Werke und Briefwechsel: Band 10 Die Päpstin Johanna 9783110947472, 9783484156104

Ludwig Achim von Arnim's adaptation of the medieval saga of the female pope Johanna is typically romantic in the wa

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German Pages 1146 [1156] Year 2006

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Table of contents :
Textteil A: Fassung F2
I. Periode
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
II. Periode
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
III. Periode
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
IV. Periode
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
V. Periode
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
Textteil B: In F2 nicht enthaltene Partien der Vorfassungen
TF1
TF2
TF3
F1
Paralipomena
1. Skizzen und Notizen
1.1. Früheste Skizze (49,1 |1)
1.2. Taschenbuchnotizen zur Kindheitsgeschichte (184)
1.3. Zur Romhandlung (III. bis V. Periode) (49,1|2-5; 49,5|8; 49,1|6; 49,5|10)
2. Entwürfe und Vorfassungen einzelner Szenen und Gedichte
2.1. Euklidszene (ll,2) (FDH G 400)
2.2. Vorstufen zur Dolores-Fassung
2.3. Frühlingsspiel (49,4|7-9)
2.4. Einzelne Gedichte
Zu dieser Ausgabe
Abkürzungen und Zeichen
Abkürzungen
Editorische Zeichen
Abgekürzt zitierte Literatur
Überlieferung
Beschreibung der Textzeugen
Entstehung
Zeugnisse
1. Früheste Ansätze
2. Die Dolores-Fassung
3. Werkgenese 1812/13
3.1. Chronologischer Überblick
3.2. Die Textgenese im einzelnen
Überblickskommentare und Quellentexte
1. Die Päpstinsage
1.1. Zur Stofftradition
1.2. Schernbergs Juttenspiel
1.3. Weitere Quellen
Quellentexte zu Komm. 1
2. Historische Quellen: Johannes XII. und Marozia
2.1. Die geschichtlichen Fakta
2.2. Liudprands Historia Ottonis
2.3. Löschers Historie des Römischen Huren-Regiments
2.4. Muratoris Geschichte von Italien
2.5. Schröckhs Christliche Kirchengeschichte
2.6. Crusius’ Schwäbische Chronick
2.7. Historische Quellen und Werkgenese
Quellentexte zu Komm. 2
3. Antike Religion: Ceres und Bacchus
3.1. Eleusinien und Thesmophorien
3.2. Demophonmärchen
3.3. Der doppelte Becher des Bacchus
Arnims Exzerpte aus Creuzers Symbolik
Quellentexte zu Komm. 3
4. Melancholie
4.1. Die Mutter Melancholia
4.2. Johanna als Melancholikerin
5. Magnetismus
6. Einzelne Stoffe
6.1. Das Fischermärchen
6.2. Christopherus
6.3. Antichrist- und Merlinsage
6.4. Julianus Apostata
Arnims Exzerpte aus Neanders Julian-Buch (49,5111)
6.5. Mohammed
6.6. Faust
7. Das Frühlingsfest (II,4)
7.1. Frühlingsthema
7.2. Schwanrittersage
7.3. Biographische Referenz: Karoline von Günderrode
8. Weitere Quellen
8.1. Zauberei und Hexenwesen
8.2. Mythologie
8.3. Einzelne Werke
Rezeption
1. Bettina von Arnims Druckfassung von 1846 (SW 19)
2. Spätere Rezeption
2.1. Teildrucke
2.2. Wissenschaftliche Rezeption
2.3. Dichterische Rezeption
Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text bei ihrer Bearbeitung des Manuskripts für die Druckausgabe von 1846 (SW 19)
Varianten und Erläuterungen zu Einzelstellen
Textteil A: Fassung F2
Varianten
I. Periode
II. Periode
III. Periode
IV. Periode
V. Periode
Erläuterungen
I. Periode
II. Periode
III. Periode
IV. Periode
V. Periode
Textteil B: In F2 nicht enthaltene Partien der Vorfassungen
TF1
Varianten
Erläuterungen
TF2
Varianten
Erläuterungen
TF3
Varianten
Erläuterungen
F1
Varianten
Erläuterungen
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Werke und Briefwechsel: Band 10 Die Päpstin Johanna
 9783110947472, 9783484156104

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Weimarer Arnim-Ausgabe Werke und Briefwechsel

Ludwig Achim von Arnim Werke und Briefwechsel Historisch-kritische Ausgabe In Zusammenarbeit mit der Stiftung Weimarer Klassik und Kunstsammlungen herausgegeben von Roswitha Burwick, Lothar Ehrlich, Heinz Härtl, Renate Moering, Ulfert Ricklefs und Christof Wingertszahn

Band 10

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 2006

Ludwig Achim von Arnim Die Päpstin Johanna Herausgegeben von Johannes Barth

Teil 1: Text

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 2006

Gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. ISBN-13: 978-3-484-15600-5 ISBN-10: 3-484-15600-7 (Gesamtwerk) ISBN-13: 978-3-484-15610-4 ISBN-10: 3-484-15610-4 (Band 10) © Max Niemeyer Verlag, Tübingen 2006 Ein Unternehmen der K. G. Saur Verlag GmbH, München http://www. niemeyer. de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Buchbinder: Norbert Klotz, Jettingen-Scheppach

Inhalt Die Päpstin Johanna Textteil A: Fassung F2 I. Periode

3

1. Kapitel

3

2. Kapitel

11

3. Kapitel

22

4. Kapitel

34

5. Kapitel

39

6. Kapitel

45

II. Periode

51

1.Kapitel

51

2. Kapitel

56

3. Kapitel

61

4. Kapitel

83

III. Periode

129

1.Kapitel

129

2. Kapitel

134

3. Kapitel

140

4. Kapitel

147

5. Kapitel

155

6. Kapitel

168

7. Kapitel

179

IV. Periode

189

1.Kapitel

189

2. Kapitel

197

3. Kapitel

199 V

Inhalt 4. Kapitel

208

5. Kapitel

229

6. Kapitel

234

V. Periode

237

1.Kapitel

237

2. Kapitel

243

3. Kapitel

253

4. Kapitel

256

5. Kapitel

264

6. Kapitel

266

7. Kapitel

269

8. Kapitel

273

Textteil B: In F2 nicht enthaltene Partien der Vorfassungen TF'

279

TF2

317

TF3

325

F1

341 Paralipomena

I.Skizzen und Notizen

421

1.1. Früheste Skizze (49,1 |1)

421

1.2. Taschenbuchnotizen zur Kindheitsgeschichte (184)

422

1.2.1. S. 145

422

1.2.2. S. 168

422

1.3. Zur Romhandlung (III. bis V. Periode) (49,1 12-5; 49,518; 49,1 |6; 49,5 110)

422

2. Entwürfe und Vorfassungen einzelner Szenen und Gedichte

430

2.1. Euklidszene (II,2) (FDH G 400)

430

2.2. Vorstufen zur Dolores-Fassung

436

2.2.1. Versfassung (49,211-2; FDH G 301) 2.2.2. Prosafassung (49,2 13-9)

436 443

2.3. Frühlingsspiel (49,417-9)

449

2.4. Einzelne Gedichte

456

2.4.1. Trinklied (1,3) (49,412)

456

2.4.2. Pfalzballade (1,4) (49,413-6)

458

2.4.3. (Nimm den Korb vom weissen Nacken) (IV,3) (49,5112)

469 VI

TEXTTEIL A: FASSUNG F2

Die Päpstin Johanna.

6|2'

Erste Periode. 1.

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Die grosse Insel Island wird jezt von wenigen armen Hirten und Fischern bewohnt einst nährte sie den mächtigen Urstamm der Deutschen, ein herrliches Volk das dort in ewig warmer L u f t von den abfallenden Früchten der Palmen sein sorgenloses Leben in seligen Gedanken vollbrachte. Ewiger Schnee deckt jezt das ganze innere Land, unter welchem wir häufig die versteinerten Knochen südlicher Thiere und die Stämme südlicher Bäume auffinden nichts wächst auf diesem Gebürge jezt als Moos, an den Küsten gedeihen von allen Arten der B ä u m e allein noch der Wachholder, kein andres weicheres Grün kann die halbjährige Nacht, überleben. Das Strahlennetz der Wärme, welches mütterlich liebend die luftschwimmende Erde umspannt und sie zum reifen Leben trägt und entwickelt, naht sich ihr im Wechsel der Zeit an so verschiednen Orten und entfernt sich von andern, daß reiche Länder aussterben, während unbewohnbar scheinende in Lebensfülle glänzen; | möge die schöne Zeit Islands wiederkehren ohne 6|2" daß die übrigen Länder deutscher Nationen darum in Nacht und Kälte zurücksinken. Der Urstamm unseres Volkes lebte in ewiger Gesundheit viele Jahrhunderte auf dieser Insel, die bald so bevölkert war, daß sich nie mehr Menschen erzeugen durften, als abstarben, wodurch sie immer in gleicher K r a f t blieben. D a geschah es, daß bey Thüle, an der Südspitze der Insel ein norwegisches Schiff strandete und die Neugier nach den Ländern erweckte, wo dieses Schiff erbaut sey. Deut bestieg dieses Schiff zuerst f u h r aus und kehrte mit wunderbaren Nachrichten von grossen Lastern heim, die sie in der Welt ausrotten müsten. D a folgten

3

Textteil A i h m viele, weswegen sie den N a m e n der Deutschen erhielten. Mit diesen Helden landete er an den öden Ländern, die jezt von den Deutschen zu einem Paradiese umgeschaffen sind, damals aber von einem lasterhaften Zwerggeschlechte bewohnt wurde(n) und erschlug diese Halbthiere und bevölkerte das Land durch zahlreiche Nachzüge aus Island. Sein Volk wurde mächtig genug nach blutigen Kriegen, die grausame Weltherrschaft Roms zu stürzen, auf daß sich ein geistliches 6|3' Reich zur Befreundung | der Welt auf dessen T r ü m m e r n erhebe, die Herrschaft der Päpste, deren menschliche Schwächen der Teufel viele Jahrhunderte ohne Erfolg gegen die Herrlichkeit ihrer geistigen BeStimmung zu benutzen suchte. Das hatten die Isländer durch ihre Auswanderung unter Deuts Führ u n g gewirkt, aber der U r s t a m m des Volkes war in dieser raschen Zeugung für die blutigen Kriege erschöpft und der Boden in die Gewalt der alles zerstörenden Kälte gekommen, der menschliche Kraft umsonst entgegenarbeitet. Da entwickelte sich in der von der Welt zurückgetriebenen Sinnenkraft und Frömmigkeit das geistige Paradies der Wissenschaften und Künste in den mächtigsten Köpfen dieses Urvolkes und dieses Land, das nach den Lügen der Geschichtschreiber — welche die Quellen der Weisheit gern allein benutzen und d a r u m verheimligen möchten — bis zum achten Jahrhunderte ganz u n b e w o h n t war, scheint im Gegentheil bis zu dieser Zeit der tugendreiche Lehrstuhl aller Wissenschaft gewesen zu seyn. Aber der D r a n g vieler | V 6|3 verdorbener Fremden nach dieser Weisheit erregte den Stolz der Bewohner und der Stolz blendete sie und f ü h r t e sie zur Gottlosigkeit, wodurch ihre Wissenschaft zu einer Schule des Teufels wurde, welcher damit die nördlichen Völker lange Zeit von der Erkenntniß des christlichen Glaubens zurückhielt. Aber der Teufel und die i h m angehören können n u r erkennen, was des Teufels ist und so blieben zwar die Worte der Wissenschaft aber sie wohnten nicht in ihnen, sondern wurden ein leerer Schall; das grosse E i g e n t h u m aller, das Allgemeine der Wissenschaft verschwand und jeder strebte nur einzeln sich geheimnißvoll damit zu bereichern und die anderen zu überragen und jeder verschrieb gerne seine Seele dem Teufel, daß er ihn mit n e u e m Schein der Erfindung schmücke, den er doch am allgemeinen Leben nicht zu prüfen wagte und so hing der Pallast hoher Wissenschaft statt der glänzenden Himmelslichter voll teuflischer Spinngewebe, in denen sich Leuchtgewürme selbst gefangen hatten sich f ü r das Licht haltend und sich selbst nur sehen wollend. Luzifer, einer der d ü m m s t e n Teu4

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F 2 , Kapitel 1,1

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fei, hatte unter diesen Scheingelehrten seinen Thron aufgeschlagen, er besuchte sie | in der Gestalt verschiedener griechischer Gelehrten, die 6|4r damals eine Nachblüthe ihrer alten Landeskunst zu erwecken suchten. Bald erschien er als Metaphrastes, als Kephalas, als Photius, als Chrysoloras und hatte seine Schmelzhütte im Berge Hekla eingerichtet, wo er mit Steinwürfen mit Lavagüssen und Aschenregen die Annäherung aller Neugierigen zurückschreckte. Er arbeitete nämlich schon seit Jahrhunderten an der unnützen Aufgabe etwas Geschaffenes noch einmal zu schaffen, nämlich den von Gott erschaffenen Menschen nachzumachen. Da hatte er unendlich krumme Retorten sich geblasen, um allerlei Dünste unter einer mit Quecksilber gesparrten Glocke zu verbinden, die nassen Erzschichten musten ihre entbindende Kraft feurig dazwischen strömen; er machte Wunderdinge und erkannte sie nicht in seiner Unweisheit und verzweifelte, weil er die Dummheit nicht erreichen konnte, die er sich vorgesetzt. Er konnte keinen Menschen schaffen weil die menschliche Dunstgestalt in seiner Glocke nie den belebenden Hauch Gottes aus den Stoffen der Welt empfangen konnte. | Nur einem Diener gestattete er den Eingang in seine Bergküche, er 6|4" brauchte ihn als Gehülfen wegen seiner Stärke. Oferus hieß er, er war der stärkste Heide und hatte sich dem Teufel ergeben, weil er gesehen, daß sich alle Heiden vor ihm gefürchtet hatten. Der muste mit ihm auch in die Welt ziehen, für ihn rauben und tödten. Das hatte er bisher alles ohne Nachdenken für ihn vollführt, denn er ahndete nichts von der Freiheit in Christo den unscheinbaren Christenglauben hatte er immer verachtet kennen zu lernen. Nun war aber seit dem 1 April des Jahres 938 nach Christi Geburt, Meister Spiegelglanz, einer der schrecklichsten Philologen Islands von seiner Irrfahrt durch Europa, um Geheimnisse zu entdecken und damit vor seinen Landsleuten zu pralen, mit unerschöpflichem Muthe zurückgekommen, weil ihm eine Hexe vorausgesagt hatte, daß er durch keine menschliche Gewalt sterben könne. Sein furchtbares Ansehen hatte sich durch diese Zuversicht auf irdische Unsterblichkeit sehr vermehrt und seine Stunden erhellten Plane auf Jahrhunderte; die gewaltige Stärke seines Armes machte ihn allein schon gefährlich, in seine röthlichen | Augäpfel, die das Licht 6|5r der Sonne nicht ertragen konnten und sich rastlos bewegten, konnte niemand sehen, sein weisses Haar, durch welches röthliche Haut glänzte, war gräulich verwirrt seine Kleider die er nie auszog, bis sie zerrissen, starrten von dem Schmutze, in welchem seine Neugierde wie 5

Textteil A

ein wilder Eber wühlte. Er verspottete seine Landsleute, daß sie es für unmöglich hielten den Berg Hekla zu besteigen und beschloß gegen den ersten May ganz heimlich eine Fahrt mit seinen zahmen Wölfen auf einem Schlitten dahin vorzunehmen, um alle Welt mit seinen Entdeckungen zu erschrecken, wie er in dem Berge heimlich zu ru-

5

moren dachte. Zu seinem Schicksale gehörte es, daß Luzifer sich den Tag vor dem ersten May mit seinem Diener Oferus entzweyte, weswegen er am Abend gegen seine Gewohnheit nicht zu seiner Wer(k)städte zurückkehrte, um die Arbeiten zu ordnen, und Feuer nachzulegen, sonst wäre

10

Spiegelglanz verloren gewesen. Luzifer blieb den Tag in der Nähe des 6|5* Blocksbergs | voll von wildem Verdruß, daß ihn Oferus verlassen, um dann im wilderen Tanze während der Nacht alles Herzeleid zu veriermen. Langsam näherte sich Spiegelglanz dem Krater mit seinem Wolfsge-

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spanne, muste seine künstliche Brücke über Eisspalten schlagen und über den flüchtigen zusammengewehten tiefen Schnee, muste stille den Uebergang der Aschenwolken abwarten und den Strom der glühenden Lava umfahren; nur seine Kraft konnte solchen Beschwerden widerstehen, endlich muste er seinen Schlitten stehen lassen und müh-

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sam hinaufklettern. Langsam gehen die Menschen, ihre Füsse sind das Maaß ihres Weges, rasch wie der Gedanke durchschneidet ein Geist die Luft. Es war Melancholia, das hohe geflügelte Weib, der Geist des ernsten schweren Elements dieser Erde, ein schlafendes Kind in ihrem Arme, die vom

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Mars, dem befreundeten Sterne hernieder in den Krater des Hekla drang. W i r hören sie jezt sprechen. | 3|i|V Melancholia. Die Erde prangt mit wunderbarem Angesicht In dieser Mitternacht zur ganzen Sternenwelt,

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Auf ihrer Stirne glänzt ein heilig zuckend Licht Die Sterne fragen, wem zum Zeichen es gestellt? Nur Einer ehrt der Erde hohes Freudenfeuer, Dies Nordlicht, das durch alle Wolken bricht, Durch alle Adern dringt ihr diese Jubelfeier Es schmilzt das Eis im Traum von nahem Frühlingslicht. Sie giebt dem Stern zurück die freyen Flammenzeichen,

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F2, Kapitel 1,1 Die einst auch ihr verkündet neugebornes Wort, Es geht von Stern zu Stern in seines Vaters Reichen, Zur rechten Zeit empfängts im Weltraum jeder Ort. Du warst es heller Mars, der diese Erde grüste, Als ihr der Mittler Gottes zwischen Leib und Geist Geboren war, der dieser Erde streit'ge Lüste In einer Liebe geistger Eintracht unterweist Auch dir ist nun der Langgeahndete erschienen, Und weist es nicht, und willst dies Zeichen nicht verstehn, Auch dich muß er vorher von aller Schuld entsühnen, Eh du die Gnade fühlst, die dir durch ihn geschehn. | Von neuem will der Herr den Leidenslauf beginnen, Und weiß voraus, wie ihm solch Weh geschehen muß, Doch mag er sich da keinen Augenblick besinnen, In solcher reinen Liebe ist kein Ueberdruß Es kennt der Mars ihn nicht, doch ahnden ihn drey Weisen, Und folgen dort der Erde hohem Zeichenschein Und rastlos mit Geschenken zu dem Kinde reisen Das diese Nacht geboren aller Sünden rein. Ich hab den Stern umflogen, sah den niedern Stall, Durch dessen Thür so hell des Kindes Antlitz scheint, Die Hirten grüssen es mit hellem Freudenschall, Die heiige Mutter süsse Freudenthränen weint. *** Ich wollte sie mit allen Engeln grüssen, Als mich der Gram, die Reu zurücke stiessen; Wie dürstete mir nach den Freudenzähren, Im bittern Reuemeer, das mich soll nähren! — Maria hat das Heil der Welt geboren Weil ihre Lieb den heiigen Geist erkoren, Ihr Kind ist ewig unverderblich rein Das keinen je betrübt und alle kann erfreun, Und ich gebar ein Kind, das ganz verloren Zum Spielplatz aller Bösen scheint erkoren, Das böses Blut in allen Adern trägt, In dessen Herzen keine Liebe schlägt, In dessen Hand kein frommer Segen liegt, An dessen Mund kein frommer Kuß sich fügt

Textteil A

In dessen Schrei sich mein Gebet verirrt, Als ob es war mit einem Fluch verwirrt. So muß ich dulden für mein schwaches Haupt, Das eine Nacht von Frühlingskranz umlaubt Mich träumend hier in diese Höhle senkte, Mich hier zum Bett des Oferus hinlenkte Mit wunderbarer Schwermuth starken Netzen, Ich wollte los, mich hielt hier kein Ergötzen Was mir entsetzlich schien, da must ich thun, Und wenn ichs denke, muß ich schwindelnd ruhn. | Ο Jammer, welches Kind muß dies nun werden Daß so empfangen, ja in den Geberden Wie es die Hände um den Hals mir legt, Seh ich den Willen, den es in sich trägt, Es möchte mich erdrücken und ersticken, Es liegt so grimme Kraft in seinen Blicken, Daß ichs nicht lange wachend anschaun kann, Auch sieht es mich schon ganz verächtlich an, Es ist kein Mittelding von Engel Teufel, Es ist des Teufels Teufel ohne Zweifel. Ich seh wie gar nichts Gutes in ihm keimt Wie Laster schon in jeder Unart träumt, Wie es den Neid bey jedem Bissen spürt, Den ihm vorbey die Hand zum Munde führt, Und geb ichs ihm, so ist es ihm zuwider Es nimmt ihn wohl, doch schluckt es ihn nicht nieder. Und saugt es dann daß mir erschmerzt die Brust, So hat es sich verschluckt aus böser Lust, Und ängstet mich, als wollte es verscheiden, Und lachet dann zu allen meinen Leiden, Bey Tage schläfts und Nachts da möcht es wachen, Da schreit es, wenn ich nicht mit ihm will lachen Und ehe noch die goldnen Sonnen tagen, Soll ich ins Freye es schon fliegend tragen. Bald dulden es nicht mehr die irdschen Schwestern Ich merkt es wohl am vielen Flüstern gestern, | Hätt nicht Phlegmatica für mich gebeten Colerica hätt mir mein Kind zertreten

F2, Kapitel 1,1 Aetherea that drauf mit Ernst versetzen Sie woll mein Kind in nächster Nacht aussetzen. So schrecklich mir dies Wort, ich muß vollbringen, Was mir so grauenvoll ins Ohr muß klingen Ich bin zu gut ein solches Kind zu meistern Ich gebs zurück den irdisch bösen Geistern Von denen ichs in Sünd empfangen habe Dem dummen Teufel seines Jüngers Gabe Dem Luzifer, der sich seit Jahren müht Wie er den Geist aus irdschen Stoffen zieht Und merkt es nicht, daß der von Gott verliehen. Seit Jahren last der Thor Retorten glühen Und siehet nichts als Dunstgebilde blühen Und dennoch last er sich darin nicht schrecken, Und hofft mit jedem Tag den Geist zu wecken, Im Kind aus Dunst den Funken zu entzünden Den Gott nur schenkt und nimmer last ergründen. Er wird das Kind wie einen Gott empfangen Denn es erfüllt sein irdisches Verlangen, Daß er gleich Gott sich Menschen möchte schaffen, Und schuf bis jezt doch nur die leidgen Affen, Die Menschen nachzuahmen wohl verstehen, Doch nimmermehr mit eignen Augen sehen. Wie wird er sich an diesem Kind erfreuen, In dessen Eigensinn, vor dessen Schreien Sich jeder fremde Wille beugen muß Und jede Unart ist ihm süsser Kuß, Er fühlet seine Art in jeder Unart wieder, Die Schreiereien sind ihm süsse Lieder Er wirds versorgen, wie kein Mensch vermag. | Was säum ich noch, es nahet schon der Tag Und er kommt bald vom Brockentanz zurück Und siehet zu, was Wissenschaft und Tück Ihm hier beschert in seiner Werkstadt Tiefe. Hier soll er's finden. Wenn mein Kind nur schliefe Bis ich es in die Glocke eingebracht, Und ihm gesagt die letzte gute Nacht, Denn künftig darf ichs nur von weiten sehen

Textteil A Es sieht nach mir, wenns von der Welt verlassen, Ο möcht dies Unglück nimmer ihm geschehen Es müste dann die eigne Mutter hassen. (Sie bringt es unter die Glocke) Das war vollbracht! Nun ich das Kind nicht seh Nicht fühl in meinen Armen, welches Weh! Ich thu kein Unrecht, bring es zu den Seinen Aus einem Geisterreich dem's nicht gehört, Das ihm als Hölle muß so lang erscheinen Bis ihn das Unglück dieser Welt belehrt. Es kommt zu Menschen, die es überdauert Zu Menschen die vergebens oft getrauert Daß jede Blüthe niederschlägt der Regen, Und trauern nicht um jeden Liebessegen. Da doch ein jedes frohgebornes Kind Die grosse Sündenwelt aufs neu beginnt Und nichts von Aelterntugend mitempfängt, Sich wieder durch dieselben Sorgen drängt, Bis aller Welt Erlöser ihm erscheint Wenn es um seine Sünden schmerzlich weint, Es wird von seiner grösten Noth nicht wissen Bis es durch seine Huld und Macht entrissen Aus Herzensangst und starrem Seelentod Aus Lebensleerheit, aus der öden Noth In seinem Glück, da wirds den Teufel ehren, In seinem Unglück wird es Gott belehren, Je näher Ichs zum Teufel weiß zu bringen, Je rascher kann ich es zum Heile zwingen. | Leb wohl mein Kind, mein Haupt ist so verwirrt, Mir ist als ob ich mich in dir geirrt, Ich nehm dich wieder, mir ist so beklommen, Es ist zu spät, den Teufel hör ich kommen. (Sie fliegt zögernd empor)

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F 2 , K a p i t e l 1,2

2. Luzifer k o m m t auf einem Bock geritten, steigt m ü h s a m ab, last ihn laufen und wirft sich auf ein Strohlager. H e Bock r ü h r nicht; was suchst du da, das brennt, W i e das v e r d a m m t e Thier nach allem rennt, | An alle Gläser schnuppert, sie zerbricht, Und was ich sage, achtet es da nicht. Ach hätt ich n u r den starken Oferus, Ach daß ich dich n u n selber prügeln muß! Ich dachte gleich nichts guts, als wir heut morgen, Auf R a u b die Strasse ritten war voll Sorgen Die Fuhrleut aus den Bergen niederfahren Weils Klapperthal verrufen schon seit Jahren Und nichts vom Klappern, wie sie Räder h e m m e n , Mit Zweigen die sie sorglich zwischenstemmen, Und nichts vom Pferdeklingern dort erhörte, Doch eine Glocke, die mich tief im Innern störte. Gleich roch ich auch so was von heiigem Wort, Und sah daß an demselben blutgen Ort, Wo neulich erst der F u h r m a n n war erschlagen, Ein armer Einsiedler sein Hüttchen aufgeschlagen W i e R e g e n w ü r m e r nach d e m Regen steigen, So müssen sie bey jedem Blut sich zeigen, Und hindern da m i t ewigem Gebet, D a ß uns dort keine neue T h a t geräth. Was schwatz ich doch? Ich sollt und k a n n nicht schlafen, So f ü h l ich weniger des Wachens Strafen, N u n also hört ihr früherwachten Fliegen Ich sah den Einsiedler da betend liegen, Sein Esel graste fern an unserm Wege I m Aerger will ich mich an i h m begnügen, Doch wie ich meine H ä n d e an ihn lege So sah ich erst daß er m i t Kreutzeszügen Bezeichnet ist auf seines Rückens Fläche, Weil Christus auf dem heiigen Thier geritten. Da packte mich schon wieder alte Schwäche, Und wandte mich zu Oferus m i t Bitten 11

3|1|4'

Textteil A Er möchte doch das Thier zurücke lassen, Es würde nicht zu unsrer Eile passen. Er sah mich an und ließ es diesmal gelten, Daß ich vor mir so heimlich muste schelten, Weil ich das schwarze Kreutz doch angesehn, Und es nicht wollt aus meinem Kopf vergehn. Darum wollt ich mit eingen Neckerein Mich dann zerstreun und hörte Rinder schrein, Und brummte, wie die bösen Fliegen pflegen, Wobey die Rinder sich aufs Laufen legen, Doch denkt die Hirtin rief kaum an den Herrn, So thät er ihrer Heerd die Ohren sperrn, Daß sie von meinem Brummen nichts vernommen, Da bin ich doch vor Aerger fast verkommen, Ists nicht genug, daß er die Welt belehrt, Was soils, daß er auch jede Magd erhört. Ich dacht mich an dem Mädchen noch zu rächen, Und zeigt ihr Gold und thät dann sprechen; Hör Mädchen du gefällst mir gar zu sehr Erlaub mir einen Kuß und dann noch mehr, Du hast ein Paar so lieblich rothe Backen, Ich muß dich einmal derbe daran packen Du hast so krause Häarlein, wie von Gold, Und bist doch arm, bestimm dir einen Sold Du hast ein Paar so tüchtge runde Beine Die suchen zierlich nach dem trocknen Steine Und wie im Gehn das grüne Röcklein schweift Der Wind erbebend wie im Walde streift Ja seh ich deiner Brust geschnürtes Nest, So möcht ich steigen auf die schlanken Aest, Und möchte nach den beyden Eyern greifen! Und eine Ohrfeig hört ich um mich pfeifen, Daß ich betäubt mit Panzerhemd und Degen In einen Graben fiel, der voll vom Regen, Jezt merke ichs, sie trug an ihrer Brust Ein Knöchlein von St Veit, das mich bekämpfen must Es giebt jezt kein so armes Schelmenpack Sie haben doch Reliquien im Sack! 12

F 2 , Kapitel 1,2

Hab ich darum die Märtirer gemacht, Daß ich um ihre Knochen werd verlacht Da hätt ich sie viel lieber ganz gelassen, Sie ehrten mich doch noch mit ihrem Hassen. Die jezge Brut, die last nicht mit sich spassen, Gleich brummein sie ein Lied und ein Gebet, Das mir die kalte Gicht in alle Adern weht, So gings mir auch im kalten Wassergraben, Es krächzten über mir die schwarzen Raben, Als läge da für sie ein todtes Vieh, Das Mädchen hob die Röcke bis zum Knie Und lief zum Liebsten durch den tiefen Grund, Der ackerte, sie fiel an seinen Mund, Und sprach zu ihm, da lachten sie helllaut, Der Kerl reckt den Hals und hat geschaut Wo denn der Rittersmann so weich gelegen, Den sein Feinliebchen straft verwegen, Dann packt er sie wie einen bunten Ball Und warf sie in die Luft und fing sie in dem Fall. Da schwand mir alle Lust mit ihm eins anzubinden, Und Oferus schien das so schwach zu finden Daß er sich einen Weidenbaum vom Boden riß, Und ihn weit übers Haupt des Bauers schmiß, Da kriegte dieser einen mächtgen Schreck, Und schlich sich gleich mit seiner Schönen weg. Das war die zweyte Ursach, daß er mich Verließ, die dritte war recht ärgerlich. Ich weiß es nicht, woher es eben komm, Daß alle schöne Weiber jezt so fromm, Und alle Häßlichen auf wüsten Gängen, Mit Zauberei sich trotzig an mich drängen Bin ich darum vom Himmel einst gefallen, Daß ich jezt keiner Schönen mag gefallen Und muß mich mit den Häßlichen stets quälen, Mit grauen Hexen ewig mich vermählen Das ist ein schlechter Spas auf dieser Erden Viel lieber möcht ich ein Heiliger werden, | Kaum wollt ich ruhen von dem nassen Fall 13

Textteil A

So r u f t mich R u n a an den Wasserfall Durch ihrer Zeichen k ü h n e Zauberlist, Die alte Vettel eine Ziege vermisst, Die sich beym Trinken an dem Fels verstiegen Ich sage ihr sie hätt noch viele Ziegen, Sie aber droht mit ihrem stumpfen Messer Was will ich thun, ich wate durchs Gewässer Und auch m e i n Oferus m u ß mit hinan Daß ich die Ziege ihr n u r retten kann, Gewiß die Tugend macht k a u m halb so viel M ü h Als ich hab ausgestanden bey dem Vieh. Nun mein ich frey zu seyn aus ihren Klauen, Da m u ß ich ihr zerzaustes Grauhaar k ä m m e n , Und sie erzählt mir ihre d u m m e n Streitigkeiten, Wie sie die Milch verhext den Nachbarsleuten, Den Kapuziner in Versuchung führt, Dabey hat sich das alte Weib geziert Und mich zum Tanz genöthigt auf die Nacht, Obgleich ich stets mit ihr werd ausgelacht. Ich lud sie ein, da lies sie endlich los, Und Oferus der sah mich an so gros, Mit welch Gesindel ich mich eingelassen, Da must ich m a n c h e n Einfall i h m verprassen. Erzählte i h m mit welcher Schmach ich angethan Den Herrn der Welt auf seiner Erdenbahn Wie er gegeisselt worden und verspottet, Als ich das Judenvolk zusammgerottet. Und wie ich so m i t frechem Witze scherze, So ists als ob ein Zentner fiel aufs Herze Als ich a m Weg ein steinern Kreutz erblicke, Es packet mich die Angst ich m u ß zurücke, Ich fürchte mich, er möchte sehn m e i n Beben Und m u ß so heftiger in Herzensschlägen leben Die Augen m i r eindrücken, wider Willen schreien: Ο Hölle kannst du mich nicht von dem Kreutz befreyen! Doch Oferus, der hält m e i n Pferd beym Z a u m e Und spricht: Jezt Herr da helft mir aus dem Traume, Ihr macht euch i m m e r groß vor mir m i t Pralen, 14

F2, Kapitel 1,2 Ich lasse mich damit nicht mehr bezahlen | Ich trat in euren Dienst wie alle Heiden Euch wie ihr Schicksal traurig furchtsam meiden, Durch Frömmigkeit sah ich euch überwunden Durch Zauberei zu hartem Dienst gebunden, Und jezt durch Christi heiiges Bild vernichtet, Das hat den trüben Sinn in mir gelichtet Ich dien dem Mächtigern der starb und lebt Den euer Spott in eurer Angst erhebt. Ich rief umsonst: Sieh zu der ist von Stein Der giebt dir keinen Sold und keinen Wein Den hat ein Steinmetz trunken ausgemeisselt, Mit rother Färb hat ihn ein Kind gegeisselt, Er hat gar nichts von jenem Nazarener, Und das bestätigt dir ein jeder Kenner. Doch Oferus sprach ernst die schweren Worte Mir wars als käm(s) sie ihm aus höherm Orte, Als sah ein andrer Geist aus seinen Augen, Er könnt es nicht aus seinen Fingern saugen; Er sprach: Wie mächtig ist des Herren milde, Daß er noch hier im schlechtesten Abbilde Dich wilden Teufel konnte so erschrecken, Soll mir das nicht den festen Glauben wecken, Er sey der Herr der Welt, den du verleugnet, Der dich mit Zweifel und mit Furcht gezeichnet, Der deinen unstät flüchtgen Feuergeist, Aus aller gegenwärtgen Lust entreist Aus langersehnter Lust zu grimmen Planen, Die dir zu hoch dich deiner Schwäche mahnen. Ich wollte reden, doch wie dürrer Staub Ward jedes kluge Wort des Athems Raub, Und Oferus stieg ab vom Roß so stumm, Sah sich nach mir mit keinem Blicke um Da hörte ich am Berg die Wagen hemmen, Das wollte mir mein ganzes Herz beklemmen Es ward der Wurm in meinem Leibe wach, Und wandte sich und stöhnte aus sein Ach Da hat mich die Verzweifelung betäubt, 15

Textteil A

Mit m e i n e m Dolch hab ich mich da entleibt Doch weh, wie alles Blut mir da entrinnt Mein ganzes Wesen sich erst recht besinnt, | Und fliest aus Herz und Kopf in eins zusammen Und sinkt herunter in der Hölle heisse F l a m m e n , Da lachen mich die andern Teufel aus: Giebst du den E r d e n w ü r m e r n einen Schmaus Bist du ein Narr, du meinst davon zu kommen, Und wirst noch heute frischen Leib bekommen, D u meintest dich zu treffen, trafst n u r deinen Schatten, Dein Höllenfeuer brennt noch ohn Ermatten Fort, fort, zieh deinen Körper wieder an, D u kennst dein Heilkraut, daß er tanzen kann Heut Abend an dem grossen Brockenfeste, Es ziehn von allen Seiten schon die Gäste! So hilft mirs Sterben nicht, so ist denn keine Macht Die mich vernichten kann, und ausgedacht Sind nie die Schrecken in dem innern Geist: Weh weh, wie mirs in allen Gliedern reist! Das alles k o m m t vom Sohn der J u n g f r a u her Er setzte auf den Nacken mir des Kreutzes Speer Er hat auf Romas T r ü m m e r n seinen Sitz erbaut, Daß alle Welt in Einheit ihn erschaut, Ο Zauberey der irdischen Gewalten, Die mich so oft in h a r t e m Zwang kann halten, Der Kräfte Spiel in Zeiten und in Zeichen, Dich rief ich lange schon, nur dir kann weichen, Der Wissenschaft, die alle Welt umfasst Der Geist der übermächtig scheint als Gast, Als Grus von einem f r e m d e n höhern Stamme, Als eines höhern fernen Lichtes F l a m m e D u weist es in dem Eignen zu entdecken, Und unterwirfst uns m a n c h zukünftig Schrecken, Ο sey mir günstig, wolle m i r verkünden, Ich will mich dir durch ewgen Schwur verbinden Wie ich die Stoffe kann zu meiner Liebe beugen U m so ein reines Kind mir zu erzeugen, Auf daß es m e i n e n Geist i m irdschen Leben 16

F 2 , Kapitel 1,2

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Weit übern Nazarener kann erheben | Und durch die Herrschaft über irdsche Masse Der Liebe Reich kann opfern meinem Hasse Gedenk, wenn du mich ohne Lohn last schmachten, Wer wird ο Wissenschaft nach dir noch trachten.

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Während er die falsche Wissenschaft, das wilde Höllenspiel so sehnlich anrief, erwachte das Kind und schrie nach Kinderart, das überfuhr Luzifer so freudig, daß er erst nicht hinzusehen wagte nach der Glokke, endlich erkannte er die schöne Gestalt des Kindes, das auf dem Quecksilber schwamm. Er wagte es nicht anzufassen sondern sprach: Ich wagte nicht nach meinem Glück zu blicken Nun drängt mich qualvoll sicheres Entzücken, Ich habs entdeckt und nicht durch Gottes Gunst, Durch eignen Scharfsinns allerhöchste Kunst, Den Menschen frey vom Menschen mir zu bilden, Wie sieht das Kind mich an aus den Gefilden Der starren Nacht, aus kalten Silberwellen, Die ihm den Fuß nicht netzen, doch erhellen, Wie stösst es klingend an die harte Luft, An die kristallne hochgewölbte Gruft, Du bist aus meinem Geiste ausgegangen Dir seh ichs an, hast Augen wie die Schlangen, Laß dich doch recht beschaun, ja irr ich nicht, Du bist ein Mädchen sagt mir dein Gesicht. Ganz recht, so sollt es seyn, von einem Knaben Entstieg die Krone, die du sollst begraben Und ein Geschlecht bekämpft das andre stets. Wärst du doch ich, ich neide dich, ich thäts Gern selbst! Doch das kann nun nicht anders seyn, So steig heraus, du bist doch wenigstens ganz mein. Jezt nahm er das schreiende Kind unter der Glocke hervor, doch wie er dessen Arme betrachtete sah er leichte seidne | Flaumfedern daran 3|5|V* hervorbrechen. Gleich riß er die aus, damit ihm das Kind nicht einst entfliegen könnte, aber das Kind sah ihn darauf an und schrie immer fürchterlicher, und regte ihm eine so bittre Bosheit daß er es hätte zernichten mögen. Erst jezt erinnerte er sich, was die Liebe alles von einem Kinde erträgt, was aber ihm unmöglich auszustehen war. Er sann nach, wem er des Kindes Pflege übergeben sollte, als Spiegel17

Textteil A

glänz, den er schon oft gelockt, aber nie ganz in seine Gewalt hatte bekommen können, neugierig am Rande des Kraters erschien. Gleich fuhrs ihm durch den: Er soll für mich das seltne Kind aufziehen, ich nehm den Lohn, er trägt die ersten Mühen. In dieser Absicht nahm er die Gestalt eines griechischen Naturforschers Sokrates, bey welchem Spiegelglanz auf seinen Reisen ein Collegium gehört hatte. Spiegelglanz erkannte und begrüste ihn scheinbar freundlich, aber in geheimen Kummer, daß jener gleiche Entdeckungen mit ihm theile; er stieg hinunter bewunderte das Geräth, das da umherstand, noch mehr das Kind, welches Sokrates in einem Steine eingeschlossen gefunden zu haben behauptete, das also von dem Schöpfungstage irgendwie durch einen Unfall abhanden gekommen, die Zauberkräfte Adams alle be3|5|2r wahren müsse, | von denen die Schriftsteller erzählen. Spiegelglanz war ausser sich im Entzücken, von Kröten die lebendig in Steinen eingeschlossen hatte er gehört, von Kindern nie, eine Unzahl von Versuchen stand in seiner physikalischen Begeisterung auf. Er versuchte, ob das Kind auch schreie, wenn es gekniffen wurde und es schrie, ob das Feuer es brenne und es schrie, sein wildes Herz beschwor heimlich, daß er das Kind nie herausgeben wolle. Als nun Sokrates aus der Tiefe die Leiter hinauf zu steigen beschloß, um das Kind in Sicherheit zu bringen, so ließ er ihn voran die Leiter betreten und blieb mit dem Kinde unten stehen. Als er den Freunde dem Lichte nahe sah, da kam es ihm vor, als ob jener die Leiter oben hinaufziehen und ihn in der Tiefe einsperren könnte. Deswegen wollte er die Leiter nur halten, aber statt zu halten bewegte er sie heftig, er wüste nicht warum, Sokrates stürzte herab und scheinbar todt mit kurzem Ausrufe nieder. Ehe Spiegelglanz sich überzeugt hatte, daß er todt sey, entschuldigte er sich gegen ihn, dann vor sich selbst Spiegelglanz.

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Mein Freund, ach welches Unglück muß uns trennen, Die Leiter wollte mir die Hand verbrennen Sie stand dem grossen Feuer viel zu nah, Ich zuckte mit der Hand, sie wankte da Durch meine Schuld, doch ohne meine Willen, Wie schaff ich Rath, könnt ich das Blut nur stillen. | Er lebt nicht mehr, es war nicht meine Schuld, Ich weiß es, nein, es war nur Ungeduld, 18

F2, Kapitel 1,2

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Ich wünschte seinen Tod, ich leugne nicht, Gedanken sind doch frey, wie jeder spricht. Daß meine Hand gezuckt, das kam vom Feuer, Sie ist gestraft und wäre ich ein Schreier Wie dieses Kind, ich könnte schrein und klagen Kaum weiß ich meine Hand vor Schmerz zu tragen Welch dummer Einfall, daß ich ihn beneidet, Er war mein Freund, ich fühl es da er scheidet Wie wurde ihm der rasche Tod so leicht! Ja endlich werden mir die Augen feucht, Ο süsser Trost am Grab des Freunds zu weinen, Die Ewigkeit wird uns dereinst vereinen. Des Ruhmes will ich viel für diesen Todten stiften Und dieses Kind sey jezt aus finstern Grüften Emporgehoben zu dem hellen Tage, Daß seine Liebe stille meine Klage. Doch vorher will ich so die Leiter stellen Daß nicht der Tod uns lange kann gesellen Da droben lege ich das kleine Kind Der Wölfin an die Brust, das nährt geschwind, Die Wölfin, die ich zähmte zu dem Schlitten Erhört gewiß des Kindes Jammerbitten, Ward Romulus doch stark an solchen Brüsten, Die Feigheit der Natur weicht wilden Lüsten, Mir war bestimmt so wunderbares Werk, Dem armen Freunde fehlte doch die Stärk, Er starb, ich lebe weiter und vollende Wobey ihm zitterten die schwachen Hände. Während Spiegelglanz mit dem Kinde vorsichtig die Leiter hinan stieg, verwandelte sich Luzifer aus der Gestalt des Sokrates in eine Aschenwolke, wie sie der Hekla häufig ausstösst | und erhob sich mit 3|5|3r ihm und rief ihm oben in fremder Stimme, wie ein Abgesandter des Lichtes zu: Heil dir, Heil dir, du Gottestochter, Heil dir, Heil dir, Prophet der Tochter. — Spiegelglanz sah rings umher, wer ihn gerufen und starrte endlich fragend zu der Wolke empor, die ihre Fledermausflügel über ihn ausbreitete und sprach:

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Textteil A

Heil dir, ich bin der Engel Gabriel Ich grüsse dich du alles Heiles Quell, Es giebt nur einen Gott, der wohnet tief, Und dieses Kind an seinem Busen schlief, Der Gott der Höhen ist der Feind der Welt! Du bist dem Kinde als Prophet gesellt. Durch meine Kraft sollst du viel Wunder thun, Doch laß noch dies Geheimniß in dir ruhn, Bis dieses Kind in allen Künsten mächtig Den heiigen Stuhl besteigt, vor dem andächtig Des falschen Gottes Schaaren dienend knieen Dann sollst du vor der Welt in Worten blühen, In Wundern dieses Kindes Macht bewähren, Bis dahin suche treu das Kind zu nähren. Spiegelglanz. Ich höre dich, ich schwöre deinem Willen, In Demuth schwör ich's Grosses zu erfüllen Und jedes deiner Wort in Erz gehauen, Kann ich mit goldner Schrift im Hirne schauen. Verlaß mich nie, wenn ich dein Wort bedarf, Sey meine Seele deiner Freuden Harf, Und spiel darauf mit deinen Segensfingern Ich will vergrössern nicht und nicht verringern Nein treulich wie ein Spiegel deiner Worte So sey mein Mund nur deines Geistes Pforte. Luzifer. Heil dir, doch halt geheim den ewgen Bund, Ich löse deine Zung in dieser Stund, Daß du nicht mehr zu stammern brauchst im Reden, Nein daß der Rede viel verschlungne Fäden | Mit leichter Müh die ganze Welt umstricken, Betrüge sie um sie recht zu beglücken Die Lüge sey dem Zwecke unterthan, Brich mit Gewalt dir selbst die kühne Bahn, Erscheine hochgelehrt und wisse nichts Und jede Schule freu sich deines Lichts.

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F 2 , Kapitel 1,2

Spiegelglanz. Dank, dank, ich fühl mein Haupt gesegnet rauchen Ich möchte dich mein Gabriel noch schaun, Kannst du die Asche mir vom Auge hauchen Ich werde nicht vor deinem Glanz ergraun Kannst du die Gluth von meinen Lippen kühlen Mit einem Kuß von deinem süssen Mund Kann ich durch dich auch wieder Jugend fühlen So weck auch Liebesmuth im Herzensgrund Luzifer. Gesandter Gottes, deines Weges denk, Du überspringst in Wünschen alle Mühen, Was deines Lebens höchstes Preisgeschenk, Das kannst du nicht als Handgeld dir einziehen. Wenn du erreicht, was dir ist aufgetragen, Wird dir im Kind der Liebe Herz neu schlagen, Als Jungfrau wird dir ihre Liebe danken Des Lehrers Strenge und verständges Zanken, Entführ das Kind zu mildern Regionen, Es muß dereinst auf Romas Trümmern wohnen. Bey diesen Worten verschwand Luzifer, die Sonne glänzte über die beschneiten Bergwipfel und Spiegelglanz sprach: Der Morgenwind entführt den Aschenregen, Doch nicht das Kind, das mir am Busen weint, Kein Engel mir auf weiter Flur erscheint Doch fühl ich mich auf hohen Gnadenwegen. Die Gnade hat mich diesem Kind vereint In ihm soll sich mein Herz einst wieder regen, | Ich träume schon von diesem fernen Segen, Und bin nicht mehr wie sonst in Frost versteint Ein Mädchen ist das Kind, das in den Klüften Geheimnißvoll und unerkannt mir ruhte, Wie jubelt meine Wonne allen Lüften Wie zittert meine Hand, wie tobts im Blute, Die Lieb verschließ ich jezt in Herzensgrüften, Bis sie entwächst als Göttin meiner Ruthe.

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Textteil A 2. (3·) Spiegelglanz kam glücklich mit dem Kinde den Berg herab zu seinem Berghause, wo er in Einsamkeit der Naturbetrachtung lebte. Er nehte das Kind in einen Wolfspelz und ließ es von einer Wölfin aufsäugen. Nach einem Jahre, sobald es die gewöhnliche Nahrung ertragen konn- 5 te, sperrte er es in einen eisernen Kasten und bestieg mit ihm ein Schiff, das nach Rom bestimmt war. An der nordfranzösischen Küste litt er Schiffbruch und verlor seine Schätze, das Kind aber rettete er, zog damit gegen Paris hin, versteckte es vor der Stadt in einer Höhle des Montmartre und meldete sich als Geistlicher zu einer Schulstelle. 10 Seine Sprachgelehrsamkeit gewann ihm die Stelle eines Lehrers, er ward das Schrecken der Jugend durch seine Strenge. Da er abgelegen wohnte, so konnte er dem Kinde ungestört tägliche Nahrung in den Kasten bringen. So waren zwey Jahre vergangen, ein neues Maylicht versprach die hellen Gefilde mit unendlicher Lieblichkeit zu grüssen, 15 er trug das Kind vor Sonnenaufgang auf die Spitze des Montmartre, 3|5|4" um den Urnamen | der Sonne in dem verwunderten Ausrufe des Kindes, das sie noch nie gesehen zu beobachten. | 3(1113r Spiegelglanz. Erhebe dich du lichter Sonnenwagen, Dich nennet heut ein göttlich reiner Mund, Wie deine Räder jezt am Felsen schlagen, So thun sie sich in tausend Strahlen kund, Doch will ich erst dein volles Licht erwarten, Daß deine volle Kraft dem Kind erscheint, Daß es ein Leben, einen selgen Garten In dieser Welt Alltäglichkeit vermeint. Was ist's, das ferne lacht? Ich wag es nicht sie aufzudecken. — Ο war es nur vollbracht, Durch sie die Ursprach zu entdecken! — Sieht sie der Sonne Rund, Ich barg zwey Jahre sie im Dunkel, Gewiß ruft da ihr Mund Den wahren Namen im Gefunkel, Dann zeigt es sich sogleich, Wer Gottes Sprache spricht auf Erden 22

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F 2 , K a p i t e l 1,3

Dem Volk gehört das Reich, Dem soll auch einst die Herrschaft werden. — Mir war's, als hört ich schrein, Ich will das Kind im Busch verstecken, War tausendmal allein, Und heute muß Gesellschaft necken! Bey Gott, es schweifen da Viel lustge Sänger an den Höhen, Es kommen mehrere mir nah, Ich hör sie, werd sie bald auch sehen Und meine in der einen Stimm, Den Schüler Raphael zu kennen, Den schreck ich fort mit meinem Grimm, Wie werden ihn die Kohlen brennen. | Luzifer in Wolke Die Vögel, die am frühsten singen Die frist der Habicht auch zuerst, So müssen die zu dir jezt dringen Damit du sie recht scharf belehrst. (() Wandernde Schüler ziehen vorüber, sie sind vermummt.) Raphael. Aus der Schule schlich ich gestern, Wollt im Keller ganz verstohlen Mir vom frischen Moste holen Doch der Keller war verschlossen Und der Kellner sprach verdrossen: Spiritus Sylvester hauset, Horche nur am Schlüsselloch, Wie er in den Fässern brauset! Doch so lieblich es drin roch. Chor. Was begeistert, hat gebrauset Wenn der Sturm im Meer gehauset Wird nach Perlen eingetaucht; — Seht wie der Champagner raucht Wie lieblich er strebt Und Perlen erhebt. (Sie trinken) 23

Textteil A

Spiegelglanz. Heda nun kenn ich euch ihr Buben Wohin? Bleibt doch auf euren Stuben. Es ist kein Feyertag zum Saufen Ihr könnt den Schlägen nicht entlaufen. (Die Schüler lachen) Raphael. Nach der Kammer meiner Schwestern Ging ich dann, um Milch zu trinken An der Thüre must ich klinken, Ganz umsonst, sie blieb verschlossen, Und das hat mich erst verdrossen; Doch als ich recht eifrig lauschte In dem kränkenden Verdruß, Hört ich, daß es drinnen rauschte Und ich merkte Spiritus. Chor. Was beym Weine der Sylvester Wird zum Liebsten bey der Schwester, Es ist kohlensaures Gas Sprach ich zum Champagnerglas Was Liebe hier sey Vergaß ich dabey. | Raphael. Und ich könnt nicht länger warten, Neugier trieb mich zu den Höhen, Diesen Spiritus zu sehen Und bald brauste da im Herzen Mir ein Geist mit süssen Scherzen; Aus dem Herzen, aus dem Munde Drang der Spiritus Sylvester Alles sang die eine Stunde Und verschloß mich dann so fester. Chor. Was begeistert hat gebrauset Was im Sturm durch Wälder hauset 24

F2, Kapitel 1,3

Auch im Duft der Blumen spielt Selig, wer es mitgefühlt, Ein ahndender Geist Die Wege ihm weist. (Sie trinken) Spiegelglanz. Ist solche Frechheit je erschienen Aus diesem Wein steigt ihr Erkühnen, Sie achten ihres Lehrers nicht, Doch merk ich mir ihr Angesicht, Der mit dem Schnurbart sich bemalt, Der hat die Zeche heut bezahlt, Und soll die Strafe auch erdulden, Er ist aus Rom und lebt von Schulden, Den soll mir der Pedell zerkeulen Daß er in Jahren nicht kann heilen. (Die Schüler zupfen ihn am Kleide, er sucht sich ihrer zu erwehren) Raphael. Ahndend sang der Fink im Garten: Daß du aus der Schul gegangen Hat dein Leben angefangen, Bald ein Mädchen dir begegnet, Die mit Lieb und Wein dich segnet, Denn sie horchte deinem Liede, Spiritus hat sie geführt Und mit Treue und mit Liebe Hat er deinen Mund geziert. | Chor. Was begeistert will zu allen Mit lebendger Stimme schallen Und will Liebe einsam seyn, Der Gesang ruft Freund herein Und Spiritus schwebt Uns alle belebt. (Sie trinken und wollen mit ihm tanzen)

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Textteil A

Spiegelglanz. Wer mich jezt anrührt, stech ich nieder Raphael. He alter Narr, sing mit die Lieder, Die uns der Augenblick erfand, Wie eilig rinnt der Uhren Sand Ich bin noch jung werd du es wieder. Spiegelglanz. Ich bin noch nicht zu alt zur Zucht. Raphael. Im Hörsaal sind wir in der Flucht, Versuch es hier wir werden Stehen Trotz deinem grimmigen Ansehen, Kriegst Schlag für Schlag wir wollen zählen, Du thätest uns schon lange quälen. Spiegelglanz. Es spricht der Wein aus dir du Knabe, Raphael. Der Wein ist eine Gottesgabe, Im Wein ist Wahrheit, freyer Muth Was Gegenwart des Geistes thut, Und wie der Geist sich dem ergiest Den er nach seiner Lieb erkiest, So spricht der Wein in allen Zungen, Und alles Lernen ist gelungen. Bey einem frischen Glase Wein, Auf Brüder schenkt dem Docktor ein. Spiegelglanz. Kein Tröpflein geht in meinen Mund Ich lese Messe in der Stund. Raphael. Du willst die Messe lesen heut, Die Kirche ist zwey Stunden weit, Was treibst du hier, es ist nicht richtig, Er hatte sich vor uns versteckt, Ich ward ihn hinterm Busch ansichtig. 26

F2, Kapitel 1,3 Viele. Laß seyn, das heist zu viel geneckt Er wird ganz blau, ihn rührt der Schlag Wir gehen weiter, guten Tag. | Raphael. Ich sag euch bleibt, es ist nicht richtig Er spräche sonst kein höflich Wort. Spiegelglanz. Ich sag euch geht, es ist nicht richtig In seinem Kopf, jezt führt ihn fort, Ich bete gern an diesem Ort, Wenn Gottes Sonne hier aufgeht, Daß nicht umsonst der Tag vergeht. Raphael. Wer sich entschuldigt, war doch schuldig, Seht nur wie er so ungeduldig Nach allen Seiten blickt, nach einer Da sieht er nicht — ey seht ein Kleiner Ein Kind liegt hinter jenem Busche, Du winkst, daß ich es hier vertusche. Nein, nein, seht her, beschaut es alle, Wir tragen es mit lautem Schalle, Zum Recktor unsrer hohen Schule, Das ist ein rechter frecher Buhle. Ey seht das Kind ist ihm recht gleich, Das wird ein Jubel in dem Reich, Der Schulmonarch wird eingemauert, Du Heuchler sieh wie du belauert, Wie du mit bleichen Lippen brummst, Vor meinen Worten ganz verstummst. Spiegelglanz (leise vor sich) Der kalte Schweis bricht mir schon aus, Ich muß entfliehn der hohen Schule! Ich ein Prophet in solchem Graus, Der einst sich naht zu Gottes Stuhle

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Textteil A Luzifer (in Wolken) Laß dich von Sorgen nicht erschüttern Es naht die Rache in Gewittern, Dein Gabriel schwebt über dir, Erschreck du Heilger nicht vor mir. | 3|1|16" Raphael. Du hast kein Wort für dich zu sagen Sieh nur wie rasch die Wolken jagen Und decken dir der Sonne Licht Du deckst dein schelmisch Angesicht. Spiegelglanz. Ich mag euch Frevler nicht erblicken, Mein heftger Zorn würd euch erdrücken Ihr Wolken zieht euch rasch zusammen Auf die Verräther schiest die Flammen Aus eurem schwarzgespannten Bogen: Wie rasch ist euer Pfeil geflogen! Indem er diese Worte sprach sendete Luzifer einen seiner nachgemachten Blitze auf den armen Rap(h)ael, daß dieser mit einem kurzen Ausruf bewustlos niederstürzte Raphael. Wie wohl wird mir! Spiegelglanz. So geh es allen Die den Geheiligten des Herrn anfallen. Wie wirds euch gehn! Ein Schüler. Gott strafet schnell! Ein andrer. Erschlagen liegt schon der Gesell Und neue Donner auf uns rollen. Ein andrer. Ich seh den Meister tückisch grollen.

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F 2 , Kapitel 1,3

Ein andrer. Der Meister straft mit ernstem Blick, Flieht, flieht zu unsrer Schul zurück, Spiegelglanz. 5

Der Strafe sollt ihr nicht entfliehn, Ein Schüler. Ha seht wie seine Augen glühn, (Alle entfliehn) |

Luzifer (mit den Flügeln einer schwarzen Gewitterwolke über Spie- 3|1|17Γ 1 ο gelglanz)

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Steh auf du Liebling des Herrn, Du Wächter des heiligen Kinds, Ich bleibe dir nimmermehr fern, Ich komme auf Flügeln des Winds, Ich stärke mit Donner den Freund, Ich strafe mit Blitzen den Feind Es liegt dir zu Füssen der Freche, Auf daß ich dich Herrlichen räche. Spiegelglanz.

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Ich wage dich nicht anzuschaun, Es hängt ein graues Felsstück droben, Und füllet mich mit kaltem Graun, Es ist in dir ein wirbelnd Toben Und alles hängt doch nur mit Flammen Zu einem Bogenbau zusammen. Ich werf mich auf mein Angesicht Ο Herr zerschmettre mich noch nicht. Luzifer.

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Was fürchtest du Starker von mir, Du Führer vom mächtigsten Kinde, Doch eil mit der Stunde von hier, Daß keiner der Schüler dich finde Spiegelglanz.

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Wohin ο Gabriel geht meine Strasse, Daß ich entflieh der Schüler wildem Hasse? 29

Textteil A

Luzifer. Dein Rath und dein Herrscher ist nah, Befrage das Kindlein sogleich, Wohin es blickend jezt sah, Dort winkt dir ein schützendes Reich. Vollbringe was Gott dir gebeut Entfliehe zum mächtigen Land Des Sprache das Kindlein erfreut Im steigenden Morgen erfand. | Spiegelglanz. Mein Gabriel noch schwieg ihr Mund Gerissen an das Tageslicht Durch der Verräther Bund Glänzt stumm des Mädchens Angesicht. Luzifer. So wisse sie schweiget verschämt, Du sagtest so keck ihr Geschlecht, Das hat ihr die Zunge gelähmt, Geheimniß ist Heilgen gerecht, Es mag noch zu beyden sich wenden Es liegt noch in schaffenden Händen, Der Himmel kennt keine Geschlechter, Und keines von beyden ist schlechter Johannes benenne das Kind Bewahr es als Knabe bey dir, Belehr es wie geistliche Knaben, Bald zeigt es die himmlischen Gaben Und steiget zum päpstlichen Thron, Dann blühet dein leiblicher Lohn. Spiegelglanz. Du schwindest schon im hellen Himmelblau, Und noch beengen mich so dunkle Fragen, Du rissest mich empor daß ich erschau Der weiten Zukunft fabelhafte Sagen, Und das ganz Nahe, was der Tag verlangt, Ist mir nicht klar und trüb mein Herz umbangt.

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F2, Kapitel 1,3 Des Kindes Blick hat unstät sich gewendet, Und noch kein Wort hat mir sein Mund gesendet. | Luzifer glaubte sicher, da Spiegelglanz gewöhnlich Latein rede, das 3|5|5r Kind würde auch diese Sprache nachbilden, aber ein sonderbarer Zufall trat zwischen. Die fromme Wachtel erhob ihre Stimme im Grünen mit dem heiligen Gebote: Lobe Gott! und das Kind sprach es freudig nach, so gut es vermochte. Diese deutschen Worte meinte Spiegelglanz an dem Kinde zu hören, wer hat einer Theorie zu liebe nicht Aehnliches an Kindern zu vernehmen gemeint, er war entzückt über die Ursprache etwas Entscheidendes zu wissen, wartete nicht, ob das Wort sich wiederhole sondern eilte zum tiefen Verdruß des Luzifer gen Osten zu den deutschen Stammgenossen. Luzifer sah ihm zornig nach und sprach: Verdürb ich nicht mein ganzes Unternehmen Ich drehte heut schon um sein dürr Genick Es will mich Gott doch überall beschämen Im kleinsten Vogel wirket sein Geschick, Und wenn ich meinen Plan fast ganz vollbracht, Gott einen Strich durch meine Rechnung macht. Zum Römerland sollt ihn die Sprache führen, Denn manch Verderben schützet da den Trug, Verfluchte Wachtel, gleich sollst du krepieren, Mein Geyer zieht schon über dir im Flug, Da weiß sie sich im Grünen zu verstecken Und alles Grün will sie mit Liebe decken. Ο hätte ich noch meinen Oferus, Der würde gleich sein künstlich Netz ausstellen, Ich sah ihn heut mit schweigendem Verdruß, Er betete dort an des Rheines Wellen, Und wenn die frommen Pilger wandernd kamen, Trug er sie übern Strom in Gottes Namen. | Was hilfts, daß ich die Brücke reisse ab Und manches Schiff im Binger Loch zerstücke, Er geht an seinem hohen Tannenstab, Und dienet schwimmend da als Brücke, Ich hoffe, daß ich einen Heiden finde, Der ihn mit Schwerdt und Lanze überwinde 31

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Textteil A

In solchem Aerger verschwand Luzifer, während Marton, Raphaels Braut mit einem Henkelkruge voll Wein sich rufend nahte. Marton. He Raphael, wie weit soll ich noch laufen, Ich muß mich einen Augenblick verschnaufen, Wie muß ich traben an dem Hochzeittag, Wo jede Braut sonst stille sitzen mag, Und sich bedenken, Wie Gottes Wege sie nun lenken. St Dionis da liegt mein Herr und schläft, Und thut als ob er mich nicht herbestellt, Hat mich behorcht, das nenne ich geäfft, Er schläft doch wirklich — wie er mir gefällt, St Dionis ich krieg den schönsten Mann Den man auf Erden sehen kann, Ich kanns nicht sagen, So hab ich ihn noch nie gesehn, Als wenn in frühen Tagen, Des Gartens Blumen duftend wehn, Da möcht ich nicht allein den Strauß mir pflücken, Ich möchte mich vergessen im Entzücken, Und auf den Blumen träumend ruhn: Ach Gott, wie viel ist noch zu thun! Ich küsse ihn, ich muß es wagen, Er soils nicht wiedersagen, Ich stopfe ihm den Mund Mit einem Kusse und . . (sie küsst ihn) | Raphael, (erwachend vom Scheinblitze Luzifers) Ist das der Blitz, der mich umschlungen Ist dies das Kind, das ich gesehn, Was hat mit Schmerzlust mich durchdrungen, Wie ist im Schlafe mir geschehn. Bist du es Marton, die mich weckte, Du weist es nicht, wie tief ich schlief, Sahst du den Blitz, der mich erschreckte, Mit Donnerstimmen mich berief.

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F2, Kapitel 1,3 Marton.

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Was ist dir Raphael, verwirrt Dein Aug durch alle Büsche irrt, Du siehst nach andern, findest mich, Das kränket dich. Ich küsste dich. Raphael.

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Wo ist der Docktor, den der Teufel heckte War das ein Traum, als ich hier schlief, Daß ich mit einem schönen Kind ihn neckte, Als er mich trotzig hier zur Schule rief. Bist du vom Himmel mir gefallen, Der Donnerkeil, der mich durchglüht, Ο fühl, wie meine Pulse wallen, Und wie mein Mund dich an mich zieht. Marton. Ο laß das Sprechen, küsse nur Denn ich verliere sonst die Spur, Die mich zu deinem Munde lenket, Ein Wort ist aller Welt geschenket, Ich seh mich eifersüchtig um, Wohin es fliegt in stolzem Ruhm, Es ist ein Kuß in L u f t verklungen Sie trägt es fort und hats bezwungen, Was dir geraubt, was du verschenkt, Ach beydes schon die Liebe kränkt. | Marton entküsste ihm alle Erinnerung des Zwists mit Spiegelglanz des 3|5|6" Blitzes und Donners, auch kamen schon die Bauern von allen Seiten zur Hochzeit herbey und sangen Jung gefreit Hat nie gereut, lustig Heisa Hochzeit So eilte auch Raphael mit seiner Marton zur Hochzeit und wurde in Paris für todt gehalten. Er wird dem Spiegelglanz und dem Johannes im bedeutenden Augenblicke wiedererscheinen, er ist eine von den leichtsinnigen guten Seelen, mit denen der Himmel am meisten im Augenblicke wirken kann, weil keine Absicht ihnen die reine Ansicht der lebendigen Welt färben kann. Des Zusammenhangs wegen sey in voraus bemerkt, daß Raphael mit seinen Schwestern aus dem väterli33

Textteil A

chen reichen Hause durch die Bosheit seiner mächtigen Stiefmutter Marozia verbannt war, nachdem dieser der einzige Sohn durch die Amme geraubt worden, welche Missethat sie sich nicht schämte ihren unschuldigen Stiefkindern zuzuschreiben. |

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Luzifer hatte den Erzieher des Kindes wohlgewählt, oft glich er einem Teufel, aber dennoch blieb er ein Mensch, blieb menschlichem Verhältniß gebunden und nur indem er ihm mit der Prophetenstelle schmeichelte, konnte er ihn seinem Willen fügen. Gerade jezt trieb der Wunsch sich an Oferus zu rächen den Luzifer in die Ferne zu den Heiden, er wollte da einen Kämpfer sich dingen, der Oferus bezwingen könnte und ihn zur Behauptung der Gottheit Christi ausforderte. Das unterscheidet aber die Bösen von den Guten, den Teufel von Gott, daß dieser nie ein Geschöpf seiner Liebe unter der unendlichen Zahl vergisst, während jener über eine That seines Zornes alle Welt aufgiebt und alles aufopfert Wünsche zu befriedigen, die in ihrer Erfüllung ihm nichts werth bleiben. So kam es, daß Spiegelglanz jezt, wo er ausserordentlicher Hülfe besonders nothwendig bedurfte, ganz verlassen blieb und sich in Kummer und Elend mit seinem Kinde von Paris bis zum Rheine durchbettelte. Endlich eines Abends zwey Monate nach der Ausflucht, als die Sonne in seinem Rücken stand erhob sich glänzend ein Bergufer, das ein breiter Strom von ihm trennte. Eine Burg mit bunten Fahnen glänzte in der Höhe, eine sechseckige kleine Burg mit schwarzen Fahnen lag schon im Dunke(l)n der Schattenseite mitten im Flusse wie ein geankertes Schiff, am Ufer gegenüber stellten sich die Strassen eines dichtgebauten Städtchens eng zusammen, ein durchsichtiger hoher Thurm, durch dessen zierlichen Bau die Weinberge des Hintergrundes blickten läutete dem Abend ernst ent3|5|7v gegen ihm antwortete die kleine Glocke einer | Einsidelei an dem Ufer, wo Spiegelglanz mit dem Kinde stand. Endlich bemerkte er neben der Kapelle einen betenden Riesen, der die Glocke läutete und erschrack vor der mächtigen Gestalt. Dieser aber winkte ihm freundlich und gab ihm Brodt und Wasser zu seiner Erquickung, und freute sich des Kindes, das sich aber weinend von ihm abbeugte, ruhig sagte der Riese: Ihr seht, ich bin nicht nach des Kindes Sinn, Es thut mir leid, daß ich so gräßlich bin, 34

F 2 , K a p i t e l 1,4

Ich k a n n nicht anders, bin n u n so geboren, Wohl mir, daß ich das Christenthum erkoren. U n d n u n erzählte er i h m ausführlich, wie er einst als Heide lange d e m Teufel gedient habe in seiner chemischen Werkstadt u n d wie er da vom Feueranlegen i m m e r m i t Ofenrus bedeckt gewesen, woher sein N a m e Oferus, wie er sich m i t d e m Teufel entzweyt und christliche Lehre a n g e n o m m e n habe und wie er jezt von seinem Bischof angewiesen sey die armen Leute, insbesondre die Pilger unentgeldlich bey h o h e m Wasser überzufahren und bey niederem Wasser durchzutragen, insbesondre alle die, welche zur heiligen Mutter nach Bornhofen ihre Wallfahrt richteten, zuletzt fragte er Spiegelglanz, ob er auch dahin wolle. Spiegelglanz erzählte i h m n u n vielerley Lüge, wie er von Wallfahrten heimkehre u n d die heiige Schrift erlernt habe, aber aus Arm u t h den Kindlein Unterricht geben möchte, u m dabey sein angen o m m e n e s Pflegekind zu versorgen. Da dachte Oferus nach, schrieb i m Sande und erzählte ihm, daß der Ritter Hatto, welcher den jungen | Pfalzgrafen Ludwig in dem Schlosse Pfalz, das mitten i m Rheine ge- 3|5|8' legen, erziehe, einen Lehrer suche, aber bey der grossen Besorgniß einen Feind des Prinzen zu wählen, n u r einen Fremdling a n n e h m e n wolle. Spiegelglanz fragte nach den Feinden dieses Hauses u n d Oferus gestand ihm, daß er selbst jezt beten müsse, daß aber u n f e r n von ihnen, wo der H u n d belle, ein Fischer seine Reusen lege, der heisse T h a l m a n n und freue sich alle Geschichten, die i h m keine R u h e gelassen, bis er sie in R e i m e gezwungen, andern vorzusingen. Der Riese knieete nieder zum Gebet und Spiegelglanz ging herab zum Fischer, bat ihn u m Nachricht von d e m Kinde, das in dem Schlosse erzogen würde. Der Fischer ließ alles stehn und liegen, als ob es ihn nichts anginge, setzte sich auf einen Anker, der i m Sande halb eingesenkt r u h t e u n d sang | die versprochene Geschichte 3|1|27" Seht auf d e m Felsensteine Steht, wie ein Körnlein Salz So eckig weiß im R h e i n e Ein Schloß, das heist die Pfalz U n d rings in dem Kessel von Felsen D a siedet das Wasser am Grund, Ich rath es euch Wagehälsen Verbrennet euch nicht den Mund. 35

Textteil A

Es glänzen da sieben Thürme Von sieben Strudeln bewacht Und wie auch der Feind sie stürme, Der alte Thürmer lacht Die alten Salme lauern Auf frischer Helden Muth, Und wenn die Bräute trauern Da füttern sie ihre Brut. Wenn sich ein Schiffer will retten Dem wirft der Thürmer fromm Ums Schiff die stärksten Ketten, Daß er hinüber komm, Und zeigt ihm da die Thüre Doch wer nicht fliegen kann, Der braucht der Leitern viere Eh er zur Thür hinan. Und ist er eingetreten Da stehn vier eiserne Mann, Die stechen, eh er kann beten Hält sie der Thürmer nicht an, Sie scheuen keinen Degen Und haben doch kein Herz Stahlfedern sie bewegen Sie sind gegossen aus Erz | Und ist er da vorüber Im grünen ummauerten Platz Der wird unendlich lieber Bey einem Herzensschatz Da fliest ein Brünnlein helle Das wie ein Silber so rein, Wie auch der Rhein anschwelle Von irdisch gelbem Schein Der Blumen stehen da viele Am schwarzen Gemäuer entlang 36

F2, Kapitel 1,4

Und eine kleine Mühle Steht mitten in dem Gang

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Da sitzet auf einem Löwen Des letzten Grafen Sohn, An solchen gefährlichen Höfen Ist das der sicherste Thron. Die Zimmer des Schlosses sind enge, Gewölbt von schimmerndem Stein Und reiches Silbergepränge Behängt sie mit flammenden Schein, Da glänzen des Hauses Schätze In stiller Sicherheit Des Hauses Schwerdter ich wetze Im Rüstsaal von Zeit zu Zeit

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Wir wissen hier die Einrichtung des seltsamen Schlosses, die Geschichte des Vaters ist zu weitläuftig, wir erzählen im Auszuge, daß er von seiner Frau, die in Kindesnöthen lag sieben Kränze für die Mutter Gottes in Bornhofen erhielt, daß er sie dahin bringe. Weil aber der jüngste Tag wegen eines Kometen verkündet | war, so überließ sich alle 3|1|28V Welt der letzten Lust. Beym Nonnenwörth tanzten sieben Nonnen und traten das Wasser und begehrten von ihm die Kränze und er verspielte sie. Als er nun unterweges andre kaufte und sie der heiligen Mutter brachte, da nahm sie seine Gabe nicht an, sondern sagte ihm, daß seine Frau die schon im Himmel seinen Frevel von oben gesehen und ihn verklagt habe. In Verzweifelung ging er zurück in sein Schiff, ein Sturm ergriff es, und zerschmetterte es an sieben bekränzten Felsen, das waren die bestraften versteinerten Nonnen, in ihren steinernen Armen ertrank er. Thalmann Schloß mit den Worten Und bis aus den sieben Steinen Ein Kirchlein dem Herren erbaut, Wird suchen nach Menschengebeinen Noch manche liebliche Braut, Die Herren baun sich Palläste Und bauen dem Herren kein Haus

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Und wären doch gerne als Gäste Beym ewigen Lebensschmaus | 6|24r Als das Lied zuende, war die Gegend schon in Dunkel gehüllt, die Ufer des Rheins rückten unendlich weit auseinander und die Lichter der Stadt und des Schlosses blitzten antheillos hinüber, aber nahe den Horchenden war Hatto, der treue Ritter und Wächter des jungen Pfalzgrafen ans Land gestiegen und trauerte in stillen Nachgedanken wie das Mißgeschick eines edlen Hauses in dem Munde der Menschen zu einem kurzen Mährchen werde, die Wahres mit Falschem in gleichem Werthe bewahrten und vergässen. Er ließ seinen Unmuth den Horchenden nicht hören, sondern begrüste sie und klagte, daß er seinen kleinen Grafen mit nichts zufrieden stellen könne, alles verwerfe er und nur wenn das Kind sich im Spiegel des Brunnens sehe sey es vergnügt, greife nach seinem Bilde, bis die Kälte des Wassers es erschrecke und betrübe, daraus erkenne er, daß dies Kind Gespielen seines Alters verlange, aber er traue nicht den Kindern der Gegend, weil die Lehnsvetter ihren Anhang überall ausstellten, den jungen Pfalzgrafen zu morden. Das gab dem Oferus der inzwischen auch hinzu getreten war, gute Gelegenheit von Spiegelglanz und dessen Kinde zu reden und der Alte gewann dies beym Scheine seiner Hornlaterne 6|24" so lieb, daß er beschloß, | beyde noch am Abend hinüberzusetzen. Spiegelglanz stieg furchtlos mit dem Kinde in den Nachen, und vergaß dem Oferus zu danken, denn kein böses Herz ist dankbar. Der Alte ruderte mächtig, aber der dunkel rollende Rhein schwankte so heftig und schäumte über den Nachen, daß Spiegelglanz schon sein Leben für verloren hielt und tückisch den schwarzen Rhein anlachte, als sie endlich glücklich am Felsen angelangt, die Leitern hinauf kletterten und auch durch die ernsten eisernen Ritter hindurch gingen. Der kleine Pfalzgraf schlief schon aber sein freudiges Erwachen, als er am Morgen das fremde Kind an seiner Seite erblickte, es fassen und streichlen konnte, können nur Einsame begreifen weniger gefielen einander Hatto und Spiegelglanz als sie einander beym Tageslichte betrachteten aber es kam beyden wenig aufs Gefallen an. Der alte Hatto überließ beyde Kinder der Aufsicht des Spiegelglanz, den eine unendliche Reihe von Versuchen, wie er beyde durch Nacheiferung zu einer vorzeitigen Gelehrsamkeit bilden wollte, in rastloser Thätigkeit erhielt. Der alte Ritter achtete ihn wegen seiner Unermüdlichkeit und wegen der wunderbaren Fortschritte des kleinen Pfalzgrafen, so 38

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fremdartig ihm der wilde und harte Sinn des Spiegelglanz | immerdar 6|25r bleiben muste. Spiegelglanz suchte die Kinder zu gleicher Zeit in drey Sprachen zu unterrichten, in der deutschen, in der griechischen und Lateinischen, indem er die Zeit ihres Wachens in drey gleiche Abschnitte theilte. Während jedes einzelnen durfte nur eine dieser Sprachen geredet werden. Doch mehr als alles wirkte die Liebe, die sie zu einander trugen; die bey Johannes, so wurde das Findelkind nach Luzifers Willen genannt, nur durch die Erinnerung an Raphael unterdrückt wurde, der ihm immer vor der Seele schwebte, ohne daß er es mit Bestimmtheit erzählen konnte, weil Spiegelglanz unmöglich errathen konnte, daß dies verhasste Antlitz, das das Kind zuerst auf der Oberwelt angeblickt hatte, ihm so dauernd in die Seele gemalt sey. Johannes war oft trübsinnig in dieser Sehnsucht er langte und sah nach etwas, das nirgend zu finden und zerbrach aus Ungeduld alles, was ihm in die Hände fiel. Und waren | es die liebsten Spielsachen des 6|25v kleinen Pfalzgrafen Ludwig, dieser verbiß seinen Schmerz, indem er mit an der Zerstörung half. Und dann wandte sich wieder nach wunderlichem Nothbehelf seiner Neigung alle Liebe zum Spiegelglanz, er quälte ihn mit seinen Zärtlichkeiten und hätte ihn manchmal auch zum Entteufeln gebracht, wenn diese Neigung nicht plötzlich sich wieder erkältet zu dem Andenken und der Erinnerung hingewandt hätte. Es war ein wunderlicher Anblick die beyden Knaben in dem einsamen Hofraume der Pfalz mit einander zu sehen, aber ängstlich wenn man über die blühenden Rosenbüsche und über die Tragenden Fruchtbäume die schwarzen Mauern hinausragen sah und die rothen Augen des Spiegelglanz, die ewig wachend die Kinder hüteten, daß die Verschiedenheit ihrer Geschlechter ihnen und dem alten Ritter nicht kund werde, denn die Reisigen waren für immer aus der Nähe des Pfalzgrafen ausgeschlossen, hatten ihre Wachtstube und ihren Schlafsaal an dem äussern Ringe, denn auch ihnen traute der Alte nicht. 4. (5.)

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Die Einsamkeit unter so grossem Geschick, die Unschuld der Kinder musten endlich auch auf den verhärteten Dünkel des Spiegelglanz wirken. Prophet zu werden schien ihm noch immer einzig des Lebens werth, aber er zweifelte an sich, und beschwor seinen Schutzengel Gabriel zu sich, der aber nach einem vergeblichen | Zuge in das Hei- 6|26' denland, nachdem er keinen Kämpfer gegen Oferus ausmitteln kön39

Textteil A

nen, eben so vergebens ohne eindringen zu können als ein Wasserstaar um das Schloß flatterte und sich untertauchte, wenn die aufmerksamen Wächter ihre Armbrust gegen ihn spannten. Bey solchem Untertauchen geschah es dem Luzifer, daß er unvorsichtig in das Netz des armen Thalmann gerieth, der nicht verwundert war statt eines Salinen einen Vogel zu fangen, da ihm dies mit den Wasserstaaren schon mehrmals geschehen war, aber um so mehr, als dieser Vogel ihn anredete und ihm die Erfüllung dreyer Wünsche für seine Freyheit bot. Der Thalmann war klug, er fragte nicht erst seine Frau, sondern sprach zu ihm: Du hältst mich für ein Kind

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Und meinst ich würd geschwind, Mir so ein Uebermaaß von Glück erwählen, Daß ich in aller Schmach mich müste quälen, Nein Vögelchen, ich mag kein Gott auf Erden Kein Kaiser oder Papst hier werden, Doch einen Vogel, der so reden kann, Für gutes Geld zu bringen an den Mann, Das ist ein sicherer Gewinn! | Dich fahr ich hin Zum Schloß des jungen Grafensohn, Der lernt jezt alle Sprachen sprechen, Der Alte giebt mir guten Lohn, Da kann ich kalte Zeit verzechen.

Thalmann nahte sich so übereilt dem Schlosse, daß er ohne des Wächters Hülfe mit seinem Fange von den Wellen verschlungen gewesen wäre, als er sich aber erholt und seine Wundergeschichte Herrn Hatto erzählt hatte, da wurde er von diesem freundlich aufgenommen und der Vogel, nachdem ihm die Flügel wohlgebunden, in die innere Festung zu dem Garten gebracht, wo die Kinder von dem Spiegelglanz in der Kenntniß der Buchstaben unterrichtet wurden, die er ihnen auf kleine Pergamentstücke sauber vorgezeichnet hatte. Der Vogel sollte sprechen, aber statt dessen beantwortete er die Fragen, indem er seine Antwort aus den aufgeschriebenen Buchstaben zusammensetzte. Grössere Wonne hatten die Kinder nie erlebt, der kleine Pfalzgraf, der sich r 6|27 gegen alle | die Zeichen vorher so störrisch bewiesen hatte, lernte sie durch den Vogel, als hätte er sie immer gewust und sich vorher nur verstellt gehabt. Hatto staunte das an, doch in einem wunderlichen Leben veraltet, kümmerte er sich nicht um die Erklärung, er drückte

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dem guten Fischer die Hand und der muste sich hinsetzen, und den Kindern noch recht lange zusehen. Der Fischer erzählte nun, wie ihm der Vogel erst so bedenkliche Fragen vorgelegt habe, aber er habe sich nicht fangen lassen, weil er die Geschichte wohlgewust. Der Pfalzgraf fragte nach der Geschichte und der Fischer ließ sich nicht lange bitten, sondern erzählte den Kindern in aller der Umständlichkeit die Erwachsenen so unbequem ist, wir wollen seine Erzählung zusammenziehen: Ein alter Fischer heirathete ein junges Mädchen, und da er seines Alters wegen wenig mehr mit seiner Angel fangen konnte, die Frau aber viel verbrauchte, weil sie jung war, so musten sie gar bald ihr Haus verkaufen, und wohnten auf einem Kahne mitten auf dem Rheine, lebten von den Fischen, die der Alte angelte und deckten sich Nachts, wenn sie schliefen, mit dem alten Segel und dem Segen Gottes zu. Die junge Frau fror Nachts zuweilen, der Alte aber schlief fest und merkte doch im Schlafe aus Gewohnheit, wenn die Angel in seiner Hand von einem Fische angebissen und fortgezogen wurde. Eines Sonntags zuckte die Angel so stark, daß der Fischer schon meinte einen grossen Lachs in den Kahn zu ziehen, aber er hob mit der Angel zu seiner Verwunderung statt eines Fisches einen bräunlichen Vogel mit schwarzem Schnabel in den Kahn den er ganz erstarrt einredete: Ey wie magst du heissen? | Wasserstaar! sagte der Vogel mit Mühe, weil ihm 6|27" der Angelhaken in der Kehle saß. Wasserstaar, sagte der Fischer verwundert, wo hast du dein Nest? — Und der Wasserstaar antwortete: Fischer, wo hast du dein Haus, mein Nest hat die Frau verkauft, da muß ich mich so herumtreiben, hab aber allerlei dabey gelernt und wenn du mir das Leben schenken willst; so thue ich dir alles zulieb, was du wünschen magst. Der Fischer sah sich nach seiner Frau um, da diese aber noch ganz fest schlief, so fiel ihm gar nichts ein, was er wünschen sollte und sprach: Wasserstaar, weil es dir so gegangen ist wie mir, so will ich dir den Haken ganz umsonst aus dem Munde ziehn, möchte doch auch keinen drein haben. Bey den Worten zog er ihm den Haken aus dem Munde und ließ den Vogel fliegen, ehe der aber untertauchte sagte er ihm: Fischer, wenn der Vollmond auf die See scheint, da ruf mich und ich werde dir in allem freundlich zu gefallen leben, was dein Mund wünschen mag. — Als er untergetaucht war wachte die Frau auf und er erzählte ihr, was sich begeben, da wurde die Frau böse, daß er sich gar nichts gewünscht habe. Ja, was sollt ich mir wünschen? fragte der Fischer. Haus und Hof, sagte die 41

Textteil A Fischerin ganz zornig. Da lachte der Alte und wartete bis der Mond recht herrlich am Himmel stand und sich im Meere spiegelte, da rief 6|28' er so freundlich, daß sein | altes Gesicht sich in tausend Falten legte Mondschein, Mondschein überm Rhein, Mondschein, Mondschein in dem Rhein, Vogel, Vogel überm Rhein, Vogel, Vogel in dem Rhein, Daß mir meine Frau nicht frier Schenke doch ein Häuschen ihr. Da tauchte der Vogel auf daß ihm das Wasser von seinem Schnabel lief und sagte: Laß nur dem Kahn seinen Willen, so kommst du an das Haus gefahren. Da verschwand der Vogel und der Fischer that, wie er gesagt, kam ans Land, und ein Haus stand da das war leer, darum gehörte es ihnen und die Frau sagte, daß ihr nun nie wieder frieren würde, denn das Haus war dicht und schön gezimmert. Um es hier nur kurz zu sagen, es dauerte nicht bis zum nächsten Mondwechsel, da fror die Frau schon wieder und wollte ein Schloß und der Fischer rief wieder Mondschein, Mondschein überm Rhein, Mondschein, Mondschein in dem Rhein, Vogel, Vogel überm Rhein, Vogel, Vogel in dem Rhein, Daß mir meine Frau nicht frier, Schenke doch ein Schlößchen ihr. |

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6|28v Das geschah dann wieder, im nächsten Monate fror ihr, weil sie keine 25 Königskrone hatte, im folgenden weil ihr die Kaiserkrone fehlte, endlich wollte sie Papst werden und auch das geschah. Als aber die Frau wieder vorm nächsten Mondschein den Mann Nachts mit dem Ellenbogen anstieß daß ihr friere, sie müsse aller Welt Gott seyn, da wurde dem Fischer recht bange, er ging ganz kleinlaut ans Meer und rief 30 Mondschein, Mondschein, Vogel, Vogel Vogel, Vogel

Mondschein überm Rhein Mondschein in dem Rhein, überm Rhein, in dem Rhein

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Daß mir meine Frau nicht frier, Mach daß sie die Welt regier.

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Bey diesem Worte riß ein Fisch dem armen Fischer die Angelschnur ab, er wachte aus seinem Traume auf, seine Frau klapperte vor Frost mit den Zähnen, da war weder Haus, Schloß, weder Königs Kaiser noch Papstkrone, von der Welt regierten sie nichts, als nur mit M ü h e ihren Kahn aber sie hatten beyde dasselbe geträumt und weil die Angel gerissen konnte der Alte keinen Fisch mehr fangen, weil seine Frau Gott werden wollte muste | er in Hunger mit seiner Frau auf dem 6|29' R h e i n e sterben und verderben ohne Beichte und Absoluzion, darum m a g jeder seine Frau w a r m aber nicht zu hoch halten und nur in billigen Dingen ihren Willen thun, denn die Frauen möchten meist alle gar zu gerne statt unserm gnädigen Gott die Welt regieren, worin die edlen Ritter mit ihrem demüthigen Frauendienste sie unbilligerweise bestärken. Der alte Hatto sagte ernst: Hat nichts auf sich mit den Rittern, so lange sie die Frauen nicht haben dienen sie ihnen mit Zittern, nachher lassen sie sich von ihnen wie unser Herr Gott bedienen, es ist nur ein Vorschuß, der sich selbst wieder ausgezahlt den Kühnen. Bey diesen Worten gab Hatto dem Fischer ein Geschenk f ü r seinen seltsamen Vogel, Spiegelglanz konnte es aber nicht lassen wegen der Geschichte, er wüste nicht warum, einen seltsamen Haß auf ihn zu werfen, daß er heimlich wünschte, er möchte im Hinuntersteigen sich den Hals brechen oder mit seinem Schiffe am Schlosse zerschmettert werden. Noch ungeduldiger wurde er als die beyden Kinder immerfort den fatalen R e i m Mondschein, Mondschein überm | R h e i n 6|29' anfingen, er verbot ihn auf immer, als sie es heimlich brummten schlug seine Wuth so heftig auf die armen Kinder, daß Hatto, der von der Mauer herab alles gesehen, ihn zu erstechen drohte. Spiegelglanz war zu stolz sich bedrohen zu lassen, er drohte sogleich fortzuziehen und Hatto befahl ihm das Schloß sogleich zu verlassen. Die beyden Kinder fühlten bey diesem Streite ihrer beyden Väter solche Angst, daß sie sich an einander verklammerten und jezt nur mit M ü h e von einander fortgezogen werden konnten, als Spiegelglanz seinen Mantel über geworfen und Hatto das Schiff bereitet hatte. Johannes fühlte in dieser sonderbaren Einwirkung des Wasserstaars auf sein eignes Schicksal das ganze Mährchen von dem Weibe, das Papst und Gott wurde wie seine Geschichte und wüste doch nicht warum, und weinte entsetzlich darüber. 43

Textteil A Mit heimlichen Flüchen das weinende Kind im Arm stieg Spiegelglanz in den Nachen, mit lauten Flüchen stieg er hinaus, denn es war inzwischen Nacht geworden, alle Häuser in Kaup, wo sie gelandet, waren dicht verschlossen, aber der strenge Hatto vergalt ihm jeden Fluch mit dreyfacher Wiederholung, daß die Felsen wiederhallten von Fluch, während der milde Vollmond über dem Rhein schwebte. D e m kleinen Johannes war bey dem Anblick alles Leid vergessen, er hätte so gerne Mondschein, Mondschein überm Rhein gerufen, aber der Schauder jener Schläge und jenes Streites erstickte es in ihm und niemals konnte er nachher ohne diesen Schauder den Vollmond sehen oder von ihm hören. Nach jährigem Aufenthalte stand Spiegelglanz mit seinem Jo6|30r hannes hülfloser auf der andern | Seite des Rheines, denn es war Winter, weder der ehrliche Oferus noch der sanglustige Thalmann waren zu schauen und er muste sich herablassen ein armes Kloster um ein Obdach anzusprechen. Am Morgen machte er zur Belustigung der Mönche den ersten Versuch, sein Kind so abzurichten, wie der Wasserstaar sein Glück gemacht hatte. Johannes brachte eben so willig mit seinen Händchen die vorgelegten und verlangten Buchstaben, wie der Staar mit dem Schnabel und legte die vorgesprochenen Worte und Namen daraus zusammen. Das Kunststück machte ein grosses Aufsehen im Kloster, Johannes hieß das Wunderkind und wurde reichlich beschenkt dem nächsten Kloster empfohlen und so ging es weiter mit steigendem Ruhme. Spiegelglanz fand dieses Leben so bequem, den R u h m so wohltuend, daß er den armen Johannes mit Strafen und endlich mit Hunger und Durst zwang, auch das lateinische und griechische Α. B. C. mit gleicher Leichtigkeit, wie das Deutsche zusam6|30" menzusetzen. So zog er durch Franken und Bayern | mit abwechselndem Geschick, biß Johannes sein viertes Jahr erreicht hatte, als er mit ihm in Mainz ankam, wo er wieder von der Pfalz und dem Pfalzgrafen reden hörte. D a wurde erzählt, ein zahmer Wasserstaar, der seltsame Künste verstanden, hätte das Schloß den Vettern des Grafen verrathen, indem er einen feinen Zwirnfaden Nachts vom Ufer des Rheins hinübergebracht im Fliegen an diesem Zwirnfaden habe das Kind auf sein Geheiß einen Bindfaden über die Mauer gezogen, an dem Bindfaden eine Strickleiter, welche der Vogel an dem Holze eines Fensters wohlbefestigt habe. An dieser Strickleiter seyen die Räuber ins Schloß gekommen, hätten den Pfalzgrafen und den Vogel geraubt und der alte Hatto habe sich aus Verzweifelung mit allen Reisigen, nachdem er am Morgen den Pfalzgrafen vermisst, in dem Schlosse verbrannt. |

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Nachdem Luzifer durch den Verrath des jungen Pfalzgrafen Ludwig den guten Oferus tief betrübt hatte, dies war der einzige Zweck bey demselben, so flog er wieder zu Spiegelglanz unter der Gestalt eines reisenden gelehrten griechischen Arztes am päpstlichen Hofe Chrysoloras und besuchte ihn in Mainz, wo jener eben beschäftigt war, die Kunststücke des Kindes auf allerley Art anzupreisen. Chrysoloras hatte die Mainzer Schule gefunden wie er sie für Johannes wünschte, daß er nicht unter den Knaben entdeckt würde; jedem Lehrer blieb eine gewisse Zahl von Schülern in Wohnung und Beköstigung überlassen, er beschloß Spiegelglanz als Lehrer dahin zu bringen und bestimmte ihn erst selbst dazu, nachher rühmte er dem Erzbischof Lehrer und Kind so ausserordentlich, daß dieser sie zu sehen beschloß und ihnen befahl auf die Burg zu kommen. Spiegelglanz hatte den armen Johannes durch Durst zur grösten Aufmerksamkeit vorzubereiten unternommen, als er in das Burgzimmer trat sah er einen Krug mit Wein für sie auf den Tisch gestellt und flehte darum, aber Spiegelglanz sagte ihm, es sey Gift darin. Johannes. Gern gab ich alles für den giftgen Trank, Der mich heut tränkte, morgen war ich krank. Spiegelglanz. Kein Wort davon, ich kenne deine Tücke Nur Strenge kann dich ziehn und meine Blicke Die würdest du in Leichtsinn übersehn, Wenn du nicht sähst darin geschrieben stehn, Von kühlem Wein und süssem frischem Most, Der Geist verlanget solchen Marterrost, Um irdsche Trägheit ganz zu überwinden, Es lehrt die Noth das Schwerste leicht zu finden. Nur heut must du dich recht zusammennehmen, Nur heut must du dich gar nicht fürchten schämen, Die Dreistigkeit ist grossen Herrn willkommen, Weil sie der Rede Mühe abgenommen, | Doch darfst du auch nicht hohe Weisheit zeigen, Die solchen Herren selber noch nicht eigen, 45

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Mit einem Schwank must du ihn dann erheitern So wird sich seine Gnade noch erweitern Must heut dem Erzbischofe deklamiren, Vom Markus jene lustige Legende, Bey Grossen hilfts kann man zum Lachen rühren Viel mehr noch als ein tragisch ernstes Ende, Das Unbedeutende regiert die Fürsten, Da brauchest du nicht lange mehr zu dürsten. Dann werd ich dich mit freyer Lust erziehn, Dann will ich sehn, wie weit ein frey Bemühn Den Menschengeist noch vor der Zeit kann reifen, Wieweit der Menschengeist kann lernend greifen Wenn er so früh gelehrten Lauf beginnt Und gar kein Augenblick umsonst verrinnt. Vergiß die Traurigkeit, sieh was ich bringe Die rothen Schuhe mit dem goldnen Ringe Der Erzbischof soll dich im Staate sehen, Nicht wahr, nun werden alle Künste gehen, Nimm sie nur hin, zieh an und weine nicht. Johannes. Wie schön, wie schön der Schuhe rothes Licht. Ach sieh nur, wenn ich tanz Wie hell der Glanz, Wie rothe Vögel scheinen meine Füsse, Mir ist's, als ob ich fliegen müsse, Spiegelglanz. Nun schon sie recht und sey heut ganz vollkommen, Sonst werden sie nachher gleich fortgenommen. Alle Kunststücke gelangen wohl, der Erzbischof, der frühere Jahre in Rom gelebt hatte und die Sprachen liebte, bewunderte es soviel Fertigkeit in drey Sprachen bey einem jungen Kinde zu treffen, er bewilligte Spiegelglanz eine Anstellung bey der Schule und dem Kinde eine Freystelle unter dessen Aufsicht. Als aber der Kleine die Legende vom Markus hergesagt, da fügte noch der Erzbischof das Versprechen hinzu, den Knaben einst auf seine Kosten nach Rom zu schicken. Da 3|5|10' nicht jeder die Grenze der erlaubten | Lustigkeit gleich abmisst, so wollen wir diese Legende nicht mittheilen, es ist besser einer guten Seele den Verdruß zu sparen als zehnen Beyfall abzugewinnen. 46

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Durch die Gnade des Erzbischofs k a m n u n Spiegelglanz und Johannes f ü r m e h r e r e Jahre in ein dauerndes Verhältniß, die Schule e m p f i n g sie und sie e m p f i n g von ihnen, was Schüler u n d Lehrer an grösseren Schulen und diese wieder von den Einzelnen a n n e h m e n . Ausser den Lehrstunden war keine Berührung zwischen Johannes u n d den andern Schülern, denn Spiegelglanz duldete keine Kinder in seinem Gebäude und hatte sich bald mit allen Lehrern entzweyt, die i h m indessen wegen seiner Sprachkenntnisse nichts anhaben konnten. Johannes auf den mürrischen Spiegelglanz beschränkt, zog alle seine Gedanken in eine innere selbstgeschaffene Welt, alles was er hörte fand da seine Stelle und w e n n er zuweilen etwas versäumte so war es dieser innern Bildung zu liebe, die m i t ihrer seligen Beschäftigung ihn leicht allem Drange des täglichen Unterrichts entrückte. D e n Zustand des Kindes zwischen Spiegelglanz der das Kind nur dann sich näherte, wo es seinem R u h m e schmeichelte und zwischen der heissen Phantasie, die es in gefahrvoller Einsamkeit ausbildete wollen wir in einem Mährchen zum Beschlüsse dieser Periode darstellen: | Eine Edelfrau hatte nach d e m Tode ihres Eheherrn ein Söhnlein ge- 3|5|1Γ boren, das sie nicht selbst stillen mochte, weil sie lieber ausreisen mochte, unter den Rittern des Landes sich einen andern E h e h e r r n zu wählen: Darüber wurde das Kind verabsäumt, schwächlich u n d unartig und w e n n die Mutter es zu sich k o m m e n ließ, i m m e r m i t Scheltworten wieder den Mägden zurückgegeben. Darüber wurden die Mägde d e m Kinde sehr gram und sprachen von d e m Kinde am Brunnen, als sie dessen L i n n e n wuschen, wie sie es gern in d e m Brunnen ersäufen möchten. Es saß aber eine Bettlerin in der Nähe und hörte das und sprach, sie hätte ihr Kind verloren und wenn sie ihr das Kind ganz anvertrauen wollten, so würde sie es ohne Lohngeld aufziehen. Die Mägde wurden sehr froh über dieses Anerbiethen, brachten die Frau heimlich ins Schloß und überliessen ihr das Kinderzimmer mit d e m Kinde zu ihrem Aufenthalte u n d Bedienung. Z u m grossen Staunen aller Leute wurde das Kind in wenig Wochen so gesund, sittsam und schön, daß f r e m d e Ritter aus der Gegend nach d e m Schlosse wallfahrteten das Kind zu sehen. Dadurch wurde die Mutter auf das verlassene Kind wieder aufmerksam, n a h m es auf ihren Arm, wenn Gäste k a m e n u n d das Kind war so herrlich, daß ein reicher schöner Ritter sie zur E h e begehrte, u m wie er ihr sagte ein ähnliches Kind von ihr zu erhalten. Sie verlobte sich m i t i h m und ward n u n sorgsam genau zu erfahren, wie die Mägde das Kind so schön aufgezogen hätten u n d 47

Textteil A

fragte sie aus. Da gestanden ihr diese, daß eine fremde Bettelfrau im Hause heimlich wohne, und das Kind aufziehe und niemand gestatte ihre Art zu sehen. Die Edelfrau wurde darüber neugierig und befahl | 3|5|i2r den Mägden einen Schrank, in welchem sie sich selbst einsperrte in das Zimmer des Kindes zu tragen, als ob wegen der nahen Hochzeit einige Zimmer ausgeräumt würden. Das geschah am Abend und die Edelfrau sah durch ein eingeschlagenes Astloch in der Schrankthüre alles, was in dem Zimmer vorging, sah wie die Frau Thüre und Laden zuschloß und den Ofen stark heitzte, wie sie das Kind mit dem Hauche ihres Mundes einschläferte und wie in einen Nebel hüllte und dann in den glühenden Ofen schob. Da sorgte die Edelfrau, sie wolle ihr das Kind verbrennen um ihre Verlobung zu hindern, sie schrie auf, sprengte die Thür des Schranks und riß das Kind aus dem Ofen zurück, ungeachtet es bey der Gluth fröhlig zu lächeln schien und aus dem Traume erweckt jezt jämmerlich schrie. Die Bettelfrau, als sie dieses gesehen, nahm stillschweigend ihren Wanderstab und Huth, trat zur Ofen Thüre und sagte: Sie scheide, denn wessen sie sich annehme, der müsse ihr ganz gehören und dieses Kind habe sie erworben, als sie es vom Tode aus der Hand nachlässiger Mägde errettet habe die Mutter hätte sich entweder nie oder zur rechten Zeit des Kindes erbarmen sollen. Nach dieser Rede erschien die Bettelfrau so durchsichtig wie eine Strohflamme am hellen Tage und ging durch die Ofenthüre fort. Die Edelfrau war froh sie los zu seyn, nahm sich des Kindes an, das aber durch nichts zu stillen war und krank wurde. Diese Krankheit 3|5|12" verzögerte die | Vermählung und als das Kind täglich in seiner Schönheit und Stärke abnahm, so reuete dem Ritter sein Entschluß und er zog zur grossen Betrübniß der Mutter heimlich fort. Nun fiel die Mutter in Trübsinn und hasste das Kind und verfolgte es, so daß es sich selbst seine Nahrung wie eine Weise suchen muste. Da es nun halb ein Feuergeist geworden und halb ein Mensch geblieben war, so ging es in seiner brennenden Hitze abwechselnd zum Brunnen und kühlte sich im Wasser und kroch dann in seinem Froste wie die Katzen im Winter auf die glühende Asche des Feuerheerds(.) Und da geschah es in einer Nacht, daß es seine langen Haare am Feuer anzündete und die Haare zündeten das Haus, so daß die Mutter und die Mägde verbrannten. Als nun die Nachbarn am andern Tage aufräumten unter dem Schutte und das Kind mit den übrigen verbrannt glaubten fanden sie es unter einem stehengebliebenen Bogen des Gewölbes schön stark und heiter wie es mit einem unbekannten Knaben neben glühenden Kohlen saß

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F 2 , Kapitel 1,6

und mit fünf Kohlen spielte, ob sie im Niederfallen ein Kreutz bildeten. Und als das dreymal eintraf umarmten sich beyde und erzählten den Leuten, wie sie sich schon lange kannten; daß der Knabe in der Gestalt einer Bettelfrau das Kind auferzogen habe. |

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Die Päpstin Johanna.

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Zweyte Periode. (1.) 5

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Zehn Jahre lebte das Kind der Melancholia und des Oferus in der geheimnißvollen Zucht der Phantasie in ihrer freudigen Gluth, ehe Spiegelglanz bey den vielen Anregungen seiner Eitelkeit es beachtete, welche seltsame Schattengestalten über dem Haupte des Kindes schwebten, wenn es träumte, mit denen es eigentlich lebte, während die Schule und der Lehrer nur wie die eigentlichen wesenlosen Schatten des Lebens ihm erschienen, welche mit ihren leeren Beschäftigungen sein eigentliches Treiben störten. Spiegelglanz gestattete dem Johannes wenig Schlaf, dieser muste sein Frühstück voraus bereiten, ehe er selbst aufstand. Nur einmal erweckte den Spiegelglanz böse Lust vor der gewöhnlichen Zeit, er stand auf, wir hören ihn sprechen. | 9|2r

Spiegelglanz. Der Wächter singt sein heillos Liebeslied D e m keuschen Tag entgegen, der erröthend Aus einem Bett voll geiler Träume schied, Ach f ü r die böse Lust ist gar nichts tödtend Und was sie niederbeugt, erhebt sie mehr, Unmöglichkeit ist ihr ein süsses Spiel, Sie schaft sich selbst zu einer grossen Lehr, J e unnatürlicher, je ernster ist ihr Ziel. Die Hähne krähn, Johannes wache auf Z u m Becker geh und mir die Semmel kauf Es ist schon Licht an seinem Fensterladen Es steht auf seinem Brett ein Eyerfladen 51

Textteil A U n d d a m p f t m i t rechter Lieblichkeit hinaus, H e w a c h e auf, die a n d e r n g e h n i m H a u s U n d h o l e n g ä h n e n d Wasser an d e m Bronnen, D u hast n u n l a n g g e n u g auf Nichts gesonnen, Hast l a n g g e n u g in d e i n e m Bett gelacht; Hol Schwefelfaden, L i c h t ist bald g e m a c h t . N u n hörst du nicht? — das ist so i h r e Art D a ß ich ein Viertelstündchen bey ihr wart, Zuweilen m e i n ich, daß ich recht betrogen, Das W u n d e r k i n d ist ganz aus ihr verflogen, Von Gabriel ist auch nichts m e h r zu hören, U n d der P r o p h e t m u ß l e r n e n u m zu lehren. M i r ist so n ü c h t e r n , schwindlich wird m i r auch, Das Z i m m e r f ü l l e t sich m i t e i n e m R a u c h , W i e ist m i r denn, was ist d e n n das? Wer s c h a f f t m i r hier so einen tollen Spas? Was d r i n g t f ü r buntes Spiel u n d heller S c h i m m e r I n dieses d u n k l e spitzgewölbte Z i m m e r U n d ordnet sich dort ü b e r m H a u p t des Kleinen, Z u einer L a n d s c h a f t alles zu v e r e i n e n Wes h o l d e n Reitz der F r ü h l i n g weit zerstreut W e n n R h e i n e s F l u t h die schönen L ä n d e r weiht! Ο welch ein G r ü n in diesen frischen Auen, W i e b l a u e Berge f e r n e anzuschauen! Es wird m e i n Herz von lauer Sehnsucht weich, Ich m ö c h t e fort in dieses frühlingslichte Reich, Aus dieser t r ü b e n ernsten Bücherwelt Als H e l d zu ziehn in dieses Frühlingszelt, An dessen M o r g e n w i n d ein frisches schuldlos Blut, I m m ü d e n Geist erweckt den alten M u t h . | Ο welche Schaar von J u n g f r a u n zieht vorüber, D i e Schönste f ü h r e t sie, m i c h fasst ein Fieber, Ich d e n k e m i r dies Kind m ü s t i m G e d e i h e n M i t solchem stolzen Wüchse m i c h e r f r e u e n . Ο welche Lieblichkeit in d e m Bewegen, Sie scheinen sich zu e i n e m Tanz zu regen, Jezt z ü n d e n sie die lichten gelben F l a m m e n , U n d schwören da m i t I n b r u n s t all z u s a m m e n ! 52

F2, Kapitel 11,1 Doch mitten in der Feier nahen Feinde, Ο welche Angst der weiblichen Gemeinde, Doch sie zu schützen kommen andre Schaaren, Und sie versöhnt die so verfeindet waren, Es biethet ihr der Feind die Hand zur Ehe, Und mich umzieht ein schmerzlich wildes Wehe. Sie schlägt ihn aus, ich triumphire wieder Doch neue Macht zieht sie zum Flusse nieder. Ein schöner Jüngling kommt im Purpurkahne, Gezogen von dem ewig reinen Schwane, Es ist der Kahn ein schönes Rebengitter, Und seine Hand versucht sich auf der Zitter. Weh mir sie liebt ihn, und er liebt auch sie, Vergebens war der Jahre lange Müh, Sie lockt zum Ufer ihn, des Frühlings Gott, Fort fort ich reiß dich fort mit bitterm Spott, Verschmachte nur ich kenne dich jezt wieder, Du Todfeind Raphael, die zarten Glieder Zerbrech ich einzeln vor des Mädchen Blicken, | Weh mir, was thut sie in des Herzens Tücken, 9|4r Sie stürzt ihm nach, sie sinket in den Rhein, Weh mir. Das alles ist doch nur ein Schein. | Johannes, (aus dem Schlafe aufschreiend, während die Erscheinung 9|5V versinkt.) Ich laß dich nicht und kann ich dich nicht halten So zieh mich mit in deine Todesnacht. (Sie fällt vom Lager und wischt sich die Augen) Wo sind sie hin die lieblichen Gestalten? Weh mir sie sind verlichtet wie die Nacht! Spiegelglanz. Hab ich geträumt, ich glaubte hier zu schauen, Und sah des eignen Hirnes Faseley, Die Augen sind mir naß, vom Morgenthauen, Ich bin doch sonst von aller Rührung frey, Gewiß ich muß wohl eine Krankheit brüten Und fühle sie im Geist, eh sie geboren, He Knabe mach mir Thee von Fliederblüten Wie hörst du nicht? Worin bist du verloren 53

Textteil A

Johannes. Ich bin so müde, sinke taumelnd nieder Wenn ich das Haupt vom Boden kaum erhebe. Spiegelglanz· He Possen, du hast noch gesunde Glieder, Ich aber stehe schwindelnd auf der Schwebe, Und alle Streifen in dem Zimmer kreisen Im Takte mir nach unerhörten Weisen, Schaff Fliederblüte, lieber Knabe mir, Ich sterbe schon aus Angst vor Krankheit schier, Und meine jeden Augenblick jezt stehe Der Puls mir still, doch geht er wie ich sehe, Nicht rascher und nicht langsamer als immer, War nur von meinen Augen dieser Flimmer Die fratzenhaften Bilder weggenommen, Es kommt vom Magen, daß ich so beklommen, Johannes. Mein armer Meister, ach ihr seyd so blaß. Spiegelglanz. Schweig Dummkopf welchem Menschen sagt man das. Schaff Hülfe heisses Wasser, Fliederblüthe! Johannes. Ich laß Euch nicht allein. Spiegelglanz. Mein schwer Geblüthe Verändert ganz die eingeborne Art, Ich wag es nicht und war so gerne hart. Hör Knabe thue was ich dir jezt sage Du kannst mein Leben retten von der Plage, Hol Fliederblüthe aus dem nächsten Laden, Die Zögerung kann mir am Leben schaden, Johannes. Gleich Herr, soll ich zugleich auch Semmel kaufen. Spiegelglanz. Verfluchtes Wesen willst du endlich laufen 54

F2, Kapitel 11,1 Mit diesem Kloben Holz will ich dich klopfen, An dir ist doch verloren Malz und Hopfen Johannes flieht Weh mir ich meint es doch so gut, Doch schmeist er mich, daß von mir rinnt das Blut. Und draussen ist so schöner Sonnenschein Die Vögel singen auf den Dächern fein. (ab) Spiegelglanz· So treibt sies immer mit dem Ungeschick Ich fürchte daß ich ihr noch brechs Genick, Oft möcht ich sie ins Wasser zornig stossen, Wenn sie so schwätzt von ihren dummen Possen, Doch denk ich wieder, fällt mir alles ein, Was ich erblickt in diesem Morgenschein | Wie sie im Schlaf mit tausend Stimmen sprach, Wie tausend Geister sie mit Ernst umspielt, Da wurd der Glauben wieder in mir wach, Ich hab mich wieder als Prophet gefühlt Und zieh mich fester dann in mir zurück, Und warte in Geduld aufs sichre Glück Ich weiß mehr Griechisch und Latein als alle, Mir kostete keine Müh, es kommt im Schalle, Es ist als ob ein Geist die Feder führt, Als ob ein andrer spricht, wenn ich diktirt, Oft meine ich, es komme aus dem Magen, Denn ist der leer, so kann ich nichts vertragen. Johannes. Hier Meister bring ich euch die Fliederbrühe, Es zittern mir aus Angst für euch die Kniee Spiegelglanz. Du bliebst zu lang, jezt brauch ich es nicht mehr, Wo ist das Brodt, mich hungert gar zu sehr. Johannes. Ihr habt es mir verboten lieber Meister 55

Textteil A Spiegelglanz. Was? w i e ? D u A b f a n g b ö s e r G e i s t e r D u Höllenbrand, du willst mich sterben sehen, | 9|7'

A l l e i n d u S a t a n sollst v o r a n m i r g e h e n Johannes.

