Die ottonische Stadt. Die Anfänge der mittelalterlichen Stadtbaukunst in Deutschland.


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Die ottonische Stadt. Die Anfänge der mittelalterlichen Stadtbaukunst in Deutschland.

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ERICH HERZOG

D IE OTTO N I S CH E STADT

FRANKFURTER FORSCHUNGEN ZUR ARCHITEKTURGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON HARALD KELLER BAND II

ERICH HERZOG

DIE OTTONISCHE STADT DIE ANFÄNGE

DER MITTELALTERLICHEN STADTBAUKUNST IN DEUTSCHLAND

VERLAG GEBR. MANN· BERLIN

FRANKFURTER FORSCHUNGEN ZUR ARCHITEKTURGESCHICHTE HERAUSGEGEBEN VON HARALD KELLER BAND II

ERICH HERZOG

DIE OTTONISCHE STADT DIE ANFÄNGE

DER MITTELALTERLICHEN STADTBAUKUNST IN DEUTSCHLAND

VERLAG GEBR. MANN· BERLIN

GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG

INHALT

DER DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT

Vorwort .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Zu Methode und Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

1.

Teil

MONOGRAPHISCHE BAUGESCHICHTEN DEUTSCHER STÄDTE BIS 1100 Magdeburg (Abb. 1-3, Taf.1)

.14

Halberstadt (Abb. 4 u.5,Taf.2)

Quedlinburg (Abb. 6 u. 7, Taf. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Merseburg (Abb. 8 u. 9, Taf. 4 u. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Naumburg (Abb. 1o u. 11, Taf. 6). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

37

45

54

Halle (Saale) (Abb. 12 u. 13, Taf.7) .............................65 Goslar (Abb. 14 u. 15,Taf. 8)

Lüneburg (Abb. 16 u. 17, Taf.o) Bremen (Abb. 18 u. 19, Taf 10)

71

.. .......................85

...90

Paderborn (Abb. 20 u. 21, Taf. 11)

102

Minden (Abb. 22 u. 25, Taf. 12)

116

Trier (Abb. 24-26, Taf. 15 u. 14)

125

Würzburg (Abb. 27 u. 28, Taf. 15 u. 16) Eichstätt (Abb. 29 u. 50, Taf. 17)

© 1964

by Gebr. Mann Verlag GmbH., Berlin Printed in Germany

Druck : Brüder Hartmann Berlin

Bamberg (Abb. 51 u. 32, Taf. 18)

Augsburg (Abb. 53 u. 54, Taf. 19 u. 20) Speyer (Abb. 35-57, Taf. 21)

147 .

162

..

171 182

197



GEDRUCKT MIT UNTERSTÜTZUNG

INHALT

DER DEUTSCHEN FORSCHUNGSGEMEINSCHAFT

Vorwort .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

7

Zu Methode und Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

9

1.

Teil

MONOGRAPHISCHE BAUGESCHICHTEN DEUTSCHER STÄDTE BIS 1100 Magdeburg (Abb. 1-3, Taf.1)

.14

Halberstadt (Abb. 4 u.5,Taf.2)

Quedlinburg (Abb. 6 u. 7, Taf. 3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Merseburg (Abb. 8 u. 9, Taf. 4 u. 5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Naumburg (Abb. 1o u. 11, Taf. 6). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

27

37

45

54

Halle (Saale) (Abb. 12 u. 13, Taf.7) .............................65 Goslar (Abb. 14 u. 15,Taf. 8)

Lüneburg (Abb. 16 u. 17, Taf.o) Bremen (Abb. 18 u. 19, Taf 10)

71

.. .......................85

...90

Paderborn (Abb. 20 u. 21, Taf. 11)

102

Minden (Abb. 22 u. 25, Taf. 12)

116

Trier (Abb. 24-26, Taf. 15 u. 14)

125

Würzburg (Abb. 27 u. 28, Taf. 15 u. 16) Eichstätt (Abb. 29 u. 50, Taf. 17)

© 1964

by Gebr. Mann Verlag GmbH., Berlin Printed in Germany

Druck : Brüder Hartmann Berlin

Bamberg (Abb. 51 u. 32, Taf. 18)

Augsburg (Abb. 53 u. 54, Taf. 19 u. 20) Speyer (Abb. 35-57, Taf. 21)

147 .

162

..

171 182

197



2.

Teil

DIE MORPHOLOGIE DER OTTONISCHEN STADT Von der Römerstadt zur Bürgerstadt des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . Römischer Städtebau in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortleben der antiken Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Karolingerzeit

.... .. .. .... .. ... ..... .. .... .. .. .. . .. .... .

Heinrichsburgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ottonische Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

TAFELN

212

VORWORT

212 215 218

22 5

227 257

Die vorliegende Arbeit wurde in wesentlich kürzerer Form im Jahre

1952

bei der

Philosophischen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Habilitationsschrift eingereicht. Andere Aufgaben und Arbeitsgebiete zogen den Verfasser von ihrer Vollendung jahrelang ab. Seither ist die geschichtliche Städtefor­ schung - vor allem über die Epoche des früheren Mittelalters und. die Anfänge des

Städtewesens - zu einem Lieblingsgebiet der Geschichtswissenschaft geworden. Mit

Freude sah der Verfasser, daß seine Ergebnisse von dem neuesten Schrifttum bestätigt wurden. Die Flut der Literatur und ihre Verarbeitung zögerten aber wiederum die Ver­ öffentlichung hinaus. Nicht immer konnte auf die jüngsten Forschungen so breit ein­ gegangen werden, wie es dem Verfasser lieb gewesen wäre. Es ist auch möglich, daß ihm entlegenes Schrifttum der letzten Jahre entging. Wenn der Verfasser sich dennoch zur Veröffentlichung entschloß, so folgte er der

Überzeugung, daß die historische Forschung einer kunstgeschichtlichen Ergänzung be­ dürfe, daß der politischen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der frühen Stadt des Mittelalters eine Baugeschichte zur Seite stehen sollte, die das Bild dieser Stadt­ anlagen klarer und anschaulicher zeichnen könnte als bisher. Zwar sind inzwischen

Untersuchungen erschienen, die in groben Umrissen zu ähnlichen Ergebnissen kamen etwa Edgar Lehmann, Bemerkungen zu den baulichen Anfängen der deutschen Stadt im frühen Mittelalter in: La Cittä nell'alto Medioevo (Settimane di Studio del Centro Italiano di Studi sull'alto Medioevo VI), Spoleto 1959 oder, von ganz anderem Stand­ punkt ausgehend, Kurt Junghanns, Die deutsche Stadt im Frühfeudalismus, Berlin 1959 -, so fehlt doch eine eingehende, kritische Baugeschichte, die an Hand der Quellen

aller Art das Werden der einzelnen Stadtanlagen überprüft und die Ergebnisse stil­ geschichtlich auswertet. Der Verfasser hofft, mit dem vorliegenden Buch einen Beitrag

zu einer Formgeschichte der deutschen Stadtbaukunst auf entwicklungsgeschichtlicher Grundlage zu liefern. Ein Wort des Dankes sei allen gesagt, die zum Gelingen dieser Arbeit beitrugen. Die Herren Bibliotheks- und Archivvorstände haben dem Verfasser die ihnen anver­

trauten Sammlungen zugänglich gemacht, Lokalforscher führten ihn in die schwer zu übersehende Ortsgeschichte ein und wiesen ihn auf jüngste Funde und Grabungs­ ergebnisse hin. So durfte er sich für Goslar und die Rechtsgeschichte der mittelalter­ lichen Stadt der Ratschläge von Herrn Prof. Dr. Karl Frölich (t) in Gießen erfreuen; 7

2.

Teil

DIE MORPHOLOGIE DER OTTONISCHEN STADT Von der Römerstadt zur Bürgerstadt des Mittelalters . . . . . . . . . . . . . . . Römischer Städtebau in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Fortleben der antiken Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Karolingerzeit

.... .. .. .... .. ... ..... .. .... .. .. .. . .. .... .

Heinrichsburgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ottonische Städte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

TAFELN

212

VORWORT

212 215 218

22 5

227 257

Die vorliegende Arbeit wurde in wesentlich kürzerer Form im Jahre

1952

bei der

Philosophischen Fakultät der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main als Habilitationsschrift eingereicht. Andere Aufgaben und Arbeitsgebiete zogen den Verfasser von ihrer Vollendung jahrelang ab. Seither ist die geschichtliche Städtefor­ schung - vor allem über die Epoche des früheren Mittelalters und. die Anfänge des

Städtewesens - zu einem Lieblingsgebiet der Geschichtswissenschaft geworden. Mit

Freude sah der Verfasser, daß seine Ergebnisse von dem neuesten Schrifttum bestätigt wurden. Die Flut der Literatur und ihre Verarbeitung zögerten aber wiederum die Ver­ öffentlichung hinaus. Nicht immer konnte auf die jüngsten Forschungen so breit ein­ gegangen werden, wie es dem Verfasser lieb gewesen wäre. Es ist auch möglich, daß ihm entlegenes Schrifttum der letzten Jahre entging. Wenn der Verfasser sich dennoch zur Veröffentlichung entschloß, so folgte er der

Überzeugung, daß die historische Forschung einer kunstgeschichtlichen Ergänzung be­ dürfe, daß der politischen Rechts-, Wirtschafts- und Sozialgeschichte der frühen Stadt des Mittelalters eine Baugeschichte zur Seite stehen sollte, die das Bild dieser Stadt­ anlagen klarer und anschaulicher zeichnen könnte als bisher. Zwar sind inzwischen

Untersuchungen erschienen, die in groben Umrissen zu ähnlichen Ergebnissen kamen etwa Edgar Lehmann, Bemerkungen zu den baulichen Anfängen der deutschen Stadt im frühen Mittelalter in: La Cittä nell'alto Medioevo (Settimane di Studio del Centro Italiano di Studi sull'alto Medioevo VI), Spoleto 1959 oder, von ganz anderem Stand­ punkt ausgehend, Kurt Junghanns, Die deutsche Stadt im Frühfeudalismus, Berlin 1959 -, so fehlt doch eine eingehende, kritische Baugeschichte, die an Hand der Quellen

aller Art das Werden der einzelnen Stadtanlagen überprüft und die Ergebnisse stil­ geschichtlich auswertet. Der Verfasser hofft, mit dem vorliegenden Buch einen Beitrag

zu einer Formgeschichte der deutschen Stadtbaukunst auf entwicklungsgeschichtlicher Grundlage zu liefern. Ein Wort des Dankes sei allen gesagt, die zum Gelingen dieser Arbeit beitrugen. Die Herren Bibliotheks- und Archivvorstände haben dem Verfasser die ihnen anver­

trauten Sammlungen zugänglich gemacht, Lokalforscher führten ihn in die schwer zu übersehende Ortsgeschichte ein und wiesen ihn auf jüngste Funde und Grabungs­ ergebnisse hin. So durfte er sich für Goslar und die Rechtsgeschichte der mittelalter­ lichen Stadt der Ratschläge von Herrn Prof. Dr. Karl Frölich (t) in Gießen erfreuen; 7

Herrn Prof. Dr. Wilhelm Engel verdankt er Hinweise zur Würzburger Baugeschichte.

In Minden half Herr Archivrat Dr. Martin Krieg weiter. Herr Dr. Reinhard Schindler

in Hamburg gewährte Einblick in seine Grabungsergebnisse. In Paderborn lenkte Herr

ZU METHODE UND FORSCHUNG

Dr. Karl Schoppe den Verfasser auf die jüngsten Funde und Forschungen. Herr Mu­ seumsdirektor Dr. Ernst Grohne (t) gab für Bremen hilfreiche Auskunft. Herr Gustav

Pretzien förderte die Studien in Merseburg. Herr Dr. Fritz Bellmann und Herr Dr. Hans­ Joachim Mrusek in Halle gewährten die liebenswürdigste Unterstützung für die Städte

Wohl wurde seit langem eine Stilgeschichte der mittelalterlichen Stadt gefordert1, über Ansätze dazu kam man aber bisher kaum hinaus. Zäher als auf anderen Gebieten der Architekturgeschichte hielt sich hier die Einteilung in Typen. So groß deren Hilfe sein mag, wenn man in eine kaum zu übersehende Materialfülle die ersten Breschen schlagen soll, so sehr hindern sie, die geschichtliche Entwicklung zu beobachten und dem Wandel der Form wie des Inhalts von Jahrhundert zu Jahrhundert nachzugehen. Wenn man nach regelmäßigen und unregelmäßigen, gegründeten und gewordenen (oder gewachsenen) Städten fragt oder Typen nach der geographischen Lage (Tal-, Berg-, Fluß-, Hangstadt usw.) aufstellt, so läßt sich damit gewiß die Stoffmasse ordnen, doch bleibt die Einteilung schematisch und bis zu einem gewissen Grade zufällig. Sie gibt keinen Einblick in das verwickelte historische Geschehen. Bei der vielfachen Überlagerung und späteren Veränderung der ursprünglichen Anlagen bei allen größeren - und vor allem frühen - Städten kann sie bei oberflächlicher Anwendung gar zu falschen Ergebnissen führen, wenn nicht zuvor die Baugeschichte der einzelnen Stadt geklärt is t2. Immer deutlicher stellte sich auch heraus, wie wenig etwa die schematische Unter­ scheidung von gegründeter und gewachsener Stadt den geschichtlichen Verhältnissen gerecht wird. Gründung und Wachsen reichen sich in einundderselben Stadtbaugeschichte fortwährend die Hand. Die Anlage einer Burg, einer Kaufleutesiedlung war bei den gebundenen mittelalterlichen Grundbesitzverhältnissen stets architektonische Planung; ihr konnte eine Zeit freieren und planloseren Wachsens folgen, bis wiederum geplante Teilanlagen dem allmählichen Werden Einhalt geboten oder es in eine vorbestimmte Form lenkten3. Eine Zusammenfassung, wie sie diese Arbeit versucht, hätte sich auf die vorhandenen Stadtbaugeschichten stützen dürfen. Es erwies sich aber bald, daß dieser Weg nicht zu beschreiten war, da die Baugeschichte der deutschen Städte viel zu unterschiedlich er­ forscht ist. Neben ausgezeichneten Darstellungen wie dem großen Werk über Köln von Hermann Keussen, dem Niedersächsischen Städteatlas von Paul Jonas Meier für Hildes­ heim und Osnabrück, den Kunstdenkmäler-Bänden von Münster und Quedlinburg, den Stadtgeschichten von Halle, Hildesheim, Lüneburg, Osnabrück und Trier in der Mero-

der Provinz Sachsen. Ihnen allen gilt aufrichtiger und ergebener Dank! Nicht zuletzt

ist der Verfasser Herrn Prof. Dr. Harald Keller in Frankfurt a. M. für die Betreuung der Arbeit und ihre Aufnahme in die Reihe der »Frankfurter Forschungen zur Archi­ tekturgeschichte« verpflichtet.

Wenn das vorliegende Buch in einer so geschmackvollen und edlen Form erscheinen

konnte, so wird dies der Deutschen Forschungsgemeinschaft verdankt, welche die Druck­

legung ermöglichte.

1



2

3

Werner Noack, Kunstgeschichtliche Probleme der mittelalterlichen Stadtplanung (an Bei­ spielen aus dem Oberrheingebiet), XIV. Internat. kunstgesch. Kongreß 1936, Kongreßakten Bd. II, Basel 1938, S. 129. Auch auf Seiten der Stadtgeschichte liegt heute das Hauptgewicht bei den Einzelunter­ suchungen. Vgl. Hans Strahm, Zur Verfassungstopographie der mittelalterlichen Stadt, Zeitschr. f. Schweizerische Gesch. 30, 1950, S. 373 f. Strahm a. a. O., S. 386 ff. 9

Herrn Prof. Dr. Wilhelm Engel verdankt er Hinweise zur Würzburger Baugeschichte.

In Minden half Herr Archivrat Dr. Martin Krieg weiter. Herr Dr. Reinhard Schindler

in Hamburg gewährte Einblick in seine Grabungsergebnisse. In Paderborn lenkte Herr

ZU METHODE UND FORSCHUNG

Dr. Karl Schoppe den Verfasser auf die jüngsten Funde und Forschungen. Herr Mu­ seumsdirektor Dr. Ernst Grohne (t) gab für Bremen hilfreiche Auskunft. Herr Gustav

Pretzien förderte die Studien in Merseburg. Herr Dr. Fritz Bellmann und Herr Dr. Hans­ Joachim Mrusek in Halle gewährten die liebenswürdigste Unterstützung für die Städte

Wohl wurde seit langem eine Stilgeschichte der mittelalterlichen Stadt gefordert1, über Ansätze dazu kam man aber bisher kaum hinaus. Zäher als auf anderen Gebieten der Architekturgeschichte hielt sich hier die Einteilung in Typen. So groß deren Hilfe sein mag, wenn man in eine kaum zu übersehende Materialfülle die ersten Breschen schlagen soll, so sehr hindern sie, die geschichtliche Entwicklung zu beobachten und dem Wandel der Form wie des Inhalts von Jahrhundert zu Jahrhundert nachzugehen. Wenn man nach regelmäßigen und unregelmäßigen, gegründeten und gewordenen (oder gewachsenen) Städten fragt oder Typen nach der geographischen Lage (Tal-, Berg-, Fluß-, Hangstadt usw.) aufstellt, so läßt sich damit gewiß die Stoffmasse ordnen, doch bleibt die Einteilung schematisch und bis zu einem gewissen Grade zufällig. Sie gibt keinen Einblick in das verwickelte historische Geschehen. Bei der vielfachen Überlagerung und späteren Veränderung der ursprünglichen Anlagen bei allen größeren - und vor allem frühen - Städten kann sie bei oberflächlicher Anwendung gar zu falschen Ergebnissen führen, wenn nicht zuvor die Baugeschichte der einzelnen Stadt geklärt is t2. Immer deutlicher stellte sich auch heraus, wie wenig etwa die schematische Unter­ scheidung von gegründeter und gewachsener Stadt den geschichtlichen Verhältnissen gerecht wird. Gründung und Wachsen reichen sich in einundderselben Stadtbaugeschichte fortwährend die Hand. Die Anlage einer Burg, einer Kaufleutesiedlung war bei den gebundenen mittelalterlichen Grundbesitzverhältnissen stets architektonische Planung; ihr konnte eine Zeit freieren und planloseren Wachsens folgen, bis wiederum geplante Teilanlagen dem allmählichen Werden Einhalt geboten oder es in eine vorbestimmte Form lenkten3. Eine Zusammenfassung, wie sie diese Arbeit versucht, hätte sich auf die vorhandenen Stadtbaugeschichten stützen dürfen. Es erwies sich aber bald, daß dieser Weg nicht zu beschreiten war, da die Baugeschichte der deutschen Städte viel zu unterschiedlich er­ forscht ist. Neben ausgezeichneten Darstellungen wie dem großen Werk über Köln von Hermann Keussen, dem Niedersächsischen Städteatlas von Paul Jonas Meier für Hildes­ heim und Osnabrück, den Kunstdenkmäler-Bänden von Münster und Quedlinburg, den Stadtgeschichten von Halle, Hildesheim, Lüneburg, Osnabrück und Trier in der Mero-

der Provinz Sachsen. Ihnen allen gilt aufrichtiger und ergebener Dank! Nicht zuletzt

ist der Verfasser Herrn Prof. Dr. Harald Keller in Frankfurt a. M. für die Betreuung der Arbeit und ihre Aufnahme in die Reihe der »Frankfurter Forschungen zur Archi­ tekturgeschichte« verpflichtet.

Wenn das vorliegende Buch in einer so geschmackvollen und edlen Form erscheinen

konnte, so wird dies der Deutschen Forschungsgemeinschaft verdankt, welche die Druck­

legung ermöglichte.

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Werner Noack, Kunstgeschichtliche Probleme der mittelalterlichen Stadtplanung (an Bei­ spielen aus dem Oberrheingebiet), XIV. Internat. kunstgesch. Kongreß 1936, Kongreßakten Bd. II, Basel 1938, S. 129. Auch auf Seiten der Stadtgeschichte liegt heute das Hauptgewicht bei den Einzelunter­ suchungen. Vgl. Hans Strahm, Zur Verfassungstopographie der mittelalterlichen Stadt, Zeitschr. f. Schweizerische Gesch. 30, 1950, S. 373 f. Strahm a. a. O., S. 386 ff. 9

wingerzeit sowie Speyer* finden sich unbegreifliche Lücken, oder die Baugeschichten sind mit einer Fülle umstrittener Fragen belastet. Es galt also zunächst, die Baugeschichte der einzelnen Städte zu erhellen. Als Arbeits­ grundlage wurde immer der älteste Hausstellenplan herangezogen. Er bildet das wich­ tigste Denkmal der Stadtbaugeschichte, der alle verflossenen Bauabschnitte in sich birgt. Denn um und zwischen die ottonischen Siedlungskerne hat sich fast überall die Bürger­ stadt des Hochmittelalters gebreitet, die wiederum von der barocken Residenzstadt um­ geformt wurde. Die moderne Großstadt überlagerte schließlich alle älteren Schichten. Außer den erhaltenen Resten der mittelalterlichen Stadt mußten bei der Kargheit der schriftlichen Quellen die Ergebnisse anderer Forschungszweige berücksichtigt werden. Oft gewähren Platz- und Straßennamen Hinweis auf den einstigen Zweck und die Tätigkeit der Bewohner. Die Siedlungsgeschichte kann die Vorgeschichte der Stadt klären helfen. Die Kenntnis der geographischen Lage erwies sich als unerläßlich. Zu fragen war nach dem Verlauf der mittelalterlichen Fernstraßen, auch sie gehören zum Grundriß des Stadtgebietes. Nur auf möglichst breiter und methodisch vielseitiger Grundlage ist das Bild der frühen Stadt wiederzugewinnen - wenigstens in verschleierten Umrissen. Die topographischen Grundzüge der mittelalterlichen Stadtentwicklung wurden nicht von der Kunstgeschichte entdeckt, sondern von Rechts- und Wirtschaftsgeschichte. Sieg­ fried Rietschel erkannte den Dualismus von Civitas und Markt*. Gestützt auf das reiche flandrische Material, erschloß Henri Pirenne die innere Geschichte der Stadt: die Rolle des Kaufmanns, die Entfaltung der Kaufleutesiedlung, des Wiks oder »portus«, den revolutionären Schritt zur Stadtgemeinde®. Für den deutschen Bereich kam Hans Planitz zu entsprechenden Ergebnissen'. Sein zusammenfassendes, posthum erschienenes Buch »Die deutsche Stadt im Mittelalter« (Graz-Köln 1954) bietet jetzt die stoffreichste rechts­ geschichtliche Übersicht. Edith Ennens »Frühgeschichte der europäischen Stadt« (erste Auflage Bonn 1955, zweite 1960) ergänzte das etwas doktrinäre Bild der Frühzeit bei Planitz, indem sie der Vielfalt des geschichtlichen Lebens zu ihrem Recht verhalf. Die jüngsten Sammelbände zu den Anfängen des europäischen Städtewesens lassen deutlich die Tendenz erkennen, zunächst die Einzelforschung voranzutreiben, um anstelle der alten Generalisierungen den Reichtum und die Vielseitigkeit des geschichtlichen Lebens 4

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Hermann Keussen, Topographie der Stadt Köln im Mittelalter, Bonn 1912, 2 Bde. - Nieder­ sächsischer Städteatlas, HI. Abtlg., 1 u. 4, Braunschweig-Hamburg, 1935 u. 1935. - Bau- u. Kunstdenkmäler von Westfalen 41. Bd., I. T., Die Stadt Münster bearb. von Max Geisberg, Münster 1952. - Bau- u. Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, Kreis Stadt Quedlinburg bearb. von Adolf Brinkmann, Berlin 1922. - Rolf Hünicken, Geschichte der Stadt Halle I. T., Halle 1941. - Joh. Heinrich Gebauer, Geschichte der Stadt Hildesheim, Hildesheim-Leipzig 1922. - Wilhelm Reinecke, Geschichte der Stadt Lüneburg, Lüneburg 19355. - Hermann Rothert, Geschichte der Stadt Osnabrück im Mittelalter, Osnabr. 1938. - Eugen Ewig, Trier im Merowinger-Reich, Trierer Zeitschr. 21, 1953 u. als Buch Trier 1954. - Anton Doll, Zur Frühgesch. der Stadt Speyer, Mitt. d. Hist. Vereins d. Pfalz 52, 1954, S. 133 ff. Siegfried Rietschel, Stadt und Markt in ihrem rechtlichen Verhältnis, Leipzig 1897. Seine Schriften zur Stadtgeschichte liegen gesammelt vor in den beiden Bänden: Les villes et les institutions urbaines, Paris-Brüssel 1959. Hans Planitz, Kaufmannsgilde und städt. Eidgenossenschaft in niederrheinischen Städten des 11. u. 12. Jhs., Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch. Germ. Abtlg. 60, 1940, S. 1 ff. - Ders., Frühgesch. d. deutschen Stadt, ebenda 65, 1943, S. 1 ff. - Ders., Die deutsche Stadt­ gemeinde, ebenda 64, 1944, S. 1 ff.

zu Wort kommen zu lassen8. Ohne dieses historische und rechtsgeschichtliche Fundament hätte die vorliegende Arbeit nicht unternommen werden können. Für die Kunstgeschichte der norddeutschen Stadt lieferte Paul Jonas Meier vor einem halben Jahrhundert die grundleg·enden Ansätze9. Es war ihm nicht vergönnt, seine zahl­ reichen Einzelstudien zu einem Gesamtbild zu vereinigen, das eine wirkliche Geschichte der deutschen Stadtbaukunst des Mittelalters auf entwicklungsgeschichtlicher Grundlage hätte werden können, wie sie bis heute noch aussteht. Rechts- und Wirtschaftsgeschichte fragen nach dem geschichtlichen Leben und den Formen, in denen es sich abspielte; die Kunstgeschichte hat die schaubare Form der Stadt zu erfassen. Für jene steht im Mittelpunkt des Interesses die lebendige, wandlungsfähige Marktsiedlung, von welcher der Anstoß zur kommenden Entwicklung ausgeht. Für die kunstgeschichtliche Betrachtung besitzen die beständigen Elemente der ottonischen Stadt, Civitas und umliegende Klöster und Stifte, größeres Gewicht. Dies ist keineswegs etwa die Folge des sehr verschiedenen Erhaltungszustandes dieser Bestandteile. Domburg und Kirchenkranz bilden die Hauptakzente des architektonischen Aufbaues, die bestimmenden Formgebilde der ottonischen Stadt. Es darf daher nicht verwundern, daß die Bischofs­ stadt im Rahmen dieser Arbeit so sehr in den Vordergrund tritt. In ihr wurde am groß­ artigsten und reinsten das ideale Stadtbild der Epoche verwirklicht. In dem Hinweis auf die baukünstlerische Rolle des Kirchenkranzes, seine zeitliche Eingrenzung sowie auf die Festlegung des Umbruchs von der offenen Stadtanlage zur geschlossenen Bürgerstadt sieht der Verfasser einen wesentlichen Beitrag dieser Arbeit. Das Wort »Stadt« wird hier für eine Siedlung verwendet, welche die beiden entschei­ denden Bestandteile Burg und Kaufleutesiedlung umfaßt. Die Rechtsgeschichte behielt sich das Wort vor für die Bürgerstadt des Hochmittelalters mit ihrem eigenen Stadtrecht. Für sie gehört die ottonische »Stadt« zur vorstädtischen oder stadtherrlichen Periode. Es fehlt aber ein eigenes Wort für die getrennte Siedlungsform von Burg und Wik, welche sich der Funktion nach kaum von der späteren Stadt unterscheidet. Es wurde deshalb vorgezogen, das Wort »Stadt« auch auf die Vorstufe der hochmittelalterlichen Bürger­ stadt auszudehnen, wie dies auch in der jüngsten historischen Forschung immer häufiger geschieht. Alle stadtartigen Siedlungen des deutschen Gebietes im 11. Jahrhundert in gleicher Ausführlichkeit zu untersuchen, erwies sich als unmöglich. Nur wo die Quellenlage so günstig erschien, daß sich wenigstens in großen Zügen eine Gesamtvorstellung des Sied­ lungsbildes ergab, hatte es Sinn, tiefer einzudringen. Zu diesen Orten gehören in Deutschland außer den Römerstädten an Rhein und Donau (Köln, Aachen, Trier, Mainz, Worms, Speyer, Straßburg, Konstanz, Basel, Augsburg, Regensburg und Passau) in Westfalen: Münster, Paderborn, Dortmund, Osnabrück, Minden und Essen, an der Küste: Bremen, Hamburg und Lüneburg, in Sachsen: Hildesheim, Magdeburg, Quedlin8

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Studien zu den Anfängen des europäischen Städtewesens, Lindau-Konstanz 1958 (Beiträge u. Forschungen hrg. von Theodor Mayer IV). - La Cittä nell'alto Medioevo, Spoleto 1958 (Settimare di Studio del Centro Italiano di Studi sull'alto Medioevo VI). - Auf dem Gebiet der Architekturgeschichte entspricht diesen Bänden: Städtebau, Geschichte und Gegenwart, hrg. von der Deutschen Bauakamedie, Materialien der Konferenz Erfurt 1956. P. J. Meier, Der Grundriß der deutschen Stadt des Mittelalters in seiner Bedeutung als ge­ schichtliche Quelle, Korrespondenzblatt des Gesamtvereins 57, 1909 und: Fortschritte in det Frage der Anfänge und Grundrißbildung der deutschen Stadt, ebenda 1912, Sp. 222.

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wingerzeit sowie Speyer* finden sich unbegreifliche Lücken, oder die Baugeschichten sind mit einer Fülle umstrittener Fragen belastet. Es galt also zunächst, die Baugeschichte der einzelnen Städte zu erhellen. Als Arbeits­ grundlage wurde immer der älteste Hausstellenplan herangezogen. Er bildet das wich­ tigste Denkmal der Stadtbaugeschichte, der alle verflossenen Bauabschnitte in sich birgt. Denn um und zwischen die ottonischen Siedlungskerne hat sich fast überall die Bürger­ stadt des Hochmittelalters gebreitet, die wiederum von der barocken Residenzstadt um­ geformt wurde. Die moderne Großstadt überlagerte schließlich alle älteren Schichten. Außer den erhaltenen Resten der mittelalterlichen Stadt mußten bei der Kargheit der schriftlichen Quellen die Ergebnisse anderer Forschungszweige berücksichtigt werden. Oft gewähren Platz- und Straßennamen Hinweis auf den einstigen Zweck und die Tätigkeit der Bewohner. Die Siedlungsgeschichte kann die Vorgeschichte der Stadt klären helfen. Die Kenntnis der geographischen Lage erwies sich als unerläßlich. Zu fragen war nach dem Verlauf der mittelalterlichen Fernstraßen, auch sie gehören zum Grundriß des Stadtgebietes. Nur auf möglichst breiter und methodisch vielseitiger Grundlage ist das Bild der frühen Stadt wiederzugewinnen - wenigstens in verschleierten Umrissen. Die topographischen Grundzüge der mittelalterlichen Stadtentwicklung wurden nicht von der Kunstgeschichte entdeckt, sondern von Rechts- und Wirtschaftsgeschichte. Sieg­ fried Rietschel erkannte den Dualismus von Civitas und Markt*. Gestützt auf das reiche flandrische Material, erschloß Henri Pirenne die innere Geschichte der Stadt: die Rolle des Kaufmanns, die Entfaltung der Kaufleutesiedlung, des Wiks oder »portus«, den revolutionären Schritt zur Stadtgemeinde®. Für den deutschen Bereich kam Hans Planitz zu entsprechenden Ergebnissen'. Sein zusammenfassendes, posthum erschienenes Buch »Die deutsche Stadt im Mittelalter« (Graz-Köln 1954) bietet jetzt die stoffreichste rechts­ geschichtliche Übersicht. Edith Ennens »Frühgeschichte der europäischen Stadt« (erste Auflage Bonn 1955, zweite 1960) ergänzte das etwas doktrinäre Bild der Frühzeit bei Planitz, indem sie der Vielfalt des geschichtlichen Lebens zu ihrem Recht verhalf. Die jüngsten Sammelbände zu den Anfängen des europäischen Städtewesens lassen deutlich die Tendenz erkennen, zunächst die Einzelforschung voranzutreiben, um anstelle der alten Generalisierungen den Reichtum und die Vielseitigkeit des geschichtlichen Lebens 4

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Hermann Keussen, Topographie der Stadt Köln im Mittelalter, Bonn 1912, 2 Bde. - Nieder­ sächsischer Städteatlas, HI. Abtlg., 1 u. 4, Braunschweig-Hamburg, 1935 u. 1935. - Bau- u. Kunstdenkmäler von Westfalen 41. Bd., I. T., Die Stadt Münster bearb. von Max Geisberg, Münster 1952. - Bau- u. Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen, Kreis Stadt Quedlinburg bearb. von Adolf Brinkmann, Berlin 1922. - Rolf Hünicken, Geschichte der Stadt Halle I. T., Halle 1941. - Joh. Heinrich Gebauer, Geschichte der Stadt Hildesheim, Hildesheim-Leipzig 1922. - Wilhelm Reinecke, Geschichte der Stadt Lüneburg, Lüneburg 19355. - Hermann Rothert, Geschichte der Stadt Osnabrück im Mittelalter, Osnabr. 1938. - Eugen Ewig, Trier im Merowinger-Reich, Trierer Zeitschr. 21, 1953 u. als Buch Trier 1954. - Anton Doll, Zur Frühgesch. der Stadt Speyer, Mitt. d. Hist. Vereins d. Pfalz 52, 1954, S. 133 ff. Siegfried Rietschel, Stadt und Markt in ihrem rechtlichen Verhältnis, Leipzig 1897. Seine Schriften zur Stadtgeschichte liegen gesammelt vor in den beiden Bänden: Les villes et les institutions urbaines, Paris-Brüssel 1959. Hans Planitz, Kaufmannsgilde und städt. Eidgenossenschaft in niederrheinischen Städten des 11. u. 12. Jhs., Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch. Germ. Abtlg. 60, 1940, S. 1 ff. - Ders., Frühgesch. d. deutschen Stadt, ebenda 65, 1943, S. 1 ff. - Ders., Die deutsche Stadt­ gemeinde, ebenda 64, 1944, S. 1 ff.

zu Wort kommen zu lassen8. Ohne dieses historische und rechtsgeschichtliche Fundament hätte die vorliegende Arbeit nicht unternommen werden können. Für die Kunstgeschichte der norddeutschen Stadt lieferte Paul Jonas Meier vor einem halben Jahrhundert die grundleg·enden Ansätze9. Es war ihm nicht vergönnt, seine zahl­ reichen Einzelstudien zu einem Gesamtbild zu vereinigen, das eine wirkliche Geschichte der deutschen Stadtbaukunst des Mittelalters auf entwicklungsgeschichtlicher Grundlage hätte werden können, wie sie bis heute noch aussteht. Rechts- und Wirtschaftsgeschichte fragen nach dem geschichtlichen Leben und den Formen, in denen es sich abspielte; die Kunstgeschichte hat die schaubare Form der Stadt zu erfassen. Für jene steht im Mittelpunkt des Interesses die lebendige, wandlungsfähige Marktsiedlung, von welcher der Anstoß zur kommenden Entwicklung ausgeht. Für die kunstgeschichtliche Betrachtung besitzen die beständigen Elemente der ottonischen Stadt, Civitas und umliegende Klöster und Stifte, größeres Gewicht. Dies ist keineswegs etwa die Folge des sehr verschiedenen Erhaltungszustandes dieser Bestandteile. Domburg und Kirchenkranz bilden die Hauptakzente des architektonischen Aufbaues, die bestimmenden Formgebilde der ottonischen Stadt. Es darf daher nicht verwundern, daß die Bischofs­ stadt im Rahmen dieser Arbeit so sehr in den Vordergrund tritt. In ihr wurde am groß­ artigsten und reinsten das ideale Stadtbild der Epoche verwirklicht. In dem Hinweis auf die baukünstlerische Rolle des Kirchenkranzes, seine zeitliche Eingrenzung sowie auf die Festlegung des Umbruchs von der offenen Stadtanlage zur geschlossenen Bürgerstadt sieht der Verfasser einen wesentlichen Beitrag dieser Arbeit. Das Wort »Stadt« wird hier für eine Siedlung verwendet, welche die beiden entschei­ denden Bestandteile Burg und Kaufleutesiedlung umfaßt. Die Rechtsgeschichte behielt sich das Wort vor für die Bürgerstadt des Hochmittelalters mit ihrem eigenen Stadtrecht. Für sie gehört die ottonische »Stadt« zur vorstädtischen oder stadtherrlichen Periode. Es fehlt aber ein eigenes Wort für die getrennte Siedlungsform von Burg und Wik, welche sich der Funktion nach kaum von der späteren Stadt unterscheidet. Es wurde deshalb vorgezogen, das Wort »Stadt« auch auf die Vorstufe der hochmittelalterlichen Bürger­ stadt auszudehnen, wie dies auch in der jüngsten historischen Forschung immer häufiger geschieht. Alle stadtartigen Siedlungen des deutschen Gebietes im 11. Jahrhundert in gleicher Ausführlichkeit zu untersuchen, erwies sich als unmöglich. Nur wo die Quellenlage so günstig erschien, daß sich wenigstens in großen Zügen eine Gesamtvorstellung des Sied­ lungsbildes ergab, hatte es Sinn, tiefer einzudringen. Zu diesen Orten gehören in Deutschland außer den Römerstädten an Rhein und Donau (Köln, Aachen, Trier, Mainz, Worms, Speyer, Straßburg, Konstanz, Basel, Augsburg, Regensburg und Passau) in Westfalen: Münster, Paderborn, Dortmund, Osnabrück, Minden und Essen, an der Küste: Bremen, Hamburg und Lüneburg, in Sachsen: Hildesheim, Magdeburg, Quedlin8

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Studien zu den Anfängen des europäischen Städtewesens, Lindau-Konstanz 1958 (Beiträge u. Forschungen hrg. von Theodor Mayer IV). - La Cittä nell'alto Medioevo, Spoleto 1958 (Settimare di Studio del Centro Italiano di Studi sull'alto Medioevo VI). - Auf dem Gebiet der Architekturgeschichte entspricht diesen Bänden: Städtebau, Geschichte und Gegenwart, hrg. von der Deutschen Bauakamedie, Materialien der Konferenz Erfurt 1956. P. J. Meier, Der Grundriß der deutschen Stadt des Mittelalters in seiner Bedeutung als ge­ schichtliche Quelle, Korrespondenzblatt des Gesamtvereins 57, 1909 und: Fortschritte in det Frage der Anfänge und Grundrißbildung der deutschen Stadt, ebenda 1912, Sp. 222.

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burg, Halberstadt, Goslar, Merseburg, Naumburg, Halle, Braunschweig und Ganders­ heim, in Mitteldeutschland: Erfurt und Fulda, in Süddeutschland: Würzburg, Bamberg, Nürnberg und Eichstätt. Eine eingehende Baugeschichte von jedem dieser Orte zu geben, hätte den Rahmen der Arbeit weit überschritten. Für einige von ihnen liegen bereits gute Darstellungen vor. Die folgende Auswahl berücksichtigt vor allem das Gebiet östlich des Rheins und nördlich der Donau, jene Städte also, die keinen römischen Kern besitzen. Hier läßt sich die Form eindeutiger und klarer ablesen als bei den meist vielschichtigeren Anlagen innerhalb des römischen Limes. Da der führende Typus der Zeit die Bischofs­ stadt ist, entfällt auf sie der größte Teil der folgenden monographischen Baugeschichten. Es wurde aber wenigstens je ein Beispiel einer Stiftstadt (Quedlinburg), einer Pfalzstadt (Goslar) und einer Dynastenstadt (Lüneburg, auch Halle) aufgenommen. Ein zusammen­ fassender Abschnitt versucht, das an einzelnen Beispielen Gewonnene im Querschnitt zu überschauen und eine Morphologie der ottonischen Stadt zu gewinnen. Dabei mußte weiter nach rückwärts und vorwärts ausgegriffen werden. Da eine chronologische Anordnung der Baugeschichten nicht möglich war, erfolgte sie nach Landschaften, wobei dem alten Sachsenland, dem Stammgebiet des ottonischen Herrschergeschlechtes, wegen der erstaunlichen Dichte, der Größe und Planmäßigkeit der Stadtanlagen der Vorrang gebührt. An die Spitze der sächsischen Städte aber mußte die kaiserliche Neugründung des »Roms des Ostens«, der Erzbischofsstadt Magdeburg, zu stehen kommen.

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1.TEIL

MONOGRAPHISCHE BAUGESCHICHTEN DEUTSCHER STÄDTE BIS 1100

burg, Halberstadt, Goslar, Merseburg, Naumburg, Halle, Braunschweig und Ganders­ heim, in Mitteldeutschland: Erfurt und Fulda, in Süddeutschland: Würzburg, Bamberg, Nürnberg und Eichstätt. Eine eingehende Baugeschichte von jedem dieser Orte zu geben, hätte den Rahmen der Arbeit weit überschritten. Für einige von ihnen liegen bereits gute Darstellungen vor. Die folgende Auswahl berücksichtigt vor allem das Gebiet östlich des Rheins und nördlich der Donau, jene Städte also, die keinen römischen Kern besitzen. Hier läßt sich die Form eindeutiger und klarer ablesen als bei den meist vielschichtigeren Anlagen innerhalb des römischen Limes. Da der führende Typus der Zeit die Bischofs­ stadt ist, entfällt auf sie der größte Teil der folgenden monographischen Baugeschichten. Es wurde aber wenigstens je ein Beispiel einer Stiftstadt (Quedlinburg), einer Pfalzstadt (Goslar) und einer Dynastenstadt (Lüneburg, auch Halle) aufgenommen. Ein zusammen­ fassender Abschnitt versucht, das an einzelnen Beispielen Gewonnene im Querschnitt zu überschauen und eine Morphologie der ottonischen Stadt zu gewinnen. Dabei mußte weiter nach rückwärts und vorwärts ausgegriffen werden. Da eine chronologische Anordnung der Baugeschichten nicht möglich war, erfolgte sie nach Landschaften, wobei dem alten Sachsenland, dem Stammgebiet des ottonischen Herrschergeschlechtes, wegen der erstaunlichen Dichte, der Größe und Planmäßigkeit der Stadtanlagen der Vorrang gebührt. An die Spitze der sächsischen Städte aber mußte die kaiserliche Neugründung des »Roms des Ostens«, der Erzbischofsstadt Magdeburg, zu stehen kommen.

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1.TEIL

MONOGRAPHISCHE BAUGESCHICHTEN DEUTSCHER STÄDTE BIS 1100

MAGDEBURG

(Abbildungen 1-5, Tafel 1) \

Magdeburgs große Stunde, in der es für kurze Jahrzehnte zu weltgeschichtlicher Be­ deutung emporstieg, schlug mit dem Regierungsantritt Ottos I.'. Dem neuen religiösen und politischen Rang entsprach eine städtebauliche Neugestaltung, die Magdeburg zu einer der frühesten stadtähnlichen Siedlungen des ostfälischen Raumes werden ließ. Otto der Große hat die Schlüsselstellung dieses Ortes für die Beherrschung des Ostens klar erkannt. Hier bot die Natur einen günstigen Elbübergang, den Untiefen 1

Die umfangreiche »Geschichte der Stadt Magdeburg« von Friedrich Wilh. Hoffmann, neu bearb. von G. Hertel u. Fr. Hülße, Magdeburg 1885 gibt für die Frühzeit kaum mehr als eine Zusammenstellung der chronikalischen und urkundlichen Nachrichten. Die Bedeutung des Ortes in ottonischer Zeit haben in ihrer ganzen Tragweite erst die Arbeiten von Rob. Holtzmann, Otto der Große und Magdeburg in dem Sammelband »Magdeburg in der Po­ litik der deutschen Kaiser«, Heidelberg-Berlin 1956, und Albert Brackmann, Magdeburg als Hauptstadt des deutschen Ostens im frühen Mittelalter, Leipzig 1937, erschlossen. Grund­ legend für die Frühentwicklung: Berent Schwineköper, Die Anfänge Magdeburgs in: Studien zu den Anfängen des europäischen Städtewesens, Lindau u. Konstanz (1958), Vorträge und Forschungen Nr. IV, S. 389 ff. Außerdem: Walter Möllenberg, Aus der Frühzeit der Ge­ schichte Magdeburgs, Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 55,1920, S. 1 ff. Fritz Rörig, Magdeburgs Entstehung und die ältere Handelsgeschichte, Miscellanea Academica Berolinensia II/1, Berlin 1950, S. 103 ff., hat die Wirtschaftsgeschichte des Ortes bis in das 12. Jh. musterhaft klargestellt. Die Urkunden sammelte Gustav Hertel, Urkundenbuch der Stadt Magdeburg, 3 Bde., Halle 1892-96; Ders., UB des Klosters U.L. Frau zu Magdeburg, Halle 1878; Fr. Israel u. W. Möllenberg, UB des Erzstiftes Magdeburg, Teil 1 (937-1192), Magdeburg 1937. Für die Baugeschichte unentbehrlich ist Ernst Neubauer, Das Häuserbuch der Stadt Magdeburg, Teil I, Magdeburg 1951; Teil II, bearbeitet von H. Gringmuth-Dall­ mer, Halle 1956. Gegenüber der reichen geschichtlichen Literatur war die Baugeschichte der Stadt bisher nur ungenügend erforscht. Die dürftige Arbeit von Erich Schneck, Die städtebau­ liche Entwicklung Magdeburgs von der karolingischen Zeit bis zum Jahre 1631, Braunschwei­ ger Diss. 1921 (Manuskript),beruft sich auf die Theorien von Paul Jonas Meier, Die Anfänge der Stadt Magdeburg und der deutsche Marktort des frühen Mittelalters, Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 55, 1920, S. 60 ff. Erich Wolfrom, Die Baugeschichte der Stadt und Festung Magdeburg, Magdeb. (1936), Magdeburger Kultur u. Wirtschaftsleben Nr. 10, bleibt in unkritischen Phantasien stecken. Die beinahe vollständige Zerstörung der Alt­ stadt im zweiten Weltkrieg (die Kirchen ausgenommen), gab die Möglichkeit zu umfang­ reichen Grabungen und Untersuchungen der Keller und Mauerreste, die noch nicht abge­ schlossen sind. Sie haben bisher die außerordentliche Bautätigkeit des 15. Jhs. enthüllt, die seit der Zerstörung von 1651 nicht mehr zu ahnen war. Für die großzügige Einsichtnahme in Funde und Pläne darf ich der stadtgeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft meinen ergebenen Dank aussprechen. Ganz besonders bin ich Hans-Joachim Mrusek in Halle zu danken ver­ pflichtet, der mir auf liebenswürdigste Weise sein Material und seine Ergebnisse zur Magde­ burger Stadtbaugeschichte lange vor Drucklegung seiner Arbeit mitteilte: »Zur städtebau­ lichen Entwicklung Magdeburgs im hohen Mittelalter«. Wissenschaftl. Zeitschr. der Martin Luther-Universität Halle - Wittenberg 5, 1956, S. 1219 ff. - H.-J. Mrusek, Atlas des Saale­ und mittleren Elbegebietes, hrg. von O. Schlüter u. O. August, 2.Teil, Leipzig (1960), S. 112 f., Blatt 29.

und Inseln des Stromes, der sich kurz vorher in mehrere Arme teilt, erleichterten. Am Westufer treten der Flechtinger Höhenzug und die Hochterrasse der Börde dicht an den Strom heran. Wer den bis zu dreizehn Meter hohen Steilhang des Westufers besaß, der beherrschte den Übergang. Nur ein Nebenarm, die Albea minor, floß während des Mittelalters an der Stadt vorbei; der Hauptarm war der östliche. Seit vorgeschichtlicher Zeit strebten fächerförmig die wichtigsten Straßen der nord­ deutschen Tiefebene, vor allem jene, die auf die mittlere Elbe zielten, hier zusammen. Die verschiedenen Stränge des Hellweges vom Niederrhein zur Elbe trafen sich in Magdeburg mit dem Königsweg von Mainz und Frankfurt/Main über Thüringen­ Sangerhausen-Aschersleben mit der Völkerstraße in nord-südlicher Richtung, die von dem karolingischen Umschlagplatz an der Elbemündung Bardowick aus über Stendal und Wolmirstedt auf Magdeburg führte und von hier über Halle und Plauen nach Süddeutschland weiterlief?, In karolingischer Zeit gehörte Magdeburg zu den Grenzumschlagplätzen wie Thiel und Bardowick, die von einem königlichen missus überwacht wurden. Den Kaufleuten, in deren Händen der Slawenhandel lag, war es erlaubt, bis Magdeburg zu ziehen: »De negotiatoribus, qui partibus Sclavorum et Avarorum pergunt, quousque procedere cum suis negotiis debeant; id est ... ad Magadoburg praevideat Aito«, sagt ein Kapitular Karls des Großen~. Damit müssen im 9. Jahrhundert zwei Siedlungspole in Magdeburg vorhanden gewesen sein: Umschlagort und Sitz des Grenzgrafen. Das Wesen des Um­ schlagplatzes hat in jüngster Zeit Fritz Rörig anschaulich gekennzeichnet*. Kaufleute hätten dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Magdeburg wäre nur eine Art Jahrmarkts­ platz gewesen, zu dem an festgesetzten Zeiten die Kaufmanns-Karawanen vom Rhein her zogen, um Warentausch und Einkauf zu tätigen. An Baulichkeiten wären im Wik nur einige Unterkunftshäuser für die Kaufleute, Schenken und Stapelplätze für die Waren vorhanden gewesen. Nach Analogie zu Hamburg und Heithabu muß man aber auch für Magdeburg seßhafte oder längere Zeit seßhafte Kaufleute annehmen. Wo lag deren Siedlung? Sicher beim Flußufer, wenn nicht zum Teil in der Burg selbst, wie es in Merse­ burg der Fall war. Die örtliche Überlieferung berichtet, daß Bischof Hildegrim von Chälons, der Missionar der Halberstädter Gegend, in Magdeburg eine Stephanskirche errichtet habe. Bei den Slawen- und Ungarneinfällen sei sie beschädigt worden, und die Fluten der Elbe hätten sie noch vollends zerstört. Die Kirche Hildegrims lag demnach dicht bei dem schmalen Uferstreifen zwischen dem Steilhang und der Elbe, die damals noch weiter nach Westen reichte als heute*. Die genaue Stelle ist nicht eindeutig zu bestimmen. Zieht man die Ge­ ländebildung des Westufers in Betracht, dann kommen nur wenige Möglichkeiten in Frage. Denn ohne Zweifel lagen Kirche und Umschlagplatz an einer Zufahrtstraße von der Terrasse zum Ufer. Diese mußte einen der sogenannten Förder benutzen, buchtartige Fritz Timme, Ostsachsens früher Verkehr und die Entstehung alter Handelsplätze, Braun­ schweigische Heimat 36, 1950, S. 111 ff. - W. Möllenberg, Geschichtsblätter 55, 1920, S. 13 ff. A. Brackmann, Magdeburg als Hauptstadt des deutschen Ostens, S. 44. Schwineköper S. 595 f. MG LL L, S. 155. F. Rörig, Magdeburgs Entstehung, S.105 ff. u. S.116 ff. MG XIV, S. 377 u. XVI, S. 143. - W. Möllenberg, Geschichtsblätter 55, 1920, S. 24, und in populärer Form W. Möllenberg, Magdeburg um 800, Magdeburger Kultur und Wirt­ schaftsleben Nr. 7, Magdeburg 1936.

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MAGDEBURG

(Abbildungen 1-5, Tafel 1) \

Magdeburgs große Stunde, in der es für kurze Jahrzehnte zu weltgeschichtlicher Be­ deutung emporstieg, schlug mit dem Regierungsantritt Ottos I.'. Dem neuen religiösen und politischen Rang entsprach eine städtebauliche Neugestaltung, die Magdeburg zu einer der frühesten stadtähnlichen Siedlungen des ostfälischen Raumes werden ließ. Otto der Große hat die Schlüsselstellung dieses Ortes für die Beherrschung des Ostens klar erkannt. Hier bot die Natur einen günstigen Elbübergang, den Untiefen 1

Die umfangreiche »Geschichte der Stadt Magdeburg« von Friedrich Wilh. Hoffmann, neu bearb. von G. Hertel u. Fr. Hülße, Magdeburg 1885 gibt für die Frühzeit kaum mehr als eine Zusammenstellung der chronikalischen und urkundlichen Nachrichten. Die Bedeutung des Ortes in ottonischer Zeit haben in ihrer ganzen Tragweite erst die Arbeiten von Rob. Holtzmann, Otto der Große und Magdeburg in dem Sammelband »Magdeburg in der Po­ litik der deutschen Kaiser«, Heidelberg-Berlin 1956, und Albert Brackmann, Magdeburg als Hauptstadt des deutschen Ostens im frühen Mittelalter, Leipzig 1937, erschlossen. Grund­ legend für die Frühentwicklung: Berent Schwineköper, Die Anfänge Magdeburgs in: Studien zu den Anfängen des europäischen Städtewesens, Lindau u. Konstanz (1958), Vorträge und Forschungen Nr. IV, S. 389 ff. Außerdem: Walter Möllenberg, Aus der Frühzeit der Ge­ schichte Magdeburgs, Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 55,1920, S. 1 ff. Fritz Rörig, Magdeburgs Entstehung und die ältere Handelsgeschichte, Miscellanea Academica Berolinensia II/1, Berlin 1950, S. 103 ff., hat die Wirtschaftsgeschichte des Ortes bis in das 12. Jh. musterhaft klargestellt. Die Urkunden sammelte Gustav Hertel, Urkundenbuch der Stadt Magdeburg, 3 Bde., Halle 1892-96; Ders., UB des Klosters U.L. Frau zu Magdeburg, Halle 1878; Fr. Israel u. W. Möllenberg, UB des Erzstiftes Magdeburg, Teil 1 (937-1192), Magdeburg 1937. Für die Baugeschichte unentbehrlich ist Ernst Neubauer, Das Häuserbuch der Stadt Magdeburg, Teil I, Magdeburg 1951; Teil II, bearbeitet von H. Gringmuth-Dall­ mer, Halle 1956. Gegenüber der reichen geschichtlichen Literatur war die Baugeschichte der Stadt bisher nur ungenügend erforscht. Die dürftige Arbeit von Erich Schneck, Die städtebau­ liche Entwicklung Magdeburgs von der karolingischen Zeit bis zum Jahre 1631, Braunschwei­ ger Diss. 1921 (Manuskript),beruft sich auf die Theorien von Paul Jonas Meier, Die Anfänge der Stadt Magdeburg und der deutsche Marktort des frühen Mittelalters, Geschichtsblätter für Stadt und Land Magdeburg 55, 1920, S. 60 ff. Erich Wolfrom, Die Baugeschichte der Stadt und Festung Magdeburg, Magdeb. (1936), Magdeburger Kultur u. Wirtschaftsleben Nr. 10, bleibt in unkritischen Phantasien stecken. Die beinahe vollständige Zerstörung der Alt­ stadt im zweiten Weltkrieg (die Kirchen ausgenommen), gab die Möglichkeit zu umfang­ reichen Grabungen und Untersuchungen der Keller und Mauerreste, die noch nicht abge­ schlossen sind. Sie haben bisher die außerordentliche Bautätigkeit des 15. Jhs. enthüllt, die seit der Zerstörung von 1651 nicht mehr zu ahnen war. Für die großzügige Einsichtnahme in Funde und Pläne darf ich der stadtgeschichtlichen Arbeitsgemeinschaft meinen ergebenen Dank aussprechen. Ganz besonders bin ich Hans-Joachim Mrusek in Halle zu danken ver­ pflichtet, der mir auf liebenswürdigste Weise sein Material und seine Ergebnisse zur Magde­ burger Stadtbaugeschichte lange vor Drucklegung seiner Arbeit mitteilte: »Zur städtebau­ lichen Entwicklung Magdeburgs im hohen Mittelalter«. Wissenschaftl. Zeitschr. der Martin Luther-Universität Halle - Wittenberg 5, 1956, S. 1219 ff. - H.-J. Mrusek, Atlas des Saale­ und mittleren Elbegebietes, hrg. von O. Schlüter u. O. August, 2.Teil, Leipzig (1960), S. 112 f., Blatt 29.

und Inseln des Stromes, der sich kurz vorher in mehrere Arme teilt, erleichterten. Am Westufer treten der Flechtinger Höhenzug und die Hochterrasse der Börde dicht an den Strom heran. Wer den bis zu dreizehn Meter hohen Steilhang des Westufers besaß, der beherrschte den Übergang. Nur ein Nebenarm, die Albea minor, floß während des Mittelalters an der Stadt vorbei; der Hauptarm war der östliche. Seit vorgeschichtlicher Zeit strebten fächerförmig die wichtigsten Straßen der nord­ deutschen Tiefebene, vor allem jene, die auf die mittlere Elbe zielten, hier zusammen. Die verschiedenen Stränge des Hellweges vom Niederrhein zur Elbe trafen sich in Magdeburg mit dem Königsweg von Mainz und Frankfurt/Main über Thüringen­ Sangerhausen-Aschersleben mit der Völkerstraße in nord-südlicher Richtung, die von dem karolingischen Umschlagplatz an der Elbemündung Bardowick aus über Stendal und Wolmirstedt auf Magdeburg führte und von hier über Halle und Plauen nach Süddeutschland weiterlief?, In karolingischer Zeit gehörte Magdeburg zu den Grenzumschlagplätzen wie Thiel und Bardowick, die von einem königlichen missus überwacht wurden. Den Kaufleuten, in deren Händen der Slawenhandel lag, war es erlaubt, bis Magdeburg zu ziehen: »De negotiatoribus, qui partibus Sclavorum et Avarorum pergunt, quousque procedere cum suis negotiis debeant; id est ... ad Magadoburg praevideat Aito«, sagt ein Kapitular Karls des Großen~. Damit müssen im 9. Jahrhundert zwei Siedlungspole in Magdeburg vorhanden gewesen sein: Umschlagort und Sitz des Grenzgrafen. Das Wesen des Um­ schlagplatzes hat in jüngster Zeit Fritz Rörig anschaulich gekennzeichnet*. Kaufleute hätten dort keinen festen Wohnsitz gehabt. Magdeburg wäre nur eine Art Jahrmarkts­ platz gewesen, zu dem an festgesetzten Zeiten die Kaufmanns-Karawanen vom Rhein her zogen, um Warentausch und Einkauf zu tätigen. An Baulichkeiten wären im Wik nur einige Unterkunftshäuser für die Kaufleute, Schenken und Stapelplätze für die Waren vorhanden gewesen. Nach Analogie zu Hamburg und Heithabu muß man aber auch für Magdeburg seßhafte oder längere Zeit seßhafte Kaufleute annehmen. Wo lag deren Siedlung? Sicher beim Flußufer, wenn nicht zum Teil in der Burg selbst, wie es in Merse­ burg der Fall war. Die örtliche Überlieferung berichtet, daß Bischof Hildegrim von Chälons, der Missionar der Halberstädter Gegend, in Magdeburg eine Stephanskirche errichtet habe. Bei den Slawen- und Ungarneinfällen sei sie beschädigt worden, und die Fluten der Elbe hätten sie noch vollends zerstört. Die Kirche Hildegrims lag demnach dicht bei dem schmalen Uferstreifen zwischen dem Steilhang und der Elbe, die damals noch weiter nach Westen reichte als heute*. Die genaue Stelle ist nicht eindeutig zu bestimmen. Zieht man die Ge­ ländebildung des Westufers in Betracht, dann kommen nur wenige Möglichkeiten in Frage. Denn ohne Zweifel lagen Kirche und Umschlagplatz an einer Zufahrtstraße von der Terrasse zum Ufer. Diese mußte einen der sogenannten Förder benutzen, buchtartige Fritz Timme, Ostsachsens früher Verkehr und die Entstehung alter Handelsplätze, Braun­ schweigische Heimat 36, 1950, S. 111 ff. - W. Möllenberg, Geschichtsblätter 55, 1920, S. 13 ff. A. Brackmann, Magdeburg als Hauptstadt des deutschen Ostens, S. 44. Schwineköper S. 595 f. MG LL L, S. 155. F. Rörig, Magdeburgs Entstehung, S.105 ff. u. S.116 ff. MG XIV, S. 377 u. XVI, S. 143. - W. Möllenberg, Geschichtsblätter 55, 1920, S. 24, und in populärer Form W. Möllenberg, Magdeburg um 800, Magdeburger Kultur und Wirt­ schaftsleben Nr. 7, Magdeburg 1936.

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Einschnitte des Uferhanges, wie sie sich südlich des Domfelsens am Brücktor, bei der Johanniskirche und zwischen der Maria-Magdalenen-Kirche und St. Petri vorfinden. Man suchte den Umschlagplatz vor allem »Am alten Brücktor«, etwa längs der Fürsten- und der Knochenhaueruferstraße6• Aber jüngst vorgenommene Grabungen haben diese Ver­ mutung widerlegt"". Mehr Wahrscheinlichkeit hat die Annahme Walter Möllenbergs für sich, welcher die Karolingische Siedlung in die Uferbucht zwischen dem Domfelsen und dem späteren Kloster Berge verlegte. Dieser Terrasseneinschnitt wurde in der Neuzeit so hoch aufgefüllt, daß wenig Aussicht auf Grabungsfunde besteht. Der zu vermutende Königshof lag wohl an der Stelle des Domes und des Domplatzes; ihn schenkte Otto der Große dem Moritzkloster zur Ausstattung. Hier muß man auch die eigentliche »Magdeburg« suchen, deren Name germanischen Ursprungs in vorkarolin­ gische, vorchristliche Zeit zurückreicht, wohl eine Volksburg des Nordthüringgaues mit Kultzentrum. Die Ost- und Südgrenze bildete auf jeden Fall der Ufersteilhang, die Westgrenze wohl der Breite Weg, die Durchgangsstraße von Bardowick nach Halle, wenn der Hof wirklich die ganze Breite zwischen Ufer und Straße ausgefüllt haben sollte. Ein weiterer Kastellbau unter Karl dem Großen im Jahre 806 ist gut bezeugt: »Et man­ davit eis rex Karolus aedificare civitates duas, unam ad aquilonem partem Albiae contra Magadaburg .. .« es war wohl eine Brückenkopfbefestigung am östlichen Elbufer. Jedoch nicht Karl der Große ist vom Mittelalter als Gründer Magdeburgs gefeiert worden, sondern Otto I., dessen Gemahlin Edgitha den Reichshof Magdeburg mit sei­ nen dreiundzwanzig zugehörigen Orten als Wittum empfangen hatte. Otto und Edgitha wohnten wahrscheinlich von 929 bis 937 in Magdeburg. Am 21. September 937 errich­ tete König Otto dort »eine Kirche zu Ehren der Heiligen Märtyrer Mauritius, Innocen­ tius und ihrer Genossen, ... zum Gedächtnis seines Vaters (Heinrichs I.) und zum Seelenheil seiner selbst und seiner Gattin, zu deren Mitgift dieser Ort gehörte«, ein Familienkloster also. Dazu wird als Ausstattung gestiftet »in Magodeburg curtem nostram cum aedificio et territorium ... «. König Rttdolf II. von Burgund hatte den Leichnam des hl. Innocentius geschenkt. Zwei Erzbischöfe, acht Bischöfe und viele welt­ liche Große gaben durch ihre Anwesenheit der Gründung einen höchst bedeutsamen politischen Charakter. Slawenkolonisation und Slawenmission wurden wohl von An­ fang an als Aufgabe des neuen Klosters angesehen". Aus dem Reichshof war ein Kloster6

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E. Wolfrom, Baugeschichte, S. 12. - P. J. Meier, Geschichtsbl. 55, 1920, S. 70. E. Nickel, Ein mittelalterl. Brunnen in Magdeburg, Frühe Burgen und Städte (Deutsche Akademie d. Wissensch. zu Berlin, Schriften d. Sekt. f. Vor- und Frühgesch., Bd. 2), Berlin 1954, S. 158 ff. - Das fundierteste Bild des karolingischen Magdeburg entwickelte Schwine­ köper S. 399 ff. Chronicon Moissiacense MG SS I, S. 508, u. II, S.258. Ähnlich die Reichsannalen, aber ohne Nennung des Namens Magdeburg, ed. F. Kurze, Hannover 1895, S. 121: »Duo ca­ stella ab exercitu aedificata, unum super ripam fluminis Salae, alterum juxta fluvium Al­ biae.« - Zu den niedersächsischen Königshöfen vgl. Carl Schuchhardt, Die frühgeschicht­ lichen Befestigungen in Niedersachsen, Bad Salzuflen (1925), S. 55 ff. Gründungsurkunde: UB Erzstift, S. 1 f., Nr. 1: ». . . in loco Magdeburg nominato aecclesiam construere studiums, sanctorum martyrum Mauricii, Innocentii sociorumque ... ob me­ moriam patris nostri et pro remedio ipsius animae nostrique et coniugis nostrae, cuius et praedictus locus dos fuit, et prolis nostrae .. .« - A. Brackmann, Magdeburg als Haupt­ stadt, S. 7. Die Klosterkirche war 946 soweit vollendet, daß die Königin Edgitha in ihr beigesetzt werden konnte. F. Bellmann, Zu den ältesten Dombauten in Magdeburg, Aus­ grabungen und Funde 5, 1958, S. 323 ff.

Einschnitte des Uferhanges, wie sie sich südlich des Domfelsens am Brücktor, bei der Johanniskirche und zwischen der Maria-Magdalenen-Kirche und St. Petri vorfinden. Man suchte den Umschlagplatz vor allem »Am alten Brücktor«, etwa längs der Fürsten- und der Knochenhaueruferstraße. Aber jüngst vorgenommene Grabungen haben diese Ver­ mutung widerlegt"". Mehr Wahrscheinlichkeit hat die Annahme Walter Möllenbergs für sich, welcher die Karolingische Siedlung in die Uferbucht zwischen dem Domfelsen und dem späteren Kloster Berge verlegte. Dieser Terrasseneinschnitt wurde in der Neuzeit so hoch aufgefüllt, daß wenig Aussicht auf Grabungsfunde besteht. Der zu vermutende Königshof lag wohl an der Stelle des Domes und des Domplatzes; ihn schenkte Otto der Große dem Moritzkloster zur Ausstattung. Hier muß man auch die eigentliche »Magdeburg« suchen, deren Name germanischen Ursprungs in vorkarolin­ gische, vorchristliche Zeit zurückreicht, wohl eine Volksburg des Nordthüringgaues mit Kultzentrum. Die Ost- und Südgrenze bildete auf jeden Fall der Ufersteilhang, die Westgrenze wohl der Breite Weg, die Durchgangsstraße von Bardowick nach Halle, wenn der Hof wirklich die ganze Breite zwischen Ufer und Straße ausgefüllt haben sollte. Ein weiterer Kastellbau unter Karl dem Großen im Jahre 806 ist gut bezeugt: »Et man­ davit eis rex Karolus aedificare civitates duas, unam ad aquilonem partem Albiae contra Magadaburg. • .«Z - es war wohl eine Brückenkopfbefestigung am östlichen Elbufer. Jedoch nicht Karl der Große ist vom Mittelalter als Gründer Magdeburgs gefeiert worden, sondern Otto I., dessen Gemahlin Edgitha den Reichshof Magdeburg mit sei­ nen dreiundzwanzig zugehörigen Orten als Wittum empfangen hatte. Otto und Edgitha wohnten wahrscheinlich von 929 bis 937 in Magdeburg. Am 21. September 937 errich­ tete König Otto dort »eine Kirche zu Ehren der Heiligen Märtyrer Mauritius, Innocen­ tius und ihrer Genossen, ... zum Gedächtnis seines Vaters (Heinrichs I.) und zum Seelenheil seiner selbst und seiner Gattin, zu deren Mitgift dieser Ort gehörte«, ein Familienkloster also. Dazu wird als Ausstattung gestiftet »in Magodeburg curtem nostram cum aedificio et territorium ... «. König Rudolf II. von Burgund hatte den Leichnam des hl. Innocentius geschenkt. Zwei Erzbischöfe, acht Bischöfe und viele welt­ liche Große gaben durch ihre Anwesenheit der Gründung einen höchst bedeutsamen politischen Charakter. Slawenkolonisation und Slawenmission wurden wohl von An­ fang an als Aufgabe des neuen Klosters angesehen". Aus dem Reichshof war ein Kloster6

E. Wolfrom, Baugeschichte, S. 12. - P. J. Meier, Geschichtsbl. 55, 1920, S. 70. E. Nickel, Ein mittelalterl. Brunnen in Magdeburg, Frühe Burgen und Städte (Deutsche Akademie d. Wissensch. zu Berlin, Schriften d. Sekt. f. Vor- und Frühgesch., Bd. 2), Berlin 1954, S. 158 ff. - Das fundierteste Bild des karolingischen Magdeburg entwickelte Schwine­ köper S. 399 ff. 7 Chronicon Moissiacense MG SS I, S.308, u. II, S.258. Ähnlich die Reichsannalen, aber ohne Nennung des Namens Magdeburg, ed. F. Kurze, Hannover 1895, S. 121: »Duo ca­ stella ab exercitu aedificata, unum super ripam fluminis Salae, alterum juxta fluvium Al­ biae.« - Zu den niedersächsischen Königshöfen vgl. Carl Schuchhardt, Die frühgeschicht­ lichen Befestigungen in Niedersachsen, Bad Salzuflen (1925), S. 55 ff. 8 Gründungsurkunde: UB Erzstift, S.1f.,Nr. 1: ». . . in loco Magdeburg nominato aecclesiam construere studiums, sanctorum martyrum Mauricii, Innocentii sociorumque ... ob me­ moriam patris nostri et pro remedio ipsius animae nostrique et coniugis nostrae, cuius et praedictus locus dos fuit, et prolis nostrae ...« - A. Brackmann, Magdeburg als Haupt­ stadt, S. 7. Die Klosterkirche war 946 soweit vollendet, daß die Königin Edgitha in ihr beigesetzt werden konnte. F. Bellmann, Zu den ältesten Dombauten in Magdeburg, Aus­ grabungen und Funde 5, 1958, S. 323 ff.

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bezirk geworden, der aber mit allem Zubehör Eigentum des Reiches blieb. Einundzwanzig­ mal ist ein Aufenthalt Ottos I. in Magdeburg verbürgt, während sich sein Vater dort nie­ mals nachweisen läßt. »Es ist kein Zweifel, was unter Karl dem Großen Aachen geworden war, das war unter Otto dem Großen Magdeburg: der Ansatz zu einer festen Residenz"+.« Gleichzeitig gründete Otto der Große im Norden des Klosters eine Siedlung ganz neuer Art, wie sie im Sachsenland bisher nicht bestand. 941 erhält das Moritzkloster die »plebeiam ecclesiam in Magedeburg«, die auch unter dem Namen »forensis ecclesia« erscheint9• Es kann damit wohl nur die Johanniskirche am Alten Markt gemeint sein. 965 treten auch die neuen Bewohner dieser Siedlung urkundlich auf: »Judei vel ceteri ibi manentes negotiatores'°«. Nun handelt es sich nicht mehr um Kaufleute, die sich nur vorübergehend in Magdeburg zu bestimmten Zeiten aufhielten, sondern um »manen­ tes«, die dort ihren festen Sitz hatten. Damit wies der Ort jene beiden Elemente, civitas und Marktsiedlung, auf, die das Wesen einer Stadt ausmachen, und Otto der Große ist mit gutem Recht als ihr Gründer betrachtet worden'! Über die Form der Marktsiedlung wissen wir recht wenig. Sicher ist nur, daß sich die Kaufleuteniederlassung an die Johanniskirche anschloß und wohl das Gebiet des Alten Marktes und seiner Umgebung einnahm. Die stadtgeschichtlichen Grabungen sind bisher nur auf geringe ottonische Schichten gestoßen. Es deutet manches darauf hin, daß der Markt nicht die in Niedersachsen übliche Form einer zweiseitig bebauten Straße aufwies', sondern vielleicht eine größere platzartige Anlage darstellte, wie im 10. Jahr­ hundert der Alte Markt und der Heumarkt in Köln. Vor allem kommt das Gebiet des östlichen Alten Marktes und die Rathausfläche in Frage. Urkundlich erwähnt wird ein Hof in der Nähe des Alten Marktes, den Markgraf Gero besaß und der nach dessen Tode in den Besitz des Halberstädter Bischofs überging. In ihm befand sich eine Cy­ riakus-Kapelle, die später dem hl. Stephanus geweiht war und von der sich der Straßen­ name »Stephansbrücke« ableitet". Der Hof lag am Eingang zu ihr. Sicher blieb er nicht der einzige seiner Art. Untersuchungen der Keller und Mauerreste nach dem letzten R. Holtzmann, Otto d. Gr. und Magdeburg, S. 56. UB Erzstift, S.9, Nr.5. - Unter dem Chor der Johanniskirche wurden nach dem letzten Kriege Mauerreste aufgedeckt, die zu Chor oder Krypta eines Baues des 10. oder 11. Jahr­ hunderts gehören. Mrusek S. 1261 ff. - Schwineköper S. 435 f. 10 Ebenda S. 54 f., Nr. 38. 11 Vgl. die Zusammenstellung der Quellen über Otto 1. als Gründer Magdeburgs bei W. Möl­ lenberg, Geschichtsblätter 55, 1920, S. 25 ff. Besonders klar der Bericht der Synode zu Ra­ venna 967: »... ubi isdem serenissimus cesar civitatem mirifice fundavit, populi multi­ tudinem adunavit, ecclesias construxit.« Zit. nach K. Uhlirz, Geschichte des Erzbistums Magdeburg unter den Kaisern aus sächsischem Hause, Magdeburg 1887, S. 155. 12 Wie P. J. Meier, Geschichtsblätter 55, 1920, S. 60 ff. will. 1 3 UB Erzstift, S.63 ff. Nr. 45 (966): »... curtem, quam Gero marchio in Magadaburg habuit, et ecclesiam, guam illic in honore sancti Cyriaci martyris construxit ... « Auch MG SS XXII, S. 84. 1565 wurde diese Stephanskirche abgebrochen, die nicht mit der Gründung Hildegrims verwechselt werden darf. - Alfred Frantz, St. Johannis, die Haupt-Pfarr- und die Ratskirche der Stadt Magdeburg, Magdeburg 1931, S. 10f. - E. Neubauer, Das kirch­ liche Stadtbild Magdeburgs im Mittelalter, Heimatkalender 1927 f. Stadt und Land Magdeb. S.38. - Ernst Nickel, Zur Frühgeschichte von Magdeburg, Ausgrabungen und Funde 5, 1958, S. 320 ff. - Ders., Ein Haus aus der Zeit um 1000 auf dem Johanniskirchhof in M., ebda. 4, 1959, S. 44 ff. Damit wurde möglicherweise der Hof Geros aufgefunden. - W. Unverzagt u. E. Nickel, Ausgrabungen in der Altstadt von Magdeburg, Neue Ausgrabungen in Deutsch­ land, Berlin 1958, S. 582 ff. sa

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Kriege haben eine Reihe von größeren und zum Teil sehr großen Höfen um den Alten Markt nachweisen können. Zum Beispiel bildete der Baublock zwischen Großer und Kleiner Junkerstraße und Johannisberg ein einziges Anwesen14. Anstelle der König­ lichen Intendantur auf dem Plane von 1882 kamen zu Beginn unseres Jahrhunderts Mauerüberreste zu Tage, die damals als Stadtmauern angesprochen wurden, die aber nichts anderes als die Erdgeschoßwände eines großen Adelshofes darstellen, zu dem wohl noch ein Teil des Platzes an der Hauptwache gehörte". 1176 besaß das Kloster Berge den sogenannten Burg'schen Hof bei der Spiegelbrücke16. Diese zum Teil ungewöhnlich stattlichen Anwesen, die noch im Hausstellenplan von 1882 ihre Spuren hinterlassen haben, befanden sich nicht in den Händen der Kaufleute, sondern - wie der Hof Geros zeigt - des Adels und der Kirche. Die Platzwände des heutigen Alten Marktes haben mit dem ottonischen Markt wenig zu tun. Sie wurden erst nach der Zerstörung von 1631 begradigt''. Der Markt des 10. Jahrhunderts hat sich auch nicht so weit nach Westen ausgedehnt wie der hoch­ mittelalterliche Markt. Gegenüber den älteren Beobachtungen von Stadtmauerresten ist Vorsicht geboten; allzu leicht kam es vor, daß Grundmauern größerer Höfe als Stadtbefestigung ange­ sprochen wurden, wie der Aufsatz von O. Peters zeigt. Nach dem letzten Weltkriege kamen einige Stellen zum Vorschein, die dem Mauerwerk nach weiter zurückreichen könnten. Aus ihnen, den Geländeverhältnissen, den Hausstellengrenzen und der Straßenführung ergibt sich etwa folgender Verlauf des Befestigungsringes um den Alten Markt18: Die Mauer schloß den Alten Markt etwas östlich der Buttergasse zwischen Alter Markt 25 und 24 ab, überquerte den Katzensprung, bog vor der Apfelstraße fast im rechten Winkel nach Osten um, kreuzte Apfelstraße und Neuen Weg und sprang bei der Großen Marktstraße halbkreisförmig zurück. Ostlich der Stephansbrücke er­ reichte sie das Steilufer. Auf der Ostseite mußte die Befestigung dem Terrassenrand folgen, der der Stephansbrücke entlang bis zum Johannisberg läuft, an der Südseite der Johanniskirche zurückspringt und längs der Johannisfahrtstraße bis zum Einschnitt der Berliner Straße (früher Kuhförder- oder Kuhstraße) führt. Hier wendete sich die Be­ festigungslinie offenbar wieder nach Westen, überquerte die Große Junker- und die Schmiedehofstraße, lenkte im Bogen, die Dreienbretzelstraße überschneidend, nach Norden ein und mündete entlang den Hausstellengrenzen zwischen Schuhbrücke­ Schwibbogen unnd Lödiscdhe Hof-Straße wieder am Alten Markt ein. 14 15

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Ich verdanke diesen Hinweis Hans-Joachim Mrusek. O. Peters, Die älteste Stadtmauer Magdeburgs, Geschichtsblätter 40, 1905, S. 33 ff. Haupt­ wache 5 und 6. Die Innenseiten des doppelten Mauerzuges von je etwa 1m Stärke waren sorgfältig geglättet! Eine Kapelle lag vor der äußeren Wand. UB Erzstift, S. 462 f., Nr. 550, »curia que ecclesie sancti Johannis in Monte pertinet et foro civitatis Magdeburgensis commode adiacet«. E. Neubauer, Häuserbuch Teil I, S. XV. Alter Markt 5-14. Vgl. Begründung und Beschreibung des Mauerzuges bei Hans-Joachim Mrusek. Damit schien die alte Frage nach dem ersten Mauerring (O. Peters, Geschichtsblätter 40, 1905, S. 42ff. - Friedr. Hülße, Der Umfang des ältesten Magdeburg und dessen allmähliche Erweiterung, Festschr. zur 25jährigen Jubelfeier d. Ver. f. Gesch. u. Altertumskunde Magdeb. 1891, S. 49 ff. - E. Wolfrom, S. 1 ff.) endgültig gelöst zu sein, doch erhob die For­ schung dagegen Bedenken (Schwineköper S. 442). Mehrere Sackgassen (z.B. Warthe, zwei in der Spiegelbrücke auf dem Plan 0. v. Guerickes) lassen sich nur durch die Nähe der Mauer erklären.

BARDOWICK

ASCHERSLEBEN

HALLE

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Dom

Abb. 1. Magdeburg im 11. Jahrhundert

2 Liebfrauenstift 3 St. Johannis u. Sebastian

4 St. Johannis am Alten Markt 5 St. Ambrosius in der Sudenburg 6 Kloster Berge

Kriege haben eine Reihe von größeren und zum Teil sehr großen Höfen um den Alten Markt nachweisen können. Zum Beispiel bildete der Baublock zwischen Großer und Kleiner Junkerstraße und Johannisberg ein einziges Anwesen14. Anstelle der König­ lichen Intendantur auf dem Plane von 1882 kamen zu Beginn unseres Jahrhunderts Mauerüberreste zu Tage, die damals als Stadtmauern angesprochen wurden, die aber nichts anderes als die Erdgeschoßwände eines großen Adelshofes darstellen, zu dem wohl noch ein Teil des Platzes an der Hauptwache gehörte". 1176 besaß das Kloster Berge den sogenannten Burg'schen Hof bei der Spiegelbrücke16. Diese zum Teil ungewöhnlich stattlichen Anwesen, die noch im Hausstellenplan von 1882 ihre Spuren hinterlassen haben, befanden sich nicht in den Händen der Kaufleute, sondern - wie der Hof Geros zeigt - des Adels und der Kirche. Die Platzwände des heutigen Alten Marktes haben mit dem ottonischen Markt wenig zu tun. Sie wurden erst nach der Zerstörung von 1631 begradigt''. Der Markt des 10. Jahrhunderts hat sich auch nicht so weit nach Westen ausgedehnt wie der hoch­ mittelalterliche Markt. Gegenüber den älteren Beobachtungen von Stadtmauerresten ist Vorsicht geboten; allzu leicht kam es vor, daß Grundmauern größerer Höfe als Stadtbefestigung ange­ sprochen wurden, wie der Aufsatz von O. Peters zeigt. Nach dem letzten Weltkriege kamen einige Stellen zum Vorschein, die dem Mauerwerk nach weiter zurückreichen könnten. Aus ihnen, den Geländeverhältnissen, den Hausstellengrenzen und der Straßenführung ergibt sich etwa folgender Verlauf des Befestigungsringes um den Alten Markt18: Die Mauer schloß den Alten Markt etwas östlich der Buttergasse zwischen Alter Markt 25 und 24 ab, überquerte den Katzensprung, bog vor der Apfelstraße fast im rechten Winkel nach Osten um, kreuzte Apfelstraße und Neuen Weg und sprang bei der Großen Marktstraße halbkreisförmig zurück. Ostlich der Stephansbrücke er­ reichte sie das Steilufer. Auf der Ostseite mußte die Befestigung dem Terrassenrand folgen, der der Stephansbrücke entlang bis zum Johannisberg läuft, an der Südseite der Johanniskirche zurückspringt und längs der Johannisfahrtstraße bis zum Einschnitt der Berliner Straße (früher Kuhförder- oder Kuhstraße) führt. Hier wendete sich die Be­ festigungslinie offenbar wieder nach Westen, überquerte die Große Junker- und die Schmiedehofstraße, lenkte im Bogen, die Dreienbretzelstraße überschneidend, nach Norden ein und mündete entlang den Hausstellengrenzen zwischen Schuhbrücke­ Schwibbogen unnd Lödiscdhe Hof-Straße wieder am Alten Markt ein. 14 15

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Ich verdanke diesen Hinweis Hans-Joachim Mrusek. O. Peters, Die älteste Stadtmauer Magdeburgs, Geschichtsblätter 40, 1905, S. 33 ff. Haupt­ wache 5 und 6. Die Innenseiten des doppelten Mauerzuges von je etwa 1m Stärke waren sorgfältig geglättet! Eine Kapelle lag vor der äußeren Wand. UB Erzstift, S. 462 f., Nr. 550, »curia que ecclesie sancti Johannis in Monte pertinet et foro civitatis Magdeburgensis commode adiacet«. E. Neubauer, Häuserbuch Teil I, S. XV. Alter Markt 5-14. Vgl. Begründung und Beschreibung des Mauerzuges bei Hans-Joachim Mrusek. Damit schien die alte Frage nach dem ersten Mauerring (O. Peters, Geschichtsblätter 40, 1905, S. 42ff. - Friedr. Hülße, Der Umfang des ältesten Magdeburg und dessen allmähliche Erweiterung, Festschr. zur 25jährigen Jubelfeier d. Ver. f. Gesch. u. Altertumskunde Magdeb. 1891, S. 49 ff. - E. Wolfrom, S. 1 ff.) endgültig gelöst zu sein, doch erhob die For­ schung dagegen Bedenken (Schwineköper S. 442). Mehrere Sackgassen (z.B. Warthe, zwei in der Spiegelbrücke auf dem Plan 0. v. Guerickes) lassen sich nur durch die Nähe der Mauer erklären.

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Abb. 1. Magdeburg im 11. Jahrhundert

2 Liebfrauenstift 3 St. Johannis u. Sebastian

4 St. Johannis am Alten Markt 5 St. Ambrosius in der Sudenburg 6 Kloster Berge

Die genaue Datierung des gefundenen Befestigungszuges bietet allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Handelt es sich um die Grenze der Marktsiedlung Ottos I. oder um einen späteren Mauerring vor der Anlage der geschlossenen Stadt, vielleicht jenen, den Erzbischof Gero (1012-1025) vollenden ließ? Der unregelmäßige Mauerverlauf, die Ein­ beziehung zahlreicher Höfe, die verhältnismäßig umfangreiche umschlossene Fläche, die über den Bedarf einer Kaufleutesiedlung hinausgeht, geben der Vermutung Raum, daß wir es nicht mit der ursprünglichen Begrenzung des Marktviertels Ottos I. zu tun haben, sondern eher mit einer nachträglichen Befestigung, die sich nach bereits bestehenden Gebäuden richten mußte. Ein Mauerschutz wurde seit dem Slawenaufstand 983 und dem Verlust des ostelbischen Raumes notwendig. Der merkwürdige, halbkreisförmige Rücksprung in der Großen Marktstraße scheint durch eine Verteidigungsanlage bedingt zu sein, die sich an der Stelle des Maria-Magda­ lenen-Klosters befand und die günstige Lage neben Petriförder und Ufersteilhang aus­ nützte. Daß hier der Burggraf seinen Sitz hatte, ist seit Walter Möllenbergs Nachweis eines Burggrafenhofes im 12. Jahrhundert in der Domimmunität nicht mehr aufrecht­ zuhalten19. Aber wie es in Merseburg zwei Burgen zur gleichen Zeit gab, ließen sich auch für Magdeburg ähnliche Verhältnisse denken. Funde konnten bisher diese Ver­ mutung nicht erhärten. Weit mehr als von der ottonischen Marktsiedlung läßt sich von der Domimmunität aussagen. Als es Otto dem Großen endlich gelang, das bevorzugte Familienkloster St. Moritz zur erzbischöflichen Kathedrale zu erheben (968) und den Ort für wenige Jahre zum kirchlichen Mittelpunkt der slawischen Welt zu machen, konnte dies nicht ohne Rückwirkung auf die bauliche Gestalt der Klosterimmunität bleiben. Das Moritz­ kloster wurde Sitz des Erzstiftes. Für die verdrängten Benediktinermönche errichtete Otto ein neues Kloster im Südosten von Magdeburg, ebenfalls am Rande der Ufer­ terrasse gelegen, das Kloster Berge, dessen Kirche dem hl. Johannis dem Täufer geweiht wurde. 965 erfolgten Dotierung und Weihe, 969 konnte es die Mönche des Moritz­ klosters aufnehmen?°, Es liegt 110o Meter in der Luftlinie vom Dom entfernt. Auch die Bischofskirche in der Südostecke der Immunität wendete ihren Chor dem Strome zu. Ihre Osttürme standen wohl in Verbindung mit der Immunitätsbefestigung?". Im Süden des Domes schlossen sich die Stiftsgebäude an. Das palatium des Königs nahm nun den Erzbischof auf; es stand auf der Nordseite des Doms am Rande des Steilufers. Im Mittelalter erhielt der erzbischöfliche Hof den Namen Moshaus (Domplatz 1 und 2). Die Palast-Kapelle??, die mit ihm verbunden war, weihte Erzbischof Tagino (1004-1012). Es war eine Rundkapelle, deren ursprüngliches Patrozinium St. Maria sich neben dem späteren St. Gangolf behauptete. Sie geht viel19 20 21 22

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Geschichtsblätter 55, 1920, S. 18, Anm. 29 u. S. 20, Anm. 51. - Ders., Magdeburg um 80o, S. 17. Der Hof stieß an das Liebfrauenkloster. Hertel-Hülße, Geschichte d. Stadt Magdeb., Bd. 1, S. 21. - Holstein, Gesta abb. Berg., Ge­ schichtsblätter 5. - Ders. UB des Klosters Berge, Geschichtsquellen der Provinz Sachsen, 9. Bd. Hermann Giesau, Der Chor des Domes zu Magdeb., Sachsen u. Anhalt, Jahrb. d. hist. Komm. 4, 1928, S. 297, Anm. 6. Schwineköper S. 406, Anm. 66. - Vor der Westseite des Domes hat nie ein Zentralbau be­ standen, wie man hartnäckig behauptete. (Vgl. Hans Kunze, Der Dom Ottos d. Gr. in Magdeb., Geschichtsblätter 65, 1930, S.19. - W. Greischel, Die Baukunst der Ottonen, Magdeburg in der Politik der deutschen Kaiser, S. 144 ff. - A. Koch, Die Rundkirche am alten Dom zu Magdeburg, Das Münster 8, 1955, S. 12 f.)

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3.00

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1 Dom 2 Liebfrauenstift 3 St. Johannis u. Sebastian 4 St. Nikolaus (seit 14. Jh.) 5 St. Johannis 6 Rathaus 7 Ehem. Kloster St. Maria Magdalena (Hünenturm) 8 St. Petri 9 St. Ulrich 10 Düstere Pforte

A Alter Markt

B C D E F G H

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K L M N O P Q R

Domplatz = Neumarkt Breiter Weg Am alten Brücktor Große Klostergasse Hl. Geist-Straße Steinstraße Poststraße Kreuzgangstraße Gouvernementstraße Regierungsstraße Fürstenwallstraße Fürstenstraße Leiterstraße Prälatenstraße Kutscherstraße Petriförder

Abb.

2.

Magdeburg. Nach dem Guericke-Plan von

1652

Die genaue Datierung des gefundenen Befestigungszuges bietet allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Handelt es sich um die Grenze der Marktsiedlung Ottos I. oder um einen späteren Mauerring vor der Anlage der geschlossenen Stadt, vielleicht jenen, den Erzbischof Gero (1012-1025) vollenden ließ? Der unregelmäßige Mauerverlauf, die Ein­ beziehung zahlreicher Höfe, die verhältnismäßig umfangreiche umschlossene Fläche, die über den Bedarf einer Kaufleutesiedlung hinausgeht, geben der Vermutung Raum, daß wir es nicht mit der ursprünglichen Begrenzung des Marktviertels Ottos I. zu tun haben, sondern eher mit einer nachträglichen Befestigung, die sich nach bereits bestehenden Gebäuden richten mußte. Ein Mauerschutz wurde seit dem Slawenaufstand 983 und dem Verlust des ostelbischen Raumes notwendig. Der merkwürdige, halbkreisförmige Rücksprung in der Großen Marktstraße scheint durch eine Verteidigungsanlage bedingt zu sein, die sich an der Stelle des Maria-Magda­ lenen-Klosters befand und die günstige Lage neben Petriförder und Ufersteilhang aus­ nützte. Daß hier der Burggraf seinen Sitz hatte, ist seit Walter Möllenbergs Nachweis eines Burggrafenhofes im 12. Jahrhundert in der Domimmunität nicht mehr aufrecht­ zuhalten19. Aber wie es in Merseburg zwei Burgen zur gleichen Zeit gab, ließen sich auch für Magdeburg ähnliche Verhältnisse denken. Funde konnten bisher diese Ver­ mutung nicht erhärten. Weit mehr als von der ottonischen Marktsiedlung läßt sich von der Domimmunität aussagen. Als es Otto dem Großen endlich gelang, das bevorzugte Familienkloster St. Moritz zur erzbischöflichen Kathedrale zu erheben (968) und den Ort für wenige Jahre zum kirchlichen Mittelpunkt der slawischen Welt zu machen, konnte dies nicht ohne Rückwirkung auf die bauliche Gestalt der Klosterimmunität bleiben. Das Moritz­ kloster wurde Sitz des Erzstiftes. Für die verdrängten Benediktinermönche errichtete Otto ein neues Kloster im Südosten von Magdeburg, ebenfalls am Rande der Ufer­ terrasse gelegen, das Kloster Berge, dessen Kirche dem hl. Johannis dem Täufer geweiht wurde. 965 erfolgten Dotierung und Weihe, 969 konnte es die Mönche des Moritz­ klosters aufnehmen?°, Es liegt 110o Meter in der Luftlinie vom Dom entfernt. Auch die Bischofskirche in der Südostecke der Immunität wendete ihren Chor dem Strome zu. Ihre Osttürme standen wohl in Verbindung mit der Immunitätsbefestigung?". Im Süden des Domes schlossen sich die Stiftsgebäude an. Das palatium des Königs nahm nun den Erzbischof auf; es stand auf der Nordseite des Doms am Rande des Steilufers. Im Mittelalter erhielt der erzbischöfliche Hof den Namen Moshaus (Domplatz 1 und 2). Die Palast-Kapelle??, die mit ihm verbunden war, weihte Erzbischof Tagino (1004-1012). Es war eine Rundkapelle, deren ursprüngliches Patrozinium St. Maria sich neben dem späteren St. Gangolf behauptete. Sie geht viel19 20 21 22

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Geschichtsblätter 55, 1920, S. 18, Anm. 29 u. S. 20, Anm. 51. - Ders., Magdeburg um 80o, S. 17. Der Hof stieß an das Liebfrauenkloster. Hertel-Hülße, Geschichte d. Stadt Magdeb., Bd. 1, S. 21. - Holstein, Gesta abb. Berg., Ge­ schichtsblätter 5. - Ders. UB des Klosters Berge, Geschichtsquellen der Provinz Sachsen, 9. Bd. Hermann Giesau, Der Chor des Domes zu Magdeb., Sachsen u. Anhalt, Jahrb. d. hist. Komm. 4, 1928, S. 297, Anm. 6. Schwineköper S. 406, Anm. 66. - Vor der Westseite des Domes hat nie ein Zentralbau be­ standen, wie man hartnäckig behauptete. (Vgl. Hans Kunze, Der Dom Ottos d. Gr. in Magdeb., Geschichtsblätter 65, 1930, S.19. - W. Greischel, Die Baukunst der Ottonen, Magdeburg in der Politik der deutschen Kaiser, S. 144 ff. - A. Koch, Die Rundkirche am alten Dom zu Magdeburg, Das Münster 8, 1955, S. 12 f.)

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1 Dom 2 Liebfrauenstift 3 St. Johannis u. Sebastian 4 St. Nikolaus (seit 14. Jh.) 5 St. Johannis 6 Rathaus 7 Ehem. Kloster St. Maria Magdalena (Hünenturm) 8 St. Petri 9 St. Ulrich 10 Düstere Pforte

A Alter Markt

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Domplatz = Neumarkt Breiter Weg Am alten Brücktor Große Klostergasse Hl. Geist-Straße Steinstraße Poststraße Kreuzgangstraße Gouvernementstraße Regierungsstraße Fürstenwallstraße Fürstenstraße Leiterstraße Prälatenstraße Kutscherstraße Petriförder

Abb.

2.

Magdeburg. Nach dem Guericke-Plan von

1652

leicht noch auf die Pfalz-Kapelle Ottos des Großen zurück?. Ein Gang auf hohen Arka­ den führte seit dem 13. Jahrhundert von der Pfalz in den Emporengang des Domchores. Er ist noch auf den ältesten Stadtansichten zu erkennen, ebenso ein viereckiger Turm, der sich neben dem Saalbau erhob24• Domplatz 3 befand sich der Marstall. In Rottersdorf, unweit außerhalb der Domburg, gründete Otto der Große an einem Straßenschnittpunkt ein Xenodochium (Fremden- und Armenherberge) mit einer Kirche aus rotem Holz, die 1015 durch Blitzschlag zerstört wurde?®. Daraufhin wurde es in die urbs verlegt - ein Immunitätsspital wie in Augsburg, Bremen, Straßburg usw. Im Süden war der Domburg ein suburbium vorgelagert, die Sudenburg, deren Pfarr­ kirche St. Ambrosius noch in ottonische Zeit zurückreicht?®. Sie stand kaum mehr als 100 m von der Kathedralkirche entfernt. Wahrscheinlich ist sie mit Thietmars »Kirche aus rotem Holz« gleichzusetzen. Vor der Sudenburg stand im Mittelalter das Judendorf. 1545-50 wurde die Vorstadt endgültig zerstört. Ihr Gebiet ist bei den späteren Befesti­ gungsanlagen so gründlich verändert worden, daß man kaum noch Bodenfunde erwarten darf. Die frühe Erbauung der Pfarrkirche spricht für eine erhebliche Bedeutung der Siedlung, ebenso das Judendorf. Vielleicht gab es auch hier frühzeitig einen Markt. Während der Rückschlag von 983 die Marktsiedlung empfindlich treffen mußte, hat die Domburg schon im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends unter Erzbischof Gero (1012-1025) eine reiche Bautätigkeit entfaltet. Um 1017/18 gründete dieser das Kollegiatstift U. L. Frau. Ein weiteres Gebiet zwischen Dom und Marktsiedlung gehörte zu seinem Bereich?'. Der hl. Norbert verwandelte 1129 das Stift in ein Prämonstratenser­ Kloster. Jenseits des Breiten Weges erbaute Gero die St. Johannis- und Sebastians­ Kirche, an die sich ebenfalls ein Kollegiatstift anschloß. Die Gründung des Liebfrauenstiftes gab wohl Veranlassung, die Immunitätsbefesti­ gung zu erweitern. Zwischen Stein- und Poststraße fanden sich jüngst die Fundamente der Domburgmauer entlang der auffallenden, bogenförmigen Grundstücksgrenze, die auf die Große Klostergasse mündet. Diese selbst wird noch auf der Ansicht bei Braun und Hogenberg (1574) von zwei Mauern eingefaßt und im Osten von einem Tor abgeschlossen. In dem Bogen von der Großen Klostergasse bis zum Breiten Weg ver­ lief die Nordgrenze der Immunität nach der Gründung des Liebfrauenstiftes. Unsicher bleibt dagegen die Westgrenze. Hielt sie sich noch diesseits des Breiten Weges, wie es E. Neubauer, Häuserbuch Teil II, S. 32 f. - Ders., Das kirchliche Stadtbild Magdeburgs, S. 34. Vgl. die Abbildungen im Anhang zu Hertel-Hülße, Gescdh. d. Stadt Magdeb., Bd. 1. 25 Thietmari Chronicon, ed. Rob. Holtzmann, Berlin 1935, S. 382: »Diruit namque aecclesiam extra urbem positam, quae de rubro facta est ligno regnante primo Ottone.« 26 Fr. Tilger, Beiträge zur Geschichte der Sudenburg, Geschichtsblätter 72/73, 1937/38, S. 26. 27 W. Möllenberg, Aus der Geschichte des Klosters U.L. Frau zu Magdeburg, Geschichtsblätter 56-59, 1921/24, S. 116 ff. - Karl Weidel u. Hans Kunze, Das Kloster U. L. Frau in Magdeb. Augsburg 1925 (Germania sacra, Serie B, Ic), S. 2 u. 51: »Die Klosterfreiheit erstreckte sich einst von der Senke der heutigen Gouvernements- bis zur hl. Geist-, ja vielleicht in die Berliner Straße und senkte sich vom Zuge der heutigen Regierungsstraße und Tischler­ brücke in Terrassen abfallend bis zur Elbe herab.« - Den Klosterbesitz veranschaulicht der Lageplan bei Maximilian Modde, U. L. Frauen-Kloster, Magdeburg 1911. - Annalista Saxo, MG SS VI, S. 675/676 (ad. an. 1023): »et facto (per Geronem archiep.) infra urbem monasterio in hon. s. Marie ... et preposituram ibi constituit. Aliam ... ecclesiam in hon. b. Johannis evangeliste construxit et dedicavit, ... Muros etiam urbis, quos Otto imperator incepit, ipse perfecit ...« Ein Teil des Klosterbesitzes befand sich außerhalb der Immunitätsbefestigung.

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Abb. 3. Magdeburg. Ausschnitt des Alten Markt-Gebietes nach dem Katasterplan von 1882 1 St. Johannis 2 Rathaus 3 Königl. Intendantur 4 Ehem. Kloster St. Maria Magdalena

A B C D

Perorsrssosrsrneememn

4

Breiter Weg Alter Markt Johannisberg Knochenhaueruferstraße

E Am alten Brücktor F Berliner Straße (früher Kuhförder) G Kleine Junkerstraße H Große Junkerstraße J Schmiedehofstraße K Dreienbretzelstraße L Lödischehofstraße M Schwibbogen N Schuhbrücke

O P Q R S T U V W

Tischlerbrücke Buttergasse Katzensprung Apfelstraße Neuer Weg Große Marktstraße Stephansbrücke Spiegelbrücke Johannisfahrtstraße

leicht noch auf die Pfalz-Kapelle Ottos des Großen zurück?. Ein Gang auf hohen Arka­ den führte seit dem 13. Jahrhundert von der Pfalz in den Emporengang des Domchores. Er ist noch auf den ältesten Stadtansichten zu erkennen, ebenso ein viereckiger Turm, der sich neben dem Saalbau erhob24• Domplatz 3 befand sich der Marstall. In Rottersdorf, unweit außerhalb der Domburg, gründete Otto der Große an einem Straßenschnittpunkt ein Xenodochium (Fremden- und Armenherberge) mit einer Kirche aus rotem Holz, die 1015 durch Blitzschlag zerstört wurde?®. Daraufhin wurde es in die urbs verlegt - ein Immunitätsspital wie in Augsburg, Bremen, Straßburg usw. Im Süden war der Domburg ein suburbium vorgelagert, die Sudenburg, deren Pfarr­ kirche St. Ambrosius noch in ottonische Zeit zurückreicht?®. Sie stand kaum mehr als 100 m von der Kathedralkirche entfernt. Wahrscheinlich ist sie mit Thietmars »Kirche aus rotem Holz« gleichzusetzen. Vor der Sudenburg stand im Mittelalter das Judendorf. 1545-50 wurde die Vorstadt endgültig zerstört. Ihr Gebiet ist bei den späteren Befesti­ gungsanlagen so gründlich verändert worden, daß man kaum noch Bodenfunde erwarten darf. Die frühe Erbauung der Pfarrkirche spricht für eine erhebliche Bedeutung der Siedlung, ebenso das Judendorf. Vielleicht gab es auch hier frühzeitig einen Markt. Während der Rückschlag von 983 die Marktsiedlung empfindlich treffen mußte, hat die Domburg schon im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends unter Erzbischof Gero (1012-1025) eine reiche Bautätigkeit entfaltet. Um 1017/18 gründete dieser das Kollegiatstift U. L. Frau. Ein weiteres Gebiet zwischen Dom und Marktsiedlung gehörte zu seinem Bereich?'. Der hl. Norbert verwandelte 1129 das Stift in ein Prämonstratenser­ Kloster. Jenseits des Breiten Weges erbaute Gero die St. Johannis- und Sebastians­ Kirche, an die sich ebenfalls ein Kollegiatstift anschloß. Die Gründung des Liebfrauenstiftes gab wohl Veranlassung, die Immunitätsbefesti­ gung zu erweitern. Zwischen Stein- und Poststraße fanden sich jüngst die Fundamente der Domburgmauer entlang der auffallenden, bogenförmigen Grundstücksgrenze, die auf die Große Klostergasse mündet. Diese selbst wird noch auf der Ansicht bei Braun und Hogenberg (1574) von zwei Mauern eingefaßt und im Osten von einem Tor abgeschlossen. In dem Bogen von der Großen Klostergasse bis zum Breiten Weg ver­ lief die Nordgrenze der Immunität nach der Gründung des Liebfrauenstiftes. Unsicher bleibt dagegen die Westgrenze. Hielt sie sich noch diesseits des Breiten Weges, wie es E. Neubauer, Häuserbuch Teil II, S. 32 f. - Ders., Das kirchliche Stadtbild Magdeburgs, S. 34. Vgl. die Abbildungen im Anhang zu Hertel-Hülße, Gescdh. d. Stadt Magdeb., Bd. 1. 25 Thietmari Chronicon, ed. Rob. Holtzmann, Berlin 1935, S. 382: »Diruit namque aecclesiam extra urbem positam, quae de rubro facta est ligno regnante primo Ottone.« 26 Fr. Tilger, Beiträge zur Geschichte der Sudenburg, Geschichtsblätter 72/73, 1937/38, S. 26. 27 W. Möllenberg, Aus der Geschichte des Klosters U.L. Frau zu Magdeburg, Geschichtsblätter 56-59, 1921/24, S. 116 ff. - Karl Weidel u. Hans Kunze, Das Kloster U. L. Frau in Magdeb. Augsburg 1925 (Germania sacra, Serie B, Ic), S. 2 u. 51: »Die Klosterfreiheit erstreckte sich einst von der Senke der heutigen Gouvernements- bis zur hl. Geist-, ja vielleicht in die Berliner Straße und senkte sich vom Zuge der heutigen Regierungsstraße und Tischler­ brücke in Terrassen abfallend bis zur Elbe herab.« - Den Klosterbesitz veranschaulicht der Lageplan bei Maximilian Modde, U. L. Frauen-Kloster, Magdeburg 1911. - Annalista Saxo, MG SS VI, S. 675/676 (ad. an. 1023): »et facto (per Geronem archiep.) infra urbem monasterio in hon. s. Marie ... et preposituram ibi constituit. Aliam ... ecclesiam in hon. b. Johannis evangeliste construxit et dedicavit, ... Muros etiam urbis, quos Otto imperator incepit, ipse perfecit ...« Ein Teil des Klosterbesitzes befand sich außerhalb der Immunitätsbefestigung.

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Abb. 3. Magdeburg. Ausschnitt des Alten Markt-Gebietes nach dem Katasterplan von 1882 1 St. Johannis 2 Rathaus 3 Königl. Intendantur 4 Ehem. Kloster St. Maria Magdalena

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Breiter Weg Alter Markt Johannisberg Knochenhaueruferstraße

E Am alten Brücktor F Berliner Straße (früher Kuhförder) G Kleine Junkerstraße H Große Junkerstraße J Schmiedehofstraße K Dreienbretzelstraße L Lödischehofstraße M Schwibbogen N Schuhbrücke

O P Q R S T U V W

Tischlerbrücke Buttergasse Katzensprung Apfelstraße Neuer Weg Große Marktstraße Stephansbrücke Spiegelbrücke Johannisfahrtstraße

für die Domburg des 10. Jahrhunderts anzunehmen ist, oder schloß sie bereits die St. Jo­ hannis- und Sebastianskirche mit ein, wie es nach der Entstehung der geschlossenen Stadt der Fall war (von der Leiterstraße ab nach Süden)? Schlagbalken und Vorzieh­ ketten trennten das Immunitätsgebiet von der Bürgerstadt noch das ganze Mittelalter hindurch28. Der vom Annalista Saxo überlieferte Mauerbau Geros kann sich natürlich ebensogut auf die Befestigung der erzbischöflichen Freiheit, vor allem deren Nordseite beziehen, wie auf den Verteidigungsring der Marktsiedlung. Erzbischof Hunfrid (1023-1051) erbaute die Kirche St. Petri und St. Nikolai am Dom, die um 1108 von Erzbischof Adelsot zu einem Stift erhoben wird. Die Auflösung des gemeinsamen Lebens hat auch in Magdeburg im 11. Jahrhundert begonnen. Der Propst des Erzstiftes Friedrich hat 1063 die Kapelle in seinem Hof wiedererrichtet. Dieser stand damals also seit längerer Zeit. Eine Schenkung Heinrichs IV. (1064) zeigt bereits die einzelnen Präbenden ausgeschieden?®. Die Kurien der Domherren lagen in Magdeburg recht verstreut in der Domimmunität, teils am Breiten Weg, am Domplatz nur sehr wenige, teils in der Domstraße und Fürstenwallstraße; aber auch in der Post-, Regie­ rungs- und Gouvernementstraße standen einige. Eine Reihe von Kurien befand sich sogar außerhalb der Befestigung in der Vorstadt Sudenburg im Süden des Domes, die 1551 niedergerissen wurde; darunter auch die Domdechantei, während die Dompropstei zwischen Breiter Weg und Domplatz stand (etwa Domplatz 10). Das Aussehen des Domplatzes im Mittelalter kann man nur annähernd rekonstruie­ ren. Die geschlossenen und begradigten Platzwände im Osten, Westen und Norden ka­ men erst im Spätbarock zustande®°. Der Häuserblock zwischen Domstraße, Breiten Weg und der Befestigung fehlte ganz. Den Westabschluß des Platzes bildete die weitläufige Dompropstei, der sich seit 1510 nach Norden das Nikolausstift anschloß, zum Teil auf ehemaligem Gelände der Propstei, da die alte Kirche des Stiftes dem gotischen Westbau des Domes weichen mußte. Die neue St. Nikolaus-Kirche kam in die Nordwestecke des Platzes zu liegen. Der Häuserblock zwischen Domplatz und Kreuzgangstraße (Domplatz 7-9) fehlte wieder. Auf der Ostseite stand der erzbischöfliche Hof mit der St. Gangolfs-Kirche und dem Marstall. Der Domplatz war also im Mittelalter weit unregelmäßiger und lockerer bebaut. Der gewaltigen Masse des Domes in der Süd­ ostecke ordneten sich die übrigen Gebäude des Platzes ganz unter. Ursprünglich war dieser nichts anderes als der Pfalzplatz vor dem palatium des Königs und von 968 ab des Erzbischofs. Von einer Verwendung als Friedhof ist nie die Rede. Dagegen läßt sich früh die Benutzung als Jahrmarkt belegen. 1179 verleiht Erzbischof Wichmann den Kaufleuten von Burg zwanzig Budenplätze während der Magdeburger Messe »iuxta 28

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G. Hertel, Geschichte des Domplatzes in Magdeburg, Geschichtsblätter 38, 1903, S. 214. Erich Weber, Das Domkapitel von Magdeburg bis zum Jahre 1567, Halle 1912, Diss. S.15. Seit 1347 umfaßte das Kapitel 36 Kanoniker. MG SS XIV, S. 400. »Nam Fredericus maioris domus prepositus ... alteram vero in curte sua dilapsam reedificaverat.« - Das Magde­ burger Kapitel besaß Ende des 15. Jhs. 15, Anfang des 16. 28 Kurien, davon 25 mit einer Kapelle. (E. Weber, Das Domkapitel, S. 30f.) Eine Untersuchung der Magdeburger Kurien steht noch aus. Eine Descriptio curiarum claustralium befindet sich im Landesarchiv Magde­ burg Cop. 10of., 11 ff, aus dem Beginn des 16. Jhs. Zur Lage der einzelnen Domherrnhöfe vgl. E. Neubauer, Häuserbuch, Teil II. G. Hertel, Gesch. d. Domplatzes, S. 209 ff. - E. Neubauer, Häuserbuch, Teil II, S. 26 ff. Die Breite Straße wurde 1707 angelegt, nachdem im Jahre vorher die Dompropstei abge­ brochen worden war. Die Häuser Domplatz 7-9 erstanden von 1725 an.

sepem maioris prepositi«31. Kurz hinterher wird der Name »Neumarkt« für den Domplatz aufgekommen sein. Er wurde für bestimmte Zeit bei Jahrmärkten und Messen dem Marktverkehr geöffnet. Kaufleute hatten hier niemals ihren Wohnsitz; ihnen dienten die Buden zum Feilbieten ihrer Waren. Der Hauptmarkt blieb der Alte Markt bei der Johannis-Kirche. Der jüngere Neumarkt besaß nur sekundäre Bedeutung. Im Osten des Domes und des Bischofshofes hat sich noch ein Stück der Immuni­ tätsbefestigung erhalten, das auch auf den Stadtveduten des 16. und 17. Jahrhunderts zu erkennen ist (im Garten Fürstenwall 3b). Die ältesten unteren Schichten in Bruch­ steinmauerwerk aus roter Grauwacke, das mit großen Quadern und langen Bindern durchsetzt ist, reichen aber kaum über das 15. Jahrhundert zurück®?. Die äußere Befestigungsmauer am Elbufer entstand hier erst 1525. Die Tore der ottonischen Domburg werden in den Quellen nicht genannt. Eines lag. wohl im Zuge der Regie­ rungsstraße, etwa bei der Einmündung der großen Klostergasse. Ein zweites vermittelte sicher den Zugang vom Breiten Weg her. Die »Düstere Pforte« neben dem Dom ist nur ein Nebentor, das in erster Linie den außerhalb der Domburg gelegenen Kurien diente. Die Ansichtsseite der Stadt richtet sich nach Osten. Der Ufersteilhang gibt den Sockel für die Stadtsilhouette ab. Fast alle Kirchenbauten des 10. und 11. Jahrhunderts stehen ganz dicht am Uferrand, um sich in eindrucksvoller Größe darzubieten. Ihre Ostung bewirkt die Gleichrichtung der Achsen, so daß die Chorwand der Schauseite zugedreht wird. Die Streuung der Kirchen um die beiden befestigten Zentren von Dom­ burg und Markt kommt in Magdeburg weniger deutlich zum Ausdruck als bei anderen ottonischen Städten. Nur Kloster Berge und das St. Johannis- und Sebastians-Stift liegen außerhalb der Immunität. Eindrucksvoll gelangt dagegen die Weiträumigkeit der otto­ nischen Stadtanlage zur Geltung. Vom Kloster Berge bis zum Nordrand der Markt­ siedlung beträgt die Entfernung etwa zwei Kilometer in der Luftlinie. Nur ungenau läßt sich der Zeitpunkt angeben, an dem die beiden befestigten Beringe zu einem einzigen geschlossenen Stadtgebiet zusammenwuchsen. Eine trapez­ förmige Stadtmauer mit dem Breiten Weg als Nord-Süd-Achse nahm die beiden otto­ nischen Kerne auf. Die neue Süd- (Oranienstraße) und Westgrenze (zwischen Kaiser­ straße und Prälaten- bezw. Kutscherstraße) blieben durch das ganze Mittelalter hindurch unverändert erhalten. Die Nordgrenze, die schon im frühen 13. Jahrhundert bei einer Stadterweiterung hinausgeschoben wurde, hat Otto von Guericke überliefert. Sie zog von dem Hünenturm beim Maria-Magdalenen-Kloster, der noch auf den Stadtansichten des 16. und 17. Jahrhunderts zu sehen ist, in ziemlich gerader Linie nach Westen, etwa bis zu dem Gebäude der Müllerschen Stiftung auf dem Plan von 1882. Den Breiten Weg überschritt die Befestigungslinie bei Nr. 70, wo ein Turmfundament zum Vorschein kam33. Der Breite Weg war als Abstell- und Einkehrstraße gedacht. Auf seine ein­ hundertfünfundneunzig Häuser entfielen im 17. Jahrhundert neunundsiebzig Brau- und 31

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Die königliche Pfalz wird wiederholt in den Urkunden genannt: »actum Magadoburg pa­ latio regio« (946), UB Erzbistum, S.17, Nr.12. »palatio«, ebenda S.55, Nr.38 und S.56, Nr. 59 (965). - Schenkungsurkunde an die Kaufleute in Burg, ebenda S.475 f., Nr. 362. Die Datierung verdanke ich Herrn Hans-Joachim Mrusek in Halle. Fr. Hülße, Der Umfang des ältesten Magdeburg und dessen allmählicher Erweiterung, Festschrift 1891, S. 52.

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für die Domburg des 10. Jahrhunderts anzunehmen ist, oder schloß sie bereits die St. Jo­ hannis- und Sebastianskirche mit ein, wie es nach der Entstehung der geschlossenen Stadt der Fall war (von der Leiterstraße ab nach Süden)? Schlagbalken und Vorzieh­ ketten trennten das Immunitätsgebiet von der Bürgerstadt noch das ganze Mittelalter hindurch28. Der vom Annalista Saxo überlieferte Mauerbau Geros kann sich natürlich ebensogut auf die Befestigung der erzbischöflichen Freiheit, vor allem deren Nordseite beziehen, wie auf den Verteidigungsring der Marktsiedlung. Erzbischof Hunfrid (1023-1051) erbaute die Kirche St. Petri und St. Nikolai am Dom, die um 1108 von Erzbischof Adelsot zu einem Stift erhoben wird. Die Auflösung des gemeinsamen Lebens hat auch in Magdeburg im 11. Jahrhundert begonnen. Der Propst des Erzstiftes Friedrich hat 1063 die Kapelle in seinem Hof wiedererrichtet. Dieser stand damals also seit längerer Zeit. Eine Schenkung Heinrichs IV. (1064) zeigt bereits die einzelnen Präbenden ausgeschieden?®. Die Kurien der Domherren lagen in Magdeburg recht verstreut in der Domimmunität, teils am Breiten Weg, am Domplatz nur sehr wenige, teils in der Domstraße und Fürstenwallstraße; aber auch in der Post-, Regie­ rungs- und Gouvernementstraße standen einige. Eine Reihe von Kurien befand sich sogar außerhalb der Befestigung in der Vorstadt Sudenburg im Süden des Domes, die 1551 niedergerissen wurde; darunter auch die Domdechantei, während die Dompropstei zwischen Breiter Weg und Domplatz stand (etwa Domplatz 10). Das Aussehen des Domplatzes im Mittelalter kann man nur annähernd rekonstruie­ ren. Die geschlossenen und begradigten Platzwände im Osten, Westen und Norden ka­ men erst im Spätbarock zustande®°. Der Häuserblock zwischen Domstraße, Breiten Weg und der Befestigung fehlte ganz. Den Westabschluß des Platzes bildete die weitläufige Dompropstei, der sich seit 1510 nach Norden das Nikolausstift anschloß, zum Teil auf ehemaligem Gelände der Propstei, da die alte Kirche des Stiftes dem gotischen Westbau des Domes weichen mußte. Die neue St. Nikolaus-Kirche kam in die Nordwestecke des Platzes zu liegen. Der Häuserblock zwischen Domplatz und Kreuzgangstraße (Domplatz 7-9) fehlte wieder. Auf der Ostseite stand der erzbischöfliche Hof mit der St. Gangolfs-Kirche und dem Marstall. Der Domplatz war also im Mittelalter weit unregelmäßiger und lockerer bebaut. Der gewaltigen Masse des Domes in der Süd­ ostecke ordneten sich die übrigen Gebäude des Platzes ganz unter. Ursprünglich war dieser nichts anderes als der Pfalzplatz vor dem palatium des Königs und von 968 ab des Erzbischofs. Von einer Verwendung als Friedhof ist nie die Rede. Dagegen läßt sich früh die Benutzung als Jahrmarkt belegen. 1179 verleiht Erzbischof Wichmann den Kaufleuten von Burg zwanzig Budenplätze während der Magdeburger Messe »iuxta 28

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G. Hertel, Geschichte des Domplatzes in Magdeburg, Geschichtsblätter 38, 1903, S. 214. Erich Weber, Das Domkapitel von Magdeburg bis zum Jahre 1567, Halle 1912, Diss. S.15. Seit 1347 umfaßte das Kapitel 36 Kanoniker. MG SS XIV, S. 400. »Nam Fredericus maioris domus prepositus ... alteram vero in curte sua dilapsam reedificaverat.« - Das Magde­ burger Kapitel besaß Ende des 15. Jhs. 15, Anfang des 16. 28 Kurien, davon 25 mit einer Kapelle. (E. Weber, Das Domkapitel, S. 30f.) Eine Untersuchung der Magdeburger Kurien steht noch aus. Eine Descriptio curiarum claustralium befindet sich im Landesarchiv Magde­ burg Cop. 10of., 11 ff, aus dem Beginn des 16. Jhs. Zur Lage der einzelnen Domherrnhöfe vgl. E. Neubauer, Häuserbuch, Teil II. G. Hertel, Gesch. d. Domplatzes, S. 209 ff. - E. Neubauer, Häuserbuch, Teil II, S. 26 ff. Die Breite Straße wurde 1707 angelegt, nachdem im Jahre vorher die Dompropstei abge­ brochen worden war. Die Häuser Domplatz 7-9 erstanden von 1725 an.

sepem maioris prepositi«31. Kurz hinterher wird der Name »Neumarkt« für den Domplatz aufgekommen sein. Er wurde für bestimmte Zeit bei Jahrmärkten und Messen dem Marktverkehr geöffnet. Kaufleute hatten hier niemals ihren Wohnsitz; ihnen dienten die Buden zum Feilbieten ihrer Waren. Der Hauptmarkt blieb der Alte Markt bei der Johannis-Kirche. Der jüngere Neumarkt besaß nur sekundäre Bedeutung. Im Osten des Domes und des Bischofshofes hat sich noch ein Stück der Immuni­ tätsbefestigung erhalten, das auch auf den Stadtveduten des 16. und 17. Jahrhunderts zu erkennen ist (im Garten Fürstenwall 3b). Die ältesten unteren Schichten in Bruch­ steinmauerwerk aus roter Grauwacke, das mit großen Quadern und langen Bindern durchsetzt ist, reichen aber kaum über das 15. Jahrhundert zurück®?. Die äußere Befestigungsmauer am Elbufer entstand hier erst 1525. Die Tore der ottonischen Domburg werden in den Quellen nicht genannt. Eines lag. wohl im Zuge der Regie­ rungsstraße, etwa bei der Einmündung der großen Klostergasse. Ein zweites vermittelte sicher den Zugang vom Breiten Weg her. Die »Düstere Pforte« neben dem Dom ist nur ein Nebentor, das in erster Linie den außerhalb der Domburg gelegenen Kurien diente. Die Ansichtsseite der Stadt richtet sich nach Osten. Der Ufersteilhang gibt den Sockel für die Stadtsilhouette ab. Fast alle Kirchenbauten des 10. und 11. Jahrhunderts stehen ganz dicht am Uferrand, um sich in eindrucksvoller Größe darzubieten. Ihre Ostung bewirkt die Gleichrichtung der Achsen, so daß die Chorwand der Schauseite zugedreht wird. Die Streuung der Kirchen um die beiden befestigten Zentren von Dom­ burg und Markt kommt in Magdeburg weniger deutlich zum Ausdruck als bei anderen ottonischen Städten. Nur Kloster Berge und das St. Johannis- und Sebastians-Stift liegen außerhalb der Immunität. Eindrucksvoll gelangt dagegen die Weiträumigkeit der otto­ nischen Stadtanlage zur Geltung. Vom Kloster Berge bis zum Nordrand der Markt­ siedlung beträgt die Entfernung etwa zwei Kilometer in der Luftlinie. Nur ungenau läßt sich der Zeitpunkt angeben, an dem die beiden befestigten Beringe zu einem einzigen geschlossenen Stadtgebiet zusammenwuchsen. Eine trapez­ förmige Stadtmauer mit dem Breiten Weg als Nord-Süd-Achse nahm die beiden otto­ nischen Kerne auf. Die neue Süd- (Oranienstraße) und Westgrenze (zwischen Kaiser­ straße und Prälaten- bezw. Kutscherstraße) blieben durch das ganze Mittelalter hindurch unverändert erhalten. Die Nordgrenze, die schon im frühen 13. Jahrhundert bei einer Stadterweiterung hinausgeschoben wurde, hat Otto von Guericke überliefert. Sie zog von dem Hünenturm beim Maria-Magdalenen-Kloster, der noch auf den Stadtansichten des 16. und 17. Jahrhunderts zu sehen ist, in ziemlich gerader Linie nach Westen, etwa bis zu dem Gebäude der Müllerschen Stiftung auf dem Plan von 1882. Den Breiten Weg überschritt die Befestigungslinie bei Nr. 70, wo ein Turmfundament zum Vorschein kam33. Der Breite Weg war als Abstell- und Einkehrstraße gedacht. Auf seine ein­ hundertfünfundneunzig Häuser entfielen im 17. Jahrhundert neunundsiebzig Brau- und 31

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Die königliche Pfalz wird wiederholt in den Urkunden genannt: »actum Magadoburg pa­ latio regio« (946), UB Erzbistum, S.17, Nr.12. »palatio«, ebenda S.55, Nr.38 und S.56, Nr. 59 (965). - Schenkungsurkunde an die Kaufleute in Burg, ebenda S.475 f., Nr. 362. Die Datierung verdanke ich Herrn Hans-Joachim Mrusek in Halle. Fr. Hülße, Der Umfang des ältesten Magdeburg und dessen allmählicher Erweiterung, Festschrift 1891, S. 52.

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Gasthäuser. Seine Breite erreichte 20-30 Meter. Das neue Viertel um die St. Ulrichs­ Pfarrkirche enthielt vor allem die Höfe des Patriziats und des Adels34. Bis in jüngste Zeit wird diese bedeutende Stadtanlage von tausend Meter Länge und fünfhundert Meter Breite um die Jahrtausendwende angesetzt. Eine Reihe von Gründen sprechen aber dagegen. Die geschichtliche Lage brachte um die Jahrtausendwende Magdeburg keinen Aufschwung seines wirtschaftlichen Lebens, sondern im Gegenteil eine der schwersten Krisen seines Bestehens. Der furchtbare Rückschlag von 985 und der Verlust der ostelbischen Gebiete zwangen den Handel, sich nach dem Westen zu richten. Jetzt erfolgten die Marktgründungen in Halberstadt, Quedlinburg, Merseburg, Naumburg, wohl unter Beteiligung Magdeburger Kaufleute. Die Vita des hl. Adalbert entwirft ein düsteres Bild: »Die ehrwürdige Stadt, ehedem weit und breit unter den Völkern berühmt und eine von den großen Städten, solange Otto I. das Szepter führte, ist jetzt ein halbverwüsteter Ort und ein unsicherer Aufenthalt für Schiffer36.« Unter solchen Verhältnissen hätte eine so riesige Befestigung weder errichtet noch verteidigt werden können. Die Mauerführung der Immunitätsbefestigung auf der Nordseite, die bogenförmig vom Breiten Weg zum Uferhang vorspringt, läßt sich nur verstehen als Erweiterung, um das Stift U.L.Frau einzubeziehen. Da dieses aber erst 1017/18 ge­ gründet wurde, kann die Domburg und Markt umziehende Mauer damals noch nicht bestanden haben, da sich die Immunitätsbefestigung dann erübrigt hätte. Wie wäre es außerdem möglich gewesen, dem neuen Stift einen so umfangreichen Besitz zuzuweisen, der den größten Teil des Landes zwischen Domburg und Marktsiedlung einbegriff, wenn dieses Gebiet damals schon besiedelt gewesen wäre? Von einer Stadtbevölkerung, wie sie das 12. Jahrhundert kennt, ist in ottonischer Zeit noch nicht die Rede. Eine Kauf­ mannssiedlung von solcher Größe, die selbst die Kölner Marktvorstadt um ein Viel­ faches überträfe, ist um die Jahrtausendwende im Osten unmöglich. So führt schon die Frage nach den Einwohnern dieser Gesamtstadt dazu, ihr Bestehen im frühen 11. Jahr­ hundert zu bezweifeln. Im 12. Jahrhundert hat sich dagegen die Lage völlig verändert. In seiner ersten Hälfte wird in Niedersachsen der Schritt zur geschlossenen Stadt gewagt. Auf Goslar (spätestens 1108) folgen Hildesheim und Quedlinburg (um 1125-50), Naumburg und Merseburg (um 1150-40). Halle, die zweitbedeutendste Stadt des Erzstiftes, erhielt zwischen 1118 und 1124 unter dem Burggrafen Wiprecht von Groitzsch seinen Befesti­ gungsring, der so umfassend war, daß bis in das 19. Jahrhundert keine Stadterweiterung mehr notwendig wurde37. Magdeburg wird gegenüber Halle kaum zurückgestanden haben. Andererseits war in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die geschlossene Stadt auf alle Fälle vorhanden; denn 1188 verzeichnet die Schöppenchronik einen Stadtbrand vom Schrotdorfer Tor bis zur St. Johannis- und Sebastians-Kirche38• 34

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E. Neubauer, Häuserbuch, Teil I, S. 28. - Helene Penner, Die Magdeburger Pfarrkirchen im Mittelalter, Diss. Halle o. J. (Manuskript), S. 14 ff. F, Rörig, Die Entstehung Magdeburgs, S. 150. MG SS IV, S. 582: ».. . urbs quondam nota populis, et una ex magnis urbibus, dum primus Otto sceptra regalia rexit; nunc autem pro peccatis semiruta domus, et malefida statio nautis.« Rolf Hünicken, Geschichte der Stadt Halle, Halle 1941, S. 43. Vgl. Schwineköper S. 440, Anm. 221. Magdeburger Schöppenchronik, hrg. von Karl Janicke, Leipzig 1869 (Deutsche Städtechroniken VII), S. 120.

HALBERSTADT

(Abbildungen 4 u. 5, Tafel 2)

Für das Gebiet im Norden und Nordosten des Harzes errichtete Karl der Große in Seligenstadt ( = Osterwieck) ein Stift als Missionsmittelpunkt. Seine Leitung übertrug er zu Beginn des 9. Jahrhunderts dem fränkischen Bischof Hildegrim von Chälons, dem Bruder des hl. Liudger. Die Gründung des Stephans-Stiftes war 780 oder 781 erfolgt, wie die Quedlinburger Annalen und die Gesta episcoporum Halberstadensium berich­ ten1. Wahrscheinlich hat Bischof Hildegrim selbst noch den Missionssitz von Osterwieck nach Halberstadt2 verlegt, etwa 50 km weiter nach Südosten. Vielleicht lockte die günstige Lage des leicht zu befestigenden und zu verteidigenden Hügels unmittelbar an der großen West-Ost-Straße vom Rhein zur Elbe. In Gandersheim trafen sich die Straßen von Köln und Mainz. »Der Verkehr zur Elbe ging über die »Alte Straße nördlich von Harlingerode, ohne ursprünglich regel­ mäßig Goslar und mit Sicherheit ohne Harzburg zu berühren, über Stapelberg, Vecken­ stedt nach Osterwieck und Halberstadt« und von dort weiter nach Magdeburg3. Dieser Weg reicht in vorkarolingische Zeit zurück. Von Nordwesten führte eine Straße von Braunschweig her über Willmar, Dardesleben auf Halberstadt zu und erreichte hier die West-Ost-Straße. Sie scheint die ältere Straße über Kissenbrücdk-Hornburg-Osterwieck bereits gegen 900 abgelöst zu haben. Die Verkehrslage war für die Übersiedlung nach Halberstadt sicher nicht allein ausschlaggebend; denn Osterwieck lag keineswegs un1

2

3

Walter Möllenberg, Zur Frage der Gründung des Bistums Halberstadt, Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde 50, 1917, S.101 ff. - K. Lindecke, Die Anfänge des Bistums Halberstadt, ebenda, 18, 1885, S. 353ff. - Erich Müller, Die Ent­ stehungsgescdhichte d. sächs. Bistümer unter Karl d. Gr., Hildesheim u. Leipzig 1958 (Quel­ len u. Darstellgn. z. Gesch. Niedersachsens 47), S. 84ff. - Quedl. Annalen: MG SS III, S. 58. - Gesta episc. Halb.: MG SS XXIII, S. 78 u. XXX, S. 20. Die Literatur zusammengestellt im Deutschen Städtebuch, hgb. von Erich Keyser, Bd. II, Stuttgart u. Berlin 1941, S. 517 ff. - Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunst­ denkmäler der Kreise Halberstadt Land und Stadt, bearb. von Oskar Döring, Halle 1902, gibt verhältnismäßig reiche Hinweise zur Stadtbaugeschichte. - Eine neuere wissenschaft­ lich zureichende Stadtgeschichte und -baugeschichte fehlt. Grundlegend für die geschicht­ liche Entwicklung: W. Varges, Verfassungsgeschichte für die Stadt Halberstadt im Mittel­ alter, Zeitschr. d. Harzvereins 29, 1896, S. 81ff. und S. 416ff. - R. Sinning, Die städtebauliche Entwicklung von Alt-Halberstadt, Die Denkmalpflege 14, 1912, S. 89-92 gibt nur einen allgemeinen kurzen Überblick, der mehr von dem gegenwärtigen Stadtbild ausgeht als von dem historischen Werden. Die Urkunden sind gesammelt bei Gustav Schmidt, Urkundenbuch des Hochstifts Halb. 4 Bde., der Stadt Halb. 2 Bde., der Stifter 1 Bd., Halle 1878 bis 1889. - Siegfried Rietschel, Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verhältnis, Leipzig 1897, S. 65 ff. Fritz Timme, Ostsachsens früher Verkehr und die Entstehung alter Handelsplätze, Braun­ schweigische Heimat 36, 1950 (als Festgabe zum 52. Niedersachsen-Tag 1950), S. 112 ff. G. Arndt, Halberstadt. Handelsstraßen und älteste Handelsverbindungen, Montagsblatt der Magdeburger Zeitung 1907, Nr. 35. 27

Gasthäuser. Seine Breite erreichte 20-30 Meter. Das neue Viertel um die St. Ulrichs­ Pfarrkirche enthielt vor allem die Höfe des Patriziats und des Adels34. Bis in jüngste Zeit wird diese bedeutende Stadtanlage von tausend Meter Länge und fünfhundert Meter Breite um die Jahrtausendwende angesetzt. Eine Reihe von Gründen sprechen aber dagegen. Die geschichtliche Lage brachte um die Jahrtausendwende Magdeburg keinen Aufschwung seines wirtschaftlichen Lebens, sondern im Gegenteil eine der schwersten Krisen seines Bestehens. Der furchtbare Rückschlag von 985 und der Verlust der ostelbischen Gebiete zwangen den Handel, sich nach dem Westen zu richten. Jetzt erfolgten die Marktgründungen in Halberstadt, Quedlinburg, Merseburg, Naumburg, wohl unter Beteiligung Magdeburger Kaufleute. Die Vita des hl. Adalbert entwirft ein düsteres Bild: »Die ehrwürdige Stadt, ehedem weit und breit unter den Völkern berühmt und eine von den großen Städten, solange Otto I. das Szepter führte, ist jetzt ein halbverwüsteter Ort und ein unsicherer Aufenthalt für Schiffer36.« Unter solchen Verhältnissen hätte eine so riesige Befestigung weder errichtet noch verteidigt werden können. Die Mauerführung der Immunitätsbefestigung auf der Nordseite, die bogenförmig vom Breiten Weg zum Uferhang vorspringt, läßt sich nur verstehen als Erweiterung, um das Stift U.L.Frau einzubeziehen. Da dieses aber erst 1017/18 ge­ gründet wurde, kann die Domburg und Markt umziehende Mauer damals noch nicht bestanden haben, da sich die Immunitätsbefestigung dann erübrigt hätte. Wie wäre es außerdem möglich gewesen, dem neuen Stift einen so umfangreichen Besitz zuzuweisen, der den größten Teil des Landes zwischen Domburg und Marktsiedlung einbegriff, wenn dieses Gebiet damals schon besiedelt gewesen wäre? Von einer Stadtbevölkerung, wie sie das 12. Jahrhundert kennt, ist in ottonischer Zeit noch nicht die Rede. Eine Kauf­ mannssiedlung von solcher Größe, die selbst die Kölner Marktvorstadt um ein Viel­ faches überträfe, ist um die Jahrtausendwende im Osten unmöglich. So führt schon die Frage nach den Einwohnern dieser Gesamtstadt dazu, ihr Bestehen im frühen 11. Jahr­ hundert zu bezweifeln. Im 12. Jahrhundert hat sich dagegen die Lage völlig verändert. In seiner ersten Hälfte wird in Niedersachsen der Schritt zur geschlossenen Stadt gewagt. Auf Goslar (spätestens 1108) folgen Hildesheim und Quedlinburg (um 1125-50), Naumburg und Merseburg (um 1150-40). Halle, die zweitbedeutendste Stadt des Erzstiftes, erhielt zwischen 1118 und 1124 unter dem Burggrafen Wiprecht von Groitzsch seinen Befesti­ gungsring, der so umfassend war, daß bis in das 19. Jahrhundert keine Stadterweiterung mehr notwendig wurde37. Magdeburg wird gegenüber Halle kaum zurückgestanden haben. Andererseits war in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die geschlossene Stadt auf alle Fälle vorhanden; denn 1188 verzeichnet die Schöppenchronik einen Stadtbrand vom Schrotdorfer Tor bis zur St. Johannis- und Sebastians-Kirche38• 34

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E. Neubauer, Häuserbuch, Teil I, S. 28. - Helene Penner, Die Magdeburger Pfarrkirchen im Mittelalter, Diss. Halle o. J. (Manuskript), S. 14 ff. F, Rörig, Die Entstehung Magdeburgs, S. 150. MG SS IV, S. 582: ».. . urbs quondam nota populis, et una ex magnis urbibus, dum primus Otto sceptra regalia rexit; nunc autem pro peccatis semiruta domus, et malefida statio nautis.« Rolf Hünicken, Geschichte der Stadt Halle, Halle 1941, S. 43. Vgl. Schwineköper S. 440, Anm. 221. Magdeburger Schöppenchronik, hrg. von Karl Janicke, Leipzig 1869 (Deutsche Städtechroniken VII), S. 120.

HALBERSTADT

(Abbildungen 4 u. 5, Tafel 2)

Für das Gebiet im Norden und Nordosten des Harzes errichtete Karl der Große in Seligenstadt ( = Osterwieck) ein Stift als Missionsmittelpunkt. Seine Leitung übertrug er zu Beginn des 9. Jahrhunderts dem fränkischen Bischof Hildegrim von Chälons, dem Bruder des hl. Liudger. Die Gründung des Stephans-Stiftes war 780 oder 781 erfolgt, wie die Quedlinburger Annalen und die Gesta episcoporum Halberstadensium berich­ ten1. Wahrscheinlich hat Bischof Hildegrim selbst noch den Missionssitz von Osterwieck nach Halberstadt2 verlegt, etwa 50 km weiter nach Südosten. Vielleicht lockte die günstige Lage des leicht zu befestigenden und zu verteidigenden Hügels unmittelbar an der großen West-Ost-Straße vom Rhein zur Elbe. In Gandersheim trafen sich die Straßen von Köln und Mainz. »Der Verkehr zur Elbe ging über die »Alte Straße nördlich von Harlingerode, ohne ursprünglich regel­ mäßig Goslar und mit Sicherheit ohne Harzburg zu berühren, über Stapelberg, Vecken­ stedt nach Osterwieck und Halberstadt« und von dort weiter nach Magdeburg3. Dieser Weg reicht in vorkarolingische Zeit zurück. Von Nordwesten führte eine Straße von Braunschweig her über Willmar, Dardesleben auf Halberstadt zu und erreichte hier die West-Ost-Straße. Sie scheint die ältere Straße über Kissenbrücdk-Hornburg-Osterwieck bereits gegen 900 abgelöst zu haben. Die Verkehrslage war für die Übersiedlung nach Halberstadt sicher nicht allein ausschlaggebend; denn Osterwieck lag keineswegs un1

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Walter Möllenberg, Zur Frage der Gründung des Bistums Halberstadt, Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde 50, 1917, S.101 ff. - K. Lindecke, Die Anfänge des Bistums Halberstadt, ebenda, 18, 1885, S. 353ff. - Erich Müller, Die Ent­ stehungsgescdhichte d. sächs. Bistümer unter Karl d. Gr., Hildesheim u. Leipzig 1958 (Quel­ len u. Darstellgn. z. Gesch. Niedersachsens 47), S. 84ff. - Quedl. Annalen: MG SS III, S. 58. - Gesta episc. Halb.: MG SS XXIII, S. 78 u. XXX, S. 20. Die Literatur zusammengestellt im Deutschen Städtebuch, hgb. von Erich Keyser, Bd. II, Stuttgart u. Berlin 1941, S. 517 ff. - Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunst­ denkmäler der Kreise Halberstadt Land und Stadt, bearb. von Oskar Döring, Halle 1902, gibt verhältnismäßig reiche Hinweise zur Stadtbaugeschichte. - Eine neuere wissenschaft­ lich zureichende Stadtgeschichte und -baugeschichte fehlt. Grundlegend für die geschicht­ liche Entwicklung: W. Varges, Verfassungsgeschichte für die Stadt Halberstadt im Mittel­ alter, Zeitschr. d. Harzvereins 29, 1896, S. 81ff. und S. 416ff. - R. Sinning, Die städtebauliche Entwicklung von Alt-Halberstadt, Die Denkmalpflege 14, 1912, S. 89-92 gibt nur einen allgemeinen kurzen Überblick, der mehr von dem gegenwärtigen Stadtbild ausgeht als von dem historischen Werden. Die Urkunden sind gesammelt bei Gustav Schmidt, Urkundenbuch des Hochstifts Halb. 4 Bde., der Stadt Halb. 2 Bde., der Stifter 1 Bd., Halle 1878 bis 1889. - Siegfried Rietschel, Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verhältnis, Leipzig 1897, S. 65 ff. Fritz Timme, Ostsachsens früher Verkehr und die Entstehung alter Handelsplätze, Braun­ schweigische Heimat 36, 1950 (als Festgabe zum 52. Niedersachsen-Tag 1950), S. 112 ff. G. Arndt, Halberstadt. Handelsstraßen und älteste Handelsverbindungen, Montagsblatt der Magdeburger Zeitung 1907, Nr. 35. 27

Kriege haben eine Reihe von größeren und zum Teil sehr großen Höfen um den Alten Markt nachweisen können. Zum Beispiel bildete der Baublock zwischen Großer und Kleiner Junkerstraße und Johannisberg ein einziges Anwesen14. Anstelle der König­ lichen Intendantur auf dem Plane von 1882 kamen zu Beginn unseres Jahrhunderts Mauerüberreste zu Tage, die damals als Stadtmauern angesprochen wurden, die aber nichts anderes als die Erdgeschoßwände eines großen Adelshofes darstellen, zu dem wohl noch ein Teil des Platzes an der Hauptwache gehörte". 1176 besaß das Kloster Berge den sogenannten Burg'schen Hof bei der Spiegelbrücke16. Diese zum Teil ungewöhnlich stattlichen Anwesen, die noch im Hausstellenplan von 1882 ihre Spuren hinterlassen haben, befanden sich nicht in den Händen der Kaufleute, sondern - wie der Hof Geros zeigt - des Adels und der Kirche. Die Platzwände des heutigen Alten Marktes haben mit dem ottonischen Markt wenig zu tun. Sie wurden erst nach der Zerstörung von 1631 begradigt''. Der Markt des 10. Jahrhunderts hat sich auch nicht so weit nach Westen ausgedehnt wie der hoch­ mittelalterliche Markt. Gegenüber den älteren Beobachtungen von Stadtmauerresten ist Vorsicht geboten; allzu leicht kam es vor, daß Grundmauern größerer Höfe als Stadtbefestigung ange­ sprochen wurden, wie der Aufsatz von O. Peters zeigt. Nach dem letzten Weltkriege kamen einige Stellen zum Vorschein, die dem Mauerwerk nach weiter zurückreichen könnten. Aus ihnen, den Geländeverhältnissen, den Hausstellengrenzen und der Straßenführung ergibt sich etwa folgender Verlauf des Befestigungsringes um den Alten Markt18: Die Mauer schloß den Alten Markt etwas östlich der Buttergasse zwischen Alter Markt 25 und 24 ab, überquerte den Katzensprung, bog vor der Apfelstraße fast im rechten Winkel nach Osten um, kreuzte Apfelstraße und Neuen Weg und sprang bei der Großen Marktstraße halbkreisförmig zurück. Ostlich der Stephansbrücke er­ reichte sie das Steilufer. Auf der Ostseite mußte die Befestigung dem Terrassenrand folgen, der der Stephansbrücke entlang bis zum Johannisberg läuft, an der Südseite der Johanniskirche zurückspringt und längs der Johannisfahrtstraße bis zum Einschnitt der Berliner Straße (früher Kuhförder- oder Kuhstraße) führt. Hier wendete sich die Be­ festigungslinie offenbar wieder nach Westen, überquerte die Große Junker- und die Schmiedehofstraße, lenkte im Bogen, die Dreienbretzelstraße überschneidend, nach Norden ein und mündete entlang den Hausstellengrenzen zwischen Schuhbrücke­ Schwibbogen unnd Lödiscdhe Hof-Straße wieder am Alten Markt ein. 14 15

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Ich verdanke diesen Hinweis Hans-Joachim Mrusek. O. Peters, Die älteste Stadtmauer Magdeburgs, Geschichtsblätter 40, 1905, S. 33 ff. Haupt­ wache 5 und 6. Die Innenseiten des doppelten Mauerzuges von je etwa 1m Stärke waren sorgfältig geglättet! Eine Kapelle lag vor der äußeren Wand. UB Erzstift, S. 462 f., Nr. 550, »curia que ecclesie sancti Johannis in Monte pertinet et foro civitatis Magdeburgensis commode adiacet«. E. Neubauer, Häuserbuch Teil I, S. XV. Alter Markt 5-14. Vgl. Begründung und Beschreibung des Mauerzuges bei Hans-Joachim Mrusek. Damit schien die alte Frage nach dem ersten Mauerring (O. Peters, Geschichtsblätter 40, 1905, S. 42ff. - Friedr. Hülße, Der Umfang des ältesten Magdeburg und dessen allmähliche Erweiterung, Festschr. zur 25jährigen Jubelfeier d. Ver. f. Gesch. u. Altertumskunde Magdeb. 1891, S. 49 ff. - E. Wolfrom, S. 1 ff.) endgültig gelöst zu sein, doch erhob die For­ schung dagegen Bedenken (Schwineköper S. 442). Mehrere Sackgassen (z.B. Warthe, zwei in der Spiegelbrücke auf dem Plan 0. v. Guerickes) lassen sich nur durch die Nähe der Mauer erklären.

BARDOWICK

ASCHERSLEBEN

HALLE

400 (O

s00

l.4litt.i

1

Dom

Abb. 1. Magdeburg im 11. Jahrhundert

2 Liebfrauenstift 3 St. Johannis u. Sebastian

4 St. Johannis am Alten Markt 5 St. Ambrosius in der Sudenburg 6 Kloster Berge

Kriege haben eine Reihe von größeren und zum Teil sehr großen Höfen um den Alten Markt nachweisen können. Zum Beispiel bildete der Baublock zwischen Großer und Kleiner Junkerstraße und Johannisberg ein einziges Anwesen14. Anstelle der König­ lichen Intendantur auf dem Plane von 1882 kamen zu Beginn unseres Jahrhunderts Mauerüberreste zu Tage, die damals als Stadtmauern angesprochen wurden, die aber nichts anderes als die Erdgeschoßwände eines großen Adelshofes darstellen, zu dem wohl noch ein Teil des Platzes an der Hauptwache gehörte". 1176 besaß das Kloster Berge den sogenannten Burg'schen Hof bei der Spiegelbrücke16. Diese zum Teil ungewöhnlich stattlichen Anwesen, die noch im Hausstellenplan von 1882 ihre Spuren hinterlassen haben, befanden sich nicht in den Händen der Kaufleute, sondern - wie der Hof Geros zeigt - des Adels und der Kirche. Die Platzwände des heutigen Alten Marktes haben mit dem ottonischen Markt wenig zu tun. Sie wurden erst nach der Zerstörung von 1631 begradigt''. Der Markt des 10. Jahrhunderts hat sich auch nicht so weit nach Westen ausgedehnt wie der hoch­ mittelalterliche Markt. Gegenüber den älteren Beobachtungen von Stadtmauerresten ist Vorsicht geboten; allzu leicht kam es vor, daß Grundmauern größerer Höfe als Stadtbefestigung ange­ sprochen wurden, wie der Aufsatz von O. Peters zeigt. Nach dem letzten Weltkriege kamen einige Stellen zum Vorschein, die dem Mauerwerk nach weiter zurückreichen könnten. Aus ihnen, den Geländeverhältnissen, den Hausstellengrenzen und der Straßenführung ergibt sich etwa folgender Verlauf des Befestigungsringes um den Alten Markt18: Die Mauer schloß den Alten Markt etwas östlich der Buttergasse zwischen Alter Markt 25 und 24 ab, überquerte den Katzensprung, bog vor der Apfelstraße fast im rechten Winkel nach Osten um, kreuzte Apfelstraße und Neuen Weg und sprang bei der Großen Marktstraße halbkreisförmig zurück. Ostlich der Stephansbrücke er­ reichte sie das Steilufer. Auf der Ostseite mußte die Befestigung dem Terrassenrand folgen, der der Stephansbrücke entlang bis zum Johannisberg läuft, an der Südseite der Johanniskirche zurückspringt und längs der Johannisfahrtstraße bis zum Einschnitt der Berliner Straße (früher Kuhförder- oder Kuhstraße) führt. Hier wendete sich die Be­ festigungslinie offenbar wieder nach Westen, überquerte die Große Junker- und die Schmiedehofstraße, lenkte im Bogen, die Dreienbretzelstraße überschneidend, nach Norden ein und mündete entlang den Hausstellengrenzen zwischen Schuhbrücke­ Schwibbogen unnd Lödiscdhe Hof-Straße wieder am Alten Markt ein. 14 15

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Ich verdanke diesen Hinweis Hans-Joachim Mrusek. O. Peters, Die älteste Stadtmauer Magdeburgs, Geschichtsblätter 40, 1905, S. 33 ff. Haupt­ wache 5 und 6. Die Innenseiten des doppelten Mauerzuges von je etwa 1m Stärke waren sorgfältig geglättet! Eine Kapelle lag vor der äußeren Wand. UB Erzstift, S. 462 f., Nr. 550, »curia que ecclesie sancti Johannis in Monte pertinet et foro civitatis Magdeburgensis commode adiacet«. E. Neubauer, Häuserbuch Teil I, S. XV. Alter Markt 5-14. Vgl. Begründung und Beschreibung des Mauerzuges bei Hans-Joachim Mrusek. Damit schien die alte Frage nach dem ersten Mauerring (O. Peters, Geschichtsblätter 40, 1905, S. 42ff. - Friedr. Hülße, Der Umfang des ältesten Magdeburg und dessen allmähliche Erweiterung, Festschr. zur 25jährigen Jubelfeier d. Ver. f. Gesch. u. Altertumskunde Magdeb. 1891, S. 49 ff. - E. Wolfrom, S. 1 ff.) endgültig gelöst zu sein, doch erhob die For­ schung dagegen Bedenken (Schwineköper S. 442). Mehrere Sackgassen (z.B. Warthe, zwei in der Spiegelbrücke auf dem Plan 0. v. Guerickes) lassen sich nur durch die Nähe der Mauer erklären.

BARDOWICK

ASCHERSLEBEN

HALLE

400 (O

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Dom

Abb. 1. Magdeburg im 11. Jahrhundert

2 Liebfrauenstift 3 St. Johannis u. Sebastian

4 St. Johannis am Alten Markt 5 St. Ambrosius in der Sudenburg 6 Kloster Berge

Die genaue Datierung des gefundenen Befestigungszuges bietet allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Handelt es sich um die Grenze der Marktsiedlung Ottos I. oder um einen späteren Mauerring vor der Anlage der geschlossenen Stadt, vielleicht jenen, den Erzbischof Gero (1012-1025) vollenden ließ? Der unregelmäßige Mauerverlauf, die Ein­ beziehung zahlreicher Höfe, die verhältnismäßig umfangreiche umschlossene Fläche, die über den Bedarf einer Kaufleutesiedlung hinausgeht, geben der Vermutung Raum, daß wir es nicht mit der ursprünglichen Begrenzung des Marktviertels Ottos I. zu tun haben, sondern eher mit einer nachträglichen Befestigung, die sich nach bereits bestehenden Gebäuden richten mußte. Ein Mauerschutz wurde seit dem Slawenaufstand 983 und dem Verlust des ostelbischen Raumes notwendig. Der merkwürdige, halbkreisförmige Rücksprung in der Großen Marktstraße scheint durch eine Verteidigungsanlage bedingt zu sein, die sich an der Stelle des Maria-Magda­ lenen-Klosters befand und die günstige Lage neben Petriförder und Ufersteilhang aus­ nützte. Daß hier der Burggraf seinen Sitz hatte, ist seit Walter Möllenbergs Nachweis eines Burggrafenhofes im 12. Jahrhundert in der Domimmunität nicht mehr aufrecht­ zuhalten19. Aber wie es in Merseburg zwei Burgen zur gleichen Zeit gab, ließen sich auch für Magdeburg ähnliche Verhältnisse denken. Funde konnten bisher diese Ver­ mutung nicht erhärten. Weit mehr als von der ottonischen Marktsiedlung läßt sich von der Domimmunität aussagen. Als es Otto dem Großen endlich gelang, das bevorzugte Familienkloster St. Moritz zur erzbischöflichen Kathedrale zu erheben (968) und den Ort für wenige Jahre zum kirchlichen Mittelpunkt der slawischen Welt zu machen, konnte dies nicht ohne Rückwirkung auf die bauliche Gestalt der Klosterimmunität bleiben. Das Moritz­ kloster wurde Sitz des Erzstiftes. Für die verdrängten Benediktinermönche errichtete Otto ein neues Kloster im Südosten von Magdeburg, ebenfalls am Rande der Ufer­ terrasse gelegen, das Kloster Berge, dessen Kirche dem hl. Johannis dem Täufer geweiht wurde. 965 erfolgten Dotierung und Weihe, 969 konnte es die Mönche des Moritz­ klosters aufnehmen?°, Es liegt 110o Meter in der Luftlinie vom Dom entfernt. Auch die Bischofskirche in der Südostecke der Immunität wendete ihren Chor dem Strome zu. Ihre Osttürme standen wohl in Verbindung mit der Immunitätsbefestigung?". Im Süden des Domes schlossen sich die Stiftsgebäude an. Das palatium des Königs nahm nun den Erzbischof auf; es stand auf der Nordseite des Doms am Rande des Steilufers. Im Mittelalter erhielt der erzbischöfliche Hof den Namen Moshaus (Domplatz 1 und 2). Die Palast-Kapelle??, die mit ihm verbunden war, weihte Erzbischof Tagino (1004-1012). Es war eine Rundkapelle, deren ursprüngliches Patrozinium St. Maria sich neben dem späteren St. Gangolf behauptete. Sie geht viel19 20 21 22

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Geschichtsblätter 55, 1920, S. 18, Anm. 29 u. S. 20, Anm. 51. - Ders., Magdeburg um 80o, S. 17. Der Hof stieß an das Liebfrauenkloster. Hertel-Hülße, Geschichte d. Stadt Magdeb., Bd. 1, S. 21. - Holstein, Gesta abb. Berg., Ge­ schichtsblätter 5. - Ders. UB des Klosters Berge, Geschichtsquellen der Provinz Sachsen, 9. Bd. Hermann Giesau, Der Chor des Domes zu Magdeb., Sachsen u. Anhalt, Jahrb. d. hist. Komm. 4, 1928, S. 297, Anm. 6. Schwineköper S. 406, Anm. 66. - Vor der Westseite des Domes hat nie ein Zentralbau be­ standen, wie man hartnäckig behauptete. (Vgl. Hans Kunze, Der Dom Ottos d. Gr. in Magdeb., Geschichtsblätter 65, 1930, S.19. - W. Greischel, Die Baukunst der Ottonen, Magdeburg in der Politik der deutschen Kaiser, S. 144 ff. - A. Koch, Die Rundkirche am alten Dom zu Magdeburg, Das Münster 8, 1955, S. 12 f.)

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3.00

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1 Dom 2 Liebfrauenstift 3 St. Johannis u. Sebastian 4 St. Nikolaus (seit 14. Jh.) 5 St. Johannis 6 Rathaus 7 Ehem. Kloster St. Maria Magdalena (Hünenturm) 8 St. Petri 9 St. Ulrich 10 Düstere Pforte

A Alter Markt

B C D E F G H

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K L M N O P Q R

Domplatz = Neumarkt Breiter Weg Am alten Brücktor Große Klostergasse Hl. Geist-Straße Steinstraße Poststraße Kreuzgangstraße Gouvernementstraße Regierungsstraße Fürstenwallstraße Fürstenstraße Leiterstraße Prälatenstraße Kutscherstraße Petriförder

Abb.

2.

Magdeburg. Nach dem Guericke-Plan von

1652

Die genaue Datierung des gefundenen Befestigungszuges bietet allerdings erhebliche Schwierigkeiten. Handelt es sich um die Grenze der Marktsiedlung Ottos I. oder um einen späteren Mauerring vor der Anlage der geschlossenen Stadt, vielleicht jenen, den Erzbischof Gero (1012-1025) vollenden ließ? Der unregelmäßige Mauerverlauf, die Ein­ beziehung zahlreicher Höfe, die verhältnismäßig umfangreiche umschlossene Fläche, die über den Bedarf einer Kaufleutesiedlung hinausgeht, geben der Vermutung Raum, daß wir es nicht mit der ursprünglichen Begrenzung des Marktviertels Ottos I. zu tun haben, sondern eher mit einer nachträglichen Befestigung, die sich nach bereits bestehenden Gebäuden richten mußte. Ein Mauerschutz wurde seit dem Slawenaufstand 983 und dem Verlust des ostelbischen Raumes notwendig. Der merkwürdige, halbkreisförmige Rücksprung in der Großen Marktstraße scheint durch eine Verteidigungsanlage bedingt zu sein, die sich an der Stelle des Maria-Magda­ lenen-Klosters befand und die günstige Lage neben Petriförder und Ufersteilhang aus­ nützte. Daß hier der Burggraf seinen Sitz hatte, ist seit Walter Möllenbergs Nachweis eines Burggrafenhofes im 12. Jahrhundert in der Domimmunität nicht mehr aufrecht­ zuhalten19. Aber wie es in Merseburg zwei Burgen zur gleichen Zeit gab, ließen sich auch für Magdeburg ähnliche Verhältnisse denken. Funde konnten bisher diese Ver­ mutung nicht erhärten. Weit mehr als von der ottonischen Marktsiedlung läßt sich von der Domimmunität aussagen. Als es Otto dem Großen endlich gelang, das bevorzugte Familienkloster St. Moritz zur erzbischöflichen Kathedrale zu erheben (968) und den Ort für wenige Jahre zum kirchlichen Mittelpunkt der slawischen Welt zu machen, konnte dies nicht ohne Rückwirkung auf die bauliche Gestalt der Klosterimmunität bleiben. Das Moritz­ kloster wurde Sitz des Erzstiftes. Für die verdrängten Benediktinermönche errichtete Otto ein neues Kloster im Südosten von Magdeburg, ebenfalls am Rande der Ufer­ terrasse gelegen, das Kloster Berge, dessen Kirche dem hl. Johannis dem Täufer geweiht wurde. 965 erfolgten Dotierung und Weihe, 969 konnte es die Mönche des Moritz­ klosters aufnehmen?°, Es liegt 110o Meter in der Luftlinie vom Dom entfernt. Auch die Bischofskirche in der Südostecke der Immunität wendete ihren Chor dem Strome zu. Ihre Osttürme standen wohl in Verbindung mit der Immunitätsbefestigung?". Im Süden des Domes schlossen sich die Stiftsgebäude an. Das palatium des Königs nahm nun den Erzbischof auf; es stand auf der Nordseite des Doms am Rande des Steilufers. Im Mittelalter erhielt der erzbischöfliche Hof den Namen Moshaus (Domplatz 1 und 2). Die Palast-Kapelle??, die mit ihm verbunden war, weihte Erzbischof Tagino (1004-1012). Es war eine Rundkapelle, deren ursprüngliches Patrozinium St. Maria sich neben dem späteren St. Gangolf behauptete. Sie geht viel19 20 21 22

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Geschichtsblätter 55, 1920, S. 18, Anm. 29 u. S. 20, Anm. 51. - Ders., Magdeburg um 80o, S. 17. Der Hof stieß an das Liebfrauenkloster. Hertel-Hülße, Geschichte d. Stadt Magdeb., Bd. 1, S. 21. - Holstein, Gesta abb. Berg., Ge­ schichtsblätter 5. - Ders. UB des Klosters Berge, Geschichtsquellen der Provinz Sachsen, 9. Bd. Hermann Giesau, Der Chor des Domes zu Magdeb., Sachsen u. Anhalt, Jahrb. d. hist. Komm. 4, 1928, S. 297, Anm. 6. Schwineköper S. 406, Anm. 66. - Vor der Westseite des Domes hat nie ein Zentralbau be­ standen, wie man hartnäckig behauptete. (Vgl. Hans Kunze, Der Dom Ottos d. Gr. in Magdeb., Geschichtsblätter 65, 1930, S.19. - W. Greischel, Die Baukunst der Ottonen, Magdeburg in der Politik der deutschen Kaiser, S. 144 ff. - A. Koch, Die Rundkirche am alten Dom zu Magdeburg, Das Münster 8, 1955, S. 12 f.)

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1 Dom 2 Liebfrauenstift 3 St. Johannis u. Sebastian 4 St. Nikolaus (seit 14. Jh.) 5 St. Johannis 6 Rathaus 7 Ehem. Kloster St. Maria Magdalena (Hünenturm) 8 St. Petri 9 St. Ulrich 10 Düstere Pforte

A Alter Markt

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Domplatz = Neumarkt Breiter Weg Am alten Brücktor Große Klostergasse Hl. Geist-Straße Steinstraße Poststraße Kreuzgangstraße Gouvernementstraße Regierungsstraße Fürstenwallstraße Fürstenstraße Leiterstraße Prälatenstraße Kutscherstraße Petriförder

Abb.

2.

Magdeburg. Nach dem Guericke-Plan von

1652

leicht noch auf die Pfalz-Kapelle Ottos des Großen zurück?. Ein Gang auf hohen Arka­ den führte seit dem 13. Jahrhundert von der Pfalz in den Emporengang des Domchores. Er ist noch auf den ältesten Stadtansichten zu erkennen, ebenso ein viereckiger Turm, der sich neben dem Saalbau erhob24• Domplatz 3 befand sich der Marstall. In Rottersdorf, unweit außerhalb der Domburg, gründete Otto der Große an einem Straßenschnittpunkt ein Xenodochium (Fremden- und Armenherberge) mit einer Kirche aus rotem Holz, die 1015 durch Blitzschlag zerstört wurde?®. Daraufhin wurde es in die urbs verlegt - ein Immunitätsspital wie in Augsburg, Bremen, Straßburg usw. Im Süden war der Domburg ein suburbium vorgelagert, die Sudenburg, deren Pfarr­ kirche St. Ambrosius noch in ottonische Zeit zurückreicht?®. Sie stand kaum mehr als 100 m von der Kathedralkirche entfernt. Wahrscheinlich ist sie mit Thietmars »Kirche aus rotem Holz« gleichzusetzen. Vor der Sudenburg stand im Mittelalter das Judendorf. 1545-50 wurde die Vorstadt endgültig zerstört. Ihr Gebiet ist bei den späteren Befesti­ gungsanlagen so gründlich verändert worden, daß man kaum noch Bodenfunde erwarten darf. Die frühe Erbauung der Pfarrkirche spricht für eine erhebliche Bedeutung der Siedlung, ebenso das Judendorf. Vielleicht gab es auch hier frühzeitig einen Markt. Während der Rückschlag von 983 die Marktsiedlung empfindlich treffen mußte, hat die Domburg schon im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends unter Erzbischof Gero (1012-1025) eine reiche Bautätigkeit entfaltet. Um 1017/18 gründete dieser das Kollegiatstift U. L. Frau. Ein weiteres Gebiet zwischen Dom und Marktsiedlung gehörte zu seinem Bereich?'. Der hl. Norbert verwandelte 1129 das Stift in ein Prämonstratenser­ Kloster. Jenseits des Breiten Weges erbaute Gero die St. Johannis- und Sebastians­ Kirche, an die sich ebenfalls ein Kollegiatstift anschloß. Die Gründung des Liebfrauenstiftes gab wohl Veranlassung, die Immunitätsbefesti­ gung zu erweitern. Zwischen Stein- und Poststraße fanden sich jüngst die Fundamente der Domburgmauer entlang der auffallenden, bogenförmigen Grundstücksgrenze, die auf die Große Klostergasse mündet. Diese selbst wird noch auf der Ansicht bei Braun und Hogenberg (1574) von zwei Mauern eingefaßt und im Osten von einem Tor abgeschlossen. In dem Bogen von der Großen Klostergasse bis zum Breiten Weg ver­ lief die Nordgrenze der Immunität nach der Gründung des Liebfrauenstiftes. Unsicher bleibt dagegen die Westgrenze. Hielt sie sich noch diesseits des Breiten Weges, wie es E. Neubauer, Häuserbuch Teil II, S. 32 f. - Ders., Das kirchliche Stadtbild Magdeburgs, S. 34. Vgl. die Abbildungen im Anhang zu Hertel-Hülße, Gescdh. d. Stadt Magdeb., Bd. 1. 25 Thietmari Chronicon, ed. Rob. Holtzmann, Berlin 1935, S. 382: »Diruit namque aecclesiam extra urbem positam, quae de rubro facta est ligno regnante primo Ottone.« 26 Fr. Tilger, Beiträge zur Geschichte der Sudenburg, Geschichtsblätter 72/73, 1937/38, S. 26. 27 W. Möllenberg, Aus der Geschichte des Klosters U.L. Frau zu Magdeburg, Geschichtsblätter 56-59, 1921/24, S. 116 ff. - Karl Weidel u. Hans Kunze, Das Kloster U. L. Frau in Magdeb. Augsburg 1925 (Germania sacra, Serie B, Ic), S. 2 u. 51: »Die Klosterfreiheit erstreckte sich einst von der Senke der heutigen Gouvernements- bis zur hl. Geist-, ja vielleicht in die Berliner Straße und senkte sich vom Zuge der heutigen Regierungsstraße und Tischler­ brücke in Terrassen abfallend bis zur Elbe herab.« - Den Klosterbesitz veranschaulicht der Lageplan bei Maximilian Modde, U. L. Frauen-Kloster, Magdeburg 1911. - Annalista Saxo, MG SS VI, S. 675/676 (ad. an. 1023): »et facto (per Geronem archiep.) infra urbem monasterio in hon. s. Marie ... et preposituram ibi constituit. Aliam ... ecclesiam in hon. b. Johannis evangeliste construxit et dedicavit, ... Muros etiam urbis, quos Otto imperator incepit, ipse perfecit ...« Ein Teil des Klosterbesitzes befand sich außerhalb der Immunitätsbefestigung.

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Abb. 3. Magdeburg. Ausschnitt des Alten Markt-Gebietes nach dem Katasterplan von 1882 1 St. Johannis 2 Rathaus 3 Königl. Intendantur 4 Ehem. Kloster St. Maria Magdalena

A B C D

Perorsrssosrsrneememn

4

Breiter Weg Alter Markt Johannisberg Knochenhaueruferstraße

E Am alten Brücktor F Berliner Straße (früher Kuhförder) G Kleine Junkerstraße H Große Junkerstraße J Schmiedehofstraße K Dreienbretzelstraße L Lödischehofstraße M Schwibbogen N Schuhbrücke

O P Q R S T U V W

Tischlerbrücke Buttergasse Katzensprung Apfelstraße Neuer Weg Große Marktstraße Stephansbrücke Spiegelbrücke Johannisfahrtstraße

leicht noch auf die Pfalz-Kapelle Ottos des Großen zurück?. Ein Gang auf hohen Arka­ den führte seit dem 13. Jahrhundert von der Pfalz in den Emporengang des Domchores. Er ist noch auf den ältesten Stadtansichten zu erkennen, ebenso ein viereckiger Turm, der sich neben dem Saalbau erhob24• Domplatz 3 befand sich der Marstall. In Rottersdorf, unweit außerhalb der Domburg, gründete Otto der Große an einem Straßenschnittpunkt ein Xenodochium (Fremden- und Armenherberge) mit einer Kirche aus rotem Holz, die 1015 durch Blitzschlag zerstört wurde?®. Daraufhin wurde es in die urbs verlegt - ein Immunitätsspital wie in Augsburg, Bremen, Straßburg usw. Im Süden war der Domburg ein suburbium vorgelagert, die Sudenburg, deren Pfarr­ kirche St. Ambrosius noch in ottonische Zeit zurückreicht?®. Sie stand kaum mehr als 100 m von der Kathedralkirche entfernt. Wahrscheinlich ist sie mit Thietmars »Kirche aus rotem Holz« gleichzusetzen. Vor der Sudenburg stand im Mittelalter das Judendorf. 1545-50 wurde die Vorstadt endgültig zerstört. Ihr Gebiet ist bei den späteren Befesti­ gungsanlagen so gründlich verändert worden, daß man kaum noch Bodenfunde erwarten darf. Die frühe Erbauung der Pfarrkirche spricht für eine erhebliche Bedeutung der Siedlung, ebenso das Judendorf. Vielleicht gab es auch hier frühzeitig einen Markt. Während der Rückschlag von 983 die Marktsiedlung empfindlich treffen mußte, hat die Domburg schon im zweiten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends unter Erzbischof Gero (1012-1025) eine reiche Bautätigkeit entfaltet. Um 1017/18 gründete dieser das Kollegiatstift U. L. Frau. Ein weiteres Gebiet zwischen Dom und Marktsiedlung gehörte zu seinem Bereich?'. Der hl. Norbert verwandelte 1129 das Stift in ein Prämonstratenser­ Kloster. Jenseits des Breiten Weges erbaute Gero die St. Johannis- und Sebastians­ Kirche, an die sich ebenfalls ein Kollegiatstift anschloß. Die Gründung des Liebfrauenstiftes gab wohl Veranlassung, die Immunitätsbefesti­ gung zu erweitern. Zwischen Stein- und Poststraße fanden sich jüngst die Fundamente der Domburgmauer entlang der auffallenden, bogenförmigen Grundstücksgrenze, die auf die Große Klostergasse mündet. Diese selbst wird noch auf der Ansicht bei Braun und Hogenberg (1574) von zwei Mauern eingefaßt und im Osten von einem Tor abgeschlossen. In dem Bogen von der Großen Klostergasse bis zum Breiten Weg ver­ lief die Nordgrenze der Immunität nach der Gründung des Liebfrauenstiftes. Unsicher bleibt dagegen die Westgrenze. Hielt sie sich noch diesseits des Breiten Weges, wie es E. Neubauer, Häuserbuch Teil II, S. 32 f. - Ders., Das kirchliche Stadtbild Magdeburgs, S. 34. Vgl. die Abbildungen im Anhang zu Hertel-Hülße, Gescdh. d. Stadt Magdeb., Bd. 1. 25 Thietmari Chronicon, ed. Rob. Holtzmann, Berlin 1935, S. 382: »Diruit namque aecclesiam extra urbem positam, quae de rubro facta est ligno regnante primo Ottone.« 26 Fr. Tilger, Beiträge zur Geschichte der Sudenburg, Geschichtsblätter 72/73, 1937/38, S. 26. 27 W. Möllenberg, Aus der Geschichte des Klosters U.L. Frau zu Magdeburg, Geschichtsblätter 56-59, 1921/24, S. 116 ff. - Karl Weidel u. Hans Kunze, Das Kloster U. L. Frau in Magdeb. Augsburg 1925 (Germania sacra, Serie B, Ic), S. 2 u. 51: »Die Klosterfreiheit erstreckte sich einst von der Senke der heutigen Gouvernements- bis zur hl. Geist-, ja vielleicht in die Berliner Straße und senkte sich vom Zuge der heutigen Regierungsstraße und Tischler­ brücke in Terrassen abfallend bis zur Elbe herab.« - Den Klosterbesitz veranschaulicht der Lageplan bei Maximilian Modde, U. L. Frauen-Kloster, Magdeburg 1911. - Annalista Saxo, MG SS VI, S. 675/676 (ad. an. 1023): »et facto (per Geronem archiep.) infra urbem monasterio in hon. s. Marie ... et preposituram ibi constituit. Aliam ... ecclesiam in hon. b. Johannis evangeliste construxit et dedicavit, ... Muros etiam urbis, quos Otto imperator incepit, ipse perfecit ...« Ein Teil des Klosterbesitzes befand sich außerhalb der Immunitätsbefestigung.

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Abb. 3. Magdeburg. Ausschnitt des Alten Markt-Gebietes nach dem Katasterplan von 1882 1 St. Johannis 2 Rathaus 3 Königl. Intendantur 4 Ehem. Kloster St. Maria Magdalena

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Breiter Weg Alter Markt Johannisberg Knochenhaueruferstraße

E Am alten Brücktor F Berliner Straße (früher Kuhförder) G Kleine Junkerstraße H Große Junkerstraße J Schmiedehofstraße K Dreienbretzelstraße L Lödischehofstraße M Schwibbogen N Schuhbrücke

O P Q R S T U V W

Tischlerbrücke Buttergasse Katzensprung Apfelstraße Neuer Weg Große Marktstraße Stephansbrücke Spiegelbrücke Johannisfahrtstraße

für die Domburg des 10. Jahrhunderts anzunehmen ist, oder schloß sie bereits die St. Jo­ hannis- und Sebastianskirche mit ein, wie es nach der Entstehung der geschlossenen Stadt der Fall war (von der Leiterstraße ab nach Süden)? Schlagbalken und Vorzieh­ ketten trennten das Immunitätsgebiet von der Bürgerstadt noch das ganze Mittelalter hindurch28. Der vom Annalista Saxo überlieferte Mauerbau Geros kann sich natürlich ebensogut auf die Befestigung der erzbischöflichen Freiheit, vor allem deren Nordseite beziehen, wie auf den Verteidigungsring der Marktsiedlung. Erzbischof Hunfrid (1023-1051) erbaute die Kirche St. Petri und St. Nikolai am Dom, die um 1108 von Erzbischof Adelsot zu einem Stift erhoben wird. Die Auflösung des gemeinsamen Lebens hat auch in Magdeburg im 11. Jahrhundert begonnen. Der Propst des Erzstiftes Friedrich hat 1063 die Kapelle in seinem Hof wiedererrichtet. Dieser stand damals also seit längerer Zeit. Eine Schenkung Heinrichs IV. (1064) zeigt bereits die einzelnen Präbenden ausgeschieden?®. Die Kurien der Domherren lagen in Magdeburg recht verstreut in der Domimmunität, teils am Breiten Weg, am Domplatz nur sehr wenige, teils in der Domstraße und Fürstenwallstraße; aber auch in der Post-, Regie­ rungs- und Gouvernementstraße standen einige. Eine Reihe von Kurien befand sich sogar außerhalb der Befestigung in der Vorstadt Sudenburg im Süden des Domes, die 1551 niedergerissen wurde; darunter auch die Domdechantei, während die Dompropstei zwischen Breiter Weg und Domplatz stand (etwa Domplatz 10). Das Aussehen des Domplatzes im Mittelalter kann man nur annähernd rekonstruie­ ren. Die geschlossenen und begradigten Platzwände im Osten, Westen und Norden ka­ men erst im Spätbarock zustande®°. Der Häuserblock zwischen Domstraße, Breiten Weg und der Befestigung fehlte ganz. Den Westabschluß des Platzes bildete die weitläufige Dompropstei, der sich seit 1510 nach Norden das Nikolausstift anschloß, zum Teil auf ehemaligem Gelände der Propstei, da die alte Kirche des Stiftes dem gotischen Westbau des Domes weichen mußte. Die neue St. Nikolaus-Kirche kam in die Nordwestecke des Platzes zu liegen. Der Häuserblock zwischen Domplatz und Kreuzgangstraße (Domplatz 7-9) fehlte wieder. Auf der Ostseite stand der erzbischöfliche Hof mit der St. Gangolfs-Kirche und dem Marstall. Der Domplatz war also im Mittelalter weit unregelmäßiger und lockerer bebaut. Der gewaltigen Masse des Domes in der Süd­ ostecke ordneten sich die übrigen Gebäude des Platzes ganz unter. Ursprünglich war dieser nichts anderes als der Pfalzplatz vor dem palatium des Königs und von 968 ab des Erzbischofs. Von einer Verwendung als Friedhof ist nie die Rede. Dagegen läßt sich früh die Benutzung als Jahrmarkt belegen. 1179 verleiht Erzbischof Wichmann den Kaufleuten von Burg zwanzig Budenplätze während der Magdeburger Messe »iuxta 28

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G. Hertel, Geschichte des Domplatzes in Magdeburg, Geschichtsblätter 38, 1903, S. 214. Erich Weber, Das Domkapitel von Magdeburg bis zum Jahre 1567, Halle 1912, Diss. S.15. Seit 1347 umfaßte das Kapitel 36 Kanoniker. MG SS XIV, S. 400. »Nam Fredericus maioris domus prepositus ... alteram vero in curte sua dilapsam reedificaverat.« - Das Magde­ burger Kapitel besaß Ende des 15. Jhs. 15, Anfang des 16. 28 Kurien, davon 25 mit einer Kapelle. (E. Weber, Das Domkapitel, S. 30f.) Eine Untersuchung der Magdeburger Kurien steht noch aus. Eine Descriptio curiarum claustralium befindet sich im Landesarchiv Magde­ burg Cop. 10of., 11 ff, aus dem Beginn des 16. Jhs. Zur Lage der einzelnen Domherrnhöfe vgl. E. Neubauer, Häuserbuch, Teil II. G. Hertel, Gesch. d. Domplatzes, S. 209 ff. - E. Neubauer, Häuserbuch, Teil II, S. 26 ff. Die Breite Straße wurde 1707 angelegt, nachdem im Jahre vorher die Dompropstei abge­ brochen worden war. Die Häuser Domplatz 7-9 erstanden von 1725 an.

sepem maioris prepositi«31. Kurz hinterher wird der Name »Neumarkt« für den Domplatz aufgekommen sein. Er wurde für bestimmte Zeit bei Jahrmärkten und Messen dem Marktverkehr geöffnet. Kaufleute hatten hier niemals ihren Wohnsitz; ihnen dienten die Buden zum Feilbieten ihrer Waren. Der Hauptmarkt blieb der Alte Markt bei der Johannis-Kirche. Der jüngere Neumarkt besaß nur sekundäre Bedeutung. Im Osten des Domes und des Bischofshofes hat sich noch ein Stück der Immuni­ tätsbefestigung erhalten, das auch auf den Stadtveduten des 16. und 17. Jahrhunderts zu erkennen ist (im Garten Fürstenwall 3b). Die ältesten unteren Schichten in Bruch­ steinmauerwerk aus roter Grauwacke, das mit großen Quadern und langen Bindern durchsetzt ist, reichen aber kaum über das 15. Jahrhundert zurück®?. Die äußere Befestigungsmauer am Elbufer entstand hier erst 1525. Die Tore der ottonischen Domburg werden in den Quellen nicht genannt. Eines lag. wohl im Zuge der Regie­ rungsstraße, etwa bei der Einmündung der großen Klostergasse. Ein zweites vermittelte sicher den Zugang vom Breiten Weg her. Die »Düstere Pforte« neben dem Dom ist nur ein Nebentor, das in erster Linie den außerhalb der Domburg gelegenen Kurien diente. Die Ansichtsseite der Stadt richtet sich nach Osten. Der Ufersteilhang gibt den Sockel für die Stadtsilhouette ab. Fast alle Kirchenbauten des 10. und 11. Jahrhunderts stehen ganz dicht am Uferrand, um sich in eindrucksvoller Größe darzubieten. Ihre Ostung bewirkt die Gleichrichtung der Achsen, so daß die Chorwand der Schauseite zugedreht wird. Die Streuung der Kirchen um die beiden befestigten Zentren von Dom­ burg und Markt kommt in Magdeburg weniger deutlich zum Ausdruck als bei anderen ottonischen Städten. Nur Kloster Berge und das St. Johannis- und Sebastians-Stift liegen außerhalb der Immunität. Eindrucksvoll gelangt dagegen die Weiträumigkeit der otto­ nischen Stadtanlage zur Geltung. Vom Kloster Berge bis zum Nordrand der Markt­ siedlung beträgt die Entfernung etwa zwei Kilometer in der Luftlinie. Nur ungenau läßt sich der Zeitpunkt angeben, an dem die beiden befestigten Beringe zu einem einzigen geschlossenen Stadtgebiet zusammenwuchsen. Eine trapez­ förmige Stadtmauer mit dem Breiten Weg als Nord-Süd-Achse nahm die beiden otto­ nischen Kerne auf. Die neue Süd- (Oranienstraße) und Westgrenze (zwischen Kaiser­ straße und Prälaten- bezw. Kutscherstraße) blieben durch das ganze Mittelalter hindurch unverändert erhalten. Die Nordgrenze, die schon im frühen 13. Jahrhundert bei einer Stadterweiterung hinausgeschoben wurde, hat Otto von Guericke überliefert. Sie zog von dem Hünenturm beim Maria-Magdalenen-Kloster, der noch auf den Stadtansichten des 16. und 17. Jahrhunderts zu sehen ist, in ziemlich gerader Linie nach Westen, etwa bis zu dem Gebäude der Müllerschen Stiftung auf dem Plan von 1882. Den Breiten Weg überschritt die Befestigungslinie bei Nr. 70, wo ein Turmfundament zum Vorschein kam33. Der Breite Weg war als Abstell- und Einkehrstraße gedacht. Auf seine ein­ hundertfünfundneunzig Häuser entfielen im 17. Jahrhundert neunundsiebzig Brau- und 31

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Die königliche Pfalz wird wiederholt in den Urkunden genannt: »actum Magadoburg pa­ latio regio« (946), UB Erzbistum, S.17, Nr.12. »palatio«, ebenda S.55, Nr.38 und S.56, Nr. 59 (965). - Schenkungsurkunde an die Kaufleute in Burg, ebenda S.475 f., Nr. 362. Die Datierung verdanke ich Herrn Hans-Joachim Mrusek in Halle. Fr. Hülße, Der Umfang des ältesten Magdeburg und dessen allmählicher Erweiterung, Festschrift 1891, S. 52.

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für die Domburg des 10. Jahrhunderts anzunehmen ist, oder schloß sie bereits die St. Jo­ hannis- und Sebastianskirche mit ein, wie es nach der Entstehung der geschlossenen Stadt der Fall war (von der Leiterstraße ab nach Süden)? Schlagbalken und Vorzieh­ ketten trennten das Immunitätsgebiet von der Bürgerstadt noch das ganze Mittelalter hindurch28. Der vom Annalista Saxo überlieferte Mauerbau Geros kann sich natürlich ebensogut auf die Befestigung der erzbischöflichen Freiheit, vor allem deren Nordseite beziehen, wie auf den Verteidigungsring der Marktsiedlung. Erzbischof Hunfrid (1023-1051) erbaute die Kirche St. Petri und St. Nikolai am Dom, die um 1108 von Erzbischof Adelsot zu einem Stift erhoben wird. Die Auflösung des gemeinsamen Lebens hat auch in Magdeburg im 11. Jahrhundert begonnen. Der Propst des Erzstiftes Friedrich hat 1063 die Kapelle in seinem Hof wiedererrichtet. Dieser stand damals also seit längerer Zeit. Eine Schenkung Heinrichs IV. (1064) zeigt bereits die einzelnen Präbenden ausgeschieden?®. Die Kurien der Domherren lagen in Magdeburg recht verstreut in der Domimmunität, teils am Breiten Weg, am Domplatz nur sehr wenige, teils in der Domstraße und Fürstenwallstraße; aber auch in der Post-, Regie­ rungs- und Gouvernementstraße standen einige. Eine Reihe von Kurien befand sich sogar außerhalb der Befestigung in der Vorstadt Sudenburg im Süden des Domes, die 1551 niedergerissen wurde; darunter auch die Domdechantei, während die Dompropstei zwischen Breiter Weg und Domplatz stand (etwa Domplatz 10). Das Aussehen des Domplatzes im Mittelalter kann man nur annähernd rekonstruie­ ren. Die geschlossenen und begradigten Platzwände im Osten, Westen und Norden ka­ men erst im Spätbarock zustande®°. Der Häuserblock zwischen Domstraße, Breiten Weg und der Befestigung fehlte ganz. Den Westabschluß des Platzes bildete die weitläufige Dompropstei, der sich seit 1510 nach Norden das Nikolausstift anschloß, zum Teil auf ehemaligem Gelände der Propstei, da die alte Kirche des Stiftes dem gotischen Westbau des Domes weichen mußte. Die neue St. Nikolaus-Kirche kam in die Nordwestecke des Platzes zu liegen. Der Häuserblock zwischen Domplatz und Kreuzgangstraße (Domplatz 7-9) fehlte wieder. Auf der Ostseite stand der erzbischöfliche Hof mit der St. Gangolfs-Kirche und dem Marstall. Der Domplatz war also im Mittelalter weit unregelmäßiger und lockerer bebaut. Der gewaltigen Masse des Domes in der Süd­ ostecke ordneten sich die übrigen Gebäude des Platzes ganz unter. Ursprünglich war dieser nichts anderes als der Pfalzplatz vor dem palatium des Königs und von 968 ab des Erzbischofs. Von einer Verwendung als Friedhof ist nie die Rede. Dagegen läßt sich früh die Benutzung als Jahrmarkt belegen. 1179 verleiht Erzbischof Wichmann den Kaufleuten von Burg zwanzig Budenplätze während der Magdeburger Messe »iuxta 28

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G. Hertel, Geschichte des Domplatzes in Magdeburg, Geschichtsblätter 38, 1903, S. 214. Erich Weber, Das Domkapitel von Magdeburg bis zum Jahre 1567, Halle 1912, Diss. S.15. Seit 1347 umfaßte das Kapitel 36 Kanoniker. MG SS XIV, S. 400. »Nam Fredericus maioris domus prepositus ... alteram vero in curte sua dilapsam reedificaverat.« - Das Magde­ burger Kapitel besaß Ende des 15. Jhs. 15, Anfang des 16. 28 Kurien, davon 25 mit einer Kapelle. (E. Weber, Das Domkapitel, S. 30f.) Eine Untersuchung der Magdeburger Kurien steht noch aus. Eine Descriptio curiarum claustralium befindet sich im Landesarchiv Magde­ burg Cop. 10of., 11 ff, aus dem Beginn des 16. Jhs. Zur Lage der einzelnen Domherrnhöfe vgl. E. Neubauer, Häuserbuch, Teil II. G. Hertel, Gesch. d. Domplatzes, S. 209 ff. - E. Neubauer, Häuserbuch, Teil II, S. 26 ff. Die Breite Straße wurde 1707 angelegt, nachdem im Jahre vorher die Dompropstei abge­ brochen worden war. Die Häuser Domplatz 7-9 erstanden von 1725 an.

sepem maioris prepositi«31. Kurz hinterher wird der Name »Neumarkt« für den Domplatz aufgekommen sein. Er wurde für bestimmte Zeit bei Jahrmärkten und Messen dem Marktverkehr geöffnet. Kaufleute hatten hier niemals ihren Wohnsitz; ihnen dienten die Buden zum Feilbieten ihrer Waren. Der Hauptmarkt blieb der Alte Markt bei der Johannis-Kirche. Der jüngere Neumarkt besaß nur sekundäre Bedeutung. Im Osten des Domes und des Bischofshofes hat sich noch ein Stück der Immuni­ tätsbefestigung erhalten, das auch auf den Stadtveduten des 16. und 17. Jahrhunderts zu erkennen ist (im Garten Fürstenwall 3b). Die ältesten unteren Schichten in Bruch­ steinmauerwerk aus roter Grauwacke, das mit großen Quadern und langen Bindern durchsetzt ist, reichen aber kaum über das 15. Jahrhundert zurück®?. Die äußere Befestigungsmauer am Elbufer entstand hier erst 1525. Die Tore der ottonischen Domburg werden in den Quellen nicht genannt. Eines lag. wohl im Zuge der Regie­ rungsstraße, etwa bei der Einmündung der großen Klostergasse. Ein zweites vermittelte sicher den Zugang vom Breiten Weg her. Die »Düstere Pforte« neben dem Dom ist nur ein Nebentor, das in erster Linie den außerhalb der Domburg gelegenen Kurien diente. Die Ansichtsseite der Stadt richtet sich nach Osten. Der Ufersteilhang gibt den Sockel für die Stadtsilhouette ab. Fast alle Kirchenbauten des 10. und 11. Jahrhunderts stehen ganz dicht am Uferrand, um sich in eindrucksvoller Größe darzubieten. Ihre Ostung bewirkt die Gleichrichtung der Achsen, so daß die Chorwand der Schauseite zugedreht wird. Die Streuung der Kirchen um die beiden befestigten Zentren von Dom­ burg und Markt kommt in Magdeburg weniger deutlich zum Ausdruck als bei anderen ottonischen Städten. Nur Kloster Berge und das St. Johannis- und Sebastians-Stift liegen außerhalb der Immunität. Eindrucksvoll gelangt dagegen die Weiträumigkeit der otto­ nischen Stadtanlage zur Geltung. Vom Kloster Berge bis zum Nordrand der Markt­ siedlung beträgt die Entfernung etwa zwei Kilometer in der Luftlinie. Nur ungenau läßt sich der Zeitpunkt angeben, an dem die beiden befestigten Beringe zu einem einzigen geschlossenen Stadtgebiet zusammenwuchsen. Eine trapez­ förmige Stadtmauer mit dem Breiten Weg als Nord-Süd-Achse nahm die beiden otto­ nischen Kerne auf. Die neue Süd- (Oranienstraße) und Westgrenze (zwischen Kaiser­ straße und Prälaten- bezw. Kutscherstraße) blieben durch das ganze Mittelalter hindurch unverändert erhalten. Die Nordgrenze, die schon im frühen 13. Jahrhundert bei einer Stadterweiterung hinausgeschoben wurde, hat Otto von Guericke überliefert. Sie zog von dem Hünenturm beim Maria-Magdalenen-Kloster, der noch auf den Stadtansichten des 16. und 17. Jahrhunderts zu sehen ist, in ziemlich gerader Linie nach Westen, etwa bis zu dem Gebäude der Müllerschen Stiftung auf dem Plan von 1882. Den Breiten Weg überschritt die Befestigungslinie bei Nr. 70, wo ein Turmfundament zum Vorschein kam33. Der Breite Weg war als Abstell- und Einkehrstraße gedacht. Auf seine ein­ hundertfünfundneunzig Häuser entfielen im 17. Jahrhundert neunundsiebzig Brau- und 31

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Die königliche Pfalz wird wiederholt in den Urkunden genannt: »actum Magadoburg pa­ latio regio« (946), UB Erzbistum, S.17, Nr.12. »palatio«, ebenda S.55, Nr.38 und S.56, Nr. 59 (965). - Schenkungsurkunde an die Kaufleute in Burg, ebenda S.475 f., Nr. 362. Die Datierung verdanke ich Herrn Hans-Joachim Mrusek in Halle. Fr. Hülße, Der Umfang des ältesten Magdeburg und dessen allmählicher Erweiterung, Festschrift 1891, S. 52.

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Gasthäuser. Seine Breite erreichte 20-30 Meter. Das neue Viertel um die St. Ulrichs­ Pfarrkirche enthielt vor allem die Höfe des Patriziats und des Adels34. Bis in jüngste Zeit wird diese bedeutende Stadtanlage von tausend Meter Länge und fünfhundert Meter Breite um die Jahrtausendwende angesetzt. Eine Reihe von Gründen sprechen aber dagegen. Die geschichtliche Lage brachte um die Jahrtausendwende Magdeburg keinen Aufschwung seines wirtschaftlichen Lebens, sondern im Gegenteil eine der schwersten Krisen seines Bestehens. Der furchtbare Rückschlag von 985 und der Verlust der ostelbischen Gebiete zwangen den Handel, sich nach dem Westen zu richten. Jetzt erfolgten die Marktgründungen in Halberstadt, Quedlinburg, Merseburg, Naumburg, wohl unter Beteiligung Magdeburger Kaufleute. Die Vita des hl. Adalbert entwirft ein düsteres Bild: »Die ehrwürdige Stadt, ehedem weit und breit unter den Völkern berühmt und eine von den großen Städten, solange Otto I. das Szepter führte, ist jetzt ein halbverwüsteter Ort und ein unsicherer Aufenthalt für Schiffer36.« Unter solchen Verhältnissen hätte eine so riesige Befestigung weder errichtet noch verteidigt werden können. Die Mauerführung der Immunitätsbefestigung auf der Nordseite, die bogenförmig vom Breiten Weg zum Uferhang vorspringt, läßt sich nur verstehen als Erweiterung, um das Stift U.L.Frau einzubeziehen. Da dieses aber erst 1017/18 ge­ gründet wurde, kann die Domburg und Markt umziehende Mauer damals noch nicht bestanden haben, da sich die Immunitätsbefestigung dann erübrigt hätte. Wie wäre es außerdem möglich gewesen, dem neuen Stift einen so umfangreichen Besitz zuzuweisen, der den größten Teil des Landes zwischen Domburg und Marktsiedlung einbegriff, wenn dieses Gebiet damals schon besiedelt gewesen wäre? Von einer Stadtbevölkerung, wie sie das 12. Jahrhundert kennt, ist in ottonischer Zeit noch nicht die Rede. Eine Kauf­ mannssiedlung von solcher Größe, die selbst die Kölner Marktvorstadt um ein Viel­ faches überträfe, ist um die Jahrtausendwende im Osten unmöglich. So führt schon die Frage nach den Einwohnern dieser Gesamtstadt dazu, ihr Bestehen im frühen 11. Jahr­ hundert zu bezweifeln. Im 12. Jahrhundert hat sich dagegen die Lage völlig verändert. In seiner ersten Hälfte wird in Niedersachsen der Schritt zur geschlossenen Stadt gewagt. Auf Goslar (spätestens 1108) folgen Hildesheim und Quedlinburg (um 1125-50), Naumburg und Merseburg (um 1150-40). Halle, die zweitbedeutendste Stadt des Erzstiftes, erhielt zwischen 1118 und 1124 unter dem Burggrafen Wiprecht von Groitzsch seinen Befesti­ gungsring, der so umfassend war, daß bis in das 19. Jahrhundert keine Stadterweiterung mehr notwendig wurde37. Magdeburg wird gegenüber Halle kaum zurückgestanden haben. Andererseits war in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die geschlossene Stadt auf alle Fälle vorhanden; denn 1188 verzeichnet die Schöppenchronik einen Stadtbrand vom Schrotdorfer Tor bis zur St. Johannis- und Sebastians-Kirche38• 34

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E. Neubauer, Häuserbuch, Teil I, S. 28. - Helene Penner, Die Magdeburger Pfarrkirchen im Mittelalter, Diss. Halle o. J. (Manuskript), S. 14 ff. F, Rörig, Die Entstehung Magdeburgs, S. 150. MG SS IV, S. 582: ».. . urbs quondam nota populis, et una ex magnis urbibus, dum primus Otto sceptra regalia rexit; nunc autem pro peccatis semiruta domus, et malefida statio nautis.« Rolf Hünicken, Geschichte der Stadt Halle, Halle 1941, S. 43. Vgl. Schwineköper S. 440, Anm. 221. Magdeburger Schöppenchronik, hrg. von Karl Janicke, Leipzig 1869 (Deutsche Städtechroniken VII), S. 120.

