zuschüssen abhängig und machten kaum Gewinn468. 464 Füllkrug betonte in dem neuen Handbuch ebenfalls die Notwendigkeit der Mission an den nationalistischen Gruppen; vgl. F llkrug, Lage der Kirche, 54 f. Nach Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft glichen diese Hoffnungen, wie zu zeigen sein wird, der Euphorie des Augusts 1914, siehe v. a. unten 282–285. 465 Im Zuge der Weltwirtschaftskrise musste 1931 die Deutsche Evangelische Heimstättengesellschaft (Devaheim), eine von der Inneren Mission getragene Bausparkasse, Bankrott erklären. Dabei wurden nicht nur zahlreiche durch kirchliche Institutionen angeworbene Sparer geschädigt, sondern es kamen auch Missmanagement und Korruption ans Tageslicht. Die in Haftstrafen resultierende justizielle Aufarbeitung und die kritische Berichterstattung sorgten für einen enormen Glaubwürdigkeitsverlust der Inneren Mission, die zugleich durch die entstehenden Verbindlichkeiten an den Rand des Bankrotts geriet und nur durch ein staatliches Darlehen gerettet werden konnte; vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 330–348; Kaiser, Protestantismus, 238–246; Garbe, Kirche, 189–219; Kçrnert / Grube, Devaheim, 3–28 (der Autor dankt Elena Luckhardt, Tübingen, für ihre Hilfe bei der Beschaffung dieses Aufsatzes); Kçrnert / Grube, Patronage. 466 Kaiser, Sozialer Protestantismus, 243. Zur persönlichen Zusammensetzung des Elfer-Ausschusses vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 343 f. 467 Vgl. ebd., 343–346. 468 Im Januar 1930 hatte die Evangelistische Abteilung ein Defizit von 5.000 Reichsmark, die Apologetische Centrale sogar von 15.000 Reichsmark; vgl. Sitzung Verwaltungsausschuss des CA vom 14. 1. 1930 (ADE Berlin CA 94); vgl. auch Iber, Apologetische Centrale, 111.
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Dennoch stand ein völliger Abbau des volksmissionarischen Engagements des Central-Ausschusses nicht zur Diskussion. Der IM wurde im Gefolge des Devaheim-Debakels immer wieder vorgeworfen, im Verhältnis zum Ausbau der Wohlfahrt die Verkündigung des Glaubens vernachlässigt zu haben. Daher wurde eine „stärkere Betonung der missionarischen Seite des Dienstes [der Inneren Mission, H. B.]“469 für die Legitimation des personellen Neuanfanges genutzt. Als der Elfer-Ausschuss am 14. November 1931 den bisherigen Braunschweiger IM-Geschäftsführer Walter Jeep als zukünftigen geschäftsführenden Direktor des Central-Ausschusses bestimmte, war „seine mehrjährige Erfahrung auf dem Gebiet der Volksmission“470 dafür eine wesentliche Voraussetzung. Allerdings musste der Elfer-Ausschuss radikale Einschnitte vornehmen und verband dies mit einer organisatorischen Reform. Die bisherige Trennung in eine apologetische und eine evangelistische Abteilung wurde für die bisherigen Probleme der Volksmission des Central-Ausschusses maßgeblich verantwortlich gemacht und für die Zukunft gefordert, „dass die aplogetische [sic!] und die evangelistische Arbeit eng und fest in einer Person verbunden bleiben muss.“471 Die Kommission für Volksmission sprach sich dagegen noch im August 1931 dafür aus, dass ihre Abteilung wie bisher als „Zentrale der praktischen Volksmission“472 erhalten bleiben müsse und diese weiterhin unter der Leitung Füllkrugs stehen solle473. Für den Fall, dass innerhalb des CA die Abteilung nicht fortzuführen sei, beschloss die Kommission für Volksmission aber am 28. September 1931 förmlich die Vorbereitung der Gründung eines unabhängigen Vereins, der als Auffangbecken für zu entlassende Volksmissionare fungieren und quasi als Fortsetzung der Abteilung in möglichst enger Abstimmung mit dem CA arbeiten sollte. Ziel war es, die bisherige Infrastruktur der Evangelistischen Abteilung – die Volksmissionssammelbüchsen und die Adresslisten des Freundeskreises – mit in diesen Verein einzubringen474.
469 470 471 472 473
Stahl, Mission, 339. Protokoll Sitzung Elfer-Ausschuss vom 14. 11. 1931 (ADE Berlin, CA 1957, Bd. 2, 61). Sitzung Elfer-Ausschuss vom 30. 10. 1931 (ADE Berlin, CA 1957, Bd. 2, 35). Sitzung Kommission für Volksmission vom 16. 8. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 2). „Einmütig war die Kommission in der Ueberzeugung, dass für das Dezernat der Volksmission niemand anders in Betracht komme als der gegenwärtige Leiter D. Füllkrug, der durch die Arbeit von 13 Jahren der Volksmission in ganz Deutschland Eingang verschafft und ihre Geltung durchgesetzt hat“ (ebd., 3). 474 Sitzung Kommission für Volksmission vom 28. 9. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 1).
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Füllkrug versuchte, durch Kontakte zu den Unterstützern der Christlichdeutschen Bewegung, dafür Mittel zu gewinnen475. In diesem Zusammenhang bezog er sich immer stärker und deutlicher auf den Willen zur Mission unter den vaterländischen Kräften und ging immer stärker auf diese zu476. Allerdings war das Interesse der deutschnationalen Bünde und Personen an dem Erhalt der Arbeit der Evangelistischen Abteilung nicht so stark, dass sie sich auch finanziell an deren Rettung beteiligen wollten477. Füllkrugs Absicht, die bisherige Abteilung in Vereinsform soweit wie möglich zu erhalten, musste das Ziel einer organisatorischen Neuausrichtung der Inneren Mission konterkarieren. Auch persönlich war eine weitere Mitarbeit Füllkrugs nicht gewünscht. Der Elfer-Ausschuss lehnte selbst eine ehrenamtliche Tätigkeit ab478. Die für die Reorganisation der IM Verantwortlichen blieben also bei der Notwendigkeit einer völligen Neuordnung der volksmissionarischen Abteilungen im Central-Ausschuss und sahen dabei vor allem die Notwendigkeit des totalen Ausscheidens Füllkrugs. Die Problematik dieser Situation bestand allerdings darin, dass bei der drohenden Verselbstständigung der Kommission für Volksmission aus der Struktur des Central-Ausschusses in Form eines Vereines die bisherigen Spenderkreise sich ebenfalls diesem von Füllkrug geleiteten Verein anzuschließen drohten479. Füllkrug verzichtete letztlich auf eine weitere Mitarbeit im Central-Ausschuss, und der Elfer-Ausschuss befürwortete im Gegenzug den Antrag des bisherigen Direktors auf eine vorzeitige Pensionierung480. Diese erfolgte für den 61-jährigen Füllkrug mit der Entlassung aus dem Dienst des Central-Ausschusses am 1. April 1932481. Im Zuge dieser Verhandlungen um eine weitere Beteiligung Füllkrugs hatte die weitere Gestaltung der Volksmission im Central-Ausschuss Konturen angenommen. Jeep und mit ihm die anderen Mitglieder des Elfer-Ausschusses sahen primär die Notwendigkeit, einen apologetischen Berufsarbeiter zu behalten. Die Wahl fiel wegen dessen akademischer und rhetorischer Qualitäten auf Künneth482. Als Schwerpunkt seiner zukünftigen Aufgabe nannte Jeep die 475 Vgl. mehrere abschlägige Antwortschreiben in ADE Berlin, CA / EvA 135, 36–39. 476 Vgl. Schreiben Füllkrug an Rendtorff vom 11. 11. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 135). 477 Füllkrug schrieb im Oktober 1931 desillusioniert an Wilm: „Leider haben die Adelskreise, an die wir uns wandten um eine Beihilfe für Ihre [Wilms, H. B.] Arbeit, völlig versagt“ (Schreiben Füllkrug an Wilm vom 15. 10. 1931 [ADE Berlin, CA / EvA 135, 27]). 478 „Es dürfen keinesfalls dieselben verhängnisvollen Gefahren von neuem heraufbeschworen werden, die sich durch die Tätigkeit von D. Füllkrug in der Vergangenheit ausgewirkt haben. Ziel der Neugestaltung müsse die völlige harmonische Zusammenarbeit unter dem neuen Leiter sein“ (Sitzung Elfer-Ausschuss vom 30. 10. 1931 [ADE Berlin, CA 1957, Bd. 2, 34]). 479 Vgl. Sitzung Elfer-Ausschuss vom 30. 10. 1931 und 27. 11. 1931 (ADE Berlin, CA 1957, Bd. 2, 34 und 85). 480 Vgl. Schreiben Füllkrug an Karow vom 30. 12. 1931 (ADE Berlin, CA / P II 57); Schreiben Karow an Konsistorium Brandenburg vom 9. 1. 1932 (ebd.). 481 Vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 7, 8 f. 482 „Künneth ist nicht nur wissenschaftlicher Theologe, sondern hat auch in den letzten Jahren gelernt, volkstümlich zu sprechen“ (Sitzung Elfer-Ausschuss vom 27. 11. 1931 [ADE Berlin, CA 1957, Bd. 2, 84]).
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Durchführung von Kursen und Schulungen, welchen er ein stärkeres Gewicht als der Evangelisation beimaß483. Allerdings wurden in der Apologetischen Centrale ebenfalls von bisher 16 Mitarbeitern 13 endgültig aus dem Dienst entlassen484. Zudem zog die bisher im Spandauer Johannesstift verortete Apologetische Centrale zurück nach Berlin-Dahlem485. Schließlich fusionierten die Zeitschriften „Volksmission“ und „Wort und Tat“, also die beiden Fachblätter für Evangelisation und Apologetik486. Aus der Evangelistischen Abteilung sollte lediglich ein Volksmissionar weiterbeschäftigt werden. Die Wahl fiel auf Hagen: Er war der Einzige, der durch seine Kollekten Überschüsse erzielte. Für ihn sprach weiterhin, dass er in der Schulungsarbeit, welche die Apologetische Centrale vorrangig betrieb, bereits Erfahrung hatte, da er sich u. a. an Arbeiterfreizeiten mit weltanschaulicher Schulung beteiligt hatte487. Trotz massiver Fürsprache Jeeps und Rendtorffs scheiterte etwa die weitere Beschäftigung Wilms an der finanziellen Situation488. Ökonomische Fragen dominierten also bei der Krisenbewältigung. Im April 1932 war die Reorganisation des CA abgeschlossen, der nun unter der Leitung Jeeps als einzigem Direktor stand489. Jeep vertrat eine stärker auf die Wortverkündigung und die Notwendigkeit des theologischen Auftrags konzentrierte Konzeption der Inneren Mission. Das äußerte sich in seiner Forderung nach der neuen Gestalt der Wohlfahrtspflege, deren Aufgabe er analog der Zielvorstellungen der Volksmission beschrieb: „Er [Jeep, H. B.] zeigte, das höchste Ziel der evangelischen Wohlfahrtsarbeit, die dazu dienen müsse, lebendige Gemeinden zu schaffen und Gemeinschaft zu bilden.“490 Jeep sah offenbar die Notwendigkeit, vor dem Hintergrund des mit dem BeinaheBankrott verbundenen verheerenden Glaubwürdigkeitsverlustes eine neue Legitimation der Inneren Mission schaffen zu müssen. Unabhängig davon gründete Füllkrug im Januar 1932 eine eigene „Vereinigung für Volksmission“491. Als Träger der neuen Gründung fungierten vor 483 484 485 486 487 488 489 490 491
Ebd., 85. Vgl. Pçhlmann, Kampf, 102 f. Vgl. Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 345. Vgl. Jeep, Neugestaltung, 17. Vgl. Sitzung Elfer-Ausschuss am 13. 11. 1931 (ADE Berlin, CA 1957, Bd. 2, 63); Sitzung Kommission für Volksmission am 12. 8. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13). Zu diesen Freizeiten vgl. M ller-Schwefe, Arbeiterschulung. Vgl. Sitzung Elfer-Ausschuss am 4. 2. 1932 (ADE Berlin, CA 1957, Bd. 2, 154); Sitzung ElferAusschuss am 18. 3. 1932 (ebd., 189). Vgl. Sitzung Hauptausschuss CA am 22. 4. 1932 (ADE Berlin, CA 94). Anon., Neuorientierung, 88. Vgl. Satzung der „Vereinigung für Volksmission“ (ADE Berlin, BP 1428). Anders als die Akten der Evangelistischen Abteilung des CA sind diejenigen der Vereinigung für Volksmission lediglich vereinzelt erhalten. Vermutlich ist das betreffende Dokumentationsmaterial bei einem Luftangriff im August 1943, bei dem das Wohnhaus Füllkrugs getroffen wurde und u. a. sein gesamter Schriftwechsel verbrannte, vernichtet worden (vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 15, 10 f.).
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allem Freunde Füllkrugs und Mitglieder der bisherigen Kommission für Volksmission492. Füllkrug übernahm die Geschäftsführung des neuen Vereins, und Heinrich Rendtorff wurde zum Vorsitzenden gewählt493. Durch Rendtorff erhielt der neu gegründete Verein eine enge Beziehung zur Christlich-deutschen Bewegung, der er sich korporativ anschloss. Er war damit zur Gänze in das von Wilm aufgebaute antirepublikanische Netzwerk eingebunden494. Als Mitarbeiter der neuen Vereinigung fungierten neben dem Adelsmissionar Fritz v. Engel auch Angehörige der Evangelischen Heimatmission, in der vor allem ehemalige Mitarbeiter der Wichern-Vereinigung arbeiteten495. Wilm dagegen wurde wegen der Aussichtslosigkeit, durch Spenden die für die Besoldung eines ordinierten Pfarrers notwendigen Mittel aufzubringen, nicht um seine Mitarbeit gebeten496. Für Füllkrug war dieser Verein ein Mittel, um sich trotz seiner Pensionierung im April 1932 weiter als Funktionär der Inneren Mission betätigen zu können. Er blieb bis zum November 1932 Vorsitzender des Deutschen Evangelischen Vereins für Volksmission und gehörte auch danach dem Vorstand des Verbandes an497. Sein Anspruch auf eine leitende Position im Rahmen der Volksmission wurde daraus ersichtlich, dass der neu gegründete Verein zunächst unter dem Namen „Deutsche Volksmission“ in die Öffentlichkeit trat498. Füllkrug hatte also seine Ausschaltung aus dem Central-Ausschuss nicht akzeptiert und war bemüht, über seine erhaltenen Ämter und die neue Vereinigung in einem bescheidenen Rahmen weiterhin eine leitende Rolle im Bereich Volksmission zu spielen499. 492 U. a. Walter Braun von der Berliner Mission, Ernst Bunke, Otto v. Kameke (vgl. Abschrift Protokoll Gründungsversammlung der Vereinigung für Volksmission am 23. 1. 1932 [ADE Berlin, BP 1428]). 493 Vgl. Gründungsanzeige im Ev. Dtl. 15.1932 (abgedruckt in: Stahl, Mission, 348). 494 Vgl. Weiling, Bewegung, 251. 495 Berg hatte seit seinem Ausscheiden aus der Wichern-Vereinigung ab 1927 im Dienste verschiedener Organisationen als freier Evangelist gewirkt und Ende der 1920er-Jahre dann eine eigene, zunächst als „Arbeitermission“, später als „Evangelische Heimatmission“ fungierende Vereinigung gegründet (vgl. Berg, Befehl, 93 f.). 496 Vgl. Schreiben Füllkrug an Wilm am 22. 2. 1932 (ADE Berlin, CA / EvA 135). Er übernahm eine Pfarrstelle in Dolgelin, konzentrierte sich auf die Arbeit in der Christlich-deutschen Bewegung und stellte den Kontakt zur Inneren Mission komplett ein; vgl. Weiling, Bewegung, 249 f. 497 Vgl. Protokoll Vertreterversammlung Bad Schandau am 15. 9. 1932 (ADE Berlin, BP 1432). 498 Vgl. Stahl, Mission, 248; sowie Briefkopf Schreiben Füllkrug an Amtsgericht Berlin vom 15. 7. 1932 (ADE Berlin, BP 1428). Den Namen „Deutsche Volksmission“ erhielt auch die als Nachfolgeblatt der Zeitschrift „Volksmission“ gegründete Zeitschrift der neuen Vereinigung. Dem Autor waren lediglich einzelne Nummern dieser im zweimonatlichen Rhythmus erscheinenden Zeitschrift im Zeitraum 11./12.1934–5./6.1939 zugänglich. 499 Nach Angaben der Mitgliederversammlung vom Januar 1934 arbeitete der Verein im Jahr 1933 immerhin mit einem kleinen Gewinn von 1.000 RM; allerdings klagte Füllkrug auch bei dieser Gelegenheit bereits wieder über zurückgehende Kollekten und trotz der Konjunktur des Volksmissionsbegriffes 1933 über stark zurückgehende Rufe (vgl. Protokoll Mitgliederversammlung Vereinigung für Volksmission am 5. 1. 1934 [ADE Berlin, BP 1428]).
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Der Central-Ausschuss und die Landesgeschäftsührer sahen die Aktivitäten des ehemaligen CA-Funktionärs sehr kritisch, da man eine Konkurrenz zur Reorganisation der eigenen Arbeit fürchtete500. Zwar wurde die Vereinigung im Herbst 1932 in den DEVVM aufgenommen und Füllkrug erneut in den Vorstand gewählt501. Dennoch blieb das Verhältnis zum Central-Ausschuss angespannt, da dieser Füllkrugs Vereinigung weiter als Konkurrenz betrachtete. Hier dürfte auch ein von Füllkrug angestrengter Arbeitsgerichtsprozess eine Rolle gespielt haben, in dem er sich 1933 eine höhere Pension erstritt502. Noch auf einer Vorstandssitzung des DEVVM im März 1933 brachte Künneth diesen Standpunkt zur Geltung, indem er Füllkrugs volksmissionarisches Engagement nach dessen Pensionierung kritisierte: „Der C.A. hat es für seine volksmissionarische Arbeit ausserordentlich störend empfunden, dass im In- und Auslande D. Füllkrug seine volksmissionarische Arbeit fortgesetzt und dabei offenkundig den Anschein erweckt, nach wie vor Leiter der deutschen Volksmission in Dahlem zu sein.“503
Die von Jeep forcierte Umgestaltung war vor allem mit konzeptionellen Reformvorstellungen verbunden, die allerdings durch die veränderten Rahmenbedingungen nach dem Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft schnell Makulatur wurden. Seine Vorstellungen von Volksmission erläuterte der CA-Direktor 1932 und 1933 in mehreren Beiträgen in der Zeitschrift „Wort und Tat“504. Jeep betonte die Notwendigkeit der Einbindung von Volksmission in die örtliche Gemeinde, um tatsächlich zu einer Gemeindebildung zu kommen505. Aus dieser Hinwendung zur Gemeinde resultierte für Jeep die Forderung, die Gemeindebildung zum Proprium der Volksmission zu machen. Sein Ziel war „eine volksmissionarische Arbeit, die aus der Gewißheit um die Kirche Jesu Christi quillt und auf die Bildung dieser Kirche hinzielt“506. Da Volksmission in der Konzeption Walter Jeeps primär ein geistliches Geschehen war, hob er den Missionscharakter der Volksmission hervor507. Gleichzeitig betonte Jeep jedoch die Bedeutung, welche das Entstehen
500 501 502 503 504
505 506 507
Sitzung Vorstand DEVVM am 6. 5. 1932 (ADE Berlin, BP 1428). Vgl. Vertreterversammlung Bad Schandau am 15. 9. 1932, 3 u. 9 (ADE Berlin, BP 1436). Vgl. Klage Füllkrug vor dem Arbeitsgericht Berlin vom 23. 11. 1932 (ADE Berlin, CA / P II 58). Sitzung Vorstand DEVVM am 20. 3. 1933 (ADE Berlin, BP 1436). Die „Vereinigung für Volksmission“ leitete Füllkrug von seiner in unmittelbarer Nachbarschaft des Sitzes des CA in Dahlem gelegenen Villa aus (vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 15, 9). Jeep, Gemeinde; Jeep, Volksmission und Gegenwart; Jeep, Volksmission und Kirche. Der Beitrag von 1933 erschien im Januar, also noch vor der Machtübertragung an die Nationalsozialisten. Auf die Bedeutung dieser Beiträge hat bereits Volker Herrmann hingewiesen, der sie exemplarisch als Beispiel für eine am missionarischen Auftrag orientierte Konzeption von Volksmission darstellt; vgl. Herrmann, Verhältnis, 10 f. Jeep, Gemeinde, 41. Ebd., 44. Jeep, Volksmission und Gegenwart, 201.
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christlicher Gemeinschaft für das durch den Säkularisierungsprozess angeblich vom Verlust der Gemeinschaft bedrohte deutsche Volk habe: „[…] wie die Gemeinde im Sinne des Neuen Testamentes als der Leib Jesu Christi fortan der Mittelpunkt sein muß, um den sich unsere Ueberlegung und unsere Arbeit in Kirche und Volksmission zu bewegen hat, soll alle Mühe nicht umsonst sein und soll unsere evangelische Kirche die Rettung für unsere bedrohte Zeit und unsere auseinanderbrechende Welt werden.“508
Der Duktus der hier analysierten Schriften zeigt, dass Jeep die Nähe zur Kirche in der bisherigen Arbeit der Evangelistischen Abteilung nur unzureichend verwirklicht sah und damit implizit eine Neuausrichtung der volksmissionarischen Arbeit forderte, wobei stärkere Verkirchlichung und engere Verzahnung mit den diakonischen Feldern der IM die Hauptinhalte bildeten. Auf einer Sitzung der Geschäftsführer der Landes- und Provinzialverbände, die unter der Leitung Jeeps stand, schlug er vor, in diesem Gremium auch Fragen der Evangelisation und Apologetik zu behandeln, „da im gegenwärtigen Weltanschauungskampf die evangelische Wohlfahrtsarbeit volksmissionarisch orientiert sein muss“509. Die Wohlfahrtspflege bildete einen Kanal, durch den die hauptamtlichen regionalen Geschäftsführer ihren Einfluss auf die Gesamtarbeit des CA ausüben konnten510. Zugleich zeigte sich an diesem Schritt eine gewisse Distanz Jeeps zum Deutschen Evangelischen Verband für Volksmission, dem bisherigen Koordinationsgremium der Volksmission511. Jeep übernahm auf der nächsten Volksmissionstagung am 15. September 1932 in Bad Schandau den Vorsitz des Verbandes und löste damit Füllkrug ab. Bei dieser Gelegenheit stellte Jeep sein Programm einer stärkeren Verzahnung von Diakonie und Mission, einer stärkeren zentralen Organisation der Volksmission und der Gesamtintegration der IM in die kirchliche Arbeit vor und bat um die Mithilfe des Verbandes512. Während diese öffentlichen Äußerungen eine Zusammenarbeit innerhalb der Strukturen des DEVVM noch als möglich erscheinen ließen, wandte sich Jeep ansonsten immer stärker von den bisherigen Strukturen ab. Am 25. November 1932 berief er unabhängig vom Volksmissionsverband in Dahlem eine Geschäftsführerkonferenz ein. Hauptinhalt der Sitzung bildeten Referate Walter Jeeps und Künneths, in denen sie den geplanten Umbau der volksmissionarischen Organisation beschrieben: Die Apologetische Centrale 508 Jeep, Gemeinde, 44. 509 Protokoll der Geschäftsführerkonferenz vom 21. 4. 1932 (ADE Berlin, CA / AC 255, 224). 510 Zum Machtanspruch der regionalen Geschäftsführer in den Satzungsdiskussionen der 1920erJahre vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 92 f. 511 So wies er im August 1932 die Apologetische Centrale an, vorläufig nicht den Beitrag an den Volksmissionsverband zu zahlen, bis sich die künftige Rolle dieses Verbandes geklärt hätte; vgl. Schreiben Jeep an DEVVM am 25. 8. 1932 (ADE Berlin, CA / AC 255, 321); Schreiben Jeep an AC [August 1932] (ebd., 320). 512 Protokoll Vertreterversammlung Bad Schandau vom 15. 9. 1932 (ADE Berlin, BP 1436).
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sollte sich ganz auf die Koordination konzentrieren, die Volksmission sei analog zur Wohlfahrtspflege durch Geschäftsführertagungen zu organisieren. Als ein wesentliches Hindernis beschrieb Jeep den DEVVM, der eine Integration in die Gesamtarbeit der Inneren Mission verhindere513. Ein ähnliches Modell favorisierte Künneth und verband diesen Strukturvorschlag mit einer Parallelisierung zwischen der bisherigen Verfassung des DEVVM und der von ihm abgelehnten parlamentarischen Verfassung der Weimarer Republik514. Die Auseinandersetzungen um die Struktur des Verbandes wurden damit vom neuen Führungspersonal des CA zu weltanschaulichen Gegensätzen stilisiert, die im Zuge der scheinbar die Funktionsfähigkeit demokratischer Systeme infrage stellenden Endphase der Weimarer Republik an Plausibilität gewannen. Die organisatorische Umstrukturierung des Central-Ausschusses entwickelte so eine Parallele zu ideenpolitischen Diskursen um die vermeintlich notwendige Änderung der Reichsverfassung515. Diese Diskussionen verbanden sich mit den Bemühungen um eine Strukturreform, die zugleich der Ausschaltung Füllkrugs diente. Diese Diskussionen gingen nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten nahtlos weiter. Im März 1933 betonte Jeep gegenüber dem Vorstand des DEVVM, nachdem Füllkrug sich über seine Nichteinladung zu den Geschäftsführerkonferenzen beschwert hatte, dass zu den Geschäftsführerkonferenzen allein Verbände eingeladen würden, welche kirchenfreundlich eingestellt seien516. Daraufhin betrachteten sowohl Birnbaum als auch der nunmehrige Superintendent von Wustermark, Schweitzer, den DEVVM als funktionslos517. Schweitzer beantragte, für die nächste Versammlung der Vertreter der Mitgliedsverbände die Auflösung des DEVVM vorzuschlagen. An seine Stelle sollte nach den Konzeptionen von Künneth und Jeep ein Beirat zur Organisation der Fachkonferenzen treten. Außerdem sollten alle bisherigen Mitgliedsverbände zu jährlichen Konferenzen eingeladen werden. Dieser Vorschlag wurde von den versammelten Mitgliedern des Vorstandes einstimmig angenommen518. Damit schien die Neuordnung der deutschen Volksmission unmittelbar bevorzustehen, auch wenn die freien Verbände das Ergebnis kritisierten519. Allerdings 513 Protokoll Sitzung Geschäftsführerkonferenz für Volksmission vom 25. 11. 1932 (ADE Berlin, CA / EvA 14, 6). 514 „Anstelle des in den bisherigen Satzungen des Verbandes zum Ausdruck kommenden demokratischen Grundsatzes, durch den weithin die Schwerfälligkeit des Verbandes bedingt ist, ist das Führungsprinzip in den Vordergrund zu stellen“ (Künneth, Vorschläge zur Neugestaltung des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission, Berlin-Dahlem Sept. 1932 [ADE Berlin, AC 256, 7]). 515 Vgl. zur Demokratiekritik Sontheimer, Denken, 211–233. 516 Protokoll Sitzung Vorstand DEVVM vom 20. 3. 1933 (ADE Berlin, BP 1436). 517 Birnbraum: „De facto ist also über den Volksmissionsverband das Todesurteil gesprochen“ (ebd.). 518 Ebd. 519 „Dieser Beschluss läuft ja darauf hinaus, die Organisationen, die nicht dem C.A. angehören, als unkirchlich zu stempeln“ (Schreiben Berg an Jeep vom 8. 7. 1933, ADE Berlin, DEVVM 14).
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wurden die internen Konflikte in den folgenden Monaten durch die Ereignisse des „Kirchenkampfes“ überlagert. Insgesamt bleibt als Resultat der Versuche einer Bewältigung des Devaheim-Skandals festzuhalten, dass eine Umgestaltung im Sinne einer stärkeren Zentralisierung zwar anvisiert wurde, aber die angestrebten Reformen bis in das Jahr 1933 hinein kaum Resultate zeigten. Dagegen ist auffällig, dass gerade in den für die deutsche Geschichte entscheidenden Krisenjahren 1931 bis 1933 der CA und die Volksmissionsbewegung insgesamt weitgehend von internen Konflikten und der Bewältigung des Devaheim-Schocks absorbiert wurden, wobei sich die in den Vorjahren deutlich werdenden Interessenunterschiede der beteiligten Organisationen teilweise lähmend auswirkten. Ein Beispiel war die Stellungnahme zur Oxford-Gruppenbewegung. Diese in den angelsächsischen Ländern entstandene und international agierende Bewegung gewann seit Anfang der 1930er Jahre immer stärkeren Zulauf in Deutschland und wurde wegen ihres angeblichen Perfektionismus und ihrer Distanz zur Amtskirche kritisiert, was bereits Ende 1932 zu einer Thematisierung im Rahmen des Deutschen Evangelischen Kirchenausschusses führte. Walter Jeep beschrieb zu diesem Anlass die von ihm als schwärmerisch betrachtete Gruppe als Gefahr für einen wichtigen Teil der kirchlichen Basis: „Es scheinen besonders die adeligen Landkreise, […], dem suggestiven Eindruck der Bewegung zu erliegen.“520 Der mit Füllkrug zusammenarbeitende Fritz von Engel dagegen hatte bereits Ende 1931 eine weitgehend positive Begegnung mit Angehörigen dieser Bewegung, wie er in einem undatierten Rundbrief berichtete: „[…] ohne Zweifel war Gott an der Arbeit und tat etwas.“521 Die Auseinandersetzungen innerhalb der Volksmissionsbewegung waren gewiss einer Klärung des Verhältnisses zu dieser neuen missionarischen Kraft kaum dienlich. Allerdings zeigte sich in den mit der Machtübertragung an die Nationalsozialisten beginnenden innerkirchlichen Auseinandersetzungen, dass sich bis zur endgültigen Auflösung des Verbandes im April 1934 noch ganz neue Frontstellungen innerhalb der Volksmissionsbewegung ergaben.
Zur beabsichtigten Auflösung des Verbandes vgl. Rundschreiben Jeep an Mitgliedsverbände DEVVM vom 9. 6. 1933 (ADE Berlin, BP 1436). 520 Schreiben Jeep an Oberkonsistorialrat Gustav Scholz vom 9. 11. 1932 (EZA Berlin 1 / 1852); zur Oxford-Gruppenbewegung vor 1945 vgl. Schjørring, Aufrüstung, 65–81. 521 ADE Berlin CA / EvA 122; Füllkrug betonte ebenfalls positiv die von der Oxford-Gruppenbewegung angestoßene Laienseelsorge; vgl. Schmidt, Spiritualität, 66–68. Hans Berg kommentierte in einem Artikel vermittelnd: „Was an der Bewegung gut ist , ist nicht alles neu und was neu ist, ist nicht alles gut“ (Hans Berg, Oxford. Werkzeug kirchlicher Erweckung? In: Der Säemann 83.7 (1933) [ADE, DEVVM 14, 204])
8. Volksmission und die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ 1933–1934 8.1 Erste Stellungnahmen zur Machtübertragung an die Nationalsozialisten Um 1930 gehörte die Volksmissionsbewegung zu den ersten, die vonseiten der Kirche eine Zusammenarbeit mit der NSDAP befürworteten. Infolge des Beinahe-Bankrotts der Inneren Mission und der Probleme der Neuordnung war man dagegen in der Zeit der politischen Auflösung der Weimarer Republik vor allem mit internen Auseinandersetzungen beschäftigt. In den Akten finden sich daher wenige Hinweise auf die politische Lage. Die Erfolge der DC bei den Kirchenwahlen von 1932 wurden in einem Rundschreiben des CA vom 18. November an die volksmissionarischen Verbände lediglich als ein Symptom zitiert, „wie weit auch innerhalb der Kirche die Politisierung des gesamten öffentlichen Lebens Eingang gefunden hat.“1 Eine wichtige Etappe für die Verhältnisbestimmung zum Nationalsozialismus nach der Machtübertragung im Januar bildete eine durch den CA veranstaltete Fachkonferenz für Volksmission am 21. März 19332. Walter Jeep betonte zu Beginn der Konferenz den seiner Meinung nach epochalen Wandel: „Für Deutschland ist gleichsam die mit dem Geschehen von 1789 anhebende Geschichtsperiode zum Abschluß gekommen. Wir stehen in einer neuen bedeutsamen geschichtsbildenden Epoche.“3 Allerdings sah er zugleich „Gefahren, die in einer Entartung der gegenwärtigen politischen Entwicklung liegen“4. Die meisten anderen Beiträge waren positiv, äußerten jedoch auch Besorgnisse. Grundsätzlich wurde in Aufnahme der antibolschewistischen Propaganda das Ende der Bedrohung durch eine kommunistische Revolution begrüßt5. Der westfälische Apologet Johannes Müller-Schwefe äußerte Hoff1 Rundschreiben der Abteilung für Volksmission des CAvom 18. 11. 1932 (ADE Berlin, BP 1436); zur Wahl, bei der die DC etwa ein Drittel der Sitze gewannen; vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 272 f. 2 Bezeichnend für die Situation, in der diese Konferenz stattfand, war der Umstand, dass sie für die Rundfunkübertragung des „Tages von Potsdam“ unterbrochen wurde (ADE Berlin, CA / EvA 14). 3 Ebd. 4 Ebd. 5 Baron Friedrich v. d. Ropp: „Die Zurückdrängung des Bolschewismus und die nationale Bewegung bedeuten eine Gnadenfrist für die Kirche“ (ebd.).
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nungen auf ein größeres Verständnis der nationalsozialistischen Regierung gegenüber der Kirche als bei den bisherigen Regierungen6. Sorgen machten einem anderen Teilnehmer vor allem „die Gefahr der Verabsolutierung von Volk und Staat.“7 Auch der baltische Baron Friedrich v. d. Ropp, der eine völkisch-christliche Gruppe leitete, warnte: „Die Kirche muss das Gewissen des Volkes sein. Augenblicklich erlebt es nur einen nationalen Taumel, der noch keine Rettung bedeutet.“8 Der stärkste Befürworter eines Zusammengehens mit der nationalsozialistischen Bewegung war der seit 1932 die nationalsozialistischen Pfarrer in Sachsen leitende Friedrich Coch, der wenige Monate später zum sächsischen Landesbischof gewählt werden sollte9. Sehr kritisch äußerte sich dagegen der nach nationalsozialistischen Kriterien als „Nichtarier“ geltende Schweitzer. Er monierte die „bolschewistischen Methoden“10 der Machtübertragung an die Nationalsozialisten und betonte: „Vor allem ist zu fragen, wie die Kirche die Verbindung mit den heute Verfemten aufrechterhalten kann.“11 Andere sahen nach den Notverordnungen anlässlich des „Reichstagsbrandes“ aussichtsreiche Perspektiven für eine Beeinflussung des Proletariats. Dies tat zum Beispiel Birnbaum, der zu dieser Zeit noch nicht den DC beigetreten war: „Die Kirche muss unbedingt die Fühlung zu den Marxisten aufrechterhalten. Gerade die gegenwärtige Notlage ergibt sehr gute Anknüpfungspunkte.“12 Im Einzelnen war Ende März 1933 noch undeutlich, inwieweit diese Stellungnahmen eher dem Willen zur Überparteilichkeit der Kirche entsprachen oder auf eine Reintegration des Proletariats in die Volksgemeinschaft abzielten. Einmütig erkannten die Vertreter der Volksmission die Notwendigkeit, an die NSDAP und die Deutschen Christen heranzutreten, was an der Zustimmung zu einem entsprechenden Antrag von Künneth deutlich wird, „um in ein Gespräch über die schwebenden Fragen zu kommen.“13 In der Diskussion über die DC ist auffällig, dass gerade Friedrich Coch deren Einfluss herunterzuspielen versuchte: „Die ,Deutschen Christen‘ spielen in Sachsen überhaupt keine Rolle.“14 Obwohl die meisten anderen Teilnehmer der Diskussion 6 Ebd. 7 Ebd. 8 Ebd.; zu dessen Biographie und der von ihm geleiteten „Christlichen Kampfschar“ vgl. Ropp, Zwischen. 9 „Es ist grundsätzlich unrichtig, sofort die nationale Revolution zu kritisieren, anstatt erst einmal das große geschichtliche Geschehen mitzuerleben. Wir leben in einer Übergangszeit, in der Entgleisungen möglich ist [sic!]. Härte ist unbedingt notwendig“ (ADE Berlin, CA / EvA 14). Zum Lebenslauf vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 52. 10 Protokoll Fachkonferenz für Volksmission vom 21. 3. 1933 (ADE Berlin, CA / EvA 14). 11 Ebd. Zum Lebenslauf Schweitzers bis zum Beginn des Nationalsozialismus vgl. Pçhlmann, Kampf, 64 f. 12 Protokoll Fachkonferenz für Volksmission vom 21. 3. 1933; Birnbaum wurde im Juli 1933 Deutscher Christ; vgl. Herrmann, Birnbaum, 327. 13 Protokoll Fachkonferenz für Volksmission vom 21. 3. 1933 (ADE Berlin, CA / EvA 14). 14 Ebd. Formal stimmte dies, da in Sachsen zwar eine Vereinigung nationalsozialistischer Pfarrer
284 Volksmission und die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ 1933–1934 sich positiv abwartend verhielten, war der Wille zu einem Zusammengehen mit dem nationalsozialistischen Staat und zur Kontaktaufnahme mit den DC weitgehend konsensfähig. Allerdings zeigte das in den Diskussionen zum Ausdruck kommende Spektrum von der Kritik Schweitzers bis zur bedingungslosen Regimeloyalität Cochs, dass die Stellung zum Nationalsozialismus innerhalb der zerstrittenen Volksmissionsbewegung ein weiteres Potenzial für Trennungen brachte. Dies manifestierte sich auch in den folgenden Monaten, als die kirchenpolitische Entwicklung die Mitglieder der volksmissionarischen Organisationen in verschiedene Richtungen trieb. Künneth gehörte im Mai 1933 zu den Mitbegründern der gegen die Deutschen Christen opponierenden Jungreformatorischen Bewegung. Seine Kooperation mit dem NS-Staat in der Bekämpfung der Freidenker zeigte allerdings, dass er dies keineswegs als Fundamentalopposition verstand15. Walter Jeep nutzte seinen kirchenpolitischen Einfluss, um vergeblich zu versuchen, die Wahl Ludwig Müllers als Reichsbischof zu verhindern16. Andere exponierten sich auf der Seite der Deutschen Christen. Neben Friedrich Coch sind hier besonders Walter Birnbaum und Johannes Müller-Schwefe sowie der 1933 zum Propst der Grenzmark PosenWestpreußen gewählte brandenburgische Pfarrer Johannes Grell zu nennen17. Grell hatte noch 1932 gegen das von den DC praktizierte „Unterstellen der Kirchenpolitik unter die Parteipolitik“18 protestiert. Bei den meisten volksmissionarisch bewegten DC dürfte dieser Schritt aus den Dispositionen in Sozialisation und Überzeugung und durch die damit verbundenen Hoffnungen auf die Machtübertragung an die Nationalsozialisten zu erklären sein. Allerdings spielte im Laufe der nächsten Monate auch der immer stärker thematisierte Monopolanspruch der DC auf die Volksmission eine Rolle. So hatte sich der schlesische Pfarrer und Volksmissionar Karl August Wilhelm Schulz im März 1933 noch positiv abwartend zu den Ereignissen geäußert19. Im August 1933 kündigte er gegenüber dem DEVVM seinen Beitritt zu den DC an. Dabei charakterisierte seine Stellung weniger die
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aufgebaut worden war, aber erst im Sommer 1933 eine sächsische Landesgruppe der DC offiziell gegründet wurde; vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 74. Künneth hatte über diese Kooperation bereits auf der Sitzung am 21. 3. 1933 gesprochen (ADE Berlin, CA / EvA 14; Pçhlmann, Kampf, 213–218). Zu Künneths kirchenpolitischen Kurs vgl. auch Neumann, Bewegung, 22–26; Scholder, Kirchen, Bd. 1, 406–409. Vgl. ebd., 412. Zur DC-Mitgliedschaft von Müller-Schwefe vgl. Brakelmann, Ehrenberg, Bd. 2, 116 f.; Grell hatte bereits 1919 zum ersten Mal im Auftrag des CA evangelisiert (vgl. Protokoll Sitzung Unterkommission III des Volkskirchendienstes vom 28. 6. 1913 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 182]). Zu seinem Lebenslauf vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 91; zum Kirchenkampf in der Grenzmark vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 1, 283–285. Zitiert nach Meier., Kirchenkampf, Bd. 1, 67. „Die nationale Revolution zeigt ein providenzielles Gepräge, zeigt aber auch gefährliche Momente“ (Protokoll Fachkonferenz für Volksmission vom 21. 3. 1933 [ADE Berlin, CA / EvA 14]).
Die Auswirkungen der versuchten Gleichschaltung der Inneren Mission 285
Begeisterung über das volksmissionarische Anliegen der neuen Bewegung als die Angst um sein eigenes Amt: „Ich möchte Ihnen noch mitteilen, daß ich mich am 3. August bei den ,Deutschen Christen‘ gemeldet habe, da man mir sagte, daß vom 1. Oktober ab Provinzialämter nur mit ,Deutschen Christen‘ besetzt sein dürfen. Ich sehe keine Veranlassung, mich aus einer Arbeit ausschalten zu lassen, die ich seit 1926 hier in Schlesien mit wachsendem sichtbarem Erfolg durchführen durfte.“20
8.2 Die Auswirkungen der versuchten Gleichschaltung der Inneren Mission Auch auf Reichsebene zeigte sich im Sommer 1933, dass die Auseinandersetzungen mit den Deutschen Christen tatsächlich die volksmissionarische Bewegung beeinflussten. August Jäger beschloss kurz nach seiner Einsetzung als Staatskommissar für die evangelische Kirche auch die Gleichschaltung der Inneren Mission. So besetzten Ende Juni 1933 die beiden Deutschen Christen Karl Themel und Horst Schirmacher mithilfe von SA-Truppen handstreichartig den Sitz des Central-Ausschusses in Dahlem und beanspruchten die Übernahme der Geschäfte21. Beide waren mit den volksmissionarischen Unternehmungen der Weimarer Republik vertraut. Schirmacher war als ehemaliger Volksmissionar in Schleswig-Holstein und als Organisator der kirchlichen Männerarbeit in Westfalen und Ostpreußen fest in den Vereinsprotestantismus eingebunden, ehe er im Frühjahr 1933 als Adjutant des deutschchristlichen Reichsbischofskandidaten Ludwig Müller die kirchenpolitische Bühne betrat22. Themel war als Berliner Sozialpfarrer Mitglied im Aktionsausschuss für Laienschulung, den die Apologeten im Rahmen des DEVVM gegründet hatten23. Schirmacher und Themel blieben beide nach dem Ende ihres Kommissariats in Leitungspositionen des CA. Während Themel im Herbst 1934 aus seiner zeitweiligen Position als Präsident des Central-Ausschusses herausgedrängt wurde, war Schirmacher bis zu seiner Einberufung zur Wehrmacht im Jahre 1941 hauptamtlicher Direktor24. Der Auftrag, den Themel und Schirmacher ausführen sollten, war es, für 20 Schreiben Schulz an Jeep am 5. 8. 1933 (ADE Berlin, DEVVM 14); vgl. auch Herrmann, Birnbaum, 327. 21 Vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 257–264. 22 Vgl. ebd., 257. Er hatte u. a. eng mit dem Bochumer Pfarrer jüdischer Abstammung Hans Ehrenberg zusammengearbeitet, mit dem er auch einen intensiven Austausch über das Verhältnis von Judentum und Deutschtum pflegte (vgl. Brakelmann, Ehrenberg, Bd. 1, 296 f.). 23 Vgl. Protokoll Sitzung des Aktionsausschusses für Laienschulung am 3. 11. 1931 in Berlin (EZA Berlin 1 / 745); zum Lebenslauf Themels vgl. Gailus, Sozialpfarrer. 24 Vgl. Thierfelder, Anpassung, 227 f.
286 Volksmission und die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ 1933–1934 den zukünftigen Kurs der Inneren Mission eine „radikale Verkirchlichungstendenz“25 durchzusetzen. Themel hatte in einem ersten Entwurf der notwendigen Reformen für die Innere Mission neben der Unterstellung unter die Reichskirche eine Ausgliederung der Volksmission in die kirchlichen Strukturen und die Beschränkung der Diakonie auf die sozialfürsorgerische Arbeit an Kranken gefordert26. Dies gehörte zum Programm der DC, welche einerseits die Bildung eigener Ämter für Volksmission im Rahmen der behördlichen Kirchenstrukturen befürworteten und andererseits die von der neu gegründeten Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt geforderte Konzentration der konfessionellen Wohlfahrtsorganisationen auf die Pflege von Kranken und Behinderten umzusetzen versuchten, während die Wohlfahrtspflege an Gesunden der nationalsozialistischen Organisation zu überlassen sei27. Problematisch war an dieser Aufgabenverschiebung allerdings die Beschränkung der Inneren Mission auf wenig attraktive Arbeitsfelder sowie der Umstand, dass sie wichtiger Funktionen beraubt werden sollte. Besonders dem machtbewussten Themel, der von den DC als künftiger Präsident des Central-Ausschusses vorgesehen war, erschien diese Rolle wenig erstrebenswert, weshalb er im Herbst 1933 den Anteil der Inneren Mission an der geplanten Volksmission immer stärker betonte. Auf einem Festvortrag zum 100-jährigen Jubiläum des Rauhen Hauses in Hamburg, am 11. September 1933, beanspruchte er unter Berufung auf die von Wichern betonte Verbindung von Liebestätigkeit und Wortverkündigung: „Innere Mission ist für Wichern nichts anderes als Volksmission.“28 Als konkretes Beispiel nannte er die Ausbildung von volksmissionarischen Rednern, die parallel zu den Rednerschulen der NSDAP in den Anstalten der Inneren Mission am besten ausgebildet werden könnten29. Themel verband mit dem Ausbau der Volksmission vor allem die Hoffnung, eine Einschränkung der eigenen Arbeit allein auf die unheilbar Kranken zu verhindern30. Durch die Betonung der volksmissionarischen Dimension der Inneren Mission konnten gegenüber den Ansprüchen der NSV auf die Arbeit mit den Gesunden die Arbeitsfelder der Inneren Mission offengehalten werden31. Als 25 So treffend Kaiser, Sozialer Protestantismus, 259. 26 Vgl. ebd. 27 Zur Politik der Nationalsozialistischen Volkswohlfahrt vgl. Vorl nder, NSV, v. a. 20–43 und 117–127; ferner Kaiser, Sozialer Protestantismus, 186–226. Zur Einschätzung der Politik Schirmachers und Themels haben dem Autor Gespräche mit Dr. Uwe Kaminsky (Bochum) sehr geholfen. 28 Themel, Mission, 218. 29 „Er [Wichern, H. B.] will Laienredner haben für die Kirche, wie sie der Nationalsozialismus jetzt in seinen Gau- und Propagandarednern hat. Die Innere Mission wird heute für die Kirche solche Laienredner heranbilden müssen, die gleich den politischen Rednern die Botschaft der Kirche in der Sprache unserer Zeit verkünden“ (ebd.). 30 Ebd., 221. 31 Zugleich entsprach dies der Forderung der Richtlinien der DC von 1932, dass die Innere Mission sich statt der karitativen Aufgaben an unheilbar Kranken stärker der Pflege der Gesunden
Die Auswirkungen der versuchten Gleichschaltung der Inneren Mission 287
daher am 18. Oktober 1933 die beiden ehemaligen Kommissare in ihr neues Amt gewählt wurden, Themel als Präsident des Central-Ausschusses und Schirmacher als geschäftsführender Direktor, betonten sowohl der anwesende Reichsbischof Ludwig Müller als auch der in der DEK für die Innere Mission zuständige Kirchenminister Otto Weber die bleibende Bedeutung der Inneren Mission für die Volksmission der neu geschaffenen Reichskirche32. Der volksmissionarische Auftrag wurde damit in die Strategie Müllers eingebettet, durch eine groß angelegte Volksmissionstätigkeit die internen Konflikte in der evangelischen Kirche zu überspielen und zugleich die Herrschaft der DC zu sichern33. Themel wiederholte in seiner ersten Rede als Präsident in diesem Zusammenhang noch einmal den Anspruch, auch weiterhin als Innere Mission in diese neue Aufgabe involviert zu bleiben: „Wenn man heute auf neuen Wegen und mit neuen Mitteln die Sendung der Kirche an das Volk, also Volksmission, herausarbeiten muß, so kann das nicht geschehen, ohne Innere Mission und nur in engster Verbindung mit ihr, sonst haben beide, Innere Mission und Volksmission, unberechenbaren Schaden.“34
Daher war Themel an einer weiteren Integration der Abteilung für Volksmission interessiert. Wenige Tage später berichtete Hagen als einziger weiterhin im Dienst des CA befindlicher Evangelist in einem Schreiben an den neuen geschäftsführenden Direktor Schirmacher, dass Themel ihn angewiesen habe, seinen Dienst fortzuführen, und versicherte seine Loyalität zur neuen Führung der Inneren Mission35. Hagen befand sich damit in einem Gegensatz zu seinem unmittelbaren Vorgesetzten Künneth, der zu dieser Zeit versuchte, die Apologetische Centrale direkt der Reichskirchenregierung statt dem CA zu unterstellen36. Neben der weiteren Vermittlung der Volksmission im Central-Ausschuss trat die Frage der weiteren Gestaltung des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission. Eine für den Herbst 1933 in Cuxhaven geplante Vertreterversammlung hatte wegen der turbulenten kirchenpolitischen Situation im Sommer und Herbst 1933 nicht stattfinden
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widmen solle; vgl. These 8 der Richtlinien der Glaubensbewegung Deutsche Christen in: Hermle / Thierfelder, Herausgefordert, 48. Vgl. Sitzung Hauptausschuss CA am 18. 10. 1933 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1933, 7 f.). Müller betonte in seiner Rede: „Ich hatte gehofft, es wäre möglich gewesen, mit allen Kräften der Kirche und der Inneren Mission und der Freiheitsbewegung eine Einigung finden zu können und Frieden zu machen, daß wir diesen Winter bis zum Frühjahr nächsten Jahres eine ganz große Volksmission durchgeführt hätten und dann erst an die äußeren Reformen der Kirche heranzugehen brauchten. Es ist anders gekommen und wir stehen jetzt vor dieser Aufgabe“ (ebd., 8). Diese Konzeption Müllers, Volksmission als „Zauberwort“ (vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 676; sowie Hermle, Aufstieg, 309) zu benutzen, scheiterte mit dem Sportpalastskandal (vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 1, 675–706; Schneider, Reichsbischof, 159–165). Themel, Zukunftsaufgaben, 244. Schreiben Hagen an Schirmacher am 21. 10. 1933 (ADE Berlin, DEVVM 2). Zum widersprüchlichen Kurs Künneths vgl. Iber, Apologetische Centrale; Pçhlmann, Kampf, 201–204.
288 Volksmission und die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ 1933–1934 können37. Jeep betonte in einem Schreiben Anfang Oktober 1933, dass der Volksmissionsverband durch die Neuordnung des Central-Ausschusses massiv an Bedeutung verloren habe38. Walter Birnbaum jedoch, der im März 1933 noch die Auflösung des Verbandes unterstützt hatte und sich mittlerweile an die DC hielt, sah nun eine neue Rolle für den Verband. Am 19. Oktober 1933 warb Birnbaum bei dem frisch installierten Direktor Schirmacher um Unterstützung eines eigenen Plans für den DEVVM. Birnbaum wollte den Verband unter Einführung des Führerprinzips zum Bindeglied zwischen den Landes- und Provinzialverbänden der Inneren Mission und den freien Verbänden ausbauen39. Birnbaum machte in seinem Schreiben hinreichend deutlich, dass er mit dieser Gleichschaltung der Volksmission im deutschchristlichen Sinne persönliche Ambitionen auf dessen Leitung verband: „Es ist kaum daran zu zweifeln, daß der Verband mich zu diesem Amt wählt.“40 Birnbaums Wunsch nach einem Fortbestehen des DEVVM wurde sowohl von den beiden neuen IM-Funktionären Themel und Schirmacher als auch von dem verantwortlichen Kirchenminister Weber geteilt. Allerdings baten sie nicht Birnbaum als DC-Mitglied, sondern den Jungreformatoren Jeep um eine Fortführung seines Amtes41. Themel erläuterte die Entscheidung, auf eine Umstrukturierung des DEVVM zu verzichten und Jeep vorläufig im Amt zu behalten, mit der Notwendigkeit der „Erhaltung des gesamten Gutes der bisherigen Volksmission“42. So dürfte Volker Herrmanns Analyse zutreffen, dass auf diese Weise vermieden werden sollte, „daß der Verband angesichts des DC-Vorsitzenden Birnbaum auseinanderbräche und eine geordnete Überführung in eine reichskirchlich orientierte Volksmission in Gefahr geriete“43. Das von Jeep Ende Oktober 1933 geschriebene Porträt des Verbandes zeigt, dass vorläufig alle Gedanken über eine Auflösung des Verbandes obsolet waren, der Verband sei „[…] nach wie vor, jetzt aber besonders, gewillt und freudig bereit, sich mit allen seinen Kräften für den Dienst zur Verfügung zu stellen, den Gott im neuen Deutschland von ihm fordert“44. Es wurde an dieser Selbstvorstellung deutlich, dass vonseiten Jeeps eine 37 Rundschreiben Jeep an Mitgliedsverbände DEVVM vom 11. 8. 1933 (ADE Berlin, BP 1436); Rundschreiben Jeep an Mitgliedsverbände DEVVM vom 21. 8. 1933 (ebd.). 38 Abschrift Schreiben Jeep an DEKA am 6. 10. 1933 (ADE Berlin, DEVVM 14). 39 Schreiben Birnbaum an Schirmacher am 19. 10. 1933 (ADE Berlin, DEVVM 2). 40 Ebd.; vgl. auch Herrmann, Birnbaum, 327. 41 Vgl. Rundschreiben Jeep an Mitgliedsverbände DEVVM vom 27. 10. 1933 (ADE Berlin, BP 1436); zum Anteil Webers vgl. Rundschreiben Walter Jeep an Mitgliedsverbände DEVVM vom 10. 11. 1933 (ebd.). 42 Vgl. Protokoll Sitzung Vorstand DEVVM vom 31. 10. 1933 (ADE Berlin, BP 1436). 43 Herrmann, Birnbaum, 327. 44 Walter Jeep, Der Deutsche Evangelische Verband für Volksmission, 28. 10. 1933 (ADE Berlin, DEVVM 2). Die Verbandsbeschreibung dürfte für die Vorbereitung der Volksmissionskammer der Reichskirche geschrieben worden sein (vgl. Niederschrift der vorbereitenden Sitzung zur Bildung einer volksmissionarischen Kammer am 3. 11. 1933 [EZA Berlin 1 / 1142]).
Die Auswirkungen der versuchten Gleichschaltung der Inneren Mission 289
prinzipielle Bereitschaft bestand, sich an den Volksmissionsplänen der Reichskirche zu beteiligen. Ende Oktober fand eine Vorstandssitzung des Verbandes statt, auf der durch die Anwesenheit Themels demonstriert wurde, dass die Beratungen nicht in Opposition zur neuen DC-Leitung des CentralAusschusses stattfanden. Schweitzer, der sich auf der Fachkonferenz im März am kritischsten über den NS geäußert hatte, war bei der Vorstandssitzung nicht anwesend. Füllkrug und Berg hielten sich ausweislich des Protokolls während der ganzen Sitzung vollständig zurück45. Wichtigstes Ergebnis der Sitzung war, dass der Antrag auf Auflösung des Verbandes zurückgenommen wurde46. Strittig war dagegen das Verhältnis zur reichskirchlichen Volksmission. Birnbaum machte sich zum Fürsprecher einer bedingungslosen Teilnahme der im Verband versammelten Organisationen: „Unsererseits dürfe es nicht zu einer Abkapselung kommen. Ein gründliches Durchdenken der neuen Aufgaben von heute sei nötig“47. Dabei betonte er ganz offen, dass die Übernahme in die DC-Volksmission nur für einen Teil der bisherigen Akteure in Frage komme: „Viele Volksmissionare, wenn auch nicht alle, würden auch in der neuen Volksmission durchaus verwendbar sein.“48 Auch der ebenfalls zu den gemäßigten Deutschen Christen gehörende westfälische Apologet MüllerSchwefe sprach sich für ein enges Zusammengehen aus. In Anlehnung an Birnbaum betonte er, dass durch Auseinandersetzungen nicht die Chance zur Bildung einer einheitlichen Volkskirche zunichte gemacht werden dürfe: „Es kommt heute darauf an, alles zu tun, dass unsere Kirche nicht zerrissen und die grosse Stunde zur Bildung einer wahren evangelischen Volkskirche nicht verpasst wird.“49 Andere tendierten dazu, Bedingungen für ein Mitwirken an der neuen Volksmission zu stellen. So betonte der schlesische Pfarrer Schulz nach seinen Erfahrungen mit den schlesischen DC und ihrem Monopolanspruch auf volksmissionarische Betätigung, „dass die Volksmission in der neuen Kirche ohne jeden kirchenpolitischen Parteistempel durchgeführt werden müsse.“50 Künneth hob ebenfalls die Notwendigkeit zur Mitarbeit hervor, sah aber die Voraussetzung in einer grundsätzlichen Gleichberechtigung der DC-Volksmissionare und der bisherigen Organisationen51. Dies müsse ein klares Profil der im Volksmissionsverband vereinigten Verbände gegenüber der Reichskirche bedeuten: „Die Fragestellung: sind wir den andern angenehm? sei falsch. Umgekehrt müssten wir fragen: was ist für uns vom Standpunkt des
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Vgl. Protokoll Vorstandssitzung DEVVM vom 31. 10. 1933 (ADE Berlin, BP 1436). Das befürwortete neben Jeep und Birnbaum auch Themel (vgl. ebd.). Ebd. Ebd. Ebd. Ebd. Ebd.; allgemein zur kirchenpolitischen Konzeption Künneths vgl. Pçhlmann, Kampf, 201–204.
290 Volksmission und die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ 1933–1934 Evangeliums und der reformatorischen Theologie aus tragbar?“52 Es ist allerdings darauf hinzuweisen, dass Künneth trotz dieser klaren Erkenntnis der Problemlage in dieser Zeit nicht nur mit der Gestapo Material zu den verfolgten Freidenkerorganisationen austauschte, sondern auch mit einer Unterstellung der Apologetischen Centrale unter die Zuständigkeit der Reichskirche liebäugelte53. Noch deutlicher artikulierte Theodor Wenzel vom brandenburgischen Provinzialausschuss seine Kritik. Zugleich kritisierte er implizit die Indienstnahme der Volksmission durch die DC als Mittel zur Herstellung der Volksgemeinschaft: „Es kommt auf das Eine zuerst an, dass wir Jesus Christus als den Herrn verkündigen. Wir dürfen nicht in den Verdacht kommen, als ob wir dieses Zentrum unserer Botschaft dem Interesse des Staates unterordneten, denn dann hört jede gesegnete Wirkung der Volksmission auf.“54
Aus der Diskussion am 31. 10. 1933 wurde deutlich, dass die Mehrheit eine Mitarbeit an der reichskirchlichen Volksmission grundsätzlich befürwortete. Jeep und Birnbaum wurden daher ermächtigt, an der Besprechung zur Bildung einer Volksmissionskammer am 3. 11. 1933 teilzunehmen55. Jeep selbst interpretierte in einem Rundschreiben an die Mitgliedsorganisationen das Ergebnis der Sitzung als eine bedingte Zustimmung zum Zusammengehen mit der reichskirchlichen Volksmission; er betonte jedoch zugleich, dass dafür die gleichbleibende Botschaft der Verkündigung Voraussetzung sei56. Auch ein von Künneth verantworteter Bericht der Apologetischen Centrale beschrieb als Ergebnis, „daß die alten wertvollen Kräfte der Volksmission erhalten werden und sich in freundschaftlicher Zusammenarbeit mit dem neuen kirchlichen Aktivismus zusammenfinden müssten“57. Trotz dieser Bemühungen, auf die Reichskirche zuzugehen, zeigte die Diskussion, dass bei einem großen Teil der Anwesenden diese Befürwortung an Bedingungen geknüpft war. Anders als Birnbaum es forderte, wollten die im DEVVM organisierten 52 ADE Berlin, BP 1436. 53 Vgl. Iber, Apologetische Centrale, 120–123; vgl. auch Ibers Kommentar zu den Kontakten zur Gestapo: „Ein ungeheuerlicher und beschämender Tatbestand!“ (ebd., 123). 54 ADE Berlin, BP 1436. Dieses Selbstverständnis der DC-Volksmission wird u. a. an der als kirchliche Unterstützung der NS-Politik gedeuteten Seelsorge in den Konzentrationslagern deutlich. Diese sollte die Reintegration der politischen Gefangenen in den neuen Staat unterstützen; vgl. für das Konzentrationslager Kemna bei Wuppertal: Mintert, Konzentrationslager, 189–203; Scherf, Kirche, 61–66. 55 Vgl. ADE Berlin, BP 1436, sowie Rundschreiben Jeep an Mitgliedsverbände DEVVM vom 10. 11. 1933 (ebd.). 56 „Zweierlei wurde dabei als maßgebend festgesetzt: Einmal die Bereitwilligkeit des Verbandes zur vollen positiven Mitarbeit an der Reichskirche im besonderen in der geplanten Kammer für Volksmission, sodann die unbedingte Wahrung der Grundhaltung, die von jeher für den Verband bestimmend gewesen ist, daß Jesus Christus der für uns Gekreuzigte und Auferstandene, unser Herr, der Mittelpunkt und das Hauptstück der volksmissionarischen Verkündigung sein und bleiben müsse“ (ebd.). 57 Apologetische Centrale, Bericht zur Lage 11. 11. 1933 (ADE Berlin, BP 1436).
Der Weg zur Auflösung des Deutschen Evangelischen Verbandes
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Verbände nicht in der Volksmission der DC aufgehen, sondern ihre eigene Struktur erhalten. Eine direkte Funktionalisierung der bisherigen Volksmissionsorganisationen für die Reichskirche war damit gescheitert58. An einer im Zusammenhang mit dem Aufruf der Reichskirchenregierung zur Volksmission stattgefundenen Vorbesprechung für die Bildung einer Kammer für Volksmission nahmen am 3. November 1933 sowohl Jeep als auch Birnbaum teil59. Während Birnbaum sich engagiert für eine reichskirchliche Organisation aussprach und an dem Ausschuss zur Erstellung der Richtlinien für diese Volksmission beteiligt war, hielt sich Jeep auf dieser Sitzung vollkommen zurück; im Protokoll ist keine Wortmeldung von ihm überliefert60. Auffällig ist, dass trotz der offensichtlichen Dominanz der Deutschen Christen der immerhin zur Jungreformatorischen Bewegung gehörige Jeep keine Kritik zum Verlauf dieser Besprechung äußerte; in seinem Rundschreiben an die Mitgliedsverbände vom 10. November 1933 schrieb er lediglich von „einer ersten allgemeinen Fühlungnahme.“61 Auch der „Bericht zur Lage“ der Apologetischen Centrale nannte das Ergebnis der Tagung ohne inhaltliche Kritik „die volksmissionarische Marschroute für die kommenden Monate.“62 Die Hoffnungen auf eine gleichberechtigte Beteiligung an der reichskirchlichen Volksmission ließen Jeep und Künneth offenbar warnende Zeichen übersehen. Allerdings äußerten noch vor der Veröffentlichung der reichskirchlichen Richtlinien sowohl der Liegnitzer Pfarrer Schulz als auch der bei der Vorstandssitzung am 31. Oktober nicht anwesende Schweitzer massive Bedenken gegen das DC-Konzept der Volksmission63. Dies belegt noch einmal die massiven Polarisierungen innerhalb des Volksmissionsverbandes.
8.3 Der Weg zur Auflösung des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission Im Deutschen Evangelischen Verband für Volksmission mobilisierten sich im Gefolge des Sportpalastskandals allerdings die Gegner einer DC-Volksmissi58 Vgl. auch Herrmann, Birnbaum, 327. 59 Vgl. Rundschreiben Jeep an Mitgliedsverbände DEVVM vom 10. 11. 1933 (ADE Berlin, BP 1436). Zur Entstehung und Charakterisierung des nach der Sportpalastversammlung schnell Makulatur werdenden Programms der Reichskirchenregierung vgl. Hermle, Aufstieg, 332–338; zur Einbettung in den Kontext der volkskirchlichen Programme des Jahres 1933 vgl. Brunner, Volkskirche, 182–205 (3.4.1 f.). 60 Vgl. Niederschrift der vorbereitenden Sitzung zur Bildung einer volksmissionarischen Kammer am 3. 11. 1933 im EOK (EZA Berlin 1 / 1142). 61 Rundschreiben Jeep an Mitgliedsverbände DEVVM vom 10. 11. 1933 (ADE Berlin, BP 1436). Allerdings gab Jeep an, die von einer eigenen Kommission im Anschluss an die Tagung erarbeiteten Richtlinien nicht zu kennen (vgl. ebd.). 62 Vgl. Apologetische Centrale, Bericht zur Lage vom 11. 11. 1933 (ADE Berlin, BP 1436). 63 Vgl. Herrmann, Birnbaum, 326 f.; sowie ebd., 330 Anm. 13.
292 Volksmission und die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ 1933–1934 on. Dabei nahm Gerhard Füllkrug eine hervorgehobene Rolle ein, obwohl er mit seiner „Vereinigung für Volksmission“ seit seiner Pensionierung 1932 von Jeep und Künneth relativ erfolgreich aus den Verhandlungen um die Zukunft ausgegrenzt worden war. In den Verhandlungen im Sommer und Herbst 1933 spielte er, soweit aus den Protokollen und Schriftwechseln erkennbar, keine Rolle. Im Dezember 1933 wandte er sich jedoch an den Diakon Artur Schoch, der mit Theodor Wenzel gemeinsam die Volksmission in Brandenburg und die 1933 neu gegründete Bruderschaft „Märkische Volksmission“ leitete. Füllkrug lud Schoch zur Jahreskonferenz der Vereinigung für Volksmission ein, die Anfang Januar im Stift Uchtenhagen bei Berlin stattfinden sollte und erkennbar an den Jahreskonferenzen der Evangelistischen Abteilung vor 1931 orientiert war. Dabei ging es vor allem um eine informelle, geschlossene Besprechung über die Zukunft der Volksmission, wobei laut Tagesordnung vor allem über die Stellung zu den Deutschen Christen und die religiöse Lage in Deutschland gesprochen werden sollte64. Interessant ist die Begründung, die Füllkrug für die Einladung Schochs gab, „daß auch Sie […] mit uns auf demselben Boden des biblisch-reformatorischen Evangeliums stehen“65. Offensichtlich ging es Füllkrug um die Besprechung eines von den Deutschen Christen abgegrenzten Kurses auf der Grundlage einer an Schrift und Bekenntnis orientierten Theologie. Wenzel, Schochs Dienstvorgesetzter, hatte sich auf der Sitzung des DEVVM am 31. Oktober am kritischsten gegen die Vereinnahmung der traditionellen Volksmission durch die DC geäußert; die Brandenburger waren daher gute Ansprechpartner für eine von den DC abgegrenzte Volksmission66. Wenzel und Füllkrug hatten in den 1920er- und 1930er-Jahren nicht immer konfliktfrei zusammengearbeitet. So war Wenzel im Mai 1930 als Repräsentant der Geschäftsführer der Landes- und Provinzialverbände an einer Intrige beteiligt, Füllkrug aus dem Amt des Verbandsvorsitzenden zu drängen67. Dass Wenzel und Füllkrug nun zusammenarbeiteten und dass Füllkrug wieder eine Schlüsselposition in der organisierten Volksmission erlangen konnte, zeigte einen entscheidenden Wandel in den Auseinandersetzungen innerhalb der Volksmissionsbewegung: Die bisherigen Positionsunterschiede und persönlichen Konflikte wurden durch die kirchenpolitischen Streitigkeiten des beginnenden NS-Regimes überlagert, 64 Vgl. Tagesordnung für Uchtenhagen [Dezember 1933] (ADE Berlin, BP 1436). Die Inhalte der Besprechung wurden nicht protokolliert, anders als die Mitgliederversammlung der „Vereinigung für Volksmission“ am 5. 1. 1934 (vgl. Protokoll der Mitgliederversammlung der Vereinigung für Volksmission [ADE Berlin, BP 1428]). 65 Schreiben Füllkrug an Schoch vom 20. 12. 1933 (ADE Berlin, BP 1436). 66 Tatsächlich lassen sich auf einer vermutlich von 1934 stammenden Mitgliederliste von Füllkrugs Vereinigung für Volksmission die Namen Schochs und Wenzels finden (vgl. ADE Berlin, BP 1428). 67 Vgl. Schreiben Rohrdantz an Wenzel am 3. 5. 1930 (ADE Berlin, BP 1435); Schreiben Wenzel an Rohrdantz am 5. 5. 1930 (ADE Berlin, BP 1435); vgl. auch die Analyse der Zusammenstöße in der Darstellung der Volksmission in der Weltwirtschaftskrise oben 242–246.
Der Weg zur Auflösung des Deutschen Evangelischen Verbandes
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und es entstanden neue Allianzen zwischen Füllkrug und den gegenüber den DC kritischen Landesverbänden der IM. Während sich auf diese Weise die Kritiker einer DC-Volksmission um Füllkrugs Vereinigung für Volksmission sammelten, machte Birnbaum bei den DC Karriere. Mitte Dezember 1933 wurde er anlässlich der Umbildung nach dem Sportpalastskandal in die Reichsleitung der gemäßigten (nichtthüringischen) Deutschen Christen aufgenommen und übernahm im April 1934 das Referat Gemeindeaufbau in der Reichskirchenregierung68. Durch die Aussicht auf dieses kirchenleitende Amt war Birnbaum daran interessiert, „mit dem Dachverband auch die gesamte bisherige Volksmissionsarbeit zu übernehmen.“69 Anlass war der Rücktritt Jeeps im März 1934, der wegen eines Rufes auf eine Pfarrstelle in Bremen sein Vorsitzendenamt im DEVVM zur Verfügung stellte. Birnbaum führte für die Zeit bis zu einer geplanten weiteren Vertreterversammlung in Bad Ferch bei Potsdam Ende April 1934 die Geschäfte des Verbandes70. In einem Rundschreiben an die Verbandsmitglieder von Mitte März 1933 machte Birnbaum noch einmal sein Interesse an einer Einordnung des Volksmissionsverbandes in eine neue volksmissionarische Kampagne der Reichskirchenregierung deutlich: „Der endgültige Aufbau wird voraussichtlich in kurzer Zeit beendet sein; erst danach entscheidet sich auch, wie der Verband und seine Arbeit gestaltet werden können.“71 Die Tagung in Ferch fand vom 23. bis zum 26. April 1934 statt. Volker Hermann bezeichnet sie zu Recht als „ein einschneidendes Ereignis in der Geschichte der Vm. [Volksmission, H. B.]“72. Leider sind einige die Fercher Konferenz betreffende Akten verlorengegangen73. Dennoch lassen sich die Ereignisse anhand paralleler Überlieferungen in ihren Grundzügen rekonstruieren74. Neben der Vertreterversammlung der Mitglieder des Verbandes wurden in der Einladung insbesondere Vorträge von Künneth über „Völkische Religiosität“ und von Otto Langmann – einem Kollegen Birnbaums in der Reichsleitung der DC und Schulungsreferent der Reichskirchenregierung – über „Volksmission im Dritten Reich“ angekündigt75. Langmanns Rede gipfelte in dem Anspruch der Deutschen Christen, als Organisation eine Heimat 68 Vgl. Birnbaum, Zeuge, 157 f.; Herrmann, Verhältnis, 18 f. Zu seiner Tätigkeit in der Reichskirchenregierung vgl. auch Scholder, Kirchen, Bd. 2, 181 f. 69 Herrmann, Birnbaum, 328. 70 Vgl. Protokoll Vorstandssitzung DEVVM vom 8. 3. 1934 (ADE Berlin, BP 1436). Jeep schloss sich in Bremen dem Landesbruderrat an (vgl. Bookhagen, Kinderpflege, Bd. 1, 566; zu seinem weiteren Lebenslauf vgl. auch Reinicke, Art. Jeep, 277 f.). 71 Rundschreiben Walter Birnbaum an Mitgliedsverbände DEVVM vom 17. 3. 1934 (ADE Berlin, BP 1436). 72 Herrmann, Verhältnis, 23. 73 Sie wurden in den 1970er-Jahren an Birnbaum ausgegeben und nicht zurückgegeben; vgl. Herrmann, Birnbaum, 330 Anm. 14. 74 Hier ist besonders auf die Forschung von Volker Herrmann zu verweisen; vgl. ebd., 328 f.; sowie Herrmann, Verhältnis, 23–25. 75 Vgl. Einladung Jahreskonferenz des DEVVM in Bad Ferch 23.–26. 4. 1934 (EZA 1 / 1152, 1–9).
294 Volksmission und die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ 1933–1934 für die neu für den Glauben gewonnenen Menschen zu sein und diese dort statt in den Gemeinden zu sammeln76. Der Höhepunkt war jedoch die Vertreterversammlung, auf der die Auflösung des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission beschlossen wurde. Der von Walter Birnbaum stammende Bericht und das Protokoll der Vertreterversammlung versuchten, ein harmonisches Bild der Auseinandersetzungen zu zeichnen77. Die Berichte der Beteiligten weisen jedoch auf eine heftige Auseinandersetzung hin. Beispielhaft seien Füllkrugs aus der Zeit um das Ende des Zweiten Weltkrieges stammende Memoiren zitiert. In seinem Bericht über den Deutschen Evangelischen Verband für Volksmission schrieb er: „Im April 1934 bei einer Tagung in Ferch bei Potsdam wurde er [der DEVVM, H. B.] aufgelöst, nachdem der Stellvertretende Vorsitzende und damalige Oberkirchenrat B. [Birnbaum, H. B.] den Antrag gestellt hatte, den ganzen Verband dem Reichsbischof Ludwig Müller zur Verfügung zu stellen. Darauf erhob sich ein großer Sturm, und wir stellten den Antrag auf Auflösung des Verbandes, was dann sang- und klanglos geschah.“78
Im Protokoll der letzten Vertreterversammlung des DEVVM wird die Schärfe dieser Auseinandersetzung nicht auf die gleiche Weise deutlich79. Hier wird Birnbaum als derjenige dargestellt, der den Vorschlag zur Auflösung erstmalig äußerte, um eine neue Struktur für die Volksmission unter der Ägide der Reichskirchenregierung unter Einbeziehung der bisherigen Organisationen zu erhalten: „Das Wertvolle der bisher geleisteten Verbandsarbeit müsse irgendwie hinübergeführt werden in die neue Arbeit, es müsse der Kirche er76 Vgl. Anon. [Walter Birnbaum], Die Volksmissionskonferenz in Bad Ferch (23.–26. 4. 1934) (EZA Berlin 1 / 1152, 1–6 f.). Zur Verfasserschaft dieses Textes vgl. Birnbaum, Zeuge, 179 f. 77 Vgl. Anon. (Walter Birnbaum), Die Volksmissionskonferenz in Bad Ferch (23.–26. 4. 1934) (EZA Berlin 1 / 1152, 1); Protokoll Vertreterversammlung DEVVM Bad Ferch vom 24. 4. 1934 (ADE Berlin, BP 1436). 78 F llkrug, Enge, Kapitel 10, 7. Auch Birnbaum berichtet in seinen Memoiren von 1973 über Spannungen: „Die Aussprache war so heftig, daß die Konferenz mehrmals auseinanderzubrechen drohte, es bedurfte meiner ganzen langjährigen Erfahrung in Diskussionsleitung, sie zusammenzuhalten“ (Birnbaum, Zeuge, 180). Mit Füllkrugs Memoiren dürfte die versuchte Umfunktionierung des DEVVM durch Walter Birnbaum endgültig belegt sein: Dies hatte bereits Erich Beyreuther vermutet, allerdings keinen Quellenbeleg angegeben (vgl. Beyreuther, Kirche, 242). Volker Herrmann tendierte auf Grundlage der hier ebenfalls herangezogenen Protokolle und Rundschreiben ebenfalls zu dieser These (vgl. Herrmann, Verhältnis, 23–25; Herrmann, Birnbaum, 328 f.). 79 Allerdings bezieht sich das Protokoll auch auf eine offenbar vorangegangene, aber nicht dokumentierte Vorstandssitzung, auf welcher der Beschluss zur Auflösung gefallen sei; vgl. Protokoll Vertreterversammlung DEVVM Bad Ferch vom 24. 4. 1934 (ADE Berlin, BP 1436). Evtl. könnten hier die Gegensätze zum Ausbruch gekommen sein. Auf der Vorstandssitzung im Dienstgebäude des EOK Anfang März 1934 war die Zukunft des Verbandes noch im Unklaren gelassen und auf eine Auflösung vorläufig verzichtet worden, daher kann sie nicht mit der hier erwähnten Sitzung identisch sein; vgl. Protokoll Vorstandssitzung DEVVM vom 8. 3. 1934 (ADE Berlin, BP 1436).
Ausblick: Auseinandergehen und neue Allianzen
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halten bleiben.“80 Den offiziellen Antrag zur Auflösung des Verbandes stellte nach diesem Protokoll ebenfalls Füllkrug81. Insgesamt ist mit Volker Herrmann festzuhalten, dass letztlich „die unterschiedlichen Positionen des Kirchenkampfes auch in der Vmsbewegung [Volksmissionsbewegung, H. B.]“82 das Schicksal des DEVVM besiegelten. Ende Mai 1934 kündigte Birnbaum in einem bezeichnenderweise mit dem Hitlergruß abgeschlossenen Schreiben den Mitgliedsorganisationen die Auflösung des Verbandes an und erklärte das von ihm geleitete Referat im Reichskirchenministerium zum angemessenen Nachfolger: „Ueber die weitere Gestaltung der Volksmissionsarbeit im ganzen lässt sich auch heute noch nichts Endgültiges sagen. Doch teile ich Ihnen mit, dass mein Kommissariat in der Reichskirchenregierung nunmehr beendet ist und ich das Referat für Evangelisation und einige verwandte Zweige der Arbeit endgültig übertragen erhielt. Ich hoffe dadurch dazu beitragen zu können, dass in der künftigen Gestaltung der Arbeit die Erfahrungen, die bei uns gesammelt sind, für die ganze Kirche fruchtbar gemacht werden können. Ich bin Ihnen dankbar, wenn sie mich in dieser Arbeit unterstützen!“83
8.4 Ausblick: Auseinandergehen und neue Allianzen Im Folgenden sollen die Linien der Entwicklungen skizzenartig über den Zeitpunkt der Auflösung des DEVVM im Jahre 1934 hinausgezogen werden. Die verschiedenen Richtungen trennten sich in den Frontstellungen der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen. Birnbaum übernahm 1934 tatsächlich als Referent für Gemeindeaufbau ein Amt, das als Koordinationsstelle der Volksmission gedacht war, und hatte es bis Frühjahr 1935 inne. Allerdings konnte er auch in diesem Amt nur wenig bewirken. Dies lag nicht nur an den turbulenten Auseinandersetzungen des Sommers und Herbstes 193484. Es zeigte sich, dass Birnbaum, der die Wichern-Vereinigung erfolgreich den Rahmenbedingungen der Weimarer Republik angepasst hatte, für eine Verwaltungsaufgabe an hervorgehobener Stelle nur unzureichend befähigt war, zumal er über längere Zeit ohne Sekretariat auskommen musste85. Die be80 Protokoll Vertreterversammlung DEVVM Bad Ferch vom 24. 4. 1934 (ADE Berlin, BP 1436); vgl. auch Herrmann, Birnbaum, 328. 81 ADE Berlin, BP 1436. 82 Herrmann, Verhältnis, 24. 83 Schreiben Birnbaum an Mitgliedsverbände DEVVM vom 18. 5. 1934 (ADE Berlin, BP 1436). 84 So wurden Birnbaum und Langmann nach Streitigkeiten mit Rechtswalter August Jäger im Herbst 1934 zeitweilig beurlaubt; vgl. Meier, Deutschen Christen, 69 f. 85 Doris Bergen beschreibt dies anhand des Zustands der erhaltenen Akten aus Birnbaums Referat sehr anschaulich: „His office deteriorated into disarray; the files contain numerous letters
296 Volksmission und die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ 1933–1934 kannteste Aktivität Birnbaums während seiner Zeit als Oberkirchenrat war sein Versuch, auf der ökumenischen Konferenz in Fanö Ende August 1934 den Kirchen im Ausland die Sicht der Reichskirche nahezubringen. Bei dieser Konferenz waren neben einer reichskirchlichen Delegation um Auslandsbischof Theodor Heckel auch Angehörige der Bekennenden Kirche, vor allem der westfälische Präses Karl Koch und Dietrich Bonhoeffer eingeladen. Der kurzfristig eingeflogene Birnbaum hielt in Fanö einen Vortrag, in dem er mit dem angeblichen religiösen Erwachen des deutschen Volkes im Jahre 1933 den Kurs der Reichskirche zu rechtfertigen versuchte. Der negative Eindruck dieser an den Verhandlungspunkten in Fanö vorbeigehenden Rede wirkte insgesamt eher belastend. Dass es in Fanö nicht zum Bruch zwischen DEK und Ökumene kam, war vor allem der geschickten Verhandlungsführung Heckels zu verdanken86. Der Weg einer Zentralisation der Volksmission in einem reichskirchlichen Amt, wie es bereits der zeitweilige DC-Bischof Joachim Hossenfelder versucht hatte, war 1935 endgültig gescheitert87. Erfolgversprechender war der Versuch einer Sammlung von Einzelpersonen in einer „Arbeitsgemeinschaft deutscher Volksmissionare“. Laut Füllkrug, der bis Kriegsende wiederum die Geschäftsführung dieser Vereinigung übernahm, wurde diese direkt im Anschluss an die Konferenz in Bad Ferch gegründet88. Im Herbst 1934 konstituierte die Arbeitsgemeinschaft sich offiziell im Rahmen der Bekennenden Kirche und wurde auf der 3. Bekenntnissynode in Augsburg als Arbeitsgemeinschaft der bekenntniskirchlichen Vorläufigen Kirchenleitung anerkannt89. An dieser Arbeitsgemeinschaft waren mehrere in dieser Arbeit bereits häufiger genannten Personen beteiligt: Zu den Gründern gehörten neben Füllkrug der bereits nach Stettin gegangene Rendtorff, Kern aus Bayern, der Brandenburger Wenzel und Heimatinspektor Walter Braun von der Berliner Mission90. Durch die Koordination mit der Vorläufigen Kirchenleitung war auch ein enges Verhältnis der Arbeitsgemeinschaft der Volksmissionare zur Apologetischen Centrale garantiert, die wie vor 1932 in einem Dualismus zur Vereinigung der Evangelisten stand91. Erich Beyreuther fasst die soziologi-
86 87 88 89 90 91
hounding him about things he had failed to do, letters he had forgotten or irretrievably misfiled“ (Bergen, Cross, 134). Zur Konferenz in Fanö vgl. Scholder, Kirchen, Bd. 2, 336–345; der Text von Birnbaums Rede ist abgedruckt in Birnbaum, Zeuge, 317–319. Schließlich distanzierte sich nach 1935 sogar die Wichern-Vereinigung von ihrem an die theologische Fakultät Göttingen abgeschobenen ehemaligen Geschäftsführer und orientierte sich an der Bekennenden Kirche; vgl. Herrmann, Verhältnis, 27. Vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 10, 7 f. Vgl. Herrmann, Birnbaum, 329. Vgl. Beyreuther, Kirche, 254 f. Vgl. Herrmann, Birnbaum, 329; zur Beteiligung der Apologetischen Centrale am Diskurs um Volksmission vgl. etwa Künneth, Memorandum über die Volksmission (Evangelisation – Apologetik – Schulung) der Bekennenden Kirche in der gegenwärtigen kirchlichen Lage, Januar 1936 (ADE Berlin, CA / AC-S 356).
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schen und kirchenpolitischen Hintergründe dieser Volksmission der Bekennenden Kirche gut zusammen: „In dieser losen ,Arbeitsgemeinschaft deutscher Volksmissionare‘ flossen drei Ströme volksmissionarischen Dienstes zusammen: Aus der Bekennenden Kirche, aus den intakten Kirchen Bayern, Württemberg, Hannover und aus der Inneren Mission, soweit sie in der Zeit des Kirchenkampfes noch Trägerin volksmissionarischer Aktivität sein konnte.“92
Zusätzlich ist zu bemerken, dass sich in der Arbeitsgemeinschaft und in der volksmissionarischen Kammer der Bekennenden Kirche zum großen Teil bereits in den 1920er-Jahren aktive Volksmissionare zusammenfanden. So blieb Füllkrug, der nach seiner Pensionierung zunächst in der Volksmissionsbewegung marginalisiert worden war, bis zu seinem Tod 1948 Geschäftsführer der Arbeitsgemeinschaft93. Offenbar hatten die durch die Verhältnisbestimmung zum Nationalsozialismus ausgelösten Spannungen die aus den 1920er- und frühen 1930er-Jahren stammenden Animositäten und Konfliktpunkte überlagert. Dies galt nicht nur innerhalb der klassischen Volksmissionsbewegung. Markus Schmidt hat gezeigt, dass in Sachsen sogar die OxfordGruppenbewegung in die Volksmission der Bekennenden Kirche integriert wurde und ihre Arbeitsformen (wie die Evangelisation in Gruppen) mit hineinbrachte94. Dies ist auffällig, da noch 1933 die internationale OxfordGruppenbewegung versucht hatte, Vertreter der DEK – darunter Heinrich Rendtorff und Joachim Hossenfelder – mit englischen Bischöfen in Kontakt zu bringen: zudem pflegte sie eine allgemeine Tendenz zur Neutralität95. Thematisch gelang es der Volksmission in der Bekennenden Kirche ebenfalls, eigene Wege zu gehen. Von 1935 bis 1938 beteiligten sich viele Volksmissionare an den von der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung um Reinold von Thadden-Trieglaff und Eberhard Müller ausgehenden Evangelischen Wochen. Diese verfolgten einen primär apologetischen Zweck. Obwohl sie von expliziten Anhängern der BK verantwortet wurden, sollten kirchenpolitische Auseinandersetzungen aus ihnen herausgehalten werden. Am Ende scheiterten sie an der Entkonfessionalisierungspolitik des NS-Staates96. Eine stärker auf die die Wirkung innerhalb der Kirchengemeinden zugeschnittenes 92 Beyreuther, Kirche, 255. 93 Bedeutsam war für die interne Kommunikation die Zeitschrift „Deutsche Volksmission“, welche als Nachfolgeblatt der „Volksmission“ sowohl für Füllkrugs Vereinigung als auch für die Arbeitsgemeinschaft als Verbandsorgan dienen sollte; vgl. Deutsche Volksmission 11/12.1934, 12. 94 Vgl. Schmidt, Spiritualität, 73–79. 95 Vgl. Abschrift Schreiben Heinrich Rendtorff an Propagandaministerium (EZA Berlin 1 / 1852), Scholder, Kirchen, Band 1, 676 f.; Schjørring, Aufrüstung, 70–80; zu Bonhoeffers Auseinandersetzung mit dieser Bewegung vgl. Zimmerling, Bonhoeffer, 186 f. 96 Vgl. Beyreuther, Kirche, 243–249; Cordes, Christsein; vgl. auch die Biografie Heinrich Rendtorffs oben 96–98.
298 Volksmission und die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ 1933–1934 Konzept waren die ebenfalls ab 1935 durchgeführten Bibelwochen, in denen eine Woche lang zentral ausgesuchte Texte in den Gemeinden besprochen wurden. Die vor allem auf einen mündigen Gebrauch der Bibel und auf die selbstständige Urteilsfähigkeit der Laien hinführenden Bibelwochen waren ein missionarisches Konzept, das zu der die Bekennende Kirche prägenden Gemeindetheologie passte97. Allerdings ergibt es ein zu einfaches Bild, wenn man die Entwicklung volksmissionarischer Konzepte in der NS-Zeit nur anhand der Brüche herausarbeitet. Auch in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre war die kirchenpolitische Entwicklung bekanntlich nicht statisch. Neben den Trennungen zwischen den Thüringern und den gemäßigten Deutschen Christen sowie den Verwerfungen zwischen „Dahlemiten“ und gemäßigten Lutheranern, die sich in unterschiedlichen Programmen widerspiegelten, gab es besonders in der kirchenpolitischen Mitte immer wieder Ideen zur Überwindung der Kirchenspaltung durch gemeinsame volksmissionarische Aktionen98. Besonders im Zusammenhang mit der Reichskirchenausschusspolitik strebte Ellwein im Auftrag Zoellners mit der „Volkskirchlichen Arbeitsgemeinschaft“ eine von der kirchenpolitischen Mitte ausgehende Überwindung des „Kirchenkampfes“ an, die sich durch volksmissionarische Aktivitäten äußern sollte99. Gegenüber dem Anspruch auf eine gemeinsame Koordination der Volksmission durch die Reichskirchenausschüsse betonte 1936 Künneth in einem Gutachten die Eigenständigkeit der bekenntniskirchlichen Volksmission und erklärte eine Kooperation mit den DC für unmöglich100. Dennoch gab es auch bei den Volksmissionaren in der Arbeitsgemeinschaft immer wieder eine Tendenz in die Mitte. So verließ Rendtorff in Pommern die radikale Linie der Bekennenden Kirche, als er gegen das Votum Bonhoeffers und seiner theologischen Schüler in Finkenwalde eine Legalisierung der illegalen Vikare der Bekennenden Kirche durch das pommersche Kirchenregiment befürwortete, um ihren Dienst für die Gesamtkirche fruchtbar zu machen101. Vermutlich aus ähnlichen Motiven unterstützte Füllkrug im März 1937 den Aufruf der Gruppe um den Berliner Pfarrer Walther Streckenbach, die sich gegen eine kompromisslose Ablehnung des Kirchenregiments in der Altpreußischen Union wandte102. 97 Vgl. Toaspern, Arbeiter, 117–133; zu den Bibelwochen vgl. Beyreuther, Kirche, 254–256. 98 Zu der sehr gut organisierten und auch in anderen Landeskirchen erfolgreichen Propaganda der Thüringer DC vgl. Bçhm, Deutsche Christen, 113–118. 99 Zu Ellwein vgl. oben 134–136. 100 Vgl. Walter Künneth, Memorandum über die Volksmission (Evangelisation–Apologetik–Schulung) der Bekennenden Kirche in der gegenwärtigen kirchlichen Lage (Januar 1936; ADE Berlin, CA / AC-S 356). 101 Vgl. Bethge, Bonhoeffer, 97. 102 Vgl. Boberach / Nicolaisen / Pabst, Handbuch, Bd. 1, 252. Zur Gruppe Streckenbach siehe auch Gailus, Protestantismus, 606–610. Aus dem Aufruf entstand eine landeskirchliche Konferenz, die im Namen der kirchenpolitischen Mitte agierte (vgl. Meier, Kirchenkampf, Bd. 3, 181–183). Zur Haltung Füllkrugs siehe auch den biografischen Abriss oben 64–66.
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Auch der CA versuchte sich schließlich mehr und mehr in der Mitte zu halten. Jochen Christoph Kaiser hat den Weg des Gremiums anschaulich geschildert: Im Verlauf der Eingliederungspolitik hatte sich im Herbst ein großer Teil der eher der Bekennenden Kirche zugeneigten protestantischen Verbände in der „Arbeitsgemeinschaft der diakonischen und missionarischen Verbände“ vereinigt103. Nachdem Themel Ende 1934 aus seinem Amt als Präsident herausgedrängt worden war und sich Schirmacher nach und nach einer mittleren Linie öffnete, konnte der Central-Ausschuss im „Kirchenkampf“ eine neutrale Haltung einnehmen. Garant dafür war der neue Präsident Constantin Frick, der zwar theologisch auf einer Linie mit der Arbeitsgemeinschaft war, aber in allen politischen Belangen stark seine Regimetreue betonte104. Im Einzelnen war dieser Kurs nicht konfliktfrei. Gerade um die Apologetische Centrale gab es wiederholt Kontroversen. Künneth wollte diese weiterhin unabhängig halten und hielt sich zum lutherischen Flügel der Bekennenden Kirche. In der Auseinandersetzung um Alfred Rosenbergs „Mythus des 20. Jahrhunderts“ setzte er sich außerdem in einer breit rezipierten publizistischen Kontroverse mit einem wichtigen Funktionär des NS-Regimes auseinander. Dies wurde von vereinsprotestantischen Vertretern kritisiert, obwohl Künneth der NS-Ideologie weit entgegenkam und dezidiert nicht politisch argumentierte105. Mit der Volksmission, die Hagen im Rahmen der AC praktizierte, gab es solche Probleme nicht: Vielmehr ist auffällig, dass Hagen seit 1936 in einem beträchtlichen Maße im Ausland Dienst tat. Im Auftrag von Auslandsbischof Heckel unternahm er Evangelisationsreisen in die Deutsche Evangelische Kirche in Jugoslawien und nach Rumänien106. In seinem Bericht über eine Teilnahme an einer Tagung zum Auslandsdeutschtum stellte er diese Aufgabe in den Kontext einer politischen und religiösen Stärkung der dortigen Minderheiten im Sinne des Regimes: „[…] es sollte von Seiten der Kirche und des Central-Ausschusses eine Verbindung mit dem deutschen Auslandsinstitut und damit mit der Auslandsorganisation der NSDAP gesucht werden, um künftige Arbeiten im Ausland zum Segen für Kirche und Volk tun zu können.“107 103 Vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 307–315. Auch die Arbeitsgemeinschaft deutscher Volksmissionare schloss sich schnell an (vgl. Deutsche Volksmission 11/12. 1935, 12 f.). 104 Vgl. Kaiser, Sozialer Protestantismus, 309–316. 105 Vgl. zum Kurs der Apologetischen Centrale im NS-Staat Pçhlmann, Kampf, 204–218. Zur Auseinandersetzung Künneths mit Rosenberg vgl. Iber, Glaube, 45–93; sowie jetzt Breitschwerdt, Theologisch konservativ, 371–375. 106 Vgl. Korrespondenz mit dem Kirchlichen Außenamt in: ADE Berlin, CA / EvA 128. Hagens Evangelisationsberichte aus Jugoslawien analysiert Wild, Kirche, 253–270. 107 Willy Ernst Hagen, Bericht über die Teilnahme an der 20. Jahrestagung des deutschen Auslands-Instituts in Stuttgart, 11.–15. 8 1937 (ADE Berlin, CA / EvA 128). Die Bedeutung des Volksmissionsgedankens ab 1935 und den Einfluss der Diskussion über die Diaspora beschreibt Brunner, Volkskirche, 215–220 (3.4.4).