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H e L e u t e H ü l f e unser Meister schwärmt, E r s c h e i n t m i r n ä r r i s c h , w i e er h e f t i g l ä r m t . S p i e g e l g l a n z ( h ä l t i h m d e n M u n d zu) S i e h B ö s e w i c h t , k o m m t e i n e r bist d u todt, D i e H a n d ersticket dich in d e i n e r N o t h .

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D u bist g a n z m e i n , d a s n i m m dir h e u t zur L e h r e U n d s t e r b e n m u s t d u w e n n ich es b e g e h r e . |

6|44r

2 D a S p i e g e l g l a n z L e h r e r d e r R h e t o r i k u n d P o e s i e a u f d e r S c h u l e w a r , so v e r l a n g t e er v o n sich, daß er a u c h G e d i c h t e in a l l e n g e l e h r t e n S p r a c h e n m a c h e n k ö n n t e , a u c h h a t t e er w i r k l i c h e i n e n U e b e r f l u ß

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von

S p r a c h f e r t i g k e i t zu s e i n e m G e b o t e u n d d i e B e w e g u n g e n d e r S y l b e n , w i e sie v o m h e f t i g e n A t h e m d e r L e i d e n s c h a f t d u r c h s c h n i t t e n w e r d e n o h n e g e t r e n n t zu seyn, l a g i h m s c h o n i m h e f t i g e n B l u t e o h n e b e s o n d r e A n s t r e n g u n g , n u r d e r S t o f f f e h l t e i h m , d e r sein L e b e n , oder w e n i g s t e n s

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d e n g a n z e n A u g e n b l i c k , w o er i h n d a c h t e , e r f ü l l e n m o c h t e u n d d e r doch n i c h t d e r W u n s c h s e i n e s H e r z e n s als W e l t p r o p h e t zu w i r k e n u n d zu g l ä n z e n g e w e s e n w ä r e , w e l c h e n er v e r h e i m l i c h e n m u s t e . S o k a m es, daß er ü b e r j e d e n S t o f f , d e r sich i h m d a r b o t , e r f r e u t w a r i h n s e i n e n S c h ü l e r n zur V e r s ü b u n g v o r z u t r a g e n u n d daß er a u c h d e n T r a u m d e r

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6|44 J o h a n n a als e i n F r ü h l i n g s f e s t in l a t e i n i s c h e n R e i m e n | b e a r b e i t e t e , j a v

er w a r m i t dieser B e a r b e i t u n g , w e i l sie i h m g e n ü g e n d

schrecklich

e n d e t e , so z u f r i e d e n , daß er sie f ü r e i n e b e d e u t e n d e G e l e g e n h e i t a u f b e w a h r t e . S e i n e a r m e n S c h ü l e r m u s t e n v o n seiner p o e t i s c h e n F e r t i g keit, v o n d e r s c h r e c k l i c h e n V o r r a t h s k a m m e r p o e t i s c h e r , d a s h e i s t b e y

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i h m s o n d e r b a r e r A u s d r ü c k e viel a u s s t e h e n . E r v e r l a n g t e v o n i h n e n , w a s n i c h t zu v e r l a n g e n w a r , daß sie d a f o r t f a h r e n sollten, w o er in s e i n e r B i l d u n g s t e h e n g e b l i e b e n , d a doch j e d e r M e n s c h d i e

ganze

W e l t g e s c h i c h t e d u r c h m a c h e n m u ß , e h e er m i t d e r Welt l e b e n , m i t ihr fortschreiten kann; wobey ein guter Unterricht durch Abschneidung des A u s s e r w e s e n t l i c h e n m ä c h t i g f ö r d e r t , w ä h r e n d e i n s c h l e c h t e r U n -

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F2, Kapitel 11,2

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terricht, der das Unwesentliche zum Wesen macht gebildete Menschenklassen weit hinter den Selbstunterricht des rohen Haufens zurücksetzen kann. Grosse Talente erscheinen bey solchem Unterrichte oft untergeordnet und so erging es zum höchsten Schmerze des ruhmsüchtigen Spiegelglanz auch dem Johannes, der von dem Ruhme eines Wunderkinds allmälig unter die mittelmässigen | und schlechten Schü- 6]45r ler herabsank. Spiegelglanz versuchte alles, ihm die Sprachen als das eigentliche Leben der Welt darzustellen, aber allen guten Willen des Kinds vernichtete die unsägliche Langeweile des Cicero, der allem Sprachunterrichte als Muster und Lehrer vorschwebte. Müssig war Johannes darum nicht, er übte nur Thätigkeiten mit innerer Leidenschaft, die in der Schule nicht gelitten wurden, ja er versäumte oft alle Freistunden, wie er die Arbeitsstunden damit hinbrachte, um sich diesem frühen bestimmten Hange für Mathematik zu widmen, der ihm durch den zufälligen Fund des Euklides auf dem Tische des Lehrers entstanden war. Die Geometrie hat so viel Spielendes mit dem Aufund Zuklappen ihrer Lehrsätze und Beweise, so viel Anschauliches mit den Figuren und so viel Anregendes für eigne Erfindung, daß Kinder von eigner Thätigkeit sehr leicht davon ergriffen werden, aber so durchaus wie Johannes werden es wenige. Nun hatte Spiegelglanz keine Verachtung gegen das Studium, aber auch kein Leben darin, er fand es einen Wahnwitz, daß ein Kind anders denken wollte als Euklid, dem er selbst nur mit Mühe folgte. Als er daher dieses übernehmende Studium der Mathematik bemerkte, versteckte er das Buch in seinem Verschlage, gab aber aus Klugheit, um seine Absicht zu verbergen, einem Diener die Schuld des Diebstahls und | entfernte ihn. Johannes 6|45v setzte an allen Feyertagen sein Studium eifrig aber heimlich fort und so sehen wir ihn an einem ersten Frühlingsfeyertage nach dem Mittagtische einsam die Theorie der Parallelen, welche im Euklid die meisten selbstdenkenden Köpfe verletzt und angeregt hat, in Gedanken wiederholen und nach einer mit der Einfachheit des übrigen ähnlichen Methode entwickeln. Als er das vollendet, wischte er sich den Schweis von der Stirn und sprach. Johannes.

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Quod erat demonstrandum. Wie war Euklid so dumm, Wie hats kein einzger fassen können, 57

Textteil A

Was grad und krumm Was parallel zu nennen! Ich hab's allein, Und das ist mein, ganz mein Und lebet einzig in dem Kopfe hier Und stürb mit mir Fiel dies Gewölb auf mich hernieder, Sie fanden die zerbrochnen Glieder Doch nicht den Geist der sie verband, Zu flüchtig eilte meine Hand Mit kühnen Zeichen anzudeuten, Was ich erfand; Ohn Uebereilen fortzuschreiten Es ist so schwer. Eh ichs nicht abgeschrieben Wird Spiegelglanz es nicht zu sehn belieben. Ich kann nicht mehr für heut, Es glüht mein Blut wie nach sechs Schöpfungstagen, Der Sonntag will mir auch behagen, Doch weiß ich nicht, wo ich ihn froh vollbringe, Die andern Kinder sind heut guter Dinge, Ich darf nicht hin zum Kranz, Weil ich bey Spiegelglanz. | Hat Gott so Grosses im Erfinden mit mir vor, Was soll ich auch bey dummen Knaben vor dem Thor, Ich reib mir selig froh die Hände Ich schreib an alle weisse Wände Mich Docktor schon Ο süsser Lohn, Für meine Treu, für meinen Fleiß, — Wie kindisch war so mancher Greis, Und wo Euklid gestolpert halb im Schlafe, Da sprangen alle nach wie Schafe, Den Anstoß auch zu überspringen, Den seine Dummheit thät erzwingen. Hätt einer nur die Sache umgekehrt; — Und das erdacht ich, der so ungelehrt. So wie zwey Linien parallel, Berührt sich selten Seel auf Seel. Wie wird mich jezt der Meister ehren!

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F2, Kapitel 11,2 Was last sich da so lieblich hören, Es bläst vom Thurm und Knaben singen, Wie freuet mich der dumme Ton, Ich möchte mit herunterspringen, Die Knaben suchen heut den Lohn, Sie ziehen um mit einer Bretzel Und künden uns die Sommerzeit; Wie drückt mich noch so manches Räthsel, Wie vieles wollte ich noch heut. Die Knaben auf der Gasse singen Tralala Der Sommer ist so nah, Wir ziehen in den Garten, Wir wollen auf ihn warten, Der Sommer ist gekommen, Der Winter hats vernommen, Und zieht mit Schimpf und Schand Aus unserm frommen Land, | Der Sommer der ist müde Er liegt noch in der Wiege Er lieget auf den Hecken, Wir wollen ihn erwecken, Er lacht im Schlaf so munter, Da wird die Hecke bunter, Doch wenn er aufgewacht, Baum Erd und Himmel lacht, Ja Ja Ja Der Sommer, der ist da. Johannes. An diesen Stuhl will ich mich binden Um nicht zu fallen in Trägheitssünden, Und thu ich nichts, so will ich doch so thun, Als thät ich viel, so erst komm ich in den Ruhm, Sie ziehen weiter, Mir wird nun wieder heiter, Ich hör mit Gleichmuth laufen auf den Gassen, Und brauche meine Arbeyt nicht zu hassen. 59

Textteil A Ach hätt' ich jezt Euklidens Elemente, Daß ich ganz wörtlich seine Meinung kennte, Ach dürft ich ins Gemach des Lehrers dringen, Ich seh durchs Schlüsselloch das schöne Buch, Mit einem Druck könnt es mir wohl gelingen, Mein Fleiß ist mir Entschuldigung genug. Wie bin ich heute so vermessen Hab sein Gebot so leicht vergessen! Wie schlägt mein Herz Um solchen Scherz, Kalt läuft mirs übern Rücken Ein schauderndes Entzücken Hinein, hinein, Er wird so streng nicht seyn. | 6|47r Bey diesen Worten hatte sein Druck die Thüre eröffnet, er stand in dem geheimen Zimmer, aber ohne sich bey den Seltsamkeiten zu verweilen grif er nach dem Euklid, setzte sich bey ihm nieder an des Lehrers Tisch, vergaß daß er auf unerlaubtem Wege dazu gelangt war und arbeitete ohne Unterbrechen dabey, bis fast das Himmelslicht ihm versagte und Spiegelglanz hereintrat. Der Lehrer war erstaunt seine Thüre offen zu finden, noch mehr als er Johannes, der sich durch nichts stören ließ, da arbeitend fand als dieser auf seine Anfrage wie er da hinein gekommen in einen begeisterten Redestrom über die Fehler des Euklid ausbrach und Spiegelglanz ihn durch gar nichts beschwichtigen konnte, als jene Widerlegungen auf dem Glateis des neuen Systems abgleiteten und umstürzten, da hielt er sein Wunderkind ernstlich für krank, oder wahnwitzig. Johannes wie Kinder überhaupt eine Wahrheitswuth haben, die sich erst allmälig an aller Falschheit der Welt zu einer Wahrheitsliebe umbildet, gerieth zuletzt in Wildheit, durch die innere Ueberzeugung, er habe recht und Spiegelglanz müste 6|47" das einsehen, wenn er nur wolle, daß er gegen seine sonstige | Demuth hier, wo er sogar auf einem Unrechten Wege ertappt worden, schrie und als Spiegelglanz ihn von dem Buche fortziehen wollte, um sich schlug und biß, daß die Vermuthung des Lehrers, er sey wahnsinnig geworden sich immer mehr bestätigte. So aber ist das Gemüth der Kinder, daß man oft meint alle vier Temperamente seyen in ihnen verschlossen und verbunden und das Leben sey nur ein Austreiben der Unverträglichen unter den vieren und da bezwinge bald das Feuer das Wasser, bald umgekehrt, bis sich das eine endlich zum Ausscheiden 60

F2, Kapitel 11,3 entschliesse. In Johannes war seit d e m Tage das P h l e g m a überwältigt, und da Spiegelglanz m i t Ernst und Strenge den Zorn bekämpfen wollte, so verging er wie ein Schatten gegen Mittag, eben so zweifelhaft an sich wie an dem Lehrer.

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3. Spiegelglanz ging ernstlich m i t d e m Gedanken u m , das Kind irgendwo in einem entfernten Lande auszusetzen und sich auf diesem Wege | von 6|48r i h m zu befreien, als eine Pest die Stadt durchzog und verödete. Alles entfloh aufs Land, die Schule wurde leer und er selbst bezog der besseren L u f t wegen ein Haus in der Mitte eines Gartens, der innerhalb der Stadtmauern lag. Mitten in d e m allgemeinen Elende, während des steten Läutens der Todtenglocke, wurde dieser Sommer so selig f ü r das Kind, wie es noch keinen genossen. Die verzehrende Grübelei war m i t der unnatürlichen Einsperrung verschwunden, ebenso die versengende Heftigkeit neben den milden Blumen, es liebte unendlich und wüste es nicht auszusprechen, es gedachte wohl Raphaels, aber der lag so fern; öfter fiel i h m der schöne kleine Pfalzgraf ein, m i t dem er so selige Stunden i m kleinen Gärtchen verspielt hatte, er fragte täglich Spiegelglanz danach. Spiegelglanz hatte aus einer gewissen Vorahndung, daß er i h m k ü n f t i g unter grösseren Verhältnissen wiedererscheinen könnte, nach dessen Schicksalen geforscht aber n u r das Eine m i t Zuversicht erfahren, der Pfalzgraf sey auf unbegreifliche Art den Verwandten e n t f ü h r t worden, bey denen er erzogen wurde; ob es umgebracht oder eingekerkert | sey könne m a n nicht wissen, es scheine als 6|48" ob eine ungeahndete H a n d des Kindes Schicksale leite. Johannes betrübte sich in seiner Einsamkeit recht ernstlich u m den Kleinen und wendete alle seine Liebe zu d e m harten Spiegelglanz, d e m er jezt m e h r aus Liebe, denn aus Furcht gehorchte. Der Wilde ließ sich gern von Johannes schmeicheln und diese Wochen allgemeiner Noth wurden die seligsten in der Jugend des Johannes. Er lernte so leicht, denn die neubelebte Phantasie wüste das unselige Sprachwesen unter tausend selbstgeschaffenen Blüthen zu verstecken, er hatte so viele Spielgenossen; als Blumen aufgingen, Vögel aufflogen und G e w ü r m e in ihrer metallnen Heftigkeit sich bewegten und ihnen gab er alle die schlimmsten Worte und Formeln als Namen, denen sein Gedächtniß sonst widerstrebte. Welche Verwunderung als in der Mitte des Sommers die Krankheit verschwunden die Menschen sich wieder verban61

Textteil A

den, Johannes auch in den Sprachen alle Mitschüler übertraf und mit seinen lateinischen Versen selbst die Eifersucht des Spiegelglanz erweckte. Alle andern waren in der Zeit zurück geblieben Johannes aber als einer der ausser dem Kreise der Natur stand, ward inzwischen 6|49r gewachsen an Körper und Geist. | Mit sicherm Stolz konnte jezt Spiegelglanz auf Johannes blickend der nahen grossen Prüfung denken, sie sollte nach seinem Wunsche ihnen das nöthige Geld vom Erzbischof zu einer Reise nach Rom verschaffen. Zum Wettstreite der Schüler mit einander sollten verschiedene Gegenstände in lateinischen Versen zur öffentlichen Prüfung dargestellt werden. Spiegelglanz hatte seinem Johannes eine Beschreibung der Schöpfung bestimmt, er kannte ihn, daß er alle Mitstreiter übertreffen würde und verschaffte nebenher auch den reichhaltigen Stoff. Aber eben in diesem Reichthum lag auch die Schwierigkeit, wie die Poesie aus manchem Nichts man weiß nicht wie, ein Etwas machen kann, so wird ihr auch ein Alles leicht zu nichts, — weil ihr in diesem Falle nichts genügen will. Der trockne Spiegelglanz hatte davon keine Ahndung, aber Johannes empfand eine solche Noth sich zu fassen, die Masse des Erkannten mit dem über6|49" schwenglichen Gefühle in Ausgleichung zu bringen, daß | er mit der grösten Anstrengung nichts als ungeheure Pläne zusammenbrachte, ohne daß ihm irgend ein Anfang würdig genug scheinen wollte. Hören wir ihn selbst am Abende des letzten Tages, wo alles geendet seyn sollte und blicken wir vorher auf seine Umgebung. | 6|50r Ein Gartenhauß mit offenen Thüren, umgeben von einem zierlich gehaltenen Baum und Blumengarten, es gehört zum Universitätsgebäude in Mainz, doch ist bey der hohen Mauer, die alles einschliest nichts von der Stadt, nur ein Paar Thurmspitzen zu sehen. Johannes sitzt an einem grossen alten Tisch mit Büchern und Schriften bedeckt, und liest in der Bibel. Johannes. Und Gott sprach, es werde Licht und es ward Licht. Die Blumen im Fenster. Wir welken im Licht Begiest du uns nicht, Wir schliessen uns bald Es dunkelt im Wald.

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F2, Kapitel 11,3 Johannes sieht auf zu den Blumen, will aufstehn, setzt sich dann wieder zum Buch Ihr sollt mich nicht stören, Ich will euch nicht hören, (liest weiter) Und Gott sprach, es sammle sich das Wasser unter dem Himmel an abgesondertem Orte, daß man das Trockne sehe. Und Gott sähe, daß es gut war. Das Wasserbecken unter dem Röhrbrunnen an der Thüre. Ich laufe über Komm her du Lieber Und schöpf mich aus Sonst lauf ich ins Haus. Johannes (sieht auf und spottet) Lauf nur herein zum Spas, So wirds doch kühl und naß. (liest weiter) Und Gott machte die Thiere auf Erden ein jegliches nach seiner Art und das Vieh nach seiner Art und allerlei Gewürm auf Erden nach seiner Art. Und Gott sähe, daß es gut war. | Ein Vogel auf dem Birnenbaum an der Thür. Hör wie die Raupen Fressen im Laub, Must's nicht erlauben Strafe den Raub, Wie sie entlauben Deckende Aeste Ueber dem Neste. Liebliches Kind Hilf mir geschwind Ich brauch den Schnabel, Du nimmst die Scheere, Einst wird's zur Fabel Einst wird's zur Lehre. Johannes (springt auf) Ich halte nicht den starken Drang, Zur Rache mahnt mich der Gesang, Schon tödtete ich viele Stunden

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Textteil A

Und h a b noch i m m e r m e h r gefunden, Ο endlos Werk wie dieses Schreiben Jezt m u ß ich bey der Arbeit bleiben, (liest weiter) Und Gott sprach, lasset uns Menschen machen, ein Werk das uns gleich sey; die da herrschen über die Fische (im) Meere und über die ganze Erde u n d über alles Gewürm, das auf Erden kreucht. Die Fliege auf dem Tisch. Hör ich deinen Kopf so b r u m m e n Oder m u ß ich selbst so summen? Trank vom allerbesten Wein, Schlief beym letzten Tropfen ein, Setz mich n u n auf deine Nase D a ß ich höre, wie sie blase. Johannes schlägt m i t der Bibel nach der Fliege Ich h a b sie nicht erschlagen Das Blatt ist m i r verschlagen | N u n m u ß ich lange suchen, Da lern ich noch das Fluchen. (liest weiter) Und Gott der Herr machte den Menschen aus einem Erdenklos u n d er blies i h m ein den lebendigen Odem in seine Nase. Und also ward der Mensch eine lebendige Seele. Die Mücken (die fortfliegen) H a b dich umflogen Blutiges Feuer Glänzt m i r i m Leibe Das ich beym Schreiben Dir ausgesogen; Tieferes Feuer Glänzet a m Abend Tanz ich im Glänze Sinkt er so labend Ach und der Wanze Gieriger M u n d Nutzet die Wund Wo ich den Stachel Lasse zurück, 64

F2, Kapitel 11,3 Zeichen zu m a c h e n Anderer Mück, Wo es m i r schmeckte, Wo ich dich neckte. Johannes (kratzt sich grimmig, liest aber bald weiter) Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden und setzte den Menschen drein. Und Gott der Herr ließ aufwachsen aus der Erde allerley Bäume, lustig anzusehen und gut zu essen und den Baum des Lebens mitten i m Garten und den Baum des Erkenntnisses vom Guten und Bösen. Der Baum vor dem Fenster. Ueber deinem H a u p t e Schweben die Sorgen Ueber m e i n e m belaubten H a u p t e wie Morgen Glänzet der Abend; | Kühlend und labend Singet der Vogel Rauschet der Wind. Liebliches Kind Steige geschwind Mir auf die Aeste, Die ich im Weste Neige und zeige. Halte dich fest Steige hinein, Zeig dir ein Nest, Alles ist dein, Zeige dir Früchte G l ü h e n d im Lichte, Kühlend im M u n d Saftig und rund. Aller der Tage Aller der Plage Himmlischen L o h n Giebt dir m e i n Thron, Herrlich ist wohnen 65

Textteil A Hier in den Kronen, Sieh nur die Reben Die sich erheben Durch ihr Umschlingen Mich zu bezwingen; Aber ich stehe Fester begründet, Weiter ich sehe Früher entzündet, Sehe die Wonne Hinter der Mauer, Später die Sonne Sinkt mir in Schauer. | 6|52' Johannes (den Kopf schüttelnd) Da hab ich lang geträumt, Und viele Zeit versäumt. (liest weiter) Und Gott der Herr gebot dem Menschen und sprach, du sollst essen von allerley Bäumen im Garten, aber von dem Baume der Erkenntniß des Guten und Bösen sollst du nicht essen, denn welches Tages du davon issest, wirst du des Todes sterben. Ein Schmetterling, der an dem Fenster raschelt weil er durch die Scheiben fliegen möchte Was gähnst du wieder Und streckst die Glieder? Springe mir nach Heiter und wach; Noch nimmermehr Kam ich hieher, Kann nicht heraus Hier aus dem Haus, Habe kein Bangen Lasse mich fangen, Daß ich am Kranz Spiele mit Glanz. Johannes. Was raschelt an dem Fenster hier Wie ein lebendges Löschpapier, 66

F2, Kapitel 11,3 Das ist ein Todtenvogel rar, Den such ich schon ein ganzes Jahr, Er soll mich doch nicht stören, Ich will auf nichts mehr hören! Was läuft denn da auf meiner Hand, Bist du's mein Würmchen wohlbekandt? | Marienwürmchen. Sieben Punkte trag ich schwer, Mach doch einen Punkt hieher, Daß die Arbeit schliesse; Bring dir viele Grüsse Von den Nachbarskindern, Die sind viel geschwinder, Die sind alle fertig, Deiner schon gewärtig: Hast du viel geschrieben? Kann ja gar nichts finden, Sag, wo ists geblieben, Kann das so verschwinden Johannes. Still, still mach mich nicht ungeduldig Vor Uebereilung zuckt mir schon die Hand, Flieh fort du bist an allem schuldig, Du hast den Sinn vom Schreiben abgewandt, Marienwürmchen fliege weg, Dein Häuschen brennt, die Kinder schrein, Die böse Spinne spinnt sie ein Marienwürmchen flieg hinein Ich zeige dir den Weg. Fort ist's! (Setzt sich ernstlich am Schreibtisch nieder.) Hört mir nur einmal zu, ihr Thierlein, lasst das Singen, Ich fühls die Arbeyt wird mir endlich doch gelingen. — Ich war so ganz in Lust und Sonnenglanz versunken, Vor meinem frohen Blick gestalteten sich Funken In wunderbar Gespräch hört ich die Lichtgestalten. Ο könnt ich euch nur fest zu meiner Arbeit halten 67

Textteil A E i n schönes Bild so schnell im schönern untergeht, K a u m weiß ich, wo ich bin und wo der Kopf m i r steht; Könnt ich bey einer Arbeit nur beständig bleiben Doch andres wird m i r lieb und andres soll ich treiben. Nun jezt bleib ich dabey, bis ich zum Schluß gelange, D a ß ich ein P r ä m i u m aus Meisters Hand empfange. D e r T i t e l ist gemalt und das Papier gefalten Mag nun der liebe Gott m i t m e i n e m Geiste walten, | D a ß all sein Schöpfungswerk in sieben Tag verrichtet An diesem Abend noch in Worten sey berichtet E i n jedes Kraut genannt, die Vögel all beschrieben, D e r ganze Frühling zeigt, wo Lücken sind geblieben I m alten Testament; — das will ich alles fassen Und eh nicht alles drein, nicht von der Arbeit lassen. W i e dumm! nun geht das Licht, da ich es eben brauche, Ich las mich schon ganz trüb, als ob's im Z i m m e r rauche So spielt der letzte Strahl und strahlt i m Sonnenstaube Und draussen wehts so kühl in meiner Bohnenlaube, D i e Vögel betten sich laut rauschend in den Hecken, Wo m a g m e i n Eichhörnlein wohl jezo wieder stecken D a schläft es i m Baret, ich darf es wohl nicht wecken. Heida ihr Tauben bunt, k o m m t ihr vom Feld zurücke? Ich öffne euer Haus, — nun fliegt ihr fort aus Tücke. Ins Freye will ich auch, zu fleissig thut kein gut, E i n kluges Kind stirbt jung, ich kühle m e i n e n Muth. Ο linde Abendluft, wie klingen alle Glocken, Ich knie vor Gottes T h r o n , vor dieser Welt erschrocken, W i e sie so schaudernd schön, wie sie so herzlich gut, So voll von Spielerey und auch voll Uebermuth! Ο hör mich, heiiges Kreutz, ich möchte gerne Streiten W i e Karl der grosse Mann, dir neuen R u h m bereiten D e r Wiesenplan steht voll von schöner gelber B l u m e D i e hau ich all herab zu deinem ewgen R u h m e Als wärs die Heidenbrut i m Turban farbig schön Sie sollen sich gestreckt vor Christi Kreutze sehn, Das sich recht hochgeschmückt m i t frischem Blumenkranz Gewißlich macht das Freud dem guten Spiegelglanz I m frischen Abendwind, verspring ich noch die Füsse,

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F2, Kapitel 11,3 Und dann der stillen Nacht zur Arbeit ganz geniesse. | Ο weh der Arbeit weh, ach dürfte ich nur leben Wie diese Thierlein klein, die mich mit Lust umgeben, Was ist der Bienen Müh, sie bauen kleine Zellen, Wie gerne möcht ich mich, der gleichen Müh gesellen, Und aus dem Blumenkelch mir Wachs und Honig saugen, Wir armen Kinder nur, sitzen mit weinenden Augen Und thun was niemand nützt, was niemand mag erhalten, Und wenn es wohlgethan, so lächeln drüber die Alten. Und falten das Papier und schneiden es zum Drachen, Und meinen uns damit noch eine Lust zu machen. Wenn unser langer Fleiß, vom Winde aufgeschwungen Zerrissen niederstürzt vom Regen ganz bezwungen. Es muß nun einmal seyn, ich muß das Wunder preisen Es hüpft mir jedes Wort in den verschlungnen Weisen Die Alexander einst, der grosse Held gesungen, Als er durch vielen Mord die ganze Welt bezwungen Was ich so lang gesucht, die Schöpfung zu besingen, Das will mir nun von selbst in meine Kehle dringen Nun wird die Arbeit leicht, das fehlte nur allein, Wie ich nach Maaß und Zahl ein Schöpfer könnte seyn, Ich will auch das Geschick nicht so zum Spas abquälen, Wohl könnte mir sein Dienst, dann bey der Arbeit fehlen Doch Wunder überall, es läst mich gar nicht los Dies zugemeßne Wort, mit jedem Herzensstoß Muß ich den neuen Schwung, als wäre ich besessen Bis zu dem Gegenreim mit manchem Wort ausmessen, Wovon ich nichts versteh und was so hängen blieben, Aus Büchern die ich einst dem Meister abgeschrieben. Ach Gott wo flücht ich mich, so peitschen mich die Worte, Ich geh darin zugrund, im Anfang wars die Pforte, Woraus der Mensch entstieg, da geht er wieder unter Jezt schlägt die Nachtigal, ich fühl mich frey und munter | Nachtigal du ladest mich ein Auf den Baum zum jungen Wein, Ich komme gleich, Von Zweig zu Zweig Fliehest du wieder und läst mich allein 69

Textteil A

Nachtigal sprich, was soll das seyn? Wunder, was glänzt am hohen Ast, Hängt an der Hand, die danach fast, Durchsichtig glänzend von schönem Geruch, Das zeigtest du mir, es ist schön genug, Mag wohl das seltne Bdellium seyn, Im Paradiese da war es gemein, Da tropfte es nieder von allen Bäumen, Ich muste so oft davon schon träumen, Ach fände doch jeder solch einen Schatz, Leicht klettre ich nieder wie eine Katz Ich will es zu meiner Arbeit legen, Damit ich beschreib den irdischen Segen! — Ein anderer Fang steht jezt bevor, Jezt senken sich in den Blumenflor Die Seejungfern von dem breiten Rhein, Heut fang ich mir sicher die ein, Da sitzen zwey, die eine ist grün Die andre ist blau, ich fasse sie kühn, Sie schwirren und toben, es hilft doch nicht, Ich sehe sie in ihr Angesicht Wie haben sie Augen, so glänzend braun Und lange Leiber wie Stahl zu schaun, Und Flügel durchsichtig wie Marienglas, Ach wüst ich nur, ob sie auch fressen was. | Sie haben so einen lieben Mund Ich möchte sie küssen zu jeder Stund, Die Nacht, da müssen sie schlafen bey mir, Nie sah ich solch ein Engelsgethier. Spiegelglanz ist unterdessen nachdenkend und leise sprechend eingetreten Das muste mir geschehen, dem Propheten, Und konnte ihn mein grimmer Blick nicht tödten Vorm Erzbischof mich also zu vernichten, Daß ich mich nimmermehr kann ganz aufrichten, Und ich darf mich nicht rächen, muß bescheiden An seiner hohen Wissenschaft mich weiden, 70

F2, Kapitel 11,3 I h n r ü h m e n daß er noch m e h r Griechisch k a n n Als ich, wie halt ich m e i n e n Zorn in Bann, Mich ärgert alles, selbst daß ich mich ärgre. Johannes läuft in Gedanken auf ihn und stösst ihn Ach alle gute Geister loben Gott den Herrn! Spiegelglanz. Was soll das Plerrn? Woher so schnell, du sahst mich kaum, Liefst i m m e r zu ganz blind u n d wie i m Traum. Johannes. Verzeiht Meister, k a u m erhol ich mich, Ich hatt Euch nicht gesehn, wie lächerlich Ich beb vor Schreck an H ä n d e n und an Füssen, Ich wollt euch h e u t m i t rechter Lust begrüssen. Spiegelglanz. W a r u m denn heut? Was will denn das bedeuten? Johannes. Ach lieber H e r r ich thät so viel erbeuten, Wonach ich sonst vergebens hab gejagt, Seht n u r recht zu, so lange es noch tagt, Zwey Seejungferlein, die h a b ich gefangen, Seht wie sie m i t den Beynen langen —. | Spiegelglanz. Zwey Seejungferlein sind ein rechter Dreck, Geh mache sie todt und werfe sie weg. Johannes. Bewahre, du hast es ja selbst (erzählt), W i e einst Ulysses von ihnen gequält, Und wie die Gefährten vom lieblichen Singen Verführt ins Wasser thäten springen, Hier ist kein Wasser, hier ists ganz trocken, Sie können uns in kein Unglück locken. Spiegelglanz (vor sich) Da soll ich nicht ungeduldig werden, Ich habe gelehrt m i t M ü h und Beschwerden, 71

Textteil A

Was die Syrenen für Jungfern gewesen, Nun denket das Kind an solche Wesen: Die heutigen Kinder werden nicht klug, Und dies vor allen ist dumm genug. Johannes. Du möchtest sie haben — ich will sie dir schenken Sie sind mir das Liebste ohn alles Bedenken, Du wirst mir sagen, was sie geniessen Es soll mich kein Gang für sie verdriessen, Ich will mein liebstes Essen ersparen Wir wollen sie beyde zusammen bewahren, Das eine bin ich, das andre du, Sie haben ohne einander nicht Ruh. Spiegelglanz· Du bist ein gutes Kind, — seh zu, Ich lasse die beyden Jungferlein los, Sie kommen wohl wieder, wenn sie einst groß. Johannes. Ihr spasst! — ach nein, — ihr habt es gethan, Sie ziehen schon hoch in ihrer Bahn, Wenn ihnen nur kein Unglück begegnet, Wer weiß wie bald es stürmt und regnet. | Nein, was mir lieb, das laß ich nicht Ihr stosst sie fort, das Herz mir bricht Ihr werdet mich auch Verstössen, verlassen, Wenn ich nicht alle Sprachen kann fassen. Spiegelglanz. Ey weine dir nicht die Augen aus. Johannes. Das ist nun heut mein Abendschmaus. Spiegelglanz. Du bist ein Kind, sieh, Heidelbeeren Laß doch dein Weinen, sieh die Zähren Die fallen drauf und werdens versalzen.

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F2, Kapitel 11,3 Johannes. Ach lieber Meister, ich muß dich umhalsen. Spiegelglanz. Das ist ein Wesen um Wasserfliegen, Als könntest du gar nichts Grösseres kriegen Gedenk nur an die Prämien morgen, Du thätst doch heute zur Schule besorgen, Das sind die köstlichsten Bücher auf Erden, Ich möchte darum zum Kinde selbst werden. Das eine ganz klein in braunem Leder Ist kunstreich geschrieben mit köstlicher Feder, Es ist die Geschichte vom Tyturel, Ein jeder Anfang ist farbenhell, Der Anfangsbuchstab mit Gold begründet Und durch ein herrliches Bild verkündet In glänzenden Farben die Ritter und Frauen Der Schnitt verguldet ist anzuschauen, Dies Buch ist der besten Dichtung Preis, Du wirst von Eifer und Sehnsucht heiß. Johannes. Gewiß ich muß das Buch gewinnen, Es schwebet mir vor in allen Sinnen, Die kleinen Bilder sich vor mir bewegen, Und machen Musik und haun mit dem Degen. Spiegelglanz. Wir haben der fleissigen Kinder gar viele Es fehlt dir noch Sicherheit in dem Style, Sonst kommt dir wohl manches gute Bild, Zur Ausführung bist du etwas zu wild, Nun zeige doch her, was hast du geschrieben, Du wärest doch fleissig, wo ist es geblieben. Johannes. Ich hing so meinen Gedanken heut nach, Da wurde so manches Neue mir wach. Spiegelglanz. Zeig her! 73

Textteil A

Auf diesem Papier so kreutz und quer, Sind nichts als krumme Striche zu sehen, Wer soll die verstehen? Johannes. Ich wollte so eben recht lustig anfangen, Da war die Sonne vergangen, Es brannten die Stühle Und draussen wars kühle, Mir wurde verhasst Der Arbeit Last, Der Müssiggang Lockte im Nachtigalsang. Spiegelglanz. Die Nachtigalln zum letztenmal sangen, Die will ich bald im Meisenkasten wegfangen. Und ihnen den schreiigen Hals umdrehn. Du Schlingel wirst nun mit Schande bestehn! Ein schönes Wunderkind So dumm wie ein Rind! Wozu nun meine Mühsamkeit Mit der ich (dich) gebracht so weit, Daß du nun selber kannst was thun? Stattdessen will der Faullenzer ruhn Mit allen elenden Thieren spielen, Nach den unreifen Früchten fühlen. Hört er Esel, wenn ich mit Ihm spreche, So ists nicht schicklich daß er Blätter abbreche Und mit dem Fusse im Sande rührt! Das schöne Papier hat er so verschmiert Statt ein Gedicht darauf zu schreiben, Das will ich ihm mit dem Stock vertreiben. | Johannes. Ach lieber Herr, ich war doch fleissig Ich machte Pläne mir wohl dreissig, Für jeden Tag des Monats einen Doch heut allein vollführt ich keinen, Weil hier ein ewges Singen war, 74

F2, Kapitel 11,3 Von einer Käfer und Fliegen Schaar, Von rauschenden Brunnen, knisternden Dielen, Ey da verging m i r Schreiben u n d Spielen, Mir k a m es vor als wäre ein A u f r u h r Ueber der ganzen Flur, Mir schauderte, die Erde wolle nicht m e h r schweigen, D a n n thaten sich wieder die Aeste so freundlich neigen. Es steht gewiß was Grosses bevor, Mir klinget eben das rechte Ohr. Spiegelglanz. D u wirst zuweilen ganz u n v e r n ü n f t i g Was soll ich aus dir machen k ü n f t i g Ein grosser Tag steht freilich bevor, Das grosse E x a m e n ist vor d e m Thor. Johannes. Ο lasst es herein, Ich m a g so gerne gesellig seyn. Spiegelglanz. Ich wollte du wärest stumm, Wenn du redest so d u m m , D u scheinst nicht zum Studieren zu taugen Als Aufwärter wärst du noch zu brauchen Die Z i m m e r zu fegen, die Betten zu machen, Das wären so k ü n f t i g deine Sachen. Johannes. Dir wart ich auf so herzlich gern, Was ich an den Augen dir abseh von fern, Was dir bequem u n d was dir lieb, Ach lieber Meister dich nicht betrüb D e n andern k a n n ich nicht aufwarten | Ach sieh nur her in diesen Garten, Ich wollt mich vor f r e m d e n Gedanken h ü t e n Es geht nur nicht bey Früchten und Blüten Mir ist als lebt ich wie Bienen drinnen U n d k a n n mich niemals recht besinnen, D a ß ich die Feder wirklich führ, Bin nirgends wenger als in mir. 75

Textteil A

Spiegelglanz. Sollst künftig im Zimmer verschlossen bleiben Ich dachte dir fröhlig die Zeit zu vertreiben, Zur tüchtigen Arbeit dich auf zu muntern, Das war vergebens zu meinem Verwundern Ich muß dich beugen mit Zwang. Johannes. Ach lieber Herr, das macht mich bang, Sollt ich von meinen Balsaminen lassen, Ich würde die Welt hassen, Von meinen Erbsen, die ich vor acht Tagen gesät Nun eben alles so wohlgeräth Von meinen Bohnen, die um ihre Stangen Mit leichtem Grün sich fröhlig schlingen Und erst so schwach aus der Erde drangen Daß ich sie must aus der Hülse zwingen, Seht nur wie schön Sie da in lezten Strahlen aussehn. Spiegelglanz. Fort mit den Kasten, Die mir das Fenster dunkel belasten. Ey das verdirbt mir dies Haus Ich schütte sie aus Zum Henker die ziehen Feuchtigkeit in die Mauer. Johannes. Ach Gott nie hatte ich grössre Trauer Verdorbne Lust, dir hätt ich die Schoten Mit Kirschen verkränzt zum Geburtstag geboten. Spiegelglanz. Ein schöner Staat für einen Professor, Erdenk dir etwas das besser Nur mach mir heute den Kopf nicht heiß, Daß ich dich nicht schmeiß | Das ist ein Heulen, ein Lamentieren Mit jedem Quark ein Mitleid spüren Da ist kein Winkel dir zu klein, 76

F2, Kapitel 11,3

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Es muß dir zu was brauchbar seyn, Ich glaube du hättest die ganze Welt Als Herr Gott mit Spielzeug vollgestellt, Hättst tausend närrische Thiere erschaffen, U m sie am Sonntag recht zu begaffen. Ich will doch endlich auch aufräumen, Was klebt mir denn hier an beyden Däumen. Johannes.

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Das hatte ich dir zum Geschenke bestimmt, Nun wirfst du's in den Garten ergrimmt, Es ist Bdellium vom Paradies Von einem B a u m ichs heut abstieß. Spiegelglanz.

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So soll dich ja der Teufel holen, Wenn du mich aufziehst mit solchen Sachen, Ich muß mir die Hände schmutzig machen Dir muß ich einmal die Hände besohlen Mit dem Lineal, Halt Katzenpfötchen einmal. (Vor sich) Es kommt mir eine Lust, ich weiß nicht wie, Daß ich mir keine Schande am Gottsohn erzieh, So möchte ich ihn mit raschen Schlägen Todt darnieder legen. Soll ich, soll ich nicht, Erst mögen die Glocken ausschlagen Was dann mein Geist spricht Will ich wagen. (Der Teufel als griechischer Gelehrter Chrysolor kommt das Dunckel

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des Ganges herunter.) Chrysolor (vor sich) Dein Denken schreckt mich in der tiefen Brust, Verfluchter Kerl, was packt dich heut f ü r Lust, Das Kind, das mich erheben soll, zu morden,

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Verrückt ist er vom vielen Sitzen worden. | (laut) Zucht bringt Frucht. Mein Spiegelglanz ist so erhitzt. 77

6 58r

Textteil A Spiegelglanz. Ach Freund, ihr seyds! Kein Kind (im Guten) sitzt, Und will in Ruhe an die Arbeyt gehen, Wie bösen Hennen muß geschehen, Daß man sie rupft und dann mit Nesseln haut, Damit sie brüten, so muß man die Haut Der Knaben erst zum Sitzfleisch vorbereiten, Es sind so ernste inhaltreiche Zeiten Die sie durchleben, wohl ge(mac)ht voll Segen, Versäumt in keiner Zeit mehr zu ersetzen, Daß sie verdienen durch den Thränenregen, Befeuchtung — kurz, man muß die Kinder hetzen, Ein gutes Pferd, das hat die meisten Tücken, Ich sage euch das Haun ist mir Entzücken. Chrysolor. Nun ich will sehn, ob es euch wohlgelungen, Wie ihr die Peitsche segnend habt geschwungen. Spiegelglanz. Das ist die Noth, dies Kind will gar nichts lernen, Ich m a g es schlagen, mags mit Tröste körnen, Ich will mich seiner gänzlich nun entsagen, Doch vorher will ichs noch recht tüchtig schlagen. Johannes. Glaubts nicht mein Herr, ich muß mich so erkühnen, Der Meister schlägt nicht oft; ich thäts verdienen, Ich hatte heut den ganzen Tag versäumt, Und allerley in Müssiggang geträumt. Chrysolor. Ein gutes Kind es liebt den, der es schlägt, Ich will versuchen, was es in sich trägt An Schulgelehrsamkeit. Spiegelglanz. Der Kater schreit Ihr werdet nichts mehr hören.

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F2, Kapitel 11,3 Chrysolor. Ich lasse mich nicht stören. (Abgewendet zum Kater leise) Du treuer Diener mautz die Antwort fein Ins Ohr des Kindes, daß es hört allein | Und Spiegelglanz davon nichts kann vernehmen Ich will ihn hier an meine Seite nehmen. Nun Kind wie muß ein tüchtges Substantivum Mit seinem Adjectivo stehn. — So stumm? Johannes. Es, — Es — die Katze schreiet immer zu. Die Katze. In gleichem genere, numero und casu Miau. Johannes. In gleichem genere, numero und casu. Spiegelglanz. Das war recht gut, nun hab ich wieder Ruh, Ich hatte diese Regel nie erklärt, Des Kindes Geist hat sich recht gut bewährt. Chrysolor. Recht gut, doch sag was heist zu Deutsch das genus Zum Lohne geb ich dir dann einen Kuß. Die Katze. Geschlecht Miau. Johannes. Geschlecht. Chrysolor. Nicht schlecht. Doch sprich von welchem genus bist denn du. Damit ich weiß was du einst kannst regieren. Spiegelglanz (verlegen) Nun lassen wir dem Knaben heute Ruh. Johannes. Ich bin kein Wort, das nenne ich verführen Zu Uebereilung, wenn man fragt verfänglich. 79

Textteil A

Spiegelglanz. Man werde nur nicht grob, sonst unumgänglich Wird man den Stock Nummer Dreye holen. Chrysolor. Ey lassen sie, das Kind muß sich erholen, Wir wollen noch von der Erziehung sprechen, Wie man den Kindergeist muß spornen, brechen. Spiegelglanz. Ich hör so gerne zu den vielberedten Mund, Der alle Sprachen kennt vom Erdenrund. Chrysolor. Viel habe ich als Philosoph betrachtet, Die Menschheit ist nicht werth, daß man sie achtet, Mit Tugend schafft sie nichts, die Laster sind das Leben Und nur durch Laster last ein Kind sich heben, Der Neid, das ist die höchste Kraft von allen | Und wer sie nutzt, dem mag die Welt zu fallen, Die muß durch Wettstreit stark erreget werden Durch Neid gelingt es auch mit jungen Pferden, Daß sie ermüdet sich noch übereilen, Durch Habsucht, Freßsucht gehen sie viel Meilen, Doch weiter kann der junge Knabe eilen, Wenn ihr zum Lohn des höchsten Fleisses setzt, Daß er sich liederlich nachher ergötzt, Die Menschheit kann den grösten Sprung vollenden Wenn sie das Laster kann zu Tugend wenden. Spiegelglanz. Ihr macht mir klar, was ich schon lang gefühlt, Wonach ich in der Schule auch gezielt, Die Unart wird dem Fleissigen verziehen, Durch Preise lohn ich jegliches Bemühen, Indem ich lobend tadelnd zwey vergleiche, Erreichen beyde ungefähr das Gleiche, In Eifersucht und neidischem Verdruß, Die harte Arbeit wird dadurch Genuß. Ihr seyd ein grosser Mann, ich schätz euch sehr.

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F2, Kapitel 11,3 Chrysolor. Ihr seyd wohl zu bescheiden, schätzt eigne Lehr In mir und was ihr selbst schon besser dachtet, Ich seh euch an daß ihr nach H ö h e r m trachtet Als in der d u m p f e n Schule zu verstocken, Es wird die H ö h euch nicht vergebens locken, Es wird ein höhrer Geist aus euch noch sprechen, Und euch an allen d u m m e n Teufeln rächen, Die über euch jezt stehn, ich sehs euch an, Das Kind wird groß, und ihr ein ganzer Mann. Doch müst ihr nicht zu lang in Deutschland weilen Italien ist das Ziel, dahin müst ihr jezt eilen. Lebt wohl. (ab) Spiegelglanz. Wie staune ich, was m i r so lang gewiß, Aus f r e m d e m M u n d zu hören, Gott macht den Riß Zu d e m Gesicht, das einst sein Wort verkündet, Wie leicht daß da ein Weiser es schon findet Eh noch die Kraft in voller Reife steht, W i e es so freudig u m m e i n H a u p t jezt weht, | K o m m her Johannes, küß mich, sey zufrieden D u sollst nicht diese Nacht in schwerer Arbeit müden, D u hast zum f r e m d e n H e r r n so brav gesprochen, D a ß dir zur Liebe sey m e i n Eid gebrochen Daß dir m e i n bestes Werklein sey geschenket, D a m i t zu dir der schöne Preis sich lenket, D a hast du ihn, des Frühlings Festgesang, D u lernst ihn bald, er ist dir nicht zu lang, Must jeden m i t verschiedner Stimme lesen Und bey den Chören zeig ein ernstes Wesen. Johannes. Ey Meister, das ist ja von mir gemacht, Es war vor einem Jahr in trüber Nacht. Spiegelglanz. Bist du von Sinnen, meinst du so zu schreiben, Versuchs einmal, du läst es sicher bleiben. 81

Textteil A

Johannes. Beym ewgen Gott, das hab ich all geträumet, Als ich das Semmelholen hätt versäumet. Spiegelglanz· Da hör ich nun die Dummheit zum Verzweifeln, Ist träumen schreiben? Sags bey allen Teufeln. Johannes. Nein Herr, erzürnt euch nicht, ich habs erlebt, Geschrieben hab ichs nicht, was vor mir schwebt, Als wär es noch in steter Gegenwart. Ich seh den Frühlingsgott so lieb und zart, Ich seh mein Unglück muß mich selbst beweinen, Ο dieses Werk gehöret zu den meinen. | Spiegelglanz. Du bringst mich ärgernd um, ich schlag dich todt. Johannes. Versteht mich nur! Er kriegt die heiige Noth Wie unser armer Klaus heut auf der Gasse, Verflucht mich nicht in eurem grimmen Hasse. Es ist von euch, ich will es allen sagen. Spiegelglanz. Nein keinem, du sollst das Geheimniß tragen, Doch mich bewundern und mir dankbar seyn, Das Beste schenk ich dir, was ich mit Pein Die ganze Zeit vollendend ausgefeilt Kein Wort ist da von selbsten hingeeilt, Nein untermalt war es ganz nach dem Leben, Dann hab ich es dem Chaos hingegeben, Daß es noch geistiger von allem Zufall rein, Sich möge einer höhern Luft erfreun. Ο liebes Kind, wie überfällt mich Lust, Bedecke mich, mir wird so unbewust Laß mich allein bey meiner himmlischen Wache Ich seh den Gabriel er kommt vom Dache

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F2, Kapitel 11,4 Johannes. Es ist die Katze die so mächtig jammert Spiegelglanz. Nicht doch, sein Flügel mir das Herz zerhammert, 5

Brich auf du Eisenband (das) mich verschliesset, Daß Liebe sich in meine Adern giesset. Triumph jezt fort sonst send ich dich in Tod! | Johannes.

6|61"

Ich fliehe Meister, weil es dein Gebot, 10

Sonst möcht ich dir in deiner Noth beystehen, Spiegelglanz. Bedecke mich, du sollst mich so nicht sehen Er deckt den Mantel über ihn und da er still wird, lernt er das Gedicht neben ihm auswendig. |

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4.

6|62'

Das grosse Examen ist das Weltgericht der Jugendzeit, nach welchem das selige Leben der Ferien, oder die harte Busse der Nacharbeit folgt, die Hörsaele werden gelüftet und gereinigt und eine neue Zeit mit ihren Begebenheiten folgt nachher wie eine neue Welt, die kaum einzelne Versteinerungen der vorigen in den Namen an den Wänden auffinden kann. Dieser Wechsel ist auch das Ermunternde der Lehrer, die sonst in dem Einerley der Vorträge und Uebungen aussterben würden, nicht blos jede einzelne Natur, auch jede neue eintretende Generazion hat ihre Eigenthümlichkeiten, die sich dem eifrigen Lehrer mit grossem Interesse enthüllen. Spiegelglanz war ein heftiger strenger, aber kein eifriger Lehrer, er hätte sich um die Fortschritte seiner Schüler nicht gekümmert, wenn seine Ehre nicht auf dem Spiele gestanden hätte, noch heftiger machte ihn aber die Lust den natürlichen Widerstand der Trägheit und der Zerstreuung in jungen Leuten durch seinen Willen zu brechen, sie zu durchschauen, daß ihre Gedanken | selbst vor ihm zitterten und vergessen oder wenigstens versteckt zu 6|62" seyn wünschten. Sein Trit erschreckte schon die frohe Jugend, sie stellten Wachen aus, wo er kam und doch errieth er alles, was sie ihm verheimligen wollten, ein Blick von ihm brachte sie zur Selbstanklage. Johannes war durch die Furcht der andern vor dem grimmigen Spiegelglanz noch mehr vereinzelt, als durch dessen strenge Aufsicht, wo83

Textteil A mit er dem Kinde die Kenntniß seines Geschlechts zu entziehen trachtete. Alle Knaben sahen in Johannes den gefährlichen Angeber, der dem Spiegelglanz alle die kleinen Geheimnisse verrathen habe, mit deren Kenntniß er sie oft vernichtet hatte, er war bey aller seiner Güte von allen gemieden und verabscheut und hätte er sich nicht bey mehreren Gelegenheiten durch eine übermächtige Kraft furchtbar gemacht, so würde ihn wohl noch mancher gelegentliche Ueberfall für den Beyfall gezüchtigt haben, den Spiegelglanz ihm gern vor den übrigen zu ertheilen Gelegenheit nahm. Um aber den Spottreden zu 6|63r entgehen, die er nicht | bestreiten konnte, kam er meist mit Spiegelglänz, weswegen er dessen Hund genannt wurde und so trat er auch jezt in den geschmückten Hörsaal, wo Bänke und Gänge zu der grossen Feierlichkeit des poetischen Wettstreites vollgedrängt waren, er hatte einen schwarzen Mantel über schwarze Unterkleider an, gleich Spiegelglanz und den Lehrern, weswegen alle Schüler einander mancherlei Spottreden in die Ohren flüsterten. Er war dessen so gewohnt, daß er sich ruhig an seinen Platz setzte. Jezt verkündeten Trompeten die Ankunft des Erzbischofs, der seinen hohen Sitz in der Mitte von allen einnahm und den Schülern die höchste Gewalt Gottes über die Tirannen der Erde darstellte, da selbst Spiegelglanz sich vor ihm beugte und der geehrte Chrysoloras sich demüthig hinter ihn stellte. Nun begannen die mühsam zusammengereimten tausendmal gebesserten und abgeschriebenen Reden, aber der Erzbischof hörte wenig darauf, sondern unterhielt sich mit Lehrern und Fremden von den Neuigkeiten des Tages, und so thaten viele Fremde im Gefolge des Erzbischofs und so 6|63" wurde mit der vielen Mühe | nur wenig Aufmerksamkeit gewonnen. Ein höheres Geschick wollte, daß Raphael, der acht Jahre früher sich als Weinbauer in der Gegend von Paris ansiedelte, durch den Einfall der Normänner seine Frau und seine Kinder verloren hatte, ohne daß er erfahren konnte, ob sie umgekommen, oder als Gefangne fortgeschleppt wären, daß er überdrüssig des ländlichen Lebens, das keine Liebe ihm mehr erheiterte, zu seinen reichen Aeltern nach Rom zurückzuwandern beschloß, und auf der Durchreise aus alter Erinnerung seiner Schulzeit das Schulgebäude von Mainz gerade an diesem merkwürdigen Tage betrat, aber ohne auf die Redner und die Zuschauer Achtung zu geben in ein ausführliches Selbstgespräch gerieth und sich die fast erloschenen Erinnerungen wieder vorrechnete. |

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F2, Kapitel 11,4 Raphael. Der Kindheit Jahre heissen goldne Zeit, Das Paradies wird frech hinein gelogen, Das Paradies weil Kindheit fern und weit, Wenn sie nur eben von uns weggezogen, Die goldne Zeit, weil alles uns vergessen, Was uns mit tausend Qualen hat besessen. Es mag wohl eine schöne Kindheit geben, Ich sah sie nie, doch könnt ich sie wohl ahnen, Mit aller Welt ein allgemeines Leben, Eh noch getrennt die ernsten Lebensbahnen, Die Welt in Lust und Schrecken neu, Das Herz so liebevoll und doch so frey. Ich möcht' zurück die bunten Jahre drängen, Mir selber eine Jugend zu bereiten, Wie einen Kern von herrlichen Anfängen Die sich in selgem Muth um meine Seele streiten, Ο süsser Zweifel seliges Vertrauen Sich selbst zu allem tüchtig noch zu schauen. Mir ist's vorbey, möcht's euch nur besser werden Die ihr den Lauf mit neuer Zeit beginnt, Ihr jüngern Söhne der verschiednen Erden, Die ihr in einem Glauben euch besinnt; Könnt ich von allen lebensfrischen Augen Den Schulstaub wischen und die Thrän einsaugen. Er hört dem Examen und den Reden zu. Gedenk ich noch an jene bange Zeiten Wenn ich mich zum Examen sollt bereiten Und vor der endlosen Möglichkeit der Fragen In meinem kindschen Herzen must verzagen, Wie ich die Sanduhr mit der Angst beschaute, Als ob man mir den Scheiterhaufen baute | Wie ich getrachtet letzte Augenblicke Zu nützen für die drohenden Geschicke. Zu früh kam doch die langerharrte Stunde, Doch schien die Zeit selbst gegen uns im Bunde, Da zitterte, da beugte sich der Kühne 85

Textteil A

Betrat er endlich diese Schreckensbühne. Ο kindisch Herz, dir schien es ein (Beglücken) Die Antwort abzusehn an Lehrers Blicken, Der auch in Furcht für seiner Schule Ehre, Gern forthalf zu der rechten Weisheitslehre Die Stimme wurde fest, wenn es gelungen, Mit welchem Stolz sah ich nach andern Jungen, Aus Frost stieg Hitze, kühnliches Vertrauen Ich sah sie mit Bewundrung alle schauen. Und da wars aus, die Seele wurde leer, Vergessen wars, daß unser Herz so schwer, Die Eingeweide fühlten Eßlust wieder Und kam ich nun mit Lob vom Saale nieder, Ich musts dem Apfelweib ganz heiß erzählen Sie muste mir dafür die Aepfel schälen Es schien da alle Noth schon überwunden Am nächsten Morgen riefs doch zu den Stunden Wenn ich die Mühe wollte recht verschlafen Das war ein seltnes Lohnen, häufig Strafen. Doch glaub ich sicher daß ichs ausgehalten, Und hätte endlich auch den Preis erhalten, Da kam der Spiegelglanz zu uns als Lehrer, Und wurde aller Hoffnungen Zerstörer, Der Hohn, womit er alle Fehler rügte, Der Spott, womit er freyen Sinn besiegte, | Die Tücke unser Inneres zu rathen, Entwickelten des Ueberdrusses Saaten, Ich schwärmte in die Welt, die uns verschlossen, Da hab ich Lieb und Wein so arg genossen, Daß jezt ein ganzes Leben hinter mir Da ich nichts älter als der Schüler hier, Der da in einer ellenlangen Rede Erzählt des Bischofs allerletzte Fehde. Wie ist mir? steht da nicht der bleiche Hund Der mir verhasst wie meine Todesstund. Ich möcht nur wissen, wo das schöne Kind, Womit ich ihn von unsrer Schul vertrieben, Wenn ich ihn jezt vielleicht was milder find, 86

F2, Kapitel 11,4 Ich möcht ihn fragen, wo das Kind geblieben. Doch die Trompeten kündgen Neues an, Schad daß doch nichts vorm Anfang enden kann. Johannes (heimlich zu Spiegelglanz) Ich halt die Zähne nicht mehr fest, So klappern sie, mein Mund ist trocken. Spiegelglanz. Ich drück dich todt, wenn du's nicht last Ich bring dich um, wenn du wirst stocken. Erzbischof. Was giebts denn jezt, es ist schon spät. Spiegelglanz. Es giebt was Guts, wenn es geräth, Das Wunderkind giebt uns ein Frühlingsfest, Wenn nur der Muth es nicht verläst, Ein gnädger Blick kann alles wirken Er scheint ein Stern aus himmlischen Bezirken. | Erzbischof. Nun Kleiner fasse dich, sieh dich recht um, Sprich langsam; bleibe lieber stumm, Als daß du dein Vergessen deckst mit Tönen, Die nichts bedeuten und auch nicht verschönen Gedenk du sähst hier lauter leere Stühle Und überlaß dich deinem eigenen Gefühle Wer reden will, der muß vor allem denken, Er müsse reden müsse Herzen lenken; Nun lege los mein Sohn! |

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Textteil A

Das

Frühlingsfest.

Stimmen. Be a t a , Diskant. Der F r ü h l i n g , Tenor. W a l t e r , Baß. S i e g f r i e d , Bariton. Eine J u n g f r a u . Chor der J u n g f r a u e n . Chor der S c h w ä n e . Kinderstimmen. Chor von W a l t e r s R i t t e r n . Chor von S i e g f r i e d s R i t t e r n . Grünes Wiesenthal am Rhein im ersten Frühlingsscheine, nach einer Seite von Bergen begränzt. Von einem Bergschlosse herab steigt Beata, mit ihrem Gefolge von Jungfrauen. Chor der J u n g f r a u e n . Es grüßen sich die Hirten wieder Von Berg zu Berg in Freudensang, Die Heerde steigt zum Thale nieder, Und füllt mit hellem Glockenklang Des Wiederhalles frohen Mund, Er macht das Fest des Frühlings kund. B e a t a . Der Schäfer lockt mit seiner Flöte Die Schäflein auf das frische Grün, Wo in der hellen Morgenröthe Des Jahres erste Blumen blühn, | Die Lämmer scheinen wie verloren Im Glanz, der Erd' und Himmel deckt, Es hat der Winter sie geboren, Der Frühling sie zur Freude weckt. Ο könnte ich den Gott erblicken, Der durch die Welt so freudig zieht, Er lockt mit irdischem Entzücken Und heimlich dann zum Himmel flieht. Chor der J u n g f r a u e n . Wir wissen nicht, wer uns gerufen, Es war des Herzens Frühlingsdrang, Wir springen von den Felsenstufen, 88

F2, Kapitel 11,4 Uns wird so wohl, uns wird so bang. Wir freuen uns der frühen Milde Und fürchten doch, sie sey zu früh, Der Winter räumet das Gefilde, Als ob er vor dem Frühling flieh, Noch könnte er wohl wiederkehren Mit neuer Kraft, mit alter Wuth, Und alle Frühlingssaat zerstören In böser Lust, mit kaltem Blut. B e a t a . Es sinkt der Thau zu unsern Füßen, Es bleibt ein heller Maientag, Und sanfte Luft will uns umfließen, Daß hoch die Flamme brennen mag; Seht auf zum Himmel, welches Wetter, Und hört die wilden Tauben girrn, Dann legt die ersten grünen Blätter In Kränzen um die keusche Stirn. Das weiche Gras die Schritte hebet Zu unserm Festzug unbewußt, Und was in eurem Herzen bebet, Das ist ein Übermaaß von Lust. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wir folgen dir so treu durchs Leben, Du weinest Thränen unbewußt. B e a t a . Ο seht, der Blume Haupt erbebet, Am Wasserfall von Tropfenlust, Und was in meinen Wimpern schwebet, Ist Freudenthau aus tiefer Brust. Der Adler führet seine Jungen Auf seinen Flügeln zu der Sonne, Die Schlangen haben sich umschlungen, Und all ihr Gift ist Liebeswonne, So hat der Frühling mild verbunden, | Des Krieges schmerzlich tiefe Wunden. Mit den Schwertern, die zerbrochen Glänzen auf dem Strand am Rhein, Schlaget Funken aus dem Stein; Ο der seltnen Friedenswochen!

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Textteil A

Sammelt fleißig trockne Reiser, Wünschet feurig, redet leiser, Betet zu dem Morgenwinde, Daß die Flamme nicht verschwinde. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Irrende Winde, wehet gelinde, Wärmt euch die Flügel, rauschend am Hügel, Zögernde Flammen, führet zusammen, Daß sie verbündet, kräftig entzündet, Trockenen Zweigen leuchtend entsteigen, Blätter und Halme wirbelnd zermalmen. Lasset sie steigen, daß doch ein Zeichen Drüben am Rheine, Freunden erscheine, Die es erwiedern, grüßend in Liedern, Grüßend in Feuer, ehrend die Feier, Die uns entzündet, die uns verbindet, Unschuld zu ehren, Treue zu lehren. B e a t a . Die Lüfte haben unsern Wunsch erfüllt, Und wie aus langverschloßner Haft Befreiet sich der Jugend Kraft, Die in den goldgelockten Flammen spielt. Schmückt das goldgelockte Haupt Mit dem frischen Thimian, Der dem Frühlingsfest geraubt, Trocknen Blumen macht er Bahn. Werft hinein die trocknen Malven, Gebet sie in Flammenhand, Daß die frischen Triebe wallen, Wird der todte Stamm verbrannt. Auch der Sonnenblume Scheiben, Von den Vögeln ausgepickt, Soll das Feuer spielend treiben, Daß kein Grün davon erdrückt. Auch der Vögel alte Nester Stürzet in den Flammenheerd, Denn die Liebe einet fester, Die in neuer Müh bewährt.

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F2, Kapitel 11,4 C h o r d e r J u n g f r a u e n . Die Flamme steigt zur höchsten Höhe, Der Unschuld Schwur sey dargebracht, | Das Feuer als ein Zeichen stehe, Die Schuldge strafe Feuers Macht. »Wir alle, die wir hier beisammen Wir schwören bei dem heiigen Schein, Der reinen Unschuld heiige Flammen Bewahrten unsre Herzen rein, Wir können in das Blau des Himmels schauen, Als war es Gottes Auge voll Vertrauen.« Β e a t a. Es weht der Schwur Zum Himmel in den Flammenspitzen, Es hört ihn Wald und Flur, Der Himmel zeigt in frühen Blitzen, Die durch die heitre Bläue ziehn, Er sehe unsre Herzen glühn. Betet um des Jahres Milde, Daß es uns mit festem Schilde Auch in diesem Jahre schützt, Wenn der Krieger Auge blitzt, Wenn die Liebe, wenn Gewalt Grimmig tauschen die Gestalt, Und zu unserem Verderben, Im Vereine um uns werben. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Es hörten unsern Schwur Der Himmel und die Flur, Sie hören das Gebet, Das still zu ihnen weht. B e a t a . Zum Opfer werft Wachholderäste, So hebt sich knisternd Wohlgeruch, Gern dient das Feuer jedem Feste, Es hebt den Duft im Freudenzug. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wie lieblich duften blaue Flammen Aus trocknen Asten auferweckt, Vom Winter muß der Frühling stammen Das Feuer die Verwandlung deckt, Geheimniß wirkt in allem Feuer, Geheimniß ist der Unschuld Feier. 91

Textteil A

Β e a t a. Nach altem Brauch bleibt nun beisammen, Und tanzt nach alter froher Sitt, Wie weichlich spielen grüne Flammen Um unsern leicht bewegten Schritt, Und jedes Grün, das wir betreten, Hebt frischer seine Blätter auf, | Weil wir es tanzend nicht verschmähten In unsrer Schritte schnellem Lauf. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Es hat das Jahr nun ausgeträumt, Wie glänzt der Rhein, wie strömt das Blut, Der Rhein in Tanzes Wirbeln schäumt, Es drängt das Blut in frischem Muth, Die Fische springen auf dem Spiegel Des hellen Stromes hoch empor, Die Freude leiht uns Engelsflügel Und trägt uns zu der Engel Chor. Ο dieses Glück wird ewig dauern! E i n e J u n g f r a u . Weh uns! E i n e a n d r e . Du hemmst den Tanz mit Schaudern! B e a t a . Was störst du unsre Lust. D i e e r s t e J u n g f r a u . Weh uns! B e a t a . Du sinkst erblaßt an meine Brust. Hat deinen Fuß im Tanz ein Dorn verletzt, Hast du ihn auf den scharfen Stein gesetzt, Auf Eisensplittern, die der Krieg gesät, Wenn er die Erndte abgemäht, Wie kannst du vor so kleinem Schmerze zittern? J u n g f r a u . Weh uns, wehe, Ich kann nicht sagen, was ich sehe, Es starrt mein Blick! Ο allzu karges Glück! Wohin entfliehen? Die Feinde uns umziehen, Wo uns der Rhein vom Walde ist versteckt, Da naht der Feind, da ist er von den Schiffen schwarz bedeckt, Trommeten schmettern von den Schiffen Die Panzer glänzen in dem Rhein, 92

F2, Kapitel 11,4 Bald hat auch uns der Feind ergriffen, Es hört kein Freund der Jungfraun Schrein. B e a t a . Sie werden nicht mit kriegrischem Getümmel Das Fest des Frühlings stören, Sie werden ritterlich die Jungfraun ehren, Verräther straft der Himmel. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wehe, wohin ach, wohin sollen wir flüchten, Gegen den Wind und den Strom siegen die Feinde, Wehe, wo weilen die Brüder, die Freunde, Schuldlose Lust, ach du willst uns vernichten. | Sehet die Hirten, sie flüchten die Heerden, Treiben sie jammernd zu höheren Bergen. Wehe, nichts kann uns im Thale verbergen, Wehe, sie nahn auf gerüsteten Pferden. C h o r d e r R i t t e r (von Siegfried geführt, die sich auf den Schiffen nahten und ihre Pferde besteigen.) Es senkt der Rhein das eisge Schwert, Das uns den Kampf so lang verwehrt, Und dienend muß er uns nun tragen, Gern möchte er das Schiff zerreissen, Doch wenn wir ihn mit Rudern schlagen, So muß er seinen Schmerz verbeißen, Juchhey ans Land, geschwind zu Pferd, Wir rauben die Jungfraun am Feindesheerd. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Sie nahn, sie zeigen uns die Sklavenketten, Zu Hülfe, will uns keiner retten, So stürzen wir uns in den Rhein, Wir wollen treu dem Schwüre seyn. B e a t a . Seht auf und fasset Muth, Ihr seht den Staub am Berg hernieder, Es nahn die Brüder, Sie schützen treu ihr Blut. C h o r d e r R i t t e r (unter Walters Anführung, die aus einem der Bergschlösser zum Schutze der Jungfrauen hinunterreiten.) Wir Reiter auf Wolken von flüchtigem Staub,

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Textteil A

Wir eilen zum Schutze der Jungfraun herbei, Wir hörten im Schlosse ihr Jammergeschrei, Noch hallen die Berge, noch zittert das Laub, W a l t e r . Juchhey, mein Pferd, da standest du fest, Ich schwenkte mich drauf wie der Vogel ins Nest, Juchhey, mein Pferd, du kennst deinen Lauf, Er gehet in den dichtesten Feindeshauf, Wie blitzen die Schwerdter im Sonnenschein, Wie donnern die Rosse drein, drein, drein. C h o r v o n W a l t e r s R i t t e r n . Wie blitzen die Schwerdter im Sonnenschein, Wie donnern die Rosse drein, drein, drein. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wehe, wehe in der Mitten Zwischen den ergrimmten Haufen, Angeweht vom Pferdeschnaufen, Werden wir in Staub geritten, | Die uns raubend, die uns rettend grüßen, Beide, beide uns verderben müssen. B e a t a . Bruder, Freunde, treue Ritter Hemmet eures Zornes Flamme, Seht, wie tobende Gewitter Steht ihr drohend über eurem Stamme. Fremde Ritter, eure Ehre Fordert, Frauen zu beschützen, Senket eure wilden Speere, Laßt sie heut im Ritterspiele blitzen. Hielt der Winter euch bezwungen, Dieser Rhein, der euch getrennt, Fester seyd ihr jetzt umschlungen, Von der Ehre, die im Herzen brennt. Freier Jungfraun Blumenketten, Sind die Schranken, die euch trennen, Frühling will die Unschuld retten, Ladet Euch zu edler Spiele Freuden. S i e g f r i e d . Ach, wie werde ich verrathen, Diese blühend rothen Wangen Hemmen alle meine Thaten In dem zärtlichen Verlangen.

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F2, Kapitel 11,4 C h o r v o n S i e g f r i e d s R i t t e r n . Uns entsinket Speer und Zügel, In dem Anblick dieser Schönen. Eine hält mir schon den Bügel, Will mit grünem Kranz mich krönen, Liebeszauber schenkt den Frieden, Friede ist ein zaubernd Lieben. W a l t e r . Geliebte Schwester, wende ab von ihnen Die flehende Gewalt der Augen, Sie tödten meinen Ruf. Schon wähnt der Feind, daß ich es meide, Mit gutem Schwerdt ihn zu bestreiten, Mit deiner Schönheit Zauberblume Ihm Herz und Stahl ankette. Ich lebe in der Ehre und im Ruf, Und tödtest Du den Ruf, so sinkt die Ehre, In mir sind beide eins, Ich leb' und sterbe auch mit ihnen, Durchbohrst du mir das Herz, so sinkt mein Haupt, Zerschmetterst du mein Haupt, so stirbt mein Herz. Beata ziehe heim zum hohen Schloß, | Und sieh den Kampf, der alles soll entscheiden, Von unsres Hauses Zinnen zu, wir scheiden, Leb wohl, sey dein Gebet mein Schlachtgenoß, Auf, Siegfried, auf, noch eh der Tag sich wendet Sey unser Streit durch Muth und Glück geendet. S i e g f r i e d . Geendet ist der Streit Schon heut auf ewge Zeit, Nehmt edle Fürstin, dieses Schwerdt, Ich geb mich euch gefangen, Ihr seid allein der Herrschaft werth, Und euch zu dienen, ist nun mein Verlangen. W a l t e r . Ich staune die Verwandlung an, Und ahnde wohl die Macht, die dich bezwungen, Ich mahne dich an alle tapfern Tage, Wo unsre Schwerdter an einander klirrten. S i e g f r i e d . Andre Zeit, Andrer Sinn, 95

Textteil A Zu dem Streit Zog ich hin, Sieg und Tod an beiden Seiten, Beide wollten mich begleiten, Beide wollten für m i c h streiten, Holde Schönheit zu erbeuten, Doch sie gingen beide über Zu der Schönheit Lustgestalt, Mich ergreift ein selig Fieber, Schöner Träume Allgewalt. Dürft ich nur m e i n furchtsam Herz durchbohren, Doch sie lebt darin, die es erkoren, Und ihr W i l l e ist m e i n Muth, Und ihr A t h e m treibt m e i n Blut, Und ihr Wort ist m e i n Verstand, Und m e i n Schwerdt in ihrer Hand Kann m i r L e b e n geben, nehmen, E h r e kann mich nicht beschämen. B e a t a . Ich n e h m e euer Schwerdt, m e i n edler Ritter, Und werf es auf den freien Flammenheerd, Und jede Hand verbrenne, D i e es zum neuen Streit ergreifen will. Hier droht euch kein Verrath, M e i n hoher Bruder ehrt des Frühlings Macht, D i e er in jugendlichen Herzen übt, E r sieht in euch der Jugend Freund heut wieder, | M i t dem er gern die ersten Kränze theilte, E h dieses grüne T h a l dem R h e i n entstieg, Und unsre Väter feindlich trennte, Bis sie der Tod darin verband. Beschaut dies T h a l , Auf dem des Frühlings Feuer lodert, Bald trägt es viele rothe Rosen, Sie sind von den Verlaßnen eingepflanzt, Wo der Geliebten Seelen j a m m e r n d schieden Und einen Strom von Blut zurücke ließen. I h r Ritter, weiht das T h a l mit andern Farben, Es sey der Freundschaft heiiger Boden.

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F2, Kapitel 11,4 S i e g f r i e d . Ich nehm den Kranz, den Ihr mir dargeboten, Und rufe: Ueber alle Farben Grün, Sie ist des Friedens und der Hoffnung Zeichen. W a l t e r . Ich theile wieder diesen Kranz mit dir, Es sey des Friedens Zeichen. Mein Siegfried, wie bewegt mich dein vertraut Gesicht, Nun du das Eisengitter hast eröffnet, Der Freundschaft dunklen Kerker! S i e g f r i e d . Dein freundlich Wort durchschneidet meine Brust, Ach lebten noch die theuren Helden alle, Die dieser Boden fest umschließt, Mein Walter, nimm den Händedruck in Lieb und Leid, Um so viel edle Zeit, um so viel edle Freunde. W a l t e r . In deine Hand will ich den Würfel legen, Sprich du, wem dieses Land gebührt, Das uns mit seiner Herrlichkeit entzweite. S i e g f r i e d . Ο wem gehört dies schöne Land, Wie kannst du zweifeln? Kannst du fragen? Die uns den Frieden hat gesandt, Die Schönheit soll auch diese Krone tragen. C h o r d e r R i t t e r . Heil dir, Beata, Fürstin im Thal, Warum verstummst du im selgen Traum. B e a t a . Die Krone drückt mich nieder! Ihr sollt nicht lohnen einen frommen Sinn, Daß er sich giebt und daß Ihr ihm gewährt, Ist ihm allein Gewinn. W a l t e r . Du allein kannst sie nicht tragen, Dieses Landes schwere Krone, Liebe theilet gern die Plagen, | Schützet dich auf hohem Throne, Und der Würdigste von allen Sey der Liebe Wohlgefallen. B e a t a . Zitternd hör ich deine Rede, Ahnde, was sie mir bedeute, Ach in dieser harten Fehde Nimmt die Großmuth mich als Beute, 97

Textteil A

Mich erschreckt des Bruders Willen, Nein, ich kann ihn nicht erfüllen. S i e g f r i e d . Sinnend sah ich deine Augen, Deinen Willen drin zu lesen, Muste süßes Gift einsaugen, Das mich niemals läßt genesen, Doch in m i t t e n meiner Schmerzen, Fleh ich, folge deinem Herzen. A l l e d r e i . Zweifel trägt des Glückes Baum, Reifen läßt er keine Frucht, Nahes Glück wird ferner Traum, D e n n die Zeit in ihrer Flucht, Reißt die Blüthe m i t sich fort, Sehnsucht weilt und schmerzlich Wort. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wie die Wolken vor die Sonne, Wolken-Schatten übers Thal, Also zieht durch Liebeswonne Zweifel deine finstre Qual. S i e g f r i e d . Dir, ο Jungfrau, ist gegeben Freier Länder Heiligthum, Heitre Freiheit sey dein Leben, Und dein Wille unser R u h m ; Hast du schon dein Herz vergeben, Krönen wir den Herrscher gleich, Willst du einsam heilig leben, Sey dies T h a l ein heilig Reich. Oder willst D u zweifelnd wählen, Uberlaße Dich der Zeit, Meine Näh soll dich nicht quälen, Deinen R u h m verkünd' ich weit. W a l t e r . Edles keimt in edlen Herzen, Güte wirkt zum Guten Kraft, Liebe löset alle Schmerzen, Die der leere Zweifel schafft, Völker, die durchs Blut verfeindet, Werden h e u t durchs Blut befreundet.

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F2, Kapitel 11,4 C h o r d e r R i t t e r . Völker, die durch Blut verfeindet, Werden heut durchs Blut befreundet, Fest verbündet ist das Land, Reichst du Siegfried deine Hand. 5

B e a t a . Weh, ihr habt es ausgesprochen, Was mir E d e l m u t h verschwieg. S i e g f r i e d . Ach verzeih, was sie verbrochen, Roheit giebt der lange Krieg.

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B e a t a . Mich allein m u ß ich verdammen, Meine T h r ä n e n fließen dir. S i e g f r i e d . Ach verhülle diese F l a m m e n , Dieser T h r ä n e n Opfer mir.

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C h o r d e r J u n g f r a u e n . Wenn im hellen frischen Morgen Eine dunkle Rebe weint, Bald der Knospen G r ü n erscheint, Frühling spielt in bangen Sorgen. B e a t a . Nein, es reißt der goldne Schleier, Der so mild m e i n Herz gedeckt, Dieses Tages hohe Feier Ist durch tiefen G r a m befleckt, Und es rauscht im schönen Rheine, Was des Frühlings Stunde trübt, D a ß ich seufze, daß ich weine, Weil ich n i m m e r m e h r geliebt. C h o r d e r R i t t e r . Arme Fürstin, die noch nie geliebt, N i m m e r warst du selig tief betrübt, Nie hast du des Thaies G r ü n gesehn, W i e die D ü f t e liebend zu dir wehn, Nie hast du gehört des Waldes Rauschen, Wenn die Vögel singend sich belauschen, Nie hast du gesehn des Rheines Glanz, Trägt er eines Weinbergs hellen Kranz, Auf der freien spiegelglatten Stirn, Ach dein Herz m u ß ewig zweifelnd irrn! B e a t a . R u f e t mich nicht nach dem Rheine, D e n n schon nahet m e i n Geschick,

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Textteil A

Liebe funkelt in dem Scheine Wunder ahndet schon mein Blick, Fliehen möcht ich und muß bleiben, Seh den Schreckensnachen treiben. W a l t e r und S i e g f r i e d . Wer naht im frischen Morgenwind? | B e i d e C h ö r e . Ein Wunder naht im frischen Morgenwind, Die Schwäne ziehen einen Purpurnachen, Am Mäste steht ein Jüngling wie ein Kind, Und singt, daß alle Echo rings erwachen; Die Laute klingt in seiner zarten Hand, Als wüßte sie, was seine Lippen sagen, Die Schwäne schlagen in dem Unbestand Den Wellentakt mit mächtigem Behagen. Die Reben steigen aus dem Nachen auf, Zum Schattendach sich über ihm verschlingen, Die bunten Vögel sitzen rings darauf, Und lernen, wie sie bald so lieblich singen. Die Nachtigall sitzt auf des Sängers Hand, Und flattert, sich im Gleichgewicht zu halten, Wie er auch spielt, so heftig, so gewandt, Sie scheint bezaubert von des Tons Gewalten. ( D e r F r ü h l i n g kommt im Nachen, Schwäne ziehen ihn.) C h o r d e r S c h w ä n e . Wir Schwäne ziehn den Gott des Lebens, Uns treibt geheime Todeslust, Es widerstrebt die Fluth vergebens, Und rauscht an unsrer weichen Brust, Die Wasserlilien uns umschlingen Mit ihrer holden Lieblichkeit, Nichts kann die dunkle Sehnsucht zwingen, Wo Frühling wohnt in Ewigkeit. F r ü h l i n g . Sank ich sonst als Morgenthau Aus der Wolke weiß Gefieder, Traten mich auf grüner Au Holde Frauen tanzend nieder; Stieg ich auf in Veilchenpracht, Rissen sie mich spielend ab, Wurde einmal angelacht, 100

F2, Kapitel 11,4 Und ihr Busen ward mein Grab: Lieb und Frühling sangen alle Herzen, Frühlingsliebe konnten sie verscherzen. Ich, der Gott, ward Mensch i m Zorn, Und verkörpert in der Rache; Doch als Gott hab ich geschworn, D a ß ich aller Liebe lache. Winket nur, Ihr schönen Fraun, Seufzet euer zärtlich Ach! | Eure Augen glühn vom Schaun Stürzt euch in den Fluß mir nach; Lieber Frühling, pochen alle Herzen, Ich kann zornig lachen, rächend scherzen. Todessang i m Schwan erglüht, Reißt mich eilig ohn E r b a r m e n Aus der Welt, die neu erblüht, Aus den ausgestreckten Armen, Reißt mich bald zum Erdenrand, Eh vorüber meine Zeit, Zu des H i m m e l s blauem Strand, Der von Menschenlast befreit; K o m m e Frühling, rufen schon die Götter, Ohne dich ist uns kein Frühlingswetter, A l l e C h ö r e . Wunderbare Zauberklänge, Leben in der Übermacht, Freier Athem, Herzensenge, Sonnentag in Mondennacht. B e a t a . W i e soll ich dich, ο Sänger, nennen, Doch meine Sehnsucht sah dich schon, D e n Gott des Frühlings wollt ich kennen, Und sehe dich auf seinem Thron, Dir brennen diese Feuer alle, Dich ehret unser frohes Fest, Ο n a h e Dich m i t süßem Schalle, Daß sich dein Wort vernehmen läßt. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Ο n a h e dich, denn fern verklungen Ist uns das Wort, das du gesungen. 101

Textteil A B e a t a . Sey begrüßt als Gott des Flusses, Trete auf dein armes Land, Eine Fülle des Genusses Sä't in Tönen deine Hand. Selge Ernte, wo du weilest, Wo dein Nachen stille steht, D a du solchen Schatz vertheilest, Wo er rasch vorüber geht: Weile, weile, süßer Knabe, Sieh, m i r n a h t der Vogel dein, Dieses Land sei Morgengabe Für dein Singen zart und rein. Willst du es m i t Lust regieren, N i m m auch seiner Fürstin Hand, | Daß sie lernt die Laute rühren Und dein Herz, das ihr gesandt. F r ü h l i n g . Ich möchte höhnend sie verschmähen, Die mich vertrauend liebend grüßt. Doch aller Zorn verschmilzt wie Schnee, Die Liebe blüht darunter heisser, Und strebt zu ihrer Augen Licht; Ich möchte meine Augen schließen, Und öffne sie, als wärs zum erstenmal, Als sähe ich zum erstenmal m e i n Frühlingswerk, So giebts ein Schicksal auch f ü r Götter, Weh mir, daß ich ein Gott. (Lautenspiel). C h o r d e r J u n g f r a u e n . Seht, er nahet sich dem Land, Streut m i t Blumen diesen Strand, Zweifelnd scheint er noch zu schwanken, F ü h r t ihn her, ihr freundlichen Gedanken! B e a t a . U m w a c h t die stille Himmelsbläue Der Erde erstes Lebensgrün, Da sehnt sich alles in das Freie, Und will m i t allen Blumen blühn: Und einer Lust geheime Weihe U m f ä n g t uns in der Sonne Glühn, Und L u f t und Wasser f ü h l t ein Leben, 102

F2, Kapitel 11,4 Wie rings die goldnen Strahlen weben. Ein Liebesnetz ist angefangen Und schließt mich immer enger ein, Ich fühle mich so gern gefangen Und mag mich nimmermehr befrein, Mit meinen Ketten will ich prangen, Es sind der Lippen Kunstverein, Die Laute will ich ewig üben, Bis sie dir sagt, was Frühlingslieben. F r ü h l i n g . Nur in Tönen kann ich sagen Von der neuen Sonne Tagen. Be a t a . In der Stummheit will ich lernen, Wie die Blumen von den Sternen. C h o r d e r R i t t e r . Welch Beginnen, welche Zucht, Liebe schenkt sie dem, der keine Liebe sucht. W a l t e r . Welch Beginnen, doch umklungen Von den Tönen, Fühle ich mich ganz bezwungen Von dem Schönen, Fliehen wir den Zaubernachen. | S i e g f r i e d . Wehe, welche Eifersucht Glühet mir im starken Herzen, In Verzweiflung, in der Flucht Lösche ich die wildentbrannten Schmerzen, Fliehend meiner Liebe Abgrund, Fliehend diesen Göttermund, Fliehend diesen Zaubernachen. C h o r d e r R i t t e r . Folgt den Helden, die uns führen, Zauberton soll uns nicht rühren, Fliehen wir den Zaubernachen. (Sie eilen fort.) Be a t a . Weh, sie fliehen! Könnt ich dich nur halten, Doch der Schwäne tückische Gewalten Dich vorüber ziehen, Eh ich deine Hand berührt, Ach wohin wirst du geführt. 103

Textteil A

Lichte Schwäne, stolze Schwimmer Wendet eure Blicke um, Seht im Spiegel euren Schimmer, Und den Gott, der tönend stumm. F r ü h l i n g . Haltet an, ihr treuen Schwäne Liebe winkt mit Blick und Hand, Was ich mir so lang ersehne Alles schenkt dies grüne Land, Und die Nachtigall kehrt wieder Trägt ein grünes Mirtenblatt, Singet mir der Fürstin Lieder, Die sich mir ergeben hat. Haltet an den Purpurnachen, Tretet auf den grünen Strand, Holdes Seufzen, traulich Lachen, Füllet dieses selge Land. C h o r d e r S c h w ä n e . Nur auf Wellen sind wir schön, Von der Wellen Kraft vergöttert, Hellhoch unsre Flügel stehn, Und ihr Schlag wie Blitz zerschmettert, Unser Hals den Feind umschlinget, Und nach Schlangenart bezwinget. Ewig zieht die Fluth vom Strand! Kannst du nicht die Strömung halten, Reißt sie uns vom nahen Land Mit den schmeichelnden Gewalten, | Die uns dienend ganz bezwingen, Uns erhalten und verjüngen. Klage ist uns nicht erlaubt, Tobend wird der Strom noch rauschen, Darum tauchen wir das Haupt, Deinen Schmerz nicht zu belauschen, In den Spiegel aller Dinge, Daß uns frisches Blut durchdringe. F r ü h l i n g . Weh, ich büße jetzt in Thränen, Daß mich diesen stolzen Schwänen Zorn und Rache hingegeben, 104

F2, Kapitel 11,4 Ach verlornes Frühlingsleben. Fühllos reißt ihr mich vom Glücke, Ach wie schmerzt der Sonne Schein, Wenn die sehnsuchtvollen Blicke Sollen ohne Liebe seyn, Wenn die Strömung weiter, weiter, Wo der Himmel ewig heiter Den Betrübten, den Getrennten, In die fremden Welten zieht, Ach wenn Götterthränen brennten, War mein Auge schon verglüht. B e a t a . Trost des Herzens, daß du liebest, Schmerz des Schmerzes, daß du dich betrübest, Fern den Augen, die verdunkelt, Schon dein lieblich Antlitz funkelt Wie ein Stern, der niedersinkt, Und im Wellenglanz ertrinkt; Haltet an, ihr harten Herzen, Höret meine, seine Schmerzen. B e i d e . Hart und schrecklich ist das Leben, Flüchtig zieht der grimme Fluß, Durch die Felsen, durch die Reben Wie der Pfeil im Todesschuß, Viele warnet wohl das Sausen Doch das Herz, das er getroffen, Stand so offen seinem Grausen Wie der Liebe, wie dem Hoffen. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Sieh nicht nach dem Purpurnachen Langsam konnte er nur nahn, Statt der Schwäne, reißen Drachen Ihn jetzt fort auf blutger Bahn; Und der Schaum auf allen Wogen | Zeigt die wilde Raserei, Die den Sänger hat umzogen, Als die Liebe ihm vorbei, Als vorüber seine Freude, Wehe seinem Lautenklang, 105

Textteil A Denn mit immer neuem Leide Füllt ihn ewig der Gesang. C h o r d e r S c h w ä n e (in der Ferne). Daß uns frisches Blut der Welt durchdringe Rasch vorüber in das weite Meer, Daß der Zorn die alte Welt verjünge, Ist uns das Vergangne todt und leer, Und in Reue und Vergessen Löst sich Liebe, die vermessen Nach dem Geiste irdisch trachtet, Tod hat sie im Licht umnachtet. Be a t a . Wer vergessen kann, der liebt nicht, Und wem reut, daß er geliebt, Ach der kann nicht lieben, Kann in Liebe noch nicht sterben. Ach ich bin so selig, daß ich liebe, Ausser dieser Liebe ist die Welt, Lebe wohl du Welt! Ferne schallt der trübe Abschiedruf, Selig, selig, wer aus Liebe stirbt. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Grauenvoll, welcher Entschluß Reget den trauernden Sinn, Haltet sie ab von dem Fluß, Tage sind Kraft und Gewinn In dem verzweifelnden Herzen, Thränen erleichtern die Schmerzen. Be a t a . Sorget nicht, daß ich ein Leid mir thu, Alles Leid ist mir um Liebe worden, Und wer kann die süße Liebe morden? Meine Liebe fände keine Ruh In den Elementen, die beleben, Würde überm Wasser rastlos schweben, Meine Liebe eilt dem Urquell zu. Gegen einen Strom ringt mein Gesang, Gegen einen Strom von irdschen Thränen, Gegen einen Strom von irdschem Wähnen, Fort zur Quelle, wo das Herz entsprang, | 106

F2, Kapitel 11,4 Wo das Herz a m Herzen wieder springet, Wo sich Erd und H i m m e l ganz durchdringet, Wo kein Untergang in Liebesdrang. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Eilet, entreißt sie d e m Flammenheerd, D e m sie sich schwindelnd hat zugekehrt, Wehe, sie stürzt in das Schwerdt, Das sie versteckte a m Heerd. Β e a t a . Alle Gestalten vergehn, Alle Töne verwehn, Ich sinke in Licht, Das m e i n Herz durchsticht; Welcher Strahl Erhebt mich vom trostlosen Thal: Selig, selig, wer aus Liebe stirbt. C h o r d e r J u n g f r a u e n . Reisset alle Frühlingsblüthen Ihr zum Sterbebett zusammen, Ihre Wangen schon verglühten Mit den hellen Augenflammen, Und ein Sturm durchwühlt den H i m m e l , Und der Rhein, erbraust mit Schrecken, Machtlos irdisches G e t ü m m e l , D u kannst nicht die Todten wecken. Und der Schnee, der wiederkehret Nach d e m kurzen Frühlingsschein Uns kein einzig Glück zerstöret, Er bedeckt n u r unsre Pein. Seht der Rhein ist ausgetreten, Reißt zu sich dies Unglücksland, Laßt uns beten, D e n n wir stehn a m Grabesrand. (Der Strom n i m m t sie hinweg.) E r s t e s C h o r d e r H i r t e n . Fern erbebend bei dem Wetter Eilen wir zum Schutz der Frauen, Alles schwankt, wohin wir schauen, Es verzagen alle Retter, D e n n verschwunden ist das Thal.

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Textteil A

Z w e i t e s C h o r d e r H i r t e n . Welche Stille, welches Brausen, Fluthen wirbeln u n d erblitzen, Schon u m hoher Bäume Spitzen, Unsre Herzen füllt ein Grausen, D e n n verschwunden ist das Thal. | B e y d e C h ö r e . Unsre H e r r n Weilen fern, Weh, wer soll es ihnen klagen, Was wir k a u m zu sagen wagen. E i n C h o r . Weh die Fürstin und das Land H a t der Rhein m i t starker H a n d In das Todesbett gerissen. Z w e i t e s C h o r . Arme Braut, auf kalten Kissen Wirst D u Deinen Bräutgam missen. B e i d e C h ö r e . Frühling ward der Welt entrissen, Schönheit riß er m i t sich fort, Sehnsucht weilt und schmerzlich Wort: E i n C h o r . H a r t und schrecklich ist das Leben! Z w e i t e s C h o r . Untergang sein innres Streben. B e i d e C h ö r e . Seligkeit ist nur i m Tode. | Erzbischof. Victoria, der Jung hats gut gemacht, Verstanden h a b ich nichts, doch gab ich acht, Weil Augen und Geberden lebhaft sprachen, Ich habe fast geweint bey seinen Sachen, Du wirst ein Volksredner, ich m u ß dich küssen, D u must recht vieles in der Metrik wissen, Sie ist das H a u p t der Rede und des Lebens Kein Mensch auf Erden lernet sie vergebens Sie giebt Gemessenheit in allem Handeln Und sichern Tackt in allem unserm Wandeln Gebt i h m die Prämie, das werthe Buch, Nicht w a h r m e i n Sohn, du hast doch dran genug. Johannes (kniet nieder) Gerührt, voll Dank, ich weiß mich nicht zu fassen, 108

F2, Kapitel 11,4 Erzbischof. Laß gut seyn, will dir deinen Dank erlassen. (Er überreicht ihm das Buch.) Ein Schüler zum andern. Ich dachte gleich, daß der es würde kriegen, Der weiß sich an den Spiegelglanz zu schmiegen Gewiß hat der das Ding ihm einstudiert, Vielleicht wohl gar das Beste dran geschmiert. Erzbischof. Euch werther Meister Spiegelglanz zu loben Sey auch von mir nicht länger aufgeschoben. Was wünscht Ihr euch daß ihr des Kindes Geist Zum höchsten Gipfel alles Wissens reist. Chrysoloras. Nun sagt es heraus, es wird jezt bey euch stehn, Spiegelglanz. Ich möcht so gern mit euch auf Reisen gehn. Italien war meiner Wünsche Ziel, Da giebt es weiser Männer noch so viel | Bey denen ich kann in die Schule gehen, Daß ich dies Kind auch wünschte dort zu sehen. Erzbischof. So send ich Euch zum Lohn mit eurem Knaben Nach Rom, daß dort sein Wissen, seine Gaben In bessrer Sonne fröhlig mögen reifen, Da ist ein Geist, im Leben und in Feier Hier geht es ewig nur nach alter Leier, Wenn ich das Jahr gedenke, welche Zeiten, Als ich mich dort zum Amt sollt zubereiten, Ich bin zu schwach, sonst möcht ich euch begleiten. Es ist da Seligkeit in aller Luft, Und welche Seligkeit an Petri Gruft. Kommt mit, ich will euch Brief ertheilen, Womit ihr könnt zum heiigen Vater eilen.

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Textteil A

Raphael (vor sich) Ο Vaterland ich hör so d u m m dich loben, Und dennoch alle meine Adern toben, Und übers H a u p t zückt m i r ein Freudenstrahl, Ich m u ß zurück zum breiten Tyberthal So lang vergessen, weckst du Lust zum Leben I m ärmsten Sohn, der alles aufgegeben. Schüler. Lasst uns gleich gehn und seht das Buch nicht an, Weil ihn das gewiß recht ärgern kann. Ein Andrer. Hast recht wir stellen uns so recht vergnügt Als wär's uns einerley, daß er gesiegt. | Ein Dritter. N u n diese Nacht, da wollen wir recht schwärmen, Bleibt nur zusammen, wollen tüchtig lärmen; Bey Spiegelglanz werf ich die Fenster ein, Und schlag ihn todt k o m m ich zum Haus hinein! (Alle gehen m i t L e r m e n fort nur Johannes bey der R e d n e r b ü h n e und Raphael nachdenkend in einer Bank bleiben zurück.) Johannes. Sie gehen alle, keiner sieht mich an, Was hilft die Ehre mir, ich bin im Bann, Find keinen Freund so viel der Knaben sind, Auf Erden bin ich doch das ärmste Kind. Das schöne Buch, es ist mir ganz verhast, Ich trage es wie eine schwere Last, Ich hab es nicht verdient und weiß doch nicht, Ob nicht von mir des Frühlings Schmerzgedicht, Ich hab doch alles, wies da steht, geträumt, Lateinisch nicht, das hat er wohl gereimt, Wenn dies die Arbeit, da ists freilich sein, Der Geist, das Wesen war doch sicher mein. Doch that ich unrecht, einen Lohn erschleichen, Der nicht d e m Geist, dem Fleisse sich soll reichen Ich möcht es los seyn, ach was ists n u n werth, 110

F2, Kapitel 11,4 Wonach verlangend ich mich aufgezehrt! Mir bangt, — das Zwielicht schimmert — und das Bild Des Roland drohet mit d e m Schwerte wild Er will Gerechtigkeit in aller Welt bewachen, Ich hör schon die steinernen Muskeln krachen, Als hob er sich zu einem kräftgen Schlag; Triff mich!, ich ende m i t dem Sündentag. Und alles schweiget in dem öden Saal, Nur fern beseufzt der Jugend Geist die Qual | Die ihn so lang, so nutzlos hier gebannt, Wer trit m i r da entgegen altbekannt, Wer steht da vor mir, täuscht ein Traum mich nicht Ich seh des Traumes lieblichstes Gesicht, Ich seh den Frühlingsgott, doch ohne Leier, Er ehret mich nach meiner schwachen Feier, Ich h a b es nicht allein verdient, der Meister Belauschte und beschrieb des Traumes Geister Mir ist, als t r ä u m t e ich noch einmal wieder, Als zögen durch m e i n Ohr die Frühlingslieder. Raphael. Wie ist dir Kleiner, halt, du schwankst, die Huld H a t dich zu sehr ergriffen, hab Geduld Nach kurzer Zeit wirst du das Buch vergessen Und endlich fühlst du, daß du nichts besessen. Johannes. D u bist ein Mensch, hast Stimme Fleisch und Bein, Bist du kein Gott, so bin ich nicht allein, Ο m i r ist wohl, da ich dich endlich finde Ich träumte einst von dir, verzeihs dem Kinde Daß es dich liebt noch ohne dich zu kennen, Ich muste dich den Gott des Frühlings nennen, D e n n so erschienst du mir. Raphael. W i e sonderbar Ich seh hinauf wenn ich dich sprechen höre, Ο Kind wie bist du alt und wunderbar, U n d bist hier noch m i t Knaben in der Lehre. 111

Textteil A

Johannes. Mir ward die Zeit so lang, so ward ich alt, In einer jugendlichen Frühgestalt. | 6|77' Raphael. Und bliebst so schön, ich muß die Weisheit loben Die zarten Schmelz um Lilien hat gewoben Die Weisheit thuts, daß nichts unreines hafte, So blüht die Schönheit rein im Lebenssafte, Ich seh dich näher an mit Vorgefühl, Du warst es Kind, das ich in dem Gewühl Von frühen Leidenschaften für nen Traum gehalten, Als ich durch Streit von Spiegelglanz gespalten, So dich als ihn in einem Blitz vergessen. Johannes. Wohl mir, mein Glaube war doch nicht vermessen, Du sahst mich an, du warst das erste Wesen In dessen Aug ich Sonnenlicht gelesen Ο mir ist wohl, da ich dich endlich finde Ich liebte dich schon lang, verzeih's dem Kinde Ich lernte dich als Gott der Sonne kennen, Ich möchte dich auch Frühlingsgott benennen, Ο schöne Sehnsucht, die mich lang verzehrt, Der liebste Freund, er ist mir neu bescheert. Spiegelglanz kommt langsam und unbemerkt in den Saal Nun hindert nichts den kühnen Lebensplan, Das mirs gelingt vernichtet jeden Wahn, Als ob mein Gabriel die eigne Lüge Die sich gehüllet in des Himmels Züge. — Johannes wird wohl hier geblieben seyn Er konnte nicht in unsre Thür hinein Wer spricht mit ihm? — Ihr grimmen Todsgewalten Mein Todfeind ists den ich für todt gehalten Den ich zerschmettert sah von einem Wetterstrahl, | 6|77v Er lebet wieder auf zu meiner Qual, Mein Messer zittert schon in meiner Scheide, Kein Todter komm zu Lebendem im Neide. (Er horcht) 112

F2, Kapitel 11,4 Raphael. Ich weiß es nicht, was mich so zu dir bannte, I m Glück und Unglück hab ich dein gedacht, Als w e n n dein Bild in m e i n e m Herzen brannte, Es überschlich mich oft so hell und sacht. Und grauenvoll ist mir der Schmerz erwacht, D a ß du in eines bösen Teufels Macht. Johannes. Ist er denn bös, der Spiegelglanz? — sag an, Er t h u t m i t Ernst was er nur leisten kann, Ich habe wenig ganz zufriedne Tage, Doch mein' ich, gute Absicht bringt m i r Plage. Raphael. Er wendet m i r das Herz in bitterm Zorn Er ist in m e i n e m Aug' ein scharfer Dorn, Ich hasse ihn auf weiter Welt allein, Und dieser H a ß kann doch kein Zufall seyn, Es ist ein schlechter Mann, ich bitt dich fliehe, Es ahndet mir, daß er dich schlecht erziehe, H a t er dich nie zum Bösen angeführt? (Spiegelglanz erhebt das Messer gegen Raphael, last es aber wieder sinken). Johannes. Ich denke nach und bin sehr tief gerührt Und k a n n dir nicht gestehn wie er mich hat verführt. | Raphael. Ο sey nur wahr, ο sey n u r einmal offen, So wird dir wieder leicht und frey zum Hoffen. Was drückte dich, daß deine Red' erstickte? Johannes. Ich sag es dir nicht ohne tiefe Reue, Ich sag es sacht, — wir sind doch hier n u r zweye? Ich hatte wohl geträumt von einem Frühlingsfeste, Doch Spiegelglanz hat das Gedicht gemacht, Das von dem Erzbischof heut als das Beste, Mit Unrecht m i r hat höchsten Preis gebracht, Der Inhalt war wie ich m i r selbst, — so eigen! 113

Textteil A

Raphael. D u must das öffentlich der Schul' anzeigen! Daß du bekennst, das zeigt dein f r o m m e s Herz D u strafest dich m i t deinem eignen Schmerz. Johannes. D u willst es und ich thu's, du bist m e i n Wille, Und würd's mir noch so schwer, daß ich's erfülle N i m m m e i n e Hand, das Opfer meiner Treue Verschieb ich nicht; u n d der Vergebung Weihe Gieb mir in einem: Ein heilig Zeichen. Raphael. Die W e h m u t h will m e i n ganzes Herz erweichen Ich denke meiner Frau, die m i r entrissen Durch Feindsgewalt, ich denk ihr letztes Küssen Mir ist, als würd ich bald m i t ihr vereint, Ο welcher Trost aus deinen Augen weint. | Spiegelglanz sticht nach Raphael trifft ihn aber nicht, schüttelt unwillig m i t d e m H a u p t e und zieht sich in das D u n k e l wieder zurück. Raphael. Was sauste so an m e i n e m Ohr vorbey. Es ist mir bang, daß wir hier nicht allein Johannes. Die Abendfliegen k o m m e n von dem Rhein Und fliegen in der Spinne Netz herbey Ich darf m i t n i e m a n d hier vertraulich seyn D e n n stets bewachet mich der ernste Meister Raphael. Mir ist als schwebten u m uns böse Geister Johannes. Mich schreckt nichts mehr, seitdem ich sündenschuldig Raphael. Dein Schicksal Kind macht mich so ungeduldig Es k o m m t m i r ein, es würde besser seyn, Dich noch an diesem Abend zu befreyn Gewiß noch heute must du ihn verlassen, 114

F2, Kapitel 11,4

5

Denn ungestraft last er sich nimmer hassen. Entflieh mit mir, in R o m sind wir geborgen Mein Vater schützt uns, aus den bangen Sorgen Erwecket uns ein H i m m e l ewig klar, D a ist kein Winter nur ein geistlich Jahr, Das eingetheilt durch neue Pracht in Festen Uns auferzieht zu freudgen Himmelsgästen Johannes. D u willst die Hand zu solcher Lust mir reichen. |

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6|79r

Raphael. W i r müssen noch in dieser Nacht entweichen. Johannes. Die Thore sind geöffnet, auf den Gassen Schwärmt mancher Schüler, der die Schul verlassen.

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20

Raphael. Bald sehen wir die heiigen sieben Hügel Der Kirchen Glanz, wir hören die Gesänge M i r ists, als ob der Töne Engels Flügel Mich schon erheben aus des Saales Enge, D a wirds dir leicht dein Unrecht zu bekennen, D u fühlst das Herz in reiner Andacht brennen, In unermeßlicher Gewalt des Lichts. Spiegelglanz trit hart auf und ersticht ihn E i n Zucken meiner Hand; aus allem — nichts!