HALBERSTADT

(Abbildungen 4 u. 5, Tafel 2)

Für das Gebiet im Norden und Nordosten des Harzes errichtete Karl der Große in Seligenstadt ( = Osterwieck) ein Stift als Missionsmittelpunkt. Seine Leitung übertrug er zu Beginn des 9. Jahrhunderts dem fränkischen Bischof Hildegrim von Chälons, dem Bruder des hl. Liudger. Die Gründung des Stephans-Stiftes war 780 oder 781 erfolgt, wie die Quedlinburger Annalen und die Gesta episcoporum Halberstadensium berich­ ten1. Wahrscheinlich hat Bischof Hildegrim selbst noch den Missionssitz von Osterwieck nach Halberstadt2 verlegt, etwa 50 km weiter nach Südosten. Vielleicht lockte die günstige Lage des leicht zu befestigenden und zu verteidigenden Hügels unmittelbar an der großen West-Ost-Straße vom Rhein zur Elbe. In Gandersheim trafen sich die Straßen von Köln und Mainz. »Der Verkehr zur Elbe ging über die »Alte Straße nördlich von Harlingerode, ohne ursprünglich regel­ mäßig Goslar und mit Sicherheit ohne Harzburg zu berühren, über Stapelberg, Vecken­ stedt nach Osterwieck und Halberstadt« und von dort weiter nach Magdeburg3. Dieser Weg reicht in vorkarolingische Zeit zurück. Von Nordwesten führte eine Straße von Braunschweig her über Willmar, Dardesleben auf Halberstadt zu und erreichte hier die West-Ost-Straße. Sie scheint die ältere Straße über Kissenbrücdk-Hornburg-Osterwieck bereits gegen 900 abgelöst zu haben. Die Verkehrslage war für die Übersiedlung nach Halberstadt sicher nicht allein ausschlaggebend; denn Osterwieck lag keineswegs un1

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Walter Möllenberg, Zur Frage der Gründung des Bistums Halberstadt, Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde 50, 1917, S.101 ff. - K. Lindecke, Die Anfänge des Bistums Halberstadt, ebenda, 18, 1885, S. 353ff. - Erich Müller, Die Ent­ stehungsgescdhichte d. sächs. Bistümer unter Karl d. Gr., Hildesheim u. Leipzig 1958 (Quel­ len u. Darstellgn. z. Gesch. Niedersachsens 47), S. 84ff. - Quedl. Annalen: MG SS III, S. 58. - Gesta episc. Halb.: MG SS XXIII, S. 78 u. XXX, S. 20. Die Literatur zusammengestellt im Deutschen Städtebuch, hgb. von Erich Keyser, Bd. II, Stuttgart u. Berlin 1941, S. 517 ff. - Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunst­ denkmäler der Kreise Halberstadt Land und Stadt, bearb. von Oskar Döring, Halle 1902, gibt verhältnismäßig reiche Hinweise zur Stadtbaugeschichte. - Eine neuere wissenschaft­ lich zureichende Stadtgeschichte und -baugeschichte fehlt. Grundlegend für die geschicht­ liche Entwicklung: W. Varges, Verfassungsgeschichte für die Stadt Halberstadt im Mittel­ alter, Zeitschr. d. Harzvereins 29, 1896, S. 81ff. und S. 416ff. - R. Sinning, Die städtebauliche Entwicklung von Alt-Halberstadt, Die Denkmalpflege 14, 1912, S. 89-92 gibt nur einen allgemeinen kurzen Überblick, der mehr von dem gegenwärtigen Stadtbild ausgeht als von dem historischen Werden. Die Urkunden sind gesammelt bei Gustav Schmidt, Urkundenbuch des Hochstifts Halb. 4 Bde., der Stadt Halb. 2 Bde., der Stifter 1 Bd., Halle 1878 bis 1889. - Siegfried Rietschel, Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verhältnis, Leipzig 1897, S. 65 ff. Fritz Timme, Ostsachsens früher Verkehr und die Entstehung alter Handelsplätze, Braun­ schweigische Heimat 36, 1950 (als Festgabe zum 52. Niedersachsen-Tag 1950), S. 112 ff. G. Arndt, Halberstadt. Handelsstraßen und älteste Handelsverbindungen, Montagsblatt der Magdeburger Zeitung 1907, Nr. 35. 27

Gasthäuser. Seine Breite erreichte 20-30 Meter. Das neue Viertel um die St. Ulrichs­ Pfarrkirche enthielt vor allem die Höfe des Patriziats und des Adels34. Bis in jüngste Zeit wird diese bedeutende Stadtanlage von tausend Meter Länge und fünfhundert Meter Breite um die Jahrtausendwende angesetzt. Eine Reihe von Gründen sprechen aber dagegen. Die geschichtliche Lage brachte um die Jahrtausendwende Magdeburg keinen Aufschwung seines wirtschaftlichen Lebens, sondern im Gegenteil eine der schwersten Krisen seines Bestehens. Der furchtbare Rückschlag von 985 und der Verlust der ostelbischen Gebiete zwangen den Handel, sich nach dem Westen zu richten. Jetzt erfolgten die Marktgründungen in Halberstadt, Quedlinburg, Merseburg, Naumburg, wohl unter Beteiligung Magdeburger Kaufleute. Die Vita des hl. Adalbert entwirft ein düsteres Bild: »Die ehrwürdige Stadt, ehedem weit und breit unter den Völkern berühmt und eine von den großen Städten, solange Otto I. das Szepter führte, ist jetzt ein halbverwüsteter Ort und ein unsicherer Aufenthalt für Schiffer36.« Unter solchen Verhältnissen hätte eine so riesige Befestigung weder errichtet noch verteidigt werden können. Die Mauerführung der Immunitätsbefestigung auf der Nordseite, die bogenförmig vom Breiten Weg zum Uferhang vorspringt, läßt sich nur verstehen als Erweiterung, um das Stift U.L.Frau einzubeziehen. Da dieses aber erst 1017/18 ge­ gründet wurde, kann die Domburg und Markt umziehende Mauer damals noch nicht bestanden haben, da sich die Immunitätsbefestigung dann erübrigt hätte. Wie wäre es außerdem möglich gewesen, dem neuen Stift einen so umfangreichen Besitz zuzuweisen, der den größten Teil des Landes zwischen Domburg und Marktsiedlung einbegriff, wenn dieses Gebiet damals schon besiedelt gewesen wäre? Von einer Stadtbevölkerung, wie sie das 12. Jahrhundert kennt, ist in ottonischer Zeit noch nicht die Rede. Eine Kauf­ mannssiedlung von solcher Größe, die selbst die Kölner Marktvorstadt um ein Viel­ faches überträfe, ist um die Jahrtausendwende im Osten unmöglich. So führt schon die Frage nach den Einwohnern dieser Gesamtstadt dazu, ihr Bestehen im frühen 11. Jahr­ hundert zu bezweifeln. Im 12. Jahrhundert hat sich dagegen die Lage völlig verändert. In seiner ersten Hälfte wird in Niedersachsen der Schritt zur geschlossenen Stadt gewagt. Auf Goslar (spätestens 1108) folgen Hildesheim und Quedlinburg (um 1125-50), Naumburg und Merseburg (um 1150-40). Halle, die zweitbedeutendste Stadt des Erzstiftes, erhielt zwischen 1118 und 1124 unter dem Burggrafen Wiprecht von Groitzsch seinen Befesti­ gungsring, der so umfassend war, daß bis in das 19. Jahrhundert keine Stadterweiterung mehr notwendig wurde37. Magdeburg wird gegenüber Halle kaum zurückgestanden haben. Andererseits war in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts die geschlossene Stadt auf alle Fälle vorhanden; denn 1188 verzeichnet die Schöppenchronik einen Stadtbrand vom Schrotdorfer Tor bis zur St. Johannis- und Sebastians-Kirche38• 34

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E. Neubauer, Häuserbuch, Teil I, S. 28. - Helene Penner, Die Magdeburger Pfarrkirchen im Mittelalter, Diss. Halle o. J. (Manuskript), S. 14 ff. F, Rörig, Die Entstehung Magdeburgs, S. 150. MG SS IV, S. 582: ».. . urbs quondam nota populis, et una ex magnis urbibus, dum primus Otto sceptra regalia rexit; nunc autem pro peccatis semiruta domus, et malefida statio nautis.« Rolf Hünicken, Geschichte der Stadt Halle, Halle 1941, S. 43. Vgl. Schwineköper S. 440, Anm. 221. Magdeburger Schöppenchronik, hrg. von Karl Janicke, Leipzig 1869 (Deutsche Städtechroniken VII), S. 120.

HALBERSTADT

(Abbildungen 4 u. 5, Tafel 2)

Für das Gebiet im Norden und Nordosten des Harzes errichtete Karl der Große in Seligenstadt ( = Osterwieck) ein Stift als Missionsmittelpunkt. Seine Leitung übertrug er zu Beginn des 9. Jahrhunderts dem fränkischen Bischof Hildegrim von Chälons, dem Bruder des hl. Liudger. Die Gründung des Stephans-Stiftes war 780 oder 781 erfolgt, wie die Quedlinburger Annalen und die Gesta episcoporum Halberstadensium berich­ ten1. Wahrscheinlich hat Bischof Hildegrim selbst noch den Missionssitz von Osterwieck nach Halberstadt2 verlegt, etwa 50 km weiter nach Südosten. Vielleicht lockte die günstige Lage des leicht zu befestigenden und zu verteidigenden Hügels unmittelbar an der großen West-Ost-Straße vom Rhein zur Elbe. In Gandersheim trafen sich die Straßen von Köln und Mainz. »Der Verkehr zur Elbe ging über die »Alte Straße nördlich von Harlingerode, ohne ursprünglich regel­ mäßig Goslar und mit Sicherheit ohne Harzburg zu berühren, über Stapelberg, Vecken­ stedt nach Osterwieck und Halberstadt« und von dort weiter nach Magdeburg3. Dieser Weg reicht in vorkarolingische Zeit zurück. Von Nordwesten führte eine Straße von Braunschweig her über Willmar, Dardesleben auf Halberstadt zu und erreichte hier die West-Ost-Straße. Sie scheint die ältere Straße über Kissenbrücdk-Hornburg-Osterwieck bereits gegen 900 abgelöst zu haben. Die Verkehrslage war für die Übersiedlung nach Halberstadt sicher nicht allein ausschlaggebend; denn Osterwieck lag keineswegs un1

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Walter Möllenberg, Zur Frage der Gründung des Bistums Halberstadt, Zeitschrift des Harzvereins für Geschichte und Altertumskunde 50, 1917, S.101 ff. - K. Lindecke, Die Anfänge des Bistums Halberstadt, ebenda, 18, 1885, S. 353ff. - Erich Müller, Die Ent­ stehungsgescdhichte d. sächs. Bistümer unter Karl d. Gr., Hildesheim u. Leipzig 1958 (Quel­ len u. Darstellgn. z. Gesch. Niedersachsens 47), S. 84ff. - Quedl. Annalen: MG SS III, S. 58. - Gesta episc. Halb.: MG SS XXIII, S. 78 u. XXX, S. 20. Die Literatur zusammengestellt im Deutschen Städtebuch, hgb. von Erich Keyser, Bd. II, Stuttgart u. Berlin 1941, S. 517 ff. - Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunst­ denkmäler der Kreise Halberstadt Land und Stadt, bearb. von Oskar Döring, Halle 1902, gibt verhältnismäßig reiche Hinweise zur Stadtbaugeschichte. - Eine neuere wissenschaft­ lich zureichende Stadtgeschichte und -baugeschichte fehlt. Grundlegend für die geschicht­ liche Entwicklung: W. Varges, Verfassungsgeschichte für die Stadt Halberstadt im Mittel­ alter, Zeitschr. d. Harzvereins 29, 1896, S. 81ff. und S. 416ff. - R. Sinning, Die städtebauliche Entwicklung von Alt-Halberstadt, Die Denkmalpflege 14, 1912, S. 89-92 gibt nur einen allgemeinen kurzen Überblick, der mehr von dem gegenwärtigen Stadtbild ausgeht als von dem historischen Werden. Die Urkunden sind gesammelt bei Gustav Schmidt, Urkundenbuch des Hochstifts Halb. 4 Bde., der Stadt Halb. 2 Bde., der Stifter 1 Bd., Halle 1878 bis 1889. - Siegfried Rietschel, Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verhältnis, Leipzig 1897, S. 65 ff. Fritz Timme, Ostsachsens früher Verkehr und die Entstehung alter Handelsplätze, Braun­ schweigische Heimat 36, 1950 (als Festgabe zum 52. Niedersachsen-Tag 1950), S. 112 ff. G. Arndt, Halberstadt. Handelsstraßen und älteste Handelsverbindungen, Montagsblatt der Magdeburger Zeitung 1907, Nr. 35. 27

günstig zu den Fernstraßen jener Zeit. Auch dort kreuzte eine West-Ost-Straße einen Weg in nordsüdlicher Richtung. Erst nach dem Tode Hildegrims (t 827) wurde Halberstadt selbständiger Bischofssitz. Den Dom weihte man 859 dem hl. Stephanus, der auch der Patron der Kathedrale von Chälons war. Hildegrim hatte selbst noch die Urpfarrkirchen der Diözese (die späteren Archidiakonatskirchen) festgelegt. Unter den 55 Hildegrimschen Gründungen finden sich nicht weniger als 21 Stephanskirchen*. Der hl. Liudger (t 809) hat die Kirche St. Johannis und Paulus begonnen, die nördlich neben dem Dom lag". Da bei den jüngsten Grabungen in der Domburg keine frühgeschichtlichen Kultur­ schichten angetroffen wurden und auch Scherben des 9./10. Jahrhunderts nur in ganz wenigen Exemplaren, darf man annehmen, daß die Domburg eher eine fränkische Neu­ gründung darstellt, als daß sie auf eine ältere sächsische Volksburg zurückgeht. Der Umfang der karolingischen Dombefestigung dürfte sich mit der ottonischen Immunität decken. Kirchen und Domkloster lagen innerhalb der Hauptburg (Ostseite), daran schloß sich vermutlich eine westliche Vorburg, in der später das Liebfrauenstift errichtet werden sollte. Die Befestigung bestand höchstwahrscheinlich aus einem breiten Wall mit Palisade oder Holz-Erde-Mauer und einem Spitzgraben davor, der bei Grabungen angeschnitten wurde. Ein breiterer Sohlgraben ersetzte ihn in ottonischer Zeit" Man spürt aus den Quellennachrichten heraus, daß in der 2. Hälfte des 10. Jahr­ hunderts mit dem Ort eine Wandlung vorging. Alles mußte von neuem begonnen wer­ den. 965 stürzt der Dom ein. Er war schlecht gebaut, wird berichtet. 992 vollzog Bischof Hildiward die Weihe des Neubaus, wobei Otto III. zugegen war6. Der Ostchor des doppelchörigen Baues war dem hl. Stephanus, der Westchor dem hl. Sixtus geweiht. Dieser enthielt auch noch ein hochgelegenes Oratorium für die Erzengel Michael, Ga­ briel und Raphael. Es handelte sich also um ein Westwerk. Der ottonische Dom hat bereits im wesentlichen die Ausdehnung des späteren gotischen Baues besessen'. 1005 wurde das Liebfrauenstift gegründet, das westlich des Domes auf dem Immunitätshügel erbaut wurde8. Am Ende des 10. Jahrhunderts waren die Schutzwehren verfallen: »Halberstadensem civitatem, quem ex antiquitate collapsam invenit«, berichten die Gesta episc. Halb. von Bischof Arnulf°. Der furchtbare Slawenaufstand 985 stellte die Gefahr für Halberstadt mit aller Deutlichkeit vor Augen. Der Neubau der Immunitätsmauer war nach zwanzig­ jähriger Arbeit 1018 vollendet. Bischof Arnulf weihte sie am 19. Dezember 1018 zu

P. J. Meier, Zur ältesten Geschichte der Pfarrkirchen im Bistum Halberstadt. Zeitschr. d. Harzvereins 51, 1898, S. 238 ff. 5 Kunstdenkmäler, S. 217 f. und 166. - MG SS XXIII, S.80: »Ecclesiam preterea a fratre suo in civitate, et in honore beatorum martirum Johannis et Pauli sollempniter consecravit.« Domweihe MG SS XXIII, S. 81. - 1953/54 wurde die karolingische Kirchenanlage im Ostteil der Domburg ergraben. Sa Paul Grimm, Die vor- und frühgeschichtlichen Burgwälle der Bezirke Halle und Magdeburg, Berlin 1958, S.49, Abb. 34a, Nr. 770. - Ernst Nickel, Die Südbefestigung der Domburg Hal­ berstadt, Jahresschrift für Mitteldeutsche Vorgeschichte 38, 1954, S. 244 ff. 6 MG SS XXIII, S. 85: »monasterium sancti Stephani propter vetustatem et operis vilitatem corruit« und S. 86-87. 7 Hermann Giesau, Der Dom zu Halberstadt, Burg bei Magdeburg (1929), S. 8. Grabungen haben in den letzten Jahren die Fundamente dieses Baues freigelegt. 8 MG SS XXIII, S. 92: »intra ambitum muri ecclesiam ... construxit (Arnulf).« 9 MG SS XXIII, S. 90: »anno ordinationis sue 2. cepit studiosus reparare« (= 998). 4

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Abb. 4. Halberstadt im 11. Jahrhundert

Dom Liebfrauen-Stift Petershof St. Martini Burcbardikloster St. Bonifatius-Stift St. Pauls-Stift



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günstig zu den Fernstraßen jener Zeit. Auch dort kreuzte eine West-Ost-Straße einen Weg in nordsüdlicher Richtung. Erst nach dem Tode Hildegrims (t 827) wurde Halberstadt selbständiger Bischofssitz. Den Dom weihte man 859 dem hl. Stephanus, der auch der Patron der Kathedrale von Chälons war. Hildegrim hatte selbst noch die Urpfarrkirchen der Diözese (die späteren Archidiakonatskirchen) festgelegt. Unter den 55 Hildegrimschen Gründungen finden sich nicht weniger als 21 Stephanskirchen*. Der hl. Liudger (t 809) hat die Kirche St. Johannis und Paulus begonnen, die nördlich neben dem Dom lag". Da bei den jüngsten Grabungen in der Domburg keine frühgeschichtlichen Kultur­ schichten angetroffen wurden und auch Scherben des 9./10. Jahrhunderts nur in ganz wenigen Exemplaren, darf man annehmen, daß die Domburg eher eine fränkische Neu­ gründung darstellt, als daß sie auf eine ältere sächsische Volksburg zurückgeht. Der Umfang der karolingischen Dombefestigung dürfte sich mit der ottonischen Immunität decken. Kirchen und Domkloster lagen innerhalb der Hauptburg (Ostseite), daran schloß sich vermutlich eine westliche Vorburg, in der später das Liebfrauenstift errichtet werden sollte. Die Befestigung bestand höchstwahrscheinlich aus einem breiten Wall mit Palisade oder Holz-Erde-Mauer und einem Spitzgraben davor, der bei Grabungen angeschnitten wurde. Ein breiterer Sohlgraben ersetzte ihn in ottonischer Zeit" Man spürt aus den Quellennachrichten heraus, daß in der 2. Hälfte des 10. Jahr­ hunderts mit dem Ort eine Wandlung vorging. Alles mußte von neuem begonnen wer­ den. 965 stürzt der Dom ein. Er war schlecht gebaut, wird berichtet. 992 vollzog Bischof Hildiward die Weihe des Neubaus, wobei Otto III. zugegen war6. Der Ostchor des doppelchörigen Baues war dem hl. Stephanus, der Westchor dem hl. Sixtus geweiht. Dieser enthielt auch noch ein hochgelegenes Oratorium für die Erzengel Michael, Ga­ briel und Raphael. Es handelte sich also um ein Westwerk. Der ottonische Dom hat bereits im wesentlichen die Ausdehnung des späteren gotischen Baues besessen'. 1005 wurde das Liebfrauenstift gegründet, das westlich des Domes auf dem Immunitätshügel erbaut wurde8. Am Ende des 10. Jahrhunderts waren die Schutzwehren verfallen: »Halberstadensem civitatem, quem ex antiquitate collapsam invenit«, berichten die Gesta episc. Halb. von Bischof Arnulf°. Der furchtbare Slawenaufstand 985 stellte die Gefahr für Halberstadt mit aller Deutlichkeit vor Augen. Der Neubau der Immunitätsmauer war nach zwanzig­ jähriger Arbeit 1018 vollendet. Bischof Arnulf weihte sie am 19. Dezember 1018 zu

P. J. Meier, Zur ältesten Geschichte der Pfarrkirchen im Bistum Halberstadt. Zeitschr. d. Harzvereins 51, 1898, S. 238 ff. 5 Kunstdenkmäler, S. 217 f. und 166. - MG SS XXIII, S.80: »Ecclesiam preterea a fratre suo in civitate, et in honore beatorum martirum Johannis et Pauli sollempniter consecravit.« Domweihe MG SS XXIII, S. 81. - 1953/54 wurde die karolingische Kirchenanlage im Ostteil der Domburg ergraben. Sa Paul Grimm, Die vor- und frühgeschichtlichen Burgwälle der Bezirke Halle und Magdeburg, Berlin 1958, S.49, Abb. 34a, Nr. 770. - Ernst Nickel, Die Südbefestigung der Domburg Hal­ berstadt, Jahresschrift für Mitteldeutsche Vorgeschichte 38, 1954, S. 244 ff. 6 MG SS XXIII, S. 85: »monasterium sancti Stephani propter vetustatem et operis vilitatem corruit« und S. 86-87. 7 Hermann Giesau, Der Dom zu Halberstadt, Burg bei Magdeburg (1929), S. 8. Grabungen haben in den letzten Jahren die Fundamente dieses Baues freigelegt. 8 MG SS XXIII, S. 92: »intra ambitum muri ecclesiam ... construxit (Arnulf).« 9 MG SS XXIII, S. 90: »anno ordinationis sue 2. cepit studiosus reparare« (= 998). 4

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Ehren des Allmächtigen und des Erzmärtyrers Stephanus. Der Bau muß die Zeitgenossen tief beeindruckt haben. »Multis civitatibus incomparabilem« findet sich noch beim An­ nalista Saxo. Der Weiheakt wird ausführlich beschrieben. In liturgischer Kleidung um­ schritt der Bischof die Immunität und besprengte die Mauer'®, Ein ähnlicher Weiheakt wird wohl für jede Immunitätsmauer anzunehmen sein. In Halberstadt blieb zufällig einmal ein genauerer Bericht in den Quellen erhalten. Der Mauerverlauf ist noch heute deutlich zu erkennen. Vom Nordtor der Immunität, dem Tränketor am Düsteren Graben, lief die Befestigung nach Westen an der Südseite des Düsteren Grabens entlang bis zum Petershof, dem späteren Bischofspalast. Dort bog sie nach Süden ab. Hinter den Häusern des Grudenbergs und des Westendorfes führte sie nach Osten zum Markt. Auf drei Seiten wurden später Häuser davorgebaut, als der Verteidigungswert der Immunitätsmauer verloren war und die Befestigung der geschlossenen Bürgerstadt ihre Aufgabe übernommen hatte. Längs der Schmiedestraße, am Martinikirchhof, am Hohen Weg, dem Lichten Graben entlang, legte sich eine Häuserzeile vor die ottonische Mauer der Domburg. Nur der Düstere Graben blieb vom Tränketor ab nach Westen davon frei. Die Einbuchtung der Nordseite, die der Halber­ städter Domfreiheit ihre charakteristische langgestreckte Nierenform verleiht, ist vom Gelände bedingt. Die ganze Nordseite der Hochterrasse fällt steil zur Stadtbecke ab­ etwa 1om -,im Süden dagegen ist der Höhenunterschied zwischen dem Immunitäts­ rücken und der Schmiedestraße nur gering. Die gesamte Länge der Domfreiheit beträgt etwa 550 m, sie ist 150-225 m breitla, Erhalten hat sich von dem ottonischen Mauerbau selbst wohl nichts. Was heute noch in Halberstadt von der Immunitätsbefestigung zu sehen ist, kann man nur als Stütz­ oder Futtermauer bezeichnen, welche die Aufgabe hat, die Erdmassen der Hochterrasse aufzufangen, um die davorgebauten Häuser zu beschützen. Nach der Zerstörung der gesamten Osthälfte der Altstadt im zweiten Weltkrieg liegt die Mauer auf dieser Seite der Immunität (Martinikirchhof - Hoher Weg - Lichter Graben) zum größten Teil bloß. Es handelt sich fast durchweg um Mauerwerk aus rechteckigen Hausteinquadern von etwa 50 cm Höhe, 40-50 cm Länge und 50 cm Tiefe. Da diese Mauertechnik völlig übereinstimmt mit den noch erhaltenen Stadtmauerteilen im Osten der Altstadt, die im 15. Jahrhundert entstanden, so wird auch die erhaltene Futtermauer der Immunität derselben Zeit angehören. Nur an zwei Stellen findet sich ein andersartiges Mauerwerk, das älteren Datums sein könnte. Am Eingang der Straße Lichter Graben (etwa Hausnr. 21) ist ein Mauerstück in 15 m Länge und 4 m Höhe erhalten, das aus viel schmaleren, behauenen rechteckigen Urkunde von 1153: »beatae memorie Arnoldus episcopus, missalibus indutus vestibus, multo cleri plebisque comitatu civitatem nostram a se constructam circuiens consecravit et ita banno et auctoritate sua immunitatem sacrorum canonum restauravit.« UB Stadt I, No. 6, 5. 6. Annalista Saxo: »multis civitatibus incomparabilem perfecit atque in feria VI ante nativi­ tatem Domini in honore omnipotentis Dei et sancti Stephani protomartiris, missalibus in­ dutus vestibus, circueundo aspersit ac benedixit et suo banno civitati pacem et immunitate insolubili locum sanctum firmavit.« MG SS VI, S. 641. - Daß es sich um eine Mauer handelt, sagt ausdrücklich UB Hochstift I, No. 167, S. 136 von 1153 = UB Stadt I, No.6,S. 5 f.: »infra ambitum muri«. - Vgl. auch 0. Menzel, Untersuchungen zur mittelalterlichen Ge­ schichtsschreibung des Bistums Halberstadt, Sachsen und Anhalt, Jahrb. 12, 1936, S. 95 ff. 10a Die ottonische Mauer wurde hinter dem karolingischen Wall errichtet, zumindest auf der Südseite, vgl. Nickel S. 252. 10

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Kalksteinen besteht von etwa 7-15 cm Höhe und 10-68 cm Länge. Das lagerhafte Ge­ füge weist nur ganz schmale Mörtelfugen auf. Gegenüber Haus Nr. 19 im Düsteren Graben findet sich auf einer Länge von etwa 20 m und einer Höhe von 4 m eine Stelle ähnlichen Gefüges. Auch hier sind 8-15 cm hohe und bis 84 cm lange behauene Kalk­ steine verwendet. Doch besteht ein Lager hier nur aus gleichhohen Steinen, so daß die tektonische Schichtung weit stärker hervortritt als bei dem Mauerstück im Lichten Gra­ ben. Mörtelfugen fehlen fast ganz. Die Mauertechnik ist sehr verwandt mit jener der Liebfrauenstiftskirche. Das Teilstück im Düsteren Graben könnte deshalb dem mittleren 12. Jahrhundert angehören, das Mauerwerk im Lichten Graben ist vielleicht noch älter, aber wohl kaum vor 1100 anzusetzen. Die Straßennamen Lichter und Düsterer Graben weisen darauf hin, daß hier einst der Befestigungsgraben der Immunität lief!9b Außer dem Liebfrauenstift wurde im 11. Jahrhundert noch ein zweites Stift in der Freiheit angelegt, das Johannisstift Bischof Brantogs, das man im 15. Jahrhundert vor den Westeingang der Stadt verpflanzte. Wo es in der Immunität lag, wissen wir nicht', Beim Liebfrauenstift in der Westecke der Freiheit erstand der Bischofshof Burchards (1036-1059)'. Sein Platz wird aber schon bei der Erbauung des Liebfrauenstiftes vor­ gesehen worden sein, da sich das Stiftsgebäude nicht wie üblich an die Süd- bzw. Nord­ seite der Kirche anlehnte, sondern im Westen errichtet wurde. Die Nordwestecke der Immunität hatte eine Umbauung am wenigsten zu befürchten, da sie sich von Markt und Fernstraßen abwendet. Wahrscheinlich ist in nächster Nähe in der sog. Vogtei, im nordwestlichen Gebiet der späteren Stadt, auch der bischöfliche Fronhof zu suchen. Anfang des 12. Jahrhunderts werden bereits die Kurien der Domherren urkundlich erwähnt13, wenn auch die letzte Spur der vita communis erst mit der Auflösung der gemeinsamen Küche der Kanoniker in der Mitte des 15. Jahrhunderts verschwindet'! Im 14. Jahrhundert bestand das Domkapitel aus 22 Kanonikern; die Immunität enthält etwa 30 Domherrenhöfe, so daß im 12. Jahrhundert wohl jeder Domherr seine eigene Kurie beziehen konnte. Die Kanonikerhöfe reihen sich in Halberstadt längs der Nord­ und Südmauer der Freiheit. Die viel kleineren Anwesen, die Dom und Domstift auf der Ostseite umgeben, werden einer späteren Zeit angehören. Zwischen den beiden Polen der Immunität, Dom und Liebfrauen, die nicht in gleicher Achse, sondern leicht verschoben zueinander liegen, und den Kurien an den Langseiten entfaltet sich einer der schönsten Immunitätsplätze des deutschen Mittelalters, ein langgestrecktes Rechteck mit lebendig bewegten Fronten und den beiden großartigen Massenakzenten der Kirchen an den Schmalseiten. Die abgetreppte Nordwand und die leicht geschwungene südliche Platzfront sahen ursprünglich sicher anders aus. Man Zum Materialwechsel vgl. Hans-Joachim Mrusek, Bautechnische Einzelheiten in der mittel­ alterlichen Profanbaukunst, Wissenschaftl. Zeitschrift d. Martin-Luther-Universität Halle­ Wittenberg 6, 1956/57, S. 647 u. Abb. 12. MG SS XXIII, S. 93: »in civitate ecclesiam in honore sancti Johannis baptiste et Johannis ewangeliste construxit, et vitam canonicorum ordinans in eadem.« Kunstdenkmäler, S. 168. - MG SS XXIII, S.95: »insignia curtem episcopalem in civitate in­ ceptam structuris laudabilibus consummavit.« A, Brackmann, Urkundliche Geschichte des Halberstädter Domkapitels im Mittelalter, Zeit­ schrift d. Harzvereins 52, 1899, S. 5 u. S. 9. MG SS XXIII, S. 95: die 24 curtes, die Bischof Burchard »in episcopatu Halberstadensi in opus sui et successorum suorum ... exstruxit«, können aber nicht mit den Domherren­ kurien gleichgesetzt werden, wie es die Kunstdenkmäler, S. 168, behaupten. Es sind Fronhöfe außerhalb von Halberstadt, wie aus dem folgenden Satz der Gesta hervorgeht.

10b 11 12 13 14

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Ehren des Allmächtigen und des Erzmärtyrers Stephanus. Der Bau muß die Zeitgenossen tief beeindruckt haben. »Multis civitatibus incomparabilem« findet sich noch beim An­ nalista Saxo. Der Weiheakt wird ausführlich beschrieben. In liturgischer Kleidung um­ schritt der Bischof die Immunität und besprengte die Mauer'®, Ein ähnlicher Weiheakt wird wohl für jede Immunitätsmauer anzunehmen sein. In Halberstadt blieb zufällig einmal ein genauerer Bericht in den Quellen erhalten. Der Mauerverlauf ist noch heute deutlich zu erkennen. Vom Nordtor der Immunität, dem Tränketor am Düsteren Graben, lief die Befestigung nach Westen an der Südseite des Düsteren Grabens entlang bis zum Petershof, dem späteren Bischofspalast. Dort bog sie nach Süden ab. Hinter den Häusern des Grudenbergs und des Westendorfes führte sie nach Osten zum Markt. Auf drei Seiten wurden später Häuser davorgebaut, als der Verteidigungswert der Immunitätsmauer verloren war und die Befestigung der geschlossenen Bürgerstadt ihre Aufgabe übernommen hatte. Längs der Schmiedestraße, am Martinikirchhof, am Hohen Weg, dem Lichten Graben entlang, legte sich eine Häuserzeile vor die ottonische Mauer der Domburg. Nur der Düstere Graben blieb vom Tränketor ab nach Westen davon frei. Die Einbuchtung der Nordseite, die der Halber­ städter Domfreiheit ihre charakteristische langgestreckte Nierenform verleiht, ist vom Gelände bedingt. Die ganze Nordseite der Hochterrasse fällt steil zur Stadtbecke ab­ etwa 1om -,im Süden dagegen ist der Höhenunterschied zwischen dem Immunitäts­ rücken und der Schmiedestraße nur gering. Die gesamte Länge der Domfreiheit beträgt etwa 550 m, sie ist 150-225 m breitla, Erhalten hat sich von dem ottonischen Mauerbau selbst wohl nichts. Was heute noch in Halberstadt von der Immunitätsbefestigung zu sehen ist, kann man nur als Stütz­ oder Futtermauer bezeichnen, welche die Aufgabe hat, die Erdmassen der Hochterrasse aufzufangen, um die davorgebauten Häuser zu beschützen. Nach der Zerstörung der gesamten Osthälfte der Altstadt im zweiten Weltkrieg liegt die Mauer auf dieser Seite der Immunität (Martinikirchhof - Hoher Weg - Lichter Graben) zum größten Teil bloß. Es handelt sich fast durchweg um Mauerwerk aus rechteckigen Hausteinquadern von etwa 50 cm Höhe, 40-50 cm Länge und 50 cm Tiefe. Da diese Mauertechnik völlig übereinstimmt mit den noch erhaltenen Stadtmauerteilen im Osten der Altstadt, die im 15. Jahrhundert entstanden, so wird auch die erhaltene Futtermauer der Immunität derselben Zeit angehören. Nur an zwei Stellen findet sich ein andersartiges Mauerwerk, das älteren Datums sein könnte. Am Eingang der Straße Lichter Graben (etwa Hausnr. 21) ist ein Mauerstück in 15 m Länge und 4 m Höhe erhalten, das aus viel schmaleren, behauenen rechteckigen Urkunde von 1153: »beatae memorie Arnoldus episcopus, missalibus indutus vestibus, multo cleri plebisque comitatu civitatem nostram a se constructam circuiens consecravit et ita banno et auctoritate sua immunitatem sacrorum canonum restauravit.« UB Stadt I, No. 6, 5. 6. Annalista Saxo: »multis civitatibus incomparabilem perfecit atque in feria VI ante nativi­ tatem Domini in honore omnipotentis Dei et sancti Stephani protomartiris, missalibus in­ dutus vestibus, circueundo aspersit ac benedixit et suo banno civitati pacem et immunitate insolubili locum sanctum firmavit.« MG SS VI, S. 641. - Daß es sich um eine Mauer handelt, sagt ausdrücklich UB Hochstift I, No. 167, S. 136 von 1153 = UB Stadt I, No.6,S. 5 f.: »infra ambitum muri«. - Vgl. auch 0. Menzel, Untersuchungen zur mittelalterlichen Ge­ schichtsschreibung des Bistums Halberstadt, Sachsen und Anhalt, Jahrb. 12, 1936, S. 95 ff. 10a Die ottonische Mauer wurde hinter dem karolingischen Wall errichtet, zumindest auf der Südseite, vgl. Nickel S. 252. 10

30

Kalksteinen besteht von etwa 7-15 cm Höhe und 10-68 cm Länge. Das lagerhafte Ge­ füge weist nur ganz schmale Mörtelfugen auf. Gegenüber Haus Nr. 19 im Düsteren Graben findet sich auf einer Länge von etwa 20 m und einer Höhe von 4 m eine Stelle ähnlichen Gefüges. Auch hier sind 8-15 cm hohe und bis 84 cm lange behauene Kalk­ steine verwendet. Doch besteht ein Lager hier nur aus gleichhohen Steinen, so daß die tektonische Schichtung weit stärker hervortritt als bei dem Mauerstück im Lichten Gra­ ben. Mörtelfugen fehlen fast ganz. Die Mauertechnik ist sehr verwandt mit jener der Liebfrauenstiftskirche. Das Teilstück im Düsteren Graben könnte deshalb dem mittleren 12. Jahrhundert angehören, das Mauerwerk im Lichten Graben ist vielleicht noch älter, aber wohl kaum vor 1100 anzusetzen. Die Straßennamen Lichter und Düsterer Graben weisen darauf hin, daß hier einst der Befestigungsgraben der Immunität lief!9b Außer dem Liebfrauenstift wurde im 11. Jahrhundert noch ein zweites Stift in der Freiheit angelegt, das Johannisstift Bischof Brantogs, das man im 15. Jahrhundert vor den Westeingang der Stadt verpflanzte. Wo es in der Immunität lag, wissen wir nicht', Beim Liebfrauenstift in der Westecke der Freiheit erstand der Bischofshof Burchards (1036-1059)'. Sein Platz wird aber schon bei der Erbauung des Liebfrauenstiftes vor­ gesehen worden sein, da sich das Stiftsgebäude nicht wie üblich an die Süd- bzw. Nord­ seite der Kirche anlehnte, sondern im Westen errichtet wurde. Die Nordwestecke der Immunität hatte eine Umbauung am wenigsten zu befürchten, da sie sich von Markt und Fernstraßen abwendet. Wahrscheinlich ist in nächster Nähe in der sog. Vogtei, im nordwestlichen Gebiet der späteren Stadt, auch der bischöfliche Fronhof zu suchen. Anfang des 12. Jahrhunderts werden bereits die Kurien der Domherren urkundlich erwähnt13, wenn auch die letzte Spur der vita communis erst mit der Auflösung der gemeinsamen Küche der Kanoniker in der Mitte des 15. Jahrhunderts verschwindet'! Im 14. Jahrhundert bestand das Domkapitel aus 22 Kanonikern; die Immunität enthält etwa 30 Domherrenhöfe, so daß im 12. Jahrhundert wohl jeder Domherr seine eigene Kurie beziehen konnte. Die Kanonikerhöfe reihen sich in Halberstadt längs der Nord­ und Südmauer der Freiheit. Die viel kleineren Anwesen, die Dom und Domstift auf der Ostseite umgeben, werden einer späteren Zeit angehören. Zwischen den beiden Polen der Immunität, Dom und Liebfrauen, die nicht in gleicher Achse, sondern leicht verschoben zueinander liegen, und den Kurien an den Langseiten entfaltet sich einer der schönsten Immunitätsplätze des deutschen Mittelalters, ein langgestrecktes Rechteck mit lebendig bewegten Fronten und den beiden großartigen Massenakzenten der Kirchen an den Schmalseiten. Die abgetreppte Nordwand und die leicht geschwungene südliche Platzfront sahen ursprünglich sicher anders aus. Man Zum Materialwechsel vgl. Hans-Joachim Mrusek, Bautechnische Einzelheiten in der mittel­ alterlichen Profanbaukunst, Wissenschaftl. Zeitschrift d. Martin-Luther-Universität Halle­ Wittenberg 6, 1956/57, S. 647 u. Abb. 12. MG SS XXIII, S. 93: »in civitate ecclesiam in honore sancti Johannis baptiste et Johannis ewangeliste construxit, et vitam canonicorum ordinans in eadem.« Kunstdenkmäler, S. 168. - MG SS XXIII, S.95: »insignia curtem episcopalem in civitate in­ ceptam structuris laudabilibus consummavit.« A, Brackmann, Urkundliche Geschichte des Halberstädter Domkapitels im Mittelalter, Zeit­ schrift d. Harzvereins 52, 1899, S. 5 u. S. 9. MG SS XXIII, S. 95: die 24 curtes, die Bischof Burchard »in episcopatu Halberstadensi in opus sui et successorum suorum ... exstruxit«, können aber nicht mit den Domherren­ kurien gleichgesetzt werden, wie es die Kunstdenkmäler, S. 168, behaupten. Es sind Fronhöfe außerhalb von Halberstadt, wie aus dem folgenden Satz der Gesta hervorgeht.

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muß sich die Fassadenstirn der Platzwände wegdenken. Hier zogen die Hofmauern der Kurien entlang, unterbrochen von großen Einfahrtstoren. Die Kuriengebäude selbst lagen gegen die Ringmauer zu. Von der Stille und Sammlung des geistlichen Lebens in der Freiheit vermeint man noch heute einen Hauch zu verspüren, nachdem längst schon bürgerliches Wesen seinen Einzug gehalten hat. Leider wurde die natürliche Ge­ ländemodellierung des Platzes im 19. Jahrhundert sehr verwischt. Man glich die Niveau­ senkung vor der Westfassade des Domes aus15• Vier schmale Durchlässe in den Himmelsrichtungen verbanden die Immunität mit der Außenwelt, ohne einst die Geschlossenheit des Platzes anzutasten. Erst das 19. Jahr­ hundert hat die Zugänge im Süden und Norden verbreitert. 1884 stieß man dabei auf die Fundamente des Düsteren Tores im Süden der Freiheit, das besonders stark be­ festigt war. Man legte ein Turmfundament von 6 m Durchmesser bloß. Dicht dabei stand an der Nordseite eine Torkapelle, dem hl. Laurentius geweiht'®. Das Tränketor auf der Nordseite führte zur Holtemme hinunter. Es gewährte dem Vieh Zugang zum Bach. Sein älterer Name lautete Steiles Tor17. Im Westen leitete das Drachenloch an der Südseite von Liebfrauen zur großen Durchgangsstraße. Die Burgtreppe hinter dem Dom­ chor vermittelte den Zugang zum Hohen Weg und zum Markt. Die Peterstreppe neben dem Bischofshof wird erst später für den Palast des Bischofs durchgebrochen worden sein. Drei Klöster und Stifte legten sich im 11. Jahrhundert um den großartigen Schwer­ punkt der Domfreiheit. Das gegen 1050 innerhalb der Immunität errichtete Johannis­ stift verlegte man allerdings erst im späten 15. Jahrhundert vor die Stadt, angeblich an die Stelle der alten Burg Hartingau, etwas nördlich der Durchgangsstraße, dicht vor den Eingang zum Westendorf. Seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts hatte es die Regel der Augustiner-Chorherrn angenommen. 1651 wurde es zerstört und nicht wieder aufgebaut18. Im Norden der Stadt gründete Bischof Burchard I. (1036-1059) ein Kloster an der Gi1esau, S . 5.

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G. Arndt, Zur Heimatkunde von Halberstadt, 1. Heft: Die äußere Entwicklung der Stadt, Halberstadt 1910, S.12. - Kunstdenkmäler, S.219. Die Lorenzkapelle wird zuerst 1279 erwähnt. Kunstdenkmäler, S. 210. - Arndt, Heimatkunde, S. 12. Kunstdenkmäler, S.368f. - Vgl. Anm. 11. - 1199 lag es jedenfalls noch in der Freiheit: St. Johannis in civitate (UB Stadt I, Nr. 13, S. 14). - G. A. von Milverstedt, Hierographia Halberstadensis, übersieht der in der Stadt Halberstadt früher und noch jetzt bestehenden Stifter, Klöster usw. Zeitschr. d. Harzvereins 4, 1872, S. 396 ff. u. 5, 1872, S. 31 ff. Patrone waren S. Johannes Baptista u. S. Johannes Ev. Seit dem 15. Jahrhundert wird seine Lage »prope et extra muros« angegeben.

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17 18

Zu nebenstehender Abbildung: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Dom Liebfrauen St. Martini St. Paul St. Andreas St. Moritz Rathaus HI. Geist-Spital Breites Tor Gröper Tor Burcharditor

32

A Martinikirchhof B Fischmarkt C Holzmarkt D Breiter Weg E Schmiedestraße F Westendorf G Harsleber Straße H Heinrich Julius-Straße J Neue Straße K Rosmarinstraße L Grudenberg

M Düsterer Graben N Lichter Graben 0 Hoher Weg p Johannesstraße Q Katharinenstraße R Gröperstraße s Am Johannisbrunnen T Vogtei (früher Ritterstraße) U Grauer Hof V Abtshof

Abb. 5. Halberstadt. Hochmittelalterliches Stadtgebiet nach modernem Hausstellenplan

muß sich die Fassadenstirn der Platzwände wegdenken. Hier zogen die Hofmauern der Kurien entlang, unterbrochen von großen Einfahrtstoren. Die Kuriengebäude selbst lagen gegen die Ringmauer zu. Von der Stille und Sammlung des geistlichen Lebens in der Freiheit vermeint man noch heute einen Hauch zu verspüren, nachdem längst schon bürgerliches Wesen seinen Einzug gehalten hat. Leider wurde die natürliche Ge­ ländemodellierung des Platzes im 19. Jahrhundert sehr verwischt. Man glich die Niveau­ senkung vor der Westfassade des Domes aus15• Vier schmale Durchlässe in den Himmelsrichtungen verbanden die Immunität mit der Außenwelt, ohne einst die Geschlossenheit des Platzes anzutasten. Erst das 19. Jahr­ hundert hat die Zugänge im Süden und Norden verbreitert. 1884 stieß man dabei auf die Fundamente des Düsteren Tores im Süden der Freiheit, das besonders stark be­ festigt war. Man legte ein Turmfundament von 6 m Durchmesser bloß. Dicht dabei stand an der Nordseite eine Torkapelle, dem hl. Laurentius geweiht'®. Das Tränketor auf der Nordseite führte zur Holtemme hinunter. Es gewährte dem Vieh Zugang zum Bach. Sein älterer Name lautete Steiles Tor17. Im Westen leitete das Drachenloch an der Südseite von Liebfrauen zur großen Durchgangsstraße. Die Burgtreppe hinter dem Dom­ chor vermittelte den Zugang zum Hohen Weg und zum Markt. Die Peterstreppe neben dem Bischofshof wird erst später für den Palast des Bischofs durchgebrochen worden sein. Drei Klöster und Stifte legten sich im 11. Jahrhundert um den großartigen Schwer­ punkt der Domfreiheit. Das gegen 1050 innerhalb der Immunität errichtete Johannis­ stift verlegte man allerdings erst im späten 15. Jahrhundert vor die Stadt, angeblich an die Stelle der alten Burg Hartingau, etwas nördlich der Durchgangsstraße, dicht vor den Eingang zum Westendorf. Seit der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts hatte es die Regel der Augustiner-Chorherrn angenommen. 1651 wurde es zerstört und nicht wieder aufgebaut18. Im Norden der Stadt gründete Bischof Burchard I. (1036-1059) ein Kloster an der Gi1esau, S . 5.

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G. Arndt, Zur Heimatkunde von Halberstadt, 1. Heft: Die äußere Entwicklung der Stadt, Halberstadt 1910, S.12. - Kunstdenkmäler, S.219. Die Lorenzkapelle wird zuerst 1279 erwähnt. Kunstdenkmäler, S. 210. - Arndt, Heimatkunde, S. 12. Kunstdenkmäler, S.368f. - Vgl. Anm. 11. - 1199 lag es jedenfalls noch in der Freiheit: St. Johannis in civitate (UB Stadt I, Nr. 13, S. 14). - G. A. von Milverstedt, Hierographia Halberstadensis, übersieht der in der Stadt Halberstadt früher und noch jetzt bestehenden Stifter, Klöster usw. Zeitschr. d. Harzvereins 4, 1872, S. 396 ff. u. 5, 1872, S. 31 ff. Patrone waren S. Johannes Baptista u. S. Johannes Ev. Seit dem 15. Jahrhundert wird seine Lage »prope et extra muros« angegeben.

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Zu nebenstehender Abbildung: 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11

Dom Liebfrauen St. Martini St. Paul St. Andreas St. Moritz Rathaus HI. Geist-Spital Breites Tor Gröper Tor Burcharditor

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A Martinikirchhof B Fischmarkt C Holzmarkt D Breiter Weg E Schmiedestraße F Westendorf G Harsleber Straße H Heinrich Julius-Straße J Neue Straße K Rosmarinstraße L Grudenberg

M Düsterer Graben N Lichter Graben 0 Hoher Weg p Johannesstraße Q Katharinenstraße R Gröperstraße s Am Johannisbrunnen T Vogtei (früher Ritterstraße) U Grauer Hof V Abtshof

Abb. 5. Halberstadt. Hochmittelalterliches Stadtgebiet nach modernem Hausstellenplan

Holtemme, das später nach dem Stifter benannt wurde, der dort seine letzte Ruhestätte fand. 1186 übernahmen es die Prämonstratenser, dann die Templer, und 1208 die Zisterzienserinnen. Es liegt dicht bei dem späteren Nordwesttor der Stadt an der Braun­ schweiger Straße', Das Kollegiatstift St. Paul im Osten, etwas nördlich der Fernhandelsstraße nach Magdeburg, gründete Bischof Burchard II. (1085 oder 1085) zu Ehren der zwölf Apostel, besonders aber der beiden Apostelfürsten. Hier soll schon Hildegrim von Chälons eine Paulskircdhe errichtet haben, von der jede Spur verschwunden ist?°. Bischof Burchard II. erlebte die Vollendung nicht. Die Kanoniker zerstreuten sich wieder. Bischof Reinhard dotierte die Kirche von neuem, vollendete den Bau und weihte ihn ein. Als einzige der im 11. Jahrhundert in Halberstadt gegründeten religiösen Gemeinschaften fand sie Aufnahme in dem späteren Mauerring der geschlossenen Stadt. Weit vor den Mauern der Domburg und doch von ihr aus sichtbar stand im Norden das Bonifatiusstift, das Bischof Brantog 1054 auf der Höhe des Buslerberges erbaute, an dessen Fuß einst das Dorf Bossleben lag?". Im 15. Jahrhundert hatten die Augusti­ ner-Chorherren aber ihre Höhenlage satt und siedelten in den Schutz der Halberstädter Mauern über. Sie erhielten 1257 die Kirche St. Moritz in der Neustadt zugewiesen, die dem Domkapitel gehörte22• Um die Jahrtausendwende bestand bereits die Halberstädter Marktsiedlung. Am 4. Juni 989 verlieh Otto III. Bischof Hildiward das Markt-, Münz- und Zollrecdt?'. Sie wird sich an derselben Stelle befunden haben wie der Markt der hochmittelalterlichen Stadt. Der gegebene Platz war die Kreuzung der West-Ost-Straße mit dem von Nord­ westen her einmündenden Braunschweiger Weg, der über Ritterstraße (jetzt »Vogtei«) und Hohen Weg ankommt. Mehr als eine zweiseitig bebaute Marktstraße wird man sich unter dem Halberstädter Markt des 10. Jahrhunderts nicht vorstellen dürfen (etwa in der Gegend Schmiedestraße-Martinikirchhof-Hoher Weg)24. Möglicherweise reicht die Marktkirche St. Martin, die ja bei keinem größeren Markt zu fehlen pflegte, schon in die Gründungszeit zurück. Erwähnt wird sie allerdings erst 11865, Der Markt lag wohl von Anfang an unmittelbar unter der Domburg ohne größeren Abstand von deren Befestigung. Am Ende des Mittelalters entstand in der Immunität selbst ein zweiter Markt, der sich zu einem gefährlichen Konkurrenten des Bürgermarktes auswuchs?®, Ebenfalls außerhalb der Domburg im Westen und Norden lagen die Spitäler, die bis in das 1o. und 11. Jahrhundert zurückreichen. Am Grudenberg Nr. 11 stand das Kunstdenkmäler, S. 428. - v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzvereins 5, 1872, S. 37 ff. u. 45 ff. Kunstdenkmäler, S. 356 f. - MG SS XXIII, S. 101. - v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzver. 5, 1872, S. 27 ff. 21 Kunstdenkmäler, S.375 f. - MG SS XXIII, S.95. 22 UB Stadt I, Nr.37, S.44. - Die Stelle des früheren Bonifatiusstiftes bezeichnete noch lange eine Kapelle: v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzver. 5, 1872, S. 25 u. Anm. 5. 23 Varges, S.82. - MG DD O III, Nr. 55, S. 460 f. 24 Geht etwa die leichtgeschwungene Südgrenze der Hausstellen in dem Block zwischen Schmiedestraße und Holzmarkt, Neue Straße und Rosmarinstraße auf die Begrenzungslinie des ältesten Marktes zurück? Paul Grimm, Archäologische Beiträge zur Lage ottonischer Marktsiedlungen in den Bezirken Halle und Magdeburg, Jahresschrift f. Mitteldeutsche Vorgesch. 41/42, 1958, S. 551 vermutet die Marktsiedlung am Hohen Weg. 25 UB Stadt I, Nr. 7, S. 9. 26 Kunstdenkmäler, S. 189.

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Alexiusspital mit einer Alexiuskapelle, das Bischof Burchard II. gegen Ende des 11. Jahr­ hunderts gegründet haben soll. Nördlich davon, an der Stelle des Lüdershofes in der Vogtei, befand sich das Ludgerihospital, das Bischof Bucco ebenfalls noch im 11. Jahr­ hundert stiftete. Für 12 arme Witwen bestimmt war das Pfortenkloster am Johannis­ brunnen in der Vogtei27, eine Art Stift, das 937 Bischof Bernhard und seine Nichte Guntradis, Äbtissin zu Hadmersleben, gründeten. Das wichtigste Spital der Bürgerstadt lag am Südtor in der heutigen Harsleber Straße. Dieses HI.-Geist-Spital reicht zumindest in das frühe 13. Jahrhundert zurück?®, Vor den Toren der Stadt mußte der Siechenhof - domus leprosorum - angelegt werden, der bereits 1195 erwähnt wird? Die Altstadt zwischen Stadtbecke, St. Paul und St. Andreas reicht mindestens bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts zurück, möglicherweise bis zum Anfang des Jahrhun­ derts, da sich für Halberstadt eine sehr frühe Gemeindebildung nachweisen läßt (1105). Sie stand jedenfalls 1179, als die gesamte Stadt von Heinrich dem Löwen zerstört wurde®°. Verhältnismäßig regelmäßig ist sie in größere rechteckige Häuserblöcke mit schmalen Nebenstraßen aufgeteilt. Die vornehmste Straße und der Sitz der reicheren Kaufleute ist der Breite Weg, die lata platea, durch die der westöstliche Fernweg läuft, vergleichbar etwa dem Breiten Weg in Magdeburg. An ihrem Ende lag die Jakobi­ kapelle, die 1199 zuerst erwähnt wird und die dicht am Breiten Tore stand®', Der Markt hatte ursprünglich die Form eines regelmäßigen schmalen Rechtecks. Die Gebäudegruppen zwischen Martinikirchhof und Holz- bzw. Fischmarkt sind überbaute Kaufbuden, wie man aus den winzigen Grundstückflächen ersehen kann, die sich an die Kirchhofmauer von St. Martin anlehnten. Erst durch die Errichtung des neuen Rat­ hauses 1381-1598 wurde der Platz in zwei Teile zerschnitten, die fortan eigene Namen trugen. Das alte Rathaus, 1241 erbaut, lag am Martinikircdhhof. Moderne Straßendurch­ brüche rissen Lücken in die Platzfront32. Die Neustadt entlang der Gröperstraße zwischen der Stadtbecke und dem Moritztor und die Vogtei müssen zwischen 1186 und 1208 in die Befestigung einbezogen worden 33 sein • Einern ganz anderen Bildungsgesetz als die Altstadt gehorcht die Vogtei im NordKunstdenkmäler, S. 221 u. 436. - MG SS XXIII, S. 85. Bereits 1225 befand sich das Alexius­ spital »in civitate« (vgl. v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzver. 5, 1872, S. 55 u. Anm. 3). Das Spital wurde 1138 dem Johannisstift geschenkt. - Das Pfortenkloster (von »Porta coeli«) lag ursprünglich in der Immunität (v. Mülverstedt, ebenda S. 52f.). 28 UB Stadt I, Nr. 25, S.51, von 1225. - v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzver. 5, 1872, S. 59 ff. 29 UB Hochstift I, Nr. 359. - v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzver. 5, 1872, S. 56 ff. Er lag vor dem Gröpertor. 30 Zur Gemeindebildung in Halberstadt: Edith Ennen, Die Frühgeschichte der europäischen Stadt, Bonn 1955, S. 208 u. Hans Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter, Graz-Köln 1954, S.110. - Zerstörung durch Heinrich d. Löwen: UB Hochstift I, Nr. 287. Mit dieser Datierung deckt sich auch die Beobachtung, daß der Sohlgraben der Immunität um 1100 bedeutungslos wurde, als man einen Brunnen darin anlegte. Ein weiterer Befestigungsring hatte damals also die Funktion der Domburg übernommen. Nickel S. 254. 31 Adolf Diestelkamp, Halberstädter Analekten, Sachsen und Anhalt, Jahrbuch der Histori­ schen Kommission für die Provinz Sachsen u. f. Anhalt 4, 1928, S.37ff. - UB Stadt I, Nr. 12, S. 15. 32 R. Sinning, Städtebauliche Entwicklung, S.91. Neue Durchbrüche in Halberstadt sind: Hein­ rich-Julius-Straße, Johannesstraße und Katharinenstraße. 33 Die Angabe bei Varges, S. 107 f., und Kunstdenkmäler, S. 185, die Einbeziehung sei zwischen 1208 und 1256 erfolgt, läßt sich nicht aufrechterhalten. 1186 wird die Thomaskirche, die Bischof Dietrich zu Ehren des Thomas Becket gründete, folgendermaßen bezeichnet: »eccle27

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Holtemme, das später nach dem Stifter benannt wurde, der dort seine letzte Ruhestätte fand. 1186 übernahmen es die Prämonstratenser, dann die Templer, und 1208 die Zisterzienserinnen. Es liegt dicht bei dem späteren Nordwesttor der Stadt an der Braun­ schweiger Straße', Das Kollegiatstift St. Paul im Osten, etwas nördlich der Fernhandelsstraße nach Magdeburg, gründete Bischof Burchard II. (1085 oder 1085) zu Ehren der zwölf Apostel, besonders aber der beiden Apostelfürsten. Hier soll schon Hildegrim von Chälons eine Paulskircdhe errichtet haben, von der jede Spur verschwunden ist?°. Bischof Burchard II. erlebte die Vollendung nicht. Die Kanoniker zerstreuten sich wieder. Bischof Reinhard dotierte die Kirche von neuem, vollendete den Bau und weihte ihn ein. Als einzige der im 11. Jahrhundert in Halberstadt gegründeten religiösen Gemeinschaften fand sie Aufnahme in dem späteren Mauerring der geschlossenen Stadt. Weit vor den Mauern der Domburg und doch von ihr aus sichtbar stand im Norden das Bonifatiusstift, das Bischof Brantog 1054 auf der Höhe des Buslerberges erbaute, an dessen Fuß einst das Dorf Bossleben lag?". Im 15. Jahrhundert hatten die Augusti­ ner-Chorherren aber ihre Höhenlage satt und siedelten in den Schutz der Halberstädter Mauern über. Sie erhielten 1257 die Kirche St. Moritz in der Neustadt zugewiesen, die dem Domkapitel gehörte22• Um die Jahrtausendwende bestand bereits die Halberstädter Marktsiedlung. Am 4. Juni 989 verlieh Otto III. Bischof Hildiward das Markt-, Münz- und Zollrecdt?'. Sie wird sich an derselben Stelle befunden haben wie der Markt der hochmittelalterlichen Stadt. Der gegebene Platz war die Kreuzung der West-Ost-Straße mit dem von Nord­ westen her einmündenden Braunschweiger Weg, der über Ritterstraße (jetzt »Vogtei«) und Hohen Weg ankommt. Mehr als eine zweiseitig bebaute Marktstraße wird man sich unter dem Halberstädter Markt des 10. Jahrhunderts nicht vorstellen dürfen (etwa in der Gegend Schmiedestraße-Martinikirchhof-Hoher Weg)24. Möglicherweise reicht die Marktkirche St. Martin, die ja bei keinem größeren Markt zu fehlen pflegte, schon in die Gründungszeit zurück. Erwähnt wird sie allerdings erst 11865, Der Markt lag wohl von Anfang an unmittelbar unter der Domburg ohne größeren Abstand von deren Befestigung. Am Ende des Mittelalters entstand in der Immunität selbst ein zweiter Markt, der sich zu einem gefährlichen Konkurrenten des Bürgermarktes auswuchs?®, Ebenfalls außerhalb der Domburg im Westen und Norden lagen die Spitäler, die bis in das 1o. und 11. Jahrhundert zurückreichen. Am Grudenberg Nr. 11 stand das Kunstdenkmäler, S. 428. - v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzvereins 5, 1872, S. 37 ff. u. 45 ff. Kunstdenkmäler, S. 356 f. - MG SS XXIII, S. 101. - v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzver. 5, 1872, S. 27 ff. 21 Kunstdenkmäler, S.375 f. - MG SS XXIII, S.95. 22 UB Stadt I, Nr.37, S.44. - Die Stelle des früheren Bonifatiusstiftes bezeichnete noch lange eine Kapelle: v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzver. 5, 1872, S. 25 u. Anm. 5. 23 Varges, S.82. - MG DD O III, Nr. 55, S. 460 f. 24 Geht etwa die leichtgeschwungene Südgrenze der Hausstellen in dem Block zwischen Schmiedestraße und Holzmarkt, Neue Straße und Rosmarinstraße auf die Begrenzungslinie des ältesten Marktes zurück? Paul Grimm, Archäologische Beiträge zur Lage ottonischer Marktsiedlungen in den Bezirken Halle und Magdeburg, Jahresschrift f. Mitteldeutsche Vorgesch. 41/42, 1958, S. 551 vermutet die Marktsiedlung am Hohen Weg. 25 UB Stadt I, Nr. 7, S. 9. 26 Kunstdenkmäler, S. 189.

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Alexiusspital mit einer Alexiuskapelle, das Bischof Burchard II. gegen Ende des 11. Jahr­ hunderts gegründet haben soll. Nördlich davon, an der Stelle des Lüdershofes in der Vogtei, befand sich das Ludgerihospital, das Bischof Bucco ebenfalls noch im 11. Jahr­ hundert stiftete. Für 12 arme Witwen bestimmt war das Pfortenkloster am Johannis­ brunnen in der Vogtei27, eine Art Stift, das 937 Bischof Bernhard und seine Nichte Guntradis, Äbtissin zu Hadmersleben, gründeten. Das wichtigste Spital der Bürgerstadt lag am Südtor in der heutigen Harsleber Straße. Dieses HI.-Geist-Spital reicht zumindest in das frühe 13. Jahrhundert zurück?®, Vor den Toren der Stadt mußte der Siechenhof - domus leprosorum - angelegt werden, der bereits 1195 erwähnt wird? Die Altstadt zwischen Stadtbecke, St. Paul und St. Andreas reicht mindestens bis zur Mitte des 12. Jahrhunderts zurück, möglicherweise bis zum Anfang des Jahrhun­ derts, da sich für Halberstadt eine sehr frühe Gemeindebildung nachweisen läßt (1105). Sie stand jedenfalls 1179, als die gesamte Stadt von Heinrich dem Löwen zerstört wurde®°. Verhältnismäßig regelmäßig ist sie in größere rechteckige Häuserblöcke mit schmalen Nebenstraßen aufgeteilt. Die vornehmste Straße und der Sitz der reicheren Kaufleute ist der Breite Weg, die lata platea, durch die der westöstliche Fernweg läuft, vergleichbar etwa dem Breiten Weg in Magdeburg. An ihrem Ende lag die Jakobi­ kapelle, die 1199 zuerst erwähnt wird und die dicht am Breiten Tore stand®', Der Markt hatte ursprünglich die Form eines regelmäßigen schmalen Rechtecks. Die Gebäudegruppen zwischen Martinikirchhof und Holz- bzw. Fischmarkt sind überbaute Kaufbuden, wie man aus den winzigen Grundstückflächen ersehen kann, die sich an die Kirchhofmauer von St. Martin anlehnten. Erst durch die Errichtung des neuen Rat­ hauses 1381-1598 wurde der Platz in zwei Teile zerschnitten, die fortan eigene Namen trugen. Das alte Rathaus, 1241 erbaut, lag am Martinikircdhhof. Moderne Straßendurch­ brüche rissen Lücken in die Platzfront32. Die Neustadt entlang der Gröperstraße zwischen der Stadtbecke und dem Moritztor und die Vogtei müssen zwischen 1186 und 1208 in die Befestigung einbezogen worden 33 sein • Einern ganz anderen Bildungsgesetz als die Altstadt gehorcht die Vogtei im NordKunstdenkmäler, S. 221 u. 436. - MG SS XXIII, S. 85. Bereits 1225 befand sich das Alexius­ spital »in civitate« (vgl. v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzver. 5, 1872, S. 55 u. Anm. 3). Das Spital wurde 1138 dem Johannisstift geschenkt. - Das Pfortenkloster (von »Porta coeli«) lag ursprünglich in der Immunität (v. Mülverstedt, ebenda S. 52f.). 28 UB Stadt I, Nr. 25, S.51, von 1225. - v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzver. 5, 1872, S. 59 ff. 29 UB Hochstift I, Nr. 359. - v. Mülverstedt, Zeitschr. d. Harzver. 5, 1872, S. 56 ff. Er lag vor dem Gröpertor. 30 Zur Gemeindebildung in Halberstadt: Edith Ennen, Die Frühgeschichte der europäischen Stadt, Bonn 1955, S. 208 u. Hans Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter, Graz-Köln 1954, S.110. - Zerstörung durch Heinrich d. Löwen: UB Hochstift I, Nr. 287. Mit dieser Datierung deckt sich auch die Beobachtung, daß der Sohlgraben der Immunität um 1100 bedeutungslos wurde, als man einen Brunnen darin anlegte. Ein weiterer Befestigungsring hatte damals also die Funktion der Domburg übernommen. Nickel S. 254. 31 Adolf Diestelkamp, Halberstädter Analekten, Sachsen und Anhalt, Jahrbuch der Histori­ schen Kommission für die Provinz Sachsen u. f. Anhalt 4, 1928, S.37ff. - UB Stadt I, Nr. 12, S. 15. 32 R. Sinning, Städtebauliche Entwicklung, S.91. Neue Durchbrüche in Halberstadt sind: Hein­ rich-Julius-Straße, Johannesstraße und Katharinenstraße. 33 Die Angabe bei Varges, S. 107 f., und Kunstdenkmäler, S. 185, die Einbeziehung sei zwischen 1208 und 1256 erfolgt, läßt sich nicht aufrechterhalten. 1186 wird die Thomaskirche, die Bischof Dietrich zu Ehren des Thomas Becket gründete, folgendermaßen bezeichnet: »eccle27

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westen, die dem Bischof und nicht dem Stadtrat unterstand. Der Hausstellenplan zeigt abgerundete Blöcke, die nur an den Rändern mit sehr kleinen Häusern besetzt sind. Dazwischen laufen ganz unregelmäßige Straßen, die mehr die einzelnen Blöcke um­ grenzen als richtungsbetonte Verbindungen darstellen. Das 19. Jahrhundert mußte hier am stärksten eingreifen, um Durchgangsstraßen zu schaffen. Straßennamen, wie der Graue Hof, der Abtshof, der Steinhof, weisen auf den Ursprung dieser merkwürdigen, beinahe einzigartigen Stadtanlage hin. Hier befanden sich im Mittelalter große zu­ sammenhängende Hofgüter, die erst in spät- und nachmittelalterlicher Zeit aufgeteilt und bebaut wurden. Hier wird auch der Fronhof des Bischofs und Domkapitels zu suchen sein. Die frühere Ritterstraße (jetzt »Vogtei«) mit ihren ungewöhnlich großen Hausstellen war der Sitz der Adelsfamilien entsprechend den Ritterstraßen in Merse­ burg und in Minden34• überhaupt muß man sich die winzigen Hausstellen, die sich in den verschiedensten Gegenden der Stadt einnisteten, aus dem Bilde des mittelalterlichen Halberstadt fort­ denken. Sie gehören sicher einer spät- oder nachmittelalterlichen Überlagerung an wie in Quedlinburg35. Die eindrucksvollste Ansicht gewährte Halberstadt von Norden. Hier kommt am glücklichsten die Höhenlage der Bischofsburg über den Häusern der Unterstadt (Vogtei und Neustadt) zur Geltung. Der ältere Südteil der Bürgerstadt liegt höher, auch die große West-Ost-Straße führte auf dem höher gelegenen Gelände entlang. Wenn man sich Ende des 11. Jahrhunderts von Norden her der Stadt näherte, sah man über den Einzelhöfen der Vogtei mit locker verstreuter Bebauung sich die Mauern der Bischofs­ burg erheben, aus denen die beiden großartigen Baugruppen von Dom und Liebfrauen emporstrebten, straff einander zugeordnet durch die gleiche Richtung nach Osten. Am Fuße der Ostapsis des Doms stiegen die wenigen kleinen Häuser des Marktes den Ho­ hen Weg hinan zur Anhöhe. Rings umher in der Landschaft verstreut ragten die Turm­ gruppen der Stifte und Klöster hervor. Zwei begleiten die Bischofsburg im Westen und Osten, ebenfalls auf der Anhöhe und nicht viel tiefer als Dom und Liebfrauen gelegen. Auf der Hügelkette im Norden der Stadt erhebt sich das Bonifatius-Stift; vor dem Ein­ tritt in das Stadtgebiet muß der Ankömmling an dem Burchardi-Kloster vorbei. Eine heilige Landschaft, einen Mittelpunkt religiösen Lebens hat er betreten. sia b. Thome martiris juxta civitatem Alverstatensem« und »eccl. b. Thome m. ad introitum civitatis nostre in parte septentrionali constructa« (UB Stadt I, Nr. 7, S. 7 f.). Die Kirche lag also damals noch außerhalb der Stadt (juxta!). 1208 wird in ein und derselben Urkunde die Lage der Kirche infra civitatem und extra civitatem angegeben (UB Stadt I, Nr. 16, S. 18f.). Bei der ersteren Erwähnung wird als nähere Erklärug beigefügt: »prope portam versus septentrionem«; damit kann nur das Burcharditor gemeint sein. Die Befestigung hat damals also bereits die Vogtei eingeschlossen. Daß 1225 die Stadtmauer bereits das Gelände im Westen der Immunität umschloß, ergibt sich aus der Lagebezeichnung »in civitate« für das Alexiusspital (vgl. Anm. 27). 1256 liegt die Mauritiuskirche jedenfalls innerhalb der Stadt: »s. Mauricium in civitate H. sitam« (UB Stadt I, Nr. 52, S. 40). Die Mauer der Neustadt bei der Moritzkirche wird 1239 erwähnt: »muro civitatis« (UB Stadt I, Nr. 40a, S. 46). 34 Auch R. Sinning, S.90, sah, daß hier eine Aufteilung größerer Besitzungen stattfand. W. Baumann, Die Vogtei in Halberstadt, Magdeburger Montagsblatt 1937, S. 151/52. Der sogenannte Graue Hof = Grafenhof wird 1257 erwähnt (UB Stadt I, Nr. 101, S. 95). 35 Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen. Kreisstadt Quedlinburg, bearb. von Adolf Brinkmann, Berlin 1922, S. 16.

QUEDLINBURG

(Abbildungen 6 u. 7, Tafel 5)

In Quedlinburg steht uns noch heute, wenn auch stark erweitert und im Einzelbau­ werk völlig verändert, ein ottonisches Stadtbild vor Augen1. Die weiträumige Streuung der Siedlungskerne, deren Zusammenwachsen bis zur Gegenwart das bergige Gelände verhinderte, hat sich hier erhalten. Von der Terrasse des Schloßberges aus gelingt es dem Besucher leicht, sich das Siedlungsbild der Jahrtausendwende vorzustellen: den Schwer­ punkt bildete das freiweltliche Damenstift, das vornehmste des Reiches; dicht daneben erhob sich auf dem Münzenberg das schlichtere Nonnenkloster St. Maria; südwestlich im Tal der Bode lag auf dem Gelände des ehemaligen Königshofes das Kollegiatstift St. Jakob und Wiperti und im Norden, um die Blasii-Kirche geschart, die Marktsiedlung an der Gabelung der Durchgangsstraßen; locker verstreute Einzelhöfe umsäumten den Schloßberg. Am Nordabhang des Harzes zieht die Bode an sechs annähernd gleichlaufenden Höhenrücken vorbei, die von Westen nach Osten streichen und mit der Flußrichtung fast einen rechten Winkel bilden. Ihre felsigen, schroff aufsteigenden Sandsteinkuppen, zwischen denen sich im Tal fruchtbares Ackerland ausbreitet, waren von Natur aus zu Festungen vorbestimmt. Der Strohberg im Nordwesten des Münzenberges und die »Altenburg« trugen vorgeschichtliche Fluchtburgen2. Der »Altenburg« kam offenbar eine besondere Bedeutung zu. An ihrem Hang lag ein vorgeschichtlicher Begräbnisplatz. Bis heute lebt ihr Bestehen in dem Flurnamen nach, der sich bis in das 12. Jahrhundert zurückverfolgen läßt. 1165 wird ein Acker »in declivo montis in antiqua urbe« erwähnt und 1179 ein Weinberg »in antiqua urbe«~. Eine Wohnburg oder ein mittelalterlicher Herrensitz war dort aber nie. Der Name setzt die neue Burg voraus, welche König Heinrich 1. auf dem Schloßberg errichtete. Die »Altenburg« reicht also zumindest in das 9. Jahrhundert, höchstwahrscheinlicd aber noch in vorkarolingische Zeit zurück. 1

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Die umfassendste Bibliographie bietet: Erich Keyser, Deutsches Städtebuch, Bd. II, Stutt­ gart-Berlin 1941, S. 644 ff. - Hermann Lorenz, Werdegang von Stift und Stadt Quedlinburg, Quedlinburg. Gesch. 1. Bd., Quedlinb. 1922, schrieb die wichtigste mittelalterliche Stadt­ geschichte. - Adolf Brinkmann, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunst­ denkmäler der Provinz Sachsen, Kreisstadt Quedlinburg, 1. Teil Berlin 1922, 2. Teil Magde­ burg 1925, mit ausgezeichnetem Hausstellen-Plan, hat die topographische Entwicklung ein­ gehend dargestellt (S. 12-19). Wiederholt in dem Aufsatz des gleichen Verfassers: Die Wandlungen des Stadtbildes von Quedlinburg, Festschr. zur Tausendjahrfeier der Stadt Quedlinburg, herausgeg. v. Quedlinb. Kreisblatt 1922. - J. Spitzmann u. K. Th. Weigel, Quedlinb., Quedlinb. 1936. - Die Urkunden verzeichnet Karl Janicke, Urkundenbuch d. Stadt Quedlinb. 1. Bd. (bis 1477), Halle 1875, 2. Bd. (bis 1541), Halle 1882. - Elisabeth Speer, Quedlinburg, Dresden 1955. Ernst Pietsch, Antiqua urbs und die Altenburg bei Quedlinburg, Zeitschr. d. Harzvereins f. Gesch. u. Altertumskunde 47, 1914, S. 42 ff. - Kunstdenkmäler I, S. 5. UB I, Nr. 14 u. Nr. 17, S. 15 u. 15.

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westen, die dem Bischof und nicht dem Stadtrat unterstand. Der Hausstellenplan zeigt abgerundete Blöcke, die nur an den Rändern mit sehr kleinen Häusern besetzt sind. Dazwischen laufen ganz unregelmäßige Straßen, die mehr die einzelnen Blöcke um­ grenzen als richtungsbetonte Verbindungen darstellen. Das 19. Jahrhundert mußte hier am stärksten eingreifen, um Durchgangsstraßen zu schaffen. Straßennamen, wie der Graue Hof, der Abtshof, der Steinhof, weisen auf den Ursprung dieser merkwürdigen, beinahe einzigartigen Stadtanlage hin. Hier befanden sich im Mittelalter große zu­ sammenhängende Hofgüter, die erst in spät- und nachmittelalterlicher Zeit aufgeteilt und bebaut wurden. Hier wird auch der Fronhof des Bischofs und Domkapitels zu suchen sein. Die frühere Ritterstraße (jetzt »Vogtei«) mit ihren ungewöhnlich großen Hausstellen war der Sitz der Adelsfamilien entsprechend den Ritterstraßen in Merse­ burg und in Minden34• überhaupt muß man sich die winzigen Hausstellen, die sich in den verschiedensten Gegenden der Stadt einnisteten, aus dem Bilde des mittelalterlichen Halberstadt fort­ denken. Sie gehören sicher einer spät- oder nachmittelalterlichen Überlagerung an wie in Quedlinburg35. Die eindrucksvollste Ansicht gewährte Halberstadt von Norden. Hier kommt am glücklichsten die Höhenlage der Bischofsburg über den Häusern der Unterstadt (Vogtei und Neustadt) zur Geltung. Der ältere Südteil der Bürgerstadt liegt höher, auch die große West-Ost-Straße führte auf dem höher gelegenen Gelände entlang. Wenn man sich Ende des 11. Jahrhunderts von Norden her der Stadt näherte, sah man über den Einzelhöfen der Vogtei mit locker verstreuter Bebauung sich die Mauern der Bischofs­ burg erheben, aus denen die beiden großartigen Baugruppen von Dom und Liebfrauen emporstrebten, straff einander zugeordnet durch die gleiche Richtung nach Osten. Am Fuße der Ostapsis des Doms stiegen die wenigen kleinen Häuser des Marktes den Ho­ hen Weg hinan zur Anhöhe. Rings umher in der Landschaft verstreut ragten die Turm­ gruppen der Stifte und Klöster hervor. Zwei begleiten die Bischofsburg im Westen und Osten, ebenfalls auf der Anhöhe und nicht viel tiefer als Dom und Liebfrauen gelegen. Auf der Hügelkette im Norden der Stadt erhebt sich das Bonifatius-Stift; vor dem Ein­ tritt in das Stadtgebiet muß der Ankömmling an dem Burchardi-Kloster vorbei. Eine heilige Landschaft, einen Mittelpunkt religiösen Lebens hat er betreten. sia b. Thome martiris juxta civitatem Alverstatensem« und »eccl. b. Thome m. ad introitum civitatis nostre in parte septentrionali constructa« (UB Stadt I, Nr. 7, S. 7 f.). Die Kirche lag also damals noch außerhalb der Stadt (juxta!). 1208 wird in ein und derselben Urkunde die Lage der Kirche infra civitatem und extra civitatem angegeben (UB Stadt I, Nr. 16, S. 18f.). Bei der ersteren Erwähnung wird als nähere Erklärug beigefügt: »prope portam versus septentrionem«; damit kann nur das Burcharditor gemeint sein. Die Befestigung hat damals also bereits die Vogtei eingeschlossen. Daß 1225 die Stadtmauer bereits das Gelände im Westen der Immunität umschloß, ergibt sich aus der Lagebezeichnung »in civitate« für das Alexiusspital (vgl. Anm. 27). 1256 liegt die Mauritiuskirche jedenfalls innerhalb der Stadt: »s. Mauricium in civitate H. sitam« (UB Stadt I, Nr. 52, S. 40). Die Mauer der Neustadt bei der Moritzkirche wird 1239 erwähnt: »muro civitatis« (UB Stadt I, Nr. 40a, S. 46). 34 Auch R. Sinning, S.90, sah, daß hier eine Aufteilung größerer Besitzungen stattfand. W. Baumann, Die Vogtei in Halberstadt, Magdeburger Montagsblatt 1937, S. 151/52. Der sogenannte Graue Hof = Grafenhof wird 1257 erwähnt (UB Stadt I, Nr. 101, S. 95). 35 Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Provinz Sachsen. Kreisstadt Quedlinburg, bearb. von Adolf Brinkmann, Berlin 1922, S. 16.

QUEDLINBURG

(Abbildungen 6 u. 7, Tafel 5)

In Quedlinburg steht uns noch heute, wenn auch stark erweitert und im Einzelbau­ werk völlig verändert, ein ottonisches Stadtbild vor Augen1. Die weiträumige Streuung der Siedlungskerne, deren Zusammenwachsen bis zur Gegenwart das bergige Gelände verhinderte, hat sich hier erhalten. Von der Terrasse des Schloßberges aus gelingt es dem Besucher leicht, sich das Siedlungsbild der Jahrtausendwende vorzustellen: den Schwer­ punkt bildete das freiweltliche Damenstift, das vornehmste des Reiches; dicht daneben erhob sich auf dem Münzenberg das schlichtere Nonnenkloster St. Maria; südwestlich im Tal der Bode lag auf dem Gelände des ehemaligen Königshofes das Kollegiatstift St. Jakob und Wiperti und im Norden, um die Blasii-Kirche geschart, die Marktsiedlung an der Gabelung der Durchgangsstraßen; locker verstreute Einzelhöfe umsäumten den Schloßberg. Am Nordabhang des Harzes zieht die Bode an sechs annähernd gleichlaufenden Höhenrücken vorbei, die von Westen nach Osten streichen und mit der Flußrichtung fast einen rechten Winkel bilden. Ihre felsigen, schroff aufsteigenden Sandsteinkuppen, zwischen denen sich im Tal fruchtbares Ackerland ausbreitet, waren von Natur aus zu Festungen vorbestimmt. Der Strohberg im Nordwesten des Münzenberges und die »Altenburg« trugen vorgeschichtliche Fluchtburgen2. Der »Altenburg« kam offenbar eine besondere Bedeutung zu. An ihrem Hang lag ein vorgeschichtlicher Begräbnisplatz. Bis heute lebt ihr Bestehen in dem Flurnamen nach, der sich bis in das 12. Jahrhundert zurückverfolgen läßt. 1165 wird ein Acker »in declivo montis in antiqua urbe« erwähnt und 1179 ein Weinberg »in antiqua urbe«~. Eine Wohnburg oder ein mittelalterlicher Herrensitz war dort aber nie. Der Name setzt die neue Burg voraus, welche König Heinrich 1. auf dem Schloßberg errichtete. Die »Altenburg« reicht also zumindest in das 9. Jahrhundert, höchstwahrscheinlicd aber noch in vorkarolingische Zeit zurück. 1

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Die umfassendste Bibliographie bietet: Erich Keyser, Deutsches Städtebuch, Bd. II, Stutt­ gart-Berlin 1941, S. 644 ff. - Hermann Lorenz, Werdegang von Stift und Stadt Quedlinburg, Quedlinburg. Gesch. 1. Bd., Quedlinb. 1922, schrieb die wichtigste mittelalterliche Stadt­ geschichte. - Adolf Brinkmann, Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunst­ denkmäler der Provinz Sachsen, Kreisstadt Quedlinburg, 1. Teil Berlin 1922, 2. Teil Magde­ burg 1925, mit ausgezeichnetem Hausstellen-Plan, hat die topographische Entwicklung ein­ gehend dargestellt (S. 12-19). Wiederholt in dem Aufsatz des gleichen Verfassers: Die Wandlungen des Stadtbildes von Quedlinburg, Festschr. zur Tausendjahrfeier der Stadt Quedlinburg, herausgeg. v. Quedlinb. Kreisblatt 1922. - J. Spitzmann u. K. Th. Weigel, Quedlinb., Quedlinb. 1936. - Die Urkunden verzeichnet Karl Janicke, Urkundenbuch d. Stadt Quedlinb. 1. Bd. (bis 1477), Halle 1875, 2. Bd. (bis 1541), Halle 1882. - Elisabeth Speer, Quedlinburg, Dresden 1955. Ernst Pietsch, Antiqua urbs und die Altenburg bei Quedlinburg, Zeitschr. d. Harzvereins f. Gesch. u. Altertumskunde 47, 1914, S. 42 ff. - Kunstdenkmäler I, S. 5. UB I, Nr. 14 u. Nr. 17, S. 15 u. 15.

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Ein zugehöriger sächsischer Herrenhof lag zu ihren Füßen im Tal, auf drei Seiten von einem Bode-Arm (Mühlgraben) umgeben. Seine Besitzverhältnisse bis ins 10. Jahr­ hundert lassen sich nur vermuten*. Er gehörte wohl einem sächsischen Edeling, bevor er 786 anläßlich der Verschwörung Herzog Hardrads von Karl dem Großen konfisziert wurde. Im 9. Jahrhundert besaß das Kloster Hersfeld gewisse Rechte auf den Hof. »Est loco Quidilingenburch nominatus ... , quondam autem istius congregationis (näm­ lich Hersfeld) utilitati subditus . . .« berichten die Miracula S. Wigberti, die wahrschein­ lich zwischen 936 und 956 in Hersfeld geschrieben wurden*. Daß Bischof Haimo von Halberstadt dort um 840 eine Kirche geweiht habe, ist Geschichtsklitterung". In das 9. Jahrhundert reicht die Wigberti-Kapelle in der Curtis zurück, die man ursprünglich wohl als einschiffige, offene Missionskapelle anlegte, wie sie Paul Jonas Meier rekon­ struierte'. Sie ist heute noch umgebaut in der Wiperti-Krypta erhalten. 901 wurde Her­ zog Otto aus dem Hause der Ludolfinger Laienabt des Klosters Hersfeld. Damals erwarb er wohl durch Kauf oder Tausch die Quedlinburger Curtis (zwischen 901 und 912). 922 erscheint zum erstenmal der Name Quedlinburg in den Urkunden (»in villa, quae dicitur Quitilingaburg«)*. Er leitet sich von dem Eigennamen Quitilo ab. Im Zuge der Befestigungsbauten gegen die Ungarn ließ Heinrich I. die Burg auf dem Quedlinburger Schloßberg verstärken und weiter ausbauen, da sie wie die vorgeschicht­ liche Fluchtburg (Altenburg) wehrtechnisch nicht mehr den Forderungen der Zeit genügte. Die allseitig freistehende, verhältnismäßig kleine Felsenkuppe (165 m lang, 70 m breit), die bis zu 25 m über die umliegenden Straßen ansteigt, eignete sich dazu vorzüglich. Das Gelände schrieb der Befestigung einen fast regelmäßig ovalen Umriß vor. Der Zwang der Ungarneinfälle führte im frühen 10. Jahrhundert zu ähnlichen Lösungen an der Ost­ grenze des deutschen Siedlungsgebietes. Kurz vor Quedlinburg war in Bamberg die vor­ geschichtliche Fluchtburg, die auch dort den Namen »Altenburg« erhielt, von einer tiefer gelegenen Befestigung auf dem Dornberg abgelöst worden. Sicher besaßen die Baben­ berger vorher schon einen Hof im Tal, dessen Lage uns aber nicht mehr bekannt ist. Zur gleichen Zeit erhielt Eichstätt eine neue Burg im Tal, die Domimmunität, während die vorgeschichtliche Fluchtburg auf dem Berge ihre Aufgabe verlor und nur in dem Flur­ namen »Altenburg« fortlebte. Ebenso verhält es sich in Würzburg, nur daß hier der Zeitpunkt der Immunitätsummauerung im Tal unsicher ist'. 929 schenkt Heinrich I. Quedlinburg »cum civitatibus« (= alte und neue Burg) seiner Gemahlin Mathilde als Wittum'°. Während des Waffenstillstandes mit den Ungarn (wahrscheinlich 927-929) ist die neue Burg in Quedlinburg errichtet worden. Sie erhielt Ringmauern aus behauenen W. Grosse, Die Gründung und Glanzzeit des Stiftes Quedlinburg unter den Ludolfingern, Zeitschr. d. Harzvereins 48, 1915, S. 4 ff. - H. Lorenz, Werdegang, S. 52 f. - Joh. Bauermann, Die Anfänge der Prämonstratenserklöster Scheda und St. Wiperti - Quedlinburg, Sachsen u. Anhalt 7, 1951, S. 240, Anm. 265. 5 MG SS IV, S. 227. 6 W. Grosse, Gründung, S. 6. u. Lorenz, Werdegang, S. 28 suchen einen Kern dieser Nachricht zu retten, dagegen mit überzeugenden Gründen Bauermann, Anfänge S. 238 f. u. Anm. 261. 7 P. J. Meier, Die ottonischen Bauten in Quedlinb., Zeitschr. f. Gesch. d. Architektur 2, 1908/09, S. 240ff. - P. J. Meier, Die Kirchen in Quedlinb. (Dtsch. Bauten, Bd. 20), Burg bei Magdeburg (1952), S. 25 ff. 8 UB I, Nr. 1, S. 1. 9 Vgl. S. 147 ff. 10 UB I, Nr. 2, S. 2. - Grosse, Gründung, S. 14. 4

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1 Königshof mit St. Jakob u. Wiperti 2 Damenstift St. Servatius auf dem Schloßberg 3 St. Maria auf dem Münzenberg 4 St. Blasii in der Marktsiedlung



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Ein zugehöriger sächsischer Herrenhof lag zu ihren Füßen im Tal, auf drei Seiten von einem Bode-Arm (Mühlgraben) umgeben. Seine Besitzverhältnisse bis ins 10. Jahr­ hundert lassen sich nur vermuten*. Er gehörte wohl einem sächsischen Edeling, bevor er 786 anläßlich der Verschwörung Herzog Hardrads von Karl dem Großen konfisziert wurde. Im 9. Jahrhundert besaß das Kloster Hersfeld gewisse Rechte auf den Hof. »Est loco Quidilingenburch nominatus ... , quondam autem istius congregationis (näm­ lich Hersfeld) utilitati subditus . . .« berichten die Miracula S. Wigberti, die wahrschein­ lich zwischen 936 und 956 in Hersfeld geschrieben wurden*. Daß Bischof Haimo von Halberstadt dort um 840 eine Kirche geweiht habe, ist Geschichtsklitterung". In das 9. Jahrhundert reicht die Wigberti-Kapelle in der Curtis zurück, die man ursprünglich wohl als einschiffige, offene Missionskapelle anlegte, wie sie Paul Jonas Meier rekon­ struierte'. Sie ist heute noch umgebaut in der Wiperti-Krypta erhalten. 901 wurde Her­ zog Otto aus dem Hause der Ludolfinger Laienabt des Klosters Hersfeld. Damals erwarb er wohl durch Kauf oder Tausch die Quedlinburger Curtis (zwischen 901 und 912). 922 erscheint zum erstenmal der Name Quedlinburg in den Urkunden (»in villa, quae dicitur Quitilingaburg«)*. Er leitet sich von dem Eigennamen Quitilo ab. Im Zuge der Befestigungsbauten gegen die Ungarn ließ Heinrich I. die Burg auf dem Quedlinburger Schloßberg verstärken und weiter ausbauen, da sie wie die vorgeschicht­ liche Fluchtburg (Altenburg) wehrtechnisch nicht mehr den Forderungen der Zeit genügte. Die allseitig freistehende, verhältnismäßig kleine Felsenkuppe (165 m lang, 70 m breit), die bis zu 25 m über die umliegenden Straßen ansteigt, eignete sich dazu vorzüglich. Das Gelände schrieb der Befestigung einen fast regelmäßig ovalen Umriß vor. Der Zwang der Ungarneinfälle führte im frühen 10. Jahrhundert zu ähnlichen Lösungen an der Ost­ grenze des deutschen Siedlungsgebietes. Kurz vor Quedlinburg war in Bamberg die vor­ geschichtliche Fluchtburg, die auch dort den Namen »Altenburg« erhielt, von einer tiefer gelegenen Befestigung auf dem Dornberg abgelöst worden. Sicher besaßen die Baben­ berger vorher schon einen Hof im Tal, dessen Lage uns aber nicht mehr bekannt ist. Zur gleichen Zeit erhielt Eichstätt eine neue Burg im Tal, die Domimmunität, während die vorgeschichtliche Fluchtburg auf dem Berge ihre Aufgabe verlor und nur in dem Flur­ namen »Altenburg« fortlebte. Ebenso verhält es sich in Würzburg, nur daß hier der Zeitpunkt der Immunitätsummauerung im Tal unsicher ist'. 929 schenkt Heinrich I. Quedlinburg »cum civitatibus« (= alte und neue Burg) seiner Gemahlin Mathilde als Wittum'°. Während des Waffenstillstandes mit den Ungarn (wahrscheinlich 927-929) ist die neue Burg in Quedlinburg errichtet worden. Sie erhielt Ringmauern aus behauenen W. Grosse, Die Gründung und Glanzzeit des Stiftes Quedlinburg unter den Ludolfingern, Zeitschr. d. Harzvereins 48, 1915, S. 4 ff. - H. Lorenz, Werdegang, S. 52 f. - Joh. Bauermann, Die Anfänge der Prämonstratenserklöster Scheda und St. Wiperti - Quedlinburg, Sachsen u. Anhalt 7, 1951, S. 240, Anm. 265. 5 MG SS IV, S. 227. 6 W. Grosse, Gründung, S. 6. u. Lorenz, Werdegang, S. 28 suchen einen Kern dieser Nachricht zu retten, dagegen mit überzeugenden Gründen Bauermann, Anfänge S. 238 f. u. Anm. 261. 7 P. J. Meier, Die ottonischen Bauten in Quedlinb., Zeitschr. f. Gesch. d. Architektur 2, 1908/09, S. 240ff. - P. J. Meier, Die Kirchen in Quedlinb. (Dtsch. Bauten, Bd. 20), Burg bei Magdeburg (1952), S. 25 ff. 8 UB I, Nr. 1, S. 1. 9 Vgl. S. 147 ff. 10 UB I, Nr. 2, S. 2. - Grosse, Gründung, S. 14. 4

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St. Jakob u. Wiperti

A B C D E F G H

Blasiistraße Hohestraße Markt Marktstraße Schmale Straße Breite Straße Steinweg Finkenherd

St. Servatius 3 Münzenberg 4 St. Blasii 5 St. Benedikti 6 St. Ägidien 7 St. Nikolai 8 Rathaus 9 St. Johannis-Spital

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Quadern, die den ganzen Schloßberg umfaßten. Der Zugang erfolgte auf der Südseite, wo ein starker Torbau angeschnitten wurde. In seiner Verlängerung steht der Herrenhof, dessen Schutz die Bergfeste übernahm. Um den Schloßberg liegen, vor allem auf der Nordseite, alte Einzelhöfe, die sich in das mittelalterliche Stadtgebiet hineinziehen. Sie reichen also noch in die Zeit vor der Gründung der Altstadt zurück. In ihnen darf man die Höfe der Burgmannen erblicken, denen die Verteidigung der Befestigung Heinrichs I. oblag11. Ähnliche Höfe finden sich im Stadtgebiet von Halle, die eingehend untersucht wurden12. Die Quedlinburger Höfe um den Schloßberg bildeten das Westendorf, dessen Name seit dem 14. Jahrhundert zu belegen ist. Seine Bezeichnung ist nur von der Burg aus zu verstehen, nicht von der Altstadt her, da es sonst Süddorf heißen müßte. Es unterstand dem Reichsstift und blieb von der hochmittelalterlichen Stadt vollständig getrennt. Seine Einwohner besaßen kein Bürgerrecht in der Stadt. Es hat auch nie eine Mauerbefestigung erhalten, von drei Toren im Verlauf der Durchgangsstraßen abgesehen. »Schon lange trug sich Heinrich I. mit dem Gedanken, in Quedlinburg ein Stift zu errichten, in dem er dasjenige von Wendhausen nach Quedlinburg verlegen wollte. Der Tod verhinderte die Ausführung, aber als er starb, stand bereits eine Kirche auf dem Schloßberge, gewissermaßen eine Art Burgkapelle, die dem heiligen Petrus geweiht war. In ihr wurde Heinrich I. im Jahre 956 beigesetzt'.« Sein Sohn und seine Witwe führten den Plan des Königs aus. Otto der Große schenkte den Burgberg mit allen Gebäuden und gründete als erste Regierungshandlung das freiweltliche Damenstift, dem die Königin-Witwe Mathilde über 30 Jahre lang vorstand!', Das Stift wurde un­ mittelbar dem Papst unterstellt. Nur Töchter des höchsten Adels fanden dort Auf­ nahme. Von seiner Gründung an hatte das Stift sich der besonderen Huld der Ottonen zu erfreuen, wie zahlreiche Schenkungen beweisen. Man könnte Quedlinburg geradezu als das Hausstift der Herrscherfamilie bezeichnen. Der Königinwitwe mag das Fa­ milienstift ihres eigenen Geschlechtes (des Wittekindschen) in Herford als Vorbild für Quedlinburg gedient haben15. Die Weihe der Neugründung fand wahrscheinlich am 29. Dezember 936 statt. Die geringen Reste der Peterskirche in der Krypta der bestehenden Stiftskirche gestatten, sie als kleine dreischiffige Basilika zu rekonstruieren16. Wiedergefunden hat sich im 19. Jahrhundert die Königsgruft mit einer östlich anschließenden Confessio. Die Lage der Gruft vor dem Hauptaltar entspricht der schriftlichen Oberlieferung17. Im Westen besaß die Peterskirche einen Querbau für die Stiftsdamen. Auf Veranlassung Ottos I. wurden Reliquien des hl. Servatius aus Maastricht 961 nach Quedlinburg übergeführt. Aus Rom sandte der Kaiser in den folgenden Jahren die Kunstdenkmäler I,S. 12 f. u. 18. 964 wird das »suburbium castelli Quidilingoburg« erwähnt, zu dem das Wiperti-Kloster gerechnet wird (UB I, Nr. 6, S. 5). 12 Vgl. S. 63 ff. 13 Aloys Schulte u. Georg Wilh. Sante, Beiträge zur Baugeschichte der Quedlinburger Stifts­ kirche, Repertorium f. Kunstwissensch. 44, 1924, S. 247. 14 MG DD OL, Nr. 1. - UB I, Nr. 5, S. 2 f. 15 Kollmeyer, Ein Beitrag zur Vogtei der Mathildischen Stiftungen, Zeitschr. d. Harzvereins 47, 1914, S. 59. 16 P. J. Meier, Die Kirchen in Quedlinb., S.11 f., mit Grundriß. 17 »Translatum est corpus (Heinrichs I.) in civitatem quae dicitur Quidilingaburg, et sepultum in basilica sancti Petri ante altare« (Widukind I, 41). 11

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Abb. 7. Quedlinburg. Nach dem Hausstellenplan von 1901 im Kunstdenkmälerband

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Blasiistraße Hohestraße Markt Marktstraße Schmale Straße Breite Straße Steinweg Finkenherd

St. Servatius 3 Münzenberg 4 St. Blasii 5 St. Benedikti 6 St. Ägidien 7 St. Nikolai 8 Rathaus 9 St. Johannis-Spital

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Quadern, die den ganzen Schloßberg umfaßten. Der Zugang erfolgte auf der Südseite, wo ein starker Torbau angeschnitten wurde. In seiner Verlängerung steht der Herrenhof, dessen Schutz die Bergfeste übernahm. Um den Schloßberg liegen, vor allem auf der Nordseite, alte Einzelhöfe, die sich in das mittelalterliche Stadtgebiet hineinziehen. Sie reichen also noch in die Zeit vor der Gründung der Altstadt zurück. In ihnen darf man die Höfe der Burgmannen erblicken, denen die Verteidigung der Befestigung Heinrichs I. oblag11. Ähnliche Höfe finden sich im Stadtgebiet von Halle, die eingehend untersucht wurden12. Die Quedlinburger Höfe um den Schloßberg bildeten das Westendorf, dessen Name seit dem 14. Jahrhundert zu belegen ist. Seine Bezeichnung ist nur von der Burg aus zu verstehen, nicht von der Altstadt her, da es sonst Süddorf heißen müßte. Es unterstand dem Reichsstift und blieb von der hochmittelalterlichen Stadt vollständig getrennt. Seine Einwohner besaßen kein Bürgerrecht in der Stadt. Es hat auch nie eine Mauerbefestigung erhalten, von drei Toren im Verlauf der Durchgangsstraßen abgesehen. »Schon lange trug sich Heinrich I. mit dem Gedanken, in Quedlinburg ein Stift zu errichten, in dem er dasjenige von Wendhausen nach Quedlinburg verlegen wollte. Der Tod verhinderte die Ausführung, aber als er starb, stand bereits eine Kirche auf dem Schloßberge, gewissermaßen eine Art Burgkapelle, die dem heiligen Petrus geweiht war. In ihr wurde Heinrich I. im Jahre 956 beigesetzt'.« Sein Sohn und seine Witwe führten den Plan des Königs aus. Otto der Große schenkte den Burgberg mit allen Gebäuden und gründete als erste Regierungshandlung das freiweltliche Damenstift, dem die Königin-Witwe Mathilde über 30 Jahre lang vorstand!', Das Stift wurde un­ mittelbar dem Papst unterstellt. Nur Töchter des höchsten Adels fanden dort Auf­ nahme. Von seiner Gründung an hatte das Stift sich der besonderen Huld der Ottonen zu erfreuen, wie zahlreiche Schenkungen beweisen. Man könnte Quedlinburg geradezu als das Hausstift der Herrscherfamilie bezeichnen. Der Königinwitwe mag das Fa­ milienstift ihres eigenen Geschlechtes (des Wittekindschen) in Herford als Vorbild für Quedlinburg gedient haben15. Die Weihe der Neugründung fand wahrscheinlich am 29. Dezember 936 statt. Die geringen Reste der Peterskirche in der Krypta der bestehenden Stiftskirche gestatten, sie als kleine dreischiffige Basilika zu rekonstruieren16. Wiedergefunden hat sich im 19. Jahrhundert die Königsgruft mit einer östlich anschließenden Confessio. Die Lage der Gruft vor dem Hauptaltar entspricht der schriftlichen Oberlieferung17. Im Westen besaß die Peterskirche einen Querbau für die Stiftsdamen. Auf Veranlassung Ottos I. wurden Reliquien des hl. Servatius aus Maastricht 961 nach Quedlinburg übergeführt. Aus Rom sandte der Kaiser in den folgenden Jahren die Kunstdenkmäler I,S. 12 f. u. 18. 964 wird das »suburbium castelli Quidilingoburg« erwähnt, zu dem das Wiperti-Kloster gerechnet wird (UB I, Nr. 6, S. 5). 12 Vgl. S. 63 ff. 13 Aloys Schulte u. Georg Wilh. Sante, Beiträge zur Baugeschichte der Quedlinburger Stifts­ kirche, Repertorium f. Kunstwissensch. 44, 1924, S. 247. 14 MG DD OL, Nr. 1. - UB I, Nr. 5, S. 2 f. 15 Kollmeyer, Ein Beitrag zur Vogtei der Mathildischen Stiftungen, Zeitschr. d. Harzvereins 47, 1914, S. 59. 16 P. J. Meier, Die Kirchen in Quedlinb., S.11 f., mit Grundriß. 17 »Translatum est corpus (Heinrichs I.) in civitatem quae dicitur Quidilingaburg, et sepultum in basilica sancti Petri ante altare« (Widukind I, 41). 11

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Abb. 7. Quedlinburg. Nach dem Hausstellenplan von 1901 im Kunstdenkmälerband

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Gebeine der Heiligen Fabian, Eustachius und Stephana'®. Der Bedeutung dieser Reli­ quienschätze entsprach die verhältnismäßig kleine Stiftskirche nicht mehr. 997 weihte man einen Erweiterungsbau der Kirche, den die erste Äbtissin Mathilde, die Tochter Ottos des Großen hatte errichten lassen. Um welche Bauteile es sich dabei handelte, wissen wir nicht'°, Aber auch die vergrößerte Kirche genügte dem wachsenden Ruf des Stiftes nicht mehr. 1021 wird ein völliger Neubau mit sechs Altären geweiht, der sich wahrscheinlich an der Stelle und in den Ausmaßen der heutigen Stiftskirche erhob?°, Die Peterskirche Heinrichs I. konnte man teilweise als Unterkirche weiterverwenden. Zur Durchführung des Neubaues mußte der Burgeingang, der auf der Südseite lag und etwa am Ostende des südlichen Seitenschiffes der bestehenden Kirche in die Burg mün­ dete, vermauert und auf die Westseite des Berges verlegt werden. Nach dem Brand von 1070 richtete man die Stiftskirche auf den vorhandenen Fundamenten wieder auf. Es ist der Bau, der uns noch heute vor Augen steht (Weihe 1129). Auf dem Gelände des Königshofes im Tal entstand 961 ein Männerkloster für die Geistlichen, die den Gottesdienst der Damenstiftskirche zu versehen hatten. Nach der Kirche, die im Königshof schon seit karolingischer Zeit vorhanden war, nannte es sich St. Jakob und Wigberti?'. Zugleich mit dem Hof, der seit 927 zum Wittum Mathildens gehört hatte, ging es 961 in den Besitz des Stiftes über. Ein weiteres Kloster wurde kurz hinterher auf dem Münzenberg im Westen des Schloßberges gebaut. Es blieb ebenfalls dem Stift unterstellt. Das Benediktinerinnen­ Kloster St. Maria auf dem Münzenberg war als Versorgungsanstalt für die unverheira­ teten Töchter des niederen Adels gedacht, die im Stift selbst nicht aufgenommen wer­ den konnten. Seine Kirche ist noch heute in Resten erhalten, die allerdings ganz in kleinbürgerlichen Häusern verbaut sind. Sie besaß eine geräumige Westempore für die Nonnen, die sich vielleicht wie in Gernrode auch über den Seitenschiffen fortsetzte. Der Bau wurde 986 begonnen und 995 geweiht??, Im Jahre 994 verlieh Otto III. dem Stifte das Marktrecht23• Daß die Äbtissin von dem ertragreichen Privileg sofort Gebrauch machte, beweisen die zahlreichen Quedlin­ burger Münzprägungen der Jahrtausendwende?*, Die Marktsiedlung wurde von Adolf Brinkmann im Gebiet der Blasii- (früher Kleine Hohe Straße) und der Hohen Straße in der Altstadt gesucht?®, Zwar tritt die Blasii-Kirche erst 1251 urkundlich zum ersten18

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MG SS XII, S. 10o u. VI, S. 617 f. - Schulte u. Sante, Beiträge, S. 249. Schulte u. Sante, Beiträge, S. 251, mit Quellenangaben, während P. J. Meier, Die Kirchen in Quedlinburg, S.24 f., u. Adolf Zeller, Die Kirchenbauten Heinrichs I. und der Ottonen in Quedlinburg, Gernrode, Frose und Gandersheim, Berlin 1916, für einen großen Neubau seit 997 eintreten, der 1021 geweiht wurde und auf der Westspitze des Burgfelsens gestan­ den habe. Die These von Schulte u. Sante scheint mir den Quellen besser zu entsprechen und erübrigt eine Verlegung der Kultstätte. Schulte u. Sante, Beiträge, S. 253 ff. MG DD OI, Nr. 228. - UB I, Nr. 4, S. 3 f. - Grosse, Gründung, S. 7. - Aus dem Kollegiat­ stift ging spätestens 1146 ein Prämonstratenserkloster hervor. Vgl. Bauermann, Anfänge S. 240, Anm. 264 u. S. 237. Kunstdenkmäler I, S. 171. - Edgar Lehmann, Der frühe dtsch. Kirchenbau, 2. Aufl., Berlin 1948, S. 154. MG DD OIII, Nr. 155, S. 566. - UB I, Nr. 7, S. 5 f. Lorenz, Werdegang, S. 286. Kunstdenkmäler I, S. 15f. - Zur Datierung des Westbaues der Blasii-Kirche: Kunstdenk­ mäler II, S.1, u. P. J. Meier, Die Kirchen in Q., S. 52.

mal auf, sie reicht aber sicher weiter zurück, da ihr Westbau Mauerteile enthält, die wahrscheinlich dem 11. Jahrhundert angehören. Durch beide Straßen zog der Fernver­ kehr dem Schloßberg zu. Die Hohe Straße nahm den Weg auf, der von Halberstadt kam, und in die Blasii-Straße münden noch heute die Straßen von Magdeburg und Aschersleben, welche östlich der späteren Neustadt die Wilde Bode überschreiten und über den Steinweg in das Gebiet der Altstadt gelangen. Der Markt fand an der Straßen­ gabel der beiden Fernwege statt, die über Gernrode zu den königlichen Jagdhäusern des oberen Selketales und den Pfalzen in Thüringen weiterzogen bzw. über Warnstedt­ Wienrode zum Bodfeld oder über Westerhausen nach Goslar führten?®, Beide Straßen sind mit stattlichen, tiefen Hausstellen regelmäßig besetzt, die allerdings nicht die Größe der späteren Häuser am Markt erreichen. Die Kaufleute-Siedlung in Quedlinburg stellt eine zweizeilig bebaute Straßengabel dar, die den niedersächsischen Marktstraßen der Jahrtausendwende nahesteht, wie sie sich in Hildesheim, Halle und Goslar finden?7, Der äußere Umriß der Siedlung läßt sich nur im Westen und Süden verfolgen, während auf den beiden übrigen Seiten die später angebaute Altstadt die Grenzen verwischte. Westlich der Hohen Straße und südlich der Blasii-Straße bilden die Hausstellen an der Hofseite eine so klare Linie, daß man dort den Graben oder Palisadenzaun der Marktsiedlung vermuten darf. Der Verlauf deckt sich nicht mit der späteren Befesti­ gung der Altstadt. Die Marktbefestigung lag etwas innerhalb der Altstadtmauer. Drei Tore führten vermutlich in die Kaufleute-Siedlung, die am Nord- und Südausgang der Hohen Straße und am Ostende der Blasii-Straße standen. Die Quedlinburger Marktsiedlung muß im 11. Jahrhundert aufgeblüht sein, denn ihre Einwohner erhielten von Konrad II. alle Vorrechte zugesprochen, welche die Kauf­ leute von Goslar und Magdeburg, den wohl bedeutendsten Handelszentren Nieder­ sachsens im 11. Jahrhundert, genossen28. In das letzte Drittel des Jahrhunderts reicht wahrscheinlich das St. Johannis-Spital in Westendorf zurück, das von der Äbtissin Adelheid II. (1062-1095) gegründet worden sein soll. 1137 ist sein Bestehen urkundlich gesichert29. Es lag am Finkenherd und war mit einer Kirche des hl. Johannis des Täu­ fers verbunden. Um oder kurz nach 1100 wurde vermutlich die Altstadt gegründet. Ihre Marktkirche St. Benedikti soll der örtlichen Überlieferung nach im Anfang des 12. Jahrhunderts erbaut worden sein®°, Der Grundriß der Altstadt gehört dem niedersächsischen Typus an, dessen Achse eine Zweistraßenspindel bildet (Marktstraße - Schmale Straße und Breite Straße). Am Südende der Spindel liegt der trichterförmige Markt, der ursprüng­ lich bis zum Friedhof der Benedikti-Kirche reichte, da das Rathaus erst nachträglich eingebaut wurde. Die winzigen Hausgrundstücke am Südrand des Marktkirchhofes und auf der Westseite des Rathauses (Hoken) stellen überbaute Kaufbuden dar. Der Halberstädter Weg wird nun über die Marktstraße dem Altstadtmarkt zugeführt und 26

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Grosse, Gründung, S. 26. Vgl. S. 76. UB I, Nr. 8, S. 7: zwar Fälschung, doch lag eine echte Urkunde zugrunde, wie aus der Bestätigung Heinrichs III. von 1040 hervorgeht (UB I, Nr. 9). Schon Otto III. hatte Qued­ linburg das gleiche Marktrecht wie Köln, Mainz und Magdeburg verliehen (UB I, Nr. 7, 5. 5f.). Vgl. H. Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter, Graz-Köln 1954, S.73 u. Anm. 8. UB I, Nr. 11 u. 12, S. 10 ff. Kunstdenkmäler II, S. 19 ff. 43



Gebeine der Heiligen Fabian, Eustachius und Stephana'®. Der Bedeutung dieser Reli­ quienschätze entsprach die verhältnismäßig kleine Stiftskirche nicht mehr. 997 weihte man einen Erweiterungsbau der Kirche, den die erste Äbtissin Mathilde, die Tochter Ottos des Großen hatte errichten lassen. Um welche Bauteile es sich dabei handelte, wissen wir nicht'°, Aber auch die vergrößerte Kirche genügte dem wachsenden Ruf des Stiftes nicht mehr. 1021 wird ein völliger Neubau mit sechs Altären geweiht, der sich wahrscheinlich an der Stelle und in den Ausmaßen der heutigen Stiftskirche erhob?°, Die Peterskirche Heinrichs I. konnte man teilweise als Unterkirche weiterverwenden. Zur Durchführung des Neubaues mußte der Burgeingang, der auf der Südseite lag und etwa am Ostende des südlichen Seitenschiffes der bestehenden Kirche in die Burg mün­ dete, vermauert und auf die Westseite des Berges verlegt werden. Nach dem Brand von 1070 richtete man die Stiftskirche auf den vorhandenen Fundamenten wieder auf. Es ist der Bau, der uns noch heute vor Augen steht (Weihe 1129). Auf dem Gelände des Königshofes im Tal entstand 961 ein Männerkloster für die Geistlichen, die den Gottesdienst der Damenstiftskirche zu versehen hatten. Nach der Kirche, die im Königshof schon seit karolingischer Zeit vorhanden war, nannte es sich St. Jakob und Wigberti?'. Zugleich mit dem Hof, der seit 927 zum Wittum Mathildens gehört hatte, ging es 961 in den Besitz des Stiftes über. Ein weiteres Kloster wurde kurz hinterher auf dem Münzenberg im Westen des Schloßberges gebaut. Es blieb ebenfalls dem Stift unterstellt. Das Benediktinerinnen­ Kloster St. Maria auf dem Münzenberg war als Versorgungsanstalt für die unverheira­ teten Töchter des niederen Adels gedacht, die im Stift selbst nicht aufgenommen wer­ den konnten. Seine Kirche ist noch heute in Resten erhalten, die allerdings ganz in kleinbürgerlichen Häusern verbaut sind. Sie besaß eine geräumige Westempore für die Nonnen, die sich vielleicht wie in Gernrode auch über den Seitenschiffen fortsetzte. Der Bau wurde 986 begonnen und 995 geweiht??, Im Jahre 994 verlieh Otto III. dem Stifte das Marktrecht23• Daß die Äbtissin von dem ertragreichen Privileg sofort Gebrauch machte, beweisen die zahlreichen Quedlin­ burger Münzprägungen der Jahrtausendwende?*, Die Marktsiedlung wurde von Adolf Brinkmann im Gebiet der Blasii- (früher Kleine Hohe Straße) und der Hohen Straße in der Altstadt gesucht?®, Zwar tritt die Blasii-Kirche erst 1251 urkundlich zum ersten18

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MG SS XII, S. 10o u. VI, S. 617 f. - Schulte u. Sante, Beiträge, S. 249. Schulte u. Sante, Beiträge, S. 251, mit Quellenangaben, während P. J. Meier, Die Kirchen in Quedlinburg, S.24 f., u. Adolf Zeller, Die Kirchenbauten Heinrichs I. und der Ottonen in Quedlinburg, Gernrode, Frose und Gandersheim, Berlin 1916, für einen großen Neubau seit 997 eintreten, der 1021 geweiht wurde und auf der Westspitze des Burgfelsens gestan­ den habe. Die These von Schulte u. Sante scheint mir den Quellen besser zu entsprechen und erübrigt eine Verlegung der Kultstätte. Schulte u. Sante, Beiträge, S. 253 ff. MG DD OI, Nr. 228. - UB I, Nr. 4, S. 3 f. - Grosse, Gründung, S. 7. - Aus dem Kollegiat­ stift ging spätestens 1146 ein Prämonstratenserkloster hervor. Vgl. Bauermann, Anfänge S. 240, Anm. 264 u. S. 237. Kunstdenkmäler I, S. 171. - Edgar Lehmann, Der frühe dtsch. Kirchenbau, 2. Aufl., Berlin 1948, S. 154. MG DD OIII, Nr. 155, S. 566. - UB I, Nr. 7, S. 5 f. Lorenz, Werdegang, S. 286. Kunstdenkmäler I, S. 15f. - Zur Datierung des Westbaues der Blasii-Kirche: Kunstdenk­ mäler II, S.1, u. P. J. Meier, Die Kirchen in Q., S. 52.

mal auf, sie reicht aber sicher weiter zurück, da ihr Westbau Mauerteile enthält, die wahrscheinlich dem 11. Jahrhundert angehören. Durch beide Straßen zog der Fernver­ kehr dem Schloßberg zu. Die Hohe Straße nahm den Weg auf, der von Halberstadt kam, und in die Blasii-Straße münden noch heute die Straßen von Magdeburg und Aschersleben, welche östlich der späteren Neustadt die Wilde Bode überschreiten und über den Steinweg in das Gebiet der Altstadt gelangen. Der Markt fand an der Straßen­ gabel der beiden Fernwege statt, die über Gernrode zu den königlichen Jagdhäusern des oberen Selketales und den Pfalzen in Thüringen weiterzogen bzw. über Warnstedt­ Wienrode zum Bodfeld oder über Westerhausen nach Goslar führten?®, Beide Straßen sind mit stattlichen, tiefen Hausstellen regelmäßig besetzt, die allerdings nicht die Größe der späteren Häuser am Markt erreichen. Die Kaufleute-Siedlung in Quedlinburg stellt eine zweizeilig bebaute Straßengabel dar, die den niedersächsischen Marktstraßen der Jahrtausendwende nahesteht, wie sie sich in Hildesheim, Halle und Goslar finden?7, Der äußere Umriß der Siedlung läßt sich nur im Westen und Süden verfolgen, während auf den beiden übrigen Seiten die später angebaute Altstadt die Grenzen verwischte. Westlich der Hohen Straße und südlich der Blasii-Straße bilden die Hausstellen an der Hofseite eine so klare Linie, daß man dort den Graben oder Palisadenzaun der Marktsiedlung vermuten darf. Der Verlauf deckt sich nicht mit der späteren Befesti­ gung der Altstadt. Die Marktbefestigung lag etwas innerhalb der Altstadtmauer. Drei Tore führten vermutlich in die Kaufleute-Siedlung, die am Nord- und Südausgang der Hohen Straße und am Ostende der Blasii-Straße standen. Die Quedlinburger Marktsiedlung muß im 11. Jahrhundert aufgeblüht sein, denn ihre Einwohner erhielten von Konrad II. alle Vorrechte zugesprochen, welche die Kauf­ leute von Goslar und Magdeburg, den wohl bedeutendsten Handelszentren Nieder­ sachsens im 11. Jahrhundert, genossen28. In das letzte Drittel des Jahrhunderts reicht wahrscheinlich das St. Johannis-Spital in Westendorf zurück, das von der Äbtissin Adelheid II. (1062-1095) gegründet worden sein soll. 1137 ist sein Bestehen urkundlich gesichert29. Es lag am Finkenherd und war mit einer Kirche des hl. Johannis des Täu­ fers verbunden. Um oder kurz nach 1100 wurde vermutlich die Altstadt gegründet. Ihre Marktkirche St. Benedikti soll der örtlichen Überlieferung nach im Anfang des 12. Jahrhunderts erbaut worden sein®°, Der Grundriß der Altstadt gehört dem niedersächsischen Typus an, dessen Achse eine Zweistraßenspindel bildet (Marktstraße - Schmale Straße und Breite Straße). Am Südende der Spindel liegt der trichterförmige Markt, der ursprüng­ lich bis zum Friedhof der Benedikti-Kirche reichte, da das Rathaus erst nachträglich eingebaut wurde. Die winzigen Hausgrundstücke am Südrand des Marktkirchhofes und auf der Westseite des Rathauses (Hoken) stellen überbaute Kaufbuden dar. Der Halberstädter Weg wird nun über die Marktstraße dem Altstadtmarkt zugeführt und 26

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Grosse, Gründung, S. 26. Vgl. S. 76. UB I, Nr. 8, S. 7: zwar Fälschung, doch lag eine echte Urkunde zugrunde, wie aus der Bestätigung Heinrichs III. von 1040 hervorgeht (UB I, Nr. 9). Schon Otto III. hatte Qued­ linburg das gleiche Marktrecht wie Köln, Mainz und Magdeburg verliehen (UB I, Nr. 7, 5. 5f.). Vgl. H. Planitz, Die deutsche Stadt im Mittelalter, Graz-Köln 1954, S.73 u. Anm. 8. UB I, Nr. 11 u. 12, S. 10 ff. Kunstdenkmäler II, S. 19 ff. 43

mündet nicht mehr unmittelbar in die Hohe Straße ein. Die Blasii-Straße bildet seit der Stadtgründung einen Zweig des Altstadtmarktes. Eine Reihe kurzer, paralleler Quer­ straßen unterteilen die Häuserviertel der Straßenspindel in ziemlich regelmäßige Recht­ eckblöcke. Im Nordwesten des Stadtgebietes lag bei der St. Ägidienkirche wohl vor der Grün­ dung der Altstadt das Dorf Nördlingen, das in der Stadt aufging. Die Ägidienkirche wird 1179 zum erstenmal erwähnt. Sie lag damals nicht mehr außerhalb der Mauern, wie noch Adolf Brinkmann annahm. 1179 wurde dem Wiperti-Kloster unter anderem von Papst Alexander III. der Zehnt von den Weingärten bestätigt, »site (vinee) foris murum juxta ecclesiam b. Egidii«. Nur die Weingärten lagen dem Wortlaut nach außerhalb der Mauer. Daß die Ägidienkirche selbst, welche dicht an der Befestigungs­ linie steht, sich außerhalb des Stadtgebietes befand, kann aus dem Text nicht gefolgert werden. Die gleiche Urkunde gibt den ersten sicheren Nachweis von Stadtmauern (»infra murum civitatis«)' Um die Wende des 12. zum 15. Jahrhunderts wurde auf Stiftsboden die Neustadt westlich des Mühlgrabens angelegt. Sie tritt 1222 zuerst urkundlich auf (»de Nova civitate«)°2, Ihr ziemlich regelmäßiger, quadratischer Grundriß, der sich um einen zen­ tralen Block mit Kirche (St. Nikolai), Friedhof und Markt aufbaut und die gegenüber der Altstadt wesentlich breiteren Straßen führen eindrucksvoll den Stilunterschied zwi­ schen einer Stadtanlage des 12. und einer des 13. Jahrhunderts vor Augen. Die Neu­ stadt in Hildesheim, kurz vor 1216 gegründet, bildet die nächst verwandte Lösung in Niedersachsen"~. Erst 1555 wurden beide bis dahin völlig getrennte Städte vereinigt. 31

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UB I, Nr. 17, S. 15. - Kunstdenkmäler L, S. 14 u. II, S. 67. - P. J. Meier, Die Kirchen in Q., S. 10. Hier auch Hinweis auf die große Ähnlichkeit der Altstadt mit der von Hildesheim. Kunstdenkmäler I, S. 17. - UB II, Nr. 20a, S. 388. J. H. Gebauer, Gesch. der Neustadt Hildesheims, Hildesheim-Leipzig 1937, S.8.

MERSEBURG

(Abbildungen 8 u. 9, Tafeln 4 u. 5)

Der fast 1200 Meter lange und durchschnittlich 180 Meter breite Buntsandstein­ rücken, der sich in nordsüdlicdher Richtung am Westufer der Saale hinzieht und sich bis zu einer Höhe von rund 16 m über den Fluß erhebt, hat seit vorgeschichtlicher Zeit zur Besiedlung und Befestigung wegen seiner glänzenden natürlichen Verteidigungsmög­ lichkeit verlockt'. Steil fallen seine Flanken nach Osten und Süden ab. Ostwärts dehnte sich meilenweit das Überschwemmungsgebiet der Saale. Noch heute bildet der Fluß hier große Schlingen. Möglich, daß der noch im 17. Jahrhundert unmittelbar am nörd­ lichen Teil des Hügelrückens entlangführende Flußarm künstlich geschaffen wurde?. Die flacher ansteigende West- und Nordseite war durch das Sumpfgebiet der beiden Bäche Klia und Geißel geschützt. Eine der wichtigsten mittelalterlichen Straßen, die in vorgeschichtliche Zeit zurück­ reicht, lief hier vorbei: der sogenannte Königsweg, später »des Reiches Straße« genannt. Er führte von Frankfurt am Main nach Erfurt und der Saale entlang über Naumburg nach Merseburg. Hi-er gabelte er sich in zwei Äste. Nach Norden zog auf der Westseite des Hügels die Straße nach Halle und Magdeburg weiter. Nach Osten bog der Weg nach Meißen und Polen ab. Er führte um die Südspitze des Burgberges zur Saale und überschritt den Fluß im Schutze der Befestigungen. Leider ist das ausgedehnte Gelände auf dem Hügelrücken zwischen Altenburg und 1



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Eine ausführliche Baugeschichte des Ortes fehlt. Auf die Frühgeschichte Merseburgs fiel durch die Ausgrabungen beim Petrikloster von 1907-1920 und 1927 ff. neues Licht. Die Ergebnisse sind verwertet bei Alfred Koch, Veste über den Wassern, Hallische Nachrichten­ Bücherei, Bd. 12, Halle (1933). Leider ist die Arbeit unkritisch, die Datierungen der Bau­ werke durchweg zu früh! Für die Immunität liegt eine gründliche Untersuchung vor: O. Rademacher, Die Domfreiheit, Aus Merseburgs alter Geschichte, Heft V, Merseburg 1909. Sie wird ergänzt von Richard Günzel, Die Domfreiheit zu Merseburg um die Mitte des 17. Jhs., Das Merseburger Land 1950. Die frühmittelalterliche Geschichte der Domfreiheit von O. Rademacher, Die urbs Merseburg im 10. Jahrhundert, Merseburg 1898, ist durch die Ausgrabungen zum Teil überholt. Friedrich Geppert, Die Burgen und Städte bei Thiet­ mar von Merseburg, Thüringisch-Sächsische Zeitschrift für Geschichte und Kunst 17, 1927, S. 190 ff., behandelt Merseburg ausführlich und widerlegt Rademachers These von der gemeinsamen Ummauerung der beiden Burgen durch Heinrich I. Gustav Pretzien, Die räumliche Entwicklung der Stadt Merseburg, Merseburg 1950, verfolgt populäre Zwecke. über die Geschichte der Befestigung: 0. Rademacher, Aus Merseburgs alter Geschichte, Heft 7, Merseburg 1912. Eine kurze Zusammenstellung der Ortsgeschichte gibt G. Pretzien, Führer durch Merseburg, Merseburg 1938. - Das Inventar (Beschreibende Darstellung der älteren Bau- ud Kunstdenkmäler des Kreises Merseburg, bearb. von H. Otte u. a., Halle 1883) ist überholt. Es geht auf die Baugeschichte der Stadt kaum ein. - Urkundenbuch des Hochstifts Merseburg, bearb. von P. Kehr, 1. Bd., Halle 1899, reicht bis 1357. - Deutsches Städtebuch, hgb. von Erich Keyser, Bd.II, Stuttgart-Berlin 1941, S. 606ff. - Siegfried Rietschel, Stadt und Markt, Leipzig 1897, S. 60 ff. Koch, S. 14/15.

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mündet nicht mehr unmittelbar in die Hohe Straße ein. Die Blasii-Straße bildet seit der Stadtgründung einen Zweig des Altstadtmarktes. Eine Reihe kurzer, paralleler Quer­ straßen unterteilen die Häuserviertel der Straßenspindel in ziemlich regelmäßige Recht­ eckblöcke. Im Nordwesten des Stadtgebietes lag bei der St. Ägidienkirche wohl vor der Grün­ dung der Altstadt das Dorf Nördlingen, das in der Stadt aufging. Die Ägidienkirche wird 1179 zum erstenmal erwähnt. Sie lag damals nicht mehr außerhalb der Mauern, wie noch Adolf Brinkmann annahm. 1179 wurde dem Wiperti-Kloster unter anderem von Papst Alexander III. der Zehnt von den Weingärten bestätigt, »site (vinee) foris murum juxta ecclesiam b. Egidii«. Nur die Weingärten lagen dem Wortlaut nach außerhalb der Mauer. Daß die Ägidienkirche selbst, welche dicht an der Befestigungs­ linie steht, sich außerhalb des Stadtgebietes befand, kann aus dem Text nicht gefolgert werden. Die gleiche Urkunde gibt den ersten sicheren Nachweis von Stadtmauern (»infra murum civitatis«)' Um die Wende des 12. zum 15. Jahrhunderts wurde auf Stiftsboden die Neustadt westlich des Mühlgrabens angelegt. Sie tritt 1222 zuerst urkundlich auf (»de Nova civitate«)°2, Ihr ziemlich regelmäßiger, quadratischer Grundriß, der sich um einen zen­ tralen Block mit Kirche (St. Nikolai), Friedhof und Markt aufbaut und die gegenüber der Altstadt wesentlich breiteren Straßen führen eindrucksvoll den Stilunterschied zwi­ schen einer Stadtanlage des 12. und einer des 13. Jahrhunderts vor Augen. Die Neu­ stadt in Hildesheim, kurz vor 1216 gegründet, bildet die nächst verwandte Lösung in Niedersachsen"~. Erst 1555 wurden beide bis dahin völlig getrennte Städte vereinigt. 31

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UB I, Nr. 17, S. 15. - Kunstdenkmäler L, S. 14 u. II, S. 67. - P. J. Meier, Die Kirchen in Q., S. 10. Hier auch Hinweis auf die große Ähnlichkeit der Altstadt mit der von Hildesheim. Kunstdenkmäler I, S. 17. - UB II, Nr. 20a, S. 388. J. H. Gebauer, Gesch. der Neustadt Hildesheims, Hildesheim-Leipzig 1937, S.8.

MERSEBURG

(Abbildungen 8 u. 9, Tafeln 4 u. 5)

Der fast 1200 Meter lange und durchschnittlich 180 Meter breite Buntsandstein­ rücken, der sich in nordsüdlicdher Richtung am Westufer der Saale hinzieht und sich bis zu einer Höhe von rund 16 m über den Fluß erhebt, hat seit vorgeschichtlicher Zeit zur Besiedlung und Befestigung wegen seiner glänzenden natürlichen Verteidigungsmög­ lichkeit verlockt'. Steil fallen seine Flanken nach Osten und Süden ab. Ostwärts dehnte sich meilenweit das Überschwemmungsgebiet der Saale. Noch heute bildet der Fluß hier große Schlingen. Möglich, daß der noch im 17. Jahrhundert unmittelbar am nörd­ lichen Teil des Hügelrückens entlangführende Flußarm künstlich geschaffen wurde?. Die flacher ansteigende West- und Nordseite war durch das Sumpfgebiet der beiden Bäche Klia und Geißel geschützt. Eine der wichtigsten mittelalterlichen Straßen, die in vorgeschichtliche Zeit zurück­ reicht, lief hier vorbei: der sogenannte Königsweg, später »des Reiches Straße« genannt. Er führte von Frankfurt am Main nach Erfurt und der Saale entlang über Naumburg nach Merseburg. Hi-er gabelte er sich in zwei Äste. Nach Norden zog auf der Westseite des Hügels die Straße nach Halle und Magdeburg weiter. Nach Osten bog der Weg nach Meißen und Polen ab. Er führte um die Südspitze des Burgberges zur Saale und überschritt den Fluß im Schutze der Befestigungen. Leider ist das ausgedehnte Gelände auf dem Hügelrücken zwischen Altenburg und 1



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Eine ausführliche Baugeschichte des Ortes fehlt. Auf die Frühgeschichte Merseburgs fiel durch die Ausgrabungen beim Petrikloster von 1907-1920 und 1927 ff. neues Licht. Die Ergebnisse sind verwertet bei Alfred Koch, Veste über den Wassern, Hallische Nachrichten­ Bücherei, Bd. 12, Halle (1933). Leider ist die Arbeit unkritisch, die Datierungen der Bau­ werke durchweg zu früh! Für die Immunität liegt eine gründliche Untersuchung vor: O. Rademacher, Die Domfreiheit, Aus Merseburgs alter Geschichte, Heft V, Merseburg 1909. Sie wird ergänzt von Richard Günzel, Die Domfreiheit zu Merseburg um die Mitte des 17. Jhs., Das Merseburger Land 1950. Die frühmittelalterliche Geschichte der Domfreiheit von O. Rademacher, Die urbs Merseburg im 10. Jahrhundert, Merseburg 1898, ist durch die Ausgrabungen zum Teil überholt. Friedrich Geppert, Die Burgen und Städte bei Thiet­ mar von Merseburg, Thüringisch-Sächsische Zeitschrift für Geschichte und Kunst 17, 1927, S. 190 ff., behandelt Merseburg ausführlich und widerlegt Rademachers These von der gemeinsamen Ummauerung der beiden Burgen durch Heinrich I. Gustav Pretzien, Die räumliche Entwicklung der Stadt Merseburg, Merseburg 1950, verfolgt populäre Zwecke. über die Geschichte der Befestigung: 0. Rademacher, Aus Merseburgs alter Geschichte, Heft 7, Merseburg 1912. Eine kurze Zusammenstellung der Ortsgeschichte gibt G. Pretzien, Führer durch Merseburg, Merseburg 1938. - Das Inventar (Beschreibende Darstellung der älteren Bau- ud Kunstdenkmäler des Kreises Merseburg, bearb. von H. Otte u. a., Halle 1883) ist überholt. Es geht auf die Baugeschichte der Stadt kaum ein. - Urkundenbuch des Hochstifts Merseburg, bearb. von P. Kehr, 1. Bd., Halle 1899, reicht bis 1357. - Deutsches Städtebuch, hgb. von Erich Keyser, Bd.II, Stuttgart-Berlin 1941, S. 606ff. - Siegfried Rietschel, Stadt und Markt, Leipzig 1897, S. 60 ff. Koch, S. 14/15.

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Dom Heinrichs-Burg St. Petri (Altenburg) St. Maxim i St. Sixti

6 St. Thomae

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Abb. 8. Merseburg im 11. Jahrhundert

Dom bisher nur ungenügend archäologisch erschlossen. Die unternommenen Grabungen wurden zu unkritisch durchgeführt, um sichere Ergebnisse zu zeitigen*. Steinfundamente für Oberbauten aus Stampfwerk fanden sich über den ganzen Hügel hin. Zum Teil liegen sie unter den Fundamentmauern der späteren Kirchenbauten des Petriklosters. Zur Vergrößerung der Siedlungsfläche wurde auf der Nordspitze Auenton aus der Saale­ ebene in größerem Ausmaß angeschüttet. Wälle verstärkten die natürliche Sicherung. Im Hersfelder Zehntverzeichnis erscheint der heutige Name zuerst als »Mersiburc 3

Koch, S. 50. Zur Berichtigung von Kochs Thesen vgl. Paul Grimm, Die vor- und früh­ geschichtlichen Burgwälle der Bezirke Halle und Magdeburg, Berlin 1958, S. 122, außerdem S. 39 ff. u. 251, Nr. 552, Abb. 54 b.

civitas«*, Er deutet darauf hin - ebenso zahlreiche Scherbenfunde -, daß der Ort in den Besitz der Slaven gelangte, denn der erste Bestandteil des Namens ist von wendisch me(r)se = Zentrale abzuleiten5. In karolingischer Zeit war der Ort jedenfalls befestigt, wie aus der Bezeichnung »civitas« hervorgeht. Die »Hochseoburg« ( = Hochseeburg) der fränkischen Reichsannalen in Merseburg zu suchen, wie dies Koch möchte, geht nach den eindringlichen Untersuchungen Robert Holtzmanns nicht mehr an°, während in Seeburg der Name bis heute weiterlebt. Merseburg gehörte zum Hochseegau ( = Hassegau). Durch Thietmar von Merseburg erfahren wir Näheres über den Ort. Am Beginn des 10. Jahrhunderts war die Burg Grafensitz. Die erste Gemahlin Heinrichs I., Hathe­ burg, brachte den Ort als Erbe an die Liudolfinger. Sie war eine Tochter des Grafen Erwin, »qui in urbe predicta (Merseburg), quam Antiquam civitatem nominamus, maximam tenuit partem ... «7. Es fällt nicht schwer, die antiqua civitas örtlich festzu­ legen; denn noch heute heißt ein Teil des Hügelrückens »die Altenburg«. Es ist die Nordspitze des Burgberges. Graf Erwin besaß sie aber nicht ganz, nur den größeren Teil, wie Thietmar angibt. Nun haben die Ausgrabungen erbracht, daß auf diesem Gebiet auch ein Kloster oder Stift lag, dessen Kirche in das 9. bis 11. Jahrhundert zurückreichen könnte®. Da ein ottonisches Merseburger Kalendarium des Domkapitels im Totenkalender mehrere Karolinger enthält, ist es immerhin möglich, daß seine Gründung in karolingische Zeit hinaufreicht9. Die gefundenen Baureste sind schwer zu datieren. Der älteste Bau war eine dreischiffige Basilika mit T-förmigem Querschiff ohne Nebenapsiden. Die Hauptapsis ließ sich nicht mehr nachweisen. Auf jeden Fall haben die Ausgrabungen den Beweis erbracht, daß dem von Bischof Werner neu begründeten und 1091 geweihten Petrikloster ein Vorläufer vorherging. 1012 wird die Kirche bereits urkundlich erwähnt', Zu Thietmars Zeit muß aber schon eine zweite Burg bestanden haben; denn die Be­ zeichnung Altenburg setzt eine »neue« Burg voraus. »Antiquum opus Romanorum muro rex predictus (Heinrich I.) in Merseburg decoravit lapideo et infra eandem aecclesiam, Um 90o entstanden, es geht aber wohl auf eine Aufzeichnung des späten 8. Jhs. zurück. Rademacher, Die urbs Merseburg, S. 11. - H. Größler, Die Bedeutung des Hersfelder Zehntverzeichnisses für die Ortskunde und Geschichte der Gaue Friesenfeld und Hassegau, Zeitschr. d. Harzvereins 7, 1874, S. 85 ff. u. 8, 1875, S. 502 ff. 5 E. Pretzien, Vor- und frühgeschichtliche Siedlungen im Merseburger Gebiet, Merseburg (Deutschlands Städtebau), Berlin-Halensee 1929, S. 11. 6 Koch, S. 18ff. - R. Holtzmann, Hochseeburg und Hochseegau. Sachsen und Anhalt, Jahr­ buch d. Hist. Komm. 5, 1927, S. 47 ff. u. 5, 1929, S. 566 ff. - Rademacher, urbs, S. 5. 7 Thietmari Chronicon I, 5, hgb. von Rob. Holtzmann, Berlin 1955 (Script. rer. germanic. N. S. IX), S. 8. s Koch, S. 35 ff. Das durchgeschobene Querschiff, die Mauertechnik des opus spicatum, das Fehlen der Nebenapsiden sprechen für diese zeitliche Ansetzung. Ganze äußere Länge ohne Apsis 50-36 m. Querschifflänge außen rund 25 m. Breite der drei Schiffe außen 17 m. Abb. bei Koch, S. 37 u. 39. Grundriß Taf. III. 9 Koch, S. 40. In die Zeit Pippins kann man die Mauerreste jedoch unmöglich verlegen. Rademacher, Die urbs Merseburg, S. 16. 10 Vita Wernheri: »Erat autem idem locus i. e. Aldenburg longe ante ejus tempora canonicis institutis et mansionibus attributus .. .« MG SS XII, S. 244. Also wohl ein Stift. - O. Rade­ macher, Das Kloster St. Petri in Merseburg. Festschrift. Merseburg 1915, S. 6f. - UB I, Nr. 82, S. 71. - »... ad aecclesiam in antiqua urbe sitam et in honore sancti Petri ... consecrabat.« (UB I, Nr. 39, S. 42 [1012].) 4

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Dom Heinrichs-Burg St. Petri (Altenburg) St. Maxim i St. Sixti

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Abb. 8. Merseburg im 11. Jahrhundert

Dom bisher nur ungenügend archäologisch erschlossen. Die unternommenen Grabungen wurden zu unkritisch durchgeführt, um sichere Ergebnisse zu zeitigen*. Steinfundamente für Oberbauten aus Stampfwerk fanden sich über den ganzen Hügel hin. Zum Teil liegen sie unter den Fundamentmauern der späteren Kirchenbauten des Petriklosters. Zur Vergrößerung der Siedlungsfläche wurde auf der Nordspitze Auenton aus der Saale­ ebene in größerem Ausmaß angeschüttet. Wälle verstärkten die natürliche Sicherung. Im Hersfelder Zehntverzeichnis erscheint der heutige Name zuerst als »Mersiburc 3

Koch, S. 50. Zur Berichtigung von Kochs Thesen vgl. Paul Grimm, Die vor- und früh­ geschichtlichen Burgwälle der Bezirke Halle und Magdeburg, Berlin 1958, S. 122, außerdem S. 39 ff. u. 251, Nr. 552, Abb. 54 b.

civitas«*, Er deutet darauf hin - ebenso zahlreiche Scherbenfunde -, daß der Ort in den Besitz der Slaven gelangte, denn der erste Bestandteil des Namens ist von wendisch me(r)se = Zentrale abzuleiten5. In karolingischer Zeit war der Ort jedenfalls befestigt, wie aus der Bezeichnung »civitas« hervorgeht. Die »Hochseoburg« ( = Hochseeburg) der fränkischen Reichsannalen in Merseburg zu suchen, wie dies Koch möchte, geht nach den eindringlichen Untersuchungen Robert Holtzmanns nicht mehr an°, während in Seeburg der Name bis heute weiterlebt. Merseburg gehörte zum Hochseegau ( = Hassegau). Durch Thietmar von Merseburg erfahren wir Näheres über den Ort. Am Beginn des 10. Jahrhunderts war die Burg Grafensitz. Die erste Gemahlin Heinrichs I., Hathe­ burg, brachte den Ort als Erbe an die Liudolfinger. Sie war eine Tochter des Grafen Erwin, »qui in urbe predicta (Merseburg), quam Antiquam civitatem nominamus, maximam tenuit partem ... «7. Es fällt nicht schwer, die antiqua civitas örtlich festzu­ legen; denn noch heute heißt ein Teil des Hügelrückens »die Altenburg«. Es ist die Nordspitze des Burgberges. Graf Erwin besaß sie aber nicht ganz, nur den größeren Teil, wie Thietmar angibt. Nun haben die Ausgrabungen erbracht, daß auf diesem Gebiet auch ein Kloster oder Stift lag, dessen Kirche in das 9. bis 11. Jahrhundert zurückreichen könnte®. Da ein ottonisches Merseburger Kalendarium des Domkapitels im Totenkalender mehrere Karolinger enthält, ist es immerhin möglich, daß seine Gründung in karolingische Zeit hinaufreicht9. Die gefundenen Baureste sind schwer zu datieren. Der älteste Bau war eine dreischiffige Basilika mit T-förmigem Querschiff ohne Nebenapsiden. Die Hauptapsis ließ sich nicht mehr nachweisen. Auf jeden Fall haben die Ausgrabungen den Beweis erbracht, daß dem von Bischof Werner neu begründeten und 1091 geweihten Petrikloster ein Vorläufer vorherging. 1012 wird die Kirche bereits urkundlich erwähnt', Zu Thietmars Zeit muß aber schon eine zweite Burg bestanden haben; denn die Be­ zeichnung Altenburg setzt eine »neue« Burg voraus. »Antiquum opus Romanorum muro rex predictus (Heinrich I.) in Merseburg decoravit lapideo et infra eandem aecclesiam, Um 90o entstanden, es geht aber wohl auf eine Aufzeichnung des späten 8. Jhs. zurück. Rademacher, Die urbs Merseburg, S. 11. - H. Größler, Die Bedeutung des Hersfelder Zehntverzeichnisses für die Ortskunde und Geschichte der Gaue Friesenfeld und Hassegau, Zeitschr. d. Harzvereins 7, 1874, S. 85 ff. u. 8, 1875, S. 502 ff. 5 E. Pretzien, Vor- und frühgeschichtliche Siedlungen im Merseburger Gebiet, Merseburg (Deutschlands Städtebau), Berlin-Halensee 1929, S. 11. 6 Koch, S. 18ff. - R. Holtzmann, Hochseeburg und Hochseegau. Sachsen und Anhalt, Jahr­ buch d. Hist. Komm. 5, 1927, S. 47 ff. u. 5, 1929, S. 566 ff. - Rademacher, urbs, S. 5. 7 Thietmari Chronicon I, 5, hgb. von Rob. Holtzmann, Berlin 1955 (Script. rer. germanic. N. S. IX), S. 8. s Koch, S. 35 ff. Das durchgeschobene Querschiff, die Mauertechnik des opus spicatum, das Fehlen der Nebenapsiden sprechen für diese zeitliche Ansetzung. Ganze äußere Länge ohne Apsis 50-36 m. Querschifflänge außen rund 25 m. Breite der drei Schiffe außen 17 m. Abb. bei Koch, S. 37 u. 39. Grundriß Taf. III. 9 Koch, S. 40. In die Zeit Pippins kann man die Mauerreste jedoch unmöglich verlegen. Rademacher, Die urbs Merseburg, S. 16. 10 Vita Wernheri: »Erat autem idem locus i. e. Aldenburg longe ante ejus tempora canonicis institutis et mansionibus attributus .. .« MG SS XII, S. 244. Also wohl ein Stift. - O. Rade­ macher, Das Kloster St. Petri in Merseburg. Festschrift. Merseburg 1915, S. 6f. - UB I, Nr. 82, S. 71. - »... ad aecclesiam in antiqua urbe sitam et in honore sancti Petri ... consecrabat.« (UB I, Nr. 39, S. 42 [1012].) 4

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quae nunc mater est aliarum, de lapidibus construi et XIV K. Junii fecit dedicari11.« Das opus Romanorum hat viel Kopfzerbrechen verursacht. Natürlich gab es in Merseburg kein römisches Bauwerk. Es muß sich um frühgeschichtliche Befestigungsanlagen handeln. Der römische Ursprung bei Thietmar ist wohl im Sinne der translatio irnperii zu verstehen. Er soll eine Verbindung mit den römischen Kaisern herstellen, als deren Nach­ folger sich die Ottonen fühlten. Heinrich I. verstärkte die Burg mit Steinmauern im Zuge seiner Burgenpolitik gegen die Ungarn. Daß Thietrnar die südliche Burg im Auge hatte, geht einwandfrei aus der Lage der Johanniskirche hervor, die Heinrich in der Burg errichten ließ. Der Zusatz »quae nunc est mater aliarum« kann sich nur auf den Dorn St. Jo­ hannis d. T. und Laurentius beziehen. Mutterkirche ist die übliche Bezeichnung der Kathedralkirche des Bistums. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, sie anderswo zu suchen'?, 970 wird die Johanniskirche von Thietmar wiederum erwähnt'. Die Schenkung Ottos II. erfolgt »ad servitutem sancti Johannis baptistae«!*, Graf Esico wird 1004 »iuxta eccle­ siam sancti Johannis baptistae« beigesetzt', Diese Kirche lag aber nicht genau an der Stelle des heutigen Domes, der auf einen Bau Heinrichs II. zurückgeht. Die Mersebur­ ger Bischofschronik, um 1156 geschrieben, gibt die Lage auf Grund mündlicher Über­ lieferung folgendermaßen an: »in australi parte ecclesiae nostrae, scilicet in loco, ubi nunc fratrum officina dispensatoria frequentatur'®.« Der Standort kann nicht sehr weit von dem heutigen Dom entfernt gewesen sein, da nach Westen nur ein schmaler Ge­ ländestreifen bis zum Abhang übrigbleibt und südlich sich die königliche curtis anschloß. Innerhalb der Befestigungsanlagen des Hügelrückens muß die Kirche aber gestanden haben. Auf der Nordseite konnte die Burg Heinrichs I. den natürlichen Geländeein­ schnitt ausnützen, der später zum Schloßzwinger ausgebaut wurde. Vermutlich war auch das Gelände zwischen Altenburg und Südburg in die karolin­ gisch-ottonische Befestigung miteinbezogen, wie der Geländebefund ergibt. Der un­ bebaute Raum diente als Fluchtburg. Hier muß man auch die Wohnstätten der ottoni­ schen Kaufleute suchen, die zum Teil innerhalb der Burg saßen (vgl. weiter unten). Ende des 10. Jahrhunderts war der Ort Sitz des Markgrafen und zweier Gaugrafen17. In Merseburg siedelte Heinrich I. eine Schar von Verbrechern an, die legio Mesaburio­ rurn, damit sie den Slawen Schaden zufügte. Wo sie allerdings ihre Behausungen hatte, läßt sich nicht ermitteln. Man wird an einen Burgvorort denken dürfen'®. Vor der Schlacht auf dem Lechfelde gelobte Otto I., in Merseburg ein Bistum zu Ehren des hl. Laurentius zu errichten und seine dort begonnene Pfalz der Kirche zu 11

Thietmar I, 18, ed. Holtzmann, S. 24. Walther Schulz, Die Römer als Gründer mitteldeutscher Orte, Frühe Burgen und Städte, Berlin 1954, S. 66 ff. Geppert, S. 194 ff. - Rademacher, Die urbs Merseburg, S. 17 ff. - Zusammenstellung der Quellenstellen bei Fr. Häsler, Der Merseburger Dom des Jahres 1015, Halle 1952, S. 6f. Thietmar II, 56, ed. Holtzmann, S. 84. Thietmar III, 1, ed. Holtzmann, S. 98. Thietmar VI, 16, ed. Holtzmann, S. 294. Chron. episc. Mers. MG SS X, S. 166, Z. 11 ff. Rolf Hünicken, Geschichte der Stadt Halle, 1. TI., Halle 1941, S. 14. - Grimm S. 59 ff. Widukind von Corvey erwähnt ein suburbanum Mesaburiorum für 956. Script. rer. Germ. ed. Kehr (1904), S. 58. - Rademacher sucht es an der Altenburg, Die urbs Merseburg, S. 5f.

1 Dom 2 St.Maximi 3 St. Sixti 4 Neues Rathaus 5 Heidentor = Krummes Tor 6 Königstor

A B C D E F

G H J K

Marktplatz Gotthardstraße Breite Straße Johannisstraße Preußerstraße Ölgrube Tiefer Keller Grüne Straße Obere Burgstraße Brauhausstraße

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Abb. 9. Merseburg. Nach modernem Hausstellenplan mit Rekonstruktion der mittelalterlichen Stadtmauer



quae nunc mater est aliarum, de lapidibus construi et XIV K. Junii fecit dedicari11.« Das opus Romanorum hat viel Kopfzerbrechen verursacht. Natürlich gab es in Merseburg kein römisches Bauwerk. Es muß sich um frühgeschichtliche Befestigungsanlagen handeln. Der römische Ursprung bei Thietmar ist wohl im Sinne der translatio irnperii zu verstehen. Er soll eine Verbindung mit den römischen Kaisern herstellen, als deren Nach­ folger sich die Ottonen fühlten. Heinrich I. verstärkte die Burg mit Steinmauern im Zuge seiner Burgenpolitik gegen die Ungarn. Daß Thietrnar die südliche Burg im Auge hatte, geht einwandfrei aus der Lage der Johanniskirche hervor, die Heinrich in der Burg errichten ließ. Der Zusatz »quae nunc est mater aliarum« kann sich nur auf den Dorn St. Jo­ hannis d. T. und Laurentius beziehen. Mutterkirche ist die übliche Bezeichnung der Kathedralkirche des Bistums. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte, sie anderswo zu suchen'?, 970 wird die Johanniskirche von Thietmar wiederum erwähnt'. Die Schenkung Ottos II. erfolgt »ad servitutem sancti Johannis baptistae«!*, Graf Esico wird 1004 »iuxta eccle­ siam sancti Johannis baptistae« beigesetzt', Diese Kirche lag aber nicht genau an der Stelle des heutigen Domes, der auf einen Bau Heinrichs II. zurückgeht. Die Mersebur­ ger Bischofschronik, um 1156 geschrieben, gibt die Lage auf Grund mündlicher Über­ lieferung folgendermaßen an: »in australi parte ecclesiae nostrae, scilicet in loco, ubi nunc fratrum officina dispensatoria frequentatur'®.« Der Standort kann nicht sehr weit von dem heutigen Dom entfernt gewesen sein, da nach Westen nur ein schmaler Ge­ ländestreifen bis zum Abhang übrigbleibt und südlich sich die königliche curtis anschloß. Innerhalb der Befestigungsanlagen des Hügelrückens muß die Kirche aber gestanden haben. Auf der Nordseite konnte die Burg Heinrichs I. den natürlichen Geländeein­ schnitt ausnützen, der später zum Schloßzwinger ausgebaut wurde. Vermutlich war auch das Gelände zwischen Altenburg und Südburg in die karolin­ gisch-ottonische Befestigung miteinbezogen, wie der Geländebefund ergibt. Der un­ bebaute Raum diente als Fluchtburg. Hier muß man auch die Wohnstätten der ottoni­ schen Kaufleute suchen, die zum Teil innerhalb der Burg saßen (vgl. weiter unten). Ende des 10. Jahrhunderts war der Ort Sitz des Markgrafen und zweier Gaugrafen17. In Merseburg siedelte Heinrich I. eine Schar von Verbrechern an, die legio Mesaburio­ rurn, damit sie den Slawen Schaden zufügte. Wo sie allerdings ihre Behausungen hatte, läßt sich nicht ermitteln. Man wird an einen Burgvorort denken dürfen'®. Vor der Schlacht auf dem Lechfelde gelobte Otto I., in Merseburg ein Bistum zu Ehren des hl. Laurentius zu errichten und seine dort begonnene Pfalz der Kirche zu 11

Thietmar I, 18, ed. Holtzmann, S. 24. Walther Schulz, Die Römer als Gründer mitteldeutscher Orte, Frühe Burgen und Städte, Berlin 1954, S. 66 ff. Geppert, S. 194 ff. - Rademacher, Die urbs Merseburg, S. 17 ff. - Zusammenstellung der Quellenstellen bei Fr. Häsler, Der Merseburger Dom des Jahres 1015, Halle 1952, S. 6f. Thietmar II, 56, ed. Holtzmann, S. 84. Thietmar III, 1, ed. Holtzmann, S. 98. Thietmar VI, 16, ed. Holtzmann, S. 294. Chron. episc. Mers. MG SS X, S. 166, Z. 11 ff. Rolf Hünicken, Geschichte der Stadt Halle, 1. TI., Halle 1941, S. 14. - Grimm S. 59 ff. Widukind von Corvey erwähnt ein suburbanum Mesaburiorum für 956. Script. rer. Germ. ed. Kehr (1904), S. 58. - Rademacher sucht es an der Altenburg, Die urbs Merseburg, S. 5f.

1 Dom 2 St.Maximi 3 St. Sixti 4 Neues Rathaus 5 Heidentor = Krummes Tor 6 Königstor

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Marktplatz Gotthardstraße Breite Straße Johannisstraße Preußerstraße Ölgrube Tiefer Keller Grüne Straße Obere Burgstraße Brauhausstraße

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Abb. 9. Merseburg. Nach modernem Hausstellenplan mit Rekonstruktion der mittelalterlichen Stadtmauer

stiften, wenn er siegen sollte'°. Seit ihrer Erhebung zur Kathedrale findet sich der hl. Laurentius als Patron der Bischofskirche neben dem hl. Johannes d. T. Otto I. hat Lau­ rentiusreliquien seiner neuen Gründung geschenkt. Seine Pfalz übergab er der Kirche, wie die Gesta archiepisc. Magdeburgensis berichten: »ubi et regalem sui iuris aulam in Merseburg beato Laurentio martiri votum vovens, in domum oratorii et episcopalem sedem delegavit?°.« Es wird sich nur um den Saalbau und dessen enge Umgebung gehandelt haben, während die Hauptburg selbst noch in der Hand des Königs verblieb, da Thietmar für die Zeit Heinrichs II. wiederum eine königliche Pfalz erwähnt. Es war wohl ein größerer Komplex von Gebäuden, da auch Reichsversammlungen in Merseburg stattfanden?! Dieser lag innerhalb der Burg, wie klar aus der Schenkungsurkunde Hein­ richs II. hervorgeht: »curtem quoque regiam cum aedificiis infra urbem Merseburg positam?«, wahrscheinlich auf der Südspitze des Hügelrückens, an der Stelle der späteren Curia Martini23• Unter Otto II. bestand bereits ein Markt in Merseburg. Der Kaiser schenkte ihn dem ärmlich ausgestatteten Bistum: »... quicquid Merseburgiensis murus continet urbis, cum Judeis et mercatoribus ac moneta?*.« Es gab damals also in Merseburg fest an­ sässige Kaufleute und Juden. Für den Geldbedarf des Marktverkehrs war eine Münz­ stätte errichtet worden. Wo der Merseburger Markt des 10. Jahrhunderts lag, wissen wir nicht aus den Urkunden. Man darf aber vermuten, daß er sich wie in Augsburg, Hildesheim, Halle, Naumburg, Goslar an die Durchgangsstraße anschloß. Er wird die südlichen Ausläufer des Höhenrückens bevorzugt haben, da die Geiselniec:Lerung noch sumpfig war. Das wäre etwa die Gegend des heutigen Marktplatzes, der Olgrube und des Tiefen Kellers. Sehr wahrscheinlich reicht auch die Marktkirche St. Maximi in die Gründungszeit des Marktes zurück. Otto der Große stiftete nämlich dem neuen Bistum Maximusreliquien. Das Untergeschoß des niedersächsischen Westquerbaues der Markt­ kirche, das 1867 abgebrochen wurde, könnte noch im 11. Jahrhundert entstanden sein?°. 1012 werden urkundlich erwähnt »omnia curtilia infra et extra urbem, quae ne19 20

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Thietmar II, 10, ed. Holtzmann, S. 48. MG SS XIV, S. 379, Z. 17 f. Thietmar V, S. 15 u. 18, ed. Holtzmann, S. 256 ff. u. 241 ff. MG DD III, Nr. 64, von 1004, S. 79. - UB I, Nr. 51, S. 55. Geppert, S. 198. Nach frdl. mdl. Mitt. v. G. Pretzien läßt sich die nördliche Grenze der Südburg als Erderhöhung noch quer durch die Kuriengärten verfolgen. - Rademacher, Die urbs Merseb., S. 20 ff. Thietmar III, 1, ed. Holtzmann, S.98. - UB I, Nr.20, S.18. Der Inhalt der murus urbis bildete natürlich die Immunität, die Juden und Kaufleute wohnten wohl zum größten Teil außerhalb. Die Zweiteilung der Siedlung geht besonders klar hervor aus dem Chron. episc. Merseb. MG SS X, S. 167: »quidquid murus in australi parte continet et civile oppidum cum universis suis iuris.« Koch, S.52, Abb. S.46. Er nimmt 10. Jh. an, was zu früh erscheint, da der niedersächsische Westquerbau erst im 11.Jh. auftritt (Goslar, Dom; Hildesheim, Dom etc.). Ein karolingi­ scher Wirtschaftshof anstelle des Grünen Marktes bei St. Maximi ist aus Vergleich mit den übrigen frühen Märkten höchst unwahrscheinlich. Dagegen muß um St. Maximi ein Fried­ hof angenommen werden, der die auffallende Grenze im Stadtplan bewirkte. - G. Pretzien, Die Kirchen St. Maximi und St. Sixti zu Merseburg, Merseburger Zeitung vom 25. und 27. Dezember 1959. Zur Lage der ottonischen Marktsiedlung vgl. auch Grimm S. 122 und P. Grimm, Archäolo­ gische Beiträge zur Lage ottonischer Marktsiedlungen in den Bezirken Halle und Magde­ burg, Jahresschrift f. mitteldeutsche Vorgeschichte 41/42, 1958, S. 556.

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gotiatores possident26«. Ein Teil der Kaufleute saß demnach in der Domburg selbst?©a, Als Bischof Gisiler 981 Erzbischof von Magdeburg wurde, löste er das Merseburger Bistum auf und verwandelte das Domstift in eine Abtei??. Heinrich II. gründete das Bistum neu, 1004 schenkte er seinen Königshof den Bischöfen. Es muß aber noch könig­ licher Besitz verblieben sein, da 1188 Friedrich I. dem Bischof die kaiserliche Wohnung schenkt, die an der Stelle des heutigen Schlosses auf der Nordseite des Domes stand28• 1015 legte Bischof Thietmar auf Geheiß Kaiser Heinrichs II. den Grundstein zum neuen Dom, von dem noch heute Reste im spätgotischen Umbau erhalten sind? Merkwürdig bleibt allerdings, daß eine Zeichnung des 17. Jahrhunderts den Wirt­ schaftshof des St. Petri-Klosters in der Altenburg mit »Königshof« bezeichnet®®, Geht dieser Name auf die einstige Gaugrafenburg zurück, die durch Hatheburg an die Liu­ dolfinger kam, oder handelt es sich um einen Wirtschaftshof der Pfalz? Im 11. Jahrhundert entstehen außerhalb des Domberges und des Marktes zwei neue Kirchen. Bischof Hunold erbaute 1055 die Gotthardtskapelle und 1045 auf einem klei­ nen Hügel südwestlich des Marktes St. Sixti jenseits der Geiselniederung*". 1091 wurde das neuerstandene Petrikloster der Altenburg geweiht, nachdem es mehrere Jahrzehnte hindurch in Ruinen gelegen hatte?. Somit zeigte auch Merseburg im 11. Jahrhundert die kennzeichnende Streulage der Siedlungen um den Schwerpunkt der Domimmunität. Vom Petrikloster im Norden bis St. Sixti im Südwesten beträgt die Entfernung etwa 1500 m in der Luftlinie. Die ausge­ sprochene Ansichtsseite der Stadt richtet sich nach Osten, da Dom und Petrikloster dicht an den Ostrand des Hügelrückens hinausgerückt sind und nur von dieser Seite sich in voller Größe darbieten. Neben der Hügelsilhouette ragen S. Maximi und St. Sixti über den Markt auf. Der Dom, fast in der Mitte des Stadtbildes, gibt den Hauptakzent ab. Da hier das Saaletal eine mehrere Kilometer breite Ebene bildet, an deren Rand sich schon von weitem sichtbar der Domhügel abzeichnet, prägt sich das Stadtbild dem Betrachter mit besonderem Nachdruck ein?°, Wann die Kurien der Immunität erbaut wurden, berichtet uns keine Quelle. Ihren Bestand im Spätmittelalter und das Aussehen der Domfreiheit zu dieser Zeit gibt sehr anschaulich eine Federzeichnung wieder, die zwar erst zwischen 1656 und 1663 ent26

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UB I, Nr. 31, 9. 35. Die Lage Merseburgs an der gefährdeten Slavengrenze erklärt wohl, daß sich im Osten Kaufleute innerhalb der urbs niederlassen konnten. Auch für Magdeburg sind in ottonischer Zeit Kaufleute nachzuweisen, die in der civitas wohnten (DO II, 198 u. DH II, 64). Vgl. Berent Schwineköper, Die Anfänge Magdeburgs, Studien zu den Anfängen europäischen Städtewesens, Lindau-Konstanz (1958), S. 403. Möglicherweise reichen in beiden Fällen diese Hausstellen in eine Zeit zurück, in der die urbs noch ausschließlich in königlicher Hand war. Thietmar III, 16, ed. Holtzmann, S. 116 u. 118. Geppert, S. 198. Rekonstruktion des Heinrichbaues durch Häsler a. a. 0. Koch, S.69 ff., Abb. S.70. Der Chronist Botruff (1557) bezeichnet als »Königshof« eine Schanze zwischen dem Petrikloster und der Domburg. Chron. episc. Mers. MG SS X, S. 180. 1562 z. T. abgetragen. Chron. episc. Mers. MG SS X, S. 184. 1562 wurde das Kloster zum größten Teil abgerissen. Vgl. Stich in »Merseburg«, Berlin-Halensee 1929, S.5. 51



stiften, wenn er siegen sollte'°. Seit ihrer Erhebung zur Kathedrale findet sich der hl. Laurentius als Patron der Bischofskirche neben dem hl. Johannes d. T. Otto I. hat Lau­ rentiusreliquien seiner neuen Gründung geschenkt. Seine Pfalz übergab er der Kirche, wie die Gesta archiepisc. Magdeburgensis berichten: »ubi et regalem sui iuris aulam in Merseburg beato Laurentio martiri votum vovens, in domum oratorii et episcopalem sedem delegavit?°.« Es wird sich nur um den Saalbau und dessen enge Umgebung gehandelt haben, während die Hauptburg selbst noch in der Hand des Königs verblieb, da Thietmar für die Zeit Heinrichs II. wiederum eine königliche Pfalz erwähnt. Es war wohl ein größerer Komplex von Gebäuden, da auch Reichsversammlungen in Merseburg stattfanden?! Dieser lag innerhalb der Burg, wie klar aus der Schenkungsurkunde Hein­ richs II. hervorgeht: »curtem quoque regiam cum aedificiis infra urbem Merseburg positam?«, wahrscheinlich auf der Südspitze des Hügelrückens, an der Stelle der späteren Curia Martini23• Unter Otto II. bestand bereits ein Markt in Merseburg. Der Kaiser schenkte ihn dem ärmlich ausgestatteten Bistum: »... quicquid Merseburgiensis murus continet urbis, cum Judeis et mercatoribus ac moneta?*.« Es gab damals also in Merseburg fest an­ sässige Kaufleute und Juden. Für den Geldbedarf des Marktverkehrs war eine Münz­ stätte errichtet worden. Wo der Merseburger Markt des 10. Jahrhunderts lag, wissen wir nicht aus den Urkunden. Man darf aber vermuten, daß er sich wie in Augsburg, Hildesheim, Halle, Naumburg, Goslar an die Durchgangsstraße anschloß. Er wird die südlichen Ausläufer des Höhenrückens bevorzugt haben, da die Geiselniec:Lerung noch sumpfig war. Das wäre etwa die Gegend des heutigen Marktplatzes, der Olgrube und des Tiefen Kellers. Sehr wahrscheinlich reicht auch die Marktkirche St. Maximi in die Gründungszeit des Marktes zurück. Otto der Große stiftete nämlich dem neuen Bistum Maximusreliquien. Das Untergeschoß des niedersächsischen Westquerbaues der Markt­ kirche, das 1867 abgebrochen wurde, könnte noch im 11. Jahrhundert entstanden sein?°. 1012 werden urkundlich erwähnt »omnia curtilia infra et extra urbem, quae ne19 20

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Thietmar II, 10, ed. Holtzmann, S. 48. MG SS XIV, S. 379, Z. 17 f. Thietmar V, S. 15 u. 18, ed. Holtzmann, S. 256 ff. u. 241 ff. MG DD III, Nr. 64, von 1004, S. 79. - UB I, Nr. 51, S. 55. Geppert, S. 198. Nach frdl. mdl. Mitt. v. G. Pretzien läßt sich die nördliche Grenze der Südburg als Erderhöhung noch quer durch die Kuriengärten verfolgen. - Rademacher, Die urbs Merseb., S. 20 ff. Thietmar III, 1, ed. Holtzmann, S.98. - UB I, Nr.20, S.18. Der Inhalt der murus urbis bildete natürlich die Immunität, die Juden und Kaufleute wohnten wohl zum größten Teil außerhalb. Die Zweiteilung der Siedlung geht besonders klar hervor aus dem Chron. episc. Merseb. MG SS X, S. 167: »quidquid murus in australi parte continet et civile oppidum cum universis suis iuris.« Koch, S.52, Abb. S.46. Er nimmt 10. Jh. an, was zu früh erscheint, da der niedersächsische Westquerbau erst im 11.Jh. auftritt (Goslar, Dom; Hildesheim, Dom etc.). Ein karolingi­ scher Wirtschaftshof anstelle des Grünen Marktes bei St. Maximi ist aus Vergleich mit den übrigen frühen Märkten höchst unwahrscheinlich. Dagegen muß um St. Maximi ein Fried­ hof angenommen werden, der die auffallende Grenze im Stadtplan bewirkte. - G. Pretzien, Die Kirchen St. Maximi und St. Sixti zu Merseburg, Merseburger Zeitung vom 25. und 27. Dezember 1959. Zur Lage der ottonischen Marktsiedlung vgl. auch Grimm S. 122 und P. Grimm, Archäolo­ gische Beiträge zur Lage ottonischer Marktsiedlungen in den Bezirken Halle und Magde­ burg, Jahresschrift f. mitteldeutsche Vorgeschichte 41/42, 1958, S. 556.

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gotiatores possident26«. Ein Teil der Kaufleute saß demnach in der Domburg selbst?©a, Als Bischof Gisiler 981 Erzbischof von Magdeburg wurde, löste er das Merseburger Bistum auf und verwandelte das Domstift in eine Abtei??. Heinrich II. gründete das Bistum neu, 1004 schenkte er seinen Königshof den Bischöfen. Es muß aber noch könig­ licher Besitz verblieben sein, da 1188 Friedrich I. dem Bischof die kaiserliche Wohnung schenkt, die an der Stelle des heutigen Schlosses auf der Nordseite des Domes stand28• 1015 legte Bischof Thietmar auf Geheiß Kaiser Heinrichs II. den Grundstein zum neuen Dom, von dem noch heute Reste im spätgotischen Umbau erhalten sind? Merkwürdig bleibt allerdings, daß eine Zeichnung des 17. Jahrhunderts den Wirt­ schaftshof des St. Petri-Klosters in der Altenburg mit »Königshof« bezeichnet®®, Geht dieser Name auf die einstige Gaugrafenburg zurück, die durch Hatheburg an die Liu­ dolfinger kam, oder handelt es sich um einen Wirtschaftshof der Pfalz? Im 11. Jahrhundert entstehen außerhalb des Domberges und des Marktes zwei neue Kirchen. Bischof Hunold erbaute 1055 die Gotthardtskapelle und 1045 auf einem klei­ nen Hügel südwestlich des Marktes St. Sixti jenseits der Geiselniederung*". 1091 wurde das neuerstandene Petrikloster der Altenburg geweiht, nachdem es mehrere Jahrzehnte hindurch in Ruinen gelegen hatte?. Somit zeigte auch Merseburg im 11. Jahrhundert die kennzeichnende Streulage der Siedlungen um den Schwerpunkt der Domimmunität. Vom Petrikloster im Norden bis St. Sixti im Südwesten beträgt die Entfernung etwa 1500 m in der Luftlinie. Die ausge­ sprochene Ansichtsseite der Stadt richtet sich nach Osten, da Dom und Petrikloster dicht an den Ostrand des Hügelrückens hinausgerückt sind und nur von dieser Seite sich in voller Größe darbieten. Neben der Hügelsilhouette ragen S. Maximi und St. Sixti über den Markt auf. Der Dom, fast in der Mitte des Stadtbildes, gibt den Hauptakzent ab. Da hier das Saaletal eine mehrere Kilometer breite Ebene bildet, an deren Rand sich schon von weitem sichtbar der Domhügel abzeichnet, prägt sich das Stadtbild dem Betrachter mit besonderem Nachdruck ein?°, Wann die Kurien der Immunität erbaut wurden, berichtet uns keine Quelle. Ihren Bestand im Spätmittelalter und das Aussehen der Domfreiheit zu dieser Zeit gibt sehr anschaulich eine Federzeichnung wieder, die zwar erst zwischen 1656 und 1663 ent26

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UB I, Nr. 31, 9. 35. Die Lage Merseburgs an der gefährdeten Slavengrenze erklärt wohl, daß sich im Osten Kaufleute innerhalb der urbs niederlassen konnten. Auch für Magdeburg sind in ottonischer Zeit Kaufleute nachzuweisen, die in der civitas wohnten (DO II, 198 u. DH II, 64). Vgl. Berent Schwineköper, Die Anfänge Magdeburgs, Studien zu den Anfängen europäischen Städtewesens, Lindau-Konstanz (1958), S. 403. Möglicherweise reichen in beiden Fällen diese Hausstellen in eine Zeit zurück, in der die urbs noch ausschließlich in königlicher Hand war. Thietmar III, 16, ed. Holtzmann, S. 116 u. 118. Geppert, S. 198. Rekonstruktion des Heinrichbaues durch Häsler a. a. 0. Koch, S.69 ff., Abb. S.70. Der Chronist Botruff (1557) bezeichnet als »Königshof« eine Schanze zwischen dem Petrikloster und der Domburg. Chron. episc. Mers. MG SS X, S. 180. 1562 z. T. abgetragen. Chron. episc. Mers. MG SS X, S. 184. 1562 wurde das Kloster zum größten Teil abgerissen. Vgl. Stich in »Merseburg«, Berlin-Halensee 1929, S.5. 51



standen ist, aber das spätmittelalterliche Bild festhält*'. Auf die zwanzig Domherren kamen im Mittelalter nur 8 Kurien°. Zwei Tore sicherten die Eingänge. Das Heidentor (= Krummes Tor) führte zur Stadt, über ihm lag eine Marienkapelle, die Bischof Friedrich (1265-1283) errichtete. Das Königstor ging zur Altenburg. Die Begrenzung gegen Südwesten verlief an der Ostseite der Grünen Straße. Erst im 15. Jahrhundert (um 1450) wurde die Mauer an den Ostrand der Oberen Burgstraße vorverlegt, um mit der älteren Mauer einen Zwinger zu bilden. Vielleicht lag die älteste Mauer an dieser Seite noch weiter nach Osten. 1255 wird als Kurienkapelle die capella Martini erwähnt, im gleichen Jahre auch die der Propstei, St. Nikolaus und St. Margarethen. Den Aposteln Simon und Juda war die Kapelle der Dekanskurie geweiht. 1346 wird die Kurienkapelle sancti Philippi und sancti Jacobi genannt. Eine Sonderstellung hat die Martinskurie auf der Südspitze des Schloßhügels, dem höchsten Punkt des Rückens, eingenommen. 1552 wird sie einmal Martinsburg genannt. Ihr Gebiet war ursprünglich wesentlich größer als das der übrigen Kurien und reichte bis zum Domplatz. Wenn hier die curtis Ottos I. lag - die Lage erinnert sehr an die der Ekkardinerburg in Naumburg -, so darf man das Gebiet des Domes bis zum Zwinger als curticula (Vorburg) auffassen. Der Platz der Heinrichsburg reichte jedoch für die Kurien und Vikarhäuser nicht aus. Bei der Anlage der Bürgerstadt hat man das Gebiet zwischen Domburg und Klia den Immuni­ tätsbauten vorbehalten, die innerhalb der Domburg nicht mehr Platz fanden (heute Schulstraße, Brauhausstraße und -platz). Ganz unsicher verhält sich das Schrifttum zur Frage der Altstadtgründung. Wann ist die geschlossene Stadt entstanden, die vom Zwinger des Domhügels bis zur Sixti­ kirche reicht*®? Der Mauerring kann zur Datierung nicht verwendet werden. Er stammt erst aus dem 13. Jahrhundert, der Zeit Bischof Eckehardts (1215-1240), wahrschein­ lich um 1218 begonnen. Doch wurde damals auf den Protest der Wettiner geantwortet, daß es sich nicht um eine Neubefestigung, sondern nur um die Instandsetzung einer alten Stadtmauer handele®7, Einen gewissen Anhaltspunkt gewährt die Errichtung des Neumarktes jenseits der Saale längs der Straße nach Leipzig-Meißen in der Form eines Straßenmarktes. Die Neumarktkirche, mit der ein Nonnenkloster verbunden war, hatte Thomas Becket zum Patron, der 1173 heiliggesprochen wurde. 1188 wird die Gründung des Neumarktes genehmigt und St. Thomä dabei erwähnt®. Die Marktanlage 34

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Abb.: Richard Günzel, Das Merseburger Land 1950, u. G. Pretzien, Alt-Merseburgs Be­ festigungen, Merseburger Zeitung vom 16. 2. 1939. Die Zeichnung befindet sich in der Uni­ versitätsbibliothek Halle, Signatur Va 170 M 56. O. Rademacher, Aus Merseburgs alter Geschichte, Heft V, Merseburg 1909, S.7 ff. Völlig phantastisch ist die Annahme Kochs (S. 57 ff.), der aus dem Plan der Altstadt zwi­ schen Gotthardtstraße und Breite Straße - Vorwerk ein Rechteck ausschneidet und dies als »Römerwerk« Thietmars verstanden wissen will für die legio Mesaburiorum. Rademacher, Aus Merseburgs alter Geschichte, VII. Heft, Merseburg 1912, S.20. - Koch, S. 59. G. Pretzien, Die Kirche St. Thomä auf dem Neumarkt zu Merseburg, Merseburg 1952, S. 17. Urkunde von 1188. UB I, Nr.152, S.111ff.: »... concessimus, ut forum in civitate sua Merseburc usque ad pontem extendat, insuper ultra pontem iuxta ecclesiam beati Thome martyris inter duos pontes de novo forum instituat ...« Der Neumarkt bildete bis 1832 eine selbständige Gemeinde. Er hatte keine Stadtmauer, nur ein Tor im Osten. Ein Saale­ arm gab einen natürlichen Schutz ab. - Bestätigung des Neumarkts durch Heinrich VI. UB I, Nr. 138, S. 115.

jenseits des Flusses und längs der Ausfallstraße steht nicht allein. Man vergleiche die Jakoberstraße in Augsburg, die Talvorstadt in München; auch die Dammstadt in Hildes­ heim wird ein ähnliches Aussehen gehabt haben. Unverkennbar ist die Ähnlichkeit der Merseburger Altstadt mit Naumburg. Bei beiden liegt der rechteckige Markt annähernd in der Mitte. An einer der Schmalseiten erhebt sich die Stadtkirche mit dem Friedhof. Auch das Flächenverhältnis des Marktes zur bebauten Stadt läßt sich vergleichen. Die Hauptverkehrsstraßen laufen annähernd strahlenförmig auf den Markt zu. In Merseburg führte im Süden die Breite Straße von St. Sixti zum Markt, von Westen her die Gotthardtstraße. Von der Brücke aus ging der Verkehr über die Olgrube. Für Naumburg kommen als Gründungszeit die Jahrzehnte vor 1140 in Frage°. Zur gleichen Zeit wird auch Merseburgs Altstadt entstanden sein. Dies könnte eine Stelle der 1136 geschriebenen Merseburger Bischofschronik bestäti­ gen. Sie kennnzeichnet die Lage von St. Sixti mit »cis oppidum« (= innerhalb der Stadt)*°. Der Befestigungsring hat damals also St. Sixti schon umschlossen, d. h. er muß annähernd bereits den Umfang des 15. Jahrhunderts besessen haben. Eine Erinnerung daran, daß auch die Altstadt innerhalb dieser Mauer keine einheitliche Gründung, son­ dern die Erweiterung des ottonischen Marktes darstellt, war noch im 16. Jahrhundert lebendig. Der Stadtteil südlich der Geisel hieß damals noch »Newestadt«#!. Der Markt des 10. Jahrhunderts war also auf das Gebiet nördlich des Baches beschränkt42. 39 40 41

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Siehe 5. 54 ff. MG SS X, S. 180. Kunstdenkmäler, S. 87. Der Markt von Merseburg weicht heute stark von seiner ursprünglichen Anlage ab. Man muß sich das neue Rathaus fortdenken (erst 1702 in dem 1528 vollendeten Kauf- oder Gewandhaus eingerichtet). Der Baublock zwischen Preußerstraße und Johannisstraße hat sich sichtlich über die alte Begrenzung vorgeschoben, dem neuen Rathaus entgegen. Südlich der St. Maximikirche gegen den Markt zu lag der Friedhof. Die Begrenzungslinie ist heute noch im Stadtgrundriß deutlich zu erkennen. Wahrscheinlich sind die Häuser zwischen Pfarrkirche und dem Markt, die alle keinen Hofraum besitzen, nur überbaute Kaufbuden, die sich an die Friedhofsmauer anlehnten. Der Merseburger Markt stellte also ursprünglich ein Rechteck von rund 10o m Länge und 5o m Breite dar.

standen ist, aber das spätmittelalterliche Bild festhält*'. Auf die zwanzig Domherren kamen im Mittelalter nur 8 Kurien°. Zwei Tore sicherten die Eingänge. Das Heidentor (= Krummes Tor) führte zur Stadt, über ihm lag eine Marienkapelle, die Bischof Friedrich (1265-1283) errichtete. Das Königstor ging zur Altenburg. Die Begrenzung gegen Südwesten verlief an der Ostseite der Grünen Straße. Erst im 15. Jahrhundert (um 1450) wurde die Mauer an den Ostrand der Oberen Burgstraße vorverlegt, um mit der älteren Mauer einen Zwinger zu bilden. Vielleicht lag die älteste Mauer an dieser Seite noch weiter nach Osten. 1255 wird als Kurienkapelle die capella Martini erwähnt, im gleichen Jahre auch die der Propstei, St. Nikolaus und St. Margarethen. Den Aposteln Simon und Juda war die Kapelle der Dekanskurie geweiht. 1346 wird die Kurienkapelle sancti Philippi und sancti Jacobi genannt. Eine Sonderstellung hat die Martinskurie auf der Südspitze des Schloßhügels, dem höchsten Punkt des Rückens, eingenommen. 1552 wird sie einmal Martinsburg genannt. Ihr Gebiet war ursprünglich wesentlich größer als das der übrigen Kurien und reichte bis zum Domplatz. Wenn hier die curtis Ottos I. lag - die Lage erinnert sehr an die der Ekkardinerburg in Naumburg -, so darf man das Gebiet des Domes bis zum Zwinger als curticula (Vorburg) auffassen. Der Platz der Heinrichsburg reichte jedoch für die Kurien und Vikarhäuser nicht aus. Bei der Anlage der Bürgerstadt hat man das Gebiet zwischen Domburg und Klia den Immuni­ tätsbauten vorbehalten, die innerhalb der Domburg nicht mehr Platz fanden (heute Schulstraße, Brauhausstraße und -platz). Ganz unsicher verhält sich das Schrifttum zur Frage der Altstadtgründung. Wann ist die geschlossene Stadt entstanden, die vom Zwinger des Domhügels bis zur Sixti­ kirche reicht*®? Der Mauerring kann zur Datierung nicht verwendet werden. Er stammt erst aus dem 13. Jahrhundert, der Zeit Bischof Eckehardts (1215-1240), wahrschein­ lich um 1218 begonnen. Doch wurde damals auf den Protest der Wettiner geantwortet, daß es sich nicht um eine Neubefestigung, sondern nur um die Instandsetzung einer alten Stadtmauer handele®7, Einen gewissen Anhaltspunkt gewährt die Errichtung des Neumarktes jenseits der Saale längs der Straße nach Leipzig-Meißen in der Form eines Straßenmarktes. Die Neumarktkirche, mit der ein Nonnenkloster verbunden war, hatte Thomas Becket zum Patron, der 1173 heiliggesprochen wurde. 1188 wird die Gründung des Neumarktes genehmigt und St. Thomä dabei erwähnt®. Die Marktanlage 34

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Abb.: Richard Günzel, Das Merseburger Land 1950, u. G. Pretzien, Alt-Merseburgs Be­ festigungen, Merseburger Zeitung vom 16. 2. 1939. Die Zeichnung befindet sich in der Uni­ versitätsbibliothek Halle, Signatur Va 170 M 56. O. Rademacher, Aus Merseburgs alter Geschichte, Heft V, Merseburg 1909, S.7 ff. Völlig phantastisch ist die Annahme Kochs (S. 57 ff.), der aus dem Plan der Altstadt zwi­ schen Gotthardtstraße und Breite Straße - Vorwerk ein Rechteck ausschneidet und dies als »Römerwerk« Thietmars verstanden wissen will für die legio Mesaburiorum. Rademacher, Aus Merseburgs alter Geschichte, VII. Heft, Merseburg 1912, S.20. - Koch, S. 59. G. Pretzien, Die Kirche St. Thomä auf dem Neumarkt zu Merseburg, Merseburg 1952, S. 17. Urkunde von 1188. UB I, Nr.152, S.111ff.: »... concessimus, ut forum in civitate sua Merseburc usque ad pontem extendat, insuper ultra pontem iuxta ecclesiam beati Thome martyris inter duos pontes de novo forum instituat ...« Der Neumarkt bildete bis 1832 eine selbständige Gemeinde. Er hatte keine Stadtmauer, nur ein Tor im Osten. Ein Saale­ arm gab einen natürlichen Schutz ab. - Bestätigung des Neumarkts durch Heinrich VI. UB I, Nr. 138, S. 115.

jenseits des Flusses und längs der Ausfallstraße steht nicht allein. Man vergleiche die Jakoberstraße in Augsburg, die Talvorstadt in München; auch die Dammstadt in Hildes­ heim wird ein ähnliches Aussehen gehabt haben. Unverkennbar ist die Ähnlichkeit der Merseburger Altstadt mit Naumburg. Bei beiden liegt der rechteckige Markt annähernd in der Mitte. An einer der Schmalseiten erhebt sich die Stadtkirche mit dem Friedhof. Auch das Flächenverhältnis des Marktes zur bebauten Stadt läßt sich vergleichen. Die Hauptverkehrsstraßen laufen annähernd strahlenförmig auf den Markt zu. In Merseburg führte im Süden die Breite Straße von St. Sixti zum Markt, von Westen her die Gotthardtstraße. Von der Brücke aus ging der Verkehr über die Olgrube. Für Naumburg kommen als Gründungszeit die Jahrzehnte vor 1140 in Frage°. Zur gleichen Zeit wird auch Merseburgs Altstadt entstanden sein. Dies könnte eine Stelle der 1136 geschriebenen Merseburger Bischofschronik bestäti­ gen. Sie kennnzeichnet die Lage von St. Sixti mit »cis oppidum« (= innerhalb der Stadt)*°. Der Befestigungsring hat damals also St. Sixti schon umschlossen, d. h. er muß annähernd bereits den Umfang des 15. Jahrhunderts besessen haben. Eine Erinnerung daran, daß auch die Altstadt innerhalb dieser Mauer keine einheitliche Gründung, son­ dern die Erweiterung des ottonischen Marktes darstellt, war noch im 16. Jahrhundert lebendig. Der Stadtteil südlich der Geisel hieß damals noch »Newestadt«#!. Der Markt des 10. Jahrhunderts war also auf das Gebiet nördlich des Baches beschränkt42. 39 40 41

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Siehe 5. 54 ff. MG SS X, S. 180. Kunstdenkmäler, S. 87. Der Markt von Merseburg weicht heute stark von seiner ursprünglichen Anlage ab. Man muß sich das neue Rathaus fortdenken (erst 1702 in dem 1528 vollendeten Kauf- oder Gewandhaus eingerichtet). Der Baublock zwischen Preußerstraße und Johannisstraße hat sich sichtlich über die alte Begrenzung vorgeschoben, dem neuen Rathaus entgegen. Südlich der St. Maximikirche gegen den Markt zu lag der Friedhof. Die Begrenzungslinie ist heute noch im Stadtgrundriß deutlich zu erkennen. Wahrscheinlich sind die Häuser zwischen Pfarrkirche und dem Markt, die alle keinen Hofraum besitzen, nur überbaute Kaufbuden, die sich an die Friedhofsmauer anlehnten. Der Merseburger Markt stellte also ursprünglich ein Rechteck von rund 10o m Länge und 5o m Breite dar.

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NAUMBURG

(Abbildungen 1o u. 11, Tafel 6)

Den Ausgangspunkt für die Entstehung Naumburgs' bildet die Burg der Eckardiner. Markgraf Ekkehard hatte seit 985 die drei Teilstücke der Thüringer Mark (Meißen, Merseburg, Zeitz) wieder in seiner Hand vereinigt. Bei Großjena, etwa 4 km nördlich von Naumburg am Zusammenfluß von Saale und Unstrut, besaß die Familie eine Burg; in der Nähe lag der größte Teil der Stammgüter. An diesem Sitz führte eine der großen Durchgangsstraßen des Mittelalters vorbei: der Königsweg von Frankfurt am Main zur Elbe. Er lief am linken Saaleufer entlang und überschritt bei Großjena die Unstrut. Die Frankenstraße, eine bedeutende Nord-Süd-Straße, setzte etwa 1o km saaleaufwärts bei Saaleck über den Fluß und schnitt den Königsweg bei Fränkenau. Um 1o1o bauten die Söhne des Markgrafen, Hermann (gest. 1032) und Ekkehard der Jüngere (gest. 1046), eine neue Burg auf dem Südufer der Saale am Rande der Ufer­ terrasse, etwas nördlich des Mausabach-Einschnittes. Etwa 25 m steigt hier der Uferhang steil über die Talsohle empor. Diese neue Burg (= Nuemburc) gab dem Ort seinen Namen. Noch zu erkennen ist der Halsgraben der Hauptburg. In der Vorburg sollte der Dom errichtet werden?", Eine Baugeschichte der Stadt Naumburg, die den heutigen Anforderungen entspräche, gibt es nicht. Die »Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Prov. Sachsen, Stadt Naumburg, bearb. v. Heinr. Bergner, Halle 1905« enthält mehrere schwer­ wiegende Fehler und stützt sich z. T. auf fragwürdige Quellen. Die spätmittelalterliche Geschichte der Immunität ist eingehend nach dem Urkundenmaterial dargestellt von Paul Keber, Die Naumburger Freiheit, Leipzig 1909, Leipziger hist. Abhandlungen, Bd. 12, mit Stadtplan. Karl Heldmann, Domfreiheit und Bürgerstadt in Naumburg a. d. Saale (Thür.­ sächs. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst IV, 1914, S.74ff.) will den Markt des 11. Jhs. in der heutigen Freiheit suchen. Dem stimmte Louis Naumann, Zur Entwicklungsgeschichte Naum­ burgs, ebenda, VII, 1917, S.1ff., weitgehend bei. Die Arbeiten Naumanns machen die ausführlichen Urkundennachweise besonders wertvoll. Eine Stadtgeschichte für größeren Leserkreis, leider ohne Quellenangaben, schrieb Ernst Borkowsky, Naumburg a. d. Saale, eine Geschichte deutschen Bürgertums 1028-1928, Jena 1928, als Erweiterung seiner frühe­ ren Darstellung: Aus der Vergangenheit der Stadt Naumburg, Wissenschaftliche Beilage zum Programm der Realschule, Naumburg 1893-1895. Gesamte Bibliographie: Deutsches Städtebuch, hgb. v. Erich Keyser, II. Bd., Stuttgart-Berlin 1941, S.617 ff. - Siegfried Riet­ schel, Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verhältnis, Leipzig 1897, S.63 ff. - Bildband: Kurt Wassermann u. Fritz Hege, Naumburg, Dresden 1952. Wolfgang Hütt u.a., Der Naum­ burger Dom, Dresden 1956, S. 9-14. 2 Borkowsky 1928, S. 47. 2a Paul Grimm, Die vor- und frühgeschichtlichen Burgwälle der Bezirke Halle und Magde­ burg, Berlin 1958, S. 34f., 124 u. 259, Nr. 575, Abb. 54 f. - Ders., Archäologische Beiträge zur Lage ottonischer Marktsiedlungen in den Bezirken Halle und Magdeburg, Jahresschrift f. Mitteldeutsche Vorgeschichte 41/42, 1958, S. 536 f. Die Hauptburg der Ekkehardiner maß etwa 55 X 90 m.

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WEISSENFELS

Abb. 10. Naumburg im 11. Jahrhundert

Für das Jahr 1021 erwähnt die Merseburger Bischofschronik »praeposituram in Nuemburc noviter fundatam«. Da die Patroziniumsangabe fehlt, kann man nicht genau sagen, um welche der späteren Kirchen es sich handelt, wahrscheinlich um den nachmaligen Dom. Als man 1028 den Zeitzer Bischofssitz nach Naumburg verlegte, wird die Propstei zur Bischofskirche aufgerückt sein*. Die Verlegung war auf Wunsch Kai­ ser Konrads erfolgt wegen der dauernden Gefährdung von Zeitz in den Polenkriegen. 3

4

MG SS X, S.158. Selmar Lüttich, Zur Baugeschichte des Naumburger Domes und der anliegenden Baulich­ keiten, Beilage zum Jahresbericht des Domgymnasiums zu Naumburg a. d. S., 1902, S. 5.

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NAUMBURG

(Abbildungen 1o u. 11, Tafel 6)

Den Ausgangspunkt für die Entstehung Naumburgs' bildet die Burg der Eckardiner. Markgraf Ekkehard hatte seit 985 die drei Teilstücke der Thüringer Mark (Meißen, Merseburg, Zeitz) wieder in seiner Hand vereinigt. Bei Großjena, etwa 4 km nördlich von Naumburg am Zusammenfluß von Saale und Unstrut, besaß die Familie eine Burg; in der Nähe lag der größte Teil der Stammgüter. An diesem Sitz führte eine der großen Durchgangsstraßen des Mittelalters vorbei: der Königsweg von Frankfurt am Main zur Elbe. Er lief am linken Saaleufer entlang und überschritt bei Großjena die Unstrut. Die Frankenstraße, eine bedeutende Nord-Süd-Straße, setzte etwa 1o km saaleaufwärts bei Saaleck über den Fluß und schnitt den Königsweg bei Fränkenau. Um 1o1o bauten die Söhne des Markgrafen, Hermann (gest. 1032) und Ekkehard der Jüngere (gest. 1046), eine neue Burg auf dem Südufer der Saale am Rande der Ufer­ terrasse, etwas nördlich des Mausabach-Einschnittes. Etwa 25 m steigt hier der Uferhang steil über die Talsohle empor. Diese neue Burg (= Nuemburc) gab dem Ort seinen Namen. Noch zu erkennen ist der Halsgraben der Hauptburg. In der Vorburg sollte der Dom errichtet werden?", Eine Baugeschichte der Stadt Naumburg, die den heutigen Anforderungen entspräche, gibt es nicht. Die »Beschreibende Darstellung der älteren Bau- und Kunstdenkmäler der Prov. Sachsen, Stadt Naumburg, bearb. v. Heinr. Bergner, Halle 1905« enthält mehrere schwer­ wiegende Fehler und stützt sich z. T. auf fragwürdige Quellen. Die spätmittelalterliche Geschichte der Immunität ist eingehend nach dem Urkundenmaterial dargestellt von Paul Keber, Die Naumburger Freiheit, Leipzig 1909, Leipziger hist. Abhandlungen, Bd. 12, mit Stadtplan. Karl Heldmann, Domfreiheit und Bürgerstadt in Naumburg a. d. Saale (Thür.­ sächs. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst IV, 1914, S.74ff.) will den Markt des 11. Jhs. in der heutigen Freiheit suchen. Dem stimmte Louis Naumann, Zur Entwicklungsgeschichte Naum­ burgs, ebenda, VII, 1917, S.1ff., weitgehend bei. Die Arbeiten Naumanns machen die ausführlichen Urkundennachweise besonders wertvoll. Eine Stadtgeschichte für größeren Leserkreis, leider ohne Quellenangaben, schrieb Ernst Borkowsky, Naumburg a. d. Saale, eine Geschichte deutschen Bürgertums 1028-1928, Jena 1928, als Erweiterung seiner frühe­ ren Darstellung: Aus der Vergangenheit der Stadt Naumburg, Wissenschaftliche Beilage zum Programm der Realschule, Naumburg 1893-1895. Gesamte Bibliographie: Deutsches Städtebuch, hgb. v. Erich Keyser, II. Bd., Stuttgart-Berlin 1941, S.617 ff. - Siegfried Riet­ schel, Markt und Stadt in ihrem rechtlichen Verhältnis, Leipzig 1897, S.63 ff. - Bildband: Kurt Wassermann u. Fritz Hege, Naumburg, Dresden 1952. Wolfgang Hütt u.a., Der Naum­ burger Dom, Dresden 1956, S. 9-14. 2 Borkowsky 1928, S. 47. 2a Paul Grimm, Die vor- und frühgeschichtlichen Burgwälle der Bezirke Halle und Magde­ burg, Berlin 1958, S. 34f., 124 u. 259, Nr. 575, Abb. 54 f. - Ders., Archäologische Beiträge zur Lage ottonischer Marktsiedlungen in den Bezirken Halle und Magdeburg, Jahresschrift f. Mitteldeutsche Vorgeschichte 41/42, 1958, S. 536 f. Die Hauptburg der Ekkehardiner maß etwa 55 X 90 m.

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WEISSENFELS

Abb. 10. Naumburg im 11. Jahrhundert

Für das Jahr 1021 erwähnt die Merseburger Bischofschronik »praeposituram in Nuemburc noviter fundatam«. Da die Patroziniumsangabe fehlt, kann man nicht genau sagen, um welche der späteren Kirchen es sich handelt, wahrscheinlich um den nachmaligen Dom. Als man 1028 den Zeitzer Bischofssitz nach Naumburg verlegte, wird die Propstei zur Bischofskirche aufgerückt sein*. Die Verlegung war auf Wunsch Kai­ ser Konrads erfolgt wegen der dauernden Gefährdung von Zeitz in den Polenkriegen. 3

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MG SS X, S.158. Selmar Lüttich, Zur Baugeschichte des Naumburger Domes und der anliegenden Baulich­ keiten, Beilage zum Jahresbericht des Domgymnasiums zu Naumburg a. d. S., 1902, S. 5.

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Naumburg bot größere Sicherheit, es war ein »locus munitus«". Die beiden kinderlosen Markgrafen schenkten ihr väterliches Erbe der Kirche zur Ausstattung des neuen Bischofssitzes. Der Kaiser genehmigte die Gründung eines Marktes und verlieh dem Bischof wichtige Forstrechte®. Aus den spärlichen Anhaltspunkten der Quellen und der Denkmäler muß man sich das Aussehen Naumburgs im 11. Jahrhundert vorzustellen versuchen. Auf dem höch­ sten Punkt des Terrassenrandes im Westen lag die Burg an der Stelle des heutigen Oberlandesgerichtes'. Die Verteidigungsanlage wird von der Geländebildung bedingt. Der Steilabfall nach Westen setzt sich nach Süden hin fort, verflacht aber nach Süd­ osten immer stärker. Nach dem Aussterben der Markgrafen diente die Burg den Bischöfen als Wohnsitz, bis diese sich im 15. Jahrhundert in der Nähe des Doms einen neuen Hof schufen. Südöstlich der Burg, etwas tiefer als sie, liegt der Dom. Seine Weihe erfolgte zwischen 1036 und 1048°. Aus Grabungen 1874-1878 geht soviel hervor, daß der Vorgänger des bestehenden romanischen Baues kleiner war und sich innerhalb der Fundamente des 12. Jahrhunderts hielt. Das Querschiff befand sich genau an der Stelle des heutigen. Auf der Westseite besaß der Dom wahrscheinlich ein umfangreiches Atrium9. Südlich schließt sich das Stiftsgebäude (die »Klausur«) an. In deren Südostecke schneidet die Pfarrkirche der Immunität ein, die der allerseligsten Jungfrau Maria geweiht war. Auf Grund der Bauformen läßt sie sich bis in das späte 12. Jahrhundert zurückverfolgen. Merkwürdig ihre stark nach Süden verschobene Achse, die nicht mit der des Domes parallel läuft! Daß sie von Bischof Udo I. (1125-1148) ge­ gründet worden sei, steht nur in einer höchst verdächtigen Quelle des 18. Jahrhunderts'°. 1247 wird der zugehörige Pfarrhof urkundlich genannt. Die Ortsangabe »in civitate«, die ihr die Urkunden beilegen, hat viel Verwirrung gestiftet. Da man civitas mit »Stadt« im Sinne von Bürgerstadt übersetzte, so war man gezwungen, die Grenze zwischen Dom­ freiheit und Bürgersiedlung mitten zwischen Dom und Marienkirche hindurchgehen zu lassen!'. Nun gehört aber die Marienkirche mit Dom und Klausur zu einer einzigen Gebäudegruppe zusammen, die niemals eine so wichtige Grenze durchschnitten haben kann. Mit civitas (= befestigter Ort) ist hier natürlich die Domfreiheit gemeint, die bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts in Naumburg allein eine Mauerbefestigung ihr

1 Dom 2 St. Georg (abgebrochen) 3 St. Moritz 4 St. Maria 5 St. Nikolauskapelle 6 St. Ägidienkapelle 7 St. Wenzel 8 Spitteltor 9 Georgentor 10 Neutor 11 Steintor 12 Otmarstor 13 Marientor 14 Jakobstor 15 Wenzelstor 16 Oberlandesgericht 17 Salztor

A Markt

B C D E

5 Borkowsky 1895, S. 21 ff. 6 »... consensugue fratrum

Herimanni et Eckehardi, qui locum eundem heriditate paterna sublimarunt dignitate episcopali, .. .« Urkunde des Bischofs Kadaloh 1053. O. Dobenecker, Regesta diplomatica necnon epistoleria historiae Thuringiae, Bd. I, Jena 1896, Nr. 707 u. 708, S. 150 f. 7 Der »Neuenburg« mußte eine alte Burg des Geschlechtes entsprechen: vielleicht die Burg in Großjena, wahrscheinlicher aber die Altenburg bei Almrich. Borkowsky 1893, S.14. s Lüttich, S. 5. 9 Lüttich, S. 6. Die von dem Verf. rechnerisch gewonnenen Maße können kaum aufrecht­ erhalten werden. - Paul Frankl, Die Stellung der Westtürme des Naumburger Domes, Medieval Studies in memory of A. Kingsley Porter, Bd. II, Cambridge (Mass.) 1939, S. 503 ff. mit Rekonstruktions-Skizze des ersten Dombaus (S.533). 10 Lüttich, S. 30ff. u. ders., Dritter Beitrag zur Baugesch. des Naumburger Domes und der anliegenden Baulichkeiten, Beilage zum Jahresbericht des Domgymnasiums zu Naum­ burg a. d. S., Naumburg, Ostern 1904, S. 54 ff. 11 Keber, S. 15. - Heldmann, S. 79.