300 Volksmission und die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ 1933–1934 Als daher die Apologetische Centrale Ende 1937 aufgelöst wurde, versuchten die Leiter des CA die Arbeit Hagens im Rahmen des Central-Ausschusses fortzuführen, wobei auch Theodor Wenzel an diesen Verhandlungen beteiligt war108. Nach einigen Verwerfungen war damit die Volksmission wieder stärker an die Innere Mission herangerückt, wahrscheinlich aus Sorge um mangelnden Rückhalt gegenüber Angriffen des Regimes. Diese Konstellation eines lockeren Verbandes, der durch repräsentative Einzelpersonen die wichtigsten volksmissionarischen Werke zusammenfasste, prägte auch die Zeit nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges: Im Jahr 1946 gründete sich in der Tradition der seit 1934 bestehenden Arbeitsgemeinschaft die „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“, die sich wiederum als Fachgruppe dem Central-Ausschuss anschloss. Die personelle Kontinuität war dadurch gewährleistet, dass zunächst bis 1948 Gerhard Füllkrug und für die nächsten drei Jahre Schweitzer die Geschäftsführung der Arbeitsgemeinschaft übernahmen und Rendtorff bis in die 1960er-Jahre ihr Vorsitzender blieb109. Alle Zentralisierungsvorhaben waren an dem pluriformen Charakter der volksmissionarischen Organisationen und ihrem Unabhängigkeitsstreben gescheitert. Dennoch blieb trotz der zeitweiligen Verwerfungen in den 1930erJahren die Verbindung zwischen Innerer Mission und Volksmission fest. Auch die durch die Verwerfungen des „Kirchenkampfes“ bedrohte Verbindung zwischen Volksmission und Central-Ausschuss konnte wieder etabliert werden. Diese Strukturentscheidungen prägen noch heute das Verhältnis des Werkes für Diakonie und Entwicklung und der jetzigen Arbeitsgemeinschaft Missionarischer Dienste.
108 Vgl. Besprechung der Denkschrift „Ueber die zukünftige Gestaltung der Volksmission“ von Pastor Hagen (ADE Berlin, DEVVM 4). Hagen blieb tatsächlich im Dienst des CA; siehe unten 305. 109 Vgl. B rend, Blick, 88–97. Auch inhaltlich organisierte die Arbeitsgemeinschaft für Volksmission mit Bibelwochen und Evangelischen Wochen in der Tradition von aus den 1930erJahren stammenden Veranstaltungsformen; vgl. Beyreuther, Kirche, 262.
C) Volksmissionarische Praxis an ausgewählten Beispielen
9. Protagonisten Nachdem für den Zeitraum der 1920er- und 1930er-Jahre theoretische und programmatische Ansätze der Volksmission betrachtet wurden und anhand der Evangelistischen Abteilung des Central-Ausschusses und des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission die Organisationsgeschichte dargestellt wurden, soll nun ein Einblick in die Praxis erfolgen. Auch hier soll die Tätigkeit der Volksmissionare des Central-Ausschusses unter der Leitung Gerhard Füllkrugs bis 1931 beispielhaft für die Gesamtarbeit der Volksmission stehen. Das hat vor allem pragmatische Gründe: Im Archiv des Diakonischen Werkes befinden sich umfangreiche Schriftwechsel Gerhard Füllkrugs mit seinen Volksmissionaren, in denen diese über ihre Erfahrungen im evangelistischen Dienst berichteten. Hinzu kommen Arbeitsberichte und ab 1926 schematisierte Berichtbögen, in denen neben Vortragstiteln auch Besucherzahlen von Evangelisationsvorträgen und Bibelstunden sowie die Zahl derer, welche die Sprechstunden des Evangelisten in Anspruch nahmen, aufgeführt sind1. Hier werden vorrangig die Arbeitsberichte und der Schriftverkehr mit den beiden langjährigen Volksmissionaren Willy Ernst Hagen (Volksmissionar der Inneren Mission von 1920 bis 1941, danach wurde er provisorischer Geschäftsführer des Central-Ausschusses) und Johannes Hölzel (Volksmissionar von 1920 bis 1930) herangezogen. Diese beiden Volksmissionare konnten schon durch ihre lange Dienstzeit eine beträchtliche Erfahrung in der Durchführung von Evangelisationen gewinnen. Einblicke in die Evangelisationsarbeit finden sich auch bei dem vorrangig für die Landkonferenzen mit ostelbischen Adeligen zuständigen Fritz v. Engel, der vor allem im Winter auch Evangelisationswochen veranstaltete. Wenig ergiebig war der Schriftverkehr Füllkrugs mit Wilm, der in seiner Zeit als Volksmissionar von 1930 bis 1932 vorrangig Freizeiten mit Angehörigen der nationalen Verbände veranstaltete2. Ergänzt werden die Berichte der Volksmissionare durch den Schriftverkehr mit den Veranstaltern von Volksmission, die ein Schlaglicht auf die Vorstellungen von Pfarrern und Gemeindekirchenräten werfen und zeigen, was diese sich von der Veranstaltung einer Volksmissionswoche erhofften und wie sie die Ergebnisse deuteten. Zudem waren Hölzel und Hagen Mitarbeiter in dem unter dem Titel „Vom Werk des Glaubens“ neu herausgegebenen „Handbuch der Volksmission“, wo sie spezielle Artikel zur praktischen Gestaltung einer Volksmissionswoche verfassten, in die ebenfalls praktische Erfahrungen mit 1 Vgl. Berichtbögen der Volksmissionare (ADE Berlin, CA / EvA 142). 2 Vgl. ADE Berlin, CA / EvA 135.
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einflossen3. Problematisch an dem im Archiv des Diakonischen Werkes gesammelten Schriftgut ist allerdings, dass keine Sicht auf die Rezipienten, die einfachen Besucher der Volksmissionswoche, evtl. auch die „Angesprochenen“, im Glauben „Erweckten“ oder zu einem stärkeren Engagement in der Gemeinde gebrachten Besucher möglich ist4. Auch eine Darstellung der immer wieder thematisierten organisierten Polemik von Freidenkern während derartiger Veranstaltungen ist, abgesehen von vereinzelt archivierten Zeitungsausschnitten aus der Freidenkerpresse, nur aus Sicht der Volksmissionare möglich5. Hier wäre eine weitere Forschungsarbeit, die auch die Publikationsorgane der Freidenker und evtl. für eine regionale Studie Kirchengemeindearchive miteinbezieht, wünschenswert. Bevor die Tätigkeit der Volksmissionare des CA näher dargestellt wird, sollen diese zunächst vorgestellt werden. Dabei ist es unmöglich, aus diesem kleinen Pool Schlussfolgerungen zur Anziehungskraft des Evangelistenberufes oder zur sozialen Herkunft der Evangelisten zu ziehen6. Diese kurze biografische Darstellung dient also eher dazu, den Evangelisten, deren volksmissionarisches Wirken im folgenden Teil betrachtet wird, ein Gesicht zu geben. Daher liegt der Schwerpunkt auf den hauptamtlichen und längerfristig mit der Evangelistischen Abteilung des Central-Ausschusses verbundenen Evangelisten. Die verschiedenen nebenamtlichen Volksmissionare werden nur ansatzweise berücksichtigt. Dazu sollen anhand der biografischen Beispiele auch Wege in den Dienst der Volksmission exemplarisch vorgestellt werden, ohne damit verbindliche sozialgeschichtliche Aussagen treffen zu können. Der erste vom Central-Ausschuss im Herbst 1919 eingestellte Volksmissionar, Willy Ernst Hagen, wurde 1885 in Eberswalde geboren7. Er war nach dem Besuch der Diakonenanstalt und des Seminars der Basler Mission im Juli 1914 als Missionar nach Togo ausgereist. Sein Weg nach Afrika wurde allerdings durch den Ausbruch des Ersten Weltkrieges unterbrochen. Nach kurzer Internierung durch die Briten in Afrika und in England wurde er 1915 nach Deutschland entlassen und leistete zunächst drei Jahre Kriegsdienst an der Westfront. 1918 wurde er als Militärpfarrer berufen und hatte bis zum Frühjahr 1919 eine Stelle als Divisionspfarrer inne, die allerdings durch die Demobilisierung des deutschen Heeres obsolet wurde8. Hagens Berufung zum Volksmissionar steht exemplarisch für die Schwierigkeiten der Heidenmissionsgesellschaften, nach dem Verlust ihrer Missi3 Vgl. F llkrug, Werk, 108–131. 4 Eine Ausnahme bildet u. a. ein in Kopie vorliegender, laut Auskunft des Volksmissionars Hagen in verschiedenen Versammlungen vorgelesener Brief eines während einer Volksmissionswoche „erweckten“ ostpreußischen Fischers (ADE Berlin, CA / EvA 125). 5 Vgl. Vom Tage: Gott helfe mir, Zeitungausschnitt (ADE Berlin, CA / EvA 142). 6 Laut Erich Beyreuther gab es deutschlandweit insgesamt etwa 50 hauptamtliche Volksmissionare; vgl. Beyreuther, Kirche, 225. 7 Lebenslauf Hagens in: Wischnath, Kirche, 445. 8 Vgl. Sitzung Kommission für Volksmission am 16. 10. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 276).
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onsfelder in den ehemaligen deutschen Schutzgebieten und in den Kolonien der Kriegsgegner eine adäquate Beschäftigung für ihre Missionare zu finden. Da die Heidenmissionare nur über eine seminaristische Ausbildung verfügten, lehnten die Kirchenbehörden eine reguläre Beschäftigung als Pfarrer in der Regel ab. Als Tätigkeitsgebiete kamen neben der Beschäftigung im Heimatdienst (d. h. Predigten auf Missionsfesten und für die Heidenmission werbende Vorträge) vor allem Pfarrstellen in deutschen Auslandsgemeinden und die herkömmlichen Arbeitsfelder der Inneren Mission oder – als mögliches neues Betätigungsfeld – der Aufbau der Volksmission infrage9. Hagen blieb auch nach der Umstrukturierung des Central-Ausschusses 1931 als Mitarbeiter der Apologetischen Centrale im Rahmen der Inneren Mission beschäftigt10. Er hielt nach 1932 vor allem Schulungskurse für Laien ab und übernahm längerfristige Vertretungen in vakanten Gemeinden im Osten des Deutschen Reiches11. In der Endphase des Zweiten Weltkrieges, als die meisten anderen Vereinsgeistlichen eingezogen worden waren, übernahm er sogar die Geschäftsführung des gesamten Central-Ausschusses. Auch nach 1945 blieb er bis zu seinem Tod 1952 im Rahmen des Central-Ausschusses als Verbandsgeistlicher der Inneren Mission an leitender Stelle aktiv12. Hagen hatte also den Übergang vom Missionar über die Volksmission zum Funktionär der Inneren Mission geschafft und scheint in der Endphase seines Wirkens auch innerhalb der Inneren Mission als ein regulärer Verbandsgeistlicher und nicht mehr als ein bloß seminaristisch ausgebildeter Missionar betrachtet worden zu sein. Bereits vor Hagen war Johannes Hölzel als Volksmissionar im Gespräch. Füllkrug hatte schon in der letzten Phase des Ersten Weltkrieges Gespräche mit verschiedenen erfahrenen Evangelisten aufgenommen, die er gerne für den Central-Ausschuss gewinnen wollte. Samuel Keller, einer der ersten deutschen hauptamtlichen Evangelisten, lehnte es wegen seines Alters und seiner Gewöhnung an eine eigenständige Evangelisationstätigkeit ab, in den Dienst der Inneren Mission zu treten. Walter Michaelis, der von 1906 bis 1908 als freier Evangelist gewirkt hatte, lehnte einen Ruf des CA ab, da er seine Gemeinde in Bielefeld nicht verlassen wollte. Auch Ernst Modersohn blieb 9 Lehmann, Missionaries. Lehmann kommt bei einem die Positionierung der größeren Missionsanstalten einbeziehenden Vergleich zu dem Ergebnis, dass für das Interesse der Heidenmissionsgesellschaften an Volksmission neben der pragmatischen Entscheidung zur Unterbringung der Missionare in einem sicheren und auskömmlichen Arbeitsfeld auch nationalprotestantische Motive ausschlaggebend waren: „[…] the Christian rebirth of Germany had priority over any other aim“ (ebd., 244). 10 Sitzung Elferausschuss vom13. 11. 1931 (ADE Berlin, CA 1957-II, 63). 11 So 1933 für drei Monate in der Gemeinde Flötenstein direkt an der polnischen Grenze (vgl. Bericht Pfarrer Hagen, Sept. 1933 [EZA Berlin 1 / 1146]). Die Arbeit Hagens nach 1931 wird im Folgenden anhand seiner Pfarrvertretungen in der Grenzmark Posen-Westpreußen beschrieben. Zur Beschäftigung Hagens ab 1932 in der Apologetischen Centrale vgl. auch Pçhlmann, Kampf, 114. 12 Vgl. Wischnath, Kirche in Aktion, 445.
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lieber als Evangelist im Rahmen der Gemeinschaftsbewegung aktiv13. Alle diese Männer waren ordinierte Geistliche, die allerdings in der Gemeinschaftsbewegung oder als eigenständige Evangelisten aktiv waren und nicht in einem regulären Pfarrdienstverhältnis standen. Da sie ausfielen, richtete man den Blick auf Hölzel, der als Berliner Pfarrer im Kontakt mit dem Central-Ausschuss stand. Hölzel wurde 1877 in Berlin geboren und starb 1943 in Wuppertal. Er wuchs in Berlin auf und studierte dort. Nach einer kurzen Tätigkeit als Reiseprediger für die „Gesellschaft zur Verkündigung des Evangeliums“, die sich speziell der Evangeliumsverkündigung unter Katholiken widmete, wurde er im Jahre 1904 in Berlin ordiniert und diente bis 1920 als Hilfsprediger und Pfarrer in den Gemeinden Emmaus und Ölberg in Kreuzberg. Er war bereits im Mai 1918 als möglicher evangelistischer Berufsarbeiter im Gespräch14 und gehörte seit 1919 der Kommission für Volksmission an15. Im Jahre 1919 starb seine Frau, während er an einer Evangelistenkonferenz in Uchtenhagen teilnahm16. Die Mitarbeit im Rahmen der Kommission für Volksmission war von Anfang an mit der Aussicht verbunden, ihn als Volksmissionar zu beschäftigen: „Für Hölzel spricht, dass er, nachdem seine Frau heimgerufen ist, frei ist und dass er schon längst den Wunsch hegt, Berufsevangelist zu werden.“17 Hölzel war zunächst vor allem mit der Organisation der Volksmission auf öffentlichen Plätzen Berlins beschäftigt18. Bald jedoch hielt er wie Hagen reichsweit volksmissionarische Vorträge. Hölzel trat nicht aus einer äußeren Notlage heraus in den Dienst der Volksmission. Er kam aus einem gesicherten Pfarramt, und der Evangelisationsdienst scheint für ihn ein innerer Ruf gewesen zu sein. Seine theologische Position wird in einem Vortrag, den er 1919 auf einer Evangelistenkonferenz des Central-Ausschusses hielt, deutlich19. In diesem Vortrag vertrat er deutlich eine Entscheidungstheologie und betonte die Bedeutung der Bekehrung als Willensentschluss des Menschen: „Buße und Glauben sind also gar nicht voneinander zu trennen, denn sie sind nur die beiden Seiten der Entscheidung
13 Vgl. F llkrug, Enge, Kapitel 10, 4 f. 14 Vgl. Protokoll Besprechung über Volksmission vom 31. 5. 1918 (ADE Berlin, CA / EvA 2, 151, 5). 15 Vgl. Sitzung Kommission für Volksmission am 19. 3. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 292). 16 Zum Lebenslauf Hölzels vgl. Fischer, Pfarrerbuch, Bd. 2.1, 353. Weitere Hinweise finden sich in der Pfarrerdatei des Archivs der Evangelischen Kirche im Rheinland, Düsseldorf. Einen Auszug aus dieser Datei machte freundlicherweise Ulrich Dühr zugänglich. 17 Sitzung Kommission für Volksmission am 11. 9. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 280). 18 Er wurde zum Vorsitzenden der auf Allianzgrundlage arbeitenden Arbeitsgemeinschaft für Volksmission in Groß-Berlin gewählt (vgl. Protokoll der Versammlung betreffend Evangelisation im Freien in Gross-Berlin am Sonnabend den 17. April 1920 [ADE Berlin, CA / EvA 96, 17, 5]). 19 Hçlzel, Menschen. Zur Konferenz im Bibelhaus Malche vom 24.–27. Juli 1919 vgl. Sitzung CA am 9. 9. 1919 (ADE Berlin, CA 94, 19).
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für Jesus.“20 Hölzel forderte eine christuszentrierte Verkündigung: „Wir predigen zu viel Dogmatik und zu wenig Jesus!“21 Auch die von Vertretern der Volksmission seit Hilbert immer wieder propagierte Notwendigkeit einer erwecklichen Predigt nahm er auf22. Diese Forderungen verbanden sich in einer betont christozentrischen Botschaft, einer auf Christus allein beruhenden Heilsgewissheit, welche nach Hölzel das Proprium der evangelistischen Verkündigung ausmachen musste23. Hölzels Theologie nahm also in ihrer Christozentrik und der Betonung des Glaubens als einzige Grundlage des Heils reformatorische Anliegen auf. Zugleich vertrat sie aber mit ihrem Akzent auf die Hingabe des Herzens und mit der Betonung einer menschlichen Willensentscheidung eine Erweckungstheologie, wie sie auch die Gemeinschaftsbewegung pflegte24. Bei Hölzel verband sich diese theologische Grundhaltung mit der Mitarbeit im Weißen und im Blauen Kreuz. Diese beiden kirchlichen Vereine, die sich mit der Bekämpfung von „Unsittlichkeit“ bzw. mit der Bekämpfung des Alkohols und der Propagierung des Abstinenzgedankens befassten, waren wesentlich von einer erwecklichen Grundhaltung geprägt und auch organisatorisch eng mit der Gemeinschaftsbewegung und dem Christlichen Verein Junger Männer verflochten25. Hölzel bezeichnete in einem internen Schreiben von 1924 das Engagement im Blauen und im Weißen Kreuz als wesentliche Vorbereitung und Hilfe für seinen evangelistischen Dienst26. Hölzel kann also als ein durch eine erweckliche Theologie geprägter Pfarrer bezeichnet werden, für den der Beruf als Evangelist eine innere Berufung war. Die Prägung durch eine neupietistische, der Gemeinschaftsbewegung nahen Theologie und durch die auf christlicher Grundlage operierenden lebensreformerischen Ideale der Blau- und Weißkreuzarbeit wurde bei Hölzel durch eine tendenziell arbeiterfreundliche Haltung ergänzt, die ihn mehrfach zu öffentlichen Stellungnahmen kommen ließ, die von seinen Arbeitgebern nicht gutgeheißen wurden. Auch bei diesen Stellungnahmen wurde seine theologische Prägung deutlich. Kritik erregte beispielsweise ein offener Brief Hölzels, in den Bergbaugebieten das Gebet vor dem Beginn des Tagewerkes wieder einzuführen: „Seitdem aber der kaufmännische Sinn auf der einen Seite nach dem Grundsatz: ,Zeit ist Geld‘ das Morgengebet als einen Geldverlust ansieht und auf der andern 20 21 22 23
Hçlzel, Menschen, 10. Ebd., 11. Ebd., 4. Ebd., 11. Auch gegenüber einer betonten Sakramentstheologie gab sich Hölzel reserviert; so verneinte er zwar eine sündenvergebende Wirkung des Abendmahls, würdigte es aber als „Mittel zur Befestigung der Heilsgewissheit“ (ebd., 16). 24 So war Hölzel wie auch Gerhard Füllkrug Mitglied der Pfarrergebetsbruderschaft; vgl. Schreiben Karl Immer an Füllkrug vom 30. 5. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 25 Vgl. Scharpff, Geschichte, 276 f. 26 Vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug vom 1. 4. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 125).
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Seite die Agitation das Morgengebet als eine wertlose Zeremonie verlästert, ist es als überflüssig abgeschafft worden. Ob der erzielte Gewinn angesichts der ungeheueren Katastrophen in den letzten zehn Jahren sehr groß gewesen ist, ist doch sehr zweifelhaft.“27
Dieser offene Brief hatte dadurch eine erhöhte Brisanz, dass Hölzel den Eindruck erweckte, im Namen der gesamten Inneren Mission zu sprechen28. Auch sonst mahnte Hölzel in seinen Predigten und Evangelisationen soziale Missstände oft direkt an. So kam es 1927 bei einer Volksmission im Sudetenland zum Eklat, als er das Gleichnis vom Großen Abendmahl (Lk 14,16–24) aktualisierte und darin auch die überwiegend nationalsozialistischen Fabrikanten des Ortes ansprach, die sich daraufhin massiv gegen seine Evangelisation wandten. Hölzel kommentierte in seinem Arbeitsbericht das Verhältnis der Fabrikanten zu ihren überwiegend sozialistischen und kommunistischen Arbeitern kritisch: „Die Erbitterung ist ungeheuer, die Herren Fabrikanten ahnen nicht, daß sie auf einem Vulkan sitzen, und als ich es ihnen sagte, wurden sie böse.“29 Durch seine Stellungnahmen zu sozialen Problemen und sein Engagement für den Abstinenzgedanken wurde Hölzel auch im Rahmen des CentralAusschusses immer wieder kritisiert, wie auf einer Sitzung der Kommission für Volksmission im Februar 1927: „mehrere Herren der Kommission nehmen an der Einstellung des Pastor Hölzel der Arbeiterschaft gegenüber und an der einseitigen Stellungnahme dem Alkoholismus gegenüber Anstoss.“30 Hölzel hatte ohne Zweifel eine Einstellung zur sozialen Frage, die den alten Eliten gegenüber kritischer war als die Mehrheitsmeinung unter den Funktionären der Inneren Mission. Allerdings bedeuteten seine Stellungnahmen keine bedingungslose Solidarisierung mit der Arbeiterbewegung31. Seine politischen Stellungnahmen ließen sich eher als Versuch beschreiben, christliche Gerechtigkeitsvorstellungen im konkreten sozialen Leben zu verwirklichen, ohne dass er eine ausgefeilte politische Programmatik vertrat32. Einen großen Stellenwert nahm in Hölzels politischem Denken der Begriff der Volksge27 Johannes Hölzel, Volksmissionar des Zentralausschusses für Innere Mission in Deutschland in Königsteele, Offener Brief an die Zechenbesitzer und Bergarbeiterverbände [Zeitungsausschnitt] (ADE Berlin, CA / EvA 126). 28 Füllkrug schrieb dazu, dass Hölzel bedenken solle „dass Du nicht nur der Privatmann Johannes Hölzel, sondern der Volksmissionar des C.A. bist“ (Schreiben Füllkrug an Hölzel vom 3. 6. 1925 [ADE Berlin, CA / EvA 126]). 29 Schreiben Hölzel an Füllkrug vom 9. 6. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 30 Sitzung Kommission für Volksmission am 9. 2. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 163). 31 Allerdings bezeichnete Hölzel auch mit ihm diskutierende Jungkommunisten als lohnenswertes Ziel volksmissionarischer Arbeit: „Es lohnt sich, Zeit und Kraft diesen lieben jungen Brüdern zu widmen“ (Im Kampf um die Seele unseres Volkes: Bilder aus der Braunschweiger Arbeitermission, Juni 1930 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). Insgesamt überwiegen aber kritische Kommentare zu den Arbeiterparteien. 32 Diese politische Einstellung entspricht der Programmatik des stark von Gemeinschaftsleuten und Freikirchlern geprägten Christlich-sozialen Volksdienst (CSVD); vgl. Opitz, Volksdienst.
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meinschaft ein, die durch die Volksmission, die das Volk zu Gott rufe, gestärkt werde: „Je mehr sein [Gottes, H. B.] Ruf beachtet wird, um so mehr werden die Gegensätze, die unser Volk zertrennen, ausgeglichen und die Volksgemeinschaft auf dem Boden der Gottesgemeinschaft hergestellt.“33
Hölzel nannte Volksmission „das wirksamste Mittel zur Gestaltung der Volksgemeinschaft“34. Durch die Annahme der Evangeliumsverkündigung würden nämlich die regionalen und sozialen Gegensätze ausgeglichen und würde eine stärkere Gemeinschaft unter dem Wort Christi entstehen. In diese Beschwörung einer unter dem Wort Gottes geeinten Volksgemeinschaft war auch Hölzels Kritik an sozialen Ungerechtigkeiten eingebunden, die er allerdings teilweise mit antijüdischer Polemik verband35. An seinem Bericht über eine 1930 in Insterburg abgehaltene Volksmissionswoche, bei der aufgrund der Auseinandersetzung mit völkischen und nationalsozialistischen Kreisen das Verhältnis zum Alten Testament Thema war, wird deutlich, dass Hölzel gängige antisemitische Stereotype teilte: „Es würde zu weit führen, über den Einfluß des jüdischen Geistes auf die Arbeiterbewegung in den letzten 100 Jahren zu reden, seine zersetzende Wirkung kennen wir alle.“36 Dabei thematisierte er in Anlehnung an Stoeckers Antisemitismus einen Unterschied zwischen den angeblich nicht von ihm abgelehnten frommen Juden und den verweltlichten Juden, die er als Träger des Materialismus und damit als Gefahr für das deutsche Volk bezeichnete: „Ich zeigte den Hörern den Unterschied zwischen dem echten Israeliten, in dem kein Falsch ist, und dem Judas, dessen Gott der Mammon ist und der seinen und seiner Brüder Seelen verkauft um schnöden Gewinns willen.“37
Hölzel differenzierte hier in einer Weise, die an Stoecker erinnert. Dieser unterschied zwischen den angeblich von seinem Antisemitismus nicht getroffenen frommen Juden, die an Jerusalem hingen, und den in der „Jerusalemer Straße“ in Berlin konzentrierten säkularisierten Juden, welche Träger des Geistes des Materialismus seien38. Er verbreitete aber eindeutig den an33 Hölzel, Jenseits der Mainlinie, handschr. Bericht über eine Evangelisation in Frankfurt/Main Februar 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 34 Ebd. 35 „Jesu Klage: Wehe euch Reichen! Gilt nicht nur den reichen Juden sondern auch den reichen Christen, wenn ihre ganze Beteiligung am kirchlichen Leben in der mehr oder weniger willigen Zahlung der Kirchensteuer besteht“ (ebd.). 36 Hölzel, Die Judenfrage in der Volksmission (Volksmission in Insterburg Mai 1930), handschr. Bericht (ADE Berlin, CA / EvA 142). 37 Ebd. 38 Oft zitiert wurde eine Äußerung Stoeckers von 1879: „Aber davon wissen die nichts, die im modernen Judentum eine Rolle spielen; sie wohnen lieber in der Jerusalemerstraße [im Berliner Geschäftsviertel, H. B.] als in den Straßen von Jerusalem“ (Stoecker, Reden, 147). Zu Stoeckers Antisemitismus vgl. Engelmann, Kirche. Allerdings zeigt Engelmann, dass Stoecker trotz
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tisemitischen Topos vom Juden als Wucherer, hier mit dem Verweis auf Judas. Dieser Antisemitismus nahm allerdings, soweit aus dem herangezogenen Quellenmaterial deutlich wird, keinen großen Raum in der Verkündigung Hölzels ein. Dennoch wird durch derartige Vorträge deutlich, wie stark antisemitische Stereotype die Protagonisten der Volksmission prägten. Im Jahre 1930 verließ Hölzel den Central-Ausschuss, um in Barmen in den Dienst der Stadtmission zu treten. Auch in Wuppertal erhielt er Widerstand wegen seiner prononciert arbeiterfreundlichen Haltung, die von den rheinischen Pfarrern als Spielart der Theologie des social gospel, „eines Amerikanismus in der Auffassung vom Kommen des Reiches Gottes“39, verstanden wurde. Nach 1933 positionierte sich Hölzel als Pfarrer der lutherischen Gemeinde Wuppertal-Wichlinghausen deutlich aufseiten der Bekennenden Kirche. So verweigerte er 1938 den Eid auf Hitler und erhielt nach der Wichlinghauser Gemeindechronik in seiner Gestapo-Akte einen Vermerk „der NS-Bewegung ablehnend gegenüber zu stehen“40. Ein in dieser Chronik zitiertes Schreiben Hölzels zeigt, wie er seine Haltung zur Bekennenden Kirche mit einem volksmissionarischen Impetus verband und sich dabei gegenüber dem Nationalsozialismus kritisch äußerte: „Eins aber trennt mich von der NSDAP. Von maßgebenden Vertretern der Partei wurde § 24 des Parteiprogramms so ausgelegt, daß der Nationalsozialismus das wahre Christentum sei. An die heilige Schrift als Urkunde der Offenbarung Gottes gebunden, bekenne ich, daß Christentum die persönliche Bindung an den für die Sünden der ganzen Welt gekreuzigten und von Gott durch die Auferstehung zum Herrn und Richter aller Menschen erhöhten Jesus Christus, den einzigen Sohn Gottes, ist. Für diesen meinen Herrn und König meine deutschen Volksgenossen zu gewinnen, ist das Ziel meiner Arbeit… Daraus ergibt sich meine Einstellung zum Führer und zum Staat. Ich bete für ihn um Gottes Gnade und um Weisheit und Kraft, das Volk nach Gottes Willen zu regieren, bin aber durch Gottes Willen gebunden, seine Befehle zu prüfen, ob sie dem Willen Gottes entsprechen…“41
Hölzels Nachfolger Walter Wilm hatte jedoch eine andere theologische Prägung. Wilm hatte sich bereits im Frühjahr 1930 an den Central-Ausschuss mit der Anfrage gewandt, ob für ihn eine Stelle in der Volksmission zur Verfügung stehe42. Er wurde 1893 als Sohn des Unternehmers Werner Wilm geboren. Das Studium der Theologie an der Berliner Friedrich-Wilhelm-Universität wurde durch Kriegsdienst an der Westfront und eine mehrjährige Kriegsgefangen-
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gelegentlicher Unterscheidungen zwischen altgläubigen und säkularisierten Juden „keineswegs bereit ist, den orthodoxen Juden größere Rechte einzuräumen oder ihnen auch nur mehr Verständnis entgegenzubringen als den – meist assimilierten – Reformjuden“ (ebd., 117). Schreiben Immer an Füllkrug, 30. 5. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Helmich, Gemeinde, 182; zur Eidesverweigerung vgl. ebd., 177. Zitiert nach ebd., 182 f.; Auslassungen durch Vorlage. Leider ist Fundort und Datum dieses Schreibens in der Gemeindechronik nicht angegeben. Sitzung Kommission für Volksmission, 12. 8. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 30).
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schaft in Frankreich unterbrochen. Nach seiner Rückkehr bestand er die theologischen Examina und wurde nach mehrjährigem Pfarrdienst in brandenburgischen Gemeinden 1928 zum kurmärkischen Provinzialjugendpfarrer berufen43. In der Jugendarbeit setzte er sich für die Zusammenarbeit mit den nationalen Jugendverbänden besonders ein. So bekam er Kontakte zu den großen Organisationen der konservativen Republikgegner, etwa zum Stahlhelm und zur Vereinigung der vaterländischen Verbände (VVD), zu denen er auch durch seine Mitgliedschaft in der Deutschnationalen Volkspartei eine innere Nähe bekundete44. Wilms von Christoph Weiling ausgewerteter Briefwechsel mit Kaiser Wilhelm II. zeigt, dass er ein eindeutiger Anhänger der Restauration der Hohenzollernmonarchie war. Auch für seine kirchenpolitischen Ambitionen berief er sich in einem Schreiben vom 26. Januar 1931 auf Anregungen des Kaisers, die dieser bei einem Besuch Wilms auf Schloss Doorn im Mai 1930 gegeben hatte: „Eure Majestät geruhten … zu bemerken, daß auch der Glaubensstreit mit der gleichen Energie geführt werden müsse, wie der Kampf mit Bajonett und Handgranate.“45 In die altpreußische und später die deutsche Kirchenpolitik trat Wilm 1930 ein, als er gemeinsam mit seinem Vater Werner Wilm, Bruno Doehring, dem Deutschnationalen und späteren Widerständler Ewald von Kleist-Schmenzin und anderen die Christlich-deutsche Bewegung gründete, die erstmals am 15. November 1930 auf einer Versammlung der Vereinigten Vaterländischen Verbände öffentlich auftrat46. Christoph Weiling hat in seiner umfassenden Monografie gezeigt, wie diese vor allem auf die Sammlung von Eliten setzende Bewegung zwischen einer politischen Unterstützung der rechten Forderungen im Rahmen der Kirche und einer Mission an den nationalistischen Organisationen schwankte: „Man bewegte sich zwischen einer unreflektierten religiösen Weihe des Nationalismus und echter Volksmission, die evangelische Grundeinsichten vermittelte, indem sie das nationale Bekenntnis ihres Publikums als Anknüpfungspunkt nahm, es christlich interpretierte und dadurch die drohende pseudoreligiöse Aufladung des Nationalgefühls in echte gottgebundene Frömmigkeit zu verwandeln suchte.“47
Auffällig ist, dass Wilm sich zur gleichen Zeit um seine Anstellung im Rahmen der Inneren Mission bemühte, in der er auch die Christlich-deutsche Bewegung mit aufbaute. Es liegt nahe, in seinen Bemühungen um ein Amt im Rahmen der Volksmission die Suche nach einer Stelle zu sehen, die nicht nur mit dem volksmissionarischen Impetus der Christlich-deutschen Bewegung 43 Vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 276. 44 Vgl. Weiling, Bewegung, 28. Die hier vorgenommene Charakterisierung Wilms stützt sich weitgehend auf Weiling. 45 Zitiert nach ebd., 86; Auslassung durch Vorlage. 46 Vgl. Weiling, Bewegung 15 f. 47 Ebd., 128.
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konvergierte, sondern ihm auch die Möglichkeit bot, sich auf den Aufbau der neuen Bewegung zu konzentrieren48. In einem Schreiben an Füllkrug im Zuge der Berufungsverhandlungen nannte er als Grund für sein Interesse auch den Gesichtspunkt, „daß gerade in der heutigen Lage eine solche Arbeit nicht aus materiellen Gründen in die Nähe politischer Hörigkeit rücken darf“49. Wilm hatte also auch ein Interesse daran, gegenüber den Angehörigen der nationalistischen Bewegungen eine gewisse Unabhängigkeit zu behalten, um eine organisatorische Basis für die CdB aufbauen zu können. Sein bisheriger Dienstvorgesetzter, Generalsuperintendent Otto Dibelius, beurteilte die Aussichten in einem Schreiben von 1932 jedoch sehr skeptisch, wofür er vor allem die Fähigkeiten Wilms verantwortlich machte: „In der Veranstaltung solcher Besprechungen liegt die eigentliche Stärke von Pfarrer Wilm. Die Fähigkeit, den Ertrag solcher Besprechungen organisatorisch fruchtbar zu machen, ist bei ihm in sehr viel geringerem Grade entwickelt. Die Christlich-deutsche Bewegung wird sich nach meinem Dafürhalten nur in sehr bescheidenen Grenzen entwickeln.“50
Auch vonseiten des Central-Ausschusses war man sich bei der Berufung Wilms bewusst, „dass er die Arbeit nicht in der von Hölzel begonnenen Art und Weise weiterführen wird.“51 Die Einstellung Wilms wurde aber auf einer Sitzung mit den angeblich durch ihn erreichbaren offenen Türen begründet: „Es besteht die Hoffnung, durch die Arbeit von Pfarrer Wilm Eingang bei Kreisen zu finden, die weder von der Kirche, noch von der Gemeinschaft noch von den Volksmissionaren des C. A. bisher erreicht wurden.“52
Natürlich konnte im Rahmen der Inneren Mission auch eine Berufung auf den Gründervater nicht fehlen: „Es ist ein Weg Wicherns, der hier beschritten wird.“53 Aus diesem Grund wurde Wilm im Oktober 1930 durch ein Schreiben Seebergs in seiner Eigenschaft als Präsident des Central-Ausschusses offiziell als Volksmissionar berufen und es wurde ihm explizit ein besonderes Arbeitsfeld zugewiesen: „Es wird Ihre besondere Aufgabe sein, das Evangelium den vaterländischen Verbänden und völkischen Kreisen, sowie der vaterländischen aber auch marxistischen Jugend zu verkündigen, und die geeigneten Wege dafür zu suchen.“54
48 Weitere Belege zu der engen Verbindung, die Wilm zwischen seiner volksmissionarischen Arbeit und dem Aufbau der Christlich-deutschen Bewegung zog; vgl. ebd., 117 f. 49 Schreiben Wilm an Füllkrug, 22. 7. 1930 (zitiert nach: ebd., 113). 50 Schreiben Otto Dibelius an EOK am 6. 10. 1932 (zitiert nach: Ebd., 245). 51 Sitzung Kommission für Volksmission am 12. 8. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 31). 52 Ebd., 31. 53 Ebd., 32. 54 Abschrift Schreiben Seeberg an Wilm vom 22. 10. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 124).
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Wilm unternahm daher während seiner Anstellung im Central-Ausschuss keine klassische Evangelisationsarbeit, sondern hielt kleinere Kurse und Gesprächsgruppen mit Angehörigen der vaterländischen Verbände und Interessierten ab55. Unterschiede zwischen Wilm und Hölzel lassen sich auch in der theologischen Prägung finden. So konstatierte die Kommission auf einer Sitzung im August 1930 die Gefahr, durch einen Wechsel von Hölzel zu Wilm bestimmte Gruppen ihrer Unterstützer zu verlieren, welche besonders durch die Arbeitsweise Hölzels angesprochen worden seien: „Die Gemeinschaftskreise stellen sich auch in den einzelnen Gemeinden hinter die Volksmission und die Verbindungen zu ihnen dürfen nicht abgebrochen werden.“56 Während in Hölzels theologischen Äußerungen neben seiner betont arbeiterfreundlichen Haltung immer wieder eine Nähe zur Gemeinschaftsbewegung deutlich wurde, finden sich solche Stellungnahmen bei Wilm nicht. Seine Theologie war eher durch ein konservatives Luthertum gekennzeichnet57. Das heißt allerdings nicht, dass nicht auch Wilm den Sinn seiner Verkündigung in einem Ruf zum Glauben und zu einer Entscheidung für Jesus Christus deutete. In einer Osterandacht, die im Blatt der Deutschen Adelsgenossenschaft veröffentlicht wurde, betonte er die Notwendigkeit einer persönlichen Ergriffenheit durch die Botschaft von der Auferstehung Jesu: „Ob in Deutschland Menschen wach werden, die wirklich mit letzter Inbrunst glauben an den lebendigen Gott, – das ist die Schicksalsfrage, die Gott selbst uns vorlegt.“58 Für Wilms Verkündigung wesentlich war zudem die Berufung auf die Schöpfungsordnungen, die er – typisch für deutsche nationalprotestantische Vorstellungen – mit einer auf dem Narrativ der preußisch-deutschen Sendung basierenden Geschichtstheologie verband: „Der Schöpfer hat es geordnet, daß wir als Deutsche geboren wurden. Darum sollen wir den Osterglauben zunächst und vor allem im Dienst am deutschen Volk bewähren. Und wir werden gerade dadurch den besten Dienst an den anderen Völkern der Erde leisten.“59
Dieser positive Bezug auf Nation und Volkstum nahm in der Verkündigung Wilms eine so starke Rolle ein, dass es während seiner Anstellung im CentralAusschuss wiederholt zu Beschwerden kam. Als er 1931 auf der Tagung einer 55 Vgl. Wilm, Arbeit. 56 Sitzung Kommission für Volksmission am 12. 8. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 32). 57 Deutlich wird dies beispielsweise in seiner Ablehnung menschlicher Hybris und von Tendenzen zur Selbsterlösung: „Wir wissen, daß all unser menschliches Tun unter dem Gericht steht und unter der Vergänglichkeit“ (Reichsbote 59/155, 30. 6. 1931, Beilage „Kirche und Schule“, 1 [zitiert nach: Weiling, Bewegung, 110]). Zur Theologie der Protagonisten der christlichdeutschen Bewegung vgl. auch ebd., 94–112. 58 Walter Wilm, Ostern, Deutsches Adelsblatt 49.14 / 4. 4. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 54). Zur Bedeutung des Gedankens der Schöpfungsordnungen für Wilm vgl. auch Weiling, Bewegung, 35 f. 59 ADE Berlin, CA / EvA 135, 54.
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von der Deutschnationalen Volkspartei abgespaltenen Kleinpartei laut einem Zeitungsbericht „sich zu den heiligen Aufgaben der Deutschvölkischen Freiheitsbewegung [dieser Partei, H. B.] gegen die überstaatlichen Gewalten offen bekannte“60; deutete der Berliner Generalsuperintendent Karow das als Zeichen für eine Nähe Wilms zur „Deutschkirche“61, die mit ihrem völkisch interpretierten Christentum und ihrer radikalen Ablehnung des Alten Testamentes zu dieser Zeit noch eine Extremposition im Rahmen des deutschen Protestantismus einnahm62. In seinen publizistischen Äußerungen setzte sich Wilm allerdings deutlich von der Deutschkirche ab63. Sein Anspruch war, in seiner Verkündigung dem reformatorischen Bekenntnis treu zu bleiben. Trotzdem spielten nach der Analyse Christoph Weilings die Schöpfungsordnungen in der Verkündigung eine so große Rolle, dass seine Position „auf eine Bestätigung des nationalen Konservatismus hinaus[lief, H. B.], wenn dieser nur von der Vergötzung des Volkstums absah“64. In Abgrenzung zu Heinrich Rendtorff, dem Weiling eine reflektiertere Stellung zu den nationalistischen und völkischen Organisationen attestiert, sieht er Wilms Position darin begründet, dass dieser „zunächst für den politischen Konservatismus optierte und dies erst in einem zweiten Schritt ,christlich‘ begründete“65. Die theologischen Positionen Wilms waren auch für seinen Weg in der NSZeit bedeutsam. Nach seiner Entlassung im Zuge der Neuordnung des CentralAusschusses im Frühjahr 1932 wurde er Pfarrer des kleinen Ortes Dolgelin in der Neumark. Er widmete weiterhin einen großen Teil seiner Zeit dem Aufbau der Christlich-deutschen Bewegung, stellte aber den Kontakt zur Inneren Mission vollständig ein66. Nach Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft schloss sich Wilm den Deutschen Christen an und wurde 1934 für kurze Zeit Mitglied des deutschchristlich dominierten Konsistoriums der Rheinprovinz und gleichzeitig kommissarischer Gauobmann der rheinischen „Reichsbewegung Deutsche Christen“67. In dieser Position vertrat er weiterhin Ziele, die bereits seine Tätigkeit in der Volksmission und die Richtung der Christlichdeutschen Bewegung geprägt hatten. In den unter seiner Ägide im August
60 Zeitungsausschnitt aus „Deutsche Nachrichten“ (ADE Berlin, CA / EvA 135, 128). 61 Albert von Graefe, der Vorsitzende der Deutsch-Völkischen Freiheitsbewegung, hatte eine inhaltliche Nähe zur Deutschkirche; vgl. Weiling, Bewegung, 110 Anm. 511. 62 Vgl. Schreiben Karow an Seeberg, 7. 10. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 127). Zur inhaltlichen Position des Bundes für Deutsche Kirche vgl. Nowak, Kirche, 247–250. 63 Vgl. Weiling, Bewegung, 35. 64 Ebd., 174. 65 Ebd., 173. Weiling charakterisiert die Position Wilms durch eine exklusive Betonung des ersten Artikels, während Rendtorff ein stärkeres Gewicht auf den zweiten und dritten Artikel legen würde. Beide seien allerdings durch eine starke Rezeption Luthers verbunden; vgl. ebd., 172–176. 66 Vgl. ebd., 249 f. 67 Vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 276.
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1934 beschlossenen Richtlinien zur Gemeindegruppenarbeit der rheinischen DC heißt es zu den Zielen der Bewegung: „[…], dass sie [die evangelische Kirche, H. B.] Volkskirche werde in des Wortes umfassender Bedeutung, wie einst zu Luthers Zeit, Kirche des Evangeliums zum ganzen deutschen Volk hin in all seinen Schichten und Ständen, im Bekenntnis der Väter gegründet aber gegenwartsnah und wirklichkeitstreffend.“68
Auch im Rahmen der Deutschen Christen vertrat Wilm also die Forderung nach einer inhaltlichen Vertiefung der deutschchristlichen Bewegung im Sinne einer auf die ganze Kirche gerichteten Missionsarbeit. Seine starke Bezugnahme auf Luther und das kirchliche Bekenntnis lassen erkennen, dass er zu den radikalen Deutschen Christen mit ihren Forderungen nach einer völkischen Umdeutung des Christentums weiterhin Distanz wahrte. Das wurde 1935 deutlich, als Wilm im Zuge der Befriedungsmaßnahmen des Reichskirchenministers Hanns Kerrl Mitglied des Reichskirchenausschusses wurde69. Zoellner, der selbst nie den Deutschen Christen oder der Bekennenden Kirche beigetreten war, scheint in Wilm einen geeigneten Mitarbeiter für die Pazifizierung der Deutschen Evangelischen Kirche durch die Sammlung einer breiten kirchlichen Mehrheit gesehen zu haben. Er beschrieb im Dezember 1937, als das Scheitern der Kirchenausschusspolitik bereits absehbar war, in einem Brief an Wilm die Zielsetzung, die er mit den Kirchenausschüssen verband: „Ich hatte von Anfang an die Linie, daß ich die Radikalen auf beiden Seiten [der Deutschen Christen und der Bekennenden Kirche, H. B.] abstoßen und aufgrund des Bekenntnisses einen Block der Mitte schaffen wollte.“70
In der Tat vertrat auch Wilm auf öffentlichen Kundgebungen die Notwendigkeit einer Sammlung der Mitte. Auf einer Tagung einer Arbeitsgemeinschaft deutschchristlicher Pfarrer in Halle, die sich in Opposition zu dem dortigen Provinzialkirchenausschuss befanden, hielt er am 10. Februar 1936 eine Rede, in der er gleich die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen zu einer Bedrohung für die Möglichkeit einer Regeneration der Volkskirche erklärte: „Ich glaube, daß die Zeit, in der wir noch optieren können, ob wir eine volksumspannende Kirche wollen oder nicht, nicht mehr lange befristet sein wird.“71 Wilm betonte die Notwendigkeit einer Einigung, da die kirchenpo68 Zitiert nach Weiling, Bewegung, 320. 69 Bereits 1931 hatte sich der spätere Präsident des Reichskirchenausschusses Wilhelm Zoellner lobend über Wilms Arbeit im CA geäußert; vgl. Schreiben Füllkrug an Wilm nach Schloss Oels, 13. 1. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 135, 89). Siehe auch die Analyse der politischen Radikalisierung der Volksmission ab 1929, v. a. oben 256–271. 70 Schreiben Zoelllner an Wilm, 25. 12. 1936 (zitiert nach: Philipps, Zoellner, 143). 71 Schmidt, Dokumente, Bd. 2, 358. Anlass dieser Versammlung waren Machtkämpfe in der sächsischen Kirchenprovinz zwischen dem der Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen
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litische Auseinandersetzung nicht mehr dem aktuellen Stand der kirchlichen Lage entspreche: „Die Fronten in der evangelischen Kirche sind falsch geworden. Sie sind nicht mehr zeitentsprechend. Die BK hatte einmal ein wichtiges Wächteramt über unaufgebbare Angelegenheiten der Kirche. Dafür müßten auch die DC dankbar sein. […] Der Kampf der BK um die Sicherung des reformatorischen Erbes findet Zustimmung. Die Sorge der DC um den wirklichen Einbruch dieses Erbes in unser Volk findet ebenfalls unser Verständnis. Heute haben sich die Gruppen verkrustet. Im Grund genommen sind sie eigentlich schon tot, sie haben nur vergessen, sich begraben zu lassen.“72
Als drohende Alternative verwies Wilm auf die Protagonisten der Entkonfessionalisierungspolitik, die sich seit 1935 immer stärker innerhalb des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates manifestierte: „Es gibt doch Kräfte in Deutschland, die gegen den Willen des Führers und seines Kirchenministers das Christentum in die Ecke drängen wollen.“73 Laut Wilm würde ein Weitergehen der kirchenpolitischen Auseinandersetzungen diesen Kräften in die Hände spielen: „Die Taktik dieser christentumsfeindlichen Gruppen ist darauf abgestimmt, die Radikalisierung der kirchlichen Flügelgruppen voranzutreiben.“74 Aus diesem Grund warnte Wilm davor, sich der staatlichen Versöhnungspolitik zu verweigern und malte das drohende Ende der kirchlichen Privilegien an die Wand, wobei er wohl vor allem die bekenntniskirchliche Opposition gegen die Kirchenausschusspolitik im Auge hatte: „Vielleicht kommt es dann zur Winkel- und Katakombenkirche.“75 Wilm thematisierte also durchaus Gefahren, welche der Kirche durch die von Teilen des nationalsozialistischen Herrschaftsapparates propagierte Entkonfessionalisierungspolitik drohen konnten. Dennoch sah er insgesamt im NS-Staat, wie schon durch sein Bekenntnis zu Hitler und dem Reichskirchenminister deutlich wurde, den Garanten für eine Lösung des Konfliktes: „Wir sollten dem Staat dankbar sein, daß er noch einmal den Weg großer Güte beschritten hat.“76 Durch diese Hilfe des Staates – und ebenso erzwungen durch das Damoklesschwert der Entkonfessionalisierungspolitik – sei ein Ausgleich zwischen den Parteien des Kirchenkampfes möglich: „Ein Totalsieg des Bruderratgedankens bedeutete ebenso das Ende der Kirche wie ein eindeutiger Sieg der DC.“77 Aus einer Lösung der kirchenpolitischen Auseinandersetzung sah er dagegen Ansätze zu einer religiösen Erneuerung hervorgehen: „Die wirk-
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zuneigenden Bischof Friedrich Peter und dem dortigen Provinzialkirchenausschuss (vgl. Onnasch, Macht, 179–188). Schmidt, Dokumente, Bd. 2, 359. Ebd. Ebd. Ebd., 360. Ebd. Ebd., 361.
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liche Entscheidung fällt erst dort, wo die Gemeinde von morgen sichere Gestalt gewinnt, wo die Hader überwindende Kraft lebendig ist.“78 Als Leitbild diente Wilm, wie schon in seinen Äußerungen aus der Endphase der Weimarer Republik, die Reformationszeit: „Es liegt uns an der Wahrung der geschichtlichen Kontinuität mit dem aus der Zeit der Reformation gewordenen Kirchentum. Mit der Tat der Reformation ist uns die bekenntnismäßige Grundlage der Kirche gegeben.“79
Wilm vertrat also das Programm der Kirchenausschüsse und distanzierte sich auch von den radikalen Deutschen Christen80. Allerdings wurde auch immer wieder deutlich, dass er sich innerhalb des Reichskirchenausschusses als Vertreter der Deutschen Christen sah. Daher wurde in seiner Rede immer wieder eine Abgrenzung von der Bekennenden Kirche deutlich. Bezeichnenderweise war der wesentliche Vorwurf, den er gegen die Bekennende Kirche erhob, dass diese durch ihre Verweigerung einer Einigungslösung und durch ein von ihr veranstaltetes „Ketzer- und Irrlehrengericht“81 die Deutsche Evangelische Kirche spalten würde, wogegen er die Notwendigkeit einer Einigung der Volkskirche betonte. Auffällig ist, dass er sich bei seiner Forderung nach einer paritätischen Zusammensetzung der Kirchenausschüsse aus Bekennender Kirche, neutraler Mitte und Deutschen Christen auf den Willen des von Hitler legitimierten Reichskirchenministers berief: „Der Grundsatz der Parität muß allerdings durch die Ausschüsse gewahrt bleiben, sonst haben sie das Anliegen des Ministers verraten.“82 Die Wahrnehmung der teilweise antikirchlichen Politik im NS-Regime brachte ihn also nicht zu einer grundsätzlichen Distanzierung, er war weiterhin eindeutig loyal zum NS-Staat. Nach dem Scheitern der Reichskirchenausschüsse ging Wilm 1938 als Pfarrer in die deutschchristlich dominierte Pommersche Provinzialkirche83. Offensichtlich überstand er ohne Probleme die innerkirchliche Selbstreinigung und wurde 1950 Superintendent des Kirchenkreises Greifswald. In der beginnenden DDR vertrat Wilm den Standpunkt des 1935 ebenfalls in der Kirchenausschusspolitik hervorgetretenen Greifswalder Bischofs Karl von Scheven: Die Pfarrer in der Greifswalder Kirchenregion versuchten, wie in der gesamten DDR, die Volkskirche zu bewahren und übten zumindest in den 1950er-Jahren eine strikte Abstinenz gegenüber Vereinnahmungsversuchen durch die SED. So lehnten Wilm und Scheven eine Beteiligung an einem 78 Ebd., 360. 79 Ebd., 359. 80 Er sprach die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft, die teilweise der Thüringer Kirchenbewegung Deutsche Christen zuneigten, direkt an: „Ich rate Ihnen, sich sehr gründlich zu überlegen, ob Sie die vom Vertrauen des Ministers eingesetzten Ausschüsse sabotieren wollen. Es kommt uns auf ein halbes Dutzend Superintendenten und Konsistorialräte nicht an“ (ebd., 360). 81 Ebd., 359. 82 Ebd., 360. 83 Vgl. Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 276.
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Friedenskomitee ab, wofür das Regime sie gerne gewonnen hätte84. Anders als gegenüber dem NS-Regime waren die politischen und kirchlichen Vorbehalte gegenüber der SED-Diktatur offenbar stark genug, um Wilm von Stellungnahmen, wie er sie in der Zeit der Reichskirchenausschüsse abgegeben hatte, abzuhalten. Insgesamt wird bei Wilm deutlich, dass er weit stärker als sein Vorgänger Hölzel die Volksmission als ein Mittel zur Wiederherstellung der völkisch verstandenen Volksgemeinschaft betrachtete und dass sein Engagement durch eine politische Motivation mitbedingt war. Während Hölzel durch eine neupietistische, an der Gemeinschaftsbewegung orientierte Frömmigkeit geprägt war, ist bei Wilm aus seinen theologischen Äußerungen eher eine Orientierung an der Lutherrenaissance und der nationalen „politischen Theologie“ von Althaus und Hirsch zu diagnostizieren. Eine besondere Bedeutung nahmen bei ihm die Schöpfungsordnungen ein, welche die Grundlagen für die Verbindung von Ruf zum Glauben und konservativer politischer Option bildeten. Diese Betonung der Schöpfungsordnungen und seine politischen Hoffnungen auf den Nationalsozialismus waren es, die ihn 1933 zu den Deutschen Christen brachten und dieses Engagement auch über das Jahr 1933 hinausreichen ließen. Andererseits war die Berufung auf Luther und auf das reformatorische Bekenntnis bei Wilm stark genug, um ihn davon abzuhalten, sich einer radikaleren Richtung der DC anzuschließen. Diese Prägung ließ ihn später zum Befürworter von Einigungsbestrebungen der kirchlichen Mitte werden. Neben diesen drei Volksmissionaren mit einer theologischen Ausbildung gab es auch mehrere nebenamtlich beschäftigte Volksmissionare. Einige von ihnen hatten eine theologische Ausbildung, wie der nordschleswigsche Pfarrer Peter Andreas Petersen, der nach der Abtrennung seiner Heimat für Deutschland optierte. Dieser war nach dem Ende des 1. Weltkrieges in das von seiner Verwandten Cäcilie Petersen geleitete gemeinschaftsnahe Diakonissenmutterhaus Salem in Lichtenrade gezogen und hatte sich dem CentralAusschuss als nebenamtlicher Volksmissionar zur Verfügung gestellt85. Petersen wurde 1921 für mehrere Monate angestellt, allerdings ohne Versicherungen und Versorgungsansprüche. Diese Anstellung wurde unter der Maßgabe vollzogen, dass er baldmöglichst wieder in ein Pfarramt kommen sollte86. Hier war eine feste Anstellung also zumindest teilweise eine Notlösung, um den Unterhalt des Pfarrers zu sichern. Hier ist eine Parallele zu der Über-
84 Vgl. Matthiesen, Greifswald, 610 f. 85 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission, 13. 10. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 257). Füllkrug unterstützte Petersen bei der Suche nach einer Sonderpfarrstelle für Gefängnis- bzw. Krankenseelsorge, woran deutlich wird, dass sein Engagement als Evangelist nur als zeitweiliges gedacht war (vgl. etwa Schreiben Füllkrug an Petersen, 27. 9. 1923 [ADE Berlin, CA / EvA 125]). 86 Sitzung Kommission für Volksmission, 2. 3. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 250).
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nahme von Missionaren, die nicht ins Ausland ausreisen konnten, in die Volksmission erkennbar. Daneben traten auch mehrere Laien in den Dienst der Evangelistischen Abteilung des Central-Ausschusses87. Die Überwindung einer bloß auf die Geistlichen fixierten Kirche und die Einbeziehung von begabten Laien in die missionarische Verkündigung waren Forderungen, die von Vertretern der Volksmission immer wieder formuliert wurden88. Die meisten von ihnen waren nur kurzzeitig im Dienst89. So waren die Bemühungen, einen Evangelisten zu finden, der selbst aus dem Arbeiterstand stammte und sich speziell an Proletarier wenden konnte, von keinem bleibenden Erfolg gekrönt. Beispielsweise wurde 1927 Ludwig Haas, ein ehemaliger Kommunist, auf Probe angestellt90. Haas blieb lediglich zwei Jahre im Dienst des Central-Ausschusses und wurde dann zunächst Mitarbeiter im CVJM91. Kurz darauf allerdings kehrte Ludwig Haas der evangelistischen Arbeit ganz den Rücken und engagierte sich wieder für die Arbeiterbewegung. Diese Erfahrung bot allgemeinen Anlass zu einer stärkeren Vorsicht, was Evangelisten mit proletarischer Herkunft betraf92. Als wesentlich erfolgreicher galten dagegen die für den Landadel veranstalteten Sommerkonferenzen. Fritz von Engel, der für dieses Arbeitsfeld verantwortlich war, blieb daher ab 1920 in regelmäßiger Verbindung zum CA. Engel war ein mecklenburgischer Adeliger und hatte während seines Jurastudiums in Rostock 1897 nach Vorträgen von Heinrich Witt, einem Reisesekretär der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung (DCSV), ein Bekehrungserlebnis. Daraufhin schloss er sich der gerade entstehenden Ortsgruppe der DCSV an. Aus dieser Zeit stammte seine enge Bekanntschaft mit dem Evangelisten Hans Berg, der ebenfalls in der DCSV aktiv war93. Gemeinsam mit Berg war Engel, der als Kammerherr und Landrat in den Dienst des Landes Mecklenburg-Neustrelitz trat, eine treibende Kraft beim Aufbau 87 Auffällig ist, dass im Rahmen des Central-Ausschusses kein Diakon mit Aufgaben der Volksmission betraut wurde. Die Diakone verfügten über eine grundlegende theologische Ausbildung, waren von ihrer geistlichen Herkunft her oft erwecklich geprägt und konnten kostengünstiger als Pfarrer beschäftigt werden. Zudem wurde in der Verbandspresse der Diakone und auf ihren Verbandstagungen immer wieder die stärkere Einbeziehung der Volksmission als Arbeitsfeld für Diakone gefordert (vgl. H usler, Dienst, 83). Im Brandenburger Provinzialausschuss für Innere Mission konnte etwa der aus dem Johannesstift in Spandau stammende Diakon Artur Schoch als langjähriger Mitarbeiter der Volksmission die Arbeit wesentlich prägen (vgl. Artur Schoch, Die volksmissionarische Bedeutung der Diakonie, Memorandum an die Kirchenkanzlei der DEK, um 1933 [EZA Berlin 1 / 1145]). 88 Vgl. etwa Jacquemar, Mitarbeit. 89 Eine Aufstellung der betreffenden Personen in Gerhardt, Jahrhundert, Bd. 2, 263. 90 Zu Haas: Sitzung Kommission für Volksmission am 9. 2. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 164); Sitzung Kommission für Volksmission am 12. 4. 1927 (ebd., 160); Sitzung Kommission für Volksmission am 7. 7. 1927 (ebd., 156). Beyreuther nennt Haas einen „früheren sozialdemokratischen Redakteur“ (Beyreuther, Kirche, 225). 91 Sitzung Kommission für Volksmission am 4. 2. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 90). 92 Vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug o. D. [1931] (ADE Berlin, CA / EvA 142). 93 Vgl. Berg, Befehl, 53 f.
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der mecklenburgischen Gemeinschaftsbewegung, was nicht von allen seinen adeligen Standesgenossen gutgeheißen wurde94. Auch sein Engagement für den Aufbau eines Bibelkränzchens für höhere Schüler in Rostock traf auf erheblichen Widerstand95. Nach der Revolution von 1918 wurde die noch weitgehend landständische Verwaltung in Mecklenburg grundlegend reorganisiert, wobei Engel sein Amt als Landrat verlor und die evangelistische Tätigkeit zu seinem neuen Lebensinhalt machte. Er organisierte die an den ostelbischen Adel gerichteten Landkonferenzen; daneben gehörten auch reguläre Evangelisationen zu seinem Aufgabenfeld96. Engel blieb bis 1932 dem Central-Ausschuss verbunden, er arbeitete dann in Füllkrugs neu gegründeter „Vereinigung für Volksmission“ mit und führte die bisherige Arbeit der Landkonferenzen weiter97. Als erfolgreich galt auch die Anstellung von zwei Frauen als Volksmissionarinnen. Hermine Hardt wurde 1922 für Evangelisationen und Nacharbeit unter jungen Mädchen und Frauen eingestellt. Sie arbeitete ähnlich wie die männlichen Volksmissionare, war aber in ihrer Tätigkeit auf Frauenkreise konzentriert, aus denen dann oft Verbände der Frauenhilfe entstanden; ihre Einsätze – vor allem in Mecklenburg, Ostpreußen und Pommern – waren meistens mit den zuständigen Landes- und Provinzialverbänden der Inneren Mission koordiniert. In Arbeitsberichten wird immer wieder die besondere Beliebtheit betont, die ihre Vorträge in Frauenkreisen hätten98. Befürchtungen zu ihrer Einstellung, „ob ihre Stellung zu den Adventisten und Pfingstleuten nüchtern genug sei“99, bestätigten sich nicht. Sie scheint aber ebenfalls durch eine erweckliche Frömmigkeit geprägt worden zu sein. Nachdem ihr 1931 im Gefolge der Devaheim-Krise vom Central-Ausschuss gekündigt wurde, blieb sie in der von Füllkrug gegründeten Vereinigung für Volksmission weiterhin als Volksmissionarin in ihren bisherigen Arbeitsgebieten tätig100. Als zweite weibliche Mitarbeiterin wurde 1925 auf Betreiben Schweitzers die Deutschbaltin Dora Hasselblatt angestellt. Sie sollte speziell Evangelisati94 „[…] aber die Spitzen der Verbände in Mecklenburg lehnten meine Mitarbeit [in der Christlich-deutschen Bewegung, H. B.] ab, weil ich von früher her – vor 17 Jahren! – durch Mitarbeit in der ,Gemeinschaftsbewegung‘ belastet sei“ (Schreiben Engel an Füllkrug am 5. 11. 1931 [ADE Berlin, CA / EvA 122]). 95 Vgl. Brandenburg, Anfänge, 69; eine Kurzbiografie Fritz v. Engels ebd., 334. 96 Vgl. Schreiben Füllkrug an Engel am 10. 8. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 121). 97 Protokoll Mitgliederversammlung Vereinigung für Volksmission vom 5. 1. 1931 (ADE Berlin, BP 1428, 3). 98 Zur Einstellung vgl. Sitzung Kommission für Volksmission vom 13. 6. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 229); zu ihrer Arbeit: Die Arbeit der Volksmission 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 14, 187); Schreiben Rohrdantz (PAfIM Mecklenburg) an Füllkrug (ADE Berlin, CA / EvA 144); Schreiben Pfarrer Sommer (Königsberg) an CA vom 15. 11. 1926 (ebd.); Schreiben des Pfarrers von Greiffenhagen (Pommern) an DEVVM vom 20. 11. 1926 (ebd.). 99 Pfarrer Petersen auf der Sitzung der Kommission für Volksmission vom 10. 4. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 231). 100 Protokoll Mitgliederversammlung Vereinigung für Volksmission vom 5. 1. 1931 (ADE Berlin, BP 1428, 3).
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onsarbeit an Gebildeten leisten. Zudem hielt sie regelmäßig Sittlichkeitsvorträge ab. Sie blieb zunächst bis 1927 im Dienst der Evangelistischen Abteilung für Volksmission und ging dann für einige Zeit zum Thüringer Volksdienst, der im Bereich der Thüringer Landeskirche Öffentlichkeitsarbeit, Apologetik und Evangelisation betrieb. 1930 trat sie erneut in den Dienst des CentralAusschusses, war jetzt aber eindeutig der nunmehr in das Spandauer Johannesstift verlegten Apologetischen Centrale zugeordnet, wo sie den Aufbau eines Pressearchivs zur religiösen Entwicklung in Deutschland leitete. Nach der Umstrukturierung des CA wechselte sie zur Wichern-Vereinigung nach Hamburg101. Auch nach 1945 trat sie mit literarischen Beiträgen zur Apologetik öffentlich hervor102. Die Anstellung weiblicher Volksmissionare und deren Arbeit galt auch einem Kritiker von Füllkrugs Amtsführung wie Schweitzer als eine wesentliche Errungenschaft der volksmissionarischen Arbeit im Central-Ausschuss für Innere Mission103. Da sich dieses Kapitel allerdings mit der Abhaltung allgemeiner Evangelisationswochen beschäftigen soll, werden die Berichte über ihre Tätigkeit für die Auswertung nur punktuell berücksichtigt.
101 Zur Biografie Hasselblatts und ihrer Tätigkeit in der Apologetischen Centrale vgl. Pçhlmann, Kampf, 115, Anm. 332; zu ihrer Anstellung in der Evangelistischen Abteilung vgl. Sitzung Kommission für Volksmission am 8. 1. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 201); zu ihrem Wechsel zum Thüringer Volksdienst vgl. Bericht über die Volksmission im Jahre 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 14, 128). 102 Vgl. Hasselblatt, Mensch. 103 Vgl. Ein Memorandum zur Lage der Volksmission, um 1927 (ADE Berlin, CA / AC 256, 97).
10. Rahmenbedingungen Aus dem biografischen Überblick wird bereits deutlich, dass der Weg in die Volksmission keinen idealtypischen Karrieremustern folgte. Allerdings lassen sich anhand der unterschiedlichen Positionen, welche die Evangelisten erreicht hatten, bevor sie in den Dienst der Volksmission traten, Unterschiede feststellen. Zudem gab es für die Evangelisten im Central-Ausschuss Gehaltsunterschiede; je nachdem, ob sie ein Theologiestudium abgeschlossen hatten und als Geistliche beschäftigt waren, über eine seminaristische theologische Ausbildung als Missionar oder Diakon verfügten oder sich als nicht theologisch ausgebildete Laien zur Verfügung stellten. Die Bezahlung war an die kirchlichen Besoldungstabellen angelehnt1. Es gab aber einige allgemeine Kriterien, die für den Dienst eines Evangelisten als unerlässlich angesehen wurden. Als 1920 die Gossnersche Mission anfragte, ob der Central-Ausschuss den abkömmlichen Missionar Schütz übernehmen könnte, sandte Füllkrug der Missionsgesellschaft einen Fragebogen, in dem nach Eigenschaften des Bewerbers gefragt wurde. Die in diesem Fragebogen enthaltenen Fragen lassen Eigenschaften erkennen, die für einen Volksmissionar im Rahmen der Inneren Mission als unerlässlich betrachtet wurden. Das wichtigste Kriterium war natürlich die Gabe erwecklicher Rede sowie Kenntnisse und Erfahrungen im Rahmen der Volksmission. Gleich danach aber kam die Frage nach einer kirchlichen Orientierung und nach einer nüchternen Grundhaltung des Evangelisten sowie nach geeigneten Umgangsformen im Verhältnis zu den Gemeinden. Schließlich wurde noch nach einer für den Reisedienst geeigneten festen Gesundheit und nach einem geordneten Familienleben gefragt2. Der Volksmissionar sollte also die Evangelisationsgabe mit einer nüchternen und betont kirchlichen Haltung verbinden und zudem von seiner Gesundheit und seinen Umgangsformen her den Anforderungen des Reisedienstes und des Kontaktes zu den Gemeinden gerecht werden können. 1 Hagen wurde als nichtstudierter Geistlicher 1919 mit einem Gehalt von 9.000 Reichsmark jährlich eingestellt; vgl. Sitzung Kommission für Volksmission, 10. 3. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 266). Bei der Einstellung Hölzels sollte sich die Bezahlung am Pfarrgehalt orientieren; vgl. ebd., 266 f. Bereits im Oktober 1920 mussten diese Gehälter inflationsbedingt erhöht werden: Hagen erhielt ein Jahresgehalt von 15.000 Reichsmark und Hölzel eines von 18.000 Reichsmark (vgl. Sitzung Kommission für Volksmission 13. 10. 1920 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 256]). Engel, zu dieser Zeit noch nicht offiziell eingestellt, erhielt eine jährliche Einkommensgarantie von 10.000 Reichsmark (vgl. ebd.). 2 Fragebogen zu Missionar Schütz [1922] (ADE Berlin, CA / EvA 24, 40). Die Berufung von Schütz kam allerdings nicht zustande.
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Der Central-Ausschuss selbst nahm bei aussichtsreichen Kandidaten zudem Kontakte zu möglichen Referenzpersonen auf, von denen man sich vertraulich nähere Informationen zu dem in Aussicht genommenen Volksmissionar erbat3. Neben dieser Einholung von Stellungnahmen diente die Einhaltung einer sechsmonatigen Probezeit vor der Festanstellung der Eignungsprüfung der Evangelisten4. Eine weitere Ausbildung vor Antritt des Evangelisationsdienstes wurde nur bei neu in den Evangelisationsdienst eingetretenen Laien in Betracht gezogen. So wurde Haas zeitweilig am Johanneum in Wuppertal, einer von der Gemeinschaftsbewegung geprägten seminaristischen Ausbildungsstätte für Evangelisten und Gemeinschaftspfleger, ausgebildet5. Aus diesen Bestimmungen wird erkennbar, dass die Evangelistische Abteilung im Central-Ausschuss bemüht war, durch die Mittel des Arbeitsrechts die gewünschten Eigenschaften ihrer Mitarbeiter durchzusetzen. Für die Aufgaben der Volksmissionare sind als Leitvorstellung zudem die Dienstanweisungen an diese aufschlussreich, aus denen auch Charakteristika von deren Arbeitsweise deutlich werden. Aus ihnen gehen auch die Modalitäten der finanziellen Vergütung hervor. Beispielhaft seien hier die 1930 ergangenen Anweisungen an Wilm zitiert. Wilm erhielt als Mitarbeiter der Inneren Mission wie alle anderen hauptamtlichen Volksmissionare ein Gehalt, das sich nach dem Reichsbeamtentarif richtete. Auch die Ausgestaltung seines Dienstverhältnisses war am Beamtenrecht orientiert6. Zum Gehalt hinzu kamen Ansprüche der Volksmissionare auf die Erstattung von Fahrtkosten und die Erstattung von besonderen Auslagen, die für jede Reise gesondert abgerechnet wurden7. Ebenso wurde das Porto für den recht umfangreichen Schriftverkehr mit der Berliner Zentrale und den anfordernden Gemeinden monatlich erstattet8. Auch Volksmissionare, die nur einzelne Evangelisationen im Auftrag des Central-Ausschusses übernahmen, hatten Anspruch auf ein Honorar und die Abrechnung der Reisekosten9. 3 Vgl. besonders die erbetenen Gutachten zu Wilms Arbeit (ADE Berlin, CA / EvA 135, 72–94); hierzu auch Weiling, Bewegung, 114–117. Weiling kommt zu dem Ergebnis, dass sich Füllkrug für die Gutachten „ausschließlich an die Wilm nahestehenden Kampfgefährten aus der CdB wandte“ (ebd., 114). Vgl. auch oben 263–265. 4 Sie konnte auch verlängert werden, so bei Haas; vgl. Sitzung Kommission für Volksmission, 14. 11. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 147). 5 Vgl. Sitzung Kommission für Volksmission am 7. 7. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 156). 6 Abschrift Schreiben Seeberg an Wilm, 22. 10. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 135). Allerdings war die Analogie zum Beamtenverhältnis begrenzt, wie sich bei der Umgestaltung des Central-Ausschusses in Folge des Devaheim-Skandals zeigen sollte. Es fehlte die garantierte Unkündbarkeit; vgl. oben 273–276. 7 Vgl. Dienstanweisung für Walter Wilm [1930] (ADE Berlin, CA / EvA 135, 104). Die zunächst in Höhe der zweiten Klasse zugestandene Reisekostenentschädigung wurde 1920 aus Sparsamkeitsgründen auf die dritte Klasse reduziert (vgl. Sitzung Kommission für Volksmission am 10. 3. 1920 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 268]). 8 Vgl. ADE Berlin, CA / EvA 135, 105. 9 Sitzung der Kommission für Volksmission, 11. 9. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 279).
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Anders als viele Evangelisten, die in ihrer Tätigkeit von den Einkünften durch die Kollekten während ihrer Evangelisationen oder von Honoraren der Veranstalter abhängig waren, erhielten die Volksmissionare des CentralAusschusses also ein garantiertes Gehalt unabhängig von den Sammelerfolgen der Kollekten. Die Evangelisten des Central-Ausschusses waren natürlich auch nicht von den Problemen befreit, die gerade die Empfänger von festen Gehältern während der Hyperinflationsperiode 1922 und 1923 hatten10. Trotzdem bedeutete dieser feste Empfang eines Gehaltes eine Erleichterung. Das geht auch aus einem vom Gemeinschaftsdiakonieverband herausgegebenen „Wegweiser zur gesegneten Durchführung von Evangelisations- und Volksmissionswochen“11 hervor. Der Gemeinschaftsdiakonieverband war eine straff geführte Organisation von diakonischen Einrichtungen, die der Gemeinschaftsbewegung nahestanden und deren Verhältnis zum CA oft gespannt war12. Nach den Ausführungen des Gemeinschaftsdiakonieverbandes gab die Abhängigkeit vieler „freier Evangelisten“ von den Veranstaltern der Evangelisation immer wieder Anlass für Probleme, da Veranstalter von Evangelisationen oft dazu tendierten, die an den Evangelisten zu gebende Summe möglichst niedrig zu halten: „Die meisten Evangelisten nehmen den Betrag, der ihnen für ihren Dienst gereicht wird still und ohne jeden Widerspruch entgegen, einen Betrag, der bei weitem nicht ihre an sich sehr bescheidenen Lebensbedürfnisse deckt.“13
Trotzdem spielten die finanziellen Fragen auch in den Dienstanweisungen und dem Schriftverkehr der Evangelisten eine bedeutende Rolle: Die Evangelisten waren angewiesen, für die vom Central-Ausschuss herausgegebenen volksmissionarischen Zeitschriften „Die Volksmission“ und „Volksmissionsgrüße“ zu werben und über die Herausgabe von Sammelbüchsen einen Freundeskreis zu bilden, der die Evangelistische Abteilung des Central-Ausschusses aktiv unterstützen sollte14. Volksmissionar Hagen ergänzte diesen Aufruf zu Spenden offenbar mehrfach um den Aufruf an Frauen, für die Volksmission ihren Schmuck zu spenden15. Eine Gabe, die er zumindest gelegentlich auch als ein Scherflein der Witwe (Mk 12,41–44) stilisierte16. In der Praxis bestand die Evangelistische Abteilung darauf, dass ihre Evangelisten während der Evan10 Vgl. etwa Schreiben Hölzel an Füllkrug am 9. 10. 1922. Hölzel klagte hier darüber, wegen des rapide sinkenden Geldwertes das Dienstmädchen entlassen zu müssen. 11 Eckart, Evangelisation. 12 Vgl. Abschrift Schreiben Theophil Krawielitzki an den CA, 2. 5. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 127). 13 Eckart, Evangelisation, 63, Abs. 630. 14 Dienstanweisung für Walter Wilm (ADE Berlin, CA / EvA 135, 103). 15 Vgl. ein Inventar von etwa einem Dutzend an Hagen zum Wohl der Volksmission gespendeten Schmuckstücken [um 1927] (ADE Berlin, CA / EvA 127). 16 So berichtete er 1920 über eine Frau aus Rügen, die ihren letzten Brillanten als Gabe für die Volksmission gegeben habe (Schreiben Hagen an Keinath aus Göhren, am 29. 4. 1920 [ADE Berlin, CA / EvA 125]).
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gelisationswoche freie Kost und Logis im Bereich der einzelnen Kirchengemeinden erhielten17. Zudem beanspruchte der Central-Ausschuss die während der Evangelisation gesammelten Kollekten, wobei in einem 1927 vom Deutschen Evangelischen Verband für Volksmission herausgegebenen „Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (Evangelisation)“ darauf gedrungen wurde, diese Kollekte tatsächlich ohne irgendeinen Abzug an den Evangelisten abzugeben, während die veranstaltende Gemeinde selbst die Kosten für die Vorbereitung, die Werbung und die Nacharbeit übernehmen solle: „Die Kollekten dienen den betreffenden Veranstaltern dazu, das regelmässige Gehalt des Evangelisten, sowie die an vielen Orten, besonders auf dem Lande und in den kleinen Städten durch die Evangelisation entstandenen hohen Unkosten zu decken.“18
In der Praxis aber war gerade die finanzielle Frage und besonders die der Kollekte immer wieder mit Konflikten beladen. So kam es häufiger vor, dass Gemeinden mit Hinweis auf eine prekäre finanzielle Situation um Abzüge der Kollekte zur Bestreitung der eigenen Kosten baten. In solchen Fällen war Füllkrug mit gewissen Abzügen von der Kollekte einverstanden, bestand aber darauf, den größten Teil für den Central-Ausschuss zu erhalten19. Beispielhaft sei die im Patronat der Fürsten zu Reuss stehende Gemeinde Köstritz genannt, wo es zweimal zu massiven Konflikten um die Kollekte kam. Im Jahre 1929 beanspruchte der dortige Oberpfarrer einen größeren Anteil der mit 750 Reichsmark recht umfangreichen Kollekte eines dort veranstalteten Volksmissionsfestes20. Füllkrug ließ sich trotz Bedenken „um des lieben Friedens willen“21 auf diese Forderung ein. Die gleiche Situation aber tauchte ein Jahr später wieder auf, als derselbe Oberpfarrer für die Veranstaltung einer Evangelisation erneut die Teilung der Kollekte zwischen Central-Ausschuss und seiner Kirchengemeinde forderte22. An dieser Forderung drohte die Evangelisation in Köstritz 1930 zu scheitern, bis der Central-Ausschuss in einem Kompromiss auf die volle Kollekte verzichtete, aber dafür die Reisekosten des Volksmissionars von Engel durch die Fürstin Reuss übernommen wurden23. Das Verhalten Füllkrugs, der auch in diesem Fall dazu tendierte, den Forderungen des Köstritzer Oberpfarrers erneut zumindest teilweise entgegenzukommen, um nicht den Eindruck zu
17 Schreiben Füllkrug an Pfarrer Pensky, Königsberg, am 13. 6. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 122). 18 Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (Evangelisation) [ADE Berlin, DEVVM 11, 2]. 19 Vgl. etwa Schreiben Füllkrug an Pfarrer Martin August Zinßer, Kötzschenbroda, 8. 3. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 127). 20 Schreiben Engel an Füllkrug, 1. 7. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 122). 21 Schreiben Engel an Füllkrug, 8. 7. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 122). 22 Schreiben Engel an Füllkrug, 13. 6. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 122). 23 Vgl. Schreiben Engel an Füllkrug, 1. 7. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 122).
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erwecken, dass die Innere Mission nur auf Geld aus sei24, zeigte aber die Schwierigkeiten, die sich einerseits aus dem Willen ergaben, in einem möglichst breiten Umfang Volksmission zu treiben und andererseits darauf zu achten, dass das chronische Defizit der Evangelistischen Abteilung nicht zu groß wurde. Gerade bei Volksmissionsfesten, an denen auch Vertreter der Abteilungen für Volksmission der Landes- und Provinzialverbände für Innere Mission teilnahmen, war auch immer wieder die Aufteilung der Kollekte zwischen den Verbänden strittig und wurde der Anteil des CA eifersüchtig verteidigt. So warnte Fritz von Engel 1929: „Jedenfalls müssen wir sehr auf der Hut sein, daß uns die Provinzialvereine bei den Missionsfesten nicht um die Früchte unserer Arbeit bringen.“25 Die Finanzen nahmen einen wichtigen Stellenwert im Schriftverkehr ein. Es erwies sich aber als unmöglich, in der wechselnden wirtschaftlichen Lage der 1920er-Jahre den Volksmissionaren für den Ertrag ihrer Kollekten bestimmte Zielsummen vorzugeben, mit denen ihr Gehalt und ihre Reisekosten gedeckt werden konnten: „Der Central-Ausschuss als Träger der Volksmission müsste letzten Endes das Risiko tragen“26. Zwar kamen regelmäßige Spendenappelle an den Freundeskreis und an die Gemeinden, die Volksmissionswochen veranstalteten, man verzichtete aber auf eine zu große Propagierung der Spendentätigkeit oder auf die Zahlung eines Honorars an die Volksmissionare durch die anfordernde Gemeinde. Dass andere Träger von Evangelisationsarbeit die finanzielle Selbstbeteiligung viel stärker propagierten, zeigte sich in den Anweisungen, welche der in Vandsburg (Wie˛cbork) entstandene Gemeinschaftsdiakonieverband seinen Gemeinschaften für die Abhaltung von Evangelisationen gab. Das von diesem Verband herausgegebene Handbuch zur Durchführung einer Evangelisation legte den Gemeinschaftsleitern nahe, zur Finanzierung der Evangelisation mindestens zwei „Opferwochen“ zu veranstalten und betonte dabei die persönliche Belastung der Gemeinschaftsmitglieder: „Wer wirklich opfert, gerät durch sein Opfern in irgend eine Richtung hin in die Enge, muß Lasten auf sich nehmen, die er ohne Opfer nicht hätte.“27 Dafür gaben die Richtlinien auch praktische Beispiele für diesen eher kleinbürgerlich geprägten Gemeinschaftsverband: „Wie Kinder Gottes am anderen Ort schon Opfer gaben: Sie gaben Schmuck, verzichteten auf Zucker, Brotbelag, auf einen Ausflug, weihten die Erträgnisse von geleisteter Mehrarbeit dem Herrn, Verkauf entbehrlicher Dinge usw. usw.“28
24 Vgl. Schreiben Füllkrug an Engel, 19. 6. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 122). 25 Schreiben Engel an Füllkrug am 6. 8. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 122). 26 Der Ehrenpräsident des Central-Ausschusses Spiecker auf der Sitzung der Kommission für Volksmission am 24. 3. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 198). 27 Eckart, Evangelisation, 62, Abs. 614. 28 Ebd., 62, Abs. 616.
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Die Volksmissionare des Central-Ausschusses für Innere Mission, die bewusst im Rahmen volkskirchlicher Gemeinden arbeiteten, stellten keine so weitgehenden Forderungen an ihre Gemeinden. Die Predigten der Volksmissionare konnten zwar – wie am Beispiel der von Hagen gesammelten Schmuckstücke deutlich wird – durchaus punktuell die Opferbereitschaft von Laien aktivieren. Sie waren aber stärker auf das Entgegenkommen der Kirchengemeinden angewiesen, denen sie keine großen Vorgaben machen konnten und die eine Evangelisationsveranstaltung offenbar oft als Dienstleistung der Inneren Mission betrachteten. In der persönlichen Arbeitsgestaltung waren die Volksmissionare relativ frei. Zwar beinhaltete die Dienstanweisung die Maßgabe, über die Tätigkeit regelmäßig Bericht zu erstatten; so erhielt Wilm die Anweisung, alle 14 Tage mit Füllkrug in Kontakt zu treten29; diese Kontakte beschränkten sich aber meistens auf die Reiseberichte und das Material für die Volksmissionsstatistik, die durch regelmäßigen Briefkontakt nach Dahlem an die Evangelistische Abteilung gelangte. Auch durch Arbeitspläne der Evangelisten, die für mehrere Monate im Voraus die nächsten Einsätze zeigten, wurde Füllkrug über deren Arbeit in Kenntnis gesetzt30. Da die Volksmissionare des Central-Ausschusses ja immer in Gebieten evangelisierten, die im Rahmen der Organisationsstruktur der Inneren Mission durch eigene Landesvereine und Provinzialverbände abgedeckt waren, in denen die jeweiligen Beauftragten für Volksmission ihre Verantwortung für die Evangelisation in ihren Sprengeln mit allen Mitteln verteidigten, hatten die Volksmissionare ihre Einsätze auch mit den jeweiligen Geschäftsstellen für Innere Mission und mit den für die Gemeinde zuständigen Pfarrern und Superintendenten abzusprechen31. Man bemühte sich also um eine kirchliche Einordnung der eigenen Arbeit. Die selbstständige Stellung der Volksmissionare zeigte sich darin, dass Hölzel 1924 allerdings unter Protest der Kommission für Volksmission von Berlin aus nach Lippe in das Stift Cappel umzog32 und Fritz von Engel über die gesamte Dauer seiner Dienstzeit in Mecklenburg wohnen blieb. Die Volksmissionare standen also zwar in Kontakt mit der Geschäftsstelle, hatten aber eine recht große Freiheit in der eigenen Arbeitsgestaltung. Einmal jährlich trafen auf einer Januarkonferenz Repräsentanten der altpreußischen Kirchenbehörden und Funktionäre der Inneren Mission mit den Mitgliedern der Kommission für Volksmission und den Volksmissionaren der Evangelistischen Abteilung zusammen, um aktuelle und grundsätzliche Fragen der Volksmission zu besprechen33. 29 Dienstanweisung Walter Wilm [1930] (ADE Berlin, CA / EvA 135, 103). 30 Vgl. etwa den Arbeitsplan Hölzels Juni bis Januar 1921 (Schreiben Hölzel an Füllkrug, 27. 6. 1921 [ADE Berlin, CA / EvA 125]). 31 Dienstanweisung Walter Wilm [1930] (ADE Berlin, CA / EvA 135, 104). 32 Schreiben Füllkrug an Hölzel am 22. 4. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 126). 33 Vgl. etwa Programm der Januarkonferenz am 5. 1. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 14, 150). Teilweise waren diese Januarkonferenzen mit einem „Teeabend“ für den die Volksmission fi-
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Die Eigenständigkeit bezog sich auch auf die Gewinnung von Evangelisationsaufträgen. Es kamen immer wieder Anfragen an den Central-Ausschuss nach Abhaltung einer Evangelisation, die dann an die Volksmissionare weitergeleitet wurden. Die Volksmissionare setzten sich dann mit den entsprechenden Gemeinden in Verbindung34. In der Regel aber organisierten sich die Volksmissionare ihre Aufträge selbst und erledigten auch den Schriftverkehr mit den Gemeinden selbstständig. Daraus resultierte, dass zwischen den Volksmissionaren und einzelnen Gemeinden oft intensive Beziehungen bestanden und mehrfach Volksmissionswochen mit demselben Evangelisten veranstaltet wurden. So berichtete Hölzel 1926 über eine fünfte Evangelisationswoche in der ostfriesischen Stadt Leer. Die erste hatte er 1921 abgehalten35. Die weitgehend in die Verantwortung des Volksmissionars gelegte Akquise von Evangelisationsaufträgen war aber insofern problematisch, als sie es Neulingen schwieriger machte, ein eigenes Arbeitsfeld aufzubauen. Das wäre bei einer Zuweisung von Evangelisationsaufträgen durch die Evangelistische Abteilung einfacher gewesen. Die Eigenständigkeit der Evangelisten machte es nötig, dass sie sich in den Gemeinden einen Ruf erwerben mussten, um weitere Aufträge zu erhalten. Füllkrug schrieb daher Anfang 1923 an den Missionar Schütz, den die Gossnersche Mission gerne an den Central-Ausschuss vermitteln wollte, eher warnende Worte: „Es ist heutzutage nicht leicht für einen unbekannten Evangelisten sich durchzusetzen, vor allem wird er nicht gerufen und findet nicht genug Arbeit, während die andern, die aus ihrer Arbeit den Gemeinden bekannt sind, jedes Jahr doppelt und dreifach besetzt sind.“36
Wegen der ständig angespannten Haushaltslage wurde im Rahmen der Evangelistischen Abteilung auch darauf geachtet, dass sich die Zahl der Evangelisationsaufträge in etwa mit den Kosten der Anstellung deckte. So wurde die zeitweilige Festanstellung des Bibelschullehrers und Amtsvorstehers Paul Max Nathanael Jellinghaus 1926 gekündigt, da er zu wenige Aufträge erhielt. Von da an wurden ihm nur noch Tagegelder für tatsächlich abgehaltene
nanziell unterstützenden Freundeskreis verbunden, bei dem ebenfalls die Volksmissionare des Central-Ausschusses zu Wort kamen (vgl. Einladung zum Teeabend am 5. 1. 1930 und gemeinsamer Kommissionssitzung am 6. 1. 1930 vom 20. 12. 1929 [ADE Berlin, CA / EvA 14, 91]). 34 Vgl. etwa Schreiben Füllkrug an Pfarrer Wolf (Leipzig) am 18. 7. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126). Füllkrug lehnte hier ab, selbst für eine Volksmissionswoche nach Leipzig zu kommen, wollte die Anfrage aber an Volksmissionar Hagen weiterleiten lassen. 35 Schreiben Hölzel an Füllkrug, 9. 2. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126). Es geht aus dem Schreiben allerdings nicht eindeutig hervor, ob außer den Evangelisationen von 1921 und 1926 noch weitere durch Hölzel abgehalten wurden. 36 Schreiben Füllkrug an Missionar Schütz (Stettin) vom 20. 1. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 24, 43).
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Evangelisationen bezahlt37. Mit der Praxis, den Volksmissionaren selbst die Akquise ihrer Aufträge zu überlassen, verfügte die Evangelistische Abteilung des Central-Ausschusses über ein Alleinstellungsmerkmal. Andere Träger der Volksmissionsarbeit, wie etwa die Wichern-Vereinigung in Hamburg, vergaben Volksmissionsaufträge über ihre Geschäftsstelle38. Ein Kritiker der Arbeit der Evangelistischen Abteilung wie Schweitzer monierte etwa, dass auf diese Weise volksmissionarische Arbeit nicht genügend planmäßig verlaufe: „Immerhin ist auch hier eine grössere Planmässigkeit anzustreben. Die besten Kräfte sind an der Stelle einzusetzen, wo sie am dringendsten gebraucht werden. Der Ort ihrer Arbeit ist nicht nur den jeweiligen persönlichen Beziehungen und Weiter-Empfehlungen zu überlassen, so unentbehrlich letztes auch bleiben muss.“39
In der Tat ergaben sich aus dieser selbstständigen Arbeit der Evangelisten auch sonst Probleme. Besonders den Volksmissionar Hagen musste Füllkrug wiederholt ermahnen, seiner Verpflichtung zu Berichten an die Geschäftsstelle in Dahlem nachzukommen40. Als sich 1929 Beschwerden häuften, dass Hagen zu den Gemeinden, in denen er eine Volksmission zugesagt hatte, kaum Kontakt hielt und mehrfach Veranstaltungen ohne Angabe von Gründen kurzfristig absagte, musste Füllkrug ihm sogar das Ende der Zusammenarbeit androhen: „Dein rücksichtsloses Schweigen und die Nichteinhaltung der verabredeten Termine ist geneigt, unserer Arbeit schweren Schaden zuzufügen.“41 Auch im Falle Hölzels, mit dem es vor allem wegen nicht abgesprochener, in den Augen seiner Vorgesetzten einseitiger Stellungnahmen in der Kirchenpresse zu Konflikten kam, attestierte Füllkrug ebenfalls so genanntes Einspännertum, also mangelnde Kooperationsbereitschaft42. Er schrieb im Juni 1931, als Hölzel als Stadtmissionar nach Wuppertal-Barmen gewechselt war, an den dortigen Pfarrer Karl Immer: „Hölzel ist es wie manchen unserer Evangelisten gegangen, die 10 Jahre oder länger allein gearbeitet haben und sich ihren Arbeits- und Reiseplan allein selbst zusammenstellen durften; er wurde sehr selbständig, und es fehlte die beständige Kontrolle durch brüderliches Zusammenarbeiten mit anderen Männern, die über
37 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 13. 10. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 166). 38 Vgl. Schreiben Füllkrug an Provinzialausschuss für Innere Mission Pommern vom 14. 3. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 122). 39 Vgl. Ein Memorandum zur Lage der Volksmission, um 1927 (ADE Berlin, CA / AC 256, 98). 40 Vgl. etwa Schreiben Füllkrug an Hagen, 8. 11. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 122). 41 Schreiben Füllkrug an Hagen am 14. 3. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 127). 42 Der Begriff „Einspänner“ bezeichnete einen ohne Anbindung an Gemeinden und größere Organisationen arbeitenden Evangelisten und hatte einen sehr stark pejorativen Beiklang (vgl. etwa Schreiben Reinhard Mumm an Füllkrug am 13. 5. 1925[ADE Berlin, CA / EvA 24]).
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die Materie anders dachten. Er setzte sich aber immer ganz für die Sache ein, die er vertrat, und wurde dadurch leider oft einseitig.“43
Die eigenständige Arbeitsweise der Volksmissionare war neben der eher geringen Rückbindung an die Zentrale auch durch deren starke Arbeitsbelastung bedingt. Sie waren einen großen Teil des Jahres unterwegs. Zwar fanden oft regelrechte Missionsreisen in bestimmten Regionen statt44, teilweise war die Evangelisationsarbeit aber auch mit schnellen Ortswechseln innerhalb kurzer Zeit verbunden45. Sie nahmen einen großen Teil des Jahres in Anspruch: Einem Bericht über die Arbeit der Abteilung für Volksmission von 1922 zufolge arbeitete Hagen in dieser Zeit 212 Tage des Jahres an insgesamt 28 Orten, Hölzel 198 Tage an 23 Orten46. Kurz nachdem Hölzel 1930 den Dienst des Central-Ausschusses verlassen hatte, um die Stadtmission in Wuppertal zu übernehmen, gab er an, in diesem Jahr im Dienst der Volksmission an 99 Tagen insgesamt 13 Predigten, 130 Vorträge und 55 Bibelstunden gehalten zu haben47. Da die Gemeinden die Kost- und Logiskosten für die Evangelisten übernahmen, ging ein Merkblatt des DEVVM weiterhin davon aus, dass die Unterbringung am besten im Pfarrhaus oder in einem anderen Privathaus erfolgen sollte48. Die Evangelisten erhielten also direkte Kontakte in der jeweiligen Gemeinde. Das machte einerseits die Adaption an den jeweiligen Einsatzort anspruchsvoller, andererseits bot es die Möglichkeit für neue Kontakte, die ggf. in weiteren Evangelisationsaufträgen resultieren konnten49. Der Umfang dieser Aktivität wird deutlich, wenn man die zeitgenössischen Einschätzungen zum optimalen Arbeitsumfang eines Evangelisten betrachtet. Die Evangelisten hatten nach ihrem Arbeitsvertrag Anspruch auf vier Wochen Jahresurlaub50. Zusätzlich bestand die Empfehlung, nach jeder Evangelisation mindestens die gleiche Dauer an Erholungszeit einzukalkulieren und diese 43 Schreiben Füllkrug an Immer am 4. 6. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 44 So evangelisierte Hölzel im Juni 1926 für jeweils eine Woche nacheinander in Ostpreußen, und zwar in Labiau, Pillau und Tilsit; vgl. Berichtbögen (ADE Berlin, CA / EvA 142). 45 Dies wird auch daran deutlich, dass ein großer Teil der Korrespondenz über Postkarten und Briefe während der Einsätze geschrieben wurde (vgl. etwa Schreiben Hölzel an Füllkrug, Schötmar am 6. 5. 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 126]). Hölzel berichtete hier zunächst über eine vierzehntägige Volksmission in der preußischen Provinz Sachsen und anschließend über seine gegenwärtige Evangelisationsarbeit in Schötmar in Lippe. 46 Anon., Die Arbeit der Volksmission 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 14, 187). In den Jahren 1925 und 1926 veranstalteten die 7 Mitarbeiter des CA an 316 Orten insgesamt „1365 Vorträge, 200 Predigten, 703 Bibelstunden und 160 Sonderversammlungen“ (Aus der Arbeit der Volksmission, […] [ADE Berlin, DEVVM 10]; vgl. unten 523). 47 Schreiben Hölzel an Füllkrug, 3. 12. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 48 Vgl. Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (Evangelisation) (ADE Berlin, DEVVM 11). 49 Das Handbuch der Gemeinschaftsdiakonie zur Vorbereitung einer Evangelisation ging ebenfalls davon aus, dass der Evangelist in einem Privathaus untergebracht wurde, warnte aber davor, ihn allzu sehr mit gesellschaftlichem Verkehr innerhalb der unterbringenden Familie zu beanspruchen; vgl. Eckart, Evangelisation, 88 f., Abs. 922 f. 50 Dienstanweisung Walter Wilm [1930] (ADE Berlin, CA / EvA 135, 105).