25

Kein Schrit ist dir vergönnt zum Vaterland, D u spottetest einst mein, erkenn die Hand Die dich in deinem Stolze überwand. Raphael.

30

Laß noch das Messer in der tiefen Wunde Erbleich nicht Knabe, hör aus meinem Munde Die treue Warnung flieh die Sündenpforte, E h sie noch hinter dir ist zugeschlagen, Schrei Mord und Feuer in dem ganzen Orte, Und drohe ihm so muß er endlich zagen.

115

Textteil A

Spiegelglanz reist ihm das Messer aus Stirb und verdirb. Johannes. Alle Gestalten vergehn, Alle Thöne verwehn! (Johannes stürzt ohnmächtig nieder.) Spiegelglanz. Es dringt der Traum geharnischt in das Leben, Wer fasset ihn, ich darf ihm nichts vergeben Und ist sie todt, so mag es rasch beginnen Worauf so viele Jahre mühsam sinnen. Ich will mich rasch vor aller Welt verkündgen Und wird sie glauben, werd ich sie entsündgen. Sie athmet noch, ich reiß sie mit Gewalt Hinweg von dieses Jünglings bleicher Leiche, Wie hält sie fest die starrende Gestalt | Als ob sie auch im Tod nicht von ihm weiche Sie sind getrennt durch mich, die Abendluft Die zärtlich spielt in ihren schwarzen Locken Wird ihre Geister schmeichelnd rückwärts locken, Der Feind erhält den Rhein zu seiner Gruft, Der vor dem Fenster so kristallen blinkt; — Wie mancher in dem mächtgen Strom ertrinkt. Ein todter Feind hat liebliche Gestalt, Er scheint uns nicht zu jung und nicht zu alt Nimm ihn du Rhein, wie bald zermalmen Ihn drin die Schlangen und gefräßgen Salmen, (Er trägt die Leiche des Raphael fort.) Johannes (wacht auf und sieht sich fremdartig um) Wo wach ich auf, dort blinken ja die Sterne Als müsten sie zu meinen Füssen gehn, Wo bin ich? In der weiten Himmelsferne Kann ich den Warnungsengel nirgend sehn, Bin ich schon rein, daß er mich so verläst, Ich hänge noch in allen Sünden fest. (Sie geht traurig umher und erkennt den Ort) 116

F2, Kapitel 11,4 Die Augen klären sich in T h ä n e n auf, Ich seh des Rheines blendend hellen Lauf, Ich seh die Sterne an d e m H i m m e l stehn, Die blinkend in d e m Rheine sich besehn, Ich seh der Schiffer Licht auf schwarzen Schiffen Ich hör die Wächter die einander pfiffen Was ist geschehn, was deuten sie sich an, Ach daß ich so vor nichts erschrecken kann. Wer war denn hier, ich weiß ihn nicht zu nennen? Doch m u ß ich ihn schon viele Jahre kennen! Er wars, der ewig in der Seele steht E r i n n e r u n g so scharf durch m e i n e Seele weht, Er rufet noch, entflieh der Sündenpforte, Sind das der Liebe letzte süsse Worte | Spiegelglanz zurückkommend Johannes schläfst du noch, k o m m schnell nach Haus Johannes. Verlasse mich, du bringst dem Herzen Graus Und ich bin schwach, mein H a u p t ist tief verwirrt, In Schreckensworten meine Seele irrt. D u hast den Freund aus m e i n e m Arm gerissen Auf Erden soll ich ewig ihn vermissen Nichts lernen will ich mehr, nichts t h u n als weinen. Spiegelglanz. D u bist von Sinnen, sprich, — was kannst du m e i n e n Johannes. Hier liegt die Leiche, hier dein blutig Messer Spiegelglanz. D u bist verwirrt, beschaue alles besser. Hier liegt dein Buch, das du zum Lohn e m p f a n g e n Ich glaub du träumst in u n b e s t i m m t e n Bangen Wie einst als du die Morgenzeit verschlafen, Wo du i m Traume ein Gedicht gesagt, Als n i m m e r sonst bey noch so harten Strafen Dasselbe das du heute hergesagt Und das ich rasch dir nachgeschrieben hatte, D a m i t es dich mit reichem Lohn ausstatte 117

Textteil A

Johannes. So ists doch wahr, woran ich gestern glaubte, Was ist denn wahr, daß sich nicht zweifelnd raubte, Ist es denn wahr, daß ich hier lang geschlafen? Ist es denn wahr, daß ihn die Stiche trafen, D e n ich nicht n e n n e n k a n n Spiegelglanz. Der nicht vorhanden, Wie machst du mich in deinem Traum zuschanden, Sieh her m e i n Messer, sieh es ist so rein, Es giebt i m Sternenglanz so hellen Schein; Was willst du thun, du drängest dich hinein Johannes. Ich möchte ewig bey dem Frühling seyn. Spiegelglanz. Wach auf, hätt ich das Messer nicht gehalten, D u hättest dir im Schlaf das Herz zerspalten. | Johannes. So war das alles Traum, was ich erblickt, So war kein Engel mir als Freund geschickt, Der mich nach Rom zur Freyheit wollte führen. Spiegelglanz· Abwechselnd Traum und Wahrheit dich regieren Dein treuster Freund dich f ü h r t zur heiigen Stadt. Johannes. Wo ist er sprich, ich f ü h l mich noch so matt. Spiegelglanz. Ich f ü h r e dich, des Erzbischofs Geschenk Wird uns m i t Sparsamkeit zur Reise gnügen, Wärst du gesund, schon morgen denk — Könnt uns der Rhein in schöne Träume wiegen; Noch diese Nacht ließ alles sich bereiten, Die Sterne würden uns nach R o m hinleiten.

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F2, Kapitel 11,4 Johannes. Sind diese Sterne wahr? — sind sie kein Traum Wie der, der diesen finstern engen Raum Zu einem Himmelssaal erwärmte, Ο war es sicher, daß ich jezt nicht schwärmte Der Reise Hoffnung gäb mir Kraft genug. Ο schwöre mir, daß alles nur ein Trug Wie mich umschloß des Mundes Knospenkühle, Die sich erschloß in zärtlichem Gefühle, Wie er mich warnte, euch nicht zu vertrauen, Wie ihr ihn umgebracht! Spiegelglanz. Mit Grauen Durchschaudert mich, was du so leicht erzählt, Des Tages Angst hat dich so arg gequält, Als du hier in den Bänken eingeschlafen. Der Himmel martert dich mit schweren Strafen. Gewiß must du geheim gesündigt haben, Bekenn es nur, es läst sich nicht begraben Die Schrift die uns der Wurm ins innre Herz genagt Sie löscht sich nur, wenn es ist ausgesagt, | Johannes. Ο welche Angst, gewiß bin ich ein Sünder. Spiegelglanz. Bekenne nur, Gott strafet keine Kinder Wenn sie bekennen ihre Missethat. Johannes. Ich weiß es nicht, was ich so böses that Doch ist mir selbst, als hätte ich gesündigt Als hätte Gottes Zorn sich mir verkündigt Da fällt mir etwas schwer aufs Herz. Spiegelglanz. Sag an Welch Frevelwerk dich so erschüttern kann Bekenne gleich, sieh dort die Wolken stehen, Die Erde bebt, wenn ihre Donner gehen. 119

Textteil A

Johannes. Ο bet für mich, ich muß in Angst vergehen Ich sage gleich — was ich vom Traum gesprochen Das log ich nur, das ists, was ich verbrochen, Mir träumte nicht, daß mich der Freund geküst, Es war wohl nur ein heimliches Gelüst. Spiegelglanz vor sich Sie lügt und muß was anderes verbergen (laut) Das ist nicht alles, sieh nach jenen Bergen, Da zündet jezt der Blitz im hohen Schloß, Zur Strafe muß vergehen Mann und Roß, Du sagst nicht alles, du verbirgst noch mehr, Johannes. Ich kanns nicht sagen, nein es ist zu schwer. Spiegelglanz. Bekenne gleich du hast nur wenig Zeit, Du bist von deinem Grabe gar nicht weit. Johannes. Gleich Meister gleich mir fehlt der Athem noch, So wisst, ich macht in unsrer Wand ein Loch, Da hab ich heute morgen durchgesehen, Als viele Leute zu dem Bade gehen. Spiegelglanz (vor sich) Ich habe Müh das Lachen zu verbeissen | (laut) Die Neugier konnte dich in solche Sünde reissen, Ich hatt es heute dir so streng verboten! Johannes. Ich habe nichts gesehn, es kamen Boten Es sey ein Mann ertrunken in dem Rhein, Da stiegen alle in ein Schiff hinein, Und wollten ihn auffischen, doch vergassen Sie all das Beten, konnten ihn nicht fassen 120

F2, Kapitel 11,4 D a wollte keiner baden, einer sprach, Ein Todter zog sich einen andern nach, N u n ist doch heute keiner m e h r verloren, Und wie ihr sagt, die Furcht k o m m t von den Thoren. Spiegelglanz. D u stockst, du wendest dich von mir, du weinst, D u thatest mehr, was du recht sündlich meinst Johannes. Nein, nein, ich habe alles n u n bekannt Spiegelglanz. Ich sage dir, du wirst hier festgebannt D a ß du vom Orte dich nicht regen magst, Wenn du m i r dein Bekenntniß noch versagst. Johannes. Lasst los ihr haucht mich schrecklich feurig an Ich sag euch gleich, was ich bekennen kann, Doch müsset ihr es mir voraus verzeihen Spiegelglanz. Nein nein, der rechten Strafe dich zu weihen Beschwöre ich m i t allen heiigen Eiden Ich bin verschlossen jeglichem Mitleiden Johannes. Es drückt das Herz m i r ab, ich m u ß bekennen, Der Schmerz will meine Augen ganz ausbrennen. — Hört nur, die Spinne die ihr m i r genommen, Die ich verehrt, weil sie ein Kreutz vollkommen Auf ihrem Rücken trug, die schon so zahm D a ß sie die Flieg aus m e i n e n H ä n d e n n a h m , Die Spinne, die ihr eingeschlossen habt | Ins Kästchen, weil sie also hochbegabt, D a ß sie nach dreyer Jahre ruhger Frist Von niemand angesehn, ein D e m a n t ist, Die wollt ich sehn, wie weit sie schon versteint, Weh weh, wie hab ich da so sehr geweint, Als ich der bösen Neugier nachgegeben 121

Textteil A Und sorgsam erst den Deckel wollte heben Da lief sie fort durch jenes Loch der Mauer Ich rief ihr nach in meiner tiefen Trauer, Sie hörte nicht wie sonst, ich muste weinen. Spiegelglanz· An diesem Fall mag deutlich dir erscheinen, Wie Sünde ziehet alles Unglück nach, Daß deine Neugierd dort ein Loch sich brach, Das gab der Spinne einen Weg! Magst weinen, Zutraulich nannt ich dich bisher den Meinen Und dennoch bist du spielend abgefallen, Die Sünde fasste dich mit scharfen Krallen Ich sollte dich Verstössen, dich verfluchen Ich will nach Milderung im Herzen suchen Jezt überdenk wohin dein Trotzen gegen mich Bis jezt geführt, ein Wort vernichtet dich. Johannes. Was ist das für ein Wort! Spiegelglanz. Ich rath dir schweige Daß ichs nicht sage dieses Wort, das bitte In Einsamkeit von Gott, und daß er litte Daß ich mit dir nach Roma dürfte wandern, Obgleich ein Böser oft verdirbt den andern, Du würdest dann auf dieser schönen Reise Die Schuld vergessen, würdest endlich weise. Johannes. Ich habs gebetet demuthvoll und leise. Spiegelglanz. Recht gut! Doch weil du Einsamkeit mißbraucht, So seyst du ganz in Einsamkeit getaucht. | Sollst diese Nacht in diesem Dunkel bleiben Um allen bösen Willen zu vertreiben Sollst hier die Heimlichkeiten all ablegen Dann kehret wieder meiner Liebe Segen. 122

F2, Kapitel 11,4 Johannes. Ο Meister tödtet mich, doch lasst mich nicht allein In dieses Saales wilder Wahnsinnspein, Ich fürchte mich, daß ich hier rasend werde, D e n n sicher ist es nicht auf dieser Erde, Hier steigen Menschen aus der Erde G r ü n d e n Und sterben fälschlich warnend und verschwinden Ich renne mir den Kopf an diesen W ä n d e n ein Ο Meister tödtet mich nur lasst mich nicht allein. Spiegelglanz. K l e m m dir den Finger an d e m Fenster ein, So last du gleich das Kopfeinrennen seyn, Die Nacht der P r ü f u n g soll dir jezt beginnen, D u magst dir Leben oder Tod gewinnen. (Spiegelglanz geht ab und schliest den Saal zu, Johannes w ü t h e t gegen die verschloßne T h ü r e ) Johannes. Ich Ich Ich Ich

will nicht allein seyn nein, nein schlag die T h ü r ein, zerkratze den Boden, schrei so lange noch in m i r ein Oden.

Spiegelglanz draussen D u schweigst, sonst schick ich das Muhkalb, Und den schwerfällig ächzenden Alb! Johannes sucht sich zu beschwichtigen leise Weh, weh, ich fleh, ο laß mich nicht allein, Die T h ü r schliest zu, ich stürz mich in den Rhein Die Geister sprechen vom Katheder nieder U n d meine eigne Stimme hallet wieder | Soll ich in Angst und Wahnsinn hier verderben, Nein lieber will ich eines freyen Todes sterben. (Sie steigt aufs Fenster) Ich weiß es doch, es wird ihn morgen kränken, Er wird in W e h m u t h meiner noch gedenken Wenn er mich sucht und findet mich nicht mehr, Und ahndet daß ich schon i m weiten Meer 123

6|83r

Textteil A

Ich will ihn kränken, weil er mich verließ, Es soll ihn schmerzen, daß er mich verstieß, Er soll es f ü h l e n wie m i r hier zumuthe, Wo Täuschung ward aus m e i n e m höchsten Gute, Wo Lieb und Freundschaft ein Gespenstertraum Viel lieber sink ich in den Wellenschaum, Wo sich die Nixen ihre H e m d e n waschen, Da will ich sie i m Sprunge überraschen, Sie sehen mich, sie winken mit den Händen, Sie werden allen Schaden von m i r wenden. (Sie will hinausspringen, da flattert ihr ein Nachtrabe entgegen.()) Nachtrabe. Wohin m e i n Kind, ich bin ein nächtger Rabe, Und krächz am R h e i n bey m a n c h e m frischen Grabe Wart n u r bis morgen dann bin ich bereit, Und hab bey dir zu singen wieder Zeit, Was fürchtest du, daß dir der Tod willkommen Schlaf aus m e i n Kind, das wird dir wohlbekommen. Johannes. Er hat mich hier so ganz allein gelassen, Ich will ihn ärgern, denn ich m u ß ihn hassen. Nachtrabe. W a r u m hat dich der böse M a n n verlassen. Johannes. Die Sünde hat mich in den A r m genommen, Und spielt m i t mir und reitzet mich zum Bösen, | Ich hatte mir viel Gutes vorgenommen, Es wird der Tod mich von der Sünd erlösen. Nachtrabe. Der Tod ist erst der Sünde höchster Sieg Und nur i m Leben machst du ihr den Krieg, D u armes Kind, ich möchte m i t dir weinen Ich habe dich so lieb wie meine Kleinen Und weiß doch auch, daß sie vom Blute leben Wenn sie den Fittig erst in Freuden heben. 124

F2, Kapitel 11,4 Johannes. Wo sind sie? Deine Kleinen möcht ich sehn. Nachtrabe. Da müstest du auf hohem Dache gehn. Johannes. Ο trag mich hin, da muß es herrlich wehn. Nachtrabe. Tritt nur am Fenster auf die Zackensteine, Johannes fängt an zu klettern Es schwindelt mir ich schwebe überm Rheine. Nachtrabe. Du wolltest ja vorher hinunter springen. Johannes. Ich bitte dich, kannst du zurück mich bringen Nachtrabe. Nicht doch, du must vorher ins Nest mir sehen Johannes. Vor kaltem Zittern kann ich kaum noch stehen Nachtrabe. Jezt bist du oben kannst ins Nest mir sehen, Sie meinen daß ich dich als Futter bringe Sie sperren krächzend auf die Schnäbel. | Johannes. Das ist doch gar ein schreckliches Gesinge, Und drunten wälzet sich ein weisser Nebel, Nachtrabe. Sie sind so schwarz, weil sie des Teufels Kinder Gleich deinem Haar, so schwarz ist ihr Gefieder Doch ihre Augen sind noch viel gelinder, Sieh nur, sie schlagen sie vor dir ganz nieder. Johannes. Ο sprich, so bin ich wohl des Teufels Kind 125

Textteil A Nachtrabe. Es hilft dir nicht, daß ich es dir verkünd, Johannes. Weh m i r so bin ich hoffnungslos verloren. Nachtrabe. I m H i m m e l giltst du nicht, du bist geboren Für jene Erde, die hier unter dir, D r u m steig zum Fenster still zurück mit mir, Es wird auf Erden dir noch viel gefallen. Johannes steigt zurück Da steh ich wieder in den Schreckenshallen, Doch alle Furcht ist aus dem Herzen fort, Ich höre wieder das verständge Wort, Mir hilft das Sterben nichts und nichts das Leben. Nachtrabe. Wer schlafen kann, m a g vieles überleben Johannes. Ach wer i m Wachen träumt, der k a n n nicht schlafen Nachtrabe. Sieh auf schon k o m m t der Mond m i t Wolkenschafen Am Berg herauf in seinem vollen Licht, Macht dich nicht m ü d sein schlafend Angesicht Wie er die Augen hat so fest geschlossen Und t r ä u m e n d sich an jenen T h u r m m u ß stossen. Johannes. Er ist so hell, wie ich ihn nie erblickt, Es ist kein Stern, der nicht vor i h m erschrickt, Und ziehet sich zurück ins dunkle Haus Nachtrabe. Sie schlafen n u n nach langem Wachen aus Leg deinen Kopf auf dieses goldne Buch. Johannes. Es drücket mich m i t alter Sünde Fluch Sieh ein du frostger Rabe, welch ein Glanz 126

F2, Kapitel 11,4 In seiner Ränder Regenbogenkranz, Ο welche Worte stehen da gemalt, Ο welcher Trost vom Mondenglanz umstralt. »Ohn Anfang und ohn Ende Bist du Gott ewig lebend, Die Kraft der mächtgen Hände, Erhält den Himmel schwebend Wie auch Gedanken steigen Du hebst ihn dennoch höher, Du wirst ihn höher zeigen, Je näher dir ein Seher, Nur wer sich selbst vergessen Hat deiner Liebe Tiefe Wenn er in Noth entschliefe In Seligkeit ermessen.(«) | Johannes schläft bey diesen Worten ein, der Nachtrabe entfliegt, die geflügelte Melancholie (sinkt) herein, die ihn mit Trauer und Zärtlichkeit betrachtet, bis die Sonne aufgeht, dann seufzt sie. Melancholie. So traurig wie der Schmetterling An der geschlossnen Blume hängt, Die er in dunkler Nacht umfing, Eh sie der Sonne Strahl versengt So hängt mein Blick am zarten Kind, Und kanns nicht wecken, schützt es nicht, Schon weht der frische Morgenwind, Es drängt mich fort das Sonnenlicht, Uns scheidet eine frohe Welt, Du nahest mir in Fröhligkeit, Du wirst in Lust dem Schmerz gesellt Wie sehn ich mich nach jener Zeit Dich reisst die Sünd zum schönen Land, Wo alles treibt zum Uebermuth, In einer wilden Sonne Brand, In deinem heissen Vaterblut Ach weh wie werd ich dich noch sehn, Eh du in mir kannst untergehn. 127

Textteil A

(Sie entfliegt zögernd) Spiegelglanz (die Thüre aufschliessend mit Luzifer als Chrysoloras reisefertig eintretend) Wach auf und sey zur Reise munter Die Sonn geht auf, der Mond geht unter; Es ist der Weg vom Thau so feucht, Es geht sich frisch, es geht sich leicht, | Und soils nach meinem Willen gehn Wir müssen heut Italien sehn. Chrysoloras. Es schläft das Kind in Seligkeit, Auf seinen Wangen trocknen Thränen, Wir gönnen ihm die Ruhezeit, Und tragens nieder zu den Kähnen, Wie wird es sich verwundern heut, Wenn es erwacht von Mainz so weit. Er hebt das schlafende Kind auf und geht mit Spiegelglanz leise und still zum Ufer, als er zu den gemietheten Kähnen gekommen, legen sie es auf den Boden des grösten, die Pferde ziehen an und der Kahn geht langsam dem Strome entgegen, das Kind erwacht nicht, selbst durch eine Reihe singender Kähne, auf welchen weißgekleidete Kinder zur Firmung nach Mainz gefahren werden, fährt er ohne zu erwachen, ein wunderbares Bild wie der Mensch unbewust dem Strome entgegen seinem Heile vorbey wie von dem Schlafe zum Traume, so häufig aus der Kindheit beengtem Raum in das reiche unermeßliche Land seines reiferen Daseyn hinübergeführt wird. |

128

Die Päpstin Johanna.

7\v

Dritte Periode. 1. 5

10

15

20

25

Die Reise nach Rom beruhigte das geängstigte Gemüth des fröhlig und kräftig heranwachsenden Kindes. In wenigen Tagen schien ihm alles, was es früher erlebt, leer und nichtig gegen diese wunderbare Welt, die sich ihm an beyden Seiten des Schiffes aufthat. Alle früheren Züge mit Spiegelglanz hatte er in einem Alter gemacht, wo körperliche Bedürftigkeit alle Freuden der Neugierde verkümmerte, jezt war es in dem freudigen Alter, das von der Last des Körpers nur im Einschlafen etwas empfinden kann und alle Anstrengungen der Erwachsenen mit zu ertragen weiß. Die glückliche Beobachtung des Kindes, seine offene Liebe zu allem Schönen schenkten ihm so manchen herrlichen Einfall über Dinge, die Spiegelglanz in der Höhe seines Stolzes für geringfügig achtete, daß er den göttlichen Stoff in ihm, den er bis dahin nur aus Aberglauben angenommen und verehrt hatte, mit einem eignen fremdartigen Gefühle entdeckte. | Gewissermassen fürch- 7|Γ tete er sich vor dem Kinde und stellte sich unaufmerksamer und gleichgültiger gegen dasselbe, als er wirklich war. Johannes ließ sich sowenig dadurch, wie durch den Spott des Chrysoloras abschrecken, doch mied er den letzteren mehr: er theilte aus Bedürfniß mit, was ihm einfiel und da er bald unter Völker versetzt war, deren Sprache ihm unverständlich, so wurde er vertraulicher und gewissermassen gleichzeitiger mit Spiegelglanz, als er es je möglich geglaubt hatte. Luzifer unter der Gestalt des Chrysoloras freute sich an dem wunderbar sich entwickelnden Geiste, so fremdartig er ihm war, er munterte den Muthwillen des Kleinen auf und so war bey der Ankunft in Rom gar nicht mehr an die sklavische Furcht zu denken, der sich Johannes 129

Textteil A

bey jedem Winke des Spiegelglanz unterworfen gefühlt hatte. Aber auch die Ursachen des Mißvergnügen hatten sich da sehr vermindert. Das Sprachlernen wurde in Rom auf andre Art getrieben, alles berührte sich da lebendiger und näher, von Sprache als Sprache hatte man keine abgesonderte Vorstellung wie jenseit der Alpen, wo nicht mehr 7|2r untersucht, sondern | nur geglaubt werden durfte. Hier in Rom war seit Karl dem Grossen der Quell der grossen Begebenheiten, die sich durch einen von weltlicher Herrschaft unabhängigen Glaubensstaat unausgesetzt über Europa entwickeln sollten. Nicht blos die Glaubensseckten aller Gegenden, auch die älteren philosophischen Schulen hatten hier ihre freye(n) Anhänger, freyer aber als alles entwickelte sich die leidenschaftliche Eigenthümlichkeit der Menschen. Laster die jenseit der Alpen mit dem Kirchenbann belegt worden wären, ja dort vergebens einen Namen gesucht hätten, wurden hier ungestraft geübt. Alle Art sinnlicher Lust war in einer Rückkehr menschlicher Schwäche der Aufopferung aller Lebensgenüsse bis zur Hingebung des Lebens selbst für den Glauben fast unmittelbar gefolgt; nur jenseit der Alpen, besonders aus dem nördlichsten Schottland erschienen noch einzelne Glaubenshelden im Dienste der Kirche. Kein Volksglaube und Gewohnheit hemmte die leidenschaftliche Kraft Italiens, noch war sein Volk ein wunderbares Gemisch verschiedenartiger Nationen, die sich in den Schätzen des alten Römervolks getheilt hatten, auf die heftigen 7|2" Südländer war der Kern von nordischen Kriegern gepfropft | und nach Mohameds neuer Volksreligion hatten sogar die Sarazenen einen Theil des Landes eingenommen. Die Verhältnisse zu den griechischen Reisern waren lange schwankend, nicht minder die Herrschaft der übrigen Theile Italiens; Rom war allein frey, und dort vollbrachten nicht etwa, wie in späterer Zeit die Cardinäle, sondern Geistlichkeit, Adel und Volk meist auf gewaltthätige Art die Papstwahl. Die hohe Geistlichkeit abwechselnd von so verschiednen Kaisern und Königen eingesetzt, achtete dort keines Verbots; in ihr verkörperte sich die Ideenmasse, die unter den Lehrern und Gelehrten streitig ausgeboren wurde zu einer sinnlichen Freude daran, ja sie scheuten es nicht mit den Waffen und mit Betrug für das Unsichtbare Ewige zu fechten, das sich um so weiter von ihnen entfernte, je wichtiger sie sich in seinem Dienste glaubten. Die Bilderstürmerey hatte zwar keine Obergewalt in Rom wie einst in Griechenland gewonnen, sie wurde vielmehr der Grund der Kirchentrennung aber ihre Anhänger lebten auch in Rom und Spiegelglanz ging in ihre Absichten ein und brachte Johannes zu 130

F2, Kapitel 111,1 ihren Vorlesungen. | Diese Vorlesungen, zu welchen Chrysoloras, als 7|3' griechischer Leibarzt des Papstes die Erlaubniß erschlichen hatte, waren an sich blos untersuchend, sie sollten die Gründe für die abweichende griechische und römische Lehre ruhig erläutern. Diese scheinbare Ruhe in einer Angelegenheit des Gewissens, die alle bis zur Raserei erhitzte, ist die gefährlichste Aeusserung der alles überschauenden Gelehrsamkeit, die in der Reurtheilung unendlich viel umfasst, das zu einer Thätigkeit des ganzen Lebens erhoben sich gegenseitig schrecklich zerstören würde. Chrysoloras hatte sich aber an diese Ferne des Lebens gewöhnt, wo alles nur als Bild, nichts in seinem vollen Daseyn auftrit, denn während er die Bilder der Christen als etwas unverwerfliches aber doch als etwas ganz Nichtiges verwarf, ließ er mit Sorgfalt nach den Denkmahlen der alten Religion Roms suchen und theilte diese Neugierde allen seinen Schülern mit. Auch Spiegelglanz und Johannes wühlten in allen Stunden der Erholung statt des belebenden Bildes der herrlichen Landschaft sich zu freuen in dem todten Boden nach gelehrten Denkmahlen zur Erklärung der alten Schriftsteller. Aber in beyden entflammte diese Neugierde bald | an- 7|3V dern Sinn und andre Heftigkeit, als Chrysoloras je vorausgesehen. Spiegelglanz konnte zum brennendsten Neide erregt werden, wenn Johannes etwas Wichtigeres als er gefunden und das Glück wollte diesem Letzteren wohl, er entdeckte mehrere der schönsten Werke des Alterthums, doch gab ihm der Zufall nur Köpfe aus dem Alterthume in die Hand, ja er hatte vor aller Nacktheit im Alterthum so seltsamen Abscheu theils durch die Erziehung empfangen, daß er Marmorbeine oder Arme, die beym Graben hervorschimmerten mit einer Scheu, als wären es die Gebeine seiner Vorältern sorgfältig wiederbedeckte und an ihrem Orte ruhen ließ. Die Götterköpfe aber, die er in seiner Zimmerecke aufgestellt, traten in Beziehung zu ihm mit einer Lebendigkeit, die selbst Spiegelglanz verwunderte, sie waren sein vertrauter Umgang, er antwortete sich in ihrem Namen, befragte sie um Rath in seinen Arbeiten, zu ihnen richtete er seine Gebete. Spiegelglanz duldete das alles, weil er dadurch | reiche Aufmunterung zum Lernen 7|4' erhielt. Wirklich brachte es Johannes auf diesem Wege bald zu einem Reichthum von Gelehrsamkeit, der ihm in den verschiednen Schulen grossen Ruf erwarb, die freye Art, wie er sie erworben, gab ihm eine Sicherheit, sie auszudrücken, sein Blut eine Hitze irdischer Begeisterung die selbst den Gelehrten fehlte. So stieg der alte Glaube in Spiegelglanz, Johannes sey ein Wunderkind zu sicherer Erwartung, war 131

Textteil A doch Johannes in aller Gesinnung von der Jugend jener Zeit verschieden und ausgezeichnet vor allen. Mit i m m e r wachsender Sorgfalt hütete er ihn vor jeder andren Berührung m i t der Welt, als im Lernen; selbst d e m Besuche der Kirche entzog er ihn und beschränkte ihn ganz auf das kleine Haus in der Vorstadt, das er für ein geringes Geld 5 gekauft hatte; so hatte sich allmälig eine seltsame Scheu in Johannes gegen alle neue Bekanntschaft gebildet, selbst der Besuch der Lehrer war i h m eine Qual, eine Störung der innern Welt, in der er so selig träumte und die alle, wie aus einer Vorzeit oder Zukunft, der Gegenwart sich nicht f ü g e n wollten. Urban, ein alter L a n d m a n n aus Tivoli 10 besorgte die Bedürfnisse des Hauses, die sich beyde nicht selbst verschaffen konnten, er brachte Holz und Mehl und Oehl, setzte sich dann 7|4" wohl | i m Ausruhen zu Johannes u n d erzählte i h m alles Wunderliche an Mährchen, was er irgend im Gebürge v e r n o m m e n und Johannes glaubte i h m wie seinem eignen Herzen. So bekam Johannes durch ihn 15 eine seltsame Sehnsucht nach den Bergen, er glaubte da auf den Gipfeln Gott näher zu seyn, ja seiner Rede gewürdigt zu werden, aber Spiegelglanz erlaubte i h m keine Ausflucht dahin. So wendete sich seine Andacht noch zu entfernteren Höhen, seine freudigste E r h e b u n g fand er jezt i m Morgenstern und Abendstern, er sali das liebreiche 20 H a u p t der Venus das in Marmor über dem Rande seines Tisches glänzte, auch in diesem Sterne, der so freudig a m Rande der Erde glänzt, seine Andacht zu i h m erhob sich selbst mit der Gewohnheit u n d er versäumte keinen Tag zu i h m seine Wünsche und seinen D a n k zu sprechen. 25 So schuldlos entwickelte sich in i h m der alte Glaube, den Chrysoloras als eine blosse Sonderbarkeit, als eine Gedächtnißsache verbreitet hatte, aber u m so schuldvoller verbreitete sich der gleiche Glaube unter 7|5r den tief verderbten Reichen der Stadt. Eine seltene Frau | fesselte damals die Aufmerksamkeit der Gelehrten sowohl wie der Lebenslu- 30 stigen, die Fürstin Reinera, die von der Welt gewöhnlich n u r Fürstin Venus genannt wurde, weil sie m i t Leidenschaft alle Mythen der Venus in sich und in ihrer U m g e b u n g darzustellen suchte. Sie verstand und begriff alles, das Gebildete wie das Rohe und übergab sich beyden u m beydes zu ihren Freuden zu zwingen. Ihr alter Götterdienst war 35 bald m e h r als Spiel, sie verschmähte keine List, u m i m m e r m e h r geachtete Zeitgenossen ihren Festen zu gewinnen und da jeder dieses U n t e r n e h m e n blos als Spiele ansah, so fand sie bald unglaublichen A n h a n g zu diesen Spielen, durch den sie i m m e r weiter werben ließ. 132

F2, Kapitel 111,1 Sie s t i f t e t e g e h e i m e F e s t e d e r C e r e s u n d d e s B a c h u s u n d b a l d w u r d e n ihr die e c h t e n G e h e i m n i s s e k u n d m i t t e n in d e n s c h e i n b a r e n die geistige G e w a l t des M e n s c h e n ü b e r das äussere D a s e y n eines a n d e r n , wie sie t h e i l s i n u n m i t t e l b a r e r B e r ü h r u n g , t h e i l s d u r c h V e r m i t t e l u n g d e r 5

durch

Feuer

zersetzten

Körper durchdringend

wirken kann,

eine |

K u n s t d i e b a l d Z a u b e r e i , b a l d h e i l i g e B e s c h w ö r u n g , ( i n u n s e r n T a g e n 7|5V Magnetismus) g e n a n n t wurde, eine Kunst in der zugleich der höchste S e g e n u n d d e r h ö c h s t e F l u c h r u h t , alles n a c h d e r G e s i n n u n g d e r M e n s c h e n . Sie w ü s t e d i e b e y d e n B e c h e r d e s B a c h u s zu m a g n e t i s i r e n , w i e 10

sie d i e A l t e n so w u n d e r b a r u n d u n d e u t l i c h , n u r a u s i h r e r

Wirkung

e r k e n n b a r beschrieben h a b e n u n d die m ä c h t i g e W i r k u n g dieser Bec h e r w e r d e n w i r b a l d i n d e m s c h u l d l o s e n S i n n e u n s e r e s J o h a n n e s sehen. Spiegelglanz hatte ihn i m m e r von ihren Festen zurückgehalten, unge15

a c h t e t e r selbst z u w e i l e n sie b e s u c h t e , e r h a s s t e d i e F ü r s t i n , w e i l sie e i n e n a l t e n G l a u b e n h e r z u s t e l l e n w i e e r s e l b s t e i n e n n e u e n zu e r f i n d e n trachtete, Johannes hatte inzwischen genug von ihr gehört u m aller Scheu vor der Welt doch eine N e u g i e r d e n a c h d e n

bey

verbotnen

Gärten a m Berge zu fühlen, wo ihr L a n d h a u s stand. Chrysoloras sah 20

jezt J o h a n n e s i n d e r B l ü t h e s e i n e s h o h e n W u c h s e s , s e i n A n s e h e n n u r durch d e n Ernst seiner Beschäftigung u n d durch die Schönheit seines W u c h s e s m ä n n l i c h , s o n s t so r e i z e n d , d a ß S p i e g e l g l a n z | i h m k e i n h a r t e s 7|6r W o r t m e h r zu s a g e n w a g t e . E r w a r m i t d e m L e i c h t s i n n w e g e n s e i n e r K e n n t n i s s e , w i e es d a m a l s g e w ö h n l i c h , z u m P r i e s t e r g e w e i h t , dies g e -

25

s c h a h i m J a h r e 956. C h r y s o l o r a s g l a u b t e s e i n e n P l a n g e g e n d i e C h r i stenheit der Ausführung gewiß, ein Trunk von i h m konnte den Papst Anaklet entseelen u n d ein geschickter Betrug d e n Johannes erheben. D e r Erzbischof von Mainz, der Spiegelglanz unterstützt hatte, war wegen seiner H ä r t e gegen A r m e von d e n M ä u s e n gefressen(.) Spiegel-

30

glänz ( b e d u r f t e ) eines E r w e r b e s . H i e r aber, w o er selbst t h ä t i g auf E r d e n wirken wollte, trat i h m ein längst erwiesenes Gesetz der Geisterwelt f u r c h t b a r entgegen. Wo n ä m l i c h ein guter oder böser Geist n i c h t d u r c h das Wort allein, s o n d e r n d u r c h T h a t auf die irdische Welt w i r k e n will, da m u ß er n i c h t n u r d e n v o r ü b e r g e h e n d e n Schein irdi-

35

scher Gestalt a n n e h m e n , s o n d e r n sich a u c h allen n a t ü r l i c h e n Beding u n g e n d i e s e s K ö r p e r s u n t e r w e r f e n | b i s zu d e s s e n n a t ü r l i c h e n o d e r 7|6" d u r c h f r e m d e G e w a l t h e r b e y g e f ü h r t e n Sterben, er m u ß alle körperlic h e n L e i d e n u n d F r e u d e n e r t r a g e n s o w e n i g sie z u s e i n e m

geistigen

Daseyn gehören m ö g e n . Es m a g wohl einen K a m p f kosten, ehe ein

133

Textteil A

freyer Geist sich diesem Zwange unterwirft und es darf uns daher nicht wundern, daß so wenig Engel und Teufel sich dem Menschengeschlechte gesellen um so aufmerksamer müssen wir aber diesen Erscheinungen unser Auge leihen und aus dem geschichtlichen Dunkel hervorheben. Auch Luzifer-Chrysoloras kämpfte lange mit seinen Gegengründen, ehe er sich entschloß, den Höllenfaden, die Strickleiter abzuschneiden, auf welcher er nach Willkühr jeden Augenblick den Körper verlassen und zur Hölle zurück zu klettern vermocht. Wir finden ihn in der Basiliskenhöhle neben der Kirche St Luzia, wir wollen ihn hören:

2.

Chrysoloras steht nachdenkend mit der Scheere gegen den Lichtfaden, der aus seinem Herzen zur Unterwelt geht, endlich fährt er auf. Drey Stunden nachgedacht, drey Stunden todt gewesen, Das scheint mir einerley, ich will vom Denken genesen! — Kann nicht der Geisterwelt Gesetz in mir umdenken, Und frey seyn als ein Geist und sie doch thätig lenken? Es ist unmöglich, fühl ich, denn es ist ein Nichts, Es wäre eine Nacht in mitten eines Lichts, Die schnelleste Bewegung in der kürzesten Zeit, In einem Augenblicke eine Ewigkeit, Das Kunststück liegt da drüben auf der Liebe Seite, Schon manchen macht ich toll mit diesem innern Streite, Ganz allgemein zu seyn, im Einzelnen doch ganz, Ha ha, da kau ich selbst an meinem Teufelsschwanz. Nun fort, kein Zweifel gilt, jezt schneide ich sogleich Die Ader ab, worin der Strahl vom Geisterreich Das Blut vom Höllenbrunn zu meinem Herzen sprudelt, Das Blut, das mich gebleicht, wenn es die Welt besudelt, Ich zittre, mir wird kalt, ich kann es nicht vollbringen, Ο könnt ich einen Freund auf weiter Welt erringen, Der mir in solchem Fall, den guten Rath verliehe, Mit wie viel tausend Lust vergält ich seine Mühe. Ob ich noch warten soll? Ich werde toll, 134

F2, Kapitel 111,2 Wenn ich umsonst mich in das Menschenleben, Mit ganzer Seele so hinein begeben Und Gottes Sohn nichts abgewinne! Zwar hab ich jezt, wie eine Spinne, Mein Netz nach jedem Ausweg angelegt, Doch wenn man erst den Menschenkörper trägt | Verschläft man leicht den rechten Augenblick, Es gilt da Vorsehung und dann Geschick Hält sich der Geist auch von der Liebe frey, Es zwingt da oft des Leibes Buhlerey, In ein Verderben andrer Art, Das vor dem rechten uns bewahrt. Um Gott den Streich zu spielen Soll ich mit menschlichen Gefühlen, Mit ihren schwächlichen Gedanken Den flüchtgen Geist umschranken? Halt! Ich muß den grossen Schnit und Schritt bedenken. Wie wirds mich kränken, Wenn mich die teuflischen Brüder schinden, Sie meinen nicht als Mensch mich zu finden. Das ging noch an, der Qualen trag ich mehr, Doch kriegt mich Oferus in seine Lehr Bekehrte mich wohl gar in meiner Noth, Sodaß ich stürbe einen selgen Tod, Wie würden da die Teufel mich auslachen, Wenn ich als Heilger käm, in ihren Höllenrachen, Nachdem ich auf der Welt, wie eine Marionette Die sich vom Drath getrennt, nur diente zum Gespötte, Daß ich aus leerer Furcht mich übers Leben freute, Und jeder Tag mich doch an seinem Abend reute, Daß ich wie Spiegelglanz frey überm Leben stände, Und doch an jeden Quark den Lebensfaden bände. | Ich schneide nicht, ich geh zur Werkstadt frey zurück, Und doch, was will ich dort, ich such mein hiesges Glück, Erneu die alte Müh, ein Kind mir zu bereiten Womit ich Gottes Sohn kann auf der Welt bestreiten Und was ich such ist hier und ist so nah dem Ziele, Und was zu thun noch bleibt, das macht sich selbst im Spiele 135

Textteil A Da sollt ich wieder in dem Berge sieden Schmölen Das Aergste ist ein traurig Leben wiederholen, Das Mächtigste in Gott ist Zeit, sie trägt das Reich Der Christen rasch durch alle Welt. Jezt Zweifel schweig! Ans Werk, ich schneid den Faden, wälz auf meine Brust, Des todten Chrysoloras menschlich Weh und Lust. (Er schneidet den Höllenfaden ab) Es ist vollbracht so schmerzlos und so leicht, Der Höllenbrand aus den Gedanken weicht, Doch zittert noch die Luft von grimmer Hitze, Doch springt noch manche Wuth in meinem Witze, Die Unterwelt scheint mir so grauenvoll, Nun ich sie selbst als Strafe scheuen soll, Ich krieg schon Lust ins Paradies zu kommen, Und bin in meiner Bosheit fast beklommen, Muß sie mit lustgem Scherze mir verstecken, Sie würde mein Gewissen sonst erwecken. Ich bin nun Chrysoloras erb und eigen, Kann mich dafür nach allen Rechten zeigen, Und kann mich recht an meinem Daseyn freun, Auf dieser Welt kann ich nichts andres seyn, Es war doch gut, daß zur Anatomie Mein mich noch nicht gebracht wie andre früh, Die Schüler hätten sonst mit frischem Schnitte Das Leben mir verkürzt in schönster Mitte, | Bin wieder Arzt beym Papste Anaklet Doch wenn es ganz nach meinem Sinne geht, So kriegt er morgen schon sein schleichend Gift, Daß auf Johannes dann die Papstwahl trifft. Dazu wird Spiegelglanz heut angeführt, Der Wahnsinnstrank ist ihm schon eingerührt, Der wird ein Luftschiff für den Himmel bauen, Und was er gern gesehn, das wird er schauen. Er kommt, ich muß die schwarze Schale füllen, Er macht Beschwörung, um damit zu stillen Den Basilisken, der hier lang gehauset! — Wie ihm jezt selbst vor seinen Zeichen grauset, 136

F2, Kapitel 111,2 Und doch b e m ü h e t sich kein Geist danach, D e r Basilisk ist längst von m i r bezwungen, Es hat sein Gift dies Menschenblut durchdrungen, Das ihn zum H i m m e l hier verzaubern soll. — Jezt n a h t er sich so k ü h n e n Muthes voll, Ich steck mich in des Basilisken alten Balg U n d zünde drin ein himmlisch Licht aus Talg, Wenn er recht brünstig seinem Engel winket, Mit rechtem Glauben diese Schale trinket. Da wird das Licht aus Orient i h m strahlen, Da will ich ihn ganz schwarz m i t Rus bemalen. (Er versteckt sich, Spiegelglanz trit in heftiger Bewegung ein.) Spiegelglanz. Drey Tage hab ich n u n das O p i u m getrunken Daß schon m e i n Leib dem Geiste ist versunken, Und wie die F l a m m e steiget h i m m e l a n , Daß ich zu Gabriel entsteigen kann. Hieher hast du ο H i m m e l s f r e u n d den M ü d e n In deinem letzten Gnadenruf beschieden | Wo sich der Basilisk erfüllt die Schale Mit Menschenblut zu seinem Abendmahle. Nicht länger soll der Offenbarung Strom Versiegen in dem hochbegabten Rom, Rasch soll der dunkle Mantel sich entfalten Der ganzen Z u k u n f t kräftige Gestalten, Ich will im Geist zur Nähe Gottes steigen Es sollen sich Propheten vor m i r neigen. Ο Gabriel erfüll dein gnädig Wort Nicht länger trag ich diesen öden Sinn, Ich werf das Leben keklich von m i r fort, Wenn m e i n e m Geist das Sterben ein Gewinn. Hier sollte ich den Gnadenbecher finden, D e r mich aus diesen lichtlos tiefen Gründen Z u m ewgen Glänze mächtig heben soll; Ο sey gedankt, ich find ihn groß und voll, Ein Todtenkopf ist dieses Lebens Schale, Der einzge Gast bey d e m Prophetenmahle. | 137

Textteil A Sonst sah ich Todtenköpfe schaudernd an, Jezt trink ich draus, ich bin ein M a n n Und leise laß ich diese Wollust fliessen, I m dürren M u n d e langsam sich ergiessen, Beschaue, welche W i r k u n g es m i r t h u e —, Der erste Tropfen last mich noch in Ruhe! — Doch seh ich schon den Todtenkopf belebt, Wie er die Augen froh zu m i r erhebt, D u trägst so schwer a m Trank ich m u ß dich leeren, N u n lächelst du, welch Bild will mich beschweren, Ich selber bin der Kopf, aus dem ich trinke, Er lächelt mir, wie ich m i r fröhlig winke, So k o m m t mir neue Lust zu m e i n e m Hirn, Und freudig saug ich an der eignen Stirn. K o m m Liebestrank, k o m m süsser Himmelsbothe, Es schimmert Licht wie in dem Morgenrothe | In deines Spiegels athembewegten Ringen Mich selbst in mir, so will ich mich durchdringen, Mich selbst aus m i r i m H i m m e l s f l u g erschwingen D e n letzten Tropfen selbst will ich bezwingen. Sieh Gabriel, so bald erscheinst du mir, W i e wird m i r wohl an deinem Busen hier, Welch herrlich weisses Pferd führst du ο Freund, Ich steige auf, wo stehet unser Feind. In keine Schlacht zum H i m m e l trägt es mich, Ein Sandkorn statt der Erde sehe ich, Wie saust der Wind, die Wolken sinken, Die b u n t e n Thore so lieblich winken, Wie blasen die Engel auf allen Zinnen, Wie d u f t e t es lieblich in allen Sinnen, Wie glänzen die F a h n e n auf Gottes Haus, W i r steigen ab, der Ritt ist aus, In D e m u t h gehen die weissen Propheten, Und knieen vor m i r und mich anbeten, Sie f ü h r e n mich zu Gottes T h r o n hinan. (Er stürzt zu Boden

138

F2, Kapitel 111,2 Chrysoloras steigt aus dem Basiliskenbalg) Er liegt, er k o m m t nicht auf, das war gelungen W i e ihn des Trankes Lügengeist umschlungen, Die weisse giftge F l a m m e steigt, er ringt So machtlos, keine Stimm m e h r zu i h m dringt, (Er stösst ihn an) Er b r u m m t wie eine Glocke die zersprungen, Er hat zu stark vom eignen Lob geklungen, | W i e v o r n e h m er lächelt, er m e i n t sich i m H i m m e l Da ist u m ihn ein grosses G e t ü m m e l , Die Engel und Erzengel küssen i h m den Rock, Jezt wird er zärtlich der alte Stock. Ich glaub er n i m m t Abschied, er t h u t so gewogen, Die Engel bedauern recht, daß er ist fortgezogen N u n will ich das Licht der Gnade anzünden, W i e stiert ers an, das m u ß i h m viel verkünden. (Er hat i h m das Talglicht vorgehalten) Ganz gesund kommst du nicht wieder, Dir werden zittern alle Glieder, Aber ein Zeichen soll dir bleiben, Das nicht zu vertreiben nicht abzureiben Mit diesem Eisen sey heiß auf die Brust, Ein teuflisches Zeichen gebrannt aus Lust, Ich stehe dafür du deutest es prächtig, D u bist zu dir so herrlich andächtig Er k r ü m m t sich etwas, ey wie das thut, Das Zeichen sitzt dafür recht gut Jezt will ich i h m auch zum lustigen Zeichen, W i e weit er gereist das Gesicht anstreichen Mit Rus, als hätt ihn die Sonne verbrannt Als er so eilig zum H i m m e l gerannt, Einen Schnurrbart m a g er auch noch ertragen, Der soll sein wildes G e m ü t h ansagen, Mit Salz will ich die Füsse i h m schmieren Und einen Ziegenbock zu i h m f ü h r e n So wecket ihn leckend ein heilig Thier, Er hegt es in seinem Glaubensrevier. | 139

Textteil A

3 Johannes kommt von den Bergen bey Rom herab und singt zur Laute Nicht weil ich mich herrlich fühlte Auf den Bergen, Als Aetherblau mich kühlte Ueber den Särgen Grösserer mächtiger Zeit Nicht darum rühme ich euch heut, Meine Lieder Wolken Brüder Denn vieles ehret der Mensch, was ihn erhebt Aber das Echte erkennt er erst, wenn es verlebt! So habe ich euch ihr Berge erkannt, Nun ich von euch mich abgewandt, Und rühme und vermisse euch in der Fläche, Eure brausenden durch Farben stürzenden Bäche, Eure Wolken, wo auf halben Wegen Die Himmlischen mir entgegen traten Und ihren Segen Und ihrer Liebe Thaten In mein Haupte ergossen; Hohe Gedanken liebe Genossen Süsse Thränen, feurige Zungen Wie seyd ihr alle in Stummheit verklungen. Hinter mir her ruft ihr im Piniensausen, Bey euch sollt ich hausen, Aus Rosen eine Hütte mir flechten Fern dem Schlechten, Ein Grab mir bauen von blinkendem Erz Für das sterbende Herz. Graue Felsen, ihr seyd Leichensteine der Welt Und Himmelsgerüste Wo alles Herrliche wieder zerfällt Was die Seele je küste, Wo die Gedanken klettern In Ruhe und tosenden Wettern | Zum demantfesten Schloß, 140

F2, Kapitel 111,3 Wo Gottes Hand uns giebt den Gnadenstos Nach dem Rädern der Zeit, Die über uns hinfährt Und sich nicht umkehrt, Zu schauen, was sie gethan, Sondern ewig zur Höhe suchet die Bahn Und immer die alten Wege wiederkehrt, Darum die Zeit sich in Zorn verzehrt. Sie findet für ihren Trumphwagen keine Strasse, Sie treibet rastlos umher in bitterm Hasse Wir aber finden den Fußsteig, Zum himmlischen Reich, Wo die Blumen zittern Wo des Berges Splittern Den Weg zeigen Zum himmlischen Reigen, Daß wir erkennen, Gott sey nicht Der fernen Zeiten Lügengesicht Nein Gott sey nahe, Daß er uns umfahe Und er berühre die Frommen, Die gläubig zu ihm kommen. Ο könnt ich in ihm bleiben, Und dürfte nicht lesen, nicht schreiben! Wehe die Menschen vergessen so leicht ihren Ursprung Wie sie vergessen, daß sie einst jung Aus Gott aber sind wir gekommen, Zu Gott kehren wir beklommen, Doch nur, was vollkommen Wird von ihm aufgenommen | Und vollkommen ist nur die Liebe Ο lös mich Herr von meinen Sünden, Die mich mit Lust und Leiden binden Von allem Stolz, von aller Ehre, Von allem Ruhm tiefsinnger Lehre Schenk eine kurze Weile, eine kleine Zeit Ich bin noch nicht frey zur Ewigkeit, Ich kann noch nicht rufen in Demuth dreist: Vater in deine Hände befehl ich den Geist. 141

Textteil A

Nachdem Johannes sein Herz i m Gesänge erleichtert hatte f ü h l t e er einen mächtigen Durst und wollte sich den menschlichen Wohnungen nach d e m Umherschweifen wieder nahen, aber es war ihm, als ob eine Warnungsstimme ihn wieder nach d e m Gebürge zurückriefe. Endlich sah er eine frische Quelle an einer Röhre aus dem Berge in der Nähe eines Hauses herabfliessen, er wollte eben sein H a u p t darunter bücken, als ein junger Gesell m i t einem Weinkruge aus einem Häuschen zu i h m trat und sagte:

5

Gesell. Das Quellchen gehöret den Tauben und Spatzen, Da trinken die H u n d e u n d auch die Katzen, Der Mensch n u r trinkt den goldnen Wein Trink m i t er wird dir dienlich seyn.

10

Johannes war über die Freundlichkeit des f r e m d e n Gesellen verwundert, er mochte keinen Wein, aber er schämte sich i h m zu sagen, daß 15 er noch keinen getrunken, auch war er neugierig auf den Geschmack 3|6|1V des Weines u n d wüste | nicht, daß es künstlich durch Armschwingung der Fürstin Venus oder Reinera bereiteter Wein, der erste Lockungsbecher des Bachus war. Er setzte ihn an und konnte nicht aufhören zu trinken, bis der Becher leer war u n d r ü h m t e ihn m i t seliger Lust. Da 20 sagte der Geselle, daß er vom Weinberge seiner Fürstin, deren Goldschmidt er sey und nöthigte Johannes in seine Werkstadt u m die m a n cherley Pracht zu bewundern, die er eben anfertigte. Hier zeigte sich die weibliche unauslöschliche Neigung zum Schmuck, Johannes schien durch die Herrlichkeiten wie geblendet, während der beredte Gold- 25 Schmidt i h m das Glück seines Handwerks r ü h m t e alle ausgezeichnete Tage in d e m Leben der Menschen durch ein Andenken zu bezeichnen, Taufe, Firmung, vor allem die Tage der Liebe und Heirath und wie auch der Aermste etwas daran wende und der Einfältigste sich etwas Besondres erfinde, das in den edlen Metallen ewige Dauer e m p f a n g e n 30 sollte. Er Schloß mit den Worten:

3|6|2'

Verschloßner Sinn u n d ein verliebtes Herz Die treiben just a m ärgsten solchen Scherz, Die lassen keinen Augenblick m i r R u h e Der eine fasst in Gold des Liebchens Schuhe | Der andre spannt in Gold das schwarze Haar, Der Edelstein mit seinem Lichte klar 142

35

F2, Kapitel 111,3

5

10

15

20

25

30

35

Bezeichnet in der Farben Deutsamkeit Der Liebe süsse Mannigfaltigkeit, Wie sie bald hoffend bald in treuen Stunden Mit einem Zeichen sich zum Schwur verbunden Die bringen dann das Maaß von Liebchens Finger, Da laß ich mir zum Spas die schönen Dinger Erst selber kommen, sag des Fingers Maas Das könne gar zu leicht betrügen Dann kommen Jungfraun mit verschämten Zügen Und strecken mir das Fingerchen herein, Da klemm ichs zwischen meine Finger ein Bis sie bescheiden sich mit Küssen lösen, Seht das ist Lust und ist doch nicht vom Bösen. Der Geselle und seine Arbeit gefielen dem Johannes ungemein, er half ihm die Kohlen anwehen, als er eben einiges zusammenlöthen wollte und erzählte ihm dabey, daß es nun schon der dritte Tag sey, daß er seinen Lehrer Spiegelglanz vermisse und daß er Lust habe, wenn dieser etwa umgekommen sey, ungeachtet er schon die Priesterweihe empfangen, dennoch bey ihm in der Goldschmiedekunst in die Lehre zu treten. Der Geselle freute sich darüber, doch sagte er, daß er sich vorher ein Liebchen anschaffen müsse, ehe er sich im Ländchen der Fürstin Venus ansiedeln dürfe. Das war Johannes zufrieden, nahm Abschied und sein Haupt wirbelte ihm so wunderlich von dem geheimnißvollen | Weine, daß er sich nach allen Fenstern der nahelie- 3|6|2" genden Häuser umsah. Aber erst beym kleinsten sah ein schöner jugendlicher blonder Kopf heraus, von dem er sich nicht losreissen konnte, sondern in rechter Lust sang: Am Berge der flüchtige Schnee, Beym Goldschmidt die sprühenden Funken, Wie ich sie seh Sind sie versunken. Flüchtige, sprühende Blicke Bleibet vom Fenster zurücke, Glühend vereise Ich auf der Reise Oder bleibt und wärmt und kühlt mich, Sey gegrüst lieb Kind ich seh dich 143

Textteil A Hinter deinen dunklen M u ß hier ewig stehen

Scheiben, bleiben,

Bis ich d e i n lieb H e r z c h e n Bis d u ö f f n e s t d e i n e

rühre,

Thüre.

S t e p h a n i e h i e ß das s c h ö n e grosse M ä d c h e n , sie w u r d e a b e r v o n i h r e r P f l e g e m u t t e r S a b i n a s e h r s t r e n g g e h a l t e n sie sah h e r a u s , d a n k t e

und

erzählte, wie das H a u s verschlossen u n d ihre M u t t e r ausgegangen

sey.

Johannes aber in seinem W e i n m u t h e sprengte die Thüre, S t e p h a n i a sorgte, d i e L e u t e m ö c h t e n es s e h e n . E r a b e r

5

ungeachtet

sprach:

D i e W e l t ist b l i n d , n u r d i e L i e b e n d e n s e h e n

10

Weil u n s die A u g e n erst in der L i e b a u f g e h e n . | 3|6|3' J o h a n n e s

f ü h l t e sich g a n z

Stephania unter

dem

Stephania wieder

und

Vorwande, konnte

bey

der

gebieterisch, als er e i n g e t r e t e n ,

f ü h r t e sie aller W i d e r r e d e ihre Mutter

es n i c h t

Schmiede

habe ihm

lassen, i h m vorbey

ungeachtet

im

er

mit

küsste

sich

dazu Auftrag

fort,

gegeben.

willig zu folgen. Sie k a m e n Suchen

nach

dem

Wege

J o h a n n e s holte sich da Bescheid, u m n a c h s e i n e m H a u s e zu

15

und

gelangen,

n a h m e i n e S p a n g e m i t e i n e m g r ü n e n S m a r a g d , u n d l e g t e sie u m

den

A r m der Stephania, n a h m einen R i n g u n d legte ihn an den Finger der S t e p h a n i a , es s t a n d i h r b e y d e s so w o h l u n d e r s c h e n k t e es i h r . Als n u n der Geselle die Z a h l u n g verlangte, w a r d J o h a n n e s sehr verlegen,

20

er

h a t t e k e i n G e l d u n d h a t t e nicht d a r a n gedacht. D e r Geselle a b e r löste seine S c h a m i n d e m er i h n e i n e n Zettel u n t e r s c h r e i b e n ließ, d e n am

andern

Tage zu bezahlen,

oder

ihn

als D i e n e r

im

Preis

Schlosse

der

F ü r s t i n a b z u v e r d i e n e n , d a sie zur P r a c h t i h r e s n e u e n H e i d n i s c h e n G o t tesdienstes schöne Jünglinge sehr hoch besoldete u n d der Geselle schon

manchen

zugeführt

hatte,

wofür

sie

ihn

reichlich

belohnte.

N a c h d e m er seinen H e i m w e g ausgeforscht h a t t e g i n g er m i t nia, die ü b e r d e n S c h m u c k alle Sorge vergaß n a c h s e i n e m

Stepha-

Häuschen,

3|6|3" w o S p i e g e l g l a n z n o c h n i c h t z u r ü c k g e k o m m e n w a r . | D a z e i g t e e r i h r alles was er liebhatte vor a l l e m seinen B l u m e n g a r t e n pflückte lige B l u m e n

ab und

f ü h r t e sie d a n n

zu seinen

unzäh-

S t a t u e n , w o sie K r ä n z e m i t e i n a n d e r w a n d e n u n d t a n z t e n , w i e

Kinder sangen

Der Kranz wird nun

verbunden

I c h k o m m d i r w i e d e r so n a h ,

144

30

selbstausgegrabenen

tanzen, w e l c h e diese K u n s t e b e n in ihrer L u s t e n t d e c k e n . Sie d a b e y e i n L i e d , d a s sich so Schloß:

25

ihr

35

F2, Kapitel 111,3

5

10

15

Wie ich vor wenig Stunden Im ersten Kusse dich sah Ohne Anfang, ohne Ende ist nun der Kranz Anfang und Ende ein flüchtiger Kuß, Ohne Anfang, ohne Ende hebt uns der Tanz, Anfang und Ende giebt sicher Verdruß. Die letzten Worte sangen sie, indem sie ein lebhaftes Gezänk zwischen Sabina und Spiegelglanz vor der Thüre hörten, die dort zusammentrafen indem jene die Stimme der Stephania hörte und dieser in allen Gliedern wie zerschlagen von seiner dreytägigen Verzückung heimkehrte. Spiegelglanz wollte ihr den Eintritt nicht gestatten und Sabina rief Stephania. Gleich folgsam eilte diese zur Thüre und Johannes wollte ihr nach, wurde aber von Spiegelglanz zurückgehalten, der von allem nichts begreifen konnte. Johannes wurde ungeduldig, erzählte in aller Kürze, was ihm begegnet sey, während Sabina zurückkam | ihm 3|6|4r Spange und Ring zurückzubringen. Darüber wurde er traurig, er wollte ihr nach, aber Spiegelglanz hielt ihn wieder und sprach: Deiner Thorheit könnt ich ein Ende machen, Das Mädchen müste über dich lachen.

20

Johannes. Sie liebt mich Ich verlach dich Spiegelglanz.

25

Wahnsinniger Knabe, was ich so lang verborgen, Dir selbst und andern mit bangen Sorgen Das kann dein Hochmuth so leicht aufs Spiel setzen, Du bist schon Priester nach heiigen Gesetzen. Johannes.

30

Der Goldschmidt sagte, es sey doch allen Ein hübsches Mädchen das gröste Gefallen. Spiegelglanz.

35

Ich darf nicht schweigen, es wär sonst zu spät So nahe dem Ziele sonst alles mißräth. So wisse, daß ichs in deines Herzens Tiefe Mit zerschmetternder Stimme riefe, 145

Textteil A Du bist eine Jungfrau, du bist kein Mann, Du(rch) mich geleitet stiegst du hinan Ueber die Grenzen von deinem Geschlechte, Wenn nicht die Liebe den Geist dir schwächte. Johannes. Ich starre, ich bin vernichtet, weh mir. Ο nimm mich Tod in deinen Armen von hier Ich bin eine Jungfrau, bin auch vom Geschlecht Das alle Welt verführte zum Unrecht. Ich bin verführt, ich habe verführt, Eine Jungfrau mit wildem Wunsche berührt. Widernatürliche unmögliche Sünde! Ο wenn ich je von ihr mich entbinde Was könnte ich lieben, was bliebe mir eigen? Ο Gott du konntest das Weltall erzeugen Verwandle mich, laß mich werden ein Mann, Treu will ich dienen, wenn ich lieben kann, Verwandle mich oder vernichte mich Vermagst du's nicht, so verfluche ich Nicht die Welt, die mich geboren Nicht Spiegelglanz, der mich zum Trug erkoren | Nein dich der Welt ewgen Regierer, Du lügst im Herzen als ein Verführer, Daß du dem Mädchen mich hast geschenkt, Daß du sie mir ins Herz gesenkt Wie einen Anker mit dreyen Spitzen. Spiegelglanz. Was kann dir die Verzweiflung nützen Sey ruhig, rase nicht, Dich bescheint vor allen das ewige Licht. Johannes. Zu den Sternen habe (ich) aufgesehen, Wie zu ewigen Boten der Höhen, Zum Morgen und Abendstern, Betete ich so gern. Er schwebte mir vor, wenn ich einschlief, Er hörte nicht, als ich rief, 146

F2, Kapitel 111,4 Taub ist die Welt und sinnlos, Wahrheit ist gottlos, Liebe schicksallos Lüge in Gottesschoos. Ο fiele der Himmel nur ein, Da wollt ich mich freun. Bey diesen Worten stürzte Johannes ohnmächtig nieder, Spiegelglanz, sprach ruhig, indem er ihn auf das Bette legte Spiegelglanz. Da würdest du mit allen Vögeln erschlagen, Er ist so schwer, ich kann ihn kaum tragen. Im Krampf verlöschet der Verzweiflung Feuer, Sie wird nun hülflos und sie wird mir treuer. |

5 (4.)

7|20'

Während Spiegelglanz an dem Bette des ohnmächtigen Johannes wachte, der Besserung des Kranken gewiß, so fuhr er mehrmals mit der Hand über sein Angesicht und fand, daß sie schwarz würde. Er schrieb dies dem himmlischen Reisestaube zu, reinigte sich von dem rusigen Ueberzuge, womit ihn Chrysoloras bestrichen hatte, hob aber das schmutzige Handtuch als ein Heiligthum in einem eisernen Kasten auf, dann besah er auch die Wunde des Prophetensiegels, das ihm Chrysoloras auf die Brust gedrückt hatte und reinigte sie gleichfalls mit Brunnenwasser. Es war ihm nun im höchsten Himmel, wo Gott ein kleines Modell der Welt in der Hand trug (wie er in seiner närrischen Himmelsreise gesehen) voraus verkündet, daß seine neuen Eingebungen und Gesetzgebungen bald anfangen würden; wirklich merkte er jezt auf das Plätschern eines öffentlichen Brunnens und glaubte darin die Reime zu hören Reinigung ist das erste Gesetz, Verricht es stille ohne Geschwätz, Frisches Wasser und reines Linnen Oeffnet den Geist in allen Sinnen. | Er schrieb diese Reime in grosser Bewunderung auf ein Pergament- 7|20· blat, als aber die Begeisterung des Waschens nachgelassen hatte, las er sie drey und viermal wieder und sie schienen ihm weder besonders 147

Textteil A

sinnreich noch sonderlich gut ausgesprochen. Doch bestärkte ihn, den Kenner des Alterthums diese Gleichgültigkeit gegen das Aeussere; waren doch die Delphischen Orakel scheinbar in schlechtem Versen, als die schlechtesten Dichter der Zeit sie hervorbrachten, und steckten voll von göttlicher Wahrheiten. Johannes war aufgewacht und betete, daß alles was er erlebt, u n w a h r seyn möchte, aber Spiegelglanz entwickelte i h m die volle Wahrheit seiner Erinnerungen, indem er i h m die Herrlichkeit der päpstlichen Weltherrschaft recht lebendig vor Augen stellte. Johannes dachte an 7|21' nichts bey aller der | versprochenen Herrschaft, als an die Möglichkeit nach seinem Gefallen dann alle Welt f ü r sich einzurichten und sie eben so zu kränken, wie er sich selbst durch die Einrichtung der Welt gekränkt fühlte. Diese Umschöpfung wurde i h m Lebensreiz, und mit schrecklicher Lebhaftigkeit stand bald als wahr und wirklich vor ihm, womit die Gelehrsamkeit des Spiegelglanz ihn bis dahin unterhalten hatte. Die Gelehrten sind auf ihr weniges Wissen meist sehr stolz und sind wie Kinder, sie spielen mit Gift und Schießpulver, tragen unendliche Massen davon zusammen, k e n n e n es selber nicht und verwundern sich, wenn ein lebendiger sinnvoller Mensch ihren Schatz erkennt, sich u n d die Welt damit zerstört. D a n n r ü h m e n sie wohl nach solcher Zerstörung ihre Geduld, was sie noch f ü r H a u f e n Mordwerkzeuge auf d e m Schlachtfelde der Vergangenheit zusammengelesen haben. So unschuldig sind Gelehrte in ihren Sammlungen, selbst Spiegelglanz, so verrucht hoffärtig er sonst war. Was er von der Götterwelt der Griechen und Römer sammeln konnte, hatte er als einer geach7|2Γ teten Gelehrsamkeit angehörig | in seinem Z i m m e r aufgestellt, unzählige kleine Götterköpfe, die in römischer Erde damals noch zu wachsen schienen wo sich ein fleissiger Ackermann die M ü h e gab den Boden zu u m w ü h l e n . Diese Bilder, die Johannes nie mit sich in eine andre Verbindung gebracht, denn als schöne Köpfe, die er oft nachzuzeichnen versucht, u m g a b e n seine hülflose Seele wie mächtige helfende Wesen, die allein seine Klagen verstehen u n d i h m helfen könnten. Und wie er so jammervoll zu ihnen hinlangte und i h m alles einfiel, was Spiegelglanz von ihnen gesagt, daß sie die Welt und ihre Bewohner verwandelt hätten so drang ein Licht in ihn, wovon i h m nicht die Augen thränten. Spiegelglanz fragte Johannes nach allem aus, wie er m i t d e m Mädchen z u s a m m e n g e k o m m e n sey u n d war hoch erstaunt, als er seine dreytägige Abwesenheit in der Basiliskenhöhle e r f u h r und wie Johannes in 148

F2, Kapitel 111,4 der Angst, was aus i h m geworden | überall u m h e r g e l a u f e n sey und sich 7|22 endlich im Gebirge m i t seligem G e n u ß verirren lassen. Nachher hörte er mit Zorne, wie der Geselle seinen Durst m i t Wein gelöscht und i h m so zärtliche Sehnsucht ins Herz gegossen habe, er selbst wollte den Frevler dafür züchtigen. Mitten i m Zorne knackten i h m Finger und Arme und er hörte deutlich eine neue Eingebung darin, die aber nicht heraus wollte, zufällig übergoß er seine entzündeten Augen m i t Rosenwasser und da stand es klar vor seinen Augen: Trauben sind süß und rein u n d erlaubt Aber der Wein die Sinne raubt, Wein sollst du wie Gift meiden, Oder m a n soll dir die Haare abschneiden. Als er dieses Gesetz ausgesprochen, fragte ihn Johannes, was er damit wolle, | u n d Spiegelglanz sagte, daß noch i m m e r göttliche Gedanken 7|22 vom H i m m e l kämen. Mit wundersamer Lust befragte n u n Johannes den Lehrer nach allerley Glaubenslehren der Christen, die dieser so geschickt zu stellen wüste, daß sie i m m e r wie ein Widerspruch erschienen gegen das Evangelium, dieses aber zeigte er i h m wiederum in sich streitend. Johannes fasste es auf und brütete in sich den Teufelssaamen weiter aus, was die Menschen jezt verehrten, schien i h m aus alten Religionen überkommen, Engel und Erzengel füllten den H i m mel statt der Götter Heilige stiegen wie Herkules durch schmerzlichen Tod zu i h m auf und blieben auf Erden Schutzgötter der einzelnen Thätigkeiten und Beschäftigungen. Die Christen wollten keine Götter in den Gestirnen ehren und doch folgten sie in allem Wichtigen den Sterndeutern, ja bey jedem kleinen U n t e r n e h m e n fragten sie nach belehrenden Zeichen. Die Juden verfolgten sie und legten doch alles nach Sprüchen i m alten Testament aus. Die Keuschheit lehrten die Mönche und trieben doch eine verblümte Buhlerey in himmlischer Liebe. Nach langer Auseinandersetzung | Schloß er in sich 7|23 Aber giebt es nicht mehrere Söhne des Herrn? Er hat so viele auf jedem Stern, W i e möchte er sich so karg verschliessen, In einem nur seinen Geist begrüssen, Er strahlet in ewiger Fruchtbarkeit Unzählige Söhne durch die Welt so weit, 149

Textteil A

Und m a n c h e r der rein aus i h m entsprungen, Ahndet es nicht, bis er zur Kenntniß gezwungen. Nach solchen Aeusserungen überließ Spiegelglanz den Johannes eigenem Nachdenken, er h o f f t e auf eine Eingebung in ihm, aus welcher er seines höheren Daseyns selbst gewiß würde. Die Verzweifelung hatt(e) i h m den Glauben der Zeit untergraben, ohne i h m einen andern zu geben, wogegen die U m g e b u n g der Kunstwerke, die Schriften der Alten die E r i n n e r u n g des Bodens ihn i m m e r näher d e m Glauben der 7(23" alten Götter zuführte, in welchem Spiegelglanz | bey seiner anschauungslosen Natur nur ein Gewebe artiger Spielereien sah. Aber wie viel Trost fand Johannes in diesen Spielereien f ü r seine Liebe zu Stephania, die Phantasie hat keine solche Schranken wie die Moral, i m Christent h u m sah er nur Wunder durch Heiligung, die ihn von seiner Stephania abgeführt hätte! Oft schwankten seine Gedanken, als ob die Götter, die heiß angerufenen die hochverehrten, das Wunder der Verw a n d l u n g an i h m vollbrächten, ein Zufall ließ ihn einen herrlichen Apollo i m Garten finden dann zweifelte er wieder u n d las in der Bibel; Spiegelglanz überließ ihn sich selbst. Johannes.

7|24'

Wohin ich blicke in der ganzen Bibel Erlösung wird versprochen von dem Uebel Doch m i r bewährt sich n i m m e r dieses Wort Nur die Verwandlung n i m m t es von m i r fort Ich hab d a r u m m i t heissem D r a n g gefleht, Und Wohlthat hab ich in Gelübden ausgesät, Ich hab m i t Schmerzen m e i n e n Leib bestritten, Doch Gottes Sohn ist taub den irdschen Bitten. Entsagung will er! Was ist zu erhören, Wenn wir die Sehnsucht selbst in uns zerstören, Und können wir d e m Lieblichsten entsagen, Wer möchte nach dem Rest des H i m m e l s fragen. | Ein M a n n zu werden ist m e i n einzig Streben Das wär m e i n Himmelreich, m e i n selges Leben Ich bins im Geist, ο Frühling der erhebet, Was in dem Keime aller Wesen strebet, Was ists daß du die Arme zu m i r breitest, Daß du der Blumen glänz so trostlos streutest.

150

F2, Kapitel 111,4 In dieser Qual ergeben seyn zu müssen In ewigem Verlangen nimmer küssen, Verschmäht mein Herz, das sich noch muthig fühlt, Da es ein Grab hat unter sich gewühlt. Ein freyer Tod ist Christen nicht erlaubt Ein Feiger ists der solche Knechtschaft glaubt! Auf eine Wagschaal leg ich heut die Noth Und auf die andre Glauben Hoffnung Tod, Und welchem Glauben soll ich mich bekennen? Dem Glauben dem die hohen Sterne brennen Wie jene Kerzen in der Christen Kirche! Dem Glauben, dessen Göttersitz hoch im Gebirge Ich kam ihm nah, ich fühlte mich verwandelt, Da ist die Lieblichste Schwäche mir angewandelt Ο Seligkeit, wie ist die Erde prächtig, In ihren Werken ewig jung allmächtig, Daß ich die Zeit der Jugend nicht versäume, Verlaß ich dieser Christen Sklaventräume Einst gab es starke Römer, freye Griechen Sie würden weinen, sähen sie jezt kriechen Vor Schreckensbildern ihres Namens Erben In stetem Sündgen um den Himmel werben, In ewger Sehnsucht nach der Heiligung, Geniessend zagen, fürchtend in Begeisterung Vor Phantasie und vor Verstand besorgt, Vom Buchstaben froh, den sie vom Morgenland erborgt Und ewig gierig andre zu bezwingen, Die sich in beyden Kräften noch verjüngen So reissen sie des Nordens Kräfte nieder Auch mir umstrickten sie die jugendlichen Glieder Doch was sie nimmermehr dafür erkannt, Das hat die Finsterniß vor meinem Aug gebannt Ich laß mir nicht den Glauben schwacher Herzen Mit List und falschen Wundern mehr einschwärzen Ich hab der Schönheit Wahrheitswunderglanz gesehen In diesen Göttern, die mich rings umstehen. Seit ich Apollo fand im Gartensand, Mein ganzer Sinn die alte Zeit verstand, 151

Textteil A

Den kühnen Blick die Stirne hoch entflammt, Der edle Mensch von diesem Gotte stammt. Nicht Demuth lehren sie dem Menschenwillen Nur Götterfreundschaft sollen wir erfüllen Als unsres Gleichen küssen wir die Götter In ihren Bildern! werden ihre Spötter Wenn ungerecht das Schicksal uns geführt, Sie waren alle Menschen so wie wir, Sie stiegen auch zu dem Olymp von hier, Sie fühlen in der Menschenbrust das Hohe, Sie fördern gern das heiige Liebefrohe Dafür blickt dann die Seel in Glaube auf Und schauet hoffend nach der Sonne Lauf. Ο neue Wahrheit und doch alt wie ich, In allermeister Noth enthüllst du dich, Was ich in erster Kindheit mir gedacht, Wenn mir der Morgenstern so hell gelacht, | Die Sonne die Sterne sollten untergehn Wenn unsre Seelen aus dem Grab erstehn? Die Lüge ist zu stark. Der Morgenstern Aus welchem süsse Sehnsucht zu mir dringt, Der wüste nichts von dieser Schöpfung Herrn? Und meine Seele, die verzweifelnd ringt Die keinem wohlthut, keinen mehr erfreut, Die macht sich mit der Ewigkeit so breit. So war das Schlechte nur das Dauernde Das Weltall war das ewig trauernde. Ο nein, so ewig wie des Herzens Sehnen, So ewig süß sind Venus deine Thränen Die du am Abend und am Morgen senkest, Womit du uns den müden Busen tränkest, Du führst den Tag herauf und nieder, Von deinem Lager hebt der Gott die Glieder, Dort streckt er sie am stillen Abend wieder Und seinem Hauch entströmen selge Lieder. (Singt zur Laute) Alles verwandelt die strahlende Freude, Alles erhebt sich zum ewigen Licht, 152

F2, Kapitel 111,4 Und in dem glänzenden Himmelsgebäude, Heiter der Gott mit allem bespricht, Lindert die Qualen, erlöset vom Leben, Sendet den selig tödtenden Pfeil Daß die Wunder den Geist erheben, Zu der Klarheit in Sonneneil. Er umfasst ängstlich Apollos Bild Ο welche süsse Angst in allen Sinnen, In seiger Liebe grausendes Besinnen, | Ob ich den Gottesleib als liebend Weib umfange, Ob ich noch fest an dir Stephania hange, Ο Venus hilf mir selber mich zu kennen, Soll ich zum Gott in meinem Herzen brennen, Soll ich von ihm Verwandelung erflehen, Nun weiß ichs da ich ihn fest angesehen; Er ist Stephania, die Wangen röthet Der Liebesstrahl, der mich im Innern tödtet Die Lippen färben sich mit rothem Blut Die Augen heben sich und thun so gut, Die goldnen Haare steigen hoch empor, Stephania du bist das Himmelsthor, Durch das die Götter alle zu mir steigen, Ο könnt ich dir auch meine Liebe zeigen Ihr Götter in euch ist die Kraft, In mir ist die Leidenschaft, Euer Hauch kann das Irdische wandeln, In mir ists ein Wort, in Euch ists ein Handeln, Ο zwingt die wiederspenstge niedre Kraft, Die sich empörend, mich zum Weibe schafft, Ο zwinget sie dem Geist, der männlich streitet, Der eurem Dienst die ganze Welt bereitet. Der euch gesehn in irdscher Schönheit Licht, Zu dem das Unsichtbare sichtbar spricht, Der an der Grenze alles Lebens stand Und euch noch gnädig und verklärend fand. | In eurem Strahl versank des Falschen Schwäche, Erhebt zum Manne mich, daß ich euch räche, Will eure Tempel wieder opfernd weihen, 153

Textteil A

Italien vom Sklavendienst befreyen, Was noch gestaltlos mir das Herz zerlegt, Die ganze Welt gestaltend einst bewegt. Ists doch die Welt, zu der die Sterne blinken, Und Venus last mich nicht in Scham versinken. Ists doch mein Aug in dem die Sonne scheint, Apollo duldet nicht, daß es zur Sonne weint. Bey diesen Worten war Johannes an dem hohen Bilde des Apollo herangesprungen, das später vom Belvedere seinen Namen erhalten hat er hing in seinen Armen und das Bild schien ihn treu und sorglich zu tragen und dafür schmückte er den tragenden Arm zärtlich mit der Spange, den Finger des Gotts mit dem Ringe, den er einst Stephania verehrt und die sie ihm bey dem Streite zwischen Spiegelglanz und Sabina im Schrecken zurück gelassen hatte. Und als er so selig müde in den Lüften schwebte, zog bey dem Geläute aller Glocken eine Prozession vor bey, Männer und Frauen weinten jammerten und riefen zu allen Heiligen den Papst zu erhalten, der sehr krank geworden sey und alle Klagen sammelte ein leiser Gesang und trug ihn zum Herzen der Welt. Tröstend aber erschien in der Mitte des Zuges die Sonne auf Erden, das Allerheiligste in den Händen eines frommen Priesters und Johannes sähe mit Verwunderung, daß die belebte Bildsäule zu einem 7|26v hohen starren Felsen geworden sey, der verwittert | und einsam über der Erde stand, keinen Baum und kein Laub trug und keinen Weg zeigte, wo er hinabsteigen könnte, eine wilde Begeisterung hatte ihn emporgehoben und es war ihm wieder ganz zumuthe wie damals als ihn der Nachtrabe zum hohen Neste hingeführt hatte, kein Trost, kein Herz war in dem starren Felsen, Trost allein strahlte ihm aus dem Allerheiligsten und in Sehnsucht danach stürzte er sich nach dem Allerheiligsten herab. Der Sprung war leicht, nur die Nacht und der träumerische Sinn und die Fackeln von aussen hatten seine Augen die schon halb schliefen getäuscht, er glaubte auf hohem Felsen unendlich weit von der Erde zu seyn und war ihr im Augenblicke ganz nahe, seine Begeisterung an dem Alterthume lag ihm jezt so entfernt wie vorher die Welt. Johannes taumelte vor die Hausthüre die Glocken erklangen dumpfer durch den Sternenhimmel, die Klagen des Volks riefen lauter zu allen Heiligen, Anaklet, der heilige Papst lag in übereilender Krankheit schwer darnieder erhalt ihn heiiger Gott! Johannes stürzte mit den Andern vor dem hellerleuchteten Allerheiligsten nieder, das unter einem goldgewirkten Teppich umhergetragen und dem Volke zur Erhebung im Leiden gezeigt wurde. | 154

F2, Kapitel 111,5 6 (5.)

7|27

Es giebt Zeiten, ehe der Mensch die Einheit des Lebens, die wir Religion und Glauben nennen, erreicht, wo er den andern und bey geübter eigner Betrachtung auch sich selbst als in zwey verschiedene Wesen zerrissen erscheinen kann, so daß kein Begreifen auslangt, wie so entgegengesetzte Sinnesarten mit abwechselnder Allgewalt herrschen können, deren jede im Augenblicke ihrer Herrschaft sich allein für gültig anerkennt. Berühren sich im Menschen wirklich verschiedne Welten, wie in der Ausdeutung aller Religionen, die sich nur durch seine Fortbildung ausgleichen und vereinigen? Hat jede dieser Welten ihr Recht, oder soll eine in dem Menschen ausgerottet, vernichtet werden? Diese Fragen sind zu allen Zeiten verschieden beantwortet. — In unserer Zeit bestreben wir uns mehr nach der Vereinigung; zu den Zeiten des Johannes suchte die Richtung welche der Glauben genommen, die fortbildende Kraft, als ein teuflisches Werk, dem Bestehenden aufzuopfern, ja mit allen Strafen und Martern sie auszurotten, der gröste Theil der menschlichen Meinungen und Bilder, ja | alle fremd- i\n artige Glaubensmeinung war als Ketzerei verdammt und verfolgt, um so gefährlicher regte sie sich unter diesem Druck in der Brust des Einzelnen, der den Muth in sich fühlte, ein ganzer Mensch seyn zu wollen. In Rom war für die Untersuchung mehr Freyheit, um so leichter frevelten da die langverhaltnen Kräfte, bis sie endlich in der Entwickelung einer neuen Kunst eine neue Berührung zwischen Phantasie und Verstand und somit eine allgemeinere religiose Erhebung, ein Fortschreiten, ein Achten des Fremden den wilden Verfolgungen entgegensetzten. Von dieser Zeit lebte Johannes weit entfernt. Die alten Götterbilder lebten seiner Phantasie und sein Verstand hatte sich mit ihnen zu versöhnen gewust, was er selbst dagegen schaffen können verschwand, aber dieses Reich konnte selbst als etwas Veraltetes gegen die christliche Zeit nicht bestehen, das Bestehende, das Ueberdauernde der Zeit ließ sich nicht damit ausgleichen und übte sein Recht; dann aber fühlte jede Kraft wieder ihr unbefriedigtes Bedürfniß und weder dem Verstände noch der Phantasie konnte das Anerkannte jener Zeit | ein- 7|28 zeln genügen. So mag es sich erklären daß der tiefe Eindruck jener nächtlichen Prozession fast mit dem Augenblicke erlosch, wo sie dem Auge des Johannes in letzter Ferne geglänzt hatte, daß er bald nur Gegenstand seiner Betrachtung und Verwunderung war. Spiegelglanz 155

Textteil A

in der Zerstreutheit seiner Gelehrsamkeit und in d e m Streben nach eigner Auszeichnung durch neue Religion begriff die Fragen seines Schülers n u r als Fingerzeige, wohin er sich wenden müsse, als Orakel; während der arme Orakelgeber selbst von wunderlichen Zweifeln geplagt wurde u n d i m m e r m e h r den Lehrer übersehen lernte, je weniger dieser seinen Sinn einzusehen vermochte. Spiegelglanz war jezt m i t aller Aufmerksamkeit nach aussen gerichtet. D a die ernste Krankheit des Papstes dessen Tod besorgen ließ und der päpstliche Stuhl als jener verheissene Weg der E r h e b u n g seines Lieblings i h m verkündet war, so 7|28v eilte er das Gastmahl der Verkündigung seiner Heiligkeit u n d | seines Berufs, so wie der A b k u n f t seines Johannes und dessen Bestimmung noch an demselben Tage auszusprechen. Gegen seine Gewohnheit war er an d e m Tage in Bängniß; — Johannes m e r k t e i h m so etwas an, aber Spiegelglanz wich i h m i m m e r aus, weil er f ü r eine unanständige Schwäche hielt was die Vorboten des Teufels waren; der ihn bald ganz in Besitz n e h m e n sollte. Z u m grossen Verdrusse Luzifers, der als Chrysoloras sich i h m nicht kund m a c h e n konnte, weil der Höllenstrahl abgeschnitten, hatte sich der lustige Teufel Asmodi seit der Basiliskenhöhle an den Spiegelglanz gemacht, ihn in Besitz zu n e h m e n und störte dadurch alle boshaften Plane Luzifers. Dieser tückische Asmodi u m den Stolz des Mannes in den Augenblicken des höchsten Selbstgefühls zu kränken, gab i h m dann einzelne harte Backenschläge durch blosses Andrücken der Luft, ganz in der Art wie mancher Krieger durch den Luftdruck niedergeworfen wird, wo in der Nähe eine Kanonenkugel vorübersaust. So war Spiegelglanz m e h r m a l s vom Stuhl herabgeworfen worden und hatte sich i m m e r tapfer wieder hingesetzt, weil er sich f ü r so f r o m m e r hielt, je m e h r Anfechtungen er auszuste5|3' hen hatte, | ein Glaube, der auch später in der christlichen Kirche viele Ausschweifungen veranlasst hat. Diesen Morgen wurde es i h m aber zu toll, denn es blieb nicht bey Backenstreichen, sondern er sah bey jedem Schlage einen der kleinen Propheten, die sich i m H i m m e l gegen ihn so artig b e n o m m e n hatten, auf seinem T i n t f a ß stehen und i h m bey jeder Eingebung einen Diener machen. Dieser Morgen war aber besonders reich an Offenbarungen, insbesondre, als er wählend aller Speisen dachte, die er a m Verkündigungsabende seinen Gästen vorsetzen wollte, knisterte i h m aus den brennenden grünen Olivenästen entgegen:

156

F2, Kapitel 111,5 Zwiebeln sind Speise der Reinen, Zwiebeln essen die Meinen, Sie dürfen die Zwiebeln auch füllen Alles nach göttlichem Willen. Dieser Eingebung gemäß kaufte er Zwiebeln ein, befahl Johannes sie zum Nachtessen zu bereiten und ging aus die gelehrtesten M ä n n e r als Gäste zu laden; zugleich befahl er Johannes Gott anzuflehen, daß er ihn an d e m Tage verkündige(.) | Der Ziegenbock, welchen Chrysoloras d e m Spiegelglanz in der Basi- 3|6|5' liskenhöhle zugeführt hatte, trieb sich seit d e m Tage ungestört, gleichsam wie ein Gärtner, in d e m Blumengarten des Johannes h e r u m , der keiner Blume m e h r achtete u n d nur nach Alterthümern wühlte. Diese E r m ü d u n g beym Graben war der einzige Trost, w e n n er zwischen allen Arten des Glaubens schwankte und n i m m e r die Verborgenheit des Göttlichen begreifen konnte, die eine Offenbarung nöthig macht e t ) In solcher Vertiefung traf ihn der Goldschmidtgesell, der über das lange Ausbleiben des Johannes verwundert, ihn aufsuchte, ihn grüste, und das Geld f ü r Spange und Ring forderte. Johannes erschrack gar sehr, er hatte kein Geld denn Spiegelglanz hatte i h m nie etwas gegeben, er wurde verlegen, wollte Spange u n d Ring zurückgeben, konnte sie aber nicht finden, weil er vergaß, daß er sie an jenem Abende der Begeisterung f ü r die n e u g e f u n d n e Statue des Apollo d e m Gotte anlegte. Aber der Geselle entdeckte sie selbst sah die Statue an und sprach: W i e Apoll die Spange so herrlich trägt Wie der Ring u m seinen Finger sich legt, D u bist erfindungsreich, sieh, ich schwör es dir Sähs n u r die Fürstin, sie k a u f t es zur Zier F ü r ihren Garten. H a b nie dran gedacht D a ß m a n auch Spangen f ü r Bilder macht Doch glänzt sie auf dem M a r m o r so klar, Der A r m scheint weich wie Fleisch fürwahr, | Und seht nur, ein seltsam D i n g ist geschehen, Weder Ring noch Spange will wieder abgehen, Es ist als ob der A r m sich gebeugt, Der Finger g e k r ü m m t , der gerad gezeigt Ach n e h m s nicht herab, es thät m i r sonst leid 157

3|6|5"

Textteil A

Dem Gotte zu rauben die kleine Freud, Kommt lieber als Diener zur Fürstin herauf, So geb ich noch einen Ring euch in den Kauf. Johannes. Ο sag mir Freund ist die Fürstin so mild Wie jene die dort so lieblich im Bild, Wie jene die dort am Himmel steht, Von der ein Athem herunterweht, Der in den Blättern ein Flüstern erregt, Des Brunnens Wellen so silbern bewegt, In meinem Herzen so goldig schlägt. Sie hat einen Namen so hochverehrt, Und gleicht sie der, die droben fährt, Und durch das Blau so lüstern sieht, Und alles weiß, was im Herzen glüht, Die den Tag beginn(t), den Tag beschliesset, Und in dem ewgen Blau zerfliesset Ο wie möcht ich da zu ihr eilen, Allen Schmerz an ihrem Busen zu heilen. Gesell. Nun das ist recht, es wird dir nicht reuen Hast nichts zu thun, als Blumen zu streuen Den hohen Gästen das Bett zu bereiten, Und lustig zu seyn mit uns andern Leuten, Die Fürstin ist gar ein gutes Weib, Doch fehlt es ihr immer an Zeitvertreib Sie lebet in stetem Ueberdruß Und versaget sich nimmermehr einen Genuß. Sey nur nicht blöde, fürchte dich nicht, Ich wette der Fürstin gefällt dein Gesicht. | Johannes. Es wandeln der Götter Schatten auf Erden, Es sind nicht die Hohen, doch können sies werden. Bey diesen Worten nahm er sein Baret und ging mit einem Gefühle, als ob die Noth ihn zu einem grossen Entschlüsse zwinge in Begleitung des Gesellen dem Venusberge zu. Unbemerkt hatte er sich im Dunkel dem Hause der Sabina genähert, als ihn etwas wie ein Dornstrauch an seinem Mantel zupfte. Er sah sich um, fand aber, daß er an den dürren 158

F2, Kapitel 111,5 Händen der Sabina hing, er wurde verlegen, sie ließ ihn nicht los und beschwor ihn einen Augenblick zu verweilen weil sie ihm viel anzuvertrauen habe. Der Gesell lief unterdessen fort, um noch von hause etwas zu holen und Johannes war verlassen, von Liebe gequält und doch in höchster Sorge, sie zu äussern. Die Alte fragte ihn, ob er mit Spiegelglanz auf dem alten Schlosse Pfalz gewesen, und als er es bejahte, da wurde die Alte sehr froh und sagte ihm, der Pfalzgraf, den er als Kind gekannt, lebe noch, sey bey ihr im Hause und liebe ihn bis zur Thorheit Johannes. Wie kann er mich lieben und kennt mich nicht, Denkt noch an mein kindisches Angesicht, Und sieht einen Fremden vor sich erscheinen. In dem Augenblicke stürzte Stephania heraus, die seine Stimme gehört hatte, und ihm in die Arme und rief. Stephania. Nein er kennt dich den Seinen Ich bin Ludwig dein Spielgesell, Wie wird mir das Herz so freudenhell | Du schenkst kein Wort als Erkennungsgabe Und doch wie ich einzig dich liebhabe, Wie meine Jugend neu erklungen, Nun ich dir an den Hals gesprungen, Es ist mir, als waren wir nie getrennt, Mein Herz dich in allem wiedererkennt. Und du schweigst! Hör wie ich mich freue, Wie ich jubelnd schreie An deinem Halse wieder zu hängen, An dein Herz mich zu drängen: Ich hab einen Freund Dem alle Welt seit erster Jugend feind. Johannes. Ach Apollo, bist mir wieder so nah, Wie ich dich an jenem Abend sah, Wirst du mich wieder aus deinem Arm entlassen, So muß ich dich hassen. Nein, nein, du leitest die Menschen unbewust 159

3|6|6V

Textteil A Durch Noth und Lust. Mein Ludwig halt mich nicht für einen Thoren. I c h Sprech m i t d e n L ü f t e n , sie h a b e n O h r e n . U n s r e F r e u d e b e r e i t e n sie i m S t i l l e n Gegen unser Wissen, ohne unsern Willen,

5

Apollo Venus, E u c h d a n k ich d e n K u ß ! L a ß m e i n e H ä n d e e r h e b e n zu i h n e n M i t t h r ä n e n d e m A u g will ich dienen, D e r eine g e h t unter, die a n d r e auf,

10

Sie b e w a c h e n e w i g d e n W e l t l a u f . Sieh h e r a u f zu d e m S t e r n Er scheint ins liebste H e r z von fern, S e g e n ist s e i n S t r a h l , d i e W e l t ist g u t T ä u s c h u n g ist d e r G e i s t , w e i s e d a s B l u t ,

15

Es w e i ß seinen Weg, w i r aber sind blind K o m m a n m e i n Herz, eile geschwind, | 3|6|7r

W i r bleiben zusammen, einen solchen Tag D i e E r d e n i c h t w i e d e r zu s c h a f f e n v e r m a g N a c h d e m d i e e r s t e F r e u d e z u r B e s i n n u n g g e l a n g t w a r , so k l ä r t e n s i c h

20

alle Schicksale b e y d e r auf. N a c h d e m der Pfalzgraf v o n s e i n e m Vetter a u s d e m S c h l o s s e P f a l z g e r a u b t w a r n a c h G u t e n f e l s , so w u r d e e r i n e n g e r H a f t gehalten, Sabina verpflegte i h n u n d erhielt m e h r m a l s Briefe m i t h o h e n V e r s p r e c h u n g e n v o n d e m Vetter, d e r seiner L ä n d e r beg e h r t e w e n n s i e d a s K i n d h e i m l i c h u m b r ä c h t e . S i e l e h n t e a l l e s a b , als s i e a b e r a n d r e H ä n d e d a z u g e d u n g e n s a h , so f l o h s i e u n d

25

versteckte

d e n P f a l z g r a f e n i n w e i b l i c h e r K l e i d u n g , d o c h b e h a u p t e t e sie, d a ß i h m n o c h in dieser V e r w a n d l u n g selbst in R o m n a c h g e s t e l l t w e r d e . O f e r u s u n d T h a l m a n n h a t t e n i h r e F l u c h t m ö g l i c h g e m a c h t . — K a u m d a ß sie a l l e s i n d e r K ü r z e e r z ä h l t h a t t e , so k a m d e r G e s e l l e ; J o h a n n e s w a r so

30

froh, d a ß er S t e p h a n i a u n d Sabina b e s t i m m t e m i t i h m das grosse Fest zu besuchen, u n g e a c h t e t die letzte i h r e Sorgen w e g e n der alten F e i n d e des P f a l z g r a f e n n i c h t u n t e r d r ü c k e n konnte. Es g i e b t i n d e r W e l t k e i n e n a n m u t h i g e r n W e g als n a c h d e m

Venus-

berge, das herrliche Schloß, das einzige d a m a l s noch unverletzte L a n d h a u ß r ö m i s c h e r Kaiser sieht m a n jezt n u r in s e i n e n T r ü m m e r n ,

aber

seine Grösse läst sich a h n d e n . D e r W e g stieg leise an, W e i n r e b e n bildeten ein durchsichtiges D a c h darüber, die b e y d e n F r e u n d e sich, der G e s e l l e g i n g v o r a n u n d steckte e i n e n B u s c h

160

küssten

Leuchtwürmer

35

F2, Kapitel 111,5

5

10

15

auf seine Mütze. Er ging wie Amor mit der Fackel voran und schien dem verliebten Auge des Johannes | immer kleiner zu werden, er 3|6|7" sprach von Amor und Venus und Stephania glaubte daran, wie sie an die Heiligen glaubte, zugleich hielt sie jene Fürstin Venus aber für jene Göttin Venus, von der Johannes so begeistert sprach. Beym Eingange führte sie der Geselle zu den Maskenkleidern, verlarvte sich selbst als Cyklop, Johannes nahm ein altes Priesterkleid, wozu ein grosser weisser Bart gehörte, Stephania, weil es daneben hing das Opferkleid der Iphigenia und der Sabina reichte der Geselle ein Parzenkostum mit den Worten: Ey was wollen wir uns lange besinnen, Sey eine Parze, du kannst ja spinnen, Ein altes Weib ist nirgend zünftig Spinnt sie nicht für alle die künftig Dir Iphigenia thut der Lebensfaden Noth, Sonst leidest du hier den Opfertod. Sabina.

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25

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Das heist mit Unglück die Leute beschreien, Ich möchte mich über das Kleid recht freuen, Stephania sieht so herrlich aus, Wie ihre Frau Mutter beym Hochzeitschmaus. Sie traten nun durch den Zug aus und einströmender Larven wie geblendet in das ungeheure Amphitheater, dessen Logenreihen bis an den Nachthimmel emporzusteigen schienen, bunte Zauberlichter schimmerten überall der ausgelassenen Lustigkeit den seltsamsten Spielen; es schien alles ein überirdischer Lebensüberfluß, in welchem | alles herrlich, alles erlaubt, die Götterzeit schien ihnen nahe und sie 3|6|8' wagten es nicht sich dem Throne der Fürstin, der in der Mitte aufgerichtet war zu nahen und eine Art frommer Begeisterung umfing die Neulinge, als der Geselle zu ihnen trat und alles mit der Maskenfreiheit ausdeutete, von der er sagte: Sie gilt in unsrer Fürstin schönem Reich, im Maskenkleid bin ich hier jedem gleich. Seht diese Satyrn Waldgötter und ander Geschmeis, sind nur hier wegen Trank und Speis, sie wissen keinen Spas zu geniessen, sind stumm oder grob, das will mich verdriessen. Neulich kam einer so ruppig hier an, daß ich mich machte an den satyrischen Mann und habe ihn erst recht ausgetagelt und dann mit dem Rock an die Wand genagelt, da biß er um sich wie eine Fledermaus, was halfs, es lachten ihn alle aus. 161

Textteil A

Stephania. Ey seht die schönen Tauben, die da fliegen, Wie sie den Hals in bunten Farben wiegen. Geselle. Die kommen alle zu dem Thron heraus, Denn seht der Thron, das ist ein Taubenhaus.

5

Wir brechen hier ab, denn einige ernste Zuhörer haben uns versichert, die jezige Zeit könne den Muthwillen jener Zeiten nicht ertragen, denke sich jeder, was er Lust hat, genug beym Hahnenkampfe brach ein Kampf aus, den Herkules mit seiner Keule nicht beylegen konnte, 10 ihm kamen aber die aristophanischen Mädchen mit regnendem Haar, die Wolken zuhülfe und ein Platzregen schied die Streiter und trieb sie 3|6|8V in die bedeckten Bogen und | Seitenhallen. Auch der Thron der Fürstin (der später zu dem Carozza Streitwagen der italiänischen Staaten das Muster gegeben hat) wurde von ihren Dienern eilig untergefahren. 15 Hier geschah es, daß der Gesell den neu geworbnen Diener Johannes und Stephania der Fürstin vorstellte. Sie sah beyde mit Aufmerksamkeit an und sprach: Ihr Glücklichen für euch beginnt die Welt, Die mir in Asche nach dem Brand zerfällt, Ο kann uns Jupiter nicht Kraft verleihen Noch einmal zu beginnen diesen Lebensreihen.

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Hier endete die Unterredung denn die einströmende Maskenmenge sprengte die Umstehenden auseinander, Johannes, Stephania und Sabina fanden sich erst in einem Nebenzimmer wieder zusammen, den 25 Gesellen konnten ihre suchenden Augen nirgend entdecken. So verlassen von ihrem Führer Hessen sie sich nach allen Richtungen hindrängen, bis sie an den Ausgang nach dem Garten kamen. Es regnete 9|9r nicht mehr auch war der Regen nicht bedeutend da eingedrungen. | Sie traten wie Verbannte in den sanft erleuchteten Mirtengang, dessen 30 dunkle Lauben mit Teppichen und Thierfellen für die Müden vorsorglich ausgelegt waren und Stephania brach zuerst das Schweigen. Stephania. Hast du gesehn die Blicke so scharf, Die unsre Fürstin da auf uns warf, Wie ihr die runden Backen spiegelten 162

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F2, Kapitel 111,5 Und wie die weissen Arme sich beflügelten Und wie sie damit in der Luft herumfuhr. Johannes. Laß uns empfinden die ewge Natur, Nur sie ist treu, derselbe Schimmer Kehrt ewig wieder über menschliche Trümmer, Dieselben Sterne, dasselbe Grün, Ewig über dieser Erde erschien. Sabina. Ihr habt wohl recht, doch sprechen wir einmal, Von allem was wir gesehen im Saal, Ist solche Schande wohl je erhört, Mich wundert daß sich nicht die Welt dran zerstört, | Und das sind die Fürsten in diesem Land, Es ist ein Greuel, es ist eine Schand In deutschem Land zur Kirmeszeit Ist doch mehr wahre Lustigkeit. Stephania. Ey Mutter sprich doch von Göttern nicht so schlecht, Sie wissen ja alles, da machen sie alles recht, Was können wir von ihnen verstehen, Sie sind doch so gnädig, daß wir dürfen zusehen. Johannes. Ich glaube du meinst im Olymp zu seyn, Nicht doch mein Kind das ist ein blosser Schein Den sich der Reichthum dieser Fürstin bereitet, Die sich mit der Roheit der Christen streitet, Und allem Volk hat milde gegeben Das Bild vom alten Götterleben. Stephania. Ich kenne niemand, ich komme nicht aus. Doch sag mir war Götterleben nichts als ein Schmaus Johannes. Das erste Leben des Kinds ist Essen, Es wird nachher in Lust oft vergessen, 163

Textteil A

Doch bleibt es ewig ein Bild das erfreut, Ein Verbinden ein Aneignen von dem, was zerstreut Es ist ein Ahnden der Küsse auf Erden Ach wohl uns, können wir glücklicher werden. Laß uns die Götter alle vergessen, Die ihren Dienern scheinen so d u m m und vermessen. Sabina. Ey seht einmal die Küche dort an, Wie glänzet der Koch, wie schlachtet der Mann. Johannes.

9|ior

Das ist der Tempel und dies der Priester, Die grausame T h a t m i t Heiligung versüsst er | Jezt hört wie die Chöre der Opfernden schallen, Die nach dem Braten mit Wohlgefallen Die irdischen Augen zu kehren gewohnt, Durch einen himmlischen Sinn noch belohnt, Die Grausamkeit an den f r o m m e n Thieren Nur aus Liebe zu Göttern vollführen. Stephania. D u weist alles so herrlich zu deuten.

W ä h r e n d die Chöre i m m e r zärtlicher die uralte E r i n n e r u n g absangen: H e u t e liebe, wer noch nie geliebt, hatten sich alle drey nachdenkend in eine dunkle Laube gesetzt, bald wurden die jungen Leute müde, streckten sich aus über die Decken und schliefen ein, Sabina, die nicht ahnden konnte, was aus allem werden wollte, die keine H o f f n u n g sah wie sie ohne den Gesellen aus diesem h o c h u m m a u e r t e n Gartenlabirinthe e n t k o m m e n könnten, benutzte die Zeit sich nach i h m umzusehen, doch kehrte sie i m m e r nachdem sie wenige Schritte den Gang herunter gekommen, nach dem Pflegling und seinem Freunde zurück. Stephania wurde in dieser Nacht von einem wunderbaren Traume 9|10" geängstiget, | D e m schlafenden Pfalzgrafen erschien Johannes als eine schöne J u n g f r a u gekleidet, die er Johanna nannte, die ihn an sich zog die ihn zärtlich küste, der er gern noch widerstanden hätte, aber wie es i m Traume geschieht, die seine Kräfte alle l a h m t e und ihn zu ihrem Kusse zwang. I n diesem langen Kusse entstand in i h m ein Nachdenken, der G r a m überwog die Freude, daß er im Schlafe weinte bis i h m alle täuschenden Bilder in dem allgemeinen Nachtchaos versanken,

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dann schlief er unendlich tief wie Adam, als Eva seiner Hüfte entstiegen. Der Traum des Pfalzgrafen hatte nur eine Berührung mit der Wahrheit, aber nicht mit der Wirklichkeit der Traum des Johannes, wie alles was er träumte, war in einem gewissen Sinne immer unwahr und doch wirklich. Er träumte daß Spiegelglanz als Apollo vor ihm erschiene ihm Ring und Spange zeige und sich ihm verlobt meine, worüber Johannes in Abscheu heftig mit ihm ringe. Mitten in seinem Traumkampfe, erweckte ihn die tobende Stimme des Lehrers, der mit derber | Faust sich einen Weg durch alle Thürsteher und Wächter 9|1V bahnte, um zu seinem Johannes zu gelangen, dessen Anwesenheit auf dem Venusberge ihm von einem heimkehrenden Freunde erzählt worden, nachdem er vergebens seinetwegen die Stadt durchirrt war. Als Johannes ihn hörte sprang er von einer nie gefühlten Kühnheit gegen ihn beseelt auf, gleichsam noch im Kampfe begriffen, den er im Traume mit ihm ausgefochten, fest entschlossen seinen geliebten Pfalzgrafen auf jede Art gegen den Zorn des Lehrers zu schützen. Ohne ein Wort zu sprechen, riß er Spiegelglanz aus dem Streit mit den Faunen, wickelte seine Faust in seinem Mantel fest und zog ihn ohne ein Wort zu sprechen, durch den nächsten Ausgang ins Freie. Johannes. Was stört ihr mich an diesem Götterort, Fort mit euch, in die Hölle fort. Spiegelglanz.

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Ey wie verwandelt, ich kenn dich nicht; Wo ist das scheue jungfräuliche Gesicht. | Johannes.