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Abb. 11. Naumburg. Nach dem schematischen Hausstellenplan im Domarchiv zu Naumburg von 1838

Steinweg Salzstraße Große Mergenstraße Breite Straße (später Fischweg)

Naumburg bot größere Sicherheit, es war ein »locus munitus«". Die beiden kinderlosen Markgrafen schenkten ihr väterliches Erbe der Kirche zur Ausstattung des neuen Bischofssitzes. Der Kaiser genehmigte die Gründung eines Marktes und verlieh dem Bischof wichtige Forstrechte®. Aus den spärlichen Anhaltspunkten der Quellen und der Denkmäler muß man sich das Aussehen Naumburgs im 11. Jahrhundert vorzustellen versuchen. Auf dem höch­ sten Punkt des Terrassenrandes im Westen lag die Burg an der Stelle des heutigen Oberlandesgerichtes'. Die Verteidigungsanlage wird von der Geländebildung bedingt. Der Steilabfall nach Westen setzt sich nach Süden hin fort, verflacht aber nach Süd­ osten immer stärker. Nach dem Aussterben der Markgrafen diente die Burg den Bischöfen als Wohnsitz, bis diese sich im 15. Jahrhundert in der Nähe des Doms einen neuen Hof schufen. Südöstlich der Burg, etwas tiefer als sie, liegt der Dom. Seine Weihe erfolgte zwischen 1036 und 1048°. Aus Grabungen 1874-1878 geht soviel hervor, daß der Vorgänger des bestehenden romanischen Baues kleiner war und sich innerhalb der Fundamente des 12. Jahrhunderts hielt. Das Querschiff befand sich genau an der Stelle des heutigen. Auf der Westseite besaß der Dom wahrscheinlich ein umfangreiches Atrium9. Südlich schließt sich das Stiftsgebäude (die »Klausur«) an. In deren Südostecke schneidet die Pfarrkirche der Immunität ein, die der allerseligsten Jungfrau Maria geweiht war. Auf Grund der Bauformen läßt sie sich bis in das späte 12. Jahrhundert zurückverfolgen. Merkwürdig ihre stark nach Süden verschobene Achse, die nicht mit der des Domes parallel läuft! Daß sie von Bischof Udo I. (1125-1148) ge­ gründet worden sei, steht nur in einer höchst verdächtigen Quelle des 18. Jahrhunderts'°. 1247 wird der zugehörige Pfarrhof urkundlich genannt. Die Ortsangabe »in civitate«, die ihr die Urkunden beilegen, hat viel Verwirrung gestiftet. Da man civitas mit »Stadt« im Sinne von Bürgerstadt übersetzte, so war man gezwungen, die Grenze zwischen Dom­ freiheit und Bürgersiedlung mitten zwischen Dom und Marienkirche hindurchgehen zu lassen!'. Nun gehört aber die Marienkirche mit Dom und Klausur zu einer einzigen Gebäudegruppe zusammen, die niemals eine so wichtige Grenze durchschnitten haben kann. Mit civitas (= befestigter Ort) ist hier natürlich die Domfreiheit gemeint, die bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts in Naumburg allein eine Mauerbefestigung ihr

1 Dom 2 St. Georg (abgebrochen) 3 St. Moritz 4 St. Maria 5 St. Nikolauskapelle 6 St. Ägidienkapelle 7 St. Wenzel 8 Spitteltor 9 Georgentor 10 Neutor 11 Steintor 12 Otmarstor 13 Marientor 14 Jakobstor 15 Wenzelstor 16 Oberlandesgericht 17 Salztor

A Markt

B C D E

5 Borkowsky 1895, S. 21 ff. 6 »... consensugue fratrum

Herimanni et Eckehardi, qui locum eundem heriditate paterna sublimarunt dignitate episcopali, .. .« Urkunde des Bischofs Kadaloh 1053. O. Dobenecker, Regesta diplomatica necnon epistoleria historiae Thuringiae, Bd. I, Jena 1896, Nr. 707 u. 708, S. 150 f. 7 Der »Neuenburg« mußte eine alte Burg des Geschlechtes entsprechen: vielleicht die Burg in Großjena, wahrscheinlicher aber die Altenburg bei Almrich. Borkowsky 1893, S.14. s Lüttich, S. 5. 9 Lüttich, S. 6. Die von dem Verf. rechnerisch gewonnenen Maße können kaum aufrecht­ erhalten werden. - Paul Frankl, Die Stellung der Westtürme des Naumburger Domes, Medieval Studies in memory of A. Kingsley Porter, Bd. II, Cambridge (Mass.) 1939, S. 503 ff. mit Rekonstruktions-Skizze des ersten Dombaus (S.533). 10 Lüttich, S. 30ff. u. ders., Dritter Beitrag zur Baugesch. des Naumburger Domes und der anliegenden Baulichkeiten, Beilage zum Jahresbericht des Domgymnasiums zu Naum­ burg a. d. S., Naumburg, Ostern 1904, S. 54 ff. 11 Keber, S. 15. - Heldmann, S. 79.

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Abb. 11. Naumburg. Nach dem schematischen Hausstellenplan im Domarchiv zu Naumburg von 1838

Steinweg Salzstraße Große Mergenstraße Breite Straße (später Fischweg)

eigen nannte. Die Marienkirche war nichts anderes als die Pfarrkirche der Immunität, wie sie fast jede Bischofsburg im 13. Jahrhundert aufwies!?, Zwischen Dom und Immunitätspfarrkirche liegt eine Kapelle, die dem hl. Nikolaus, dem Patron der Schiffer und Reisenden, geweiht ist. Sie reicht nach ihren Bauformen zumindest in das 12. Jahrhundert zurück. 1416 wird auf sie eine Kapelle der HI. Drei Könige aufgesetzt'. Außer diesen beiden gab es in der Nähe des Domes noch eine Martins-Kapelle und eine Peter-und-Pauls-Kapelle. Diese lag auf der Nordseite des Domes und bestand noch am Anfang des 19. Jahrhunderts'', Das Nordtor der Immunität (Georgentor) wird 1258 zum erstenmal erwähnt'. Hier tritt die Straße von Freyburg a. d. Unstrut her in die Immunität ein und durchzieht diese in südöstlicher Richtung als Hauptachse. Ihr östlicher Teil erhielt nach seiner frühen Pflasterung den Namen Steinweg. Auf ihm lag das zweite Haupttor, das sich gegen die spätere Stadt richtete (versus civitatem), ebenfalls 1258 zuerst genannt. Ein Nebentor führte zur Mausa hinunter (Spitteltor). Es hat seinen Namen von dem Laurentiushospital erhalten, das außerhalb der Freiheit am Bach lag. Wir wissen allerdings nicht, in welches Jahrhundert es zurückreicht. 1271 war es jedenfalls vorhanden'®. Mehr Tore besaß die Domfreiheit ursprünglich nicht. Wann das gemeinsame Leben der Domkanoniker aufgegeben wurde, läßt sich für Naumburg auch nicht annäherungsweise bestimmen. Da im frühen 13. Jahrhundert die Kurienkapelle St. Ägidien entstand, die noch heute erhalten ist, so muß um 1200 die Auflösung der vita communis vollzogen gewesen sein. Wahrscheinlich fand sie aber bereits wesentlich früher statt. Weitaus der größte Teil der Kurien liegt im Norden und Osten des Domes. Auf der Westseite blieb zwischen Burg und Dom nur wenig Raum übrig und im Süden tritt die Immunitätsmauer ganz dicht an das Stiftsgebäude heran. Die prächtige Ägidienkapelle (Domplatz 8) aus der Spätzeit des romanischen Stils (1200 bis 1210) liegt der Nordfront des Domes gegenüber. Domplatz 14 befand sich die curia Levini, Domplatz 15 stand einst die curia retro novum chorum (gemeint ist der berühmte Westchor des Domes). Sie wurde abgerissen und ihr Gebiet nicht wieder be­ baut. Gegenüber dem Ostchor erhob sich die Propstei (Domplatz ), und südöstlich der Klausur ließen sich im 13. Jahrhundert die Bischöfe ihren neuen Wohnsitz errichten (Domplatz 1). Diesem Neubau mußte offenbar das Pfarrhaus der Marienkirche wei­ chen18• Erhalten hat sich davon - auf den Domfriedhof versetzt - nur die Kapelle des

Bischofshofes, die dem hl. Johannes geweiht ist. Sie gehört dem mittleren 13. Jahrhundert an. Die stillen Gassen um den Naumburger Dom haben viel von ihrem ursprünglichen Charakter bewahrt. Die einzelnstehenden Kuriengebäude wachsen nicht zu Straßen­ fronten zusammen. Gartenmauern mit großen Einfahrtstoren umschließen die weitläufi­ gen Domherrensitze. Einen ganz anderen Eindruck machen die Straßen am Nord- und Ostrand der heutigen Freiheit. Hier drängen sich kleine und kleinste Hausstellen dicht aneinander, wie wir es von den ärmeren Vierteln der Bürgerstädte her gewohnt sind. Und in der Tat befinden wir uns hier nicht mehr in der Immunität des Hochmittelalters, sondern in einer Erweite­ rung der Freiheit aus dem 14. Jahrhundert. Paul Keber hat zuerst diesen Sachverhalt durchschaut. 1529 tauscht das Domkapitel vom Georgenkloster Land ein, das im Norden der Domherrenhäuser liegt (ex opposito contra curias nostras). 1530 erhält es wieder Grundstücke, die an die Immunität grenzen. 1371 wird ein Teil der 1329 erworbenen Ländereien wieder abgestoßen, weil sie nicht mehr benötigt wurden'. Bezeichnender­ weise trägt das Tor auf dem Erweiterungsgelände den Namen Neutor. Das Domkapitel hat bei der Neubefestigung der Immunität die Gelegenheit benutzt, eine eigene kleine Stadt als Konkurrentin der damals schon voll entfalteten und dem geistlichen Stadtherrn fast entglittenen Bürgerstadt anzulegen. Im nächsten Jahrhundert kommt es zu Zwistig­ keiten; denn in der Erweiterung der Freiheit bestand ein Markt, der der Bürgerstadt zu schaffen machte?°, Dem Neutor im Norden entsprach das Otmarstor im Süden der Im­ munitätserweiterung. Es wird 1330 einem Kanoniker zur Verstärkung übertragen. 1552 war der Umbau schon vollendet (de novo constructa). Im gleichen Jahre wird die »valva lapidea« erwähnt, die man wohl im Zuge der Steinstraße suchen darf21. In die Gründungszeit des Bistums reichen die beiden Klöster St. Georg und St. Moritz zurück. Nördlich der Burg errichteten die Stifter das Gedächtniskloster ihrer Familie in günstiger Verteidigungslage über dem Steilhang zum Saaletal. Hierhin ließen sie die Gebeine des großen Markgrafen Ekkehard I. und seiner Gemahlin aus Großjena über­ führen. Die beiden Gräber waren noch um 1400 in der Kirche zu sehen??. 1151 erhielt das Benediktinerkloster St. Georg, das das Banner des heiligen Ritters als höchsten Schatz verwahrte, Pfarrechte. Als »ecclesia baptismalis« diente die Margarethenkapelle der Vor­ halle. Zu der k1einen Pfarrei gehörten die Häuser an der Straße zur Immunität und die familia des Klosters?°. 1670 wurden die letzten Mauern von St. Georg gesprengt.

Vgl. Münster, Augsburg, Eichstätt, Trier, Paderborn, Köln (St. Maria im Pesch), Bremen, Mainz. Siehe S. 235 f. 13 Naumann, S. 17. Vgl. die Nikolauskapelle an der Nordseite des Domes zu Eichstätt! 14 Naumann, S. 16. 1536 wird eine Kapelle St. Martin »am Dom« erwähnt. - Borkowsky 1895, S. 29, Anm. 1. 15 Naumann, S. 28 u. 50. 16 Keber, S. 4. 17 F, Hossfeld, Der Kapellenbau der Ägidienkirche in Naumburg a. d. S., Die Denkmalpflege 16, 1914, S. 17 ff. Beim Abbruch der Kurie 1890 wurde noch ein Teil der anschließenden Wohnbauten gefunden, die als Blockbauten aus Holz errichtet waren, vermutlich mit massi­ vem Untergeschoß. Das Beispiel ist um so bemerkenswerter, als es sich wahrscheinlich um die einzigen Reste solcher Kurienbauten aus Holz handelt, die uns faßbar sind. - O. Doe­ ring, Deutschlands mittelalterliche Kunstdenkmäler als Geschichtsquelle, Leipzig 1910, S. 224 mit Abb. 61/62. 18 Eine eigene Arbeit über die Naumburger Kurien fehlt. Kurze Zusammenstellung bei Nau­ mann, S. 55, Anm. 2. Über die Bischofskurie ebenda, S.16. Die Johanniskapelle war keines-

falls Taufkirche, wie das Inventar angibt (Kunstdenkmäler, S. 216 ff.). - Wohnturm der Propsteikurie: Hans-Joachim Mrusek, Zur städtebaulichen Entwicklung Magdeburgs im hohen Mittelalter, Wissenschaftl. Zeitschr. d. Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg 5, 1955/56, S. 1249 f., Abb. 46 u. 47. Keber, S. 5 ff. - Naumann, S. 28 f. Keber, S. 62 ff. Naumann, S. 50 ff. Das Attribut lapidea kann sich nicht etwa auf den Baustoff des Tores beziehen, da ja damals alle Tore aus Stein bestanden. Es ist wohl in Anlehnung an »Steinweg« entstanden. - P, Böhme, Urkundenbuch des Klosters Pforte, 2. Bd., Halle 1904, S. 565: Die Kurien vom Otmarstor bis zum Stadtgraben und ebenso bis zur »valva lapidea« sollen von allen Diensten und Lasten befreit sein (1552). Louis Naumann, Aus der Geschichte des Naumburger Bistums, Naumburg o.J. (1929), S. 4. - Kunstdenkmäler, S. 217 f. Die Nachricht von der Überführung der Gebeine beim Anna­ lista Saxo: »Sed post plures annos inde translatus est cum multis de eadem progenie in civitatem Nuenburh, . . .« MG SS VI, S. 648. - Borkowsky 1893, S. 16. Naumann 1917, S. 38.

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eigen nannte. Die Marienkirche war nichts anderes als die Pfarrkirche der Immunität, wie sie fast jede Bischofsburg im 13. Jahrhundert aufwies!?, Zwischen Dom und Immunitätspfarrkirche liegt eine Kapelle, die dem hl. Nikolaus, dem Patron der Schiffer und Reisenden, geweiht ist. Sie reicht nach ihren Bauformen zumindest in das 12. Jahrhundert zurück. 1416 wird auf sie eine Kapelle der HI. Drei Könige aufgesetzt'. Außer diesen beiden gab es in der Nähe des Domes noch eine Martins-Kapelle und eine Peter-und-Pauls-Kapelle. Diese lag auf der Nordseite des Domes und bestand noch am Anfang des 19. Jahrhunderts'', Das Nordtor der Immunität (Georgentor) wird 1258 zum erstenmal erwähnt'. Hier tritt die Straße von Freyburg a. d. Unstrut her in die Immunität ein und durchzieht diese in südöstlicher Richtung als Hauptachse. Ihr östlicher Teil erhielt nach seiner frühen Pflasterung den Namen Steinweg. Auf ihm lag das zweite Haupttor, das sich gegen die spätere Stadt richtete (versus civitatem), ebenfalls 1258 zuerst genannt. Ein Nebentor führte zur Mausa hinunter (Spitteltor). Es hat seinen Namen von dem Laurentiushospital erhalten, das außerhalb der Freiheit am Bach lag. Wir wissen allerdings nicht, in welches Jahrhundert es zurückreicht. 1271 war es jedenfalls vorhanden'®. Mehr Tore besaß die Domfreiheit ursprünglich nicht. Wann das gemeinsame Leben der Domkanoniker aufgegeben wurde, läßt sich für Naumburg auch nicht annäherungsweise bestimmen. Da im frühen 13. Jahrhundert die Kurienkapelle St. Ägidien entstand, die noch heute erhalten ist, so muß um 1200 die Auflösung der vita communis vollzogen gewesen sein. Wahrscheinlich fand sie aber bereits wesentlich früher statt. Weitaus der größte Teil der Kurien liegt im Norden und Osten des Domes. Auf der Westseite blieb zwischen Burg und Dom nur wenig Raum übrig und im Süden tritt die Immunitätsmauer ganz dicht an das Stiftsgebäude heran. Die prächtige Ägidienkapelle (Domplatz 8) aus der Spätzeit des romanischen Stils (1200 bis 1210) liegt der Nordfront des Domes gegenüber. Domplatz 14 befand sich die curia Levini, Domplatz 15 stand einst die curia retro novum chorum (gemeint ist der berühmte Westchor des Domes). Sie wurde abgerissen und ihr Gebiet nicht wieder be­ baut. Gegenüber dem Ostchor erhob sich die Propstei (Domplatz ), und südöstlich der Klausur ließen sich im 13. Jahrhundert die Bischöfe ihren neuen Wohnsitz errichten (Domplatz 1). Diesem Neubau mußte offenbar das Pfarrhaus der Marienkirche wei­ chen18• Erhalten hat sich davon - auf den Domfriedhof versetzt - nur die Kapelle des

Bischofshofes, die dem hl. Johannes geweiht ist. Sie gehört dem mittleren 13. Jahrhundert an. Die stillen Gassen um den Naumburger Dom haben viel von ihrem ursprünglichen Charakter bewahrt. Die einzelnstehenden Kuriengebäude wachsen nicht zu Straßen­ fronten zusammen. Gartenmauern mit großen Einfahrtstoren umschließen die weitläufi­ gen Domherrensitze. Einen ganz anderen Eindruck machen die Straßen am Nord- und Ostrand der heutigen Freiheit. Hier drängen sich kleine und kleinste Hausstellen dicht aneinander, wie wir es von den ärmeren Vierteln der Bürgerstädte her gewohnt sind. Und in der Tat befinden wir uns hier nicht mehr in der Immunität des Hochmittelalters, sondern in einer Erweite­ rung der Freiheit aus dem 14. Jahrhundert. Paul Keber hat zuerst diesen Sachverhalt durchschaut. 1529 tauscht das Domkapitel vom Georgenkloster Land ein, das im Norden der Domherrenhäuser liegt (ex opposito contra curias nostras). 1530 erhält es wieder Grundstücke, die an die Immunität grenzen. 1371 wird ein Teil der 1329 erworbenen Ländereien wieder abgestoßen, weil sie nicht mehr benötigt wurden'. Bezeichnender­ weise trägt das Tor auf dem Erweiterungsgelände den Namen Neutor. Das Domkapitel hat bei der Neubefestigung der Immunität die Gelegenheit benutzt, eine eigene kleine Stadt als Konkurrentin der damals schon voll entfalteten und dem geistlichen Stadtherrn fast entglittenen Bürgerstadt anzulegen. Im nächsten Jahrhundert kommt es zu Zwistig­ keiten; denn in der Erweiterung der Freiheit bestand ein Markt, der der Bürgerstadt zu schaffen machte?°, Dem Neutor im Norden entsprach das Otmarstor im Süden der Im­ munitätserweiterung. Es wird 1330 einem Kanoniker zur Verstärkung übertragen. 1552 war der Umbau schon vollendet (de novo constructa). Im gleichen Jahre wird die »valva lapidea« erwähnt, die man wohl im Zuge der Steinstraße suchen darf21. In die Gründungszeit des Bistums reichen die beiden Klöster St. Georg und St. Moritz zurück. Nördlich der Burg errichteten die Stifter das Gedächtniskloster ihrer Familie in günstiger Verteidigungslage über dem Steilhang zum Saaletal. Hierhin ließen sie die Gebeine des großen Markgrafen Ekkehard I. und seiner Gemahlin aus Großjena über­ führen. Die beiden Gräber waren noch um 1400 in der Kirche zu sehen??. 1151 erhielt das Benediktinerkloster St. Georg, das das Banner des heiligen Ritters als höchsten Schatz verwahrte, Pfarrechte. Als »ecclesia baptismalis« diente die Margarethenkapelle der Vor­ halle. Zu der k1einen Pfarrei gehörten die Häuser an der Straße zur Immunität und die familia des Klosters?°. 1670 wurden die letzten Mauern von St. Georg gesprengt.

Vgl. Münster, Augsburg, Eichstätt, Trier, Paderborn, Köln (St. Maria im Pesch), Bremen, Mainz. Siehe S. 235 f. 13 Naumann, S. 17. Vgl. die Nikolauskapelle an der Nordseite des Domes zu Eichstätt! 14 Naumann, S. 16. 1536 wird eine Kapelle St. Martin »am Dom« erwähnt. - Borkowsky 1895, S. 29, Anm. 1. 15 Naumann, S. 28 u. 50. 16 Keber, S. 4. 17 F, Hossfeld, Der Kapellenbau der Ägidienkirche in Naumburg a. d. S., Die Denkmalpflege 16, 1914, S. 17 ff. Beim Abbruch der Kurie 1890 wurde noch ein Teil der anschließenden Wohnbauten gefunden, die als Blockbauten aus Holz errichtet waren, vermutlich mit massi­ vem Untergeschoß. Das Beispiel ist um so bemerkenswerter, als es sich wahrscheinlich um die einzigen Reste solcher Kurienbauten aus Holz handelt, die uns faßbar sind. - O. Doe­ ring, Deutschlands mittelalterliche Kunstdenkmäler als Geschichtsquelle, Leipzig 1910, S. 224 mit Abb. 61/62. 18 Eine eigene Arbeit über die Naumburger Kurien fehlt. Kurze Zusammenstellung bei Nau­ mann, S. 55, Anm. 2. Über die Bischofskurie ebenda, S.16. Die Johanniskapelle war keines-

falls Taufkirche, wie das Inventar angibt (Kunstdenkmäler, S. 216 ff.). - Wohnturm der Propsteikurie: Hans-Joachim Mrusek, Zur städtebaulichen Entwicklung Magdeburgs im hohen Mittelalter, Wissenschaftl. Zeitschr. d. Martin-Luther-Univ. Halle-Wittenberg 5, 1955/56, S. 1249 f., Abb. 46 u. 47. Keber, S. 5 ff. - Naumann, S. 28 f. Keber, S. 62 ff. Naumann, S. 50 ff. Das Attribut lapidea kann sich nicht etwa auf den Baustoff des Tores beziehen, da ja damals alle Tore aus Stein bestanden. Es ist wohl in Anlehnung an »Steinweg« entstanden. - P, Böhme, Urkundenbuch des Klosters Pforte, 2. Bd., Halle 1904, S. 565: Die Kurien vom Otmarstor bis zum Stadtgraben und ebenso bis zur »valva lapidea« sollen von allen Diensten und Lasten befreit sein (1552). Louis Naumann, Aus der Geschichte des Naumburger Bistums, Naumburg o.J. (1929), S. 4. - Kunstdenkmäler, S. 217 f. Die Nachricht von der Überführung der Gebeine beim Anna­ lista Saxo: »Sed post plures annos inde translatus est cum multis de eadem progenie in civitatem Nuenburh, . . .« MG SS VI, S. 648. - Borkowsky 1893, S. 16. Naumann 1917, S. 38.

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Auf der anderen Seite des Mausabaches, wie die Burg und St. Georg am Rande des Uferhanges gelegen, doch etwas tiefer als diese beiden, erhebt sich St. Moritz, das dem Lieblingsheiligen des ottonischen Hauses geweiht wurde. Es war im 11. Jahrhundert höchstwahrscheinlich Nonnenkloster; 1119 übernahmen es die Augustinerchorherren?* In die Entstehungsgeschichte des Marktes gewährt die Urkunde Bischof Kadalohs von 1053 überraschenden Einblick. Der Bischof überläßt einer Gruppe von Kaufleuten aus Großjena zinsfreie Grundstücke in Naumburg als Preis für die Übersiedlung und Nieder­ lassung?". Wo lag diese erste Kaufmannsniederlassung in Naumburg? Hier stehen sich zwei Meinungen gegenüber. Paul Keber und Ernst Borkowsky treten für den heutigen Marktplatz bei der Wenzelskirche ein, Karl Heldmann und Louis Naumann glauben, sie in der Freiheit suchen zu müssen, etwa in der Gegend des Steinw•egs26. Daß die Marien­ kirche der Freiheit keine Marktkirche, sondern die Pfarrkirche der Immunität gewesen ist, darf als sicher gelten. Die verhältnismäßig große Immunität hätte für die zahlreiche familia der Kanoniker sonst keine Pfarrkirche besessen! Damit entfällt aber der Haupt­ grund für die Ver1egung des Marktes in die Nähe der Immunität. Sieht man sich den Verlauf der Straßen in der nächsten Umgebung von Naumburg an, so findet man viel­ leicht den besten Beweis gegen die Lokalisierung des ersten Marktes am Steinweg. Mit der Gründung des Marktes ging Hand in Hand die Verlegung der Fernhandels­ straßen nach Naumburg, von denen der neue Handelsort auf Gedeih und Verderb ab­ hing. Der Königsweg wurde bei Almrich über die Saalefurt nach Naumburg geleitet. Die Frankenstraße mußte in Camburg ihre altre Richtung verlassen und verlief jetzt gerade­ wegs über die Höhen auf den neuen Bischofssitz zu?". Beide Wege berühren die Immu­ nität nicht. Der Königsweg verläuft auf dem Hochufer südlich der Mausa und trifft die Jenaer Straße vor dem Salztor. Alle Handelswege kreuzen sich in der Bürgerstadt. Da die ottonischen Märkte meist an den Fernhandelsstraßen selbst liegen, so werden wir auch in Naumburg dort den ersten Markt suchen müssen. Das Gelände zwischen Immu­ nität und Bürgerstadt war außerdem im Hochmittelalter wahrscheinlich noch sumpfig. In der Hohle zwischen den beiden höhergelegenen Siedlungen befand sich in der Nähe des Bischofshofes »Die Pfütze«?®, Es fällt weiterhin auf, daß die Straße von Halle her, die am Marientor ankommt, im rechten Winkel zum heutigen Markt geführt wird. Ebenso muß die sogenannte »Kohlenstraße« vom Wenzelstor ab ihre Richtung verlassen und schräg 24 25

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27 28 60

Kunstdenkmäler, S. 219. Naumann 1917, S. 10. Die Urkunde ist ganz abgedruckt bei Lepsius, Gesch. der Bischöfe des Hochstifts Naumburg, 1. Bd., S. 198. Die betr. Stelle lautet: »Ego Kadaloh ... mercato­ ribus Gene ob spontaneam conniventiam sua linquendi hucque migrandi id dono concessi ut quae septa cum areis quisque insederit perpeti jure sine censu possideat indeque licen­ tiam faciendi quicquid voluerit, habeat.« Fritz Rörig, Magdeburgs Entstehung und die ältere Handelsgeschichte. Miscellanea Acade­ mica Berolinensia II/1, Berlin 1950, S. 129, vermutet wohl zu Unrecht in den »mercatores Gene« wandernde Kaufleute, die in regelmäßigen Abständen nach Großjena kamen. Keber, S. 2. - Borkowsky 1895, S. 28. - Ders. 1928, S. 37. - Heldmann, S. 79. - Naumann (1917), S. 14. Grimm, Archäologische Beiträge S. 523 u. 565f. denkt an Hausstellen inner­ halb der Domburg. Urkundliche Belege dafür gibt es nicht, nur Analogien in Merseburg und Magdeburg, die aber keineswegs alle Häuser der Kaufleute umfassen. Auch dort war jeweils noch eine Marktsiedlung vor der Domburg vorhanden, wie man sie wohl auch in Naumburg annehmen darf. Borkowsky, S. 47. Keber, S. 11. - Naumann 1917, S. 8f.

dem Markt zustreben. Die Eintrittsstellen beider Straßen in die Stadt (Marientor und Wenzelstor) liegen etwa in gleicher Höhe. Ursprünglich bestand wohl ein Weg in ge­ rader Linie vom Marientor über St. Jakob zum Wenzelstor. Auch die Salzstraße wird ihre Anfangsrichtung beibehalten haben und südlich der Wenzelskirche vorbeigegangen sein. Das Abbiegen der Hauptstraßen zum heutigen Markt wird erst bei der Anlage der ge­ schlossenen Stadt nötig geworden sein, um dem Markt innerhalb der Stadtfläche eine zentrale Stellung zu verleihen. Die älteste Kaufmannssiedlung dürfen wir daher mit einer gewissen Wahrscheinlich­ keit in dem Kreuzungsgebiet der Fernstraßen, dem Dreieck zwischen St. Jakob und St. Wenzel, vermuten. Vielleicht diente St. Jakob als erste Marktkirche. 1358 wird sie vom Naumburger Bischof zur Kapelle degradiert?®. Nach der Reformation verschwand sie ganz (1541). Sie besaß aber einen Friedhof, hatte also zumindest Teilpfarrechte. Der Kirche gegenüber lag auf der Jakobstraße das Pfarrhaus. Sie selber sprang weit in die Straße ein. Ihr Äußeres überschritt den Rahmen einer Kapelle, besaß sie doch ein Turm­ paar. Es scheint vieles darauf hinzudeuten, daß ihr in der Frühgeschichte der Stadt eine größere Bedeutung zukam, daß sie ihre Rolle aber später an St. Wenzel abtreten mußte und dadurch in den Hintergrund trat. Für die Entstehung der geschlossenen Bürgerstadt gibt es einen recht sicheren Ter­ minus ante, der aber sonderbarerweise noch nie dafür herangezogen wurde. Das St. Ge­ orgenkloster besaß einen Wirtschaftshof beim Marientor. Bischof Udo I. (1125-1148) errichtete auf dessen Gelände ein Hospital und weihte seine Kapelle der hl. Maria Magdalena. Die Aufsicht über das Hospital erhielt das Kloster Pforte, das wenige Kilo­ meter westlich von Naumburg liegt. Pforte tauschte nun das Aufsichtsrecht mit dem Georgenkloster. Bischof Udo genehmigt in einer Urkunde vom 1. 11. 1144 diesen Tausch. Die Magdalenenkapelle besaß Seelsorge- und Begräbnisrecht. Bei der Beschreibung des Bereiches dieser Teilpfarrechte werden zwei Straßen so genau gekennzeichnet, daß wir sie ohne weiteres mit der heutigen Breiten Straße und der Großen Mergengasse identi­ fizieren können?°. Beide Straßen bestanden also 1144, wenn auch noch ohne Namen. Da das Gebiet der Maria Magdalenen-Kapelle aber am Rande der Bürgerstadt liegt, so ergibt sich ohne Zwang, daß 1144 die geschlossene Stadt bereits stand, und zwar annähernd in dem Umfange, den sie bis zum Ende des Mittelalters bewahrte. Das salische Naumburg fügt sich ebenbürtig den älteren niedersächsischen Städten an. Aus vier einzelnen Siedlungskernen setzt sich die Gesamtanlage zusammen. Die Immu­ nität wird flankiert von den beiden Klöstern, die etwa 80o m in der Luftlinie voneinander entfernt liegen. In über 700 m Abstand von der Domburg wird der älteste Markt gesucht 29

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Naumann 1917, S. 21 f. - Borkowsky 1893, S. 29, Anm. 1. - In der Entwicklungs-Skizze Abb. 1o ist das Marktgebiet um St. Wenzel angenommen worden, nicht um St. Jakob. Beide Lösungen lassen sich vertreten. »capellam [b. Maria Magdalenae] ... curam animarum cum sepultura ab ipsa capella ex utroque latere platee usque ad finem eius contra occidentem, superius vero ab meridiem ex utraque parte illius platee usque in finem, abinde ex una parte ad dexteram per girum usgue ad prescriptum terminum.« P, Böhme, Urkundenbuch des Klosters Pforte, 1. Bd. (bis 13500), Halle 1893, S. 15. - Naumann 1917, S. 39. - Schon das Bestehen eines von der Domburg so weit abgelegenen Spitales setzt die Existenz einer größeren Gemeinde in der Nähe des Spitales voraus. Außerdem besitzt 1142 das Kloster Pforte einen Hof (in der Domfreiheit) und sieben weitere Häuser »in Nuemburgensi civitate« (Böhme, UB Kloster Pforte, S. 12). 61

Auf der anderen Seite des Mausabaches, wie die Burg und St. Georg am Rande des Uferhanges gelegen, doch etwas tiefer als diese beiden, erhebt sich St. Moritz, das dem Lieblingsheiligen des ottonischen Hauses geweiht wurde. Es war im 11. Jahrhundert höchstwahrscheinlich Nonnenkloster; 1119 übernahmen es die Augustinerchorherren?* In die Entstehungsgeschichte des Marktes gewährt die Urkunde Bischof Kadalohs von 1053 überraschenden Einblick. Der Bischof überläßt einer Gruppe von Kaufleuten aus Großjena zinsfreie Grundstücke in Naumburg als Preis für die Übersiedlung und Nieder­ lassung?". Wo lag diese erste Kaufmannsniederlassung in Naumburg? Hier stehen sich zwei Meinungen gegenüber. Paul Keber und Ernst Borkowsky treten für den heutigen Marktplatz bei der Wenzelskirche ein, Karl Heldmann und Louis Naumann glauben, sie in der Freiheit suchen zu müssen, etwa in der Gegend des Steinw•egs26. Daß die Marien­ kirche der Freiheit keine Marktkirche, sondern die Pfarrkirche der Immunität gewesen ist, darf als sicher gelten. Die verhältnismäßig große Immunität hätte für die zahlreiche familia der Kanoniker sonst keine Pfarrkirche besessen! Damit entfällt aber der Haupt­ grund für die Ver1egung des Marktes in die Nähe der Immunität. Sieht man sich den Verlauf der Straßen in der nächsten Umgebung von Naumburg an, so findet man viel­ leicht den besten Beweis gegen die Lokalisierung des ersten Marktes am Steinweg. Mit der Gründung des Marktes ging Hand in Hand die Verlegung der Fernhandels­ straßen nach Naumburg, von denen der neue Handelsort auf Gedeih und Verderb ab­ hing. Der Königsweg wurde bei Almrich über die Saalefurt nach Naumburg geleitet. Die Frankenstraße mußte in Camburg ihre altre Richtung verlassen und verlief jetzt gerade­ wegs über die Höhen auf den neuen Bischofssitz zu?". Beide Wege berühren die Immu­ nität nicht. Der Königsweg verläuft auf dem Hochufer südlich der Mausa und trifft die Jenaer Straße vor dem Salztor. Alle Handelswege kreuzen sich in der Bürgerstadt. Da die ottonischen Märkte meist an den Fernhandelsstraßen selbst liegen, so werden wir auch in Naumburg dort den ersten Markt suchen müssen. Das Gelände zwischen Immu­ nität und Bürgerstadt war außerdem im Hochmittelalter wahrscheinlich noch sumpfig. In der Hohle zwischen den beiden höhergelegenen Siedlungen befand sich in der Nähe des Bischofshofes »Die Pfütze«?®, Es fällt weiterhin auf, daß die Straße von Halle her, die am Marientor ankommt, im rechten Winkel zum heutigen Markt geführt wird. Ebenso muß die sogenannte »Kohlenstraße« vom Wenzelstor ab ihre Richtung verlassen und schräg 24 25

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Kunstdenkmäler, S. 219. Naumann 1917, S. 10. Die Urkunde ist ganz abgedruckt bei Lepsius, Gesch. der Bischöfe des Hochstifts Naumburg, 1. Bd., S. 198. Die betr. Stelle lautet: »Ego Kadaloh ... mercato­ ribus Gene ob spontaneam conniventiam sua linquendi hucque migrandi id dono concessi ut quae septa cum areis quisque insederit perpeti jure sine censu possideat indeque licen­ tiam faciendi quicquid voluerit, habeat.« Fritz Rörig, Magdeburgs Entstehung und die ältere Handelsgeschichte. Miscellanea Acade­ mica Berolinensia II/1, Berlin 1950, S. 129, vermutet wohl zu Unrecht in den »mercatores Gene« wandernde Kaufleute, die in regelmäßigen Abständen nach Großjena kamen. Keber, S. 2. - Borkowsky 1895, S. 28. - Ders. 1928, S. 37. - Heldmann, S. 79. - Naumann (1917), S. 14. Grimm, Archäologische Beiträge S. 523 u. 565f. denkt an Hausstellen inner­ halb der Domburg. Urkundliche Belege dafür gibt es nicht, nur Analogien in Merseburg und Magdeburg, die aber keineswegs alle Häuser der Kaufleute umfassen. Auch dort war jeweils noch eine Marktsiedlung vor der Domburg vorhanden, wie man sie wohl auch in Naumburg annehmen darf. Borkowsky, S. 47. Keber, S. 11. - Naumann 1917, S. 8f.

dem Markt zustreben. Die Eintrittsstellen beider Straßen in die Stadt (Marientor und Wenzelstor) liegen etwa in gleicher Höhe. Ursprünglich bestand wohl ein Weg in ge­ rader Linie vom Marientor über St. Jakob zum Wenzelstor. Auch die Salzstraße wird ihre Anfangsrichtung beibehalten haben und südlich der Wenzelskirche vorbeigegangen sein. Das Abbiegen der Hauptstraßen zum heutigen Markt wird erst bei der Anlage der ge­ schlossenen Stadt nötig geworden sein, um dem Markt innerhalb der Stadtfläche eine zentrale Stellung zu verleihen. Die älteste Kaufmannssiedlung dürfen wir daher mit einer gewissen Wahrscheinlich­ keit in dem Kreuzungsgebiet der Fernstraßen, dem Dreieck zwischen St. Jakob und St. Wenzel, vermuten. Vielleicht diente St. Jakob als erste Marktkirche. 1358 wird sie vom Naumburger Bischof zur Kapelle degradiert?®. Nach der Reformation verschwand sie ganz (1541). Sie besaß aber einen Friedhof, hatte also zumindest Teilpfarrechte. Der Kirche gegenüber lag auf der Jakobstraße das Pfarrhaus. Sie selber sprang weit in die Straße ein. Ihr Äußeres überschritt den Rahmen einer Kapelle, besaß sie doch ein Turm­ paar. Es scheint vieles darauf hinzudeuten, daß ihr in der Frühgeschichte der Stadt eine größere Bedeutung zukam, daß sie ihre Rolle aber später an St. Wenzel abtreten mußte und dadurch in den Hintergrund trat. Für die Entstehung der geschlossenen Bürgerstadt gibt es einen recht sicheren Ter­ minus ante, der aber sonderbarerweise noch nie dafür herangezogen wurde. Das St. Ge­ orgenkloster besaß einen Wirtschaftshof beim Marientor. Bischof Udo I. (1125-1148) errichtete auf dessen Gelände ein Hospital und weihte seine Kapelle der hl. Maria Magdalena. Die Aufsicht über das Hospital erhielt das Kloster Pforte, das wenige Kilo­ meter westlich von Naumburg liegt. Pforte tauschte nun das Aufsichtsrecht mit dem Georgenkloster. Bischof Udo genehmigt in einer Urkunde vom 1. 11. 1144 diesen Tausch. Die Magdalenenkapelle besaß Seelsorge- und Begräbnisrecht. Bei der Beschreibung des Bereiches dieser Teilpfarrechte werden zwei Straßen so genau gekennzeichnet, daß wir sie ohne weiteres mit der heutigen Breiten Straße und der Großen Mergengasse identi­ fizieren können?°. Beide Straßen bestanden also 1144, wenn auch noch ohne Namen. Da das Gebiet der Maria Magdalenen-Kapelle aber am Rande der Bürgerstadt liegt, so ergibt sich ohne Zwang, daß 1144 die geschlossene Stadt bereits stand, und zwar annähernd in dem Umfange, den sie bis zum Ende des Mittelalters bewahrte. Das salische Naumburg fügt sich ebenbürtig den älteren niedersächsischen Städten an. Aus vier einzelnen Siedlungskernen setzt sich die Gesamtanlage zusammen. Die Immu­ nität wird flankiert von den beiden Klöstern, die etwa 80o m in der Luftlinie voneinander entfernt liegen. In über 700 m Abstand von der Domburg wird der älteste Markt gesucht 29

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Naumann 1917, S. 21 f. - Borkowsky 1893, S. 29, Anm. 1. - In der Entwicklungs-Skizze Abb. 1o ist das Marktgebiet um St. Wenzel angenommen worden, nicht um St. Jakob. Beide Lösungen lassen sich vertreten. »capellam [b. Maria Magdalenae] ... curam animarum cum sepultura ab ipsa capella ex utroque latere platee usque ad finem eius contra occidentem, superius vero ab meridiem ex utraque parte illius platee usque in finem, abinde ex una parte ad dexteram per girum usgue ad prescriptum terminum.« P, Böhme, Urkundenbuch des Klosters Pforte, 1. Bd. (bis 13500), Halle 1893, S. 15. - Naumann 1917, S. 39. - Schon das Bestehen eines von der Domburg so weit abgelegenen Spitales setzt die Existenz einer größeren Gemeinde in der Nähe des Spitales voraus. Außerdem besitzt 1142 das Kloster Pforte einen Hof (in der Domfreiheit) und sieben weitere Häuser »in Nuemburgensi civitate« (Böhme, UB Kloster Pforte, S. 12). 61

werden müssen. Erst nach der Erweiterung der Freiheit im 14. Jahrhundert stoßen Im­ munität und Bürgerstadt aneinander. Das Gesicht der Stadtanlage richtete sich einst nach zwei Seiten. Vom Saaletal her ge­ wahrte man auf dem Kamm der Uferterrasse die drei Baugruppen des Georgenklosters, der Ekkardinerburg und des St. Moritzklosters nebeneinander gereiht als eindrucksvolle Stadtkrone. Die reichste Entfaltung bot Naumburg aber dem Besucher von der Süd­ seite!, Klar schieden sich von hier aus die beiden großen Bildungsmächte der Stadt, Kirche und Bürgertum. Der Dom bildete den Schwerpunkt der kirchlichen Sphäre zur Linken und hinter ihm stieg das höhergelegene St. Georgenkloster auf und schloß den Bereich ab. Nach links setzte sich diese Grenze mit der Burg und St. Moritz fort. Rechter Hand lagen - höher als der Dom - Markt und Marktkirche. 31

Vgl. den Merian-Stich von Naumburg, Abb. danach Kunstdenkmäler, S. 509, Fig. 162.

HALLE (SAALE)

(Abbildungen 12 u. 15, Tafel 7)

Kurz bevor die Saale die Gebirgsschwelle bei Giebichenstein und Trotha durchbricht, weist das ziemlich gleichmäßig etwa vierzig Meter von Osten nach Westen hin abfallende rechte Ufer eine natürliche Halbkreismulde auf, die von sanften Hängen umgeben ist. Diese Uferbucht füllte das mittelalterliche Halle aus'. Vor ihrem Durchbruch verzweigt sich die Saale in fünf bis sechs Arme und bildet eine sumpfige Werderzone, die sich als naturgegebener Schutz der Mulde auf der Westseite vorlagert. Die Flußgrenze hat die Stadt im Mittelalter denn auch nie überschritten. Drei Bäche zumindest liefen von den Uferhängen zum Fluß. Der südlichste zog dem Rande des mittelalterlichen Stadtgebietes entlang in Richtung Leipziger Straße-Große Brauhaus-Straße-Brunoswarte und mün­ dete südlich der Moritzkirche in die Gerbersaale. Ein zweiter floß längs der Rathausgasse auf den Marktplatz zu, überquerte ihn und folgte der Großen Klausstraße bis zum Fluß. Ein drittes Rinnsal kam die Steinstraße herunter, verwandelte den Großen und Kleinen »Schlamm« (heute Große und Kleine Nikolaistraße) in sumpfiges Gelände und ergoß sich beim Mühlberg in die Saale2. Im Mittelpunkt der Geländemulde dicht am Saaleufer treten vier Salzquellen zutage. Ihnen verdankt Halle sein Entstehen und seine Wirtschaftsblüte im Mittelalter. Das Quellgebiet, das sog. »Tal«, liegt so tief, daß es jedem stärkeren Hochwasser preis­ gegeben war. Nach dem Stadtnamen zu schließen waren die Salzquellen bereits in kelti­ scher Zeit bekannt. Der Name Halle (von Hallaha) leitet sich von dem keltischen Hall und dem germanischen aha ab und bedeutet »Salzwasser«° Der Ort besitzt außerdem eine glänzende natürliche Verkehrslage. Die Saale wurde seit vorgeschichtlicher Zeit befahren und gehörte zu den bedeutenden Wasserstraßen Norddeutschlands. Ihre Benutzung im Mittelalter läßt sich mehrfach belegen. 981 z. B. wurde der Leichnam des Erzbischofs Adelbert zu Schiff von Giebichenstein nach Magde­ burg befördert, 1012 reist Erzbischof Tagino zu Schiff von Merseburg nach Rotenburg. 1

2 3

Grundlegend für jede historische Disziplin ist das ausgezeichnete, methodisch vielseitige und mutige, gelegentlich fast allzu kühne Buch von Rolf Hünicken, Geschichte der Stadt Halle. 1. Teil: Halle in deutscher Kaiserzeit, Halle 1941. Ihm schließt sich die obige Dar­ stellung auf das engste an. Die hypothesenreiche kunstgeschichtliche Dissertation von Fritz Schlüter, Die Grundrißentwicklung der Hallischen Altstadt (Beihefte zu den Mit­ teilungen des sächs.-thür. Vereins für Erdkunde zu Halle a. d. S., Nr. 12), Halle 1940 ist durch Hünickens Buch überholt. Vgl. dessen Besprechung: Zur Grundrißentwicdklung der Hallischen Altstadt, Thür.-sächs. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst 27, 1940, S. 76 ff. Die Urkunden verzeichnet das Urkundenbuch der Stadt Halle, hgb. von A. Bierbach, Geschichtsquellen d. Provinz Sachsen u. d. Freistaates Anhalt, N.R. 10 u. 20, T, 1 u. 2 (806-1350), Magdeburg 1950 1. 1939, T.5 (1551-1403), Halle 1954-57. Literaturübersicht: Deutsches Städtebuch, hgb. von E. Keyser, Bd. II, Stuttgart-Berlin 1941, S. 529 ff. und Hünicken, S. 260 ff. Hünicken, S. 41 f. - Siegmar B. v. Schultze-Gallera, Gesch. d. Stadt Halle, 1. Bd., Halle 1925,

s. 4f.

Hi-'cki unicKen, S . 52 u. 41.

werden müssen. Erst nach der Erweiterung der Freiheit im 14. Jahrhundert stoßen Im­ munität und Bürgerstadt aneinander. Das Gesicht der Stadtanlage richtete sich einst nach zwei Seiten. Vom Saaletal her ge­ wahrte man auf dem Kamm der Uferterrasse die drei Baugruppen des Georgenklosters, der Ekkardinerburg und des St. Moritzklosters nebeneinander gereiht als eindrucksvolle Stadtkrone. Die reichste Entfaltung bot Naumburg aber dem Besucher von der Süd­ seite!, Klar schieden sich von hier aus die beiden großen Bildungsmächte der Stadt, Kirche und Bürgertum. Der Dom bildete den Schwerpunkt der kirchlichen Sphäre zur Linken und hinter ihm stieg das höhergelegene St. Georgenkloster auf und schloß den Bereich ab. Nach links setzte sich diese Grenze mit der Burg und St. Moritz fort. Rechter Hand lagen - höher als der Dom - Markt und Marktkirche. 31

Vgl. den Merian-Stich von Naumburg, Abb. danach Kunstdenkmäler, S. 509, Fig. 162.

HALLE (SAALE)

(Abbildungen 12 u. 15, Tafel 7)

Kurz bevor die Saale die Gebirgsschwelle bei Giebichenstein und Trotha durchbricht, weist das ziemlich gleichmäßig etwa vierzig Meter von Osten nach Westen hin abfallende rechte Ufer eine natürliche Halbkreismulde auf, die von sanften Hängen umgeben ist. Diese Uferbucht füllte das mittelalterliche Halle aus'. Vor ihrem Durchbruch verzweigt sich die Saale in fünf bis sechs Arme und bildet eine sumpfige Werderzone, die sich als naturgegebener Schutz der Mulde auf der Westseite vorlagert. Die Flußgrenze hat die Stadt im Mittelalter denn auch nie überschritten. Drei Bäche zumindest liefen von den Uferhängen zum Fluß. Der südlichste zog dem Rande des mittelalterlichen Stadtgebietes entlang in Richtung Leipziger Straße-Große Brauhaus-Straße-Brunoswarte und mün­ dete südlich der Moritzkirche in die Gerbersaale. Ein zweiter floß längs der Rathausgasse auf den Marktplatz zu, überquerte ihn und folgte der Großen Klausstraße bis zum Fluß. Ein drittes Rinnsal kam die Steinstraße herunter, verwandelte den Großen und Kleinen »Schlamm« (heute Große und Kleine Nikolaistraße) in sumpfiges Gelände und ergoß sich beim Mühlberg in die Saale2. Im Mittelpunkt der Geländemulde dicht am Saaleufer treten vier Salzquellen zutage. Ihnen verdankt Halle sein Entstehen und seine Wirtschaftsblüte im Mittelalter. Das Quellgebiet, das sog. »Tal«, liegt so tief, daß es jedem stärkeren Hochwasser preis­ gegeben war. Nach dem Stadtnamen zu schließen waren die Salzquellen bereits in kelti­ scher Zeit bekannt. Der Name Halle (von Hallaha) leitet sich von dem keltischen Hall und dem germanischen aha ab und bedeutet »Salzwasser«° Der Ort besitzt außerdem eine glänzende natürliche Verkehrslage. Die Saale wurde seit vorgeschichtlicher Zeit befahren und gehörte zu den bedeutenden Wasserstraßen Norddeutschlands. Ihre Benutzung im Mittelalter läßt sich mehrfach belegen. 981 z. B. wurde der Leichnam des Erzbischofs Adelbert zu Schiff von Giebichenstein nach Magde­ burg befördert, 1012 reist Erzbischof Tagino zu Schiff von Merseburg nach Rotenburg. 1

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Grundlegend für jede historische Disziplin ist das ausgezeichnete, methodisch vielseitige und mutige, gelegentlich fast allzu kühne Buch von Rolf Hünicken, Geschichte der Stadt Halle. 1. Teil: Halle in deutscher Kaiserzeit, Halle 1941. Ihm schließt sich die obige Dar­ stellung auf das engste an. Die hypothesenreiche kunstgeschichtliche Dissertation von Fritz Schlüter, Die Grundrißentwicklung der Hallischen Altstadt (Beihefte zu den Mit­ teilungen des sächs.-thür. Vereins für Erdkunde zu Halle a. d. S., Nr. 12), Halle 1940 ist durch Hünickens Buch überholt. Vgl. dessen Besprechung: Zur Grundrißentwicdklung der Hallischen Altstadt, Thür.-sächs. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst 27, 1940, S. 76 ff. Die Urkunden verzeichnet das Urkundenbuch der Stadt Halle, hgb. von A. Bierbach, Geschichtsquellen d. Provinz Sachsen u. d. Freistaates Anhalt, N.R. 10 u. 20, T, 1 u. 2 (806-1350), Magdeburg 1950 1. 1939, T.5 (1551-1403), Halle 1954-57. Literaturübersicht: Deutsches Städtebuch, hgb. von E. Keyser, Bd. II, Stuttgart-Berlin 1941, S. 529 ff. und Hünicken, S. 260 ff. Hünicken, S. 41 f. - Siegmar B. v. Schultze-Gallera, Gesch. d. Stadt Halle, 1. Bd., Halle 1925,

s. 4f.

Hi-'cki unicKen, S . 52 u. 41.

Bischof Otto von Bamberg unternimmt 1124 seinen Bekehrungszug zunächst zu Schiff auf Saale und Elbe. Der Saa1e entlang läuft von Merseburg her die Straße nach Magde­ burg, die einen Zweig jenes großen Durchgangsweges vom Rhein nach dem Osten bildet. Sie durchzieht als Nord-Süd-Achse die mittelalterliche Stadt (Rannische Straße-Große Ulrich-Straße). Die wichtige Nord-Süd-Straße kreuzt ein Fernweg in west-östlicher Rich­ tung, die »Rheinstraße«, die über Eisleben-Nietleben auf Halle zuläuft und als »Salz­ straße« über Leipzig in die Lausitz und nach Schlesien weiterzieht. Eine zweite West­ verbindung stellt der »Hallweg« über Lauchstädt dar. Die »Regensburger« oder »Salz­ kärrnerstraße« ging über Osendorf-Pegau-Hof nach Süddeutschland'. 806 wird der Name Halle zum erstenmal erwähnt. Das Chronicon Moissiacense be­ richtet zu diesem Jahr: »Et mandavit eis rex Carolus (der Sohn Karls des Großen) aedificare civitates duas, unam ad aquilonem partem Albiae contra Magadaburg, alteram vero in orientalem partem Sala ad locum qui vocatur Halla«®, Die Reichsannalen bestäti­ gen diese Nachricht, nennen aber den Ort nicht beim Namen6• Unter der civitas des Chronisten von Moissac ist eine Befestigung zu verstehen, wie aus der engeren Bezeich­ nung »castellum« der Reichsannalen hervorgeht. In Halle wurde 806 also eine Grenzfestung des Reiches errichtet, die den Flußüber­ gang zu decken und die Salzquellen zu schützen hatte, welche in einem Brückenkopf der Reichsgrenze lagen. Es wird heute allgemein angenommen, daß das fränkische Kastell auf dem späteren »Domhügel« stand'. Dies ist der einzige wehrtechnisch geeignete Platz in der Nähe des »Tales«, nur hier lag das Kastell wirklich »bei dem Ort, der Halle hieß«. Bodenfunde haben diese Annahme allerdings bisher nicht bestätigt, die Ausgrabungen auf dem Domgelände verliefen ergebnislos". Gewiß darf man sich unter dem Hallischen Kastell keinen Steinbau vorstellen, eher eine Holzerdebefestigung mit Palisadenwand, Wall und Graben. Dieses Kastell brauchte Männer zur Verteidigung. Rolf Hünicken hat nachgewiesen, daß im späteren Stadtgebiet von Halle und in seiner nächsten Umgebung eine Reihe von locker, aber gleichmäßig verstreuten Höfen ritterbürtiger Familien lag, die jedenfalls in die Zeit vor der Stadtwerdung zurückreichen müssen. Höchstwahrscheinlich wurde der Boden schon in karolingischer Zeit so aufgeteilt, als man Verteidiger des Grenzkastells benötigte°. Auch der Ort der Salzgewinnung, das »Tal«, wird nicht ohne Befestigung geblieben sein. Eine Spur davon hat sich bisher nicht nachweisen lassen. Wie das karolingische Magdeburg wird Halle als Grenzhandelsort eine Rolle gespielt haben. Eine karolingische 4 5

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Ebenda, S. 170. - Schultze-Gallera, S. 191 u. 27 f. - E. Neuss, Von hohen, Heer- u. Salz­ straßen, Kreis von Halle, 1931, S. 219. MG SS I, S. 308 u. II, S. 258. ed. F. Kurze, Hannover 1895, S.121: »duo castella ab exercitu aedificata, unum super ripam fluminis Salae, alterum iuxta fluvium Albiae.« Seit Hermann Rauchfuß, Die alte Stadtbefestigung von Halle, Hallischer Kalender 1915, zuerst diese Vermutung ausgesprochen hatte. - Schultze-Gallera, S. 65. - Hünicken, S. 48. - Paul Grimm, die vor- und frühgeschichtlichen Burgwälle der Bezirke Halle und Magde­ burg, Berlin 1958, S. 51 u. 225 f., Nr. 194. E. Neuss, Die Wehrbauten der Stadt Halle, 1. Teil, Sachsen und Anhalt. Jahrb. d. Hist. Kommission f. d. Provinz Sachsen u. f. Anhalt. 10, 1934, S. 161. Es fand sich zwar kein Kastell, aber karolingische Keramik. Das Gelände fällt im Norden und Süden ab, es war auf allen Seiten von Wasserläufen umgeben. Hünicken, S. 83 ff.

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Abb. 12. Halle im 11. Jahrhundert. Nach R. Hünicken, Geschichte der Stadt Halle I, S. 53 1 2 3 4 5

Fränkische Curtis St. Gertrud St. Michaelskapelle St. Moritz Neuwerkskloster (1116 gegr.)

A Alter Markt B Tal [) Höfe ritterbürtiger Familien - , - • - Stadtmauer des 12. Jahrhunderts

30?

Bischof Otto von Bamberg unternimmt 1124 seinen Bekehrungszug zunächst zu Schiff auf Saale und Elbe. Der Saa1e entlang läuft von Merseburg her die Straße nach Magde­ burg, die einen Zweig jenes großen Durchgangsweges vom Rhein nach dem Osten bildet. Sie durchzieht als Nord-Süd-Achse die mittelalterliche Stadt (Rannische Straße-Große Ulrich-Straße). Die wichtige Nord-Süd-Straße kreuzt ein Fernweg in west-östlicher Rich­ tung, die »Rheinstraße«, die über Eisleben-Nietleben auf Halle zuläuft und als »Salz­ straße« über Leipzig in die Lausitz und nach Schlesien weiterzieht. Eine zweite West­ verbindung stellt der »Hallweg« über Lauchstädt dar. Die »Regensburger« oder »Salz­ kärrnerstraße« ging über Osendorf-Pegau-Hof nach Süddeutschland'. 806 wird der Name Halle zum erstenmal erwähnt. Das Chronicon Moissiacense be­ richtet zu diesem Jahr: »Et mandavit eis rex Carolus (der Sohn Karls des Großen) aedificare civitates duas, unam ad aquilonem partem Albiae contra Magadaburg, alteram vero in orientalem partem Sala ad locum qui vocatur Halla«®, Die Reichsannalen bestäti­ gen diese Nachricht, nennen aber den Ort nicht beim Namen6• Unter der civitas des Chronisten von Moissac ist eine Befestigung zu verstehen, wie aus der engeren Bezeich­ nung »castellum« der Reichsannalen hervorgeht. In Halle wurde 806 also eine Grenzfestung des Reiches errichtet, die den Flußüber­ gang zu decken und die Salzquellen zu schützen hatte, welche in einem Brückenkopf der Reichsgrenze lagen. Es wird heute allgemein angenommen, daß das fränkische Kastell auf dem späteren »Domhügel« stand'. Dies ist der einzige wehrtechnisch geeignete Platz in der Nähe des »Tales«, nur hier lag das Kastell wirklich »bei dem Ort, der Halle hieß«. Bodenfunde haben diese Annahme allerdings bisher nicht bestätigt, die Ausgrabungen auf dem Domgelände verliefen ergebnislos". Gewiß darf man sich unter dem Hallischen Kastell keinen Steinbau vorstellen, eher eine Holzerdebefestigung mit Palisadenwand, Wall und Graben. Dieses Kastell brauchte Männer zur Verteidigung. Rolf Hünicken hat nachgewiesen, daß im späteren Stadtgebiet von Halle und in seiner nächsten Umgebung eine Reihe von locker, aber gleichmäßig verstreuten Höfen ritterbürtiger Familien lag, die jedenfalls in die Zeit vor der Stadtwerdung zurückreichen müssen. Höchstwahrscheinlich wurde der Boden schon in karolingischer Zeit so aufgeteilt, als man Verteidiger des Grenzkastells benötigte°. Auch der Ort der Salzgewinnung, das »Tal«, wird nicht ohne Befestigung geblieben sein. Eine Spur davon hat sich bisher nicht nachweisen lassen. Wie das karolingische Magdeburg wird Halle als Grenzhandelsort eine Rolle gespielt haben. Eine karolingische 4 5

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Ebenda, S. 170. - Schultze-Gallera, S. 191 u. 27 f. - E. Neuss, Von hohen, Heer- u. Salz­ straßen, Kreis von Halle, 1931, S. 219. MG SS I, S. 308 u. II, S. 258. ed. F. Kurze, Hannover 1895, S.121: »duo castella ab exercitu aedificata, unum super ripam fluminis Salae, alterum iuxta fluvium Albiae.« Seit Hermann Rauchfuß, Die alte Stadtbefestigung von Halle, Hallischer Kalender 1915, zuerst diese Vermutung ausgesprochen hatte. - Schultze-Gallera, S. 65. - Hünicken, S. 48. - Paul Grimm, die vor- und frühgeschichtlichen Burgwälle der Bezirke Halle und Magde­ burg, Berlin 1958, S. 51 u. 225 f., Nr. 194. E. Neuss, Die Wehrbauten der Stadt Halle, 1. Teil, Sachsen und Anhalt. Jahrb. d. Hist. Kommission f. d. Provinz Sachsen u. f. Anhalt. 10, 1934, S. 161. Es fand sich zwar kein Kastell, aber karolingische Keramik. Das Gelände fällt im Norden und Süden ab, es war auf allen Seiten von Wasserläufen umgeben. Hünicken, S. 83 ff.

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Abb. 12. Halle im 11. Jahrhundert. Nach R. Hünicken, Geschichte der Stadt Halle I, S. 53 1 2 3 4 5

Fränkische Curtis St. Gertrud St. Michaelskapelle St. Moritz Neuwerkskloster (1116 gegr.)

A Alter Markt B Tal [) Höfe ritterbürtiger Familien - , - • - Stadtmauer des 12. Jahrhunderts

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Kaufleutesiedlung ist zuvor nicht zu belegen, darf aber doch in Analogie zu Magdeburg

vermutet werden°~, In den folgenden zweihundertundfünfzig Jahren verschwindet der Name Halles vollkommen aus den Geschichtsquellen. Die nächste Erwähnung geschieht erst 1064, als Heinrich IV. in Halle urkundet. Wie ist dieses rätselhafte Schweigen zu erklären? Die Lösung ist einfach. Seit vorgeschichtlicher Zeit kam dem Felsenberg Giebichenstein, vom »Tal« aus etwa drei Kilometer saaleabwärts gelegen, eine besondere Bedeutung zu. Sein germanischer Name weist auf eine Wodanskultstätte hin (Gibicho ist ein Beiname Wodans). Eine Fluchtburg befand sich auf seinem Gipfel. Im nahen Wittekindstal wurde in vorgeschichtlicher Zeit eine Salzquelle ausgebeutet'°. Im 10. Jahrhundert trug der Felsenberg eine Reichsburg, wohl von Heinrich I. angelegt, die mit den Schenkungen Ottos des Großen an das Erzstift Magdeburg überging. Für Giebichenstein nun wurden zahlreiche Urkunden ausgestellt. In den Jahren 961, 965 und 975 überträgt und bestätigt der Kaiser dem Erzstift den Besitz der Saline, die zu Giebichenstein gehört (cum salsugine eius, cum salina sua)11. Jetzt konnte es sich aber nicht mehr um die Saline im Wittekinds­ tal handeln, für die keinerlei Beweise vorliegen, daß sie noch in geschichtlicher Zeit in Betrieb war. Die Saline der ottonischen Urkunden ist offenbar Halle selbst. Außerdem wurde 987 dem Erzbischof das Recht zugestanden, in Giebichenstein eine Münze einzurichten, und er erhält den Zoll, der schon vorher als regium jus bestand'. Münze und Zoll weisen auf einen Markt hin. Die Urkunde von 987 trägt nun einen Dorsalvermerk des 11. Jahrhunderts: de mercato Halla. Unter dem Privileg für Gie­ bichenstein wurde also kurze Zeit hinterher der Markt von Halle verstanden, der dem­ nach seit der Mitte des 10. Jahrhunderts urkundlich belegt ist'°. Auf Halle ist auch höchstwahrscheinlich eine Stelle aus dem Bericht des jüdischen Reisenden Ibrahim ibn Jakub zu beziehen, der 965 bei Otto dem Großen war. Er erwähnt eine Salzquelle der Juden an der Saale, die er auf dem Weg von Magdeburg nach Böhmen berührte. Dies ist wohl so zu verstehen, daß der Hallische Salzhandel zum größten Teil in den Händen der Juden lag. Im späteren Mittelalter wohnten die Hallischen Juden im Judendorf vor der Nordseite der Stadtmauer. Ob dies schon in ottonischer Zeit der Fall war, ist nicht zu belegen. Das Vorhandensein einer Judengemeinde in Halle ist demnach aber ziemlich gesichert14• Wie in Magdeburg wird die Blütezeit des Marktes vor allem im 10. Jahrhundert vor dem Slawenaufstand von 985 zu suchen sein. Mit dem Scheitern der Ostpolitik Ottos des Großen kam für Halle, das nun wieder die Nähe der Grenze zu verspüren hatte, eine Zeit des Rückganges oder zumindest des Stillstandes seiner Entwicklung. 9a

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66

Paul Grimm, Archäologische Beiträge zur Lage ottonischer Marktsiedlungen in den Be­ zirken Halle und Magdeburg, Jahresschrift f. Mitteldeutsche Vorgeschichte 41/42, 1958, S. 531 f. - Ders., Zur Frühgeschichte von Halle, Ausgrabungen und Funde 5, 1958, S. 526 f. Ebenda, S. 55 u. 27. UB Halle I, Nr. 4,5,8 u. S. 5,8, 11. UB Halle I, Nr. 9, S. 12. - Mertens, Moneta Hallensis, Festgabe der Numismatischen Gesellschaft 3, 1925, S. 11. V. Jammer, Die Anfänge der Münzprägung im Herzogtum Sachsen, Magdeburg 1952, S. 65, Anm. 204 u. S. 73, Anm. 244. Hünicken, S. 25. Ebenda, S. 125 f. - Georg Jakob, Arabische Berichte von Gesandten an germanischen Fürstenhöfen aus dem 9. und 1o. Jahrhundert. Berlin-Leipzig 1927, S. 13. Zur Datierung des Reiseberichtes vgl. W. Koppe, Deutsche Ostforschung Bd. 1, Leipzig 1942, S. 261 f.

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Abb. 13. Halle. Hochmittelalterliches Stadtgebiet nach R. Hünicken, Geschichte der Stadt Halle I, S. 74

1 Dom

2 St. Marien

3 St. Moritz 4 St. Ulrich 5 St. Jakobskapelle

A B C D E F G H

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Alter Markt Marktplatz Schmeerstraße Rannische Straße Brunoswarte Große Brauhausstraße Große Märkerstraße Leipziger Straße Rathausgasse

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Große Klausstraße Kleine Klausstraße Große Steinstraße Große Nikolaistraße Kleine Nikolaistraße Mühlberg Große Ulrich­ straße R Klausbrücke

Kaufleutesiedlung ist zuvor nicht zu belegen, darf aber doch in Analogie zu Magdeburg

vermutet werden°~, In den folgenden zweihundertundfünfzig Jahren verschwindet der Name Halles vollkommen aus den Geschichtsquellen. Die nächste Erwähnung geschieht erst 1064, als Heinrich IV. in Halle urkundet. Wie ist dieses rätselhafte Schweigen zu erklären? Die Lösung ist einfach. Seit vorgeschichtlicher Zeit kam dem Felsenberg Giebichenstein, vom »Tal« aus etwa drei Kilometer saaleabwärts gelegen, eine besondere Bedeutung zu. Sein germanischer Name weist auf eine Wodanskultstätte hin (Gibicho ist ein Beiname Wodans). Eine Fluchtburg befand sich auf seinem Gipfel. Im nahen Wittekindstal wurde in vorgeschichtlicher Zeit eine Salzquelle ausgebeutet'°. Im 10. Jahrhundert trug der Felsenberg eine Reichsburg, wohl von Heinrich I. angelegt, die mit den Schenkungen Ottos des Großen an das Erzstift Magdeburg überging. Für Giebichenstein nun wurden zahlreiche Urkunden ausgestellt. In den Jahren 961, 965 und 975 überträgt und bestätigt der Kaiser dem Erzstift den Besitz der Saline, die zu Giebichenstein gehört (cum salsugine eius, cum salina sua)11. Jetzt konnte es sich aber nicht mehr um die Saline im Wittekinds­ tal handeln, für die keinerlei Beweise vorliegen, daß sie noch in geschichtlicher Zeit in Betrieb war. Die Saline der ottonischen Urkunden ist offenbar Halle selbst. Außerdem wurde 987 dem Erzbischof das Recht zugestanden, in Giebichenstein eine Münze einzurichten, und er erhält den Zoll, der schon vorher als regium jus bestand'. Münze und Zoll weisen auf einen Markt hin. Die Urkunde von 987 trägt nun einen Dorsalvermerk des 11. Jahrhunderts: de mercato Halla. Unter dem Privileg für Gie­ bichenstein wurde also kurze Zeit hinterher der Markt von Halle verstanden, der dem­ nach seit der Mitte des 10. Jahrhunderts urkundlich belegt ist'°. Auf Halle ist auch höchstwahrscheinlich eine Stelle aus dem Bericht des jüdischen Reisenden Ibrahim ibn Jakub zu beziehen, der 965 bei Otto dem Großen war. Er erwähnt eine Salzquelle der Juden an der Saale, die er auf dem Weg von Magdeburg nach Böhmen berührte. Dies ist wohl so zu verstehen, daß der Hallische Salzhandel zum größten Teil in den Händen der Juden lag. Im späteren Mittelalter wohnten die Hallischen Juden im Judendorf vor der Nordseite der Stadtmauer. Ob dies schon in ottonischer Zeit der Fall war, ist nicht zu belegen. Das Vorhandensein einer Judengemeinde in Halle ist demnach aber ziemlich gesichert14• Wie in Magdeburg wird die Blütezeit des Marktes vor allem im 10. Jahrhundert vor dem Slawenaufstand von 985 zu suchen sein. Mit dem Scheitern der Ostpolitik Ottos des Großen kam für Halle, das nun wieder die Nähe der Grenze zu verspüren hatte, eine Zeit des Rückganges oder zumindest des Stillstandes seiner Entwicklung. 9a

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Paul Grimm, Archäologische Beiträge zur Lage ottonischer Marktsiedlungen in den Be­ zirken Halle und Magdeburg, Jahresschrift f. Mitteldeutsche Vorgeschichte 41/42, 1958, S. 531 f. - Ders., Zur Frühgeschichte von Halle, Ausgrabungen und Funde 5, 1958, S. 526 f. Ebenda, S. 55 u. 27. UB Halle I, Nr. 4,5,8 u. S. 5,8, 11. UB Halle I, Nr. 9, S. 12. - Mertens, Moneta Hallensis, Festgabe der Numismatischen Gesellschaft 3, 1925, S. 11. V. Jammer, Die Anfänge der Münzprägung im Herzogtum Sachsen, Magdeburg 1952, S. 65, Anm. 204 u. S. 73, Anm. 244. Hünicken, S. 25. Ebenda, S. 125 f. - Georg Jakob, Arabische Berichte von Gesandten an germanischen Fürstenhöfen aus dem 9. und 1o. Jahrhundert. Berlin-Leipzig 1927, S. 13. Zur Datierung des Reiseberichtes vgl. W. Koppe, Deutsche Ostforschung Bd. 1, Leipzig 1942, S. 261 f.

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Abb. 13. Halle. Hochmittelalterliches Stadtgebiet nach R. Hünicken, Geschichte der Stadt Halle I, S. 74

1 Dom

2 St. Marien

3 St. Moritz 4 St. Ulrich 5 St. Jakobskapelle

A B C D E F G H

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Alter Markt Marktplatz Schmeerstraße Rannische Straße Brunoswarte Große Brauhausstraße Große Märkerstraße Leipziger Straße Rathausgasse

K L M N O P Q

Große Klausstraße Kleine Klausstraße Große Steinstraße Große Nikolaistraße Kleine Nikolaistraße Mühlberg Große Ulrich­ straße R Klausbrücke

Von dem ottonischen Marktort läßt sich in Halle ein zuverlässiges und anschauliches Bild gewinnnen. Das »Tal« war unbebaut. Hier bedeckte nur die Salzkote das Gelände. Die Behausungen der Salzsieder lagen etwas erhöht und vor Wasser und Überschwem­ mung geschützt am Ostrand des Quellgebietes. Aus den späteren Stadtgrundrissen kann man deutlich die regellose und unplanmäßige Bebauung mit winzigen Parzellen ersehen, die zu ungeordneten Gruppen zusammentreten, schmale, winklige Gäßchen und Plätz­ chen zwischen sich freilassend. Auch die Handwerker, die mit der Salzgewinnung zu tun hatten, wie Schmiede, Zimmerleute, Büttner usw., saßen dort15. Im schroffsten Gegensatz dazu stehen die regelmäßigen, dicht gereihten Hausstellen, in der Schmeerstraße und am »Alten Markt«, die geschlossene, einheitliche Straßen­ wände bilden. Die schmalen langen Grundstücke übertreffen an Flächengröße die des »Tales« um ein Vielfaches. Die größten Hausstellen liegen an der Südseite des »Alten Marktes«, der im rechten Winkel von der Schmeerstraße abzweigt, durch welche der Fernweg von Merseburg nach Magdeburg zieht. Bei der abgerundeten Nordecke des Straßenknies erweitert sich der »Alte Markt« an der Einmündung in die Durchgangs­ straße zu einem langgezogenen Dreiecksplatz. Der Straßenname gibt wie in Hildesheim und Köln über die Bevölkerungsschicht Aufschluß, welche diese stattlichen Häuser einst bewohnte, die sich im Süden und Osten dem »Tal« vorlagern: es sind die Kaufleute des Hallischen Marktes', Es wurde vermutet, daß man vor dem 12. Jahrhundert als Fluß­ übergang eine Saalefurt bei der Moritzkirche benutzte. Damit ließe sich leicht die Anlage des »Alten Marktes« erklären. Er hätte sich an der Kreuzung der West-Ost-Straße mit dem Nord-Süd-Weg angesiedelt und wäre vom Straßenverkehr durchzogen worden. Er hätte demnach nicht - wie es heute den Anschein hat - eine verkehrsarme Seitenstraße bevorzugt, die nur in das naheliegende Glaucha führt, Diese drei Bestandteile - »Tal«, Salzsiederhütten und Kaufleutestraßen - waren von einer Mauer umzogen. Von ihr sind mehrfach Reste ans Tageslicht gekommen, ja, ein Stück hat sich bis heute erhalten, so daß ihr Verlauf, wenigstens im Süden, Osten und Nordosten, gesichert ist. Sie umschreibt etwa ein unregelmäßiges Fünfeck und schließt sich den gegebenen Siedlungen sehr dicht an. Schon im 18. Jahrhundert fielen »die Rudera der Stadtmauer« auf, »die quer durch die Schmeerstraße gehen«!®. Sie kreuzten diese Straße vor ihrer Mündung in den heutigen Marktplatz. Ein spitzbogiger Durchgang vom »Alten Markt« zur Brunoswarte war noch im 18. Jahrhundert gut erhalten; die Über­ lieferung sprach ihn als Tor an. Im Hof des Goldenen Schlößchens (Schmeerstraße 2) wurde ein Teil der ersten Stadtmauer nach 1866 verbaut. 1929 kam in einer Fundament­ grube ein 8 m langes Stück (1,2 m stark aus Bruchstein) zweieinhalb Meter unter dem heutigen Pflaster zum Vorschein. Ein weiterer Fundamentrest wurde am Marktplatz ge15

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Hünicken, S. 50. - Im 16. Jh. etwa 9o Grundstücke! Zuerst von Schultze-Gallera, S. 142 ff., bes. 150 erkannt. - Hünicken, S. 49. Schlüter, S. 17 ff., bes. 22. Wichtig wäre hierfür der genaue Verlauf der Fernstraßen im späteren Stadtgebiet. Es scheint, daß die Durchgangsstraßen doch von Anfang an dem Übergang an der Klausbrücke zustrebten. In der Rekonstruktionsskizze wurde daher von einer Saalefurt bei der Moritzkirche abgesehen. Grundlegend Neuss, S. 166 ff. - Ergänzungen bei Hünicken, S. 45. - Das erhaltene Mauer­ stück ist auf der Grabenseite 4,5 m hoch, an der Krone noch 1 m breit. Grober Bruchstein ohne lagerhafte Fügung. Sicherer Anhaltspunkt für die Datierung nur die Ummauerung der Gesamtstadt um 1120 als Terminus ante.

funden. In dem Hof eines Hauses an der Westseite der Großen Märkerstraße steht ein Mauerrest noch aufrecht an der Grenze zum anschließenden Grundstück der Schmeer­ straße. Noch nicht nachgewiesen sind die beiden Mauerenden zum Fluß zu. Vermutlich war die Saalefront unbefestigt. Die Marktbefestigung begann bei der Moritzkirche, lief südlich des »Alten Marktes« (hier 1956 in Nr. 16 aufgedeckt) zur Rannischen Straße, bog nach Norden um und folgte der Grundstücksgrenze zwischen Schmeer- und Märkerstraße. Kurz vor dem Marktplatz knickte sie nach Nordwesten um, überquerte die Schmeerstraße und zog wohl südlich der Großen Klausstraße zur Saale. Tore gab es sicher in der Schmeer- und in der Ranni­ schen Straße, wahrscheinlich auch am Westende des Alten Marktes bei der Moritzkirche und bei der Klausbrücke. Ein Graben ist auf der Ostseite nachgewiesen. Als Hauptpfarrkirche des ummauerten Bezirkes ist St. Gertrud anzusehen'. Sie lag dicht an der Nordseite der Mauer, mit der Ostfront an die heutige Marienkirche angren­ zend. Das Patrozinium der fränkischen Heiligen reicht vielleicht in karolingische Zeit zurück. Noch im Spätmittelalter ist sie Wahlversammlungs- und Tagungsort der Born­ meister. 1529 mußte sie der neuen Marienkirche weichen. Die Kaufmannsgemeinde besaß ihre eigene Kirche in der St. Michaelis-Kapelle (Alter Markt Nr. 2), die allerdings erst 1211 urkundlich erwähnt wird. Ihre Bedeutung wird vor der Anlage des neuen Marktes (heute Marktplatz) größer gewesen sein, auf jeden Fall war sie die Marktkirche des »Alten Marktes«. Am Saaleufer fand man 1937 unter den Fundamenten der romani­ schen Moritzkirche den Grundriß einer Kapelle, die vielleicht noch in das 11. Jahrhundert zurückreicht. »Sie lag auf ritterlichem Eigenbesitz und diente möglicherweise als Privat­ kapelle?«. Außerhalb des ummauerten Bezirks befanden sich vielleicht zwei kleine Hörigen­ siedlungen, die sich an Herrenhöfe anschlossen. Freilich gibt es hierfür keine schriftlichen Zeugen; ihr Bestehen kann nur aus dem Hausstellenplan der Stadt erschlossen werden?'. Beim Hagedorn-Hof (Umkreis der späteren Ulrichskirche) an der Leipziger Straße und am Mühlberg nordöstlich des alten Kastells finden sich im Rund zusammengeschlossene Hausstellen mit sektorenartiger Unterteilung, die sich nicht in die sonst ziemlich regel­ mäßigen Felder der hochmittelalterlichen Stadt einfügen. Aus dem karolingischen Kastell, das in ottonischer Zeit wohl nicht mehr bestand, sind zwei Herrenhöfe hervorgegangen??. Seine Rolle als Grenzbefestigung und Herrenburg hatte Giebichenstein übernommen, der Schutz des Salzquellgebietes, des Marktes und Fußüberganges war Aufgabe des um­ mauerten Marktberinges geworden. Rolf Hünicken nahm auch eine Siedlung von hörigen Handwerkern zwischen Markt­ bering und Kastell an zu beiden Seiten der Großen Klausstraße. Die auffallend kleinen quadratischen Anwesen des Hausstellenplanes brachten ihn auf diesen Gedanken23• Vielleicht handelt es sich aber um überbaute Verkaufsbuden längs der wichtigen Durch­ gangsstraße vom Markt zum Fluß. Die Bebauung wäre dann erst nach der Anlage der 19 20

21 22 23

Hünicken, S. 56 ff. Der Verf. setzt die Gründungszeit der Kirchen und Kapellen allerdings recht früh an. Hünicken, S. 59. Ebenda, S. 50 f. Hünicken, S. 50ff., Abb. S.49. - Von den Adelstürmen der Stadt im Hochmittelalter ist keiner mehr erhalten. Ebenda, S. 48. Die Handwerkersiedlung wird als Suburbium angesprochen. 69

Von dem ottonischen Marktort läßt sich in Halle ein zuverlässiges und anschauliches Bild gewinnnen. Das »Tal« war unbebaut. Hier bedeckte nur die Salzkote das Gelände. Die Behausungen der Salzsieder lagen etwas erhöht und vor Wasser und Überschwem­ mung geschützt am Ostrand des Quellgebietes. Aus den späteren Stadtgrundrissen kann man deutlich die regellose und unplanmäßige Bebauung mit winzigen Parzellen ersehen, die zu ungeordneten Gruppen zusammentreten, schmale, winklige Gäßchen und Plätz­ chen zwischen sich freilassend. Auch die Handwerker, die mit der Salzgewinnung zu tun hatten, wie Schmiede, Zimmerleute, Büttner usw., saßen dort15. Im schroffsten Gegensatz dazu stehen die regelmäßigen, dicht gereihten Hausstellen, in der Schmeerstraße und am »Alten Markt«, die geschlossene, einheitliche Straßen­ wände bilden. Die schmalen langen Grundstücke übertreffen an Flächengröße die des »Tales« um ein Vielfaches. Die größten Hausstellen liegen an der Südseite des »Alten Marktes«, der im rechten Winkel von der Schmeerstraße abzweigt, durch welche der Fernweg von Merseburg nach Magdeburg zieht. Bei der abgerundeten Nordecke des Straßenknies erweitert sich der »Alte Markt« an der Einmündung in die Durchgangs­ straße zu einem langgezogenen Dreiecksplatz. Der Straßenname gibt wie in Hildesheim und Köln über die Bevölkerungsschicht Aufschluß, welche diese stattlichen Häuser einst bewohnte, die sich im Süden und Osten dem »Tal« vorlagern: es sind die Kaufleute des Hallischen Marktes', Es wurde vermutet, daß man vor dem 12. Jahrhundert als Fluß­ übergang eine Saalefurt bei der Moritzkirche benutzte. Damit ließe sich leicht die Anlage des »Alten Marktes« erklären. Er hätte sich an der Kreuzung der West-Ost-Straße mit dem Nord-Süd-Weg angesiedelt und wäre vom Straßenverkehr durchzogen worden. Er hätte demnach nicht - wie es heute den Anschein hat - eine verkehrsarme Seitenstraße bevorzugt, die nur in das naheliegende Glaucha führt, Diese drei Bestandteile - »Tal«, Salzsiederhütten und Kaufleutestraßen - waren von einer Mauer umzogen. Von ihr sind mehrfach Reste ans Tageslicht gekommen, ja, ein Stück hat sich bis heute erhalten, so daß ihr Verlauf, wenigstens im Süden, Osten und Nordosten, gesichert ist. Sie umschreibt etwa ein unregelmäßiges Fünfeck und schließt sich den gegebenen Siedlungen sehr dicht an. Schon im 18. Jahrhundert fielen »die Rudera der Stadtmauer« auf, »die quer durch die Schmeerstraße gehen«!®. Sie kreuzten diese Straße vor ihrer Mündung in den heutigen Marktplatz. Ein spitzbogiger Durchgang vom »Alten Markt« zur Brunoswarte war noch im 18. Jahrhundert gut erhalten; die Über­ lieferung sprach ihn als Tor an. Im Hof des Goldenen Schlößchens (Schmeerstraße 2) wurde ein Teil der ersten Stadtmauer nach 1866 verbaut. 1929 kam in einer Fundament­ grube ein 8 m langes Stück (1,2 m stark aus Bruchstein) zweieinhalb Meter unter dem heutigen Pflaster zum Vorschein. Ein weiterer Fundamentrest wurde am Marktplatz ge15

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Hünicken, S. 50. - Im 16. Jh. etwa 9o Grundstücke! Zuerst von Schultze-Gallera, S. 142 ff., bes. 150 erkannt. - Hünicken, S. 49. Schlüter, S. 17 ff., bes. 22. Wichtig wäre hierfür der genaue Verlauf der Fernstraßen im späteren Stadtgebiet. Es scheint, daß die Durchgangsstraßen doch von Anfang an dem Übergang an der Klausbrücke zustrebten. In der Rekonstruktionsskizze wurde daher von einer Saalefurt bei der Moritzkirche abgesehen. Grundlegend Neuss, S. 166 ff. - Ergänzungen bei Hünicken, S. 45. - Das erhaltene Mauer­ stück ist auf der Grabenseite 4,5 m hoch, an der Krone noch 1 m breit. Grober Bruchstein ohne lagerhafte Fügung. Sicherer Anhaltspunkt für die Datierung nur die Ummauerung der Gesamtstadt um 1120 als Terminus ante.

funden. In dem Hof eines Hauses an der Westseite der Großen Märkerstraße steht ein Mauerrest noch aufrecht an der Grenze zum anschließenden Grundstück der Schmeer­ straße. Noch nicht nachgewiesen sind die beiden Mauerenden zum Fluß zu. Vermutlich war die Saalefront unbefestigt. Die Marktbefestigung begann bei der Moritzkirche, lief südlich des »Alten Marktes« (hier 1956 in Nr. 16 aufgedeckt) zur Rannischen Straße, bog nach Norden um und folgte der Grundstücksgrenze zwischen Schmeer- und Märkerstraße. Kurz vor dem Marktplatz knickte sie nach Nordwesten um, überquerte die Schmeerstraße und zog wohl südlich der Großen Klausstraße zur Saale. Tore gab es sicher in der Schmeer- und in der Ranni­ schen Straße, wahrscheinlich auch am Westende des Alten Marktes bei der Moritzkirche und bei der Klausbrücke. Ein Graben ist auf der Ostseite nachgewiesen. Als Hauptpfarrkirche des ummauerten Bezirkes ist St. Gertrud anzusehen'. Sie lag dicht an der Nordseite der Mauer, mit der Ostfront an die heutige Marienkirche angren­ zend. Das Patrozinium der fränkischen Heiligen reicht vielleicht in karolingische Zeit zurück. Noch im Spätmittelalter ist sie Wahlversammlungs- und Tagungsort der Born­ meister. 1529 mußte sie der neuen Marienkirche weichen. Die Kaufmannsgemeinde besaß ihre eigene Kirche in der St. Michaelis-Kapelle (Alter Markt Nr. 2), die allerdings erst 1211 urkundlich erwähnt wird. Ihre Bedeutung wird vor der Anlage des neuen Marktes (heute Marktplatz) größer gewesen sein, auf jeden Fall war sie die Marktkirche des »Alten Marktes«. Am Saaleufer fand man 1937 unter den Fundamenten der romani­ schen Moritzkirche den Grundriß einer Kapelle, die vielleicht noch in das 11. Jahrhundert zurückreicht. »Sie lag auf ritterlichem Eigenbesitz und diente möglicherweise als Privat­ kapelle?«. Außerhalb des ummauerten Bezirks befanden sich vielleicht zwei kleine Hörigen­ siedlungen, die sich an Herrenhöfe anschlossen. Freilich gibt es hierfür keine schriftlichen Zeugen; ihr Bestehen kann nur aus dem Hausstellenplan der Stadt erschlossen werden?'. Beim Hagedorn-Hof (Umkreis der späteren Ulrichskirche) an der Leipziger Straße und am Mühlberg nordöstlich des alten Kastells finden sich im Rund zusammengeschlossene Hausstellen mit sektorenartiger Unterteilung, die sich nicht in die sonst ziemlich regel­ mäßigen Felder der hochmittelalterlichen Stadt einfügen. Aus dem karolingischen Kastell, das in ottonischer Zeit wohl nicht mehr bestand, sind zwei Herrenhöfe hervorgegangen??. Seine Rolle als Grenzbefestigung und Herrenburg hatte Giebichenstein übernommen, der Schutz des Salzquellgebietes, des Marktes und Fußüberganges war Aufgabe des um­ mauerten Marktberinges geworden. Rolf Hünicken nahm auch eine Siedlung von hörigen Handwerkern zwischen Markt­ bering und Kastell an zu beiden Seiten der Großen Klausstraße. Die auffallend kleinen quadratischen Anwesen des Hausstellenplanes brachten ihn auf diesen Gedanken23• Vielleicht handelt es sich aber um überbaute Verkaufsbuden längs der wichtigen Durch­ gangsstraße vom Markt zum Fluß. Die Bebauung wäre dann erst nach der Anlage der 19 20

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Hünicken, S. 56 ff. Der Verf. setzt die Gründungszeit der Kirchen und Kapellen allerdings recht früh an. Hünicken, S. 59. Ebenda, S. 50 f. Hünicken, S. 50ff., Abb. S.49. - Von den Adelstürmen der Stadt im Hochmittelalter ist keiner mehr erhalten. Ebenda, S. 48. Die Handwerkersiedlung wird als Suburbium angesprochen. 69

Bürgerstadt zu denken. Hier war das Gelände wohl noch lange hinaus feucht; denn die Niederung durchfloß ein Bach vom Marktplatz her. Außerdem benötigte die Mauer ein freies Vorfeld, um ihren militärischen Zweck erfüllen zu können. In der Kleinen Klaus­ straße Nr. 8 stand bis 1569 eine Nikolaikirche, die ihres Patroziniums wegen kaum vor dem Ende des 11. Jahrhunderts errichtet wurde. Das Alter einer Lampertikapelle in der gleichen Gegend, die in fränkische Zeit zurückreichen könnte, ist unsicher (ebenfalls 1569 zerstört)24• Ein Stift oder Kloster im Umkreis der Marktbefestigung findet man im 11. Jahrhun­ dert in Halle nicht. Erst das frühe 12. holte das Versäumnis nach. 1116 wurde auf dem Petersberg im Nordosten der Marktstadt ein Augustinerchorherren-Stift (»Neuwerk­ Kloster«) von Erzbischof Adalgot gegründet als »erster Ordensbau des erzstiftischen Südterritoriums«. Es hat die Reformation nicht überdauert (1551 abgebrochen)?°, Die Lage des Ortes dicht an der Reichsgrenze hat im 10. und 11. Jahrhundert eine kirchliche Gründung an so gefährdeter Stelle verhindert, zumal nach dem Slawenaufstand 98 an eine Mission der Ostgebiete nicht mehr zu denken war. Kurz nach der Gründung dieses geistlichen Trabanten erfolgte auch der Ausbau zur geschlossenen hochmittelalterlichen Bürgerstadt wahrscheinlich durch Wiprecht von Groitzsch, den Vogt und Burggrafen des Erzstiftes (1118-1124)°. Die alten Fernstraßen (Rannische Straße, Große Ulrichs-Straße, Große Steinstraße und Leipziger Straße), die sich vor dem Nordtore des Marktberinges kreuzten, um z. T. gemeinsam dem Flußüber­ gang zuzustreben, gaben das Hauptstraßengerüst ab. An dem Straßenschnittpunkt wurde der neue Markt angelegt, der in der Hauptsache für Handwerker und Kleinkaufleute be­ stimmt war. St. Marien, die »ecclesia forensis« der Urkunden von 1144 und 1151, setzte man vor den Ostchor der Gertrudenkircdhe. Die heutige Erscheinung des Marktplatzes wird erst einer städtebaulichen Planung des 16. Jahrhunderts verdankt. Man hat sich ihn ursprünglich wohl noch weiträumiger vorzustellen. Die winzigen Hausstellen im Süden, die vorgeschobenen kleinen Anwesen der Nordseite und vielleicht auch die Häuserblöcke zwischen Großer Klausstraße und »Tal« sind wohl aus Verkaufsbuden entstanden. Das übrige Stadtgebiet wurde verhältnismäßig planmäßig in rechteckige Felder aufgeteilt. Im Nordosten des Geländes errichtete der Burggraf seine Eigenkirche St. Jakob als Zentral­ bau. Das Neuwerkstift blieb außerhalb des Mauergürtels, der so weitläufig angelegt wurde, daß bis zum 18. Jahrhundert keine Stadterweiterung notwendig war. 24 25

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Ebenda, S. 56. Neben der Nicolaikirche lag der Hof der Herren von Grashoff. Ebenda, S. 54 u. 220. - UB I, Nr. 15, S. 17 ff. Hünicken, S. 43 ff., S. 58 (St. Marien). - Die planmäßige Aufteilung des Stadtgebietes will Hünicken nur auf das Nordwest-Viertel beschränken (S. 52), nach dem Hausstellenplan ist aber das Land ostwärts Großer Ulrichstraße - Marktplatz - Marktmauer bis zur zwei­ ten Stadtmauer vergleichsweise planhaft geordnet.

GOSLAR

(Abbildungen 14 u. 15, Tafel 8)

Goslars Ursprünge reichen nicht in vorgeschichtliche Zeit zurück1. Kein Fernweg führte daran vorüber. Weder Verkehrslage noch frühe Besiedlung trugen zur Entstehung der Stadt bei. Einzig und allein den Bodenschätzen des Rammelsberges verdankt der Ort sein Entstehen. Ein rasches Aufblühen folgte der Entdeckung der Silberminen um 968/7. In einem Jahrhundert legte Goslar den Weg vom Königshofe im Bergdorf zur bevorzugtesten Pfalz unter Heinrich III. und IV. und vom Marktort zu einer der großartigsten Stadtanlagen Deutschlands im Mittelalter mit einer Längsachse von 1600 m zurück. Die Stadt liegt am Fuße des Rammelsberges am Nordrande des Harzes. Der Steinberg im Westen überragt um 237 m den Marktplatz von Goslar, der Sudmerberg im Osten um 10o m. Der Georgenberg im Norden und der Petersberg, ein östlicher Ausläufer des Rammelsberges, erheben sich nur 20 m über die Stadtmitte. Von den umgebenden Höhen läßt sich die Stadt mit einem Blick wie aus der Vogelperspektive übersehen. Die spindel­ förmige Anlage mit der Frankenberger Kirche und dem Breiten Tor an den beiden Endpunkten liegt in der nach Nordosten abfallenden Talebene der Gose, deren Gefälle zwischen den Spitzen der Spindel 45 m beträgt. Die gewaltige Masse des Rammels­ berges im Süden, der 380 m über den Marktplatz ansteigt, gibt den Hintergrund des Stadtbildes ab. An seinem Fuß steht auf einem Hügelausläufer die Kaiserpfalz, von allen Seiten über das Häusermeer der Stadt emporragend. 1 Umfassendste Bibliographie: Deutsches Städtebuch, hgb. v. Erich Keyser, Bd. III, Stuttgart

1952, S. 152 ff. - Entstehungsgeschichte und Topographie Goslars sind ungewöhnlich gut

erforscht. Das reiche Urkundenmaterial liegt in fünf Bänden gesammelt vor: Bd. I-IV bearb. von Georg Bode, Halle 1895-1905, Bd. V von Georg Bode und Uvo Hölscher, 1922. Die zahlreichen Arbeiten von Karl Frölich zur Rechtsgeschichte und Topographie Goslars haben die Entstehung der Stadt so weitgehend geklärt, daß jede Darstellung des mittel­ alterlichen Goslar auf sicheren Grund aufbauen kann. Es sind dies vor allem: Karl Frö­ lich, Die Verfassungsentwicklung Goslars im Mittelalter, Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgeschichte, Germ. Abtg. 47, S. 287 ff., auch als Buch erschienen, Leipzig 1927. K. Fro­ lich, Beiträge zur Topographie von Goslar im Mittelalter, Zeitschr. d. Harzvereins f. Gesch. u. Altertumskde. 61, 1928, S. 145 ff. K. Frölich, Zur Vor- und Frühgeschichte von Goslar Niedersächsisches Jahrbuch 6, 1929, S. 224 ff; 7, 1930, S. 265 ff.; 9, 1932, S. 1 ff. K. Frölid, Goslarer Straßennamen, Gießen 1949. Gießener Beiträge zur deutschen Philologie, Nr. 90. Paul Jonas Meier, Die Stadt Goslar, Stuttgart-Berlin 1926, Hist. Städtebilder 7. - Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover II, Regierungsbezirk Hildesheim 1 u. 2 Stadt Goslar, bearb. von A. v. Behr u. Uvo Hölscher, Hannover 1901, geht auf die Baugeschichte der Stadt wenig ein, zahlreiche Irrtümer. - Gute Aufnahmen: Karl G. Bruchmann, Goslar Münhen-Berlin 195? (Deutsche Lande, deutsche Kunst). - Eine Analyse des stadtplans gab neuerdings Erich Keyser, Städtegründungen und Städtebau in Norddeutschland im Mittelalter, Remagen 1958 (= Forschungen z. Deutsch. Landeskunde Bd. 111), S. 176 ff. u. Plan 54. 71

Bürgerstadt zu denken. Hier war das Gelände wohl noch lange hinaus feucht; denn die Niederung durchfloß ein Bach vom Marktplatz her. Außerdem benötigte die Mauer ein freies Vorfeld, um ihren militärischen Zweck erfüllen zu können. In der Kleinen Klaus­ straße Nr. 8 stand bis 1569 eine Nikolaikirche, die ihres Patroziniums wegen kaum vor dem Ende des 11. Jahrhunderts errichtet wurde. Das Alter einer Lampertikapelle in der gleichen Gegend, die in fränkische Zeit zurückreichen könnte, ist unsicher (ebenfalls 1569 zerstört)24• Ein Stift oder Kloster im Umkreis der Marktbefestigung findet man im 11. Jahrhun­ dert in Halle nicht. Erst das frühe 12. holte das Versäumnis nach. 1116 wurde auf dem Petersberg im Nordosten der Marktstadt ein Augustinerchorherren-Stift (»Neuwerk­ Kloster«) von Erzbischof Adalgot gegründet als »erster Ordensbau des erzstiftischen Südterritoriums«. Es hat die Reformation nicht überdauert (1551 abgebrochen)?°, Die Lage des Ortes dicht an der Reichsgrenze hat im 10. und 11. Jahrhundert eine kirchliche Gründung an so gefährdeter Stelle verhindert, zumal nach dem Slawenaufstand 98 an eine Mission der Ostgebiete nicht mehr zu denken war. Kurz nach der Gründung dieses geistlichen Trabanten erfolgte auch der Ausbau zur geschlossenen hochmittelalterlichen Bürgerstadt wahrscheinlich durch Wiprecht von Groitzsch, den Vogt und Burggrafen des Erzstiftes (1118-1124)°. Die alten Fernstraßen (Rannische Straße, Große Ulrichs-Straße, Große Steinstraße und Leipziger Straße), die sich vor dem Nordtore des Marktberinges kreuzten, um z. T. gemeinsam dem Flußüber­ gang zuzustreben, gaben das Hauptstraßengerüst ab. An dem Straßenschnittpunkt wurde der neue Markt angelegt, der in der Hauptsache für Handwerker und Kleinkaufleute be­ stimmt war. St. Marien, die »ecclesia forensis« der Urkunden von 1144 und 1151, setzte man vor den Ostchor der Gertrudenkircdhe. Die heutige Erscheinung des Marktplatzes wird erst einer städtebaulichen Planung des 16. Jahrhunderts verdankt. Man hat sich ihn ursprünglich wohl noch weiträumiger vorzustellen. Die winzigen Hausstellen im Süden, die vorgeschobenen kleinen Anwesen der Nordseite und vielleicht auch die Häuserblöcke zwischen Großer Klausstraße und »Tal« sind wohl aus Verkaufsbuden entstanden. Das übrige Stadtgebiet wurde verhältnismäßig planmäßig in rechteckige Felder aufgeteilt. Im Nordosten des Geländes errichtete der Burggraf seine Eigenkirche St. Jakob als Zentral­ bau. Das Neuwerkstift blieb außerhalb des Mauergürtels, der so weitläufig angelegt wurde, daß bis zum 18. Jahrhundert keine Stadterweiterung notwendig war. 24 25

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Ebenda, S. 56. Neben der Nicolaikirche lag der Hof der Herren von Grashoff. Ebenda, S. 54 u. 220. - UB I, Nr. 15, S. 17 ff. Hünicken, S. 43 ff., S. 58 (St. Marien). - Die planmäßige Aufteilung des Stadtgebietes will Hünicken nur auf das Nordwest-Viertel beschränken (S. 52), nach dem Hausstellenplan ist aber das Land ostwärts Großer Ulrichstraße - Marktplatz - Marktmauer bis zur zwei­ ten Stadtmauer vergleichsweise planhaft geordnet.

GOSLAR

(Abbildungen 14 u. 15, Tafel 8)

Goslars Ursprünge reichen nicht in vorgeschichtliche Zeit zurück1. Kein Fernweg führte daran vorüber. Weder Verkehrslage noch frühe Besiedlung trugen zur Entstehung der Stadt bei. Einzig und allein den Bodenschätzen des Rammelsberges verdankt der Ort sein Entstehen. Ein rasches Aufblühen folgte der Entdeckung der Silberminen um 968/7. In einem Jahrhundert legte Goslar den Weg vom Königshofe im Bergdorf zur bevorzugtesten Pfalz unter Heinrich III. und IV. und vom Marktort zu einer der großartigsten Stadtanlagen Deutschlands im Mittelalter mit einer Längsachse von 1600 m zurück. Die Stadt liegt am Fuße des Rammelsberges am Nordrande des Harzes. Der Steinberg im Westen überragt um 237 m den Marktplatz von Goslar, der Sudmerberg im Osten um 10o m. Der Georgenberg im Norden und der Petersberg, ein östlicher Ausläufer des Rammelsberges, erheben sich nur 20 m über die Stadtmitte. Von den umgebenden Höhen läßt sich die Stadt mit einem Blick wie aus der Vogelperspektive übersehen. Die spindel­ förmige Anlage mit der Frankenberger Kirche und dem Breiten Tor an den beiden Endpunkten liegt in der nach Nordosten abfallenden Talebene der Gose, deren Gefälle zwischen den Spitzen der Spindel 45 m beträgt. Die gewaltige Masse des Rammels­ berges im Süden, der 380 m über den Marktplatz ansteigt, gibt den Hintergrund des Stadtbildes ab. An seinem Fuß steht auf einem Hügelausläufer die Kaiserpfalz, von allen Seiten über das Häusermeer der Stadt emporragend. 1 Umfassendste Bibliographie: Deutsches Städtebuch, hgb. v. Erich Keyser, Bd. III, Stuttgart

1952, S. 152 ff. - Entstehungsgeschichte und Topographie Goslars sind ungewöhnlich gut

erforscht. Das reiche Urkundenmaterial liegt in fünf Bänden gesammelt vor: Bd. I-IV bearb. von Georg Bode, Halle 1895-1905, Bd. V von Georg Bode und Uvo Hölscher, 1922. Die zahlreichen Arbeiten von Karl Frölich zur Rechtsgeschichte und Topographie Goslars haben die Entstehung der Stadt so weitgehend geklärt, daß jede Darstellung des mittel­ alterlichen Goslar auf sicheren Grund aufbauen kann. Es sind dies vor allem: Karl Frö­ lich, Die Verfassungsentwicklung Goslars im Mittelalter, Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgeschichte, Germ. Abtg. 47, S. 287 ff., auch als Buch erschienen, Leipzig 1927. K. Fro­ lich, Beiträge zur Topographie von Goslar im Mittelalter, Zeitschr. d. Harzvereins f. Gesch. u. Altertumskde. 61, 1928, S. 145 ff. K. Frölich, Zur Vor- und Frühgeschichte von Goslar Niedersächsisches Jahrbuch 6, 1929, S. 224 ff; 7, 1930, S. 265 ff.; 9, 1932, S. 1 ff. K. Frölid, Goslarer Straßennamen, Gießen 1949. Gießener Beiträge zur deutschen Philologie, Nr. 90. Paul Jonas Meier, Die Stadt Goslar, Stuttgart-Berlin 1926, Hist. Städtebilder 7. - Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover II, Regierungsbezirk Hildesheim 1 u. 2 Stadt Goslar, bearb. von A. v. Behr u. Uvo Hölscher, Hannover 1901, geht auf die Baugeschichte der Stadt wenig ein, zahlreiche Irrtümer. - Gute Aufnahmen: Karl G. Bruchmann, Goslar Münhen-Berlin 195? (Deutsche Lande, deutsche Kunst). - Eine Analyse des stadtplans gab neuerdings Erich Keyser, Städtegründungen und Städtebau in Norddeutschland im Mittelalter, Remagen 1958 (= Forschungen z. Deutsch. Landeskunde Bd. 111), S. 176 ff. u. Plan 54. 71

Die Taleinschnitte zwischen den Erhebungen haben sich die Verkehrswege zunutze gemacht2• Mit der zunehmenden Bedeutung des Ortes verlagerte sich der südliche Ast des Hellweges, der mehrere Kilometer nördlich von Goslar vorbeilief. Er zog nun von Seesen am Nordrande des Harzes entlang, umging den Steinberg und betrat beim Vititor das Stadtgebiet. Durch Bäringer- und Marktstraße führte er zur Stadtmitte. Im Zuge der Breiten Straße lief der Weg nach Braunschweig und Halberstadt weiter. Am Breiten Tore verließ er wieder das Stadtgebiet und zog auf der Westseite des Sudmer­ berges nach Vienenburg-Braunschweig oder Osterwiek, auf der Südseite über Har­ lingerode nach Halberstadt. Jedenfalls hat der Hellweg seit der Stadtwerdung Goslars diesen Verlauf genommen. Vielleicht überschritt er aber vor dem Ende des 11. Jahr­ hunderts nicht die Okersümpfe beim Breiten Tor, sondern lief von der Marktkirche aus über die Kornstraße zum Petersberg, wo sich noch ein altes Straßenstück erhalten hat, und führte auf der Südseite des Sudmerberges vorbei nach Halberstadt. Er berührte auf dieser Strecke die Sudburg am Südabhang des Sudmerberges, die im 10. Jahrhundert eine gewisse Rolle spielte. Auch die Sicherung des Weges gehörte zu ihren Aufgaben. Die Straße von Hildesheim kam im Norden des Stadtgebietes am Rosentor an und führte über die Hokenstraße zur Marktkirche. Die Bergstraße zog von hier nach Süd­ westen zu den Gruben am Rammelsberg und weiter nach Osterode über den Harz. Sie benutzten die Erzfrachten. Schon 1014 wird der »Heidenstieg« erwähnt, offenbar ein vorgeschichtlicher Gebirgsweg, der das Okertal aufwärts über den Harz nach Nord­ hausen lief. Der »Kaiserweg« erreichte das gleiche Ziel von der Harzburg aus. Der Hohe Weg in Goslar verband die Kaiserpfalz mit dem Fernstraßenschnittpunkt bei der Marktkirche. Sein Name deutet an, daß es sich um einen künstlich erhöhten Weg, einen Bohlenweg oder eine Art Damm handelte, der das Sumpfgebiet der Gose durchquerte. Auch der unregelmäßige, gewundene Lauf der Bergstraße und die östliche Ausbuchtung der Kornstraße werden von dem Fluß bestimmt; denn die Straße ver­ sucht, dem sumpfigen Uferstreifen auszuweichen. Wahrscheinlich geht auch die Biegung der Marktstraße auf einen jetzt verschwundenen Gosearm zurück. Deutlich heben sich die drei Fernwege (Bäringer- und Marktstraße, Kornstraße, Bergstraße) von dem übri­ gen Straßennetz der Stadt ab*. Ihr gewundenerer und unregelmäßigerer Lauf unterscheidet sie von den anderen Straßen, die sich dem spindelförmigen Stadtumriß entweder als meridianartige Längsstraßen oder als kurze Querverbindungen einfügen und die nicht mehr auf die Wasseradern Rücksicht zu nehmen brauchten, da mit dem Aufbau der geschlossenen Stadt eine teilweise Flußregulierung Hand in Hand ging. Das Fern­ straßennetz muß demnach schon vor der Bürgerstadt bestanden haben. Die Breite Straße, die in gerader Führung die östliche Längsachse der Stadt abgibt, gehört der jüngeren Schicht an. 2

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Eva Rothe, Goslar als Residenz der Salier, Dresden 1940. Berliner Diss., S. 11. - Paul Hö­ fer, Die Frankenherrschaft in den Harzlanden, Zeitschr. d. Harzvereins f. Gesch. u. Alter­ tumskunde 40, 1907, S. 148 ff. Reinecke-Altenau, Heidenstieg und Kaiserweg, Harzer Heimatland, Geschichtsbeilage zur Goslarischen Zeitung 1935, Nr. 6. Beide kamen nur für Reit- und Botenverkehr in Frage, nicht für Frachtlasten. über das Straßennetz nördlich des Harzes im Mittelalter vgl. Fritz Timme, Ostsachsens früher Verkehr und die Entstehung alter Handelsplätze, Braunschwei­ gische Heimat 36, 1950, S. 111 ff. P. J. Meier, Die Stadt Goslar, S. 85 f.

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Kaiserpfalz Marienkapelle Ulrichskapelle Stift St. Simon und Juda Martinskapelle Marktkirche St. Cosmae u. Damiani mit Marktsiedlung Frankenberg Bergdorf Stift St. Georg Stift St. Peter Vitikapelle Klauskapelle

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Die Taleinschnitte zwischen den Erhebungen haben sich die Verkehrswege zunutze gemacht2• Mit der zunehmenden Bedeutung des Ortes verlagerte sich der südliche Ast des Hellweges, der mehrere Kilometer nördlich von Goslar vorbeilief. Er zog nun von Seesen am Nordrande des Harzes entlang, umging den Steinberg und betrat beim Vititor das Stadtgebiet. Durch Bäringer- und Marktstraße führte er zur Stadtmitte. Im Zuge der Breiten Straße lief der Weg nach Braunschweig und Halberstadt weiter. Am Breiten Tore verließ er wieder das Stadtgebiet und zog auf der Westseite des Sudmer­ berges nach Vienenburg-Braunschweig oder Osterwiek, auf der Südseite über Har­ lingerode nach Halberstadt. Jedenfalls hat der Hellweg seit der Stadtwerdung Goslars diesen Verlauf genommen. Vielleicht überschritt er aber vor dem Ende des 11. Jahr­ hunderts nicht die Okersümpfe beim Breiten Tor, sondern lief von der Marktkirche aus über die Kornstraße zum Petersberg, wo sich noch ein altes Straßenstück erhalten hat, und führte auf der Südseite des Sudmerberges vorbei nach Halberstadt. Er berührte auf dieser Strecke die Sudburg am Südabhang des Sudmerberges, die im 10. Jahrhundert eine gewisse Rolle spielte. Auch die Sicherung des Weges gehörte zu ihren Aufgaben. Die Straße von Hildesheim kam im Norden des Stadtgebietes am Rosentor an und führte über die Hokenstraße zur Marktkirche. Die Bergstraße zog von hier nach Süd­ westen zu den Gruben am Rammelsberg und weiter nach Osterode über den Harz. Sie benutzten die Erzfrachten. Schon 1014 wird der »Heidenstieg« erwähnt, offenbar ein vorgeschichtlicher Gebirgsweg, der das Okertal aufwärts über den Harz nach Nord­ hausen lief. Der »Kaiserweg« erreichte das gleiche Ziel von der Harzburg aus. Der Hohe Weg in Goslar verband die Kaiserpfalz mit dem Fernstraßenschnittpunkt bei der Marktkirche. Sein Name deutet an, daß es sich um einen künstlich erhöhten Weg, einen Bohlenweg oder eine Art Damm handelte, der das Sumpfgebiet der Gose durchquerte. Auch der unregelmäßige, gewundene Lauf der Bergstraße und die östliche Ausbuchtung der Kornstraße werden von dem Fluß bestimmt; denn die Straße ver­ sucht, dem sumpfigen Uferstreifen auszuweichen. Wahrscheinlich geht auch die Biegung der Marktstraße auf einen jetzt verschwundenen Gosearm zurück. Deutlich heben sich die drei Fernwege (Bäringer- und Marktstraße, Kornstraße, Bergstraße) von dem übri­ gen Straßennetz der Stadt ab*. Ihr gewundenerer und unregelmäßigerer Lauf unterscheidet sie von den anderen Straßen, die sich dem spindelförmigen Stadtumriß entweder als meridianartige Längsstraßen oder als kurze Querverbindungen einfügen und die nicht mehr auf die Wasseradern Rücksicht zu nehmen brauchten, da mit dem Aufbau der geschlossenen Stadt eine teilweise Flußregulierung Hand in Hand ging. Das Fern­ straßennetz muß demnach schon vor der Bürgerstadt bestanden haben. Die Breite Straße, die in gerader Führung die östliche Längsachse der Stadt abgibt, gehört der jüngeren Schicht an. 2

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Eva Rothe, Goslar als Residenz der Salier, Dresden 1940. Berliner Diss., S. 11. - Paul Hö­ fer, Die Frankenherrschaft in den Harzlanden, Zeitschr. d. Harzvereins f. Gesch. u. Alter­ tumskunde 40, 1907, S. 148 ff. Reinecke-Altenau, Heidenstieg und Kaiserweg, Harzer Heimatland, Geschichtsbeilage zur Goslarischen Zeitung 1935, Nr. 6. Beide kamen nur für Reit- und Botenverkehr in Frage, nicht für Frachtlasten. über das Straßennetz nördlich des Harzes im Mittelalter vgl. Fritz Timme, Ostsachsens früher Verkehr und die Entstehung alter Handelsplätze, Braunschwei­ gische Heimat 36, 1950, S. 111 ff. P. J. Meier, Die Stadt Goslar, S. 85 f.

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Kaiserpfalz Marienkapelle Ulrichskapelle Stift St. Simon und Juda Martinskapelle Marktkirche St. Cosmae u. Damiani mit Marktsiedlung Frankenberg Bergdorf Stift St. Georg Stift St. Peter Vitikapelle Klauskapelle

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Abb. 14. Goslar im

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Als Verwaltungsmittelpunkt des Königsgutes am Nordharz diente zuerst die Pfalz Werla im Okertal zwischen Sehladen und Burgdorf, etwa 17 km nördlich von Goslar5• Ihr unterstand die Sudburg am Sudmerberg als vorgeschobener Posten. Das Stadt­ gebiet von Goslar gehörte zum königlichen Bannforst, der sich weiter als heute in die Ebene hinaus erstreckte. Die Kirche der Sudburg und ihr ovaler Befestigungsring (etwa 40X 50 m) wurden anfangs der dreißiger Jahre ausgegraben. Man fand einen kleinen einschiffigen Bau (7 m breit), der wohl noch dem Ende des 10. Jahrhunderts zuzuschrei­ ben ist. Er war den Heiligen Romanus und Petrus geweiht. Der Wall schloß auch die Burggebäude mit ein. 1064 wird die Sudburg zum erstenmal genannt, im 14. Jahr­ hundert ist der Ort wüst. Doch der Anstoß zur städtischen Entwicklung ging nicht von der Sudburg aus, auch nicht von den beiden bergmännischen Siedlungen am »Frankenberg« und im »Berg­ dorf«. Dieses lag einst am Hang des Rammelsberges oberhalb der Kaiserpfalz. Nur die 1926 ausgegrabenen Fundamente der Johanniskirche zeugen noch von seinem Bestehen. Die Kirche, ein einschiffiger Saalraum mit eingezogener hufeisenförmiger Apsis und wohl einem Westguerbau, gehört noch dem 10. Jahrhundert an. Sie stand in dem be­ festigten Hof, den im späteren Mittelalter die Herren »von dem Dike« besaßen und der wahrscheinlich auf einen Königshof zurückgeht. An ihrer Stelle erhob sich wohl schon eine fränkische Martinskirche. Ritterlich lebende Ministerialengeschlechter und Berg­ arbeiter saßen hier im späteren Mittelalter. Im 13. Jahrhundert sind im Bergdorf völlig städtische Verhältnisse anzunehmen. Die Siedlung ist befestigt; ein Fleischscharren ist vorhanden, der einen Markt voraussetzt; die Gemeindebehörde führt ein eigenes Siegel. Nach der Auflösung des genossenschaftlichen Verbandes der Montanen war auch das Bergdorf zum Aussterben verurteilt. In den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts wird es wüst. 1527 brach man die Johanniskirche ab". Die zweite bergmännische Siedlung am Frankenberg ging in der Stadt auf. Die Lage der Frankenberger Kirche in der westlichen Spitze des spindelförmigen Stadt­ umrisses und die Einbeziehung des Westbaus in die Befestigungsanlage deuten darauf hin, daß hier bereits vor der Erbauung der Stadtmauer die Kirche einer selbständigen Siedlung stand. Wie im Bergdorf gehörten die Bewohner dem genossenschaftlichen Verbande der Montanen und Silvanen an, in deren Händen das Berg- und Forst­ wesen lag. Die frühesten Siedler waren vielleicht Franken, wie der Name besagt8• Schon vor dem 10. Jahrhundert kam der Bergbau am Rammelsberge in Gang, wenn auch seine Ergiebigkeit nicht allzu hoch eingeschätzt werden darf. Erst gegen 970 wurden ertragreiche Silberminen entdeckt. Ihr Fund hat Aufsehen erregt, wie die mehrfache chronikalische Erwähnung beweist". Ein schnelles Aufblühen der Siedlung ist die Folge. K. Frölich, Niedersächs. Jahrb. 6, S. 227 f. Becker, Die Ausgrabungen am Sudmerberge, Harzer Heimatland, Geschichtsbeilage zur Goslarischen Zeitung, 1934, Nr. 6. - W. Lüders, Die Ausgrabungen am Sudmerberge bei Oker, Harz-Wacht 1953, 2. November. - Ders., Die Sudburg und ihr Verhältnis zu Werla, Goslar und dem Gebiet von Harzburg, Braunschweigisches Magazin 1923, Nr. 1. 7 W. Wiederhold, Die St. Johanniskirche im Bergdorf von Goslar, Zeitschr. d. Harzvereins für Gesch. u. Altertumskde. 59, 1926, S. 167 ff. - K. Frölich, Niedersächs. Jahrb. 6, S. 253 f., 245, 247 ff., 261 ff. u. 9, S. 18. - E. Lehmann, Der frühe deutsche Kirchenbau, Berlin 1958, S. 114. 8 P. J. Meier, Die Stadt Goslar, S. 115. - K. Frölich, Nieders. Jahrb. 6, S. 265. 9 Vgl. die Zusammenstellung bei Uvo Hölscdher, Die Kaiserpfalz Goslar, Berlin 1927, S. 15 (Widukind von Corvey, Thietmar und die Pöhlder Annalen).

A Marktplatz B Schulhof C Marktstraße D Bäringerstraße E Hoher Weg F Bergstraße G Frankenbergerstraße H Forststraße J Schreiberstraße K Bulkenstraße L Obere Mühlenstraße M Münzstraße N Hokenstraße O Fischmäkerstraße P Gosewinkel Q Fleischscharren R Worthstraße S Bäckerstraße T Breite Straße U Kornstraße V Kurze Straße W Am Liebfrauenberge X Wasserstraße

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Abb. 15. Goslar. Hochmittelalterliches Stadtgebiet nach dem schematischen Katasterplan von 1803

Kaiserpfalz St. Simon und Juda Marktkirche St. Jakobikirche St. Stephanikirche Frankenberger Kirche Klaustor Vititor Rosentor Breites Tor Rathaus Worth Johannisfriedhof

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Als Verwaltungsmittelpunkt des Königsgutes am Nordharz diente zuerst die Pfalz Werla im Okertal zwischen Sehladen und Burgdorf, etwa 17 km nördlich von Goslar5• Ihr unterstand die Sudburg am Sudmerberg als vorgeschobener Posten. Das Stadt­ gebiet von Goslar gehörte zum königlichen Bannforst, der sich weiter als heute in die Ebene hinaus erstreckte. Die Kirche der Sudburg und ihr ovaler Befestigungsring (etwa 40X 50 m) wurden anfangs der dreißiger Jahre ausgegraben. Man fand einen kleinen einschiffigen Bau (7 m breit), der wohl noch dem Ende des 10. Jahrhunderts zuzuschrei­ ben ist. Er war den Heiligen Romanus und Petrus geweiht. Der Wall schloß auch die Burggebäude mit ein. 1064 wird die Sudburg zum erstenmal genannt, im 14. Jahr­ hundert ist der Ort wüst. Doch der Anstoß zur städtischen Entwicklung ging nicht von der Sudburg aus, auch nicht von den beiden bergmännischen Siedlungen am »Frankenberg« und im »Berg­ dorf«. Dieses lag einst am Hang des Rammelsberges oberhalb der Kaiserpfalz. Nur die 1926 ausgegrabenen Fundamente der Johanniskirche zeugen noch von seinem Bestehen. Die Kirche, ein einschiffiger Saalraum mit eingezogener hufeisenförmiger Apsis und wohl einem Westguerbau, gehört noch dem 10. Jahrhundert an. Sie stand in dem be­ festigten Hof, den im späteren Mittelalter die Herren »von dem Dike« besaßen und der wahrscheinlich auf einen Königshof zurückgeht. An ihrer Stelle erhob sich wohl schon eine fränkische Martinskirche. Ritterlich lebende Ministerialengeschlechter und Berg­ arbeiter saßen hier im späteren Mittelalter. Im 13. Jahrhundert sind im Bergdorf völlig städtische Verhältnisse anzunehmen. Die Siedlung ist befestigt; ein Fleischscharren ist vorhanden, der einen Markt voraussetzt; die Gemeindebehörde führt ein eigenes Siegel. Nach der Auflösung des genossenschaftlichen Verbandes der Montanen war auch das Bergdorf zum Aussterben verurteilt. In den letzten Jahrzehnten des 14. Jahrhunderts wird es wüst. 1527 brach man die Johanniskirche ab". Die zweite bergmännische Siedlung am Frankenberg ging in der Stadt auf. Die Lage der Frankenberger Kirche in der westlichen Spitze des spindelförmigen Stadt­ umrisses und die Einbeziehung des Westbaus in die Befestigungsanlage deuten darauf hin, daß hier bereits vor der Erbauung der Stadtmauer die Kirche einer selbständigen Siedlung stand. Wie im Bergdorf gehörten die Bewohner dem genossenschaftlichen Verbande der Montanen und Silvanen an, in deren Händen das Berg- und Forst­ wesen lag. Die frühesten Siedler waren vielleicht Franken, wie der Name besagt8• Schon vor dem 10. Jahrhundert kam der Bergbau am Rammelsberge in Gang, wenn auch seine Ergiebigkeit nicht allzu hoch eingeschätzt werden darf. Erst gegen 970 wurden ertragreiche Silberminen entdeckt. Ihr Fund hat Aufsehen erregt, wie die mehrfache chronikalische Erwähnung beweist". Ein schnelles Aufblühen der Siedlung ist die Folge. K. Frölich, Niedersächs. Jahrb. 6, S. 227 f. Becker, Die Ausgrabungen am Sudmerberge, Harzer Heimatland, Geschichtsbeilage zur Goslarischen Zeitung, 1934, Nr. 6. - W. Lüders, Die Ausgrabungen am Sudmerberge bei Oker, Harz-Wacht 1953, 2. November. - Ders., Die Sudburg und ihr Verhältnis zu Werla, Goslar und dem Gebiet von Harzburg, Braunschweigisches Magazin 1923, Nr. 1. 7 W. Wiederhold, Die St. Johanniskirche im Bergdorf von Goslar, Zeitschr. d. Harzvereins für Gesch. u. Altertumskde. 59, 1926, S. 167 ff. - K. Frölich, Niedersächs. Jahrb. 6, S. 253 f., 245, 247 ff., 261 ff. u. 9, S. 18. - E. Lehmann, Der frühe deutsche Kirchenbau, Berlin 1958, S. 114. 8 P. J. Meier, Die Stadt Goslar, S. 115. - K. Frölich, Nieders. Jahrb. 6, S. 265. 9 Vgl. die Zusammenstellung bei Uvo Hölscdher, Die Kaiserpfalz Goslar, Berlin 1927, S. 15 (Widukind von Corvey, Thietmar und die Pöhlder Annalen).

A Marktplatz B Schulhof C Marktstraße D Bäringerstraße E Hoher Weg F Bergstraße G Frankenbergerstraße H Forststraße J Schreiberstraße K Bulkenstraße L Obere Mühlenstraße M Münzstraße N Hokenstraße O Fischmäkerstraße P Gosewinkel Q Fleischscharren R Worthstraße S Bäckerstraße T Breite Straße U Kornstraße V Kurze Straße W Am Liebfrauenberge X Wasserstraße

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Abb. 15. Goslar. Hochmittelalterliches Stadtgebiet nach dem schematischen Katasterplan von 1803

Kaiserpfalz St. Simon und Juda Marktkirche St. Jakobikirche St. Stephanikirche Frankenberger Kirche Klaustor Vititor Rosentor Breites Tor Rathaus Worth Johannisfriedhof

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Gegen 990 wurden in Goslar sehr wahrscheinlich die Otto- und Adelheid-Pfennige aus dem Rammelsberger Silber geprägt, die sich in großer Zahl in dem slawischen Ge­ biet jenseits der Elbe fanden. Der Goslarer Markt wird damals bereits eine erhebliche Rolle gespielt haben'°, Seine ersten Anfänge reichen wohl noch in die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts zurück. Beim Annalista Saxo und in den Pöhlder Annalen findet sich eine Nachricht für 922 oder die folgenden Jahre als Gründungsdatum des »vicus Gos­ larie«11. Wenn auch beide Quellen erst aus dem 12. Jahrhundert stammen, so sind sie doch nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Name Goslar = Sumpfweide an der Gose hat nur für die Marktsiedlung Sinn, die dicht am sumpfigen Ufergelände des Baches stand. Bergdorf und Frankenberg führten eigene Namen, von einem Sumpfgebiet konnte bei ihnen nicht die Rede sein. Den Goslarer vicus des 10. Jahrhunderts bildete wohl die Marktstraße, wie Paul Jonas Meier zuerst vermutete. Wahrscheinlich geht auch die Marktkirche in diese Zeit zurück, obgleich sie urkundlich erst 1151 erwähnt wird. Eine Kirche fehlte wohl bei keinem Markt der Ottonenzeit, dem eine Kaufleute­ siedlung angeschlossen war. Die Marktstraße ist die übliche Form der Marktsiedlung in Niedersachsen im 1o. und 11. Jahrhundert (Hildesheim, Halle, Quedlinburg)". Gos­ larer Kaufleute werden zuerst 1038 erwähnt, als den Quedlinburger Fernhändlern Zoll­ freiheit wie den Magdeburger und Goslarer Kaufleuten verliehen wurde'®, Der neuentdeckte Reichtum des Rammelsberges zog die Verwaltung des Königsgutes nach sich. Goslar trat an die Stelle von Werla, das für die Krone so bedeutungslos wurde, daß man es 1086 dem Bischof von Hildesheim schenkte'*, Otto III. beauftragte bereits Bischof Bernward von Hildesheim, einen Heiligenleib nach Goslar zu über­ führen', Wir wissen nicht, für welche Kirche er bestimmt war, vielleicht schon für die Pfalzkapelle? Unter Heinrich II., der »villam tunc multum excoluit« (Thietmar zu 1017), war eine Pfalz vorhanden. Schon 1009 fand ein Fürstentag in Goslar statt. Auf Wunsch der Kaiserin Gisela wurde eine Marienkircdhe auf der Nordseite des Saalbaues von Bischof Godehard von Hildesheim errichtet (vor 1038)1. Damit war die Pfalz mit je einer Kapelle im Norden und Süden versehen; denn die südliche wird schon 1019 genannt. Unter Heinrich III. nahm die Pfalz in Goslar den ersten Platz im Reiche ein. Als »clarissimum regni domicilium« wird sie gepriesen. »Das deutsche Königtum ist dem festen Mittelpunkt einer Residenz niemals wieder so nahe gekommen wie im salischen 10

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W. Jesse, Goslars Münzgeschichte im Abriß, Frölich-Festschrift, Goslar 1952 (= Beiträge z. Gesch. d. Stadt Goslar, Heft 13), S. 52. - P. J. Meier, Die Siedlungen und die Verwaltung des Berg- und Hüttenbetriebes von Goslar im Mittelalter, Niedersächs. Jahrb. 19, 1942, S. 138 ff. - Diese Vermutung wurde auch in der Erwiderung von K. Frölich, Betrachtungen zur Siedlungsgeschichte und zum älteren Bergwesen von Goslar, Gießen 1950, S. 18, an­ erkannt. MG SS VI, S. 595 und XVI, S. 61 (924-934). P. J. Meier, Die Stadt Goslar, S. 85. - Der romanische Bau der Marktkirche um 110o wurde jüngst nachgewiesen: Hans-Günther Griep, Ausgrabungen und Bodenfunde im Stadtgebiet Goslar, Harz-Zeitschr. 9, 1957, S. 53 ff. bes. S. 59 - Ders., Harz-Zeitschr. 10, 1958, S. 17 ff. UB der Stadt Quedlinburg, 1. Bd., 1873, Nr. 8 u. 9. Vgl. H. Bresslau in MG DD IV, S. 410, Nr. 290. Vgl. S. 43 u. Anm. 28. UB Stadt Goslar I, Nr. 142. Thangmar, Vita Bernwardi MG SS IV, S. 770 f. zu 1001. Vgl. die Zusammenstellung aller Quellennachrichten über die Goslarer Pfalz und die An­ wesenheit der Kaiser bei U. Hölscher, Die Kaiserpfalz Goslar, S. 16 ff.

Goslar« (Klewitz). Noch entbehrte der Ort der religiösen Weihe bedeutender Stifte und Klöster. Konrad II. hatte zwar damit begonnen, auf dem Georgenberg ein Stift zu er­ richten, seine Gründung wurde aber erst von Heinrich V. vollendet. 90o m in der Luft­ linie liegt der Bau von der Pfalz entfernt jenseits des Gosetales. 1527 wurde er wie die übrigen Kirchen Goslars außerhalb der Stadtmauer niedergerissen, um dem Feind keine Möglichkeit zu bieten, sich festzusetzen. Goslar bereitete sich auf eine Belagerung Herzog Heinrichs d. J. von Braunschweig vor. Die ergrabenen Fundamente liegen wieder bloß, ein höchst interessanter Grundriß: ein Oktogon wie Aachen. Die Erinnerung, daß man in Goslar eine Wiederholung des Aachener Marienmünsters besaß, blieb bis in das 16. Jahrhundert hinein lebendig". Die Übernahme des Bautyps scheint mehr zu be­ deuten als nur eine künstlerisch-formale Angelegenheit. Man suchte offenbar mit der Form die Tradition Karls des Großen in dem neuen Pfalzort fortzusetzen. Heinrich III. gründete das reichbegüterte »Dom-Stift« im Pfalzbezirk18. Sein Grund­ besitz betrug noch um 1200 etwa 50 00o Morgen. Ein bedeutendes Stift neben der Kö­ nigspfalz war seit karolingischer Zeit üblich (vgl. Aachen und Frankfurt). Vielleicht kam das Georgenstift deshalb nicht zur Vollendung, weil die neue Gründung Hein­ richs III. seine Aufgaben im größeren Rahmen erfüllte. Sie wurde der Gottesmutter und den Patronen des kaiserlichen Geburtstages am 28. Oktober, St. Simon und Juda, geweiht. Wahrscheinlich sollte mit der Stiftung der Zweck verbunden werden, der ca­ pella des Reiches einen festen Sitz zu geben. Das Stift wurde eine wahre »Pflanzschule des Reichsepiskopates« (E.Rothe). 14 Stiftspröpste von St.Simon und Juda erhielten nachweislich in der Zeit zwischen 1050 und 1076 die Bischofswürde'. Die Kirche erhob sich gegenüber dem Saalbau der Pfalz auf der Ostseite des groß­ artigen Pfalzplatzes. Die Ausmaße (72 m lang) reichen an eine Bischofskirche heran. 1047 war das Stift im Bau, wahrscheinlich 1050 wurde es von Erzbischof Hermann von Köln geweiht. Der Baubeginn darf wohl schon um 1040 oder noch in den dreißiger Jahren angesetzt werden?°. 1819 verkaufte man den Bau auf Abbruch, da niemand die Unterhaltskosten aufbringen wollte. Während der Regierungszeit Heinrichs III. kam noch ein weiteres Stift hinzu. Der Kaiser oder seine Gemahlin Agnes gründete das Petersstift auf dem Petersberge im Osten der Pfalz, 1600 m vom Kaiserhaus entfernt?'. Es fiel wie das Georgenstift und die Johanniskirche im Bergdorf den Verteidigungsmaßnahmen 1527 zum Opfer. Seine Fun­ damente liegen heute wieder bloß. Mit diesen drei Kirchengründungen reiht sich Goslar würdig den ottonischen Städten an. Die Verbindung von Königtum und Kirche verSchenkung des Georgenstifts an das Hochstift Hildesheim 1108. UB I, Nr. 181: »ab avo meo fundatum quidem sed imperfectum . . .« - W. Hölscher, Geschichte des Klosters St. Ge­ orgenberg vor Goslar, Zeitschr. d. Harzvereins f. Gesch. u. Altertumskde. 24, 1891, S. 54 ff. Akt von 1527: »Die Kirche, duppelt gewelbet, nach aller Form why zu Achen, mit zwen gewelbten Choren übereinander, zwe thorne und dri große Rundelthorne.« Die Profile der erhaltenen Reste weisen auf eine Entstehung um 110o hin, der Zentralbaugedanke wird aber seit der Gründung vorhanden gewesen sein, da eine nachträgliche Veränderung eines Langbaues in eine Rotunde höchst unwahrscheinlich ist. 18 E. Rothe, S. 36 ff. Güterbesitz, S. 87. 19 Ebenda, S. 45. 20 Edgar Lehmann, Der frühe deutsche Kirchenbau, S. 114. 21 1062 Schenkung Heinrichs IV. an das Petersstift. UB I, Nr. 82: »... quod est in orientali plaga villae Goslariensis (in mon)te, qui dicitur mons sancti Petri, ab antecessore nostro et genitore ... Heinrico imperatore, primitus erectum .. .« 17

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Gegen 990 wurden in Goslar sehr wahrscheinlich die Otto- und Adelheid-Pfennige aus dem Rammelsberger Silber geprägt, die sich in großer Zahl in dem slawischen Ge­ biet jenseits der Elbe fanden. Der Goslarer Markt wird damals bereits eine erhebliche Rolle gespielt haben'°, Seine ersten Anfänge reichen wohl noch in die erste Hälfte des 10. Jahrhunderts zurück. Beim Annalista Saxo und in den Pöhlder Annalen findet sich eine Nachricht für 922 oder die folgenden Jahre als Gründungsdatum des »vicus Gos­ larie«11. Wenn auch beide Quellen erst aus dem 12. Jahrhundert stammen, so sind sie doch nicht ganz von der Hand zu weisen. Der Name Goslar = Sumpfweide an der Gose hat nur für die Marktsiedlung Sinn, die dicht am sumpfigen Ufergelände des Baches stand. Bergdorf und Frankenberg führten eigene Namen, von einem Sumpfgebiet konnte bei ihnen nicht die Rede sein. Den Goslarer vicus des 10. Jahrhunderts bildete wohl die Marktstraße, wie Paul Jonas Meier zuerst vermutete. Wahrscheinlich geht auch die Marktkirche in diese Zeit zurück, obgleich sie urkundlich erst 1151 erwähnt wird. Eine Kirche fehlte wohl bei keinem Markt der Ottonenzeit, dem eine Kaufleute­ siedlung angeschlossen war. Die Marktstraße ist die übliche Form der Marktsiedlung in Niedersachsen im 1o. und 11. Jahrhundert (Hildesheim, Halle, Quedlinburg)". Gos­ larer Kaufleute werden zuerst 1038 erwähnt, als den Quedlinburger Fernhändlern Zoll­ freiheit wie den Magdeburger und Goslarer Kaufleuten verliehen wurde'®, Der neuentdeckte Reichtum des Rammelsberges zog die Verwaltung des Königsgutes nach sich. Goslar trat an die Stelle von Werla, das für die Krone so bedeutungslos wurde, daß man es 1086 dem Bischof von Hildesheim schenkte'*, Otto III. beauftragte bereits Bischof Bernward von Hildesheim, einen Heiligenleib nach Goslar zu über­ führen', Wir wissen nicht, für welche Kirche er bestimmt war, vielleicht schon für die Pfalzkapelle? Unter Heinrich II., der »villam tunc multum excoluit« (Thietmar zu 1017), war eine Pfalz vorhanden. Schon 1009 fand ein Fürstentag in Goslar statt. Auf Wunsch der Kaiserin Gisela wurde eine Marienkircdhe auf der Nordseite des Saalbaues von Bischof Godehard von Hildesheim errichtet (vor 1038)1. Damit war die Pfalz mit je einer Kapelle im Norden und Süden versehen; denn die südliche wird schon 1019 genannt. Unter Heinrich III. nahm die Pfalz in Goslar den ersten Platz im Reiche ein. Als »clarissimum regni domicilium« wird sie gepriesen. »Das deutsche Königtum ist dem festen Mittelpunkt einer Residenz niemals wieder so nahe gekommen wie im salischen 10

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W. Jesse, Goslars Münzgeschichte im Abriß, Frölich-Festschrift, Goslar 1952 (= Beiträge z. Gesch. d. Stadt Goslar, Heft 13), S. 52. - P. J. Meier, Die Siedlungen und die Verwaltung des Berg- und Hüttenbetriebes von Goslar im Mittelalter, Niedersächs. Jahrb. 19, 1942, S. 138 ff. - Diese Vermutung wurde auch in der Erwiderung von K. Frölich, Betrachtungen zur Siedlungsgeschichte und zum älteren Bergwesen von Goslar, Gießen 1950, S. 18, an­ erkannt. MG SS VI, S. 595 und XVI, S. 61 (924-934). P. J. Meier, Die Stadt Goslar, S. 85. - Der romanische Bau der Marktkirche um 110o wurde jüngst nachgewiesen: Hans-Günther Griep, Ausgrabungen und Bodenfunde im Stadtgebiet Goslar, Harz-Zeitschr. 9, 1957, S. 53 ff. bes. S. 59 - Ders., Harz-Zeitschr. 10, 1958, S. 17 ff. UB der Stadt Quedlinburg, 1. Bd., 1873, Nr. 8 u. 9. Vgl. H. Bresslau in MG DD IV, S. 410, Nr. 290. Vgl. S. 43 u. Anm. 28. UB Stadt Goslar I, Nr. 142. Thangmar, Vita Bernwardi MG SS IV, S. 770 f. zu 1001. Vgl. die Zusammenstellung aller Quellennachrichten über die Goslarer Pfalz und die An­ wesenheit der Kaiser bei U. Hölscher, Die Kaiserpfalz Goslar, S. 16 ff.

Goslar« (Klewitz). Noch entbehrte der Ort der religiösen Weihe bedeutender Stifte und Klöster. Konrad II. hatte zwar damit begonnen, auf dem Georgenberg ein Stift zu er­ richten, seine Gründung wurde aber erst von Heinrich V. vollendet. 90o m in der Luft­ linie liegt der Bau von der Pfalz entfernt jenseits des Gosetales. 1527 wurde er wie die übrigen Kirchen Goslars außerhalb der Stadtmauer niedergerissen, um dem Feind keine Möglichkeit zu bieten, sich festzusetzen. Goslar bereitete sich auf eine Belagerung Herzog Heinrichs d. J. von Braunschweig vor. Die ergrabenen Fundamente liegen wieder bloß, ein höchst interessanter Grundriß: ein Oktogon wie Aachen. Die Erinnerung, daß man in Goslar eine Wiederholung des Aachener Marienmünsters besaß, blieb bis in das 16. Jahrhundert hinein lebendig". Die Übernahme des Bautyps scheint mehr zu be­ deuten als nur eine künstlerisch-formale Angelegenheit. Man suchte offenbar mit der Form die Tradition Karls des Großen in dem neuen Pfalzort fortzusetzen. Heinrich III. gründete das reichbegüterte »Dom-Stift« im Pfalzbezirk18. Sein Grund­ besitz betrug noch um 1200 etwa 50 00o Morgen. Ein bedeutendes Stift neben der Kö­ nigspfalz war seit karolingischer Zeit üblich (vgl. Aachen und Frankfurt). Vielleicht kam das Georgenstift deshalb nicht zur Vollendung, weil die neue Gründung Hein­ richs III. seine Aufgaben im größeren Rahmen erfüllte. Sie wurde der Gottesmutter und den Patronen des kaiserlichen Geburtstages am 28. Oktober, St. Simon und Juda, geweiht. Wahrscheinlich sollte mit der Stiftung der Zweck verbunden werden, der ca­ pella des Reiches einen festen Sitz zu geben. Das Stift wurde eine wahre »Pflanzschule des Reichsepiskopates« (E.Rothe). 14 Stiftspröpste von St.Simon und Juda erhielten nachweislich in der Zeit zwischen 1050 und 1076 die Bischofswürde'. Die Kirche erhob sich gegenüber dem Saalbau der Pfalz auf der Ostseite des groß­ artigen Pfalzplatzes. Die Ausmaße (72 m lang) reichen an eine Bischofskirche heran. 1047 war das Stift im Bau, wahrscheinlich 1050 wurde es von Erzbischof Hermann von Köln geweiht. Der Baubeginn darf wohl schon um 1040 oder noch in den dreißiger Jahren angesetzt werden?°. 1819 verkaufte man den Bau auf Abbruch, da niemand die Unterhaltskosten aufbringen wollte. Während der Regierungszeit Heinrichs III. kam noch ein weiteres Stift hinzu. Der Kaiser oder seine Gemahlin Agnes gründete das Petersstift auf dem Petersberge im Osten der Pfalz, 1600 m vom Kaiserhaus entfernt?'. Es fiel wie das Georgenstift und die Johanniskirche im Bergdorf den Verteidigungsmaßnahmen 1527 zum Opfer. Seine Fun­ damente liegen heute wieder bloß. Mit diesen drei Kirchengründungen reiht sich Goslar würdig den ottonischen Städten an. Die Verbindung von Königtum und Kirche verSchenkung des Georgenstifts an das Hochstift Hildesheim 1108. UB I, Nr. 181: »ab avo meo fundatum quidem sed imperfectum . . .« - W. Hölscher, Geschichte des Klosters St. Ge­ orgenberg vor Goslar, Zeitschr. d. Harzvereins f. Gesch. u. Altertumskde. 24, 1891, S. 54 ff. Akt von 1527: »Die Kirche, duppelt gewelbet, nach aller Form why zu Achen, mit zwen gewelbten Choren übereinander, zwe thorne und dri große Rundelthorne.« Die Profile der erhaltenen Reste weisen auf eine Entstehung um 110o hin, der Zentralbaugedanke wird aber seit der Gründung vorhanden gewesen sein, da eine nachträgliche Veränderung eines Langbaues in eine Rotunde höchst unwahrscheinlich ist. 18 E. Rothe, S. 36 ff. Güterbesitz, S. 87. 19 Ebenda, S. 45. 20 Edgar Lehmann, Der frühe deutsche Kirchenbau, S. 114. 21 1062 Schenkung Heinrichs IV. an das Petersstift. UB I, Nr. 82: »... quod est in orientali plaga villae Goslariensis (in mon)te, qui dicitur mons sancti Petri, ab antecessore nostro et genitore ... Heinrico imperatore, primitus erectum .. .« 17

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langte auch vom Pfalzort das Gepräge eines religiösen Mittelpunktes gleich dem einer Bischofsstadt. Was Otto III. in Aachen begonnen hatte, führten die Salier in Goslar weiter. Die Kirche trat auch das Erbe der beiden kaiserlichen Stifte außerhalb des Ortes an. 1108 kam das Georgenstift an das Hochstift Hildesheim, zuvor hatte schon Hein­ rich IV. das Petersstift dem Bischof von Hildesheim geschenkt. Pfalz und »Dom« lagen innerhalb einer Ummauerung, die ungefähr die Form eines Trapezes besaß??, Ihre Süd- und Westseite fällt mit der späteren Stadtmauer zusammen. Im Osten reichte der Pfalzbezirk wohl nur bis zur Thomaspfarreigrenze, die auf dem Stadtplan von 1803 in Fortsetzung der Wasserstraße eingetragen ist. Unsicher bleibt der Mauerzug der Nordseite. Das Pfalzgebiet ging bis zur »Abzucht«, die bis zum 14. Jahrhundert die Grenze des Gerichtsbezirkes der sog. kleinen Vogtei oder des »judi­ cium trans aquam« bildete. Die Kaiserbleek stellte wohl einst die großartigste städtebauliche Lösung eines Pfalz­ platzes in Deutschland dar. Durch Abbruch des »Domes« auf der Ostseite, der Marien­ kapelle und der Ritterhäuser, Ministerialenhöfe, Vikarswohnungen und Wirtschafts­ gebäude auf der Nord- und Südseite wurde das ehemalige Bild völlig verändert. Der umbaute Platz mußte der Naturromantik des 19. Jahrhunderts weichen. Das Kaiserhaus liegt heute wie eine herrschaftliche Villa in einem englischen Park. Die Treppenanlagen davor deuten den schräg nach Osten abfallenden Platz in einen Sockel für die Pfalz um. Der Platz vor dem Kaiserhaus war einst vollständig umbaut und architektonisch gefaßt. Die erhöhte Westseite beherrschte der langgestreckte Saalbau. An seiner Nordflanke sprang die Marienkirche vor. Im Süden schloß ihn die Ulrichskapelle ab, beides Doppel­ kapellen, wie sie bei Pfalzbauten üblich waren. Auf der viel tiefer gelegenen Ostseite ragte die gewaltige, fast ungegliederte Masse des Westbaues von St. Simon und Juda auf, dessen beide Türme sich nach niedersächsischer Weise erst sehr hoch aus dem einheitlichen Block des Mauerwerkes herauslösten. Eine Vorhalle betonte den Westein­ gang. Nach Süden zu schlossen sich Kreuzgang und Stiftsgebäude an. Im Norden und Süden rahmten Ritterhöfe und Wirtschaftsgebäude der Pfalz die beiden großen Archi­ tekturkörper - Kaiserhaus und Stift - ein. Um die Ostseite des »Domes« lagerten sich die Kurien der Stiftskanoniker, die noch auf einem älteren Plan zu erkennen sind?3, Dort stand auch die Thomaskirche, die Pfarrkirche des Pfalzbezirkes. Sie gehörte zur Diözese Mainz, während das Land jenseits der Gose dem Bistum Hildesheim unterstand. In das 11. Jahrhundert reicht auch die Martinskapelle zurück, die noch heute im Westen der Pfalz am Ende der Straße »Am Liebfrauenberge«, wenn auch zum Teil ver­ baut, erhalten ist. Die kleinen, ursprünglichen Fenster der Südwand und ihre Mauer­ technik lassen sich noch im 11. Jahrhundert unterbringen. Im folgenden Jahrhundert 22

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Carl Borchers, Villa und Civitas Goslar, Zeitschr. d. Hist. Vereins f. Niedersachsen 1919, S. 14: »Aufgefundene Grundmauern machen glaubhaft, daß der Pfalzbezirk einst von einer Mauer rings umschlossen war.« H. W. H. Mithoff, Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte, 5. Abteilung: Mittelalter­ liche Kunstwerke in Goslar. Hannover o.J. (1862), Taf. I, Situationsplan des Domes. C. Borchers, Villa und Civitas, S. 15. Neben der Marienkapelle lag 1374/9 der Wilden­ steinsche Hof, das Haus derer von Steinberg, das die sechs Mannen gekauft hatten. Regesten über Häuser in kirchlichem Besitz am Kaiserbleek, vor allem gegenüber von St. Ulrich, bei Ed. Jacobs, Die Kaiserstätten zu Goslar, Zeitschr. d. Harzvereins 6, 1875, S. 173 ff.

wurde diese Seite umgebaut und mit einem Portal versehen24. Man darf sie wohl als Torkapelle auffassen, bei der die Straße nach Osterode den Pfalzbezirk verließ, die vor dem Klaustor sich mit dem Weg vom Markt her vereinigte. Jedenfalls besaß der Pfalz­ bezirk mehr Ausgänge als nur den Hohen Weg zum Markt. Heinrich IV. legte im Zuge seiner Harzbefestigung um 1076 eine Burg auf dem Steinberg an?. Von ihr aus konnte man die westlichen Zufahrtsstraßen von Seesen und Hildesheim beherrschen, wie von der Sudburg aus die östlichen. Mauerreste kamen » Am Schieferwege« Nr. 9 und o zum Vorschein. Sie gehören aber kaum zur Burg Hein­ richs IV., sondern eher zu einer Feste der Grafen von Wernigerode aus dem 14. Jahr­ hundert26. Noch 1075 nennt Lambert von Hersfeld den Ort »villa«, obgleich er schon mit Wäl­ len und Planken befestigt war?". 1151 erscheint für Goslar zuerst die Bezeichnung »civi­ tas«?°, Zwischen beiden Daten hat sich die Stadtwerdung vollzogen. Zwar besitzen wir keine genaue Zeitangabe für den Beginn dieses Vorgangs, der Abschluß läßt sich aber mit aller Genauigkeit festlegen. 1108 wird die Ostgrenze des Frankenberger Kirchen­ sprengels bestimmt: ». . . ecclesie sancti Petri Frankenberc omnes fines ville Goslariensis occidentales a plateis, que dicuntur Berningi, Werenheri, Gezmanni usque ad regis capellam et sancte Marie .. .«2°. Die »platea Berningi« ist die heutige Bäringerstraße, deren Name sich über acht Jahrhunderte gehalten hat. Die beiden anderen sind mit der Schreiber- und Oberen Mühlenstraße gleichzusetzen, wie aus dem Stadtplan von 1805 hervorgeht, in welchem die Pfarreigrenze der Frankenberger Kirche eingetragen ist. Man weiß außerdem aus Aufzeichnungen des Klosters Corvey, daß die Vitikapelle in Goslar unter den Äbten Marquard (bis 1107) und Erkenbert (von 1107 ab) erbaut wurde. Die Kapelle lag im Vititor am Ende der Bäringerstraße®°, Die entsprechende Torkapelle der Südseite am Klaustor, das zum Rammelsberg führt, besteht noch heute. Sie muß aus stilistischen Gründen ebenfalls im frühen 12. Jahrhundert entstanden sein°!. Der Grenzverlauf der Frankenberger Pfarrei setzt die im Osten anschließenden Sprengel der Jakobikirche und der Goslarer Marktkirche voraus. Um 1108 stand also die Stadt in dem Umfange, den sie bis zum Ende ihrer Selbständigkeit behielt! Gewiß wird die Stephanikirche im Osten des Marktes erst 1142 erwähnt?, Aber aus der GeHans Gidion, Die Kapelle St. Martin in Goslar. Harz-Zeitschrift 1, 1948, S. 117 ff. Grabung 1946. Die zweite Bauzeit (Portal) ist weiter in das 12. Jh. hineinzurücken! 25 »... dato insuper negotio ut castellum ... et aliud in monte qui dicitur Lapideus qui proximus Goslarie imminet, summo ope exstrueret.« Lambert v. Hersfeld ed. Holder-Egger, Hannover-Leipzig 1894, S. 261 ad an. 1076. 26 C. Borchers, Die Steinbergburg Heinrichs IV., Das Harzer Heimatland, Geschichtliche Bei­ lage zur Goslarischen Zeitung, 24. 2. 1926 und 51. 5. 1926. Zur Datierung vgl. die Ein­ wände K. Frölichs, Niedersächs. Jahrb. 9, S. 40f. - Die Burg lag vermutlich auf der Berg­ kuppe. Vgl. Griep 1958, S. 31 ff. 27 ».. . villam ·.., vallis et seris undique munitam.« Lambert v. Hersfeld ed. Holder-Egger, S. 171. 28 Kunstdenkmäler, S. 8. 29 Urkunde des Bischofs Udo von Hildesheim, UB I, Nr. 152. 30 UB I, Nr. 150. - P. J. Meier, Die Stadt Goslar, S. 26 f. - Griep 1958, S. 21 ff. mit Abb. S. 25. 31 Ebenda, S. 27. - Dehio-Gall, Handbuch d. deutschen Kunstdenkmäler, 1. Bd., Berlin 1955, S.117. 32 P. J. Meier, Die Stadt Goslar, S. 27. 24

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langte auch vom Pfalzort das Gepräge eines religiösen Mittelpunktes gleich dem einer Bischofsstadt. Was Otto III. in Aachen begonnen hatte, führten die Salier in Goslar weiter. Die Kirche trat auch das Erbe der beiden kaiserlichen Stifte außerhalb des Ortes an. 1108 kam das Georgenstift an das Hochstift Hildesheim, zuvor hatte schon Hein­ rich IV. das Petersstift dem Bischof von Hildesheim geschenkt. Pfalz und »Dom« lagen innerhalb einer Ummauerung, die ungefähr die Form eines Trapezes besaß??, Ihre Süd- und Westseite fällt mit der späteren Stadtmauer zusammen. Im Osten reichte der Pfalzbezirk wohl nur bis zur Thomaspfarreigrenze, die auf dem Stadtplan von 1803 in Fortsetzung der Wasserstraße eingetragen ist. Unsicher bleibt der Mauerzug der Nordseite. Das Pfalzgebiet ging bis zur »Abzucht«, die bis zum 14. Jahrhundert die Grenze des Gerichtsbezirkes der sog. kleinen Vogtei oder des »judi­ cium trans aquam« bildete. Die Kaiserbleek stellte wohl einst die großartigste städtebauliche Lösung eines Pfalz­ platzes in Deutschland dar. Durch Abbruch des »Domes« auf der Ostseite, der Marien­ kapelle und der Ritterhäuser, Ministerialenhöfe, Vikarswohnungen und Wirtschafts­ gebäude auf der Nord- und Südseite wurde das ehemalige Bild völlig verändert. Der umbaute Platz mußte der Naturromantik des 19. Jahrhunderts weichen. Das Kaiserhaus liegt heute wie eine herrschaftliche Villa in einem englischen Park. Die Treppenanlagen davor deuten den schräg nach Osten abfallenden Platz in einen Sockel für die Pfalz um. Der Platz vor dem Kaiserhaus war einst vollständig umbaut und architektonisch gefaßt. Die erhöhte Westseite beherrschte der langgestreckte Saalbau. An seiner Nordflanke sprang die Marienkirche vor. Im Süden schloß ihn die Ulrichskapelle ab, beides Doppel­ kapellen, wie sie bei Pfalzbauten üblich waren. Auf der viel tiefer gelegenen Ostseite ragte die gewaltige, fast ungegliederte Masse des Westbaues von St. Simon und Juda auf, dessen beide Türme sich nach niedersächsischer Weise erst sehr hoch aus dem einheitlichen Block des Mauerwerkes herauslösten. Eine Vorhalle betonte den Westein­ gang. Nach Süden zu schlossen sich Kreuzgang und Stiftsgebäude an. Im Norden und Süden rahmten Ritterhöfe und Wirtschaftsgebäude der Pfalz die beiden großen Archi­ tekturkörper - Kaiserhaus und Stift - ein. Um die Ostseite des »Domes« lagerten sich die Kurien der Stiftskanoniker, die noch auf einem älteren Plan zu erkennen sind?3, Dort stand auch die Thomaskirche, die Pfarrkirche des Pfalzbezirkes. Sie gehörte zur Diözese Mainz, während das Land jenseits der Gose dem Bistum Hildesheim unterstand. In das 11. Jahrhundert reicht auch die Martinskapelle zurück, die noch heute im Westen der Pfalz am Ende der Straße »Am Liebfrauenberge«, wenn auch zum Teil ver­ baut, erhalten ist. Die kleinen, ursprünglichen Fenster der Südwand und ihre Mauer­ technik lassen sich noch im 11. Jahrhundert unterbringen. Im folgenden Jahrhundert 22

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Carl Borchers, Villa und Civitas Goslar, Zeitschr. d. Hist. Vereins f. Niedersachsen 1919, S. 14: »Aufgefundene Grundmauern machen glaubhaft, daß der Pfalzbezirk einst von einer Mauer rings umschlossen war.« H. W. H. Mithoff, Archiv für Niedersachsens Kunstgeschichte, 5. Abteilung: Mittelalter­ liche Kunstwerke in Goslar. Hannover o.J. (1862), Taf. I, Situationsplan des Domes. C. Borchers, Villa und Civitas, S. 15. Neben der Marienkapelle lag 1374/9 der Wilden­ steinsche Hof, das Haus derer von Steinberg, das die sechs Mannen gekauft hatten. Regesten über Häuser in kirchlichem Besitz am Kaiserbleek, vor allem gegenüber von St. Ulrich, bei Ed. Jacobs, Die Kaiserstätten zu Goslar, Zeitschr. d. Harzvereins 6, 1875, S. 173 ff.

wurde diese Seite umgebaut und mit einem Portal versehen24. Man darf sie wohl als Torkapelle auffassen, bei der die Straße nach Osterode den Pfalzbezirk verließ, die vor dem Klaustor sich mit dem Weg vom Markt her vereinigte. Jedenfalls besaß der Pfalz­ bezirk mehr Ausgänge als nur den Hohen Weg zum Markt. Heinrich IV. legte im Zuge seiner Harzbefestigung um 1076 eine Burg auf dem Steinberg an?. Von ihr aus konnte man die westlichen Zufahrtsstraßen von Seesen und Hildesheim beherrschen, wie von der Sudburg aus die östlichen. Mauerreste kamen » Am Schieferwege« Nr. 9 und o zum Vorschein. Sie gehören aber kaum zur Burg Hein­ richs IV., sondern eher zu einer Feste der Grafen von Wernigerode aus dem 14. Jahr­ hundert26. Noch 1075 nennt Lambert von Hersfeld den Ort »villa«, obgleich er schon mit Wäl­ len und Planken befestigt war?". 1151 erscheint für Goslar zuerst die Bezeichnung »civi­ tas«?°, Zwischen beiden Daten hat sich die Stadtwerdung vollzogen. Zwar besitzen wir keine genaue Zeitangabe für den Beginn dieses Vorgangs, der Abschluß läßt sich aber mit aller Genauigkeit festlegen. 1108 wird die Ostgrenze des Frankenberger Kirchen­ sprengels bestimmt: ». . . ecclesie sancti Petri Frankenberc omnes fines ville Goslariensis occidentales a plateis, que dicuntur Berningi, Werenheri, Gezmanni usque ad regis capellam et sancte Marie .. .«2°. Die »platea Berningi« ist die heutige Bäringerstraße, deren Name sich über acht Jahrhunderte gehalten hat. Die beiden anderen sind mit der Schreiber- und Oberen Mühlenstraße gleichzusetzen, wie aus dem Stadtplan von 1805 hervorgeht, in welchem die Pfarreigrenze der Frankenberger Kirche eingetragen ist. Man weiß außerdem aus Aufzeichnungen des Klosters Corvey, daß die Vitikapelle in Goslar unter den Äbten Marquard (bis 1107) und Erkenbert (von 1107 ab) erbaut wurde. Die Kapelle lag im Vititor am Ende der Bäringerstraße®°, Die entsprechende Torkapelle der Südseite am Klaustor, das zum Rammelsberg führt, besteht noch heute. Sie muß aus stilistischen Gründen ebenfalls im frühen 12. Jahrhundert entstanden sein°!. Der Grenzverlauf der Frankenberger Pfarrei setzt die im Osten anschließenden Sprengel der Jakobikirche und der Goslarer Marktkirche voraus. Um 1108 stand also die Stadt in dem Umfange, den sie bis zum Ende ihrer Selbständigkeit behielt! Gewiß wird die Stephanikirche im Osten des Marktes erst 1142 erwähnt?, Aber aus der GeHans Gidion, Die Kapelle St. Martin in Goslar. Harz-Zeitschrift 1, 1948, S. 117 ff. Grabung 1946. Die zweite Bauzeit (Portal) ist weiter in das 12. Jh. hineinzurücken! 25 »... dato insuper negotio ut castellum ... et aliud in monte qui dicitur Lapideus qui proximus Goslarie imminet, summo ope exstrueret.« Lambert v. Hersfeld ed. Holder-Egger, Hannover-Leipzig 1894, S. 261 ad an. 1076. 26 C. Borchers, Die Steinbergburg Heinrichs IV., Das Harzer Heimatland, Geschichtliche Bei­ lage zur Goslarischen Zeitung, 24. 2. 1926 und 51. 5. 1926. Zur Datierung vgl. die Ein­ wände K. Frölichs, Niedersächs. Jahrb. 9, S. 40f. - Die Burg lag vermutlich auf der Berg­ kuppe. Vgl. Griep 1958, S. 31 ff. 27 ».. . villam ·.., vallis et seris undique munitam.« Lambert v. Hersfeld ed. Holder-Egger, S. 171. 28 Kunstdenkmäler, S. 8. 29 Urkunde des Bischofs Udo von Hildesheim, UB I, Nr. 152. 30 UB I, Nr. 150. - P. J. Meier, Die Stadt Goslar, S. 26 f. - Griep 1958, S. 21 ff. mit Abb. S. 25. 31 Ebenda, S. 27. - Dehio-Gall, Handbuch d. deutschen Kunstdenkmäler, 1. Bd., Berlin 1955, S.117. 32 P. J. Meier, Die Stadt Goslar, S. 27. 24

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samtform der Stadtanlage und ihrer Straßenführung, die nur in der Ausdehnung vom Frankenberg bis zum Breiten Tor ein sinnvolles Ganzes ergibt, läßt sich schließen, daß die Osthälfte der Spindel von vornherein mitgeplant worden sein muß?+, Auf die Anfänge der Stadtwerdung wirft die Geschichte der J akobikirche einiges Licht. 1075 geriet Bischof Hezilo von Hildesheim (1054-1079) mit dem königlichen Vogt Boto in Goslar in Streit über die Mitwirkung der Einwohner bei der Pfarrwahl einer offenbar neu errichteten Pfarrei. Im Jahre 1160 beurkundet Bischof Bruno von Hil­ desheim, daß die Jakobikirche von einem seiner Vorgänger erbaut worden sei. Bei der Gründung Hezilos wird es sich aller Wahrscheinlicheit nach eben um die Jakobikirche gehandelt haben. Der Ansetzung in die siebziger Jahre des 11. Jahrhunderts kommt der kunstgeschichtliche Befund zu Hilfe. Noch stehen vom Gründungsbau die Mittelschiffs­ pfeiler und Teile der Umfassungsmauern aufrecht. Die einfachen Profile aus Platte und Schmiege müssen vor 1100 entstanden sein; denn die Goslarer Bauten der Jahrhundert­ wende (St. Ulrichskapelle, Frankenberger Kirche) weisen bereits reichere Formen auf33. Da aber zur Pfarrkirche auch ein Sprengel gehört, so muß um 1070-80 bereits das nördliche Stadtgebiet von Goslar besiedelt worden sein. Zwischen den siebziger Jahren des 11. Jahrhunderts und 1108 ist Goslar Stadt geworden im vollen Sinne des Wortes. In die Zeit Bischof Hezilos reicht auch die Cäcilienkapelle in der Kornstraße zurück. Sie lag auf dem Gelände des späteren Johannisfriedhofs gegenüber der Einmündung der Kurzen Straße. Bischof Hezilo weihte diese Eigenkirche des reichen Stifters Sidag*. Gleichzeitig mit der Errichtung der geschlossenen Stadt fand eine teilweise Regulie­ rung des Flußlaufes statt. 1284 wird eine Mühle an der Ostergose erwähnt. Es muß demnach auch einen westlichen Gosearm gegeben haben, der zwar nie genannt wird, aber doch Spuren im Stadtplan hinterlassen hat. Der Straßenname »Gosewinkel« zwi­ schen Fischmäker- und Bäckerstraße, so weit abseits vom heutigen Goselauf, bliebe ohne ihn rätselhaft. Der westliche Gosearm wird die Forst-, Schreiber-, Bulken-, Markt-, Münz-, Hoken- und Fischmäkerstraße überquert haben. Er floß beim Breiten Tor einer alten Überlieferung nach aus dem Stadtgebiet. Es bestand auch eine Querverbindung zwischen beiden Armen im Zuge Gosewinkel-Fischmäker--Worthstraße. Auf dieser Linie lag die Krämerbrücke beim Zusammentreffen von Fleischscharren, Breiter Straße und Fischmäkerstraße. Beim Gemeindehof gab es an dem Wasserlauf eine Mühle. Der 32 Die planmäßige Anlage des Stadtgrundrisses betont jetzt auch Hans-Günther Griep, Das

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Bürgerhaus in Goslar, Tübingen 1959, S. 12. - Im Breiten Tor befand sich die St. Bartholo­ mäuskapelle, die wahrscheinlich 1218 oder 19 gegründet wurde. K. G. Bruchmann, Zur Ge­ schichte der St. Bartholomäuskapelle in Goslar, Frölicdh-Festschrift, Goslar 1952 (= Beiträge z. Gesch. d. Stadt Goslar, Heft 13), S. 83ff. - Nach Erich Keyser a.a.O. S. 176 f. wäre erst Ende des 12. Jhs. in einem etappenweisen Ausbau diese bauliche Gestalt erreicht worden. Die Einheit des gesamten Planes zwingt aber dazu, die Konzeption Ende des 11. Jhs. anzu­ nehmen, wenn auch der Ausbau einzelner Straßenzüge noch lange auf sich warten ließ. UB I, Nr. 125 u. 124. - K. Frölich, Niedersächs. Jahrb. 7, S. 274 ff. - Fr. Thöne, Niedersächs. Jahrb. f. Landesgesch. 25, 1955, S. 210. - Dehio-Gall, 1. Bd., S. 115, datiert - zu spät - um 1100. Der Bau verdiente eine eingehendere Untersuchung. Die Bauphasen am besten auf dem Grundriß von Reg.-Baumeister Becker im Goslarer Museum geschieden. Auch Becker setzt die erste Bauperiode um 1070 an. Das schlichte Westportal läßt sich gut mit dem Querhausportal des Eichstätter Domes vergleichen, das um 1063 fertig gewesen ist. P.J.Meier, Die Stadt Goslar, S. 18. - Kunstdenkmäler, S. 115. - Ihre Fundamentreste wurden jüngst aufgedeckt: Griep 1957, S. 59 ff.

westliche Gosearm hat wohl das Marktgebiet des 10. Jahrhunderts nach Norden abge­ schlossen, das sich zwischen ihm und der Marktkirche und von der Marktstraße bis zur Fischmäkerstraße ausdehnte*. Mehrere kleine Querstraßen, welche die großen Häuser­ viertel im Stadtinnern unterteilten, sind eingegangen36. Die Hokenstraße war die älteste Judenstraße Goslars. 1358 lag die Synagoge im Gosewinkel37. Umfangreiche Sumpfgebiete an der Gose wurden in die Stadtfläche miteinbezogen. Ein Königsweiher (wiwarium regis) muß sich zwischen Marktkirche und Pfalz befunden haben. Eine neue große Gewässerregulierung im 13. Jahrhundert hat ihn offenbar be­ seitigt und das Gelände zwischen Markt und Pfalzbezirk trockengelegt. Damals kam wohl auch die Westgose in Fortfall. Das Bett der Ostergose wurde vertieft. Sie nahm seitdem den Namen »Abzucht« an, der von aquaeductus = aghetucht abzuleiten ist°, Damals dürfte auch das künstliche offene Kanalnetz entstanden sein, das als Stadtbeeke weitverzweigt fast alle größeren Straßen der Stadt durchströmte. Das starke Gefälle des Stadtgebietes hat diese großzügige Wasserversorgung ermöglicht®, Erst mit der Trockenlegung des Sumpfgebietes zwischen Pfalz und Markt konnte der rechteckige Marktplatz mit Rathaus und Innungshäusern in seiner heutigen Form entstehen (um 1270). Die Bezeichnung »Worth« für das Haus der Gewandscdhneider und »Worthstraße« hält noch die Erinnerung an den früheren Zustand fest. (»Worth« bedeutet hier so viel wie »Werder, Wörd« und nicht Hausstelle, area)*. Der Marktplatz des 12. Jahrhunderts ist der Schuhhof im Nordwesten des heutigen Marktes. Seine Fläche - beinahe ein Quadrat - war ursprünglich um die beiden schmalen Häuserzeilen im Westen und Osten größer, die an der Stelle von Verkaufsbuden stehen. Bergstraße und Breite Straße bilden das Rückgrat der Stadtanlage. Die zweite Längs­ achse - Frankenberger- und Bäckerstraße - erreicht bei weitem nicht die Bedeutung der Hauptachse. In der mittleren Zone zwischen diesen beiden Längsstraßen erhalten die senkrecht dazu verlaufenden Querwege ein besonderes Gewicht. In den Häuser­ vierteln nördlich der Bäckerstraße laufen die Querverbindungen mit Ausnahme der beiden Fernstraßen zu den Toren nicht mehr durch. Dieses Gebiet um die Jakobikirche weist überhaupt eine andere Blockbildung auf. Die schmaleren, längsrechteckigen Häu­ serviertel stehen im rechten Winkel zu denen der mittleren Stadtzone. In der südlichen Hälfte hat der Goselauf eine ähnliche planmäßige Durchbildung verhindert. Die Korn­ straße unterteilt hier zwischen Markt und Breitem Tor die Häuserblöcke parallel zur Längsachse. Große unbebaute Flächen für Gärten und Felder wurden in die Befestigung miteinbezogen. Noch auf den ältesten Stadtplänen vom Beginn des 19. Jahrhunderts ist die lockere und dünne Besiedlung der Randzonen ersichtlich. Die Anpassung des Stadtgrundrisses an den Flußlauf und das Talbecken, die Ein­ beziehung bestehender Siedlungen (Frankenberg, Markt, Pfalz) könnten dazu verleiten, 35

K. Frölich, Niedersächs. Jahrb. 6, S. 253 u. 7, S. 292 ff. - Ders., Beiträge zur Topographie,

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Ebenda, S. 152 ff. - K. Frölich, Straßennamen, S. 56. K. Frölich, Straßennamen, S. 88. Ders., Beiträge zur Topographie, S. 167, Anm. 87. Ders., ebenda, S. 165 ff. - Ders. Niedersächs. Jahrb. 7, S. 292 ff., und zusammenfassend: Um die mittelalterlichen Straßennamen, Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft 18 Gießen 1949, S. 137. K. Frölich, Beiträge zur Topographie, S. 181. - Ders., Straßennamen, S. 24.

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S. 161 ff.

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samtform der Stadtanlage und ihrer Straßenführung, die nur in der Ausdehnung vom Frankenberg bis zum Breiten Tor ein sinnvolles Ganzes ergibt, läßt sich schließen, daß die Osthälfte der Spindel von vornherein mitgeplant worden sein muß?+, Auf die Anfänge der Stadtwerdung wirft die Geschichte der J akobikirche einiges Licht. 1075 geriet Bischof Hezilo von Hildesheim (1054-1079) mit dem königlichen Vogt Boto in Goslar in Streit über die Mitwirkung der Einwohner bei der Pfarrwahl einer offenbar neu errichteten Pfarrei. Im Jahre 1160 beurkundet Bischof Bruno von Hil­ desheim, daß die Jakobikirche von einem seiner Vorgänger erbaut worden sei. Bei der Gründung Hezilos wird es sich aller Wahrscheinlicheit nach eben um die Jakobikirche gehandelt haben. Der Ansetzung in die siebziger Jahre des 11. Jahrhunderts kommt der kunstgeschichtliche Befund zu Hilfe. Noch stehen vom Gründungsbau die Mittelschiffs­ pfeiler und Teile der Umfassungsmauern aufrecht. Die einfachen Profile aus Platte und Schmiege müssen vor 1100 entstanden sein; denn die Goslarer Bauten der Jahrhundert­ wende (St. Ulrichskapelle, Frankenberger Kirche) weisen bereits reichere Formen auf33. Da aber zur Pfarrkirche auch ein Sprengel gehört, so muß um 1070-80 bereits das nördliche Stadtgebiet von Goslar besiedelt worden sein. Zwischen den siebziger Jahren des 11. Jahrhunderts und 1108 ist Goslar Stadt geworden im vollen Sinne des Wortes. In die Zeit Bischof Hezilos reicht auch die Cäcilienkapelle in der Kornstraße zurück. Sie lag auf dem Gelände des späteren Johannisfriedhofs gegenüber der Einmündung der Kurzen Straße. Bischof Hezilo weihte diese Eigenkirche des reichen Stifters Sidag*. Gleichzeitig mit der Errichtung der geschlossenen Stadt fand eine teilweise Regulie­ rung des Flußlaufes statt. 1284 wird eine Mühle an der Ostergose erwähnt. Es muß demnach auch einen westlichen Gosearm gegeben haben, der zwar nie genannt wird, aber doch Spuren im Stadtplan hinterlassen hat. Der Straßenname »Gosewinkel« zwi­ schen Fischmäker- und Bäckerstraße, so weit abseits vom heutigen Goselauf, bliebe ohne ihn rätselhaft. Der westliche Gosearm wird die Forst-, Schreiber-, Bulken-, Markt-, Münz-, Hoken- und Fischmäkerstraße überquert haben. Er floß beim Breiten Tor einer alten Überlieferung nach aus dem Stadtgebiet. Es bestand auch eine Querverbindung zwischen beiden Armen im Zuge Gosewinkel-Fischmäker--Worthstraße. Auf dieser Linie lag die Krämerbrücke beim Zusammentreffen von Fleischscharren, Breiter Straße und Fischmäkerstraße. Beim Gemeindehof gab es an dem Wasserlauf eine Mühle. Der 32 Die planmäßige Anlage des Stadtgrundrisses betont jetzt auch Hans-Günther Griep, Das

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Bürgerhaus in Goslar, Tübingen 1959, S. 12. - Im Breiten Tor befand sich die St. Bartholo­ mäuskapelle, die wahrscheinlich 1218 oder 19 gegründet wurde. K. G. Bruchmann, Zur Ge­ schichte der St. Bartholomäuskapelle in Goslar, Frölicdh-Festschrift, Goslar 1952 (= Beiträge z. Gesch. d. Stadt Goslar, Heft 13), S. 83ff. - Nach Erich Keyser a.a.O. S. 176 f. wäre erst Ende des 12. Jhs. in einem etappenweisen Ausbau diese bauliche Gestalt erreicht worden. Die Einheit des gesamten Planes zwingt aber dazu, die Konzeption Ende des 11. Jhs. anzu­ nehmen, wenn auch der Ausbau einzelner Straßenzüge noch lange auf sich warten ließ. UB I, Nr. 125 u. 124. - K. Frölich, Niedersächs. Jahrb. 7, S. 274 ff. - Fr. Thöne, Niedersächs. Jahrb. f. Landesgesch. 25, 1955, S. 210. - Dehio-Gall, 1. Bd., S. 115, datiert - zu spät - um 1100. Der Bau verdiente eine eingehendere Untersuchung. Die Bauphasen am besten auf dem Grundriß von Reg.-Baumeister Becker im Goslarer Museum geschieden. Auch Becker setzt die erste Bauperiode um 1070 an. Das schlichte Westportal läßt sich gut mit dem Querhausportal des Eichstätter Domes vergleichen, das um 1063 fertig gewesen ist. P.J.Meier, Die Stadt Goslar, S. 18. - Kunstdenkmäler, S. 115. - Ihre Fundamentreste wurden jüngst aufgedeckt: Griep 1957, S. 59 ff.

westliche Gosearm hat wohl das Marktgebiet des 10. Jahrhunderts nach Norden abge­ schlossen, das sich zwischen ihm und der Marktkirche und von der Marktstraße bis zur Fischmäkerstraße ausdehnte*. Mehrere kleine Querstraßen, welche die großen Häuser­ viertel im Stadtinnern unterteilten, sind eingegangen36. Die Hokenstraße war die älteste Judenstraße Goslars. 1358 lag die Synagoge im Gosewinkel37. Umfangreiche Sumpfgebiete an der Gose wurden in die Stadtfläche miteinbezogen. Ein Königsweiher (wiwarium regis) muß sich zwischen Marktkirche und Pfalz befunden haben. Eine neue große Gewässerregulierung im 13. Jahrhundert hat ihn offenbar be­ seitigt und das Gelände zwischen Markt und Pfalzbezirk trockengelegt. Damals kam wohl auch die Westgose in Fortfall. Das Bett der Ostergose wurde vertieft. Sie nahm seitdem den Namen »Abzucht« an, der von aquaeductus = aghetucht abzuleiten ist°, Damals dürfte auch das künstliche offene Kanalnetz entstanden sein, das als Stadtbeeke weitverzweigt fast alle größeren Straßen der Stadt durchströmte. Das starke Gefälle des Stadtgebietes hat diese großzügige Wasserversorgung ermöglicht®, Erst mit der Trockenlegung des Sumpfgebietes zwischen Pfalz und Markt konnte der rechteckige Marktplatz mit Rathaus und Innungshäusern in seiner heutigen Form entstehen (um 1270). Die Bezeichnung »Worth« für das Haus der Gewandscdhneider und »Worthstraße« hält noch die Erinnerung an den früheren Zustand fest. (»Worth« bedeutet hier so viel wie »Werder, Wörd« und nicht Hausstelle, area)*. Der Marktplatz des 12. Jahrhunderts ist der Schuhhof im Nordwesten des heutigen Marktes. Seine Fläche - beinahe ein Quadrat - war ursprünglich um die beiden schmalen Häuserzeilen im Westen und Osten größer, die an der Stelle von Verkaufsbuden stehen. Bergstraße und Breite Straße bilden das Rückgrat der Stadtanlage. Die zweite Längs­ achse - Frankenberger- und Bäckerstraße - erreicht bei weitem nicht die Bedeutung der Hauptachse. In der mittleren Zone zwischen diesen beiden Längsstraßen erhalten die senkrecht dazu verlaufenden Querwege ein besonderes Gewicht. In den Häuser­ vierteln nördlich der Bäckerstraße laufen die Querverbindungen mit Ausnahme der beiden Fernstraßen zu den Toren nicht mehr durch. Dieses Gebiet um die Jakobikirche weist überhaupt eine andere Blockbildung auf. Die schmaleren, längsrechteckigen Häu­ serviertel stehen im rechten Winkel zu denen der mittleren Stadtzone. In der südlichen Hälfte hat der Goselauf eine ähnliche planmäßige Durchbildung verhindert. Die Korn­ straße unterteilt hier zwischen Markt und Breitem Tor die Häuserblöcke parallel zur Längsachse. Große unbebaute Flächen für Gärten und Felder wurden in die Befestigung miteinbezogen. Noch auf den ältesten Stadtplänen vom Beginn des 19. Jahrhunderts ist die lockere und dünne Besiedlung der Randzonen ersichtlich. Die Anpassung des Stadtgrundrisses an den Flußlauf und das Talbecken, die Ein­ beziehung bestehender Siedlungen (Frankenberg, Markt, Pfalz) könnten dazu verleiten, 35

K. Frölich, Niedersächs. Jahrb. 6, S. 253 u. 7, S. 292 ff. - Ders., Beiträge zur Topographie,

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Ebenda, S. 152 ff. - K. Frölich, Straßennamen, S. 56. K. Frölich, Straßennamen, S. 88. Ders., Beiträge zur Topographie, S. 167, Anm. 87. Ders., ebenda, S. 165 ff. - Ders. Niedersächs. Jahrb. 7, S. 292 ff., und zusammenfassend: Um die mittelalterlichen Straßennamen, Nachrichten der Gießener Hochschulgesellschaft 18 Gießen 1949, S. 137. K. Frölich, Beiträge zur Topographie, S. 181. - Ders., Straßennamen, S. 24.

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S. 161 ff.

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in der Goslarer Stadtanlage etwas Einmaliges zu sehen, das nur hier unter den örtlichen und geschichtlichen Bedingungen entstehen konnte. Aber nichts wäre falscher als dies. Nach dem gleichen Typus wurden im 12. Jahrhundert eine ganze Reihe von Städten, vor allem in Niedersachsen, angelegt, so daß man ihn mit Recht den niedersächsischen nennen könnte. Die Altstädte von Hildesheim und Quedlinburg (beide um 1100-1130), Bremen (wohl 2. Viertel des 12. Jahrhunderts), Altstadt und Hagen in Braunschweig (2. Viertel und um 1166) und Lübeck (1158) sind nach demselben Plan errichtet"!, Gos­ lar stellt wohl das früheste Beispiel dieses Typs dar. 41

Hildesheim: P. J. Meier im Niedersächsischen Städteatlas II. Abtg., 1, Braunschweig-Ham­ burg 1933, S. 3. - Quedlinburg: Vgl. S. 43 f. - Bremen: Vgl. S. 100 f. - Braunschweig: P. J. Meier, Niedersächsischer Städteatlas I. Abtg., Hannover 1922, S.14 und S.15f. - Lübeck: Fritz Lenz, Die räumliche Entwicklung der Stadt Lübeck bis zum Stralsunder Frieden 1370, Wolfshagen-Scharbeutz (Lübecker Bucht) 1936, S. 25.

LÜNEBURG

(Abbildungen 16 u. 17, Tafel 9)

Mons, pons, fons: mit dieser Formel hat man seit altersher die drei Gottesgaben zu­ sammengefaßt, denen Lüneburg1 seine Entstehung verdankt. Vorgeschichtliche Funde aus allen Epochen zeugen am Kalkberg von der ungewöhnlichen Bedeutung dieser Er­ hebung. Der Berg, eine Zechsteinkuppe, die heute nur mehr ein Sechzehntel ihrer einsti­ gen Masse bewahrt hat, da sich das Gestein zu dem begehrten Gipsmörtel verarbeiten ließ, war eine Naturfestung, die sich über die eiszeitlichen Ablagerungen der norddeut­ schen Tiefebene erhob. Dem Kalkberg verdankt die Stadt auch ihren Namen. Die 959 in einer Urkunde Ottos des Großen erwähnte »Lhiuniburg« enthält als ersten Bestand­ teil ein Wort langobardischen Ursprungs, das wahrscheinlich »Zufluchtsort« bedeutet?. Sie war das stärkste Bollwerk in der Kette der Ilmenaufesten gegen die Slawen zwischen Ülzen und Winsen. Etwa 500-600 m südöstlich des Berges liegt die Solquelle, der Lüneburg zum guten Teil seine wirtschaftliche Bedeutung im Mittelalter verdankt. Aus geologischen Gründen kann sie erst nach 500 n. Chr. entdeckt worden sein. Erwähnt wird sie zuerst 956°. Im Osten des Kalkberges nähert sich die Ilmenau bis auf eine Entfernung von 10oo m in ihrem Lauf zur Elbe. Bei der Alten Brücke gewährt der Fluß eine günstige Obergangs­ möglichkeit. Das Gebiet, das diese drei geographischen Gegebenheiten umgrenzt, hat das mittelalterliche Lüneburg auch in der Zeit seiner höchsten Blüte nicht überschritten. Die Verkehrslage des Ortes wurde durch die Schiffbarkeit der Ilmenau bis Lüneburg außergewöhnlich begünstigt. Damit war die Stadt über die Elbe mit der See verbunden. Die Waren konnten bis Lüneburg zu Schiff befördert werden; sie wurden hier umge­ laden und auf dem Landwege nach Osten und Süden weitergeleitet. Der Lüneburger 1

2 3

Lüneburg besitzt eine ausgezeichnete Stadtgeschichte, die zu den besten gehört, die für eine deutsche Stadt geschrieben wurden: Wilh. Reinecke, Geschichte der Stadt Lüneburg, 2 Bde., Lüneburg 1935. - Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover III, 2 u. 3. Stadt Lüneburg, bearb. von Franz Krüger u. Wilh. Reinecke, Hannover 1906. - Fritz Langenheim, Lüneburg. Eine Stadtuntersuchung auf geographischer Grundlage, Jahrbuch der Geograph. Ges. zu Hannover für 1926, S.1 ff. - A. Matthäi, Lüneburg, München-Berlin 1950 (Deutsche Lande deutsche Kunst), geht von der städtebaulichen Form aus, nicht von der Stadtbaugeschichte. - Ulrich Wendland, Das tausendjährige Lüneburg, in: Tausendjahre Lüneburg, Heimat­ und Einwohnerbuch, Lüneburg 1956, S. 11 ff. - Eckart Thurich, Die Geschichte des Lüne­ burger Stadtrechts im Mittelalter, Lüneburg 1960. - Die Stadtansichten sammelte Adolf Brebbermann, Verzeichnis der älteren Abbildungen der Stadt Lüneburg, Lüneburger Blätter Heft 4, 1953, S. 67 ff. - Umfassendste Bibliographie: Deutsches Städtebuch, hgb. v. Erich Keyser, Bd. III, Stuttgart 1952, S. 152 ff. - Erich Keyser a.a. O. S. 178 ff. u. Plan 35 gab jüngst eine eingehende Analyse des Stadtgrundrisses. Seine Ergebnisse decken sich für die Früh­ zeit mit den hier vorgetragenen, seiner Datierung des Marktes »Am Sande« in das 11. Jh. vermag ich jedoch nicht zu folgen. Reineke, Geschichte I, S.4f. - MG DD OI, Nr. 200, S. 280. - F. Krüger, Zur Vorgeschichte Lüneburgs, Lüneburger Museumsblätter, Bd.3, Heft 10, 1928, S. 244 ff. Reinecke, Gesch. I., S.7.

in der Goslarer Stadtanlage etwas Einmaliges zu sehen, das nur hier unter den örtlichen und geschichtlichen Bedingungen entstehen konnte. Aber nichts wäre falscher als dies. Nach dem gleichen Typus wurden im 12. Jahrhundert eine ganze Reihe von Städten, vor allem in Niedersachsen, angelegt, so daß man ihn mit Recht den niedersächsischen nennen könnte. Die Altstädte von Hildesheim und Quedlinburg (beide um 1100-1130), Bremen (wohl 2. Viertel des 12. Jahrhunderts), Altstadt und Hagen in Braunschweig (2. Viertel und um 1166) und Lübeck (1158) sind nach demselben Plan errichtet"!, Gos­ lar stellt wohl das früheste Beispiel dieses Typs dar. 41

Hildesheim: P. J. Meier im Niedersächsischen Städteatlas II. Abtg., 1, Braunschweig-Ham­ burg 1933, S. 3. - Quedlinburg: Vgl. S. 43 f. - Bremen: Vgl. S. 100 f. - Braunschweig: P. J. Meier, Niedersächsischer Städteatlas I. Abtg., Hannover 1922, S.14 und S.15f. - Lübeck: Fritz Lenz, Die räumliche Entwicklung der Stadt Lübeck bis zum Stralsunder Frieden 1370, Wolfshagen-Scharbeutz (Lübecker Bucht) 1936, S. 25.

LÜNEBURG

(Abbildungen 16 u. 17, Tafel 9)

Mons, pons, fons: mit dieser Formel hat man seit altersher die drei Gottesgaben zu­ sammengefaßt, denen Lüneburg1 seine Entstehung verdankt. Vorgeschichtliche Funde aus allen Epochen zeugen am Kalkberg von der ungewöhnlichen Bedeutung dieser Er­ hebung. Der Berg, eine Zechsteinkuppe, die heute nur mehr ein Sechzehntel ihrer einsti­ gen Masse bewahrt hat, da sich das Gestein zu dem begehrten Gipsmörtel verarbeiten ließ, war eine Naturfestung, die sich über die eiszeitlichen Ablagerungen der norddeut­ schen Tiefebene erhob. Dem Kalkberg verdankt die Stadt auch ihren Namen. Die 959 in einer Urkunde Ottos des Großen erwähnte »Lhiuniburg« enthält als ersten Bestand­ teil ein Wort langobardischen Ursprungs, das wahrscheinlich »Zufluchtsort« bedeutet?. Sie war das stärkste Bollwerk in der Kette der Ilmenaufesten gegen die Slawen zwischen Ülzen und Winsen. Etwa 500-600 m südöstlich des Berges liegt die Solquelle, der Lüneburg zum guten Teil seine wirtschaftliche Bedeutung im Mittelalter verdankt. Aus geologischen Gründen kann sie erst nach 500 n. Chr. entdeckt worden sein. Erwähnt wird sie zuerst 956°. Im Osten des Kalkberges nähert sich die Ilmenau bis auf eine Entfernung von 10oo m in ihrem Lauf zur Elbe. Bei der Alten Brücke gewährt der Fluß eine günstige Obergangs­ möglichkeit. Das Gebiet, das diese drei geographischen Gegebenheiten umgrenzt, hat das mittelalterliche Lüneburg auch in der Zeit seiner höchsten Blüte nicht überschritten. Die Verkehrslage des Ortes wurde durch die Schiffbarkeit der Ilmenau bis Lüneburg außergewöhnlich begünstigt. Damit war die Stadt über die Elbe mit der See verbunden. Die Waren konnten bis Lüneburg zu Schiff befördert werden; sie wurden hier umge­ laden und auf dem Landwege nach Osten und Süden weitergeleitet. Der Lüneburger 1

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Lüneburg besitzt eine ausgezeichnete Stadtgeschichte, die zu den besten gehört, die für eine deutsche Stadt geschrieben wurden: Wilh. Reinecke, Geschichte der Stadt Lüneburg, 2 Bde., Lüneburg 1935. - Die Kunstdenkmäler der Provinz Hannover III, 2 u. 3. Stadt Lüneburg, bearb. von Franz Krüger u. Wilh. Reinecke, Hannover 1906. - Fritz Langenheim, Lüneburg. Eine Stadtuntersuchung auf geographischer Grundlage, Jahrbuch der Geograph. Ges. zu Hannover für 1926, S.1 ff. - A. Matthäi, Lüneburg, München-Berlin 1950 (Deutsche Lande deutsche Kunst), geht von der städtebaulichen Form aus, nicht von der Stadtbaugeschichte. - Ulrich Wendland, Das tausendjährige Lüneburg, in: Tausendjahre Lüneburg, Heimat­ und Einwohnerbuch, Lüneburg 1956, S. 11 ff. - Eckart Thurich, Die Geschichte des Lüne­ burger Stadtrechts im Mittelalter, Lüneburg 1960. - Die Stadtansichten sammelte Adolf Brebbermann, Verzeichnis der älteren Abbildungen der Stadt Lüneburg, Lüneburger Blätter Heft 4, 1953, S. 67 ff. - Umfassendste Bibliographie: Deutsches Städtebuch, hgb. v. Erich Keyser, Bd. III, Stuttgart 1952, S. 152 ff. - Erich Keyser a.a. O. S. 178 ff. u. Plan 35 gab jüngst eine eingehende Analyse des Stadtgrundrisses. Seine Ergebnisse decken sich für die Früh­ zeit mit den hier vorgetragenen, seiner Datierung des Marktes »Am Sande« in das 11. Jh. vermag ich jedoch nicht zu folgen. Reineke, Geschichte I, S.4f. - MG DD OI, Nr. 200, S. 280. - F. Krüger, Zur Vorgeschichte Lüneburgs, Lüneburger Museumsblätter, Bd.3, Heft 10, 1928, S. 244 ff. Reinecke, Gesch. I., S.7.

Hafen lag bei der Ilmenau-Insel etwas flußabwärts der Alten Brücke. Von den Fern­ straßen, die hier zusammenkamen, war außer den Ostverbindungen die wichtigste die Nordsüdstraße Hamburg bzw. Lübeck-Braunschweig. Sie kam in Lüneburg von Bardo­ wick her ursprünglich »Im wendischen Dorf« an, östlich der heutigen Bardowicker Straße*. Über die Straße »Am Berge« führte der Fernweg zur Brücke und nach der Überquerung der Ilmenau weiter nach Lübeck und Magdeburg. Die Straße von Braun­ schweig, die später in die Rote Straße einmündete, zog ursprünglich wohl unmittelbar zur Alten Brücke. Diese wichtigen Fernstraßen wurden nach der Anlage der hochmittel­ alterlichen Stadt durch Heinrich den Löwen am Ende des 12. Jahrhunderts zur Stadt­ mitte geleitet. Das bis dahin west-östlich orientierte Straßennetz erhielt eine nord-süd­ liche Hauptachse (Bardowicker-, Bäcker-, Rote Straße), welche den Neumarkt tangiert*". Der Markgraf Hermann Billung, dessen Eigengüter sich in dem umliegenden Bar­ dengau befanden, errichtete auf dem Kalkberg eine feste Burg, vielleicht 951. Kurz darauf (955) entstand auf halber Höhe des Berges, wahrscheinlich auf seiner Süd­ terrasse, das Benediktinerkloster St. Michael5. Hermann Billung hatte es zusammen mit seinem Bruder Amelung, dem Bischof von Verden, gestiftet. Es war als Haus- und Ge­ dächtniskloster des Geschlechtes erbaut worden. Hier fanden Hermann Billung und seine Nachfolger bis in das 12. Jahrhundert hinein ihre Grablege. Bis gegen Ende des 10. Jahrhunderts spielte Lüneburg nur eine unbedeutende Rolle als Fernhandelsort. Es war in erster Linie Zufluchtsort und Salzproduktionsstätte. Der Fernhandel lag in den Händen von Bardowick, das nur etwa 6 km nördlich von Lüne­ burg im Urstromtal der Elbe liegt. Bardowick gehörte schon zu den großen Grenzhan­ delsplätzen des karolingischen Reiches, wie etwa Magdeburg6• Bis hierhin durften die Kaufleute im Reiche Karls des Großen ihre Karawanenzüge ausdehnen. Lüneburgs wirt­ schaftliche Bedeutung lag dagegen bis zur Zerstörung Bardowicks durch Heinrich den Löwen (1189) bei der Solquelle, die seit dem 10. Jahrhundert nachweislich ausgebeutet wurde. Dies erforderte Arbeitskräfte, die sich im Schutze der Burg niederlassen konnten. Der Hausstellenplan zeigt deutlich die beiden Epochen, in denen die mittelalterliche Stadt erbaut wurde. Die großen, auffallend tiefen und regelmäßig in rechteckigen Bau­ blöken angeordneten Hausstellen zwischen Neuer Sülze und der Ilmenau zeichnen die Stadt Heinrichs des Löwen aus, die im letzten Jahrhundertviertel nach der Zerstörung Bardowicks durch den Sachsenherzog (1189) erbaut wurde. Der Umriß ergibt annähernd ein Rechteck von 650 bis 700 m Breite und 1200 m Länge?. Ganz andere Größenverhält-

Ebenda HI, S.69. Die Ilmenau war mindestens seit dem 12. Jh. von Lüneburg ab schiffbar. Wendland a. a. 0. Vgl. die Skizze der alten Fernhandelsstraßen bei Langenheim, S. 8. 4a Hans Jürgen Rieckenberg, Lüneburg - eine Stadtgründung Heinrichs des Löwen? Nieder­ sächs. Jahrb. 25, 1953, S. 59. 5 MG DD OI, S.266, Nr. 183. Verleihung des Salzzolls 956. - Die Chronik des Klosters veröffentlicht in MG SS XXIII, S. 391 ff. - Reinecke, Geschichte I, S.16. - Vielleicht ging dem Benediktinerkloster eine Niederlassung der Wilhelmiten oder Weißmäntler voraus (um 900 entstanden). - Reineke, Gesch. I, S.459, Anm.16. - Die Quellenbelege zur Bauge­ schichte sind zusammengestellt bei O. Lehmann - Brockhaus, Schriftquellen zur Kunst­ gesch. d. 11. u. 12. Jhs., Berlin 1938, Nr. 808 ff. 6 Reinecke, Gesch. I, S.12. 7 Ebenda I, S.43ff. u. S.51. - Rieckenberg, S.37. - Die beiden Rechteckplätze (Neumarkt und Am Sand) finden sich wieder in einer fast gleichzeitigen Gründung, in Gelnhausen (um 1180 angelegt). Vgl. Gerhard Bott, Die Städte in der Wetterau und im Kinzigtal, Frankfurt am Main 1950 (Rhein-Mainische Forschungen, Heft 29), Abb.3, S.28.

z

1 2 3 4

Burg auf dem Kalkberg St. Michaelikloster St. Cyriak-Pfarrkirche St. Johannis-Pfarrkirche im Modestorpe 5 Solquelle oder Sülze 6 Alte Brücke

A B C D

Auf der Altstadt Auf dem Meere Salzbrückerstraße Ohlingerstraße

BARDOWIEK

HAMBURG 400

0

20.0

MAGDEBURG

Ne

LUBECK

Abb. 16. Lüneburg im 11. Jahrhundert

4

nisse der Hausgrundstücke treffen wir in dem Viertel zwischen. Kalkberg und Neuer Sülze-Salzstraße an. Die Grundstücke sind hier wesentlich kleiner und weniger tief als im östlichen Stadtgebiet, die Straßen enger und gekrümmter. Daß dieses Viertel un­ mittelbar am Fuße des Berges das ältere ist, läßt sich klar und deutlich an den Straßen­ und Platznamen ablesen. Der heutige Marktplatz beim Rathaus hieß vom 13. bis in das 15. Jahrhundert hinein Neumarkt", dem also ein »Altmarkt« vorausgegangen sein muß. Die Hauptstraße des älteren Teiles trägt dagegen bis heute den Namen »Auf der Alt­ stadt«. Noch 1510 wird der Pfarrer dieses Stadtteiles »plebanus veteris civitatis« ge8

Reinecke, Geschichte I, S. 51.