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Zeit der nötigen Korrespondenz, der Vorbereitung von Vorträgen und der persönlichen praxis pietatis zu widmen. Diese Empfehlung hatte bereits im 19. Jahrhundert Elias Schrenk aufgestellt. Sie wurde auch von Evangelisten im Rahmen der Gemeinschaftsbewegung immer wieder propagiert. So empfahl der Leitfaden des Gemeinschaftsdiakonieverbandes, an Evangelisten einen Betrag zu geben, welcher zur Deckung der Lebenshaltungskosten für einen Zeitraum angemessen sei, der das Doppelte der Dauer der eigentlichen Evangelisation betrug51. Die gleiche Empfehlung zu regelmäßigen Ruhepausen gab Füllkrug besonders in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre wiederholt an Hagen und Hölzel weiter, da sie sich seiner Auffassung nach nicht die nötige Ruhezeit gönnten; er sah es beispielsweise 1925 als seine Pflicht an: „[…], Dich [Hölzel, H. B.] und Bruder Hagen nicht nur zu bitten, sondern brüderlich zu ermahnen, dass Ihr mit Euren Kräften haushaltet. […] Darum bitte ich Dich herzlich, nach dem alten Rezept der Evangelisten zu verfahren und Dir Zeit und Ruhe zu gönnen, soviel Du der Arbeit widmest.“52
Die hohen Zahlen von Evangelisationswochen gingen einmal auf die Nachfrage zurück. Daneben zeugen sie aber auch von einer hohen Eigenmotivation der Volksmissionare. Die Evangelisation scheint, soweit aus dem Schriftverkehr der Evangelistischen Abteilung des Central-Ausschusses ersichtlich, für die Evangelisten des Central-Ausschusses eine Herzensangelegenheit gewesen zu sein, die sie die Schonung der eigenen Kräfte vernachlässigen ließ. 1921 warnte Füllkrug Hölzel, während seines Urlaubes eine weitere Evangelisationswoche anzunehmen53. Auch ein außenstehender Beobachter kommentierte 1929 kritisch Hagens Arbeitsplan, „über dessen Ueberfüllung jeder praktische Geistliche den Kopf schüttelt“54. Füllkrug führte wiederholt Krankheiten und Schwächeperioden der Evangelisten auf eine mangelnde Einhaltung von Ruhezeiten zurück. So schrieb er im Sommer 1922 an Hagen: „Nun hat Sie, lieber Bruder, Gott der Herr selbst in die unfreiwilligen Ferien geschickt. Das war wohl nötig, denn die Klagen gegen Sie häuften sich in erschreckender Zahl, dass Sie zuviel arbeiteten und wahrscheinlich bald am Ende Ihrer Kraft sein würden.“55
Aus diesen mahnenden Briefen spricht natürlich auch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die im Falle Füllkrugs mit einer persönlichen Nähe verbunden 51 „Nur so kann ein Evangelist innerlich und äußerlich sich gesund erhalten „Ein Evangelist muß also für eine 14 tägige Evangelisation das erhalten, was er in fester Stellung in 4 Wochen an Gehalt beziehen würde“ (Eckart, Evangelisation, 63, Abs. 630). 52 Schreiben Füllkrug an Hölzel vom 11. 6. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 53 Schreiben Hölzel an Füllkrug nach Bad Liebenzell, 19. 7. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 54 Schreiben Sup. Martin Christian Gustav Kramer, Bitterfeld, an den CA am 9. 3. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 127). In Bitterfeld und in Leipzig waren Evangelisationen nicht zustande gekommen, da Hagen selbst auf eingeschriebene Briefe nicht geantwortet hatte (vgl. ebd.). 55 Schreiben Füllkrug an Hagen am 8. 7. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 125).
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war56. Hieran zeigte sich aber auch, dass der Evangelistenberuf nicht nur als eine zu erledigende Aufgabe gesehen wurde, sondern als eine Berufung, für die sich die Volksmissionare selbst nicht schonen wollten. Dieses Bild stellte sich auch bei den Veranstaltern von Volksmissionswochen ein. So schrieb ein Pfarrer im Ruhrgebiet, in dessen Gemeinde Hagen wiederholt evangelisierte, bewundernd: „Welch eine Arbeitskraft und Arbeitsfreudigkeit steckt in diesem Manne [Hagen, H. B.], der sich kaum Zeit zum Ausruhen nimmt“57. Auch in den Briefen der Volksmissionare und in ihren Arbeitsberichten fanden sich daher immer wieder enthusiastische Bezugnahmen auf die eigene Tätigkeit. Sie lassen sich nicht allein daraus erklären, dass die Arbeitsberichte teilweise als Basis für werbende Artikel in der Zeitschrift „Volksmission“ oder in den für den Freundeskreis bestimmten „Volksmissionsgrüßen“ dienten, sondern deuten auf eine starke Identifikation mit der eigenen Tätigkeit hin. So kommentierte Hagen 1926 eine Evangelisation in Altenbochum, deren unmittelbarer Erfolg 36 Wiedereintritte in die evangelische Kirche war, begeistert: „Es ist etwas wunderbares, wenn solche Leute wissen, mein Name ist im Himmel eingeschrieben. Ich freue mich, in diesem Schmutzwinkel arbeiten zu dürfen. Ich glaube, es ist Volksmission und der Herr hat Segen gegeben.“58
56 Füllkrug duzte sich von Beginn an mit Hölzel (vgl. etwa Schreiben Füllkrug an Hölzel am 11. 6. 1921 [ADE Berlin, CA / EvA 125]); später auch mit Hagen (vgl. Schreiben Hagen an Füllkrug, Weinsberg, 13. 6. 1926, ADE Berlin, CA / EvA 126). Ein Sohn Hölzels war Patenkind Füllkrugs (vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug, 13. 6. 1931 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 57 Schreiben Pfarrer August Kraemer, Weitmar bei Bochum, an Füllkrug am 3. 12. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 58 Bericht von Herrn Pfarrer Hagen [um 1925] (ADE Berlin, CA / EvA 126).
11. Regionale Einsatzgebiete Anders als die volksmissionarischen Abteilungen und Ausschüsse der einzelnen Landes- und Provinzialverbände für Innere Mission hatten die Volksmissionare des Central-Ausschusses keine geografische Einschränkung ihres Einsatzgebietes. Ganz Deutschland war potenziell ihr Arbeitsfeld. Im Folgenden soll auf Basis der Arbeitsberichte der Volksmissionare analysiert werden, in welchen Gebieten Deutschlands sich durch Mitarbeiter des Central-Ausschusses veranstaltete Evangelisationswochen häuften. Dabei wird kein flächendeckender, alle Landes- und Provinzialkirchen umfassender Überblick gegeben, sondern es sollen Auffälligkeiten in einzelnen Gebieten dargestellt werden. In den Jahren 1925 und 1926 fanden Evangelisationen der Volksmissionare des CA z. B. in 316 Orten statt1. Da hier allein die Aktivitäten der Evangelistischen Abteilung des CA und nicht die anderer Mitgliedsverbände des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission berücksichtigt werden, ist damit allerdings noch kein Urteil darüber gefällt, wie hoch die Zahl der Evangelisationen insgesamt war. Es werden im Folgenden lediglich illustrativ Ergebnisse der Volksmissionsstatistik der im DEVVM vereinigten Verbände aus den Jahren 1919 bis 1926 mitgeteilt2. Hinzu kommen Urteile der Volksmissionare über die Rezeptivität bestimmter Regionen für die Volksmission, die zumindest einen subjektiven Eindruck über den Erfolg ihrer eigenen Arbeit darstellen. Zunächst ist auffällig, dass die Volksmissionare des Central-Ausschusses eher selten in süddeutsche Gebiete gerufen wurden. Hölzel thematisierte das in einem Bericht über eine Volksmissionswoche in Frankfurt/Main im Februar 1930. Er hatte in Frankfurt vorher bereits im Frühjahr 1926 evangelisiert3. 1 Für die Verteilung bietet die im Archiv des Diakonischen Werkes vorhandene „Volksmissionsstatistik“ Anhaltspunkte, die nur punktuell ausgewertet werden konnten; vgl. etwa eine Aufstellung der veranstalteten Evangelisationen in der Mark Brandenburg in ADE Berlin BP 1436. Für die Zeit von 1919–1926 lässt sich die Zahl der Evangelisationen in den einzelnen Landeskirchen einer am 15. 12. 1926 an den EOK gesandten Aufstellung entnehmen, die auch eine Statistik über die Einsätze der Volksmissionare des CA für die Jahre 1925 und 1926 enthält: Aus der Arbeit der Volksmission, Evangelisation und Apologetik (ADE Berlin, DEVVM 10). Da im Folgenden wiederholt auf sie verwiesen wird, erfolgt eine Edition im Anhang dieser Arbeit; vgl. unten 521–524. 2 Vgl. ebd. Die Berücksichtigung dieser Statistik wurde nach Fertigstellung der Dissertation in das Manuskript eingearbeitet; hierdurch wurden einzelne Ergebnisse modifiziert. 3 Ludwig Thimme, Berichtbogen über Evangelisation Hölzel in Frankfurt/Main März 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). Das Urteil des Frankfurter Vereins für Innere Mission zum Erfolg von Evangelisationswochen in Frankfurt war kritisch: „Die Arbeit ist hier sehr schwer und immer mehr fragt man sich, ob die Volksmission, wie wir sie treiben, nicht überlebt ist oder wesentlicher
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Hölzel beklagte in seinem Bericht, dass er nur selten in Gebiete jenseits des Mains gerufen würde und forderte einen stärkeren Austausch zwischen nordund süddeutschen Volksmissionaren: „Volksmission ist das wirksamste Mittel zur Gestaltung der Volksgemeinschaft. Darum sollte der Austausch geistlicher Güter zwischen Nord und Süd reger sein.“4 Hölzel begründete das mit dem Beitrag, den die Volksmission zur Herstellung einer alle regionalen Unterschiede überwölbenden Volksgemeinschaft leiste, die durch das gemeinsame Hören auf Gottes Wort entstünde: „Dann trennt auch die Mainlinie nicht mehr.“5
11.1 Süddeutsche Landeskirchen Der Eindruck, dass die Volksmissionare des Central-Ausschusses eher selten in den Süden Deutschlands gerufen wurden, bestätigt sich auch bei der Rekonstruktion ihrer Reiserouten. So lassen sich für Bayern lediglich einzelne Evangelisationsvorträge nachweisen6. Offensichtlich waren die in Bayern selbst vorhandenen Kräfte für den Bedarf an Evangelisation ausreichend: Seit 1921 wurden etwa 100 bayerische Pfarrer volksmissionarisch geschult. Die Basis war groß genug, dass bereits 1923 der Bayreuther Pfarrer Friedrich Eppelein durch regelmäßige Spenden dieses Pfarrerkreises als hauptamtlicher „Heimatmissionar“ finanziert werden konnte. Seit 1926 diente er in dieser Funktion als Inspektor der ursprünglich von Wilhelm Löhe gegründeten „Gesellschaft für äußere und innere Mission im Sinne der lutherischen Kirche“. In den Jahren 1919 bis 1926 fanden insgesamt 417 Volksmissionen an 206 Orten statt7. Als Eppelein 1928 die Gesamtleitung in Neuendettelsau übernahm, wurde er durch Helmut Kern als Inspektor für Heimatmission abgelöst. Kern standen vier weitere Heimatmissionare zur Seite8. Von Neuendettelsau aus wurden 1929 im Bereich der bayerischen Landeskirche insgesamt 20 Evangelisationen
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Umwandlung bedarf“ (Schreiben Schumacher, Ev. Verein für IM Frankfurt/Main, an Füllkrug, 16. 1. 1929 [ADE Berlin, CA / EvA 122]). Hölzel, Jenseits der Mainlinie [1930] (ADE Berlin, CA / EvA 142). Ebd. So sollte u. a. Hölzel auf einem Kongress der Inneren Mission in München 1922 auf einer öffentlichen Versammlung über die Erfolge der Volksmission berichten; vgl. Schreiben Füllkrug an Zimmermann 4. 8. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 84, 34). Darüber hinaus konnte lediglich ein Bericht von Hagen über desaströse Erfahrungen in der oberfränkischen Stadt Selb im Jahre 1923 ermittelt werden: „Selb war der erste Ort, wo er öffentliche Anpöbelungen am Tage erfahren hat“ (Sitzung Kommission für Volksmission 4. 4. 1923, ADE Berlin, CA / EvA 13). Im Jahre 1931 berichtete Hagen dagegen anlässlich einer Volksmissionswoche über positive Erfahrungen mit der Kirchlichkeit in bayerischen Gemeinden; vgl. Anon., Arbeit, 229. Aus der Arbeit der Volksmission […] (ADE Berlin DEVVM 10); vgl. unten 522. Zur Geschichte der Neuendettelsauer Heimatmission, die erst ab 1930 primär den Begriff Volksmission verwendete; vgl. Henn, Volksmission, 4–9; vgl. auch oben 130–132.
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und über 800 weitere Veranstaltungen abgehalten9. Bei dieser breiten Rezeption, welche der Volksmissionsgedanke innerhalb Bayerns erfuhr, war es offenbar nicht notwendig, Volksmissionare des Berliner Central-Ausschusses für Evangelisationswochen anzufordern. So lehnte die bayerische Landeskirche 1928 explizit das Angebot des DEVVM ab, Volksmissionare für die Bädermission zu entsenden und wies darauf hin, dass sie die Kurseelsorge in ihrem Bereich selbstständig übernehme10. Mehrfach wurden dagegen Volksmissionare des Central-Ausschusses in den bereits zu dieser Zeit kirchlich selbstständigen rechtsrheinischen Gebieten Bayerns, der heutigen Pfälzischen Landeskirche, angefordert. In Speyer evangelisierte Hölzel im März 1926, wobei die Besucherzahlen von 400 auf 1.300 stiegen. Zu einer Veranstaltung auf dem Speyerer Marktplatz kamen sogar 6.000 Teilnehmer11. Auf Hölzel folgte Anfang 1927 Engel, der allerdings weniger gute Bedingungen vorfand. Er machte dafür die aus kirchenpolitischen Motiven veränderte Haltung einiger Pfarrer in Speyer verantwortlich: „[…], sodaß der Zuhörerkreis nur halb so groß war wie im vergangenen Jahr, als Hölzel dort war, zu dessen Evangelisation die liberale Seite sich damals noch wohlwollend gestellt hatte, bis sie nach den Hölzelschen Tagen von anderen liberalen Pfarrern der Pfalz wegen ihrer Beteiligung an der Volksmissionswoche stark angegriffen wurde“12.
Ähnlich wie in Bayern war die Situation in Württemberg. Da sich Mitte der 1920er-Jahre hier Kontroversen um eine Evangelisationsreise Hagens in verschiedene Gemeinden entwickelten, soll die Beschreibung der Verhältnisse in Württemberg etwas detaillierter ausfallen. Die Beschreibung dieser Auseinandersetzungen kann als Fallstudie dafür dienen, wie der Central-Ausschuss mit seiner eigenen Volksmissionstätigkeit in die Auseinandersetzung mit anderen Volksmissions- und Evangelisationsorganisationen geriet. In Württemberg hatte sich bedingt durch die pietistische Tradition ein vitales Gemeinschaftswesen und bereits vor dem Ende des Ersten Weltkrieges eine „evangelistische Szene“ herausgebildet. Die verschiedenen pietistischen Gemeinschaftsverbände beschäftigten hier jeweils eigene Evangelisten13. Neben ihnen bestand ein bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gegründeter 9 Vgl. Henn, Volksmission, 7. Zusammengefasst wurden diese Organisationen durch eine dem bayerischen Landesverein für Innere Mission angeschlossenen Arbeitsgemeinschaft für Volksmission mit insgesamt 80 Mitgliedern (vgl. ebd., 6). 10 Schreiben Hans Meinzolt an CA 21. 3. 1928 (ADE Berlin, DEVVM 11). 11 Berichtbogen Hölzel Evangelisation in Speyer 4.–11. 2. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 12 Schreiben Engel an Füllkrug 18. 2. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 121). 13 In Württemberg gab und gibt es mehrere landeskirchliche Gemeinschaftsverbände: Während die Hahn’sche Gemeinschaft und die Altpietisten wesentlich durch die Einflüsse des württembergischen Pietismus geprägt waren, bezog sich die „Süddeutsche Vereinigung für Evangelisation und Gemeinschaftspflege“ und die Liebenzeller Mission stärker auf Einflüsse der Heiligungsbewegung (vgl. Hermelink, Geschichte, 447–451).
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„Verein für Evangelisation“. Er war durch seine Kuratoriumsmitglieder, den Tübinger praktischen Theologen Paul Wurster, der bereits 1899 den Begriff Volksmission als Aufgabenbestimmung für die Innere Mission gebraucht hatte, und den Stuttgarter Prälaten Christian Römer fest in die württembergische Landeskirche eingebunden, hielt aber gleichzeitig enge Kontakte zu den pietistischen Gemeinschaften – besonders dem Altpietistischen Gemeinschaftsverband14. Der „Württembergische Verein für Evangelisation“ wurde 1925 Mitglied des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission und nannte sich in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre in „Württembergischer Verein für Innere Mission, Volksmission“ um15. Insgesamt waren Mitte der 1920er-Jahre 15 Evangelisten, die sich der evangelischen Landeskirche verbunden wussten, regelmäßig in Württemberg unterwegs. In den Jahren 1919 bis 1926 fanden dort 553 Volksmissionen an 401 verschiedenen Orten statt16. Daher wurden nach Württemberg wenig landesfremde Evangelisten eingeladen. Vonseiten des Central-Ausschusses fand lediglich 1926 eine Evangelisationsreise Hagens in mehrere württembergische Gemeinden statt. Diese hatte ihren Ursprung in innerwürttembergischen Entwicklungen. Neben dem „Württembergischen Verein für Evangelisation“ nahm nämlich Mitte der 1920er-Jahre auch der 1919 gegründete „Evangelische Volksbund“ den Gedanken der Volksmission auf. Der Evangelische Volksbund war zu Beginn der Weimarer Republik als eine in den einzelnen Kirchengemeinden verankerte Massenorganisation entstanden und verfolgte einerseits das Ziel, innerhalb der Gemeinden Laien zu einem kirchlichen Engagement anzuleiten und ihnen dafür Hilfestellung zu bieten, und andererseits, die Vertretung kirchlicher Interessen in der Öffentlichkeit zu übernehmen17. Im Jahre 1924 hielt er in Tübingen einen Ferienkurs für Pfarrer zum Thema „Volksmission und Evangelisation“ ab, auf dem gefordert wurde, die Evangelisation nicht mehr wie bisher den Gemeinschaften zu überlassen, sondern sie durch die Kirche selbst zu übernehmen18. Dabei betrachtete sich der Evangelische Volksbund als die Organisation, welche diese Aufgabe erfüllen konnte. Aus diesem Grund nahm der Evangelische Volksbund 1925 Kontakt zum 14 Vgl. Jubiläumsschrift des Württembergischen Vereins für Evangelisation, Stuttgart 24. 5. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 84). Der Autor dankt Dr. Norbert Haag (Landeskirchliches Archiv Stuttgart) und Prof. Dr. Hermann Ehmer (Tübingen) für nähere Informationen zum „Verein für Evangelisation“. 15 Vgl. Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Handbuch, Bd. 1, 341. 16 Vgl. Anon., Jubiläumsschrift (ADE Berlin, CA / EvA 84). Dabei sind freikirchliche und „sektiererische“ Evangelisten offenbar nicht mitgerechnet. Für die Veranstaltungen der im DEVVM organisierten Verbände vgl. Aus der Arbeit der Volksmission […] (ADE Berlin, DEVVM 10); siehe unten 523. 17 Zum Evangelischen Volksbund vgl. Ehmer, Volksbund. 18 Zeitungsausschnitt ohne genaue Kennzeichnung (ADE Berlin, CA / EvA 84, 50); vgl. auch Ehmer, Volksbund, 74.
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Central-Ausschuss auf, um die Entsendung eines Evangelisten zu erreichen, der in mehreren württembergischen Orten Volksmissionswochen durchführen sollte. So sollte interessierten Pfarrern die Möglichkeit gegeben werden, bei Volksmissionswochen zu hospitieren. Füllkrug stellte die Entsendung Hagens für das Frühjahr 1926 in Aussicht, was der Evangelische Volksbund dankend annahm19. In der Tat wurde Hagen im Juni 1926 für vier Wochen in verschiedene Gemeinden Württembergs entsandt, um den Mitgliedern des Evangelischen Volksbundes Gelegenheit zu bieten, Einblicke in die volksmissionarische Praxis zu bekommen20. Allerdings geriet Hagen bei seiner Volksmissionsreise nach Württemberg in Auseinandersetzungen mit dem württembergischen „Verein für Evangelisation“. Die Einladung Hagens durch den Evangelischen Volksbund wurde von den im württembergischen Pietismus verankerten Protagonisten des anderen Vereines als persönlicher Affront gedeutet und sie drohte, einen Keil zwischen der Evangelistischen Abteilung des CA und dem württembergischen „Verein für Evangelisation“ zu treiben. Das erschwerte auch die Rezeption der Volksmission in den württembergischen Gemeinden21. Hier zeigten sich erneut die Probleme der dezentralen Organisation und der Konkurrenz der verschieden gearteten Mitgliedsverbände des DEVVM22. In Württemberg waren es allerdings nicht so sehr organisatorische Differenzen oder die organisatorischen Interessen von Apologeten und Evangelisten, sondern die Differenz zwischen landeskirchlichem Pietismus und dem theologisch eher von den Liberalen geprägten Volksbund23. Daher wurden seit 1926 keine weiteren Evangelisationen durch Mitarbeiter der Abteilung in Württemberg gehalten. Darüber hinaus dürfte allerdings auch die hohe Anzahl von einheimischen Evangelisten, die bewusst im Rahmen der Landeskirche arbeiteten, den Bedarf an der Einladung landesfremder Volksmissionare nach Württemberg begrenzt haben.
11.2 Norddeutsche Landeskirchen Der Schwerpunkt des Central-Ausschusses lag in den nord- und mitteldeutschen Landeskirchen. Auch dort gab es allerdings Unterschiede. So fanden, abgesehen von dem bereits erwähnten volksmissionarischen Lehrgang in 19 Schreiben Füllkrug an den Geschäftsführer des Volksbundes, Hermann Ströle, am 15. 6. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 84); Schreiben Ströle an Füllkrug am 3. 7. 1925 (ebd.). 20 „[…] für längere Zeit ist er [Hagen, H. B.] hier nicht zu entbehren“ (Sitzung Kommission für Volksmission vom 30. 6. 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 13, 172]). 21 Vgl. die Unterlagen in ADE Berlin, CA / EvA 84. 22 Vgl. auch die Ausführungen zur Entwicklung der Volksmissionsbewegung in den 1920er-Jahren oben 222–228. 23 Vgl. Schreiben Eugen Zimmermann an Füllkrug am 20. 9. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 84).
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Hademarschen, Anfang Januar 1920 in Schleswig-Holstein zunächst wenige Volksmissionswochen durch Evangelisten des Central-Ausschusses statt, obwohl von den Volksmissionsorganisationen insgesamt in den Jahren 1919 bis 1926 an 72 Orten 106 Volksmissionen veranstaltet wurden24. Das änderte sich Ende der 1920er-Jahre, als Hagen zu mehreren Evangelisationswochen eingeladen wurde: 1928 nach Bad Segeberg25 und 1929 zu einer kirchlichen Woche nach Bordesholm26. In den Hansestädten variierte die Einladepraxis. In Lübeck fand 1921 eine Volksmissionswoche durch Hagen statt, Hölzel evangelisierte dort im Oktober 192727. In Hamburg griffen die Gemeinden offenbar eher auf die im Rauhen Haus ansässige Wichern-Vereinigung als auf den Central-Ausschuss zurück28. In der Landeskirche Hannover, wo in den Jahren 1919 bis 1926 an 189 Orten insgesamt 290 Evangelisationen stattfanden, hielt Hölzel dagegen häufiger Volksmissionswochen29. Wie aus einem Bericht Hölzels über eine Evangelisation in Hannover im Frühjahr 1924 deutlich wird, an der über 850 Menschen teilnahmen und 300 auch die Nachversammlung besuchten, gab es durchaus ein Interesse an den Predigten der Volksmissionare30. Allerdings fällt auf, dass die unter dem Einfluss der Hermannsburger Mission stehenden Gebiete in der Lüneburger Heide, in denen die „Arbeitsgemeinschaft für Volksmission“ der Hannoverschen Landeskirche ihren Schwerpunkt hatte, keinen Evangelisten des Central-Ausschusses einluden. Ähnlich wie in Bayern und Württemberg war der Bedarf an Evangelisten offenbar durch die von der Missionsanstalt Hermannsburg ausgehende Heimatmission gedeckt31. Möglich ist, dass auch konfessionelle Gesichtspunkte dahingehend eine Rolle spielten, eher betont lutherische Prediger einzuladen32. Dagegen wurde Hölzel besonders häufig in
24 Vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); siehe unten 523. Zur Evangelisation Hagens vgl. Schreiben Füllkrug an Hagen vom 9. 3. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 25 Vgl. den Bericht in Schreiben Propst Friedrich Karl Rotermund, Bad Segeberg, an den CA, vom 3. 9. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 127). 26 Vgl. August Lafrenz, Das Opfer, in: Gemeindeblatt für die Kirchengemeinde Bordesholm, März 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 27 Vgl. Schreiben Hagen an Füllkrug am 20. 11. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 125); Bericht des Volksmissionars Hölzel über seine Volksmission in Lübeck vom 14.–21. Oktober [1927] (ADE Berlin, CA / EvA 142). 28 So führte die Wichern-Vereinigung 1932 mit der sogenannten „Aktion Ansgar“ zeitgleich mehrere Diskussionsabende mit Freidenkern durch (vgl. Birnbaum, Zeuge, 95–108). 29 Erwähnenswert ist eine vergleichsweise gut dokumentierte Evangelisationswoche in HannoverWülfel im Mai 1927; vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug am 11. 5. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 142); zu den Volksmissionen des DEVVM in Hannover vgl. Aus der Arbeit der Volksmission […] (ADE Berlin, DEVVM 10); siehe unten 522. 30 Schreiben Hölzel an Füllkrug am 1. 4. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 31 Vgl. zur Arbeitsgemeinschaft für Volksmission in Hannover Otte, Nebeneinander; allgemein zur Hermannsburger Mission Schendel, Missionsanstalt. 32 So gehörte das Hermannsburger „Hinterland“ für den als freien Prediger aktiven deutschbal-
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die lutherisch und reformiert gemischten Gegenden der preußischen Provinz Hannover eingeladen. Im Januar 1923 berichtete er über eine einmonatige Evangelisation in verschiedenen Gemeinden der konfessionell gemischten Grafschaft Bentheim, wo er angab, vor jeweils bis zu 1.000 Menschen gesprochen zu haben33. Einen Schwerpunkt der Volksmissionsarbeit des Central-Ausschusses bildete auch das ebenfalls konfessionell lutherisch und reformiert gemischte Ostfriesland. In Ostfriesland gab es mehrere Pfarrer, die die Volksmission unterstützten und regelmäßig Evangelisten in ihre Gemeinden riefen. Zu den häufig dorthin gerufenen Volksmissionaren gehörte auch Hölzel. So hielt er etwa 1924 Volksmissionswochen in acht Gemeinden Ostfrieslands. Im gleichen Jahr wurde sogar von der Abteilung für Volksmission ein eigener Mitarbeiter für die Nacharbeit und Pflege von entstandenen Gemeinschaften eingestellt34. Die Evangelisationen in Ostfriesland zeichneten sich nach den Angaben in den Berichten Hölzels durch eine hohe Beteiligung und ein ungemein positives Echo aus, wobei die Berichte allerdings immer wieder den Eindruck vermitteln, dass sie bewusst Assoziationen zu den Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts bewirken sollten35. Dies gilt zumindest für die erste Hälfte der 1920er-Jahre. Hölzel klagte 1926, dass durch die alljährliche Abhaltung von Evangelisationen die bisherige Begeisterung am Abflauen war: „Darum ist das Interesse heute nicht so groß wie damals [bei Hölzels erster Evangelisation in Leer 1920, H. B.], wo die ganze Stadt in Bewegung war.“36 An der Arbeit in Ostfriesland lässt sich ablesen, dass bei günstigen Rahmenbedingungen (religiöses Interesse der Bevölkerung, Engagement der Pfarrer und Förderung durch das Kirchenregiment) Volksmission eine große Breitenwirkung erzielen konnte, die sich in hohen Besuchszahlen der Volksmissionswochen niederschlug und dazu führte, dass immer wieder Evangelisten gerufen wurden. Allerdings wurde in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre deutlich, dass die regelmäßige Veranstaltung von Evangelisationen diese zu einem regelmäßigen Bestandteil kirchlichen Lebens machten und damit gleichsam veralltäglichten: Nachdem Hölzel 1926 die geringere Mobilisierungsfähigkeit der Bevölkerung von Leer beklagte, wurden auch die Rufe nach Ostfriesland weniger. Auch die Stelle des Mitarbeiters war wegen mangelnder
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tischen Lutheraner Traugott Hahn sen. zum Kerngebiet seiner Evangelisationstätigkeit (vgl. Hahn, Lebenserinnerungen, 470). Hçlzel, Volksmission. Sitzung Kommission für Volksmission vom 14. 4. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 206); und vom 26. 6. 1924 (ebd., 204). Vgl. etwa Schreiben Hölzel an Füllkrug am 11. 2. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 126). Schreiben Hölzel an Füllkrug, Leer, 9. 2. 1926 (ebd.). Allerdings gibt der Bericht des Superintendenten einen anderen Eindruck: Nach seinen Angaben hätte die Zahl der Besucher von Hölzels Evangelisationswoche auch 1926 über 1.000 betragen, eine für eine ostfriesische Kleinstadt doch recht eindrückliche Zahl; vgl. Superintendent von Leer, Rückmeldebogen zur Evangelisation Hölzels im Februar 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144).
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Einträglichkeit der Kollekten bereits 1925 wieder gekündigt worden37. Zudem wird an der „Erweckung“ in Ostfriesland auch deutlich, welchen Einfluss die Struktur der Evangelistischen Abteilung auf die Arbeit hatte. In Ostfriesland wäre es sachlicher, nicht von einer Evangelisationsarbeit des Central-Ausschusses, sondern von der Evangelisationstätigkeit Hölzels zu sprechen. Er und nicht Hagen oder ein anderer Evangelist wurde regelmäßig dorthin eingeladen. Die Tatsache, dass sich die Evangelisten des Central-Ausschusses ihre Arbeitsfelder selbst suchen und sich über die eigene Evangelisationstätigkeit bekannt machen mussten, führte dazu, dass sich immer wieder Schwerpunkte der Evangelisationstätigkeit herausbildeten. Zweimal führte es Hölzel nach Braunschweig. Während die erste dieser Evangelisationen im Januar 1929 mit 250 Besuchern einen überschaubaren Umfang hatte, wurde die Evangelisation im Juni 1930 von Stadtmission, Landeskirchlicher Gemeinschaft und Innerer Mission gemeinsam durchgeführt und war mit einer öffentlichen Großversammlung auf dem Braunschweiger Schlossplatz sowie mit gezielten Einladeaktionen an den Fabriktoren verbunden. Die Besucherzahl der Vorträge stieg jedoch nicht wesentlich38. Auch insgesamt war die Zahl der Evangelisationen in Braunschweig nicht auffallend hoch. In den Jahren 1919 bis 1926 fanden an 45 Orten 72 Veranstaltungen statt39. Durch den ehemaligen Kammerherrn Fritz von Engel, der im CentralAusschuss die Landkonferenzen leitete und zugleich als Vertreter der Landeskirche Mecklenburg-Strelitz im Volksmissionsausschuss der mecklenburgischen Landeskirchen saß, gab es direkte persönliche Beziehungen des Central-Ausschusses nach Mecklenburg40. Engel hielt von 1923 bis 1926 insgesamt 15 Evangelisationsvorträge in den beiden Landeskirchen Mecklenburg-Strelitz und Mecklenburg-Schwerin41. Seit 1925 wurden auch die für die Evangelisation in der Frauenarbeit zuständigen Evangelistinnen Hermine Hardt und Dora Hasselblatt mehrfach eingeladen42. In den Jahren 1923 bis 1926, für die eine genaue Aufstellung der in Mecklenburg veranstalteten Evangelisationen durch die dortige Geschäftsstelle für Volksmission vorliegt, wurden Hölzel und Hagen nicht nach Mecklenburg eingeladen. 1921 hatte Hölzel jedoch eine Evangelisation mit 700 Besuchern in
37 Vgl. Sitzung Kommission für Volksmission vom 11. 9. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 193). 38 Vgl. Berichtbogen Hölzel, Evangelisation in Braunschweig 6.–14. 1. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142); Werbezettel Vorträge über Brennende Lebensfragen, Braunschweig 15.–27. 6. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142); Hölzel, Im Kampf um die Seele unseres Volkes: Bilder aus der Braunschweiger Arbeitermission [1930] (ADE Berlin, CA / EvA 142); Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Braunschweig 15. – 28. 6. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 39 Vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); siehe unten 522. 40 Vgl. Rohrdantz, Geschäftsstelle, 2. 41 Ebd., 4. Hierbei sind die Gutskonferenzen Engels in Mecklenburg offenbar nicht erfasst. 42 Hardt 1925/1926 18 Mal; Hasselblatt fünfmal (vgl. ebd.).
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Rostock abgehalten43, und im Herbst 1926 hielt er wiederum eine Evangelisation in Güstrow ab und gab direkt im Anschluss einen dreitägigen Bibelkursus in Rostock44. In den Jahren 1925 und 1926 fanden in Mecklenburg insgesamt 25 Evangelisationsveranstaltungen der CA-Volksmissionare statt, sodass Mecklenburg für den CA ein Missionsgebiet von mittlerer Intensität darstellte45.
11.3 Landeskirchen in der Mitte Deutschlands Ein Gebiet für Volksmission war auch die thüringische Landeskirche, da Thüringen durch die starke Industrialisierung auch in ländlichen Gebieten als weitgehend entkirchlicht galt, was an vergleichsweise hohen Kirchenaustrittszahlen sowie geringen Gottesdienstbesucher- und Kommunikantenzahlen festgemacht wurde. In den Jahren 1919 bis 1926 fanden dort insgesamt 104 Volksmissionen in 54 Orten statt46. Dabei waren dort nicht nur der Thüringer Volksdienst aktiv, auch die Wichern-Vereinigung unternahm seit Ende der 1920er-Jahre gemeinsam mit der Thüringer IM regelmäßige Fahrten mit einem umgebauten Zirkuswagen, dem Evangeliumswagen47. Auch die Evangelisten des CA kamen mehrfach nach Thüringen. Allerdings war das Verhältnis zwischen dem von Ernst Modersohn, dem Leiter des Allianzhauses in Bad Blankenburg, wesentlich geprägten Thüringer Gemeinschaftsverband und Gerhard Füllkrug gespannt. Als daher Hagen im Herbst 1921 zu einer Volksmission nach Bad Blankenburg eingeladen wurde, die nicht von der von Modersohn geleiteten Gemeinschaft ausging, sah Füllkrug das als eine wichtige Arbeit an und sprach Hagen Mut zu: „Sie werden es schon verstehen, mit Pastor Modersohn gut fertig zu werden.“48 Ferner evangelisierte Hagen im Sommer 1927 für längere Zeit in Thüringen. Allerdings war die Evangelisationsarbeit im Einzelnen nicht konfliktfrei49. 1928 wurde in Thüringen erstmals ein Modell erprobt, das besonders die Tätigkeit Hagens immer stärker bestimmte: 1928 übernahmen Hagen und 43 Zu dieser Zeit bestand die Geschäftsstelle für Volksmission in Mecklenburg noch nicht; zu Hölzels Evangelisation in Rostock vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug Frühjahr 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 44 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Güstrow, 31. 10. – 9. 11. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142); Berichtbogen Bibelkursus Hölzel in Rostock 10.–12. 11. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142); der Bibelkursus wurde von der Rostocker Gemeinschaft organisiert und hatte vormittags immerhin dreihundert Teilnehmer, zu den Vorträgen am Abend kamen 500 (vgl. ebd.). 45 Aus der Arbeit der Volksmission […] (ADE Berlin, DEVVM 10); siehe unten 523. 46 Ebd.; vgl. unten 532. 47 Zum kirchlichen Leben in Thüringen vgl. Glaue, Leben; zur Evangelisation in Thüringen Bçhm, Volksdienst; Birnbaum, Dorf. 48 Schreiben Füllkrug an Hagen 10. 9. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 49 Vgl. Schreiben Hagen an Füllkrug am 16. 9. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 126).
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Hölzel im Sommer Pfarrvertretungen in Thüringer Gemeinden, in denen sie die Vakanzvertretung mit gezielter Evangelisation verbinden sollten50. Auch 1929 übernahm Hagen eine Pfarrvertretung in Blankenhain bei Weimar51. Die Innere Mission in Sachsen baute ebenfalls eine eigene Abteilung für Volksmission auf. Hier fanden von 1919 bis 1926 insgesamt 421 Evangelisationen an 245 Orten statt. 1924 bat die sächsische IM den Central-Ausschuss um die Vermittlung von geeigneten Evangelisten52. So evangelisierte Hagen u. a. in der Gemeinde Roßwein bei Meißen. Der zuständige Pfarrer wertete im Dezember 1926 die daraus entstandene Bibelstunde als einen Erfolg53. Im Mai 1927 evangelisierte Hagen in Remse an der Mulde54. Im Gebiet der sächsischen Landeskirche fällt auf, dass besonders im Raum Leipzig mehrfach Evangelisationen durch Volksmissionare des Central-Ausschusses stattfanden. Das ist durch die Bedeutung zu erklären, die Hilbert, seit 1925 Superintendent der Stadt, der Volksmission in der praktischen Umsetzung seines Gemeindeaufbauprogramms beimaß. So wurde in Leipzig ein eigenes „Kirchliches Amt für Presse und Volksmission“ eingerichtet55. Bereits 1924 hatte Füllkrug selbst in Leipzig evangelisiert, war aber mit den Ergebnissen nicht zufrieden56. Über die Evangelisation Hagens in Leipzig-Stötteritz im Herbst 1927, die zu intensiven Kontakten mit der Deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft und zu Diskussionen über das Verhältnis der Volksmissionare zu den Völkischen führten, wurde bereits im Rahmen der Entwicklung der Evangelistischen Abteilung für Volksmission berichtet. Die Evangelisation in Stötteritz war offenbar so erfolgreich, dass Hagen 1928 wiederum nach Leipzig eingeladen wurde, um dort zwei Wochen lang an der Lutherkirche zu evangelisieren57. 50 Vgl. Schreiben LKR Thüringen an Füllkrug am 27. 4. 1928 (ADE Berlin, DEVVM 11). 51 Vgl. Schreiben Hagen (Blankenhain) an Füllkrug am 29. 8. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 127). 52 Zur sächsischen Volksmissionsstatistik vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); siehe unten 523. Für die Bitte an den CA vgl. Sitzung Kommission für Volksmission vom 26. 6. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 205). Allgemein zur sächsischen Volksmission bis 1945 Schmidt, Spiritualität, 37–82. 53 Vgl. Schreiben Pfarrer Friedrich Helmuth Schubert, Rosswein, an den CA 3. 12. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 54 Programm Evangelisation Remse/Mulde 16. 5.–23. 5. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 55 Vgl. Richter, Das kirchliche Amt für Presse und Volksmission (Leipzig) (ADE Berlin, DEVVM 5). 56 „D. Füllkrug […] gibt noch einige Eindrücke von seiner eigenen Volksmission in Leipzig, die unter besonders ungünstigen Verhältnissen litt, was eine Wiederholung als fast ganz aussichtslos erscheinen lässt“; Sitzung Kommission für Volksmission vom 26. 6. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 204). 57 Vgl. die positive Besprechung im dortigen Gemeindeblatt G. Faber, Was nun? Betrachtung zur Evangelisation, in: Lutherbote: Organ des Pfarramtes der Lutherkirche Leipzig, XIX.12 (1928) [ADE Berlin, CA / EvA 127]. Eine Anfang 1929 geplante Evangelisation in der Leipziger Andreaskirche musste allerdings ausfallen, da Hagen wegen Überlastung mangelnden Kontakt hielt (vgl. Schreiben Pfarrer Rudolf Amadeus Hofmann, Leipzig, an den CA Anfang 1929 [ADE Berlin, CA / EvA 127]; Schreiben Sup. Kramer, Bitterfeld, an den CA am 9. 3. 1929 [ADE Berlin, CA / EvA 127]).
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Diese Einladungen innerhalb relativ kurzer Zeit zeigen, dass seine Verkündigung hier Anklang fand; allerdings wäre es übertrieben, von Sachsen oder Leipzig als einem Kerngebiet der Volksmission des Central-Ausschusses zu sprechen. Zufriedenstellende Ergebnisse kamen von Hölzel aus der reformierten lippischen Landeskirche. Anlässlich einer Evangelisation im Mai 1926 in Schötmar berichtete er über ein breites Interesse, das sich in Besucherzahlen von bis zu 500 Teilnehmern an seinen Vorträgen manifestierte58.
11.4 Altpreußische Union Der größte Teil der von den Evangelisten des Central-Ausschusses abgehaltenen Volksmissionswochen fand allerdings in den verschiedenen Provinzen der altpreußischen Landeskirche statt. Das Gebiet dieser Landeskirche war aber so groß, dass sich eine allgemeine Betrachtung nicht anbietet. Zudem war je nach Provinz die Häufigkeit unterschiedlich, mit der Evangelisten gerufen wurden. In Schlesien etwa fanden zwar mehrfach Evangelisationen Hölzels und Hagens statt, in den Jahren 1925 und 1926 z. B. insgesamt an 15 Orten59, sie erfuhren jedoch in der Regel eine eher verhaltene Rezeption. So kam die Kreissynode von Ohlau, wo mehrere Evangelisten im ganzen Kirchenkreis evangelisiert hatten60, bereits 1922 zu einer desillusionierten Einschätzung: „[…] es zeigt sich je länger je mehr, was von Anfang an zu erwarten stand, daß auch die Evangelisation kein Allheilmittel ist.“61 Aber auch die Volksmissionare waren mit ihren Einsätzen in schlesischen Gemeinden meistens unzufrieden62. Füllkrug machte für die ständigen Probleme in Schlesien, in einem vertraulichen Schreiben an Fritz v. Engel, Vorbehalte der schlesischen Kirchenbehörde und der Inneren Mission gegenüber der volksmissionarischen Praxis des Central-Ausschusses verantwortlich. Ein durch den Breslauer Theologieprofessor Karl Bornhausen maßgeblich unterstützter „Apologetischer Aus58 Vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug am 6. 5. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126). Insgesamt fanden in der eher kleinen lippischen Landeskirche zwischen 1919 und 1926 von den Organisationen des DEVVM 93 Volksmissionen an 33 Orten statt; vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); vgl. unten 522. 59 Vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); vgl. unten 523. 60 Vgl. handschr. Memorandum Hölzels an das Konsistorium der Mark Brandenburg (Abschrift für Füllkrug), Bad Liebenzell 28. 6. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 61 Auszug aus Ephoralbericht 1922, erstattet auf der Kreissynode Ohlau am 29. 5. 1922 (ebd.). Diese Einschätzung war noch konziliant gegenüber im Bericht referierten Äußerungen aus Gemeinden: „Wenn aus einer Parochie bittere Klage darüber geführt wird, daß der Evangelisator die Gemeinde ,an der Nase herumgeführt habe‘, so ist es sehr bedauerlich“ (vgl. ebd.). 62 Vgl. etwa Schreiben Hölzel an Füllkrug, Logau (Schlesien) am 1. 6. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 125); Schreiben Hölzel an Füllkrug am 13. 6. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 125).
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schuss für moderne Volksmission“ arbeitete explizit „im Geiste des freien Protestantismus“63. Hierin sah Füllkrug unüberbrückbare Gegensätze zur Praxis der Volksmission in seiner Abteilung: „V.[olks-] M.[ission] wie wir sie wollen und treiben ist in Schlesien von seiten der I. M. und der offiziellen Kirche nicht sehr beliebt.“64 Aber auch der im Kontakt mit der Gemeinschaftsbewegung stehende und selbst evangelistisch tätige Pfarrer Joseph Chambon kritisierte das Auftreten Hölzels bei einer Evangelisation in seiner Gemeinde Reichenbach im Riesengebirge im Januar 1926 und bescheinigte ihm: „Wirkung in der Gemeinde sonst gleich Null!“65 In Schlesien war die Tätigkeit der Volksmission also sehr häufig mit Interessenunterschieden und Konflikten verbunden. Nur selten gab es auch positive Berichte über Evangelisationen in diesem Gebiet66. Immerhin fanden im Rahmen der verschiedenen Volksmissionsorganisationen von 1919 bis 1926 insgesamt 243 Veranstaltungen an 143 Orten statt, sodass trotz dieser Eindrücke der CAVolksmissionare nicht von einer totalen Abstinenz der schlesischen Kirchenprovinz gesprochen werden kann67. Ein Gegenbeispiel zu Schlesien bietet die Provinz Ostpreußen. Auch hier gab es zunächst verhältnismäßig wenige Impulse für Volksmission, sodass Füllkrug 1922 erwog, eine Landkonferenz mit einem sich an Pastoren richtenden Volksmissionskurs zu verbinden, um für Volksmission werben zu können. Allerdings erreichten die Organisationen des DEVVM in den Jahren bis 1926 mit 220 Volksmissionen an 144 Orten ein recht hohes Niveau68. Besonders in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre wurde Ostpreußen auch zu einem Kerngebiet der Volksmission des CA. In dieser Zeit erhielt Hölzel regelmäßig Einladungen nach Ostpreußen. Hölzel war bei seinen ersten Volksmissionswochen im Kirchenkreis Bischofsburg in Ostpreußen im Frühjahr 1924 noch kritisch gegenüber dem Zustand des ostpreußischen Kirchenwesens und beschrieb den Kirchenkreis als weitgehend verweltlicht69. Im Laufe der 1920er-Jahre aber wich diese negative Einschätzung einer positiveren. Er hatte den Eindruck, dass seine Tätigkeit in Ostpreußen etwas bewegen würde. So berichtete er im Juni 1925 über einen fünfwöchigen Auf63 Zitiert nach Bunke, Innerkirchliche Evangelisation (1923), 226. 64 Schreiben Füllkrug an Engel am 18. 10. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 121). 65 Rückbogen Chambon Januar 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144); zur Biografie Chambons, der im November 1926 an die Französische Kirche Berlin berufen wurde und 1937 als Angehöriger der Bekennenden Kirche zwangspensioniert wurde; vgl. Fuhrich-Gruber, Hugenotten, 547–555. 66 So bei einer Evangelisation Hölzels in einer Landeskirchlichen Gemeinschaft in Breslau im Herbst 1929; vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Breslau 26. 11.–8. 12. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 67 Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); siehe unten 523. 68 Vgl. Schreiben Füllkrug an Engel am 14. 1. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 120, 131); zur Volksmission des DEVVM vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); siehe unten 522. 69 Schreiben Hölzel an Füllkrug, 31. 5. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 125).
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enthalt in Königsberg und Umgebung, wo er in Gemeinschaft mit zwei weiteren Volksmissionaren im Auftrag des ostpreußischen Landesvereins für Innere Mission evangelisierte und unter anderem eine dreitägige Vortragsreihe mit 2.000 Zuhörern in der Stadthalle Königsberg abhielt70. Er verglich im Februar 1926 Ostpreußen mit seinem bisherigen Schwerpunkt Ostfriesland, wo die Zahlen der Evangelisationsbesucher langsam nachließen. Hölzel ließ hier auch sein nicht gerade bescheidenes Selbstverständnis als Volksmissionar anklingen: „Ich glaube, meine besondere Aufgabe ist Pioniermission, darum ist in Ostfriesland meine Aufgabe erfüllt. Jetzt tritt Ostpreußen an seine Stelle.“71 Die Einschätzung einer erfolgreichen Tätigkeit Hölzels in Ostpreußen wird durch die hohe Zahl an Evangelisationen bestätigt, zu denen Hölzel bis zu seinem Ausscheiden aus dem Dienst des CentralAusschusses im Oktober 1930 eingeladen wurde. Bereits in den Jahren 1925 und 1926 fanden mit Veranstaltungen des CA an 50 Orten in Ostpreußen eine so intensive Arbeit statt, wie sie sonst nur in Westfalen erreicht wurde72. In diesen und den folgenden Jahren fanden regelmäßig Missionsreisen Hölzels durch Ostpreußen statt, bei denen er nacheinander in mehreren Städten evangelisierte73. Hölzel evangelisierte dabei in verschiedenen Städten Ostpreußens mehrfach, was dafür spricht, dass seine Evangelisationstätigkeit von den betreffenden Gemeinden als erfolgreich angesehen wurde74. Auch die Besucherzahlen, die Hölzel von seinen Evangelisationen dort meldete, waren oft im Verhältnis hoch; so besuchten in den mittelgroßen Städten Elbing und Insterburg im Frühjahr 1930 bis zu 1.000 Menschen die Evangelisationsvorträge Hölzels75. An Hölzels Deutung seiner Einsätze in Ostpreußen wird auch die Verbindung von nationaler und religiöser Motivation deutlich. In seinen publizistischen Äußerungen nannte Hölzel für seinen Dienst in Ostpreußen immer wieder die Begründung, dass Volksmission in Ostpreußen schon deshalb nötig sei, um die Verbundenheit zwischen dem durch die Grenzrevision des Versailler Vertrages abgetrennten Ostpreußen und dem Rest des Deutschen Reiches zu stärken. Die Volksmission in Ostpreußen sah er also auch als eine nationale Aufgabe an: „Ist denn Ostpreußen nicht das echte Kind des Deutschen Reiches?“76 Hier kam wieder der Willen zum Ausdruck, mit der Ver-
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Hçlzel, Armen. Schreiben Hölzel an Füllkrug, Leer 9. 2. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126). Vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); siehe unten 523. Im Juni 1926 evangelisierte er beispielsweise nacheinander in Labiau, Pillau und Tilsit (vgl. die Berichtbögen in ADE Berlin, CA / EvA 142). 74 So in Pillau 20.–27. 6. 1926 und 22. 3.–29. 3. 1928; in Elbing 11. 3.–20. 3. 1928 und 30. 3.–8. 4. 1930; vgl. die Berichtbögen in ADE Berlin, CA / EvA 142. 75 Vgl. Berichtbogen Volksmission Hölzel in Insterburg 18.–23. 5. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142); Hçlzel, Stiefkind, 112. 76 Ebd., 110.
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kündigung des Evangeliums auch den Folgen des Versailler Vertrages zu begegnen. Eine ähnliche Verquickung zwischen nationaler und kirchlicher Aufgabe zeigte sich auch im zweiten Gebiet im Osten, in dem Missionare des CentralAusschusses wiederholt tätig wurden: In der Grenzmark Posen-Westpreußen wurde besonders Hagen mehrmals eingeladen. Die Grenzmark Posen-Westpreußen war 1919 aus den beim Deutschen Reich verbliebenen Gebieten der vormaligen Provinz Posen und des westlichen Westpreußens gebildet worden. Diese Provinz war relativ klein und bestand zudem aus mehreren nicht zusammenhängenden Teilen mit jeweils eigener Geschichte. Die Gründung der „Grenzmark“ war vor allem ein Mittel, um den Anspruch auf eine östliche Grenzrevision aufrechtzuerhalten. Auch die altpreußische evangelische Kirche folgte dem staatlichen Vorbild, indem sie in Schneidemühl einen Generalsuperintendenten einsetzte, der allein für die insgesamt sieben beim Deutschen Reich verbliebenen Kirchenkreise zuständig war77. Obwohl der zuständige Generalsuperintendent Hegner sich um eine politisch ausgewogene Haltung bemühte, hatte eine Tätigkeit in der Grenzmark immer auch eine nationale Komponente als Stärkung der dort vorhandenen deutschen Bevölkerung. In den Jahren 1919 bis 1926 fanden im Rahmen der zum DEVVM gehörenden Organisationen insgesamt 14 Volksmissionen an zwölf Orten statt78. Die Grenzmark wurde ähnlich wie Ostpreußen zu einem Kerngebiet der Volksmission des Central-Ausschusses, in dem vor allem Hagen regelmäßig arbeitete. Dorthin fand im Winter 1928 dessen erste, drei Stationen umfassende Evangelisationsreise statt. Da zeitgleich Hölzel im ehemals Posenschen und ebenfalls zur Grenzmark gehörenden Fraustadt evangelisierte, scheint diese Evangelisation in der Grenzmark gezielt vorbereitet gewesen zu sein79. Als wichtigstes Resultat der Mission Hagens 1928 wurde von der Kommission für Volksmission die kirchliche Integration der aus den mittlerweile polnisch gewordenen Teilen Posens und Westpreußens emigrierten Deutschen in ihre neue Heimat angesehen80. Daneben sah Hagen seine Aufgabe darin, ein Gegengewicht zu den in einigen Gebieten der Grenzmark Posen-Westpreußen starken Methodisten und der Gemeinschaftsbewegung zu schaffen; sein Ziel war es, „wider das Elitebewußtsein [der Gemeinschaftsleute, H. B.] anzugehen und die Gemeinde in den Vordergrund zu stellen“81. Diese im Verhältnis zu den bis 1926 stattfindenden Volksmissionen deutliche Häufung von volksmissionarischen Einsätzen in der Grenzmark Posen77 Zur Kirchengeschichte der Grenzmark bis 1933 vgl. Heine, Geschichte, 9–18. 78 Vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); vgl. auch unten 522. 79 Vgl. Flugblatt „Volksmission in Fraustadt vom 15. bis 22. Januar 1928. Evangelisationsvorträge des Volksmissionars Johannes Hölzel“; abgedruckt in: Rçper / J llig, Macht, 219. 80 Sitzung Kommission für Volksmission am 8. 2. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 127). 81 Schreiben Hagen an Füllkrug am 3. 5. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 127). Hieraus ergaben sich Konflikte mit dem Gemeinschaftsdiakonieverband (vgl. ebd.).
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Westpreußen im Winter 1928 wurde zum Auftakt regelmäßiger Evangelisationen in diesem Gebiet. Besonders nachdem Hagen als einziger Volksmissionar des Central-Ausschusses in die Apologetische Centrale übergegangen war, wurde die Grenzmark zu seinem besonderen Arbeitsfeld, wo er vor allem längerfristige Pfarrvertretungen übernahm82. In einem zusammenfassenden Bericht über die bisherige Arbeit der Volksmission an den Evangelischen Oberkirchenrat in Berlin im November 1933 nannte der zuständige Referent in Schneidemühl unter den bisher gerufenen Evangelisten in der Grenzmark Hagen an erster Stelle83. In einem Bericht von 1933 machte Hagen stärker als bisher deutlich, dass er seine eigene Tätigkeit auch als Dienst am Vaterland sah: „Wir betrachten es als göttliche Führung, daß wir mit wenigen Ausnahmen unseren volksmissionarischen Dienst im vielfach bedrängten Ostraum unseres Vaterlandes tun durften.“84 An dieser Verbindung von Dienst am Evangelium und Dienst am Volk änderte sich auch in der Folgezeit nichts: Pfarrvertretungen in der Grenzmark Posen-Westpreußen blieben auch nach 1933 die Haupttätigkeit Hagens als Volksmissionar85. Ostpreußen und die Grenzmark Posen-Westpreußen waren also zwei wichtige Missionsfelder der Volksmissionare des CA. Für die Provinz Pommern gilt dies in einem etwas geringeren Ausmaß: Insgesamt war die Zahl der Volksmissionen zwischen 1919 und 1926 mit 433 Veranstaltungen an 229 Orten hoch, wofür offenbar vor allem die sehr aktive IM in Pommern verantwortlich war. Im Rahmen des CA fanden in den Jahren 1925 und 1926 insgesamt 35 Volksmissionen in Pommern statt, weniger als in Ostpreußen oder Westfalen86. Pommern gehörte, wie auch Ostpreußen, zum Hauptgebiet der Landkonferenzen. Daher evangelisierte Engel auch gelegentlich in pommerschen Gemeinden, etwa in Freiwalde im Kreis Stargard87. Auch Hermine Hardt, die selbst in Stettin wohnte, hielt im Rahmen der kirchlichen Frauen-
82 1932 hielt Hagen wiederum Volksmissionswochen in drei Regionen der Grenzmark ab und übernahm dort für ein Vierteljahr eine Vakanzvertretung; vgl. Auszug Bericht über Volksmission in der Grenzmark Posen-Westpreußen vom 18. 8. 1932 (EZA Berlin 1 / 1146). Ähnliche langfristige Pfarrvertretungen „zur pfarramtlichen Verwaltung und volksmissionarischen Durcharbeitung“ übernahm Hagen 1933 in zwei Gemeinden an der deutsch-polnischen Grenze (vgl. Bericht Pfarrer Hagen Sept. 1933 [ebd.]). 83 Vgl. Schreiben Konsistorium Grenzmark (Berichterstatter Bohn) an EOK am 6. 11. 1933. 84 Hagen, Dienst, 2. 85 Vgl. Halbjahresbericht der Apologetischen Centrale; Stand: 31. Dezember 1934, 6 (EZA Berlin 7 / 3855). 86 Vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); vgl. auch unten 522 f. In Pommern war 1919 erstmals im Rahmen des dortigen Provinzialverbandes eine eigene Organisation entstanden. Diese galt als vorbildlich für andere Landeskirche (vgl. Protokoll Sitzung des CA vom 10. 6. 1919 [ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1919, 12]). 87 Vgl. Abschrift Bericht des Sup. Friedrich-Carl Rohloff in Freienwalde i. Pommern über eine Evangelisation (ADE Berlin, CA / EvA 144).
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verbände Pommerns Evangelisationen ab, die in ähnlicher Weise aufgebaut waren wie die ihrer männlichen Kollegen88. Mehrfach fanden Hölzels Evangelisationen in der Umgebung von Stettin statt. Anfang 1929 evangelisierte er in einer Anstalt der Inneren Mission und in der Bugenhagen-Kirche in Stettin89. Hier überwog allerdings die Enttäuschung, da Hölzel auf mehrere erfolgreichere Volksmissionswochen Anfang der 1920er-Jahre zurückblickte: „[…] in Stettin, wo ich 1921 und 1922 überfüllte Versammlungen in der altehrwürdigen Peter-Paulskirche hatte, während diesmal die Bugenhagenkirche kaum zum dritten Teil belegt war.“90 Im November 1929 evangelisierte Hölzel wiederum in der Stettiner Vorstadt Grabow, wo er eine relativ erfolgreiche Arbeit konstatierte91. Auf Rügen und in anderen Gebieten Vorpommerns arbeitete um 1923 der Diakon Berger als Volksmissionar im Auftrag des Central-Ausschusses92. Er geriet allerdings in Konflikte mit den örtlichen Pfarrern, die ihn durch seine Verkündigung als Vertreter „der extremen Richtung der Gemeinschaften“93 wahrnahmen. Ähnlich wie in Schlesien resultierten Volksmissionen in Vorpommern also häufig in Konflikten. Insgesamt fällt zudem auf, dass, abgesehen von Einsätzen Hermine Hardts und Fritz v. Engels, sich nicht so viele Hinweise auf Evangelisationen der CA-Mitarbeiter in Hinterpommern finden, das durch seine erweckliche Prägung ein guter Boden für Volksmission hätte sein können. Aus diesen Gründen erscheint es übertrieben, dass Füllkrug Pommern 1928 zu den Kerngebieten der CA-Volksmissionare rechnete, eher kann von einem Einsatzgebiet mit mittlerer Intensität gesprochen werden94. Berlin und Brandenburg waren die geografisch der Dahlemer Zentrale am nächsten gelegenen Gebiete, denen zudem jeweils ein notorischer Hang zu einem gering ausgeprägten kirchlichen Leben bescheinigt wurde, was Gottesdienstbesuch und Abendmahlsbeteiligung betraf. In der Tat hatte Hölzel ein Interesse an Berlin. 1920 hatte er die „Volksmission im Freien“ gemeinsam mit Vertetern von Kirchengemeinden, Gemeinschaften und Freikirchen in der Reichshauptstadt geleitet. Auch in den folgenden Jahren dachte er immer wieder darüber nach, weiter die in diesem Zusammenhang gebildete „AllianzArbeitsgemeinschaft“ in Berlin zu leiten. Das wurde aber von Füllkrug nicht gerne gesehen: 88 Vgl etwa Bericht des Pfarrers von Greiffenhagen (Kreis Bahn) über eine Evangelisation Hardts 7.–17. 11. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 89 Vgl. Hölzel, Bericht über Evangelisation in der „Krüppelanstalt“ Bethesda-Stettin (ADE Berlin, CA / EvA 142); Hölzel, Bericht über Evangelisation in Berlin und Stettin (ebd.). 90 Hölzel. Bericht über Evangelisation in Berlin und Stettin (ADE Berlin, CA / EvA 142). 91 Der Besuch der Evangelisationsversammlungen stieg von 200 auf 500; vgl. Hölzel, Berichtbogen Evangelisation Stettin-Grabow 17.–24. 11. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 92 Vgl. Sitzung Kommission für Volksmission am 17. 5. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 223). 93 Schreiben Pfarrer Medenwald, Middelhagen auf Rügen, an den CA, 20. 5. 1931 (ADE Berlin, CA / EvA 122). 94 F llkrug, Jahr, 35.
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„Du wirst, wie ja jeder von uns es getan hat, hier wählen müssen, ob Du die Arbeit im Lande draussen, zu der Gott der Herr Dich besonders gesegnet und berufen hat, ganz weiterführen, oder lieber die Lokalarbeit der A[llianz].A[rbeits].G.[emeinschaft] in Berlin übernehmen willst. Beides lässt sich wirklich nicht vereinen.“95
In der Folge konzentrierte sich Hölzel in der Tat auf seine Evangelisationstätigkeit im Reich und hielt nur gelegentlich in Berliner Kirchengemeinden Volksmissionswochen ab. Im Frühjahr 1927 etwa evangelisierte er in der Taborgemeinde in Kreuzberg und sah das Ergebnis eher kritisch96. Ähnlich waren Hölzels Erfahrungen bei einer Evangelisation Anfang 1929 in Lankwitz. Zwar erklärten sich insgesamt 60 Teilnehmer der Evangelisation bereit, in der Arbeit der Kirchengemeinde mitzuwirken, Hölzel war jedoch darüber enttäuscht, dass die Besucherzahlen kleiner waren als bei einer Evangelisation, die er im November 1926 in Lankwitz abgehalten hatte. Hölzel begründete das u. a. damit, dass der Ruf zur Entscheidung bei seiner vorigen Volksmission viele abgeschreckt habe97. In Brandenburg, wo es auch insgesamt eine sehr hohe Evangelisationsdichte gab98, fanden ebenfalls recht oft Evangelisationen der CA-Volksmissionare statt. Die Statistik aus dem Jahr 1925 und 1926 nennt wie in Pommern Volksmissionen mit CA-Volksmissionaren in insgesamt 35 Orten99. Dabei ergaben sich jedoch immer wieder Probleme. 1920 schrieb Füllkrug vertraulich an Hölzel über die Anfrage einer Evangelisation in der Neumark: „Ich habe Bedenken für Neusalz eine Evangelisation zu vermitteln, wenn nicht ganz anders als bisher für die Nacharbeit gesorgt wird“100. Diese negativen Erfahrungen schlossen aber keine weiteren Einsätze in Brandenburg aus. Im November 1922 evangelisierte Hölzel wiederum in Fürstenwalde101. Von den Resultaten dieser Evangelisation war er so begeistert, dass er sie als Beleg für eine mögliche Erweckung in der Mark Brandenburg betrachtete102. 1923 evangelisierten Hölzel und Engel mehrfach in der Lausitz. Hölzel berichtete aus Annahütte, einer Industriesiedlung in der Lausitz, von 150 Teilnehmern an der eine Volksmission abschließenden Abendmahlsfeier103. 95 Schreiben Hölzel an Füllkrug vom 11. 6. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 125). Zur Volksmission im Freien vgl. deren Beschreibung oben 214–216. 96 Berichtbogen Evangelisation Hölzel in der Taborgemeinde in Berlin 30. 3. bis 8. 4. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 97 Hölzel, Bericht über Evangelisation in Stettin und Berlin [1929] (ADE Berlin, CA / EvA 142). 98 Die Statistik aus dem Jahr 1919 bis 1926 nennt insgesamt 328 Veranstaltungen an 141 Orten, wobei aber nicht zwischen Berlin und Brandenburg unterschieden wird (vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] [ADE Berlin, DEVVM 10], siehe unten 522). 99 Von insgesamt 316 Missionseinsätzen der CA-Volksmissionare (vgl. ebd.). 100 Schreiben Füllkrug an Hölzel nach Bad Liebenzell, 19. 7. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 101 Einladungszettel Evangelisation Hölzel in Fürstenwalde 15. 10.–24. 10. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 102 Schreiben Hölzel an Füllkrug am 1. 5. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 103 Sitzung Kommission für Volksmission vom 10. 1. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 209).
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Wie in Pommern wurde die Volksmission allerdings hauptsächlich durch die Volksmissionsstelle in der Mark Brandenburg getragen. Diese wurde vom dortigen Generalsuperintendenten Otto Dibelius umfangreich gefördert und seit Mitte der 1920er-Jahre durch den Direktor des Provinzialausschusses für Innere Mission in Brandenburg, Theodor Wenzel, und durch den Diakon Artur Schoch mustergültig aufgebaut104. Aus dem großen Freundeskreis ging die „Bruderschaft der märkischen Volksmission“ hervor, die im Jahre 1933 insgesamt 60 Pastoren und Laien umfasste105. Diese brandenburgische Volksmission konzentrierte sich ganz auf die Abhaltung von Volksmissionswochen106. Offenbar konnten die volksmissionarischen Kräfte in Brandenburg ihren Bedarf selbst decken, sodass der Umfang des Engagements der CAVolksmissionare in Brandenburg wie in Pommern eine mittlere Intensität hatte und hinter dem Engagement in Ostpreußen zurückblieb. Auch die preußische Provinz Sachsen zählte mit Einsätzen an 28 Orten in den Jahren 1925 und 1926 nicht zu den Kerngebieten der Volksmission im Central-Ausschuss, obwohl die Provinz in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre neben Württemberg zu den deutschen Gebieten mit der höchsten Intensität von Evangelisationen gehörte107. Offenbar war hier vor allem die provinzialsächsische Innere Mission aktiv. Im Mai 1926 evangelisierte Hölzel in Alleringersleben im Bezirk Magdeburg. Zwar konstatierte der Ortspfarrer eine erfolgreiche Evangelisation, aus der eine Bibelstunde entstanden sei, Hölzel selbst aber sah vor allem die durch die Industrialisierung gewachsenen sozialen Missstände108. Im Verhältnis zu der außerordentlich großen Zahl der Evangelisationen insgesamt und des durchaus vorhandenen Engagements des CA ist aber auffällig, dass es kaum Rückmeldungen aus diesem Gebiet gab. Insgesamt kann man hier von einem Engagement mittlerer Intensität sprechen, während die provinzialsächsische IM offensichtlich sehr aktiv gewesen ist. Einen größeren Umfang nahm dagegen die Volksmission des CentralAusschusses in Westfalen und in der Rheinprovinz ein. In Westfalen, wo der CA in den Jahren 1925 und 1926 an 50 Orten Volksmissionen abhielt109, 104 Vgl. Arnim, Wenzel; Schoch, Barmherzigkeit, Bd. 3; eingesehen im ADE Berlin. Die noch nicht aufgearbeiteten Bestände zur Volksmission in Brandenburg befinden sich sämtlich im Archiv für Diakonie und Entwicklung. 105 Vgl. Abschrift Rudolf Bitterhof (Karzig), Denkschrift betr. Volksmissionarische Arbeit in der deutsche [sic!] Evangelischen Kirche (ADE Berlin, DEVVM 14). 106 Vgl. Schreiben Artur Schoch an Pfarrer Karl Julius Wilhelm Eschen, Delmenhorst, 9. 5. 1930 (ADE Berlin, BP 1131). 107 Hier fanden von 1919 bis 1926 insgesamt 446 landeskirchliche Volksmissionswochen an 237 Orten statt (vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] [ADE Berlin, DEVVM 10]; vgl. unten 523). 108 Schreiben Hölzel an Füllkrug, Schötmar 6. 5. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126); Schreiben Pfarrer Wilhelm Ernst Emil Max Winckler, Alleringersleben bei Magdeburg, an den CA, 1. 11. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 109 Vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); vgl. unten 523.
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evangelisierte besonders Hagen. Einer seiner Schwerpunkte war das zum größten Teil zur westfälischen Kirchenprovinz gehörende Ruhrgebiet110. Bereits 1921 hatte Hagen dort in drei, nach seinen Angaben kommunistischen, Gemeinden evangelisiert111. Mehrfach evangelisierte Hagen in der Umgebung von Bochum: 1922 berichtete er über eine Evangelisation mit über 1.000 Teilnehmern in der Gemeinde Altenbochum112. Nach weiteren Volksmissionswochen im Ruhrgebiet wünschte die Synode Bochum, Hagen für sechs Monate in ihren Gemeinden evangelisieren zu lassen, wo er 1925 tatsächlich tätig wurde113. Auch 1926 evangelisierte Hagen in Gemeinden um Bochum114. Der Pfarrer der Gemeinde Weitmar bei Bochum dankte 1926 dem CA für mehrfache Evangelisationen Hagens in seiner Gemeinde: „Hätten wir mehr solcher Geisteszeugen in unserem Volke!“115 Das Ruhrgebiet mit seiner politischen Radikalisierung und Kirchenferne war ein sozialer Brennpunkt, wie die Volksmissionare in ihren Berichten immer wieder betonten. Dabei mischten sich soziale und moralische Urteile; beispielhaft sei Hagens Bericht über seine Tätigkeit im Ruhrgebiet 1925 zitiert: „Durch die Wohnungsnot haben sie [die Arbeiter im Ruhrgebiet, H. B.] gelernt, alle Scham beiseite zu werfen.“116 Ähnlich wie die Evangelisationsarbeit in den östlichen Gebieten Deutschlands konnte auch die Volksmissionsarbeit im Ruhrgebiet als ein patriotischer Dienst verstanden werden. Dies wurde besonders im Jahr 1923 deutlich, als die Ruhrbesetzung durch französische Truppen Anlass für einen von der Bevölkerung allgemein getragenen Generalstreik wurde. Hölzel hatte im Mai 1923 Evangelisationsaufträge in Ruhrgemeinden übernommen und blieb dort länger als anvisiert, obwohl die von den Franzosen verhängte Ausgangssperre die Abhaltung von Evangelisationsvorträgen erschwerte117. Aus den umfangreichen Berichten über Evangelisationen im Ruhrgebiet wird deutlich, dass dieses, ähnlich wie Ostpreußen, die Grenzmark und Ostfriesland zu einem Kerngebiet der Volksmissionare des CA wurde. Hier war neben der Grenzmark das wesentliche Einsatzgebiet Hagens. Allerdings waren 110 111 112 113 114 115 116 117
Vgl. Die Arbeit der Volksmission 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 14, 187). Sitzung Kommission für Volksmission am 30. 9. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 237). Schreiben Hagen an Füllkrug, Altenbochum 2. 2. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 125). Sitzung Kommission für Volksmission am 10. 1. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 209); Bericht von Herrn Pfarrer Hagen; undatiert eingeordnet unter dem Jahr 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 126). Beispielsweise aus Langendreer, wo Hagen im Juli 1926 religiöse Vorträge hielt (Schreiben Pfarrer Ernst Otto Grügelsiepe, Langendreer, an den CA 2. 8. 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). Schreiben Pfarrer August Kraemer, Weitmar bei Bochum, an Füllkrug, 16. 12. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). Vgl. Bericht von Herrn Pfarrer Hagen, ca. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 126). Schreiben Hölzel an Sekretärin Margarethe Münnich am 19. 5. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 125).
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auch im Ruhrgebiet die Rückmeldungen nicht durchgehend positiv. Bei einer Evangelisation im Wittener Stadtteil Annen Anfang Juni 1927 kritisierte der Pfarrer seine allgemeine Vortragsart: „Sie [die Vorträge Hagens, H. B.] hatten eine Höhenlage, daß es nicht leicht war, ihnen zu folgen.“118 Außerhalb des Ruhrgebietes fanden Evangelisationen in Westfalen vor allem in der ehemaligen Grafschaft Mark statt. So evangelisierte Hagen mit Erfolg in Altroggenramede bei Altena, wo von 2.500 Gemeindegliedern bis zu 400 an den Evangelisationsvorträgen teilnahmen119. 1926 evangelisierte Hölzel in Lüdenscheid120. Mit seinen Volksmissionen hatte der CA einen Anteil an den in Westfalen im Rahmen des DEVVM stattfindenden 295 Evangelisationen an 45 Orten121. Nicht ganz so oft wie über Arbeiten im Ruhrgebiet und in Westfalen finden sich Berichte über Evangelisationen in der preußischen Rheinprovinz. Doch fanden auch dort Evangelisationen statt122. Anfang 1927 evangelisierte v. Engel in zwei Vororten Essens, die zwar noch zum Ruhrgebiet, aber nicht mehr zur westfälischen Kirchenprovinz gehörten123. Die Rückmeldung des Pfarrers von Karnap – eines der beiden Orte – zeigte, welche Erwartungen mit Evangelisationen in der Diaspora auch verknüpft waren: „Auch vermissen wir bei derartigen Veranstaltungen ein kräftiges Wort gegen die hier im Westen besonders stark fortschreitende Unsitte der Mischehen.“124 Es bestand also ein Interesse daran, unter den Bedingungen der innerdeutschen Diaspora durch Evangelisationen die protestantische Identität zu stärken. Auch sonst fällt auf, dass Evangelisationen im Rheinland nicht so sehr in den traditionell evangelischen Gebieten (wie Wuppertal), sondern eher in Diasporagebieten stattfanden125. So wurde Hölzel 1926 zu einer Evangelisation nach Düsseldorf eingeladen. Allerdings drohte die Evangelisation daran zu scheitern, dass der Düsseldorfer Gemeindekirchenrat einen Teil der Kollekte verlangte, um damit die Kosten der Evangelisation zu decken. Hölzel wollte diese Evangelisation wegen der seiner Ansicht nach günstigen Gelegenheit dennoch durchführen126. Dies wurde schließlich auch durch ein Arrangement möglich, nach dem der Central-Ausschuss die Kosten der Werbemaßnahmen und für die Miete eines 118 Schreiben Pfarrer von Annen, Westfalen [1926] (ADE Berlin, CA / EvA 144). 119 Schreiben Pfarrer Paul Friedrich Wilhelm Arning (Altroggenramede Kreis Altena) am 26. 10. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 120 Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Lüdenscheid [1926] (ADE Berlin, CA / EvA 142). 121 Vgl. Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10); vgl. unten 523. 122 Insgesamt fanden von den Organisationen des DEVVM in der Rheinprovinz mit 163 Evangelisationen an 80 Orten nur ungefähr halb so viele wie in Westfalen statt (siehe ebd.; vgl. unten 523). 123 Fritz v. Engel, Reisebericht o. D. [1927] (ADE Berlin, CA / EvA 137). 124 Schreiben Ortspfarrer Karnap an CA [1927] (ADE Berlin, CA / EvA 121). 125 Allerdings evangelisierte Hagen 1926 in der Gemeinde Benrath bei Wuppertal; vgl. Schreiben Pfarrer Ernst Ludwig August Nordmeyer an den CA, April 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 126 Schreiben Hölzel, Pillau an Füllkrug am 22. 6. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126).
Volksmission außerhalb des Deutschen Reiches
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Zeltes als Veranstaltungsort übernahm127. Im Februar 1929 evangelisierte Hölzel im Auftrag mehrerer landeskirchlicher Gemeinschaften in Köln, wobei er eine Steigerung der Evangelisationsbesucher von 500 auf 1.000 berichtete128. Während Westfalen und besonders das Ruhrgebiet zu den Kerngebieten volksmissionarischen Wirkens der CA-Evangelisten gezählt werden konnte, wurden Einsätze in den Diasporagemeinden des Rheinlandes eher nach Gelegenheit wahrgenommen. Auffällig ist aber immerhin, dass gerade an der Arbeit in Düsseldorf ein so starkes Interesse herrschte, dass Füllkrug bereit war, eigene Mittel für die Vorbereitung und Durchführung der Evangelisation vorzustrecken, obwohl im Sommer 1926 die Einnahmen der Abteilung einen Fehlbetrag von 10.000 Reichsmark aufwiesen129. Auch die Missionsarbeit in den Diasporagebieten im Westen Preußens scheint von besonderem Interesse gewesen zu sein, wenn sie auch rein zahlenmäßig nicht so bedeutend war wie in Westfalen und im Ruhrgebiet.
11.5 Volksmission außerhalb des Deutschen Reiches: Schweiz, Österreich und deutschsprachige Diaspora in Osteuropa130 Neben den verschiedenen Gemeinden in Deutschland tauchten ab der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre immer wieder Gebiete außerhalb des Deutschen Reiches als Zielgebiete der Volksmissionare des Central-Ausschusses auf. Zwischen 1927 und 1929 wurde Hölzel zu mehreren längeren Evangelisationsreisen nach Österreich und in die Schweiz eingeladen131. Allerdings ließ die Kommission für Volksmission Hölzel nur widerstrebend in die deutschsprachigen Nachbarländer gehen, wie Füllkrug ihm schriftlich mitteilte: „Wir haben in Deutschland zu wenig tüchtige Evangelisten für die vielen Bedürfnisse und unser Komitee ist nicht sehr dafür zu haben, dass unsere Volksmissionare zu lange ins Ausland gehen.“132 127 Schreiben Füllkrug an GKR Düsseldorf, 6. 7. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126). 128 Schreiben Hölzel an Füllkrug, Hildesheim 1. 3. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 129 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission am 30. 6. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 172). In derselben Sitzung berichtete Füllkrug über die Verhandlungen mit dem Düsseldorfer Gemeindekirchenrat (vgl. ebd., 171). 130 Erste Ergebnisse zur Volksmission in der Diaspora wurden im November 2011 auf dem Workshop „Diaspora – Schicksal und Chance“ des Theologischen Forschungskollegs an der Universität Erfurt vorgestellt. 131 Vgl. Hölzel, Bericht über die Arbeit in Oberösterreich und Steiermark, August 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 142); Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Zürich 16. – 27. 2. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 142); Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Winterthur [Winter 1928]; Werbezettel Evangelisaton Hölzel in Zürich 29. 1.–12. 2. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 142); Berichtbogen Volksmission Hölzel Altstetten, Kanton Zürich 25. 9.–6. 10. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 132 Schreiben Füllkrug an Hölzel 2. 8. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126). Es fällt auf, dass
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Diese Zurückhaltung galt jedoch nicht für Volksmission in der auslandsdeutschen Diaspora Osteuropas. Die zu einem großen Teil protestantischen deutschen Minderheiten in den neu entstandenen Staaten Osteuropas wurden in den 1920er-Jahren durch ein dichtes, von offiziellen Stellen finanziell gefördertes Netz von Vereinen unterstützt. Hierzu gehörten auch die großen protestantischen Verbände, besonders der Gustav-Adolf-Verein. Ziel war es vor allem, über die Förderung dieser Minderheiten die Möglichkeit für eine Revision der Grenzen der Pariser Vorortverträge offenzuhalten. Karl-Heinz Grundmann, der dieses Ineinander von heimlicher öffentlicher Förderung und Vereinsarbeit am Beispiel der deutschen Minderheiten in den baltischen Ländern untersucht hat, spricht treffend von „Deutschtumspolitik“133. Protestantische Kirchenleute innerhalb der Diasporakirchen sahen den Erhalt der Volkskirche in ihren Volksgruppen als Überlebensfrage für ihre jeweiligen Volksgruppen und blickten daher mit Sorgen auf vermeintliche Säkularisierungstendenzen134. So entstand ein starkes Interesse an Volksmission in diesen Kirchen, das sich in wiederholten Einladungen an Volksmissionare aus dem Deutschen Reich manifestierte. Am stärksten waren die Verbindungen der Evangelistischen Abteilung des Central-Ausschusses zu den deutschen Gemeinden in den ehemals zum Deutschen Reich gehörenden Teilen Polens, wo bereits 1922 ein nebenamtlicher Volksmissionar der Abteilung evangelisierte135. Die Vermittlung der Volksmissionare lief in der Regel über den Landesverein für Innere Mission der Unierten Evangelischen Kirche in Posen136. Im Winter 1926/27 evangelisierte Amtsvorsteher Jellinghaus, einer der zeitweiligen Mitarbeiter des Central-Ausschusses, neun Wochen lang unter anderem in Posen (Poznan´) und Bromberg (Bydgosczc)137. Ende 1929 hielt Willy Ernst Hagen eine längere Evangelisationsreise. Im Sommer 1930 übernahm er ebenfalls Pfarrvertretungen in der ehemals deutschen Provinz Posen138. Engel wurde im Frühjahr
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Österreich hier trotz der engen Verflochtenheit zwischen deutschem und österreichischem Protestantismus wie auch die Schweiz als Ausland bezeichnet wurde. Vgl. Grundmann, Deutschtumspolitik. So diagnostizierte der Propst der deutschen Gemeinden in Estland im Jahre 1922 im Revaler Kirchenblatt: „[…] eine Loslösung unseres deutschbaltischen Volkstums von den geistigen Mächten unserer Kirche würden wir nicht überleben“ (Konrad v. z. Mühlen, Die Kirche und das baltische Deutschtum, Deutsches Kirchenblatt Reval 3 (1922), 46). Vgl. Januarkonferenz Kommission für Volksmission 3. 1. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 224). Vgl. etwa Schreiben Eichstädt an EvA am 11. 3. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 122). Jellinghaus, Reise. Bericht des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission bei der Tagung des Reichsverbandes Deutscher Evangelischer Auslandsarbeit zu Leipzig am 12. Dezember 1930 (ADE Berlin, DEVVM 53). Bereits 1928 hatte Hagen mit Erfolg in einer abgetretenen ostoberschlesischen Gemeinde evangelisiert (vgl. Hagen, Bericht über Volksmission in Rybnik (Polnisch-Oberschlesien) 11.–20. 3. 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 144]).
Volksmission außerhalb des Deutschen Reiches
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1930 zu einer Evangelisation nach Vandsburg (Wie˛cbork) eingeladen, dem Ursprungsort des Gemeinschaftsdiakonieverbandes139. Eine Vorreiterrolle in der Volksmission für die Diaspora übernahmen die Deutschbalten in Estland und Lettland. Hölzel evangelisierte im Frühjahr 1925 in Reval (Talinn), Dorpat (Tartu) sowie im April 1929 in Riga140. 1927 evangelisierte Fritz v. Engel in Reval (Talinn) und Dorpat (Tartu), hinzu kamen 1929 Evangelisationen durch den ehemaligen Divisionspfarrer Albrecht Sixtus Wolfram von Roon, einem nebenamtlichen Mitarbeiter des CA, in Riga und verschiedenen estländischen Gemeinden141. Evangelisationen im Baltikum zeichneten sich ausweislich der Berichte der Volksmissionare durch ein großes Interesse und hohe Teilnehmerzahlen aus142. Die ehemaligen deutschen Gebiete in Polen und das Baltikum waren die Hauptgebiete der Diasporavolksmission des CA. Aber auch in anderen deutschsprachigen Kirchen Osteuropas gab es Einsätze von Volksmissionaren. Im Herbst 1926 wirkte Hagen längere Zeit in Ungarn, wo er in Budapest und in mehreren deutschen Kolonistengemeinden missionierte143. Im mehrheitlich katholischen Sudetenland fand 1927 eine tumultuös verlaufende Volksmission Hölzels in der protestantischen Enklave Rossbach statt144. Im Frühjahr 1929 nahmen Hölzel und Füllkrug an einer Pfarrkonferenz zum Thema Volksmission in Siebenbürgen teil und verbanden dies mit der Abhaltung von Volksmissionswochen in verschiedenen Städten des Landes. Ziel war es, durch diese Volksmissionen bei den siebenbürgischen Pfarrern ein größeres Verständnis für Volksmission zu gewinnen145. 139 Durch diese Vorträge gelang es, „nicht nur die landeskirchlichen Gemeinschaften, sondern auch die hiesigen Sektierer in die Kirche zu ziehen“ (Bericht der Gemeinde Vandsburg, Wie˛cbork, über die Evangelisation, zitiert in: Schreiben Eichstädt an Füllkrug, 6. 6. 1930 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). 140 Schreiben Haudriek (CVJM Reval) am 14. 12. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 126); Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Riga, 14.–28. 4. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 141 Vgl. Engel, Baltikum; Bericht des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission bei der Tagung des Reichsverbandes Deutscher Evangelischer Auslandsarbeit zu Leipzig am 12. Dezember 1930 (ADE Berlin, DEVVM 53). 142 So berichtete Hölzel bei einer Evangelisation in Reval (Talinn) 1925 über mehr als 2.000 Teilnehmer deutscher, estnischer und russischer Nationalität (vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug am 14. 4. 1925 [ADE Berlin, CA / EvA 126]). 143 Willy Ernst Hagen, Arbeitsbericht 29. 10.–8. 12. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 127). 144 Vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug am 9. 6. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Da diese Volksmissionswoche einigen Aufschluss über die Problematik interner sozialer Spannungen für die Abhaltung einer Volksmissionswoche gibt, wird auf sie im Folgenden Bezug genommen; siehe unten 379 f. 145 Vgl. R. Gleim, Rückblick auf Evangelisation und Pfarrerrüstzeit in Bistritz vom 3.–7. Juni [1929], in: Bistritzer Deutsche Zeitung: Organ für völkische Fragen, 17.42, 11. 6. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 144); Bericht des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission bei der Tagung des Reichsverbandes Deutscher Evangelischer Auslandsarbeit zu Leipzig am 12. Dezember 1930 (ADE Berlin, DEVVM 53). In Siebenbürgen war jedoch vor allem die Wichern-Vereinigung volksmissionarisch aktiv; vgl. Reichsverband deutscher evangelischer
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Noch nicht in das Blickfeld des CA waren in den 1920er-Jahren die donauschwäbischen Gemeinden in Jugoslawien geraten. Auf Anfrage der dortigen deutsch-evangelischen Kirche und unter Vermittlung durch das Kirchliche Außenamt wurde Hagen erstmals im Herbst 1936 dorthin gerufen und hielt zwei Monate lang Evangelisationen in insgesamt sechs deutschsprachigen Gemeinden im Banat und in der Batschka ab. Ähnliche mehrmonatige Einsätze führte Hagen in Jugoslawien Ende 1938 und Ende 1939 durch146. Diese Einsätze Hagens liegen außerhalb des Betrachtungszeitraums dieser Studie. Sie zeigen jedoch, wie auch die volksmissionarische Dimension der „Deutschtumspolitik“ im Osten Europas nahtlos in die kirchliche Außenpolitik von Auslandsbischof Heckel während der NS-Zeit überging147. Die verschiedenen Einsätze in der Diaspora wurden hier recht ausführlich dargestellt, um zu zeigen, welches Ausmaß die Tätigkeit außerhalb Deutschlands bei den beschränkten personellen Ressourcen der Evangelistischen Abteilung annahm. Dieses Engagement im Osten Europas ist durch verschiedene Faktoren zu erklären. Ein Grund war das wahrgenommene Interesse an der Volksmission, das seinen Ausdruck in teilweise überdurchschnittlich hohen Teilnehmerzahlen fand. Auch die noch vorhandene hohe Kirchlichkeit in vielen deutschen Volksgruppen wurde positiv wahrgenommen und oft mit den niedrigen Zahlen der Gottesdienstbesucher in Deutschland verglichen. Hagen schrieb Ende 1926 in einem Bericht über seine Volksmissionsreise nach Ungarn: „Es liegt eine klar spürbare Erwartung neuer religiöser Belebung vor. Bei uns fehlender Erweckungsboden ist hier vorhanden.“148 Zum Erfolg trug auch die enge Zusammenarbeit mit der örtlichen Inneren Mission und den lokalen Kirchenbehörden bei. Eine andere Erfahrung musste die Wichern-Vereinigung machen. Da sie zunächst mit der siebenbürgischen Gemeinschaftsbewegung kooperierte, um in Siebenbürgen die Volksmission einführen zu können, gab es dort weit größere Schwierigkeiten mit der örtlichen deutsch-evangelischen Kirche als sie der CA in Polen oder im Baltikum hatte149. Immer wieder aber wurde deutlich, dass die Volksmission in der Diaspora ähnlich wie in den Grenzgebieten des Deutschen Reiches als Dienst am Volkstum betrachtet wurde. So sollte Hölzel sich, als er sich 1928 auf eine Volksmissionsreise nach Siebenbürgen vorbereitete, laut Beschluss einer Vorstandssitzung des DEVVM nicht nur bei dem damaligen Kieler Professor Heinrich Rendtorff, der sowohl den Siebenbürger Sachsen als auch den
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Auslandsarbeit (Hrsg.), Bericht über die Tagung am 12. Dezember 1930 in Leipzig, Leipzig 1931, 27 f. (ADE Berlin, DEVVM 53). Eine ausführliche Analyse seiner Volksmissionsberichte aus Jugoslawien findet sich in Wild, Kirche, 253–259; vgl. auch die Reproduktion von Hagens Bericht von 1936 (ebd., 260–270). Zur Volksmission nach 1933 siehe auch den Ausblick oben 299 f. Vgl. Kunze, Heckel, v. a. 119–181. Hagen, Arbeitsbericht 29. 10.–8. 12. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 127). Vgl. etwa Schreiben Bischof Treusch (Siebenbürgen) an Centralvorstand des Gustav-AdolfVereins am 12. 5. 1928 (EZA Berlin 200 / 1 / 1.569, 19 f.).
Auswertung
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Volksmissionaren eng verbunden war, sondern auch beim Institut für Grenzund Auslandswissenschaften des führenden völkischen Soziologen Max Hildebert Boehm instruieren lassen150. Berichte über Besuche im Osten Europas erinnerten an die vermeintlichen Ungerechtigkeiten der Versailler Friedensordnung und die angebliche Unterdrückung dieser Minderheiten151. Unter den Deutschen Osteuropas müsse die Volksmission ihren nationalen und religiösen Auftrag erfüllen: „Das Deutschtum und die evangelische Kirche in der Diaspora bedürfen der Stärkung seitens der Brüder im Reich“152. Auf diese Weise zeigte gerade das starke Engagement im Osten Europas die Prägung der Volksmissionare durch nationalprotestantische Mentalitäten und ihr Verständnis der Volksmission als nationale Aufgabe.
11.6 Auswertung Aus diesem Überblick lassen sich einige generelle Folgerungen zur geografischen Verteilung volksmissionarischer Einsätze ziehen, wobei festzuhalten bleibt, dass hier allein die Mitarbeiter der Evangelistischen Abteilung für Volksmission des Central-Ausschusses im Blick sind153. Daher sind keine generellen Folgerungen bezüglich einer Gesamtdarstellung von Volksmission und Evangelisation innerhalb der deutschen evangelischen Landeskirchen möglich. Zunächst ist zu sagen, dass trotz des Anspruches, ganz Deutschland als mögliches Einsatzgebiet zu betrachten, sich faktisch Kerngebiete herausbildeten, in denen regelmäßig Volksmissionswochen stattfanden. In anderen Landeskirchen fanden lediglich gelegentliche Einsätze statt, und es gab weite Gebiete, in denen sich nur wenige Evangelisationen durch einen Volksmissionar des CA nachweisen lassen. Besonders die beiden großen süddeutschen Landeskirchen Bayern und Württemberg kamen in den Itineraren von Hagen und Hölzel selten vor. An den Auseinandersetzungen um Hagens Evangelisationsreise nach Württemberg zeigte sich zudem, dass dies nicht bloß auf mangelnden Einladungen nach Süddeutschland beruhte, sondern es auch direkt zu Konflikten mit den dortigen evangelistisch tätigen Organisationen kommen konnte. Schwerpunkt der Einsatzorte war eindeutig die altpreußische Landeskirche. Hinzu kamen 150 Vgl. Sitzung Vorstand DEVVM am 12. 12. 1928 (ADE Berlin, AC 256, 148). Zu Max Hildebert Böhm vgl. Prehn, Volk. 151 Vgl. Jellinghaus, Reise. 152 F llkrug, Jahr, 35. 153 Auch quantitativ bildeten die z. B. für die Jahre 1925 und 1926 bezeugten 316 missionierten Gemeinden nur einen Bruchteil der gesamten Arbeit der Volksmissionsorganisationen. Immerhin kommt die zitierte Aufstellung der Gesamtarbeit der Volksmissionsorganisationen von 1919 bis 1926 auf deutlich über 1000 Volksmissionswochen; vgl. die Aufstellungen in: Aus der Arbeit der Volksmission, […] (ADE Berlin, DEVVM 10), siehe unten 522 f.
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Regionale Einsatzgebiete
verschiedene Gebiete in anderen nord- und mitteldeutschen Kirchen, die sich ebenfalls regelmäßig in den Itineraren der Volksmissionare fanden. Hier seien die Provinz Hannover mit ihrer lutherischen und reformierten Landeskirche und die neu geschaffene Landeskirche Thüringen genannt. Auch innerhalb des altpreußischen Kirchengebietes unterschied sich die Rezeption der Volksmissionare des Central-Ausschusses. Während Ostpreußen, die Grenzmark Posen-Westpreußen und das zur Kirchenprovinz Westfalen gehörende Ruhrgebiet zu den Kerngebieten der Volksmission zu zählen sind, gehörten Gegenden wie Brandenburg, Pommern und die Provinz Sachsen eher zu Einsatzorten mittlerer Intensität; in Schlesien scheinen sich geradezu regelmäßig Konflikte aus den dort stattgefundenen Volksmissionsveranstaltungen ergeben zu haben. In einem Bericht über die Volksmissionsarbeit des Jahres 1927 erklärte Füllkrug die unterschiedlich hohe Zahl der Anfragen nach Evangelisation durch Volksmissionare des Central-Ausschusses mit der Organisation eigener regionaler Abteilungen für Volksmission durch die regionalen Verbände der Inneren Mission: „Die Organisation einzelner Landeskirchen und Kirchenprovinzen mit eigenen Evangelisten brachte es mit sich, daß unsere Mitarbeiter dorthin wenig oder gar nicht gerufen wurden.“154 Diesen Eindruck hat die Analyse der Volksmission in einzelnen Regionen grundsätzlich bestätigt, besonders am Beispiel der süddeutschen Landeskirchen, aber in geringerem Umfang auch in Bezug auf Brandenburg, Pommern und der Kirchenprovinz Sachsen. Es wäre hinzuzufügen, dass auch die Verantwortlichen für Volksmission in den einzelnen Landes- und Provinzialkirchen ein Interesse daran hatten, die Organisation der Volksmission in ihren Gebieten in der eigenen Hand zu behalten. Dies zeigt sich u. a. an der Ablehnung der bayerischen Landeskirche, in ihrem Gebiet Volksmissionare für die Bädermission einzusetzen, und an wiederholten Bemühungen der pommerschen Volksmission, eine Vorabmeldung von Evangelisationen der überregionalen Organisationen in ihrem Gebiet durchzusetzen. Teilweise äußerten sich in geringen Erfolgen der Volksmissionare in einzelnen Gegenden aber auch theologische Konflikte oder wurden zumindest von Füllkrug und den Volksmissionaren als solche gedeutet. Das gilt besonders für die immer wieder thematisierten enttäuschenden Erfahrungen in Schlesien, die Füllkrug mit dem theologisch liberalen Kurs der dortigen Inneren Mission begründete. Auch Engels Erklärung für den mangelnden Erfolg seiner Evangelisation in Speyer durch das Misstrauen theologisch liberaler Pfarrerkreise passt in dieses Paradigma. In Württemberg gingen die Konflikte von der Konkurrenz zwischen dem durch den württembergischen Pietismus getragenen „Verein für Evangelisation“ und dem betont volkskirchlichen „Evangelischen Volksbund“ aus. Da Hagen hier im Auftrag des Volksbundes evangelisierte, sah der „Verein für Evangelisation“ dies als Einbruch in seine 154 F llkrug, Jahr, 35.