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Gedenkt nicht weiter an mein kurzes Irren, Ihr könnt mich damit nicht mehr verwirren, Ich bin Jungfrau ich will es seyn, Ein Mann zu seyn, wäre mir Pein Heut befehle ich, — meine Zeit ist kommen. Spiegelglanz stürzt auf die Kniee nieder Ο es ist wahr, du hasts vernommen, Die selge Zeit ist nun gereift

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Wo in Wundern dein Wille schweift. Von Gott über die ganze Welt 165

Textteil A Bist du im Geiste bestellt, Durch dich soll ein Werk geschehen, Was Propheten voraus gesehen, Aber ich bin als Klugheit dir beygelegt, Ich deute was dein Herz gehegt, Ich soll dich bewahren durch m e i n e n Rath, D u aber bewährst mich in Wunderthat Johannes. Ich f ü h l mich von der Erde gehoben, Da du kniest vor m i r und mich willst loben, Ist es Lüge, ich k a n n nicht beten, Bald möchte ich dich m i t Füssen treten, Und d a n n scheint mir alles in Ewigkeit, Es steigt in m i r die Seligkeit, Der heimliche Stolz scheint m i r so wahr, Der Götterstamm wird offenbar, D e n ich i m Sterne so f r ü h erkannt, Der Welt gehör ich nicht, ihr bin ich gesandt, Und es steigt vor meine Sinne, Eine Zeit, der ich mich k a u m besinne, | Wo mich beflügelte Engel trugen, Die rauschenden Flügel zusammenschlugen Wenn ich schlafen wollte, und durch den H i m m e l schwebten Wenn sich die eignen Schwingen erstrebten, Ο selige Zeit unter den Elementen, Wo mich das Feuer trug in wilden H ä n d e n Und das Wasser mich zu küssen sich versteckte, Und die L u f t mich flüchtig neckte, Bis mich die Erde an ihre Brust gelegt, Ο wie viel Grössres hat meine Brust bewegt, Als alle die Götter die hier gebildet, Sie sind R a u b der Menschen m i t Kunst vergüldet; Sie sind nichts als Gedanken, aber das Wesen Das haben sie nie in Gott gelesen. Von m i r ab ihr spielenden Götter der Alten, Entschuldgen k a n n ich euch, doch nie euch glauben, Es ist der Geist nicht in den Gestalten, 166

F2, Kapitel 111,5 Er last sich lächelnd die Gestalten rauben Und freudger seh ich zu den Sternen hinauf, In mir ist ihr Anfang, in mir ist ihr Lauf. Und gegen alle Kräfte und gegen alle Welt, Bin ich ein reines Kind Gottes hingestellt. Spicgelglanz. Sey gepriesen, du hast alles errathen, Nun streue aus, deiner Gnaden Saaten, Die Welt wird den Staub deiner Füsse küssen, Verzeih mir, wenn ich oft, von Zorn hingerissen Die Hand an dich zu legen gewagt, Jezt wandelst du frisch und unverzagt, Und dankest mir wohl, daß ich aus des Hekla Tiefen, Wo deine Augen im Steinbett schliefen, | Dich jubelnd zum himmlischen Tage trug Verzeih, wenn ich dich mit Fäusten schlug, Allmälig erst sollte der Sinn dir reifen, Verzeih wenn ich dich thät zwicken und kneifen, Wo du zur Arbeit warst zu faul, Am schwersten reitet sich zu der beste Gaul. Gedenk wie du nun herrlich vollendet, Du hast die Zeit der Prüfung geendet, Und sieh ich schwör bey allen Propheten, Die alle im Himmel mich anbeten, Wenn du recht willst, so thust du Wunder. Johannes. Was soll dem Geiste der Zauberplunder, Woran sich das thörigte Volk erfreut, Wenn die Welt über Gott Wunder schreit, Da fühlet er recht ihr niedrig Wesen Und daß sie nie vom Staub mag genesen, Erkennt der Mensch das Schöne der Welt Ihm nimmermehr ein Wunder gefällt. Spiegelglanz. Das geht mir zu hoch, wenn ich Wunder könnt machen, Ich wollte die ganze Welt auslachen, Ich flehe dich an, thu es mir zu gefallen, 167

Textteil A

Thu heute ein Wunder, das kleinste von allen; Es genüget schon um mich zu bewähren, Daß ich sie nicht will mit Lügen beschweren. Johannes. Es sey. Heut ist mir ein Wunder geschehen, Es wird mir zu Wundern den Geist erhöhen. | 7|42r

10. (6.)

Ruhig und still, zwischen den mannigfaltigsten Berauschungen der Welt schwankend, ging Johannes neben Spiegelglanz, der in einer irdischen Erhitzung, daß ihm die Stimme zuletzt fast versagte, alles hererzählte, was wir wissen, wie er (ihn) gefunden, wie er ihn nach dem Willen des Engel Gabriel auferzogen, der oft aus einer dunklen Wolke zu ihm gesprochen, wie er sein Geschlecht auf dessen Geheis verheimlicht habe, wie seine Erwartungen jezt durch den bevorstehenden Tod des Papstes so rasch gedeihen könnten, daß er den Stuhl besteigen und als ein erhabner Antichrist die Welt verwandeln könne. Dann erzählte er ausführlich von sich, wie er das Prophetenfach seiner einzig würdig geachtet habe und darin bestärkt worden sey und seine volle Bewährung und Einsetzung, während sein Leib in der Basiliskenhöhle geruht durch einen geistigen Ritt durch den ganzen Himmel erhalten habe, insbesondre waxen es die grossen Artigkeiten der kleinen Propheten, die ihn alle gleich bey Namen genannt, die sein ganzes Herz gerührt 7|42" hatten. | In allen Religionsstreitigkeiten hat sich immer eine jede das Leben zugeeignet und die feindliche eine Religion des Todes genannt, denn das Leben ist etwas so erwünschtes und muß sich mehr oder weniger in allen finden. Aber mit gleichem Stolze suchte Spiegelglanz die heilige christlige Religion verhasst zu machen, als eine Religion des Todes, weil der Todestag der Märtyrer als ihr Geburtstag gefeiert würde, weil sie sich in den Geist eines Todten versenkten, er nannte sie sogar als Menschen opfernd, weil sie den Tod der heiligsten Führer als ein Opfer für Aller Sünde betrachteten, und dessen Blut und Fleisch zu geniessen strebten. Es bedarf uns keiner Widerlegung dieser von Feinden des Christenthums häufig gebrauchten Gründe, unser Gefühl widerlegte, daß kein Christ an so etwas denkt, aber es mag uns hier die Warnung entgegenleuchten, fremde Mythen und fremden Glauben nicht nach wenigen Begriffen, die uns gleichgültige oder sogar abge168

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neigte, Beobachter davon mittheilen, beurtheilen und verdammen zu wollen, insbesondre in sofern sie aus einer Vorzeit stammen, | die es 7|43' nicht der Mühe werth achtet, gegen uns aufzutreten und zu zeugen. Einen geheimen Glauben meines Herzens will ich hier offenbaren: Der religiose Glaube der Menschen als ein Ganzes betrachtet war zu allen Zeiten gleich groß, wie sich Gott selbst ewig gleich ist und wenn einzelne Zeiten uns besonders ungläubig und frevelhaft dünken, so ists entweder das Sichtbarwerden der ungläubigen Einzelnen, die ewig fortschreitende Entwickelung der Phantasie macht aber eine Erneuerung alles Glaubens, ein Sichtbarwerden des Gottes, in der Welt im Gegensatz des sichtbar gewordnen Uebels in gewissen vorausbestimmten Perioden nothwendig so wie sich der Gott hinlänglich und im Maaße unserer Tugend in der übrigen Zeit uns offenbart; die aber einen Mangel der Offenbarung fühlen, die sollten zuerst den Mangel ihrer Tugend erkennen und sich in ihr vorbereiten den Gott zu empfangen. J a ich glaube, wenn ein zerstörender Krieg alle Religionsbücher von einem Welttheile vernichtete, so bliebe ihm doch nach dem Maaße seiner Fähigkeit das rechte Maaß der Offenbarung, so viel Wissen als er verstehen, so viel Poesie als er phantasieren kann und demnach der Berührung des Schönen und | Wahren als Religion so viel, 7|43" als noch die Tugend in der Ausgleichung dieser innern Kräfte zur äussern Welt leisten kann. Nachdem Spiegelglanz seinem Johannes die Hoffnungen einer neuen Religion auseinander gesetzt, von der er selbst in Hinsicht des Waschens und der Zwiebeln so bedeutende Offenbarungen zu besitzen wähnte, zu der er selbst das Wort und den Rath, so wie Johannes die That, er selbst die Klugheit, dieser die Wunder liefern sollte, erkundigte er sich erst genauer, was Johannes nach dem Schlosse der Fürstin gebracht, der Spiegelglanz gar sehr abgeneigt war, weil sie ähnliche Frechheit mit alten Religionen wie er selbst mit einer neu zu schaffenden ausübte. Johannes erzählte von dem Goldschmidt und von dem Zettel, den er ihm damals ausgestellt, vom Pfalzgrafen vermochte er aus Zärtlichkeit nichts zu sagen, auch unterbrach ihn Spiegelglanz mit einem Strom von Verwünschungen | gegen diese Fürstin Venus, oder 7|44r Reinera, wie sie eigentlich hieß, die er als die schändlichste Verführerin darstellte, welche in der Gunst einiger Päpste und durch Fehden ihrer Verwandten ausserordentliche Schätze zusammengebracht hatte. Inzwischen kamen sie in die Nähe ihres Hauses und der neue Prophet legte sich an das Schlüsselloch die Gesellschaft Gelehrten, die er dort 169

Textteil A

versammelt hatte zu behorchen, während Johannes die Sterne sehnlich betrachtete. Jedermann weiß, daß eine Gesellschaft Gelehrten immer Abgötterei mit zwey zierlichen kleinen Gottheiten, mit Dummheit und Bosheit treibt, diese werden so zärtlich von solchen Verstandesriesen wie Schooshündchen gepflegt, ja sie üben gegen dieselben ein stetes geistiges Menschenopfer aus und haben unter sich unbewust eine ganz neue Religion erfunden, die eigentlich blosse Inkarnation des Teufels in ihre eigne Person ist. Es ist sehr schwer gelehrt zu seyn und sich dieses Dienstes zu erwehren, weswegen ich mich auch schon 7|44" lange aller Gelehrsamkeit enthalte. | Spiegelglanz kriegte an der Wand manches Gute zu hören: Chrysoloras. Darin, ihr werthen Herren sind wir alle einig, Der Spiegelglanz sey ein Esel zweybeinig, Ich hätte ihn gleich ausgelacht Wie er sein Zeugs hat vorgebracht, Aber der Spas muß vollständig seyn, Dann kann er uns erst recht erfreun Er muß seinen Jungen mitbringen, Wir müssen ihn zum Bekenntniß zwingen, Daß er kein Wunder wirken kann, Doch eh er kommt fanget nur an Die Schminke von Nußschalen zu reiben zu rühren, Womit wir den Ueberwiesnen einschmieren Atheist. Dann jagen wir ihn durch Gänsedaunen So verliert er ganz die heiligen Launen. Sceptiker. Wer weiß, es kann doch Wahrheit seyn Wo wir uns denken den leeren Schein, Je nun die Schminke kann immer nicht schaden Er kann sich in einem Wunder rein baden. Rhetor. Er soll mir so leicht nicht zu Worte kommen. Psycholog. Da hätten wir gar nichts von ihm vernommen, 170

F2, Kapitel 111,6 Und daß die Beobachtung genügen kann, Muß sich erklären der würdige Mann. Atheist. Die Beobachtung ist eine närrische Mutter, Hungert mit dem Kind und giebt den Vögeln das Futter Weil sies so artig mit dem Schnabel nehmen, Der Beobachtung muß ich mich von Herzen schämen. Psycholog. Freund ich schäme mich der gesammten Natur, Eben darum bin ich erpicht auf ihre Spur. Historiker. Sie hat doch auch Einwirkung auf Geschichte, Darum steh ich ihr nicht gern im Lichte. Sceptiker. Glauben sie, daß es eine Geschichte giebt. Mir scheint das nur wahr, was ein jeder liebt. Historiker. Und ich sag was nicht wahr und wirklich geschehen, Das verwerf ich gänzlich, das soll untergehen, So hab ich die Geschichte der Welt im (Rest), Auf ein Dutzend Tropfen zusammengepresst, Die verfliegen wenn ich sie übergiesse, Mach täglich der Lüge falsche Süsse. Sceptiker. Ey prächtig da sind wir auf einem Wege. Historiker. Herr kommen sie mir in mein Gehege, So entschließ ich mich lieber alles zu glauben. Chrysoloras. Schon wieder sprecht ihr da wie die Tauben Und keiner versteht es, jeder wird heiß, Wir singen ein Lied, das jeder weiß. Es irrten die Menschen auf mancherley Wegen Und fanden auf allen den göttlichen Segen, 171

Textteil A

D a rief die Kritik aus dem holen Baum Ihr fehlet des Wegs ihr geht wie i m Traum. Bey diesem Gesänge wurde Spiegelglanz ungeduldig, er trat herein so freundlich, als ob er in den Kreis seiner besten Freunde zurückkehrte, indem er seine lange Abwesenheit damit entschuldigte, daß Johannes 7|45" sein Gebet auf d e m Berge verrichtet habe. | Eben wollte er zu seinem wichtigen Antrag übergehen, daß sie an ihn glauben möchten, als der Rhetor m i t unglaublicher Schwatzhaftigkeit die verschiednen möglichen Arten des Gebets bis zu den papiernen Betmaschinen in China darstellte, die alle Viertelstunden in Bewegung gesetzt werden und die aufgeschriebenen Gebete gegen die Sonne wie ein Bratenwender den Braten gegen das Feuer wendet. In R o m kannte m a n damals schon die ganze Welt durch geheime Missionarien. Ungeachtet sich Spiegelglanz aus Ungeduld die Beine fast zerrieb, so stellte er sich doch i m Anhören ganz freundlich, als aber jener husten muste, sagte Spiegelglanz ernst: Spiegelglanz. Das freut mich, daß du endlich husten must, Dein Geist ist fern, du sprachst aus böser Lust Am Berge sah ich deinen Geist, er trauert, Daß du in böser Absicht hier gelauert, Mit leerem Wortschall m e i n e n Lauf zu h e m m e n , Da muste dir die L u f t den Hals einklemmen. Chry soloras. Es ist doch Schande so vor uns zu lügen. Spiegelglanz. Dir seh ich an in deinen tückschen Zügen, D u hast mit listger H a n d mir einen Schimpf bereitet, Dein d u m m e r Sinn m i t Nußöhl mich bestreitet. Und dieser Atheist will mich befiedern, Der Geist verrieths, ihr könnt m i r nichts erwiedern Rhetor. Bey Gott, m i r ists i m Kopfe gar zu leer, Ich glaube daß m e i n Geist f u h r übers Meer. | 7|46' Chrysoloras. Der last sich schrecken ich spotte sein Er hat uns behorcht, das ist nicht fein, 172

F2, Kapitel 111,6 An solches Narrenwerk sollten wir glauben, Wir kennen euch besser, ihr predigt den Tauben, Ein Kerl mit so röthlichem Augenstern, Sieht nimmermehr in den Himmel so fern, Und eurem hübschen langen Jungen Mags besser bey Mädchen seyn gelungen, Als mit den Wundern, lasst sie uns sehen, Ich spotte seiner, was wird mir geschehen. Johannes hatte schon lange ein Feuer gegen die Gesellschaft in sich brennend gefühlt, jezt hielt er es nicht länger, mit flammenden Augen gebot er dem Frevler Chrysoloras Schweigen. Der listige Arzt stellte sich, als ob er die Sprache verloren habe, und fuhr um so wilder in Geberden gegen den Spiegelglanz an. Johannes, dem dies wilde Wesen widerstand, rief ihm trotzig: Erstarr du Narr! und Chrysoloras stellte sich, als wäre er in der letzten Bewegung erfroren und versteinert; Einen Arm gegen Spiegelglanz gekehrt, etwas übergebeugt, die Augen zornig starrend erinnerte er an die Wirkungen des Medusenhauptes und wahrlich Johannes zeigte die schöne Trauer die zerstreuten Lokken dieser Köpfe auf alten Denkmahlen. Gelehrte sind eben so eigensinnig als charakterlos, | es fand sich keiner, der dem Eindrucke mit 7|46" den Meinungen seines ganzen Lebens widerstanden hätte, für solch Volk sind Wunder in der Welt nöthig. Alle baten flehend, meist knieend, indem sie die Göttlichkeit des Johannes und seines Propheten Spiegelglanz anerkannten, um die Befreiung und Wiederbelebung des Erstarrten. Der Atheist goß heimlich das zum Schimpf dem Spiegelglanz bereitete Nußöhl in sein eignes Unterkleid, der Rhetor schlich sich sacht fort, theils aller Gefahr zu entgehen, theils das Wunder zuerst bekannt machen zu können. Wir können es leicht gefühlt haben in unsrer Kindheit, wie dem Menschen bey Wundern zumuthe ist, sind sie wohlthuend so umfängt uns ein seliges Zutrauen zu aller Welt, sind sie blos Schreckend oder wohl gar zerstörend eine eigne Trostlosigkeit. Schwieriger ist es sich in das Gemüth eines Wunderthäters zu versetzen, es muß der Gipfel lohnender Thätigkeit seyn, wenn es aus Güte und Wohlwollen stammt und es läst sich nicht beschreiben, aber ein Wunder, das wie dieses, | ein Leben zerstört ohne etwas zu schaffen, 7|47' kann nur das gespenstige Gefühl eines Heerführers geben, der mit seinem Schrecken Nazionen vernichtet ohne die Kraft zu haben, einen Menschen auf der Welt zu beglücken, ein Gefühl das wie in Alexander zuletzt in Brand und Mord sich zu ersticken sucht. In diesem kalten 173

Textteil A

überirdischen G e f ü h l einer Schneewolke stand Johannes und hörte k a u m die Bitten, bis Spiegelglanz f ü r den Erstarrten, der aus Müdigkeit seine gezwungene Stellung k a u m bewahren konnte, flehentlich bat. Johannes winkte m i t der H a n d u n d sprach: Kehre h e i m feindlicher Athem, der du uns wolltest verrathen. Bey diesen Worten bewegte 5 sich Chrysoloras, n a h m einen Becher Weins zur Stärkung und erzählte, wie er in den H i m m e l entrückt gewesen und dort sey i h m von einer gewaltigen Stimme befohlen worden, das Wunder des Johannes öffentlich bekannt zu machen. Er hatte die Stimme gefragt, wie er Spiegelglanz verehren solle, sie hätte aber geschwiegen, die Apostel hätten 10 m i t den Achseln gezuckt und zu verstehen gegeben, sie hätten ihn 7|47v neulich auf seinem Schimmel kennengelernt, es sey aber | nicht sonderlich viel an ihm, es sey ein nordischer Eisvogel, der i m m e r aus Dunst u n d Nebel heraus sehe und n i m m e r m e h r zu einiger Klarheit k o m m e n könne. Kaum hatte er das ausführlich erzählt, so k a m ein 15 Bote des kranken Papstes Anaklet, der überall nach Chrysoloras gesucht hatte, weil es m i t dem Papste sehr übel stehe. Chrysoloras r a f f t e sich auf, alle folgten i h m u m dieses Wunder m i t einander zu deuten und Spiegelglanz begleitete sie, weil er den Flecken verwischen wollte, den der schlechte Himmelsbericht des Chrysoloras i h m angespritzt 20 hatte, den er freilich f ü r echt halten muste, da ihm, was er ganz verschwiegen, auf seiner erträumten Himmelsreise m a n c h e geringschätzige Begegnung widerfahren war, unter andern, daß er n u r mit den kleinen Propheten an einem Tisch hatte essen dürfen. Zärtlich winkte er Johannes, als er fortging. 25 Spiegelglanz. Jezt Und Den Das

schmücke dich, salbe dich, wenig Augenblicke ich t a u m l e an dein Herz, zu m e i n e m Glücke. Becher fülle u n d streue das Bett m i t Rosen, gröste Wunder erfüll an m i r liebelosen |

9|13' Johannes hörte wenig darauf, was er sagte, so überlebt hatte er sich nie gefühlt, so uralt m a t t und erfrischungslos war i h m die Morgenröthe nie erschienen, die fern d ä m m e r n d die vielen Tempel alter Zeit u m röthete, die damals noch Rom schmückten und in g e h e i m e m Zauberdienste von mancherley Volk besucht wurden. Ein Tag hatte ihn aus der Verzweifelung zur Möglichkeit jeder liebenden Erstreitung geführt, derselbe Tag hatte durch ihn Wunder gewirkt, er war selbst der Gott geworden sich selbst u n d der Welt; die Götter alter Zeit waren 174

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ihm wie manches Spiel der Phantasie, in der Erfahrung unbewährt geblieben und doch sah er noch Spange und Ring, die seiner Liebe gehörten, an ihren Marmorbildern glänzen. Zornig befahl er ihnen, daß sie seine Gaben ihm zurückreichten, aber sie gehorchten ihm nicht. Er zweifelte nicht an seiner Wundermacht, aber er glaubte an Widerstreit und da er nicht ohne Gewalt Ring und Spange lösen konnte, so zerhieb er mit der Axt, die sonst nur Pappeln und Oliven zerstört hatte die herrlichen Glieder des Apollo und der Venus um ihnen die geringe Gabe der Spange | und des Ringes zu entreissen. Wie viele 9|13" Anstrengung und Genie hat die Folgezeit daran gewendet diese herrlichen Bilder herzustellen, verdamme ihn keiner, der je mit raschem Geschoß die schönen Dämonen des Walds, den schlanken Hirsch, das zarte Rhe mit tödtendem Geschoß verfolgt hat, wenn das lebendig Schöne so oft nur Wuth in uns erweckt, wie sollte das Scheinleben der Kunst der Liebe so gewiß seyn. Erst als er sich selbst mit dem Geschmeide ausgeschmückt hatte war er ruhig und sah in die dämmernde Frühe. Johannes.

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So hell geschmückt sieht Gott in seine Welt, Sein Abbild ihm noch immer wohlgefällt Er weiß es nicht, wo er so lange weilte, Wohin er rastlos durch die Welten eilte, Doch fühlet er, daß er Johanna treu, Die weite Welt in ihrem Licht erfreu, Er fühlt sich froh in diesem neuen Leib, Er liebet Ludwig, denn er ist ein Weib, Er will auch ihn in seinem Feuer brennen, Und eine Ewigkeit soll uns nicht trennen Noch sehnt er sich nach fernen Freundes Spuren, Den Todten rufet er zu diesen Fluren, Den Jüngling, der ihm warnend einst erschienen, In Prüfungsstund mit heiligem Erkühnen, | Auch ihm will er den ewgen Geist einhauchen Auch ihn will er in seine Macht eintauchen. Ο Raphael entsteige aus der Nacht, Durch meine Liebe sey jezt frey gemacht. Und kannst du nicht zurück zum Lichte kehren, 175

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Textteil A

So must du mich von dem Geschick belehren, Was dich bezwungen, ob ich es k a n n lenken. Und dich der freudgen Erde wiederschenken, Wie sollte Gottes Lieb verloren seyn, Mein Raphael es fasst der Sehnsucht Tiefe Mein ganzes Herz ο daß ich dich erriefe! Raphael, es klingt so hell zurück, Ο Raphael dich sieht m e i n sehnender Blick. Raphael vor der Thüre, als Pilger gekleidet Wer rufet m e i n e n N a m e n und was treibt mich In diese f r e m d e Vorstadt mächtig. | 9|14V Raphael trat m i t gleichem staunenden Gefühle ein, das sich auch unserer bemächtigt, da wir ihn in Pilgerkleidung aus den Tiefen des Rheins emporsteigen sehen, u m noch einmal auf dem Schauplatz der Lebenden zu wandeln. Nachdem er sich fest überzeugt hatte Johannes sey der Knabe des Spiegelglanz, eben der, welchen er aus Vorsorge zur Flucht bereden wollte, nachdem er i h m erzählt, wie er in R o m eingehend eine sonderliche Neigung e m p f u n d e n , diesen abgelegnen Theil der Stadt zu besuchen, so erzählte er i h m seine Schicksale. Johannes ergrimmte, als er die Mordabsicht des Spiegelglanz hörte, wie er ihn m i t dem Messer durchstossen in den Rhein geworfen habe, dann erf u h r er mit R ü h r u n g wie T h a l m a n n den Leichnam des Raphael in seinem Netz nächtlich gefangen und ihn in der Meinung, es sey ein grosser Fisch, zu der nächtlichen Betlampe des Oferus getragen habe. Oferus, der ihn wenige Tage vorher gesund auf das andre Ufer ge9|15r bracht hatte, habe solche | Trauer über seinen Tod empfunden, daß er drey Stunden bey stetem Gebet alle wiederbelebende Kräfte an i h m versucht habe und sein Gebet sey so mächtig gewesen, daß er seinen Geist zur Erde zurückgerufen. Als Raphael beym Erwachen das alles erfahren hatte muste er auch dem Oferus erzählen, wie i h m z u m u t h e gewesen und was er erfahren und da erzählte er, daß er sich durch einen blauen R a u m wie ein Lichtstrahl ohne Anstoß bewegt und einen Engel gesehen habe, der sehr geweint und nach seinem lieben Johannes gefragt habe. Gleich habe er dem f r o m m e n Oferus schwören müssen, diesen Johannes aufzusuchen, da er aber in Mainz nichts weiter v e r n e h m e n können, als daß er m i t Spiegelglanz fortgezogen sey, so habe er ihn auf seinen Wallfahrten aller Orten aufgesucht, sey aber in Jerusalem durch Krankheit m e h r e r e Jahre aufgehalten worden. 176

F2, Kapitel 111,6 Johannes wurde i m m e r fester in sich durch diese neuen Zeichen himmlischer Berührungen, er segnete das H a u p t Raphaels und sprach: Johannes. 5

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In m e i n e Arme k o m m , du bist mir eigen W i e Bäume in den Wurzeln sich verzweigen | Die noch getrennt fern von einander stehen, Seit ich als kleines Kind dich angesehen Seit jener Nacht, wo du mich wolltest retten, Will göttliche Gewalt dich an mich ketten, Ich habe lange mich nicht selbst erkannt, Vertrau mir, f r e u dich daß du mir verwandt.

9|15V

Er u m a r m t e Raphael in s t u m m e r Freude, als i h m der schwere Schrit des Spiegelglanz auf dem Pflaster der einsamen Gasse schon fern hörbar wurde. Da stieg sein Zorn über allen Betrug, über den Mord seinen Freundes, den nur ein heiiges Geschick abgehalten: Johannes. Ich höre Spiegelglanz dort in der Gasse, Gerecht will ich ihn richten, nicht i m Hasse, Geh ein m e i n Freund in diese enge K a m m e r Und leugnet er, so k o m m und lös die Klammer Die sein Gewissen hat so lang verschlossen, Der Hölle ist sein böser Geist entsprossen Zur Hölle kehre er dann gleich zurück. Raphael.

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Auf Das Wie Mir Und

kurze Zeit versteck ich mich dem Glück, deine Nähe m i r zurück gegeben, k a n n das L a m m bey einem Tiger leben, schaudert, wenn ich Spiegelglanz erblickt, seh ich dich, so ist m e i n Herz entzückt.

Er ging darauf in banger A h n d u n g | nach der Kammer, während Spie- 9|16' gelglanz von Zärtlichkeit ganz schläfrig in das Haus eintrat und nicht ahndete, daß i h m Asmodi, als ein Bock zur Seiten ging: Doch hätte ihn bald davon ein heftiger Anlauf seines heiligen Ziegenbocks gegen seine Beine belehren können, der freilich nicht gegen ihn sondern gegen den unbekannten Nebenbuhler gerichtet war. Spiegelglanz fiel von d e m Stosse über und vollführte ein Geschrei, weil der eigensinnige Bock noch i m m e r seinen vermeinten Gegner erblickte u n d gegen ihn 177

Textteil A wüthete, bis Johannes heraus trat und das Thier festband. Spiegelglanz schämte sich seiner Niederlage, u m so rascher eilte er ohne ein Wort zu sprechen, blos eingedenk der Verheissungen Gabriels, daß die Liebe i h m gerecht lohnen werde, wenn er das Wunderkind zur Lebensreife aufgezogen und seiner Bestimmung entgegengeführt habe, sprang er m i t unzähligen Küssen zu Johannes auf und geberdete sich lallend, als ob er dazu bestimmt ihre Wunder m i t seiner Liebe zu lohnen. Johannes trat ernst zurück, und sprach m i t stolzem G e f ü h l e von der ewigen Gerechtigkeit, die verborgne Schuld an das Tagslicht bringe, sie 9|16" sprach, als | ob sie ihn zum Tode bereite. Spiegelglanz erst verwundert, wurde durch ein Paar Backenschläge seines aufsätzigen Asmodi so zornig, daß er Johannes, den er stolz wegen der himmlischen Vorzüge glaubte, m i t stürmender H a n d anfiel. Johannes sprach umsonst die kräftigen Worte: Erstarr du Narr aus, sie wirkten nicht auf den W ü thenden, dessen alte nordische Riesenkraft noch einmal in alle Adern sich ergoß. Und Johannes sprach m i t sinkendem Zutrauen zu Spiegelglanz noch einmal: Erstarr du Narr! Dieser aber statt zu erstarren wurde i m m e r gewaltsamer, und Johannes sprach zum drittenmal fast an sich selbst verzweifelt, in allen seinen Kräften gelähmt: Erstarr du Narr! Aber heftiger w ü t h e n d verwickelte Spiegelglanz die H ä n d e des unglücklichen Johannes m i t d e m Maskenkleide das er trug und er stürzte nieder. Da erst hörte Raphael, daß sie handgemein, er riß die K a m m e r t h ü r auf und Spiegelglanz am Mantel von Johannes los. Jezt sah Spiegelglanz u m sich; i m Schauder daß der Geist seines Todfeindes auferstanden sey, u m mit i h m zu kämpfen, blieb i h m der geöffnete M u n d stehen und Asmodi, der längst auf solche Gelegenheit gelauert, schlüpfte als Fliege in ihn hinein und besetzte sogleich die ersten 9|i7' Wege, d a n n auch die | beyden Seelen-Kastele, so daß Spiegelglanz kraftlos u n d doch in unverständigem Widerstande seine Feinde reitzend, allen Zorn der beyden Freunde lange Zeit gegen sich i m m e r neu erweckte. Raphael, u m nicht von seinen starken H ä n d e n erfasst zu werden, warf alles, was i m Z i m m e r faßlich u n d ergreiflich war auf ihn, Bücher Stühle, Stücken der zerschlagnen Statuen, Rosenkränze, Besen, Ofengabel schmetterte er so lange auf ihn, bis er kein Zeichen von Leben m e h r gab, da ergrif er ihn bey d e m gelben Barte und schleifte ihn auf die Gasse. Spiegelglanz blieb ohne Bewustseyn liegen, wie aber Johannes zerstört war, als er während des Kampfes seine O h n m a c h t f ü r Wunder gefühlt hatte, als er von der H ö h e seines göttlichen Stolzes zur menschligen 178

F2, Kapitel 111,7 Abhängigkeit so streng heruntergewiesen, und doch mochte er Raphael seinen Schmerz nicht ausdrücken, er schämte sich seiner Schmerzen. Raphael glaubte, daß er im Kampfe schmerzlich | verletzt 9|17 sey und suchte die Stelle zu erforschen, Johannes drückte ihn leise von sich u n d sang, indem er sich zum erstenmal wieder seit langer Zeit vor einem Christusbilde niederkniete: Wer nie m i t wilder Faust An die eherne Glocke geschlagen, Worin der Geist gefangen haust, Der hört noch nicht die Stunden schlagen, Der hört noch nicht, Der sieht kein Licht, Der w ä h n t sich Gott, Und möcht d e m Weltall tagen. Die blinde Leidenschaft E h r e du jammerndes Herz in dem Staube, Sie f ü h r t dich scheiternd an deiner Kraft, Auf Klippen den Vögeln zum Raube D u hörst dich nicht, D u siehst dich nicht D u fühlest Gott Und betest n u n m i t Glauben. |

11. (TF22 beginnt mit der zweiten Textstufe am Ende von 49,3|3|3" war auf d e m

Wege zu ihr nach dem Landsitze Abends hinauszugehen, als er bey d e m Hause der alten, die mit der später für TF3 geänderten Grundschicht

Sabina unwillkührlich stille stand, auf 49,7|80' fortgeführt wurde, vgl. Variante zu F2, Kap. IV,4, 209,3-4; auf 49,7|80" in der gestr. Grundschicht als er zur Fürstin (vgl. Variante zu F2, Kap. IV,4, 210,21) folgt dann 49,5|6:>

5|6' kam, hörte er von ihr, daß der König Otto sich nahe, daß aber sein treuer Raphael, als er gehört, wie er sich zum Sohne seines Vaters Alberich gemacht, heftig aufgebracht, dem Keiser viel böses von seiner Verwaltung des päpstlichen Stuhls gesagt. Johannes empfand eine Angst, daß er gewünscht sich von allen Verhältnissen loszureissen, aber das eine mit dem Pfalzgrafen bezwang ihn, er dachte aller Seligkeit, die er geahndet und noch nicht genossen, als er mit ihm als Opferpriester mit Iphigenie die geheimnißvollen Gänge des Schlosses durchirrt hatte (Abbruch von TF22>

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TF3

(Anschluß an 49,7|2" in der gestr. Grundschicht E r wuchs auf; vgl. Variante zu F2, Kap. 111,1, 131,1)

dem Landhause vor der Stadt, das Spiegelglanz gemiethet hatte, so 5|2 herrlich und kräftig auf, daß er bey aller Schönheit mehr ein männliches als weibliches Ansehen gewann und selbst über seinen starken Oberlippen den leisen Ansatz eines Bartes zeigte. Er wurde ohne Widerspruch zum Priester geweiht. Spiegelglanz freute sich seines nahen Genusses und entfernte von ihm mit der Wachsamkeit eines Eifersüchtigen jeden Umgang, wonach auch Johannes, der allmälig seinem Rufe auch zu leben anfing, wenig verlangte, weil seine Gedanken um so fremdartiger in die Versammlungen wie aus einer andern Zeit zu schallen schienen. Seine Erholung und höchste Freude fand er, was dem sonderbar scheinen mag, der nicht einsam gelebt hatte, im Morgen oder Abendstern, dem er nie versäumte ein feuriges Gebet für das Gedeihen seiner Studien zuzuwenden, selten bestieg er das Gebürge in der Nähe Roms, doch ehrte er es wie einen Altar, wohin er in Gedanken die christlichen Feste versetzte, denen er nach damaliger Art aus Gewohnheit regelmässig, aber aus Sitte nachlässig und zerstreut beywohnte(.) | So erschien das Jahr 956 und Luzifer, der in der Gestalt des Chryso- 5|2 loras sein vermeintes Kind wiederbesuchte, hielt dies für die rechte Zeit den Tod des Agapetus herbeyzuführen, um es auf den Thron des heiligen Petrus zum Verderben des Christenthums zu setzen. Sehr begreiflich, ja streng zu erweisen ist das Gesetz der Geisterwelt, daß jeder Geist der nicht durch das Wort allein, sondern durch eine That würken will, nicht nur den vorübergehenden Schein irdischer Gestalt annehmen muß, sondern sich allen Bedingungen dieses Körpers bis zu dessen natürlichen oder durch fremde Gewalt herbeygeführten Tode, unter325

Textteil Β

werfen muß, alle körperliche Freuden und Leiden ertragen muß, so wenig sie zu seinem geistigen Daseyn gehören mögen. Luzifer stand zweifelhaft in der Höhle des Basilisken neben der Kirche St Lucia, ob er die geistige Fadennabelschnur oder Strickleiter, die seine Verwandlung und Rückkehr zur Geisterwelt möglich machte abschneiden sollte, wir wollen ihn selbst darüber hören. | (Anschluß an 49,7|7r; vgl. F2, Kap. 111,2, 134,11)

(49,3|4|1-8) (Anschluß an 49,7|80"; vgl. F2, Kap. IV,4, 210,21)

3|4|ir das Blut lief ihm heftig untereinander, als er sich so früh gewarnt und so spät erst klug geworden fand. Es trieb ihn zu den Bergen hinauf, aber auf dem Wege dahin, rief ihn die Stimme der Fürstin und das Geheimniß ihrer Meinungen stellte sich ihm jezt so erquicklich dar in dem Geheimnisse, das ihm den Geliebten geraubt hatte. Sie führte ihn stillschweigend in ein dunkles Zimmer, dort drückte sie ihn an ihr Herz und sagte ihm, daß sie alles wisse, der Pfalzgraf sey verschwunden. Johannes hätte ihr gern alle seine Trauer ausgeschüttet aber sie sagte, sie selbst sey Priesterin und die Mysterien der Ceres forderten ihre Anwesenheit. Johannes erlabte sich an der Idee des Geheimnißvollen, sein Unglück schien ihm so offen und deutlich, er flehete die Fürstin an, ihn einzulassen ob er Trost in der Welt noch finden könne. Sie bewilligte alles, wenn er eingestehe, daß er kein Mann sey. Johannes verwirrte sich sein grosses Geheimniß ihr so bekannt zu wissen, die Worte starben ihm zwischen den Lippen, sie führte ihn schweigend durch enge Gänge in ein Kreisgewölbe, das von oben durch einen Rost 3|4|Γ beleuchtet wurde. | dort verließ sie ihn, nachdem sie betäubenden Weihrauch auf eine glühende Schale gestreut hatte. Johannes versank immer mehr in Betäubung, die Wände zitterten über ihm erbebten griechische Chorgesänge er hörte über den Rost, den schweren Schrit eines Stiers, der mit heissem Athem durch das Gitter ihn anbrüllte. Die Opferpriesterin durchstach dem Stier die Halsadern mit dem Messer, das heisse Blut flöß über Johannes und er muste verzweiflungsvoll an das Blut des Pfalzgrafen denken. Ohne Bewustseyn führte ihn die Fürstin aus dem Keller, aber seine Angst wurde unermeßlich, als ihm nach dieser Reinigung von ihr ein weibliches Gewand und ein Schleier übergehängt wurden. Sie führte ihn durch eine Reihe von Frauen, die ihm in griechischer Sprache mit 326

TF3

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aufgehobenen Dolchen zuriefen: Des Todes und verflucht sey jeder Mann, der in das Heiligthum der Ceres dringt, die reine Jungfrau nur nimmt Ceres an, gieb deine Stimme an, wie sie uns klingt, sag an ob du noch Jungfrau bist, doch ohne Trug und ohne List. — Johannes, der sich mit verwunderten wirren Sinnen schon von diesen Frauen erkannt glaubte antwortete ein leises J a und wurde in das erste Heiligthum eingelassen. | Es war eine grüne Wiese, und ein Kornfeld inner- 3|4|2r halb den Ringmauern eines grossen Saales, die Fürstin mit einem Kranz von Kornähren geschmückt in der Hand die Sichel schüttelte das Korn aus den überreifen Aehren, indem sie von allen als Ceres begrüst wurde, dann sprach sie Fürstin.

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Wie ist der Sommer so schwül Wie stirbt schon ab das Korn, Es lieget im Trauergewühl, Die Winde es schlugen im Zorn Weil es die Vögel versteckt, Die sich mit den Winden geneckt. Johannes stand verwirrt, die Fürstin sprach von ihm abgekehrt weiter, da hörte er hinter sich einen Donner, er sah zwey Rosse einen Wagen herbeyziehen in welchem ein finsterer bärtiger Mann, einen Schlüssel in der Hand saß, doch im selben Augenblicke war der Alte aus dem Wagen gesprungen hatte ihn trotz alles Sträubens umfasst und riß ihn mit sich auf den zweyrädrigen Wagen und fuhr mit ihm in einen dunklen Gang fort, Jammergeschrei der Chöre hörte er hinter sich Chor.

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Die Erde hat das Kind verschlungen Der Mutter ist das Kind entsprungen Und macht sich frey, wie Körner fallen Aus Aehren die im Herbste wallen Mehr konnte er nicht vernehmen, da entsetzte er sich vor einem wilden Feuer, durch das sie fuhren, dann kamen sie in einen herrlichen Garten, wo viele Gestalten wie von dichten Thauwolken überdeckt in halber Sichtbarkeit | schliefen. Johannes glaubte den Pfalzgrafen zu 3|4|2" erkennen, er schrie laut auf, da riß ihn der Wagen weiter, sein Führer steckte ihm einige saftige Granatkörner in den offenen Mund. Jezt sank er in Ohnmacht nieder. 327

Textteil Β Als er erwachte war dichte Nacht um ihn her, neben ihm lag noch ein Wesen, eine Angst bemächtigte sich seiner, der Bettgenosse athmete tiefschlafend. Johannes stand auf, suchte leise die Thüre des Zimmers, fand sie, öffnete sie, sah eine Lampe in der Nähe und daneben einen Dolch. Johannes ergrif beydes, kehrte muthig zu dem Bette zurück, den Dolch vorhaltend, sein Angesicht im Schatten der Lampe sah sie vorsichtig nach dem gefürchteten Geiste. Ο Wunder, der Pfalzgraf geflügelt, sein Haar mit Rosen bekränzt, die Hand mit dem Kopfe auf Köcher Bogen und Pfeile gedrückt lag schlafend vor seinen Augen. In dem seligen Anschauen verloren beachtete Johannes die Lampe nicht, die ihr heisses Oehl auf den schönen Leib fallen ließ. Der Pfalzgraf erwachte, sah den Dolch, sprang rasch empor und fort durch die ge3|4|3r öffnete | Thüre, Johannes ihm nach, aber die Thüre war verschlossen. Er suchte sie zu erbrechen aber vergebens, er wüthete, er schrie, alles vergebens, endlich sank er erschöpft auf das Bette zurück und schlief ein. Als er wieder erwachte fand er sich in demselben Saale auf dem grünen Rasen wieder, wo ihn der Ernste im Wagen entführt hatte, nur das Kornfeld war verschwunden, und statt eines weissen weiblichen Kleides trug er ein grünes von der Farbe der jungen Saat. Seine Augen suchten die Fürstin aber sie war nirgend zu erblicken, seine Besinnung wurde immer dunkler während alle Chöre die Freude der Wiederkehr besangen. Chor. Sie kehrt zurück im grünen Kleide, Die Mutter sieht in seiger Freude Das liebe Kind verwandelt stehn, Ach Jungfrau wie ist dir geschehn, Du kehrst als Frau zu uns zurück, Und kennst der Liebe süsses Glück, Den Gatten hast du dir erwählet. Der Unterwelt bist du vermählet. Heil dir Proserpina | 3|4|3V Eine glühende Rothe überzog das Antlitz des armen Johannes, Ceres nahm den Verwirrten in ihre Arme. Fürstin. Den Streit der Mannigfalt hast du empfunden 328

TF3 Den Lebenshaß, der in dem Becher brennt, Die Fülle und die Leere flüchtger Stunden Was die Geschlechter wechselnd eint und trennt, Ich Ceres lehrte da den Bau des Korns Und endete die Zeit des Liebeszorns. Nicht mehr bedarfs der Amazonen Waffen Das Weib zu schützen gegen flüchtge Lust, Sie kann im Hause gleich dem Manne schaffen, Er schützt das Kind an ihrer Mutterbrust, Denn wie nur Saat in Jahres Glauben glüht So ist die Eh im heiigen Kreis erblüht Nach dieser ersten Verkündigung des Geheimnisses führte die Fürstin den taumelnden Johannes in ihr gewöhnliches Zimmer, sie setzte sich mit ihm auf ein Ruhebett und lachte laut auf. | Fürstin. Du hast der ersten Weihung Heimlichkeit Vernommen. Glaub nur nicht an die Erbärmlichkeit Sie ist nur denen gut die nichts vertragen Die Abends ihren Männern alles wiedersagen In alter Zeit da mocht es wichtig seyn Die streitge Welt dem Ehestand zu weihn, Der Ackerbau könnt die Bedingung leihn, Proserpina ist da ein Bild des Ehestands, Der Saat, die sich vertraut der heiigen Treu des Lands. Nachdem die Tochter mit der Erd verbunden Als neue Saat den Weg zum Licht gefunden, Da Bachus schenkte erst den Liebesbecher, Der selge Sehnsucht füllt in alle Zecher. Da spielen in dem Herzen Liebesflammen Woraus die selgen Triebe neu entstammen, Und Ceres ist der höhern Weihung Bild, Der Liebe die so frey durch alle quillt Und alle nährt, und alle Thaten weckt, Der Frauenliebe, die den Ritterstand erweckt, Die nimmer unterthänig ist dem Manne, Die nicht gesetzlich steht in einem Banne Die frey der höchsten Ehre sich ertheilt, 329

Textteil Β

Die nur im Thatenrufe wird ereilt, Der Ehre, die aus nordschem Heidenthume Das Christenthum erweckt zu neuem Ruhme, Der Ehre, die vom Christenthum verschmäht, Doch mit des Kreutzes heiiger Fahne weht, Und wie ein mächtger Zauber statt der Duldung Ihm aufdrängt jeder That für Fraun Entschuldung, Die mit dem Christenwort der Liebe spielt, Und nach viel anderem gar heimlich zielt, Denn freye Frauenliebe ist der Ehre Preis, Gefahrvoll ist die Bahn und glat wie Eis, Ich sag es aus, ich habe es durchschaut, Auf Ehre wird ein neuer Glaub erbaut, In dem das Christenthum sich einst verliert, Und der nur herrscht, der diese Bahn geführt. | Sey du der Weltfürst, zeig im Römschen Glänze, Der ganzen Welt dich selbst im Ehrenkranze, Gieb dich der Liebeley nicht eilig hin, Sie schwächt, sie blendet unsern Sinn, In Thaten suche deiner Liebe höchsten Lohn, Der Pfalzgraf kämpft vielleicht im Felde schon. Johannes. Der Pfalzgraf? Sprich, wie kann ich ihn erstreiten, Ich such ihn hier, kannst du mich zu ihm leiten, Doch meine Seele ist so dumpf gestimmt, Daß sie von dem Geheimniß nicht vernimmt Fürstin. Du hast geträumt im tiefen mystschen Duft, Er ist nicht hier, er jagt in frischer Luft Und folgt dem Herzen und der Sterne Lauf, Ihm ward die Ehre schwerer Wunden Kauf. Johannes. Weh mir! Ο welche Leere nach der Fülle, Kaum fühle ich, daß noch in mir ein Wille, Der schöne Knabe wird im Krieg verwildern, Ich schwindele vor allen Schreckensbildern, Ich will ihm folgen, ihn gefangen nehmen, In meinen Küssen soll er sich nicht schämen.

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Fürstin. Mir schaudert, kannst du dich nicht mehr bezähmen, Gedenk nur ich allein von allen Frauen Kann schweigen, darf als Jungfrau nur anschauen, Den alle Christenheit als Mann verehrt, Um deiner Liebe willen sey von mir belehrt Ruh aus und suche dich mit Ernst zu fassen Johannes. Ach ohne ihn muß ich das Leben hassen, Du bist allwissend, bist für alle klug, Weh mir daß ich je Männerkleider trug. | Johannes in dem Uebermaaße seines Schmerzes sank auf einen Sessel 3|4|6r nieder, die Fürstin gönnte ihm Ruhe, aber er fand sie nicht, es schien die geheimnißvolle Mischung des zweyten Bechers des Bachus, den Chrysoloras mit einwärts laufenden Spirallinien bezaubert hatte, wie jenen ersten beym Goldschmidt, der ihn der Liebe zuführte, mit auswärts strömenden Spirallinien, den Becher selbst angegriffen zu haben. Nicht ungestraft drängt sich der Mensch in das Geheimniß eines alten Glaubens, der Mensch kann nur den Glauben seiner Zeit vertragen: Die Fürstin glaubte den doppelten Becher des Bachus, den wir aus vielen älteren Schriften jezt nur ahnden und aus gelehrter Kenntnis der griechischen Mysterien ahnden jenen der den Menschen im Vergessen des höheren Strebens, der Sinnenlust übergiebt, und den andren der im Schauder an der Mannigfaltigkeit und Unstätigkeit eine Sehnsucht zur Rückkehr in den Geist erweckt, nach ihrem Willen bereiten und vertheilen zu lassen, unerwartet aber wurde sie in ihrem Hauptunternehmen durch das innere Leben dieses Geheimnisses gestört, sowenig läst sich die Welt regieren. Johannes stand mit geschlossenen Augen auf trat gegen einen Metallspiegel | seufzte und winkte, sprach 3|4|6" einige zärtliche Worte so ruhig, als er vorher gestört, abgebrochene, in sich zerrissene geredet hatte Fürstin. Was siehst du, sprichst du mit dem eignen Bild. Johannes. Der Pfalzgraf ist so traurig und so wild, Er sitzt im Kerker unten in dem Schlosse, 331

Textteil Β

Und sässe lieber auf dem flüchtgen Rosse, Und zöge gegen Pandulph in den Krieg, Gott gebe ihm die Freyheit und den Sieg. Die Fürstin schauderte, sie fragte weiter, um zu entdecken, ob nicht dieser Gedanke zufällig in dem Mondsüchtigen Nachtwandler aufgestiegen. Fürstin. Wie ist er denn in dieses Schloß gekommen. Johannes. Die Fürstin hat ihn freundlich aufgenommen, Als er in jener Nacht dem Dolch entfloh, Den über ihn der Papst so todesfroh Im Schlaf gezückt, er trägt zwey leichte Wunden. Da ist er durch geheimen Gang verschwunden, Durch welchen er auch mit dem Papst einst kommen Die Fürstin hat ihn freundlich aufgenommen, Doch bald hat sie ihn zu dem Bett gezogen, Da hat der treue Knabe sie betrogen, Ließ seinen Mantel in der Fürstin Händen, Dafür sitzt er gefangen zwischen Wänden. Fürstin. Ist er denn immer in dem Kerker blieben. Johannes. Er ward geholet zwischen sechs und sieben Entkleidet und mit Flügeln ausgeschmückt, Ein Blumenkranz die edle Stirne drückt, Ein Becher wird ihm in den Mund gegossen, Worin er einen tiefen Schlaf genossen | Aus diesem Schlaf hat ihn ein Schmerz geweckt, Der Papst hat ihn mit einem Dolch erschreckt, Da floh er durch die offne Thüre fort, Jezt seufzt er nun so manches trübe Wort, Daß seine Ehre ging im Kampf verloren, Daß sich der Papst auch gegen ihn verschworen. Länger konnte sich die Fürstin nicht bekämpfen, die Furcht vor dem Nachtwandler bemächtigte sich ihrer, sie hielt ihn für einen Dämon und flüchtete von ihm fort, bey Chrysoloras wollte sie Rath und Hülfe suchen. 332

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Chrysoloras, der mehr von der Sache als die Fürstin wüste und also voraussehen konnte, hatte gehorcht und kam ihr an der Thüre entgegen, hatte mancherley Schriften in der Tasche auch Schreibrohr, Tinte nebst dem Bley auf Kohlen zum Besiegeln. Er sagte ihr, daß der Papst in diesem mondsüchtigen Zustande ihrem Willen unterworfen sey. Die Fürstin durchlas die Schriften, sie waren alle nach ihrer Gesinnung, in dem ersten wurde Raphael als Gesandter des Papstes zu Otto König von Deutschland mit der Bitte um Schutz | gegen die 3|4|7V italiänischen Fürsten eilig gesendet, die Kaiserkrone glänzte als Lokkungswort, ein alter Freund des Papstes wurde dadurch auf lange Zeit entfernt und noch zwey andre Zwecke erreicht, die sich bald deutlich machen. Im anderen erklärte der Papst, daß er häufige Fieberanfälle habe, während welcher er sich ganz seinem neuerwählten Leibarzte dem hochverdienten Chrysoloras übergebe, was er in diesen Krankheitszeiten thue, solle von Chrysoloras gehindert und von niemand befolgt werden, nur der Arzt könne entscheiden, wann er seiner selbst mächtig sey, zugleich ordnete er Gebete an für seine Herstellung. Im dritten erklärte er sich für einen Sohn der Marozia und des alten Raphael, der in frühen Jahren auf unbegreifliche Art aus ihrem Hause geraubt worden sey, er erklärte, daß ein Schwur bis jezt seine Zunge gebunden. Der Grund dieses Schreibens wird sich sehr bald zeigen. Als die Fürstin mit den Schreiben zurückkam stand Johannes noch immer vor dem Spiegel und redete mit sich, er rief ihr gleich entgegen, daß er | bereit sey ihren Willen zu vollbringen und zu unterzeich- 3|4|8r nen. Er schrieb seinen Namen sehr deutlich und besiegelte das fliessende Bley ohne sich zu verbrennen mit seinem Fischerringe. Nachdem er dies vollendet, befahl ihm die Fürstin die Frauenkleider abzulegen und von Chrysoloras begleitet nach dem päpstlichen Schlosse zurückzugehen. Er folgte ohne Widerrede, ging wie ein Wachender die gewohnten Wege hinaus und den Berg herab. Als er aber an die Stelle gekommen, wo er den ersten Becher vom Venusberge getrunken, da sank er auf den Sitz nieder und schlief fest ein. Chrysoloras empfand hier einige Besorgniß, er war allein und wagte sich nicht an ihn, wenn er wieder zu Willen und Bewustseyn gekommen, er eilte nach der Stadt um päpstliche Wachen zu holen, die er durch seinen päpstlichen Befehl in seiner Gewalt hatte. Unterdessen belebte die Weinlese alle Hügel umher, das Volk sprang lustig zum Werk und sah nicht auf ihn, da er, wie wir wissen, verkleidet und ohne Auszeichnung von Hause gegangen war. | Die Ernd- 3|4|8" 333

Textteil Β

ten durchkreuzen sich eigen in Italien, der Wein wird früher reif, und wächst häufig an Ulmen hoch empor, das Korn, welches zwischen steht oft erst gleichzeitig, je nachdem es gesät wird, dadurch wird die Erndte sehr mannigfaltig und konnte den Alten wohl auch als eine Hochzeit der Ceres und des Bachus erscheinen. Diese Vorstellungen beschäftigten den erwachenden Johannes, alles schien ihm Fortsetzung des geheimen Festes, die Scherze des Landvolks ihr Bachusrufen wie sie einen nackten Knaben in die Butte zum Eintreten der Trauben stellten, wie ihre gefleckten Hunde, den Leoparden ähnlich, den verspritzten Saft leckten, wie die Schnitterinnen junge Rhee im Korn fingen, dabey das Tamburinschlagen und die Bewaffneten gegen jeden feindlichen Ueberfall, alles erinnerte ihn an die alte Religion des Dionysus und er glaubte das Christenthum einen blossen äussern Schein der Leute. Da trat ein alter Geistlicher mit einem grossen Kelchglase langsam schreitend einher, wie es schien in ernstlicher Betrachtung. | {Anschluß an 49,7|91r; vgl. F2, Kap. IV,4, 225,29}

(Anschluß an 49,7|92"; vgl. F2, Kap. IV,4, 229,10)

3|4|9r Lange hatte er so gelegen und konnte sich nichts erklären, wie er aus dem Zimmer der Fürstin nach dem Berge gekommen, wie Chrysoloras es wage im Schlosse zu erscheinen und Befehle auszugeben, er dachte umsonst, ein Fieber lähmte seine Gedanken und seinen Muth. Er schlief ein und wachte auf, da sah er die Marozia und den alten Raphael an seinem Bette die ihn als Sohn begrüsten und ihm freudig allen ihren Einfluß in Rom zur Betreibung des Krieges versprachen. Er konnte nichts vorbringen als: Kein Krieg, aber Chrysoloras sagte gleich daß er jezt im Fieber schwärme. Er konnte sich einer gewissen Dankbarkeit gegen die Liebkosungen seiner vermeinten Aeltern nicht widerstehen und das machte die Marozia glücklich, ihr sehnlichster Wunsch war erfüllt, einen Sohn zu haben und dieser war der Herrscher der Christenheit, so wie sie Rom beherrschte. Es war nämlich der alte Raphael nur gegen seine Frau schwach und nachgebend, doch war er es, der sich zum Präfeckten von Rom in einer Zeit emporgeschwungen, | 3|4|9" die sehr ernstlich nach alter freyer Verfassung strebte, so daß man sagen kann alle Versuche der italiänischen Städte sich freye Verfassung zu geben und in immer weiterer Wellenbewegung auch die freyen 334

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Verfassungen deutscher Städte und so nach ein Hauptanstoß zur Bildung der Welt sey von diesem Anstosse in Rom ausgegangen, so daß es sich noch einmal als Mittelpunkt der europäischen Welt bewährt habe. Er und Marozia musten nach dem Plane des Chrysoloras und der Fürstin Rainera so unauflöslich mit dem Papste verbunden werden, damit sich das Volk bey irgend einem Unglücke nicht von ihm losreissen könne, sondern ihn zu schützen für Nationalehre halte. Nachdem sich die beyden Aeltern seiner Ruhe wegen entfernt hatten kam es zu Erläuterungen zwischen Johannes und Chrysoloras. Johannes fragte nach Raphael, Chrysoloras sagte, daß er nach Deutschland auf seinen Befehl abgereist sey, er ließ sich den Befehl zeigen, erkannte Unterschrift und Wappen, ebenso sah er die andern Befehle und verfiel dadurch | in den schrecklichsten Gedanken, daß seine Vernunft Wahn- 3|4|10 sinn sey und wollte sich nichts mehr glauben, doch erhielt ihn seit er den Geistlichen gesprochen, ein heimliches Vertrauen, es könne dereinst noch mit ihm besser werden. Seit er seinen Willen für Wahnsinn hielt, bedurfte es nicht mehr ausserordentlicher Mittel ihn zu beherrschen, er folgte dem Chrysoloras wie ein Kranker dem Arzte und hätte dieser schnöde Lust befriedigen wollen, er hätte nicht widerstanden. Aber Chrysoloras war von der Fürstin bewacht wie ein Gefangener, indem er den Staat beherrschte hätte er oft verzweifeln mögen. Johannes bey der Stärke und Gesundheit seines Körpers war bald hergestellt, er muste jezt mit dem grösten Widerwillen, die Anstalten zum Kriege betreiben, der Krieg war seinem Herzen ein Greuel, die Quelle aller Schlechtigkeit unter den Menschen geworden. Nichts aber stumpft Menschliche Seelenkräfte so ab, wie das Mißtrauen in ihre Kraft und ihr Unterordnen unter einen verhassten Willen. So war es ohne alle böse Gesinnung blosse Vergessenheit, was ihm nachher so | schwere Vorwürfe erweckte, daß er bey 3|4|io der Pferdemusterung im Stalle den Bischof Azo weihete. Sein ganzes Herz war mit dem Bilde des Pfalzgrafen beschäftigt, und oft vergaß er, daß er lebe, in dem Gedanken, so fand ihn eines Tages die Fürstin, als die Reiter eben ausrücken wollten. Fürstin. Du hörst mich nicht, du siehst zur Erde nieder, Du steckst den Kopf ins eigene Gefieder!

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Textteil Β

Johannes. Ο jener letzte Trunk ward bittre Qual Ο sah ich nur den heiigen Kelch noch einmal, Der den Ermüdeten mit seinem Anblick stärkte, Ach daß ich mir des Greises Wort nicht merkte. Fürstin. Du hast von diesem Mann mir oft gesagt, Der mit dir sprach, als es so hell getagt, Ich ließ ihn suchen, kann ihn nirgend finden, Er kann doch auf der Erde nicht verschwinden, Gewiß es war ein Traum wie jene andern Der Pfalzgraf muste wohl zum Himmel wandern, Johannes. Hartherzige so schenk mir nur den ersten Becher Der Sehnsucht wieder, daß ich doch nicht schwächer Ein andres Wesen auf der Erde triebe, Weh mir, daß ich die heisse Lust verschiebe, Die dunklen Nächte könnten mir entziehen, Wonach die Sinne aller Welt sich mühen. Fürstin. Nicht zweymal last sich dieser Becher trinken, Ich seh ihn noch aus ferner Jugend blinken. Er weckt ein flüchtges Wüthen in der Güte Und stirbt in Sehnsucht nach verflogner Blüte, | Es ist vorbey sey deinem Amte treu, Denk nach ob nicht die Liebe thörigt sey, Ich schwöre dir in ihrer Höchsten Freude, Gedenk ich stets an Thaten recht mit Neide, Daß ich die Zeit nicht besser brauchen kann, Sey frey von ihr, du wirst ein ganzer Mann. Sieh her wie ziehen lustig da die Krieger, Bald kehren sie als hochbekränzte Sieger, Es dehnt sich deine Macht, die goldne Rose, Des Grafen Wunsch, erstreitet kein Gekose, Sie will auf blutgem Feld gebrochen seyn.

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TF3

Johannes. Aus Lieb zu ihm geh ich in Krieg allein. Fürstin. Heut nicht, doch führe sie mit Muth hinaus, Erst eigne dir durch Lieb der Aeltern Haus. Die Reiter sangen vorüberziehend. Wir geistlichen Reiter sind wohlgenährt Und keiner fürchtet sich vor seinem Pferd, Wir fürchten nicht Regen, wir fürchten nicht Wind Weil wir mit warmer Rüstung versehen sind Wir fürchten uns auch nicht das Blut zu sehn, Weil uns die Feinde all aus dem Wege gehn, Wir fürchten nicht den Staub und nicht den Koth, Weil uns der Papst dafür das Weihwasser bot, Das christliche Kreutz ist unser Speer: So ziehet in die Schlacht das päpstliche Heer. Chrysoloras kam ängstlich herauf und berichtete, daß das Heer seine Löhnung verlange und daß kein Geld im Schatze. Johannes muste sich entschliessen die goldnen Krucifixe | und Kelche aus der Kirche holen 3|4 zu lassen, das nöthige Geld von den Juden zu leihen. Tief betrübt sich zu solchem Frevel brauchen zu lassen, setzte sich Johannes auf sein Tigerroß und führte das Heer aus der Stadt, sein Herz betete, daß sie den Feind nirgends antreffen möchten, aber sein Mund muste nach Chrysol(or)as Willen ihnen Muth im Segen zusprechen. Dann kehrte er zurück zu seinen vermeinten Aeltern, seines Verstandes ungewiß, eben so ungewiß über seine Herkunft war es ihm ein wohlthuendes Gefühl zu einem Lebenskreise von Menschen durch die Geburt zu gehören. Als er sich aber in diesem Kreise umsah, welch ein Grauen erfüllte ihn, er zweifelte an seinem Herzen wie an seinem Verstände, da ihm alle eingeborne Neigung des Blutes fehlte, als er nichts in sich fühlte, wenn die Mutter Marozia ihn umfasste, als einen Widerwille^), in solchem Greuel seines Lebens ersten Keim gefunden zu haben, | ja die Schande, welche trotz aller Macht und alles Reichthums 3|4 ihre Buhlerey auf sie zog, den Spott öffentlicher Lieder, der auch gegen ihn jezt gerichtet war fühlte er so tief, er fühlte sich das zweifelhafte Kind der Schande und wälzte darauf seine Fehler und sein Unglück und hoffte doch, daß ihm verziehen werde. Er wagte oft sein Auge nicht zur Sonne zu erheben, so scheu vor aller Welt flüchtete er 337

Textteil Β

unter dem Vorwande der Jagd, der die italiänische Geistlichkeit allen Verboten zum Trotz ganz öffentlich mit Leidenschaft nachging. Seine Menschenscheu bey allem was er that, machte ihn zum Spott des Volkes, niemand achtete ihn, um so ruhiger war er sich selbst überlassen und dachte des Pfalzgrafen, wohin er entflohen sey, daß niemand ihn entdecken könne. Immer trauriger und wilder wurde sein Gemüth, er suchte das Schreckliche in der Natur und das Schreckliche in der Geschichte. Das Geschrei der Raben lockte ihn wie Nachtigallensang den Verliebten und so führten sie ihn an einem Sonntage Morgens zu der Richtstätte vor der Stadt, wo wenige Tage vorher einige bilderstürmende Mönche aus Griechenland gerädert worden. Ein schönes steinernes Crucifix sah milde zu ihnen nieder, ungeachtet sie es verschmähet hatten und Johannes erschien sich wie einer der Missethäter. Da fühlte sein Herz kurze Beruhigung von Liebe und Schande und er betete mit wunderbarer Wiedergeburt im Geiste: Wer hier kein Auge hebt Zum irdschen Licht, Und immer fürchtend bebt, Gott seh ihn nicht Dem geht ein innres Auge auf Und zeigt ihm seinen Lebenslauf. * Wer in der Schande lebt Der kommt zu Gott Sein scheues Haupt umschwebt Der Menschen Spott Wie den Geräderten die Raben, Sie wollen seine Augen haben. | 3|4|12"

Nehmt hin der Augen Licht Verschliest die Welt, Nein ich gebrauch euch nicht, Ich bin erhellt Von einer andern Sonne Schein, Gesegnet soll die Schande seyn. Schlafloses Denken fort, Fort Zweifelmuth 338

TF3

Fort von mir tönendes Wort, Fort sündiges Blut In Christi Wunden tauch ich mich, Auch er erhob aus Schande sich! | 5

( A n s c h l u ß a n 4 9 , 8 | 1 ' ; v g l . F2, K a p . V , 1 ,

237,1)

339

(Anschluß an 49,3|1|6"; vgl. F2, Kap. 1,2, 17,1)

Und nicht durch Worte, nein durch blutge That, Und nicht durch eigener Vollendung Rath Nein durch ein Leben mit der irdschen Masse, Der Liebe Reich kann opfern meinem Hasse Erhöre mich und denke aller Mühen, Mich deinem Dienste lernend zu erziehen, Wie ich auf jeden Wink von dir gelauert, Und jeden Schmerz aus Neugier ausgedauert, Gedenk, wenn du mich ohne Lohn last schmachten Wer wird ο Wissenschaft nach dir noch trachten. (Das Kind schreit unter der Glocke) Luzifer. Was klingt in meinen Ohren, welcher Ton, Ists Sehnsucht, die mich täuscht, mit bitterm Hohn, Ich wage nicht nach meinem Glück zu blicken, Doch immer neu erhebt sich mein Entzücken. Ich habs entdeckt und nicht durch Zaubers Gunst, Durch eignen Scharfsinn allerhöchste Kunst, Den Menschen frey vom Menschen mir zu bilden, Wie blickt mich an das Kind in den Gefilden Der starren Nacht und kalten Erzeswellen, Die ihm den Fuß nicht netzen, doch erhellen Wie stösst es klingend an die harte Luft, An die kristallne hochgewölbte Gruft, Du bist aus meinem Geiste ausgegangen, Dir seh ichs an, hast Augen wie die Schlangen, 341

Textteil Β

An Händ und Füssen hast du Klaun wie Tieger, Gewiß du bist dereinst des Nazareners Sieger, Geduldig, denk daran, daß du ganz mein, Du hast da Sauerstoff genug zum Seyn, Laß dich doch recht beschaun, ja irr ich nicht, Du bist ein Mädchen sagt mir dein Gesicht | Ganz recht so sollt es seyn von einem Knaben Entstand das Uebel das du sollst begraben. Und ein Geschlecht bekämpft das andre stets, Wärst du doch ich, ich neide dich, ich thäts Gern selbst, doch da es nicht kann anders seyn So steig heraus, du bist doch wenigstens ganz mein. (Er nimmt das schreiende Kind heraus) Luzifer. Wie wunderlich nun ich des Kindes Daumen Beseh ob's zaubern kann da find ich Flaumen An seinen Armen wie der Engel Schwingen, Das darf nicht seyn, es könnte mir entspringen Die rupf ich ihm mit allen Wurzeln aus, Das schreit, das schreit nun ist zuend der Graus. Was will das Kind, es saugt an meinem Finger, Ach wenn ichs nähren könnt! wär Lilith jünger Sie wüste Rath! Kein Thier wohnt hier im Land, Seit ich mit meiner Küch den Berg verbrannt, (Das Kind schreit grimmig.) Verflucht Geschrei, ich halt es nicht mehr aus, Was ich gewünscht wird mir zum rechten Graus, Es regt sich eine bittre Bosheit mir, Ich möcht zerprügeln dieses kleine Thier, Es schneidet mir der Ton im Eingeweide, Ach wär ichs los, ich schrie noch mehr vor Freude, Es friert ihr wohl, es sollt mich nicht verwundern, Ich hüll es ein doch schreits noch in den Plündern. He irr ich nicht, es geht der Spiegelglanz Hoch oben an des Kraters holem Kranz Und schauet bey dem ersten Sonnenschein Zu meinem Schornstein gierig schon hinein, 342

Er hat den jungern Plinius in Gedanken | Er möchte übersteigen alle Schranken, Die bildende Naturkraft Menschen setzet Er hätte sich so gern daran ergötzet, Wies in Vulkanen zugeht zu erfahren Er ist der ärgste Narr in alten Jahren, Er weiß es nicht und ist mir dennoch eigen. Ich will mich wie sein Freund Plotin ihm zeigen. (Er verwandelt sich in einen fetten Griechen) Wie bin ich lächerlich in der Gestalt. Und setz mich her — er kuckt durch einen Spalt. Er soll für mich das seltne Kind aufziehen, Ich nehm den Lohn, und er die ersten Mühen! Spiegelglanz. He Salve theurer Freund, wie bist du kommen, In diese Höhl(.) Am Eis bin ich geklommen, Daß meine Haut mir ganz zerrissen blutet, Wie traf ich dich allhier so unvermuthet, Du übertrifst mich doch in allen Dinge(n) Nun muß es dir auch mein Plotin gelingen, Vor mir zuerst in die Natur zu dringen. Luzifer. Steig diese Leiter nur herab gefällig So sprechen wir hier ganz bequem gesellig Vom mächtgen Bau in schwärzlichen Basalten, Und wie die Küche nimmer kann erkalten. Spiegelglanz (steigt herab) Sieh da(.) Ich bin bey dir, wir beyde theilen Den Ruhm in diesem Innern zu verweilen; Das sieht ja wunderlich in diesen Räumen aus, Welch chemisches Geräth erfüllt das Haus. Luzifer. Doch sieh dies Kind, das ist erst recht ein Wunder, Das fand ich hier im Glas bey altem Plunder, Gewiß ist das vor Adamas hier innen, Und wird sich viel vom Paradies besinnen. 343

Textteil Β

Spiegelglanz. Von Kröten las ich wohl in Steinen eingeschlossen Die bey dem Sprengen an das Licht gestossen Ihr ungeschwächtes Leben kriechend zeigten, Doch nie von Kindern die nie Gatten zeugten. Mit diesem Kind da ließ sich viel versuchen, Das weiß noch nichts vom Apfel dem wir fluchen. Luzifer. Du willst es wohl zum Bösen auch verleiten Spiegelglanz. Behüt mich Gott, ich möcht es nur bereiten Auf dieser Welt zweyschneidige Gestalt, Ach wäre ich nur nicht so eisig alt Ich möchte wohl das liebe Kind erziehen Und sieh das Feuer kennt es wie ein andres Kind Es schreit, ο gieb es mir mein Freund geschwind. Luzifer. Du willst es Freund, ich ehre dein Bemühen Doch sag ich dir es ist ein mächtig Kind! Nimms hin, doch denke, daß sein Hauch den Wind Erregte der die Flammen auferweckte, Die Thier und Menschen rings am Berg erschreckte. Spiegelglanz. Trau mir, ich weiß in meiner Schul zu bändgen, Die Uebermüthgen weiß ich zu elendgen, Auch seh ich gleich mit meinem scharfen Blick, Nur dieser Apparat macht dieses Kindes Tück, Und sperr ich diesen Geist statt unter klare Glocken Im trüben Zimmer ein, ach bald wie trocken Wird da die wilde Kraft, der Brunn versiegt, Der Spiritus Sylvester ganz verfliegt Luzifer. Das treibe nach System mit Eigensinn, Und sieh nicht drauf, wo es dich führet hin, So wird das Kind uns ganz ergeben werden, Jezt sorge nur für Nahrung auf der Erden 344

Versuch was dieses Kind m i t lustigem Gedeihen Für gut erklärt nach solchem g r i m m e n Schreien Ich weiß du kannst so etwas klug einrichten, So überlaß ich dir das Kind und die Geschichten Die ich in dieser Höhle hab gefunden, Beym Kinderschrei, es n i m m t m i r die Gedanken Ich m u ß hier fliehn, mir schwindelt wie den Kranken. (Er steigt an der Leiter empor) Spiegelglanz. Leb wohl m e i n Freund, ich will das Kind schon pflegen. Ο heiiger Gott, das n e n n ich deinen Segen, Ein Tag beschert m i r aller W ü n s c h e Ziel Die Theorie der Erd wird Kinderspiel, Die ganze Welt ist m i r n u n aufgeschlossen, Ein Wunderkind hab ich zum Schulgenossen. | Doch gramvoll ist, daß ich den R u h m m u ß theilen Fast möcht ich glauben bey des Griechen Eilen D a ß er m i r dieses Kind so überlast, Sey Tücke nur, ich halt die Leiter fest, Er könnte sie nach oben sonst entziehen Und ich erstürbe bey des Berges Glühen. Er m u ß zurück, ich steige i h m voraus, Was treibet mich, schon bebet dieses Haus. Luzifer. Was thust du Freund, du schwankest m i t der Leiter Mir schwindelt schon, ich falle, k a n n nicht weiter, Ich sehe alles doppelt und in m e i n e n Lenden, Erbebt der Frost u n d starrt in m e i n e n Händen. Mir ist, als war ich gar nichts und die Schwere alles, Ο Gott erbarm dich meines g r i m m e n Falles. (Er stürzt herunter) Spiegelglanz. Mein Freund, ach welches Unglück must uns trennen, Die Leiter wollt in meinen H ä n d e n brennen, Sie stand dem grossen Feuer viel zu n a h e Erwachst du nicht n u n ich dich sanft u m f a h e Es zuckte meine Hand, als ich die Leiter hielt, 345

Textteil Β

Nie hat das Unglück solchen Streich gespielt. (Er untersucht ihn) Er lebt nicht mehr, es war nicht meine Schuld, Gott weiß es, und ich hoff auf seine Huld, Ich wünschte seinen Tod ich leugne nicht, Gedanken sind doch frey, wie jeder spricht; Daß meine Hand gezuckt, das kam vom Feuer, Sie ist gestraft und wäre ich ein Schreier Wie dieses Kind, ich könnte schrein und klagen, Kaum weiß ich meine Hand vor Schmerz zu tragen. Welch dummer Einfall, daß ich ihn beneidet, Er war mein Freund, ich fühl es, da er scheidet, Wie wurde ihm der rasche Tod so leicht, Ja endlich werden mir die Augen feucht, Ο süsser Trost am Grab des Freunds zu weinen, Die Ewigkeit wird uns dereinst vereinen, Des Ruhmes will ich viel für diesen Todten stiften, Und dieses Kind sey jezt aus finstern Grüften Emporgehoben zu dem hellen Tage, Daß seine Liebe stille meine Klage. Doch vorher will ich diese Leiter stellen, Daß nicht der Tod uns dreye kann gesellen, | Spiegelglanz (oben mit dem Kinde) Ward Romulus doch stark an einer Wölfin Brüsten, Die Wölfin heulet, die den Schlitten mir gezogen, Als ob sie dieses Kind in Liebe grüsten, Die ganze Welt ist meinem Plan gewogen Sie trägt mir auf in ungeheurem Werke, Da darf kein Mittel mir versaget seyn, Dem armen Freund da drunten fehlte Stärke, Es sollt so seyn, daß dieses Kindlein mein, Ich wag es nicht mit dem Geschick zu streiten, Ich opferte ihm alle Erdenlust, In aller Noth must es mich vorbereiten Nun häufts den höchsten Lohn auf meine Brust, Es dringt mir auf Geheimnisse und Thaten, Mich sollte dieser Grieche nicht verrathen. 346

F1 E r starb, ich lob ihn weiter und vollende Wobey ihm zitterten die schwachen Hände. Luzifer steigt als eine Aschenwolke mit Fledermausflügeln aus dem Krater empor und umflattert das Haupt des Spiegelglanz 5

Heil dir, Heil dir du Gottessohn! Spiegelglanz. Wer ruft dich Kind mit mächtgem Ton? Luzifer.

10

15

20

Heil dir ich bin der Engel Gabriel Ich grüsse dich du alles Heiles Quell, Es giebt nur einen Gott, der wohnet tief, Und dieses Kind an seinem Busen schlief, Der Gott der Höhe ist der Feind der Welt, D u bist dem Kinde als Prophet gesellt, Durch meine K r a f t sollst du viel Wunder thun, Doch laß noch dies Geheimniß in dir ruhn, Bis dieses Kind in allen Künsten mächtig Den heiigen Stuhl besteigt, vor dem andächtig Des falschen Gottes Schaaren dienend knieen, D a n n sollst du vor der Welt in Worten blühen, In Wundern dieses Kindes Macht bewähren, Bis dahin suche treu das Kind zu nähren. Spiegelglanz.

25

30

Ich höre dich ich schwöre deinem Willen, In Demuth lieg ich Grosses zu erfüllen. U n d jedes deiner Wort hauet sich in Erz, So fasset dich mein Kopf und auch mein Herz, | Verlaß mich nie, wenn ich dein Wort bedarf, Sey meine Seele deiner Freuden Harf Und spiel darauf mit deinen Segensfingern, Ich will vergrössern nicht und nicht verringern Nein treulich wie ein Spiegel deiner Worte So zeig ich dich in meines Mundes Pforte Luzifer.

35

Heil dir, doch halt geheim den ewgen Bund, Ich löse deine Zunge, thu dir kund

347

3|i|ior

Textteil Β Die beyden Sprachen, die gelehrt genannt, Latein und Griechisch sey von dir erkannt Nach aller Regel Ausnahm und Gewalt Erscheine jung ob gleich du grau und alt, Erscheine hochgelehrt und wisse nichts, Und jede Schule freu sich deines Lichts. Spiegelglanz. Dank, dank ich fühl mein Haupt gesegnet rauchen Und möchte dich mein Gabriel noch schaun, Kannst du die Asche mir vom Auge hauchen, Ich werde nicht vor deinem Glanz ergraun Kannst du die Gluth von meinen Lippen kühlen Mit einem Kuß von deinem süssen Mund, Kann ich durch dich auch wieder Jugend fühlen, So weck auch Liebeskraft im Herzensgrund. Luzifer. Apostel Gottes deines Weges denk, Du überspringst in Wünschen alle Mühn Was deines Lebens höchstes Preisgeschenk Das kannst du nicht als Handgeld dir einziehn, Wenn du erreicht, was dir ist aufgetragen, Wird dir im Kind der Liebe Herz neu schlagen. ( E r verschwindet, helle Sonne, Morgenwind.()) Spiegelglanz. Der Morgenwind entführt den Aschenregen, Doch nicht das Kind, das mir a m Busen weint, Kein Engel mir auf weiter Flur erscheint, Doch führt er mich auf diesen Gnadenwegen E r hat mit diesem Kinde mich vereint, Zu ihm soll sich mein Herz einst wieder regen, In L u m p e n ist versteckt des Himmels höchster Segen, Ich werf sie fort, damit der Gott erscheint. | Ein Mädchen ist das Kind das in den Klüften Geheimnißvoll und unerkannt nur ruhte, W i e jubelt meine Wonne allen Lüften. W i e zittert meine Hand, wie tobt's im Blute,

348

F1 Die L i e b verschließ ich jezt in Herzensgrüften, Bis sie entwächst als Göttin meiner Ruthe. (Spiegelglanz klimmt mit dem Kinde nach dem Schlitten und fährt den Berg herab) |

5

10

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30

35

2.

3|i|ir

Das Vorspiel grosser Begebenheiten, die Absicht des betrogenen Teufels durch ein Kind, das er geschaffen, das nicht von Gottes Hauch in sich trüge den Thron des Papstes sich zu gewinnen, ist uns aus seinen Reden deutlich geworden, daß er aber mit keinem Kinde sich abgeben und es nicht selbst aufziehen konnte, das brachte sein Unternehmen in die Gewalt eines Menschen, der so entfernt von Gott doch immerdar noch eins seiner Geschöpfe und manchem menschlichen Verhältnisse gebunden blieb, dem er eigne Absichten dabey gönnen muste und den er nur durch die versprochene Prophetenstelle bändigen konnte. Spiegelglanz k a m glücklich vom Berge herab, nehete das Kind in einen Wolfpelz und ließ es wie einen jungen Wolf im Stalle von der Wölfin aufsaugen. Nach einem Jahre, sobald es die gewöhnlichen Nahrungsmittel ertragen konnte, sperrte er es in einen eisernen Kasten, setzte sich zu wollte nach R o m , wurde aber an die nordfranzösische Küste verschlagen. Nun war er auf der einen Seite sehr neugierig die Entwickelung der Ursprache in dem Kinde zu beobachten, auf der andern Seite zwang ihn die Noth | Unterricht in den beyden gelehrten Spra- 3|1|11V chen Griechisch und Lateinisch zu geben. Beyde Zwecke zu erreichen brachte er das Kind in einer Gypshöhle am Montmartre unter, wo er selbst es heimlich und stumm, daß es kein Wort vernehme aufzog, während er als Lehrer der Hauptschule zu Paris das Schrecken der Jugend durch seine Strenge und das Staunen der Gelehrten durch sein Vielwissen wurde. So waren zwey Jahre vergangen, ein neues Maylicht grüste in den hellen grünen Gefilden mit unendlicher Lieblichkeit und er beschloß das Kind vor Sonnenaufgang auf den Berg Montmartre zu tragen, daß es im ersten Anblicke der Sonne ihren Urnamen verwundert ausspräche. Der Ort war so abgelegen daß er mit Sicherheit auf ungestörte Einsamkeit rechnen konnte, aber die leichtsinnige Liebe spielte seinem gelehrten Ernst einen Streich. Ein junger Römer, Raphael genannt, hatte sich am wenigsten unter das Schul) och des Meister Spiegelglanz fügen gelernt. E r war ein Wunder von Schönheit

349

Textteil Β

in der ersten Entwickelung seiner männlichen Kraft, mit seinen Schwestern durch den Haß ihrer Schwiegermutter der berühmten Γ 3|1|12 Marozia zu entfernten Verwandten in Paris | verbannt, bey denen sie dort im Hause lebten. Gern strich er in der Welt umher, verlief sich alle Schulgedanken und ging leichtsinnig der Tochter eines Bauers, die 5 sich Marton nannte, in die Arme. Alle Morgen schlich er in Ehren zu seiner Marton und da die Aeltern nichts dagegen hatten, wie denn in jenen Zeiten noch wenig Umstände beym Heirathen gemacht wurden, so beschloß er sie am ersten May zu heirathen und ein Landmann zu werden. Heimlich hatte er alles betrieben und ohne seinen Mitschü- 10 lern etwas davon zu entdecken, sie zu einem Trinkgelage auf die Nacht eingeladen. Bald schwärmten sie mit den Flaschen zum Thor hinaus den Sonnenaufgang zu sehen. Ihr Jubelgeschrei im Felde hörte Spiegelglanz als er das Kind von der dunklen Binde befreyen wollte, die noch seine Augen umgab, nachdem er es auf den Hügel getragen 15 3|1|12" hatte. Er sah sich um und bemerkte nichts, da fielen | ihm wieder seine Versuche ein. Wir hören ihn sprechen. | (Anschluß an 49,3|1|13r; vgl. F2, Kap. 1,3, 22,19)

(49,3|1118-277 (Anschluß an 49,3|1|17v; vgl. F2, Kap. 1,3, 31,2)

3|i|i8'

20

Du hörst mich nicht mein hoher Gabriel, Du schweigst mein Kind und lächelst still erfreut. Luzifer als Krähe schreit Cras, Cras, Cras. Spiegelglanz.

25

Die Krähe schwätzt ihr träg lateinisch Wort, Als ob der Regen noch nicht von ihr fort, Doch mahnt sie mich ans schöne Römerland, Ich trag mein Kind sogleich zum Tyberstrand, Daß es ganz nach dem Schauplatz seiner Grösse

30

Sich an dem Geist der neuen Zeiten messe. Die Wachtel im Grünen Liebe Gott. Das Kind. Liebe Gott.

35 350

F1 Luzifer. Weh mir, ich kann es nicht hören, Ich möcht sie zerstören. Spiegelglanz. 5

Der Wunder Andrang kann uns leicht bethören Ich meinte von dem Kinde Deutsch zu hören Die Wachtel. Lobe Gott! Das Kind.

10

Lobe Gott! Spiegelglanz.

15

Ο heiige Kraft die mich so rasch belehrt, Der Sprachen erste ist mir nun beschert, Und meines Volkes Stamm ist ihr geweihet Daß ihm der Herr die eigne Rede leihet. Ο Gabriel wie möchte ich dich preisen Ich folg der Stimm, ich will nach Deutschland reisen | 3|1|18V

Luzifer (Vor sich) Mit Steinen will ich dich belehren 20

Daß du nicht sollst auf Lügen hören. (Es fallen Steine herab) Spiegelglanz.

25

30

Ein neues Wunder hemmet meine Tritte, Es fallen Steine in des Weges Mitte, Und schlagen tief im weichen Boden ein, Ich kenne wohl die bösen Teufelein, Die mich auf meinem Wege möchten hemmen, Doch der Prophet wird sich entgegenstemmen, Ο Gabriel du schützest deinen Freund Vor seinem ewig unversöhnten Feind. Wachtel. Traue Gott Kind. Traue Gott 351

Textteil Β

Spiegelglanz. Du bist es heiiges Kind, das mich ermahnt, Von dir mag ich die Lehre gern empfangen, Dein deutsches Wort hat mir den Weg gebahnt, Du stilltest mir das heisseste Verlangen, Der Ursprach folg ich, die du mir erfunden, In Deutschland zieh ich dich in fleisgen Stunden. (ab) Luzifer. Verdürb ich nicht mein ganzes Unternehmen, Ich drehte heut schon um sein dürr Genick, Es will mich Gott doch überall beschämen, Im kleinsten Vogel wirkt sein kluger Blick, Und wenn ich meinen Plan fast ganz vollbracht, Gott einen Strich durch meine Rechnung macht. Zum Römerland sollt ihn mein Rabe führen, Denn manch Verderben schützet da den Trug, Verfluchte Wachtel gleich sollst du krepieren, Mein Geyer zieht schon über dir im Flug, Da weiß sie sich im Grünen zu verstecken, Und alles Grün will sie mit Liebe decken. | Ο hätte ich noch meinen Oferus, Der würde gleich sein künstlich Netz ausstellen, Ich sah ihn heut mit mächtigem Verdruß, Er betete dort an des Rheines Wellen, Und wenn die frommen Pilger wandernd kamen, Trug er sie übern Strom in Gottes Namen. Was hilfts, daß ich die Brücken reisse ab, Und manches Schiff im Binger Loch zerstücke, Er geht an seinem hohen Tannenstab, Und dienet schwimmend da als Brücke, Ich hoffe daß ich einen Heiden finde, Der ihn mit Schwerdt und Lanze überwinde (ab) Marton, die Braut Raphaels, war mit einem frischen Weinkruge auf die Höhe des Montmartre beschieden und konnte, so laut sie schrie, weder ihn noch seine Kammeraden finden, endlich kam sie in die 352

F' Nähe, wo er lag, fast ausser Athem, weil sie an dem Kruge so schwer trug und zur Hochzeit schon recht schön eingeschnürt war Marton. 5

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15

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25

30

He Raphael, du last mich auch so laufen Fast hätt ich mir den neuen Rock zerrissen Ich muß mich einen Augenblick verschnaufen Wo sie nur stecken, möcht ich wissen. Die schlimmen Knaben Die lassen mich so traben An meinem lieben Hochzeittag, Wo jede Braut sonst stille sitzen mag | Und sich bedenken Wie Gottes Wege sie nun lenken. Zur heiigen Marta wollt ich beten. St Dionis ich krieg den schönsten Mann, Den man auf Erden sehen kann, St Dionis, da liegt mein Herr und schläft, Und thut, als ob er mich nicht herbestellt, Hat mich behorcht, das nenne ich geäfft, — Er schläft doch wirklich — wie er mir gefallt, Ich habe ihn so lieb, Daß ich recht gerne Kurzweil mit ihm trieb, Ich will ihn necken Und mich verstecken. Ich kanns nicht sagen, So hab ich ihn noch nie gesehn, Als wenn in frühen Tagen Des lieben Gartens Blumen duftend wehn, Da möcht ich nicht allein den Straus mir pflücken, Ich möchte mich vergessen im Entzücken Und auf den Blumen träumend ruhn Und hätt ich noch so viel zu thun. (Sie kniet neben ihm nieder())

35

Und wenn er nun erwachte, Da müst ich verzagen, Er lachte Und würde es nicht wiedersagen. | 353

3|1|19V

Textteil Β D a r u m stopf ich i h m den M u n d M i t e i n e m Kusse u n d Mit hundert D a ß er sich h u n d e r t J a h r e v e r w u n d e r t ! (Sie küsst i h n ) R a p h a e l e r w a c h t aus der B e t ä u b u n g , in welche der Scheinblitz Luzifers i h n geschmettert u n d e r k e n n t allmälig erst seine Geliebte Ist dies der Blitz, der m i c h u m s c h l u n g e n Ist dies das Kind, das ich gesehn? Was h a t m i t Schmerzlust m i c h d u r c h d r u n g e n , W i e ist i m Schlafe m i r geschehn! Bist du es M a r t o n , die m i c h weckte D u weist es n i c h t wie tief ich schlief, H a s t d u den Blitz gesehn, der m i c h erschreckte, Er h a t t e eine S t i m m e schrecklich tief. Marton. Was ist dir Raphael, verwirrt D e i n A u g durch alle Büsche irrt, D u suchst nach andern, findest m i c h Das k r ä n k e t dich. Raphael. Wo ist der Docktor, den der Teufel heckte War das ein T r a u m , als ich hier schlief, D a ß ich m i t e i n e m schönen Kind i h n neckte, Als er m i c h trotzig hier zur Schule rief. Bist du v o m H i m m e l m i r gefallen D e r Donnerkeil, der m i c h d u r c h g l ü h t , Ο f ü h l wie m e i n e Pulse wallen U n d wie d e i n M u n d m i c h an sich zieht. Marton. Ο laß das Sprechen, küsse nur, D e n n ich verliere sonst die Spur, Die m i c h zu d e i n e m M u n d e lenket. E i n Wort ist aller Welt geschenket | Ich seh m i c h eifersüchtig u m W o h i n es fliegt in stolzem R u h m ,

354

Es ist ein Kuß in Luft verklungen Sie trägt es fort und hats bezwungen Was dir geraubt, was du verschenkt, Ach beydes schon die Liebe kränkt. Raphael. Ο Marton reicher Lebensbronnen, Der heut in Küssen überläuft, Doch wie ich wieder auch besonnen, Die Furcht zu träumen mich ergreift, Ich fühl mich matt, ich fühl mich satt Und mein daß alles könne enden, Denn wo mein Feind gestanden hat, Da ruhst du jezt auf deinen Händen, Ich bitt dich laß mich nur besinnen, Wie ich den Docktor höhnend schalt, Mit Lieb wollt ich das Kind gewinnen, Ich wollts ihm nehmen mit Gewalt. Marton. Laß doch das Kind, es wird sich zeigen Ob du verstehst die Kinderzucht, An lieben Kindern die uns eigen, Dies schenk dem Traum auf seine Flucht, Laß jezt des Traumes Zauberey, Er lebte wahrlich lang genug, Er starb am Kuß vom frohen May, Mein Kuß ist wahr und kein Betrug, Bald ists erlaubt, uns ganz zu kennen! Raphael. Bald haben wir ein Bett, ein Haus. Marton. Sieh wie die Leut zur Hochzeit rennen Und schmücken sich mit Veilchen aus. Raphael. Bewahr dies Veilchen als ein Zeichen.

355

Textteil Β

3|1|2Γ Marton. Ich küß es auf, damit ichs nicht verliere Und will den frischen Trunk dir reichen Daß jedes hat, was ihm das Herze rühre. Raphael.

5

Du hast erfüllt, was mir im Wachen träumte, Und löschest aus, was mir im Traum erwacht, Wo ist die Zukunft, die mich angelacht, D u tränktest mich, daß mirs im Geiste schäumte Ich sah ein Kind auf hohen Thron gebracht Mit Papstes Krone, alles ungereimte Was auf der Ahndung schwarzem Haupte keimte In deines Rausches zaubervoller Macht Dein Kuß hat mich in andern Rausch gewiegt Ο hüte mich vor jener Kraft vom Wein, Er hätte fast der Liebe Kraft besiegt, Wir sammeln fleissig unsre Trauben ein, Und hüten uns, daß er uns nicht belügt,

10

15

Denn aus den Trauben gährt der Gott vom Schein. (Sie gehen ab) |

20

3|1|21 Ein Schüler. V

Wir dürfen nicht den armen Freund verlassen. Ein andrer. Er ist doch fort, den wir von Herzen hassen? Ein dritter.

25

Ich sehe niemand, alles ist hier still. Erster. Nun sage jeder, was er meint und will. Ein andrer. Erst suchen wir den Freund!

30

Ein dritter. Ich fürchte mich, Gewiß erscheint er ganz entset(z)iglich.

356

F1 Ein andrer.

5

Der arme Raphael, er wird begraben Hier hinter dieser Büsche Dunkelheit, Damit er nicht zur Beute wilder Raben, Dann leugnen wir ganz dreist den bösen Streit. Ein Schüler. Wo er geblieben, müsten wir doch sagen. Ein andrer.

10

Es stirbt so mancher, wer wird danach fragen, Und Spiegelglanz wird es gewiß verschweigen, Damit wir nicht die Sache mit dem Kind anzeigen. Ein andrer.

15

Ich mein, wir schneiden ihn in kleine Stücken, Verbrennen die am Feuer in der Still, Ich sah schon oft des Zufalls alte Tücken, Gern deckt er auf, was man verbergen will. Erster. Ihr rathet wie der Todte zu bestatten, Und ahndet nicht, daß er uns schon entführt,

20

Andrer. Vielleicht daß ihn der Docktor schon secirt, Und steckt in Spiritus des Todten Schatten. Erster. Ο weh wie wird er ihn als Geist noch quälen.

25

Andrer. Schweig still, da lassen zweye sich vermählen. Dritter. Ey seht da kommt ein fröhlig Bauern Paar, Die lassen sich in der Kapelle trauen.

30

Erster. Der Bursche gleicht dem Raphael aufs Haar Ich seh ihn an und kann nicht satt mich schauen. | Wie steht ihm schön die plumpe Bauerntracht, Wie freudig er zu seinem Mädchen lacht. 357

3|1|22'

Textteil Β

Chor der Bauern. Jung gefreit Hat nie gereut Lustig, heisa, Hochzeit Hätts der Vater nicht gethan Könnten wir den Sohn nicht führen Auf derselben Ehrenbahn Hat der Predger die Gebühren, Sitzen wir beym alten Weine, Such die Liebesbahn allein: Lustig heisa Hochzeit Raphael. Sieh nieder Marton, sie(h) da stehn Die Schüler all die mich ansehn, Sie kennen mich und zweifeln doch, Weil ich in Bauerkleider kroch. Marton. Ich seh nicht nieder, lach sie aus, Die haben weder Stall noch Haus, Die haben weder Tisch noch Keller In ihrem Sacke keinen Heller. Raphael. Versteh mich recht auf heiigen Wegen, Nicht ärgert mich daß ich den Degen Mit einer Mistfork hab vertauscht, Ich hätte sie nur gern belauscht, Was sie jezt unter (sich) da sagen. Marton. Wer wird nach allen Narren fragen. Raphael. Ich hab dich nimmer so gehört, Wie jezt, nun du mir getraut, Ich mein du hast mich mehr geehrt, Als ich dich nannte meine Braut.

358

Marton. W i r dürfen uns n u n nicht m e h r zwingen, Ich Sprech mit dir von allen D i n g e n Als spräche ich m i t mir allein, Jezt gilt nichts m e h r der falsche Schein Raphael. D u hast wohl recht, doch m e i n t ich immer, Ich sah dich schon und ohne Schimmer. Chor der Bauern. J u n g gefreit H a t nie gereut Lustig Heisa Hochzeit Wer will Kindeskinder sehn U n d sie selbst zur Hochzeit f ü h r e n M u ß die Liebe bald gestehn, Und sich gar nicht lange zieren Hochzeit Kindtauf nah zusammen Treibt die rechten Segensflammen Lustig Heisa Hochzeit D e r Zug geht vorüber, die Schüler sehn erstaunt einander Erster Schüler zu einem Bauer Ey sagt mir doch, wer war der junge M a n n Der m i t der Braut zur Hochzeit zog heran. Bauer. Kennt ihr ihn nicht, der unsrer Marton Buhle, Er ist ja aus der Stadt von eurer Schule. Erster. W i r sahn doch recht! Andrer. Wir möchten alle schwören D a ß wir ihn sahn von einem Blitz verzehren. | Bauer. Wenn ihn die Braut aus lauter Lieb nicht frist, So lebt er unversehrt zu dieser Frist. (ab) 359

Textteil Β

Ein Schüler. Kommt mit zur Hochzeit, lasst es uns bedenken Wenn sie uns frischen Wein einschenken, Er hat sich wohl verstellt, um uns zu necken, Dafür muß er den Tisch uns zweymal decken

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Ein andrer. Er wollte wohl den Spiegelglanz nur jagen, Da stellt er sich, als ob er war erschlagen. (Alle ab). Raphael wird dem Spiegelglanz in den bedeutendsten Augenblicken 10 wiedererscheinen, er ist einer von den leichtsinnigen guten Seelen, mit denen der Himmel am meisten wirken kann in Augenblicken, weil sie am wenigsten sich kennen, weil Absicht Grundsatz die reine Ansicht der lebendigen Welt ihnen am wenigsten färben kann. Des Zusammenhangs wegen muß noch erinnert werden daß Raphael mit seinen 15 Schwestern aus dem väterlichen Hause von der bösartigen Stiefmutter 3|1|23" Marozia verbannt war, nachdem dieser ihr einziger Sohn | von der Amme geraubt worden war. | 3|1 |24r

5.

Luzifer wurde lange von den Heiden aufgehalten, seine tapfersten Kämpfer, die er dort gegen den Oferus auffütterte, zerschmetterten einander im ewigen Streite ihrer rebellischen Kräfte ehe sie zu so weiter Unternehmung gelangen konnten. In dieser Zeit überließ er sein vermeintes Geschöpf, das Kind Johannes dem Spiegelglanz und das unterscheidet auch die Bösen von den Guten und den Teufel von Gott, daß dieser nie ein Geschöpf seiner Liebe unter der unendlichen Zahl vergisst, während jener über einer That seines Zornes einem Wunsche, der ihm nichts werth, wenn er ihn erreicht hat, alle Welt aufopfert. Ohne von seinem Beystande unterstützt zu seyn, hatte sich Spiegelglänz, von dem Kinde beschwert, mit Mühe bis an den Rhein durchgebettelt. Nach zwey Monaten steten Fluchens über die wilden spär3|1|24" lieh bewohnten | Gegenden, sah er Abends eine Welt des Glanzes und der Herrlichkeit vor sich liegen, die das Kind mit seinen ausgestreckten Händen und mit dem Rufe: Lobe Gott! begrüste, den einzigen Worten, die es ordentlich aussprechen konnte, soviel Mühe sich Spie360

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gelglanz mit ihm zeither gegeben hatte. Die Sonne stand sinkend in ihrem Rücken und beglänzte das gegenüberliegende Bergufer eines grossen Flusses. Welche blauen Gewässer, welche grünen Weinlauben an Felsen wie Taubennester erbaut, welche zackige Burgen mit Fahnen prangend, welche enge dichtbebaute Städtlein mit durchsichtigen Kirchthürmen im Rheine gespiegelt deren Glocken an den Felsen wiederhallten und in der Mitte des Stromes ein sechseckig Schloß, als wär es ein geankertes Schiff. Und wie Spiegelglanz in Verwunderung, weil sein Weg ihn nie an den Rhein sondern immer die grosse slavische Handelsstrasse herabgeführt hatte, ans Ufer schrit, da sah er | eine 3|1|25' Riesengestalt die mit einer ausgerissenen Tanne in den Sand des Ufer allerley Zeichen schrieb. Der Riese aber winkte ihm freundlich, indem er den Stab auf den Boden legte und sprach zu ihm nach erster Begrüssung: Es thut mir leid daß ich so gräßlich bin, Ich kann nicht anders, bin nun so geboren, Wohl mir, daß ich das Christenthum erkoren. Spiegelglanz.

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Du bist zwar groß, doch gräßlich nicht zu nennen, Man kann dich so schon in der Ferne kennen. Du must auch stärker seyn als andre Leute, An uns machst du nur eine kleine Beute. Oferus.

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Sag nichts von Beute mir, das thut mir weh, Wenn ich noch aufs vergangne Leben seh, Als ich ein blinder Heid in Teufels Diensten Ach da beraubt ich wohl die allerkühnsten; Hast du vom Oferus denn nichts vernommen? Doch seit ich Christi Lehre angenommen, Und seit ich mich Christopherus genannt, Da bin ich als ein guter Mann bekannt, Ich diene allen gern und nehme nichts, Und freue mich des freundlichen Gesichts, Wenn ich der Müden Last viel Meilen trage, Die Pilger übern Rhein zu fahren wage, Die nach Bornhofen zu der Jungfrau wallen, Verlaß dich drauf, ich lasse dich nicht fallen | 361

Textteil Β

Steig auf willst du noch heut mit Prozession, Zu unsrer Jungfrau hochgeschmücktem Thron. Spiegelglanz. Ich danke euch, ich komm vom finstern Sterne Hab mein Gelübd erfüllt und möchte gerne Ein ruhig Plätzchen noch auf Erden finden, Die heiige Schrift recht fleissig zu ergründen. Von Herzen gern möcht ich auch unterweisen Denn alles Geld geht aus auf weiten Reisen, Könnt ihr ernähren mich mit einem Knaben Da will ich euch mit Sprachen wohl begaben, Oferus. Mein gutes Männlein, gern wollt ich dir geben Was ich geniesse, doch zu deinem Leben Ist das zu roh, das fordert einen Heiden Um draus gesunde Nahrung abzuscheiden | Baumrinden sinds mit Wurzeln eingeknetet, Doch dem gedeiht es, der recht herzlich betet. Spiegelglanz· Ich könnt mich wohl mit solcher Kost ernähren, Doch würde sich damit mein Kind verzehren, Auch must ich seiner todten Mutter schwören, Ich wollts von Jugend auf allein belehren, Daß es der Frömmigkeit so ganz ergeben Wie ich es war in meinem langen Leben. Oferus. Da weiß ich euch nur wenig Rath zu geben Versteht ihrs kunstreich umzugehn mit Reben So würdet ihr in Kaup schon Arbeit finden Doch müsst ihr euch dabey des Stehlens unterwinden. Spiegelglanz. Nicht Arbeit und nicht Stehlen will mir gnügen, Beschaulich Leben ist nur mein Vergnügen, Ich kann die Jugend auch mit Ernst belehren

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Oferus. D a werden euch die Kauper nicht verehren Doch fällt mir ein, ihr könnt es doch versuchen, Den Wächter auf der Pfalz heut zu besuchen Er zieht den jungen Pfalzgraf in dem Schlosse, Vielleicht wird euer Kind sein Spielgenosse Er wünscht ihm Zeitvertreib in den verschloßnen Mauern, Die seit der Aeltern Tod erfüllt mit tiefen Trauern, Er wünscht sich einen Lehrer für den Kleinen, Damit er Kraft und Weisheit mög vereinen. Spiegelglanz. Das scheint gar herrlich, ich will überfahren. Oferus. Zu hitzig scheint ihr mir in euren Jahren, Es fordert viele Zeichen, daß der Alte Euch nicht für einen seiner Feinde halte. | Spiegelglanz. Hier scheint es wunderlich, die Leute stehlen Die Herren fürchten sich, ihr müsst erzählen Was sich in diesem Schlosse hat begeben, Oferus. Ich bin ein schlechter Redner, muß auch beten, Doch seht ihr wohl den Fischer mit Geräthen Spiegelglanz. Der jezt die Reusen in den Strom gelegt, Und sich umher mit Sorglichkeit bewegt, Sein Hündlein bellt uns schon so wachsam an. Oferus. Das ist ein seltsam wunderlicher Mann Was sich ereignet quälet ihn so lang Bis er es ordentlich in Reime zwang Und zu dem Dudelsack es hat geübt, Das macht ihn bey den Bauern sehr beliebt, Bey jeder Hochzeit muß er sich einfinden Und wie es so erging in Reime lustig binden 363

Textteil Β

Das pflanzt vom Vater sich zum Sohne fort, Und jeder weiß von Vätern noch ein Wort. He T h a l m a n n kommt doch einmal hergegangen, Thalmann. Was hegt ihr denn f ü r sonderlich Verlangen, Gewiß soll ich die gute Nacht euch singen Und eurem geistgen Schatz ein Ständchen bringen. Oferus. Nicht doch, erzähl uns einmal wie den G r a f e n Des Himmels schwere Züchtigungen trafen. | 3|1 \2T ((Thal))mann. ((Ja)) so das Lied vom G r a f e n und den Lei((e))n! Oferus. Doch müsst ihr nicht dabey so schrecklich schreien, Holt euren Dudelsack als rechten Dämpfer, Und singet dann von diesem grossen Kämpfer. T h a l m a n n ließ sich alles gefallen um singen zu können, ließ seine Holzschuhe stehen, u m eiliger in seine Wachthütte zu laufen, wo das seltsame musikalische Dudelsack lag. E r versuchte ihn als er hinaus trat im L a u f e n und Spiegelglanz w a r nicht wenig erstaunt aus einer Ziegenhaut, die auf der einen Seite einen Blasebalg bildete während der Hals durch sinnreich angebrachte Löcher, die von den Fingerspitzen geschlossen werden konnte(n) den gebildeten Luftstrom in bestimmte Töne umsetzte, die lieblichste Musick erschallen zu hören, der das Kind mit freudigem Lächeln zuhorchte. T h a l m a n n setzte sich nun auf einen zerbrochenen Anker, sein weisses Hündlein neben ihm und sang endlich nach langem kunstreichen Vorspiele, während dessen sein Körper in eine schwingende Seitenbewegung gekommen wie eine bew((egte S))eite | ( A n s c h l u ß an 49,3|1|27 v ; vgl. F2, Kap. 1,4, 3 5 , 2 9 )

364

F1 (49,6|30"-40) (Anschluß an den ungestr. Text auf 49,6|30", das Ende von Kap. 5 (in Arnims Zählung: 4); vgl. F2, Kap. 1,5, 44,39)

5. 5

6|30"

Spiegelglanz, den alles Unglück an sein eignes Glück behaglich erinnerte, fand eine ihm sehr wünschenswerthe Stelle bey der Schule f ü r das Sängerchor des Erzbischofs, niemand konnte ihm | den ersten An- 6|31Γ spruch in Hinsicht der Kenntnisse streitig machen, aber sein abschrekkendes Ansehen entzog ihm alle Gunst. So richtete er um so fester sein

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Augenmerk auf den Knaben, verbreitete selbst durch Bestechung und Briefe dessen R u h m , doch es gelang ihm nicht die Neugierde des Erzbischofs so mächtig zu erwecken, daß er dieses Wunderkind zu prüfen Lust bezeigt hätte. Luzifer, der durch den Verrath des Schlosses aus den Beschwörungen frey geworden war, worin es ihn durch die

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K r a f t einer alten verstorbenen Fürstin gehalten hatte, war jezt in der Gestalt des gelehrten Griechen Chrysoloras nach Mainz geeilt über sein vermeintes Kind zu wachen. E r fand die Schule seinen Absichten angemessen, da die Schüler den einzelnen Lehrern ganz überlassen blieben. Der Erzbischof empfing ihn mit seltener Auszeichnung, weil

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er ein ausländischer Gelehrter war, und konnte aus Ungeduld die Zeit kaum abwarten, das Wunderkind zu sehen, als dieser am H o f e die Partey des Wunderkinds gegen alle Spötter genommen hatte(.) | Spiegelglanz fasste neuen Glauben bey dieser Nachricht, und da er 6|31" Johannes nicht ganz willig fand zur geistigen Anstrengung, so ließ er

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ihn zwölf Stunden dürsten. Johannes. Nur einen frischen Trunk erlaub mir Meister Die Z u n g e klebt am G a u m e n wie mit Kleister, Wenn ich da draussen auf die Blumen schau,

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W i e jede trägt den hellen Tropfen Thau, Und wie allein auf mich kein Tropfen fällt, D a hass' ich diese ganze Erdenwelt, U n d gäb sie hin f ü r einen giftgen Trank, Der mich nur tränkte, macht er mich auch krank.