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Hafen lag bei der Ilmenau-Insel etwas flußabwärts der Alten Brücke. Von den Fern­ straßen, die hier zusammenkamen, war außer den Ostverbindungen die wichtigste die Nordsüdstraße Hamburg bzw. Lübeck-Braunschweig. Sie kam in Lüneburg von Bardo­ wick her ursprünglich »Im wendischen Dorf« an, östlich der heutigen Bardowicker Straße*. Über die Straße »Am Berge« führte der Fernweg zur Brücke und nach der Überquerung der Ilmenau weiter nach Lübeck und Magdeburg. Die Straße von Braun­ schweig, die später in die Rote Straße einmündete, zog ursprünglich wohl unmittelbar zur Alten Brücke. Diese wichtigen Fernstraßen wurden nach der Anlage der hochmittel­ alterlichen Stadt durch Heinrich den Löwen am Ende des 12. Jahrhunderts zur Stadt­ mitte geleitet. Das bis dahin west-östlich orientierte Straßennetz erhielt eine nord-süd­ liche Hauptachse (Bardowicker-, Bäcker-, Rote Straße), welche den Neumarkt tangiert*". Der Markgraf Hermann Billung, dessen Eigengüter sich in dem umliegenden Bar­ dengau befanden, errichtete auf dem Kalkberg eine feste Burg, vielleicht 951. Kurz darauf (955) entstand auf halber Höhe des Berges, wahrscheinlich auf seiner Süd­ terrasse, das Benediktinerkloster St. Michael5. Hermann Billung hatte es zusammen mit seinem Bruder Amelung, dem Bischof von Verden, gestiftet. Es war als Haus- und Ge­ dächtniskloster des Geschlechtes erbaut worden. Hier fanden Hermann Billung und seine Nachfolger bis in das 12. Jahrhundert hinein ihre Grablege. Bis gegen Ende des 10. Jahrhunderts spielte Lüneburg nur eine unbedeutende Rolle als Fernhandelsort. Es war in erster Linie Zufluchtsort und Salzproduktionsstätte. Der Fernhandel lag in den Händen von Bardowick, das nur etwa 6 km nördlich von Lüne­ burg im Urstromtal der Elbe liegt. Bardowick gehörte schon zu den großen Grenzhan­ delsplätzen des karolingischen Reiches, wie etwa Magdeburg6• Bis hierhin durften die Kaufleute im Reiche Karls des Großen ihre Karawanenzüge ausdehnen. Lüneburgs wirt­ schaftliche Bedeutung lag dagegen bis zur Zerstörung Bardowicks durch Heinrich den Löwen (1189) bei der Solquelle, die seit dem 10. Jahrhundert nachweislich ausgebeutet wurde. Dies erforderte Arbeitskräfte, die sich im Schutze der Burg niederlassen konnten. Der Hausstellenplan zeigt deutlich die beiden Epochen, in denen die mittelalterliche Stadt erbaut wurde. Die großen, auffallend tiefen und regelmäßig in rechteckigen Bau­ blöken angeordneten Hausstellen zwischen Neuer Sülze und der Ilmenau zeichnen die Stadt Heinrichs des Löwen aus, die im letzten Jahrhundertviertel nach der Zerstörung Bardowicks durch den Sachsenherzog (1189) erbaut wurde. Der Umriß ergibt annähernd ein Rechteck von 650 bis 700 m Breite und 1200 m Länge?. Ganz andere Größenverhält-

Ebenda HI, S.69. Die Ilmenau war mindestens seit dem 12. Jh. von Lüneburg ab schiffbar. Wendland a. a. 0. Vgl. die Skizze der alten Fernhandelsstraßen bei Langenheim, S. 8. 4a Hans Jürgen Rieckenberg, Lüneburg - eine Stadtgründung Heinrichs des Löwen? Nieder­ sächs. Jahrb. 25, 1953, S. 59. 5 MG DD OI, S.266, Nr. 183. Verleihung des Salzzolls 956. - Die Chronik des Klosters veröffentlicht in MG SS XXIII, S. 391 ff. - Reinecke, Geschichte I, S.16. - Vielleicht ging dem Benediktinerkloster eine Niederlassung der Wilhelmiten oder Weißmäntler voraus (um 900 entstanden). - Reineke, Gesch. I, S.459, Anm.16. - Die Quellenbelege zur Bauge­ schichte sind zusammengestellt bei O. Lehmann - Brockhaus, Schriftquellen zur Kunst­ gesch. d. 11. u. 12. Jhs., Berlin 1938, Nr. 808 ff. 6 Reinecke, Gesch. I, S.12. 7 Ebenda I, S.43ff. u. S.51. - Rieckenberg, S.37. - Die beiden Rechteckplätze (Neumarkt und Am Sand) finden sich wieder in einer fast gleichzeitigen Gründung, in Gelnhausen (um 1180 angelegt). Vgl. Gerhard Bott, Die Städte in der Wetterau und im Kinzigtal, Frankfurt am Main 1950 (Rhein-Mainische Forschungen, Heft 29), Abb.3, S.28.

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Burg auf dem Kalkberg St. Michaelikloster St. Cyriak-Pfarrkirche St. Johannis-Pfarrkirche im Modestorpe 5 Solquelle oder Sülze 6 Alte Brücke

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Auf der Altstadt Auf dem Meere Salzbrückerstraße Ohlingerstraße

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Abb. 16. Lüneburg im 11. Jahrhundert

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nisse der Hausgrundstücke treffen wir in dem Viertel zwischen. Kalkberg und Neuer Sülze-Salzstraße an. Die Grundstücke sind hier wesentlich kleiner und weniger tief als im östlichen Stadtgebiet, die Straßen enger und gekrümmter. Daß dieses Viertel un­ mittelbar am Fuße des Berges das ältere ist, läßt sich klar und deutlich an den Straßen­ und Platznamen ablesen. Der heutige Marktplatz beim Rathaus hieß vom 13. bis in das 15. Jahrhundert hinein Neumarkt", dem also ein »Altmarkt« vorausgegangen sein muß. Die Hauptstraße des älteren Teiles trägt dagegen bis heute den Namen »Auf der Alt­ stadt«. Noch 1510 wird der Pfarrer dieses Stadtteiles »plebanus veteris civitatis« ge8

Reinecke, Geschichte I, S. 51.

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1 Kalkberg Solquelle = Sülze St. Michaelikloster St. Johannis Rathaus

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Auf der Altstadt Auf dem Meere Salzbrückerstraße Ohlingerstraße Görgesstraße Gralstraße (jetzt Egersdorffstr.) In der Techt Auf der Rübekuhle Neue Sülze Salzstraße Grapengießerstraße Am Sand Neumarkt (jetzt Marktplat: Bardowicker Straße Im wendischen Dorf Am Berge Altenbrücker-Torstraße Rote Straße Bäckerstraße

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nannt?. Die Bezeichnung »Altstadt« bedeutete im 14. Jahrhundert das ganze westliche Stadtgebiet, es war nicht nur die Hauptstraße dieses Teiles damit gemeint!°, Allerdings hat dieser Stadtteil bedeutende Veränderungen erlitten. Von 1371 ab wer­ den nach der Zerstörung der Burg Stadtmauer und Graben zwischen dem Burgberg und der Altstadt hindurchgeführt, um die Stadt von dem Burgberg zu isolieren. Die Rat­ mannen und Bürger waren befugt, »zwischen der Burg und der Stadt so viel, als ihnen gut dünkte, van der olden stad durch Mauern und Gräben abzutrennen und die aus­ geschiedenen Baulichkeiten niederzubrechen. Wenig Jahre später (1373) wird berichtet, daß inzwischen der größte Teil der Altstadt zerstört worden war''.« Auch die Pfarrkirche der Altstadt St. Cyriak lag außerhalb der neuen Mauer. Sie stand westlich der Görgesstraße, also am westlichen Ende des Hauptweges zur Burg. Der Cyriaksfriedhof umgab sie. 1651 waren die letzten Reste der Kirche beseitigt'?. Wurde durch den Mauerbau, der die Unabhängigkeit der Stadt von der Dynastenburg bezweckte, ein Randgebiet der Altstadt abgeschnitten und niedergelegt, so kam es auch innerhalb der Mauer noch im 14. Jahrhundert zu umfassenden Veränderungen. Das Kloster St. Michael auf halber Höhe des Kalkberges fiel 1371 im Erbfolgekrieg der Zer­ störung anheim. Es erstand nett innerhalb der Stadtmauer im Gebiete der Altstadt an der Gabelung der beiden Straßen »Auf dem Meere« und »Auf der Altstadt«'. Nördlich davon hatten der Bischof und das Kapitel von Verden, zu dessen Diözese Lüneburg gehörte, ihren Hof' Die Form der Altstadtanlage läßt sich gut aus den örtlichen Gegebenheiten verstehen. Drei Radialstraßen gliedern den sektorförmigen Stadtteil; sie streben auf den Zugangs­ weg zur Burg hin zusammen. Die beiden Hauptwege »Auf der Altstadt« und »Auf dem Meere« vereinigten sich ursprünglich wohl auf dem Gebiet des Michaelisklosters. Jene führte über die spätere Grapengießerstraße der Neustadt zum »Modestorpe« bei der Johanniskirche und der Alten Brücke. Die Straße »Auf dem Meere« wird ursprünglich zur Bardowicker Straße hin weitergelaufen sein, bevor der Neumarkt sich dazwischen schob. Beide leiteten also zwei wichtige Fernstraßen der Burg auf dem Kalkberg zu. Der dritten Radialstraße, der Salzbrückerstraße, kam eine andere Bedeutung zu. Sie bildete die kürzeste Verbindung von der Burg zur Sülze. Der alte Bohlenweg, der noch in dem Straßennamen fortlebt, wurde bei Grabungen nachgewiesen15. Diese Straße war offen­ bar, besonders in ihrem westlichen Teil, nie sehr dicht besiedelt. Die beiden anderen Radialstraßen sind dagegen als Markt- und Wohnstraßen anzusprechen. Eine von ihnen, und zwar eher die Straße »Auf der Altstadt«, muß die Vorgängerin des Neumarktes am Rathaus gewesen sein16. Alle Querstraßen verlaufen konzentrisch zum Kalkberg, doch ist nur ein Ringsektor noch heute in seiner ganzen Ausdehnung erhalten (Ohlinger Wilhelm Reinecke, Die Straßennamen Lüneburgs, 2. Aufl., Hildesheim-Leipzig 1942, S.8. Der untere Teil der Straße »Auf der Altstadt« hieß im späteren Mittelalter platea judeorum. Reinecke, Gescdh. I, S. 45. 11 Reineke, Straßennamen, 1. Aufl., 1914, S.7. 12 Reineke, Gesch. I, S.47. - Reinecke, Straßennamen, 1942, S.42. - Kunstdenkmäler, S. 58 ff. 13 Reinecke, Gesch. I, S. 172. 14 Kunstdenkmäler, S. 179. 15 Reinecke, Gesch. I, S. 45. - F. Krüger, Lüneburger Museumsblätter, Bd. 2, Heft 5, 1912, S. 94. 16 In der Gegend der Cyriakskirche erhielt sich noch lange der Michaelismarkt. Reinecke, Gesch. L, S. 48. 9 10

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Abb. 17. Lüneburg. Stadtgebiet des Hochmittelalters nach modernem Hausstellenplan

1 Kalkberg Solquelle = Sülze St. Michaelikloster St. Johannis Rathaus

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G H J K L M N O P Q R S T

Auf der Altstadt Auf dem Meere Salzbrückerstraße Ohlingerstraße Görgesstraße Gralstraße (jetzt Egersdorffstr.) In der Techt Auf der Rübekuhle Neue Sülze Salzstraße Grapengießerstraße Am Sand Neumarkt (jetzt Marktplat: Bardowicker Straße Im wendischen Dorf Am Berge Altenbrücker-Torstraße Rote Straße Bäckerstraße

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nannt?. Die Bezeichnung »Altstadt« bedeutete im 14. Jahrhundert das ganze westliche Stadtgebiet, es war nicht nur die Hauptstraße dieses Teiles damit gemeint!°, Allerdings hat dieser Stadtteil bedeutende Veränderungen erlitten. Von 1371 ab wer­ den nach der Zerstörung der Burg Stadtmauer und Graben zwischen dem Burgberg und der Altstadt hindurchgeführt, um die Stadt von dem Burgberg zu isolieren. Die Rat­ mannen und Bürger waren befugt, »zwischen der Burg und der Stadt so viel, als ihnen gut dünkte, van der olden stad durch Mauern und Gräben abzutrennen und die aus­ geschiedenen Baulichkeiten niederzubrechen. Wenig Jahre später (1373) wird berichtet, daß inzwischen der größte Teil der Altstadt zerstört worden war''.« Auch die Pfarrkirche der Altstadt St. Cyriak lag außerhalb der neuen Mauer. Sie stand westlich der Görgesstraße, also am westlichen Ende des Hauptweges zur Burg. Der Cyriaksfriedhof umgab sie. 1651 waren die letzten Reste der Kirche beseitigt'?. Wurde durch den Mauerbau, der die Unabhängigkeit der Stadt von der Dynastenburg bezweckte, ein Randgebiet der Altstadt abgeschnitten und niedergelegt, so kam es auch innerhalb der Mauer noch im 14. Jahrhundert zu umfassenden Veränderungen. Das Kloster St. Michael auf halber Höhe des Kalkberges fiel 1371 im Erbfolgekrieg der Zer­ störung anheim. Es erstand nett innerhalb der Stadtmauer im Gebiete der Altstadt an der Gabelung der beiden Straßen »Auf dem Meere« und »Auf der Altstadt«'. Nördlich davon hatten der Bischof und das Kapitel von Verden, zu dessen Diözese Lüneburg gehörte, ihren Hof' Die Form der Altstadtanlage läßt sich gut aus den örtlichen Gegebenheiten verstehen. Drei Radialstraßen gliedern den sektorförmigen Stadtteil; sie streben auf den Zugangs­ weg zur Burg hin zusammen. Die beiden Hauptwege »Auf der Altstadt« und »Auf dem Meere« vereinigten sich ursprünglich wohl auf dem Gebiet des Michaelisklosters. Jene führte über die spätere Grapengießerstraße der Neustadt zum »Modestorpe« bei der Johanniskirche und der Alten Brücke. Die Straße »Auf dem Meere« wird ursprünglich zur Bardowicker Straße hin weitergelaufen sein, bevor der Neumarkt sich dazwischen schob. Beide leiteten also zwei wichtige Fernstraßen der Burg auf dem Kalkberg zu. Der dritten Radialstraße, der Salzbrückerstraße, kam eine andere Bedeutung zu. Sie bildete die kürzeste Verbindung von der Burg zur Sülze. Der alte Bohlenweg, der noch in dem Straßennamen fortlebt, wurde bei Grabungen nachgewiesen15. Diese Straße war offen­ bar, besonders in ihrem westlichen Teil, nie sehr dicht besiedelt. Die beiden anderen Radialstraßen sind dagegen als Markt- und Wohnstraßen anzusprechen. Eine von ihnen, und zwar eher die Straße »Auf der Altstadt«, muß die Vorgängerin des Neumarktes am Rathaus gewesen sein16. Alle Querstraßen verlaufen konzentrisch zum Kalkberg, doch ist nur ein Ringsektor noch heute in seiner ganzen Ausdehnung erhalten (Ohlinger Wilhelm Reinecke, Die Straßennamen Lüneburgs, 2. Aufl., Hildesheim-Leipzig 1942, S.8. Der untere Teil der Straße »Auf der Altstadt« hieß im späteren Mittelalter platea judeorum. Reinecke, Gescdh. I, S. 45. 11 Reineke, Straßennamen, 1. Aufl., 1914, S.7. 12 Reineke, Gesch. I, S.47. - Reinecke, Straßennamen, 1942, S.42. - Kunstdenkmäler, S. 58 ff. 13 Reinecke, Gesch. I, S. 172. 14 Kunstdenkmäler, S. 179. 15 Reinecke, Gesch. I, S. 45. - F. Krüger, Lüneburger Museumsblätter, Bd. 2, Heft 5, 1912, S. 94. 16 In der Gegend der Cyriakskirche erhielt sich noch lange der Michaelismarkt. Reinecke, Gesch. L, S. 48. 9 10

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Abb. 17. Lüneburg. Stadtgebiet des Hochmittelalters nach modernem Hausstellenplan

Straße); die beiden anderen Querstraßen (»In der Techt« und »Auf der Rübekuhle«) durchziehen nur einen Teil des Altstadtgebietes. Gewiß war die Altstadt befestigt. Ob die Mauerreste, die kurz vor dem ersten Welt­ krieg in der Gralstraße (jetzt Egersdorffstraße) vor Haus Nr. 4 gefunden wurden, zu einer Stadtbefestigung gehörten, steht allerdings dahin17. Der Befestigungsverlauf auf der Ostseite wird zwischen Ohlinger Straße und Neuer Sülze anzunehmen sein18. Die Entstehungszeit der Altstadt auch nur einigermaßen festzulegen, ist ein schwie­ riges Unterfangen, da die Quellen äußerst dürftig fließen. Zum Jahre 1013 berichten die Quedlinburger Annalen (und ähnlich Thietmar von Merseburg) von einer merk­ würdigen Erdsenkung. »Auch öffnete sich. auf dem Lüneburger Berge eine fürchterliche Erdspalte, durch welche der Kirche der Einsturz drohte und welche den von Furcht er­ griffenen Einwohnern für den Augenblick alle Hoffnung auf den Zufluchtsort nahm.« Damals entstand wohl der auffallende Geländeeinschnitt in der Straße »Auf dem Meere«, die noch heute von Erdsenkungen bedroht wird. Die erwähnte Kirche kann nur die Cyriaks-Pfarrkirche gewesen sein19. Die Art der Niederlassung wird nicht beschrie­ ben. Es wird damals schon ein Markt bestanden haben; denn 956 schenkte Otto der Große dem Michaeliskloster den Lüneburger Zoll. Dabei wird die Saline erwähnt. Kauf­ leute und Salinenhandwerker müssen bereits in Lüneburg ansässig gewesen sein?° Münzen, die immer für das Vorhandensein eines Marktes Zeugnis ablegen, sind für Lüneburg im 11. Jahrhundert nachzuweisen?'. Zwei Quellenstellen aus der zweiten Hälfte des 11.Jahrhunderts sprechen eine deutlichere Sprache. Nachdem Heinrich IV. 1071 die Burg in seinen Besitz gebracht hatte, seine 70 Mann starke Besatzung aber von dem Grafen Hermann ausgehungert worden war und sich hatte ergeben müssen, behielt dieser die Besatzung »intra oppidum«, d. h. doch wohl in dem Orte Lüneburg, nicht auf der Burg22. Lambert von Hersfeld nennt den Ort »Liuneburc quoque oppidum maximum Ottonis ducis Saxonici«, was wohl nicht mit »die größte Burg des Sachsenherzogs«, sondern »der größte Ort des Sachsenherzogs« übersetzt werden muß?®. Das würde also bedeuten, daß die Altstadt gegen Ende des 17 18

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F. Krüger, Museumsblätter 1912, S.92. Reineke, Gesch. I, S.44. - Vor der Erdsenkung von 1015 muß es Wege gegeben haben, die ganz anders verliefen als das heutige Straßennetz der Altstadt. Man fand einen Bohlen­ weg, der von der Gegend der Michaeliskirche aus zur Saline führte und die Rübekuhle kreuzte, in 5m Tiefe. Der Weg hat wahrscheinlich durch den Erdrutsch seine Bedeutung verloren. In der Salzbrückerstraße dagegen liegt der Bohlenweg in Richtung der heutigen Straße. Quedl. Annalen, MG SS III, S. 82: »In monte etiam Luniburgensi horribilis hiatus terrae patuit, ipsi templo minas ruendi praebens, et incolis timore perterritis spem confugii fun­ ditus ad tempus auferens.« Thietmar von Merseburg ed. Holtzmann, Berlin 1935, S. 584: »In civitate Bernhardi ducis Liunberg dicta eodem anno aeris fit mira mutacio atque motio et immensus terrae hiatus. Hoc stupet accola et se prius numquam vidisse tentatur.« - Reineke, Gesch. I, S. 50. MG DD OI, Nr. 185, S. 266. Reineke, Gesch. II, S. 99. - Zwischen 1000 und 1060 war Lüneburg der bedeutendste Markt­ und Münzort der Billunger. Seine Münzen strömten in das Slavenland zwischen Elbe und Oder. Es übertraf in dieser Zeit selbst Bardowick als Münzstätte. W. Hävernick, Lüneburger Blätter Heft 5, 1952, S. 97. Ebenda I, S. 18f. - Bruno v. Magdeburg: MG SS V, S.556. Reineke, Gesch. I, S. 52 ff. - Lambert von Hersfeld ed. Holder-Egger, Hannover u. Leipzig 1894, S. 160.

11. Jahrhunderts bereits stand. Der letzte Billunger Herzog Magnus (gest. 1106) schenkte die St. Cyriaks-Pfarrkirche dem Michaeliskloster. Zu ihr hatte eine Pfarrgemeinde ge­ hört?' Auch die Form des Marktes an einer Durchgangsstraße ohne Straßenerweiterung weist eher auf das 11. als auf das 12. Jahrhundert. Außerhalb des Gebietes der Altstadt lag die Urpfarrkirche St. Johannis in Modestorpe, dicht bei der alten Brücke?. »Der Name (Modestorpe) bedeutet in Verbindung mit dem »Sand« wohl soviel wie Siedlung auf einem Geestrücken in der feuchten Niederung des Flusses?®.« Das Dorf ging Ende des 12. Jahrhunderts in der Neustadt auf. Ebenfalls außerhalb der Altstadt wurden zum überwiegenden Teil die Burgmannenhöfe errichtet. Sie standen im Grimm, südwestlich vom Kalkberg?'. Die Altstadt Lüneburgs bildet eine typische Burgsiedlung im Schatten eines Dynasten­ sitzes. Am Fuße der Höhenburg breitet sie sich sektorförmig aus, von Radialstraßen aufgegliedert, die zur Burg führen. Der weltliche Stadtherr besaß weder Mittel noch Absicht, einen Kranz von Klöstern und Stiften um seine Burgstadt zu legen. Für ihn ist nur ein Gedächtniskloster für sein Haus vordringlich. Erst Heinrich der Löwe stiftete ein zweites Kloster, das Frauenkloster Lüne, das 2 km von Lüneburgs Altstadt entfernt an dem Wege nach Bardowick liegt. 24 25 26

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Kunstdenkmäler, S. 59. Reinecke, Gesch. I, S. 46. Sie war bereits vor 800 Taufkirche und wurde Sitz eines Archidia­ konats. Vgl. Wendland a. a. 0. Rieckenberg, S. 52 f. Reineke, Gesch. I, S. 55.

Straße); die beiden anderen Querstraßen (»In der Techt« und »Auf der Rübekuhle«) durchziehen nur einen Teil des Altstadtgebietes. Gewiß war die Altstadt befestigt. Ob die Mauerreste, die kurz vor dem ersten Welt­ krieg in der Gralstraße (jetzt Egersdorffstraße) vor Haus Nr. 4 gefunden wurden, zu einer Stadtbefestigung gehörten, steht allerdings dahin17. Der Befestigungsverlauf auf der Ostseite wird zwischen Ohlinger Straße und Neuer Sülze anzunehmen sein18. Die Entstehungszeit der Altstadt auch nur einigermaßen festzulegen, ist ein schwie­ riges Unterfangen, da die Quellen äußerst dürftig fließen. Zum Jahre 1013 berichten die Quedlinburger Annalen (und ähnlich Thietmar von Merseburg) von einer merk­ würdigen Erdsenkung. »Auch öffnete sich. auf dem Lüneburger Berge eine fürchterliche Erdspalte, durch welche der Kirche der Einsturz drohte und welche den von Furcht er­ griffenen Einwohnern für den Augenblick alle Hoffnung auf den Zufluchtsort nahm.« Damals entstand wohl der auffallende Geländeeinschnitt in der Straße »Auf dem Meere«, die noch heute von Erdsenkungen bedroht wird. Die erwähnte Kirche kann nur die Cyriaks-Pfarrkirche gewesen sein19. Die Art der Niederlassung wird nicht beschrie­ ben. Es wird damals schon ein Markt bestanden haben; denn 956 schenkte Otto der Große dem Michaeliskloster den Lüneburger Zoll. Dabei wird die Saline erwähnt. Kauf­ leute und Salinenhandwerker müssen bereits in Lüneburg ansässig gewesen sein?° Münzen, die immer für das Vorhandensein eines Marktes Zeugnis ablegen, sind für Lüneburg im 11. Jahrhundert nachzuweisen?'. Zwei Quellenstellen aus der zweiten Hälfte des 11.Jahrhunderts sprechen eine deutlichere Sprache. Nachdem Heinrich IV. 1071 die Burg in seinen Besitz gebracht hatte, seine 70 Mann starke Besatzung aber von dem Grafen Hermann ausgehungert worden war und sich hatte ergeben müssen, behielt dieser die Besatzung »intra oppidum«, d. h. doch wohl in dem Orte Lüneburg, nicht auf der Burg22. Lambert von Hersfeld nennt den Ort »Liuneburc quoque oppidum maximum Ottonis ducis Saxonici«, was wohl nicht mit »die größte Burg des Sachsenherzogs«, sondern »der größte Ort des Sachsenherzogs« übersetzt werden muß?®. Das würde also bedeuten, daß die Altstadt gegen Ende des 17 18

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F. Krüger, Museumsblätter 1912, S.92. Reineke, Gesch. I, S.44. - Vor der Erdsenkung von 1015 muß es Wege gegeben haben, die ganz anders verliefen als das heutige Straßennetz der Altstadt. Man fand einen Bohlen­ weg, der von der Gegend der Michaeliskirche aus zur Saline führte und die Rübekuhle kreuzte, in 5m Tiefe. Der Weg hat wahrscheinlich durch den Erdrutsch seine Bedeutung verloren. In der Salzbrückerstraße dagegen liegt der Bohlenweg in Richtung der heutigen Straße. Quedl. Annalen, MG SS III, S. 82: »In monte etiam Luniburgensi horribilis hiatus terrae patuit, ipsi templo minas ruendi praebens, et incolis timore perterritis spem confugii fun­ ditus ad tempus auferens.« Thietmar von Merseburg ed. Holtzmann, Berlin 1935, S. 584: »In civitate Bernhardi ducis Liunberg dicta eodem anno aeris fit mira mutacio atque motio et immensus terrae hiatus. Hoc stupet accola et se prius numquam vidisse tentatur.« - Reineke, Gesch. I, S. 50. MG DD OI, Nr. 185, S. 266. Reineke, Gesch. II, S. 99. - Zwischen 1000 und 1060 war Lüneburg der bedeutendste Markt­ und Münzort der Billunger. Seine Münzen strömten in das Slavenland zwischen Elbe und Oder. Es übertraf in dieser Zeit selbst Bardowick als Münzstätte. W. Hävernick, Lüneburger Blätter Heft 5, 1952, S. 97. Ebenda I, S. 18f. - Bruno v. Magdeburg: MG SS V, S.556. Reineke, Gesch. I, S. 52 ff. - Lambert von Hersfeld ed. Holder-Egger, Hannover u. Leipzig 1894, S. 160.

11. Jahrhunderts bereits stand. Der letzte Billunger Herzog Magnus (gest. 1106) schenkte die St. Cyriaks-Pfarrkirche dem Michaeliskloster. Zu ihr hatte eine Pfarrgemeinde ge­ hört?' Auch die Form des Marktes an einer Durchgangsstraße ohne Straßenerweiterung weist eher auf das 11. als auf das 12. Jahrhundert. Außerhalb des Gebietes der Altstadt lag die Urpfarrkirche St. Johannis in Modestorpe, dicht bei der alten Brücke?. »Der Name (Modestorpe) bedeutet in Verbindung mit dem »Sand« wohl soviel wie Siedlung auf einem Geestrücken in der feuchten Niederung des Flusses?®.« Das Dorf ging Ende des 12. Jahrhunderts in der Neustadt auf. Ebenfalls außerhalb der Altstadt wurden zum überwiegenden Teil die Burgmannenhöfe errichtet. Sie standen im Grimm, südwestlich vom Kalkberg?'. Die Altstadt Lüneburgs bildet eine typische Burgsiedlung im Schatten eines Dynasten­ sitzes. Am Fuße der Höhenburg breitet sie sich sektorförmig aus, von Radialstraßen aufgegliedert, die zur Burg führen. Der weltliche Stadtherr besaß weder Mittel noch Absicht, einen Kranz von Klöstern und Stiften um seine Burgstadt zu legen. Für ihn ist nur ein Gedächtniskloster für sein Haus vordringlich. Erst Heinrich der Löwe stiftete ein zweites Kloster, das Frauenkloster Lüne, das 2 km von Lüneburgs Altstadt entfernt an dem Wege nach Bardowick liegt. 24 25 26

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Kunstdenkmäler, S. 59. Reinecke, Gesch. I, S. 46. Sie war bereits vor 800 Taufkirche und wurde Sitz eines Archidia­ konats. Vgl. Wendland a. a. 0. Rieckenberg, S. 52 f. Reineke, Gesch. I, S. 55.

BREMEN

(Abbildungen 18 u. 19, Tafel 10)

Natur und Geschichte haben die Lage der Stadt Bremen bestimmt1. In dem weiten Raum zwischen Unterelbe und Unterweser kamen in der Frühzeit des Mittelalters nur be­ schränkte Gebiete für menschliche Besiedelung in Frage, vor allem die östliche und westliche Geest, zwischen die sich große Sumpf- und Moorgebiete schoben. Eine Land­ brücke von etwa 27 km Länge in Form einer Sanddüne, die beide Geeststreifen verbin­ det, begleitet die Weser auf der rechten Seite. Sie erhebt sich weit genug über das damals feuchte und anmoorige Niederungsgelände des »Bremer Beckens«, um vor Überschwem­ mungen gesichert zu sein. über sie lief auch die älteste Straße des Gebietes der Weser entlang. Die übrigen Wege scheinen sich erst mit der zunehmenden Bedeutung des Ortes nach Bremen verlagert zu haben. In sächsischer Zeit spielte die Siedlung an der Stelle des heutigen Bremen offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle, ja, wir wissen nicht einmal ganz sicher, ob überhaupt eine Siedlung dort vorhanden war. Etwa 11 km von der Stadtmitte weseraufwärts legte man in Mahndorf einen umfangreichen chaukisch-sächsischen Friedhof frei, der mehrere Tausend Bestattungen zählte und etwa vom 5. bis 9. Jahrhundert benutzt wurde. In seiner unmittelbaren Nähe muß sich der Hauptort und Kultmittelpunkt des Gebietes be1

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Topographie und Baugeschichte Bremens im Mittelalter haben die Lokalforschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebhaft beschäftigt (Ernst Dünzelmann, Die topogr. Entwicklung d. Stadt Bremen, Bremisches Jahrbuch 14, 1888, S. 27ff. - Ders., Das alte Bremen, Brem. Jahrb. 16, 1892, S. 163ff. - Franz Buchenau, Die Entwicklung der Stadt Bremen bis zum Abschluß der Altstadt i. J. 1505, Brem. Jahrb. 18, 1896, S. 1 ff. - Von dem gleichen Verf. stammt das ausführlichste Sammelwerk zur Bremer Topographie: Fr. Bu­ chenau, Die Freie Hansestadt Bremen u. ihr Gebiet, 4. Aufl., Bremen 1932. - Alwin Lonke, Vom Tieferort bis zur »Stadt« Bremen, Brem. Jahrb. 28, 1922, S. 68 ff. - Ders., Altbremen, Bremen 1919). Erst die vorgeschichtlichen Grabungen der jüngsten Jahre habe die Früh­ geschichte Bremens auf eine sichere Grundlage gestellt: Ernst Grohne, Die älteste Stadt­ befestigung Bremens, Brem. Jahrb. 45, 1951, S.125 ff. - Ders., Mahndorf, Frühgeschichte des Bremischen Raumes, Bremen-Horn 1955. Im Stadtgebiet von Bremen besteht jedoch wenig Aussicht auf umfangreichere Funde zur Frühgeschichte, wie sie in Hamburg zutage traten, da die Kulturschichten der Sanddüne bei der Fundamentierung der Häuser zerstört wurden. Topographie und Stadtgeschichte bis zum 13. Jahrhundert haben jüngst eine aus­ gezeichnete zusammenfassende und abschließende Bearbeitung gefunden in der scharf­ sinnigen und gründlichen Marburger Diss. von 1953: Herbert Schwarzwälder, Entstehung und Anfänge der Stadt Bremen (Ms.). Wilhelm v. Bippen, Geschichte von Bremen, Bremen 1892 ff. - R. Ehmck u. W. v. Bippen, Bremisches Urkundenbuch, Bd. I, Bremen 1875. - Otto Heinrich May, Regesten der Erz­ bischöfe von Bremen, Bd. I, Hannover-Bremen 1937. - Einen hübschen Bilderband mit alten Stadtansichten gab das Focke-Museum im Inselverlag heraus: Das alte Bremen, Leipzig 1922. - Eberhard Lutze, Bremen, München 1953 (Deutsche Lande - deutsche Kunst). - Zusammenstellung der Stadtpläne bis um 1805: Hans Dörries, Studien zur älteren bre­ mischen Kartographie, Brem. Jahrb. 52, 1929, S. 261 ff.

funden haben?. In Bremen traten bedeutendere vorkarolingische Siedlungsfunde niemals ans Tageslicht. Zwar stieß man beim Neubau der Börse im vorigen Jahrhundert auf Baumsarg-Bestattungen in der Nähe der ehemaligen Willehadi-Kirche, die man für vor­ karolingisch hielt; sie gehören aber dem 1o. bis 12. Jahrhundert an~. »Das Fehlen grö­ ßerer vorgeschichtlicher Fundkomplexe scheint eher gegen die Annahme einer heidni­ schen Kultstätte auf dem Domhügel zu sprechen ... Das ganze bremische Altstadtgebiet war bis zum 7. oder 8. Jahrhundert mit Heide bewachsen, mit Birken und Stileichen, jedoch nicht in waldartiger Form*.« Nach den Sachsenkriegen ging die Bedeutung von Mahndorf zurück, während Bremen an Wichtigkeit gewann. 805 wurde es zum Bischofssitz und kirchlichen Mittelpunkt des Küstengebietes erhoben. Der Zustrom der Gläubigen an den Kirchenfesten und die wirtschaftlich günstige Lage verlockten Fernhändler zur Abhaltung eines Marktes. Eine Ansiedlung von Kaufleuten und Gewerbetreibenden ließ aber wohl noch lange Zeit auf sich warten. Den siedlungsgeschichtlichen Vorsprung der rheinischen und süddeutschen Bischofsstädte hat Bremen erst voll im 12. Jahrhundert aufgeholt. Wie kam es zur Bevorzugung Bremens gegenüber dem älteren Mittelpunkt bei Mahn­ dorf? Der hl. Willehad erwählte Bremen zum Ausgangspunkt seiner Missionstätigkeit. Dem aus Northumbrien stammenden und in Utrecht ausgebildeten Angelsachsen war 780 das Gebiet der Unterweser als Missionssprengel zugewiesen worden. Ihm schien offenbar Bremen für seine Zwecke günstiger gelegen als der Hauptort bei Mahndorf, der ihm wohl zu wenig Sicherheit bot. In Bremen war die Flucht zu Schiff leichter zu be­ werkstelligen, da bis hierher die Flutwelle reichte. Welche Bedeutung diese Möglichkeit für die Missionare besaß, sollte sich schon zwei Jahre später erweisen, als Willehad seine Missionsstation verlassen mußte und der Priester Gerwal erschlagen wurde. 785 kehrte Willehad wieder in sein Missionsgebiet zurück. Er gründete in Bremen 789 eine Holzkirche, die dem hl. Petrus geweiht war, auf dem höchsten Punkt der Sanddüne (etwa 12 m über dem Wasserspiegel), wahrscheinlich anstelle des heutigen Domes. 792 wurde diese Kirche beim Sachsenaufstand zerstört. Erst nach dem endgültigen Siege Karls des Großen konnte man daran gehen, die kirchliche Gliederung des Landes fest­ zulegen. Im Zuge dieser Planung wurde Bremen zum Bischofssitz ausersehen, der bis um 860 Köln unterstellt blieb°. Im 9. Jahrhundert wird Bremen als »villa publica« bezeichnet, was wahrscheinlich »auf einen befestigten Stützpunkt mit einem königlichen Beamten ... zur Kontrolle des Weserüberganges und der Weserschiffahrt« hindeutet, wie Herbert Schwarzwälder mit Recht vermutet®. Auf der Domdüne lag wohl seit dem Siege Karls des Großen eine Wehr-curtis als Sitz dieses Beamten und als Etappenstation zur Sicherung des mili­ tärischen Nachschubs. Zu ihr gehörte ein größerer Wirtschaftshof. In der curtis wird auch der Petersdom errichtet worden sein. Grohne, Mahndorf, S. 1 u. 5. Georg Barkhausen, Bericht über die Ausgrabungen beim Bau der Neuen Börse zu Br. mit Erläuterungen v. W. O. Focke, Brem. Jahrb. 1, 1865, S.12 ff. - Grohne, Mahndorf, S. 538. 4 Grohne, Ält. Stadtbefest., S.156 u. 150. s Vita Willehadi, MG SS II, S.38. - Bippen, Gesch. I, S.8ff. - Buchenau, Freie Hansestadt, S. 79 f. - E. Müller, Entstehungsgesch. d. sächs. Bistümer unter Karl d. Gr. (Quellen u. Darstellungen z. Gesch. Niedersachsens 47, Hildesheim u. Leipzig 1938, S. 20 ff. 6 Schwarzwälder, Entstehung, S. 53ff. Die zitierte Stelle S. 59. Eine fränkische curtis wurde auch von Lonke, Altbremen, S. 20, vermutet. 2 3

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BREMEN

(Abbildungen 18 u. 19, Tafel 10)

Natur und Geschichte haben die Lage der Stadt Bremen bestimmt1. In dem weiten Raum zwischen Unterelbe und Unterweser kamen in der Frühzeit des Mittelalters nur be­ schränkte Gebiete für menschliche Besiedelung in Frage, vor allem die östliche und westliche Geest, zwischen die sich große Sumpf- und Moorgebiete schoben. Eine Land­ brücke von etwa 27 km Länge in Form einer Sanddüne, die beide Geeststreifen verbin­ det, begleitet die Weser auf der rechten Seite. Sie erhebt sich weit genug über das damals feuchte und anmoorige Niederungsgelände des »Bremer Beckens«, um vor Überschwem­ mungen gesichert zu sein. über sie lief auch die älteste Straße des Gebietes der Weser entlang. Die übrigen Wege scheinen sich erst mit der zunehmenden Bedeutung des Ortes nach Bremen verlagert zu haben. In sächsischer Zeit spielte die Siedlung an der Stelle des heutigen Bremen offensichtlich nur eine untergeordnete Rolle, ja, wir wissen nicht einmal ganz sicher, ob überhaupt eine Siedlung dort vorhanden war. Etwa 11 km von der Stadtmitte weseraufwärts legte man in Mahndorf einen umfangreichen chaukisch-sächsischen Friedhof frei, der mehrere Tausend Bestattungen zählte und etwa vom 5. bis 9. Jahrhundert benutzt wurde. In seiner unmittelbaren Nähe muß sich der Hauptort und Kultmittelpunkt des Gebietes be1

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Topographie und Baugeschichte Bremens im Mittelalter haben die Lokalforschung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts lebhaft beschäftigt (Ernst Dünzelmann, Die topogr. Entwicklung d. Stadt Bremen, Bremisches Jahrbuch 14, 1888, S. 27ff. - Ders., Das alte Bremen, Brem. Jahrb. 16, 1892, S. 163ff. - Franz Buchenau, Die Entwicklung der Stadt Bremen bis zum Abschluß der Altstadt i. J. 1505, Brem. Jahrb. 18, 1896, S. 1 ff. - Von dem gleichen Verf. stammt das ausführlichste Sammelwerk zur Bremer Topographie: Fr. Bu­ chenau, Die Freie Hansestadt Bremen u. ihr Gebiet, 4. Aufl., Bremen 1932. - Alwin Lonke, Vom Tieferort bis zur »Stadt« Bremen, Brem. Jahrb. 28, 1922, S. 68 ff. - Ders., Altbremen, Bremen 1919). Erst die vorgeschichtlichen Grabungen der jüngsten Jahre habe die Früh­ geschichte Bremens auf eine sichere Grundlage gestellt: Ernst Grohne, Die älteste Stadt­ befestigung Bremens, Brem. Jahrb. 45, 1951, S.125 ff. - Ders., Mahndorf, Frühgeschichte des Bremischen Raumes, Bremen-Horn 1955. Im Stadtgebiet von Bremen besteht jedoch wenig Aussicht auf umfangreichere Funde zur Frühgeschichte, wie sie in Hamburg zutage traten, da die Kulturschichten der Sanddüne bei der Fundamentierung der Häuser zerstört wurden. Topographie und Stadtgeschichte bis zum 13. Jahrhundert haben jüngst eine aus­ gezeichnete zusammenfassende und abschließende Bearbeitung gefunden in der scharf­ sinnigen und gründlichen Marburger Diss. von 1953: Herbert Schwarzwälder, Entstehung und Anfänge der Stadt Bremen (Ms.). Wilhelm v. Bippen, Geschichte von Bremen, Bremen 1892 ff. - R. Ehmck u. W. v. Bippen, Bremisches Urkundenbuch, Bd. I, Bremen 1875. - Otto Heinrich May, Regesten der Erz­ bischöfe von Bremen, Bd. I, Hannover-Bremen 1937. - Einen hübschen Bilderband mit alten Stadtansichten gab das Focke-Museum im Inselverlag heraus: Das alte Bremen, Leipzig 1922. - Eberhard Lutze, Bremen, München 1953 (Deutsche Lande - deutsche Kunst). - Zusammenstellung der Stadtpläne bis um 1805: Hans Dörries, Studien zur älteren bre­ mischen Kartographie, Brem. Jahrb. 52, 1929, S. 261 ff.

funden haben?. In Bremen traten bedeutendere vorkarolingische Siedlungsfunde niemals ans Tageslicht. Zwar stieß man beim Neubau der Börse im vorigen Jahrhundert auf Baumsarg-Bestattungen in der Nähe der ehemaligen Willehadi-Kirche, die man für vor­ karolingisch hielt; sie gehören aber dem 1o. bis 12. Jahrhundert an~. »Das Fehlen grö­ ßerer vorgeschichtlicher Fundkomplexe scheint eher gegen die Annahme einer heidni­ schen Kultstätte auf dem Domhügel zu sprechen ... Das ganze bremische Altstadtgebiet war bis zum 7. oder 8. Jahrhundert mit Heide bewachsen, mit Birken und Stileichen, jedoch nicht in waldartiger Form*.« Nach den Sachsenkriegen ging die Bedeutung von Mahndorf zurück, während Bremen an Wichtigkeit gewann. 805 wurde es zum Bischofssitz und kirchlichen Mittelpunkt des Küstengebietes erhoben. Der Zustrom der Gläubigen an den Kirchenfesten und die wirtschaftlich günstige Lage verlockten Fernhändler zur Abhaltung eines Marktes. Eine Ansiedlung von Kaufleuten und Gewerbetreibenden ließ aber wohl noch lange Zeit auf sich warten. Den siedlungsgeschichtlichen Vorsprung der rheinischen und süddeutschen Bischofsstädte hat Bremen erst voll im 12. Jahrhundert aufgeholt. Wie kam es zur Bevorzugung Bremens gegenüber dem älteren Mittelpunkt bei Mahn­ dorf? Der hl. Willehad erwählte Bremen zum Ausgangspunkt seiner Missionstätigkeit. Dem aus Northumbrien stammenden und in Utrecht ausgebildeten Angelsachsen war 780 das Gebiet der Unterweser als Missionssprengel zugewiesen worden. Ihm schien offenbar Bremen für seine Zwecke günstiger gelegen als der Hauptort bei Mahndorf, der ihm wohl zu wenig Sicherheit bot. In Bremen war die Flucht zu Schiff leichter zu be­ werkstelligen, da bis hierher die Flutwelle reichte. Welche Bedeutung diese Möglichkeit für die Missionare besaß, sollte sich schon zwei Jahre später erweisen, als Willehad seine Missionsstation verlassen mußte und der Priester Gerwal erschlagen wurde. 785 kehrte Willehad wieder in sein Missionsgebiet zurück. Er gründete in Bremen 789 eine Holzkirche, die dem hl. Petrus geweiht war, auf dem höchsten Punkt der Sanddüne (etwa 12 m über dem Wasserspiegel), wahrscheinlich anstelle des heutigen Domes. 792 wurde diese Kirche beim Sachsenaufstand zerstört. Erst nach dem endgültigen Siege Karls des Großen konnte man daran gehen, die kirchliche Gliederung des Landes fest­ zulegen. Im Zuge dieser Planung wurde Bremen zum Bischofssitz ausersehen, der bis um 860 Köln unterstellt blieb°. Im 9. Jahrhundert wird Bremen als »villa publica« bezeichnet, was wahrscheinlich »auf einen befestigten Stützpunkt mit einem königlichen Beamten ... zur Kontrolle des Weserüberganges und der Weserschiffahrt« hindeutet, wie Herbert Schwarzwälder mit Recht vermutet®. Auf der Domdüne lag wohl seit dem Siege Karls des Großen eine Wehr-curtis als Sitz dieses Beamten und als Etappenstation zur Sicherung des mili­ tärischen Nachschubs. Zu ihr gehörte ein größerer Wirtschaftshof. In der curtis wird auch der Petersdom errichtet worden sein. Grohne, Mahndorf, S. 1 u. 5. Georg Barkhausen, Bericht über die Ausgrabungen beim Bau der Neuen Börse zu Br. mit Erläuterungen v. W. O. Focke, Brem. Jahrb. 1, 1865, S.12 ff. - Grohne, Mahndorf, S. 538. 4 Grohne, Ält. Stadtbefest., S.156 u. 150. s Vita Willehadi, MG SS II, S.38. - Bippen, Gesch. I, S.8ff. - Buchenau, Freie Hansestadt, S. 79 f. - E. Müller, Entstehungsgesch. d. sächs. Bistümer unter Karl d. Gr. (Quellen u. Darstellungen z. Gesch. Niedersachsens 47, Hildesheim u. Leipzig 1938, S. 20 ff. 6 Schwarzwälder, Entstehung, S. 53ff. Die zitierte Stelle S. 59. Eine fränkische curtis wurde auch von Lonke, Altbremen, S. 20, vermutet. 2 3

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Bischof Willerich (805-838) begann mit dem Neubau des Domes in Stein. Bischof Ansgar (845-865) vollendete ihn (Weihedatum 860). Auf der Südseite der Kirche schloß sich wie auch später das Domkloster an, eine Dreiflügelanlage um einen Kreuzgang. Weiter südlich stand schon in karolingischer Zeit die kleine Willehadi-Kirche, von Bischof Willerich errichtet, in welcher der Leib des angelsächsischen Missionsbiscdhofs beigesetzt wurde. Sie lag an der Stelle des Nordflügels der heutigen Börse. An der Ost­ seite des Domes erbaute Erzbischof Adalgar (888-909) eine Michaelskapelle, in der vier Bremer Bischöfe beigesetzt wurden (etwa eine Außenkrypta?). Da sie im 11. Jahrhundert baufällig war, ließ Erzbischof Hermann (1032-1035) sie abtragen und die Gebeine seiner Vorgänger in den Dom überführen'. 859 gründete Erzbischof Ansgar ein Hospital (Xe­ nodochium) für Kranke und Pilger. Wie in den süddeutschen, italienischen und west­ fränkischen Bischofssitzen des frühen Mittelalters, wird man es im Domgebiet selbst suchen müssen8. Die Befestigung dieser Gebäudegruppe um den Dom mag man sich ähnlich der in Hamburg ausgegrabenen vorstellen: Ein Quadrat oder Rechteck mit einer Palisadenwand in Holz-Erde-Technik und einem Graben davor9. Nach der Zerstörung Hamburgs 845 durch die Wikinger verlegte man die Hauptresidenz des Erzbistums nach Bremen, das damit der Ausgangspunkt der christlichen Mission in Nordeuropa wurde. Am Fuße der Düne vermutete man seit langem eine kleine Siedlung von Fischern und Färgen, etwa in der Gegend der »Tiefer« und des »Schnoors« um den Stavendamm'. Die Miracula S. Willehadi erwähnen die Wunderheilung einer Frau, welche »de villa ipsius loci videlicet Brema exstitit«-!. Die Grundstücke dieser Straßen wurden nicht gegen Wortzins in freier Erbleihe ausgetan wie im 12. und 15. Jahrhundert im Bereich der Bürgerstadt. Das Fehlen des Zinses läßt auf das Vorhandensein eines Hörigen­ dorfes schließen. Auch die unregelmäßige Anlage der Straßen könnte für ein höheres Alter gegenüber der planmäßigen Besiedlung der Balge-Insel und der Marktstadt sprechen. Vielleicht lief über den Stavendamm und die Weserfähre der Verkehr der Rhein-Elbestraße. Möglicherweise befand sich in der Nähe des Stavendammes der Um­ schlagsplatz für die Hochseeboote, deren Waren hier für den Landtransport auf Trag­ tiere oder für die Weiterbeförderung zu Schiff auf Flußboote umgeladen wurden. Gra­ bungen haben aber bisher keinen Nachweis einer frühmittelalterlichen Besiedlung des 7

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Die Nachrichten über den karoling. u. ottonisch-salischen Dom gesammelt und kunstge­ schichtl. ausgewertet: Helen Rosenau, Zur mittelalterl. Baugesch. d. Bremer Domes, Brem. Jahrb. 35, 1951, S. 1 ff. - Adam v. Bremen, Hamburg. Kirchengeschichte, hgb. v. B. Schmeid­ ler, 5. Aufl., 1917, S. 24: »Ecclesias ubique ... erexit; tres vero Bremae, quarum primam scilicet domum sancti Petri, de lignea lapideam fecit et corpus Sancti Willehadi exinde translatum in australi, quod fecit, oratorio recondidit.« Die dritte Kirche ist nicht genannt (St. Veit?), vgl. Schwarzwälder, Entstehung, S. 51. Adam v.Br. II, 12, ed. Schmeidler. - UB I, Nr. 6, S.7. - May, Reg.-Nr. 47, S. 14 u. Nr. 145, S. 37. - Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts wird das Spital nicht mehr erwähnt; Erzbischof Adalbert verwendete seine Güter zur Ausstattung der um 1050 gegründeten Stifte. - Vgl. Das Spital des hl. Ulrich in Augsburg. Reinhard Schindler, Die Ausgrabungen auf dem Gelände des ehern. Hamburger Domes u. beim Neubau d. Fischmarkt-Apotheke 1949/51, Hammaburg 2, 1951, S.71 ff. Lonke, Altbremen, S.12. Die Siedlung auf der »Tiefer« umfaßte nach ihml »die ganze Gegend von der Holzpforte beim Alten Wall bis westlich zur Wachtstraße«. - Lonke, Vom Tieferort, S.69. - Schwarzwälder, Entstehung, S.69 ff. Zitiert nach Schwarzwälder, Entstehung, S. 69.

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Dom St. Willehadi-Stift 3 St. Veit 4 St. Paulsstift 5 St. Stephanistift *··

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Abb. 18. Bremen im 11. Jahrhundert

Ufers erbracht. Die Siedlungsfunde reichen nicht über das 13. Jahrhundert zurück', Die karolingische und ottonische Tiefer-Siedlung bleibt deshalb Hypothese, für die aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Nach den erstaunlich ergebnisreichen Grabungen in Hamburg würde man auch in Bremen eine Fernhändler-Siedlung in der Nähe des mittelalterlichen Hafens der Stadt, der westlichen Balge erwarten13. Dieser Nebenarm der Weser trennte die Tiefer-Siedlung 12 13

Zitiert nach Schwarzwälder, Entstehung, S. 69. R. Schindler, Ausgrabungen in d. Hamburger Altstadt, Hammaburg 1, 1948/49, S.25 ff. Ders., Das karolingische Hamburg u. d. Probleme der frühgeschichtl. Städteforschung Nie­ dersachsens, Strena Praehistorica, Festgabe z. 60. Geburtstage v. Martin Jahn, Halle/Saale 1948, S. 259 ff.

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Bischof Willerich (805-838) begann mit dem Neubau des Domes in Stein. Bischof Ansgar (845-865) vollendete ihn (Weihedatum 860). Auf der Südseite der Kirche schloß sich wie auch später das Domkloster an, eine Dreiflügelanlage um einen Kreuzgang. Weiter südlich stand schon in karolingischer Zeit die kleine Willehadi-Kirche, von Bischof Willerich errichtet, in welcher der Leib des angelsächsischen Missionsbiscdhofs beigesetzt wurde. Sie lag an der Stelle des Nordflügels der heutigen Börse. An der Ost­ seite des Domes erbaute Erzbischof Adalgar (888-909) eine Michaelskapelle, in der vier Bremer Bischöfe beigesetzt wurden (etwa eine Außenkrypta?). Da sie im 11. Jahrhundert baufällig war, ließ Erzbischof Hermann (1032-1035) sie abtragen und die Gebeine seiner Vorgänger in den Dom überführen'. 859 gründete Erzbischof Ansgar ein Hospital (Xe­ nodochium) für Kranke und Pilger. Wie in den süddeutschen, italienischen und west­ fränkischen Bischofssitzen des frühen Mittelalters, wird man es im Domgebiet selbst suchen müssen8. Die Befestigung dieser Gebäudegruppe um den Dom mag man sich ähnlich der in Hamburg ausgegrabenen vorstellen: Ein Quadrat oder Rechteck mit einer Palisadenwand in Holz-Erde-Technik und einem Graben davor9. Nach der Zerstörung Hamburgs 845 durch die Wikinger verlegte man die Hauptresidenz des Erzbistums nach Bremen, das damit der Ausgangspunkt der christlichen Mission in Nordeuropa wurde. Am Fuße der Düne vermutete man seit langem eine kleine Siedlung von Fischern und Färgen, etwa in der Gegend der »Tiefer« und des »Schnoors« um den Stavendamm'. Die Miracula S. Willehadi erwähnen die Wunderheilung einer Frau, welche »de villa ipsius loci videlicet Brema exstitit«-!. Die Grundstücke dieser Straßen wurden nicht gegen Wortzins in freier Erbleihe ausgetan wie im 12. und 15. Jahrhundert im Bereich der Bürgerstadt. Das Fehlen des Zinses läßt auf das Vorhandensein eines Hörigen­ dorfes schließen. Auch die unregelmäßige Anlage der Straßen könnte für ein höheres Alter gegenüber der planmäßigen Besiedlung der Balge-Insel und der Marktstadt sprechen. Vielleicht lief über den Stavendamm und die Weserfähre der Verkehr der Rhein-Elbestraße. Möglicherweise befand sich in der Nähe des Stavendammes der Um­ schlagsplatz für die Hochseeboote, deren Waren hier für den Landtransport auf Trag­ tiere oder für die Weiterbeförderung zu Schiff auf Flußboote umgeladen wurden. Gra­ bungen haben aber bisher keinen Nachweis einer frühmittelalterlichen Besiedlung des 7

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Die Nachrichten über den karoling. u. ottonisch-salischen Dom gesammelt und kunstge­ schichtl. ausgewertet: Helen Rosenau, Zur mittelalterl. Baugesch. d. Bremer Domes, Brem. Jahrb. 35, 1951, S. 1 ff. - Adam v. Bremen, Hamburg. Kirchengeschichte, hgb. v. B. Schmeid­ ler, 5. Aufl., 1917, S. 24: »Ecclesias ubique ... erexit; tres vero Bremae, quarum primam scilicet domum sancti Petri, de lignea lapideam fecit et corpus Sancti Willehadi exinde translatum in australi, quod fecit, oratorio recondidit.« Die dritte Kirche ist nicht genannt (St. Veit?), vgl. Schwarzwälder, Entstehung, S. 51. Adam v.Br. II, 12, ed. Schmeidler. - UB I, Nr. 6, S.7. - May, Reg.-Nr. 47, S. 14 u. Nr. 145, S. 37. - Seit der Mitte des 11. Jahrhunderts wird das Spital nicht mehr erwähnt; Erzbischof Adalbert verwendete seine Güter zur Ausstattung der um 1050 gegründeten Stifte. - Vgl. Das Spital des hl. Ulrich in Augsburg. Reinhard Schindler, Die Ausgrabungen auf dem Gelände des ehern. Hamburger Domes u. beim Neubau d. Fischmarkt-Apotheke 1949/51, Hammaburg 2, 1951, S.71 ff. Lonke, Altbremen, S.12. Die Siedlung auf der »Tiefer« umfaßte nach ihml »die ganze Gegend von der Holzpforte beim Alten Wall bis westlich zur Wachtstraße«. - Lonke, Vom Tieferort, S.69. - Schwarzwälder, Entstehung, S.69 ff. Zitiert nach Schwarzwälder, Entstehung, S. 69.

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Abb. 18. Bremen im 11. Jahrhundert

Ufers erbracht. Die Siedlungsfunde reichen nicht über das 13. Jahrhundert zurück', Die karolingische und ottonische Tiefer-Siedlung bleibt deshalb Hypothese, für die aber eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Nach den erstaunlich ergebnisreichen Grabungen in Hamburg würde man auch in Bremen eine Fernhändler-Siedlung in der Nähe des mittelalterlichen Hafens der Stadt, der westlichen Balge erwarten13. Dieser Nebenarm der Weser trennte die Tiefer-Siedlung 12 13

Zitiert nach Schwarzwälder, Entstehung, S. 69. R. Schindler, Ausgrabungen in d. Hamburger Altstadt, Hammaburg 1, 1948/49, S.25 ff. Ders., Das karolingische Hamburg u. d. Probleme der frühgeschichtl. Städteforschung Nie­ dersachsens, Strena Praehistorica, Festgabe z. 60. Geburtstage v. Martin Jahn, Halle/Saale 1948, S. 259 ff.

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und die Balge-Insel von der Dünenhöhe. Sie war offenbar ein natürlicher Flußarm, der im Mittelalter bis zu 25 m Breite erreichte und dessen Westteil südlich der Langenstraße als natürlicher Hafen benutzt wurde. Nur die östliche Mündung der Großen Balge süd­ westlich der Minoritenkirche, welche die »Tiefer« durchschneidet, scheint von Menschen­ hand geschaffen zu sein. Die Große Balge umzog ursprünglich auch die Tiefersiedlung (als Klosterbalge) und mündete erst südlich des Ostertores in die Weser14. Für eine Fernhändlersiedlung Bremens im 9. oder 10. Jahrhundert fehlen bisher alle archäologi­ schen Anhaltspunkte. Zwar erhielt 888 der Erzbischof das Recht, in Bremen Münzen zu schlagen, einen Handelsbetrieb einzurichten, wie er vorher Hamburg gewährt wurde, die Aufsicht über den Markt wahrzunehmen und den Zoll einzuziehen. »Von einer eigentlichen Marktgründung ist nicht die Rede. Der Bischof erhielt durch das Privileg nun die Marktabgaben, die vorher dem Fiskus zuflossen'.« Die Marktstätte ist wohl vor dem Dombering zu suchen, in der Gegend der Liebfrauenkirche, an deren Stelle vielleicht seit karolingischer Zeit eine Veitskircdhe oder -kapelle lag. Herbert Schwarzwälder faßt Entstehung und Anlage des karolingischen Bremen fol­ gendermaßen zusammen: »In Bremen wurde nach der fränkischen Besetzung nicht nur Grundbesitz konfisziert, sondern auch der Ort mit der wichtigen Fähre unter königliche Kontrolle gestellt, vor allem zunächst zur Sicherung des militärischen Nachschubs, dann aber auch wohl zum Schutz der Handelsstraßen, die durch Bremen gingen. Räumlich getrennt vom Bischofssitz und der Örtlichkeit des Marktverkehrs befand sich auf der Balge-Insel an der Weser ein altes Dorf Bremen mit prähistorischer Tradition, dessen wirtschaftliche Bedeutung vor allem in seiner Eigenschaft als Etappen-, Umschlag- und Fährort für den Transitverkehr bestand'.« Die günstige Verkehrslage der Siedlung läßt sich aus dem hochmittelalterlichen Stra­ ßennetz ablesen. Die wichtige Handelsstraße vom Rhein zur Elbe und weiter zur Ostsee überschritt in Bremen die Weser. Sie führte von Osnabrück - Weyhe - Arsten - Haben­ hausen und über den Werder nach Bremen und von dort weiter über Borgfeld - Zeven Buxtehude nach Hamburg und Schleswig. Die vorgeschichtliche Straße längs der Weser­ düne hat im Mittelalter ihre Bedeutung nicht verloren. Sie kam von Verden und Achim her auf dem rechten Ufer der Weser am Ostertore an und führte in die nördlichen Ge­ biete zwischen Unterweser und Unterelbe, zur Burg-Lesumer Fährstelle und über den Bremervörder Moorpaß nach Stade. »Die Fährstelle in Bremen bildete den Anschluß des Straßensystems rechts der Weser an das auf der linken Seite des Flusses. Es war hier überhaupt die letzte günstige Möglichkeit, den Strom zu überqueren.« Von geringerer, nur örtlicher Bedeutung war schließlich die Straße von Bremen nach Oldenburg, und Friesland!7. In ottonischer und salischer Zeit fließen die Quellen reichlicher. Dank dem Geschichts­ werk des Adam von Bremen kann man von der städtebaulichen Entwicklung ein ver­ hältnismäßig klares Bild gewinnen. 918 wird der Ort von den Ungarn zerstört. 937 ging der königliche Grundbesitz in Bremen in die Hand des Erzbischofs über. »Die Urkunde 14

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Schwarzwälder, Entstehung, S. 26 u. 540 f. MG DD Arn, Nr. 27. - Schwarzwälder, Entstehung, S. 52. Schwarzwälder, Entstehung, S. 80. Buchenau, Entwickl. d. Stadt. Br. S.5f. - Ders., Freie Hansestadt, S. 79. - Schwarzwälder, Entstehung, S. 20 ff.

1 Dom 2 St. Willehadi 3 Liebfrauen (früher St. Veit) 4 St. Martini s St. Ansgari 6 Minoritenkirche St. Johannis 7 Dominikanerkirche St. Katharinen 8 St. Stephani 9 Rathaus 10 Schütting 11 Kornhaus 12 Ostertor 13 Herdentor

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Balge Schnoor Martinistraße Tiefer Stavendamm Wachtstraße Markt Domshof Langewierenstraße Buchtstraße Sandstraße Langenstraße Obernstraße Neuer Weg Pelzerstraße (Schuhkamp) Knochenhauerstraße Sögestraße Schlachte Hakenstraße Holzpforte Alter Wall

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Abb. 19. Bremen. Mittelalterliches Stadtgebiet nach dem Plan von C. L. Murtfeldt 1798

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und die Balge-Insel von der Dünenhöhe. Sie war offenbar ein natürlicher Flußarm, der im Mittelalter bis zu 25 m Breite erreichte und dessen Westteil südlich der Langenstraße als natürlicher Hafen benutzt wurde. Nur die östliche Mündung der Großen Balge süd­ westlich der Minoritenkirche, welche die »Tiefer« durchschneidet, scheint von Menschen­ hand geschaffen zu sein. Die Große Balge umzog ursprünglich auch die Tiefersiedlung (als Klosterbalge) und mündete erst südlich des Ostertores in die Weser14. Für eine Fernhändlersiedlung Bremens im 9. oder 10. Jahrhundert fehlen bisher alle archäologi­ schen Anhaltspunkte. Zwar erhielt 888 der Erzbischof das Recht, in Bremen Münzen zu schlagen, einen Handelsbetrieb einzurichten, wie er vorher Hamburg gewährt wurde, die Aufsicht über den Markt wahrzunehmen und den Zoll einzuziehen. »Von einer eigentlichen Marktgründung ist nicht die Rede. Der Bischof erhielt durch das Privileg nun die Marktabgaben, die vorher dem Fiskus zuflossen'.« Die Marktstätte ist wohl vor dem Dombering zu suchen, in der Gegend der Liebfrauenkirche, an deren Stelle vielleicht seit karolingischer Zeit eine Veitskircdhe oder -kapelle lag. Herbert Schwarzwälder faßt Entstehung und Anlage des karolingischen Bremen fol­ gendermaßen zusammen: »In Bremen wurde nach der fränkischen Besetzung nicht nur Grundbesitz konfisziert, sondern auch der Ort mit der wichtigen Fähre unter königliche Kontrolle gestellt, vor allem zunächst zur Sicherung des militärischen Nachschubs, dann aber auch wohl zum Schutz der Handelsstraßen, die durch Bremen gingen. Räumlich getrennt vom Bischofssitz und der Örtlichkeit des Marktverkehrs befand sich auf der Balge-Insel an der Weser ein altes Dorf Bremen mit prähistorischer Tradition, dessen wirtschaftliche Bedeutung vor allem in seiner Eigenschaft als Etappen-, Umschlag- und Fährort für den Transitverkehr bestand'.« Die günstige Verkehrslage der Siedlung läßt sich aus dem hochmittelalterlichen Stra­ ßennetz ablesen. Die wichtige Handelsstraße vom Rhein zur Elbe und weiter zur Ostsee überschritt in Bremen die Weser. Sie führte von Osnabrück - Weyhe - Arsten - Haben­ hausen und über den Werder nach Bremen und von dort weiter über Borgfeld - Zeven Buxtehude nach Hamburg und Schleswig. Die vorgeschichtliche Straße längs der Weser­ düne hat im Mittelalter ihre Bedeutung nicht verloren. Sie kam von Verden und Achim her auf dem rechten Ufer der Weser am Ostertore an und führte in die nördlichen Ge­ biete zwischen Unterweser und Unterelbe, zur Burg-Lesumer Fährstelle und über den Bremervörder Moorpaß nach Stade. »Die Fährstelle in Bremen bildete den Anschluß des Straßensystems rechts der Weser an das auf der linken Seite des Flusses. Es war hier überhaupt die letzte günstige Möglichkeit, den Strom zu überqueren.« Von geringerer, nur örtlicher Bedeutung war schließlich die Straße von Bremen nach Oldenburg, und Friesland!7. In ottonischer und salischer Zeit fließen die Quellen reichlicher. Dank dem Geschichts­ werk des Adam von Bremen kann man von der städtebaulichen Entwicklung ein ver­ hältnismäßig klares Bild gewinnen. 918 wird der Ort von den Ungarn zerstört. 937 ging der königliche Grundbesitz in Bremen in die Hand des Erzbischofs über. »Die Urkunde 14

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Schwarzwälder, Entstehung, S. 26 u. 540 f. MG DD Arn, Nr. 27. - Schwarzwälder, Entstehung, S. 52. Schwarzwälder, Entstehung, S. 80. Buchenau, Entwickl. d. Stadt. Br. S.5f. - Ders., Freie Hansestadt, S. 79. - Schwarzwälder, Entstehung, S. 20 ff.

1 Dom 2 St. Willehadi 3 Liebfrauen (früher St. Veit) 4 St. Martini s St. Ansgari 6 Minoritenkirche St. Johannis 7 Dominikanerkirche St. Katharinen 8 St. Stephani 9 Rathaus 10 Schütting 11 Kornhaus 12 Ostertor 13 Herdentor

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Abb. 19. Bremen. Mittelalterliches Stadtgebiet nach dem Plan von C. L. Murtfeldt 1798

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legt das Fundament zur späteren erzbischöflichen Stadtherrschaft'°.« 965 erhielt Erz­ bischof Adeldag (936-988) von Otto I. das Recht, einen Markt in Bremen zu errichten (construendi mercatum in loco Bremun). Den Kaufleuten Bremens wird Königsschutz zugesichert'. Das Privileg deckt sich also weitgehend mit der Arnulfsurkunde. Der Ausdruck »licentia construendi mercatum« läßt vermuten, »daß es sich um eine Neu­ gründung oder zumindest um eine erneute Übergabe (des Marktes) in erzbischöfliche Kontrolle gehandelt hat, obwohl doch das Arnulfsprivileg zumindest die vorüber­ gehende Existenz eines Bremer Marktes im 9. Jahrhundert wahrscheinlich machte. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Bremer Markt durch Normannen- und Ungarneinfälle im Anfang des 10. Jahrhunderts eingegangen ist, dann aber eine neue Handelstätigkeit ent­ wickelte oder zu entwickeln versprach und 965 erneut als erzbischöflicher Markt konsti­ tuiert wurde ... Wenn auch die Rolle, die Bremen spielen konnte, nicht entfernt an die von Magdeburg, Haithabu, ja selbst an die von Stade heranreicht, so mögen doch die ökonomischen Voraussetzungen für die Anlage von Stützpunkten von Kaufleuten und im Gefolge davon auch einer kleinen Handwerkersiedlung gegeben gewesen sein, so daß die Bezeichnung negotiatores als incolae loci nicht mehr ein unerreichter Wunschtraum geblieben ist, sondern praktische Bedeutung gewann?«. Bis zum Beginn des 12. Jahr­ hunderts blieb die Marktsiedlung Bremens von bescheidenem Umfang. Die wirtschaft­ lichen Verhältnisse waren noch nicht so gefestigt, daß in Krisenzeiten ein ununter­ brochener Bestand gesichert war. Durch Adam v. Bremen wissen wir, daß bei dem Zu­ sammenbruch der politischen Pläne Erzbischof Adalberts im Jahre 1066 der Markt wie­ der einging. Die Geldgier Adalberts vertrieb die Fernkaufleute von Bremen?". Herbert Schwarzwälder hat den Nachweis erbracht, daß der hochmittelalterliche Markt in Bremen nicht an der Stelle des heutigen Marktes zwischen Schütting und Rat­ haus zu suchen ist, sondern in der nächsten Umgebung der Marktkirche??. 1050 gründete Erzbischof Unwan (1013-1029) die St. Veitskirche »extra oppidum« als Markt- und Pfarrkirche. Sie hat vielleicht eine karolingische Vorläuferin besessen. Erst um 1200 nahm sie den Namen Marienkirche an23• Das Gelände des heutigen Marktes war so abschüssig, daß man erst nach dem Bau einer Stützmauer an der Balge und beträchtlicher Aufschüttung zur Bebauung schreiten konnte. Dies ist erst im 14. oder im frühen 15. Jahrhundert erfolgt. 1864 trug man die Geländekuppe zwischen Dom und neuem 18

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Zerstörung durch die Ungarn: Adam v. Br. L, 55 (55), ed. Schmeidler. - Schwarzwälder, Ent­ stehung, S. 81 ff., zit. Stelle S. 85. MG DD OI, Nr. 307: »negotiatores eiusdem incolae loci.« - May, Reg.-Nr. 128, S. 35. Die ältesten Bremer Münzen stammen aus der Zeit Heinrichs II.: Wilh. Jesse, Zur älteren Münz- u. Geldgesch. Bremens, Brem. Jahrb. 56, 1936, S.185. Schwarzwälder, Entstehung, S.127 u. 154. Adam v.Br. III, 58 (57), ed. Schmeidler: ».. . cumque rapinarum quaestio in omnes caderet episcopo subiectos, non transivit etiam negotiatores, qui ex omni terrarum parte Bremam solitis frequentabant mercibus; eos omnes execranda vicedomnorum exactio coegit sepe nudos abire. Ita civitas civibus et forum mercibus usgue hodie defecisse videtur .. .« - Ci­ vitas ist für Adam nicht nur die befestigte Domimmunität, sondern ganz allgemein die durch eine Befestigung geschützte Siedlung (Schwarzwälder, Entstehung, S. 154). Schwarzwälder, Entstehung, S.156 ff. Adam v. Br. II, 46, ed. Schmeidler. - 1159 wird die Kirche als Marktkirche bezeichnet: UB I, Nr. 52, S.38: »ad ecclesiam sancti Viti, que est forensis ...« Als Marienkirche tritt sie erstmals 1220 auf: UB I, Nr. 120, S. 145. - May, Reg.-Nr. 187, S. 46 und Nr. 460, S. 114.

Rathausflügel ab, wodurch die Treppenanlage vor dem Dom notwendig wurde?* Von der Bremer Marktsiedlung des 11. Jahrhunderts hat sich wohl nichts erhalten. Das regelmäßige Budenquadrat um die Liebfrauenkirche ist eine typische Marktanlage des 12. Jahrhunderts. Wahrscheinlich bestand in Bremen wie in den übrigen niedersächsi­ schen Marktorten des 11. Jahrhunderts ein einfacher Straßenmarkt in der Nähe der Veitskirche?®. Die wichtige Handelsstraße vom Rhein zur Ostsee durchzog den Markt seit dem 11. Jahrhundert wohl von der Wachtstraße her und verließ ihn über die spätere Sögestraße und das Herdentor. Die Domimmunität erhielt um 1000 eine neue Umwallung. Adam von Bremen be­ richtet, daß Erzbischof Libentius (988-1015) »et ipsa Brema vallis muniri coepit fir­ missimo?®«. Von dem Verlauf der ottonischen Befestigung kann man sich durch die Funde des letzten Jahrhunderts eine recht genaue Vorstellung machen, freilich nur für die Westseite der Immunität. Beim Neubau der Börse und bei der Errichtung des neuen Rathausflügels, der sich gegen den Domshof hin an den alten Bau anschließt, und schließlich bei der Anlage des Luftschutzbunkers auf dem Domshof während des letzten Krieges, stieß man auf Überreste der Immunitätsbefestigung, welche die Angaben Adams von Bremen vollauf bestätigen. Am genauesten sind die Spuren auf dem Domshof durch Ernst Grohne aufgenommen und veröffentlicht worden27. über diesen Platz lief ein Spitzgraben von mindestens 5 m Tiefe (etwa in der Linie: Zwischenraum der Häuser Nr. 8/9 und 1o auf der Westseite des Domshofes bis vor Haus Nr. 26 auf der Ostseite). 12 m oberhalb fand sich ein etwas schmälerer (5,5 m tief) und unten stumpferer Graben. Die Grabenwandungen waren wohl mit Heideplaggen oder Grassoden belegt. Der innere Graben, zu dem eine Palisadenwand oder Holz-Erde-Befestigung gehörte, wird der von Erzbischof Libentius begonnene sein. In die Regierungszeit des Erzbischofs Unwan (1013-1029) fällt wiederum ein Befestigungsbau: »Ipso tempore ferunt aggerem Bre­ mensis oppidi firmatum contra insidias et impetus inimicorum regis?°.« Es handelte sich offenbar nur um eine Verstärkung des schon vorhandenen. Man könnte damit den größeren äußeren Spitzgraben der Immunität in Verbindung bringen. Den Nachfolgern genügten die Erdbefestigungen nicht mehr. Erzbischof Hermann (1052-1055) begann damit, die Umwallung durch eine Mauer zu ersetzen. »Tunc magnum opus et utile in­ gressurus murum civitati circumdare voluit?®.« Sein Nachfolger Bezelin (1055-1045) baute an der Ringmauer weiter, ohne sie vollenden zu können. Teilweise war sie bei seinem Tode bis zur Brustwehr aufgeführt, teilweise stand sie nur etwa 2,7 m hoch. Das Markttor wird ausführlich beschrieben. Es muß ein ungewöhnlicher Bau gewesen sein. 24 25

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Lonke, Altbremen, S.24. Schwarzwälder, Entstehung, S.228: »Wir müssen annehmen, daß der Straßenmarkt in Bremen auch vor dem 12. Jahrhundert auf der Straße lag, die von der Fähre an der Tiefer bezw. der Wachtstraße zur Verkehrsstraße am nördlichen Dünenrand führte, und zwar in den kurzen Abschnitt vor der Liebfrauenkirche. Dort hat sich dann auch im laufe des 12. Jahrh. ein Marktplatz mit einem Budenguadrat entwickelt, dessen Topographie sich bis heute einigermaßen erhalten hat und zwar vor allem dank der Tatsache, daß der Platz im 15. Jahrh. seine wirtschaftliche Bedeutung völlig verlor und daher in der Neuzeit vor grundlegenden topographischen Veränderungen verschont blieb.« Adam v. Br. II, 51, ed. Schmeidler. Grohne, ält. Stadtbefestigung, S. 125 ff. Der Verf. hält den inneren Graben für karolingisch. Adam v. Br. II, 46, ed. Schmeidler. Ebenda, II, 66. - May, Reg.-Nr. 199, S. 49.

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legt das Fundament zur späteren erzbischöflichen Stadtherrschaft'°.« 965 erhielt Erz­ bischof Adeldag (936-988) von Otto I. das Recht, einen Markt in Bremen zu errichten (construendi mercatum in loco Bremun). Den Kaufleuten Bremens wird Königsschutz zugesichert'. Das Privileg deckt sich also weitgehend mit der Arnulfsurkunde. Der Ausdruck »licentia construendi mercatum« läßt vermuten, »daß es sich um eine Neu­ gründung oder zumindest um eine erneute Übergabe (des Marktes) in erzbischöfliche Kontrolle gehandelt hat, obwohl doch das Arnulfsprivileg zumindest die vorüber­ gehende Existenz eines Bremer Marktes im 9. Jahrhundert wahrscheinlich machte. Es ist nicht ausgeschlossen, daß der Bremer Markt durch Normannen- und Ungarneinfälle im Anfang des 10. Jahrhunderts eingegangen ist, dann aber eine neue Handelstätigkeit ent­ wickelte oder zu entwickeln versprach und 965 erneut als erzbischöflicher Markt konsti­ tuiert wurde ... Wenn auch die Rolle, die Bremen spielen konnte, nicht entfernt an die von Magdeburg, Haithabu, ja selbst an die von Stade heranreicht, so mögen doch die ökonomischen Voraussetzungen für die Anlage von Stützpunkten von Kaufleuten und im Gefolge davon auch einer kleinen Handwerkersiedlung gegeben gewesen sein, so daß die Bezeichnung negotiatores als incolae loci nicht mehr ein unerreichter Wunschtraum geblieben ist, sondern praktische Bedeutung gewann?«. Bis zum Beginn des 12. Jahr­ hunderts blieb die Marktsiedlung Bremens von bescheidenem Umfang. Die wirtschaft­ lichen Verhältnisse waren noch nicht so gefestigt, daß in Krisenzeiten ein ununter­ brochener Bestand gesichert war. Durch Adam v. Bremen wissen wir, daß bei dem Zu­ sammenbruch der politischen Pläne Erzbischof Adalberts im Jahre 1066 der Markt wie­ der einging. Die Geldgier Adalberts vertrieb die Fernkaufleute von Bremen?". Herbert Schwarzwälder hat den Nachweis erbracht, daß der hochmittelalterliche Markt in Bremen nicht an der Stelle des heutigen Marktes zwischen Schütting und Rat­ haus zu suchen ist, sondern in der nächsten Umgebung der Marktkirche??. 1050 gründete Erzbischof Unwan (1013-1029) die St. Veitskirche »extra oppidum« als Markt- und Pfarrkirche. Sie hat vielleicht eine karolingische Vorläuferin besessen. Erst um 1200 nahm sie den Namen Marienkirche an23• Das Gelände des heutigen Marktes war so abschüssig, daß man erst nach dem Bau einer Stützmauer an der Balge und beträchtlicher Aufschüttung zur Bebauung schreiten konnte. Dies ist erst im 14. oder im frühen 15. Jahrhundert erfolgt. 1864 trug man die Geländekuppe zwischen Dom und neuem 18

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Zerstörung durch die Ungarn: Adam v. Br. L, 55 (55), ed. Schmeidler. - Schwarzwälder, Ent­ stehung, S. 81 ff., zit. Stelle S. 85. MG DD OI, Nr. 307: »negotiatores eiusdem incolae loci.« - May, Reg.-Nr. 128, S. 35. Die ältesten Bremer Münzen stammen aus der Zeit Heinrichs II.: Wilh. Jesse, Zur älteren Münz- u. Geldgesch. Bremens, Brem. Jahrb. 56, 1936, S.185. Schwarzwälder, Entstehung, S.127 u. 154. Adam v.Br. III, 58 (57), ed. Schmeidler: ».. . cumque rapinarum quaestio in omnes caderet episcopo subiectos, non transivit etiam negotiatores, qui ex omni terrarum parte Bremam solitis frequentabant mercibus; eos omnes execranda vicedomnorum exactio coegit sepe nudos abire. Ita civitas civibus et forum mercibus usgue hodie defecisse videtur .. .« - Ci­ vitas ist für Adam nicht nur die befestigte Domimmunität, sondern ganz allgemein die durch eine Befestigung geschützte Siedlung (Schwarzwälder, Entstehung, S. 154). Schwarzwälder, Entstehung, S.156 ff. Adam v. Br. II, 46, ed. Schmeidler. - 1159 wird die Kirche als Marktkirche bezeichnet: UB I, Nr. 52, S.38: »ad ecclesiam sancti Viti, que est forensis ...« Als Marienkirche tritt sie erstmals 1220 auf: UB I, Nr. 120, S. 145. - May, Reg.-Nr. 187, S. 46 und Nr. 460, S. 114.

Rathausflügel ab, wodurch die Treppenanlage vor dem Dom notwendig wurde?* Von der Bremer Marktsiedlung des 11. Jahrhunderts hat sich wohl nichts erhalten. Das regelmäßige Budenquadrat um die Liebfrauenkirche ist eine typische Marktanlage des 12. Jahrhunderts. Wahrscheinlich bestand in Bremen wie in den übrigen niedersächsi­ schen Marktorten des 11. Jahrhunderts ein einfacher Straßenmarkt in der Nähe der Veitskirche?®. Die wichtige Handelsstraße vom Rhein zur Ostsee durchzog den Markt seit dem 11. Jahrhundert wohl von der Wachtstraße her und verließ ihn über die spätere Sögestraße und das Herdentor. Die Domimmunität erhielt um 1000 eine neue Umwallung. Adam von Bremen be­ richtet, daß Erzbischof Libentius (988-1015) »et ipsa Brema vallis muniri coepit fir­ missimo?®«. Von dem Verlauf der ottonischen Befestigung kann man sich durch die Funde des letzten Jahrhunderts eine recht genaue Vorstellung machen, freilich nur für die Westseite der Immunität. Beim Neubau der Börse und bei der Errichtung des neuen Rathausflügels, der sich gegen den Domshof hin an den alten Bau anschließt, und schließlich bei der Anlage des Luftschutzbunkers auf dem Domshof während des letzten Krieges, stieß man auf Überreste der Immunitätsbefestigung, welche die Angaben Adams von Bremen vollauf bestätigen. Am genauesten sind die Spuren auf dem Domshof durch Ernst Grohne aufgenommen und veröffentlicht worden27. über diesen Platz lief ein Spitzgraben von mindestens 5 m Tiefe (etwa in der Linie: Zwischenraum der Häuser Nr. 8/9 und 1o auf der Westseite des Domshofes bis vor Haus Nr. 26 auf der Ostseite). 12 m oberhalb fand sich ein etwas schmälerer (5,5 m tief) und unten stumpferer Graben. Die Grabenwandungen waren wohl mit Heideplaggen oder Grassoden belegt. Der innere Graben, zu dem eine Palisadenwand oder Holz-Erde-Befestigung gehörte, wird der von Erzbischof Libentius begonnene sein. In die Regierungszeit des Erzbischofs Unwan (1013-1029) fällt wiederum ein Befestigungsbau: »Ipso tempore ferunt aggerem Bre­ mensis oppidi firmatum contra insidias et impetus inimicorum regis?°.« Es handelte sich offenbar nur um eine Verstärkung des schon vorhandenen. Man könnte damit den größeren äußeren Spitzgraben der Immunität in Verbindung bringen. Den Nachfolgern genügten die Erdbefestigungen nicht mehr. Erzbischof Hermann (1052-1055) begann damit, die Umwallung durch eine Mauer zu ersetzen. »Tunc magnum opus et utile in­ gressurus murum civitati circumdare voluit?®.« Sein Nachfolger Bezelin (1055-1045) baute an der Ringmauer weiter, ohne sie vollenden zu können. Teilweise war sie bei seinem Tode bis zur Brustwehr aufgeführt, teilweise stand sie nur etwa 2,7 m hoch. Das Markttor wird ausführlich beschrieben. Es muß ein ungewöhnlicher Bau gewesen sein. 24 25

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Lonke, Altbremen, S.24. Schwarzwälder, Entstehung, S.228: »Wir müssen annehmen, daß der Straßenmarkt in Bremen auch vor dem 12. Jahrhundert auf der Straße lag, die von der Fähre an der Tiefer bezw. der Wachtstraße zur Verkehrsstraße am nördlichen Dünenrand führte, und zwar in den kurzen Abschnitt vor der Liebfrauenkirche. Dort hat sich dann auch im laufe des 12. Jahrh. ein Marktplatz mit einem Budenguadrat entwickelt, dessen Topographie sich bis heute einigermaßen erhalten hat und zwar vor allem dank der Tatsache, daß der Platz im 15. Jahrh. seine wirtschaftliche Bedeutung völlig verlor und daher in der Neuzeit vor grundlegenden topographischen Veränderungen verschont blieb.« Adam v. Br. II, 51, ed. Schmeidler. Grohne, ält. Stadtbefestigung, S. 125 ff. Der Verf. hält den inneren Graben für karolingisch. Adam v. Br. II, 46, ed. Schmeidler. Ebenda, II, 66. - May, Reg.-Nr. 199, S. 49.

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Über dem Tordurchgang erhob sich ein gewaltiger Turm, der nach italienischer Art (opere Italico) befestigt war und der sieben Räume enthielt, die wahrscheinlich als Vor­ ratskammern und Zeughaus dienten?®. Bevor aber der Mauerring noch ganz vollendet war, begann Erzbischof Adalbert (1043-1072) mit dem Abbruch. Der prächtige Turm über dem Westtor wurde voll­ ständig niedergelegt. Adalbert benötigte die Steine zum Dombau31. Da anstehendes Gestein in Bremen fehlte und Feldsteine erst auf der Geest anzutreffen waren, ließ der Erzbischof kurzerhand die Befestigung des Dombezirkes einreißen. Oder hatte Adalbert im Auge, die alte Grenze der Immunität aufzugeben und der Domburg einen größeren Umfang zu verleihen oder gar sie mit der Kaufleutesiedlung und dem Markt in einem gemeinsamen Befestigungring zu vereinigen? Die Grabungsfunde bestätigen wiederum die chronikalischen Angaben. Beim Neubau der Börse stieß man 1860 auf starke Tor­ fundamente, die nur diejenigen des Markttores gewesen sein können*?. 1909 fand man beim Ausschachten des Fundamentes für den Rathaus-Neubau ein Mauerstück von 24 m Länge, das teilweise noch bis zu 4 m hoch erhalten war. »Der untere Teil besteht aus sorgfältig ausgeführtem und dicht verstopftem Mauerwerk von unbehauenen Findlin­ gen, Feuerstein und Rasen-Eisenstein. Darüber erhebt sich eine etwa 1,5 m starke Mauer, in deren äußeren Flächen unten Granitfindlinge und oben roh gespitzte Sandsteinguadern in Muschelkalkmörtel geschichtet sind33.« Das aufgedeckte Mauerstück war stumpf­ winklig gebrochen. An der Knickstelle erhob sich ein Turm. Beim Bau des Luftschutz­ bunkers auf dem Domshof konnte man die Fortsetzung dieser Immunitätsmauer ver­ folgen; doch war sie hier bis auf den Grund ausgebrochen. Sie zeichnete sich aber deut­ lich im Profil der Grabungsstelle ab. »Das Grabensystem muß älter gewesen sein als die Mauer. Als diese errichtet wurde, waren die Gräben bereits teilweise oder ganz wieder zugeschüttet. Die Mauer ist dem ursprünglichen Grabenverlauf nur ungefähr gefolgt und hat ihn nicht in ihr Befestigungssystem mit einbezogen34.« Der Verlauf der Immu­ nitätsmauer auf der Ostseite der Domburg läßt sich nur vermuten; Grabungen fanden hier nie statt. Die Mauer wird sich längs der Sand- und Buchtstraße hingezogen haben und im Süden nördlich der Minoritenkirche und der Langewieren-Straße. Die Gesamt­ form bildete etwa ein Oval, was mit Adams Bezeichnung »in giro« übereinstimmt. Auch die innere Gliederung der Domburg wandelte sich unter Adalbert. Den West­ teil nahmen seit karolingischer Zeit Dom mit Domkloster und Willehadikirche ein, welche Erzbischof Unwan wieder aufgebaut hatte. Die ganze östliche Hälfte der Immunität 30

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Adam v. Br. II, 67, ed. Schmeidler: »Deinde murum civitatis ab Herimanno decessore orsum in giro construens, in aliquibus eum locis usque ad propugnacula erexit, alias quin­ que aut septem cubitorum altitudine semiperfectum dimisit. Cui ab occasu contra forum porta grandis inhaesit superque portam firmissima turris, opere Italico munita, et septem ornata cameris ad diversi oppidi necessitatem.« - Über die Bedeutung der Räume in dem Markttor: Johanna Müller, Handel und Verkehr Bremens im Mittelalter, I, Brem. Jahrb. 50, 1926, S.211. - May, Reg.-Nr. 215, S.51 f. Adam v. Br. III, 5, ed. Schmeidler: »Statim murum civitatis a decessoribus orsum et quasi minus necessarium destrui fecit iussitque lapides in templo poni. Nam et turris speciosa, quam diximus septem cameris ornatum fuisse, tunc funditus est diruta.« Barkhausen, Bericht usw., Brem. Jahrb. I, 1863, S. 30 f. Die Denkmalpflege 12, 1910, S. 51, mit Grundriß u. Abb. der Mauerreste. - Ernst Ehrhardt, Das neue Rathaus in Bremen, Bremen o. J. (1913), S.38, mit Abb. - Ders., Jahrb. d. Brem. Sammlungen 5, S.75 f. Grohne, ält. Stadtbefest., S. 128.

konnte zunächst als Fluchtburg dienen. Doch als Adalbert auch das neuerbaute Dom­ kloster wieder abriß, um Steine für den Dom zu erhalten, mußten die Domherren in eigenen Kurien wohnen, die das unbebaute Gebiet der östlichen Immunität ausfüllten35. Für die zahlreiche »familia« der Domkanoniker benötigte man jetzt auch eine Tauf- und Pfarrkirche, welche Aufgabe die Willehadikirche übernahm. Der Dombau Adalberts wetteiferte mit den vornehmsten Bischofskirchen des Reiches. Der Neubau war durch den Brand von 1041 notwendig geworden. Adalberts Vorgänger hatte ihn bereits in Angriff genommen. Die Quellen geben als Vorbild des Bezelinschen Planes, der die doppelte Länge der karolingischen Kirche erhalten sollte, den Kölner Dom an. In der Tat lassen sich die doppelchörige Anlage des Bremer Domes mit zwei Krypten und das westliche Turmpaar auf dieses Vorbild zurückführen®. Adalbert bestimmte als neues Vorbild die Bischofskirche von Benevent. Erhalten hat sich noch die Westkrypta, die Adalbert 1068 dem hl. Andreas weihte. Die Ostkrypta stammt erst von seinem Nach­ folger Liemar (1072-1101), der den gewaltigen Dombau abschloß. Über die Lage der Bischofspfalz des 11. Jahrhunderts wissen wir nichts Sicheres. Sie kann nur innerhalb der Immunitätsbefestigung gesucht werden. Ende des 13. Jahrhun­ derts befand sie sich an der Stelle des neuen Rathausflügels am Domshof, und die große, wie die Grabungen 1940 ergaben, niemals überbaute Fläche davor ist als Pfalzplatz zu deuten, wie er sich vor den meisten Pfalzen des Mittelalters findet. Ein so ausgedehnter Freiraum, der auch niemals als Markt verwendet wurde, wäre sonst in einer mittelalter­ lichen Stadt ein Rätsel. Hat ihn schon Erzbischof Adalbert geplant und deshalb an dieser Stelle die Immunitätsmauer abbrechen lassen, oder entstand er erst, als die geschlossene Bürgerstadt abgesteckt wurde? Im 11. Jahrhundert war bereits eine eigene Bischofspfalz vorhanden, da schon Erzbischof Libentius (988-1013) das Zusammenleben mit den Ka­ nonikern aufgab?. Zu ihr gehörte als Hauskapelle eine Magdalenenkirche. Noch am Ende der ottonischen Epoche besaß Bremen außer dem Domstift keine wei­ tere klösterliche Gemeinschaft. Diesen Mangel empfand Adalbert und suchte ihm abzu­ helfen. »Ut Bremam similem ceteris efficeret urbibus«, sagt Adam von Bremen aus­ drücklich, habe Adalbert drei Propsteien gegründet38. Es waren die Jahre um die Jahr­ hundertmitte, als Adalbert sich die höchsten Ziele steckte und das kleine Bremen zu einem Rom des Nordens ausersehen hatte. Nur eines der neuen Stifte liegt innerhalb der Domburg. Die längst bestehende St. Willehadi-Kirche erhob man nun zur Propstei. Die beiden übrigen Gründungen wurden außerhalb der Immunität und der Kaufmanns35

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Brandnachricht (1041) bei Adam v. Br. II, 77, ed. Schmeidler: »ejusque flamma incendii claustrum cum officinis, urbem cum aedificiis totam consumpsit, veterisque habitaculi nullum remansit vestigium.« - Erzbischof Bezelin erbaute ein neues Stiftsgebäude aus Stein (Adam v. Br. II, 67, ed. Schmeidler). Nach dem Brand wurde es sofort wieder instandgesetzt (MG SS IX, S. 3351). - H. A. Schumacher, Die älteste Gesch. d. Bremer Domkapitels, Brem. Jahrb. 1, 1863, S. 158 ff. Die Literatur zur rnittelalterl. Baugesch. d. Bremer Domes bei Edgar Lehmann, Der frühe deutsche Kirchenbau, 2. Aufl., Berlin 1947, S. 94. - Lutze, Bremen, S. 11. Adam v. Br. L, 55, u. II, 10, 27, ed. Schmeidler. - Zur Bischofspfalz des 13. Jahrhunderts vgl. v. Bippen, Gesch. 1, S. 159. Reste des Neubaus vom Ende des 15. Jahrhunderts wurden bei der Errichtung des neuen Rathausflügels aufgedeckt. Ehrhardt, Das neue Rath. S. 33ff. Schumacher, Die ält. Gesch., Brem. Jahrb. 1, 1865, S. 115. - Buchenau, Freie Hansestadt, S. 173. Adam v. Br. III, 9, ed. Schmeidler.

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Über dem Tordurchgang erhob sich ein gewaltiger Turm, der nach italienischer Art (opere Italico) befestigt war und der sieben Räume enthielt, die wahrscheinlich als Vor­ ratskammern und Zeughaus dienten?®. Bevor aber der Mauerring noch ganz vollendet war, begann Erzbischof Adalbert (1043-1072) mit dem Abbruch. Der prächtige Turm über dem Westtor wurde voll­ ständig niedergelegt. Adalbert benötigte die Steine zum Dombau31. Da anstehendes Gestein in Bremen fehlte und Feldsteine erst auf der Geest anzutreffen waren, ließ der Erzbischof kurzerhand die Befestigung des Dombezirkes einreißen. Oder hatte Adalbert im Auge, die alte Grenze der Immunität aufzugeben und der Domburg einen größeren Umfang zu verleihen oder gar sie mit der Kaufleutesiedlung und dem Markt in einem gemeinsamen Befestigungring zu vereinigen? Die Grabungsfunde bestätigen wiederum die chronikalischen Angaben. Beim Neubau der Börse stieß man 1860 auf starke Tor­ fundamente, die nur diejenigen des Markttores gewesen sein können*?. 1909 fand man beim Ausschachten des Fundamentes für den Rathaus-Neubau ein Mauerstück von 24 m Länge, das teilweise noch bis zu 4 m hoch erhalten war. »Der untere Teil besteht aus sorgfältig ausgeführtem und dicht verstopftem Mauerwerk von unbehauenen Findlin­ gen, Feuerstein und Rasen-Eisenstein. Darüber erhebt sich eine etwa 1,5 m starke Mauer, in deren äußeren Flächen unten Granitfindlinge und oben roh gespitzte Sandsteinguadern in Muschelkalkmörtel geschichtet sind33.« Das aufgedeckte Mauerstück war stumpf­ winklig gebrochen. An der Knickstelle erhob sich ein Turm. Beim Bau des Luftschutz­ bunkers auf dem Domshof konnte man die Fortsetzung dieser Immunitätsmauer ver­ folgen; doch war sie hier bis auf den Grund ausgebrochen. Sie zeichnete sich aber deut­ lich im Profil der Grabungsstelle ab. »Das Grabensystem muß älter gewesen sein als die Mauer. Als diese errichtet wurde, waren die Gräben bereits teilweise oder ganz wieder zugeschüttet. Die Mauer ist dem ursprünglichen Grabenverlauf nur ungefähr gefolgt und hat ihn nicht in ihr Befestigungssystem mit einbezogen34.« Der Verlauf der Immu­ nitätsmauer auf der Ostseite der Domburg läßt sich nur vermuten; Grabungen fanden hier nie statt. Die Mauer wird sich längs der Sand- und Buchtstraße hingezogen haben und im Süden nördlich der Minoritenkirche und der Langewieren-Straße. Die Gesamt­ form bildete etwa ein Oval, was mit Adams Bezeichnung »in giro« übereinstimmt. Auch die innere Gliederung der Domburg wandelte sich unter Adalbert. Den West­ teil nahmen seit karolingischer Zeit Dom mit Domkloster und Willehadikirche ein, welche Erzbischof Unwan wieder aufgebaut hatte. Die ganze östliche Hälfte der Immunität 30

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Adam v. Br. II, 67, ed. Schmeidler: »Deinde murum civitatis ab Herimanno decessore orsum in giro construens, in aliquibus eum locis usque ad propugnacula erexit, alias quin­ que aut septem cubitorum altitudine semiperfectum dimisit. Cui ab occasu contra forum porta grandis inhaesit superque portam firmissima turris, opere Italico munita, et septem ornata cameris ad diversi oppidi necessitatem.« - Über die Bedeutung der Räume in dem Markttor: Johanna Müller, Handel und Verkehr Bremens im Mittelalter, I, Brem. Jahrb. 50, 1926, S.211. - May, Reg.-Nr. 215, S.51 f. Adam v. Br. III, 5, ed. Schmeidler: »Statim murum civitatis a decessoribus orsum et quasi minus necessarium destrui fecit iussitque lapides in templo poni. Nam et turris speciosa, quam diximus septem cameris ornatum fuisse, tunc funditus est diruta.« Barkhausen, Bericht usw., Brem. Jahrb. I, 1863, S. 30 f. Die Denkmalpflege 12, 1910, S. 51, mit Grundriß u. Abb. der Mauerreste. - Ernst Ehrhardt, Das neue Rathaus in Bremen, Bremen o. J. (1913), S.38, mit Abb. - Ders., Jahrb. d. Brem. Sammlungen 5, S.75 f. Grohne, ält. Stadtbefest., S. 128.

konnte zunächst als Fluchtburg dienen. Doch als Adalbert auch das neuerbaute Dom­ kloster wieder abriß, um Steine für den Dom zu erhalten, mußten die Domherren in eigenen Kurien wohnen, die das unbebaute Gebiet der östlichen Immunität ausfüllten35. Für die zahlreiche »familia« der Domkanoniker benötigte man jetzt auch eine Tauf- und Pfarrkirche, welche Aufgabe die Willehadikirche übernahm. Der Dombau Adalberts wetteiferte mit den vornehmsten Bischofskirchen des Reiches. Der Neubau war durch den Brand von 1041 notwendig geworden. Adalberts Vorgänger hatte ihn bereits in Angriff genommen. Die Quellen geben als Vorbild des Bezelinschen Planes, der die doppelte Länge der karolingischen Kirche erhalten sollte, den Kölner Dom an. In der Tat lassen sich die doppelchörige Anlage des Bremer Domes mit zwei Krypten und das westliche Turmpaar auf dieses Vorbild zurückführen®. Adalbert bestimmte als neues Vorbild die Bischofskirche von Benevent. Erhalten hat sich noch die Westkrypta, die Adalbert 1068 dem hl. Andreas weihte. Die Ostkrypta stammt erst von seinem Nach­ folger Liemar (1072-1101), der den gewaltigen Dombau abschloß. Über die Lage der Bischofspfalz des 11. Jahrhunderts wissen wir nichts Sicheres. Sie kann nur innerhalb der Immunitätsbefestigung gesucht werden. Ende des 13. Jahrhun­ derts befand sie sich an der Stelle des neuen Rathausflügels am Domshof, und die große, wie die Grabungen 1940 ergaben, niemals überbaute Fläche davor ist als Pfalzplatz zu deuten, wie er sich vor den meisten Pfalzen des Mittelalters findet. Ein so ausgedehnter Freiraum, der auch niemals als Markt verwendet wurde, wäre sonst in einer mittelalter­ lichen Stadt ein Rätsel. Hat ihn schon Erzbischof Adalbert geplant und deshalb an dieser Stelle die Immunitätsmauer abbrechen lassen, oder entstand er erst, als die geschlossene Bürgerstadt abgesteckt wurde? Im 11. Jahrhundert war bereits eine eigene Bischofspfalz vorhanden, da schon Erzbischof Libentius (988-1013) das Zusammenleben mit den Ka­ nonikern aufgab?. Zu ihr gehörte als Hauskapelle eine Magdalenenkirche. Noch am Ende der ottonischen Epoche besaß Bremen außer dem Domstift keine wei­ tere klösterliche Gemeinschaft. Diesen Mangel empfand Adalbert und suchte ihm abzu­ helfen. »Ut Bremam similem ceteris efficeret urbibus«, sagt Adam von Bremen aus­ drücklich, habe Adalbert drei Propsteien gegründet38. Es waren die Jahre um die Jahr­ hundertmitte, als Adalbert sich die höchsten Ziele steckte und das kleine Bremen zu einem Rom des Nordens ausersehen hatte. Nur eines der neuen Stifte liegt innerhalb der Domburg. Die längst bestehende St. Willehadi-Kirche erhob man nun zur Propstei. Die beiden übrigen Gründungen wurden außerhalb der Immunität und der Kaufmanns35

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Brandnachricht (1041) bei Adam v. Br. II, 77, ed. Schmeidler: »ejusque flamma incendii claustrum cum officinis, urbem cum aedificiis totam consumpsit, veterisque habitaculi nullum remansit vestigium.« - Erzbischof Bezelin erbaute ein neues Stiftsgebäude aus Stein (Adam v. Br. II, 67, ed. Schmeidler). Nach dem Brand wurde es sofort wieder instandgesetzt (MG SS IX, S. 3351). - H. A. Schumacher, Die älteste Gesch. d. Bremer Domkapitels, Brem. Jahrb. 1, 1863, S. 158 ff. Die Literatur zur rnittelalterl. Baugesch. d. Bremer Domes bei Edgar Lehmann, Der frühe deutsche Kirchenbau, 2. Aufl., Berlin 1947, S. 94. - Lutze, Bremen, S. 11. Adam v. Br. L, 55, u. II, 10, 27, ed. Schmeidler. - Zur Bischofspfalz des 13. Jahrhunderts vgl. v. Bippen, Gesch. 1, S. 159. Reste des Neubaus vom Ende des 15. Jahrhunderts wurden bei der Errichtung des neuen Rathausflügels aufgedeckt. Ehrhardt, Das neue Rath. S. 33ff. Schumacher, Die ält. Gesch., Brem. Jahrb. 1, 1865, S. 115. - Buchenau, Freie Hansestadt, S. 173. Adam v. Br. III, 9, ed. Schmeidler.

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siedlung angelegt. Auf einem kleinen Dünenhügel im Osten der Bischofsburg fand das St. Pauls-Stift seinen Platz (etwa 800 m vom Dom). Es lag an der Uferstraße nach Ver­ den nicht allzuweit vor dem späteren Ostertor der Stadt39• Weserabwärts und ebenfalls dicht am Ufer erhob sich das Stephani-Stift, etwa 1300 m von der Domburg entfernt. Adalberts Mittel reichten aber nicht aus, die beiden Stifte so lebenskräftig auszustatten, daß sie die schweren Rückschläge seiner Politik zu überstehen vermochten. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurden beide Gemeinschaften neu gegründet. Anstelle des Pauls-Stiftes errichteten um 1150 die Benediktiner ein Kloster, das bis zur Reformation am Leben blieb. Um freies Vorfeld für die Verteidigung der Stadt zu erhalten, wurde es 1525 abgetragen; 1628 folgte auch der Hügel, auf dem es stand. 1159 wurde das Wille­ hadi-Kapitel nach St. Stephan verlegt und damit das Adalbertsche Stift zu neuem Leben erweckt. Es erhielt damals auch Pfarrechte, was darauf hindeutet, daß bereits eine Sied­ lung das Stift umgab*°, Unter der Regierung Erzbischof Adalberts glich Bremen durchaus den übrigen ottoni­ schen und salischen Städten: Eine befestigte Domburg, davor eine Kaufmannssiedlung um den Markt, beide Kerne umrahmt von zwei Stiften, die außerhalb auf erhöhtem Gelände lagen. Vom Westen her bot die ganze Siedlung den günstigsten Anblick. Über die kleine Marktanlage auf der Dünenhöhe ragten die beiden Stifte und die Domburg empor. Das westliche Turmpaar des Domes muß weit hinein in die Landschaft als Wahr­ zeichen des Bischofssitzes sichtbar gewesen sein. Über die Entwicklung zur geschlossenen Stadt liegen in Bremen so wenige schriftliche Zeugnisse vor, daß der Vorgang dunkler bleibt als bei den meisten niedersächsischen Städten. Eine gemeinsame Stadtmauer, die das birnförmige Stadtgebiet vom Ostertor über das Herdentor zum Kornhaus umfaßte und am Weserufer entlang zum Ostertor zurückführte, die Schlachte außerhalb lassend, ist erst für das frühe 13. Jahrhundert be­ zeugt (zuerst 1229)*!. Die Bebauung des weiten Stadtgebietes zwischen Markt und Korn­ haus muß aber schon wesentlich früher erfolgt sein. Die Grenzen der ottonischen Domburg zeichnen sich im heutigen Stadtgrundriß weit weniger scharf ab als bei den übrigen ottonischen Anlagen. Offenbar wurde bei der Planung der geschlossenen Stadt das umliegende Gebiet im Norden und Süden zur Im­ munität geschlagen und die alte Umwallung niedergelegt, so daß deren Grenzen nicht mehr maßgebend blieben. Damals wird auch der Domshof in seiner überraschenden Größe angelegt worden sein als Platz vor der erzbischöflichen Pfalz. An der Grenze zur Bürgerstadt hin bestanden noch im 15. Jahrhundert weite, unbebaute Flächen, so daß hier die Bettelorden ihre Klöster errichten konnten (Dominikanerkirche St. Katharinen an der Sögestraße, Minoritenkirche St. Johannis im Süden der Domburg). Vom Markt aus nach Norden erstreckte sich die Bürgerstadt mit den beiden am Fangturme (jetzt Kornhaus) sich wieder vereinigenden parallelen Längsachsen der »Langen« und der »Oberen« Straße, die durch kurze Querstraßen verbunden sind. Die Langestraße war 39

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vor allem Sitz der Kaufleute, die zum hochmittelalterlichen Hafen der Stadt, der Balge und später der Schlachte, wie zum Markt bequemen Zugang haben mußten. In der Oberen Straße wohnten die Ministerialen und der Stiftsadel. An der Ecke Obere Straße/ Sögestraße lag das älteste Rathaus der Stadt. Die Viertel um den Markt beherbergten vorwiegend die Handwerker (Knochenhauer-, Pelzer-, Gröper-, Beckerstraße, Schuh­ kamp, Cromerstraße [=Hakenstraße], Smedestraße). Das Zweistraßensystem des Bre­ mer Stadtgrundrisses ist für die niedersächsischen Städte des 12. Jahrhunderts typisch (Goslar, Hildesheim, Braunschweig, Lübeck). Am nächsten kommt ihm die Altstadt von Quedlinburg, da auch dort der Markt am Ausgangspunkt der beiden Längsachsen liegt. Die Quedlinburger Altstadt ist am Anfang des 12. Jahrhunderts entstanden. Sehr viel später kann auch die Bremer Bürgerstadt nicht angelegt worden sein (wohl zweites Jahr­ hundertviertel)', Erst 1504/05 wurde die kleinbürgerliche Stephanivorstadt, in der vor allem Fischer und Schiffer saßen, in den Mauergürtel der Altstadt einbezogen, während die Ostertorvorstadt um das St. Pauls-Kloster, die um die Mitte des 14. Jahrhunderts bereits beträchtlich gewesen sein muß, ausgeschlossen blieb und im 16. Jahrhundert zur Gewinnung freien Vorfeldes zum Teil niedergelegt wurde43. 42

43

Die Bremer Lokalliteratur nimmt des öfteren eine Zwischenmauer an, die etwa in der

Höhe der Ansgari-Kirche die Stadt im Westen abgeschlossen habe (auch Schwarzwälder, Entstehung, S. 501 ff.). Als Begründung wird auf UB I, Nr. 45, S. 47 (1157), verwiesen, wo ein Haus der Oberen Straße erwähnt wird, das nahe an einem Wall gelegen habe. Es fragt sich aber, ob im 12. Jahrhundert die Obere Straße nicht bis zum späteren »Neuen Weg« gereicht habe, das genannte Haus hätte dann gut am Westende der Straße in der Nähe des Stadtwalls stehen können. Vgl. UB I, S. 49, Anm. 5. Die Erwähnung der Oberen Straße (in superiori platea) 1157 deutet darauf hin, daß die Bürgerstadt damals bereits angelegt war. Der Durchbruch des »Neuen Weges« erfolgte erst 1530 (Buchenau, Entwidkl. der Stadt Bremen, S. 28). Buchenau, Freie Hansestadt, S. 84. - Die Stadtmauer zwischen Stephanivorstadt und Alt­ stadt wurde erst 1547/48 beseitigt.

1051 als Gründungsdatum: Ann. Hamb. ed. Reuter, S. 411 (Quellensammlung der Gesellscdh. f. Schleswig-Holstein-Lauenb. Gesch., Bd. 4, Kiel 1875); ebenso Ann. Brem. MG SS XVII, S. 855. - Buchenau, Freie Hansestadt, S. 204. - May, Reg.-Nr. 238, S. 57. UB I, Nr. 52, S.37 ff. - May, Reg.-Nr. 456, S.111 ff. u. Nr. 460, S.114. - Friedrich Prüser, Achthundert Jahre St. Stephanikirche, Bremen, 1940. - Ders., die Güterverhältnisse des Willehadi-Stephani-Kapitels in Br., Brem. Jahrb. 50, 1926, S. 161 ff. UB I, Nr. 150, S. 171 ff.

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siedlung angelegt. Auf einem kleinen Dünenhügel im Osten der Bischofsburg fand das St. Pauls-Stift seinen Platz (etwa 800 m vom Dom). Es lag an der Uferstraße nach Ver­ den nicht allzuweit vor dem späteren Ostertor der Stadt39• Weserabwärts und ebenfalls dicht am Ufer erhob sich das Stephani-Stift, etwa 1300 m von der Domburg entfernt. Adalberts Mittel reichten aber nicht aus, die beiden Stifte so lebenskräftig auszustatten, daß sie die schweren Rückschläge seiner Politik zu überstehen vermochten. In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts wurden beide Gemeinschaften neu gegründet. Anstelle des Pauls-Stiftes errichteten um 1150 die Benediktiner ein Kloster, das bis zur Reformation am Leben blieb. Um freies Vorfeld für die Verteidigung der Stadt zu erhalten, wurde es 1525 abgetragen; 1628 folgte auch der Hügel, auf dem es stand. 1159 wurde das Wille­ hadi-Kapitel nach St. Stephan verlegt und damit das Adalbertsche Stift zu neuem Leben erweckt. Es erhielt damals auch Pfarrechte, was darauf hindeutet, daß bereits eine Sied­ lung das Stift umgab*°, Unter der Regierung Erzbischof Adalberts glich Bremen durchaus den übrigen ottoni­ schen und salischen Städten: Eine befestigte Domburg, davor eine Kaufmannssiedlung um den Markt, beide Kerne umrahmt von zwei Stiften, die außerhalb auf erhöhtem Gelände lagen. Vom Westen her bot die ganze Siedlung den günstigsten Anblick. Über die kleine Marktanlage auf der Dünenhöhe ragten die beiden Stifte und die Domburg empor. Das westliche Turmpaar des Domes muß weit hinein in die Landschaft als Wahr­ zeichen des Bischofssitzes sichtbar gewesen sein. Über die Entwicklung zur geschlossenen Stadt liegen in Bremen so wenige schriftliche Zeugnisse vor, daß der Vorgang dunkler bleibt als bei den meisten niedersächsischen Städten. Eine gemeinsame Stadtmauer, die das birnförmige Stadtgebiet vom Ostertor über das Herdentor zum Kornhaus umfaßte und am Weserufer entlang zum Ostertor zurückführte, die Schlachte außerhalb lassend, ist erst für das frühe 13. Jahrhundert be­ zeugt (zuerst 1229)*!. Die Bebauung des weiten Stadtgebietes zwischen Markt und Korn­ haus muß aber schon wesentlich früher erfolgt sein. Die Grenzen der ottonischen Domburg zeichnen sich im heutigen Stadtgrundriß weit weniger scharf ab als bei den übrigen ottonischen Anlagen. Offenbar wurde bei der Planung der geschlossenen Stadt das umliegende Gebiet im Norden und Süden zur Im­ munität geschlagen und die alte Umwallung niedergelegt, so daß deren Grenzen nicht mehr maßgebend blieben. Damals wird auch der Domshof in seiner überraschenden Größe angelegt worden sein als Platz vor der erzbischöflichen Pfalz. An der Grenze zur Bürgerstadt hin bestanden noch im 15. Jahrhundert weite, unbebaute Flächen, so daß hier die Bettelorden ihre Klöster errichten konnten (Dominikanerkirche St. Katharinen an der Sögestraße, Minoritenkirche St. Johannis im Süden der Domburg). Vom Markt aus nach Norden erstreckte sich die Bürgerstadt mit den beiden am Fangturme (jetzt Kornhaus) sich wieder vereinigenden parallelen Längsachsen der »Langen« und der »Oberen« Straße, die durch kurze Querstraßen verbunden sind. Die Langestraße war 39

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vor allem Sitz der Kaufleute, die zum hochmittelalterlichen Hafen der Stadt, der Balge und später der Schlachte, wie zum Markt bequemen Zugang haben mußten. In der Oberen Straße wohnten die Ministerialen und der Stiftsadel. An der Ecke Obere Straße/ Sögestraße lag das älteste Rathaus der Stadt. Die Viertel um den Markt beherbergten vorwiegend die Handwerker (Knochenhauer-, Pelzer-, Gröper-, Beckerstraße, Schuh­ kamp, Cromerstraße [=Hakenstraße], Smedestraße). Das Zweistraßensystem des Bre­ mer Stadtgrundrisses ist für die niedersächsischen Städte des 12. Jahrhunderts typisch (Goslar, Hildesheim, Braunschweig, Lübeck). Am nächsten kommt ihm die Altstadt von Quedlinburg, da auch dort der Markt am Ausgangspunkt der beiden Längsachsen liegt. Die Quedlinburger Altstadt ist am Anfang des 12. Jahrhunderts entstanden. Sehr viel später kann auch die Bremer Bürgerstadt nicht angelegt worden sein (wohl zweites Jahr­ hundertviertel)', Erst 1504/05 wurde die kleinbürgerliche Stephanivorstadt, in der vor allem Fischer und Schiffer saßen, in den Mauergürtel der Altstadt einbezogen, während die Ostertorvorstadt um das St. Pauls-Kloster, die um die Mitte des 14. Jahrhunderts bereits beträchtlich gewesen sein muß, ausgeschlossen blieb und im 16. Jahrhundert zur Gewinnung freien Vorfeldes zum Teil niedergelegt wurde43. 42

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Die Bremer Lokalliteratur nimmt des öfteren eine Zwischenmauer an, die etwa in der

Höhe der Ansgari-Kirche die Stadt im Westen abgeschlossen habe (auch Schwarzwälder, Entstehung, S. 501 ff.). Als Begründung wird auf UB I, Nr. 45, S. 47 (1157), verwiesen, wo ein Haus der Oberen Straße erwähnt wird, das nahe an einem Wall gelegen habe. Es fragt sich aber, ob im 12. Jahrhundert die Obere Straße nicht bis zum späteren »Neuen Weg« gereicht habe, das genannte Haus hätte dann gut am Westende der Straße in der Nähe des Stadtwalls stehen können. Vgl. UB I, S. 49, Anm. 5. Die Erwähnung der Oberen Straße (in superiori platea) 1157 deutet darauf hin, daß die Bürgerstadt damals bereits angelegt war. Der Durchbruch des »Neuen Weges« erfolgte erst 1530 (Buchenau, Entwidkl. der Stadt Bremen, S. 28). Buchenau, Freie Hansestadt, S. 84. - Die Stadtmauer zwischen Stephanivorstadt und Alt­ stadt wurde erst 1547/48 beseitigt.

1051 als Gründungsdatum: Ann. Hamb. ed. Reuter, S. 411 (Quellensammlung der Gesellscdh. f. Schleswig-Holstein-Lauenb. Gesch., Bd. 4, Kiel 1875); ebenso Ann. Brem. MG SS XVII, S. 855. - Buchenau, Freie Hansestadt, S. 204. - May, Reg.-Nr. 238, S. 57. UB I, Nr. 52, S.37 ff. - May, Reg.-Nr. 456, S.111 ff. u. Nr. 460, S.114. - Friedrich Prüser, Achthundert Jahre St. Stephanikirche, Bremen, 1940. - Ders., die Güterverhältnisse des Willehadi-Stephani-Kapitels in Br., Brem. Jahrb. 50, 1926, S. 161 ff. UB I, Nr. 150, S. 171 ff.

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PADERBORN

(Abbildungen 20 u. 21, Tafel 11)

Die merkwürdigen, zum Teil warmen Quellen der Pader mit über 200 Sprudeln ver­ liehen dem Ort' schon in vorgeschichtlicher Zeit eine außergewöhnliche Bedeutung. Zahl­ reiche Funde bestätigen den Durchzug und Aufenthalt, zeitweise auch die Siedlung in der Nähe der Quellen von der Jüngeren Steinzeit an. Hier führte die große Westost­ Verbindung der norddeutschen Tiefebene, der Hellweg, vorbei, der von Duisburg am Rhein über Dortmund und Soest dem Weserübergang bei Höxter zustrebte. In Pader­ born kreuzte den Hellweg eine Nordsüd-Straße, die von Würzburg und Kassel her auf Paderborn zulief und als Senne-Hellweg längs der Senne bis zum Bielefelder Paß und weiter nach Friesland führte. Eine zweite bedeutende Nordsüd-Straße kam von Frankfurt und Worms aus auf Paderborn zu (Frankfurter Weg). Der »Kriegerweg« verband das Neuwieder Becken mit Westfalen, er ging über Siegen und Hohensyburg nach Paderborn. Über Wiedenbrück führte eine Verbindung nach Münster. Der überwiegende Teil dieses reichen mittelalterlichen Straßennetzes bestand aber bereits in vorgeschichtlicher Zeit. Die zahlreichen römischen Münzen, die längs des Hellweges und der Kasseler Straße gefunden wurden, bestätigen das Vorhandensein dieser beiden wichtigen Verbindungen zumindest seit der Zeitwende. In Westfalen liegen nur noch Münster, Dortmund und Soest an ähnlich bevorzugten Kreuzungspunkten wichtigster Wege. 1

2

Die grundlegende Stadtgeschichte schrieb Wilhelm Richter, Geschichte der Stadt Paderborn, 1. Bd., Paderborn 1899, mit einem Urkundenanhang von Carl Spancken. Die Urkunden sind gesammelt im Westfälischen Urkundenbuch, Bd. IV, bearb. von Roger Wilmans, Münster 1874. Es reicht von 1201 bis 1500. In jüngster Zeit steht die Erforschung der vorgeschicht­ lichen und karolingischen Siedlung im Vordergrund: Karl Schoppe, Das karolingische Pa­ derborn (Vortrag 1943), Maschinoskript in der Akademischen Bibliothek Paderborn. Dar­ auf entgegnete Alois Fuchs, Zur Frage der Bautätigkeit des Bischofs Badurad am Pader­ borner Dom, Westfälische Zeitschrift 47/II, 1947, S. 3ff. - Bernhard Ortmann, Vororte Westfalens, Paderborn 1949, S. 65 ff. - Bildband über Paderborn vor der Zerstörung: Rein­ hold Schneider u. Wilh. Tack, Paderborn. P. 1949. - Deutsches Städtebuch Bd. III, 2, hgb. von Erich Keyser, Stuttgart 1954, S. 281 ff. Die Zerstörung der Stadt im zweiten Weltkrieg gab Veranlassung zu zahlreichen Grabungen. Die wichtigste Entdeckung bildet ein großes, bisher völlig unbekanntes Kirchenfundament unter der Abdinghofer Klosterkirche. Auch die Immunitätsmauern konnten untersucht wer­ den (Grabungen an der Südostecke). Die kritische Veröffentlichung steht aber z. T. noch aus. Die zahlreichen vorgeschichtlichen Funde bei Ortmann. Das Inventar (Die Bau- und Kunst­ denkmäler von Westfalen, Kreis Paderborn, bearb. von A. Ludorff, Münster 1899, S. 67 ff.) geht auf die Stadtbaugeschichte kaum ein. Fr. Copei, Heer- und Handelsstraßen im Sennegebiet. Mittgen. aus der lippischen Ge­ schichte und Landeskunde 16, 1938, S. 163 ff., bes. S. 170-72. - F. Limberg, Der Frankfurter Weg im Paderborner Land, Die Warte 4, 1936, S.1ff. Der Frankfurter Weg lief westlich der Stadt vorbei. - Willi Görich, Gedanken zur Verkehrslage u. Siedlungsentwicklung von Paderborn im frühen und hohen Mittelalter, Westfäl. Forschungen X, 1957, S. 158 ff. Die Fernstraßen müssen ursprünglich 5,5 km südlich von Paderborn auf dem Höhenrücken dahin­ gezogen sein, erst die spätere Entwicklung zog den Verkehr in das Tal und den Quellkessel.

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In germanischer Zeit mögen die Paderquellen eine kultische Rolle gespielt haben*. Wie Münster wird Paderborn Hauptort des sächsischen Gaues gewesen sein. Ein Kult­ zentrum, eine Gerichtsstätte, einen Versammlungsort, vielleicht eine Fluchtburg werden wir hier vermuten dürfen, jedoch keine Großsiedlung. Gerade aus sächsisch-fränkischer Zeit fehlen die Siedlungsfunde, während um die Zeitwende im Stadtgebiet eine Siedlung der Spät-La Tene-Zeit bestand*. Deutlich läßt sich noch heute der Verlauf des Hellweges innerhalb der mittelalter­ lichen Stadt verfolgen. Er kommt von Soest die Westernstraße und den Kettenplatz ent­ lang und setzte sich einst in gerader Linie in der Giersstraße im Osten fort. Dazwischen hat sich aber die Domburg geschoben und den Hellweg aus seiner Richtung gedrängt. Er mußte die Immunität daher im Bogen Rathausplatz - Kampstraße - Kasseler Straße umgehen. Den einstigen Verlauf innerhalb der Domburg bezeichnen noch die Straßen Schildern und »An dem Bogen«, in denen die Haupttore der Immunität lagen. Wahr­ scheinlich verzweigte sich ursprünglich der Hellweg am späteren Rathausplatz. Die Strecke über die Giersstraße bildete den nördlichen Ast über Benhausen-Altenbeken, der südliche lief wohl geradeaus zum Busdorf und weiter nach Neuenheerse-Brakel°. Die Nordsüd-Straße hat dagegen beinahe unverändert ihren alten Verlauf erhalten kön­ nen (Kasseler Straße - Heiersstraße, früher Steinweg). Vor dem Osttor der Immunität wurde sie leicht nach Osten abgedrängt. Als vorgeschichtliche Straße verläuft der Hell­ weg bezeichnenderweise auf der Hochebene, dicht am Rande der Tieflandsbucht des Münsterlandes. An dem Hang, der nach Norden hin zur Tiefebene abfällt, zwischen Hellweg und Paderquellen, hat sich Paderborn entwickelt. Karl der Große erkannte in den Sachsenkriegen mit sicherem Blick die Bedeutung des Ortes. »Nachdem er mit sorgfältiger Überlegung die Sprengel bestimmt hatte, wählte er, weil es in jenem lande an Städten, in welchen nach gewohnter Weise Bischofssitze hätten errichtet werden können, gänzlich fehlte, gleichwohl Orte, welche ihm durch natürliche Vorzüge und lebhafteren Verkehr für diese Zwecke vorzüglich geeignet er­ schienen. Unter allen Orten aber ... ragt der Paderborner Sitz durch ein gewisses be-

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Ortmann, S.76 u. S.99. Ortmann, S.72, 82, 87. In Abb. 18, S. 88, trägt der Verf. die vorgeschichtlichen Funde ganz verschiedener Epochen in den Stadtplan ein und glaubt damit die »ungefähre Flächen­ größe der vor- und frügeschichtlichen Siedlung« bestimmt zu haben. »Mit Dreiviertel der hochmittelalterlichen Stadtfläche haben wir hier den bisher wohl größten Fundzusammen­ hang innerhalb der alten Städte Westfalens vor uns, so daß Paderborn bereits um Christi Geburt herum und in den anschließenden Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit eine für damalige Größenverhältnisse ausgedehnte und bedeutende Siedlung gewesen sein muß.« (S. 87 f.). Wenn aber die Hälfte aller Funde am Hellweg liegt (S. 104), so hätte diese Tatsache den Verfasser stutzig machen müssen. Handelt es sich dabei doch um Straßen­ funde längs eines Hauptweges, nicht um Siedlungsfunde. Von solchen Verkehrsfunden auf die Größe einer Siedlung zu schließen, ist methodisch unzulässig, selbst wenn sie aus einer und derselben Epoche stammen. Auch mit der Kontinuität der Besiedlung liegt es in Paderborn im argen. Aus fränkisch-sächsischer Zeit sind keine eindeutigen Siedlungsfunde bekannt. Vgl. Besprechungen S. H. Jankuhn, Zeitschr. d. Gesellschaft f. schleswig-holstein. Gesch. 67, 1952, S. 223 ff. u. Josef Prinz, Westfäl. Forschungen 6, 1943/52, S. 268 ff. - Walter R. Lange, Vorläufige Bemerkungen zur Frage der Siedlungskontinuität in Paderborn, Westf. Forschungen X, 1957, S. 157 ff. Ortmann, S.96. - Schoppe, S.19. 105

PADERBORN

(Abbildungen 20 u. 21, Tafel 11)

Die merkwürdigen, zum Teil warmen Quellen der Pader mit über 200 Sprudeln ver­ liehen dem Ort' schon in vorgeschichtlicher Zeit eine außergewöhnliche Bedeutung. Zahl­ reiche Funde bestätigen den Durchzug und Aufenthalt, zeitweise auch die Siedlung in der Nähe der Quellen von der Jüngeren Steinzeit an. Hier führte die große Westost­ Verbindung der norddeutschen Tiefebene, der Hellweg, vorbei, der von Duisburg am Rhein über Dortmund und Soest dem Weserübergang bei Höxter zustrebte. In Pader­ born kreuzte den Hellweg eine Nordsüd-Straße, die von Würzburg und Kassel her auf Paderborn zulief und als Senne-Hellweg längs der Senne bis zum Bielefelder Paß und weiter nach Friesland führte. Eine zweite bedeutende Nordsüd-Straße kam von Frankfurt und Worms aus auf Paderborn zu (Frankfurter Weg). Der »Kriegerweg« verband das Neuwieder Becken mit Westfalen, er ging über Siegen und Hohensyburg nach Paderborn. Über Wiedenbrück führte eine Verbindung nach Münster. Der überwiegende Teil dieses reichen mittelalterlichen Straßennetzes bestand aber bereits in vorgeschichtlicher Zeit. Die zahlreichen römischen Münzen, die längs des Hellweges und der Kasseler Straße gefunden wurden, bestätigen das Vorhandensein dieser beiden wichtigen Verbindungen zumindest seit der Zeitwende. In Westfalen liegen nur noch Münster, Dortmund und Soest an ähnlich bevorzugten Kreuzungspunkten wichtigster Wege. 1

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Die grundlegende Stadtgeschichte schrieb Wilhelm Richter, Geschichte der Stadt Paderborn, 1. Bd., Paderborn 1899, mit einem Urkundenanhang von Carl Spancken. Die Urkunden sind gesammelt im Westfälischen Urkundenbuch, Bd. IV, bearb. von Roger Wilmans, Münster 1874. Es reicht von 1201 bis 1500. In jüngster Zeit steht die Erforschung der vorgeschicht­ lichen und karolingischen Siedlung im Vordergrund: Karl Schoppe, Das karolingische Pa­ derborn (Vortrag 1943), Maschinoskript in der Akademischen Bibliothek Paderborn. Dar­ auf entgegnete Alois Fuchs, Zur Frage der Bautätigkeit des Bischofs Badurad am Pader­ borner Dom, Westfälische Zeitschrift 47/II, 1947, S. 3ff. - Bernhard Ortmann, Vororte Westfalens, Paderborn 1949, S. 65 ff. - Bildband über Paderborn vor der Zerstörung: Rein­ hold Schneider u. Wilh. Tack, Paderborn. P. 1949. - Deutsches Städtebuch Bd. III, 2, hgb. von Erich Keyser, Stuttgart 1954, S. 281 ff. Die Zerstörung der Stadt im zweiten Weltkrieg gab Veranlassung zu zahlreichen Grabungen. Die wichtigste Entdeckung bildet ein großes, bisher völlig unbekanntes Kirchenfundament unter der Abdinghofer Klosterkirche. Auch die Immunitätsmauern konnten untersucht wer­ den (Grabungen an der Südostecke). Die kritische Veröffentlichung steht aber z. T. noch aus. Die zahlreichen vorgeschichtlichen Funde bei Ortmann. Das Inventar (Die Bau- und Kunst­ denkmäler von Westfalen, Kreis Paderborn, bearb. von A. Ludorff, Münster 1899, S. 67 ff.) geht auf die Stadtbaugeschichte kaum ein. Fr. Copei, Heer- und Handelsstraßen im Sennegebiet. Mittgen. aus der lippischen Ge­ schichte und Landeskunde 16, 1938, S. 163 ff., bes. S. 170-72. - F. Limberg, Der Frankfurter Weg im Paderborner Land, Die Warte 4, 1936, S.1ff. Der Frankfurter Weg lief westlich der Stadt vorbei. - Willi Görich, Gedanken zur Verkehrslage u. Siedlungsentwicklung von Paderborn im frühen und hohen Mittelalter, Westfäl. Forschungen X, 1957, S. 158 ff. Die Fernstraßen müssen ursprünglich 5,5 km südlich von Paderborn auf dem Höhenrücken dahin­ gezogen sein, erst die spätere Entwicklung zog den Verkehr in das Tal und den Quellkessel.

102

In germanischer Zeit mögen die Paderquellen eine kultische Rolle gespielt haben*. Wie Münster wird Paderborn Hauptort des sächsischen Gaues gewesen sein. Ein Kult­ zentrum, eine Gerichtsstätte, einen Versammlungsort, vielleicht eine Fluchtburg werden wir hier vermuten dürfen, jedoch keine Großsiedlung. Gerade aus sächsisch-fränkischer Zeit fehlen die Siedlungsfunde, während um die Zeitwende im Stadtgebiet eine Siedlung der Spät-La Tene-Zeit bestand*. Deutlich läßt sich noch heute der Verlauf des Hellweges innerhalb der mittelalter­ lichen Stadt verfolgen. Er kommt von Soest die Westernstraße und den Kettenplatz ent­ lang und setzte sich einst in gerader Linie in der Giersstraße im Osten fort. Dazwischen hat sich aber die Domburg geschoben und den Hellweg aus seiner Richtung gedrängt. Er mußte die Immunität daher im Bogen Rathausplatz - Kampstraße - Kasseler Straße umgehen. Den einstigen Verlauf innerhalb der Domburg bezeichnen noch die Straßen Schildern und »An dem Bogen«, in denen die Haupttore der Immunität lagen. Wahr­ scheinlich verzweigte sich ursprünglich der Hellweg am späteren Rathausplatz. Die Strecke über die Giersstraße bildete den nördlichen Ast über Benhausen-Altenbeken, der südliche lief wohl geradeaus zum Busdorf und weiter nach Neuenheerse-Brakel°. Die Nordsüd-Straße hat dagegen beinahe unverändert ihren alten Verlauf erhalten kön­ nen (Kasseler Straße - Heiersstraße, früher Steinweg). Vor dem Osttor der Immunität wurde sie leicht nach Osten abgedrängt. Als vorgeschichtliche Straße verläuft der Hell­ weg bezeichnenderweise auf der Hochebene, dicht am Rande der Tieflandsbucht des Münsterlandes. An dem Hang, der nach Norden hin zur Tiefebene abfällt, zwischen Hellweg und Paderquellen, hat sich Paderborn entwickelt. Karl der Große erkannte in den Sachsenkriegen mit sicherem Blick die Bedeutung des Ortes. »Nachdem er mit sorgfältiger Überlegung die Sprengel bestimmt hatte, wählte er, weil es in jenem lande an Städten, in welchen nach gewohnter Weise Bischofssitze hätten errichtet werden können, gänzlich fehlte, gleichwohl Orte, welche ihm durch natürliche Vorzüge und lebhafteren Verkehr für diese Zwecke vorzüglich geeignet er­ schienen. Unter allen Orten aber ... ragt der Paderborner Sitz durch ein gewisses be-

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Ortmann, S.76 u. S.99. Ortmann, S.72, 82, 87. In Abb. 18, S. 88, trägt der Verf. die vorgeschichtlichen Funde ganz verschiedener Epochen in den Stadtplan ein und glaubt damit die »ungefähre Flächen­ größe der vor- und frügeschichtlichen Siedlung« bestimmt zu haben. »Mit Dreiviertel der hochmittelalterlichen Stadtfläche haben wir hier den bisher wohl größten Fundzusammen­ hang innerhalb der alten Städte Westfalens vor uns, so daß Paderborn bereits um Christi Geburt herum und in den anschließenden Jahrhunderten der römischen Kaiserzeit eine für damalige Größenverhältnisse ausgedehnte und bedeutende Siedlung gewesen sein muß.« (S. 87 f.). Wenn aber die Hälfte aller Funde am Hellweg liegt (S. 104), so hätte diese Tatsache den Verfasser stutzig machen müssen. Handelt es sich dabei doch um Straßen­ funde längs eines Hauptweges, nicht um Siedlungsfunde. Von solchen Verkehrsfunden auf die Größe einer Siedlung zu schließen, ist methodisch unzulässig, selbst wenn sie aus einer und derselben Epoche stammen. Auch mit der Kontinuität der Besiedlung liegt es in Paderborn im argen. Aus fränkisch-sächsischer Zeit sind keine eindeutigen Siedlungsfunde bekannt. Vgl. Besprechungen S. H. Jankuhn, Zeitschr. d. Gesellschaft f. schleswig-holstein. Gesch. 67, 1952, S. 223 ff. u. Josef Prinz, Westfäl. Forschungen 6, 1943/52, S. 268 ff. - Walter R. Lange, Vorläufige Bemerkungen zur Frage der Siedlungskontinuität in Paderborn, Westf. Forschungen X, 1957, S. 157 ff. Ortmann, S.96. - Schoppe, S.19. 105

sonderes Ansehen hervor .. .°«. Militärischer Stützpunkt und Missionszentrale sollten von nun an die zukunftsreichen Aufgaben des Ortes sein. Daß ein Königshof vorhanden war, geht aus mehreren Quellenstellen hervor. Zwei­ mal wird die aula regalis in dem Gedicht Angilberts »Karolus Magnus et Leo papa« er­ wähnt, das den Papstbesuch in Paderborn im Jahre 799 schildert? und noch Thietmar von Merseburg nennt die curtis regalis zum Jahre 1002°. Die vita des Bischofs Mein­ werk von Paderborn (1009-1036) berichtet, daß der Bischof in der domus regia Al­ mosenspenden verteilte. Sie allein überstand den Brand von 1058 mit einem Haus am Markt von allen Gebäuden Paderborns9. Auch setzen die vielen Reichsversammlungen (777, 785, 799, 815, 840, 845) und die zahlreichen, z. T. längeren Aufenthalte der Könige und Kaiser (ganz besonders Heinrichs HI. und Konrads II.) einen Königshof voraus'. 1907 fand man 15 m östlich der Bartholomäuskapelle auf der Nordseite des Domes, etwa in Höhe des Querschiffs, die Fundamente einer Palastkapelle mit reichem Mosaik­ fußboden. In ihr hat man die Marienkapelle Gerolds, des Schwagers Karls des Großen, vermutet, welche die Vita Meinwerci bei der Erbauung der Bartholomäuskapelle er­ wähnt: »juxta principale quoque monasterium capellam quandam capelle in honore sancte Marie perpetue virginis a Geroldo Caroli Magni imperatoris consanguineo et signifero (exstructae), contiguam per Grecos operarios construxit eamque in honore sancti Bartholomei apostoli dedicavit11«. Der Kapelle schloß sich im Westen ein Profan­ gebäude an. Nach den jüngsten Grabungen hat sich diese Gleichsetzung aber als recht unwahrscheinlich herausgestellt. Die 1907 gefundene Kapelle gehört schwerlich noch dem 9. Jahrhundert an'!+, Bischof Meinwerk hat in der Nähe nach dem furchtbaren Brand von 1000 seinen Bischofshof errichtet. Die domus regia der ottonischen Zeit muß an anderer Stelle gelegen haben, wo, wissen wir allerdings nicht'?. Die große Überraschung bei den Grabungen nach dem zweiten Weltkrieg bildete die Aufdeckung der Fundamente einer doppelchörigen Kirche unter der Abdinghofer Jüngere Translatio s. Liborii, entstanden um 890. MG SS IV, S. 150: »... atque parrochias diligenti ratione suis guasgue terminis servandas designans, quia civitates, in quibus more antiquo sedes episcopales constituerentur, illi penitus provinciae deerant, loca tarnen ad hoc, guae et naturali guadam excellentia et populi frequentia prae caeteris oportuna vide­ bantur, elegit .. . Inter omnia vero loca, .• Patherbrunnensis sedes speciali quadam digni­ tate praecellit, .. .« 7 MG SS II, S.401, V. 433 und S.405, v. 524. - Eine Pfalz ist in Paderborn nicht bezeugt. Vgl. Alois Fuchs, Bautätigkeit des Bischofs Badurad, S. 5. 8 Die Chronik des Bischofs Thietmar v. Merseburg ed. Rob. Holtzmann, Berlin 1935, S. 245. 9 »Largissimarum elemosinarum eius, guas in domo regia omni vite sue tempore cotidiana devotione exhibuit, eadem domus testis exstitit, que anno dominice incarnationis 1058 omni civitate Patherbrunnensi celesti iudicio incendio depopulata sola superstes cum una domo forensi fuit.« Vita Meinwerci ed. Fr. Tenckhoff, Hannover 1921, C. 165, S. 85. 10 Franz Tenckhoff, Paderborn als Aufenthaltsort der deutschen Könige und Kaiser, Zeitschr. f. vaterl. Geschichte u. Altertumskunde, 45/II, 1897, S.143 ff. 11 Die Kapelle ist 8,77 m lang und 5,55 m breit. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, €. 155, S. 82. Alois Fuchs, Grabungen und Funde in und am Paderborner Dom seit 1907, Sankt Liborius, sein Dom und sein Bistum, hgb. von Paul Simon, Paderborn 1936, S. 207 f. - B. Kuhlmann, Gerold und die Geroldskapelle in Paderborn, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk., 58/II, S. 3ff. Der Verf. hält die Vorhalle der Bartholomäuskapelle für die Kapelle Gerolds! 11a Hans Thümmler, Neue Funde zur mittelalterlichen Baukunst Westfalens, Westfalen 51, 1953, S. 288 ff. 12 Fuchs, Bautätigkeit des Bischofs Badurad, S. 5, Anm. 7.

Abtei, von deren Bestehen man bisher nichts ahnte'°. 1943 hatte allerdings schon Karl Schoppe vermutet, daß die gut bezeugte Salvatorkirche Karls des Großen nicht anstelle des Domes, sondern im Westen davor zu suchen sei'*. Inmitten der Langhausfunda­ mente der neuentdeckten Kirche bei Abdinghof fanden sich die Reste einer kleinen ein­ schiffigen Kirche mit eingezogenem rechteckigen Chor, eines Lehmfachwerkbaues. Was liegt näher, als diese kleine Kirche mit der 777 begonnenen Salvatorkirche Karls des Großen zu identifizieren, die neben der Kirche auf der Eresburg das älteste christliche Gotteshaus des Sachsenlandes war!57 Die Annales Pettavienses und jene von St. Gallen erwähnen die Erbauung'®. Die große doppelchörige Kirche darüber müßte dann diejenige sein, deren Kryptenaltar Papst Leo III. 799 zu Ehren des hl. Stephanus weihte. Nach der jüngeren translatio sancti Liborii war die Salvatorkirche wiederholt zerstört worden. Dies könnte in den Sachsenaufständen 778 und 793 der Fall gewesen sein. Seit 794 hat man wieder an dem Neubau der Salvatorkirche arbeiten können. Zu den Funden paßt vortrefflich, daß das Chronicon Moissacense den Neubau als »ecclesiam mirae magnitu­ dinis« bezeichnet", Ob er je vollendet wurde, wissen wir nicht. Nach 80o kommt die Salvatorkirche in den Quellen nicht mehr vor. Im Gebiet des späteren Abdinghof-Klo­ sters könnte der Königshof Karls des Großen gestanden haben. Aus der Missionsstation, die dem Bistum Würzburg unterstand, ging das Bistum Paderborn hervor. Wohl 804 wurde der Ort Bischofssitz. Badurad, der zweite Bischof von Paderborn (815-862), erbaute nach der älteren translatio s. Liborii offenbar einen neuen Dom von Grund aus, in dem er 836 die von Le Mans überführten Reliquien des hl. Liborius beisetzte, die von nun an den höchsten Schatz Paderborns im Mittelalter ausmachten'. Der Badurad-Dom lag östlich der Salvatorkirche, im Nordosten des heu­ tigen Domes. Jüngst konnten Teile seiner Fundamentmauern aufgedeckt werden. Die 13

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Bernhard Ortmann, Baugeschichte der Salvator- und Abdinghofkirche zu Paderborn auf Grund der Ausgrabungen 1949 bis 1956, Westfälische Zeitschrift 107, 1957, S. 255 ff. vor allem S.343 ff. - Karl Schoppe, Die Lorscher Annalen und die Paderborner Kirche von 799, Die Warte 18, 1957, S. 177 ff. Gegen die Datierung der Krypta des Großbaues B in karolin­ gische Zeit vgl. Hilde Claussen, in Westfälische Zeitschrift 107, 1957, S. 440. Die Krypta könnte dem Bau Meinwerks angehören! Erich Kubach u. Alb. Verbeek, Die vorromanische und romanische Baukunst in Mitteleuropa. Literaturbericht, Zeitschr. f. Kunstgesch. 14, 1951, S. 124 ff., mit Grundriß. - Kunstchronik 4, 1951, S. 147 f. - Thümmler, Neue Funde, S. 289 f. Schoppe, S. 18. Richter, S.11. MG SS I, S.16: »... et aedificaverunt ibi ecclesiam Franci.« - Ebenda I, S.65: »et ibi aedificavit (Karl der Große) ecclesiam in honore Salvatoris.« MG SS I, S. 304. - B. Kuhlmann, Papst Leo III. im Paderborner Land, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumskunde 56/II, 1898, S. 98ff. - Schoppe, S.9 ff., weist darauf hin, daß auch die karolingischen Pfalzen in Frankfurt und Duisburg Salvatorkirchen besaßen. Vgl. auch Weihe des Stephanusaltares, MG SS IV, S. 150. Die vita Meinwerci bestimmt den Altar genauer als Kryptenaltar (ed. Tenckhoff, S. 106). MG SS XXX, T. II, S. 812: ».. . in magna basilica, noviter inchoata (= neuangefangen, nicht vor kurzem«) maximaque ex parte constructa, quam ... Patratus ... a novo opere vario ac decoro validoque construere coepit.« Die ältere translatio s. Liborii entstand um 860. Fuchs, Bautätigkeit des Bischofs Badurad, S.16 ff., möchte den Neubau Badurads als Er­ weiterung (Westwerk) der Salvatorkirche verstehen, was aber seit den Ausgrabungen 1950 nicht mehr möglich ist. - Karl Schoppe, Aus der Frühzeit des Bistums Paderborn, Die Warte 17, 1956, S. 68 ff. u. 83 ff.

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sonderes Ansehen hervor .. .°«. Militärischer Stützpunkt und Missionszentrale sollten von nun an die zukunftsreichen Aufgaben des Ortes sein. Daß ein Königshof vorhanden war, geht aus mehreren Quellenstellen hervor. Zwei­ mal wird die aula regalis in dem Gedicht Angilberts »Karolus Magnus et Leo papa« er­ wähnt, das den Papstbesuch in Paderborn im Jahre 799 schildert? und noch Thietmar von Merseburg nennt die curtis regalis zum Jahre 1002°. Die vita des Bischofs Mein­ werk von Paderborn (1009-1036) berichtet, daß der Bischof in der domus regia Al­ mosenspenden verteilte. Sie allein überstand den Brand von 1058 mit einem Haus am Markt von allen Gebäuden Paderborns9. Auch setzen die vielen Reichsversammlungen (777, 785, 799, 815, 840, 845) und die zahlreichen, z. T. längeren Aufenthalte der Könige und Kaiser (ganz besonders Heinrichs HI. und Konrads II.) einen Königshof voraus'. 1907 fand man 15 m östlich der Bartholomäuskapelle auf der Nordseite des Domes, etwa in Höhe des Querschiffs, die Fundamente einer Palastkapelle mit reichem Mosaik­ fußboden. In ihr hat man die Marienkapelle Gerolds, des Schwagers Karls des Großen, vermutet, welche die Vita Meinwerci bei der Erbauung der Bartholomäuskapelle er­ wähnt: »juxta principale quoque monasterium capellam quandam capelle in honore sancte Marie perpetue virginis a Geroldo Caroli Magni imperatoris consanguineo et signifero (exstructae), contiguam per Grecos operarios construxit eamque in honore sancti Bartholomei apostoli dedicavit11«. Der Kapelle schloß sich im Westen ein Profan­ gebäude an. Nach den jüngsten Grabungen hat sich diese Gleichsetzung aber als recht unwahrscheinlich herausgestellt. Die 1907 gefundene Kapelle gehört schwerlich noch dem 9. Jahrhundert an'!+, Bischof Meinwerk hat in der Nähe nach dem furchtbaren Brand von 1000 seinen Bischofshof errichtet. Die domus regia der ottonischen Zeit muß an anderer Stelle gelegen haben, wo, wissen wir allerdings nicht'?. Die große Überraschung bei den Grabungen nach dem zweiten Weltkrieg bildete die Aufdeckung der Fundamente einer doppelchörigen Kirche unter der Abdinghofer Jüngere Translatio s. Liborii, entstanden um 890. MG SS IV, S. 150: »... atque parrochias diligenti ratione suis guasgue terminis servandas designans, quia civitates, in quibus more antiquo sedes episcopales constituerentur, illi penitus provinciae deerant, loca tarnen ad hoc, guae et naturali guadam excellentia et populi frequentia prae caeteris oportuna vide­ bantur, elegit .. . Inter omnia vero loca, .• Patherbrunnensis sedes speciali quadam digni­ tate praecellit, .. .« 7 MG SS II, S.401, V. 433 und S.405, v. 524. - Eine Pfalz ist in Paderborn nicht bezeugt. Vgl. Alois Fuchs, Bautätigkeit des Bischofs Badurad, S. 5. 8 Die Chronik des Bischofs Thietmar v. Merseburg ed. Rob. Holtzmann, Berlin 1935, S. 245. 9 »Largissimarum elemosinarum eius, guas in domo regia omni vite sue tempore cotidiana devotione exhibuit, eadem domus testis exstitit, que anno dominice incarnationis 1058 omni civitate Patherbrunnensi celesti iudicio incendio depopulata sola superstes cum una domo forensi fuit.« Vita Meinwerci ed. Fr. Tenckhoff, Hannover 1921, C. 165, S. 85. 10 Franz Tenckhoff, Paderborn als Aufenthaltsort der deutschen Könige und Kaiser, Zeitschr. f. vaterl. Geschichte u. Altertumskunde, 45/II, 1897, S.143 ff. 11 Die Kapelle ist 8,77 m lang und 5,55 m breit. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, €. 155, S. 82. Alois Fuchs, Grabungen und Funde in und am Paderborner Dom seit 1907, Sankt Liborius, sein Dom und sein Bistum, hgb. von Paul Simon, Paderborn 1936, S. 207 f. - B. Kuhlmann, Gerold und die Geroldskapelle in Paderborn, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk., 58/II, S. 3ff. Der Verf. hält die Vorhalle der Bartholomäuskapelle für die Kapelle Gerolds! 11a Hans Thümmler, Neue Funde zur mittelalterlichen Baukunst Westfalens, Westfalen 51, 1953, S. 288 ff. 12 Fuchs, Bautätigkeit des Bischofs Badurad, S. 5, Anm. 7.

Abtei, von deren Bestehen man bisher nichts ahnte'°. 1943 hatte allerdings schon Karl Schoppe vermutet, daß die gut bezeugte Salvatorkirche Karls des Großen nicht anstelle des Domes, sondern im Westen davor zu suchen sei'*. Inmitten der Langhausfunda­ mente der neuentdeckten Kirche bei Abdinghof fanden sich die Reste einer kleinen ein­ schiffigen Kirche mit eingezogenem rechteckigen Chor, eines Lehmfachwerkbaues. Was liegt näher, als diese kleine Kirche mit der 777 begonnenen Salvatorkirche Karls des Großen zu identifizieren, die neben der Kirche auf der Eresburg das älteste christliche Gotteshaus des Sachsenlandes war!57 Die Annales Pettavienses und jene von St. Gallen erwähnen die Erbauung'®. Die große doppelchörige Kirche darüber müßte dann diejenige sein, deren Kryptenaltar Papst Leo III. 799 zu Ehren des hl. Stephanus weihte. Nach der jüngeren translatio sancti Liborii war die Salvatorkirche wiederholt zerstört worden. Dies könnte in den Sachsenaufständen 778 und 793 der Fall gewesen sein. Seit 794 hat man wieder an dem Neubau der Salvatorkirche arbeiten können. Zu den Funden paßt vortrefflich, daß das Chronicon Moissacense den Neubau als »ecclesiam mirae magnitu­ dinis« bezeichnet", Ob er je vollendet wurde, wissen wir nicht. Nach 80o kommt die Salvatorkirche in den Quellen nicht mehr vor. Im Gebiet des späteren Abdinghof-Klo­ sters könnte der Königshof Karls des Großen gestanden haben. Aus der Missionsstation, die dem Bistum Würzburg unterstand, ging das Bistum Paderborn hervor. Wohl 804 wurde der Ort Bischofssitz. Badurad, der zweite Bischof von Paderborn (815-862), erbaute nach der älteren translatio s. Liborii offenbar einen neuen Dom von Grund aus, in dem er 836 die von Le Mans überführten Reliquien des hl. Liborius beisetzte, die von nun an den höchsten Schatz Paderborns im Mittelalter ausmachten'. Der Badurad-Dom lag östlich der Salvatorkirche, im Nordosten des heu­ tigen Domes. Jüngst konnten Teile seiner Fundamentmauern aufgedeckt werden. Die 13

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Bernhard Ortmann, Baugeschichte der Salvator- und Abdinghofkirche zu Paderborn auf Grund der Ausgrabungen 1949 bis 1956, Westfälische Zeitschrift 107, 1957, S. 255 ff. vor allem S.343 ff. - Karl Schoppe, Die Lorscher Annalen und die Paderborner Kirche von 799, Die Warte 18, 1957, S. 177 ff. Gegen die Datierung der Krypta des Großbaues B in karolin­ gische Zeit vgl. Hilde Claussen, in Westfälische Zeitschrift 107, 1957, S. 440. Die Krypta könnte dem Bau Meinwerks angehören! Erich Kubach u. Alb. Verbeek, Die vorromanische und romanische Baukunst in Mitteleuropa. Literaturbericht, Zeitschr. f. Kunstgesch. 14, 1951, S. 124 ff., mit Grundriß. - Kunstchronik 4, 1951, S. 147 f. - Thümmler, Neue Funde, S. 289 f. Schoppe, S. 18. Richter, S.11. MG SS I, S.16: »... et aedificaverunt ibi ecclesiam Franci.« - Ebenda I, S.65: »et ibi aedificavit (Karl der Große) ecclesiam in honore Salvatoris.« MG SS I, S. 304. - B. Kuhlmann, Papst Leo III. im Paderborner Land, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumskunde 56/II, 1898, S. 98ff. - Schoppe, S.9 ff., weist darauf hin, daß auch die karolingischen Pfalzen in Frankfurt und Duisburg Salvatorkirchen besaßen. Vgl. auch Weihe des Stephanusaltares, MG SS IV, S. 150. Die vita Meinwerci bestimmt den Altar genauer als Kryptenaltar (ed. Tenckhoff, S. 106). MG SS XXX, T. II, S. 812: ».. . in magna basilica, noviter inchoata (= neuangefangen, nicht vor kurzem«) maximaque ex parte constructa, quam ... Patratus ... a novo opere vario ac decoro validoque construere coepit.« Die ältere translatio s. Liborii entstand um 860. Fuchs, Bautätigkeit des Bischofs Badurad, S.16 ff., möchte den Neubau Badurads als Er­ weiterung (Westwerk) der Salvatorkirche verstehen, was aber seit den Ausgrabungen 1950 nicht mehr möglich ist. - Karl Schoppe, Aus der Frühzeit des Bistums Paderborn, Die Warte 17, 1956, S. 68 ff. u. 83 ff.

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Nachfolgebauten schoben sich immer mehr nach Südwesten vor19. So erklärt sich die merkwürdige Stellung des Stiftsgebäudes mit dem Kreuzgang, das heute nordöstlich des Ostchores liegt, sich einst aber wie üblich an die Nordseite des karolingischen Lang­ hauses anschloß. Die Säulenvorlagen in der Halle nördlich des Ostchores bestehen aus dem Kalksinter-Niederschlag der römischen Wasserleitung von der Eifel nach Köln, den Karl der Große auch für Säulenschäfte in Aachen verwenden ließ. Die Paderborner Säulenvorlagen dürften deshalb ebenfalls noch aus dem karolingischen Dom stammen. Die Salvatorkirche und der Dom Badurads liegen auf der gleichen Achse. Damit war für Paderborn ein Kern an monumentalen Bauwerken festgelegt, der sich bis heute gewisser­ maßen als Rückgrat der Stadt erhielt. Natürlich standen die beiden Gebäudegruppen, Königshof und Missionskirche, in­ nerhalb einer Befestigung. Die moenia des karolingischen Paderborn werden auch von der jüngeren translatio s. Liborii erwähnt (gegen 890)?°. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Holz-Erde-Befestigung, wie sie in Hamburg nachgewiesen wurde. Den Mauer­ verlauf der Domburg in ottonisch-salischer Zeit kennen wir ziemlich genau, stimmt dieser aber mit dem karolingischen Königshof und der Domimmunität überein? Karolin­ gische Wälle sollen an der Südostecke der Freiheit gefunden worden sein, ihre Ver­ öffentlichung steht noch aus?'. Die spätere Immunität Bischof Meinwerks bildet ein Rechteck von etwa 265X 240 m Seitenlänge; sie schließt aber die Salvatorkirche aus, die wohl zum Königshof gehörte. Vielleicht bildete dieser und das Domgebiet zusammen einen rechteckigen Befestigungsbau zwischen Kasseler Straße und Kettenplatz (Doppel­ curtis oder curtisundcurticula?). Jedenfalls kann die Vermutung der curticula im Westen größere Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen als im Süden der curtis (Kampstraße und Gebiet südlich davon)??. Ähnlich liegt die Kirche im Vorhof der curtis von Dorestad in Holland, dem karolingischen Wikort?*. Einen zweiten Befestigungsring um curtis und curticula in Paderborn anzunehmen, erübrigt sich aus siedlungsgeschichtlichen und wehr­ technischen Gründen. Das karolingische Paderborn war eben keine Stadt im Sinne des 12. und 15. Jahrhunderts und benötigte wenig Platz für Handwerker- und Kaufleute­ siedlungen?*. Häuser zwischen den beiden Befestigungsringen hätten aber den militäri­ schen Wert der inneren Wehranlage aufgehoben. Der arabische Reisende Qazwini nennt Paderborn nur »ein festes Kastell ... in der Nähe des Kastells Soest«, während er 19 20

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Thümmler, Neue Funde, S. 288. - Al. Fuchs, Die Reste des Atriums des karol. Domes zu Paderborn, Paderb. 1925, und Fuchs, Der Dom zu Paderborn, Paderb. 1936, S. 4 ff. MG SS IV, S.150: ».. . in ipso moeniorum prospectu .. .« - Wenn es in derselben Quelle von den Paderadern heißt, daß sie sich innerhalb des Ortes vereinigen (intra ipsum oppi­ dum), so ist hier oppidum im weiteren Sinne als Ortsgebiet zu verstehen; denn innerhalb der Befestigung des Königshofes lagen die Paderquellen sicher nicht. Hierauf hat mich liebenswürdigerweise Herr Dr. Karl Schoppe verwiesen. Dafür, sowie für weitere Fingerzeige zur Paderborner Baugeschichte, bin ich Herrn Dr. Schoppe zu tiefem Danke verpflichtet. - Vgl. die Lage der »Burg« in Dortmund an einer Kreuzung des Hell­ weges. Karl Schoppe, Marktrecht, Marktsiedlung und Marktkirche im karolingischen Pa­ derborn, Festschrift der Volksbank Paderborn aus Anlaß ihres 5ojähr. Bestehens im Jahre 1947, Paderborn 1947, S.12. Schoppe (1943), S.19 f. tritt für den Kamp ein. J. H. Holwerda, Dorestad, Leyden 1929. Schoppe (1943), S. 26, u. Ortmann, S. 95, Abb. 50, glauben schon in karolingischer Zeit eine Stadt hochmittelalterlicher Art annehmen zu müssen.

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Abb. 20. Paderborn im 11. Jahrhundert

1 Dom 2 Bischofshof 3 Marstall 4 Sternberger Hof 5 St. Bartholomäus- Kapelle 6 Abdinghof

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7 Spital 8 St. Pankratius (Marktkirche) 9 St. Alexius-Kapelle 10 Busdorf 11 Stadelbof

Nachfolgebauten schoben sich immer mehr nach Südwesten vor19. So erklärt sich die merkwürdige Stellung des Stiftsgebäudes mit dem Kreuzgang, das heute nordöstlich des Ostchores liegt, sich einst aber wie üblich an die Nordseite des karolingischen Lang­ hauses anschloß. Die Säulenvorlagen in der Halle nördlich des Ostchores bestehen aus dem Kalksinter-Niederschlag der römischen Wasserleitung von der Eifel nach Köln, den Karl der Große auch für Säulenschäfte in Aachen verwenden ließ. Die Paderborner Säulenvorlagen dürften deshalb ebenfalls noch aus dem karolingischen Dom stammen. Die Salvatorkirche und der Dom Badurads liegen auf der gleichen Achse. Damit war für Paderborn ein Kern an monumentalen Bauwerken festgelegt, der sich bis heute gewisser­ maßen als Rückgrat der Stadt erhielt. Natürlich standen die beiden Gebäudegruppen, Königshof und Missionskirche, in­ nerhalb einer Befestigung. Die moenia des karolingischen Paderborn werden auch von der jüngeren translatio s. Liborii erwähnt (gegen 890)?°. Wahrscheinlich handelte es sich um eine Holz-Erde-Befestigung, wie sie in Hamburg nachgewiesen wurde. Den Mauer­ verlauf der Domburg in ottonisch-salischer Zeit kennen wir ziemlich genau, stimmt dieser aber mit dem karolingischen Königshof und der Domimmunität überein? Karolin­ gische Wälle sollen an der Südostecke der Freiheit gefunden worden sein, ihre Ver­ öffentlichung steht noch aus?'. Die spätere Immunität Bischof Meinwerks bildet ein Rechteck von etwa 265X 240 m Seitenlänge; sie schließt aber die Salvatorkirche aus, die wohl zum Königshof gehörte. Vielleicht bildete dieser und das Domgebiet zusammen einen rechteckigen Befestigungsbau zwischen Kasseler Straße und Kettenplatz (Doppel­ curtis oder curtisundcurticula?). Jedenfalls kann die Vermutung der curticula im Westen größere Wahrscheinlichkeit für sich beanspruchen als im Süden der curtis (Kampstraße und Gebiet südlich davon)??. Ähnlich liegt die Kirche im Vorhof der curtis von Dorestad in Holland, dem karolingischen Wikort?*. Einen zweiten Befestigungsring um curtis und curticula in Paderborn anzunehmen, erübrigt sich aus siedlungsgeschichtlichen und wehr­ technischen Gründen. Das karolingische Paderborn war eben keine Stadt im Sinne des 12. und 15. Jahrhunderts und benötigte wenig Platz für Handwerker- und Kaufleute­ siedlungen?*. Häuser zwischen den beiden Befestigungsringen hätten aber den militäri­ schen Wert der inneren Wehranlage aufgehoben. Der arabische Reisende Qazwini nennt Paderborn nur »ein festes Kastell ... in der Nähe des Kastells Soest«, während er 19 20

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Thümmler, Neue Funde, S. 288. - Al. Fuchs, Die Reste des Atriums des karol. Domes zu Paderborn, Paderb. 1925, und Fuchs, Der Dom zu Paderborn, Paderb. 1936, S. 4 ff. MG SS IV, S.150: ».. . in ipso moeniorum prospectu .. .« - Wenn es in derselben Quelle von den Paderadern heißt, daß sie sich innerhalb des Ortes vereinigen (intra ipsum oppi­ dum), so ist hier oppidum im weiteren Sinne als Ortsgebiet zu verstehen; denn innerhalb der Befestigung des Königshofes lagen die Paderquellen sicher nicht. Hierauf hat mich liebenswürdigerweise Herr Dr. Karl Schoppe verwiesen. Dafür, sowie für weitere Fingerzeige zur Paderborner Baugeschichte, bin ich Herrn Dr. Schoppe zu tiefem Danke verpflichtet. - Vgl. die Lage der »Burg« in Dortmund an einer Kreuzung des Hell­ weges. Karl Schoppe, Marktrecht, Marktsiedlung und Marktkirche im karolingischen Pa­ derborn, Festschrift der Volksbank Paderborn aus Anlaß ihres 5ojähr. Bestehens im Jahre 1947, Paderborn 1947, S.12. Schoppe (1943), S.19 f. tritt für den Kamp ein. J. H. Holwerda, Dorestad, Leyden 1929. Schoppe (1943), S. 26, u. Ortmann, S. 95, Abb. 50, glauben schon in karolingischer Zeit eine Stadt hochmittelalterlicher Art annehmen zu müssen.

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7 Spital 8 St. Pankratius (Marktkirche) 9 St. Alexius-Kapelle 10 Busdorf 11 Stadelbof

Utrecht, Schleswig und Mainz - Orte, in denen Marktbetrieb herrschte und Kaufleute festen Wohnsitz hatten - als »große Städte« bezeichnet?®, In karolingischer Zeit ist das Bestehen einer Paderborner Marktsiedlung nicht er­ wiesen, aber zu vermuten26. Zwar soll nach dem Paderborner Chronisten Gobelin Person (1358-1425) die Marktkirche St. Pankratius von Bischof Badurad erbaut worden sein, doch diese Nachricht ist nicht weiter beglaubigt27. Im Osten der curtis lag der Wirtschafts­ hof, die Villa Aspedere. Der Name wird freilich erst 1056 zum erstenmal genannt; die Ortsnamen auf -ere gehören aber meist dem 8. oder 9. Jahrhundert an?®. Der Stadelhof anstelle des heutigen Kapuzinerklosters wird der Verwaltungssitz des Gutes gewesen sein. Die villa hatte auch einen eigenen Richter, der im Thie (an der Ecke Thisaut-Heiers­ straße) noch lange nach dem Aufgehen in die geschlossene Stadt für diesen Stadtteil zu Gericht saß. Ein zweiter Wirtschaftshof, ebenfalls Stadelhof genannt, lag im westlichen Stadtgebiet. Er war bischöflicher Besitz. Der Ledderhof beim Busdorfstift gehörte dem Domkapitel?? In dem großen Stadtbrand im Jahre 1000 ging das karolingische Paderborn zugrunde. In der neu erstehenden ottonischen Stadt besaßen Bischof und Kirche von vornherein eine entscheidendere Stellung. Bauherr war Bischof Meinwerk (1009-1036). Was sein Vorgänger Rethar vom Domneubau zuwege brachte, ließ Meinwerk wieder einreißen, um seinen viel großartigeren Plan durchführen zu können. 1015 wurde der neue Bau geweiht°, über den ottonischen Bischofspalast unterrichtet uns eine Urkunde aus dem Jahre 1536 recht anschaulich. Damals tauschte der Paderborner Bischof Bernhard den ver­ fallenen und ruinösen Palast, der nur mehr gelegentlich benutzt wurde, da seit dem 13. Jahrhundert die Bischöfe sich auf ihre Burg Neuhaus zurückgezogen hatten, gegen die Kurie auf der Nordseite des Domes, in der die Bartholomäuskapelle lag, mit dem Dom25

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Georg Jakob, Arabische Berichte von Gesandten an germanischen Fürstenhöfen aus dem 9. und 10. Jahrhundert. Quellen zur deutschen Volkskunde, 1. Heft, Berlin-Leipzig 1927, S. 25. Wenn Fritz Rörig, Magdeburgs Entstehung und die ältere Handelsgeschichte, Miscellanea Academica Berolinensia II/1, Berlin 1950, S.110, im Gebiete östlich des Rheins und nörd­ lich der Donau auch keine Kaufleutesiedlungen annahm, so mahnen die Funde zur Vorsicht. In Emden, Hamburg, Mühlhausen wurden besiedelte Wike einwandfrei nachgewiesen (R. Schindler, Ausgrabungen in Alt Hamburg, Hamb. (1957), S. 136). Schoppe, Marktrecht etc., S.13ff., tritt für einen karolingischen Markt im späteren Sinne in Paderborn ein. Die Verehrung des hl. Pankratius ist für Deutschland im 8. Jh. belegt, gerade Corvey war ein Ausstrahlungspunkt seines Kultes. - Hermann Abels, Gobelin Person, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk., 57/II, 1899, S. 3 ff. Schoppe (1943), S. 20 f. Richter, S. 15 f. Der westliche Stadelhof 1251 erwähnt. - K. J. Pöppel, Der bischöfliche Stadelhof beim mittelalterlichen Markt in Paderborn, Westfälische Zeitschrift 111, 1961, S. 355 f. Fuchs, Dom zu Paderborn, 5. 10. - Fuchs, Grabungen u. Funde, S. 212. Die Krypta Rethars wurde 1915 aufgedeckt. - Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, S. 19, c. 12: »Principalem ecclesiam sumptu ingenti et munificencia singulari construxit; quam tercia die adventus sui, deiecto opere modico a predecessore suo inchoato et usgue ad fenestras neglegenter consummato, a fundamentis celeriter atque alacriter erexit.« - Weihe c. 29, S. 35. - Über die Bauwerke Meinwerks vgl. Georg Humann, Die Baukunst unter Bischof Meinwerk von Paderborn, Aachen 1918. - Zum Charakterbild des Bischofs vgl. Hermann Rothert, Bischof Meinwerk von Paderborn, Jahrb. d. Ver. f. Westfäl. Kirchengesch. 48, 1955, S. 7 ff.

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0 Abb. 21. Paderborn. Mittelalterliches Stadtgebiet nach dem Hausstellenplan von 1851 mit Ergänzung der Stadtmauer 1 2 3 4

Dom Gokirche St. Ulrich Abdinghof Busdorf 5 Kapuzinerkloster 6 Rathaus 7 Heierstor 8 Thie

A Westernstraße B Kettenplatz C Rathausplatz

D Kampstraße

E Kasseler Straße F Giersstraße G Heierstraße (früher Steinweg) H Thisaut

J

Am Rotheborn K Ikenberg L Michaelisgasse M Am Abdinghof N Krumme Gasse 0 Grube P Schildern Q An dem Bogen

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Utrecht, Schleswig und Mainz - Orte, in denen Marktbetrieb herrschte und Kaufleute festen Wohnsitz hatten - als »große Städte« bezeichnet?®, In karolingischer Zeit ist das Bestehen einer Paderborner Marktsiedlung nicht er­ wiesen, aber zu vermuten26. Zwar soll nach dem Paderborner Chronisten Gobelin Person (1358-1425) die Marktkirche St. Pankratius von Bischof Badurad erbaut worden sein, doch diese Nachricht ist nicht weiter beglaubigt27. Im Osten der curtis lag der Wirtschafts­ hof, die Villa Aspedere. Der Name wird freilich erst 1056 zum erstenmal genannt; die Ortsnamen auf -ere gehören aber meist dem 8. oder 9. Jahrhundert an?®. Der Stadelhof anstelle des heutigen Kapuzinerklosters wird der Verwaltungssitz des Gutes gewesen sein. Die villa hatte auch einen eigenen Richter, der im Thie (an der Ecke Thisaut-Heiers­ straße) noch lange nach dem Aufgehen in die geschlossene Stadt für diesen Stadtteil zu Gericht saß. Ein zweiter Wirtschaftshof, ebenfalls Stadelhof genannt, lag im westlichen Stadtgebiet. Er war bischöflicher Besitz. Der Ledderhof beim Busdorfstift gehörte dem Domkapitel?? In dem großen Stadtbrand im Jahre 1000 ging das karolingische Paderborn zugrunde. In der neu erstehenden ottonischen Stadt besaßen Bischof und Kirche von vornherein eine entscheidendere Stellung. Bauherr war Bischof Meinwerk (1009-1036). Was sein Vorgänger Rethar vom Domneubau zuwege brachte, ließ Meinwerk wieder einreißen, um seinen viel großartigeren Plan durchführen zu können. 1015 wurde der neue Bau geweiht°, über den ottonischen Bischofspalast unterrichtet uns eine Urkunde aus dem Jahre 1536 recht anschaulich. Damals tauschte der Paderborner Bischof Bernhard den ver­ fallenen und ruinösen Palast, der nur mehr gelegentlich benutzt wurde, da seit dem 13. Jahrhundert die Bischöfe sich auf ihre Burg Neuhaus zurückgezogen hatten, gegen die Kurie auf der Nordseite des Domes, in der die Bartholomäuskapelle lag, mit dem Dom25

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Georg Jakob, Arabische Berichte von Gesandten an germanischen Fürstenhöfen aus dem 9. und 10. Jahrhundert. Quellen zur deutschen Volkskunde, 1. Heft, Berlin-Leipzig 1927, S. 25. Wenn Fritz Rörig, Magdeburgs Entstehung und die ältere Handelsgeschichte, Miscellanea Academica Berolinensia II/1, Berlin 1950, S.110, im Gebiete östlich des Rheins und nörd­ lich der Donau auch keine Kaufleutesiedlungen annahm, so mahnen die Funde zur Vorsicht. In Emden, Hamburg, Mühlhausen wurden besiedelte Wike einwandfrei nachgewiesen (R. Schindler, Ausgrabungen in Alt Hamburg, Hamb. (1957), S. 136). Schoppe, Marktrecht etc., S.13ff., tritt für einen karolingischen Markt im späteren Sinne in Paderborn ein. Die Verehrung des hl. Pankratius ist für Deutschland im 8. Jh. belegt, gerade Corvey war ein Ausstrahlungspunkt seines Kultes. - Hermann Abels, Gobelin Person, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk., 57/II, 1899, S. 3 ff. Schoppe (1943), S. 20 f. Richter, S. 15 f. Der westliche Stadelhof 1251 erwähnt. - K. J. Pöppel, Der bischöfliche Stadelhof beim mittelalterlichen Markt in Paderborn, Westfälische Zeitschrift 111, 1961, S. 355 f. Fuchs, Dom zu Paderborn, 5. 10. - Fuchs, Grabungen u. Funde, S. 212. Die Krypta Rethars wurde 1915 aufgedeckt. - Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, S. 19, c. 12: »Principalem ecclesiam sumptu ingenti et munificencia singulari construxit; quam tercia die adventus sui, deiecto opere modico a predecessore suo inchoato et usgue ad fenestras neglegenter consummato, a fundamentis celeriter atque alacriter erexit.« - Weihe c. 29, S. 35. - Über die Bauwerke Meinwerks vgl. Georg Humann, Die Baukunst unter Bischof Meinwerk von Paderborn, Aachen 1918. - Zum Charakterbild des Bischofs vgl. Hermann Rothert, Bischof Meinwerk von Paderborn, Jahrb. d. Ver. f. Westfäl. Kirchengesch. 48, 1955, S. 7 ff.

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0 Abb. 21. Paderborn. Mittelalterliches Stadtgebiet nach dem Hausstellenplan von 1851 mit Ergänzung der Stadtmauer 1 2 3 4

Dom Gokirche St. Ulrich Abdinghof Busdorf 5 Kapuzinerkloster 6 Rathaus 7 Heierstor 8 Thie

A Westernstraße B Kettenplatz C Rathausplatz

D Kampstraße

E Kasseler Straße F Giersstraße G Heierstraße (früher Steinweg) H Thisaut

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Am Rotheborn K Ikenberg L Michaelisgasse M Am Abdinghof N Krumme Gasse 0 Grube P Schildern Q An dem Bogen

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kapitel aus31. Das Gebiet des alten Bischofshofes wurde dem Kapitel zur Errichtung von Kurien und Häusern überlassen. Die kleinen Grundstücke, die der Stadtgrundriß in der Nordwestecke der Freiheit aufweist, entstanden offenbar nach 1336. Zum Bischofs­ hof gehörten zwei Kapellen. Die eine, die den 11 00o Jungfrauen geweiht war, lag über einem Tor »in superiori pavimento veteris pallacii supra portam«. Sie war 1336 so ver­ fallen, daß nicht einmal die Fundamente für den Wiederaufbau genügend sicher schie­ nen32. Man muß sie wohl im Zuge der Michaelisstraße annehmen. Die zweite Kapelle, den Heiligen Primus und Felicianus geweiht, lag vor dem Westchor des Domes, »ante ecclesiam principalem«. Der vita Meinwerci kann man entnehmen, daß sie »super co­ lumnas facta« gewesen sei®. Es handelte sich wohl um einen gewölbten Raum auf eingestellten Säulen in der Art der Bartholomäuskapelle. Der Palast besaß einen Som­ mer- und einen Winterbau34. Im Nordosten des Palastgebietes lag der Marstall, von dem bei Abbruch des Hauses Ikenberg Nr. 11 in den dreißiger Jahren noch ein Torbogen zum Vorschein kam. Das Ge­ bäude bildete ein Rechteck von etwa 50X15 m. Die Eckverbände und Werkstücke des Portals bestanden aus Sandstein, das übrige Mauerwerk war Kalkbruchstein35• Auch das Domkloster erbaute Bischof Meinwerk neu. Zwischen ihm und dem Bischofshof entstand um 1017 nach der Romreise Meinwerks (1014) die Bartholomäus­ kapelle, der einzige unter den Meinwerkschen Bauten, der heute noch unversehrt erhal­ ten ist. Unteritalienische Werkleute wölbten seine Hängekuppeln?®. Zweifellos hat Mein­ werk den Bartholomäuskult in Rom kennengelernt, wohin wahrscheinlich Otto III. die Reliquien des Apostels in die Kirche San Bartolommeo auf der Tiberinsel hatte bringen lassen°?. Vor dem Tor der Immunität, das zum Abdinghofkloster führt, wurde dem hl. 31

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C. Spancken, Eine für die ältere Topographie der Stadt Paderborn wichtige Urkunde. Zeit­ schr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk. 56/II, 1898, S.176 ff., mit vollständigem Abdruck der Urkunde. »... pallacium nostrum iam annis pluribus desolatum, destructum, edificiis to­ taliter dissipatum, cuius muri pro maiori parte diruti, ruinam partes reliquie cotidie com­ minantur, .. .« Das Gebiet des Bischofshofes wird in der Urkunde genau beschrieben: » ... in parte orientali, ubi muri ecclesiam nostram prope turrim ipsius versus austrum contingunt, et protenduntur in longitudine usque ad curiam monasterii sancti Pauli (Ab­ dinghof), et in latitudine ab extrema acie partis aquilonaris ipsius turris dyametraliter procedendo usque ad portam, qua per medium dicti pallacii transitur, et ab eadem porta regirando versus occidentem usque ad portam et viam, que ducit ab ecclesia nostra ad dictum monasterium sancti Pauli, . . . inter murum cimiterii ecclesie nostre predicte et portam antedictam, per medium pallacii transeundem.« Ebenda, S.179. Die Reliquien der Kapelle waren schon entfernt. Die dos wird der Bartho­ lomäuskapelle überwiesen. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 219, S. 152. Die Anlage des Palastes, wie er in der Urkunde von 1536 beschrieben wird, dürfte im wesentlichen noch auf Meinwerk zurückgehen, da die beiden Kapellen auf der Nord- und Südseite schon in der vita Meinwerci erwähnt werden. Vgl. auch Völker in Heimatborn 16, 1936, S. 35. - Auch an eine Doppelkapelle könnte man bei der Sterbekapelle Meinwerks (Kapelle der Hlg. Primus und Felicianus) denken. Vgl. Vüllers, Über älteste Baureste Paderborns, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk. 56/II, 1898, S.171 ff. - Richter, S. 55. Christoph Völker, Der Marstall des Bischofs Meinwerk in Paderborn, Westfalen 20, 1939, S.196 ff., Abb. Tafel XVII. Scheitelhöhe des Torbogens 2,35 m, Profil abgeschlagen. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 155, S. 82, zitiert S. 104. Fuchs, Dom zu Paderborn, S. 52. - Emile Mäle, Rome et ses vieilles eglises, Paris (1943), S.144

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Alexius zur gleichen Zeit wie dem hl. Bartholomäus eine Kapelle errichtet38• Meinwerk gelobte diesen Bau, als er auf seiner Romfahrt von einer pestartigen Krankheit befallen wurde. Es war ein achteckiger Zentralbau, wie Grabungen 1954 ergaben. Das Immunitätsgebiet umgab der Bischof mit einer Mauer. Die vita Meinwerci be­ richtet: »Murum quoque in circuitu urbis in civitate Patherbrunnensi construxit, domum episcopalem a fundamentis erexit et non solum ipsius civitatis menia restaurare, inno­ vare curavit, sed et, quidquid in aliis suae provisionis locis dirutum vel veteranum in­ venit, distrahere, renovare, meliorare festinavit.« Der Verlauf der Meinwerkschen Mauer ist noch heute im Stadtplan zu verfolgen*. Von dem Tor an der Südwestecke, das in Schildern bei Haus Nr. 15 lag, zog die Mauer nach Osten, überschritt die Grube, lief der Krummen Gasse entlang bis zur Südostecke an der Kasseler Straße. Hier wandte sie sich in rechtem Winkel nach Norden und zog längs der Kuriengrenzen, etwa in der Mitte zwischen Domplatz und Heiersstraße, bis zum Thie. Das Osttor der Immunität lag in der Gasse »An dem Bogen«, deren Namen sich von dem Tor herleitet. Die Nordmauer der Freiheit ging dem Thisaut entlang bis zur Pader, sprang dort nach Süden zurück und führte längs der Gasse Rotheborn nach Westen. Im Zuge der Michaelisgasse wird man die Bischofshofkapelle zu den 11 000 Jungfrauen vermuten dürfen, nicht im Verlauf des Ikenberges, der die Ostgrenze des Bischofsbereiches bildete. In der Ausbuchtung zum Thisaut lag die Domschule. Möglich, daß dieser Vorsprung eine nachträgliche Erweiterung des sonst regelmäßig rechteckigen lmmunitätsbezirkes darstellt. Die Westgrenze der Freiheit verlief fast geradlinig von der Nordwestecke des Bischofshofes der Grenze des Abdinghofgebietes entlang zum Tor in den »Schildern«. Die Alexiuskapelle stand unmittelbar vor dem Tor, das zum Abdinghofkloster führte. Mindestens vier Tore verbanden die Immunität mit der Außenwelt. Die beiden Haupt­ tore lagen in den »Schildern« und »An dem Bogen«. Beim »Bogen« lag die Johannis­ kapelle als Torkapelle der Immunität. Sie war auf den Titel S. Joannis Evangelista ante 38 39

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Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 154, S. 81: »Alexi ... capellam in introitu urbis iuxta novum monasterium construi fecit.« Und c. 26, S. 51. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 159, S. 83. Aus dieser Stelle hat man immer auf einen doppelten Verteidigungsring geschlossen: eine Mauer um die urbs, die Domimmunität, und einen zweiten Ring um die civitas, die Stadt. (Anton Hübinger, Die Verfassung der Stadt Paderborn im Mittelalter, Marburg 1899, S.16f. - Schoppe, 1943, S.26.) Die zweite Er­ wähnung (ipsius civitatis menia) erfolgte aber nur um des Gegensatzes willen zu den Orten außerhalb Paderborn (non solum ... sed etiam). Da um 10oo die Worte urbs und civitas völlig gleichen Sinn besitzen und füreinander eintreten können (Fr. Geppert, Die Burgen und Städte bei Thietmar von Merseburg, Thür.-sächs. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst XVI, Halle 1927, II. Heft, S.166ff.), ist es möglich, unter den moenia die Verteidigungsanlagen der Immunität zu verstehen, zu der auch die Mauer gehörte, die aber sicher noch Gräben und Wälle mit umfaßte. Natürlich kann man die moenia auch als eine eigene Befestigung des Marktes auffassen. Der kostspielige Neubau der Immunitätsmauer aber innerhalb einer größeren besiedelten Stadt bliebe als Verteidigungsschutz sinnlos, da ihm das militärisch notwendige Vorgelände fehlen würde. Man muß sich hüten, die verschiedene Bedeutung von urbs (Immunität) und civitas (Stadt) im 12. u. 15. Jh. schon auf das 11. anzuwenden. Der Ausdruck »urbs in civitate« rechnet offensichtlich mit dem Tatbestand, den der Ver­ fasser vor Augen hatte. Die Vita Meinwerci wurde um 1160 niedergeschrieben. Am besten behandelt bei Vüllers, Älteste Baureste, S.165 ff. Der Verf. hat die Keller ab­ gegangen und noch Mauerreste einsehen können, die inzwischen längst verschwunden sind. 111

kapitel aus31. Das Gebiet des alten Bischofshofes wurde dem Kapitel zur Errichtung von Kurien und Häusern überlassen. Die kleinen Grundstücke, die der Stadtgrundriß in der Nordwestecke der Freiheit aufweist, entstanden offenbar nach 1336. Zum Bischofs­ hof gehörten zwei Kapellen. Die eine, die den 11 00o Jungfrauen geweiht war, lag über einem Tor »in superiori pavimento veteris pallacii supra portam«. Sie war 1336 so ver­ fallen, daß nicht einmal die Fundamente für den Wiederaufbau genügend sicher schie­ nen32. Man muß sie wohl im Zuge der Michaelisstraße annehmen. Die zweite Kapelle, den Heiligen Primus und Felicianus geweiht, lag vor dem Westchor des Domes, »ante ecclesiam principalem«. Der vita Meinwerci kann man entnehmen, daß sie »super co­ lumnas facta« gewesen sei®. Es handelte sich wohl um einen gewölbten Raum auf eingestellten Säulen in der Art der Bartholomäuskapelle. Der Palast besaß einen Som­ mer- und einen Winterbau34. Im Nordosten des Palastgebietes lag der Marstall, von dem bei Abbruch des Hauses Ikenberg Nr. 11 in den dreißiger Jahren noch ein Torbogen zum Vorschein kam. Das Ge­ bäude bildete ein Rechteck von etwa 50X15 m. Die Eckverbände und Werkstücke des Portals bestanden aus Sandstein, das übrige Mauerwerk war Kalkbruchstein35• Auch das Domkloster erbaute Bischof Meinwerk neu. Zwischen ihm und dem Bischofshof entstand um 1017 nach der Romreise Meinwerks (1014) die Bartholomäus­ kapelle, der einzige unter den Meinwerkschen Bauten, der heute noch unversehrt erhal­ ten ist. Unteritalienische Werkleute wölbten seine Hängekuppeln?®. Zweifellos hat Mein­ werk den Bartholomäuskult in Rom kennengelernt, wohin wahrscheinlich Otto III. die Reliquien des Apostels in die Kirche San Bartolommeo auf der Tiberinsel hatte bringen lassen°?. Vor dem Tor der Immunität, das zum Abdinghofkloster führt, wurde dem hl. 31

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C. Spancken, Eine für die ältere Topographie der Stadt Paderborn wichtige Urkunde. Zeit­ schr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk. 56/II, 1898, S.176 ff., mit vollständigem Abdruck der Urkunde. »... pallacium nostrum iam annis pluribus desolatum, destructum, edificiis to­ taliter dissipatum, cuius muri pro maiori parte diruti, ruinam partes reliquie cotidie com­ minantur, .. .« Das Gebiet des Bischofshofes wird in der Urkunde genau beschrieben: » ... in parte orientali, ubi muri ecclesiam nostram prope turrim ipsius versus austrum contingunt, et protenduntur in longitudine usque ad curiam monasterii sancti Pauli (Ab­ dinghof), et in latitudine ab extrema acie partis aquilonaris ipsius turris dyametraliter procedendo usque ad portam, qua per medium dicti pallacii transitur, et ab eadem porta regirando versus occidentem usque ad portam et viam, que ducit ab ecclesia nostra ad dictum monasterium sancti Pauli, . . . inter murum cimiterii ecclesie nostre predicte et portam antedictam, per medium pallacii transeundem.« Ebenda, S.179. Die Reliquien der Kapelle waren schon entfernt. Die dos wird der Bartho­ lomäuskapelle überwiesen. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 219, S. 152. Die Anlage des Palastes, wie er in der Urkunde von 1536 beschrieben wird, dürfte im wesentlichen noch auf Meinwerk zurückgehen, da die beiden Kapellen auf der Nord- und Südseite schon in der vita Meinwerci erwähnt werden. Vgl. auch Völker in Heimatborn 16, 1936, S. 35. - Auch an eine Doppelkapelle könnte man bei der Sterbekapelle Meinwerks (Kapelle der Hlg. Primus und Felicianus) denken. Vgl. Vüllers, Über älteste Baureste Paderborns, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk. 56/II, 1898, S.171 ff. - Richter, S. 55. Christoph Völker, Der Marstall des Bischofs Meinwerk in Paderborn, Westfalen 20, 1939, S.196 ff., Abb. Tafel XVII. Scheitelhöhe des Torbogens 2,35 m, Profil abgeschlagen. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 155, S. 82, zitiert S. 104. Fuchs, Dom zu Paderborn, S. 52. - Emile Mäle, Rome et ses vieilles eglises, Paris (1943), S.144

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Alexius zur gleichen Zeit wie dem hl. Bartholomäus eine Kapelle errichtet38• Meinwerk gelobte diesen Bau, als er auf seiner Romfahrt von einer pestartigen Krankheit befallen wurde. Es war ein achteckiger Zentralbau, wie Grabungen 1954 ergaben. Das Immunitätsgebiet umgab der Bischof mit einer Mauer. Die vita Meinwerci be­ richtet: »Murum quoque in circuitu urbis in civitate Patherbrunnensi construxit, domum episcopalem a fundamentis erexit et non solum ipsius civitatis menia restaurare, inno­ vare curavit, sed et, quidquid in aliis suae provisionis locis dirutum vel veteranum in­ venit, distrahere, renovare, meliorare festinavit.« Der Verlauf der Meinwerkschen Mauer ist noch heute im Stadtplan zu verfolgen*. Von dem Tor an der Südwestecke, das in Schildern bei Haus Nr. 15 lag, zog die Mauer nach Osten, überschritt die Grube, lief der Krummen Gasse entlang bis zur Südostecke an der Kasseler Straße. Hier wandte sie sich in rechtem Winkel nach Norden und zog längs der Kuriengrenzen, etwa in der Mitte zwischen Domplatz und Heiersstraße, bis zum Thie. Das Osttor der Immunität lag in der Gasse »An dem Bogen«, deren Namen sich von dem Tor herleitet. Die Nordmauer der Freiheit ging dem Thisaut entlang bis zur Pader, sprang dort nach Süden zurück und führte längs der Gasse Rotheborn nach Westen. Im Zuge der Michaelisgasse wird man die Bischofshofkapelle zu den 11 000 Jungfrauen vermuten dürfen, nicht im Verlauf des Ikenberges, der die Ostgrenze des Bischofsbereiches bildete. In der Ausbuchtung zum Thisaut lag die Domschule. Möglich, daß dieser Vorsprung eine nachträgliche Erweiterung des sonst regelmäßig rechteckigen lmmunitätsbezirkes darstellt. Die Westgrenze der Freiheit verlief fast geradlinig von der Nordwestecke des Bischofshofes der Grenze des Abdinghofgebietes entlang zum Tor in den »Schildern«. Die Alexiuskapelle stand unmittelbar vor dem Tor, das zum Abdinghofkloster führte. Mindestens vier Tore verbanden die Immunität mit der Außenwelt. Die beiden Haupt­ tore lagen in den »Schildern« und »An dem Bogen«. Beim »Bogen« lag die Johannis­ kapelle als Torkapelle der Immunität. Sie war auf den Titel S. Joannis Evangelista ante 38 39

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Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 154, S. 81: »Alexi ... capellam in introitu urbis iuxta novum monasterium construi fecit.« Und c. 26, S. 51. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 159, S. 83. Aus dieser Stelle hat man immer auf einen doppelten Verteidigungsring geschlossen: eine Mauer um die urbs, die Domimmunität, und einen zweiten Ring um die civitas, die Stadt. (Anton Hübinger, Die Verfassung der Stadt Paderborn im Mittelalter, Marburg 1899, S.16f. - Schoppe, 1943, S.26.) Die zweite Er­ wähnung (ipsius civitatis menia) erfolgte aber nur um des Gegensatzes willen zu den Orten außerhalb Paderborn (non solum ... sed etiam). Da um 10oo die Worte urbs und civitas völlig gleichen Sinn besitzen und füreinander eintreten können (Fr. Geppert, Die Burgen und Städte bei Thietmar von Merseburg, Thür.-sächs. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst XVI, Halle 1927, II. Heft, S.166ff.), ist es möglich, unter den moenia die Verteidigungsanlagen der Immunität zu verstehen, zu der auch die Mauer gehörte, die aber sicher noch Gräben und Wälle mit umfaßte. Natürlich kann man die moenia auch als eine eigene Befestigung des Marktes auffassen. Der kostspielige Neubau der Immunitätsmauer aber innerhalb einer größeren besiedelten Stadt bliebe als Verteidigungsschutz sinnlos, da ihm das militärisch notwendige Vorgelände fehlen würde. Man muß sich hüten, die verschiedene Bedeutung von urbs (Immunität) und civitas (Stadt) im 12. u. 15. Jh. schon auf das 11. anzuwenden. Der Ausdruck »urbs in civitate« rechnet offensichtlich mit dem Tatbestand, den der Ver­ fasser vor Augen hatte. Die Vita Meinwerci wurde um 1160 niedergeschrieben. Am besten behandelt bei Vüllers, Älteste Baureste, S.165 ff. Der Verf. hat die Keller ab­ gegangen und noch Mauerreste einsehen können, die inzwischen längst verschwunden sind. 111

portam latinam geweiht. Zwei Tore befanden sich im Bereich des Bischofshofes: eins zum Abdinghof (»portam et viam guae ducit ab ecclesia nostra ad dictum monasterium sancti Pauli«) und ein zweites zur Pader (»ad transitum, quo descenditur nunc directe ad dictos Padere fontes«)41. Nach der Urnrnauerung der Gesamtstadt waren die Tore überflüssig geworden, aber bis in das 14. Jahrhundert hinein traten Ketten an ihre Stelle, die oft Anlaß zu Streitigkeiten mit der Bürgerstadt gaben*?, In der Südostecke der Immunität, diagonal dem Bischofshof gegenüber, stand der Hof des Vogtes (sogen. Sternberger-Hof). Er umfaßte wahrscheinlich auch das Gelände des im 13. Jahrhundert errichteten Gauklosters*. Seiner Ausdehnung nach kann er dem Bischofshof nicht viel nachgestanden haben. Die Paderborner Bischöfe tauschten ihn 1371 als Standquartier vom Domkapitel ein** Die Dornherrenkurien lagen vor allem an der Ost- und Westmauer der Freiheit. Auf der Nordseite des Domes stand wohl nur eine einzige, jene, die 1356 von den Bischöfen erworben wird45. Für die Entstehungszeit der Kurien geben die Paderborner Quellen einen bedeut­ samen Hinweis. Nach dem Stadtbrande von 1058 versuchten die Domherren das gemein­ same Leben aufzulösen und eigene Häuser zu beziehen. Es gelang aber Bischof Irnad, den Zerfall der vita communis noch einmal aufzuschieben und die Kanoniker nach der Wiederherstellung der Stiftsgebäude zum Verlassen ihrer Kurien zu bewegen46. Zwei­ fellos bestanden in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts also Domherrenhäuser in der Immunität. Zur Zeit der Säkularisation zählte man deren noch dreizehn, vor dem Dreißigjährigen Kriege waren es neunzehn47. Die Zahl der Domherren betrug vierund­ zwanzig. In der Immunität liegt außerdem noch die »ecclesia rurensis« oder Gokirche St. Ulrich. Ihr Bau stammt aus dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts, Bei der Neuordnung der Pfarrsprengel 1251 wird ihr Bereich verkleinert und ihr der Südostbezirk der Stadt zu­ gewiesen. Ihr Name betont den Gegensatz zur »ecclesia forensis« St. Pankratius am Kettenplatz*, Sie war die Pfarrkirche (Eigenkirche) für den Grundbesitz des Dom­ kapitels. Sie reicht wohl nicht in die Zeit Meinwerks zurück, dessen ausführliche vita 41

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Aus der Urkunde vom 1. Mai 1556. Vgl. Anm. 51. Das »nunc« läßt vermuten, daß dieser Paderzugang erst nachträglich eingefügt wurde. - Zur Alexiuskapelle vgl. Alois Fuchs, Die Alexiuskapelle in Paderborn u. ihr Atrium, Westfäl. Zeitschr. 111, 1961, S. 557 f. G.J. Rosenkranz, Verfassung des ehem. Hochstifts Paderborn, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk. 2, 1851, S.105. - Richter, S. 20. - Hübinger, S. 22. - Westf. UB IV, Nr. 268, S. 175 f. von 1238. Richter, S. 20. Richter, S. 37. Vgl. Anm. 51. G. J. Rosenkranz, S.92. Schon unter Bischof Meinwerk waren die Pfründen ausgeschieden. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 165, S.85. Endgültige Aufgabe der vita communis im 13. Jh. Richter, S. 18 u. S. 144, Anm. 1. Leider fehlt eine Spezialuntersuchung über die Kurien im Mittelalter. - Vgl. auch Wilhelm Tack, Die Paderborner Domherrenkurien in der Barock­ zeit, Westfalen 29, 1951, S. 24 ff. Dehio-Gall, Handbuch der deutsch. Kunstdenkmäler, Bd. I, Berlin 1935, S. 265. Hübinger, S. 50. - Westf. UB, Bd. IV, Nr. 200, S. 131 ff. - Alfred Cohausz, Die Paderborner Pfarreinteilung von 1251, Westfälische Zeitschrift 105, 1955, S. 149 ff. u. ders., St. Ulrich in Paderborn, Zeitschr. d. Hist. Vereins f. Schwaben 61, 1955, S. 201 ff.