Auswertung
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eigene Domäne. Zu den „Ekelschranken“ (Gangolf Hübinger) zwischen Liberalen und Positiven traten aber noch andere Gegensätze: Auffällig ist die immer wieder deutlich werdende Konkurrenz zur Gemeinschaftsbewegung, die wiederholt auf beiden Seiten zu Beschwerdebriefen Anlass gab. Dies sind Beobachtungen, die sich auf das Verhältnis des Central-Ausschusses als Organisation zu regionalen Mitgliederverbänden des DEVVM stützen. Um allerdings zu erklären, warum sich bestimmte Gebiete zu Schwerpunkten der Volksmission des CA entwickelten, muss man auch einen Blick auf die einzelnen Evangelisten werfen: Auffällig ist, dass die Itinerare der einzelnen Volksmissionare bestimmte Schwerpunkte hatten. Bei Hagen waren dies zunächst das Ruhrgebiet, ab der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre auch die Grenzmark Posen-Westpreußen. In einem geringeren Umfang gehörten auch Sachsen und Thüringen zu seinen Einsatzgebieten. Hölzel war zunächst vor allem in Ostfriesland ein häufig eingeladener Evangelist. Ab 1926 wurde dann immer stärker Ostpreußen zum Zielpunkt regelrechter Missionsreisen durch ihn. Daneben wurde Hölzel auch in anderen norddeutschen Städten und im Rheinland mehrfach eingeladen. Der Schwerpunkt von Engels Evangelisationstätigkeit lag in den Gebieten Ostelbiens, in denen auch die Landkonferenzen stattfanden. Hier zeigte sich eine Auswirkung der Rahmenbedingungen des Beschäftigungsverhältnisses der Volksmissionare im Central-Ausschuss: Da diese selbst für die Akquise von Evangelisationsaufträgen sorgen mussten, bildeten sich aufgrund von positiven Erfahrungen Gegenden heraus, in denen sie regelmäßig eingeladen wurden; dies zeigt sich besonders in Gemeinden, in denen sie mehrfach evangelisierten (etwa Hölzel in Leer und Hagen in Altenbochum). Auffällig ist zudem, dass gerade Kerngebiete der einzelnen Evangelisten häufig als Gebiete einer besonderen Rezeptivität für die Evangeliumsverkündigung beschrieben wurden. So redete Hölzel im Jahre 1924 gegenüber Füllkrug von einer sich anbahnenden Erweckung in Ostfriesland155. Dieser Eindruck hatte, ähnlich wie Hölzels enthusiastische Berichte über Ostpreußen, in den recht hohen Besucherzahlen und in der positiven Einschätzung der Wirksamkeit der Evangelisation durch die zuständigen Ortspfarrer durchaus realhistorische Anhaltspunkte. Zugleich waren solche Einschätzungen jedoch auch deutliche Zeichen des Selbstbewusstseins der Evangelisten. Anders könnte man Hölzels Einschätzung der eigenen Tätigkeit in den noch von traditioneller Kirchlichkeit geprägten Gegenden Ostfriesland und Ostpreußen als „Pioniermission“156 nicht deuten. Die Parallelisierung der Volksmission mit der urchristlichen Missionierung war allerdings nicht auf die Volksmissionare beschränkt. So verklärte 1933 Walter Jeep, Füllkrugs Nachfolger als Direktor der Inneren Mission, die regelmäßige Entsendung Hagens zu Pfarrvertretungen in die Grenzmark 155 Schreiben Hölzel an Füllkrug am 11. 2. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 156 Schreiben Hölzel an Füllkrug, Leer, 9. 2. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126).
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Regionale Einsatzgebiete
Posen-Westpreußen und nach Ostpreußen – tatsächlich eher eine pragmatische Reaktion auf die Finanznot des Central-Ausschusses nach dem Devaheim-Debakel als eine grundsätzliche theologische Option – zur Wiederaufnahme der paulinischen Missionsstrategie: „Ist damit nicht eine Form der Missionsarbeit aus der Urchristenheit wieder aufgenommen, wo wir hören, daß die Apostel längere Zeit in ein und derselben Gemeinde blieben und erst weiterzogen, wenn eine lebensfähige Gemeinde entstanden war?“157
Solche Zitate, die in den Quellen immer wieder vorkommen, belegen, dass Volksmissionare sich in biblischer Parallele zu den Aposteln und den Missionaren der Frühzeit stellten. Dieses Selbstverständnis wurde, wie die ausgewerteten Schriftwechsel zeigen, nicht nur in der Außendarstellung verwendet, sondern stellte tatsächlich die eigene Wahrnehmung der Evangelisten dar. Große Besucherzahlen deuteten sie als Bestätigung ihrer eigenen Berufung und als Hinweise auf Erweckungen in Analogie zur Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts. Es bleibt allerdings zu fragen, wie weit diese großartigen Analogien tatsächlich durch reale Ergebnisse gedeckt wurden und nicht bloß Selbstrechtfertigungen waren. Ein Aspekt, der in der Analyse der Einsatzgebiete verstärkt deutlich wurde und für die historische Beurteilung der Volksmission einen ambivalenten Eindruck hinterlässt, ist die Verknüpfung von religiösen und politischen Dimensionen, die dem Ruf nach Volksmission bereits vor Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft anhafteten. Besonders deutlich wird dies an der Volksmission in der Diaspora, mit der explizit auch die Stärkung des deutschen Volkstums intendiert wurde. Gleiches gilt aber auch für Volksmission innerhalb der deutschen Grenzen. An Hagens Aktivitäten in der Grenzmark zeigte sich besonders deutlich, dass gerade politische Brennpunkte bevorzugte Orte der Volksmission wurden. Volksmission sollte an den Grenzen des Deutschen Reiches einer Stärkung des deutschen Volkstums dienen. Gerade die überproportional häufige Evangelisationsarbeit in der kleinen Grenzmark ist anders nicht zu erklären. Diese Verbindung von christlicher und nationaler Dimension innerhalb seiner Volksmissionstätigkeit sprach Hagen besonders in seinem oben zitierten Bericht von 1933 aus. Ähnliche Zitate lassen sich aber auch in Hölzels Berichten über seine Volksmissionsreisen in das durch den polnischen Korridor vom Reich abgetrennte Ostpreußen und über seine Tätigkeit im Ruhrgebiet während der französischen Besetzung finden. In den Quellen wird dieser Aspekt nicht ständig betont und ist insgesamt gegenüber der geistlichen Motivation zur Volksmission als sekundär zu werten. Diese Hinweise zeigen jedoch, dass die Stärkung des Volkstums auch bei der Wahl
157 Walter Jeep, Die Volksmissionsarbeit in den deutschen evangelischen Kirchen, Sonderdruck Aus Gottes Garten [Blatt des Rauhen Hauses] Oktober 1932 (ADE Berlin, CA / EvA 128).
Auswertung
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der Einsatzgebiete und bei der Deutung der eigenen Tätigkeit durch die Volksmissionare eine Rolle spielte.
12. Volksmissionswochen Nachdem die Evangelisten des Central-Ausschusses vorgestellt und die geografischen Verortungen ihrer Einsätze analysiert wurden, soll nun der Ablauf von Volksmissionswochen dargestellt werden, wie sie in einzelnen Gemeinden stattfanden. Quellen hierfür sind einerseits Richtlinien sowie programmatische Schriften, in denen Vorstellungen und Direktiven zur notwendigen Vorbereitung, Durchführung und Nacharbeit von Volksmissionswochen deutlich werden1. Andererseits geben die Berichte der Volksmissionare und die in die Akten des Central-Ausschusses gelangten Werbezettel für Volksmissionswochen Aufschluss über die in einer Volksmissionswoche stattfindenden Veranstaltungen. Aus den Berichten der Volksmissionare und ihrem Schriftverkehr mit dem Central-Ausschuss kann man zwar nicht einzelne Veranstaltungen rekonstruieren, aber Muster und immer wieder auftretende Probleme herauslesen. Daher werden im Folgenden nicht einzelne Volksmissionswochen ausgewertet, sondern es wird anhand dieser Quellen eine Rekonstruktion der allgemeinen Vorgehensweise der Evangelisten versucht2. Dieses Vorgehen hat natürlich seine Schwierigkeiten, da es keine direkten Ablaufprotokolle gibt. Aufgrund der Quellenlage erscheint es jedoch als der beste Weg, um einen Einblick in die praktische Umsetzung von Volksmission in der Zwischenkriegszeit zu erhalten.
12.1 Vorbereitung Im Handbuch „Werk des Glaubens“ schrieb Willy Ernst Hagen ein Kapitel über „Die Vorbereitung“ einer Volksmissionswoche3. Hagen mahnte zu einer zügigen Kontaktaufnahme mit dem Evangelisten: 1 Besonders das 1931 gänzlich überarbeitete Handbuch für Volksmission bot einen auf den bisherigen Erfahrungen basierenden Abschnitt über „Volksmission in der Gemeinde“, in dem besonders Willy Ernst Hagen recht detaillierte Anweisungen über die Abhaltung von Volksmissionswochen gab; vgl. F llkrug, Werk, 108–146. 2 Eine Schwierigkeit ergibt sich aus diesem Material: Während die normativen Vorgaben im Handbuch von 1931 vor allem von Willy Ernst Hagen stammten und wohl aus seinen praktischen Erfahrungen hervorgingen, ließen sich von ihm verhältnismäßig wenige Arbeitsberichte auffinden; dagegen geben die Berichtbögen und der interne Schriftverkehr von Johannes Hölzel einen sehr umfangreichen Überblick über dessen Arbeitsweise. Aufgrund dieser Quellenlage ist es unvermeidlich, dass im Folgenden Äußerungen von Hölzel verhältnismäßig öfter herangezogen werden. 3 Hagen, Vorbereitung.
Vorbereitung
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„Mit gefaßtem Entschluss zur Arbeit muß der Pfarrer, vom Kirchenvorstand beauftragt, die Korrespondenz mit der gewählten Volksmissionsvereinigung oder dem einzelnen Evangelisten aufnehmen.“4
Dies sei notwendig, um den Termin schnell festlegen zu können. In einem Merkblatt des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission wurde angemahnt, mindestens drei Monate vorab Kontakt zu den entsprechenden Stellen aufzunehmen5. Der Termin sollte in Absprache mit dem Evangelisten abgestimmt werden, wobei das Merkblatt angab, dass Termine am besten zwischen September und Mai abzusprechen seien – offenbar, um auf dem Land die Erntezeit und in der Stadt die Urlaubszeit zu vermeiden6. Die Notwendigkeit eines gewissen Vorlaufes den Gemeinden zu vermitteln, war nicht immer einfach. Füllkrug erinnerte sich in seinen Memoiren an eine sehr spontane Anfrage einer Auslandsgemeinde nach vier bis sechs Volksmissionaren, die Füllkrug als die Situation völlig verkennend einschätzte7. Um sich auf die Evangelisation vorbereiten zu können, waren weitere Informationen notwendig. Hier verwies Hagen auf die Notwendigkeit von wahrheitsgemäßen Angaben, um die Evangelisation für die Gemeinde entsprechend vorbereiten zu können: „Im Interesse der Arbeit ist es gut, wenn der vom Evangelisten erbetene vertrauensvolle Bericht über den inneren und äußeren Zustand der Gemeinde vom Pfarrer wahrheitsgemäß gegeben wird. Dieser Bericht muß Grundlage des Programmvorschlages und die Weisung für die vorzuschlagenden oder festzulegenden Themen abgeben.“8
Ziel dieser Berichte, die sich auf den Zustand der Gemeinde beziehen sollten, war es also, dass der Evangelist sich auf die entsprechende Gemeinde genauer vorbereiten sollte. Teilweise wurde der Zustand der Gemeinde auch über einen Fragebogen erfragt9. Gleichzeitig diente der Kontakt zu den Ortspfarrern dazu, deren Motivation für eine Evangelisation abzufragen. Im internen Schriftverkehr äußerten sowohl Füllkrug als auch die Volksmissionare des Central-Ausschusses immer wieder die Sorge, dass eine Volksmissionswoche 4 Ebd., 111. 5 Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (Evangelisation) (ADE Berlin, DEVVM 11). 6 Vgl. ebd. Das Handbuch zur Evangelisationsvorbereitung des Gemeinschaftsdiakonieverbandes warnte ebenfalls vor einer Evangelisation während der Ernte und einer städtischen Saison und kommentierte: „Der Hochsommer eignet sich gewöhnlich für Evangelisationen, soweit sie nicht in Zelten stattfinden, überhaupt nicht. Die Städter zieht die warme Witterung ins Freie und die Landleute haben zuviel Arbeit“ (Eckart, Evangelisation, 68 Abs. 677). 7 F llkrug, Enge, Kapitel 10, 10. 8 Hagen, Vorbereitung, 111 f. 9 Vgl. für eine Evangelisation in Neusalz (Mark Brandenburg) 1921 das Schreiben Hölzels an Füllkrug vom 23. 7. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 125). Da diese Kontakte im Central-Ausschuss im Wesentlichen durch die Volksmissionare selbst erfolgten, konnten solche Fragebögen im Rahmen dieser Arbeit nicht ausgewertet werden.
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Volksmissionswochen
keinen Erfolg haben werde, da für eine Nacharbeit nicht gesorgt sei10. Auch in den Korrespondenzen mit Pfarrern, die an der Abhaltung einer Volksmission interessiert waren, wurde immer wieder darauf verwiesen, dass eine Volksmissionswoche nicht allein als Mittel zur Hebung der Kirchlichkeit gesehen werden könne. Im Sommer 1926 schrieb Füllkrug eine entsprechende Mahnung an einen Leipziger Pfarrer: „Wir denken freilich über den Zweck einer Volksmission wohl etwas anders, wie Sie. Wird eine Gemeinde innerlich erfasst, so zeigt sich das auch ganz von selbst in einer vermehrten und vertieften Kirchlichkeit, aber nie darf die Hebung des Kirchenbesuches und die Förderung des kirchlichen Interesses Zweck und Ziel der Volksmissionsarbeit sein.“11
In dieser Forderung nach einer klaren Motivation der Gemeinde äußerte sich ein Dilemma der Evangelistischen Abteilung des Central-Ausschusses. Einerseits wollten die Volksmissionare innerhalb der ganzen Kirche wirken – also nicht nur in bereits „erweckten“ Gemeinden –, andererseits meinten sie, für den bleibenden Erfolg ihrer Arbeit darauf angewiesen zu sein, dass die Impulse der Volksmissionswoche durch die Nacharbeit innerhalb der Kirchengemeinde aufgenommen und weitergepflegt würden. Dieses Dilemma zeigte sich bereits in der Anbahnungsphase von Evangelisationswochen. Bereits 1921 klagte Hölzel über einen Superintendenten in der Neumark; er habe noch nicht verstanden, „daß die Volksmission auf nichts geringeres als auf eine Erweckung abzielt.“12 Dieses Dilemma zeigte sich aber nicht nur in der Motivation der Pfarrer zur Abhaltung einer Volksmission, sondern bereits darin, von wem die Einladung zur Volksmission ausging. Da die Evangelistische Abteilung des Central-Ausschusses und die anderen im Deutschen Evangelischen Verband für Volksmission zusammengeschlossenen Organisationen ihre evangelistische Tätigkeit im Rahmen der landeskirchlichen Strukturen betreiben wollten, hatten sie den Grundsatz: „Der Evangelist geht nur dorthin, wohin er gerufen wird.“13 Diese Prämisse blieb unumstritten, schwierig aber war ihre konkrete Umsetzung. Grundsätzlich war es für eine Evangelisation ideal, wenn sie vom Pfarrer, der Gemeindevertretung, den lokalen landeskirchlichen Gemein10 Dies war beispielsweise bei der für Neusalz anvisierten Evangelisation der Fall, da die Volksmissionare dem Superintendenten Paul Bronisch mißtrauten: „Ich habe Bedenken für Neusalz eine Evangelisation zu vermitteln, wenn nicht ganz anders als bisher für die Nacharbeit gesorgt wird; dafür tut aber Sup. Bronisch, der ein Vertreter der hochkirchlichen Richtung ist, garnichts [sic!]“ (Schreiben Füllkrug an Hölzel am 19. 7. 1923 [ADE Berlin, CA / EvA 125]). 11 Schreiben Füllkrug an Pfarrer Hermann Richard Wolf, Leipzig, 15. 7. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126); Füllkrug verwies die Anfrage an Hagen und bat ihn, ihm mitzuteilen, ob er diese Evangelisation tatsächlich übernehme (vgl. Schreiben Füllkrug an Hagen 15. 7. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126). 12 Schreiben Hölzel an Füllkrug 23. 7. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 13 Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (Evangelisation) (ADE Berlin, DEVVM 11).
Vorbereitung
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schaften und den anderen kirchlichen Verbänden gemeinsam verantwortet wurde14. Das war auch notwendig, um eine Wirkung auf die gesamte Gemeinde erzielen zu können, wie im Merkblatt des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission deutlich wurde: „Alle lebendigen Kreise der Gemeinde, auch die Jugend, müssen sie [sic!] mit den Vertretern des Pfarramtes und dem Kirchenvorstand bei der Vorbereitung der Evangelisation vereinigen.“15 In der Regel erfolgte die Einladung durch den Pfarrer, gelegentlich ließ dieser aber eine Volksmission nur widerstrebend auf Drängen der örtlichen Gemeindevertretung zu16. Andererseits kam es auch immer wieder vor, dass die Evangelisation allein auf die Initiative des Pfarrers und höchstens mit einer Duldung der Gemeindevertretung stattfand17. Der Volksmissionar traf also immer wieder auf Spannungen innerhalb der Gemeinden. Um solchen Schwierigkeiten vorzubeugen, wurde im bereits mehrfach herangezogenen Merkblatt aus der Mitte der 1920er-Jahre den Interessenten eingeschärft, dass eine Volksmission, wenn irgend möglich, nur mit Zustimmung des zuständigen Ortspfarrers erfolgen solle18. Faktisch kam es zudem immer wieder vor, dass einzelne Kreise innerhalb einer Gemeinde beim Central-Ausschuss um die Entsendung eines Evangelisten baten. Das war besonders oft bei landeskirchlichen Gemeinschaften der Fall. Im Frühjahr 1922 fragte beispielsweise ein Gemeinschaftsprediger in Brieg in Schlesien nach der Abhaltung einer Volksmission, während die Pastoren der Gemeinde sich ablehnend verhielten. Füllkrug tendierte zur Erfüllung dieses Begehrens, kommentierte aber: „Schwierig bleibt die ganze Sache!“19 Auf einer Sitzung der Kommission für Volksmission wurde vorgeschlagen, dass Hölzel in einem solchen Fall den zuständigen Superintendenten darauf hinweisen sollte, dass die Gemeinschaft auch ohne kirchliche Genehmigung einfach einen anderen Evangelisten holen würde20. Es blieb also in einem solchen Fall immer noch die implizite Drohung mit einer „wilden“, eventuell kirchenkritischen Evangelisation, gegenüber der ein Evangelist des Central-Ausschusses gleichsam das kleinere Übel wäre. Im Laufe der 1920erJahre kamen die Protagonisten der Evangelistischen Abteilung immer stärker zu der Haltung, jeden Ruf anzunehmen, auch wenn ggf. die Nacharbeit nicht gesichert war, wie aus einer Diskussion mit Vertretern der Evangelistischen Abteilung und der Apologetischen Centrale von 1925 hervorgeht:
14 Vgl. ebd. 15 Ebd. 16 So geschah es z. B. in Linz, wo Hölzel im September 1927 evangelisierte (vgl. Hölzel, Bericht über die Evangelisation in Oberösterreich [Herbst 1927] [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 17 Vgl. Hagen, Vorbedingungen, 110. 18 Vgl. Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (ADE Berlin, DEVVM 11). 19 Schreiben Füllkrug an Hölzel am 26. 5. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 20 Sitzung Kommission für Volksmission vom 13. 7. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 244).
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„Es wird entschieden, dass die Volksmission allen Rufen folgen soll, wenn irgend möglich und dass im Einzelnen von Fall zu Fall vorgegangen werden muss, indem man Land und Leute, Gemeinde und Gemeinschaft berücksichtigt und im übrigen vor allen Dingen dahin geht, wohin Gott uns ruft.“21
Folgerichtig wurden Rufe durch landeskirchliche Gemeinschaften in der Regel angenommen. Besonders Hölzel wurde häufig zu Evangelisationen und Vorträgen in landeskirchlichen Gemeinschaften eingeladen22. Über eine Evangelisation in Breslau im Herbst 1929 schrieb er: „In einer lebendigen Gemeinschaft zu evangelisieren ist eine besondere Freude.“23 Neben den Gemeinschaften waren auch andere kirchliche Verbände Träger von Volksmissionswochen. So evangelisierte Hölzel vom 27. September bis zum 11. Oktober 1925 im Auftrag des dortigen CVJM in Hannover24. Allerdings sah Hölzel in der auf eine Gemeinschaft begrenzten Evangelisation auch die Schwierigkeit, dadurch nicht auf eine Gemeinde als Ganzes wirken zu können. Bei einer Evangelisation im Rahmen einer freien Organisation sei es allein möglich, auf die Bekehrung Einzelner hinzuarbeiten: „Die Volksmission wird das Ziel nur da erreichen können, wo sie vom Pfarrer gerufen worden ist. Geht der Ruf von einer freien Organisation (Gemeinschaft, Volksbund) aus, so verschiebt sich das Ziel wesentlich. Dann wird die Volksmission nur auf die einzelne Seele und ihre Entscheidung abzielen können.“25
In den Unterlagen, die an die an der Abhaltung einer Volksmissionswoche interessierten Gemeinden gingen, wurde immer wieder darauf hingewiesen, dass deren Abhaltung einer intensiven Vorbereitung bedürfe. Sobald die wesentlichen Daten wie Termin der Evangelisation, deren Ort, der Evangelist und das in Absprache mit dem Evangelisten erfolgende Programm feststanden, hatte die „innere Vorbereitung“26 zu erfolgen. Dieser Teil der Vorbereitung wurde in der Vorstellung der Evangelisten einerseits durch die Fürbitte für die Veranstaltung bestimmt, andererseits durch die Einbeziehung der verschiedenen Gemeindekreise in die Veranstaltung und die Werbung für die Volksmissionswoche. Obwohl für die Protagonisten der Volksmission dabei der Fürbitte die wichtigere Stellung zukam, nahm die Werbung für die Veranstaltung in den Vorschlägen und konkreten Anweisungen eine größere Rolle ein. Das für Gemeinden, die eine evangelistische Volksmissionswoche veranstalteten, bestimmte Merkblatt des Deutschen Evangelischen Verbandes für 21 Die Nacharbeit der Volksmission, Manuskript [Frühjahr 1925] (ADE Berlin, CA / EvA 126). 22 Vgl. z. B. Bibelkurs in Rostock 1926 (vgl. Berichtbogen Bibelkursus Hölzel in Rostock 10.–12. 11. 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 142]); Volksmissionswoche in Köln im Frühjahr 1929 (vgl. Schreiben Hölzel (Hildesheim) an Füllkrug am 1. 3. 1929 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 23 Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Breslau 26.11.–8. 12. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 24 Vgl. die Berichte in: ADE Berlin, CA / EvA 126. 25 Hölzel, Bericht über Evangelisation in Berlin und Stettin [1929] (ADE Berlin, CA / EvA 142). 26 So Hagen, Vorbereitung, 112.
Vorbereitung
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Volksmission proklamierte als Ziel: „Jede Gemeinde muss etwas von der bevorstehenden Evangelisation wissen.“27 In den Anweisungen wurde vom Pfarrer als dem Hauptverantwortlichen für die Motivierung der Gemeinde und die Organisation der Veranstaltung ausgegangen. Wieder war es das erste Ziel, die gesamte Gemeinde in die Vorbereitung einzubinden, besonders die verantwortlichen Laien. Hagen empfahl daher im Handbuch der Volksmission von 1931, die Gemeindevertretung mehrfach auf die bevorstehende Veranstaltungsreihe aufmerksam zu machen28. Im Rahmen der Bibelstunden, also für die bereits bestehende Kerngemeinde, sollte vor allem die Fürbitte eingeschärft werden: „Die Aufforderung zum Gebet für den erwarteten Dienst muß immer wieder ernst gegeben werden.“29 Im Falle der kirchlichen Vereine (v. a. der Jugend-, Frauen- und Männerverbände) ging es auch darum, für die Durchführung der Veranstaltung genügend Mitarbeiter zu gewinnen: „Männer oder Jünglinge zum Plakatieren, Glieder des Frauenvereins zum Austragen der Handzettel, freundliche, sichere Verkäufer für den Büchertisch“30. Da das Verhältnis zwischen Volksmissionaren und Gemeinschaftsbewegung nicht immer unproblematisch war, fällt auf, dass Willy Ernst Hagen im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ die Notwendigkeit von frühen Kontakten mit den örtlichen Gemeinschaften betonte: „Eine Bekanntmachung mit der Bitte um Fürbitte an vorhandene landeskirchliche Gemeinschaften sollte nicht unterlassen werden.“31 Einen Übergang von der Erfassung der Gemeinde zur Werbung für die Öffentlichkeit bildete die frühzeitige Abkündigung der geplanten Evangelisationswoche von der Kanzel32. Daneben wurde eine professionelle Werbung mit Plakaten, Handzetteln und Inseraten in der lokalen Presse gefordert33. Inserate sollten acht Tage vor Beginn der Veranstaltung und noch einmal zwei bis drei Tage davor erfolgen34. Die Werbung für die Volksmissionswoche sollte der Pfarrer bzw. die Gemeindevertretung übernehmen, wie bereits das Handbuch der Volksmission von 1919 betonte: „Wo diese Unterschrift fehlt, handelt es sich meistens um außerkirchliche Kreise oder um Sekten.“35 Dabei war der Anspruch, über solche Werbemaßnahmen die gesamte Kirchengemeinde zu erreichen. Das „Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (Evangelisation)“ schlug zu diesem Zweck vor, die Evangelisation durch eine
27 28 29 30 31 32 33 34 35
ADE Berlin, DEVVM 11. Hagen, Vorbereitung, 112. Ebd., 112. Ebd. Ebd. Vgl. Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (ADE Berlin, DEVVM 11). Hagen, Vorbereitung, 112 f. Ebd., 113. Haensel, Vorbereitung, 70.
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Volksmissionswochen
achttägige Kolportage christlicher Schriften mit gleichzeitiger Werbung für die Evangelisationsvorträge einzuleiten36. In seiner Anleitung zur Vorbereitung einer Volksmission mahnte Volksmissionar Hagen, dass zwei bis drei Tage vor Beginn der Evangelisation und noch einmal während der Volksmissionswoche alle Gemeindeglieder mit Handzetteln einzuladen seien. Dazu müssten für jede in der Parochie ansässige Familie durchschnittlich zwei Exemplare dieser Einladungszettel gedruckt werden37. Das Merkblatt forderte zudem eine regelmäßige Pressearbeit der Gemeinden während der Evangelisationsvorträge: „Täglich muss in geschickter und warmer Weise über die Evangelisationsversammlungen in der örtlichen Presse berichtet werden, in denen die Gedankengänge des Vortrages wiedergegeben werden oder ein Stimmungsbild entworfen wird.“38
Immer wieder wies die Literatur der Volksmissionsbewegung darauf hin, dass die Werbung für die Volksmission durch regelmäßiges Gebet begleitet werden sollte, besonders kurz vor Beginn der Evangelisation: „In diesen letzten Tagen sollte eine Gebetsstunde alle die in der Vorarbeit stehenden und für Mitarbeit Bereiten miteinander vereinen.“39 Dieser Aufruf zum regelmäßigen Gebet war in den Ausführungen des „Handbuchs der Volksmission“ von 1919 sogar noch stärker. Der Lübecker Pfarrer Alfred Haensel forderte dort, eine Volksmissionswoche in einer Glaubenshaltung zu organisieren: „Wer da nichts besonderes von Gott erwartet, der lasse sich lieber gar nicht erst mit der Sache [der Volksmission, H. B.] ein.“40 Haensel beschrieb insgesamt eine zu Hagens Vorschlägen analoge Vorgehensweise, betonte unter dem Stichwort „innere Vorarbeit“ aber stärker die Bedeutung des vorbereitenden einzelnen und gemeinsamen Gebetes: „Tut es nicht erst in den letzten Tagen, sondern fangt beizeiten damit an.“41 Haensel betonte, dass durch die entsprechende Vorbereitung durch Werbung und Gebet die Veranstaltung einer Volksmissionswoche in der Gemeinde aussichtsreich sei: „So habt ihr das Eure getan, und Gott wird es am Segen gewiß nicht fehlen lassen.“42 In der neuen Fassung des Handbuches von 1931 wurde das Gebet weniger stark betont. Trotzdem gehörte die geistliche Vorbereitung einer Volksmissionswoche weiterhin zu dem Anspruch, der an die Veranstalter einer Volksmissionswoche gerichtet wurde. Das Merkblatt des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission betonte beispielsweise, dass den einzelnen Abendvorträgen am besten eine
36 37 38 39 40 41 42
ADE Berlin, DEVVM 11. Hagen, Vorbereitung, 113. ADE Berlin, DEVVM 11. Hagen, Vorbereitung, 113. Haensel, Vorbereitung, 64. Ebd., 67. Ebd., 70.
Dauer und Veranstaltungsorte
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Gebetsgemeinschaft von Ortspfarrer, Evangelist und den freiwilligen Helfern vorausgehen sollte43. Die Richtlinien und Vorschläge zur Gestaltung einer Evangelisationswoche vermittelten das Bild einer durch die gesamte Gemeinde vorbereiteten Veranstaltung, welche das kirchliche Leben für die betreffende Zeit vollständig prägen sollte. Bereits die Schilderung der Schwierigkeiten bei den Einladungen für eine Volksmissionswoche hat jedoch gezeigt, dass sie nicht immer von allen Gruppen, Kreisen und Schlüsselfiguren in gleichem Maße getragen wurde. Die interne Korrespondenz der Volksmissionare des Central-Ausschusses zeigt zudem, dass teilweise auch die Vorarbeit zu wünschen übrig ließ. 1921 klagte beispielsweise Hagen, dass während einer Evangelisationswoche in Lübeck, die für alle dortigen Gemeinden bestimmt war, zeitgleich noch andere kirchliche Veranstaltungen liefen: „Die Arbeit ist trotz meiner dringenden Bitte in keiner Weise innerlich vorbereitet.“44 Das Idealbild einer sich auf die Abhaltung einer Evangelisation vollständig konzentrierenden Gemeinde entsprach also nicht immer den Tatsachen. Andererseits war es auch nicht möglich, die Vorbereitung einer Volksmissionswoche durch den Central-Ausschuss selbst in die Hand zu nehmen, da dies immer wieder als Eingriff in die Angelegenheiten der einzelnen Gemeinde verstanden worden wäre45. Die Volksmissionare fanden sich hier ähnlich wie bei der Nacharbeit in dem Dilemma, für den erfolgreichen Verlauf einer Evangelisationswoche auf die Mitarbeit der örtlichen Gemeinde angewiesen zu sein, die sie nicht garantieren konnten.
12.2 Dauer und Veranstaltungsorte Volksmissionswochen des Central-Ausschusses dauerten in der Regel zwischen ein und zwei Wochen. Das Merkblatt des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission schärfte den Interessenten ein, dass eine Volksmissionswoche mindestens acht Tage dauern müsse, am besten aber zehn bis 14 Tage umfasse46. Laut diesem Merkblatt sollte die Volksmission an einem Sonntag beginnen und damit entweder an einem Sonntag enden oder mindestens einen weiteren Sonntag umfassen47. Diese Vorschläge gingen bereits 43 ADE Berlin, DEVVM 11. 44 Schreiben Hagen an Füllkrug am 20. 11. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 125). Bereits 1919 gab es Überlegungen zur Anstellung eines eigenen Berufsarbeiters durch den Central-Ausschuss, um die Vorbereitung von Evangelisationen zu übernehmen, „von der die lokalen Instanzen oft gar keine Ahnung haben“ (Sitzung Unterkommission III des Volkskirchendienstes am 23. 4. 1919, [ADE Berlin, CA / EvA 13, 289]). 45 Vgl. etwa Schreiben Füllkrug an Engel, 29. 1. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 120). 46 Merkblatt zur Abhaltung einer Volksmission (ADE Berlin, DEVVM 11). 47 Ebd.
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auf die Evangelisationstätigkeit Elias Schrenks, des ersten deutschen landeskirchlichen Evangelisten im ausgehenden 19. Jahrhundert, zurück. Schrenk war aus seinen eigenen Erfahrungen heraus dazu übergegangen, länger als eine Woche an einem Ort zu predigen, um den Hörern genügend Raum für Buße und Bekehrung zu geben: „Bis ein Gewissen geweckt ist und der Mensch willig wird, sich zu bekehren […], braucht es Zeit.“48 So war eine längere Dauer der Evangelisation wünschenswert. Der Gemeinschaftsdiakonieverband, der ebenfalls zu einer Dauer der Evangelisation zwischen einer und zwei Wochen riet, wies aber darauf hin, dass eine Evangelisation um des Evangelisten willen auch nicht länger als auf zwei Wochen ausgedehnt werden könne, „da seine [des Evangelisten, H. B.] körperlichen Kräfte gewöhnlich nicht länger vorhalten.“49 Wenn man sich die Termine der einzelnen Evangelisationen der Evangelisten des Central-Ausschusses ansieht, dauerten sie in der Regel tatsächlich zwischen ein und zwei Wochen. Von den Volksmissionen, die Hölzel in den Jahren 1929 und 1930 hielt, dauerte nur eine weniger als eine Woche, nämlich die in Insterburg vom 18. bis zum 23. Mai 193050. Dagegen hielt Hölzel mehrfach Evangelisationen ab, die zwischen acht und zehn Tage in Anspruch nahmen (z. B. in Braunschweig, 6.–14. 1. 1929; Stettin-Grabow, 17.–24. 11. 1929)51. Die meisten seiner Volksmissionen dauerten jedoch elf oder zwölf Tage (z. B. in Breslau, 26. 11.–8. 12. 1929; in Frankfurt am Main, 9.–21. 2. 1930)52. Komplette zwei Wochen missionierte Hölzel dagegen im betrachteten Zeitraum in Riga, wo er vom 14. bis zum 28. April 1929 evangelisierte53. Auch sonst kamen 14-tägige Evangelisationen nur gelegentlich vor54. Dagegen evangelisierte Hölzel während seiner Volksmissionswochen in Ostpreußen 1926 und 1928 meist nur zwischen sieben und neun Tagen55. Die Dauer der Evangelisation variierte also, wobei deren Festsetzung vorrangig der anfordernden Gemeinde oblag56. Daneben spielte allerdings wohl auch der Terminplan des Evangelisten für die Dauer von Volksmissionen eine Rolle. Die Rückmeldungen von Gemeindepfarrern nach der Durchführung von Volksmissionswochen variierten. Der Pfarrer in Remse an der Mulde, wo Hagen vom 16. bis zum 23. Mai 1927 evangelisierte, regte für die Zukunft eine 48 Zitiert nach Bub, Evangelisationspredigt, 35. 49 Eckart, Evangelisation, 69 Abs. 690. 50 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Insterburg, 18.–23. 5. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 51 Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Braunschweig, 6.–14. 1. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142); Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Stettin-Grabow (ebd.) 52 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Breslau, 26. 11.–8. 12. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142); Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Frankfurt/M.-Süd, 9.–21. 2. 1930 (ebd.). 53 Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Riga, 14.–28. 4. 1929 (ebd.). 54 Vgl. etwa Berichtbogen Hölzel Evangelisation in Reichenbach, 17.–31. 1. 1926 (ebd.); sowie Werbezettel Evangelisation Hölzel in Zürich, 29. 1.–12. 2. 1928 (ebd.). 55 1926 Tilsit, 9.–18. 6., Pillau 20.–27. 6.; 1928 Elbing, 11.–20. 3.; Pillau, 22.–29. 3 (vgl. ebd.). 56 Vgl. Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (ADE Berlin, DEVVM 11).
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Dauer der Volksmissionswoche von 14 Tagen mit einer vertiefenden „Nachevangelisation“ nach Ablauf von drei bis sechs Monaten an57. Der Pfarrer einer Leipziger Gemeinde, in der Hagen 1928 zwei Wochen lang evangelisierte, schrieb, dass die Dauer ihm anfangs als zu lang erschienen sei, er sie im Nachhinein aber beinahe als zu kurz betrachtet hätte58. Im schlesischen Reichenbach dagegen, wo Hölzel im Jahre 1926 genau zwei Wochen lang evangelisiert hatte, beklagte der zuständige Ortspfarrer einen rückläufigen Besuch der Veranstaltungen und schlug vor, in Zukunft nur noch acht Tage zu evangelisieren: „[…] soviel ich sah, haben die Nerven unserer Leute nicht so lange durchgehalten, wie die Nerven Pastor Hölzels. Wirklich wohlgesinnte Leute konnten in der zweiten Woche offenbar nicht mehr.“59 Die Evangelisten tendierten im Laufe der Zeit immer stärker zu einer Verlängerung der Evangelisationen. Das geschah besonders aus der Erfahrung heraus, dass in den einzelnen Gemeinden nicht genügend für die Nacharbeit gesorgt wurde. So stellte Hagen im September 1930 auf einer Sitzung der Kommission für Volksmission einen Antrag auf „Verlängerung der Dauer der einzelnen Volksmissionen“. In seiner Stellungnahme betonte er: „Die Dauer unserer Arbeit ist zu kurz, kann nur Platzregen mit allen seinen Wirkungen und Segnungen sein.“60 Hagen empfahl aufgrund seiner Erfahrungen mit mehrwöchigen Pfarrvertretungen, die Volksmissionswochen zu verlängern; denn seine Pfarrvertretungen „haben deutlich eine gewisse Gesamtbelebung der Gemeinde gezeigt, die nicht zu übersehen war und ist“61. Allerdings gab er keine konkreten Vorschläge, wie lange Volksmissionen idealerweise zu dauern hätten. Jedoch scheinen die Erfahrungen auf Hagens eigene Präferenz für längere Einsätze im Rahmen von Pfarrvertretungen in den Jahren nach 1930 eingewirkt zu haben. Volksmissionswochen konnten an verschiedenen Orten stattfinden. Grundsätzlich kamen als Ort die Kirche oder andere „neutrale“ Räumlichkeiten infrage. Die Überlegung, ob eine Volksmissionswoche besser in einer Kirche oder in einem neutralen Saal veranstaltet werden solle, wurde bereits im „Handbuch der Volksmission“ von 1919 erörtert. Alfred Haensel, der das Kapitel über „Die Vorbereitung einer Evangelisation“ in diesem Handbuch verfasste, tendierte zur Nutzung eines Saales, der möglichst auch nicht in 57 Bericht Evangelisation in Remse an der Mulde, Eingang 5. 1. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 144); Werbezettel Evangelisation Remse an der Mulde, 16. 5.–23. 5. 1927 (ebd.). Der Vorschlag orientiert sich deutlich an der katholischen Volksmissionspraxis: Hier gehörte eine „Missionserneuerung“ ein Jahr nach der Volksmission seit 1854 zum Standardprogramm (vgl. Klosterkamp, Volksmission, 46). 58 Schreiben Pfarrer Arthur Georg Faber, Leipzig, an Füllkrug am 3. 12. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 127). 59 Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Reichenbach (Schlesien), Januar 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 60 Sitzung Kommission für Volksmission am 5. 9. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 37). 61 Ebd.
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einem kirchlichen Vereinshaus liegen sollte: „Man tut auch besser, dafür [für die Evangelisation, H. B.] einen neutralen Raum zu nehmen, weil wir dort besser auch an die kirchlich Entfremdeten herankommen.“62 Allerdings wies er auch darauf hin, dass gerade in Gegenden, in denen das kirchliche Leben noch weitgehend intakt sei, die Kirche eventuell der bessere Ort für eine Evangelisation sei. In einem 1920 erschienenen Heft zum Thema „Volksmission auf dem Lande“ wurde für agrarische Gebiete für die Veranstaltung von Volksmissionswochen ein sakraler Ort vorgeschlagen: „Der gegebene Ort für eine Evangelisation ist auf dem Dorfe immer zunächst die Kirche. Religionsfragen werden im Gotteshaus besprochen, das ist man so gewöhnt.“63 Die „Lokalfrage“ nach dem besten Ort für eine Evangelisation bzw. eine Volksmission war also nicht eindeutig zu klären. Die Richtlinien des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission schlugen Mitte der 1920erJahre vor, in kleinen und mittleren Orten die Kirche, sonst einen neutralen Saal als Veranstaltungsort anzuvisieren64. Im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ von 1931 regte Willy Ernst Hagen an, zunächst Vorträge, die sich betont an Fernstehende richten sollten, in einem Saal zu halten und erst für die zweite Hälfte in die Kirche umzuziehen65. Tatsächlich erwiesen sich für Diskussionsveranstaltungen Säle als die bessere Wahl. So fand im Januar 1927 in Döbern in der Niederlausitz eine zehntägige Reihe von Vorträgen Hagens mit Möglichkeit zur Diskussion zunächst im Schützenhaus und anschließend im Saal einer Gaststätte statt66. Vorteil einer Volksmissionswoche in einem Saal war, dass sie sich auch an Menschen richten konnte, die gegenüber den Kirchen misstrauisch waren. Andererseits hatte die Kirche als Veranstaltungsort den Vorteil, dass sie die gemeindliche Einbindung der Volksmissionswoche anzeigte und sie gegenüber Freikirchen und „Sekten“ als kirchliche Veranstaltung kennzeichnete67. In der Praxis kamen sowohl Evangelisationen in Sälen als auch in Kirchen vor. Oft zogen die Evangelisten im Laufe der Veranstaltung um. So hielt Hölzel bei seiner Evangelisation in Reichenbach (Schlesien) im Januar 1926 zunächst Vorträge mit Möglichkeit zur Diskussion in einem Gasthaussaal und ging dann in der zweiten Hälfte der Evangelisationswoche in die örtliche Kirche68. 62 63 64 65 66
Haensel, Vorbereitung, 69. F llkrug, Volksmission, 31. Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (ADE Berlin, DEVVM 11). Hagen, Missionsvortrag, 115. Flugblatt örtlicher Freidenker zur Evangelisation Hagens in Döbern [Januar 1927] (ADE Berlin, CA / EvA 127). 67 Ähnliche Erwägungen bestimmten auch die Diskussion zum angemessenen Veranstaltungsort in dem Handbuch des Gemeinschaftsdiakonieverbandes. Die landeskirchlichen Gemeinschaften konnten sich allerdings nicht sicher sein, auch die Genehmigung zur Abhaltung einer Evangelisationswoche in einer Kirche zu erhalten; vgl. Eckart, Evangelisation, 69 f. Abs. 692–706. 68 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Reichenbach, 17.–31. 1. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142).
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In der Praxis konnte es bei nicht-kirchlichen Sälen Vorbehalte wegen bestimmter Themen geben. So lehnte Hölzel bei einer Evangelisation im hannoverschen Stadtteil Wülfel im Frühjahr 1927 einen ihm angebotenen Saal ab, da der Gastwirt ihm zur Auflage gemacht hatte, während der Evangelisation nicht über die Gefahren des Alkohols und Tabaks zu reden69. In HannoverWülfel zeigte sich zugleich, dass Kirchen einen entscheidenden Vorteil hatten: Sie konnten eine große Anzahl von Hörern aufnehmen. Da die dort stattfindende Volksmissionswoche außerordentlich gut besucht war, musste sie in die dortige Kirche verlegt werden70. Ein weiterer Grund für die Nutzung der Kirche konnte auch die noch vorhandene Selbstverständlichkeit der Kirchlichkeit in großen Teilen der Bevölkerung sein. In Riga, wo die kirchliche Verbundenheit der Deutschbalten noch weitgehend feststand, fand eine 14tägige Evangelisation Hölzels 1929 allein in zwei Kirchen und einem Gemeindesaal statt71. Große Versammlungen fanden gelegentlich unter freiem Himmel statt. So hielt Hölzel anlässlich seiner Evangelisation in Speyer im Frühjahr 1926 auch eine Versammlung auf dem dortigen Marktplatz ab. Während bei seinen regulären Evangelisationsveranstaltungen der Besuch von 400 auf 1.300 Personen anstieg, waren bei dieser Marktversammlung 6.000 Menschen anwesend72. Solche öffentlichen Versammlungen hatten oft die Funktion, für die eigentlichen Evangelisationsvorträge zu werben. Sie hatten daher ein allgemein sozial oder politisch formuliertes Thema73. Teilweise waren sie spezifisch auf die Arbeiterschaft zugeschnitten. So begann Hölzels bereits mehrfach erwähnte Evangelisation in Hannover-Wülfel am 1. Mai 1927 mit einer öffentlichen „Christlichen Maifeier“, auf der Hölzel einen Vortrag über das Thema „Friede auf Erden“ hielt74. Hinzu kamen während der Evangelisationswoche weitere regelmäßige Versammlungen im Freien in der Nähe der örtlichen Fabriken, in denen am Nachmittag die heimkehrenden Arbeiter zu den Volksmissionsvorträgen eingeladen werden sollten75. Solche einladenden Aktionen mit einer kurzen Ansprache fanden mehrfach in Fabriknähe oder in Hinterhöfen statt76. Bei einem Vortrag über die „Auferstehung des Leibes“, den 69 Schreiben Hölzel an Füllkrug am 11. 5. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 70 Schreiben Hölzel an Füllkrug am 11. 5. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Hölzel schätzte eine Besucherzahl von 200 bis 300 Menschen (vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in HannoverWülfel, 1.–11. 5. 1927 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 71 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Riga, 14.–28. 4. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 72 Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Speyer, 4.–11. 3. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 73 So eine Marktversammlung während einer Evangelisation Hölzels in Fürstenwalde im Oktober 1922: „Wie können wir Deutschland wieder aufbauen?“ (Werbezettel Evangelisation Hölzel in Fürstenwalde 15.–24. 10. 1922 [ADE Berlin, CA / EvA 125]). 74 Vgl. Programm Volksmission Hannover-Wülfel, 1.–11. 5. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 75 Vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug am 11. 5. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 76 So bei einer Volksmissionswoche im Frühjahr 1926 in einem ländlichen Industriegebiet im Kalibezirk der preußischen Provinz Sachsen (vgl. Schreiben Hölzel [Schötmar] an Füllkrug am 6. 5. 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 126]).
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Hölzel im November 1929 bei einer Volksmissionswoche in Stettin-Grabow auf dem dortigen Friedhof hielt, sollte der Ort offenbar die Botschaft unterstreichen77. Versammlungen im Freien dienten also eher der Herstellung von Öffentlichkeit und der Werbung für die in der Kirche oder in neutralen Sälen stattfindenden Vorträge. Zeltmission, wie sie seit Anfang des 20. Jahrhunderts von der „Deutschen Zeltmission“, die vor allem durch Gemeinschaften und Freikirchen getragen war, veranstaltet wurde, betrieb der Central-Ausschuss nicht. Nach einer kurzen Diskussion lehnte die Kommission für Volksmission die Anschaffung eines Missionszeltes im Frühjahr 1925 ab78. Lediglich bei einer Volksmissionswoche in Düsseldorf beteiligte sich der Central-Ausschuss wegen der mangelnden Mittel der dortigen Gemeinde an den Kosten für die Miete eines Zeltes zur Abhaltung einer Volksmissionswoche79. Grund für dieses mangelnde Interesse an Missionszelten dürfte die Reputation der Zeltmission gewesen sein: Sie galt als betont kirchenkritisch und in ihrer Verkündigung sehr auf Bekehrung dringend. Daher bestanden trotz der Mitgliedschaft der 1920 gegründeten Zelt-Volks-Mission (nicht identisch mit der Deutschen Zeltmission!) im Deutschen Evangelischen Verband für Volksmission Berührungsschwierigkeiten80.
12.3 Ablauf und einzelne Veranstaltungsformen Obwohl die Dauer einer Volksmissionswoche nicht immer gleich war und auch die Themen variierten, lassen sich doch Strukturmerkmale erkennen, welche die Art der Veranstaltung prägten. Zunächst sollen die verschiedenen Veranstaltungsformen, die während einer Volksmissionswoche vorkamen, kurz vorgestellt werden. Wichtigste Quelle sind neben den Berichtbögen der Volksmissionare über ihre einzelnen Evangelisationswochen Werbezettel für bestimmte Evangelisationen, die sich immer wieder in den Akten des Archivs für Diakonie und Entwicklung finden. Volksmissionswochen waren im Wesentlichen durch verschiedene Formen christlicher Verkündigung geprägt. Wie schon aus der Aufgabenbeschreibung der Evangelisten deutlich wurde, war die Abhaltung einer Evangelisation für sie mit einem erheblichen Arbeitsaufwand verbunden: Während einer Volksmissionswoche in Elbing im Frühjahr 1930 hielt Hölzel in zehn Tagen zwei Predigten, insgesamt 16 Vor77 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Stettin-Grabow, 17.–24. 11. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 78 Grund für die Diskussion war die Möglichkeit, durch Zeltmission höhere Einnahmen zu erzielen – die Anschaffung eines Zeltes hätte aber zunächst höhere Unkosten bedeutet; vgl. Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission am 24. 3. 1925 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 198). 79 Schreiben Füllkrug an GKR Düsseldorf am 6. 7. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126). 80 Vgl. die Analyse des Verhältnisses der Mitgliedsorganisationen des DEVVM oben 222–228.
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träge sowie tägliche Morgenandachten und Sprechstunden81. Alle diese Vorträge wurden meistens unter einem gemeinsamen Motto zusammengefasst, das auf die Gemeinde abgestimmt war82. Oft bezogen sich diese übergreifenden Titel auf angenommene bzw. vorgebliche Fragen der Hörer83. 12.3.1 Allgemeine Vorträge Den größten Umfang nahm in jeder Volksmission der abendliche Evangelisationsvortrag ein. Willy Ernst Hagen schrieb hierzu: „Die Hauptaufgabe der ,Volksmission‘ ist die Darbietung des Volksmissionsvortrages, der allen Ansprüchen genügen muß.“84 Solche Vorträge fanden in der Regel an jedem Abend der Volksmissionswoche statt. Zeitlich waren die Vorträge so angesetzt, dass sie von allen besucht werden konnten. In Fraustadt in der Grenzmark Posen-Westpreußen, wo Hölzel im Januar 1928 evangelisierte, fand die Vortragsreihe beispielsweise jeweils abends ab 20.00 Uhr statt85. Zur Dauer des regulären Evangelisationsvortrages gab Willy Ernst Hagen an: „Mit ,Umrahmung‘ [durch Gesänge und Gebet, H. B.] darf der Vortrag den Zeitraum einer Stunde gut füllen.“86 Er schlug dabei vor, die Verkündigung lediglich durch einige Gesangbuchverse und ein kurzes Gebet des Evangelisten zu Beginn und zum Schluss der Verkündigung zu umrahmen: „Je knapper, strichartiger die Umgrenzung wirkt, je [sic!] mehr sie ihren Zweck erreicht: die markante Hervorhebung des Vortrages für die Gemeinde, die nur als ,Hörgemeinde‘ zusammengekommen ist.“87 Als Kleidung des Evangelisten favorisierte Hagen in einem Saal den dunklen Anzug und in der Kirche einen Gehrock mit schwarzer Krawatte oder die Amtstracht: „In kirchlichen Gemeinden ist der Talar das gegebene Amtskleid des Evangelisators, sofern er ihn zu tragen berechtigt ist.“88 Der Volksmissionar sollte also, wenn möglich, als Vertreter der Kirche erkennbar sein, aber auch an einem neutralen Ort einen seiner Botschaft würdigen Anzug tragen: „Im gewöhnlichen Leben vertritt in ge-
81 Vgl. Werbezettel Volksmission Hölzel in Elbing, 30. 3.–8. 4. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 82 Über seine Volksmission in Elbing schrieb Hölzel: „Das Thema der 10 Tage entsprach der wirtschaftlichen Lage der Bevölkerung: Christus und unsere Not“ (Hçlzel, Stiefkind, 112). 83 „Menschenfragen und Gottesantworten“, u. a. Volksmission in Fraustadt, 15.–22. 1. 1928 (vgl. Rçper / J llig, Macht, 219); sowie Werbezettel Volksmission Hölzel in Friedland i. Pr., 16.–27. 3. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). „Brennende Lebensfragen“; vgl. u. a. Werbezettel Evangelisation Hölzel in Zürich, 29. 1.–12. 2. 1928 (ebd.); Werbezettel „Vorträge über brennende Gegenwartsfragen“, Braunschweig, 15.–27. 6. 1930 (ebd.). 84 Hagen, Missionsvortrag, 113. 85 Vgl. Werbezettel Evangelisation Hölzel in Fraustadt, 15.–22. 1. 1928 (abgebildet in: Rçper / J llig, Macht, 219). 86 Hagen, Missionsvortrag, 119. 87 Ebd., 113. 88 Ebd., 118.
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wissem Sinne der Anzug die Weltanschauung dessen, der ihn trägt.“89 Ausweislich der Berichte der Volksmissionare tendierten auch die Hörer zu gehobener Kleidung90. Die konkreten Themen der Volksmissionswoche sollten für die jeweilige Gemeinde passen. Willy Ernst Hagen betonte daher im Handbuch der Volksmission von 1931, dass die Berichte der Pfarrer bzw. der sonstigen Veranstalter von Volksmissionswochen wahrheitsgemäß sein müssten, um die Grundlage für ein Vortragsprogramm geben zu können91. Teilweise war das Thema der einzelnen Vorträge Gegenstand eines Aushandlungsprozesses. So musste Hölzel 1925 bei einer Evangelisation in Reval (Talinn) seine ursprünglich anvisierten Themen ändern, da zwei andere deutsche Evangelisten bereits kurze Zeit vorher über ähnliche Themen gepredigt hatten92. Für die Auswahl der Vorträge sollten die soziologischen Gegebenheiten der jeweiligen Gemeinde berücksichtigt werden: „Anknüpfung ist einfach Gebot.“93 Hagen gab im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ mehrere konkrete Beispiele von Vortragsreihen, die er in einer Industriegemeinde, in einer bürgerlich-industriellen Gemeinde, in einer Gemeinde mit einem hohen Prozentsatz an Ausgetretenen, in einer unkirchlichen Dorfgemeinde mit einer starken völkischen Prägung und in einer Großstadtgemeinde mit einem hohen Anteil an Intellektuellen und Kleinbürgern gehalten hatte94. Bei den aufgelisteten Vorträgen ist eine Orientierung an der jeweiligen Situation deutlich. So schlug er bei der Evangelisation in der Gemeinde mit einer starken Austrittsneigung vor, die ersten drei Abende als Diskussionsabende im Lokal der Freidenker zu halten95. In der durch völkische Strömungen beeinflussten Gemeinde schlug er ebenfalls Themen vor, die sich auf die Hörer bezogen und die völkische Ideologie als Ausgangspunkt für die Evangeliumsverkündigung nahmen96. Das Ziel der Evangelisationsvorträge war bei aller Anknüpfung an die Hörer jedoch eindeutig: „Ziel des Vortrages ist und bleibt die versuchte Weckung des Sünden-, des Schuldbewußtseins und des Bewußtseins von der Gnade Gottes in Jesus Christus, die allen gilt.“97 Dies habe den Vorrang vor 89 Ebd. 90 So berichtete Hölzel, dass im Frühjahr 1928 in Elbing viele Verarmte seinen Vorträgen ferngeblieben seien, da sie keinen Anzug mehr besessen hätten (vgl. Hölzel, Bericht über die Arbeit in Ostpreußen vom 9. 5. 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 91 Hagen, Vorbereitung, 111 f. 92 Vgl. Schreiben Haudriek, CVJM Reval (Talinn) vom 16. 12. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 126). 93 Hagen, Missionsvortrag, 115. 94 Ebd., 115–117. 95 Vortragsthemen: „a) Ethischer Unterricht oder Religionsunterricht – b) Partei oder Volk“ – c) Brauchen wir eine Kirche?“ (ebd., 116). Zu diesen Diskussionsabenden vgl. unten 377–381. 96 „1. Sind wir ein sterbendes Volk? – 2. Das Geheimnis der Gegenwartsnot unseres Volkes – 3. Selbsthilfe oder Gotteshilfe? – 4. Vom Hunger nach dem richtigen Leben – 5. Irren und Kämpfen – 6. Begegnungen mit Gott – 7. Einkehr und Heimkehr – 8. Die Lebensmacht der Kirche“ (Hagen, Missionsvortrag, 116). 97 ebd., 118 f.
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einer Diskussion bestimmter Themen: „Auch bei der Durcharbeitung von peripherischen Fragen wie Ehe, soziale Not, Volksnot darf das Evangelium nicht arme Interpunktion sein.“98 Trotz allem Interesse an Anknüpfung an die Situation der Hörer sollte Evangelisation also zumindest dem Anspruch nach vor allem ein geistliches Geschehen sein. Aus den Berichten über den Ablauf von Volksmissionswochen wird deutlich, dass die Vorträge in ihrer Gesamtheit häufig einen Spannungsbogen hatten: Während in den ersten Vorträgen die Anknüpfung an die Lebenswelt der Hörer überwog, wurde im Verlauf der Volksmissionswoche immer stärker und zugespitzter die Notwendigkeit von Buße und Bekehrung gepredigt99. Bei der Gliederung der Vorträge fällt die schon erwähnte Aufteilung zwischen Diskussionsabenden und Abenden ohne Aussprache auf, die teilweise auch räumlich getrennt waren. Die Themenabende mit Aussprache hatten meist Themen zu allgemeinen Sinnfragen100 oder spezifisch apologetische Themen, die sich oft schon im Titel auf die antikirchliche Propaganda der Freidenker bezogen101. Teilweise waren sie auch explizit auf politische Themen bezogen. Das war beispielsweise während einer im Juni 1930 in Braunschweig veranstalteten Volksmissionswoche der Fall, die sich explizit an die Arbeiterschaft richten sollte102. Es wird deutlich, dass es Ziel dieser Diskussionsabende war, kirchlich distanzierte und besonders Mitglieder der Arbeiterbewegung bzw. von freidenkerischem Gedankengut beeinflusste Menschen für die Volksmissionswoche zu interessieren und sie, falls möglich, auch zum Besuch der ohne Aussprache stattfindenden Vorträge zu bewegen. Die Veranstaltung von Diskussionsabenden war nicht auf den CentralAusschuss beschränkt, sondern wurde auch von anderen Organisationen des DEVVM durchgeführt. Dessen „Merkblatt zur Veranstaltung einer Volksmission (Evangelisation)“ empfahl daher uneingeschränkt die Durchführung 98 Ebd., 118. 99 Dies zeigte sich besonders dann, wenn die Volksmission mit Diskussionsvorträgen begann; zudem war der Abschlussvortrag oft betont mit einem Aufruf zur Entscheidung verbunden. So machte Hölzel für den zahlenmäßig geringen Besuch einer Evangelisation in Lankwitz 1929 den Entscheidungsaufruf in dem Abschlussvortrag seiner Evangelisation von 1926 in derselben Gemeinde verantwortlich (vgl. Hölzel, Bericht über Evangelisation in Berlin und Stettin [1929] [ADE Berlin, CA / EvA 126]). 100 Vgl. etwa bei einer 14-tägigen Evangelisation in Zürich Anfang 1928, wo es zunächst vier Abende mit allgemeiner Aussprache zu allgemeinen Sinnfragen gab: „Lohnt sichs zu leben – Wozu sind wir auf der Welt? – Das radikale Böse – Der Weg zu wahrem Menschentum“ (Werbezettel Evangelisation Hölzel in Zürich, 29. 1.–12. 2. 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 101 „Kann ein freier Denker Christ sein“ (Berichtbogen Evangelisation Hölzel in der Taborgemeinde in Berlin, 30. 3.–8. 4. 1927 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 102 Die Vortragstitel lauteten: „Religion ist Opium für das Volk? (Eröffnungsversammlung auf dem Schlossplatz) – Christentum und Sozialismus: Warum hat Karl Marx das Christentum abgelehnt? – Entspricht die heutige Gesellschaftsordnung dem Willen Gottes? – Der wunde Punkt im marxistischen Sozialismus – Der einzige Weg zur Lösung der sozialen Frage“ (Werbezettel Evangelisation Hölzel „Reden über brennende Gegenwartsfragen“ in Braunschweig, 15.–27. 6. 1930 [ADE Berlin, CA / EvA 142]).
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dieser Veranstaltungsform in Gemeinden, die von Arbeitern dominiert waren. Es empfahl, für diese Vorträge weder Eintritt zu nehmen noch eine Kollekte einzusammeln und den Vorsitz der Veranstaltung nicht beim Evangelisten zu belassen103. Im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ schrieb der Evangelist Hans Berg, ein ehemaliger Mitarbeiter der Wichern-Vereinigung, das Kapitel über „Diskussionsabende“. Aus seinen Vorschlägen zur Gestaltung eines Diskussionsabends geht hervor, dass sich die Diskussionsabende der Form nach an den Debatten politischer Versammlungen orientierten. Dabei betonte er die Notwendigkeit, während der Versammlung durch das Führen der Rednerliste und regelmäßige Gegenrede des Evangelisten gegenüber Diskussionsrednern das Heft in der Hand zu behalten104. Berg empfahl auch, in der Einladung nicht den christlichen Standpunkt des Vortrages deutlich zu machen: „Auch der Fischer schlägt nicht mit dem Netz ins Wasser, daß die Fische merken, sie sollen gefangen werden.“105 Dieser Praxis folgten die Volksmissionare des Central-Ausschusses nicht. Auf den Einladungszetteln waren sie in der Regel als Vertreter der Inneren Mission gekennzeichnet, zudem wurden auf den Einladungszetteln die Diskussionsabende gemeinsam mit den Vorträgen ohne Aussprache abgedruckt. Die Vorträge waren damit i. d. R. als religiöse Veranstaltungen erkennbar106. Allerdings ist auch bei den CA-Volksmissionaren die Bemühung zu erkennen, während der Diskussion die Kontrolle über die Veranstaltung zu behalten107. Dennoch suchten sie mit dieser Veranstaltungsform bewusst die Auseinandersetzung mit den Freidenkern108. So luden im Januar 1927 anlässlich einer Evangelisation Hagens im brandenburgischen Döbern die Freidenker auf eigenen Flugblättern zu öffentlichen Vorträgen Hagens mit anschließender Diskussion ein. Das Flugblatt zeigt exemplarisch die Polemik der Auseinandersetzung: „Alle Mann vor zum Kampf gegen Reaktion und Verdummung gegen den Oberfinsterling und ehemaligen Marinepfarrer P. Hagen aus Berlin“109. Berichte über derartige Flugblattverteilungen von Freidenkern anlässlich von Volksmissionswochen finden sich mehrfach110. Auch sonst wiesen die 103 104 105 106 107
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ADE Berlin, DEVVM 11. Vgl. Berg, Diskussionsabende. Ebd., 178. Vgl. etwa Werbezettel Evangelisation Hölzel in Winterthur, Januar 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 142). So lehnte Hölzel bei einer Evangelisation 1927 in Lübeck freie Aussprache ab, da er fürchtete, dass wegen sittlicher Verfehlungen eines dortigen Dompredigers die Diskussion aus dem Ruder laufen könnte (vgl. Bericht Hölzel über seine Evangelisation in Lübeck, 14.–21. 10. 1927 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). Zu Geschichte und Ideologie der Freidenker vgl. Kaiser, Arbeiterbewegung. Flugblatt des örtlichen Freidenkerverbandes anlässlich einer Volksmissionswoche Hagens in Döbern, Mark Brandenburg [1927] (ADE Berlin, CA / EvA 127). Bei der bereits erwähnten Volksmissionswoche Hölzels in Braunschweig 1930 verteilten Freidenker während der Eröffnungsversammlung auf dem Schlossplatz Flugblätter (vgl.
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Berichte der Volksmissionare häufig auf Auseinandersetzungen hin, wobei nicht immer deutlich wird, ob die charakterisierten Gegner proletarische Freidenker oder Sozialisten bzw. Kommunisten waren. Hölzel berichtete besonders ausführlich über Auseinandersetzungen im sudetendeutschen Ort Rossbach, also in einer mehrheitlich deutschsprachigen Gemeinde in der damaligen Tschechoslowakei, wo er im Frühjahr 1927 evangelisierte. Hölzel beschrieb eine intensive Diskussion zwischen ihm und den Vertretern der Arbeiterbewegung um politische Themen und apologetische Fragen111. Er berichtete, dass während des Abends vonseiten der Gegner die Internationale angestimmt worden sei und diese auch provozierende Thesen vertreten hätten: „Im Völkerkrieg segnen die Pfaffen die Waffen zum Kampf gegen unsere Brüder, im Bürgerkrieg werden sie an die Wand gestellt und mit diesen Waffen erschossen.“112 Insgesamt überwog jedoch in Hölzels Schilderung der Eindruck, dass die Diskussionen bei den Arbeitern eher zur Differenzierung beigetragen hätten. In einem dem Bericht beigefügten Zeitungsausschnitt wurde die Diskussion dagegen zu einer vollkommenen Niederlage erklärt, welche „dem christlichen Demagogen aus Berlin“113 durch diese Diskussionsveranstaltungen in Rossbach beigebracht worden sei: „Die Pfaffen hatten sogar drei öffentliche Versammlungen angesetzt, die aber alle mit einem beispiellosen Fiasko für die Veranstalter endeten […]. In den drei Versammlungen wurde mit den Pfaffen gründliche und vernichtende Abrechnung gehalten.“114
In der Berichterstattung konnte also der tatsächliche Sieg in der Argumentation von zwei Seiten in Anspruch genommen werden. Es fällt auf, dass die Formen der Auseinandersetzung aus der politischen Kultur der 1920er-Jahre stammten. Das betraf einmal die Form des Diskussionsabends, der an eine politische Versammlung erinnerte, andererseits die Agitationsformen, wie das Sprengen der Versammlung durch Singen eines symbolisch aufgeladenen
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Hölzel, Im Kampf um die Seele unseres Volkes: Bilder aus der Braunschweiger Arbeitermission [ADE Berlin, CA / EvA 142]). So behauptete Hölzel während der Diskussion mit Arbeitern in Rossbach, Darwin habe die Entstehung des Lebens auf einen göttlichen Eingriff zurückgeführt (vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug 9. 6. 1923 [ebd.]). Ebd. Zeitungsausschnitt mit dem Titel „Vom Tage: ,Gott helfe mir, ich kann nicht anders. Amen!‘“, 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Leider enthält der Zeitungsausschnitt keine Provenienz. Da der Text allerdings einen sozialistischen Gewerkschaftssekretär massiv kritisiert, der sich während des Vortrages gegenüber Hölzel zu kompromissbereit geäußert habe, ist davon auszugehen, dass er entweder von kommunistischen Freidenkern oder direkt aus einem kommunistischen Blatt stammt. Die deutschen Freidenkerorganisationen spalteten sich in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre (endgültig 1929) in einen sozialistischen und einen kommunistischen Flügel (vgl. Kaiser, Arbeiterbewegung, 250–278). Zeitungsausschnitt „Vom Tage: ,Gott helfe mir, ich kann nicht anders. Amen!‘“ (ADE Berlin, CA / EvA 142).
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Liedes oder durch verbale Gewaltandrohung. Zudem wurde aus den von Hölzel berichteten Äußerungen deutlich, dass der Volksmissionar auch als politischer Gegner wahrgenommen wurde, obwohl Hölzel kurze Zeit später aufgrund sozialkritischer Äußerungen in einer Predigt auch mit den Industriellen Rossbachs in Konflikt geriet115. Die konfliktorientierte politische Kultur der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg äußerte sich in den aufgeheizten Debatten zwischen Freidenkern und Kirchenvertretern. In der Deutung wurden solche Auseinandersetzungen immer wieder mit einer Kampf- und Frontmetaphorik aufgeladen116, allerdings konnte gerade Hölzel auch differenzieren. So berichtete er über eine Freidenkerversammlung, zu der ihn während seiner Evangelisationsreise in Österreich im Herbst 1927 ein ehemaliger katholischer Priester eingeladen hatte, dass der Redner sich um Objektivität bemüht und ohne Agitation geredet habe117. Die Ambivalenz wurde besonders beim Bericht Hölzels über die bereits mehrfach erwähnte Volksmission in Braunschweig im Juni 1930 deutlich. Hölzel nannte als Zweck dieser Volksmission die Bekämpfung der Freidenker in Braunschweig: „Denn geschehen muß etwas, um den durch den Terror der Gottlosen eingeschüchterten Menschen auf irgend eine Weise das Evangelium nahe zu bringen.“118 Beim Bericht über die Diskussionen im Rahmen seiner Vorträge berichtete er allerdings durchaus differenziert über die Aussprache, die „mit bemerkenswerter Sachlichkeit auf der jungsozialistischen und mit glühender Begeisterung auf der jungkommunistischen Seite geführt“119 worden sei. Hölzel war offen für christliche Selbstkritik. So wies er u. a. auf einen kommunistischen Funktionär hin, der in Braunschweig während der Aussprache erklärt habe, dass er aufgrund von Erfahrungen in einer evangelischen Erziehungsanstalt zum Freidenker geworden sei, und fragte sich, ob es auch anderen Kirchenkritikern ähnlich ergangen sei120. Besonders über die Jugend der KPD, die seinen Angaben zufolge teilweise auch die eigentlichen Evangelisationsvorträge besuchte, äußerte er: „Es lohnt sich, Zeit und Kraft diesen lieben jungen Brüdern zu widmen.“121 Obwohl also in den Berichten über die Auseinandersetzungen mit Freidenkern und Angehörigen der Arbeiterparteien diese immer wieder als Gegner bezeichnet wurden, konnte 115 „Die Fabrikanten aber waren noch wütender wie die Kommunisten am Abend vorher“ (Schreiben Hölzel an Füllkrug am 9. 6. 1927 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 116 So schrieb Hölzel anlässlich der Evangelisation in Hannover-Wülfel im Mai 1927 vertraulich an Füllkrug: „Interessant war, daß sich die Freidenker durch meine Arbeit angegriffen fühlten, sie sind aus der Aggressive in die Defensive gedrängt“ (Schreiben Hölzel an Füllkrug am 11. 5. 1927 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 117 Vgl. Hölzel, Bericht über die Evangelisation in Oberösterreich (Linz) [1927] (ADE Berlin, CA / EvA 142). 118 Hölzel, Im Kampf um die Seele unseres Volkes: Bilder aus der Braunschweiger Arbeitermission (ADE Berlin, CA / EvA 142). 119 Ebd. 120 Ebd. 121 Ebd.
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Hölzel durchaus differenziert über den Verlauf solcher Diskussionen berichten. Zudem galten den Volksmissionaren auch die Gegner als Menschen, denen ebenfalls das Evangelium galt. Hölzel schloss seinen Bericht über seine Tätigkeit mit dem Aufruf, auch im Gegner einen Bruder zu sehen: „Volksmission ist Kampf um die Seelen unserer Brüder, die Gott entfremdet sind.“122 Im Anschluss an die Vorträge der Volksmissionare fand in der Regel ein Verkauf von dezidiert christlicher Literatur statt. Die Bedeutung, welche man dem Schriftenverkauf beimaß, lässt sich daran ersehen, dass die Evangelistische Abteilung zweimal – in den Jahren 1918 und 1928 – eigene Schriftenverzeichnisse herausgab, in denen für den Verkauf geeignete Schriften genannt wurden123. Der noch heute bestehende Wichern-Verlag in Berlin entstand ursprünglich als Kommissionsverlag des Central-Ausschusses für die Innere Mission, um Schriften für den Büchertisch bereitzustellen124. Mit dem Verkauf von Büchern während einer Volksmissionswoche schloss sich die Volksmission an übliche Formen des kirchlichen Lebens an, wie Ulrich Bunzel von der schlesischen Inneren Mission konstatierte: „Bei keinem kirchlichen Fest dürfte ein Büchertisch fehlen.“125 Laut den Richtlinien des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission sollte der Schriftenverkauf unter der Aufsicht des Evangelisten stattfinden, allerdings der Veranstalter das Personal dafür stellen. Das Merkblatt empfahl zudem, die Volksmissionswoche durch eine vorangehende achttägige Schriftenkolportage vorzubereiten. Als mögliche Quellen für geeignete Literatur nannte das Ende der 1920er-Jahre erschienene Merkblatt neben lokalen evangelischen Buchhandlungen vor allem den eben erwähnten Wichern-Verlag, die Agentur des Rauhen Hauses sowie Schriftenmissionen in den einzelnen Landes- und Provinzialkirchen126. Die Verlage, die hier genannt wurden, standen alle mit den zum Deutschen Evangelischen Verband für Volksmission gehörenden Organisationen in Verbindung. Daran wird deutlich, was für eine Bedeutung man der Schriftenmission beimaß127. Die Bücher wurden zum Teil durch die Evangelisten bereitgestellt, wozu sie teilweise während ihrer Einsätze per Postkarte um die Übersendung von Büchern baten128. Dabei erhob der zuständige Sachbearbeiter im Central122 Ebd. 123 Central-Ausschuss f r die Innere Mission, Volksmissionsschriften; Central-Ausschuss f r die Innere Mission – Abteilung f r Volksmission, Verzeichnis. 124 Vgl. Sitzung des CA, Januar 1920 (ADE Berlin, CA 94, Jahrgang 1920, 2). Zur Umbenennung in Wichern-Verlag vgl. Sitzung der Kommission für Volksmission am 25. 11. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 254). 125 Bunzel, Schriftenmission, 304. 126 Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (ADE Berlin, DEVVM 11). 127 Unter der Überschrift „Volksmission mit dem gedruckten Wort“ berichtete im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ ein Vertreter der schlesischen Inneren Mission über die dort zentral organisierte und durch eigene Kolporteure übernommene Schriftenmission; vgl. Bunzel, Schriftenmission. 128 Vgl. Schreiben Hölzel an den CA, o. D. [Frühjahr 1920] (ADE Berlin, CA / EvA 125).
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Ausschuss, der Diakon Johannes Keinath, die Forderung, dass sie solche Bestellungen immer über die Zentrale abwickeln sollten, um in den Genuss von Buchhändlerrabatten zu kommen, und dass sie ihrem tatsächlichen Bedarf entsprechend bestellen sollten129. Die Volksmissionare rechneten dann gegenüber der Zentrale die Verkäufe ab130. In den frühen 1920er-Jahren war der Ertrag des Bücherverkaufes recht beträchtlich. Auf der Januarkonferenz der Kommission für Volksmission 1923 wurde berichtet, dass Überschüsse des Wichern-Verlages vor allem auf den Verkauf von Literatur während der Evangelisationen zurückzuführen seien131. Allerdings konstatierte man bereits vier Jahre später einen Rückgang der Bücherverkäufe während der Volksmissionswochen und ein Defizit des Wichern-Verlages, sodass die Abteilung für Volksmission mit einem Zuschuss aushelfen musste. Füllkrug erklärte dies vor der Kommission für Volksmission mit der materiellen Verarmung in Deutschland und einem stärkeren Engagement der regionalen Geschäftsstellen beim Schriftenverkauf: „Schuld an dem ungünstigen Ergebnis ist hauptsächlich die allgemeine wirtschaftliche Notlage in Deutschland, die es vielen Leuten nicht mehr gestattet, Aufwendungen für Bücher zu machen, andererseits gehen immer mehr Geschäftsstellen für Volksmission in den Ländern und Provinzen dazu über, den Schriftenverkauf selbst in die Hand zu nehmen.“132
Es ist allerdings eher zweifelhaft, ob während der vorübergehenden wirtschaftlichen Erholung ab Mitte der 1920er wirklich die materielle Verarmung den Bücherverkauf zum Erliegen brachte. Der Hinweis auf die Schriftenmission der regionalen IM–Verbände scheint aber auf unterschwellige Interessenkonflikte zwischen den verschiedenen volksmissionarischen Organisationen hinzudeuten. Fraglich ist, ob nicht auch die Empfehlungen der Volksmissionare das Defizit des Wichern-Verlages mit verursachten: Während Veranstaltungen der Volksmissionare des Central-Ausschusses wurde nämlich nicht allein Literatur verkauft, die aus dem Wichern-Verlag kam. Zudem wurden viele Beiträge von Mitarbeitern der Evangelistischen Abteilung des Central-Ausschusses nicht im Wichern-Verlag, sondern im mecklenburgischen Verlag Friedrich Bahn publiziert, der sich ebenfalls auf christliche Literatur konzentrierte133. Besonders Hölzel machte auch für seine eigenen im 129 130 131 132 133
Schreiben Keinath an Hölzel am 4. 11. 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 125). Vgl. Rechnung Bücherverkauf Fritz v. Engel 1920 (ADE Berlin, CA / EvA 120). Sitzung Kommission für Volksmission am 3. 1. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 225). Sitzung Kommission für Volksmission am 7. 7. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 156). Neben den beiden Handbüchern und den meisten Werken Füllkrugs ist hier eine 13 Hefte umfassende Reihe zu „Brennenden Lebensfragen“ von Johannes Hölzel zu nennen (vgl. etwa Hçlzel, Kinder). Eine Auswertung der Kleinliteratur muss hier aus Kapazitätsgründen unterbleiben, auch wenn sie eventuell einen Einblick in die Argumentation innerhalb der volksmissionarischen Verkündigung möglich macht. Hier sind dringend weitere Forschungen nötig.
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Verlag Friedrich Bahn erschienenen Schriften Werbung, wie er im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ berichtete134. Auch für die durch die Evangelistische Abteilung des Central-Ausschusses veranstalteten Volksmissionswochen galt also: „Der Büchertisch gehört mit zum volksmissionarischen Dienst.“135 Die Schriften sollten den Vortrag des Volksmissionars vertiefen und als Gedächtnisstütze dienen. Allerdings scheint der Verkauf von Büchern während der Evangelisations- und Volksmissionswochen anderer Organisationen in einem noch stärkeren Ausmaß betrieben worden zu sein. Die Wichern-Vereinigung in Hamburg etwa war 1908 auch mit dem Ziel gegründet worden, den Absatz der Agentur des Rauhen Hauses zu erhöhen136. Im Schriftenverkehr der Zentrale mit den Volksmissionaren finden sich trotz der erwähnten Schwierigkeiten des Wichern-Verlages keine entsprechenden Aufforderungen, den Bücherabsatz zu erhöhen. 12.3.2 Einladeaktionen und Hausbesuche Dasselbe Ziel wie die oben beschriebenen Diskussionsabende, nämlich kirchenferne Menschen in die Vorträge der Volksmissionswoche zu bringen, hatten auch Einladeaktionen, wie sie besonders Hölzel nach 1925 wiederholt durchführte. Besonders intensiv geschah dies ebenfalls während der Braunschweiger Volksmission im Juni 1930. Ziel dieser Evangelisation war es, den Einfluss der Freidenker zu bekämpfen. Dazu gehörte es auch, zu diesen Vorträgen offensiv einzuladen: „Diesmal wollten wir es wagen, zum Angriff vorzugehen, d. h. nicht mehr nur darauf beschränken, zu warten, ob die Einladungen (30000 Einladungen waren vor der Volksmission, 10000 während der Volksmission verbreitet worden) folgen würden, sondern ungebeten und ungeladen ihnen die Botschaft am Fabriktor zu verkündigen, in der Hoffnung, daß dieser oder jener unserer Einladung zu den Abendversammlungen Folge leisten würde.“137
Während der ersten Woche wurden am Nachmittag, kurz vor Arbeitsschluss, gezielt Einladungen und Traktate verteilt. Begleitet wurden diese Einladungen durch Choräle, die von einem Kirchenchor gesungen wurden. In der zweiten 134 In seinem Beitrag zu Sonderversammlungen im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ nannte Hölzel insgesamt 15 Schriften, darunter ein ebenfalls im Verlag Friedrich Bahn erschienenes Werk seines Vorgesetzten (F llkrug, Familien) drei eigene und vier seiner verstorbenen Frau (vgl. Hçlzel, Sonderversammlungen, 130 f.). 135 So ein Entwurf des schleswig-holsteinischen Volksmissionars Wilhelm Ferdinand Schreiner (Neumünster), Ratschläge und Richtlinien für die beim Gemeindedienst der Volksmission notwendige örtliche Vorarbeit und Nacharbeit (ADE Berlin, CA / AC 256, 139). 136 Vgl. Schmuhl, Senfkorn, 196. 137 Hçlzel, Im Kampf um die Seele unseres Volkes: Bilder aus der Braunschweiger Arbeitermission [1930] (ADE Berlin, CA / EvA 142).
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Woche wurden ähnliche Aktionen in den Braunschweiger Parks durchgeführt138. Durch Reaktionen von Passanten, über die Hölzel 1927 bei ähnlichen Aktionen in dem hannoverschen Stadtteil Wülfel berichtete, kamen auch die Schwierigkeiten zum Ausdruck, Brücken zwischen Kirche und Proletariat zu finden. Er zitierte zahlreiche ablehnende Stellungnahmen von Fabrikarbeitern: „,Der hat gut reden. Der hat auch noch nicht gehungert.‘ ,Der hat auch noch nicht trocken Brot essen müssen, mit seinen 700 M. Monatseinkommen hat er gut reden.‘“139 Diese Zitate sprachen von einem großen Misstrauen und einer Entfremdung zwischen Volksmissionar und Zielgruppe, wie auch Hölzel zugab: „Sie haben ja so recht, aber ich weiß nicht, was ich tun soll, um ihr Vertrauen zu gewinnen. Wie viel muß ich noch lernen, um in die Gedankenwelt der Arbeiter einzudringen und Anknüpfungspunkte für die Evangeliumsverkündigung zu finden.“140
Das gleiche Ziel wie diese Mittel der öffentlichen Werbung verfolgten auch Hausbesuche, die sowohl Hölzel als auch Hagen regelmäßig während der Volksmissionswoche unternahmen. Sie dienten auch einer Wahrnehmung der sozialen Situation innerhalb der Gemeinden, welche in den Vorträgen der Volksmission zur Sprache kam. Gerade in ländlichen Gebieten wurde diese Besuchertätigkeit oft mit dem Verkauf christlicher Schriften verbunden141. Hölzel berichtete 1926 von seinen Erfahrungen aus einer 14-tägigen Volksmission in Alleringersleben in der Kirchenprovinz Sachsen, wo er neben dem Halten von Hinterhofpredigten auch Hausbesuche und Werbung für christliche Schriften machte und nach eigenen Angaben insgesamt 100 Einzelgespräche führte: „Diese Hausbesuche halte ich für den besten Platz der Missionierung unkirchlicher Dörfer.“142 Als Hölzel 1930 in einem Vorort von Elbing gezielt die durch die Weltwirtschaftskrise arbeitslos gewordenen Arbeiter erreichen wollte, betonte er erneut, wie stark ihm die Einladetätigkeit zur Wahrnehmung der sozialen Situation geholfen habe143. Auch Hagen berichtete von vielen Hausbesuchen während seiner Missionstätigkeit im Jahre 1926 in Thüringen144. Diese persönlichen Einladeaktionen und Hausbesuche zeugen auch von dem persönlichen Engagement der Evangelisten über die Vorträge hinaus: Zusätzlich zu der Reisetätigkeit und den umfangreichen Vorträgen erhöhten sie die Arbeitsbelastung der Volksmissionare, gaben aber auch Einblicke in die religiöse und soziale Situation der einzelnen Gemeinden. Diese prägten re138 139 140 141 142 143 144
Ebd. Schreiben Hölzel an Füllkrug am 11. 5. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Ebd. Vgl. Hçlzel, Armen, 188 f. Schreiben Hölzel an Füllkrug, Schötmar, 6. 5. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126). Vgl. Hçlzel, Arbeit, 176. Schreiben Hagen an Füllkrug am 16. 9. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 126).
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gelmäßig die Berichtbögen und den Schriftverkehr mit der Evangelistischen Abteilung in Berlin-Dahlem. Weiterhin zeigte sich hier wie in der Veranstaltung von Diskussionsabenden der Wille, die „Entkirchlichten“ direkt aufzusuchen und so zum Besuch der Versammlungen der Volksmissionswoche zu ermuntern. Bei der Verfolgung dieses Ziels war man durchaus auch für Hilfe dankbar. So begrüßte Hölzel 1923 bei einer Volksmissionswoche in einer Lausitzer Industriegemeinde die Unterstützung der Fabrikleitung, die den Arbeitern in der Zeit von Hölzels Vorträgen die Benutzung des werkseigenen Kinos untersagte145. Auch der sozialen Fragen gegenüber sensible Hölzel sah solche Unterstützung als willkommen an. Er berücksichtigte dabei nicht, dass solche Bevormundung der Arbeiter zumindest von einem paternalistischen Verständnis der Aufgaben der Werkleitung gegenüber der Belegschaft zeugte, wenn sie nicht sogar eine bewusste Instrumentalisierung der religiösen Verkündigung zur Befriedung der Arbeiter implizierte. 12.3.3 Bibelstunden Zeitpunkt für Einladeaktionen an den Fabriktoren war in der Regel der Arbeitsschluss der Fabrikarbeiter am späten Nachmittag. Damit traten diese Aktionen in Konkurrenz zu einer anderen wesentlich zu einer Evangelisationswoche gehörenden Veranstaltungsart: den für die Kerngemeinde bestimmten Bibelstunden des Evangelisten. Bereits Elias Schrenk hatte seine Evangelisationsvorträge mit Bibelstunden am Nachmittag verbunden, die sich speziell an diejenigen richteten, die schon mit Ernst Christen sein wollten146. Das war ein Vorbild für alle deutschen Evangelisten und Volksmissionare in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gerhard Füllkrug, der im Handbuch der Volksmission von 1931 den Abschnitt über die Bibelstunde während der Volksmissionswoche schrieb, zitierte zustimmend einen Bericht über Schrenks Äußerungen zum Zweck der Bibelstunde: „In den Bibelstunden gilt es, die ernsten Christen in den Reichtum des göttlichen Wortes hineinzuführen.“147 Füllkrug nannte daher als Ziel der Bibelstunden, „das Verständnis des biblischen Textes im Zusammenhang und das tiefere Eindringen in das Schriftganze zu fördern.“148 Die Bibelstunden richteten sich also primär an Mitglieder der Kerngemeinde. Während in der Literatur der Gemeinschaftsbewegung teilweise empfohlen wurde, die Termine der Bibelstunden nicht auf den Werbezetteln zu veröffentlichen, da sie sich primär an „bereits Erweck145 Protokoll Sitzung Kommission für Volksmission vom 10. 1. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 209). 146 Vgl. Beyreuther, Kirche, 196. 147 So Pfarrer Alfred Christlieb, Heidberg (zitiert nach F llkrug, Bibelstunde, 120). 148 F llkrug, Bibelstunde, 122.
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te“149 richten sollten, waren in den Veranstaltungshinweisen für Volksmissionen des Central-Ausschusses die Bibelstunden meistens mit Ort, Zeit und Themenangabe abgedruckt150. Füllkrug betonte, dass auch noch nicht entschiedene Christen an ihnen teilnehmen könnten: „[…] so bedeutet das kein Hindernis für den Bibelstundenkreis, wohl aber kann Gott an solchen Menschen auch durch das vertiefende Wort Segen wirken.“151 Anders als die im Idealfall aus der Volksmissionswoche entstehenden Bibelstunden, die in einer Gesprächsform abgehalten werden sollten, favorisierte das Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ für die Bibelstunde während der Volksmissionswoche eine durch einen durchgehenden Vortrag des Volksmissionars geprägte Veranstaltungsform von etwa einer Stunde Dauer, eingerahmt von Gesang und Gebet152. Die Bibelstunden fanden in der Regel am Nachmittag statt, wohl da zu diesem Zeitpunkt auch Berufstätige teilnehmen konnten153. Seltener fanden zusätzlich auch für die Mitarbeiter Morgenandachten vor Beginn der täglichen Arbeit statt154. Die Themen der Bibelstunde variierten. Allerdings wird anhand der Werbezettel für einzelne Volksmissionswochen und der Berichtbögen deutlich, dass auch Bibelstunden mit gleichen Themen an verschiedenen Orten gehalten wurden155. Teilweise war ein bestimmtes biblisches Buch gemeinsame Textgrundlage156. Manchmal standen alle Bibelstunden unter einem Leitbegriff als gemeinsames Thema157. Allerdings konnten in ihnen auch verschiedene Themen behandelt werden158. 149 Vgl. Eckart, Evangelisation, 145 Abs. 1338. 150 Vgl. etwa Werbezettel Evangelisation Hölzel in Fürstenwalde, 15. 10.–24. 10. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 126). 151 F llkrug, Bibelstunde, 122. 152 F llkrug, Bibelstunde, 121 f. 153 Zum Zeitpunkt (meistens vier, fünf oder sechs Uhr) vgl. F llkrug, Bibelstunde, 122. In Fraustadt wurden Bibelstunden 1928 durch Hölzel für fünf Uhr nachmittags angekündigt (vgl. Werbezettel Evangelisation Hölzel in Fraustadt, 15.–22. 1. 1928 [in: Rçper / J llig, Macht], 219). 154 Vgl. etwa Werbezettel Volksmission Hölzel in Elbing, 30. 3.–8. 4. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 155 So hielt Hölzel mehrfach eine Bibelstundenreihe über den Jakobusbrief (vgl. Werbezettel Evangelisation Hölzel in Winterthur, Januar 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 142]; Werbezettel Evangelisation Hölzel in Elbing, 30. 3.–8. 4. 1930 [ebd.]; in Elbing wurden diese Bibelstunden als: „Vorträge für Jedermann: Praktisches Christentum im Anschluss an den Jakobusbrief“ angekündigt (vgl. ebd.)]. 156 Die Themen zum Jakobusbrief hießen: „Durch Kampf zum Sieg – Wort und Tat – Glaube und Werke – Die Liebe des Gesetzes Erfüllung“ (vgl. ebd.). Daneben hielt Hölzel auch Bibelstunden zum 1. Petrusbrief, (vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Zürich 29. 1.–12. 2. 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 157 So bei einer Volksmissionswoche in Braunschweig 1929 unter dem Begriff „Freiheit“: „Das Ziel der Volksmission – Unabhängig vom Menschen – Frei vom Gesetz – Los vom bösen Gewissen – Frei vom Joch der Sünde – Frei zum Dienst – Frei und doch gebunden – Die Erziehung unserer Kinder zur christlichen Freiheit“ (vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Braunschweig, 6.–14. 1. 1929, ebd.). Bei einer Volksmission in Riga im April des gleichen Jahres war das
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Auffällig ist, dass Hölzel mehrfach anstelle von oder neben den Bibelstunden spezielle Versammlungen für Frauen anbot. Gerade bei längeren Volksmissionswochen begann er mehrfach an drei oder mehr Nachmittagen mit Frauenversammlungen und lud an den folgenden Nachmittagen zu Bibelstunden ein159. Auch die Frauenversammlungen hatten ein „erbauliches Thema“, etwa biblische Lebensbilder160 oder Hinweise zum praktischen christlichen Leben161. Sie sind nicht mit den im Anschluss zu behandelnden Sonderversammlungen zu Fragen der Sexualethik, Ehe und Erziehung zu verwechseln, auch wenn teilweise Vorträge zu Erziehungsfragen in diese Reihe von Frauenversammlungen integriert waren. 12.3.4 Veranstaltungen für besondere Zielgruppen Bereits im „Handbuch der Volksmission“ von 1919 betonte Walter Michaelis, langjähriger Vorsitzender des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes, in den Anleitungen über „Die Gestaltung des evangelistischen Vortrages“: „Sonderversammlungen für einzelne Geschlechter und Stände sind zu empfehlen.“162 Er wies besonders darauf hin, dass Männerversammlungen zu Sittlichkeitsfragen gut besucht würden, warnte allerdings auch vor Schwierigkeiten: Das Publikum werde oft dadurch angezogen, dass es auf pikante Stellen in dem Vortrag spekulieren würde und sei zudem oft unwillig, nicht nur Sittlichkeitsfragen, sondern auch der Verkündigung des Evangeliums zuzuhören. Michaelis schlug daher vor, den Sittlichkeitsvortrag zu beenden und die Zuhörer im Anschluss zu einer betont evangelistischen Ansprache einzuladen163.
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gemeinsame Oberthema das geistliche Leben: „Die Quelle der Kraft (Joh 15), Das neue Leben, sein Anfang und seine Entfaltung (Joh 3), Leben heißt Lieben (1 Kor 13) – Heilsgewißheit“ (Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Riga, 14.–28. 4. 1929 [ebd.]). So redete Hölzel in Friedland i. Pr. unter dem Thema „Kraftquellen für die Seele“ über folgende Themen: „Jesus selbst! – Das heilige Abendmahl – Die Gemeinschaft der Gläubigen“ (Werbezettel Volksmission Hölzel in Friedland i. Pr., 16.–27. 3. 1930 [ebd.]). So bei einer Evangelisation in der Schweiz, wo zunächst an drei Tagen Frauenversammlungen stattfanden und er an den Nachmittagen der zweiten Woche allgemeine Bibelstunden abhielt (vgl. Werbezettel Evangelisation Hölzel in Winterthur [Winter 1928] [ADE Berlin, CA / EvA 142]). So bei der Volksmissionswoche in Friedland i. Pr. im Frühjahr 1930 unter dem Thema „Jesus und die Frauen“: „Maria die schmerzensreiche Mutter – Maria Magdalena – Die Samariterin – Martha von Bethanien – Maria ihre Schwester“ (Werbezettel Volksmission Hölzel in Friedland i. Pr., 16.–27. 3. 1930 [ebd.]). So in Stettin-Grabow 1929: „Die Macht der Frau – Der Einfluß der Frau – Du und deine Kinder – Das Geheimnis des Glücks“ (Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Stettin-Grabow, 17.–24. 11. 1929 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). „Du und Deine Kinder“ war der Titel eines von Hölzel verfassten Traktates zu Erziehungsfragen, das Hölzel als Standardwerk für Elternversammlungen empfahl; vgl. Hçlzel, Sonderversammlungen, 130; Hçlzel, Du. Vgl. Michaelis, Gestaltung, 80. Ebd., 80 f.