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Ich will auf jeden deiner Blicke merken, Mir wird so schwach, es würd ein Trunk mich stärken. 365

Textteil Β

Spiegelglanz· Kein Wort davon, ich kenne deine Tücke Nur Strenge kann die ziehn und meine Blicke Die würdest du gar balde übersehen Wenn du nicht sähst darin geschrieben stehn Von süssem kühlen Most. Johannes. Weh, welch ein Marterrost Ich lechse und du füllst die Augen Mit Trauben, die zum Strom zerspringen, Ο könnte ich nur an den Trestern saugen Statt jedem Narrn den Buchstab herzubringen | 6|32' Spiegelglanz· Was Narrn? Die sollen künftig uns ernähren, Zur Strafe must du heut noch mehr gewähren, Must heut dem Erzbischofe deklamiren, Vom Markus, jene lustige Legende Bey Grossen hilfts kann man zum Lachen rühren Viel mehr noch als ein ernsthaft Ende. Johannes. Es ist unmöglich, wenn ich nur dran denke, Wie er die Trauben ist, krieg ich die Kränke. Spiegelglanz. Geh krieg die Kränk, ich seh dich lieber Sterben, Als daß dein Giermaul führet zum Verderben, Kein Wort dagegen, wenn du weinst, So dauert deine Stunde noch viel länger, Wenn du nur heute Morgen gut erscheinst; So wählt der Erzbischof dich wohl zum Sänger, Dann wird, was deine Lust, auch dein Geschäfte, Du brauchst dich dann des Singens nicht zu schämen, Nur heute strenge an des Geistes Kräfte, Nur heute must du dich zusammennehmen. Dann werd ich dich mit freyer Lust erziehn Dann will ich sehn, wie weit Bemühn, Den Menschengeist noch vor der Zeit kann reifen 366

Wie weit der Menschengeist kann lernend greifen, Wenn er so früh gelehrten Lauf beginnt. Was gab ich mir so viele Mühe Kind, Wenn es zu deinem Besten nicht geschähe? Darum gedenke jezt des Hofes Nähe Und trockne rasch die kleinen Thränchen ab. | Johannes. Sie laufen in den durstgen Mund herab, Und das erquicket mich, sind sie gleich Salz, Ach wären wir noch auf der schönen Pfalz, Denn nirgend finde ich das liebe Lockenhaupt, Das mit den Sonnenstrahlen rings umlaubt. Spiegelglanz. Das war die Sonne, als zum erstenmale, Sie dir erschien in diesem Jammerthale. Vergiß die Traurigkeit, sieh was ich bringe, Die rothen Schuhe mit dem goldnen Ringe. Zwar bist du nicht, wie ich verlangt, geschickt, Doch weil der Erzbischof dich heut anblickt, So soll er dich im neuen Staate sehen. Nicht wahr nun wird das Buchstabieren gehen? Nimm sie nur hin, zieh an und weine nicht. Johannes. Wie schön, wie schön das rothe Licht Ach sieh nur wenn ich tanz Der Schuhe Glanz, Wie rothe Vögel scheinen meine Füsse, Mir ist als ob ich fliegen müsse. Du lieber Meister, ich will alles thun In diesen Schuhn, Es wird mir alles drin so leicht. Spiegelglanz. Nun schon sie recht, und sey heut ganz vollkommen Sonst werden sie nachher gleich fortgenommen, Jezt aufmerksam ich hör die Herren kommen (Es treten herein der Erzbischof, an seiner Seite Luzifer als Chrysoloras, hinter ihnen die Herren vom Hofe, die Geistlichen, die Lehrer der Universität.) | 367

Textteil Β

6|33r Erzbisch of (zu Chrysoloras) Das ist doch heuer ein gesegnet Jahr Seit Menschendenken sah m a n keine Trauben So f r ü h gereift, so groß, so dicht u n d klar Wer's nicht gesehen m a g es noch nicht glauben. Korallen hab ich überall gelegt, Die ich geweiht mit m e i n e m besten Segen Daß uns kein Hagel in die Erndte schlägt, Auch habe ich erflehet einen Regen. Was trinkt ihr werther Herr als Morgenwein.

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Chrysoloras. Reyrn Markebrunner schlafe ich nicht ein, D a r u m ist er zum Arbeitswein geschickt. Erzbischof. Das ist m i r lieb, ich hab ihn mitgeschickt, Ihr ahndet edler Meister Gottes Gabe, Es ist vom beste(n) Stückfaß, das ich habe! Nicht wahr, er mundet! Sagt mir in Latein Wie heist doch da der edle Freudenwein?

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Chrysolor. Das wird der Kleine euch Herr Bischof sagen, Erzbischof. Ich m u ß das Wunderkind doch selber fragen. H e Kleiner sprich, wie heist der Wein lateinisch? (Der Kleine will antworten, aber Spiegelglanz hält ihn an).

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Spiegelglanz stösst schnell ein Glas um. Wie führst du dich denn auf so schweinisch, Johannes. Ich weiß von nichts, ihr seid es selbst gewesen 30

Spiegelglanz. Ich sag dir schweig, sonst hole ich den Besen | 6|33" Johannes. Ihr habt so hart auf m e i n e n F u ß gestossen.

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Spiegelglanz. Der schöne Wein ist auf das Kleid geflossen (leise) Ich sag dir schweig, du darfst das Wort nicht wissen, (laut) N u n Knabe fasse dich, du wirst doch wissen Was Wein Lateinisch heist Johannes (weint) Ich darf das Wort nicht wissen Erzbischof. Es fällt mir ein, der Wein heist vinum

album

Johannes will sprechen. Spiegelglanz leise. Ich sag dir sey wie eine Mauer stumm. Erzbischof. Die Frage war zu schwer f ü r diesen Knaben. Chrysolor. Er ist n u r freilich erst bey den Buchstaben, Doch dieser M a n n wird ihn bald weiter bringen. Erzbischof. Wer ist der M a n n m i t rothen Augenringen. Chrysolor. Der Meister Spiegelglanz, der diesem Knaben H a t beygebracht die dreyerlei Buchstaben, Er selbst ist aller Sprachen bester Meister. Erzbischof. H m Spiegelglanz, recht sonderbar, so heist er. Chrysolor. Ist hier vielleicht ein andrer von dem Namen. | Erzbischof. Ja freilich kennt ihr wohl den alten l a h m e n Quacksalber Wasserschein, es klingt fast so.

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Textteil Β

Chrysolor. Sehr ähnlich ganz gewiß ich bin recht froh, Das Kind auf diese Probe gleich zu stellen, Daß es die beyden Namen soll gesellen, Und aus den vorgelegten Griechschen Zeichen Sie soll zusammenlegen und vergleichen. Auf Kindchen hole mir jezt die Buchstaben, Damit wir kennen lernen deine Wundergaben Johannes holt stillschweigend mit einigem Nachdenken die Buchstaben. Chrysolor. Recht brav nun sehet Herr da liegen beyde. Erzbischof. Es wird mir schwer, daß ich sie unterscheide, Recht sonderbar sind griechische Buchstaben, Ich möchte sie nicht gern im Kopfe haben, Sie müsten da viel guten Platz wegnehmen, Mit ihren Haken die Bewegung lahmen, Nun das ist alles, was der Kleine kann, Das bringt er theuer genug hier an den Mann. Spiegelglanz. Er kann auch deklamiren, ernst und heiter Erzbischof. Was Lustiges, das bringet uns viel weiter. Chrysolor. Vom Weine rath ich etwas zu erzählen, So wird sichs mit dem Weine gut vermählen. | 6|34v Spiegelglanz. Mein Knabe hör, was dir die Herren sagen, Must Demuth zwar, doch keine Scheu mehr tragen Erzähl den Schwank vom Markebrunner Wein Der Herr schenkt dir nachher ein Gläschen ein Johannes stieg demüthig auf den Tisch und deklamirte in herzlicher Erwartung des versprochenen Trunks die Legende vom Markebrunnen 370

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Der Markebrunnen. Eine Legende

6|35'

I m Sauerthal zwischen hohen Bergen E i n heilsamer Brunnen sich wollte verbergen, Der Barfüsser Markus entdeckte ihn doch, 5

Fängt ein das Wasser in einem Loch Und mauert schwere Steine im Kreis, Daß es nicht mehr zu entlaufen weiß, Und baut sich ein Haus und ein Gärtchen dabey Und sagt, daß ihm jeder willkommen sey,

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Der versuchen wollte des Wassers Kraft, Die keine Mühle treibt, aber Gesundheit schafft. — D a wohnet er schon den ganzen Sommer, D i e Leutchen sagen, er sey ein Frommer, Wovon er lebe und ob ihm wohl dabey,

15

Das ist den Gesunden ganz einerley, Sie bringen i h m da kein gutes Essen, Die Bissen sind ihm knap zugemessen, Das Wasser mit seinem gesunden Magen Will sich nicht sonderlich gut vertragen,

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Doch wenn ein Kranker zu ihm gekommen D a hat er ihn immer wohl aufgenommen, Das Wasser mit frommen Segen geweiht, Mit seinem Rathe sich hülflich erzeigt Das thut er alles aus christlicher Liebe,

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Auf daß er sich in der Barmherzigkeit übe! — Der Sommer vergeht, als kein Kranker mehr dort, Verläst der gute Markus den einsamen Ort, Und will jezt ziehen zu seinen Brüdern, Die dienen im Kloster dem Herrn mit Liedern

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U n d sammeln den Wein in den herbstlichen Tagen U n d brauchen am Hungertuch nimmer zu nagen. E r schleichet hungernd am Pilgerstab Durch rauschende Blätter das T h a l herab, Nun schaut er aim letzten Berge herunter,

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D a sieht er die Welt so froh und munter, | Die Leute herbsten am ganzen Rhein, I m R h e i n e glänzet der Sonnenschein, 371

6|35v

Textteil Β

Die Fässer werden mit Eil gefahren Es ist das Beste von allen Jahren, In den Butten springen so eilig die Knaben, Es ist ein Ueberfluß von Gottes Gaben, Der Markus danket in seinem Gebete Daß Gott so liebliche Wunder säte Und segnet das Land mit Freudenblicken Und singet dann laut in frommem Entzücken. — Es giebt ein Land, heisst Kanaan, Da tragen an einer Traub zwey Mann! — Das Singen ging ihm so recht von Herzen, Er vergaß darüber Hunger und Schmerzen, Und kneipt die Mädchen in ihre Wangen Und hat doch gar kein bös Verlangen, Und schreitet daher wie ein junger Mann Und jedermann sah ihn freundlich an. Doch jedes Ding hat eben sein Maaß, Mittelmaaß ist die beste Straß. Es verging ihm endlich Stimme und Muth Er dachte: Ich nehm ein Träublein gut An denen dies Jahr solch Uebermaß, Daß alle Wege vom Abfall naß, Das stillet mir Durst und Hunger zugleich, Damit ich noch heute mein Kloster erreich. — Seht, wie er nun nach dem Träublein langt; Das nahe am Wege so gelblich prangt, Da laufen die Schützen mit ihren Stecken, Den armen Markus mit Schlägen zu decken; Der Reiche zahlt mit dem Geld, der Arme mit der Haut, Sie haben doch beyde auf einen Gott vertraut. — | Er nimmt die Strafe in Demuth hin Und meint in seinem geduldigen Sinn: »Ich that wohl Unrecht so zuzulangen »Ich sollte erst mit der Bitte anfangen!« So trit er zu einem Reichen mit Glauben Und bittet um wenige schlechte Trauben, Weil er den Tag noch nichts gegessen; Das findet der reiche Mann vermessen 372

Und sagt ihm, er möcht sich zum Teufel scheren, Der möchte wohl Bettler mit Trauben ernähren. — Die Worte hört ein Nachbar von weitem, Der wenig Wein nur konnte bereiten, Sein Garten liegt dürr auf Felsenstein, Die Trauben sind gut, aber gar zu klein. Drum wüste er auch wie dem Armen zu muthe Bey seines Nachbars reichem Gute Und ruft den Markus in seinen Garten, Damit er ihm könne mit Trauben aufwarten, Und reicht ihm eine volle Butte, Damit er draus nehme in seine Kutte, Und zehre davon nach Bedürftigkeit Und spreche mit ihm von der lieben Zeit. — Der fromme Markus kennt wenig die Welt Er meint, daß dieser ein reiches Feld Und jener ein armes besitzen müsse. Drum zehrt er bey ihm und ruht die Füsse, Und weil ihm die Trauben so lieblich schmecken, So thut ihn das Essen zur Andacht erwecken, Indem er die Beeren im Munde zerdrückt Manch liebliches Wort die Lippen schmückt, Er predigt von Gottes allwaltender Güte, Da kriegt der Weinstock zum zweytenmal Blüte | Und eh er noch ist zuende gekommen, So sind es schon kleine Träubchen vollkommen, Und wie er den Mund nun trocken gepredigt, So hat er mit Essen die Butte erledigt. Gleich füllt sie der arme Bauer mit Eile, Als ob er geliehenes Gut hier vertheile, Und Markus predigt mit neuem Eifer, Und nährt sich, als wär er des Weinbergs Käufer Und keltert mit seinem lehrenden Munde Und weiß davon gar nichts bis diese Stunde, Wo er in seinem Bauche verspürt, Wie ihn der Most da tormentirt, D a wird ein Rollen hinauf, hernieder Er schreit: »Thut Busse ihr lieben Brüder, 373

Textteil Β

»Denn wie die Funken in der Asche rennen, »So wird einst das Gewissen euch brennen, »Dann möchtet ihr löschen, ihr könnt es nicht, »An tausend Orten die Reue ausbricht.« Das muß man wahre Eingebung nennen, Er selber möcht löschen, wo nichts thät brennen, Er wäre selber fast umgesunken, So laufen in seinem Leibe die Funken, Es wax drin ein Gähren wie in dem Keller Er möchte jezt gehen, doch drängt es ihn schneller, Er muß die Predigt doch erst beschliessen Wahrhaftig er muß sonst den Weinberg begiessen; — Es hat ihn bezwungen, er war so begeistert, Da hat das Bedürfniß ihn übermeistert, Der Wille ist gut, das Fleisch ist schwach, Da fliesset von ihm ein kleiner Bach, Er kann weder Worte noch Wasser halten, Er predigt, es läuft an der Kutte Falten, Er schämt sich und schaut zum Himmel hinauf Und last dem Strome auf Erden den Lauf, | Da schreiet Wunder der fromme Hörer, Es schauet nieder der heilige Lehrer Und siehet die schönste Quelle klar, Die rieselt im Weinberg so wunderbar. »O Wunder, schreiet der arme Bauer, »Ihr Kinder geendet ist unsre Trauer, »Warum wir so viele Jahre geklagt »Daß uns ein Quellchen im Weinberg versagt, »Das ist nun verwandelt, es fliesset die Quelle »Hier unter des heiligen Mannes Stelle: »So recht von seiner heiligen Mitte »Als ob sie ein Dächlein von ihm erbitte, »Wie jene, die er droben im Thal gefunden, »Durch welche die kranken Menschen gesunden, »Sie scheint sich zu seiner Predigt zu drängen »Wir wollen ihr nicht das Bette verengen, »Sie fliesset in solchem Ueberfluß, »Es wird ein lieblicher kleiner Fluß, 374

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»Den schon der Johanniswurm lieblich beleuchtet, »Wie hat er die R e b e n so schön befeuchtet »Und hat er den Weinberg uns erst durchronnen, »Wir sammeln ihn unten in einem Bronnen, »Damit, wer dürstend vorüberzieht »Sich da erquicke ganz unbemüht, »Und Bänke wollen dabey wir stellen »Und eine Inschrift über den Wellen, »Daß eine Wohlthat uns hat verschafft, »Als wir noch arm, des Wassers Kraft, »Die unsern Weinberg zum schönsten auf Erden »Durch ihre frischende K r a f t ließ werden. |

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»Wie heissest du Bote des Himmels auf Erden? »Nach dir soll der Brunnen genennet werden« — »Der Wassermarkus pfleg ich genannt zu werden!« So spricht der Fromme, sieht furchtsam herunter, Und siehet die Quelle, die rieselt so munter, D a alles so herrlich ist abgelaufen So möcht er die ganz(e) Erde jezt taufen: Und spricht »So heisse der Markebrunnen auf immer » D u reicher Brunnen voll Sonnenschimmer!« D a n n segnet er ihn gar freudig ein, Der Bauer umziehet die Quelle mit Stein Umziehet den Garten mit hoher Mauer, Die Tugend verwandelt in Freuden die Trauer, Weil Markus den Heilquell so gut behandelt Sie hat ihn zur heilsamsten Quelle verwandelt, Denn nichts ist gesunder als guter Wein; »Jezt schenket mir Markebrunner ein.« I m Sommer da saß ich gar oft in der Hitze A m Marke-Brunnen auf steinernem Sitze. Ihr könnet den Brunnen am Wege gleich schauen, Es ließ ihn der Fürst schön überbauen, E r schmeckt in der Hitze wie köstlicher Wein; » D e m Reinen auf Erden ist alles rein.« | Erzbischof.

6|37"

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Trink, trink mein guter Bube, treibs wie Markus, So geb ich dir noch einen Gnadenkuß,

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Textteil Β

Der Jung ist einzig, wie er das so trocken Aus seinem Mund anständig weiß zu locken. Hört Wasserschein der Jung muß bey uns bleiben, Ich laß ihn in die Sängerschul einschreiben. Spiegelglanz. Ich darf das liebe Kind noch nicht verlassen, Der Mutter schwor ich es, als im Erblassen Sie ihre Hände nach dem Kind gestreckt, Auch hab ichs lieb, weil ich den Geist geweckt, Gern möchte ich's durch Fleiß so weit nun bringen Als sich ein Mensch durch Wissen kann erschwingen Chry soloras. Ich sag euch Herr, es ist ein guter Lehrer, Er sammelte der Schule viele Hörer. Erzbischof. Ich muß das Kind zu meinem Spas bewahren Um einen Lehrer mag ich auch nicht sparen, Hört Wasserschein Spiegelglanz· Ich heisse Spiegelglanz Erzbischof. Das ist ja einerley. Mein lieber Siegelkranz Ich mache ihn zum Lehrer mit Gehalt, Erzieh er nur den Wunderknaben alt, Denn kluge Kinder hört ich oftmals sagen Die muß man früh zum schmutzgen Grabe tragen. | Bereite er den Knaben tüchtig vor, Damit er einst mit Glück betrit das Chor, Schulfüchserey könnt ihr indessen üben, So wie es jezt die neuen Leute lieben. Spiegelglanz. Mein Dank soll sich in meinem Eifer zeigen Bedank dich Knabe, kannst du dich nicht beugen, Und küß den Rock und bitte um den Segen Nun bück dich, daß der Herr die Hand kann legen. 376

Johannes. Mich durstet noch ich bitte Herr um Regen. Erzbischof. Der Jung ist einzig, gebt ihm noch ein Glas, Der Teufel giest nur wo es ist zu naß. Nun trink mein Sohn, trink noch ein Gläschen Wein Und n i m m die Firmung auch noch obenein, In dieses Kreutzes Zeichen heiiger Macht: Auf Chrysoloras komm zur Schnepfen] acht.

(ab Chrysoloras zu Spiegelglanz Lebt wohl, jezt kuyonirt die deutsche Jugend Zu griechschen Worten wie zur grösten Tugend. Der Knabe sey die geistige Verjüngung Von eurer Allerweltsweisheit Verschlingung (ab mit den übrigen) Johannes. Gott sey gelobt, ganz lustig Schloß die Plage, Mit schönem Wein und einem guten Tage. Spiegelglanz. Jezt Junge muß ich dich von Herzen küssen Johannes. Doch sagt mir auch, ich möcht so gern es wissen Warum ich Wein Lateinisch sollt verschweigen | Spiegelglanz. Das ist ja klar, du darfst nicht Weisheit zeigen Die einem Herrn gefehlt, dem du sollst schmeicheln, Für deines Lebens Glück kannst du schon heucheln. Und hättest du viel mehr gewust als er, Und dennoch blieben seine Fürstenhände leer, Doch als du ihn mit einem Schwank erheitert, Da hat sich seine Gnade gleich erweitert, D a brauchtest du nicht länger mehr zu dürsten, Das Unbedeutende regiert die Fürsten, Und wer sie unterhält, sie bringt zum Lachen,

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Textteil Β

Der kann getrost auf sie die Rechnung machen Du trugst es vor mit rechter Dreistigkeit Das kitzelte die hohe Feistigkeit, Er fürchtet sich, daß er zu heilig werde Und daß ihn nicht mehr trüg die schlechte Erde, Er wünschet sich so rechte Teufels Zoten, Die ihm befestigen mit ewgen Knoten Den mürben abgenutzten Lebensfaden, Und deine Altklugheit war nicht dein Schaden Johannes. Ihr nennt mich klug, ο machet mich noch klüger, Spiegelglanz. Was fällt dir ein, du dünkest dich als Sieger Und hast doch kaum den ersten Schrit gethan, Johannes. Ihr würdet mir erhellen meine Bahn, Wenn ihr den Trübsinn könntet mir erklären Der sich aus mir so reichlich will ernähren. | Spiegelglanz. Du kommst schon wieder an mit altem Zeuge, Nicht wahr du willst mir jenen Kopf beschreiben, Da geht mir die Geduld schon auf die Neige Nimm hin das Spielzeug, laß das Grübeln bleiben Johannes. Wie ich so lieb dies eine Hölzchen habe Es ist als stünd darauf der edle Knabe, Ich seh sein dunkles lockenrollend Haar, Den Blick der dunklen Augen hell und klar, Das Lächeln seines Munds, die frohen Wangen, Ich trag nach ihm unendliches Verlangen, Ich mein zu sehn sein ganzes liebreich Bild, Es wächst in Baumes Adern frey und wild, Wie sollt es nicht in meinem Herzen bleiben Und immer wachsen, immer grünend treiben. Spiegelglanz. Vielleicht war ichs ich hab dich angesehn 378

F1 Johannes. Ach nein der hatte Augen schwarz und schön Spiegelglanz. 5

Verflucht, das kleine Ding hat auch schon Augen Die schön und häßlich zu erkennen taugen, Oft kommt sie mir schon erwachsen vor Und ich verliebe mich recht wie ein Thor.

6.

6|40'

Mehrere Jahre vergingen ohne bedeutende Veränderungen, der Erz10 bischof hatte das Wunderkind sehr bald zum Ueberdrusse gehört, es wurde nicht mehr gerufen und lernte um so fleissiger unter der Zucht des strengen Lehrers, der sich einen mächtigen Ruf in der Schule erwarb und das Gemüth des armen Kindes sich immer ängstlicher unterwarf. Mit keinem Kinde durfte es umgehen, um sein Geschlecht 15 allen zu verstecken, so lebte es immer fort von dem einen seligen Bilde aus der frühesten Kindheit, das ihm unwillkührlich in alle Geschichten und Gedanken hineintrat, und seine innere bildende Kraft verkörperte sich dadurch immer gewaltsamer, daß Spiegelglanz schon mehrmals mit Staunen wunderbare Gestalten über dem Bette der Kleinen 20 erblickte. Doch vor allem war wieder ein erster May merkwürdig | an 6|40" welchem Spiegelglanz gegen seine Gewohnheit früher als Johannes aufgestanden war, der sonst nach seinem Befehle schon alles zum Frühstück vorbereitet und angeordnet haben muste. | (Anschluß an 49,9|1'; vgl. F\ Kap. 11,1, 51,1) 25

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(49,7|12-19) (Anschluß an 49,7|11"; vgl. F2, Kap. III,3, 141,30) Und vollkommen ist nur die Liebe, Ο lös mich Herr von meinen Sünden, Die mich mit Lust und Leiden binden, Von allem Stolz, von aller Ehre, Von allem Ruhm tiefsinniger Lehre, Schenk eine kurze Weile, eine kleine Zeit Ich bin noch nicht frey zur Ewigkeit, Ich kann noch nicht rufen, bis ich ergreist: Vater, in deine Hände befehl ich den Geist. 379

7|12'

Textteil Β

(Er setzt sich ermüdet bey einer Schmiede nieder.) Johannes. Ihr guten Leute schenkt mir einen Trunk, Nur Wasser. Gesell. Wir haben hier des Weins genung, Und du scheinst müde von der Wanderschaft. (Er bringt ihm einen Krug) Johannes trinkt In irdschem Leib verhüllter Himmelssaft, Wie wechselst du die Farbe im Gemüthe Aus Grab und Tod entsteigt mir frische Blüthe. Geselle. Der Wein vom vorgen Jahr hat rechte Güte Er wächst am Berg von unsrer Herzogin Johannes. Ο sag mir an in welchem Land ich bin. Geselle. Du kennst noch nicht der Herzogin beglücktes Land Wer hat dich denn auf diesen Berg gesandt. Johannes. Auf gutes Glück bin ich von Haus gegangen, Weil Einsamkeit mir oft ein Bangen Und oft der frohste Muth. Gesell. Du wohnst allein. Johannes. Mein Lehrer war mir ausgeblieben, Das hat mich in die Welt getrieben | Nun sprich in welchem Reich ich bin. Gesell. Frau Venus heist die liebe Herzogin, Hier wohnt ihr Goldschmidt, ich bin sein Gesell.

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Johannes. Die Schmiede glänzt von schöner Arbeit hell! Wie schöne Spangen mit dem grünen Steine. Gesell. Gefällt sie dir? Verlangest du die eine. Johannes. Zum Kaufen braucht man Geld. Gesell. Du scheinest mir ein junger kräftger Held, Du magst noch viel verdienen, Du bist ein gutes Zeichen mir erschienen Und ehrlich bist du, darum zahl Wenn du bey Geld ein andermal, Und hast du niemals Geld, — wohlan So mein ich, daß ich dirs schenken kann. Johannes. Wenn ich dir etwas könnte geben Ich gäb für diesen Schmuck mein Leben. Gesell. Gut Freund, gieb mir zu meiner Fürstin Ehren Nur ein Versprechen, laß dein Herz gewähren Und wenn du irgendwo ein Mädchen siehst, Dem du in heisser Lieb entgegenglühst, Schenk ihr im Neimen meiner Fürstin diese Spange Und komm mit ihr zu diesem Berg mit Sange So wird sie dich an ihren Hof einführen, Wo alle sich mit unsrer Kunst verzieren | Johannes. Ich kenn so wenig von der grossen Welt, Doch alles mir so wohl gefällt, Ich möchte gleich ein schönes Fräulein finden, Und mit der Spange sie anbinden. Darf ich allein nicht in der Fürstin Haus Gesell lacht Nein Paar und Paar so sitzen sie beym Schmaus. 381

Textteil Β

Ich merk dir an, du giebst mir viel zu lösen, Wirst treiben mich im Guten und im Bösen, Daß ich dir Liebesschlösser, Blumen deinen Strunzen In allergröster Eile soll auspunzen Johannes. Nein Freund, du irrst, ich hab ein geistlich Herz. Gesell. Die treiben just am ärgsten solchen Scherz, Die lassen keinen Augenblick mir Ruhe, Der eine fasst in Gold der Liebsten Schuhe, Der andre legt ihr Haar ins goldne Herz herein Der dritte bringt das Maaß von ihrem Fingerlein Da laß ich mir zum Spas die schönen Dinger Erst selber kommen, sag das Finger-Maas, Das könne gar zu leicht betrügen, Dann kommen sie mit gar verschämten Zügen Und strecken mir das Fingerchen hinaus, Ich fang es mir wie eine kleine Maus Und klemm es zwischen meinen Fingern ein, Bis dann die Jüngferchen recht artig schrein Und zeigen mir der Zähne Elfenbein, Und manche ward dadurch schon mein. Nun lebet wohl, ich seh da einen kommen, Der mir schon viele Ringe abgenommen. | Johannes. Habt Dank für euer gütiges Geschenk, Des Fingers ich auf ewge Zeiten denk! — Wie ist mir denn seit ich den Wein genommen, Bin ich von keiner Trauer mehr beklommen, Die Welt ist näher mir als vorher Gott, Und was ich dachte wird mir recht zum Spott. Ach könnt ich auch ein liebes Fräulein finden, Das ich mit dieser Spange könnt anbinden, Ey sieh wer kuckt denn da zum Fenster aus, Es ist ein kleines wohlgebautes Haus (Er singt zur Laute) 382

Am Berge der flüchtige Schnee, Beym Goldschmidt die sprühenden Funken, Wie ich sie seh, Sind sie versunken. Flüchtige, sprühende Blicke Bleibet vom Fenster zurücke, Oder bleibt und tränkt und wärmt mich; Sey mir gegrüst, ich seh dich. Stephania am Fenster. Die Mutter ist aus, ich bin eingeschlossen Ich kann ihm nichts geben. Johannes. Die Thür ist eingestossen. Sey ja nicht böse Daß ich dich erlöse, Komm munter herunter. Stephania. Die Mutter erlaubt es nicht. Johannes. Du liebes Gesicht Zum Zeichen bring ich diese Spangen Daß du nicht mehr gefangen | Sie schickt sie dir, Daß du sicher gehst mit mir. Stephania. Gleich, gleich, ich glaub dir herzlich gern, Nun grüß ich dich nahe, dich grüst ich schon fern, Aber sag, wohin wir nun gehen. Johannes. Laß gut seyn, du wirst schon sehen, Sieh wie die Spange auf dem weissen Arme glänzt, Stephania. Ich hätte dich gern dafür bekränzt. Johannes. Gieb einen Kuß, das soll es bedeuten. 383

Textteil Β

Stephania. Es sieht doch niemand von unsern Leuten. Johannes. Die Welt ist blind, nur die Liebenden sehen, Weil uns die Augen erst in der Liebe aufgehen. Stephania. Was bleibst du hier bey der Schmiede stehen, Johannes. Du hast doch Finger. Stephania. Ey freilich alle zehn. Johannes. Die lieben Dinger Dir wird ein Ring gut stehn. He Gesell. Gesell. So schnell! Gott grüß euch und eure Schöne, Und schenke euch wackre Söhne. Stephania. Sprech er nicht so dumm Gesell. Ich bin stumm, Was wollt ihr? Johannes. Gieb einen Ring mir Gesell. Hast du jezt Geld. | " Johannes. Raid zahl ich, was ich bestellt. Nimm Maaß dem Finger, doch drück ihn nicht, Sonst schlag ich dir ins Angesicht.

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F' Gesell.

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Ein Der Die Der

wilder Gesell! (Vor sich) Der Wein giebt Muth auf dem Venusberg wachsen thut, Liebe brennt auch in Adern, möchte mit allen Leuten hadern.

Johannes. Mach schnell, gieb her den köstlichsten Ring, Denn Schöneres er doch nie umfing, Und morgen zahl ich die Rechnung dir. io

Gesell. Einen Schein musst du mir geben dafür. Sieh her und lese: Bezahlst du nicht So nimmt dich die Fürstin als Sklaven in Pflicht. Johannes.

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Ganz billig, ich will es unterschreiben (Er unterzeichnet) Gesell. Du wirst doch heute vom Fest nicht bleiben. Johannes.

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Vielleicht, wenn meine ... Wie heist du. Stephania. Stephania! — Ich wünschte lieber Ruh, Die Einsamkeit war mir auch willkommen, Sprich, sind wir bald zur Mutter gekommen.

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Johannes. Du bist kein Kind, denk nur an mich, Die Mutter findet am Ende sich. (Vor sich)

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Ich führ sie nach Hause, da bewahr ich sie, So närrisch von Sinnen war ich noch nie.

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Textteil Β

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4. Sanfte Zärtlichkeit war dem Gemüthe des Johannes nicht eingeboren und noch weniger anerzogen, er wurde auf dem Wege nach hause von der Kraft des Weines am Venusberge immer ausgelassener, er kneipte und zwickte zuletzt die gute Stephania, das dieser von Herzen bange

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wurde, ungeachtet ihr Weg einsam war und niemand sie verrathen konnte. Noch trüblicher wurde ihr im Landhause, wo Johannes mit Spiegelglanz wohnte, als sie durch die Weinrebenlaube in die Küche und aus dieser in das Studierzimmer getreten war, wo unzählige Scripturen umherlagen und andres wunderliches Geräth, wo aber gegen die

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Aussage ihres lustigen Begleiters von ihrer Mutter nichts zu entdecken war. Johannes suchte die Mutter in allen Mauselöchern horchte und berichtete ihr, sie würde bald ankommen, sie sey nur einen Augenblick zu Markt gegangen, um sich Wolle zu kaufen, nahm dann Stephania beym Kopfe, küsste sie derb ab und als sie schrie führte er sie in die

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Küche, zeigte ihr ein grosses Stück Polenta, das sie aufbraten und mit einander verzehren wollten, darüber gab sie sich vorläufig zufrieden. | 7|15V Als die Polenta auf dem Feuer anfing zu schmoren, lief er in den Garten, holte Aerme voll der lang gehegten schönen Blumen, die sonst bis zum letzten Glöckchen ungestört abblühen musten, schüttete sie

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der Stephania in den Schooß, nahm der das Strumpfband und reifelte es zu breiten Bindefäden auf, damit sie zum heutigen Besuche bey der Fürstin Venus sich noch herrlich schmücken könnten und wie sie einander nah waren, um einen Kranz anzufangen küsten sie sich und wie sie die Enden zur Verbindung näherten küssten sie sich wieder und

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tanzten, wie es ihnen so einfiel, neckend, zagend, zudringlich und zurückweisend um den Heerd. Wäre der Tanz nicht schon seit Jahrhunderten erfunden gewesen, sie hätten als die Erfinder gelten können. Johannes sang dabey vor und Stephania sang ihm nach

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Der Kranz wird nun verbunden, Ich komm dir wieder so nah, Wie ich vor wenig Stunden, Im ersten Kusse dich sah. Als ich die ersten Lilgen

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Vereint mit deinem Band,

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Da war ein Alles bewillgen, Das ich noch nie empfand. | Ohne Anfang ohne Ende ist nun der Kranz Anfang und Ende ein flüchtiger Kuß, Ohne Anfang und Ende hebt uns der Tanz; Anfang und Ende giebt sicher Verdruß.

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Den letzten Vers sangen sie, indem sie ein lebhaftes Gezänk zwischen Spiegelglanz und der alten Sabina, der Pflegemutter der Stephania vernahmen; das sich auf folgende Art angesponnen hatte. Spiegelglanz, nachdem er drey Tage in der Basiliskenhöhle durch den Höllentrank verschlafen hatte, meinte nur eine Nacht abwesend gewesen zu seyn, er glaubte Johannes, der sonst ohne sein Aufwecken gern über alle Billigkeit im Bette träumte, noch darin zu überraschen, da er nun von dem Tranke in allen Gliedern ermattet war, so übereilte er sich nicht und glaubte doch noch zur rechten Zeit zu kommen, ohne daß Johannes seine Abwesenheit bemerkt hätte. In der Nähe des Landhauses stellte er nun allerley abwechselnde Betrachtungen an. Spiegelglanz. Alle Glieder denken heut anders als ich, Sie zittern, sie verlassen mich, Und eins verlässt sich auf das andre, Ohne Beine und Füsse ich wandre, Mich hat zerstossen der Schimmel Auf dem Ritt nach dem Himmel | Und die Beängstigung Erstickt die Begeisterung. Viel, unendlich viel möchte mein Geist thun, Aber mein Körper will ruhn, Wunder kann ich jezt wirken In aller Welt Bezirken, Nur in meinem Leibe nicht, Das Eine mir gebricht, Muß essen und schlafen wie andre Leut, Doch endet kein Mensch meine Lebenszeit! — Ich weiß nicht, was die Leute lachen, Wenn sie mich ansehn, was sie Gesichter machen, 387

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Textteil Β

Als sähen sie einen Polischinel Ich muß mich besehn in der Brunnenhell. Ey freilich ich bin von der Sonne verbrannt, Es war höllisch heiß im himmlischen Land, Das Volk hat keinen Propheten gesehn, Es werden ihm noch die Augen aufgehn. Gottlob, da steh ich vor meinem Haus, Was klingt denn da für ein Singen heraus Zwey Stimmen die tanzen das sind wohl Dämonen Die mir zum Trotze im Hause jezt wohnen (Während Spiegelglanz horcht, schleicht Sabina suchend heran.) Sabina. Hieher ist es entführt, das liebe Kind, Bis hieher sah ich Kraut zerpflücket in den Wind, Und auf der Schwelle liegt das lezte Blat, Was doch dies Kind für böses Schicksal hat. | Hier hör ich sie singen, sie scheint vergnügt, Wenn mich mein schwaches Gehör nicht betrügt, Ich muß doch sehen, was da geschieht, Warum sie aus meinem Hause entflieht. Spiegelglanz. Zurück Alte, fort von der Thür. Sabina. Ich such meine liebe Tochter hier, Ist er der Verführer, weich er im Guten Sonst soll ihm sein schwarz Gesicht bald bluten. Spiegelglanz. Alle Welt ist gegen mich im Aufruhr, Sogar die alte Hur lermt in ihrer Natur. Sabina. Er Schornsteinfeger wenn ich mich nicht scheute, Daß er mich schwarz macht, wenn mich das Kleid nicht reute, Ich wollt ihm zeigen, daß ich ein ehrliches Weib, Ich dreht ihm den Hals um, zum Zeitvertreib. He Stephania, hörst du nicht komm nach Haus, Sie lachen uns hier aus. 388

F1 Stephania von oben herunterkommend Gleich Mutter, ich dachte euch hier zu finden, Indessen thät ich Kränze winden, 5

Ach Mutter mit welchem Teufel habt ihr gesprochen, W i r thäten uns eine Polenta kochen. Johannes.

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Kommt Mutter, wir waren recht lustig beysammen, Sahen uns an bey den Heerdesflammen, Die zuckten auf und nieder Da fuhrs uns tanzend durch die Glieder | Bleibt hier, wir gehen heut zur Fürstin Venus, Ihr schüttelt mit dem Kopf. Nimm diesen Abschiedskuß. Spiegelglanz.

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Gesindel seyd ihr toll, was soll das Küssen, Auf ewig seyd ihr auseinander gerissen, Lässt sie sich mit ihrer Tochter hier sehen, So ist es um ihr Leben geschehen, Dank sie Gott, daß ich so müde bin, Ich führ ihr sonst anders noch durch den Sinn.

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Sabina. Komm Tochter, wenn ich dich nur habe, Laß den Narren reden bis zu seinem Grabe Johannes. Ich begleit euch, wartet einen Augenblick.

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Spiegelglanz. Keinen Schrit! Zurück. Johannes. Was wollt ihr? — ich bin heut eingeladen, Zur Herzogin Venus fürstliche Gnaden.

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Spiegelglanz. D u bist von Sinnen, es wird nichts draus Fort, zurück ins Haus Johannes. L e b wohl Stephania wir sehn uns bald wieder.

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Textteil Β

Stephania. Ich hoffs und schlag die Augen nieder ab mit Sabina Johannes. Das sag ich dir alter verfluchter Kerl, Du sollst mir den Weg nicht mehr versperrn, Ich wollte keine Schlägerei vor den Leuten, Ich warne dich bey Zeiten. | Spiegelglanz. Ich glaube, du bist mir ausgetauscht. Johannes. Warum hast du nicht besser gelauscht, Ich bin verliebt, das ist das Ganze, Ich habe geküsst, heut geh ich zum Tanze, Ich will auch leben wie andre Leute, Der R u h m ist mir zu schwere Beute. Spiegelglanz. Deiner Thorheit könnt ich ein Ende machen, Daß alle Leut über dich müsten lachen, Ich könnt dich beschämen, Daß die Hunde kein Brodt von dir nehmen, Johannes. Sag immerhin, ich fürchte mich nicht, Du aber hast ein schwarzes Gesicht, Bist von den Leuten recht angeführt, Die haben dich mit Rus beschmiert, Spiegelglanz. Ich sag dir versündge dich nicht mehr, Mein Wort kann dir nehmen alle Ehr. Johannes. Alle Ehre? Das Fräulein liebt mich, Ich verlach dich! Spiegelglanz. Wahnsinniger Bube, was ich so lang verborgen 390

Dir selbst und andern mit bangen Sorgen, Das kann dein Hochmuth aufs Spiel setzen, Du bist schon Priester nach heiigen Gesetzen Johannes. Ich bin der einzge fromme von allen Liederlichkeit ist ihr einzig Gefallen. | Spiegelglanz· Ich darf nicht mehr schweigen, es war sonst zu spät So nahe dem Ziele alles mißräth, So wisse, Ο daß ichs in deines Herzens Tiefe, Mit zerschmetternder Stimme riefe, Du bist eine Jungfrau, du bist kein Mann, Du stiegest über die Grenzen hinan Zur ewigen Kirche durch mich geleitet, Ohne mich ist dir der Fall bereitet, Du hast die Weihe fälschlich empfangen, Darum bleibst du im Kerker gefangen Und die Geliebte, was wird sie sagen Wenn die Leute nach ihrem Bräutgam fragen Johannes. Ich starre, ich bin vernichtet, weh mir. Ο nimm mich Tod in deinen Armen von hier, Ich bin eine Jungfrau, bin auch vom Geschlecht, Das alle Welt verführt zu dem Unrecht, Und bin verführt, und habe verführt, Eine Jungfrau mit wildem Wunsche berührt, Widernatürliche, unmögliche Sünde, Ο wenn ich je von dir mich entbinde, Was könnte ich lieben, was war mir eigen, Ο Gott du konntest die Welt erzeugen Verwandle mich, laß mich werden ein Mann, Treu will ich dienen, wenn ich lieben kann. Verwandle oder vernichte mich, Vermagst dus nicht, so verfluche ich | Nicht meine Mutter, die mich geboren, Nicht Spiegelglanz, der mich in Trug erkoren, Nein dich der Welt ewgen Regierer, 391

Textteil Β

Du lügst im Herzen als ein Verführer, Das du dem Mädchen mich hast geschenkt, Daß du sie in mein Herz gesenkt. Spiegelglanz. Sey ruhiger rase nicht, Dich bescheint vor allen das ewge Licht. Johannes. Zu den Sternen habe ich aufgesehen, Wie des Ewigen Boten der Höhen, Zum Morgen und Abendstern Betete ich so gern, Er schwebte mir vor wenn ich einschlief, Er hörte nicht, als ich rief, Taub ist die Welt und sinnlos, Wahrheit ist gottlos, Liebe schicksallos; Ο fiele der Himmel nur ein, Da wollt ich mich freun. Spiegelglanz. Da würdest du mit allen Vögeln erschlagen, Laß dir sagen, Zurück ins Haus, Die Leute hören den Graus. Johannes. Du denkst ich werde scheu mich verbergen Nein hinauf zu den Bergen In die Einsamkeit, Dahin flücht ich die irdische Zeit, | Verspotte den Himmel, der mir nichts nehmen kann, Ich bin eine Jungfrau, ich bin kein Mann. Johannes stürzt sinnlos nieder, Spiegelglanz hebt ihn auf und trägt ihn in das Haus. Spiegelglanz. Im Krampf verlöschet der Verzweiflung Feuer, Sie wird nun hülflos und sie wird mir treuer. Nichts hält sie jezt, sie fühlt sich jezt so frey 392

F1

Bald zeigt die Noth, daß viel noch übrig sey. | (Anschluß an 49,7|20'; vgl. F2, Kap. III,4, 147,14)

(49,9|8; 49,4|1; 49,7|30-38) (Anschluß an 49,7|28"; vgl. F2, Kap. III,5, 156,28)

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ein Glaube, der auch später in der christlichen Kirche viele Aus- 9|8r Schweifungen hervorgebracht hat. Diesen Morgen wurde es ihm aber zu toll, denn es blieb nicht bey Backenstreichen, sondern er sah nachher immer einen der kleinen Propheten, die sich im Himmel gegen ihn so artig benommen hatte(n), vor sich, der ihm einen tiefen Diener machte und mit seinem weissen Barte in sein Dintfaß tauchte. Das trieb ihn früher aus dem Hause; auf der Strasse war er sicherer, er befahl Johannes zu fasten, bis er Nachts die berühmtesten Männer der Stadt zum Gastmahle bringen würde. Johannes war froh, allein zu seyn um ganz der Stephania zu denken, er suchte in den Büchern nach Beyspielen, daß Jungfrauen sich in Knaben verwandelt hätten und fand endlich eins, wo eine Jungfrau durch einen raschen Sprung ein Knabe geworden. Jezt mit dem Eifer plötzlicher Erleuchtung tanzte er in wunderbaren Sprüngen vor den Götterbildern umher und fühlte darin eine Begeisterung und Erhebung, die ihn endlich ermüdet zu ihren Füssen hinstreckte. Da klopfte es an der Thüre. Jezt als er ermüdet war, übernahmen ihn wieder ernstere Regungen er schalt sich einen Thoren, gedachte der christlichen | Regungen des vorigen 9|8" Abends und der frommen einsamen Zeiten seiner Jugend, ehe ihn in Rom die Eitelkeit der Gelehrten und ihre Streitlust in den unsteten Wechsel der Gedanken, in das Alles behaupten, Alles bezweifeln gebracht, wovon ihn die unnatürlichste Liebe plötzlich erweckt hatte. Er blätterte in seinen Büchern nach Trost, die Bibel zeigte ihm zuviel Beruhigung und Einheit, selige Narren, rief er zu den Aposteln, eures Unglauben ärgstes Zeichen ist ein paarmal euren Herren zu verleugnen und Judas, der ihn für kleinen Gewinn verrathen, strafet sich selber für seine Thaten, den ungläubigen Thomas überzeugen die Narben, wehe allen, die in Zweifeln verdarben. Viel mehr fand er im Augustinus, aber die philosophische Gewandtheit erinnerte ihn an allerley Gespräche, die er selbst geführt und er warf den Kirchenvater beyseite, las bald im einen bald im andern Buche, daß ihm immer bange wurde. So fand ihn Urban ein Bauer, der ihnen Holz zuführte, und ihm gewöhnlich ein Mährchen aus seiner Gegend erzählen muste. 393

Textteil Β

Vor dem alten Manne hatte er keine Furcht er bat, ihm etwas zu erzählen und der Alte, der sich nur darauf mit seinem Gedächtnisse vorbereitet hatte, erzählte, während er sich einen ruhigen Sitz am Heerd bereitete. Bey uns war einmal eine Edelfrau die hatte nach dem Tode ihres Eheherrn ein Söhnlein geboren, das sie nicht selbst stillen wollte, weil sie lieber zur Wallfahrt ging, sich einen anderen Eheherrn zu erwählen. Darüber wurde das Kind gar schwächlich und alle Mägde im Hause hatten ihr Leiden damit. Eines Tages als die Mägde mit den schmutzigen Windeln des Kindes zum Brunnen gingen fanden sie eine 4|Γ Frau in grosser Betrübniß dabey sitzen, | die klagte, daß ihr Kind geraubt sey und daß sie jezt keinen Trost auf Erden habe. Die Mägde Hessen sich waschend in ein Gespräch mit ihr ein und sie sagte, daß sie Frau Funke heisse, und gern Kinderwärterin werden möchte. Darüber waren die Mägde sehr froh und nahmen sie heimlich mit in das Schloß und brachten sie heimlich zum Kinde, das ihr recht zutraulich entgegensah. Von stundan wurde das Kind ganz gesund und bald so schön, daß alle Leute aus der Gegend wie zu einer Wallfahrt nach dem Schlosse gingen, um das schöne Kind zu sehen. Die Mutter blieb deswegen jezt selbst zuhause, das Kind war ihr Stolz und sie wüste mit dessen Schönheit einen jungen fremden Ritter sich zu verbinden, der ein ähnliches schönes Kind von ihr zu besitzen verlangte. Als sie ihre Hochzeit anstellen wollte und recht vergnügt alles bedachte, da fragte sie in Neugierde die Mägde aus, wie sie das Kind gepflegt hätten, daß es so schön geworden, damit sie es bey einem andern Kinde von dem künftigen Manne in eigner Pflege auch so machen könne. Da gestanden die Mägde, daß ein armes Weib, die Frau Funke, es nähre und pflege, aber niemand erlaube ihr zuzusehen, sie wüsten auch nicht, was sie dem Kinde gebe. Die Edelfrau wurde darüber gar neugierig und sagte den Mägden, daß sie heimlich einen Astflock in der Fensterlade einschlagen möchten, damit sie Nachts in das Zimmer sehen könnte. Das vollführten die Mägde nicht ohne Angst, denn die Frau Funke hielt sie alle in rechter Demuth. Am Abend trat die Edelfrau an den Laden zu dem Loche und sähe wie die Frau das Kind mit dem Hauche ihres Mundes wie in einen Nebel einhüllte und dann in die offene Thüre des glühenden Ofens schob den sie hinter ihm zumachte. 4|1V Bey diesem Anblick erwachte das mütterliche Herz der Edelfrau, | sie schlug den Laden auf, sprang in das Zimmer, und rief jammervoll nach ihrem Kinde während sie der Alten drohte. Diese aber öffnete 394

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ohne ein Wort zu sagen die Ofenthüre und zeigte wie das Kind fröhlig lächle, nahm es dann heraus und gab es der Mutter, sagte: Sie hätte sich entweder gar nicht oder zur rechten Zeit u m das Kind bekümmern und dafür sorgen sollen, als es durch die Nachlässigkeit der Mägde fast verkümmert wäre. Heimlich hätte sie es zu einem seligen Feuergeist aufziehen, es an Kindesstatt annehmen wollen, jezt aber, wo sie verrathen, ungeachtet ihrer Wohlthaten, wolle sie nie wieder das Haus besuchen. Nach diesen Worten erschien die Frau so durchsichtig wie eine Strohflamme, und stieg durch den Ofen auf und fort. Das Kind jammerte sehr und wurde gleich krank, weswegen die Hochzeit aufgeschoben werden muste. Das Kind nahm täglich ab und da der Ritter das Kind in seiner Schönheit so abnehmen sähe, so reuete ihm sein Entschluß der Heirath und er entfloh heimlich. D a war grosse Betrübniß im Schloße und die E d e l f r a u kümmerte sich nicht um ihr Kind, dem man seinen Willen ließ, so daß es sich selbst seine Nahrung suchen muste. D a ging das Kind Tags nach dem Brunnen und trank so viel Wasser, daß ihm der M a g e n weh that und Nachts legte es sich mit den Katzen auf die heisse Asche des Heerds und verbrannte sich und lief dann wieder zum Brunnen u m sich zu kühlen, so war es in steten Leiden, weil es nur halb ein Feuergeist geworden und halb ein Mensch geblieben war, bis es endlich einmal seine Haare am Feuer und damit das Schloß ansteckte, wodurch es mit der Mutter und den Mägden gar unglücklich u m das Leben kam. |

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Diese Geschichte gab ihm einen wunderbaren Spiegel in die Hand, sich selbst glaubte er in dem Knaben zu erkennen, der zwischen Wasser und Feuer schwebte und in Spiegelglanz den wunderbaren Feuergeist, der ihn erzogen und dem er selbst in seiner halbgebildeten Natur sich entziehen wollte. E i n e Zerknirschung folgte dem Stolze gegen den Lehrer er konnte sich vor Urban der Thränen kaum enthalten. Endlich ging Urban mit einem guten Geschenk aus dem Hause, da versprach es sich Johannes heilig allen Widerwillen gegen die (Heftigkeit) des Lehrers zu bekämpfen, ihn zu lieben und es ihm in Zärtlichkeit zu beweisen. Spiegelglanz k a m mit Zwiebeln und mit einem Ziegenbocke in das Haus, die ersten f ü r das Abendessen, der letzte das heilige Thier, das er bis dahin noch heimlich in der Basiliskenhöhle genährt hatte, Johannes u m f i n g ihn mit einer Zärtlichkeit, 395

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Textteil Β

die den verblendeten Lehrer, um so mehr auf die nahe Erfüllung seiner Lust vorbereitete, da Johannes in seinem ganzen Wesen etwas ernst und doch unbewust zurückstossendes gegen jede seiner Zärtlichkeiten gezeigt hatte. Johannes sagte ihm so viel Feuriges über die Führung seines Lebens durch ihn, streichelte selbst den garstigen Ziegenbock so liebevoll, als er ihn als ein frommes Thier empfohlen hatte, daß Spiegelglanz Hunger und Durst aus Wohlbehagen empfand. Jo7|30" hannes bediente ihn so sorgsam, wie er es nie gesehen, | auch der Ziegenbock erhielt sein Theil und nun fragte endlich Johannes schmeichelnd, er möchte ihm endlich enthüllen, wer seine Mutter gewesen. Spiegelglanz that wieder geheimnißvoll wie immer, wenn er darauf kam, doch versprach er ihm, daß sich alles lösen sollte vielleicht noch an demselben Abend. Johannes wiederholte seine Bitten und Spiegelglanz ließ ein Wort von höherem Ursprünge fallen, das in dem zerrissenen stolzen Gemüthe des Johannes Wurzel schlug und aufwucherte. Dann ordnete er die Küche an und wie das Feuer in den grünen Olivenästen knisterte, so hatte er wieder eine Eingebung:

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Zwiebeln sind Speise des Reinen Zwiebeln sollen essen die Meinen, Sie dürfen die Zwiebeln auch füllen, Alles nach göttlichem Willen Diesen herrlichen Spruch, der ihm seine Eingeweide recht im Innersten entzückte, weil seine Leibspeise nun sogar für göttlich erklärt war, trug er sogleich auf das Pergament seines Gesetzbuches ein und stieß während dieses ernsten Geschäftes sogar den verehrten Ziegenbock mit dem Fusse von sich, der an ihm wie an einem Berg mit den 7|31' Vorderfüssen angestiegen war und seinen | gelblichen Bart für eine bekannte Art Moos halten muste oder für Endivien, weil er ihm plötzlich gewaltsam daran zupfte. Johannes wartete auf nähere Auskunft, als aber Spiegelglanz fertig, seinen Spruch noch einmal in den grossen schwarzen Buchstaben freundlich überlesen hatte; so fielen ihm noch ein Paar Gäste für den Abend ein, er lief so hastig fort, daß er selbst seinen Ziegenbock vergaß, der sich nach dem Fußtritte durch die offene Thür in das Blumengärtchen des Johannes zurückgezogen hatte und sich dort als Gärtner angestellt meinte. Johannes sollte nach den Zwiebeln am Feuer sehen, aber er hatte keine Gedanken dafür, eine Schale seines innern Hirn löste sich nach der andern und er stand zweifelnd zwischen allen Möglichkeiten und widerlegte einen Glauben

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mit dem andern, während der Ziegenbock im Garten eine seiner Lieblingsblumen nach der andern aufzehrte. Jezt klopfte es an der Thüre und das Herz fiel dem armen Johannes wie ein ausgebranntes Haus zusammen und herunter, seit er wüste, daß er ein Mädchen, fürchtete er die Nähe jedes Bekannten, | denn er fürchtete roth zu werden und 7|31" sich zu verrathen. Endlich rief er zitternd herein und wurde über sein ganzes schönes Antlitz roth, als ob die Sonne zur Thüre hinein scheine, als der gute Goldschmidtgeselle in derselben stand. Gesell.

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Nun guten Abend, endlich find ich dich, Du last dich suchen, nun bezahle mich, Du kommst nicht auf den Berg zur Fürstin Venus, Und giebst auch deinem Mädchen keinen Kuß, Ich seh sie vor der Thüre täglich weinen, Sie sieht hinaus, ob du nicht willst erscheinen; Undank ist Weltlohn. Ich will bezahlet sein. Johannes. Du mahnst so hart, das nenne ich nicht fein Ich hab kein Geld, ich sagte dir es gleich.

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Gesell. So komm mit mir in unsrer Fürstin Reich. Nach deinem Schein, sieh her, ich will dirs zeigen, Giebst du das Geld, sonst bist du ihr zueigen. Johannes.

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Es kann nicht seyn! Nimm Ring und Spange zurück, Stephania vergaß sie hier, als sie entfloh meinem Glück, Sie fürchtete der Mutter hartes Schelten Nimm sie zurück, so viel sie mir auch gelten. Gesell.

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Es ist nicht recht Gekauftes zurück zu geben. Doch gieb nur her, ich hab schon ohne dich zu leben. Johannes. Gleich Freund, doch wo hab ich sie liegen lassen. Gesell.

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Du siehst verlegen aus, kannst dich nicht fassen. 397

Textteil Β

Johannes. Bey Gott ich weiß es nicht, wo ich sie liesse Gesell. Ich seh sie ja, wenn ich sie dir nur wiese Johannes. Du wirst darum von mir nicht schlechtes denken, Ich seh, wohin sich deine Augen lenken. | Jezt fällts mir ein, es ist im Taumeln geschehn, An jenem Abend. Gesell. Ey es last recht schön, Wie Apoll die Spange so herrlich trägt, Wie der Ring um seinen Finger sich legt, Du bist erfindungsreich, sieh ich schwör es dir, Sähs nur die Fürstin, sie kauft es von mir; Ich arbeit so lang, hab nie dran gedacht, Daß man auch Spangen für Bilder macht, Doch glänzt es auf dem Marmor so herrlich klar, Und der Arm scheint so weich wie Fleisch fürwahr. Johannes. Nimm es herab, es thut mir sonst leid, Wenn ich ihm abnehme die kleine Freud. Gesell. Recht gern! (Er steigt hinauf an die Statue) Beym Venusstern Ich glaub, es ist ein seltsam Ding geschehen, Weder Ring noch Spange will wieder abgehen, Es ist als ob der Arm sich hätte gebeugt, Der Finger gekrümmt, der geradeaus gezeigt. Johannes. Er will bewahren, was ich ihm geweiht. Gesell. Mein edler Gott mir gnädig verzeiht, So etwas ist mir nicht vorgekommen, Wenn Fürstin Venus das Wunder vernommen, Sie zahlet den höchsten Preis für das Bild.

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Johannes. Ο sag mir Freund ist die Fürstin so mild, Wie jene die dort so züchtiglich steht, Von der ein Abendathem ergeht, In allen Blättern ein Flüstern erregt, Des Brunnens Wellen so silbern bewegt, In meinem Herzen so goldig schlägt | Sie hat einen Namen so hochverehrt, Und gleicht sie der, die droben fährt Und durch das Blau schon niedersieht Und weiß, was mir im Herzen glüht, Die den Tag beginnt, den Tag beendigt, So wär ich mit ihr gar bald verständigt. Der Name giebt mir einen guten Muth, Führ mich zu ihr, ich bin ihr gut. Gesell. Nun das ist recht, es wird dir nicht reuen, Du hast nichts zu thun, als Blumen zu streuen, Den hohen Freunden das Lager zu bereiten, Und heute siehst du zu mit anderen Leuten Die Fürstin ist gar ein gutes Weib, Doch fehlt es ihr immer an Zeitvertreib, Sie lebet in stetem Ueberdruß Und versagt doch keinem Knaben einen Kuß. Johannes. Es wandeln der Götter Schatten auf Erden, Es sind nicht die Hohen, doch können sies werden. Gesell. Sey nur nicht blöde, fürchte dich nicht, Ich wette der Fürstin gefällt dein Gesicht. Johannes. Leb wohl du Einsamkeit Venus rufet mich heut, Ziegenbock bewahre die Zwiebeln Vorm Ueberkochen und andern Uebeln.

399

Textteil Β

8 So gingen beyde fort, beyde stillschweigend, der Gesell froh, weil es i h m gelungen der Fürstin einen schönen Diener zuzuführen, was sie sehr hoch belohnte, Johannes sich prüfend, ob er wohl den M u t h habe ' seine Verkleidung als | Knabe überall durchzuführen. So k a m er unbem e r k t den Feldweg h i n u n t e r bis an das Haus der Stephania u n d bemerkte es nicht, bis ihn die Pflegmutter der Stephania an dem Mantel zupfte. Er sah sich um, und m e i n t e sein Mantel sey an einem Dornstrauch hängen geblieben, er h i n g aber an den dürren H ä n d e n der alten Sabina, die er sogleich erkannte, ungeachtet er sie nur in den wenigen M o m e n t e n des Streits m i t Spiegelglanz angesehen hatte. Nur gegen Stephania kannst du dich nicht als Knabe anstellen, dachte er in d e m Augenblicke; — sah m i t Sehnsucht das Haus, das Fenster, wo er sie zuerst erblickt hatte u n d wollte sich doch verlegen wegwenden. Sabina. K o m m t herein, einmal fallt ihr m i t der T h ü r ins Haus, D a n n geht ihr vorüber, als sey alles aus, Jezt hört einmal, ich h a b euch viel zu sagen, Johannes. Das Warten wird d e m Gesellen nicht behagen, Ein andermal, heut fehlt die Zeit. Gesell. Lasst euch nicht stören, es ist nicht weit, Auch m u ß ich was in m e i n e m Hause bestellen. (Er springt fort) Johannes. Ich gehe mit. (Sabina hält ihn) Sabina. Keinen Schrit, Was hilft das Schwanken, Ihr werdets m i r danken. Johannes. Was ist, ich bitt euch Sagt nur alles gleich | 400

Sabina. Eile m i t Weile, Zwey Stunden sind eine Meile, Sagt mir, wäret ihr nie in deutschen Landen, Kam kein Kind von einem Schlosse abhanden, Mit d e m ihr f r ü h e r zusammen gelernt, Eh Spiegelglanz sich m i t euch entfernt. Johannes. Lasst das, es ist gute alte Zeit, Ich denk nicht gern so weit, Habt ihr mich gesehn auf des Pfalzgrafen Schloß, Er war m e i n Spielgenoß, W i e Kinder lieben, so liebte ich ihn, W i r musten fort, als ein Vogel erschien, Nachher hört ich, der Fürst sey geraubt, Er sey getödtet hat m a n geglaubt, Wer weiß, i h m ist besser als mir. Sabina. Er ist euch gut, er ist hier, Er lebt, ich darfs euch sagen, Alle Tage t h u t er nach euch fragen, Ihr seyd sein einzger Gedanke, Was hilfts, daß ich ihn zanke Er liebt euch, als war er besessen, H a b t ihr ihn vergessen?, — Er ist krank, weil er euch nicht sah I h m ist besser, seyd ihr i h m nah. Johannes. W i e k a n n er mich lieben und kennt mich nicht, D e n k t noch an m e i n kindisches Angesicht, Und sieht einen F r e m d e n vor sich erscheinen, Sabina. Nein er kennt in euch den Seinen Johannes. Das ist viel! Ich seh ihn ein andermal, H e u t ist mir alles zur Qual. | 401

Textteil Β

Sabina. Ich lasse euch nicht, ihr wollt mich nicht verstehn, Habt doch den Pfalzgrafen kürzlich gesehn, Ich lasse euch nicht, kommt herein zum Heerd, Nun Ludwig komm, er ist dein nicht werth, Mit Gewalt muß ich ihn ziehen, Deiner Liebe möcht er entfliehen. Johannes. Hellt uns ein Zauberlicht Alte Sabina, du bist Venus die spricht, Und Apollo ist mir wieder so nah, Wie ich ihn gestern am Abend sah, Mir taumelt. Sabina. Närrischer Knabe Stephania. Du giebst kein Wort als Erkennungsgabe, Und doch wie ich einzig dich lieb habe, Aus meiner Jugend ist es mir angeklungen Als wir so fröhlig gesprungen, Es ist mir, als wären wir nie getrennt, Mein Herz alles an dir kennt, Und du schweigst! Denk meiner Treue, Ο meiner Jugend Freund, wie ich jubelnd schreie An deinem Halse wieder zu hängen, An dein Herz mich zu drängen, Dich zu umarmen Seligkeit mir Armen Ich hab einen Freund, Dem alle Welt seit erster Jugend feind Sieh unter dem weiblichen Kleid, Verbirgt sich meines Hauses Leid, Gegen Gift und Dolch hats mich bewahrt, Mich rettete die Frau die hochbejahrt, Und doch in jugendlicher Munterkeit Mit mir der Einsamkeit sich hat geweiht. | 402

U n d die Einsamkeit ist n u n vertrieben In freundlichem Lieben. Johannes. Apollo, Venus Bey d e m Kuß, Ihr werdet m e i n Ruf in Noth und Lust, Ihr leitet die Menschen unbewust. Glaubt mich nicht fühllos Da ich wortlos! — Mein Ludwig halt mich nicht f ü r einen Thoren, Ich Sprech nicht m i t den Lüften, sie h a b e n Ohren, Unsre Noth unsre Freude bereiten sie i m Stillen Gegen unser Wissen, ohne unsern Willen. Laß meine H ä n d e erheben zu ihnen, Mit t h r ä n e n d e m Aug will ich ihnen dienen, Der eine geht unter, die andre auf, Sie bewachen ewig den Weltlauf Sieh hinauf zu d e m Stern, Er scheinet durchs Fenster von fern, Segen ist sein Strahl; die Welt ist gut, Täuschung ist der Geist, weise ist nur das Blut Es weiß seinen Weg, wir aber sind blind, K o m m an m e i n Herz, eile geschwind W i r bleiben zusammen; — einen solchen Tag Die Erde nicht wieder zu schaffen vermag. Stephania. Ich versteh deine Augen, deinen Druck, Ich versteh nicht dein Wort, doch ists m i r genug W i r haben einander so viel zu vertrauen Und doch möchte ich i m m e r n u r dich anschauen. Sabina. Laß gut seyn gut, ich will schon erzählen. |

403

Textteil Β 7|35'

9

Warum sollen wir alles weitläuftig hören, was unsre Neugierde errathend lieber zusammendrängt, was aber der staunenden guten Sabina allmälig erst klar wurde. Johannes wurde nämlich von dem Gesellen jezt angetrieben, seinem Versprechen gemäß mit ihm den Berg hinan zum Landhause der Fürstin zu steigen, er wollte sich entschuldigen, jener wieß ihm aber drohend seine Handschrift. Johannes wollte nicht vom Pfalzgrafen weichen und dieser hatte rechte Lust und Neugierde zu dem grossen Volksfeste, er bat die gute Sabina so dringend, daß sie alle Bedenklichkeiten beyseite in die dunkelste Gewissensecke schob, nachdem der Geselle ihr versichert, da sey alles viel zu lustig um solche boshafte Verwandte und deren tückische Abgesandten zu dulden, aus deren Händen sie den Pfalzgraf befreyet und gegen deren Nachforschung sie ihn durch die Verkleidung geschützt hatte, Sabina muste jezt diese ganze Geschichte wiederholen und sie war oft recht schauerlich, alle Winke, die sie von dem Oheim erhalten, der das Kind geraubt hatte, wie sie reich werden sollte, wenn es nicht mehr lebte, wie die Mörder die noch erwärmte Wiege durchstachen, als sie eben das Kind versteckt hatte, aber Oferus mit seinem Trost und Thalmann mit seiner Verschlagenheit hatten ihr überall beygestanden, bey hohem Wasser hatte sie endlich der fromme Riese über den Rhein | 7|35" geflüchtet und sie durch heimliche Wege bis nach der Schweiz geführt. Diese Erzählung vertiefte alle in ein allgemeines Schweigen, als sie geendet trennten sie sich nach der Geschwindigkeit, wie jeder zu gehen gewohnt, der Geselle voran, dann Johannes und Stephania, hinter diesen mühsam ansteigend die alte Sabina. Es giebt in der Welt keinen anmuthigern Weg als den nach dem Venusberg, so schlecht der Rückweg ist, weil der Bequemlichkeit wegen, Eingang und Ausgang ganz verschieden sind. Das Schloß, das einzige unverletzt übriggebliebene Landhauß der alten römischen Reiser, gleich reich an Werken älterer griechischer Kunst wie der späteren römischen Sklavenarbeiten, glänzte wie eine eigne Stadt über den Terrassen des Berges unseren Wanderern entgegen, über deren Haupt die Weinreben ein zartes durchsichtiges Dach bildeten. Weil es dunkelte, so steckte der Führer, der gute Goldschmidtgesell einen Busch voll glänzender Johanniswürmer auf seine Mütze, in deren Glanz der Weg deutlich wurde, ja Blätter Gräser und Stauden seltsam glänzten. Auf einmal meinte Johannes, der Führer werde kleiner, fast klein wie ein 404

Kind u n d trage gleich Amor | Köcher Bogen u n d Fackel. Stephania 7|36' wüste gar nichts von Amor, Johannes erzählte ihr davon m i t Liebhaberey und Stephania glaubte daran wie sie an alle Heiligen glaubte worauf ihr Johannes m e h r und i m m e r m e h r von diesem Gotte, dann auch von Venus erzählte, die Stephania in ihrer Unbefangenheit ganz ruhig f ü r die Fürstin Venus hielt, zu deren Lustschlosse sie hinanstiegen. Jezt nahete sich ihnen der Amor, oder vielmehr er wartete auf sie, sie sahen, daß der Fackel Busch Leuchtwürme(r) und der Bogen ein H a m m e r gewesen, übrigens erschien er ihnen sehr verändert, denn er hatte seinen Mantel abgelegt u n d stand in fleischfarbener Glanzleinewand eng eingenäht, ein Schurzfell vorgebunden mit grossen Ringen verziert, als fertiger Cyklop vor ihnen. Geselle. Was wollt ihr h e u t vorstellen Ihr lustigen Gesellen, Und du altes Weib, Was wählst du f ü r ein Kleid. Sabina. Ich bleib, wie ich bin Sonst geh ich nicht hin. Geselle. Das geht nicht sey vernünftig Ein altes Weib ist nirgend zünftig, Wird nirgend gern eingelassen, D u must heut mitspassen, | Ey, was wollen wir uns lange besinnen, Sey eine Parze, du kannst ja spinnen, Mit deiner Spindel folg n u r i m m e r Durch die goldnen Säle voll Schimmer, D u wirst bald andre Parzen erfinden, Die Larve will ich dir schon vorbinden. Und du Gesell was willst du seyn. Sieh her hier kannst du wählen allein. Johannes. Das Priesterkleid m i r wohlgefällt, Weil es mich vor den Leuten entstellt,

405

7|36"

Textteil Β

Ich glaube nicht, daß Spiegelglanz Mich kennen würde in diesem Kranz. Stephania. Ich wähle mir dieses Weiberkleid, Geselle. Eine Iphigenie, das thut mir leid, Daß du noch sollst geopfert werden, Giebts nicht genug der Rinderheerden. Sabina. Das heist mit Unglück einen beschrein, Ich möcht mich über das Kleid recht freun Du siehst so rein und niedlich aus Wie deine Frau Mutter, als sie noch zuhaus. Geselle. Lasst jezt das Schwatzen und tretet herein, Es soll euch alles erkläret seyn. Guten Tag Herr Thürsteher, wie sieht es aus. Thürsteher. Es wird gleich gehen zum grossen Schmaus, Ich weiß nicht, wo der Kopf mir steht, Da habt ihr Kränze, geht nur geht. | Sie traten nun sogleich in den unteren Raum eines ungeheuren Amphitheaters, dessen Logenreihen rings bis an den Nachthimmel emporzusteigen schienen, sie drängten sich verwundert in dem Zauberlichte an einander sie glaubten sich in einem überirdischen Lebensüberfluß wo alles herrlich, alles erlaubt, Der gute Geselle erklärte alles nach bester Geschicklichkeit und störte freilich damit den Eindruck des wunderbaren Ganzen, aber es diente ihnen zur Wahrheit. Geselle. Nun hört recht, das heist Amphitheater, Seht einmal rechts, den Faun, das ist der Pater Der heute Morgen trieb den Teufel aus, Der lebt am Abend hier in Saus und Braus, Und meint es werd ihn niemand kennen, Seht nur ich werde ihn bey Namen nennen, He Seraphin, da läuft er wie besessen.

406

Johannes. Ey Freund du bist auch hier gar sehr vermessen. Geselle. Das gilt in unsrer Fürstin schönem Reich, Im Maskenkleid bin ich hier jedem gleich. Seht dort, da sitzt sie auf dem bunten Thron Sie fitzt so eben ihren lieben Sohn, Der Amor macht so oft hier seine Händel Da hält sie ihn einmal recht fest beym Bändel Nicht wahr es ist ne hübsche runde Frau, Sie ist stets lustig, ist ihr Haar gleich grau, Johannes. Was hat sie denn auf ihrem Kopfe sitzen, Ich sehs wie einen Stern recht herrlich blitzen Gesell. Das ist der Morgenstern, ein Feuerstein Der drehet sich an ein Reibeisen klein, Und wo er anstösst giebt es helle Funken, Sabina. Von solcher Mühl am Kopfe würd ich trunken Geselle. Die kann viel mehr vertragen, dreissig Flaschen Die müssen ihr des Tags die Kehle waschen. | Stephania. Ach seht die schönen Tauben die da fliegen Wie sie den Hals in bunten Farben wiegen. Geselle. Die kamen alle zu dem Thron heraus, Denn seht der Thron, das ist ein Taubenhaus, Inwendig ganz gemein, doch aussen schön lackirt, Mit ausgeschnitzten Bildern schön staffirt, Er ist gestellt auf vier metallne Rollen, Und geht ganz leicht, wenn wir ihn ziehen sollen. Sabina. Ein schönes Kleid hat auch die Fürstin an. 407

Textteil Β

Geselle. So guten blauen Dammast trägt nicht jedermann, Der selge Herr nahm ihn dem Türken ab, Der Pelz ist abgetrennt, er sitzet etwas knap, Die Franzen sind von Gold, von ihr gesponnen, Das hat sie sich zu ihrer Lust ersonnen. Ein Satyr. Mum, mum, mum! Geselle. Wenn du weiter nichts zu sagen weist, so bist du dumm. Diese Satyrn Waldgötter und andres Geschmeiß, Sind nur hier wegen Trank und Speis, Sonst wissen sie keinen Spas zu geniessen, Sind stumm oder grob, das will mich verdriessen. Neulich da kam einer so ruppig hier an, Daß ich mich machte an den satyrischen Mann, Und habe ihn erst recht ausgetagelt Und dann mit dem Kleid an die Wand genagelt, Er hat um sich gebissen wie eine Fledermaus, Was halfs, es lachten ihn alle aus. Nun seht wie die Fürstin haut, wie der Amor schreit, Graf Apollo kommt und bittet, daß sie verzeiht, | Seht wie er mit Reverenzen um sie vettermichelt, Sie aber thut, als würde das Korn gesichelt, Das nenn ich gute Zucht — Nehmt doch vom Wein, Er wächst hier am Berge und soll vom besten seyn, Stephania. Ich trank noch nie einen Tropfen Wein. Geselle. Versucht will alles doch einmal seyn. Sabina. Laß sie, der brennt ihr die Eingeweide. Johannes. Warum nicht gar, er that mir nichts zuleide. Trink liebes Kind, auf gutes Glück, Dem guten Genius, dem ersten Blick.

408

F

5

In dem Augenblicke wie Stephania trinken wollte entstand ein wilder Lermen, ein Lachen, ein Streiten, ein Schlagen, der Becher wurde aus der Hand geschlagen, Johannes hielt Stephania schützend, Sabina seufzte beklommen, der Geselle horchte zu, was es gebe, endlich kam er lachend zurück. Geselle.

10

15

20

25

30

35

Nun ist es klar, warum der Amor geschlagen, Er kann doch nie den bösen Streichen entsagen, Er hat die Wächter des Hahnenkampfs gewonnen, Mit einer Henne den Spas ersonnen, Er hat sie verkleidet wie einen Hahn, Und brachte sie auf die Kämpferbahn, Sie war betrunken gemacht voraus, Doch mitten im Kampf verlor sich der Rausch, Sie kannte den Hahn so freundlich wieder, Sie duckte sich auf die Erde nieder, Der Hahn verwundert, erkannte sie auch Und brachte nach seinem alten Brauch | Die Körner des Waizens zu ihr getragen, Worum sich sonst die Hähne geschlagen, D a lachten die meisten, doch wer ernsthaft spielt, Und viel gewettet sich gekränket fühlt, Die Parzen, die Furien, die alten Hofdamen Die schlugen auf die Thiere in Gottes Namen, D a kam Markgraf Herkules mit der Keule Und legte sich zwischen mit mancher Beule, Zum Glück kommt jezt ein tüchtiger Regen, D a wird sich die Hitze der Streiter legen. Das war ein wunderbares Drängen nach den Sälen und bedeckten Gängen, aller Anstand war vergessen, jeder brachte sich und die Seinen in Sicherheit und Trockenheit, ein Zufall drängte Johannes und Stephania in die Nähe der Fürstin, die sich nach ihnen erkundigte, worauf sie der Geselle als ein Paar neugeworbene für den Venusberg darstellte. Herzogin. Ihr habt noch nie der Liebe Glück empfunden. 409

7|38"

Textteil Β Johannes. Ich a h n d e es in t r ä u m e r i s c h e n

Stunden

Herzogin. Ihr Glücklichen, euch lebt noch eine

Welt,

D i e m i r in Asche n a c h d e m B r a n d zerfällt, U n d eine W e h m u t h füllet meine

5

Augen,

Die einzusehn für euch noch nicht kann Ο k a n n der Gott uns nicht die Kraft

taugen,

verleihen

Noch e i n m a l zu b e g i n n e n diesen Lebensreihen? | ( A n s c h l u ß an 49,9|9 r in der später für F2 geänderten Grundschicht D i e U m stehenden

suchten den G r a m

10

d e r H e r z o g i n z u v e r s c h e u c h e n (...); vgl.

Variante zu F2, Kap. III,5, 1 6 2 , 2 9 - 3 0 )

( A n s c h l u ß an 4 9 , 7 | 5 Γ ; vgl. F2, Kap. III,7, 1 8 0 , 1 6 ) Γ

9|18

etwas den ernsten Johannes, doch erwachte seine Sorge u m Stephania n o c h q u ä l e n d e r , als er die F ü r s t i n V e n u s a u f e i n e m R a p p e n in Laufe voran, mit blauem sehr bespritztem Götteranzuge

geschmückt,

vorbeyreiten sah, ihr n a c h den ganzen ü b r i g e n Göttertroß, zu F u ß zu Pferde, doch Jupiter waren

alle

gefärbt von

alle N ä t h e

der

gemeinen

Erde. D e m

und

Fürsten

geplatzt u n d n u n erschien deutlich, daß er

sich m i t W o l l e ausgestopft, u m e i n e G ö t t e r k r a f t w e n i g s t e n s

Wink

sonst der O l y m p erbebte. D i e U n z a h l der F a u n e n

andrer

Wald-

die

unter

zog

gehend

seine

bürgerlichen

Kleider

und

hervor,

sie

L a u b g e h ä n g e v e r b o r g e n t r u g e n . R a p h a e l , d e m das Schauspiel erst etwas ganz Unbegreifliches hatte w u r d e von Johannes in die

Schlosse n a c h S t e p h a n i a zu fragen, da er selbst w e g e n seiner

im

schrift-

lichen Verpflichtungen sich nicht d a h i n zurück wagte, u m nicht

dort

zurückgehalten zu werden. Als die Z ü g e v o r ü b e r u n d die Stadt w i e aus

gleich

vor

einem

Erdbeben

verlassen

die Bitte des F r e u n d e s u n d

schien,

suchte nach

erfüllte Raphael den

25

Geheim-

nisse dieses n e u e n O l y m p s e i n g e w e i h t u n d zugleich angefleht, o b e n

9|18V F u r c h t

20

darzustel-

len, auch w a r e n die A u g e n b r a u n e n etwas losgeweicht, auf deren

teufel

15

vollem

gegebnen

30

| soMerk-

zeichen des Weges, d u r c h w e l c h e er sich glücklich h i n d u r c h f a n d , bis zur H ö h e , w o das L a n d i m m e r anders u n d i m m e r schöner erschien.

Da

begegnete i h m der Goldschmidtgesell, der auf eine artige Schnitterin lauerte, die i m h o h e n Korne m i t e i n e m Burschen schön

410

that.

35

F1 Der Geselle sang

5

Herz du must es ihr vergeben Fühlst du doch denselben Zug; Viele Götter muß es geben, Eine Frau ist nicht genug Nein wenn eben kam gegangen Eine frohe Magd und lachte Sicher fühlte ich Verlangen; Jeder thue, was er dachte!

10

15

An dem Berge, den wir steigen Schimmern wechselnd tausend Dinge, Alle Schönen sind mir eigen Weil ich keine Treu erzwinge. Herz du must es ihr vergeben, Daß die Frau auch andre liebt, Leben lassen und auch leben Hab ich lustig stets geübt. Raphael. He lustger Freund, gehts hier zur Fürstin Venus.

20

Geselle. Ich geh mit euch, weil ich hinauf noch muß. |

25

30

35

So kamen sie in ein Gespräch und der Gesell bezeigte sich sehr willig, 9|19' da er auch ein Geschäft im Schloß zu besorgen hatte, Raphael hinaufzubegleiten, als er ihm aber deutlich gemacht, wen er suche, so kannte sein Eifer ihm behülflich zu seyn keine Grenze. Als Johannes sich so still von dem Lager der Stephania entfernt hatte, so schlief und träumte Stephania ungestört fort und Sabina stand in der Ferne auf der Wache. Niemand betrat aber diesen abgelegnen Gang und Stephania war von sonderbarem Schlafe bis gegen Mittag, bis zu der Zeit gefesselt, wo die Nachricht von dem Tode des Papstes die trunkene Göttergesellschaft nach der Stadt preschte. Sabina selbst hatte sich weiter entfernt um diese Nachricht genauer zu vernehmen und so kams, daß sich Stephania ganz allein fand, als sie erwachte. Daß sie Johannes als eine Jungfrau im Traum gesehen und ihn umarmt schwebte ihr mit den zornigen Bildern verlorner Unschuld vor, die ihr Sabina so unbestimmt hingeworfen, auch giebt es 411

Textteil Β

eine Keuschheit der Natur, die unabhängig von aller Erziehung ist und 9|19 unabhängig von aller Volksreligion den Uebergang | der Einheit des Lebens zur Vielheit des Genusses m i t dem Zagen bewacht, das auch in der aufblitzenden Sonne unter der Morgenröthe bebt. Eine Angst daß sie ihre Unschuld verloren war ihr erstes Gefühl, sie fand sich verlassen u n d glaubte sich Verstössen; jedermann glaubte sie müste es bey ihrem Anblicke errathen, sie wollte sich verstecken und gerieth in einen Winkel hinter einer Dornenhecke, wo ein Crucifix bey seite gestellt worden das sonst den Lustwandlern i m Wege gestanden hatte. Hier ihr Gebet V

5

10

Stephania. Ο könnt ich mich verstecken I n diesen Dornenhecken W i e die Vögel in ihren Sünden Und vor der Sonne verschwinden, Doch es schwebt vor m e i n e n Blicken Und es brennt in meiner Brust, U n d ich weine u m Entzücken Und ich klag u m verbotne Lust, Ach könnt ich den J a m m e r verschweigen Versteckt von den rosigen Zweigen, Gedeckt von dem heiligen Bild, Herr Christus sey du m e i n Schild.

7|54r

Ο könnt ich mich verstecken In unsres Hauses Ecken, Daß mich die Mutter nicht sähe, Wenn ich in ihrer Nähe! Doch so schuldig k o m m ich N i m m e r In das reine Haus zurück, Sehe nie den Morgenschimmer In d e m frohen Mutterblick, Ach könnt ich n u r alles verschweigen Doch blieb es m i r innerlich eigen, Ich k a n n es auch n i m m e r vergessen, W i e ich sie so innig besessen. *

412

15

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F'

5

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Ο könnt ich Einen finden, D e m ich es dürft verkünden, Der m i r die Sünde a b n a h m Daß ich die Reue bezähm, Doch wo find ich meine Tugend Daß ich mich drein stürzen kann, Daß i m Bade neue Jugend Mich bewahrt bis ich ein Mann. Ach könnt ich den J a m m e r verkünden, Und schreien zu allen Winden, Mich kreutzgen am heiligen Bild, Herr Christus noch i m m e r mich schilt. Die heftige Bewegung der letzten Worte hatten sie der guten Sabina verrathen, die sie ängstlich gesucht hatte, nachdem sie die Laube leer gefunden. Sabina konnte sich gar keinen andern G r u n d ihrer T h r ä n e n denken, als der Schmerz, vom Glänze ihres Hauses hinweggerissen zu seyn, was ihr beym Wiedersehen des Johannes leicht wieder | einge- 7|54" fallen seyn konnte, sie suchte sie m i t Fragen zu trösten, setzte sich auf die Mauer und n a h m den Kopf der Stephania in ihren Schooß, da erleichterte sich diese durch die Beichte und sie erzählte, was ihr im Traume geschehen. Sabina war erst verwundert; dann aber bald von d e m I r r t h u m e überzeugt, sie erzählte, wie sie i m m e r in ihrer Nähe gesessen, wie sie fest geschlafen u n d daß Johannes doch unmöglich eine J u n g f r a u seyn könne, da er grösser als die meisten Männer. Allmälig entwirrte sich der Knäuel u n d Stephania kannte keine Grenze ihrer Freude und Dankbarkeit von dieser bösen Täuschung befreit zu seyn. Jezt k a m Raphael und der Geselle den Gang herunter, jener flöste beyden viel Zutrauen ein und auch er empfand gleich eine seltene Zärtlichkeit f ü r Stephania, die er f ü r ein Mädchen hielt. Er brachte i m N a m e n des Johannes Spange und Ring mit der Frage, wo der Goldschmidt wohne, er soll(e) sie zurückgeben, der Geselle wollte es nicht n e h m e n ungeachtet er sich dazu bekannte, sondern | schenkte 7|55' beydes der Stephania, die es i h m nicht abschlagen konnte. Bey Johannes sollte sich alles ausgleichen u n d Raphael wollte diese Arbeiten bezahlen, deswegen beschlossen alle zu der Wohnung des Johannes heimzugehen. Als Raphael m i t ihnen auf der Mitte des Berges war stand er still, sah nach der Seite jenseit der Tiber unverwandt, zeigte auf ein Haus u n d sagte: 413

Textteil Β

Raphael. Wie scheinet euch das Haus mit zweyen Thürmen? Geselle. Es scheint sich gegen alle Noth zu schirmen, So fest gesichert steht es da dem Glück, Ich kenn es wohl, ich hatt es oft im Blick, Es wohnt darin der alte Raphael, Die Frau ist unsrer Fürstin Lustgesell. Raphael. Ο dies verruchte Weib hat mich vertrieben, Mein Vater konnte sie so thörigt lieben, Daß er die Kinder seiner ersten Frau verwieß, Die Schwestern in ein trübes Kloster sties, Und mich ganz jung zur Schule nach Paris hinsandte, Wo ich die Flügel mir am Licht verbrannte; Marozia so hieß das böse Weib. Geselle. Sie macht jezt Päpste hier zum Zeitvertreib, Selbst unsre Fürstin hat so vielen Einfluß nicht, Wie die Marozia, wenn sie nur spricht, So schweigen alle hochgelehrten Leute, Ich bin gewiß, sie lermet schrecklich heute. Sabina. Ist das wohl glaublich, daß die höchste Wahl, So schändlich wird betrieben, dienen wir dem Baal, Dem goldnen Kalb, dem Babylonschen Weibe, Daß solche Sünde ungestrafet bleibe. | Geselle. Die Zeit bringt Strafe, lassen wir es gehn, Wir können doch dabey noch gut bestehn. Stephania. Ich wünscht den Degen mir, ihn zu versuchen, Und diese Sünd vor allen zu verfluchen. Geselle. He Jüngferchen bleibt nur bey eurer Kunkel, Der Degen kommt zu euch, wenn es ist dunkel. 414

F1

Sabina. Lasst solche Reden alle beyd ihr kränkt D e n Herrn, der jezt an seinen Vater denkt. Raphael. 5

10

15

Ich lieb ihn doch, so hart er mich Verstössen Er ist jezt alt, es ist viel Zeit verflossen, W i r blicken wieder nach Johannes zurück, dem in der allgemeinen Zerstörung seines I n n e r n n u r der Gedanke an Stephania einen Werth behielt, an welchen er sich nach d e m Sturme, der sein Inneres von d e m stolzen Gebäude seiner Grösse losgerissen, wie an einer Sonnenblume aufrankte, daß sie ihn wieder zum Lichte trage und vor dem Lichte entschuldige. So versunken saß er in diesem Gedanken, daß er des Lermens, der die Strasse herunterzog nicht eher achtete, bis die Chöre vor seinem Hause sich stellten und m i t i m m e r steigender Inbrunst, vom Jubel des Volkes h ä u f i g unterbrochen, das Wahllied sangen. |

(Anschluß an 49,7|56r; vgl. F2, Kap. III,7, 181,19)

(49,9|20-23) (Anschluß an 49,7|59"; vgl. F2, Kap. III,7, 187,9)

20

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Johannes aber in Widerwillen und Schmerz schlüpfte i m Augenblicke 9|20' aus d e m Mantel, sprang zur Thür, rief die Wache und befahl: Johannes. Werft diesen t r u n k n e n M a n n zum Schloß hinaus So ernsten Tag vergaß er bey d e m Schmaus, Wer weiß ob er i m Trunk nicht Mittel h a t gegeben, D e m vorgen Herrn, daß er verlor sein Leben. Chrysoloras von den Wachen fortgetragen Was packt ihr mich, kennt ihr mich gar nicht mehr, Dir gab ich deinen Dienst, du machst m i r wenig Ehr, Dich habe ich umsonst vom Fieber einst kurirt Wache. Was hilft das alles Herr, f ü r h e u t marschirt. Gemächlich wurde der Liebling des vorigen Papstes aus einer H a n d in die andre die Treppe hinuntergeworfen, einem verzognen Liebling 415

Textteil Β

irdischer Grossen wird der Dank zum Vorwurf, wovon sich jeder frey zu machen sucht, wenn er nichts mehr gilt. Chrysoloras stand betäubt vor dem Pallast, hätte gern seine teuflische Bosheit ganz offen gezeigt und Johannes durch Bekanntmachung ihres Geschlechts vernichtet, aber er fürchtete dabey für sein Leben und wie er geahndet, sein elendes Daseyn liebte er zärtlich, mehr noch als seine teuflische Bosheit. Dennoch konnte er es nicht lassen, als | Johannes ans Fenster trat nach dem Hause der Stephania zu blicken, eine mythologisch bedeutsame Rede über sein Schicksal in griechischer Sprache herzusagen, als sey er der von den Göttern verstossene Ixion. Sausend gerissen am Rade der Zeiten Aufwärts zur Höhe, wird mir so wohl! Sinkend noch rascher, tiefer und tiefer Sticken die schäumenden Wasser den Muth, Schwindelnde Augen brennen in Funken Weichliche Thränen löschen sie aus. Ach ich Gemeiner Diener der Götter Suchte der Schönheit göttliche Hoheit Niederzubeugen, mir zum Besitz! Weil ich geduldet am Mahle der Götter Possen zu reissen, glaubt ich mich Gott, Fraß die Ambrosia, soff von dem Necktar Dennoch vermochte ich nimmer zu tragen Ihre gewaltige brennende Kraft Must sie verschlafen und beym Erwachen Saß mir das Herz, knap auf der Zunge Trocken die Gaumen, daß ich verfluchte Göttliches Leben, daß ich gelobte Nimmer zu trinken, wenn mir auch Hebe | Reichte den Becher, wüsche die Füsse Salbte die Haare. Salblos und unrein Langte ich dennoch, war ich genesen, Wieder nach Bechern, die Göttern kredenzt Sprützte die Neigen über die Erde Allen den Sterblichen schenkend ein Glücksspiel Irrer Gedanken, seliger Lieder, Die sie dann wähnten selber errungen, Lachend der Thoren schlürft ich die Becher 416

Gierig vergessend, früheres Leiden Bis mir der Necktar kitzelt die Nase, Enget den Hals und flügelt das Blut Mehr als Kronion Nektar zu trinken Ich mich vermesse. Lächelnd der Starke Duldet den Wetttrunk, trinket mir zu. Aber die Augen sinken bald müde Daß mir vom Munde fliesset der Necktar Kühlend zum Nabel. Ach ich erfuhr es Hier in der Tiefe, denke es jammernd. Stille einander winkten die Götter Löschten die brennenden Haare des Morgens, Daß sie die Träume sähen die heimliches Lüsten entlockte der trügenden Pforte Ward mir so wohlig, fühlte mich zwey, Juno sie strich mir die Locken im Nacken, Küsste die Augen und küsste die Brust mir, Ja ich umfasste heißhungernd die Göttin! Ach nur die Wolke! Wehe mich weckte | Donnergerassel, Lachen und Grinsen Aller der andern Lieblinge Jupiters. Schluchzend begehrend, traurend und bebend Schaut ich sein Antlitz, schrecklicher Augenblick, Schrecklich die Brauen drängt er zusammen Schrecklich erblitzen dem Gotte die Augen Daß ich erblinde in dunkeler Nacht. Alle die Götter hielten die Nase, die Augen sich zu und winkten den Dienern. Da war kein Halten! Alle die Stufen der Himmlischen Feste, die ich erstiegen Ohne zu grüssen, Schritte der Götter Keuchend nachahmend, alle die Stufen, wie Fallende Kiesel vom Felsen hinunter, Schneller und schneller, ward ich geworfen, Nieder zur Tiefe dem gut ist Bedienung Waltender Götter! Wo ach wohin, wie Bin ich verworfen, oftmals ich höre den Anstoß der Becher seliger Götter 417

Textteil Β

Wenn ich am Rade schaudre zur Höhe Läuft mir das Wasser im Munde zusammen, Mein ich sie reichen mir Neigen vom Necktar Uebergangsfreude! Untergangsschauer. Schon in das Wasser sink ich verhöhnet Weil ich gemeiner Kerl versuchte Ewige Schönheit zu fassen besitzend zu Ziehen herab aus ewgem Genüsse | 9|22r Johannes hatte das Fenster längst verlassen, aber eine der Wachen, die den verhassten Günstling in fremder Sprache solange zaustern hörte, drückte seinen Ueberdruß durch einen Ueberguß mit frischem Regenwasser aus, das brachte den Chrysoloras zur Moral und er Schloß mit den Worten Chrysoloras. Habe nach Ewgem nimmer Gelüsten Kannst du nicht greifen ins Rad der Zeiten Halten im Sinken und tragen das Endende Gleichen Gemüthes und freundlicher Seele! Meine Gespielen auf Erden die jubeln noch, Nimmer zum Mahle der Götter sie kamen, Immer sie warten der Blicke Kronions, die Nimmer sie sehen, wartend sie freun sich des Mahles der Arbeit der mässigen Höhe, Schauend die hohen Gebürge der Götter Fern wie Wolken die keinem ersteiglich! Vertreibt sie die Zeit nennen sie's Zeitvertreib, Nennen den Tod ihr ewiges Leben. Die Fürstin Venus, die mit ihrem Gefolge durch die Strassen schwärmte hatte sich an den Griechen herangeschlichen, beklatschte den Ausgang und bat den heftig erregten Arzt mit schmeichelnden 9|22v Worten ihr seine Lehre | näher zu entwickeln, der ihre Trauer besonders geneigt sey. Der Arzt in seiner Verstossung war diesem Reitze seiner Eitelkeit um so geneigter, er nannte sich ihren Atys, sie sey seine Cybele und so sammelte sie auch ihn, der ihr bis dahin widerstanden in dieser Nacht zu dem Kreise geistreicher Männer, mit denen sie in wunderlicher Vermummung böser Lust unter geistiger Ausbildung ein sehr seltsames und echt originelles Leben führte, in ewiger Unzufriedenheit mit sich und mit der Welt und doch in stetem Be418

F1

5

10

m ü h e n sich i m m e r fester auf derselben anzubauen; M a n konnte allerdings sagen mit weniger Geist wäre sie tugendhafter gewesen, aber durch m e h r Tugend wäre sie nicht geistloser geworden. Sie f ü h r t e ihn nach i h r e m Schlosse in der Stadt, entließ alle andern Freunde und suchte alles Eigne dieses neuen Freundes zu erfahren. Der Teufel i m Chrysoloras hätte es ihr gerne verheimligt, u m der Kirche so länger schaden zu können, daß Johannes eine J u n g f r a u sey, aber Eitelkeit des griechischen Arztes ließ i h m keine Macht, er muste | sich m i t diesem 9|23r Geheimnisse vor der neuen Gebieterin wichtig machen, auch sollte i h m diese, wie er meinte, seine Rache erleichtern. Die Fürstin horchte hoch auf bey dieser Nachricht, dankte i h m zärtlich, gebot i h m aber bey ihrer Liebe, n i e m a n d dieses G e h e i m n i ß zu vertrauen. Er versprach alles, in so fern diese Liebe i h m lohnte. Das war ihr eine Kleinigkeit. | (Anschluß an 49,7|61'; vgl. F2, Kap. IV, 1, 189,1; bzw. ursprünglich an 49,3|2|22';

15

vgl. TF", 303,7)

419

PARALIPOMENA

(Die Rolle der folgenden Skizzen und Entwürfe bei der Genese der Dichtung ist im Kapitel zur Werkentstehung (Kommentarteil) ausführlich dargelegt. Sie sind hier in integraler Darstellung nach denselben Prinzipien wiedergegeben, wie sie in den Bemerkungen »Zu dieser Ausgabe« (Kommentarteil) für die Dokumentation mehrstufiger Varianten im Apparat zu den Textteilen beschrieben werden. Es handelt sich bei den Skizzen und Entwürfen, im Unterschied zu den in den Textteilen Α und Β abgedruckten Fassungen und Vorfassungen, in vielen Fällen um unabgeschlossene >works in progress ι ο σ ι

OJ " σ

E ? 0J _ g

ω " σ c

, 7 1988 (Bd. 4), 71984 (Bd. 5).

Schröckh

Johann

Matthias

Schröckh,

Christliche

Kirchengeschichte.

35 Bde. Leipzig 1772-1803. Schubert 1808

Gotthilf Heinrich Schubert, Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. Dresden 1808.

Speck 1902

Hermann Speck, Zu Achim von Arnims »Päpstin Johanna«. In: Festschrift des Germanistischen Vereins in Breslau. Hg. zur Feier seines 25jährigen Bestehens. Leipzig 1902, S. 212-218.

St. Andr£ 1727

Mr. de St. Andre, Königl. Leib-Medici in Franckreich, Lesenswürdige Briefe An einige seiner Freunde Uber die Materie Von Der Zauberey, Den Ubelthaten, so dadurch angestifftet werden, und von den Zauberern und Hexen insbesondere (...). Gedruckt

497

Kommentar zu Paris 1725. Statt eines Suplements z u m Hutchinson aus dem Frantzösischen ins Teutsche übersetzt (...) Von Theodora Arnold. Leipzig 1727. Staengle 1988

Peter Staengle, Achim von Arnims poetische Selbstbesinnung. Studien über Subjektivitätskritik, poetologische

Programmatik

und existentielle Selbstauslegung im Erzählwerk. Frankfurt/M.Bern-New

York-Paris

1988. (Europäische

Hochschulschriften:

Reihe 1; 1038.) Steig 1894

Reinhold Steig / Herman Grimm (Hg.), Achim von Arnim und die ihm nahe standen. 1. Bd.: Achim von Arnim und Clemens Brentano. Bearbeitet von Reinhold Steig. Stuttgart 1894.

Steig 1903

Reinhold Steig, Literarische Umbildung des Märchens vom Fischer und siner Fru. In: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Litteraturen 110, 1903, S. 8 - 1 9 .

Steig 1913

Reinhold Steig / Herman Grimm (Hg.), Achim von Arnim und die ihm nahe standen. 2. Bd.: Achim von Arnim und Bettina Brentano. Bearbeitet von Reinhold Steig. Stuttgart-Berlin 1913.

Sternberg 1983

Thomas Sternberg, Die Lyrik Achim von Arnims. Bilder der Wirklichkeit - Wirklichkeit der Bilder. Bonn 1983. (Abhandlungen zur Kunst-, Musik- und Literaturwissenschaft 342.)

Sternberg 1990

Thomas Sternberg, »Und auch w e n n wir entschiedne Protestanten sind«. Achim von Arnim zu Religion und Konfession. In: Burwick/Fischer 1990, S. 2 5 - 5 9 .

Stramberg 1856

(Christian von Stramberg,) Denkwürdiger und nützlicher Rheinischer Antiquarius (...). Von einem Nachforscher in historischen Dingen. Mittelrhein. Der II. Abtheilung 5. Bd. Das Rheinufer von Coblenz bis zur M ü n d u n g der Nahe. Historisch und topographisch dargestellt durch Chr. v. Stramberg. 4. Bd. C o b lenz 1856.

Streller 1957

Dorothea Streller, Arnim und das Drama. Phil. Diss. Göttingen 1957 (Masch.).

Streller 1963

Dorothea Streller, Achim von Arnim und »Auch ein Faust«. In: Jb.

der

Sammlung

Kippenberg.

Neue

Folge

1,

1963,

S. 1 5 0 - 1 6 2 . Strich 1910

Fritz Strich, Die Mythologie in der deutschen Literatur von Klopstock bis Wagner. 2 Bde. Halle/S. 1910. Nachdruck BernM ü n c h e n 1970.

498

Abgekürzt zitierte Literatur Studien 6

Studien. Hg. von Carl Daub und Friedrich Creuzer. 6. Bd. Heidelberg 1811.

SW

Ludwig Achim von Arnim, Sämmtliche Werke. Hg. von Wilhelm Grimm (u.a.). 22 Bde. Berlin bzw. Grünberg/Leipzig bzw. Weimar 1 8 3 9 - 1 8 5 6 .

Vatikanlexikon

Vatikanlexikon. Hg. von Niccolö Del Re. Deutsche Bearbeitung: Elmar Bordfeld. Augsburg 1998.

Vogt 1811

Niklas Vogt, Die Bildergallerie des Rheins. In: Rheinisches Archiv für Geschichte und Litteratur. Bd. 5, Heft 5. Wiesbaden 1811, S. 5 3 - 7 9 .

Völker 1977

Klaus Völker (Hg.), Päpstin Johanna. Ein Lesebuch. Berlin 1977. (Wagenbachs Taschenbücherei 31.)

Vorgrimmler 1994

Herbert Vorgrimmler, Geschichte der Hölle. M ü n c h e n

WAA

Weimarer Arnim-Ausgabe.

Wander

Karl Friedrich Wilhelm Wander, Deutsches

2

1994.

Sprichwörter-Lexi-

kon. 5 Bde. Leipzig 1 8 6 7 - 1 8 8 0 . Nachdruck Wiesbaden 1987. Werke

Achim von Arnim, Werke in sechs Bänden. Hg. von Roswitha Burwick, Jürgen Knaack, Paul Michael Lützeler, Renate M o e ring,

Ulfert

Ricklefs

und

Hermann

F. Weiss.

Frankfurt/M.

1 9 8 9 - 1 9 9 4 . (Bibliothek deutscher Klassiker.) Wh

Des Knaben Wunderhorn.

Wilhelm Grimm:

Wilhelm Grimm, Kleinere Schriften. Hg. von Gustav Hinrichs.

Kleinere Schriften Willison 1989

4 Bde. Berlin 1 8 8 1 - 1 8 8 7 . A n n Willison, Bettines Kompositionen. Zu einem Notenheft der Sammlung Heineman. In: Internationales Jb. der Bettina von Arnim-Gesellschaft 3, 1989, S. 1 8 3 - 2 0 8 .

Winckelmann 1934

Johann Joachim Winckelmann, Geschichte der Kunst des Altertums. Wien 1934. Nachdruck Darmstadt 1982.

Wingertszahn 1990

Christof Wingertszahn, Ambiguität und Ambivalenz im erzählerischen Werk Achims von Arnim. Mit einem A n h a n g

unbe-

kannter Texte aus Arnims Nachlaß. St. Ingbert 1990. Woesler 1979

Winfried Woesler, Theorie und Praxis der Nachlaßedition. In: Louis Hay/ Winfried Woesler (Hg.), Die Nachlaßedition. Akten des vom Centre National de la Recherche Scientifique und der Deutschen Forschungsgemeinschaft veranstalteten französisch-

499

Kommentar deutschen Editorenkolloquiums Paris 1977. Bern-Frankfurt/M.Las Vegas

1979 (Jb. für Internationale Germanistik

Reihe A

Bd. 4), S. 4 2 - 5 3 . ZfE Zimmermann 1975

Zeitung für Einsiedler. Harald Zimmermann, Valentin Ernst Löscher, das finstere Mittelalter und dessen Saeculum obscurum. In: Karl Bosl (Hg.), Gesellschaft-Kultur-Literatur.

Rezeption

und

Originalität

im

Wachsen einer europäischen Literatur und Geistigkeit. Beiträge Luitpold Wallach gewidmet. Stuttgart 1975 (Monographien zur Geschichte des Mittelalters 11), S. 2 5 9 - 2 7 7 .

500

Überlieferung Die PJ war bislang nur in der Druckfassung bekannt, die Bettina von Arnim 1846 im Rahmen der Sämmtlichen Werke publizierte (vgl. Rezeption 1). Die vorliegende kritische Ausgabe wurde ermöglicht durch den glücklichen Umstand, daß fast das gesamte Handschriftenmaterial zu der Dichtung erhalten ist. Bettina von Arnim hatte die Manuskripte ursprünglich nach der Veröffentlichung in SW19 verbrennen lassen wollen, wie der im Konvolut als Bl. 49,6|86 erhaltene Zettel dokumentiert (vgl. u. Beschreibung der Textzeugen); diese Anweisung wurde jedoch durch einen Mitarbeiter der Ausgabe in einem Zusatz auf demselben Blatt widerrufen. Diese als V zeichnende Person, der also offenbar die Rettung der Handschriften zur PJ zu verdanken ist, konnte bislang nicht identifiziert werden; Karl August Varnhagen von Ense, den Ricklefs 1990b, S. 317 (allerdings mit Fragezeichen) vorschlägt und der deshalb auch im Findbuch des GSA als Schreiber des Satzes genannt ist, kann aufgrund von Handschriftenvergleichen jedenfalls ausgeschlossen werden. Die Materialien zur PJ wurden in den Nachlaß Arnims im Wiepersdorfer Familienarchiv eingegliedert, den die Familie 1929 in Berlin zur Versteigerung brachte. Der Auktionskatalog der Firma Henrici Nr. 155 verzeichnet auf S. 176 zu dem als Nr. 231 aufgenommenen Ms. der PJ: Die Päpstin J o h a n n e . Eigh. Manuskript zu dem Roman. Etwa 750 beschriebene Seiten. Folio. Das vorliegende Manuskript ist dadurch besonders interessant, dass es ausser der gedruckten Fassung zahlreiche abweichende und ergänzende Parallelstellen sowie 13 Seiten erste Entwürfe in kurzen Stichworten enthält. Nicht in den Druck a u f g e n o m m e n ist ein hier im M a n u s k r i p t vorlieg e n d e s Märchen, das in r o m a n t i s c h e r Form die D e m e t e r - D e m o p h o o n - S a g e a b w a n d e l t . Bettinens rege Mitarbeit bezeugen zahlreiche Abschriften einzelner Teile von ihrer Hand. Dieses Konvolut blieb jedoch unverkauft und wurde nach 1945 im Bettina von Arnim-Archiv der Deutschen Akademie der Künste in Ostberlin aufbewahrt, das 1954 dem GSA in V\feimar eingegliedert wurde. Daß nahezu die kompletten hs. 501

Kommentar Materialien zu einer Dichtung, einschließlich Skizzen und Vorstufen, erhalten sind, ist im CEuvre Arnims ein singulärer Fall; bei keinem anderen Hauptwerk des Autors kann die Genese so detailliert rekonstruiert werden.

Beschreibung der Textzeugen Die heutigen Signaturen und Paginierungen des Handschriftenkonvoluts zur PJ im GSA (03|49), das nach aktueller Zählung 390 Bl. umfaßt, gehen auf Ulfert Ricklefs zurück, der die Manuskripte aufgrund der in seiner Diss, dokumentierten Erkenntnisse neu ordnete; in der Druckfassung seiner Arbeit von 1990 sind diese neuen Benennungen bereits zugrundegelegt (seitdem haben sich die Signaturen aufgrund einer Neuorganisation der Bestände des GSA allerdings noch einmal geändert). Im Mittelpunkt steht, beim heutigen Zustand des Konvoluts sicher sinnvoll, das von Bettina von Arnim als Vorlage für SW19 zusammengestellte Druckmanuskript 49,6-8; weitere Komplexe bilden die dabei von ihr ausgesonderten Blätter aus der I. Periode (49,3|1) sowie aus anderen Teilen von F1 (49,9), weiterhin die für F2 neu entstandenen Blätter (49,3|5 und 6), die im Laufe der weiteren Überarbeitung ausgeschiedenen Blätter aus TF1 (49,3|2), TF2 (49,3|3) und TF3 (49,3|4) sowie die verschiedenen Skizzen und Entwürfe Arnims zur PJ (49,1, 49,2 und 49,4). In einigen Details hatte allerdings bereits die Druckfassung von Ricklefs' Arbeit von 1990 diese Aufteilung des Materials durch neue Erkenntnisse zur Werkgenese korrigiert, wozu die vorliegende Edition weitere Ergänzungen beiträgt. So können nunmehr alle im GSA noch als »nicht zugeordnete Konzepte« (49,5) zusammengestellten Blätter werkgenetisch zugewiesen werden; der Anschluß von 49,4|1 (Ende des Demophonmärchens) an 49,9|8 wurde bei der Einordnung dieses Blattes unter die Konzepte noch nicht erkannt. Die folgende Beschreibung der Textzeugen hat dennoch sinnvollerweise der aktuellen Signierung und somit auch Anordnung der Materialien im GSA zu folgen; die Überschriften der einzelnen Ordner sind nach dem Findbuch des Archivs (ArnimBrentano 03) zitiert. Vgl. aber zur Ergänzung und gelegentlichen Korrektur die detaillierte textgenetische Zuordnung der einzelnen Blätter im Abschnitt »Entstehung«. Die meisten von Arnim stammenden Blätter des Konvoluts weisen geripptes gröberes Papier von braungelber Farbe auf und sind mit schwarzer Tinte beschr.; im folgenden werden daher nur dann Papierstärke und -tönung sowie Tintenfarbe aufgeführt, wenn sie von dieser Norm auffallend abweichen. Bedeutsam ist die Katalogisierung der Wasserzeichen, da die so sichtbar werdenden unterschiedlichen Papiersorten ein wichtiges Hilfsmittel bei der Rekon502

Überlieferung struktion der komplizierten Textgenese darstellen (vgl. Entstehung). Bereits Ricklefs 1990b hat daher an den Wasserzeichen orientierte Siglen für die mehrfach verwendeten Papiere eingeführt, die hier (gelegentlich mit Korrekturen und Ergänzungen) übernommen sind. Bei der Beschreibung derjenigen Blätter, die zu diesen am Anfang der Übersicht aufgelisteten Sorten gehören, wird daher zunächst die Sigle genannt; sofern in der Auflistung ein >Standardformat< für das fragliche Papier bestimmt werden konnte, werden die Abmessungen der Blätter bei der Einzelbeschreibung nur dann mitgeteilt, w e n n sie von diesem Format abweichen. Bei einzelnen Blättern wird zudem angegeben, ob Haupt- oder Gegenzeichen des Wasserzeichens im Papier erscheint; dies kann nützlich sein, um Blätter, die ursprünglich als Dbl. zusammengehörten, einander wieder zuzuordnen (z.B. 49,3|1126 und 27). Bei der A n g a b e der Fremdeinträge sind die zahlreichen Eingriffe Bettina von Arnims in Arnims Text nicht berücksichtigt, die stattdessen in einem separaten Lesartenverzeichnis wiedergegeben werden (vgl. auch »Zu dieser Ausgabe«); vielmehr sind hier über die Bearbeitung des Wferktextes hinausgehende Einträge wie Vermerke für den Druck von S W 19 (im Druckmanuskript 49,6-8) und Paginierungen verzeichnet. Bei den letzteren wird allerdings die Archivpaginierung aller Blätter (aoRr und auRl jeweils mit Bleistift) nicht berücksichtigt; hingegen ist die Paginierung aoRl von Interesse, da sie offenbar für den Druck von S W 19 vorgenommen wurde, vgl. die Bezugnahme auf diese Zählung im Text auf dem Umschlag um das Druckmanuskript 49,6|1 (die von Bettina von Arnim neu geschriebenen Blätter sind in diese Paginierung einbezogen). Sofern nicht anders vermerkt, sind alle Fremdeinträge mit schwarzer Tinte geschrieben. Die von Bettina von Arnim stammenden Blätter sind in die Beschreibung einbezogen, um das Bild des Handschriftenkonvoluts zur PJ abzurunden; sofern nicht anders vermerkt, sind sie mit brauner Tinte beschr. Da nicht ausgeschlossen werden kann, daß Paginierungen und Vermerke für den Druck hier von der Schreiberin selbst stammen, sind diese nicht als »Fremdeinträge«, sondern als »Zusätzliche Einträge« (über den Werktext hinaus) verzeichnet. Weil die Blätter Bettina von Arnims in der vorliegenden Ausgabe nicht transkribiert sind (vgl. »Zu dieser Ausgabe«), ist zur besseren Orientierung des Benutzers angegeben, welchen Seiten im Druck S W 1 9 sie jeweils entsprechen. Bereits Ricklefs hatte zwei im FDH in Frankfurt verwahrte Hs. entdeckt, die den Bestand des G S A zur PJ ergänzen (FDH G 3 0 1 und 400). In der vorliegenden Arbeit konnte dem noch FDH G 5 1 4 hinzugefügt werden. Die entsprechenden Blätter sind am Ende der Auflistung beschrieben. Hingegen sind die beiden Eintragungen in das Taschenbuch G S A 0 3 | 1 8 4 (S. 145 und 168), die im Kontext der Paralipomena transkribiert sind (vgl. dort 1.2), hier nicht berücksichtigt; die-

503

Kommentar ses in rotes Leder gebundene Buch, das Exzerpte und Werkpläne enthält, wird im entsprechenden Bd. der WAA (28) ausführlich dokumentiert werden. Siglen für mehrfach erscheinende Papiersorten F

WZ: Hauptzeichen: Medaillon

mit der Unterschrift

FRIED.