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sie nicht erwähnt. Wahrscheinlich ist sie erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden. 1251 werden dem Westchor des Domes als Pfarrkirche Northelvinke und Aspethere zugewiesen. Der unbebaute Platz südlich des Dornes diente als Friedhof. Erst am Ende des Mittel­ alters drangen bürgerliche Hausstätten in die Freiheit ein, vor allem in der Südwestecke im Anschluß an die Schildern-Straße5°, Wie in den übrigen westfälischen Städten Hegt auch der Paderborner Markt an der Durchgangsstraße, hier also dem Hellweg. Mit Minden teilt er die Form einer schmalen Straßenerweiterung, an deren einem Ende das Rathaus (später errichtet), an deren ande­ rem Ende die Marktkirche zu stehen kam. Sie befand sich in Paderborn auf dem sich dreieckig erweiternden westlichen Teil des Kettenplatzes. Zur Zeit Bischof Meinwerks hat sie bereits bestanden: »populo de Sudburgnon ad parrochiam forensis ecclesie in Patherbrunnensi civitate pertinenti ...«"1, 1784 wurde St. Pankratius abgebrochen*?, Die Scharne lag Rathausplatz Nr. 3. Der Markt in Paderborn besaß einen Laubengang wie der in Münster. Er dürfte in die Entstehungszeit, zumindest in das 12. Jahrhundert zurückreichen*®, An den westlichen Paderquellen siedelte Bischof Meinwerk Handwerker an. »Areas autem versus occidentem ex utraque parte Pathere contiguas diversis curie servitoribus et artificibus. .. . deputavit®' Die großartigste städtebauliche Maßnahme des Bischofs bildete die beabsichtigte Gründung von vier Klöstern und Stiften, die in Kreuzesform die Immunität umgeben sollten. Nur zwei kamen zur Ausführung, das Benediktinerkloster Abdinghof im Westen und das Busdorfstift im Osten der Freiheit. Meinwerk berief 1015 Cluniazenser nach Paderborn und errichtete für sie eine Benediktskapelle im Westen der Stadt55, von der wir nichts weiter mehr hören. Wahrscheinlich stand sie im Gebiet des späteren Abding­ hofklosters oder verschmolz mit diesem. 1016 bis 1051 wurde an dem neuen Benedik­ tinerkloster gebaut, dessen Mönche wahrscheinlich aus Lothringen stammten. Am 2. No­ vember 1051 fand die Weihe der Kirche mit großem Gepränge in Gegenwart von 8 Bischö­ fen statt*e. Das Kloster erhob sich über der zerstörten Salvatorkirche Karls des Großen und gab dieser geweihten Stätte eine neue kultische Bedeutung. Der Verlauf der Kloster­ mauer, der sich noch heute eindrucksvoll im Stadtplan abzeichnet, entlang der Straße »Am Abdinghof« und der Rückfronten der Immunitäts-Hausstellen und der Kettenplatz­ Anwesen, wird seit Meinwerks Zeiten derselbe geblieben sein. »Terminum autem clau­ stralem quieti et utilitati monasteriali congruum late prefixit et, quicquid in giro per circuitum monasterii a via publica, qua in urbem iter est rectum", usque in coquinam 50 51 52

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Erst nach 1340. Rosenkranz, S. 108. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 157, S. 82. Richter, S. 22. - Abb. aus dem Jahre 1783: Die Warte 5, 1935, S. 109. Vüllers, Die Scharne in Paderborn, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk. 58/II, 1900, S. 227 f. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 131, S. 64. Ebenda, c. 27, S. 52, u. c. 151, S. 65: ».. . capellam in honore sancti Benedicti in occidentali parte Patherbrunnensis civitatis fundavit et celeriter consummavit.« Beginn 1015, Weihe 1016. Kryptenweihe, 1025, Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c.183, S.106. Gesamtweihe, c.209 f., S. 121 ff. = der Hellweg (Westernstraße - Kettenplatz). 115

portam latinam geweiht. Zwei Tore befanden sich im Bereich des Bischofshofes: eins zum Abdinghof (»portam et viam guae ducit ab ecclesia nostra ad dictum monasterium sancti Pauli«) und ein zweites zur Pader (»ad transitum, quo descenditur nunc directe ad dictos Padere fontes«)41. Nach der Urnrnauerung der Gesamtstadt waren die Tore überflüssig geworden, aber bis in das 14. Jahrhundert hinein traten Ketten an ihre Stelle, die oft Anlaß zu Streitigkeiten mit der Bürgerstadt gaben*?, In der Südostecke der Immunität, diagonal dem Bischofshof gegenüber, stand der Hof des Vogtes (sogen. Sternberger-Hof). Er umfaßte wahrscheinlich auch das Gelände des im 13. Jahrhundert errichteten Gauklosters*. Seiner Ausdehnung nach kann er dem Bischofshof nicht viel nachgestanden haben. Die Paderborner Bischöfe tauschten ihn 1371 als Standquartier vom Domkapitel ein** Die Dornherrenkurien lagen vor allem an der Ost- und Westmauer der Freiheit. Auf der Nordseite des Domes stand wohl nur eine einzige, jene, die 1356 von den Bischöfen erworben wird45. Für die Entstehungszeit der Kurien geben die Paderborner Quellen einen bedeut­ samen Hinweis. Nach dem Stadtbrande von 1058 versuchten die Domherren das gemein­ same Leben aufzulösen und eigene Häuser zu beziehen. Es gelang aber Bischof Irnad, den Zerfall der vita communis noch einmal aufzuschieben und die Kanoniker nach der Wiederherstellung der Stiftsgebäude zum Verlassen ihrer Kurien zu bewegen46. Zwei­ fellos bestanden in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts also Domherrenhäuser in der Immunität. Zur Zeit der Säkularisation zählte man deren noch dreizehn, vor dem Dreißigjährigen Kriege waren es neunzehn47. Die Zahl der Domherren betrug vierund­ zwanzig. In der Immunität liegt außerdem noch die »ecclesia rurensis« oder Gokirche St. Ulrich. Ihr Bau stammt aus dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts, Bei der Neuordnung der Pfarrsprengel 1251 wird ihr Bereich verkleinert und ihr der Südostbezirk der Stadt zu­ gewiesen. Ihr Name betont den Gegensatz zur »ecclesia forensis« St. Pankratius am Kettenplatz*, Sie war die Pfarrkirche (Eigenkirche) für den Grundbesitz des Dom­ kapitels. Sie reicht wohl nicht in die Zeit Meinwerks zurück, dessen ausführliche vita 41

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Aus der Urkunde vom 1. Mai 1556. Vgl. Anm. 51. Das »nunc« läßt vermuten, daß dieser Paderzugang erst nachträglich eingefügt wurde. - Zur Alexiuskapelle vgl. Alois Fuchs, Die Alexiuskapelle in Paderborn u. ihr Atrium, Westfäl. Zeitschr. 111, 1961, S. 557 f. G.J. Rosenkranz, Verfassung des ehem. Hochstifts Paderborn, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk. 2, 1851, S.105. - Richter, S. 20. - Hübinger, S. 22. - Westf. UB IV, Nr. 268, S. 175 f. von 1238. Richter, S. 20. Richter, S. 37. Vgl. Anm. 51. G. J. Rosenkranz, S.92. Schon unter Bischof Meinwerk waren die Pfründen ausgeschieden. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 165, S.85. Endgültige Aufgabe der vita communis im 13. Jh. Richter, S. 18 u. S. 144, Anm. 1. Leider fehlt eine Spezialuntersuchung über die Kurien im Mittelalter. - Vgl. auch Wilhelm Tack, Die Paderborner Domherrenkurien in der Barock­ zeit, Westfalen 29, 1951, S. 24 ff. Dehio-Gall, Handbuch der deutsch. Kunstdenkmäler, Bd. I, Berlin 1935, S. 265. Hübinger, S. 50. - Westf. UB, Bd. IV, Nr. 200, S. 131 ff. - Alfred Cohausz, Die Paderborner Pfarreinteilung von 1251, Westfälische Zeitschrift 105, 1955, S. 149 ff. u. ders., St. Ulrich in Paderborn, Zeitschr. d. Hist. Vereins f. Schwaben 61, 1955, S. 201 ff.

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sie nicht erwähnt. Wahrscheinlich ist sie erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts entstanden. 1251 werden dem Westchor des Domes als Pfarrkirche Northelvinke und Aspethere zugewiesen. Der unbebaute Platz südlich des Dornes diente als Friedhof. Erst am Ende des Mittel­ alters drangen bürgerliche Hausstätten in die Freiheit ein, vor allem in der Südwestecke im Anschluß an die Schildern-Straße5°, Wie in den übrigen westfälischen Städten Hegt auch der Paderborner Markt an der Durchgangsstraße, hier also dem Hellweg. Mit Minden teilt er die Form einer schmalen Straßenerweiterung, an deren einem Ende das Rathaus (später errichtet), an deren ande­ rem Ende die Marktkirche zu stehen kam. Sie befand sich in Paderborn auf dem sich dreieckig erweiternden westlichen Teil des Kettenplatzes. Zur Zeit Bischof Meinwerks hat sie bereits bestanden: »populo de Sudburgnon ad parrochiam forensis ecclesie in Patherbrunnensi civitate pertinenti ...«"1, 1784 wurde St. Pankratius abgebrochen*?, Die Scharne lag Rathausplatz Nr. 3. Der Markt in Paderborn besaß einen Laubengang wie der in Münster. Er dürfte in die Entstehungszeit, zumindest in das 12. Jahrhundert zurückreichen*®, An den westlichen Paderquellen siedelte Bischof Meinwerk Handwerker an. »Areas autem versus occidentem ex utraque parte Pathere contiguas diversis curie servitoribus et artificibus. .. . deputavit®' Die großartigste städtebauliche Maßnahme des Bischofs bildete die beabsichtigte Gründung von vier Klöstern und Stiften, die in Kreuzesform die Immunität umgeben sollten. Nur zwei kamen zur Ausführung, das Benediktinerkloster Abdinghof im Westen und das Busdorfstift im Osten der Freiheit. Meinwerk berief 1015 Cluniazenser nach Paderborn und errichtete für sie eine Benediktskapelle im Westen der Stadt55, von der wir nichts weiter mehr hören. Wahrscheinlich stand sie im Gebiet des späteren Abding­ hofklosters oder verschmolz mit diesem. 1016 bis 1051 wurde an dem neuen Benedik­ tinerkloster gebaut, dessen Mönche wahrscheinlich aus Lothringen stammten. Am 2. No­ vember 1051 fand die Weihe der Kirche mit großem Gepränge in Gegenwart von 8 Bischö­ fen statt*e. Das Kloster erhob sich über der zerstörten Salvatorkirche Karls des Großen und gab dieser geweihten Stätte eine neue kultische Bedeutung. Der Verlauf der Kloster­ mauer, der sich noch heute eindrucksvoll im Stadtplan abzeichnet, entlang der Straße »Am Abdinghof« und der Rückfronten der Immunitäts-Hausstellen und der Kettenplatz­ Anwesen, wird seit Meinwerks Zeiten derselbe geblieben sein. »Terminum autem clau­ stralem quieti et utilitati monasteriali congruum late prefixit et, quicquid in giro per circuitum monasterii a via publica, qua in urbem iter est rectum", usque in coquinam 50 51 52

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Erst nach 1340. Rosenkranz, S. 108. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 157, S. 82. Richter, S. 22. - Abb. aus dem Jahre 1783: Die Warte 5, 1935, S. 109. Vüllers, Die Scharne in Paderborn, Zeitschr. f. vaterl. Gesch. u. Altertumsk. 58/II, 1900, S. 227 f. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 131, S. 64. Ebenda, c. 27, S. 52, u. c. 151, S. 65: ».. . capellam in honore sancti Benedicti in occidentali parte Patherbrunnensis civitatis fundavit et celeriter consummavit.« Beginn 1015, Weihe 1016. Kryptenweihe, 1025, Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c.183, S.106. Gesamtweihe, c.209 f., S. 121 ff. = der Hellweg (Westernstraße - Kettenplatz). 115

episcopi adiacet, iuri ipsius ecclesie addixit®.« Die eigentümliche und in der Ottonen­ zeit ganz ungewöhnliche Lage unmittelbar vor der Immunitätsgrenze ist natürlich be­ dingt durch die karolingische Salvatorkirche. Im Osten erbaute Bischof Meinwerk gegen Ende seines Lebens das Busdorfstift »ex­ tra civitatem«. Um seine Kirche der Grabeskirche in Jerusalem nachbilden zu können, schickte er Abt Wino in das Heilige Land, die Maße abzunehmen"®. Grabungen in den dreißiger Jahren haben uns die eigentümliche Anlage wieder enthüllt, Es war ein Zen­ tralbau mit achteckigem Hauptraum, dem sich quadratische Nebenräume in den Haupt­ achsen anschlossen®®, In der Busdorfkirche fand Bischof Meinwerk seine letzte Ruhestätte. Es sollten aber noch zwei Gründungen hinzukommen, eine am Kamp im Süden auf der Höhe und ein Alexiuskloster »in Sulithe« im Norden, am Fuß des Hanges, auf dem Paderborn liegt61. Der Tod Bischofs Meinwerk, dessen nahe Beziehungen zu Heinrich II. und Konrad II. ihm reiche Schenkungen einbrachten, um seine Stiftungen zu verwirk­ lichen, hat die Erbauung verhindert. Wenn auch die Nachricht über die unausgeführten Bauten Meinwerks erst aus dem 12. Jahrhundert stammt, so wird man bei dem ortsge­ schichtlich vorzüglich unterrichteten Verfasser, einem Mönch des Klosters Abdinghof, kaum an der Glaubwürdigkeit zweifeln dürfen. Ein Hospital bestand in Paderborn spätestens zur Entstehungszeit der vita Mein­ werci. Die Nachricht ist für uns von Bedeutung, weil auf eine Baueigentümlichkeit hin­ gewiesen wird, die auch spätere Hospitäler des Mittelalters auszeichnet. Das Paderbor­ ner Spital besaß ein Fenster in der Scheidewand zwischen Krankensaal und Kapelle, die aneinanderstießen, um die Kranken am Gottesdienst teilnehmen zu lassen. Das Spital 58

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Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 151, S. 64. - Ortmann, Baugeschichte Abdinghofkirche S. 265: Ein Sohlgraben nachgewiesen, vgl. auch S. 516, Anm. 157 u. B. Ortmann, Neues zur Stadtkernforschung in Westfalen, Westfäl. Forschungen 10, 1957, S. 155: Nachweis des Befestigungsgrabens auf dem Grundstück der Volksbank, Ecke Marienplatz-Abdinghof­ straße. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 216, S.128: »Episcopus ergo pro optinendo celesti Jeru­ salem ecclesiam ad similitudinem sancte Ierosolimitane ecclesie facere disponens Winonem abbatem de Helmwardeshusun, guem de monachis civitatis sue ibi preposuerat, ad se accer­ sivit eumgue Ierosolimam mittens mensuras eiusdem ecclesie et sancti sepulgri deferri sibi mandavit.« Ebenda, c. 217, S.159: »Reverso autem Winone abbate de Ierosolimis et mensuras eiusdem ecclesie et sepulchri sancti reliquias deferente cepit episcopus ad similitudinem eius eccle­ siam in honore sancte Dei genitricis ... Marie ac beatorum apostolorum Petri et Andree extra Patherbrunnensem civitatem in orientali parte construere . . .« Weihe 1056. Alois Fuchs, Die ursprüngl. Busdorfkirche in Paderborn auf Grund der Grabungen 1935, Westfalen 20, 1935, S.359 ff. - Wilh. Rave, Die Entdeckung der ursprüngl. Busdorfkirche zu Paderborn, Deutsche Kunst und Denkmalpflege 1956, S. 221 ff. - W. Tack, Die Grab­ stätte des Bischofs Meinwerk von Paderborn, Die Warte 4, 1936, S. 98 ff. Vita Meinwerci, c. 218, S.151: »Qui si vixisset, in civitatem honoris et decoris eam in regno promovisset. Nam sicut in occidentali et orientali parte civitatis congregationes servorum Dei construxerat, ita in australi parte in campo (= Kampstraße), in aquilonari Sulithe, in modum crucis construere disposuerat, ut, sicut ab eo de nimia paupertate tam hereditaria traditione quam iugi instantia et servitio a regibus aliisque fidelibus acquisitione fuerat ditata et promote, ita a crucifixo servientibus et eam orationum suarum armis defendenti­ bus contra omnia inimici iacula esset munita et insignita.« - Ebenda, c. 154, S.81: »Recor­ datus autem episcopus voti sui, quod Rome sancto voverat Alexi, monasterium cum con­ gregatione in honore eius in loco qui Sulithe dicitur, edificare disposuit.«

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stand westlich vor dem Abdinghofer Klosterbezirk, am Abstieg zu den Paderguellen (Abdinghof-Hospiz)62. So läßt die ausführliche Lebensbeschreibung Meinwerks eine farbigere Darstellung einer ottonischen Stadt zu, als es sonst die dürftigen Quellenangaben erlauben. In den achtziger Jahren des 12. Jahrhunderts ist die Ummauerung der Gesamtstadt bezeugt, wie sie bis in das 19. Jahrhundert hinein bestand"°. 1036 lag das Busdorfstift noch außerhalb, das Abdinghofkloster befindet sich nach den Urkunden des 11. Jahrhunderts noch »in sub­ urbio«®' Als Vergleich mit den übrigen westfälischen Bischofsstädten darf man anneh­ men, daß die Gesamtbefestigung mindestens gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts in Paderborn in Angriff genommen wurde. Auch der Sprachgebrauch der Vita Meinwerci scheint darauf hinzudeuten. Die drei großen Kirchenbauten Meinwerks (Abdinghofkloster, Dom, Busdorfstift) liegen fast genau auf einer Linie, welche die Mitte der Stadt durchschneidet. Die bedeu­ tendste Ansicht bietet sich dem Besucher von der Nordseite her dar, von wo aus man mit einem Blick den leicht ansteigenden Hang umfassen kann, auf dem sich die Mein­ werkschen Kirchen wie auf einem Sockel erheben. Die Geländeerhöhung steigert von hier aus die schlichte Monumentalität der drei Bauwerke, deren Mittelpunkt der ge­ waltige Westturm des Domes bildet. 62

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Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 151, S. 65f.: »Domus autem infirmorum postea ita con­ structa est, ut unus murus utrumque capellam et domum coniungeret, et sacerdos assistens altari per fenestram muri infirmum communicaret.« - Richter, S. 27. - Der Hospizbau des 12. Jh. erhielt sich bis 1945. Richter, S.45. Das Heierstor wird 1185 erwähnt als »porta quae ducit Sulithe«. Richter, S.41.

episcopi adiacet, iuri ipsius ecclesie addixit®.« Die eigentümliche und in der Ottonen­ zeit ganz ungewöhnliche Lage unmittelbar vor der Immunitätsgrenze ist natürlich be­ dingt durch die karolingische Salvatorkirche. Im Osten erbaute Bischof Meinwerk gegen Ende seines Lebens das Busdorfstift »ex­ tra civitatem«. Um seine Kirche der Grabeskirche in Jerusalem nachbilden zu können, schickte er Abt Wino in das Heilige Land, die Maße abzunehmen"®. Grabungen in den dreißiger Jahren haben uns die eigentümliche Anlage wieder enthüllt, Es war ein Zen­ tralbau mit achteckigem Hauptraum, dem sich quadratische Nebenräume in den Haupt­ achsen anschlossen®®, In der Busdorfkirche fand Bischof Meinwerk seine letzte Ruhestätte. Es sollten aber noch zwei Gründungen hinzukommen, eine am Kamp im Süden auf der Höhe und ein Alexiuskloster »in Sulithe« im Norden, am Fuß des Hanges, auf dem Paderborn liegt61. Der Tod Bischofs Meinwerk, dessen nahe Beziehungen zu Heinrich II. und Konrad II. ihm reiche Schenkungen einbrachten, um seine Stiftungen zu verwirk­ lichen, hat die Erbauung verhindert. Wenn auch die Nachricht über die unausgeführten Bauten Meinwerks erst aus dem 12. Jahrhundert stammt, so wird man bei dem ortsge­ schichtlich vorzüglich unterrichteten Verfasser, einem Mönch des Klosters Abdinghof, kaum an der Glaubwürdigkeit zweifeln dürfen. Ein Hospital bestand in Paderborn spätestens zur Entstehungszeit der vita Mein­ werci. Die Nachricht ist für uns von Bedeutung, weil auf eine Baueigentümlichkeit hin­ gewiesen wird, die auch spätere Hospitäler des Mittelalters auszeichnet. Das Paderbor­ ner Spital besaß ein Fenster in der Scheidewand zwischen Krankensaal und Kapelle, die aneinanderstießen, um die Kranken am Gottesdienst teilnehmen zu lassen. Das Spital 58

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Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 151, S. 64. - Ortmann, Baugeschichte Abdinghofkirche S. 265: Ein Sohlgraben nachgewiesen, vgl. auch S. 516, Anm. 157 u. B. Ortmann, Neues zur Stadtkernforschung in Westfalen, Westfäl. Forschungen 10, 1957, S. 155: Nachweis des Befestigungsgrabens auf dem Grundstück der Volksbank, Ecke Marienplatz-Abdinghof­ straße. Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 216, S.128: »Episcopus ergo pro optinendo celesti Jeru­ salem ecclesiam ad similitudinem sancte Ierosolimitane ecclesie facere disponens Winonem abbatem de Helmwardeshusun, guem de monachis civitatis sue ibi preposuerat, ad se accer­ sivit eumgue Ierosolimam mittens mensuras eiusdem ecclesie et sancti sepulgri deferri sibi mandavit.« Ebenda, c. 217, S.159: »Reverso autem Winone abbate de Ierosolimis et mensuras eiusdem ecclesie et sepulchri sancti reliquias deferente cepit episcopus ad similitudinem eius eccle­ siam in honore sancte Dei genitricis ... Marie ac beatorum apostolorum Petri et Andree extra Patherbrunnensem civitatem in orientali parte construere . . .« Weihe 1056. Alois Fuchs, Die ursprüngl. Busdorfkirche in Paderborn auf Grund der Grabungen 1935, Westfalen 20, 1935, S.359 ff. - Wilh. Rave, Die Entdeckung der ursprüngl. Busdorfkirche zu Paderborn, Deutsche Kunst und Denkmalpflege 1956, S. 221 ff. - W. Tack, Die Grab­ stätte des Bischofs Meinwerk von Paderborn, Die Warte 4, 1936, S. 98 ff. Vita Meinwerci, c. 218, S.151: »Qui si vixisset, in civitatem honoris et decoris eam in regno promovisset. Nam sicut in occidentali et orientali parte civitatis congregationes servorum Dei construxerat, ita in australi parte in campo (= Kampstraße), in aquilonari Sulithe, in modum crucis construere disposuerat, ut, sicut ab eo de nimia paupertate tam hereditaria traditione quam iugi instantia et servitio a regibus aliisque fidelibus acquisitione fuerat ditata et promote, ita a crucifixo servientibus et eam orationum suarum armis defendenti­ bus contra omnia inimici iacula esset munita et insignita.« - Ebenda, c. 154, S.81: »Recor­ datus autem episcopus voti sui, quod Rome sancto voverat Alexi, monasterium cum con­ gregatione in honore eius in loco qui Sulithe dicitur, edificare disposuit.«

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stand westlich vor dem Abdinghofer Klosterbezirk, am Abstieg zu den Paderguellen (Abdinghof-Hospiz)62. So läßt die ausführliche Lebensbeschreibung Meinwerks eine farbigere Darstellung einer ottonischen Stadt zu, als es sonst die dürftigen Quellenangaben erlauben. In den achtziger Jahren des 12. Jahrhunderts ist die Ummauerung der Gesamtstadt bezeugt, wie sie bis in das 19. Jahrhundert hinein bestand"°. 1036 lag das Busdorfstift noch außerhalb, das Abdinghofkloster befindet sich nach den Urkunden des 11. Jahrhunderts noch »in sub­ urbio«®' Als Vergleich mit den übrigen westfälischen Bischofsstädten darf man anneh­ men, daß die Gesamtbefestigung mindestens gegen die Mitte des 12. Jahrhunderts in Paderborn in Angriff genommen wurde. Auch der Sprachgebrauch der Vita Meinwerci scheint darauf hinzudeuten. Die drei großen Kirchenbauten Meinwerks (Abdinghofkloster, Dom, Busdorfstift) liegen fast genau auf einer Linie, welche die Mitte der Stadt durchschneidet. Die bedeu­ tendste Ansicht bietet sich dem Besucher von der Nordseite her dar, von wo aus man mit einem Blick den leicht ansteigenden Hang umfassen kann, auf dem sich die Mein­ werkschen Kirchen wie auf einem Sockel erheben. Die Geländeerhöhung steigert von hier aus die schlichte Monumentalität der drei Bauwerke, deren Mittelpunkt der ge­ waltige Westturm des Domes bildet. 62

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Vita Meinwerci ed. Tenckhoff, c. 151, S. 65f.: »Domus autem infirmorum postea ita con­ structa est, ut unus murus utrumque capellam et domum coniungeret, et sacerdos assistens altari per fenestram muri infirmum communicaret.« - Richter, S. 27. - Der Hospizbau des 12. Jh. erhielt sich bis 1945. Richter, S.45. Das Heierstor wird 1185 erwähnt als »porta quae ducit Sulithe«. Richter, S.41.

MINDEN

(Abbildungen 22 u. 25, Tafel 12)

Das Schicksal Mindens ist ohne die Kenntnis seiner geographischen Lage nicht zu verstehen'. Die schiffbare Weser gewährte die schnellste und bequemste Verbindung mit der Küste. 5 km südlich der Stadt riegeln Wiehengebirge und Teutoburger Wald die Ebene ab. Die große Nordsüd-Straße, der Frankfurter Weg, von der Küste (Bremen) nach Frankfurt am Main, nähert sich bei Minden dem linken Ufer, um den Engpaß des Weserdurchbruches bei der Porta Westphalica zu erreichen. Zwischen Stadt und West­ fälischer Pforte bleibt nur ein ganz schmaler Grat (an der engsten Stelle kaum 10o m breit) für die Straße übrig, die im Westen von dem Moorgelände, im Osten von dem Strom bedrängt wird. Minden konnte also die Nordsüd-Straße nach Belieben sperren. Der »Moorpaß« hat die Entwicklung eines Ortes unmittelbar an der Westfälischen Pforte verhindert. Nach dem Gebirgsdurchbruch verzweigt sich die Weser bis Minden in mehrere Arme und gestattet eine bequeme Furt selbst für Fahrzeuge, da der Strom durch die Veräste­ lung über keine große Tiefe mehr verfügt. Der Werder zwischen den beiden Haupt­ armen erleichterte den Brückenbau. Bis nach Bremen hinunter ist dies die günstigste Weserfurt. Seit vorgeschichtlicher Zeit liefen deshalb hier wichtige Straßen zusammen. Hier kreuzte den Frankfurter Weg der Heilweg, die große West-Ost-Straße, die von Holland über Osnabrück der Weserfurt zustrebte und von Minden über Hildesheim und Braun­ schweig nach Magdeburg weiterführte. Sie gabelte sich in Osnabrück in zwei Stränge, die nördlich und südlich das Wiehengebirge umgingen und sich wieder in Minden tra­ fen. Die Strecke östlich der Weser trug den Namen »Hellweg vor dem Santforde«. Auf dem rechten Weserufer ging von Minden aus der Königsweg nach Verden und Lübeck?. 1

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Das Hauptwerk von Schröder, Chronik des Bistums und der Stadt Minden, Minden 1886, ermangelt der Quellenbelege und kann nur mit Vorbehalt benutzt werden. Eine vorbild­ liche, kurze Stadtgeschichte schrieb Martin Krieg, Kleine Chronik der Stadt Minden, Min­ den 1939. Die Urkunden nach 1200 im Westfälischen Urkundenbuch VI (1201 bis 1500), hgb. v. Hoogeweg, Münster 1886, und X (1501 bis 1325), hgb. v. Rob. Krumbholz, Münster 1940. Zur Entwicklungsgeschichte des Mindener Stadtbildes von den Anfängen bis in das 18 Jh., Mindener Heimatblätter 5, 1928, Nr. 6. - Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Minden, bearb. v. A. Ludorff, Münster 1902. - Siegfr. Rietschel, Stadt u. Markt, Leipzig 1897, S. 100ff. - Volkmar Ulrich Meinhardt, Die Festung Minden (Mindener Beiträge Heft 7), Minden 1958. - Deutsches Städtebuch Bd. III, 2, hgb. von Erich Keyser, Stuttgart 1954, S. 246 ff. Langewiesche, Minden vor der Weserpforte, eine geographisch-geschichtliche Würdigung seiner Lage und seiner Verkehrsbeziehungen seit der Urzeit, Mindener Heimatblätter 10, 1952, Nr. 11. - Krieg, Kleine Chronik, S.11 f., und Straßenskizze, S. 14. - Bernh. Ortmann, Vororte Westfalens, Paderborn 1949, S. 120f. - Werner Nellner, Die natürlichen Grund­ lagen der Besiedlung des Mindener Landes (Mindener Beiträge Heft 1), Minden 1953, S. 63 ff.

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Frühgeschichtliche Burgen sicherten den Gebirgspaß. Wahrscheinlich ist Minden mit dem Ort Munition identisch, den Ptolemäus erwähnt (2. Jahrhundert n. Chr.), da es später urkundlich auch als Munthium oder Minithun erscheint. In unmittelbarer Nähe fanden im Jahre 16 n. Chr. die letzten entscheidenden Kämpfe zwischen Germanen und Römern statt3• In den Sachsenkriegen Karls des Großen spielte der Weserübergang wie­ der eine Rolle. 798 benützte Karl die Weserfurt und dabei fällt die früheste gesicherte Erwähnung des Namens: Minda*. Die günstige Lage Mindens veranlaßte Karl den Großen, hier ein Bistum zu errich­ ten. Das Gründungsjahr ist nicht bekannt. Der erste Mindener Bischof Erkanbert, der aus dem Kloster Fulda kam, war zwar schon in den neunziger Jahren des 8. Jahrhunderts Bischof, aber wahrscheinlich als Missionsleiter mit dem Sitz in Hameln*. Erst nach 803 dürfte Minden Bischofssitz geworden sein. Sicherlich war das Gebiet der späteren Stadt schon vor Karl mit locker verstreuten Einzelhöfen besiedelt. Vollfreie bäuerliche Grund­ eigentümer saßen im Gebiet der Oberstadt und südlich des Markts. Man kann dies aus den Wüstungen um Minden erschließen (Bastorpe, Bellersen, Mertesloh, Hasle, Heyde und Graben). Vielleicht reicht auch die Fischersiedlung an der Weser, etwas nördlich der Furt, in frühgeschichtliche Zeit zurück®. Die Weseraue zwischen dem Ufersteilhang (westlich des Marktes und der Hohnstraße) und dem Strom, das Gebiet also, auf dem sich ein beträchtlicher Teil der späteren Stadt erheben sollte, lag im Überschwemmungs­ bereich der Weser. Sümpfe und Flachmoore erschwerten den Zugang zur Furt. Die hoch­ mittelalterlichen Bohlenwege, die unter der Bäckerstraße aufgefunden wurden, deuten darauf hin7. Der Dom wurde ganz dicht bei dem Weserübergang auf einem sandigen Werder an­ gelegt, vielleicht in einer sächsischen Befestigung, die den Zugang deckte, und die als fränkischer Königshof weiterbenutzt wurde. Möglich, daß quer durch die Immunität einst der Hauptweg zur Furt verlief, wie Ortmann vermutet° Seit dem Bestehen der Krieg, KI. Chr., S. 15 f. - Wilfried Dammeyer, Der Grundbesitz des Mindener Domkapitels (Mindener Beiträge Heft 6), Minden (1957), S. 1 f. 4 Ann. regni Franc., ed. Kurze, Hannover 1895, S. 102 f. 5 Erich Gisbert, Die Bischöfe von Minden bis zum Ende des Investiturstreites, Mindener Jahr­ buch V, 1930/31, S. 5 f. - Erich Müller, Die Entstehungsgesch. d. sächs. Bistümer unter Karl dem Großen, Hildesheim-Leipzig 1938 (Quellen u. Darstellgn. zur Gesch. Niedersachsens 47), S. 43 ff. 6 Martin Krieg, Das Mindener Stadtbuch von 1518. Mindener Geschichtsquellen Bd. III, Mün­ ster 1951, S. 15. - Krieg, Entwicklung des Stadtbildes. - Martin Krieg, Die alte Fischerstadt von Minden, Mindener Heimatbl. 24, 1952 p. 1 ff. Weit über das Ziel hinaus schießt Ortmann. Er nimmt an, es habe bereits in vorgeschicht­ licher Zeit im Stadtgebiet von Minden eine Großsiedlung bestanden, die von der Fischer­ siedlung sich bis zur Obermarktstraße ausgedehnt habe, mit Bäcker-, Hohn- und Ober­ marktstraße als Hauptverkehrswegen. Vgl. hierzu die Kritik an Ortmann von Laag, Minden unter den Vororten Westfalens, Mindener Heimatblätter 22, 1950, Nr. 4, S.15/16: »Die lockere Anordnung der Urnenfriedhöfe mit ziemlich wenigen Gräbern spricht gegen das Bestehen eines geschlossenen, volksreichen Vorortes.« In seiner Erwiderung (Mindener Heimatbl. 22, 1950, Nr. 9) nimmt Ortmann einen vermittelnden Standpunkt ein. 7 Ortmann, Abb. 34, S.124. Die Bohlenwege sind nach Laag aber hochmittelalterlicd! Martin Krieg, In der Borcdh, Mindener Heimatblätter 27, 1955, S. 118. Der Bericht Tribbes enthält offenbar einen richtigen Kern. - Martin Krieg, Domburg und Kaufrnannswik, Min­ dener Heimatbl. 25, 1953, S. 58 ff. 8 Ortmann, Abb. 36, S.127. 3

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MINDEN

(Abbildungen 22 u. 25, Tafel 12)

Das Schicksal Mindens ist ohne die Kenntnis seiner geographischen Lage nicht zu verstehen'. Die schiffbare Weser gewährte die schnellste und bequemste Verbindung mit der Küste. 5 km südlich der Stadt riegeln Wiehengebirge und Teutoburger Wald die Ebene ab. Die große Nordsüd-Straße, der Frankfurter Weg, von der Küste (Bremen) nach Frankfurt am Main, nähert sich bei Minden dem linken Ufer, um den Engpaß des Weserdurchbruches bei der Porta Westphalica zu erreichen. Zwischen Stadt und West­ fälischer Pforte bleibt nur ein ganz schmaler Grat (an der engsten Stelle kaum 10o m breit) für die Straße übrig, die im Westen von dem Moorgelände, im Osten von dem Strom bedrängt wird. Minden konnte also die Nordsüd-Straße nach Belieben sperren. Der »Moorpaß« hat die Entwicklung eines Ortes unmittelbar an der Westfälischen Pforte verhindert. Nach dem Gebirgsdurchbruch verzweigt sich die Weser bis Minden in mehrere Arme und gestattet eine bequeme Furt selbst für Fahrzeuge, da der Strom durch die Veräste­ lung über keine große Tiefe mehr verfügt. Der Werder zwischen den beiden Haupt­ armen erleichterte den Brückenbau. Bis nach Bremen hinunter ist dies die günstigste Weserfurt. Seit vorgeschichtlicher Zeit liefen deshalb hier wichtige Straßen zusammen. Hier kreuzte den Frankfurter Weg der Heilweg, die große West-Ost-Straße, die von Holland über Osnabrück der Weserfurt zustrebte und von Minden über Hildesheim und Braun­ schweig nach Magdeburg weiterführte. Sie gabelte sich in Osnabrück in zwei Stränge, die nördlich und südlich das Wiehengebirge umgingen und sich wieder in Minden tra­ fen. Die Strecke östlich der Weser trug den Namen »Hellweg vor dem Santforde«. Auf dem rechten Weserufer ging von Minden aus der Königsweg nach Verden und Lübeck?. 1

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Das Hauptwerk von Schröder, Chronik des Bistums und der Stadt Minden, Minden 1886, ermangelt der Quellenbelege und kann nur mit Vorbehalt benutzt werden. Eine vorbild­ liche, kurze Stadtgeschichte schrieb Martin Krieg, Kleine Chronik der Stadt Minden, Min­ den 1939. Die Urkunden nach 1200 im Westfälischen Urkundenbuch VI (1201 bis 1500), hgb. v. Hoogeweg, Münster 1886, und X (1501 bis 1325), hgb. v. Rob. Krumbholz, Münster 1940. Zur Entwicklungsgeschichte des Mindener Stadtbildes von den Anfängen bis in das 18 Jh., Mindener Heimatblätter 5, 1928, Nr. 6. - Die Bau- und Kunstdenkmäler des Kreises Minden, bearb. v. A. Ludorff, Münster 1902. - Siegfr. Rietschel, Stadt u. Markt, Leipzig 1897, S. 100ff. - Volkmar Ulrich Meinhardt, Die Festung Minden (Mindener Beiträge Heft 7), Minden 1958. - Deutsches Städtebuch Bd. III, 2, hgb. von Erich Keyser, Stuttgart 1954, S. 246 ff. Langewiesche, Minden vor der Weserpforte, eine geographisch-geschichtliche Würdigung seiner Lage und seiner Verkehrsbeziehungen seit der Urzeit, Mindener Heimatblätter 10, 1952, Nr. 11. - Krieg, Kleine Chronik, S.11 f., und Straßenskizze, S. 14. - Bernh. Ortmann, Vororte Westfalens, Paderborn 1949, S. 120f. - Werner Nellner, Die natürlichen Grund­ lagen der Besiedlung des Mindener Landes (Mindener Beiträge Heft 1), Minden 1953, S. 63 ff.

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Frühgeschichtliche Burgen sicherten den Gebirgspaß. Wahrscheinlich ist Minden mit dem Ort Munition identisch, den Ptolemäus erwähnt (2. Jahrhundert n. Chr.), da es später urkundlich auch als Munthium oder Minithun erscheint. In unmittelbarer Nähe fanden im Jahre 16 n. Chr. die letzten entscheidenden Kämpfe zwischen Germanen und Römern statt3• In den Sachsenkriegen Karls des Großen spielte der Weserübergang wie­ der eine Rolle. 798 benützte Karl die Weserfurt und dabei fällt die früheste gesicherte Erwähnung des Namens: Minda*. Die günstige Lage Mindens veranlaßte Karl den Großen, hier ein Bistum zu errich­ ten. Das Gründungsjahr ist nicht bekannt. Der erste Mindener Bischof Erkanbert, der aus dem Kloster Fulda kam, war zwar schon in den neunziger Jahren des 8. Jahrhunderts Bischof, aber wahrscheinlich als Missionsleiter mit dem Sitz in Hameln*. Erst nach 803 dürfte Minden Bischofssitz geworden sein. Sicherlich war das Gebiet der späteren Stadt schon vor Karl mit locker verstreuten Einzelhöfen besiedelt. Vollfreie bäuerliche Grund­ eigentümer saßen im Gebiet der Oberstadt und südlich des Markts. Man kann dies aus den Wüstungen um Minden erschließen (Bastorpe, Bellersen, Mertesloh, Hasle, Heyde und Graben). Vielleicht reicht auch die Fischersiedlung an der Weser, etwas nördlich der Furt, in frühgeschichtliche Zeit zurück®. Die Weseraue zwischen dem Ufersteilhang (westlich des Marktes und der Hohnstraße) und dem Strom, das Gebiet also, auf dem sich ein beträchtlicher Teil der späteren Stadt erheben sollte, lag im Überschwemmungs­ bereich der Weser. Sümpfe und Flachmoore erschwerten den Zugang zur Furt. Die hoch­ mittelalterlichen Bohlenwege, die unter der Bäckerstraße aufgefunden wurden, deuten darauf hin7. Der Dom wurde ganz dicht bei dem Weserübergang auf einem sandigen Werder an­ gelegt, vielleicht in einer sächsischen Befestigung, die den Zugang deckte, und die als fränkischer Königshof weiterbenutzt wurde. Möglich, daß quer durch die Immunität einst der Hauptweg zur Furt verlief, wie Ortmann vermutet° Seit dem Bestehen der Krieg, KI. Chr., S. 15 f. - Wilfried Dammeyer, Der Grundbesitz des Mindener Domkapitels (Mindener Beiträge Heft 6), Minden (1957), S. 1 f. 4 Ann. regni Franc., ed. Kurze, Hannover 1895, S. 102 f. 5 Erich Gisbert, Die Bischöfe von Minden bis zum Ende des Investiturstreites, Mindener Jahr­ buch V, 1930/31, S. 5 f. - Erich Müller, Die Entstehungsgesch. d. sächs. Bistümer unter Karl dem Großen, Hildesheim-Leipzig 1938 (Quellen u. Darstellgn. zur Gesch. Niedersachsens 47), S. 43 ff. 6 Martin Krieg, Das Mindener Stadtbuch von 1518. Mindener Geschichtsquellen Bd. III, Mün­ ster 1951, S. 15. - Krieg, Entwicklung des Stadtbildes. - Martin Krieg, Die alte Fischerstadt von Minden, Mindener Heimatbl. 24, 1952 p. 1 ff. Weit über das Ziel hinaus schießt Ortmann. Er nimmt an, es habe bereits in vorgeschicht­ licher Zeit im Stadtgebiet von Minden eine Großsiedlung bestanden, die von der Fischer­ siedlung sich bis zur Obermarktstraße ausgedehnt habe, mit Bäcker-, Hohn- und Ober­ marktstraße als Hauptverkehrswegen. Vgl. hierzu die Kritik an Ortmann von Laag, Minden unter den Vororten Westfalens, Mindener Heimatblätter 22, 1950, Nr. 4, S.15/16: »Die lockere Anordnung der Urnenfriedhöfe mit ziemlich wenigen Gräbern spricht gegen das Bestehen eines geschlossenen, volksreichen Vorortes.« In seiner Erwiderung (Mindener Heimatbl. 22, 1950, Nr. 9) nimmt Ortmann einen vermittelnden Standpunkt ein. 7 Ortmann, Abb. 34, S.124. Die Bohlenwege sind nach Laag aber hochmittelalterlicd! Martin Krieg, In der Borcdh, Mindener Heimatblätter 27, 1955, S. 118. Der Bericht Tribbes enthält offenbar einen richtigen Kern. - Martin Krieg, Domburg und Kaufrnannswik, Min­ dener Heimatbl. 25, 1953, S. 58 ff. 8 Ortmann, Abb. 36, S.127. 3

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bestimmt. Im Osten reicht die Freiheit fast bis zur Weser. Auf der Nordseite hat sich - wie auch im Westen gegen Scharnstraße und Markt - zur Bäckerstraße hin eine Häuserzeile vor die Immunitätsgrenze gelegt. Eine Mauer hat die Freiheit offenbar nie umzogen. Weder schriftliche Quellen noch Bodenfunde deuten auf eine Schutzwehr aus Stein hin. Noch 1268 ist von den Planken der Domfreiheit die Rede, man sieht aber bereits einen Mauerbau vor'°. Jetzt handelt es sich aber um die Mauer der hochmittel­ alterlichen Gesamtstadt, nicht mehr um einen Schutzwall der Freiheit allein, der damals bereits sinnlos gewesen wäre, da mindestens schon auf zwei Seiten Häuserzeilen vor ihrer Grenze errichtet waren. Der Hauptzugang befindet sich im Westen, wenige Meter von dem Rathaus an der Nordwand des Marktes entfernt. Er liegt vielleicht auf dem ursprünglichen Verlauf des Hellweges. Ein zweites Tor führte nach Norden zur Bäckerstraße. Ein schmaler Durch­ laß auf der Ostseite ging einst zum Wesertor der Stadt. Das Stiftsgebäude schloß sich auf der Südseite des Domes an'! Der Bischofshof füllte die Nordwestecke der Freiheit aus. Die übrigen Kurien, deren Zahl stets sehr niedrig blieb (kaum 6-7), fanden alle in dem Rechteck der Domimmunität Platz. Sie lehnten sich an die Süd- und Ostgrenze an. Jeder Domherrenhof besaß eine Kapelle oder wenigstens einen Altar. Die Beschreibung von Stadt und Stift Minden, die der Domkanoniker Heinrich Tribbe um 1460 verfaßte, zählt deren noch 4 auf (St. Jakob, St. Georg, St. Hieronymus und St. Barbara)'?, Die Zahl der Domherren läßt sich bis 1230 nicht genau feststellen, in diesem Jahr wird sie auf 24 festgesetzt. Außerdem gab es noch 6 canonici minores'°. In Minden ist also niemals der Fall eingetreten, daß jeder Kanoniker seine eigene Kurie besaß. Hermann von Lerbeck berichtet in seiner Chronik, daß das gemeinsame Leben der Domherren unter Bischof Werner von Bückeburg (1155-1170) aufgehoben worden sei. Aber noch im 13. Jahrhun­ dert ist es nicht ganz erloschen'*. Grabungen nach dem zweiten Weltkriege haben über die Bodenbeschaffenheit der Domimmunität Klarheit gebracht. Der Dom lag ursprünglich auf einer Art Insel, die gegen den Markt hin abfiel. Im Süden der Freiheit mußten meterhohe Aufschüttungen das sumpfige Gelände bewohnbar machen'. Wann die Immunität in der beschriebenen Form entstand, ist unbekannt. Ihre vergleichsweise regelmäßige, rechteckige Gestalt, die etwa der gut datierbaren Freiheit in Hamburg gleicht, könnte noch in karolingische Zeit

Abb. 22. Minden im 11. Jahrhundert

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Domburg mußte sich der Heilweg vor dem Santforde einen anderen Zugang suchen. Er umzog die Freiheit auf der Nordseite in der heutigen Bäckerstraße. Die Dom­ immunität bildet annähernd ein Rechteck von etwa 250 m Länge und etwa 220 m Breite, das an der Südostecke leicht abgeschrägt ist, um sich den örtlichen Verhältnissen anzupassen°. Die West- und Südgrenze der Immunität wird von dem Lauf der Beke

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Die Abschrägung ist wohl durch das Überschwemmungsgebiet bedingt. Die Bastau wurde erst im 13. Jh. hier vorbeigeleitet. Vgl. Krieg, KI. Chr., S. 35 f. - Ein ausgemauerter Wasser­ graben, der die Freiheit umzog, wird noch 1572 erwähnt. Herm. Jahr, Der bürgerl. Wohn­ bau in Minden, Mindener Jahrb. IV. 1928/29, S. 15. - Grundriß der Domfreiheit, M. 1: 2500, Kunstdenkmäler, 5. 68.

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Krieg, Entw. d. Mind. Stadtbildes. Zur Frühgeschichte des Mindener Domes vgl. Wilh. Ritter, Der Eilbertdom zu Minden, Mindener Jahrb. II, 1926. Klemens Löffler, Des Domherrn Heinrich Tribbe Beschreibung von Stadt und Stift Minden, Mindener Geschichtsquellen, Bd. II, Münster 1952, S.48: »et antiquitus in omnibus curiis fuerunt capellae vel altaria.« - Deutsche Übersetzung: Mindener Heimatblätter 15, 1935 ff. Wilhelm Dräger, Das Mindener Domkapitel und seine Domherren im Mittelalter, Mindener Jahrb. VIII, 1936, S.15. Ebenda, S. 19f. - Dammeyer S. 6. Um 1250 wird zuerst eine Domherrenkurie urkundlich genannt. - Die um 1500 noch vorhandenen Fundamentreste und den dicken Turm darf man wohl als Reste einer Turmkurie ansprechen. Vgl. M. Krieg, In der Borch, Mindener Heimat­ blätter 27, 1955,S. 147 f. Mündliche Mitteilung von Archivrat Dr. Martin Krieg, dem ich für die liebenswürdige Förderung meiner Studien in Minden ergebenst danke. Über die Fundamentreste des karolingischen und ottonischen Domes vgl. Hans Thümmler, Neue Funde zur mittelalterl. Baukunst Westfalens, Westfalen 51, 1953, S. 282 f. 119

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bestimmt. Im Osten reicht die Freiheit fast bis zur Weser. Auf der Nordseite hat sich - wie auch im Westen gegen Scharnstraße und Markt - zur Bäckerstraße hin eine Häuserzeile vor die Immunitätsgrenze gelegt. Eine Mauer hat die Freiheit offenbar nie umzogen. Weder schriftliche Quellen noch Bodenfunde deuten auf eine Schutzwehr aus Stein hin. Noch 1268 ist von den Planken der Domfreiheit die Rede, man sieht aber bereits einen Mauerbau vor'°. Jetzt handelt es sich aber um die Mauer der hochmittel­ alterlichen Gesamtstadt, nicht mehr um einen Schutzwall der Freiheit allein, der damals bereits sinnlos gewesen wäre, da mindestens schon auf zwei Seiten Häuserzeilen vor ihrer Grenze errichtet waren. Der Hauptzugang befindet sich im Westen, wenige Meter von dem Rathaus an der Nordwand des Marktes entfernt. Er liegt vielleicht auf dem ursprünglichen Verlauf des Hellweges. Ein zweites Tor führte nach Norden zur Bäckerstraße. Ein schmaler Durch­ laß auf der Ostseite ging einst zum Wesertor der Stadt. Das Stiftsgebäude schloß sich auf der Südseite des Domes an'! Der Bischofshof füllte die Nordwestecke der Freiheit aus. Die übrigen Kurien, deren Zahl stets sehr niedrig blieb (kaum 6-7), fanden alle in dem Rechteck der Domimmunität Platz. Sie lehnten sich an die Süd- und Ostgrenze an. Jeder Domherrenhof besaß eine Kapelle oder wenigstens einen Altar. Die Beschreibung von Stadt und Stift Minden, die der Domkanoniker Heinrich Tribbe um 1460 verfaßte, zählt deren noch 4 auf (St. Jakob, St. Georg, St. Hieronymus und St. Barbara)'?, Die Zahl der Domherren läßt sich bis 1230 nicht genau feststellen, in diesem Jahr wird sie auf 24 festgesetzt. Außerdem gab es noch 6 canonici minores'°. In Minden ist also niemals der Fall eingetreten, daß jeder Kanoniker seine eigene Kurie besaß. Hermann von Lerbeck berichtet in seiner Chronik, daß das gemeinsame Leben der Domherren unter Bischof Werner von Bückeburg (1155-1170) aufgehoben worden sei. Aber noch im 13. Jahrhun­ dert ist es nicht ganz erloschen'*. Grabungen nach dem zweiten Weltkriege haben über die Bodenbeschaffenheit der Domimmunität Klarheit gebracht. Der Dom lag ursprünglich auf einer Art Insel, die gegen den Markt hin abfiel. Im Süden der Freiheit mußten meterhohe Aufschüttungen das sumpfige Gelände bewohnbar machen'. Wann die Immunität in der beschriebenen Form entstand, ist unbekannt. Ihre vergleichsweise regelmäßige, rechteckige Gestalt, die etwa der gut datierbaren Freiheit in Hamburg gleicht, könnte noch in karolingische Zeit

Abb. 22. Minden im 11. Jahrhundert

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Domburg mußte sich der Heilweg vor dem Santforde einen anderen Zugang suchen. Er umzog die Freiheit auf der Nordseite in der heutigen Bäckerstraße. Die Dom­ immunität bildet annähernd ein Rechteck von etwa 250 m Länge und etwa 220 m Breite, das an der Südostecke leicht abgeschrägt ist, um sich den örtlichen Verhältnissen anzupassen°. Die West- und Südgrenze der Immunität wird von dem Lauf der Beke

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Die Abschrägung ist wohl durch das Überschwemmungsgebiet bedingt. Die Bastau wurde erst im 13. Jh. hier vorbeigeleitet. Vgl. Krieg, KI. Chr., S. 35 f. - Ein ausgemauerter Wasser­ graben, der die Freiheit umzog, wird noch 1572 erwähnt. Herm. Jahr, Der bürgerl. Wohn­ bau in Minden, Mindener Jahrb. IV. 1928/29, S. 15. - Grundriß der Domfreiheit, M. 1: 2500, Kunstdenkmäler, 5. 68.

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Krieg, Entw. d. Mind. Stadtbildes. Zur Frühgeschichte des Mindener Domes vgl. Wilh. Ritter, Der Eilbertdom zu Minden, Mindener Jahrb. II, 1926. Klemens Löffler, Des Domherrn Heinrich Tribbe Beschreibung von Stadt und Stift Minden, Mindener Geschichtsquellen, Bd. II, Münster 1952, S.48: »et antiquitus in omnibus curiis fuerunt capellae vel altaria.« - Deutsche Übersetzung: Mindener Heimatblätter 15, 1935 ff. Wilhelm Dräger, Das Mindener Domkapitel und seine Domherren im Mittelalter, Mindener Jahrb. VIII, 1936, S.15. Ebenda, S. 19f. - Dammeyer S. 6. Um 1250 wird zuerst eine Domherrenkurie urkundlich genannt. - Die um 1500 noch vorhandenen Fundamentreste und den dicken Turm darf man wohl als Reste einer Turmkurie ansprechen. Vgl. M. Krieg, In der Borch, Mindener Heimat­ blätter 27, 1955,S. 147 f. Mündliche Mitteilung von Archivrat Dr. Martin Krieg, dem ich für die liebenswürdige Förderung meiner Studien in Minden ergebenst danke. Über die Fundamentreste des karolingischen und ottonischen Domes vgl. Hans Thümmler, Neue Funde zur mittelalterl. Baukunst Westfalens, Westfalen 51, 1953, S. 282 f. 119

zurückreichen'®. Offenbar wurde sie auch nie erweitert. Bei den wenigen Kurien lag kein Bedürfnis dazu vor. Ihrer Flächengröße nach blieb sie hinter der Paderborner Freiheit zurück. Einen Wirtschaftshof der Immunität gab es später vor dem Marientor im Norden der Stadt. Er trug den Namen Spenthof, wie uns Tribbe berichtet', Die merkwürdige Beschreibung dieses Domherrn, die in Deutschland nur noch ein Gegenstück aus dem 15. Jahrhundert in der Schilderung von Ulm durch den Dominika­ ner Felix Fabri hat18, weiß noch von einer zweiten Gründung Karls des Großen in Min­ den zu berichten. Die Wälle und Gräben im Brühl, die zu Tribbes Zeiten noch zu sehen waren, sollen auf ein Lager Karls zurückgehen. Ebenso sei die Ägidienkirche im Brühl »inter valles castri« karolingischen Ursprungs, wahrscheinlich die erste Pfarrkirche der Stadt19. Zur Zeit Tribbes gehörte sie zu dem Johannisstift als Kapelle. Der Brühl liegt im Norden, westlich des Fischerdorfes. Die Ägidienkirche ist urkundlich nicht weiter be­ legt. Obwohl die Quelle für das karolingische castrum im Brühl erst aus dem 15. Jahr­ hundert stammt, darf man sie nicht ganz von der Hand weisen. Der Autor ist sonst gut unterrichtet. Ein Lager an dieser strategisch so wichtigen Stelle wäre durchaus möglich. Allerdings ging die Stadtentwicklung nicht von dieser Befestigung aus, Immunität und Markt bilden ihre Grundlage. 977 verlieh Otto II. dem Bischof von Minden neben Zoll und Münze das Recht, einen Scharren (Fleischbank) zu errichten?®, Seit 977 ist damit ein Markt in Minden bezeugt. Noch heute nennt sich die Straße zwischen Markt und Bäckerstraße, die neben der Hohn­ straße herläuft, Scharnstraße. Die winzigen, fast quadratischen Hausstellen zwischen diesen beiden Straßen stellen nichts anderes als überbaute Verkaufsbuden dar21. Es besteht kein Grund, die Fleischbänke des 10. Jahrhunderts an anderer Stelle zu suchen. Der Bischof hat sie vor der Immunität längs der Durchgangsstraße anlegen lassen. So­ wohl der Frankfurter Weg wie der Hellweg laufen daran vorbei. Auch der Markt des 10. und 11. Jahrhunderts wird die gleiche Stelle wie der heutige eingenommen haben, wenn auch dessen rechteckige Form noch nicht dem ältesten Markt zu eigen war22. Bei dem großen Brand 1062 gingen die Marktkirche und der Dom in Flammen auf. Jene war dem hl. Johannes dem Täufer geweiht, 1075 war sie wiederhergestellt?°. Sie lag in der 16

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Die Hamburger Domburg, deren Holzerdebefestigung nach dem letzten Kriege angeschnit­ ten wurde, entstand nach 817 oder 822 und fiel schon 845 der Zerstörung des Ortes durch die Wikinger zum Opfer. Reinhard Schindler, Die Ausgrabungen auf dem Gelände des ehem. Hamburger Doms und beim Neubau der Fischmarkt-Apotheke, 1948-51, Hamma­ burg 2, Heft V/VI, 1951, S. 71 ff. und R. Schindler, Ausgrabungen in Alt Hamburg, Hamburg (1957), S. 118 ff. Krieg, Stadtbuch, S. 57. Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart, Bd. 186, 1889, hgb. v. G. Veesemeyer. Übersetzung: Oberschwaben 1909, Heft 13. Löffler, Des Domherrn H. Trippe Beschr., S. 1 ff. MG DD OII, Nr. 147, S. 165. - Gisbert, S. 12. - Krieg, Domburg u. Kaufmannswik S. 60 ff. Jahr, Der bürgerliche Wohnbau, S.14. - Die Grundmauern der Scharrenbuden wurden nach der völligen Zerstörung der Straße im zweiten Weltkrieg aufgefunden. Es besteht die Möglichkeit, daß der älteste Markt auf dem etwas höheren Gelände, südlich des jetzigen Marktes, in der Obermarktstraße lag. Hier stand der Schandpfahl, der »Kak«, auf dem »schepen markt«. Krieg, Entwicklungsgesch. des Stadtbildes. Gisbert, S.20/21, u. Anm.12 u. 18, S.64/65. »Anno ... MLXII sancta Mindonensis mater ecclesia .. est combusta, cui ... sancti Johannis Ecclesia prope esset sita, igni etiam consumpta et sie per XIII annos permansit desolata.« Ihr Kirchhof war der Begräbnisplatz der Kaufleute bereits vor 1022. Krieg, Domburg u. Kaufmanswik, S. 62.

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1 Dom 2 Bischofshof 3 St. Marien 4 St. Martini 5 St. Simeon 6 St. Moritz (seit dem 15. Jh.) 7 St. Johannis Evangelista 8 Wesertor 9 Marientor 10 Simeonstor 11 Hahler Tor 12 Rathaus 13 Futtermauer

A B C D E F G H J K

Markt Obermarktstraße Scharnstraße Hohnstraße Opferstraße Martinitreppe Ritterstraße Kampstraße Hufschmiede Bäckerstraße

982......Y

25°

Abb. 23. Minden. Das mittelalterliche Stadtgebiet nach dem Katasterplan von 1829 mit Ergänzung der Stadtmauer

zurückreichen'®. Offenbar wurde sie auch nie erweitert. Bei den wenigen Kurien lag kein Bedürfnis dazu vor. Ihrer Flächengröße nach blieb sie hinter der Paderborner Freiheit zurück. Einen Wirtschaftshof der Immunität gab es später vor dem Marientor im Norden der Stadt. Er trug den Namen Spenthof, wie uns Tribbe berichtet', Die merkwürdige Beschreibung dieses Domherrn, die in Deutschland nur noch ein Gegenstück aus dem 15. Jahrhundert in der Schilderung von Ulm durch den Dominika­ ner Felix Fabri hat18, weiß noch von einer zweiten Gründung Karls des Großen in Min­ den zu berichten. Die Wälle und Gräben im Brühl, die zu Tribbes Zeiten noch zu sehen waren, sollen auf ein Lager Karls zurückgehen. Ebenso sei die Ägidienkirche im Brühl »inter valles castri« karolingischen Ursprungs, wahrscheinlich die erste Pfarrkirche der Stadt19. Zur Zeit Tribbes gehörte sie zu dem Johannisstift als Kapelle. Der Brühl liegt im Norden, westlich des Fischerdorfes. Die Ägidienkirche ist urkundlich nicht weiter be­ legt. Obwohl die Quelle für das karolingische castrum im Brühl erst aus dem 15. Jahr­ hundert stammt, darf man sie nicht ganz von der Hand weisen. Der Autor ist sonst gut unterrichtet. Ein Lager an dieser strategisch so wichtigen Stelle wäre durchaus möglich. Allerdings ging die Stadtentwicklung nicht von dieser Befestigung aus, Immunität und Markt bilden ihre Grundlage. 977 verlieh Otto II. dem Bischof von Minden neben Zoll und Münze das Recht, einen Scharren (Fleischbank) zu errichten?®, Seit 977 ist damit ein Markt in Minden bezeugt. Noch heute nennt sich die Straße zwischen Markt und Bäckerstraße, die neben der Hohn­ straße herläuft, Scharnstraße. Die winzigen, fast quadratischen Hausstellen zwischen diesen beiden Straßen stellen nichts anderes als überbaute Verkaufsbuden dar21. Es besteht kein Grund, die Fleischbänke des 10. Jahrhunderts an anderer Stelle zu suchen. Der Bischof hat sie vor der Immunität längs der Durchgangsstraße anlegen lassen. So­ wohl der Frankfurter Weg wie der Hellweg laufen daran vorbei. Auch der Markt des 10. und 11. Jahrhunderts wird die gleiche Stelle wie der heutige eingenommen haben, wenn auch dessen rechteckige Form noch nicht dem ältesten Markt zu eigen war22. Bei dem großen Brand 1062 gingen die Marktkirche und der Dom in Flammen auf. Jene war dem hl. Johannes dem Täufer geweiht, 1075 war sie wiederhergestellt?°. Sie lag in der 16

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Die Hamburger Domburg, deren Holzerdebefestigung nach dem letzten Kriege angeschnit­ ten wurde, entstand nach 817 oder 822 und fiel schon 845 der Zerstörung des Ortes durch die Wikinger zum Opfer. Reinhard Schindler, Die Ausgrabungen auf dem Gelände des ehem. Hamburger Doms und beim Neubau der Fischmarkt-Apotheke, 1948-51, Hamma­ burg 2, Heft V/VI, 1951, S. 71 ff. und R. Schindler, Ausgrabungen in Alt Hamburg, Hamburg (1957), S. 118 ff. Krieg, Stadtbuch, S. 57. Bibliothek des Literarischen Vereins in Stuttgart, Bd. 186, 1889, hgb. v. G. Veesemeyer. Übersetzung: Oberschwaben 1909, Heft 13. Löffler, Des Domherrn H. Trippe Beschr., S. 1 ff. MG DD OII, Nr. 147, S. 165. - Gisbert, S. 12. - Krieg, Domburg u. Kaufmannswik S. 60 ff. Jahr, Der bürgerliche Wohnbau, S.14. - Die Grundmauern der Scharrenbuden wurden nach der völligen Zerstörung der Straße im zweiten Weltkrieg aufgefunden. Es besteht die Möglichkeit, daß der älteste Markt auf dem etwas höheren Gelände, südlich des jetzigen Marktes, in der Obermarktstraße lag. Hier stand der Schandpfahl, der »Kak«, auf dem »schepen markt«. Krieg, Entwicklungsgesch. des Stadtbildes. Gisbert, S.20/21, u. Anm.12 u. 18, S.64/65. »Anno ... MLXII sancta Mindonensis mater ecclesia .. est combusta, cui ... sancti Johannis Ecclesia prope esset sita, igni etiam consumpta et sie per XIII annos permansit desolata.« Ihr Kirchhof war der Begräbnisplatz der Kaufleute bereits vor 1022. Krieg, Domburg u. Kaufmanswik, S. 62.

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1 Dom 2 Bischofshof 3 St. Marien 4 St. Martini 5 St. Simeon 6 St. Moritz (seit dem 15. Jh.) 7 St. Johannis Evangelista 8 Wesertor 9 Marientor 10 Simeonstor 11 Hahler Tor 12 Rathaus 13 Futtermauer

A B C D E F G H J K

Markt Obermarktstraße Scharnstraße Hohnstraße Opferstraße Martinitreppe Ritterstraße Kampstraße Hufschmiede Bäckerstraße

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Abb. 23. Minden. Das mittelalterliche Stadtgebiet nach dem Katasterplan von 1829 mit Ergänzung der Stadtmauer

Südostecke des heutigen Marktes an der Stelle des Hotels Viktoria. Erst im 19. Jahrhun­ dert wurden ihre letzten Reste beseitigt, nachdem sie bereits 1550 zu einem Bürgerhaus umgebaut worden war. Wie in allen westfälischen Städten des 11. und 12. Jahrhunderts hat sich auch in Min­ den der Markt entlang. der großen Durchgangsstraße entwickelt. Viel Raum stand ihm zwischen Uferhang und Immunität nicht zur Verfügung. Dieser Mangel hat Minden zu einer großartigen städtebaulichen Maßnahme gezwungen. Um auch auf der Westseite des Marktes Hausstellen von normaler Größe zu gewinnen, hat man den Uferhang ab­ gegraben und die Uferterrassen mit einer gewaltigen Böschungsmauer unterfangen. In den Urkunden hat dieses bedeutende Unternehmen keine Spur hinterlassen. Die Stütz­ mauer, die sich hinter den Hausstellen von der Südwestecke des Marktes bis fast zum Marienstift hinzieht, wird ihrer Mauertechnik nach - sie besteht aus großen, fast qua­ dratischen Hausteinquadern - kaum vor dem 13. Jahrhundert entstanden sein. Huf­ schmiede?" und Opferstraße vermitteln den Zugang zur Oberstadt, welche der Fußgänger auch vom Markt aus über die Martinitreppe beim Martinsstift erreichen kann. Im 11. Jahrhundert wird noch der natürliche Uferhang vorhanden gewesen sein und die Westseite des Marktes sowie die Hohnstraße, deren Name die ursprüngliche Lage ge­ genüber dem Scharren andeutet, muß man sich auf höherem Niveau als heute vorstellen. Der Unterschied beträgt jetzt nur mehr etwa 2-3 Die auffallend gleichmäßigen Grundstücksbreiten der Bäckerstraße, der Ostseite der Scharnstraße und der Westseite der Hohnstraße sprechen für eine geplante, gleichzeitige Anlage dieser Straßen. Wohl von Anfang an wurde der Markt selbst mit Häusern größerer Breite besetzt. Dem 11. Jahrhundert hat Minden eine wesentliche städtebauliche Bereicherung zu verdanken. Fast genau innerhalb eines halben Jahrhunderts entstand ein Kranz von drei Stiften und Klöstern um die Stadt. Gegen 100o verlegte Bischof Ramward (9961002) das Benediktinerinnenkloster (das spätere St. Marienstift) vom Wittekindsberg, wo es 995 von Bischof Milo (969-996) gegründet worden war, nach Minden?®. Etwa 500 m südlich davon kam vor 1029 das Kollegiatstift St. Martin zu stehen, das Bischof Siegbert (1022-1036) in seinem Todesjahr errichtete??. Die städtebauliche Lage der beiden Gründungen hätte nicht eindrucksvoller gewählt werden können. Beide liegen am Ostrand der Uferterrasse, die sich 10-15 m über die Weserniederung erhebt, St. Martin an dem Wendepunkt der Uferlinie nach Südwesten, das Marienkloster dicht nördlich des Einschnittes der Hufschmiede. Was bisher der Erscheinung des Ortes fehlte, dessen Dom ja in der Niederung an der Weser stand, die Wirkung in die Ferne, das weithin Kündende eines kirchlichen Mittelpunktes, war nun gewonnen. Die beiden Kirchen auf der Terrasse„ die den Dom überragen, geben dem Ort eine ausgesprochene Ansichtsseite„ ihre beiden Chöre dicht am Uferrand richten sich nach Osten und von dort aus wirken sie wie eine glänzende Steigerung der Bischofskirche. Mit der dritten Gründun.g griff man nach Osten aus, über den Weserarm, der un­ mittelbar an Minden vorbeifließt, hinüber. 1042 stiftete Bischof Bruno (1036-1055) auf

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Sie wurde in den neunziger Jahren des 19. Jhs. verbreitert. Jahr, Bürgerl. Wohnbau, S.14. Krieg, KI. Chr., S. 30 f. Gisbert, Bischöfe von Minden, S. 14, u. Anm. 4, S. 50. - Wilh. Vieth, Die Marienkircde in Minden, Mindener Heimatblätter 27, 1955, S. 2 ff. Ebenda, S.17, u. Anm.27-35, S.56f. - Dedeke, Die Martinikirche, Mindener Heimat­ blätter 5, 1925, Nr. 14. - Bischof Siegbert wurde in St. Martin beigesetzt.

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dem Werder zwischen den beiden Flußarmen ein Benediktinerkloster, das der ehemalige Magdeburger Domherr dem hl. Moritz, dem Patron des Erzbistums, weihte, und. in dem Bischof Bruno auch beigesetzt wurde?*. Die häufigen Überschwemmungen führten gegen Ende des Mittelalters zur Rückverlegung des Klosters in die Stadt. 1434 siedelte es sich neben der im 15. Jahrhundert gegründeten Simeonspfarrkirche im Süden der Oberstadt an. Schon 1318 war ihm die Verlegung zugebilligt worden?, Vielleicht reicht auch die Kirche St. Johannis Ev. nördlich der Bäckerstraße noch in das 11. Jahrhundert zurück. Nach alter Überlieferung soll - wie Schröder in seiner Chro­ nik des Bistums und der Stadt Minden berichtet - Dompropst Ramward 1006 die Kolle­ giatkirche gestiftet haben. Urkundlich ist diese Gründung allerdings nicht bezeugt. Erst Ende des 12. Jahrhunderts läßt sich ihr Bestehen sicher belegen°. Wann in Minden Domburg und Markt, Stifte und Klöster zu einer geschlossenen Einheit zusammenwuchsen, steht nicht fest. Die fortgeschrittene städtische Entwicklung in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts' und der Vergleich mit den übrigen westfäli­ schen Bischofsstädten?? lassen keinen Zweifel aufkommen, daß Minden im Laufe des 12. Jahrhunderts den Schritt zur geschlossenen Stadt getan hat. Auf ganz natürliche Weise sind - wie es dem Bildungsgesetz der westfälischen Städte entspricht - die gro­ ßen Durchgangsstraßen (Frankfurter Weg: Obermarktstr., Markt, Hohnstr.; Hellweg vor dem Santforde: Bäckerstr.) die Hauptachsen der geschlossenen Stadt geblieben. Die tiefer gelegene östliche Stadthälfte umschließt Domfreiheit und Markt, die Wohnstraßen der Kaufleute und Handwerker. Die Oberstadt auf der Uferterrasse gehört der Geist­ lichkeit der religiösen Gemeinschaften, dem Adel und den Ackerbürgern. »In dem Teile ... nämlich vom St. Simeonstor bis zum Hahler Tor, war einst die Wohnstätte der Ritter und Knappen, ... die ihre Höfe und Wohnungen hinter Mauern hatten®~.« Die großen und ungewöhnlich tiefen Grundstücke der Kampstraße (Ostseite) und der Name Ritter­ straße zeugen davon noch heute. Die meisten Adelshöfe sind wohl später aufgeteilt worden. Der abgebrannte Hof der Herren von Beldersen wurde den Dominikanern als Bauplatz für ihr Kloster gestiftet*. Um 1264 erst ist die Bebauung der Oberstadt um die Martinikirche im Gange. Nur für eine Straße läßt sich eine Einwohnergruppe nachGisbert, Bischöfe v. Minden, S.19, u. Anm. 24-27, S.61 f., Anm. 31, S. 65. - O.-K. Laag, Die Bodenfliesen des 13. Jhs. von St. Moritz, Mindener Heimatblätter 27, 1955, S. 38 ff. 29 Westf. UB X, Nr. 582. Außer dem städtebaulichen Gesichtspunkt muß auch der militärische in Betracht gezogen werden. St. Martin und St. Marien sicherten die Höhe und die Zu­ fahrtsstraßen im Süden und Norden, St. Moritz deckte den Fußübergang auf der Ostseite. 30 Schröder, S.72. - Gisbert, S.14. 31 Krieg, Stadtbuch, S.25: »Um 1250 muß man Minden als Stadt im eigentlichen Sinne an­ sehen.« 32 Vgl. Osnabrück nach 1100: Hermann Rothert, Geschichte der Stadt Osnabrück, Osnabrück 1938, S.17. - Münster um 1150: Max Geisberg, Bau- und Kunstdenkmäler von Westf., 41.Bd., I. Teil, Die Stadt Münster, Münster 1932, S. 108. - Paderborn vor 1180: siehe oben S. 115. Auch Soest, obgleich nicht Bischofssitz, darf hier herangezogen werden. Es erhielt seinen ersten Mauerring noch vor der Mitte des 12. Jhs., den zweiten und letzten im letzten Jahrhundertviertel. Hermann Rothert, Die räumliche Entwicklung der Stadt Soest im Mit­ telalter, Zeitschrift des Vereins für die Geschichte von Soest und der Börde, 61. Heft, 1948, S. 68 ff. 33 Des Domherrn Heinrich Tribbe Beschr. etc., Mindener Heimatblätter 14, 1956, Nr. 5. 34 Ernst Friedrich Mooyer, Die Klöster des Bistums Minden, aus dem Mindener Sonntags­ blatt 56, 1852, wieder abgedruckt in Mindener Heimatblätter 1, 1923, Nr. 5 ff. 28

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Südostecke des heutigen Marktes an der Stelle des Hotels Viktoria. Erst im 19. Jahrhun­ dert wurden ihre letzten Reste beseitigt, nachdem sie bereits 1550 zu einem Bürgerhaus umgebaut worden war. Wie in allen westfälischen Städten des 11. und 12. Jahrhunderts hat sich auch in Min­ den der Markt entlang. der großen Durchgangsstraße entwickelt. Viel Raum stand ihm zwischen Uferhang und Immunität nicht zur Verfügung. Dieser Mangel hat Minden zu einer großartigen städtebaulichen Maßnahme gezwungen. Um auch auf der Westseite des Marktes Hausstellen von normaler Größe zu gewinnen, hat man den Uferhang ab­ gegraben und die Uferterrassen mit einer gewaltigen Böschungsmauer unterfangen. In den Urkunden hat dieses bedeutende Unternehmen keine Spur hinterlassen. Die Stütz­ mauer, die sich hinter den Hausstellen von der Südwestecke des Marktes bis fast zum Marienstift hinzieht, wird ihrer Mauertechnik nach - sie besteht aus großen, fast qua­ dratischen Hausteinquadern - kaum vor dem 13. Jahrhundert entstanden sein. Huf­ schmiede?" und Opferstraße vermitteln den Zugang zur Oberstadt, welche der Fußgänger auch vom Markt aus über die Martinitreppe beim Martinsstift erreichen kann. Im 11. Jahrhundert wird noch der natürliche Uferhang vorhanden gewesen sein und die Westseite des Marktes sowie die Hohnstraße, deren Name die ursprüngliche Lage ge­ genüber dem Scharren andeutet, muß man sich auf höherem Niveau als heute vorstellen. Der Unterschied beträgt jetzt nur mehr etwa 2-3 Die auffallend gleichmäßigen Grundstücksbreiten der Bäckerstraße, der Ostseite der Scharnstraße und der Westseite der Hohnstraße sprechen für eine geplante, gleichzeitige Anlage dieser Straßen. Wohl von Anfang an wurde der Markt selbst mit Häusern größerer Breite besetzt. Dem 11. Jahrhundert hat Minden eine wesentliche städtebauliche Bereicherung zu verdanken. Fast genau innerhalb eines halben Jahrhunderts entstand ein Kranz von drei Stiften und Klöstern um die Stadt. Gegen 100o verlegte Bischof Ramward (9961002) das Benediktinerinnenkloster (das spätere St. Marienstift) vom Wittekindsberg, wo es 995 von Bischof Milo (969-996) gegründet worden war, nach Minden?®. Etwa 500 m südlich davon kam vor 1029 das Kollegiatstift St. Martin zu stehen, das Bischof Siegbert (1022-1036) in seinem Todesjahr errichtete??. Die städtebauliche Lage der beiden Gründungen hätte nicht eindrucksvoller gewählt werden können. Beide liegen am Ostrand der Uferterrasse, die sich 10-15 m über die Weserniederung erhebt, St. Martin an dem Wendepunkt der Uferlinie nach Südwesten, das Marienkloster dicht nördlich des Einschnittes der Hufschmiede. Was bisher der Erscheinung des Ortes fehlte, dessen Dom ja in der Niederung an der Weser stand, die Wirkung in die Ferne, das weithin Kündende eines kirchlichen Mittelpunktes, war nun gewonnen. Die beiden Kirchen auf der Terrasse„ die den Dom überragen, geben dem Ort eine ausgesprochene Ansichtsseite„ ihre beiden Chöre dicht am Uferrand richten sich nach Osten und von dort aus wirken sie wie eine glänzende Steigerung der Bischofskirche. Mit der dritten Gründun.g griff man nach Osten aus, über den Weserarm, der un­ mittelbar an Minden vorbeifließt, hinüber. 1042 stiftete Bischof Bruno (1036-1055) auf

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Sie wurde in den neunziger Jahren des 19. Jhs. verbreitert. Jahr, Bürgerl. Wohnbau, S.14. Krieg, KI. Chr., S. 30 f. Gisbert, Bischöfe von Minden, S. 14, u. Anm. 4, S. 50. - Wilh. Vieth, Die Marienkircde in Minden, Mindener Heimatblätter 27, 1955, S. 2 ff. Ebenda, S.17, u. Anm.27-35, S.56f. - Dedeke, Die Martinikirche, Mindener Heimat­ blätter 5, 1925, Nr. 14. - Bischof Siegbert wurde in St. Martin beigesetzt.

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dem Werder zwischen den beiden Flußarmen ein Benediktinerkloster, das der ehemalige Magdeburger Domherr dem hl. Moritz, dem Patron des Erzbistums, weihte, und. in dem Bischof Bruno auch beigesetzt wurde?*. Die häufigen Überschwemmungen führten gegen Ende des Mittelalters zur Rückverlegung des Klosters in die Stadt. 1434 siedelte es sich neben der im 15. Jahrhundert gegründeten Simeonspfarrkirche im Süden der Oberstadt an. Schon 1318 war ihm die Verlegung zugebilligt worden?, Vielleicht reicht auch die Kirche St. Johannis Ev. nördlich der Bäckerstraße noch in das 11. Jahrhundert zurück. Nach alter Überlieferung soll - wie Schröder in seiner Chro­ nik des Bistums und der Stadt Minden berichtet - Dompropst Ramward 1006 die Kolle­ giatkirche gestiftet haben. Urkundlich ist diese Gründung allerdings nicht bezeugt. Erst Ende des 12. Jahrhunderts läßt sich ihr Bestehen sicher belegen°. Wann in Minden Domburg und Markt, Stifte und Klöster zu einer geschlossenen Einheit zusammenwuchsen, steht nicht fest. Die fortgeschrittene städtische Entwicklung in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts' und der Vergleich mit den übrigen westfäli­ schen Bischofsstädten?? lassen keinen Zweifel aufkommen, daß Minden im Laufe des 12. Jahrhunderts den Schritt zur geschlossenen Stadt getan hat. Auf ganz natürliche Weise sind - wie es dem Bildungsgesetz der westfälischen Städte entspricht - die gro­ ßen Durchgangsstraßen (Frankfurter Weg: Obermarktstr., Markt, Hohnstr.; Hellweg vor dem Santforde: Bäckerstr.) die Hauptachsen der geschlossenen Stadt geblieben. Die tiefer gelegene östliche Stadthälfte umschließt Domfreiheit und Markt, die Wohnstraßen der Kaufleute und Handwerker. Die Oberstadt auf der Uferterrasse gehört der Geist­ lichkeit der religiösen Gemeinschaften, dem Adel und den Ackerbürgern. »In dem Teile ... nämlich vom St. Simeonstor bis zum Hahler Tor, war einst die Wohnstätte der Ritter und Knappen, ... die ihre Höfe und Wohnungen hinter Mauern hatten®~.« Die großen und ungewöhnlich tiefen Grundstücke der Kampstraße (Ostseite) und der Name Ritter­ straße zeugen davon noch heute. Die meisten Adelshöfe sind wohl später aufgeteilt worden. Der abgebrannte Hof der Herren von Beldersen wurde den Dominikanern als Bauplatz für ihr Kloster gestiftet*. Um 1264 erst ist die Bebauung der Oberstadt um die Martinikirche im Gange. Nur für eine Straße läßt sich eine Einwohnergruppe nachGisbert, Bischöfe v. Minden, S.19, u. Anm. 24-27, S.61 f., Anm. 31, S. 65. - O.-K. Laag, Die Bodenfliesen des 13. Jhs. von St. Moritz, Mindener Heimatblätter 27, 1955, S. 38 ff. 29 Westf. UB X, Nr. 582. Außer dem städtebaulichen Gesichtspunkt muß auch der militärische in Betracht gezogen werden. St. Martin und St. Marien sicherten die Höhe und die Zu­ fahrtsstraßen im Süden und Norden, St. Moritz deckte den Fußübergang auf der Ostseite. 30 Schröder, S.72. - Gisbert, S.14. 31 Krieg, Stadtbuch, S.25: »Um 1250 muß man Minden als Stadt im eigentlichen Sinne an­ sehen.« 32 Vgl. Osnabrück nach 1100: Hermann Rothert, Geschichte der Stadt Osnabrück, Osnabrück 1938, S.17. - Münster um 1150: Max Geisberg, Bau- und Kunstdenkmäler von Westf., 41.Bd., I. Teil, Die Stadt Münster, Münster 1932, S. 108. - Paderborn vor 1180: siehe oben S. 115. Auch Soest, obgleich nicht Bischofssitz, darf hier herangezogen werden. Es erhielt seinen ersten Mauerring noch vor der Mitte des 12. Jhs., den zweiten und letzten im letzten Jahrhundertviertel. Hermann Rothert, Die räumliche Entwicklung der Stadt Soest im Mit­ telalter, Zeitschrift des Vereins für die Geschichte von Soest und der Börde, 61. Heft, 1948, S. 68 ff. 33 Des Domherrn Heinrich Tribbe Beschr. etc., Mindener Heimatblätter 14, 1956, Nr. 5. 34 Ernst Friedrich Mooyer, Die Klöster des Bistums Minden, aus dem Mindener Sonntags­ blatt 56, 1852, wieder abgedruckt in Mindener Heimatblätter 1, 1923, Nr. 5 ff. 28

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weisen, die weder dem Adel noch der Geistlichkeit angehört. Die heutige Böttcherstraße hieß im Mittelalter platea frisonum, 1278 wird sie zum erstenmal erwähnt. Hier saßen wohl friesische Kaufleute35. Vor den Toren der Nordsüdachse bildeten sich im Mittelalter Vorstädte, im Süden die Simeonsvorstadt, im Norden die Marienvorstadt, beide nach den nächstliegenden Kirchen benannt. Um freies Vorgelände für die Verteidigung der Stadt zu schaffen, wur­ den sie beide 1553 niedergelegt. Die Einwohner mußten in die Stadt ziehen und besiedel­ ten die noch unbebauten Flächen, vor allem die Friedhöfe bei den Kirchen. In jenen Jahren entstanden die kleinen Hausstellen an der Martinitreppe, am Martinikircdhhof, auf der Nordseite der Hufschmiede, am Johanniskirchhof®°. Gedrängtheit und Enge die­ ser Stellen entstammen also· erst nachmittelalterlicher Zeit! Von städtebaulich bedeutenden Einzelgebäuden des 12. und 13. Jahrhunderts muß vor allem der Wichgrabenhof erwähnt werden, der in der Bäckerstraße lag. Ein Wichgraf (= Stadtgraf) ist seit 1167 in Minden zu belegen. Bei dem Johannisstift (nördlich der Bäckerstraße) hatten die Benediktiner des Moritzklosters auf dem Werder einen Hof, dessen Kapelle 1120 zu Ehren des hl. Kreuzes und des hl. Ägidius geweiht wurde. Sie hatte den Namen »mirabilis Brock«38. Am Südende des Marktes stand mindestens seit der Mitte des 13. Jahrhunderts das Heiliggeistspital mit Kirche. Seit der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts führte eine steinerne Brücke über die Weser, die 1258 zum ersten Male genannt wird39. 35 36

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Krieg, Entwicklungsgesch. des Stadtbildes. - Westf. UB VI, Nr.795, 809, 810. - Waldemar Rothe, Straßennamen der Stadt Minden, Mindener Heimatblätter 19, 1942, Nr. 9/10 ff. Krieg, Entwicklungsgesch. des Mindener Stadtbildes. Krieg, Stadtbuch, S. 16 ff. Gisbert, Bischöfe von Minden, S. 28. Kunstdenkmäler, S.63 f. - Westf. UB VI, Nr. 695.

TRIER

(Abbildungen 24-26, Tafeln 13 u. 14)

Die spätantike Kaiserresidenz Trier, die größte Römerstadt im deutschen Bereich, hat die tiefgreifendsten Wandlungen vom Ende der Römerherrschaft bis zur Entfaltung der Bürgerstadt im 12. Jahrhundert erlebt1. Klar heben sich die aufeinanderfolgenden Schichten der römischen, merowingischen, ottonischen und hochmittelalterlichen Stadt ihrem Gehalt wie ihrer Form nach voneinander ab und gestatten einen tiefen Blick in die dunkelsten Jahrhunderte der Stadtgeschichte auf deutschem Boden. Nach der Eroberung Galliens durch die Römer mußte ein Verwaltungsmittelpunkt für das Gebiet der Treverer geschaffen werden, dessen Fiskus und Handel in dem städte­ losen Land bedurften. Die Gründung Triers scheint bei der politischen Neuordnung Galliens unter Augustus (16-15 v. Chr.) beschlossen worden zu sein. Spätestens um 40/50 n. Chr. erhob man die Siedlung unter Claudius zur Colonia und damit zur Stadt 1

Die ausführlichste Stadtgeschichte schrieb Gottfried Kentenich, Geschichte der Stadt Trier, Trier 1915, leider ohne genügende Nachweise. Ihr dunkelster Abschnitt fand jüngst eine ausgezeichnete Bearbeitung, welche die schwierige Quellenlage der schriftlichen Überliefe­ rung durch Heranziehen anderer Forschungsgebiete und Denkrnälerkreise zu ergänzen sucht, durch Eugen Ewig, Trier im Merowinger-Reich, Trierer Zeitschr. 21, 1955, auch als Buch, Trier 1954. Die Siedlungsgeschichte behandelt das bedeutende Werk von J. Stein­ hausen, Archäologische Siedlungskunde des Trierer Landes, Trier 1936. Die Urkunden ver­ zeichnet H. Beyer - L. Eltester - A. Goerz, Urkundenbuch zur Geschichte der mittelrheini­ schen Territorien, 3 Bde., Koblenz 1860-74 (= MUB), und Rudolph - Kentenich, Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte rheinischer Städte I (Trier), Bonn 1915, mit zu­ sammenfassender Darstellung der mittelalterlichen Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt. Lager, Die Kirchen und klösterlichen Genossenschaften Triers vor der Säkularisation nach den Aufzeichnungen von Fr. Tob. Müller u. a. Quellen bearbeitet, Trier (1922), gibt eine praktische Übersicht der kirchlichen Gründungen. Das sehr reiche topographische Schrifttum kann hier nicht im einzelnen aufgeführt werden. Für die ältere Zeit ist die vorzügliche Bibliographie bei Ewig heranzuziehen. Die jüngste Zusammenfassung über das römische Trier schrieb Hans Eiden, Die spätrömische Kaiser­ residenz Trier im lichte neuer Ausgrabungen, Rheinischer Verein f. Denkmalspflege u. Heimatschutz, 1952 (Trier, ein Zentrum abendländischer Kultur), S.7 ff., ebendort Th. K. Kernpf, die altchristliche Bischofsstadt Trier, 5. 47 ff. Seitdem zusammenfassend: Hans Eiden, Ausgrabungen im spätantiken Trier, Neue Ausgrabungen in Deutschland hgb. von W. Krä­ mer, Berlin 1958, S. 340ff. und Th. K. Kempf, Trierer Domgrabungen 1943-1954, ebenda S. 368 ff. Bequem zu benutzen ist die topographische Übersicht von Hermann Bunjes, Pläne und Ansichten zur Baugeschichte der Stadt Trier im Mittelalter, Trierer Zeitschr. 11, 1956, S. 90ff. Reiches Material enthalten die Zeitschriften: »Trierische Chronik«, »Trierische Heimat« und vor allem die »Trierer Zeitschr. f. Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete«. In den Inventarbänden der Kunstdenkmäler der Rheinprovinz sind bisher nur die kirchlichen Denkmäler bearbeitet worden: Bd. I, Der Dorn zu Trier, Düsseldorf 1951; Bd. II, Die kirchl. Denkmäler mit Ausnahme des Domes, Düsseldorf 1938. Eine hübsche Auswahl alter Stadt- und Straßenansichten stellte G. Kentenich, Alt-Trier, Trier o.J., zusammen. Gute moderne Aufnahmen bei H. Eichler, Trier, München 1952 (Deutsche Lande, deutsche Kunst), mit Stadtbaugeschichte. 125

weisen, die weder dem Adel noch der Geistlichkeit angehört. Die heutige Böttcherstraße hieß im Mittelalter platea frisonum, 1278 wird sie zum erstenmal erwähnt. Hier saßen wohl friesische Kaufleute35. Vor den Toren der Nordsüdachse bildeten sich im Mittelalter Vorstädte, im Süden die Simeonsvorstadt, im Norden die Marienvorstadt, beide nach den nächstliegenden Kirchen benannt. Um freies Vorgelände für die Verteidigung der Stadt zu schaffen, wur­ den sie beide 1553 niedergelegt. Die Einwohner mußten in die Stadt ziehen und besiedel­ ten die noch unbebauten Flächen, vor allem die Friedhöfe bei den Kirchen. In jenen Jahren entstanden die kleinen Hausstellen an der Martinitreppe, am Martinikircdhhof, auf der Nordseite der Hufschmiede, am Johanniskirchhof®°. Gedrängtheit und Enge die­ ser Stellen entstammen also· erst nachmittelalterlicher Zeit! Von städtebaulich bedeutenden Einzelgebäuden des 12. und 13. Jahrhunderts muß vor allem der Wichgrabenhof erwähnt werden, der in der Bäckerstraße lag. Ein Wichgraf (= Stadtgraf) ist seit 1167 in Minden zu belegen. Bei dem Johannisstift (nördlich der Bäckerstraße) hatten die Benediktiner des Moritzklosters auf dem Werder einen Hof, dessen Kapelle 1120 zu Ehren des hl. Kreuzes und des hl. Ägidius geweiht wurde. Sie hatte den Namen »mirabilis Brock«38. Am Südende des Marktes stand mindestens seit der Mitte des 13. Jahrhunderts das Heiliggeistspital mit Kirche. Seit der 2. Hälfte des 15. Jahrhunderts führte eine steinerne Brücke über die Weser, die 1258 zum ersten Male genannt wird39. 35 36

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Krieg, Entwicklungsgesch. des Stadtbildes. - Westf. UB VI, Nr.795, 809, 810. - Waldemar Rothe, Straßennamen der Stadt Minden, Mindener Heimatblätter 19, 1942, Nr. 9/10 ff. Krieg, Entwicklungsgesch. des Mindener Stadtbildes. Krieg, Stadtbuch, S. 16 ff. Gisbert, Bischöfe von Minden, S. 28. Kunstdenkmäler, S.63 f. - Westf. UB VI, Nr. 695.

TRIER

(Abbildungen 24-26, Tafeln 13 u. 14)

Die spätantike Kaiserresidenz Trier, die größte Römerstadt im deutschen Bereich, hat die tiefgreifendsten Wandlungen vom Ende der Römerherrschaft bis zur Entfaltung der Bürgerstadt im 12. Jahrhundert erlebt1. Klar heben sich die aufeinanderfolgenden Schichten der römischen, merowingischen, ottonischen und hochmittelalterlichen Stadt ihrem Gehalt wie ihrer Form nach voneinander ab und gestatten einen tiefen Blick in die dunkelsten Jahrhunderte der Stadtgeschichte auf deutschem Boden. Nach der Eroberung Galliens durch die Römer mußte ein Verwaltungsmittelpunkt für das Gebiet der Treverer geschaffen werden, dessen Fiskus und Handel in dem städte­ losen Land bedurften. Die Gründung Triers scheint bei der politischen Neuordnung Galliens unter Augustus (16-15 v. Chr.) beschlossen worden zu sein. Spätestens um 40/50 n. Chr. erhob man die Siedlung unter Claudius zur Colonia und damit zur Stadt 1

Die ausführlichste Stadtgeschichte schrieb Gottfried Kentenich, Geschichte der Stadt Trier, Trier 1915, leider ohne genügende Nachweise. Ihr dunkelster Abschnitt fand jüngst eine ausgezeichnete Bearbeitung, welche die schwierige Quellenlage der schriftlichen Überliefe­ rung durch Heranziehen anderer Forschungsgebiete und Denkrnälerkreise zu ergänzen sucht, durch Eugen Ewig, Trier im Merowinger-Reich, Trierer Zeitschr. 21, 1955, auch als Buch, Trier 1954. Die Siedlungsgeschichte behandelt das bedeutende Werk von J. Stein­ hausen, Archäologische Siedlungskunde des Trierer Landes, Trier 1936. Die Urkunden ver­ zeichnet H. Beyer - L. Eltester - A. Goerz, Urkundenbuch zur Geschichte der mittelrheini­ schen Territorien, 3 Bde., Koblenz 1860-74 (= MUB), und Rudolph - Kentenich, Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte rheinischer Städte I (Trier), Bonn 1915, mit zu­ sammenfassender Darstellung der mittelalterlichen Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt. Lager, Die Kirchen und klösterlichen Genossenschaften Triers vor der Säkularisation nach den Aufzeichnungen von Fr. Tob. Müller u. a. Quellen bearbeitet, Trier (1922), gibt eine praktische Übersicht der kirchlichen Gründungen. Das sehr reiche topographische Schrifttum kann hier nicht im einzelnen aufgeführt werden. Für die ältere Zeit ist die vorzügliche Bibliographie bei Ewig heranzuziehen. Die jüngste Zusammenfassung über das römische Trier schrieb Hans Eiden, Die spätrömische Kaiser­ residenz Trier im lichte neuer Ausgrabungen, Rheinischer Verein f. Denkmalspflege u. Heimatschutz, 1952 (Trier, ein Zentrum abendländischer Kultur), S.7 ff., ebendort Th. K. Kernpf, die altchristliche Bischofsstadt Trier, 5. 47 ff. Seitdem zusammenfassend: Hans Eiden, Ausgrabungen im spätantiken Trier, Neue Ausgrabungen in Deutschland hgb. von W. Krä­ mer, Berlin 1958, S. 340ff. und Th. K. Kempf, Trierer Domgrabungen 1943-1954, ebenda S. 368 ff. Bequem zu benutzen ist die topographische Übersicht von Hermann Bunjes, Pläne und Ansichten zur Baugeschichte der Stadt Trier im Mittelalter, Trierer Zeitschr. 11, 1956, S. 90ff. Reiches Material enthalten die Zeitschriften: »Trierische Chronik«, »Trierische Heimat« und vor allem die »Trierer Zeitschr. f. Geschichte und Kunst des Trierer Landes und seiner Nachbargebiete«. In den Inventarbänden der Kunstdenkmäler der Rheinprovinz sind bisher nur die kirchlichen Denkmäler bearbeitet worden: Bd. I, Der Dorn zu Trier, Düsseldorf 1951; Bd. II, Die kirchl. Denkmäler mit Ausnahme des Domes, Düsseldorf 1938. Eine hübsche Auswahl alter Stadt- und Straßenansichten stellte G. Kentenich, Alt-Trier, Trier o.J., zusammen. Gute moderne Aufnahmen bei H. Eichler, Trier, München 1952 (Deutsche Lande, deutsche Kunst), mit Stadtbaugeschichte. 125

im Rechtssinn?. »Hier wurde zum erstenmal von der bodenständigen Bevölkerung, einem keltisch-germanischen Mischvolk, auf römische Veranlassung der für die kulturelle Wei­ terentwicklung so bedeutsame Schritt von der dörflichen Gemeinschaft zur städtischen Lebensweise getan~.« Man siedelte nicht, wie in den Römerstädten der Militärzone am Rhein, gediente römische Soldaten und Italiker an; der eingesessene Volksstamm bildete von Anfang an den überwiegenden Teil der Einwohner. Die neue Stadt wurde dicht bei dem Stammesheiligtum der Treverer in günstigster Verkehrslage im Moseltal errichtet. Am linken Moselufer, Trier gegenüber, stand der Tempel des Lenus Mars, des Haupt­ gottes der Treverer. Am rechten Moselufer lag im Altbachtal ein ganzer Tempelbezirk, der noch in vorrömische Zeit zurückreicht*. Von einer keltischen Siedlung innerhalb des römischen Stadtgebietes fehlt bisher jede Spur. Auch an eine stadtähnliche Bergsied­ lung der Treverer in der Nähe, wie etwa Bibracte bei der augusteischen Neugründung Augustodunum = Autun, ist nicht zu denken. Der Stamm kannte - von ländlichen Siedlungen abgesehen - nur Fluchtburgen, wenn auch zum Teil gewaltigen Ausmaßes (Hunnenring bei Otzenhausen), die nicht ständig bewohnt waren. Der Bau einer Moselbrücke an der Stelle, wo die sanft abfallenden Hänge der öst­ lichen Bergkette am weitesten zum Flusse vorstoßen, legte den Flußübergang der Fern­ straßen fest und band ihn an den neuen Mittelpunkt, während vorher offenbar auch der Übergang bei Pfalzel an der Ruwer-Mündung eine Rolle spielte". Im römischen Straßennetz nahm Trier einen beherrschenden Platz ein. Die von Agrippa angelegte Heeresstraße von Gallien zum Rhein bildete die Längsachse der neuen Stadtanlage. Von Marseille aus durchzog sie das Rhonetal und lief über Lyon-Langres-Metz und die Höhen östlich der Mosel nach Konz, wo sie in die Talebene hinunterstieg. Durch die Porta Alba betrat sie das Trierer Stadtgebiet, um von der Porta Nigra aus nach Mainz weiterzuführen. Zunächst zog sie im Moseltal entlang bis Neumagen, dann überguerte sie den Hunsrück und mündete bei Bingen in das Rheintal ein. Ausonius hat diese Straße im Jahre 368 befahren und in der »Mosella« besungen. Im Südosten des Stadtgebietes kam bei dem späteren hl. Kreuz-Kirchlein eine römische Straße von Straßburg her über Pachten und die Saar an. Jenseits der Moselbrücke stieg die Köln-Aachener-Straße von den Eifelhöhen herunter, die sie in der Linie Jünkerath-Bitburg überquerte. Ebenfalls am linken Ufer traf die Straße von Reims-Arlon ein und zog über die Hochfläche der Eifel weiter nach Andernach, ohne den Fluß zu kreuzen. Neben diesen wichtigsten Fernverbindungen lief noch eine Reihe von Nebenstraßen im Stadtgebiet zusammen°. Der Wasserweg der schiffbaren Mosel übertraf wohl an Bedeutung für Verkehr und Handel die großen Kunststraßen. Seine Wichtigkeit nahm im frühen Mittelalter zu, als das römische Straßennetz dem Verfall preisgegeben war7. 2

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G. Kentenich, Die älteste Stadtanlage Triers, Trierische Heimat 9, 1952/33, S.140ff. E. Krüger, Die Augustus-Stadt Trier, Trierer Zeitschr. 15, 1938, S.185 ff. - H. Koethe, Die Anfänge Triers, Trierer Zeitschr. 15, 1938, S.190ff. - J. B. Keune, Colonia Treverorum, Schumacher-Festschrift 1930, S.254 ff. - Ders., Das römische Trier, Trierische Heimat 8, 1951/32, S. 50 ff. u. 86 ff. H. Eiden, Kaiserresidenz, S. 7. E. Gose, Der Tempelbezirk des Lenus Mars in Trier, Berlin 1955. - S. Löschke u.a., Der Tempelbezirk im Altbachtal zu Trier, Heft 1, Berlin 1938, u. Heft 2, Berlin 1942. P. Steiner, Moselübergang u. Gründung Triers, Trierer Zeitschr. 1, 1926, S.125 ff. J. Hagen, Die Römerstraßen der Rheinprovinz?, Publikationen der Gesellschaft für rhei­ nische Geschichtskunde XII, 8. Bd., Bonn 1931, S. 97 ff. u. Kartenblatt 5. - Ewig, S. 12 ff. Ewig, S.78.

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Abb. 24. Das römische Trier

1 Porta nigra 2 Dom 3 Basilika 4 Circus ( ?) 5 Palast des Victorinus 6 Palastanlage 7 Forum

8 Kaiserthermen 9 Amphitheater 10 Barbarathermen 11 Tempelbezirk am Altbach 12 Tempel am Herrenbrünnchen 13 Horrea St. Irminen

im Rechtssinn?. »Hier wurde zum erstenmal von der bodenständigen Bevölkerung, einem keltisch-germanischen Mischvolk, auf römische Veranlassung der für die kulturelle Wei­ terentwicklung so bedeutsame Schritt von der dörflichen Gemeinschaft zur städtischen Lebensweise getan~.« Man siedelte nicht, wie in den Römerstädten der Militärzone am Rhein, gediente römische Soldaten und Italiker an; der eingesessene Volksstamm bildete von Anfang an den überwiegenden Teil der Einwohner. Die neue Stadt wurde dicht bei dem Stammesheiligtum der Treverer in günstigster Verkehrslage im Moseltal errichtet. Am linken Moselufer, Trier gegenüber, stand der Tempel des Lenus Mars, des Haupt­ gottes der Treverer. Am rechten Moselufer lag im Altbachtal ein ganzer Tempelbezirk, der noch in vorrömische Zeit zurückreicht*. Von einer keltischen Siedlung innerhalb des römischen Stadtgebietes fehlt bisher jede Spur. Auch an eine stadtähnliche Bergsied­ lung der Treverer in der Nähe, wie etwa Bibracte bei der augusteischen Neugründung Augustodunum = Autun, ist nicht zu denken. Der Stamm kannte - von ländlichen Siedlungen abgesehen - nur Fluchtburgen, wenn auch zum Teil gewaltigen Ausmaßes (Hunnenring bei Otzenhausen), die nicht ständig bewohnt waren. Der Bau einer Moselbrücke an der Stelle, wo die sanft abfallenden Hänge der öst­ lichen Bergkette am weitesten zum Flusse vorstoßen, legte den Flußübergang der Fern­ straßen fest und band ihn an den neuen Mittelpunkt, während vorher offenbar auch der Übergang bei Pfalzel an der Ruwer-Mündung eine Rolle spielte". Im römischen Straßennetz nahm Trier einen beherrschenden Platz ein. Die von Agrippa angelegte Heeresstraße von Gallien zum Rhein bildete die Längsachse der neuen Stadtanlage. Von Marseille aus durchzog sie das Rhonetal und lief über Lyon-Langres-Metz und die Höhen östlich der Mosel nach Konz, wo sie in die Talebene hinunterstieg. Durch die Porta Alba betrat sie das Trierer Stadtgebiet, um von der Porta Nigra aus nach Mainz weiterzuführen. Zunächst zog sie im Moseltal entlang bis Neumagen, dann überguerte sie den Hunsrück und mündete bei Bingen in das Rheintal ein. Ausonius hat diese Straße im Jahre 368 befahren und in der »Mosella« besungen. Im Südosten des Stadtgebietes kam bei dem späteren hl. Kreuz-Kirchlein eine römische Straße von Straßburg her über Pachten und die Saar an. Jenseits der Moselbrücke stieg die Köln-Aachener-Straße von den Eifelhöhen herunter, die sie in der Linie Jünkerath-Bitburg überquerte. Ebenfalls am linken Ufer traf die Straße von Reims-Arlon ein und zog über die Hochfläche der Eifel weiter nach Andernach, ohne den Fluß zu kreuzen. Neben diesen wichtigsten Fernverbindungen lief noch eine Reihe von Nebenstraßen im Stadtgebiet zusammen°. Der Wasserweg der schiffbaren Mosel übertraf wohl an Bedeutung für Verkehr und Handel die großen Kunststraßen. Seine Wichtigkeit nahm im frühen Mittelalter zu, als das römische Straßennetz dem Verfall preisgegeben war7. 2

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G. Kentenich, Die älteste Stadtanlage Triers, Trierische Heimat 9, 1952/33, S.140ff. E. Krüger, Die Augustus-Stadt Trier, Trierer Zeitschr. 15, 1938, S.185 ff. - H. Koethe, Die Anfänge Triers, Trierer Zeitschr. 15, 1938, S.190ff. - J. B. Keune, Colonia Treverorum, Schumacher-Festschrift 1930, S.254 ff. - Ders., Das römische Trier, Trierische Heimat 8, 1951/32, S. 50 ff. u. 86 ff. H. Eiden, Kaiserresidenz, S. 7. E. Gose, Der Tempelbezirk des Lenus Mars in Trier, Berlin 1955. - S. Löschke u.a., Der Tempelbezirk im Altbachtal zu Trier, Heft 1, Berlin 1938, u. Heft 2, Berlin 1942. P. Steiner, Moselübergang u. Gründung Triers, Trierer Zeitschr. 1, 1926, S.125 ff. J. Hagen, Die Römerstraßen der Rheinprovinz?, Publikationen der Gesellschaft für rhei­ nische Geschichtskunde XII, 8. Bd., Bonn 1931, S. 97 ff. u. Kartenblatt 5. - Ewig, S. 12 ff. Ewig, S.78.

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Abb. 24. Das römische Trier

1 Porta nigra 2 Dom 3 Basilika 4 Circus ( ?) 5 Palast des Victorinus 6 Palastanlage 7 Forum

8 Kaiserthermen 9 Amphitheater 10 Barbarathermen 11 Tempelbezirk am Altbach 12 Tempel am Herrenbrünnchen 13 Horrea St. Irminen

Über das innere Straßensystem des augusteischen Trier läßt sich nichts sicheres aus­ sagen. In claudischer Zeit jedenfalls besaß Trier ein rechtwinklig sich kreuzendes Netz von sorgfältig angelegten Kiesstraßen ohne Steinplattenpflaster. Auch der Ausbau mit Steingebäuden wird erst damals erfolgt sein, während sich die Gründungszeit zumeist mit Holz-Erde-Bauten begnügte. Der Grundriß von Trier ist für eine römische Stadt der frühen Kaiserzeit typisch: vermutlich rechteckiger Gesamtumriß und Schachbrettfelder der Häuserblöcke. Eine Befestigung fehlte, da Trier genügend weit hinter der gefährde­ ten Rheingrenze lag. Das Stadtgebiet hatte aber bei weitem nicht den Umfang, den die Kaiserresidenz im 4. Jahrhundert erreichte. Es umfaßte nur etwa 81 Hektar gegenüber 285 Hektar unter Constantin. Im Westen begrenzte es etwa die Linie Friedrich-Wilhelm­ Straße-Feldmühlenstraße, im Süden die Nikolaus-Straße und im Osten die Weberbach­ Straße und der Palast-Platz. Im Norden endete es schon südlich des Hauptmarktes8. Längs der beiden Hauptachsen lagen schmälere, rechteckige Insulae, während die äuße­ ren nahezu quadratisch waren. Auf einfache Weise wurde so die Hauptachse im Grund­ riß betont. An der Kreuzung von Cardo und Decumanus traten Reste des Forums zutage. Die Ost-West-Achse des Decumanus war durch die Moselbrücke festgelegt. Nicht ein­ bezogen in das Straßensystem lag der Tempelbezirk im Altbachtal außerhalb der Stadt. Noch vor der Jahrhundertmitte nennt Pomponius Mela Trier eine »opolentissima urbs« (III, 2, 20). Von 70 n. Chr. bis 275 hat die Stadt einen ununterbrochenen Frieden genossen. In diese 200 Jahre fällt die bürgerliche Blüte Triers. Die Stadt ist nicht nur »als großes Handelszentrum der wirtschaftliche Mittelpunkt für die ganze Landschaft, sondern darüber hinaus mit der Mosel ein Verkehrs- und Handelspunkt ersten Ranges innerhalb des Imperiums«". Die sogenannten Barbarathermen an der Moselbrücke als Auftakt zur West-Ost-Achse, die um 200 in Betrieb genommen wurden und das Amphi­ theater, das man 24 m über der Mosel in der Verlängerung der West-Ost-Achse in den Berghang einschnitt, zeugen von der wachsenden Bedeutung und Ausdehnung der Stadt. Jäh unterbrach der Germaneneinfall 275/76 die friedliche Entwicklung des Gemein­ wesens. Trier wurde gründlich zerstört'°. »Bei der Neugliederung unter Diokletian wurde Treveris, wie die Stadt nunmehr offiziell heißt, in der Hauptsache aus militärischen Er­ wägungen eine der vier Hauptstädte des römischen Weltreiches. Weit genug von der bald wieder gefestigten, jedoch ständig bedrohten Reichsgrenze am Rhein entfernt, um nicht bei jeder kriegerischen Verwicklung in der Gefahrenzone zu liegen und wiederum nahe genug, um von hier aus größere Gefahrenherde an der Grenze schnell beseitigen zu können, wurde Treveris militärisches und politisches Zentrum des westeuropäischen Raumes für mehr als hundert Jahre11.« Unter Konstantin entstand in Trier eine Art Stadtkrone, ein städtebauliches Unter­ nehmen größten Ausmaßes. Sie zieht sich am Westrand der Terrassenstufe unterhalb

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Kentenich, Älteste Stadtanlage, S. 144. - Koethe, Anfänge Triers, S. 199 ff., S. 200: »Ob das augusteische Wegenetz innerhalb der Stadt bereits ebenso regelmäßig rechtwinklig ange­ legt war wie das claudische, ob es Wohnblöcke von gleicher Ausdehnung umspannte oder ob es mehr oder weniger unregelmäßig verlief, läßt sich bei dem gegenwärtigen Stand der Forschungen unmöglich sagen.« Eiden, Kaiserresidenz, S. 10. Ewig, S.19 u. Anm. 45. Eiden, Kaiserresidenz, S. 1.0.

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1 St. Maria ad martyres 2 St. Paulin 3 St. Maximin 4 St. Martin 5 St. Paul 6 St. Irminen 7 St. Simeon 8 Dom und Liebfrauen 9 St. Gangolf 10 (Alt-) St. Gervasius und Protasius

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Abb. 25. Trier im 11. Jahrhundert 11 St. Maria zur Brücke 12 St. Salvator 13 St.Viktor 14 St. Isidor 15 HI. Kreuz 16 St. Eucharius (später St. Matthias) 17 St. Medard 18 St. Martin auf dem Petersberg 19 Frankenturm 20 Wolfsturm

A B C D E F G H J K L M N

Simeonstraße Hauptmarkt Judenviertel Dietrichstraße Fleisch-, Brücken-, Schanzstraße Brot-, Neustraße Weberbachstraße Beheim Ören Musil Castil Siedlung in den Barbarathermen Bergentheim

Über das innere Straßensystem des augusteischen Trier läßt sich nichts sicheres aus­ sagen. In claudischer Zeit jedenfalls besaß Trier ein rechtwinklig sich kreuzendes Netz von sorgfältig angelegten Kiesstraßen ohne Steinplattenpflaster. Auch der Ausbau mit Steingebäuden wird erst damals erfolgt sein, während sich die Gründungszeit zumeist mit Holz-Erde-Bauten begnügte. Der Grundriß von Trier ist für eine römische Stadt der frühen Kaiserzeit typisch: vermutlich rechteckiger Gesamtumriß und Schachbrettfelder der Häuserblöcke. Eine Befestigung fehlte, da Trier genügend weit hinter der gefährde­ ten Rheingrenze lag. Das Stadtgebiet hatte aber bei weitem nicht den Umfang, den die Kaiserresidenz im 4. Jahrhundert erreichte. Es umfaßte nur etwa 81 Hektar gegenüber 285 Hektar unter Constantin. Im Westen begrenzte es etwa die Linie Friedrich-Wilhelm­ Straße-Feldmühlenstraße, im Süden die Nikolaus-Straße und im Osten die Weberbach­ Straße und der Palast-Platz. Im Norden endete es schon südlich des Hauptmarktes8. Längs der beiden Hauptachsen lagen schmälere, rechteckige Insulae, während die äuße­ ren nahezu quadratisch waren. Auf einfache Weise wurde so die Hauptachse im Grund­ riß betont. An der Kreuzung von Cardo und Decumanus traten Reste des Forums zutage. Die Ost-West-Achse des Decumanus war durch die Moselbrücke festgelegt. Nicht ein­ bezogen in das Straßensystem lag der Tempelbezirk im Altbachtal außerhalb der Stadt. Noch vor der Jahrhundertmitte nennt Pomponius Mela Trier eine »opolentissima urbs« (III, 2, 20). Von 70 n. Chr. bis 275 hat die Stadt einen ununterbrochenen Frieden genossen. In diese 200 Jahre fällt die bürgerliche Blüte Triers. Die Stadt ist nicht nur »als großes Handelszentrum der wirtschaftliche Mittelpunkt für die ganze Landschaft, sondern darüber hinaus mit der Mosel ein Verkehrs- und Handelspunkt ersten Ranges innerhalb des Imperiums«". Die sogenannten Barbarathermen an der Moselbrücke als Auftakt zur West-Ost-Achse, die um 200 in Betrieb genommen wurden und das Amphi­ theater, das man 24 m über der Mosel in der Verlängerung der West-Ost-Achse in den Berghang einschnitt, zeugen von der wachsenden Bedeutung und Ausdehnung der Stadt. Jäh unterbrach der Germaneneinfall 275/76 die friedliche Entwicklung des Gemein­ wesens. Trier wurde gründlich zerstört'°. »Bei der Neugliederung unter Diokletian wurde Treveris, wie die Stadt nunmehr offiziell heißt, in der Hauptsache aus militärischen Er­ wägungen eine der vier Hauptstädte des römischen Weltreiches. Weit genug von der bald wieder gefestigten, jedoch ständig bedrohten Reichsgrenze am Rhein entfernt, um nicht bei jeder kriegerischen Verwicklung in der Gefahrenzone zu liegen und wiederum nahe genug, um von hier aus größere Gefahrenherde an der Grenze schnell beseitigen zu können, wurde Treveris militärisches und politisches Zentrum des westeuropäischen Raumes für mehr als hundert Jahre11.« Unter Konstantin entstand in Trier eine Art Stadtkrone, ein städtebauliches Unter­ nehmen größten Ausmaßes. Sie zieht sich am Westrand der Terrassenstufe unterhalb

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Kentenich, Älteste Stadtanlage, S. 144. - Koethe, Anfänge Triers, S. 199 ff., S. 200: »Ob das augusteische Wegenetz innerhalb der Stadt bereits ebenso regelmäßig rechtwinklig ange­ legt war wie das claudische, ob es Wohnblöcke von gleicher Ausdehnung umspannte oder ob es mehr oder weniger unregelmäßig verlief, läßt sich bei dem gegenwärtigen Stand der Forschungen unmöglich sagen.« Eiden, Kaiserresidenz, S. 10. Ewig, S.19 u. Anm. 45. Eiden, Kaiserresidenz, S. 1.0.

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Abb. 25. Trier im 11. Jahrhundert 11 St. Maria zur Brücke 12 St. Salvator 13 St.Viktor 14 St. Isidor 15 HI. Kreuz 16 St. Eucharius (später St. Matthias) 17 St. Medard 18 St. Martin auf dem Petersberg 19 Frankenturm 20 Wolfsturm

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Simeonstraße Hauptmarkt Judenviertel Dietrichstraße Fleisch-, Brücken-, Schanzstraße Brot-, Neustraße Weberbachstraße Beheim Ören Musil Castil Siedlung in den Barbarathermen Bergentheim

des Amphitheaters hin. Die vorhandenen bürgerlichen Gebäude wurden niedergelegt oder waren bei dem Germaneneinfall schon zerstört worden; über ihnen erhoben sich die neuen gewaltigen Staatsbauten der Kaiserresidenz. Die Kaiserthermen bildeten den Ostabschluß des Decumanus'?. Nördlich davon dehnte sich eine umfangreiche Palast­ anlage aus, wohl die Residenz des Kaisers oder des Präfekten von Gallien, die noch zum größeren Teil unerforscht unter dem Palastplatz ruht. Zu ihr gehörte auch die riesige Aula, deren Westwand und Nordapsis sich bis heute erhalten haben (Basilika)13. Daran reihte sich seit der 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts die Doppelbasilika des Domes, die um ein Schachbrettfeld weiter nach Westen ausgreift. Die Südkirche wurde um 526 n. Chr. errichtet, die Nordkirche etwas später. Sie muß nach Münzfunden um 546 vollendet ge­ wesen sein. Unter ihr kam eine konstantinische Palastanlage zutage'*. Höchst eindrucks­ voll überragten diese Prunkbauten monumentalen Ausmaßes einst am Ostrand die tiefer gelegene Schachbrettstadt. Um einer Zerstörung wie bei dem Germaneneinfall 275/76 vorzubeugen, war für die Kaiserresidenz eine Befestigung unerläßlich geworden. Offenbar entstand, wie neue Fun.de zu beweisen scheinen, unter Konstantin der gewaltige Mauergürtel, der Trier in einer Länge von 6418 m umzog'®. Da auch die größeren schon bestehenden Bauten am Stadtrande (Tempelbezirk im Altbachtal, Amphitheater) mit eingeschlossen werden mußten, konnte sein Umriß nicht regelmäßig sein. Zwischen Stadtmauer und Schach­ brettstadt wurde auch reichlich unbebautes Gelände einbezogen. Von den monumentalen Toren blieb wenigstens das nördliche (Porta Nigra) erhalten, da es im Mittelalter in eine Kirche verwandelt wurde. Etwa 47 runde und polygonale Türme, die jeweils in Verlängerung der Straßenachsen saßen, verstärkten die Mauer, vor der sich 3 Gräben hinzogen. Auf mindestens drei Seiten (Osten, Westen und Norden) durchschneidet die Befestigung ältere Gräberfelder, deren jüngste Skelettgräber bis um 500 n.Chr. hin­ aufreichen. Mit 285 Hektar Flächeninhalt blieb Trier in der westlichen Reichshälfte nur hinter Rom zurück. Seine Bevölkerung wird auf 60 00o Einwohner geschätzt!®, Als 367 Trier erneut Kaiserresidenz wurde, entstand der Zentralbau am Ostabschluß des Domes, der noch heute im Mauerkern erhalten ist. Damals baute man auch die Kaiserthermen um, die niemals nach dem ursprünglichen Plan vollendet und als Bade­ anlage in Benützung genommen wurden. Sie dienten jetzt wohl als Palast. In das spä­ tere 4. Jahrhundert gehören die beiden riesigen Speicher, deren Mauerreste nach dem letzten Kriege in St.Irminen zutage traten, »zwei langgestreckte Hallen von rund 70 m 12 13

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D. Krencker u. E. Krüger, Die Trierer Kaiserthermen, Augsburg 1929. - Erforschung der Westfassade in der Weberbachstaße, 1949: Vorbericht von H. Eiden, Germania 29, 1951, S. 305. H. Koethe, Die Trierer Basilika, Trierer Zeitschr. 12, 1937, S. 151 ff. - Die Basilika in Trier, Festschrift z. Wiederherstellung, Trier 1956, W. Reusch, Die Aula Palatina in Trier, Ger­ mania 35, 1955, S. 180 ff. - Ders., Der Grundriß der konstantinischen Palastaula zu Trier, Vierteljahrsbll. d. Trierer Gesellschaft 3, 1957, S. 21 ff. Vgl. die zahlreichen Aufsätze von Th. K. Kempf über die Ausgrabungen von 1945 bis 1950 in Das Münster 1, 1947/48, S. 129 ff., und 5, 1950, S. 52/53; Germania 29, 1951, S. 47 ff.; Neue Beiträge zur Kunstgeschichte des 1. Jahrtausends, 1. Halbbd., 1952, S. 103ff. Zu­ sammenfassung mit Literaturübersicht in: Neue Ausgrabungen in Deutschland a. a. 0. H. Koethe, Die Stadtmauer d. römischen Trier, Trierer Zeitschr. 11, 1936, S. 46 ff. - H. Eiden, Kaiserresidenz, S.19. Ev w1g, 5 .79.

Länge und 54 m Breite, jeweils von zwei Pfeilerreihen im Innern getrennt"«. In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts wurden wahrscheinlich im Innern der Stadt mehrere Straßen mit beiderseitigen Kolonnaden versehen. Eine solche Straße führte auf die Porta Nigra zu'®. Seit dem ersten und zweiten nachchristlichen Jahrhundert hat sich der soziale Aufbau der Stadtbevölkerung grundlegend geändert. »Der Träger des Wohlstandes ist jetzt nicht mehr die Oberschicht der freien und reichen Bürger«, sondern Bürokratie und Mi­ litär. Auf dem umliegenden Lande entstehen weit ausgedehnte Staatsdomänen, in der Stadt Waffen- und Tuchfabriken19. Vor den Toren erstreckten sich im Norden und Süden die Gräberfelder der Kaiser­ stadt und darüber hinaus folgten im Moseltal zahlreiche Villen und Landhäuser. So lag vor der Nordwestecke der Stadtmauer eine Villa, aus der das Martinskloster hervorging und die der lokalen Überlieferung zufolge dem Prokonsul Tetradius gehörte. Weiter moselabwärts stand dicht am Ufer eine umfangreiche Gebäudegruppe, die in spätrömi­ scher Zeit den Trierer Bischöfen als Wohnsitz gedient haben soll und die später das Kloster St. Maria a ripa oder ad martyres beherbergte. Auch St. Maximin erhob sich über einer Villenanlage. Auf den Gräberfeldern längs der Durchgangsstraße vor dem Nord- und Südtor wurden die Mitglieder der christlichen Gemeinde und deren Bischöfe beigesetzt. »Jedenfalls dürfen wir aus dem Zeugnis des Bischofs von Lyon, Irenaeus (über Christengemeinden in Germanien), schon für den Ausgang des 2. Jahrhunderts eine organisierte Christengemeinde in Trier annehmen. Um die Mitte des 5. Jahrhun­ derts setzt dann die ehrwürdige Bischofsliste der Trierischen Kirche ein, die zu den älte­ sten und besten der Kirchen des Abendlandes gehört?°.« Am Ausgang des 4. Jahrhunderts und im Laufe des folgenden erhoben sich über den Gräbern der ersten Trierer Bischöfe Memorialkirchen, in denen am Gedächtnistag der Verstorbenen Gottesdienst abgehalten wurde. Aus ihnen sollten im Frühmittelalter die großen Abteien und Stifte im Umkreis der Stadt hervorgehen: St. Eucharius (= St. Matthias), St. Maximin, St. Paulin. Die Gräberfelder lösten sich wahrscheinlich auch in dieser Reihenfolge im Range ab?' Vor dem Südosttor lag vielleicht seit dem 4. Jahrhundert eine Kreuzkirche, welche der Tra­ dition nach von der hl. Helena erbaut wurde. Sie ist schon 704 belegt??. An der Wende des 4. zum 5. Jahrhundert reichten die Kräfte des Weltreiches nicht mehr aus, um die Rheingrenze zu halten. Kurz vor 400 zog man die höchste Verwal­ tungsbehörde, die Praefectura Galliarum, die von Konstantin 517/18 errichtet worden war, von Trier nach Arles zurück. Sie umfaßte ganz Gallien, Spanien und Britannien. Mailand übernahm die Nachfolge Triers als Kaiserresidenz. »Mehr als 50 Jahre hat der 17 18 19

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Eiden, Kaiserresidenz, S.18. - H. Eiden, Untersuchungen an den spätrömischen Horrea von St. Irminen in Trier, Trierer Zeitschr. 18, 1949, S.73 ff. Eichler, Trier, S.14. Eiden, Kaiserresidenz, S. 11. - Die sozialen Umwälzungen in Gallien während der Anarchie des 3. Jahrhunderts werden neuerdings sogar für einschneidender gehalten als die des 5. Jahrhunderts anläßlich der Eroberung des Gebietes durch die Franken. Vgl. Ewig, S.19 u. Anm. 44. Th. K. Kempf, Altchristliche Bischofsstadt, S. 49. Ewig, S.49. - Bei St. Maximin wurde eine spätantike Grabkapelle in einem christlichen Friedhof aufgedeckt: Eiden, Ausgrabungen S. 559 ff. Ewig, S. 50 u. Anm. 186. - Zur Helena-Tradition in Trier vgl. E. Ewig, Trierer Zeitschr. 24/26, 1956/58, S. 147 ff.

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des Amphitheaters hin. Die vorhandenen bürgerlichen Gebäude wurden niedergelegt oder waren bei dem Germaneneinfall schon zerstört worden; über ihnen erhoben sich die neuen gewaltigen Staatsbauten der Kaiserresidenz. Die Kaiserthermen bildeten den Ostabschluß des Decumanus'?. Nördlich davon dehnte sich eine umfangreiche Palast­ anlage aus, wohl die Residenz des Kaisers oder des Präfekten von Gallien, die noch zum größeren Teil unerforscht unter dem Palastplatz ruht. Zu ihr gehörte auch die riesige Aula, deren Westwand und Nordapsis sich bis heute erhalten haben (Basilika)13. Daran reihte sich seit der 1. Hälfte des 4. Jahrhunderts die Doppelbasilika des Domes, die um ein Schachbrettfeld weiter nach Westen ausgreift. Die Südkirche wurde um 526 n. Chr. errichtet, die Nordkirche etwas später. Sie muß nach Münzfunden um 546 vollendet ge­ wesen sein. Unter ihr kam eine konstantinische Palastanlage zutage'*. Höchst eindrucks­ voll überragten diese Prunkbauten monumentalen Ausmaßes einst am Ostrand die tiefer gelegene Schachbrettstadt. Um einer Zerstörung wie bei dem Germaneneinfall 275/76 vorzubeugen, war für die Kaiserresidenz eine Befestigung unerläßlich geworden. Offenbar entstand, wie neue Fun.de zu beweisen scheinen, unter Konstantin der gewaltige Mauergürtel, der Trier in einer Länge von 6418 m umzog'®. Da auch die größeren schon bestehenden Bauten am Stadtrande (Tempelbezirk im Altbachtal, Amphitheater) mit eingeschlossen werden mußten, konnte sein Umriß nicht regelmäßig sein. Zwischen Stadtmauer und Schach­ brettstadt wurde auch reichlich unbebautes Gelände einbezogen. Von den monumentalen Toren blieb wenigstens das nördliche (Porta Nigra) erhalten, da es im Mittelalter in eine Kirche verwandelt wurde. Etwa 47 runde und polygonale Türme, die jeweils in Verlängerung der Straßenachsen saßen, verstärkten die Mauer, vor der sich 3 Gräben hinzogen. Auf mindestens drei Seiten (Osten, Westen und Norden) durchschneidet die Befestigung ältere Gräberfelder, deren jüngste Skelettgräber bis um 500 n.Chr. hin­ aufreichen. Mit 285 Hektar Flächeninhalt blieb Trier in der westlichen Reichshälfte nur hinter Rom zurück. Seine Bevölkerung wird auf 60 00o Einwohner geschätzt!®, Als 367 Trier erneut Kaiserresidenz wurde, entstand der Zentralbau am Ostabschluß des Domes, der noch heute im Mauerkern erhalten ist. Damals baute man auch die Kaiserthermen um, die niemals nach dem ursprünglichen Plan vollendet und als Bade­ anlage in Benützung genommen wurden. Sie dienten jetzt wohl als Palast. In das spä­ tere 4. Jahrhundert gehören die beiden riesigen Speicher, deren Mauerreste nach dem letzten Kriege in St.Irminen zutage traten, »zwei langgestreckte Hallen von rund 70 m 12 13

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D. Krencker u. E. Krüger, Die Trierer Kaiserthermen, Augsburg 1929. - Erforschung der Westfassade in der Weberbachstaße, 1949: Vorbericht von H. Eiden, Germania 29, 1951, S. 305. H. Koethe, Die Trierer Basilika, Trierer Zeitschr. 12, 1937, S. 151 ff. - Die Basilika in Trier, Festschrift z. Wiederherstellung, Trier 1956, W. Reusch, Die Aula Palatina in Trier, Ger­ mania 35, 1955, S. 180 ff. - Ders., Der Grundriß der konstantinischen Palastaula zu Trier, Vierteljahrsbll. d. Trierer Gesellschaft 3, 1957, S. 21 ff. Vgl. die zahlreichen Aufsätze von Th. K. Kempf über die Ausgrabungen von 1945 bis 1950 in Das Münster 1, 1947/48, S. 129 ff., und 5, 1950, S. 52/53; Germania 29, 1951, S. 47 ff.; Neue Beiträge zur Kunstgeschichte des 1. Jahrtausends, 1. Halbbd., 1952, S. 103ff. Zu­ sammenfassung mit Literaturübersicht in: Neue Ausgrabungen in Deutschland a. a. 0. H. Koethe, Die Stadtmauer d. römischen Trier, Trierer Zeitschr. 11, 1936, S. 46 ff. - H. Eiden, Kaiserresidenz, S.19. Ev w1g, 5 .79.

Länge und 54 m Breite, jeweils von zwei Pfeilerreihen im Innern getrennt"«. In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts wurden wahrscheinlich im Innern der Stadt mehrere Straßen mit beiderseitigen Kolonnaden versehen. Eine solche Straße führte auf die Porta Nigra zu'®. Seit dem ersten und zweiten nachchristlichen Jahrhundert hat sich der soziale Aufbau der Stadtbevölkerung grundlegend geändert. »Der Träger des Wohlstandes ist jetzt nicht mehr die Oberschicht der freien und reichen Bürger«, sondern Bürokratie und Mi­ litär. Auf dem umliegenden Lande entstehen weit ausgedehnte Staatsdomänen, in der Stadt Waffen- und Tuchfabriken19. Vor den Toren erstreckten sich im Norden und Süden die Gräberfelder der Kaiser­ stadt und darüber hinaus folgten im Moseltal zahlreiche Villen und Landhäuser. So lag vor der Nordwestecke der Stadtmauer eine Villa, aus der das Martinskloster hervorging und die der lokalen Überlieferung zufolge dem Prokonsul Tetradius gehörte. Weiter moselabwärts stand dicht am Ufer eine umfangreiche Gebäudegruppe, die in spätrömi­ scher Zeit den Trierer Bischöfen als Wohnsitz gedient haben soll und die später das Kloster St. Maria a ripa oder ad martyres beherbergte. Auch St. Maximin erhob sich über einer Villenanlage. Auf den Gräberfeldern längs der Durchgangsstraße vor dem Nord- und Südtor wurden die Mitglieder der christlichen Gemeinde und deren Bischöfe beigesetzt. »Jedenfalls dürfen wir aus dem Zeugnis des Bischofs von Lyon, Irenaeus (über Christengemeinden in Germanien), schon für den Ausgang des 2. Jahrhunderts eine organisierte Christengemeinde in Trier annehmen. Um die Mitte des 5. Jahrhun­ derts setzt dann die ehrwürdige Bischofsliste der Trierischen Kirche ein, die zu den älte­ sten und besten der Kirchen des Abendlandes gehört?°.« Am Ausgang des 4. Jahrhunderts und im Laufe des folgenden erhoben sich über den Gräbern der ersten Trierer Bischöfe Memorialkirchen, in denen am Gedächtnistag der Verstorbenen Gottesdienst abgehalten wurde. Aus ihnen sollten im Frühmittelalter die großen Abteien und Stifte im Umkreis der Stadt hervorgehen: St. Eucharius (= St. Matthias), St. Maximin, St. Paulin. Die Gräberfelder lösten sich wahrscheinlich auch in dieser Reihenfolge im Range ab?' Vor dem Südosttor lag vielleicht seit dem 4. Jahrhundert eine Kreuzkirche, welche der Tra­ dition nach von der hl. Helena erbaut wurde. Sie ist schon 704 belegt??. An der Wende des 4. zum 5. Jahrhundert reichten die Kräfte des Weltreiches nicht mehr aus, um die Rheingrenze zu halten. Kurz vor 400 zog man die höchste Verwal­ tungsbehörde, die Praefectura Galliarum, die von Konstantin 517/18 errichtet worden war, von Trier nach Arles zurück. Sie umfaßte ganz Gallien, Spanien und Britannien. Mailand übernahm die Nachfolge Triers als Kaiserresidenz. »Mehr als 50 Jahre hat der 17 18 19

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Eiden, Kaiserresidenz, S.18. - H. Eiden, Untersuchungen an den spätrömischen Horrea von St. Irminen in Trier, Trierer Zeitschr. 18, 1949, S.73 ff. Eichler, Trier, S.14. Eiden, Kaiserresidenz, S. 11. - Die sozialen Umwälzungen in Gallien während der Anarchie des 3. Jahrhunderts werden neuerdings sogar für einschneidender gehalten als die des 5. Jahrhunderts anläßlich der Eroberung des Gebietes durch die Franken. Vgl. Ewig, S.19 u. Anm. 44. Th. K. Kempf, Altchristliche Bischofsstadt, S. 49. Ewig, S.49. - Bei St. Maximin wurde eine spätantike Grabkapelle in einem christlichen Friedhof aufgedeckt: Eiden, Ausgrabungen S. 559 ff. Ewig, S. 50 u. Anm. 186. - Zur Helena-Tradition in Trier vgl. E. Ewig, Trierer Zeitschr. 24/26, 1956/58, S. 147 ff.

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Todeskampf des Imperiums am Rhein gedauert. Trier ist bis zum Untergang des Welt­ reiches römisch geblieben ... Die Zähigkeit des Widerstandes spricht für das Werk der Kaiser des 4. Jahrhunderts?°.« Viermal wurde die Stadt in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts erobert und verwüstet. Salvian, der selbst aus der Gegend stammte, berichtet darüber?*. 451 nahm Attila die Stadt ein?. Eine 2-8 Zoll hohe Aschenlage brei­ tet sich überall im Stadtgebiet über der letzten römischen Fundschicht aus?®, Die Schach­ brettstadt als architektonische Form mit ihren regelmäßigen, dicht bebauten Häuser­ blöcken und Palastgevierten, ihren prunkvollen Staatsbauten und Kirchen - die Tempel­ bezirke waren schon in spätrömischer Zeit zerstört worden - hat zu bestehen aufgehört. Das merowingische Trier sah ganz anders aus. Anstelle der geschlossen überbauten Fläche der Römerstadt ist eine Fülle von locker verstreuten Einzelsiedlungen verschie­ dener Bestimmung getreten. Die Kultstätten erhoben sich nach und nach wieder auf alter Stelle, weit verstreut über die riesige Fläche der Römerstadt und ihre nächste Um­ gebung. In den Ruinen der römischen Staatsbauten setzten sich die Vertreter der welt­ lichen Macht fest. Die gewaltigen Mauerreste wurden zu Pfalzen und festen Häusern umgewandelt als Mittelpunkte ausgedehnter Hofgüter, an die sich fränkische Dörfer an­ lehnten. Einen großen Teil der einst überbauten Fläche nutzte man nun zu landwirtschaft­ lichen Zwecken. Wohl stand die römische Stadtmauer noch zum größten Teil aufrecht, sie wird ausdrücklich noch im 9. Jahrhundert von Alkuin und dem Mettlacher Abt Re­ migius erwähnt27; es fehlte aber eine ausreichende Bevölkerung, um sie im Falle der Ge­ fahr wirkungsvoll zu verteidigen. Der Unterschied zwischen der Stadt und der Kultur­ landschaft außerhalb ihrer Mauern ist verwischt. Innerhalb und außerhalb des Befesti­ gungsgürtels finden sich nun die gleichen Bestandteile, unter denen die zahlreichen kirch­ lichen Bauwerke den entscheidenden, formgebenden Faktor bilden. Aus der architekto­ nisch geschlossenen römischen Flächenstadt ist eine Kirchen- und Klosterlandschaft her­ vorgegangen, die sich im Moseltal auf einer Länge von über 4km hinzog. Erst um 475 ist die Stadt endgültig in das fränkische Königreich einbezogen wor­ den28. Mit der Form der römischen Stadt erloschen nicht zugleich ihre Aufgaben. Wenn Trier auch als Verwaltungsmittelpunkt nur mehr eine ganz untergeordnete Rolle spielen konnte, wenn seine Aufgabe als Versorgungszentrum und Depot der römischen Rhein­ truppen natürlich entfiel, so blieb es doch ein kultischer Mittelpunkt erster Ordnung, zu­ mal die neuen Machthaber die christliche Religion annahmen. Von Jahrhundert zu Jahr­ hundert wuchsen Ansehen und Macht des Bischofs, dem reiche Schenkungen der Mero­ winger zuflossen. »Seit dem letzten Drittel des 6. Jahrhunderts hat sich eine bischöfliche Hoheitssphäre gebildet, die dem Grafen nicht mehr unterstand. Zu dieser Hoheits­ sphäre gehörte die Stadt Trier. Der Graf verlegte seine Hauptresidenz anscheinend nach Bitburg29.« Bis zur Regierungszeit Karls des Großen war der Trierer Bischof regelrecht 23 24 25

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Ewig, S. 22 u. Anm. 54. Salvian, De gubernatione Dei VI, 75 u. 89 (MG SS auct. antiqu. I, S.79 u. 81). MG SS VIII, S.157 f. - Ewig, S.48. Kentenich, Geschichte, S.71. Alkuin: »Est antiqua, potens, muris et turribus ampla.« - Remigius: »moenia praeclaro composita opere.« Zit. nach Kentenich, Geschichte, S.71 f. Ev' w1g, S .59. Ewig, S.81, u. E. Ewig, Civitas, Gau und Territorium in den trierischen Mosellanden, Rhei­ nische Vierteljahrsblätter 17, 1952, S. 120 ff.

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41.4.1



Abb. 26. Trier. Domfreiheit. Nach Rudof Brandts, Rhein. Vierteljahrsbll. 12, 1942 1 Dom

2 Liebfrauen

3 Kreuzgang und Bruderhof

4 Bischofshof 5 St. Laurentius

6 7 8 9 10 11 12 13

Basilika Kurie Jerusalem-Regierungsturm Philippskurie Kurie Zolvern Kurie Eich Kurie Windstraße 2 Gefängnisturm Banthuskurie

A Markt B Sternstraße C Domfreihof D Grabenstraße E Palaststraße F Breiter Stein G Glockenstraße H Flandernstraße J Weberbach

Todeskampf des Imperiums am Rhein gedauert. Trier ist bis zum Untergang des Welt­ reiches römisch geblieben ... Die Zähigkeit des Widerstandes spricht für das Werk der Kaiser des 4. Jahrhunderts?°.« Viermal wurde die Stadt in der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts erobert und verwüstet. Salvian, der selbst aus der Gegend stammte, berichtet darüber?*. 451 nahm Attila die Stadt ein?. Eine 2-8 Zoll hohe Aschenlage brei­ tet sich überall im Stadtgebiet über der letzten römischen Fundschicht aus?®, Die Schach­ brettstadt als architektonische Form mit ihren regelmäßigen, dicht bebauten Häuser­ blöcken und Palastgevierten, ihren prunkvollen Staatsbauten und Kirchen - die Tempel­ bezirke waren schon in spätrömischer Zeit zerstört worden - hat zu bestehen aufgehört. Das merowingische Trier sah ganz anders aus. Anstelle der geschlossen überbauten Fläche der Römerstadt ist eine Fülle von locker verstreuten Einzelsiedlungen verschie­ dener Bestimmung getreten. Die Kultstätten erhoben sich nach und nach wieder auf alter Stelle, weit verstreut über die riesige Fläche der Römerstadt und ihre nächste Um­ gebung. In den Ruinen der römischen Staatsbauten setzten sich die Vertreter der welt­ lichen Macht fest. Die gewaltigen Mauerreste wurden zu Pfalzen und festen Häusern umgewandelt als Mittelpunkte ausgedehnter Hofgüter, an die sich fränkische Dörfer an­ lehnten. Einen großen Teil der einst überbauten Fläche nutzte man nun zu landwirtschaft­ lichen Zwecken. Wohl stand die römische Stadtmauer noch zum größten Teil aufrecht, sie wird ausdrücklich noch im 9. Jahrhundert von Alkuin und dem Mettlacher Abt Re­ migius erwähnt27; es fehlte aber eine ausreichende Bevölkerung, um sie im Falle der Ge­ fahr wirkungsvoll zu verteidigen. Der Unterschied zwischen der Stadt und der Kultur­ landschaft außerhalb ihrer Mauern ist verwischt. Innerhalb und außerhalb des Befesti­ gungsgürtels finden sich nun die gleichen Bestandteile, unter denen die zahlreichen kirch­ lichen Bauwerke den entscheidenden, formgebenden Faktor bilden. Aus der architekto­ nisch geschlossenen römischen Flächenstadt ist eine Kirchen- und Klosterlandschaft her­ vorgegangen, die sich im Moseltal auf einer Länge von über 4km hinzog. Erst um 475 ist die Stadt endgültig in das fränkische Königreich einbezogen wor­ den28. Mit der Form der römischen Stadt erloschen nicht zugleich ihre Aufgaben. Wenn Trier auch als Verwaltungsmittelpunkt nur mehr eine ganz untergeordnete Rolle spielen konnte, wenn seine Aufgabe als Versorgungszentrum und Depot der römischen Rhein­ truppen natürlich entfiel, so blieb es doch ein kultischer Mittelpunkt erster Ordnung, zu­ mal die neuen Machthaber die christliche Religion annahmen. Von Jahrhundert zu Jahr­ hundert wuchsen Ansehen und Macht des Bischofs, dem reiche Schenkungen der Mero­ winger zuflossen. »Seit dem letzten Drittel des 6. Jahrhunderts hat sich eine bischöfliche Hoheitssphäre gebildet, die dem Grafen nicht mehr unterstand. Zu dieser Hoheits­ sphäre gehörte die Stadt Trier. Der Graf verlegte seine Hauptresidenz anscheinend nach Bitburg29.« Bis zur Regierungszeit Karls des Großen war der Trierer Bischof regelrecht 23 24 25

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Ewig, S. 22 u. Anm. 54. Salvian, De gubernatione Dei VI, 75 u. 89 (MG SS auct. antiqu. I, S.79 u. 81). MG SS VIII, S.157 f. - Ewig, S.48. Kentenich, Geschichte, S.71. Alkuin: »Est antiqua, potens, muris et turribus ampla.« - Remigius: »moenia praeclaro composita opere.« Zit. nach Kentenich, Geschichte, S.71 f. Ev' w1g, S .59. Ewig, S.81, u. E. Ewig, Civitas, Gau und Territorium in den trierischen Mosellanden, Rhei­ nische Vierteljahrsblätter 17, 1952, S. 120 ff.

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Abb. 26. Trier. Domfreiheit. Nach Rudof Brandts, Rhein. Vierteljahrsbll. 12, 1942 1 Dom

2 Liebfrauen

3 Kreuzgang und Bruderhof

4 Bischofshof 5 St. Laurentius

6 7 8 9 10 11 12 13

Basilika Kurie Jerusalem-Regierungsturm Philippskurie Kurie Zolvern Kurie Eich Kurie Windstraße 2 Gefängnisturm Banthuskurie

A Markt B Sternstraße C Domfreihof D Grabenstraße E Palaststraße F Breiter Stein G Glockenstraße H Flandernstraße J Weberbach

Stadtherr. Von besonderer Lebenskraft haben sich die Heiligengräber der frühchrist­ lichen Friedhöfe erwiesen, welche nun Mittelpunkte der Reliquienverehrung wurden. Offenbar hat auch ein Teil der Stadtbevölkerung die Zerstörungen der Völkerwan­ derung überstanden. Es kann sich nicht nur um eine gedrückte Unterschicht gehandelt haben. Noch im 7. Jahrhundert ist eine Trierische Senatorenfamilie nachgewiesen wor­ den°°. Ja, in einer Urkunde von 1083 finden sich zahlreiche romanische Eigennamen un­ ter den Weinbergsbesitzern des Ortes31. D·er Handel lebte in gewissen Grenzen wieder auf. Gregor von Tours erzählt z. B. von einem Trierer Kaufmann, der in Metz Salz ein­ handelte®. Auch der Weinhandel kam offenbar nie ganz zum Erliegen. Ob sich eine jüdische Händlergemeinde aus spätrömischer Zeit über die Stürme der Völkerwanderung hinüberrettete wie in Köln und Mainz, wissen wir nicht. Vermutlich besaß Trier zur Zeit der fränkischen Eroberungen noch einige tausend Einwohner. »Aus den bisher vor­ liegenden Forschungsergebnissen, die freilich durch neue Funde ergänzt und modifiziert werden können, ergibt sich der Eindruck, daß Trier in der Merowingerzeit verkehrs­ geographisch ungünstiger gestellt war als in der römischen Epoche. Die Verlegung des Verkehrs auf die Wasserstraßen kam dem Rheingebiet und dem Seinebecken zugute, wenn auch die Mosel gleichfalls an ihr teilhatte?®,« Fassen wir die einzelnen Bestandteile der Siedlung näher ins Auge! Das römische Fiskalgut war auf die fränkischen Machthaber übergegangen, die damit zum größten Grundbesitzer in Trier wurden. Zur Verwaltung dieser Ländereien dienten zwei Höfe, die sich beide in den Ruinen römischer Staatsgebäude einnisteten. Der eine benutzte die teilweise noch heute aufrecht stehenden Mauern des römischen Speichers am Mosel­ ufer, bis er im 7. Jahrhundert in einem Frauenkloster aufging. Die Königspfalz setzte sich in der Basilika fest. Wahrscheinlich gehörte zu ihr das ganze Gelände von der Ba­ silika bis zu den Kaiserthermen. Selten läßt sich die geschichtliche Kontinuität so mit Händen greifen wie in diesem Falle. Aus dem römischen Cäsarenpalast oder dem Sitz des Präfekten von Gallien - ein anderer Verwendungszweck kommt für die Basilika kaum in Frage - ging eine fränkische Pfalz hervor, die wohl im 12. Jahrhundert an den Erzbischof gelangte. Zunächst saß dort ein königlicher Beamter, der comes palatii. Gegen 1200 wurde sie Sitz des Erzbischofs selbst, als dessen Burg und später dessen Schloß diente der Baukomplex bis zum Untergang des kurtrierischen Territoriums'. An beide Höfe schlossen sich Hörigensiedlungen mit Pfarrkirchen an. Neben dem Speicherhof 30

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Ewig, S. 68f. Ihr gehörte Bischof Numerian (um 648 - nach 670) an. Die Personennamen allein gestatten keinen einwandfreien Rückschluß auf die Abstammung. Es wurde seit dem 7. Jahrhundert unter den Romanen Mode, fränkische Vornamen anzunehmen, ebenso treten gelegentlich Franken mit romanischen Namen auf. »Eine romanische Oberschicht gab es (in der romanischen Sprachinsel an der Mosel) spätestens seit dem 8. Jahrh. nicht mehr. Die Einschmelzung dürfte um 1100 vollendet gewesen sein« (Ewig, S.77). Kentenich, Geschichte, S. 68. Vitae Patrum XVII, 5. - J. B. Keune, Moselverkehr in alter und neuer Zeit, Trierer Heimat­ buch 1925, S. 19 ff. - Es ist möglich, daß Trierer Kaufleute auch am Mittelmeerhandel noch beteiligt waren, ebenso bestanden zum nordeuropäischen Handel Beziehungen (Ewig, S. 77 ff. u. Anm. 86-91). Ewig, S. 79. Kentenich, Geschichte, S. 84 f. - Carlrichard Brühl, Königspfalz und Bischofsstadt in fränki­ scher Zeit, Rheinische Vierteljahrsbll. 25, 1958, S. 255 ff. Es gab nur eine merowingische Pfalz in Trier; Oeren kann nur ein Fiskalgut gewesen sein. Übergang der »Basilika« an den Erzbischof. S. 257.

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lag Oren, dessen Name von horrea = Speicher abzuleiten ist, mit der Pfarrkirche St. Paul. Neben der Basilikapfalz stand die kleine Laurentius-Kirche, die höchstwahrscheinlich noch ins 5. Jahrhundert zurückreicht. Eine überlieferte Inschrift besagt, daß sie von dem Kaiser Valentinian III. erbaut worden sei. Sicher war sie im 8. Jahrhundert vorhanden, da sie von Bischof Milo (717/23 bis 757/62) ihrer Güter beraubt wurde*®, Sie stand senkrecht zur Achse der Basilika und lehnte sich an deren Apsis auf der Nordseite an. Ähnlich wird man sich in den Barbaratherrnen einen Herrenhof mit einer Siedlung daneben vorstellen dürfen. Die Pfarrkirche war der Gottesmutter geweiht, St. Marien zur Brücke. Sie wird zwar urkundlich erst 1084 genannt, dürfte aber wesentlich älter sein36• In der Nordostecke der Barbaratherrnen lag eine Salvatorkirche, die vielleicht in das 8. Jahrhundert zurückgeht7• In den Kaiserthermen hatte sich der fränkische Graf niedergelassen. An seine Stelle trat im Mittelalter der Burggraf bis um 1140. Die Vici der Burgmannen lagen vermutlich zwischen dem Neutor und dem Weberbach38. Etwa in der Mitte des großen Hofes der Thermen stand die Kirche (Alt-)St. Gervasius und Pro­ tasius, die 1101 zuerst erwähnt wird. Dem Patrozinium nach wird auch sie noch in frän­ kischer, wenn nicht spätrömischer Zeit errichtet worden sein39. Ihr Pfarrbezirk erstreckte sich von den Kaiserthermen nach Osten, wo die Siedlung Castil oder Castel lag, die zwischen römischer und mittelalterlicher Stadtmauer Platz fand und sich bis ins Altbach­ tal erstreckte. Ihr Name ist abzuleiten von dem »castellum« der Kaiserthermen. Nord­ östlich lag vor dem späteren Mustore, aber noch innerhalb der römischen Mauer, das Dorf Musil. Am Hang von Heiligkreuz hatte sich die Siedlung Bergentheim gebildet und in der Nähe der heutigen Böhmerstraße Beheim*°, Das kirchliche Zentrum blieb auch in fränkischer Zeit die Doppelbasilika des Dornes und der Liebfrauenkirche. Unter Bischof Nicetius (525/26 bis 561/85) wurde der Kaiserbau des Domes wiederhergestellt. Venantius Fortunatus preist den Bauherrn: »Templa vetusta dei revocasti in culmine prisco / et floret senior te reparante dornus41.« Selbst italienische Handwerker hat der Bischof für seine reiche Bautätigkeit in Trier berufen. Liebfrauen war die Mutterkirche der Trierer Pfarreien. Ihr Bezirk erstreckte sich ursprünglich über den ganzen Bereich der römischen Civitas. Nach Ausscheidung der Pfarreien blieb sie die Pfarrkirche des Domviertels+, An den außerhalb der römischen Stadtmauern gelegenen Memorien entwickelten sich Fr. Kutzbach, Oeren, eine fränkische Siedlung, Trierische Chronik N.F. III, S. 177 ff. Lager, S. 59. - Inventar Bd. II, S. 458. - Ewig, S.42 u. Anm. 152 1. 155. 36 Inventar Bd. II, S.51 u. 447, mit zwei verschiedenen Angaben über die erste Erwähnung. 1084 bezeugt durch MUB I, Nr. 378, S.435. - Lager, S.74 ff. 37 1674 von den Franzosen abgerissen. - G. Kentenich, Eine frühmittelalterliche Kirche in den Barbarathermen, Trierer Zeitschr. 8, 1933, S.58 ff. - Inv., Bd. II, S. 462. 38 G. Kentenich, Vom Schicksal der Kaiserthermen im Mittelalter, Trierer Zeitschr. 2, 1927, s. 21. ff. 39 Sie wurde 1805 abgerissen. Lager, S.79ff. - Inventar, Bd. II, S.412. - Ewig, S.50 u. Anm. 188, weist auf die Möglichkeit spätrömischer Entstehung hin. 40 G. Kentenich, Geschichte, S.65 ff., u. Schicksal der Kaiserthermen, S. 30 ff. - Beheim wird 1174 zuerst genannt, Musileum 1084. - L. Hussong, Archäologische Spuren der Franken­ zeit in Trier, Trierer Zeitschr. 10, 1935, S. 170 ff. - Den fränkischen Ursprung des Namens Musil bezweifelt Ewig, S. 80. 41 MG SS auct. antiqu. IV, 1, S. 64, 21 f. - Kentenich, Geschichte, S. 76. - Ewig, S. 102 u. Anm. 55. 42 Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 447. - Ewig, S. 79. 35

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Stadtherr. Von besonderer Lebenskraft haben sich die Heiligengräber der frühchrist­ lichen Friedhöfe erwiesen, welche nun Mittelpunkte der Reliquienverehrung wurden. Offenbar hat auch ein Teil der Stadtbevölkerung die Zerstörungen der Völkerwan­ derung überstanden. Es kann sich nicht nur um eine gedrückte Unterschicht gehandelt haben. Noch im 7. Jahrhundert ist eine Trierische Senatorenfamilie nachgewiesen wor­ den°°. Ja, in einer Urkunde von 1083 finden sich zahlreiche romanische Eigennamen un­ ter den Weinbergsbesitzern des Ortes31. D·er Handel lebte in gewissen Grenzen wieder auf. Gregor von Tours erzählt z. B. von einem Trierer Kaufmann, der in Metz Salz ein­ handelte®. Auch der Weinhandel kam offenbar nie ganz zum Erliegen. Ob sich eine jüdische Händlergemeinde aus spätrömischer Zeit über die Stürme der Völkerwanderung hinüberrettete wie in Köln und Mainz, wissen wir nicht. Vermutlich besaß Trier zur Zeit der fränkischen Eroberungen noch einige tausend Einwohner. »Aus den bisher vor­ liegenden Forschungsergebnissen, die freilich durch neue Funde ergänzt und modifiziert werden können, ergibt sich der Eindruck, daß Trier in der Merowingerzeit verkehrs­ geographisch ungünstiger gestellt war als in der römischen Epoche. Die Verlegung des Verkehrs auf die Wasserstraßen kam dem Rheingebiet und dem Seinebecken zugute, wenn auch die Mosel gleichfalls an ihr teilhatte?®,« Fassen wir die einzelnen Bestandteile der Siedlung näher ins Auge! Das römische Fiskalgut war auf die fränkischen Machthaber übergegangen, die damit zum größten Grundbesitzer in Trier wurden. Zur Verwaltung dieser Ländereien dienten zwei Höfe, die sich beide in den Ruinen römischer Staatsgebäude einnisteten. Der eine benutzte die teilweise noch heute aufrecht stehenden Mauern des römischen Speichers am Mosel­ ufer, bis er im 7. Jahrhundert in einem Frauenkloster aufging. Die Königspfalz setzte sich in der Basilika fest. Wahrscheinlich gehörte zu ihr das ganze Gelände von der Ba­ silika bis zu den Kaiserthermen. Selten läßt sich die geschichtliche Kontinuität so mit Händen greifen wie in diesem Falle. Aus dem römischen Cäsarenpalast oder dem Sitz des Präfekten von Gallien - ein anderer Verwendungszweck kommt für die Basilika kaum in Frage - ging eine fränkische Pfalz hervor, die wohl im 12. Jahrhundert an den Erzbischof gelangte. Zunächst saß dort ein königlicher Beamter, der comes palatii. Gegen 1200 wurde sie Sitz des Erzbischofs selbst, als dessen Burg und später dessen Schloß diente der Baukomplex bis zum Untergang des kurtrierischen Territoriums'. An beide Höfe schlossen sich Hörigensiedlungen mit Pfarrkirchen an. Neben dem Speicherhof 30

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Ewig, S. 68f. Ihr gehörte Bischof Numerian (um 648 - nach 670) an. Die Personennamen allein gestatten keinen einwandfreien Rückschluß auf die Abstammung. Es wurde seit dem 7. Jahrhundert unter den Romanen Mode, fränkische Vornamen anzunehmen, ebenso treten gelegentlich Franken mit romanischen Namen auf. »Eine romanische Oberschicht gab es (in der romanischen Sprachinsel an der Mosel) spätestens seit dem 8. Jahrh. nicht mehr. Die Einschmelzung dürfte um 1100 vollendet gewesen sein« (Ewig, S.77). Kentenich, Geschichte, S. 68. Vitae Patrum XVII, 5. - J. B. Keune, Moselverkehr in alter und neuer Zeit, Trierer Heimat­ buch 1925, S. 19 ff. - Es ist möglich, daß Trierer Kaufleute auch am Mittelmeerhandel noch beteiligt waren, ebenso bestanden zum nordeuropäischen Handel Beziehungen (Ewig, S. 77 ff. u. Anm. 86-91). Ewig, S. 79. Kentenich, Geschichte, S. 84 f. - Carlrichard Brühl, Königspfalz und Bischofsstadt in fränki­ scher Zeit, Rheinische Vierteljahrsbll. 25, 1958, S. 255 ff. Es gab nur eine merowingische Pfalz in Trier; Oeren kann nur ein Fiskalgut gewesen sein. Übergang der »Basilika« an den Erzbischof. S. 257.

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lag Oren, dessen Name von horrea = Speicher abzuleiten ist, mit der Pfarrkirche St. Paul. Neben der Basilikapfalz stand die kleine Laurentius-Kirche, die höchstwahrscheinlich noch ins 5. Jahrhundert zurückreicht. Eine überlieferte Inschrift besagt, daß sie von dem Kaiser Valentinian III. erbaut worden sei. Sicher war sie im 8. Jahrhundert vorhanden, da sie von Bischof Milo (717/23 bis 757/62) ihrer Güter beraubt wurde*®, Sie stand senkrecht zur Achse der Basilika und lehnte sich an deren Apsis auf der Nordseite an. Ähnlich wird man sich in den Barbaratherrnen einen Herrenhof mit einer Siedlung daneben vorstellen dürfen. Die Pfarrkirche war der Gottesmutter geweiht, St. Marien zur Brücke. Sie wird zwar urkundlich erst 1084 genannt, dürfte aber wesentlich älter sein36• In der Nordostecke der Barbaratherrnen lag eine Salvatorkirche, die vielleicht in das 8. Jahrhundert zurückgeht7• In den Kaiserthermen hatte sich der fränkische Graf niedergelassen. An seine Stelle trat im Mittelalter der Burggraf bis um 1140. Die Vici der Burgmannen lagen vermutlich zwischen dem Neutor und dem Weberbach38. Etwa in der Mitte des großen Hofes der Thermen stand die Kirche (Alt-)St. Gervasius und Pro­ tasius, die 1101 zuerst erwähnt wird. Dem Patrozinium nach wird auch sie noch in frän­ kischer, wenn nicht spätrömischer Zeit errichtet worden sein39. Ihr Pfarrbezirk erstreckte sich von den Kaiserthermen nach Osten, wo die Siedlung Castil oder Castel lag, die zwischen römischer und mittelalterlicher Stadtmauer Platz fand und sich bis ins Altbach­ tal erstreckte. Ihr Name ist abzuleiten von dem »castellum« der Kaiserthermen. Nord­ östlich lag vor dem späteren Mustore, aber noch innerhalb der römischen Mauer, das Dorf Musil. Am Hang von Heiligkreuz hatte sich die Siedlung Bergentheim gebildet und in der Nähe der heutigen Böhmerstraße Beheim*°, Das kirchliche Zentrum blieb auch in fränkischer Zeit die Doppelbasilika des Dornes und der Liebfrauenkirche. Unter Bischof Nicetius (525/26 bis 561/85) wurde der Kaiserbau des Domes wiederhergestellt. Venantius Fortunatus preist den Bauherrn: »Templa vetusta dei revocasti in culmine prisco / et floret senior te reparante dornus41.« Selbst italienische Handwerker hat der Bischof für seine reiche Bautätigkeit in Trier berufen. Liebfrauen war die Mutterkirche der Trierer Pfarreien. Ihr Bezirk erstreckte sich ursprünglich über den ganzen Bereich der römischen Civitas. Nach Ausscheidung der Pfarreien blieb sie die Pfarrkirche des Domviertels+, An den außerhalb der römischen Stadtmauern gelegenen Memorien entwickelten sich Fr. Kutzbach, Oeren, eine fränkische Siedlung, Trierische Chronik N.F. III, S. 177 ff. Lager, S. 59. - Inventar Bd. II, S. 458. - Ewig, S.42 u. Anm. 152 1. 155. 36 Inventar Bd. II, S.51 u. 447, mit zwei verschiedenen Angaben über die erste Erwähnung. 1084 bezeugt durch MUB I, Nr. 378, S.435. - Lager, S.74 ff. 37 1674 von den Franzosen abgerissen. - G. Kentenich, Eine frühmittelalterliche Kirche in den Barbarathermen, Trierer Zeitschr. 8, 1933, S.58 ff. - Inv., Bd. II, S. 462. 38 G. Kentenich, Vom Schicksal der Kaiserthermen im Mittelalter, Trierer Zeitschr. 2, 1927, s. 21. ff. 39 Sie wurde 1805 abgerissen. Lager, S.79ff. - Inventar, Bd. II, S.412. - Ewig, S.50 u. Anm. 188, weist auf die Möglichkeit spätrömischer Entstehung hin. 40 G. Kentenich, Geschichte, S.65 ff., u. Schicksal der Kaiserthermen, S. 30 ff. - Beheim wird 1174 zuerst genannt, Musileum 1084. - L. Hussong, Archäologische Spuren der Franken­ zeit in Trier, Trierer Zeitschr. 10, 1935, S. 170 ff. - Den fränkischen Ursprung des Namens Musil bezweifelt Ewig, S. 80. 41 MG SS auct. antiqu. IV, 1, S. 64, 21 f. - Kentenich, Geschichte, S. 76. - Ewig, S. 102 u. Anm. 55. 42 Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 447. - Ewig, S. 79. 35

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in fränkischer Zeit Klöster und Stifte. Nach der Überlieferung der Abtei St. Maximin soll Kaiser Konstantin dem Trierer Bischof Agricius eine Villa geschenkt haben, an deren Stelle der Bischof eine Kirche zu Ehren des heiligen Johannes Evangelista errichtete, bei der er selbst bestattet wurde. Sicher bezeugt ist jedenfalls durch Gregor von Tours, daß Bischof Nicetius »ad basilicam Sti. Maximini praedecessoris sui« bestattet wurde. Das Grab Bischofs Maximins (3536-346) lag zur Zeit des Nicetius in einer unterirdischen Kammer, die aus mehreren Räumen bestand. Reste eines Baues des 5. Jahrhunderts kamen bei den Grabungen 1914/15 zum Vorschein. Wie Eugen Ewig mit guten Gründen vermutet, wurde schon um 500 an der Kirche ein Kloster errichtet, die älteste Abtei auf deutschem Boden, die vielleicht aus einer Cella S. Hilarii hervorging43• Dicht bei St. Maximin erhob sich eine weitere Grabeskirche der Bischöfe von Trier, St. Paulin. Bischof Felix (386-398) soll hier eine Marienkirche errichtet haben, bei der er die Gebeine des Bischofs Paulinus, welcher in der Verbannung in Phrygien verstorben war, habe beisetzen lassen. Offenbar wurde die Kirche bei den Einfällen des 5. Jahrhun­ derts zerstört; Bischof Marus (gest. 480) baute sie wieder auf. Sie diente lange Zeit als Begräbniskirche der Trierer Bischöfe#' Auch im Süden der Römerstadt finden wir eine bischöfliche Memorienkirche, wahr­ scheinlich die älteste der Stadt. Hier vereinigte um 455 Bischof Cyrillus nach den Zer­ störungen der Völkerwanderung die Gebeine der ersten drei Bischöfe von Trier, Eucha­ rius, Valerius und Matemus, und stellte die Cella S. Eucharii wieder her, die bei einer altchristlichen Kirche lag, welche vielleicht auf Eucharius selbst zurückgeht und dem hl. Johannes dem Täufer geweiht war. Gregor von Tours erwähnt das Heiligtum im folgenden Jahrhundert: »im Norden und Süden der Stadt thronen schützend Maximin und Eucharius, während Nicetius in der Mitte beider für seine Herde wacht45.« Unter dem Nachfolger des Nicetius, Bischof Magnerich (561/85-nach 587), entstand die Martinskirche vor der Nordwestecke der römischen Stadtmauer (588). Sie ersetzte der Oberlieferung nach eine heilige Kreuzkirche, die in dem Palast des Prokonsuls Tetradius errichtet worden war. Bei der Restaurierung der Kirche und ihrer Neuweihe änderte man das Patrozinium. In ihr wurde Magnerich beigesetzt*®, Georg Kentenich vermutete in St. Martin die Kirche der Kaufleute. Er weist darauf hin, daß in ihrer Nähe sich der Stapelplatz befand (später Pferdemarkt). Aber reicht die­ ser wirklich in fränkische Zeit zurück, lag hier in der Gegend ein Kaufmannswik? Leider lassen uns die zeitgenössischen Quellen im Stich, um die Lage der Kaufmannssiedlung in der Merowingerzeit zu bestimmen. Daß in Trier Kaufleute saßen, darf nach dem Zeug­ nis Gregors von Tours nicht bezweifelt werden. Die Gegend von St. Martin kommt für den Wik mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in Frage, war doch hier am Ufer zwischen 43

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Gregor von Tours, De gloria confess. 94: Migne PL 71, Sp. 898. - Ewig, S.50 u. 93ff. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 280 ff. - Jüngst wurde eine spätantike Grabkapelle in einem christlichen Friedhof bei St. Maximin entdeckt. Eiden, Ausgrabungen 5. 359 ff. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 529 ff. - Ewig, S. 49 u. 60. »Cyrillus cellam S. Eucharii desertam et incensam reparavit« (MG SS VIII, S.158). - Gre­ gor von Tours, Vitae Patrum XVII, 4. - Ewig, S.49f., tritt für die Gründung der Kirche des hl. Johannes durch Eucharius ein. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 206 ff. K. Böhner, Die Anfänge der ehemaligen Abteikirche St. Martin zu Trier, Trierer Zeitschr. 18, 1949, S.107 ff. Aus den Grabungsbefunden ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Wieder­ herstellung der Kirche durch Magnerich (S.124). - Ewig, S. 108.

Moselinsel und Martinskirche der römische und mittelalterliche Hafen der Stadt. Wie man von anderen Römerstädten her weiß, bevorzugte der Kaufmannswik die Flußufer­ lage (Köln, Mainz, Andernach). Oder soll man die Kaufmannssiedlung in der Nähe der Moselbrücke suchen, wo bei St. Maria ad pontem ein »vetus forum« ( = Virnemarkt) überliefert ist#? Aus dem Testament des Diakons Grimo (636) erfahren wir, daß es in Trier ein Armenhaus gab, das einer Art Bettlergenossenschaft gehörte, was ebenfalls auf ein Fortbestehen gewisser städtischer Aufgaben hindeutet* Richard Saufner konte jüngst den überzeugenden Beweis führen, daß der merowin­ gische Markt zunächst am Südtor der Römerstadt lag, später aber tatsächlich zur Mosel­ brücke hin verlegt wurde. Nach einer allerdings späten Quelle (der Gesta Trevirorum) soll die Verlegung durch Bischof Milz (um 717-749) erfolgt sein. Der Virnemarkt im Zuge der Brückenstraße war einer der typischen frühen Straßenmärkte, auf beiden Seiten mit Hausstellen besetzt. Die Kaufmannskirche darf man in St. Marien zur Brücke erblicken, die wahrscheinlich bereits im 7. Jahrhundert bestand. Bischof Magnerich soll auch eine Martinskircdhe auf dem Petersberg errichtet haben, sie wird aber urkundlich erst gegen 1200 erwähnt. Ihre Gründung in fränkischer Zeit ist nicht zu beweisen® Erst in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts fand die Abtei St. Maximin Nachfolge in Trier. »Ob bei St. Eucharius ein Kloster oder nur ein Klerikerstift bestand, läßt sich an­ gesichts des völligen Schweigens der Quellen nicht beantworten. Eine Abtsliste ist nicht überliefert«. Bischof Modoald (611/25-etwa 647/49) errichtete wohl zwischen 629 bis 634 das Frauenkloster St. Maria ad Horrea bei dem fränkischen Speicherhof: »Idem pon­ tifex in palatio Dagoberti regis quod vocatur Horreum ecclesiam construxit51.« Das Kloster änderte später seinen Namen nach einer als Heiligen verehrten Äbtissin Irmina, welche Ende des 7. Jahrhunderts die Gemeinschaft leitete und ihr reiche Schenkungen machte (Irminen-Kloster). Der gleiche Bischof gründete auch das Kloster St. Symphorian, das in nächster Nähe der Moselinsel lag, dicht bei St. Martin. Wahrscheinlich war dort bereits eine Kirche vorhanden, die Modoald wiederherstellen oder umbauen ließ, womit die Anlage eines Klosters verbunden wurde. »Wie Magnerich in St. Martin, so ließ sich Modoald in St. Symphorian bestatten*?.« Das Kloster hat die Normannenzerstörung nicht überlebt. Um die Wende des 7./8. Jahrhunderts entstand das Benediktinerkloster St. Maria ad martyres in der römischen Villenanlage am Moselufer, die einst der Sitz der Trierer Bischöfe gewesen sein soll. Einen älteren Fachwerkbau ersetzte die große, im griechischen 47

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Gottfr. Kentenich, Trier im Mittelalter, Trier 1910, S. 58, Sonderdruck aus: Das Moselland und die westdeutsche Eisenindustrie, Bd. I. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 447. - Ernst Buch­ fink, Der Römerhafen von Trier, Trierische Heimat 9, 1952/55, S. 107 ff. G. Kentenich, Trierer Armenpflege in fränkischer Zeit, Trierer Zeitschr. 1, 1926, S.30f. Sie geht auf eine Randnotiz des 18. Jahrhunderts zurück. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 434. Ewig, S.108 u. Anm. 10. Ewig, S. 140, Anm. 160. Gesta Trev. I, 67. - Ewig, S. 121, Anm. 64. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 105 ff. - Brühl, Königspfalz, S. 257 f. weist mit guten Gründen nach, daß man erst um 1100 die römischen Speicher als »Pfalz« Dagoberts ansah. - Theresia Zimmer, Das Kloster St. Irminen-Oeren in Trier usw., Trierer Zeitschr. 25, 1954/55, S. 16 ff. Ewig, S. 120. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 500. 137

in fränkischer Zeit Klöster und Stifte. Nach der Überlieferung der Abtei St. Maximin soll Kaiser Konstantin dem Trierer Bischof Agricius eine Villa geschenkt haben, an deren Stelle der Bischof eine Kirche zu Ehren des heiligen Johannes Evangelista errichtete, bei der er selbst bestattet wurde. Sicher bezeugt ist jedenfalls durch Gregor von Tours, daß Bischof Nicetius »ad basilicam Sti. Maximini praedecessoris sui« bestattet wurde. Das Grab Bischofs Maximins (3536-346) lag zur Zeit des Nicetius in einer unterirdischen Kammer, die aus mehreren Räumen bestand. Reste eines Baues des 5. Jahrhunderts kamen bei den Grabungen 1914/15 zum Vorschein. Wie Eugen Ewig mit guten Gründen vermutet, wurde schon um 500 an der Kirche ein Kloster errichtet, die älteste Abtei auf deutschem Boden, die vielleicht aus einer Cella S. Hilarii hervorging43• Dicht bei St. Maximin erhob sich eine weitere Grabeskirche der Bischöfe von Trier, St. Paulin. Bischof Felix (386-398) soll hier eine Marienkirche errichtet haben, bei der er die Gebeine des Bischofs Paulinus, welcher in der Verbannung in Phrygien verstorben war, habe beisetzen lassen. Offenbar wurde die Kirche bei den Einfällen des 5. Jahrhun­ derts zerstört; Bischof Marus (gest. 480) baute sie wieder auf. Sie diente lange Zeit als Begräbniskirche der Trierer Bischöfe#' Auch im Süden der Römerstadt finden wir eine bischöfliche Memorienkirche, wahr­ scheinlich die älteste der Stadt. Hier vereinigte um 455 Bischof Cyrillus nach den Zer­ störungen der Völkerwanderung die Gebeine der ersten drei Bischöfe von Trier, Eucha­ rius, Valerius und Matemus, und stellte die Cella S. Eucharii wieder her, die bei einer altchristlichen Kirche lag, welche vielleicht auf Eucharius selbst zurückgeht und dem hl. Johannes dem Täufer geweiht war. Gregor von Tours erwähnt das Heiligtum im folgenden Jahrhundert: »im Norden und Süden der Stadt thronen schützend Maximin und Eucharius, während Nicetius in der Mitte beider für seine Herde wacht45.« Unter dem Nachfolger des Nicetius, Bischof Magnerich (561/85-nach 587), entstand die Martinskirche vor der Nordwestecke der römischen Stadtmauer (588). Sie ersetzte der Oberlieferung nach eine heilige Kreuzkirche, die in dem Palast des Prokonsuls Tetradius errichtet worden war. Bei der Restaurierung der Kirche und ihrer Neuweihe änderte man das Patrozinium. In ihr wurde Magnerich beigesetzt*®, Georg Kentenich vermutete in St. Martin die Kirche der Kaufleute. Er weist darauf hin, daß in ihrer Nähe sich der Stapelplatz befand (später Pferdemarkt). Aber reicht die­ ser wirklich in fränkische Zeit zurück, lag hier in der Gegend ein Kaufmannswik? Leider lassen uns die zeitgenössischen Quellen im Stich, um die Lage der Kaufmannssiedlung in der Merowingerzeit zu bestimmen. Daß in Trier Kaufleute saßen, darf nach dem Zeug­ nis Gregors von Tours nicht bezweifelt werden. Die Gegend von St. Martin kommt für den Wik mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in Frage, war doch hier am Ufer zwischen 43

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Gregor von Tours, De gloria confess. 94: Migne PL 71, Sp. 898. - Ewig, S.50 u. 93ff. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 280 ff. - Jüngst wurde eine spätantike Grabkapelle in einem christlichen Friedhof bei St. Maximin entdeckt. Eiden, Ausgrabungen 5. 359 ff. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 529 ff. - Ewig, S. 49 u. 60. »Cyrillus cellam S. Eucharii desertam et incensam reparavit« (MG SS VIII, S.158). - Gre­ gor von Tours, Vitae Patrum XVII, 4. - Ewig, S.49f., tritt für die Gründung der Kirche des hl. Johannes durch Eucharius ein. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 206 ff. K. Böhner, Die Anfänge der ehemaligen Abteikirche St. Martin zu Trier, Trierer Zeitschr. 18, 1949, S.107 ff. Aus den Grabungsbefunden ergibt sich kein Anhaltspunkt für die Wieder­ herstellung der Kirche durch Magnerich (S.124). - Ewig, S. 108.

Moselinsel und Martinskirche der römische und mittelalterliche Hafen der Stadt. Wie man von anderen Römerstädten her weiß, bevorzugte der Kaufmannswik die Flußufer­ lage (Köln, Mainz, Andernach). Oder soll man die Kaufmannssiedlung in der Nähe der Moselbrücke suchen, wo bei St. Maria ad pontem ein »vetus forum« ( = Virnemarkt) überliefert ist#? Aus dem Testament des Diakons Grimo (636) erfahren wir, daß es in Trier ein Armenhaus gab, das einer Art Bettlergenossenschaft gehörte, was ebenfalls auf ein Fortbestehen gewisser städtischer Aufgaben hindeutet* Richard Saufner konte jüngst den überzeugenden Beweis führen, daß der merowin­ gische Markt zunächst am Südtor der Römerstadt lag, später aber tatsächlich zur Mosel­ brücke hin verlegt wurde. Nach einer allerdings späten Quelle (der Gesta Trevirorum) soll die Verlegung durch Bischof Milz (um 717-749) erfolgt sein. Der Virnemarkt im Zuge der Brückenstraße war einer der typischen frühen Straßenmärkte, auf beiden Seiten mit Hausstellen besetzt. Die Kaufmannskirche darf man in St. Marien zur Brücke erblicken, die wahrscheinlich bereits im 7. Jahrhundert bestand. Bischof Magnerich soll auch eine Martinskircdhe auf dem Petersberg errichtet haben, sie wird aber urkundlich erst gegen 1200 erwähnt. Ihre Gründung in fränkischer Zeit ist nicht zu beweisen® Erst in der ersten Hälfte des 7. Jahrhunderts fand die Abtei St. Maximin Nachfolge in Trier. »Ob bei St. Eucharius ein Kloster oder nur ein Klerikerstift bestand, läßt sich an­ gesichts des völligen Schweigens der Quellen nicht beantworten. Eine Abtsliste ist nicht überliefert«. Bischof Modoald (611/25-etwa 647/49) errichtete wohl zwischen 629 bis 634 das Frauenkloster St. Maria ad Horrea bei dem fränkischen Speicherhof: »Idem pon­ tifex in palatio Dagoberti regis quod vocatur Horreum ecclesiam construxit51.« Das Kloster änderte später seinen Namen nach einer als Heiligen verehrten Äbtissin Irmina, welche Ende des 7. Jahrhunderts die Gemeinschaft leitete und ihr reiche Schenkungen machte (Irminen-Kloster). Der gleiche Bischof gründete auch das Kloster St. Symphorian, das in nächster Nähe der Moselinsel lag, dicht bei St. Martin. Wahrscheinlich war dort bereits eine Kirche vorhanden, die Modoald wiederherstellen oder umbauen ließ, womit die Anlage eines Klosters verbunden wurde. »Wie Magnerich in St. Martin, so ließ sich Modoald in St. Symphorian bestatten*?.« Das Kloster hat die Normannenzerstörung nicht überlebt. Um die Wende des 7./8. Jahrhunderts entstand das Benediktinerkloster St. Maria ad martyres in der römischen Villenanlage am Moselufer, die einst der Sitz der Trierer Bischöfe gewesen sein soll. Einen älteren Fachwerkbau ersetzte die große, im griechischen 47

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Gottfr. Kentenich, Trier im Mittelalter, Trier 1910, S. 58, Sonderdruck aus: Das Moselland und die westdeutsche Eisenindustrie, Bd. I. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 447. - Ernst Buch­ fink, Der Römerhafen von Trier, Trierische Heimat 9, 1952/55, S. 107 ff. G. Kentenich, Trierer Armenpflege in fränkischer Zeit, Trierer Zeitschr. 1, 1926, S.30f. Sie geht auf eine Randnotiz des 18. Jahrhunderts zurück. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 434. Ewig, S.108 u. Anm. 10. Ewig, S. 140, Anm. 160. Gesta Trev. I, 67. - Ewig, S. 121, Anm. 64. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 105 ff. - Brühl, Königspfalz, S. 257 f. weist mit guten Gründen nach, daß man erst um 1100 die römischen Speicher als »Pfalz« Dagoberts ansah. - Theresia Zimmer, Das Kloster St. Irminen-Oeren in Trier usw., Trierer Zeitschr. 25, 1954/55, S. 16 ff. Ewig, S. 120. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 500. 137

Kreuz angelegte Marienkirche, die wohl dem frühen 8. Jahrhundert angehört®, Das Kloster ging vielleicht aus einer Einsiedlerzelle des hl. Beatus hervor. Mit dies-er außerordentlichen Zahl von Kirchen und Klöstern im Stadtgebiet der ehe­ maligen Kaiserresidenz sind aber die Gründungen der fränkischen Zeit noch nicht er­ schöpft. Mehrere kleinere Kirchen, die dem Patrozinium nach ebenfalls in dieser Zeit entstanden sein müssen, verschwanden längst und hinterließen nur geringe Spuren. So gab es in der Nähe des St. Symphorian-Klosters ein Remigius-Oratorium; jenseits der Moselbrücke stand in der Einmündung der Reimser Straße eine Viktorspfarre, die zu­ erst St. Symphorian unterstellt war. Dicht dabei erhob sich in einem frühchristlichen Gräberfeld St. Isidor, das zu St. Viktor gehörte, ebenfalls eine fränkische Gründung, wie aus dem Patrozinium zu erschließen ist54. St. Medard bei St. Eucharius und noch weiter moselaufwärts St. German ad undas wurden vielleicht schon unter Bischof Nicetius gegründe t55.

Im späteren 8. und in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts bahnen sich in Trier keine neuen Entwicklungen an. Die Karolingerzeit scheint für den Ort mehr eine Zeit des Stillstandes und des inneren Ausbaues der Klostergründungen gewesen zu sein. Erst das Jahr 882 schließt die Epoche des fränkischen Trier mit der schrecklichen Zerstörung durch die Normannen ab. »Omne territorium urbis circumquaque usque ad solum de­ moliti sunt«, schreibt Regino von Prüm*®. Ofenbar war die Verwüstung schlimmer als bei den Frankeneinfällen im 5. Jahrhundert. Die Rückwirkung auf das Siedlungsgebilde nahm aber nicht die Ausmaße jener Wende an. Das folgende Jahrhundert galt dem Wiederaufbau. Die Kirchen und Klöster erstanden zum allergrößten Teil wieder auf alter Stätte. Der Normanneneinfall ging ja nicht Hand in Hand mit einer Umschichtung der Bevölkerung, einem Wechsel des Staatsverbandes, der Landesorganisation und der Religion wie im 5. Jahrhundert. Und doch ist ein Unterschied gegenüber dem frän­ kischen Trier nicht zu übersehen: der Aufbau wird straffer. Es bildet sich ein Kern um Domimmunität und Markt heraus, der zur hochmittelalterlichen Stadt führt mit ihren dichten Straßenfronten, ihren geschlossenen Häuservierteln und ihrem neuen Mauer­ ring. Kristallisation um einen Mittelpunkt an Stelle zentrifugaler Streuung. Von der Trierer Domimmunität der Jahrtausendwende läßt sich ein verhältnismäßig anschauliches Bild zeichnen. Quellenbelege und erhaltene Baureste ergänzen sich weit­ gehend. Von den beiden großen Kirchen der konstantinischen Gründung wurde die süd­ liche zuerst wieder instand gesetzt. In einer Urkunde von 955 ist vom Wiederaufbau die Rede57• Der Dom lag am Anfang des 11. Jahrhunderts in Trümmern. Erst Erzbischof Poppo (1016-1047) stellt ihn wieder her als gewaltige doppelchörige Anlage, deren erha­ bener Westbau uns noch heute in fast ursprünglicher Reinheit vor Augen steht58. Auf 53

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Fr. Kutzbach, St. Marien die alte, eine Stätte fränkischen Kirchenbaues in Trier, Trierer Zeitschr. 9, 1934/35, S. 69 ff. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 442. - E. Lehmann, Der frühe deutsche Kirchenbau?, Berlin 1947, S. 142, Abb. 82. - Ewig, S. 110 u. 139, mit Anm. 159. St.Remigius ad litus Mosellae gehörte zu den von Bischof Milo geschädigten Kirchen (Gesta Trev. c. 24. MG SS VIII, S. 162). - St. Viktor: Ewig, S. 102 mit Anm. 62, S. 167 u. 239 f. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 501. - St. Isidor: Ewig, S. 80 u. 97 m. Anm. 57. - Kunst­ denkmäler, Bd. II, S. 421. Ewig, S. 160. Kentenich, Trier im Mittelalter, S.59. MUB I, Nr. 198. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 129. Kunstdenkmäler, Bd. I, S. 81 ff.

der Nordseite des Domes errichtete Erzbischof Egbert (977-993) eine Andreaskapelle, in der er seine Ruhestätte fand®, Die römische Tradition, sich außerhalb der Stadtmauern begraben zu lassen, die in Trier lange am Leben blieb, ist nun erloschen. Das gemeinsame Leben der Domkanoniker hat bereits am Ende des 9. Jahrhunderts nicht mehr bestanden; eine Urkunde von 895 zeigt die Präbenden ausgeschieden®®. Die Domherren hatten damals schon eigene Häuser, über deren Lage wir nichts wissen, die aber wohl auf dem Gelände der ottonischen Kurien anzunehmen sind. Es hat an wieder­ holten Versuchen, die Vita communis zu erneuern, nicht gefehlt. Erzbischof Heinrich I. (956-964) erbaute zu diesem Zwecke Stiftsgebäude und Kreuzgang neu: »regulares officinas et claustra circa maiorem ( = ecclesiam) construxit et vigorem regularis conver­ sationis ibidem exerceri decrevit«61. Doch seinem Plane war ebensowenig ein Erfolg be­ schieden wie den Versuchen der Erzbischöfe Dietrich (965-977) und Poppo (1016-1047)°. Gewiß befestigte man die Immunität nach dem Normanneneinfall, um einer neuer­ lichen Zerstörung zu entgehen. Zu vermuten ist ein Wall mit Plankenzaun und Graben davor, der um die Jahrtausendwende durch eine Mauer ersetzt wird. Von Erzbischof Ludolf (994-1008) berichten die Gesta Treverorum: »hic muris ecclesiam s. Petri ac fratrum habitacula circumcinxit, et ut ea, que infra sunt, usui canonicorum cedant ... , quatenus quomodo religione, ita et mansione a plebe sequestrentur«®~. Über diese Be­ festigung und ihren Verlauf wissen wir ziemlich gut Bescheid. Kurz vor dem Kriege konnte man die Außenseite der Ringmauer auf einer Strecke von 6 m Länge beim Umbau der alten Regierung in der Sternstraße verfolgen. Römische Quader von 40-60 cm Höhe und 60-150 cm Länge in sechs bis sieben Lagen übereinander ohne Mörtelverband bil­ deten die Grundlage. Darüber saß mittelalterliches Kleinstein-Mauerwerk. »Die Quader­ lagen dürften auch von Anfang an nicht höher gereicht haben. Die Quader zeigen unter sich weder Verklammerung noch liegen Holzanker in dem Quaderwall. Lediglich dunkle Erde und eingekeilte flache Steine füllen die mehr oder weniger schließenden Fugen«®*, Die Ringmauer war 5 m stark, in der Sternstraße nur 2m. Auf der Innenseite der Mauer lief eine Aufschüttung wahrscheinlich ganz herum. Als Bekrönung ist ein Wehrgang in Holz-Lehm-Mörtel-Mauerwerk anzunehmen. Es hat sich auch eine breite Pforte nach­ weisen lassen, die bei der Kurie Windstraße 2 auf die Flandernstraße führte und später überbaut wurde. In der Sternstraße und auf dem Breiten Stein nahm der Ausgräber Tortürme an. Die im Volksmund Helenenmauer genannte Befestigung besaß birnförmigen Umriß (450 240 m). Da man die Basilika als Bollwerk einbeziehen wollte, ergab sich eine nach Süden ausgezogene Spitze. Die kleinen Hausstellen ohne Hinterhof in der Palast-, Graben- und Glockenstraße stehen auf dem Graben der Domburg, der in einem dieser Straßennamen noch fortlebt. Mit dem Bau der hochmittelalterlichen Stadtmauer in der 59

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Kunstdenkmäler, Bd. I, S. 182. - Lager, S. 8f. Daneben lag der Kirchhof der Liebfrauenpfarrei. MUB I, Nr.152. - H. Bastgen, Die Geschichte des Trierer Domkapitels im Mittelalter, Paderborn 1910 (Görres-Ges., Sekt. f. Rechts- u. Sozialwissensch., 7. Heft), S.9 f. MG SS VIII, S.118. Rud. Brandts, Kapitelhäuser im Domviertel von Trier, Archiv f. mittelrhein. Kirchengesch. 1, 1949, S. 97. MG SS VIII, S.171. - Rud. Brandts, Die Trierer Domimmunität im Wandel der Baukunst vom 11. bis 18. Jahrhundert, Rhein. Vierteljahrsblätter 12, 1942, S. 92 ff. Jahresbericht 1938, Trierer Zeitschr. 14, 1939, S. 264 f. - Weitere Ergänzungen: E. Zahn in Trierer Zeitschr. 24/26, 1956/58, S. 210 f. 1. 217.

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Kreuz angelegte Marienkirche, die wohl dem frühen 8. Jahrhundert angehört®, Das Kloster ging vielleicht aus einer Einsiedlerzelle des hl. Beatus hervor. Mit dies-er außerordentlichen Zahl von Kirchen und Klöstern im Stadtgebiet der ehe­ maligen Kaiserresidenz sind aber die Gründungen der fränkischen Zeit noch nicht er­ schöpft. Mehrere kleinere Kirchen, die dem Patrozinium nach ebenfalls in dieser Zeit entstanden sein müssen, verschwanden längst und hinterließen nur geringe Spuren. So gab es in der Nähe des St. Symphorian-Klosters ein Remigius-Oratorium; jenseits der Moselbrücke stand in der Einmündung der Reimser Straße eine Viktorspfarre, die zu­ erst St. Symphorian unterstellt war. Dicht dabei erhob sich in einem frühchristlichen Gräberfeld St. Isidor, das zu St. Viktor gehörte, ebenfalls eine fränkische Gründung, wie aus dem Patrozinium zu erschließen ist54. St. Medard bei St. Eucharius und noch weiter moselaufwärts St. German ad undas wurden vielleicht schon unter Bischof Nicetius gegründe t55.

Im späteren 8. und in der ersten Hälfte des 9. Jahrhunderts bahnen sich in Trier keine neuen Entwicklungen an. Die Karolingerzeit scheint für den Ort mehr eine Zeit des Stillstandes und des inneren Ausbaues der Klostergründungen gewesen zu sein. Erst das Jahr 882 schließt die Epoche des fränkischen Trier mit der schrecklichen Zerstörung durch die Normannen ab. »Omne territorium urbis circumquaque usque ad solum de­ moliti sunt«, schreibt Regino von Prüm*®. Ofenbar war die Verwüstung schlimmer als bei den Frankeneinfällen im 5. Jahrhundert. Die Rückwirkung auf das Siedlungsgebilde nahm aber nicht die Ausmaße jener Wende an. Das folgende Jahrhundert galt dem Wiederaufbau. Die Kirchen und Klöster erstanden zum allergrößten Teil wieder auf alter Stätte. Der Normanneneinfall ging ja nicht Hand in Hand mit einer Umschichtung der Bevölkerung, einem Wechsel des Staatsverbandes, der Landesorganisation und der Religion wie im 5. Jahrhundert. Und doch ist ein Unterschied gegenüber dem frän­ kischen Trier nicht zu übersehen: der Aufbau wird straffer. Es bildet sich ein Kern um Domimmunität und Markt heraus, der zur hochmittelalterlichen Stadt führt mit ihren dichten Straßenfronten, ihren geschlossenen Häuservierteln und ihrem neuen Mauer­ ring. Kristallisation um einen Mittelpunkt an Stelle zentrifugaler Streuung. Von der Trierer Domimmunität der Jahrtausendwende läßt sich ein verhältnismäßig anschauliches Bild zeichnen. Quellenbelege und erhaltene Baureste ergänzen sich weit­ gehend. Von den beiden großen Kirchen der konstantinischen Gründung wurde die süd­ liche zuerst wieder instand gesetzt. In einer Urkunde von 955 ist vom Wiederaufbau die Rede57• Der Dom lag am Anfang des 11. Jahrhunderts in Trümmern. Erst Erzbischof Poppo (1016-1047) stellt ihn wieder her als gewaltige doppelchörige Anlage, deren erha­ bener Westbau uns noch heute in fast ursprünglicher Reinheit vor Augen steht58. Auf 53

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Fr. Kutzbach, St. Marien die alte, eine Stätte fränkischen Kirchenbaues in Trier, Trierer Zeitschr. 9, 1934/35, S. 69 ff. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 442. - E. Lehmann, Der frühe deutsche Kirchenbau?, Berlin 1947, S. 142, Abb. 82. - Ewig, S. 110 u. 139, mit Anm. 159. St.Remigius ad litus Mosellae gehörte zu den von Bischof Milo geschädigten Kirchen (Gesta Trev. c. 24. MG SS VIII, S. 162). - St. Viktor: Ewig, S. 102 mit Anm. 62, S. 167 u. 239 f. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 501. - St. Isidor: Ewig, S. 80 u. 97 m. Anm. 57. - Kunst­ denkmäler, Bd. II, S. 421. Ewig, S. 160. Kentenich, Trier im Mittelalter, S.59. MUB I, Nr. 198. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 129. Kunstdenkmäler, Bd. I, S. 81 ff.

der Nordseite des Domes errichtete Erzbischof Egbert (977-993) eine Andreaskapelle, in der er seine Ruhestätte fand®, Die römische Tradition, sich außerhalb der Stadtmauern begraben zu lassen, die in Trier lange am Leben blieb, ist nun erloschen. Das gemeinsame Leben der Domkanoniker hat bereits am Ende des 9. Jahrhunderts nicht mehr bestanden; eine Urkunde von 895 zeigt die Präbenden ausgeschieden®®. Die Domherren hatten damals schon eigene Häuser, über deren Lage wir nichts wissen, die aber wohl auf dem Gelände der ottonischen Kurien anzunehmen sind. Es hat an wieder­ holten Versuchen, die Vita communis zu erneuern, nicht gefehlt. Erzbischof Heinrich I. (956-964) erbaute zu diesem Zwecke Stiftsgebäude und Kreuzgang neu: »regulares officinas et claustra circa maiorem ( = ecclesiam) construxit et vigorem regularis conver­ sationis ibidem exerceri decrevit«61. Doch seinem Plane war ebensowenig ein Erfolg be­ schieden wie den Versuchen der Erzbischöfe Dietrich (965-977) und Poppo (1016-1047)°. Gewiß befestigte man die Immunität nach dem Normanneneinfall, um einer neuer­ lichen Zerstörung zu entgehen. Zu vermuten ist ein Wall mit Plankenzaun und Graben davor, der um die Jahrtausendwende durch eine Mauer ersetzt wird. Von Erzbischof Ludolf (994-1008) berichten die Gesta Treverorum: »hic muris ecclesiam s. Petri ac fratrum habitacula circumcinxit, et ut ea, que infra sunt, usui canonicorum cedant ... , quatenus quomodo religione, ita et mansione a plebe sequestrentur«®~. Über diese Be­ festigung und ihren Verlauf wissen wir ziemlich gut Bescheid. Kurz vor dem Kriege konnte man die Außenseite der Ringmauer auf einer Strecke von 6 m Länge beim Umbau der alten Regierung in der Sternstraße verfolgen. Römische Quader von 40-60 cm Höhe und 60-150 cm Länge in sechs bis sieben Lagen übereinander ohne Mörtelverband bil­ deten die Grundlage. Darüber saß mittelalterliches Kleinstein-Mauerwerk. »Die Quader­ lagen dürften auch von Anfang an nicht höher gereicht haben. Die Quader zeigen unter sich weder Verklammerung noch liegen Holzanker in dem Quaderwall. Lediglich dunkle Erde und eingekeilte flache Steine füllen die mehr oder weniger schließenden Fugen«®*, Die Ringmauer war 5 m stark, in der Sternstraße nur 2m. Auf der Innenseite der Mauer lief eine Aufschüttung wahrscheinlich ganz herum. Als Bekrönung ist ein Wehrgang in Holz-Lehm-Mörtel-Mauerwerk anzunehmen. Es hat sich auch eine breite Pforte nach­ weisen lassen, die bei der Kurie Windstraße 2 auf die Flandernstraße führte und später überbaut wurde. In der Sternstraße und auf dem Breiten Stein nahm der Ausgräber Tortürme an. Die im Volksmund Helenenmauer genannte Befestigung besaß birnförmigen Umriß (450 240 m). Da man die Basilika als Bollwerk einbeziehen wollte, ergab sich eine nach Süden ausgezogene Spitze. Die kleinen Hausstellen ohne Hinterhof in der Palast-, Graben- und Glockenstraße stehen auf dem Graben der Domburg, der in einem dieser Straßennamen noch fortlebt. Mit dem Bau der hochmittelalterlichen Stadtmauer in der 59

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Kunstdenkmäler, Bd. I, S. 182. - Lager, S. 8f. Daneben lag der Kirchhof der Liebfrauenpfarrei. MUB I, Nr.152. - H. Bastgen, Die Geschichte des Trierer Domkapitels im Mittelalter, Paderborn 1910 (Görres-Ges., Sekt. f. Rechts- u. Sozialwissensch., 7. Heft), S.9 f. MG SS VIII, S.118. Rud. Brandts, Kapitelhäuser im Domviertel von Trier, Archiv f. mittelrhein. Kirchengesch. 1, 1949, S. 97. MG SS VIII, S.171. - Rud. Brandts, Die Trierer Domimmunität im Wandel der Baukunst vom 11. bis 18. Jahrhundert, Rhein. Vierteljahrsblätter 12, 1942, S. 92 ff. Jahresbericht 1938, Trierer Zeitschr. 14, 1939, S. 264 f. - Weitere Ergänzungen: E. Zahn in Trierer Zeitschr. 24/26, 1956/58, S. 210 f. 1. 217.