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Solche Sonderversammlungen für Männer, Frauen und Jugendliche gehörten zum Standardrepertoire volksmissionarischer Verkündigung. Das wird daran deutlich, dass die Richtlinien des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission die Abhaltung dieser Vorträge dringend empfahlen164. Auch im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ gab es ein eigenes Kapitel über solche Sonderversammlungen während der Volksmissionswoche165. Autor dieses Kapitels war Hölzel; es blieb sein einziger Beitrag zu dem neuen Handbuch. Laut Hölzel hatten diese Vorträge nicht nur das Ziel der Aufklärung und des ethischen Appells, sondern sollten eine explizit evangelistische Botschaft enthalten: „Unsere Aufgabe ist noch nicht erfüllt, wenn unsere Hörer wissen, welche Notstände ihnen auf dem Gebiet des geschlechtlichen Lebens drohen, sondern erst dann, wenn sie zu dem Entschluß gelangt sind: wir wollen versuchen in der Kraft des lebendigen Christus diese Gefahren zu überwinden.“166
Auch der Sondervortrag sollte also primär Glauben wecken. Allerdings war dieses Ziel mit einer politischen Botschaft verknüpft. Dies wird an einem Wort deutlich, das Hölzel zur Kennzeichnung des angeblich drohenden Sittenverfalls benutzte, welcher die regelmäßige Abhaltung von Sittlichkeitsvorträgen notwendig mache: „Die Not ist so ungeheuer groß und wächst mit dem Vordringen des Sexualbolschewismus in so ungeheurem Ausmaß, daß kein gewissenhafter Pastor sich der Notwendigkeit entziehen kann.“167 Hölzel assoziierte den angeblichen Sittenverfall mit kommunistischen Einflüssen und griff damit ein Stereotyp auf, das während der Weltwirtschaftskrise im deutschen protestantischen Diskurs grassierte: die Tendenz, alle negativen kulturellen Einflüsse als „Kulturbolschewismus“ zu etikettieren und damit zu brandmarken168. Hölzel brachte den angeblichen Sittenverfall dadurch in den Zusammenhang mit einer politischen Bedrohung. Daher forderte Hölzel, möglichst viele Menschen zu Sittlichkeitsvorträgen einzuladen. Er gab an, dass er bei der Einladung für Sonderversammlungen gute Erfahrungen mit der Kooperation mit Jugendwohlfahrtsämtern und mit Einladungen an Jugendverbände jeglicher politischer Couleur – von der Sozialdemokratie bis zur nationalen Rechten – gemacht habe: „Hier wird sich zeigen, daß Volksmission der Weg zur Volksgemeinschaft ist.“169 Die Sonderversammlungen sollten also einen möglichst breiten Besucherkreis haben, um auf das Volk als Ganzes einwirken zu können. Hölzel gab konkrete Vorschläge für die Stellung einer Sonderversammlung innerhalb der 164 165 166 167 168
ADE Berlin, DEVVM 11. Hçlzel, Sonderversammlungen. Ebd., 127 f. Ebd., 126. Vgl. etwa Schiller, Kulturbolschewismus; zum Vorwurf des „Sexualbolschewismus“ vgl. auch Beyreuther, Kirche, 231. 169 Hçlzel, Sonderversammlungen, 127.
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Volksmissionswoche. Einerseits könnten die Sittlichkeits- und Erziehungsvorträge zu Anfang der Volksmission stattfinden, um Interesse zu wecken: „Dadurch wird in die Mauer des Mißtrauens, das weite Kreise gegen kirchliche Veranstaltungen hegen, eine Bresche gelegt und der Boden für die folgende Evangelisation bereitet.“170 Andererseits könne man entsprechende Vorträge an das Ende der Veranstaltungsreihe legen, um Wege zur ethischen Bewährung im Christentum aufzuzeigen171. Als Thema der Sonderversammlungen nannte er „die sexuellen Nöte der heranwachsenden Jugend beider Geschlechter, die ehelichen Nöte und die Erziehungsfragen“172. Um diese Themen angemessen während einer Volksmissionswoche zu besprechen, seien mehrere Vorträge notwendig, zumal eine Segregation der Hörer angemessen sei: „Bei dieser Sonderung der Geschlechter kann der Redner offener und freier reden, als wenn beide Geschlechter anwesend sind.“173 Als Ideal nannte Hölzel einen Plan von insgesamt fünf Sonderversammlungen während einer Volksmissionswoche. Drei aufeinanderfolgende Abende sollten Sonderversammlungen gewidmet werden: Zunächst sollte ein Vortrag für Frauen stattfinden, wobei die Frauen zugleich als Multiplikatoren für ihre Ehemänner und Kinder dienen sollten, um diese zu den weiteren Sonderversammlungen einzuladen174. Am folgenden Abend sollte eine Männerversammlung stattfinden, auf die ein Abend für Eltern mit einem Erziehungsvortrag folgen sollte. Am Sonntag innerhalb der Volksmissionswoche sollte laut Hölzels Idealplan am Nachmittag eine Versammlung der weiblichen und am Abend eine Versammlung der männlichen Jugend folgen175. Für den Ablauf der Sonderversammlungen erläuterte Hölzel, dass er gute Erfahrungen mit einer offenen Aussprache nach den Vorträgen gemacht habe176. Zugleich betonte er, dass für die gerade bei Sittlichkeitsfragen notwendige individuelle Seelsorge Raum sein müsse: „Es ist meine Erfahrung, daß gerade nach solchen Versammlungen die gesegnetsten Aussprachen zustande kommen.“177 So erläuterte Hölzel den Ablauf der Sonderversammlungen in seinem Beitrag zum Handbuch der Volksmission von 1931. Im Idealfall sollten die Sonderversammlungen die Gemeinde nach Gruppen gliedern, um auf ihre Anliegen und Nöte gezielt eingehen zu können. Die archivalisch erhaltenen Werbezettel seiner Evangelisationen und die Berichtbögen geben einen Eindruck davon, wie er dieses Ideal im Rahmen seiner Vortragstätigkeit umsetzte. 170 Ebd., 126. 171 Ebd. 172 Ebd.; Hölzel lehnte es aber ab, Themen wie Homosexualität zu behandeln, da der Hörer dadurch „in sexuelle Perversität eingeweiht wird“ (vgl. ebd., 130). 173 Ebd., 127. 174 Auch katholische Volksmissionare rechneten damit, dass die Frauen bei ihren Männern Werbung für die Volksmission machen würden; vgl. Klosterkamp, Volksmission, 84. 175 Hçlzel, Sonderversammlungen, 127. 176 Ebd., 131. 177 Ebd.
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Zunächst fällt auf, dass die Sonderversammlungen tatsächlich ein regelmäßiger Bestandteil der Volksmissionswoche waren. Fast alle erhaltenen Programme von Volksmissionswochen enthielten Vorträge, die speziell für eine Zielgruppe angekündigt wurden und Fragen der Sittlichkeit bzw. der christlichen Erziehung behandelten. Erziehungsvorträge hatten Titel wie „Du und deine Kinder“178, „Die Erziehung unserer Kinder zur christlichen Freiheit“179 oder „Christus und die Nöte der deutschen Jugend“180. Teilweise waren sie explizit für Eltern181 oder für Erwachsene182 ausgeschrieben. Zum Teil wurden auch bei Frauenversammlungen Erziehungsthemen behandelt183. Solche Vorträge zur Kindererziehung finden sich in der Mehrzahl der Vortragsreihen. Allerdings sind Sonderversammlungen für Männer, Frauen, junge Männer oder junge Frauen zu sexualethischen Themen noch häufiger zu finden184. Diese Sittlichkeitsvorträge finden sich in fast allen erhaltenen Programmen. Aus den Vortragsprogrammen wird deutlich, dass Hölzel bei sexualethischen Themen zwischen den Vorträgen für Jugendliche und für Erwachsene trennen wollte. So bot er Ende der 1920er-Jahre mehrfach einen Vortrag mit dem Titel „In der Hölle der Liebe“ an, der speziell für Erwachsene bestimmt war185. Teilweise waren Hölzels Sonderversammlungen speziell für Ehepaare und Verlobte bestimmt186. Zudem waren die Vorträge zu Ehefragen 178 Vgl. z. B. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Hannover-Wülfel 1.–11. 5. 1927 (ADE Berlin CA / EvA 142); Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Stettin-Grabow, 17.–24. 11. 1929 (ebd.); Werbezettel Volksmission Hölzel in Elbing, 30. 3.–8. 4. 1930 (ebd.); vgl. auch Hçlzel, Du. 179 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Braunschweig, 6.–14. 1. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 180 Vgl. Werbezettel Volksmission Hölzel in Friedland i. Pr., 16.–27. 3. 1930 (ebd.). 181 Vgl. etwa Werbezettel Volksmission Hölzel in Elbing, 30. 3.–8. 4. 1930 (ebd.); CA / EvA 142); Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Stettin-Grabow, 17.–24. 11. 1929 (ebd.); Werbezettel Volksmission Hölzel in Elbing, 30. 3.–8. 4. 1930 (ebd.); vgl. auch Hçlzel, Du. Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Braunschweig, 6.–14. 1. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Vgl. Werbezettel Volksmission Hölzel in Friedland i. Pr., 16.–27. 3. 1930 (ebd.). Werbezettel Volksmission Hölzel in Friedland i. Pr. 16.–27. 3. 1930 (ebd.). 182 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hannover-Wülfel 1.–11. 5. 1927 (ebd.). 183 „Von der Macht der Mütter“ in Zürich 1928; vgl. Werbezettel Evangelisation Hölzel in Zürich, 29. 1.–12. 2. 1928; vgl. „Du und deine Kinder“ in Stettin-Grabow 1929; vgl. Berichtbogen Evangelisation Stettin-Grabow, 17.–24. 11. 1929 (ebd.). 184 So fanden bei der Volksmissionswoche Hölzels in Fraustadt (Grenzmark Posen-Westpreußen) im Januar 1928 zwar ein Vortrag für Eheleute und zwei Sittlichkeitsvorträge für Jungmänner und Jungmädchen statt, jedoch kein Vortrag, der explizit Erziehungsfragen behandelte; vgl. Rçper / J llig, Macht, 219. 185 Der genaue Titel dieses Vortrages, bei dem Jugendliche explizit ausgeschlossen waren, variierte: Braunschweig 1929: „Die Hölle auf Erden“ (Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Braunschweig, 6.–14. 1. 1929 [ADE Berlin CA / EvA 142,]); Riga 1929 „Die Hölle der ,Liebe‘“ (Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Riga, 14.–28. 4. 1929 [ebd.]); Elbing 1930 „Wir schmachten in der Hölle der ,Liebe‘“ (Werbezettel Volksmission Hölzel in Elbing, 30. 3.–8. 4. 1930 [ebd.]). 186 So 1927 in Hannover-Wülfel: „Ehenot und Eheglück“ (Programm Volksmission in HannoverWülfel, 1.–11. 5. 1927 [ebd.]).
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häufig nach Geschlechtern getrennt. So hielt Hölzel 1930 in Friedland i. Pr. zwei Vorträge: zunächst einen speziell für Frauen bestimmten, „Wovon hängt das Glück der Ehe ab“, und am folgenden Tag eine Männerversammlung mit dem Thema „Wir Männer in der Ehe.“187. Dieses Nacheinander von zwei Vorträgen zu Ehefragen findet sich häufig. Dabei fällt allerdings auf, dass Frauenvorträge im Titel meistens Ehe- und Erziehungsfragen hatten188. Männervorträge mit sexualethischem Inhalt dagegen waren nicht unbedingt auf Ehemänner beschränkt und trugen teilweise auf aktuelle Debatten oder allgemeine Fragen Bezug nehmende Titel189. Auch bei Hagen finden sich solche aktualisierten Titel. So sprach er 1927 während einer Volksmissionswoche in Annen (Westfalen) bei einem explizit Erwachsenen vorbehaltenen Vortrag über das Thema „Brauchen wir eine Ehereform?“190 Sexualethische Vorträge, ob nun speziell für Eheleute oder allgemein, gehörten daher – soweit aus den Programmen erkennbar – zum Proprium jeder Volksmissionswoche. Gleiches gilt für spezielle Vorträge mit entsprechender Thematik für Jugendliche, die ebenfalls fast immer stattfanden. Nicht in allen Fällen fanden dabei, wie etwa bei der Evangelisation Hölzels in Fraustadt (Grenzmark Posen-Westpreußen) im Januar 1928, jeweils besondere Vorträge für junge Männer und junge Frauen statt191. Öfter kündete Hölzel auch einen einzigen Vortrag für die Jugend an, 1929 mehrfach unter dem Titel „Selbsterziehung zur Ehe“192. Unter dem gleichen Titel veröffentlichte Hölzel ebenfalls 1929 ein Traktat, das den Untertitel „Ein Appell an die deutsche Jugend“ trug193. Die Bedeutung der Sittlichkeitsvorträge für den Ablauf einer Volksmissionswoche wird auch daran deutlich, dass häufig Beschwerden über den Inhalt solcher Vorträge eingingen. Entsprechende Vorwürfe wurden mehrfach gegen 187 Werbezettel Volksmission Hölzel in Friedland i. Pr., 16.–27. 3. 1930 (ebd.). 188 Vgl. etwa „Von der Macht der Mütter“ (Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Zürich 29. 1.–12. 2. 1928 [ebd.]); „Du und deine Kinder“ (Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Stettin-Grabow, 17.–24. 11. 1929, [ebd.]). 189 „Bietet die freie Liebe einen Ersatz für die christliche Ehe?“, (Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Winterthur Januar 1928 [ebd.]); „Die gegenseitige Verantwortung der Geschlechter“ (Berichtbogen Volksmission Hölzel Altstetten, Kanton Zürich. 25. 9.–6. 10. 1929 [ebd.]). 190 Vgl. Werbezettel Evangelisation Hagen in Annen (Westfalen), 29. 5.–8. 6. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 191 Sonntag, 15. Januar, Jungmädchenversammlung „Wege zum Glück“; Mittwoch, 18. Januar, Jungmännerversammlung „Gesprengte Fesseln“ (vgl. Werbezettel Volksmission in Fraustadt 15.–22. 1. 1928 [abgebildet in: Rçper / J llig, Macht, 219]. 192 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Braunschweig, 6.–14. 1. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142); Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Riga, 14.–28. 4. 1929 (ebd.); Berichtbogen Evangelisation Stettin-Grabow 17.–24. 11. 1929 (ebd.). 193 Hçlzel, Selbsterziehung. Im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ bezeichnete er dieses Traktat als primär an junge Männer gerichtet (vgl. Hçlzel, Sonderversammlungen, 130). Es ist im Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, diese und weitere volksmissionarische Kleinschriften zu Sittlichkeits- und Erziehungsfragen auszuwerten, was ein dringendes Forschungsdesiderat darstellt.
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Hagen erhoben194. Auch Hölzel deutete in seinem Bericht über Sonderversammlungen im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ solche Widerstände gegen Sittlichkeitsvorträge an. Er monierte, dass „noch immer ängstliche und weltfremde Menschen […] von solchen Vorträgen mehr Schaden als Segen erwarten“195. Der Vorwurf, dass die Sittlichkeitsvorträge von Volksmissionaren in der Gefahr stünden, ihr Themengebiet zu drastisch darzustellen, kam also öfter. Leider wird in der ausgewerteten Korrespondenz niemals deutlich, woran genau diese angebliche Grenzüberschreitung festgemacht wurde. Die zitierten Äußerungen lassen den Eindruck aufkommen, dass es primär um Wortwahl und Explizitheit der Darstellung ging. Daneben könnten auch kontroverse Inhalte ein Grund für solche Kritik gewesen sein. In der Diskussion traten jedoch gelegentlich auch generelle Vorbehalte gegenüber den sexualethischen Forderungen der Sittlichkeitsvorträge zutage. So warfen Vertreter der bündischen Jugend in einer Jungmännerversammlung während einer Evangelisation in Königsberg im Jahre 1925 Hölzel eine angebliche Enge seiner Botschaft vor und forderten „völlige Freiheit des Verkehrs von jungen Männern und Mädchen“196. Für die Volksmissionare waren Sittlichkeitsvorträge nicht nur eine Reaktion auf die sittlichen Nöte der Gegenwart, sie sahen auch ein Interesse der Hörer an entsprechenden Fragen, was sie als Gewissensnot deuteten. In einem handschriftlichen Bericht über eine Volksmissionswoche in Bartenstein (Ostpreußen) im März 1930 konstatierte Hölzel einen starken Besuch bei der Sonderversammlung für Männer: „Ist das nicht ein Beweis dafür, daß die sexuelle Frage die Männer in ihrem Gewissen beunruhigt? Sie wissen doch, was ein Volksmissionar darüber zu sagen hat.“197 Der Volksmissionar sah die Offenheit der Vorträge als Stärke, um tatsächlich Menschen zu erreichen. Hölzel versuchte auch, ein Bewusstsein für Sittlichkeitsfragen in den Gemeinden zu schaffen. Dies geschah durch Gründung von Gruppen des Weißen Kreuzes in den Sonderversammlungen, in denen sich vor allem junge Männer mit einem schriftlichen Gelübde zu einem sittlichen Lebenswandel verpflichteten198. Neben diesen fast immer stattfindenden Sonderversammlungen wurden teilweise noch zusätzliche Versammlungen mit den gleichen Zielgruppen im Programm aufgeführt. Neben den bereits im Zusammenhang mit den Bibelstunden behandelten Frauenversammlungen waren besonders Jugendversammlungen und Jugendgottesdienste ein häufig vorkommender Bestandteil einer Volksmissionswoche – auch unabhängig von sexualethischen Themen. Oft wurden diese in Form von Jugendgottesdiensten abgehalten. Als Hölzel im 194 195 196 197 198
Vgl. etwa Schreiben Füllkrug an Hagen vom 30. 4. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 127). Hçlzel, Sonderversammlungen, 126. Hçlzel, Armen, 186. Hölzel, Volksmission in Bartenstein [1930] (ADE Berlin, CA / EvA 142). So 1923 in der Grafschaft Bentheim (vgl. Hçlzel, Volksmission, 44). Zum Weißen Kreuz vgl. auch Koch, Kreuz.
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Januar 1928 in Fraustadt (Grenzmark Posen-Westpreußen) evangelisierte, fand neben den Versammlungen für männliche und weibliche Jugendliche am letzten Tag ein Jugendgottesdienst für die Mitglieder der kirchlichen Jugendgruppen statt199. Bei einer Evangelisation in Zürich wenige Tage später hielt er an einem speziell an die Jugend gerichteten Sonntag sogar drei verschiedene Vorträge200. Auch im Programm von Hölzels Volksmission in Elbing im Frühjahr 1930 war ein Sonntag als Jugendsonntag ausgezeichnet201. Die Teilnehmerzahlen waren gelegentlich beeindruckend. So nahmen im Mai 1926 an einem Jugendgottesdienst in Lippe 1.200 Jugendliche teil, während die eigentlichen Volksmissionsvorträge nur von bis zu 800 Menschen besucht wurden. Die Jugendarbeit bestand aber nicht allein aus Vorträgen und Jugendgottesdiensten. Im Verlauf einer zweiwöchigen Volksmission in einer provinzialsächsischen Gemeinde im Frühjahr 1926 unternahm Hölzel beispielsweise nacheinander Ausflüge mit Jungmännern und Jungmädchen202. Die Jugend galt als besonderer Garant für die Zukunft der Kirche und war daher für die Volksmission besonders interessant. Hagen übernahm bei einer Evangelisation in Witten-Annen im Juni 1926 an einem Sonntag sogar den Kindergottesdienst203. Daneben fanden auch Vorträge für besondere Gruppen statt. So hielt Hölzel im Frühjahr 1926 in Labiau in Ostpreußen Vorträge im Gefängnis. Er redete zum Thema „Aus der Knechtschaft zur Freiheit“204. Im Januar des gleichen Jahres hatte er auch im schlesischen Reichenbach Volksmissionsvorträge für Gefangene gehalten. Hinzu kamen noch Vorträge für die örtlichen Diakonissen205. Im Frühjahr 1928 arbeitete Hölzel während einer Predigtreise durch Ostpreußen auch mit der dortigen Militärseelsorge zusammen. So hielt er während einer einwöchigen Volksmission in Pillau unter anderem einen Vortrag über das Thema „Der Soldat und die Mädchen“206. Während der Weltwirtschaftskrise führte Hölzel zudem eigene evangelistische Veranstaltungen für Erwerbslose durch. Bereits im Frühjahr 1928 registrierte er anlässlich einer Evangelisation im ostpreußischen Elbing, dass viele potenzielle Hörer den Versammlungen fernblieben, da sie keinen Anzug 199 Vgl. Rçper / J llig, Macht, 219. 200 „Kampf und Sieg im Jugendleben – Der Weg zur ewigen Schönheit – Ritterliche Haltung gegen das andere Geschlecht“ (Werbezettel Evangelisation Hölzel in Zürich, 29. 1.–12. 2. 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 201 Werbezettel Volksmission Hölzel in Elbing, 30. 3.–8. 4. 1930 (ebd.). 202 Vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug, Schötmar, 6. 5. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126). 203 Werbezettel Volksmission Hagen in Annen, Westfalen, 29. 5.–8. 6. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 204 Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Labiau, Ostpr. [1926] (ADE Berlin, CA / EvA 142). Volksmissionarische Vorträge im Gefängnis wurden wiederholt gehalten; vgl. auch Muntau, Volksmission. 205 Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Reichenbach (Schlesien), 17.–31. 1. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 206 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Pillau, 22.–29. 3. 1928 (ebd.).
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besaßen und es ohne ordentliche Kleidung nicht wagten, in die Kirche zu kommen207. Während der Weltwirtschaftskrise spitzte sich die Lage zu. Im Frühjahr 1930 experimentierte Hölzel daher mit eigenen auf Erwerbslose ausgerichteten Vorträgen. In einer ostpreußischen Kleinstadt hielt er in diesem Jahr speziell auf für diese Zielgruppe Vorträge über „Die Ursachen der Not und ihre Überwindung“. Sein Ziel war es, Barrieren einzuebnen: „Solche Aussprachen sind nötig, denn zu den kirchlichen Versammlungen können viele nicht mehr kommen, weil sie keinen ganzen Anzug mehr haben. Sind sie unter sich, so braucht sich keiner vor dem andern zu schämen.“208
In einem von ihm verfassten Artikel in der „Volksmission“ beschrieb er, dass er in der ostpreußischen Stadt Friedland anlässlich eines Ehevortrags für Männer spontan zu einer Diskussionsversammlung für Erwerbslose einlud. Diese war direkt im Anschluss an die tägliche Meldung der Arbeitslosen gelegt. Bereits bei seinem ersten spontan angekündigten Vortrag hatte er einen Besuch von 200 Männern209. Hölzel beschrieb diese Vorträge als eher zwanglose Gespräche mit den Arbeitslosen an insgesamt vier Tagen. Er ließ sich über einen Fragekasten die Fragen der Hörer geben210. In seinem Artikel beschrieb Hölzel auch den Gang seiner Argumentation. Während er sich am ersten Tag vor allem mit den Erwerbslosen über ihre Notlage und ihre Meinungen unterhielt, argumentierte er am zweiten Tag insbesondere gegen den Marxismus. Er stellte dagegen die These, dass allein eine bewusste Unterstellung unter den Willen Gottes eine dauerhafte Lösung bringen könnte, was allerdings eine persönliche Glaubensentscheidung des Einzelnen nötig mache: „Dann zeigte ich ihnen, welche Aenderung [sic!] der Verhältnisse zustande kommen würde, wenn alle Gebiete des Lebens, einschließlich der Wirtschaft unter Jesu Königsherrschaft kommen würden.“211 Beim dritten Vortrag, bei dem der Besuch lediglich halb so groß war als bei den beiden ersten, beantwortete Hölzel vor allem Fragen zur Soteriologie und zur Bedeutung der Taufe. Bei der letzten, wieder stärker besuchten Versammlung redete der Volksmissionar nach seiner eigenen Darstellung über die Bedeutung der Botschaft von der Auferstehung, vor allem im Hinblick auf die bereits im materiellen Elend Verstorbenen: „Wie trostlos ist die Botschaft 207 Hölzel, Bericht über die Arbeit in Ostpreußen, 9. Mai 1928 (ebd.). Hölzel legte in Elbing einen gewissen Schwerpunkt auf soziale Fragen und Notlagen; zwei Vortragstitel lauteten „Warum ist die soziale Frage noch nicht gelöst“ und „Wieso gibt es soviel Leid auf Erden?“ (Werbezettel Evangelisation Hölzel in Elbing 11.–20. 3. 1928 [ebd.]). 208 Hölzel, Bericht über die Volksmission in Bartenstein 1930 (ebd.). 209 Vgl. Hçlzel, Arbeit, 175. An den Volksmissionsvorträgen in Friedland nahmen insgesamt bis zu 600 Hörer teil (vgl. Berichtbogen Volksmission Hölzel in Friedland, 16.–27. 3. 1930 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). 210 Die Themen der Versammlungen lauteten: Die Ursachen der gegenwärtigen Not – Der Ausweg aus der Not – Wie werden wir neue Menschen – Müssen wir auf einen sozialen Ausgleich endgültig verzichten (Hçlzel, Arbeit, 175 f.) 211 Ebd., 175.
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des Materialismus, der hinter dem Tod einen Punkt macht! Wie lähmend wirkt die Hoffnungslosigkeit auf den Mut der Kämpfer!“212 Hölzel gab an, während dieses Vortrages den Auftrag Jesu an die Christen zur humanen Gestaltung der Wirtschaftsordnung und zugleich die Hoffnung auf einen eschatologischen Eingriff Jesu, der alles ins Gleichgewicht bringen würde, verkündet zu haben213. Hölzels Argumentation setzte sich also vor allem mit dem Marxismus auseinander. Dabei lassen sich aus seiner Beschreibung des eigenen Argumentationsganges vor allem zwei Thesen ableiten: Zunächst stellte er die marxistische Philosophie als unzureichendes Mittel zur endgültigen Wendung der Situation der Opfer der Weltwirtschaftskrise dar. Am letzten Tag argumentierte er dann vor allem mit Gerechtigkeitsaspekten: Allein der Auferstehungsglaube könne eine zureichende Motivation bieten, um auf der Erde für soziale Veränderungen zu kämpfen. Dass Hölzels Verkündigung nicht widerspruchslos angenommen wurde, zeigte aber die sinkende Zahl der Hörer in den letzten beiden Vorträgen. Insgesamt glaubte Hölzel dennoch, eine positive Rezeption seiner Vorträge erkennen zu können, die er an einem Gespräch mit einem Hörer kurz vor der Abreise festmachte214. Insgesamt bieten diese Vorträge für Arbeitslose ein Beispiel, wie die Veranstaltungsform des Volksmissionsvortrages auf eine besondere Gruppe zugeschnitten werden konnte. Indem speziell Arbeitslose zu den Vorträgen eingeladen wurden und diese nicht in einem sakralen Raum stattfanden, konnten soziale Barrieren vermieden werden – es war nicht notwendig, einen für den Kirchgang tauglichen Anzug zu besitzen. Durch den Zeitpunkt, der sich direkt an die Stempelzeit der Erwerbslosen anschloss, wurde deutlich, dass die Veranstaltungszeit direkt auf sie abgestimmt war215. Zugleich zeigte die Einbeziehung der Hörer durch Fragen und Diskussionen, dass Hölzel bemüht war, mit ihnen ins Gespräch zu kommen, allerdings mit wechselndem Erfolg. Der Inhalt dieser Versammlungen dürfte sich nicht wesentlich von anderen Vorträgen und Diskussionsversammlungen unterschieden haben. 12.3.5 Sprechstunden der Volksmissionare Die katholische Volksmission hatte seit ihrer Entstehung im konfessionellen Zeitalter das Ziel, durch Bußpredigten auf die Generalbeichte der Gemein212 213 214 215
Ebd., 176. Ebd. Ebd. Bei einer ähnlichen Reihe von Vorträgen in einem Arbeitervorort von Elbing ebenfalls im Frühjahr 1930 beklagte Hölzel, dass trotz intensiver Hausbesuche durch ihn und den Ortspfarrer wegen unterschiedlicher Stempelzeiten nur wenige Hörer zu mehreren Vorträgen kamen: „Von einem kleinen Stamm christlicher Arbeitsloser abgesehen, wechselte die Zuhörerschaft Tag für Tag“ (vgl. ebd.).
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deglieder hinzuwirken: Durch die Predigten der katholischen Volksmissionare bewegt sollten die Gemeindeglieder eine Beichte über ihr gesamtes Leben ablegen und nach der Absolution ihren neuen Wandel durch den Empfang der Kommunion besiegeln216. Als im 19. Jahrhundert die Evangelisationsbewegung entstand, hatten die deutschen evangelischen Landeskirchen das Instrument der Einzelbeichte bereits verloren. Daher spielte die formelle Beichte in den Diskussionen um Evangelisation und Volksmission keine so bedeutende Rolle wie in der katholischen Kirche. Allerdings bildete sich in der deutschen Evangelisationsbewegung die seelsorgerliche Sprechstunde des Evangelisten schnell als ein funktionales Äquivalent heraus, wobei sich die Evangelisten zur Rechtfertigung ihrer Praxis direkt auf Luthers Anweisungen zur Einzelbeichte bezogen und diese teilweise wiederbelebten. Bereits Elias Schrenk lud neben Einzelgesprächen direkt im Nachgang der Evangelisation zu seelsorgerlichen Sprechstunden ein, in denen Sünden bekannt werden und Menschen des Heils vergewissert werden konnten. Dabei bezog er sich auch auf die Möglichkeit der Privatbeichte, wozu er nach eigenen Angaben seine Hörer auch direkt aufrief: „Sehr viele kommen nach meiner Erfahrung nur durch die Absolution zum Frieden. Absolution ohne vorhergehende Beichte ist aber ein Unding.“217 Diese Praxis wurde auch von den meisten anderen deutschen Evangelisten übernommen. Bei dem baltischen Lutheraner Samuel Keller nahmen diese Sprechstunden häufig den Charakter von formellen Beichtgesprächen an. Auf einem Kongress in Leipzig 1920 sagte er: „Mir ist die Last von einigen zwanzigtausend Beichtgeheimnissen bisweilen schwer genug!“218 Eine Schwierigkeit der Sprechstunden durch Evangelisten bestand darin, dass sie in das traditionell den Gemeindepfarrern vorbehaltene Recht zur Seelsorge an den eigenen Gemeindegliedern eingriff. Dabei gab es immer wieder Reibereien in einzelnen Gemeinden. Der Gemeinschaftsmann Ernst Modersohn berichtete während der gemeinsamen Konferenz des Gnadauer Gemeinschaftsverbandes und der Abteilung für Volksmission des CentralAusschusses über seine Erfahrungen mit einem Pfarrer, dem er die Liste der Teilnehmer, die angaben sich bekehren zu wollen, gegeben hatte: „Da ist er [der Pfarrer, H. B.] hingegangen und hat diesen Leuten Vorwürfe gemacht, daß sie nicht zu ihm, sondern zu dem Evangelisten gegangen seien, ob er ihnen nicht genüge usw.“219 Diese Problematik wurde in der katholischen Volksmission durch die amtskirchliche Sanktionierung der Volksmissionare und ihre Bevollmächtigung zum Hören der Beichte gelöst220. Dagegen war die Seelsorgevollmacht von protestantischen Evangelisten und Volksmissionaren 216 217 218 219 220
Klosterkamp, Volksmission, 51 f. Schrenk, Pilgerleben, 219. Keller, Evangelisation, 76. Modersohn, Evangelisation, 83. Vgl. Klosterkamp, Volksmission, 184 f.
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nicht kirchenrechtlich festgeschrieben. In der Evangelisation bildete sich aber ein Konsens heraus, dass Sprechstunden des Evangelisten notwendig seien. Samuel Keller begründete deren Notwendigkeit damit, dass es leichter sei, vor einem nicht ständig am Ort weilenden Menschen seine Schuld zu bekennen: „Das Bedürfnis nach ihr [der Privatbeichte nach Evangelisationen, H. B.] ist ungeheuer groß und nicht alle angestellten Gemeindepfarrer haben die Gabe dazu oder besitzen in dem Maße das Vertrauen der Beichtenden, daß – die Pfarrfrau auch kein Wörtchen von solchen Aussprachen erfahren werde.“221
Diese Stellungnahmen prägten auch das Selbstverständnis der Volksmission, wie sie in der Zeit nach 1918 entstand. Im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ erläuterte Hugo Flemming Ziel und Zweck der Sprechstunden eines Volksmissionars während einer Evangelisationswoche. Er war ein ehemaliger Pfarrer aus Mecklenburg-Strelitz, der hauptamtlich für die Wichern-Vereinigung evangelisierte222. Flemming berichtete ebenfalls über Diskussionen um die Frage, ob der Evangelist innerhalb einer Gemeinde die Seelsorge übernehmen könne223. Er benannte in seinen Ausführungen Probleme der seelsorgerlichen Sprechstunde. So seien geistliche und psychische Anfechtungen oft schwer zu unterscheiden: „[…], daß die Sprechstunde des Evangelisten mehr als die Sprechstunde des Ortspfarrers seelisch-krankhafte Besucher aufweist, ist ja eine alte Erfahrung.“224 Zudem würden einzelne Besucher immer wieder die Sprechstunden einzelner Evangelisten aufsuchen, was Flemming ablehnte: „Aber im allgemeinen muß das nervöse Gelaufe zu jedem Seelenarzte aufhören.“225 Trotz dieser Probleme plädierte Flemming eindeutig für die seelsorgerliche Aussprache. Er sah ein Bedürfnis nach persönlicher Seelsorge: „[…] überall drängt sich uns die Sehnsucht nach Aussprache und innerer Entlastung auf.“226 Flemming betonte, dass der Evangelist gerade als ein Gast in der Gemeinde leichter als der Ortspfarrer Ansprechpartner für die Seelsorge sein könne: „Hier steht ein Mann vor ihnen, unbelastet durch all die genannten Vorurteile, unbekannt mit den persönlichen Verhältnissen der Sprechstundenbesucher, durch die Menge der ihm vor Augen gekommenen Fälle innerlich vorbereitet, auch den geheimsten Gedankengängen der komplizierten Seelen zu folgen, getrennt von Weib und Kind und nach wenig [sic!] Tagen dem Gesichtsfelde des Beichtkindes vielleicht für immer entzogen – das sind Voraussetzungen ganz außerordentlicher Art, die der Evangelist vor dem Pastor voraus hat.“227 221 222 223 224 225 226 227
Keller, Evangelisation, 75. Flemming, Sprechstunde. Ebd., 131. Ebd., 132. Ebd., 133. Ebd., 134. Ebd., 134 f.
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Flemming schlug vor, im Verlauf der Evangelisationswoche explizit auf die Notwendigkeit eines Sündenbekenntnisses vor Gott, aber in bestimmten Fällen auch „vor einem priesterlichen Menschen“228 hinzuweisen. Hiermit war im Jargon der erwecklichen Kreise allerdings nicht unbedingt ein Amtsträger, sondern ein mit dem „Charisma“ der Seelsorge Begabter gemeint. Flemming betonte, der Evangelist solle auf die Seelsorge des Ortspfarrers hinweisen und zugleich zu seinen eigenen Sprechstunden einladen229. Um eine weitere seelsorgerliche Betreuung der Sprechstundenbesucher zu gewährleisten, empfahl er zudem, deren Adressen an den Ortspfarrer weiterzugeben230. Flemming entwickelte eine Sündentypologie, die bemerkenswert der katholischen Dogmatik glich. Während „lässliche Sünden“ direkt in der Herzensbeichte vor Gott gebracht werden könnten, sofern sie nicht durch dauernde Praxis zur Gewohnheit geworden seien, müssten „Todsünden“ persönlich gebeichtet werden. Dazu zählten vor allem okkulte Belastungen, unsittliche Handlungen (zu denen Flemming auch Masturbation zählte), Tötungsdelikte (inklusive Abtreibung und Suizid) und Lüge. Hier stünde fest, „daß nur durch den Eingriff eines anderen diese für ihn selbst [den Sünder, H. B.] unzerreißbaren Stricke zerrissen werden können.“231 Als Themen solcher Sprechstundengespräche nannte Flemming primär die Frage nach seelischem Frieden, der durch die genannten schweren Sünden verhindert werde232. Während bei konkreten Sünden daher eine Beichte vor Gott und Menschen notwendig sei, dürfe der Evangelist auch mit Menschen beten, die keine konkrete Sünde benennen würden. In diesem Fall erschien es Flemming ratsam, die betreffenden Personen darauf hinzuweisen, dass sie, um Frieden zu finden, eine bewusste Glaubensentscheidung treffen müssten. Flemming schlug vor, in diesem Fall eine abrenuntiatio diaboli zu beten: „Ich entsage dem Teufel und allem seinem Wesen und allen seinen Werken Und ergebe mich Dir, du dreieiniger Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, In Glauben und Gehorsam Dir treu zu sein bis an mein selig Ende. Amen.“233
228 229 230 231 232
Ebd., 135 f. Ebd., 136. Ebd., 139. Ebd., 137. Allerdings deutete er an, dass gerade in den ersten Tagen dies nicht die einzigen Themen der Sprechstunden wären: „Er [der Evangelist, H. B.] wird in den ersten Tagen geduldig und bereit sein, alle Verstandes- und Zweifelsfragen, alle Klagen über Pastor, Prediger, Mitchristen, Vereins- und Familienglieder anzuhören und zurechtzustellen; wird die rechte Entscheidung treffen können über Berufswahl und Lebensweg; wird die rechte Antwort haben auf Fragen über Eheschluß und Ehescheidung; wird der Jugend helfen, durch die Adiaphora den rechten Weg zu finden und wird den rechten Ton treffen den unangenehmen ,Sakristeihyänen‘ [Stereotyp für regelmäßige Besucher der Sprechstunden von Evangelisten, H. B.] gegenüber“ (ebd., 138). 233 Ebd., 138 f.
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Die Begründung der Abhaltung von Sprechstunden lag für Flemming wie für die Pioniere der Evangelisation in Deutschland in der Notwendigkeit, Raum zur Seelsorge, spezifisch zum Bekenntnis von Sünden, zu schaffen. Ziel war die Bekehrung des Sprechstundenbesuchers im Sinne einer aktiven Hinwendung zum Glauben und einer Absage an die Sünde, wie sie im obigen, an die Abrenuntiation im Taufritus angelehnten Übergabegebet deutlich wird. Als Mittel aber galt den Volksmissionaren das Sündenbekenntnis, das immer in Verbindung zur Beichte gesetzt wurde. Hölzel schrieb über das Resultat der Sittlichkeitsvorträge, welche den Hörern ihre Sünden bewusst machen sollten: „Eine ehrliche Beichte ist für Männer und Frauen der Wendepunkt im Leben.“234 In der Praxis der Volksmissionare des Central-Ausschusses hatten seelsorgerliche Sprechstunden daher eine zentrale Bedeutung. Bereits im ersten Jahrgang der Zeitschrift „Die Volksmission“ findet sich ein kleiner Artikel zu der Frage „Was kann man tun, um den Besuch der seelsorgerlichen Sprechstunden zu heben?“, in dem auch die Bedeutung der Privatbeichte hervorgehoben wurde235. Die Berichtbögen, welche die Volksmissionare nach ihren einzelnen Evangelisationen auszufüllen hatten, enthielten nicht nur die Frage nach der Zahl der einzelnen Sprechstunden, sondern auch Angaben über die jeweilige Zahl der Besucher236. Die Sprechstunden fanden daher regelmäßig statt. Zusätzlich zu der mündlichen Einladung zur persönlichen Aussprache während der Evangelisationsvorträge fanden sich bereits auf den Werbezetteln Hinweise auf Sprechzeiten des Volksmissionars. Bei Hölzels Evangelisation in Fraustadt, Grenzmark Posen-Westpreußen, im Januar 1928 wurden im Veranstaltungsprogramm folgende Zeitpunkte benannt: eine Stunde vormittags und direkt im Anschluss an die Vorträge237. Besondere Sprechstunden fanden so während der Volksmissionswoche in der Regel täglich oder beinahe täglich statt und waren in den Ankündigungen wie in Fraunstadt meistens mit der Dauer von einer Stunde angesetzt238. Allerdings konnte sich bei größerem Andrang die Dauer der Sprechstunde auch verlängern239. Hölzel selbst betonte vor allem die Bedeutung der Sprechstunden im direkten Anschluss an die Vorträge. In seinen Hinweisen zur Abhaltung von Sonderversammlungen empfahl er, „daß der Redner alle, die in ihrem Innern beunruhigt sind und Fragen haben, in herzlicher Weise einladet, 234 235 236 237
Hçlzel, Sonderversammlungen, 131. Anon., Sprechsaal, 48. Vgl. Berichtbögen Hölzels (ADE Berlin, CA / EvA 142). Werbezettel Volksmission [Hölzel] in Fraustadt vom 15. bis zum 22. Januar 1928, in: Rçper / J llig, Macht, 219. 238 Vgl. auch Werbezettel Evangelisation Hölzel in Elbing, 30. 3.–8. 4. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 239 So berichtete Hölzel über seine Evangelisation in Riga 1929, dass der Andrang in den Sprechstunden sehr groß gewesen sei (vgl. Berichtbogen Volksmission Hölzel in Riga, 14.–28. 4. 1929 [ADE Berlin, CA / EvA 142]).
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ihn persönlich zu angegebener Stunde, am besten gleich nach dem Vortrag aufzusuchen“240. Die Aussprache in der Sprechstunde sollte also am besten direkt unter dem Eindruck des Vortrages stattfinden241. Die äußeren Rahmenbedingungen lassen sich über das herangezogene Quellenmaterial recht gut erheben. Kaum dokumentiert ist dagegen der unter das Seelsorgegeheimnis fallende Ablauf der Einzelgespräche. Nur in besonderen Fällen wurde auch über die hier behandelten Fragen und Probleme berichtet. So berichtete Hölzel ausführlicher über die Bekehrung einer aus einer Zirkusfamilie stammenden geschiedenen jüdischen Prostituierten bei einer Volksmission in Köln im Frühjahr 1929. Wegen ihrer mehrfachen Marginalisierung durch Herkunft, Religion und Beruf bildete diese Frau ein ideales Zeugnis für die Möglichkeiten, die Gottes Gnade hatte242. Von Interesse war es auch, wenn herausgehobene Personen in der Gemeinde die Sprechstunden besuchten. Dies galt besonders für die Gemeindepfarrer243. In solchen Fällen gaben Berichte also direkten Einblick in die Seelsorge. In der Regel sind die Berichte über die Resultate von Sprechstunden aber eher summarisch, wie beispielsweise während Hölzels Volksmission in Pillau im Juni 1926: „Einige kamen zur inneren Klarheit.“244 Aus der Tatsache, dass über die Zahl der seelsorgerlichen Gespräche in den Sprechstunden genau Buch geführt wurde und dass tägliche Sprechstunden zum Repertoire der Volksmissionswoche gehörten, ist zu ersehen, dass die Volksmissionare des Central-Ausschusses dem seelsorgerlichen Gespräch eine besondere Bedeutung beimaßen. Wie die Generalbeichte in der katholischen Volksmission sollte die mit einer Beichte verbundene seelsorgerliche Aussprache zur Annahme des Heils durch die Evangelisationsbesucher führen. Der Evangelist musste also neben der Gabe erwecklicher Rede auch ein seelsorgerliches Charisma besitzen. Zudem bedeuteten gerade Sprechstunden im direkten Anschluss an die Vorträge eine weitere Arbeitsbelastung der Volksmissionare, welche die Empfehlungen für regelmäßige Ruhepausen verständlich machten. 12.3.6 Liturgische Feiern und Nachversammlungen Volksmissionswochen des Central-Ausschusses wurden in der Regel durch eine Kirchengemeinde oder einen Kirchenkreis veranstaltet. Da sie in dieser 240 Hçlzel, Sonderversammlungen, 131. 241 Ebd. 242 Schreiben Hölzel (Hildesheim) an Füllkrug am 1. 3. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Eine ähnliche Funktion hatten Berichte über die Bekehrung von Arbeitern (vgl. etwa Johannes Hölzel, Im Kampf um die Seele unseres Volkes: Bilder aus der Braunschweiger Arbeitermission [1930] [ebd.]). 243 Vgl. etwa Schreiben Hölzel an Füllkrug vom 13. 6. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 244 Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Pillau, 20.–27. 6. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142).
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Zeit das kirchliche Leben prägten, beinhaltete die Volksmission in der Regel auch mindestens einen Gottesdienst, oft am Sonntag zu Beginn der Evangelisationswoche245. Auch diesen hielt in der Regel der Volksmissionar. Die Richtlinien des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission schlugen vor, dass er am Sonntag zu Beginn der Volksmission die Predigt übernehmen sollte246. In der Aufstellung seiner Tätigkeit für den Central-Ausschuss im ersten Halbjahr 1930 gab Hölzel an, neben 130 Vorträgen insgesamt dreizehn Predigten gehalten zu haben247. Vorteilhaft war es, wenn diese Anfangsgottesdienste mit besonderen Festtagen zusammenfielen, da dann die Zahl der Besucher besonders groß war248. Teilweise hatten diese Gottesdienste auch ein auf dem Werbezettel benanntes Thema. So wurde eine Evangelisation Hölzels in Elbing 1930 mit einem Festgottesdienst unter der Überschrift „Unsere Botschaft an die Welt“ eröffnet249. Teilweise fand bei längeren Volksmissionswochen auch an dem Sonntag in der Mitte der Volksmission ein Gottesdienst statt, an dem dann allerdings häufig Jugendversammlungen und Jugendgottesdienste gehalten wurden250. Auch zum Abschluss einer Volksmission fand häufig ein durch den Volksmissionar gehaltener Gottesdienst statt, besonders wenn die Volksmission an einem Sonntag endete251. Die Predigten bei Gottesdiensten während einer Volksmission nahmen häufig Eindrücke des Volksmissionars von seinem Wirkungsgebiet auf, beispielsweise in der Gemeinde vorkommende soziale Ungerechtigkeit252. Für die Abhaltung von Predigten war es essenziell, die Genehmigung der zuständigen Behörde zu erhalten. Als ordinierter Pfarrer hatte Hölzel, soweit erkennbar, dieses Problem nie. Anders sah es bei Hagen aus, der als ehemaliger Missionar zwar ordiniert war, aber wegen seines fehlenden Theologiestudiums nicht als vollgültiger Pfarrer galt. Während eines längeren Aufenthaltes in Thüringen 245 246 247 248
249 250 251
252
Vgl. etwa Werbezettel Evangelisation Hölzel in Zürich, 29. 1.–12. 2. 1928 (ADE Berlin. 142). Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (ADE Berlin, DEVVM 11). Schreiben Hölzel an Füllkrug am 3. 12. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Dies war bei zwei Volksmissionswochen Hölzels im Frühjahr 1930 in Ostpreußen der Fall: Seine Volksmission in Friedland in Preußen begann am Sonntag Reminescere, dem damaligen Volkstrauertag, die darauffolgende Volksmission in Elbing mit dem örtlichen Konfirmationsfest. Während der Volkstrauertag viele Hörer anzog, machte Hölzel die Konfirmationsfeier für die zunächst geringe Zahl der Hörer in Elbing verantwortlich (vgl. Hçlzel, Stiefkind, 110–113). Werbezettel Volksmission Hölzel in Elbing, 30. 3.–8. 4. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). In Elbing fand 1930 am Sonntag ein Jugendgottesdienst mit Predigt statt (vgl. ebd.). Bei Hölzels Evangelisation in Fraustadt im Januar 1928 fand zum Abschluss der Evangelisation am Sonntagmorgen ein offizieller Abschlussgottesdienst mit anschließendem Abendmahl statt, am Nachmittag der bereits erwähnte Jugendgottesdienst für die kirchlichen Jugendverbände und abends ein letzter Evangelisationsvortrag (vgl. Werbezettel Volksmission Hölzel in Fraustadt, 15.–22. 1. 1928 [Abbildung in: Rçper / J llig, Macht, 219]). So bei einer Predigt Hölzels in Rossbach im Sudetenland, wo es wegen sozialkritischer Äußerungen Hölzels zum Eklat kam; vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug, 9. 6. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142); vgl. oben 379 f.
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beklagte sich Hagen darüber, dass ihm in Ilmenau der zuständige Superintendent das Kanzelrecht für Sonntagsgottesdienste in seinem Sprengel zunächst verweigerte253. Hier zeigte sich, dass gerade bei Nichttheologen die Erlaubnis zur Wortverkündigung im öffentlichen Gottesdienst noch problematischer als die Abhaltung von Evangelisationsvorträgen sein konnte254. In der katholischen Volksmissionspraxis war die allgemeine Kommunion der Gemeindeglieder am Ende der Missionswoche der wesentliche Zielpunkt der Volksmission255. Innerhalb des katholischen Milieus zeigte sich der Erfolg der Volksmission durch beeindruckende Kommunikantenstatistiken, auch wenn bereits Anfang des 20. Jahrhunderts gerade in städtischen Gemeinden längst kein flächendeckender Kommunionsempfang mehr stattfand256. In der Praxis der evangelischen Volksmission spielte der Kommunionsempfang keine zentrale Rolle. Dennoch finden sich in vielen Programmen von Volksmissionswochen auch Abendmahlsfeiern angesetzt. Diese hielt besonders Hagen zum Abschluss seiner Volksmissionen regelmäßig ab; sie finden sich in fast allen erhaltenen Programmen von seinen Volksmissionswochen. Er verband das Abendmahl mit dem letzten Evangelisationsvortrag. Im Wittener Stadtteil Annen hielt er diesen letzten Vortrag beispielsweise über das Thema „Die lebendige Gemeinde“257. Auffällig ist, dass die meisten Auswertungsberichte der Ortspfarrer über Hagens Evangelisationen die Zahl der Abendmahlsbesucher bei der abschließenden Feier erwähnten. In Annen, wo Hagen nach Rücksprache mit dem Pfarrer auf die allgemeine Beichte vor der Abendmahlsfeier verzichtete, nahmen 200 Menschen am Abendmahl teil258. Wie an dem oben zitierten Programm der Volksmissionswoche in Fraustadt Anfang 1928 deutlich wird, nutzte auch Hölzel gelegentlich das Abendmahl als Abschluss der Volksmission. Auf der Januarkonferenz 1924 berichtete er über eine Volksmission in dem Industriegebiet Klettwitz-Annahütte, dass dort bei einer abschließenden Abendmahlsfeier 150 Personen den Willen bekundet hätten, sich künftig aktiv zu Christus bekennen zu wollen259. In Friedland hielt er 1930 sogar eine Bibelstunde über die Lehre vom Abendmahl260. Allerdings 253 „Der Herr aber hatte vorgesorgt“ (Schreiben Hagen an Füllkrug am 28. 9. 1927 [ADE Berlin, CA / EvA 126]). 254 Dies war zur selben Zeit auch bei den Heimatmissionaren der Hermannsburger Mission der Fall, da diese anders als die ausgesandten Missionare nicht ordiniert waren. Es gab während ihrer Tätigkeit immer wieder Diskussionen um die Frage, ob sie Talar tragen, Sonntagsgottesdienste übernehmen und die Kanzel besteigen durften (vgl. Schmidt, Hand, 160). 255 Vgl. Klosterkamp, Volksmission, 44 f. 256 In der Berliner Gemeinde St. Bonifatius gab es während einer Volksmission im Jahre 1908 bei insgesamt 10.500 Gemeindegliedern 2.400 Kommunikanten (vgl. ebd., 95). 257 Werbezettel Volksmission in Annen in Westfalen, 29. 5.–8. 6. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 258 Vgl. Schreiben [1927] (ADE Berlin, CA / EvA 144). 259 Sitzung Kommission für Volksmission am 10. 1. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 209). 260 Vgl. Werbezettel Volksmission Hölzel in Friedland i. Pr., 16.–27. 3. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142).
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sah Hölzel die Abhaltung von Abendmahlsfeiern nicht als primäre Aufgabe seiner eigenen Tätigkeit an, wie er Mitte der 1920er-Jahre in einer Diskussion über geeignete Mittel der Nacharbeit feststellte: „Das beste Siegel auf die Volksmission ist das heilige Abendmahl, welches der Ortsgeistliche abhalten mag, wenn der Evangelist vielleicht schon fort ist.“261 Auch Hölzel sah also das Abendmahl als geeignete Veranstaltungsform für den Abschluss einer Volksmission an, konnte sich aber vorstellen, diese Aufgabe an den Ortspfarrer zu delegieren. Zusammenfassend kann man sagen, dass die Abhaltung von Abendmahlsfeiern zum Abschluss einer Volksmissionswoche nicht den Stellenwert hatte wie die Kommunion in der katholischen Volksmission und auch nicht zu den unabdingbaren Bestandteilen einer Volksmission gehörte. Dennoch war auch für die evangelischen Volksmissionare das Abendmahl ein Mittel, um die evangelistische Verkündigung zu ergänzen. Abendmahlsfeiern fanden in der Regel am Ende der Volksmission statt und bildeten damit einen Übergang von der Volksmission zu der durch die Gemeinde verantworteten Nacharbeit. Mit dem Abendmahl als Abschlussritus war bereits die Frage angeschnitten, wie der Abschluss einer Volksmission gestaltet werden sollte und wie Glaubensentscheidungen, die während einer Volksmissionswoche fielen, „festgemacht“ werden konnten. Elias Schrenk, der die Evangelisationspraxis in Deutschland maßgeblich prägte, hatte sich bereits früh gegen das in englischsprachigen Ländern übliche Handaufheben oder Aufstehen der im Gewissen getroffenen Hörer ausgesprochen, da es zur Heuchelei führe. Er lud stattdessen die durch seine Evangelisationsvorträge im Gewissen Getroffenen allabendlich zu einer Nachversammlung ein. Bei dieser Nachversammlung hielt Schrenk eine kurze Ansprache und ein Abschlussgebet und forderte die Teilnehmer auf, ihre Adressen abzugeben, um eine nachgehende Seelsorge zu ermöglichen262. Diese Praxis beeinflusste die Volksmissionare des Central-Ausschusses. Anfang der 1920er-Jahre boten sowohl Hölzel als auch Hagen regelmäßig Nachversammlungen für Hörer ihrer Volksmissionsvorträge an. Im Schriftverkehr mit ihrer Zentrale nutzten sie die Zahl der Besucher von Nachversammlungen immer wieder als einen Beleg für den vermuteten Erfolg ihrer missionarischen Bemühungen. Im Jahre 1921 berichtete Hagen von einer Evangelisation in Königsberg, wo insgesamt 400 Menschen die Nachversammlung besucht hatten263. Hölzel erwähnte anlässlich einer Evangelisation im schlesischen Grünberg 1923, dass in einer Nachversammlung insgesamt 200 Entscheidungen für Christus stattgefunden hätten264. 261 Protokoll einer Besprechung über „Die Nacharbeit in der Volksmission“ (ADE Berlin, CA / EvA 126). 262 Vgl. Klemm, Schrenk, 362 f. 263 Schreiben Hagen an Füllkrug [1921] (ADE Berlin, CA / EvA 125). 264 Schreiben Hölzel an Füllkrug am 13. 6. 1923 (ADE Berlin, CA / EvA 125).
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Ausführlicher mit der Frage der Nachversammlung beschäftigte sich Hölzel im Jahre 1924. In einem Beitrag in der Zeitschrift „Die Volksmission“ stellte er ein Konzept für die Abhaltung von Nachversammlungen vor265. Hölzel nannte als Zweck der Nachversammlung den Vollzug der persönlichen Umkehr: „Ein Volksmissionar, der nicht seinen Hörern die Gelegenheit zu einer persönlichen Willensentscheidung gibt, handelt unbarmherzig und unpsychologisch.“266 Allerdings sah Hölzel solche Nachversammlungen nicht nach jedem Vortrag vor, sondern eher in der zweiten Hälfte der Evangelisation; anfangs sei es eher notwendig, den Hörern allgemein den Weg zum Glauben aufzuzeigen und erst am Ende sei es angemessen, die Hörer direkt zu einer Entscheidung aufzurufen267. 12.3.7 Entscheidungsriten Während die Abhaltung von Nachversammlungen zur üblichen Praxis der Volksmissionare gehörte, enthielt Hölzels Aufsatz über die Frage der Nachversammlungen allerdings auch eine Innovation: Hölzel schlug vor, die Nachversammlung mit einem Entscheidungsritus zu verbinden268. Hölzel begründete diesen Vorschlag am Beispiel von Apg 2,41 mit der Stellung der Taufe als Bekenntnisritus in der urchristlichen Mission. Da die Kindertaufe kein Bekenntnis beinhalte und die Teilnahme an der Konfirmation nicht durch eine persönliche Entscheidung, sondern durch die Sitte geleitetet sei, müsse während der Evangelisation für die Umkehrwilligen die Möglichkeit zu einem persönlichen Treueversprechen gegeben werden: „Aber nur die Freiwilligkeit gibt dem Bekenntnis und Gelübde seinen Wert.“269 Hölzels Aufsatz umfasste auch eine liturgische Skizze für den Ablauf seiner Nachversammlungen. Diese waren nicht für alle Hörer, sondern nur für diejenigen bestimmt, die durch die Vorträge des Evangelisten wirklich im Gewissen getroffen waren. Die liturgische Handlung während der Nachversammlung sollte aus drei Teilen bestehen, die Hölzel als „Beichte, Absolution und Konfirmation“270 bezeichnete. Nach einer Ansprache und einem Beichtgebet legte Hölzel seinen Hörern drei Fragen vor, welche die Anwesenden laut bejahen sollten. Die Fragen bezogen sich auf die Sündenerkenntnis der Hörer, den Glauben an die Vergebung durch Christus und auf die Annahme dieser Gnade. Die dritte Frage lautete: „Wollt ihr die Vergebung eurer Sünden als ein
265 266 267 268 269 270
Hçlzel, Nachversammlungen. Ebd., 147. Ebd., 149. Vgl. Sitzung Kommission für Volksmission vom 26. 6. 1924 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 204). Hçlzel, Nachversammlungen, 149. Ebd., 150.
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Geschenk der Gnade im Glauben annehmen, je der Sünde entsagen und euer Leben dem Heiland weihen“271? Nach diesem Sündenbekenntnis lud Hölzel diejenigen, die dieses Bekenntnis von Herzen mitsprechen konnten, ein, die Absolution unter Handauflegung durch den Evangelisten am Altar zu empfangen. Nach einem Zuspruch der Sündenvergebung durch das Zitieren von Jes 43,24 f. sprach ihnen Hölzel hier auch einen Segen zu: „Der Segen Gottes des Allmächtigen, Vater, Sohn und Heiliger Geist komme über euch und bleibe bei euch jetzt und immerdar.“272 Nach diesem Ritus begrüßte Hölzel die Teilnehmer an der Segenshandlung als Brüder und Schwestern und gab noch allgemeine und konkrete Hinweise zur künftigen praxis pietatis der Erweckten. Speziell betonte er die Notwendigkeit, regelmäßig zu beten, christliche Gemeinschaft zu suchen und sich in der Kirchengemeinde zu engagieren273. Dieser Vorschlag lehnte sich formal an die Liturgie der allgemeinen Beichte an274 und verband diese mit einem persönlichen Zuspruch der Absolution unter Handauflegung. In den Beichtfragen wurde jedoch deutlich, dass es sich nicht allein um die Beichte konkreter Sünden, sondern um den Vollzug einer grundlegenden Umkehr handelte: „Jeder, der jetzt im Glauben Jesus als seinen Heiland angenommen, mit allen Sünden gebrochen und sein Leben dem Heiland geweiht hat“275, war zu der Handauflegung eingeladen. Durch den öffentlichen Vollzug und durch die Segnung unter Handauflegung am Altar hatte diese Umkehrzeremonie auch Anklänge an den Konfirmationsritus: Der verwendete Segen war in der altpreußischen Kirche die bevorzugte Konfirmationsformel276. Hölzel bezeichnete die von ihm entworfene liturgische Handlung als ein Treuegelübde gegenüber Christus in Analogie zum soldatischen Eid. Sie sollte daher an einem Einzelnen auch nur einmalig vollzogen werden: „Der Fahneneid der Treue, dem himmlischen König geschworen, gilt ein für allemal. Die tägliche Erneuerung der Übergabe an den Herrn hat im Kämmerlein zu geschehen und nicht öffentlich.“277 Die Propagierung und Durchführung eines öffentlichen Umkehrritus hatte das Ziel, den durch die volksmissionarische Verkündigung angesprochenen Hörern eine Möglichkeit zum Vollzug der Bekehrung zu bieten. Solche Umkehrriten wurden nach angelsächsischem Vorbild auch von anderen zeitge-
271 272 273 274
Ebd. Ebd. Ebd., 151. Die drei Fragen korrespondieren inhaltlich zu den Beichtfragen im Formular B der Feier der allgemeinen Beichte in der altpreußischen Liturgie; vgl. Evangelische Landeskirche in den der lteren Provinzen Preussens, Agende, Bd. 1, 40–44. 275 Hçlzel, Nachversammlungen, 151. 276 Vgl. Evangelische Landeskirche in den lteren Provinzen Preussens, Agende, Bd. 2, 34. 277 Hçlzel, Nachversammlungen, 151.
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nössischen Evangelisten in Deutschland benutzt278. Indem Hölzel sich explizit auf die Praxis der Konfirmation bezog, konnte er davon ausgehen, dass Sinn und Inhalt dieser Handlung den Hörern verständlich sein würde. Hölzel verwarf jedoch seine Idee eines öffentlichen Umkehrritus schnell wieder. Eine in den Akten des Central-Ausschusses protokollierte Diskussion von Mitarbeitern des Central-Ausschusses, an der neben Hölzel und Hagen auch der Apologet Schweitzer teilnahm und die vermutlich aus dem Jahr 1925 stammt, zeigte einen kompletten Wandel von Hölzels Vorstellungen zur Gestaltung der Sammlung der Angesprochenen nach den Evangelisationsvorträgen: „P. Hölzel hält jetzt grundsätzlich keine Nachversammlungen mehr ab, weil ihn die neue Pfingstbewegung und die Zeltmission, welche die Menschen in eine ungeheure seelische Bewegung versetzten, eines anderen belehrt hat. Christ sein beruht auf einer persönlichen Willensentscheidung, deshalb muss dem einmal angefassten Menschen es allein überlassen bleiben, ob der die grosse Umwendung im Leben vollziehen will.“279
Nachdem er noch kurze Zeit zuvor einen eigenen öffentlichen Entscheidungsritus vorgeschlagen hatte, gab Hölzel nun seinen Verzicht auf Nachversammlungen bekannt. Im Nachhinein betrachtete er die bisherige Praxis als anfällig für Manipulationen: „Im allgemeinen haben wir uns in der Volksmissionsarbeit vor Suggestion und Hypnose zu fürchten, denn sie bringt die Abhängigkeit von uns und nicht von Gott.“280 Hölzel war sich bewusst, dass er durch den Verzicht auf eine Nachversammlung auch wenig über den Einfluss der Volksmissionswoche auf die Hörer sagen konnte, da ein Kriterium für zählbare Resultate entfiel: „Wir verzichten auf Nachversammlungen, wenn wir auch damit auf den sichtbaren Erfolg verzichten. Denn der Erfolg ist Gottes, für uns aber bedeutet der äussere Erfolg oftmals Gefahr.“281 Er empfahl stattdessen eine möglicherweise durch den Ortspfarrer zu haltende Abendmahlsfeier als „beste[s] Siegel auf die Volksmission“282. In einem zur selben 278 Auffällig ist die Parallele zu dem Deutschamerikaner Ludwig Graf, der als Evangelist der Pfingstbewegung ab 1923 in Halle und Leipzig evangelisierte und dort eine evangelische Kirche zur Verfügung gestellt bekam. Graf rief bekehrungswillige Hörer während der Hauptversammlung nach vorne, segnete die Kommenden ein und begrüßte sie anschließend als Brüder und Schwestern, wobei er sich ebenfalls an der Konfirmationsliturgie orientierte (vgl. Berger, Graf, 75). 279 Vgl. Manuskript „Die Nacharbeit der Volksmission“ (ADE Berlin, CA / EvA 126). Das Protokoll ist undatiert, findet sich aber innerhalb von Schriftverkehr aus dem Jahr 1925. Im Sommer 1926 warf Füllkrug Hölzel mit Verweis auf die Frage von Nachversammlung und Konfirmationserneuerung vor, durch seine häufigen Meinungsänderungen die Volksmission in Misskredit zu bringen; die Änderung von Hölzels Praxis muss also spätestens bis zu diesem Zeitpunkt stattgefunden haben; vgl. Schreiben Füllkrug an Hölzel am 2. 8. 1926 (ebd.). 280 Die Nacharbeit der Volksmission (ebd.). 281 Ebd. 282 Ebd.; vgl. oben 385.
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Zeit entstandenen Bericht über seine Volksmission in Königsberg betonte er, dass die seelsorgerliche Aussprache in Sprechstunden und Einzelgesprächen die besseren Mittel seien, um Menschen die Annahme des Evangeliums zu ermöglichen283. Hölzel argumentierte für den Verzicht auf eine Nachversammlung oder einen öffentlichen Umkehrritus damit, dass die Frucht der Volksmission allein für Gott sichtbar sei. Er stellte die bisherige Nacharbeitspraxis als Gefahr der Manipulation dar, durch welche die Entscheidung des Hörers erpresst werde. Stattdessen sei nachgehende Seelsorge an den durch die Volksmission Angesprochenen zu üben284. Hölzel nahm damit die auch in den theoretischen Schriften zur Volksmission immer wieder vorkommende Ablehnung einer bloß „gemachten“ gegenüber einer „gewachsenen“ Frömmigkeit auf. Er grenzte sich rhetorisch von der Zeltmission und der Pfingstbewegung ab. Vorwürfe äußerte er allerdings auch gegen Teile der Gemeinschaftsbewegung, da deren Führer seiner Meinung nach zu sehr auf die Zahlen schauten: „Aber oft wollen die Gemeinschaftsleiter Erfolge sehen, und damit sind sie gerade die Verführer selbst.“285 Theologisch betonte Hölzel nun, dass die Bekehrung „nicht eine endgültig abgeschlossene Sache“286 sei, sondern als ein Prozess verstanden werden müsse. Die Entscheidung gegen Nachversammlungen und Entscheidungsriten stellte Hölzel damit als ein Proprium der kirchlichen Volksmission dar. Allerdings gab er auch nach dieser Zeit noch gelegentlich Angaben zur Zahl der durch seine Volksmissionsvorträge angesprochenen Menschen. Bei einer Volksmission in Berlin-Lankwitz berichtete er als Resultat, dass sich 60 Personen nach der Veranstaltung zur Mitarbeit in der Kirchengemeinde bereit erklärt hätten287. In Zürich lud er bei einer Evangelisation im Januar 1928 im Anschluss an den letzten Vortrag zu einer „Nachfeier“ ein288. Zudem betonte er auch 1931 im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“, dass er es für empfehlenswert halte, gerade bei Vorträgen zu Sittlichkeitsfragen direkt im Anschluss für Einzelgespräche zur Verfügung zu stehen289. Auch nach 1925 waren ihm also der persönliche Kontakt zu den Hörern und ein Einfluss auf deren religiöse Entscheidung wichtig. In der gleichen Besprechung, in der Hölzel seinen Verzicht auf die Abhaltung von Nachversammlungen erklärte, äußerte sich auch Hagen zu dieser Frage skeptisch. Auch er kritisierte die gängige Nachversammlungspraxis und gab an, er bevorzuge neben Einzelgesprächen mit Angesprochenen die Feier 283 284 285 286 287 288
Hçlzel, Armen, 188. Die Nacharbeit der Volksmission (ADE Berlin, CA / EvA 126). Ebd. Hçlzel, Armen, 188. Hölzel, Bericht über Evangelisation in Berlin und Stettin [1929] (ADE Berlin, CA / EvA 142). Vgl. Werbezettel Evangelisation Hölzel „Brennende Lebensfragen“ in Zürich, 29. 1.–12. 2. 1928 (ebd.). 289 Hçlzel, Sonderversammlungen, 131.
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des Abendmahls als Abschluss einer Volksmissionswoche290. Es ist auffällig, dass viele Rückmeldungen der zuständigen Ortspfarrer zu von Hagen veranstalteten Evangelisationswochen die Zahlen der Teilnehmer an der abschließenden Abendmahlsfeier enthielten291. Außerdem springt ins Auge, dass Hagen in der Diskussion angab, am Ort der Volksmission in der Regel eine Gemeinschaft zu gründen, was bei der unterschwelligen Konkurrenz zu den landeskirchlichen Gemeinschaften bemerkenswert ist292. Offenbar meint er einen organisatorischen Zusammenschluss der „Erweckten“ im Rahmen der Kirchengemeinde. Im Merkblatt zur Veranstaltung einer Volksmissionswoche wurde empfohlen, am Ende der Volksmission mit einer ebenfalls „Nachversammlung“ genannten Veranstaltung zur Nacharbeit überzuleiten: Statt auf der Entscheidung des Einzelnen sollte bei diesen Nachversammlungen die Betonung auf der Eingliederung der von der Volksmissionswoche Angesprochenen in die kirchliche Arbeit liegen, indem sie einerseits zu den Bibelstunden eingeladen werden und andererseits eine konkrete Aufgabe erhalten sollten, beispielsweise die Hilfe im Kindergottesdienst oder Hausbesuche innerhalb der Gemeinde. Laut dem Merkblatt des DEVVM sollte diese Veranstaltung am besten durch den Ortspfarrer geleitet werden, während der Evangelist sich zurückhalten sollte293. Zusammenfassend ist zu sagen, dass die Nachversammlungspraxis am ehesten einem Veränderungsprozess unterworfen war. Während in den frühen 1920er-Jahren Nachversammlungen für die durch die Vorträge angesprochenen Hörer offensichtlich die Regel waren, ja Hölzel um 1924 sogar mit einem Umkehrritus experimentierte, ist nach 1925 eine Abkehr von dieser Praxis festzustellen. Diese wurde besonders von Hölzel mit der Gefahr einer psychischen Manipulation begründet: Statt der individuellen Heilsvergewisserung sollte eine Nachversammlung nun eher dem Beginn der Sammlung der Angesprochenen und deren Integration in die kirchliche Arbeit dienen. Allerdings wird auch deutlich, dass die Gestaltung von Nachversammlungen und die eventuelle Inszenierung einer Glaubensentscheidung immer Sache der
290 Die Nacharbeit der Volksmission (ADE Berlin, CA / EvA 126). 291 Vgl. etwa Abschrift Schreiben Pfarrer Grüpelsiepe (Langendreer) an den CA vom 2. 8. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 292 Kritisch äußerte sich Schweitzer: „Schweitzer wehrt sich gegen den Gedanken, die Kerngemeinde der Landeskirchlichen Gemeinschaft des Gnadauer Verbandes anzuschliessen. Der Gnadauer Verband darf kein Sammelbecken der Volksmission, sondern höchstens ein Notbehelf sein“ (vgl. Die Nacharbeit der Volksmission [ADE Berlin, CA / EvA 126]). 293 Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (ADE Berlin, DEVVM 11). Eine entsprechende Veranstaltung findet sich bereits in einem exemplarischen Ablaufplan einer Volksmissionswoche im „Handbuch der Volksmission“ von 1919. Am Abend des Tages nach dem Abschluss der Volksmissionswoche ist dort eine weitere Versammlung verzeichnet: „Zusammenschluß der Gewonnenen zu einer engeren religiösen Gemeinschaft, am besten zu einer Bibelstundengemeinschaft“ (F llkrug, Handreichung, 116).
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einzelnen Evangelisten blieb – wie in ihrer gesamten Tätigkeit besaßen sie hier eine große Gestaltungsfreiheit.
12.4 Besucherzahlen In der Evaluation der Volksmissionstätigkeit spielten die Besucherzahlen eine wichtige Rolle. In den formalisierten Rückmeldebögen, welche die Evangelisten nach einer Volksmission auszufüllen hatten, wurde nachgefragt, wie viele Personen an den Vorträgen, Bibelstunden und Sprechstunden teilgenommen hatten und ob die Zahl der Teilnehmer im Verlauf der Veranstaltung fallend oder steigend gewesen sei. Dabei wurde nicht die Zahl der Gesamtbesucher gezählt, sondern immer die bei einer einzelnen Versammlung anwesenden294. Die Zahl der Teilnehmer diente somit als Nachweis für eine erfolgreiche Volksmission. Auf den ersten Blick sehen diese Zahlen meistens beeindruckend aus. Fast immer bewegte sich die Zahl der erfassten Zuhörer an den eigentlichen Evangelisationsvorträgen mindestens im Bereich von mehreren hundert. Dies galt auch für kleinere Orte295. Oft kamen in größeren Städten oder auch in solchen, die zu den „Kerngebieten“ der jeweiligen Volksmissionare gehörten, über 1.000 Zuhörer296. Weit stärker wurden zum Teil Veranstaltungen unter freiem Himmel besucht. So waren bei Hölzels Evangelisation in Speyer über 6.000 Personen bei einer Kundgebung auf dem Marktplatz anwesend, während zu den Vorträgen lediglich bis zu 1.300 Menschen kamen297. Auch bestimmte Themen zogen viele Hörer an, besonders wenn sie zeitgenössische Fragen betrafen. Als Hölzel im Sommer 1930 in Insterburg über die Judenfrage sprach, beobachtete er ein enormes Interesse: Bei den in einer Schulaula stattfindenden Morgenvorträgen zur Rolle des Alten Testamentes war der Veranstaltungsort mit 500 Teilnehmern trotz der ungünstigen Zeit der Veranstaltung beinahe überfüllt. Auch bei eigentlichen Evangelisationsvorträgen, zu denen ein Diskussionsabend zum Christentum und Judentum gehörte, war der Veranstaltungsort ebenfalls mit 800 bis 1.000 Teilnehmern bis auf den letzten Platz belegt298. 294 Vgl. Rückmeldebögen in ADE Berlin, CA / EvA 142. 295 In Schötmar, Lippe 1927 bis zu 500 Besucher (vgl. Schreiben Hölzel [Schötmar] an Füllkrug [ADE Berlin, CA / EvA 126]). 296 Der Besuch der Volksmission Hölzels in Tilsit 1926 stieg auf bis zu 2.200 Besucher (vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Tilsit, 9.–18. 6. 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 142]); der Besuch der Volksmission in Köln 1929 stieg auf 1.000 vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug am 1. 3. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 297 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Speyer, 4.–11. 3. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 298 Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Insterburg, 18.–23. 5. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142); Hölzel, Die Judenfrage in der Volksmission, Bericht über die Volksmission in Insterburg
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An den Teilnehmerzahlen für Bibelstunden ist in den Berichtbögen abzulesen, dass die Zuhörerschaft in der Regel weitaus geringer war als bei den Evangelisationsvorträgen299. Dies lässt vermuten, dass der Kreis der Teilnehmer an den Bibelstunden in der Tat begrenzter war als derjenige der Zuhörer bei Volksmissionsvorträgen. Allerdings lag auch hier die Beteiligung meistens bei über 100 Teilnehmern. In größeren Städten konnte der Besuch sogar bis zu 1.000 Personen betragen300. Die Bibelstunden während einer Volksmission hatten damit nicht den Charakter eines intimen Bibelgesprächskreises, wie er Hilbert vorschwebte, sondern waren eher öffentliche Vorträge des Volksmissionars in einem etwas kleineren Rahmen als die eigentlichen Evangelisationsvorträge. Gerade in Hölzels Berichtbögen wurde sehr intensiv über die genaue Zahl der Sprechstundenbesucher Buch geführt, nur gelegentlich finden sich ungefähre Angaben301. Die Besucherzahlen variierten stark. Während Hölzel bei einer zweiwöchigen Evangelisation in Winterthur in der Schweiz Anfang 1928 insgesamt 100 Besucher in den Sprechstunden verzeichnete302, beklagte er einen Monat später bei einer achttägigen Evangelisation im ostpreußischen Elbing, dass „im ganzen nur 5“303 Personen seine Sprechstunde besucht hätten. Ähnliche Schwankungen finden sich auch in den anderen Berichtbögen Hölzels. Beim Sprechstundenbesuch meinte Hölzel, in bestimmten geografischen Regionen jeweils unterschiedliche Rezeptivität feststellen zu können. So kommentierte er 1930 die Anzahl seiner seelsorgerlichen Gespräche während einer Evangelisation in Werder-Glindow: „Für eine nördliche Stadt reichlich, etwa 15.“304 Im Verhältnis zu den Gesamtbesucherzahlen waren die Zahlen immer wesentlich niedriger als die Besucherzahlen der Evangelisationsvorträge und der Bibelstunden. So lassen sich Stufungen erkennen: Die Zahl der Teilnehmer an den Bibelstunden betrug selten mehr als die Hälfte der Teilnehmer an den Evangelisationsvorträgen, und die Zahl der Sprechstundenbesucher betrug während einer Evangelisationswoche im Allgemeinen höchstens einige Dutzend305.
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300 301 302 303 304 305
im Mai 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Der Inhalt dieser Vorträge zum Judentum wird in der biografischen Darstellung Hölzels kurz behandelt; vgl. oben 295 f. Beispielhaft seien sie für eine Evangelisation Hölzels im Frühjahr 1928 in Elbing zitiert, wo die Zahl der Besucher der Bibelstunden von 50 auf 200 stieg, während die eigentlichen Evangelisationsvorträge von 400 bis 900 Menschen besucht wurden (vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Elbing, 11.–20. 3. 1928, [ADE Berlin, CA / EvA 142]). Vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Tilsit, 9.–18. 6. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142). „Anfangs kamen nur wenige, zuletzt ziemlich viele“ (Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Stettin-Grabow 17.–24. 11. 1929 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Winterthur, Winter 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Elbing, 11.–20. 3. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Berichtbogen Evangelisation Hölzel Werder-Glindow, 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Beispielhaft zeigte sich diese Diskrepanz an Hölzels Evangelisation in Friedland i. Pr. im Frühjahr 1930: Der Besuch der Evangelisationsvorträge stieg von 200 auf 600, die Bibelstunde
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In der Regel vermerkten die Berichtbögen eine steigende Tendenz der Besucherzahlen mit einer fortlaufenden Dauer der Evangelisation306. Dies wurde u. a. dadurch erreicht, dass der Evangelist die Hörer dazu aufforderte, andere einzuladen, ebenfalls die Evangelisationsvorträge zu besuchen307. Für gelegentliche sinkende Teilnehmerzahlen machten die Evangelisten die Reaktion auf die Botschaft des Evangeliums verantwortlich, die eben scheidend wirke. Auch die angebliche Verärgerung der Hörer über ethische Forderungen wurde besonders von Hölzel immer wieder als Grund für ausbleibende Besucher genannt308. Das Gleiche galt für die Erklärung von geringeren Besucherzahlen gegenüber einer vorherigen Evangelisation, wie etwa 1929 in Berlin-Lankwitz: „Dazu kam, daß ein Teil meiner Zuhörer von 1926 durch den letzten Vortrag, in dem ich sie zum Durchgang durch die enge Pforte aufforderte, verstimmt waren und sich solchen Entscheidungsfragen nicht wieder aussetzen wollten.“309
Gelegentlich kam Hölzel allerdings auch die Einsicht, dass die regelmäßige Abhaltung von Volksmissionswochen diese veralltäglichen würde und daher das Interesse in den Gemeinden geringer werde310. Die Berichte der Volksmissionare enthielten also durchaus auch Einschätzungen über positive und negative Ergebnisse. Die Schwierigkeit in der Beurteilung des von den Evangelisten gebotenen Zahlenmaterials besteht allerdings darin, dass in seltenen Fällen die Größe der Gemeinden angegeben ist, in denen evangelisiert wurde. Nur gelegentlich geben Evangelisationsberichte einen Einblick in die prozentuale Beteiligung der Gemeinden. So berichtete der Pfarrer von Altroggenramede bei Altena 1926, dass an einer Evangelisation Hagens in seiner Gemeinde etwa 10 % der Gemeindeglieder teilgenommen hätten311. In einem dörflichen und kleinstädtischen Kontext bedeuteten 200 bis 300 Besucher zwar nicht, dass sich die gesamte Gemeinde beteiligte, dass aber immerhin ein recht hoher Anteil der Gemeindeglieder mobilisiert werden konnte. Ähnlich
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besuchten 150 bis 250 Personen; in die Sprechstunde kamen 10 Besucher (vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Friedland i. Pr., 16.–27. 3. 1930 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). So steigerte sich der Besuch einer Evangelisation Hölzels in Winterthur von 600 auf 1.200 Personen (vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Winterthur, Anfang 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). Vgl. etwa Hölzel, Jenseits der Mainlinie (ADE Berlin, CA / EvA 142). So berichtete Hölzel über einen schlecht besuchten Frauenabend während einer Evangelisation in Ostpreußen im Frühjahr 1930: „Ein großer Teil der Bürgertöchter weigerte sich zu kommen, weil ich ihnen am vorhergehenden Abend zugemutet hatte, kinderreichen Müttern des Arbeiterstandes freiwillig ein wenig Arbeit abzunehmen“ (Hölzel, Volksmission in Bartenstein, März 1930 [ADE Berlin, CA / EvA 142]). Hölzel, Volksmission in Berlin und Stettin, Frühjahr 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Vgl. für das Beispiel Ostfriesland Schreiben Hölzel an Füllkrug, Leer, am 9. 2. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126). 200 bis 300 Zuhörer bei den Evangelisationsvorträgen bei 2.500 Gemeindegliedern (vgl. Schreiben Arning (Altroggenramede Kr. Altena) an CA 26. 10. 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 144]).
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dürften auch die oben aufgeführten, teilweise deutlich über 1.000 Personen liegenden Besucherzahlen in ostpreußischen oder an der Nordseeküste gelegenen Klein- und Mittelstädten312 zu interpretieren sein: Hier gelang es, große Massen für die Teilnahme an einer Evangelisation zu mobilisieren. Schwieriger war die Lage in Großstädten mit ihren teilweise riesigen Kirchengemeinden. So gab Hölzel bei einer Evangelisation in Frankfurt am Main im Februar 1930 an, dass zu seiner Evangelisation in Frankfurt trotz Einladungen an alle Haushalte „zu den ersten Versammlungen kaum 200 Zuhörer, d. h. etwa 2 % der Gemeinde“313 gekommen seien. Durch wiederholte Werbung sei diese Zahl immerhin auf 500 Personen gestiegen314. Die im Verhältnis relativ hohe Zahl von 45 Sprechstundenbesuchern zeigte jedoch, dass Erfolg und Misserfolg nicht allein an den Besucherzahlen gemessen werden konnten315. Ein eindeutigeres Missverhältnis von Vorbereitung und Resultat zeigte sich bei einer Evangelisation Hölzels im Juni 1930 in Braunschweig: Insgesamt hatten die Veranstalter 40.000 Einladungen verteilt, hinzu kamen Einladeaktionen an den Braunschweiger Fabriktoren und missionarische Einsätze in den Braunschweiger Parks. Trotz dieser intensiven Werbung blieb die Zahl der Zuhörer der eigentlichen Evangelisationsvorträge mit 200 bis 300 Personen im Verhältnis eher gering, obwohl der Bericht Hölzels „Im Kampf um die Seele unseres Volkes“ suggerierte, dass diese Veranstaltung gegenüber der weltanschaulichen Dominanz der Freidenker in Braunschweig das Evangelium erfolgreich zu Gehör gebracht hätte316. Aus den Besucherzahlen insgesamt wird deutlich, dass es im Rahmen von Volksmissionsveranstaltungen durchaus gelang, große Gruppen, ja teilweise Massen zu mobilisieren. Ein Vergleich mit der katholischen Volksmissionspraxis und den dort gegebenen Zahlen relativiert das Bild jedoch. Die katholische Volksmission zielte auf eine Beteiligung der gesamten katholischen Gemeinde am Veranstaltungsort und erreichte dabei eindrucksvolle Zahlen. Zwar sahen auch katholische Volksmissionare mit Sorge auf einen im Verhältnis zur Mobilisierung im 19. Jahrhundert nachlassenden Besuch und vor allem auf einen wesentlichen Rückgang der Missionsbeichten. So wurden die Ergebnisse einer in allen Münchener Pfarreien koordiniert stattfindenden katholischen Volksmission im November mit insgesamt 170.000 Missions312 Neben den oben genannten Zahlen aus Ostpreußen vgl. Evangelisation Hölzel in Leer 1926 mit 1.000 bis 1.240 Besuchern (Rückmeldebogen Superintendent von Leer [ADE Berlin, CA / EvA 144]); Evangelisation Hölzel in Wesermünde-Lehe mit 1.000 Besuchern (vgl. Rückmeldebogen Pastor Meier, Wesermünde-Lehe, ca. 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). 313 Hölzel, Jenseits der Mainlinie (ADE Berlin, CA / EvA 142). 314 Ebd. 315 Berichtbogen Volksmission Hölzel in Frankfurt/Main-Süd 9.–21. 2. 1930 (ADE Berlin, CA / EvA 142). 316 Hölzel, Im Kampf um die Seele unseres Volkes (ADE Berlin, CA / EvA 142); Berichtbogen Volksmission Hölzel in Braunschweig, 15.–28. 6. 1930 (ebd.); vgl. auch den Abschnitt über Braunschweig in der Analyse von Kerngebieten der Volksmission oben 340 f.
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beichten als ein Warnsignal betrachtet, da beinahe 50 % der 500.000 Katholiken der bayerischen Landeshauptstadt nicht einmal die Missionsvorträge besucht hatten317. Im Verhältnis zu evangelischen Volksmissionen lesen sich diese Zahlen jedoch durchaus eindrucksvoll. An anderen Orten gelang eine beinahe flächendeckende Erfassung der katholischen Gemeinden: In Frankfurt am Main nahmen beispielsweise bei einer von den Redemptoristen veranstalteten Volksmission in einer von Arbeitern geprägten Stadtpfarrei im Sommer 1928 von 1.750 Gemeindegliedern insgesamt 1.460 an den Missionspredigten teil, und über 1.000 legten auch eine Generalbeichte ab. Besonders eindrucksvoll an diesem Ergebnis war die Tatsache, dass sich im gleichen Jahr lediglich 17 % der Gemeindeglieder an der Osterkommunion beteiligt hatten und die Gemeinde daher als entkirchlicht galt318. Im Unterschied zu den katholischen Volksmissionsveranstaltungen fehlte den evangelischen Evangelisations- und Volksmissionswochen nicht nur die kirchenrechtliche Bindung, sondern oft auch die Einbindung in eine traditionelle Milieupraxis. Wie das Beispiel der katholischen Volksmission in Frankfurt am Main deutlich machte, konnten katholische Missionsorden selbst in einem dramatisch entkirchlichten Arbeiterstadtteil an die tradierten Erwartungen anknüpfen. Dies war, wie die Beispiele der Evangelisationen Hölzels von 1930 in Frankfurt/Main und Braunschweig zeigten, für die evangelische Volksmission nicht möglich. Statt einer Beteiligung eines Großteils der Angehörigen der Pfarrei, deren Teilnahme bei einer katholischen Volksmission erwartet werden konnte, kamen in der Regel nur Teile der Gemeindeglieder, auch wenn die Zahl der Teilnehmer auf den ersten Blick beeindruckend aussah. Aus vielen Rückmeldungen von Pfarrern spricht eine gewisse Enttäuschung darüber, dass die Teilnahme an der Volksmission sich weitgehend auf die Angehörigen der Kerngemeinde beschränkte, die auch sonst zu den Trägern kirchlichen Lebens gehörten. Der Pfarrer der sächsischen Gemeinde Remse an der Mulde beschrieb das Resultat einer Evangelisation Hagens in seiner Gemeinde im Mai 1926 folgendermaßen: „[…] die Masse blieb auch in diesen Tagen fern, auch die sogen. Kirchlichen [sic!] Kreise, Nochkirchlichen oder Nurnochkirchlichen drängten sich nicht. Die Treuen waren da, von den Lauen, Unentschiedenen horchte mancher auf, von den Entfremdeten mochte auch mancher angezogen sein durch die Eigenart der Verkündigung.“319 317 Vgl. Klosterkamp, Volksmission, 215 f. 318 Diese katholische Volksmission in Frankfurt/Main zeichnete sich als „Haus- und Kapellenmission“ durch eine für Deutschland neuartige Konzeption aus. Die Volksmission wurde durch eine Periode von Hausbesuchen vorbereitet, an denen auch in katholischen Verbänden aktive Laien beteiligt waren. Zudem gab es über abzugebende Kontrollkarten einen genauen Überblick über die Teilnahme an den einzelnen Missionspredigten (vgl. zur Frankfurter Haus- und Kapellenmission 1926 ebd., 233 f.). 319 Bericht über Volksmission in Remse/Mulde, Eingang 5. 1. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 144). In Remse an der Mulde beteiligten sich laut Bericht des Pfarrers 89 Gemeindeglieder an dem
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12.5 Nacharbeit Die Nachversammlungen, wie auch immer sie gestaltet waren, bildeten bereits den Übergang von der Evangelisation zur Nacharbeit, durch welche die in der Volksmission angesprochenen Menschen in die Gemeinde integriert werden sollten. Wie aus den theoretischen Schriften zur Volksmission hervorging, waren Volksmissionsveranstaltungen in der Konzeption ihrer Verfechter immer in ein Programm des Gemeindeaufbaus eingeordnet, das letztlich eine kirchliche Erneuerung zum Ziel hatte. Der Nacharbeit in den Gemeinden maßen die Volksmissionare daher eine enorme Bedeutung bei. Immer wieder wurde in öffentlichen Äußerungen und in der internen Korrespondenz der Satz wiederholt, „daß eine Evangelisation ohne Nacharbeit nur ein Schlag ins Wasser sei“320. Auch in den Richtlinien, welche die Veranstalter von Volksmissionen vor dem Kommen des Volksmissionars erhielten, wurde die Bedeutung der Schaffung eines Gemeindekerns, der sich in einer regelmäßigen Bibelbesprechstunde sammeln und zur Mitarbeit verpflichten sollte, betont: „Wo keine Nacharbeit einsetzt, besteht die Gefahr, daß das kirchliche Leben durch die Evangelisation keine wesentliche Förderung erfährt, daß die geistlich angeregten Christen einsam bleiben und dadurch verarmen oder dass sie Wachstum und Förderung ihres geistlichen Lebens in außerkirchlichen Kreisen suchen.“321
Als praktische Maßnahme schlugen diese Richtlinien die Abhaltung eines Bibelkursus für die durch die Volksmission angesprochenen Gemeindeglieder vor, um ihnen den selbstständigen Umgang mit der Bibel zu ermöglichen und eine grundlegende Unterweisung in der christlichen Lehre zu geben322. Wie bei der Vorbereitung und Durchführung einer Volksmissionswoche betonten die Richtlinien des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission auch in Bezug auf die Nacharbeit, dass hier die Pfarrer, die landeskirchlichen Gemeinschaften und die anderen protestantischen Vereine zusammenarbeiten müssten, um den „Erweckten“ konkrete Aufgaben in der Kirchengemeinde zuweisen zu können323. Nach den Vorstellungen der Verantwortlichen für Volksmission und der Evangelisten sollte die Volksmission also in einer Erneuerung der gesamten Gemeinde durch die Bildung eines Gemeindekerns resultieren. Ansonsten folgten die Vorstellungen, die sich die Protagonisten der
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die Volksmission abschließenden Abendmahl, er monierte aber, dass kein einziges Gemeindeglied eine religiöse Entscheidung getroffen habe (vgl. ebd.). F llkrug, Enge, Kapitel 10, 10. Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (Evangelisation) [1927] (ADE Berlin, DEVVM 11). Ebd.; einen derartigen Kurs führte Hölzel 1926 anhand von Röm 6–8 in Rostock durch; vgl. Berichtbogen Bibelkursus Hölzel in Rostock, 10.–12. 11. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142). Vgl. DEVVM, Merkblatt für die Veranstaltung einer Volksmission (ADE Berlin, DEVVM 11).
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Volksmission von der Nacharbeit machten, den theoretischen Konzepten. Im Handbuch „Vom Werk des Glaubens“ von 1931 schrieb der sächsische Superintendent Arno Spranger aus Annaberg das Kapitel über „Nacharbeit und Gemeindekern“324. Spranger mahnte die Leser zu einer realistischen Einschätzung der Möglichkeiten und zu Geduld: „Von einer Illusion muß sich die Nacharbeit fernhalten, als ob der Zustrom, wie er in der Volksmission zutage trat, anhalten würde.“325 Dabei benutzte er in Anlehnung an 1 Kor 3 das Bild von der nach der Evangelisation zu pflegenden Saat des Evangeliums: „[…] treue Pfleger- und Gärtnerarbeit weckt das junge hervorbrechende Leben zur Blüte und Frucht.“326 Dabei lag in Sprangers Konzeption der Schwerpunkt der Nacharbeit auf der erzieherischen Einwirkung des Pfarrers auf die von den Volksmissionsvorträgen angesprochenen Gemeindeglieder327. Spranger nannte als erste Aufgabe nach der Volksmissionare gezielte Hausbesuche in allen Familien der Gemeinde, wobei er gerade für größere Gemeinden vorschlug, Laien als Mitarbeiter für diesen Besuchsdienst einzusetzen. Diese sollten aber eine enge Fühlung zum Pfarrer halten. Als Ziel der Hausbesuche nannte Spranger die Einschätzung der Wirkungen der Volksmissionswoche, was er wiederum in eine agrarische Metaphorik kleidete: „Jeder Landwirt geht nach der Aussaat übers Feld und sieht nach dem Ausgang dessen, was gestreut worden ist.“328 Die folgenden Schritte der Nacharbeit skizzierte Spranger in engem Anschluss an Hilberts Programm, wobei er die einzelnen Schritte jeweils mit dem Begriff der Erziehung belegte: Durch Bibelkreise sollten die Angesprochenen zum selbstständigen Lesen in der Bibel befähigt werden329, durch Kontakt zum Pfarrer und dessen Mitarbeiter sollte die „Erziehung zum Gebet“330 erfolgen. Schließlich betonte Spranger wie Hilbert die Notwendigkeit einer Vergemeinschaftung innerhalb des Gemeindekerns331 und der „Erziehung zum Dienst, zur verantwortlichen Mitarbeit in der Gemeinde“332. Laut Spranger sollte diese Nacharbeit in der Weckung eines 324 Spranger, Nacharbeit. Spranger kam ursprünglich aus der DCSV und war seit 1915 Pfarrer an der Dresdener Trinitatiskirche, wo er eine betont evangelistische Gemeindearbeit leitete. Er hatte 1923 einen „Bund für eine lebendige Volkskirche“ gegründet und sich vielfältig an vereinsprotestantischen Initiativen beteiligt. 1929 wurde er Superintendent in Annaberg, wo er 1933 in die NSDAP eintrat und sich auf die Seite der Deutschen Christen schlug. Daher wurde er 1945 als Superintendent abgesetzt und erhielt Pfarrstellen in Krummenhennersdorf und Freiberg. Zum Lebenslauf Sprangers; vgl. Hein, Landeskirche, 192–194. 325 Spranger, Nacharbeit, 139. 326 Ebd., 140. 327 So kritisierte er die angeblich mangelhafte gegenwärtige kirchliche Arbeit: „Wir vergessen die Gesetze des Wachstums und sind nicht Gärtner, die die Lebensbedingungen für jede Art erforschen und schaffen. Wir überlassen das Wachstum vielfach sich selbst und wundern uns noch, wenn es wild wächst und verdirbt“ (ebd., 141). 328 Ebd. 329 Ebd., 142 f. 330 Ebd., 143. 331 „Die beste Rüstung zum Kampf ist die Erziehung zur Gemeinschaft“ (ebd., 144). 332 Ebd., 144 f.