WILH. d. III. Gegenzeichen: C.G. PUTZ IN FRIESDORF. Ca. 350 χ 205 mm. Starkes, dunkelgelblich-grünliches Papier. S

WZ: Hauptzeichen: Medaillon mit der Unterschrift F R I E D R I C H W I L H E L M d. III, nach rechts blickend. Gegenzeichen: I W EBART IN

Τ

WZ:

SPECHTHAUSEN.

Hauptzeichen: Tannenbaum

auf

Sockel.

Gegenzeichen:

Sechsgezackter Stern/Sonne mit überliegendem Η und unterliegendem A I. Ca. 330 χ 200 mm. Grünliches Papier. G

WZ: Hauptzeichen: Tannenbaum auf Sockel auf der Mitte der Seite, darunter G O T S F O R T H . Gegenzeichen: Sechsgezackter Stern/Sonne mit überliegendem Η

und unterliegendem Ο St.

Ca. 330 χ 200 mm. Κ

WZ: Hauptzeichen: Krone. Gegenzeichen: I W

Ε

WZ: Haupt- und Gegenzeichen: Baselstab. Ca. 330 χ 205 mm.

BvA

EBART.

Von Bettina von Arnim beschr. Blätter. Ca. 280 χ 230 mm. Glattes, gelblich-weißes Papier. Kein WZ.

49,1

skizzenhafte Entwürfe und Szenarium

(früheste Skizze) 49.111

1 Bl. ca. 235 χ 190 mm; beschnitten; 1r y2 beschr. - Postpapier; gelblich. - Braune Tinte. - WZ: Γ alRm parallel zum Seitenrand:

J. HONIG. (Skizzen und Szenarium zur Romhandlung) 49.112

S; 1 Bl. ca. 343 χ 205 mm. - WZ: Hauptzeichen.

49.113

1 Bl. ca. 367 χ 217 mm.

49,1|4

1 Bl. ca. 362 χ 213 mm; aoRr Papierverlust mit geringem Textverlust auf 4V. - WZ: Tannenbaum.

49,115

1 Bl. ca. 345 χ 212 mm. - WZ: einige unleserliche Buchstaben.

504

Überlieferung 49,116

1 Bl. ca. 233 χ 187 mm; unterer Rand abgerissen. - Postpapier; dunkelgelblich. - WZ: 6V alR noch zu erkennen: drei Strahlen (?), davor parallel zum Seitenrand Schluß eines Namens: (unleserlicher Buchstabe) E R . - Besonderheiten: 6V auRr kopfstehend mit brauner Tinte der Briefansatz: L i e b e S c h w ä g e r i n !

49.2

frühere Konzepte zum Anfang der Dichtung, in A r m u t ... D o lores, 4. Abt., 6. Kap. verarbeitet

Alle Bl. dieses Komplexes weisen die folgenden Merkmale auf: Format ca. 315 χ 195 mm; starkes, grünliches Papier; WZ: Hauptzeichen: Hirschkopf mit Geweih, nach rechts blickend; Gegenzeichen: J O R D A N . Sofern nicht anders angegeben, erfolgten alle Fremdeinträge mit Bleistift. (Versfassung der Teufelsszene) 49,2|1-2

1 Dbl. - Fremdeinträge: V aoRl: O d e r 4x. - Besonderheiten: Auf 1r wurde bei der Beschriftung rechts eine Spalte freigelassen. (Fortsetzung auf F D H G 3 0 1 ; vgl. u.)

(Prosafassung der Teufelsszene) 49,2|3-4

1 Dbl. - Fremdeinträge: 3r aoRl: l x . - Besonderheiten: Auf 3 r und 4 r links sowie auf 3" und 4V rechts wurde bei der Beschriftung eine Spalte freigelassen.

49,2|5-6

1 Dbl. - Fremdeinträge: 5r aoRl: 2x. - Besonderheiten: Auf 5 r und 6 r links sowie auf 5V und 6V rechts wurde bei der Beschriftung eine Spalte freigelassen.

49,2|7-8

1 Dbl.; 7 r -8 r beschr. - Fremdeinträge: Τ aoRl: 3x. 8V in der rechten oberen Ecke kopfstehend: E n t w e d e r ; auRr kopfstehend mit brauner Tinte: d a r u m . - Besonderheiten: Auf Τ und 8r links sowie auf Τ rechts wurde bei der Beschriftung eine Spalte freigelassen.

49,2|9

1 Bl.; 9 r -9 v % beschr. - WZ: Hauptzeichen. - Besonderheiten: Auf 9 r links sowie auf 9V rechts wurde bei der Beschriftung eine Spalte freigelassen.

49.3

korrigierte Reinschrift zu Teilen von Versfassungen und der für den geplanten Druck

1813 überarbeiteten Prosafassung, die

nicht in das Druckmanuskript von 1846 übernommen wurden

505

Kommentar (von Bettina von Arnim für das Druckmanuskript ersetzte Teile der I. Periode) 49,31111 —2

S; 1 Dbl. ca. 345 χ 207 mm. - Fremdeinträge: 1 r aoRl: 3.

49,3|1|3-4

S; 1 Dbl. ca. 345 χ 207 mm. - Fremdeinträge: 3' aoRl: 4.

49,3|115-6

S; 1 Dbl. ca. 345 χ 207 mm. - Fremdeinträge: 5r aoRl: 5.

49,3|1|7-8

S; 1 Dbl. ca. 345 χ 207 mm. - Fremdeinträge: Τ aoRl: 6.

49,3|1|9-10

K; 1 Dbl. ca. 332 χ 198 mm. - Fremdeinträge: 9 r aoRl: 7.

49,3| 1111—12 G; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 1 Γ aoRl: 8. 49,3|1|13

G; 1 Bl.; 13r beschr. - Fremdeinträge: 13r aoRl: 9. - Besonderheiten: 13v war auf 14r geklebt; davon in den vier Ecken noch geringe Siegelreste.

49,3|1114

K; 1 Bl. ca. 332 χ 198 mm. - Besonderheiten: 14r war mit 13v überklebt; davon in den vier Ecken noch Siegelreste, die einige Wörter am Seitenbeginn überdecken.

49,311115

K; 1 Bl. ca. 332 χ 198 mm. - Fremdeinträge: 15v aoRl mit Bleistift: 9b.

49,311116—17

G; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 16r aoRl: 10.

49,3|1|18-19

G; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 18r aoRl: 11.

49,3|1120-21

G; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 20' aoRl mit Bleistift: Z w i s c h e n 11 u 12.

49,3|1122-23

G; 1 Dbl.; auf 23 v nur ein Satzschluß aoR. - Fremdeinträge: 22 r aoRl: 12.

49,3|1124-25

G; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 24 r aoRl mit Tinte: 13.

49,3|1126

G; 1 Bl.; bildete ursprünglich ein Doppelblatt mit 49,3|1|27. WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 26 r aoRl: 14.

49,3|1127

G; 1 Bl.; bildete ursprünglich ein Doppelblatt mit 49,3|1|26. WZ: Gegenzeichen. - Fremdeinträge: aoRm mit Bleistift: 14 a / 2 , davor

gestr.

13.

-

Besonderheiten:

27 r

dünn

mit

Bleistift

durchstr., war mit 49,3|5|8 überklebt; Siegelreste in den vier Ekken überdecken einige Wörter am Anfang und Ende der Seite. 49,3|1128

S; 1 Bl. ca. 343 χ 207 mm. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: aoRl mit brauner Tinte: 15.16.

506

Überlieferung (bei der weiteren Überarbeitung ausgeschiedene Blätter aus TF1) 49,3|2|1-2

F; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 1r aoRl mit Bleistift: I I 23 u.

49,3|2|3-4

F; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 3r aoRl mit Bleistift: I I 17 18, 19. 4V aoRl mit Bleistift: I I 17, 18, 19.

49,3|2|5-6

F; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 5r aoRl mit Bleistift: I I 20.

49,3|2|7-8

F; 1 Dbl. - Fremdeinträge: Τ aoRl mit Bleistift: I I 21 (aus 20).

49,3|2|9-10

F; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 9 r aoRl mit Bleistift: I I 22.

49,3|2| 1 1 - 1 2

F; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 11r aoRl mit Bleistift: I I 25.

49,3|2|13-14

F; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 13r aoRl mit Bleistift: I I 2 6 - 2 7 .

49,3|2|15-16

F; 1 Dbl.; 15 r -16 r beschr. - Fremdeinträge: 15r aoRl mit Bleistift: II 27-28.

49,3|2|17-18

F; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 17r aoRl mit Bleistift: I I 30.

49,3|2| 19-20

T; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 19r aoRl mit Bleistift: I I 31.

49,3|2|21

T; 1 Bl. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 21r aoRl mit Bleistift: I I 32 (aus 33) - 3 3

49,3|2|22-23

T; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 22r aoRl mit Bleistift: II 40 u 37.

49,3|2|24-25

T; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 24r aoRl mit Bleistift: I I 39.

49,3|2|26-27

T; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 26r aoRl mit Bleistift: II 39.

49,3|2|28-29 T; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 28r aoRl mit Bleistift: I I 4 1 - 4 2 . 49,3|2|30-31

T; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 30 r aoRl mit Bleistift: I I 43.

49,3|2|32-33

T; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 32r aoRl mit Bleistift: I I 5 2 - 5 3 - 5 4 .

49,3|2|34-35 T; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 34r aoRl mit Bleistift: II. 46. 49,3|2|36

T; 1 Bl.; 36 r -36 u % beschr. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 36r aoRl mit Bleistift: I I (gestr.: h i n t e r ) 46.

(bei der weiteren Überarbeitung ausgeschiedene Blätter aus TF2) 49,3|3|1-2

T; 1 Dbl. ca. 334 χ 205 mm. - Fremdeinträge: V aoRl mit Bleistift: I I Z w i s c h e n 51 u 53.

49,3|3|3

T; 1 Bl. ca. 334 χ 205 mm. - WZ: Hauptzeichen.

49,3|3|4

T; 1 Bl. ca. 334 χ 205 mm. - WZ: Gegenzeichen.

49,313|5

T; 1 Bl. ca. 334 χ 205 mm. - WZ: Gegenzeichen. - Fremdeinträge: 5 r aoRl mit Bleistift: I I Z w i s c h e n 51 u 53.

49,3|3|6

T; 1 Bl. ca. 334 χ 205 mm. - WZ: Hauptzeichen. (Fortsetzung auf FDH G 514; vgl. u.)

507

Kommentar (bei der weiteren Überarbeitung ausgeschiedene Blätter aus TF3) 49,3|4|1-2

T; 1 Dbl. ca. 334 χ 205 mm. - Fremdeinträge: V aoRl mit Bleistift: I I 47.

49,3|4|3

T; 1 Bl. ca. 334 χ 205 mm. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 3 r aoRl mit Bleistift: I I 47.

49,3|4|4

T; 1 Bl. ca. 334 χ 205 mm; 4 Γ -4 ν 3Λ beschr. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 4 r aoRl mit Bleistift: ζ 50 + 52. 4V aoRl mit Bleistift: I I Ζ 50 u 52.

49,3|4|5-6

T; 1 Dbl. ca. 334 χ 205 mm. - Fremdeinträge: 5r aoRl mit Bleistift: II. 48. b.

49,3|4|7-8

T; 1 Dbl. ca. 334 χ 205 mm. - Fremdeinträge: Τ aoRl mit Bleistift: I I 51.

49.3(4(9-10

T; 1 Dbl. ca. 334 χ 205 mm. - Braune Tinte. - Fremdeinträge: 9r

49,3|4|11-12

T; 1 Dbl. ca. 334 χ 205 mm; 11r -12 v 'Λ beschr. - Braune Tinte. -

aoRl mit Bleistift: I I Z w i s c h e n 51 u 53. Fremdeinträge: 11' aoRl mit Bleistift: I I 54. 2

(für F neu geschriebene Blätter I. Periode) 49,3(5(1—2

S; 1 Dbl. ca. 350 χ 205 mm. - V bis 2' 3Λ braune Tinte, danach schwarze Tinte. - Fremdeinträge: V aoRl mit Bleistift: I. 6. a.

49,3|5|3-4

S; 1 Dbl. ca. 350 χ 205 mm; auf 4V nur ein Satzschluß. - Fremdeinträge: 3r aoRl mit Bleistift: 16. (aus 17) I7.a. 4V in der unbeschr. unteren Hälfte groß mit Bleistift: Z u r P ä b s t i n J o h a n n a , darunter ein unleserliches Wort.

49,3|5|5-6

S; 1 Dbl. ca. 350 χ 205 mm. - Fremdeinträge: 5r aoRl mit Bleistift: 11 I I a , 12.

49,3|5|7-8

S; 1 Dbl. ca. 350 χ 205 mm; 7 r -8 r l h beschr. - Fremdeinträge: Τ aoRl mit Bleistift: 13.14. - Besonderheiten: 8V war auf 49,3(1 (27 geklebt.

49,3|5[9-10

S; 1 Dbl. ca. 350 χ 205 mm; 9 r -10 v Vi beschr. - Besonderheiten: 10v war auf 11r geklebt; davon noch Siegelreste in den vier Ekken.

49,3(5(11-12

S; 1 Dbl. ca. 350 χ 205 mm; 11 v -12 v beschr. - Besonderheiten: 1V war mit 10 überklebt.

508

Überlieferung (Für F2 neu geschriebene Blätter III. Periode) 49,3|6|1-2

S; 1 Dbl. ca. 350 χ 205 mm.

49,3|6|3-4

S; 1 Dbl. ca. 350 χ 205 mm; 3 r -4 v 4/5 beschr. - Fremdeinträge: 3 r aoRl mit Bleistift: I I 7.8.9.10.11.

49,3|6|5-6

F; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 5 r aoRl mit Bleistift: I I 17 18 19; auRr vmtl. von Bettina von Arnim mit brauner Tinte, verschmiert: Teo-

log. 49,3|6|7-8

S; 1 Dbl. ca. 350 χ 205 mm. - Fremdeinträge: Τ aoRl mit Bleistift: I I 20 u 21.

49,3|6|9

S; 1 Bl. ca. 350 χ 205 mm. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 9r aoRl mit Bleistift: 30 + 31, davor einige Graphe gestr.

49,4

Konzepte zu Demophonmärchen, 1. Fassung; S p i r i t u s S y l v e -

ster, Trinklied; Der Pfalzgraf und die sieben Jungfrauen; »Traumspiel«, Urfassung (Schluß der ersten Fassung des Demophonmärchens) 49,4|1

T; 1 Bl. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 1r aoRl mit Bleistift: I I -

22

(Spiritus Sylvester) 49,4|2

S; 1 Bl.; ca. 335 χ 210 mm. - WZ: Gegenzeichen (kopfstehend). Fremdeinträge: 2' aoRl mit Bleistift: 9a; 2V alR in der oberen Hälfte der Seite mit Bleistift parallel zum Text: I n der P ä p s t i n n

Johanna. (Pfalzballade) 49,4|3-4

E; 1 Dbl. ca. 330 χ 205 mm. - Fremdeinträge: 3 r aoRl: 15.

49,4|5-6

E; 1 Dbl. ca. 330 χ 205 mm. - Fremdeinträge: 5 r aoRl: 16.

(Frühlingsspiel) 49,4|7-9

E; 1 Dbl. (7 und 9) und 1 Bl. (8, in das Dbl. eingelegt); ca. 330 χ 205 mm; in der Reihenfolge 7/9/8 beschr.; 7, 9 und 8 r vollständig, 8V 5Λ beschr.; 7 auRr geringer Papierverlust mit geringem Textverlust auf 7r. - WZ: 8: Gegenzeichen. - Fremdeinträge: Τ aoRl mit Bleistift: I 25a; auRl mit brauner Tinte Reimwörter aus der beschädigten rechten unteren Ecke ersetzt: M a h l / 8V aoRl mit Bleistift: I 2 5 b.

509

Stahl.

Kommentar 49,5

(Einzelblätter; im GSA bislang als »Nicht zugeordnete Konzepte« katalogisiert)

49,5|1

G; 1 Bl. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: V aoRl mit Bleistift: I 27.b.

49,5|2

F; 1 Bl. - WZ: Gegenzeichen.

49,5|3

S; 1 Bl. 340 χ 210 mm; 3 r y 2 , 3V Ά beschr. (Text auf 3V gestr.). WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 3 r aoRr mit Bleistift: I I 17 u 16; in der unbeschr. unteren Hälfte vmtl. von Bettina von Arnim mit brauner Tinte: Teolog, darunter verschmiert T h e o l o g .

49,5|4

S; 1 Bl. ca. 350 χ 205 mm; 4 r Vi beschr. - WZ: Gegenzeichen. Fremdeinträge: 4 r aoRl mit Bleistift: 35 i n w e n d i g ; in der unbeschr. unteren Hälfte groß mit Bleistift: N o t i z (z aus Ansatz zu t).

49,5|5

T; 1 Bl. ca. 330 χ 205 mm; 5 r beschr. - WZ: Gegenzeichen.

49,5|6

T; 1 Bl. ca. 330 χ 205 mm; 6 r Vi beschr. - WZ: Gegenzeichen.

49,5|7

T; 1 Bl. ca. 330 χ 205 mm; Τ beschr. - WZ: Gegenzeichen. Fremdeinträge: Τ aoRl mit Bleistift: I I I zwischen 18 u 19.

49,5|8

1 Bl. ca. 330 χ 210 mm. - Hellbraun, stark. - WZ: Adler.

49,5|9

T; 1 Bl. ca. 330 χ 200 mm; auf 9V nur ein Vers eines Gedichtansatzes: A l l e Kräfte d i e auf E r d e n w i r k e n . - WZ: Gegenzeichen.

49,5(10

1 Bl. ca. 235 χ 185 mm; 10 r -10 v % beschr.; beschnitten; rechts abgerissen, vom fehlenden Bl. ist noch ein Stück verblieben, darauf neben 10r kopfstehend einige lat. Buchstaben in brauner Tinte. - WZ: alR obere Hälfte noch erkennbar: Wappen mit Krone.

49,5|11

1 Bl. ca. 343 χ 210 mm. - Gelblich. - WZ: P E T H E N B A C H / B E Y St. W O L F G A N G (Gegenzeichen).

49,5|12

T; 1 BL ca. 170 χ 200 mm; abgerissene Blatthälfte; 12 r -12 v % beschr. - WZ: Hauptzeichen (obere Hälfte).

49,5|13

1 Bl. ca. 222 χ 182 mm; beschnitten; auRl Papierverlust durch (Brand?-)Loch ohne Textverlust. - Grünlich. - WZ: arR einige unleserliche Buchstaben.

49,6-8

von Bettina von Arnim zusammengestellte Fassung (= Druckmanuskript)

510

Überlieferung 49,6 49,6|1

I. und II. Periode Umschlag

um

das

Druckmanuskript;

großer

Bogen

starkes,

bräunliches Papier ca. 430 χ 350 mm; WZ: N I T S C H E

(vgl.

auch 49,6|86); darauf mit brauner Tinte von unbekannter Hand: X V I I I . (diese Zahl groß mit Bleistift)

Die Päbstin Johanna — So wie sie (1) ζ + (2) d e m Ganzen nach zum Druck befördert werden kann, doch fehlt noch das Ende vom Märchen vom M a r k o b r u n n e n (Bleistift:) (vor 25) (Tinte:) u der ganze Frühlingsfestgesang den (1) er vor + (2) Johannes in d e m großen poetischen Wettstreit [vor] d e m Erzbischof vorträgt. D e r Frühlingsfestgesang ist von d e m Spiegelglanz aufgeschrieben; Johannes sagt aber, daß es dasselbe war, was er vor einem Jahre geträumt, als er {darüber} vergessen dem Spiegelglanz die Semmel zu holen (1 aus χ). Siehe daher Bruchstücke der Päpstinn Johanna wo auf zwei Bogen (gez I 25) (1) d + (2) ein derartiges Spiel vorkommt. {Nachzusehen wäre aber ob noch ein besonderer Frühlingsfestgesang unter den Papieren besteht, der ebenso zu den Worten des Spiegelglanz a m Semmelmorgen paßt. —} (I. Periode) 49,6|2-3

G; 1 Dbl. - Fremdeinträge: Τ aoRl: 1.

49,6|4-5

G; 1 Dbl. - Dunkles, feines Papier. - Fremdeinträge: 4 r aoRl: 2.

49,6|6-7

BvA; 1 Dbl. - Zusätzliche Einträge: 6 r aoRl: 3. - Besonderheiten: Auf Τ ist ein erster Ansatz zur Abschrift des Beginns von l,2

durchstr. (Vgl. SW19, S. 9-13: M e l a n c h o l i a .

Die Erde

prangt (...) (Sie fliegt zögernd empor.)) 49,6|8

BvA; 1 Bl. - Zusätzliche Einträge: 8 r aoRl: 4. 8V arR (neben dem Beginn des Lieds des Hirtenmädchens) mit Bleistift, eingerahmt: 16. (Vgl. S W 19, S. 13-16: 2. L u z i f e r k o m m t (...) die A l t e n k a n n ich)

49,6|9

BvA; 1 Bl. - Zusätzliche Einträge: 9 r aoRl mit Rötel: 4a; im 2. Absatz vor sich (= Anfang S W 19, S. 18) mit Rötel Markierung und Zahlen 2 / 1 7 . (Vgl. S W 19, S. 16-20: g a r nicht v e r m e i d e n

(...) a b e r das K i n d )

511

Kommentar 49,6|10

BvA; 1 Bl. - Zusätzliche Einträge: 10r aoRl: 5. (Vgl. S W 1 9 , S. 2 0 - 2 3 : s a h i h n d a r a u f a n (...) D a s K i n d t r a g i c h z u m L i c h t aus)

49,6| 11-12

BvA; 1 Dbl. - Zusätzliche Einträge: 11r Paginierung 6 erst aoRr, dann dort gestr. und aoRl gesetzt. 12v letzte Zeile vor vergaß Absatzmarkierung mit Tinte. (Vgl. S W 1 9 , S. 23-31: diesen finstern G r ü f e n (...) Vergaß ich dabei.)

49,6|13

BvA; 1 Bl.; am Ende von 13v einige Zeilen frei. - Zusätzliche Einträge: 13r aoRl: 7. - Besonderheiten: 13v war, wie an Siegelresten in den Ecken erkennbar ist, auf 15r geklebt. (Die Bl. 13-15 sind nach der Überklebung in der Reihenfolge 13 r -15 v -14 r zu lesen und entsprechen so S W 1 9 , S. 31-36: R a p h a e l .

Und

i c h k ö n n t (...) (Alle e n t f l i e h e n . ) ) 49,6|14

BvA; 1 Bl.; 13 r -14 v Ά beschr., Text auf 14v gestr. - Zusätzliche Einträge: 14r aoRl: 8; aoRr horizontaler Strich mit Rötel.

49,6|15

BvA; 1 Bl.; Text auf 15r einige Zeilen vor Seitenende abgebrochen. - Zusätzliche Einträge: 15V vor Spiegelglanz K e i n Tröpflein (...) (= Anfang S W 19, S. 34) mit Rötel Markierung und hinter der Zeile Numerierung 3/33. - Besonderheiten: 15r war mit 13 überklebt.

49,6| 16-17

BvA; 1 Dbl. - Zusätzliche Einträge: 16r aoRl: 9. (Vgl. S W 1 9 , S. 37-43: ( L u z i f e r s c h w e b t (...) d e n d e r T e u f e l h e c k t e ? )

49,6|18

BvA; 1 Bl. - Zusätzliche Einträge: 18r aoRl: 10. (Vgl. S W 1 9 , S. 43-47: W a r d a s e i n T r a u m (...) m ü s s e n w i r d o c h s a g e n . )

49,6|19

BvA; 1 Bl. - Zusätzliche Einträge: 19r aoRl mit Rötel: 10a.; aoRr horizontaler Strich mit Rötel; auRl vor dem Vers D i e h a b e n (...) (= Anfang S W 1 9 , S. 49) Markierung mit Tinte und davor mit Tinte 3/49, mit Rötel unterstr. (Vgl. S W 19, S. 47-50: E i n derer.

an-

E s s t i r b t so m a n c h e r (...) als o b e r w a r e r s c h l a -

gen.) 49,6|20-21

BvA; 1 Dbl. - Zusätzliche Einträge: 20 r aoRl: 11. 21r (aufgeklebtes Bl.) u. vor D e r k a n n

(...) (= Anfang S W 1 9 , S. 56) kleiner

Schrägstrich mit Rötel. - Besonderheiten: 21 r ist mit einem Bl. überklebt. (Vgl. S W 1 9 , S. 51-57: R a p h a e l w i r d d e m

Spie-

g e l g l a n z (...) A m s c h w a r z e n G e m ä u e r e n t l a n g . ) 49,6|22-23

BvA; 1 Dbl. - Zusätzliche Einträge: 23 r aoRl 12 gestr., stattdessen auf 22r aoRl gesetzt. (Vgl. SW 19, S. 57-62: D a sitzt a u f e i n e m L ö w e n (...) S a n g l a u t e r B u h l e n s c h e r z . ) 512

Überlieferung 49,6|24

G; 1 Bl. - WZ: Gegenzeichen. - Fremdeinträge: 24 r aoRl: 13, davor gestr.: 17, dahinter mit Bleistift: 17.

49,6|25

G; 1 Bl. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 25 r aoRl mit Bleistift eingetragen und dann radiert: 18; aoRm mit Rötel: 15a; auf den gestr. Zeilen

die Kinder wurden (...) bey jeder neuen

M ü h e dick mit Rötel: 5 -

65; in der Zeile darunter mit Rötel

Markierung vor alles ( = Anfang S W 19, S. 65). 49,5|26

G; 1 Bl. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 26 r aoRl: 14, davor gestr.: 18a; 14 mit Bleistift gestr. und dahinter mit Bleistift: 19.

49,6|27-28

T; 1 Dbl. - Fremdeinträge: 27 r aoRl: 15, dahinter gestr.: 18 b; 15 mit Bleistift gestr. und dahinter mit Bleistift:

Fischer

20;

vor

Ein alter

(Beginn des Fischermärchens) Absatzmarkierung

mit

brauner Tinte. 49,6|29

T; 1 Bl. - WZ: Gegenzeichen. - Fremdeinträge: 2 9 ' aoRl: 16; davor gestr.: 18

c.

29 v vor

Mit heimlichen Flüchen

Absatz-

markierung mit brauner Tinte. 49,6|30

G; 1 Bl. - WZ: Gegenzeichen. - Fremdeinträge: 30 r aoRl mit Tinte: 17; davor gestr.: 18 d (aus c); 17 mit Bleistift gestr., dahinter mit Bleistift: 22. - Besonderheiten: Das untere Stück von 30 v war durch Bettina von Arnim überklebt.

49,6|31

G; 1 Bl. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 31 r aoRl mit Tinte: 18; mit Bleistift gestr., dahinter mit Bleistift: 23, vor 18 mit Bleistift: v o r .

49,6|32

G; 1 Bl. - WZ: Gegenzeichen. - Fremdeinträge: 32 r aoRl mit Tinte: 19; mit Bleistift gestr., dahinter mit Bleistift: 24.

49,6|33

G; 1 Bl. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 33 v vor erster Sprecherangabe

Spiegelglanz

(= Anfang S W 1 9 , S. 81) Markie-

rung mit Rötel; dahinter mit Rötel: 6 / 8 1 . 49,6|34

G; 1 Bl.; 34 r -34 v % beschr. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 34 r aoRl mit Tinte: 2 0 (aus 19); dahinter mit Bleistift: 25.

49,6|35-36

E; 1 Dbl. ca. 3 3 0 χ 2 0 5 mm. - Dickes, helles Papier. - Fremdeinträge: 35 r aoRl mit Tinte: 2 1 (aus 20); dahinter mit Bleistift: 26. 36 v vor Beginn des vierten Verses S o

Butte erledigt

kleiner Strich mit Rötel.

513

hat er mit Essen die

Kommentar 49,6|37

Ε; 1 Bl. ca. 330 χ 205 mm; 37 r -37 v 4/5 beschr. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 37 r aoRl mit Tinte: 22; dahinter mit Bleistift: 27.

49,6|38

G; 1 Bl. - WZ: Gegenzeichen. - Fremdeinträge: 38 r aoRl mit Tinte: 23.

49,6|39

G; 1 Bl. - WZ: Hauptzeichen. - Fremdeinträge: 39 r aoRl mit Tinte: 24. 39 v vor D a g e h t m i r (...) (= Anfang S W 19, S. 94) mit Rötel: 94; vor der nächsten Sprecherangabe J o h a n n e s kleiner Strich mit Rötel.

49,6|40

G; 1 Bl.; 4 0 ' - 4 0 v % beschr. - WZ: Gegenzeichen. - Fremdeinträge: 4 0 ' aoRl mit Rötel: 24a.

Nachspielen< des Mythos von Amor und Psyche während der Mysterienszene (vgl. 328,1 ff. und Erl.); von dem älteren Plan zeugt lediglich eine Reminiszenz in V,1 (vgl. 237,25-26). Johanna ist in den neu geschriebenen Passagen gänzlich passiv und an den Johannes XII. zugeschriebenen Untaten schuldlos; den zuvor bereits abgesagten Krieg läßt sie nur unter dem Einfluß der Fürstin wieder aufleben. Reinera rückt dementsprechend mehr in den Mittelpunkt, teilt sich die Rolle des unheilvollen Drahtziehers allerdings noch mit Chrysoloras, der sie berät und die gefälschten Dokumente verfaßt (49,3|4|7; 333,1 ff.). Anschließend waltet er als Johannas Bevollmächtigter im Papstschloß, wird allerdings seinerseits durch die Fürstin w i e e i n G e f a n g e n e r kontrolliert (49,3|4|10r; 335,21).

550

Entstehung 3.2.1.5. Die Fassung der Romhandlung in F 1 Umfang: (aus TF3 übernommen:) 49,7| 1 - 2 ; (neu:) 49,7|3-6; (aus TF3 übernommen:) 49,7|7-28; 49,9|8; 49,4|1; 49,7|30-38; 49,9|9-12; 49,7|42-47; 49,9| 13—17; 49,7|51; 49,9|18-19; 49,7|54-59; 49,9|20-23; 49,7|61-80; (neu:) 49,7|81 - 9 0 ; (aus TF3 übernommen:) 49,7|91-92; (neu:) 49,7|93-99; (aus TF3 übernommen:) 49,8|1-21; (neu:) 49,8|22; (aus TF3 übernommen:) 49,8| 2 3 - 3 7 ; 49,9|24-25 Nach der o. dargelegten These zum Umfang von TF3 hat man für F 1 - diejenige Fassung, in der Arnim zunächst eine Veröffentlichung des Werkes plante - von einer letzten Überarbeitung der Romhandlung einerseits in der IV. Periode ab der stets problematischen Mysterienszene IV,4 (mit Ausnahme der Begegnung mit dem Einsiedler) sowie andererseits in der Einleitung zur III. Periode, also 111,1, auszugehen (49,7|3-6 ersetzt dort 49,5|2; auf der vorangehenden S. 49,7]2 V u. wurde dabei ein Stück Text gestr., vgl. Variante zu 131,1). Beide Komplexe weisen im Unterschied zu TF3 S-Papier auf. Das gleiche Papier wurde allerdings auch für die neugefaßten Partien in F2 verwendet; die im vorliegenden Fall verwendeten S-Blätter haben jedoch ein etwas kleineres Format (vgl. Beschreibung der Textzeugen im Abschnitt »Überlieferung«), Ohnehin kann man ausschließen, daß die neuen Stücke erst in F2 hinzugekommen sein sollten: Sowohl in der III. als auch in der IV. Periode wird in den vorliegenden Fällen nicht gerafft, wie dies für F2 charakteristisch ist, sondern beträchlich erweitert, wobei es sich bei dem nun sehr viel längeren Gespräch mit der Fürstin in IV,4 um eine der rein dramatischen Szenen in Versen handelt, wie sie F2 gerade reduzieren wollte. Daß die neuen Partien in der III. und der IV. Periode zusammengehören, zeigt neben dem gemeinsamen Papier inhaltlich auch der Umstand, daß die Einführung der beiden Becher des Bacchus in IV,4 eliminiert und stattdessen in 111,1 verlegt wurde - wobei freilich der Hinweis auf den tieferen Sinn dieses Motivs im Kontext des Dualismusproblems wegfiel, was sein Verständnis in F1 erschwert (vgl. Komm. 3.3). Auch sonst ist die Neufassung der Exposition zur Romhandlung bemüht, die neuen Akzente, die in der Weiterentwicklung des Werkes seit TF1 gesetzt worden waren, schon hier vorzubereiten. So wird Reinera nunmehr in 111,1 ausführlich vorgestellt; zugleich erhält sie endgültig die Funktion der zentralen L a sterquelle: Chrysoloras, in TF3 wenigstens noch ein gleichgestellter Komplize, ist in der Neufassung von IV,4 nichts als der Handlanger der Fürstin ohne eigene Initiative. Die archäologischen Bemühungen des Spiegelglanz und Johannas Begeisterung für die alten Plastiken sind ebenfalls Teil der neuen Exposition; da zudem aber auch die ursprüngliche Einführung dieser Motive aus TF2 stehen-

551

Kommentar gelassen wurde (49,7|21; Kap. Ill,4, 148,24ff.), führt dies zu einer Wiederholung, ja zu einem Widerspruch, wenn Johanna laut dieser älteren Stelle erst nach der Enthüllung ihres Geschlechts durch Spiegelglanz Anteil an den Götterköpfen nehmen soll. Wie die Varianten zu 49,7|3V zeigen, setzte Arnim zunächst gar dazu an, Johanna bereits in 111,1 die Venusstatue und den Apoll von Belvedere entdecken zu lassen, bemerkte dann aber offenbar noch rechtzeitig, daß dies mit dem weiteren Handlungsverlauf gänzlich unvereinbar gewesen wäre. - Die Einführung des Bauern Urban als Märchenerzähler belegt, daß die erste Fassung des Demophonmärchens aus TF2 in F1 noch als Binnenerzählung vorgesehen war (vgl. Komm. 3.2). Bemerkenswert ist die später geänderte Grundschicht von 49,7|5V und 49,7| r 6 . Hier wird zwischen einem authentischen, menschlichen Chrysoloras und Luzifer unterschieden, der erst nach dessen Ermordung seine Identität angenommen habe. Dieses Konzept war tatsächlich bereits in der Basiliskenhöhlenszene seit TF1 impliziert (111,2), wo Luzifer von dem todten Chrysoloras sprach, mußte aber schon deshalb verwirrend wirken, weil der Teufel auch in der Kindheitsgeschichte (so schon in der Dolores-Fassung) als Chrysoloras erschienen war, ja Spiegelglanz und Johanna in dieser Identität nach Rom begleitet hatte, wie es das Ende von 11,4 und auch 111,1 darstellen. Dies erklärt Arnim nun damit, daß der Teufel sich damals die Gestalt des Arztes nur vorübergehend ausgeliehen habe. Ungeklärt bliebe damit jedoch, wann in der zu Beginn von 111,1 geschilderten ersten Zeit Johannas in Rom der eine Chrysoloras durch den anderen abgelöst worden sein sollte. Dies macht verständlich, warum Arnim das Doppelspiel in einer neuen Textstufe gänzlich tilgte; die erwähnten Anspielungen etwa in III,2 sind jedoch geblieben. Die Überarbeitung des Schlusses der IV. Periode diente offenbar vor allem dazu, die Peripetie in der Szene vor dem Kruzifix (IV,6) stärker herauszuarbeiten. In TF3 hatte Johanna hier nur kurze Beruhigung verspürt, und die tatsächlich tiefgreifenden Folgen dieses Erlebnisses als Wiedergeburt (der Terminus ist in TF3 interessanterweise nachträglich erg.) zeigten sich erst in der Folge zu Beginn der V. Periode. In F1 ist nun die Bedeutung der Szene betont u.a. durch die Einbeziehung der für die Romhandlung leitmotivischen Symbole von Spange und Ring (vgl. Erl. zu 144,18-19). Auch die Begegnung mit Melancholia in V,4 ist durch ihren kurzen Auftritt in IV,5 und 6 besser vorbereitet; bei dieser Gelegenheit wird das schon früher entstandene Gedicht Nun ade du altes Schloß integriert (vgl. 233,16 und Erl.). Inwiefern der Abschied von der Mutter in V,4 gegenüber TF3 verändert wurde, kann nicht bestimmt werden, da die ursprüngliche Fassung dieser Szene, wie o. dargestellt, verloren ist. 552

Entstehung 3.2.2.

Kindheitsgeschichte (I. und II. Periode)

3.2.2.1. Die szenische >Urfassung< Im Unterschied zur Romhandlung ist die Genese der Kindheitsgeschichte nicht in allen Punkten eindeutig zu rekonstruieren. Fest steht, daß Teile dieses Abschnitts der Dichtung, nämlich die Heklaszene (jetzt 1,1 und 2; 49,3|1|1-10), die Traumszene (jetzt 11,1; 49,9|1-2 und 5-7, S. 2V und 5r später überklebt), die Gartenhausszene in einer gegenüber der Dolores-Fassung veränderten Version (jetzt ll,3; 49,6|50-59, S. 59v später überklebt) und zumindest der Beginn der Montmartreszene (jetzt l,3; 49,3|1|14-15, S. 14r später überklebt) zunächst in einer rein szenischen Form vorlagen: Zum einen weisen die genannten Blätter S- und K-Papier auf, während die restliche Kindheitsgeschichte G-Papier hat, zum anderen erweisen sich die Prosaeinleitungen zu diesen Szenen auch durch Schriftbild und Textanschlüsse als sekundär. In 1,1 und 11,1 (S. 49,3|1|1r und 49,9|1r) sind Regieanweisungen, die offenbar den ursprünglichen Szenenbeginn darstellten, später gestr. worden; in der Gartenhausszene II,3 (S. 49,6|50r) ist der entsprechende Abschnitt auch in der vorliegenden Fassung ungetilgt belassen. In der Montmartreszene l,3 wurde der ursprüngliche Szenenbeginn mit Regieanweisung auf 49,3|1|14r später überklebt. Es gab also einen ersten Ansatz zur Ausführung der Kindheitsgeschichte in dramatischer Form; und wie in 3.2.2.2 dargestellt wird, entstand dieser offenbar vor den verschiedenen Teilfassungen der Romhandlung. Unklar ist dabei, ob noch weitere Teile der Kindheitsgeschichte dieser frühen Schicht zuzuordnen sind. Aufgrund der Papiersorten könnte man dies für den Schluß der Pfalzballade (1,4; 49,3|1|28; S-Papier) sowie für das Ende der II. Periode vermuten (49,6|79-85; K-Papier); hingegen ist die Weiterführung der Montmartreszene (49,3|1|16-23) auf G-Papier notiert. Zumindest für das Ende der Pfalzballade ist dennoch eine Entstehung im Kontext der ersten szenischen Partien unwahrscheinlich; nicht zuletzt deshalb, weil die fragliche Seite einen längeren Prosaabschnitt enthält. Zudem erscheint S-Papier nicht nur bei den frühen Partien der Kindheitsgeschichte, sondern auch in der späteren Überarbeitung der Romhandlung für F1 (vgl. 3.2.1.5) sowie in F2. Plausibler, jedoch nicht beweisbar wäre somit die Vermutung, daß zunächst vielleicht doch die gesamte Ballade, die jetzt nur unabhängig von der PJ in den Paralipomena vorliegt (vgl. dort 2.4.2; nach Ausweis der Entstehungsvarianten ist diese komplette Fassung älter als die in die PJ aufgenommenen Strophen), in l,4 enthalten war und erst in der raffenden Überarbeitung F2 durch die jetzige gekürzte Version ersetzt wurde. Allerdings müßte dann die ursprüngliche Fortsetzung von 49,3|1|27 mit dem Rest der Ballade verlorengegangen sein.

553

Kommentar Ob, wie die verwendeten Papiersorten nahelegen, die Fortsetzung der Montmartreszene ab 49,3|1|16 tatsächlich späteren Datums ist als der vorangehende Teil, ist am Schriftbild nicht eindeutig zu verifizieren. Dafür spricht allerdings, daß Raphael ab 49,3|1|16r in den Sprecherangaben schon in der Grundschicht sogleich mit seinem Namen bezeichnet wird, während dies zuvor immer erst sekundär aus Einzelne S t i m m e (im Trinklied vom Spiritus Sylvester) bzw. aus Sprecher geändert war. Zudem ist die Weiterführung 49,3|1|16-23 nicht mehr rein szenisch verfaßt, sondern enthält auch Prosastücke. Unsicher ist auch die Zuordnung des Finales der II. Periode zur frühen Konzeption. Neben dem Wechsel der Papiersorte zwischen 49,6|78 und 79 legt jedoch auch das Schriftbild (freilich nicht zwingend) nahe, daß diese beiden Teile von II,4 nicht im selben Arbeitsgang entstanden; zudem schließt die II. Periode statt mit einem Erzählerbericht mit einer umfangreichen Regieanweisung, wie sie eher in einer rein dramatischen Fassung zu erwarten wäre. Einen Hinweis zur Genese der fraglichen Passage gibt der Umstand, daß auf der Rückseite des frühen Skizzenblatts zur Romhandlung 49,112 ein Szenenfragment steht, das eine Vorstufe zu dem Text auf 49,6|81v darstellt. Damit ergibt sich für den Schluß von ll,4 ein relativer Terminus ante quem: Arnim arbeitete an diesem Komplex vor oder spätestens während der Konzeption von TF1. Tatsächlich wird im Verlauf von TF1 beim Wiedererscheinen Raphaels (49,3|2|14; jetzt III,6) bereits auf Details aus dem Finale von II,4 rekurriert (vgl. auch den recht konkreten Bezug auf die Begegnung mit dem Nachtraben auf 49,7|26 [154,25], einem der ersten Blätter, die im Kontext von TF2 entstanden). Dies stünde mit der These einer Zugehörigkeit von 49,6|79-85 zur frühesten Fassung der Kindheitsgeschichte durchaus in Einklang. In jedem Fall ist wohl ein fragmentarischer Charakter der Kindheitsgeschichte in dieser ersten Form anzunehmen, weshalb die Rede von einer >Urfassung< auch nur unter Vorbehalten angemessen ist. Selbst wenn man voraussetzt, daß im Falle der Montmartreszene (l,3) ein ursprünglicher Schluß ohne Prosaeinschübe und in Kap. II,4 (sofern man dessen Finale der frühen Fassung zuordnet) eine erste Version der dem Wiedersehen zwischen Johanna und Raphael vorangehenden Examensszene verlorengegangen sind, so lag doch zumindest eine nicht unwesentliche Lücke in der Handlung vor: Da die Traumszene (11,1) offenbar unmittelbar auf die Montmartreszene folgte, gab es keinen Hinweis darauf, wie Spiegelglanz seine Anstellung beim Erzbischof von Mainz erlangt. Nicht auf eine Lücke in der ursprünglichen Fassung der Kindheitsgeschichte, sondern vielmehr auf eine spätere Konzeptionsänderung ist hingegen offenbar der auffällige Umstand zurückzuführen, daß die Pfalzepisode und damit die Figur des Pfalzgrafen Ludwig hier noch nicht begegnen. Als Johannas Geliebter

554

Entstehung war stattdessen Raphael vorgesehen, den sie in der Montmartreszene erblickt hat (der entsprechende Teil ist allerdings nach der hier dargelegten Rekonstruktion in seiner ursprünglichen Form verloren) und der vielleicht auch schon auf den Frühlingsgott ihres Traumes bezogen werden sollte. In der Tat ist evident, daß Arnim in der weiteren Entwicklung des Plots mit der Figur Raphaels Probleme hat, nachdem Ludwig als Johannas Geliebter eingeführt worden ist, wie die Skizzen zur Romhandlung zeigen (vgl. 3.2.1.1). In der ausgeführten Dichtung werden durch die Kindheitsgeschichte geweckte Erwartungen, daß diese Figur im weiteren Leben Johannas eine bedeutsame Rolle spielen werde, in der Romhandlung nicht erfüllt. Eine gewichtige Änderung hat in der späteren Überarbeitung der Kindheitsgeschichte auch die Integration des Frühlingsspiels erfahren. Es erschien ursprünglich nicht im Kontext der Examens-, sondern der Traumszene (11,1). So zeigt es schon die frühe burleske Fassung des Spiels (vgl. Paralipomena 2.3), und so war es auch in der ersten Version von 11,1; dies belegen die auf den später überklebten Seiten 49,9|2V und 5 r erhaltenen Anfangs- und Schlußpartien der Einlage. Das F r ü h l i n g s f e s t fand bereits Bettina von Arnim nicht mehr unter den erhaltenen Hs. zur PJ vor (vgl. Rezeption 1); offenbar wurden die entsprechenden Blätter als Druckvorlage für die Veröffentlichung in der S c h a u b ü h n e verwendet - wobei Arnim nur Anfang und Ende auf neuen Blättern hinzufügte - und dann vernichtet. Allerdings werden die Blätter sicher für den Druck noch einmal überarbeitet worden sein, wie auch die auf 49,9|2V und 5 r erhaltenen Anfangs- und Schlußpartien gewichtige Abweichungen vom Wortlaut in der S c h a u b ü h n e aufweisen; so fehlt der für die PJ bedeutsame Schlußsatz S e l i g k e i t ist n u r i m Tode, auch hieß Beata hier anscheinend noch Beate. Als Examensvortrag Johannas scheint ursprünglich nicht das Frühlingsspiel, sondern die Markebrunnenlegende vorgesehen gewesen zu sein, die vmtl. schon früh und zunächst unabhängig von der PJ vorlag, wie auch das nur bei den entsprechenden Blättern (49,6|35-37) begegnende Papier zeigt. Der Beleg für diese Konzeptänderung ist der ursprüngliche Schluß der Gartenhausszene II,3 auf der Grundschicht der später überklebten Seite 49,6|59 v , w o Spiegelglanz seiner Schülerin für den Vortrag

ein nicht näher

identifiziertes

Späschen

übergibt. Es ist unwahrscheinlich, daß dabei etwa an die burleske frühe Fassung des Frühlingsspiels gedacht gewesen sei; vielmehr kehren Formulierungen aus der vorliegenden Szene später im Zusammenhang mit dem Vortrag der Legende vom Markebrunnen wieder (vgl. F' in Textteil B). Die Verse an der vorliegenden Stelle lauten:

555

Kommentar U n d t r a g es v o r m i t s e i n e r D r e i s t i g k e i t , Es lacht gewiß die h o h e Feistigkeit U n d b r i n g s t d u i h n d a z u , so ists g e w o n n e n , Das L e b e n m e i n t er lachend ange(s)onnen, U n d w ü n s c h e t s i c h so r e c h t e T e u f e l s k n o t e n D i e es v e r f e s t i g e n m i t e w g e n Z o t e n Dem entspricht in der jüngeren Passage: D u t r u g s t es v o r m i t r e c h t e r D r e i s t i g k e i t D a s kitzelte die h o h e Feistigkeit E r f ü r c h t e t sich, d a ß e r zu h e i l i g w e r d e U n d daß i h n nicht m e h r trüg die schlechte Erde, E r w ü n s c h e t sich so r e c h t e T e u f e l s Z o t e n , Die i h m befestigen mit ewgen Knoten Den m ü r b e n abgenutzten Lebensfaden, U n d deine Altklugheit war nicht dein Schaden Erst in einer späteren Textstufe ist d e s F r ü h l i n g s F e s t g e s a n g aus dem S p ä s c h e n geworden; vmtl. wurde im selben Arbeitsgang auch die eben zitierte Passage gestr., die zum F r ü h l i n g s f e s t natürlich nicht mehr paßte. Schließlich überklebte Arnim das Blatt mit einer ganz neuen Fassung des Szenenschlusses, die nun durch eine Diskussion zwischen Johanna und Spiegelglanz über beider Anteil an der Frühlingsdichtung dem neuen Konzept entsprach. Nach Ausweis des dabei verwendeten G-Papiers geschah dies erst in der späteren Umarbeitung der gesamten Kindheitsgeschichte, wie auch die Überklebung von Anfang und Ende des Frühlingsspiels in der Traumszene 11,1 mit einer neuen Version, die auf die vollständige Darbietung des Spiels an dieser Stelle verzichtet (49,9|3-4), mit G-Papier erfolgte. Erst jetzt bekam wohl auch die Markebrunnenlegende ihren neuen Platz, womit zugleich durch die Szene der Vorstellung Johannas beim Erzbischof die bis dahin noch vorliegende Lücke im Handlungskonnex der Kindheitsgeschichte geschlossen wurde. Für die werkgenetische Einordnung des Schlusses von ll,4 ist in diesem Zusammenhang bemerkenswert, daß dort, am deutlichsten auf 49,6|80r, bereits vorausgesetzt ist, daß Johanna beim Examen Spiegelglanz' dichterische Bearbeitung ihres Frühlingstraums vorgetragen hat (Wo d u i m T r a u m e e i n G e dicht gesagt, /

(...) D a s s e l b e d a s d u h e u t e h e r g e s a g t /

U n d das ich

r a s c h d i r n a c h g e s c h r i e b e n h a t t e ) . Hält man die These aufrecht, daß diese Passagen zur frühen Fassung gehören, so müßte also bereits auf dieser Stufe der Werkentstehung der Übergang von dem S p ä s c h e n zu des

Frühlings

F e s t g e s a n g als Examensvortrag erfolgt sein. Möglicherweise plante Arnim vorübergehend, wie Ricklefs 1990b, S. 347 spekuliert, in der Examensszene ledig556

Entstehung lieh durch eine »Regieanmerkung« auf das bereits in der Traumszene vollständig gebotene Frühlingsspiel zu verweisen. Zweifelsfrei sind der frühen Fassung also die Heklaszene, der Beginn der Montmartreszene, die Traumszene mit dem (heute nur in der Version der Schaubühne vorliegenden) Frühlingsspiel sowie die Gartenhausszene zuzuordnen. Überblickt man diesen Bestand, so zeigt sich, daß das in den ersten Entwürfen und in der Dolores-Fassung zentrale Thema der Gelehrtensatire noch bedeutsam ist, aber bereits mehr als auf Johanna selbst auf ihren Lehrer Spiegelglanz sowie auf den Teufel bezogen wird, der in der Heklaszene mit seinen Experimenten zur Menschenschöpfung als Karikatur des hybriden Forschers erscheint (vgl. Barth 2000). Auch in der Grundschicht der Gartenhausszene war offenbar schon nicht mehr der Betrug beim Examen als entscheidender Wendepunkt des Schicksals Johannas wie in der Dolores vorgesehen; das burleske Späschen der Markebrunnenlegende konnte kaum das Gewicht eines symbolischen Seelenverkaufs tragen. Die Traumszene mit dem Frühlingsspiel sowie der Melancholiamonolog in der Heklaszene mit dem Hinweis auf die halb irdische, halb überirdische Abkunft des Kindes führten bereits die in der weiteren Entwicklung der Dichtung zunehmend dominanten Probleme des Geist-Leib-Dualismus und der damit zusammenhängenden Todessehnsucht Johannas ein (So zieh mich mit in deine Todesnacht; 49,9|5V). Die spätere Identifikation des Examensvortrags mit Johannas Frühlingstraum rückte dann endgültig diese Thematik gegenüber der ursprünglich vorgesehenen Wissenschaftssatire in den Vordergrund der Kindheitsgeschichte. Weiterhin ist hervorzuheben, daß die ursprünglichen Szenen der Kindheitsgeschichte noch nicht hist, fixiert waren; das Datum 938 als (irdisches) Geburtsjahr Johannas in der späteren Prosaeinleitung der Dichtung in 1,1 ist bereits Resultat der Identifizierung der Päpstin mit Johannes XII., die erst für TF1 der Romhandlung konzipiert wurde. Die Taschenbuchnotizen zur PJ (vgl. Paralipomena 1.2; die chronologische Abfolge der beiden Notizen ist unsicher, da die Einträge in das Taschenbuch ungeordnet erfolgten) stammen offenbar ebenfalls aus diesem frühen Entstehungsstadium. Sie knüpfen an die Heklaszene mit der Aussetzung Johannas durch Melancholia an und zeigen das Kind als Bürger zweier Welten (Himmel und Erde), ohne daß die hier skizzierten Pläne jedoch in der Dichtung verwendet worden wären.

557

Kommentar 3.2.2.2. Relative Chronologie von Kindheitsgeschichte und Romhandlung Abgesehen davon, daß es unwahrscheinlich ist, daß Arnim mit der Ausführung der Romhandlung begonnen haben sollte, ohne daß die Kindheitsgeschichte zumindest in den Grundzügen festlag, wird bereits in den ersten Skizzen zur Romhandlung, die, wie o. in 3.2.1.1 dargestellt, vor TF1 anzusetzen sind, auf die Figur des Raphael sowie auf Gabriel (die Maske Luzifers) rekurriert, und auch die Erwähnung der Melancholia (49,113) setzt doch wohl deren Einführung in der Heklaszene voraus. Daß Arnim am Schlußteil von II,4 (Bl. 49,6|79-85) vor oder spätestens während der Konzeption von TF1 arbeitete, wurde schon dargestellt. Somit erscheint die These plausibel, daß die o. rekonstruierte szenische >Urfassung< der Jugendgeschichte bereits vorlag, als Arnim sich erstmals der Romhandlung zuwandte. Dafür spricht nicht zuletzt, daß, wie in 3.2.1.2 dargelegt, auch diese zunächst offenbar die rein dramatische Form der frühen Partien fortführen sollte. Einen gewichtigen Einwand gegen diese These könnte allerdings der Umstand darstellen, daß manche Indizien auf eine Entstehung auch der Pfalzepisode, die ja noch nicht Teil der ersten Fassung der Kindheitsgeschichte war, vor TF1 hinzudeuten scheinen: Zwar wird Ludwig in den ersten Skizzen zunächst noch als neue Figur eingeführt; das Szenarium und dann auch TF1 verweisen aber schon auf eine Bekanntschaft Johannas und Ludwigs in der Kindheit auf dem Pfalzschloß, die endete, als ein Vogel erschien (so TF1, S. 49,3|2|4r), und beim Wiederauftreten Raphaels (49,3|2|14; vgl. 295,30) ist von Oferus und Thalmann die Rede. Die Klärung dieser Frage wird ermöglicht durch die Analyse der Genese der auf Runges Fischermärchen basierenden Binnenerzählung (vgl. dazu auch Komm. 6.1): Am Ende von TF1 (Bl. 49,3|2|35) wurde sie offenbar erstmals und zunächst als Erfindung Sabinas vorgetragen; die Hinweise, daß der Alten das Märchen wieder eingefallen sei und daß sie es zuvor von dem Fischer Thalmann gar oft auf der Pfalz gehört habe, sind nachträglich erg. Nachdem die Nacherzählung des Märchens in Versen abgebrochen worden ist, ist dann allerdings bereits auf der Grundschicht der Seite zu lesen, daß der Fischer Thalmann der Johanna das Märchen erzählt habe; interessanterweise ist jedoch die Ortsangabe auf der Pfalz wiederum erg. Auch weicht die Beschreibung von Thalmanns Erzählung an dieser Stelle deutlich von der Version ab, in der sich das Märchen heute in l,5 findet: Thalmann selbst soll demnach ihr Protagonist gewesen sein, und das wunderbare Tier war noch kein Vogel, sondern ein Teufelsfisch; im übrigen soll Johanna die Geschichte mehrmals gehört haben.

558

Entstehung Zumindest derjenige Teil der Pfalzepisode, in dem das Märchen erzählt wird, kann also zu diesem Zeitpunkt noch keinesfalls vorgelegen haben. Es ist nicht einmal sicher, ob den Verweisen auf die Kindheitsgeschichte am Ende von TF1 bereits ein Plan zugrundelag, das Märchen auch tatsächlich als Einlage in diesen Teil der Dichtung zu integrieren. Erst die Eintragung auf der Rückseite des Skizzenblatts 49,116, die in 3.2.1.1 der Konzeptionsphase von TF2 zugeordnet wurde, ist ein eindeutiger Beleg für diese Absicht: Hier wird das Fischermärchen mit dem bereits in TF1 erwähnten Vogel (jetzt der W a s s e r s t a a r ) in Verbindung gebracht, der für die Trennung Johannas von Ludwig verantwortlich sein sollte. Auf dem Skizzenblatt ist zudem ein erster Entwurf für den Beschwörungsvers notiert. Die Gestalt Hattos ist bereits vorausgesetzt. Die Pfalzepisode wurde also offenbar parallel zu TF1 und TF2 erst konzipiert. Auch ein relativer Terminus ante quem für die Entstehung dieses Teils der Jugendgeschichte ist zu bestimmen: die Niederschrift von TF3. Ricklefs' Argument für diese These (Ricklefs 1990b, S. 348 bzw. 350), daß nämlich die Neufassung der Erzählung des Fischermärchens in TF3 (Kap. IV,4) bereits die Form des Beschwörungsverses aus l,5 zitiere und ihn auch als Ursache für die Trennung vom Pfalzgrafen benenne, beruht allerdings auf einem Irrtum: Ricklefs war noch unbekannt, daß die entsprechende Stelle in S W 1 9 , S. 359 (nach S. 49,7|80v) auf Bettina von Arnim zurückgeht (vgl. die Zusammenstellung der Eingriffe Bettina von Arnims im vorliegenden Kommentarband; hier zu 210,18). Jedoch nimmt die TF3 zuzuordnende V. Periode mehrfach konkret auf 1,4-5 Bezug; vgl. Johannas Traum in V,4, das Zitat aus der Pfalzballade am Ende von V,6 (bei dem allerdings ein Vers zunächst in einer [offenbar in Sofortänderung verworfenen] Variante erschien, die sowohl von 1,4 als auch von der vollständigen Fassung der Ballade in den Paralipomena [2.4.2] abweicht; vgl. Variante zu 269,8), das Zauberfest in V,7 und den Traum in V,8. Ricklefs 1990b, S. 350 will die Neufassung der ersten beiden Perioden überhaupt zwischen TF2 und TF3 der Romhandlung ansetzen. Sein Hauptargument ist dabei, daß in dieser Phase die entscheidende Konzeptänderung für die gesamte Dichtung erfolgt sei und daß der Charakter der neu hinzugekommenen Partien inhaltlich mit einem tragischen Ende, wie es in TF2 noch geplant war, kaum vereinbar sei. Dies ist durchaus plausibel, da zumindest für die Pfalzepisode eine Entstehung noch vor TF3 in der Tat nachweisbar ist. (Den Umstand, daß, wie o. in 3.2.2.1 gezeigt wurde, der Schluß von II,4 noch früher entstanden sein muß, nämlich vor der Niederschrift von TF1, kann man zur Klärung dieser Frage nicht heranziehen, da es, wie dargestellt, möglich ist, daß dieses Finale der Kindheitsgeschichte bereits zur Urfassung gehörte.) Allerdings gibt es Hinweise darauf, daß die Überarbeitung der Kindheitsgeschichte nicht in einem

559

Kommentar einzigen Arbeitsgang erfolgte. Hier ist etwa auf die Neufassung der Montmartreszene 1,3 zu verweisen: Die sekundär hinzugekommene Prosaeinleitung nennt zwar Marozia als Stiefmutter des Raphael, die erst ab TF2 in die Dichtung einbezogen wurde (49,3|1|1 Γ), und der ebenfalls der Überarbeitung zuzuordnende Schlußabschnitt des Kapitels wiederholt diese Information noch einmal, wobei er den für die Romhandlung wichtigen Punkt erg., daß Marozias eigener Sohn

von der Amme geraubt worden

sei (49,3|1 |23v). In beiden Fällen gehören

die fraglichen Stellen aber nicht zur Grundschicht der bei der Überarbeitung neu hinzugekommenen Seiten, sondern sind später erg., was eher dafür sprechen würde, daß die Neufassung dieses Kapitels zunächst v o r der Konzeption bzw. Niederschrift von TF2 erfolgte. Zwei unterschiedliche Arbeitsphasen innerhalb der Neufassung der Kindheitsgeschichte lassen sich auch bei der Entstehung der zweiten Version der Euklidszene unterscheiden. A n Bl. 49,6|44 der sekundär hinzugefügten Prosaeinleitung des heutigen Kapitels II,2 Schloß zunächst Bl. 49,5|1 an, das direkt zu der bereits vorliegenden Gartenhausszene überleitete. Erst später wurde dieses Blatt durch die Blätter 49,6|45-49 ersetzt, die die Euklidszene und eine neue Einleitung zur Gartenhausszene enthalten. Die ansonsten naheliegende alternative Vermutung, ob nicht umgekehrt Bl. 49,5|1 die Euklidszene ersetzt haben könnte, etwa im Zuge der kürzenden Überarbeitung F2, ist durch Schriftbild wie Papiersorte ausgeschlossen: 49,5|1 wie 49,6|44 haben G-Papier, während die Euklidszene auf T-Papier geschrieben ist. Ricklefs 1990b, S. 3 5 5 nimmt an, daß die Ergänzung der Szene im Kontext von F 1 erfolgte, doch weisen die Blätter, die für diese Fassung in die Romhandlung eingefügt wurden, sämtlich S-Papier auf (vgl. 3.2.1.5); T-Papier begegnet nach TF3 nicht mehr (mit Ausnahme des problematischen Blattes 49,8|22). Es ist also wahrscheinlicher, daß die Euklidszene v o r der letzten Überarbeitung des Gesamtmanuskripts für F 1 integriert wurde. In jedem Fall muß überraschen, daß Arnim sich noch relativ spät entschloß, eine neue Version dieser frühen Szene, die in den Kontext des älteren Konzepts der PJ als Gelehrtensatire gehörte, in die Dichtung aufzunehmen; tatsächlich ist sie in der gegenwärtigen

Form einigermaßen funktionslos

und

verdoppelt

Aspekte der Gartenhausszene. M a n mag hier einen weiteren Beleg für Ricklefs' Bemerkung sehen, Arnim lasse »nichts verloren gehen, w a s einmal erfunden ist, welche Metamorphosen es immer erleidet« (Ricklefs 1990b, S. 127), was sich auch etwa an der Aufnahme der Notiz aus der frühesten Skizze

Spielzeug

zerbricht ihr

in die Pfalzepisode zeigt (vgl. 39,14). - Ein überzeugenderer Ver-

such, das Wissenschaftsthema

noch bei der Überarbeitung der

Kindheitsge-

schichte präsent zu halten, ist die geschichtsmythische Einleitung der Dichtung in 1,1, die zudem mit der Überwindung des

560

lasterhaften Zwerggeschlechtes

Entstehung durch den U r s t a m m d e r D e u t s c h e n bereits auf den Schluß der PJ mit der Wiederherstellung des Papsttums durch den dt. Kaiser vorausdeutet, wie er von den ersten Konzepten der Romhandlung an vorgesehen war. Umfang der Kindheitsgeschichte in F 1 (die nach der obigen Rekonstruktion zweifelsfrei

der frühen szenischen Fassung zuzuordnenden Blätter sind

durch Fettdruck hervorgehoben): 49,6|2-5; 49,3|1|1-10; 49,3|1111-13; 49,3| 1114-15 (14 r überklebt); 49,3|1|16-28; 49,6|24-40; 49,9|2 (2 V überklebt); 49,9|3-4; 49,9|5-7 (5 r überklebt); 49,6|44-49; 49,6|50-59 Auftrittsmonologe< wie der des Luzifer in l,2 und der Johannas in III,3 beibehalten. Auch der ursprüngliche längere Schluß der III. Periode mit dem Ixionlied ist vmtl., wie das S-Papier des anstelle von 49,9|20-23 eingefügten Blattes 49,5|4 nahelegt, erst für F2 ersetzt worden. Die Bearbeitung ist freilich nicht so konsequent, daß die Gattung des Werkes sich nunmehr eindeutig zu einem Roman mit Verseinlagen entwickeln würde; so ist, um nur ein Beispiel zu nennen, die Szene in der Basiliskenhöhle (III,2) in rein dramatischer Form beibehalten, und die größtenteils szenisch verfaßte II. Periode ist ja von der Umarbeitung gar nicht betroffen (abgesehen von der Ergänzung einer kurzen Prosaeinleitung, vgl. u.). Eine weitere Bearbeitungstendenz in F2 besteht in einer Art Selbstzensur, die zur Eliminierung derber Episoden wie der Markebrunnenlegende (l,6) und des Hahnenkampfs im Venusberg führt (III,5). Von daher wäre auch zu erwägen, ob etwa die Streichung des Beginns von Luzifers Auftrittsmonolog in l,2 mit der

562

Entstehung obszönen Erzählung vom Brockentanz ebenfalls F2 zuzuordnen ist, was nicht mit Sicherheit entschieden werden kann. Unwahrscheinlich ist, daß das Froschlied am Ende von 1,2 (vgl. Variante und Erl. zu 349,3) erst im Zuge von F2 wegfiel, wie Ricklefs 1990b, S. 3 5 8 anzudeuten scheint, da dieses Blatt (49,3|1|10) ohnehin zu den in der kürzenden Überarbeitung ausgeschiedenen gehört. Ricklefs stellt trotz seiner Vorbehalte gegen F2 mit Recht fest, daß die letzte Überarbeitung »zu einem Teil wahrscheinlich doch freiwillig aus stilistischen und gattungspoetologischen Erwägungen« geschah (Ricklefs 1990b, S. 62). Tatsächlich wirken zwar manche der gekürzten Passagen wie eine in einem negativeren Sinne, als Arnim dies im Brief an Perthes verstand,

gedrängte

Erzählung, ja wie

Regeste; es werden aber auch inhaltliche Fehler wie die durch die Weiterentwicklung des Werkes zum blinden Motiv gewordene Faustparodie mit der Verjüngung des Spiegelglanz durch Gabriel/Luzifer in 1,1 getilgt (vgl. 348,4 und Erl. sowie Komm. 6.6). A u c h die Neufassung der Szene mit dem Trunk des Weins vom Venusberg (III,3) weist nun bereits auf das Motiv der Bacchusbecher hin, das erst nach der Niederschrift der ursprünglichen Fassung dieses Kapitels konzipiert worden war (vgl. Komm. 3.3). Die Umarbeitung der Pfalzepisode l,4 führt bei der Beschreibung Kaubs bereits die später in Johannas Traum in V,4 bedeutsam werdende Burg Gut(t)enfels mit ein. Eine wesentliche Änderung, die nichts mit bloßer Raffung und Vereinfachung zu tun hat, ist vor allem die Neufassung und Umpositionierung des Demophonmärchens, das nun, quasi die >zensierte< Markebrunnenlegende ersetzend, als Abschluß der II. Periode erscheint (vgl. auch Komm. 3.2). Daß dies tatsächlich im Zuge von F2 erfolgte, ist, neben dem S-Papier des neuen Doppelblatts 49,3|5| 11-12, durch den Anschluß der zweiten Fassung des Märchens an die für F 2 um die Markebrunnenlegende gekürzte Version der Szene vor dem Erzbischof auf 49,3|5|10r erwiesen. Die Integration der Einlage an diese Stelle geschah jedoch erst sekundär: Der zu dem Märchen überleitende Schlußabschnitt auf S. 49,3|5|10r gehört nicht zur Grundschicht. Ursprünglich endete die I. Periode in der Überarbeitung für F2 mit dem jetzt vorletzten Absatz auf der Seite, und die Rückseite 10 v Schloß mit einer neuen kurzen Prosaeinleitung zur II. Periode an die alte Traumszene 11,1 auf 49,9|2r an (in der früheren Überarbeitung der rein szenischen Urfassung von 11,1, wie sie in F' vorliegt, war die Einleitung zur II. Periode stattdessen als kurzes letztes 6. Kap. ans Ende der I. Periode gesetzt worden; vgl. 3.2.4.1.1). Erst nachträglich wurde dann dieser neue Beginn der II. Periode auf 49,3|5|10v mit dem Doppelblatt 49,3|5|11-12 überklebt, das die zweite Version des Demophonmärchens enthält, und zugleich die Überleitung auf 49,3|5|10r erg.; als Einleitung zur II. Periode, die nun auf das vorangehende Märchen anspielt, wurde Bl. 49,9|1 neu eingefügt.

563

Kommentar Auch die Tilgung der ersten Fassung des Märchens in der III. Periode, wobei die Einführung des Märchenerzählers Urban in 111,1 als nunmehr blindes Motiv verblieben ist, erfolgte in zwei Ansätzen: Arnim strich zunächst die Überleitung zu der Einlage und deren Beginn auf 49,9|8, wobei die Fortsetzung auf 49,4|1 offenbar aus dem Manuskript entfernt werden und der ungestr. Text von 49,9| 8r auf dem für F2 neu entstandenen Bl. 49,3|6|5 fortgesetzt werden sollte. Erst später entschied sich Arnim dafür, 49,9|8 ganz zu eliminieren und durch 49,5|3 zu ersetzen; dies erhellt daraus, daß die untere Hälfte von 49,5|3r freigelassen ist, offenbar um den Anschluß an das bereits vorhandene Bl. 49,3|6|5 zu ermöglichen. Durch diesen Neuansatz bleibt auch der groteske Höhepunkt der vermeintlichen Eingebungen des Spiegelglanz, die Verse über die Zwiebeln als göttliche Speise, in F2 erhalten, der durch die Eliminierung des Blattes 49,7|30 sonst verloren gegangen wäre. Bemerkenswert ist der gestrichene Ansatz zu einer dramatischen Szene, in der Spiegelglanz das Gelehrtengastmahl planen sollte, auf der Rückseite von 49,5|3: Inhaltlich könnte dieser sowohl an das Ende des Textes auf der Vorderseite anknüpfen wie an die frühere Fassung derselben Passage auf 49,9|8r; ersteres erscheint jedoch vor allem deshalb unwahrscheinlich, weil dann die Szene doch sicher auf dem freigebliebenen Raum u. auf 49,5|3r notiert worden wäre. Vmtl. sollte also der ungestrichene Text auf 49,9|8r, der mit Spiegelglanz' Ankündigung des Gastmahls endet ((...} e r b e f a h l J o h a n n e s z u f a s t e n , b i s e r

Nachts die berühmtesten M ä n n e r der Stadt zum Gastmahle bringen w ü r d e ) , zunächst mit einer kleinen Szene in Versen fortgeführt werden, bevor Arnim sich entschloß, ihn stattdessen durch die kurze Prosapassage auf 49,5|3r zu ersetzen. Die Addition statt Tilgung einer dramatischen Szene steht in deutlichem Kontrast zu den sonstigen Bearbeitungstendenzen von F2, wurde allerdings ja offenbar auch schnell wieder verworfen. Auch inhaltlich hätte die Passage schlecht in den Kontext gepaßt, da Spiegelglanz, der sonst immer als dezidierter Antialkoholiker erscheint und zuvor in lll,4 das angeblich göttliche Verbot des Weingenusses niedergeschrieben hat, hier plötzlich eine F l a s c h e s ü s s e n W e i n zum Gelehrtenmahl beisteuern will.

3.2.4.

Perioden- und Kapitelgliederung

3.2.4.1. Genese der Kapitelzählung in F' Die Kapitelzählung sowohl der Kindheitsgeschichte als auch der Romhandlung wurde im Laufe der Werkentstehung mehrfach geändert, und ihre Genese ist nicht mehr in allen Fällen zweifelsfrei zu erschließen. Die hier vorgeschlagene

564

Entstehung Rekonstruktion wird am Ende der Darstellung durch ein Schema veranschaulicht (vgl. 3.2.4.3). Sicher ist, daß die Einteilung des Werks in fünf Perioden erst bei bei den Abschlußarbeiten an F 1 vorgenommen wurde; zunächst umfaßten sowohl Kindheitsgeschichte als auch Romhandlung jeweils nur eine Periode. Die III. Periode trug ursprünglich die Überschrift Z w e i t e P e r i o d e (vgl. Variante zu 129,2-3). Doch auch die früheren Ansätze zu einer Kapitelgliederung, die noch auf der Unterteilung der PJ in zwei Perioden basieren, sind vmtl. erst im Kontext von F 1 zustandegekommen. Im Falle der Romhandlung ist dies zumindest für diejenigen Abschnitte nachweisbar, die heute die letzten beiden Kapitel der IV. und die acht Kapitel der V. Periode bilden (vgl. 3.2.4.1.2). Daß eine Kapitelzählung für die Romhandlung vor F 1 überhaupt noch nicht vorlag, ist darüber hinaus dadurch nahegelegt, daß die bei der weiteren Überarbeitung ausgeschiedenen Blätter aus TF1, TF2 und TF3 eine solche nicht aufweisen. Wohl aber ist in mehreren Fällen aoR von Seiten, die als Beginn neuer Kapitel vorgesehen waren, Platz gelassen worden, auf dem die Kapitelnummern später eingetragen werden konnten, vgl. 49,3|2|17r und 22 r , 49,3|3|1r und 5 r sowie 49,3|4|9r. Zudem legt bei den mit Kapitelzahlen versehenen Seiten aus F1 das Schriftbild in den meisten Fällen eine nachträgliche Ergänzung dieser Ziffern nahe.

3.2.4.1.1. Kindheitsgeschichte Von den entstehungsgeschichtlich ältesten, in rein dramatischer Form ausgeführten Szenen (vgl. 3.2.2.1) waren nur der Melanchotiamonolog (jetzt in 1,1) und die folgende Luziferszene (l,2) numeriert; jener mit einer bei der späteren Überarbeitung getilgten I , diese mit 2., was zur Grundschicht der Seite zu gehören scheint und von Arnim bei dem späteren ersten Ansatz zu einer durchgehenden Kapitelzählung für F 1 übersehen wurde. Dort erschien deshalb die anschließende Montmartreszene als 2. Kap. und der gesamte Rest der späteren I. Periode mit Pfalzepisode

und Vortrag

der

Markebrunnenlegende

als 3. Kap. Die frühe

Traumszene, die heute die II. Periode eröffnet, folgte, mit einer neu hinzugekommenen Prosaeinleitung (auf Bl. 49,6|40), als Kap. 4, darauf die Gartenhausszene (jetzt 11,3) mit der später Kap. 11,2 eröffnenden Einleitung als Kap. 5; unklar ist, ob ihr zu diesem Zeitpunkt bereits die Euklidszene (jetzt 11,2) vorangestellt worden war (vgl. 3.2.2.2), die dann aber in jedem Fall noch kein eigenes Kapitel bildete. Der heutige Abschnitt 11,4 schloß als 6. Kap. die Kindheitsgeschichte ab. Noch bevor die Aufteilung des Komplexes in zwei Perioden erfolgte, wurde dieser erste Gliederungsansatz wieder geändert. Arnim unterteilte zunächst das nach der ursprünglichen Anordnung überlange 3. Kap. noch einmal, indem er

565

Kommentar an zwei Stellen (49,6|25v; 49,6|30v) zdZ ein 4. bzw. 5. einsetzte. Die folgenden Kapitelnummern wurden dementsprechend angepaßt: Aus dem ursprünglich 4. wurde das 6., aus dem 5. das 7. und aus dem 6. das 8. Kap. Dies wurde noch ein weiteres Mal geändert, indem im Anschluß an die Euklidszene auf 49,6|47v zdZ ein 8. eingesetzt wurde, so daß diese Szene nun als eigenes Kapitel erschien; dementsprechend wurde der Schlußteil der Kindheitsgeschichte noch einmal neu numeriert, nunmehr als 9. Kap. Erst in einem letzten Schritt, der vmtl. mit der Einteilung der Romhandlung in drei Perioden zusammenfällt, unterteilte Arnim die Kindheitsgeschichte in zwei Perioden. Die II. Periode begann nun mit der alten Traumszene, die jetzt die Überschrift D i e P ä p s t i n J o h a n n a . Z w e y t e P e r i o d e erhielt und, obwohl sie keine Kapitelnummer trägt, stillschweigend als 11,1 gezählt wurde. Die Prosaeinleitung zu der Szene hingegen verblieb als separates 6. (und nunmehr letztes) Kap. in der I. Periode. Die Euklid-, Gartenhaus- und Examensszenen wurden dementsprechend nun zu den Kapiteln 2, 3 und 4 der II. Periode; für die Kapitel 1 bis 5 der I. Periode konnte die vorige Stufe der Zählung beibehalten werden. 3.2.4.1.2. Romhandlung Die frühe Basiliskenhöhlenszene (jetzt III,2) scheint Arnim zunächst entweder nicht als eigenes Kapitel vorgesehen zu haben, oder er vergaß sie bei der weiteren Numerierung; jedenfalls wurden ursprünglich die folgenden drei Kapitel als 2., 3. und 4. Kap. gezählt. Die Nummer 4. wurde dann geändert in 6., noch bevor die Numerierung fortgesetzt wurde: Arnim hatte offenbar seinen Irrtum erkannt (oder entschied sich nun, die Szene in der Basiliskenhöhle zu einem eigenen Kapitel zu machen) und ersetzte jetzt wohl auch die bisherigen Nummern 2. und 3. durch 3 und 4; daß er jedoch das zunächst 4. Kap. nunmehr als 6. statt als 5. zählte, kann man wohl nur durch ein weiteres Versehen erklären. Dementsprechend wurde nun das folgende Kapitel zur Nummer 7. Die Einleitung zum Demophonmärchen und dessen Erzählung sind auf 49,9|8r zdZ als 8. Kap. gezählt; das daran anschließende Kapitel war ursprünglich mit der Ziffer 9 überschrieben, was später in eine 7 geändert wurde. Da die Numerierungen der noch folgenden vier Kapitel der heutigen III. Periode keine früheren Textstufen aufweisen, wäre es nun denkbar, daß Arnim diese Änderung von 9 in 7 vornahm, noch bevor er mit der Bezifferung der Kapitel fortfuhr. Das würde zum einen bedeuten, daß er bereits an diesem Punkt den Irrtum in der Kapitelzählung bemerkte und vmtl. auch die Ziffern der zuvor als 6. und 7. gezählten Kapitel korrigierte, zum anderen, daß er jetzt schon den Plan aufgab, das Demophonmärchen zu einem eigenen Kapitel zu machen.

566

Entstehung Es gibt jedoch noch eine andere Möglichkeit: Die späteren Kap. 8 und 9 waren zunächst offenbar nicht als eigene Kapitel vorgesehen, da im einen Fall (49,7|32v) die Ziffer zdZ erg., im anderen Fall (49,7|35r) auf den oberen Rand gequetscht ist, wo kein Raum für sie gelassen worden war. Diese Beobachtung macht die alternative These wahrscheinlicher (die auch dem Schema u. in 3.2.4.3 zugrundegelegt ist), daß der Plan, das Demophonmärchen als Kap. 8 zu zählen, doch erst zu einem späteren Zeitpunkt aufgegeben wurde, vmtl. erst dann, als die Kapitelgliederung der Romhandlung in dieser Phase, die noch eine einzige Periode für sie vorsah, bereits vollständig durchgeführt war, und daß erst jetzt das bis dahin als 9. gezählte Kapitel zum 7. wurde. Durch die neu hinzugekommenen Kapitel 8 und 9 hätte dann die Zählung ab Nr. 10 dennoch nicht verändert werden müssen. Erst zu diesem Zeitpunkt wären dann auch der Fehler in der Kapitelzählung korrigiert und die bis dahin als 6 und 7 gezählten Abschnitte zum 5. und 6. Kap. geworden. In jedem Fall muß die Streichung der Ziffer 8. auf 49,9|8r schon im Zuge von F1 erfolgt sein, was sich heute nicht mehr eindeutig erkennen läßt, weil für F2 dann der gesamte folgende Text auf der Seite ebenfalls getilgt wurde (vgl. 3.2.3). Kap. 10 und 11 erhielten ihre Nummern bereits im ersten Ansatz; da die Einteilung der Romhandlung in mehrere Perioden noch nicht bestand, folgte unmittelbar darauf das jetzige Kap. IV,1 als Nr. 12. Nicht eindeutig einzuordnen ist der Umstand, daß sowohl das heutige Kap. IV,2 als auch IV,3 zunächst die Nummer 13 trugen. Im Falle von IV,3 ist die Ziffer jedoch auf 49,7|70r zdZ erg., so daß anzunehmen ist, daß dieser Teil zunächst kein eigenes Kapitel bilden sollte; da die Zählung der übrigen Kapitel nicht entsprechend angepaßt wurde, entschloß sich Arnim vmtl. unmittelbar nach der Kennzeichnung dieses Abschnitts als Kap. 13 zu der gänzlichen Neugliederung der Romhandlung in drei Perioden. In jedem Fall Schloß sich in der ursprünglichen Zählung das heutige Kap. IV,4 als Nummer 14 an. An diesem Punkt wird zweifelsfrei deutlich, daß zumindest bei den nun folgenden Kapiteln auch dieser erste Gliederungsansatz nicht vor F1 erfolgt sein kann: Die erst für diese Fassung entstandenen letzten Kapitel der IV. Periode (jetzt IV,5 und 6) folgen nämlich als Nr. 15 und 16, daran wiederum schlossen sich die Kapitel der heutigen V. Periode, die bereits Teil von TF3 waren, als Kap. 17 bis 24 an. Die letzten vier Abschnitte wurden offenbar erst zu diesem Zeitpunkt als eigene Kapitel festgelegt; jedenfalls war hier von Arnim kein Platz für eine Zählung gelassen worden, sondern die Ziffern sind auf 49,8|26v, 29r und 32v zdZ erg. bzw. auf 49,8|36v an den oberen Rand gequetscht. Schließlich wurde bei der Neugliederung der Romhandlung in drei Perioden Kap. 12 zu Kap. IV, 1, das ältere Kap. 13 zu IV,2 und der, wie o. dargestellt,

567

Kommentar vmtl. zunächst als neues Kap. 13 vorgesehene Abschnitt zu IV,3. Kap. 14 bis 16 schlossen sich als IV,4-6 an, und die Kap. 17 bis 2 4 bildeten die acht Kapitel der V. Periode. 3.2.4.2. Konsequenzen der Neufassung F2 für die Kapitelgliederung Die Kapitelgliederung der I. Periode änderte sich in F2 nur in einem Punkt: Das 6. Kap. mit der Überleitung zu 11,1 fiel weg; dafür erhielt nun die II. Periode eine Prosaeinleitung (die in zwei Ansätzen entstand; vgl. 3.2.3). Die irrtümliche Zählung der Montmartreszene als 2. Kap., wobei die ebenfalls mit 2. überschriebene Luziferszene ignoriert wird, wurde hingegen übernommen. In der III. Periode fielen durch die kürzende Überarbeitung die Kapitelnummern 4, 7, 8 und 9 weg; die Zählung der verbleibenden Kapitel wurde von Arnim jedoch nicht korrigiert. Möglicherweise war 49,3|6|5r als Beginn eines Kapitels vorgesehen, das III,7 in F1 entsprochen hätte; denn aoR dieser Seite ist etwas Raum gelassen, wie Arnim dies normalerweise dann tat, w e n n er später eine Kapitelzahl einsetzen wollte. In diesem Fall geschah das jedoch nicht. Die vorliegende Ausgabe gibt die Kapitelzählung selbstverständlich nach der letzten Stufe der Hs. wieder; jedoch wird in der I. und III. Periode, w o diese Zählung offensichtlich falsch ist (im ersteren Fall wegen des doppelt erscheinenden 2. Kap.), als Herausgeberzusatz jeweils die korrekte Nummer hinzugefügt. Nach dieser korrigierten Zählung erfolgen auch Verweise auf die einzelnen Kapitel im Herausgebertext.

568

Entstehung 3.2.4.3. Schematische Übersicht über die Genese der Kapitelzählung in F1 In dem folgenden Schema, das, wie die obige Darstellung, Kindheitsgeschichte und Romhandlung getrennt behandelt, wird zunächst kursiv die Kapitelnummer in Textteil Α der vorliegenden Ausgabe (gegebenenfalls nach der durch Herausgeberzusatz korrigierten Zählung) angegeben; darauf folgen die früheren Stufen der Zählung des jeweiligen Kapitels in genetischer Abfolge, wie sie o. zu rekonstruieren versucht wurde. Die letzte Stufe, wie sie in F1 vorlag, ist durch Fettdruck hervorgehoben. Ein 0 bedeutet, daß der betreffende Abschnitt in der jeweiligen Arbeitsphase noch nicht bzw. nicht mehr ein eigenes Kapitel bildete. Die in der I. Periode begegnenden zwei 2. Kap. sind durch Exponenten in l,21 und l,22 unterschieden; entsprechend auch die beiden in der Romhandlung vor der Aufteilung in drei Perioden erscheinenden als Nr. 13 gezählten Kapitel.

Kindheitsgeschichte

U

1,1

1,1

1,1

1,1

1,2

l,2'

l,21

l,2'

l,2'

1,3

l,22

l,22

l,22

I.22

1,4

l,3

l,3

1,3

1,3

1,5

0

1,4

1,4

1,4

1,6

0

1,5

1,5

1,5

0

l,4

1,6

1,6

1,6

11,1

0

0

0

11,1

11,2

l,5

1,7

1,7

II,2

11,3

0

0

1,8

",3

11,4

l,6

1,8

1,9

H.4

569

Kommentar Romhandlung

111,1

11,1

11,1

11,1

111,1

111,2

0

II,2

II,2

111,2

111,3

II,2

II,3

II,3

111,3

II,3

II,4

II,4

111,4

II,4

II,6

II,5

111,5

II,7

II,6

111,6

0 111,4 111,5 0

II, 8

0

0

0

II,9

II,7

111,7

0

0

II,8

111,8

0

II,9

111,9

111,6

11,10

11,10

111,10

111,7

11,11

11,11

111,11

IV, 1

11,12

11,12

IV, 1

IV,2

11,13

11,13'

IV,2

IV,3

0

ll,13 2

IV,3

IV, 4

11,14

11,14

IV,4

IV, 5

11,15

11,15

IV, 5

IV, 6

11,16

11,16

IV, 6

V,1

11,17

11,17

V,1

V,2

11,18

11,18

V,2

V,3

11,19

11,19

V,3

V,4

II,20

II,20

V,4

V,5

11,21

11,21

V,5

V,6

II,22

II,22

V,6

V,7

II,23

II,23

V,7

V,8

ll,24

II,24

V,8

0

570

Überblickskommentare und Quellentexte Im folgenden werden im Überblick all jene stofflichen und thematischen Komplexe dargestellt, die größere Teile der PJ prägen und daher nicht sinnvoll in den Einzelerläuterungen zu kommentieren sind. Auch das F r ü h l i n g s f e s t (11,4) wird hier behandelt, da die Dokumentation der für diese Einlage insgesamt grundlegenden thematischen, stoffgeschichtlichen

und biograpischen

Referenzen

quantitativ den Rahmen des Stellenkommentars sprengen würde. Im Anschluß an die diskursive Darstellung werden gegebenenfalls von Arnim verwendete Quellentexte zu den einzelnen Bereichen im Wortlaut wiedergegeben. Vgl. zu den Grundsätzen für den Abdruck dieser Texte auch die einleitenden Bemerkungen »Zu dieser Ausgabe«.

1. Die Päpstinsage 1.1. Zur Stofftradition Wie schon bei der Darstellung der Werkentstehung gezeigt, lernte Arnim die Sage von der Päpstin Johanna zunächst durch Dietrich Schernbergs E i n s c h ö n S p i e l v o n F r a u J u t t e n kennen, das er in Gottscheds Anthologie N ö t h i g e r

Vorrath zur Geschichte der deutschen Dramatischen Dichtkunst von

1765 fand. Schernbergs um 1480 entstandenes Stück stellt die erste bekannte

Dramatisierung der Päpstinsage dar, die gleichwohl zu seiner Zeit schon eine lange Tradition hatte und in zahlreichen Chroniken und anderen historiographischen Werken dokumentiert war. (Vgl. zum Folgenden z.B. Döllinger 1890 und Gössmann 1994.) Die kurzen Notizen zu einem weiblichen Papst in einigen Handschriften der Werke älterer Chronisten wie Marianus Scotus, Otto von Freising und Gottfried von Viterbo stellen allerdings vmtl. spätere Interpolationen dar. Dasselbe gilt für eine einschlägige Stelle in manchen Manuskripten des dem Anastasius zugeschriebenen L i b e r p o n t i f i c a l i s , um deren Authentizität in den Debatten über die Päpstin seit dem 17. Jh. (und teilweise bis heute) besonders

571

Kommentar heftig gestritten wird, da man hierin einen möglichen zeitgenössischen Beleg aus dem 9. Jh. vermutete und vermutet. Das erste sichere Zeugnis der Sage findet sich jedoch erst Mitte des 13. Jh. in der Chronica universalis Mettensis des Dominikaners Jean de Mailly. Dieser sehr knappe Bericht nennt weder den Namen noch die Herkunft der Päpstin, die hier nach Viktor III. (Papst von 1086 bis 1087) amtiert haben soll und angeblich nicht im offiziellen Katalog der Päpste geführt werde, erwähnt aber schon ihre ungewöhnlich großen Geistesgaben (ingenium), die in späteren Versionen des Stoffes noch stärker betont werden. Nachdem das Geschlecht der Päpstin durch eine Kindsgeburt bekannt geworden ist, wird sie vom Volk gesteinigt. Ein Ordensbruder dieses Chronisten, Etienne (Stephan) de Bourbon, erzählt in seinem etwa 1261 anzusetzenden Tractatus de diversis materialibus praedicabilibus die ihm vmtl. durch Jean de Mailly bekannte Geschichte ähnlich, fügt jedoch das für spätere Fassungen bedeutsame Motiv hinzu, daß die Päpstin ihr Amt mit Hilfe des Satans erlangt habe, womit die Gestalt also zur Teufelsbündnerin gemacht wird. Noch weiter dämonisiert wird die Erzählung in der um 1261 oder um 1265 entstandenen Chronica minor eines Erfurter Franziskaners, worin ein Dämon die Schwangerschaft der Päpstin öffentlich im Konsistorium verrät. Dies erweitert eine spätere franziskanische Schrift, die zwischen 1290 und 1292 verfaßten Flores temporum, indem sie den Dämon aus einem Besessenen sprechen läßt, an dem die schwangere Päpstin einen Exorzismus vornimmt. Der böse Geist höhnt, er wolle erst dann bekanntgeben, wann er aus seinem Opfer ausfahre, wenn das Geschlecht der Päpstin durch die Geburt ihres Kindes öffentlich werde. Abgesehen von diesem Detail, fußen die Flores t e m p o r u m offenbar auf der Wiedergabe der Sage bei dem Dominikaner Martinus Polonus (Martin von Troppau). Überhaupt ist Martins Fassung für die weitere Verbreitung der Sage wichtiger als die frühen Quellen, da sie sich in seiner sehr bekannten und oft ausgeschriebenen Papst- und Kaiserchronik findet; allerdings nur in deren dritter Redaktion, die kurz vor Martins Todesjahr 1278 entstand, wobei gelegentlich sogar eine spätere Interpolation vermutet wurde: Post h u n c Leonem Iohannes Anglicus nacione Maguntinus sedit annis 2, mensibus 7, diebus 4, et mortuus est Rome, et cessavit papatus mense 1. Hic, ut asseritur, femina fuit, et in puellari etate Athenis ducta a quodam amasio suo in habitu virili, sie in diversis scienciis profecit, ut nullus sibi par inveniretur, adeo ut post R o m e trivium legens magnos magistros diseipulos et auditores haberet. Et cum in Urbe vita et sciencia m a g n e opinionis esset, in p a p a m concorditer eligitur. Sed in papatu per suum familiarem impregnatur. Verum

572

Überblickskommentare und Quellentexte tempus partus ignorans, cum de Sancto Petro in L a t e r a n u m tenderet, angustiata inter Coliseum et sancti Clementis ecclesiam peperit, et post mortua ibidem, ut dicitur, sepulta fuit. Et quia domnus papa eandem viam semper obliquat, creditur a plerisque, quod propter detestationem facti hoc faciat. Nec ponitur in cathalogo sanctorum pontificum propter mulieris sexus q u a n t u m ad hoc deformitatem. 1 Hier erscheinen fast alle wichtigen Züge, die in der Sage von da an immer wieder begegnen, so vor allem die Datierung des Pontifikats der Päpstin nach Leo IV. (Papst von 847 bis zu seinem Tode 855; Martin zählt ihn irrtümlich als LeoV.) und die rätselhafte Herkunftsbezeichnung »Johannes Anglicus aus Mainz«. Letztere versuchen spätere Fassungen damit zu erklären, daß die Eltern der Päpstin oder zumindest ein Elternteil aus England gestammt hätten, die Tochter aber in Mainz geboren worden sei, oder daß der Herkunftsort der Päpstin tatsächlich Ingelheim/Engelheim bei Mainz sei. Gelegentlich finden sich bei jüngeren Autoren auch andere Namen für die Päpstin vor ihrem Pontifikat, etwa »Agnes« (so bei Jan Hus 1412/13 in De ecclesia), »Gilberta« (so in Boccaccios De mulieribus claris von 1362, übersetzt von Heinrich Steinhöwel 1473), oder, wie bei Schernberg, »Jutta«. Die meisten Chronisten übernehmen jedoch den Namen »Johanna« und ergänzen, diese habe sich als Papst »Johannes VIII.« genannt. (Seltener findet man Johannes VII., so in der Schedeischen Weltchronik von 1493; der hist. Johannes VIII. amtierte von 872 bis 882.) Nach Martinus Polonus verbreitet sich die Sage, besonders offenbar durch Dominikaner und Minoriten, am Ende des 13. Jh. rasch und wird zunehmend als hist, dargestellt, ja in ältere Chroniken interpoliert, was Döllinger mit den kircheninternen Auseinandersetzungen dieser Zeit in Verbindung bringt (Döllinger 1890, S. 21). Als pikantes Detail bieten spätere Fassungen der Geschichte noch eine Erklärung für den durchbrochenen steinernen »Porphyrstuhl«, auf dem der Papst bei der Einsetzungszeremonie Platz nahm: Die durch den Betrug der Päpstin mißtrauisch gewordenen Kardinäle sollen diesen Brauch eingeführt haben, um sich in Zukunft durch Befühlen der Genitalien des Erwählten von dessen Männlichkeit überzeugen zu können. Diese »Geschlechtsprüfung«, die ursprünglich eine von der Päpstingeschichte unabhängige, erstmals 1291 bei dem Dominikaner Robert d'Usez bezeugte Sage war, begegnet auch in Schernbergs Juttenspiel. 1

Zitiert nach: Monumenta Germaniae Historica. Hg. von Georg Heinrich Pertz. Scriptores

Bd. XXII. Hannover 1872. Nachdruck Stuttgart 1976, S. 428; die Lesarten sind nicht wiedergegeben.

573

Kommentar Im 16. Jh. stellte die Historizität der Päpstinsage einen wichtigen Streitpunkt zwischen Katholiken und Protestanten dar, nicht zuletzt auch deshalb, weil durch das Pontifikat der Päpstin nach der Argumentation der Vertreter der Reformation die apostolische Sukzession unterbrochen worden war, und veranlaßte auf beiden Seiten zahlreiche Schriften Pro und Contra. Einen Wendepunkt markierte die Abhandlung David Blondels von 1647, da hier erstmals ein Protestant eine detaillierte Widerlegung der hist. Existenz der Gestalt vorlegte; ihm widersprach allerdings ein anderer evangelischer Theologe, nämlich Friedrich Spanheim, in einer vielbeachteten Schrift von 1691. In der Epoche der Aufklärung mehrten sich die prominenten Stimmen, die die Historizität der Päpstin bestritten. Einflußreich war vor allem Pierre Bayles Artikel Papesse im Dictionnaire historique et critique von 1695/97.2 Zu nennen ist aber auch die kleine Abhandlung Flores sparsi in t u m u l u m Papissae, die kein geringerer als Leibniz, wohl zwischen 1705 und 1709, verfaßte und die erstmals nachdrücklich die Geschichte von der Päpstin als Stoff für poetische Bearbeitung empfahl (wobei Leibniz auch die Möglichkeit eines, entgegen der Überlieferung, glücklichen Endes andeutete). Tatsächlich verlagerte sich ab Mitte des 18. Jh. der Schwerpunkt der Rezeptionsgeschichte der Päpstingestalt zunehmend von der Diskussion um ihre Historizität auf dichterische Gestaltungen der Sage. Trotzdem gab es noch zu Arnims Zeit Stimmen, die eine tatsächliche Existenz Johannas zumindest nicht völlig ausschließen wollten (vgl. auch u. 1.3). In jüngerer Zeit galt die Fiktionalität der Päpstin lange Zeit durch Ignaz von Döllingers Untersuchung in »Die Papstfabeln des Mittelalters« von 1863 als erwiesen (in der 2. Auflage 1890 mit weiterführenden Anmerkungen des Herausgebers J. Friedrich versehen). Döllinger sieht in der Erzählung von dem weiblichen Papst eine aitiologische röm. Lokalsage, die veranlaßt sei durch dem Volk rätselhafte Dinge und Bräuche wie die Verwendung der durchbrochenen Stühle bei der Einsetzung des Papstes, die bei Prozessionen (wohl ihrer Enge wegen) gemiedene Straße, die schon Martinus Polonus erwähnt, eine Statue eines Priesters oder einer heidnischen Gottheit in weiten Gewändern mit einer kleinen Gestalt, vielleicht einem dienenden Knaben, die als Darstellung einer Frau mit Kind umgedeutet wurde, sowie vor allem eine abgekürzte Denksteininschrift, nach Döllinger noch aus der Zeit des Mithraskultes stammend, die man zu Formeln wie »Parce Pater Patrum papissae prodere partum« ergänzte. Dieses Detail erscheint tatsächlich schon in den frühesten Mitteilungen der Sage vor Martinus Polonus; 2

Vgl. die dt. Übersetzung durch Gottsched: Critisches Wörterbuch 3, S. 592-604 (Auszüge

daraus bei Gössmann 1994, S. 731-743). Vgl. auch den Artikel über Martinus Polonus ebd. S. 787-791.

574

Überblickskommentare und Quellentexte in der Chronica minor und in den Flores temporum ruft der Dämon der Päpstin eine Version des Spruches zu. Im ausgehenden 20. Jh. fand die Gestalt der Päpstin erneut starkes Interesse, vor allem bei Autorinnen aus dem Umkreis des Feminismus, speziell der Feministischen Theologie, aber auch etwa bei dem Mentalitätsforscher Alain Boureau, der 1988 eine rezeptionsgeschichtliche Monographie zum Thema vorlegte.3 Auch das >Verfahren< um die Historizität der Päpstin wurde neu eröffnet, wobei feministische Autorinnen häufig eine Revision des seit Döllinger scheinbar feststehenden Urteils aus weiblicher Perspektive forderten, so nachdrücklich etwa Joan Morris.4 Die Verfasserin eines der materialreichsten neueren Werke zum Thema, die Theologin Elisabeth Gössmann, äußert sich nach eingehenden Quellenstudien allerdings skeptisch über die Möglichkeit, die Historizität der Päpstin zu erweisen.5 Gössmann verweist die feministische Forschung stattdessen, insofern an Alain Boureau anknüpfend, auf die Rezeptionsgeschichte der Gestalt, zu der ihr Band nicht zuletzt durch ausführliche Regesten und durch Abdrucke von schwer zugänglichen Originalquellen im umfangreichen dokumentarischen Teil einen wichtigen Beitrag leistet. Eine Darstellung der dichterischen Bearbeitungen der Sage vor und nach der 6 PJ erübrigt sich hier, da offenbar außer dem Juttenspiel keine der früheren 3

Alain Boureau, La papesse Jeanne. Paris 1988. Vgl. auch die Studie Cesare d'Onofrios (La

papessa Giovanna. Roma e papato tra storia e leggenda. Rom 1979), der eine neue Deutung der Porphyrstühle versucht. 4

Pope John VIII - an English Woman alias Pope Joan. London 1985. Eine eingehende Aus-

einandersetzung mit Morris' Thesen in dem auch sonst informativen Forschungsbericht Herbers 1988. 5

Gössmann 1994; 1998 erschien in Berlin eine um den dokumentarischen Teil gekürzte Neu-

auflage von Gössmanns Arbeit unter dem Titel »>Die Päpstin Johannas Der Skandal eines weiblichen Papstes. Eine Rezeptionsgeschichte«. 6

Zu nennen wären hier etwa das Meisterlied (1532) und die Historia (1558) des Hans

Sachs, der satirische Roman des Griechen Emmanuel Rhoides von 1866, der eine der populärsten Behandlungen des Themas darstellt, ein Roman von Alfred Jarry (1908) sowie Rudolf Borchardts Fragment »Verkündigung« von 1920 (als erster Teil eines »dramatischen Gedichts« mit dem Titel »Die Päpstin Jutta« gekennzeichnet), das im Mittelpunkt von Werner Krafts Dissertation steht (vgl. Rezeption 2.2). Bertolt Brechts Beschäftigung mit einer Dramatisierung des Stoffes ist über Entwürfe und Szenenfragmente (1921) nicht hinausgekommen. Vgl. die Textsammlung Völker 1977. Esther Vilars 1982 erschienener (und auch als Bühnenstück aufgeführter) Monolog »Die Antrittsrede der amerikanischen Päpstin« bezieht sich durch seine Protagonistin, die sich »Johanna II.« nennt, auf die Sage. Der international außerordentlich erfolgreiche Unterhaltungsroman »Pope Joan« (1996) der Amerikanerin Donna Woolfolk Cross hat nicht zuletzt dadurch, daß die Autorin

575

Kommentar Päpstindichtungen, im ausgehenden 18. Jh. größtenteils antipapistische Satiren mit stark obszönem Charakter, die im Zuge der Französischen Revolution entstanden, auf Arnims Werk Einfluß hatte. Umgekehrt scheint keine(r) der späteren Verfasser(innen) von poetischen Bearbeitungen des Stoffes, mit Ausnahme des Autors des im Kapitel »Rezeption« (2.3) behandelten anonymen Romans von 1921, von Arnims Werk (in Bettina von Arnims Ausgabe) Kenntnis gehabt zu haben. Auch der Umstand, daß in späteren Adaptionen gelegentlich, wie bei Arnim, die Päpstin zur Zeitgenossin Marozias und Alberichs gemacht wird, weist nicht auf eine Beeinflussung durch Arnims PJ hin, sondern erklärt sich durch die häufigen Hinweise auf die röm. >Weiberherrschaft< im Schrifttum über die Päpstin, was u. in Abschnitt 2 noch zu behandeln sein wird.7 Eine zusammenhängende Untersuchung der Päpstindichtungen fehlt bislang, abgesehen von den spärlichen Hinweisen bei Kraft 1925 und dem kurzen Abriß in FrenzeM983; Gössmann gibt lediglich einen knappen »Ausblick« auf die Behandlung der Gestalt in der Dichtung (Gössmann 1994, S. 337-394). Sabine Doerings Darstellung (Doering 2001, S. 46-84) ist, durch das Thema ihrer Arbeit bedingt, auf den Aspekt von Beziehungen zwischen Päpstin- und Fauststoff konzentriert (vgl. Komm. 6.6); aufschlußreiches Material bietet sie vor allem für den Bereich der auffällig zahlreichen deutschen Päpstindichtungen um 1900.

1.2. Schernbergs Juttenspiel Arnims wichtigste Quelle für seine Behandlung der Sage ist zweifellos das Spiel von Frau Jutten in der Ausgabe Gottscheds.8 Der protestantische Mühlhauim Nachwort (»Author's Note«) nachdrücklich für die tatsächliche Existenz ihrer Heldin eintritt, die jüngste Rezeptionsgeschichte des Stoffes geprägt. Zu verweisen ist auch auf die Behandlung in anderen Medien wie etwa den englischen Film »Pope Joan« von 1972 (Drehbuch: John Briley, Regie: Michael Anderson; später auch unter dem Titel »The Devil's Imposter« gezeigt). 7

Adolf Bartels, »Römische Tragödien« (1905), Ludwig Gorm, »Päpstin Johanna«, Roman von

1912/1919; bei letzterem (der sich, wie das Motto zeigt, offenbar an Gregorovius orientiert) erscheint auch Otto der Große in ähnlicher Funktion wie in der PJ. Schon zu Beginn von Charles Bordes' Gedicht »La papesse Jeanne« von 1777 ist von Theodora und Marozia die Rede (Gössmann 1994, S. 340). Selbst in dem Roman von Donna W. Cross, der im 9. Jh. spielt, tritt Marozia, fälschlich »Marioza« genannt, anachronistischerweise auf. 8

Das Spiel wurde später durch Adalbert von Keller (Fastnachtsspiele aus dem fünfzehnten

Jahrhundert. 2. Teil. Stuttgart 1853. Nachdruck Darmstadt 1965, S. 900-955), Edward Schröder (Bonn 1911) und Manfred Lemmer neu ediert. In der vorliegenden Arbeit sind Zitate aus dem Juttenspiel jeweils sowohl bei Gottsched 1765 wie bei Lemmer 1971 nachgewiesen. Vgl. zu den folgenden Ausführungen Haage1891 sowie Einleitung und Anhang bei Lemmer.