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ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts hatte der ottonische Domhering seinen Wert als Be­ festigung eingebüßt; sein Graben konnte überbaut werden, was bereits in der 2. Jahr­ hunderthälfte geschah, da zwischen 1140-1180 die Grabenstraße (= supra fossatum) erwähnt wird65• Als abgesondertes Gebiet blieb die Domfreiheit jedoch bis zum Aus­ gange des 18. Jahrhunderts erhalten. Torbögen traten an Stelle der Festungstore. In dem Immunitätsplan des Malers Gerhardt Nauen von 1571 wurden sie sorgfältig vermerkt®®, 1798 brach man die sechs Bögen ab®7, Die Kurien der Domherren lagen zum größten Teil an der Immunitätsmauer und umgaben nahezu ringförmig die monumentale Baugruppe von Dom, Liebfrauenkirche und Bischofshof. In Trier blieben noch Reste der Domherrnhöfe des 11. Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag erhalten. Am besten ist die Kurie Windstraße 2 untersucht68. Ihr Kern besteht aus einem rechteckigen Bau von 9 X12 m, dessen äußere Längswand auf der Helenenmauer aufsitzt wie die Palas-Bauten mittelalterlicher Burgen auf der Burgmauer. Der Erdgeschoßraum ist von zwei Arkadenreihen auf Pfeilern unterteilt. Da­ neben liegt eine doppelgeschossige Kapelle mit halbrunder Apsis, welche die innere Erdanschüttung der Helenenmauer als Fundament benützt. Sie konnte vom Wehrgang der Immunitätsmauer her betreten werden. Dieser Wehrgang diente auch zur Verbin­ dung der Kurien untereinander. Im Sepulcrum des Kapellenaltares fand sich ein Siegel Erzbischofs Poppos. Die Kapelle wird demnach in das 2. Viertel des 11. Jahrhunderts hinaufreichen. Der Wohnbau der Kurie Windstraße 2 gehört der Zeit um 110o an. Eine zweite erhaltene Kurienkapelle entstand den Bauformen nach um 1200 (neben Kurie Eich). Sie diente vielleicht als Friedhofskapelle®°. Von den ehemaligen Wohntürmen der Immunität lassen sich noch einige nachweisen. Der Regierungsturm { = Heidenturm) gegen den Markt zu gehörte zur ehemaligen Dompropstei (Kurie Jerusalem). Ein weite­ rer ist nur noch in Kellerresten im Gebiet des heutigen Gefängnisses an der Nordost­ ecke der Immunitätsbefestigung erhalten. Er sprang wie der Regierungsturm über die Helenenmauer vor. Eine alte Zeichnung gibt ihn noch in voller Höhe wieder?®, Ein weiterer Wohnturm von fünf Stockwerken ist ebenfalls durch eine alte Ansicht über­ liefert, er stürzte um 1810 zusammen?', Reste von Wohntürmen finden sich auch in der Philippskurie, Kurie Eich und Zolvern. Außerhalb der Domburg gab es im Trierer Stadt­ gebiet weitere solche Wohntürme, die offenbar Ministerialenfamilien gehörten. Aus den Kreisen der Ministerialen gingen die Domherren hervor. Erst Erzbischof Albere (1151-1152) hat ihre Macht gebrochen. Offensichtlich hängen die Trierer Wohntürme mit der besonderen Machtstellung der Ministerialen-Geschlechter zusammen, die bis zur Ablehnung eines vom Kaiser eingesetzten Erzbischofs (1066) führen konnte??, Rudolph - Kentenich, S. 25. Kunstdenkmäler, Bd.I, S. 44, 84 X40 cm., Moselmuseum. - P. Zürcher, Der Maler Gerhardt Nauen und seine topographischen Zeichnungen, Trierische Chronik, NE. V, 1909, S.75 ff. 67 W. Deuser, Neues über Domfreiheit und Markt, Trierische Chronik, NF. III, 1906, S.95. 68 Jahresber. 1938, Trierer Zeitschr. 14, 1939, S.262 ff., mit Grundriß (Abb.44). - Brandts, Domimmunität, S. 94 1. 98. 69 Brandts, Domimmunität, S.98. 70 Ebenda, S. 95 ff. u. Abb. 17, S. 121. - Kunstdenkmäler, Bd. II, Abb. 291, S. 407. 71 Er stand im Garten des jetzigen weihbischöflichen Palais. N. Irsch, Der Trierer Domhering, Kur-Trier 6, 1922, S.57 ff. - Auch der Leyische Hof entpuppte sich als romanischer Wohn­ turm nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg. E. Zahn in Trierer Zeitschr. 24/26, 1956/58, S. 211. 72 Brandts, Domimmunität, S.94 f.

Auf der Südseite von Liebfrauen schloß sich der Bischofshof an, zu dem als Haus­ kapelle die doppelgeschossige Stephanuskapelle gehörte, deren Fundamente jüngst wieder aufgedeckt wurden. 1180 tritt ihr Name zuerst auf. Der Altar ihres Ober­ geschosses wurde von Erzbischof Johann I. (1190-1212) geweiht. Diese Nachricht deckt sich mit den Bauformen. 1806 trug man sie ab?~. In der zweiten Hälfte des 12. Jahr­ hunderts verlegte Erzbischof Arnold (1169-1183) den erzbischöflichen Hof in den Gebäudekomplex der Basilika, offenbar aus dem Bedürfnis nach größerer Sicherheit?* Auch ein Spital stand in der ottonischen Domburg, das 1136 zuerst erwähnt wird als hospitale s. Marie. Es lag auf der Ostseite der Immunität in der Nähe der Banthus­ kurie?®, Auch das Antoniushaus in der Banthusstraße enthält noch Reste einer romani­ schen Kurie (7:14 m groß). Später befanden sich in der Domfreiheit auch mehrere Klosterhöfe und Stadtpalais des Adels wie der Grafen von der Leyen, Metternich und Kesselstadt76. Auf der Westseite der Domburg, zur Mosel hin, legte im Jahre 958 Erzbischof Hein­ rich I. (956-964) den Markt an. Noch heute steht das schöne Marktkreuz der Grün­ dungszeit aufrecht, das älteste auf deutschem Boden. Drei Stufen führten einst zu der Säule empor, die auf einem Blattkapitell ein Steinkreuz trägt. Die runde Deckplatte des Kapitells umzog urspünglich wohl nur folgende Inschrift: »Henricus R episcopatus Treverensis me erexit «?7. Die dreieckige Grundfläche des Marktes stellt die architekto­ nische Fassung der wichtigen Straßengabel vor der Domburg dar. Der Verbindungsweg der beiden römischen Haupttore der Stadt im Norden und Süden, der vom späteren Neutor ab den römischen Cardo verläßt und schräg nach Nordosten zur Porta Nigra abzweigt, führte am Westtor der Domburg vorbei. Von der Porta Nigra aus hatte sich eine unmittelbare Verbindung zur römischen Brücke herausgebildet (Fleisch-, Brücken-, Schanz-Straße), die kurz vor der Immunität von der Nordsüdstraße abzweigte (Brot-, Neustraße). Zwischen beiden Hauptverkehrswegen des mittelalterlichen Trier stand schon bald nach der Marktgründung die Kaufmannskirche St. Gangolf mit einem Fried­ hof daneben, die von Erzbischof Dietrich (965-975) errichtet wurde?®, Die Häuserzeile zwischen Kirche und Markt fehlte ursprünglich. Sie ist aus überbauten Kaufbuden ent­ standen, die sich an die Friedhofsmauer anlehnten, wie die kleinen Grundstücke ohne Hofraum vermuten lassen. Ebenso muß man sich die Häuserzeile der Ostseite des Mark­ tes vor der Domburg wegdenken, da hier im 10. und 11. Jahrhundert der Graben der Immunitätsmauer verlief. Es fragt sich auch, ob die Ausbuchtung des Platzes auf der Westseite zwischen Fleisch- und Böhmerstraße zur ursprünglichen Anlage gehörte. Man hat sie als Verkehrsfanghof gedeutet. Sie trägt wesentlich zur Abschließung des Raumes

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Lager, S. 25. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 498. Jahresber. 1938, Trierer Zeitschr. 14, 1939, S.269. MUB I, Nr. 486. - H. Bastgen, Gesch. d. Domkapitels, S. 178. Bunjes, S. 129.. F. Keutgen, Untersuchungen über den Ursprung der deutschen Stadtverfassung, Leipzig 1895, S.21 ff. - W. Deuser, Domfreiheit und Markt, S.91 ff. - W. Deuser, Die Inschrift des Marktkreuzes, Trierische Chronik, NF. III, 1906, S.199 ff. - Hermann Spoo, Der Haupt­ markt zu Trier, Trierische Heimat 8, 1951/52, S. 146 ff. S. 149 eine Ansicht des Marktes von 1689. - Gute alte Ansichten d. Marktes: Kentenich, Alt-Trier, Tf. 45-51. Rudolph-Kentenich, S. 24 u. 55. 141

ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts hatte der ottonische Domhering seinen Wert als Be­ festigung eingebüßt; sein Graben konnte überbaut werden, was bereits in der 2. Jahr­ hunderthälfte geschah, da zwischen 1140-1180 die Grabenstraße (= supra fossatum) erwähnt wird65• Als abgesondertes Gebiet blieb die Domfreiheit jedoch bis zum Aus­ gange des 18. Jahrhunderts erhalten. Torbögen traten an Stelle der Festungstore. In dem Immunitätsplan des Malers Gerhardt Nauen von 1571 wurden sie sorgfältig vermerkt®®, 1798 brach man die sechs Bögen ab®7, Die Kurien der Domherren lagen zum größten Teil an der Immunitätsmauer und umgaben nahezu ringförmig die monumentale Baugruppe von Dom, Liebfrauenkirche und Bischofshof. In Trier blieben noch Reste der Domherrnhöfe des 11. Jahrhunderts bis auf den heutigen Tag erhalten. Am besten ist die Kurie Windstraße 2 untersucht68. Ihr Kern besteht aus einem rechteckigen Bau von 9 X12 m, dessen äußere Längswand auf der Helenenmauer aufsitzt wie die Palas-Bauten mittelalterlicher Burgen auf der Burgmauer. Der Erdgeschoßraum ist von zwei Arkadenreihen auf Pfeilern unterteilt. Da­ neben liegt eine doppelgeschossige Kapelle mit halbrunder Apsis, welche die innere Erdanschüttung der Helenenmauer als Fundament benützt. Sie konnte vom Wehrgang der Immunitätsmauer her betreten werden. Dieser Wehrgang diente auch zur Verbin­ dung der Kurien untereinander. Im Sepulcrum des Kapellenaltares fand sich ein Siegel Erzbischofs Poppos. Die Kapelle wird demnach in das 2. Viertel des 11. Jahrhunderts hinaufreichen. Der Wohnbau der Kurie Windstraße 2 gehört der Zeit um 110o an. Eine zweite erhaltene Kurienkapelle entstand den Bauformen nach um 1200 (neben Kurie Eich). Sie diente vielleicht als Friedhofskapelle®°. Von den ehemaligen Wohntürmen der Immunität lassen sich noch einige nachweisen. Der Regierungsturm { = Heidenturm) gegen den Markt zu gehörte zur ehemaligen Dompropstei (Kurie Jerusalem). Ein weite­ rer ist nur noch in Kellerresten im Gebiet des heutigen Gefängnisses an der Nordost­ ecke der Immunitätsbefestigung erhalten. Er sprang wie der Regierungsturm über die Helenenmauer vor. Eine alte Zeichnung gibt ihn noch in voller Höhe wieder?®, Ein weiterer Wohnturm von fünf Stockwerken ist ebenfalls durch eine alte Ansicht über­ liefert, er stürzte um 1810 zusammen?', Reste von Wohntürmen finden sich auch in der Philippskurie, Kurie Eich und Zolvern. Außerhalb der Domburg gab es im Trierer Stadt­ gebiet weitere solche Wohntürme, die offenbar Ministerialenfamilien gehörten. Aus den Kreisen der Ministerialen gingen die Domherren hervor. Erst Erzbischof Albere (1151-1152) hat ihre Macht gebrochen. Offensichtlich hängen die Trierer Wohntürme mit der besonderen Machtstellung der Ministerialen-Geschlechter zusammen, die bis zur Ablehnung eines vom Kaiser eingesetzten Erzbischofs (1066) führen konnte??, Rudolph - Kentenich, S. 25. Kunstdenkmäler, Bd.I, S. 44, 84 X40 cm., Moselmuseum. - P. Zürcher, Der Maler Gerhardt Nauen und seine topographischen Zeichnungen, Trierische Chronik, NE. V, 1909, S.75 ff. 67 W. Deuser, Neues über Domfreiheit und Markt, Trierische Chronik, NF. III, 1906, S.95. 68 Jahresber. 1938, Trierer Zeitschr. 14, 1939, S.262 ff., mit Grundriß (Abb.44). - Brandts, Domimmunität, S. 94 1. 98. 69 Brandts, Domimmunität, S.98. 70 Ebenda, S. 95 ff. u. Abb. 17, S. 121. - Kunstdenkmäler, Bd. II, Abb. 291, S. 407. 71 Er stand im Garten des jetzigen weihbischöflichen Palais. N. Irsch, Der Trierer Domhering, Kur-Trier 6, 1922, S.57 ff. - Auch der Leyische Hof entpuppte sich als romanischer Wohn­ turm nach der Zerstörung im 2. Weltkrieg. E. Zahn in Trierer Zeitschr. 24/26, 1956/58, S. 211. 72 Brandts, Domimmunität, S.94 f.

Auf der Südseite von Liebfrauen schloß sich der Bischofshof an, zu dem als Haus­ kapelle die doppelgeschossige Stephanuskapelle gehörte, deren Fundamente jüngst wieder aufgedeckt wurden. 1180 tritt ihr Name zuerst auf. Der Altar ihres Ober­ geschosses wurde von Erzbischof Johann I. (1190-1212) geweiht. Diese Nachricht deckt sich mit den Bauformen. 1806 trug man sie ab?~. In der zweiten Hälfte des 12. Jahr­ hunderts verlegte Erzbischof Arnold (1169-1183) den erzbischöflichen Hof in den Gebäudekomplex der Basilika, offenbar aus dem Bedürfnis nach größerer Sicherheit?* Auch ein Spital stand in der ottonischen Domburg, das 1136 zuerst erwähnt wird als hospitale s. Marie. Es lag auf der Ostseite der Immunität in der Nähe der Banthus­ kurie?®, Auch das Antoniushaus in der Banthusstraße enthält noch Reste einer romani­ schen Kurie (7:14 m groß). Später befanden sich in der Domfreiheit auch mehrere Klosterhöfe und Stadtpalais des Adels wie der Grafen von der Leyen, Metternich und Kesselstadt76. Auf der Westseite der Domburg, zur Mosel hin, legte im Jahre 958 Erzbischof Hein­ rich I. (956-964) den Markt an. Noch heute steht das schöne Marktkreuz der Grün­ dungszeit aufrecht, das älteste auf deutschem Boden. Drei Stufen führten einst zu der Säule empor, die auf einem Blattkapitell ein Steinkreuz trägt. Die runde Deckplatte des Kapitells umzog urspünglich wohl nur folgende Inschrift: »Henricus R episcopatus Treverensis me erexit «?7. Die dreieckige Grundfläche des Marktes stellt die architekto­ nische Fassung der wichtigen Straßengabel vor der Domburg dar. Der Verbindungsweg der beiden römischen Haupttore der Stadt im Norden und Süden, der vom späteren Neutor ab den römischen Cardo verläßt und schräg nach Nordosten zur Porta Nigra abzweigt, führte am Westtor der Domburg vorbei. Von der Porta Nigra aus hatte sich eine unmittelbare Verbindung zur römischen Brücke herausgebildet (Fleisch-, Brücken-, Schanz-Straße), die kurz vor der Immunität von der Nordsüdstraße abzweigte (Brot-, Neustraße). Zwischen beiden Hauptverkehrswegen des mittelalterlichen Trier stand schon bald nach der Marktgründung die Kaufmannskirche St. Gangolf mit einem Fried­ hof daneben, die von Erzbischof Dietrich (965-975) errichtet wurde?®, Die Häuserzeile zwischen Kirche und Markt fehlte ursprünglich. Sie ist aus überbauten Kaufbuden ent­ standen, die sich an die Friedhofsmauer anlehnten, wie die kleinen Grundstücke ohne Hofraum vermuten lassen. Ebenso muß man sich die Häuserzeile der Ostseite des Mark­ tes vor der Domburg wegdenken, da hier im 10. und 11. Jahrhundert der Graben der Immunitätsmauer verlief. Es fragt sich auch, ob die Ausbuchtung des Platzes auf der Westseite zwischen Fleisch- und Böhmerstraße zur ursprünglichen Anlage gehörte. Man hat sie als Verkehrsfanghof gedeutet. Sie trägt wesentlich zur Abschließung des Raumes

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Lager, S. 25. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 498. Jahresber. 1938, Trierer Zeitschr. 14, 1939, S.269. MUB I, Nr. 486. - H. Bastgen, Gesch. d. Domkapitels, S. 178. Bunjes, S. 129.. F. Keutgen, Untersuchungen über den Ursprung der deutschen Stadtverfassung, Leipzig 1895, S.21 ff. - W. Deuser, Domfreiheit und Markt, S.91 ff. - W. Deuser, Die Inschrift des Marktkreuzes, Trierische Chronik, NF. III, 1906, S.199 ff. - Hermann Spoo, Der Haupt­ markt zu Trier, Trierische Heimat 8, 1951/52, S. 146 ff. S. 149 eine Ansicht des Marktes von 1689. - Gute alte Ansichten d. Marktes: Kentenich, Alt-Trier, Tf. 45-51. Rudolph-Kentenich, S. 24 u. 55. 141

bei. Die gleiche Aufgabe erfüllt der Vorsprung in der Häuserzeile der Ostseite. Unmit­ telbar am Eingang in die Simeonstraße lag auf der Westseite das Judenviertel, das von drei Toren begrenzt war. Höchstwahrscheinlich befand es sich seit der Gründung des Marktes an dieser Stelle. Einer bewußten Abschließung der Domimmunität vom Markt­ gebiet, das wahrscheinlich rasch nach seiner Gründung aufblühte, diente der Mauerbau Erzbischofs Ludolfs79. Eine planmäßige Vergrößerung der Marktsiedlung im 11. Jahrhundert stellt die Simeonstraße dar, die vom Markt aus zur Porta Nigra nach Norden verläuft®°, Sie er­ weitert sich trichterförmig auf das römische Tor zu und bildet mehr einen langgestreck­ ten keilförmigen Straßenmarkt als eine Straße im eigentlichen Sinne. Ihren großartigen Abschluß findet sie in dem quergelagerten Torbau, der seit 1056/37 die von Erzbischof Poppo errichtete Simeons-Stiftskirche aufnahm. Das mittelalterliche Tor lag auf der Ostseite des römischen. Der künstlich durch die Stadt geleitete Weberbach durchlief die Simeonstraße der Länge nach. Dieser Straßenmarkt besitzt auffallende Ähnlichkeit mit den großen süddeutschen Marktanlagen des 11. Jahrhunderts in Speyer (Hauptstraße), Augsburg (Maximilianstraße), Würzburg (Domstraße) und Straßburg (Hauptmarkt). Die Ubereinstimmung mit Augsburg erstreckt sich auch auf den Markt und seine Grund­ form (Dreiecksmarkt - Straßenverengung - Straßenmarkt - quergelagerter Kirchenbau als Abschluß). Die Straßenwände in Trier sind ebenso stark geschwungen wie bei den süddeutschen Beispielen. So verwandte Lösungen werden auch der Entstehungszeit nach nicht allzu weit auseinander liegen. Das Marktgebiet umgab im Westen und Süden eine Reihe großer, teilweise unge­ wöhnlich ausgedehnter Höfe, die Ministerialen- und später Schöffenfamilien gehörten: die Hofsiedlung Beheim an der oberen Böhmerstraße, der Pillishof in der Jakobstraße, der Herrenhof beim Frankenturm in der Dietrichstraße; erst im 14. Jahrhundert lassen sich die Höfe Rulant, der Wolff, Umbscheiden, zur Taube belegen. Ein besonders aus­ gedehnter Hof lag in der Nordwestecke der Stadt. Er umfaßte das Gebiet des St. Katha­ rinenklosters und einen Teil des Deutschherrenhauses81. Auch Barbara- und Kaiser­ thermen waren ja seit fränkischer Zeit in Herrenhöfe verwandelt worden. Mehrere dieser Adelssitze hatten Wohntürme wie die Domherrnkurien in der Immu­ nität. Nur literarisch bekannt ist der Philippsturm in der Simeonstraße, der wohl nicht mit dem Wohnturm des Dreikönigenhauses gleichzusetzen ist82. Zeichnungen geben den Richardsturm in den Barbarathermen wieder, der 1675 von den Franzosen niedergelegt 79

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Vgl. die Quellenstelle. Dazu E. Ennen, Frühgeschichte der europäischen Stadt, Bonn 1955, S. 145. - Das Judenviertel wird 1180/90 zuerst erwähnt (»infra domos judeorum«, Spoo, Hauptmarkt, S. 147). Kurt Nagel, Die Porta nigra im Trierer Stadtbild, Trierer Zeitschr. 18, 1949, S.222 ff. Eichler, Trier, S.17. - »Auf dem Alt-Markt und in den anstoßenden Straßen bis an die Porta Nigra war der ganze Marktverkehr zusammengedrängt.« W, Schäfer, Ein Marktbild Triers aus dem 17. Jahrhundert, Trierische Chronik, NF. VI, 1910, S.56ff. - Gute Auf­ nahme der Simeonstraße von dem Turm der Gangolfskirche aus (1868): Trierische Hei­ mat 8, 1951/52, S. 145. Spoo, Hauptmarkt, S. 147. - Kentenich, Trier i. Mittelalter, S.62. Friedr. Kutzbach, Über den Philippsturm, Trierische Chronik, NE. IV, 1908, S.176. W. Deuser, Zum Philippsturm, ebenda, S.189 f. - W. Schäfer, Noch ein Wort über den Philippsturm, ebenda, S.190f. - Gute Abbildung des Dreikönigenhauses: Eichler, Trier, S.54.

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wurde®, Er gehörte im Mittelalter den Herren zur Brücke, welche die Barbarathermen zu ihrem festen Sitz ausgebaut hatten. An der Stelle des Zollamtes an der Moselbrücke erhob sich der Wolfsturm. Den einzigen erhaltenen Oberrest dieser für das Mittelalter so bezeichnenden Gattung stellt der Frankenturm in der Dietrichstraße dar, der wohl noch in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstanden ist°* Der Haupteingang befand sich im 1. Obergeschoß (heute in Straßenhöhe), zu dem eine Holztreppe empor­ führte. Das 2. Obergeschoß schmücken zwei Biforien, deren Archivolten aus gelben und roten Steinen bestehen. Das sorgfältig behandelte Mauerwerk aus Kleinsteinquadern über römischen Quaderlagen im Untergeschoß weist Ziegelbänder auf. Der Zinnenkranz wurde kurz vor dem letzten Kriege ergänzt. Für ihn fehlen Anhaltspunkte am Franken­ turm, jedoch besaßen andere Trierer Wohntürme einen solchen Abschluß. Die Balken decken der Geschosse im Innern wurden von Pfeilern getragen, die durch alle Stock­ werke reichten und die Räume in zwei Schiffe unterteilten. Von den Monumentalbauten der Antike war im 12. Jahrhundert in Trier noch weit mehr zu sehen als heute. Sie müssen im Stadtbild keine unbedeutende Rolle gespielt haben. Erst im Spätmittelalter z.B. wurden die Barbarathermen zerstört85. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts benutzte man sie als Steinbruch und verwendete das daraus gewonnene Material zum Mauerbau der Stadt. Noch am Anfang des 17. Jahrhunderts standen aber ansehnliche Reste aufrecht. Erzbischof Poppo legte die Befestigung nieder, die sich in der spätantiken Kreuzkirche in nächster Nähe des Südosttores eingenistet hatte®e. Daneben befand sich ein Wirtschaftshof der Erzbischöfe. Seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts heißen die Kaiserthermen »vetus castrum «. Hier hatte wahrscheinlich der Burggraf und praefectus urbis seinen Sitz, dessen Amt um 1140 erlosch. Im folgen­ den Jahrhundert wurden die Thermen abgebrochen bis auf die Umfassungswände nach Osten und Süden, die im Zuge der hochmittelalterlichen Stadtmauer Verwendung fan­ den"7. Bis in den Anfang des 15. Jahrhunderts standen auch die Tortürme des Amphi­ theaters aufrecht, das seit 1211 als Steinbruch für das Kloster Himmerod diente®, Kaum eines der größeren Gotteshäuser Triers überlebte unzerstört den Normannen­ einfall von 882. Der reiche Kirchenkranz der Merowingerzeit mußte unter den Ottonen von neuem gebaut werden. Bedeutung und Macht der Klöster und Stifte vor der römischen Stadtmauer erreichten zwischen dem 10. und dem 12. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Die älteste Abtei auf deutschem Boden, St. Maximin, wuchs zur größten und einflußreichsten in Westdeutschland heran. Ihre Mönche trugen die lothringischen 83

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F. Kutzbach, Über die Baugruppe der Propugnacula in Trier, Trierische Chronik, N F III, 1906, S. 123ff. - Abb. 5 u. 5 der Führungsblätter d. Landesmuseums Trier, Nr. 1, von E. Krüger, Trier 1935. - Ansichten des Wolfsturmes: Kunstdenkmäler, Bd. II, Abb. 294, 9.417. F. Kutzbach, Die Erbauung des Frankenturmes in Trier, Trierische Chronik, NF III, 1906, S.88ff. - Rhein. Heimatpflege 10, 1938, S.479f. - Trierer Zeitschr. 14, 1939, S.265. H. Vogts, Das Bürgerhaus in der Rheinprovinz, Düsseld. 1929, S. 564 f. - W. Sittel, Das ro­ manische Wohnhaus in Trier, Mitt. z. trierischen Landesgesch. u. Volkskunde 5, 1958, S. 134 ff. G. Kentenich, Der Untergang der römischen Bäder in Trier, Trierische Chronik, N F IV, 1908, S. 177. - Führungsblätter, Nr. 1. MG SS VIII, S.172: »castellum Treberis quondam in honore s. Cruxis constructum.« Kentenich, Schicksal der Kaiserthermen, S. 26 ff. - Vgl. dazu E. Ewig in Trierer Zeitschr. 24/26, 1956/58, S.154 f. Kentenich, Schicksal der Kaiserthermen, S. 21 ff. u. 32. E. Krüger, Das Amphitheater zu Trier, Führungsblätter, Nr. 2, 1944 (9. Aufl.). 143

bei. Die gleiche Aufgabe erfüllt der Vorsprung in der Häuserzeile der Ostseite. Unmit­ telbar am Eingang in die Simeonstraße lag auf der Westseite das Judenviertel, das von drei Toren begrenzt war. Höchstwahrscheinlich befand es sich seit der Gründung des Marktes an dieser Stelle. Einer bewußten Abschließung der Domimmunität vom Markt­ gebiet, das wahrscheinlich rasch nach seiner Gründung aufblühte, diente der Mauerbau Erzbischofs Ludolfs79. Eine planmäßige Vergrößerung der Marktsiedlung im 11. Jahrhundert stellt die Simeonstraße dar, die vom Markt aus zur Porta Nigra nach Norden verläuft®°, Sie er­ weitert sich trichterförmig auf das römische Tor zu und bildet mehr einen langgestreck­ ten keilförmigen Straßenmarkt als eine Straße im eigentlichen Sinne. Ihren großartigen Abschluß findet sie in dem quergelagerten Torbau, der seit 1056/37 die von Erzbischof Poppo errichtete Simeons-Stiftskirche aufnahm. Das mittelalterliche Tor lag auf der Ostseite des römischen. Der künstlich durch die Stadt geleitete Weberbach durchlief die Simeonstraße der Länge nach. Dieser Straßenmarkt besitzt auffallende Ähnlichkeit mit den großen süddeutschen Marktanlagen des 11. Jahrhunderts in Speyer (Hauptstraße), Augsburg (Maximilianstraße), Würzburg (Domstraße) und Straßburg (Hauptmarkt). Die Ubereinstimmung mit Augsburg erstreckt sich auch auf den Markt und seine Grund­ form (Dreiecksmarkt - Straßenverengung - Straßenmarkt - quergelagerter Kirchenbau als Abschluß). Die Straßenwände in Trier sind ebenso stark geschwungen wie bei den süddeutschen Beispielen. So verwandte Lösungen werden auch der Entstehungszeit nach nicht allzu weit auseinander liegen. Das Marktgebiet umgab im Westen und Süden eine Reihe großer, teilweise unge­ wöhnlich ausgedehnter Höfe, die Ministerialen- und später Schöffenfamilien gehörten: die Hofsiedlung Beheim an der oberen Böhmerstraße, der Pillishof in der Jakobstraße, der Herrenhof beim Frankenturm in der Dietrichstraße; erst im 14. Jahrhundert lassen sich die Höfe Rulant, der Wolff, Umbscheiden, zur Taube belegen. Ein besonders aus­ gedehnter Hof lag in der Nordwestecke der Stadt. Er umfaßte das Gebiet des St. Katha­ rinenklosters und einen Teil des Deutschherrenhauses81. Auch Barbara- und Kaiser­ thermen waren ja seit fränkischer Zeit in Herrenhöfe verwandelt worden. Mehrere dieser Adelssitze hatten Wohntürme wie die Domherrnkurien in der Immu­ nität. Nur literarisch bekannt ist der Philippsturm in der Simeonstraße, der wohl nicht mit dem Wohnturm des Dreikönigenhauses gleichzusetzen ist82. Zeichnungen geben den Richardsturm in den Barbarathermen wieder, der 1675 von den Franzosen niedergelegt 79

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Vgl. die Quellenstelle. Dazu E. Ennen, Frühgeschichte der europäischen Stadt, Bonn 1955, S. 145. - Das Judenviertel wird 1180/90 zuerst erwähnt (»infra domos judeorum«, Spoo, Hauptmarkt, S. 147). Kurt Nagel, Die Porta nigra im Trierer Stadtbild, Trierer Zeitschr. 18, 1949, S.222 ff. Eichler, Trier, S.17. - »Auf dem Alt-Markt und in den anstoßenden Straßen bis an die Porta Nigra war der ganze Marktverkehr zusammengedrängt.« W, Schäfer, Ein Marktbild Triers aus dem 17. Jahrhundert, Trierische Chronik, NF. VI, 1910, S.56ff. - Gute Auf­ nahme der Simeonstraße von dem Turm der Gangolfskirche aus (1868): Trierische Hei­ mat 8, 1951/52, S. 145. Spoo, Hauptmarkt, S. 147. - Kentenich, Trier i. Mittelalter, S.62. Friedr. Kutzbach, Über den Philippsturm, Trierische Chronik, NE. IV, 1908, S.176. W. Deuser, Zum Philippsturm, ebenda, S.189 f. - W. Schäfer, Noch ein Wort über den Philippsturm, ebenda, S.190f. - Gute Abbildung des Dreikönigenhauses: Eichler, Trier, S.54.

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wurde®, Er gehörte im Mittelalter den Herren zur Brücke, welche die Barbarathermen zu ihrem festen Sitz ausgebaut hatten. An der Stelle des Zollamtes an der Moselbrücke erhob sich der Wolfsturm. Den einzigen erhaltenen Oberrest dieser für das Mittelalter so bezeichnenden Gattung stellt der Frankenturm in der Dietrichstraße dar, der wohl noch in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstanden ist°* Der Haupteingang befand sich im 1. Obergeschoß (heute in Straßenhöhe), zu dem eine Holztreppe empor­ führte. Das 2. Obergeschoß schmücken zwei Biforien, deren Archivolten aus gelben und roten Steinen bestehen. Das sorgfältig behandelte Mauerwerk aus Kleinsteinquadern über römischen Quaderlagen im Untergeschoß weist Ziegelbänder auf. Der Zinnenkranz wurde kurz vor dem letzten Kriege ergänzt. Für ihn fehlen Anhaltspunkte am Franken­ turm, jedoch besaßen andere Trierer Wohntürme einen solchen Abschluß. Die Balken decken der Geschosse im Innern wurden von Pfeilern getragen, die durch alle Stock­ werke reichten und die Räume in zwei Schiffe unterteilten. Von den Monumentalbauten der Antike war im 12. Jahrhundert in Trier noch weit mehr zu sehen als heute. Sie müssen im Stadtbild keine unbedeutende Rolle gespielt haben. Erst im Spätmittelalter z.B. wurden die Barbarathermen zerstört85. In der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts benutzte man sie als Steinbruch und verwendete das daraus gewonnene Material zum Mauerbau der Stadt. Noch am Anfang des 17. Jahrhunderts standen aber ansehnliche Reste aufrecht. Erzbischof Poppo legte die Befestigung nieder, die sich in der spätantiken Kreuzkirche in nächster Nähe des Südosttores eingenistet hatte®e. Daneben befand sich ein Wirtschaftshof der Erzbischöfe. Seit dem Ausgang des 15. Jahrhunderts heißen die Kaiserthermen »vetus castrum «. Hier hatte wahrscheinlich der Burggraf und praefectus urbis seinen Sitz, dessen Amt um 1140 erlosch. Im folgen­ den Jahrhundert wurden die Thermen abgebrochen bis auf die Umfassungswände nach Osten und Süden, die im Zuge der hochmittelalterlichen Stadtmauer Verwendung fan­ den"7. Bis in den Anfang des 15. Jahrhunderts standen auch die Tortürme des Amphi­ theaters aufrecht, das seit 1211 als Steinbruch für das Kloster Himmerod diente®, Kaum eines der größeren Gotteshäuser Triers überlebte unzerstört den Normannen­ einfall von 882. Der reiche Kirchenkranz der Merowingerzeit mußte unter den Ottonen von neuem gebaut werden. Bedeutung und Macht der Klöster und Stifte vor der römischen Stadtmauer erreichten zwischen dem 10. und dem 12. Jahrhundert ihren Höhepunkt. Die älteste Abtei auf deutschem Boden, St. Maximin, wuchs zur größten und einflußreichsten in Westdeutschland heran. Ihre Mönche trugen die lothringischen 83

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F. Kutzbach, Über die Baugruppe der Propugnacula in Trier, Trierische Chronik, N F III, 1906, S. 123ff. - Abb. 5 u. 5 der Führungsblätter d. Landesmuseums Trier, Nr. 1, von E. Krüger, Trier 1935. - Ansichten des Wolfsturmes: Kunstdenkmäler, Bd. II, Abb. 294, 9.417. F. Kutzbach, Die Erbauung des Frankenturmes in Trier, Trierische Chronik, NF III, 1906, S.88ff. - Rhein. Heimatpflege 10, 1938, S.479f. - Trierer Zeitschr. 14, 1939, S.265. H. Vogts, Das Bürgerhaus in der Rheinprovinz, Düsseld. 1929, S. 564 f. - W. Sittel, Das ro­ manische Wohnhaus in Trier, Mitt. z. trierischen Landesgesch. u. Volkskunde 5, 1958, S. 134 ff. G. Kentenich, Der Untergang der römischen Bäder in Trier, Trierische Chronik, N F IV, 1908, S. 177. - Führungsblätter, Nr. 1. MG SS VIII, S.172: »castellum Treberis quondam in honore s. Cruxis constructum.« Kentenich, Schicksal der Kaiserthermen, S. 26 ff. - Vgl. dazu E. Ewig in Trierer Zeitschr. 24/26, 1956/58, S.154 f. Kentenich, Schicksal der Kaiserthermen, S. 21 ff. u. 32. E. Krüger, Das Amphitheater zu Trier, Führungsblätter, Nr. 2, 1944 (9. Aufl.). 143

Reformideen ins Innere Deutschlands. Die Abtei war bei dem Normannensturm so stark mitgenommen worden, daß man nach 882 die Krypten mit den Heiligengräbern nicht mehr auffand®, Nach einem hölzernen Notbau folgte 934 eine langgestreckte drei­ schiffige Basilika in Stein mit mächtigem Westturm, die in kurzer Zeit vollendet wurde (Weihen 942, 949 und 952). Die zugehörige Pfarrkirche war dem hl. Michael geweiht. Schon im Hochmittelalter hat man die Klosterimmunität mit Mauer und Graben be­ wehrt. Auf ihrer Westseite entstand eine Marktsiedlung, die wiederholt zerstört wurde. Die Paulinskirche ging offenbar 882 nicht vollständig unter wie St. Maximin. Erst im 11. Jahrhundert trat ein Neubau an ihre Stelle, der 1049 beim Durchzug Leo IX. geweiht wurde®°. An der Südseite der Kirche lag die curia fratrum. Im Osten der Stiftskirche fand man vor kurzem einen kleinen frühromanischen Zentralbau. Die Pfarrkirche des Stiftes war der hl. Walburgis geweiht. Sie wurde ursprünglich von Erzbischof Ruodger (917-950) als Grabkapelle erbaut. Erst 1403 erhielt der Stiftsbezirk eine Befestigung mit Türmen und Graben. Gegen 1088 ließ Propst Cuono das Hochkreuz vor der Stiftskirche auf­ richten, ein Gegenstück zum Marktkreuz vor der Domburg; denn auch das Pauliner­ Kreuz muß man als Rechtssymbol für die Marktfreiheit auf dem Vorplatz der Kirche auffassen91. Die Erzbischöfe Dietrich und Egbert erweckten die Benediktinerabtei St. Marien am Moselufer zu neuem Leben. Die daneben liegende Pfarrkirche St. Johann wird zwar erst 1227 erwähnt, sie reicht aber höchstwahrscheinlich in das 10. oder 11. Jahrhundert hinauf wie die übrigen Pfarrkirchen der fränkischen Klöster in Trier92. Auch St. Eucharius vor dem Südtor der Römerstadt verdankt Erzbischof Egbert sein Wiedererstehen. Es blieb dessen wichtigste Stiftung, die einer völligen Neugründung gleichkam. Nach dem Normanneneinfall scheint hier keine geistliche Gemeinschaft mehr bestanden zu haben. Egbert baute die Abteikirche und die auf ihrer Nordseite befind­ liche Maternuskapelle, welche als Zentralbau über dem Grundriß des griechischen Kreu­ zes errichtet wurde93. Mönche aus St. Bavo in Gent brachten das Klosterleben zu neuer Blüte. Erst nach 1127, als man Reliquien des Apostels Matthias in der Abteikirche ent­ deckte, änderte das Kloster seinen Namen. Die Martinskirche am Moselufer stellte Abt Regino (883-915) aus Prüm nach dem Normannensturm wieder her94. Unter Erzbischof Dietrich wurde sie um 973 nochmals erneuert. Zu einem völligen Neubau kam es erst am Ende des 11. Jahrhunderts unter Erzbischof Egilbert (1075-1101). Trotz der sehr großen Zahl bereits bestehender Klöster und Stifte, die in fränkische Zeit zurückreichten, schritt man im 11. Jahrhundert noch zu Neugründungen. Nach dem Tode des griechischen Mönches Simeon (gest. 1035, heiliggesprochen 1042), der als Ein89

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Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 293 ff. u. 458. Kunstdenkmäler, Bd. II, S.330, 334 u. 502. - Neugefundener Zentralbau: Trierer Zeitschr. 18, 1949, S.328. - N. Irsch, Von Eigenheiten der Trierischen Baukunst, Rhein. Verein f. Denkmalpflege u. Heimatschutz, Jahrg. 1952, S.145. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 360. - von Kloschinsky, Das Kreuz und die vier Steine vor der Paulinskirche, Trierische Chronik, NF. IV, 1908, S.157 f. - W. Deuser, Das Paulinuskreuz, ebenda V, 1909, S. 46 ff. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 442 1. 416. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 206 ff. Der Kirchenbau wurde erst unter Abt Bertulf (ca. 1024-50) zu Ende geführt. - Maternuskapelle: Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 261. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 451 ff. - Böhner, Anfänge von St. Martin, S.121.

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siedler in dem Ostturm der Porta Nigra gehaust hatte, faßte Erzbischof Poppo sogleich den Plan, zu Ehren seines Freundes ein Stift zu errichten®®, Die um 1036/37 gegründete Stiftskirche richtete man im zweiten Obergeschoß des römischen Nordtores ein, im ersten fand die Pfarrkirche St. Michael und Maria Platz. Eine große Freitreppe führte zu ihr empor, welche das römische Untergeschoß mit den Tordurchgängen völlig ver­ deckte. Auf der Westseite des Tores legte man die Stiftsgebäude um einen zweigeschossi­ gen quadratischen Hof an. Sie vermitteln uns noch heute, nach ihrer glücklichen Wieder­ herstellung vor dem letzten Kriege, das ungetrübte Bild eines vornehmen salischen Stiftes, wohl das einzige erhaltene Beispiel aus dem 11. Jahrhundert®, Zwischen 1050 und 1066 errichtete Dompropst Arnulf aus eigenen Mitteln »ecclesiam in honorem s. crucis juxta albam portam sitam«7, Die kleine reizvolle Zentralanlage über griechischem Kreuz stand fast unversehrt bis zum letzten Kriege. Sie ersetzte die spät­ antike Kreuzkirche, welche die lokale Überlieferung auf die hl. Helena zurückführte. Ob das Martinskloster auf dem Petersberg im Osten der Domburg noch in das 11. Jahrhundert zurückreicht, ist fraglich. Erst gegen 1200 wird das Kloster für adelige Jungfrauen, die nach der Regel des hl. Augustin lebten, urkundlich erwähnt®, Die Mög­ lichkeit eines längeren Bestandes ist aber nicht von der Hand zu weisen, da nach Erbau­ ung der hochmittelalterlichen Stadtmauer das Kloster schwerlich im unbefestigten Gebiet errichtet worden wäre. Wenn diese Vermutung zuträfe, hätte Trier im 11. Jahrhundert um die Domburg als Mittelpunkt ein sehr regelmäßiges Kirchenkreuz besessen (St. Mar­ tin am Moselufer - St. Martin auf dem Petersberg, St. Paulin - St. Eucharius). In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erfolgte der Schritt zur geschlossenen Stadt. Der siebenjährige Krieg zwischen Erzbischof Albero und dem Grafen Heinrich von Namur, dem Vogt von St. Maximin, um die Reichsunmittelbarkeit der Abtei (1140-1147) hat die Vollendung des Mauerbaues beschleunigt99. Schon zu Beginn des Jahrhunderts hatte Erzbischof Bruno (1102-1124) auf der Südseite ein langes Bollwerk errichtet, d. h. offenbar eine Gesamtbefestigung der Stadt begonnen. 1140 war jedoch diese noch nicht vollständig mit Wall und Graben umgeben, wie der Biograph Alberos, sein Freund Balderich, berichtet. Das gute Einvernehmen zwischen Erzbischof und Bürgerschaft, das unter Bruno bestanden hatte, war unter Albero getrübt worden. » In dieser Zeit gegen­ seitiger Spannungen kommt es zu jenem eigenartigen Zusammenschluß der Trierer Bürgerschaft (conjuratio), durch den die Stadt vorübergehend eine fast völlige politische 95 Lager, S. 31 ff. (mit Aufzählung der Kapellen des Stiftsbezirkes). - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 465 ff. 96 Kunstdenkmäler, Bd.II, S.491. - Eichler, Trier, Abb. S.52. - Über die zerstörte Thomas­ kurie des Stifters berichtet E. Zahn in Trierer Zeitschr. 24/26, 1956/58, S. 215 f. 97 Kunstdenkmäler, Bd. II, S.95 f. - W. Effmann, Heiligkreuz und Pfalzel, Freiburg i. d. Schweiz, 1890. 98 MUB II, Nr. 293/94. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S.434. 99 G. Kentenich, Zur Geschichte der mittelalterlichen Stadtbefestigung Triers, Trierische Chro­ nik, NF. III, 1906, S.30 ff. - Hauptquelle für die Befestigung ist ein Gedicht zum Jahre 1143 (MG SS VIII, S. 241) : »... sine muro namque patebat Urbs, nisi pontificis quam guondam cura Brunonis Fecit ad australem longo munimine plagam ... Vallo circumdant vel muro moenia firmant Custodes vigilesque locant vel lapsa restaurant, .. .« 145

Reformideen ins Innere Deutschlands. Die Abtei war bei dem Normannensturm so stark mitgenommen worden, daß man nach 882 die Krypten mit den Heiligengräbern nicht mehr auffand®, Nach einem hölzernen Notbau folgte 934 eine langgestreckte drei­ schiffige Basilika in Stein mit mächtigem Westturm, die in kurzer Zeit vollendet wurde (Weihen 942, 949 und 952). Die zugehörige Pfarrkirche war dem hl. Michael geweiht. Schon im Hochmittelalter hat man die Klosterimmunität mit Mauer und Graben be­ wehrt. Auf ihrer Westseite entstand eine Marktsiedlung, die wiederholt zerstört wurde. Die Paulinskirche ging offenbar 882 nicht vollständig unter wie St. Maximin. Erst im 11. Jahrhundert trat ein Neubau an ihre Stelle, der 1049 beim Durchzug Leo IX. geweiht wurde®°. An der Südseite der Kirche lag die curia fratrum. Im Osten der Stiftskirche fand man vor kurzem einen kleinen frühromanischen Zentralbau. Die Pfarrkirche des Stiftes war der hl. Walburgis geweiht. Sie wurde ursprünglich von Erzbischof Ruodger (917-950) als Grabkapelle erbaut. Erst 1403 erhielt der Stiftsbezirk eine Befestigung mit Türmen und Graben. Gegen 1088 ließ Propst Cuono das Hochkreuz vor der Stiftskirche auf­ richten, ein Gegenstück zum Marktkreuz vor der Domburg; denn auch das Pauliner­ Kreuz muß man als Rechtssymbol für die Marktfreiheit auf dem Vorplatz der Kirche auffassen91. Die Erzbischöfe Dietrich und Egbert erweckten die Benediktinerabtei St. Marien am Moselufer zu neuem Leben. Die daneben liegende Pfarrkirche St. Johann wird zwar erst 1227 erwähnt, sie reicht aber höchstwahrscheinlich in das 10. oder 11. Jahrhundert hinauf wie die übrigen Pfarrkirchen der fränkischen Klöster in Trier92. Auch St. Eucharius vor dem Südtor der Römerstadt verdankt Erzbischof Egbert sein Wiedererstehen. Es blieb dessen wichtigste Stiftung, die einer völligen Neugründung gleichkam. Nach dem Normanneneinfall scheint hier keine geistliche Gemeinschaft mehr bestanden zu haben. Egbert baute die Abteikirche und die auf ihrer Nordseite befind­ liche Maternuskapelle, welche als Zentralbau über dem Grundriß des griechischen Kreu­ zes errichtet wurde93. Mönche aus St. Bavo in Gent brachten das Klosterleben zu neuer Blüte. Erst nach 1127, als man Reliquien des Apostels Matthias in der Abteikirche ent­ deckte, änderte das Kloster seinen Namen. Die Martinskirche am Moselufer stellte Abt Regino (883-915) aus Prüm nach dem Normannensturm wieder her94. Unter Erzbischof Dietrich wurde sie um 973 nochmals erneuert. Zu einem völligen Neubau kam es erst am Ende des 11. Jahrhunderts unter Erzbischof Egilbert (1075-1101). Trotz der sehr großen Zahl bereits bestehender Klöster und Stifte, die in fränkische Zeit zurückreichten, schritt man im 11. Jahrhundert noch zu Neugründungen. Nach dem Tode des griechischen Mönches Simeon (gest. 1035, heiliggesprochen 1042), der als Ein89

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Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 293 ff. u. 458. Kunstdenkmäler, Bd. II, S.330, 334 u. 502. - Neugefundener Zentralbau: Trierer Zeitschr. 18, 1949, S.328. - N. Irsch, Von Eigenheiten der Trierischen Baukunst, Rhein. Verein f. Denkmalpflege u. Heimatschutz, Jahrg. 1952, S.145. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 360. - von Kloschinsky, Das Kreuz und die vier Steine vor der Paulinskirche, Trierische Chronik, NF. IV, 1908, S.157 f. - W. Deuser, Das Paulinuskreuz, ebenda V, 1909, S. 46 ff. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 442 1. 416. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 206 ff. Der Kirchenbau wurde erst unter Abt Bertulf (ca. 1024-50) zu Ende geführt. - Maternuskapelle: Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 261. Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 451 ff. - Böhner, Anfänge von St. Martin, S.121.

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siedler in dem Ostturm der Porta Nigra gehaust hatte, faßte Erzbischof Poppo sogleich den Plan, zu Ehren seines Freundes ein Stift zu errichten®®, Die um 1036/37 gegründete Stiftskirche richtete man im zweiten Obergeschoß des römischen Nordtores ein, im ersten fand die Pfarrkirche St. Michael und Maria Platz. Eine große Freitreppe führte zu ihr empor, welche das römische Untergeschoß mit den Tordurchgängen völlig ver­ deckte. Auf der Westseite des Tores legte man die Stiftsgebäude um einen zweigeschossi­ gen quadratischen Hof an. Sie vermitteln uns noch heute, nach ihrer glücklichen Wieder­ herstellung vor dem letzten Kriege, das ungetrübte Bild eines vornehmen salischen Stiftes, wohl das einzige erhaltene Beispiel aus dem 11. Jahrhundert®, Zwischen 1050 und 1066 errichtete Dompropst Arnulf aus eigenen Mitteln »ecclesiam in honorem s. crucis juxta albam portam sitam«7, Die kleine reizvolle Zentralanlage über griechischem Kreuz stand fast unversehrt bis zum letzten Kriege. Sie ersetzte die spät­ antike Kreuzkirche, welche die lokale Überlieferung auf die hl. Helena zurückführte. Ob das Martinskloster auf dem Petersberg im Osten der Domburg noch in das 11. Jahrhundert zurückreicht, ist fraglich. Erst gegen 1200 wird das Kloster für adelige Jungfrauen, die nach der Regel des hl. Augustin lebten, urkundlich erwähnt®, Die Mög­ lichkeit eines längeren Bestandes ist aber nicht von der Hand zu weisen, da nach Erbau­ ung der hochmittelalterlichen Stadtmauer das Kloster schwerlich im unbefestigten Gebiet errichtet worden wäre. Wenn diese Vermutung zuträfe, hätte Trier im 11. Jahrhundert um die Domburg als Mittelpunkt ein sehr regelmäßiges Kirchenkreuz besessen (St. Mar­ tin am Moselufer - St. Martin auf dem Petersberg, St. Paulin - St. Eucharius). In der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts erfolgte der Schritt zur geschlossenen Stadt. Der siebenjährige Krieg zwischen Erzbischof Albero und dem Grafen Heinrich von Namur, dem Vogt von St. Maximin, um die Reichsunmittelbarkeit der Abtei (1140-1147) hat die Vollendung des Mauerbaues beschleunigt99. Schon zu Beginn des Jahrhunderts hatte Erzbischof Bruno (1102-1124) auf der Südseite ein langes Bollwerk errichtet, d. h. offenbar eine Gesamtbefestigung der Stadt begonnen. 1140 war jedoch diese noch nicht vollständig mit Wall und Graben umgeben, wie der Biograph Alberos, sein Freund Balderich, berichtet. Das gute Einvernehmen zwischen Erzbischof und Bürgerschaft, das unter Bruno bestanden hatte, war unter Albero getrübt worden. » In dieser Zeit gegen­ seitiger Spannungen kommt es zu jenem eigenartigen Zusammenschluß der Trierer Bürgerschaft (conjuratio), durch den die Stadt vorübergehend eine fast völlige politische 95 Lager, S. 31 ff. (mit Aufzählung der Kapellen des Stiftsbezirkes). - Kunstdenkmäler, Bd. II, S. 465 ff. 96 Kunstdenkmäler, Bd.II, S.491. - Eichler, Trier, Abb. S.52. - Über die zerstörte Thomas­ kurie des Stifters berichtet E. Zahn in Trierer Zeitschr. 24/26, 1956/58, S. 215 f. 97 Kunstdenkmäler, Bd. II, S.95 f. - W. Effmann, Heiligkreuz und Pfalzel, Freiburg i. d. Schweiz, 1890. 98 MUB II, Nr. 293/94. - Kunstdenkmäler, Bd. II, S.434. 99 G. Kentenich, Zur Geschichte der mittelalterlichen Stadtbefestigung Triers, Trierische Chro­ nik, NF. III, 1906, S.30 ff. - Hauptquelle für die Befestigung ist ein Gedicht zum Jahre 1143 (MG SS VIII, S. 241) : »... sine muro namque patebat Urbs, nisi pontificis quam guondam cura Brunonis Fecit ad australem longo munimine plagam ... Vallo circumdant vel muro moenia firmant Custodes vigilesque locant vel lapsa restaurant, .. .« 145

Selbständigkeit erlangte «10, Der Erzbischof verlegte sogar zeitweise seinen Sitz aus der Stadt heraus in das nahe Pfalzel. Die Vollendung des Mauerbaues war ein Werk der Bürgerschaft, wie ein Augenzeuge berichtet (Gedicht zum Jahre 1143). Unter der Herr­ schaft der Schwurgenossenschaft entstand das Neutor, dessen schönes Sandsteinrelief mit dem segnenden Christus und den beiden Stadtpatronen Petrus und Eucharius sich noch erhalten hat'! Die Darstellung stimmt weitgehend mit dem Siegel des Trierer Schöffenkollegiums überein, das wahrscheinlich noch in die Zeit Brunos zurückreicht und vielleicht das älteste deutsche Stadtsiegel darstellt. Im Norden und Westen konnte man sich im wesentlichen an den römischen Befesti­ gungszug halten. Nur eine kleine Ausbuchtung bei St. Martin greift darüber hinaus. Im Süden und Osten dagegen mußte man zu einem Neubau schreiten, da die römische Ver­ teidigungslinie viel zu weit außen lag. Die Burg der Kaiserthermen ließ sich als Bollwerk an der Südostecke verwenden. Auch die Barbarathermen waren zunächst in die Befesti­ gung einbezogen. Erst im 13. Jahrhundert nahm man an dieser Stelle die Mauer zurück. Das Neutor ersetzte die römische Porta Alba im Zuge der Nordsüdachse, weiter östlich folgte das Webertor. Das Alttor in einer Fensteröffnung der Kaiserthermen, die schon seit dem 15. Jahrhundert nicht mehr benutzte Kastilport und das Mustor führten nach Osten, das Simeonstor neben der Porta Nigra und das Martinstor in der Nähe des Klosters am Moselufer nach Norden. Zum Hafen öffnete sich das Katharinentor und zum Moselübergang hin das Brücktor'92, Das Straßennetz der Bürgerstadt war im wesentlichen bereits seit dem 10. J ahrhun­ dert festgelegt. Die Nordsüdachse und die Verbindungsstraße vom Nordtor über Simeonstraße - Markt-, Fleisch- und Brückenstraße zum Moselufer müssen spätestens seit der Anlage des Marktes vorhanden gewesen sein. Daneben kommt noch die Ver­ bindung Markt-Moselhafen über die Dietrichstraße in Betracht. Der hochmittelalter­ liche Ausbau erfolgte vor allem in dem Gebiet zwischen den beiden Hauptverkehrsadern Brot- bzw. Neustraße und Fleisch- bzw. Brückenstraße. Auch das Viertel im Norden der Domburg und im Osten der Simeonstraße wird damals besiedelt worden sein, wahr­ scheinlich von niederländischen Einwanderern. Es hat auch lange Zeit hinaus den Namen » in Vlandern « beibehalten]03, Mit einem Flächeninhalt von etwa 125 Hektar erreichte das mittelalterliche Trier nicht einmal die Hälfte der römischen Stadt. Sein Mauerzug war so weit gespannt, daß es keiner Erweiterung mehr bedurfte. Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte es auch nicht annähernd die umschlossene Fläche ausgefüllt.

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H. Horstmann, Die Trierer Stadtsiegel und die Anfänge der Trierer Selbstverwaltung, Rhein. Verein f. Denkmalpflege u. Heimatschutz, Jahrg. 1952, S. 90. H. Beenken, Romanische Skulptur in Deutschland, Leipzig 1924, S.202f. - Abbildungen des Neutores vor dem Abbruch 1877: Trierische Heimat 8, 1931/32, S. 42, u. Kentenich, Alt­ Trier, Abb. 54. - Horstmann, Trierer Stadtsiegel, S.87 u. 90. - Richard Laufer, Triers Rin­ gen um die Stadtherrschaft vom Anfang d. 12. bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert, Rhein. Verein f. Denkmalpflege u. Heimatschutz, Jahrg. 1952, S. 151 ff. Erzbischof Arnold II. (1242-1259) nahm wegen Streitigkeiten mit den Herrn von der Brücke in den Barbarathermen die Mauer zurück. - Alt-Tor: Krencker- Krüger, Kaiserthermen, S.9ff., Abb. 8-11. - Kastilport: R. Brauweiler, Ein verschollenes mittelalterliches Tor in der Stadtmauer zu Trier, Trierische Chronik, NF. III, 1906, S. 26. W. Schäfer, Der Stadtteil »in Vlandern« zu Trier, Trierische Chronik, NF. IV, 1908, S. 150 ff. u. 166ff. Die heutige Flandernstraße ist aber nicht mit der hochmittelalterlichen gleichzu­ setzen.

WÜRZBURG

(Abbildungen 27 u. 28, Tafeln 15 u. 16)

Wer von der Festung Marienberg auf das Stadtbild zu Füßen herabblickt, das trotz der entsetzlichen Zerstörung von 1945 seine feste Ordnung bewahrt hat, dem drängt sich von selbst die Frage auf nach den geographischen und historischen Voraussetzungen seiner Entstehung'. Noch zu Beginn unserer Zeitrechnung war die Maintalebene an 1

Es fehlt eine erschöpfende Stadtgeschichte Würzburgs im Mittelalter. Sie kann solange nicht geschrieben werden, als die Urkunden nicht ausreichend ediert sind (Mon. Boica, Bd. 57-46). Ein neueres Urkundenbuch liegt nur für das Stephanskloster vor (bearb. v. Fr.J. Bendel, Fr. Heidingsfelder und M. Kaufmann, 1.Bd., Leipzig 1912, bisher 3 Bde.) und W. Engel, Urkundenregesten zur Geschichte der Stadt Würzburg, Würzburg (1948), Quellen u. Forschgn. z. Gesch. d. Bistums u. Hochstifts Würzburg Bd. V sowie W. Engel, Würzburger Urkundenregesten vor dem Jahre 1400, Würzburg (1958). Für die mittelalterliche Topo­ graphie der Stadt ist man daher auf eine Vielzahl kleinerer Abhandlungen angewiesen, die alte Vermutungen, Fälschungen und Irrtümer weiterschleppen. Nur die wichtigsten davon können hier aufgeführt werden: Jos. Ant. Oegg, Entwicklungsgeschichte der Stadt Würzburg, hgb. v. Aug. Schäffler, Würzburg 1880 (Das Material wurde bereits 1806-8 ge­ sammelt). - Hans Ring, Würzburgs Werdegang, Würzb. 1914 (Einzelveröffentlichung der Einleitung d. Verf. zum Inventarband). - Theodor Memminger, Würzburgs Straßen und Bauten?, Würzb. 1921. - Rich. Sedlmaier, Gesch. Aufbau d. Würzb. Stadtbildes, Tag für Denkmalspflege und Heimatschutz 1928, Berlin 1929, S. 13 ff. - Franz Seberich, Entwicklung der Siedlung Würzburg bis zum Ausgang des Mittelalters, Würzb. statistische Mitteilungen 2, 1938, S.1 ff. - Kieser, Das Stadtbild von Würzburg, Würzburger Universitäts-Almanach 1935/36, Würzb. 1935, S. 54 ff. - A. Bechtold, Beiträge zur Topographie des alten Würzburg, Archiv des Hist. Vereins f. Ufr. 68, 1929, S. 221 ff. Am eingehendsten erforschte man in den letzten Jahrzehnten die Frühgeschichte der Stadt, die nach Paul Schöffels grundlegenden Untersuchungen (Herbipolis Sacra, Würzb. 1948) von Karl Dinklage ausführlich behandelt wurde (Würzburg im Frühmittelalter, Fränkische Heimatkunde 3, Würzb. 1951, S.63 ff.). Im gleichen Bändchen auch ein Überblick über die Vorgeschichte des Ortes: Paul Endrich, Ur- und Frühgeschichte von Würzb. u. seiner näch­ sten Umgebung, 5. 7 ff. Die topographische Entwicklung bis zum Ende der Karolinger kann damit im wesentlichen als geklärt betrachtet werden, während für das 11. und 12. Jahr­ hundert kritische Untersuchungen weitgehend fehlen. Wichtig für die Veränderungen im Barock: Max H. v. Freeden, Balthasar Neumann als Stadtbaumeister, Berlin 1937. Die ein­ schneidenden Durchbrüche und Niederlegungen des 19. Jahrhunderts verzeichnet Hanna­ Katarina Heymann, geb. Heuser, Studien zur städtebaulichen Entwicklung Würzburgs im 19. Jahrhundert, Würzb. Diss. 1941. Inventarband von Felix Mader, Stadt Würzburg, Mün­ chen 1915 (Die Kunstdenkmäler v. Unterfranken u. Aschaffenburg XII). Die jüngste Darstellung der Entstehung Würzburgs von Karl Withold, Die frühgeschicht­ liche Entwicklung des Würzburger Stadtplans, Studien zu den Anfängen des europäischen Städtewesens, Lindau-Konstanz (1958), S. 363ff. stieß auf Widersprüche, vgl. die Be­ sprechungen von Alfred Wendehorst, Würzburger Diözesangeschichtsblätter 20, 1958, S. 203 ff. und W. Engel, F. Seberich u. A. Mayer, Mainlande 9, 1958, S. 37 ff. Die Annahme fränkischer und karolingischer castella um die Domimmunität auf Grund hoch- und spät­ mittelalterlicher Hausnamen ist methodisch unhaltbar, abgesehen von zahlreichen philolo­ gischen Bedenken.

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Selbständigkeit erlangte «10, Der Erzbischof verlegte sogar zeitweise seinen Sitz aus der Stadt heraus in das nahe Pfalzel. Die Vollendung des Mauerbaues war ein Werk der Bürgerschaft, wie ein Augenzeuge berichtet (Gedicht zum Jahre 1143). Unter der Herr­ schaft der Schwurgenossenschaft entstand das Neutor, dessen schönes Sandsteinrelief mit dem segnenden Christus und den beiden Stadtpatronen Petrus und Eucharius sich noch erhalten hat'! Die Darstellung stimmt weitgehend mit dem Siegel des Trierer Schöffenkollegiums überein, das wahrscheinlich noch in die Zeit Brunos zurückreicht und vielleicht das älteste deutsche Stadtsiegel darstellt. Im Norden und Westen konnte man sich im wesentlichen an den römischen Befesti­ gungszug halten. Nur eine kleine Ausbuchtung bei St. Martin greift darüber hinaus. Im Süden und Osten dagegen mußte man zu einem Neubau schreiten, da die römische Ver­ teidigungslinie viel zu weit außen lag. Die Burg der Kaiserthermen ließ sich als Bollwerk an der Südostecke verwenden. Auch die Barbarathermen waren zunächst in die Befesti­ gung einbezogen. Erst im 13. Jahrhundert nahm man an dieser Stelle die Mauer zurück. Das Neutor ersetzte die römische Porta Alba im Zuge der Nordsüdachse, weiter östlich folgte das Webertor. Das Alttor in einer Fensteröffnung der Kaiserthermen, die schon seit dem 15. Jahrhundert nicht mehr benutzte Kastilport und das Mustor führten nach Osten, das Simeonstor neben der Porta Nigra und das Martinstor in der Nähe des Klosters am Moselufer nach Norden. Zum Hafen öffnete sich das Katharinentor und zum Moselübergang hin das Brücktor'92, Das Straßennetz der Bürgerstadt war im wesentlichen bereits seit dem 10. J ahrhun­ dert festgelegt. Die Nordsüdachse und die Verbindungsstraße vom Nordtor über Simeonstraße - Markt-, Fleisch- und Brückenstraße zum Moselufer müssen spätestens seit der Anlage des Marktes vorhanden gewesen sein. Daneben kommt noch die Ver­ bindung Markt-Moselhafen über die Dietrichstraße in Betracht. Der hochmittelalter­ liche Ausbau erfolgte vor allem in dem Gebiet zwischen den beiden Hauptverkehrsadern Brot- bzw. Neustraße und Fleisch- bzw. Brückenstraße. Auch das Viertel im Norden der Domburg und im Osten der Simeonstraße wird damals besiedelt worden sein, wahr­ scheinlich von niederländischen Einwanderern. Es hat auch lange Zeit hinaus den Namen » in Vlandern « beibehalten]03, Mit einem Flächeninhalt von etwa 125 Hektar erreichte das mittelalterliche Trier nicht einmal die Hälfte der römischen Stadt. Sein Mauerzug war so weit gespannt, daß es keiner Erweiterung mehr bedurfte. Noch in der Mitte des 19. Jahrhunderts hatte es auch nicht annähernd die umschlossene Fläche ausgefüllt.

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H. Horstmann, Die Trierer Stadtsiegel und die Anfänge der Trierer Selbstverwaltung, Rhein. Verein f. Denkmalpflege u. Heimatschutz, Jahrg. 1952, S. 90. H. Beenken, Romanische Skulptur in Deutschland, Leipzig 1924, S.202f. - Abbildungen des Neutores vor dem Abbruch 1877: Trierische Heimat 8, 1931/32, S. 42, u. Kentenich, Alt­ Trier, Abb. 54. - Horstmann, Trierer Stadtsiegel, S.87 u. 90. - Richard Laufer, Triers Rin­ gen um die Stadtherrschaft vom Anfang d. 12. bis zum ausgehenden 16. Jahrhundert, Rhein. Verein f. Denkmalpflege u. Heimatschutz, Jahrg. 1952, S. 151 ff. Erzbischof Arnold II. (1242-1259) nahm wegen Streitigkeiten mit den Herrn von der Brücke in den Barbarathermen die Mauer zurück. - Alt-Tor: Krencker- Krüger, Kaiserthermen, S.9ff., Abb. 8-11. - Kastilport: R. Brauweiler, Ein verschollenes mittelalterliches Tor in der Stadtmauer zu Trier, Trierische Chronik, NF. III, 1906, S. 26. W. Schäfer, Der Stadtteil »in Vlandern« zu Trier, Trierische Chronik, NF. IV, 1908, S. 150 ff. u. 166ff. Die heutige Flandernstraße ist aber nicht mit der hochmittelalterlichen gleichzu­ setzen.

WÜRZBURG

(Abbildungen 27 u. 28, Tafeln 15 u. 16)

Wer von der Festung Marienberg auf das Stadtbild zu Füßen herabblickt, das trotz der entsetzlichen Zerstörung von 1945 seine feste Ordnung bewahrt hat, dem drängt sich von selbst die Frage auf nach den geographischen und historischen Voraussetzungen seiner Entstehung'. Noch zu Beginn unserer Zeitrechnung war die Maintalebene an 1

Es fehlt eine erschöpfende Stadtgeschichte Würzburgs im Mittelalter. Sie kann solange nicht geschrieben werden, als die Urkunden nicht ausreichend ediert sind (Mon. Boica, Bd. 57-46). Ein neueres Urkundenbuch liegt nur für das Stephanskloster vor (bearb. v. Fr.J. Bendel, Fr. Heidingsfelder und M. Kaufmann, 1.Bd., Leipzig 1912, bisher 3 Bde.) und W. Engel, Urkundenregesten zur Geschichte der Stadt Würzburg, Würzburg (1948), Quellen u. Forschgn. z. Gesch. d. Bistums u. Hochstifts Würzburg Bd. V sowie W. Engel, Würzburger Urkundenregesten vor dem Jahre 1400, Würzburg (1958). Für die mittelalterliche Topo­ graphie der Stadt ist man daher auf eine Vielzahl kleinerer Abhandlungen angewiesen, die alte Vermutungen, Fälschungen und Irrtümer weiterschleppen. Nur die wichtigsten davon können hier aufgeführt werden: Jos. Ant. Oegg, Entwicklungsgeschichte der Stadt Würzburg, hgb. v. Aug. Schäffler, Würzburg 1880 (Das Material wurde bereits 1806-8 ge­ sammelt). - Hans Ring, Würzburgs Werdegang, Würzb. 1914 (Einzelveröffentlichung der Einleitung d. Verf. zum Inventarband). - Theodor Memminger, Würzburgs Straßen und Bauten?, Würzb. 1921. - Rich. Sedlmaier, Gesch. Aufbau d. Würzb. Stadtbildes, Tag für Denkmalspflege und Heimatschutz 1928, Berlin 1929, S. 13 ff. - Franz Seberich, Entwicklung der Siedlung Würzburg bis zum Ausgang des Mittelalters, Würzb. statistische Mitteilungen 2, 1938, S.1 ff. - Kieser, Das Stadtbild von Würzburg, Würzburger Universitäts-Almanach 1935/36, Würzb. 1935, S. 54 ff. - A. Bechtold, Beiträge zur Topographie des alten Würzburg, Archiv des Hist. Vereins f. Ufr. 68, 1929, S. 221 ff. Am eingehendsten erforschte man in den letzten Jahrzehnten die Frühgeschichte der Stadt, die nach Paul Schöffels grundlegenden Untersuchungen (Herbipolis Sacra, Würzb. 1948) von Karl Dinklage ausführlich behandelt wurde (Würzburg im Frühmittelalter, Fränkische Heimatkunde 3, Würzb. 1951, S.63 ff.). Im gleichen Bändchen auch ein Überblick über die Vorgeschichte des Ortes: Paul Endrich, Ur- und Frühgeschichte von Würzb. u. seiner näch­ sten Umgebung, 5. 7 ff. Die topographische Entwicklung bis zum Ende der Karolinger kann damit im wesentlichen als geklärt betrachtet werden, während für das 11. und 12. Jahr­ hundert kritische Untersuchungen weitgehend fehlen. Wichtig für die Veränderungen im Barock: Max H. v. Freeden, Balthasar Neumann als Stadtbaumeister, Berlin 1937. Die ein­ schneidenden Durchbrüche und Niederlegungen des 19. Jahrhunderts verzeichnet Hanna­ Katarina Heymann, geb. Heuser, Studien zur städtebaulichen Entwicklung Würzburgs im 19. Jahrhundert, Würzb. Diss. 1941. Inventarband von Felix Mader, Stadt Würzburg, Mün­ chen 1915 (Die Kunstdenkmäler v. Unterfranken u. Aschaffenburg XII). Die jüngste Darstellung der Entstehung Würzburgs von Karl Withold, Die frühgeschicht­ liche Entwicklung des Würzburger Stadtplans, Studien zu den Anfängen des europäischen Städtewesens, Lindau-Konstanz (1958), S. 363ff. stieß auf Widersprüche, vgl. die Be­ sprechungen von Alfred Wendehorst, Würzburger Diözesangeschichtsblätter 20, 1958, S. 203 ff. und W. Engel, F. Seberich u. A. Mayer, Mainlande 9, 1958, S. 37 ff. Die Annahme fränkischer und karolingischer castella um die Domimmunität auf Grund hoch- und spät­ mittelalterlicher Hausnamen ist methodisch unhaltbar, abgesehen von zahlreichen philolo­ gischen Bedenken.

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Stelle der späteren Altstadt weit weniger ausgeglichen als heute. Die Hand des Menschen mußte helfend eingreifen, um das Gelände zur Besiedelung vorzubereiten. Vom Galgen­ berg her im Osten des etwa 5 km langen und 3 km breiten Talkessels schiebt sich ein flacher Ausläufer über den späteren Residenzplatz zum Dom vor. Südlich davon reicht eine ähnliche Zunge bis zum Stephanskloster. Im Norden streicht ein Ausläufer des Schalksberges beim heutigen Bahnhof herein. Von dem einst wesentlich breiteren Fluß­ bett des Mains erstreckten sich zwischen den Terrassenzungen sumpfige Niederungen bis weit in das heutige Stadtinnere hin. Grabungen auf dem Gebiet des Marktes bei der Marienkapelle, in der Einhornstraße und Domstraße ergaben, daß hier noch im Mittel­ alter der Untergrund sumpfig war. Für Siedlungszwecke kam das rechte Mainufer bis zum Dom hin in vorgeschichtlicher Zeit nicht in Frage. Auf der linken Mainseite reicht der fast auf allen Seiten steil abfallende Riegel des Marienberges dicht an das Ufer heran?. Die glänzende, natürliche Verteidigungslage des bis zu 100 m über den Flußspiegel ansteigenden Hügels lenkte schon früh die Aufmerk­ samkeit des Menschen auf sich. Siedlungsfunde aus der Latene-Zeit kamen an seinem Südabhang ans Tageslicht (Kühbachgrund). Seit etwa 10oo v. Chr. trug der Hügelrücken eine Höhenbefestigung und Fluchtburg*. Gerade dem Bergfuß gegenüber tritt der hoch­ wasserfreie Talboden verhältnismäßig nahe an das Flußufer heran (Domgebiet) und er­ möglicht einen günstigen Übergang, ohne auf längere Strecke das Sumpfgebiet durch­ queren zu müssen. Ein solch glückliches Zusammentreffen von Talkessel, Fußübergang und Verteidigungsmöglichkeit findet sich am mittleren Mainufer nicht wieder. Wichtige, großenteils vorgeschichtliche Straßen überquerten hier den Main. Der Weg von Aschaffenburg und Wertheim her stieg auf der Nordseite des Marienberges in das Tal herab, betrat beim Zeller Tor das spätere Stadtgebiet und führte über die Eichhorn­ straße und das Hauger Tor weiter nach Schweinfurt, Bamberg oder Nürnberg. Beim Zeller Tor mündete auch eine Straße aus dem Taubertal. Durch die Sander- und Augustiner­ straße lief ein Weg von Ansbach und Ochsenfurt her auf den Mainübergang zu. Durch das Pleichacher Tor verließ, dem Main entlang weiterziehend, die Straße nach Karlstadt, Gemünden und Fulda das Stadtgebiet. Die wichtigste Handelsstraße aber bildete der schiffbare Main selbst, welcher die kürzeste und beguernste Verbindung mit den rheini­ schen und niederländischen Handelsstädten ermöglichte*. Eine Quelle des anonymen Geographen von Ravenna kennt um 500 n. Chr. einen Ort » Uburzis « als festen Ort der Alamannen. Es ist durchaus glaubhaft, daß mit diesem Namen Würzburg gemeint ist". Nach dem Siege über die Alamannen bei Zülpich (496) und über die Thüringer bei Burgscheidungen (551) besetzten die Franken das ganze Seberich, S. 2. - Dinklage, S. 65. 3 Endrich, S.19, 21, 28, 50, 37,54. - Georg Hock, Zur Vorgeschichte Würzburgs, Jubiläums­ Ausgabe des Würzb. General-Anzeigers vom 27. 5. 1935, S.65f. - Max H. v. Freeden, Festung Marienberg, Würzb. 1952 (Mainfränkische Heimatkunde 5), S. 10. 4 Karl Schumacher, Siedlungs- u. Kulturgesch. d. Rheinlande, Bd. III, Mainz 1925, Taf. 15 (Frühmittelalterliches Straßennetz des Maingebietes). - Seberich, S.2. - Hermann Hoff­ mann, Würzburgs Handel und Gewerbe im Mittelalter, Würzb. Diss. 1938, S.120ff, u. 176 f. 5J. Schnetz, Archiv d. Hist. Ver. f. Unterfranken 60, 1918. - Endrich, S. 46. - Dinklage, S. 67. 2

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Abb. 27. Würzburg im 11. Jahrhundert

1 Dom 2 Neumünster 3 St. Martin 4 Bischofshof 5 St. Peter u. Paul (später St. Stephan)

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6 Stift Haug 7 St. Andreas-Kloster 8 St. Burkard 9 Marienkirche auf der Würzburg

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Stelle der späteren Altstadt weit weniger ausgeglichen als heute. Die Hand des Menschen mußte helfend eingreifen, um das Gelände zur Besiedelung vorzubereiten. Vom Galgen­ berg her im Osten des etwa 5 km langen und 3 km breiten Talkessels schiebt sich ein flacher Ausläufer über den späteren Residenzplatz zum Dom vor. Südlich davon reicht eine ähnliche Zunge bis zum Stephanskloster. Im Norden streicht ein Ausläufer des Schalksberges beim heutigen Bahnhof herein. Von dem einst wesentlich breiteren Fluß­ bett des Mains erstreckten sich zwischen den Terrassenzungen sumpfige Niederungen bis weit in das heutige Stadtinnere hin. Grabungen auf dem Gebiet des Marktes bei der Marienkapelle, in der Einhornstraße und Domstraße ergaben, daß hier noch im Mittel­ alter der Untergrund sumpfig war. Für Siedlungszwecke kam das rechte Mainufer bis zum Dom hin in vorgeschichtlicher Zeit nicht in Frage. Auf der linken Mainseite reicht der fast auf allen Seiten steil abfallende Riegel des Marienberges dicht an das Ufer heran?. Die glänzende, natürliche Verteidigungslage des bis zu 100 m über den Flußspiegel ansteigenden Hügels lenkte schon früh die Aufmerk­ samkeit des Menschen auf sich. Siedlungsfunde aus der Latene-Zeit kamen an seinem Südabhang ans Tageslicht (Kühbachgrund). Seit etwa 10oo v. Chr. trug der Hügelrücken eine Höhenbefestigung und Fluchtburg*. Gerade dem Bergfuß gegenüber tritt der hoch­ wasserfreie Talboden verhältnismäßig nahe an das Flußufer heran (Domgebiet) und er­ möglicht einen günstigen Übergang, ohne auf längere Strecke das Sumpfgebiet durch­ queren zu müssen. Ein solch glückliches Zusammentreffen von Talkessel, Fußübergang und Verteidigungsmöglichkeit findet sich am mittleren Mainufer nicht wieder. Wichtige, großenteils vorgeschichtliche Straßen überquerten hier den Main. Der Weg von Aschaffenburg und Wertheim her stieg auf der Nordseite des Marienberges in das Tal herab, betrat beim Zeller Tor das spätere Stadtgebiet und führte über die Eichhorn­ straße und das Hauger Tor weiter nach Schweinfurt, Bamberg oder Nürnberg. Beim Zeller Tor mündete auch eine Straße aus dem Taubertal. Durch die Sander- und Augustiner­ straße lief ein Weg von Ansbach und Ochsenfurt her auf den Mainübergang zu. Durch das Pleichacher Tor verließ, dem Main entlang weiterziehend, die Straße nach Karlstadt, Gemünden und Fulda das Stadtgebiet. Die wichtigste Handelsstraße aber bildete der schiffbare Main selbst, welcher die kürzeste und beguernste Verbindung mit den rheini­ schen und niederländischen Handelsstädten ermöglichte*. Eine Quelle des anonymen Geographen von Ravenna kennt um 500 n. Chr. einen Ort » Uburzis « als festen Ort der Alamannen. Es ist durchaus glaubhaft, daß mit diesem Namen Würzburg gemeint ist". Nach dem Siege über die Alamannen bei Zülpich (496) und über die Thüringer bei Burgscheidungen (551) besetzten die Franken das ganze Seberich, S. 2. - Dinklage, S. 65. 3 Endrich, S.19, 21, 28, 50, 37,54. - Georg Hock, Zur Vorgeschichte Würzburgs, Jubiläums­ Ausgabe des Würzb. General-Anzeigers vom 27. 5. 1935, S.65f. - Max H. v. Freeden, Festung Marienberg, Würzb. 1952 (Mainfränkische Heimatkunde 5), S. 10. 4 Karl Schumacher, Siedlungs- u. Kulturgesch. d. Rheinlande, Bd. III, Mainz 1925, Taf. 15 (Frühmittelalterliches Straßennetz des Maingebietes). - Seberich, S.2. - Hermann Hoff­ mann, Würzburgs Handel und Gewerbe im Mittelalter, Würzb. Diss. 1938, S.120ff, u. 176 f. 5J. Schnetz, Archiv d. Hist. Ver. f. Unterfranken 60, 1918. - Endrich, S. 46. - Dinklage, S. 67. 2

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1 Dom 2 Neumünster 3 St. Martin 4 Bischofshof 5 St. Peter u. Paul (später St. Stephan)

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Maingebiet. » Der militärische und Verwaltungsmittelpunkt der fränkischen Herrschaft im Maindreieck wurde selbstverständlich die Würz-Burg auf dem linken Mainufer«®. Mindestens seit dem 7. Jahrhundert lag im Maintal der Herzogshof, eine fränkische Curtis, als Sitz des Herzogs von Ostfranken, während die Befestigung auf dem Berge wohl nur als Fluchtburg in Zeiten der Gefahr diente. Der Ort des Hofes ist uns durch einen besonderen Umstand bekannt. Um 686/7 kamen die iroschottischen Glaubens­ boten Kilian, Kolonat und Totnan nach Würzburg. Wenige Jahre darauf erlitten hier der Heilige und seine Begleiter den Marter­ tod. Über ihrer Begräbnisstätte ließ die Herzogin Gailana einen Pferdestall bauen, der nur zum Saalhof selbst gehört haben kann. Einer frühen Tradition zufolge errichtete man das Neumünster über dem ersten Bestattungsort der Glaubensboten7. Die frän­ kische Curtis stand also gerade am Rande des überschwemmungsfreien Geländes, um dem Flußübergang möglichst nahe zu bleiben. Man wird sie zwischen Kürschnerhof und Herrengasse wohl einschließlich des Domgeländes zu suchen haben. Am Südrand der Siedlung lag ein kleiner Reihengräberfriedhof (Funde in der Bibrastraße), ebenso im Norden, wo wahrscheinlich fränkische Gräber an der Kreuzung von Eichhorn- und Schönbornstraße aufgedeckt wurden8. Die Christianisierung des Frankenlandes schritt trotz der Ermordung der Glaubens­ boten voran. Der Tradition nach errichtete 704 oder 706 Herzog Hetan II. eine Marien­ kirche in der Bergbefestigung als Urpfarrkirche des Zentsprengels im linksmainischen Waldsassengau, der bis zum Main reichte. Bei den Grabungen kurz vor dem letzten Kriege fand sich im Fundament noch der Chor des wohlbekannten Rundbaues, eine dreischiffige Hallenkrypta, die mit dem Zentralbau im Verband steht, also gleichzeitig entstanden ist. Der Bautypus der Rotunde mit inneren Nischen in der Mauerstärke geht auf spätantike Vorbilder wie etwa S. Giovanni in Fonte in Ravenna zurück. Die entwickelte Form der Krypta aber, die in Deutschland nicht vor dem 9. Jahrhundert auftritt, läßt sich schwer­ lich mit dem Gründungsdatum vereinbaren; sie wird der Karolingerzeit angehören9. Endrich, S.48. - von Freeden, Marienberg, S. 14: wahrscheinlich Diana = Hulda - Kult. 7 Passio Maior, die noch im 9. Jahrhundert entstand: MG SS rer. Mer. V, S. 726 ff. - Andreas Bigelmair, Die Passio des hl. Kilian und seiner Gefährten. Würzb. Diözesangeschbll. 14/15, 1952/55, S.1 ff. u. 16/17, 1954/55, S. 104 ff. 8 Endrich, S. 50 f. - Dinklage, S. 110 f. - Von einer Siedlungsverlagerung vom linksmainischen castellum zur rechtsmainischen curtis zu sprechen (Withold S. 365 ff.), heißt den Tatbestand doch allzusehr zu pressen. 9 Bernhard H. Röttger, St. Maria auf der Wirziburg, Würzburger Diözesangeschichtsblätter 11/12, 1949/50, S.5 ff., tritt für Datierung ins frühe 8. Jahrhundert ein. Vgl. aber die Hallen­ krypten zu Füssen (St.Mang), Rosstal bei Nürnberg, Oberzell auf der Reichenau, die nicht über die Mitte des 9. Jahrhunderts zurückreichen (H. Buschow, Studien über die Entwick­ lung der Krypten im deutschen Sprachgebiet, Würzb. 1934, S.18, 25,26). Zur Ableitung und Deutung des Bautypus: Rich. Krautheimer, Sancta Maria Rotunda, Arte del Primo Millennio, Atti del II° convegno per lo studio dell' arte dell' alto medio evo, Pavia 1950, S. 21 ff. Es könnte sich auch um eine Taufgedächtniskirche handeln wie in Altötting, vgl. v. Freeden, Marienberg, S. 18, der sich der Datierung Röttgers anschließt und gute Gründe gegen eine Ansetzung in das 12. Jahrhundert beibringt. Das Datum 706 überliefert das erst 1340 zusammengestellte Chronicon Wirzeburgense (Joh. Georg Eckhart, Francia Orien­ talis I, S.816). Kurt Gerstenberg, Die Kirche auf dem Marienberg zu Würzburg, Würzb. Diözesangeschbll. 14/15, 1952/55, S.91 ff. datiert die Krypta in spätottonische Zeit, den Rundbau Anf. 8. Jh. Ihm entgegnete B. H.Röttger, Neues von der mittelalterlichen Baukunst Frankens, Mainfränkisches Jahrbuch 4, 1952, S. 516 ff. 6

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Noch im 14. Jahrhundert betont man, daß die Marienkirche »eine Pfarrkapelle mit eigener Taufstätte und eigenem Friedhof, den Kennzeichen einer mittelalterlichen Pfarr­ kirche, sei «10 Als der hl. Bonifatius 741 in Würzburg ein Bistum errichtete, » stattete es der Haus­ meier Karlmann gleich bei der Gründung mit reichlichen Einkünften aus dem könig­ lichen Fiskus und mit einer ganzen Reihe von königlichen Eigenkirchen aus. Als erste unter diesen übergab er ihm die Marienkirche innerhalb der Burg Würzburg mit ihrem Zubehör, > basilicam infra praedictum castrum (sc. Uuirziburg) in honore sanctae Mariae constructam cum adiacentiis suis basilicam infra praedictum castrum (sc. Uuirziburg) in honore sanctae Mariae constructam cum adiacentiis suis

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Abb. 32. Bamberg. Nach dem Katasterplan von 1822

Dom u. Karolinenplatz St. Michael St. Stephan St. Marien (Obere Pfarre) St. Gangolf in Theuerstadt St. Jakob Jakobstor Erzbischöfl. Palais Nördl. Burgtor Bischofshof (Alte Hofhaltung) Pfistertörchen St. Getreu

13 Ägidienspita

14 ehem. Standort von St. Martin 15 Burgershof

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Kaulberg Untere Karolinenstraße Obere Karolinenstraße Aufseßstraße Michaelsbergerstraße Maternstraße Vorderer Bach Roppeltsgäßchen J Sand

K L M N O P Q

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Kapuzinerstraße Kranich Grüner Markt Obstmarkt Langgasse Hauptwachstraße Maximiliansplatz m. Katharinenspital auf der Südseite Keßlerstraße Zwerggäßchen Steinweg Austraße Theresienplatz (Katzenberg)

Wäre die Kapelle dem hl. Georg geweiht gewesen, so würde der über ihr errichtete Chor doch wohl dem gleichen Heiligen gewidmet worden sein14. Die Pfalz Heinrichs lag neben der Kapelle an der Stelle des späteren Bischofshofes (Alte Hofhaltung), fast in der Mitte der Befestigung mit der Front zum Nordtor. Zu Füßen der Burg am Kaulberg längs des Würzburger Weges darf man seit frän­ kischer oder karolingischer Zeit eine Siedlung mit einer Marienkirche annehmen. In ihr sollen die Babenberger Grafen bestattet worden sein, berichtet ein Chronist des 17. Jahr­ hunderts. Zwar wird erst unter Bischof Egilbert (1139-1146) diese Marienkirche, die heutige Obere Pfarre, urkundlich erwähnt als »parochia S.Maria bamb.« (1144)'. Der Grundbesitz der späteren Stiftungen im Norden und Süden muß aber auf die Feldflur der Kaulbergsiedlung Rücksicht nehmen, deren Boden an das Domkapitel kam16. Hier bot sich auf hochwasserfreiem Gelände die Möglichkeit, ein Dorf mit Feldflur dicht dabei anzulegen. Das Patrozinium der Martinskirche unten im Überschwemmungsgebiet der Regnitz (auf dem heutigen Maximiliansplatz) hat oft dazu verführt, dort die Hörigen­ siedlung anzunehmen. Aber die Lage in der sumpfigen Flußebene, das Fehlen einer Feldflur und die späte urkundliche Erwähnung (erst 1194 anläßlich einer Kerzenspende eines Kanonikers von St. Gangolf) erlauben nicht, die Gründung von St. Martin über das 12. Jahrhundert hinaufzurücken. Neuerdings wurde mit guten Gründen vermutet, daß St. Martin erst zwischen 1265 und 1268 Pfarrechte erhielt'. Als König Berengar 966 als Verbannter auf der Burg Bamberg starb, wurde er auch in dem Orte bestattet. Dies setzt aber das Bestehen einer Kirche voraus!®, »Nachdem Heinrich II. die Königswürde erlangt hatte, begann er in Bamberg mit dem Bau einer neuen Kirche mit zwei Krypten in der stillen Absicht, dort ein Bistum zu errichten«, erzählt Thietmar von Merseburg". Mit der »nova aecclesia« ist der Dom St. Peter und St. Georg gemeint, der sich an der Stelle des heutigen spätromanischen Baues erhob. Die Fundamente des ottonischen Domes, dessen Achse leicht von dem späteren Bau abwich, sind zum Teil ergraben?°, Merkwürdigerweise ist der Bamberger 14 15

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v.Guttenberg, Reg.-Nr. 15, S. 10. Heinrich Mayer, Die Obere Pfarrkirche zu Bamberg, Bamberger Hefte Nr. 10/11. Bamberg 1929, S. 4. - v.Reitzenstein, Baugeschichte, S. 113. Neuerdings wird der grundherrschaftliche Fronhof auch auf dem Stephansberg angenommen: Hermann Nottarp, Bambergs Stadt­ entwicklung in rechtsgeschichtlicher Sicht, Monumentum Bambergense, Festgabe f. Benedikt Kraft, München 1953 (Bamberger Abhandlungen und Forschungen 5), S. 71 und Ludwig Fischer, Studien um Bamberg und Kaiser Heinrich II., Bamberg 1954 (Kleine allgemeine Schriften hgb. v. B. Kraft, Gesch. Reihe 9), S. 12. Keineswegs darf diese Fronhof-Siedlung aber mit der »civitas Papinberc« und der ältesten Marktsiedlung gleichgesetzt werden. Die civitas ist mit dem castrum identisch, die Marktsiedlung lag sicher nicht auf dem Stephans­ berg (vgl. weiter unten). v. Guttenberg, Territorienbildung, S. 92. - Neukam, S. 202: »Die zeitlich nicht viel später entstandenen Stifter St. Jakob und St. Stephan führen ihr Gebiet in weitem Bogen um den Kaulberg, und dieser schiebt sich wie ein Keil in ihr Herrschaftsgebiet ein.« M. Hofmann, Vom Wachstum, S. 24. - Ferd. Geldner, Zur älteren Geschichte u. Topographie d. Stadt Bamberg, Fränkische Blätter f. Landesforsch. u. Heimatpflege 4, 1952, Nr. 11, S. 42 ff. v. Guttenberg, Reg.-Nr. 6, S. 7. Ebenda, Nr. 15, S.9: »Postquam ... ad regni curam ... promovetur, semper tacita mente ibidem episcopatum construere gestit ... novam ibi inchoat aecclesiam cum criptis duabus.« Thietmar VI, 50. ed. R. Holtzmann, S. 511. Literaturzusammenstellung bei Edgar Lehmann, Der frühe deutsche Kirchenbau, Berlin 1938, S. 107.

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Abb. 32. Bamberg. Nach dem Katasterplan von 1822

Dom u. Karolinenplatz St. Michael St. Stephan St. Marien (Obere Pfarre) St. Gangolf in Theuerstadt St. Jakob Jakobstor Erzbischöfl. Palais Nördl. Burgtor Bischofshof (Alte Hofhaltung) Pfistertörchen St. Getreu

13 Ägidienspita

14 ehem. Standort von St. Martin 15 Burgershof

A B C D E F G H

Kaulberg Untere Karolinenstraße Obere Karolinenstraße Aufseßstraße Michaelsbergerstraße Maternstraße Vorderer Bach Roppeltsgäßchen J Sand

K L M N O P Q

R S T U V

Kapuzinerstraße Kranich Grüner Markt Obstmarkt Langgasse Hauptwachstraße Maximiliansplatz m. Katharinenspital auf der Südseite Keßlerstraße Zwerggäßchen Steinweg Austraße Theresienplatz (Katzenberg)

Dom nicht geostet. Seine Mittelachse verläuft von Nordosten nach Südwesten. Schuld daran tragen die Platzverhältnisse. Für Dom und Stiftsgebäude stand nur die Südostecke des castrums zur Verfügung, wenn man die neue Kirche über der Burgkapelle errichten wollte, deren Fundamente sich unter dem Peterschor fanden. Die Südecke des Stifts­ gebäudes mußte sogar die ursprüngliche Südgrenze der Burg durchstoßen, wie man aus dem Stadtplan ersieht. Ursprünglich verlief die Begrenzungslinie sicher in einem Zuge von der Ostspitze bis St. Jakob durch. Der beschränkte Raum im Osten der Pfalz gab aber Anlaß zu einer glänzenden städtebaulichen Lösung. Die Achse des Domes kam so zu liegen, daß sie zur Richtung des Regnitztales senkrecht stand. Der Bau wendet damit seine Ostfront dem Tale zu. Hier war eine Grundrichtung angeschlagen, welche die Folgenden Kirchenstiftungen aufnehmen und steigern konnten?+, Mit der Erhebung zum Bischofssitz (1007) waren diese unumgänglich geworden. Heinrich und Kunigunde stifteten ihren Bamberger Besitz der Kirche, da ihre Ehe kinderlos geblieben war, »ut et paganismus Sclavorum destrueretur et christiani nominis memoria perpetualiter inibi celebris haberetur«?', 1012 schon wird der Dom geweiht. Daß vor der Bistumsgründung ein Georgenstift von Heinrich errichtet worden sei, läßt sich nicht belegen??. »Wahrhaft ein Reichsdom war entstanden, dessen Bestimmung nicht allein die einer Episcopalkirche sein konnte, sondern dem größere Aufgaben zugedacht waren. Wie Kaisertum und Papsttum in den Patrozinien des Domes (St. Georg und St. Petrus) sym­ bolisch ihren Ausdruck fanden und die zwei herrschenden Gewalten des mittelalter­ lichen Reiches im Dom zu Bamberg ihren Sitz hatten, so sollte auch real in den Mauern des Reichsdoms Kaiser und Papst nebeneinander stehen und auf deutschem Boden, nicht mehr in Rom, die Einheit des sacrum imperium bezeugen«??+, Man darf wohl annehmen, daß Heinrichs II. Pläne darauf hinausliefen, Bamberg zu einer Art Residenz zu erheben. Gleichzeitig mit dem Domstift oder nur kurz hinterher erfolgte die Gründung des Kanonikerstiftes St. Stephan. Eine Schenkung Heinrichs II. im Jahre 1009 setzt sein Be­ stehen voraus. »In meridiana parte quoque civitatis monasterium in honore s. Stephani protomartyris sub ordine canonico construens (Heinrich II.).« Es wurde wohl als bischöf­ liches Eigenstift errichtet, möglicherweise anfänglich als Doppelstift für beide Geschlech­ ter23. Die Kirche war vermutlich ein Zentralbau über griechischem Kreuz. Sie liegt jen­ seits der Kaulbergsenke auf dem Stephansberg, etwas niedriger als die Domburg. Ihre Achse läuft mit der des Domes parallel.

Möglicherweise wurde die Domachse durch die Richtung des Palas mitbestimmt, der viel­ leicht einige Jahre früher erbaut wurde. Vgl. Heinrich Mayer, Bamberger Residenzen, Mün­ chen 1951, S. 15. - Ähnlich Ament, Burg, S. 71 ff. (vgl. Zitat Anm. 35). 21 v. Guttenberg, Reg.-Nr. 54, S. 20, mit ausführlicher Besprechung der Gründe, die zur Errich­ tung des Bistums führten. - Theodor Mayer, Die Anfänge des Bistums Bamberg, Festschrift E. E. Stengel, München-Köln 1952, S. 272 ff. 22 v. Guttenberg, Reg.-Nr. 35, S. 22. 22 Renate Klauser, Der Heinrichs- und Kunigundenkult im mittelalterlichen Bistum Bamberg, Bamberg 1957, S.44 ( 95.Bericht d.Hist. Vereins 1957). - Vgl. auch Johannes Kist, Fürst­ und Erzbistum Bamberg, Bamberg 1958 (- 92. Bericht d.Hist. Vereins, Beiheft 1), 5. 4. 23 v. Guttenberg, Reg.-Nr. 73, S. 57f. Das Zitat aus der Chronik des Frutolf (um 1100). v. Guttenberg, Territorienbildung, S. 54 ff., hält die Gründungslegende des Stiftes durch die Königin Kunigunde für eine Fälschung des 12. Jhs., um sich der eigenkirchlichen Gewalt des Bischofs zu entziehen. - F. Geldner (a.a.O. S. 37) betont dagegen den bedeutenden Anteil der Kaiserin. 20a

Im Norden der »Burg«, wie noch bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts die Domimmunität genannt wurde, erhob sich seit 1015 wohl ebenfalls als bischöfliches Eigenkloster die Benediktinerabtei St. Michael, »ex altera vero (sc. parte civitatis) hoc est aquilonari, aliud monasterium sub monachili regula in honore s. Michaelis archangeli sanctique Benedicti abbatis constituens«. Die Weihe der Kirche erfolgte 1021?*. Sie liegt auf dem höchsten Punkt des Michaelsberges und überragt noch die Domburg. Ihre Achse hält sich stärker an die Ostrichtung als die der Bischofskirche, kann aber immer noch als annähernd parallel zu ihr aufgefaßt werden. Damit war für Bamberg eine städtebaulich höchst eindrucksvolle Reihe von vier zum Teil bedeutenden Kirchenbauten festgelegt (einschließlich der Oberen Pfarre). Jede Kirche krönt eine Bodenerhebung und wendet sich mit der Ostfront zur Regnitz, ob­ gleich hierdurch die reine Ostrichtung verlassen werden mußte. Hätte man sie eingehal­ ten, so würden alle Kirchen schräg zur Talrichtung stehen. Da die Bodenverhältnisse durchwegs diese Stellung ermöglicht hätten, darf man dem Verzicht auf die Ostung eine künstlerische Absicht unterlegen, nachdem die Achse des Domes festgelegt war. Man hat so eine straffe architektonische Gliederung des Hügelgeländes erreicht. Da die Kirchenbauten in Ansichtsrichtung nur mit der Schmalseite erscheinen, geben sie die entscheidenden Akzente in der Senkrechten ab. Ihre Wirkung wird von den Turm­ gruppen unterstrichen. Auf einer Breite von 850 m entfaltet sich die Ansichtsseite des Ortes. Der Dom nimmt fast genau die Mitte ein (vom Dom nach St. Michael 500 m, nach St. Stephan 550 m in der Luftlinie). So lag Bamberg Papst Benedikt VIII. vor Augen, als er am Gründonnerstag 102o dort feierlich einzog. Vier Chöre empfingen ihn. Der erste stand jenseits des Flusses (in ulteriori fluminis ripa), der zweite diesseits an der Brücke (supra pontem alter in altera). Der dritte Chor befand sich vor dem Tor der Domburg (ante urbis ostium); der vierte hatte seinen Platz in dem Vorhof des Domes selbst (ante aecclesiam in atrio)?°, In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts traten noch zwei Kirchengründungen hinzu, die nun auch die Tiefenachse des Ortes festlegten. Jenseits der Regnitz entstand unter Bischof Gunther (1057-1065) das Kollegiatstift St. Gangolf zwischen 1057 und 1059; denn im Jahre 1059 wird bereits der Stiftsdekan Adalbert genannt?®. Es liegt in Theuerstadt, einer wohl in vorkarolingische Zeit hinaufreichenden, zeitweise slawischen Siedlung. Sie wurde immer zu Bamberg gerechnet, obwohl sie 1400 m in der Luftlinie von St. Michael entfernt ist. Bischof Otto I. (1102-1159) hat im frühen 12. Jahrhundert den Kirchenbau vollendet. Vor dem Westtore der Domburg (extra urbem versus occidentem) errichtete Bischof Hermann 1071/72 das Kanonikatstift St. Jakob auf eigene Kosten. Bischof Otto I. voll­ endete die Gründung und erhielt sie durch neue reiche Schenkungen am Leben?7, »Sic locus Babenbergensis aecclesiis et patrociniis sanctorum modum crucis undique munitus«, 24 25

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v.Guttenberg, Reg.-Nr. 119, S. 58 f. und Nr. 166, S.78. Ebenda, Nr. 155, S.73 f. v. Guttenberg, Territorienbildung, S. 99. - Neukam, S. 278 f. - v. Guttenberg, Reg. Nr. 285, S. 130/51 und Nr. 512, S. 144/45: »Das ursprüngliche Sekundärpatrozinium St. Gangolf ver­ drängt in der Bezeichnung des Stiftes erst seit dem 14. Jh. das Hauptpatrozinium St. Maria.« v. Guttenberg, Territorienbildung, S. 100. - v. Guttenberg, Reg.-Nr. 421, S. 214. Die Jahreszahl 1072 nennt eine Altarinschrift als Weihejahr der Krypta. 177

Dom nicht geostet. Seine Mittelachse verläuft von Nordosten nach Südwesten. Schuld daran tragen die Platzverhältnisse. Für Dom und Stiftsgebäude stand nur die Südostecke des castrums zur Verfügung, wenn man die neue Kirche über der Burgkapelle errichten wollte, deren Fundamente sich unter dem Peterschor fanden. Die Südecke des Stifts­ gebäudes mußte sogar die ursprüngliche Südgrenze der Burg durchstoßen, wie man aus dem Stadtplan ersieht. Ursprünglich verlief die Begrenzungslinie sicher in einem Zuge von der Ostspitze bis St. Jakob durch. Der beschränkte Raum im Osten der Pfalz gab aber Anlaß zu einer glänzenden städtebaulichen Lösung. Die Achse des Domes kam so zu liegen, daß sie zur Richtung des Regnitztales senkrecht stand. Der Bau wendet damit seine Ostfront dem Tale zu. Hier war eine Grundrichtung angeschlagen, welche die Folgenden Kirchenstiftungen aufnehmen und steigern konnten?+, Mit der Erhebung zum Bischofssitz (1007) waren diese unumgänglich geworden. Heinrich und Kunigunde stifteten ihren Bamberger Besitz der Kirche, da ihre Ehe kinderlos geblieben war, »ut et paganismus Sclavorum destrueretur et christiani nominis memoria perpetualiter inibi celebris haberetur«?', 1012 schon wird der Dom geweiht. Daß vor der Bistumsgründung ein Georgenstift von Heinrich errichtet worden sei, läßt sich nicht belegen??. »Wahrhaft ein Reichsdom war entstanden, dessen Bestimmung nicht allein die einer Episcopalkirche sein konnte, sondern dem größere Aufgaben zugedacht waren. Wie Kaisertum und Papsttum in den Patrozinien des Domes (St. Georg und St. Petrus) sym­ bolisch ihren Ausdruck fanden und die zwei herrschenden Gewalten des mittelalter­ lichen Reiches im Dom zu Bamberg ihren Sitz hatten, so sollte auch real in den Mauern des Reichsdoms Kaiser und Papst nebeneinander stehen und auf deutschem Boden, nicht mehr in Rom, die Einheit des sacrum imperium bezeugen«??+, Man darf wohl annehmen, daß Heinrichs II. Pläne darauf hinausliefen, Bamberg zu einer Art Residenz zu erheben. Gleichzeitig mit dem Domstift oder nur kurz hinterher erfolgte die Gründung des Kanonikerstiftes St. Stephan. Eine Schenkung Heinrichs II. im Jahre 1009 setzt sein Be­ stehen voraus. »In meridiana parte quoque civitatis monasterium in honore s. Stephani protomartyris sub ordine canonico construens (Heinrich II.).« Es wurde wohl als bischöf­ liches Eigenstift errichtet, möglicherweise anfänglich als Doppelstift für beide Geschlech­ ter23. Die Kirche war vermutlich ein Zentralbau über griechischem Kreuz. Sie liegt jen­ seits der Kaulbergsenke auf dem Stephansberg, etwas niedriger als die Domburg. Ihre Achse läuft mit der des Domes parallel.

Möglicherweise wurde die Domachse durch die Richtung des Palas mitbestimmt, der viel­ leicht einige Jahre früher erbaut wurde. Vgl. Heinrich Mayer, Bamberger Residenzen, Mün­ chen 1951, S. 15. - Ähnlich Ament, Burg, S. 71 ff. (vgl. Zitat Anm. 35). 21 v. Guttenberg, Reg.-Nr. 54, S. 20, mit ausführlicher Besprechung der Gründe, die zur Errich­ tung des Bistums führten. - Theodor Mayer, Die Anfänge des Bistums Bamberg, Festschrift E. E. Stengel, München-Köln 1952, S. 272 ff. 22 v. Guttenberg, Reg.-Nr. 35, S. 22. 22 Renate Klauser, Der Heinrichs- und Kunigundenkult im mittelalterlichen Bistum Bamberg, Bamberg 1957, S.44 ( 95.Bericht d.Hist. Vereins 1957). - Vgl. auch Johannes Kist, Fürst­ und Erzbistum Bamberg, Bamberg 1958 (- 92. Bericht d.Hist. Vereins, Beiheft 1), 5. 4. 23 v. Guttenberg, Reg.-Nr. 73, S. 57f. Das Zitat aus der Chronik des Frutolf (um 1100). v. Guttenberg, Territorienbildung, S. 54 ff., hält die Gründungslegende des Stiftes durch die Königin Kunigunde für eine Fälschung des 12. Jhs., um sich der eigenkirchlichen Gewalt des Bischofs zu entziehen. - F. Geldner (a.a.O. S. 37) betont dagegen den bedeutenden Anteil der Kaiserin. 20a

Im Norden der »Burg«, wie noch bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts die Domimmunität genannt wurde, erhob sich seit 1015 wohl ebenfalls als bischöfliches Eigenkloster die Benediktinerabtei St. Michael, »ex altera vero (sc. parte civitatis) hoc est aquilonari, aliud monasterium sub monachili regula in honore s. Michaelis archangeli sanctique Benedicti abbatis constituens«. Die Weihe der Kirche erfolgte 1021?*. Sie liegt auf dem höchsten Punkt des Michaelsberges und überragt noch die Domburg. Ihre Achse hält sich stärker an die Ostrichtung als die der Bischofskirche, kann aber immer noch als annähernd parallel zu ihr aufgefaßt werden. Damit war für Bamberg eine städtebaulich höchst eindrucksvolle Reihe von vier zum Teil bedeutenden Kirchenbauten festgelegt (einschließlich der Oberen Pfarre). Jede Kirche krönt eine Bodenerhebung und wendet sich mit der Ostfront zur Regnitz, ob­ gleich hierdurch die reine Ostrichtung verlassen werden mußte. Hätte man sie eingehal­ ten, so würden alle Kirchen schräg zur Talrichtung stehen. Da die Bodenverhältnisse durchwegs diese Stellung ermöglicht hätten, darf man dem Verzicht auf die Ostung eine künstlerische Absicht unterlegen, nachdem die Achse des Domes festgelegt war. Man hat so eine straffe architektonische Gliederung des Hügelgeländes erreicht. Da die Kirchenbauten in Ansichtsrichtung nur mit der Schmalseite erscheinen, geben sie die entscheidenden Akzente in der Senkrechten ab. Ihre Wirkung wird von den Turm­ gruppen unterstrichen. Auf einer Breite von 850 m entfaltet sich die Ansichtsseite des Ortes. Der Dom nimmt fast genau die Mitte ein (vom Dom nach St. Michael 500 m, nach St. Stephan 550 m in der Luftlinie). So lag Bamberg Papst Benedikt VIII. vor Augen, als er am Gründonnerstag 102o dort feierlich einzog. Vier Chöre empfingen ihn. Der erste stand jenseits des Flusses (in ulteriori fluminis ripa), der zweite diesseits an der Brücke (supra pontem alter in altera). Der dritte Chor befand sich vor dem Tor der Domburg (ante urbis ostium); der vierte hatte seinen Platz in dem Vorhof des Domes selbst (ante aecclesiam in atrio)?°, In der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts traten noch zwei Kirchengründungen hinzu, die nun auch die Tiefenachse des Ortes festlegten. Jenseits der Regnitz entstand unter Bischof Gunther (1057-1065) das Kollegiatstift St. Gangolf zwischen 1057 und 1059; denn im Jahre 1059 wird bereits der Stiftsdekan Adalbert genannt?®. Es liegt in Theuerstadt, einer wohl in vorkarolingische Zeit hinaufreichenden, zeitweise slawischen Siedlung. Sie wurde immer zu Bamberg gerechnet, obwohl sie 1400 m in der Luftlinie von St. Michael entfernt ist. Bischof Otto I. (1102-1159) hat im frühen 12. Jahrhundert den Kirchenbau vollendet. Vor dem Westtore der Domburg (extra urbem versus occidentem) errichtete Bischof Hermann 1071/72 das Kanonikatstift St. Jakob auf eigene Kosten. Bischof Otto I. voll­ endete die Gründung und erhielt sie durch neue reiche Schenkungen am Leben?7, »Sic locus Babenbergensis aecclesiis et patrociniis sanctorum modum crucis undique munitus«, 24 25

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v.Guttenberg, Reg.-Nr. 119, S. 58 f. und Nr. 166, S.78. Ebenda, Nr. 155, S.73 f. v. Guttenberg, Territorienbildung, S. 99. - Neukam, S. 278 f. - v. Guttenberg, Reg. Nr. 285, S. 130/51 und Nr. 512, S. 144/45: »Das ursprüngliche Sekundärpatrozinium St. Gangolf ver­ drängt in der Bezeichnung des Stiftes erst seit dem 14. Jh. das Hauptpatrozinium St. Maria.« v. Guttenberg, Territorienbildung, S. 100. - v. Guttenberg, Reg.-Nr. 421, S. 214. Die Jahreszahl 1072 nennt eine Altarinschrift als Weihejahr der Krypta. 177

schreibt Adalbert in der Mitte des 12. Jahrhunderts in der Lebensbeschreibung Hein­ richs II.28. Ein Markt hatte bereits um die Jahrtausendwende bestanden. Bischof Eberhard I. (1007-1040) hat Münzen prägen lassen, die für den Bamberger Markt bestimmt waren?°. 1062 werden zuerst die »mercatores Babenbergensium« erwähnt. Sie erhalten mit Würz­ burger und Regensburger Fernhändlern besondere Rechte auf dem Markt in Fürth ein­ geräumt°°. Wo lag aber in Bamberg der Markt des 11. Jahrhunderts? Unter den Erwer­ bungen Bischof Ottos I. (1102-1159) steht verzeichnet: »forum Babenberg cum areis ex utraque parte Huminis.« Der Sinn dieser Stelle ist nicht einfach zu deuten. Daß der Bam­ berger Markt nicht auf bischöflichem Grunde entstanden sei, ist kaum wahrscheinlich; denn in der Schenkung des »universum praedium« von 1007 zur Ausstattung des Bis­ tums befand sich wohl auch das Regnitzgebiet. Dieses wurde jedoch - wie Ferdinand Geldner vermutet - in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts von dem Vogt des Hoch­ stiftes entfremdet, der hier einen Markt anlegte. Bischof Otto kaufte wiederholt ent­ fremdetes Kirchengut zurück31. Im frühen 11. Jahrhundert wurde offenbar in Bamberg künstlich eine grundlegende Veränderung des Regnitzlaufes vorgenommen, eine Flußregulierung großen Stiles. Beim Dorfe Bug, wenige Kilometer regnitzaufwärts, gabeln sich die beiden Arme des Flusses. Hier ist heute noch zu beobachten, daß die Abzweigung des westlichen Armes künstlich gewonnen oder zumindest weitgehend gesichert worden ist. Auch Namen wie Mühl­ graben für den linken Arm, Judengraben für den Teil längs des Kaulberges und Nonnen­ graben an der Ostseite der Geyerswörthinsel weisen darauf hin, daß der Regnitzarm am Fuße des Domberges von Menschenhand geschaffen wurde. An ihm lagen alle bischöflichen Mühlen, während der östliche Arm nicht eine einzige trieb?, Seine Anlage wird eine starke Entwässerung des Inselbodens zwischen den beiden Flußarmen bewirkt haben, die erst eine umfangreichere Ansiedlung ermöglichte. Aber auch seither hat sich das Flußgebiet noch verändert. Während des Mittelalters lag nördlich und südlich von der Oberen Brücke je eine Insel. Nur Geyerswörth im Süden hat sich bis heute erhalten, Abtswörth unter St. Michael dagegen wurde zum Gelände der Inselstadt geschlagen. Noch auf dem Stadtplan von 1822 ist ein Altwasser eingezeichnet, das damals den Bamberger Schiffern als Winterhafen diente. Es setzte sich im Mittelalter östlich der Kapuzinerstraße fort bis zum Kranich. Der Bamberger Markt des frühen 11. Jahrhunderts lag offenbar am Fuße des Dom-

Lib. I, 6. Otto Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen zur Kunstgeschichte des 11. u. 12. Jhs., Berlin 1938, Nr. 99, S. 26. 29 v. Guttenberg, Reg.-Nr. 115, S. 57. 30 Stumpf und v. Brentano, Die Reichskanzler ..• Nr. 2609. - Neukam, S. 294 ff. 31 MG SS XV, S.1164. - v. Guttenberg, Territorienbildung, S.218. - F. Geldner, S.37 f. Mit areis ex utrague parte fluminis« sind Hofstätten zu beiden Seiten der Kettenbrücke zu verstehen. 32 M. Hofmann, Vom Wachstum, S. 24 ff. - Schweitzer, Der Lauf der Regnitz durch die Stadt Bamberg in der ältesten Zeit. 29. Bericht d. Hist. Ver. zu Bamberg, 1865/66, S.169 ff. Aus den Textstellen, die den Fluß erwähnen, geht freilich nicht mit Sicherheit hervor, wann die Regulierung unternommen wurde. Wenn nur von einem Fluß die Rede ist, dann sind die beiden Arme wohl als zusammengehöriges Ganzes betrachtet worden. Man darf aber dar­ aus nicht schließen, daß der zweite Arm noch nicht bestanden habe. Aus den urkundlichen Erwähnungen der Mühlen ergibt sich einwandfrei, daß der westliche Arm in der zweiten Hälfte des 12. Jhs. vorhanden war. 28

berges zur Brücke hin in der Gegend des Katzenbergs. Dieses Gebiet, der »Sand«, gehörte später der Bürgerstadt und nicht der Geistlichkeit33. Hier standen im Mittelalter die Münze und das Judenviertel, das gewöhnlich in nächster Nähe des Marktes anzu­ treffen ist. »Es verdient Beachtung, daß die Immunität von St. Stephan nicht bis an das Flußufer herunterstieß, da die Bürgerstadt flußaufwärts vorsprang. Im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts wurde auf der Insel nach Sicherung gegen Oberschwemmung ein konkurrierender Markt, vielleicht mit einer Zollstätte am Flußübergang angelegt. Markt­ herr könnte wohl nur der bischöfliche Vogt aus dem Haus der Grafen von Abensberg­ Fremsdorf gewesen sein«®, Auf der Insel entstand ein halbmondförmiger Straßen­ markt (»Grüner Markt«) längs der Durchgangsstraße. Dicht hinter der Brücke zweigt die Langgasse nach Süden ab, die zweite Hauptader der Inselstadt. Auch von ihr aus führte ein Weg über das Schwarze Wasser und den östlichen Regnitzarm zur großen Durch­ gangsstraße am Ostufer. Diese hat sich mit der zunehmenden Bedeutung des Ortes von dem Hauptmoorwald bis dicht an das Ufer verlagert (Steinweg). Die Grenzen der Marktsiedlung auf der Inselstadt zeichnen sich noch heute teilweise im Stadtplan ab. Vom Tor am Obstmarkt dicht hinter der Brücke verlief die Umwallung nach Norden zwischen Augasse und Kapuzinerstraße bis zu dem Turm im Burgershof. Dort wendet sie sich nach Osten, überquert vor dem Katharinenspital die Hauptwach­ straße, dann die Keßlerstraße, umzieht die Langgasse und mündet längs des Zwerg­ gäßchens wieder am Obstmarkt ein34• Der Umriß der Marktsiedlung bildet etwa ein Oval, dessen Breitseite den linken Regnitzarm berührt. Die spätere Pfarrkirche St Mar­ tin steht merkwürdigerweise außerhalb der Befestigung, ebenso das Katharinenspital, das schon im 15. Jahrhundert erwähnt wird. Die Wunderburg am Ostufer der Regnitz, eine Siedlung in bischöflichem Besitz, könnte aus einem Fronhof hervorgegangen sein. Die Domburg hat nach der Bistumsgründung ihr Aussehen wesentlich verändert. Die freie Fläche der Fluchtburg wurde von den Domherrenkurien ausgefüllt, die sich längs der Umfassungsmauer aneinander reihen und eine Gruppe von Höfen umgeben, die sich im Innern der urbs an die Westseite der Alten Hofhaltung anschließen. Das heu­ tige erzbischöfliche Palais (Obere Karolinenstraße 5), die einstige curia s. Pauli, war im 12. Jahrhundert im Besitz der Staufer. Den Hof nördlich des Westtores besaß ein Ministeriale, der ihn 1154 den Zisterzienserklöstern Langheim, Heilsbronn und Ebrach als Absteigequartier schenkte35• Der größte Hof der Immunität, den die curia s. Elisa­ bethae und die später abgetrennte curia s. Johannis et s. Pauli bildeten, gehörte eine Zeitlang im 13. Jahrhundert den Meranischen Herzögen, die ihn aus geistlicher Hand Neukam, S. 283 f. - Konrad Arneth, Obere Pfarre und Kaulberg, 92. Bericht d. Hist. Vereins 1955,S. 192 ff. u. 270. Hier lag auch das älteste Bamberger Rathaus, vermutlich anstelle der Dominikanerkirche. - Dagegen sucht-ohne bessere Gründe anzuführen-L. Fischer, S. 18 ff. den ottonischen Markt in der Langgasse auf der Insel. 33 F. Geldner, S. 42. 34 W. Ament, Bamberg, S.16f. - Neukam, S.291 f. - H. Keller, Bamberg, Abb. S.17. Auf Taf. 3 ist am unteren Rande noch der Turm im Burgershof zu erkennen. 35 Wilhelm Ament, Die Burg zu Bamberg unter Heinrich II. und in den ersten Jahrhunderten nach Gründung des Hochstiftes. Heimatblätter d. Hist. Ver. Bamberg 4, 1924, S.71 ff. An Bischofshöfe für die Nachbardiözesen wie am Herzogssitz in Regensburg darf man aber in Bamberg nicht denken. - Hübner, S.41. - Berichtigung der Hübnerschen Irrtümer über die Kurienbesitzer u. -namen: v. Reitzenstein, Zeitschrift f. bayer. Landesgesch. 9, 1936, S. 247. 33

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schreibt Adalbert in der Mitte des 12. Jahrhunderts in der Lebensbeschreibung Hein­ richs II.28. Ein Markt hatte bereits um die Jahrtausendwende bestanden. Bischof Eberhard I. (1007-1040) hat Münzen prägen lassen, die für den Bamberger Markt bestimmt waren?°. 1062 werden zuerst die »mercatores Babenbergensium« erwähnt. Sie erhalten mit Würz­ burger und Regensburger Fernhändlern besondere Rechte auf dem Markt in Fürth ein­ geräumt°°. Wo lag aber in Bamberg der Markt des 11. Jahrhunderts? Unter den Erwer­ bungen Bischof Ottos I. (1102-1159) steht verzeichnet: »forum Babenberg cum areis ex utraque parte Huminis.« Der Sinn dieser Stelle ist nicht einfach zu deuten. Daß der Bam­ berger Markt nicht auf bischöflichem Grunde entstanden sei, ist kaum wahrscheinlich; denn in der Schenkung des »universum praedium« von 1007 zur Ausstattung des Bis­ tums befand sich wohl auch das Regnitzgebiet. Dieses wurde jedoch - wie Ferdinand Geldner vermutet - in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts von dem Vogt des Hoch­ stiftes entfremdet, der hier einen Markt anlegte. Bischof Otto kaufte wiederholt ent­ fremdetes Kirchengut zurück31. Im frühen 11. Jahrhundert wurde offenbar in Bamberg künstlich eine grundlegende Veränderung des Regnitzlaufes vorgenommen, eine Flußregulierung großen Stiles. Beim Dorfe Bug, wenige Kilometer regnitzaufwärts, gabeln sich die beiden Arme des Flusses. Hier ist heute noch zu beobachten, daß die Abzweigung des westlichen Armes künstlich gewonnen oder zumindest weitgehend gesichert worden ist. Auch Namen wie Mühl­ graben für den linken Arm, Judengraben für den Teil längs des Kaulberges und Nonnen­ graben an der Ostseite der Geyerswörthinsel weisen darauf hin, daß der Regnitzarm am Fuße des Domberges von Menschenhand geschaffen wurde. An ihm lagen alle bischöflichen Mühlen, während der östliche Arm nicht eine einzige trieb?, Seine Anlage wird eine starke Entwässerung des Inselbodens zwischen den beiden Flußarmen bewirkt haben, die erst eine umfangreichere Ansiedlung ermöglichte. Aber auch seither hat sich das Flußgebiet noch verändert. Während des Mittelalters lag nördlich und südlich von der Oberen Brücke je eine Insel. Nur Geyerswörth im Süden hat sich bis heute erhalten, Abtswörth unter St. Michael dagegen wurde zum Gelände der Inselstadt geschlagen. Noch auf dem Stadtplan von 1822 ist ein Altwasser eingezeichnet, das damals den Bamberger Schiffern als Winterhafen diente. Es setzte sich im Mittelalter östlich der Kapuzinerstraße fort bis zum Kranich. Der Bamberger Markt des frühen 11. Jahrhunderts lag offenbar am Fuße des Dom-

Lib. I, 6. Otto Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen zur Kunstgeschichte des 11. u. 12. Jhs., Berlin 1938, Nr. 99, S. 26. 29 v. Guttenberg, Reg.-Nr. 115, S. 57. 30 Stumpf und v. Brentano, Die Reichskanzler ..• Nr. 2609. - Neukam, S. 294 ff. 31 MG SS XV, S.1164. - v. Guttenberg, Territorienbildung, S.218. - F. Geldner, S.37 f. Mit areis ex utrague parte fluminis« sind Hofstätten zu beiden Seiten der Kettenbrücke zu verstehen. 32 M. Hofmann, Vom Wachstum, S. 24 ff. - Schweitzer, Der Lauf der Regnitz durch die Stadt Bamberg in der ältesten Zeit. 29. Bericht d. Hist. Ver. zu Bamberg, 1865/66, S.169 ff. Aus den Textstellen, die den Fluß erwähnen, geht freilich nicht mit Sicherheit hervor, wann die Regulierung unternommen wurde. Wenn nur von einem Fluß die Rede ist, dann sind die beiden Arme wohl als zusammengehöriges Ganzes betrachtet worden. Man darf aber dar­ aus nicht schließen, daß der zweite Arm noch nicht bestanden habe. Aus den urkundlichen Erwähnungen der Mühlen ergibt sich einwandfrei, daß der westliche Arm in der zweiten Hälfte des 12. Jhs. vorhanden war. 28

berges zur Brücke hin in der Gegend des Katzenbergs. Dieses Gebiet, der »Sand«, gehörte später der Bürgerstadt und nicht der Geistlichkeit33. Hier standen im Mittelalter die Münze und das Judenviertel, das gewöhnlich in nächster Nähe des Marktes anzu­ treffen ist. »Es verdient Beachtung, daß die Immunität von St. Stephan nicht bis an das Flußufer herunterstieß, da die Bürgerstadt flußaufwärts vorsprang. Im letzten Drittel des 11. Jahrhunderts wurde auf der Insel nach Sicherung gegen Oberschwemmung ein konkurrierender Markt, vielleicht mit einer Zollstätte am Flußübergang angelegt. Markt­ herr könnte wohl nur der bischöfliche Vogt aus dem Haus der Grafen von Abensberg­ Fremsdorf gewesen sein«®, Auf der Insel entstand ein halbmondförmiger Straßen­ markt (»Grüner Markt«) längs der Durchgangsstraße. Dicht hinter der Brücke zweigt die Langgasse nach Süden ab, die zweite Hauptader der Inselstadt. Auch von ihr aus führte ein Weg über das Schwarze Wasser und den östlichen Regnitzarm zur großen Durch­ gangsstraße am Ostufer. Diese hat sich mit der zunehmenden Bedeutung des Ortes von dem Hauptmoorwald bis dicht an das Ufer verlagert (Steinweg). Die Grenzen der Marktsiedlung auf der Inselstadt zeichnen sich noch heute teilweise im Stadtplan ab. Vom Tor am Obstmarkt dicht hinter der Brücke verlief die Umwallung nach Norden zwischen Augasse und Kapuzinerstraße bis zu dem Turm im Burgershof. Dort wendet sie sich nach Osten, überquert vor dem Katharinenspital die Hauptwach­ straße, dann die Keßlerstraße, umzieht die Langgasse und mündet längs des Zwerg­ gäßchens wieder am Obstmarkt ein34• Der Umriß der Marktsiedlung bildet etwa ein Oval, dessen Breitseite den linken Regnitzarm berührt. Die spätere Pfarrkirche St Mar­ tin steht merkwürdigerweise außerhalb der Befestigung, ebenso das Katharinenspital, das schon im 15. Jahrhundert erwähnt wird. Die Wunderburg am Ostufer der Regnitz, eine Siedlung in bischöflichem Besitz, könnte aus einem Fronhof hervorgegangen sein. Die Domburg hat nach der Bistumsgründung ihr Aussehen wesentlich verändert. Die freie Fläche der Fluchtburg wurde von den Domherrenkurien ausgefüllt, die sich längs der Umfassungsmauer aneinander reihen und eine Gruppe von Höfen umgeben, die sich im Innern der urbs an die Westseite der Alten Hofhaltung anschließen. Das heu­ tige erzbischöfliche Palais (Obere Karolinenstraße 5), die einstige curia s. Pauli, war im 12. Jahrhundert im Besitz der Staufer. Den Hof nördlich des Westtores besaß ein Ministeriale, der ihn 1154 den Zisterzienserklöstern Langheim, Heilsbronn und Ebrach als Absteigequartier schenkte35• Der größte Hof der Immunität, den die curia s. Elisa­ bethae und die später abgetrennte curia s. Johannis et s. Pauli bildeten, gehörte eine Zeitlang im 13. Jahrhundert den Meranischen Herzögen, die ihn aus geistlicher Hand Neukam, S. 283 f. - Konrad Arneth, Obere Pfarre und Kaulberg, 92. Bericht d. Hist. Vereins 1955,S. 192 ff. u. 270. Hier lag auch das älteste Bamberger Rathaus, vermutlich anstelle der Dominikanerkirche. - Dagegen sucht-ohne bessere Gründe anzuführen-L. Fischer, S. 18 ff. den ottonischen Markt in der Langgasse auf der Insel. 33 F. Geldner, S. 42. 34 W. Ament, Bamberg, S.16f. - Neukam, S.291 f. - H. Keller, Bamberg, Abb. S.17. Auf Taf. 3 ist am unteren Rande noch der Turm im Burgershof zu erkennen. 35 Wilhelm Ament, Die Burg zu Bamberg unter Heinrich II. und in den ersten Jahrhunderten nach Gründung des Hochstiftes. Heimatblätter d. Hist. Ver. Bamberg 4, 1924, S.71 ff. An Bischofshöfe für die Nachbardiözesen wie am Herzogssitz in Regensburg darf man aber in Bamberg nicht denken. - Hübner, S.41. - Berichtigung der Hübnerschen Irrtümer über die Kurienbesitzer u. -namen: v. Reitzenstein, Zeitschrift f. bayer. Landesgesch. 9, 1936, S. 247. 33

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erwarben36. Er liegt in der Mitte der Südseite. Die curia s. Kiliani beim unteren Burgtor gehörte bis 1386 den Grafen von Truhendingen. Der Bischofshof (Alte Hofhaltung, östlicher Teil) reicht zum Teil noch heute in die Gründungszeit des Bistums zurück. Grabungen und prächtige Aquarelle vom Ende des 15. Jahrhunderts ermöglichen eine ziemlich genaue Rekonstruktion7• In Verlängerung des Westquerschiffes des ottonischen Domes lag gegen den Karolinenplatz zu ein Saal­ bau, der nach dem Brand von 1185 erneuert und erst im 16. Jahrhundert abgebrochen wurde. An beiden Enden des langen Traktes sprangen Kapellen vor. Auf der Domseite war dem Bischofshof die isolierte, achteckige, doppelgeschossige Andreaskapelle vor­ gelagert, deren Altar nach dem Zeugnis eines darin gefundenen Siegels um die Mitte des 11. Jahrhunderts geweiht wurde. Leider hat man 1777 den interessanten Bau bis auf geringe Reste beseitigt. Im Nordwesten schloß die einschiffige Thomaskapelle den Saal­ bau ab. Man muß sie wohl als Hauskapelle des Bischofs ansprechen. Die Apsiden beider Kapellen richteten sich auf den Karolinenplatz. Die Verbindung eines langgestreckten Saalbaues mit zwei vorspringenden Kapellen erinnert an die Kaiserpfalz in Goslar, für die Bamberg vielleicht als Vorbild gedient hat. Im Hochmittelalter wechselte die Thomas­ kapelle ihr Patrozinium (Katharinenkapelle). Über ihr erhob sich seit dem 13. Jahrhun­ dert ein Wehrturm (Hohe Warte), der zusammen mit der zinnengeschmückten Mauer, welche den Bischofshof umgab, eine kleine Festung innerhalb der Domburg bildete. Vor dem Bischofshof dehnt sich der weite Pfalzplatz (Karolinenplatz, früher »In der Burg«) aus. Er wurde in der Barockzeit fast ganz umgeformt. Zwei Haupttore führten in die Domburg; beide hatten im Obergeschoß über dem Durchgang Kapellen. Das Jakobstor im Westen gegenüber dem Stift gleichen Namens trug eine Kapelle zu Ehren der Gottesmutter und des hl. Johannes, das Burgtor im Norden im Zuge der Unteren Karolinenstraße eine Hippolytuskapelle38. Eine bequeme Verbindung mit dem Kaulberg gewährte das Pfistertörchen bei der Westapsis des Domes. Eine heute vermauerte, aber noch sichtbare Maueröffnung führte auf der Südseite zur Altenburg. Sie wurde erst im späteren Mittelalter benötigt, als die Altenburg zum Bischofssitz aufrückte. Der mittelalterliche Ursprung der Maueröffnung ist allerdings nicht gesichert39. Insgesamt umfaßte die Domburg etwa 15 Kurien. Das gemeinsame Leben der Kanoniker scheint erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts endgültig aufgelöst worden zu sein, die Kurien bestanden aber schon im 12. Jahrhundert, wie kalendarische 36

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»curia quondam ducis.« Domgasse 7-9. Vielleicht gehörte auch noch der anschließende dreieckige Zipfel bis zur Westgrenze der Domburg dazu. Klärung der Besitzverhältnisse bei v. Reitzenstein, S. 246f. Daß die Meranier in Bamberg das Burggrafenamt innehatten, ist historisch nicht zu belegen. Mayer, Residenzen, S.11 ff., mit Grundrissen und Abbildung der alten Ansichten. - Max Müller, Bamberger Ansichten aus dem 15. Jh., Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 58,1937, S.241 ff. - Hans Brütting, Zur Baugeschichte der Kapellen in der Alten Hofhaltung zu Bamberg, 95. Bericht d. Hist. Vereins 1957, S. 298 ff. wies nach, daß die Andreaskapelle frei stand, vielleicht diente sie als Friedhof- oder Grabkapelle. Bauuntersuchungen ermög­ lichten auch eine genauere Baugeschichte der Thomaskapelle, die über Mayer, Residenzen S. 11 ff. hinausführt. »sita in turri dicta purchthor.« Xaver Haimerl, Das Prozessionswesen des Bistums Bamberg im Mittelalter, München 1937, S. 145. - v. Reitzenstein, Baugeschichte, S. 121 f. Hübner, S.26. - v.Reitzenstein, Rezension Hübner, S.245. Der von Hübner gefundene rundbogige Durchlaß gehört in seinem heutigen Bestand keinesfalls dem 14. Jahrhundert an.

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Erwähnungen beweisen"°+. Ja, eine Briefstelle des Bamberger Domscholasters Meinhard rückt das Alter der Kurien - zumindest eines Teiles derselben - noch in das 11. Jahr­ hundert hinauf. Im Jahre 1062 schreibt Domdekan Poppo in einem von Meinhard ver­ faßten Briefe an den Bamberger Bischof Gunther (1057-1065) nach Augsburg: »Die dem hl. Paulus gewidmete Kapelle erwarte sehnlich die Ankunft des Bischofs, damit sie durch seine Weihe dem Patrozinium dessen angelobt werde, von dem sie in aller Fährnis Schutz für ihn erwünschte«®9b, Die Pauluskapelle gehörte zur curia s. Pauli, dem heuti­ gen erzbischöflichen Palais. Die Kapelle war 1062 noch nicht geweiht, sie wird kurz zuvor erbaut worden sein. Das Bamberger Immunitätengebiet hat in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine reiche Bautätigkeit entfaltet. Bischof Otto der Heilige errichtete das Michaelskloster von Grund auf neu. Er umgab es mit einer Mauer und einer Torkapelle. Zwischen dem Kloster und der Domburg legte er auf dem »Lügenbühel« das Ägidienspital an (an der Stelle des heutigen Aufsessianums). Dicht hinter dem St. Michaelskloster erbaute er die reich dotierte Zelle St. Getreu, die er 1124 weihte und später dem Kloster überwies. Schon 1050 soll Bischof Eberhard I. ein St. Theodorspital auf dem Kaulberg, im Süden der Domburg errichtet haben, das dem Domkapitel unterstand. Eine Theodorkapelle wird 1140 und 1145 genannt. Ein suburbium bei dem Ägidienspital wird in den gleichen Jahren erwähnt*°, Ein Markt bestand auf dem Immunitätsgebiet mindestens seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (1275 zuerst genannt). Er entwickelte sich zu einem gefährlichen Konkurrenten des bürgerlichen Marktes auf der Inselstadt41. Gottfried von Viterbo, der in den dreißiger Jahren des 12. Jahrhunderts Zögling der Bamberger Domschule war, hat eine erstaunlich genaue Beschreibung der weit ver­ streuten Stadtsiedlung auf den Hügeln und in der Flußebene hinterlassen (um 1191 entstanden): »Mons Pavonis habet colles sibi collaterales, tres quasi consimiles, urbis quoque participales; ipse nitens medius, preminet absque pare, pulcrior illorum loca maxima dat monachorum, templaque multorum reliqui dant canonicorum, ornataque pars fluvio prebet utrinque forum ... Stat medius Petrus, Stephanus sibi dexter habetur, vertice stat Jacobus, leva Michael retinctur, fertque secus fluvium virgo Maria decus»42, 39a

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Bereits in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts macht sich »eine gewisse Absonderung aus dem Pfründenbesitz der Gesamtheit« bemerkbar, zumindest für das Amt des Dom­ scholasters. v. Guttenberg, Reg.-Nr. 527, S. 154. - Die Domkapitel-Kalendare wurden ver­ öffentlicht im 7. Bericht d. Hist. Ver. Bamberg. Das älteste Kalendar ist 1288/96 entstanden. v. Guttenberg, Reg.-Nr. 337, S.162. - C. Erdmann, Die Briefe Meinhards von Bamberg, Neues Archiv 49, 1932, S.339 f.: »Capella nostra beato Paulo devota vestrum adventum unice expectat, quatinus vestra consecratione eius desponsetur patrocinio, ... « - C. Erd­ mann, Studien z. Briefliteratur Deutschlands im 11. Jahrhundert, Leipzig 1938, S.284. v. Reitzenstein, Baugeschichte, S. 121. Neukam, S.202 u. 205. - v. Guttenberg, Territorienbildung, S.155. Neukam, S. 255. MG SS XXII, S. 204 f. Mit der Marienkirche ist das St. Gangolfstift gemeint, vgl. H. Mayer, Die obere Pfarrkirche, S. 5. 181

erwarben36. Er liegt in der Mitte der Südseite. Die curia s. Kiliani beim unteren Burgtor gehörte bis 1386 den Grafen von Truhendingen. Der Bischofshof (Alte Hofhaltung, östlicher Teil) reicht zum Teil noch heute in die Gründungszeit des Bistums zurück. Grabungen und prächtige Aquarelle vom Ende des 15. Jahrhunderts ermöglichen eine ziemlich genaue Rekonstruktion7• In Verlängerung des Westquerschiffes des ottonischen Domes lag gegen den Karolinenplatz zu ein Saal­ bau, der nach dem Brand von 1185 erneuert und erst im 16. Jahrhundert abgebrochen wurde. An beiden Enden des langen Traktes sprangen Kapellen vor. Auf der Domseite war dem Bischofshof die isolierte, achteckige, doppelgeschossige Andreaskapelle vor­ gelagert, deren Altar nach dem Zeugnis eines darin gefundenen Siegels um die Mitte des 11. Jahrhunderts geweiht wurde. Leider hat man 1777 den interessanten Bau bis auf geringe Reste beseitigt. Im Nordwesten schloß die einschiffige Thomaskapelle den Saal­ bau ab. Man muß sie wohl als Hauskapelle des Bischofs ansprechen. Die Apsiden beider Kapellen richteten sich auf den Karolinenplatz. Die Verbindung eines langgestreckten Saalbaues mit zwei vorspringenden Kapellen erinnert an die Kaiserpfalz in Goslar, für die Bamberg vielleicht als Vorbild gedient hat. Im Hochmittelalter wechselte die Thomas­ kapelle ihr Patrozinium (Katharinenkapelle). Über ihr erhob sich seit dem 13. Jahrhun­ dert ein Wehrturm (Hohe Warte), der zusammen mit der zinnengeschmückten Mauer, welche den Bischofshof umgab, eine kleine Festung innerhalb der Domburg bildete. Vor dem Bischofshof dehnt sich der weite Pfalzplatz (Karolinenplatz, früher »In der Burg«) aus. Er wurde in der Barockzeit fast ganz umgeformt. Zwei Haupttore führten in die Domburg; beide hatten im Obergeschoß über dem Durchgang Kapellen. Das Jakobstor im Westen gegenüber dem Stift gleichen Namens trug eine Kapelle zu Ehren der Gottesmutter und des hl. Johannes, das Burgtor im Norden im Zuge der Unteren Karolinenstraße eine Hippolytuskapelle38. Eine bequeme Verbindung mit dem Kaulberg gewährte das Pfistertörchen bei der Westapsis des Domes. Eine heute vermauerte, aber noch sichtbare Maueröffnung führte auf der Südseite zur Altenburg. Sie wurde erst im späteren Mittelalter benötigt, als die Altenburg zum Bischofssitz aufrückte. Der mittelalterliche Ursprung der Maueröffnung ist allerdings nicht gesichert39. Insgesamt umfaßte die Domburg etwa 15 Kurien. Das gemeinsame Leben der Kanoniker scheint erst zu Beginn des 13. Jahrhunderts endgültig aufgelöst worden zu sein, die Kurien bestanden aber schon im 12. Jahrhundert, wie kalendarische 36

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»curia quondam ducis.« Domgasse 7-9. Vielleicht gehörte auch noch der anschließende dreieckige Zipfel bis zur Westgrenze der Domburg dazu. Klärung der Besitzverhältnisse bei v. Reitzenstein, S. 246f. Daß die Meranier in Bamberg das Burggrafenamt innehatten, ist historisch nicht zu belegen. Mayer, Residenzen, S.11 ff., mit Grundrissen und Abbildung der alten Ansichten. - Max Müller, Bamberger Ansichten aus dem 15. Jh., Jahrbuch der preußischen Kunstsammlungen 58,1937, S.241 ff. - Hans Brütting, Zur Baugeschichte der Kapellen in der Alten Hofhaltung zu Bamberg, 95. Bericht d. Hist. Vereins 1957, S. 298 ff. wies nach, daß die Andreaskapelle frei stand, vielleicht diente sie als Friedhof- oder Grabkapelle. Bauuntersuchungen ermög­ lichten auch eine genauere Baugeschichte der Thomaskapelle, die über Mayer, Residenzen S. 11 ff. hinausführt. »sita in turri dicta purchthor.« Xaver Haimerl, Das Prozessionswesen des Bistums Bamberg im Mittelalter, München 1937, S. 145. - v. Reitzenstein, Baugeschichte, S. 121 f. Hübner, S.26. - v.Reitzenstein, Rezension Hübner, S.245. Der von Hübner gefundene rundbogige Durchlaß gehört in seinem heutigen Bestand keinesfalls dem 14. Jahrhundert an.

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Erwähnungen beweisen"°+. Ja, eine Briefstelle des Bamberger Domscholasters Meinhard rückt das Alter der Kurien - zumindest eines Teiles derselben - noch in das 11. Jahr­ hundert hinauf. Im Jahre 1062 schreibt Domdekan Poppo in einem von Meinhard ver­ faßten Briefe an den Bamberger Bischof Gunther (1057-1065) nach Augsburg: »Die dem hl. Paulus gewidmete Kapelle erwarte sehnlich die Ankunft des Bischofs, damit sie durch seine Weihe dem Patrozinium dessen angelobt werde, von dem sie in aller Fährnis Schutz für ihn erwünschte«®9b, Die Pauluskapelle gehörte zur curia s. Pauli, dem heuti­ gen erzbischöflichen Palais. Die Kapelle war 1062 noch nicht geweiht, sie wird kurz zuvor erbaut worden sein. Das Bamberger Immunitätengebiet hat in der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts eine reiche Bautätigkeit entfaltet. Bischof Otto der Heilige errichtete das Michaelskloster von Grund auf neu. Er umgab es mit einer Mauer und einer Torkapelle. Zwischen dem Kloster und der Domburg legte er auf dem »Lügenbühel« das Ägidienspital an (an der Stelle des heutigen Aufsessianums). Dicht hinter dem St. Michaelskloster erbaute er die reich dotierte Zelle St. Getreu, die er 1124 weihte und später dem Kloster überwies. Schon 1050 soll Bischof Eberhard I. ein St. Theodorspital auf dem Kaulberg, im Süden der Domburg errichtet haben, das dem Domkapitel unterstand. Eine Theodorkapelle wird 1140 und 1145 genannt. Ein suburbium bei dem Ägidienspital wird in den gleichen Jahren erwähnt*°, Ein Markt bestand auf dem Immunitätsgebiet mindestens seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts (1275 zuerst genannt). Er entwickelte sich zu einem gefährlichen Konkurrenten des bürgerlichen Marktes auf der Inselstadt41. Gottfried von Viterbo, der in den dreißiger Jahren des 12. Jahrhunderts Zögling der Bamberger Domschule war, hat eine erstaunlich genaue Beschreibung der weit ver­ streuten Stadtsiedlung auf den Hügeln und in der Flußebene hinterlassen (um 1191 entstanden): »Mons Pavonis habet colles sibi collaterales, tres quasi consimiles, urbis quoque participales; ipse nitens medius, preminet absque pare, pulcrior illorum loca maxima dat monachorum, templaque multorum reliqui dant canonicorum, ornataque pars fluvio prebet utrinque forum ... Stat medius Petrus, Stephanus sibi dexter habetur, vertice stat Jacobus, leva Michael retinctur, fertque secus fluvium virgo Maria decus»42, 39a

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Bereits in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts macht sich »eine gewisse Absonderung aus dem Pfründenbesitz der Gesamtheit« bemerkbar, zumindest für das Amt des Dom­ scholasters. v. Guttenberg, Reg.-Nr. 527, S. 154. - Die Domkapitel-Kalendare wurden ver­ öffentlicht im 7. Bericht d. Hist. Ver. Bamberg. Das älteste Kalendar ist 1288/96 entstanden. v. Guttenberg, Reg.-Nr. 337, S.162. - C. Erdmann, Die Briefe Meinhards von Bamberg, Neues Archiv 49, 1932, S.339 f.: »Capella nostra beato Paulo devota vestrum adventum unice expectat, quatinus vestra consecratione eius desponsetur patrocinio, ... « - C. Erd­ mann, Studien z. Briefliteratur Deutschlands im 11. Jahrhundert, Leipzig 1938, S.284. v. Reitzenstein, Baugeschichte, S. 121. Neukam, S.202 u. 205. - v. Guttenberg, Territorienbildung, S.155. Neukam, S. 255. MG SS XXII, S. 204 f. Mit der Marienkirche ist das St. Gangolfstift gemeint, vgl. H. Mayer, Die obere Pfarrkirche, S. 5. 181

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AUGSBURG

(Abbildungen 35 u. 54, Tafeln 19 u. 20)

Augsburg' liegt zwischen Wertach und Lech, auf einem flachen Hügelrücken, der sich von Süden her in den Mündungswinkel der Wertach schiebt. Seine Nordspitze erhebt sich beim »Luginsland« bis zu 25 und 50 m über die Lechebene. Die begünstigte Lage am Zusammenfluß zweier Wasserläufe, die natürliche Verteidi­ gungsmöglichkeit - der Hügelrücken fällt nach Norden und Osten steil ab - hätten, so denkt man, schon früh zur Ansiedlung verlocken müssen. Vorrömische Niederlassungen im Stadtgebiet selbst sind aber nicht bezeugt. In der Gegend des heutigen Hauptbahn­ hofs kamen zahlreiche Gräber der Hallstadt-Periode zum Vorschein, ohne daß wir die zugehörigen Wohnstätten kennen. Ob der von Strabo erwähnte feste Ort der Likatier Damasia in Augsburg zu suchen ist, bleibt umstritten. Keltische Funde haben diese Vermutung bisher nicht bestätigt2. Sicheren Boden betritt man in der Siedlungsgeschichte der Stadt erst in römischer Zeit. Die Via Claudia Augusta sollte die neu eroberte Provinz Rätien mit dem italischen Straßennetz verbinden. Ihre Führung legte Drusus bald nach 15 v. Chr. fest. Sie zog den Lech entlang über den Hügelrücken und überschritt die Wertach etwas südwestlich ihrer Mündung*. Die Straße entschied bis in die Neuzeit hinein Schicksal und Gestalt l

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Eine ausführliche Geschichte Augsburgs im Mittelalter, die den heutigen Anforderungen voll entspräche, fehlt. Die populären Darstellungen von Lorenz Werner, Gesch. d. Stadt Augsburg, Augsb. 1900, von Hans Eberlein, Augsb.-Berlin (1959), und Hugo Staiger, Gesch. d. Stadt Augsb. München-Berlin 1941, ersetzt jetzt das zuverlässige, stoffreiche und ge­ drängte Buch von Wolfgang Zorn, Augsburg, München (1955), das aber leider auch keine Einzelnachweise enthält. Eine wissenschaftlich zureichende Geschichte des mittelalterlichen Augsburg wird solange nicht geschrieben werden können, als die Quellen nur unvollstän­ dig veröffentlicht sind (Monumenta Boica, Bd. 55a,b, 354a, b, 55a, München 1841 ff.) und Urkundenbuch d. Stadt Augsb., hgb. v. Christian Meyer, 2 Bde., Augsb. 1874-78. Für die Bistumsgeschichte liegt das umfangreiche Werk von Placidus Braun, Geschichte der Bischöfe von Augsburg, Augsburg 1814 ff., vor. Einzelfragen in der Reihe der Jahresberichte des hist. Kreisvereins im Regierungsbezirk von Schwaben und Neuburg (seit 1835) und der Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg (seit 1874), sowie in dem von Alfred Schröder herausgegebenen Archiv für die Geschichte des Hochstifts Augsburg, Bd. I-VI, Dillingen 1909-1929. Die Stadtbaugeschichte von Oskar Schürer, Augsburg, Burg b. Magdeburg (1934), Deutsche Bauten, Bd. 22, legt das Hauptgewicht auf das 16. und 17. Jh. und streift das Mittelalter nur allzu kurz. Die mittelalterliche Stadtentwicklung in Über­ sicht: Erich Herzog, Werden u. Wesen d. mittelalterl. Stadt, »Augusta« 955-1955, München 1955, S. 83 ff. - Seither erschienen: Regesten d. Bischöfe u. d. Domkapitels v. Augsb., Bd. 1, 1. Lieferung v.Fr. Zoepfl u. W. Volkert (bis z. Tode d.hl. Ulrich), Augsb. 1955, und Fr. Zoepfl, Gesch. d. Bistums Augsb. u. seiner Bischöfe i. Mittelalter, Augsb.-München 1955. Julius Miedel, Augsburgs Namen im Verlauf seiner Geschichte, Archiv f. d. Gesch. d. Hoch­ Stifts V, 1916/19, S. 85 ff. und 660 ff. B. Eberl, Die Römerstraße Augsburg-Füssen. Via Claudia Augusta, Das Schwäbische Mu­ seum, 1951, S. 1 ff.

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der Stadt. Unsere Kenntnis des römischen Augsburg, der Augusta Vindelicum (oder Vindelicorum) - nach Augustus benannt - ist trotz bedeutender Einzelfunde bei weitem nicht so umfassend wie die des römischen Köln, Trier oder Regensburg*. Außer dem vermutlichen Stadtumriß und dem Westtore hat man von seiner Topographie erst in jüngster Zeit einiges erschlossen. Wahrscheinlich wurde die römische Siedlung in spät­ tiberisch-claudischer Zeit auf jungfräulichem Boden, gerodetem Waldland, angelegt. Ihr voraus ging ein Legionslager am westlichen Wertachufer bei Oberhausen, dicht vor dem Nordtor der späteren Stadt. Die erste Bebauung bestand aus einfachen Lehm- und Holzhäusern wie in Trier und Köln. Wohl erst seit der Mitte des 1. Jahrhunderts wurden die öffentlichen Gebäude durch Steinbauten ersetzt. Thermen fanden sich an der Geor­ gen- und an der Pettenkoferstraße. Das Forum konnte bisher nicht nachgewiesen wer­ den. Es lag kaum im südlichsten Zipfel der Stadt an der Stelle des Domes und der Johanniskirche, wie man seit dem 16. Jahrhundert annahm*. Südlich vom Dom unter der späteren St. Johanniskirche kam ein ausgedehnteres Peristylhaus der mittleren Kaiserzeit zum Vorschein. Der unregelmäßige Umriß paßt sich den Bodenverhältnissen an. Im Norden und Osten nützte er vielleicht den Steilhang der Hügelspitze aus; im Süden (Mauerberg, Obstmarkt, Hafnerberg) fällt das Gelände zwar flacher, aber noch immer merklich ab (der Dom liegt 7 m über dem Niveau des Perlachturmes). Die West­ grenze zog sich zwischen den Straßen »Am Katzenstadel« - Heiligkreuz-Straße und langer bzw. Alter Gasse hin. Diese fast rautenförmige Siedlung durchlief als Haupt­ achse die Via Claudia Augusta (Karolinen- und Frauentorstraße). In west-östlicher Rich­ tung betrug der Durchmesser des römischen Stadtgebietes etwa 750 m, in nord-südlicher 90o m (etwa 65 ha Gesamtfläche). Unter Hadrian wurde die Siedlung wohl zum muni­ cipium erhoben. »Innerhalb der so umgrenzten Stadt lassen sich zwei verschiedene Straßensysteme erkennen, über deren gegenseitiges Verhältnis jedoch vor der abschließenden Bear­ beitung der bisherigen Feststellungen nichts ausgesagt werden kann. Vom Nordwesten kommend führte die Fortsetzung der Via Claudia im Stadtinnern offenbar auf den idealen Mittelpunkt der Stadt zu. Fast genau rechtwinklig zu ihr verläuft die Straße zum Südwesttor. Kleinere Nebenstraßen, rechtwinklig zu diesen Hauptadern, sind be­ kannt, aber jeweils nur auf kurze Strecken. Im Ostteil der Stadt herrscht dagegen ein mehr den Hauptrichtungen der Windrose angeglichenes Straßennetz, von dem haupt­ sächlich Nordsüdstraßen auf längere Strecken beobachtet sind«®, Von den Wehranlagen haben sich nur Graben und Mauer der Westseite einwand­ frei nachweisen lassen. Auf dem Stadtplan von 1814 erkennt man die Befestigungslinie noch deutlich zwischen der Langgasse und der Alten Zeughaus-Straße entlang der auf4

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Grundlegend: Wolfgang Hübener, Zum römischen und frühmittelalterlichen Augsburg, Jahrbuch des Röm.-Germ. Zentralmuseums Mainz 5, 1958, S. 154 ff. mit Zusammenstellung der Bodenfunde und der gesamten Literatur. - überblick: Wilhelm Schleiermacher, Augusta Vindelicum. Die Hauptstadt der römischen Provinz Raetien, »Augusta«, S. 11 ff. - Wichtig die Fund- und Grabungsberichte von L. Ohlenroth, Bayer. Vorgeschichtsbll. 21, 1956, S. 256 ff. und 22, 1957, S. 179 ff. • Alfred Schröder, Kirchweihfest und Patrozinien des Domes zu Augsburg, Archiv f. d. Gesch. des Hochstifts VI, 1929, S. 238, hält das halbkreisförmige Fundament, das konzentrisch die Westapsis des Domes im Abstand von 1,05 m umgibt, für die Exedra der Marktbasilika (wahrscheinlicher Apsisfundament des karolingischen Domes). Schleiermacher, S. 15.

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AUGSBURG

(Abbildungen 35 u. 54, Tafeln 19 u. 20)

Augsburg' liegt zwischen Wertach und Lech, auf einem flachen Hügelrücken, der sich von Süden her in den Mündungswinkel der Wertach schiebt. Seine Nordspitze erhebt sich beim »Luginsland« bis zu 25 und 50 m über die Lechebene. Die begünstigte Lage am Zusammenfluß zweier Wasserläufe, die natürliche Verteidi­ gungsmöglichkeit - der Hügelrücken fällt nach Norden und Osten steil ab - hätten, so denkt man, schon früh zur Ansiedlung verlocken müssen. Vorrömische Niederlassungen im Stadtgebiet selbst sind aber nicht bezeugt. In der Gegend des heutigen Hauptbahn­ hofs kamen zahlreiche Gräber der Hallstadt-Periode zum Vorschein, ohne daß wir die zugehörigen Wohnstätten kennen. Ob der von Strabo erwähnte feste Ort der Likatier Damasia in Augsburg zu suchen ist, bleibt umstritten. Keltische Funde haben diese Vermutung bisher nicht bestätigt2. Sicheren Boden betritt man in der Siedlungsgeschichte der Stadt erst in römischer Zeit. Die Via Claudia Augusta sollte die neu eroberte Provinz Rätien mit dem italischen Straßennetz verbinden. Ihre Führung legte Drusus bald nach 15 v. Chr. fest. Sie zog den Lech entlang über den Hügelrücken und überschritt die Wertach etwas südwestlich ihrer Mündung*. Die Straße entschied bis in die Neuzeit hinein Schicksal und Gestalt l

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Eine ausführliche Geschichte Augsburgs im Mittelalter, die den heutigen Anforderungen voll entspräche, fehlt. Die populären Darstellungen von Lorenz Werner, Gesch. d. Stadt Augsburg, Augsb. 1900, von Hans Eberlein, Augsb.-Berlin (1959), und Hugo Staiger, Gesch. d. Stadt Augsb. München-Berlin 1941, ersetzt jetzt das zuverlässige, stoffreiche und ge­ drängte Buch von Wolfgang Zorn, Augsburg, München (1955), das aber leider auch keine Einzelnachweise enthält. Eine wissenschaftlich zureichende Geschichte des mittelalterlichen Augsburg wird solange nicht geschrieben werden können, als die Quellen nur unvollstän­ dig veröffentlicht sind (Monumenta Boica, Bd. 55a,b, 354a, b, 55a, München 1841 ff.) und Urkundenbuch d. Stadt Augsb., hgb. v. Christian Meyer, 2 Bde., Augsb. 1874-78. Für die Bistumsgeschichte liegt das umfangreiche Werk von Placidus Braun, Geschichte der Bischöfe von Augsburg, Augsburg 1814 ff., vor. Einzelfragen in der Reihe der Jahresberichte des hist. Kreisvereins im Regierungsbezirk von Schwaben und Neuburg (seit 1835) und der Zeitschrift des Historischen Vereins für Schwaben und Neuburg (seit 1874), sowie in dem von Alfred Schröder herausgegebenen Archiv für die Geschichte des Hochstifts Augsburg, Bd. I-VI, Dillingen 1909-1929. Die Stadtbaugeschichte von Oskar Schürer, Augsburg, Burg b. Magdeburg (1934), Deutsche Bauten, Bd. 22, legt das Hauptgewicht auf das 16. und 17. Jh. und streift das Mittelalter nur allzu kurz. Die mittelalterliche Stadtentwicklung in Über­ sicht: Erich Herzog, Werden u. Wesen d. mittelalterl. Stadt, »Augusta« 955-1955, München 1955, S. 83 ff. - Seither erschienen: Regesten d. Bischöfe u. d. Domkapitels v. Augsb., Bd. 1, 1. Lieferung v.Fr. Zoepfl u. W. Volkert (bis z. Tode d.hl. Ulrich), Augsb. 1955, und Fr. Zoepfl, Gesch. d. Bistums Augsb. u. seiner Bischöfe i. Mittelalter, Augsb.-München 1955. Julius Miedel, Augsburgs Namen im Verlauf seiner Geschichte, Archiv f. d. Gesch. d. Hoch­ Stifts V, 1916/19, S. 85 ff. und 660 ff. B. Eberl, Die Römerstraße Augsburg-Füssen. Via Claudia Augusta, Das Schwäbische Mu­ seum, 1951, S. 1 ff.

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der Stadt. Unsere Kenntnis des römischen Augsburg, der Augusta Vindelicum (oder Vindelicorum) - nach Augustus benannt - ist trotz bedeutender Einzelfunde bei weitem nicht so umfassend wie die des römischen Köln, Trier oder Regensburg*. Außer dem vermutlichen Stadtumriß und dem Westtore hat man von seiner Topographie erst in jüngster Zeit einiges erschlossen. Wahrscheinlich wurde die römische Siedlung in spät­ tiberisch-claudischer Zeit auf jungfräulichem Boden, gerodetem Waldland, angelegt. Ihr voraus ging ein Legionslager am westlichen Wertachufer bei Oberhausen, dicht vor dem Nordtor der späteren Stadt. Die erste Bebauung bestand aus einfachen Lehm- und Holzhäusern wie in Trier und Köln. Wohl erst seit der Mitte des 1. Jahrhunderts wurden die öffentlichen Gebäude durch Steinbauten ersetzt. Thermen fanden sich an der Geor­ gen- und an der Pettenkoferstraße. Das Forum konnte bisher nicht nachgewiesen wer­ den. Es lag kaum im südlichsten Zipfel der Stadt an der Stelle des Domes und der Johanniskirche, wie man seit dem 16. Jahrhundert annahm*. Südlich vom Dom unter der späteren St. Johanniskirche kam ein ausgedehnteres Peristylhaus der mittleren Kaiserzeit zum Vorschein. Der unregelmäßige Umriß paßt sich den Bodenverhältnissen an. Im Norden und Osten nützte er vielleicht den Steilhang der Hügelspitze aus; im Süden (Mauerberg, Obstmarkt, Hafnerberg) fällt das Gelände zwar flacher, aber noch immer merklich ab (der Dom liegt 7 m über dem Niveau des Perlachturmes). Die West­ grenze zog sich zwischen den Straßen »Am Katzenstadel« - Heiligkreuz-Straße und langer bzw. Alter Gasse hin. Diese fast rautenförmige Siedlung durchlief als Haupt­ achse die Via Claudia Augusta (Karolinen- und Frauentorstraße). In west-östlicher Rich­ tung betrug der Durchmesser des römischen Stadtgebietes etwa 750 m, in nord-südlicher 90o m (etwa 65 ha Gesamtfläche). Unter Hadrian wurde die Siedlung wohl zum muni­ cipium erhoben. »Innerhalb der so umgrenzten Stadt lassen sich zwei verschiedene Straßensysteme erkennen, über deren gegenseitiges Verhältnis jedoch vor der abschließenden Bear­ beitung der bisherigen Feststellungen nichts ausgesagt werden kann. Vom Nordwesten kommend führte die Fortsetzung der Via Claudia im Stadtinnern offenbar auf den idealen Mittelpunkt der Stadt zu. Fast genau rechtwinklig zu ihr verläuft die Straße zum Südwesttor. Kleinere Nebenstraßen, rechtwinklig zu diesen Hauptadern, sind be­ kannt, aber jeweils nur auf kurze Strecken. Im Ostteil der Stadt herrscht dagegen ein mehr den Hauptrichtungen der Windrose angeglichenes Straßennetz, von dem haupt­ sächlich Nordsüdstraßen auf längere Strecken beobachtet sind«®, Von den Wehranlagen haben sich nur Graben und Mauer der Westseite einwand­ frei nachweisen lassen. Auf dem Stadtplan von 1814 erkennt man die Befestigungslinie noch deutlich zwischen der Langgasse und der Alten Zeughaus-Straße entlang der auf4

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Grundlegend: Wolfgang Hübener, Zum römischen und frühmittelalterlichen Augsburg, Jahrbuch des Röm.-Germ. Zentralmuseums Mainz 5, 1958, S. 154 ff. mit Zusammenstellung der Bodenfunde und der gesamten Literatur. - überblick: Wilhelm Schleiermacher, Augusta Vindelicum. Die Hauptstadt der römischen Provinz Raetien, »Augusta«, S. 11 ff. - Wichtig die Fund- und Grabungsberichte von L. Ohlenroth, Bayer. Vorgeschichtsbll. 21, 1956, S. 256 ff. und 22, 1957, S. 179 ff. • Alfred Schröder, Kirchweihfest und Patrozinien des Domes zu Augsburg, Archiv f. d. Gesch. des Hochstifts VI, 1929, S. 238, hält das halbkreisförmige Fundament, das konzentrisch die Westapsis des Domes im Abstand von 1,05 m umgibt, für die Exedra der Marktbasilika (wahrscheinlicher Apsisfundament des karolingischen Domes). Schleiermacher, S. 15.

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Kleine oder Heerstraße. Der mittelalterliche Verkehr hat sie fast ganz verlassen; man zog den bequemeren Brennerpaß dem schwierigeren Reschen-Scheideckpaß vor. Nord­ wärts endete die Via Claudia in der Nähe von Donauwörth. Auf der römischen Straße nach Kempten, die wohl ebenfalls vom Südtor der Römerstadt ausging, stand im Mittel­ alter das Gögginger Tor. Eine weitere römische Straße führte nach Westen über Pfersee; sie verließ das Stadtgebiet bei dem ergrabenen Südwesttor in der Nähe des späteren Bischofshofes?. Für den mittelalterlichen Handelsverkehr haben die Nord- und West­ straßen über Donauwörth-Nördlingen nach Würzburg und Nürnberg, über Ulm an den Rhein besondere Wichtigkeit erlangt. Augsburg bildete gewissermaßen ein Sammel­ becken für die deutschen Handelsstraßen aus West und Nord, um sie nach Süden weiter­ zuleiten. Längs der Straßen lagen vor der römischen Stadt die Gräberfelder. Das größte Be­ stattungsgebiet dehnte sich von der Gegend des heutigen Hauptbahnhofes bis zur Rosenau aus. An der Via Claudia wurde beim zweiten Meilenstein die hl. Afra der Le­ gende nach bestattet. (Der o-Meilenstein stand in Oberhausen im Nordwesten vor Augs­ burg.) Römische Grabsteine kamen auch beim Ulrich- und Afrakloster zum Vorschein, aber in sekundärer Verwendung". Wohl schon im 5. Jahrhundert war Augsburg Bischofssitz, wie man heute allgemein annimmt°. Eine spätantike Taufkirche mit Brunnen davor in einfachster Form fand sich unter der 1808 abgebrochenen Johanniskirche vor der Südseite des Domes'°, Über dem Grabe der Märtyrerin Afra erhob sich eine Coemeterialkirche, zu der um 565 - schon über ein halbes Jahrhundert nach der friedlichen Ansiedlung der Alamannen - Venan­ tius Fortunatus pilgerte: Si tibi barbaricos conceditur ire per amnes Ut placide Rhenum transcendere possis et Histrum Pergis ad Augustam, qua Virdo et Licca fluentant Illic ossa sacrae venerabere martyris Afrae11.



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Abb. 35. Augsburg im 11. Jahrhundert

fallenden Grundstücksgrenze, die von der Westspitze der Immunität nach Norden läuft. Ungesichert und bisher nicht durch Funde belegt sind Nord- und Ostseite. Eine ältere Holzumwehrung scheint seit etwa 70 n.Chr. allmählich durch Steinbau ersetzt worden zu sein. Von dem Südtore lief die Via Claudia Augusta etwa in Richtung Karolinenstraße Untere Maximilianstraße den Alpen zu. Über Winter-, Dominikaner- und Zwerchgasse stieg sie von der Hochterrasse in die Lechebene hinunter. Etwas westlich des Roten Tores verließ sie das mittelalterliche Stadtgebiet. Davor mündete von Südosten die Brenner­ straße über Innsbruck - Scharnitzpaß - Partenkirchen - Weilheim ein. Die Via Claudia Augusta führte in südlicher Richtung über Haunstetten-Schwabmünchen-Buchloe-Kauf­ beuren-Füssen-Fernpaß und Reschen-Scheideckpaß nach Italien. Sie hieß später die

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Vgl. das römische Straßennetz um Augsburg, Das Schwäbische Museum 1951, S. 8. - Alfred Schröder, Die »Straße« und die hochstiftische Straßvogtei, Archiv f. d. Gesch. d. Hoch­ stifts V, 1916/19, S. 565 ff. - Walter Cartellieri, Die römischen Alpenstraßen etc., Leipzig 1926 (Philologus, Suppl. 18, Heft 1), S.87 f. und 158f. - Walter Woodburn Hyde, Roman Alpine Routes, Philadelphia 1935, S. 116 ff. - Dazu Hübener S. 166 ff. Man benutzte im Mittelalter entweder die Große oder Hoch-Straße über Schwabmünchen­ Mindelheim-Memmingen zum Bodensee, die ebenfalls römischen Ursprungs ist, oder eine nichtrömische Straße, die keinen eigenen Namen geführt zu haben scheint und die auf der Westseite des Lechs über Landsberg-Schongau nach Partenkirchen zog und von dort an die römische Brennerstraße einschlagen konnte. Andreas Bigelmair, Die Afralegende, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts I, 1909/11, S. 139 ff. J. A. Endres, Die Kirche der Heiligen Ulrich und Afra zu Augsburg, Zeitschr. d. Hist. Ver. 22, 1895, S. 165 ff. - Hübener, S. 187. - A. Bigelmair, Die hl. Afra, Lebensbilder aus dem Bayer. Schwaben, München 1952, Bd. 1,5. 1 ff. A. Schröder, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts VI, 1929, S.237. - A. Bigelmair, ebenda, I, 1909/11, S.144. -Zoepfl, S. 6 ff. Ludwig Ohlenroth, Frühchristliche Taufanlage in Augsburg, Forschungen und Fortschritte 6, 1950, S. 169/70. - Wolfgang Hübener, Zur Zeitstellung des frühchristlichen Taufbrunnens bei St. Johannis in Augsburg, Germania 34, 1956, S. 158ff. Das Kirchlein könnte in das 5./6. Jh. zurückreichen. Der Brunnen gehört der Zeit zwischen Mitte 6. und Anfang 9.Jh. an. MG SS Auct. antiqu. IV, S.368.

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Abb. 35. Augsburg im 11. Jahrhundert

fallenden Grundstücksgrenze, die von der Westspitze der Immunität nach Norden läuft. Ungesichert und bisher nicht durch Funde belegt sind Nord- und Ostseite. Eine ältere Holzumwehrung scheint seit etwa 70 n.Chr. allmählich durch Steinbau ersetzt worden zu sein. Von dem Südtore lief die Via Claudia Augusta etwa in Richtung Karolinenstraße Untere Maximilianstraße den Alpen zu. Über Winter-, Dominikaner- und Zwerchgasse stieg sie von der Hochterrasse in die Lechebene hinunter. Etwas westlich des Roten Tores verließ sie das mittelalterliche Stadtgebiet. Davor mündete von Südosten die Brenner­ straße über Innsbruck - Scharnitzpaß - Partenkirchen - Weilheim ein. Die Via Claudia Augusta führte in südlicher Richtung über Haunstetten-Schwabmünchen-Buchloe-Kauf­ beuren-Füssen-Fernpaß und Reschen-Scheideckpaß nach Italien. Sie hieß später die

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Vgl. das römische Straßennetz um Augsburg, Das Schwäbische Museum 1951, S. 8. - Alfred Schröder, Die »Straße« und die hochstiftische Straßvogtei, Archiv f. d. Gesch. d. Hoch­ stifts V, 1916/19, S. 565 ff. - Walter Cartellieri, Die römischen Alpenstraßen etc., Leipzig 1926 (Philologus, Suppl. 18, Heft 1), S.87 f. und 158f. - Walter Woodburn Hyde, Roman Alpine Routes, Philadelphia 1935, S. 116 ff. - Dazu Hübener S. 166 ff. Man benutzte im Mittelalter entweder die Große oder Hoch-Straße über Schwabmünchen­ Mindelheim-Memmingen zum Bodensee, die ebenfalls römischen Ursprungs ist, oder eine nichtrömische Straße, die keinen eigenen Namen geführt zu haben scheint und die auf der Westseite des Lechs über Landsberg-Schongau nach Partenkirchen zog und von dort an die römische Brennerstraße einschlagen konnte. Andreas Bigelmair, Die Afralegende, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts I, 1909/11, S. 139 ff. J. A. Endres, Die Kirche der Heiligen Ulrich und Afra zu Augsburg, Zeitschr. d. Hist. Ver. 22, 1895, S. 165 ff. - Hübener, S. 187. - A. Bigelmair, Die hl. Afra, Lebensbilder aus dem Bayer. Schwaben, München 1952, Bd. 1,5. 1 ff. A. Schröder, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts VI, 1929, S.237. - A. Bigelmair, ebenda, I, 1909/11, S.144. -Zoepfl, S. 6 ff. Ludwig Ohlenroth, Frühchristliche Taufanlage in Augsburg, Forschungen und Fortschritte 6, 1950, S. 169/70. - Wolfgang Hübener, Zur Zeitstellung des frühchristlichen Taufbrunnens bei St. Johannis in Augsburg, Germania 34, 1956, S. 158ff. Das Kirchlein könnte in das 5./6. Jh. zurückreichen. Der Brunnen gehört der Zeit zwischen Mitte 6. und Anfang 9.Jh. an. MG SS Auct. antiqu. IV, S.368.



Dieses frühchristliche Heiligtum konnte unter der Godehardkapelle dicht beim Chor der heutigen Ulrich- und Afra-Kirche nachgewiesen werden. Möglicherweise gehören auch Fundamentreste unter dem südlichen Seitenschiff von St. Moritz zu einem spät­ antiken Kirchenbau!!+. 739 bezeichnet Papst Gregor III. die Civitas Augusta als eine zur Abhaltung eines Konzils geeignete Stätte. Zwar klafft zwischen dieser Erwähnung und dem Besuch des Dichters eine Lücke von 180 Jahren in der Überlieferungsgeschichte des Augsburger Christentums. Aber da schon im 7. Jahrhundert unter fränkischem Einfluß das alaman­ nische Rätien die neue Religion annahm, wird man für den Ort ein ununterbrochenes Fortleben seit konstantinischer Zeit vermuten dürfen'?, wenn auch der Bischof seinen Sitz zeitweise vielleicht nach Sabiona-Säben (bei Brixen) zurückverlegen mußte. Die Siedlungskontinuität scheint vor allem von der Grabeskirche und dem Kult der hl. Afra getragen worden zu sein. An diese Kirche schloß sich wohl eine Siedlung an (vgl. St. Ger­ man in Speyer, St. Cassius in Bonn, St. Viktor in Xanten). Der »Abt« von St. Afra war in vorkarolingischer Zeit zugleich Bischof. Bis um die Jahrtausendwende blieb die Afrakirche als Grabkirche der Bischöfe in Gebrauch. Am Dorn und an der Märtyrer­ kirche bildeten sich zwei Kanonikatsitze aus, deren Vermögen zunächst gemeinsam verwaltet wurde13. In karolingischer Zeit scheint Augsburg keine bedeutende Rolle gespielt zu haben. Ur-St. Afra wurde um die Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert durch Bischof Simpert umgebaut oder über den frühchristlichen Fundamenten wieder errichtet. Erst im 10. Jahrhundert mit der Regierung des hl. Ulrich, eines Grafen von Dillingen (925-973), setzt der Aufschwung ein. Die Gefahr der Ungarneinfälle bewog ihn, die Immunitätsbefestigung zu erneuern. »... civitatern, quam ineptis valliculis et lignis 11a 12

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L. Ohlenroth, Bayer. Vorgeschichtsbll. 22, 1957, S. 194 ff. mit Grundriß und Baugeschichte von Ur-St. Afra (Abb. 50). - St. Moritz: ebenda 21, 1956, S. 274 mit Abb. 66. Brief Gregors III.: MG Ep. sel. ed. M. Tangl, S.292: ».. . loco ad celebranda concilia con­ venire mandaverit, .. . sive in civitate Augusta .. .« - Rudolf Egger, Die Ecclesia Secundae Raetiae, Festschrift P. Reinecke 1950, S.51 ff., gelang der Nachweis eines Augsburger Bi­ schofs Martianus oder Marcianus für die Jahre 534-574. - Hans Bott, Frühchristliche Denk­ mäler aus Schwaben?, Zeitschr. d. Hist. Ver. 57, 1950, S. 1 ff. - Skeptischer Hübener, S. 223 f. A. Bigelmair, Arch. f. d. Gesch. d. Hochst. I, S.220/1. - Zur Bestattung der Bischöfe in St. Afra vgl. Braun, Gesch. d. Bischöfe, Bd. I, S.74, 99, 107, 129, 138, 172, 255.

Zu nebenstehender Abbildung: 1 Dom

2 St. Johannis (abgebrochen) 3 St. Ulrich u. Afra 4 HI. Kreuz

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St. Stephan St. Gallus St. Georg St. Peter am Pcrlach St. Moritz St. Jakob Bischofshof ( - Residenz) Rotes Tor Gögginger Tor Frauentor Hof „am Schwalbeneck' Sternwarte Jakobertor

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A Gegen den Katzenstadel (früher Wertachbrücker Mauer) B Am Katzenstadel C Alte Zeughausstraße (nach dem Plan von 1814) D Heiligkreuzstraße E Auf dem Kreuz F Frauentorstraße G Kohlergasse H Jesuitengasse J Äußere Pfaffengasse K Langgasse L Alte Gasse M Peutingerstraße N Mauerberg O Obstmarkt P Hafnerberg

Q R S T U V W X y Z

„Im Thäle" Ludwigstraße St. Georgenstraße Karlstraße Steingasse St. Annastraße Luginsland Karolinenstraße Schmiedgasse Schmiedlech

a Saugasse b Heumarkt (jetzt Philippine Welser-Str.) c Kesselmarkt d Barfüssergasse e Jakoberstraße

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Maximilianstraße (jetzt Ulrich­ straße, früher Brotmarkt) Maximilianstraße (früher Weinmarkt) Maximilianstraße Kitzenmarkt Wintergasse Dominikanergasse Bäckergasse Grabgasse Afrawall Zwerchgasse

Abb. 54. Augsburg. Mittelalterliches Stadtgebiet nach dem Katasterplan von 1814



Dieses frühchristliche Heiligtum konnte unter der Godehardkapelle dicht beim Chor der heutigen Ulrich- und Afra-Kirche nachgewiesen werden. Möglicherweise gehören auch Fundamentreste unter dem südlichen Seitenschiff von St. Moritz zu einem spät­ antiken Kirchenbau!!+. 739 bezeichnet Papst Gregor III. die Civitas Augusta als eine zur Abhaltung eines Konzils geeignete Stätte. Zwar klafft zwischen dieser Erwähnung und dem Besuch des Dichters eine Lücke von 180 Jahren in der Überlieferungsgeschichte des Augsburger Christentums. Aber da schon im 7. Jahrhundert unter fränkischem Einfluß das alaman­ nische Rätien die neue Religion annahm, wird man für den Ort ein ununterbrochenes Fortleben seit konstantinischer Zeit vermuten dürfen'?, wenn auch der Bischof seinen Sitz zeitweise vielleicht nach Sabiona-Säben (bei Brixen) zurückverlegen mußte. Die Siedlungskontinuität scheint vor allem von der Grabeskirche und dem Kult der hl. Afra getragen worden zu sein. An diese Kirche schloß sich wohl eine Siedlung an (vgl. St. Ger­ man in Speyer, St. Cassius in Bonn, St. Viktor in Xanten). Der »Abt« von St. Afra war in vorkarolingischer Zeit zugleich Bischof. Bis um die Jahrtausendwende blieb die Afrakirche als Grabkirche der Bischöfe in Gebrauch. Am Dorn und an der Märtyrer­ kirche bildeten sich zwei Kanonikatsitze aus, deren Vermögen zunächst gemeinsam verwaltet wurde13. In karolingischer Zeit scheint Augsburg keine bedeutende Rolle gespielt zu haben. Ur-St. Afra wurde um die Wende vom 8. zum 9. Jahrhundert durch Bischof Simpert umgebaut oder über den frühchristlichen Fundamenten wieder errichtet. Erst im 10. Jahrhundert mit der Regierung des hl. Ulrich, eines Grafen von Dillingen (925-973), setzt der Aufschwung ein. Die Gefahr der Ungarneinfälle bewog ihn, die Immunitätsbefestigung zu erneuern. »... civitatern, quam ineptis valliculis et lignis 11a 12

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L. Ohlenroth, Bayer. Vorgeschichtsbll. 22, 1957, S. 194 ff. mit Grundriß und Baugeschichte von Ur-St. Afra (Abb. 50). - St. Moritz: ebenda 21, 1956, S. 274 mit Abb. 66. Brief Gregors III.: MG Ep. sel. ed. M. Tangl, S.292: ».. . loco ad celebranda concilia con­ venire mandaverit, .. . sive in civitate Augusta .. .« - Rudolf Egger, Die Ecclesia Secundae Raetiae, Festschrift P. Reinecke 1950, S.51 ff., gelang der Nachweis eines Augsburger Bi­ schofs Martianus oder Marcianus für die Jahre 534-574. - Hans Bott, Frühchristliche Denk­ mäler aus Schwaben?, Zeitschr. d. Hist. Ver. 57, 1950, S. 1 ff. - Skeptischer Hübener, S. 223 f. A. Bigelmair, Arch. f. d. Gesch. d. Hochst. I, S.220/1. - Zur Bestattung der Bischöfe in St. Afra vgl. Braun, Gesch. d. Bischöfe, Bd. I, S.74, 99, 107, 129, 138, 172, 255.

Zu nebenstehender Abbildung: 1 Dom

2 St. Johannis (abgebrochen) 3 St. Ulrich u. Afra 4 HI. Kreuz

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St. Stephan St. Gallus St. Georg St. Peter am Pcrlach St. Moritz St. Jakob Bischofshof ( - Residenz) Rotes Tor Gögginger Tor Frauentor Hof „am Schwalbeneck' Sternwarte Jakobertor

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A Gegen den Katzenstadel (früher Wertachbrücker Mauer) B Am Katzenstadel C Alte Zeughausstraße (nach dem Plan von 1814) D Heiligkreuzstraße E Auf dem Kreuz F Frauentorstraße G Kohlergasse H Jesuitengasse J Äußere Pfaffengasse K Langgasse L Alte Gasse M Peutingerstraße N Mauerberg O Obstmarkt P Hafnerberg

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„Im Thäle" Ludwigstraße St. Georgenstraße Karlstraße Steingasse St. Annastraße Luginsland Karolinenstraße Schmiedgasse Schmiedlech

a Saugasse b Heumarkt (jetzt Philippine Welser-Str.) c Kesselmarkt d Barfüssergasse e Jakoberstraße

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Maximilianstraße (jetzt Ulrich­ straße, früher Brotmarkt) Maximilianstraße (früher Weinmarkt) Maximilianstraße Kitzenmarkt Wintergasse Dominikanergasse Bäckergasse Grabgasse Afrawall Zwerchgasse

Abb. 54. Augsburg. Mittelalterliches Stadtgebiet nach dem Katasterplan von 1814

putridis circumdatam invenit, muris cingere valuisset«'. So konnte 955 vor der Ent­ scheidungsschlacht auf dem Lechfelde die Bischofsburg die kurze Belagerung aushalten. Zwar waren die Mauern noch niedrig und Türme fehlten ganz. »Augustam ... civita­ tem ..., quae tune imis sine turribus circumdata muris firma ex semet ipsa non fuit«', Die Immunitätsgrenzen zur Zeit des hl. Ulrich haben sich bis in die Neuzeit hinein un­ verändert erhalten. Sie zeichnen sich deutlich im Stadtgrundriß ab. Der mandelförmige Umriß der Domburg folgt im Osten und Süden der römischen Stadtbefestigung. (Hügel­ rand zwischen Sternwarte und Mauerberg, Obstmarkt, Hafnerberg.) Der Straßenname Mauerberg weist noch auf die Befestigung hin, die Bezeichnung »Thäle« neben dem Hafnerberg auf den Grabenzug vor der Mauer, der noch heute sich am Niveau-Unter­ schied deutlich kundgibt. Von der Südmauer selbst blieb nichts erhalten, sie verschwand schon nach 1500. Das südliche oder »alte« Burgtor wurde zwischen 1351 und 1355 ab­ gebrochen'. Wahrscheinlich gehörten zur Südmauer die Reste, die man 1824 und 1836 am Obstmarkt und in der Schmiedgasse fand und damals für römisch hielt17. Auf der Nordseite dagegen steht die spätmittelalterliche Stadtmauer noch zum großen Teil längs der Kohler-, Jesuiten- und Äußeren Pfaffengasse (die Osthälfte in ganzer Höhe). Sie entstammt allerdings erst dem 14. Jahrhundert. Von dem Mauerbau des hl. Ulrich blieb auch hier nichts mehr übrig. Der Erhaltungszustand der Nordseite ist deshalb um so viel günstiger, weil hier jahrhundertelang die Immunitätsmauer einen Teil der gesamten Stadtbefestigung bildete, während die Südmauer seit der Errichtung der geschlossenen Stadt keinen Verteidigungswert mehr besaß und wegfallen konnte. Jesuiten- und Kohlergasse hießen noch im 17. Jahrhundert »Auf unser Frauen Graben«. (Der Augsburger Dom ist der Gottesmutter geweiht.) Das so umgrenzte Immunitäts­ gebiet ist 620 m lang und 500 m breit (etwa 15 ha). Tore gab es offenbar zur Zeit des hl. Ulrich drei. Das Südtor in der Karolinenstraße neben dem späteren Hof »am Schwal­ beneck« führte auf die ltalienstraße. Das Frauentor im Norden hat sich in seiner barocken Gestalt bis 1885 gehalten. Von dem Osttor, das zu dem Bach am Fuße der Hochterrasse führte, wissen wir nur aus der Vita s. Oudalrici. Es stand offenbar am Mauerberg18. Neuerdings wurde ein Befestigungsring mit einzelstehenden Türmen, Gräben und vermutetem Wall oder Holzerdemauer nachgewiesen, die dem Zuge der späteren »Bischofsmauer« folgte. Offenbar ist damit die ottonische Immunitätsbefestigung auf­ gedeckt worden!®", Der Durchgangsverkehr wird im 11. und 12. Jahrhundert schon nicht mehr die Immunität durchzogen haben. Wahrscheinlich verlagerte sich auch der Wertachübergang seit der Römerzeit mehr nach Westen. Es bildete sich für die Durchgangsstraße ein Um14 15 16

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MG SS IV, S. 590. MG SS IV, S. 401. Josef Zeller, Das Augsburger Burggrafenamt, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts V, 1916/19, S.558. - Robert Hoffmann, Die Tore und Befestigungen der Stadt Augsburg vom 1o. bis zum 15. Jahrhundert, Zeitschr. d. Hist. Ver. 15, 1886, S.8. Fr. Ohlenschlager, Römische Überreste in Bayern, München 1902-10, S. 205. Gußmauer von 1,5-2 m Stärke. »Porta autem orientalis plagae, unde itur ad aquam, ...« MG SS IV, S. 401. L. Ohlenroth, Bayer. Vorgeschichtsbll. 21, 1956, S. 263 f. mit Abb. 61, S. 266 u. 278 f. datiert diese Immunitätsbefestigung ins 6.-8. Jh. Zwischen ihr und der gotischen »Bischofsmauer« schiebt sich aber keine weitere Phase mehr ein. Man darf deshalb in ihr die ottonische Befestigung erblicken.

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gehungsweg auf der Westseite der Domburg aus, der im Zuge der Straßen »Am Katzen­ stadel«, Heiligkreuz- und Ludwigstraße den Verkehr vom Wertachübergang zur Italien­ straße leitete. Zum Beweis dafür mag das Hospital zum hl. Kreuz für Arme und Pilger dienen, aus dem später das Augustinerchorherrenstift hl. Kreuz hervorging. Als Pilger­ herberge lag es sinnvoll an der Durchgangsstraße vor der Westspitze der Domburg, zu­ mindest seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, während das vom hl. Ulrich gegründete Spital sich innerhalb der Domburg befand wie viele frühmittelalterliche Spitäler Italiens und Galliens19. In der Immunität selbst, deren ganze Osthälfte noch unbebaut war und in Zeiten der Gefahr als Fluchtburg dienen konnte, errichtete der hl. Ulrich die Johanniskirche über der altchristlichen Taufanlage vor dem Dom. Sie bildete die Pfarrkirche der Dom­ pfarrei. Ein Dompfarrer wird zuerst 1145 genannt?°. In der Nähe des Domes lag eine Kirche des hl. Ambrosius, in der von Karfreitag bis Ostern das Altarsakrament auf­ bewahrt wurde. Dem Patrozinium nach könnte sie in die Zeit zurückreichen, in der Augsburg zur Erzdiözese Mailand gehörte. War etwa die Augsburger Bischofskirche eine Doppelanlage wie die oberitalienischen und gallischen Dome des frühen Mittel­ alters?20a, Dicht bei der Johanniskirche wurde ein Spitzgraben entdeckt. Wahrscheinlich waren vor der Neubefestigung der Immunität durch den hl. Ulrich nur Dom, Stift und Tauf­ stelle in Form eines Rechtecks bewehrt, das etwa von der Peutingerstraße, der Residenz, dem Nordflügel des Domkreuzgangs und der Verbindungslinie zwischen Nord- und Südtor der Immunität begrenzt wurde. Die Ostapsis des Domes hat erst seit dem goti­ schen Neubau des Chores (1356 ff.) die gerade Verbindungslinie der beiden Haupttore (Karolinenstraße-Frauentorstraße) durchbrochen. Trifft dies zu, dann hätte erst der hl. Ulrich die Fluchtburg um den Dom im Zuge der Burgenpolitik gegen die Ungarn er­ richtet?9b 19

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Das vom hl. Ulrich gegründete Spital lag innerhalb der Immunität. 1150 wird das hl. Kreuz­ Spital »civitate contiguum« erwähnt: Mon. Boica, Bd. 55a, München 1841, S.30f. Nr.52: »... beatus Udalricus ... pauperibus certam sedern ubi comrnanerent tune non habentibus infra murum urbis hospitalem domum eis dedit. ... et hortum unum civitate contiguum in quo nunc idem hospitale et oratorium sancte crucis videtur constructum.« - Vgl. Braun, Gesch. d. Bischöfe, Bd. I, S.203. Hier wird das Spital des hl. Ulrich außerhalb der Mauer angenommen. Dem Wortlaut der Urkunde nach ist das Spital erst nachträglich in den vom hl. Ulrich rnitgeschenkten Garten vor der Domburg verlegt worden. Frühe Spitäler inner­ halb der Immunität z. B. in Viterbo, Laon, Reims, Straßburg. Unter der Ludwigstraße fand sich ein alter Prügelweg, der 2 m unter dem heutigen Straßenniveau liegt. R. Hoffmann, Zeitschr. d. Hist. Ver. 15, 1886, S.2. »aecclesiam in cirniterio sanctae Mariae in rnodum crucis aedificare coepit. Et aedificatione peracta, altaribusque quinque in ea compositis, in honore sancti Johannis baptistae dedi­ cavit, et dolium baptizandi de petra excisum in ea constitui fecit.« MG SS IV, S.407. Er­ wähnung des Dompfarrers: Mon. Boica, Bd. 55a, S. 20. MGSSIV, S. 392:». . . intravit (der hl. Ulrich) aecclesiam sancti Ambrosii, ubi die parasceve corpus Christi superposito lapide collocavit, . . .« Sonst gänzlich unbekannt. Zu den Doppel­ anlagen vgl. für Frankreich Jean Hubert, L'architecture religieuse du haut moyen äge en France, Paris 1952, Taf. I-X. Vgl. Hübener S. 221 ff. Die Spitzgrabenbefestigung kann um 800 entstanden sein, jedenfalls vor dem Bau von St. Johannis im 1o. Jh., da dessen Südmauer die Stelle des Walles ein­ nimmt. Auch die Nordseite dieser Befestigung wurde angeschnitten (L. Ohlenroth, Bayer. Vorgeschichtsbll. 21, 1956, S. 362 f.).

putridis circumdatam invenit, muris cingere valuisset«'. So konnte 955 vor der Ent­ scheidungsschlacht auf dem Lechfelde die Bischofsburg die kurze Belagerung aushalten. Zwar waren die Mauern noch niedrig und Türme fehlten ganz. »Augustam ... civita­ tem ..., quae tune imis sine turribus circumdata muris firma ex semet ipsa non fuit«', Die Immunitätsgrenzen zur Zeit des hl. Ulrich haben sich bis in die Neuzeit hinein un­ verändert erhalten. Sie zeichnen sich deutlich im Stadtgrundriß ab. Der mandelförmige Umriß der Domburg folgt im Osten und Süden der römischen Stadtbefestigung. (Hügel­ rand zwischen Sternwarte und Mauerberg, Obstmarkt, Hafnerberg.) Der Straßenname Mauerberg weist noch auf die Befestigung hin, die Bezeichnung »Thäle« neben dem Hafnerberg auf den Grabenzug vor der Mauer, der noch heute sich am Niveau-Unter­ schied deutlich kundgibt. Von der Südmauer selbst blieb nichts erhalten, sie verschwand schon nach 1500. Das südliche oder »alte« Burgtor wurde zwischen 1351 und 1355 ab­ gebrochen'. Wahrscheinlich gehörten zur Südmauer die Reste, die man 1824 und 1836 am Obstmarkt und in der Schmiedgasse fand und damals für römisch hielt17. Auf der Nordseite dagegen steht die spätmittelalterliche Stadtmauer noch zum großen Teil längs der Kohler-, Jesuiten- und Äußeren Pfaffengasse (die Osthälfte in ganzer Höhe). Sie entstammt allerdings erst dem 14. Jahrhundert. Von dem Mauerbau des hl. Ulrich blieb auch hier nichts mehr übrig. Der Erhaltungszustand der Nordseite ist deshalb um so viel günstiger, weil hier jahrhundertelang die Immunitätsmauer einen Teil der gesamten Stadtbefestigung bildete, während die Südmauer seit der Errichtung der geschlossenen Stadt keinen Verteidigungswert mehr besaß und wegfallen konnte. Jesuiten- und Kohlergasse hießen noch im 17. Jahrhundert »Auf unser Frauen Graben«. (Der Augsburger Dom ist der Gottesmutter geweiht.) Das so umgrenzte Immunitäts­ gebiet ist 620 m lang und 500 m breit (etwa 15 ha). Tore gab es offenbar zur Zeit des hl. Ulrich drei. Das Südtor in der Karolinenstraße neben dem späteren Hof »am Schwal­ beneck« führte auf die ltalienstraße. Das Frauentor im Norden hat sich in seiner barocken Gestalt bis 1885 gehalten. Von dem Osttor, das zu dem Bach am Fuße der Hochterrasse führte, wissen wir nur aus der Vita s. Oudalrici. Es stand offenbar am Mauerberg18. Neuerdings wurde ein Befestigungsring mit einzelstehenden Türmen, Gräben und vermutetem Wall oder Holzerdemauer nachgewiesen, die dem Zuge der späteren »Bischofsmauer« folgte. Offenbar ist damit die ottonische Immunitätsbefestigung auf­ gedeckt worden!®", Der Durchgangsverkehr wird im 11. und 12. Jahrhundert schon nicht mehr die Immunität durchzogen haben. Wahrscheinlich verlagerte sich auch der Wertachübergang seit der Römerzeit mehr nach Westen. Es bildete sich für die Durchgangsstraße ein Um14 15 16

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MG SS IV, S. 590. MG SS IV, S. 401. Josef Zeller, Das Augsburger Burggrafenamt, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts V, 1916/19, S.558. - Robert Hoffmann, Die Tore und Befestigungen der Stadt Augsburg vom 1o. bis zum 15. Jahrhundert, Zeitschr. d. Hist. Ver. 15, 1886, S.8. Fr. Ohlenschlager, Römische Überreste in Bayern, München 1902-10, S. 205. Gußmauer von 1,5-2 m Stärke. »Porta autem orientalis plagae, unde itur ad aquam, ...« MG SS IV, S. 401. L. Ohlenroth, Bayer. Vorgeschichtsbll. 21, 1956, S. 263 f. mit Abb. 61, S. 266 u. 278 f. datiert diese Immunitätsbefestigung ins 6.-8. Jh. Zwischen ihr und der gotischen »Bischofsmauer« schiebt sich aber keine weitere Phase mehr ein. Man darf deshalb in ihr die ottonische Befestigung erblicken.

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gehungsweg auf der Westseite der Domburg aus, der im Zuge der Straßen »Am Katzen­ stadel«, Heiligkreuz- und Ludwigstraße den Verkehr vom Wertachübergang zur Italien­ straße leitete. Zum Beweis dafür mag das Hospital zum hl. Kreuz für Arme und Pilger dienen, aus dem später das Augustinerchorherrenstift hl. Kreuz hervorging. Als Pilger­ herberge lag es sinnvoll an der Durchgangsstraße vor der Westspitze der Domburg, zu­ mindest seit der Mitte des 12. Jahrhunderts, während das vom hl. Ulrich gegründete Spital sich innerhalb der Domburg befand wie viele frühmittelalterliche Spitäler Italiens und Galliens19. In der Immunität selbst, deren ganze Osthälfte noch unbebaut war und in Zeiten der Gefahr als Fluchtburg dienen konnte, errichtete der hl. Ulrich die Johanniskirche über der altchristlichen Taufanlage vor dem Dom. Sie bildete die Pfarrkirche der Dom­ pfarrei. Ein Dompfarrer wird zuerst 1145 genannt?°. In der Nähe des Domes lag eine Kirche des hl. Ambrosius, in der von Karfreitag bis Ostern das Altarsakrament auf­ bewahrt wurde. Dem Patrozinium nach könnte sie in die Zeit zurückreichen, in der Augsburg zur Erzdiözese Mailand gehörte. War etwa die Augsburger Bischofskirche eine Doppelanlage wie die oberitalienischen und gallischen Dome des frühen Mittel­ alters?20a, Dicht bei der Johanniskirche wurde ein Spitzgraben entdeckt. Wahrscheinlich waren vor der Neubefestigung der Immunität durch den hl. Ulrich nur Dom, Stift und Tauf­ stelle in Form eines Rechtecks bewehrt, das etwa von der Peutingerstraße, der Residenz, dem Nordflügel des Domkreuzgangs und der Verbindungslinie zwischen Nord- und Südtor der Immunität begrenzt wurde. Die Ostapsis des Domes hat erst seit dem goti­ schen Neubau des Chores (1356 ff.) die gerade Verbindungslinie der beiden Haupttore (Karolinenstraße-Frauentorstraße) durchbrochen. Trifft dies zu, dann hätte erst der hl. Ulrich die Fluchtburg um den Dom im Zuge der Burgenpolitik gegen die Ungarn er­ richtet?9b 19

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Das vom hl. Ulrich gegründete Spital lag innerhalb der Immunität. 1150 wird das hl. Kreuz­ Spital »civitate contiguum« erwähnt: Mon. Boica, Bd. 55a, München 1841, S.30f. Nr.52: »... beatus Udalricus ... pauperibus certam sedern ubi comrnanerent tune non habentibus infra murum urbis hospitalem domum eis dedit. ... et hortum unum civitate contiguum in quo nunc idem hospitale et oratorium sancte crucis videtur constructum.« - Vgl. Braun, Gesch. d. Bischöfe, Bd. I, S.203. Hier wird das Spital des hl. Ulrich außerhalb der Mauer angenommen. Dem Wortlaut der Urkunde nach ist das Spital erst nachträglich in den vom hl. Ulrich rnitgeschenkten Garten vor der Domburg verlegt worden. Frühe Spitäler inner­ halb der Immunität z. B. in Viterbo, Laon, Reims, Straßburg. Unter der Ludwigstraße fand sich ein alter Prügelweg, der 2 m unter dem heutigen Straßenniveau liegt. R. Hoffmann, Zeitschr. d. Hist. Ver. 15, 1886, S.2. »aecclesiam in cirniterio sanctae Mariae in rnodum crucis aedificare coepit. Et aedificatione peracta, altaribusque quinque in ea compositis, in honore sancti Johannis baptistae dedi­ cavit, et dolium baptizandi de petra excisum in ea constitui fecit.« MG SS IV, S.407. Er­ wähnung des Dompfarrers: Mon. Boica, Bd. 55a, S. 20. MGSSIV, S. 392:». . . intravit (der hl. Ulrich) aecclesiam sancti Ambrosii, ubi die parasceve corpus Christi superposito lapide collocavit, . . .« Sonst gänzlich unbekannt. Zu den Doppel­ anlagen vgl. für Frankreich Jean Hubert, L'architecture religieuse du haut moyen äge en France, Paris 1952, Taf. I-X. Vgl. Hübener S. 221 ff. Die Spitzgrabenbefestigung kann um 800 entstanden sein, jedenfalls vor dem Bau von St. Johannis im 1o. Jh., da dessen Südmauer die Stelle des Walles ein­ nimmt. Auch die Nordseite dieser Befestigung wurde angeschnitten (L. Ohlenroth, Bayer. Vorgeschichtsbll. 21, 1956, S. 362 f.).