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Gemeindebewusstseins resultieren, das sich bewusst in den Rahmen der Landeskirche stellte. Hierin sah Spranger die Voraussetzung für eine geistliche Erneuerung der Volkskirche: „Wollen wir lebendige Gemeinden, müssen wir einen Gemeindekern bilden, müssen wir ein waches Gemeindebewußtsein fördern. Daß es vielfach daran fehlt, ist unsere schwere Not. Daß die Volksmission und ihre Nacharbeit ein Mittel dazu sein kann, wollte ich zeigen. Dann bekommen unsere großen volkskirchlichen Gemeinden innerste Tragflächen; dann werden ihnen geistige Fundamente unterbaut; dann lebt in ihnen ein heiliger Wille der Arbeit und der Verantwortlichkeit; dann wächst der Aufbau und verbreitert sich der Sieg. Gott gebe uns ein solch lebendiges Gemeindebewußtsein!“333
Trotz dieser sehr allgemein klingenden Forderungen blieb das Interesse am Gemeindeaufbau334 nicht auf theoretische Erwägungen beschränkt. Die Bedeutung, welche man im Rahmen der Evangelisation der Nacharbeit beimaß, wurde auch daran deutlich, dass im Berichtbogen, den die Volksmissionare für jede einzelne Volksmissionswoche auszufüllen hatten, explizit die Fragen auftauchten, wer die Nacharbeit übernähme und wo die durch die Volksmissionswoche Angesprochenen innerhalb der Kirchengemeinde Anschluss finden könnten335. Auch der Schriftverkehr mit Füllkrug und die ausformulierten Arbeitsberichte behandelten immer wieder die Frage, inwiefern eine angemessene Nacharbeit gewährleistet sei. Die Frage nach der angemessenen Fortführung der evangelistischen Impulse in der jeweiligen Gemeinde durchzog damit die gesamte praktische Arbeit. Es erhob sich allerdings die Schwierigkeit, dass die Evangelisten an sich nichts mehr mit dem weiteren Fortgang der Arbeit in der Gemeinde zu tun hatten. Sie konnten also höchstens ihre Vorstellungen äußern und abschätzen, wie weit die Nacharbeit durch die Gemeindepfarrer oder andere Personen in ihrem Sinne fortgeführt wurde. Wie nahmen die Volksmissionare nun die Rahmenbedingungen für die Nacharbeit wahr? In verschiedenen Gemeinden wurden sie als sehr positiv wahrgenommen. Nach einer Evangelisation Anfang Januar 1923 in der Grafschaft Bentheim sah Hölzel es als ideale Voraussetzung an, dass die Bentheimer Pfarrer sich an den örtlichen Gemeinschaftsstunden beteiligten; so seien ideale Voraussetzungen für die Integration der von der Evangelisation angesprochenen Menschen gegeben336. Besonders positiv schilderte Hölzel auch die Rahmenbedingungen für die Nacharbeit in Berlin-Lankwitz im Jahre 1929. Zwar beklagte er einen Rückgang der Teilnehmerzahlen im Verhältnis zu einer vorigen Evangelisation in der dortigen Gemeinde, er lobte aber die sofort 333 Ebd., 146. 334 „Für eine rechte Helferschaft ist ja eine Volksmission ein Höhepunkt der ganzen Arbeit im Gemeindeaufbau“ (ebd., 142). 335 Vgl. Berichtbögen der Volksmissionare (ADE Berlin, CA / EvA 142). 336 Hçlzel, Volksmission, 45.
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erfolgende Integration der durch die Volksmission Angesprochenen in das Gemeindeleben: 60 Gemeindeglieder hatten sich zur künftigen Mitarbeit bereit erklärt, und als Resultat wurde laut Hölzel ein von erweckten Laien getragener Besuchsdienst eingerichtet, der alle Familien der Parochie besuchen sollte und eng mit dem Pfarrer zusammenarbeitete337. Diesen Gemeinden, in denen eine vielversprechende Nacharbeit prognostiziert wurde, war gemeinsam, dass die Volksmissionswoche innerhalb der Gemeinde gut organisiert war und von ihr gemeinsam mit dem Evangelisten getragen wurde. Obwohl Hölzel oft als wichtige Träger der Nacharbeit die örtlichen Gemeinschaften oder die örtliche Stadtmission benannte338, blieb sein Ideal aber eine die gesamte Gemeinde erfassende Volksmission, an der auch die Pfarrer mitarbeiteten. Dies erläuterte er u. a. am Beispiel der Evangelisation in BerlinLankwitz: „Die Volksmission wird das Ziel [der Erneuerung der Gemeinde, H. B.] nur da erreichen können, wo sie vom Pfarrer gerufen worden ist. Geht der Ruf von einer freien Organisation (Gemeinschaft, Volksbund) aus, so verschiebt sich das Ziel wesentlich. Dann wird die Volksmission nur auf die einzelne Seele und ihre Entscheidung abzielen können.“339
Wunschziel einer Volksmissionswoche war also immer die geistliche Erneuerung der Gemeinden, wie es auch in den theoretischen Konzepten zum Ausdruck kam. In der Praxis aber klagten sowohl Füllkrug als auch die Volksmissionare immer wieder darüber, dass sie die Voraussetzungen für eine rechte Nacharbeit nicht gegeben sahen. Bereits im Juli 1921 schrieb Füllkrug an Hölzel bezüglich einer Anfrage aus dem brandenburgischen Neusalz: „Ich habe Bedenken, für Neusalz eine Evangelisation zu vermitteln, sofern nicht ganz anders als bisher für die Nacharbeit gesorgt wird“340. Ähnliche Stimmen finden sich in der internen Korrespondenz immer wieder. Aus den Beschreibungen wird ersichtlich, dass die Konflikte zu diesen Pastoren primär in einem mangelnden Verständnis für eine Theologie der Erweckung und Heiligung lagen. Dies wird bei einem Bericht Hölzels über eine Nachversammlung in einer schlesischen Gemeinde besonders deutlich, wo der Pfarrer die von der Volksmission angesprochenen Gemeindeglieder vor den theologischen Positionen der örtlichen Gemeinschaftsbewegung warnte: „Wie kann ein Pastor, der 40 J.[ahre, H. B.] Seelsorger ist, so taktlos sein, in einer Nachversammlung für Neubekehrte von der Bibelkritik zu reden! Ist das nicht Knospenfrevel?“341 Hier wurde der Anspruch der Volksmissionare deutlich, nicht „nur“ das 337 Hölzel, Bericht über Evangelisation in Berlin und Stettin [1929] (ADE Berlin, CA / EvA 142). 338 Zu den Gemeinschaften vgl. z. B. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Reichenbach, Schlesien, 17.–31. 1. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 142); zur Stadtmission vgl. Berichtbogen Evangelisation Hölzel in Speyer, 4.–11. 3. 1926 (ebd.). 339 Hölzel, Bericht über Evangelisation in Berlin und Stettin [1929] (ADE Berlin, CA / EvA 142). 340 Schreiben Füllkrug an Hölzel am 19. 7. 1921 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 341 Schreiben Hölzel (Logau) an Füllkrug am 1. 6. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 125).
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kirchliche Leben zu erheben, sondern durch geistliche Erneuerung von Einzelnen und deren Sammlung in einer erneuerten Kerngemeinde eine Erneuerung der gesamten evangelischen Kirche zu erreichen. Immer wieder wurde bereits in den Anfragen nach Abhaltung einer Volksmission deutlich, dass dieser Anspruch an örtliche Seelsorger nicht zu vermitteln war. Solche Interessenunterschiede und Konflikte durchziehen die Korrespondenz342. Hier äußerte sich ein wesentliches Dilemma des Ansatzes der Volksmission: Da es anders als in der katholischen Kirche keine rechtlichen Verpflichtungen zum Abhalten einer Volksmission gab und die Volksmission durch die Kirchenbehörden zwar gefördert wurde, aber doch im Wesentlichen im Rahmen des protestantischen Verbandswesens stattfand, war der Erfolg vom Interesse der Pastoren und von deren Engagement in Vorbereitung und Nacharbeit abhängig. Dies gelang in den Gemeinden, wo die Pfarrer den theologischen Anliegen der Volksmissionare beipflichten konnten: Erweckung, Bekehrung und Heiligung. Da zugleich immer wieder der Anspruch deutlich wurde, durch Volksmission eine grundsätzliche Erneuerung der deutschen evangelischen Landeskirchen zu erreichen, waren die Befürworter der Volksmission anders als die Gemeinschaftsbewegung auf die herkömmliche Gemeindestruktur angewiesen: Eine Gemeinschaftsbildung neben der Landeskirche wurde von den Volksmissionaren generell abgewiesen. Der Anspruch auf eine generelle Kirchenreform implizierte jedoch zugleich die Notwendigkeit einer allgemeinen Unterstützung durch die Pfarrerschaft, um das selbstgesetzte Ziel zu erreichen. Dieses Dilemma des volksmissionarischen Ansatzes wurde bereits in den frühen 1920er-Jahren durch Vertreter der Gemeinschaftsbewegung prognostiziert. Auf der gemeinsamen Tagung von Vertretern der Volksmissionsorganisationen und der Gemeinschaftsbewegung im April 1922 im Johannesstift (Spandau) kritisierte Ernst Modersohn (Bad Blankenburg, Thüringen): „Man kann nicht ohne weiteres jeden Pfarrer gebrauchen, Träger einer Evangelisation und Pfleger neu bekehrter Seelen zu sein.“343 Modersohn sah bei dem Ansatz der Volksmission das Problem, dass die Nacharbeit bei vielen Pfarrern am mangelnden Verständnis für die Bedürfnisse der durch die Volksmission gewonnenen Menschen scheitern würde. Deutlicher als die Angehörigen der Abteilung für Volksmission des Central-Ausschusses bediente er sich dabei auch öffentlich der Kategorien „gläubig“ und „ungläubig“344. Er bevorzugte im Allgemeinen die Evangelisation an Orten, wo er durch einen „gläubigen“ Pfarrer eingeladen wurde oder aber bereits eine Gemeinschaft bestand. Insgesamt war Modersohn daher gegenüber der gesamten Konzeption der 342 Vgl. etwa Schreiben Füllkrug an Pfarrer Wolf, Leipzig, 13. 7. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 126); siehe auch oben 364 f. 343 Modersohn, Evangelisation, 80. 344 „Aber solange ein Pfarrer unbekehrt ist, mag er den besten Willen haben, von der redlichsten Absicht beseelt sein – […] – aber er kann den Seelen nicht dienen, die zum Glauben gekommen sind, weil das eine innere Unmöglichkeit ist“ (ebd).
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Volksmission kritisch, die er zudem unterschwellig als Konkurrenz für die Gemeinschaftsbewegung wahrnahm. Diese Skepsis des Gemeinschaftsleiters war bereits aus einem internen Schreiben von 1920 hervorgegangen, in dem er sich zu einem möglichen Wirken Fritz v. Engels im Gebiet des Thüringer Gemeinschaftsverbandes äußerte: „Wenn durch seinen [Fritz v. Engels, H. B.] Dienst Seelen gesegnet werden, wer soll sie anders pflegen, als unsere Gemeinschaft? Wenn eine bleibende Frucht gewirkt werden soll, müssen die erweckten oder die bekehrten Seelen der Gemeinschaft zugeführt werden, sonst ist seine Arbeit ein Schlag ins Wasser. Ich habe Liz. Füllkrug das wiederholt gesagt und wundere mich, dass er selber das noch nicht sieht.“345
Auffällig ist, dass nicht nur die interne Korrespondenz und die Berichte der Volksmissionare über Probleme in der Nacharbeit berichten, sondern verklausuliert mit ähnlichen Äußerungen auch der Erfolg der Volksmission insgesamt infrage gestellt wurde: Als Hölzel 1930 aus dem Dienst der Inneren Mission schied, nannte er die Enttäuschung über die mangelnde Nacharbeit, welche in den von ihm besuchten Gemeinden geschehen sei, als wesentlichen Grund für seinen Wechsel zur Wuppertaler Stadtmission. Er sehe es als notwendig an, nun in einem kleinen Gebiet selbst Verantwortung für die Pflege der Gemeindeglieder zu übernehmen346. Auch Füllkrug machte in seinen Memoiren die mangelnde Mitarbeit der Pfarrer für ausbleibende Erfolge verantwortlich: „[…], daß in sehr vielen [Gemeinden] jede Nacharbeit fehlte. Wenn dann die Menschen sich wieder verliefen, weil sie nicht gesammelt wurden, so war das wirklich nicht die Schuld der Evangelisten, sondern des Ortspfarrers.“347
Aus diesen Besprechungen, Briefwechseln und Äußerungen spricht echte Enttäuschung über die mangelnde Rezeption der eigenen Anstrengungen. Ohne Zweifel zeigte sich hier die Schwierigkeit der praktischen Umsetzung der Volksmission, die von der Mitarbeit der Pfarrer abhängig war. Die Praxis der landeskirchlichen Gemeinschaften, nach einer Evangelisation Kreise von „erweckten“ Christen zwar innerhalb des Rahmens der Landeskirche, jedoch außerhalb der volkskirchlichen Parochialstruktur zu sammeln, war erfolgversprechender. Die Gemeinschaften konnten nämlich auch unabhängig von den einzelnen Gemeinden agieren und waren daher nicht im gleichen Ausmaß von dem Wohlwollen der Pfarrer abhängig. Allerdings erscheinen die teilweise mit eschatologischen Bildern348 aufgeladenen Vorwürfe der Volksmissionare 345 346 347 348
Abschrift Schreiben Modersohn an den CA [Dez. 1920] (ADE Berlin, CA / EvA 120). Vgl. Beyreuther, Kirche, 229 Anm. 421. F llkrug, Enge, Kapitel 10, 10. So schrieb Hölzel 1922 über einen den Freimaurern zugehörigen brandenburgischen Amtsbruder: „Gott wird einmal die zu Grunde gegangenen Seelen fordern von denen, die für die
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gegenüber den Pfarrern zumindest partiell als ungerecht: Die Volksmissionare machten für das Scheitern ihrer eigenen Strategie die Umgebung verantwortlich. Dabei hätte deutlich sein müssen, dass die Schwierigkeit bereits im Ansatz, welcher der Arbeit der Abteilung für (evangelistische) Volksmission des Central-Ausschusses zugrunde lag, begründet war: Die plurale Struktur der evangelischen Landeskirchen machte eine flächendeckende Umsetzung des volksmissionarischen Ansatzes von Anfang an unmöglich. Zwar war eine erfolgreiche Tätigkeit in einzelnen Gemeinden, wo der Pfarrer die theologischen Anliegen der Volksmissionare teilte, möglich – eine durch Volksmission erreichbare generelle Umwandlung der evangelischen Landeskirchen zu Missionskirchen aber blieb illusorisch.
12.6 Rückmeldungen von Gemeindepfarrern Die Berichte der Volksmissionare enthalten auch einige Hinweise zu deren Einschätzung der Bedingungen, unter denen sie in einzelnen Gemeinden evangelisierten. Um nicht nur die Binnenperspektive der Volksmissionare und der Zentralstelle in Berlin-Dahlem zu betrachten sollen nun die Rückmeldungen der Veranstalter analysiert werden. Was erwarteten sie sich von der Veranstaltung einer Volksmission und wo sahen sie ihre Erwartungen erfüllt bzw. enttäuscht? Anders als die kaum zu erhebende Rezeption volksmissionarischer Verkündigung durch die Besucher der Volksmission sind die Einschätzungen der Pfarrer gut dem Quellenmaterial zu entnehmen. Die Veranstalter der Volksmission wurden seit 1926, als die Aufstellung einer Statistik der Volksmission intensiviert wurde, regelmäßig um ein Feedback gebeten. Hierfür gab es einen eigenen Vordruck, auf dem nach den Besucherzahlen, nach den bleibenden Wirkungen der Volksmission und nach Wünschen für eventuelle weitere Volksmissionswochen gefragt wurde349. Hinzu kamen ausführliche Berichte von Pfarrern, die teilweise in der kirchlichen Presse veröffentlicht wurden, und Korrespondenzen mit der volksmissionarischen Abteilung des CentralAusschusses. Auch in den Berichten schwankte das Urteil extrem: Von vernichtender Kritik350 bis zu enthusiastischer Bewertung der Volksmissionare351
Verhältnisse verantwortlich waren“ (Schreiben Hölzel an Füllkrug am 23. 3. 1922 [ADE Berlin, CA / EvA 125]). 349 Vgl. ADE Berlin, CA / EvA 144. 350 Ein Pfarrer aus Rügen schrieb in Bezug auf evangelistische Einsätze des nebenamtlichen Volksmissionars Berger Anfang der 1920er-Jahre: „Ich habe meine Erfahrungen gemacht und zwar recht wenig erfreuliche“ (Schreiben Pfarrer Medenwald an Füllkrug am 20. 5. 1931 [ADE Berlin, CA / EvA 122]). 351 „Pastor Hagen, diesen Mann, der uns an den Apostel Paulus erinnerte“ (Lafrenz, Das Opfer, in:
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lassen sich alle Reaktionen finden. Daher sollen hier vor allem einzelne immer wieder vorkommende Topoi analysiert werden. Hierdurch soll ein Blick auf die Außenwahrnehmung der Volksmission erfolgen. Die positiven Rückmeldungen bezogen sich meistens anerkennend auf die Volksmissionare, bei denen einerseits ihr Einsatz, andererseits der glaubwürdige Eindruck ihrer Persönlichkeit gelobt wurde352. Auffällig ist, dass positive Rückmeldungen vor allem von Pfarrern kamen, welche den theologischen Anliegen der Volksmissionare beipflichten konnten353. Begeisterte Stellungnahmen kamen auch von Protagonisten des Vereinsprotestantismus. Ein Beispiel war der Düsseldorfer Pfarrer Wilhelm Ilgenstein, der ein ehemaliger Berliner Stadtmissionar und zugleich ein vereinsprotestantischer Multifunktionär war354. Nachdem 1926 Hölzel in Düsseldorf evangelisiert hatte, dankte Ilgenstein dem Central-Ausschuss für die Aufnahme der Volksmission355. Er bezeichnete sie als Bereicherung der kirchlichen Arbeit in seiner Gemeinde. Als wichtigsten Punkt betrachtete er die Notwendigkeit einer ausführlichen Auseinandersetzung mit Angriffen der Freidenker auf die evangelische Kirche: „Die Volksmission hat uns auf eine Lücke hingewiesen in unserer kirchlichen Arbeit. Es ist eine zeitgemässe, ja dringende Aufgabe, die evangelischen Christen zu schulen, damit sie in Fabriken, Werkstätten, Büros auch in Freidenkerver-
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Gemeindeblatt für die Kirchengemeinde Bordesholm, März 1929 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). „Pfarrer Hagen ist ein seltener Mensch, dessen Arbeit nicht ohne Segen sein kann. […] Dem Central-Ausschuß kann man bei einem solchen Mitarbeiter nur die herzlichsten Glückwünsche aussprechen“ (Rückmeldebogen Pfarrer Nordmeyer, Benrath, April 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). So sprach ein Bericht aus Bordesholm in Schleswig-Holstein sogar von einem Erweckungserlebnis des betreffenden Pfarrers: „Um mit etwas ganz Gewissem zu beginnen, was uns die zweite Kirchliche Woche gebracht hat, will ich eines voranstellen: Sie hat eurem Pastor seine Versäumnisse gezeigt. Was zwischen seinem Auftraggeber und ihm vor sich gegangen ist, das gehört in die Stille. Er weiß, daß Pastor Hagen für ihn ein Professor der Augenheilkunde gewesen ist, der ihn, soweit er blind war, sehend gemacht hat, daß er beginnt, die Ernte zu sehen, die Gott hier bereits eingebracht hat, die er aber auch noch einbringen will“ (Lafrenz, Das Opfer, in: Gemeindeblatt für die Kirchengemeinde Bordesholm, März 1929 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). Ilgenstein war als Vikar durch den Evangelischen Bund nach Österreich entsandt worden, um die Los-von-Rom-Bewegung zu unterstützen. Zudem gehörte er zu den Unterstützern des Syrischen Waisenhauses in Jerusalem und ab 1919 zu den Initiatoren eines Hilfswerkes für deutschbaltische Flüchtlinge. Ende der 1920er-Jahre heiratete er die deutschbaltische Schriftstellerin Anna Katterfeld. Er zählte ab 1933 zu den Funktionären der rheinischen Deutschen Christen, die er auch nach dem Sportpalastskandal im November 1933 weiter unterstützte; Informationen von Dr. Stephan Bitter, Mülheim an der Ruhr (vgl. auch Zirlewagen, Art. Ilgenstein). „Sie [die Volksmission, H. B.] darf nicht blos [sic!] der Heilsarmee und andern Kreisen überlassen werden“ (Schreiben Ilgenstein an Füllkrug am 17. 9. 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 144]).
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sammlungen nicht eingeschüchtert oder gar in ihrer Ueberzeugung schwankend gemacht werden“.356
Aus den meisten ausführlichen Rückmeldungen wird deutlich, dass ein Interesse an einer Form der Volksmission bestand, die sich von der bisherigen von der Gemeinschaftsbewegung geleiteten Evangelisation absetzte. Viele sahen diese Voraussetzungen bei Hölzel und Hagen erfüllt. Der Leipziger Pfarrer Vogel schrieb in seinem Bericht über die Evangelisation Hagens in seiner Gemeinde, dass dieser alle seine Erwartungen erfüllt habe: „Wir können keine Ev.[angelisation, H. B.] gebrauchen, die methodistisch, treiberisch nur Wasser auf die Mühlen der Gemeinschaftsleute gegeben hätte.“357 Wiederholt bescheinigten positive Rückmeldungen, dass sowohl Hagen als auch Hölzel dieser Balanceakt gelungen sei, deutlich zu predigen, ohne in der Gemeinde spaltend zu wirken. Immer wieder kam auch der Hinweis, dass die Volksmissionare des Central-Ausschusses durch ihre sozialen Gedanken und ihre patriotische Haltung auch auf die kritischen Hörer Eindruck machen würden. Ilgenstein schrieb über seine Eindrücke von Hölzels Vorträgen in Düsseldorf: „[…] das fühlten auch die zahlreichen Freidenker, dass er aus lauter Liebe zum Volke und aus banger Sorge um die Zukunft seine Zeugnisse ablegte.“358 So sahen positive, teilweise enthusiastische Rückmeldungen aus. Viele Veranstalter allerdings hatten nach einer in ihrer Gemeinde stattfindenden Volksmission einzelne Kritikpunkte oder Anlass für Beschwerden359. Dabei ging es nicht nur um konkrete Vorschläge360 und Hinweise, sondern teilweise um grundsätzliche Anfragen an die Praxis der volksmissionarischen Vorträge. Immer wieder kam der Wunsch auf, dass die Volksmissionsvorträge statt auf die individuelle Frömmigkeit stärker auf die Kirchengemeinde als Ort christlicher Betätigung hinweisen sollten. So schrieb der Pfarrer des Essener Vorortes Karnap, in dem Engel Anfang 1927 evangelisierte, zu der Frage nach weiteren Wünschen: „Es wäre gerade in unsrem durch Gemeinschaften und Sekten so bedrohten Industriegebiet zu begrüßen, wenn bei derartigen Veranstaltungen ein starker Hinweis erfolgen würde, daß zur Betätigung christlichen Lebens Gemeinde und Kirche das gegebene Feld sind.“361
356 Ebd. 357 Schreiben Pfarrer Vogel, Leipzig, an Füllkrug am 15. 11. 1927 (ebd.). 358 Schreiben Ilgenstein an Füllkrug am 17. 9. 1926 (ebd.). Es erscheint allerdings fraglich, ob dies nur der Eindruck eines in der Stoecker-Tradition stehenden protestantischen Verbandsfunktionärs oder eine genuine Sicht proletarischer Freidenker darstellte. 359 Solche Beschwerden nahmen in den Briefen naturgemäß einen größeren Raum ein, da sie auch im Rahmen der Korrespondenz mit den Volksmissionaren angesprochen wurden. 360 Wie z. B. der Wunsch eines Pfarrers nach kürzeren Vorträgen (vgl. Berichtsbogen Ludwig Thimme (Frankfurt/Main) zur Evangelisation Hölzels im März 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). 361 Schreiben Ortspfarrer von Karnap an den CA, 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 121).
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Solche Wünsche begleiteten die kirchliche Volksmission von Anfang an. Superintendent Paul Bronisch in Neusalz an der Oder (Schlesien) hatte bereits 1919 neben einer stärkeren Betonung der Sakramente die verstärkte Berücksichtigung des „Gemeinde- und Kirchencharakter[s]“362 des Christentums in der evangelistischen Verkündigung gefordert. Trotz des Selbstverständnisses der CA-Volksmissionare, betont kirchliche Evangelisation zu betreiben, sahen viele Pfarrer das nur mangelhaft verwirklicht. Sie fürchteten, selbst wenn sie der Evangelisation gegenüber grundsätzlich wohlwollend eingestellt waren, dass die Gemeinde gespalten würde363. Immer wieder wurde den Evangelisten (besonders Hölzel) vorgeworfen, dass sie in ihren Predigten zu stark auf eine religiöse Entscheidung dringen würden bzw. theologisch nicht haltbare Positionen verträten364. Obwohl sich die Voksmissionare wie gezeigt immer wieder deutlich von der Gemeinschaftsbewegung abgrenzten und zu ihr in einer unterschwelligen Konkurrenz standen, sahen offenbar viele Pfarrer keinen wesentlichen Unterschied zwischen den Volksmissionaren und den Evangelisten der Gemeinschaftsbewegung, an denen solche Kritik immer wieder geübt wurde. Dieser Eindruck wird aber nicht nur durch konkrete Kritik an der Predigt deutlich: Teilweise beinhalteten die Rückmeldungen Topoi, mit welchen den Volksmissionaren des Central-Ausschusses eine enthusiastische Frömmigkeitsform vorgeworfen wurde. Bereits im Kaiserreich war sowohl den Evangelisten der Gemeinschaftsbewegung als auch den Repräsentanten der Freikirchen ein sehr emotionaler Veranstaltungsstil zum Vorwurf gemacht worden. Sowohl Anhänger als auch Propagandisten wurden daher oft in die Nähe psychischer Erkrankungen, besonders der zeitgenössischen Modediagnose Hysterie, gerückt365. Entsprechende Vorwürfe finden sich auch gegenüber den Volksmissionaren des Central-Ausschusses. So rückte Superintendent Erich Hugo Ferdinand Schultze aus Ohlau in Schlesien 1922 die Vortragsweise Hagens während einer Evangelisation im gesamten Kirchenkreis Ohlau in die Nähe des Pathologischen:
362 Sitzung Unterkommission III des Volkskirchendienstes am 18. 6. 1919 (ADE Berlin, CA / EvA 13, 182). 363 Der bereits zitierte Pfarrer von Remse/Mulde machte für solche Spaltungen Missverständnisse in seiner Gemeinde verantwortlich: „Der Volksmissionar war zwar deutlich genug in öffentlichem u. einzelnen Zeugnisse; und dennoch nicht so deutlich als daß er nicht von vereinzelten Gemeindegliedern im Haufe entweder böswillig oder aus Torheit, mißverstanden und gegen den Pfarrer ausgespielt werde. Gegen die Torheit seiner Mitmenschen ist eben auch der Volksmissionar nicht geschützt“ (Bericht über eine Volksmission Hagens in Remse an der Mulde, 16. 5.–31. 5. 1927, Eingang beim CA am 5. 1. 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). 364 So beklagte sich ein Superintendent während einer Evangelisation in Sieber/Herzberg am Harz im Juli 1927 über zu detaillierte bzw. anfechtbare Äußerungen Hölzels zur Eschatologie (vgl. Schreiben des Sup. von Herzberg an den CA am 2. 12. 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). 365 Hierzu finden sich zahlreiche Belege in dem Standardwerk Ribbat, Erregung.
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„Seine [Volksmissionar Hagens, H. B.] Eigenart ist fast zur Maniriertheit geworden, er hat etwas Scharfes, stark Methodistisches bekommen. Seine Ausführungen entbehren stärker der Logik und dieser Mangel an innerlicher Ueberzeugungskraft wird durch lautes Schreien, oft an falscher Stelle, Schlagworte etc. ersetzt, die seiner ganzen Art etwas Ungesundes, ich möchte sagen, Hysterisches aufprägen.“366
Die Schilderungen des Superintendenten stellten zunächst Hagens Vortragsweise in Ohlau als zu wenig rational und zu sehr auf die Emotionen gerichtet dar. Die Anklage war zusätzlich mit dem Vorwurf des „Methodismus“ aufgeladen – ein allgemeiner Terminus für angeblich „sektiererische“ und kirchenspaltende religiöse Tendenzen367. Der konkrete Anlass dieser sehr ablehnenden Haltung des Superintendenten war ein Auftritt Hagens auf einem Kreiskirchentag in Ohlau, bei dem dieser sich sehr kritisch über die Freimaurerei geäußert hatte. Dieser Vortrag musste laut den Angaben des Superintendenten Verwerfungen auslösen, da auch zahlreiche anwesende Mitglieder der Gemeindevertretung zur örtlichen Loge gehörten. Hagens Vortrag habe also in Ohlau notwendigerweise Konflikte ausgelöst. Dies wurde besonders in dem Abschluss des Berichtes von Superindentent Schultze deutlich: „So lieb mir Br.[uder, H. B.] Hagen persönlich ist, ich gestehe offen, daß ich ihn lieber in jener Stunde im Innern von Borneo als auf dem Ohlauer KirchenKreistag gewünscht hätte.“368 Durch diese Stellungnahme des stark in die Arbeit der lokalen DNVP involvierten schlesischen Superintendenten369 spricht die Sorge um die Reputation der evangelischen Kirche. Ein in „hysterischer“ Weise gegen die zum Establishment gehörenden Freimaurer agitierender Volksmissionar, das passte nicht in das Bild des Superintendenten von einer Volkskirche. Er sah durch unkontrollierte Aussagen „den Eindruck des Kirchentages [in Ohlau, H. B.] wenn auch nicht gerade verdorben, so doch stark zu Ungunsten beeinflusst“370. Hagens Predigtstil würde besser zu als kulturell inferior vorgestellten indigenen Völkern als in eine deutsche Kleinstadt passen. Aus der vertraulichen Einschätzung des Superintendenten spricht auch eine starke Assoziation des Missionsbegriffes mit der Sendung an „unzivilisierte“ Naturvölker371. 366 Abschrift Schreiben Schultze an den CA am 28. 7. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 125). 367 Ähnliche psychopathologische Topoi lassen sich auch in der kritischen Stellungnahme Joseph Chambons zu Hölzels Evangelisationsstil in seiner Gemeinde Reichenbach in Schlesien finden: „[…] soviel ich sah haben die Nerven unserer Leute nicht so lange durchgehalten, wie die Nerven Pastor Hölzels. Wirklich wohlgesinnte Leute konnten in der zweiten Woche offenbar nicht mehr“ (Rückmeldebogen Joseph Chambon aus Reichenbach, Schlesien, im Januar 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). 368 Abschrift Schreiben Schultze an den CA am 28. 7. 1922 (ADE Berlin CA / EvA 125). 369 Vgl. Schreiben Hölzel an Füllkrug. o. D. [Frühjahr 1921] (ebd.). 370 Abschrift Schreiben Schultze an den CA am 28. 7. 1922 (ebd.). 371 In seinem Bericht vor der Kreissynode kam der Superintendent daher auch zu einer Forderung
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Ausweislich der herangezogenen Quellen wurde Kritik an den Volksmissionaren des Central-Ausschusses selten in einer derartigen Massivität geäußert. Oft jedoch kamen Vorwürfe, die Volksmissionaren eine unpassende Wortwahl in ihren Vorträgen attestierten. Bei derartigen Rückmeldungen ging es oft um in den Augen der Kritiker überzogene Polemik, wie in Ohlau gegenüber den Freimaurern. Ähnliche Kritik kam mehrfach auch vonseiten der landeskirchlichen Gemeinschaften. So beklagte sich der Leiter des Gemeinschaftsdiakonieverbandes, Theophil Krawielitzki, nach Evangelisationen Hagens in der Grenzmark Posen-Westpreußen über polemische Äußerungen, die Hagen in der Gemeinde Flatow gegenüber der zu seinem Verband gehörenden örtlichen Gemeinschaft getätigt habe372. Kritische Äußerungen gegenüber örtlichen Gemeinschaften konnten jedoch auch auf Zustimmung bei den Veranstaltern stoßen; so schrieb Pfarrer Vogel, dessen Deutsch-christliche Arbeitsgemeinschaft bereits beschrieben wurde, mit Blick auf Hagens Haltung zu den lokalen Gemeinschaften: „Dem Richtgeist und Heuchlersinn ging er [Hagen, H. B.] rücksichtslos zu Leibe.“373 In den Predigten der Volksmissionare wurden Abgrenzungen offenbar so deutlich und in einer derart polemischen Sprache thematisiert, dass sie in der Gefahr standen, Anstoß zu erregen. Hier wäre auf die parallele Entwicklung der politischen Agitation hinzuweisen, die ebenfalls von der „richtungsmäßig zerklüfteten politischen Kultur“374 der Weimarer Republik geprägt war. Auffällig ist, dass solche Beschwerden nicht Spitzen gegenüber der Arbeiterbewegung betrafen: Polemik gegenüber der in der Freimaurerloge organisierten städtischen Elite betraf Menschen, die zu den Stützen der bürgerlichen Gesellschaft und oft auch zu den kirchlich engagierten Laien gehörten. Daher waren polemische Äußerungen in diesem Fall potenziell gemeindespaltend. Im Verhältnis zur Gemeinschaftsbewegung oder gar zu Kommunisten und Sozialdemokraten galt dies nicht unbedingt. Ein weiterer Punkt, der in den Rückmeldebögen mehrfach kritisiert wurde, waren angeblich zu explizite Äußerungen zu Sittlichkeitsfragen. Dies wurde besonders Hagen mehrfach vorgeworfen, so nach einer Evangelisation 1927 in der Reform der Evangelisation, die stark an die Vorwürfe aus der Volksmission gegen die Gemeinschaftsbewegung erinnerte: „Der schrankenlose Subjektivismus, welcher bisher in der Evangelisation herrschte, muß durch zielbewußte Erziehung und regelmäßigen Erfahrungsaustausch sehr objektiviert und den Bedürfnissen der Gesamtkirche angepaßt werden“ (Auszug aus dem Ephoralbericht 1922, erstattet auf der Kreissynode Ohlau am 29. 5. 1922 [ADE Berlin, CA / EvA 125]). 372 Krawielitzki bezog sich dabei auf den Bericht einer dort eingesetzten Diakonisse seines Verbandes: „[…] daneben hat er [Hagen, H. B.] so viel gesagt, was uns durchaus nicht vorteilhaft war. Er hat die Fehler und Schwächen der Gemeinschaftsleute recht deutlich wiedergegeben, so dass viele sagen konnten, so geschieht’s ihnen recht“ (Abschrift Schreiben Krawielitzki an Füllkrug am 2. 5. 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 127]). 373 Schreiben Vogel an Füllkrug am 15. 11. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 144). Zur Deutschchristlichen Arbeitsgemeinschaft vgl. oben 230–233. 374 Peukert, Weimarer Republik, 165; vgl. auch ebd., 218–242.
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Annen in Westfalen, wo der Pfarrer nach einer dort veranstalteten Volksmission schrieb: „Nur in dem Vortrag über die Ehereform ist er mir (u. anderen) zu drastisch geworden; er hätte in seinen Reden über ein so heikles Thema vorsichtiger sein müssen.“375 Da die Sittlichkeitsvorträge dazu bestimmt waren, aufrüttelnd zu wirken, überschritten sie in den Augen mancher Hörer offenbar die Grenzen des Schicklichen376. Wie im Falle polemischer Äußerungen bestand aufseiten der Pfarrer die Sorge, dass diese offenen Worte in der Öffentlichkeit ein schlechtes Bild auf die Kirche werfen konnten. Den Volksmissionaren dagegen war es wichtig, durch eindeutige Darstellungen „Unsittlichkeit“ zu benennen und so auf die Hörer aufrüttelnd zu wirken. Daher hielten sie eine sehr explizite Sprache für notwendig377. Schließlich kam es immer wieder zu Beschwerden über angeblich unkluge politische Stellungnahmen der Volksmissionare; dies war besonders bei Hölzel der Fall. Oft wurden ihm einseitige Äußerungen attestiert. So wurde ihm immer wieder eine mangelnde Berücksichtigung des Verhältnisses von Arbeitnehmern und Arbeitgebern vorgeworfen. Als Hagen Hölzel 1928 bei einer Pfarrvertretung ablöste, berichtete er, dass Hölzel mit impulsiven Äußerungen die Unternehmer gegen sich aufgebracht habe und daher inzwischen auch viele örtliche Pfarrer gegen die Volksmission eingestellt seien378. Daneben wurden Hölzel auch mehrfach ungenügend durchdachte wirtschaftspolitische Äußerungen vorgeworfen, die für die jeweilige Gemeinde nicht passten379. Aus diesen Vorwürfen zu einer unpassenden Redeweise der Volksmissionare lässt sich herauslesen, dass volksmissionarische Vorträge durch direkte und polemische Äußerungen immer wieder eine Herausforderung für die veranstaltende Gemeinde bildeten: Um aufrüttelnd zu wirken, mussten Vorträge deutlich und leicht verständlich sein und zudem klare Alternativen aufzeigen. Die Volksmissionare konnten keine abgewogenen Predigten halten. Daher waren ihre Vorträge für den zurückbleibenden Pfarrer, der auf die rhetorischen „Exzesse“ des Volksmissionars angesprochen wurde, evtl. eine 375 Schreiben eines Pfarrers aus Annen/Westfalen an den CA [1927] (ADE Berlin, CA / EvA 144). Auch bei einer Evangelisationsreise in der Grenzmark Posen-Westpreußen wurde Hagen eine zu große Offenheit in Sittlichkeitsvorträgen vorgeworfen (vgl. Schreiben Füllkrug an Hagen am 30. 4. 1928 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). 376 Allerdings ließ sich keine Beschwerde auffinden, in der konkret benannt wurde, worin diese angeblichen Grenzüberschreitungen bestanden. 377 Hagen verteidigte sich gegen Vorwürfe, er sei bei Sittlichkeitsvorträgen in Schneidemühl (Grenzmark Posen-Westpreußen) zu deutlich gewesen mit einer angeblich guten Rezeption seiner Vorträge durch die Hörer; vgl. Schreiben Hagen an Füllkrug am 3. 5. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 127). 378 Schreiben Hagen an Füllkrug, Sommer 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 127). 379 So beschwerte sich Pfarrer Chambon in Reichenbach, dass Hölzel dort das Ende der Frauenarbeit gefordert habe, was für die wirtschaftliche Situation im Riesengebirge unmöglich sei; vgl. Rückmeldebogen Joseph Chambon (Reichenbach, Schlesien) Januar 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144).
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Quelle von Schwierigkeiten. Auffällig ist, dass die Vorbehalte gegenüber den Volksmissionaren denen glichen, die auch gegenüber der Gemeinschaftsbewegung geäußert wurden: Enthusiasmus, mangelnder theologischer Tiefgang und undifferenzierte Rhetorik. Dies war aber längst nicht immer der Fall. Andere Pfarrer verwiesen auf den betont biblisch-reformatorischen Charakter der volksmissionarischen Verkündigung in ihren Gemeinden380. Auch der Leiter der Posener Inneren Mission 1929 hatte nach einer Evangelisationsreise Hagens durch mehrere Gemeinden in seinem Gebiet einen ganz anderen Eindruck. Er betonte die Abgrenzung der Volksmission zur bisherigen Evangelisation, der viele Posener Pfarrer misstrauisch gegenüberstünden: „Doch hat Hagen es verstanden, sich durchzusetzen. Ganz besonders gerühmt wurde die neuzeitliche Art seiner Verkündigung, die biblische Wahrheiten bringt, ohne mit abgegriffenen frommen Worten zu reden. Damit hat Hagen der Volksmission, wie wir sie heute verstehen, auch in den Kreisen Bahn gebrochen, die durch falsche Gemeinschaftsevangelisation beeinflusst bis heute der Volksmission gegenüber misstrauisch dastanden.“381
Auch die Deutung der Ergebnisse der Volksmissionswochen durch die Veranstalter variierte im gesamten Zeitraum. Positive Rückmeldungen waren oft mit einem Hinweis auf spürbare Auswirkungen der Volksmission, etwa der Entstehung einer regelmäßigen Bibelstundengemeinde382, deren Wachstum383 oder eine allgemeine Hebung des Gottesdienstbesuches und anderer Parameter des kirchlichen Lebens verbunden384. An der Volksmissionswoche wurde häufig auch die starke Wirkung der Veranstaltung gelobt, welche die Kirche während ihrer Dauer in den „Mittelpunkt des öffentlichen Lebens“385 gestellt habe. Auch der Hinweis, dass durch eine Volksmissionswoche besonders die oft nicht für kirchliche Zwecke zu erreichenden Männer zu den regelmäßigen Zuhörern gehörten, kam gelegentlich386. Häufig jedoch waren Enttäuschungen der Pfarrer über ausbleibende Wirkungen zu erkennen. Eine oft vorkommende Klage war die mangelnde Wirkung auf die Massen, da sich nur die Kirchentreuen durch die Volksmission 380 So Schreiben Pfarrer August Lafrenz, Bordesholm, an Füllkrug am 7. 3. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 381 Schreiben Eichstädt an Füllkrug, 19. 12. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 382 So nach einer Evangelisation Hagens 1926 in Rosswein, Sachsen (vgl. Schreiben Pfarrer Schubert an den CA am 3. 12. 1926 [ADE Berlin, CA / EvA 144]). 383 Schreiben Pfarrer Winckler, Alleringersleben, an den CA, 1. 11. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 384 Vgl. etwa Schreiben Pfarrer Arning, Altroggenramede, Kreis Altena, an den CA, 26. 7. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 385 Ebd. 386 Vgl. etwa Abschrift Schreiben Pfarrer Grügelsiepe, Langendreer (Ruhrgebiet) vom 2. 8. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144).
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hätten ansprechen lassen387. Das Fehlen direkter Auswirkungen wurde ebenfalls immer wieder beklagt: „[…] auch das Vorbild gottesdienstlicher Treue ist bei vielen nicht stärker geworden.“388 So blieb in der Einschätzung der Veranstalter die Wirkung einer Volksmission oft auf die Kerngemeinde beschränkt, und selbst dort schätzte man die Wirkungen skeptisch ein. Besonders beklagt wurde, dass man auf diesem Weg nicht die Arbeiterklasse und die aus der Kirche Ausgetretenen erreichen könne389. Die Erfahrung, dass lediglich die Kirchentreuen kamen, war allerdings nicht universell. So hob Ilgenstein 1926 für Düsseldorf hervor, dass auch Katholiken und Dissidenten zu den Besuchern der Vorträge Hölzels gehört hätten390. Aus den Erfahrungen mit den Veranstaltungen wurden immer wieder Anfragen formuliert, ob Volksmission überhaupt erfolgversprechend sei. So schrieb Anfang 1929 Pastor Arnold Schumacher, der Geschäftsführer des Landesvereins für Innere Mission in Frankfurt/Main – eine Stadt, in der Hölzel u. a. 1926 evangelisierte – desillusioniert an Füllkrug: „Die Arbeit ist hier sehr schwer und immer mehr fragt man sich, ob die Volksmission, wie wir sie treiben, nicht überlebt ist oder wesentlicher Umwandlung bedarf.“391 Füllkrug erklärte solche Enttäuschungen aus einer unrealistischen Erwartungshaltung. Im Vorwort des Handbuches von 1931 schrieb er: „Die Volksmission war natürlich nicht die Zauberkünstlerin, die die Nöte in den Gemeinden mit einem Schlag beseitigen konnte.“392 Diesen Vorwurf äußerte er immer wieder und verband ihn zum Teil mit dem Hinweis, dass die Gemeinden auch eine eigene Verantwortung trügen, indem sie die Nacharbeit unzureichend organisierten. Beispielhaft sei ein Bericht in der Zeitschrift „Volksmission“ aus dem Jahr 1928 zitiert: „Nun sollte die Volksmission die Gemeinden lebendig machen, die Kirchen füllen, die Verhältnisse umgestalten; das war unmöglich, dazu fehlten die Mitarbeiter, 387 Vgl. Rückmeldebogen Pfarrer Chambon (Reichenbach) Januar 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144); Bericht über Volksmission Hagens in Remse an der Mulde, 16. 5.–31. 5. 1927 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 388 Bericht über Volksmission in Remse/Mulde (ebd.). 389 Vgl. etwa Schreiben Pfarrer Vogel (Marienkirche Leipzig-Stötteritz) an den CA 5. 1. 1928 (ADE Berlin, CA / EvA 144). In einem weiteren Schreiben an Füllkrug vom 15. 11. 1927 verwies Vogel auf „die Glieder der Kerngemeinde, die ja leider alleine da waren“ (ebd.). 390 Vgl. Schreiben Ilgenstein an Füllkrug am 17. 9. 1926 (ADE Berlin, CA / EvA 144). 391 Schreiben Schumacher an Füllkrug, 16. 1. 1929 (ADE Berlin, CA / EvA 122). Zum relativ geringen Erfolg der Evangelisationen Hölzels in Frankfurt am Main vgl. oben 333 f.; 412. 392 F llkrug, Werk, 10. Zu einem entsprechenden Ergebnis kam schon 1922 der bereits zitierte Superintendent Schultze aus Ohlau in Schlesien in einem sehr kritischen Bericht gegenüber der dortigen Kreissynode über die Wirksamkeit der Evangelisten des Central-Ausschusses in diesem Gebiet: „[…] es zeigt sich je länger je mehr, was von Anfang an zu erwarten stand, daß auch die Evangelisation kein Allheilmittel ist. Auch die Evangelisatoren [sic!] sind keine Tausendkünstler, welche unsere Gemeinden mit einem Schlage umkrempeln können“ (Auszug aus Ephoralbericht 1922, erstattet auf der Kreissynode Ohlau am 29. 5. 1922 [ADE Berlin, CA / EvA 125]); vgl. auch oben 423 f.
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aber in vielen Fällen auch die Nacharbeit in der Gemeinde. So kam es, daß die Angefaßten und Erweckten oft nicht gepflegt wurden und sich nachher zerstreuten oder sich Gemeinschaften anschlossen, die keine nahen Beziehungen zur Kirchengemeinde hatten.“393
Die Schwierigkeit solcher unrealistischen Erwartungen, die zu Enttäuschungen führen mussten, klingt nachvollziehbar. Die Sammlung eines kleinen Gemeindekerns, aus der man sich nach und nach eine geistliche Erneuerung der Gemeinde erhoffte, bedeutete eben keine sofortige Hebung der Parameter des kirchlichen Lebens. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass Füllkrug selbst Anfang der 1920er-Jahre deutlich Erwartungen einer durch die Volksmission vorbereiteten Erweckung artikulierte394. Teilweise könnte man daher diese Vorwürfe einer überzogenen Erwartung und mangelnder Beteiligung gegenüber den Gemeinden auch als Rechtfertigung für die sich nicht im erhofften Ausmaß einstellenden Erfolge lesen. Zudem waren die angeblich mangelnden Wirkungen von Volksmissionen, wie gezeigt, längst nicht der einzige Kritikpunkt, der wiederholt geäußert wurde.
393 F llkrug, Jahr, 37. 394 „Noch glauben wir an eine Zukunft unsres deutschen Volkes, aber eine solche erscheint uns nur möglich und wirklich, wenn wir in Deutschland eine große Erweckungsbewegung bekommen, mit der eine religiöse, sittliche Erneuerung des Lebens verbunden ist. Dazu aber wird unsre Kirche die Arbeit der Volksmission unbedingt brauchen, und diese wird die Erweckung und Erneuerung vorbereiten helfen“ (F llkrug, Bedeutung, 32).
13. Resümee Die Geschichte der evangelischen Volksmission in der Zwischenkriegszeit war keine Erfolgsgeschichte. Zu deutlich waren die Schwächen des Konzeptes, die sich nicht nur im theoretischen Diskurs, sondern auch in den zahlreichen Kontroversen zwischen den verschiedenen Organisationen innerhalb des Verbandes für Volksmission manifestierten. Zu stark war die Einbindung des Volksmissionsdiskurses in die Verstrickungsgeschichte des Protestantismus im Übergang von der Weimarer Republik zum Nationalsozialismus. Zu eindeutig sichtbar war schließlich die mangelnde Deckung zwischen der von den Theoretikern und Praktikern der Volksmission proklamierten eigenen Bedeutung ihres Tuns und der selbst wahrgenommenen Erfolge. Diese Schwierigkeiten lassen sich in der Programmatik der Volksmission, der Organisationsgeschichte der Evangelistischen Abteilung und des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission sowie in der praktischen Arbeit der Volksmission feststellen. Im Folgenden sollen anhand der Ergebnisse dieser Studie die Gründe für dieses letztliche Scheitern des Konzeptes trotz der mit ihm verbundenen großen Hoffnungen diskutiert werden. Es wird zu zeigen sein, dass dieses Scheitern viel mit dem Gesamtcharakter des deutschen Protestantismus im 20. Jahrhundert zu tun hat. Die Matrix des Volksmissionskonzeptes Die Problematik lässt sich bereits beim Stichwortgeber des Volksmissionsdiskurses deutlich machen. Hilbert war nicht nur derjenige, durch dessen Wirken der Begriff der Volksmission endgültig in den innerprotestantischen Diskurs eingeführt wurde, seine Beiträge aus der Endphase des Ersten Weltkrieges bildeten auch die Matrix, an der sich alle weiteren programmatischen Entwürfe orientierten. Zu den Aspekten, die seit Hilbert mit dem Begriff Volksmission verbunden wurden, gehörte die Forderung nach der flächendeckenden Einführung von Volksmissionswochen, in deren Predigten die Evangelisation und die Apologetik miteinander kombiniert werden sollten. Ein weiteres in allen Volksmissionskonzepten deutlich werdendes Anliegen war es, innerhalb der Gemeinden Gruppen von gläubigen Laien zu bilden und durch diese Kerngemeinden auf den Rest der Parochie missionarisch einzuwirken. Schließlich gehörte seit Hilbert die Forderung zum Volksmissionsdiskurs, das anvisierte Missions- und Gemeindeaufbauprogramm nicht wie die Evangelisation der Gemeinschaftsbewegung parallel zu den amtskirchlichen Strukturen laufen zu lassen, sondern die Volksmission in das Herz der kirchlichen Arbeit zu integrieren. Mit der Vision einer totalen Umstellung der kirchlichen Arbeit auf Volksmission war auch der in den programmatischen Texten immer wieder zu
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findende kirchenreformerische Impetus zu erklären, der sich zum Beispiel in Hilberts Vision in einem koordinierten Zusammenwirken von Kirchenleitungen, protestantischen Verbänden und der gesamten Pfarrerschaft zur Umsetzung seines Programms artikulierte. Die Programme und theoretischen Texte überboten sich geradezu in optimistischen Schilderungen der Möglichkeiten und Chancen einer geistlichen Erneuerung der Volkskirche, sofern die geforderten Maßnahmen nur erfolgreich umgesetzt würden. Die Breitenwirkung, die der Volksmissionsdiskurs besonders in den historischen Umbrüchen der Jahre 1918 und 1933 erhielt, zeigte, dass Hilberts Diagnose, dass die herkömmliche kirchliche Arbeit der Situation der evangelischen Landeskirchen nicht mehr angemessen sei, durchaus auf ein innerhalb von Amtskirche und Vereinsprotestantismus verbreitetes Unbehagen an der kirchlichen Lage traf. Die Vorschläge seines Volksmissionsprogrammes nahmen auf bereits bestehende Konzepte und Ideen Bezug und waren in einem hinreichenden Maße konkret, um auch umsetzbar zu sein. Allerdings lagen hier auch Probleme, da die von Hilbert und anderen Theoretikern der Volksmission propagierten Maßnahmen, wie z. B. die flächendeckende Einführung von Bibelstunden, nicht in dem Maße innovativ waren, wie es die Forderung nach einer völligen Umstellung der kirchlichen Arbeit nahelegte. Problematischer war allerdings die Unklarheit der Zielsetzung. Hilbert und die meisten anderen Vertreter des Volksmissionsgedankens betonten immer wieder, dass die Idee eines christlichen Volkes unmöglich sei, da niemals alle Deutschen wirklich eine christliche Existenz führen würden und auch eine erneute Durchsetzung des Christentums als weltanschauliche Grundlage der Gesellschaft nicht mehr zu erwarten sei. Dennoch brachen in den in dieser Arbeit analysierten Texten doch immer wieder Hoffnungen auf eine religiöse Erneuerung des gesamten deutschen Volkes durch, die eigentlich mit der Erkenntnis, dass auch eine Volkskirche immer Missionskirche bleiben würde, nicht zu vereinbaren waren. Diese diffusen Hoffnungen auf eine große, das ganze Volk umfassende Erweckung mussten Erwartungen hervorbringen, die in einer immer pluraler werdenden Volkskirche nicht erfüllt werden konnten. Zugleich öffneten sie Brücken zur Rezeption von Volksgemeinschaftskonzepten der rechten Gegner der Weimarer Republik. Wandlungen des Volksmissionsdiskurses in Reaktion auf die politische Situation Trotz der grundsätzlichen konzeptionellen Einheit ließen die im Rahmen dieser Arbeit analysierten Volksmissionsprogramme alle ein eigenständiges Profil erkennen. Während Hilbert seine Schrift „Kirchliche Volksmission“ als ein kirchenpolitisches Reformprogramm konzipierte, sollte das „Handbuch der Volksmission“ vor allem eine praktische Anleitung für Pfarrer und andere Interessierte sein. Rendtorffs Schrift „Pflüget ein Neues“ hatte dagegen den Charakter des Rechenschaftsberichtes eines Praktikers, der zugleich die eigene Tätigkeit theoretisch begründen und für die Volksmission werben sollte. Die bayerischen Riederauer Thesen von 1933 waren als programmatische
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Grundlage einer die gesamte Landeskirche umfassenden volksmissionarischen Offensive bestimmt und sollten zugleich der Klärung des Verhältnisses der Kirche zum neuen nationalsozialistischen Regime dienen. Deutlicher als in der unterschiedlichen Intention unterscheiden sich die Texte jedoch in der Reaktion auf die jeweiligen politischen Rahmenbedingungen, in denen sie entstanden waren. Hilberts Text reagierte auf die stagnierende Kriegssituation im Jahre 1916 und war ein frühes Beispiel für die Desillusionierung über die ausbleibenden Folgen des „Augusterlebnisses“ von 1914. Das „Handbuch der Volksmission“ war u. a. Ausdruck der ungeklärten Modalitäten der Trennung von Staat und Kirche Anfang des Jahres 1919. Die hier vorgeschlagenen Maßnahmen sollten als Mittel dazu dienen, sich durch eine offensive kirchliche Interessenvertretung und „öffentliche Mission“ in der ungeliebten Republik behaupten zu können und die Kommunikationsmittel des politischen Kampfes, wie Flugblätter und Massenversammlungen, auch für die Evangeliumsverkündigung nutzbar zu machen. Rendtorffs 1924 – zum Ende der ersten Krisenphase der Weimarer Republik – entstandene Werbeschrift für die Volksmission adaptierte in ihrer Argumentation bewusst die Diskurse der „konservativen Revolution“ und gehörte zu den frühen Versuchen einer Verhältnisbestimmung zwischen Christentum und völkischer Bewegung. Die Adaption an die sich verändernde politische Situation geschah jedoch nicht in Form eines Arrangements mit den neuen Umständen; stattdessen sahen sich die Autoren der programmatischen Schriften in einer totalen Auseinandersetzung. Die Bilder von Krieg, Kampf und militärischem Dienst, die immer wieder zur Beschreibung der Auseinandersetzung mit sittlichen Missständen und angeblich antichristlichen Ideologien benutzt wurden, lassen sich nicht allein als Aktualisierung des alten Theologoumenons der militia Christi (Eph 6,11–17) deuten. Positiv können sie als Adaption an die polarisierte politische Kultur der Weimarer Republik interpretiert werden, die insgesamt von Metaphern der Auseinandersetzung und des Kampfes geprägt war. Zugleich offenbarte sich hierin aber eine tiefgreifende Fremdheit gegenüber der Moderne, wie sie auch in der Affirmation traditionaler Leitbilder und in der Skepsis gegenüber der Aufklärung deutlich wurde. Das Unbehagen galt vor allem der Weimarer Republik, wie die trotz einiger Bedenken positive Stellungnahme der Riederauer Thesen von 1933 zum nationalsozialistischen Staat zeigte. Zwar betonten diese Thesen der bayerischen Landeskirche die Eigenständigkeit der Kirche, die ihr lutherisches Bekenntnis und ihre Eigenständigkeit bewahren müsse, um das Evangelium im neuen Staat verkündigen zu können. Dennoch bezogen sie sich positiv auf das neue Regime, das sie im Gegensatz zum abgelösten als kirchenfreundlich wahrnahmen. Bereits in den volksmissionarischen Programmen war damit eine Parteinahme für die rechten, antidemokratischen Kräfte angelegt, die auch in der Institutionalisierung einer volksmissionarischen Bewegung zum Tragen kommen sollte.
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Institutionalisierung ohne Professionalisierung Diese inneren Widersprüche blieben in der Institutionalisierungsphase der Volksmissionsbewegung zunächst verborgen. Die Aufnahme der Volksmission in das Aufgabenrepertoire der Inneren Mission lässt sich als kontinuierlicher Prozess beschreiben. Vor dem Hintergrund der steigenden Demoralisierung der Bevölkerung in der zweiten Hälfte des Ersten Weltkrieges und der Desillusionierung über die ausbleibenden Folgen des Augusterlebnisses gewannen die Diagnosen und Forderungen Hilberts, die auf der Novemberkonferenz 1916 noch auf Widerstand gestoßen waren, an Plausibilität. Hier zeigte sich, dass die illusionäre Hoffnung auf einen siegreichen Ausgang des Ersten Weltkrieges den Funktionären der Inneren Mission nicht die Augen für die Entwicklungen innerhalb Deutschlands verschloss. So konnte bereits Anfang 1918 die Formulierung von Richtlinien und Arbeitsmaterialien sowie die Abhaltung von Volksmissionskursen in den einzelnen Landes- und Provinzialkirchen beginnen. Dieser Institutionalisierungsprozess wurde durch die unerwartete Niederlage und die Novemberrevolution zwar zeitweilig aufgehalten, aber die Grundlage für die Entstehung volksmissionarischer Arbeitsorganisationen war bis Anfang November 1918 gelegt. In anderer Hinsicht profitierte der Volksmissionsgedanke von Niederlage und Revolution. Die Angst vor einer radikalen Trennung von Staat und Kirche, die anschwellenden Austrittszahlen und das distanzierte Verhältnis zu den neuen Machthabern ließen den Grundgedanken der Volksmission, in einem stärkeren Maße Glauben weckende Verkündigung in die allgemeine kirchliche Arbeit zu integrieren und die Kirche so zu einer missionarischen Kirche umzuwandeln, plausibel erscheinen. Das Interesse zeigte sich im CentralAusschuss an dem Aufbau und der Institutionalisierung der Abteilung für Volksmission und der Apologetischen Centrale. Auch die Errichtung von zentralen Einrichtungen für Volksmission in den Gebieten der einzelnen Landes- und Provinzialkirchen fiel in diesen Zeitraum. Die Gründung des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission im Herbst 1925 bildete den Höhepunkt dieses Institutionalisierungsprozesses. Aber auch diese „Blütejahre der Volksmission“1 offenbarten bei näherem Hinsehen problematische Tendenzen. Zunächst blieb auch in diesem Zeitraum Volksmission im Wesentlichen Angelegenheit der Inneren Mission und interessierter Pfarrer. Trotz der wohlwollenden Förderung durch Bischöfe und Generalsuperintendenten kam die in den programmatischen Entwürfen vorgesehene koordinierte Volksmission auf allen Ebenen der Amtskirche und in den protestantischen Vereinen auch in Ansätzen nicht zustande. Ferner zeigten sich am Beispiel der Abteilung für Volksmission bereits in diesem Zeitraum stetige Streitigkeiten um den Etat und die Finanzierung. Die materielle Basis für volksmissionarische Aktionen war prekärer, als es sich die Protagonisten selbst eingestanden. 1 So B rend, Blick, 57.
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Schließlich lässt sich nach der Analyse der Verhandlungsführung in der Kommission für Volksmission zeigen, dass diese eher den Charakter eines Honoratiorengremiums trug als den einer professionellen Arbeitsorganisation. Die Volksmission wurde damit nur unzureichend durch den Modernisierungs- und Professionalisierungsprozess geprägt, der die Innere Mission in der Weimarer Republik insgesamt prägte. Institutionelle Krise durch innere Selbstwidersprüche Die institutionelle Stabilisierung und das Wachstum der Volksmissionsorganisationen hielten bis 1925 an. Die darauffolgenden Jahre offenbarten immer stärkere Risse innerhalb des Organisationsgefüges. Diese Gesamtsituation charakterisierte der Volksmissionar Willy Ernst Hagen aus der Rückschau von 1938 treffend: „[…] die ganze Arbeit fiel von einer Krise in die andere.“2 Akteure dieser Auseinandersetzungen waren die einzelnen zum DEVVM gehörenden Organisationen und besonders die beiden im CA miteinander rivalisierenden Abteilungen für Evangelisation und Apologetik. Streitpunkte waren das Verhältnis der Volksmission zu den karitativen Arbeitsfeldern der Inneren Mission, der Vorrang von Evangelisation oder Apologetik und das Verhältnis der regionalen Volksmissionsorganisationen zum CA. In den Jahren der Stabilisierung zeigten sie sich vor allem als latente Positionsunterschiede. Nach Beginn der Weltwirtschaftskrise entstanden daraus mit großer Lautstärke und nach allen Regeln der Intrige durchgeführte Kontroversen, die den DEVVM immer wieder an den Rand der Selbstzerstörung brachten. Auch die Umstrukturierung des CA ab 1931, als der Zusammenbruch der Devaheim-Gesellschaft die ganze Innere Mission zu zerstören drohte, konnte diese Konfliktpotenziale nicht entschärfen, zumal die Zeit der Umstrukturierung unmittelbar in die neuen Frontstellungen des Jahres 1933 überging. Ausgelöst wurden die Konflikte vor allem durch die Erkenntnis der mangelnden Wirksamkeit und der Wahrnehmung eines nachlassenden Interesses an Volksmission. Ein Katalysator des Konfliktes waren Verteilungskämpfe um die stets knappen Mittel. Die Ursachen des Konfliktes waren allerdings nicht in diesen externen Faktoren zu suchen. Sie mögen durch persönliche Querelen und durch fehlerhaftes Management oder Gerhard Füllkrugs mangelnde „Führungsqualitäten“3 verschärft worden sein. Letztlich waren sie jedoch in den Problemen des Konzeptes der Volksmission begründet. An den permanenten Konflikten zwischen Apologetischer Centrale und Evangelistischer Abteilung zeigte sich, dass die Positionen von primär an evangelistischer Verkündigung Interessierten und den eine intellektuelle Auseinandersetzung mit den weltanschaulichen Gegnern beabsichtigenden Apo2 Hagen, Denkschrift über die zukünftige Gestaltung der Volksmission, 1938 (ADE Berlin, DEVVM 4). 3 Kaiser, Sozialer Protestantismus, 89.
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logeten zu unterschiedlich waren, als dass sie harmonisch miteinander arbeiten konnten. Die Kombination von Evangelisation und Apologetik, ein wesentliches Element des Volksmissionskonzeptes, war also nicht zu bewerkstelligen. Konflikte zwischen den meistens von Vereinsgeistlichen der Inneren Mission geleiteten Zentralen für Volksmission in den Landes- und Provinzialkirchen und der Evangelistischen Abteilung des CA bewiesen, dass auch das Ziel einer einheitlich für ganz Deutschland geplanten Volksmission nicht möglich war. Die Struktur der Inneren Mission, in der sich der föderale Aufbau der deutschen evangelischen Landeskirchen spiegelte, gab den Geschäftsführern der regionalen Stellen zu viel Macht, sodass eine zentrale Steuerung keine Aussicht auf Erfolg hatte. Die Bewährungsphase der organisierten Volksmission in den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren zeigte daher die mangelnde Tragfähigkeit des Gesamtkonzeptes auf. Volksmission als Treffpunkt von evangelischer Kirche und NSDAP In dieser Krisenzeit verstärkte sich die Öffnung zur antirepublikanischen Rechten der Weimarer Republik. Diese war bereits in den Programmen, die sich nicht auf die Moderne und die Republik einließen, angelegt. An Bedeutung gewann dieser Kurs allerdings ab 1927, als die inneren Probleme der Volksmissionsbewegung manifest wurden und langsam auch die Desillusionierung über die eigenen Erfolgsaussichten einsetzte. Die Analyse der Ende 1927 stattfindenden Kontaktaufnahmen zwischen Volksmissionaren, nationalistischen Verbandsführern und innerkirchlichen völkisch-religiösen Gruppen in Leipzig unter Beteiligung von Hilbert und Füllkrug hat ergeben, dass diese Öffnung nach rechts kein Randphänomen war, sondern von maßgeblichen Protagonisten getragen wurde. Auch in den Diskussionen des Folgejahres um die seelsorgerliche Betreuung der paramilitärischen Verbände ließ sich, trotz der formalen Bereitschaft, auch republikanischen Organisationen zu dienen, erkennen, dass die Mehrheit der im DEVVM versammelten Organisationen entschieden für die nationalistische Rechte Partei ergriff. Ähnlich wie die internen Konflikte gewann die Option für die antirepublikanische Rechte in der Weltwirtschaftskrise immer stärker an Kontur. Volksmission an den Angehörigen rechter Parteien und Verbände erhielt gerade im CA eine weit größere Bedeutung als die Bemühungen um die Opfer der wirtschaftlichen Entwicklungen. Die Konflikte um die Beschäftigung Wilms als Volksmissionar, der seine neue Stellung primär zum Aufbau der Christlichdeutschen Bewegung nutzte, zeigten, dass der Umfang dieser Option auch im weitgehend nationalistisch geprägten Protestantismus der Weimarer Republik nicht konsensfähig war. Vielen Generalsuperintendenten und anderen Instanzen des Kirchenregiments erschien das Wirken Wilms, das Volksmission und rechte Verbände mit dem Ziel einer Politisierung der Kirche verband, als dem Anspruch einer Überparteilichkeit der Kirche entgegengesetzt. Seine historische Bedeutung gewann der Kontakt zu den rechten Gruppen nach dem politischen Durchbruch der NSDAP im Herbst 1930. Hatte man
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zuvor den Kontakt vor allem zu den großen Wehrverbänden und teilweise auch zu völkischen Gruppen gesucht, wurde nun die neue politische Kraft das wichtigste Ziel von Kontaktaufnahmen. Volksmissionare und der Volksmission mit Sympathie gegenüberstehende Theologen waren vor allem in der ersten Jahreshälfte des Jahres 1931 die wichtigsten Befürworter eines Zugehens auf die nationalsozialistische Bewegung. Solche Kontakte ließen sich wiederum nicht nur an einzelnen Stellen nachweisen, sondern geschahen an mehreren Orten gleichzeitig. Die im DEVVM vereinten Organisationen nahmen damit eine Pionierfunktion bei der Herstellung von Kontakten zwischen Kirche und Nationalsozialismus ein. Dabei ging es nicht so sehr um eine direkte Übernahme nationalsozialistischer Positionen in der volksmissionarischen Verkündigung. In den Kontakten des Jahres 1931 bestand das Ziel eher in der Herstellung gemeinsamer Treffpunkte von Kirchenleuten und kirchenfreundlichen NSDAP-Funktionären. Auch die konkreten Positionen der einzelnen an diesen Treffen Beteiligten differierten, wie man etwa beim Kongress der Inneren Mission in Dresden im Frühjahr 1931 an einem Vergleich von der undifferenziert-positiven Haltung Wilms mit der mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden, aber abwägenden und Probleme benennenden Position Künneths erkennen konnte. Insgesamt waren die Gespräche des Jahres 1931 aber von einer großen Sympathie gegenüber der neuen politischen Kraft geprägt. In der Herstellung eines Treffpunktes zwischen Kirche und NSDAP liegt die größte Bedeutung der Volksmissionsbewegung der Zwischenkriegszeit für die allgemeine und politische Geschichte Deutschlands. Auch wenn es verfehlt wäre, die eigene Position der Volksmissionare bereits als nationalsozialistisch zu bezeichnen, wirkten die sympathisierenden Stellungnahmen innerhalb des protestantischen Milieus als Unbedenklichkeitsbescheinigung für die NSDAP. Ferner schufen die seit 1931 bestehenden Kontakte die Rahmenbedingungen für die lavierende Haltung der evangelischen Landeskirchen zur tatsächlichen Machtübertragung an die Nationalsozialisten im Jahre 1933. In der Positionierung nach rechts wurde die bereits in den Programmen der Volksmission angelegte Parteilichkeit manifest. Während man die Völkischen und später die Nationalsozialisten als mögliche Gesprächspartner betrachtete, grenzte man sich nach links konsequent ab. Dies zeigte sich an der Bedeutung, die innerhalb der Volksmissionsbewegung Kontakten nach Russland und den Warnungen vor einer kommunistischen Machtübernahme beigemessen wurde. Bedenken, dass die Teilnahme von Volksmissionaren an den Veranstaltungen rechter Wehrverbände die Ablehnung der Mittel- und Linksparteien gegen die Volksmission noch verstärken würde, drangen bereits in den Diskussionen Ende der 1920er-Jahre nicht durch. So war gerade die Parteinahme für die Rechte ein großes Hindernis für das gleichzeitig propagierte Ziel, auch die Arbeiter wieder in die Kirche zu bringen.
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Das Zerbrechen der Volksmissionsbewegung im „Kirchenkampf“ Die Kontakte zur NSDAP wurden nach 1931 durch die notwendige Bewältigung der Folgen des Devaheim-Skandals und die bis 1933 nicht abgeschlossene institutionelle Neuordnung begrenzt. Die Herausforderung durch den Nationalsozialismus traf die im DEVVM vereinigten Organisationen daher unvorbereitet. Dies zeigte sich an deren lavierender Haltung in den Jahren 1933 und 1934. Die Positionierungen in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen am Anfang der NS-Zeit überlagerten zunehmend die weiteren Konfliktlinien. Einige Funktionäre schlugen sich wegen ihrer Hoffnungen auf eine religiöse Erweckung oder auch wegen ihrer Sorge um ihre eigene Stellung auf die Seite der DC, andere waren gegenüber deren Umdeutung des christlichen Dogmas skeptisch, ohne diese Skepsis auf den neuen Staat zu übertragen. Auch Kritiker der Deutschen Christen waren von den Möglichkeiten einer umfassenden Aufnahme der Volksmission im nationalsozialistischen Staat überzeugt. Der Versuch Walter Birnbaums und der neuen DC-Leitung des CA, den DEVVM in eine von den DC geprägte reichskirchliche Volksmission zu integrieren, führte im Frühjahr 1934 zur Auflösung des DEVVM. Daraus resultierte ein dauerhaftes Nebeneinander von bekenntniskirchlichen, neutralen und deutschchristlichen Ansätzen zur Volksmission, die in den 1930er-Jahren ein unübersichtliches Feld von Organisationen mit gegenseitiger Abgrenzung und zeitweiliger Kooperation bildeten. Auch die zur Bekennenden Kirche gehörenden Volksmissionare standen dabei immer wieder in der Versuchung, durch Kompromisse mit den Kirchenbehörden einen größeren Umfang ihrer Verkündigung zu erreichen. Die kirchenpolitischen Auseinandersetzungen ließen die zu Anfang der NS-Zeit von allen Seiten erhoffte „Stunde der Volksmission“4 damit zu einer Illusion werden. Zugleich zeigte sich spätestens Mitte der 1930er-Jahre, dass der NS-Staat kein Partner einer wie auch immer gearteten Volksmission sein würde, was zu weiteren Desillusionierungen führte. Das Zerbrechen des DEVVM im Kirchenkampf offenbarte, dass innerhalb der Matrix der volksmissionarischen Konzepte weitere Unschärfen verborgen waren, die das Verhältnis zwischen der Kirche und dem als organische Größe gedeuteten Volk betrafen. Während einige Volksmissionare und Volksmissionsbefürworter die vom Nationalsozialismus erhoffte Volksgemeinschaft mit so großen Hoffnungen aufluden, dass sie sich für völkische Umdeutungen des christlichen Bekenntnisses erwärmen konnten, bildete bei anderen das Festhalten an der traditionellen Dogmatik einen Schutz vor radikalen Verirrungen, ohne dass ihre Positionierung in den 1930er-Jahren als Widerstand gedeutet werden kann. Ähnlich wie die Weltwirtschaftskrise als Katalysator fungierte, der die internen Probleme der Volksmissionsprogramme manifest werden ließ, legte die Frage des Verhältnisses zum Nationalsozialismus die 4 Zum Begriff vgl. Hossenfelder, Aufruf, 23.
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Probleme der immer wieder diskutierten, aber niemals ausreichend geklärten Relation zwischen Kirche und Volk offen. Die Umsetzung in den Gemeinden scheitert Die Organisationsgeschichte der Volksmissionsbewegung offenbarte damit tiefgehende Widersprüche, welche die Unschärfen des gesamten Konzeptes widerspiegelten. Die Probleme wirkten sich auch auf die praktische Arbeit aus. Die Berichte der Volksmissionare des CA aus den 1920er-Jahren zeigten Reiseprediger, die eine hohe Eigenmotivation für ihren Dienst aufbrachten und sich teilweise bis zur Erschöpfung in diese Aufgabe stürzten. Es gelang zwar, anders als in der katholischen Volksmission, nur selten, ganze Gemeinden zum Besuch der Vorträge zu bringen. Da aber auch aus kleinen Städten teilweise im vierstelligen Bereich liegende Besucherzahlen gemeldet wurden, ist davon auszugehen, dass in den 1920ern Volksmissionswochen zu einem festen Bestandteil kirchlichen Lebens wurden. Dies gilt nicht nur, aber in besonderem Maße für die Regionen im Ruhrgebiet, in Ostfriesland, Ostpreußen und der Grenzmark Posen-Westpreußen, welche die Kerngebiete der Volksmission des CA bildeten. Aus den Berichten der Volksmissionare und aus den Rückmeldungen der einladenden Pfarrer wurden allerdings immer wieder Verständigungsprobleme zwischen den Evangelisten und ihren Gastgebern deutlich. Die Volksmissionare beklagten, dass die Pfarrer die von ihnen gegebenen Anstöße in der alltäglichen Gemeindearbeit nicht weiterführen würden. Die Pfarrer wiederum beklagten sich über ausbleibende Folgen der Volksmissionswochen. Zugleich betrachteten sie den sehr konfrontativen und direkten Predigtstil der Volksmissionare häufig als Belastung für ihre eigene Arbeit. Es sei nur an jenen schlesischen Superintendenten erinnert, der angab, er hätte den gegen die Freimaurer polemisierenden Volksmissionar „lieber in jener Stunde im Innern von Borneo“5 gesehen. Solche Beschwerden von beiden Seiten zeigten, dass die flächendeckende Umsetzung des Volksmissionskonzeptes in den Gemeinden von Anfang an zum Scheitern verurteilt war. Darüber konnten auch die sich durch die Arbeitsberichte der Volksmissionare ziehenden Beschwörungen der Wichtigkeit ihres eigenen Tuns nicht hinwegtäuschen. Ausblick Am Beginn dieses Projektes stand die Frage nach dem Umgang der evangelischen Kirche mit dem drohenden Bedeutungsverlust durch die Trennung von Staat und Kirche sowie durch die ersten Kirchenaustrittswellen. In der Tat zeigte sich, dass der erste Höhepunkt des Volksmissionsdiskurses parallel zu den Verhandlungen um das Verhältnis von Staat und Kirche in den Jahren 1918 und 1919 stattfand. Insgesamt ließ sich aus den herangezogenen Quellen 5 Abschrift Schreiben Sup. Schultze (Ohlau) an den CA vom 28. 7. 1922 (ADE Berlin, CA / EvA 125); vgl. oben 399 f.
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belegen, dass die Erfahrung einer zurückgehenden kirchlichen Beteiligung und eines mangelnden Frömmigkeitslebens sowie allgemein der Bedeutungsverlust der Kirche ein wesentlicher Impetus für die Forderung nach Volksmission waren. Dies blieb über den gesamten analysierten Zeitraum gleich. Volksmission war damit ein Versuch, die kirchliche Arbeit einer neuen Realität anzupassen. Die Untersuchung der Geschichte der Volksmissionsbewegung in der Zwischenkriegszeit hat ergeben, dass das Konzept der Volksmission zu viele Unklarheiten und interne Probleme beinhaltete, um erfolgreich sein zu können. Dennoch ist auffällig, dass der Ruf nach Volksmission über den gesamten analysierten Zeitraum hinweg immer wieder Anstoß für Debatten in der evangelischen Kirche bot. Dies ist nicht allein durch die Unermüdlichkeit von Protagonisten des Volksmissionsgedankens wie Hilbert, Füllkrug oder Rendtorff zu erklären, die in den sich wandelnden Situationen immer wieder nach einer erneuten volksmissionarischen Offensive riefen. Eher können die Hoffnungen und Enttäuschungen der Volksmissionsbewegung als ein Spiegel der Empfindungen großer Teile des Protestantismus in Bezug auf die historische Entwicklung gedeutet werden. Die mit den Epochenschwellen 1914, 1918 und 1933 verbundenen Erwartungen und Ängste wurden ja von weiten Teilen des Protestantismus geteilt. Auch die Affinität zum Nationalismus war ein Gesamtproblem des deutschen Protestantismus im frühen 20. Jahrhundert. Hinzu kam, dass auch der Anspruch auf Prägung der Gesamtgesellschaft durch den Protestantismus bestehen blieb. Alle diese Faktoren beförderten Hoffnungen auf neue Wege, dem christlichen Glauben durch groß angelegte Aktionen wieder größere Bedeutung zu verschaffen. Das Festhalten am Volksmissionsgedanken trotz der mangelnden Umsetzbarkeit erklärt sich damit aus der Gesamtbefindlichkeit der deutschen evangelischen Kirchen in der Zeit zwischen Weimarer Republik und Nationalsozialismus und zeigt deren Probleme wie in einem Brennglas auf. Dieser Befund rechtfertigt weitere Untersuchungen zum Thema Volksmission. Dabei sollte es vor allem darum gehen, die Ergebnisse dieser Arbeit in einen größeren Kontext einzuordnen. Es ist an der Zeit, die Einbindung der deutschen protestantischen Volksmission in überkonfessionelle Zusammenhänge zu untersuchen. Außerdem wäre es von Nutzen, den Gedanken der Volksmission über 1945 hinaus in der Bundesrepublik und der DDR zu erforschen, wobei besonders auf personelle und sachliche Kontinuitäten zu achten wäre. Schließlich regt die hier dargestellte Geschichte der Volksmissionsbewegung zum Nachdenken über die Möglichkeiten von Evangelisations- oder Missionsprogrammen insgesamt an. Diese Frage ist mit den Mitteln einer historischen Forschung, die ihre eigenen Erkenntnismöglichkeiten ernst nimmt, prinzipiell nicht zu beantworten. Sie stellt aber ein eminent wichtiges Thema dar und soll daher am Ende dieser Arbeit stehen. Hilberts Feststellung von 1916 ist heute noch aktuell: „Deutschland ist zum Missionsfeld geworden
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– und wird es bleiben.“6 Zwar erschien dieser Befund für die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der trotz der Austrittsbewegungen die Mehrheit der Bevölkerung kirchlich gebunden blieb, übertrieben. Es ist aber nicht zu leugnen, dass sich die Sachlage heute bei einer Rate von mehr als 30 % Konfessionslosen anders darstellt7. Am Ende dieses Überblickes zur Geschichte der evangelischen Volksmission in der Zwischenkriegszeit stehen wir daher vor derselben Frage, die Kirchenleitungen und Theologie auch schon vor fast 100 Jahren bewegte: Wie kann eine Volkskirche auf Strukturveränderungen und Schrumpfung von Mitgliederzahlen reagieren, dabei zugleich ihrem geistlichen Anliegen treu bleiben und sich außerdem mit der Gegenwart auseinandersetzen? Vielleicht hilft bei diesen Überlegungen auch der Blick auf die Volksmission der 1920er- und 1930er-Jahre, wenn auch zum großen Teil als warnendes Beispiel.
6 Hilbert, Volksmission, 4. 7 Vgl. die Diskussion um Mission in Deutschland auf der Leipziger EKD-Synode 1999 (siehe auch B rend, Blick, 274–280).
Abkürzungen AC ADE AdV AfV AMD BK CA CdB CSVD CVJM DC DCSV DEK DEKA DEKB DEVVM DNVP EvA EZA GDC Gestapo HJ IM KDEAO KPD NS NSDAP NSV OKR PAfIM SA SPD SS Sup. VDSt VELKD VM VVD
Apologetische Centrale Archiv für Diakonie und Entwicklung Arbeitsgemeinschaft deutscher Volksmissionare Arbeitsgemeinschaft für Volksmission Arbeitsgemeinschaft Missionarische Dienste Bekennende Kirche; Bibelkreis für Schüler höherer Lehranstalten Central-Ausschuss für die Innere Mission Christlich-deutsche Bewegung Christlich-Sozialer Volksdienst Christlicher Verein Junger Männer Deutsche Christen Deutsche Christliche Studentenvereinigung Deutsche Evangelische Kirche Deutscher Evangelischer Kirchenausschuss Deutscher Evangelischer Kirchenbund Deutscher Evangelischer Verband für Volksmission Deutschnationale Volkspartei Evangelistische Abteilung Evangelisches Zentralarchiv Glaubensbewegung Deutsche Christen Geheime Staatspolizei Hitlerjugend Innere Mission Konferenz Deutscher Evangelischer Arbeitsorganisationen Kommunistische Partei Deutschlands Nationalsozialismus Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei Nationalsozialistische Volkswohlfahrt Oberkirchenrat Provinzial-Ausschuss für Innere Mission Sturm-Abteilung Sozialdemokratische Partei Deutschlands Schutz-Staffel Superintendent Verein Deutscher Studenten Vereinigte evangelisch-lutherische Kirche in Deutschland Volksmission Vereinigte Vaterländische Verbände Deutschlands
Quellen- und Literaturverzeichnis Abkürzungen von Zeitschriften und Reihen erfolgen nach Schwertner, IATG2.
Unveröffentlichte Quellen Archivalische Quellen Archiv für Diakonie und Entwicklung Berlin (ADE) Bestand A.I CA Nr. 94 Nr. 1957
Central-Ausschuss für die Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche Zentralregistratur des CA Sitzungsprotokolle des Central-Ausschusses für die Innere Mission Sitzungsprotokolle des Elfer-Ausschusses zur Bewältigung der Devaheim-Krise
CA / P II Nr. 16 Nr. 58–60 Nr. 83 Nr. 133
Personalakten der Mitarbeiter des CA Personalakte Berger, Richard Personalakte Füllkrug, Gerhard Personalakte Haas, Ludwig Personalakte Keinath, Johannes
CA / AC Nr. 255–257
Akten der Apologetischen Centrale (1920–1937) Deutscher Evangelischer Verband für Volksmission (1925–1934)
CA / AC-S Nr. 356
Sammlung der Apologetischen Centrale Volksmission (außerhalb des Central-Ausschusses) 1933–1936
CA / EvA Nr. 2
Akten der Evangelistischen Abteilung (1916–1931) Diskussionen um Volksmission während des Ersten Weltkrieges Schriftverkehr Gerhard Füllkrugs von 1921 Volksmissionskonferenzen 1920–1925 Volksmissionsstatistik 1917
Nr. 4 Nr. 6 Nr. 8
Unveröffentlichte Quellen
Nr. 13–17 Nr. 19 Nr. 20 Nr. 24–25 Nr. 84 Nr. 90–96 Nr. 101 Nr. 108 Nr. 117 Nr. 120–135 Nr. 137, 142 Nr. 144
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Protokolle, Schriftverkehr und Mitgliederlisten der Kommission für Volksmission Kommission für völkische Fragen Diskussion um Umbenennung in Evangelistische Abteilung (1928/29) Gesuche um Anstellung in der Volksmission des CA Volksmission in Württemberg Volksmissionarische Einsätze in Berlin Laienschulung Besprechungen zum „Handbuch der Volksmission“ Bolschewismus und Christentum; Manuskript von SchabertRiga Schriftwechsel mit Volksmissionaren Arbeitsberichte von Volksmissionaren Berichte der Veranstalter von Volksmissionen 1926–1930
Landes- und Provinzialverbände der IM Akten des Provinzial-Ausschusses für Innere Mission Brandenburg Nr. 1131 Volksmission in Brandenburg: Allgemeines (1924–1940) Nr. 1398–1399 Volksmissionarische Einzelveranstaltungen (u. a. Russlandvorträge) Nr. 1428 Vereinigung für Volksmission von Gerhard Füllkrug Nr. 1435–1436 Deutscher Evangelischer Verband für Volksmission
Bestand B.I BP
Bestand B.II DEVVM Nr. 2 Nr. 4 Nr. 5 Nr. 10–14 Nr. 53 Nr. 55
Fachverbände Akten des Deutschen evangelischen Verbandes für Volksmission Organisation und Aufgaben des Verbandes Sektion für Volksmission im Central-Ausschuss für IM (1938) Auskünfte zu Organisationen und Einzelpersonen Schriftwechsel mit angeschlossenen Verbänden (1925–1934) Volksmissionsarbeit im Ausland Evangeliumsbewegung in Russland
Evangelisches Zentralarchiv Berlin (EZA) Bestand EZA 1
Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und Vorgängereinrichtungen 1 / 745 Aktionsausschuss für Laienschulung zur Bekämpfung der Gottlosenbewegung (1931–1934) 1 / 1142–1 / 1146 Volksmission der Deutschen Evangelischen Kirche (1933–1934)
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Quellen- und Literaturverzeichnis
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Bestand EZA 7 Evangelischer Oberkirchenrat (1850–1963) 7 / 3854–7 / 3856 Volksmission (Evangelisation und Apologetik) Bestand EZA 200 Akten des Gustav-Adolf-Werkes 200 / 1 / 1.569 Zentral-Vorstand Gustav-Adolf-Verein, Akten Volksmission: Allgemeines
Sächsisches Staatsarchiv – Staatsarchiv Leipzig (STA-L) Bestand STA-L 20031
Polizeipräsidium Leipzig, Meldekartei der Stadt Leipzig Meldekarte Kästner, Paul Albin (nicht persönlich eingesehen, ich danke Frau Oelschläger für die Überlassung eines Scans).
Unveröffentlichte Arbeiten Bçhm, Susanne: Der Volksdienst der Thüringer evangelischen Kirche (1921–1933). Unpubliziertes Manuskript (9 Seiten). O. O. o. J. Bookhagen, Rainer: Biogramm Cäcilie Petersen. In: Rainer Bookhagen, Die Geschichte des evangelischen Diakonissenhauses Teltow 1841–1990. Unveröffentlichtes Manuskript. Berlin 2016, Anhang CLIII–CLV (Manuskript im Archiv des Evangelischen Diakonissenhauses Teltow-Lehnin konnte nicht persönlich eingesehen werden, der Autor dankt Herrn Pfarrer Dr. Bookhagen für die Zusendung einer PDF-Version des Biogrammes). Bookhagen, Rainer: Biogramm Dr. Paul Jellinghaus. Unveröffentlichtes Manuskript. Berlin 2015. Brunner, Benedikt: Volkskirche. Zur Geschichte eines umstrittenen Begriffes. Überarbeitetes Dissertationsmanuskript. Münster 2016 (voraussichtliches Erscheinen in AKZG B: Göttingen 2019). F llkrug, Gerhard: Aus der Enge in die Weite. Ein Lebensbericht aus 50 Jahren im Dienst der Kirche und Inneren Mission. Unpubliziertes Typoskript. Neinstedt [um 1945] (eingesehen: Kopie im Archiv für Diakonie und Entwicklung Berlin; Signatur: ADE, MS-S 258). Herrmann, Volker: Das Verhältnis von Volksmission und Deutschen Christen, dargestellt an Walter Birnbaum und Martin Gehrhardt. Unveröffentlichte theologische Examensarbeit. Heidelberg 1993. Schrçdel, Christian: Die „Bildungskanonen“. Fahrbare Feldbüchereien im deutschen Heer des Ersten Weltkriegs. Unveröffentlichte Masterarbeit. Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig. Leipzig 2015.
Veröffentlichte Quellen und Darstellungen
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Personenregister / Biografische Angaben Die Biogramme sind entsprechend der Vorgaben der Reihe ohne Einzelnachweise erstellt. Neben Braun / Gr nzinger, Personenlexikon wurden vor allem die entsprechenden Artikel im BBKL und in der RGG4 und die diversen Pfarrerbücher herangezogen. Weitere wichtige Quellen waren Bookhagen, Kinderpflege, Bd. 1, 531–626; Bookhagen, Kinderpflege, Bd. 2; 579–628; Fritz, Dibelius, 579–628; Klee, Personenlexikon; Mensing, Pfarrer, 253–278; Schultze / Kurschat, Ende. Schließlich dankt der Autor den zuständigen Archiven für hilfreiche Hinweise. Allein in diesen Biogrammen vorkommende Orte, Institutionen und Sachen sind nicht in den folgenden Registern aufgenommen. Althaus, Paul, Universitätslehrer (ST), Prof. D. Lic. theol. 102, 113 f., 120, 127, 135, 148, 158, 195, 228–231, 318 geb. 4. 2. 1888 Obershagen bei Celle, gest. 18. 5. 1966 Erlangen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 20]. Arndt, Ernst Moritz, Universitätslehrer (Geschichte), Prof. Dr. 179 geb. 26. 12. 1769 Schoritz/Rügen, gest. 29. 1. 1860 Bonn 1791–1794 Studium der Theologie, Geschichte und Philosophie in Greifswald und Jena, 1798/99 Reise durch Deutschland, Österreich, Ungarn, Italien und Frankreich, 1800–1805 Privatdozent in Greifswald, 1805 Extraordinarius in Greifswald, 1806 in der Regierungskanzlei Stralsund, schriftstellerische Tätigkeit, 1812–1813 Emigration nach Russland, 1813–1818 Mitarbeiter des Freiherrn vom Stein, nationale Aufrufe, 1818 Ordinarius in Bonn und Verheiratung mit der Schwester Schleiermachers, 1818 Verhaftung im Zuge der Demagogenverfolgung, 1820 Entlassung aus dem Amt, 1840 erneute Einsetzung in die Professur und das Rektorat in Bonn, 1848/49 Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und Vertreter der kleindeutschen Lösung – nationaler und religiöser Schriftsteller. Arning, Paul Friedrich Karl Wilhelm, Pfarrer 352, 411, 427 geb. 26. 12. 1885 Recklinghausen, gest. 3. 12. 1947 Lüdenscheid 1904–1908 Theologiestudium in Tübingen, Berlin, Bonn, 1908–1910 Vikariat in Dankersen und zweites theologisches Examen, 1911–1935 Pfarrer in Rahmede, 1933 zugleich Superintendent in Lüdenscheid, 1935–1947 Pfarrer in Lüdenscheid Baart de la Faille, Hermine, Vereinssekretärin 211 geb. 1873, gest. 1959 Niederländerin, 1907–1922 Sekretärin der Deutschen Christlichen Vereinigung Studierender Frauen, 1922 Rückkehr in die Niederlande. Bahn, Friedrich, Hofbuchhändler 65–68, 89 geb. 1858, gest. 1932 1891 Gründung des Verlages „Friedrich Bahn“ (bis 1945).