576

Überblickskommentare und Quellentexte sener Prediger Hieronimus Tilesius (1529-1566), der das Stück 1565 zum Druck beförderte, gibt als Verfasser Dietrich Schernberg an, der ebenfalls als Geistlicher (und kaiserlicher Notar) in Mühlhausen gewirkt hatte und das Spiel laut Tilesius um 1480 verfaßt haben soll. Tilesius publizierte das Werk in polemischer Absicht, wie aus seiner Vorrede und noch mehr aus dem von Christoph Irenäus verfaßten Nachwort hervorgeht (beide Texte bei Lemmer 1971; sie sind bei Gottsched nicht übernommen und waren somit auch Arnim nicht bekannt): Die Veröffentlichung stellte eine Erwiderung auf die antiprotestantische Druckschrift Christliche Ermahnung des Naumburger Bischofs Julius von Pflug von 1562 dar und sollte vor allem drei darin verteidigte Punkte des katholischen Glaubens ad absurdum führen: »1. die Fürbittefunktion der Heiligen, 2. den Anspruch auf Primat und Hoheit des Papsttums, 3. den Priesterzölibat« (Lemmer 1971, S. 13). Da Schernberg sein Stück in vorreformatorischer Zeit offenbar in bestem katholischem Glauben geschrieben hatte und zudem mit dem Pontifikat einer verkleideten Frau einen nach Tilesius' Meinung hist. Skandal aus der Geschichte des Papsttums vorführte, schien dem Herausgeber das Juttenspiel wohl ein besonders überzeugendes Argument in dieser aktuellen Auseinandersetzung zu sein. Dennoch hat Tilesius anscheinend außer sprachlichen Modernisierungen und dem ironischen Titelzusatz Apotheosis Iohannis VIII. Pontificis Romani, den auch Gottsched übernommen hat, nichts an Schernbergs - verschollener - Hs. geändert. Dieses in Knittelversen verfaßte Stück, das stofflich zwischen Fastnachts- und geistlichem Spiel zu verorten ist und seit Haage 1891 als »Legendenspiel« bezeichnet wird, bietet alle wesentlichen Züge der Sage, führt aber, abweichend von der sonstigen Stofftradition, das versöhnliche Ende einer Rettung der Seele der Päpstin durch die Fürsprache der Muttergottes ein: Das Drama beginnt mit einem Teufelsvorspiel, in dem Luciper (!) die Dämonen Sathanas und Spiegelglantz zu der schönen Jungfrau Jutta aus Engelland schickt, um diese in ihrem Entschluß zu bestärken, mit ihrem Bulen, welcher hie Clericus genennet wird, nach Paris zu ziehen und dort, als Mann Johannes verkleidet, zu studieren. In Paris von einem Magister zu Doktoren promoviert, begeben Jutta und ihr Geliebter sich anschließend nach Rom, wo Papst Basilius sie wegen ihrer Gelehrsamkeit zu Kardinälen ernennt. Nach dem Tod des Papstes wird Johan von Engelland wegen seiner Klugheit und Tugend zum neuen Pontifex gewählt. Bei der Austreibung des Teufels Unuersün aus dem besessenen Sohn eines röm. Ratsherrn enthüllt der Dämon den versammelten Kardinälen: Der Bapst der tregt fürwar ein Kind, / Er ist ein Weib und nicht ein Man, / Daran solt jhr kein zweiffei han. Die Szene wechselt nun in den Himmel, wo Christus, der Saluator, die Päpstin zunächst 577

Kommentar verdammen will, auf die Fürsprache seiner Mutter Maria hin dann aber den Engel Gabriel ausschickt, der Jutta die Möglichkeit eröffnet, durch Annahme der weltlichen Schande der ewigen Höllenpein zu entgehen. Die Päpstin ist zur Buße bereit und stirbt durch die Hand des von Christus gesandten Mors bei der Geburt ihres Kindes; das Volck leufft zu. Unuersün führt Juttas Seele ins Fegefeuer, wo sie von den Teufeln gequält wird, während in Rom, das von Zeichen göttlichen Unmuts wie Blutregen und Erdbeben geplagt ist, die Kardinäle die Geschlechtsprüfung mittels des durchbrochenen Stuhls einführen. Auf Juttas Gebete an Maria hin interveniert diese, jetzt auch unterstützt von S. Nicolaus, erneut bei ihrem Sohn, der die Seele der reuigen Päpstin schließlich durch den Erzengel Michael aus dem Fegefeuer in den Himmel holen läßt, wo das Spiel mit einem Dankgebet Juttas schließt. Schon Gottsched hebt in seinem Nachwort diesen ungewöhnlichen Schluß hervor, der auf die Exemplifizierung der göttlichen Misericordia als eigentliches Anliegen des Stückes hinweist und wohl durch das Theophilusspiel beeinflußt ist, wo ebenfalls Maria als Fürbitterin für einen zu geistlichen Würden aufgestiegenen Teufelsbündner agiert. Tatsächlich hat der auch sonst auffallend eklektisch verfahrende Autor Schernberg die entsprechenden Verse teilweise wörtlich aus dem Theophilus übernommen (vgl. Lemmer1971, S. 120). Arnim scheint niemals beabsichtigt zu haben, sich stofflich eng an dieser Quelle zu orientieren. Die früheste Skizze (vgl. Entstehung 1) weist kaum Reminiszenzen an Schernberg auf, sondern führt vielmehr bereits eine Kindheitsgeschichte der Päpstin ein, von der im Juttenspiel keine Rede ist. In der Gräfin Dolores und den Entwürfen dazu (vgl. Entstehung 2) erscheint zwar noch ein später in l,2 eingegangenes - >Teufelsvorspiel< in der Art Schernbergs, in dem ein burlesker Luzifer agiert und auch der Knittelvers verwendet wird; durch die Einbeziehung der Christophoruslegende und der Antichristsage (vgl. 6.2 und 6.3) werden jedoch bereits ganz andere Schwerpunkte gesetzt. Mehr als von einzelnen Handlungsmomenten des Juttenspiels ist Arnim offenbar von thematischen Aspekten angesprochen; so schon in der ersten Skizze und in der frühen Fassung der Euklidszene, in der noch Schernbergs Namensform »Jutta« erscheint, vor allem von der Kritik des gelehrten Ehrgeizes, die traditionell in der Sage zentral ist und auch bei Schernberg stets herausgehoben wird (vgl. zu 58,39; vgl. Entstehung 1). Bedeutsam für Arnims Dichtung ist zudem der moralische Aspekt des Juttenspiels, die freie Entscheidung der Päpstin für die Schande der öffentlichen Geburt, um ihre Seele zu retten, die sich schon vor Schernberg etwa bei Felix Hemmerlein/Malleolus findet (15. Jh.; vgl. Gössmann 1994, S. 78f., vgl. auch Döllinger 1890, S. 31). Das Motiv der freiwillig akzeptierten Schande bleibt bis in die letzten Fassungen zentral für die Peripetie 578

Überblickskommentare und Quellentexte der PJ (vgl. z.B. das Schlußgedicht der IV. Periode Wer in der Schande lebt, / Der k o m m t zu Gott). Einen Ansatz zur Moralisierung des Stoffes im modernen Sinn konnte Arnim auch in dem auffälligen Umstand finden, daß bei Schernberg zwar Luciper und dessen höllischer Anhang das Geschehen begleiten, Jutta aber stets aus eigenem Antrieb handelt und des Anstoßes durch teuflische Verführung letztlich gar nicht bedarf. Bei Arnim tritt der Satan als metaphysischer Drahtzieher noch weiter zurück, zumal nach seiner Inkarnation als Chrysoloras; Spiegelglanz, ein Unterteufel bei Schernberg, ist bereits in der Gräfin Dolores zu einem m e n s c h l i c h e n Verführer verändert. Von einer Übernahme der metaphysischen Schauplätze Himmel und Hölle, die bei Schernberg, nach Art der geistlichen Spiele, neben dem Diesseits erscheinen, ist bei Arnim nur in einem der frühen Taschenbucheinträge zum PJ-Plan die Rede (vgl. Paralipomena 1.2.2). Der dort gestr. Satz Die Scene ist bald i m H i m m e l , bald auf der Erde, bald unter der Erde klingt übrigens auffallend an Gottscheds Formulierung in seinem Nachwort zum Juttenspiel an: Bald ist m a n in Rom, bald im H i m m e l , und bald in der Hölle (Gottsched 1765, S. 139). In der ausgeführten Dichtung erscheint der Himmel lediglich in den Erzählungen Melancholias und beim Triumphgesang der Engel am Ende von V,2, während die Hölle in der I. Periode durch den irdischen >Höllenberg< Hekla ersetzt ist (vgl. zu 5,5). Die vergleichsweise engste Anlehnung an Schernbergs Spiel zeigt das Regest, das in der Dolores-Fassung nach der Gartenhausszene vom weiteren Schicksal Johannas gegeben wird (vgl. Entstehung 2), mit dem Motiv des von Maria gesandten Engels, der Johanna vor die Wahl zwischen Schimpf und ewiger Verdammnis stellt. Arnim ist dabei offenbar bemüht, den im Juttenspiel recht abrupten Bruch zwischen der Enthüllung von Johannas Geschlecht durch den Besessenen und dem anschließenden Szenenwechsel ins himmlische Reich zu mildern, indem er die Intervention der Muttergottes als Reaktion auf ein Gebet erklärt, das die Päpstin nach der Begegnung mit dem Dämon an diese gerichtet hat. Anstelle des Engels Gabriel sollte in der ausgeführten Dichtung dann zunächst Melancholia fungieren, die zugleich Züge der Mutter Maria annimmt (vgl. 4.1), während Gabriel nur noch als Maske Luzifers zur Täuschung des Spiegelglanz erscheint; die Geburt des Kindes ist, wie o. in der Entstehungsgeschichte dargestellt, offenbar bis zu TF2 vorgesehen. Nachdem in der späteren Entwicklung der Handlung auch dieses Zentralmotiv des Päpstinstoffes fallengelassen worden ist, verbleibt in der ausgeführten Dichtung als konkrete Parallele zu Schernberg, abgesehen von der Verwendung der Stadt Paris als einer der Schauplätze der Handlung, nur noch das, hier von Spiegelglanz gesprochene, Gebet mit der Aufzählung der großen Sünder der Heilsgeschichte, denen trotz

579

Kommentar ihrer Schuld vergeben wurde (vgl. 203,2 und Erl.). Hinzu kommen einige kleinere Reminiszenzen, die in den Einzelerläuterungen nachgewiesen sind.

1.3. Weitere Quellen Eine weitere Anlehnung an Schernberg scheint zunächst in der Szene mit dem Besessenen in III,7 vorzuliegen, der in der PJ mit Spiegelglanz identifiziert wird. Tatsächlich weicht Arnim dabei jedoch in einem wesentlichen Punkt vom Juttenspiel ab: Während dort der Dämon, weil er es eben doch mit einem (wenn auch weiblichen) Pontifex zu tun hat, wirklich ausfahren muß ( S i n d t d a s d u

ein Bepstin bist genant, / So mus ich von dir weichen zuhandt; Gottsched 1765, S. 109; Lemmer 1971, S. 57, v. 779f.), kündigt er dies bei Arnim erst für den Zeitpunkt an, wenn die Päpstin ein Kind gebiert bzw., in späteren Fassungen, wenn ihr Geschlecht offenbar wird. Auf diese Weise aber endet die Begegnung mit dem Besessenen auch in den meisten anderen Fassungen der Sage seit den F l o r e s t e m p o r u m , so daß hier das Juttenspiel als alleinige Quelle nicht mehr ausreicht.9 In der Tat deutet schon das Regest am Ende der Dolores-Einlage, das den Ausgang der Begegnung mit dem Besessenen offenläßt und somit in diesem Punkt mit dem Juttenspiel in Einklang zu bringen wäre, in anderen Details auf die Kenntnis zumindest noch der >klassischen< Wiedergabe der Sage durch Martinus Polonus neben Schernberg hin, ja mutet größtenteils wie eine genaue Nacherzählung dieser Version an: So erscheint hier Athen statt, wie bei Schernberg, Paris als Studienort,' 0 was wohl ursprünglich auch die Einführung des gr. Gelehrten Chrysoloras veranlaßt hat, dessen Schmeichelei, daß Spiegelglanz'

R u h m in der Metrik (...) sich selbst bis Athen ausbreite (Werke 1, S. 500), den eitlen Lehrer offenbar in diese Stadt locken soll. Die Niederkunft der Päpstin erfolgt b e i d e m C o l i s e u m , wovon bei Schernberg keine Rede ist. Weiterhin ist Johannas »Buhle« (bei Arnim Spiegelglanz), wie bei Martin und seinen Nachfolgern, der aktive Verführer, keine passive Nebenfigur wie bei Schernberg, wie

9

Unklar ist der Bezug einer Eintragung von Arnims Hand

Vergleiche

die

Volkssagen,

die

sich auf S. 8 0 u. in seinem Exemplar von Gottscheds Anthologie befindet, also neben dem auf S. 81 beginnenden Abschnitt mit dem Juttenspiel. Vmtl. bezieht sich die Notiz auf die auf S. 8 0 endenden Fastnachtsspiele von Hans Rosenplüt; es könnte aber auch das Schernbergsche Spiel und somit die Päpstinsage gemeint sein, da am Ende von S. 8 0 ein Stück unbedruckt geblieben war, während sich auf S, 8 1 kein Raum für eine Eintragung gefunden hätte. 10

Dies scheint eine Erfindung Schernbergs zu sein, der hier offenbar die in diesem Punkt in

der Tat anachronistische Sagentradition (vgl. dazu Döllinger 1890, S. 51 f.) korrigieren will.

580

Überblickskommentare und Quellentexte ähnlich bereits in Arnims erster Skizze, wo der Geliebte sich schließlich als der Satan erweist. Auch die Wahl von Mainz als Schauplatz der Kindheitsgeschichte, was in der ausgeführten Dichtung beibehalten ist, zeigt, daß Arnim die durch Martinus Polonus eingeführte Herkunftsbezeichnung der Päpstin kannte, die bei Schernberg, wo Jutta schlicht a u s E n g e l l a n d stammt, nicht erscheint. Es ist im übrigen nicht auszuschließen, daß diese Wortform bzw. die ursprüngliche, vielumrätselte Bezeichnung des Papstes als »Johannes Anglicus aus Mainz« bei Martinus Polonus Arnim mit angeregt hat, Johanna zum Kind der zunächst als Engel dargestellten Melancholia (vgl. 4.1) und somit buchstäblich des >Engellandes< zu machen. In der Tradition des Stoffes ist eine solche wortspielerische Umdeutung schon durch die gelegentliche Beziehung von »Anglicus« auf Engelheim/Ingelheim bzw. durch die Wiedergabe des Beinamens als »Angelicus« oder auch »Angelica« nahegelegt, und man hat in jüngeren Arbeiten eine Verbindung dieses Beinamens mit der Vorstellung des »Engelpapstes« erwogen." Tatsächlich läßt sich eine in der Tradition der Darstellung bei Martinus Polonus stehende Wiedergabe der Sage ermitteln, die Arnim mit Sicherheit gekannt hat. Dieser Text findet sich allerdings an einem Ort, wo man eine Behandlung des Stoffs kaum erwarten würde: in der

1611

in Leipzig

erschienenen

G ü l i c h i s c h e n C h r o n i c , die in Arnims Bibliothek erhalten ist (Sign. Β 264). Dieses Werk steht schon dadurch in engem Zusammenhang mit der Genese der PJ, daß Arnim es als Quelle für das Drama D e r A u e r h a h n heranzog (vgl. W A A 13), das vielfach mit dem F r ü h l i n g s f e s t verknüpft ist (vgl. 7.2). Daß die Einbeziehung der Geschichte von der Päpstin in das 4. Buch dieser Chronik etwas willkürlich erscheint, erkennt deren Verfasser offenbar selbst, weshalb er den Bericht anschließend als Kontrast zu der Erzählung von Kaiser Lothars freiwilliger Abdankung und seinem Eintritt ins Kloster rechtfertigt. Die antipapistische Tendenz des Autors der Chronik, eines evangelischen Geistlichen, ist offensichtlich. Arnim konnte hier alle genannten Details aus der Tradition der Päpstinsage finden, die im Juttenspiel nicht berücksichtigt sind. 11

S o z.B. Herbers 1988, S. 193: »Könnte man nicht mit l o h a n n e s

Anglicus

den im

13. Jahrhundert in eschatologischen Schriften angekündigten Engelpapst assoziiert haben? A u c h die häufige Bezeichnung der Päpste als c o a n g e l i c i

förderte vielleicht die Entwicklung dieses

Namenszusatzes.« Vgl. G ö s s m a n n 1994, S. 36, A n m . 19. Die Form »Angelica« in der weiter u. noch als Quelle für die

PJ

vorzustellenden

(Angelique) wird Histoire de la Papesse Jeanne

genannt. Arnim spricht im Konzept eines Briefes aus England an einen unbekannten Adressaten v o m 19. A u g u s t 1803 wortspielerisch von

der Engel Land

( W A A 3 1 , Nr. 320.K, z. 5); in einer

in England entstandenen Notiz im Taschenbuch FDH Β 6 9 begegnet auch die Wertform >Engellandc

Ich stehe hier in dem Engellande wie auf einem Isolirstuhle (...}.

581

Kommentar Neben Schernberg und der G ü l i c h i s c h e n C h r o n i c muß Arnim jedoch noch weitere Redaktionen des Stoffes herangezogen haben. Darauf deutet nicht nur die bereits erwähnte Behandlung der Szene mit dem Besessenen in der ausgeführten Dichtung, sondern schon ein Motiv in der G r ä f i n D o l o r e s : Die Eltern Johannas sollen hier noch ein Mönch und eine Nonne sein (ebenso in der hs. Prosafassung des Teufelsvorspiels; vgl. Paralipomena 2.2.2). Dies ist zwar ein Topos aus der Antichristtradition (vgl. 6.3); ein (englischer) Mönch wird jedoch auch in der Päpstinsage gelegentlich als Vater Johannas genannt. Auf eine weitere Quelle weist vor allem die Versetzung der Päpstin in die Zeit Johannes' XII. bzw. von dessen Großmutter Marozia ab den ersten Skizzen zur Romhandlung hin, was die III. bis V. Periode der PJ letztlich mehr prägt als die ursprüngliche Sage (vgl. 2). Dies nämlich ist zweifellos durch die Zurückführung der Genese der Erzählung von der Päpstin auf das »Hurenregiment« im Rom des 10. Jh. und speziell auf das Pontifikat Johannes'XII. angeregt, die sich häufig im einschlägigen Schrifttum über die Frage der Historizität der Gestalt findet: zuerst

bei

Johannes

Thurmair/Aventinus

in

seiner

Geschichte

Bayerns

(1519-1521), der die von Theodora und Marozia >gemachten< Päpste für den Ursprung der Sage hält, und in der Kommentierung der Papstviten des Piatina durch den Augustinereremiten Onofrio Panvinio von 1562, wo eine herrschsüchtige Konkubine Johannes' XII. namens Johanna als Archetyp der Päpstin identifiziert wird. Zahlreiche spätere Quellen beziehen sich - zustimmend oder ablehnend - auf diese Thesen, so etwa Pierre Bayles Artikel im D i c t i o n n a i r e , wo seltsamerweise zwei Mätressen Johannes' XII. zu einer J o h a n n a R a i n i e r i e kontaminiert sind, die das eigentliche Vorbild der Päpstin Johanna sein soll. In Arnims Bibliothek befindet sich eine Ausgabe von 1736 der frz. Übersetzung von Spanheims o. in 1.1 erwähnter Abhandlung D e P a p a

Foemina

I n t e r L e o n e m I V e t B e n e d i c t u m I I I D i s q u i s i t i o h i s t o r i c a (1691) durch den in Berlin als Prediger tätigen Hugenotten Jacques L'Enfant unter dem Titel H i s t o i r e de l a P a p e s s e J e a n n e (Arnim-Bibl. Sign. Β 2227a"b). Diese zuerst 1694 erschienene frz. Version in zwei Bänden, in der das Werk populär wurde, ist in späteren Auflagen eine zunehmend freie Bearbeitung von Spanheims Original, die L'Enfants Brandenburger Amtsbruder Alphonsus des Vignoles durch Zusätze und Anmerkungen ergänzte. Laut dem Vorwort der anonymen dt. Übersetzung des Buches von 1637 ( M e r c k w ü r d i g e H i s t o r i e d e r P ä b s t i n J o h a n n a (...). Frankfurt/Leipzig; Auszüge im Anhang von Gössmann 1994, S. 795828) ist vor allem auch die i m e r s t e n C a p i t e l d i e s e s W e r c k s e n t h a l t e n e u m s t ä n d l i c h e L e b e n s - B e s c h r e i b u n g d e r P ä b s t i n , die sich bei Spanheim so nicht findet, das Werk Vignoles'. (Siehe den durchgehenden Vergleich von Spanheims lat. Original und der frz. Übersetzung bei Gössmann 1994, S. 215-253.)

582

Überblickskommentare und Quellentexte Es gibt keine Hinweise auf das Datum der Anschaffung des Exemplars in Arnims Bibliothek; auch finden sich darin keine Anstreichungen und kaum sonstige Benutzungsspuren (die allerdings auch sonst in Büchern aus Arnims Besitz spärlich begegnen). Dennoch darf man wohl davon ausgehen, daß Arnim das zweibändige Werk bei der Abfassung der PJ und wohl auch des entsprechenden Kapitels in der

Gräfin Dolores

bereits besaß und verwendete, so daß es als

weitere Quelle angesehen werden muß. Von Bedeutung für die PJ ist dabei zunächst Vignoles' aus verschiedenen Quellen kompilierte ausführliche >Biographie< der Päpstin im 1. Kapitel. Diese Fassung der Geschichte steht Arnims erster Skizze insofern nahe, als neben Johannas Gelehrsamkeit hier auch ihre Liebe zu dem Geistlichen, der sie verführt hat, zentral ist; Arnim verteilt diese beiden Impulse auf den teuflischen Gelehrten (in der

docte)

und den

Histoire ist der Geliebte ein Ecolier und u n homme tresjungen Ritter, in der ausgeführten Dichtung dann auf Spie-

gelglanz und Ludwig bzw. Raphael (dessen ursprüngliche Einführung als Schüler in der Montmartreszene 1,3 vielleicht ebenfalls noch auf Johannas Geliebten in der Sage verweist; vgl. Merker 1933, S. 307). Zudem wird die auffällige Begabung schon des Kindes Johanna beschrieben, und die Flucht mit dem Liebhaber erfolgt, als das Mädchen n ' e ü t

alors que douze ans,

was eine Anregung für

die Behandlung der Kindheitsgeschichte bereits in der ersten Skizze gegeben haben könnte. Ebenso wie in der

Gülichischen Chronic

ist der Vertraute

(familiaris), der laut Martinus Polonus die Päpstin schwängert, nicht dieser Gelehrte, sondern ein Diener, Rat oder Kardinal (letztere Variante lehnt der Ver-

Gülichischen Chronic als unhistorisch stand dazumal (...) noch vnbekandt war). Dieses fasser der

ab, da dieser

nam vnnd

Motiv erinnert an Raphaels

Position während Johannas Pontifikat bei Arnim; Raphael war ja nach den Skizzen als einer ihrer Liebhaber vorgesehen (vgl. Entstehung 3.2.1.1). Auch die Begegnung mit dem Besessenen wird bei Vignoles so geschildert, wie Arnim sie in die PJ aufnimmt. Weiterhin geht die

Histoire

im Zuge ihrer in vier Komplexe geordneten

Argumente zur Darlegung der Wahrscheinlichkeit der Historizität der Päpstin in Kap. 5 des 1. Teils (Quatrieme caractere de vrai-semblance, tire des Fausses Origines que l'on a donnees a la Histoire de la Papesse) auf die bis dato vorgelegten Erklärungsversuche zur Entstehung der Geschichte ein, die hier, w o diese als hist, erwiesen werden soll, sämtlich abgewiesen werden. Dabei stellt die

Histoire

sowohl Aventins Zurückführung der Sage auf das

Regime von Theodora und Marozia (hier

Marose

genannt) vor als auch, beson-

ders bedeutsam für die PJ, die These des Panvinio, die sich auf das Pontifikat Johannes' XII. bezieht.

583

Kommentar Jacob Grimm hatte Arnim zudem im September 1810 (vgl. Entstehung 2) auf eine anonyme v o r e i n i g e n J a h r e n zu R e g e n s b u r g g e d r u c k t e A b h a n d l u n g ü b e r d i e J o h a n n a hingewiesen, bei der es sich um die Schrift U e b e r d i e Wahrscheinlichkeit der Existenz der Päbstin Johanna. Eine historische U n t e r s u c h u n g handelt (Regensburg 1809); Verfasser ist laut Gössmann 1994, S. 306 Peter Wolf. Dies ist eine weitere Arbeit, die, in Auseinandersetzung mit Blondel, Bayle und Leibniz, die Historizität der Gestalt als zumindest wahrscheinlich verteidigt, wobei der Verfasser jedoch die konkreten Motive des Stoffes größtenteils als sagenhafte Ausschmückungen verwirft. Ob Arnim der Empfehlung seines Freundes tatsächlich gefolgt ist, ist nicht zu belegen. In den Materialien zur PJ und in der ausgeführten Dichtung findet sich nichts, was auf eine Kenntnis von Wolfs Buch hinweisen würde. Dieses bietet auch, anders als die H i s t o i r e , keine größere Darstellung des Inhalts der Sage, dafür allerdings (S. 61, Anm. 26) eine wörtliche Wiedergabe der Fassung bei Martinus Polonus, die jedoch recht verderbt ist. So wird hier aus I o h a n n e s A n g l i c u s n a c i o n e M a g u n t i n u s ein J o h a n n e s A n g l u s , n a t i o n e M o g u n t i n u s . Mehrfach (S. 9, 19, 28, 56) verweist Wolf auf zwei weitere einschlägige Schriften, nämlich auf Philipp Konrad Marheinekes Aufsatz im Stuttgarter M o r g e n b l a t t f ü r g e b i l d e t e S t ä n d e Nr. 210 vom 2. September 1807, S. 837f., der eine erneute Prüfung der tatsächlichen Existenz der Päpstin anregt, und auf eine mit »Sch.« gezeichnete Erwiderung in Nr. 292 derselben Zeitschrift vom 7. Dezember 1807, S. 1165f., wo die Sage - offenbar nach der H i s t o i r e bzw. deren dt. Übersetzung von 1637 - kurz nacherzählt und größere Skepsis gegenüber einer hist. Grundlage geäußert wird. Marheineke erwähnt, man habe die Geschichte als H i n d e u t u n g a u f d a s W e i b e r - R e g i m e n t i m z e h n t e n h u n d e r t v e r s t a n d e n , w o (...) d i e M a r o z i a u n d d i e b e y d e n

Jahr-

Theodoren

m e h r als e i n e n F r e u n d , L i e b h a b e r u n d S o h n , s e l b s t u n t e r d e m N a m e n J o h a n n e s , a u f d e n r ö m i s c h e n S t u h l e r h o b e n (S. 837); d a s E i n d r i n g e n d e r s c h ä n d l i c h e n V e r w a n d t e n d e r M a r o z i a a u f d e n p ä b s t l i c h e n S t u h l wird auch bei Wolf einmal kurz als Ereignis in der Geschichte der Päpste erwähnt, das weit skandalöser sei als das Pontifikat einer Frau (S. 10). Auf den Artikel des Heidelberger Ordinarius für Kirchengeschichte Marheineke hat bereits Merker 1933, S. 298 hingewiesen, da der Verfasser mit Arnim befreundet war und bei dessen Aufenthalten in Heidelberg häufig mit ihm zusammentraf (vgl. z.B. Arnims Brief an Savigny vom 2. Februar 1808). Allerdings nahm schon Merker eher eine allgemeine »mündliche Anregung« für Arnim durch Marheineke an, sich mit der Päpstinsage zu befassen, als konkret eine Verwendung von dessen Aufsatz, und tatsächlich gibt es, ebenso wie bei Wolfs Buch, auch bei den Beiträgen im M o r g e n b l a t t keinen Anhaltspunkt dafür, daß Arnim sie für die PJ herangezogen hätte. 584

Überblickskommentare und Quellentexte Ein bestimmtes Motiv in der PJ kann Arnim freilich nicht der

Histoire

ver-

danken; es findet sich aber ebensowenig bei Wolf: die Verbindung der Päpstin mit den pseudoisidorischen Dekretalen, die zu Beginn von IV,3 erwähnt werden und schon in den ersten Skizzen zur Romhandlung (Paralipomena 1.3; auch im Kontext der Exzerpte aus Neanders Julian-Buch, vgl. 6.4) und in TF1 begegnen. Im letzten bedeutenden Versuch der Aufklärungszeit, die Päpstinsage zu widerlegen, hatte Carolus Blaschius in einer Schrift von 1760 und erneut 1778 in der

Diatriba de Joanna papissa, sive de ejus fabulae origine

die Geschichte

als Allegorie der Entstehung der einem Isidorus Mercator zugeschriebenen, laut Blaschius aber von einem Johannes Anglicus stammenden Rechtssammlung gedeutet. Diese Dekretalen wurden seit Nikolaus I. (Papst 8 5 8 - 8 6 7 ) benutzt, um die Kirche gegen die weltliche Macht zu stärken, bis man sie erst im 15. Jh. als größtenteils gefälscht durchschaute. Die These des Blaschius kann sich natürlich noch nicht in der älteren

Histoire

finden; Marheineke spielt im

Morgenblatt

Nr. 2 1 0 einmal kurz auf sie an, indem er bemerkt, man habe die Päpstinsage a l s

änigmatisch-symbolische oder satyrische Vor- oder Nachbildung des großen Aufsehns pseudisidorischer Decretalen verstanden (S. 837). Ob dieser knappe und recht unklare Hinweis Arnim angeregt haben könnte, seine Päpstin zur Urheberin (bzw., in der Endfassung, Nutznießerin) der falschen Dekretalen zu machen, ist fraglich; plausibler erscheint, hier eine andere Quelle anzunehmen. A n diesem Punkt ist eine Schrift zu diskutieren, die erstmals Ulfert Ricklefs als Vorlage für die PJ ins Gespräch gebracht hat (Ricklefs 1990b, S. 93f.): Johann Matthias Schröckhs 1796,

der

eine

Christliche Kirchengeschichte, ausführliche

Behandlung

der

speziell der 22. Bd. von

Päpstin

Johanna

enthält

noch nicht gänzlich geendigt und versucht eine bündige und unpartheyische Vorstellung der Gründe, welche sich für und wider jene Nachricht ausfindig machen lassen (S. 75), wobei er jedoch letztlich zu einem ablehnenden (S. 75-110). Schröckh hält die Diskussion um deren Historizität für

Urteil gelangt. Dabei geht auch er auf die verschiedenen Erklärungsversuche zur Entstehung der Sage ein und referiert nicht nur auf S. 100f. die Thesen des Aventinus (dessen Erklärung hält Schröckh, wie er schon im einleitenden Überblick des 21. Bandes seiner Kirchengeschichte von 1795, S. 17 angedeutet hatte, für die wahrscheinlichste) und des Panvinio, sondern, nach einem Regest in Johann Christoph Doederleins

Auserlesener theologischer Bibliothek

(1. Bd.

8. Stück. Leipzig 1781, S. 616-618), auch die des Blaschius (die er gänzlich verwirft):

Mit diesem räthselhaften Bilde der Geburt der Päpstinn wurden die untergeschobenen Decretalen bezeichnet: und der Nähme Johanna 585

Kommentar

soll die Mutter derselben, den Johannes Anglicus, anzeigen. In der Folge n a h m m a n das vor Ernst und Geschichte auf, was zuvor Metapher und Satyre war; die Geschichtschreiber t h a t e n aus der Fülle ihrer Einbildungskraft i m m e r neue Umstände hinzu: so verbreitete sich in den spätem Zeiten ein durch vielerley Künste ausgebildetes M ä h r c h e n . (S. 103f.; die falschen Dekretalen wurden von Schröckh auch zuvor schon ausführlich auf S. 2 9 - 3 5 behandelt.) Die Sage selbst erzählt Schröckh auf S. 75f. nach Martinus Polonus und gibt eine ausführliche Darstellung der hist. Überlieferung; hierbei wird auf S. 87 auch die Episode mit der Prophezeiung des Besessenen nach den F l o r e s t e m p o r u m

erwähnt, für Schröckh ein lächerlicher Zusatz. Ricklefs' Hauptargument für eine Benutzung Schröckhs durch Arnim, daß dieser nämlich nur dort den Bezug der Päpstinsage auf das Pontifikat Johannes' XII. gefunden haben könne, ist allerdings durch die Entdeckung der H i s t o i r e d e l a P a p e s s e J e a n n e , w o diese These Panvinios ebenfalls mitgeteilt wird, in Arnims Bibliothek nicht mehr zwingend. Auch auf die Theorie des Blaschius könnte Arnim sicherlich an anderer Stelle gestoßen sein; ebenso ist, wie sich noch zeigen wird, eine Abhängigkeit Arnims von Schröckh in der Darstellung der hist. Ereignisse um Johannes XII. und dessen Großmutter Marozia nicht zweifelsfrei belegbar (vgl. 2.5). Dennoch ist eine Benutzung der C h r i s t l i c h e n K i r c h e n g e s c h i c h t e durch Arnim durchaus plausibel; vor allem deshalb, weil hier auf all die hist. Quellen hingewiesen wird, die Arnim nachweislich benutzt hat. A u f S. 107f. behandelt Schröckh ausführlich die H i s t o i r e d e l a P a p e s s e J e a n n e und deren Textgeschichte, und es wäre denkbar, daß Arnim durch diese Passage auf das Werk aufmerksam wurde, das hier i m m e r

noch

das H a u p t b u c h f ü r d i e F r e u n d e d e r P ä p s t i n n genannt wird. Auch die

Bemerkungen im 21. und 22. Bd. der Christlichen Kirchengeschichte über die Form der Papstwahl im 9. Jh., über den Ikonokiasmus und über die Christianisierung Islands sind mögliche, w e n n auch nicht notwendige Quellen für entsprechende Passagen in der PJ und deshalb im Kommentar zu den entsprechenden Stellen nachgewiesen. Im übrigen war Arnim der Autor seit seiner Schulzeit

bekannt:

»Am

Joachimsthalschen

Gymnasium

zu

Berlin

wurde

Schröckhs L e h r b u c h d e r a l l g e m e i n e n W e l t g e s c h i c h t e (1777) benutzt«; vmtl. zog

Arnim

für

seine

Schulaufsätze

zudem

Schröckhs

mehrbändige

Allgemeine Weltgeschichte f ü r Kinder heran, die ab 1779 erschien ( W A A 1, S. 454). Da eine Benutzung der C h r i s t l i c h e n K i r c h e n g e s c h i c h t e durch Arnim jedoch nach derzeitigem Kenntnisstand Hypothese bleiben muß, ist dieses Werk im folgenden Quellenabdruck nicht berücksichtigt, der sich somit auf die für die

586

Überblickskommentare und Quellentexte PJ relevanten Abschnitte der Gülichischen Chronic und der Histoire de la Papesse Jeanne beschränkt. A u s Vignoles' ausufernder Biographie der Päpstin im 1. Kap. der Histoire sind dabei nur diejenigen Teile abgedruckt, die über den seit Martinus Polonus traditionellen Bestand der Sage hinausgehende M o tive und Details bieten: der Anfang über die Jugendgeschichte der Heldin, die Affäre mit dem römischen

Amant

sowie die Prophezeiung des Besessenen mit

der anschließenden Erscheinung des Engels.

Quellentexte zu Komm. 1:

Gülichische Chronic: Darinnen der vhralten Hochlöblichen Grafen Marggrafen und Hertzogen von der Marek / Gülich / Cleve / Bergen etc. Ankunfft / Genealogi, Stamm und Geschlechtregister / Außbreitung / Succession, Verenderung / fürnembliche thaten zu Friedes vnd Kriegszeiten / neben des Nider Reingeländes / Item der Städte / auch angrentzenden Provintzen vnd Lande / vhralten vnd newen merckwürdigen Geschichten / in 7. vnterschiedlichen Büchern ordentlich beschrieben / vnd biß in das 1610. Jahr continuirt werden. Adelarius Erich,

(...) Leipzig 1611, S. 196 v -197 r .

Das vierdte Buch der Gülichischen Chronic. Das IV. Capitel. (...) Anno Domini 853, ist zu Rom nach Bapst Leone dem vierdten / auff den Pestilentzischen Stuel gesetzt worden ein Weibs Thier mit namen Gilberta von Mäintz bürtig / vnd genennet Johannes Octavus. Sie ist zu Mäintz bey einem gelehrten zur Schul gezogen worden / hernach von einem Mönnich in Knaben-Kleidern gen Fulda ins Kloster bracht / vnd darinnen zur Lehr angehalten. Als sie nun begunte Manbar zu werden / besorgte er sich / es möchte ausbrechen / nam er jhm für / nach Athen zu reisen / vnnd füret seine Gesellin also mit darvon auß Deutschland gen Athen / da sie auch die Griechische spräche studiert hat / vnd fast gelehrt worden. Nach dem tode des Mönchs / so ihr gefehlt vnd Bule gewesen / kömpt sie gen Rom in jhren Mönnichs Kleidern helt sich so wol bey der Clerisey mit lehren vnd disputirn daß sie in groß ansehen vnd Verwunderung keim / vnnd in solche Kundschafft gerhiet daß sie mit gemeiner stimm an Leonis Stadt zum Bapst erwehlet ward. Sie hat aber wie ein ander Bapst sich im Ampt gehalten / Bischoff vnnd Priester geweyhet / Altar vnd Kirchen geheiliget / Mönch vnnd Nonnen eingesegnet / die Socrament gereicht / jhr die Füsse küssen lassen / vnd was dergleichen gewesen. 587

Kommentar

Dieweil sie aber von jhrem Capellan vnd Diener erkandt / vnnd geschwenger ward (etliche n e n n e n jhn ein Cardinal welcher n a m vnnd stand dazumal aber noch vnbekandt war) blieb die schand verborgen / biß sie auff eine zeit in der procession gieng / m i t der gantzen Priesterschafft nach der Lateranischen Kirchen auß Vaticano, da keim jhre zeit das sie an der Strassen gebar / vnd k a m des Kindes ab / zwischen dem Colosseo oder Amphitheatro vnd Spielhause vnnd der Capein Clementis, da sie denn jhren Geist auffgab / i m Jhar Christ 857. Die Römer n e n n e n dieselbe strasse auff ihre Sprache: Lastrada meledetta, die verfluchte strasse. Sie ist ohne Bäpstliche solennitet begraben / vnnd jhr N a m e auß d e m Register der Bäpste außgekratzet worden / d a r u m b lassen jhr viel sie aussen / gibt aber hernach viel gewirrs m i t 197' den andern dieses Namens. | I m pontifical ist sie gar aussengelassen. H e r m a n , contract, zelet sie auch nicht mit. Palmerius aber / Piatina, Marianus, Martinus, Polonus, vnd andere zelen sie m i t / wie auch Volaterr, Bergomensis vnd Naucler. Gener. 29. Diese Historiam wie das Weib ein Römischer Bapst worden / setze ich d a r u m b hieher in dieses Chronicon, weil eben zu dieser zeit / nemlich Anno 855. Kr. Lotharius Herr in diesen Landen seinen Stand verlassen / Platt und Kutt a n g e n o m m e n vnd i m Closter P r u m i e n / nicht weit von Trier / ein Benedictiner Münnich worden. Sihe du Christlicher Leser / welch eine zeit? Welch ein schön wesen / welche Metamorphoses sind dieses? Der Römische Monarch vnd Keiser Lotharius legt die Keiserliche Krön von sich / vnd setzt dagegen ein Weib die dreyfache Bäpstliche Krön auff ihr Haupt.

Histoire de la Papesse Jeanne, fidelement tiree de la Dissertation latine de M. de Spanheim, Premier Professeur en l'Universite de Leyde. Troisieme Edition augmentee. Tome Premier. A la Haye 1736. S.4f.

5 Au commencement du IX. Siecle, les Saxons ayant em|brasse le Christianisme, apres avoir ete subjuguez par Charlemagne, plusieurs savans h o m m e s passerent d'Angleterre en Allemagne, pour instruire ces nouveaux Convertis. U n Pretre Anglois, qui etoit du n o m b r e de ces savans, ayant m e n e avec lui sa F e m m e , qu'il avoit, dit-on, enlevee, f u t oblige de s'arreter a Mayence, parce qu'elle etoit sur le point d'accoucher. P e u de tems apres, eile m i t au m o n d e une Fille, dont les aventures ont fait tant de bruit, depuis quelques Siecles, & dont nous ecrivons l'Histoire. 588

Überblickskommentare und Quellentexte S. 7 - 1 1

II y a moins de difficulte touchant sa P a t r i e . Plusieurs Auteurs disent qu'elle etoit Angloise. D'autres, en plus grand nombre, qu'elle etoit de Mayence: & quelques-(uns, qu'elle etoit d ' E n g e l h e i m , ou I n g e l h e i m , a present Ville du Palatinat, celebre par la naissance de Charlemagne. Tout cela s'accorde aisement. Elle etoit originaire d'Angleterre. Elle fut elevee a Mayence, ou son Pere & sa Mere s'etablirent. Mais eile näquit ä I n g e l h e i m , qui est dans le voisinage de Mayence, & qui en dependoit autrefois. C'est apparemment pour cela que plusieurs Auteurs ont affecte de ne pas dire qu'elle füt native de Mayence, ce qui ne seroit pas vrai, a la rigueur: mais, ex M a g u n t i a c o ; c'estä-dire, ex P a g o M a g u n t i a c o dans le Distroit de Mayence. Cette Fille, qui, d'ailleurs, etoit parfaitement belle, fit bientot paroitre qu'elle avoit l'esprit excellent. Son Pere, qui etoit savant, & qui remarqua ces bonnes dispositions dans sa fille, la fit etudier des sa jeunesse. Elle y reüssit au de-la de tout ce qu'on pouvoit esperer. Mais il lui arriva, ce qui ne manque gueres d'arriver ä une jeune personne qui a de l'esprit & | de la beaute: elle fut aimee, & elle ne fut pas insensible. Un jeune Ecolier, Anglois d'origine, comme elle, & Moine dans l'Abbaye de Fulde, en etant devenu amoureux; S ' i l l ' a i m a b i e n , e i l e de s o n c o t e , ne l u i f u t p a s c r u e l l e : & quoi qu'elle n'eüt alors que douze ans, elle eut assez de courage, pour surmonter la crainte si naturelle dans ce Sexe, & a son age. S'etant done laisse conduire aux conseils de son Amant, eile se retira secrettement de la maison de son Pere; quitta le nom qu'elle portoit comme fille; & sous un habit de gargon, prit le nom de J e a n ; auquel eile ajoüta le surnom d ' A n g l o i s : tant ä cause de son origine, qu'en faveur de son Amant, qu'elle suivit ainsi deguisee. Pour le voir plus commodement, elle entra dans l'Abbaye de Fulde, dont il etoit Moine: & quelque tems apres, ils passerent en Angleterre, ou ils continuerent ä se voir, sans negliger leurs etudes. L'Amant, qui etoit le plus avance, se rendit, bien-tot,| un homme tres-docte; comme divers Historiens en conviennent: mais ils ne sont pas d'accord de ce qu'il devint. Boccace & Philippe de Bergame, disent qu'il mourut en Angleterre; & qu'apres sa mort, Jeanne ne voulut, ni avoir de commerce particulier avec d'autres hommes, ni reprendre ses habits de femme: mais que prenant un singulier plaisir aux sciences, & reconnoissant bien elle-meme, qu'elle y avoit de tres-bonnes dispositions, elle etudia avec plus d'assiduite, & surpassa de beaucoup tous ses com589

Kommentar

pagnons d'etudes. Les autres Auteurs ne sont pas du sentiment de ceux que je viens de nommer. Quelques-uns disent, qu'elle voyagea longtems en Italie, & en Grece, sous la conduite de ce meme Moine de Fulde, ä qui l'un d'eux ne fait point scrupule d'ajoüter le titre de M a r i de J e a n n e . Un autre Auteur, allegue par Florimond de Remond, & que Blondel nomme parmi quelques Protestans, quoi qu'il füt Pretre, & 11 qu'il ait ecrit | plus de trente ans avant la Reformation; pretend qu'elle regut a Paris, le Degre de Maitre aux Arts, & ensuite, celui de Docteur. Mais, & ces derniers Auteurs, & quantite d'autres, disent unanimement, que Jeanne alia a Athenes, avec son Amant; eile etant encore la fleur de son age. S. 24f.

Pendant que Jeanne avoit vecü dans la pauvrete, attachee ä ses etudes, & ä ses legons, elle avoit eü une conduite honnete & reglee; au moins, au dehors: & il y a apparence, qu'au commencement de son Pontificat, eile conserva, ä peu pres, les memes manieres, qui lui attirerent l'approbation, & la louange de tout le monde, comme je l'ai dit. Mais les richesses, l'oisivete, & les delices, dont il lui fut permis de joui'r, dans une si grande elevation; la bonne chere, qu'elle faisoit ordinairement, & les suggestions du Diable, qui lui avoit mis dans l'esprit une entreprise si criminelle, la plongerent dans l'intemperance, & par une suite assez ordinaire, dans l'impurete. L a commodite & l'adresse pour satisfaire a sa luxure ne lui manquoient pas. Mais il faloit faire choix 25 de quelque homme, sur la discretion & la fidelite de qui eile | put conter: & c'est en quoi eile reüssit si bien, qu'on n'a pü savoir que par conjecture, de quel rang ou de quelle condition fut ce Favori. La plupart ne lui donnent que le nom d ' A m a n t : faute d'en pouvoir dire davantage. D'autres lui donnent le simple titre d e D o m e s t i q u e , ou de S e r v i t e u r . Quelques-uns en font un V a l e t de C h a m b r e . Quelques autres, un C o n s e i l l e r , ou un C h a p p e l a i n . II y en a qui assürent, que c'etoit un C a r d i n a l : & Du-Haillan a joint ensemble ces deux dernieres Dignitez. S. 2 7 - 2 9

Un jour qu'elle tenoit Consistoire, on lui amena un Demoniaque, pour l'exorciser. Parmi plusieurs autres Questions, Jeanne ayant demande au Demon, en quel tems il vouloit sortir du corps de ce Possede? J e ν ο u s d i r a i , lui repondit le Demon, en q u e l t e m p s j e s o r t i r a i de ce 590

Überblickskommentare und Quellentexte

corps, lors que vous, qui etes Pape, & le Pere des Peres, n o u s f e r e z v o i r u n E n f a n t n e d ' u n e P a p e s s e . Voici les propres termes de la Reponse. P a p a P a t e r P a t r u m , Papissae p a n d i t o p a r t u m : Et t i b i t u n c e d a m , de c o r p o r e q u a n d o r e c e d a m . Ces deux Vers, qui ne sentent pas le Siecle d'Auguste, se lisent ainsi dans plusieurs Auteurs: & le premier se lit, de la meme maniere, dans quelques autres, qui le rapportent tout seul. Mais un Auteur publie par Μ. de Leibniz, & un MS. de Leipsig, l'ont | change de cette facon: Papa Pater Patrum peperit Papissa Papellum. Et Nicole Gilles l'a donne d'une maniere encore plus corrompue. Papa Pater Patrum Papissa peperit partum. A quoi il ajoüte, que ce Vers fut compose par un Cardinal de Rome: ce qui ne pourroit avoir ete fait qu'apres l'evenement, & ne sauroit s'accorder avec l'Histoire du Demoniaque. Soit que cette Histoire ait ete diversement recitee, ou que le Diable ait parle a Jeanne plus d'une fois; on trouve, dans une Chronique Allemande, que l'Esprit malin s'etant presente ä eile, lui dit: Ο v o u s Pape, qui etes le Pere des Peres, vous devez d e c o u v r i r au monde, par vötre a c c o u c h e m e n t , que vous etes une Pap e s s e : c ' e s t p o u r q u o i j e v o u s e m p o r t e r a i , en c o r p s & e n a m e , a f i n q u e v o u s s o y e z a v e c m o i . Une menace si terrible, devoit jetter Jeanne dans le desespoir: eljle ne le fit pas neanmoins. Repentante de son peche, dans le fond du coeur; &, peut-etre, s'etant imposee, en secret, quelque rude penitence; un Ange lui fut envoye, de la part de Dieu, pour lui offrir l'alternative, ou de perir eternellement, ou d'etre confondue, en public, devant le Monde. Jeanne, pour ne pas perir eternellement, accepta, sans balancer, la confusion & l'opprobre: dans l'esperance d'obtenir, par ce moyen, la remission de ses pechez. Cette grace lui fut accordee: & la confusion qu'elle avoit choisie, lui arriva de cette facon. 3 S. 8 0 - 8 5

Aventin dans ses Annales de Baviere, qui finissent ä l'An M. D. XXXII. est le premier qui s'est le plus hautement declare contre l'Histoire de la Papesse. Et voici l'origine qu'il lui trouve. II fait tomber sur Jean IX, que d'autres appellent avec plus de fondement Jean X. tout ce que l'on a dit de la Papesse. Ce Jean IX. ou X. etoit & la creature & l'amant de Theodore, cette femme egalement fameuse & par son ambition & par 591

Kommentar

son impudicite. Elle l'eleva successivement a l'Archeveche de Bologne, a celui de Ravenne, & enfin au Pontificat. Et parce que c'etoit a la passion & aux intrigues d'une femme que ce Pape devoit sa Fortune, Aventin pretend que c'est ä cause de cela qu'il a ete appelle F e m m e lui-meme. Rien ne decouvre mieux la c o n f u s i o n & l ' i g n o r a n c e c r a s s e dont Baronius taxe l'Histoire d'Aventin, que cette pretendue ori|gine, de laquelle Blondel ä lui-meme reconnu la vanite. En effet, dans l'Histoire de la Papesse, il s'agit de Jean VIII. & non de Jean IX. II y a meme de l'affectation a appeller Jean IX. celui qui, pour le moins, est Jean X. & meme Jean XI. selon Platine & les autres, qui placent un Jean VIII. entre Leon & Benoit. Au fond le Jean IX. d'Aventin n'a ete Pape qu'au dixieme Siecle. Marose fille de Theodore le fit etouffer en trahison l'An 929. genre de mort, qui pour le remarquer en passant, n'a rien de commun avec celui de la Papesse. D'ailleurs Jeanne ne tint le Pontificat que deux ans & quelques mois, de l'aveu de tout le monde; au lieu que l'autre le tint pendant plus de 13. ans. II est vrai que ce Pape etoit la creature d'une femme, mais du reste il ne paroissoit rien moins que de feminin dans ses mceurs & dans son caractere. L'Histoire de son Pontificat, est pleine d'exemples de sa ferocite; Platine | dit que ses inclinations etoient plus Celles d'un Soldat, que d'un Ecclesiastique. Enfin je demande ä Aventin pourquoi ce Jean, pour avoir ete eleve au Pontificat par Theodore: est plütot appelle F e m m e , qu'un autre Jean ordinairement appelle Jean XI. lequel fut aussi intrus apres Etienne VIII. par Marose, fille de Theodore. Car jamais on n'eüt tant de sujet qu'alors de dire que l'Eglise etoit gouvernee par une femme. Ce Pape qui etoit fils naturel de Marose, n'etant ä proprement parier qu'un enfant, c'etoit Marose elle-meme qui gouvernoit. Apres cela qu'on fasse quelque fond sur la conjecture d'Aventin. Peut-etre qu'Onuphre nous decouvrira mieux la source de toute cette affaire. C'est au moins ce qu'il se promet avec beaucoup de confiance dans ses Notes sur Platine. Voici comme il s'en tire fonde sur l'autorite de Luitprand. II pretend que cette Fable n'a point d'autre fondement, que la vie molle & effeminee de Jean | XII. lequel Platine & plusiers autres appellent Jean XIII. Le credit de son Pere Alberic, Prince Romain, l'eleva au Papat, lors qu'il ne sortoit qu'ä peine de son adolescence. Ce Pape eut plusieurs Concubines, entre lesquelles Onuphre pretend qu'il y en avoit une nominee J e a n n e . Voila l'origine toute trouvee. Car d'une Jeanne Maitresse d'un Pape Jean il n'est rien plus 592

Überblickskommentare und Queüentexte

naturel que d'en composer une Papesse Jeanne. Mais examinons serieusement tout ce bei etalage. Je ne parlerai point ici de plusieurs bevües & meme de quelques faussetez manifestes dont Onuphre fait preceder sa Narration, dans la vüe d'aneantir la Papesse. Je m'arrete a la Narration meme qui n'a rien que de froid, & de visiblement affecte. Deja, il est surprenant que dans cette occasion Onuphre fasse tant de fond sur l'autorite de Luitprand, lequel il ne fait pas difficulte de dementir ailleurs, meme sur des choses qui ont ete confirmees par les | Actes d'un Synode de Rome, & par Baronius; comme sur ce qu'il dit des indignitez que l'on exerga contre Formose apres sa mort. Mais il y a plus; c'est que Luitprand ne fait aucune mention d'une J e a n n e qui ait gouverne sous Jean XII. Cette Jeanne est de l'invention d'Onuphre. II est vrai que Luitprand parle de deux femmes qui etoient alors toutes puissantes dans Rome, l'une s'appelloit R e i n e r e , & l'autre E t i e n n e t e , mais il n'en nomme aucune J e a n n e . II est encore parle d'une Veuve nominee A n n e , dans les Actes du Synode de Rome, qui deposa ce Jean sous Othon I. Mais nulle part d'une J e a n n e . D'ailleurs quelle liaison y a-t-il entre Jean VIII. & Jean XII. fils d'Alberic & appelle Octavien avant que d'etre Pape? Pourquoi prendre pour Jean VIII. un Pape qui selon le meilleur calcul n'a ete que le 13. de ce nom? Pourquoi abreger de 7. ans le Pontificat de Jean XIII. en ne le laissant sur le Siege Pontifical que deux ans quoi qu'il y ait dejmeure environ 9. ans? Si le tems de la Papesse Jeanne, n'est qu'au milieu du Siecle X. pourquoi la placer un Siecle plus haut? De quel front faire passer pour femme, un homme qui emplo'ioit ä la chasse, & ä de pareils exercices le tems qu'il ne donnoit pas a ses intrigues avec le Sexe? Qu'y a-t-il de commun entre ce qu'on a dit de la fin de Jeanne, & la fin de Jean XII.? Jeanne meurt a Rome dans une Ceremonie publique, en accouchant, en plein jour, &c. & Jean XII. surpris en adultere hors de la Ville, y est poignarde par le mari dont il debauchoit la femme; ou si l'on aime mieux en croire Luitprand, par le Diable jaloux de l'honneur de ce pauvre Mari. Des conjectures tirees de si loin confirment la verite de l'Histoire de la Papesse, au lieu de la detruire.

593

Kommentar

2. Historische Quellen: Johannes XII. und Marozia 2.1. Die geschichtlichen Fakta Wie in 1.3 dargelegt, regte offenbar die letztlich auf Panvinio zurückgehende These von einer Entstehung der Päpstinsage aus den Zuständen zur Zeit Johannes' XII. Arnim dazu an, seine Johanna mit diesem hist. Papst zu identifizieren. Die Neigung, geschichtliche Fakta mit Dichtungen in Berührung zu setzen und somit dem was der Phantasie mit einem Reiz vorschwebt, einen festen Boden in der Außenwelt zu suchen, wo das hätte möglich sein können, wie Arnim es selbst in einem Brief an Jacob Grimm vom 13. Juni 1812 und einem am 24. Dezember 1812 abgesandten Brief an die Brüder Grimm formulierte, ist bekanntlich ein typischer Zug seiner Werke und hatte im Falle der Isabella von Ägypten von 1812 unmittelbar vor und während der Entstehung der PJ zu einer Kontroverse mit Jacob Grimm geführt.12 Johannes XII. zog aus verschiedenen Gründen von jeher das besondere Interesse der Historiker auf sich: Der angebliche röm. Sittenverfall des 10. Jh., das speziell in der Geschichte der Päpste seit den von 1588 bis 1607 entstandenen Annales Ecclesiastici des Kardinals Caesar Baronius als »saeculum obscurum« bezeichnet wurde, schien mit diesem Pontifex, der als äußerst lasterhafter und leichtsinniger Jüngling dargestellt wurde, zu kulminieren. Zudem kam in ihm, der zugleich Papst und der Nachfolger des »Princeps« Alberich war, wie noch Leopold von Ranke formulierte, »die Verbindung des geistlichen und weltlichen Regimentes, welches Rom seit mehr als einem Menschenalter beherrscht hatte, gleichsam persönlich zur Erscheinung« (Ranke, S. 304). Weiterhin veranlaßte Johannes XII. den 2. Italienzug Ottos des Großen von 961-965. Dieser führte zur endgültigen Verknüpfung des westlichen Kaisertums mit dem dt. Königtum und zur Oberherrschaft der dt. Könige über Nord- und Mittelitalien. Die Absetzung des Papstes durch Otto dokumentiert auf besonders deutliche Weise die vorübergehende Übermacht des Kaisertums gegenüber dem Papsttum in der Ottonen- und frühen Salierzeit. Schließlich galt der als Oktavian zur Welt gekommene Johannes XII. als der Begründer des Brauches, daß die Päpste beim Antritt des Pontifikats ihren Namen ändern. Oktavian entstammte einer Adelsfamilie, die seit mehreren Generationen die röm. Politik dominiert hatte, wobei mehrfach Frauen tonangebend waren; dies galt schon zeitgenössischen Chronisten als besonders schändlich und führte spä12

Vgl. zu diesem Charakteristikum und seinem poetologischen Kontext Ricklefs 1990b,

S. 27-34; vgl. auch Erl. zu 4,19 sowie zu 171,11.

594

Überblickskommentare und Quellentexte ter zum Schlagwort von der röm. »Pornokratie«. Als deren Begründerin wurde Oktavians Urgroßmutter Theodora angesehen; dieser folgte ihre Tochter Marozia (Diminutiv für >MariaMachtweib< neben Johanna selbst erweitert hatte. Oktavians hist. Vater, der als Herrscher sehr fähige und bedeutsame Alberich II., ist bei Arnim mit dessen gleichnamigem, von seiner Gemahlin Marozia dominierten Vater verschmolzen und erscheint deshalb in der PJ etwas widersprüchlich einerseits als Pantoffelheld und andererseits als der einflußreiche Machthaber, worauf Arnim einmal selbst eingeht (vgl. 334,31ff.). An die Darstellung Alberichs II. bei Löscher erinnert in der PJ die geheime Herrschaft Reineras über den Papst: Ähnlich soll Alberich seinen Stiefbruder Johannes XI. wie einen Gefangenen gehalten und dessen Namen willkürlich gebraucht haben. Daß Alberich der Vater Raphaels (und Marozia dessen Stiefmutter) ist und dementsprechend auch R a p h a e l A l b e r i c h genannt wird, ist selbstverständlich Arnims Erfindung. Löscher stützt sich bei seiner Darstellung der Regentschaft Theodoras und Marozias hauptsächlich auf eine weitere Schrift Liudprands, die von diesem selbst als A n t a p o d o s i s bezeichnet wurde (d.h. Vergeltung, was sich gegen Berengar II. richtet, bei dem Liudprand in Ungnade gefallen war; der Titel wird am Beginn des 3. Buches der Schrift gerechtfertigt). Dieses unvollendete Werk behandelt die jüngere Geschichte Italiens und ist von noch deutlich zweifelhafterem dokumentarischen Wert als die H i s t o r i a O t t o n i s , da es zum einen, schon im Titel, offen polemisch angelegt ist und Liudprand hier zum anderen größtenteils nicht, wie in der Schrift über Ottos Italienzug, als Augenzeuge berichten kann. Es gibt jedoch in diesem Fall (anders als bei der H i s t o r i a O t t o n i s , wie u. noch zu zeigen sein wird) keinerlei Anhaltspunkt dafür, daß Arnim neben Löscher auch Liudprands Schrift konsultiert hat. Schon Paul Merker, der als erster auf die A n t a p o d o s i s als mögliche Quelle für die PJ hinwies, räumte ein, daß Löschers Buch eine plausiblere Vorlage darstelle (Merker 1933, S. 312f.). Merker

sehe Zählung kommt ironischerweise dadurch zustande, daß Wäldau eine Päpstin

Gilberta

als

Johannes VIII. in das Papstverzeichnis einbezieht. Ricklefs hebt zudem hervor, daß hier Marozia den Vorgänger ihres Sohnes vergiftet haben soll, so wie Chrysoloras den früheren Papst bei Arnim, wobei freilich daran zu erinnern ist, daß Giftmorde in den Quellen mehrfach kolportiert werden, so etwa bei Löschers Darstellung des Todes von Johannes VIII. (Löscher 1705, S. 13). Kurz zuvor berichtet Löscher von dem Gerücht, Karl der Kahle sei von seinem jüdischen Leibarzt vergiftet worden,

den man auch der Zauberey wegen in Verdacht hatte

ebenfalls an Arnims Chrysoloras erinnert.

598

(S. 11), was

Überblickskommentare und Quellentexte bezog sich dabei auch auf Liudprands Bericht, wonach das Volk den Konkubinen König Hugos wegen ihrer Lasterhaftigkeit die Namen röm. Göttinnen, unter anderem der Venus, gegeben habe: Sed et populus has ob turpis inpudicitiae facinus d e a r u m nominibus, Pezolam videlicet Venerem, Rozam I u n o n e m (...), Stephaniam vero Semelen apellabat. 16 Löscher gibt dies, wohl durch ein Mißverständnis der Liudprand-Stelle, so wieder, als habe Hugo selbst die Mätressen mit diesen Namen bezeichnet.17 Neben dem Bericht über die Anrufung von Jupiter und Venus durch Johannes XII., den Löscher nach der Historia Ottonis wiedergibt, ist in diesem Detail offenbar der wichtigste hist. Anknüpfungspunkt für die Einführung des Neuheidentums der Fürstin Venus in die Romhandlung der PJ zu sehen.

2.4. Muratoris Geschichte von Italien Löscher kann jedoch keinesfalls als einzige Quelle Arnims für den hist. Hintergrund der Dichtung angenommen werden. Dies zeigt vor allem das Motiv des Feldzugs gegen Pandulph und Girulph, der seit TF1 eine bedeutsame Rolle in der PJ spielt, sich aber weder bei Löscher noch in der Historia Ottonis findet. Einzige mittelalterliche Quelle für diese Episode ist die anonyme Chronik von Salerno (Chronicon Salernitanum), die zu Arnims Zeit u.a. in einer Edition L.A. Muratoris gedruckt vorlag (Rerum Italicarum Scriptores. Tomi II Pars Altera. Mailand 1726, S. 163-286). Dort wird kurz berichtet, daß der Papst Johannes (der Herausgeber Muratori identifiziert ihn in einer Fußnote irrtümlich als Johannes X.) einen Feldzug gegen die Herzöge von Benevent und Capua, Pandulf und Landulf IL, unternommen habe, aber von deren Verbündetem Gisulf von Salerno mit seinem Heer zurückgeschreckt worden sei, worauf der Papst seinerseits ein Bündnis mit Gisulf geschlossen habe. (Die bei Arnim stets erscheinende Namensform Girulph ist wohl ein Versehen; einmal, 237,22, findet sich auch Girolph.)

16

Antapodosis IV,14; zitiert nach QGK, S. 416.

17

Obwohl Zimmermann 1975, S. 263 Löschers Werk insgesamt als »relativ sachlich-nüchtern«

charakterisiert und meint, es zeige »gute Kenntnis« der benutzten Quellen, ist die mehr polemische als historiographische Schrift doch nicht nur in diesem Fall im Detail ungenau: So hat nach Löschers Version erst Alberich IL, nicht dessen Mutter Marozia Johannes XI. als Papst eingesetzt; auch daß Alberich bei der Wahl seines Sohnes Oktavian zum Papst bereits verstorben ist, wird bei Löscher nicht deutlich (über diesen letztgenannten Punkt scheint allerdings auch in einigen älteren Quellen Verwirrung zu herrschen).

599

Kommentar Daß Arnim für die Episode diese doch recht obskure lat. Quelle selbst konsultierte, ist wenig wahrscheinlich (obwohl das Werk in anderem Zusammenhang beiläufig im 4. Teil von Joseph Görres' Aufsatz Der gehörnte Siegfried u n d die Nibelungen in der ZfE Nr. 21 vom 11. Juni 1808, Sp. 164f. erwähnt wird); plausibler erscheint hingegen, daß er sie in der dt. Übersetzung der von ihrem Herausgeber Muratori verfaßten Geschichte von Italien kennenlernte, die, teilweise mit wörtlichen Zitaten aus der Chronik, den Feldzug gegen Pandulf und Landulf referiert (vgl. u. den Quellenabdruck). Dafür, daß Arnim dieses Werk Muratoris benutzte, spricht zudem, daß sich nur dort der spätere ehrenvolle Empfang Ottos durch die beiden Herzöge findet (die hist., anders als bei Arnim, niemals dessen Kriegsgegner waren), was das Vorbild für das Auftreten Ottos und Pandulphs als Verbündete in V,5 darstellen könnte; bei dieser Gelegenheit nennt Muratori auch Pandulphs Beinamen »Eisenkopf« (Pandulpho Capite ferreo), der vmtl. die Bemerkung in IV,3 veranlaßt hat, der Herzog sei ein häßlicher M a n n (203,31; entsprechend schon in TF1, 310,17). Noch einige weitere Details, die weder Löscher noch die Historia Ottonis bieten, dürfte Arnim dem Werk Muratoris verdanken. So legt dieser Autor als Geburtsdatum Oktavians das Jahr 938 nahe (er soll bei dem auf 956 datierten Anfang seines Pontifikats vielleicht noch nicht das neunzehndte J a h r erreicht haben), das auch bei Arnim als Geburtsjahr Johannas erscheint (vgl. 5,27); laut Löscher wurde Johannes XII. hingegen erst 944 geboren. Im Unterschied zu Löscher hebt die Geschichte von Italien außerdem hervor, daß dieser Papst der erste gewesen sein soll, der seinen Namen verändert hat, was auch Arnim in TF2 erwähnt (vgl. 319,1 und Erl.). Weiterhin stützte sich Johannes XII. nach Muratoris Darstellung für die Amtsgeschäfte ganz auf den Protoscriniarius Leo, seinen späteren Nachfolger, weil er seinen unordentlichen Lüsten nachhieng, u n d u m die öffentlichen Angelegenheiten sich wenig b e k ü m m e r t e - daran erinnert bei Arnim, daß Johanna aus Leidenschaft für Ludwig/Stephania alle Pflichten an Raphael und die Räte delegiert (vgl. 198,8ff.). Daß der Papst sich nach seiner Flucht wie ein wildes Tier in den Wäldern verborgen habe (in sylvisque more ferae aliquandiu delituit), wie die Geschichte von Italien aus einer Liudprand in diesem Punkt ergänzenden Quelle referiert, könnte die Anregung für die Bußzeit Johannas beim Einsiedler in V,3 gegeben haben. Wie bei Arnim (202,18) wird der gerüstete Papst ausdrücklich mit dem heiligen Georg verglichen, was jedoch zu naheliegend ist, als daß man dafür unbedingt eine Quelle postulieren müßte. (Arnim fügt im übrigen einen weiteren Vergleich mit dem Hl. Michael hinzu.) Interessanter ist, daß nach Muratoris Darstellung Marozia vmtl. mit ihrem damaligen Ehemann Alberich I., nicht, wie Liudprands Antapodosis meint, mit

600

Überblickskommentare und Quellentexte Papst Sergius III., den späteren Papst Johannes XI. gezeugt haben soll, wobei sich der Autor auf Leo Ostiensis beruft, ohne allerdings zu bemerken, daß dieser als I o h a n n e s V n d e c i m u s offenbar Johannes XII. zählt (vgl. den ähnlichen Irrtum bei dem o. erwähnten G.E. Waldau) und mit dessen Vater dementsprechend Alberich II. meint, nicht Marozias Gemahl Alberich I.18 Hier könnte Arnim eine Anregung gefunden haben, Alberich II. und dessen gleichnamigen Vater zu ein- und derselben Gestalt zu kontaminieren sowie Marozia und Alberich als angebliche Eltern des Papstes einzuführen, was bei Löscher schon deshalb keineswegs nahegelegt ist, weil dieser Alberichs Vater stets A d e l b e r t

nennt.

Schließlich erscheint bei Muratori eine bevorzugte Konkubine des Papstes, die bei Liudprand R a i n e r i i v i d u a , also Witwe des Rainer, genannt wird und die laut Löscher R a i n e r i a heißt, einmal zwar fälschlich als R a m i r a , an anderer Stelle jedoch als R a i n e r a , also mit der Namensform, die auch Arnim verwendet. Im übrigen machen einige Exkurse innerhalb der PJ zur Situation Roms und Italiens im 10. Jh. grundsätzlich plausibel, daß Arnim sich aus einer umfassenden Darstellung der it. Geschichte informierte, wie sie Muratoris Werk darstellt (vgl. z.B. in F 2 den Beginn von 111,1 und Erl.; vgl. auch Erl. zu 84,28-29). Obwohl Muratori einige über Löscher hinausgehende Einzelheiten aus der H i s t o r i a O t t o n i s (die er übrigens größtenteils irrtümlich einem C o n t i n u a t o r Liudprands zuschreibt) bietet, so die Verhaftung zweier Abgesandter des Papstes in Capua, was in TF1, 311,29 Chrysoloras widerfährt, oder die in Punkt 7 des ersten Szenariums zur Romhandlung (vgl. Paralipomena 1.3) genannte Flucht des Johannes ü b e r d i e T i b e r , 1 9 ist es eine plausible These, daß Arnim neben diesen beiden Autoren doch auch Liudprands Schrift selbst konsultiert hat, die zu seiner Zeit noch nicht ins Deutsche übersetzt war, im lat. Original aber laut Merker 1933, S. 312 »seit dem Jahre 1514 in einer ganzen Reihe von Drucken leicht zugänglich vorlag und noch 1723 und 1726 in Neudrucken erschienen war«. Dafür sprechen bereits zwei Einzelheiten in den ersten Skizzen zur Romhandlung (Paralipomena 1.3): das Gerücht, Stephania sey i n W e h e n

gestor-

b e n , was nach Liudprand tatsächlich einer der Anklagepunkte gegen den hist.

18

A u c h die von Muratori als weiterer Beleg angeführte Stelle aus der Chronik von Salerno

bezieht sich auf Johannes XII., nicht auf Johannes XI., wie Muratori dann bei deren Wiedergabe auch richtig schreibt. W i e schon gesagt, identifiziert er hingegen in seiner Edition des C h r o n i c o n S a l e r n i t a n u m den genannten Papst irrtümlich als Johannes X. 19

Die fragliche Stelle bei Liudprand T i b e r i m wird heute allgemein auf den Ort Tivoli statt

auf den Fluß bezogen; vgl. Köpke/Dümmler 1876, S. 352, A n m . 3; Muratori verweist in diesem Z u s a m m e n h a n g allerdings auch auf eine andere Stelle in der H i s t o r i a O t t o n i s , w o fraglos der

Tiber gemeint ist (Tiberis, qui interfluxit (...».

601

Kommentar Johannes XII. war, aber weder bei Löscher noch bei Muratori erwähnt wird (laut letzterem soll vielmehr R a m i r a (...) die schändlichen Früchte ihres unkeuschen Lebens-Wandels zur Welt gebracht haben), sowie die Bemerkung, daß Rainera (hier noch mit Raphael identifiziert) sich von Johannes Kelche u n d Crucifixe aus der Peterskirche schenken läßt. Auch dies ist eine exakte Wiedergabe der entsprechenden Stelle bei Liudprand (Testis est Rainerii sui ipsius militis vidua, q u a m (...) sacrosanctis beati Petri donavit aureis crucibus atque calicibus); Muratori spricht hier sehr viel vager davon, daß aus den heiligen Orten geraubte Creutze und Kelche (...) zur Belohnung verbotener Lüste dienen mußten. Auch in der Endfassung der Dichtung finden sich noch Motive, die auf Liudprand selbst als Quelle verweisen. Der Kaiser mißtraut in V,2 zunächst den Anklagen gegen den Papst, denn Von gekrönten H ä u p t e r n wird i m m e r viel gesprochen, / Sie haben oft nicht die H ä l f t e verbrochen (246,33-34); dies überliefert Liudprand als Äußerung Ottos auf der Synode (Persaepe contigit, (...) ut in dignitatibus constituti invidorum infamia maculentur). Der Skandal, daß sich unter dem Pontifikat des Johannes Frauen von zweifelhafter Moral in den Lateran wagen (Liudprand spricht von dessen Verwandlung in ein regelrechtes Hurenhaus, prostibulum meretricum), worauf in IV,3 das Eindringen Reineras und ihrer Anhängerinnen in den päpstlichen Palast und einige Verse in dem folgenden Lied N i m m den Korb vom weissen Nacken anspielen, ist bei Muratori nur ungenau wiedergegeben (der Papst mache den Lateran-Palast zu einem Aufenthalte unreiner Lüste). Auch das Detail, daß Soldaten des kaiserlichen Heers den bewaffneten Papst erblikken, wie es in der PJ in V,1 geschieht (wo die Bewaffnung allerdings nur aus dem Jagdbogen besteht, den Liudprand und, diesen zitierend, Muratori in anderem Zusammenhang erwähnen; vgl. 232,17 und Erl.), ist nur in der Historia Ottonis selbst zu finden. Erwähnenswert ist noch, daß einzig Liudprand neben Stephana noch deren Schwester Stephania als weitere Konkubine des Papstes erwähnt,20 was die Vorlage für die von Arnim verwendete Namensform darstellen könnte. Nimmt man schließlich einen Einfluß des o. erwähnten Motivs der Teufelsminne auf die PJ an, so dürfte auch hier Liudprand selbst die Quelle sein, da Muratori nur davon spricht, der Papst habe sich m i t d e m Teufel zu tun gemacht, während Löscher diesen Punkt gar nicht erwähnt. (Auch die u. 20

Liudprand nennt die in Wfehen (oder bei einer Abtreibung?) gestorbene Stephana, nicht

aber deren Schwester Stephania, amita, Muhme, des Papstes, was hier offenbar kein Verwandtschaftsverhältnis, sondern die Geliebte des Vaters Alberich II. bezeichnet. Vgl. die Anm. in QGK, S. 501.

602

Überblickskommentare und Quellentexte noch zu behandelnde

Schwäbische Chronick des Martin Crusius es d e m Teufel zugebracht habe.)

überliefert

allerdings, daß der Papst

2.5. Schröckhs Christliche Kirchengeschichte Trotz dieser Indizien ist es nicht mit letzter Sicherheit möglich, die

Ottonis

Historia

als weitere Quelle für die PJ zu bestimmen. Es besteht nämlich auch

hier, wie im Falle der Päpstinsage (vgl. 1.3), die Möglichkeit, daß Arnim den 22. Bd. von Johann Matthias Schröckhs

Christlicher Kirchengeschichte

von

1796 konsultiert haben könnte. Dafür würde vor allem sprechen, daß darin Hinweise auf die für die PJ nachweislich verwendeten Werke von Löscher, dessen Buch ausführlich und insgesamt lobend als e i n e f ü r d i e d a m a l i g e n Z e i -

ten recht wohlgerathene Anleitung zur Untersuchung der Geschichte des Mittelalters besprochen ist (Schröckh 22, S. 239), 2 ' und Muratori (ebd., S. 245) zu finden sind; die Historia Ottonis wird natürlich ausführlich vorgestellt. A u c h in diesem Fall wäre Schröckhs Werk also ein plausibler Ausgangspunkt für Arnims offenbar recht eingehende Recherchen. Schröckhs eigene Darstellung (S. 2 5 8 - 2 7 5 ) folgt weitgehend Liudprand, aus dem teilweise, so etwa bei der Liste der Anklagen gegen den Papst, (in dt. Übersetzung) wörtlich zitiert wird; wie Muratori übersetzt Schröckh übrigens die

Rainerii vidua

mit dem Namen

Rainera,

und auch er weist auf den angeb-

lich von Johannes XII. begründeten Brauch der Namensänderung hin und gibt als Geburtsjahr des Papstes 9 3 8 an. Da alle genannten Einzelheiten aus der

Historia Ottonis,

die nicht bei Löscher oder Muratori zu finden sind, auch in

Schröckhs Darstellung erscheinen (außer dem Namen Stephania), kann nicht ausgeschlossen werden, daß Arnim diese Motive der

geschichte

Christlichen Kirchen-

und nicht dem Werk Liudprands verdankt; umgekehrt ist dies frei-

lich auch nicht zu beweisen, da Schröckh nichts bietet, was nicht auch bei Liudprand, Löscher oder Muratori stünde. In jedem Fall müssen selbst dann, w e n n man Schröckh als Quelle für die PJ annimmt, Löscher und Muratori als weitere Vorlagen angesehen werden, da diese einige Einzelheiten mitteilen, die in der

Christlichen Kirchengeschichte

nicht enthalten sind (die Theophylac-

tus-Anekdote bzw. die Namen Pandulphus und Gisulphus; Schröckh spricht im letzteren Fall nur von einem anonymen

21

Fürsten von Benevent). HurenHistorie der Mitt-

Dies bezieht sich allerdings offenbar mehr als auf die eigentliche Geschichte des

Regiments auf die dieser in einer Neuausgabe lern Zeiten, w e g e n der Löscher in der Tat bis

von 1725 vorangestellte

heute »als Vorkämpfer gegen die ungerechte

Mißachtung des Mittelalters« angesehen wird (Zimmermann 1975, S. 259).

603

Kommentar

2.6. Crusius' Schwäbische Chronick Eindeutig als weitere hist. Quelle für die PJ erweist sich hingegen die Schwäbische Chronick des Martin Crusius dadurch, daß hier die Sage von Heinrich von Kempten im Zusammenhang mit Ottos 2. Italienzug erzählt wird, die schon in den ersten Skizzen zur Romhandlung der PJ für diese vorgesehen war (vgl. Erl. zu 266,27). Außer dieser Episode bietet die knappe Darstellung bei Crusius jedoch nichts, was über die anderen Quellen, ja (abgesehen von dem erwähnten Motiv der Teufelsminne) auch nur über Löscher hinausginge. Bemerkenswert ist allerdings, daß auch bei Crusius bereits ein geschichtsmythisches Motiv anklingt, wonach bei Ottos Italienzug durch göttliche Fügung die Weltherrschaft vom röm. an das dt. (bzw. schwäbische) Volk gekommen sei: Allein GOtt ists, der die erhabene Völcker herunter stoßt, und die Niedrige auffrichtet (Crusius 1733, S. 391, Sp. 1). Hierzu sind bei Arnim die mehrfachen Hinweise auf einen göttlichen Plan hinter Johannas Aufstieg und Fall (vgl. Erl. zu 171,33) und die schon im einleitenden Islandmythos (1,1) vorbereitete Bedeutung der Deutschen als noch unverdorbene Agenten dieser höheren Fügung zu vergleichen, die die Herrschaft des Lasters über Rom und die Welt beenden. An Crusius' Bemerkung in diesem Zusammenhang, daß die alten Römer die Deutschen als wilde Völcker und Barbarn verachtet hätten (ebd., S. 390, Sp. 2), erinnert Johannas Gedanke in TF1 beim Anrücken von Ottos Heer, durch die Kraft dieses einfältigen Barbaren die Weltherrschaft nur einmal zu versuchen (313,10).

2.7. Historische Quellen und Werkgenese Die ersten Skizzen zur Romhandlung (Paralipomena 1.3) sind offenbar von dem durch Liudprand überlieferten >Lasterkatalog< des Papstes inspiriert: So finden sich die für die weitere Entwicklung der Dichtung so bedeutsame Anrufung von Jupiter und Venus, die Weihe eines Geistlichen im Pferdestall, die in unterschiedlicher Weise in allen Fassungen der PJ vorkommen wird (vgl. 249,6 und Erl.), und vor allem die in den Quellen genannten Konkubinen Reinera und Stephania, wobei diese bereits mit Ludwig, jene noch mit Raphael identifiziert wird (später ist sie, wie in den Quellen, eine Witwe) und auch der in der Historia Ottonis berichtete Tod der Stephan(i)a in Wehen als fälschliches Gerücht einbezogen werden soll (in der Endfassung ist 208,35-37 von einem ähnlichen Gerücht nach dem Verschwinden des Pfalzgrafen die Rede, Johannes habe Stephania beym Weine umgebracht). Der Raub der Kirchenschätze, der Kelche und Crucifixe, ist bereits, wie dann in allen Fassungen der Romhand-

604

Überblickskommentare und Quellentexte lung, fester Bestandteil; während diese Tat jedoch hier und in TF1 (304,13) quellengetreu mit der Neigung zu Reinera begründet wird, dient sie schon in einer späteren Passage von TF1 (310,33) und dann auch in den späteren Fassungen zur Finanzierung des Söldnerheers, das gegen Pandulph zieht. (In der Endfassung wird Kirchengut zudem für die Prunksucht des Pfalzgrafen sowie, ein deutliches Beispiel für die zunehmend positivere Zeichnung der Päpstin, zur F r e y g e b i g k e i t gegen Arme verwendet; vgl. 201,18.) Für die weitere Entwicklung der Romhandlung in den verschiedenen (Teil-) Fassungen ist zunächst eine recht enge Anlehnung an den durch die Quellen vermittelten hist. Ablauf charakteristisch, die dann zunehmend aufgegeben wird zugunsten einer freieren, häufig jedoch auch sinnvolleren Integration einzelner Details der geschichtlichen Überlieferung in den Gesamtkontext der Dichtung. Das Szenarium auf Bl. 49,114-5 ist noch deutlich an den hist. Fakten von Ottos Italienzug orientiert und läßt demgemäß Berengar eine zentrale Rolle spielen; ein Moment der Vereinfachung gegenüber den geschichtlichen Zusammenhängen ist allerdings darin zu erkennen, daß Berengars Sohn Adalbert aus der Handlung eliminiert ist: Johannes verbündet sich hier mit Berengar selbst, der e i n s e h r s c h ö n e r M a n n . Die Fortsetzung des Szenariums auf Bl. 49,5|8 bezieht auch noch die Rückkehr des Papstes nach seiner Absetzung, auf die schon 49,1 |3V anspielte, und eine kurzzeitige Erneuerung seiner Herrschaft mit Hilfe

der Lasterhaften ein. TF1 stellt den bei Arnim vornehmlich durch Johannas Liebe zu dem durch seine Niederlage im Turnier beleidigten Ludwig, in dieser ersten Fassung jedoch auch noch durch Machtgelüste der Päpstin motivierten Krieg gegen Pandulph und Girulph in den Mittelpunkt (Landulf II., der Bruder des hist. Pandulf, kommt nicht vor) und folgt dabei detailliert Muratoris Darstellung. Arnim läßt allerdings den Papst als Verkörperung der ecclesia militans bereits hier, nicht erst beim Zwist mit Otto wie in den Überlieferungen, selbst mit in die Schlacht ziehen (wie er auch zuvor schon turniert hat); das Bündnis mit Girulph/Gisulf bleibt, abweichend von der Historie, ein vergebliches Projekt Johannas. Ganz hist, ist dann wiederum die Begründung für das Hilfegesuch Johannas an Otto, nämlich die Bedrohung durch B e r e n g a r i u s und A d e l b e r t , wobei auch der in den Quellen belegte Gesandte Azo namentlich genannt wird. (Azo ist ab TF3 der Bischof, der von Johanna im Pferdestall geweiht wird.) Hängen hier die Einladung des dt. Königs und der Feldzug gegen Pandulph noch recht lose zusammen (Berengar ist durch die kriegerische Aktion des Papstes beunruhigt), so folgt in TF2 in besserer Motivation das eine unmittelbar aus dem anderen, da sich Pandulph und Girulph, abweichend von den hist. Quellen, mit Berengar gegen Johannes verbünden. Der an Otto Gesandte ist nun Raphael, der auch

605

Kommentar mit dem im Pferdestall geweihten Bischof identifiziert wird. Zugleich mit dieser Vereinfachung der geschichtlichen Zusammenhänge weitet diese Fassung zwar andererseits die hist. Bezüge aus, indem sie den als Präfekt bezeichneten Alberich einführt und die Identifizierung Johannes'XII. mit Alberichs Sohn Oktavian erklärt, weicht allerdings auch, wie o. dargestellt, mit der Darstellung Marozias als Gattin Alberichs II. von den überlieferten Fakten ab, die Arnim offenbar weniger wichtig sind als die Möglichkeit zur Variation des Themas der Frauenherrschaft durch die Gestalt dieser vulgären Populistin. Ab TF3 sind die Bezugnahmen auf hist. Zusammenhänge meist recht vage, was auch damit zusammenhängt, daß Johanna die Johannes XII. traditionell angelasteten Untaten nicht mehr selbst zu verantworten hat, sondern diese von Reinera veranlaßt sind (vgl. Entstehung 3.2.1.4) und der in magnetischem Bann stehenden Päpstin (sowie damit auch dem Leser) nur kurz zur Kenntnis gebracht werden. Die Fürstin arrangiert nun das Hilfegesuch an den Kaiser und veranlaßt auch den Feldzug gegen Pandulph, den Johannes zuvor, nach dem Turnier, zwar vorbereitet, unter dem Eindruck der mahnenden Geistererscheinung der folgenden Nacht jedoch abgebrochen hatte. Girulph und Berengar werden als anonyme italiänische Fürsten genannt (229,26); ihre Namen fallen lediglich beiläufig an wenigen Stellen in der letzten Periode (237,22; 253,3), und auch am Ende, nach dem Friedensschluß mit Otto, erscheint einzig Pandulph als Vertreter der gegnerischen Partei (V,5; eine Reminiszenz an die tatsächlichen hist. Zusammenhänge stellt es hingegen dar, wenn 256,7 ausschließlich vom Krieg gegen Berengar die Rede ist). Ein Beispiel dafür, wie ursprünglich aus der geschichtlichen Überlieferung stammende Details in den späteren Fassungen der PJ umgedeutet werden, ist die Jagdleidenschaft, die dem hist. Oktavian vorgeworfen wurde und die in der IV. Periode eine gänzlich neue Funktion erhält (vgl. 232,27 und Erl.). Eng am hist. Verlauf orientiert ist in der Endfassung vor allem der Aufenthalt Ottos in Rom, der freilich dessen Kaiserkrönung mit der Rückkehr nach dem Verrat des Papstes kontaminiert: Erwähnt werden die Krönung von Ottos Sohn vor dem Aufbruch des Vaters nach Italien (237,18); die Ungläubigkeit des Kaisers angesichts der gegen Johannes erhobenen Vorwürfe bzw. seine Entschuldigung dieser Sünden mit der Jugend des Verklagten (246,33-34; 248,26); die bei der Synode vorgetragenen Anklagepunkte (249,6ff.; einschließlich des hier als ungerechtfertigt dargestellten Vorwurfs, Johannes habe bei seiner Flucht Kirchengeräte entwendet; vgl. 247,33ff.); das Gesetz, daß künftig kein Papst ohne kaiserliche Zustimmung als rechtmässig anerkannt werden solle (249,12); der - bei Arnim als bloßes Gerücht dargestellte - Kirchenbann, den Johannes über die Synode verhängt (251,18); der - in der PJ vor allem dank

606

Überblickskommentare und Quellentexte Oferus - rasch niedergeschlagene Aufstand der Anhänger des Johannes (251,1 Iff.). Aus der Flucht des hist. Johannes mit Adalbert wird bei Arnim die Flucht Johannas mit dem Geliebten Ludwig in die Wildnis, wo ihre Umkehr durch eine Bußzeit besiegelt wird. Leo VIII., der laut den Quellen als M a n n v o n b e s t e m R u f e (Schröckh 22, S. 272) ungewöhnlicherweise als Laie zum Papst gewählt worden war, ist nun mit Oferus identifiziert. Daß Otto schließlich in V,8 wegen eines A n f a l l s d e r S l a v e n nach Deutschland zurückkehren muß, ist zwar unhist., bezieht sich aber offenbar auf die in den Quellen erwähnten Kriege gegen die Ungarn und Slaven vor dem Italienzug (Siege auf dem Lechfeld und an der Recknitz 955; vgl. z.B. Löscher 1705, laut dem Otto bei der

Einladung nach Italien gleich mit den Slaven fertig worden war, S. 76; vgl.

auch Crusius 1733, S. 387, Sp. 1 und S. 389, Sp. 2; tatsächlich war eins der

Motive für Ottos 2. Italienzug, die Zustimmung des Papstes zur Missionierung der Slaven zu erlangen, vgl. z.B. LM 6, Sp. 1565). Sieht man von der S c h w ä b i s c h e n C h r o n i c k des Martin Crusius aus den in Abschnitt 2.6 genannten Gründen einmal ab, stehen Löschers Historie des

Römischen Huren-Regiments und der 5. Bd. von Muratoris Geschichte v o n I t a l i e n als hist. Quellen für die PJ fest; die Passagen über Marozia und

Johannes XII. aus beiden Werken sind daher im folgenden Quellenabdruck wiedergegeben. Liudprands Historia Ottonis ist als unmittelbare Vorlage für die PJ zwar wahrscheinlich; es bleibt aber die Möglichkeit, daß Arnim die entsprechenden hist. Einzelheiten dem 22. Bd. von Schröckhs C h r i s t l i c h e r K i r c h e n geschichte (oder, was selbstverständlich nicht ausgeschlossen werden kann, einer weiteren, noch nicht ermittelten Quelle) verdanken könnte. Da die Historia Ottonis zudem in zahlreichen neueren Editionen leicht greifbar ist (wie etwa in MGH 41 sowie in QGK), wird hier auf die Wiedergabe dieser Schrift verzichtet.

Quellentexte zu Komm. 2: Valentin Ernst Löscher, Historie des Römischen Huren-Regiments Der

Theodorae und Maroziae, in welcher Die Begebenheiten des zehenden Seculi und Intriguen des Römischen Stuhls ausgeführt werden (...). Leipzig 1705. S. 16f.

XIV. Unter denen Gliedern gedachter Rotte that sich damahls sonderlich vor der Graff S e r g i u s , ein in Grund wohllüstiger und doch weltkluger Mann / welcher auch die Cardinals-Würde erlanget hat607

Kommentar

te / und den höhern Alter sich die Päbstliche Ehre schon propheceyete: Ingleichen T h e o d o r a , so von Voreltern / welche die höhesten weltlichen Ehrenstellen in Rom besessen / und zwar aus dem Tusculanischen Geschlecht erzeiget war: eine denen fleischlichen Wohllüsten so eigene Frau / daß sie sich auch nicht scheuete ihren Leib öffentlich gemein zu machen / und ihre sonst berühmte Schönheit und verschmitzten Verstand damit zu verschimpffen. Sie hielte ungescheuet mit denen vornehmsten Römern zu / daher sie auch den Nahmen der Römischen Hure in den Historien erlanget hat. Es fehlte ihr aber auch an Ehrgeitz nicht / und wußte sie die Charte so zu mischen / daß sie fast überall / sonderlich am Päbstlichen Hoff / regierte. Unter ihren galanen war der vornehmste Cynthius, aus einer hohen Römischen familie, welchem sie verschiedene hohe Ehrenstellen / und zuletzt das Pabsthum selbst / zu wege brachte. Sie hatte / ungeacht ihr die Historici keinen Ehegemahl zuschreiben / zwey Töch|ter / so zwar damahls noch in äusserster Jugend waren / Maroziam und Theodoram, die es nicht besser machten / als sie von ihrer Mutter angeführet wurden / und diese dreye führten von dieser Zeit an das berüchtigte Huren-Regiment zu Rom. Marozia war die ärgste / und ob sie wohl damahls noch sehr jung war / trieb sie doch schon ihrer Mutter bößes metier, und war der Cardinal Sergius ihr vornehmster Galant: Darneben lebte sie auch mit dessen Anverwandten / dem Marggraffen Adelbert von Lucca, in öffentlicher Unzucht / welcher vor diesen schnöden Dienst ihren und ihrer Mutter Ehrgeitz genügsame Nahrung zu verschaffen sich bemühete. S. 52f. XV. (...) Das Jahr aber war kaum verflossen / so ereignete sich bey den Römischen Huren-Regiment eine merckwürdige Veränderung: Die alte Theodora, des Pabsts Johannis andres Hertz / gieng den Weg alles Fleisches: Bey derer Lebzeiten hatte Marozia, aus Respect gegen ihre Mutter / ihren tragenden Haß gegen den Pabst verborgen / und ihr beständiger Galant, Marckgraff Guido, hatte sich auch bereden lassen / seine Rache an ihm wegen seines Vaters Todt aufzuschieben: Nun aber brach alles loß: Marozia bemächtigte sich durch ihrer Buhler / sonderlich gedachten Marckgraffens / Hülffe der Engelsburg und der Ober-Macht über gantz Rom. (...) | XVI. Zu Rom aber nahm der Streit zwischen dem Pabst und der Marozia täglich zu / worzu Guido nach seiner in Rom habenden

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Macht alles beytrug. Er machte sich erst an Petrum Cynthium, des Pabsts leiblichen Bruder / und als er ihn einsmahls mit weniger Begleitung antraff / ließ er ihn gefangen nehmen / und im Platz des Lateranischen Palasts vor des Pabsts Augen niederhauen. Der Pabst ward hierauff selbst in Hafft genommen / und auff der Engelsburg verwahret / allwo ihm die rachgierige Marozia, ungeacht er ihrer Mutter Schoßkind gewesen / mit Betten erstecken ließ. Marozia wolte nun ihren unehlichen Sohn Johannem / welchen sie mit dem Pabst Sergio erzeuget / zu der erledigten Würde helffen; weil er aber noch fast ein Kind war / wolte gantz Rom weder mit seiner Geburt noch Alter zufrieden seyn / und mußte sie also / wegen allgemeiner Wiedersetzung / von solchen Vorhaben abstehen. S. 55f.

XVIII. (...) Zu Rom wolte es Stephanus nicht nach Alberichs und der Tusculaner Willen machen / daher sie mit ihm erbärmlich umbsprungen / und ihn so gar mit Schlägen tractirten / worüber der gute | Mann bey grosser Drangsal A. 930. sein Leben auffgab. Und eben 56 dieses wündschte Alberich / der nun mit seinem Stieffbruder / dem jungen Johanne, Sergii und Maroziae Sohn / hervor kam / und demselben die Päbstliche Würde zuwendete / die er unter den Nahmen Johannis des eilfften geführet, und dergestalt stund nun das HurenRegiment bey zweyen aus solcher race erzeugten Brüdern ziemlich feste. S. 57

XX. So feste als Hugo in Italien zu sitzen vermeinte / so bald änderte es sich. Denn obige an Marckgraffen Lamberten erwiesene Ungerechtigkeit / ingleichen sein unzüchtiges Leben / machten ihn überall verhasset. Er hatte der Concubinen eine grosse Menge / und fieng mit ihnen so wunderliche Händel an / daß sie sich nirgends besser als in dieses Seculum schickten. Die vornehmsten waren Bezola, welcher er öffentlich den Nahmen der neuen Venus gab / Rosa, eines Königlichen Richters zu Pavia Tochter / welcher er den Nahmen Juno beylegte / Stephana, eine Römerin / welche er die Semele seiner Zeit nennete / Wendelmunde / und viel andre (...).

609

Kommentar S. 59

XXI. (...) Indessen beherrschte Alberich den Römischen Staat (nachd e m vermuthlich auch seine Mutter verstorben) nach eigenen Willen / u n d hielt seinen Bruder / den Pabst J o h a n n e m / fast als einen Gefangenen / dessen N a h m e n er nach Belieben brauchte / u n d damit in ganz Europa viel ausrichtete (...). S. 73

VIII. Kurtz hierauff schied der Pabst Agapetus aus diesem Leben / u n d i h m folgte zu grosser Beschämung der Römer des Bürgermeisters Alberichs z w ö l f j ä h r i g e r Sohn / Octavianus, welcher sich J o h a n n e m XII. nennete. Alberich ließ hierbey seine grosse Macht sehen / daß m a n wieder alle Kirchen-Gewohnheit einem Kinde diese hohe Stelle anvertrauen / u n d den Enckel der H u r e Marozia zum obersten Bischoff m a c h e n muste / damit also das Römische H u r e n - R e g i m e n t nicht allzu bald zu Ende gehen / u n d Europa von dieser schnöden TyTanney befreyet werden möchte. Unser neuer Pabst war nach übereinstimmenden Zeugniß aller Historien eine unendlich schlimme Brut einer so bösen Großmutter. Er war leichtsinnig / wohllüstig / von ungemessener Herschsucht / und einem ganz verderbten G e m ü t h / welches bey reiffenden Jahren eine Erndte von allerhand Schandthaten verursachte. S. 75-79

X. (...) Mit Berengarn ward es indessen in Italien i m m e r schlimmer / 76 und weil er sich | der Römer unendlichen H a ß auff den Halß gezogen hatte / waren dieselben auch zum härtesten wieder ihn. D e r Pabst Johannes / ungeacht er noch in der ersten Jugend war / n a h m sich doch der Sache an / und schickte m i t Bewilligung der meisten Italiänischen Bischöffe an Otten den Grossen seine Gesandten / den Cardinal J o h a n n e m und den Secretarium Azonem, welche bey i h m inständigst anhalten m u s t e n / er möchte die Römische Kirche von Berengars Sclaverey erlösen. Zu gleicher Zeit k a m e n Walpert / Ertzbischoff zu Mäyland / Waldo, Bischoff zu Como u n d Marckgraff Odbert m i t einer gleichmäßigen Bitte / und war ihr einmüthiges Verlangen / Otto möchte die Krohne von Italien selbst auffsetzen. Dieser war damahls gleich m i t denen Slaven fertig worden / u n d hatte sie meistentheils unter seinen Gehorsam und zur Christlichen Religion gebracht / auch ihnen zu Brandenburg einen Bischoff geordnet; er n a h m dem610

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nach solche Gelegenheit ungesäumt an / und beschloß auff dem Reichs-Tag zu Wormbs mit denen Ständen / wie es bey seiner Abwesenheit solte gehalten werden / allwo auch dessen nunmehr ältester Printz / Otto / zum Reichs-Nachfolger erklähret ward. (...) XI. (...) | (Otto) kam darauff nach Rom / und ward daselbst von dem jungen Pabst Johanne zum Römischen Käyser gekröhnet / von welcher Zeit er auch den Titul Imperator Augustus gebraucht hat. Von Rom begab er sich nach Pavia, dieses übernommene neue Reich in guten Stand zu setzen. Indessen aber war das wanckelmüthige Rom / das noch so gar viel von den Huren-Sitten hatte / schon anders Sinnes worden / vornehmlich aber wolte es dem hitzigen Pabst nicht gefallen / daß der Käyser sich des Regiments in Italien zu sehr annahm / und die Deutschen sich so fest setzten. Ob nun gleich Otto der Römischen Kirche viel geschencket / war doch hier keine Danckbarkeit zu hoffen / sondern der Pabst dachte nur darauff / wie er Berengarn wieder auffhelffen möchte / damit zum wenigsten einer den andern auffrieb: Er schickte demnach Bothen nach Frassinetto an Adelberten / und berieff ihn nach Rom. Otto vernahm dieses / lachte aber darüber / und hielte es vor kindische Anschläge / in der Hoffnung / ein reifferes Alter würde den Pabst wohl klüger machen. XII. Dieser aber blieb auff seinem Sinn / und als der Käyser Berengarn zu Monte Feretro belagerte / schickte er unter dem Schein aller Liebe zwey Cardinäle / Leonem und Johannem / zu ihm in das Lager: Seine Untreue aber ward mit gleicher Müntze bezahlt; Denn diese und andre grosse Prälaten / welche des Pabsts schändliches Leben mit Abscheu ansahen / entdeckten dem Käyser / daß Adelbert allbereit zu Rom / und alles zum Auffstand fertig wäre / baten auch / man möchte sie von diesem frechen Jüngling / und seinem Regiment / daß er mit den Huren theilte / erlösen. Denn er hatte sich diesem schnöden Volck / woraus er seinen Ursprung hatte / völlig ergeben / und waren unter seinen Concubinen sonderlich die Stephana, derer Schwester bey seinem Vater / dem Bürgermeister Alberich / eben diese unnütze Stelle versehen / und die Raineria, von welchen man damahls öffentlich vorgab / daß sie das Regiment in Rom führeten. Demnach verließ der Käyser die Belagerung / und kam | in aller Eyl nach Rom / der Pabst und Adelbert aber hatten indessen schon in Toscana ihre Flucht genommen. Der Käyser ließ hierauff einen Convent ausschreiben / bey welchem sich Engelfried / Patriarch von Aquileja, Walbert / Erzbischoff zu Milano, Petrus / Erzbischoff zu Ravenna, und fast alle grosse 611

Kommentar

Prälaten in Italien einstelleten. M a n untersuchte des Pabsts Leben / nachdem m a n ihn zu erscheinen umsonst citiret hatte / und befand / daß er einen recht ungeistlichen Wandel geführet / denen H u r e n nicht n u r angehangen / sondern auch nach ihren Willen regieret / an H e l m u n d Waffen seine Lust gehabt / in welchen er sich offt öffentlich sehen lassen / m i t Jagen die meiste Zeit zugebracht / seines Vaters Concubine fleischlich erkannt / zwey Schwestern eben also gemißbrauchet / (welches wohl die obige und die Stephana seyn mögen) daß er den Cardinal J o h a n n e m seiner M a n n h e i t u n d des Lebens beraubet; daß er beym Würffel-Spiel / als seiner gewöhnlichen Arbeit / den Jupiter, die Venus u n d andre Heydnische Götzen u m b H ü l f f e anzuruffen pflegen / daß er i m Pferde-Stall Priester geweihet / die geistlichen Ambter meistens u m b Geld verkaufft / und sonst andre Schandthaten verübet hätte. M a n ließ i m solches zu seiner Entschuldigung vorhalten / er kehrte sich aber an nichts / machte sich indessen auf der Jagt lustig / u n d that seine Richter in Bann. D e m n a c h setzte ihn dieses Concilium gäntzlich ab / und wehlte an seine Statt den Cardinal Leonem, welcher bißhero Protoscriniarius der Römischen Kirche gewesen war / u n d ein gutes Lob hatte / welcher auch alsobald ein Gesetz verfaßte / das ohne des Käysers Einwilligung ferner kein Pabst solte gemacht werden. XIII. Der Käyser n a h m hierauff Monte Feretro, Garda, und was Berengar noch übrig hatte / ein / schickte ihn m i t seiner Willa nach Bamberg in das ewige Gefängniß / Adelbert aber fand in der Insul Corsica seine Zuflucht. Indessen arbeitete die Tusculanische Partey zu R o m auffs fleißigste / u n d die mächtigen H u r e n trugen insonderheit alles bey / ihren abgesezten J o h a n n e m wieder empor zu bringen / ja 79 es k a m so weit / daß | sich die Römischen Bürger verbunden / den Käyser zu erwürgen / allein der Käyser wurde eher fertig / und nöthigte sie / daß sie 100. Geissein ihrer Treue geben m u ß t e n . Er war ihnen aber k a u m aus den Augen in das Hertzogthum Spoleto, selbiges wohl einzurichten / gezogen / da begiengen sie die andere Untreue / Hessen den verjagten J o h a n n e m wieder in die Stadt / und übergaben i h m alle Macht / so daß der gute Leo alles m i t den Rücken ansehen u n d zu Fusse zu d e m Käyser fliehen muste. So bald der wilde Johannes sich wieder in seinem vorigen Stand sähe / theilte er den S. Peters Schatz unter die / so i h m anhingen / sonderlich seine H u r e n / aus / als müste alles alsobald zu G r u n d e gehen. Er ließ denen Cardinälen / Johanni und Azoni, H a n d u n d Nase abschneiden / den Bischoff Ott612

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gern zu Speyer / als des Käysers Liebling / der sich noch in Rom auffhielte / ließ er jämmerlich geissein / und fing sein altes üppiges Leben von forne an. Er rasete aber nicht lange: Denn als er seine geile Lust bey der Nacht in den Römischen Vorstädten mit einer Ehebrecherin trieb / ward er noch im selbigen Jahr von dem darzu kommenden Ehemann erstochen / wobey / nach eines alten Historici Bericht / der Satan sein entsetzliches Spiel soll getrieben haben.

Ludwig Anton Muratori, Geschichte von Italien, nach Ordnung der Jahre, vom Anfange der Christlichen Zeit-Rechnung bis auf das Jahr 1500 (...). 5. Theil. Vom Jahr Christi DCCCXLI. bis M . Leipzig 1747. (Die zahlreichen Fußnoten sind, mit Ausnahme einiger für die PJ relevanter Ergänzungen des Haupttextes, stillschweigend ausgelassen.) S. 319f.

Das einzige, was (Papst Sergius III.) mit Rechte vorgeworfen werden kan, ist dieses, daß Maria, mit dem Zunahmen Marozia, eines vornehmen Römischen Patricii Tochter, die aber einen unerbahren Lebenswandel führte, wenn wir L I V T P R A N D I verläumderischen Zunge glauben dürfen, ex Papa Sergio Johannem, qui post Johannis Ravennatis obitum sanctae Romanae Ecclesiae obtinuit Dignitatem, nefario genuit adulterio. So schreibt dieser Geschichtschreiber, welcher diese unanständige That allein aufgezeichnet hat, und den hernach die folgenden Scribenten blindlings ausgeschrieben haben. Es kan seyn, daß er die Wahrheit sagt; dem aber ungeachtet bleibt noch die Frage übrig, ob man alle ungeziemende Reden und Verläumdungen, wovon L I V T P R A N D V S in seiner Historie ein grosser Liebhaber ist, für gewisse Wahrheiten annehmen soll, zumal da er allen Pasqvillen und ehrenrührigen Schriften derselben Zeit, woran es auch damahls nicht fehlte, Glauben zustellete. | Es befand sich zu Rom eine Parthey, die dem Pabste Sergio III. 320 zuwider war, und daher ist nicht unwahrscheinlich, daß dieselbe verschiedene seiner Person und seinem ehrlichen Nahmen nachtheilige Verläumdungen ausgestreuet habe. So viel glaube ich wohl, daß Marozia nicht wenig Aergerniß zu Rom gegeben, und wir werden auch hernach Proben davon anführen. Allein so frey heraus zu behaupten, daß Sergius Iohannem, der hernach Pabst ward, mit ihr gezeuget habe, dazu gehöret ein starcker Beweis. LEO M A R S I C A N U S , oder 613

Kommentar

O S T I E N S I S , ein Geschichtschreiber des folgenden Jahrhunderts, schreibt von diesem Pabste Iohanne XI. also: Defuncto Agapito Papa Secundo, Iohannes Vndecimus natione Romanus, Alberici R o m a n o r u m Consulis filius, illi in Pontificatum succedit. L E O O S T I E N S I S irret sich zwar darinnen, w e n n er sagt, Iohannes XI. sey Agapito i m Pontificate gefolgt, gleichwie auch L I V T P R A N D V S fälschlich vorgiebt, Iohannes XI. sey nach Iohanne X. auf den Päbstlichen Stuhl gelangt. Allein L E O O S T I E N S I S kan doch wenigstens einen Zeugen abgeben, daß damals zu R o m die Rede gegangen, Iohannes XI. sey Alberici, eines Römischen Consulis u n d Marggrafens, keinesweges aber des Pabsts Sergii III. Sohn gewesen. Vermuthlich hat Marozia den jetztgedachten Marggrafen Albericum zum G e m a h l gehabt. M a n kan hiervon d e n A N O N Y M V M S A L E R N I T A N V M , einen Scribenten des gegenwärtigen Jahrhunderts, nachsehen, welcher bemercket, der Pabst Iohannes XI. sey cujusdam Alberici Patricii Sohn gewesen. S. 388 Iohannes XI. der Maroziä Sohn, folgte i h m i m Pontificate. Dieser Pabst hat ebenfalls das Unglück, von dem Cardinale Β A R Ο Ν Ι Ο Pseudo-pontifex genannt zu werden, weil derselbe, wie viele andere, den Verläumdungen des Geschichtschreibers L I V T P R A N D I allein trauet. Der eifrige Cardinal geräth deswegen in solchen Zorn, weil der jetztgedachte Scribent sagt, Iohannes sey ein Sohn der Maroziae, und des Pabsts Sergii III. gewesen. Allein m a n kan dieses, wie wir bereits oben bey d e m 910. Jahre erinnert haben, m i t Rechte f ü r Verläumdungen halten, welche von Sergii Feinden ausgestreuet worden. Marozia war, allem Ansehen nach, des Marggrafen Alberici Gemahlin, und Iohannes IX, der in diesem Jahre Pabst wurde, wird von andern Scribenten ein Sohn dieses Alberici genannt. Wenn B A R O N I V S schreibt, er sey vermittelst der Macht Guidonis, des Marggrafen zu Toscana, u n d der Maroziae andern Gemahls, zum Pontificate gelangt, so wird er es nicht übel n e h m e n , w e n n wir i h m antworten, daß dieses seine eigenen Träume u n d Einbildungen sind, die durch keines alten Scribenten Zeugniß können bestärcket werden. Dieses ist u m so viel eher zu glauben, weil der jetztgedachte Hertzog und Marggraf Guido, wie wir bereits erinnert haben, vermuthlich schon i m 929. Jahre gestorben war. Außerdem aber ist es gantz wahrscheinlich, daß Marozia alle ihre Macht würde angewandt haben, ihrem Sohne die Päbstliche Crone aufzusetzen, u n d wie sie bisher gethan hatte, R o m noch ferner 614

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nach ihrem Gefallen zu regieren. Doch hiervon müssen die damaligen Römer Rechenschaft geben, welche so niederträchtig und weibisch waren, daß sie sich von einer Frau dergestalt regieren ließen. S. 473f.