Auch in dem übrigen Gebiet der Römerstadt im Norden der Domburg erhoben sich zur Zeit Ulrichs kirchliche Niederlassungen. Hier lag an der Stelle von St. Stephan die Eigenkirche eines vornehmen Geschlechtes, die dem Bischof geschenkt wurde. Dieser gründete 969 dabei ein Kanonissenstift unter der Leitung Ellensinds, der Schwester der ehemaligen Besitzer. Die Stiftungsurkunde ist noch im Original erhalten21. Benno von Reichenau, der gegen 1125 die Vita des hl. Ulrich bearbeitete, erwähnt, daß St. Stephan »extra urbis moenia sita est«. Etwas nördlich davon stand das Galluskirchlein, das be­ reits gegen 990 vorhanden war, da in ihm Ellensind begraben wurde. Außerdem wird es in dem Excerptum ex Gallica historia genannt, das um 1000 entstanden ist22. Dem Patrozinium nach könnte es in vorkarolingische Zeit zurückreichen. Auch die Afrakirche, fast 1200 m vom Dom entfernt, wurde vom hl. Ulrich neu gebaut, da sie von den Ungarn beschädigt worden war. Er ließ dort seine eigene Grabkapelle an der Südseite der Kirche anfügen23• So bietet auch Augsburg das typische Bild der ottonischen Stadt mit den locker und weithin verstreuten Kirchen und geistlichen Gemeinschaften um den Schwerpunkt der Domburg. Wie aus einer Bestätigungsurkunde Heinrichs IV. hervorgeht, war Bischof Ulrich bereits im Besitze des Münzrechtes?*. Prägungen Ulrichs haben sich gefunden. Beides deutet mit Sicherheit auf das Bestehen eines Marktes. Offenbar lag diese Marktsiedlung am Perlach - der Name »Perleihc« kommt in der Vita des Heiligen vor - an der Durch­ gangsstraße, 200 m vor dem Südtor der Domburg; denn dieser Platz ist immer für das Herz der Bürgerstadt angesehen worden. An seiner Ostseite erhebt sich die Peterskirche, die vielleicht noch in die Zeit des hl. Ulrich zurückreicht. Da sie unmittelbar am Markt liegt, wird man sie als Marktkirche Augsburgs ansprechen dürfen. Pfarrechte hat sie nie erlangt. Zwar taucht ihr Name erst 1067 auf, als eine bedeutendere Stiftung die Grün­ dung eines Kollegiatstiftes erlaubte; sie bestand aber sicher schon längere Zeit25. WahrAlfred Schröder, Alt-St. Stephan in Augsburg, Augsburg 1928, Germania Sacra Serie BI, 2C. Text der Urkunde, S.36 ff., Abb. derselben im Anhang. Entstehungsgeschichte, S.51. Der romanische Grundriß der Kirche wurde ergraben. Vgl. L. Ohlenroth, Bayer. Vor­ geschichtsbll. 21, 1956, S. 281 f. u. Abb. 73. 22 Ebenda, S.74f. - A. Schröder, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts VI, 1929, S. 263ff. - MG SS XXIII, S. 388 f. 23 J. A. Endres, Die Kirche der Heiligen Ulrich u. Afra, S. 174. - Bischof Heinrich I. (973-982) ließ bei St. Afra eine Lechbrücke bauen. Braun, Gesch. d. Bisch., Bd. I, S. 510. - L. Ohlenroth glaubt das Ulrichsgrab jüngst gefunden zu haben (Bayer. Vorgeschichtsbll. 22, 1957, S. 195 f.). Da seine Lage aber nicht der Quellenangabe entspricht, darf man die Identifizierung vor­ läufig nicht als gesichert betrachten. 24 »... secundum morem antiquitus hoc est temporibus ... sancti confessoris Ouadalrici con­ stitutum.« 1061. Mon. Boica, Bd. 29a, S. 150, Nr. 401. -D. Steinhilber, Geld- und Münz­ gesch. Augsburgs im Mittelalter (bis 1521), Jahrb. f. Numismatik u. Geldgesch. 5/6, 1954/55, S. 15, 26, 35 u. 95 ff. 25 Alfred Schröder, Die älteste Urkunde für St.Peter in Augsburg, Zeitschr. d. Hist. Ver. 50, 1932/35, S.9 ff. Der Name Perlach - collis Pereleich - hängt offenbar mit dem ital. perlagio, parlascio zu­ sammen, was auf ein römisches Amphitheater an dieser Stelle oder einen frühmittelalter­ lichen Bärenzwinger schließen läßt. R. Vollmann, Der Perlach in Augsburg, Heimatarbeit und Heimatforschung, Festgabe für Christian Frank, München 1927, S. 183 ff. - Vgl. auch Ugo Gualazzini, Parlascio e Perilascio, Milano 1957 (Univ. di Roma, Pubblicazioni della Facoltä di Giurisprudenza 2). 21

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scheinlich war die Marktsiedlung am Perlach befestigt. Die Erwähnung von »moenia« und »fossa« neben St. Peter deutet darauf hin?". Die Marktsiedlung »mag ferner von einem am Westrand stückweise festgestellten, tief verschlammten Sumpfgraben mit Holzpfahl-Fassung gedeckt gewesen sein. An der Ostseite, südwestlich vom Perlach, fanden sich noch starke Reste und Oberlagerungen verbrannter und abgerissener Lehm­ fachwerk- und Holzbauten, unter denen vielleicht Überbleibsel der ältesten Augsburger Bürgerhäuser sind«?5b, Im 11. Jahrhundert treten weitere Kirchen außerhalb der Domimmunität zu den be­ stehenden hinzu. 1019 soll das St. Moritzstift von Kaiser Heinrich II. gegründet worden sein, das an der Durchgangsstraße zwischen Perlach und St. Afra liegt und wohl den südlichen Abschluß des Marktgebietes bezeichnet?". Auf Bischof Embriko (t 1077) geht die St. Martinskirche zurück, die vor der Immunität am Kesselmarkt stand27• Gegen Ende des 11. Jahrhunderts dürfte auch die St. Georgskirche entstanden sein, die dem Domkapitel gehörte. Sie liegt nördlich der Domburg am sog. Pfannenstiel, 450 m vom Dom entfernt28• Unter den Nachrichten über die wiederholten Belagerungen und Zerstörungen, die Augsburg zwischen 1080 und 1152 über sich ergehen lassen mußte, findet sich für 1084 in den Annales Augustani eine aufschlußreiche Stelle über die Verhältnisse in der Dom­ immunität. Herzog Welf IV. von Bayern und der Gegenbischof Wigold hatten die Dom­ burg an sich gebracht. Das Stiftsgebäude wurde geplündert, der Bischofshof, in dem sich drei Kapellen befanden, verbrannt. Die Kanonikerhöfe erhielten die Anhänger des Ge­ genbischofs29. Die Domburg hatte also damals bereits nicht mehr als Fluchtburg dienen können, da die unbebauten Flächen mit Domherrenhöfen besetzt waren. UB I, Nr.21, S.19 (1260): »... area sita inter monasterium s. Petri et domum civium ... ipsi cives quedam edificiorum menia ad memoratam ecclesiam ... destruxissent ... - .. . in fossa ubi quondam pretorium erat constructum, ...« 25 W.Zorn, S.71. - L. Ohlenroth, Bayer. Vorgeschichtsbll. 22, 1957, S. 179 f. 26 J. A. Endres, Die Kirche der Heiligen Ulrich und Afra zu Augsburg, S.174. - In ihr wurde Bischof Bruno 1029 beigesetzt: »Augustaeque in coepta s. Mauricii sepultus basilica« (Herimanni Augiensis chronicon ad. an. 1029), O. Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen zur Kunstgesch. d. 11. u. 12. Jhs., Berlin 1938, Nr.68. - Braun, Gesch. d. Bischöfe, Bd,I, S. 350 ff. - Der Grundriß von St. Moritz wurde jüngst ergraben: L. Ohlenroth, Bayer. Vor­ geschichtsbll. 21, 1956, S. 274 u. Abb. 66. 27 »Embrico ... sancti Martini, sanctae Gerdrudis ecclesiis a fundamento constructis ... migravit ad Dominum« MG SS III, S.129. Weitere Erwähnungen: Mon. Boica, Bd.53b, S. 560, Nr. 310 (1565), S. 388, Nr. 530 (1366). Abgebrochen 1538. - Daß St. Martin in fränki­ sche Zeit zurückreichen sollte, wie L. Ohlenroth (Bayer. Vorgeschichtsbll. 22, 1957, S. 197) vermutet, ist nicht zu belegen. Das Patrozinium allein ist eine zu unsichere Basis. 28 Urkundlich erst 1155 erwähnt bei der Erhebung zur Pfarrkirche. Nach den Chroniken aber als früher bestehend überliefert (Chroniken der Schwäbischen Städte IV, S.501). Vgl. W. Hoffmann, Zur Geschichte der Pfarreien in Augsburg, Beilage zur Augsburger Post­ zeitung, 26. 10. 1895, Nr. 45, S. 5 ff. 1135 wurde die Georgskirche in ein Augustiner-Chor­ herrenstift verwandelt. Urkunde bei C. Khamm, Hierarchia Augustana III, 2 (1715), S. 419, nach Otto Riedner, Besitzungen und Einkünfte des Augsburger Domkapitels um 1500, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts I, 1909/11, S. 80. 29 MG SS III, S.151: »In curte episcopali tres ecclesiae, sancti Michaelis, sancti Petri, sancti Laurentii, cum palatio aliisque aedificiis concrematae sunt ... fratrum etiam habitacula undique versum constructa, ipsis eiectis atque dispersis, proterviae suae fautoribus cum aliis ecclesiarum possessionibus accommodavit.«

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Auch in dem übrigen Gebiet der Römerstadt im Norden der Domburg erhoben sich zur Zeit Ulrichs kirchliche Niederlassungen. Hier lag an der Stelle von St. Stephan die Eigenkirche eines vornehmen Geschlechtes, die dem Bischof geschenkt wurde. Dieser gründete 969 dabei ein Kanonissenstift unter der Leitung Ellensinds, der Schwester der ehemaligen Besitzer. Die Stiftungsurkunde ist noch im Original erhalten21. Benno von Reichenau, der gegen 1125 die Vita des hl. Ulrich bearbeitete, erwähnt, daß St. Stephan »extra urbis moenia sita est«. Etwas nördlich davon stand das Galluskirchlein, das be­ reits gegen 990 vorhanden war, da in ihm Ellensind begraben wurde. Außerdem wird es in dem Excerptum ex Gallica historia genannt, das um 1000 entstanden ist22. Dem Patrozinium nach könnte es in vorkarolingische Zeit zurückreichen. Auch die Afrakirche, fast 1200 m vom Dom entfernt, wurde vom hl. Ulrich neu gebaut, da sie von den Ungarn beschädigt worden war. Er ließ dort seine eigene Grabkapelle an der Südseite der Kirche anfügen23• So bietet auch Augsburg das typische Bild der ottonischen Stadt mit den locker und weithin verstreuten Kirchen und geistlichen Gemeinschaften um den Schwerpunkt der Domburg. Wie aus einer Bestätigungsurkunde Heinrichs IV. hervorgeht, war Bischof Ulrich bereits im Besitze des Münzrechtes?*. Prägungen Ulrichs haben sich gefunden. Beides deutet mit Sicherheit auf das Bestehen eines Marktes. Offenbar lag diese Marktsiedlung am Perlach - der Name »Perleihc« kommt in der Vita des Heiligen vor - an der Durch­ gangsstraße, 200 m vor dem Südtor der Domburg; denn dieser Platz ist immer für das Herz der Bürgerstadt angesehen worden. An seiner Ostseite erhebt sich die Peterskirche, die vielleicht noch in die Zeit des hl. Ulrich zurückreicht. Da sie unmittelbar am Markt liegt, wird man sie als Marktkirche Augsburgs ansprechen dürfen. Pfarrechte hat sie nie erlangt. Zwar taucht ihr Name erst 1067 auf, als eine bedeutendere Stiftung die Grün­ dung eines Kollegiatstiftes erlaubte; sie bestand aber sicher schon längere Zeit25. WahrAlfred Schröder, Alt-St. Stephan in Augsburg, Augsburg 1928, Germania Sacra Serie BI, 2C. Text der Urkunde, S.36 ff., Abb. derselben im Anhang. Entstehungsgeschichte, S.51. Der romanische Grundriß der Kirche wurde ergraben. Vgl. L. Ohlenroth, Bayer. Vor­ geschichtsbll. 21, 1956, S. 281 f. u. Abb. 73. 22 Ebenda, S.74f. - A. Schröder, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts VI, 1929, S. 263ff. - MG SS XXIII, S. 388 f. 23 J. A. Endres, Die Kirche der Heiligen Ulrich u. Afra, S. 174. - Bischof Heinrich I. (973-982) ließ bei St. Afra eine Lechbrücke bauen. Braun, Gesch. d. Bisch., Bd. I, S. 510. - L. Ohlenroth glaubt das Ulrichsgrab jüngst gefunden zu haben (Bayer. Vorgeschichtsbll. 22, 1957, S. 195 f.). Da seine Lage aber nicht der Quellenangabe entspricht, darf man die Identifizierung vor­ läufig nicht als gesichert betrachten. 24 »... secundum morem antiquitus hoc est temporibus ... sancti confessoris Ouadalrici con­ stitutum.« 1061. Mon. Boica, Bd. 29a, S. 150, Nr. 401. -D. Steinhilber, Geld- und Münz­ gesch. Augsburgs im Mittelalter (bis 1521), Jahrb. f. Numismatik u. Geldgesch. 5/6, 1954/55, S. 15, 26, 35 u. 95 ff. 25 Alfred Schröder, Die älteste Urkunde für St.Peter in Augsburg, Zeitschr. d. Hist. Ver. 50, 1932/35, S.9 ff. Der Name Perlach - collis Pereleich - hängt offenbar mit dem ital. perlagio, parlascio zu­ sammen, was auf ein römisches Amphitheater an dieser Stelle oder einen frühmittelalter­ lichen Bärenzwinger schließen läßt. R. Vollmann, Der Perlach in Augsburg, Heimatarbeit und Heimatforschung, Festgabe für Christian Frank, München 1927, S. 183 ff. - Vgl. auch Ugo Gualazzini, Parlascio e Perilascio, Milano 1957 (Univ. di Roma, Pubblicazioni della Facoltä di Giurisprudenza 2). 21

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scheinlich war die Marktsiedlung am Perlach befestigt. Die Erwähnung von »moenia« und »fossa« neben St. Peter deutet darauf hin?". Die Marktsiedlung »mag ferner von einem am Westrand stückweise festgestellten, tief verschlammten Sumpfgraben mit Holzpfahl-Fassung gedeckt gewesen sein. An der Ostseite, südwestlich vom Perlach, fanden sich noch starke Reste und Oberlagerungen verbrannter und abgerissener Lehm­ fachwerk- und Holzbauten, unter denen vielleicht Überbleibsel der ältesten Augsburger Bürgerhäuser sind«?5b, Im 11. Jahrhundert treten weitere Kirchen außerhalb der Domimmunität zu den be­ stehenden hinzu. 1019 soll das St. Moritzstift von Kaiser Heinrich II. gegründet worden sein, das an der Durchgangsstraße zwischen Perlach und St. Afra liegt und wohl den südlichen Abschluß des Marktgebietes bezeichnet?". Auf Bischof Embriko (t 1077) geht die St. Martinskirche zurück, die vor der Immunität am Kesselmarkt stand27• Gegen Ende des 11. Jahrhunderts dürfte auch die St. Georgskirche entstanden sein, die dem Domkapitel gehörte. Sie liegt nördlich der Domburg am sog. Pfannenstiel, 450 m vom Dom entfernt28• Unter den Nachrichten über die wiederholten Belagerungen und Zerstörungen, die Augsburg zwischen 1080 und 1152 über sich ergehen lassen mußte, findet sich für 1084 in den Annales Augustani eine aufschlußreiche Stelle über die Verhältnisse in der Dom­ immunität. Herzog Welf IV. von Bayern und der Gegenbischof Wigold hatten die Dom­ burg an sich gebracht. Das Stiftsgebäude wurde geplündert, der Bischofshof, in dem sich drei Kapellen befanden, verbrannt. Die Kanonikerhöfe erhielten die Anhänger des Ge­ genbischofs29. Die Domburg hatte also damals bereits nicht mehr als Fluchtburg dienen können, da die unbebauten Flächen mit Domherrenhöfen besetzt waren. UB I, Nr.21, S.19 (1260): »... area sita inter monasterium s. Petri et domum civium ... ipsi cives quedam edificiorum menia ad memoratam ecclesiam ... destruxissent ... - .. . in fossa ubi quondam pretorium erat constructum, ...« 25 W.Zorn, S.71. - L. Ohlenroth, Bayer. Vorgeschichtsbll. 22, 1957, S. 179 f. 26 J. A. Endres, Die Kirche der Heiligen Ulrich und Afra zu Augsburg, S.174. - In ihr wurde Bischof Bruno 1029 beigesetzt: »Augustaeque in coepta s. Mauricii sepultus basilica« (Herimanni Augiensis chronicon ad. an. 1029), O. Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen zur Kunstgesch. d. 11. u. 12. Jhs., Berlin 1938, Nr.68. - Braun, Gesch. d. Bischöfe, Bd,I, S. 350 ff. - Der Grundriß von St. Moritz wurde jüngst ergraben: L. Ohlenroth, Bayer. Vor­ geschichtsbll. 21, 1956, S. 274 u. Abb. 66. 27 »Embrico ... sancti Martini, sanctae Gerdrudis ecclesiis a fundamento constructis ... migravit ad Dominum« MG SS III, S.129. Weitere Erwähnungen: Mon. Boica, Bd.53b, S. 560, Nr. 310 (1565), S. 388, Nr. 530 (1366). Abgebrochen 1538. - Daß St. Martin in fränki­ sche Zeit zurückreichen sollte, wie L. Ohlenroth (Bayer. Vorgeschichtsbll. 22, 1957, S. 197) vermutet, ist nicht zu belegen. Das Patrozinium allein ist eine zu unsichere Basis. 28 Urkundlich erst 1155 erwähnt bei der Erhebung zur Pfarrkirche. Nach den Chroniken aber als früher bestehend überliefert (Chroniken der Schwäbischen Städte IV, S.501). Vgl. W. Hoffmann, Zur Geschichte der Pfarreien in Augsburg, Beilage zur Augsburger Post­ zeitung, 26. 10. 1895, Nr. 45, S. 5 ff. 1135 wurde die Georgskirche in ein Augustiner-Chor­ herrenstift verwandelt. Urkunde bei C. Khamm, Hierarchia Augustana III, 2 (1715), S. 419, nach Otto Riedner, Besitzungen und Einkünfte des Augsburger Domkapitels um 1500, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts I, 1909/11, S. 80. 29 MG SS III, S.151: »In curte episcopali tres ecclesiae, sancti Michaelis, sancti Petri, sancti Laurentii, cum palatio aliisque aedificiis concrematae sunt ... fratrum etiam habitacula undique versum constructa, ipsis eiectis atque dispersis, proterviae suae fautoribus cum aliis ecclesiarum possessionibus accommodavit.«

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Leider gibt es keine eingehendere Untersuchung über die Augsburger Immunität. Doch schon der Stadtplan läßt in großen Zügen die innere Einteilung überblicken. Die ganze östliche Hälfte nehmen die Kurien der Domherren ein. Seit dem 14. Jahrhundert umfaßte das Augsburger Kapitel nachweisbar 20 anwesende Kanoniker, die alle ihre eigenen Höfe besitzen konnten. Von der Mitte des 11. Jahrhunderts an war das gemein­ same Leben der Domherren in Auflösung begriffen, die 1101 zum Abschluß kam?°. Die westliche Hälfte füllten der Dom und das im Norden anschließende Stiftsgebäude, die Johanniskirche und der Friedhof im Süden aus. Die Westspitze blieb für den Bischofshof übrig, den Bischof Heinrich II. (1047-1063) errichtete*®+, Südlich der Peutinger-Gasse und westlich der Karolinenstraße finden sich kleinere Hausstellen, die zum Teil wohl Ministerialen gehörten. 1145 und 1145 werden Ebo und Marquart Portner erwähnt, in deren Händen das Beschließeramt über das südliche und nördliche Burgtor lag31. Noch auf dem perspektivischen Stadtplan von Wolfgang Kilian 1626 sieht man in diesem Viertel einige Türme, die gewiß nicht alle als Reste der südlichen Immunitätsmauer zu erklären sind, sondern zu befestigten Adelshöfen gehörten. Das feste Eckhaus Karo­ linenstraße-Obstmarkt, »am Schwalbeneck« genannt, hat sich bis in das 19. Jahrhundert hinein erhalten', Der »Königsturm« dahinter stürzte erst 1948 ein®1b Auch kirchliche Gründungen entstanden noch im 11. Jahrhundert in der Domimmu­ nität. Die Ägidienkapelle soll nach 1002 von Bischof Siegfried erbaut worden sein. Für 1098 ist eine Weihenachricht überliefert. Sie lag in der Nordostecke der Domburg bei der späteren Sternwarte*?. 1071 weihte man die Stiftskirche St. Gertrud, die in Verlängerung Georg Rückert, Die Präbende am Domkapitel zu Augsburg, Archiv f. d. Gesch. d. Hoch­ stifts V, 1916/19, S. 196. - Otto Leuze, Das Augsburger Domkapitel im Mittelalter, Zeitschr. d. Hist. Ver. 55, 1909, S.2. - O. Riedner, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts I, 1909/11, S.45 u. 80. Nach Rückert S. 209 seit Ausgang des Mittelalters 40 Kanoniker. Die Auflösung des gemeinsamen Lebens schildert auch Gerhoh von Reichersberg, der 1114-21 Scholasticus des Domkapitels war: MG Lib. de lite 5, 498. 30 O. Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen z. Kunstgesch., Berlin 1958, Nr.70: »Iste episcopus Hainricus quasi novam fecit ecclesiam s. Dei genetricis Marie, scilicet hie in summo cum portibus et atrio et palacio.« Die Quelle entstammt zwar erst dem späten 15. Jahrhundert (Catalogus Abbatum des Benediktiners Wilh. Wittwer aus St. Ulrich u. Afra), ist aber durchaus glaubwürdig. - Der hl. Ulrich wohnte noch im Domkloster, wie aus einer Stelle seiner Vita hervorgeht. MG SS IV, S.413: »Cumque paratus fuisset, perambulavit matri­ cem aecclesiam, et ad aecclesiam sancti Johannis baptistae, ..., pervenit, ...« Offenbar hat damals noch kein Bischofshof bestanden. Da der Heilige die Domkirche durchschreiten mußte, um in die Johanniskirche zu gelangen, lebte er im Domkloster auf der Nordseite des Domes. 31 »ministerialis noster Ebo de porta meridionali« und »Marquart de porta aquilonari«. Mon. Boica, Bd. 35a, S.22 f. - R. Hoffmann, Tore und Befestigungen, S.8 ff. 31a Gute Abb. des Kilianplanes: Fr. Steinhäußer, Augsb. in kunstgesch., baulicher u. hygieni­ scher Beziehung, Augsb. 1902, S. 22/25. - »Schwalbeneck«: O. Schürer, Augsb., S. 85. - Ein Saalbau (vermutlich 1o. Jh.) wurde von L. Ohlenroth ergraben (Bayer. Vorgeschichtsbll. 21, 1956, S. 261 f. u. Abb. 60. Er stand mit dem Domkloster in Verbindung. 31b W. Zorn. S. 55. Grundfläche 7x8,5 m, Mauerstärke 1,5 m. - L. Ohlenroth, Bayer. Vor­ geschichtsbll. 21, 1956, S. 266. 32 Fr. Ohlenschlager, Römische Überreste, S.201 ff. - MG SS III, S.155: »Capella in honore sancti Aegidii ... est constructa, et consecrata.« ad an. 1098. Wohl Weihe nach einer Wiederherstellung. Gerade im letzten Viertel des 11. Jhs. war die Möglichkeit einer Zer­ störung besonders häufig (teilweise Einnahme, Plünderung und Zerstörung der Stadt 1080, 1081, 1084, 1088, 1095 und 1095). - Braun, Gesch. d. Bischöfe, Bd. I, S. 340. 30

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der Domachse vor der Ostapsis errichtet worden war. Sie fiel der Erweiterung des Ost­ chores im 14. Jahrhundert zum Opfer?°. Die Ansichtsseite der Stadt richtete sich nach Osten. Die Lage auf einem Hügelrücken, der zur Lechebene steil abfällt, kommt ihr dabei trefflich zu statten. Die Kirchenachsen stehen alle senkrecht zum Uferhang und wenden ihren Ostchor der Ansichtsseite zu. Mehrere Gotteshäuser liegen dicht an der Terrassenkante (St. Ulrich und Afra, St. Peter, Ägidienkapelle, St. Stephan, Galluskirchlein). Aber auch St. Moritz und der Dom treten nicht so weit zurück, daß sie nicht mehr in der Stadtsilhouette zur Geltung kämen. Noch die barocken Verduten des 17. und 18. Jahrhunderts haben fast ausnahmslos die präch­ tige Stadtkrone vom Osten her festgehalten?', Von entscheidender Bedeutung für die Augsburger Stadtbaugeschichte ist die Ent­ stehung der geschlossenen Bürgerstadt. Handelt es sich doch hier um Ursprung und Ein­ ordnung einer der großartigsten Lösungen der deutschen Stadtbaukunst des Mittel­ alters! Die 600 m lange Maximilianstraße zwischen St. Moritz und St. Ulrich und Afra mit ihren lebendig bewegten, leicht geschwungenen Wänden, ihrer gelassenen Breite und dem monumentalen Abschluß in der quergelagerten Abteikirche von St. Ulrich und Afra gehört zum Schönsten, was mittelalterliche Stadtbaukunst hervorgebracht hat. Eine planmäßige Aufteilung liegt ihr zugrunde. Die regelmäßigen, breiten und sehr tiefen Hausstellen der Westseite, die sonst im Stadtplan nicht wiederkehren und die überlegte Führung der Nebenstraßen bezeugen es. Vier Querstraßen unterteilten einst die west­ liche Hälfte zwischen St. Moritz und St. Ulrich und Afra. Ihre uneinheitliche Bebauung mit kleinen Hausstellen erfolgte erst später. Ursprünglich dehnten sich wohl nur statt­ liche Gärten hinter den Häusern der Hauptstraße aus. Deutlich unterscheiden sich noch auf dem Stadtplan von 1814 von den Hausstellen der Maximiliansstraße die Kano­ nikerhöfe von St. Moritz, welche die Stiftskirche im Westen umgeben. Es sind unregel­ mäßige, breite Grundstücke, die ganz den Domherrnhöfen entsprechen. Die östliche Stadthälfte steht im Gegensatz zur westlichen. Sie wird von mehreren Längswegen gegliedert, die den Lecharmen am Fuße des Steilufers annähernd gleich­ laufen und dem Roten Tor in der Südostecke zustreben. Die Maximiliansstraße begleitet sehnenförmig eine Umgehungsstraße (Wintergasse-Dominikanergasse-Afrawall), die noch auf der Hochterrasse verbleibt. Der Häuserblock zwischen ihr und der Hauptstraße weist in der Mitte ganz normale Hausstellen auf; er darf deshalb nicht von überbauten Kaufbuden abgeleitet werden. Nur bei den kleinen Grundflächen an den beiden Enden könnte es sich um spätere Anbauten handeln. Die Hausstellen der östlichen Stadthälfte sind wesentlich kleiner als die der westlichen Maximiliansstraße. Hier wohnten offenbar Handwerker, die zum Teil die verzweigten, wohl künstlich erweiterten Wasserarme am Fuße des Hügels zu ihrem Berufe benötigten (Färber, Gerber, Bader usw.). Bis in das frühe 19. Jahrhundert standen inmitten der Maximiliansstraße zwischen dem Herkulesbrunnen und der Einmündung des Afrawalles drei städtische Gebäude (Siegelhaus, Wein- und Salzstadel), die ursprünglich fehlten und ihrer Bestimmung nach erst nach der Ausbildung fester städtischer Behörden entstanden sein können. Auch das Tanzhaus auf der Nordseite des Weinmarkts wurde nachträglich in den Straßenraum 33 34

MG SS III, S.128: »Ecclesia sanctae Gerdrudis consecratur.« ad. an. 1071. - Mon. Boica 35a, München 1841, S.8, Nr. 11. Gründung des Kollegiatstiftes am 25. 11. 1071. O. Schürer, Augsburg, Abb. S.74-77. 193

Leider gibt es keine eingehendere Untersuchung über die Augsburger Immunität. Doch schon der Stadtplan läßt in großen Zügen die innere Einteilung überblicken. Die ganze östliche Hälfte nehmen die Kurien der Domherren ein. Seit dem 14. Jahrhundert umfaßte das Augsburger Kapitel nachweisbar 20 anwesende Kanoniker, die alle ihre eigenen Höfe besitzen konnten. Von der Mitte des 11. Jahrhunderts an war das gemein­ same Leben der Domherren in Auflösung begriffen, die 1101 zum Abschluß kam?°. Die westliche Hälfte füllten der Dom und das im Norden anschließende Stiftsgebäude, die Johanniskirche und der Friedhof im Süden aus. Die Westspitze blieb für den Bischofshof übrig, den Bischof Heinrich II. (1047-1063) errichtete*®+, Südlich der Peutinger-Gasse und westlich der Karolinenstraße finden sich kleinere Hausstellen, die zum Teil wohl Ministerialen gehörten. 1145 und 1145 werden Ebo und Marquart Portner erwähnt, in deren Händen das Beschließeramt über das südliche und nördliche Burgtor lag31. Noch auf dem perspektivischen Stadtplan von Wolfgang Kilian 1626 sieht man in diesem Viertel einige Türme, die gewiß nicht alle als Reste der südlichen Immunitätsmauer zu erklären sind, sondern zu befestigten Adelshöfen gehörten. Das feste Eckhaus Karo­ linenstraße-Obstmarkt, »am Schwalbeneck« genannt, hat sich bis in das 19. Jahrhundert hinein erhalten', Der »Königsturm« dahinter stürzte erst 1948 ein®1b Auch kirchliche Gründungen entstanden noch im 11. Jahrhundert in der Domimmu­ nität. Die Ägidienkapelle soll nach 1002 von Bischof Siegfried erbaut worden sein. Für 1098 ist eine Weihenachricht überliefert. Sie lag in der Nordostecke der Domburg bei der späteren Sternwarte*?. 1071 weihte man die Stiftskirche St. Gertrud, die in Verlängerung Georg Rückert, Die Präbende am Domkapitel zu Augsburg, Archiv f. d. Gesch. d. Hoch­ stifts V, 1916/19, S. 196. - Otto Leuze, Das Augsburger Domkapitel im Mittelalter, Zeitschr. d. Hist. Ver. 55, 1909, S.2. - O. Riedner, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts I, 1909/11, S.45 u. 80. Nach Rückert S. 209 seit Ausgang des Mittelalters 40 Kanoniker. Die Auflösung des gemeinsamen Lebens schildert auch Gerhoh von Reichersberg, der 1114-21 Scholasticus des Domkapitels war: MG Lib. de lite 5, 498. 30 O. Lehmann-Brockhaus, Schriftquellen z. Kunstgesch., Berlin 1958, Nr.70: »Iste episcopus Hainricus quasi novam fecit ecclesiam s. Dei genetricis Marie, scilicet hie in summo cum portibus et atrio et palacio.« Die Quelle entstammt zwar erst dem späten 15. Jahrhundert (Catalogus Abbatum des Benediktiners Wilh. Wittwer aus St. Ulrich u. Afra), ist aber durchaus glaubwürdig. - Der hl. Ulrich wohnte noch im Domkloster, wie aus einer Stelle seiner Vita hervorgeht. MG SS IV, S.413: »Cumque paratus fuisset, perambulavit matri­ cem aecclesiam, et ad aecclesiam sancti Johannis baptistae, ..., pervenit, ...« Offenbar hat damals noch kein Bischofshof bestanden. Da der Heilige die Domkirche durchschreiten mußte, um in die Johanniskirche zu gelangen, lebte er im Domkloster auf der Nordseite des Domes. 31 »ministerialis noster Ebo de porta meridionali« und »Marquart de porta aquilonari«. Mon. Boica, Bd. 35a, S.22 f. - R. Hoffmann, Tore und Befestigungen, S.8 ff. 31a Gute Abb. des Kilianplanes: Fr. Steinhäußer, Augsb. in kunstgesch., baulicher u. hygieni­ scher Beziehung, Augsb. 1902, S. 22/25. - »Schwalbeneck«: O. Schürer, Augsb., S. 85. - Ein Saalbau (vermutlich 1o. Jh.) wurde von L. Ohlenroth ergraben (Bayer. Vorgeschichtsbll. 21, 1956, S. 261 f. u. Abb. 60. Er stand mit dem Domkloster in Verbindung. 31b W. Zorn. S. 55. Grundfläche 7x8,5 m, Mauerstärke 1,5 m. - L. Ohlenroth, Bayer. Vor­ geschichtsbll. 21, 1956, S. 266. 32 Fr. Ohlenschlager, Römische Überreste, S.201 ff. - MG SS III, S.155: »Capella in honore sancti Aegidii ... est constructa, et consecrata.« ad an. 1098. Wohl Weihe nach einer Wiederherstellung. Gerade im letzten Viertel des 11. Jhs. war die Möglichkeit einer Zer­ störung besonders häufig (teilweise Einnahme, Plünderung und Zerstörung der Stadt 1080, 1081, 1084, 1088, 1095 und 1095). - Braun, Gesch. d. Bischöfe, Bd. I, S. 340. 30

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der Domachse vor der Ostapsis errichtet worden war. Sie fiel der Erweiterung des Ost­ chores im 14. Jahrhundert zum Opfer?°. Die Ansichtsseite der Stadt richtete sich nach Osten. Die Lage auf einem Hügelrücken, der zur Lechebene steil abfällt, kommt ihr dabei trefflich zu statten. Die Kirchenachsen stehen alle senkrecht zum Uferhang und wenden ihren Ostchor der Ansichtsseite zu. Mehrere Gotteshäuser liegen dicht an der Terrassenkante (St. Ulrich und Afra, St. Peter, Ägidienkapelle, St. Stephan, Galluskirchlein). Aber auch St. Moritz und der Dom treten nicht so weit zurück, daß sie nicht mehr in der Stadtsilhouette zur Geltung kämen. Noch die barocken Verduten des 17. und 18. Jahrhunderts haben fast ausnahmslos die präch­ tige Stadtkrone vom Osten her festgehalten?', Von entscheidender Bedeutung für die Augsburger Stadtbaugeschichte ist die Ent­ stehung der geschlossenen Bürgerstadt. Handelt es sich doch hier um Ursprung und Ein­ ordnung einer der großartigsten Lösungen der deutschen Stadtbaukunst des Mittel­ alters! Die 600 m lange Maximilianstraße zwischen St. Moritz und St. Ulrich und Afra mit ihren lebendig bewegten, leicht geschwungenen Wänden, ihrer gelassenen Breite und dem monumentalen Abschluß in der quergelagerten Abteikirche von St. Ulrich und Afra gehört zum Schönsten, was mittelalterliche Stadtbaukunst hervorgebracht hat. Eine planmäßige Aufteilung liegt ihr zugrunde. Die regelmäßigen, breiten und sehr tiefen Hausstellen der Westseite, die sonst im Stadtplan nicht wiederkehren und die überlegte Führung der Nebenstraßen bezeugen es. Vier Querstraßen unterteilten einst die west­ liche Hälfte zwischen St. Moritz und St. Ulrich und Afra. Ihre uneinheitliche Bebauung mit kleinen Hausstellen erfolgte erst später. Ursprünglich dehnten sich wohl nur statt­ liche Gärten hinter den Häusern der Hauptstraße aus. Deutlich unterscheiden sich noch auf dem Stadtplan von 1814 von den Hausstellen der Maximiliansstraße die Kano­ nikerhöfe von St. Moritz, welche die Stiftskirche im Westen umgeben. Es sind unregel­ mäßige, breite Grundstücke, die ganz den Domherrnhöfen entsprechen. Die östliche Stadthälfte steht im Gegensatz zur westlichen. Sie wird von mehreren Längswegen gegliedert, die den Lecharmen am Fuße des Steilufers annähernd gleich­ laufen und dem Roten Tor in der Südostecke zustreben. Die Maximiliansstraße begleitet sehnenförmig eine Umgehungsstraße (Wintergasse-Dominikanergasse-Afrawall), die noch auf der Hochterrasse verbleibt. Der Häuserblock zwischen ihr und der Hauptstraße weist in der Mitte ganz normale Hausstellen auf; er darf deshalb nicht von überbauten Kaufbuden abgeleitet werden. Nur bei den kleinen Grundflächen an den beiden Enden könnte es sich um spätere Anbauten handeln. Die Hausstellen der östlichen Stadthälfte sind wesentlich kleiner als die der westlichen Maximiliansstraße. Hier wohnten offenbar Handwerker, die zum Teil die verzweigten, wohl künstlich erweiterten Wasserarme am Fuße des Hügels zu ihrem Berufe benötigten (Färber, Gerber, Bader usw.). Bis in das frühe 19. Jahrhundert standen inmitten der Maximiliansstraße zwischen dem Herkulesbrunnen und der Einmündung des Afrawalles drei städtische Gebäude (Siegelhaus, Wein- und Salzstadel), die ursprünglich fehlten und ihrer Bestimmung nach erst nach der Ausbildung fester städtischer Behörden entstanden sein können. Auch das Tanzhaus auf der Nordseite des Weinmarkts wurde nachträglich in den Straßenraum 33 34

MG SS III, S.128: »Ecclesia sanctae Gerdrudis consecratur.« ad. an. 1071. - Mon. Boica 35a, München 1841, S.8, Nr. 11. Gründung des Kollegiatstiftes am 25. 11. 1071. O. Schürer, Augsburg, Abb. S.74-77. 193

eingeschoben. Die Bezeichnung Weinmarkt für die Strecke zwischen Herkulesbrunnen und St. Moritz, Brotmarkt für den nördlich anschließenden Teil, Kitzenmarkt für den St. Ulrich im Westen umziehenden Weg, deuten auf die ehemalige Aufgabe der Maxi­ miliansstraße hin. Sie bildete eine Marktstraße wie die Hauptstraße in Speyer, mit der die Augsburger überraschend große Ähnlichkeit der Gliederung und Anlage, selbst der Maße aufweist®4a, Das unregelmäßigere Straßennetz zwischen St. Moritz und der Domimmunität be­ sitzt nicht die Klarheit der südlichen Hälfte. Es läßt sich nur entwirren, wenn man es genetisch zu betrachten versucht. Der Bogen der St. Anna-Straße stellt nichts weiter dar, als die Verbindung der Immunitäts-Umgehungsstraße (Heiligkreuz- und Ludwigstraße) mit der Römerstraße nach Göggingen. Die Karlstraße (früher Judengasse) setzt die Um­ gehungsstraße parallel zur Immunitätsmauer fort. Die Steingasse führt die Umgehungs­ straße zum Markt weiter, dessen dreieckige Form an der Straßengabel sie bedingt. Der langgezogene, sich nach Süden hin dreieckig erweiternde Heumarkt stellt einen Neben­ markt zum Perlach dar. Die brückenkopfartig im Bogen angeordneten Hausstellen am Ostufer des Mittleren Grabens lassen vermuten, daß sich die Übergangsstelle über den Lecharm zuerst hier beim Schmiedlech befand, wo die Immunitäts-Umgehungstraße über Karlstraße und Saugasse und der Weg vom Obstmarkt her über den Schmiedberg einmündete. Die zu­ nehmende Bedeutung des Marktes hat dann die Übergangsstelle zum Hauptmarkt am Perlach gezogen (Perlachberg-Barfüßergasse-Jakobergasse)346• Für die Entstehungszeit der Maximiliansstraße gibt es folgende Anhaltspunkte. Kurz vor 1129, wahrscheinlich 1128, wurde die hl. Grabkapelle geweiht, die in der Grab­ gasse, etwa in der Mitte der Maximiliansstraße an der Ostseite stand. Es wird dem Geistlichen der Kapelle, »qui iuxta ecclesie mansionem habeat«, eigens eingeschärft, daß er nicht in die Pfarrechte von St. Moritz und St. Ulrich und Afra eingreifen dürfe, deren Pfarreigrenzen offenbar in der Nähe der Kapelle verliefen~. Aus der Urkunde von 1129 geht einwandfrei hervor, daß das Pfarrsystem der Bürgerstadt voll ausgebildet war. Alfred Schröder gelang es, das Pfarrecht von St. Ulrich und Afra noch genauer zu datie­ ren. Er fand in einer Basler Handschrift, die vor 1071 anzusetzen ist, die Nachricht, daß ein Taufstein in der Afrakirche errichtet wurde36• St. Ulrich und Afra war also gegen 1070 Pfarrkirche geworden. Dies hatte aber nur Sinn, wenn das Gebiet um die Kirche besiedelt war, wenn eine Pfarrgemeinde bestand. Von diesem Fund aus erscheint auch die bekanntere Stelle über die Einbeziehung von St. Ulrich und Afra in das Stadtgebiet in der Chronik des Wilhelm Wittwer in neuem 34a

34b 35 36

Historische Beziehungen zwischen den beiden Städten fehlen nicht, z. B. wurde der erste Abt des Ulrich- und Afra-Klosters Bischof von Speyer (Reginbald II., der als Bischof 1035 bis 1039 regierte). - Im 13. Jahrhundert errichtete das Reichsstift St. Ulrich und Afra eine Kaufhalle zur Maximiliansstraße hin (anstelle von Ev. St. Ulrich). L. Ohlenroth konnte sogar den Befestigungsgraben des Brückenkopfes nachweisen (Bayer. Vorgeschichtsbll. 22, 1957, S. 197). Mon. Boica, Bd.55a, S.17, Nr. 21. - Gustaf Dalman, Das Grab Christi in Deutschland, Leipzig 1922, S. 46 f. Alfred Schröder, Eine Basler Handschrift, hervorgegangen aus St. Afra in Augsburg, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts VI, 1929, S. 776 ff. - Der Grundriß der Pfarrkirche St. Jakob bei Ulrich und Afra wurde von L. Ohlenroth unter dem Pfarrhof freigelegt (Bayer. Vor­ geschichtsbl. 21, 1956, S. 275 f. und 22, 1957, S. 210 mit Abb. 58).

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Licht. Der Benediktiner schrieb zwar erst gegen 1500, arbeitete aber sorgfältig nach älteren Quellen. Er berichtet, daß Abt Adelbero (wahrscheinlich richtiger Adalhalm, 1050-nach 1070) das Afrakloster mit einer niedrigen Mauer umgeben habe. (1012 war das Stift in ein Benediktinerkloster umgewandelt worden.) Da auch die Grundmauern für zwei starke Türme gelegt wurden, nahmen die Einwohner von Augsburg das Kloster mit Einwilligung des Abtes und Konventes in die Stadt auf, damit es nicht dem Feind als Bollwerk dienen könne37• Mag auch die Erzählung im einzelnen ausgeschmückt sein und den cives eine Handlungsfreiheit eingeräumt werden, die sie in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts sicher nicht besaßen, dem Tatsachenkern, der Einbeziehung des Klosters in die Stadt, wird man nicht mehr so ablehnend gegenüber stehen dürfen wie die Lokalforschung um die Jahrhundertwende38, zumal die Urkunde über die Grab­ kapelle von 1129- also bereits drei Jahre vor der Zerstörung Augsburgs durch Lothar von Supplinburg - beide Pfarreien der Bürgerstadt völlig ausgebildet zeigt. Die Ent­ stehung der Maximiliansstraße um 1070/80 hat demnach eine gewisse Wahrscheinlich­ keit für sich, jedenfalls war sie 1129 angelegt. Der historische Befund wird erhärtet durch die außergewöhnlich enge formale Übereinstimmung mit dem Straßenmarkt in Speyer, der ebenfalls der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstammt. Perlach- und Heumarkt müssen älter sein. Dieser gleicht der Form nach sehr dem Alten Markt in Halle39, jener steht in seiner dreieckigen Gestalt und seiner Lage an einer Straßengabel dem Trierer Markt des 10. Jahrhunderts nahe. Daß die Bürgerstadt in Augsburg zwischen dem Südtor der Domburg und dem Ulrich- und Afra-Kloster bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts hinein suburbium 37

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39

Fr. Wilhelmi Wittwer, Catalogus Abbatum monasterii SS Udalrici et Afrae Augustensis, hgb. von Anton Steichele, Archiv für die Geschichte des Bistums Augsburg III, 1866, S.81: » ••• claustrum etiam humili muro cinxit. Processu vero temporis, dum paulatim abbates munirent monasterium fundamentaque turrium duarum fortissima iecissent ad occidentem partem ecclesie opere piceno, quas vidimus nuper terre equari, veriti cives Augustensium, ne fortalicium fieret hostibus barbarisque, qui prefatum locum sepenumero occupaverant, tractatu cum prefato abbate huius monasterij scilicet Adelberone pro tempore et sepius habito ipsum cenobium sancte Affre pro tunc sic dicto seco nominato cum voluntate ipsius abbatis et totius conventus huius loci in unum concurrentes ambitu murorum ipsi cives in civitatem eorum Augustensem includunt cum amplissimis ortis usque ad eum locum, quo sancti Spiritus hodie cenodochium est.« P. Dirr, Zeitschr. d. Hist. Ver. 57, 1911, S.192, setzt die Maximiliansstraße erst nach 1152 an. - J. Zeller, Das Augsburger Burggrafenamt, S. 341 f. Neuerdings wurde die Maximiliansstraße sogar in den Anfang des 11. Jh. datiert von Wer­ ner Noack, Stadtbaukunst und geistlich-weltliche Repräsentation im XI. Jh., Festschrift Kurt Bauch, München 1957, S. 34 ff. Ich kann mich den Gründen des Verfassers nicht anschließen. Für das Zeremoniell der Festkrönung ist nur ein Weg von St. Afra zum Dom nötig, nicht eine durchwegs mit Häusern bebaute, architektonisch gefaßte Straße. Die Anlage eines solchen monumentalen Straßenzuges läßt sich nicht erklären aufgrund eines doch für Augs­ burg recht seltenen Festzeremoniells, sondern nur durch die unerhörte wirtschaftliche Ent­ wicklung des Augsburger Handels. Dafür liegen die Voraussetzungen aber frühestens in der zweiten Jahrhunderthälfte. Die von W. Noack angenommene Befestigung der langen Straßensiedlung ist bisher nirgends belegt. Die Knickstellen der westlichen Querstraßen hinter den Hausstellen an der Maximiliansstraße erklären sich auf ganz andere Weise. Nicht Tore bewirkten die Knickung, sondern Hausstellen, die sich an der Maximiliansstraße da­ zwischen schoben und sich an die vorhandenen Blöcke anlehnten, wie der Hausstellenplan deutlich zu erkennen gibt. Vgl. S. 68. 195

eingeschoben. Die Bezeichnung Weinmarkt für die Strecke zwischen Herkulesbrunnen und St. Moritz, Brotmarkt für den nördlich anschließenden Teil, Kitzenmarkt für den St. Ulrich im Westen umziehenden Weg, deuten auf die ehemalige Aufgabe der Maxi­ miliansstraße hin. Sie bildete eine Marktstraße wie die Hauptstraße in Speyer, mit der die Augsburger überraschend große Ähnlichkeit der Gliederung und Anlage, selbst der Maße aufweist®4a, Das unregelmäßigere Straßennetz zwischen St. Moritz und der Domimmunität be­ sitzt nicht die Klarheit der südlichen Hälfte. Es läßt sich nur entwirren, wenn man es genetisch zu betrachten versucht. Der Bogen der St. Anna-Straße stellt nichts weiter dar, als die Verbindung der Immunitäts-Umgehungsstraße (Heiligkreuz- und Ludwigstraße) mit der Römerstraße nach Göggingen. Die Karlstraße (früher Judengasse) setzt die Um­ gehungsstraße parallel zur Immunitätsmauer fort. Die Steingasse führt die Umgehungs­ straße zum Markt weiter, dessen dreieckige Form an der Straßengabel sie bedingt. Der langgezogene, sich nach Süden hin dreieckig erweiternde Heumarkt stellt einen Neben­ markt zum Perlach dar. Die brückenkopfartig im Bogen angeordneten Hausstellen am Ostufer des Mittleren Grabens lassen vermuten, daß sich die Übergangsstelle über den Lecharm zuerst hier beim Schmiedlech befand, wo die Immunitäts-Umgehungstraße über Karlstraße und Saugasse und der Weg vom Obstmarkt her über den Schmiedberg einmündete. Die zu­ nehmende Bedeutung des Marktes hat dann die Übergangsstelle zum Hauptmarkt am Perlach gezogen (Perlachberg-Barfüßergasse-Jakobergasse)346• Für die Entstehungszeit der Maximiliansstraße gibt es folgende Anhaltspunkte. Kurz vor 1129, wahrscheinlich 1128, wurde die hl. Grabkapelle geweiht, die in der Grab­ gasse, etwa in der Mitte der Maximiliansstraße an der Ostseite stand. Es wird dem Geistlichen der Kapelle, »qui iuxta ecclesie mansionem habeat«, eigens eingeschärft, daß er nicht in die Pfarrechte von St. Moritz und St. Ulrich und Afra eingreifen dürfe, deren Pfarreigrenzen offenbar in der Nähe der Kapelle verliefen~. Aus der Urkunde von 1129 geht einwandfrei hervor, daß das Pfarrsystem der Bürgerstadt voll ausgebildet war. Alfred Schröder gelang es, das Pfarrecht von St. Ulrich und Afra noch genauer zu datie­ ren. Er fand in einer Basler Handschrift, die vor 1071 anzusetzen ist, die Nachricht, daß ein Taufstein in der Afrakirche errichtet wurde36• St. Ulrich und Afra war also gegen 1070 Pfarrkirche geworden. Dies hatte aber nur Sinn, wenn das Gebiet um die Kirche besiedelt war, wenn eine Pfarrgemeinde bestand. Von diesem Fund aus erscheint auch die bekanntere Stelle über die Einbeziehung von St. Ulrich und Afra in das Stadtgebiet in der Chronik des Wilhelm Wittwer in neuem 34a

34b 35 36

Historische Beziehungen zwischen den beiden Städten fehlen nicht, z. B. wurde der erste Abt des Ulrich- und Afra-Klosters Bischof von Speyer (Reginbald II., der als Bischof 1035 bis 1039 regierte). - Im 13. Jahrhundert errichtete das Reichsstift St. Ulrich und Afra eine Kaufhalle zur Maximiliansstraße hin (anstelle von Ev. St. Ulrich). L. Ohlenroth konnte sogar den Befestigungsgraben des Brückenkopfes nachweisen (Bayer. Vorgeschichtsbll. 22, 1957, S. 197). Mon. Boica, Bd.55a, S.17, Nr. 21. - Gustaf Dalman, Das Grab Christi in Deutschland, Leipzig 1922, S. 46 f. Alfred Schröder, Eine Basler Handschrift, hervorgegangen aus St. Afra in Augsburg, Archiv f. d. Gesch. d. Hochstifts VI, 1929, S. 776 ff. - Der Grundriß der Pfarrkirche St. Jakob bei Ulrich und Afra wurde von L. Ohlenroth unter dem Pfarrhof freigelegt (Bayer. Vor­ geschichtsbl. 21, 1956, S. 275 f. und 22, 1957, S. 210 mit Abb. 58).

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Licht. Der Benediktiner schrieb zwar erst gegen 1500, arbeitete aber sorgfältig nach älteren Quellen. Er berichtet, daß Abt Adelbero (wahrscheinlich richtiger Adalhalm, 1050-nach 1070) das Afrakloster mit einer niedrigen Mauer umgeben habe. (1012 war das Stift in ein Benediktinerkloster umgewandelt worden.) Da auch die Grundmauern für zwei starke Türme gelegt wurden, nahmen die Einwohner von Augsburg das Kloster mit Einwilligung des Abtes und Konventes in die Stadt auf, damit es nicht dem Feind als Bollwerk dienen könne37• Mag auch die Erzählung im einzelnen ausgeschmückt sein und den cives eine Handlungsfreiheit eingeräumt werden, die sie in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts sicher nicht besaßen, dem Tatsachenkern, der Einbeziehung des Klosters in die Stadt, wird man nicht mehr so ablehnend gegenüber stehen dürfen wie die Lokalforschung um die Jahrhundertwende38, zumal die Urkunde über die Grab­ kapelle von 1129- also bereits drei Jahre vor der Zerstörung Augsburgs durch Lothar von Supplinburg - beide Pfarreien der Bürgerstadt völlig ausgebildet zeigt. Die Ent­ stehung der Maximiliansstraße um 1070/80 hat demnach eine gewisse Wahrscheinlich­ keit für sich, jedenfalls war sie 1129 angelegt. Der historische Befund wird erhärtet durch die außergewöhnlich enge formale Übereinstimmung mit dem Straßenmarkt in Speyer, der ebenfalls der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts entstammt. Perlach- und Heumarkt müssen älter sein. Dieser gleicht der Form nach sehr dem Alten Markt in Halle39, jener steht in seiner dreieckigen Gestalt und seiner Lage an einer Straßengabel dem Trierer Markt des 10. Jahrhunderts nahe. Daß die Bürgerstadt in Augsburg zwischen dem Südtor der Domburg und dem Ulrich- und Afra-Kloster bis in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts hinein suburbium 37

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Fr. Wilhelmi Wittwer, Catalogus Abbatum monasterii SS Udalrici et Afrae Augustensis, hgb. von Anton Steichele, Archiv für die Geschichte des Bistums Augsburg III, 1866, S.81: » ••• claustrum etiam humili muro cinxit. Processu vero temporis, dum paulatim abbates munirent monasterium fundamentaque turrium duarum fortissima iecissent ad occidentem partem ecclesie opere piceno, quas vidimus nuper terre equari, veriti cives Augustensium, ne fortalicium fieret hostibus barbarisque, qui prefatum locum sepenumero occupaverant, tractatu cum prefato abbate huius monasterij scilicet Adelberone pro tempore et sepius habito ipsum cenobium sancte Affre pro tunc sic dicto seco nominato cum voluntate ipsius abbatis et totius conventus huius loci in unum concurrentes ambitu murorum ipsi cives in civitatem eorum Augustensem includunt cum amplissimis ortis usque ad eum locum, quo sancti Spiritus hodie cenodochium est.« P. Dirr, Zeitschr. d. Hist. Ver. 57, 1911, S.192, setzt die Maximiliansstraße erst nach 1152 an. - J. Zeller, Das Augsburger Burggrafenamt, S. 341 f. Neuerdings wurde die Maximiliansstraße sogar in den Anfang des 11. Jh. datiert von Wer­ ner Noack, Stadtbaukunst und geistlich-weltliche Repräsentation im XI. Jh., Festschrift Kurt Bauch, München 1957, S. 34 ff. Ich kann mich den Gründen des Verfassers nicht anschließen. Für das Zeremoniell der Festkrönung ist nur ein Weg von St. Afra zum Dom nötig, nicht eine durchwegs mit Häusern bebaute, architektonisch gefaßte Straße. Die Anlage eines solchen monumentalen Straßenzuges läßt sich nicht erklären aufgrund eines doch für Augs­ burg recht seltenen Festzeremoniells, sondern nur durch die unerhörte wirtschaftliche Ent­ wicklung des Augsburger Handels. Dafür liegen die Voraussetzungen aber frühestens in der zweiten Jahrhunderthälfte. Die von W. Noack angenommene Befestigung der langen Straßensiedlung ist bisher nirgends belegt. Die Knickstellen der westlichen Querstraßen hinter den Hausstellen an der Maximiliansstraße erklären sich auf ganz andere Weise. Nicht Tore bewirkten die Knickung, sondern Hausstellen, die sich an der Maximiliansstraße da­ zwischen schoben und sich an die vorhandenen Blöcke anlehnten, wie der Hausstellenplan deutlich zu erkennen gibt. Vgl. S. 68. 195

genannt wird, darf nicht dazu führen, ihre Befestigung zu leugnen*°. Man hielt eben an dem alten Sprachgebrauch fest, daß die civitas die Domburg und das suburbium die Handelsniederlassung davor bedeute, auch als das Marktgebiet befestigt war und seine Fläche die der Domburg um ein Mehrfaches übertraf. Die zuerst wohl nur aus Planken und Graben bestehende Befestigung der Bürgerstadt trat im Vergleich zur Steinmauer der Domimmunität zurück. Goslar wird noch villa genannt, als die geschlossene Stadt und ihre große Verteidigungsanlage bereits begonnen waren41• Im 12. Jahrhundert hat sich die Siedlungstätigkeit vor allem auf die »untere« Stadt im Norden der Domburg erstreckt. Bezeichnend für diesen Vorgang sind wiederum die Pfarreigründungen. 1135 erhält St. Georg Pfarrechte, 1169 wird eine Pfarrei St. Stephan zuerst genannt (aber ältere Gründung). 1172 findet sich unter den Schenkungen des Pfarrers Theoderich für St. Stephan ein steinernes Taufbecken erwähnt. 1199 werden dem hl. Kreuz-Kloster Pfarrechte verliehen*?, Wie der Stadtplan zeigt, ist die Besiedlung wesentlich lockerer als in der Bürgerstadt. Die sehr großen, teilweise quadratischen Häuserviertel schließen umfangreiche Gärten ein. Die Errichtung der unteren Stadt ging vor allem von der Kirche aus, in deren Händen sich zum größten Teil das Gelände der ehemaligen Römerstadt befand. Noch im 14. Jahrhundert verleiht das Domkapitel Häuser und Gärten bei St. Georgen und in der Langen Gasse*. Erst ab 1508 wurde die untere Stadt in die Befestigung einbezogen44• Nicht viel später entstand die Jakobervorstadt im Osten. Zwar wird die Jakober­ kirche erst 1333 genannt, doch mußte sie damals schon von Grund auf erneuert werden45• Der Westteil der Jakober Straße könnte etwa um 1200, die östlich anschließende, anger­ artige Siedlung zwischen St. Jakob und dem Jakobertor im 15. Jahrhundert entstanden sein (vgl. die Talvorstadt in München). 40 41

42

43 44 45

J. Zeller, Das Augsburger Burggrafenamt, S. 541 f. Vgl. S. 79. W. Hoffmann, Zur Gesch. der Pfarreien in Augsburg. - A.Schröder, Alt-St. Stephan, S. 74 ff. - Theod. Herberger, Die 4 ältesten ... Originalurkunden des Augsburger Stadt­ archivs, Jahresber. d. Hist. Ver. 54, 1868, S.7: Verleihung der Pfarrechte an hl. Kreuz. z. B. Mon. Boica, Bd. 33/II, S.406, Nr. 550; S.408, Nr.352; S.414, Nr. 561; S.422, Nr. 372; S.427, Nr. 377; S. 465, Nr. 518 (alle zwischen 1367 und 1372). Noch 1512 liegt »sant Stephan vor der Stat ze Auspurch«, Mon. Boica 55a, S.358, Nr. 286. - R. Hoffmann, Tore und Befestigungen, S.55. Michael Hartig, Augsburgs Kunst, Augsb.-Stuttgart 1922, S. 11.

SPEYER

(Abbildungen 35-37, Tafel 21)

Von der keltischen civitas in Speyer" ist uns nur der Name Noviomagus, was etwa »Neufeld« bedeutet, durch Ptolemäus erhalten geblieben?. In römischer Zeit trat an seine Stelle Nemetum, nach dem Stamme der Nemeter, in deren Gebiet der Ort lag. Das römische Speyer nahm den zungenförmig nach Osten vorspringenden, fast dreieckigen Sporn der Rheinuferterrasse ein, an deren Fuß im Süden und Norden bis Ende des 11. Jahrhunderts der Strom unmittelbar vorbeifloß. Das Talgebiet östlich der Ufer­ terrasse, die etwa 5 bis 8 m zum Rhein abfällt, war noch das ganze Mittelalter hindurch sumpfig. Die Rheinarme wechselten vor der Eindeichung nicht selten ihren Lauf, unbe­ ständige Inseln, »Grün« oder »Wörth« genannt, zwischen sich aussparend. Den wichtigsten Verkehrsweg bildete bis zum 18. Jahrhundert der Strom selbst. Flußaufwärts konnten die Schiffe bis Speyer mit Pferden gezogen werden, von hier ab mußten Schiffsknechte diese Aufgabe besorgen. Auf der linken Uferterrasse verlief die bedeutendste Straße des Rheintales, die Römerstraße von Italien über Basel und Straß­ burg nach Worms, Mainz und Köln. Das rechte Rheinufer hat noch das ganze Mittel­ alter hindurch nur eine bescheidene Rolle im Rheintalverkehr gespielt. Erst Mannheim und Karlsruhe übernahmen die Aufgabe von Speyer und Worms. Ober die Rheinhäuser Fähre war Speyer an die große West-Ost-Straße über Bruchsal und Ulm nach Augsburg angeschlossen. Die Lußheimer Fähre nördlich von Speyer stellte die Verbindung mit 1

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An erster Stelle ist das sorgfältig gearbeitete Inventar zu nennen: Die Kunstdenkmäler von Bayern, Pfalz III, Stadt und Bezirksamt Speyer, bearb. v. Bernh. H. Röttger, München 1934, mit Zusammenstellung der ges. Literatur z. Gesch. u. Kunstgesch. der Stadt und Abbildun­ gen der für Speyer besonders wichtigen alten Ansichten. Über vorgesch. Funde, das rö­ mische und frühmittelalterl. Speyer unterrichten die zahlreichen Aufsätze und Schriften von Friedr. Sprater. Da die fast vollständige Zerstörung 1689 bedeutende Veränderungen in der Topographie der Stadt hervorrief, entstand früh der Wunsch nach einer Zusammen­ fassung der urkundlichen Nachrichten über das Aussehen der Stadt vor 1689: Zeuss, Die freie Reichsstadt Speier vor ihrer Zerstörung, Speyer 1845. Für die Immunität liegt eine sorgfältige Arbeit auf archivalischer Grundlage vor von Wilh. Molitor, Die Immunität des Domes zu Speyer, Mainz 1859. Die topographische Entwicklung im Mittelalter klärte jüngst Anton Doll in einem ebenso methodisch vielseitigen wie sorgfältigen und ergebnisreichen Aufsatz: »Zur Frühgeschichte der Stadt Speyer, eine topographische Untersuchung zum Pro­ zeß der Stadtwerdung Speyers vom 1o. bis 13. Jahrhundert«, Mitteilungen d. Hist. Ver. d. Pfalz 52, 1954, S. 153 ff. und ergänzend: »Historisch-archäologische Fragen der Speyerer Stadtentwicklung im Mittelalter«, Pfälzer Heimat 11, 1960, S. 58 ff. Die Urkunden verzeich­ net Alfr. Hilgard, Urkunden zur Gesch. der Stadt Speyer, Straßburg 1885. Eine Stadt­ geschichte, die den heutigen Anforderungen gerecht würde, fehlt. Konrad Engelhardt, Aus vergangenen Tagen. Geschichtl. Erinnerungen an der Hand der Speyerer Flur- und Gassennamen, Speyer 1910, S.6. K. Engelhardt, Die Umgestaltung des Landschaftsbildes um Speyer und die Erweiterung der Stadtbefestigung im Laufe der Jahrhunderte, Mitt. d. Hist. Ver. d. Pfalz 36, 1916, S. 137 ff.

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genannt wird, darf nicht dazu führen, ihre Befestigung zu leugnen*°. Man hielt eben an dem alten Sprachgebrauch fest, daß die civitas die Domburg und das suburbium die Handelsniederlassung davor bedeute, auch als das Marktgebiet befestigt war und seine Fläche die der Domburg um ein Mehrfaches übertraf. Die zuerst wohl nur aus Planken und Graben bestehende Befestigung der Bürgerstadt trat im Vergleich zur Steinmauer der Domimmunität zurück. Goslar wird noch villa genannt, als die geschlossene Stadt und ihre große Verteidigungsanlage bereits begonnen waren41• Im 12. Jahrhundert hat sich die Siedlungstätigkeit vor allem auf die »untere« Stadt im Norden der Domburg erstreckt. Bezeichnend für diesen Vorgang sind wiederum die Pfarreigründungen. 1135 erhält St. Georg Pfarrechte, 1169 wird eine Pfarrei St. Stephan zuerst genannt (aber ältere Gründung). 1172 findet sich unter den Schenkungen des Pfarrers Theoderich für St. Stephan ein steinernes Taufbecken erwähnt. 1199 werden dem hl. Kreuz-Kloster Pfarrechte verliehen*?, Wie der Stadtplan zeigt, ist die Besiedlung wesentlich lockerer als in der Bürgerstadt. Die sehr großen, teilweise quadratischen Häuserviertel schließen umfangreiche Gärten ein. Die Errichtung der unteren Stadt ging vor allem von der Kirche aus, in deren Händen sich zum größten Teil das Gelände der ehemaligen Römerstadt befand. Noch im 14. Jahrhundert verleiht das Domkapitel Häuser und Gärten bei St. Georgen und in der Langen Gasse*. Erst ab 1508 wurde die untere Stadt in die Befestigung einbezogen44• Nicht viel später entstand die Jakobervorstadt im Osten. Zwar wird die Jakober­ kirche erst 1333 genannt, doch mußte sie damals schon von Grund auf erneuert werden45• Der Westteil der Jakober Straße könnte etwa um 1200, die östlich anschließende, anger­ artige Siedlung zwischen St. Jakob und dem Jakobertor im 15. Jahrhundert entstanden sein (vgl. die Talvorstadt in München). 40 41

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J. Zeller, Das Augsburger Burggrafenamt, S. 541 f. Vgl. S. 79. W. Hoffmann, Zur Gesch. der Pfarreien in Augsburg. - A.Schröder, Alt-St. Stephan, S. 74 ff. - Theod. Herberger, Die 4 ältesten ... Originalurkunden des Augsburger Stadt­ archivs, Jahresber. d. Hist. Ver. 54, 1868, S.7: Verleihung der Pfarrechte an hl. Kreuz. z. B. Mon. Boica, Bd. 33/II, S.406, Nr. 550; S.408, Nr.352; S.414, Nr. 561; S.422, Nr. 372; S.427, Nr. 377; S. 465, Nr. 518 (alle zwischen 1367 und 1372). Noch 1512 liegt »sant Stephan vor der Stat ze Auspurch«, Mon. Boica 55a, S.358, Nr. 286. - R. Hoffmann, Tore und Befestigungen, S.55. Michael Hartig, Augsburgs Kunst, Augsb.-Stuttgart 1922, S. 11.

SPEYER

(Abbildungen 35-37, Tafel 21)

Von der keltischen civitas in Speyer" ist uns nur der Name Noviomagus, was etwa »Neufeld« bedeutet, durch Ptolemäus erhalten geblieben?. In römischer Zeit trat an seine Stelle Nemetum, nach dem Stamme der Nemeter, in deren Gebiet der Ort lag. Das römische Speyer nahm den zungenförmig nach Osten vorspringenden, fast dreieckigen Sporn der Rheinuferterrasse ein, an deren Fuß im Süden und Norden bis Ende des 11. Jahrhunderts der Strom unmittelbar vorbeifloß. Das Talgebiet östlich der Ufer­ terrasse, die etwa 5 bis 8 m zum Rhein abfällt, war noch das ganze Mittelalter hindurch sumpfig. Die Rheinarme wechselten vor der Eindeichung nicht selten ihren Lauf, unbe­ ständige Inseln, »Grün« oder »Wörth« genannt, zwischen sich aussparend. Den wichtigsten Verkehrsweg bildete bis zum 18. Jahrhundert der Strom selbst. Flußaufwärts konnten die Schiffe bis Speyer mit Pferden gezogen werden, von hier ab mußten Schiffsknechte diese Aufgabe besorgen. Auf der linken Uferterrasse verlief die bedeutendste Straße des Rheintales, die Römerstraße von Italien über Basel und Straß­ burg nach Worms, Mainz und Köln. Das rechte Rheinufer hat noch das ganze Mittel­ alter hindurch nur eine bescheidene Rolle im Rheintalverkehr gespielt. Erst Mannheim und Karlsruhe übernahmen die Aufgabe von Speyer und Worms. Ober die Rheinhäuser Fähre war Speyer an die große West-Ost-Straße über Bruchsal und Ulm nach Augsburg angeschlossen. Die Lußheimer Fähre nördlich von Speyer stellte die Verbindung mit 1

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An erster Stelle ist das sorgfältig gearbeitete Inventar zu nennen: Die Kunstdenkmäler von Bayern, Pfalz III, Stadt und Bezirksamt Speyer, bearb. v. Bernh. H. Röttger, München 1934, mit Zusammenstellung der ges. Literatur z. Gesch. u. Kunstgesch. der Stadt und Abbildun­ gen der für Speyer besonders wichtigen alten Ansichten. Über vorgesch. Funde, das rö­ mische und frühmittelalterl. Speyer unterrichten die zahlreichen Aufsätze und Schriften von Friedr. Sprater. Da die fast vollständige Zerstörung 1689 bedeutende Veränderungen in der Topographie der Stadt hervorrief, entstand früh der Wunsch nach einer Zusammen­ fassung der urkundlichen Nachrichten über das Aussehen der Stadt vor 1689: Zeuss, Die freie Reichsstadt Speier vor ihrer Zerstörung, Speyer 1845. Für die Immunität liegt eine sorgfältige Arbeit auf archivalischer Grundlage vor von Wilh. Molitor, Die Immunität des Domes zu Speyer, Mainz 1859. Die topographische Entwicklung im Mittelalter klärte jüngst Anton Doll in einem ebenso methodisch vielseitigen wie sorgfältigen und ergebnisreichen Aufsatz: »Zur Frühgeschichte der Stadt Speyer, eine topographische Untersuchung zum Pro­ zeß der Stadtwerdung Speyers vom 1o. bis 13. Jahrhundert«, Mitteilungen d. Hist. Ver. d. Pfalz 52, 1954, S. 153 ff. und ergänzend: »Historisch-archäologische Fragen der Speyerer Stadtentwicklung im Mittelalter«, Pfälzer Heimat 11, 1960, S. 58 ff. Die Urkunden verzeich­ net Alfr. Hilgard, Urkunden zur Gesch. der Stadt Speyer, Straßburg 1885. Eine Stadt­ geschichte, die den heutigen Anforderungen gerecht würde, fehlt. Konrad Engelhardt, Aus vergangenen Tagen. Geschichtl. Erinnerungen an der Hand der Speyerer Flur- und Gassennamen, Speyer 1910, S.6. K. Engelhardt, Die Umgestaltung des Landschaftsbildes um Speyer und die Erweiterung der Stadtbefestigung im Laufe der Jahrhunderte, Mitt. d. Hist. Ver. d. Pfalz 36, 1916, S. 137 ff.

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Heidelberg und den dort einmündenden Wegen her. Eine bedeutendere Straße nach Lothringen und Frankreich fehlte der Stadt allerdings'. Der Westverkehr bevorzugte Worms oder Straßburg. Speyers Rolle im mittelalterlichen Straßennetz war also eine doppelte: Etappenstation im Nord-Süd-Verkehr des Rheintals und Knotenpunkt zwi­ schen diesem und den Oststraßen. Von der Anlage des römischen Speyer ist verhältnismäßig wenig bekannt5• Unter Claudius entstand wohl das erste römische Kastell. Seine Nordseite deckte sich teilweise mit der heutigen Kleinen Pfaffengasse. In der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. wurde es durch Hochwasser beschädigt und man errichtete ein neues Kastell weiter zurück auf der Uferterrasse, um vor Wassergefahr gesichert zu sein. Seine Ostseite lief an­ nähernd der Schustergasse entlang, zog sich aber über die Hauptstraße hinweg. Seine Südwand deckte sich etwa mit dem Südrand des Königsplatzes. Nord- und Westgrenzen der Befestigung sind bisher nicht ergraben. Beide Lager standen dicht an den Zufahrts­ wegen zur mittelalterlichen Rheinfähre in Verlängerung der Heerdstraße. Hier hat man wohl schon in römischer Zeit den Strom überquert. Mit dem Hinausschieben der Reichs­ grenze wurde das Speyrer Kastell seit etwa 74 n. Chr. seiner Aufgabe enthoben. Von der Etappenstadt, die sich dicht bei der Befestigung entwickelte, kennt man nur eine Straße, welche in der Richtung der Kleinen Pfaffengasse verlief und sich bis in die heutige Ludwigstraße hinzog. Sie kreuzte offenbar eine Nordsüdstraße, die bisher einigemale angeschnitten wurde (z.B. Ecke Wormser Straße-Kornstraße) und die wahrscheinlich die römische Rheintalstraße darstellt. Nach den Funden dehnte sich die römische Stadt etwa zwischen Kleiner Pfaffengasse- Ludwigstraße und Großer Greifengasse-Großer Himmelsgasse aus. In der Nähe des Museums vermutet man ein Amphitheater. Im Be­ reich des Domhügels fand sich eine Reihe von Götterdenkmälern. Von einer Ummaue­ rung in spätrömischer Zeit fehlt bisher jede Spur, unwahrscheinlich, daß sie gefehlt haben sollte. »Fraglich erscheint, ob wir es hier mit einer planmäßigen Römeranlage oder mit einem organisch gewachsenen, langgezogenen Straßenort zu tun haben""«. Im Südwesten der Stadt, auf dem Germansberge, entdeckte man eine weitere römische Siedlung mit Wohngebäuden, Brunnen, Gräbern und wohl auch Tempeln. Noch in spätrömische Zeit reicht das Fundament einer einschiffigen Kirche mit recht­ eckigem Chor und seitlichen Anbauten zurück, das hier nach dem zweiten Weltkriege ausgegraben wurde6. Diesen Bau deutete man als frühchristliche Friedhofskirche des späten 4. oder des 5. Jahrhunderts. Etwa 100o m vom salischen Dome entfernt, lag die Kirche inmitten eines christlichen Gräberfeldes. Sie wurde aus dem Baumaterial eines kleinen Merkurheiligtums errichtet, von dem Reste von Votivsteinen und Kleinfunde aus der mittleren Kaiserzeit ans Tageslicht kamen. 543 und 546 wird ein Bischof der 4 5

5a

6

Hans Siegel, Die Verkehrslage der Stadt Speyer, Speiergau-Blätter 1926, S.62. Doll, S. 144 f. - Friedrich Sprater, Die Pfalz in der Römerzeit I, 1929, S. 22. - Doll 1960, S. 64 Anm. 5. Doll 1960, S. 60. Karl Werner Kaiser, Das Kloster St. German bei Speyer, Ur- u. Frühgeschichte als histo­ rische Wissenschaft, Festschr. z. 60. Geburtstag v. Ernst Wahle, hgb. von Horst Kirchner, Heidelberg 1950, S.222ff. Lageskizze mit Rheinverlauf im Mittelalter, Abb.1, S.225. K. W. Kaiser, Das Kloster St. German zu Speyer, (Speyer) 1955, S. 103 ff. - Roller, Zur Datierung von St. German, St. German in Stadt und Bistum Speyer, Speyer 1957, S. 59 tritt allerdings erst für 6./7. Jh. ein. Die Kirche wäre demnach merowingisch.

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1 karoling. Dom 2 Stephanskapelle 3 St. Guidostift = Weidenstift 4 Allerheiligenstift 5 St. Georg 6 St. Moritz 7 Retscher

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A Rheinfähre

B C D E F

Speyerbach Immunität Königspfalz ottonisches Marktgebiet „Howebühel' 0000 = römisches Kastell



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Heidelberg und den dort einmündenden Wegen her. Eine bedeutendere Straße nach Lothringen und Frankreich fehlte der Stadt allerdings'. Der Westverkehr bevorzugte Worms oder Straßburg. Speyers Rolle im mittelalterlichen Straßennetz war also eine doppelte: Etappenstation im Nord-Süd-Verkehr des Rheintals und Knotenpunkt zwi­ schen diesem und den Oststraßen. Von der Anlage des römischen Speyer ist verhältnismäßig wenig bekannt5• Unter Claudius entstand wohl das erste römische Kastell. Seine Nordseite deckte sich teilweise mit der heutigen Kleinen Pfaffengasse. In der Mitte des 1. Jahrhunderts n. Chr. wurde es durch Hochwasser beschädigt und man errichtete ein neues Kastell weiter zurück auf der Uferterrasse, um vor Wassergefahr gesichert zu sein. Seine Ostseite lief an­ nähernd der Schustergasse entlang, zog sich aber über die Hauptstraße hinweg. Seine Südwand deckte sich etwa mit dem Südrand des Königsplatzes. Nord- und Westgrenzen der Befestigung sind bisher nicht ergraben. Beide Lager standen dicht an den Zufahrts­ wegen zur mittelalterlichen Rheinfähre in Verlängerung der Heerdstraße. Hier hat man wohl schon in römischer Zeit den Strom überquert. Mit dem Hinausschieben der Reichs­ grenze wurde das Speyrer Kastell seit etwa 74 n. Chr. seiner Aufgabe enthoben. Von der Etappenstadt, die sich dicht bei der Befestigung entwickelte, kennt man nur eine Straße, welche in der Richtung der Kleinen Pfaffengasse verlief und sich bis in die heutige Ludwigstraße hinzog. Sie kreuzte offenbar eine Nordsüdstraße, die bisher einigemale angeschnitten wurde (z.B. Ecke Wormser Straße-Kornstraße) und die wahrscheinlich die römische Rheintalstraße darstellt. Nach den Funden dehnte sich die römische Stadt etwa zwischen Kleiner Pfaffengasse- Ludwigstraße und Großer Greifengasse-Großer Himmelsgasse aus. In der Nähe des Museums vermutet man ein Amphitheater. Im Be­ reich des Domhügels fand sich eine Reihe von Götterdenkmälern. Von einer Ummaue­ rung in spätrömischer Zeit fehlt bisher jede Spur, unwahrscheinlich, daß sie gefehlt haben sollte. »Fraglich erscheint, ob wir es hier mit einer planmäßigen Römeranlage oder mit einem organisch gewachsenen, langgezogenen Straßenort zu tun haben""«. Im Südwesten der Stadt, auf dem Germansberge, entdeckte man eine weitere römische Siedlung mit Wohngebäuden, Brunnen, Gräbern und wohl auch Tempeln. Noch in spätrömische Zeit reicht das Fundament einer einschiffigen Kirche mit recht­ eckigem Chor und seitlichen Anbauten zurück, das hier nach dem zweiten Weltkriege ausgegraben wurde6. Diesen Bau deutete man als frühchristliche Friedhofskirche des späten 4. oder des 5. Jahrhunderts. Etwa 100o m vom salischen Dome entfernt, lag die Kirche inmitten eines christlichen Gräberfeldes. Sie wurde aus dem Baumaterial eines kleinen Merkurheiligtums errichtet, von dem Reste von Votivsteinen und Kleinfunde aus der mittleren Kaiserzeit ans Tageslicht kamen. 543 und 546 wird ein Bischof der 4 5

5a

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Hans Siegel, Die Verkehrslage der Stadt Speyer, Speiergau-Blätter 1926, S.62. Doll, S. 144 f. - Friedrich Sprater, Die Pfalz in der Römerzeit I, 1929, S. 22. - Doll 1960, S. 64 Anm. 5. Doll 1960, S. 60. Karl Werner Kaiser, Das Kloster St. German bei Speyer, Ur- u. Frühgeschichte als histo­ rische Wissenschaft, Festschr. z. 60. Geburtstag v. Ernst Wahle, hgb. von Horst Kirchner, Heidelberg 1950, S.222ff. Lageskizze mit Rheinverlauf im Mittelalter, Abb.1, S.225. K. W. Kaiser, Das Kloster St. German zu Speyer, (Speyer) 1955, S. 103 ff. - Roller, Zur Datierung von St. German, St. German in Stadt und Bistum Speyer, Speyer 1957, S. 59 tritt allerdings erst für 6./7. Jh. ein. Die Kirche wäre demnach merowingisch.

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1 karoling. Dom 2 Stephanskapelle 3 St. Guidostift = Weidenstift 4 Allerheiligenstift 5 St. Georg 6 St. Moritz 7 Retscher

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Speyerbach Immunität Königspfalz ottonisches Marktgebiet „Howebühel' 0000 = römisches Kastell



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Colonia Nemetum genannt7. Weitere römische Gräberfelder lagen an der Ludwigstraße, in der Armbruststraße und am St. Guidostiftsplatz. Nach den bisher erschlossenen Gräberfeldern hat es nicht den Anschein, als ob sich römisches Städteleben in größerem Ausmaße über die Germaneneinfälle hinüber ge­ rettet hätte®. Von der Mitte des 5. bis zum Beginn des 7. Jahrhunderts setzte wohl die Bischofsreihe aus9. Wie in den niederrheinischen civitates ließen sich die Franken zwar in der Nähe der Rörnerstadt nieder i ihre Dörfer vermieden aber das ehemalige Stadt­ gebiet. So entstand vor der römischen civitas Alt-Speyer, über 1000 m vom Dom aus in nordwestlicher Richtung entfernt. Seine Pfarrkirche war dem hl. Martin geweiht. Fränkischen Ursprungs scheint auch der abgegangene Ort Winterheim gewesen zu sein. (am Germansberg). Bereits 614 taucht ein neuer Name für den Rheinort auf: Sphira, der sich zuerst vielleicht nur auf die fränkische Siedlung beim heutigen Bahnhof (Alt­ Speyer) bezog und später auf die Domburg überging. »Die römische Stadt selbst blieb siedlungsleer, abgesehen vielleicht von sehr spärlichen Resten spätantiker Bevölkerung« und dem Dombereich!°, Aus dem 7. Jahrhundert stammen die nächsten Lebenszeichen der civitas. 614 wird ein Bischof Hilderich genannt, 653 ein Bischof Principius urkundlich erwähnt'!. König Dagobert I. soll der Überlieferung nach auf dem Germansberg ein Kloster gegründet haben. Patron der Gemeinschaft wurde der fränkische Heilige Germanus, Bischof von Auxerre. Der Fernbesitz des Klosters könnte tatsächlich in das 7. Jahrhundert zurück­ reichen. Als Gotteshaus benutzte man die spätrömische Friedhofskirche und fügte ihr die Klostergebäude an12. Das Vorhandensein einer merowingischen Pfalz ist nicht zu belegen. Friedrich Sprater glaubt die Pfalz an dem Schnittpunkt der drei Radialstraßen (Große und Kleine Pfaffen­ straße - Große Himmelstraße) südlich des Domes suchen zu müssen. Er schreibt deshalb auch das fächerförmige suburbium bis zur Heerdstraße der Merowingerzeit zu'. Ein Be­ weis läßt sich dafür nicht erbringen. Die fränkischen Siedlungen lagen weit außerhalb der civitas. Eine stadtartige merowingische Anlage, unabhängig vorn römischen Straßen­ netz, ist bisher auch im ehemaligen Gallien nicht bekannt. Sie hätte außerdem zur Vor­ aussetzung, daß der Ort in vorkarolingischer Zeit eine besondere Bedeutung besessen habe. Aber auch dies kann man den erhaltenen Nachrichten nicht entnehmen. Es scheint gerade das Gegenteil der Fall zu sein. Die Rolle Speyers bis zur großen Bautätigkeit der Salier blieb recht bescheiden. Die Worte der Vita Bennonis lassen darüber keinen Zwei-

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Albert Pfeiffer, in: Kunstdenkm., S. XXII. Fr. Sprater, Königspfalz u. Gaugrafenburg in Speyer, Speyer 1947, S.14. Kaiser, Das Kloster St. German, 1955, S.123. - Doll, S.140: »Die Gräber bei St. German, vielleicht auch die Gräber am Konsistorium sprechen möglicherweise für ein geringes Fort­ leben spätrömischer Bevölkerungsreste mit stark gesunkenem Kulturniveau.« Doll, S.148f. - J. Hildenbrand, Aus Alt-Speier, Speiergau-Blätter 1924, S.101. U.B. Nr.1, S.1. - Doll, S. 149. K. W. Kaiser, Das Kloster St. German, 1955, S. 15, 103 ff. - Doll, S. 147. F. Sprater, Königspfalz und Gaugrafenburg, S.4 u. S.6f. - Doll, S.158f., bestreitet mit guten Gründen das Bestehen einer merowingischen oder karolingischen Königspfalz: »Die Speyrer Münzprägungen liegen alle vor 805, dem Zeitpunkt der Zentralisation der Prägung unter Karl d. Gr. in den Pfalzen. Sie sprechen also durchaus gegen das Bestehen einer Kö­ nigspfalz in Speyer und nicht dafür.«

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Abb. 36. Speyer. Salisches Stadtgebiet nach dem Katasterplan von 1822

Dom Dreifaltigkeitskirche Kaufhaus Weißes Tor Altpörtel Weidentor St. Guidostift = Weidenstift Allerheiligenstift Judenbad Histor. Museum der Pfalz

A Hauptstraße, östl. Teil B Hauptstraße, westl. Teil

C D E F G H

J

K L M N O P

Korngasse Engelsgasse Kleine Pfaffengasse Große Pfaffengasse Judengasse Schustergasse Heerdstraße Königsplatz Allerheiligenstraße Ludwigstraße Roßmarkt Stuhlbrudergasse Große Himmelsgasse

Q R S T U V W X Y Z a b c

Johannesstraße Salzgasse St. Georgengasse Wormserstraße Gutenbergstraße Lauergasse Fisch- und Holzmarkt Große Greifengasse Webergasse Grasgasse Bechergasse Armbruststraße St. Guidostiftsplatz

Colonia Nemetum genannt7. Weitere römische Gräberfelder lagen an der Ludwigstraße, in der Armbruststraße und am St. Guidostiftsplatz. Nach den bisher erschlossenen Gräberfeldern hat es nicht den Anschein, als ob sich römisches Städteleben in größerem Ausmaße über die Germaneneinfälle hinüber ge­ rettet hätte®. Von der Mitte des 5. bis zum Beginn des 7. Jahrhunderts setzte wohl die Bischofsreihe aus9. Wie in den niederrheinischen civitates ließen sich die Franken zwar in der Nähe der Rörnerstadt nieder i ihre Dörfer vermieden aber das ehemalige Stadt­ gebiet. So entstand vor der römischen civitas Alt-Speyer, über 1000 m vom Dom aus in nordwestlicher Richtung entfernt. Seine Pfarrkirche war dem hl. Martin geweiht. Fränkischen Ursprungs scheint auch der abgegangene Ort Winterheim gewesen zu sein. (am Germansberg). Bereits 614 taucht ein neuer Name für den Rheinort auf: Sphira, der sich zuerst vielleicht nur auf die fränkische Siedlung beim heutigen Bahnhof (Alt­ Speyer) bezog und später auf die Domburg überging. »Die römische Stadt selbst blieb siedlungsleer, abgesehen vielleicht von sehr spärlichen Resten spätantiker Bevölkerung« und dem Dombereich!°, Aus dem 7. Jahrhundert stammen die nächsten Lebenszeichen der civitas. 614 wird ein Bischof Hilderich genannt, 653 ein Bischof Principius urkundlich erwähnt'!. König Dagobert I. soll der Überlieferung nach auf dem Germansberg ein Kloster gegründet haben. Patron der Gemeinschaft wurde der fränkische Heilige Germanus, Bischof von Auxerre. Der Fernbesitz des Klosters könnte tatsächlich in das 7. Jahrhundert zurück­ reichen. Als Gotteshaus benutzte man die spätrömische Friedhofskirche und fügte ihr die Klostergebäude an12. Das Vorhandensein einer merowingischen Pfalz ist nicht zu belegen. Friedrich Sprater glaubt die Pfalz an dem Schnittpunkt der drei Radialstraßen (Große und Kleine Pfaffen­ straße - Große Himmelstraße) südlich des Domes suchen zu müssen. Er schreibt deshalb auch das fächerförmige suburbium bis zur Heerdstraße der Merowingerzeit zu'. Ein Be­ weis läßt sich dafür nicht erbringen. Die fränkischen Siedlungen lagen weit außerhalb der civitas. Eine stadtartige merowingische Anlage, unabhängig vorn römischen Straßen­ netz, ist bisher auch im ehemaligen Gallien nicht bekannt. Sie hätte außerdem zur Vor­ aussetzung, daß der Ort in vorkarolingischer Zeit eine besondere Bedeutung besessen habe. Aber auch dies kann man den erhaltenen Nachrichten nicht entnehmen. Es scheint gerade das Gegenteil der Fall zu sein. Die Rolle Speyers bis zur großen Bautätigkeit der Salier blieb recht bescheiden. Die Worte der Vita Bennonis lassen darüber keinen Zwei-

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Albert Pfeiffer, in: Kunstdenkm., S. XXII. Fr. Sprater, Königspfalz u. Gaugrafenburg in Speyer, Speyer 1947, S.14. Kaiser, Das Kloster St. German, 1955, S.123. - Doll, S.140: »Die Gräber bei St. German, vielleicht auch die Gräber am Konsistorium sprechen möglicherweise für ein geringes Fort­ leben spätrömischer Bevölkerungsreste mit stark gesunkenem Kulturniveau.« Doll, S.148f. - J. Hildenbrand, Aus Alt-Speier, Speiergau-Blätter 1924, S.101. U.B. Nr.1, S.1. - Doll, S. 149. K. W. Kaiser, Das Kloster St. German, 1955, S. 15, 103 ff. - Doll, S. 147. F. Sprater, Königspfalz und Gaugrafenburg, S.4 u. S.6f. - Doll, S.158f., bestreitet mit guten Gründen das Bestehen einer merowingischen oder karolingischen Königspfalz: »Die Speyrer Münzprägungen liegen alle vor 805, dem Zeitpunkt der Zentralisation der Prägung unter Karl d. Gr. in den Pfalzen. Sie sprechen also durchaus gegen das Bestehen einer Kö­ nigspfalz in Speyer und nicht dafür.«

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Abb. 36. Speyer. Salisches Stadtgebiet nach dem Katasterplan von 1822

Dom Dreifaltigkeitskirche Kaufhaus Weißes Tor Altpörtel Weidentor St. Guidostift = Weidenstift Allerheiligenstift Judenbad Histor. Museum der Pfalz

A Hauptstraße, östl. Teil B Hauptstraße, westl. Teil

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Korngasse Engelsgasse Kleine Pfaffengasse Große Pfaffengasse Judengasse Schustergasse Heerdstraße Königsplatz Allerheiligenstraße Ludwigstraße Roßmarkt Stuhlbrudergasse Große Himmelsgasse

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Johannesstraße Salzgasse St. Georgengasse Wormserstraße Gutenbergstraße Lauergasse Fisch- und Holzmarkt Große Greifengasse Webergasse Grasgasse Bechergasse Armbruststraße St. Guidostiftsplatz

fel, mag auch der Gegensatz zwischen dem neuen Kaiserglanz und dem Verfall unter den Ottonen übertrieben sein: »Eo vero tempore, quo urbs Spira in littore Rheni posita paupercula et vetustate collapsa pene iam episcopium esse desierat, imperatorum, qui iam ibi conditi iacent, studio et religione, ut nunc ibi cernitur, reformata convaluit«l, Die von Sprater südlich des Domes unter dem ehemaligen Kreuzgang gefundenen Mauerreste und Pfeilersockel vorsalischer Zeit genügen nicht, um ihre Deutung als Pfalz zu rechtfertigen15• Viel zwangloser könnte man sie für den vorsalischen Dom in An­ spruch nehmen. Träfe die Vermutung Spraters zu, müßte der alte Dom an anderer Stelle gesucht werden, und Sprater schlägt dafür die Stephanskapelle am Südrande der Immu­ nität vor, die zwischen dem heutigen Staatsarchiv und dem Historischen Museum der Pfalz stand. Sie diente im 12. und 13. Jahrhundert jedenfalls als Spitalkapelle. Die in ihr gefundenen Chorschrankenreste mit »langobardischem« Flechtbandornament könnten noch in karolingischer Zeit entstanden sein'®. Da bis 1251 die Stephanskirche mit dem Germanskloster uniert war, könnte sie durchaus in fränkische Zeit zurückreichen. Viel­ leicht gehörte sie tatsächlich zu dem merowingischen Domkomplex, der, nach den beiden Patrozinien zu schließen, eine Doppelkirchenanlage mit Baptisterium gewesen sein kann. Die Umrisse der frühmittelalterlichen Domimmunität sind neuerdings durch die For­ schungen Anton Dells faßbarer geworden. Für den Bau des salischen Domes wurde der Domhügel im Norden, Osten und Süden stark aufgeschüttet. Er fiel ursprünglich wesent­ lich flacher zum Rhein hin ab. In fränkischer Zeit lag das Gebiet des heutigen Domes vermutlich noch außerhalb des besiedelten Geländes. Anton Doll fand durch genaue Niveaumessungen, daß Webergasse und »Howebühel« zwischen Hauptstraße und Klei­ ner Pfaffengasse längs einer alten Wallbefestigung verlaufen'. Das Gebiet innerhalb dieser Begrenzung ausschließlich kirchlicher Besitz blieb, darf man die gefundene Be­ festigung am wahrscheinlichsten mit der Domimmunität in Verbindung bringen. Ob sie noch in fränkische Zeit zurückreicht, muß offen bleiben Die Ostgrenze der Befesti­ gung ist wegen der salischen Veränderungen des Domhügels nicht mehr genau zu er­ mitteln. Sie verlief offenbar östlich der Stephanskapelle!", Das frühmittelalterliche Speyer wandte sich dem im Süden vorbeifließenden Strom zu. Die Domburg lag zum Rhein parallel auf der Uferterrasse. Erst die gewaltige Bautätigkeit der Salier hat mit der neuen Achse der Hauptstraße den Ort völlig umorientiert. Den Urkunden des 10. und 11. Jahrhunderts, welche die bischöflichen Rechte bestätigen, ist deutlich eine Zwei­ teilung der Siedlung zu entnehmen: »in civitate Spira vel Nemeta vocata aut foris 14 15

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Vita Bennonis ed. Bresslau, 1902, 5.4. F. Sprater, Königspfalz und Gaugrafenburg, S.10 u. Abb.4 u. 5. Stephanskapelle als Dom: S.7 ff. - Das Inventar hat nur die Hypothese über die Lage der Königspfalz angenommen: Kunstdenkm., S. 621. Die Urkunde von 787 ist längst als Fälschung erwiesen. - Auch Doll, S.153, hält die Funde für Reste des karolingischen Domes, der demnach etwa 75 m südlich des salischen Neubaus lag. Kunstdenkm., S.515, tritt für 12. Jh. ein, dagegen F. Dettweiler, Die Chorschrankenreste aus dem merowingischen Königsdom zu Speyer, Pfälzisches Museums 4, 1930, S. 119 ff., um 800. Die Ähnlichkeit mit Chur und Münster in Graubünden überzeugend. Doll, S.152: »Um 670 wird der Dom als ecclesia domne marie vel domini Stephani be­ zeichnet.« (U.B. Nr. 2). - Doll 1960, S. 61 f. - H.E. Kubach, Der Dom zu Speyer, Pfälzer Heimat 11, 1960, S. 66. Doll, S. 150 ff. mit Abb.5 (Querschnitt durch den Domhügel), S.154 ff. mit Abb. 4 (Längs­ schnitte durch Webergasse etc.) u. Abb.5 (Längsschnitte durch Howebühel etc.).

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Abb. 37. Speyer. Domimmunität vor 1800 nach dem Plan bei Molitor 1 Salischer Dom mit Stiftsgebäuden 2 Ehem. Hof des Dompropstes, später Jesuitenkolleg 3 Bischofshof 4 Dechanei

5 Schlegelhof = Propstei 6 Spital, später Deutschordenskomturei 7 Kreuzhaus 8 Domnapf 9 Nikolauskapelle

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fel, mag auch der Gegensatz zwischen dem neuen Kaiserglanz und dem Verfall unter den Ottonen übertrieben sein: »Eo vero tempore, quo urbs Spira in littore Rheni posita paupercula et vetustate collapsa pene iam episcopium esse desierat, imperatorum, qui iam ibi conditi iacent, studio et religione, ut nunc ibi cernitur, reformata convaluit«l, Die von Sprater südlich des Domes unter dem ehemaligen Kreuzgang gefundenen Mauerreste und Pfeilersockel vorsalischer Zeit genügen nicht, um ihre Deutung als Pfalz zu rechtfertigen15• Viel zwangloser könnte man sie für den vorsalischen Dom in An­ spruch nehmen. Träfe die Vermutung Spraters zu, müßte der alte Dom an anderer Stelle gesucht werden, und Sprater schlägt dafür die Stephanskapelle am Südrande der Immu­ nität vor, die zwischen dem heutigen Staatsarchiv und dem Historischen Museum der Pfalz stand. Sie diente im 12. und 13. Jahrhundert jedenfalls als Spitalkapelle. Die in ihr gefundenen Chorschrankenreste mit »langobardischem« Flechtbandornament könnten noch in karolingischer Zeit entstanden sein'®. Da bis 1251 die Stephanskirche mit dem Germanskloster uniert war, könnte sie durchaus in fränkische Zeit zurückreichen. Viel­ leicht gehörte sie tatsächlich zu dem merowingischen Domkomplex, der, nach den beiden Patrozinien zu schließen, eine Doppelkirchenanlage mit Baptisterium gewesen sein kann. Die Umrisse der frühmittelalterlichen Domimmunität sind neuerdings durch die For­ schungen Anton Dells faßbarer geworden. Für den Bau des salischen Domes wurde der Domhügel im Norden, Osten und Süden stark aufgeschüttet. Er fiel ursprünglich wesent­ lich flacher zum Rhein hin ab. In fränkischer Zeit lag das Gebiet des heutigen Domes vermutlich noch außerhalb des besiedelten Geländes. Anton Doll fand durch genaue Niveaumessungen, daß Webergasse und »Howebühel« zwischen Hauptstraße und Klei­ ner Pfaffengasse längs einer alten Wallbefestigung verlaufen'. Das Gebiet innerhalb dieser Begrenzung ausschließlich kirchlicher Besitz blieb, darf man die gefundene Be­ festigung am wahrscheinlichsten mit der Domimmunität in Verbindung bringen. Ob sie noch in fränkische Zeit zurückreicht, muß offen bleiben Die Ostgrenze der Befesti­ gung ist wegen der salischen Veränderungen des Domhügels nicht mehr genau zu er­ mitteln. Sie verlief offenbar östlich der Stephanskapelle!", Das frühmittelalterliche Speyer wandte sich dem im Süden vorbeifließenden Strom zu. Die Domburg lag zum Rhein parallel auf der Uferterrasse. Erst die gewaltige Bautätigkeit der Salier hat mit der neuen Achse der Hauptstraße den Ort völlig umorientiert. Den Urkunden des 10. und 11. Jahrhunderts, welche die bischöflichen Rechte bestätigen, ist deutlich eine Zwei­ teilung der Siedlung zu entnehmen: »in civitate Spira vel Nemeta vocata aut foris 14 15

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Vita Bennonis ed. Bresslau, 1902, 5.4. F. Sprater, Königspfalz und Gaugrafenburg, S.10 u. Abb.4 u. 5. Stephanskapelle als Dom: S.7 ff. - Das Inventar hat nur die Hypothese über die Lage der Königspfalz angenommen: Kunstdenkm., S. 621. Die Urkunde von 787 ist längst als Fälschung erwiesen. - Auch Doll, S.153, hält die Funde für Reste des karolingischen Domes, der demnach etwa 75 m südlich des salischen Neubaus lag. Kunstdenkm., S.515, tritt für 12. Jh. ein, dagegen F. Dettweiler, Die Chorschrankenreste aus dem merowingischen Königsdom zu Speyer, Pfälzisches Museums 4, 1930, S. 119 ff., um 800. Die Ähnlichkeit mit Chur und Münster in Graubünden überzeugend. Doll, S.152: »Um 670 wird der Dom als ecclesia domne marie vel domini Stephani be­ zeichnet.« (U.B. Nr. 2). - Doll 1960, S. 61 f. - H.E. Kubach, Der Dom zu Speyer, Pfälzer Heimat 11, 1960, S. 66. Doll, S. 150 ff. mit Abb.5 (Querschnitt durch den Domhügel), S.154 ff. mit Abb. 4 (Längs­ schnitte durch Webergasse etc.) u. Abb.5 (Längsschnitte durch Howebühel etc.).

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Abb. 37. Speyer. Domimmunität vor 1800 nach dem Plan bei Molitor 1 Salischer Dom mit Stiftsgebäuden 2 Ehem. Hof des Dompropstes, später Jesuitenkolleg 3 Bischofshof 4 Dechanei

5 Schlegelhof = Propstei 6 Spital, später Deutschordenskomturei 7 Kreuzhaus 8 Domnapf 9 Nikolauskapelle

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murum eiusdem civitatis, idest in villa Spira, quae eidem urbi adiacens est«19. Hier ist unter civitas sicher die Domimmunität zwischen Webergasse und Stephanskapelle zu verstehen. Schwieriger ist zu entscheiden, was unter der »villa Spira« gemeint ist. Han­ delt es sich um eine Siedlung unmittelbar vor der Immunität oder um das Dorf Alt­ speyer? Dazu ist es notwendig, die fächerförmige Stadtanlage im Westen des salischen Domes näher zu betrachten. Der heutige Grundriß von Speyer spiegelt weniger als andernorts das Bild der mittelalterlichen Stadt wider. Nach der furchtbaren Zerstörung von 1689 blieb die Stadt ein Jahrzehnt lang verödet liegen. Der Wiederaufbau kam nur langsam in Gang. Straßen wurden begradigt, die Hausstellen z. T. verändert. Mit der Säkularisation verschwanden Stifte und Klöster. So ist der heutige Königsplatz z.B. erst nach dem Abbruch des St. German- und Moritzstiftes entstanden. Einen Grundriß der Stadt vor 1689 gibt es nicht. Am meisten eignen sich noch für unseren Zweck der Plan um 1750, der allerdings nur die Straßen, nicht die Hausstellen wiedergibt?° und der Katasterplan von 1822. Trotz der Veränderungen hebt sich bis heute im Stadtgrundriß das Gebiet westlich des Domes bis zur Heerd- und Schusterstraße, Salz- und St. Georgen­ gasse von dem übrigen Stadtgebiet ab. Annähernd radial laufen vier Straßen auf den Dom zu (Große und Kleine Pfaffenstraße, Hauptstraße, Große Himmelsgasse). Die Querwege folgen z. T. konzentrisch der fast halbkreisförmigen Begrenzungslinie. Fried­ rich Sprater hob mit Recht hervor, daß dieser fächerförmige Teil nicht gleichzeitig mit dem Rest der Stadtfläche entstanden sein könne, da die Radialstraßen jenseits der Be­ grenzungslinie alle ihre Namen wechseln (Allerheiligen-, Ludwig-, Johannisstraße)?' Der breitere Teil der Hauptstraße vor dem Dom hieß früher Markt ohne weitere Neben­ bestimmung. Der schmälere westliche Teil erhielt nach dem durchfließenden, früher un­ bedeckten Speyerbach häufig den Namen »uff der Bach«. Hier reihten sich die Spezial­ märkte aneinander: Krämermarkt, Zwiebelmarkt, Ledermarkt. Die Schlagbrücke trennte die beiden Hälften der Hauptstraße22. Die Nordseite des Fächers war im Spätmittelalter mit großen Höfen der Speyerer Patriziergeschlechter besetzt. 1340 kaufte die Stadt den Hof des Ebelin »ante monaste­ rium«, um daraus den Ratshof, das Speyerer Rathaus, zu machen. Hier lag der um­ strittene »Retscher«, der Hof des Patriziergeschlechtes der Retschelin, von dem heute noch ein Teil als Ruine aufrecht steht23. An der Stelle der Dreifaltigkeitskirche befand sich der Hof der Familie Phrumboum. Man hat hier die Gaugrafenburg der Salier ge­ sucht. Weit wahrscheinlicher lag hier aber die Königspfalz, an der die Salier vermutlich schon im 1o. Jahrhundert gewisse Rechte besaßen, welche Herzog Konrad der Rote 946 19

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U.B. Nr.5, S.5 (969), Nr.7, S.7 (989), Nr.10, S. 10 (1061). Abgebildet bei Zeuss, Falttafel u. Sprater, Königspfalz und Gaugrafenburg, S.17. Sprater, Königspfalz und Gaugrafenburg, S.6. Zeuss, S. 20. - Viktor Lucas, Speyerer Straßennamen, Pfälzisches Museum 38, 1921, S. 31 ff. Kunstdenkmäler, S. 659 ff. u. 668. - Doll, S. 167. - Noch Papebroch und Henschenius trafen 1660 in Speyer auf die Überlieferung, daß der Retscher der Wohnsitz der deutschen Könige und Kaiser gewesen sei. Fritz V. Arens, Speyer im Jahre 1660. Pfälzer Heimat 2, 1951, S. 34. Zweifellos umfaßte die Pfalz ein größeres Areal als die Fläche eines hochmittelalterlichen Patrizierhofes. Ich nehme daher die ganze Nordseite des Sporns vom Retscher bis zum späteren Jesuitenkolleg als Pfalzgelände an. Ob die Pfalz hier nicht auf römisches Fiskal gut zurückgeht?

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in einer umstrittenen Schenkungsurkunde dem Bischof von Speyer übertrug'. Erst Ende des 11. Jahrhunderts ist die Pfalz, in deren Eigentum sich damals König und Bischof teilten, sicher bezeugt. Sie dürfte noch in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts hinauf­ reichen. Wohnrechte der deutschen Könige in diesem Gebiet erhielten sich bis in das 14. Jahrhundert. Die Nordgrenze des Pfalzbereiches zeichnet sich deutlich im Stadtplan ab: von der ehemaligen Nikolauskapelle über die Stuhlbrudergasse zur Retscher-Ruine und weiter zur Großen Himmelsgasse zieht sich eine ausgeprägte Grundstücksgrenze, die in vor­ salische Zeit zurückgeht, da auf sie die salische Stadtmauer Rücksicht nimmt?°. Die ganze südliche Hälfte der fächerförmigen Stadtanlage war geistlicher Besitz. In der Großen Pfaffengasse lagen die Kanonikatshöfe der Domherren. In der Kleinen Pfaffengasse (frühere Judengasse) und in der heutigen Judengasse (frühere Meischel­ gasse) saßen die Speyrer Juden, deren berühmtes Bad, das den Stilformen nach um 1100 erbaut wurde, sich erhalten hat. Die frühromanische Synagoge (vielleicht noch Ende 11. Jahrhundert) daneben mit Männer- und Frauenschule ist fast ganz verschwunden (Judenbadgäßchen)?°. Die Weber der Webergasse unterstanden noch um 1280 dem Dompropst. Zwischen der geistlichen Stadt im Süden und dem Pfalzgelände im Norden zog sich ursprünglich wohl ein Befestigungsgraben im Verlauf des östlichen Teils der Hauptstraße entlang. Möglicherweise umgab schon in ottonischer Zeit eine gemeinsame Mauer die beiden Gebietsteile, wofür die Urkunde von 946 die rechtlichen Grundlagen schuf?8, Die radiale Straßenführung des heutigen Stadtgebietes westlich des salischen Domes stellt also keineswegs eine planmäßige Anlage dar. Die einzelnen Strahlen des Fächers sind zu verschiedener Zeit entstanden. Die Große Pfaffengasse gehört dem sicher früh­ mittelalterlichen Verbindungsweg von der Domburg zum Germanskloster an; die Kleine Pfaffengasse geht auf den ergrabenen römischen Straßenzug zurück. Die Große Him­ melsgasse sucht von dem Pfalzgebiet aus den Anschluß an die Römerstraße Straßburg­ Worms. Am spätesten wurde die Hauptstraße angelegt, welche erst der salischen Neu­ planung ihre Bedeutung verdankt. Vor der Befestigung siedelten sich im Westen die Kaufleute an. Anton Doll gelang der einwandfreie Nachweis, daß noch im 15. Jahrhundert die führenden Kaufmanns­ familien nicht an der Hauptstraße, dem mittelalterlichen Markt, wohnten, sondern längs Heerdstraße, Grasgasse, St. Georgen- und Salzgasse in einem offensichtlich planmäßig angelegten Kaufmannsviertel?", Hier muß man den ottonischen Markt in Speyer suchen, 24 25

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Sprater, Königspfalz und Gaugrafenburg, S.13f., tritt für eine Gaugrafenburg ein. Dagegen Doll, S. 157 ff., mit überzeugenden Gründen für eine Königspfalz. - U.B. Nr. 4u. 12. Doll, S. 157 f. Kunstdenkmäler, S.454 ff., S. 495 f. u. S.505. - Doll, S.166. Doll, S. 167. Doll, S. 168. - Die Mauer wird 969 zum erstenmal erwähnt. Der angenommene Befesti­ gungsverlauf konnte neuerdings auch durch Bodenfunde nachgewiesen werden (drei paral­ lele Gräben in der Schrannengasse). Vgl. A. Doll, Zur Frühgeschichte der Stadt Speyer, Pfälzer Heimat 9, 1958, S. 170 ff. Doll, S. 184 ff., sucht den Markt innerhalb der Befestigung zwischen Immunität und Pfalz­ gelände. Es spricht aber weit mehr dafür, daß die Kaufmannshäuser, wie in den übrigen ottonischen Marktsiedlungen, so auch in Speyer, unmittelbar am Markt standen. Es dürfte 205

murum eiusdem civitatis, idest in villa Spira, quae eidem urbi adiacens est«19. Hier ist unter civitas sicher die Domimmunität zwischen Webergasse und Stephanskapelle zu verstehen. Schwieriger ist zu entscheiden, was unter der »villa Spira« gemeint ist. Han­ delt es sich um eine Siedlung unmittelbar vor der Immunität oder um das Dorf Alt­ speyer? Dazu ist es notwendig, die fächerförmige Stadtanlage im Westen des salischen Domes näher zu betrachten. Der heutige Grundriß von Speyer spiegelt weniger als andernorts das Bild der mittelalterlichen Stadt wider. Nach der furchtbaren Zerstörung von 1689 blieb die Stadt ein Jahrzehnt lang verödet liegen. Der Wiederaufbau kam nur langsam in Gang. Straßen wurden begradigt, die Hausstellen z. T. verändert. Mit der Säkularisation verschwanden Stifte und Klöster. So ist der heutige Königsplatz z.B. erst nach dem Abbruch des St. German- und Moritzstiftes entstanden. Einen Grundriß der Stadt vor 1689 gibt es nicht. Am meisten eignen sich noch für unseren Zweck der Plan um 1750, der allerdings nur die Straßen, nicht die Hausstellen wiedergibt?° und der Katasterplan von 1822. Trotz der Veränderungen hebt sich bis heute im Stadtgrundriß das Gebiet westlich des Domes bis zur Heerd- und Schusterstraße, Salz- und St. Georgen­ gasse von dem übrigen Stadtgebiet ab. Annähernd radial laufen vier Straßen auf den Dom zu (Große und Kleine Pfaffenstraße, Hauptstraße, Große Himmelsgasse). Die Querwege folgen z. T. konzentrisch der fast halbkreisförmigen Begrenzungslinie. Fried­ rich Sprater hob mit Recht hervor, daß dieser fächerförmige Teil nicht gleichzeitig mit dem Rest der Stadtfläche entstanden sein könne, da die Radialstraßen jenseits der Be­ grenzungslinie alle ihre Namen wechseln (Allerheiligen-, Ludwig-, Johannisstraße)?' Der breitere Teil der Hauptstraße vor dem Dom hieß früher Markt ohne weitere Neben­ bestimmung. Der schmälere westliche Teil erhielt nach dem durchfließenden, früher un­ bedeckten Speyerbach häufig den Namen »uff der Bach«. Hier reihten sich die Spezial­ märkte aneinander: Krämermarkt, Zwiebelmarkt, Ledermarkt. Die Schlagbrücke trennte die beiden Hälften der Hauptstraße22. Die Nordseite des Fächers war im Spätmittelalter mit großen Höfen der Speyerer Patriziergeschlechter besetzt. 1340 kaufte die Stadt den Hof des Ebelin »ante monaste­ rium«, um daraus den Ratshof, das Speyerer Rathaus, zu machen. Hier lag der um­ strittene »Retscher«, der Hof des Patriziergeschlechtes der Retschelin, von dem heute noch ein Teil als Ruine aufrecht steht23. An der Stelle der Dreifaltigkeitskirche befand sich der Hof der Familie Phrumboum. Man hat hier die Gaugrafenburg der Salier ge­ sucht. Weit wahrscheinlicher lag hier aber die Königspfalz, an der die Salier vermutlich schon im 1o. Jahrhundert gewisse Rechte besaßen, welche Herzog Konrad der Rote 946 19

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U.B. Nr.5, S.5 (969), Nr.7, S.7 (989), Nr.10, S. 10 (1061). Abgebildet bei Zeuss, Falttafel u. Sprater, Königspfalz und Gaugrafenburg, S.17. Sprater, Königspfalz und Gaugrafenburg, S.6. Zeuss, S. 20. - Viktor Lucas, Speyerer Straßennamen, Pfälzisches Museum 38, 1921, S. 31 ff. Kunstdenkmäler, S. 659 ff. u. 668. - Doll, S. 167. - Noch Papebroch und Henschenius trafen 1660 in Speyer auf die Überlieferung, daß der Retscher der Wohnsitz der deutschen Könige und Kaiser gewesen sei. Fritz V. Arens, Speyer im Jahre 1660. Pfälzer Heimat 2, 1951, S. 34. Zweifellos umfaßte die Pfalz ein größeres Areal als die Fläche eines hochmittelalterlichen Patrizierhofes. Ich nehme daher die ganze Nordseite des Sporns vom Retscher bis zum späteren Jesuitenkolleg als Pfalzgelände an. Ob die Pfalz hier nicht auf römisches Fiskal gut zurückgeht?

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in einer umstrittenen Schenkungsurkunde dem Bischof von Speyer übertrug'. Erst Ende des 11. Jahrhunderts ist die Pfalz, in deren Eigentum sich damals König und Bischof teilten, sicher bezeugt. Sie dürfte noch in die erste Hälfte des 9. Jahrhunderts hinauf­ reichen. Wohnrechte der deutschen Könige in diesem Gebiet erhielten sich bis in das 14. Jahrhundert. Die Nordgrenze des Pfalzbereiches zeichnet sich deutlich im Stadtplan ab: von der ehemaligen Nikolauskapelle über die Stuhlbrudergasse zur Retscher-Ruine und weiter zur Großen Himmelsgasse zieht sich eine ausgeprägte Grundstücksgrenze, die in vor­ salische Zeit zurückgeht, da auf sie die salische Stadtmauer Rücksicht nimmt?°. Die ganze südliche Hälfte der fächerförmigen Stadtanlage war geistlicher Besitz. In der Großen Pfaffengasse lagen die Kanonikatshöfe der Domherren. In der Kleinen Pfaffengasse (frühere Judengasse) und in der heutigen Judengasse (frühere Meischel­ gasse) saßen die Speyrer Juden, deren berühmtes Bad, das den Stilformen nach um 1100 erbaut wurde, sich erhalten hat. Die frühromanische Synagoge (vielleicht noch Ende 11. Jahrhundert) daneben mit Männer- und Frauenschule ist fast ganz verschwunden (Judenbadgäßchen)?°. Die Weber der Webergasse unterstanden noch um 1280 dem Dompropst. Zwischen der geistlichen Stadt im Süden und dem Pfalzgelände im Norden zog sich ursprünglich wohl ein Befestigungsgraben im Verlauf des östlichen Teils der Hauptstraße entlang. Möglicherweise umgab schon in ottonischer Zeit eine gemeinsame Mauer die beiden Gebietsteile, wofür die Urkunde von 946 die rechtlichen Grundlagen schuf?8, Die radiale Straßenführung des heutigen Stadtgebietes westlich des salischen Domes stellt also keineswegs eine planmäßige Anlage dar. Die einzelnen Strahlen des Fächers sind zu verschiedener Zeit entstanden. Die Große Pfaffengasse gehört dem sicher früh­ mittelalterlichen Verbindungsweg von der Domburg zum Germanskloster an; die Kleine Pfaffengasse geht auf den ergrabenen römischen Straßenzug zurück. Die Große Him­ melsgasse sucht von dem Pfalzgebiet aus den Anschluß an die Römerstraße Straßburg­ Worms. Am spätesten wurde die Hauptstraße angelegt, welche erst der salischen Neu­ planung ihre Bedeutung verdankt. Vor der Befestigung siedelten sich im Westen die Kaufleute an. Anton Doll gelang der einwandfreie Nachweis, daß noch im 15. Jahrhundert die führenden Kaufmanns­ familien nicht an der Hauptstraße, dem mittelalterlichen Markt, wohnten, sondern längs Heerdstraße, Grasgasse, St. Georgen- und Salzgasse in einem offensichtlich planmäßig angelegten Kaufmannsviertel?", Hier muß man den ottonischen Markt in Speyer suchen, 24 25

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Sprater, Königspfalz und Gaugrafenburg, S.13f., tritt für eine Gaugrafenburg ein. Dagegen Doll, S. 157 ff., mit überzeugenden Gründen für eine Königspfalz. - U.B. Nr. 4u. 12. Doll, S. 157 f. Kunstdenkmäler, S.454 ff., S. 495 f. u. S.505. - Doll, S.166. Doll, S. 167. Doll, S. 168. - Die Mauer wird 969 zum erstenmal erwähnt. Der angenommene Befesti­ gungsverlauf konnte neuerdings auch durch Bodenfunde nachgewiesen werden (drei paral­ lele Gräben in der Schrannengasse). Vgl. A. Doll, Zur Frühgeschichte der Stadt Speyer, Pfälzer Heimat 9, 1958, S. 170 ff. Doll, S. 184 ff., sucht den Markt innerhalb der Befestigung zwischen Immunität und Pfalz­ gelände. Es spricht aber weit mehr dafür, daß die Kaufmannshäuser, wie in den übrigen ottonischen Marktsiedlungen, so auch in Speyer, unmittelbar am Markt standen. Es dürfte 205

eine ein- oder zweizeilig bebaute Straße, die dem Befestigungsgraben parallel lief. Deut­ lich zerfällt dieses Marktgebiet in zwei Teile, welche die Verlängerung der Kleinen Pfaffengasse trennt: Heerdstraße einerseits und Gras-, St. Georgen- und Salzgasse andererseits. Die Heerdstraße setzt nicht den Straßenzug von der Salzgasse her fort, sondern verband ursprünglich wohl über Schuster- und Bechergasse die Rheinfähre mit der Rheintalstraße. Vielleicht sind beide Marktgebiete zu verschiedener Zeit entstanden. Der ältere Teil könnte der nördliche vor der Königspfalz sein, da er dem mitttelalter­ lichen Hafen am Speyerbach und dem Stapelplatz am Fisch- bzw. Holzmarkt am nächsten liegt. Den beiden Teilen des Marktgebietes entsprach auch je eine Pfarrkirche (St. Georg und St. Moritz)~°. Im Westen wird die Marktsiedlung vermutlich befestigt gewesen sein. Speyerer Kaufleute sind zuerst 946 genannt. »Die Urkunde besagt, daß Herzog Konrad die Speyerer Kaufleutesiedlung, die bisher ihm unterstand, dem Bischof übergab«®a Im frühen 11. Jahrhundert glich Speyer durchaus den übrigen ottonischen Bischofs­ städten. Vor der befestigten Immunität erstreckte sich-von ihr deutlich geschieden-die Marktsiedlung wie in Würzburg oder Halberstadt. Die Form des Marktes (ein- oder zweizeilig bebaute Marktstraße) ist von Niedersachsen her bekannt (Hildesheim, Qued­ linburg, Halle). Dazu begleitete noch ein abseits gelegenes Kloster die Bischofsburg (St. German). Keine einzige Neugründung einer geistlichen Gemeinschaft kam unter den Ottonen in Speyer zustande. Erst mit dem Aufstieg der Salier zur Krone änderte sich die Lage von Grund auf. In Limburg a. d. Haardt stiftete Konrad II. das Familienkloster des Geschlechtes in groß­ artigsten Verhältnissen. Zu seiner Grablege hatte er den Dorn in Speyer ausersehen, der in kaiserlicher Größe neu erstehen sollte. 1030 legte er den Grundstein. Noch am gleichen Tage soll Konrad auch das Weidenstift in Speyer gegründet haben, das dem hl. Johannes Ev. geweiht wurde. Es lag an dem Wege von der Domburg nach Altspeyer, welcher der Krümmung der Uferterrasse folgt, kurz vor dem Dorfeingang in einer Entfernung von 800 Metern vom Dom. Heinrich III. brachte 1047 Reliquien des hl. Guido von Italien mit und schenkte sie dem Kloster, das in der Folge seinen Namen nach dem kostbaren Schatz in St. Guido- oder Weidenstift umänderte!, Seine Kirche ist im 19. Jahrhundert völlig verschwunden. Gegen die Mitte des Jahrhunderts kam ein weiteres Stift auf der Südseite der Ufer­ terrasse hinzu, das Bischof Sigisbodo I. (1039-1051) etwa 500 Meter vom Dome ent­ fernt anlegte und der hl. Dreifaltigkeit weihte?. Es führte später durchwegs den Namen Allerheiligenstift. Bischof Sigisbodo wurde dort beigesetzt. In der Zeit der französischen Revolution ging es unter. An seiner Stelle brach man die heutige Lindenstraße zwischen Allerheiligen- und Gerrnansstraße durch. Einschließlich des Germansklosters, dessen Kirche zwischen dem späteren 9. und dem 11. Jahrhundert ebenfalls neugebaut wurde°,

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außerdem schwerfallen, für die Lage des Marktes innerhalb der Befestigung und einer davon getrennten Kaufmannssiedlung außerhalb ein Vergleichsbeispiel in Deutschland zu finden. Nachweis des mittelalterlichen Hafens: Doll, S.165. - Pfarrkirchen: Doll, S.194f. St. Ge­ org darf als die eigentliche Speyerer Marktkirche betrachtet werden. Doll, S. 162. Kunstdenkm., S. 447 ff. Kunstdenkm., S. 510 f. Kaiser, Das Kloster St. German, 1955, S. 110 ff.

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besaß Speyer nun drei geistliche Gemeinschaften, welche alle auf der Westseite dem engeren Stadtgebiet vorgelagert waren. Mit dem Neubau des Domes und der Gründung des St. Guidostiftes im Jahre 1030 verknüpfte man einen städtebaulich noch weiter ausgreifenden Plan, welcher für den Ort eine neue Hauptachse vorsah. Durch das halbringförmige, ottonische Marktgebiet war Speyer annähernd von Nordwesten nach Südosten ausgerichtet. Die Hauptverkehrs­ straße durchzog die Siedlung in dieser Richtung. Der gewaltige salische Markt (Haupt­ straße) verlief von Osten nach Westen, annähernd in Verlängerung der neuen Dom­ achse. Er durchschnitt im rechten Winkel die ottonische Kaufmannssiedlung. Immunität und Markt der ottonischen Stadt wurden wohl gleichzeitig umgestaltet34• Erst gewaltige Anschüttungen an der Spitze der Rheinuferterrasse gewährten dem neuen Dorn jene Mittelstellung auf dem Terrassenvorsprung wie im Straßennetz der Stadtanlage. Als der Rhein Ende des 11. Jahrhunderts seinen Lauf änderte und die Spitze der Rheinterrasse unterspülte, brachte die exponierte Lage den Bau in höchste Gefahr35. Mi der Errichtung der Bischofskirche ging eine Neuordnung der östlichen Immunität Hand in Hand. Wohl erst jetzt wurde zum geistlichen Gebiet der nördliche Teil der Terrassenspitze geschlagen, wahrscheinlich auf Kosten des Pfalzgeländes. Alte Pläne ermöglichen noch ein ungefähres Bild der Domumgebung im Mittelalter*®, Die Bischofskirche war natürlich umbaut; erst das 19. Jahrhundert hat sie in einen Park ver­ setzt. Die Nordostecke der Terrassenspitze nahm der Bischofshof ein, zu dem eine Michaelskapelle gehörte. Davor lag der Pfalzplatz, ein weites, unbebautes Gelände, und der »Freithoff«. Neben dem Westbau des Domes stand der Hof des Dompropstes mit einer St. Christophs- und Martha-Kapelle, 1180 wurde er wahrscheinlich vom Dom­ propst Heinrich dem Kapitel vermacht. 1598 erhielten ihn die Jesuiten*". Auf der Süd­ seite des Dornes schlossen sich Kreuzgang und Stiftsgebäude an; in dem Winkel zwi­ schen Kreuzgang und Domwestbau stand die Kurie des Dompfarrers, das sog. Kreuz­ haus, das seinen Namen nach dem Kreuz-(=Pfarr-)altar führte. Östlich des Stifts­ gebäudes folgte ein Domherrenhof, der später dem Dechanten zur Wohnung diente. In 34

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Die Gleichzeitigkeit von Domneubau und Marktanlage behaupten: Kunstdenkm., S. 550, u. Werner Noack, Kunstgeschichtl. Probleme der mittelalterl. Stadtplanung, XIV. Internat. Kunstgeschichtl. Kongreß, Kongreßakten, Bd. II, Basel 1938, S.138f. Nach Doll, S.174 ff. ist die Hauptstraße in drei Abschnitten entstanden (1. bis zur Höhe der Webergasse, 2. bis zur Bechergasse, 5. bis zum Altpörtel). Der Ausbau dürfte höchstwahrscheinlich in zwei Abschnitten (Dom bis Bechergasse, Bechergasse bis Altpörtel) vorgenommen worden sein. A. Doll wies mit Recht darauf hin, daß der östliche Teil bis zum Kaufhaus eine etwas andere Richtung besitzt als der westliche. Ihm gegenüber vertritt Werner Noack, Stadtbau­ kunst und geistlich-weltliche Repräsentation im XI. Jh., Festschrift Kurt Bauch, München 1957, S. 57 ff. wiederum die einheitliche Konzeption der Marktanlage zwischen Dom und Altpörtel. Sein Vorschlag zur Begrenzung Speyers um die Mitte des 11. Jh. (Abb. 4) scheint mir keine Verbesserung an Doll zu sein. Vgl. die Besprechungen von A. Doll, Pfälzer Heimat 9, 1958, S. 168ff. u. Zeitschr. d. Savigny-Stiftung f. Rechtsgesch., Germ. Abt. 76, 1959, S. 506 ff., auch Doll 1960, S. 62 mit Anm. 68. Doll, S. 140. Vgl. Plan der Domumgebung um 1760: Kunstdenkmäler, Abb. 299, S. 405, und bei Molitor. Molitor, S.58f. u. S.21, Anm. 5. - Zur Geschichte der Speyerer Domherrnhöfe vgl. außerdem: J. Mayerhofer, Von den Kanonikatshöfen des Speierer Domkapitels, Mittlgn. d. Hist. Ver. d. Pfalz 18, 1894, S.85 ff. u. Chorregel u. jüngeres Seelbucdh d. alten Speierer Dom­ kapitels, hgb. v. Konrad v. Busch u. F.X. Glasschröder, 1.Bd., Speier 1925. 207

eine ein- oder zweizeilig bebaute Straße, die dem Befestigungsgraben parallel lief. Deut­ lich zerfällt dieses Marktgebiet in zwei Teile, welche die Verlängerung der Kleinen Pfaffengasse trennt: Heerdstraße einerseits und Gras-, St. Georgen- und Salzgasse andererseits. Die Heerdstraße setzt nicht den Straßenzug von der Salzgasse her fort, sondern verband ursprünglich wohl über Schuster- und Bechergasse die Rheinfähre mit der Rheintalstraße. Vielleicht sind beide Marktgebiete zu verschiedener Zeit entstanden. Der ältere Teil könnte der nördliche vor der Königspfalz sein, da er dem mitttelalter­ lichen Hafen am Speyerbach und dem Stapelplatz am Fisch- bzw. Holzmarkt am nächsten liegt. Den beiden Teilen des Marktgebietes entsprach auch je eine Pfarrkirche (St. Georg und St. Moritz)~°. Im Westen wird die Marktsiedlung vermutlich befestigt gewesen sein. Speyerer Kaufleute sind zuerst 946 genannt. »Die Urkunde besagt, daß Herzog Konrad die Speyerer Kaufleutesiedlung, die bisher ihm unterstand, dem Bischof übergab«®a Im frühen 11. Jahrhundert glich Speyer durchaus den übrigen ottonischen Bischofs­ städten. Vor der befestigten Immunität erstreckte sich-von ihr deutlich geschieden-die Marktsiedlung wie in Würzburg oder Halberstadt. Die Form des Marktes (ein- oder zweizeilig bebaute Marktstraße) ist von Niedersachsen her bekannt (Hildesheim, Qued­ linburg, Halle). Dazu begleitete noch ein abseits gelegenes Kloster die Bischofsburg (St. German). Keine einzige Neugründung einer geistlichen Gemeinschaft kam unter den Ottonen in Speyer zustande. Erst mit dem Aufstieg der Salier zur Krone änderte sich die Lage von Grund auf. In Limburg a. d. Haardt stiftete Konrad II. das Familienkloster des Geschlechtes in groß­ artigsten Verhältnissen. Zu seiner Grablege hatte er den Dorn in Speyer ausersehen, der in kaiserlicher Größe neu erstehen sollte. 1030 legte er den Grundstein. Noch am gleichen Tage soll Konrad auch das Weidenstift in Speyer gegründet haben, das dem hl. Johannes Ev. geweiht wurde. Es lag an dem Wege von der Domburg nach Altspeyer, welcher der Krümmung der Uferterrasse folgt, kurz vor dem Dorfeingang in einer Entfernung von 800 Metern vom Dom. Heinrich III. brachte 1047 Reliquien des hl. Guido von Italien mit und schenkte sie dem Kloster, das in der Folge seinen Namen nach dem kostbaren Schatz in St. Guido- oder Weidenstift umänderte!, Seine Kirche ist im 19. Jahrhundert völlig verschwunden. Gegen die Mitte des Jahrhunderts kam ein weiteres Stift auf der Südseite der Ufer­ terrasse hinzu, das Bischof Sigisbodo I. (1039-1051) etwa 500 Meter vom Dome ent­ fernt anlegte und der hl. Dreifaltigkeit weihte?. Es führte später durchwegs den Namen Allerheiligenstift. Bischof Sigisbodo wurde dort beigesetzt. In der Zeit der französischen Revolution ging es unter. An seiner Stelle brach man die heutige Lindenstraße zwischen Allerheiligen- und Gerrnansstraße durch. Einschließlich des Germansklosters, dessen Kirche zwischen dem späteren 9. und dem 11. Jahrhundert ebenfalls neugebaut wurde°,

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außerdem schwerfallen, für die Lage des Marktes innerhalb der Befestigung und einer davon getrennten Kaufmannssiedlung außerhalb ein Vergleichsbeispiel in Deutschland zu finden. Nachweis des mittelalterlichen Hafens: Doll, S.165. - Pfarrkirchen: Doll, S.194f. St. Ge­ org darf als die eigentliche Speyerer Marktkirche betrachtet werden. Doll, S. 162. Kunstdenkm., S. 447 ff. Kunstdenkm., S. 510 f. Kaiser, Das Kloster St. German, 1955, S. 110 ff.

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besaß Speyer nun drei geistliche Gemeinschaften, welche alle auf der Westseite dem engeren Stadtgebiet vorgelagert waren. Mit dem Neubau des Domes und der Gründung des St. Guidostiftes im Jahre 1030 verknüpfte man einen städtebaulich noch weiter ausgreifenden Plan, welcher für den Ort eine neue Hauptachse vorsah. Durch das halbringförmige, ottonische Marktgebiet war Speyer annähernd von Nordwesten nach Südosten ausgerichtet. Die Hauptverkehrs­ straße durchzog die Siedlung in dieser Richtung. Der gewaltige salische Markt (Haupt­ straße) verlief von Osten nach Westen, annähernd in Verlängerung der neuen Dom­ achse. Er durchschnitt im rechten Winkel die ottonische Kaufmannssiedlung. Immunität und Markt der ottonischen Stadt wurden wohl gleichzeitig umgestaltet34• Erst gewaltige Anschüttungen an der Spitze der Rheinuferterrasse gewährten dem neuen Dorn jene Mittelstellung auf dem Terrassenvorsprung wie im Straßennetz der Stadtanlage. Als der Rhein Ende des 11. Jahrhunderts seinen Lauf änderte und die Spitze der Rheinterrasse unterspülte, brachte die exponierte Lage den Bau in höchste Gefahr35. Mi der Errichtung der Bischofskirche ging eine Neuordnung der östlichen Immunität Hand in Hand. Wohl erst jetzt wurde zum geistlichen Gebiet der nördliche Teil der Terrassenspitze geschlagen, wahrscheinlich auf Kosten des Pfalzgeländes. Alte Pläne ermöglichen noch ein ungefähres Bild der Domumgebung im Mittelalter*®, Die Bischofskirche war natürlich umbaut; erst das 19. Jahrhundert hat sie in einen Park ver­ setzt. Die Nordostecke der Terrassenspitze nahm der Bischofshof ein, zu dem eine Michaelskapelle gehörte. Davor lag der Pfalzplatz, ein weites, unbebautes Gelände, und der »Freithoff«. Neben dem Westbau des Domes stand der Hof des Dompropstes mit einer St. Christophs- und Martha-Kapelle, 1180 wurde er wahrscheinlich vom Dom­ propst Heinrich dem Kapitel vermacht. 1598 erhielten ihn die Jesuiten*". Auf der Süd­ seite des Dornes schlossen sich Kreuzgang und Stiftsgebäude an; in dem Winkel zwi­ schen Kreuzgang und Domwestbau stand die Kurie des Dompfarrers, das sog. Kreuz­ haus, das seinen Namen nach dem Kreuz-(=Pfarr-)altar führte. Östlich des Stifts­ gebäudes folgte ein Domherrenhof, der später dem Dechanten zur Wohnung diente. In 34

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dem Südzipfel des Irnrnunitätsgebietes lagen zwei Höfe. Der große östliche sog. Schlegel­ hof bildete ursprünglich die Dechantei und nahm den Propst auf, nachdem die Jesuiten dessen Hof auf der Nordseite des Domes übernommen hatten. Daneben stand das Spital mit der Stephanskapelle, das 1220 an den Deutschen Orden überging*®. Ketten vor dem Dom schlossen noch lange nach der Erbauung der geschlossenen Stadt das Immunitäts­ gebiet ab°°. Die Kanonikatshöfe reichten bis an die Stadtmauer. 1280 durchbrachen die Bürger die auf und an die Mauern gebauten Häuser der Geistlichen und bahnten sich einen Gang an der Mauer entlang zur bequemeren Verteidigung der Stadt*®, Zur Zeit des Domneubaus war die vita communis der Domkanoniker wohl bereits aufgelöst. 1101 bewohnten die Mitglieder des Speyerer Domkapitels sicher eigene Häuser, wie aus der Urkunde Heinrichs IV. vom 10. April dieses Jahres hervorgeht41. Eine freilich trübe und späte Quelle, die Chronik des Abtes Trithernius, berichtet, daß die Speyerer Kanoniker die Auflösung des gemeinsamen Lebens nach dem Vorbild des Trierer Kapitels nach 973 vollzogen hätten*?, In der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts hat Speyer den Schritt zur geschlossenen Stadt unternommen. 1061 war die Stadtmauer noch unvollendet, wie aus einem Brief Mein­ hards von Bamberg hervorgeht". 1084 stellte Bischof Rüdiger Huozmann (1073-1090) den Speyerer Juden einen Freibrief aus. In ihm wird die Errichtung einer Judensiedlung in Altspeyer begründet: »cum ex Spirensi villa urbem facerem, putavi milies amplificare honorem loci nostri, si et Iudeos colligerem. Collectos igitur locavi extra communionern et habitacionem ceterorum civium, . . . , muro eos circumdedi«®*Es hat Ende des 11. Jahrhunderts in Speyer offenbar zwei Judenviertel gegeben, ein etwas älteres bei der Synagoge in der Höhe der Kleinen Pfaffengasse und ein jüngeres in Altspeyer, wo sich noch im 14. Jahrhundert Judenhäuser finden. Außerhalb Altspeyer lag der Judenfriedhof. Auch er war befestigt, Ludwig der Bayer suchte einmal darin Schutz45. Die Vorstadt Altspeyer brannten die Schweden 1632 nieder. Sie wurde nicht wieder aufgebaut. Welche Gründe hatten aber Bischof Rüdiger veranlaßt, das Dorf zu befestigen und eine Juden­ siedlung vor der Stadt anzulegen? Der Wehrbau hatte für die Spirensis villa nur Sinn, wenn bereits eine Befestigung bestand, die sich bis Altspeyer erstreckte oder erstrecken sollte und an die man das Dorf anschließen konnte. Wäre es nicht befestigt worden, hätte es, unmittelbar vor den Stadtmauern gelegen, eine Gefahr bedeutet; denn der An­ greifer konnte sich darin festsetzen. Andererseits gehörte das Dorf seit altersher zur Grundherrschaft des Bischofs. Da die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse andere waren als die der sich bildenden Bürgerstadt, so bedurfte es eines Abschlusses gegen die Stadt, um sie zu wahren und ein Aufgehen in die neu entstehende Gemeinde zu verU.B. Nr. 33, S. 55. K. Engelhardt, Aus vergangenen Tagen, S.10. Konrad Hofmann, Die engere Immunität in deutschen Bischofsstädten im Mittelalter. Pa­ derborn 1914, S. 35. 41 U.B. Nr.13, S.14 ff.: »Curtis vero claustralis in potestate sit episcopi, alii tamen fratri et non alii ab eo donanda ... Nullus in alicuius fratris curte, ubi ipse habitat, eo nolente hospitetur.« 42 Molitor, S. 22, Anm. 5. 43 Doll, S.171. - MG Briefe der deutschen Kaiserzeit V, 1950, S. 124, Nr. 76: ».. . . ipsi te urbis muri per te sperantes consummationem desiderabant«. 44 U.B. Nr.11, S.11. - Doll, S. 181 ff. 45 K. Engelhardt, Aus vergangenen Tagen, S.59.

hindern. Außerdem suchte der Bischof die J udengerneinde auf seinem eigenen Grund und Boden festzuhalten, da sie für ihn eine glänzende Einnahmequelle bedeutete. Aus diesen Gründen muß 1084 bereits die geschlossene Stadt westlich der fächerförmigen Anlage bestanden haben, die sich bis zu dem grundherrschaftlichen Dorf erstreckte. Von Bischof Johann I. (1090-1104) ist überliefert, daß er die Mauern der Stadt vollendet habe46. Aus dem 12. Jahrhundert lassen sich verschiedene Belege für das Bestehen der ge­ schlossenen Stadt anführen. Um 1147 schenkte Bischof Günther von Henneberg (1146 bis 1161), der Stifter von Maulbronn, dem Kloster" einen Hof in der Johannesstraße. Zweifellos lag er innerhalb der Befestigung. 1148 wird die Ägidienkapelle in der Vor­ stadt (vor dem Altpörtel) erwähnt*. 1197 ist dieses selbst, eines der schönsten Tore des deutschen Mittelalters, als vetus porta urkundlich genannt*, Der Grundriß des salischen Speyer gehört zu den großartigsten Leistungen mittel­ alterlicdher Stadtbaukunst in Deutschland. Ein riesiger Markt von 650 m Länge und durchschnittlich 20 m Breite im westlichen, 27 m im östlichen Teil läuft als mittlere Radialstraße vom Dom aus nach Westen und wird vom Altpörtel abgeschlossen. Die leicht geschwungenen Wände verleihen dem Straßenraum eine lebendige, flüssige Be­ grenzung. An den Schmalseiten ragen die monumentalen Baukörper des Tores und leicht aus der Achse verschoben - des Domwestbaues auf. Dem größeren Gewicht des Dornes entspricht der breitere Straßenteil vor dem Kaufhaus, so daß sich vom Altpörtel aus eine einzigartige Steigerung des Raumeindrucks ergibt. Auf der südlichen Straßen­ seite laufen zahlreiche kleine Querstraßen den Markt senkrecht an. Auf der nördlichen führt die Kornstraße dem Markt entlang und mündet beim Kaufhaus und der ehe­ maligen Schlagbrücke in den breiteren östlichen Markt. Die Häuserzeile zwischen Haupt­ straße und Korngasse ist wohl aus überbauten Kaufbuden entstanden, die vermutlich von der Gründung an in langgestreckten Blöcken von zwei Buden Tiefe angeordnet waren, wie man aus den Grundstücksgrenzen westlich des Kaufhauses vermuten darf. Ebenso standen Kaufbuden an Stelle des Häuserblocks zwischen Großer Himmelsgasse und Hauptstraße vor dem Dom"°, Die verschiedene Aufteilung der beiden Marktstraßenwände läßt sich an zwei weiteren Beispielen belegen. Die Maxirniliansstraße in Augsburg und die Altstadt in 46

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Franz X. Remling, Gesch. d. Bischöfe zu Speyer, Bd. 1, Mainz 1852, S.510 u. 319. Die Da­ tierung der geschlossenen Stadtanlage (einschließlich der Einbeziehung des Weidenstiftes) in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts erscheint mir am wahrscheinlichsten. A. Doll, S. 174 ff., nimmt drei Ausbauabschnitte an zwischen westlicher Hauptstraße und Weiden­ stift. Die Abgrenzung dieser Abschnitte aus der Straßenführung und den Grundstücks­ grenzen überzeugt nicht. Ein so zaghaftes Fortschreiten ist gerade am Ende des 11. Jahr­ hunderts kaum zu erwarten. Sicher dachte man bei der Gründung des Weidenstiftes noch nicht daran, es in die Befestigung aufzunehmen. Zwischen frühsalischer Planung (wohl bis Bechergasse mit Markt in der östlichen Hauptstraße) und spätsalischem Ausbau (bis Aller­ heiligenstift - Altpörtel - Weidenstift) wird man aber sicher unterscheiden müssen. Kunstdenkmäler, S. 654. Zeuss, S.9. Nicht 1176, wie bisher meist angegeben. Nachweis bei Doll, S. 171. - J. Behles, Das Altpörtel zu Speyer, Baden-Baden/Straßburg 1959 (Studien z. deutsch. Kunstgesch. 525). Zur Berich­ tigung der anfechtbaren stadtgeschichtlichen Thesen dieser Arbeit vgl. A. Doll, Das Alt­ pörtel und die topographische Entwicklung Speyers, Pfälzer Heimat 10, 1960, S. 17 ff. Lucas, Speyerer Straßennamen, S. 54. - Noack, S. 159. - Doll, S. 181. 209

dem Südzipfel des Irnrnunitätsgebietes lagen zwei Höfe. Der große östliche sog. Schlegel­ hof bildete ursprünglich die Dechantei und nahm den Propst auf, nachdem die Jesuiten dessen Hof auf der Nordseite des Domes übernommen hatten. Daneben stand das Spital mit der Stephanskapelle, das 1220 an den Deutschen Orden überging*®. Ketten vor dem Dom schlossen noch lange nach der Erbauung der geschlossenen Stadt das Immunitäts­ gebiet ab°°. Die Kanonikatshöfe reichten bis an die Stadtmauer. 1280 durchbrachen die Bürger die auf und an die Mauern gebauten Häuser der Geistlichen und bahnten sich einen Gang an der Mauer entlang zur bequemeren Verteidigung der Stadt*®, Zur Zeit des Domneubaus war die vita communis der Domkanoniker wohl bereits aufgelöst. 1101 bewohnten die Mitglieder des Speyerer Domkapitels sicher eigene Häuser, wie aus der Urkunde Heinrichs IV. vom 10. April dieses Jahres hervorgeht41. Eine freilich trübe und späte Quelle, die Chronik des Abtes Trithernius, berichtet, daß die Speyerer Kanoniker die Auflösung des gemeinsamen Lebens nach dem Vorbild des Trierer Kapitels nach 973 vollzogen hätten*?, In der 2. Hälfte des 11. Jahrhunderts hat Speyer den Schritt zur geschlossenen Stadt unternommen. 1061 war die Stadtmauer noch unvollendet, wie aus einem Brief Mein­ hards von Bamberg hervorgeht". 1084 stellte Bischof Rüdiger Huozmann (1073-1090) den Speyerer Juden einen Freibrief aus. In ihm wird die Errichtung einer Judensiedlung in Altspeyer begründet: »cum ex Spirensi villa urbem facerem, putavi milies amplificare honorem loci nostri, si et Iudeos colligerem. Collectos igitur locavi extra communionern et habitacionem ceterorum civium, . . . , muro eos circumdedi«®*Es hat Ende des 11. Jahrhunderts in Speyer offenbar zwei Judenviertel gegeben, ein etwas älteres bei der Synagoge in der Höhe der Kleinen Pfaffengasse und ein jüngeres in Altspeyer, wo sich noch im 14. Jahrhundert Judenhäuser finden. Außerhalb Altspeyer lag der Judenfriedhof. Auch er war befestigt, Ludwig der Bayer suchte einmal darin Schutz45. Die Vorstadt Altspeyer brannten die Schweden 1632 nieder. Sie wurde nicht wieder aufgebaut. Welche Gründe hatten aber Bischof Rüdiger veranlaßt, das Dorf zu befestigen und eine Juden­ siedlung vor der Stadt anzulegen? Der Wehrbau hatte für die Spirensis villa nur Sinn, wenn bereits eine Befestigung bestand, die sich bis Altspeyer erstreckte oder erstrecken sollte und an die man das Dorf anschließen konnte. Wäre es nicht befestigt worden, hätte es, unmittelbar vor den Stadtmauern gelegen, eine Gefahr bedeutet; denn der An­ greifer konnte sich darin festsetzen. Andererseits gehörte das Dorf seit altersher zur Grundherrschaft des Bischofs. Da die rechtlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse andere waren als die der sich bildenden Bürgerstadt, so bedurfte es eines Abschlusses gegen die Stadt, um sie zu wahren und ein Aufgehen in die neu entstehende Gemeinde zu verU.B. Nr. 33, S. 55. K. Engelhardt, Aus vergangenen Tagen, S.10. Konrad Hofmann, Die engere Immunität in deutschen Bischofsstädten im Mittelalter. Pa­ derborn 1914, S. 35. 41 U.B. Nr.13, S.14 ff.: »Curtis vero claustralis in potestate sit episcopi, alii tamen fratri et non alii ab eo donanda ... Nullus in alicuius fratris curte, ubi ipse habitat, eo nolente hospitetur.« 42 Molitor, S. 22, Anm. 5. 43 Doll, S.171. - MG Briefe der deutschen Kaiserzeit V, 1950, S. 124, Nr. 76: ».. . . ipsi te urbis muri per te sperantes consummationem desiderabant«. 44 U.B. Nr.11, S.11. - Doll, S. 181 ff. 45 K. Engelhardt, Aus vergangenen Tagen, S.59.

hindern. Außerdem suchte der Bischof die J udengerneinde auf seinem eigenen Grund und Boden festzuhalten, da sie für ihn eine glänzende Einnahmequelle bedeutete. Aus diesen Gründen muß 1084 bereits die geschlossene Stadt westlich der fächerförmigen Anlage bestanden haben, die sich bis zu dem grundherrschaftlichen Dorf erstreckte. Von Bischof Johann I. (1090-1104) ist überliefert, daß er die Mauern der Stadt vollendet habe46. Aus dem 12. Jahrhundert lassen sich verschiedene Belege für das Bestehen der ge­ schlossenen Stadt anführen. Um 1147 schenkte Bischof Günther von Henneberg (1146 bis 1161), der Stifter von Maulbronn, dem Kloster" einen Hof in der Johannesstraße. Zweifellos lag er innerhalb der Befestigung. 1148 wird die Ägidienkapelle in der Vor­ stadt (vor dem Altpörtel) erwähnt*. 1197 ist dieses selbst, eines der schönsten Tore des deutschen Mittelalters, als vetus porta urkundlich genannt*, Der Grundriß des salischen Speyer gehört zu den großartigsten Leistungen mittel­ alterlicdher Stadtbaukunst in Deutschland. Ein riesiger Markt von 650 m Länge und durchschnittlich 20 m Breite im westlichen, 27 m im östlichen Teil läuft als mittlere Radialstraße vom Dom aus nach Westen und wird vom Altpörtel abgeschlossen. Die leicht geschwungenen Wände verleihen dem Straßenraum eine lebendige, flüssige Be­ grenzung. An den Schmalseiten ragen die monumentalen Baukörper des Tores und leicht aus der Achse verschoben - des Domwestbaues auf. Dem größeren Gewicht des Dornes entspricht der breitere Straßenteil vor dem Kaufhaus, so daß sich vom Altpörtel aus eine einzigartige Steigerung des Raumeindrucks ergibt. Auf der südlichen Straßen­ seite laufen zahlreiche kleine Querstraßen den Markt senkrecht an. Auf der nördlichen führt die Kornstraße dem Markt entlang und mündet beim Kaufhaus und der ehe­ maligen Schlagbrücke in den breiteren östlichen Markt. Die Häuserzeile zwischen Haupt­ straße und Korngasse ist wohl aus überbauten Kaufbuden entstanden, die vermutlich von der Gründung an in langgestreckten Blöcken von zwei Buden Tiefe angeordnet waren, wie man aus den Grundstücksgrenzen westlich des Kaufhauses vermuten darf. Ebenso standen Kaufbuden an Stelle des Häuserblocks zwischen Großer Himmelsgasse und Hauptstraße vor dem Dom"°, Die verschiedene Aufteilung der beiden Marktstraßenwände läßt sich an zwei weiteren Beispielen belegen. Die Maxirniliansstraße in Augsburg und die Altstadt in 46

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Franz X. Remling, Gesch. d. Bischöfe zu Speyer, Bd. 1, Mainz 1852, S.510 u. 319. Die Da­ tierung der geschlossenen Stadtanlage (einschließlich der Einbeziehung des Weidenstiftes) in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts erscheint mir am wahrscheinlichsten. A. Doll, S. 174 ff., nimmt drei Ausbauabschnitte an zwischen westlicher Hauptstraße und Weiden­ stift. Die Abgrenzung dieser Abschnitte aus der Straßenführung und den Grundstücks­ grenzen überzeugt nicht. Ein so zaghaftes Fortschreiten ist gerade am Ende des 11. Jahr­ hunderts kaum zu erwarten. Sicher dachte man bei der Gründung des Weidenstiftes noch nicht daran, es in die Befestigung aufzunehmen. Zwischen frühsalischer Planung (wohl bis Bechergasse mit Markt in der östlichen Hauptstraße) und spätsalischem Ausbau (bis Aller­ heiligenstift - Altpörtel - Weidenstift) wird man aber sicher unterscheiden müssen. Kunstdenkmäler, S. 654. Zeuss, S.9. Nicht 1176, wie bisher meist angegeben. Nachweis bei Doll, S. 171. - J. Behles, Das Altpörtel zu Speyer, Baden-Baden/Straßburg 1959 (Studien z. deutsch. Kunstgesch. 525). Zur Berich­ tigung der anfechtbaren stadtgeschichtlichen Thesen dieser Arbeit vgl. A. Doll, Das Alt­ pörtel und die topographische Entwicklung Speyers, Pfälzer Heimat 10, 1960, S. 17 ff. Lucas, Speyerer Straßennamen, S. 54. - Noack, S. 159. - Doll, S. 181. 209

Landshut, die erste gleichzeitig um 1070, die zweite 1204 entstanden, besitzen eben­ falls eine Parallelstraße auf der einen (in Augsburg: Wintergasse - Dominikaner­ gasse - Afrawall; in Landshut: Untere, Mittlere und Obere Länd) und eine Reihe senk­ rechter Querstraßen auf der anderen Seite. Die Umgehungsstraße, die dem Markt ent­ lang läuft, war offenbar dazu bestimmt, in Zeiten lebhaften Marktbetriebes den Längs­ verkehr aufzunehmen. Ein wichtiger Fernweg mündete am Altpörtel nicht ein. Der Speyerer Markt stellt einen in sich geschlossenen Raum dar, von dem keine Straßen in der Hauptachse ausstrahlen. Die bedeutenden Fernstraßen kamen am Weidentor beim Guidostift und am Weißen Tor in der Heerdstraße an. Die beiden begleitenden Radialstraßen, Johannes- und Ludwigstraße (früher Vieh­ markt), bilden die Fortsetzung der im fächerförmigen suburbium bereits vorhandenen Achsen. Die beiden Stifte des 11. Jhs. gaben die westlichen Eckpfeiler ab. Offensichtlich wurde die Befestigung so weit nach außen gezogen, um sie noch in den Mauerring auf­ zunehmen. Die Straße auf der Innenseite der Stadtmauer konnte im Westen wegen der beiden Stifte nicht gleichmäßig der Befestigung entlang laufen. Sie beschreibt deshalb die bogenförmige Krümmung Allerheiligenstraße - Roßmarkt - Gutenberg- - Wormser Straße. Der Stapelplatz am Speyerbach mit Lauergasse, Fisch- und Holzmarkt wurde erst nachträglich in das befestigte Gebiet aufgenommen (vermutlich im 12. Jahrhundert). Der rechtwinklige Ansatz der Stadtmauer zeigt deutlich die Erweiterung an. Außerdem ist im Verlauf der Salzgasse ein Tor bezeugt51. Von der Befestigung des 11. Jhs. blieb ein interessanter Zinnenstein erhalten (im Historischen Museum der Pfalz) mit der Inschrift: »Muderstat pinnas sibi quinas ven­ dicat istas«. Er beweist die Beteiligung der umliegenden Dörfer bei der Errichtung der Stadtmauer52. 51

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Doll, S. 183 f. Kunstdenkm., S. 564.

2. TEIL

DIE MORPHOLOGIE

DER OTTONISCHEN STADT

Landshut, die erste gleichzeitig um 1070, die zweite 1204 entstanden, besitzen eben­ falls eine Parallelstraße auf der einen (in Augsburg: Wintergasse - Dominikaner­ gasse - Afrawall; in Landshut: Untere, Mittlere und Obere Länd) und eine Reihe senk­ rechter Querstraßen auf der anderen Seite. Die Umgehungsstraße, die dem Markt ent­ lang läuft, war offenbar dazu bestimmt, in Zeiten lebhaften Marktbetriebes den Längs­ verkehr aufzunehmen. Ein wichtiger Fernweg mündete am Altpörtel nicht ein. Der Speyerer Markt stellt einen in sich geschlossenen Raum dar, von dem keine Straßen in der Hauptachse ausstrahlen. Die bedeutenden Fernstraßen kamen am Weidentor beim Guidostift und am Weißen Tor in der Heerdstraße an. Die beiden begleitenden Radialstraßen, Johannes- und Ludwigstraße (früher Vieh­ markt), bilden die Fortsetzung der im fächerförmigen suburbium bereits vorhandenen Achsen. Die beiden Stifte des 11. Jhs. gaben die westlichen Eckpfeiler ab. Offensichtlich wurde die Befestigung so weit nach außen gezogen, um sie noch in den Mauerring auf­ zunehmen. Die Straße auf der Innenseite der Stadtmauer konnte im Westen wegen der beiden Stifte nicht gleichmäßig der Befestigung entlang laufen. Sie beschreibt deshalb die bogenförmige Krümmung Allerheiligenstraße - Roßmarkt - Gutenberg- - Wormser Straße. Der Stapelplatz am Speyerbach mit Lauergasse, Fisch- und Holzmarkt wurde erst nachträglich in das befestigte Gebiet aufgenommen (vermutlich im 12. Jahrhundert). Der rechtwinklige Ansatz der Stadtmauer zeigt deutlich die Erweiterung an. Außerdem ist im Verlauf der Salzgasse ein Tor bezeugt51. Von der Befestigung des 11. Jhs. blieb ein interessanter Zinnenstein erhalten (im Historischen Museum der Pfalz) mit der Inschrift: »Muderstat pinnas sibi quinas ven­ dicat istas«. Er beweist die Beteiligung der umliegenden Dörfer bei der Errichtung der Stadtmauer52. 51

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Doll, S. 183 f. Kunstdenkm., S. 564.

2. TEIL

DIE MORPHOLOGIE

DER OTTONISCHEN STADT

VON DER ROMERSTADT

ZUR BÜRGERSTADT DES MITTELALTERS RÖMISCHER STÄDTEBAU IN DEUTSCHLAND

Den Baugeschichten der einzelnen Städte soll nun eine Zusammenschau folgen, den zeitlichen Längsschnitten ein Querschnitt um die Jahrtausendwende. Ziel ist, das Ge­ samtbild der ottonischen Stadt möglichst anschaulich hervortreten zu lassen. Um ihre Gestalt aber im geschichtlichen Zusammenhange zu erfassen, muß weiter ausgeholt werden. Welche Siedlungsgebilde gingen der ottonischen Stadt vorauf? Wie sah der Städtebau auf deutschem Boden vor der Ottonenzeit aus? Unsere Betrachtung darf mit den Römerstädten an Rhein und Donau einsetzen und stadtartige Siedlungsformen wie die germanischen oppida, besiedelte Großburgen nach keltischem Vorbild, die zugleich politische und kultische Mittelpunkte darstellten, über­ gehen, da von ihnen aus kein Weg zur mittelalterlichen Stadt führt'. Auch der römische Städtebau kann hier nur im Fluge gestreift werden. Das Augenmerk muß sich vor allem darauf richten, was dem Mittelalter noch lebendig vor Augen stand. In einer jahrtausendelangen Entwicklung reifte die Stadt des Mittelmeergebietes im römischen Imperium zu einem vielschichtigen, umfassenden Gebilde heran: Sie ist kultischer Mittelpunkt und Sitz der politischen Verwaltung, Wohnort der Grundbesitzer des umgebenden Landes und Handelszentrum, Heimstätte des Gewerbes, der Wissen­ schaften und Künste und im Grenzgebiet zugleich militärischer Stützpunkt. Ihre Ein­ wohner genießen eine rechtliche Sonderstellung im Staate. Höchste Klarheit zeichnete die architektonische Form der Stadt in der frühen Kaiserzeit aus. Das einzelne Gebäude geht als dienendes Glied in der straffen Ordnung des Gesamtgebildes auf. Das Stadt­ gebiet wird in ein Schachbrett von annähernd gleichen rechteckigen Feldern unterteilt, den insulae, denen sich das Haus einordnen muß. Das Straßenkreuz der beiden Haupt­ achsen hebt sich durch größere Breite heraus. Das Forum, Mittelpunkt des gewerblichen Lebens, liegt gewöhnlich an der Kreuzung der Hauptstraßen. Selbst die Tempelbezirke ordnen sich der Felderteilung ein. Auch auf deutschem Boden wurden Schachbrettstädte dieses Typs angelegt; unter ihnen sind Köln (Abb. 49) und Trier (Abb. 24) so weitgehend erschlossen, daß man Straßennetz und Befestigungsgürtel, Topographie und Baugeschichte wenigstens in gro­ ßen Zügen verfolgen kann3• Von den übrigen bedeutenderen Römerstädten (Mainz, 1 2

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Edith Ennen, Frühgeschichte der europäischen Stadt, Bonn 1953, S. 44 ff. Dort auch ein le­ senswerter Überblick der vormittelalterlichen Stadtkulturen, S. 15 ff. Lehmann-Hartleben, Artikel »Städtebau« in Pauly-Wissowa, Realencyclopädie der klass. Altertumswissenschaften, 2. Reihe, III, 2 Sp. 2016 ff. - Hans Planitz, Die deutsche Stadt des Hochmittelalters, Bonn 1953, S. Joh. Klinkenberg, Das römische Köln, Kunstdenkmäler der Stadt Köln, 1. Bd., Düsseldorf 1906. - Johann Klinkenberg, Die Stadtanlage des römischen Köln und die Limitation des

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Worms, Augsburg [Abb. 53]) ist das Straßensystem nur zum kleinen Teil ergraben, die Begrenzung aber ganz oder weitgehend bekannt*. Dieser vollkommenste römische Städtetypus erwies sich in den Stürmen der Völkerwanderung als der empfindlichste. Selbst an Orten der dichtesten Kontinuität blieb im Frühmittelalter nicht viel mehr als Mauerring und Hauptachse davon übrig. In Köln erhielten sich nur sehr wenige römische Straßen im Stadtgrundriß, von der Hohen Straße, dem cardo der Römerstadt, abgesehen. Das mittelalterliche Trier hat das römische Straßennetz so gut wie vollständig verlassen. Als Ganzes stand die Schachbrettstadt dem Mittelalter in Deutschland nicht mehr vor Augen. Nur ihr Befestigungsgürtel spielte noch eine Rolle. Es gab einfachere Formen des römischen Städtebaues, die den mittelalterlichen Be­ dürfnissen näher kamen als die Schachbrettanlagen. Die festen römischen Städte des 3. und 4. Jahrhunderts weisen bei kleinem Umfang sehr mannigfaltige, oft unregel­ mäßige Umrißbildungen auf. Nach dem Verlust des Limes und den ständigen Ger­ maneneinfällen mußte man die linksrheinischen Siedlungen mit einem schweren Mauer­ gürtel versehen, der oft keine Rücksicht auf die frühere Bebauung nahm und den ört­ lichen geographischen Gegebenheiten folgte. Autunnacum - Andernach (Abb. 38) besaß nur am Rheinufer einen geraden, turmlosen Mauerzug, die übrigen Seiten waren un­ regelmäßig gebildet und mit zahlreichen Rundtürmen besetzt. Icorigium - Jünkerath und Beda - Bitburg (Abb. 59) erhielten rundliche bzw. ovale Ringe mit geraden Teil­ strecken. Im Innern waren diese Befestigungen oft nicht mehr im Schachbrettschema an­ gelegt. Jünkerath und Bitburg z. B. gingen aus zweizeilig bebauten Straßensiedlungen hervor, die man nachträglich mit einem Mauergürtel versah. Der Unterschied zwischen Stadt und befestigtem Lager schwand in der Spätantike dahin. Die Zivilbevölkerung zog zu ihrem Schutz in die Lagermauer ein, welche die zusammengeschrumpfte Besatzung nicht mehr ausfüllte. In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts wurde unter Kaiser Valentinian I. die Befestigung des großen Legions­ lagers in Straßburg (Abb. 40) aus dem 1. Jahrhundert verstärkt und mit zahlreichen Türmen versehen°. Auch die Mauergürtel von Regensburg und Wien beherbergten da­ mals nicht mehr ausschließlich Militärverbände'. Diese regelmäßigen, rechteckigen An­ lagen blieben noch langhin im Mittelalter in voller Funktion bestehen. Kleine castra als Siedlungskerne mittelalterlicher Stadtanlagen, wie in Utrecht (Abb. 51) oder Basel, vielleicht auch in Konstanz, die nicht den Umfang eines karolin-

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Ubierlandes, Bonner Jahrbücher 140/41, 1936, S. 259 ff. - Otto Doppelfeld, Die römische Stadtmauer von Köln, Kölner Untersuchungen, hgb. von Walther Zimmermann, Ratingen 1950, S. 3ff. mit gutem Plan. - F. Fremersdorf, Neue Beiträge zur Topographie des römi­ schen Köln, Berlin 1950, Röm.-Germ. Forschungen, Bd. 18. Literatur zum römischen Trier siehe S. 125 f. Karl Schumacher, Siedlungs- und Kulturgeschichte der Rheinlande von der Urzeit bis in das Mittelalter, 3 Bde., Mainz 1921-25, insbes. Bd. 2, S. 101 ff. und Taf. 4. - Mainz, ein Heimat­ buch, hgb. von Heinrich Wothe, Mainz 1928, 1. Teil, Stadtplan: Abb. 23, S. 61. - Über das römische Augsburg vgl. S. 182 f. Eduard Anthes, Spätrömische Kastelle und feste Städte im Rhein- und Donaugebiet, X. Be­ richt der Röm.-Germ. Kommission 1917, S. 86 ff. Robert Forrer, Strasbourg-Argentorate prehistorique, gallo-romain et merovingien, 2 Bde. Straßburg 1927. - Rob. Forrer, L'Alsace Romaine, Paris 1935, S. 68 ff. Georg Steinmetz, Regensburg in vorgeschichtlicher und römischer Zeit. Aus Regensburgs Vergangenheit, Regensburg 1925, S. 49 ff. - Karl Oettinger, Das Werden Wiens, Wien 1951, S. 3 ff. 215

VON DER ROMERSTADT

ZUR BÜRGERSTADT DES MITTELALTERS RÖMISCHER STÄDTEBAU IN DEUTSCHLAND

Den Baugeschichten der einzelnen Städte soll nun eine Zusammenschau folgen, den zeitlichen Längsschnitten ein Querschnitt um die Jahrtausendwende. Ziel ist, das Ge­ samtbild der ottonischen Stadt möglichst anschaulich hervortreten zu lassen. Um ihre Gestalt aber im geschichtlichen Zusammenhange zu erfassen, muß weiter ausgeholt werden. Welche Siedlungsgebilde gingen der ottonischen Stadt vorauf? Wie sah der Städtebau auf deutschem Boden vor der Ottonenzeit aus? Unsere Betrachtung darf mit den Römerstädten an Rhein und Donau einsetzen und stadtartige Siedlungsformen wie die germanischen oppida, besiedelte Großburgen nach keltischem Vorbild, die zugleich politische und kultische Mittelpunkte darstellten, über­ gehen, da von ihnen aus kein Weg zur mittelalterlichen Stadt führt'. Auch der römische Städtebau kann hier nur im Fluge gestreift werden. Das Augenmerk muß sich vor allem darauf richten, was dem Mittelalter noch lebendig vor Augen stand. In einer jahrtausendelangen Entwicklung reifte die Stadt des Mittelmeergebietes im römischen Imperium zu einem vielschichtigen, umfassenden Gebilde heran: Sie ist kultischer Mittelpunkt und Sitz der politischen Verwaltung, Wohnort der Grundbesitzer des umgebenden Landes und Handelszentrum, Heimstätte des Gewerbes, der Wissen­ schaften und Künste und im Grenzgebiet zugleich militärischer Stützpunkt. Ihre Ein­ wohner genießen eine rechtliche Sonderstellung im Staate. Höchste Klarheit zeichnete die architektonische Form der Stadt in der frühen Kaiserzeit aus. Das einzelne Gebäude geht als dienendes Glied in der straffen Ordnung des Gesamtgebildes auf. Das Stadt­ gebiet wird in ein Schachbrett von annähernd gleichen rechteckigen Feldern unterteilt, den insulae, denen sich das Haus einordnen muß. Das Straßenkreuz der beiden Haupt­ achsen hebt sich durch größere Breite heraus. Das Forum, Mittelpunkt des gewerblichen Lebens, liegt gewöhnlich an der Kreuzung der Hauptstraßen. Selbst die Tempelbezirke ordnen sich der Felderteilung ein. Auch auf deutschem Boden wurden Schachbrettstädte dieses Typs angelegt; unter ihnen sind Köln (Abb. 49) und Trier (Abb. 24) so weitgehend erschlossen, daß man Straßennetz und Befestigungsgürtel, Topographie und Baugeschichte wenigstens in gro­ ßen Zügen verfolgen kann3• Von den übrigen bedeutenderen Römerstädten (Mainz, 1 2

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Edith Ennen, Frühgeschichte der europäischen Stadt, Bonn 1953, S. 44 ff. Dort auch ein le­ senswerter Überblick der vormittelalterlichen Stadtkulturen, S. 15 ff. Lehmann-Hartleben, Artikel »Städtebau« in Pauly-Wissowa, Realencyclopädie der klass. Altertumswissenschaften, 2. Reihe, III, 2 Sp. 2016 ff. - Hans Planitz, Die deutsche Stadt des Hochmittelalters, Bonn 1953, S. Joh. Klinkenberg, Das römische Köln, Kunstdenkmäler der Stadt Köln, 1. Bd., Düsseldorf 1906. - Johann Klinkenberg, Die Stadtanlage des römischen Köln und die Limitation des

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Worms, Augsburg [Abb. 53]) ist das Straßensystem nur zum kleinen Teil ergraben, die Begrenzung aber ganz oder weitgehend bekannt*. Dieser vollkommenste römische Städtetypus erwies sich in den Stürmen der Völkerwanderung als der empfindlichste. Selbst an Orten der dichtesten Kontinuität blieb im Frühmittelalter nicht viel mehr als Mauerring und Hauptachse davon übrig. In Köln erhielten sich nur sehr wenige römische Straßen im Stadtgrundriß, von der Hohen Straße, dem cardo der Römerstadt, abgesehen. Das mittelalterliche Trier hat das römische Straßennetz so gut wie vollständig verlassen. Als Ganzes stand die Schachbrettstadt dem Mittelalter in Deutschland nicht mehr vor Augen. Nur ihr Befestigungsgürtel spielte noch eine Rolle. Es gab einfachere Formen des römischen Städtebaues, die den mittelalterlichen Be­ dürfnissen näher kamen als die Schachbrettanlagen. Die festen römischen Städte des 3. und 4. Jahrhunderts weisen bei kleinem Umfang sehr mannigfaltige, oft unregel­ mäßige Umrißbildungen auf. Nach dem Verlust des Limes und den ständigen Ger­ maneneinfällen mußte man die linksrheinischen Siedlungen mit einem schweren Mauer­ gürtel versehen, der oft keine Rücksicht auf die frühere Bebauung nahm und den ört­ lichen geographischen Gegebenheiten folgte. Autunnacum - Andernach (Abb. 38) besaß nur am Rheinufer einen geraden, turmlosen Mauerzug, die übrigen Seiten waren un­ regelmäßig gebildet und mit zahlreichen Rundtürmen besetzt. Icorigium - Jünkerath und Beda - Bitburg (Abb. 59) erhielten rundliche bzw. ovale Ringe mit geraden Teil­ strecken. Im Innern waren diese Befestigungen oft nicht mehr im Schachbrettschema an­ gelegt. Jünkerath und Bitburg z. B. gingen aus zweizeilig bebauten Straßensiedlungen hervor, die man nachträglich mit einem Mauergürtel versah. Der Unterschied zwischen Stadt und befestigtem Lager schwand in der Spätantike dahin. Die Zivilbevölkerung zog zu ihrem Schutz in die Lagermauer ein, welche die zusammengeschrumpfte Besatzung nicht mehr ausfüllte. In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts wurde unter Kaiser Valentinian I. die Befestigung des großen Legions­ lagers in Straßburg (Abb. 40) aus dem 1. Jahrhundert verstärkt und mit zahlreichen Türmen versehen°. Auch die Mauergürtel von Regensburg und Wien beherbergten da­ mals nicht mehr ausschließlich Militärverbände'. Diese regelmäßigen, rechteckigen An­ lagen blieben noch langhin im Mittelalter in voller Funktion bestehen. Kleine castra als Siedlungskerne mittelalterlicher Stadtanlagen, wie in Utrecht (Abb. 51) oder Basel, vielleicht auch in Konstanz, die nicht den Umfang eines karolin-

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Ubierlandes, Bonner Jahrbücher 140/41, 1936, S. 259 ff. - Otto Doppelfeld, Die römische Stadtmauer von Köln, Kölner Untersuchungen, hgb. von Walther Zimmermann, Ratingen 1950, S. 3ff. mit gutem Plan. - F. Fremersdorf, Neue Beiträge zur Topographie des römi­ schen Köln, Berlin 1950, Röm.-Germ. Forschungen, Bd. 18. Literatur zum römischen Trier siehe S. 125 f. Karl Schumacher, Siedlungs- und Kulturgeschichte der Rheinlande von der Urzeit bis in das Mittelalter, 3 Bde., Mainz 1921-25, insbes. Bd. 2, S. 101 ff. und Taf. 4. - Mainz, ein Heimat­ buch, hgb. von Heinrich Wothe, Mainz 1928, 1. Teil, Stadtplan: Abb. 23, S. 61. - Über das römische Augsburg vgl. S. 182 f. Eduard Anthes, Spätrömische Kastelle und feste Städte im Rhein- und Donaugebiet, X. Be­ richt der Röm.-Germ. Kommission 1917, S. 86 ff. Robert Forrer, Strasbourg-Argentorate prehistorique, gallo-romain et merovingien, 2 Bde. Straßburg 1927. - Rob. Forrer, L'Alsace Romaine, Paris 1935, S. 68 ff. Georg Steinmetz, Regensburg in vorgeschichtlicher und römischer Zeit. Aus Regensburgs Vergangenheit, Regensburg 1925, S. 49 ff. - Karl Oettinger, Das Werden Wiens, Wien 1951, S. 3 ff. 215

leben solcher gallorömischen Straßensiedlungen zu vermuten'°. Die canabae, Nieder­ lassungen von Händlern, Schankwirten und Handwerkern vor den römischen Lagern, besitzen gelegentlich die Form einer sich zum Dreiecksplatz erweiternden Marktstraße (etwa Limeskastell Zugmantel (Abb. 41) im Taunus und Nida bei Frankfurt)". Sollte es nur Zufall sein, daß dieser Grundriß bei zahlreichen mittelalterlichen Märkten wieder begegnet? Vom 3. Jahrhundert an beginnt das Christentum allmählich in den Rheinstädten Fuß zu fassen. Die civitates werden Bischofssitz; denn die kirchliche Einteilung lehnt sich an die staatliche an12. Da die Zahl der Städte im Grenzgebiet des römischen Reiches ge­ ringer als im Mutterland Italien war, lagen die Bischofssitze weiter auseinander als in Italien und die Sprengel umfaßten ein wesentlich größeres Gebiet. Auf den Gräber­ feld·ern außerhalb der civitas entstanden christliche Grabeskirchen und -kapellen über dem Bestattungsort von Märtyrern, Priestern oder Bischöfen. Diese zunächst unansehn­ lichen, einschiffigen Zellen, in denen nur an wenigen bestimmten Tagen im Jahre Gottes­ dienst und Totenmahl abgehalten wurde, nahmen in den kommenden Jahrhunderten in dem Maße an Bedeutung zu, wie die Stadt sie verlor. Durch Grabungen konnte man in den letzten Jahrzehnten eine Reihe solcher Coemeterialkirchen nachweisen'®. Unter St. Viktor in Xanten, St. Cassius in Bonn, St. Severin in Köln und St. Alban in Mainz kamen sie zum Vorschein. Auch St. Afra in Augsburg wurde über einem Märtyrergrab errichtet. St. Paulin, St. Maximin und St. Matthias in Trier, St. German bei Speyer und St. Emmeram in Regensburg stehen auf römischen Gräberfeldern. In dem kleinen An­ dernach gab es allein drei Friedhofskapellen außerhalb der Stadt!'. Damit war der erste Schritt getan zur Sprengung der geschlossenen Form der Römerstadt.

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FORTLEBEN DER ANTIKEN STADT

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Abb. 38. Andernach. Spätrömische Mauerbefestigung. Nach Eduard Anthes, X. Bericht der Röm.-Germ. Kommission 1917, S. 97

gischen Kloster- oder Stiftbezirkes überschritten, unterscheiden sich in ihrer Nachwir­ kung kaum von einer frühmittelalterlichen Befestigung*. Stärker scheint der Zusammenhang bei den allereinfachsten Siedlungsformen zu sein. Die römischen vici bestanden oft nur aus zwei Häuserzeilen längs der Durch­ gangsstraße°. Im mittelalterlichen Wik und noch im ottonischen Markt ist ein Nach8J. H. Jongkees, Aanteekeningen over Utrechts oudste geschiedenis, Jaarboekje van »Oud­ Utrecht«, 1945/46, S. 55 ff. - Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt, Bd. 1, Basel 1932. - Konrad Beyerle und Anton Maurer, Konstanzer Häuserbuch, 2. Bd., Heidelberg 1908, S. 16 ff. und S. 165. 9 F. Oelmann, Gallo-römische Straßensiedlungen und Kleinhausbauten, Bonner Jahrb. 128, 1923, S. 77 ff. 214

Die schwierige Frage nach dem Fortleben der römischen Städte in der Völkerwande­ rungszeit und im frühen Mittelalter kann dank der vorbildlichen Grabungstätigkeit im Rheinland genauer beantwortet werden als bisher. Die Siedlungskonstanz ist nicht mehr zu bestreiten, fraglich bleibt nur der Umfang der Kulturkonstanz15. Zwar ging eine Reihe von römischen Siedlungen völlig unter. Die obersten Schichten der Stadtbevölke­ rung - Großgrundbesitzer, Verwaltungsbeamte der Provinz wie der Stadt selbst, Ofi­ ziere - zogen sich nach Gallien und Italien zurück. Aber die ununterbrochenen Gräber10 11 12

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Hans Planitz, Römerstädte an Rhein und Donau, Anzeiger der Akademie der Wissen­ schaften in Wien, Phil.-hist. Klasse 85, 1946, S. 61 f. Grundriß von Nida: Das Museum für rheinische Vor- und Frühgeschichte, Frankfurt a. M. II, 1938, Falttafel. Edith Ennen, Die Bedeutung der Kirche für den Wiederaufbau der in der Völkerwande­ rungszeit zerstörten Städte. Kölner Untersuchungen, hgb. von Walther Zimmermann, Ra­ tingen 1950, S. 54 ff. Übersicht bei Erich Kubach und Albert Verbeek, Die vorromanische und romanische Bau­ kunst in Mitteleuropa. Literaturbericht, Zeitschr. f. Kunstgesch. 14, 1951, S. 124 ff. Kurt Böhner, Die Frage der Kontinuität zwischen Altertum und Mittelalter im Spiegel der fränkischen Funde des Rheinlandes. Aus der Schatzkammer des antiken Trier, Festgabe des Rheinischen Landesmuseums Trier, Trier o. J. (1951), S. 90 ff. Planitz, Römerstädte an Rhein und Donau, S. 56. 215

leben solcher gallorömischen Straßensiedlungen zu vermuten'°. Die canabae, Nieder­ lassungen von Händlern, Schankwirten und Handwerkern vor den römischen Lagern, besitzen gelegentlich die Form einer sich zum Dreiecksplatz erweiternden Marktstraße (etwa Limeskastell Zugmantel (Abb. 41) im Taunus und Nida bei Frankfurt)". Sollte es nur Zufall sein, daß dieser Grundriß bei zahlreichen mittelalterlichen Märkten wieder begegnet? Vom 3. Jahrhundert an beginnt das Christentum allmählich in den Rheinstädten Fuß zu fassen. Die civitates werden Bischofssitz; denn die kirchliche Einteilung lehnt sich an die staatliche an12. Da die Zahl der Städte im Grenzgebiet des römischen Reiches ge­ ringer als im Mutterland Italien war, lagen die Bischofssitze weiter auseinander als in Italien und die Sprengel umfaßten ein wesentlich größeres Gebiet. Auf den Gräber­ feld·ern außerhalb der civitas entstanden christliche Grabeskirchen und -kapellen über dem Bestattungsort von Märtyrern, Priestern oder Bischöfen. Diese zunächst unansehn­ lichen, einschiffigen Zellen, in denen nur an wenigen bestimmten Tagen im Jahre Gottes­ dienst und Totenmahl abgehalten wurde, nahmen in den kommenden Jahrhunderten in dem Maße an Bedeutung zu, wie die Stadt sie verlor. Durch Grabungen konnte man in den letzten Jahrzehnten eine Reihe solcher Coemeterialkirchen nachweisen'®. Unter St. Viktor in Xanten, St. Cassius in Bonn, St. Severin in Köln und St. Alban in Mainz kamen sie zum Vorschein. Auch St. Afra in Augsburg wurde über einem Märtyrergrab errichtet. St. Paulin, St. Maximin und St. Matthias in Trier, St. German bei Speyer und St. Emmeram in Regensburg stehen auf römischen Gräberfeldern. In dem kleinen An­ dernach gab es allein drei Friedhofskapellen außerhalb der Stadt!'. Damit war der erste Schritt getan zur Sprengung der geschlossenen Form der Römerstadt.

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Abb. 38. Andernach. Spätrömische Mauerbefestigung. Nach Eduard Anthes, X. Bericht der Röm.-Germ. Kommission 1917, S. 97

gischen Kloster- oder Stiftbezirkes überschritten, unterscheiden sich in ihrer Nachwir­ kung kaum von einer frühmittelalterlichen Befestigung*. Stärker scheint der Zusammenhang bei den allereinfachsten Siedlungsformen zu sein. Die römischen vici bestanden oft nur aus zwei Häuserzeilen längs der Durch­ gangsstraße°. Im mittelalterlichen Wik und noch im ottonischen Markt ist ein Nach8J. H. Jongkees, Aanteekeningen over Utrechts oudste geschiedenis, Jaarboekje van »Oud­ Utrecht«, 1945/46, S. 55 ff. - Die Kunstdenkmäler des Kantons Basel-Stadt, Bd. 1, Basel 1932. - Konrad Beyerle und Anton Maurer, Konstanzer Häuserbuch, 2. Bd., Heidelberg 1908, S. 16 ff. und S. 165. 9 F. Oelmann, Gallo-römische Straßensiedlungen und Kleinhausbauten, Bonner Jahrb. 128, 1923, S. 77 ff. 214

Die schwierige Frage nach dem Fortleben der römischen Städte in der Völkerwande­ rungszeit und im frühen Mittelalter kann dank der vorbildlichen Grabungstätigkeit im Rheinland genauer beantwortet werden als bisher. Die Siedlungskonstanz ist nicht mehr zu bestreiten, fraglich bleibt nur der Umfang der Kulturkonstanz15. Zwar ging eine Reihe von römischen Siedlungen völlig unter. Die obersten Schichten der Stadtbevölke­ rung - Großgrundbesitzer, Verwaltungsbeamte der Provinz wie der Stadt selbst, Ofi­ ziere - zogen sich nach Gallien und Italien zurück. Aber die ununterbrochenen Gräber10 11 12

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Hans Planitz, Römerstädte an Rhein und Donau, Anzeiger der Akademie der Wissen­ schaften in Wien, Phil.-hist. Klasse 85, 1946, S. 61 f. Grundriß von Nida: Das Museum für rheinische Vor- und Frühgeschichte, Frankfurt a. M. II, 1938, Falttafel. Edith Ennen, Die Bedeutung der Kirche für den Wiederaufbau der in der Völkerwande­ rungszeit zerstörten Städte. Kölner Untersuchungen, hgb. von Walther Zimmermann, Ra­ tingen 1950, S. 54 ff. Übersicht bei Erich Kubach und Albert Verbeek, Die vorromanische und romanische Bau­ kunst in Mitteleuropa. Literaturbericht, Zeitschr. f. Kunstgesch. 14, 1951, S. 124 ff. Kurt Böhner, Die Frage der Kontinuität zwischen Altertum und Mittelalter im Spiegel der fränkischen Funde des Rheinlandes. Aus der Schatzkammer des antiken Trier, Festgabe des Rheinischen Landesmuseums Trier, Trier o. J. (1951), S. 90 ff. Planitz, Römerstädte an Rhein und Donau, S. 56. 215

felder in Kreuznach, Andernach, Bonn beweisen, daß die unteren Schichten zum Teil verblieben sein müssen. Der Anbau des Moselweins, die Herstellung der rheinischen Glaswaren, die Arbeit in den Mayener Töpfereien wurden durch die fränkische Land­ nahme nicht unterbrochen. Auch Nah- und Fernhandel lebten in den rheinischen Städten weiter. Eine Schicht kleiner Handwerker und Kaufleute überstand offenbar die politi­ schen Umwälzungen. Um 600 beginnt sich diese Schicht mit den fränkischen Eroberern zu vermischen und legt sich zum Teil fränkische Namen zu. Die Grabbeigaben nach germanischer Sitte werden von der herrschenden Schicht übernommen. Selbst dort, wo die mittelalterliche Siedlung nicht mehr die Stelle der römischen beibehielt, wie in Bonn und Kreuznach, die man beide immer als Zeugen des vollständigen Unterganges der Römerstadt anführt, ergaben die Gräberfelder dennoch ein ununterbrochenes Weiterleben der Bevölkerung. In Kreuznach hat die Errichtung einer neuen Burg im Mittelalter den Schwerpunkt ver­ lagert und die Siedlung nach sich gezogen. In Bonn strahlte das Märtyrergrab diese Anziehungskraft aus'®. Freilich, »die römisch-germanischen Zusammenhänge im Rhein­ land gehören durchaus einer niederen Sphäre an . .. Der ganze Oberbau des römischen Lebens ist hier vernichtet worden«17. Trotz des Weiterlebens gewisser Bevölkerungsteile, des Fortbestehens von Handel und Gewerbe haben sich Bedeutung, Funktion und architektonische Form der Römer­ stadt völlig gewandelt. Sie ist nicht mehr Verwaltungsmittelpunkt des umliegenden Landes, ihre eigene Verwaltung hört zu bestehen auf. Als Fiskalgut gingen die römi­ schen Lager an die fränkischen Könige und die Stammesherzöge als den Rechtsnach­ folgern des Imperiums über'°. Aus ihnen wurden Krongüter, Königshöfe, Pfalzen. Die Merowinger residierten in den römischen civitates in Gallien und am Rhein. In Köln, Trier, Andernach gab es fränkische Königshöfe und Pfalzen in den römischen Ruinen. Regensburg wurde Sitz des bairischen Herzogs. Die römische Mauerbefestigung verlieh diesen Höfen den Charakter einer Burg. Von einem Wiederaufbau der Städte im alten Sinn konnte unter den Frankenkönigen nicht die Rede sein. Es bestand auch kein Be­ dürfnis danach. Die germanischen Stämme zeigten wenig Bestreben, ihre bäuerliche Lebensweise aufzugeben. Die Städte erschienen ihnen »wie vergitterte Gräber«. »Nam ipsa oppida ut circumdata retiis busta declinant« (Ammianus Marcellinus)19. Mag die berühmte Stelle auch den Tatbestand zu gewaltsam vereinfachen, die Grundeinstellung wird dennoch richtig getroffen sein, zumindest für die Germanen des 4. und 5. Jahr16

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18 19

Böhner, Die Frage der Kontinuität, S. 82 ff. - Harald von Petrikovits, Das Fortleben der römischen Städte an Rhein und Donau im frühen Mittelalter. Aus der Schatzkammer des antiken Trier, Trier (1951), S. 72 ff. Der Verfasser geht von dem österreichischen Material aus und kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie Böhner. Hermann Aubin, Maß und Bedeutung der römisch-germanischen Kulturzusammenhänge im Rheinland, Ber. d. Röm.-Germ. Kommission 1922, wiederabgedrucdkt in H. Aubin, Vom Altertum bis zum Mittelalter, München (1949), S. 26 ff. Der Aufsatz berichtigt und differen­ ziert die allzu zusammenhangsgläubigen Thesen von Alfons Dopsch, Wirtschaftliche und soziale Grundlagen der europäischen Kulturentwicklung aus der Zeit von Cäsar bis auf Karl d. Gr., Wien 1919/20, dessen Werk aber das große Verdienst gebührt, auf breiter Materialbasis das Kontinuitäts-Problem als Kulturkonstanz behandelt zu haben. Petrikovits, S. 77. - Max Heuwieser, Die Entwicklung der Stadt Regensburg im frühen Mittelalter. Aus Regensburgs Vergangenheit, Regensburg 1925, S. 101. Ammiani Marcellini Rerum Gestarum libri, qui supersunt ed. C. H. Clark (Berlin 1915),

XVI, 2, 12.