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Personenregister / Biografische Angaben
Barth, Karl, Universitätslehrer (ST), Prof. D. 41, 114 geb. 10. 5. 1886 Basel, gest. 10. 12. 1968 Basel [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 27]. Baumgarten, Otto, Universitätslehrer (PT), Prof. D. 89, 97 geb. 29. 1. 1858 München, gest. 21. 3. 1934 Kiel [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 30]. Becker, Karl-Heinz Constantin, Pfarrer 160 geb. 18. 10. 1900 Insterburg (Ostpreußen), gest. 30. 6. 1968 Neustadt an der Aisch 1919–1925 Studium in München, Kiel, Erlangen, Berlin, Marburg, 1925–1930 Pfarrverweser und Hilfsgeistlicher in Obersteinbach und Traunstein, 1930–1949 Pfarrer in Ezelheim, 1949–1956 Pfarrer in Solnhofen, 1956–1959 Pfarrer in Stübach. Berg, Hans, Bürgermeister, Evangelist, Dr. jur. 224, 232, 277, 280 f., 289, 319, 378 geb. 3. 1. 1877 Rostock, gest. 6. 1. 1958 Studium der Rechte in München, Berlin und Rostock, 1905 Promotion, Gerichtsassessor, dann Bürgermeister in Wesenberg/Mecklenburg, 1919 Entlassung, 1920 Sekretär der Altfreunde der DCSV, 1922–1927 Evangelist der Wichern-Vereinigung, 1927–1929 Evangelist im Rahmen der Berliner Stadtmission und der Sudan-PionierMission, 1929 Gründung einer eigenen Missionsgesellschaft, 1934–1935 Ordination und Pfarrverweser in Waren an der Müritz. Berger, Richard, Diakon 348, 406, 420 geb. 13. 7. 1878, gest. ? Schreiber, 1896 Eintritt in die Bruderschaft des Stephanstiftes Hannover, 1903 Einsegnung als Diakon, 1903–1905 Küster und Gemeindehelfer in Hildesheim, 1905–1918 Gemeinschaftspfleger in Bunzlau/Schlesien, 1915–1917 Felddiakon, 1918–1922 Gemeinschaftspfleger in Halle; 1922–1927 Volksmissionar im CA, 1927–1919 Hausvater eines Asyls in Oldenburg, seit 1929 Stadtmissionar in Hannover. Bernewitz, Alexander, Landesbischof, D. 264 geb. 31. 3. 1863 Neuenburg (Kurland), gest. 28. 7. 1935 Halberstadt [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 35]. Beste, Niklot, Landesbischof, D., D. D. 265 geb. 30. 6. 1901 Ilow/Kreis Wismar, gest. 24. 5. 1987 (Unfall) Gießen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 36]. Beyer, Georg Arthur Richard Albert, Missionsinspektor 71 f., 88, 192, 202, 223, 265 geb. 21. 9. 1881 Lorenzberg, gest. 10. 4. 1932 Thomaswaldau? Theologiestudium in Breslau und Halle, 1906 Ordination, 1906–1910 Pfarrvikar in Görlitz und Schreiberhau-Marienthal, 1910–1912 Pfarrer in Tiefenfurt, 1912–1914 Vereinsgeistlicher der Inneren Mission Schlesien in Liegnitz, 1914–1931 Missionsinspektor der Berliner Mission, 1931/32 Pfarrer in Thomaswaldau (Schlesien) – Mitglied der Kommission für Volksmission. Beyer, Hermann Wolfgang, Theologe, Universitätslehrer (ältere KG, christliche Archäologie), Prof. D. 265 geb. 12. 9. 1899 Annarode Kr. Mansfeld (Provinz Sachsen), gest. 25. 12. 1942 (gefallen) Don-Gebiet (Sowjetunion) [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 37]. Birnbaum, Walter, Vereinsgeistlicher, Universitätslehrer (PT), Prof. 27, 223 f., 226, 228, 244–246, 258, 280, 283–285, 288–291, 293–296, 437
Personenregister / Biografische Angaben
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geb. 6. 4. 1893 Coswig bei Dresden, gest. 24. 1. 1987 München 1912–1914 Theologiestudium u. a. in Tübingen, 1914–1917 Kriegseinsatz, 1916 erstes theologisches Examen, 1918–1920 Vikariat, 1920 zweites theologisches Examen, 1920/ 21 Predigerseminar und erneutes Vikariat in Leipzig, 1922–1924 Pfarrer in Radeberg bei Dresden, 1924–1934 Leiter der Wichern-Vereinigung, Mitglied im Vorstand des DEVVM, 1926 gescheitertes Promotionsverfahren, 1933 Mitglied der DC, 1934–1935 Oberkirchenrat in der Reichskirchenregierung, 1935–1945 Professor für praktische Theologie in Göttingen, 1945 Entlassung und prekäre Beschäftigungen, 1948 Gründung des „Verbandes amtsverdrängter Hochschullehrer“, 1951 Wiedereinstellung als Ordinarius ohne Fakultätsbindung und ohne Lehrtätigkeit, 1961 Emeritierung, Wirksamkeit als Privatgelehrter in München, Mitglied der DCSV. Blau, Paul, Generalsuperintendent 66–68, 71 geb. 15. 5.1861 Suhl (Thüringen), gest. 19. 12. 1944 Posen (Poznan´) [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 38]. Boehm, Max Hildebert, Universitätslehrer (Volkstheorie), Prof. Dr. 357 geb. 16. 3. 1891 Birkenruh (Livland), gest. 9. 11. 1968 Lüneburg Stellv. Direktor des Instituts für Grenz- und Auslandsstudien in Berlin, 1933–1945 Professur in Jena (Volkstheorie und Grenzlandkunde), 1950 Leiter der Ostdeutschen Akademie in Lüneburg Bonhoeffer, Dietrich, Pfarrer, Privatdozent, Lic. theol. 149, 166, 296–298 geb. 4. 2. 1906 Breslau, gest. 9. 4. 1945 KZ Flossenbürg (Oberpfalz) [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 41]. Bornhausen, Karl, Universitätslehrer (ST), Prof. D. 343 geb. 19. 11. 1882 Frankfurt/Main, gest. 20. (22.) 8. 1940 Frankfurt/Main [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 42]. Braun, Max, Pfarrer, Stadtmissionsinspektor 20, 177, 190, 469 geb. 12. 10. 1859 Nicolai/Kreis Pless, gest. 13. 8. 1925 Bad Harzburg 1878–1883 Studium der evangelischen Theologie in Breslau, Berlin und Halle; 1883/ 1884 Vikar und Pfarrverweser in Gleiwitz und Rybnik, 1884–1890 Pfarrer in Rybnik, 1890–1913 Missionsinspektor der Berliner Stadtmission, 1913–1925 Pfarrer der Apostel-Paulus-Gemeinde in Berlin-Schöneberg, 1881 Mitbegründer des Vereins deutscher Studenten in Halle, 1907–1925 Mitglied im CA, 1918 Mitbegründer des monarchistischen „Bundes der Aufrechten“. Braun, Walter Max Emil, Generalsuperintendent, D. 296 geb. 13. 1. 1892 Windenburg/Kreis Heydekrug, bestattet 2. 3. 1973 Potsdam Theologiestudium in Königsberg und Marburg, 1914/15 Kriegsdienst, 1915/16 Predigerseminar Wittburg, 1917 Hilfsprediger in Laugszargen, Ordination, 1918–1922 Pfarrer in Königsberg, 1922/23 Pfarrer in Kaukehmen, 1923–1926 Pfarrer in Lappienen, 1926–1947 Missionsinspektor der Berliner Mission, 1947 Generalsuperintendent der Kurmark, 1952 Ehrenpromotion Berlin. Bronisch, Paul Gotthold, Superintendent 364, 423 geb. 7. 5. 1858 Peitz/Niederlausitz, gest. 8. 4. 1937 Gnadenberg 1876–1880 Theologiestudium in Breslau und Halle, 1881 Ordination, 1881/82 Vikar am Berliner Dom und Pfarrvikar in Tarnowitz, 1884–1887 Pfarrer in Rüstern (Liegnitz), 1887–1891 Pfarrer in Schönberg (Oberlausitz), 1891–1923 Pfarrer in Neusalz, 1893–1895 Superintendenturverweser Freystadt (Schlesien), 1895–1923 Superinten-
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dent Freystadt (Schlesien), 1923 Ruhestand – Mitglied der Hochkirchlichen Vereinigung. Brunst dt, Friedrich, Universitätslehrer (Philosophie, ST), Prof. D. Dr. phil. 238 geb. 16. 7. 1859 Hannover, gest. 2. 11. 1944 Willershagen bei Gelbesande (Mecklenburg) [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 47]. B chsel, Hermann Johannes Gottlob, Pfarrer, Vorsteher 186 geb. 5. 1. 1877 Niderfinow (Brandenburg), gest. 10. 6. 1954 Gadenstedt bei Peine/ Hannover 1895–1900 Theologiestudium in Erlangen, Halle, Greifswald, 1900–1902 Predigerseminar in Soest, 1902 Ordination und Hilfsprediger in Gehlenbeck, 1903/04 Hilfsprediger in Valbert und Hagen, 1904–1907 Vereinsgeistlicher bei der Hamburger Stadtmission, 1907–1911 Rektor des Diakonissenhauses Bethesda in Hamburg, 1911–1923 Vereinsgeistlicher Erziehungsverein Schwecheln, 1924 Vorsteher der Neinstedter Anstalten, 1926–1933 Vorsitzender des Deutschen Diakonenverbandes, ca. 1929–1933 Leiter der Konferenz der Vorsteher der deutschen Diakonenanstalten, 1930 Mitglied des Deutschen Evangelischen Kirchentages. Bunke, Ernst, Pfarrer, Vorsteher 24, 63, 69, 72, 88, 93, 99, 248–250, 252, 255, 277 geb. 31. 3. 1866 Obischau/Kreis Namslau (Schlesien), gest. 30. 1. 1944 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 49]. Bunzel, Ulrich, Pfarrer 381 geb. 19. 7. 1890 Lichtenau (Schlesien), gest. 23. 5. 1972 Essen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 49]. Bursche, Julius, Bischof 258 geb. 19. 9. 1862 Kalisch/Kalisz, gest. 20. 2. 1942 KZ Sachsenhausen bei Oranienburg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 49]. Buss, Franz Joseph Ritter von, Politiker, Universitätslehrer (Jura), Prof. Dr. mult. 18 geb. 25. 3. 1803 Zell am Harmersbach/Kinzigtal, gest. 31. 1. 1878 Freiburg/Breisgau Studium der Philosophie, Medizin und Rechtswissenschaft (mit dreifacher Promotion), 1829 Habilitation, 1833 Extraordinarius für Staatswissenschaft und Völkerrecht in Freiburg, 1836 Ordinarius, Mitglied der zweiten Kammer des Landtages (1837–1840, 1846–1848, 1873), 1845 Gründung der (katholischen) Süddeutschen Zeitung, 1848 Präsident des Katholikentages, 1848–1850 Großdeutscher Abgeordneter im Frankfurter Nationalparlament und im Erfurter Unionsparlament, 1874–1877 Reichstagsabgeordneter (Zentrum), Leiter der katholischen Bewegung in Baden, Pionier des sozialen Katholizismus, 1863 Nobilitierung. Cassel, Paulus Stephanus (ursprünglich: Selig), Judenmissionar, Politiker, Prof. 20 geb. 27. 2. 1821 Großglogau (Schlesien), gest. 23. 12. 1892 Friedenau bei Berlin Stammt aus einer jüdischen Familie, Studium der Geschichte in Berlin, 1850–1855 Schriftleiter der Erfurter Zeitung, 1855 protestantische Taufe in Büßleben bei Erfurt, 1856–1859 Bibliothekar der königlichen Bibliothek Erfurt, Sekretär und Titularprofessor der Akademie Erfurt, ab 1859 Gymnasiallehrer und Schriftsteller in Berlin, 1866–1867 konservativer Abgeordneter im preußischen Abgeordnetenhaus, 1867–1891 Prediger an der Christuskirche und Judenmissionar der Londoner Missionsgesellschaft.
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Chambon, Joseph, Pfarrrer, Dozent 344, 424, 426, 428 geb. 17. 4. 1884 Ludwigshafen/Rhein, gest. 18. 10. 1965 Zürich [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 50 f.]. Christlieb, Alfred, Pfarrer 385 geb. 26. 2. 1866 Friedrichshafen, gest. 21. 1. 1934 Heidberg/Oberbergischer Kreis Sohn Theodor Christliebs, Theologiestudium in Basel, Bonn und Halle, 1889 Bekehrungserlebnis, Hauslehrer in Gütersloh und Lehrer am Johanneum in Barmen, 1895 Hilfsprediger in Nürmbrecht/Oberbergischer Kreis, 1896 Pfarrer in Heidberg – Engagement in der Gemeinschaftsbewegung, Vorsitzender des Pfarrer-Gebetsbundes. Christlieb, Theodor, Universitätslehrer (PT), Prof. Dr. 21–23, 58, 493 geb. 7. 3. 1833 Birkenfeld bei Neuenbürg/Schwarzwald, gest. 15. 8. 1889 Bonn 1851–1855 Theologiestudium in Tübingen, 1856 Promotion, 1856–1858 Vikar in Ludwigsburg und Pfarrverweser in Ruit, 1858–1865 Auslandspfarrer in London, Kontakte zur evangelikalen und freikirchlichen Szene in Großbritannien, 1865–1868 württembergischer Hofprediger in Friedrichshafen, 1868 Ordinarius in Bonn, 1882/83 holte er Friedrich v. Schlümbach nach Deutschland, Initiator einer deutschen Evangelisationsbewegung, 1883 Gründung des Johanneums als Evangelistenschule, 1884 Gründung des Deutschen Evangelisationsvereins, 1897 einer der Initiatoren der Gründung des Gnadauer Verbandes. Coch, Friedrich, Landesbischof 242–244, 283 f. geb. 11. 12. 1887 Eisenach, gest. 9. 9. 1945 Hersbruck/Bayern [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 52] Conrad, Paul, Vizepräsident 205 geb. 1. 4. 1865 Berlin, gest. 9. 9. 1927 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 53]. Dallmeyer, Heinrich, Gemeinschaftsprediger 210 geb. 25. 2. 1870 Bordesholm, gest. 28. 11. 1925 Nachrodt/Kreis Altena Ausbildung zum Gemeinschaftsprediger am Johanneum, 1896–1899 Jugendsekretär in Dortmund, 1899–1902 Arbeitermissionar in Kassel, 1902–1906 Pfarrgehilfe in Langendreer, 1906 freier Evangelist, 1907 „Geistestaufe“ und Unterstützung der Pfingstbewegung, Distanzierung von dieser nach Ereignissen in Kassel unter seiner Verantwortung, 1909 Unterstützung der Berliner Erklärung gegen die Pfingstbewegung, Evangelist und freier Schriftsteller (gesetzliche Erziehungsratgeber). Deissmann, Adolf, Universitätslehrer (NT), Prof. D. mult. 202–204 geb. 7. 11. 1866 Langenscheid/Lahn, gest. 5. 4. 1937 Wünsdorf bei Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 56 f.]. Dibelius, Franz, Vizekonsistorialpräsident 196 geb. 6. 1. 1847 Prenzlau (Brandenburg), gest. 20. 1. 1924 Dresden [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 57 f.]. Dibelius, Otto, Generalsuperintendent, Bischof 25, 199–201, 215, 239, 312, 350 geb. 15. 5. 1880 Berlin, gest. 31. 1. 1967 ebd. [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 58]. Diettrich, Gustav, Pfarrer, Dr. phil. Lic. theol. 69, 77 geb. 13. 8. 1869 Gehofen bei Artern, gest. 24. 2. 1947 Halle/Saale Theologiestudium in Tübingen, Leipzig, Berlin, 1893 Ordination und Hilfsprediger am Dom zu Berlin, 1895 Pfarrer in London, 1902–1934 Pfarrer in Berlin (seit 1907
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Reformationskirche), 1934 Ruhestand – um 1918 Teilnahme an katholischen Exerzitien. Doehring, Bruno, Hofprediger, Universitätslehrer (PT), Prof. D., MdR 202, 263, 311 geb. 3. 2. 1879 Mohrungen/Ostpreußen, gest. 16. 4. 1961 [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 62]. Dross, Johann Georg Werner, Pfarrer, D. 190 geb. 14. 11. 1847, gest. 15. 7. 1926 Theologiestudium in Berlin, Tübingen, Königsberg, 1874 Ordination, 1874–1877 Pfarrer in Krockow/Westpreußen, 1877–1880 Pfarrer in Brandenburg, 1880–1882 Hauptamtlicher im CA, 1882–1922 Pfarrer in Berlin, 1922 Ruhestand – Mitglied des CA, Ehrenpromotion. Dryander, Ernst v., Oberhofprediger, D. 190 geb. 18. 4. 1843 Halle, gest. 4. 9. 1922 Berlin Theologiestudium in Halle und Tübingen, 1870 Ordination und Hilfsprediger am Dom zu Berlin, 1872–1874 Pfarrer in Torgau, 1874–1882 Pfarrer in Bonn, 1882–1892 Superintendent in Berlin, 1892–1903 Generalsuperintendent der Kurmark, 1898–1922 Oberhofprediger, 1903 Mitglied des Evangelischen Oberkirchenrates, 1906–1918 Geistlicher Vizepräsident des EOK, 1918 Nobilitierung – Ehrenpromotion. Edler, Karl, Jugendsekretär 254 Jugendsekretär im Mohnbachtal, 1930/31 zeitweilige Anstellung durch den DEVVM. Ehrenberg, Hans, Prof. Dr. phil. Dr. rer. pol. 285 geb. 4. 6. 1883 Altona, gest. 31. 3. 1958 Heidelberg [Braun / Grünzinger, Personenlexikon, 68]. Eichst dt, Kurt Erich, Pfarrer 258 f., 354 f., 427 geb. 14. 1. 1895 Kulm/Weichsel, gest. 29. 12. 1977 Bremen 1921 Ordination, Pfarrer in Schirotzken (Westpreußen), 1928–1934 Pfarrer in Posen (Poznan´) und Provinzialpfarrer für Volksmission der IM Posen, 1934–1940 Pfarrer in Bromberg (Bydgosczc), 1940–1945 Superintendent in Bromberg (Bydgosczc), 1947 Pfarrdienst als „Ostpfarrer“ in Asendorf und Bücken (Kreis Hoya), 1947–1962 Vorsteher des Diakonissenhauses Bremen, 1962 Ruhestand. Eismann, Otto, Geheimer Hofrat 205 geb. 1868, gest. 1942 Zugehörigkeit zur Gemeinschaftsbewegung, Engagement für die Internationale Kellner-Mission, im Vorstand der Bibelkreise für Schüler höherer Lehranstalten. Ellwein, Theodor, Pfarrer, Oberkonsistorialrat, Dr. 134–137, 142 f., 298 geb. 18. 5. 1897 Madras/Indien, gest. 22. 2. 1962 München [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 70]. Engel, Fritz v., Landrat, Kammerherr, Volksmissionar 213, 217, 220, 259 f., 266, 277, 281, 303, 319 f., 322, 325–327, 335, 340, 343 f., 347–349, 352, 354 f., 358 f., 369, 382, 419, 422 geb. 25. 10.1874, gest. 1953 Jurastudium in Rostock, 1897 Bekehrungserlebnis, Mitarbeit in DCSV, Gemeinschaftsbewegung und Bibelkreise für Schüler höherer Lehranstalten, Landrat und Kammerherr in Mecklenburg-Neustrelitz, 1918 Entlassung aus dem Verwaltungsdienst, 1920–1932 Volksmissionar des CA mit Verantwortung für die Organisation von Landkonferenzen für Gutsbesitzer, ab 1932 in der Vereinigung für Volksmission, Rechtsritter des Johanniterordens.
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Eppelein, Friedrich (Wilhelm Gottfried), Pfarrer, Missionsdirektor, Dr. phil. 265, 334 geb. 4. 6. 1887 Nürnberg, gest. 25. 12. 1969 Zirndorf 1907–1911 Theologiestudium in Erlangen, Leipzig und Heidelberg, 1911–1912 Pfarrverweser und Vikar in Kirchenlamitz und Weißenstadt, 1912 Vikar und Hilfsgeistlicher in Bayreuth, 1921 Ernennung zum Pfarrer, 1922–1926 Pfarrer in Bayreuth, 1923 nebenamtlicher Berufsevangelist des Landesverbandes für IM, 1926–1928 Missionsinspektor in Neuendettelsau, 1928–1946 Missionsdirektor in Neuendettelsau, 1933 Eintritt NSDAP, 1933/34 Mitglied DC, 1935 Lehrauftrag für Missionswissenschaft in Erlangen, 1937 Ausschluss Reichsschrifttumskammer, 1941 Untersagung der Publikationstätigkeit, 1943 Pfarrvertretung in Neuendettelsau, 1945 Wiederaufnahme in den Dienst der Landeskirche, 1946–1957 Pfarrer in Zirndorf, 1957 Ruhestand. Eschen, Karl Julius Wilhelm, Pfarrer 350 geb. 24. 9. 1896, Oldenburg, gest. 29. 12. 1933 Oldenburg 1914–1919 Militärdienst, 1919–1922 Theologiestudium in Münster und Göttingen, 1923–1925 Hilfsprediger in Rastede und Delmenhorst, 1925–1933 Pfarrer in Delmenhorst, 1933 Pfarrer in Oldenburg. Everling, Otto, Pfarrer, Bundesdirektor, D. Lic. theol, MdR 202 geb. 31. 3. 1864 Eschweiler bei Düren, gest. während des Zweiten Weltkrieges. [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 72]. Faber, Arthur Georg, Pfarrer 342, 371 geb. 31. 7. 1889 Leipzig, Sterbedatum nicht bekannt (nach 1941) 1915 Hilfsprediger in Leipzig-Probstheida, 1916–1918 Pfarrer in Tannenberg, 1918–1937 Pfarrer in Leipzig, 1937 Ruhestand, 1937–1938 Sachbearbeiter bei der Kirchenamtsratsstelle Leipzig, 1938 NSDAP-Parteirichter. Faust, Georg Gustav Philipp, Pfarrer, D. theol. 109, 230 geb. 13. 6. 1877 Sülfeld (Holstein), gest. 7. 4. 1969 1903/04 Vikar in Czernowitz, 1904–1908 Pfarrer in Hliboka/Hlyboka (Bukowina), 1908–1914 Pfarrer in Dornfeld, 1914–1916 zweiter Vereinsgeistlicher der IM Leipzig 1916–1931 Direktor der IM Leipzig, 1931 Pfarrer in Bad Segeberg, später Propst ebd. Fikenscher, Ernst Theodor, Pfarrer, Studienrat 134 geb. 4. 7. 1869 Fürth, gest. 7. 10. 1970 München 1916–1922 Studium in München, Erlangen, Tübingen, 1922–1924 Hilfsgeistlicher, Vikar und Pfarrverweser in Treuchtlingen und Thannhausen, 1925 Aushilfslehrer am Erlanger Gymnasium, 1925–1927 Hilfsgeistlicher in Augsburg, 1927–1929 Pfarrer in Pfäfflingen, 1929–1945 Studienrat in Ansbach, 1933 Beauftragter der Landeskirche für volksmissionarische Jugendarbeit, 1947–1949 Theologischer Hilfsreferent im Landeskirchenrat München, 1949–1964 Landeskirchenrat, 1964 Ruhestand. Fleisch, Paul, Vizepräsident, D. 90 geb. 11. 2. 1878 Hamburg, gest. 11. 3. 1962 Loccum [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 77]. Flemming, Hugo Hermann Wilhelm, Pfarrer 397–399 geb. 22. 1. 1878 Limmer (Hildesheim), gest. 14. 10. 1961 Essen-Werden? 1899–1903 Theologiestudium in Göttingen und Greifswald, 1903–1906 Lehrer auf Föhr, 1905–1906 Hilfsprediger in Stockholm und Söhlde, Hilfsprediger Söhlde (bei Hildesheim), 1909–1916 Inspektor der Berliner Stadtmission, 1916–1925 Pfarrer in Neu-
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strelitz, 1925–1933 Volksmissionar der Wichern-Vereinigung, 1933–1947 Pfarrer in Velbert, 1947 Ruhestand. Foerster, Erich, Universitätslehrer (KG, Religionsphilosophie), Prof. D. Dr. phil. h. c. 89 geb. 4. 11. 1865 Greifswald, gest. 12. 10. 1945 Frankfurt/Main [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon]. Frank, Franz Hermann Reinhold v., Universitätslehrer (KG, ST) Prof. Dr. phil. Lic. theol. 64 geb. 2. 5. 1827 in Altenburg, gest. 7. 2. 1894 Erlangen 1845–1850 Theologiestudium in Leipzig, 1850 Promotion zum Dr. phil., 1851 Promotion zum Lic. theol., 1851 Subrektor der Gelehrtenschule in Ratzeburg, 1853 Gymnasialprofessor in Altenburg, 1857 Ruf auf ein Extraordinariat in Erlangen, 1858 Ernennung zum Ordinarius (Kirchengeschichte und systematische Theologie), Bayerischer Zivilorden mit Nobilitierung – konfessioneller Theologe, eigentlicher Systematiker der Erlanger Schule. Frick, Constantin, Theologe, Pfarrer, Präsident 299 geb. 5. 3. 1877 Magdeburg, gest. 19. 2. 1949 Bremen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 80]. Frçr, Kurt, Pfarrer, Universitätslehrer (PT), Prof. Lic. theol. 135 geb. 10. 10. 1905 Rothenburg ob der Tauber, gest. 16. 2. 1980 Erlangen Studium der Philosophie in München, Studium der Theologie in Kiel, Berlin und Erlangen, 1930 Promotion, 1931 zweites theologisches Examen, 1932–1936 Inspektor des Predigerseminars in Nürnberg, Engagement im bayerischen Kirchenkampf, 1938–1952 Pfarrer in zwei Münchener Gemeinden, 1952–1972 Lehrstuhl für Praktische Theologie in Erlangen. F llkrug, Gerhard, Pfarrer, Direktor, D. Lic. theol. 12, 20, 64–89, 92–95, 97 f., 101, 103, 108–110, 120, 126 f., 174 f., 182, 186–188, 190, 192, 195–197, 201–203, 205–211, 213 f., 217–222, 224–232, 234 f., 237–240, 242–249, 251–257, 260–265, 271–281, 289, 292–298, 300, 303–308, 310, 312, 315, 318–332, 334 f., 337–339, 341–346, 348–353, 355, 357–359, 363–366, 369, 371–374, 379 f., 382–386, 392 f., 400–403, 406, 409 f., 411, 414, 416–422, 424–429, 434 f., 439, 521, 524, 527 geb. 6. 7. 1870 Krotoschin (Krotoszyn)/Provinz Posen, gest. 11. 11. 1948 Neinstedt/ Harz [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 83]. Gennrich, Paul, Generalsuperintendent, Universitätslehrer, Prof. D. Lic. theol. 227, 264 geb. 1865 Zachan/Pommern, gest. 1946 Wernigerode/Harz [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 85 f.]. Gerhardt, Martin, Universitätslehrer (KG), Prof. Lic. theol. 14, 27, 87, 218 geb. 1. 12. 1894 Berlin, gest. 27. 5. 1952 Göttingen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 86]. Gogarten, Friedrich, Universitätslehrer (ST), Prof. D. Lic. theol. 222 geb. 13. 1. 1887 Dortmund, gest. 16. 10. 1967 Göttingen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 90]. Goltz, Eduard Freiherr v. d., Universitätslehrer (ST), Prof. D. Lic. theol. 71, 209 geb. 31. 7. 1870 Langenbruck bei Basel, gest. 7. 2. 1939 Greifswald [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 91].
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Goltz, Emmy Gräfin v. d., Vorsteherin 212 geb. 28. 7. 1859 Westpreußen, gest. 4. 9. 1948 Berlin 1915 Gründerin eines Bibelbundes für Lehrerinnen, bis 1925 Leiterin des Missionsseminars der Morgenländischen Frauenmission (gegr. 1896), seit 1920 Ausbau zu einer Bibelschule mit Ausbildung von Gemeindehelfern, 1922–1931 stellvertretende Vorsitzende der Morgenländischen Frauenmission, 1931–1948 Vorsitzende der Morgenländischen Frauenmission. Graefe, Albert v., Major, MdR 314 geb. 1. 1. 1868 Berlin, gest. 18. 4. 1933 Goldebee/Mecklenburg 1887/88 Jurastudium ohne Abschluss, 1887–1900 Militärdienst, 1896–1907 Diplomat, 1899 Rittergutsbesitzer auf Goldebee, 1914–1918 Kriegsdienst, 1899–1918 Mitglied der Ständevertretung in Mecklenburg-Schwerin, 1912–1928 Reichstagsabgeordneter (1912–1918 Deutschkonservative Partei, 1919–1922 DNVP, 1922–1924 Deutschvölkische Freiheitspartei, 1924/25 Nationalsozialistische Freiheitspartei, 1925–1928 Deutschvölkische Freiheitspartei). Graf, Ludwig, Evangelist 406 geb. 1861, gest. 1935 Fahrrad- und Waffenhändler, wandert in die USA aus, dort bekehrt und Evangelist der Pfingstbewgung, 1922 Rückkehr nach Deutschland (Brieg/Schlesien), 1922–1925 Evangelist im Auftrag der Pfingstbewegung (Mülheimer Verband), Konflikte wegen seines Wirkens in einer landeskirchlichen Gemeinde in Halle, später Zusammenarbeit mit der freikirchlichen Pfingstbewegung um Heinrich Vietheer. Grell, Johannes, Propst 265, 284 geb. 10. 7. 1875 Rathenow/Brandenburg, gest. 22. 2. 1947 Gera [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 91]. Gr gelsiepe, Ernst Otto, Pfarrer 351, 427 geb. 26. 4. 1865 Aplerbeck, gest. 17. 2. 1947 Laasphe 1886–1889 Theologiestudium in Tübingen, Leipzig, Berlin und Bonn, 1892 zweites theologisches Examen, Hilfsprediger in Grevelsberg und Hasslinghausen, 1893 Ordination, 1893–1934 Pfarrer in Langendreer. Gutmann, Bruno, Missionar, D. Dr. jur. h. c. 141 f. geb. 4. 7. 1876 Dresden, gest. 18. 12. 1966 Ehingen am Hesselberg 1895–1901 Missionsseminar in Leipzig, 1902–1908 und 1909–1920 Missionar in Ostafrika (Dschagga), 1920 nach Deportation nach Deutschland wissenschaftliche Publikationen zur Volkskunde der Dschagga und zur Missionstheorie, 1925–1938 Rückkehr nach Ostafrika – Hauptwerk „Gemeindeaufbau aus dem Evangelium“, Ehrenpromotionen in Erlangen (Theologie) und Würzburg (Jurisprudenz). Haas, Ludwig, Volksmissionar, SA-Truppführer 319, 323 Sozialdemokrat oder Kommunist, Journalist, 1927–1928 Volksmissionar des CA, 1929 Anstellung durch CVJM, engagiert sich aber kurz darauf wieder im Rahmen der Arbeiterbewegung, 1934 Truppführer im Standartenhaus Berlin-Pankow (SA). Haensel, Alfred, Pfarrer 70, 367 f., 371 f. geb. 2. 2. 1869 Sackisch, gest. 22. 4. 1922 Lübeck 1892 Ordination, Hilfsprediger am Diakonissenhaus Altona, Pfarrer in Kiel, 1896 Pfarrer in Lübeck in einer neu gegründeten Gemeinde (St. Matthäi), erweckliche
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Verkündigung und enge Kontakte zur Gemeinschaftsbewegung, St. Matthäi bildet das Zentrum der erweckten Kreise in Lübeck. Hagen, Willy Ernst, Volksmissionar, Direktor 208, 212, 216, 225, 230 f., 235, 261 f., 264, 276, 287, 299 f., 303–306, 322, 324, 327–332, 334–338, 340–343, 346 f., 351 f., 354–360, 362–372, 375 f., 378, 384, 391–393, 401–403, 406–408, 411, 413, 420–428, 434 geb. 10. 9. 1885 Eberswalde, gest. 16. 1. 1952 Berlin 1908 Ausbildung Diakonenanstalt Duisburg und Baseler Missionsseminar, 1914 Ordination und Ausreise nach Togo, 1915 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, Militärseelsorger, 1919–1937 Volksmissionar im CA, 1941 kommissarischer Direktor des CA, 1945 zweiter Direktor des CA, 1948 im Vorstand des CA. Hahn, Traugott (sen.), Pfarrer, D. 339 geb. 15. 5. 1848 Komachas (Namibia), gest. 19. 4. 1939 Burgdorf bei Hannover Aufgewachsen in Südwestafrika als Missionarssohn, 1855 Rückkehr nach Deutschland, 1867–1869 Studium der Theologie in Berlin und Dorpat (Tartu), 1871–1874 Pfarrer in Wolde auf Ösel, 1874–1886 Pfarrer in Rauge (Livland), 1886–1918 Pfarrer in Reval/ Talinn, 1915–1917 Verbannung nach Sibirien, 1918 Emigration nach Deutschland, dort als Volksmissionar tätig – Ehrenpromotion in Göttingen. Handtmann, Gottfried, Pfarrer 227, 243, 245 f., 265 geb. 20. 11. 1891 Bellin/Königsberg (Neumark), gest. 27. 6. 1985 1910–1914 Studium der Theologie in Berlin, 1914–1918 Teilnahme am Ersten Weltkrieg, 1919/20 erstes und zweites theologisches Examen in Berlin, 1920–1931 Ordination und Pfarrstellen in Reetz/Belzig, 1931–1945 Vereinsgeistlicher der IM Pommern, 1945 Flucht nach Schleswig-Holstein, 1946–1961 Pfarrer in Flensburg. Hardt, Hermine, Volksmissionarin 212, 320, 340, 347 f. 1922–1931 Volksmissionarin des Central-Ausschusses mit Schwerpunkt auf Frauenarbeit in Mecklenburg, Ostpreußen, Pommern, nach 1931 Evangelistin in der von Gerhard Füllkrug geleiteten Vereinigung für Volksmission. Hasselblatt(-Norden), Dora, Apologetin, Schriftstellerin 212, 216, 221, 237, 320 f., 340 geb.10. 4. 1893 St. Petersburg, gest. 1975 Deutschbaltin, Kontakte zur Anthroposophie, 1925–1927 Volksmissionarin des CA (Schwerpunkt: Sittlichkeitsfragen und Apologetik), 1927/28 Beschäftigung durch den Thüringer Volksdienst, 1928–1931 Angestellte in der Apologetischen Centrale, 1931 Wechsel zur Wichern-Vereinigung. Haudriek, P., Vereinsfunktionär 355, 376 Mitarbeiter des CVJM Reval (Estland). Heckel, Theodor, Bischof, D. Dr. jur. h. c. Lic. theol. 296, 299, 356 geb. 15. 4. 1894 Kammerstein/Mittelfranken, gest. 24. 6. 1967 München [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 102]. Hegner, Otto, Generalsuperintendent, D. 262, 346 geb. 30. 8. 1881 Berseba/Südafrika, gest. 11. 2. 1941 Berlin-Oberschöneweide Theologiestudium u. a. in Königsberg, 1908 Ordination, 1908–1912 Hilfsprediger Elbing, 1912–1924 Pfarrer Elbing, 1924–1927 Superintendent Elbing, 1927–1933 Generalsuperintendent der Grenzmark Posen-Westpreußen, 1934 in den Ruhestand versetzt, 1934–1941 Vorsteher des Diakonissen-Mutterhauses Königin-ElisabethHospital Berlin-Oberschöneweide.
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Heitmann, Ferdinand Carl Ludwig, Pfarrer 115 geb. 16. 6. 1880 Ochsenwerder/Hamburg, gest. 2. 7. 1953 Hamburg 1899–1903 Theologiestudium in Göttingen und Berlin, Lehrer in Blasewitz (Sachsen), 1905 zweites theologisches Examen, Ordination, Hilfsprediger, 1906–1909 Pfarrer in Hamburg-Hammerbrook, 1909–1951 Pfarrer in Hamburg-Eppendorf, Engagement in der bündischen Jugendarbeit, 1919/20 Herausgabe der Zeitschrift der Volkskirchenbewegung „Neue Kirche“ (mit Franz Tügel), 1923–1927 Mitbegründer der Berneuchener Konferenzen, 1931 Mitbegründer der Michaelsbruderschaft, 1932 Lehrbeauftragter an der Universität Hamburg, 1933 Jungreformatorische Bewegung und später Pfarrernotbund, 1933 Unterstützung der Bischofsverfassung und Mitglied der Hamburger Kirchenleitung, 1934 Protest gegen Regiment Franz Tügels, aber gemäßigter BK-Kurs, 1945 Bruch mit der Berneuchener Bewegung – Mitglied im Wingolf, Freimaurer, Mitglied der NSV. Hennig, Martin, Pfarrer, Direktor 177–181, 183, 185, 188–190 geb. 28. 11. 1864 Loslau (Oberschlesien), gest. 27. 8. 1920 Bad Tölz 1884–1888 Studium der Theologie in Breslau und Greifswald, 1889–1892 Helfer im Rauhen Haus, 1895–1901 Vereinsgeistlicher der IM Brandenburg, 1901–1920 Direktor des Rauhen Hauses, 1908 Gründung der Wichern-Vereinigung. Hilbert, Gerhard, Universitätslehrer (PT), Superintendent, Prof. D. 12, 24, 26, 29, 31, 35–64, 67–74, 76–82, 86, 88, 91, 93, 98, 101, 103, 106, 108–110, 115, 117, 120 f., 124–127, 141, 182–190, 192–196, 230, 232 f., 243, 264 f., 268, 307, 342, 410, 415, 430–433, 435, 439 f. geb. 9. 11. 1868 Leipzig, gest. 16. 5. 1936 Leipzig [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 112]. Hinderer, August Hermann, Universitätslehrer, Publizist, Prof. 202 geb. 8. 8. 1877 Weilheim/Teck, gest. 27. 10. 1945 Kirchheim/Teck [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 113]. Hirsch, Emanuel, Universitätslehrer (ST), Prof. D. Lic. theol. 102, 113 f., 120, 127, 318 geb. 14. 6. 1888 Bentwisch (Ostpreußen), gest. 17. 7. 1972 Göttingen [Braun /Grünzinger, Personenlexikon, 113 f.]. Hitler, Adolf, Reichskanzler 109, 138, 162, 256, 260, 265, 268 f., 310, 316 f. geb. 20. 4. 1889 Braunau am Inn, gest. (Suizid) 30. 4. 1945 Berlin 1914–1918 Kriegsdienst an der Westfront, 1921 Vorsitzender der NSDAP, 1923 gescheiterter Putsch und Festungshaft, 1933 Reichskanzler, 1934 „Führer und Reichskanzler“, 1939 Entfesselung des Zweiten Weltkrieges, 1945 Selbstmord angesichts der aussichtslosen Kriegslage. Hçlzel, Johannes, Pfarrer 208, 214–216, 218, 227, 234–237, 253, 261, 266, 303, 305–310, 312 f., 318 f., 322, 324, 327–335, 338–346, 348–353, 355–357, 359 f., 362–366, 370–395, 399–414, 416 f., 419–424, 426, 428 geb. 13. 6. 1877 Berlin, gest. 13. 5. 1943 Wuppertal Theologiestudium in Berlin, Reiseprediger der „Gesellschaft zur Verkündigung des Evangeliums“, 1904–1920 Hilfsprediger und Pfarrer in Berlin-Kreuzberg, 1920–1930 Volksmissionar im Dienst des CA, Stadtmissionar in Wuppertal, 1933 Pfarrer in Wuppertal-Wichlinghausen, als Angehöriger der BK im Visier der Gestapo, 1938 Verweigerung des Eides auf Hitler.
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Personenregister / Biografische Angaben
Hoffmann, Adolf, Minister 85, 199 f. geb. 22. 3. 1858 Berlin, gest. 1. 12. 1930 Berlin Freireligiöser Prediger und Beteiligung an Kirchenaustrittsbewegung („10-GeboteHoffmann“), 1900–1921 Stadtverordneter Berlin (SPD), 1904–1906 Reichstagsabgeordneter, 1908 Mitglied des Preußischen Landtages, 1918 preußischer Kultusminister (USPD), 1919 Mitglied Preußische Landesversammlung, 1920–1924 Reichstagsabgeordneter. Hoffmann, Albert, Missionar 70, 80 geb. 11. 12. 1865 Zeppenfeld/Kreis Siegen, gest. 11. 1. 1942 Rödgen (Westfalen) Bergmann, Engagement in erweckten Kreisen, 1887–1892 Missionsseminar in Barmen, 1892 Ordination, 1892–1898 Missionar in Neuguinea, 1898–1900 Heimataufenthalt, 1900–1904 erneuter Aufenthalt in Neuguinea, 1906–1909 Reisen innerhalb Deutschlands, 1910 Teilnahme an der Weltmissionskonferenz Edinburgh, 1913 Heimatmissionsinspektor der Barmer Mission, 1929 Verhandlungen über Neuaufnahme der Barmer Neuguineamission, 1929 stellvertretender Direktor der Barmer Mission, 1939 Verwaltung der Pfarrstelle in Rödgen. Hofmann, Rudolf Amadeus, Pfarrer 342 geb. 24. 9. 1871 Breitingen, gest. 26. 5. 1940 1901–1916 Pfarrer in Leipzig Gohlis, 1916–1934 Pfarrer in Leipzig, 1934 Ruhestand. Holl, Karl, Universitätslehrer (KG), Prof. D. Lic. theol. 102, 187 geb. 15. 5. 1866 Tübingen, gest. 23. 5. 1926 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 114]. Hossenfelder, Joachim, Bischof 129, 133, 148, 268, 296 f., 437 geb. 3. 6. 1881 Cottbus (Brandenburg), gest. 28. 6. 1976 Lübeck [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 117]. Humburg, Paul, Pfarrer 196 geb. 22. 4. 1878 Mülheim/Ruhr, gest. 21. 5. 1945 Detmold [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 118]. Ihmels, Ludwig, Landesbischof, Universitätslehrer (ST), Prof. D. 96, 102, 233 geb. 29. 6. 1858 Middels/Ostfriesland, gest. 7. 6. 1933 Leipzig [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 120 f.]. Ilgenstein, Wilhelm, Pfarrer 421 f., 428 geb. 3. 2. 1872 Bernburg, gest. 2. 3. 1959 Badenweiler 1892–1897 Theologiestudium in Tübingen, Leipzig und Halle, Engagement im CVJM und Gustav-Adolf-Verein, 1897/98 Hauslehrer, 1898 zweites theologisches Examen, Vikar in Rathmannsdorf, 1899 Vikar in Graz und Fürstenfeld/Steiermark, Unterstützung der Los-von-Rom-Bewegung, 1900 Ordination, 1900–1906 Hilfspfarrer und anschließend Pfarrer in Fürstenfeld, 1906–1910 Pfarrer in Edderitz (Anhalt), 1910–1914 Inspektor der Berliner Stadtmission, Publikationen über die Sozialdemokratie, 1914–1936 Pfarrer in Düsseldorf, 1920 Hilfswerk für das Baltikum, 1930 Heirat mit Anna Katterfeld, 1933 DC, 1934 Unterschrift zu einem Treuegelöbnis zu den DC, verlässt diese aber im Laufe des Jahres, 1936 Ruhestand, Schriftsteller in Badenweiler – Mitglied der VDSt Leipzig und Halle. Immer, Karl, Pfarrer, Lic. theol. 307, 310, 329 f. geb. 1. 5. 1888 Manslagt/Ostfriesland, gest. 6. 6. 1944 Meinberg an der Lippe [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 121].
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Jack, Walter Ludwigowitsch, Missionsinspektor 258 geb. 15. 8. 1878 Magdeburg, gest. 7. 1. 1939 Wernigerode Theologiestudium, Bibelschullehrer in Lichtenrode, 1906 Aussendung durch die Orientmission von Johannes Lepsius zur Arbeit unter Molokanen und Mennoniten in der Ukraine, 1907 Eröffnung eines Predigerseminars, 1914–1919 Divisionspfarrer in Russland und Kriegsgefangenschaft, 1919 Missionsinspektor des Missionsbundes „Licht im Osten“, 1938 Ehrensenior der Evangeliumschristen. J ger, August, Rechtswalter, Regierungsdirektor, Dr. iur. 285, 295 geb. 21. 8. 1887 Diez/Lahn, gest. (hingerichtet) 17. 6. 1949 Posen (Poznan´) 1907–1911 Jurastudium, 1914–1919 Kriegsdienst, 1919 Referendariat und Promotion, 1921–1933 Richter (ab 1926 Landgerichtsrat) in Wiesbaden, 1933 Eintritt NSDAP und Amtswalter für evangelische Angelegenheiten in deren Reichsleitung, Ministerialdirektor und Leiter der Abteilung für Kirchenfragen im Preußischen Kultusministerium, Kirchenkommissar (Juni / Juli), 1934 „Rechtswalter“ des Geistlichen Ministeriums der Reichskirche, 1936–1939 Senatspräsident des Berliner Kammergerichts, 1939 stellvertretender Chef der Zivilverwaltung im Warthegau, 1941–1945 Regierungspräsident, 1945–1949 polnische Gefangenschaft, Gerichtsverfahren und Hinrichtung. Jeep, Walter, Pfarrer, Direktor, D. 274–276, 278–282, 284 f., 288–293, 359 f. geb. 13. 4. 1878 Bad Harzburg, gest. 5. 2. 1964 Bremen 1896–1900 Theologiestudium in Greifswald, Tübingen und Berlin, 1904 zweites theologisches Examen in Wolfenbüttel, 1909 Pfarrer in Vorsfelde, 1922–1932 Vereinsgeistlicher der IM Braunschweig, 1931/32 Mitglied des Elfer-Ausschusses zur Aufarbeitung des Devaheim-Skandals, 1932–1934 Direktor des CA und Vorsitzender des DEVVM, 1934–1945 Pfarrer in Bremen und Mitglied des Landesbruderrates. Jellinghaus, Paul Max Nathanael, Amtsvorsteher, Pfarrer, Dr. phil. 328, 354, 357 Geb. 12. 10. 1876 Rädnitz bei Crossow, gest. 3. 3. 1960 Lichtenrade Sohn des Evangelisten Theodor Jellinghaus, 1899–1904 Studium der Philologie und Theologie in Berlin mit Oberlehrerexamen, 1905 Promotion (Anglistik), 1905 Leiter der Bibelschule in Berlin-Lichtenrade (seit 1912 in Wilhelmsdorf bei Brandenburg), zeitweilig ehrenamtlicher Amtsvorsteher inWilhelmsdorf, 1925/26 Volksmissionar des CA, 1928 Ordination, 1928 Pfarrverweser in Pröküls (Memelland), 1930–1933 Pfarrer in Pröküls, 1933–1933 Pfarrer in Wischwill (Memelland), 1935–1945 Pfarrer in Schmarse (Kirchenkreis Züllichau), 1945–1950 kommissarischer Pfarrer in BerlinLichtenrade. K hler, Martin, Universitätslehrer (ST), Prof. D. Dr. theol. 40 f., 43, 64, 145 geb. 6. 1. 1835 Neuhausen/Königsberg, gest. 7. 1. 1912 Freudenstadt 1864 Professor für Systematische Theologie in Bonn, 1867 Ruf nach Halle/Saale, Ehrenpromotion in Halle/Saale, Wechsel auf eine Professur für Neues Testament und Systematische Theologie. K stner, Paul Albin? 232 geb. 17. 2. 1873 Zwickau? Studienrat in Leipzig, Anhänger des Bundes für Deutsche Kirche, beteiligt an Konferenzen der deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft Leipzig. Kaftan, Theodor, Generalsuperintendent 186 geb. 18. 3. 1847 Apenrade/Nordschleswig, gest. 26. 11. 1932 Baden-Baden Theologiestudium in Erlangen, Berlin und Kiel, 1873–1880 Pfarrer in Apenrade,
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Personenregister / Biografische Angaben
1880–1884 Regierungs- und Schulrat in Schleswig, 1886–1917 Generalsuperintendent in Kiel, kirchenreformerische Aktivitäten, 1917 Emeritierung, im Ruhestand Pfarrer der lutherischen Gemeinde in Baden-Baden. Kahl, Wilhelm, Universitätslehrer (Jura), Prof. D. Dr. iur. Dr. med. h. c. 200 geb. 17. 6. 1849, gest. 14. 5. 1932 [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 127. Kameke, Karl Otto von, Senatspräsident 202, 220 f., 240, 255, 261, 277, 527 geb. 24. 1. 1889 Biziker (Pommern), gest. 27. 7. 1959 Würzburg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 128 f.]. Karow, Emil, Präsident, Generalsuperintendent, D. 262, 264, 275, 314 geb. 22. 8. 1871 Prenzlau, gest. 10. 7. 1954 Klein-Machnow [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 130]. Katterfeld (verh. Ilgenstein), Anna, Schriftstellerin 421 geb. 2. (14. neuen Stils) 10. 1880 Keidany/Litauen, gest. 20. 2. 1964 Steinen Deutschbaltin aus einer Theologenfamilie, 1899 Lehrerprüfung und Hauslehrerin, 1900 Bekehrungserlebnis, 1906–1912 Lehrerin, Tätigkeit abgebrochen wegen einsetzender Taubheit, seither schriftstellerische Aktivitäten, 1919 Erlebnis der baltischen Revolution, 1928 und 1929 Vortragsreisen in Deutschland, 1930 Eheschließung mit Wilhelm Ilgenstein und Übersiedlung nach Düsseldorf, 1933–1936 DC und publizistisches Engagement für die NSDAP, nach 1945 weiter schriftstellerisch aktiv. Keinath, Johannes, Diakon 324, 382 geb. 24. 11. 1881 Onstmettingen (Württemberg), gest. 16. 7. 1952 Tailfingen (Württemberg) Diakon (Karlshöhe Ludwigsburg), 1909–1948 Sekretär im CA, 1914–1917 Kriegsdienst als Unteroffizier mit Schwerbeschädigung, 1927–1933 Bürovorsteher im CA. Keller, Samuel, Pfarrer, Evangelist 23, 67, 70, 90, 192, 209, 305, 396 f. geb. 1856 Petersburg, gest. 1924 Freiburg im Breisgau Studium in Dorpat (Tartu), Pfarrer in der russischen Steppe, 1881 Erweckung, 1890 Emigration nach Deutschland aus politischen Gründen, 1890–1892 Generalsekretär der deutschen Sittlichkeitsvereine, 1892–1898 Pfarrer in Düsseldorf, ab 1898 freier Evangelist, 1904 Mitbegründer des Eisenacher Verbandes für kirchliche Evangelisation. Kern, Helmut, Pfarrer 28, 130–135, 137, 144, 160, 164 f., 208, 265, 270, 296, 334 geb. 25. 11. 1892 Nördlingen, gest. 16. 12. 1941 Bukarest [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 131 f.]. Kerrl, Hanns, Reichsminister 315 geb. 11. 12. 1887 Fallersleben, gest. 14. 12. 1941 Paris Mittlerer Justizdienst, 1914–1918 Kriegsdienst, 1918 Justizoberrentmeister in Peine, 1925 Eintritt in die NSDAP, 1926 Kreisleiter in Peine, 1928 Abgeordneter im Preußischen Landtag, 1932 Präsident des Preußischen Landtages, 1933 zusätzlich Reichskommissar für die preußische Justizverwaltung, 1934–1936 Reichsminister ohne Geschäftsbereich, 1936–1941 Reichsminister und preußischer Minister für kirchliche Angelegenheiten. Keysser, Christian, Missionar, D. 141 f. geb. 7. 3. 1877 in Geroldsgrün/Oberfranken, gest. 14. 12. 1961 Neuendettelsau Ausbildung am Missionsseminar Neuendettelsau, 1899–1920 Missionar in Neuguinea,
Personenregister / Biografische Angaben
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1920 Missionsinspektor und Lehrer am Missionsseminar Neuendettelsau, Publikationen zur Missionstheorie und Belletristik, 1928 Mitglied Christlich-Sozialer Volksdienst, 1933 Eintritt NSDAP, 1933/34 Mitglied DC. Kittel, Gerhard, Universitätslehrer (NT), Prof. D. Lic. theol. 89 geb. 23. 9. 1888 Breslau, gest. 11. 7. 1948 Tübingen 1919 Geschäftsführer des Christlichen Volksdienstes Leipzig [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 134]. Kleist-Schmenzin, Ewald v., Jurist, Gutsbesitzer, Widerstandskämpfer 261, 311 geb. 22. 3. 1890 Groß Dubberow/Pommern, gest. (Hinrichtung) 9. 4. 1945 BerlinPlötzensee 1908 Studium der Rechte in Leipzig und Greifswald, Referendariat, 1914–1918 Kriegsdienst, 1918 Gutsherr auf Schmenzin/Pommern, Beteiligung am Kapp-LüttwitzPutsch, 1929–1933 Vorsitzender des Hauptvereins der Deutschkonservativen, 1930 Mitbegründer der Christlich-deutschen Bewegung, 1932 Veröffentlichung einer NSkritischen Schrift, 1933 erstmals in Haft, 1935 Mitglied der BK, 1938–1944 konspiratives Engagement im Widerstand und Kontakte nach Großbritannien, 1944 Beteiligung an den Staatsstreichplänen, nach Scheitern des Attentats Verhaftung, Todesurteil und Hinrichtung – Mitglied der DNVP, Leiter des Pommerschen Landbundes. Knak, Siegfried, Missionsdirektor, Universitätslehrer (Missionswissenschaft), Prof. D. 88, 165 f. geb. 12. 5. 1875 Zedlitz/Sachsen, gest. 22. 5. 1955 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 138]. Koch, Hans, Universitätslehrer (KG, Osteuropageschichte), Prof. Dr. phil. 258 geb. 7. 7. 1894 Lemberg/Galizien, gest. 9. 4. 1959 München [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 140]. Koch, Karl, Präses, D. 296 geb. 6. 10. 1876 Witten, gest. 28. 10. 1951 Bielefeld [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 140]. Kogelschatz, Kaufmann 237 Berliner Kaufmann, Mitglied der Kommission für Volksmission. Kraemer, August, Pfarrer 332, 351 geb. 8. 6. 1867 Wattenscheid, gest. 5. 2. 1947 Bad Salzuflen 1886–1889 Theologiestudium in Tübingen, Halle und Bonn, Hilfsprediger in Wattenscheid und Ückendorf; 1894 Ordination, 1895–1938 Pfarrer in Weitmar, 1937 Superintendenturverweser in Bochum, 1938 Ruhestand. Kramer, Martin Christian Gustav, Pfarrer 331, 342 geb 27. 5. 1872, gest. 14. 5. 1929 Bitterfeld Theologiestudium in Tübingen und Halle, 1898–1899 Seemannspfarrer Sunderland, 1899 Ordination, 1899–1904 Pfarrer der dt. Gemeinde in Sunderland, 1904–1905 Auslandspfarrer in Bari, 1905–1914 Pfarrer in Manchester, 1914–1924 Pfarrer Niemberg, 1924–1929 Superintendent in Bitterfeld. Krause, Wilhelm Heinrich Karl, Pfarrer 204, 214, 239 f., 255 geb. 26. 7. 1875 Berlin, gest. 2. 9. 1951 Berlin Theologiestudium in Berlin und Halle, 1904 Ordination, 1902–1909 Pfarrer an der schwimmenden Schifferkirche in Berlin, 1909 Pfarrer in Berlin (Paul-Gerhardt-Kirche), 1918–1930 Mitglied der Kommission für Volksmission im CA.
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Personenregister / Biografische Angaben
Krawielitzki, Theophil, Pfarrer, Direktor 324, 425 geb. 22. 6. 1866 Rauden/Westpreußen, gest. 22. 3. 1942 Marburg Studium der Mathematik und Theologie in Berlin und Königsberg, 1892 Ordination, 1892–1894 Hilfsprediger in Neustadt/Westpreußen, 1894–1906 Pfarrer in Vandsburg (Wie˛cbork), 1895 Bekehrungserlebnis und Kontakte zur Gemeinschaftsbewegung, 1900 Gründung des Mutterhauses Vandsburg, 1908 Umzug nach Marburg, 1922 Gründung des Deutschen Gemeinschaftsdiakonieverbandes, Direktor, 1933 starkes NS-Engagement, 1935 Austritt der Gemeinschaftsdiakonie aus dem Gnadauer Verband wegen dessen BK-Kurs – Mitglied der Königsberger Burschenschaft Gothia. Krenzlin, Paul, Präsident 209, 220, 255 geb. 23. 5. 1868 Nordhausen, gest. 29. 6. 1963 Berlin Studium der Theologie und Rechtswissenschaften in Halle, 1921–1933 Präsident des Landeskulturamtes Berlin, 1923 Mitglied des CA, 1933 Mitglied der Bekennenden Kirche – Mitglied in den VDSt Halle, Tübingen und Berlin. Kube, Wilhelm, Gauleiter 268 geb. 13. 11. 1887 Glogau/Schlesien, gest. (Attentat) 23. 9. 1943 Minsk 1908 Studium der Staatswissenschaft, Geschichte und Geographie in Berlin, 1909 Mitbegründer des Deutsch-Völkischen Studentenbundes, 1911 Mitglied der DeutschSozialen Partei, 1912 Studienabbruch und Redakteur in Wismar und Breslau, 1920 Generalsekretär der DNVP, 1924 nach Austritt aus der DNVP Reichsgeschäftsführer der Deutsch-Völkischen Freiheitspartei und Abgeordneter des Reichstages, 1928 Gauleiter in Brandenburg, 1932 Mitbegründer der DC, 1933 Oberpräsident der Mark Brandenburg, 1936 Amtsenthebung, 1941 Generalsekretär für Weißruthenien, Tod durch ein Attentat und Staatsbegräbnis in Berlin – Mitglied im VDSt Berlin. K nneth, Walter, Vereinsgeistlicher, Universitätslehrer (ST), Prof. D. Dr. phil. Lic. theol. 148 f., 226, 236, 238, 240, 247–252, 267, 269, 275, 278–280, 283 f., 287, 289–293, 296, 298 f., 436 geb. 1. 1. 1901 Etzelwang (Oberpfalz), gest. 26. 10. 1997 Erlangen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 148]. Kuhlo, Johannes, Pfarrer, D. 186 geb. 8. 10. 1856 Gohfeld, gest. 16. 5. 1941 Bielefeld Theologiestudium in Halle, Leipzig und Erlangen, 1879 erstes theologisches Examen, 1879–1881 Helfer im Rauhen Haus, 1881 Vikar in Alswede, 1882–1893 Pfarrer in Hüllhorst, 1893–1926 Anstaltspfarrer in Bethel, 1926 Ruhestand – Ehrenpromotion in Erlangen, Inspirator der Posaunenarbeit in der Evangelischen Kirche („Posaunengeneral“), Mitglied der NSDAP. Lafrenz, August, Pfarrer 338, 420 f., 427 geb. 8. 9. 1890 Kleinbarkau, gest. 31. 5. 1964 Hamburg-Groß-Flotbek 1920 Ordination zum Provinzialvikar in Kiel, 1920–1926 Kompastor in Lunden/ Schleswig-Holstein, 1926–1934 Pfarrer in Bordesholm/Schleswig-Holstein, 1934–1938 Pfarrer in Kappeln/Schleswig-Holstein. Langenfass, Friedrich Christian, Dekan 132 geb. 8. 7. 1880 Hohenaltheim bei Nördlingen, gest. 5. 2. 1965 München [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 152].
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Langmann, Otto, Pfarrer, Diplomat 293, 295 geb. 20. 12. 1898 Malchin/Mecklenburg, gest. 10. 11. 1956 [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 153]. Le Bon, Gustave, Psychologe, Dr. med. 84 geb. 7. 5. 1841 Nogent-le-Routrou, gest. 15. 12. 1931 Paris Arzt, 1870 Militärarzt, Beschäftigung mit Völkerkunde und Psychologie, schriftstellerische Arbeiten zur Gruppenpsychologie, Geschichte und Physik, Hauptwerk: Psychologie des Foules (1895) – Ehrung: Offizier der Ehrenlegion. Lepsius, Johannes, Missionar, Dr. phil. 23, 70 geb. 15. 12. 1858 Berlin, gest. 3. 2. 1926 Meran Studium der Theologie und Philosophie, 1880 Dr. phil., 1884–1886 Lehrer und Hilfsprediger in Jerusalem, 1886–1897 Pfarrer in Friesdorf/Harz, 1895 Gründung der Deutschen Orientmission, Reisen in den Orient und Interesse am Schicksal der Armenier, 1914 Gründung der Deutsch-Armenischen Gesellschaft, 1915–1918 Versuch der Verhinderung des Genozids an den Armeniern, 1919 Mitherausgeber der Sammlung der Akten zur Kriegsschuldfrage – Kontakte zur Gemeinschaftsbewegung jedoch Trennung wegen der Frage der Inspiration der Bibel. Litzmann, Karl, General, MdR 235 geb. 22. 1. 1850 Neuglobsow/Kreis Ruppin, gest. 28. 5. 1936 Neuglobsow/Kreis Ruppin 1867 Berufssoldat, 1901 Kommandeur der 31. Division, 1902 Direktor der Kriegsakademie, 1905 zur Disposition gestellt, 1912 Gründung des Jungdeutschlandbundes, 1914 Sieg in der Schlacht von Lodz, Stahlhelmführer, 1929 Eintritt NSDAP, 1930 Reichstagsabgeordneter, Mitglied des preußischen Landtages, mehrfach Alterspräsident, 1940–1945 Umbenennung von Lodz in Litzmannstadt. Lçhe, Johann Konrad Wilhelm, Pfarrer, Vorsteher 334 geb. 21. 2. 1808 Fürth, gest. 2. 1. 1872 Neuendettelsau 1826–1830 Theologiestudium in Erlangen und Berlin, 1831–1837 Vikariats- und Hilfspredigerstellen u. a. in Fürth, 1837–1872 Pfarrer in Neuendettelsau, schriftstellerische Tätigkeit im konfessionell-lutherischen Sinne, 1841 Gründung eines Seminars für Geistliche für Nordamerika, 1853 Gründung der Diakonissenanstalt Neuendettelsau, 1860 zeitweilige Suspendierung. Lohss, Otto, Volksmissionar 245, 265 geb. 6. 1. 1881 Welzheim, gest. 15. 6. 1961 Ulm Kaufmännische Lehre in Stuttgart, Missionsausbildung in Basel, 1906–1912 Missionar in China, 1912–1914 Reiseprediger in Württemberg, 1919–1922 Inspektor der Stadtmission in Pforzheim, anschließend Volksmissionar und Evangelist, 1931–1933 Organisation der Christlich-deutschen Bewegung in Süddeutschland, 1933–1947 Volksmissionar in Württemberg, Baden und Nassau, 1947 Ruhestand im Zuge der Entnazifizierung, diverse Pfarrvertretungen – Mitglied der DC (1933–1934), Anwärter auf NSDAP-Mitgliedschaft (1933–1935). Ludendorff, Erich Friedrich Wilhelm, General, MdR 109, 230 f. geb. 9. 4. 1865 Gut Krzsewnia/Posen, gest. 20. 12. 1937 Tutzing Ausbildung an den Kadettenanstalten Plön und Berlin-Lichterfelde, 1882 Offizierspatent, Leutnant der Marineinfanterie, Hauptmann im Generalstab, 1908–1912 Chef der Aufmarschabteilung im Großen Generalstab, April 1914 Generalmajor, August 1914 Chef des Generalstabs der VIII. Armee, Erfolg in der Schlacht bei „Tannenberg“ gegen
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die russische Invasion Ostpreußens, 1916 Generalquartiermeister, 1916–1918 faktische Stellung eines Militärdiktators, 1918 Forderung nach Waffenstillstand und Entlassung, 1920 Beteiligung am Kapp-Lüttwitz-Putsch, 1923 gescheiterter Hitler-LudendorffPutsch, 1924 Freispruch im Hitlerprozess, 1924–1928 Reichstagsabgeordneter der Deutsch-Völkischen Freiheitspartei, 1925 gescheiterte Kandidatur als Reichspräsident, 1925 Gründung des Tannenbergbundes, der sich neben dem völkischen politischen Profil zu einer neuheidnisch-antichristlichen Bewegung entwickelt, 1933 Warnung vor Hitler als Reichskanzler. L cke, Friedrich, Universitätslehrer (KG, NT, ST), Abt, Prof. D. 16 geb. 24. 8. 1791 Egeln bei Magdeburg, gest. 14. 2. 1855 Göttingen Studium und Repetentur in Halle an der Saale und Göttingen, 1818 Extraordinarius in Berlin, 1819 Ordinarius (NT und KG) in Bonn, 1827 Ordinarius (NT und ST) in Göttingen, 1839 Konsistorialrat, 1837 Abt von Bursfelde – Vermittlungstheologe, nutzt als einer der ersten den Terminus „Innere Mission“. L pke, Hans v., Pfarrer, D. 231 geb. 28. 12. 1866 Müden/Aller, gest. 1. 1. 1934 Göttingen Studium der Theologie in Tübingen, Erlangen und Göttingen, 1889 erstes theologisches Examen, 1892 zweites theologisches Examen, 1893 Ordination und Hilfsprediger in Jena, 1894–1901 Pfarrer in Chodra, 1901–1911 Pfarrer in Thalbügel, 1907–1934 Herausgabe der Zeitschrift „Dorfkirche“ und Mitbegründer der Dorfkirchenbewegung, 1911–1917 Superintendent in Auma, 1917–1919 Pfarrer in Windischleuba, 1919–1925 Pfarrer in Isernhagen/Hannover, 1925 Ruhestand als Publizist und Privatgelehrter, 1933 Lehrauftrag an der Universität Göttingen – Ehrenpromotion in Marburg. Luther, Martin, Reformator, D. 39 f., 43, 50, 59, 138, 141, 146, 151, 233, 314 f., 318, 396 geb. 10. 11. 1483 Eisleben, gest. 15. 2. 1546 Eisleben 1501–1505 Studium der Artes liberales in Erfurt, abgeschlossen mit dem Magistergrad, 1505 Abbruch des Studiums der Rechte und Eintritt in das Kloster der AugustinerEremiten Erfurt, 1507 Priesterweihe, 1507–1512 Theologiestudium in Erfurt und Wittenberg, 1512 Promotion und Professur an der Universität Wittenberg, 1515–1518 Distriktvikar der Augustiner-Eremiten in Thüringen, 1517 Veröffentlichung der 95 Thesen gegen den Ablass, 1518–1521 Bekanntwerden im Zuge des Ketzerprozesses gegen ihn, 1521 Bann und Reichsacht (Reichstag zu Worms), 1521–1522 Aufenthalt auf der Wartburg und Beginn der Bibelübersetzung, 1522 Rückkehr nach Wittenberg, 1525 Eheschließung, 1525–1530 Beiträge zur reformatorischen Theologie und zur kirchlichen Praxis in den evangelisch gewordenen Territorien, 1530–1546 „später Luther“ als bleibende Identifikationsfigur der „lutherischen“ Reformation. Mahling, Friedrich, Vereinsgeistlicher, Universitätslehrer (PT), Prof. D. 20, 25 f., 174, 180, 190, 200 geb. 14. 2. 1865 Frankfurt am Main, gest. 18. 5. 1932 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 165]. Marahrens, August, Landesbischof, Abt, D. 134 geb. 11. 10. 1875 Hannover, gest. 3. 5. 1950 Loccum Studium der Theologie und Philosophie in Göttingen und Erlangen, 1901 zweites theologisches Examen, 1905–1909 Pfarrer und Konsistorialassistent in Hannover, 1909–1914 Direktor des Predigerseminars in Erichsburg, 1914–1919 Lazarettpfarrer
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und Kriegsgefangenschaft, 1920–1922 Superintendent in Einbeck, 1922–1925 Generalsuperintendent in Stade, 1925–1947 Landesbischof in Hannover, 1928–1950 Abt zu Loccum, 1934–1936 Vorsitzender der ersten Vorläufigen Kirchenleitung der BK, 1935–1945 Vorsitzender des lutherischen Weltkonventes, 1937–1945 Vorsitzender der Kirchenführerkonferenz, 1939–1945 Vorsitzender des Geistlichen Vertrauensrates, 1947 Ruhestand – Ehrenpromotion – Mitglied im Studenten-Gesangverein der Georgia Augusta Göttingen im Sondershäuser Verband. Medenwald, Johannes Paulus Bernhard, Pfarrer 348, 420 geb. 28. 6. 1866 Groß-Grünow, gest. 22. 6. 1945 Anklam? Theologiestudium in Greifswald und Berlin, 1896 Hilfsprediger in Middelhagen auf Rügen 1897–1937 Pfarrer in Middelhagen. Meinzolt, Hans, Oberkirchenrat, Staatssekretär, D. Dr. jur. 335 geb. 27. 10. 1887 Bächingen an der Brenz, gest. 20. 4. 1967 Weßling (Oberbayern) [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 169]. Meiser, Hans, Landesbischof, D., D. D. 132–137, 143, 158 f., 161, 164 geb. 16. 2. 1881 Nürnberg, gest. 8. 6. 1956 München [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 169 f.]. Merz, Georg, Universitätslehrer (KG, PT), Prof. D. 137 geb., 3. 3. 1892 Walkersbrunn/Oberfranken, gest. 16. 11. 1959 Neuendettelsau [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 171]. Michaelis, Walter, Präses, D. 67, 70, 80, 90, 144, 195, 206, 210 f., 305, 387 geb. 4. 3. 1866 Frankfurt/Oder, gest. 9. 10. 1953 Göttingen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 174]. Modersohn, Ernst Heinrich Wilhelm Hermann, Pfarrer 211, 305, 341, 396, 418 f. geb. 14. 2. 1870 Soest, gest. 2. 2. 1948 Bad Blankenburg/Thüringen 1889–1892 Theologiestudium in Tübingen, Berlin, Halle und Bonn, 1892/93 Volksschullehrer, 1893/94 Vikar in Siegen und Pfarrverweser in Werl, 1895 Ordination, 1895–1899 Pfarrer in Weidenau, 1899–1905 Pfarrer in Mülheim/Ruhr, Initiator der Mülheimer Erweckung, 1906–1910 Leiter des Erholungshauses der Blankenburger Allianz, 1910 freier Evangelist und Schriftsteller, 1933–1945 Plädoyer für Separation von der Thüringer Landeskirche, aber neutrale Haltung in den kirchenpolitischen Auseinandersetzungen. Mçbius, Karl, Gemeinschaftsinspektor, Verlagsdirektor 90 f. geb. 27. 7. 1878 Leipzig, gest. 5. 5. 1962 Neumünster Lehre als Antiquar und Buchhändler, 1899 Eintritt in die Verlagsbuchhandlung Ichloff & Co., 1906 Schriftleiter der Zeitschrift „Auf der Warte“, seit 1907 im Vorstand des Gemeinschaftsvereins Schleswig-Holstein 1911–1915 Inspektor des Mecklenburger Gemeinschaftsverbandes, 1934–1943 Vorsitzender des Gemeinschaftsvereins Schleswig-Holstein, weitere Ämter in gemeinschaftsnahen Verbänden, Engagement im Christlich-Sozialen Volksdienst, 1937 Verbot der Schriftleitung durch Reichsschrifttumskammer. Moeller, Otto 255 geb. 7. 1. 1870, gest. 1. 5. 1931 Potsdam 1896 Ordination, 1896–1905 Pfarrer in Luschwitz, 1905–1909 Pfarrer in Neustadt bei Pinne, 1909–1917 Landespfarrer für IM und Pressearbeit Posen, 1917–1931 Leiter des Kirchlichen Hilfsvereins in Brandenburg, Geschäftsführer der brandenburgischen
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Frauenhilfe, Aufbau des Männerdienstes in Brandenburg, 1923 Geschäftsführer der Konferenz theologischer Berufsarbeiter der IM. Moeller van den Bruck, Arthur, Schriftsteller 127 geb. 23. 4. 1876 Solingen, gest. (Suizid) 30. 5. 1925 Berlin Studium der Geschichte und Kunst, 1914 Kriegsfreiwilliger in der Pressestelle, freier Schriftsteller, 1918 Zentrum des Juniklubs („konservative Revolution“) – Hauptwerke: „Der preußische Stil“ (1915), „Das Dritte Reich“ (1923). Moody, Dwight L., Evangelist, Präsident 21, 47 geb. 5. 2. 1837 Northfield/Massachusetts, gestorben 22. 12. 1899 ebd. 1854–1860 Schuhverkäufer in Boston und Chicago, erfolgreiche Grundstücksspekulationen, Engagement im CVJM, Sonntagsschulhelfer in einer kongregationalistischen Kirche, 1860–1866 hauptamtlicher Mitarbeiter im CVJM Chicago, 1866–1873 Präsident des CVJM Chicago, 1870–1873 seelsorgerliche Betreuung der Soldaten, 1873–1875 Evangelisationsreise nach Großbritannien, 1875–1899 hauptamtlicher Evangelist in Northfield, 1879 Präsident des amerikanischen CVJM, 1886 Gründung des Moody Bible Institutes in Chicago – Pionier der Massenevangelisation und der christlichen Sozialarbeit. M ller, Eberhard, Pfarrer, D. 297 geb. 22. 8. 1906 Stuttgart, gest. 11. 1. 1989 Heidelberg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 178]. M ller, Ludwig, Reichsbischof 97, 284 f., 287, 294, 499 geb. 23. 6. 1883 Gütersloh, gest. 31. 7. 1945 (Selbstmord?) Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 180]. M ller-Schwefe (Namenszusatz seit 1924), Johannes, Pfarrer 225, 245, 276, 282, 284, 289 geb. 31. 3. 1874 Buckau (Provinz Sachsen), gest. 31. 10. 1955 Sülldorf Theologiestudium in Marburg, Berlin, Halle, 1901 Vikar in Gablonz und Morgenstern/ Böhmen, 1904 Ordination und Hilfsprediger in Estedt, Punschrau, Aschersleben und Erfurt, 1905–1911 Pfarrer in Punschrau, 1911–1918 Pfarrer in Werne, 1918–1921 Pfarrer in Bochum, 1920 Auftrag für Apologetik im westfälischen Provinzialausschuss für IM, 1921–1927 Pfarrer in Schwefe und nebenamtlicher Provinzialpfarrer für Apologetik (Westfalen), Aufbau eines „Arbeiterkampfbundes“, 1927–1939 Pfarrer in Klein-Quenstedt/Provinz Sachsen, 1933 DC, 1939 Ruhestand. M nnich (verh. Grevenberg), Margarethe, Sekretärin 351 geb. 1. 8. 1882 Kolmar (Chodziez) in der Provinz Posen, Sterbedatum nicht zu ermitteln 1921–1928 Sekretärin im Dienst des CA, speziell in der Abteilung für Volksmission, nach dem Ausscheiden Eheschließung mit Dr. med. Siegfried Grevenberg; Schwägerin Gerhard Füllkrugs. Mumm, Reinhard, Pfarrer, D. Lic. theol., MdR 20, 64, 83, 329 geb. 25. 7. 1873 Düsseldorf, gest. 25. 8. 1932 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 183]. Niemçller, Martin, Kirchenpräsident, Dr. h. c. mult. 242 geb. 14. 1. 1892 Lippstadt/Westfalen, gest. 6. 3. 1984 Wiesbaden [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 185].
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Nordmeyer, Ernst Ludwig August, Pfarrer 352, 421 geb. 16. 3. 1875 Dahle, gest. 11. 7. 1963 Kreuznach Theologiestudium in Bonn, Greifswald, Halle, Hilfsprediger in Kapellen, Benrath, 1905–1935 Pfarrer Urdenbach bei Düsseldorf, 1935 Ruhestand. Oertzen, Jasper von, Offizier, Gutsbesitzer 23 geb. 10. 8. 1833 Rostock, gest. 14. 11. 1893 Hamburg 1868 Begegnung mit Wichern, 1870 Mitarbeiter im Rauhen Haus in Hamburg, 1875–1884 Vorsteher der Stadtmission Hamburg, 1873 Vorsitzender des Hamburger Landesvereins für IM, 1880 Präses des norddeutschen Jungmännerverbandes und des Hamburger CVJM, 1888–1892 Initiator der Gnadauer Konferenzen der entstehenden Gemeinschaftsbewegung. Pensky, Pfarrer 325 Pfarrer in Königsberg. Peter, Friedrich, Bischof 316 geb. 4. 10. 1892 Merseburg, gest. 17. 4. 1960 Gronau [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 193]. Petersen, Cäcilie, Oberin 318 geb. 20. 3. 1860 Sonderburg/Alsen in Nordschleswig, gest. 2. 7. 1935 Niendorf in Holstein Diakonisse in Altona und Kiel, Krankenpflegeausbildung, Gemeindepflegerin in Lübeck, 1898–1903 Oberin des Magdalenenstiftes in Berlin-Plötzensee (seit 1901 in Teltow), Konflikte mit den Schwestern und Gründung des Diakonissenmutterhauses Salem in Berlin-Lichtenrade, 1906 Oberin des Diakonissenmutterhauses Salem. Petersen, Peter Andreas, Pfarrer 254, 318, 320 geb. 30. 3. 1875 Leck (Kreis Tondern), gest. 15. 1. 1957 Flensburg Theologiestudium in Erlangen, Berlin, Halle und Kiel, 1905 Ordination, 1905–1910 Pfarrer in Atzerbally, 1910–1913 Pfarrer in Tandslet, 1913–1920 Pfarrer in Wilstrup, 1920 Vereinsgeistlicher (u. a. 1921 Volksmissionar des CA), 1925 Pfarrer in Boldekow, 1930 Pfarrer in Berlin-Lichterfelde. Pfennigsdorf, Emil, Universitätslehrer (PT, Religionspädagogik), Prof. Lic. theol. 67, 71 f. geb. 10. 6. 1868 Plötzkau bei Bernburg/Anhalt, gest. 7. 4. 1952 Bonn [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 194 f.]. Pfennigsdorf, Oskar, Oberkirchenrat 235 geb. 18. 1. 1865 Plötzkau, gest. 14. 2. 1942 Oranienbaum 1890 Hilfsprediger in Gröbzig, 1891–1897 Pfarrer in Köthen, 1897–1931 Pfarrer in Dessau, 1911 Konsistorialrat, 1924–1936 Kreisoberpfarrer, 1923–1933 Oberkirchenrat – Vorsitzender des Landesvereins für IM. Philipps, Wilhelm, Direktor, D. 225, 255 geb. 11. 12. 1859 Opherdicke Kr. Hörde, gest. 22. 5. 1933 Berlin? [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 195]. Prochanow, Iwan Stepanowitsch, Gemeindeleiter 257 geb. 17. 4. 1869 in Vldikavkaz/Nord-Kaukasus, gest. 6. 10. 1935 Berlin Molokane (russische, dem Protestantismus nahestehende Religionsgemeinschaft), 1887 Bekehrung und Taufe in einer Baptistengemeinde, 1890 Kontakte zu religiösen Kreisen in St. Petersburg, 1893 Abschluss eines Ingenieurstudiums, 1893 Gründung
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Personenregister / Biografische Angaben
einer eigenen Gemeinde, 1895 Flucht vor religiöser Verfolgung, 1895–1898 Studium der Theologie in Bristol, London, Berlin und Paris, 1898 Rückkehr nach Russland, 1908–1917 Vertreter der Firma Westinghouse, 1922–1928 Blütezeit der Evangeliumschristen-Baptisten in Russland, 1928 Emigration in den Westen – wichtigster Vertreter der Evangeliumschristen-Baptisten in Russland, Liederdichter und theologischer Autor. Procksch, Otto, Universitätslehrer (AT), Prof. D. 157 geb. 9. 8. 1874 Eisenberg/Thüringen, gest. 7. 4. 1947 Altersschrofen bei Füssen/Allgäu [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 198]. Putz, Eduard, Landeskirchenrat, Dekan 131 f., 137, 156 geb. 9. 1. 1907 Altenschönbach/Unterfranken, gest. 22. 9. 1990 Erlangen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 198]. Rade, Martin, Universitätslehrer (ST), Politiker, Prof. D. Lic. theol. 199 geb. 4. 4. 1857 Rennersdorf bei Herrnhut/Oberlausitz, gest. 8. 4. 1940 Frankfurt/Main [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 200 f.]. Rendtorff, Franz, Universitätslehrer (NT), Vereinsfunktionär, Prof. D. Dr. h.c. 43, 96, 105 geb. 1. 8. 1860 Gütergotz bei Potsdam, gest. 17. 3. 1937 Leipzig-Schleußig [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 204]. Rendtorff, Heinrich, Landesbischof, Universitätslehrer (NT, PT), Prof. D. Lic. theol. 29, 31, 96–128, 141, 145, 264 f., 267 f., 271, 275–277, 296–298, 300, 314, 356 f., 431 f., 439 geb. 9. 4. 1888 Westerland auf Sylt, gest. 18. 4. 1960 Kiel [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 205]. Richter, Arthur Gerhard, Pfarrer 242 f., 342 geb. 12. 1. 1901 Dresden, gest. 17. 12. 1987 Pfarrer, 1925 Diakonissenhaus Moritzburg, 1926 Kirchengemeindeverband Leipzig, 1927 Leiter des Presseamtes, 1933 Jungreformatorische Bewegung, 1933–1937 Pfarrer in Chemnitz, 1937–1969 Pfarrer in Radebeul, 1969 Ruhestand. Rittelmeyer, Friedrich, Erzoberlenker, Dr. phil. 202 f., 205, 207 geb. 5. 10. 1872 Dillingen/Bayern, gest. 23. 3. 1938 Hamburg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 208]. Rçmer, Christian Friedrich v., Prälat, D. 336 geb. 3. 8. 1854 Sindelfingen, gest. 25. 2. 1920 Stuttgart Seminare in Schöntal und Urach, 1872–1877 Studium der Theologie im Tübinger Stift, 1877/78 Vikariat in Gschwend/Schwäbischer Wald und Militärdienst, 1879–1881 Repetent im Seminar Urach und im Tübinger Stift, 1882 Pfarrverweser und Pfarrer in Buttenhausen/Alb, 1883–1891 Sekretär der Basler Mission, 1891–1895 Pfarrer in Tübingen, 1895–1909 Dekan in Nagold, 1909–1911 Dekan in Tübingen, 1911–1920 Stiftsprediger in Stuttgart, 1912 Ernennung zum Prälaten und Nobilitierung – 1894–1920 Mitglied der württembergischen Landessynode, 1919/20 Leiter der konservativen Fraktion in der verfassunggebenden Landeskirchenversammlung, Ehrenpromotion: Tübingen 1917. Rohloff, Friedrich-Carl, Superintendent 347 gest. 20. 12. 1941 Stettin Superintendent in Freienwalde (Pommern), Pfarrer in Kummerow, Ruhestand 1935.
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Rohrdantz, Theodor Eugen Heinrich, Pfarrer 221, 227, 234, 243–246, 265, 292, 320, 340 geb. 7. 7. 1894 Berlin, gest. 16. 1. 1968 Berlin-Schlachtensee 1913 Theologiestudium in Berlin und Wien, 1914 Kriegsfreiwilliger und Verwundung, Lehrerstellen, 1919 Prädikant Berlin, 1920 Ordination 1920–1925 Pfarrer in Grabow, 1925 Leiter der mecklenburgischen Geschäftsstelle für Volksmission, Landespfarrer für Innere Mission, 1944–1958 Geschäftsführer der IM Mecklenburg. Roon, Albrecht Sixtus Wolfram von, Pfarrer, Gutsbesitzer 355 geb. 11. 6. 1882 Krobnitz (Kreis Görlitz), gest. 12. 2. 1973 Theologiestudium in Greifswald, Tübingen, Berlin und Breslau, 1909 Ordination und Pfarrvikar in Kudowa (Schlesien), 1909–1914 Pfarrer in Klein Kriegnitz (Schlesien), 1914–1919 Soldat und Divisionspfarrer, 1919–1931 Gutsbesitzer in Mecklenburg, nebenamtliche Evangelisationen im Auftrag des CA und Beteiligung an Landkonferenzen, 1933–1936 Leiter des Volksmissionsamtes des Bistums Cammin, 1936 Pfarrer in Ueckermünde und Ziegenort (Pommern), 1936 krankheitsbedingter Ruhestand; er war Enkel des preußischen Kriegsministers und Ministerpräsidenten Albrecht Graf von Roon (1803–1879). Ropp, Friedrich Baron v. d., Generalsekretär, Evangelist, Dipl. Ing. 282 f. geb. 9. 10. 1879 Gut Dauzogir/Litauen, gest. 21. 2. 1964 Bonn-Bad Godesberg Deutschbalte, aufgewachsen auf einem Gut in Litauen, 1886 Umzug nach Dresden, 1899–1904 Studium der Montanistik in Sachsen, 1905–1907 Explorationsreisen nach Äthiopien, 1907–1909 Zechendirektor in Hiddinghausen bei Barmen, 1910–1913 Forschungsreisen in Deutsch-Südwestafrika und in Belgisch-Kongo, 1914–1916 Diplomatische Reisen nach England, 1916–1918 Generalsekretär der „Liga der Fremdvölker Russlands“, 1920 Mitbegründer der deutschbaltischen Geheimgesellschaft „Verband der Ordensgründer“ (Austritt 1923), 1927–1935 Organisation der erwecklich-völkischen „Christlichen Kampfschar“ zur Mission unter der Arbeiterjugend, 1933 DC, 1935 Schließung der Bibelschule der „Kampfschar“ durch das NS-Regime, 1936–1941 missionarische Soldatenarbeit (Corneliusbruderschaft, Sternbriefe), 1945 Pfarrvertretung in Thüringen, 1945–1948 Seelsorger in Internierungslagern, 1947–1950 Aufbau eines Schulungslagers auf einem Hof im Bergischen Land, 1950 Umzug nach Bad Boll, freier Evangelist und Mitarbeit in der Evangelischen Akademie. Rosenberg, Alfred, Reichsminister 299 geb. 12. 1. 1893 Reval/Estland, gest. (Hinrichtung) 16. 10. 1946 Nürnberg 1930 Reichsleiter der NSDAP, Veröffentlichung des „Mythus des 20. Jahrhunderts“ als ideologisches Schlüsselwerk, 1934 Beauftragter für die Schulung der NSDAP, 1941 Reichsminister für die besetzten Ostgebiete, 1945/46 Anklage, Verurteilung und Hinrichtung bei den Nürnberger Prozessen. Rotermund, Friedrich Karl, Superintendent 338 geb. 7. 5. 1881 Bockenem, gest. 30. 6. 1945 Flensburg 1911 Ordination, 1911–1928 Pfarrer auf Oland und Gröde, 1928–1933 Propst in Bad Segeberg (vom Amt entbunden im November 1933), 1933–1945 Pfarrer in Flensburg. Rothe, Richard, Universitätslehrer (NT, ST), Prof. D. 41 geb. 25. 1. 1799 Posen (Poznan´), gest. 20. 8. 1867 Heidelberg 1817–1820 Theologiestudium in Heidelberg und Berlin, 1820–1822 Predigerseminar in Wittenberg, 1824–1828 Prediger in Rom, 1828–1832 Professor am Wittenberger Predigerseminar, 1832–1836 Direktor des Wittenberger Predigerseminars, 1837–1849
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Ordinarius in Heidelberg (NT), 1849–1854 Ordinarius in Bonn, 1854 Ordinarius in Heidelberg, 1861 Mitglied des Badischen Oberkirchenrates, 1863 Mitglied der ersten Kammer des badischen Landtages, 1863 Gründung des liberalen Allgemeinen Deutschen Protestantenvereins – Systematiker und Ethiker. Sasse, Hermann, Universitätslehrer (KG), Prof. D. Lic. theol., S. T. M. D. D. 135, 137, 140, 149 geb. 17. 7. 1895 Sonnenwalde Kr. Lennep/Brandenburg, gest. 8. 8. 1976 North Adelaide/Südaustralien [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 212 f.]. Schabert, Oskar, Pfarrer, D. 259 Geb. 27. 11. 1866 Grobin/Kurland, gest. 7. 1. 1936 Bad Nauheim [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 213]. Schemm, Hans, Gauleiter, Landesminister 130–132, 267, 269 geb. 6. 10. 1891 Bayreuth, gest. 5. 3. 1935 (Flugzeugunfall) Bayreuth 1919 Freikorps Epp, Volksschullehrer in Neufang bei Wirsberg/Oberfranken, 1923 NSDAP, 1928 Gauleiter Oberfranken, 1929 Gründer und Reichswalter des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, 1930–1933 Kontakte mit nationalen Kreisen in den evangelischen Kirchen, 1933 bayerischer Kultusminister. Scheven, Karl von, Landesbischof, D. 317 geb. 16. 12. 1882 Leopoldshagen/Anklam, gest. 7. 10. 1954 Bad Wiessee [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 216]. Schian, Martin, Generalsuperintendent, Universitätslehrer (PT), Prof. D. Lic. theol. 19, 91, 262–264 geb. 10. 8. 1869 Liegnitz/Schlesien, gest. 11. 6. 1944 Breslau [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 216]. Schicketanz, Friedrich Kurt, Oberleutnant a. d., stud. phil. 232 geb. 18. 12. 1895 Leipzig, Sterbedatum unbekannt Studium in Leipzig, 1924–1933 Sächsischer Landesführer des Wehrverbandes „Wehrwolf“, 1925–1928 Mitglied der Bundesleitung des Wehrwolf und Leiter von dessen Abteilung für Wehrsport, 1926 Beteiligung an Konferenzen der Deutschchristlichen Arbeitsgemeinschaft Leipzig, 1928 Gründer des „Wehrjugendbundes Hermann Löns“, 1933 Januar Mitglied in einem vom „Wehrwolf“ initiierten Revolutionsrat, März Austritt aus dem Wehrwolf und Unterstützung des NSDAP-Wahlkampfes, Gründung der „Schwarzen Brigade Sachsen“, diese wird am 15. Juli 1933 aufgelöst und ihre Mitglieder in die SA übernommen; Vorstandsmitglied des „Stahlhelms“ in Sachsen. Schimmelmann, Adeline Gräfin von, Evangelistin 23 geb. 19. 7. 1854 Ahrensburg, gest. 18. 11. 1913 Hamburg 1870–1872 kaiserliche Hofdame, 1872–1890 im Umfeld des Berliner Hofes, 1886 Bekehrungserlebnis, 1887–ca. 1913 Arbeit unter Fischern auf Rügen, 1894 unfreiwilliger Psychiatrieaufenthalt, Evangelisationstätigkeit in Deutschland, Dänemark und den USA. Schirmacher, Horst, Direktor 285–288, 299 geb. 26. 5. 1892 Palmnicken/Ostpreußen, gest. 18. 5. 1956 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 216 f.].
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Schlatter, Adolf, Universitätslehrer (AT, NT, ST), Prof. D. 96, 137, 159 geb. 16. 8. 1852 St. Gallen, gest. 19. 5. 1938 Tübingen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 217]. Schleiermacher, Friedrich Daniel Ernst, Universitätslehrer, Prof. D. 41 f., 44 f., 59 geb. 21. 11. 1768 Breslau, gest. 12. 2. 1834 Berlin 1785–1787 Besuch des Seminariums in Barby, 1787 Studium der Philosophie und Theologie in Halle, 1796 Prediger an der Berliner Charit , Aktivitäten in Berliner Salons, 1799 öffentlicher Erfolg mit den „Reden über die Religion an die Gebildeten unter ihren Verächtern“, 1802–1804 Hofprediger in Stolp, 1804–1806 Extraordinarius in Halle (ST), 1809 Prediger an der Dreifaltigkeitskirche Berlin, 1810 Ordinarius an der Berliner Universität, 1810 Mitglied der Königlichen Akademie Berlin, patriotische Predigten in den Befreiungskriegen, Auseinandersetzung mit dem preußischen König im Agendenstreit – prägt Philosophie und Theologie des 19. Jahrhunderts. Schleuning, Johannes, Pfarrer 260 geb. 14. 1. 1879 Neu-Norka (Gouv. Saratow/Wolga), gest. 7. 9. 1962 Braunschweig 1904–1910 Philosophie- und Theologiestudium in Dorpat (Tartu), 1911 Ordination, Pfarrer in Tiflis, 1917/18 Pfarrer in Saratow/Wolga, Mai 1918 Emigration nach Deutschland, 1921/22 antikommunistische Vorträge in den USA, 1925–1934 Pfarrer in Neuenhagen bei Berlin, 1934–1945 Pfarrer in Berlin-Lichtenberg, 1935 Schriftleiter vom „Evangelium im Dritten Reich“, 1938–1945 Superintendent Berlin-Land, 1945 Flucht nach Braunschweig, 1949 Ruhestand und kommissarische Verwendung durch Landeskirche Braunschweig, 1945 endgültiger Ruhestand – Mitglied der Glaubensbewegung DC seit 1933, 1935 Reichsbewegung DC. Schl mbach, Friedrich v., Evangelist 22 geb. 27. 6. 1842 Oberöhringen/Württemberg, gest. 21. 5. 1901 Cleveland/Ohio Militärdienst mit unehrenhafter Entlassung, 1859 Emigration in die USA, 1861–1865 Hauptmann im Amerikanischen Bürgerkrieg, 1868 Bekehrungserlebnis und Konversion zum Methodismus, 1872–1878 nach theologischer Ausbildung in einem methodistischen Predigerseminar Prediger für deutsche Einwanderer in Baltimore, 1878–1882 Generalsekretär des CVJM in New York, evangelistisches Wirken, 1882–1883 von Christlieb und Stoecker als Evangelist nach Deutschland gerufen, 1883 Pfarrer in Cleveland, Ohio – erster deutscher Evangelist, Gründer des deutschen CVJM und der Gemeinschaft St. Michael (Berlin). Schmidt, Wilhelm Ferdinand, Dekan, D. Lic. theol. 151 geb. 7. 5. 1899 Markendorf, gest. 2. 6. 1980 1917–1919 Militärdienst, 1919–1922 Theologiestudium in Erlangen und Berlin, 1922–1923 Predigerseminar Nürnberg und theol. Fakultät Erlangen, 1923–1927 Hilfsgeistlicher und Pfarrverweser in Nürnberg und München, 1927–1933 Pfarrer in Wechingen, 1933–1935 Pfarrer in München, 1935/36 Dienst bei der ersten Vorläufigen Kirchenleitung, 1936–1943 Hilfsreferent im Landeskirchenrat und Pressebeauftragter, 1942 kommissarischer Dekan in Selb, 1945 Dekan in Regensburg, 1946–1969 Oberkirchenrat, 1969 Ruhestand – Vorsitzender des bayerischen Pfarrvereins. Schoch, Artur, Diakon 292, 319, 350 geb. 29. 4. 1901 Waldenburg/Schlesien, gest. 18. 10. 1987 Berlin-Steglitz 1919–1922 Arbeit in diversen ungelernten Berufen und Mitarbeit im CVJM, 1922–1926 Diakonenausbildung im Johannesstift Berlin-Spandau, 1923 Mitinitiator der Dorf-
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mission in Brandenburg, ab 1926 Mitarbeit in der Volksmission des Provinzial-Ausschusses der IM Brandenburg, 1943–1946 Kriegsdienst und französische Kriegsgefangenschaft, Dienst als Lagerpfarrer, ab 1946 erneut im Dienst des Provinzial-Ausschusses Brandenburg, 1966 Ruhestand. Scholz, Gustav, Oberhofprediger, Oberkonsistorialrat, D. 281 geb. 23. 10. 1863 Neudietendorf/Kreis Gotha, gest. 13. 5. 1939 Berlin Theologiestudium im Theologischen Seminar Gnadenfeld/Schlesien und Halle, 1889 Ordination, 1889–1890 Vikar, 1890 Pfarrer in Eischleben, 1890–1893 Hofdiakon in Gotha, 1893–1903 Hofprediger in Gotha, 1903–1919 Oberhofprediger, 1923–1933 Theologischer Referent und Oberkonsistorialrat im Deutschen Evangelischen Kirchenbundesamt, 1933 Ruhestand. Schreiner, Helmuth, Vereinsgeistlicher, Universitätslehrer (PT), Prof. D. Dr. phil. 29, 148, 208, 231, 233, 240, 252, 269 geb. 2. 3. 1893 Dillenburg (Nassau), gest. 28. 4. 1962 Münster [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 228]. Schreiner, Wilhelm Ferdinand, Pfarrer 233, 383 geb. 21. 7. 1889 Dillenburg, gest. 12. 6. 1943 Düsseldorf (Fliegerangriff) Theologiestudium in Bethel, Halle, Tübingen und Marburg, Hilfsprediger IM Frankfurt/Main, 1916–1924 Pfarrer in Hohenstein (Taunus), 1924–1928 Pfarrer für Volksmission Neumünster, 1928–1932 Pfarrer in Bad Ems, 1932–1943 Pfarrer in Düsseldorf, Schriftsteller (Erbauliches und Marine), Bruder Helmuth Schreiners. Schrenk, Elias, Evangelist 22 f., 47 f., 70, 331, 370, 385, 396, 403 geb. 19. 9. 1831 Hausen/Württemberg, gest. 21. 10. 1913 Bethel Kaufmann, 1854–1859 Ausbildung im Baseler Missionsseminar, 1859–1872 Missionar an der Goldküste, 1874/75 Anstöße durch Evangelisation Moodys in England, 1875–1879 Reiseprediger der Basler Mission in Frankfurt am Main, 1879–1886 Prediger der Evangelischen Gesellschaft in Bern, ab 1886 freier Evangelist – erster hauptamtlicher Evangelist in Deutschland, Mitbegründer des Deutschen Vereins für Evangelisation (1884) und des Gnadauer Verbandes landeskirchlicher Gemeinschaften. Schubert, Friedrich Helmuth, Pfarrer 342, 427 geb. 6. 5. 1895 Dresden, gest. 29. 1. 1989 1924 Vikar, 1925–1927 Pfarrer in Roßwein (Sachsen), 1927 Pfarrer in Hermsdorf. Sch tz, Missionar 322, 328 Missionar der Goßnerschen Missionsgesellschaft, Standort: Stettin, 1922 Bewerbung als Volksmissionar im CA. Schultze, Erich Hugo Ferdinand, Superintendent 423 f., 428, 438, 469 geb. 7. 2. 1872 Thomsdorf/Kreis Templin, gest. 31. 8. 1962 Kunnerwitz Theologiestudium in Greifswald, Tübingen und Berlin, 1901 Ordination, 1901–1913 Pfarrer in Triebusch, 1913–1933 Superintendent in Ohlau/Schlesien, 1929–1933 Präses der Schlesischen Provinzialsynode, 1933 Ruhestand und Seelsorger im Diakonissenmutterhaus Breslau-Lehmgruben, 1945 Flucht nach Görlitz – 1930–1933 Vorsitzender des Evangelischen Bundes Schlesien, Mitglied des Provinziallandtages. Schulz, Karl August Wilhelm, Pfarrer 284 f., 289, 291 geb. 24. 3. 1894 Schmiedeberg/Riesengebirge, gest. (ermordet) 10. 9. 1946 bei Liegnitz Theologiestudium in Tübingen, Leipzig, Halle und Breslau, 1919 Ordination, 1919–1921 Pfarrvikar in Niesky, 1921–1926 Pfarrer in Penzig, 1926–1945 Pfarrer in
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Liegnitz, ca. 1930–ca. 1938 Provinzialpfarrer für Volksmission in Schlesien, 1933 DC, 1945/46 Verwaltung von Pfarrstellen in Liegnitz und Lobendau. Schumacher, Arnold, Pfarrer 334, 428 geb. 13. 6. 1901 Düsseldorf, gest. 25. 12. 1972 Bonn [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 232]. Schweitzer, Carl Gunther, Direktor, Superintendent, D. Dr. phil. 203, 208, 211, 213, 216, 220, 225 f., 236–240, 245–252, 255, 269, 280, 283 f., 289, 291, 300, 320 f., 329, 406, 408, 527 geb. 22. 12. 1889 Charlottenburg, gest. 20. 6. 1965 Bonn [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 234]. Seeberg, Reinhold, Universitätslehrer (ST, NT), Präsident, Prof. D. Dr. h.c. mult. 25, 65, 180, 187 f., 193 f., 246, 261 f., 273, 312, 314, 323, 527 geb. 5. 4. 1859 Pörrafer/Livland, gest. 23. 10. 1935 Ahrenshoop/Ostsee [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 235]. Smith, Hannah Whitall, Evangelistin 21 geb. 7. 2. 1832 Woodbury/New Jersey, gest. 1. 5. 1911 London 1851 Heirat mit Robert Pearsall Smith, 1858 Bekehrungserlebnis und Einfluss der Heiligungsbewegung, 1873–1875 Laienpredigerin im Rahmen der Heiligungsbewegung, v. a. während der Konferenz in Oxford 1874, 1875 Bestseller „The Christian’s Secret of Happy Life“ (Auflage: 3 Millionen). Smith, Robert Pearsall, Evangelist 21 geb. 1. 2. 1827 Philadelphia/Pennsylvania, gest. 17. 4. 1892 London Quäker, Glasfabrikant in New Jersey, 1865 Glaubensgewissheit, 1867 Heiligungserfahrung, 1874 Heiligungskonferenzen in Oxford mit Wirkung auf die deutschen Gründer der Gemeinschaftsbewegung, 1875 Deutschlandreise mit großer Breitenwirkung, 1875 Rückzug aus der Öffentlichkeit und Rückkehr in seinen ursprünglichen Beruf, 1888 Umzug nach London – prägt als Laienevangelist theologisch die Heiligungsbewegung und hat Einfluss auf die Entstehung der deutschen Gemeinschaftsbewegung. Spener, Philipp Jacob, Propst, D. 53, 58 f. geb. 13. 1. 1635 Rappoldsweier, gest. 5. 2. 1705 Berlin 1651–1664 Studium der Theologie in Straßburg, Genf und Württemberg, 1663 Prediger am Straßburger Münster, 1664 Promotion, 1666–1686 Senior der Kirche in Frankfurt/ Main, 1675 Pia Desideria, Sammlung von Collegia Pietatis, aber Auseinandersetzungen mit radikalen Pietisten, 1686–1691 Sächsischer Hofprediger in Dresden, 1691–1705 Propst in Berlin (St. Nicolai) – Vater des lutherischen Pietismus. Spiecker, Friedrich Albert, Industrieller, Präsident 180, 182, 186, 190, 200, 202, 207, 213, 326 geb. 19. 2. 1854 Boppard/Rhein, gest. 10. 7. 1937 Berlin-Dahlem [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 241 f.]. Spranger, Arno, Superintendent 415 f. geb. 13. 12. 1884 Markneuberg, gest. 3. 1. 1973 Zwickau 1911–1914 Ordination und Pfarrer in Adorf und Marienberg, 1915–1929 Pfarrer in Dresden (St. Trinitatis), 1923 Gründer eines „Bundes für lebendige Volkskirche“, 1929–1945 Superintendent in Annaberg/Erzgebirge, 1945 Entlassung, 1946 politische
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Personenregister / Biografische Angaben
Rehabilitierung, 1947/48 Pfarrer in Krumhennersdorf, 1948–1957 Pfarrer in Freiberg, 1957 Ruhestand – Mitglied der DCSV, Eintritt in die NSDAP. Stapel, Wilhelm, Schriftsteller, Dr. phil. 127, 269 geb. 27. 10. 1882 Calbe an der Milde/Altmark, gest. 1. 6. 1954 Hamburg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 245]. Steiner, Rudolf Joseph Lorenz, Schriftsteller, Dr. phil. 203 Geb. 25. 2. 1861 Kraljevec/Kroatien, gest. 30. 3. 1925 Dornach/Schweiz 1879–1891 Studium der Naturwissenschaften und Philosophie, 1891 Dr. phil., ab 1900 Theosoph, 1902–1912 Leiter der Theosophischen Gesellschaft in Deutschland, 1912 Gründung der Anthroposophischen Gesellschaft, 1922 Inspirator für die Gründung der Christengemeinschaft – Gründer und Ausgestalter des anthroposophischen Weltbildes. Steinweg, Johannes, Direktor, Dekan 208, 213, 253–255, 263, 527 geb. 14. 2. 1879 Stettin-Grabow, gest. 4. 11. 1960 Kassel [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 248]. Stoecker, Adolf, Hofprediger, D. 19 f., 22, 24, 27, 65, 75, 83, 87, 265, 309, 422 geb. 12. 12. 1835 Halberstadt, gest. 7. 2. 1909 Bozen-Gries 1863–1870 Pfarrer in Seggerde und Hamersleben, 1871–1874 Garnisonprediger in Metz, 1874–1890 Hofprediger in Berlin, Organisator der Berliner Stadtmission, 1878 Gründer der Christlich-Sozialen Arbeiterpartei, 1880–1893 christlich-sozialer Reichstagsabgeordneter, 1890 Entlassung als Hofprediger, freie Predigttätigkeit im Rahmen der Stadtmission, 1890 Gründer des Evangelisch-Sozialen Kongresses, 1897 nach Streitigkeiten im Evangelisch-Sozialen Kongress Gründer der Freien KirchlichSozialen Konferenz – öffentlichkeitswirksamer Prediger, christlich-sozialer Politiker und Antisemit. Stoll, Christian, Pfarrer 135–137, 142 geb. 13. 7. 1903, gest. 6. 12. 1946 (Autounfall) zwischen Babenhausen und Aschaffenburg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 250]. Streicher, Julius, Gauleiter 131 geb. 12. 2. 1885 Fleinshausen/Schwaben, gest. (Hinrichtung) 16. 10. 1946 Nürnberg 1914–1918 Kriegsdienst, 1919–1921 Volksschullehrer und Mitbegründer der DeutschSozialen Partei, 1921 Mitglied der NSDAP, 1923 Beteiligung am Hitlerputsch und Entlassung aus dem Schuldienst, 1923–1945 Herausgeber „Der Stürmer“, 1924–1932 Abgeordneter des bayerischen Landtages, 1925–1940 Gauleiter in Franken, 1935 Urheber der Nürnberger Rassengesetze, 1945/46 Angeklagter beim ersten Nürnberger Prozess, zum Tode verurteilt und hingerichtet. Strçle, Hermann, Dekan, Dr. phil. 337 geb. 30. 7. 1878 Nagold, gest. 30. 12. 1950 Reutlingen 1894–1896 Seminar Urach, 1896–1900 Theologiestudium in Tübingen (Evangelisches Stift), 1901–1903 Vikariat in Feldstetten und Reutlingen, 1903–1904 Forschungsreise nach Nord- und Ostdeutschland, England und Schottland,1904 Vikar in Oberhausen, 1905 Pfarrvertetungen in Reutlingen und Stuttgart, 1905–1908 Repetent am Tübinger Stift, 1908–1918 Pfarrer in Heidenheim, 1918–1927 Leiter des Evangelischen Presseverbandes Stuttgart, 1919 Geschäftsführer des evangelischen Volksbundes in Württemberg, 1927–1937 Dekan in Ravensburg, 1937–1942 Dekan in Esslingen.