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Abb. 39. Jünkerath (oben) und Bitburg (unten). Spätrömische Mauerbefestigung. Nach Eduard Anthes, X. Bericht der Röm.-Germ. Kommission 1917, S. 105

hunderts. Man kann wiederholt beobachten, daß sich germanische Siedlungen am Rande der Römerstadt, außerhalb des Mauerrings festsetzen, während das alte Stadtgebiet selbst siedlungsleer bleibt, ausgenommen geringe Reste der spätrömischen Bevölkerung mit stark gesunkenem Kulturniveau. In Speyer z. B. ließen sich Germanen in Winter­ heim (abgegangener Ort), Altspeier und bei St. German am Germansberg nieder. Um das spätantike Trier lagerte sich eine ganze Reihe germanischer Ortschaften, von denen einige auch im Stadtgebiet des gewaltigen Mauergürtels Platz fanden. 217

felder in Kreuznach, Andernach, Bonn beweisen, daß die unteren Schichten zum Teil verblieben sein müssen. Der Anbau des Moselweins, die Herstellung der rheinischen Glaswaren, die Arbeit in den Mayener Töpfereien wurden durch die fränkische Land­ nahme nicht unterbrochen. Auch Nah- und Fernhandel lebten in den rheinischen Städten weiter. Eine Schicht kleiner Handwerker und Kaufleute überstand offenbar die politi­ schen Umwälzungen. Um 600 beginnt sich diese Schicht mit den fränkischen Eroberern zu vermischen und legt sich zum Teil fränkische Namen zu. Die Grabbeigaben nach germanischer Sitte werden von der herrschenden Schicht übernommen. Selbst dort, wo die mittelalterliche Siedlung nicht mehr die Stelle der römischen beibehielt, wie in Bonn und Kreuznach, die man beide immer als Zeugen des vollständigen Unterganges der Römerstadt anführt, ergaben die Gräberfelder dennoch ein ununterbrochenes Weiterleben der Bevölkerung. In Kreuznach hat die Errichtung einer neuen Burg im Mittelalter den Schwerpunkt ver­ lagert und die Siedlung nach sich gezogen. In Bonn strahlte das Märtyrergrab diese Anziehungskraft aus'®. Freilich, »die römisch-germanischen Zusammenhänge im Rhein­ land gehören durchaus einer niederen Sphäre an . .. Der ganze Oberbau des römischen Lebens ist hier vernichtet worden«17. Trotz des Weiterlebens gewisser Bevölkerungsteile, des Fortbestehens von Handel und Gewerbe haben sich Bedeutung, Funktion und architektonische Form der Römer­ stadt völlig gewandelt. Sie ist nicht mehr Verwaltungsmittelpunkt des umliegenden Landes, ihre eigene Verwaltung hört zu bestehen auf. Als Fiskalgut gingen die römi­ schen Lager an die fränkischen Könige und die Stammesherzöge als den Rechtsnach­ folgern des Imperiums über'°. Aus ihnen wurden Krongüter, Königshöfe, Pfalzen. Die Merowinger residierten in den römischen civitates in Gallien und am Rhein. In Köln, Trier, Andernach gab es fränkische Königshöfe und Pfalzen in den römischen Ruinen. Regensburg wurde Sitz des bairischen Herzogs. Die römische Mauerbefestigung verlieh diesen Höfen den Charakter einer Burg. Von einem Wiederaufbau der Städte im alten Sinn konnte unter den Frankenkönigen nicht die Rede sein. Es bestand auch kein Be­ dürfnis danach. Die germanischen Stämme zeigten wenig Bestreben, ihre bäuerliche Lebensweise aufzugeben. Die Städte erschienen ihnen »wie vergitterte Gräber«. »Nam ipsa oppida ut circumdata retiis busta declinant« (Ammianus Marcellinus)19. Mag die berühmte Stelle auch den Tatbestand zu gewaltsam vereinfachen, die Grundeinstellung wird dennoch richtig getroffen sein, zumindest für die Germanen des 4. und 5. Jahr16

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Böhner, Die Frage der Kontinuität, S. 82 ff. - Harald von Petrikovits, Das Fortleben der römischen Städte an Rhein und Donau im frühen Mittelalter. Aus der Schatzkammer des antiken Trier, Trier (1951), S. 72 ff. Der Verfasser geht von dem österreichischen Material aus und kommt zu ganz ähnlichen Ergebnissen wie Böhner. Hermann Aubin, Maß und Bedeutung der römisch-germanischen Kulturzusammenhänge im Rheinland, Ber. d. Röm.-Germ. Kommission 1922, wiederabgedrucdkt in H. Aubin, Vom Altertum bis zum Mittelalter, München (1949), S. 26 ff. Der Aufsatz berichtigt und differen­ ziert die allzu zusammenhangsgläubigen Thesen von Alfons Dopsch, Wirtschaftliche und soziale Grundlagen der europäischen Kulturentwicklung aus der Zeit von Cäsar bis auf Karl d. Gr., Wien 1919/20, dessen Werk aber das große Verdienst gebührt, auf breiter Materialbasis das Kontinuitäts-Problem als Kulturkonstanz behandelt zu haben. Petrikovits, S. 77. - Max Heuwieser, Die Entwicklung der Stadt Regensburg im frühen Mittelalter. Aus Regensburgs Vergangenheit, Regensburg 1925, S. 101. Ammiani Marcellini Rerum Gestarum libri, qui supersunt ed. C. H. Clark (Berlin 1915),

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Abb. 39. Jünkerath (oben) und Bitburg (unten). Spätrömische Mauerbefestigung. Nach Eduard Anthes, X. Bericht der Röm.-Germ. Kommission 1917, S. 105

hunderts. Man kann wiederholt beobachten, daß sich germanische Siedlungen am Rande der Römerstadt, außerhalb des Mauerrings festsetzen, während das alte Stadtgebiet selbst siedlungsleer bleibt, ausgenommen geringe Reste der spätrömischen Bevölkerung mit stark gesunkenem Kulturniveau. In Speyer z. B. ließen sich Germanen in Winter­ heim (abgegangener Ort), Altspeier und bei St. German am Germansberg nieder. Um das spätantike Trier lagerte sich eine ganze Reihe germanischer Ortschaften, von denen einige auch im Stadtgebiet des gewaltigen Mauergürtels Platz fanden. 217

Entscheidender für das Weiterleben der Römerstädte als das Verhalten der germani­ schen Herrscher ist die Rolle der Kirche. Sie wird durch die Schenkungen der Franken­ könige Großgrundbesitzerin. Der Boden der civitas gelangt mehr oder weniger in ihre Hand. Gegenüber dem fränkischen König, der von Hof zu Hof ziehen muß, ist die Kirche eine ortsgebundene Macht und darum den lokalen weltlichen Gewalten über­ legen. An dem Grundsatz, Bischofssitze nur in Städten zu errichten, wird auch jetzt soweit irgend möglich - festgehalten. Die Heiligengräber vor der Stadt büßen ihre Ver­ ehrung in fränkischer Zeit nicht ein. Aus den Grabkapellen werden Pfarr-, Stifts- und Klosterkirchen, in denen nun regelmäßig Gottesdienst stattfindet. Ihr Sprengel erstreckte sich weit in das umliegende Land hinein. Eduard Hegel hat diese Entwicklung z. B. für Köln im 6. Jahrhundert nachgewiesen?°, Man vergegenwärtige sich nur das Bild Triers (Abb. 25) im 7. Jahrhundert, um den ungeheuren städtebaulichen Wandel einzusehen, der mit dem Zerfall der Römerstadt und dem Erstarken der umliegenden Kirchen verknüpft ist! Anstelle der geschlossenen, architektonisch durchgegliederten Masse der römischen Stadt tritt nun ein in lauter einzelne Siedlungen aufgelöstes Gebilde. Innerhalb des römischen Mauerrings von Trier liegen der Dom mit Liebfrauen- und dem Bischofskloster, zwei fränkische Pfalzen in der römischen Basilika und in den Speichern am Hafen, daneben jeweils eine Hörigen­ siedlung. In den Kaiserthermen hat sich der fränkische Graf eingenistet. Die Barbara­ thermen nahmen wohl ebenfalls einen Herrenhof auf. Daneben muß man sich jeweils wieder eine kleine Niederlassung vorstellen. Außerdem enthielt das römische Stadtgebiet noch zwei bis drei dorfähnliche fränkische Siedlungen. Auf den Gräberfeldern außerhalb der Stadt erhob sich im Süden St. Matthias zu Ehren der ersten drei Bischöfe von Trier. In der Nähe des Hafens, dicht vor der Stadt­ mauer, hat sich die St. Martinskirche in einem ehemaligen römischen Privathause ein­ gerichtet. In ihrer Nähe darf man den fränkischen vicus vermuten. Auf dem nördlichen christlichen Friedhof lagen die Benediktinerabtei St. Maximin und St. Paulin, die Be­ gräbniskirche der Trierer Bischöfe. Die Benediktinerabtei St. Marien »ad martyres« wurde gegen Ende des 7. Jahrhunderts in einer suburbanen römischen Villa errichtet. Die ganze Tallandschaft inner- und außerhalb des gewaltigen Mauergürtels ist übersät mit Kirchen, Pfalzen, Klöstern und fränkischen Dörfern. So stand dem Mittelalter eine große römische Stadt vor Augen. KAROLINGERZEIT

Die Karolinger mieden die Römerstädte. Die weltliche Gewalt zieht sich aus den civitates zurück, deren Weiterbestehen fast ausschließlich der Kirche verdankt wird. Der noch in den Traditionen der Antike weiterlebende Handel nimmt ab21. Günstige Um-

20

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E. Hegel, Die Kölner Kirchen und die Stadtzerstörungen der Jahre 355 bis 881.. Kölner Untersuchungen, Ratingen 1950, S. 41ff. - E. Hegel, Die Entstehung des mittelalterlichen Pfarrkirchensystems der Stadt Köln, ebenda S. 69 ff. Henri Pirenne, Les villes du Moyen Age in Les villes et les institutions urbaines, Paris­ Brüssel 1939, S. 309 ff., 320 ff. Den Niedergang des Handels in karolingischer Zeit hat Pi-

218

stände gewähren uns einen Einblick in die Verhältnisse in Mainz unter den Karolin­ gern??. In großen Teilen des römischen Stadtgebietes machten sich kleine Wirtschafts­ höfe mit den zugehörigen Wiesen, Feldern und Weinbergen breit. Die Bevölkerung bestand aus Freien und Unfreien aller Abstufungen. Die Grundbesitzer stifteten den Boden so freigiebig der Kirche, daß gegen Ende des 9. Jahrhunderts vielleicht bis zu zwei Drittel des Mainzer Stadtgebietes in kirchliche Hand gelangten. Noch scheint ein letzter Nachklang antiken Städtewesens sich zu halten. Vereinzelt trifft man noch Kaufleuteniederlassungen in geschlossenen, stadtartigen Siedlungen an. In Bonn bildete sich um die Märtyrerkirche St. Cassius eine neue Siedlung, deren An­ ziehungskraft so mächtig war, daß das alte Römerlager verlassen wurde. Schon in frän­ kischer Zeit besaß die villa Basilica um St. Cassius (804 erwähnt) drei Kirchen. Neben der Märtyrerkirche, dem späteren Münster, gab es noch die Pfarrkirche St. Martin, die Eigenkirche eines Grundbesitzers, und auf dem heutigen Römerplatz St. Remigius eine Eigenkirche des Stiftes. Wie Mainz umschloß die Siedlung landwirtschaftlich genutzte Flächen. Freie Grundbesitzer machten der Kirche Schenkungen. Innerhalb der villa Basilica lag auch der vicus Bonnensis, 795 und 805 genannt. Der Ort war Umschlags­ platz für den Weinhandel. Ein Bonner Fernhändler des 9. Jahrhunderts ist urkundlich bezeugt. Der vicus bestand wohl nur aus einer einzigen Straßenzeile zwischen Römer­ platz und Münster im Zuge der heutigen Remigiusstraße. Die bürgerliche Marktsiedlung des 12. Jahrhunderts lag dagegen vor der Stiftsstadt entsprechend dem Dualismus von Immunität und Markt im Mittelalter23. Ähnliche Verhältnisse trifft man in Passau an. Die Befestigung der Domburg, deren Ursprünge wohl in keltische Zeit hinabreichen, schnürte die Landzunge zwischen Donau und Inn ab. Im Schutze dieser Befestigung saßen zwischen dem Dom und dem Eigen­ kloster der Agilulfinger auf der Landspitze, der Niedernburg, im 9. Jahrhundert Kauf­ leute auf königlichem Grund. Auch kirchenhörige Händler auf bischöflichem Boden werden erwähnt. Diese »sancti negotiatores« erhalten 886 Zollfreiheit zu Wasser und zu Lande?' Auch in Regensburg ist die Tradition antiken Städtebaues nicht ganz erloschen. Das befestigte Lager ging als Fiskalgut an den bairischen Herzog über, der seinen Hof in dem ehemaligen Palast des römischen Befehlshabers einrichtete. Weite Wirtschaftshöfe und freies Gelände zur Unterbringung des Trosses nahmen die Osthälfte des castrums ein. Der Nordteil gehörte der Geistlichkeit des Domes. St. Cassius unterstand der Hof­ kapelle (»Alte Kapelle«) als Eigenkirche für die Leute des Herzogshofes. Wo einst im Westen des Lagers sich die canabae in römischer Zeit ausdehnten, siedelte sich im Früh­ mittelalter wiederum Händlerbevölkerung an. Im Südwesten, unweit von St. Emmeram,

22 23 24

renne wohl allzu scharf beurteilt. Eine Kritik kündigt sich selbst in seiner Umgebung an: Georges Espinas, Les origines du capitalisme III, Deux fondations de villes dans l'Artois et la Flandre francaise: St. Omer, Lannoy du Nord, Lille 1946. Vgl. die Besprechung von Edith Ennen, Germania 29, 1951, S. 370. Manfred Stimming, Die Stadt Mainz in karolingischer Zeit, Westd. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst 51, 1912, S. 157 und 143 ff. Edith Ennen, Einige Bemerkungen zur frühmittelalterlichen Geschichte Bonns, Rhein. Vier­ teljahresbl. 15/16, 1950/51, S. 184 ff. Max Heuwieser, Die stadtrechtliche Entwicklung der Stadt Passau bis zur Herrschaft der Bischöfe, Abhandlungen des Hist. Ver. f. Niederbayern 46, 1910, S. 63 ff. 219

Entscheidender für das Weiterleben der Römerstädte als das Verhalten der germani­ schen Herrscher ist die Rolle der Kirche. Sie wird durch die Schenkungen der Franken­ könige Großgrundbesitzerin. Der Boden der civitas gelangt mehr oder weniger in ihre Hand. Gegenüber dem fränkischen König, der von Hof zu Hof ziehen muß, ist die Kirche eine ortsgebundene Macht und darum den lokalen weltlichen Gewalten über­ legen. An dem Grundsatz, Bischofssitze nur in Städten zu errichten, wird auch jetzt soweit irgend möglich - festgehalten. Die Heiligengräber vor der Stadt büßen ihre Ver­ ehrung in fränkischer Zeit nicht ein. Aus den Grabkapellen werden Pfarr-, Stifts- und Klosterkirchen, in denen nun regelmäßig Gottesdienst stattfindet. Ihr Sprengel erstreckte sich weit in das umliegende Land hinein. Eduard Hegel hat diese Entwicklung z. B. für Köln im 6. Jahrhundert nachgewiesen?°, Man vergegenwärtige sich nur das Bild Triers (Abb. 25) im 7. Jahrhundert, um den ungeheuren städtebaulichen Wandel einzusehen, der mit dem Zerfall der Römerstadt und dem Erstarken der umliegenden Kirchen verknüpft ist! Anstelle der geschlossenen, architektonisch durchgegliederten Masse der römischen Stadt tritt nun ein in lauter einzelne Siedlungen aufgelöstes Gebilde. Innerhalb des römischen Mauerrings von Trier liegen der Dom mit Liebfrauen- und dem Bischofskloster, zwei fränkische Pfalzen in der römischen Basilika und in den Speichern am Hafen, daneben jeweils eine Hörigen­ siedlung. In den Kaiserthermen hat sich der fränkische Graf eingenistet. Die Barbara­ thermen nahmen wohl ebenfalls einen Herrenhof auf. Daneben muß man sich jeweils wieder eine kleine Niederlassung vorstellen. Außerdem enthielt das römische Stadtgebiet noch zwei bis drei dorfähnliche fränkische Siedlungen. Auf den Gräberfeldern außerhalb der Stadt erhob sich im Süden St. Matthias zu Ehren der ersten drei Bischöfe von Trier. In der Nähe des Hafens, dicht vor der Stadt­ mauer, hat sich die St. Martinskirche in einem ehemaligen römischen Privathause ein­ gerichtet. In ihrer Nähe darf man den fränkischen vicus vermuten. Auf dem nördlichen christlichen Friedhof lagen die Benediktinerabtei St. Maximin und St. Paulin, die Be­ gräbniskirche der Trierer Bischöfe. Die Benediktinerabtei St. Marien »ad martyres« wurde gegen Ende des 7. Jahrhunderts in einer suburbanen römischen Villa errichtet. Die ganze Tallandschaft inner- und außerhalb des gewaltigen Mauergürtels ist übersät mit Kirchen, Pfalzen, Klöstern und fränkischen Dörfern. So stand dem Mittelalter eine große römische Stadt vor Augen. KAROLINGERZEIT

Die Karolinger mieden die Römerstädte. Die weltliche Gewalt zieht sich aus den civitates zurück, deren Weiterbestehen fast ausschließlich der Kirche verdankt wird. Der noch in den Traditionen der Antike weiterlebende Handel nimmt ab21. Günstige Um-

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E. Hegel, Die Kölner Kirchen und die Stadtzerstörungen der Jahre 355 bis 881.. Kölner Untersuchungen, Ratingen 1950, S. 41ff. - E. Hegel, Die Entstehung des mittelalterlichen Pfarrkirchensystems der Stadt Köln, ebenda S. 69 ff. Henri Pirenne, Les villes du Moyen Age in Les villes et les institutions urbaines, Paris­ Brüssel 1939, S. 309 ff., 320 ff. Den Niedergang des Handels in karolingischer Zeit hat Pi-

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stände gewähren uns einen Einblick in die Verhältnisse in Mainz unter den Karolin­ gern??. In großen Teilen des römischen Stadtgebietes machten sich kleine Wirtschafts­ höfe mit den zugehörigen Wiesen, Feldern und Weinbergen breit. Die Bevölkerung bestand aus Freien und Unfreien aller Abstufungen. Die Grundbesitzer stifteten den Boden so freigiebig der Kirche, daß gegen Ende des 9. Jahrhunderts vielleicht bis zu zwei Drittel des Mainzer Stadtgebietes in kirchliche Hand gelangten. Noch scheint ein letzter Nachklang antiken Städtewesens sich zu halten. Vereinzelt trifft man noch Kaufleuteniederlassungen in geschlossenen, stadtartigen Siedlungen an. In Bonn bildete sich um die Märtyrerkirche St. Cassius eine neue Siedlung, deren An­ ziehungskraft so mächtig war, daß das alte Römerlager verlassen wurde. Schon in frän­ kischer Zeit besaß die villa Basilica um St. Cassius (804 erwähnt) drei Kirchen. Neben der Märtyrerkirche, dem späteren Münster, gab es noch die Pfarrkirche St. Martin, die Eigenkirche eines Grundbesitzers, und auf dem heutigen Römerplatz St. Remigius eine Eigenkirche des Stiftes. Wie Mainz umschloß die Siedlung landwirtschaftlich genutzte Flächen. Freie Grundbesitzer machten der Kirche Schenkungen. Innerhalb der villa Basilica lag auch der vicus Bonnensis, 795 und 805 genannt. Der Ort war Umschlags­ platz für den Weinhandel. Ein Bonner Fernhändler des 9. Jahrhunderts ist urkundlich bezeugt. Der vicus bestand wohl nur aus einer einzigen Straßenzeile zwischen Römer­ platz und Münster im Zuge der heutigen Remigiusstraße. Die bürgerliche Marktsiedlung des 12. Jahrhunderts lag dagegen vor der Stiftsstadt entsprechend dem Dualismus von Immunität und Markt im Mittelalter23. Ähnliche Verhältnisse trifft man in Passau an. Die Befestigung der Domburg, deren Ursprünge wohl in keltische Zeit hinabreichen, schnürte die Landzunge zwischen Donau und Inn ab. Im Schutze dieser Befestigung saßen zwischen dem Dom und dem Eigen­ kloster der Agilulfinger auf der Landspitze, der Niedernburg, im 9. Jahrhundert Kauf­ leute auf königlichem Grund. Auch kirchenhörige Händler auf bischöflichem Boden werden erwähnt. Diese »sancti negotiatores« erhalten 886 Zollfreiheit zu Wasser und zu Lande?' Auch in Regensburg ist die Tradition antiken Städtebaues nicht ganz erloschen. Das befestigte Lager ging als Fiskalgut an den bairischen Herzog über, der seinen Hof in dem ehemaligen Palast des römischen Befehlshabers einrichtete. Weite Wirtschaftshöfe und freies Gelände zur Unterbringung des Trosses nahmen die Osthälfte des castrums ein. Der Nordteil gehörte der Geistlichkeit des Domes. St. Cassius unterstand der Hof­ kapelle (»Alte Kapelle«) als Eigenkirche für die Leute des Herzogshofes. Wo einst im Westen des Lagers sich die canabae in römischer Zeit ausdehnten, siedelte sich im Früh­ mittelalter wiederum Händlerbevölkerung an. Im Südwesten, unweit von St. Emmeram,

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renne wohl allzu scharf beurteilt. Eine Kritik kündigt sich selbst in seiner Umgebung an: Georges Espinas, Les origines du capitalisme III, Deux fondations de villes dans l'Artois et la Flandre francaise: St. Omer, Lannoy du Nord, Lille 1946. Vgl. die Besprechung von Edith Ennen, Germania 29, 1951, S. 370. Manfred Stimming, Die Stadt Mainz in karolingischer Zeit, Westd. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst 51, 1912, S. 157 und 143 ff. Edith Ennen, Einige Bemerkungen zur frühmittelalterlichen Geschichte Bonns, Rhein. Vier­ teljahresbl. 15/16, 1950/51, S. 184 ff. Max Heuwieser, Die stadtrechtliche Entwicklung der Stadt Passau bis zur Herrschaft der Bischöfe, Abhandlungen des Hist. Ver. f. Niederbayern 46, 1910, S. 63 ff. 219

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Mauer aus verhältnismäßig kleinteiligem Bruchsteinwerk (Findlingen), da es in der näheren Umgebung des Ortes kein anstehendes Gestein gibt. Vor der Mauer lagen zwei ältere Gräben von 5,5 und 5 m Tiefe, die aber zur Zeit des Mauerbaues schon teilweise zugeschüttet waren. Auch Mauerreste eines Turmes an einer Polygonecke wurden ge­ funden. Die Ludolfinische Mauer in Trier (um 100o) verwandte römische Steinquader für die unteren Lagen und darüber Bruchsteinmauerwerk, das aus dem Material römi­ scher Ruinen gewonnen wurde. In der Umrißform der lmmunitätsbefestigungen trat seit karolingischer Zeit ein völliger Umschwung ein. Lagen die Königshöfe und Bischofsklöster des 8. und 9. Jahr­ hunderts in rechteckigen oder quadratischen Befestigungen, so kam gerade diese Be­ grenzungsform im 10. und 11. Jahrhundert außer Gebrauch. Dafür herrscht nun eine große Mannigfaltigkeit verschiedenster Umrißlösungen. Bald sind es rundliche Gebilde wie in Hildesheim, Eichstätt, Hersfeld; bald mehr spitzovale oder mandelförmige Anlagen wie in Bamberg, Augsburg und Quedlinburg. In Trier, Magdeburg, Naumburg und Münster umzieht die Immunitätsmauer den Dom in einem unregelmäßig verschliffe­ nen Viereck mit abgerundeten Ecken. Die gestreckte Halberstädter Domburg (Abb. 4) mit einer leichten Einbuchtung auf der Nordseite gleicht einer langgezogenen Niere. Die Teilstücke der im stumpfen Winkel gebrochenen Seiten der Bremer Immunität (Abb. 18) lassen wenigstens so viel erkennen, daß es sich um ein unregelmäßiges Polygon handelte. Hier gibt es keine Regel, wenn man nicht die Ablehnung des regelmäßigen Rechtecks oder Quadrates als solche ansehen will. Der Grund für die Mannigfaltigkeit der ottonischen Befestigungen ist zunächst in der engen Anpassung an das Gelände oder der Ausnützung bestehender Grenzen zu suchen. In Augsburg wurde die Südecke der römischen Stadtmauer für die Domburg verwendet, in Bamberg, Quedlinburg, Halberstadt, Hildesheim liegen die Stadtkerne auf einem von der Natur schon ziemlich scharf profilierten Hügel, dessen Konturen die Befestigung nachzeichnet. Die Immunität von Merseburg (Abb. 8) folgt der Bergzunge einer Natur­ feste. In der rundlichen oder ovalen Umrißform lebt offenbar germanische Burgtradition fort, während das antikisierende Rechteck der Karolingerzeit in Vergessenheit geriet. Die Türme der Immunität dagegen sind ein spätantikes Element, das sich nicht von ger­ manischen Befestigungen ableiten läßt. Nur die Kaiserpfalz in Goslar (Abb. 14) scheint eine Ausnahme zu bilden. Ihr Mauer­ ring war wohl in einem verhältnismäßig regelmäßigen Trapez angelegt. Zu den großartigsten Befestigungswerken der ottonischen Zeit ist die civitas-Mauer von Lüttich (Abb. 44) zu zählen, die Bischof Notger (972-1008) errichten ließ. Ihr un­ regelmäßig trapezförmiger Umriß wurde bestimmt durch den in das Flußtal vorsprin­ genden Schuttkegel des Legiabaches zwischen Maasufer und Talabhang. Nach Westen schließt sich unmittelbar die schmale Bergzunge des Publemont (publicus mons) an, von der aus man das Flußtal beherrschen konnte. Um zu verhindern, daß sich weltliche Herren dort festsetzten, ließ Notger um das bereits bestehende St. Martinsstift eine Burg errichten und verband sie durch eine zweite um das Heiligkreuzstift mit der civitas im Tal. Neben oder über den Immunitätstoren lagen oft Kapellen. In karolingische Zeit rei­ chen die Martinskapellen in Osnabrück und Eichstätt zurück. Neben dem Südtor der Halberstädter Domburg stand eine Laurentiuskapelle. In Paderborn erbaute Bischof Meinwerk neben dem Tor zum Abdinghof-Kloster eine Alexiuskapelle. In Münster gab es eine Michaelskapelle über dem Osttor, die des Westtores war dem Heiligen Georg 228

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geweiht. Das Jakobtor in Bamberg trug eine Kapelle, die Bischof Eberhard II. (1146 bis 1170) der Gottesmutter und dem Heiligen Johannes widmete. Auch das Nordtor besaß dort seine Kapelle. Die Kaiserpfalz in Goslar verfügte über eine Martinskapelle neben dem Osttor. Innerhalb des Befestigungsringes lag in den Bischofsstädten der Dom mit den Stifts­ gebäuden. Diese umschlossen in drei Flügeln den Kreuzgang an einer der Langseiten der Bischofskirche als viertem Flügel. Der Standort des Domes im Verhältnis zur Befestigung war je nach den örtlichen Gegebenheiten und den geschichtlichen Voraussetzungen sehr verschieden. Die Randlage in Bamberg und Magdeburg ist bedingt durch das Vorhanden­ sein älterer Gebäudegruppen eines weltlichen castrum. Das Unregelmäßige dieser Lage konnte durch architektonische Gestaltung ausgeglichen werden. So setzte man in Magde­ burg an die gegenüberliegende Ecke der Immunität das Stift U. L. Frau an den Rand der Uferterrasse. Ähnlich wurde in Halberstadt als Gegenpol zu dem Dom das Marienstift errichtet. Die Orientierung der Kirchenbauten bildet ein entscheidendes Formelement der ottonischen Stadt. Die Gleichrichtung der Baukörper allein ergibt schon eine Ord­ nung des Gefüges. Neben dem Dom breitete sich ein Friedhof aus, der durchwegs erst am Ende des Mittelalters aus hygienischen Gründen aus dem Mauerring hinausverlegt wird. In Westfalen zu Münster, Osnabrück und Paderborn, in Süddeutschland zu Augsburg, Eichstätt, Würzburg, Speyer und Bamberg, außerdem in Trier und Bremen sind Fried­ höfe neben der Bischofskirche bezeugt. Den weiten Befestigungsring füllte er aber nicht aus. Freies, unbebautes Gelände muß im 1o. und frühen 11. Jahrhundert noch zwischen Dom und Ringmauer vorhanden gewesen sein. Die starke Wehr hatte ja nicht nur die Bischofskirche und die Geistlichen des Domstiftes zu schützen. Zuzeiten der Gefahr konnten hier die Bevölkerung der Umgebung und die Kaufleute des Wiks die feindlichen Einfälle überstehen, die einer Wasserflut gleich das Land überschwemmten und wieder verebbten. Für das castellum in Bergen (Holland) berichtet die vita Sancti Vinnoci recht anschaulich: »tune etiam locum Bergas dictum presidio placuit munire, quod munitioni omni circumguaque esset patriae.« Man erinnere sich an die Worte des Eichstätter Privileges: »urbem construere contra paganorum incursu.« Max Geisberg wies auf den Fluchtburgcharakter der Immunität von Münster hin. Im laufe des 11. Jahrhunderts entfällt dieser Zweck. Größere Einfälle von außen her waren - abgesehen von der Slawengrenze - kaum mehr zu befürchten. Der Befestigungbering hätte für die ange­ wachsene Bevölkerung auch nicht mehr genügt. Nun beanspruchte die Geistlichkeit selbst den unbebauten Raum in der Immunität. Das gemeinsame Leben der Kanoniker im Domstift löste sich auf. Die Domherren er­ richteten sich eigene Kurien. Dieser Vorgang fand weder in den deutschen Bischofs­ städten zur gleichen Zeit statt, noch war das Ziel überhaupt in einem Anlauf zu erreichen. Im allgemeinen darf man festhalten, daß im Laufe des 11. Jahrhunderts die Domgeist­ lichkeit in Deutschland ihre eigenen Kurien erhielt. Die rheinischen Kapitel begannen wesentlich früher mit der Auflösung des gemeinsamen Lebens. Einzelne Gepflogenheiten der vita communis, wie gemeinsame Küche oder gemeinsames Essen an bestimmten Tagen, hielten sich oft noch jahrhundertelang. Nur in den seltensten Fällen ist der genaue Zeitpunkt überliefert, wann die einzelnen Domherrenhöfe erbaut wurden. Anhaltspunkte finden sich jedoch genügend, um die große städtebauliche Wandlung der Immunität, die einzige übrigens, die sie im Mittel250

alter erlebte, zeitlich festzulegen. Die Regel des Heiligen Chrodegang von Metz, nach der die meisten Kapitel lebten, sah bereits den Besitz einzelner Häuser vor, was jedoch nicht hinderte, daß die Kanoniker dennoch ein gemeinsames Leben im Stift führten. In den rheinischen Bischofsstädten vollzog sich die Auflösung zuerst. In Trier hatte gegen Ende des 9. Jahrhunderts die vita communis praktisch zu bestehen aufgehört. Die wieder­ holten Versuche der Erzbischöfe, sie wieder einzuführen, waren nicht von dauerndem Erfolge begleitet. Nach dem Stadtbrand von 1062 konnte Bischof Imad von Paderborn die Domherren noch einmal bewegen, ihre eigenen Häuser zu verlassen und die vita communis nach Wiederherstellung des zerstörten Domstiftes aufzunehmen. Wenn Erz­ bischof Adalbert in Bremen nach 1045 Immunitätsmauer und Stiftsgebäude abbrechen ließ, um Steine für den Dombau zu gewinnen, so war dies nur möglich, wenn die Kano­ niker bereits über eigene Kurien verfügten und der ummauerte Bezirk zu eng geworden war, um diese zu fassen. 1084 wird bei der Verwüstung Augsburgs durch den Bayern­ herzog Welf ausdrücklich erwähnt, daß die Domherrenhöfe zerstört worden seien. In Halberstadt, Würzburg, Magdeburg und Bamberg treten die Kurien der Domherren zuerst im 12. Jahrhundert in den Urkunden auf. Die Immunität in Münster wird von Bischof Burchard 1110 erweitert, um Raum für die Kurien des neu errichteten Stiftes am alten Dom zu gewinnen. Um die Mitte des 11. Jahrhunderts, spätestens um die Wende zum 12., füllten in den deutschen Bischofsburgen die Domherrenkurien den freien Raum zwischen Dom, Stiftsgebäude und Ringmauer aus. Das Bild der Domburg hat sich damit wesentlich verändert. Die wenigen, um das Domkloster locker verstreuten Gebäude in dem Bering der Immunitätsbefestigung sind nun durch Überbauen des freien Geländes zu einem festgefügten architektonischen Ge­ bilde zusammengewachsen. Zwar bewahrte keine Immunität des deutschen Hochmittel­ alters ihren ursprünglichen Zustand, aber alte Ansichten, die wenigstens das spätmittel­ alterliche Bild festhalten, und Rückschlüsse aus den heutigen Bauwerken vermitteln noch eine gewisse Vorstellung. Ein bestimmter Zug läßt sich noch heute aus dem Stadtplan ablesen. Nach Anordnung und Umfang unterscheiden sich die Kurien grundlegend von den Hausern der Kaufleute und Handwerker. Diese bestanden aus schmal-rechteckigen Parzellen annähernd gleicher Breite. Dicht gedrängt reihten sich ihre Schauseiten an­ einander zu einer geschlossenen Straßenfront, höchstens schmale Bauwiche zwischen sich aussparend. Größe und Gestalt der Kurien dagegen variieren weit stärker, meist übertrifft ihre Grundfläche die bürgerlichen Hausstellen um ein vielfaches. Der vor­ handene Platz in der Immunität bestimmte weitgehend Größe und Umriß der Dom­ herrenhöfe. Oft zogen sich die Kurien der Burgmauer entlang um Dom und Stift, oder sie lehnten sich streckenweise an die Befestigung an. Manchmal glückte eine architek­ tonisch so vollkommen durchgeformte Lösung wie etwa in Halberstadt, in Paderborn, Hildesheim und Münster. In Würzburg staffeln sich die Kurien alle östlich des Dom­ chores in mehreren Reihen hintereinander. Schmale Querstraßen dienen ihrem Verkehr. In Bamberg und Augsburg war ihnen etwa eine Hälfte des mandelförmigen Befestigungs­ ringes zugewiesen: Dom, Stift und Bischofshof füllten die andere Hälfte aus. Im Gegensatz zur Bürgerstadt fehlte der Immunität eine geschlossene Straßenfront. Die Hauptgebäude der Domherrenhöfe lagen nicht an der Straßen- oder Platzseite, sondern im Grunde des Hofes. Nur die Abschlußmauern, von Einfahrtstoren unter­ brochen, zogen sich an den Straßen entlang. Vom 16. Jahrhundert an wurde dieses Bild verwischt. Der Barock setzte seine Domherrenpalais an die Straße oder fügte den mittel251

geweiht. Das Jakobtor in Bamberg trug eine Kapelle, die Bischof Eberhard II. (1146 bis 1170) der Gottesmutter und dem Heiligen Johannes widmete. Auch das Nordtor besaß dort seine Kapelle. Die Kaiserpfalz in Goslar verfügte über eine Martinskapelle neben dem Osttor. Innerhalb des Befestigungsringes lag in den Bischofsstädten der Dom mit den Stifts­ gebäuden. Diese umschlossen in drei Flügeln den Kreuzgang an einer der Langseiten der Bischofskirche als viertem Flügel. Der Standort des Domes im Verhältnis zur Befestigung war je nach den örtlichen Gegebenheiten und den geschichtlichen Voraussetzungen sehr verschieden. Die Randlage in Bamberg und Magdeburg ist bedingt durch das Vorhanden­ sein älterer Gebäudegruppen eines weltlichen castrum. Das Unregelmäßige dieser Lage konnte durch architektonische Gestaltung ausgeglichen werden. So setzte man in Magde­ burg an die gegenüberliegende Ecke der Immunität das Stift U. L. Frau an den Rand der Uferterrasse. Ähnlich wurde in Halberstadt als Gegenpol zu dem Dom das Marienstift errichtet. Die Orientierung der Kirchenbauten bildet ein entscheidendes Formelement der ottonischen Stadt. Die Gleichrichtung der Baukörper allein ergibt schon eine Ord­ nung des Gefüges. Neben dem Dom breitete sich ein Friedhof aus, der durchwegs erst am Ende des Mittelalters aus hygienischen Gründen aus dem Mauerring hinausverlegt wird. In Westfalen zu Münster, Osnabrück und Paderborn, in Süddeutschland zu Augsburg, Eichstätt, Würzburg, Speyer und Bamberg, außerdem in Trier und Bremen sind Fried­ höfe neben der Bischofskirche bezeugt. Den weiten Befestigungsring füllte er aber nicht aus. Freies, unbebautes Gelände muß im 1o. und frühen 11. Jahrhundert noch zwischen Dom und Ringmauer vorhanden gewesen sein. Die starke Wehr hatte ja nicht nur die Bischofskirche und die Geistlichen des Domstiftes zu schützen. Zuzeiten der Gefahr konnten hier die Bevölkerung der Umgebung und die Kaufleute des Wiks die feindlichen Einfälle überstehen, die einer Wasserflut gleich das Land überschwemmten und wieder verebbten. Für das castellum in Bergen (Holland) berichtet die vita Sancti Vinnoci recht anschaulich: »tune etiam locum Bergas dictum presidio placuit munire, quod munitioni omni circumguaque esset patriae.« Man erinnere sich an die Worte des Eichstätter Privileges: »urbem construere contra paganorum incursu.« Max Geisberg wies auf den Fluchtburgcharakter der Immunität von Münster hin. Im laufe des 11. Jahrhunderts entfällt dieser Zweck. Größere Einfälle von außen her waren - abgesehen von der Slawengrenze - kaum mehr zu befürchten. Der Befestigungbering hätte für die ange­ wachsene Bevölkerung auch nicht mehr genügt. Nun beanspruchte die Geistlichkeit selbst den unbebauten Raum in der Immunität. Das gemeinsame Leben der Kanoniker im Domstift löste sich auf. Die Domherren er­ richteten sich eigene Kurien. Dieser Vorgang fand weder in den deutschen Bischofs­ städten zur gleichen Zeit statt, noch war das Ziel überhaupt in einem Anlauf zu erreichen. Im allgemeinen darf man festhalten, daß im Laufe des 11. Jahrhunderts die Domgeist­ lichkeit in Deutschland ihre eigenen Kurien erhielt. Die rheinischen Kapitel begannen wesentlich früher mit der Auflösung des gemeinsamen Lebens. Einzelne Gepflogenheiten der vita communis, wie gemeinsame Küche oder gemeinsames Essen an bestimmten Tagen, hielten sich oft noch jahrhundertelang. Nur in den seltensten Fällen ist der genaue Zeitpunkt überliefert, wann die einzelnen Domherrenhöfe erbaut wurden. Anhaltspunkte finden sich jedoch genügend, um die große städtebauliche Wandlung der Immunität, die einzige übrigens, die sie im Mittel250

alter erlebte, zeitlich festzulegen. Die Regel des Heiligen Chrodegang von Metz, nach der die meisten Kapitel lebten, sah bereits den Besitz einzelner Häuser vor, was jedoch nicht hinderte, daß die Kanoniker dennoch ein gemeinsames Leben im Stift führten. In den rheinischen Bischofsstädten vollzog sich die Auflösung zuerst. In Trier hatte gegen Ende des 9. Jahrhunderts die vita communis praktisch zu bestehen aufgehört. Die wieder­ holten Versuche der Erzbischöfe, sie wieder einzuführen, waren nicht von dauerndem Erfolge begleitet. Nach dem Stadtbrand von 1062 konnte Bischof Imad von Paderborn die Domherren noch einmal bewegen, ihre eigenen Häuser zu verlassen und die vita communis nach Wiederherstellung des zerstörten Domstiftes aufzunehmen. Wenn Erz­ bischof Adalbert in Bremen nach 1045 Immunitätsmauer und Stiftsgebäude abbrechen ließ, um Steine für den Dombau zu gewinnen, so war dies nur möglich, wenn die Kano­ niker bereits über eigene Kurien verfügten und der ummauerte Bezirk zu eng geworden war, um diese zu fassen. 1084 wird bei der Verwüstung Augsburgs durch den Bayern­ herzog Welf ausdrücklich erwähnt, daß die Domherrenhöfe zerstört worden seien. In Halberstadt, Würzburg, Magdeburg und Bamberg treten die Kurien der Domherren zuerst im 12. Jahrhundert in den Urkunden auf. Die Immunität in Münster wird von Bischof Burchard 1110 erweitert, um Raum für die Kurien des neu errichteten Stiftes am alten Dom zu gewinnen. Um die Mitte des 11. Jahrhunderts, spätestens um die Wende zum 12., füllten in den deutschen Bischofsburgen die Domherrenkurien den freien Raum zwischen Dom, Stiftsgebäude und Ringmauer aus. Das Bild der Domburg hat sich damit wesentlich verändert. Die wenigen, um das Domkloster locker verstreuten Gebäude in dem Bering der Immunitätsbefestigung sind nun durch Überbauen des freien Geländes zu einem festgefügten architektonischen Ge­ bilde zusammengewachsen. Zwar bewahrte keine Immunität des deutschen Hochmittel­ alters ihren ursprünglichen Zustand, aber alte Ansichten, die wenigstens das spätmittel­ alterliche Bild festhalten, und Rückschlüsse aus den heutigen Bauwerken vermitteln noch eine gewisse Vorstellung. Ein bestimmter Zug läßt sich noch heute aus dem Stadtplan ablesen. Nach Anordnung und Umfang unterscheiden sich die Kurien grundlegend von den Hausern der Kaufleute und Handwerker. Diese bestanden aus schmal-rechteckigen Parzellen annähernd gleicher Breite. Dicht gedrängt reihten sich ihre Schauseiten an­ einander zu einer geschlossenen Straßenfront, höchstens schmale Bauwiche zwischen sich aussparend. Größe und Gestalt der Kurien dagegen variieren weit stärker, meist übertrifft ihre Grundfläche die bürgerlichen Hausstellen um ein vielfaches. Der vor­ handene Platz in der Immunität bestimmte weitgehend Größe und Umriß der Dom­ herrenhöfe. Oft zogen sich die Kurien der Burgmauer entlang um Dom und Stift, oder sie lehnten sich streckenweise an die Befestigung an. Manchmal glückte eine architek­ tonisch so vollkommen durchgeformte Lösung wie etwa in Halberstadt, in Paderborn, Hildesheim und Münster. In Würzburg staffeln sich die Kurien alle östlich des Dom­ chores in mehreren Reihen hintereinander. Schmale Querstraßen dienen ihrem Verkehr. In Bamberg und Augsburg war ihnen etwa eine Hälfte des mandelförmigen Befestigungs­ ringes zugewiesen: Dom, Stift und Bischofshof füllten die andere Hälfte aus. Im Gegensatz zur Bürgerstadt fehlte der Immunität eine geschlossene Straßenfront. Die Hauptgebäude der Domherrenhöfe lagen nicht an der Straßen- oder Platzseite, sondern im Grunde des Hofes. Nur die Abschlußmauern, von Einfahrtstoren unter­ brochen, zogen sich an den Straßen entlang. Vom 16. Jahrhundert an wurde dieses Bild verwischt. Der Barock setzte seine Domherrenpalais an die Straße oder fügte den mittel251

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Abb. 44. Lüttich im

11.

50o

Jahrhundert. Nach Eugene Polain, Revue du Nord

1 Kathedrale St. Lambert und

Notre-Dame-aux-Fonts 2 Biscbofsbof (le Palais) 3 St. Peter 4 St. Dionysius 5 St. Laurentius

100

6 7 8 9 10 11 12

St. Martin Heilig-Kreuz St. Johann St. Paul St. Jakob St. Bartholomäus St. Servatius

18,

40o0

1932,

S.

161

13 Saint-Nicolas-aux-Mouches 14 Saint-Remacle-au-Pont

A B C D

ff.

Alter Markt Markt Vinäve d'Isle Outremeuse

alterlichen Flügeln neue Eingangstrakte hinzu. So entstanden die geschlossenen Straßen­ und Platzfronten der Bamberger Domburg, des Eichstätter Geistlicdenviertels, des Dom­ platzes in Münster. Die mittelalterlichen Kurien unterschieden sich kaum von einem Adelshof; sie wurden nach dem gleichen Gesetz angelegt wie eine Gadenburg. Alle Gebäude reihten sich längs der Hofmauer aneinander. Den verschiedenen Bedürfnissen entsprachen ebenso viele Bauwerke unterschiedlicher Gestalt. Viel häufiger als es heute den Anschein hat, gab es im Mittelalter Wohntürme in den Immunitäten. In Trier blie­ ben beträchtliche Reste von Kurientürmen erhalten, andere sind aus alten Abbildungen bekannt. In Bamberg nennen die Domkalendarien eine Reihe von Türmen. In Eichstätt und Naumburg steht noch je ein Kurienturm aufrecht, wenn auch im Innern verändert. 252

Jeder Hof besaß im Mittelalter seine Kapelle oder zumindest seinen Altar. Nach den Patrozinien werden die Kurien oft benannt und unterschieden. »Et antiquitus in om­ nibus curiis fuerunt capellae vel altaria« berichtet der Mindener Domherr Heinrich Tribbe von seiner Heimatstadt (gegen 1460). Anfangs errichtete man die Gebäude der Domherrenhöfe noch oft in Holz, nur Turm und Kapelle in Stein. Eine einzige solche Kurie hat sich in Deutschland bis in unsere Zeit hinübergerettet. In Naumburg traf man neben der prächtigen Ägidienkapelle beim Abbruch der anstoßenden Gebäude auf Reste eines Wohntraktes in Blockbauweise mit einem Erdgeschoß aus Bruchstein. Im Hofbering der Kurien lagen die Gebäude für die familia, das Gesinde der Kanoniker, sowie Scheunen und Stallungen. Der Vieh­ bestand der Merseburger Freiheit im 16. Jahrhundert (Taf. 5) ist archivalisch nach­ zuweisen. Es wurden Pferde, Kühe, Schweine, Schafe, Gänse und Hühner gehalten. Ein Schweinestall, eine Badestube und ein Brunnen mit Trog fehlten in keinem Hof. In den Immunitäten des Hochmittelalters wird es kaum anders gewesen sein. Der Name des Tränketores in Halberstadt z. B., durch welches das Vieh der Domfreiheit zur Holtemme getrieben wurde, mag zum Beweis dienen. Nicht immer reichte das Immunitätsgelände aus, um alle Domherrenhöfe aufzu­ nehmen. In Magdeburg mußte der größere Teil der Kurien südlich der Domburg in der Vorstadt Sudenburg errichtet werden. In Merseburg kamen nachträglich ein paar Straßen am Abhang des Domberges zur Freiheit hinzu. In Eichstätt lagen wohl von Anfang an Propstei und Dechantei außerhalb des älteren Befestigungsringes der Im­ munität (Abb. 50). Bei der Anlage der Bürgerstadt wurde die Anzahl der Kurien mehr als verdoppelt. In den allerwenigsten Bischofssitzen konnte jeder Kanoniker im 11. und 12. Jahrhundert über eine eigene Kurie verfügen (Halberstadt ausgenommen). In Eich­ stätt standen den 50 Domherren im 11. Jahrhundert höchstens 1o bis 12 Höfe zur Ver­ fügung. Minden hat es niemals auf mehr als 6 bis 7 Kurien gebracht. In Bamberg trafen auf 34 Mitglieder des Kapitels etwa 15 Kurien. Eine der größten Immunitäten Deutsch­ lands besaß Würzburg. Hier nahmen die Kurien fast die Hälfte des geschlossenen Stadt­ gebietes ein. Nahezu das ganze Gebiet östlich des Domes war der Geistlichkeit vorbe­ halten (Abb. 28). In mehreren geistlichen Freiheiten traf man neben den Häusern der Domherren auch einige Ministerialenhöfe an. Sie blieben aber stets in der Minderzahl gegenüber den Kanonikerkurien und waren meist kleiner als diese. Im späteren Mittelalter läßt sich in Eichstätt ein Hof in der spätkarolingisch-ottonischen Immunität im Besitz eines Ministerialengeschlechtes nachweisen, ebenso ein zweiter auf dem Erweiterungsgelände des 12. Jahrhunderts. Einige kleinere Ministerialenhöfe mit Turmhäusern standen in der Augsburger Domburg zwischen Schwalbeneck und Fronhof. In Bamberg und Würzburg besaßen die Staufer im 12. Jahrhundert je einen Hof in der Domfreiheit. In Würzburg lag er in der Ostecke der Stadtmauer und führte später den Namen »Katzenwicker«. In Magdeburg errichtete man die Adelshöfe zwischen Immunität und Altem Markt, teils auch im Norden des Marktes. In den frühen Immunitäten war meist ein Spital vorhanden, wie in Trier, Köln, Speyer, Straßburg, Augsburg. Die in ottonischer Zeit neu gegründeten Domburgen besaßen keines mehr innerhalb des Beringes. Für die familia der Geistlichen, für die Hörigen des bischöflichen Wirtschaftshofes und für die vereinzelten Ministerialenfamilien mußte eine Pfarrkirche in der Freiheit 235

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Abb. 44. Lüttich im

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Jahrhundert. Nach Eugene Polain, Revue du Nord

1 Kathedrale St. Lambert und

Notre-Dame-aux-Fonts 2 Biscbofsbof (le Palais) 3 St. Peter 4 St. Dionysius 5 St. Laurentius

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St. Martin Heilig-Kreuz St. Johann St. Paul St. Jakob St. Bartholomäus St. Servatius

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13 Saint-Nicolas-aux-Mouches 14 Saint-Remacle-au-Pont

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alterlichen Flügeln neue Eingangstrakte hinzu. So entstanden die geschlossenen Straßen­ und Platzfronten der Bamberger Domburg, des Eichstätter Geistlicdenviertels, des Dom­ platzes in Münster. Die mittelalterlichen Kurien unterschieden sich kaum von einem Adelshof; sie wurden nach dem gleichen Gesetz angelegt wie eine Gadenburg. Alle Gebäude reihten sich längs der Hofmauer aneinander. Den verschiedenen Bedürfnissen entsprachen ebenso viele Bauwerke unterschiedlicher Gestalt. Viel häufiger als es heute den Anschein hat, gab es im Mittelalter Wohntürme in den Immunitäten. In Trier blie­ ben beträchtliche Reste von Kurientürmen erhalten, andere sind aus alten Abbildungen bekannt. In Bamberg nennen die Domkalendarien eine Reihe von Türmen. In Eichstätt und Naumburg steht noch je ein Kurienturm aufrecht, wenn auch im Innern verändert. 252

Jeder Hof besaß im Mittelalter seine Kapelle oder zumindest seinen Altar. Nach den Patrozinien werden die Kurien oft benannt und unterschieden. »Et antiquitus in om­ nibus curiis fuerunt capellae vel altaria« berichtet der Mindener Domherr Heinrich Tribbe von seiner Heimatstadt (gegen 1460). Anfangs errichtete man die Gebäude der Domherrenhöfe noch oft in Holz, nur Turm und Kapelle in Stein. Eine einzige solche Kurie hat sich in Deutschland bis in unsere Zeit hinübergerettet. In Naumburg traf man neben der prächtigen Ägidienkapelle beim Abbruch der anstoßenden Gebäude auf Reste eines Wohntraktes in Blockbauweise mit einem Erdgeschoß aus Bruchstein. Im Hofbering der Kurien lagen die Gebäude für die familia, das Gesinde der Kanoniker, sowie Scheunen und Stallungen. Der Vieh­ bestand der Merseburger Freiheit im 16. Jahrhundert (Taf. 5) ist archivalisch nach­ zuweisen. Es wurden Pferde, Kühe, Schweine, Schafe, Gänse und Hühner gehalten. Ein Schweinestall, eine Badestube und ein Brunnen mit Trog fehlten in keinem Hof. In den Immunitäten des Hochmittelalters wird es kaum anders gewesen sein. Der Name des Tränketores in Halberstadt z. B., durch welches das Vieh der Domfreiheit zur Holtemme getrieben wurde, mag zum Beweis dienen. Nicht immer reichte das Immunitätsgelände aus, um alle Domherrenhöfe aufzu­ nehmen. In Magdeburg mußte der größere Teil der Kurien südlich der Domburg in der Vorstadt Sudenburg errichtet werden. In Merseburg kamen nachträglich ein paar Straßen am Abhang des Domberges zur Freiheit hinzu. In Eichstätt lagen wohl von Anfang an Propstei und Dechantei außerhalb des älteren Befestigungsringes der Im­ munität (Abb. 50). Bei der Anlage der Bürgerstadt wurde die Anzahl der Kurien mehr als verdoppelt. In den allerwenigsten Bischofssitzen konnte jeder Kanoniker im 11. und 12. Jahrhundert über eine eigene Kurie verfügen (Halberstadt ausgenommen). In Eich­ stätt standen den 50 Domherren im 11. Jahrhundert höchstens 1o bis 12 Höfe zur Ver­ fügung. Minden hat es niemals auf mehr als 6 bis 7 Kurien gebracht. In Bamberg trafen auf 34 Mitglieder des Kapitels etwa 15 Kurien. Eine der größten Immunitäten Deutsch­ lands besaß Würzburg. Hier nahmen die Kurien fast die Hälfte des geschlossenen Stadt­ gebietes ein. Nahezu das ganze Gebiet östlich des Domes war der Geistlichkeit vorbe­ halten (Abb. 28). In mehreren geistlichen Freiheiten traf man neben den Häusern der Domherren auch einige Ministerialenhöfe an. Sie blieben aber stets in der Minderzahl gegenüber den Kanonikerkurien und waren meist kleiner als diese. Im späteren Mittelalter läßt sich in Eichstätt ein Hof in der spätkarolingisch-ottonischen Immunität im Besitz eines Ministerialengeschlechtes nachweisen, ebenso ein zweiter auf dem Erweiterungsgelände des 12. Jahrhunderts. Einige kleinere Ministerialenhöfe mit Turmhäusern standen in der Augsburger Domburg zwischen Schwalbeneck und Fronhof. In Bamberg und Würzburg besaßen die Staufer im 12. Jahrhundert je einen Hof in der Domfreiheit. In Würzburg lag er in der Ostecke der Stadtmauer und führte später den Namen »Katzenwicker«. In Magdeburg errichtete man die Adelshöfe zwischen Immunität und Altem Markt, teils auch im Norden des Marktes. In den frühen Immunitäten war meist ein Spital vorhanden, wie in Trier, Köln, Speyer, Straßburg, Augsburg. Die in ottonischer Zeit neu gegründeten Domburgen besaßen keines mehr innerhalb des Beringes. Für die familia der Geistlichen, für die Hörigen des bischöflichen Wirtschaftshofes und für die vereinzelten Ministerialenfamilien mußte eine Pfarrkirche in der Freiheit 235

vorhanden sein. Manchmal erfüllte der Westchor des Domes diese Aufgabe, wie etwa in Münster bis zur Erbauung von St. Jakob auf dem Domplatz gegen 1240. In Pader­ born diente nachweislich von 1251 ab der Westchor des Domes als Pfarrkirche, wahr­ scheinlich hatte er diese Aufgabe aber schon früher übernommen. In Naumburg, Augsburg, Eichstätt, Würzburg, Lüttich und Trier gab es in der Domburg eigene Pfarr­ kirchen, in Köln sogar deren zwei (St. Johannes und St. Maria im Pesch). In Naumburg und Eichstätt reichen sie nicht über das 12. Jahrhundert zurück. Der bedeutendste Wohnbau der bischöflichen Freiheit war der Bischofshof, das palatium. Man muß sich ihn ähnlich einer Kaiserpfalz vorstellen; ein weiter Bering mit Saalbau, Kapelle, Wirtschaftsgebäuden, Ställen und Scheunen. Die Bamberger Bischofspfalz des Hochmittelalters überliefert uns eine aquarellierte Zeichnung von 1487 im Berliner Kupferstichkabinett. Das palatium der Erzbischöfe von Köln aus dem beginnenden 15. Jahrhundert verschwand erst 1674. Alte Abbildungen geben davon noch eine Vorstellung. Von der Wormser Bischofsburg und ihrer Umgebung hat Karl Gruber eine anschauliche Zeichnung entworfen. In Paderborn, Magdeburg, Merseburg und Bamberg ging das palatium des Bischofs aus einem Königshof hervor, in Würzburg aus dem Hof des Frankenherzogs. Wenn auch die mittelalterlichen Bischofspfalzen längst verschwanden und Bauten späterer Jahrhunderte mit veränderten Wohnbedingungen weichen mußten, so hat sich der freie Platz vor der Pfalz, der auf den ottonischen Ausbau der Domburgen zurück­ geht, im Stadtgrundriß meist gut erhalten. Der gewaltige Domshof in Bremen (Abb. 19) muß als solcher Pfalzplatz angesprochen werden, an dessen Südwestecke sich der Bischofshof befand. Der Domshof diente im Mittelalter nicht etwa als Friedhof, dafür war in Bremen die Domsheide bestimmt. Bei den umfangreichen Erdarbeiten während des 2. Weltkrieges fanden sich denn auch auf dem Domshof keine Bestattungsreste. Am Ostrand des großen Domplatzes in Magdeburg (Abb. 2) lag die Bischofspfalz an der Stelle des ehemaligen Königshofes. Auch hier hat der Platz davor - soweit wir wissen - nicht als Begräbnisstätte gedient. Der Residenzplatz in Eichstätt, der seine Form erst im Spätbarock von 1725 an erhielt, besaß einen kleineren Vorläufer. In Würzburg (Abb. 28) trug der heutige Kürschnerhof den Namen »Saalhof« nach der Bischofspfalz neben Neumünster. Sein Umfang war größer als es heute den Anschein hat. Er reichte sicher bis zur Blasiusgasse; denn die schmale Häuserzeile dazwischen ging aus überbauten Verkaufsbuden hervor. In Augsburg trägt der Pfalzplatz den Namen »Fronhof«, in Trier nimmt er das weite Gelände vor der »Basilika« ein (außer­ halb der ottonischen Befestigung). Der Bamberger Pfalzplatz ist der Domplatz vor der mittelalterlichen Residenz der »Alten Hofhaltung«. Der große Platz vor dem Mainzer Bischofshof war mit Wirtschaftsgebäuden umsäumt und gegen den Markt daneben ab­ geschlossen. Gelegentlich lagen Friedhof und Pfalzvorgelände so dicht benachbart, daß sie ineinander übergingen wie in Paderborn, Münster, Osnabrück, Minden und Augsburg. Die mittelalterliche Stadt kennt keinen Platz ästhetischen oder hygienischen Zwecks. Die nicht mit Hausstellen besetzte Fläche innerhalb der Stadtmauer wurde als Markt, als Friedhof, als Abstellgelände, als Garten und als Ackerland ausgenutzt. Gewiß hatte auch der Platz vor der Pfalz seine Aufgabe zu erfüllen. Er wurde wohl für den Troß bei Versammlungen, zum Aufschlagen von Zelten und ähnlichem benötigt. Seine Form läßt sich nicht von den neuzeitlichen Platzlösungen eines straffgefaßten Raumes mit 254

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Abb. 45. Köln. Das Marktviertel. Nach Hermann Keussen, Köln im Mittelalter, Bonn 1918, Taf. III 1 Groß-St. Martin 2 St. Brigida 3 St. Maria im Kapitol 4 Klein-St. Martin 5 St. Notburgis

A Alter Markt B Unterlan C Heumarkt

kontinuierlichen, geschlossenen Wänden her verstehen. Es kam im Mittelalter nicht auf den geformten Raum an, sondern auf die Verteilung und das Verhältnis architek­ tonischer Körper zueinander, denen sich der Platzraum fügen mußte. Die freie und lockere Gruppierung von Dom, Bischofshof und Kurien als in sich geschlossenen pla255

vorhanden sein. Manchmal erfüllte der Westchor des Domes diese Aufgabe, wie etwa in Münster bis zur Erbauung von St. Jakob auf dem Domplatz gegen 1240. In Pader­ born diente nachweislich von 1251 ab der Westchor des Domes als Pfarrkirche, wahr­ scheinlich hatte er diese Aufgabe aber schon früher übernommen. In Naumburg, Augsburg, Eichstätt, Würzburg, Lüttich und Trier gab es in der Domburg eigene Pfarr­ kirchen, in Köln sogar deren zwei (St. Johannes und St. Maria im Pesch). In Naumburg und Eichstätt reichen sie nicht über das 12. Jahrhundert zurück. Der bedeutendste Wohnbau der bischöflichen Freiheit war der Bischofshof, das palatium. Man muß sich ihn ähnlich einer Kaiserpfalz vorstellen; ein weiter Bering mit Saalbau, Kapelle, Wirtschaftsgebäuden, Ställen und Scheunen. Die Bamberger Bischofspfalz des Hochmittelalters überliefert uns eine aquarellierte Zeichnung von 1487 im Berliner Kupferstichkabinett. Das palatium der Erzbischöfe von Köln aus dem beginnenden 15. Jahrhundert verschwand erst 1674. Alte Abbildungen geben davon noch eine Vorstellung. Von der Wormser Bischofsburg und ihrer Umgebung hat Karl Gruber eine anschauliche Zeichnung entworfen. In Paderborn, Magdeburg, Merseburg und Bamberg ging das palatium des Bischofs aus einem Königshof hervor, in Würzburg aus dem Hof des Frankenherzogs. Wenn auch die mittelalterlichen Bischofspfalzen längst verschwanden und Bauten späterer Jahrhunderte mit veränderten Wohnbedingungen weichen mußten, so hat sich der freie Platz vor der Pfalz, der auf den ottonischen Ausbau der Domburgen zurück­ geht, im Stadtgrundriß meist gut erhalten. Der gewaltige Domshof in Bremen (Abb. 19) muß als solcher Pfalzplatz angesprochen werden, an dessen Südwestecke sich der Bischofshof befand. Der Domshof diente im Mittelalter nicht etwa als Friedhof, dafür war in Bremen die Domsheide bestimmt. Bei den umfangreichen Erdarbeiten während des 2. Weltkrieges fanden sich denn auch auf dem Domshof keine Bestattungsreste. Am Ostrand des großen Domplatzes in Magdeburg (Abb. 2) lag die Bischofspfalz an der Stelle des ehemaligen Königshofes. Auch hier hat der Platz davor - soweit wir wissen - nicht als Begräbnisstätte gedient. Der Residenzplatz in Eichstätt, der seine Form erst im Spätbarock von 1725 an erhielt, besaß einen kleineren Vorläufer. In Würzburg (Abb. 28) trug der heutige Kürschnerhof den Namen »Saalhof« nach der Bischofspfalz neben Neumünster. Sein Umfang war größer als es heute den Anschein hat. Er reichte sicher bis zur Blasiusgasse; denn die schmale Häuserzeile dazwischen ging aus überbauten Verkaufsbuden hervor. In Augsburg trägt der Pfalzplatz den Namen »Fronhof«, in Trier nimmt er das weite Gelände vor der »Basilika« ein (außer­ halb der ottonischen Befestigung). Der Bamberger Pfalzplatz ist der Domplatz vor der mittelalterlichen Residenz der »Alten Hofhaltung«. Der große Platz vor dem Mainzer Bischofshof war mit Wirtschaftsgebäuden umsäumt und gegen den Markt daneben ab­ geschlossen. Gelegentlich lagen Friedhof und Pfalzvorgelände so dicht benachbart, daß sie ineinander übergingen wie in Paderborn, Münster, Osnabrück, Minden und Augsburg. Die mittelalterliche Stadt kennt keinen Platz ästhetischen oder hygienischen Zwecks. Die nicht mit Hausstellen besetzte Fläche innerhalb der Stadtmauer wurde als Markt, als Friedhof, als Abstellgelände, als Garten und als Ackerland ausgenutzt. Gewiß hatte auch der Platz vor der Pfalz seine Aufgabe zu erfüllen. Er wurde wohl für den Troß bei Versammlungen, zum Aufschlagen von Zelten und ähnlichem benötigt. Seine Form läßt sich nicht von den neuzeitlichen Platzlösungen eines straffgefaßten Raumes mit 254

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Abb. 45. Köln. Das Marktviertel. Nach Hermann Keussen, Köln im Mittelalter, Bonn 1918, Taf. III 1 Groß-St. Martin 2 St. Brigida 3 St. Maria im Kapitol 4 Klein-St. Martin 5 St. Notburgis

A Alter Markt B Unterlan C Heumarkt

kontinuierlichen, geschlossenen Wänden her verstehen. Es kam im Mittelalter nicht auf den geformten Raum an, sondern auf die Verteilung und das Verhältnis architek­ tonischer Körper zueinander, denen sich der Platzraum fügen mußte. Die freie und lockere Gruppierung von Dom, Bischofshof und Kurien als in sich geschlossenen pla255

stischen Einheiten in einem abgestuften Schwereverhältnis muß einst den Reiz solcher Plätze ausgemacht haben. Marktbetrieb und Kaufleute-Hofstellen waren von der Immunität nicht gänzlich ausgeschlossen. In den frühen Bischofsburgen im Westen lebte offenbar noch die antike Tradition des Forums innerhalb der Mauern nach, auch wenn der lmmunitätsmarkt nicht an der Stelle des römischen lag und keine Kontinuität zwischen beiden bestand (z. B. Besancon, Straßburg). Auch die Stiftsburg um St. Cassian in Bonn hatte im 9. Jahrhundert ihren Markt innerhalb der Befestigung, ebenso die Kaiserpfalz Aachen. In Lüttich wurde der »Alte Markt« auf dem Platz zwischen Bischofskirche und Bischofs­ pfalz abgehalten. Er reichte zumindest in karolingische Zeit zurück, da der ottonische Markt weiter östlich lag. Merseburg besaß 1012 »curtilia infra et extra urbem, gue negatiatores possident«. Hier gab es sogar Kaufleutehöfe in der Bischofsburg. Sie stammten wohl noch aus der Zeit vor der Bistumsgründung, als Merseburg eine könig­ liche Burg war. Ihre Zahl blieb aber stets gering. Eine größere städtebauliche Rolle spielten sie in den frühen Domburgen nicht. Diese Immunitätskaufleute waren wohl zumeist Kirchenhörige, die dem Hofrecht unterstanden und keinen königlichen Schutz genossen. In den ottonischen Bischofsburgen Deutschlands fand im allgemeinen kein Markt mehr statt, noch hatten dort Kaufleute ihre Häuser. Anders liegen die Verhältnisse im Hoch- und Spätmittelalter. Ein Markt in der Immunität bedeutet nun ein Konkurrenzunternehmen des Bischofs gegen die inzwischen sein.er Aufsicht fast entglittene Bürgerstadt. In Magdeburg ist zuerst unter Erzbischof Wichmann (1152 bis 1192) von einem Jahrmarkt auf dem heutigen Domplatz die Rede. Bezeichnender­ weise erhielt der Immunitätsplatz den Namen »Neumarkt«. Kaufleute hatten hier aber niemals ihren Wohnsitz. In Naumburg wurde im 14. Jahrhundert die Dom­ freiheit (Abb. 11) erweitert, um eine ganze Marktsiedlung aufzunehmen. Ebenso ge­ hört der Markt in der Halberstädter Domburg erst dem Spätmittelalter an. In Bam­ berg hat der bischöfliche Markt der Immunitäten am Kaulberg (außerhalb der Domburg) zu einer schweren Schädigung des Bürgermarktes auf der Regnitzinsel und zu endlosen Zwistigkeiten geführt. Für Gott, seine Priester und die Toten war die Bischofsburg errichtet worden. In aristokratischer Abgeschlossenheit entzog sie sich dem Durchgangsverkehr. Oft läßt sich nachweisen, daß die Fernstraßen die Freiheit umgingen, um ihre Ruhe und Abge­ schiedenheit nicht zu stören. Wo die Domburg auf einem Berg oder einer Terrasse errichtet worden war, wie in Bamberg, Merseburg, Hildesheim, Halberstadt, brauchte man die Fernstraßen nicht erst umzulegen, da sie nicht über den Berg führten. In Naumburg mußten die Handelswege nach der Gründung des Bistums an den Ort her­ angeholt werden, um den Markt am Leben zu erhalten. Sie zogen aber an der Immuni­ tät vorbei. In Augsburg bildete sich ein Umleitungsweg für den Verkehr heraus, nachdem die alte Römerstraße mitten durch die Domburg hindurch nicht mehr benutzt werden konnte. Der Breite Weg in Magdeburg lief ursprünglich außerhalb der Dom­ burg vorbei, erst deren Erweiterung bezog ihn in die Freiheit ein. Ebenso führten in Paderborn, Minden, Eichstätt, Trier, Bremen, Speyer die Hauptstraßen an der Immu­ nität vorbei. In Münster wurde die Domburg auf dem Kreuzungspunkt der Fernstraßen errichtet. Der mittelalterliche Verkehr benützte aber eine Umgehungsstraße, wie die Anlage des Prinzipalmarktes an diesem Wege beweist. Der Dombezirk von Worms besaß keine direkten Verbindungen mit dem Hauptstraßennetz der Stadt, er war insel-

haft gegen das profane Leben abgeschlossen. Gottfried von Viterbo hebt die Ruhe und Abgeschiedenheit der Bamberger Domburg hervor: »nul laque vulgario vox audet in urbe sonari.« Eine andere Stelle aus dem 12. Jahrhundert führt den gleichen Ge­ danken noch weiter aus: »Et ubi inibi militantibus domino major tranquillitas perseveret praedictae ecclesiae sunt sic locate ut fere ab omni strepitu et tumultu sunt segregatae.« Bis zur Auflösung des gemeinsamen Lebens unterschied sich eine bischöfliche Immu­ nität kaum von der eines Klosters oder Stiftes in der städtebaulichen Anlage. Ähnlich angeordnet waren die Bezirke der Kaiserpfalzen in Goslar (Abb. 15) und Frankfurt. Auch hier beherbergte der Befestigungsring den Pfalzbau mit einem großen freien Platz davor, einer Pfalzkapelle und einem Stift. Die großartige Kaiserbleek in Goslar beherrscht der Saalbau auf leicht ansteigendem Hang im Westen, den auf jeder Seite eine Kapelle flankierte (St. Ulrich im Süden, die heute verschwundene Marienkirche im Norden). Auf der Ostseite des Platzes lag der gewaltige »Dom« St. Simon und Juda mit der Hauptachse senkrecht zum Pfalzbau. Die Frankfurter Pfalz, in ottonischer Zeit ummauert, hatte ihr Stift schon unter den Karolingern erhalten. St. Salvator im Osten des Beringes wurde 852 geweiht, die Pfalz muß kurz vor 794 errichtet worden sein. Sie lag, wie die Grabungen der letzten Jahre bewiesen, unmittelbar vor dem Stift gegen den Römer zu. Noch weiter westlich, auf dem Römerberg, kam das Fundament eines Rundbaues (wohl Kapelle) zum Vorschein.

Die Kaufmannssiedlung

Weit schwieriger als die »Burg« sind die ottonischen Kaufmannssiedlungen zu fassen. Manchmal ist ihre Lage durch die Straßenbezeichnung »alter Markt« gesichert, wenn die Marktstelle sich später verlagerte. In Halle, Hildesheim, Köln, Frankfurt/M. reicht dieser »alte Markt« noch in ottonische Zeit zurück. Die einfachste und wohl gebräuchlichste Form der Kaufmannssiedlung stellt eine zweiseitig bebaute, nicht son­ derlich breite Straße dar. Für Hildesheim (Abb. 47) hat Paul Jonas Meier den ältesten Markt in dieser Gestalt an der Durchgangsstraße zwischen Domburg und St. Michaels­ kloster rekonstruiert (längs der Straße »Alter Markt«). An seinem Ostende jenseits des Treibebaches liegt die ecclesia forensis St. Andreas, die nach 1022 Bischof Godehard gründete. 1146 wird das vetus forum zuerst erwähnt. Damals bestand bereits ein jün­ gerer Markt. Die älteste Hildesheimer Marktsiedlung geht wahrscheinlich auf Bischof Bernward (995-1022) zurück, da unter ihm Münzen geprägt wurden, die dem Hildes­ heimer Marktverkehr dienen sollten. Arn Fuße des Quedlinburger Stiftsberges liefen auf der Nordseite die Straßen von Halberstadt und Magdeburg zusammen. An der Straßengabel wurde der erste Markt (Abb. 6 u. 7) gegründet längs der Hohen und der Kleinen Hohen Straße (jetzt Blasii­ straße). Marktkirche war St. Blasius. 994 erhielt die Quedlinburger Äbtissin Münz-, Markt- und Zollrecht. Entweder bestand damals bereits ein königlicher Markt, dessen Einkünfte durch das Privileg an die Äbtissin übergingen, oder es erfolgte unmittelbar nach der Verleihung eine Marktgründung. 1042 werden die Quedlinburger Kaufleute urkundlich erwähnt. Wahrscheinlich besaß die Marktsiedlung eine Umwallung. Auch der ottonische Markt in Halle (Abb. 12) liegt an einer Straßengabel, südlich des Salzsiedergebietes (Tales). Er bildet eine zweiseitig mit sehr tiefen Grundstücken 237

stischen Einheiten in einem abgestuften Schwereverhältnis muß einst den Reiz solcher Plätze ausgemacht haben. Marktbetrieb und Kaufleute-Hofstellen waren von der Immunität nicht gänzlich ausgeschlossen. In den frühen Bischofsburgen im Westen lebte offenbar noch die antike Tradition des Forums innerhalb der Mauern nach, auch wenn der lmmunitätsmarkt nicht an der Stelle des römischen lag und keine Kontinuität zwischen beiden bestand (z. B. Besancon, Straßburg). Auch die Stiftsburg um St. Cassian in Bonn hatte im 9. Jahrhundert ihren Markt innerhalb der Befestigung, ebenso die Kaiserpfalz Aachen. In Lüttich wurde der »Alte Markt« auf dem Platz zwischen Bischofskirche und Bischofs­ pfalz abgehalten. Er reichte zumindest in karolingische Zeit zurück, da der ottonische Markt weiter östlich lag. Merseburg besaß 1012 »curtilia infra et extra urbem, gue negatiatores possident«. Hier gab es sogar Kaufleutehöfe in der Bischofsburg. Sie stammten wohl noch aus der Zeit vor der Bistumsgründung, als Merseburg eine könig­ liche Burg war. Ihre Zahl blieb aber stets gering. Eine größere städtebauliche Rolle spielten sie in den frühen Domburgen nicht. Diese Immunitätskaufleute waren wohl zumeist Kirchenhörige, die dem Hofrecht unterstanden und keinen königlichen Schutz genossen. In den ottonischen Bischofsburgen Deutschlands fand im allgemeinen kein Markt mehr statt, noch hatten dort Kaufleute ihre Häuser. Anders liegen die Verhältnisse im Hoch- und Spätmittelalter. Ein Markt in der Immunität bedeutet nun ein Konkurrenzunternehmen des Bischofs gegen die inzwischen sein.er Aufsicht fast entglittene Bürgerstadt. In Magdeburg ist zuerst unter Erzbischof Wichmann (1152 bis 1192) von einem Jahrmarkt auf dem heutigen Domplatz die Rede. Bezeichnender­ weise erhielt der Immunitätsplatz den Namen »Neumarkt«. Kaufleute hatten hier aber niemals ihren Wohnsitz. In Naumburg wurde im 14. Jahrhundert die Dom­ freiheit (Abb. 11) erweitert, um eine ganze Marktsiedlung aufzunehmen. Ebenso ge­ hört der Markt in der Halberstädter Domburg erst dem Spätmittelalter an. In Bam­ berg hat der bischöfliche Markt der Immunitäten am Kaulberg (außerhalb der Domburg) zu einer schweren Schädigung des Bürgermarktes auf der Regnitzinsel und zu endlosen Zwistigkeiten geführt. Für Gott, seine Priester und die Toten war die Bischofsburg errichtet worden. In aristokratischer Abgeschlossenheit entzog sie sich dem Durchgangsverkehr. Oft läßt sich nachweisen, daß die Fernstraßen die Freiheit umgingen, um ihre Ruhe und Abge­ schiedenheit nicht zu stören. Wo die Domburg auf einem Berg oder einer Terrasse errichtet worden war, wie in Bamberg, Merseburg, Hildesheim, Halberstadt, brauchte man die Fernstraßen nicht erst umzulegen, da sie nicht über den Berg führten. In Naumburg mußten die Handelswege nach der Gründung des Bistums an den Ort her­ angeholt werden, um den Markt am Leben zu erhalten. Sie zogen aber an der Immuni­ tät vorbei. In Augsburg bildete sich ein Umleitungsweg für den Verkehr heraus, nachdem die alte Römerstraße mitten durch die Domburg hindurch nicht mehr benutzt werden konnte. Der Breite Weg in Magdeburg lief ursprünglich außerhalb der Dom­ burg vorbei, erst deren Erweiterung bezog ihn in die Freiheit ein. Ebenso führten in Paderborn, Minden, Eichstätt, Trier, Bremen, Speyer die Hauptstraßen an der Immu­ nität vorbei. In Münster wurde die Domburg auf dem Kreuzungspunkt der Fernstraßen errichtet. Der mittelalterliche Verkehr benützte aber eine Umgehungsstraße, wie die Anlage des Prinzipalmarktes an diesem Wege beweist. Der Dombezirk von Worms besaß keine direkten Verbindungen mit dem Hauptstraßennetz der Stadt, er war insel-

haft gegen das profane Leben abgeschlossen. Gottfried von Viterbo hebt die Ruhe und Abgeschiedenheit der Bamberger Domburg hervor: »nul laque vulgario vox audet in urbe sonari.« Eine andere Stelle aus dem 12. Jahrhundert führt den gleichen Ge­ danken noch weiter aus: »Et ubi inibi militantibus domino major tranquillitas perseveret praedictae ecclesiae sunt sic locate ut fere ab omni strepitu et tumultu sunt segregatae.« Bis zur Auflösung des gemeinsamen Lebens unterschied sich eine bischöfliche Immu­ nität kaum von der eines Klosters oder Stiftes in der städtebaulichen Anlage. Ähnlich angeordnet waren die Bezirke der Kaiserpfalzen in Goslar (Abb. 15) und Frankfurt. Auch hier beherbergte der Befestigungsring den Pfalzbau mit einem großen freien Platz davor, einer Pfalzkapelle und einem Stift. Die großartige Kaiserbleek in Goslar beherrscht der Saalbau auf leicht ansteigendem Hang im Westen, den auf jeder Seite eine Kapelle flankierte (St. Ulrich im Süden, die heute verschwundene Marienkirche im Norden). Auf der Ostseite des Platzes lag der gewaltige »Dom« St. Simon und Juda mit der Hauptachse senkrecht zum Pfalzbau. Die Frankfurter Pfalz, in ottonischer Zeit ummauert, hatte ihr Stift schon unter den Karolingern erhalten. St. Salvator im Osten des Beringes wurde 852 geweiht, die Pfalz muß kurz vor 794 errichtet worden sein. Sie lag, wie die Grabungen der letzten Jahre bewiesen, unmittelbar vor dem Stift gegen den Römer zu. Noch weiter westlich, auf dem Römerberg, kam das Fundament eines Rundbaues (wohl Kapelle) zum Vorschein.

Die Kaufmannssiedlung

Weit schwieriger als die »Burg« sind die ottonischen Kaufmannssiedlungen zu fassen. Manchmal ist ihre Lage durch die Straßenbezeichnung »alter Markt« gesichert, wenn die Marktstelle sich später verlagerte. In Halle, Hildesheim, Köln, Frankfurt/M. reicht dieser »alte Markt« noch in ottonische Zeit zurück. Die einfachste und wohl gebräuchlichste Form der Kaufmannssiedlung stellt eine zweiseitig bebaute, nicht son­ derlich breite Straße dar. Für Hildesheim (Abb. 47) hat Paul Jonas Meier den ältesten Markt in dieser Gestalt an der Durchgangsstraße zwischen Domburg und St. Michaels­ kloster rekonstruiert (längs der Straße »Alter Markt«). An seinem Ostende jenseits des Treibebaches liegt die ecclesia forensis St. Andreas, die nach 1022 Bischof Godehard gründete. 1146 wird das vetus forum zuerst erwähnt. Damals bestand bereits ein jün­ gerer Markt. Die älteste Hildesheimer Marktsiedlung geht wahrscheinlich auf Bischof Bernward (995-1022) zurück, da unter ihm Münzen geprägt wurden, die dem Hildes­ heimer Marktverkehr dienen sollten. Arn Fuße des Quedlinburger Stiftsberges liefen auf der Nordseite die Straßen von Halberstadt und Magdeburg zusammen. An der Straßengabel wurde der erste Markt (Abb. 6 u. 7) gegründet längs der Hohen und der Kleinen Hohen Straße (jetzt Blasii­ straße). Marktkirche war St. Blasius. 994 erhielt die Quedlinburger Äbtissin Münz-, Markt- und Zollrecht. Entweder bestand damals bereits ein königlicher Markt, dessen Einkünfte durch das Privileg an die Äbtissin übergingen, oder es erfolgte unmittelbar nach der Verleihung eine Marktgründung. 1042 werden die Quedlinburger Kaufleute urkundlich erwähnt. Wahrscheinlich besaß die Marktsiedlung eine Umwallung. Auch der ottonische Markt in Halle (Abb. 12) liegt an einer Straßengabel, südlich des Salzsiedergebietes (Tales). Er bildet eine zweiseitig mit sehr tiefen Grundstücken 237

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Münster St. Martin Bischofshof

St. Leonhard-Spital

A Fischmarkt

B Kornmarkt

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Abb. 46. Straßburg. Marktgebiet des 11. Jahrhunderts. Nach Karl Gruber, Die Gestalt der deutschen Stadt, München 1952

bebaute Straße, die sich zu dem senkrecht dazu verlaufenden nordsüdlichen Durch­ gangsweg hin im Dreieck erweitert. Als Marktkirche diente die St. Michaelskapelle. In Goslar (Abb. 14) gab den Markt des 11. Jahrhunderts wahrscheinlicdh die heutige Marktstraße ab, deren gewundener Lauf sich nicht dem Meridiansystem der Gründungs­ stadt aus dem späteren 11. Jahrhundert einfügt. Sie scheint deshalb höheren Alters zu sein. Beide Marktplätze Goslars, Schuhhof und Marktplatz vor dem Rathaus, sind erst im 12. und 13. Jahrhundert entstanden. Der Lüneburger Markt (Abb. 16) des 11. Jahrhunderts gehört dem gleichen Typus an wie die niedersächsischen Märkte, eine verhältnismäßig schmale Straße (»Auf der Altstadt«) im Zuge eines

Fernweges zur Burg. Am Ende der Siedlung, gegen den Berg zu, stand die Pfarr­ kirche St. Cyriak. In Westfalen begegnet man ähnlichen Marktformen. In Paderborn (Abb. 20 u. 21) und Minden (Abb. 22 u. 25) wurde der Markt längs der großen Fernhandelsstraßen des Hellweges und des Frankfurter Weges angelegt. Der Straßenraum scheint hier brei­ ter gewesen zu sein als bei den niedersächsischen Märkten des 11. Jahrhunderts. Soweit das Marktgebiet reicht, sind die Häuserfronten zurückgeschoben, so daß sich ein schmaler rechteckiger Platz ergibt. Die Marktkirchen an dem der Immunität abgewandten Ende des Marktgebietes werden beide schon im 11. Jahrhundert erwähnt. Den Magdeburger Markt (Abb. 1 u. 5) gründete Otto I. im Jahre 936 auf dem Hochufer der Elbe und errichtete die Marktkirche St. Johannis, die 941 in den Be­ sitz des Mauritiusklosters überging. Ihr hohes Alter wurde durch die Aufdeckung von Bauresten des 10. oder 11. Jahrhunderts bestätigt. Die Platzwände des Marktes be­ gradigte man nach dem Brand 1651. Wahrscheinlich besaß der ottonische Markt eine mehr straßenähnliche Gestalt. Er reichte auf der Westseite höchstens bis zur Buttergasse. Der größte ottonische Markt in einer Länge von fast 500 m wurde in Köln (Abb. 45) zwischen 955 und 989 angelegt. Er dehnt sich zwischen der Rheinmauer der Römer­ stadt und dem mittelalterlichen Rheinufer aus. Der fast dreieckige Alte Markt westlich von Groß-St. Martin schließt sich an den südlicher gelegenen Heumarkt in Gestalt eines länglichen Rechtecks so an, daß beide mit einer Ecke zusammenstoßen. Die kleinen Baugevierte auf dem Platz selbst stellen überbaute Verkaufsbuden dar, die man zur Beurteilung des ursprünglichen Zustandes abziehen muß. Der Bezirk Unterlan, der den Alten Markt von dem Heumarkt trennt, entstand erst unter Erzbischof Anno (gest. 1075). Ursprünglich bildeten beide Marktgebiete eine einzige zusammenhängende Anlage. Der Heumarkt hieß bis in das 14. Jahrhundert »Alter Markt«. Das Groß­ St. Martins-Stift wurde von Erzbischof Bruno (955-965), dem Bruder Ottos des Großen, gegründet. Die beiden heutigen Pfarrkirchen der Rheinvorstadt entstanden im 10. (Klein-St. Martin) und 12. Jahrhundert (St.Brigida). Wenn 1106 ein Haus »in vetere foro« erwähnt wird, dann hat damals schon der Neumarkt (Abb. 49) bestanden, der am Westrand der Römerstadt bei St. Aposteln liegt (regelmäßiges Rechteck von ca. 250 mal 120 m). Er wird noch in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts hinaufreichen. Seine Aufgabe ist jedoch eine andere als die des Marktgebietes der Rheinvorstadt. Er diente im Mittelalter vor allem als Pferde- und Viehmarkt. Mit dem Kölner Forum läßt sich nur noch der Straßburger Markt (Abb. 46) vor der Ostmauer der Domimmu­ nität (= römisches Castrum) vergleichen, eine zum Fluß hin sich stark erweiternde großartige Marktstraße von fast 450 m Länge. St. Martin auf der Westseite des Platzes diente als Marktkirche. Die gerade Führung der östlichen Platzwand war durch den römischen Graben bedingt, auf dessen Westrand die Häuser aufsitzen. Später über­ baute man den südlichen Markt großenteils mit Häusern, die aus Verkaufsbuden her­ vorgingen. Einzelne Gebäude des Marktes werden zwar erst im 12. Jahrhundert er­ wähnt. Die Gesamtanlage gehört aber noch dem 10./11. Jahrhundert an. Auch die Form des Dreiecksmarktes reicht in das 10. und 11. Jahrhundert zurück. In Trier errichtete Erzbischof Heinrich 958 den Markt (Abb. 25) vor der Domburg in einer Straßengabel, deren einer Schenkel die Hauptachse der römischen Stadt von der Porta Nigra zur Porta Alba bildete. Den zweiten gab ein nachrömischer Straßenzug ab, der Dom und Brücke auf dem kürzesten Weg verbindet. Dreieckigen Umriß besitzt auch 259

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Münster St. Martin Bischofshof

St. Leonhard-Spital

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Abb. 46. Straßburg. Marktgebiet des 11. Jahrhunderts. Nach Karl Gruber, Die Gestalt der deutschen Stadt, München 1952

bebaute Straße, die sich zu dem senkrecht dazu verlaufenden nordsüdlichen Durch­ gangsweg hin im Dreieck erweitert. Als Marktkirche diente die St. Michaelskapelle. In Goslar (Abb. 14) gab den Markt des 11. Jahrhunderts wahrscheinlicdh die heutige Marktstraße ab, deren gewundener Lauf sich nicht dem Meridiansystem der Gründungs­ stadt aus dem späteren 11. Jahrhundert einfügt. Sie scheint deshalb höheren Alters zu sein. Beide Marktplätze Goslars, Schuhhof und Marktplatz vor dem Rathaus, sind erst im 12. und 13. Jahrhundert entstanden. Der Lüneburger Markt (Abb. 16) des 11. Jahrhunderts gehört dem gleichen Typus an wie die niedersächsischen Märkte, eine verhältnismäßig schmale Straße (»Auf der Altstadt«) im Zuge eines

Fernweges zur Burg. Am Ende der Siedlung, gegen den Berg zu, stand die Pfarr­ kirche St. Cyriak. In Westfalen begegnet man ähnlichen Marktformen. In Paderborn (Abb. 20 u. 21) und Minden (Abb. 22 u. 25) wurde der Markt längs der großen Fernhandelsstraßen des Hellweges und des Frankfurter Weges angelegt. Der Straßenraum scheint hier brei­ ter gewesen zu sein als bei den niedersächsischen Märkten des 11. Jahrhunderts. Soweit das Marktgebiet reicht, sind die Häuserfronten zurückgeschoben, so daß sich ein schmaler rechteckiger Platz ergibt. Die Marktkirchen an dem der Immunität abgewandten Ende des Marktgebietes werden beide schon im 11. Jahrhundert erwähnt. Den Magdeburger Markt (Abb. 1 u. 5) gründete Otto I. im Jahre 936 auf dem Hochufer der Elbe und errichtete die Marktkirche St. Johannis, die 941 in den Be­ sitz des Mauritiusklosters überging. Ihr hohes Alter wurde durch die Aufdeckung von Bauresten des 10. oder 11. Jahrhunderts bestätigt. Die Platzwände des Marktes be­ gradigte man nach dem Brand 1651. Wahrscheinlich besaß der ottonische Markt eine mehr straßenähnliche Gestalt. Er reichte auf der Westseite höchstens bis zur Buttergasse. Der größte ottonische Markt in einer Länge von fast 500 m wurde in Köln (Abb. 45) zwischen 955 und 989 angelegt. Er dehnt sich zwischen der Rheinmauer der Römer­ stadt und dem mittelalterlichen Rheinufer aus. Der fast dreieckige Alte Markt westlich von Groß-St. Martin schließt sich an den südlicher gelegenen Heumarkt in Gestalt eines länglichen Rechtecks so an, daß beide mit einer Ecke zusammenstoßen. Die kleinen Baugevierte auf dem Platz selbst stellen überbaute Verkaufsbuden dar, die man zur Beurteilung des ursprünglichen Zustandes abziehen muß. Der Bezirk Unterlan, der den Alten Markt von dem Heumarkt trennt, entstand erst unter Erzbischof Anno (gest. 1075). Ursprünglich bildeten beide Marktgebiete eine einzige zusammenhängende Anlage. Der Heumarkt hieß bis in das 14. Jahrhundert »Alter Markt«. Das Groß­ St. Martins-Stift wurde von Erzbischof Bruno (955-965), dem Bruder Ottos des Großen, gegründet. Die beiden heutigen Pfarrkirchen der Rheinvorstadt entstanden im 10. (Klein-St. Martin) und 12. Jahrhundert (St.Brigida). Wenn 1106 ein Haus »in vetere foro« erwähnt wird, dann hat damals schon der Neumarkt (Abb. 49) bestanden, der am Westrand der Römerstadt bei St. Aposteln liegt (regelmäßiges Rechteck von ca. 250 mal 120 m). Er wird noch in die zweite Hälfte des 11. Jahrhunderts hinaufreichen. Seine Aufgabe ist jedoch eine andere als die des Marktgebietes der Rheinvorstadt. Er diente im Mittelalter vor allem als Pferde- und Viehmarkt. Mit dem Kölner Forum läßt sich nur noch der Straßburger Markt (Abb. 46) vor der Ostmauer der Domimmu­ nität (= römisches Castrum) vergleichen, eine zum Fluß hin sich stark erweiternde großartige Marktstraße von fast 450 m Länge. St. Martin auf der Westseite des Platzes diente als Marktkirche. Die gerade Führung der östlichen Platzwand war durch den römischen Graben bedingt, auf dessen Westrand die Häuser aufsitzen. Später über­ baute man den südlichen Markt großenteils mit Häusern, die aus Verkaufsbuden her­ vorgingen. Einzelne Gebäude des Marktes werden zwar erst im 12. Jahrhundert er­ wähnt. Die Gesamtanlage gehört aber noch dem 10./11. Jahrhundert an. Auch die Form des Dreiecksmarktes reicht in das 10. und 11. Jahrhundert zurück. In Trier errichtete Erzbischof Heinrich 958 den Markt (Abb. 25) vor der Domburg in einer Straßengabel, deren einer Schenkel die Hauptachse der römischen Stadt von der Porta Nigra zur Porta Alba bildete. Den zweiten gab ein nachrömischer Straßenzug ab, der Dom und Brücke auf dem kürzesten Weg verbindet. Dreieckigen Umriß besitzt auch 259

der älteste Augsburger Markt (Abb. 33 u. 34) am Perlach. Hier liegen ähnliche Straßen­ verhältnisse zugrunde wie in Trier. Von der Römerstraße, die vom Dom aus gerade­ wegs nach Süden führt (Karolinenstraße und Obere Maximilianstraße), zweigt am Perlach ein mittelalterlicher Weg ab, der den Verkehr um die Domburg leitet (Stein­ gasse - Ludwigstraße - Heiligkreuzstraße). In der Straßengabel hat sich der Augs­ burger Markt angesiedelt. Auch der Lütticher Markt wurde im Dreieck angelegt, ebenso der »Vinave« des 11. Jahrhunderts bei St. Paul auf der Maasinsel (Abb. 44). Ein früher Markt scheint auch der kleine Dreiecksplatz am Südausgang der Tuchlauben in Wien gewesen zu sein. Der Markt mit der Kaufleutesiedlung und die Immunität oder Burg sind im 10. und im frühen 11. Jahrhundert in Deutschland im allgemeinen getrennte, selbständige, in sich geschlossene Einheiten. Weniger ausschlaggebend ist dabei die größere oder ge­ ringere Entfernung voneinander als die Abgeschlossenheit der beiden Elemente. Selbst in Köln, wo das Marktviertel sich als eine Erweiterung der Römerstadt gibt, geschützt durch die bis zum Rhein verlängerten römischen Stadtmauern, blieben beide Teile scharf gegeneinander abgegrenzt. Alle Marktzugänge waren mit Pforten besetzt. Fernstraßen und Anlegeplätze der Wasserwege zogen die Marktsiedlungen an und bestimmten ihre Lage, während die Burg die von der Natur dargebotenen Verteidi­ gungsmittel ausnützen mußte. Dicht vor den Toren der Immunität erstreckt sich das Marktviertel in Halberstadt, Minden, Paderborn, Bremen, Münster, Osnabrück, Straß­ burg und Trier, in weiterer Entfernung liegt es in Naumburg, Augsburg, Goslar und Bamberg. Dagegen wurde bereits um die Jahrtausendwende der Lütticher Markt in die Civitas aufgenommen und mit dem Dombezirk zusammen von einer gemeinsamen Mauer um­ schlossen (Abb. 44). Vielleicht führte die Nähe zu Aachen und zu den westfränki­ schen Bischofsstädten zur Einbeziehung des Marktes in die Civitas (Abb. 42). Es scheint in diesem Fall mehr ein Weiterleben der karolingischen Tradition vorzuliegen als eine Vorwegnahme der geschlossenen Stadt im Sinne des späten 11. Jahrhunderts. Wahrscheinlich besaß die Kaufleutesiedlung durchwegs in ottonischer Zeit einen Befestigungsschutz. In den meisten Fällen wird es sich wohl um eine Palisadenwand gehandelt haben. In Köln bot die Verlängerung der römischen Stadtmauern bis zum Rhein wesentlich größere Sicherheit. Vor allem aber war eine Steinmauer an der Ost­ grenze vonnöten, um gegen die wiederholten Slawenaufstände zu schützen. Es ist kein Zufall, daß von den beiden wichtigsten Handelsorten an der mittleren Elbe und der Saale im 11. Jahrhundert, Magdeburg und Halle, sich Mauerreste der Marktsiedlung erhielten. In Magdeburg kamen beim Abbruch des zerstörten Viertels um den Alten Markt nach dem letzten Kriege Mauerteile zum Vorschein, die in die Zeit des Erz­ bischofs Gero (gest. 1025) zurückreichen könnten, dessen Befestigungswerk nach 1012 vollendet wurde. Markt und Domburg bildeten in Magdeburg (Abb. 1) zwei getrennte in sich geschlossene Befestigungsringe von fast gleicher Größe, die in einem Abstand von etwa 200 m auf der Uferterrasse nebeneinander lagen. Die Reste der hallischen Marktmauer zwischen Schmeer- und Märkerstraße lassen sich durch die Errichtung der geschlossenen Stadt im frühen 12. Jahrhundert (zwischen 1118 und 1124) zeitlich festlegen. Der neue, größere Befestigungsring machte die Ummauerung des Alten Marktes und des Salzsiedergebietes überflüssig. Die erhaltenen Reste gehören deshalb der Zeit VOr 1100 an.

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1.

Dom St. Michael St. Mauritius St. Bartholomäus HI, Kreuz St. Godehard

A Alter Markt B Altstadt des 12. Jahrhunderts C Neustadt des 13. Jahrhunderts

Der Kirchenkranz

Zur Gestalt der ottonischen Stadt gehört außer Immunität und Marktsiedlung noch ein drittes Element, das ihr in besonderem Maße eigentümlich ist. Ein Kranz von Klöstern und Stiften umsäumte im 10. und 11. Jahrhundert in weitgespanntem Bogen die Bischofsburg, die wie die Sonne eines Planetensystems im Kreise ihrer Trabanten ruhte. Die begleitenden Kirchenbauten erweiterten den Ort zu einer sakralen Land­ schaft, die jedem Ankömmling die Bedeutung des religiösen Mittelpunktes sinnfällig vor Augen stellte. Wenn es das Gelände ermöglichte, verlegte man die neuen Grün­ dungen auf Hügel und Terrassen, um ihre Fernwirkung zu steigern. Ein ganzes Landschaftsgebiet von ein bis zu zweieinhalb Kilometern im Durchmesser wurde so durch die krönenden Gotteshäuser geformt, deren Umriß oft meilenweit in das Land hinein sichtbar blieb. Bald hat ein Stifter in kühnem Plan den ganzen Ring in Angriff genommen, bald war es das Werk von Generationen, das erst das folgende Jahrhundert vollenden konnte. Beginnen wir unsere Übersicht mit den sächsischen Bischofsstädten! Hier läßt sich dieses städtebauliche Element wohl am reinsten verfolgen, da man nicht auf be­ reits Bestehendes oder einst Vorhandenes Rücksicht zu nehmen brauchte. 241

der älteste Augsburger Markt (Abb. 33 u. 34) am Perlach. Hier liegen ähnliche Straßen­ verhältnisse zugrunde wie in Trier. Von der Römerstraße, die vom Dom aus gerade­ wegs nach Süden führt (Karolinenstraße und Obere Maximilianstraße), zweigt am Perlach ein mittelalterlicher Weg ab, der den Verkehr um die Domburg leitet (Stein­ gasse - Ludwigstraße - Heiligkreuzstraße). In der Straßengabel hat sich der Augs­ burger Markt angesiedelt. Auch der Lütticher Markt wurde im Dreieck angelegt, ebenso der »Vinave« des 11. Jahrhunderts bei St. Paul auf der Maasinsel (Abb. 44). Ein früher Markt scheint auch der kleine Dreiecksplatz am Südausgang der Tuchlauben in Wien gewesen zu sein. Der Markt mit der Kaufleutesiedlung und die Immunität oder Burg sind im 10. und im frühen 11. Jahrhundert in Deutschland im allgemeinen getrennte, selbständige, in sich geschlossene Einheiten. Weniger ausschlaggebend ist dabei die größere oder ge­ ringere Entfernung voneinander als die Abgeschlossenheit der beiden Elemente. Selbst in Köln, wo das Marktviertel sich als eine Erweiterung der Römerstadt gibt, geschützt durch die bis zum Rhein verlängerten römischen Stadtmauern, blieben beide Teile scharf gegeneinander abgegrenzt. Alle Marktzugänge waren mit Pforten besetzt. Fernstraßen und Anlegeplätze der Wasserwege zogen die Marktsiedlungen an und bestimmten ihre Lage, während die Burg die von der Natur dargebotenen Verteidi­ gungsmittel ausnützen mußte. Dicht vor den Toren der Immunität erstreckt sich das Marktviertel in Halberstadt, Minden, Paderborn, Bremen, Münster, Osnabrück, Straß­ burg und Trier, in weiterer Entfernung liegt es in Naumburg, Augsburg, Goslar und Bamberg. Dagegen wurde bereits um die Jahrtausendwende der Lütticher Markt in die Civitas aufgenommen und mit dem Dombezirk zusammen von einer gemeinsamen Mauer um­ schlossen (Abb. 44). Vielleicht führte die Nähe zu Aachen und zu den westfränki­ schen Bischofsstädten zur Einbeziehung des Marktes in die Civitas (Abb. 42). Es scheint in diesem Fall mehr ein Weiterleben der karolingischen Tradition vorzuliegen als eine Vorwegnahme der geschlossenen Stadt im Sinne des späten 11. Jahrhunderts. Wahrscheinlich besaß die Kaufleutesiedlung durchwegs in ottonischer Zeit einen Befestigungsschutz. In den meisten Fällen wird es sich wohl um eine Palisadenwand gehandelt haben. In Köln bot die Verlängerung der römischen Stadtmauern bis zum Rhein wesentlich größere Sicherheit. Vor allem aber war eine Steinmauer an der Ost­ grenze vonnöten, um gegen die wiederholten Slawenaufstände zu schützen. Es ist kein Zufall, daß von den beiden wichtigsten Handelsorten an der mittleren Elbe und der Saale im 11. Jahrhundert, Magdeburg und Halle, sich Mauerreste der Marktsiedlung erhielten. In Magdeburg kamen beim Abbruch des zerstörten Viertels um den Alten Markt nach dem letzten Kriege Mauerteile zum Vorschein, die in die Zeit des Erz­ bischofs Gero (gest. 1025) zurückreichen könnten, dessen Befestigungswerk nach 1012 vollendet wurde. Markt und Domburg bildeten in Magdeburg (Abb. 1) zwei getrennte in sich geschlossene Befestigungsringe von fast gleicher Größe, die in einem Abstand von etwa 200 m auf der Uferterrasse nebeneinander lagen. Die Reste der hallischen Marktmauer zwischen Schmeer- und Märkerstraße lassen sich durch die Errichtung der geschlossenen Stadt im frühen 12. Jahrhundert (zwischen 1118 und 1124) zeitlich festlegen. Der neue, größere Befestigungsring machte die Ummauerung des Alten Marktes und des Salzsiedergebietes überflüssig. Die erhaltenen Reste gehören deshalb der Zeit VOr 1100 an.

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Dom St. Michael St. Mauritius St. Bartholomäus HI, Kreuz St. Godehard

A Alter Markt B Altstadt des 12. Jahrhunderts C Neustadt des 13. Jahrhunderts

Der Kirchenkranz

Zur Gestalt der ottonischen Stadt gehört außer Immunität und Marktsiedlung noch ein drittes Element, das ihr in besonderem Maße eigentümlich ist. Ein Kranz von Klöstern und Stiften umsäumte im 10. und 11. Jahrhundert in weitgespanntem Bogen die Bischofsburg, die wie die Sonne eines Planetensystems im Kreise ihrer Trabanten ruhte. Die begleitenden Kirchenbauten erweiterten den Ort zu einer sakralen Land­ schaft, die jedem Ankömmling die Bedeutung des religiösen Mittelpunktes sinnfällig vor Augen stellte. Wenn es das Gelände ermöglichte, verlegte man die neuen Grün­ dungen auf Hügel und Terrassen, um ihre Fernwirkung zu steigern. Ein ganzes Landschaftsgebiet von ein bis zu zweieinhalb Kilometern im Durchmesser wurde so durch die krönenden Gotteshäuser geformt, deren Umriß oft meilenweit in das Land hinein sichtbar blieb. Bald hat ein Stifter in kühnem Plan den ganzen Ring in Angriff genommen, bald war es das Werk von Generationen, das erst das folgende Jahrhundert vollenden konnte. Beginnen wir unsere Übersicht mit den sächsischen Bischofsstädten! Hier läßt sich dieses städtebauliche Element wohl am reinsten verfolgen, da man nicht auf be­ reits Bestehendes oder einst Vorhandenes Rücksicht zu nehmen brauchte. 241

In Hildesheim (Abb. 47) legte Bischof Bernward den Grund zu dem reichen Kirchen­ kranz der Stadt. Im Norden der Domburg, die einer Wasserfeste gleich aus den sumpfi­ gen Niederungen der Innerste und Treibe emporragte, erbaute er auf einer Hügel­ kuppe, die sich etwa 20m über die Innerste erhebt, das St. Michaelskloster (1001 begonnen). Sein Nachfolger Godehard errichtete die Mauritiuskirche auf dem Höhen­ zug des Zierenberges im Westen der Bischofsimmunität, hoch über dem Flußtal und weithin die Gegend beherrschend. Sie wurde 1028 geweiht. Ein Nonnenkloster, später ein Kanonikerstift, schlossen sich an. 1950 deckte man neben dieser Kirche die Funda­ mente eines kleinen einschiffigen Raumes mit rechteckigem Chor auf, die einem älteren Vorgängerbau angehören, der um die Jahrtausendwende vielleicht verlassen war. Im Nordosten des späteren Stadtgebietes gründete Bischof Godehard eine St. Bartholomäus­ kirche mit Hospital und Pilgerhaus in der Sülte, 2400 m in der Luftlinie von St. Moritz entfernt (1024). Bischof Hezilo verwandelte 1079 die Befestigung an der Heeresstraßen­ kreuzung im Osten der Domburg in eine Stiftskirche zum HI. Kreuz. Auch sie liegt auf einer Bodenerhebung. Das 12. Jahrhundert schloß mit dem Bau des St. Godehard-Klosters 1155 im Südosten der Domburg den Ring, dessen Durchmesser fast 1000 m in nordöst­ licher und nahezu 2500 m in westöstlicher Richtung beträgt. Das spätere Stadtgebiet hat niemals den ganzen Flächenraum zwischen den vorgeschobenen Kloster- und Stifts­ kirchen ausfüllen können. Halberstadt erhielt seinen Kirchenkranz (Abb. 4) zwischen 1034 und 1085. Das Boni­ fatiusstift auf dem Buslerberg, das Burchardikloster am Fluß und das St. Paul-Stift im Osten der Domburg umgrenzen das Tal der Holtemme; den Südabschluß bildet die Dom­ burg selbst mit Dom, Johannis- (gegen 1050) und Liebfrauenstift (1005). In Merseburg (Abb. 8) tritt zu dem Petrikloster der Altenburg im Norden des Domes auf dem Im­ munitätshügel noch 1045 die Sixtikirche im Süden auf einer kleinen Erhebung jenseits des Geiselbaches. Ähnlich, aber in größeren Verhältnissen, reihten sich in Magdeburg (Abb. 1) die Kirchengründungen auf der Hochterrasse des Elbufers etwa 2500 m weit hin. Im Süden lag das Benediktinerkloster Berge, das 968 die Mönche des Moritzklosters auf­ nahm, als dieses zum Sitz des Erzbischofs erhoben wurde. Dicht nördlich des Domes erstand das Liebfrauenstift, dessen Gründung in die Jahre 1017/18 zurückreicht. Weiter westlich wurde im Anfang des 11. Jahrhunderts jenseits des Breiten Weges das Sebastians­ stift errichtet. Es folgte am Uferrand nach Norden zu die Marktsiedlung mit der Johannes­ pfarrkirche, wahrscheinlich schon 936 begonnen, und weiter St. Peter, die Pfarrkirche des Dorfes Frohse. In Naumburg (Abb. 10) entstanden gleichzeitig mit dem Dom die bei­ den Klöster St. Georg und St. Moritz im Norden und Süden der Domimmunität über dem Steilufer der Saale in einer Entfernung von etwa 800 m in der Luftlinie. In Bremen gründete Erzbischof Adalbert (1045-1072) gegen 1050 drei Propsteien (Abb. 18). Zwei davon, St. Stephani und St. Paulus, kamen weit außerhalb der Domburg zu liegen; jene weserabwärts auf dem Stephansberg, diese auf einem Hügel vor dem spä­ teren Ostertore der Stadt. Die Entfernung zwischen beiden Stiften betrug etwa 2100 m. In den westfälischen Bischofsstädten zeigt sich das gleiche Bestreben. Für Paderborn (Abb. 20) plante Bischof Meinwerk einen Kirchenkranz in Kreuzesform. Im Westen er­ richtete er vor den Toren der Immunität seit 1o16 das Abdinghofkloster über der zer­ störten karolingischen Salvatorkirche, im Südosten das Busdorfstift (Weihe 1036). Ein Alexiuskloster im Norden, am Fuße des Hanges, an dem Paderborn liegt, und ein Stift auf dem Kamp im Süden sollten den Ring schließen; doch der Tod des Stifters verhin-

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derte ihre Gründung. In Minden (Abb. 22) entstanden innerhalb der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts Marienkloster und Martinsstift auf der Uferterrasse und jenseits des Weserarmes auf dem Werder das Moritzkloster. In Münster kam zu der wohl seit karolingischer Zeit vorhandenen Überwasserkirche außerhalb der Immunität das Moritz­ stift (gegen 1070) hinzu, das man 90o m von der Domburg entfernt im Osten errich­ tete. Der Abstand war viel zu groß, um es später in die geschlossene Stadt aufzu­ nehmen. Osnabrück wird im 11. Jahrhundert von zwei Kirchenbauten außerhalb der

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1 Dom 2 St. Martins-Kapelle 3 Kloster Gertrudenberg 4 St. Johannis 5 Martinshof 6 Marienkirche am Markt

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Abb. 48. Osnabrück um

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Domburg umrahmt (Abb. 48). Auf dem Hügelrücken südlich der Hase liegt das Ger­ trudenkloster, dessen Kirche nach den letzten Grabungen in vorbennonische Zeit zurück­ reicht. Die Gertrudenkirche Bischof Bennos von Osnabrück (1068 bis 1088) besaß dem­ nach eine Vorgängerin, die wohl bis an die Jahrtausendwende zurückzudatieren ist. Nördlich der Hase, im Westen der Domburg, wurde 1o11 das Kollegiatstift St. Johannis in der sogen. Wüste, einem sumpfigen Gelände, errichtet. Die Entfernung Gertruden­ kloster-Johannisstift beträgt etwa 1550 m in der Luftlinie. Bei den zwei großen Römerstädten im Westen des Reiches, Trier und Köln, handelte es sich mehr um Wiederaufbau und Ergänzung des Kirchenkranzes, der auf spätantike Memorien, merowingische und karolingische Gründungen zurückgeht. In Trier (Abb. 25) waren die umliegenden Klöster und Stifte bei dem Normanneneinfall 882 verwüstet worden. Die Benediktinerabtei St. Maximin im Norden erstand seit 954 von neuem. Die 243

In Hildesheim (Abb. 47) legte Bischof Bernward den Grund zu dem reichen Kirchen­ kranz der Stadt. Im Norden der Domburg, die einer Wasserfeste gleich aus den sumpfi­ gen Niederungen der Innerste und Treibe emporragte, erbaute er auf einer Hügel­ kuppe, die sich etwa 20m über die Innerste erhebt, das St. Michaelskloster (1001 begonnen). Sein Nachfolger Godehard errichtete die Mauritiuskirche auf dem Höhen­ zug des Zierenberges im Westen der Bischofsimmunität, hoch über dem Flußtal und weithin die Gegend beherrschend. Sie wurde 1028 geweiht. Ein Nonnenkloster, später ein Kanonikerstift, schlossen sich an. 1950 deckte man neben dieser Kirche die Funda­ mente eines kleinen einschiffigen Raumes mit rechteckigem Chor auf, die einem älteren Vorgängerbau angehören, der um die Jahrtausendwende vielleicht verlassen war. Im Nordosten des späteren Stadtgebietes gründete Bischof Godehard eine St. Bartholomäus­ kirche mit Hospital und Pilgerhaus in der Sülte, 2400 m in der Luftlinie von St. Moritz entfernt (1024). Bischof Hezilo verwandelte 1079 die Befestigung an der Heeresstraßen­ kreuzung im Osten der Domburg in eine Stiftskirche zum HI. Kreuz. Auch sie liegt auf einer Bodenerhebung. Das 12. Jahrhundert schloß mit dem Bau des St. Godehard-Klosters 1155 im Südosten der Domburg den Ring, dessen Durchmesser fast 1000 m in nordöst­ licher und nahezu 2500 m in westöstlicher Richtung beträgt. Das spätere Stadtgebiet hat niemals den ganzen Flächenraum zwischen den vorgeschobenen Kloster- und Stifts­ kirchen ausfüllen können. Halberstadt erhielt seinen Kirchenkranz (Abb. 4) zwischen 1034 und 1085. Das Boni­ fatiusstift auf dem Buslerberg, das Burchardikloster am Fluß und das St. Paul-Stift im Osten der Domburg umgrenzen das Tal der Holtemme; den Südabschluß bildet die Dom­ burg selbst mit Dom, Johannis- (gegen 1050) und Liebfrauenstift (1005). In Merseburg (Abb. 8) tritt zu dem Petrikloster der Altenburg im Norden des Domes auf dem Im­ munitätshügel noch 1045 die Sixtikirche im Süden auf einer kleinen Erhebung jenseits des Geiselbaches. Ähnlich, aber in größeren Verhältnissen, reihten sich in Magdeburg (Abb. 1) die Kirchengründungen auf der Hochterrasse des Elbufers etwa 2500 m weit hin. Im Süden lag das Benediktinerkloster Berge, das 968 die Mönche des Moritzklosters auf­ nahm, als dieses zum Sitz des Erzbischofs erhoben wurde. Dicht nördlich des Domes erstand das Liebfrauenstift, dessen Gründung in die Jahre 1017/18 zurückreicht. Weiter westlich wurde im Anfang des 11. Jahrhunderts jenseits des Breiten Weges das Sebastians­ stift errichtet. Es folgte am Uferrand nach Norden zu die Marktsiedlung mit der Johannes­ pfarrkirche, wahrscheinlich schon 936 begonnen, und weiter St. Peter, die Pfarrkirche des Dorfes Frohse. In Naumburg (Abb. 10) entstanden gleichzeitig mit dem Dom die bei­ den Klöster St. Georg und St. Moritz im Norden und Süden der Domimmunität über dem Steilufer der Saale in einer Entfernung von etwa 800 m in der Luftlinie. In Bremen gründete Erzbischof Adalbert (1045-1072) gegen 1050 drei Propsteien (Abb. 18). Zwei davon, St. Stephani und St. Paulus, kamen weit außerhalb der Domburg zu liegen; jene weserabwärts auf dem Stephansberg, diese auf einem Hügel vor dem spä­ teren Ostertore der Stadt. Die Entfernung zwischen beiden Stiften betrug etwa 2100 m. In den westfälischen Bischofsstädten zeigt sich das gleiche Bestreben. Für Paderborn (Abb. 20) plante Bischof Meinwerk einen Kirchenkranz in Kreuzesform. Im Westen er­ richtete er vor den Toren der Immunität seit 1o16 das Abdinghofkloster über der zer­ störten karolingischen Salvatorkirche, im Südosten das Busdorfstift (Weihe 1036). Ein Alexiuskloster im Norden, am Fuße des Hanges, an dem Paderborn liegt, und ein Stift auf dem Kamp im Süden sollten den Ring schließen; doch der Tod des Stifters verhin-

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derte ihre Gründung. In Minden (Abb. 22) entstanden innerhalb der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts Marienkloster und Martinsstift auf der Uferterrasse und jenseits des Weserarmes auf dem Werder das Moritzkloster. In Münster kam zu der wohl seit karolingischer Zeit vorhandenen Überwasserkirche außerhalb der Immunität das Moritz­ stift (gegen 1070) hinzu, das man 90o m von der Domburg entfernt im Osten errich­ tete. Der Abstand war viel zu groß, um es später in die geschlossene Stadt aufzu­ nehmen. Osnabrück wird im 11. Jahrhundert von zwei Kirchenbauten außerhalb der

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1 Dom 2 St. Martins-Kapelle 3 Kloster Gertrudenberg 4 St. Johannis 5 Martinshof 6 Marienkirche am Markt

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Domburg umrahmt (Abb. 48). Auf dem Hügelrücken südlich der Hase liegt das Ger­ trudenkloster, dessen Kirche nach den letzten Grabungen in vorbennonische Zeit zurück­ reicht. Die Gertrudenkirche Bischof Bennos von Osnabrück (1068 bis 1088) besaß dem­ nach eine Vorgängerin, die wohl bis an die Jahrtausendwende zurückzudatieren ist. Nördlich der Hase, im Westen der Domburg, wurde 1o11 das Kollegiatstift St. Johannis in der sogen. Wüste, einem sumpfigen Gelände, errichtet. Die Entfernung Gertruden­ kloster-Johannisstift beträgt etwa 1550 m in der Luftlinie. Bei den zwei großen Römerstädten im Westen des Reiches, Trier und Köln, handelte es sich mehr um Wiederaufbau und Ergänzung des Kirchenkranzes, der auf spätantike Memorien, merowingische und karolingische Gründungen zurückgeht. In Trier (Abb. 25) waren die umliegenden Klöster und Stifte bei dem Normanneneinfall 882 verwüstet worden. Die Benediktinerabtei St. Maximin im Norden erstand seit 954 von neuem. Die 243

Stiftskirche St. Paulin dicht dabei folgte erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts nach (Weihe 1049). Am Moselufer erhob sich wieder die Benediktinerabtei St. Marien im 10. Jahrhundert und zur gleichen Zeit an der Nordwestecke der ehemaligen Römerstadt die St. Martinskirche. Unter Erzbischof Egbert (977-993) wurde St. Eucharius im Süden als Benediktinerabtei neu besiedelt (später St. Matthias). Auch das Irminenkloster über­ stand den Normanneneinfall. Trotz der bedeutenden Zahl an vorhandenen Klöstern und Stiften ging man im 11. Jahrhundert noch zu Neugründungen über. In der Porta Nigra errichtete Erzbischof Poppo um 1056/37 ein Stift zu Ehren des griechischen Mönches Simeon, der 1055 in Trier starb und wenige Jahre nach seinem Tode heilig gesprochen wurde. Nach der Jahrhundertmitte kam im Süden der Bischofsburg der kleine Zentralbau der hl. Kreuzkirche hinzu. Vielleicht erhob sich im 11. Jahrhundert schon das St. Martins­ kloster auf dem Martinsberg im Osten des Domes, in dem adlige Jungfrauen nach der Regel des hl. Augustin lebten. Aber erst gegen 1200 wird es urkundlich erwähnt. Köln besaß außerhalb seines römischen Mauergürtels (Abb. 49) aus spätantiker und fränkischer Zeit im Norden das Martyrion St. Gereon, an das sich ein Stift anschloß, das Martyrien St. Ursula (später Kanonissenstift) und das St. Kunibertstift, im Süden das aus einer cella memoriae hervorgegangene St. Severinstift. Um die Mitte des 10. Jahr­ hunderts beginnt man damit, den Kirchenkranz zu erweitern. Zwischen 955 und 965 gründete Erzbischof Bruno von Köln drei neue religiöse Gemeinschaften, die alle außer­ halb der Römermauer liegen, obgleich innerhalb des alten Stadtgebietes nur ein Bruchteil bebaut war. Das Stift Groß-St. Martin, noch im 10. Jahrhundert in ein Benediktiner­ kloster umgewandelt, erstand in der Marktvorstadt zwischen der römischen Stadtmauer und dem Rhein. An eine Kapelle vor der Nordseite der Römerstadt schloß der Erzbischof das Kollegiatstift St. Andreas an und begann den Neubau der Stiftskirche, die 97 4ge­ weiht wurde. An der Stelle von St. Pantaleon im Süden der Stadt lag eine unbedeutende, vom Dom abhängige Kapelle, die mit einem Spital verbunden war (867 zuerst erwähnt). Hier siedelte Bruno ein Benediktinerkloster an. Nun fehlte in Köln nur noch auf der Ostseite ein großer Kirchenbau. Ihn führte Erzbischof Pilgrim (1021-1036) mit dem St. Apostel-Stift auf, wobei er an eine »aecclesia, quidem et opere humilis set apostolo­ rum nomine« anknüpfen konnte. Mit dieser Gründung war Köln auf allen Seiten von großen Stifts- und Klosterkirchen und den dazugehörigen Immunitäten umgeben, der reichste Kirchenkranz einer deutschen Stadt geschlossen. Auch in Straßburg (Abb. 5o) trifft man eine Reihe spätantiker und merowingischer Kirchen außerhalb der Mauern der römischen Lagerstadt an. Sie gehen zum überwiegen­ den Teil auf Coemeterialkirchen zurück, die sich vor allem an der Ausfallstraße nach Metz aneinanderreihen: Alt-St. Peter, Michaelskapelle über dem Grab des hl. Arbogast, der wahrscheinlich in der Mitte des 6. Jahrhunderts lebte, St. Aurelien. Eine Kapelle der hl. Columba, mit einem Xenodochium verbunden, lag an der nördlichen Ausfallstraße an der Stelle des späteren Jung-St. Peterstiftes. Die 1529 zerstörte St. Martinskirche auf dem heutigen Gutenbergplatz war für die Kaufleute des Marktes vor der Bischofsburg bestimmt. Zu Beginn des 9. Jahrhunderts entstand das St. Thomasstift im Westen der Immunität. Schon ein Jahrhundert vorher war das Frauenkloster St. Stephan in der Nord­ ostecke der Römerstadt von Herzog Adalbert gegründet worden. Im 11. Jahrhundert wird der Kirchenkranz Straßburgs bereichert und systematisiert. Auf dem Gebiet der Columba-Kapelle wurde das Jung-St. Peterstift erbaut, das 1031 Bischof Wilhelm I. von Kärnten weihte. Um die Jahrtausendwende bestand schon auf dem rechten Ufer der Ill 244

St. Arbogast, ein Stift oder ein Mönchskloster (später Kloster für Regularkanoniker des hl. Augustinus). Nach dem Brand von St. Thomas im Jahre 1007 wohnten dort näm­ lich die Stiftsherren des Thomasstiftes bis 1051. Ein Kloster für Augustinerchorherren gründete Bischof Hermann, gen. Hezel an der Breusch, an der Stelle einer älteren Kapelle. Seine Kirche wurde 1068 geweiht. Mit Einschluß des Stephansklosters in der Römerstadt zeichnet sich deutlich innerhalb des reichen Kirchenkranzes Straßburgs eine kreuzförmige Anlage ab (Alt-St. Peterstift-St. Stephan, Jung-St. Peter-St. Thomas). In Speyer (Abb. 55) gab es seit spätantiker Zeit ein Kirchlein auf dem römischen Gräberfeld am Germansberg, an das sich später ein Kloster anschloß. Zwischen 9. und 11. Jahrhundert wurde seine Kirche umgebaut. Als sich die Gunst der salischen Kaiser dem Orte zuwandte, begann man zugleich mit dem Neubau des Domes (1050) ein Stift weit außerhalb der Domburg, das dem hl. Johannes Ev. geweiht wurde. Es nahm aber bald den Namen des hl. Guido an, nachdem ihm von Heinrich II. Reliquien dieses italieni­ schen Heiligen geschenkt wurden. Das Stift auf dem Weidenberg erhielt unter Bischof Sigis­ bodo I. (1059-1051) ein Gegenstück in dem Allerheiligen- oder Dreifaltigkeitsstift 100o m weiter im Süden. Beide Gründungen liegen im Rücken der Domburg, die auf der Spitze der zungenförmig vorspringenden Uferterrasse thront, 800 bzw. 500 m von ihr entfernt. Lüttich dagegen verdankt seine Schar von Klöstern und Stiften (Abb. 44) im wesent­ lichen erst der Ottonenzeit. Noch in das 9. Jahrhundert reicht das Benediktinerkloster St. Laurentius auf dem Publemont (publicus mons) zurück, einer schmalen Bergzunge zwischen dem Tal der Maas und dem Bach Legia. Es wird 870 zum erstenmal erwähnt, kurz vor der Zerstörung Lüttichs durch die Normannen (881). Man dachte noch im 10. Jahrhundert daran, die Kathedrale auf den Publemont zu verlegen, dessen steil ab­ fallende Flanken viel günstiger zu verteidigen waren als die Immunität auf dem flachen Schuttkegel des Legia-Baches im Tal (St. Lambert und Notre-Dame-aux-Fonts anstelle der späteren Kathedrale, sowie St. Peter am Fuße des Publemont in einem fränkischen Friedhof). Bischof Heraklius (959-971) schritt zur Errichtung neuer Stifte. Auf dem Publemont erbaute er St. Martin (zunächst als Bischofskirche geplant), auf der Maasinsel legte er die Fundamente zur St. Paulskirche, die bei seinem Tode noch unvollendet war. Sein Nachfolger Notger (972-1008) verwandelte das Maastal um Lüttich in eine der großartigsten Kirchenlandschaften des Mittelalters. Den Dompropst veranlaßte er zur Gründung von hl. Kreuz (976-980) auf dem Publemont, um der Anlage einer Burg durch den Vogt zuvorzukommen. St. Martin und hl. Kreuz ließ er mit starken Mauern um­ geben, damit sie als vorgeschobene Höhenbefestigungen den Schutz der von ihm neu bewehrten Civitas im Tal übernehmen konnten. Auf der Maasinsel vollendete Bischof Notger das begonnene St. Paulsstift und gründete neu das St. Johannes Ev.-Stift (98o bis 987) im Nordzipfel der Insel, das er zu seiner Grabeskirche ausersehen hatte. Der Kirchenbau erhielt deshalb die Form eines Zentralbaues im Typus von Aachen (noch Teile erhalten). Die danebenliegende Pfarrkirche der Insel war dem hl. Adalbert, dem Märtyrerfreund Notgers, geweiht. Ein Nachfolger konsekrierte 1015 das St. Bartholo­ mäusstift im Nordosten der Civitas an der Straße nach Maastricht. Im gleichen Jahre wurde die St. Jakobusabtei auf der Südspitze der Maasinsel begonnen (1015-1030). Fünf Stifte und zwei Benediktinerklöster umgaben damit in ottonischer Zeit die Lütticher Civitas, wenn man die beiden Festungen des Publemont mit zum Kirchenkranz rechnet. Ihnen schlossen sich bald kleine Siedlungen an, für die Pfarrkirchen nötig wurden. Auch an den Ausfallstraßen der Stadt entstanden im 11. Jahrhundert neue Siedlungen mit 245

Stiftskirche St. Paulin dicht dabei folgte erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts nach (Weihe 1049). Am Moselufer erhob sich wieder die Benediktinerabtei St. Marien im 10. Jahrhundert und zur gleichen Zeit an der Nordwestecke der ehemaligen Römerstadt die St. Martinskirche. Unter Erzbischof Egbert (977-993) wurde St. Eucharius im Süden als Benediktinerabtei neu besiedelt (später St. Matthias). Auch das Irminenkloster über­ stand den Normanneneinfall. Trotz der bedeutenden Zahl an vorhandenen Klöstern und Stiften ging man im 11. Jahrhundert noch zu Neugründungen über. In der Porta Nigra errichtete Erzbischof Poppo um 1056/37 ein Stift zu Ehren des griechischen Mönches Simeon, der 1055 in Trier starb und wenige Jahre nach seinem Tode heilig gesprochen wurde. Nach der Jahrhundertmitte kam im Süden der Bischofsburg der kleine Zentralbau der hl. Kreuzkirche hinzu. Vielleicht erhob sich im 11. Jahrhundert schon das St. Martins­ kloster auf dem Martinsberg im Osten des Domes, in dem adlige Jungfrauen nach der Regel des hl. Augustin lebten. Aber erst gegen 1200 wird es urkundlich erwähnt. Köln besaß außerhalb seines römischen Mauergürtels (Abb. 49) aus spätantiker und fränkischer Zeit im Norden das Martyrion St. Gereon, an das sich ein Stift anschloß, das Martyrien St. Ursula (später Kanonissenstift) und das St. Kunibertstift, im Süden das aus einer cella memoriae hervorgegangene St. Severinstift. Um die Mitte des 10. Jahr­ hunderts beginnt man damit, den Kirchenkranz zu erweitern. Zwischen 955 und 965 gründete Erzbischof Bruno von Köln drei neue religiöse Gemeinschaften, die alle außer­ halb der Römermauer liegen, obgleich innerhalb des alten Stadtgebietes nur ein Bruchteil bebaut war. Das Stift Groß-St. Martin, noch im 10. Jahrhundert in ein Benediktiner­ kloster umgewandelt, erstand in der Marktvorstadt zwischen der römischen Stadtmauer und dem Rhein. An eine Kapelle vor der Nordseite der Römerstadt schloß der Erzbischof das Kollegiatstift St. Andreas an und begann den Neubau der Stiftskirche, die 97 4ge­ weiht wurde. An der Stelle von St. Pantaleon im Süden der Stadt lag eine unbedeutende, vom Dom abhängige Kapelle, die mit einem Spital verbunden war (867 zuerst erwähnt). Hier siedelte Bruno ein Benediktinerkloster an. Nun fehlte in Köln nur noch auf der Ostseite ein großer Kirchenbau. Ihn führte Erzbischof Pilgrim (1021-1036) mit dem St. Apostel-Stift auf, wobei er an eine »aecclesia, quidem et opere humilis set apostolo­ rum nomine« anknüpfen konnte. Mit dieser Gründung war Köln auf allen Seiten von großen Stifts- und Klosterkirchen und den dazugehörigen Immunitäten umgeben, der reichste Kirchenkranz einer deutschen Stadt geschlossen. Auch in Straßburg (Abb. 5o) trifft man eine Reihe spätantiker und merowingischer Kirchen außerhalb der Mauern der römischen Lagerstadt an. Sie gehen zum überwiegen­ den Teil auf Coemeterialkirchen zurück, die sich vor allem an der Ausfallstraße nach Metz aneinanderreihen: Alt-St. Peter, Michaelskapelle über dem Grab des hl. Arbogast, der wahrscheinlich in der Mitte des 6. Jahrhunderts lebte, St. Aurelien. Eine Kapelle der hl. Columba, mit einem Xenodochium verbunden, lag an der nördlichen Ausfallstraße an der Stelle des späteren Jung-St. Peterstiftes. Die 1529 zerstörte St. Martinskirche auf dem heutigen Gutenbergplatz war für die Kaufleute des Marktes vor der Bischofsburg bestimmt. Zu Beginn des 9. Jahrhunderts entstand das St. Thomasstift im Westen der Immunität. Schon ein Jahrhundert vorher war das Frauenkloster St. Stephan in der Nord­ ostecke der Römerstadt von Herzog Adalbert gegründet worden. Im 11. Jahrhundert wird der Kirchenkranz Straßburgs bereichert und systematisiert. Auf dem Gebiet der Columba-Kapelle wurde das Jung-St. Peterstift erbaut, das 1031 Bischof Wilhelm I. von Kärnten weihte. Um die Jahrtausendwende bestand schon auf dem rechten Ufer der Ill 244

St. Arbogast, ein Stift oder ein Mönchskloster (später Kloster für Regularkanoniker des hl. Augustinus). Nach dem Brand von St. Thomas im Jahre 1007 wohnten dort näm­ lich die Stiftsherren des Thomasstiftes bis 1051. Ein Kloster für Augustinerchorherren gründete Bischof Hermann, gen. Hezel an der Breusch, an der Stelle einer älteren Kapelle. Seine Kirche wurde 1068 geweiht. Mit Einschluß des Stephansklosters in der Römerstadt zeichnet sich deutlich innerhalb des reichen Kirchenkranzes Straßburgs eine kreuzförmige Anlage ab (Alt-St. Peterstift-St. Stephan, Jung-St. Peter-St. Thomas). In Speyer (Abb. 55) gab es seit spätantiker Zeit ein Kirchlein auf dem römischen Gräberfeld am Germansberg, an das sich später ein Kloster anschloß. Zwischen 9. und 11. Jahrhundert wurde seine Kirche umgebaut. Als sich die Gunst der salischen Kaiser dem Orte zuwandte, begann man zugleich mit dem Neubau des Domes (1050) ein Stift weit außerhalb der Domburg, das dem hl. Johannes Ev. geweiht wurde. Es nahm aber bald den Namen des hl. Guido an, nachdem ihm von Heinrich II. Reliquien dieses italieni­ schen Heiligen geschenkt wurden. Das Stift auf dem Weidenberg erhielt unter Bischof Sigis­ bodo I. (1059-1051) ein Gegenstück in dem Allerheiligen- oder Dreifaltigkeitsstift 100o m weiter im Süden. Beide Gründungen liegen im Rücken der Domburg, die auf der Spitze der zungenförmig vorspringenden Uferterrasse thront, 800 bzw. 500 m von ihr entfernt. Lüttich dagegen verdankt seine Schar von Klöstern und Stiften (Abb. 44) im wesent­ lichen erst der Ottonenzeit. Noch in das 9. Jahrhundert reicht das Benediktinerkloster St. Laurentius auf dem Publemont (publicus mons) zurück, einer schmalen Bergzunge zwischen dem Tal der Maas und dem Bach Legia. Es wird 870 zum erstenmal erwähnt, kurz vor der Zerstörung Lüttichs durch die Normannen (881). Man dachte noch im 10. Jahrhundert daran, die Kathedrale auf den Publemont zu verlegen, dessen steil ab­ fallende Flanken viel günstiger zu verteidigen waren als die Immunität auf dem flachen Schuttkegel des Legia-Baches im Tal (St. Lambert und Notre-Dame-aux-Fonts anstelle der späteren Kathedrale, sowie St. Peter am Fuße des Publemont in einem fränkischen Friedhof). Bischof Heraklius (959-971) schritt zur Errichtung neuer Stifte. Auf dem Publemont erbaute er St. Martin (zunächst als Bischofskirche geplant), auf der Maasinsel legte er die Fundamente zur St. Paulskirche, die bei seinem Tode noch unvollendet war. Sein Nachfolger Notger (972-1008) verwandelte das Maastal um Lüttich in eine der großartigsten Kirchenlandschaften des Mittelalters. Den Dompropst veranlaßte er zur Gründung von hl. Kreuz (976-980) auf dem Publemont, um der Anlage einer Burg durch den Vogt zuvorzukommen. St. Martin und hl. Kreuz ließ er mit starken Mauern um­ geben, damit sie als vorgeschobene Höhenbefestigungen den Schutz der von ihm neu bewehrten Civitas im Tal übernehmen konnten. Auf der Maasinsel vollendete Bischof Notger das begonnene St. Paulsstift und gründete neu das St. Johannes Ev.-Stift (98o bis 987) im Nordzipfel der Insel, das er zu seiner Grabeskirche ausersehen hatte. Der Kirchenbau erhielt deshalb die Form eines Zentralbaues im Typus von Aachen (noch Teile erhalten). Die danebenliegende Pfarrkirche der Insel war dem hl. Adalbert, dem Märtyrerfreund Notgers, geweiht. Ein Nachfolger konsekrierte 1015 das St. Bartholo­ mäusstift im Nordosten der Civitas an der Straße nach Maastricht. Im gleichen Jahre wurde die St. Jakobusabtei auf der Südspitze der Maasinsel begonnen (1015-1030). Fünf Stifte und zwei Benediktinerklöster umgaben damit in ottonischer Zeit die Lütticher Civitas, wenn man die beiden Festungen des Publemont mit zum Kirchenkranz rechnet. Ihnen schlossen sich bald kleine Siedlungen an, für die Pfarrkirchen nötig wurden. Auch an den Ausfallstraßen der Stadt entstanden im 11. Jahrhundert neue Siedlungen mit 245

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1 Dom 2 St. Kunibert 3 St. Ursula 4 St. Andreas 5 St. Gereon 6 St. Aposteln 7 St. Pantaleon 8 St. Severin 9 St. Maria im Kapitol 10 Groß-St. Martin

A Hohe Straße

(Cardo der Römerstadt) B Alter Markt C Heumarkt D Neumarkt

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Abb. 49. Köln im 11. Jahrhundert

ihren Kirchen. Saint-Nicolas-aux-Mouches auf der Insel Outremeuse wurde zwischen und 1038 von einem Priester gestiftet, Saint-Remacle-au-Pont in Amecourt stand gegen 1071. Im 10. Jahrhundert schon war St. Servatius im Legiatal erbaut worden. Der regelmäßigste Kirchenkranz in Kreuzform wurde in Utrecht (Abb. 51) angelegt. Bischof Adelbold errichtete den Neubau des Domes St. Martin (1025) in der Bischofs­ burg, die aus dem römischen Kastell hervorgegangen war. Sein Nachfolger Bernulf (1027-1054) begann das Kirchenkreuz aus Stifts- und Klosterkirchen mit der Gründung von St. Peter in der Flußschlinge des Krummen Rhein. Das Stift (geweiht 1048) nahm den Platz des römischen Ostsuburbiums ein, das seit fränkischer Zeit nicht mehr besiedelt

1025

war. Der edle Bau blieb zum guten Teil erhalten. Gegen die Jahrhundertmitte folgte das St. Jans-Stift im Norden nach, von dessen Gründungsbau ebenfalls noch große Teile aufrecht stehen. Auch die St. Paulsabtei im Süden der Bischofsburg geht nach glaub­ würdiger Tradition auf Bischof Bernulf zurück. Von ihrem Aussehen geben nur alte Stadtansichten noch eine undeutliche Vorstellung, da sie schon im 16. Jahrhundert zer­ stört wurde. Sie stand an der Ecke Hamburgerstraat-Korte Nieuwstraat. Mit diesen drei Kirchen waren der Querbalken des Kreuzes (St. Jan-St. Paul) und das Kopfende (St. Pieter) festgelegt. Das Fußende fügte ein Nachfolger Bernulfs 1082 hinzu (St. Marien­ stift). Sein lombardisch beeinflußter Neubau des 12. Jahrhunderts zählte zu den schönsten romanischen Kirchen Hollands. Die Balken des Kirchenkreuzes messen etwa 500 bzw. 600 m. Ihr Schnittpunkt liegt genau im Gebiet des St. Martinsdomes. Das z. T. recht um­ fangreiche Gelände der einzelnen Stiftsimmunitäten war ummauert, wie die Ansicht von Braun und Hagenberg erkennen läßt. Bei den engen Beziehungen Bernulfs zum Kaiser­ hof - er war Erzieher Heinrichs III. - ist es nicht verwunderlich, daß der Utrechter Bischof in die Bauideen des ottonischen und salischen Episkopates eingeweiht war. Mög­ lich, daß die unmittelbare Anregung von Meinwerks Kreuzplan in Paderborn ausging. Auch die architektonische Form der süddeutschen Bischofsstädte wird wesentlich von den Gotteshäusern außerhalb der Domburg mitbestimmt. In Bamberg (Abb. 31) er­ richtete man zwei Kirchenbauten fast gleichzeitig mit dem Dom: das St. Michaelskloster auf dem Berg im Westen der Bischofsburg, wohl 1015 von Bischof Eberhard gegründet, und im Osten das St. Stephansstift auf dem Hügel jenseits der Senke des Kaulbergs, das 1020 Papst Benedikt VIII. weihte. Beide Kirchen liegen etwa 950 m in der Luftlinie aus­ einander. Die dritte Gründung griff über die Regnitz hinüber auf das Ostufer des Flusses. Dort erbaute Bischof Günther zwischen 1057 und 1059 das St. Gangolfstift in der sog. Theuerstadt, durch welche die Fernstraße von Franken nach Thüringen führte. 1073 kam das Stift St. Jakob unmittelbar vor dem Westtor der Immunität hinzu, das Bischof Hermann »extra muros« aus eigenen Mitteln erstellte. Von St. Gangolf bis zum Michaelskloster beträgt die Entfernung etwa 1400 m in der Luftlinie. Das karolingische Würzburg (Abb. 27) besaß außerhalb der Domimmunität die Rund­ kirche (in einer Burg) auf dem Marienberg, deren Gründung im frühen 8. Jahrhundert erfolgt war, und am Fuße der gleichen Befestigung das St. Andreaskloster, das ebenfalls in das 8. Jahrhundert zurückreicht. Am Ende des 10. Jahrhunderts war es verlassen und ganz vernachlässigt, so daß Bischof Hugo es so gut wie neu gründen mußte. Nach den Reliquien des ersten Würzburger Bischofs änderte es seinen Namen in St. Burkard. Im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts wurde das Kloster etwas weiter nach Norden ver­ legt, wo heute noch die St. Burkardkirche steht (1042 geweiht). Um die Jahrtausend­ wende folgten zwei weitere neue Kirchenbauten im Süden und Norden weit außerhalb des Beringes der Domburg. Bischof Heinrich (995-1018) gründete in der späteren Sander-Vorstadt das Benediktinerkloster St. Peter und Paul, das seinen Namen später in St. Stephan umwandelte nach einer Reliquie, die es von dem Protomartyr besaß. 1057 wird es als »cenobium s. Petri in antemurali urbis Wirceburgensis« bezeichnet. Im Nord­ osten erhob sich gegen die Jahrtausendwende das Stift Haug, das dem hl. Johannes d.T. geweiht war (1002 erwähnt). Bei der Anlage der Sternbastionen im 17. Jahrhundert mußte es verlegt werden. Sein ursprünglicher Platz war etwa vor dem heutigen Bahnhof auf erhöhtem Gelände, ungefähr 1250 m von St. Stephan entfernt. Zu dem spätantiken Martyrion St. Afra in Augsburg (Abb. 55) gesellten sich erst im 247

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1025

war. Der edle Bau blieb zum guten Teil erhalten. Gegen die Jahrhundertmitte folgte das St. Jans-Stift im Norden nach, von dessen Gründungsbau ebenfalls noch große Teile aufrecht stehen. Auch die St. Paulsabtei im Süden der Bischofsburg geht nach glaub­ würdiger Tradition auf Bischof Bernulf zurück. Von ihrem Aussehen geben nur alte Stadtansichten noch eine undeutliche Vorstellung, da sie schon im 16. Jahrhundert zer­ stört wurde. Sie stand an der Ecke Hamburgerstraat-Korte Nieuwstraat. Mit diesen drei Kirchen waren der Querbalken des Kreuzes (St. Jan-St. Paul) und das Kopfende (St. Pieter) festgelegt. Das Fußende fügte ein Nachfolger Bernulfs 1082 hinzu (St. Marien­ stift). Sein lombardisch beeinflußter Neubau des 12. Jahrhunderts zählte zu den schönsten romanischen Kirchen Hollands. Die Balken des Kirchenkreuzes messen etwa 500 bzw. 600 m. Ihr Schnittpunkt liegt genau im Gebiet des St. Martinsdomes. Das z. T. recht um­ fangreiche Gelände der einzelnen Stiftsimmunitäten war ummauert, wie die Ansicht von Braun und Hagenberg erkennen läßt. Bei den engen Beziehungen Bernulfs zum Kaiser­ hof - er war Erzieher Heinrichs III. - ist es nicht verwunderlich, daß der Utrechter Bischof in die Bauideen des ottonischen und salischen Episkopates eingeweiht war. Mög­ lich, daß die unmittelbare Anregung von Meinwerks Kreuzplan in Paderborn ausging. Auch die architektonische Form der süddeutschen Bischofsstädte wird wesentlich von den Gotteshäusern außerhalb der Domburg mitbestimmt. In Bamberg (Abb. 31) er­ richtete man zwei Kirchenbauten fast gleichzeitig mit dem Dom: das St. Michaelskloster auf dem Berg im Westen der Bischofsburg, wohl 1015 von Bischof Eberhard gegründet, und im Osten das St. Stephansstift auf dem Hügel jenseits der Senke des Kaulbergs, das 1020 Papst Benedikt VIII. weihte. Beide Kirchen liegen etwa 950 m in der Luftlinie aus­ einander. Die dritte Gründung griff über die Regnitz hinüber auf das Ostufer des Flusses. Dort erbaute Bischof Günther zwischen 1057 und 1059 das St. Gangolfstift in der sog. Theuerstadt, durch welche die Fernstraße von Franken nach Thüringen führte. 1073 kam das Stift St. Jakob unmittelbar vor dem Westtor der Immunität hinzu, das Bischof Hermann »extra muros« aus eigenen Mitteln erstellte. Von St. Gangolf bis zum Michaelskloster beträgt die Entfernung etwa 1400 m in der Luftlinie. Das karolingische Würzburg (Abb. 27) besaß außerhalb der Domimmunität die Rund­ kirche (in einer Burg) auf dem Marienberg, deren Gründung im frühen 8. Jahrhundert erfolgt war, und am Fuße der gleichen Befestigung das St. Andreaskloster, das ebenfalls in das 8. Jahrhundert zurückreicht. Am Ende des 10. Jahrhunderts war es verlassen und ganz vernachlässigt, so daß Bischof Hugo es so gut wie neu gründen mußte. Nach den Reliquien des ersten Würzburger Bischofs änderte es seinen Namen in St. Burkard. Im zweiten Viertel des 11. Jahrhunderts wurde das Kloster etwas weiter nach Norden ver­ legt, wo heute noch die St. Burkardkirche steht (1042 geweiht). Um die Jahrtausend­ wende folgten zwei weitere neue Kirchenbauten im Süden und Norden weit außerhalb des Beringes der Domburg. Bischof Heinrich (995-1018) gründete in der späteren Sander-Vorstadt das Benediktinerkloster St. Peter und Paul, das seinen Namen später in St. Stephan umwandelte nach einer Reliquie, die es von dem Protomartyr besaß. 1057 wird es als »cenobium s. Petri in antemurali urbis Wirceburgensis« bezeichnet. Im Nord­ osten erhob sich gegen die Jahrtausendwende das Stift Haug, das dem hl. Johannes d.T. geweiht war (1002 erwähnt). Bei der Anlage der Sternbastionen im 17. Jahrhundert mußte es verlegt werden. Sein ursprünglicher Platz war etwa vor dem heutigen Bahnhof auf erhöhtem Gelände, ungefähr 1250 m von St. Stephan entfernt. Zu dem spätantiken Martyrion St. Afra in Augsburg (Abb. 55) gesellten sich erst im 247

10. Jahrhundert neue Gründungen. Der hl. Ulrich errichtete 968 das Kanonissenstift St. Stephan im Nordosten des Domes in der Nähe des älteren Galluskirchleins. Seine Kirche, etwa 400 m vom Dom entfernt, war vor der Stiftsgründung die Eigenkirche eines edelfreien Geschlechtes gewesen. Im 11. Jahrhundert kam zwischen der St. Afrakirche (1200 m im Süden der Immunität) und dem Dom das St. Moritzstift hinzu, das Hein­ rich II. 1o19 am Südrand des Marktgebietes bauen ließ. 1067 wird zuerst die Stiftskirche St. Peter am Perlach erwähnt, die unmittelbar am Markt an der Römerstraße lag, die vom Südtor der Domburg ausging und an St. Afra vorbei zu den Alpenpässen führte. Konstanz erhielt im 10. Jahrhundert zwei neue Kirchenbauten außerhalb der Bischofs­ burg. St. Paul scheint als Pfarrkirche des bischöflichen Fronhofs Stadelhofen von dem hl. Konrad (934-975) erbaut worden zu sein. Es lag 60o m südlich des Domes. Bischof Geb­ hard II. legte im Norden jenseits des Rheins, fast in der gleichen Entfernung von der Bischofs­ immunität, das Benediktinerkloster Petershausen an, dessen Weihe 992 stattfand. Passau und Eichstätt mußten sich im 11. Jahrhundert wenigstens mit einem neuen Kloster außerhalb der Domburg begnügen. Zu dem frühen Kanonissenstift der Agilolfin­ ger auf der Landzunge zwischen Inn unnd Donau (Niederburg) gesellte sich jetzt auf der Westseite der Domburg das St. Nikola-Kloster, das von Bischof Altmann, dem Gegner Heinrichs IV., zwischen 1066 und 1075 errichtet wurde. In Eichstätt (Abb. 29) legte Bischof Heribert (1022-1042) ein Benediktinerkloster auf dem Willibaldsberge an, das sich dem karolingischen Kanonissenstift St. Walburg gegenüber auf der Südseite des Altmühltales erhob. Auch bedeutende Kaiserpfalzen umgaben sich in ottonisch-salischer Zeit mit Stiften und Klöstern wie die Bischofsorte. Aachen (Abb. 42) besaß eine karolingische Fried­ hofskapelle auf dem Höhenrücken des Salvatorberges im Norden der Pfalz. Sie hatte einst Ludwig der Fromme 814-818 erbaut. Otto III. plante drei neue Gründungen im Umkreis von Aachen, um den Ort zu einem glänzenden religiösen Mittelpunkte zu erheben, der es mit einer Bischofsstadt aufnehmen konnte. An das Salvatorkircdhlein sollte sich ein Frauenkloster anschließen, dessen Ausstattung bereits 997 festlag. Im Osten der Pfalz errichtete Otto III. auf einem Hügel in Brühl ein Stift zu Ehren seines Märtyrerfreundes Adalbert und im Süden ein Kloster, das dem byzantinischen Heiligen Nikolaus von Mirra zum Patron erhalten sollte, dessen Kult die Mutter des Kaisers Theophanu besonders zugetan war. Sein früher Tod vereitelte die Gründung des Frauenklosters. Heinrich II. hat die beiden übrigen Stiftungen vollendet. St. Adalbert liegt etwa 800 m von dem Marienmünster entfernt, die Abtei Burtscheid 1400 m. Von der Kaiserpfalz aus ist das Benediktinerkloster zwar hinter einer Bodenschwelle verdeckt, aber schon wenige hundert Meter weiter südlich kann man die weit verstreuten Kirchenbauten der sakralen Stadtlandschaft mit einem Blick umfassen. Goslar verdankt seinen Kirchenkranz (Abb. 14) den salischen Kaisern. Schon Otto III. suchte die religiöse Bedeutung des Pfalzortes zu heben. In Rom erteilte er Bischof Bernward von Hildesheim den Auftrag, die Gebeine des hl. Exuperantius nach Goslar zu überführen. Man hätte sie in der Pfalzkapelle, der Marktkirche oder der Johannesstifts-Kirche im Bergedorf, dicht oberhalb der Kaiserpfalz am Hange des Ram­ melsberges, beisetzen können. Zu einer Neugründung kam es erst unter Konrad II., auf ihn führt das Georgenstift auf dem Höhenrücken im Norden des Gosetales seinen Ursprung zurück, 90om von der Pfalz entfernt. Heinrich III. zeichnete Goslar vor allen übrigen Pfalzen aus. Er legte innerhalb des Pfalzbezirkes den gewaltigen »Dom«

St. Simon und Juda an. Außerdem errichtete er bzw. seine Gemahlin Agnes ein Chor­ herrenstift auf dem Petersberg im Osten des Ortes, 1600 m in der Luftlinie von der Pfalz entfernt. Eine so vornehme Stiftsimmunität wie Quedlinburg (Abb. 6) steht den Bischofsorten und Kaiserpfalzen nicht nach. 961 kam der Königshof am Fuße des Schloßberges mit

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500 Abb. 50. Straßburg im 1 2 3 4

Münster St. Stephan Alt-St. Peter St. MichaelsKapelle 5 St. Aurelien

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A Markt

der Wipertikapelle als Geschenk Ottos des Großen an das Familienstift der Ludolfinger, das 936 gegründet worden war. Der Hof nahm ein Chorherrnstift auf für die Kleriker, die auf der Stiftsburg den Gottesdienst versahen. Um 995 erfolgte die Weihe des 986 begonnenen St. Marien-Nonnenklosters auf dem Münzenberg im Westen der Stiftsburg. Es war Eigenkloster des Reichsstiftes und diente zur Versorgung der Töchter des nie­ deren Adels. Nach dem Vorbild Fuldas umgab sich die Benediktinerabtei Hersfeld mit Trabanten­ klöstern. Abt Bernhard (1002-1005) gründete im Osten die Benediktinerpropstei auf dem Petersberg, Abt Arnold im Süden eine Propstei auf dem Johannisberg (zwischen 1012 und 1024). Auf dem Frauenberg im Westen stand schon seit karolingischer Zeit eine Pfarrkirche. Die Übereinstimmung mit Fulda erstreckt sich bis auf die Patrozinien. In Dynastensitzen traf man zumeist ein Kloster oder Stift außerhalb der Burg an, das den Totendienst bei der Grablege des Geschlechts versah. Lüneburg (Abb. 16) 249

10. Jahrhundert neue Gründungen. Der hl. Ulrich errichtete 968 das Kanonissenstift St. Stephan im Nordosten des Domes in der Nähe des älteren Galluskirchleins. Seine Kirche, etwa 400 m vom Dom entfernt, war vor der Stiftsgründung die Eigenkirche eines edelfreien Geschlechtes gewesen. Im 11. Jahrhundert kam zwischen der St. Afrakirche (1200 m im Süden der Immunität) und dem Dom das St. Moritzstift hinzu, das Hein­ rich II. 1o19 am Südrand des Marktgebietes bauen ließ. 1067 wird zuerst die Stiftskirche St. Peter am Perlach erwähnt, die unmittelbar am Markt an der Römerstraße lag, die vom Südtor der Domburg ausging und an St. Afra vorbei zu den Alpenpässen führte. Konstanz erhielt im 10. Jahrhundert zwei neue Kirchenbauten außerhalb der Bischofs­ burg. St. Paul scheint als Pfarrkirche des bischöflichen Fronhofs Stadelhofen von dem hl. Konrad (934-975) erbaut worden zu sein. Es lag 60o m südlich des Domes. Bischof Geb­ hard II. legte im Norden jenseits des Rheins, fast in der gleichen Entfernung von der Bischofs­ immunität, das Benediktinerkloster Petershausen an, dessen Weihe 992 stattfand. Passau und Eichstätt mußten sich im 11. Jahrhundert wenigstens mit einem neuen Kloster außerhalb der Domburg begnügen. Zu dem frühen Kanonissenstift der Agilolfin­ ger auf der Landzunge zwischen Inn unnd Donau (Niederburg) gesellte sich jetzt auf der Westseite der Domburg das St. Nikola-Kloster, das von Bischof Altmann, dem Gegner Heinrichs IV., zwischen 1066 und 1075 errichtet wurde. In Eichstätt (Abb. 29) legte Bischof Heribert (1022-1042) ein Benediktinerkloster auf dem Willibaldsberge an, das sich dem karolingischen Kanonissenstift St. Walburg gegenüber auf der Südseite des Altmühltales erhob. Auch bedeutende Kaiserpfalzen umgaben sich in ottonisch-salischer Zeit mit Stiften und Klöstern wie die Bischofsorte. Aachen (Abb. 42) besaß eine karolingische Fried­ hofskapelle auf dem Höhenrücken des Salvatorberges im Norden der Pfalz. Sie hatte einst Ludwig der Fromme 814-818 erbaut. Otto III. plante drei neue Gründungen im Umkreis von Aachen, um den Ort zu einem glänzenden religiösen Mittelpunkte zu erheben, der es mit einer Bischofsstadt aufnehmen konnte. An das Salvatorkircdhlein sollte sich ein Frauenkloster anschließen, dessen Ausstattung bereits 997 festlag. Im Osten der Pfalz errichtete Otto III. auf einem Hügel in Brühl ein Stift zu Ehren seines Märtyrerfreundes Adalbert und im Süden ein Kloster, das dem byzantinischen Heiligen Nikolaus von Mirra zum Patron erhalten sollte, dessen Kult die Mutter des Kaisers Theophanu besonders zugetan war. Sein früher Tod vereitelte die Gründung des Frauenklosters. Heinrich II. hat die beiden übrigen Stiftungen vollendet. St. Adalbert liegt etwa 800 m von dem Marienmünster entfernt, die Abtei Burtscheid 1400 m. Von der Kaiserpfalz aus ist das Benediktinerkloster zwar hinter einer Bodenschwelle verdeckt, aber schon wenige hundert Meter weiter südlich kann man die weit verstreuten Kirchenbauten der sakralen Stadtlandschaft mit einem Blick umfassen. Goslar verdankt seinen Kirchenkranz (Abb. 14) den salischen Kaisern. Schon Otto III. suchte die religiöse Bedeutung des Pfalzortes zu heben. In Rom erteilte er Bischof Bernward von Hildesheim den Auftrag, die Gebeine des hl. Exuperantius nach Goslar zu überführen. Man hätte sie in der Pfalzkapelle, der Marktkirche oder der Johannesstifts-Kirche im Bergedorf, dicht oberhalb der Kaiserpfalz am Hange des Ram­ melsberges, beisetzen können. Zu einer Neugründung kam es erst unter Konrad II., auf ihn führt das Georgenstift auf dem Höhenrücken im Norden des Gosetales seinen Ursprung zurück, 90om von der Pfalz entfernt. Heinrich III. zeichnete Goslar vor allen übrigen Pfalzen aus. Er legte innerhalb des Pfalzbezirkes den gewaltigen »Dom«

St. Simon und Juda an. Außerdem errichtete er bzw. seine Gemahlin Agnes ein Chor­ herrenstift auf dem Petersberg im Osten des Ortes, 1600 m in der Luftlinie von der Pfalz entfernt. Eine so vornehme Stiftsimmunität wie Quedlinburg (Abb. 6) steht den Bischofsorten und Kaiserpfalzen nicht nach. 961 kam der Königshof am Fuße des Schloßberges mit

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500 Abb. 50. Straßburg im 1 2 3 4

Münster St. Stephan Alt-St. Peter St. MichaelsKapelle 5 St. Aurelien

11.

Jahrhundert

6 St. Thomas 7 Jung-St. Peter 8 St. Martin 9 St. Arbogast

A Markt

der Wipertikapelle als Geschenk Ottos des Großen an das Familienstift der Ludolfinger, das 936 gegründet worden war. Der Hof nahm ein Chorherrnstift auf für die Kleriker, die auf der Stiftsburg den Gottesdienst versahen. Um 995 erfolgte die Weihe des 986 begonnenen St. Marien-Nonnenklosters auf dem Münzenberg im Westen der Stiftsburg. Es war Eigenkloster des Reichsstiftes und diente zur Versorgung der Töchter des nie­ deren Adels. Nach dem Vorbild Fuldas umgab sich die Benediktinerabtei Hersfeld mit Trabanten­ klöstern. Abt Bernhard (1002-1005) gründete im Osten die Benediktinerpropstei auf dem Petersberg, Abt Arnold im Süden eine Propstei auf dem Johannisberg (zwischen 1012 und 1024). Auf dem Frauenberg im Westen stand schon seit karolingischer Zeit eine Pfarrkirche. Die Übereinstimmung mit Fulda erstreckt sich bis auf die Patrozinien. In Dynastensitzen traf man zumeist ein Kloster oder Stift außerhalb der Burg an, das den Totendienst bei der Grablege des Geschlechts versah. Lüneburg (Abb. 16) 249

besaß eine Haus- und Gedächtnisstiftung der Billunger in dem Benediktinerkloster St. Michael auf halber Höhe des Kalkberges. St. Georg in Naumburg (Abb. 10) war das Gedächtniskloster der Ekkardiner, die ihren Dynastensitz der Kirche schenkten. Deutlich ersieht man aus dem überblick, daß es sich nur bevorzugte Bischofssitze leisten konnten, mehrere Klöster und Stifte im Umkreis anzulegen. Für die Ausstattung der religiösen Gemeinschaften war bedeutender Grundbesitz erforderlich. Nur wo der Kaiser selber als Stifter auftritt (Bamberg, Speyer, Goslar, Aachen, Magdeburg) oder Bischöfe von Einfluß am Hofe (etwa Bruno von Köln, der Bruder Ottos des Großen, Meinwerk von Paderborn, Adalbert von Bremen, Notger von Lüttich, Bernulf von Utrecht) die Gunst des Herrschers auf ihre Gründungen lenken konnten, kam der Kirchenkranz voll zur Verwirklichung. Die Klöster und Stifte im Umkreis der stadtherrlichen Burg besaßen alle ihren eigenen Mauerring, wenn ihnen auch meist ein Graben und damit der volle Verteidi­ gungscharakter abging. Sie glichen aber von außen weitgehend der zentralen Bischofs-, Kloster- oder Stiftsburg. Den Klöstern war eine Mauer zum Abschluß ihrer Klausur unerläßlich und wurde von der Ordensregel vorgeschrieben. Für die Stifte forderte sie die Regel des hl. Chrodegang von Metz, nach der zumeist die deutschen Kanoniker lebten. Noch 1261 verfügt eine Kölner Provinzialsynode: »ut vero omnes ecclesiae collegiatae immunitates suas muris circumdatas et clausuras portarum bene munitas habeant, firmissime praecepimus et mandamus.« Die Abgeschlossenheit der großen Kirchenbauten in eigenen ummauerten Immunitätsbezirken und das Zusammenfügen solcher in sich zentrierten, ähnlichen Einheiten gehören zu den kennzeichnenden Eigen­ schaften der ottonischen Stadtbaukunst. Gewiß war es bereits in karolingischer Zeit üblich, daß ein Kloster oder Stift in der Nähe einer Bischofsburg oder Pfalz errichtet wurde. Man denke nur an Nonnberg bei Salzburg, an Kloster Niedernburg in Passau, St. Walburg bei Eichstätt, St. Andreas bei Würzburg, St. Thomas in Straßburg, St. Laurentius in Lüttich und St. Castor bei dem Königshof Koblenz! Aber fast durchweg handelt es sich um einzelne Gründungen, äußerst selten um eine größere Anzahl. Auch im 12. Jahrhundert werden noch neue Klöster und Stifte außerhalb der Bischofsburg oder den eben entstehenden Bürger­ städten angelegt wie etwa St. Godehard in Hildesheim oder Neustift bei Halle, aber auch ihre Zahl ist verschwindend gering. Die Lage der Schottenklöster des 12. Jahr­ hunderts (z.B. in Regensburg, Würzburg, Eichstätt) außerhalb der Stadtmauer war durch das Hospital bedingt, das zu ihren Niederlassungen gehörte. Spitäler wurden aus hygienischen Gründen im Hochmittelalter in der Regel außerhalb der Stadt­ mauern errichtet. Zu einem Ring oder Kranz von Kirchengründungen kommt es im 12. Jahrhundert nirgends mehr. Der geplante Kirchenkranz ist das Kennzeichen der ottonischen Stadt. Daß man ihn plante und daß der vorhandene Kranz mit der zentralen »Burg« als Ganzes begriffen wurde, sprechen die Quellen des 11. und 12. Jahrhunderts selbst aus. Dreimal findet sich - unabhängig voneinander - der Hinweis, daß die umliegenden Kirchen in einer sinn­ vollen Figur um den Mittelpunkt angeordnet seien. Abt Richard von Fulda (1018-1039) - so erzählt die größere Vita des Erzbischofs Bardo von Mainz - habe in drei Himmels­ richtungen um Fulda herum bereits Kirchenbauten angetroffen. Die Vorsehung Gottes habe ihn dazu bestimmt, auch auf der vierten ein Kloster zu errichten, so daß nun die Jungfrau (Marienberg), die Jungfrau (Johannesberg) und der Apostel (Petersberg)

den Bruder (Andreasberg) grüße. Er habe das Kirchendreieck zum Viereck ergänzt. Die Entsprechung der gegenüberliegenden Eckpunkte schließt die Kreuzesform (Dia­ gonalenkreuz) mit ein, wenn dieses Wort auch im Text nicht steht. Die Quelle ver­ dient um so mehr Glauben, als sie nahezu zeitgenössisch ist: die Vita Bardonis major wurde in Fulda um 1050/60 geschrieben. Es kommt hier nicht so sehr darauf an, ob der Text den wahren Beweggrund Abt Richards nennt, oder ob er der Vollendung des Kirchenkranzes eine nachträgliche Ausdeutung im symbolischen Sinn unterschiebt. Fest steht, daß man im 11. Jahrhundert die vier umliegenden Kirchenbauten mit dem Haupt­ kloster selbst als ein zusammenhängendes, sinnvolles Ganzes ansah. Dies ist am Bei­ spiel Fuldas besonders eindrucksvoll, da die diagonal sich entsprechenden Kirchen außer­ ordentlich weit voneinander entfernt sind (um 4000 m in der Luftlinie). Die Vita des Bischofs Meinwerk von Paderborn berichtet von der Absicht, vier Kir­ chen kreuzförmig um die Domburg (Abb. 20) anzulegen, eine in jeder Himmelsrichtung. Nur zwei waren. bei seinem Tode vollendet, die beiden übrigen kamen nicht mehr zur Ausführung. Für Bamberg (Abb. 51) hebt die Vita Heinrichs II. die Anordnung der Kirchen in Kreuzesform um den Dom hervor. Beide Texte wurden zwar erst im 12. Jahrhundert aufgezeichnet, sie stellen aber im Hinblick auf den Kirchenkranz der beiden Orte durchaus glaubwürdige Zeugen dar. Im Falle von Paderborn ist eine nachträgliche Deutung des Kirchenringes recht unwahrscheinlich, da vom Anschaulichen her kein Anlaß dazu vorhanden war. Die Vita Henrici gibt zumindest die Meinung des 12. Jahrhunderts wieder. Wie sehr die Kreuzsymbolik der Stadt mittelalterlichem Denken entsprach, zeigt die symbolische Auslegung der Topographie von Chester im Liber Luciani de laude Cestrie, der um 1195 geschrieben wurde. Sie stellt wohl die ausführlichste Deutung eines mittelalterlichen Stadtgrundrisses dar. Zweimal sieht der Verfasser das Kreuz­ zeichen dem Orte aufgeprägt; einmal der Stadt selbst durch die beiden sich kreuzenden Hauptstraßen, die sich in vier Teile zerlegen und in vier Toren enden, gleichwie durch das Geheimnis des Kreuzes das doppelte Gesetz des Alten und Neuen Bundes erfüllt wurde in den vier Evangelisten; zum zweitenmal in den vier Klöstern außerhalb der Stadt, in deren Verbindungslinien-Schnittpunkt das Werburga-Monasterium in Chester liegt. Der Autor hat dieses zweite Bild sogar in einer Zeichnung veranschaulicht. Die Ausdeutung der umliegenden Klöster entspricht ganz den deutschen Quellen. Ofter als das Mittelalter selbst es ausgesprochen hat, scheint das Kirchenkreuz im 11. Jahrhundert in Deutschland gebaut worden zu sein. Man kann es aus dem Grundriß von Trier (Abb. 25), Köln (Abb. 49), Straßburg (Abb. 50), Hildesheim (Abb. 47) und Utrecht (Abb. 51) herauslesen, während es für Fulda, Bamberg (Abb. 51) und Paderborn (Abb. 20) die Quellen selbst bezeugen. Es stellte gewissermaßen den Idealplan des Kirchenkranzes dar. Das Sinnbild der Erlösung sollte Gnade und Schutz dem Ort ver­ leihen, der damit gezeichnet wurde. Die ganze Stadt bildete somit eine Entsprechung zum kreuzförmigen Grundriß der einzelnen Kirchen. Die architektonische Gestalt

Für die Erfassung der architektonischen Gestalt liefern die herangezogenen Quellen­ stellen den unschätzbaren Hinweis, daß die ottonische Stadt als Ganzheit betrachtet werden muß mit Einschluß aller locker verstreuten Teilgebilde. Noch heute vermag man 251



besaß eine Haus- und Gedächtnisstiftung der Billunger in dem Benediktinerkloster St. Michael auf halber Höhe des Kalkberges. St. Georg in Naumburg (Abb. 10) war das Gedächtniskloster der Ekkardiner, die ihren Dynastensitz der Kirche schenkten. Deutlich ersieht man aus dem überblick, daß es sich nur bevorzugte Bischofssitze leisten konnten, mehrere Klöster und Stifte im Umkreis anzulegen. Für die Ausstattung der religiösen Gemeinschaften war bedeutender Grundbesitz erforderlich. Nur wo der Kaiser selber als Stifter auftritt (Bamberg, Speyer, Goslar, Aachen, Magdeburg) oder Bischöfe von Einfluß am Hofe (etwa Bruno von Köln, der Bruder Ottos des Großen, Meinwerk von Paderborn, Adalbert von Bremen, Notger von Lüttich, Bernulf von Utrecht) die Gunst des Herrschers auf ihre Gründungen lenken konnten, kam der Kirchenkranz voll zur Verwirklichung. Die Klöster und Stifte im Umkreis der stadtherrlichen Burg besaßen alle ihren eigenen Mauerring, wenn ihnen auch meist ein Graben und damit der volle Verteidi­ gungscharakter abging. Sie glichen aber von außen weitgehend der zentralen Bischofs-, Kloster- oder Stiftsburg. Den Klöstern war eine Mauer zum Abschluß ihrer Klausur unerläßlich und wurde von der Ordensregel vorgeschrieben. Für die Stifte forderte sie die Regel des hl. Chrodegang von Metz, nach der zumeist die deutschen Kanoniker lebten. Noch 1261 verfügt eine Kölner Provinzialsynode: »ut vero omnes ecclesiae collegiatae immunitates suas muris circumdatas et clausuras portarum bene munitas habeant, firmissime praecepimus et mandamus.« Die Abgeschlossenheit der großen Kirchenbauten in eigenen ummauerten Immunitätsbezirken und das Zusammenfügen solcher in sich zentrierten, ähnlichen Einheiten gehören zu den kennzeichnenden Eigen­ schaften der ottonischen Stadtbaukunst. Gewiß war es bereits in karolingischer Zeit üblich, daß ein Kloster oder Stift in der Nähe einer Bischofsburg oder Pfalz errichtet wurde. Man denke nur an Nonnberg bei Salzburg, an Kloster Niedernburg in Passau, St. Walburg bei Eichstätt, St. Andreas bei Würzburg, St. Thomas in Straßburg, St. Laurentius in Lüttich und St. Castor bei dem Königshof Koblenz! Aber fast durchweg handelt es sich um einzelne Gründungen, äußerst selten um eine größere Anzahl. Auch im 12. Jahrhundert werden noch neue Klöster und Stifte außerhalb der Bischofsburg oder den eben entstehenden Bürger­ städten angelegt wie etwa St. Godehard in Hildesheim oder Neustift bei Halle, aber auch ihre Zahl ist verschwindend gering. Die Lage der Schottenklöster des 12. Jahr­ hunderts (z.B. in Regensburg, Würzburg, Eichstätt) außerhalb der Stadtmauer war durch das Hospital bedingt, das zu ihren Niederlassungen gehörte. Spitäler wurden aus hygienischen Gründen im Hochmittelalter in der Regel außerhalb der Stadt­ mauern errichtet. Zu einem Ring oder Kranz von Kirchengründungen kommt es im 12. Jahrhundert nirgends mehr. Der geplante Kirchenkranz ist das Kennzeichen der ottonischen Stadt. Daß man ihn plante und daß der vorhandene Kranz mit der zentralen »Burg« als Ganzes begriffen wurde, sprechen die Quellen des 11. und 12. Jahrhunderts selbst aus. Dreimal findet sich - unabhängig voneinander - der Hinweis, daß die umliegenden Kirchen in einer sinn­ vollen Figur um den Mittelpunkt angeordnet seien. Abt Richard von Fulda (1018-1039) - so erzählt die größere Vita des Erzbischofs Bardo von Mainz - habe in drei Himmels­ richtungen um Fulda herum bereits Kirchenbauten angetroffen. Die Vorsehung Gottes habe ihn dazu bestimmt, auch auf der vierten ein Kloster zu errichten, so daß nun die Jungfrau (Marienberg), die Jungfrau (Johannesberg) und der Apostel (Petersberg)

den Bruder (Andreasberg) grüße. Er habe das Kirchendreieck zum Viereck ergänzt. Die Entsprechung der gegenüberliegenden Eckpunkte schließt die Kreuzesform (Dia­ gonalenkreuz) mit ein, wenn dieses Wort auch im Text nicht steht. Die Quelle ver­ dient um so mehr Glauben, als sie nahezu zeitgenössisch ist: die Vita Bardonis major wurde in Fulda um 1050/60 geschrieben. Es kommt hier nicht so sehr darauf an, ob der Text den wahren Beweggrund Abt Richards nennt, oder ob er der Vollendung des Kirchenkranzes eine nachträgliche Ausdeutung im symbolischen Sinn unterschiebt. Fest steht, daß man im 11. Jahrhundert die vier umliegenden Kirchenbauten mit dem Haupt­ kloster selbst als ein zusammenhängendes, sinnvolles Ganzes ansah. Dies ist am Bei­ spiel Fuldas besonders eindrucksvoll, da die diagonal sich entsprechenden Kirchen außer­ ordentlich weit voneinander entfernt sind (um 4000 m in der Luftlinie). Die Vita des Bischofs Meinwerk von Paderborn berichtet von der Absicht, vier Kir­ chen kreuzförmig um die Domburg (Abb. 20) anzulegen, eine in jeder Himmelsrichtung. Nur zwei waren. bei seinem Tode vollendet, die beiden übrigen kamen nicht mehr zur Ausführung. Für Bamberg (Abb. 51) hebt die Vita Heinrichs II. die Anordnung der Kirchen in Kreuzesform um den Dom hervor. Beide Texte wurden zwar erst im 12. Jahrhundert aufgezeichnet, sie stellen aber im Hinblick auf den Kirchenkranz der beiden Orte durchaus glaubwürdige Zeugen dar. Im Falle von Paderborn ist eine nachträgliche Deutung des Kirchenringes recht unwahrscheinlich, da vom Anschaulichen her kein Anlaß dazu vorhanden war. Die Vita Henrici gibt zumindest die Meinung des 12. Jahrhunderts wieder. Wie sehr die Kreuzsymbolik der Stadt mittelalterlichem Denken entsprach, zeigt die symbolische Auslegung der Topographie von Chester im Liber Luciani de laude Cestrie, der um 1195 geschrieben wurde. Sie stellt wohl die ausführlichste Deutung eines mittelalterlichen Stadtgrundrisses dar. Zweimal sieht der Verfasser das Kreuz­ zeichen dem Orte aufgeprägt; einmal der Stadt selbst durch die beiden sich kreuzenden Hauptstraßen, die sich in vier Teile zerlegen und in vier Toren enden, gleichwie durch das Geheimnis des Kreuzes das doppelte Gesetz des Alten und Neuen Bundes erfüllt wurde in den vier Evangelisten; zum zweitenmal in den vier Klöstern außerhalb der Stadt, in deren Verbindungslinien-Schnittpunkt das Werburga-Monasterium in Chester liegt. Der Autor hat dieses zweite Bild sogar in einer Zeichnung veranschaulicht. Die Ausdeutung der umliegenden Klöster entspricht ganz den deutschen Quellen. Ofter als das Mittelalter selbst es ausgesprochen hat, scheint das Kirchenkreuz im 11. Jahrhundert in Deutschland gebaut worden zu sein. Man kann es aus dem Grundriß von Trier (Abb. 25), Köln (Abb. 49), Straßburg (Abb. 50), Hildesheim (Abb. 47) und Utrecht (Abb. 51) herauslesen, während es für Fulda, Bamberg (Abb. 51) und Paderborn (Abb. 20) die Quellen selbst bezeugen. Es stellte gewissermaßen den Idealplan des Kirchenkranzes dar. Das Sinnbild der Erlösung sollte Gnade und Schutz dem Ort ver­ leihen, der damit gezeichnet wurde. Die ganze Stadt bildete somit eine Entsprechung zum kreuzförmigen Grundriß der einzelnen Kirchen. Die architektonische Gestalt

Für die Erfassung der architektonischen Gestalt liefern die herangezogenen Quellen­ stellen den unschätzbaren Hinweis, daß die ottonische Stadt als Ganzheit betrachtet werden muß mit Einschluß aller locker verstreuten Teilgebilde. Noch heute vermag man 251



die entscheidende Wirkung des Kirchenkranzes für die Stadt anschaulich nachzuerleben. Die locker verstreuten, umliegenden Kirchen in Beringen auf Hügelkuppen oder Ter­ rassen, an betonten Punkten des Geländes, formen das Stadtgebiet zu einer Gottesland­ schaft um, deren Silhouette schon von ferne die religiöse Bedeutung der Siedlung ver­ kündet. In der geschlossenen Stadt des 12. Jahrhunderts sind die Kirchenbauten in die Baublöcke der Häuserviertel einbezogen zu einem Verband plastischer Massen. Die Vorherrschaft des religiösen Elementes im Stadtbild hat in den folgenden Jahrhunderten nie wieder die hohe Bedeutung erreicht wie unter den Ottonen. Im 15. Jahrhundert entstanden allerorten Bettelordensklöster zur geistlichen Durchdringung der Stadtbe­ völkerung. Architektonisch ordnen sich diese aber vollkommen dem Stadtkörper ein, sie verzichten auf Türme und aufwendige Außengliederung. Eine Fernwirkung kommt nicht mehr zustande. Sie aber gehört zu den entscheidenden Formkräften der ottonischen Stadt, verstärkt durch die Staffelung in der Vertikalen. Den Kern der Stadt bildete ja eine Burg, und wo das Gelände es irgend zuließ, nützte man die gegebene Verteidigungslage aus. Die Burg zog die umliegenden Kirchen mit. Die reichen Turmgruppen der Stifte und Klöster unterstrichen noch die Höhentendenz. Die Ausrichtung in der Vertikalen bedeutet gegen­ über den antiken Stadtanlagen unseres Gebietes etwas grundsätzlich Neues. Diese be­ nötigten ein verhältnismäßig ebenes Gelände zu ihrer Entfaltung. Die Lage der Märtyrer­ kirchen außerhalb des Mauerringes, deren Bedeutung in den kommenden Jahrhunderten ständig zunahm, wurde von den römisch.en Gräberfeldern an den Ausfallstraßen be­ stimmt. Die ottonische Stadt in den Gebieten östlich des Rheins und nördlich der Donau war in der Platzwahl für die umliegenden Kirchen frei. Die Stadtbilder von Bamberg, Minden, Hildesheim, Magdeburg, Merseburg, Halberstadt, Quedlinburg, Naumburg usw. werden bis auf den heutigen Tag von der Höhenstaffelung ihrer ottonischen Kern­ siedlungen geprägt. Die geschlossene Stadt des 12. Jahrhunderts bevorzugte wieder stärker ebenes Gelände. Eine vertikale Stufung weisen nur noch die mittelalterlichen Burgstädte auf, die sich an Höhenbefestigungen weltlicher Herren anlehnten. Ihnen fehlte natürlich der Kranz umliegender Kirchen. Wie die ottonische Kunst auf karolingische Umsetzungen spätantiker Vorbilder auf­ baut, so ist auch im Bereich der Stadtarchitektur der Zusammenhang mit der Spätantike noch nicht völlig erloschen. Vor allem scheint die Gestalt der rheinischen Bischofssitze für die ottonischen Neuanlagen als Vorbild gedient zu haben. Die Grundelemente der rheinischen Civitates wie Trier (Abb. 25), Köln (Abb. 49) oder Straßburg (Abb. 50), die Domburg in dem antiken Mauerring, die Marktsiedlung und der Kirchenkranz, hervor­ gegangen aus den Märtyrer- und Coemeterialkirchen der antiken Gräberfelder »fuori le mura«, leben im ottonischen Städtebau fort, doch in einer neuen, unantiken Ordnung. Die Fernwirkung der vertikalen Staffelung und die Symbolform des Kirchenkreuzes die­ nen der Steigerung des geistigen Gehaltes im Sinne des Mittelalters. Der Wille zur Ge­ samtplanung besagt, wie konkret man das Stadtgebilde als architektonische Einheit erfaßte. Das Gewachsene und Vorgegebene der merowingischen Bischofssitze wird nun geplante Form. Mit der Kunst ihrer Zeit hat die ottonische Stadt das Weitgespannte der Gesamtlage, die Größe des Wurfs, die umfassende Kraft des Religiösen gemein. Die Bischofsstadt ist der führende Typus der Zeit, wie die Bischofs- und Klosterkirchen die Leittypen der Baukunst bilden. Bedeutende Pfalzorte wie Aachen und Goslar treten ganz in ihre Fuß252

stapfen. Die wenigen Dynastensitze bleiben weit hinter dem glänzenden Bild der Bischofsstädte zurück. Daß diese an erster Stelle stehen, ergibt sich aus der engen Verbindung von Kirche und Staat im Ottonenreich. Italien und große Teile Frankreichs kannten den Dualismus von Civitas und Wik, von stadtherrlicher Burg und Kaufmannssiedlung nicht. Die einheitliche, mauerum­ wehrte Stadt der Antike rettete sich im Gebiet der Romania in das Mittelalter hinüber.

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1 St. Salvator 2 Dom St. Martin innerhalb des römischen Kastells 3 St. Peter 4 St. Jan 5 St. Paul 6 St. Marien 7 Buurkerk



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Utrecht im

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Jahrhundert

Auch für Italien bedeutet das 11. Jahrhundert eine Zeit des Aufbruchs im Städtebau. In Neapel und Bologna z.B. kam es zu Stadterweiterungen, die den Bereich der antiken Stadt überschritten. Der Flächenstadt des Altertums wurden Randstreifen angegliedert. Ein Zu.sammenwachsen verschiedenartiger Siedlungen wie im Norden kam hier nicht in Frage. Der Markt hatte seine antike Lage im Stadtmittelpunkt ununterbrochen be­ wahrt, auch dort, wo die antike Stadtfläche im frühen Mittelalter erheblich zusammen­ schrumpfte und sich eine Reststadt in dem zu groß gewordenen Mauerring herausbildete (z. B. Bologna). Auf gallischem Boden spielte die merowingische Epoche eine wichtige Rolle für die Gestalt der mittelalterlichen Stadt. Zahlreiche mächtige Klöster und Stifte entstanden damals im Umkreis der römischen Civitates entsprechend den Merovingerstädten am 2

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die entscheidende Wirkung des Kirchenkranzes für die Stadt anschaulich nachzuerleben. Die locker verstreuten, umliegenden Kirchen in Beringen auf Hügelkuppen oder Ter­ rassen, an betonten Punkten des Geländes, formen das Stadtgebiet zu einer Gottesland­ schaft um, deren Silhouette schon von ferne die religiöse Bedeutung der Siedlung ver­ kündet. In der geschlossenen Stadt des 12. Jahrhunderts sind die Kirchenbauten in die Baublöcke der Häuserviertel einbezogen zu einem Verband plastischer Massen. Die Vorherrschaft des religiösen Elementes im Stadtbild hat in den folgenden Jahrhunderten nie wieder die hohe Bedeutung erreicht wie unter den Ottonen. Im 15. Jahrhundert entstanden allerorten Bettelordensklöster zur geistlichen Durchdringung der Stadtbe­ völkerung. Architektonisch ordnen sich diese aber vollkommen dem Stadtkörper ein, sie verzichten auf Türme und aufwendige Außengliederung. Eine Fernwirkung kommt nicht mehr zustande. Sie aber gehört zu den entscheidenden Formkräften der ottonischen Stadt, verstärkt durch die Staffelung in der Vertikalen. Den Kern der Stadt bildete ja eine Burg, und wo das Gelände es irgend zuließ, nützte man die gegebene Verteidigungslage aus. Die Burg zog die umliegenden Kirchen mit. Die reichen Turmgruppen der Stifte und Klöster unterstrichen noch die Höhentendenz. Die Ausrichtung in der Vertikalen bedeutet gegen­ über den antiken Stadtanlagen unseres Gebietes etwas grundsätzlich Neues. Diese be­ nötigten ein verhältnismäßig ebenes Gelände zu ihrer Entfaltung. Die Lage der Märtyrer­ kirchen außerhalb des Mauerringes, deren Bedeutung in den kommenden Jahrhunderten ständig zunahm, wurde von den römisch.en Gräberfeldern an den Ausfallstraßen be­ stimmt. Die ottonische Stadt in den Gebieten östlich des Rheins und nördlich der Donau war in der Platzwahl für die umliegenden Kirchen frei. Die Stadtbilder von Bamberg, Minden, Hildesheim, Magdeburg, Merseburg, Halberstadt, Quedlinburg, Naumburg usw. werden bis auf den heutigen Tag von der Höhenstaffelung ihrer ottonischen Kern­ siedlungen geprägt. Die geschlossene Stadt des 12. Jahrhunderts bevorzugte wieder stärker ebenes Gelände. Eine vertikale Stufung weisen nur noch die mittelalterlichen Burgstädte auf, die sich an Höhenbefestigungen weltlicher Herren anlehnten. Ihnen fehlte natürlich der Kranz umliegender Kirchen. Wie die ottonische Kunst auf karolingische Umsetzungen spätantiker Vorbilder auf­ baut, so ist auch im Bereich der Stadtarchitektur der Zusammenhang mit der Spätantike noch nicht völlig erloschen. Vor allem scheint die Gestalt der rheinischen Bischofssitze für die ottonischen Neuanlagen als Vorbild gedient zu haben. Die Grundelemente der rheinischen Civitates wie Trier (Abb. 25), Köln (Abb. 49) oder Straßburg (Abb. 50), die Domburg in dem antiken Mauerring, die Marktsiedlung und der Kirchenkranz, hervor­ gegangen aus den Märtyrer- und Coemeterialkirchen der antiken Gräberfelder »fuori le mura«, leben im ottonischen Städtebau fort, doch in einer neuen, unantiken Ordnung. Die Fernwirkung der vertikalen Staffelung und die Symbolform des Kirchenkreuzes die­ nen der Steigerung des geistigen Gehaltes im Sinne des Mittelalters. Der Wille zur Ge­ samtplanung besagt, wie konkret man das Stadtgebilde als architektonische Einheit erfaßte. Das Gewachsene und Vorgegebene der merowingischen Bischofssitze wird nun geplante Form. Mit der Kunst ihrer Zeit hat die ottonische Stadt das Weitgespannte der Gesamtlage, die Größe des Wurfs, die umfassende Kraft des Religiösen gemein. Die Bischofsstadt ist der führende Typus der Zeit, wie die Bischofs- und Klosterkirchen die Leittypen der Baukunst bilden. Bedeutende Pfalzorte wie Aachen und Goslar treten ganz in ihre Fuß252

stapfen. Die wenigen Dynastensitze bleiben weit hinter dem glänzenden Bild der Bischofsstädte zurück. Daß diese an erster Stelle stehen, ergibt sich aus der engen Verbindung von Kirche und Staat im Ottonenreich. Italien und große Teile Frankreichs kannten den Dualismus von Civitas und Wik, von stadtherrlicher Burg und Kaufmannssiedlung nicht. Die einheitliche, mauerum­ wehrte Stadt der Antike rettete sich im Gebiet der Romania in das Mittelalter hinüber.

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1 St. Salvator 2 Dom St. Martin innerhalb des römischen Kastells 3 St. Peter 4 St. Jan 5 St. Paul 6 St. Marien 7 Buurkerk



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Auch für Italien bedeutet das 11. Jahrhundert eine Zeit des Aufbruchs im Städtebau. In Neapel und Bologna z.B. kam es zu Stadterweiterungen, die den Bereich der antiken Stadt überschritten. Der Flächenstadt des Altertums wurden Randstreifen angegliedert. Ein Zu.sammenwachsen verschiedenartiger Siedlungen wie im Norden kam hier nicht in Frage. Der Markt hatte seine antike Lage im Stadtmittelpunkt ununterbrochen be­ wahrt, auch dort, wo die antike Stadtfläche im frühen Mittelalter erheblich zusammen­ schrumpfte und sich eine Reststadt in dem zu groß gewordenen Mauerring herausbildete (z. B. Bologna). Auf gallischem Boden spielte die merowingische Epoche eine wichtige Rolle für die Gestalt der mittelalterlichen Stadt. Zahlreiche mächtige Klöster und Stifte entstanden damals im Umkreis der römischen Civitates entsprechend den Merovingerstädten am 2

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dem allgemeinen Landrecht ausgenommen, sie unterstanden dem Bischof bzw. dessen Stellvertreter, dem Vogt. Die Kaufmannschaft des Marktes besaß ihr eigenes Recht im Marktrecht. Die Hörigen des Wirtschaftshofes unterlagen dem Hofrecht.

Rhein. Wie nahe gelegentlich das Siedlungsbild einer solchen Stadt dem einer otto­ nischen Neugründung kommen kann, mag ein Vergleich zwischen Auxerre und Bamberg zeigen. Das linke Steilufer der Yonne beherrschen die drei mächtigen Baukörper der Kathedrale St. Etienne, der ehemaligen Abteikirche St. Germain und der Kirche St. Pierre, deren Schiffe senkrecht zur Talrichtung stehen. Nur die Bischofskirche fand in der römischen civitas Platz. Die beiden rahmenden Bauten gehen auf merowingische Gründungen zurück, die außerhalb der Stadtmauern lagen. Es gab im frühen Mittelalter noch eine Reihe weiterer Kirchen und Kapellen längs der Ausfallstraßen der Römer­ stadt. Wohl schon vor 418 hatte der hl. Germanus auf dem flachen rechten Ufer der Yonne, gegenüber der civitas, ein Kloster zu Ehren der hl. Cosmas und Damian ge­ gründet, das vom 6. Jahrhundert an sich nach dem hl. Marianus nannte. Den Kirchen auf den Uferhöhen entsprechen in Bamberg St. Michael, der Dom und St. Stephan, dem Marianuskloster jenseits des Flusses das St. Gangolfstift in Theuerstadt. Doch die beiden Städte unterscheiden sich wesentlich in der Lage des Marktes. In Auxerre blieb er auch im Mittelalter in der römischen civitas auf der Uferterrasse, südwestlich der Kathedrale. In Bamberg bildete er eine selbständige Siedlung in der Talniederung. Im Norden Frankreichs ist dagegen das zweipolige Siedlungsprinzip (Burg und Markt getrennt) verbreitet, vor allem bei Städten, die nicht auf einer römischen civitas fußen. Gelegentlich nähert sich das Erscheinungsbild sehr den deutschen ottonischen Städten. In Caen (Normandie) z. B. lag im 11. Jahrhundert das Marktgebiet zu Füßen und getrennt von der mächtigen Herrenburg der normannischen Herzöge. Zwei große Abteien außerhalb dieser beiden Kerne umgaben die Siedlung: Sainte-Trinite und Saint­ Etienne, beide von Wilhelm dem Eroberer gegründet. Eine eigene Siedlung mit Pfarr­ kirche schloß sich an jeden der zwei Klosterbezirke an. Solche Lösungen bleiben aber Ausnahmen. Der Charakter der größeren Städte wurde wesentlich durch die merowingi­ schen Siedlungen mit ihren Kloster- und Kirchengründungen bestimmt. Auch den niederländischen Handelsstädten, deren Märkte sich an Burgen der Gra­ fen von Flandern anlehnten, fehlte ein reicherer Kirchenkranz. In Skandinavien trifft man im 11. Jahrhundert einen Stadttypus an, der sich wesent­ lich von den deutschen ottonischen Städten unterscheidet. Sigtuna am Mälarsee über­ nahm nach der Jahrtausendwende die Rolle des älteren Birka als Hauptmarkt von Schweden. Den Kern bildete eine Wiksiedlung am Seeufer, die aus einer Längsstraße parallel zum Strand und zahlreichen kurzen, schmalen Querstraßen zum Wasser hin be­ stand, ähnlich den frühen Fußsiedlungen Mitteleuropas. An diesen Kern schlossen sich in lockerer Fügung mehrere Steinkirchen verschiedener Bauform an, die offenbar die Mittelpunkte fremdländischer Handelsfaktoreien darstellten. Die Kaufleute ließen ihre Kirche jeweils in dem Typus ihres Landes errichten. Dieser offenen Handelssiedlung fehlt ganz der Verteidigungscharakter der deutschen ottonischen Stadt. Ähnlich wie Sigtuna waren Lund und Nidaros angelegt. Das hochentwickelte englische Städtewesen weist im 11. Jahrhundert ähnliche offene, locker gefügte, weiträumige Siedlungsgebilde auf, denen Verteidigungsanlagen weitgehend fehlen. Ihre architektonische Form unterscheidet sie dadurch wesentlich von den ottonischen Städten. Die deutschen Stadtanlagen der Jahrtausendwende mit ihren getrennten Siedlungen für Geistlichkeit, Kaufleute und Hörige des Wirtschaftshofes sind das Spiegelbild der rechtlichen Verhältnisse ihrer Einwohner. Die Geistlichkeit und ihre familia waren von 2

Umbruch zur geschlossenen Stadt

Seit Henri Pirennes Forschungen über die Entstehung der mittelalterlichen Stadt kennt man die revolutionären Vorgänge in der Marktsiedlung, die sich in der zweiten Hälfte des 11. und am Anfang des 12. Jahrhunderts abspielten. Hans Planitz baute diese Untersuchungen weiter aus. Die Entstehung der Stadtgemeinde fällt in die Zeit des Investiturstreites. Die Zentralgewalt konnte den Königsschutz der Kaufleute nicht mehr gewährleisten. Die Stadtherren versuchten, die Kaufmannschaft unter ihre Bot­ mäßigkeit zu bringen. Genossenschaftlicher Zusammenschluß zu Schwurgemeinschaften ist die Antwort der Kaufleute darauf. Gestützt auf den Rückhalt, den die Stadtbevöl­ kerung bei dem König findet, trotzte sie dem Stadtherrn Schritt für Schritt bestimmte Rechte ab, deren Gesamtheit das Stadtrecht, die rechtliche Eigenständigkeit der Bürger ausmacht. Mag dieser revolutionäre Vorgang auch nur für den niederländischen und niederrheinischen Bereich gelten und die Entwicklung in Oberdeutschland und in den Bischofsstädten im Maastal ruhiger und sogar mit Unterstützung. des Stadtherren ver­ laufen sein, das entscheidende Ereignis bleibt die Entstehung der Stadtgemeinde. Ihr entspricht im architektonischen Bereich die Ausbildung der geschlossenen Stadt. Es sieht in einigen Fällen aus, als ob bereits um die Jahrtausendwende die Entwicklung so weit fortgeschritten gewesen sei, daß man in Deutschland Immunität und Markt mit einer gemeinsamen Mauer umgeben habe. Gewiß war der Kölner Markt in die Befesti­ gung der erweiterten Römermauern eingeschlossen. Auch in Hamburg barg der »Hei­ denwall«, der als Abschnittsbefestigung die Geestzunge abriegelte, Domimmunität und Reichenstraßenfleet hinter einem gemeinsamen Verteidigungsgürtel. Ähnlich lagen die Verhältnisse in Passau, dessen Domburg die Landzunge zwischen Donau und Inn absperrte und in deren Schutz sich der Markt entfalten konnte. Aber bildete das um­ schlossene Gebiet hinter dem gemeinsamen Wall schon eine architektonische Einheit? Um die Jahrtausendwende war dies offenbar in Deutschland noch nicht der Fall, wenn man die weit überwiegende Anzahl der getrennten Siedlungen bedenkt. Man darf vor allem auf das Beispiel Regensburgs verweisen. Seine städtischen Verhältnisse erschei­ nen im 10. Jahrhundert im süddeutschen Bereich besonders fortschrittlich. Eine gemein­ same Befestigung umgab seit etwa 920 Domimmunität, Herzogshof und Kaufleute­ siedlung. Nun besitzen wir von dieser Stadt eine sehr eingehende Beschreibung - es ist die ausführlichste zeitgenössische Schilderung einer ottonischen Stadt überhaupt -, die aber gerade die strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Viertel und die Trennung der Einwohnergruppen mit Nachdruck hervorhebt. Anders liegen die Verhältnisse in der zweiten Jahrhunderthälfte. In den gleichen Jahrzehnten, in denen die Stadtgemeinde als politischer Machtfaktor auftritt, werden große geschlossene Städte errichtet, die nur Markt und Burg von vornherein zu einer architektonischen Einheit zusammenzwingen. Die Bürgersiedlung überwiegt in ihnen so sehr die Immunität, daß diese nur mehr als ein Anhängsel der Marktstadt erscheint. In Augsburg (Abb. 54) und Speyer (Abb. 56) läßt sich das Werden der geschlossenen Stadt in die siebziger und achtziger Jahre des 11. Jahrhunderts zurückverfolgen. Ein

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dem allgemeinen Landrecht ausgenommen, sie unterstanden dem Bischof bzw. dessen Stellvertreter, dem Vogt. Die Kaufmannschaft des Marktes besaß ihr eigenes Recht im Marktrecht. Die Hörigen des Wirtschaftshofes unterlagen dem Hofrecht.

Rhein. Wie nahe gelegentlich das Siedlungsbild einer solchen Stadt dem einer otto­ nischen Neugründung kommen kann, mag ein Vergleich zwischen Auxerre und Bamberg zeigen. Das linke Steilufer der Yonne beherrschen die drei mächtigen Baukörper der Kathedrale St. Etienne, der ehemaligen Abteikirche St. Germain und der Kirche St. Pierre, deren Schiffe senkrecht zur Talrichtung stehen. Nur die Bischofskirche fand in der römischen civitas Platz. Die beiden rahmenden Bauten gehen auf merowingische Gründungen zurück, die außerhalb der Stadtmauern lagen. Es gab im frühen Mittelalter noch eine Reihe weiterer Kirchen und Kapellen längs der Ausfallstraßen der Römer­ stadt. Wohl schon vor 418 hatte der hl. Germanus auf dem flachen rechten Ufer der Yonne, gegenüber der civitas, ein Kloster zu Ehren der hl. Cosmas und Damian ge­ gründet, das vom 6. Jahrhundert an sich nach dem hl. Marianus nannte. Den Kirchen auf den Uferhöhen entsprechen in Bamberg St. Michael, der Dom und St. Stephan, dem Marianuskloster jenseits des Flusses das St. Gangolfstift in Theuerstadt. Doch die beiden Städte unterscheiden sich wesentlich in der Lage des Marktes. In Auxerre blieb er auch im Mittelalter in der römischen civitas auf der Uferterrasse, südwestlich der Kathedrale. In Bamberg bildete er eine selbständige Siedlung in der Talniederung. Im Norden Frankreichs ist dagegen das zweipolige Siedlungsprinzip (Burg und Markt getrennt) verbreitet, vor allem bei Städten, die nicht auf einer römischen civitas fußen. Gelegentlich nähert sich das Erscheinungsbild sehr den deutschen ottonischen Städten. In Caen (Normandie) z. B. lag im 11. Jahrhundert das Marktgebiet zu Füßen und getrennt von der mächtigen Herrenburg der normannischen Herzöge. Zwei große Abteien außerhalb dieser beiden Kerne umgaben die Siedlung: Sainte-Trinite und Saint­ Etienne, beide von Wilhelm dem Eroberer gegründet. Eine eigene Siedlung mit Pfarr­ kirche schloß sich an jeden der zwei Klosterbezirke an. Solche Lösungen bleiben aber Ausnahmen. Der Charakter der größeren Städte wurde wesentlich durch die merowingi­ schen Siedlungen mit ihren Kloster- und Kirchengründungen bestimmt. Auch den niederländischen Handelsstädten, deren Märkte sich an Burgen der Gra­ fen von Flandern anlehnten, fehlte ein reicherer Kirchenkranz. In Skandinavien trifft man im 11. Jahrhundert einen Stadttypus an, der sich wesent­ lich von den deutschen ottonischen Städten unterscheidet. Sigtuna am Mälarsee über­ nahm nach der Jahrtausendwende die Rolle des älteren Birka als Hauptmarkt von Schweden. Den Kern bildete eine Wiksiedlung am Seeufer, die aus einer Längsstraße parallel zum Strand und zahlreichen kurzen, schmalen Querstraßen zum Wasser hin be­ stand, ähnlich den frühen Fußsiedlungen Mitteleuropas. An diesen Kern schlossen sich in lockerer Fügung mehrere Steinkirchen verschiedener Bauform an, die offenbar die Mittelpunkte fremdländischer Handelsfaktoreien darstellten. Die Kaufleute ließen ihre Kirche jeweils in dem Typus ihres Landes errichten. Dieser offenen Handelssiedlung fehlt ganz der Verteidigungscharakter der deutschen ottonischen Stadt. Ähnlich wie Sigtuna waren Lund und Nidaros angelegt. Das hochentwickelte englische Städtewesen weist im 11. Jahrhundert ähnliche offene, locker gefügte, weiträumige Siedlungsgebilde auf, denen Verteidigungsanlagen weitgehend fehlen. Ihre architektonische Form unterscheidet sie dadurch wesentlich von den ottonischen Städten. Die deutschen Stadtanlagen der Jahrtausendwende mit ihren getrennten Siedlungen für Geistlichkeit, Kaufleute und Hörige des Wirtschaftshofes sind das Spiegelbild der rechtlichen Verhältnisse ihrer Einwohner. Die Geistlichkeit und ihre familia waren von 2

Umbruch zur geschlossenen Stadt

Seit Henri Pirennes Forschungen über die Entstehung der mittelalterlichen Stadt kennt man die revolutionären Vorgänge in der Marktsiedlung, die sich in der zweiten Hälfte des 11. und am Anfang des 12. Jahrhunderts abspielten. Hans Planitz baute diese Untersuchungen weiter aus. Die Entstehung der Stadtgemeinde fällt in die Zeit des Investiturstreites. Die Zentralgewalt konnte den Königsschutz der Kaufleute nicht mehr gewährleisten. Die Stadtherren versuchten, die Kaufmannschaft unter ihre Bot­ mäßigkeit zu bringen. Genossenschaftlicher Zusammenschluß zu Schwurgemeinschaften ist die Antwort der Kaufleute darauf. Gestützt auf den Rückhalt, den die Stadtbevöl­ kerung bei dem König findet, trotzte sie dem Stadtherrn Schritt für Schritt bestimmte Rechte ab, deren Gesamtheit das Stadtrecht, die rechtliche Eigenständigkeit der Bürger ausmacht. Mag dieser revolutionäre Vorgang auch nur für den niederländischen und niederrheinischen Bereich gelten und die Entwicklung in Oberdeutschland und in den Bischofsstädten im Maastal ruhiger und sogar mit Unterstützung. des Stadtherren ver­ laufen sein, das entscheidende Ereignis bleibt die Entstehung der Stadtgemeinde. Ihr entspricht im architektonischen Bereich die Ausbildung der geschlossenen Stadt. Es sieht in einigen Fällen aus, als ob bereits um die Jahrtausendwende die Entwicklung so weit fortgeschritten gewesen sei, daß man in Deutschland Immunität und Markt mit einer gemeinsamen Mauer umgeben habe. Gewiß war der Kölner Markt in die Befesti­ gung der erweiterten Römermauern eingeschlossen. Auch in Hamburg barg der »Hei­ denwall«, der als Abschnittsbefestigung die Geestzunge abriegelte, Domimmunität und Reichenstraßenfleet hinter einem gemeinsamen Verteidigungsgürtel. Ähnlich lagen die Verhältnisse in Passau, dessen Domburg die Landzunge zwischen Donau und Inn absperrte und in deren Schutz sich der Markt entfalten konnte. Aber bildete das um­ schlossene Gebiet hinter dem gemeinsamen Wall schon eine architektonische Einheit? Um die Jahrtausendwende war dies offenbar in Deutschland noch nicht der Fall, wenn man die weit überwiegende Anzahl der getrennten Siedlungen bedenkt. Man darf vor allem auf das Beispiel Regensburgs verweisen. Seine städtischen Verhältnisse erschei­ nen im 10. Jahrhundert im süddeutschen Bereich besonders fortschrittlich. Eine gemein­ same Befestigung umgab seit etwa 920 Domimmunität, Herzogshof und Kaufleute­ siedlung. Nun besitzen wir von dieser Stadt eine sehr eingehende Beschreibung - es ist die ausführlichste zeitgenössische Schilderung einer ottonischen Stadt überhaupt -, die aber gerade die strenge Abgeschlossenheit der einzelnen Viertel und die Trennung der Einwohnergruppen mit Nachdruck hervorhebt. Anders liegen die Verhältnisse in der zweiten Jahrhunderthälfte. In den gleichen Jahrzehnten, in denen die Stadtgemeinde als politischer Machtfaktor auftritt, werden große geschlossene Städte errichtet, die nur Markt und Burg von vornherein zu einer architektonischen Einheit zusammenzwingen. Die Bürgersiedlung überwiegt in ihnen so sehr die Immunität, daß diese nur mehr als ein Anhängsel der Marktstadt erscheint. In Augsburg (Abb. 54) und Speyer (Abb. 56) läßt sich das Werden der geschlossenen Stadt in die siebziger und achtziger Jahre des 11. Jahrhunderts zurückverfolgen. Ein

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riesiger Straßenmarkt führt in beiden Städten auf die Immunität zu. Senkrechte Quer­ straßen gliedern eine Marktseite durch, während sich auf der anderen in geringer Ent­ fernung eine Umgehungsstraße entlangzieht, die bei regem Marktverkehr einen Fahr­ weg offenhält. Auch die Simeonstraße in Trier (Taf. 15 u. 14), von dem Dreiecks­ markt des 10. Jahrhunderts zur Porta Nigra, und die Marktstraße in Würzburg, von der Brücke zum Dom gehören wohl noch dem späten 11. Jahrhundert oder der Wende zum 12. an. Gleichzeitig entstand die niedersächsische Meridianstadt (Goslar) (Abb. 15 und 16). Kurz nach 1100 wird in Köln und Trier der gemeinsame Befestigungsring um Domburg, Marktviertel und Vorstädte vollendet. Die aus einzelnen, locker verstreuten Kernen aufgebaute Form der ottonischen Stadt gehört damit der Vergangenheit an.

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riesiger Straßenmarkt führt in beiden Städten auf die Immunität zu. Senkrechte Quer­ straßen gliedern eine Marktseite durch, während sich auf der anderen in geringer Ent­ fernung eine Umgehungsstraße entlangzieht, die bei regem Marktverkehr einen Fahr­ weg offenhält. Auch die Simeonstraße in Trier (Taf. 15 u. 14), von dem Dreiecks­ markt des 10. Jahrhunderts zur Porta Nigra, und die Marktstraße in Würzburg, von der Brücke zum Dom gehören wohl noch dem späten 11. Jahrhundert oder der Wende zum 12. an. Gleichzeitig entstand die niedersächsische Meridianstadt (Goslar) (Abb. 15 und 16). Kurz nach 1100 wird in Köln und Trier der gemeinsame Befestigungsring um Domburg, Marktviertel und Vorstädte vollendet. Die aus einzelnen, locker verstreuten Kernen aufgebaute Form der ottonischen Stadt gehört damit der Vergangenheit an.

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