Personenregister / Biografische Angaben
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Studemund, Wilhelm C. Friedrich Julius, Pfarrer, D. 192, 265 geb. 19. 8. 1866 Ribnitz, gest. 10. 12. 1942 Schwerin 1884–1889 Studium in Leipzig, Erlangen und Rostock, Lehrer am Missionsseminar Leipzig, 1889–1892 Hilfsprediger in Lübz und am Stift Bethlehem in Ludwigslust, 1894 Pfarrer in Ludwigslust, 1897 Pfarrer in Wittenburg, 1906 Vereinsgeistlicher für IM 1933 Entlassung – 1928 Ehrenpromotion Rostock, Mitglied der Bekennenden Kirche, belletristische Aktivitäten. Stutz, Ulrich, Hochschullehrer (Jura), Prof. Dr. jur. utr. 11 geb. 5. 5. 1868 Zürich, gest. 6. 7. 1938 Berlin Jurastudium in Zürich und Berlin, 1892 Promotion, 1894 Erhalt der venia legendi in Basel, 1896–1904 Professur für öffentliches Recht und Kirchenrecht in Freiburg im Breisgau, 1904–1917 Professur für öffentliches Recht und Kirchenrecht in Bonn, 1917–1936 Ordinarius für deutsches Recht und Kirchenrecht in Berlin, 1918 Mitglied der Preußischen Akademie, 1936 Emeritierung. Sulze, Emil, Pfarrer 43 f., 51, 59, 91, 121 geb. 26. 2. 1832 Kamenz/Oberlausitz, gest. 29. 5. 1914 Bad Oeynhausen Theologiestudium in Leipzig, 1857 Pfarrrer in Johanngeorgenstadt/Erzgebirge, 1857–1872 Pfarrer in Osnabrück, 1872–1876 Pfarrer in Chemnitz, 1876–1899 Pfarrer in Dresden-Neustadt, Gründer der Gemeindebewegung (Aufgliederung der Massengemeinden, persönliche Seelsorge, Aktivierung der Laien) – Mitglied des EvangelischSozialen Kongresses. Thadden-Trieglaff, Reinold v., Jurist, Gutsbesitzer, D. Dr. jur., D. D. 297 geb. 13. 8. 1891 Morungen/Ostpreußen, gest. 10. 10. 1976 Fulda [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 254 f.]. Themel, Karl, Präsident 285–289, 299 geb. 26. 2. 1890 Jüterbog, gest. 19. 3. 1973 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 255 f.]. Thomas, Prediger 226 f. Geschäftsführer der Himmelreichsmission in Brandenburg an der Havel. Titius, Arthur, Universitätslehrer (AT, NT), Prof. D. Lic. theol. 199, 201 geb. 23. 4. 1864 Sensburg/Ostpreußen, gest. 7. 9. 1936 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 260]. Tolzien, Gerhard, Landesbischof, D. 264 geb. 14. 2. 1870 Klaber (Mecklenburg), gest. 28. 2. 1946 Basedow/Kr. Malchin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 260]. Tçnnies, Ferdinand, Universitätslehrer (Ökonomie), Prof. Dr. Dr. h. c. mult. 110, 121 geb. 26. 7. 1855 Riep bei Eiderstedt, gest. 11. 4. 1936 Kiel Studium der Philologie, Archäologe, Geschichte und Philosophie in Jena, Leipzig, Bonn, Berlin und Tübingen, 1881 Habilitation über „Gemeinschaft und Gesellschaft“, 1883 Reise und Vortragstätigkeit, 1909–1913 außerordentliche Professur in Kiel (Nationalökonomie und Statistik), 1913–1916 Ordinarius in Kiel, 1916 Emeritierung, 1920 Lehrauftrag für Soziologie in Kiel, 1933 entlassen – Ehrenpromotionen: Hamburg 1921 (Dr. jur. h. c.), Bonn 1927 (Dr. rer. pol. h. c.) – einer der Begründer der modernen Soziologie. Torinus, Erhard, Pfarrer 260 geb. 28. 5. 1886 Dunajiwzi (Wolhynien), gest. 9. 11. (oder 11. 9.) 1948 Bethel-Eckartsheim bei Bielefeld
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Personenregister / Biografische Angaben
1906–1911 Theologiestudium in Leipzig und Dorpat (Tartu), 1913–1915 Pfarrvikar in Wladimir-Wolynski (Wolhynien), 1915–1918 Pfarrer in Saratov, 1918–1921 Pfarrer in Tutschyn (Kreis Rowno, Wolhynien), 1921/22 Volksmissionar in Graz, 1922–1926 Pfarrer der deutschen Gemeinde in Hrastovac (Jugoslawien), 1926–1929 Pfarrer in Schlagwitz (Sachsen), 1929/30 Pfarrer in Jöhstadt (Erzgebirge), 1930–1932 Prediger des Missionsbundes „Licht im Osten“ in Wernigerode, 1932 Wechsel von Befürwortung des Christlich-Sozialen Volksdienstes zur NSDAP, 1932–1941 Pfarrer in Windau (Ostpreußen). Veit, Friedrich, Kirchenpräsident 132 geb. 18. 5. 1861 Augsburg, gest. 18. 12. 1948 Bayrischzell [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 263]. Vietheer, Heinrich, Evangelist 204, 214 geb. 27. 1. 1883 Uetersen/Schleswig-Holstein, gest. 22. 3. 1968 Hamburg Ausbildung in der Diakonenanstalt Vandsburg, Gastschüler an weiteren missionarischen Ausbildungsstätten, Zeltmissionar, 1906 Hinwendung zur Pfingstbewegung und erneute Taufe, 1909–1912 Evangelisation und Gemeinschaftspflege in Frankfurt/Main und Ulm, 1914 Ausweisung, Evangelisationen im Baltikum, Mitarbeit in der märkischen Gemeinschaftsbewegung, 1920 Beteiligung an der Volksmission im Freien des CA, 1922 Gründung der „Zeltmission Lichterfelde“ und Wirken als freier Evangelist, Auseinandersetzungen mit der Evangelischen Allianz, 1926 Gründung der Elim-Gemeinde in Hamburg (erste deutsche freikirchliche Pfingstgemeinde), Bildung eines Verbandes von Gemeinden mit Zentrum in Luter/Erzgebirge), 1936 Verbot der ElimGemeinden und Aufnahme in den baptistischen Bund, 1945 Reorganisation der freikirchlichen Pfingstbewegung. Vietor, Johann Karl, Kaufmann 20 geb. 6. 5. 1861 Bremen, gest. 17. 5. 1934 Hude Tabakhändler, Eintritt in das väterliche Unternehmen, 1888 Geschäfte in Togo und Westafrika, im Vorstand der Norddeutschen Mission, Mitglied im Hauptvorstand der Christlich-Sozialen Partei, 1911 Vorstand der Deutschen Kolonialgesellschaft, 1911 Gründer und Vorsitzender des „Deutschen Evangelischen Volksbundes für öffentliche Mission des Christentums“, 1918 Schwierigkeiten der Firma, 1932 Konkurs. Vogel, Ernst Walter, Pfarrer 230–233, 422, 425, 428 geb. 31. 8. 1865 Zwickau, gest. 1. 7. 1934 1896 Pfarrer in Sachsenburg, 1907 Pfarrer in Tharandt, 1918 Pfarrer in Leipzig-Stötteritz, 1925 Gründer der Deutsch-christlichen Arbeitsgemeinschaft Wachtsmuth, Paul, Pfarrer 196 geb. 15. 5. 1879 Mitau/Jelgava (Kurland), gest. (Erschießung) 20. 3. 1919 Riga Theologiestudium in Dorpat (Tartu) und Berlin, 1903 Hilfsprediger und später Pfarrer in Mitau (Jelgava), Rektor der Mitauer Diakonissenanstalt, 1915 Probleme mit der russischen Obrigkeit, Verbannung aber wegen deutscher Eroberung Mitaus (Jelgavas) nicht mehr durchgeführt, 1917/18 Kontakte zur deutschen IM, 1919 Verhaftung durch bolschewistische Truppen und Todesmarsch nach Riga (März 1919), kurz nach Ankunft in Riga erschossen. Weber, Otto, Universitätslehrer (ST), Prof. Dr. theol. Drs. h. c. 287 f. geb. 4. 6. 1902 Köln, gest. 19. 10. 1966 St. Moritz/Schweiz [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 269].
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Weichert, Ludwig, Missionsinspektor 180, 209, 223, 241 f., 271 geb. 20. 5. 1879 Weener, gest. 26. 8. 1936 Lauban Missionsinspektor der Berliner Mission, 1919/20 evangelistisches Wirken, 1920 Mitherausgeber der Zeitschrift „Die Volksmission“, 1926–1928 in Auslandsgemeinden in Afrika, 1929 in Berlin – Verbindungsmann der DC zu Ludwig Müller, DC-Austritt. Wendelin, Adolf, Pfarrer 265 geb. 16. 3. 1877 Frankenhausen/Kyffhäuser, gest. 17. 11. 1952 Dresden 1896–1900 Theologiestudium, 1900–1902 Vikar in Paris und zweites theologisches Examen, 1902–1904 Ordination und Hilfsgeistlicher in Rudolstadt, 1904–1911 Pfarrstellen in Stadtilm, Oberilm, Schlotheim und Marolterode, 1911 Vereinsgeistlicher der IM Sachsen, 1931 Mitglied des Vorstandes des CA, 1933 DC, 1934 Landesführer der IM Sachsen, Oberkirchenrat, 1935–1937 Mitglied im Landeskirchenausschuss Sachsen; Mitglied der NSDAP. Wendland, Heinz-Dietrich, Universitätslehrer (ST), Prof. D. mult. Lic. theol. 152, 238 geb. 22. 6. 1900 Berlin, gest. 7. 8. 1992 Hamburg [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 272]. Wenzel, Theodor, Pfarrer, Direktor, D. 244–246, 254, 290, 292, 296, 300, 350 geb. 3. 9. 1895 Grünberg/Schlesien, gest. 6. 10. 1954 Berlin [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 273]. Werdermann, Heinrich Theodor, Pfarrer, Lic. theol. 255 geb. 17. 12. 1881 Essen, gest. 19. 4. 1938 Witten 1902–1907 Theologiestudium in Halle und Bonn, 1907–1909 Lehrvikariat in Elberfeld und Domkandidatenstift Berlin, 1909 Promotion zum Lic. theol., Ordination, 1909–1919 Hilfsprediger und Pfarrer in Duisburg-Wanheim, 1919–1926 Geistlicher in der Diakonissenanstalt Kaiserswerth, 1926–1932 Geschäftsführer der Frauenhilfe und des Evangelisch-kirchlichen Hilfsvereins, 1932–1938 Pfarrer in Witten. Werner, Paul Ernst, Pfarrer 227 geb. 27. 8. 1877 Waldersbach (Elsass), gest. 28. 11. 1941 Freudenstadt Studium in Straßburg, 1901–1902 Vikar in Wasselnheim und Rittershofen (Elsass), 1902 Hilfsprediger in Buchsweiler (Elsass), 1902–1918 Pfarrer in Wildersbach (Elsass), 1919–1930 Vereinsgeistlicher des Landesverbandes für IM Baden in Karlsruhe, 1924–1930 Landeswohlfahrtspfarrer, 1930–1936 Pfarrer in Pflegeanstalt und Diakonissenhaus „Stiftung Tannenhof“ in Remscheid-Lüttringhausen (Rheinland), 1936 Ruhestand; er war Urenkel Johann Friedrich Oberlins. Wesley, John, Pfarrer 25 geb. 17. 6. 1703 Epsworth/Lincolnshire, gest. 2. 3. 1791 London Studium in Oxford (Christ Church), 1724 B. A., 1725 Ordination, 1726 Fellow in Christ Church, 1730, Leiter des Holy Club, 1735–1737 Mission in Georgia, 1738 Aldersgate Experience, zahlreiche Missionsreisen in Großbritannien und den amerikanischen Kolonien, graduelle Herausbildung einer eigenen Kirche – Begründer der methodistischen Kirche. Wichern, Johann Hinrich, Kandidat des Predigtamtes, Vorsteher 16–19, 21, 24, 47, 56, 58, 62, 68, 73, 76, 82, 84 f., 87, 171–173, 182, 192, 213, 237, 270, 286, 312, 489 geb. 21. 4. 1808 Hamburg, gest. 7. 4. 1881 Hamburg 1828–1831 Studium der evangelischen Theologie in Göttingen und Berlin, 1832 theologisches Examen, aber keine Anstellung als Pfarrer, 1833 Vorsteher des Rauhen
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Personenregister / Biografische Angaben
Hauses – Entwicklung des Konzeptes der Inneren Mission und Herausgabe der Fliegenden Blätter, 1848/49 Stegreifrede auf dem Wittenberger Kirchentag und Gründung des Central-Ausschusses für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche, seit 1849 Präsident des CA, 1857–1875 Vortragender Rat im Preußischen Innenministerium und Oberkonsistorialrat im EOK. Wieneke, Friedrich, Pfarrer, Oberkonsistorialrat, Dr. phil. 29, 263, 268 f. geb. 7. 10. 1892 Zehlendorf, gest. 5. 8. 1957 Alt-Töplitz über Potsdam [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 275]. Wilhelm II., Deutscher Kaiser 311 geb. 27. 1. 1859 Berlin, gest. 4. 6. 1941 Schloss Doorn, Niederlande Thronfolger, Studium der Rechte in Bonn, 1888–1918 Deutscher Kaiser und König von Preußen, 1914–1918 Entfesselung des Ersten Weltkrieges, 1918 Flucht und Abdankung, 1918–1941 Exil in den Niederlanden. Wilhelm von Preussen, Kronprinz 263 geb. 6. 5. 1882 Potsdam, gest. 20. 7. 1951 Hechingen 1888–1918 Thronfolger als Deutscher Kaiser und König von Preußen, 1914–1918 Truppenführer an der Westfront, 1918–1923 Exil in Holland, 1923 Rückkehr nach Deutschland, Wohnsitz auf Schloss Oels/Schlesien, Kontakte zur antirepublikanischen Rechten und zur Christlich-deutschen Bewegung, 1933 Befürwortung einer Reichskanzlerschaft Hitlers. Wilm, Walter, Pfarrer, Superintendent 260–269, 275–277, 303, 310–318, 323 f., 327, 330, 435 f. geb. 7. 1. 1893 Berlin, gest. 10. 12. 1957 Greifswald [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 276]. Wilm, Werner, Industrieller 261, 310 f. 1930 Gründer der Christlich-deutschen Bewegung, Vater Walter Wilms. Winckler, Wilhelm Ernst Emil Max, Pfarrer 350, 427 geb. 30. 6. 1878 Berlin, gest. 12. 9. 1971 Berlin Theologiestudium in Halle und Greifswald, 1906–1907 Hauptprediger in Biere, 1907–1908 Hauptprediger in Kehnert, 1908–1915 Pfarrer in Cobbel, 1915–1951 Pfarrer in Alleringersleben, Bezirk Magdeburg. Witt, Heinrich, Reisesekretär, Missionar 319 geb. 1871, gest. 1959 1896–1899 Reisesekretär der DCSV, 1897 Gründung der deutschen China-Inland Mission, 1900 Missionar in China. Witte, Johannes, Universitätslehrer (Missionswissenschaft), Prof. 179 geb. 15. 2. 1877 Silligsdorf/Kr. Regenwalde (Pommern), gest. 7. 8. 1945 Buch (heute Berlin) [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 277 f.]. Wolf, Hermann Richard, Pfarrer 328, 364, 418 geb. 6. 8. 1873 Schwand, gest. 2. 5. 1935 Leipzig-Stötteritz Theologiestudium, 1901 Hilfsgeistlicher in Obernhau, 1902–1906 Pfarrer in Ruppersdorf, 1906–1913 Pfarrer in Olbernhau, 1913–1922 Pfarrer in Panitzsch, 1922–1934 Pfarrer in Leipzig, Ruhestand 1935.
Personenregister / Biografische Angaben
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Wurm, Theophil, Landesbischof, D. 129 geb. 7. 12. 1868 Basel, gest. 28. 1. 1953 Stuttgart [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 280]. Wurster, Paul, Hochschullehrer (PT), Prof. D. 24, 336 geb. 6. 12. 1860 Hohenstaufen, gest. 4. 1. 1923 Tübingen [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 280]. Z nker, Otto, Generalsuperintendent, Bischof, D. Dr. theol. 264 geb. 29. 6. 1876 Herzkamp/Westfalen, gest. 30. 1. 1960 Bielefeld [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 281]. Zimmerling, Prediger 215 Gemeinschaftsprediger in Berlin-Karlshorst. Zinsser, Martin August, Pfarrer, Dr. 325 geb. 7. 11. 1867 Münster, gest. 29. 11. 1931 Krakau (bei Kamenz) 1893 Besuch des Predigerkollegs St. Pauli in Leipzig, 1893–1897 Auslandspfarrer in Paris, 1897–1899 Hilfsgeistlicher, 1899–1911 Pfarrer in Glauchau, 1911–1921 Pfarrer in Somsdorf bei Freital, 1921–1931 Pfarrer in Kötzschenbroda (bei Radebeul). Zoellner, Wilhelm, Generalsuperintendent, D. 70, 247, 263 f., 298, 315 geb. 30. 1. 1860 Minden, gest. 16. 7. 1937 Düsseldorf-Oberkassel [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 284]. Zscharnack, Leopold, Universitätslehrer (KG), Prof. D. Dr. phil. 89 geb. 22. 8. 1877 Berlin, gest. 19. 8. 1955 Kassel [Braun / Gr nzinger, Personenlexikon, 284]. Zweigert, Erich 221 geb. 20. 11. 1879 Perleberg, gest. 23. 10. 1947 1906 Gerichtsassistent, 1907 Landrichter in Lissa, 1912–1916 Hilfsarbeiter im preußischen Justizdienst, 1917 Geheimrat und Vortragender Justizrat im Reichsjustizministerium, 1920 Ministerialrat im Reichsministerium der Justiz, 1922–1933 Staatssekretär im Reichsministerium des Innern, 1933 vorläufiger Ruhestand, 1936 Tätigkeit im Carl Heymanns Verlag Berlin, 1938 Ruhestand.
Institutionenregister
Abteilung für Volksmission (CA), siehe Evangelistische Abteilung Adventisten 212, 320 Agentur des Rauhen Hauses (Verlag) 177, 381, 383 Aktionsausschuss für Laienschulung 247, 285, 443 Amt für Gemeindedienste (Hannover) 28 Amt für Volksmission (Leipzig) 242 Anstalten (Innere Mission) 64, 172–175, 184, 186 f., 217, 221, 255, 286. Einzelne: Bethel (Bielefeld) 140, 149; Diakonissenmutterhaus Mitau 196, 498; Hephata (Treysa) 196; Johannesstift (Berlin-Spandau) 69, 88, 93, 208 f., 224, 233, 238, 252, 269, 276, 319, 321, 418, 493, 524; Bruderhaus Neinstedt (Provinz Sachsen) 64, 186, 472; Diakonissenmutterhaus Salem (Lichtenrade) 318, 489 Apologetische Centrale (AC) / Apologetische Abteilung 12, 27, 30, 81, 157, 174, 184, 203, 210, 216, 219 f., 222–224, 226, 236–241, 245, 247–253, 255, 269, 273, 276, 279, 287, 290 f., 296, 299 f., 305, 321, 347, 365, 433 f., 478, 524, 527 Arbeitsgemeinschaft deutscher Volksmissionare (nach 1934) 66, 98, 296 f., 299 Arbeitsgemeinschaft für Volksmission (Hannover, seit 1946) 208, 214, 216, 223, 300, 306, 335, 338, 441, 521 Arbeitsgemeinschaft Missionarischer Dienste (EKD) 300 Ausschuss für volkstümliche Verkündigung des Evangeliums durch Wort und Schrift 201 f. Ausschuss für fahrbare Kriegsbüchereien 181
Baltische Russlandhilfe (Riga) 259 Baptisten 21, 91, 204, 215 Basler Mission 22, 304, 478, 490, 494. Einrichtung: Seminar 304, 478, 494 Bekennende Kirche 28, 36, 66, 98, 105, 128, 137 f., 142, 159, 165 f., 296–299, 310, 315, 317, 344, 437. Organ Bruderrat 98, 165 f. Berliner Missionsgesellschaft 88, 180, 210, 223, 296, 277, 470, 471, 499, 521 Bibelkreis für Schüler höherer Lehranstalten 320, 474 Blaues Kreuz 51, 307 Brüderunität (Herrnhuter) 83 Bund für Deutsche Kirche (Deutschkirche) 231 f., 262, 264, 314 Bund für eine lebendige Volkskirche (Sachsen) 415, 495 Christengemeinschaft (Anthroposophie) 203, 496 Christentumsgesellschaft (Basel) 16 Christlich-deutsche Bewegung (CdB) 28, 97, 100, 113, 261–268, 270, 275, 277, 311–314, 320, 435, 483, 485, 500 Christlich-Soziale Partei 20 Christlich-sozialer Volksdienst (CSVD) 308, 483, 487, 498 Christlicher Verein junger Männer (CVJM) 202, 204, 319, 366, 441, 477 f., 480, 488 f., 493 Deutsch-christliche Arbeitsgemeinschaft Großdeutschlands 35, 230–234, 264, 342, 425, 481, 492, 498 Deutsch-Völkische Freiheitspartei 109 Deutsch-völkische Partei (1914–1918) 35 Deutsche Christen 28, 31, 36, 71, 98, 129,
Institutionenregister 136–140, 142 f., 145 f., 148, 153–155, 157, 159, 160–165, 223, 243, 260, 268, 270, 282–296, 298, 314–318., 415, 421, 437, 471, 475, 480, 482, 483–485, 488, 491, 493, 495, 499. Einzelne Bewegungen: Glaubensbewegung 133–135, 146, 156, 268, 287. Richtungen: Kirchenbewegung / Thüringer 315 f., 317; Reichsbewegung 314 f., Deutsche Christliche Studentenvereinigung 96, 297, 319, 415, 470 f., 474, 496, 500 Deutsche Evangelische Heimstättengesellschaft (Devaheim) 66, 256, 273–281, 320, 323, 360, 434, 437, 481 Deutsche Evangelische Kirche (Reichskirche) 9, 30, 36, 56, 59, 107, 166, 143, 169 f., 287 f., 297, 299, 315, 317, 360, 439, 481. Organe: Reichsbischof 97, 143, 284, 287, 294; Reichskirchenregierung 129, 134, 143, 165, 287, 291, 293–295, 471; Kirchliches Außenamt / Auslandsbischof 296, 299, 356 Deutsche Volksmission, siehe Vereinigung für Volksmission Deutscher Evangelischer Kirchenbund / Deutscher Evangelischer Kirchenausschuss 175, 230, 281, 288, 494 Deutscher Evangelischer Verband für Volksmission 12, 30 f., 175, 210, 212, 218 f., 221–228, 233, 235, 241–248, 251–254, 257–259, 271 f., 278–281, 284 f., 287–295, 303, 320, 325, 330, 333–338, 343 f., 346, 352, 354 f., 355–359, 363–369, 372, 374, 377 f., 381, 388, 401, 408, 414, 430, 433–437, 471, 474, 481, 519–524 Deutscher Evangelischer Volksbund für öffentliche Mission 20, 83, 366, 417, 498 Deutsches Rotes Kreuz 173 Deutschnationale Volkspartei (DNVP) 35, 216, 221, 263, 268, 270, 311, 314, 424, 477, 483 f. Diakonisches Werk / Werk für Diakonie und Entwicklung (nach 1945) 19, 24, 30, 87, 300, 303 f., 333, 350, 374
503
Elfer-Ausschuss (Innere Mission) 273–276 Evangelisch-Augsburgische Kirche Polen 258 Evangelische Heimatmission (Hans Berg) 277 Evangelischer Bund 20, 83, 89, 169, 202, 265, 270, 421, 494 Evangelischer Preßverband für Deutschland 202 Evangelischer Volksbund (Württemberg) 199, 224 f., 336 f., 358 f., 496, 522 Evangelistische Abteilung, Abteilung für Volksmission 9, 12, 30 f., 65 f., 174, 188, 199, 208 f., 211 f., 215 f., 218–220, 222 f., 226, 233 f., 236–241, 245, 248–255, 262, 272–276, 279, 282, 287, 292, 303 f., 319, 321, 323 f., 326–331, 333, 337, 339, 340, 354, 356 f., 364 f., 381–383, 385, 396, 418, 420, 430, 433, 434 f., 488, 521–524, 527 Frauenhilfe 208, 255, 270, 320 Freie Soziale Konferenz 20 Friedrich Bahn (Verlag) 65–68, 382 f. Geheime Staatspolizei (Gestapo) 164, 238, 290, 310 Gemeinschaftsbewegung 23–24, 40, 47, 50, 56–59, 63, 65, 67, 69–71, 88, 90, 93 f., 116, 200, 204, 210 f., 214, 224–228, 241, 306 f., 239 f., 313, 318, 320, 323 f., 331, 344, 336, 339, 346, 348, 353, 355 f., 359, 365–367, 372, 374, 385, 407 f., 414, 417–419, 422 f., 425, 427, 429 f. Dachverband: Gnadauer Gemeinschaftsverband 22 (Pfingstkonferenz), 57, 70, 80, 125, 170, 195, 210 f., 226, 239, 387, 396 f., 408, 473, 484, 489, 494. Zum Gnadauer Verband gehörige Verbände: Altpietisten 335; Gemeinschaftsdiakonieverband (Vandsburg) 324, 326, 330 f., 346, 355, 363, 370, 372, 425, 484, 498; Süddeutsche Vereinigung für Evangelisation und Gemeinschaftspflege 335. Weitere Gemeinschaftsverbände: Eisenacher Gemeinschaftsver-
504
Institutionenregister
band 70; Hahn’sche Gemeinschaft 335 Gesellschaft für äußere und innere Mission im Sinne der lutherischen Kirche, siehe Neuendettelsauer Mission Gesellschaft zur Verkündigung des Evangeliums (Hamburg) 306 Gossnersche Mission 322, 328 Gustav-Adolf-Verein 65, 96, 105, 169, 354, 356, 444 Heimatmission (Evangelische) 277 Hermannsburger Mission (und deren Heimatmission) 338 f., 402 Himmelreichsmission (Brandenburg an der Havel) 225–227, 497 Hohenzollern (Dynastie) 65, 86, 311 Innenministerium (Sachsen) 35 Innere Mission (Organisation). Untergliederungen: Central-Ausschuss für die Innere Mission der Deutschen Evangelischen Kirche (CA) 9, 12, 27, 30–32, 56, 61 f., 64–67, 70, 109 f., 169–177, 180–182, 185–203, 206–211, 215, 217–223, 227 f., 230 f., 233, 236–241, 245 f., 248, 252–255, 260–263, 268, 271, 273–282, 284–289, 299 f., 303–306, 308, 310, 312–315, 318–331, 333–340, 342 f., 345–348, 350, 352–354, 280, 308, 312, 319, 321, 324, 326–329, 331, 333, 335, 337, 341 f., 344 f., 347–353, 355–360, 362–365, 369 f., 374, 377 f., 381–383, 386, 396, 399–401, 403, 406, 408, 418, 420–428, 433–435, 437 f., 470 f., 474, 477–479, 481 f., 488 f., 491, 494, 497–499, 521–527; Landes- und Provinzialvereine der Inneren Mission 12, 56 f., 173–175, 183, 190–192, 195, 209, 223–225, 227 f., 242–247, 254, 279, 284 f., 288, 290, 292 f., 319 f., 326 f., 329, 333, 335, 345, 347, 350, 354, 381, 428, 443, 475, 488 f., 499, 521 f., 524–526; siehe auch den Eintrag „Innere Mission“ im Sachregister
Jesuiten 15 Johanneum (Evangelistenschule) 22 f., 323 Jungreformatorische Bewegung 129, 163, 284, 291 Kirchentag 58, 171 f., 228–231, 472, 500 Kirchliches Amt für Presse und Volksmission (Leipzig) 342 Kommission für Volkmission (CA) 72, 175, 190–192, 199–222, 226, 236–241, 248–256, 260 f., 264–266, 274–277, 284, 304, 306, 308, 310, 312 f., 318–323, 326–329, 334, 337, 339 f., 342, 346, 348 f., 351, 353 f., 365, 369, 371, 374, 381 f., 385, 402, 404, 423, 434, 470, 483, 527 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) 247, 380 Konferenz deutscher evangelischer Arbeitsorganisationen 181, 200 Kultusministerium (Preußen) 203 f. Landeskirchen (deutsche evangelische) 11 f., 20–22, 30 f., 39, 45, 48, 53, 55–58, 63, 105, 108, 133, 143, 163, 165, 170 f., 176, 177, 182 f., 185 f., 188–190, 190–192, 195 f., 205, 209, 223–226, 229 f., 257, 267, 281, 298, 321, 333–354, 357–361, 396, 416, 418–420, 430 f., 433, 435 f., 487, 493, 521–523. Einzelne: Altpreußische Landeskirche (Union) 29, 133, 158, 176 f., 298, 311, 327, 343–353, 357 f., 405, 477; Organe: Evangelischer Oberkirchenrat (EOK) 175 f., 190, 200–202, 205, 269, 291, 294, 312, 333, 347, 474, 500, 521–523; Generalsynode 23, 158; Vertrauensrat (Anfang Weimarer Republik) 200–202; Provinzialkirchen: Brandenburg (Provinzialkirche 165 f., 209, 239, 260, 265, 275, 284, 311, 334, 343, 348–350, 358, 487 f., 521–523; siehe auch Märkische Volksmission; Pommern (Provinzialkirche) 98, 192, 298, 317, 320, 347–350, 358, 478, 490, 521–523; Schlesien (Provinzialkirche) 19, 91, 192, 209, 224, 262–64, 284 f., 343 f., 348, 358, 491, 494,
505
Institutionenregister 521–524. Weitere Landeskirchen: Bayern 28, 129–137, 133 (Landessynode), 139–141, 143 f., 151, 154, 158–167, 191 f., 269, 296 f., 334 f., 338, 357 f., 431 f., 475 f., 490, 493, 521 f., 524; Hannover 28, 90, 134, 170, 191 f., 223, 297, 338–340, 358, 486 f., 521–524; Mecklenburg 39, 97 f., 192, 224, 227, 234, 242–246, 264 f., 267, 320, 327, 340 f., 397, 491, 521–524; Sachsen 35 f., 39, 96, 192, 196, 209, 233, 243 f., 265, 283 f., 297, 342 f., 359, 495 f., 499, 521, 523 f.; Schleswig-Holstein 96 f., 186, 192, 209, 337 f., 521, 523; Württemberg 130, 192, 224 f., 265, 297, 335–338, 350, 357 f., 473, 490, 521–524 Landeskirchliche Gemeinschaften, siehe Gemeinschaftsbewegung „Licht im Osten“, Missionsbund 257 f., 260, 481 Liebenzeller Mission 335 Märkische Volksmission 292, 350 Methodisten 21 f., 25, 204, 346 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) 28, 35 f., 128, 130–132, 134, 162, 164, 241, 256, 260, 263, 265, 267 f., 269 f., 272, 282 f., 286, 299, 310, 415, 435–437 Nationalsozialistische Volkswohlfahrt 286, 479 Neuendettelsauer Mission 131, 334 Paritätischer Wohlfahrtsverband 173, 221 Pfarrergebetsbruderschaft 307 Pfarrernotbund 36, 163 Pfingstler / Pfingstbewegung 204, 214, 406 f. Posen (Unierte evangelische Kirche in Polen) 67, 71, 258, 262, 354 f., 474, 487 Predigerseminare 135. Einzelne: Finkenwalde 166; Loccum 90; Preetz 97, 101
Reichskirchenminister / Reichskirchenministerium 135, 295, 315–317 Reichstag 109, 131, 193, 232, 256, 263, 472, 474 f., 477, 480, 484–486, 488, 496 Reichsverband Deutscher Evangelischer Auslandsarbeit 354–356 Reuss (Fürstenhaus) 325 Römisch-katholische Kirche 12, 14 f., 18, 21, 24–26, 54, 69, 71, 76 f., 139, 170, 200, 259, 355, 371, 380, 389, 395 f., 398, 400, 402 f., 412 f., 418, 438, 472, 474 Rot-Front-Kämpferbund 234 Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) 193, 234, 319, 388, 425, 480 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED) 317 Stadtmission 16, 19, 192, 340, 417, 419, 470, 485, 525. Einzelne: Berlin 19 f., 22, 83 177, 224, 253, 421, 470 f., 475, 480, 496; Hamburg 247, 472, 489; Wuppertal (Barmen) 261, 310, 329 f., 419, 479 Stahlhelm 234–236, 262, 270, 311, 485, 492 Sturmabteilung (SA) 285, 477, 492 Sudan-Pioniermission 224, 470 Tannenbergbund
230, 486
Uchtenhagen (Stift) 235 f., 292, 306 Universitäten / Theologische Fakultäten 21, 64, 70, 72, 469–474, 476, 479–484, 486 f., 489–495, 497–501. Einzelne: Berlin 25, 64, 172, 190, 199 f., 202, 306, 310 f., 469–474, 476–479, 481, 483–491, 493 f., 497–499; Erlangen 35, 39, 64 f., 135, 159 f., 470, 472, 475–477, 481, 484–486, 489, 493, 497; Göttingen 296, 471, 475, 478 f., 486 f., 499; Halle 40, 64, 96, 470–474, 480 f., 483 f., 486–489, 493 f., 499 f.; Kiel 97 f., 100, 356, 470, 476, 481, 489, 497; Leipzig 35, 39, 89, 96, 102, 473, 475–477, 480, 483 f., 492, 494, 497 f.; Tübingen 24, 64, 89, 96, 336, 469, 471, 473–475, 477, 480 f., 483, 486 f., 490 f., 494, 496 f.
506
Institutionenregister
Vaterlandspartei 193 Verein Deutscher Studenten 64, 209, 480, 484 Verein für Evangelisation (Württemberg) 225, 336 f., 358, 521 Vereinigung der vaterländischen Verbände (VVD) 231 f., 260, 311, 313 Vereinigung für Volksmission (gegründet 1932) 66, 276–278, 280, 292 f., 297, 320 Volksbund, siehe Evangelischer Volksbund (Württemberg); Deutscher evangelischer Volksbund für öffentliche Mission Volksdienst (Christlicher, Leipzig) 89, 483 Volksdienst (Thüringen) 89, 223–225, 237, 244, 321, 341, 478, 521 f. Volkskirchendienst (Berlin) 72, 199–204, 206–208, 214, 284, 369, 423
Volksmissionsverband, siehe Deutscher Evangelischer Verband für Volksmission Wehrwolf (Wehrverband) 232, 492 Weißes Kreuz 307, 392 Wichern-Vereinigung 12, 25, 27, 177, 179–181, 185, 188–190, 210, 223 f., 226–228, 247, 257 f., 271, 277, 295 f., 321, 329, 338, 341, 355 f., 378, 383, 397, 470 f., 476, 478 f., 521, 524 Wichern-Verlag 381–383, 524 Wingolf 238, 479 Zelt-Volksmission 225, 227 Zentralwohlfahrtsstelle der Deutschen Juden 173, 221 Zentrum (Partei) 193, 472
Ortsregister
Afrika 304, 477, 478 Alleringersleben 350, 384, 427, 500 Altroggenramede (Altena) 352, 411, 427 Annaberg 35, 415, 495 Annahütte (Lausitz) 349, 402 Annen, siehe unter Witten Arnstadt 196 Augsburg 196, 296, 475, 498 Bad Blankenburg 218, 341, 418, 487 Baden 191 f., 224, 227, 472, 485, 499, 522, 524 Bad Ferch (Mark Brandenburg) 293–296 Bad Liebenzell 331, 343, 349 Bad Sachsa 243 Bad Schandau 277–279 Bad Segeberg 338, 475, 491 Banat 356 Barmen, siehe Wuppertal Bartenstein 392, 394, 411 Batschka 356 Bayern 28, 130, 133, 159, 161, 163 f., 191 f., 265, 296 f., 334 f., 338, 357, 473, 487, 490, 521 f., 524 Benrath 352, 421, 489 Bentheim 339, 392, 416 Bentschen (Zbaszyn) 65, 217 Berlin 11, 19 f., 22, 25, 30, 41, 64, 69, 72, 77, 83, 88, 165, 172 f., 177, 187, 190, 192, 199 f., 202, 204–206, 208, 214–217, 224 f., 236, 247, 250, 252 f., 260, 262 f., 268 f., 277 f., 285, 292, 298, 306, 309 f., 314, 323, 327, 335, 347–349, 366, 377–379, 381, 406 f., 411, 417, 421, 469–501, 521, 524. Berliner Kirchen und Kirchengemeinden: Deutscher Dom (Neue Kirche) 203, 207; Dom 202, 263, 471, 473 f.; Emmaus (Kreuzberg)
306; Französische Kirche 344; Klosterkirche 216; Ölberg (Kreuzberg) 306; St. Bonifatius 402, Taborgemeinde 377. Berliner Stadtteile und Örtlichkeiten: Dahlem 32, 36, 65 f., 165 f., 188, 206, 211, 218 f., 238, 276, 278–280, 285, 298, 327, 329, 348, 385, 420, 495, 521, 524; Friedrichshain 215; Humboldthain 215; Lankwitz 349, 377, 407, 411, 416 f.; Lichtenrade 318, 481, 489; Spandau 66 f., 69, 210, 226, 238, 252, 269, 276, 319, 321, 418, 493, 521, 524; Steglitz 204, 493; Zirkus Busch 205 Bielefeld 305, 483 f., 497, 501 Bischofsburg (Ostpreußen) 344 Bitterfeld 331, 342, 483 Blankenhain (Weimar) 342 Bochum 242, 285 f., 351, 483, 488; Ortsteil: Altenbochum 332, 351, 359 Bonn 21 f., 67, 71, 469, 473 f., 477, 481, 483, 486 f., 489, 491 f., 495, 497, 499 f. Bordesholm 338, 421, 427, 473, 484 Brandenburg an der Havel 225 f. Brandenburg (Landschaft) 30, 165 f., 178, 209, 224, 244 f., 255, 260, 265, 275, 292, 296, 319, 333, 343, 348–350, 358, 363, 378, 472–474, 477, 479–481, 484, 487 f., 492, 494, 497, 521–523 Braunschweig 192, 196 f., 264, 274, 308, 340, 370, 375, 377–380, 383 f., 386, 390 f., 400, 412 f., 481, 493, 521 f. Bremen 170, 192, 244 f., 293, 474, 476, 481, 498, 521 f., 524 Breslau 343 f., 366, 370, 470 f., 479, 483 f., 491–494, 521 Brieg (Schlesien) 365, 477 Bromberg (Bydgosczc) 354, 474
508
Ortsregister
Brückenberg 244–246, 248 f., 253 Brüssel 187 Budapest 355
Europa 11, 15, 17, 21, 100, 193, 214, 259 f., 356 f. Eyrichshof (Unterfranken) 164
Calberwisch (Altmark) 213 Corbach (Waldeck) 196 Cuxhaven 287
Fanö 296 Finkenwalde 166, 298 Flatow 425 Franken 130, 478, 490, 496. Oberfranken 131, 482, 487, 492 Frankfurt/Main 209, 309, 333 f., 370, 412 f., 422, 428, 471, 476, 486, 490, 494 f., 498, 521; Örtlichkeit: Paulskirche 171, 348 Frankfurt/Oder 209, 487 Frankreich 11, 311, 469 Fraustadt 346, 375, 386, 390 f., 393, 399, 401 f. Freiberg 415, 496 Friedland (Ostpreußen) 253, 375, 387, 390 f., 394, 401 f., 410 f. Fürstenwalde 349, 373, 386
Danzig 25, 522 Delmenhorst 350, 475 Deutsche Demokratische Republik (DDR) 105, 317, 439 Deutsches Reich, Deutschland 11 f., 14, 16, 18–22, 25–27, 32, 38, 41, 45–47, 52, 58, 60 f., 64, 70, 87 f., 93 f., 105, 153, 158 f., 165 f., 179, 182, 184 f., 189, 191–193, 195 f., 202, 211, 217 f., 223, 229, 238, 241, 254, 257 f., 272, 274, 281, 292, 304 f., 318, 321, 333 f., 341, 345 f., 351, 353 f., 356 f., 360, 382, 399, 403, 406, 413, 433, 435 f., 440, 469, 473, 477 f., 480, 482, 492–494, 496, 500, 521–524 Döbern (Niederlausitz) 372, 378 Dolgelin (Neumark) 277, 314 Doorn (Schloss) 311, 500 Dorpat (Tartu) 355, 478, 482, 493, 498 Dresden 16, 35, 43, 196, 243, 267, 269, 415, 436, 471, 473, 477, 491, 494 f., 497, 499, 521; Örtlichkeit: Trinitatiskirche 415 Düsseldorf 306, 352 f., 374, 421 f., 428, 480, 482, 488 f., 494 f., 501 Eberswalde 304, 478 Eisenach 222, 473, 521 f.; Hainstein 222 Elbing (Ostpreußen) 253, 345, 370, 374–376, 384, 386, 390, 393–395, 399, 401, 410, 478 Elsass 192, 499 England, siehe Großbritannien Erlangen 35, 39, 64, 160, 469 f., 472, 475–477, 481, 484–486, 489 f., 493, 497 Essen 24, 67, 173, 196 f., 352, 422, 472, 475, 499 Estland 259, 354 f., 478, 491, 523
Galizien 259, 483 Glasgow 16 Greiffenhagen (Pommern) 320, 348 Greifswald 12, 71, 265, 317 f., 469, 472, 475 f., 479, 481, 483, 487, 489, 491, 494, 500 Grenzmark Posen-Westpreußen 262, 284, 305, 346 f., 358–360, 375, 390 f., 393, 399, 425 f., 438, 478 Großbritannien 11, 21, 178, 304, 473, 483, 488, 491, 494, 496, 499 Grünberg (Schlesien) 403, 499 Güstrow 341 Hademarschen (Schleswig-Holstein) 209, 338 Halle 40, 64, 96, 209, 315, 406, 470–474, 477, 480 f., 483 f., 486–489, 493 f., 499 f. Hamburg 12, 16, 25, 115, 177, 192, 210, 223, 247, 257, 286, 321, 329, 338, 383, 472, 475, 479, 484, 489 f., 492, 496–499, 521 f., 524 Hannover 28, 134, 170, 191 f., 223, 338 f., 366, 470, 472, 478, 486 f., 521–524;
Ortsregister Stadtteil: Wülfel 338, 373, 380, 384, 390 Hessen (Großherzogtum) 192, 521 f. Hessen-Kassel 192, 224 Ilmenau 402 Insterburg 309, 345, 370, 409, 470 Jena 64, 469, 471, 486, 497 Jerusalem 123, 309, 421, 485 Jugoslawien 299, 356, 498 Karnap (Vorort von Essen) 352, 422 Kassel 65, 209, 473, 496, 501; Martinikirche 65 Kiel 97 f., 100, 356, 470, 476 f., 481 f., 484, 489 f., 497 Klettwitz, siehe Annahütte Köln 353, 366, 400, 409, 498 Königsberg 227–231, 320, 325, 345, 392, 403, 407, 471, 474, 478, 481, 484, 489, 521 Korea 77 Köslin 209 Köstritz 325 Kötzschenbroda 325, 501 Krotoschin (Krotoszyn) 64, 476 Krummenhennersdorf 415 Kückenmühle (Pommern) 209 Labiau 330, 345, 393 Langendreer 351, 408, 427, 473, 477 Lausitz 349, 385 Leer (Ostfriesland) 328, 339, 345, 359, 411 f. Leipzig 35 f., 39, 89, 96, 102, 109, 141, 230, 232–234, 236, 242–244, 264, 328, 331, 342 f., 354–356, 364, 371, 396, 406, 418, 422, 428, 435, 440, 471, 473, 475–477, 479–481, 483 f., 487, 490, 492, 494, 497 f., 500 f.; Stadtteil: Stötteritz 230–232, 342, 428, 498, 500 Lemberg (Lwiw) 187, 483 Lettland 355 Linz 365, 380 Lippe 327, 330, 393, 409, 522 London 16, 21, 472 f., 490, 495, 499
509
Lübeck 70, 338, 368 f., 378, 477 f., 480, 489, 522, 524 Lüdenscheid 352, 469 Magdeburg 196, 350, 476, 481, 486, 500, 521 Mark (ehemalige Grafschaft) 223 f., 333, 343, 349 f., 352, 363, 378 Mecklenburg-Neustrelitz (Fürstentum) 264, 319, 474 Mecklenburg-Schwerin (Fürstentum) 97, 264, 340, 477, 521 Middelhagen (Rügen) 348, 487 Minden-Ravensberg 192, 223 Mitau (Jelgava) 196, 498 Mohnbachtal 254, 474 Mülheim an der Ruhr 421, 477, 480, 487 Naumburg am Queis (Schlesien) 209 Neinstedt 64, 66, 186, 472, 476 Neuguinea 141, 229, 480, 482 Neusalz an der Oder (Schlesien) 423, 471 Nias (Ozeanien) 77 Nordamerika 11, 21, 485 Nürnberg 131–133, 135, 202, 475 f., 487, 491, 493, 496, 521 Oberschlesien 354, 479 Oels (Schlesien) 263 f., 315, 500 Ohlau 343, 423–425, 428, 438, 494 Oldenburg 170, 192, 470, 475, 522, 524 Österreich 353 f., 380, 421, 469 Ostfriesland 339 f., 345, 351, 359, 411, 438, 480 Ostpreußen 192, 227, 285, 320, 330, 344–347, 350 f., 358–360, 370, 376, 392–394, 401, 411 f., 438, 470, 474, 478 f., 486, 492, 497 f., 521–524 Pillau 330, 345, 352, 370, 393, 400 Polen 64, 124, 258, 262, 354–356, 506, 508 Pommern 98, 166, 192, 209, 243, 245, 265, 298, 320, 329, 347–350, 358, 476, 478, 482 f., 490 f., 500, 521–523 Posen (Poznan´) 64 f., 67, 71, 82, 258, 262, 346, 354, 427, 471, 474, 476, 481, 485, 487 f., 491
510
Ortsregister
Posen-Westpreußen, siehe Grenzmark Preetz 97, 101 Preußen 213, 353, 401 Reichenbach (Riesengebirge) 344, 370–372, 393, 417, 424, 426, 428 Remse an der Mulde 342, 370 f., 413, 423, 428 Reval (Talinn) 354 f., 376, 478, 491 Rheinland 67, 223, 306, 352 f., 359, 499, 524 Riederau am Ammersee 135, 154 Riga 187, 196, 259, 355, 370, 373, 386 f., 390 f., 399, 498 Rostock 11, 35, 38, 51, 192, 233, 238, 319 f., 341, 366, 414, 470, 474, 489, 497 Roßwein (Meißen) 342, 494 Rudolstadt 192, 196, 499 Rügen 324, 348, 420, 469, 487, 492 Ruhrgebiet 332, 351–353, 358–360, 427, 438 Rumänien 299 Russland, siehe unter Sowjetunion Rybnik (Polnisch-Oberschlesien) 354, 471 Sachsen 28, 39, 192, 196, 209, 242–244, 265, 283, 297, 330, 342 f., 350, 356, 358 f., 373, 384, 427, 470, 479, 483, 488, 491 f., 494, 498 f., 521, 523 f. Schlesien 91, 192, 209, 224, 262, 264, 285, 343 f., 348, 358, 365, 371 f., 393, 417, 423 f., 426, 428, 470–472, 477, 484, 491–495, 499 f., 521, 523 f. Schleswig-Holstein 23, 97, 99, 192, 209, 285, 338, 421, 478, 484, 487, 498, 523 Schneidemühl 346 f., 426 Schötmar 330, 343, 350, 373, 384, 393, 409 Schottland 25, 496 Schweiz 353 f., 387, 410, 496, 498 Selb 334 Siebenbürgen 229, 355 f. Sieber/Herzberg (am Harz) 423 Sowjetunion, Russland 153, 257–260, 436, 469 f., 481, 490 Speyer 335, 358, 373, 409, 417 Stargard 347
Stettin 98, 196, 209, 296, 328, 347–349, 366, 370, 374, 377, 387, 390 f., 407, 410 f., 417, 490, 494, 496, 521; Örtlichkeiten: Bugenhagen-Kirche 348; Grabow (Stadtteil) 348, 370, 374, 387, 390 f., 410, 496 Stift Cappel (Lippe) 327 Straßburg 24, 495, 499 Sudetenland 308, 355, 401 Tansania 229 Tilsit 330, 345, 370, 409 f. Togo 304, 478, 498 Treysa 196, 217 Tschechoslowakei 379 Tübingen 10, 64, 96, 241, 273, 336, 469, 471, 473–475, 477, 480 f., 484, 486 f., 490 f., 493 f., 496 f., 501 Ungarn
355 f., 469, 523
Vandsburg (Wie˛cbork) 498
326, 355, 484,
Warschau 187 Weier (bei Offenbach) 225 Weinsberg 332 Weitmar (bei Bochum) 332, 351, 483 Werder-Glindow 410 Wesermünde-Lehe 412 Westfalen 28, 67, 70, 191 f., 223 f., 285, 345, 347, 350, 352 f., 358, 391, 393, 402, 426, 480, 488, 501, 521, 523 f. Westpreußen 191, 346, 474, 477, 484 Wiesbaden 223, 481, 488, 521 Wilna 187 Winterthur 353, 378, 386 f., 391, 410 f. Witten 352, 393, 402, 483, 499; Stadtteil: Annen 352, 391, 393, 402, 426 Wittenberg 89, 171 f., 486, 491, 500 Wolhynien (Ostpolen; Westukraine) 258 f., 497 f. Wuppertal 22, 196, 261, 290, 306, 310, 323, 352, 419, 479. Stadtteile: Barmen 310, 329 f., 473, 480, 491, 522; Wichlinghausen 310, 479 Württemberg 22, 129, 192, 199, 224 f.,
Ortsregister 258, 265, 297, 335–338, 350, 357 f., 482, 485, 493–496, 521–524
511
Zürich 353, 370, 375, 377, 386, 390 f., 393, 401, 407, 473, 497
Sachregister Die Begriffe „Mission“ und „Volksmission“ aus Umfangsgründen nur in besonderen Zusammensetzungen eigens aufgeführt. Abendmahl, siehe Theologie Abstammungslehre 111 Abtreibung 398 Adel 19, 213, 320 „Aktion Ansgar“ (Hamburg) 247, 338 Altes Testament, siehe Theologie Anthroposophie 203 Antihistorizismus 101 Antikommunismus 256 Antiliberalismus 64 Antisemitismus 19 f., 64, 159, 233, 250, 268, 309 f. Apologetik 25, 27, 45–48, 50, 54, 58–60, 62, 67, 70–72, 80 f., 84, 93, 171, 178, 181, 184, 188, 193 f., 203, 206, 212, 216, 221, 224 f., 228, 236–238, 240, 243, 246, 248, 251 f., 256, 276, 279, 296, 298, 321, 333, 430, 434 f., 444, 521, 524 Apostolikumsstreit 59 Arbeiter, Arbeiterbewegung 19, 46, 59, 96–99, 101, 122, 197, 229, 254, 266, 298, 308, 319, 351, 373, 377–379, 384 f., 400, 413, 425, 436, 524 Arierparagraf 158–160 „artgemäß“ 155 Augusterlebnis 37, 76, 176, 179, 193 Bädermission 213, 335, 358 Barmer Theologische Erklärung 140 Bekehrung 15, 21, 40, 43, 51, 80 f., 102, 117, 186, 239, 306, 366, 370, 374, 377, 399 f., 405, 407, 418 Bekenntnissynode 165, 296 Berneuchener Bewegung 115 Bestattung, Bestattungspredigt 82, 104, 126 Besuchsdienst 20, 415, 417 Betheler Bekenntnis 135, 140, 149 Bibelstunde 45, 49–52, 54, 57, 62 f., 81 f.,
115, 125 f., 184, 195, 213, 303, 330, 342, 350, 367, 385–387, 392, 402, 408–410, 431, 523 Bildungsbürgertum 79 Bolschewismus 131, 152, 246, 260, 271, 282 Charisma 44, 54, 398, 400 Clerus minor 55, 184 Corpus Christianum 63 „Dahlemiten“ 298 Dahlem (Synode) 36, 165 f. Dekanat 131, 134, 136, 164 Deutschbalten 259, 355, 373 Deutschtumspolitik 354, 356 Devaheim-Skandal 66, 256, 273, 281, 323, 437 Diakonisse / weibliche Diakonie 72, 217, 318, 393, 425, 472, 474, 477 f., 485, 489 f., 494, 498 f., 525 Diakon / männliche Diakonie 72, 180, 184, 217 f., 224, 254 f., 304, 319, 348, 350, 470, 472, 478, 482, 493, 498 Diaspora, Diasporakirche 21, 105, 260, 299, 352–357, 360 Dreißigjähriger Krieg 187 Ecclesiola in ecclesia 52, 59, 82, 108, 121, 211 Ehe 21, 65, 147, 389–391, 426 Entkirchlichung, Entchristlichung 38, 45, 61, 90, 101, 113, 183, 199 Entkonfessionalisierungspolitik 13, 166, 297, 316 Erster Weltkrieg 11, 13, 25, 29, 31 f., 35–38, 61, 66 f., 72 f., 91, 93 f., 98, 107, 174, 176–198, 201, 209, 213, 223, 243,
Sachregister 248, 304, 305, 318, 335, 380, 430, 433, 478, 500 Erweckungsbewegung 16, 39, 83, 108, 339, 360, 429 Erweckungspredigt 16 Erziehung 52 f., 271, 387, 390, 415, 425 Evangelisation 13, 20–26, 45–48, 50 f., 54, 58–63, 65 f., 69–72, 77, 80 f., 84, 86, 89–91, 93 f., 97, 99, 103, 125, 144, 171, 177–181, 184–186, 188, 190–197, 201–203, 205 f., 209–212, 216 f., 219–221, 224 f., 227 f., 230 f., 236 f., 239–244, 248 f., 251–253, 255 f., 260, 276, 279, 295–297, 303, 306, 308 f., 320 f., 323–353, 355–359, 363–378, 380, 382 f., 386 f., 389–394, 396 f., 399–404, 407, 409–419, 422 f., 425, 427 f., 430, 434 f., 439, 521 f., 524 Evangelisationspredigt 60, 214 Evangelisationsvortrag 197, 303, 334, 340, 345, 351 f., 368, 373, 375 f., 380, 385, 399, 401 f., 403, 406, 409, 412 Evangelisationswoche 47, 58, 71, 211 f., 216, 266, 303, 321, 324 f., 328, 331, 333, 335, 338 f., 364, 367, 369, 372–374, 385, 397 f., 401, 408, 410 Evangelische Wochen 297, 300 Evangelist 21–23, 31, 47, 54, 56 f., 67, 70, 93, 175, 180, 184, 189–192, 194 f., 197, 204, 206, 208, 211, 217, 220, 224–227, 238, 242, 251, 253, 258 f., 261, 277, 287, 296, 303–307, 318 f., 322–325, 327–331, 335–343, 347, 353, 358–360, 362–366, 369–372, 374–376, 378, 381, 384 f., 396–398, 400, 403–406, 408 f., 411, 414, 416 f., 419, 423, 428, 438, 523 Evangelistik 70 Evangeliumschristen (Sowjetunion) 257–260 Exerzitien 69, 77 Fin de Si cle 123 Frauenarbeit 169, 340, 426 Frauenversammlungen 211, 387, 390, 392 Freidenker 186, 247, 272, 284, 304, 338, 372, 376–380, 383, 412, 421 f. Freikirchen (siehe auch einzelne Denomi-
513
nationen im Institutionenregister) 21, 51, 91, 105, 204, 214 f., 348, 372, 374, 423 Freikorps 130, 206 Freimaurerei, Freimaurer 419, 424 f., 438 Frömmigkeit 13, 61, 79, 138, 146, 155 f., 187, 220, 234, 311, 318, 320, 407, 422 Frontgeneration 98 Führer, Führerprinzip, Führertum 78, 114, 116, 126, 132, 138, 143, 156, 231 f., 257, 263, 288, 310, 316, 407 Gemeindeaufbau, missionarischer 58, 62, 142, 184, 201, 237, 293, 295, 342, 414, 416 Gemeindehelfer 55, 57 f., 184, 212 Generalbeichte (Lebensbeichte) 77, 395 f., 400, 413 Gestapo 164, 238, 290, 310 Großstadt 43, 55, 74, 83, 214, 412 Gutskonferenzen, siehe Landkonferenzen Hausbesuch 383 f., 395, 408, 413, 415 Heidenmission,siehe Mission, Äußere Heidentum 88, 113 Heiligungsbewegung 21, 335 Heroismus 156 Hitler-Ludendorff-Putsch 109, 130 Homiletik 144 Honoratiorengremium 172, 175, 434 Hysterie 423 Ideengeschichte 13, 29 Industrielle Revolution 16 Inflation 217, 322, 324 Inkulturation, Inkulturationsstrategie 122, 141, 155 Januaraufstand (1918) 204 Januarkonferenz (Volksmission) 216, 260, 327 f., 354, 382, 402 Judentum, Judenfrage 20, 152, 154 f., 157–159, 162, 265, 267, 285, 309, 409 f. Jugendarbeit (Evangelische) 134, 169, 234, 311, 393 Jugendgottesdienst 392 f., 401 Jugendpflege 55 Julikrise 176
514
Sachregister
Jungmädchenarbeit 65 Jungmännerarbeit 223, 234, 390–393, 489 Kairos, siehe Theologie Kaiserreich 64, 74, 83, 96, 120, 170, 423 Kapitelbeauftragte (Volksmission) 134, 137, 160, 164 f. Kasualien 74, 176 Katechese 50 Kerngemeinde 20, 25, 51–53, 55, 57–62, 77–79, 83, 93, 102, 108, 115, 121, 130, 169, 199, 250, 367, 385, 408, 413, 418, 428, 430 Kerygma 43 Kindergottesdienst 393, 408 Kirchenaustrittsbewegung 11, 25, 37 f., 61, 74 f., 186 Kirchenkampf / Kirchenstreit 12, 31, 36, 98 f., 130–166, 281 f., 299 f., 315 f., 316–318 Kirchenkreis 225, 317, 343 f., 346, 400, 423 Kirchenleitung 12, 24, 55–59, 72, 93 f., 96, 131 f., 135, 199, 202, 259, 296, 431, 440, 521 Kirchenmitgliedschaft 74, 106 Kirchenreform 59, 75, 107, 418 Kirchenwahlen 133, 268, 282 Kleinschrifttum, apologetisches / evangelistisches 27, 29 Kollekte 217, 219, 221, 242, 276 f., 324–326, 340, 352, 378 Kollektividentität 18 Kommunion 15, 396, 402 f. Kommunismus, Kommunisten 153, 214, 257–260, 270, 272, 319, 379, 425 Konfession 17, 139, 169, 232 Konfirmation 104, 126, 404, 406 Konkordienbuch 139 f. „Konservative Revolution“ 96–128, 432, 488 Konsistorialrat 281, 317, 474, 486, 489, 494, 500 Konsistorium 275, 314, 343, 347 Konventikel 39 f. Kriegsende 38, 68 f., 72, 88, 93, 114, 191, 195 f., 203, 210, 296
Krisis, siehe Theologie Kulakenumsiedlungen 257 Kulturkampf 15, 18 Kulturkritik 123, 127 Kurrendesingen 83 Kurseelsorge 213, 335 Laie 16, 21, 24, 43, 54 f., 57, 59, 72, 77 f., 85, 91, 93 f., 125 f., 134, 142 f., 171, 184, 186, 191 f., 200, 225, 266, 298, 305, 319, 322 f., 327, 336, 350, 367, 413, 415, 417, 425, 430 Laienschulung 246–253 Landkonferenzen 213, 217 f., 220, 266, 303, 320, 340, 344, 347, 359, 523 Leitbilder 12, 27, 49, 53, 59, 62, 317, 432 Liberalismus 20, 130 Loge, siehe Freimaurerei Luthertum 102, 140 f., 264, 313 Machtübertragung (1933) 12, 30, 36, 128, 130, 145, 151, 162, 270, 278, 280–284, 436 Marxismus 130, 394 f. Märzrevolution (1848) 73, 171 Masse, Massenpsychologie 17, 22, 36, 38, 51, 84–86, 101, 104, 183, 202, 272, 412 f., 427 Masturbation 398 Merkblatt zur Volksmission (DEVVM) 215, 325, 330, 363–370, 372, 377, 381, 401, 408, 414 Metaphorik 38, 77 f., 107, 109, 119, 184, 415 Methodismusvorwurf 47 Milieu 26, 55, 83, 95, 130, 170, 402, 436 Militärseelsorge, Militärseelsorger 187, 393, 478 Mission passim. Grundsätzliches 14–26, 75–78, 88 f., 92, 99–108, 123, 125, 140–143, 145, 162, 176 f., 182 f., 278 f., 404, 424, 431, 439 f. Arbeitsfelder: Äußere Mission 15–18, 38, 40, 45, 59 f., 63, 71, 77, 88 f., 131, 141 f., 169, 178 f., 182, 190, 202, 208 f., 217, 223, 241, 304 f., 334; Innere Mission 14, 16–21, 23–27, 29, 31, 39 f., 56–58, 60, 62, 65, 68 f.,
Sachregister 71–73, 84, 87 f., 91, 93, 140, 169–197, 202 f., 207–210, 212–217, 221, 228, 230 f., 236 f., 241–244, 251–256, 263, 270, 273–277, 279 f., 282, 285–287, 297, 300, 305, 308, 311 f., 314, 325 f., 336, 358, 378, 433–435; öffentliche Mission 20, 68, 72, 80, 83–87, 94, 201, 237, 252, 432; Volksmission und Ableitungen, siehe eigener Eintrag. Zusammengesetzte Begriffe: Missionar 16, 22, 52, 88 f., 141, 166, 180, 209, 218, 229, 304 f., 318 f., 322, 328, 346, 360, 401 f., 477 f., 480, 482 f., 485, 494, 500; Missionserneuerung 15, 371; Missionsfest 82, 196, 217, 305, 326 (Volksmissionsfest siehe unter Volksmission); Missionsinspektor 71, 192 Missionspredigt 21, 24, 45, 47 f., 60, 77, 413; Missionstheologie, siehe unter Theologie; Missionswissenschaft 18, 76 Mitwirkungsrecht 75 Moderne 11–13, 113, 122–124, 432, 435 Moralische Aufrüstung (siehe auch OxfordGruppenbewegung) 21 Moralstatistik 65 Münchener Räterepublik 130 Musik 83 Nachevangelisation, siehe Missionserneuerung Nachkriegszeit [Erster Weltkrieg] 96, 203, 206 f., 218 Nächstenliebe 56 Nachversammlung 338, 400, 403–408, 414, 417 Nationalismus 28, 65, 119, 267, 311, 439 Nationalsozialismus (siehe auch NSDAP im Institutionenregister) 26, 28, 31, 97, 130–133, 135 f., 139, 145, 149–153, 156, 161 f., 164 f., 260, 263, 267–271, 282–284, 286, 297, 310, 318, 430, 436 f., 439 Nation, Nationalbewusstsein 18, 109, 141, 148, 158, 179, 187, 313 Neuheidentum 269
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Novemberrevolution 67 f., 73, 94, 99, 197, 199 f., 202, 205 f., 271, 433 NS-Staat / NS-Regime 13, 128, 138, 165, 284, 297, 299, 316 f., 437 Oktoberrevolution 153 Opfer (Finanzen) 395, 435 Orden 15 Organismus, organisches Denken 101, 107, 110 Orthodoxie 140, 147 Ostelbien, ostelbisch 213, 359 Ostern 82 f., 313 Oxfordbewegung, siehe Heiligungsbewegung Oxford-Gruppenbewegung 28 f., 281, 297 Parochie 40, 43, 47 f., 52, 82, 106, 108, 343, 368, 417, 430 Passageriten 104 Pfarrer 16, 22–25, 30, 35 f., 43, 49, 54 f., 62, 65, 69, 77 f., 81 f., 104, 115, 125–127, 130–136, 139, 142, 158, 160–162, 164, 169, 184–186, 188, 191 f., 195 f., 201–204, 208, 214, 216, 223 f., 229 f., 234, 242, 260 f, 263, 265 f., 268 f., 271 f., 277, 283–285, 289, 291, 298, 303, 305–307, 310, 312, 314 f., 317–320, 325, 327–329, 332, 334–337, 339, 342, 344, 347 f., 350–352, 355, 364–368, 370 f., 376, 385, 396 f., 401 f., 408, 411, 413–423, 425–428, 431, 433, 438 Pfarrhaus 330 Pietismus 15, 39, 59, 335, 337, 358 Pluralismus, Pluralismuskritik 59, 74 Predigt 15, 41, 45, 47, 54, 65, 82, 84, 116, 120, 122–124, 126, 139, 142–144, 153, 166, 178 f., 195, 215, 259, 305, 307 f., 327, 330, 338, 374, 380, 396, 401, 423, 425 f., 430, 523 Privatbeichte 396 f., 399 Proletarier, siehe Arbeiter, Arbeiterbewegung Propaganda 46, 84, 145, 162, 174, 187, 215, 282, 298, 377, 527 Prophet 117 f., 123 Protestantismus 9, 11 f., 14, 23, 26 f., 30,
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Sachregister
32, 56, 59, 63, 91 f., 130, 153, 170 f., 173, 193, 200–203, 205, 260, 269, 314, 344, 354, 430, 435, 439, 489 Publizistik, kirchliche 73, 87 f., 104, 109 Putschversuch 130, 219 Rassenbegriff, Rassenlehre 111, 120, 132, 148 f., 150, 154–162, 178, 263, 265, 268 f., 496 Rechristianisierung 11, 13, 79, 98, 103, 178, 183 Redemptoristen 413 Reformation 11, 17, 40, 90, 146, 258, 317 Reichseinigung, Reichseinigungskriege 18 f. Reichstagsbrand 283 Reiseprediger 21, 177, 190, 306, 438 Riederauer Thesen 29, 31, 129 f., 135–165, 267, 431 f. Ritus 259, 405 Ruhezeit (Missionare) 331 Sakralisierung 62, 119, 155 Säkularisierung, Säkularisierungsparadigma 11, 61 Schriftenkolportage 381 Schriftenmission 85, 87, 144, 177, 181, 203, 381 f. Schriftenverkauf 381 f. Seelsorge, Seelsorger 43, 50 f., 126, 133, 184, 213, 236, 266, 290, 389, 396–400, 403, 407, 417 f., 524 Sexualbolschewismus 388 Sexualethik 387 Sitte / Sittlichkeit 37, 50, 52 f., 61–63, 78 f., 82, 88 f., 93, 99, 102, 112, 123, 156 f., 178, 180–183, 235, 307, 321, 352, 378, 387–393, 398 f., 404, 407, 425 f., 429, 432, 478, 482 Sonderversammlungen 330, 383, 387–392, 399 f., 407, 523 Sozialgeschichte 13 Sozialismus, Sozialist 214, 237, 264, 377, 379 Sozialordnung 83 Sportpalastskandal 144, 154, 164, 287, 291, 293, 421
Sprechstunde 303, 375, 395–400, 407, 409–411 Sprengel 327, 402 Staatskirchenrecht 207 Straßenpredigt 47, 85, 87, 204, 206, 214–216 Suggestion 84, 406 Suizid, Selbstmord 398 Summepiskopat 11 Sünde, siehe unter Theologie Superintendent 35 f., 55, 58, 230, 232 f., 239, 247, 264, 280, 317, 327, 339, 342, 364 f., 402, 412, 415, 423 f., 428, 438 Synergismus 145 Talmud 159 Theodizeefrage 37 Theologie 13, 17 f., 21 f., 35–37, 39–43, 45, 59, 64, 70, 72, 82, 100–102, 105, 109, 112–114, 120, 123, 127, 140, 146–150, 154, 156, 158 f., 162, 165, 179, 202, 229, 231, 238 f., 268, 290, 292, 298, 306 f., 310, 313, 318, 417, 440. Richtungen: Dialektische Theologie 113, 222; Lutherrenaissance 96, 102, 112 f., 120, 127, 318; Religiöser Sozialismus 113; Vermittlungstheologie 40; Worttheologie 43, 139, 222. Einzelne Themen: Altes Testament 64, 117 f., 136, 154, 157–159, 162, 232 f., 309, 314, 409; Buße, Bußpredigt 15, 104, 117, 153, 163, 176, 178, 268, 306, 370, 377, 395; Christozentrik 307; Ekklesiologie 40, 103, 108, 182, 186; Erwählungstheologie 155; Erweckung, Bekehrung, Heiligung 15, 21, 40, 51, 80 f., 102, 109, 117, 118, 179, 186, 194, 239, 272, 281, 306, 340, 349, 359 f., 364, 366, 370, 374, 399 f., 405, 407, 417 f., 429, 431, 437; Fürbitte, Gebet 49, 70, 216, 307, 366 f., 375, 386, 415; Geschichtstheologie 149–154, 154, 313; Heil 17 f., 21, 40 f., 73, 76, 78, 85, 93, 145, 152, 156, 171, 179, 272, 307, 396, 400; Heilsgeschichte 136, 150, 152, 158, 161, 163; Heilsgewissheit 307; Kairos 79, 100, 150; Krisis 100, 124; Missionstheologie 141; Sakra-
Sachregister mente 42, 60, 141, 307, 423. Einzelne: Abendmahl 150, 307 f., 348 f., 387, 401–403, 406–408, 414; Taufe, Tauftheologie 42 f., 59 f., 104, 126, 141, 394, 404, 506; Schöpfungsordnungen 112 f., 146–149, 156, 161, 231, 268, 313 f., 318; Sünde 80, 118, 123, 137, 139, 146, 148, 153, 155, 166, 310, 376, 386, 396, 398 f., 404 f. Totensonntag 82, 226 Tradition 13, 39, 58 f., 65, 73, 83, 108, 111, 192, 300, 335 Trauung 104, 126 Unterbewusstsein
84
Verbalinspiration 211 Verchristlichung 101 f. Vereinsprotestantismus, Verbandsprotestantismus 12, 20, 29, 75, 92, 109, 169 f., 176, 181, 186, 200, 202 f., 208, 217, 223, 238, 265, 270, 285, 421, 431 Verführung 85 Vergemeinschaftung 106, 415 Verkirchlichung 101, 279 Verkündigung 16 f., 20, 24, 26, 37, 43, 46, 48, 51, 80, 85, 91, 103 f., 106, 108, 113, 115–117, 119, 121 f., 124, 139–145, 149, 151, 155, 157, 160, 185, 199, 201 f., 211 f., 239 f., 250, 253–255, 257, 259 f., 262, 266, 274, 290, 307, 310, 313 f., 319, 343, 348, 374 f., 382, 385, 387 f., 395, 403, 405, 413, 420, 423, 427, 433 f., 436 f. Versailler Vertrag 345 f., 357 Vikar 298, 421 Visitation 55 Vitalismus 100 Völker, indigene 77, 141 f., 155, 160, 229, 424, 438 Volkserziehung 50, 52 f. Volkskirche 15, 17, 20, 25–27, 38, 42 f., 48, 51 f., 56, 59 f., 63, 75, 79, 81, 87, 89, 92, 94, 104–108, 111, 116, 121, 151, 153, 160, 162, 165, 171, 180, 182 f., 186, 199, 218, 228 f., 237, 259, 271, 289, 291, 298, 315, 317, 327, 354, 358, 416, 419, 424, 431, 440
517
Volkskirchenbewegung 89, 94, 199–208, 210 f., 224, 479 Volksmission passim. Einzelthemen und zusammengesetzte Begriffe: Katholische Volksmission 12, 14 f., 18, 24–26, 69, 71, 76 f., 371, 389, 395 f., 400, 402 f., 412 f.,418, 438; Volksmissionsfest 213, 220, 325; Volksmissionsprogramm 14, 40, 57, 82, 115, 127, 129, 134, 143, 155, 162, 431, 437; Volksmissionsstatistik 327, 333–361, 420, 519, 521–524; Volksmissionswoche 30 f., 55, 67, 124 f., 211–213, 217, 219, 221, 227 f., 230, 241 f., 249, 266, 303 f., 309, 324, 326, 328, 332–335, 337–339, 343 f., 347–351, 355, 357, 362–430, 438 Volksmission (Zeitschrift) 29, 209 f., 214 f., 256 f., 266, 271, 276 f., 297, 324, 332, 399, 404, 428 f., 508 f. Volksmissionsgrüße (Zeitschrift) 210, 324, 332 Volksseele 20, 38, 60 f., 63, 117, 120 f. Volkstum, Volkstumsideologie 19, 28, 105, 109–113, 115–117, 119 f., 122, 127 f., 147, 149, 152, 156, 228 f., 231, 233, 262, 313 f., 354, 356, 360 Vormärz 18, 171 Vormoderne 48, 62 Weimarer Koalition 193 Weimarer Republik 11, 13, 27 f., 61, 67 f., 73, 83, 85–87, 92 f., 95, 98, 100–102, 110, 115, 117, 123, 128, 130, 152, 170, 173, 199, 201 f., 204, 219–222, 224, 236, 241, 280, 282, 285, 295, 317, 336, 425, 430–432, 434 f., 439 Weltanschauung 46, 48, 52 f., 62, 81, 102, 183, 240, 376, 524 Weltmission 16, 178 Weltmissionskonferenz 123, 480 Weltwirtschaftskrise 36, 97, 131, 219, 228, 241, 246, 252, 255–257, 272 f., 292, 384, 388, 393–395, 434 f., 437 Werbung (für die Evangelisation / Volksmissionswoche) 71, 126 f., 177, 196, 217, 265, 325, 366–368, 374, 383 f., 389, 412
518
Sachregister
Westfront 96, 130, 304, 310 Wohlfahrtspflege 201, 209, 221, 236, 253–255, 276, 279 f., 286 Worttheologie 43, 139 Wort und Tat (Zeitschrift) 210, 276, 278, 524 Wortverkündigung 23, 50, 56, 82–84, 86, 115 f., 122, 142, 177, 185, 187, 197, 204, 221, 237, 276, 286, 402
Zeltmission 23, 227, 241, 374, 406 f. Zungenrede 23 Zwei-Reiche-Lehre 157 Zweiter Weltkrieg 29, 64, 161, 208, 255, 294, 300, 305, 475, 479 Zwischenkriegszeit 9, 14, 26 f., 98, 124, 129, 143, 207, 258, 362, 430, 436, 439 f.
Organigramme und Dokumente Die folgenden Organigramme und Dokumente sollen die Institutionalisierung der Volksmissionsbewegung verdeutlichen und zugleich Material zu den im DEVVM vereinigten Organisationen und der Statistik volksmissionarischer Einsätze liefern.
520
Organigramme und Dokumente
1. Organigramm des Deutschen Evangelischen Verbandes für Volksmission. Nach der Satzung des Verbandes von 1925 F: KJ 53 (1926), 313–315.
Wahl
Vorsitzender Stellv. Vors.
Verbandsausschuss
Wahl
(5 Mitglieder plus Stellvertreter, Amtszeit: 4 Jahre)
Vertreterversammlung (mindestens eine Stimme pro Mitgliedsorganisation; zusätzlich je eine Zusatzstimme für jeweils zwei hauptamtliche Volksmissionare)
Organigramme und Dokumente
521
2. Bericht des Deutschen Evangelischer Verband für Volksmission „1.) Aus der Arbeit der Volksmission, Evangelisation und Apologetik“ an die kirchlichen Oberbehörden der deutschen evangelischen Landeskirchen. Berlin, 15. Dezember 19261 F: ADE Berlin, DEVVM 10 (H). Die Arbeit der Volksmission in Deutschland, getragen von den einzelnen Provinzial- und Landesverbänden der Inneren Mission oder von freien, der Inneren Mission nahestehenden Verbänden, wurde wesentlich gefördert durch den Zusammenschluss einer grossen Anzahl von Verbänden und Vereinigungen zum „Deutschen Evangelischen Verband für Volksmission“. Diesem gehören augenblicklich folgende 36 Vereinigungen an: 1. Central-Ausschuss, Abteilung Volksmission – Dahlem, 2. C. A. Abteilung Apologetik – Spandau, 3. Wichern-Vereinigung – Hamburg, 4. Verein für Innere Mission – Hamburg, 5. Landesverein für I. M. in Bayern – Nürnberg, 6. Arbeitsgemeinschaft für Volksmission – Hannover, 7. Provinzialverein für I. M. der Prov. Brandenburg – Spandau, 8. Oberhessische Volksmission – Hutzdorf – Schlitz, 9. Ostpreussischer Provinzialverein für I. M. – Königsberg, 10. Provinzial-Ausschuss für I. M. – Magdeburg, 11. Anhaltischer Landesverein für I. M. – Dessau, 12. Württembergischer Verein für Evangelisation – Stuttgart, 13. Landesverein für I. M. – Neumünster, 14. Thüringischer Verband für I. M. – Eisenach, 15. Landesverein für I. M. – Dresden, 16. Provinzialverein für I. M. – Stettin, 17. Geschäfsstelle für Volksmission – Mecklenburg-Schwerin, 18. Verein für I. M. – Bremen, 19. Evangelischer Verein für I. M. – Frankfurt/M., 20. Evangelischer Verein für I. M. – Braunschweig, 21. Landesverein für I. M. – Polen-Poznan [sic!], 22. Schlesischer Provinzialverein für I. M. – Breslau, 23. Badischer Landesverein für I. M. – Evangelisationsausschuss – Durlach, 24. Bibelschule – Lichterfelde-West, 25. Bibelschule – Malche i. d. Mark, 26. Evangelischer Verband für die weibliche Jugend, Bibelschule – Dahlem, 27. Evangelischer Verein für I. M. in Hessen-Nassau – Wiesbaden, 28. Landesverein für I. M. in Hessen-Nassau – Cassel, 29. Evangelisches Provinzialamt für Apologetik in Westfalen – Schwefe, 30. Berliner Missionsgesellschaft, Abteilung Volksmission, 31. Volksdienst der Thüringer evangelischen Kirche 1 Typoskript im Umfang von vier Seiten. Der Bericht enthält detaillierte Angaben zur Statistik der Volksmission insgesamt und der Arbeit einzelner Organisationen. Er wurde am 15. 12. 1926 mit einem Rundschreiben von Gerhard Füllkrug in seiner Funktion als Vorsitzender des DEVVM an alle Kirchenleitungen verschickt. In dem Begleitschreiben verweist er auf die Bereitschaft der im DEVVM zusammengeschlossenen Verbände, in den Landeskirchen missionarisch tätig zu werden (vgl. Rundschreiben Füllkrug an kirchliche Oberbehörden vom 15. 12. 1926 [ADE Berlin, DEVVM 10]). Als weitere, hier nicht abgedruckte Anhänge wurden dem Rundschreiben hinzugefügt: a) Eine Entscheidung des DEVVM zum Verhältnis von Taufe und Evangelisation von 1926 (eine Seite), in der die Fortführung der Kindertaufe von Evangelisation abhängig gemacht wird; b) ein ebenfalls 1926 verabschiedeter Aufruf des DEVVM an die evangelischen Landeskirchen, die Zeiten der Sonntagsgottesdienste an Kurorten durch öffentliche Aushänge bekannt zu machen (alle Anhänge ebd.).
522
Organigramme und Dokumente
– Eisenach, 32. Provinzialkirchlicher Ausschuss für Evangelisation in der Rheinprovinz – Barmen, 33. Evangelischer Volksbund2 für Württemberg – Stuttgart, 34. Westfälischer Provinzialverband für I. M. – Münster, 35. Landesverein für I. M. in Hessen-Nassau – Darmstadt, 36. Gesellschaft zur Ausbreitung des Evangeliums – Hamburg. Ueber die Evangelisationsarbeit der oben genannten Verbände führt eine im Central-Ausschuss, Abteilung Volksmission befindliche Kartothek den genauen Nachweis. Aus der Kartothek ergibt sich folgendes: In den einzelnen Landesteilen Deutschlands haben von Anfang Januar 1919, bis Dezember 1926 folgende Evangelisationen gewöhnlich eine Wochelang [sic!] stattgefunden 1.)
Anhalt:
26 Veranstaltungen in
15 verschiedenen Orten.
2.)
Baden:
88
” ”
”
62
”
”
3.)
Bayern:
417
” ”
” 206
”
”
4.)
Brandenburg:
328
” ”
” 141
”
”
5.)
Braunschweig:
72
” ”
”
45
”
”
6.)
Bremen:
9
” ”
”
2
”
”
7.)
Freistaat Danzig:
5
” ”
”
2
”
”
8.)
Grenzmark:
14
” ”
”
12
”
”
9.)
Hamburg:
51
” ”
”
5
”
”
10.) Hannover:
290
” ”
” 129
”
”
11.) Hessen:
178
” ”
” 120
”
”
12.) Hess.-Nassau:
193
” ”
” 120
”
”
13.) Lippe-Detmold
93
” ”
”
33
”
”
14.) Lübeck:
29
” ”
”
2
”
”
253
” ”
” 136
”
”
34
” ”
”
20
”
”
17.) Ostpreussen:
220
” ”
” 144
”
”
18.) Pommern:
433
” ”
” 229
”
”
15.) Mecklenburg: 16.) Oldenburg:
2 Seitenumbruch.
523
Organigramme und Dokumente 19.) Rheinprov.:
163
” ”
”
80
”
”
20.) Prov. Sachsen:
446
” ”
” 237
”
”
21.) Sachsen:
421
” ”
” 245
”
”
24
” ”
”
”
”3
22.) SchaumburgLippe
16
23.) Schlesien:
243 Veranstaltungen in 143 verschiedenen Orten
24.) SchleswigHolstein:
106
” ”
72
”
”
25.) Thüringen:
104
” ”
54
”
”
26.) Westfalen:
295
” ”
145
”
”
27.) Waldeck:
29
” ”
13
”
”
553
” ”
401
”
”
27
” ”
23
”
”
28.) Württemberg: 29.) Ausland:
Den Umfang und die Bedeutung der Arbeit mögen einige Beispiele erläutern: Im Dienst des – Central-Ausschusses der Abteilung Volksmission [sic!]
stehen 5 Volksmissionare und 2 Volksmissionarinnen. Von ihnen ist in der Zeit von Beginn des Jahres 1925 bis zum 1. Dezember 19264 in 316 Gemeinden Deutschlands gearbeitet. Darunter sind Westfalen und Ostpreussen mit je 50, Pommern und Brandenburg mit je 35, Provinz Sachsen mit 28, Mecklenburg mit 25, Schlesien mit 15 Gemeinden vertreten. Die anderen verteilen sich auf alle anderen Landesteile Deutschlands. Im ganzen sind von den Volksmissionaren des Central-Ausschusses 1365 Vorträge, 200 Predigten, 703 Bibelstunden und 160 Sonderversammlungen gehalten worden. An 54 Orten fanden Landkonferenzen statt, von denen Mecklenburg mit 12, Brandenburg mit 11, Pommern und Schlesien mit je 8, Ostpreussen mit 6 Gütern vertreten sind, während die anderen sich auf Hannover, Thüringen, Freistaat Sachsen und Oestereich [sic!] verteilen. Unsere Evangelisten haben in diesen beiden Jahren 1925/26 auch unseren deutschen evangelischen Glaubensbrüdern in Estland, Polen, Litauen, Holland und Ungarn z. T. durch5 in mehrwöchentlicher Arbeit dienen dürfen.
3 Seitenumbruch. 4 Lies: 1926. 5 Lies: auch.
524
Organigramme und Dokumente
Zur Vertiefung christlichen Volkslebens erscheint monatlich im WichernVerlag – Dahlem die Zeitschrift „Die Volksmission“ (Monatsschrift für Evangelisation und Apologetik, Organ des Centralausschusses für die Innere Mission, Abteilung Volksmission) Herausgeber D. Gerhard Füllkrug – Dahlem. Aus der Arbeit der Wichernvereinigung (Hamburg) ist zu berichten, dass die Zahl ihrer Berufsarbeiter 12 beträgt. An Evangelisationen hat die WichernVereinigung im Jahre 1926 – 125 ausgeführt, davon etwa 75 in Preussen, 13 in Sachsen, 12 in Mecklenburg, die übrigen in Hamburg, Oldenburg, Thüringen, Baden, Württemberg, und Oesterreich. Eine planmässig arbeitende apologetische Arbeitle6 ist in den letzten Jahren ins Leben gerufen in Berlin, Hannover, Ostpreussen, Rheinland, Mecklenburg, Schlesien, Westfalen, Baden, Bayern, Darmstadt, Hamburg, Lübeck, Die Arbeit wird ausgeführt von der apologetischen [sic!] Centrale, Abteilung des Central-Ausschusses für Innere Mission, und von den entsprechenden Stellen bei den Landes- und Provinzialvereinen für Innere Mission. Im Einzelnen sind besonderse hervorzuheben: Die Apologetische Centrale. Dieselbe befindet sich seit dem Sommer dieses Jahres im Evangelischen Johannesstift zu Spandau. Durch enges Zusammenarbeiten mit der evangelischen sozialen Schule, der Fichtegesellschaft und dem Bildungs-Ausschuss des Johannesstiftes ist es möglich geworden bei vielen Veranstaltungen und Kursen im Johannesstift apologetische Vorträge zu halten, sowie den christlichen Einfluss bei neutralen Kursen zur Geltung zu bringen. In Berlin fanden in den letzten Jahren Weltanschauungswochen statt, die sich eines grossen Zulaufes erfreuten; sie wurden ausserdem ins Leben gerufen in Schlesien, Westfalen, Bremen, Hamburg und Lübeck. Arbeitsgemeinschaften von Studenten, Gebildeten und Künstlern traten in Berlin zusammen. Die apologetische Fachzeitschrift „Wort und Tat“ vertritt evangelische Weltanschauung und soziale Gesinnung. Seit 3 Jahren haben Fachkonferenzen von Medizinern und Theologen regelmässig stattgefunden. Eine Zeitschriftenreihe „Arzt und Seelsorger“ berichtet über ihre Arbeit und führt tiefen (sic!) in die gemeinsamen Probleme ein. Das Vortragswesen wurde organisiert in der Grenzmark, in Ostpreussen, Prov. Sachsen, Hamburg, Mecklenburg und Württemberg. Freizeiten für Arbeiter fanden statt in Ostpreussen und Württemberg. Mit Hauswochen bei Industriellen wurde in Westfalen ein Anfang gemacht; und apologetische Kurse wurden veranstaltet im Rheinland, Schlesien, Baden und Bremen.
6 Letzter Buchstabe unleserlich, offenbar ursprünglich:„Centrale“; überschrieben mit „Arbeit“.
Organigramme und Dokumente
525
3. Organigramm der Inneren Mission nach der Satzungsreform von 1928 Nach: Central-Ausschuss für die Innere Mission, Handbuch, 5.
CentralAusschuss für Innere Mission der deutschen evangelischen Kirche Mitgliederversammlung (Vertreter der Mitgliedsorganisation) 36 Landes- und Provinzialverbände für Innere Mission
Institution der Inneren Mission (z. B. Rettungshaus)
11 Fachgruppen (z. B. Fachgruppe X – Volkskomission)
Fachverbände (z. B. Kaiserswerther Verband der deutschen DiakonissenVerband der Anstalt der mutterInneren Mission häuser) Inneren Mission (z. B. Verein (z. B. Diakonissenfür Stadtmission) mutterhaus)
526
Organigramme und Dokumente
4. Der Central-Ausschuss als Institution nach der Satzungsreform 1928 Nach: Central-Ausschuss für die Innere Mission, Handbuch, 6.
Vorstand Präsident, Schatzmeister, Erster Direktor, 2 weitere Direktoren
Verwaltungsausschuss Vorstand, Direktoren, 18–24 vom Hauptausschuss gewählte Mitglieder
Hauptausschuss Vorstand, Ehrenmitglieder, 2 Kirchenvertreter, je ein Vertreter der Landes- und Provinzialverbände, je 3–4 Vertreter der Fachgruppen, 12–20 weitere kooptierte Mitglieder
5. Vereinfachtes Organigramm der Geschäfsstelle des Central-Ausschusses im Jahre 1929 (siehe folgende Seite) Nach: Central-Ausschuss für die Innere Mission, Handbuch, 7–9. Zum „Ersten Direktor“ vgl. auch Kaiser, Sozialer Protestantismus, 239 Anm. 23.
Volksmission: Ev. Abteilung Direktor: G. Füllkrug
Erster Direktor: G. Füllkrug (ab 1930: J. Steinweg)
Kommission für Volksmission (Beratung / Begleitung)
Allgemeine Abteilung Direktor: G. Füllkrug
Vorstand
Propagandadienst (Werbung für IM) Direktor: Engelmann
Dezernat B: Jugendwohlfahrt u. a. Direktor: A. Stahl
Wirtschaftsabteilung und Propagandadienst Direktoren: Schlunk / Engelmann
Wirtschaftsabteilung Direktor: Schlunk
Abteilung Wohlfahrtsund Jugenddienst, Diakonie und soziale Arbeit Direktor: J. Steinweg
Dezernat A: Wohlfahrtspflege u. a. Direktor: J. Steinweg
Volksmission: Apol. Abteilung / Apologetische Centrale Direktor: C.G. Schweitzer
Präsident (R. Seeberg) Vizepräsident (v. Kameke) Schatzmeister (Dr. Graeber / P. Cremer)
Organigramme und Dokumente
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