In diesem Jahre (965) starb der Pabst Agapitus II, und es ist zu bedauern, daß dessen ausnehmende Eigenschaften und Thaten nicht aufgeschrieben worden, oder nicht bis auf unsere Zeiten gekommen sind. Octavianus hatte nach dem Tode seines Vaters, des Patricii Alberici, die Herrschaft von Rom an sich gezogen, und seine Freunde gaben ihm den Rath, er sollte sich auch auf den Stuhl des heil. Petri setzen, es fiel ihm auch nicht schwer, seine Absicht zu erreichen. Er wurde daher zum Pabste erwählet, war aber, wie der Cardinal B A R O N I V S bemercket, wegen seines zarten Alters zu einer so hohen und heiligen Würde nicht geschickt, weil er vielleicht noch nicht das neunzehndte Jahr erreichet hatte. Im 963. Jahre wurde er von dem Kayser noch Puer genannt. Der Cardinal B A R O N I V S schmählt, und zwar mit Rechte, auf diese Wahl, macht aber dabey den vernünftigen Schluß, weil der neue Pabst von der gantzen Kirche für einen rechtmäßigen Pabst sey angenommen worden, so müsse er auch jetzt dafür erkannt werden. Der gelehrte Cardinal würde wohl gethan haben, wenn er diesem Grundsatze auch bey einem der vorhergehenden Päbste gefolgt wäre. Es ist gewiß, daß Octavianus sich bey dieser Gelegenheit Iohannem XII. nannte, daher er für den ersten gehalten wird, welcher die Gewohnheit eingeführet, den Nahmen der neuen Päbste zu verändern. Er bediente sich hernach aller beyder Nahmen; in weltlichen Dingen nennete er sich Octavianum, in geistlichen aber Iohannem, welchen Gebrauch auch die heutigen Päbste zum Theil beybehalten haben. Es ist ferner außer Zweifel, daß das | Vorgeben einiger Geschichtschreiber 474 ungegründet, wenn sie sagen, der Patrichat Albericus habe vermittelst seiner Macht seinem Sohne zum Pontificate verholfen; denn wir wissen gewiß, daß Albericus im 954. Jahre gestorben. Gleichwohl aber schreibt auch G R E G O R I V S M O N A C H V S , der Verfasser des C H R O N I C I F A R F E N S I S , welcher in dem folgenden Jahrhundert gelebt, Alberico Principe migrante, Filius ejus Iohannes, qui Patre vivente Papa ordinatus est &c.

615

Kommentar S. 480f.

I n diesem Jahre (959) geschähe vermuthlich eine Begebenheit, wovon uns der A N O N Y M V S S A L E R N I T A N V S a einige Nachricht aufbehalten hat. Der Pabst Iohannes XII, der so wohl in geistlichen als weltlichen Dingen über R o m herrschte, hatte Streitigkeiten m i t Pandulpho und Landulpho II, den Fürsten zu Benevent und Capua, welche dieser Geschichtschreiber fälschlich Landulphi I. Söhne nennet, weil Pandulphus Landulphi II. Sohn, keineswegs aber ein Bruder desselben war, der ihn i m 943. Jahre zum Mitregenten erkläret habe. Der Pabst 481 Iohannes, d u m esset adolescens, atque vitiis deditus, undique ho|stium gentes congregari jussit in u n u m , & non tan t u m R o m a n u m exercitum, sed & Tuscos Spoletinosque in suum suffragium conduxit. Weder die Spoletiner, noch Toscaner, waren damahls U n t e r t h a n e n des Pabsts, und daher mochte er vielleicht m i t ihnen ein Bündniß machen. Landulphus, Fürst zu Benevent, ließ auf die davon erhaltene Nachricht, alle seine Capuaner die Waffen ergreifen, u n d Gisulphum, den Fürsten zu Salerno, sogleich u m H ü l f e ersuchen. Gisulphus k a m mit einem auserlesenen Kriegsheere u n d einem grossen Trosse ein, welches hinlänglich war, alle Anschläge des Pabsts Iohannis rückgängig zu machen; d u m Romani, Spoletinique & Tusci adventum Principis Gisulfi reperissent, m a g n o m e t u percussi, suos repetunt fines. Eben derselbe Geschichtschreiber setzet hinzu, der Pabst Iohannes habe d e m jetztgedachten Gisulpho einige Zeit hernach wissen lassen, er wolle ein Bündniß m i t i h m machen. Gisulphus k a m von Salerno unter einem prächtigen Gefolge nach Terracina, wohin sich auch der Pabst verfügte, worauf sie das verlangte Bündniß m i t einander schlossen. Dieser Salernitanische Scribent sagt, Gisulphus, der Fürst zu Salerno, habe in solchem Ansehen gestanden, daß so wohl die Griechen, als Saracenen, Frantzosen und Sachsen ihn zum Freunde zu haben gesucht, und keiner hätte sich unterstanden seine Staaten anzugreifen. S. 483

(Zum Jahr 960:) W i r finden bey keinem Scribenten der Italiänischen Geschichte einige Nachricht, worinnen die Bedrückung bestanden, welche beynahe alle Italiänischen Fürsten, und vornehmlich auch der Römischen Pabst, von d e m Könige Berengario erdulden m u ß t e n . Daß a

Part. I I . Tom. I I . Rer. Italic, (H inweis Muratoris auf seine Edition der Chronik von

Salerno.)

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sie aber häufig und unerträglich gewesen, läßt sich aus d e m alten Geschichtschreiber, und insbesondere aus L I V T P R A N D O erkennen, welcher erzählet: der Pabst Iohannes XII. habe Regnantibus, i m m o feevientibus in Italiam, & ut verius fateamur, tyrannidem exercentibus Berengario atque Adelberto, I o h a n n e m Cardinalem Diacon u m u n d Azzonem, einen Notarium oder Archivarium, als Gesandten an Ottonem den Großen, den König in Teutschland abgeschickt, und ihn u m Gottes und der heiligen Apostel Petri und Pauli willen ersucht, er möchte ihn und die heilige Römische Kirche aus den Klauen dieser beyden Könige erretten, und dieselbe in ihre erste Freyheit setzen. S. 487f.

D e m Könige Ottoni lag indessen der Feldzug nach Italien sehr a m Herzen; vor U n t e r n e h m u n g desselben aber wollte er Ottoni, seinem ältesten Sohne, die Crone von Teutschland versichern. Er schrieb daher nach Worms einen allgemeinen Reichstag aus, auf welchem Otto II, seine Sohn, von den Ständen und dem Volcke e i n m ü t h i g zum Könige von Teutsch|land erwählet u n d gecrönet wurde. Hierauf e m p f a h l Otto 488 der Große seinem itzterwähnten Sohn, der damals sieben Jahre alt war, Wilhelmo, d e m Ertzbischoffe zu Mayntz, gieng nach Sachsen zurück, und nachdem er die Sachen daselbst in Ordnung gebracht, zog er m i t seiner Armee durch Bayern über Trident nach Italien (...). S. 4 9 3

Otto reisete also in Begleitung der Armee, u n d einer grossen Menge Bischöffe und vornehmer Personen, unter denen der Ertz-Bischoff zu Mayland, Walbertus, drey Tagereisen voraus gegangen war, nach Rom. Bey seiner A n k u n f t daselbst wurde er unter den Z u r u f u n g e n einer ungeheuren Menge Volcks von d e m Pabste Iohanne XII. m i t allen Ehrenbezeigungen sehr liebreich empfangen. H E P I D A N N V S hat uns den Tag aufbehalten, an welchem er von dem Pabste m i t unbeschreiblicher Pracht gecrönet, u n d zum Kayser erkläret worden. Ipse, schreibt er, a Papa Octaviano benedicitur in Purificatione sanctae Marias, die Dominico. Auf solche Art k a m das Römische Reich, welches bisher nach des Kaysers Berengarii Tode verledigt gewesen war, an die Könige in Teutschland, oder, wie einige wollen, an die Fränckischen Könige, indem Teutschland damahls noch Franckreich hieß, und Otto selbst schrieb sich König in Francia Orientali; da hingegen Gallien das Weltliche Franckreich genannt wurde. Bey dieser Gelegenheit schwur 617

Kommentar

der Pabst Iohannes und das gantze Römisch Volck, nach L I V T P R A N D I Zeugnisse, auf den Cörper des heil. Petri, sich niemahls zu der Parthey der abgesetzten Könige Berengarii und Adalberti, zu schlagen. S. 501-508

Indem Otto mit dieser Belagerung beschäftiget war, erhielt er von einer unvermutheten Veränderung zu Rom, Nachricht. Ich weiß nicht, ob der Zusatz zu L I V T P R A N D I Historie, worinnen diese weit aussehende Sache umständlich erzählet wird, von ihm selbst, oder von einem andern Verfasser, herrühret. Als sich der Kayser Otto bey dem Anfange dieses Jahres zu Pavia befunden, kamen, nach dieses Scribenten Erzählung viele, die des Pabstes Iohannis XII. Fehler und Vergehungen aus Furcht verschwiegen hatten, zu ihm, und stellten ihm vor, es wäre seine Pflicht, für den Wohlstand der Römischn Kirche zu sorgen, welcher durch das liederliche und ärgerlicheb Leben des Pabsts Iohannis wäre befleckt worden, indem derselbe ohne die geringste Scheu dem Laster des Ehebruchs ergeben wäre0, und den LateranPalast zu einem Aufenthalte unreiner Lüste machte. Sie setzten hinzu, 502 er unterhielte mit Adalberto, Berenjgarii Sohne, ob er ihn gleich vorher gehasset hätte, ein Verständniß, weil er sich vor Ottone, als einem rechtschaffenen und strengen Herrn, fürchtete, und hingegen sich mehr Freyheit verspräche, wenn Berengarius und Adalbertus wieder in die Höhe kommen sollten. Der Kayser Otto, welcher diesen Nachrichten nicht trauete, schickte einige seiner Vertrauten nach Rom, damit er b Denn eine seiner Liebhaberin, Nahmens Ramira, die er so gar an der Regierung mit Theil nehmen ließ, brachte die schändlichen Früchte ihres unkeuschen Lebens-Wandels zur Welt, und die güldenen Creutze und Kelche wurden aus den heiligen Orten geraubet, und mußten zur Relohnung verbotener Lüste dienen.

(Anmerkung Muratoris.) c Es wurde ihm auch Rlut-Schande und Nothzüchtigung beygemessen. Er ließ sich nicht nur an seines Vaters ehemaligen Reyschläferin, Stephana, und an seiner geliebten Anna begnügen, sondern es mußten ihm auch so gar jener ihre Mutter und dieser ihre Enckelin zu gefallen leben. Und wenn die Weibs-Personen ihre Andacht zu verrichten in die Kirche giengen, muthete er ihnen unerlaubte Dinge zu. Kurtz, die Väter der Römischen Kirchen-Versammlung thun der Sache nicht zu viel: wenn sie diesen Pabst monstrum, nulla virtute a vitiis redemtum nennen, und von ihm bekennen müssen; ita aperte diabolica pertractabat negotia, ut nihil cir-

cuitionis uteretur. (Anmerkung Muratoris.)

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die wahre Beschaffenheit dieser Beschuldigungen erfahren möchte. Dieselben entdeckten noch mehr, als wie vorher war berichtet worden; und verschwiegen bey ihrer Zurückkunft an den Kayserlichen Hofe nichts von allen den Unordnungen, die zu Rom vorgiengen. Der Kayser, als ein verständiger Herr, der sich der vor kurtzem empfangenen Wohlthat erinnerte, gab hierauf weiter nichts, als dieses zur Antwort: Puer est, facile bonorum immutabitur exemplo virorum. Spero, eum objurgatione honesta, suasione überall, facile se ex illis sese emersurum malis. Er schickte daher einige von seinen Leuten ab, welche ihm freundlich zuredeten, und ihn ersuchten, er möchte sich wieder auf den guten Weg begeben; unterdessen aber Papiae navem conscendit, ac per Eridani alveum Ravennam usque pervenit. Indeque progrediens, Montem Feretranum, quod Oppidum Sancti Leonis dicitur, in quo Berengarius et Willa erat, obsedit. Der Pabst Iohannes schickte seine beyden Gesandten, nämlich Leonem d , der hernach Pabst wurde, und Demetrium, einen vornehmen Römer, dahin, welche ihn wegen der begangenen Ausschweiffungen entschuldigten, und Besserung versprachen. Er gab aber | bald zu erkennen, daß ihn die Kayserliche 503 Erinnerung verdrossen, weil er einen Streit erregte6, wobey er sich Einen angesehenen Mann, der Protoscriniarius war, und auf den damahls alles ankam, weil der Pabst seinen unordentlichen Lüsten nachhieng, und um die öffentlichen Angelegenheiten sich wenig bekümmerte. (Anmerkung Muratoris.) e Der bestund darinnen. Er gab dem Kayser schuld, daß er zwey verbannete Geistliche, nemlich den Bischoff Leo, und den Diaconum, Iohannem in Schutz genommen hätte. Allein der Kayser ließ ihm durch seinen Abgesandten Landohardum, Episcopum a Saxonia Numendensem (vielleicht Mindensem, S. T R I T H E M . in Chron. Hirsaug. beym 962. Jahre,) und durch den Bischoff von Cremona, Liutprandum, (von dem es noch nicht ausgemacht, daß es der bekannte Geschichtschreiber gewesen) wissen, »wie ihm, Ottoni, nicht unbekannt seyn könne, daß es eben diejenigen wären, die der Pabst insgeheim nach Constantinopel abgeordnet hätte, welche er aber auf dem Wege, ad iniuriam nostram proficiscentes, in der Stadt Capua in Verhaft bringen lassen. Und weil Saluccas, dessen vertrautester Freund, ingleichen der zu gottlosen Absichten letzthin erwählte und bestimmte Bischoff von Ungern, Zachäus, ein ertzverwogener Mann, mit geschriebenen Vollmachten, litteris, quae plumbo signatae, eius (Pontificis) nominis characteres monstrant, Empörungen im Teutschen Reiche, wider ihn, den Kayser, zu erregen, in eben dieser Stadt ertappt worden wären, so hätte man sich ihrer gleichfalls versichert.« Otto war auch so gewissenhaft, daß er, um dieserwegen vor Iohanne sich zu rechtfertigen, ihm einen Zwey-Kampf anbiethen ließ: si secus Papa non crederet, duello, verum esse (legati) approbarent. (Anmerkung Muratoris.) d

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Kommentar beschwerte, Otto wollte ihm durch die Belagerung Monte Feltro, einen zu dem Kirchenstaate gehörigen Ort entziehen, worauf der Kayser antwortete: Omnem terram Sancti Petri, quae nostras potestati subjecta est, promisimus reddere; atque id rei est, quod ex hac munitione Berengarium cum omni familia pellere nitimur. Quo enim pacto terram hanc ei reddere possumus, si non prius eam ex violentorum manibus ereptam potestati nostras subdimus? Auf solche Art entzündete sich dieses Feuer, als bey dem Kayser sichere Nachricht einlief, daß der vom Pabste eingeladene Adalbertus zu Wasser nach Civita Becchia gekommen, und von daraus nach Rom gegangen wäre, allwo ihn der Pabst Iohannes mit großen Ehrenbezeigungen aufgenommen hätte. Otto sähe hierbey wohl, daß die Sache gefährlich war, daher er einen Theil von seinen Leuten vor St. Leo ließ, und mit der übrigen Armee nach Rom gieng, wohin er von den Römern selbst gerufen ward. Der Pabst, so von diesem Besuche Nachricht erhielt, erschien in einer Rüstung, worinnen er wie St. George aussahe; hielt aber hernach für besser, zugleich mit Adalberto aus Rom zu entfliehen'. Der Kayser, welcher ohne Gegenwehr, ja so gar zum Vergnügen der Römer, die ihm entgegen kamen, eingelassen wurde, 504 ließ sich von den Ständen einen | Eyd schwören, inskünftige ohne seine und des Königs Ottonis, seines Sohns, Einwilligung keinen Pabst zu erwählen, noch einzuweyhen. Hierauf wurde auf Ansuchen der Bischöffe und des Volcks bey Anfange des Novembers in der St. Peters Kirche eine KirchenVersammlung angestellt, welcher sehr viele Italiänische und Teutsche Bischöffe, viele Cardinäle und Bediente der Kirche und des Volcks zu Rom beywohnten, und worauf die Klagen über den Pabst Iohannem XII. vorgebracht wurden®. Der Pabst wurde ' Und zwar an die Tyber. Er wäre auch beynahe in dieser ungewöhnlichen Kleidung gefangen worden. Wir lesen beym C O N T I N V A T O R E L I V T P R . c. I. solus Tiberis, qui interfluxit, ne sie ornatus ab exercitu caperetur, impedivit. Nach dem Berichte des C O N T I N V A T O R I S R H E G I N . bey diesem Jahre wurde ein großer Theil von dem Schatze des heiligen Petri mit auf den Weg genomm e n . (Anmerkung Muratoris.) 9

Man beschuldigte ihn, daß er Messe gelesen und nicht communiciret, daß er

einen Diaconum im Pferde-Stalle ordiniret, Simonie getrieben, sich mit Jagen belustigt, unschuldigen Personen die Augen ausstechen, und andern ihre Mannheit nehmen lassen, Feuers-Brünste verursacht, sich mit dem Teufel zu thun gemacht; und andere dergleichen Lasterthaten begangen hätte. Und da ihnen der Kayser nicht in allen glauben wollte, so betheuerten sie es noch mit einem schwe-

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Überblickskommentare und Quellentexte

zweymahlh zur Rechtfertigung vorgefordert. Er antwortete aber weiter nichts, als dieses: Er hätte gehöret, sie wären gesonnen, einen andern Pabst zu erwählen; wenn sie sich dieses jemahls zu thun unterstehen sollten, so würde er sie alle in den Bann thun. Die Kirchen-Versammlung gieng so weit, daß sie Iohannem absetzte, und den Protoscriniarium Leonem, einen Mann von bewährter Frömmigkeit, der aber dabey ein Laye war, zum Pabste erwählten, welches den Verordnungen der Kirche zuwider lief. Man kan hiervon den Cardinal BARONIVM und P E T R V M d e M A R C A nachsehen, welche das Verfahren dieser Bischöffe mit vielen Gründen verwerfen, die Kirchen-Versammlung für ungültig, und Leonem VIII, wie er sich nannte, für einen unrechtmäßigen Pabst erklären. Allein es wäre zu wünschen, der Cardinal B A R O N I V S hätte den Pabst Iohannem XII. bey dem Antritte seines Pontificats nicht noch mehr als diese Bischöffe angeschwärtzet, da er ihn sogar für einen unrechtmäßigen Nachfolger des heil. Petri hält, und spricht, er habe das Pontificat auf eine | unerlaubte Art an sich gezogen; ferner, Abortivum istum tunc parturiit Romae tyrannis vi pollens, armis omnia miscens, omnia audens atque subvertens, ut nullo pacto dicendus tunc fuerit Legitimus iste Pontifex, in cujus electione Lex nulla sit suffragatura, sed omnia vis & metus impleverint &c. Weiter unten wird er von ihm auch noch Iohannes affertus Papa genannt. Der Kayser Otto hielt sich noch eine Zeitlang zu Rom auf, und schickte, damit er der Stadt nicht gar zur Last gereichen ren Eyde: noil nos a peccatorum vinculis absolvat Apostolorum Princeps, Beatus Petrus, qui verbo coelum indignis claudit, justis aperit. Simus anathematis vinculo enodati atque in die novissima in sinistra positi &c. (Anmerkung Muratoris.) h Da die C O N T I N V A T O R E S L I V T P R A N D I und R H E G I N O N I S nicht von mehrenmahlen wissen wollen, so hat sich S I G E B E R T V S bey diesem Jahre gantz gewiß geirret, wenn er schreibt: qui (Pontifex) tertio evocatus, dum se excusatum venire cunctatur &c. Man kan auch eigentlich nicht einmahl behaupten, daß er das andere mahl vorgefordert worden, denn die Gesandten traffen ihn nicht an. Der C O N T I N V A T O R L I V T P R . bringt uns auf diesen Einfall durch seine eigenen Worte; c. V. qui (legati) quum ad Tiberim pervenissent; er war dahero nicht, wie H E R M A N N V S C O N T R A C T , uns bey diesem Jahre überreden will, nach Campanien geflüchtet; eum (Iohannem) non invenerunt, pharetratus enim in campestria iam abierat, welches Ρ L A T I N Α auf diese Art erläutert: in Henricos aufugit, in sylvisque more ferae aliquandiu destituit. Der C O N T I N V A T O R fähret fort: quumque eum invenire non possent, eum iisdem literis ad Sanctam Synodum sunt reversi. (Anmerkung Muratoris.)

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Kommentar

möchte, einen großen Theil seiner Truppen vor St. Leo, einige wenige davon aber behielt er zu seiner Bedeckung bey sich. Er feyrete das heil. Weyhnachts-Fest in derselben Stadt, und erhielt die erfreuliche Nachricht, daß das feste Schloß Garda an dem Lago Benaco, oder Lago di Garda, seinen Leuten in die Hände gefallen sey. Wir dürfen hier nicht mit Stillschweigen übergehen, daß der Kayser im gegenwärtigen Jahre, ehe er mit seiner Armee nach Rom gieng, sich gegen das Ende des Augusts nach Capua verfügte, allwo er von Pandulpho Capite ferreo, welcher in seinen Diplomatibus nur Pandulphus genannt wird, und von Landulpho III, zween Brüdern und Fürsten derselben Stadt und zu Benevent, mit vielen Ehrenbezeigungen und mit großer Pracht empfangen wurde. Diese Fürsten pflegten sich schon lange nicht mehr zu Benevent, sondern zu Capua aufzuhalten, wodurch Capua nach und nach immer mehr stieg, Benevent aber fiel. (...) | 506 Der Kayser Otto befand sich beym Anfange dieses Jahrs (964) noch zu Rom, als eine wider ihn angesponnene Verrätherey entdeckt wurde. Der Pabst Iohannes XII, welcher von den wenigen Truppen, die dieser Kayser zu Rom behalten hatte, Nachricht erhielt, schickte unter der 507 Hand Personen ab, welche sehr | viele Römer mit grossen Versprechungen anstifteten, die Waffen wider den Kayser zu ergreifen. Er brachte auch nicht wenige Commandanten in dem Römischn Hertzogthume auf seine Seite. Der dritte Jenner war zu Ausführung dieses Anschlages bestimmt. Der Kayser bekam Nachricht davon. Der C Ο Ν T I N V A T O R R H E G I N O N I S schreibt, er sey dem Anfalle der Römer zuvor gekommen; nach L I V T P R A N D I C O N T I N V A T O R I S Berichte aber, widersetzte er sich mit seinen wenigen alten Soldaten dem Anfalle der Feinde, welche die Brücke über die Tyber mit Wagen versperret hatten, mit solchem Muthe, daß viele von denselben niedergehauen wurden, und es würde noch mehr Unglück über sie gekommen seyn, wenn der erwählte Pabst Leo VIII. sich nicht ins Mittel geschlagen. Auf dessen Fürbitte verziehe er den Römern, gab ihnen ihre Geiseln zurück, und nachdem er ihnen seinen Pabst empfohlen, gieng er von Rom in die Marek Spoleti und Camerino, allwo sich der vormahlige König Adalbertus befinden sollte. (...) Der Pabst Iohannes gab sich unterdessen Mühe, damit er wieder nach Hause kommen möchte, und wußte die Römer so anzulocken1, daß sie ihn würcklich in 1 Er erhielte seinen Zweck hauptsächlich mit Hülfe seiner Kebs-Weiber, der Anna, der Stephana, und der Rainera, welche die Gemüther vieler vornehmen

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Überblickskommentare und Quellentexte die Stadt hinein ließen. Der Pabst des Kaysers, nemlich Leo VIII, befand sich dabey in großer Gefahr. Er war zwar so glücklich, daß er aus R o m entkam, wurde aber aller seiner Sachen beraubt, und begab sich in das Kayserliche Lager. Es wurde hierauf am 26. Fe|bruar eine 508 Kirchen-Versammlung angestellet, deren Acten m a n bey d e m Cardinale B A R O N I O , u n d in den S a m m l u n g e n der C O N C I L I O R V M findet, worauf Leo VIII. für einen unrechtmäßigen Pabst erkläret, die Bischöffe, welche ihn eingeweyhet hatten, abgesetzt, die aber von diesem falschen Pabste waren eingeweyhet worden, aus Mitleiden in ihren vorigen Stand herunter gesetzt wurden. Uber diese Neuerungen u n d über den bey dieser Gelegenheit gebrochenen Eyd des Römischen Volcks war der Kayser Otto überaus zornig; insbesondere aber gieng i h m die von d e m Pabste Iohanne hierbey verübte Rache durchs Hertz, da er Iohanni, einem Diacono Cardinali, die rechte Hand, Azzoni, d e m obersten Archivario, die Zunge, zween Finger, und die Nase abschneiden, Otgerium, den Bischoff zu Speyer, aber hatte geissein lassen, anderer W ü r c k u n g e n seines Zorns zu geschweigen. Multa caede Primor u m in Vrbe debacchatus, schreibt Gerbertus, der hernach auf der Kirchen-Versammlung zu Rheims i m 992. Jahre zum Pabste erwählet wurde. Otto versammlete daher seine Armee, in der Absicht, nach R o m zurück zu gehen. Gott befreyete indessen R o m und die Kirche von einem so ärgerlichen Pabste. Er starb an einer achttägigen Kranckheit, ohne daß er die Sacramente der Kirche vorher e m p f a n g e n konnte.

3. Antike Religion: Ceres und Bacchus 3.1. Eleusinien und Thesmophorien Wie schon im Abschnitt über die Werkentstehung gezeigt wurde, stellte die Initiation Johannas in die Mysterien der Fürstin Reinera/Venus (Kap. IV,4) einen kritischen Punkt bei der Genese der Dichtung dar. TF1 wurde an der Stelle abgebrochen, an der die Päpstin zur Fürstin geht und diese von den Eleusinien und der Seligkeit des Todes erzählt. In TF2 sind an die Stelle der Eleusinien der Wachsbildmord und die anschließende Erzählung von den Bachischen Mysterien und dem Motiv des doppelten Bechers getreten (vgl. 3.3). Erst in Römer auf ihres Geliebten Seite zu bringen wußten. C O N T I N . L I V T P R . Cap. VI. (Anmerkung Muratoris.)

623

Kommentar TF3 ist die Eleusinienszene - in mehreren Ansätzen - ausgeführt; für F1 wird sie noch einmal verändert, wobei vor allem die auf der Erzählung von Amor und Psyche basierende Szene ausgeschieden sowie der Dialog zwischen Johannes und der Fürstin beträchtlich erweitert werden. Die spätestens seit dem 8. Jh. v. Chr. bis zur Wende zum 5. Jh. n. Chr. gefeierten Feste zu Ehren der Fruchtbarkeitsgöttin Demeter (lat. Ceres) und deren Tochter Kore/Persephone (lat. Proserpina) in Eleusis bei Athen waren die ältesten und angesehensten der gr. Mysterien; in der Neuzeit wollte man in den eleusinischen Lehren monotheistische Tendenzen und Parallelen zu christlichen Vorstellungen wie dem Glauben an Lohn und Strafe im Jenseits entdecken. Das auch literarische Interesse an den Eleusinien im ausgehenden 18. Jh. bezeugt etwa Wilhelm Heinses Roman Laidion oder die Eleusinischen Geheimnisse (Lemgo 1774), von dessen Lektüre, allerdings mit negativem Urteil, Arnim in einem Brief an Brentano aus Königsberg vom Mai 1807 berichtet: Heinses Laidion und Fiormona hat mir nicht so gefallen wie sein Petron. (Vgl. auch Rölleke in FBA9/2, S. 561 zu der Überschrift von Wh II 358 Nun gehen mir alten seeligen Manne erst die Augen auf, die dem Laidion entnommen ist.) Das Buch, in dessen Mittelpunkt eine Jenseitsbeschreibung der schönen Griechin Lais steht, weist jedoch mit Ausnahme des Titels kaum Bezüge zu den alten Mysterien auf. Im gleichen Brief empfiehlt Arnim seinem Freund Hamanns Aesthetica in nuce (1762 in Kreuzzüge des Philologen; vgl. auch ZfE Nr. 7 vom 23. April 1808, Sp. 54-56), worin ebenfalls die Eleusinischen Geheimnisse erwähnt werden, die hier für die Ablehnung sinnenfeindlicher Triebunterdrückung stehen: Die Sinne aber sind Ceres, und Bacchus die Leidenschaften; — alte Pflegeltern der schönen Natur (Johann Georg Hamann, Sokratische Denkwürdigkeiten. Aesthetica in nuce. Hg. von Sven-Aage J0rgensen. Stuttgart 1968, S. 97). Zum literarhistorischen Kontext ist weiterhin Schillers Gedicht Das Eleusische Fest (nach Hyginus; zunächst als Bürgerlied im Musenalmanach 1799), das Ceres als Kulturstifterin feiert, zu vergleichen. Arnim hatte die Bezeichnung Eleusinien schon 1804 in Ariel's Offenbarungen beiläufig für die Feiern von Kryolines Jungfrauenverband benutzt (Arnim 1804, S. 205); in den ca. 1804/05 entstandenen Passagen zum Freimaurertum im Taschenbuch FDH Β 69, in denen auch von Cybele die Rede ist (vgl. Erl. zu 418,33), wird hervorgehoben, die Freimaurerei sei an keinen Ort gebunden mit dem sie wie die Eleusinien untergehen muß. Ulfert Ricklefs (Ricklefs 1990b, S. 189, 247) hat als Quelle sowohl für die Eleusinienepisode als auch für das wichtige Motiv des doppelten Bacchusbechers (vgl. 3.3) Friedrich Creuzers von 1810 bis 1812 in vier Bänden erschienene S y m b o l i k u n d Mythologie der alten V ö l k e r identifiziert, die neben Görres'

624

Überblickskommentare und Quellentexte

Mythengeschichte der asiatischen Welt

(1810) eines der wichtigsten Zeug-

nisse für die symbolische Mythenauslegung der Heidelberger Romantik darstellt und etwa von Voß heftig bekämpft wurde (vgl. Strich 1910, 2. Bd., S. 3 3 1 - 3 4 8 ; Howald 1926; de Vries 1961, S. 142-157). Bedeutsam für die PJ sind der 3. Bd., der sich u.a. mit den Bacchischen Mysterien befaßt, und der 4. Bd., der ausführlich die Eleusinien und die übrigen Ceresmysterien behandelt. Diese Teile erschienen im Frühjahr und im Herbst 1812, also unmittelbar vor bzw. während der Entstehung der PJ. Arnim war mit Creuzer, der seit 1804 Professor für klassische Philologie und ältere Geschichte in Heidelberg war, seit 1805 befreundet und hatte ihn schon 1808 zu einer umfassenden Darstellung seiner Mythentheorie angeregt, wie er Brentano in einem Brief aus Heidelberg vom

ich habe Kreutzer zu bereden gesucht, eine Mythologie zu schreiben, er scheint sich aber dazu noch nicht zu genügen. Tatsächlich gibt Arnim in TF3 einen Hinweis auf diese Quelle mit der 20. April dieses Jahres mitteilte: (...)

(nach Ausweis der Varianten nachträglich ergänzten) Bemerkung, man könne das Geheimnis des doppelten Bacchusbechers heute nur noch aus gelehrter Kenntnis der griechischen Mysterien ahnden. In Arnims Bibliothek ist kein Exemplar der Symbolik erhalten; es findet sich lediglich ein späterer Begleitband mit Abbildungen (Leipzig-Darmstadt 1819; Sign. Β 1997). Ricklefs' Entdeckung ist im nachhinein durch den Fund zweier Blätter mit Exzerpten Arnims aus Creuzers Werk noch einmal untermauert worden, die u. gemeinsam

mit

den

zugrundeliegenden

Stellen

aus

der

Symbolik

wiedergegeben sind; eins dieser Blätter (49,5]13) hat Ricklefs selbst in der Buchfassung seiner Arbeit ausgewertet (S. 251-253), während das zweite (49,5|9) hier erstmals vorgestellt wird. Der Befund des neuentdeckten Blattes bestätigt Ricklefs' These, daß 49,5|13 r die von Arnim zunächst beschriebene Vorderseite und 49,5|13 v die Rückseite des Blattes darstellen, obwohl auf 13 r Stellen aus dem 4. Bd., auf der Rückseite Passagen aus dem 3. Bd. notiert sind, denn Bl. 49,5|9, das nur einseitig beschrieben ist, schließt offenbar unmittelbar an die Exzerpte auf 49,5|13 v an. Arnim geht dabei zunächst das 2. Kap. des 3. Teils

Von den Bacchischen Religionen

durch, beginnend mit § 18, und kehrt

dann am Ende von 49,5|9 noch einmal zu § 18 zurück, aus dem er Einzelheiten über das Bacchusgefolge notiert. Creuzers neuplatonische Ausdeutung der alten Mysterien und der damit verbundenen Mythen sieht in beiden die Emanationslehre vom Weg der Seele hinab in die Welt und wieder zurück zu ihrem göttlichen Ursprung wirksam; die Parallele zu der in der PJ zentralen Problematik des Dualismus von Körper und Geist liegt auf der Hand. Demeter und deren Tochter Kore/Persephone sind in Creuzers Interpretation letztlich ein- und dieselbe Gestalt, nämlich die auch als

625

Kommentar Kybele oder als die ägyptische Isis erscheinende Muttergottheit, in der das Eine göttliche Wesen sich selbst darstelle (4. Bd., S. 10; vgl. auch Erl. zu 418,33). Zugleich steht Ceres als Weltmutter (4. Bd., S. 587) für den Abfall der Seele aus der göttlichen Einheit in die Vielheit der materiellen Welt. Der vielumrätselte Krieg zu Eleusis, den Ceres laut dem homerischen Hymnos an Demeter (vgl. dazu u.) gestiftet haben soll, ist für Creuzer eine Allegorie des zu überwindenden Zwiespalts zwischen Körper und Geist: Der G r u n d g e d a n k e der C e r e a l i s c h e n R e l i g i o n war, wie sich in allen ihren Formen gezeigt hat, der Satz vom K r i e g und F r i e d e n , vom Streit der M a t e r i e m i t d e m G e i s t und von deren L ä u t e r u n g durch diesen, der Satz von E n t z w e i u n g und V e r s ö h n u n g . Das war eine Grundlehre der E l e u s i n i e n (4. Bd., S. 533). In Arnims künstlerischer Adaption steht die Ausrichtung der eleusinischen Lehren auf die Rückkehr zur göttlichen Ureinheit vor allem bei der ersten Einführung dieses Kultes am Ende von TF1 im Mittelpunkt. Sie erhält hier, entsprechend der Tendenz der PJ zur Überwindung der Welt- und Leibfeindlichkeit im Zeichen der Inkarnation, einen deutlich kritischen Akzent, indem sie mit dem Gedanken der Seligkeit des Todes, den Creuzer 1806 in der Idee und Probe alter Symbolik als Lehre der dionysischen Mysterien vorgestellt hatte (vgl. Erl. zu 207,11 sowie u. 3.3), und mit der dekadenten Todessehnsucht der Fürstin Venus/Reinera identifiziert wird. Gerade für diesen Zug ist vmtl. noch eine weitere Quelle von Einfluß gewesen: Schuberts Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft von 1808, die auch eine Vorlage für die Behandlung des Magnetismusmotivs (vgl. 5) und für den Islandmythos am Anfang der PJ bilden (vgl. die Einzelerläuterungen zu 1,1). Bei Schubert wird stärker als bei Creuzer der Aspekt der Todessehnsucht in den Mysterien, speziell in den Eleusinien betont (was hier durchaus positiv als Zeugnis eines Strebens nach der >höheren Welt< aufgefaßt ist), wobei auch die an die Formel von der Seligkeit des Todes anklingende Wendung vom seeligen Untergang fällt (S. 81). Man vgl. etwa folgenden Satz: Das Bild, unter welchem in den Mysterien der Tod erschien, stellte diesen dem Gemüth vielmehr lieblich und süß, als schrecklich dar, und die Einweihung wurde deshalb als ein Mittel gegen die Furcht vor dem Tode gepriesen (S. 71; vgl. hierzu in Arnims Creuzer-Exzerpten Honig Todes bild und kurz davor auf demselben Blatt den Hauptsatz der Fürstin: Das Leben ist bitter, der Tod ist süß). Andererseits sollen die Mysterien nach Schubert bereits ein Dekadenzphänomen darstellen: Sie stammen aus den Zeiten des Verfalls und Untergangs der eigentlichen alten Zeit (S. 51) und deuten auf das Beginnen einer neuen Zeit und auf den 626

Überblickskommentare und Quellentexte

Untergang eines schönen seeligen Besitzes unsres Geschlechts (S. 83; vgl. S. 69), womit, gemäß Schuberts triadischem Geschichtsmodell, die Goldene Zeit der ursprünglichen Einheit mit der Natur gemeint ist. Ein solcher elegischer Akzent ist für die erste Erwähnung der Mysterien am Ende von TF1 prägend, wo

die Fürstin den angeblich nahen Untergang ihrer Götterwelt betrauert, ja Suizidabsichten äußert, und paßt überhaupt zu der zunächst noch stärker ausgeprägten Melancholie Reineras als Parallelfigur zu Johanna (vgl. 4.2). Creuzer bleibt dennoch zweifellos Arnims Hauptquelle für die Darstellung der Mysterien. Von den konkreten Einzelheiten, die im 4. Bd. der S y m b o l i k über die Eleusinien mitgeteilt werden, ist in der PJ allerdings wenig übernommen. Schon die Exzerpte konzentrieren sich ja nach wenigen Stellen über die Ceresmysterien aus dem 4. Bd. ganz auf die Darstellung des Bacchuskultes im 3. Bd.; von dem hier zu den Eleusinien Notierten ist dabei die zentrale Überschrift bei

Creuzer Materie und Geist oder der ewige Krieg zu Eleusis am bedeutsamsten. Nur ein konkreter Ritus der Mysterien ist exzerpiert und findet sich dann auch in der ausgeführten Dichtung: die »Taurobolien«, bei denen ein Initiand, hier Johanna, durch das Blut eines geopferten Stiers symbolisch gereinigt wird (vgl. 211,11 und Erl. sowie 326,30 und Erl.). Prägender für die Gestaltung der Mysterienepisode ab TF3 als Creuzers Mitteilungen über die Eleusinien ist seine Beschreibung eines anderen Festes zu Ehren der Ceres, der Thesmophorien. Hierbei handelte es sich allerdings strenggenommen nicht um Mysterien, sondern um ein altes Fruchtbarkeitsfest, das in allen gr. Städten gefeiert wurde. Creuzer hebt mehrfach Parallelen zu den Eleu-

sinien heraus: Beide Feste hatten Vieles mit einander gemein (4. Bd., S. 499); so fanden beide (wie auch die von Reinera geleiteten Mysterien in der PJ) im Herbst statt und feierten unter anderem die Stiftung des Ackerbaus durch Ceres (4. Bd., S. 545). Im Unterschied zu den Eleusinien waren die Thesmophorien jedoch allein den Frauen vorbehalten (4. Bd., S. 485), und ihre Lehren waren eher kulturmythisch als metaphysisch; Ackerbau und Ehe wurden als Grundlagen gesellschaftlicher Ordnung gefeiert: A l s o e h e l i c h e s

Kinder-

z e u g e n und H e r b s t s a a t waren unzertrennliche Vorstellungen, die neben der S t i f t u n g b ü r g e r l i c h e r G e s e t z e in den Thesmophorien verewigt wurden (...); A c k e r b a u und seine F r ü c h t e , f e s t e Wohnsitze, festes Eheband, Erzielung ehelicher Kinder — und das letztere hier besonders unter dem Hauptbild der H e r b s t a u s s a a t g e d a c h t (4. Bd., S. 487 und 497). Diese Mitteilungen über die Thesmophorien haben offensichtlich die Mysterienszene in der PJ beeinflußt; auch der R e i h e n t a n z , der ab F1 Johannas Initiation eröffnet, stammt aus Creuzers Darstellung dieses Festes (vgl. 211,28 und Erl.). Tatsächlich gibt es bei Creuzer 627

Kommentar einen Hinweis darauf, daß die Thesmophorien das Vorbild für spätere röm. Ceresmysterien abgegeben haben könnten, wie die PJ sie vorführt: Die geheime Ceresfeyer zu Rom, war wie in Griechenland ein Fest der verheiratheten Frauen und zeigt in M e h r e r e m denselben Charakter, den wir unten kürzlich von den Attischen Thesmophorien bemerken werden; diese röm. Cerealien sollen, wenigstens i h r e m mystischen Theile nach, sich auf die Leiden der Ceres über den R a u b der Proserpina bezogen haben (4. Bd., S. 197f.). Bemerkenswerterweise vermeidet Arnim nach TF1 den Begriff Eleusinien, der sich in der letzten Fassung nur einmal am Ende von IV,4 findet (225,16); in TF3 ist lediglich von Mysterien der Ceres die Rede (326,18). Der Charakter der Thesmophorien als Frauenfest und deren Feier der Institution der Ehe fügen sich sinnvoll in den Kontext der PJ ein; letzterer Zug korrespondiert mit der symbolisch bedeutsamen Scheu Johannas bzw. ihres Alter Ego Beata im Frühlingsfest vor dem Heiraten (vgl. Erl. zu 98,9). Johanna wird ab F1 von der Fürstin bei den Mysterien dementsprechend als schüchterne Braut vom L a n d e ausgegeben; in TF3 wird die Initiation tatsächlich auch als Eheritual dargestellt (vgl. den Chorgesang 328,31 D u kehrst als Frau zu uns zurück, / Und kennst der Liebe süsses Glück, / D e n Gatten hast du dir erwählet), das in der der Amor und Psyche-Erzählung nachgestellten >Hochzeitsnacht< mit dem Pfalzgrafen seinen Höhepunkt findet. In der Neufassung der Szene für F1 wird zudem noch das Symbol der kulturstiftenden Vermählung von Ceres mit Bacchus eingeführt (vgl. dazu auch Nitsch 1793, Sp. 380: D a h e r werden (...) B a c c h u s u n d C e r e s a l s U r h e b e r d e s g e s i t t e t e n L e b e n s vorgestellt). Der Aspekt der Jenseitssehnsucht und Seligkeit des Todes aus TF1, der mehr dem mystischen Charakter der Eleusinien als den bodenständigeren Thesmophorien entsprochen hatte, tritt demgegenüber in den Hintergrund. Über den eigentlichen Initiationsritus der Eleusinien gibt Creuzer lediglich an, daß der Initiand durch alle Schrecken der Nacht, den schnellsten Wechsel von Licht u n d Finsternis und die Erscheinung von Schreckgestalten in einen m i t dem eines Sterbenden vergleichbaren Zustand versetzt wurde, woraufhin man ihn dann in das hellerleuchtete Innere des Tempels führte, das die Glückseeligkeit in der Vereinigung mit den Göttern bedeutete (4. Bd., S. 571). In Arnims Version werden diese Andeutungen so ausgestaltet, daß Johanna unwissentlich den Mythos vom Raub der Proserpina >nachspielen< muß. Dies ist der deutlichste Hinweis darauf, daß Arnim neben Creuzer noch weitere Quellen für Informationen über den Ablauf der Eleusinien herangezogen hat; denn andere Autoren stellen in der Tat das Einweihungszeremoniell in die-

628

Überblickskommentare und Quellentexte

Ueber die Mysterien der Alten, besonders über die Eleusinischen Geheimnisser Weise dar. Sehr wahrscheinlich ist, daß Arnim zumindest den Aufsatz

s e des Göttinger Philosophen Christoph Meiners (1747-1810) kannte (Meiners 1776). Meiners'

Vermischte Philosophische Schriften,

in deren 3. Bd.

dieser Text aufgenommen ist, benutzte Arnim bereits für seine Schülerarbeiten; so wird etwa in den

Acht Aufsätzen über Epikurs Phielosophie

(vmtl.

1797) eine Studie Meiners' über Epikur im 2. Bd. der Sammlung als Quelle herangezogen (vgl. die einleitende

Anzeige der Hülfsmittel;

WAA 1, S. 181,

z. 17-19). Auf die Eleusinienabhandlung weisen mehrfach Nitschs Art. über Ceres (Nitsch 1793, Sp. 521f.) und auch Creuzer hin (z.B. Creuzer4, S. 539). Meiners' Darstellung hat in der Tat vor allem durch die Einbeziehung eines symbolischen Durchgangs durch Unterwelt und Elysium deutliche Berührungspunkte mit Arnims Mysterienszene:

Diese Mysterien waren nun weiter nichts als dramatische Vorstellungen der Geschichte der Ceres und Proserpine, oder der Freuden Elysiums oder der Quaalen des Tartarus. (...) In den Mysterien erschien ferner Preserpina (...) wie sie mit ihren Gespielinnen in ihrem Korb Blumen sammlete, wie Pluto sie entführte, und durch die gespaltne Erde in seine unterirdische Wohnung brachte. (...) Nach den Thaten und Begebenheiten der Göttinnen, denen die Mysterien geheiligt waren, stellte man die Schicksale der abgeschiedenen Seelen, die Oerter der Finsterniß, und des Lichts, die Freuden der Seligen und die Quaalen der Verdammten vor. Wahrscheinlich fieng man von den Schrecken des Orkus an, und hörte mit den Freuden Elysiums auf. (...) Auf alle diese (auch von Creuzer geschilderten; vgl. o.) schrecklichen Auftritte folgten endlich die heitersten Aussichten ins Elysium, und die erfreulichsten Vorstellungen aller Arten von Seligkeiten, die den gerechten, und reinen Seelen in einem andern Leben aufbewahret bleiben. Gleich nach jenen fürchterlichen Scenen (...) verbreitete sich ein wundervolles Licht, und auf einmal wurden reine heilige Oerter, und Wiesen sichtbar, auf denen festliche Tänzer sich vergnügten; und man hörte zugleich die süssesten Stimmen, und die feyerlichsten Concerte. (Meiners 1776, S. 270-277.) Seit der Antike wurde d e r Mythos vom Raub der Persephone durch den Unterweltsgott Hades/Pluto gedeutet als Allegorie des Vegetationszyklus, der Saat, d i e einen Teil des Jahres unter der Erde >gefangen< ist. Creuzer will im Sinne seiner neuplatonischen Ausdeutung der Eleusinien auch diese Interpretation metaphy-

dass in den Attischen Mysterien die Lehre von der P a l i n g e n e s i e und U n s t e r b l i c h k e i t d e r S e e l e , sisch vertiefen durch den Hinweis,

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Kommentar vorzüglich unter Bildern vorgetragen ward, die von den W a n d l u n g e n d e s S a a m e n k o r n s entlehnt waren (4. Bd., S. 556). Ricklefs macht plausibel, daß Arnim hingegen, wenn er den Raub der Proserpina in den Mittelpunkt seiner Mysterienszene stellt, die Vegetationssymbolik als Bild der (nun positiv verstandenen) Inkarnation des Geistes in die Welt auffaßt (Ricklefs 1990b, S. 257f.). Der als dichterischer Stoff stets beliebte Proserpinamythos wurde bekanntlich auch in der Goethezeit häufig bearbeitet, so durch Schiller in seinem Gedicht Klage der Ceres (1796) und durch Goethe in dem Monodrama Proserpina von 1778 (vgl. Frenzel 1983, S. 599-604; Herbert Anton, Der Raub der Proserpina. Literarische Traditionen eines erotischen Sinnbildes und mythischen Symbols. Heidelberg 1967 [Heidelberger Forschungen 11], bes. S. 85-96). Goethe wiederum beeinflußte das Drama Der Raub der Proserpina von Wilhelm von Schütz, das bereits 1802 vorlag und in mehrfacher Hinsicht Bezüge zur PJ aufweist: Es erschien 1817 in Friedrich Försters Almanach Die Sängerfahrt (S. 157-186; vgl. Erl. zu 100,8-15) und trug den Untertitel eine Frühlingsfeier. Auch Schelling plante 1802 eine (nicht zustandegekommene) Ceresdichtung und deutete den Mythos in einem seiner frühen Aufsätze zur Naturphilosophie symbolisch aus (Strich 1910, 2. Bd., S. 110-112). Arnim kannte die Oper Proserpina von Peter von Winter, die er in einem Brief an Bettina Brentano vom 16. September 1809 erwähnt und deren Aufführung er in der 5. Romanze von Nelson und Meduse im Wintergarten verarbeitet; auf den Mythos spielt noch ein Szenarium zu dem späten Fragment Martin Martir an (Werke 4, S. 1379f.). Das einflußreichste antike Vorbild für neuere Bearbeitungen des Proserpinastoffs stellt Ovids Version im 5. Buch der Metamorphosen dar. Eine weit ältere dichterische Fassung des Mythos wurde erst 1777 von Christian Friedrich Matthäi in einer Moskauer Klosterbibliothek entdeckt und 1780 durch den Leidener Gräzisten David Ruhnken ediert: der sogenannte homerische Hymnos an Demeter, der vmtl. aus dem 7. Jh. v. Chr. stammt (vgl. die kommentierte Ausgabe von N.J. Richardson: The Homeric Hymn to Demeter. Oxford 1974). Dieses Gedicht ist eng mit den Eleusinien verknüpft, ja enthält deren Aitiologie, weshalb auch Creuzer ausführlich darauf eingeht (4. Bd., §40, S. 271-327): Während ihrer Suche nach Persephone soll Demeter nach Eleusis gelangt sein, wo sie sich als Amme des kleinen Demopho(o)n verdingte, des Sohnes von König Keleos und dessen Gemahlin Metaneira. Letztere erzürnte die Göttin, weil sie sie daran hinderte, das Kind im Feuer zu einem Unsterblichen zu verwandeln; die durch Demeter gestifteten Mysterien und der bereits erwähnte rätselhafte »Krieg zu Eleusis« sollen sie wieder versöhnen. Arnim hat diesen eigentlichen Kern des

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Überblickskommentare und Quellentexte Hymnos von der Mysterienszene in IV,4 abgetrennt und als Binnengeschichte zunächst in die III. Periode (F1), dann an den Schluß der I. Periode gesetzt (F2; vgl. Entstehung 3.2.3). Auch die Darstellung des Raubs der Persephone in der Eleusinienszene folgt jedoch offenbar dem Hymnos, was sich vor allem an der Behandlung des berühmten Motivs des fatalen Granatapfels zeigt, dessen Genuß Persephone für ein Drittel jedes Jahres an die Unterwelt bindet (es findet sich übrigens auch in Melück Maria Blainville; vgl. Henckmann 1983, S. 275). In TF3, wo dieses Detail im Gegensatz zu der späteren Umarbeitung der Szene für F1 erscheint, werden Johanna die Granatkörner gewaltsam in den Mund gesteckt (327,36); das aber entspricht dem Hymnos, während Proserpina bei Ovid den Kern ahnungslos freiwillig ißt.

3.2. Demophonmärchen Bei Arnims Adaption des Demophonstoffes, deren Fehlen ein besonders bedauerliches Manko von Bettina von Arnims Bearbeitung darstellt (vgl. Rezeption 1), wird aus der mythischen Erzählung, die übrigens eine Parallele in einer der Versionen der Kindheitsgeschichte des Achill hat (darauf verweist auch Nitsch 1793; vgl. u. den Quellenabdruck), ein ausdrücklich als Mährchen bezeichnetes Gebilde. Dieses lehnt sich in der ersten Fassung, die im Zuge von TF2 entstand und bis einschließlich F1 einen Teil der Dichtung bildete, deutlich an die Grimmschen Kinder- und Hausmärchen an, an deren Zustandekommen Arnim maßgeblich beteiligt war (vgl. z.B. Heinz Röllekes Zusammenfassung in seinem Artikel über Arnim in EM 1, Sp. 815-820, hier Sp. 815-818). Arnim hatte allerdings vmtl. zum Zeitpunkt der Niederschrift der ersten Fassung des Märchens im Kontext von TF2 den 1. Bd. der KHM noch nicht in Händen. Das läßt sich aus dem Umstand schließen, daß auf die an einer späteren Stelle von TF2 erscheinende neue Version der Begegnung mit dem besessenen Spiegelglanz am Ende der III. Periode bereits in einer kurz nach Erhalt des KHM-Bandes geschriebenen Briefpassage an die Grimms angespielt wird (vgl. EZ 2). Arnim hatte aber die Märchensammlung der Brüder in der seinerzeit vorliegenden Fassung bei seinem Besuch in Kassel vom 22. bis 26. Januar 1812 gelesen und seine Freunde, wie Wilhelm Grimm sich in der Widmung an Bettina von Arnim zur Ausgabe von 1837 erinnerte, anschließend zur Herausgabe angetrieben (vgl. KHM1, S. 11). Die KHM wurden im Vorfeld der Publikation im Briefwechsel Arnims mit den Brüdern Grimm bereits seit Ende September 1812 thematisiert, als der erste Teil des Druckmanuskripts an den von Arnim vermittelten Verleger Reimer geschickt worden war (vgl. auch 6.1 zum Fischermärchen). 631

Kommentar Johanna sollte nach der ersten Textstufe der Einleitung zum Demophonmärchen die Geschichte in einem F a b e l b u c h e entdecken, womit offenbar direkt auf die Grimmsche Sammlung angespielt ist; die Überschrift D i e F r a u F u n k e (vgl. die schon in der Erstauflage der KHM als Nr. 24 erscheinende F r a u Holle, die bereits am 13. Oktober 1811 aufgezeichnet worden war und somit bei Arnims Besuch im Januar 1812 vorlag; vgl. KHM 3, S. 453) wie natürlich auch die Einleitungsformel E s w a r e i n m a l verweisen auf deren Stil. Dies wird allerdings in einer späteren Textstufe geändert; nun erzählt der Bauer Urban die Geschichte mit dem eher sagenhaften Eingang B e i u n s w a r e i n m a l , was Arnims eigener Auffassung von der ständigen Neuerfindung der Märchen, die sich angeblich jeder schriftlichen Fixierung widersetzen, gemäßer ist (vgl. auch hierzu 6.1).

Die Verwandlung eines Mythos in ein Märchen entspricht bekanntlich Grimmschen Theorien; vgl. z.B. Wilhelms Satz aus der Einleitung zum 2. Bd. der KHM

von 1815: (...) in diesen Volks-Märchen liegt lauter urdeutscher Mythus, d e n m a n für v e r l o r e n g e h a l t e n . Arnim hat zwar die wesentlichen Motive

seiner Binnenerzählung aus dem Demeterhymnos übernommen, diese, denen die moderne Erzählforschung ohnehin »märchenhafte Züge« bescheinigt (vgl. Demetrios Loukatos, Art. »Demeter«. In: EM 3, Sp. 403-405, hier Sp. 403), jedoch weiter nach Art der KHM verändert: Aus der Göttin Demeter wird ein Elementargeist als jenseitiger Helfer (einzig ihre Klage, daß ihr K i n d g e r a u b t sey, verweist auf die Situation der Ceres in der Vorlage); aus der edlen Metaneira wird eine jener eigensüchtigen, lieblosen Muttergestalten, wie sie etwa aus S n e e w i t t c h e n bekannt sind (KHM 53; in der ersten Fassung ist die Königin noch die leibliche, nicht die Stiefmutter der Titelheldin), und aus dem kleinen Demophon wird ein vernachlässigtes >Aschenputtek Eigennamen und Ortsangaben fehlen ebenso wie eine zeitliche Fixierung, wobei jedoch ein unbestimmtes europäisches Mittelalter angedeutet ist, wie es in den meisten Grimmschen Märchen begegnet ( E d e l f r a u , Ritter, Schloß). Auch das häufige Märchenmotiv des fatalen Belauschens der Jenseitigen durch einen neugierigen Menschen (im 1. Bd. der KHM von 1812 z.B. in Nr. 39,1 Von d e n W i c h t e l m ä n nern) ist zwar bereits im Hymnos angedeutet, aber erst in Arnims Fassung akzentuiert, indem die Mutter h e i m l i c h e i n e n A s t f l o c k zu der F e n s t e r l a d e

einschlagen läßt, damit sie Nachts in das Zimmer sehen könnte; in der

zweiten Fassung versteckt sie sich gar in einem Schrank. Märchenuntypisch ist in dieser ersten Version das unglückliche Ende, das möglicherweise durch eine von der Erzählung des Hymnos abweichende Variante des Mythos angeregt ist, über die Nitsch 1793 im Art. D e m o p h o n (Sp. 681) berichtet; demnach verbrannte das Kind, nachdem die Mutter das Werk der Ceres gestört hatte.

632

Überblickskommentare und Quellentexte Daß in der zweiten Fassung der tragische Ausgang durch einen harmonischen Schluß ersetzt ist, entspricht offenbar der Neukonzeption von Johannas eigenem Schicksal, die mittlerweile erfolgt war. Denn wie die erste Fassung des Fischermärchens sollte auch diese Binnenerzählung der Johanna zum Spiegel ihrer eigenen Situation dienen, wie es im Anschluß heißt. Die Beziehung der Erzählung auf den Kontext ist in F1 jedoch nicht recht überzeugend; zumal die Identifizierung des Erziehers Spiegelglanz mit Frau Funke, die Johanna im Anschluß an die Einlage vornimmt und die sie zur Zerknirschung führt, scheint etwas gewaltsam. Bedeutsamer ist hingegen Johannas Selbstidentifikation mit dem Knaben (im Märchen meist geschlechtsneutral das Kind genannt), der zwischen Wasser und Feuer schwebte, denn dieser Aspekt verweist auf das auch Johannas Schicksal prägende Dualismusproblem. Tatsächlich hatte schon Creuzer den Mythos als Darstellung des vergeblichen Versuchs gedeutet, den Antagonismus von Körper und Geist zu überwinden: Das wollte nach dem Hymnus Ceres durch das Feuer erzielen: sie wollte erst Leib und Geist in Eins verschmelzen, und da ihr diess nicht gelang, so gibt sie die Lehre von dem Kampf und von dem Losreissen des Geistes vom Leibe (Creuzer 4, S. 300). In der Neufassung in F2 ist die Binnenerzählung nicht in die Handlung der PJ integriert, sondern wird lediglich auktorial durch einen Erzählerkommentar eingeführt; der thematische Bezug auf den Kontext ist hier aber sinnvoller als in der ersten Version: Spiegelglanz korrespondiert nun der nachlässigen Mutter, der (nicht mehr Frau Funke genannte) Feuergeist hingegen der Johannas Kindheit prägenden Phantasie. In der neu eingeführten Figur des Knaben, der mit der Erzieherin, also der Phantasie, identisch sein soll, liegt eine deutliche Parallele zu Fürchtegott vor, dem geliebten Spielgefährten Traugotts in der Gräfin Dolores; Traugott ist zudem noch durch einen anderen Zug mit dem Helden des Demophonmärchens verwandt: Der Kleine litt an einem unregelmäßigen kalten Fieber; trat nun der Frost ein, so suchte er die sonnigen Stellen sich auf, wo er ihn ungestört überstehen konnte (Werke 1, S. 337; vgl. auch das Gedankenspiel Der Ring in der Gräfin Dolores [zuvor schon 1808 in der ZfE] über ein Kind, das die widersprüchlichen Naturen seiner Eltern in sich vereint: Und Feuer würd in ihm mit Wasser zischen; Werke 1, S. 633). Zu weiteren Parallelen der PJ zur Geschichte Traugotts, an den sich übrigens bereits in der Dolores der Graf durch das Spiel von der PJ erinnert fühlt (Werke 1, S. 504), vgl. Erl. zu 100,27 sowie zu 350,33. Eine Interpretation der beiden Fassungen des Binnenmärchens in ihrem Verhältnis zur gesamten PJ findet sich bei Ricklefs 1990b, S. 303f.

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Kommentar Die konkrete Fassung, in der Arnim den Demeterhymnos kannte und als Vorlage für seine Dichtung verwendete, ist kaum zu bestimmen. Die geraffte Skitze von dem Inhalt jenes Hymnus (Creuzer4, S. 271) bei Creuzer sowie das Regest im Artikel Ceres bei Nitsch 1793, Sp. 515-517, Arnims bevorzugtem Nachschlagewerk für die Mythologie der Griechen und Römer, das sich in seiner Bibliothek erhalten hat (Sign. Β 2882), können jedenfalls nicht die einzigen Quellen sein, da in beiden Wiedergaben vor allem ein Zug fehlt, den Arnim in sein Märchen übernimmt: der göttliche Odem, in den die Kinderwärterin den Knaben einhüllt. (Auch die in 3.1 erwähnte eigentümliche Fassung des Granatapfelmotivs ist so weder bei Creuzer noch bei Nitsch zu finden.) Ulfert Ricklefs' Bemerkung, daß der Demeterhymnos zu Arnims Zeit noch nicht ins Deutsche übertragen gewesen sei (Ricklefs 1990b, S. 249), trifft nicht zu; Creuzer selbst zitiert auf S. 281 f. von Bd. 4 einen Passus aus der etwas freien Übersetzung des Grafen Christian von Stolberg, die zuerst im November 1780 im Deutschen Museum und zwei Jahre später in der Sammlung Gedichte aus dem Griechischen übersetzt (Hamburg 1782, S. 111-136) erschienen war. (Bettina von Arnim spielt in Clemens Brentano's Frühlingskranz auf diese Anthologie an; vgl. FBA30, S. 172, z. 19f. In der Auswahlbibliographie bei Richardson 1974, S. 86-88 ist Stolbergs Version nicht berücksichtigt.) Infolge dieses Irrtums verliert auch Ricklefs' These, Arnim habe für diesen Stoff den 2. Bd. von Martin Gottfried Hermanns Handbuch der Mythologie (Berlin-Stettin 1790; das Regest des Hymnos ab S. 207) benutzt, an Überzeugungskraft. Es bleibt natürlich eine durchaus plausible Möglichkeit, daß Hermanns Handbuch Arnims Quelle darstellt; Creuzer verweist durchgehend darauf, und das Werk ging aus der Schule Christian Gottlob Heynes hervor, eines wichtigen Anregers der romantischen Mythenforschung (vgl. Howald 1926, S. 9). Nicht weniger wahrscheinlich ist es aber, daß Arnim, neben Creuzer und Nitsch, den Demeterhymnos in der Übersetzung Stolbergs, auf die sich übrigens auch größtenteils, wie die zahlreichen wörtlichen Anklänge belegen, Hermanns Nacherzählung stützt, oder ein bislang nicht ermitteltes anderes Regest kannte. Auch das gr. Original lag nach der Auflistung bei Richardson 1974, S. 86 bis 1812, neben der ersten Edition durch Ruhnken, die 1808 mit zusätzlichen Erläuterungen noch einmal neu aufgelegt wurde, in fünf weiteren kommentierten Ausgaben vor, die meist auch eine lat. Übertragung enthielten. Da also nicht zweifelsfrei zu bestimmen ist, welcher Quelle Arnim die über Creuzer und Nitsch hinausgehenden Details aus dem Hymnos verdankt, werden u. im Quellenabdruck nur die Wiedergaben der beiden genannten Autoren mitgeteilt, die Arnim mit Sicherheit kannte.

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Überblickskommentare und Quellentexte

3.3. Der doppelte Becher des Bacchus Wie bereits in 3.1 erwähnt, beziehen sich die beiden Blätter mit Exzerpten aus Creuzers

Symbolik auffälligerweise weit mehr als auf die Mysterien der Ceres

auf jene des Dionysos/Bacchus, den Creuzer im 3. Bd. seines Werkes behandelt. Arnim erwog offenbar zunächst, der Gestalt des Bacchus in der Mysterienszene eine gewichtige Funktion zu geben. Tatsächlich ist der Weingott Dionysos nicht nur von jeher eng mit Demeter als Göttin des Korns und des Brotes verbunden, sondern wurde auch unter dem Namen des lakchos, der ursprünglich vmtl. eine

als der Ceres Kind angerufen, wie An den Eleusinischen Mysterien hatte Bacchus gleichfalls einen Antheil (...)); seine separate Gottheit war, in den Eleusinien

Creuzer darstellt (3. Bd., S. 346; vgl. auch Nitsch 1793, Sp. 384f.: Rolle in diesem Kult war jedoch peripher.

Ein Grund für Arnims besonderes Interesse an den dionysischen Mysterien war sicher, daß vor allem sie laut Creuzer die Seligkeit des Todes lehrten (vgl. Erl. zu 207,11); eine Stelle aus dem 3. Bd. der

Symbolik und Mythologie, in

der Creuzer, bezugnehmend auf die Sage von Silens Begegnung mit Midas, auf

der T o d besser sey als das beschränkte, enge, mühselige Leben, und dabei auch auf die Idee und Probe alter Symbolik aus den Studien (1806) zurückverweist, w o dieses Thema ausführden antiken Gedanken eingeht, daß

lich behandelt war, hat Arnim exzerpiert. Es gab jedoch offenbar noch einen weiteren Anlaß dafür, daß Arnim die Bacchusgestalt zunächst stärker herausstellen und mit Johanna, die in ihrer Rolle als Proserpina bei den Mysterien ja ebenfalls

der Ceres Kind darstellt, identi-

fizieren wollte. Dieser Anlaß erhellt aus dem Satz auf dem zweiten Notizblatt

Die Fürstin will den Papst zum Bachus machen er hat ihr etwas so weiblich Männliches. Die von Creuzer hervorgehobene traditionelle Androgynität des Dionysos wirkte also hier anregend. Eine konkrete Beziehung von Johannas Pontifikat auf den Dionysoskult sollte die folgende Notiz stiften, die Creuzers Mitteilungen um eine von Arnim erfundene Aitiologie erweitert: A u s

dem Spielzeuge des Bachus dem Würfel und der Kugel entlehnte der Papst d i e letztere als Zeichen der Erde. Diese Pläne wurden jedoch in den ausgeführten Fassungen der Dichtung wieder fallengelassen, und zwar offenbar erst nach Beginn von TF3, w o nach Ausweis der Varianten die

Mysterien der Ceres und des Bachus nachträglich zu Mysterien der Ceres verkürzt worden sind. Erst in F 1 wird Bacchus der Ceres in der Rede der Fürstin in IV,4 von seiner symbolischen Vermählung mit dieser Göttin wieder zur Seite gestellt (212,24ff.; hier ist auch in der neuen Exposition zur III. Periode in 111,1, 133,1 wieder von Mysterien

der Ceres und des Bachus die Rede); er spielt aber

keine dominante Rolle in der Mysterienszene.

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Kommentar Zentrale Bedeutung für die PJ erlangte hingegen das ebenfalls schon auf den Notizblättern exzerpierte Motiv des doppelten Bechers des Dionysos; die entsprechenden Abschnitte bei Creuzer sind u. im Quellenabdruck vollständig wiedergegeben. Dionysos ist in Creuzers neuplatonisch-gnostischer Ausdeutung der antiken Geheimlehren H e r r d e r S i n n e n w e l t , d a s P r i n c i p a l l e s B e s o n d e r n u n d E i n z e l n e n i n d e r W e l t , und als solcher ein zweiter, dem wahren Schöpfer Zeus untergeordneter Demiurg. Da die Schöpfung im Bild der Mischung dargestellt wird, sind sowohl dem höheren wie dem niederen Demiurgen verschiedene B e c h e r eigen (Creuzer erläutert in einer Anmerkung, daß er mit >Becher< das gr. >krater< übersetzt, was eigentlich d a s g r ö s s e r e G e f ä s s bezeich-

ne, worin die Griechen den Wein m i t Wasser mischten), und dieser Doppelung entsprechen auch zwei unterschiedliche Becher für die Seelen: Der eine berauscht diese, so daß sie ihre höhere Abkunft vergessen und sich an die materielle Welt binden, der andere weckt die Sehnsucht zur Rückkehr in die göttliche Ureinheit. Die Beziehungen, die dieses Modell zum Dualismusthema der PJ aufweist, sind offensichtlich. Anders als bei Creuzer ist in Arnims dichterischer Adaption der doppelte Dionysoskelch jedoch nicht nur ein bloßes Symbol für den Konflikt zwischen Körper und Geist; vielmehr gewinnt er in der Handlung der PJ konkrete gegenständliche Bedeutung, ja wird zu einem Machtinstrument der Fürstin Reinera, das diese noch in V,2 einsetzt, um den hist, verbürgten Aufstand gegen Kaiser Otto auszulösen (vgl. 2). Dabei wird das Motiv auch auf die Lehren des Mesmerismus bezogen (vgl. 5), wie bereits bei seiner ersten Erwähnung in TF2 deutlich ist, wo der Wein durch magnetische Operationen v e r w a n d e l t wird (321,24). Der zweite Bacchuskrater wird hier eingeführt als der s e l t s a m e L i n d e r u n g s t r a n k (204,21-22), den Chrysoloras mit heimtückischer Absicht für den Pfalzgrafen gebraut, den dann aber Johanna in der Nacht nach dem Turnier getrunken hatte (IV,3). Beide Becher bewirken eine dionysische Raserei, die beim ersten als L i e b e s l u s t , beim zweiten als L i e b e s w u t h erscheint (251,38), wie sie sich am deutlichsten in der später eliminierten Wachsbildepisode der zweiten Teilfassung zeigt. Offenbar ist schon in TF2 impliziert, den ersten, an die Sinnenwelt bindenden Becher mit einer Episode in Verbindung zu bringen, die bereits in TF1 eingeführt worden war, nämlich Johannas Weintrunk an der Venusschmiede, der sie zur Leidenschaft für Stephania/Ludwig berauscht (111,3). Dies war nach Ausweis des ersten Szenariums zur Romhandlung (vgl. Paralipomena 1.3) als Motivresponsion zu dem r a ( u ) s c h e n d e n G e t r ä n k gedacht, mit dem Luzifer dem Spiegelglanz in III,2 eine Himmelfahrt vorgaukelt, und demonstrierte die Macht der Venus (vgl. 385,2-3 die Worte des Gesellen: D e r W e i n giebt M u t h / D e r a u f d e m

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Überblickskommentare und Quellentexte V e n u s b e r g w a c h s e n t h u t ) . Kornmann 1614, S. 133f. berichtet von einem Jüngling in England, der durch den Trunk aus einem geheimnisvollen Becher in den Venusberg gelockt werden soll. Zudem war das Motiv vielleicht angeregt durch die Berichte über den hist. Johannes XII., der >des Teufels Minne< getrunken haben soll (vgl. 2), und kann schließlich auch als Faustreminiszenz angesehen werden (vgl. 6.6). Im nachhinein wird nun der Weintrunk am Venusberg mit dem ersten Bacchusbecher identifiziert, was im Symbolzusammenhang äußerst sinnvoll ist, jedoch Probleme in der Handlungslogik ergibt. So trank Johanna an jener Stelle ausdrücklich aus einem K r u g , nicht aus einem Becher (obwohl auch der Krug nach Creuzer ein Symbol aus der mystischen Seelenlehre ist - vgl. die entsprechenden Exzerpte Arnims - , lag hier wohl noch kein Einfluß durch die S y m b o l i k vor). Zudem war dort noch nicht vorauszusetzen, daß Venus/Reinera den Wein bereits >bezaubert< hatte, da sie Johanna erst später bei deren Besuch im Venusberg kennenlernte. Erst bei der Neufassung der Szene in F2 wird der Trunk an der Schmiede durch einen auktorialen Hinweis (142,18-19) eindeutig als der erste Bacchuskrater identifiziert. Hier ist dementsprechend der Krug durch einen Becher ersetzt und die gesamte Situation deutlich an Creuzers Darstellung der mystischen Seelenlehre angeglichen. So erscheint die Metapher vom D u r s t der Seele nach Verkörperung; und die Formulierung, Johanna wolle sich bei ihrem Abstieg vom Gebirge m e n s c h l i c h e n W o h n u n g e n w i e d e r n a h e n , klingt fast wörtlich an die Stelle bei Creuzer an: Es ist e i n e V e r g e s s e n -

heit, die zur Geburt hinwirkt (...) und somit tritt die Seele den Weg zu den irdischen Wohnungen an. Noch in dieser letzten Fassung bleibt jedoch unklar, ob nun die Fürstin oder Chrysoloras die Becher magnetisiert hat: In TF2 und TF3 hatte letzterer die Tränke hergestellt (vgl. Ricklefs 1990b, S. 246, der hier Beziehungen Luzifers zu Dionysos als Herr der Sinnenwelt und niederem Demiurgen sieht), und die Einführung des zweiten Bacchusbechers, des s e l t s a m e n L i n d e r u n g s t r a n k s , als Gebräu des Chrysoloras sowie ein entsprechendes Geständnis des inkarnierten Teufels in V,2 (251,34-38) sind auch in der letzten Fassung stehengeblieben. Dabei ignoriert Arnim, daß bereits die neue Fassung der Einleitung zur III. Periode in F1 mitgeteilt hatte, Reinera selbst bereite die Bacchusbecher. Verwirrend ist auch eine Andeutung in der Neufassung des Endes der III. Periode, wonach Chrysoloras anscheinend schon an dieser Stelle versucht, Johanna den zweiten Becher trinken zu lassen (vgl. 187,10 und Erl.). Im übrigen bleibt die Bedeutung der Bacchusbecher in F1 und F2 für den Leser einigermaßen dunkel, da die erläuternden Passagen aus TF2 und TF3 hier keine Entsprechung mehr haben. 637

Kommentar Abgesehen von diesem zentralen Symbol sind in der ausgeführten Fassung der Mysterienszene in IV,4 nur einzelne Züge aus Creuzers Darstellung des Dionysoskultes erhalten, so besonders bei den Reflexionen Johannas über die heidnischen Quellen der it. Erntebräuche vor der Begegnung mit dem Einsiedler (vgl. 225,7-8ff.), die in den Kontext der Thematisierung des Verhältnisses von Heidentum und Christentum in 111,4 gehören. An dieser Stelle findet sich allerdings nur ein konkretes Motiv aus den Creuzer-Exzerpten wieder: das Tamburin als Instrument des Bacchusgefolges. Ein weiterer in Creuzers Ausdeutung symbolisch bedeutsamer Gegenstand, der Spiegel des Dionysos, über den sich Arnim eine Notiz gemacht hatte, erscheint zwar in der Szene mit der Fürstin in IV,4; die von Creuzer postulierte Bedeutung des Objekts als Bild der Sinnenwelt, das sowohl den Demiurgen Dionysos als auch die Seele zum Abfall von der Ureinheit verlockt und insofern mit dem ersten Becher des Bacchus vergleichbar ist, ist in der ausgeführten Dichtung jedoch kaum noch zu finden, wo vielmehr die Funktion des Spiegels als magischer Gegenstand und magnetisches Instrument im Vordergrund steht (vgl. 5; vgl. 219,3 und Erl.).

Arnims Exzerpte aus Creuzers Symbolik und Mythologie der alten Völker Um Arnims Exzerpte deutlich von den zum Vergleich beigefügten Zitaten aus Creuzer abzuheben, sind letztere hier als Herausgebertext formatiert. Bl. 49,5|13 5)13' Das Gelehrtenwesen, ihr Stolz muß sich noch näher entwickeln, auf der Schule das Aburtheilen und Wichtignehm(en) der Kleinigkeiten {in der Rede die Chrysoloras am Haken hängend hält} (Der restliche Text auf der Seite entstand nach Ausweis des Schriftbildes in einer späteren Arbeitsphase.) Die Genialität der Weiber in der Fürstin Venus, die unselige Langeweile, das Schmeicheln (um wiedergeschmeich werden das Ueberfallen mit Grobheit um Verwunderung zu erregen. Das Leben ist bitter, der Tod ist süß ist der Hauptsatz der Fürstin, (1) (xxx) + (2) Sie glaubt daß der Mensch sich in (Thiere) verwandelt und (zeigt) sie (der Gedanke) der Bienen streitend strebend weise rein. Das Opfer verlangt: Die (grösste) Noth (muß von) des (Grössten) Opfer haben, das Blut des Liebsten soll uns laben (1) (morden) + (2) uns begeistern und erfrischen (einst) uns der Flamme mischen

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Überblickskommentare und Quellentexte (von der folgenden Notiz bis zum Ende der Seite braune, darüber und auf der Rückseite schwarze Tinte) Proserpina die Vorsteherin des Seelenweges unter d e m Monde H o n i g Todes bild Creuzer4, S. 400: »Der Begriff des e d e l s t e n K a m p f e s gehört ganz den Bienen an. (...) Dadurch sind sie dem Menschen das Vorbild des besten K a m p fes, des Entsagens und der Reinheit. Sie sind der Geist in der Materie. (...) S t r e i t e n d , s t r e b e n d , w e i s e , rein - das sind die Begriffe, die das Bild der Biene versinnlicht; - und ihr Werk, der Honig, es sänftigt, es gibt Ruhe und Schlaf, es erhält, es macht das Auge gesund und hell. Aber es löset auch, und wiegt in den Tod ein. D a r u m , oder wegen der uralten Lehre, daß der Tod süß sey, das Leben bitter, war der Honig auch des Todes Bild und Honigopfer den chthonischen Göttern geweiht. Darum gehörte die Biene in alle Wege der Ceres und Proserpina zu. (...) Der Proserpina, der Reinen, der Vorsteherin des Seelenweges unter dem Monde, der Führerin in und aus dem materiellen Leibe.« Materie und Geist der ewige Krieg zu Eleusis Creuzer4, S.271: »Die E p i p h a n i e der C e r e s ; Materie und Geist oder der e w i g e Krieg zu Eleusis« (Überschrift von §40.) Ueber d e m Johannes wird ein Stier geschlachtet | Creuzer4, S. 371: »In diesem neuen Dienst liess man über einer Grube Stiere oder Widder schlachten. Der darunter stehende und damit besprützte Mensch ward dadurch, so glaubte man, aller Schuld erledigt.« Die Bachantin bezeichnet das U n m a a ß von G e f ü h l e n u n d Leidenschaften, sie würgen Kaninchen fressen (1) d + (2) roh Fleisch. Weissagekraft und Lascivität Creuzer3, S. 201f: »(...) jenes Unmaass von Gefühlen und Leidenschaften (in den Bacchantinnen), die zum Äussersten und selbst zum Tode führen. (...) Daher werden sie in Dichtern und Kunstwerken kenntlich gemacht (...) durch das Würgen von jungen Hirschkälbern, Rehen und anderer Thiere, ja selbst auch durch das Kosten rohen Fleisches (...). Weissagekraft und Lascivität wird den Bacchantinnen ebenfalls beigelegt.« Bachusgefolge: Silene, (1) Satyre (2) Satyrn I, Lenä, Thyaden, Mimallonen, Najaden, Nimphen, Tityren Creuzer3, S. 199f.: »Besonders verdient die Angabe des S t r a b o Aufmerksamkeit, weil er dabei recht eigentlich die Absicht hatte, eine ganz bestimmte Vorstellung vom Bacchischen Gefolge zu geben. Er nennt folgende Mitglieder des-

639

Kommentar selben: Silene, Satyrn, Lenae, Thyaden, Mimallonen, Naiaden, Nymphen und die sogenannten Tityren.«

Der gemüthliche harmlose Silen ein Gespiele der Kinder, sprachlos (stark), der Ernst und die Stille des Todes versinnlicht, wie der Tod besser als das (aus Buchstabenansatz) beschränkende Leben Creuzer3, S. 228f.: »Bald zeigt (Silen) dem stolzen Frager das elende Loos der Menschen und wie der Tod besser sey als das beschränkte, enge, mühselige Leben. Da ist er der trunkene Dämon, der gemüthliche, der harmlose, der freie, der gerne in der Nähe der Fluren und in stillen Wäldern lebt, der sich und Andere gehen lässet, der frey ist und Andere frey macht, ein glücklicher Gefährte für Jedermann, vor Allem aber ein liebender Gespiele der Kinder, und unter ihnen der Scherze Vater, wie das Ziel des unschuldig neckenden Frohmuths. Darum trägt er auch den zarten, heiteren Bacchus sorgsam in seinen Armen. Aber auch die Sprachlosigkeit zieht ihn zu den zarten Kindern hin, und jene stille sich selbst genügende Heiterkeit ist die ihm eigne liebste Stimmung; aber auch jenes bedeutsame vielsagende Schweigen gehört zu seinem Charakter, (...) ja in ihm ist selbst der Ernst und die Stille des T o d e s

versinnlicht.

(Studien II. 234-260.).«

Der Silen ist der Krug der die die treibende Kraft des Flüssigen in der Erde bezeichnet Creuzer3, S. 234: »Denn ob wir nun D i o n y s o s oder S i l e n o s sagen, ist, w o von Ursprung und Grundidee die Rede ist, ganz einerley. (...) A u s dem Wasser gehen alle irdischen Dinge hervor. Die wallende Feuchtigkeit und die treibende Erdkraft ist in der unteren Sphäre zusammengebunden, w o v o n der Krug, der die gute Gabe des Wassers faßt, das natürliche Bild ist. Darum wird der gute Gott, der Vater der irdischen Dinge, in der Eigenschaft der Erd- und WasserPotenz zum Kruggott.«

Die Reinigung bey Bachischen Mysterien geschah durch Wasser Feuer, Luft. Creuzer3, S. 332f., Anm. 44: »Es gab in alten Mysterien drei Arten von Reinigung: Durch Wasser, Feuer und Luft.«

Der Daduch forderte Nachts die Gemeine zur Anstimmung des Hymnus auf: Sohn der Semele Jakchos Reichthumgeber. Hirschkalbfelle die Tracht

640

Überblickskommentare und Quellentexte

Die Mädchen brachten Feigen, ein R(xxx) (darüber) sie hatten auch Feigen u m den Hals Creuzer3, S. 338f.: »Der Daduch, mit der Fackel in der Hand, forderte die Gemeinde (beim nächtlichen Bacchusfest) zur Anstimmung des Hymnus auf, w o v o n wir noch den Anfang haben: >Sohn der Semele Jakchos ReichthumgeberBezauberung< der Becher - so sind wohl schon in TF2 die

auswärts oder einwärts ziehenden Spirallinien zu geweiht werden (321,24-25) - ermöglicht es

stehen, mit denen die Tränke

verder

Fürstin, Liebesrausch bzw. Leibfeindlichkeit in Johanna auszulösen. Die Gefäße werden damit ein Gegenstück der magnetisierten Blumensträuße, die der Markese in der

Dolores

einsetzt (Werkel, S. 381); die »rapportverstärkende und

telepathiefördernde Kraft magnetisierter Gegenstände war in der zeitgenössischen Magnetismustheorie Basiswissen« (Barkhoff 1995, S. 172). Arnim konnte sich bei dieser Verbindung von Mesmerismus und mystisch-mythischer Tradition auf Spekulationen der romantischen Wissenschaft stützen: >Heidnische< ebenso wie magische und altkirchliche Praktiken wurden häufig als magnetische Phänomene erklärt (vgl. in der PJ die deutliche Anspielung auf die kath. Transsubstantiationslehre in der Formulierung in TF2, 321,24, der Wein werde durch die magnetischen Operationen

verwandelt).

Schubert nennt hier besonders die

antiken Orakel (S. 92-100), und bezeichnenderweise erscheint die bei Arnim als Magnetiseurin auftretende Reinera zu Beginn der Mysterienszene als Pythia in wirklicher oder prätendierter Trance (vgl. 210,32 und Erl.). Eine Notiz Arnims zur

658

Oberblickskommentare und Quellentexte Beziehung zwischen a l t k a t h o l i s c h e n bzw. heidnischen Riten und den m a gnetischen Erfahrungen

in der T h e o r i e i n F r a g m e n t e n

(Taschenbuch

FDH Β 44) ist, wie aus dem Kontext zu schließen ist, wohl nach der Entstehungszeit der PJ (1817?) niedergeschrieben worden. Einen Zusammenhang zwischen Taufritus und Magnetismus hatte jedoch schon Ritter vermutet (Ritter 1810, 2. Bd., S. 74; ebd. S. 89 wird auch die K r a f t d e s S e e g e n s , d e r W e i h e , d e r S a k r a m e n t e genannt), und in H a l l e u n d J e r u s a l e m (1811) wird ironisch auf ähnliche Spekulationen angespielt, wenn Viren über das Pfingstwunder sagt: s e i t M e s m e r ist d a s l e i c h t l i c h z u e r k l ä r e n (Arnim 1811, S. 399f.). Später wurde eine ähnliche Theorie ausführlich dargelegt in dem Kapitel V e r g l e i c h d e r m a g n e t i s c h e n W i r k u n g e n m i t k i r c h l i c h e n C e r e m o n i e n u n d h e i l i g e n G e b r ä u c h e n aus den 1821 erschienenen U n t e r s u c h u n g e n ü b e r d e n L e b e n s m a g n e t i s m u s u n d d a s H e l l s e h e n von Johann Carl Passavant (vgl. Barkhoff 1995, S. 117; vgl. auch ebd. S. 183f., Anm. 43). Arnim las dieses Buch, das in seiner Bibliothek erhalten ist (Sign. Β 2798), mit großem Interesse; er bezieht sich an einer anderen Stelle der T h e o r i e i n F r a g m e n t e n darauf ( P a s s a v a n t ü b e r L e b e n s m a g n e t i s m u s , a u c h w i c h t i g f ü r d i e Sagengeschichte, d e r e n W i e d e r k e h r usw. theils auch wie viele Sagen von d e m Z u s t a n d s p r e c h e n ) und empfahl das Werk den Brüdern Grimm in einem Brief vom 10. März 1821. Ausgehend von der magnetischen Manipulation der beiden Becher, wird die Herrschaft Reineras über Johanna in der IV. Periode in den Kontext des Magnetismusmotivs gestellt: Die Fürstin ist als Magnetiseurin in psychischem »Rapport« mit dem somnambulen Medium Johanna, das ihrem Willen unterworfen ist. Dieser Effekt des zweiten Bacchusbechers ist in TF3 zunächst gar nicht von der Fürstin beabsichtigt; vielmehr zeigt sich in dieser auch von ihr unerwarteten Entwicklung, wie wenig s i c h d i e W e l t r e g i e r e n läßt (331,28). Erst in der letzten Überarbeitung der Mysterienszene für F1 wird das Gespräch Johannas mit der Fürstin in IV,4 zu einer regelrechten mesmeristischen Sitzung mit Befragung der Somnambulen (vgl. dazu z.B. Schubert 1808, S. 333; vgl. auch Erl. zu 218,31-32). Reinera greift hier zum magnetischen g e h e i m e n S c h w u n g als Ultima ratio, um Johanna endgültig unter ihre Kontrolle zu bekommen: K e i n andres Mittel ihren Geist umschlingt. Damit kommt der »Gewaltaspekt« magnetischer Operationen ins Spiel, der vor allem bei E.T.A. Hoffmann zentral ist und von Arnim bereits in der Gestalt des Markese D... in der D o l o r e s thematisiert worden war (Barkhoff 1995, S. 197). Dieser Magnetiseur ist mit Reinera in mancher Hinsicht vergleichbar: Beide sind dekadente Adelige, die den Mesmerismus zu persönlichem Machtgewinn mißbrauchen, und beide stehen in Beziehung zu Geheimgesellschaften; 659

Kommentar der Markese ist Rosenkreuzer und zeigt Dolores unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit manche Briefe ausgezeichneter Männer der Zeit, die ihn als ein unbekanntes Oberhaupt der Geister und der höheren geistigen Weltregierung ansahen (Werke 1, S. 381); die Fürstin steht den von ihr erneuerten Pseudo-Eleusinien vor (vgl. 3.1). Die Verbindung von Magnetismus, Spiritismus und Geheimgesellschaften war seit dem ausgehenden 18. Jh. eine verbreitete Vorstellung (Strich 1910, 1. Bd., S. 81; Barkhoff 1995, S. 173); in der Einleitung zu den Majorats-Herren nennt Arnim bei der Darstellung des okkultistischen Interesses der vorrevolutionären Zeit Geisterbeschwörer und Geisterseher, geheime Gesellschaften und geheimnisvolle Abenteurer, Wundärzte und prophetische Kranke in einem Atemzug (Werke 4, S. 107). Der Markese geriert sich mit seinem Bericht von französischen Frauen, die ihre Zeit geleitet (Werke 1, S. 376) gar als Propagandist der Gynäkokratie und ist auch damit Vorläufer der Fürstin. Die Konstellation in der PJ weicht freilich insofern auf bemerkenswerte Weise sowohl von der Gräfin Dolores als auch von den meisten anderen poetischen Behandlungen des Themas ab, als hier nicht nur das Medium, sondern auch der Magnetiseur weiblich ist. Nach der Theorie des tierischen Magnetismus waren Personen vom andern Geschlecht (...) zum Magnetisiren am schicklichsten (Schubert 1808, S. 331), wobei als geradezu selbstverständlich galt, daß der Mann den aktiven Part, also den des Magnetiseurs übernahm. (JungStilling ist allerdings der Ansicht, daß Magnetiseur wie Somnambuler männlichen oder weiblichen Geschlechts sein könnten; § 67, S. 47.) Reinera maßt sich also auch in diesem Fall eine sonst männliche Domäne an (und Chrysoloras, der ebenfalls als Magnetiseur genannt wird, tritt auch hier hinter ihr zurück). Nach zeitgenössischer Auffassung stiftet der magnetische Rapport eine geistige Beziehung zwischen Magnetiseur und Somnambuler: Bey vielen (Magnetisierten) steigt die Erhöhung des innern Menschen nach und nach so hoch, d a ß s i e d i e G e d a n k e n u n d V o r s t e l l u n g e n i h r e s M a g n e t i s e u r s aufs g e n a u e s t e in seinem I n n e r n e r k e n n e n ; die magnetisierende Person müsse daher r e i n e s H e r z e n s , f r o m m u n d r e c h t s c h a f f e n s e y n (Jung-Stilling 1808, §68, S. 48 und §72, S. 54). Ebenso betont Schubert jene tiefe Sympathie der Somnambüle mit dem Magnetiseur und andern mit ihr und ihm in Rapport stehenden Personen. (...) Die Somnambülen wissen, vermöge jener Sympathie, um alle Bewegungen, welche der Magnetiseur selbst hinter ihren Rükken vornimmt, ja es scheint zuweilen als ob sie die tiefsten Gedanken desselben erriethen (Schubert 1808, S. 344f.). Entsprechend befürchtet die Fürstin, als sie Johanna magnetisiert, daß diese »hell sehend jetzt mich auch 660

Überblickskommentare und Quellentexte erkennen« werde, wie Bettina von Arnim in S W 19, S. 371 die Stelle S i e s o l l

klar sehen, mag sie mich erkennen

sicher korrekt verdeutlicht; tatsächlich

schaut die Päpstin im magnetischen Schlaf ihre Gegenspielerin als ein E n g e l -

kind doch ohne seine Flügel (vgl. als ein böses hochbegabtes Weib.

219,7 und Erl.) sowie, weniger verblümt,

Johannas somnambule Veranlagung zeigt sich jedoch nicht erst unter dem Einfluß der Fürstin. Bereits in der Kindheitsgeschichte ist in 11,1 Johannas Phantasieleben, das sich in ihrem Frühlingstraum manifestiert, mit entsprechenden Fähigkeiten identifiziert; hier wird Spiegelglanz ungewollt in den magnetischen Rapport hineingezogen und erlebt so Johannas Visionen mit. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß im romantischen Schrifttum häufig M a gnetismus und Künstlertum im allgemeinen (Barkhoff 1995, S. 315f.; zu Arnim ebd. S. 317) sowie die Vorstellung der Naturpoesie, die in der PJ auf die kleine Johanna bezogen wird (vgl. Erl. zu 56,16-20), im besonderen in Beziehung gebracht wurden; vgl. den bereits erwähnten Passavant: Es gleichen die Reden der Schlafwachenden jener alten ursprünglichen Naturpoesie, die aller späteren Poesie zu Grunde liegt (zitiert nach Barkhoff 1995, S. 316). Eine lebhafte Einbildungskraft sah auch Jung-Stilling als eine Voraussetzung für die Begabung zum magnetischen Hellsehen an, ebenso wie die ebenfalls für

eine beharrliche Beschäftigung der Seelen mit übernatürlichen Gegenständen (§ 94, S. 69). Arnim hob in seiner Rezension von Jungs Geister-Kunde das bei diesem zentrale Ahnungvermögen hervor, wie es im Somnambulismus erscheine, ohne das aber auch nicht der kleinste Vers gemacht werden kann, und das in der Wissenschaft und Poesie rein, gesund und heilig sich darstellt (Werke 6, S. 544; Schubert prägte 1814 in der Symbolik des Traumes in diesem Zusammenhang die Formel vom versteckten Poeten, vgl. dort S. 30). Johanna charakteristische Neigung zum Transzendenten,

Als bewußte Magnetiseurin in der Art der Fürstin erscheint Johanna bezeichnenderweise nicht oder allenfalls in III,6, w o sie Raphael zu sich beschwört, was sie jedoch für die Wirkung ihrer vermeintlichen Götterkraft hält. Daß der von Johanna seit frühester Kindheit als Frühlingsgott geliebte Raphael mit ihr in Rapport steht, ist einleuchtend, da »die sexuelle Anziehung zwischen den Geschlechtern« stets mit den Phänomenen des Mesmerismus in Zusammenhang

fleischliche Liebe ist besonders bey dem weiblichen Geschlecht die reichhaltigste Quelle der magnetischen Entzückungen (§ 95, S. 70). gebracht wurde (Barkhoff 1995, S. 168); vgl. z.B. Jung-Stilling: D i e

Beginnend mit der Erscheinung der blutigen Krieger und der verstorbenen Päpste am Ende von IV,3, machen sich Johannas übersinnliche Fähigkeiten später durch unheimliche, warnende Visionen bemerkbar: Die Päpstin erblickt schon

661

Kommentar in der Mysterienszene IV,4 Geister von l i e b e n Todten (219,32), später, in IV,5 und 6, erreicht Johannas G e s p e n s t e r s e h e r e i (234,24) ihren Höhepunkt, als sie Tod und Teufel bei den Soldaten stehen sieht, die von Reinera in den Krieg geschickt werden, und Naturgeister, Schatten alter Römer sowie Geister von Märtyrern schaut. Solche spiritistischen Fähigkeiten hatte vor allem Jung-Stilling den Somnambulen zugesprochen (vgl. Erl. zu 232,31-32). Gerade in diesen Zügen bestehen manche Parallelen zwischen Johanna und dem Titelhelden der späteren M a j o r a t s - H e r r e n sowie der dort auftretenden Esther, die in einen unwillkürlichen magnetischen Rapport miteinander treten, wie Johanna Geistererscheinungen haben und Opfer einer gefährlichen Lebensferne sind. Überhaupt ist in der PJ ebenso wie in den M a j o r a t s - H e r r e n das morbide und sündhafte Moment des Mesmerismus betont. Diesen Aspekt sehen zwar durchaus auch Schubert und Jung-Stilling, der auf das Krankhafte und oft auch Trügerische somnambuler Visionen (§ 93, S. 68f.) sowie auf die Gefahr des Mißbrauchs der magnetischen Operationen zu Z a u b e r e y s ü n d e n hinweist (§ 66, S. 47; vgl. auch den zur größeren Nachdrücklichkeit fast zur Gänze gesperrt gedruckten warnenden Paragraphen 97, S. 74f.). Bei diesen beiden Autoren überwiegt jedoch die Bedeutung somnambuler Erfahrungen zum empirischen Beweis christlicher Lehren. In der PJ hingegen steht der Mesmerismus klar auf der Seite des Heidentums und in Antagonismus zum Christentum; durch die innere Umkehr vor dem Kreuz kann Johanna in IV,6 den magnetischen Einfluß Reineras abwerfen. Das i n n e r e L i c h t , das die Somnambulen angeblich erblikken (Schubert 1808, S. 357), wird bei Arnim erst durch ein christliches Erwekkungserlebnis gestiftet (vgl. 236,11 und Erl.).

6. Einzelne Stoffe 6.1. Das Fischermärchen Wie in Abschnitt 3.2.2.2 des Kapitels zur Entstehung dargestellt, sind die insgesamt drei Varianten des Märchens vom Fischer und seiner Frau (AaTh 555), die in den PJ-Materialien enthalten sind (in den Kapiteln l,5 und IV,4 der letzten Fassungen sowie am Ende von TF1), von großer Bedeutung für die Rekonstruktion der Werkgenese. Die dortige Untersuchung gelangte zu dem Schluß, daß offenbar zunächst die Wiedergabe in Versen als Erzählung Sabinas am Ende von TF1 entstand. Erst im Zuge der Niederschrift dieser Passage wurde das Märchen auf die Pfalzepisode und den Fischer Thalmann bezogen, wobei zunächst vmtl. noch gar keine tatsächliche Einfügung der Episode in die Kindheitsgeschichte 662

Überblickskommentare und Quellentexte vorgesehen war. Später legte Arnim aber dann eine andere Version des Märchens dem Fischer Thalmann in den Mund, der sie in 1,5 vorträgt. Schließlich entstand im Zuge der Neufassung der Romhandlung TF2 auch eine - allerdings gegenüber TF1 kaum veränderte - neue Version der Wiedererzählung des Märchens durch Sabina, die jetzt am Beginn von IV,4 steht.

Der in der Grimmschen Sammlung als KHM 19 Von den Fischer und siine F r u (so der Titel in der Erstausgabe 1812) berühmt gewordene Text spielte eine »herausragende Rolle (...) bei der Konstituierung der volksliterar(ischen) Sammelunternehmungen der Romantiker und vor allem der Brüder Grimm« (Heinz Rölleke in EM 4, Sp. 1232), woran Arnim einen wesentlichen Anteil hatte. Der Maler Philipp Otto Runge (1777-1810) hatte die Geschichte, gemeinsam mit dem Märchen Van d e n M a c h a n d e l - B o o m (später KHM 47), 1806 in Hamburg im pommerschen Dialekt aufgezeichnet und an Johann Georg Zimmer, den Heidelberger Verleger des Wh, geschickt, der Runges Aufzeichnungen an Brentano für dessen projektierte Märchensammlung weitergab. Wie Heinz Rölleke rekonstruiert hat (vgl. Rölleke 1985, Wiederabdruck eines erstmals 1973 publizierten Aufsatzes), war es offenbar ein Brief Friedrich Heinrich von der Hagens an Arnim vom 10. Mai 1808 mit der Abschrift einer weiteren von Runge verfaßten Version des Fischermärchens, die Arnim dazu anregte, einen der Rungeschen Texte in der ZfE zu publizieren. Er wählte dazu jedoch

nicht den Fischer, sondern den Machandel-Boom (ZfE Nr. 29 und 30 vom 9. und 12. Juli 1808). Den Brüdern Grimm gegenüber begründete er dies Ende Dezember 1812 damit, daß ihm die Geschichte vom Fischer und seiner Frau

damals, als ich den Machandelbom abdrucken ließ, kein eigentliches Kindermärchen (zu sein schien) und darum nahm ich es nicht auf, weil ich in dem Kreise der bald zu schließenden Zeitung nur recht characteristische Sagen wünschte. (In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, daß die Geschichte in TF1 dennoch als K i n d e r m ä h r c h e n eingeführt und hier wie in l,5 auch Kindern erzählt wird.) Rölleke 1985, S. 168 vermutet, daß sicher auch der Wunsch, gegenüber von der Hagen, den Arnim (wegen der von jenem 1807 gemeinsam mit Johann Gustav Gottlieb Büsching publizierten S a m m l u n g D e u t s c h e r Volkslieder) als ärgerlichen Konkurrenten empfand, möglichst unabhängig zu sein, ausschlaggebend für die Entscheidung war, das durch diesen Gelehrten in einer anderen Version eingesandte Märchen gerade nicht zu veröffentlichen. Ob darüber hinaus, wie Ulfert Ricklefs vermutet, Arnim bereits 1808 eine eigene poetische Bearbeitung des Fischers erwog, womöglich gar in einer PJ-Dichtung (Ricklefs 1990b, S. 150, Anm. 380), muß Spekulation bleiben. Die Einsendung von der Hagens gelangte später in leicht variierter Version samt dem M a c h a n d e l - B o o m an Büsching, der die Texte in seine Volks663

Kommentar

Sagen, Märchen und Legenden aufnahm (das Fischermärchen als Nr. 58, 5. 258-266), die im September 1812 erschienen - zum Ärger der Brüder Grimm noch vor ihrer Veröffentlichung der Märchen im 1. Bd. der K H M , die auf einer Abschrift von Runges Einsendung an Zimmer basierte, in die ihnen Arnim 1809 Einblick gewährt hatte. Arnim hatte Runges Manuskripte danach an Brentano weitergegeben. Zur Zeit der Entstehung der PJ hatte er sie bereits nicht mehr in Händen, wie aus einer Anfrage an Brentano vom 23. Oktober 1812 hervorgeht, die durch eine Bitte von Runges Bruder Johann Daniel veranlaßt worden war:

Auch wünscht er das Originalmanuscript seines Bruders von den beyden Mährchen, das ich Dir einst gegeben habe. Kannst du es ihm verschaffen? Arnim fand Runges Aufzeichnungen erst im Frühjahr 1814 in Brentanos Büchersammlung wieder, wie ein Brief an den Verleger Georg Andreas Reimer bezeugt; heute sind sie verschollen. Den Brüdern Grimm wie auch Brentano sowie der späteren Märchenforschung erschienen Runges Aufzeichnungen als künstlerische Meisterwerke und Muster für den in den K H M entwickelten Stil des »Buchmärchens«. 29 Arnim hingegen wollte, gemäß seiner Oberzeugung von der freien Variierbarkeit poetischer Schöpfungen im allgemeinen und der Gattung Märchen im besonderen

(Fixierte Märchen würden endlich der Tod der gesammten Märchenwelt sein; Brief an Jacob Grimm vom 22. Oktober 1812), auch in diesem Fall Runges Fassungen nur als e i n e von unzähligen möglichen Versionen gelten lassen. In diesem Sinne schrieb er in einem Brief an Jacob Grimm vom 22. Oktober 1812, der sich gegen das von diesem vehement vertretene Konzept der philologisch exakten Wiedergabe richtete, weswegen Jacob auch Brentanos Kunstmärchen kritisiert hatte:

Ein Hauptspaß ist aber wieder, daß mir ein Freund Runges (weiter u. identifiziert als Prof. Schildener aus Greifswalde) erzählte, Runge hätte die Geschichte einigen Schiffern erzählt, die hätten sie aber alle anders wissen wollen — wie aber, das war ihm entfallen — kurz, sie waren so unzufrieden mit ihm, wie Ihr mit Clemens. Schade, daß nicht der Großvater dieses Schiffers dabei war, der hätte den Schiffer geprügelt, weil er ihm die gute, alte Geschichte so verdrehe. Diese Debatte weitete sich bekanntlich zu einer grundsätzlichen Diskussion über Natur- und Kunstpoesie aus. In diesem Zusammenhang kam Arnim im Dezember 1812, noch bevor er sein Exemplar des ersten KHM-Bandes in Händen 29

Vgl. Rölleke 1985, S. 161 sowie ders. in EM 4, Sp. 1232 mit Anm. 1, Sp. 1237; Brentanos

Lob der Rungeschen Märchen als in ihrer Gattung vollkommen steht in einem Brief an Arnim vom Anfang des Jahres 1813.

664

Überblickskommentare und Quellentexte hatte, auch auf die PJ und seine gescheiterten Versuche zu sprechen, darin zweimal (...) das Fischermärchen (...) ganz wiederzuerzählen wie R u n g e (vgl. EZ 2). Eine Verwendung des Märchens in der PJ war nicht nur durch das gemeinsame Thema der (weiblichen) Hybris, sondern auch wegen der konkreteren Motivparallele >Frau als Papst< naheliegend (Rölleke 1985, S. 161, Anm. 3). In TF1, wo das Fischermärchen zuerst eingebracht wurde, führte Johannas Weg noch, wie der der Fischersfrau im Märchen, die man deshalb gar mit Goethes Faust verglichen hat (vgl. Rölleke in EM 4, Sp. 1237), in die sündhafte Selbstvergottung und sollte, der Schernbergschen Vorlage folgend, in einem entsprechend katastrophalen Sturz ins Elend enden. Die Erzählung des Märchens durch Sabina hat in dieser ersten Version die Konsequenz, daß Johanna ihre eigene Situation in der Geschichte wiedererkennt. Dies ist eine bei Arnim häufig zu findende Vorstellung vom Zweck der Kunst, wie nicht zuletzt das PJ-Spiel in der Dolores zeigt, das den kleinen Johannes zur Reue bringt; im Zusammenhang mit einem Märchen begegnet eine entsprechende Reaktion bei dem Helden des »AntonRomans«, nachdem der kleine Georg die Geschichte vom Wolf im Zuckerhäuschen vorgetragen hat (Werke 2, S. 477). Interessanterweise identifiziert sich Johanna jedoch nicht allein mit der maßlosen Fischersfrau, sondern zugleich mit deren geduldig-zufriedenem Mann; hier wird also ein Zwiespalt in der Päpstin deutlich, der bereits ihre (ja auch in TF1 schon geplante) reuige Umkehr vorbereitet. Von daher ist es wohl auch zu erklären, daß in dieser Fassung noch der Mann selbst den Aufstieg bis zum Papsttum vollzieht; wohlgemerkt auf Drängen seiner Frau, wobei freilich die Formulierung, daß er (also der Fischer) aber dann auch Gott werden möchte, uneindeutig ist: Sollte der Ehemann schließlich doch von der superbia seiner Partnerin angesteckt werden und selbst den Wunsch nach Gottgleichheit verspüren? Der im Volksmärchen angelegte Kontrast zwischen den Eheleuten wird dementsprechend in Arnims Version noch verstärkt, nicht zuletzt durch die Betonung des Altersunterschiedes zwischen beiden, den die Vorlage nicht kennt. Dieser Zug deutet bereits auf das in TF2 eingeführte Paar Alberich und Marozia voraus und verweist auf den in der PJ bedeutsamen erotischen Aspekt des Themas der Frauenherrschaft, der dann in Reineras Geheimlehre von der wahren Bedeutung des Minnedienstes in IV,4 im Mittelpunkt steht (vgl. 215,6ff. und Erl.). Entsprechend wird in l,5 in den Kommentaren Thalmanns und Hattos die Kritik am Frauendienst geradezu als Moral der Geschichte herausgestellt. Ein eigentümlicher Zug dieses ersten Versuchs Arnims, das Märchen in die PJ einzubringen, ist die Kontamination der Rungeschen Vorlage mit der röm. Sage vom Fisch Remora. Auch dies dient offenbar in erster Linie zur Parallelisierung

665

Kommentar des Stoffes mit Johannas eigener Geschichte, da der Fisch wortspielerisch mit der Fürstin Reinera und deren unheimlich im Verborgenen wirkender Macht gleichgesetzt wird (vgl. Erl. zu 209,29). Dementsprechend erhält die antike Sage einen christlich-moralisierenden Akzent, indem der Remora als verführerischer Teufelsfisch erscheint, der an die biblische Paradiesesschlange erinnert. Trotz dieser Kontamination sprechen bereits bei dieser ersten Wiedergabe des Märchens in der PJ zahlreiche wörtliche Anlehnungen für eine enge Orientierung an Runge (anders Ricklefs 1990b, S. 153, A n m . 384). Der Beginn von dessen Fassung folgt daher zum Vergleich in der Abschrift von der Hagens (nach Rölleke 1978, S. 20), in der Arnim den Text zum Zeitpunkt der Entstehung der PJ, wie o. dargestellt, vmtl. allein vorliegen hatte.

Dar war mal eens een Fischer un siene Fru, de wähnten tosamen in'n Pießpott, dicht an de See, un de Fischer ging alle Dage hen un angelt: so ging he hen lange Tied. Dar satt he eens an'n See bie der Angel und sach in dat blanke Water, und sach, un sach jümmer na de Angel; dar ging de Angel to Grunde deep ünner, un as he se heruttruck, so hahlt he eenen grooten Butt herut. Dar säd de Butt to em: »Ick bidd die, dat du mie leven letst, ick bin keenen rechten Butt, ick bin een verwünschten Prins; sett mie wedder in dat Water, un lat mie swemmen.« — »Nu«, säd de Mann, »du brukst nich so veele Wörde to maken; eenen Butt, de spreken kann, hädd ick doch woll swemmen laten.« Dar sett he em wedder in dat Water, un de Butt ging furt weg to Grunde, un leet eenen langen Striepen Bloot hinner sick. Deutliche Entsprechungen zu dieser Vorlage schon in TF1 sind etwa die Erwähnung der Angel, die Bitte des Fisches L a ß m i c h leben (vgl. auch Erl. zu 210,3)

sowie besonders der Satz Ey sagt der Fischer, einen Fisch der kann sprechen / Möcht ich nimmermehr zerschneiden und zerstechen; zur Ersetzung des berühmten P i e ß p o t t durch ein H ü t t c h e n vgl. Erl. zu 209,14. Nach Ausweis der Varianten war das Märchen im übrigen zunächst nicht am Flusse, sondern, wie bei Runge, am Meer angesiedelt; das gleiche gilt für die letztlich in der Rheinlandschaft der ersten beiden Perioden spielende Wiedergabe in l,5. A u f die Kenntnis noch anderer Redaktionen der Geschichte außer der Runges weist in TF1 nur ein einziges Detail hin: die Beschreibung des w u n derbaren Fisches als v o n Silber u n d Gold; denn ebenso ist das Tier in manchen Varianten des Volksmärchens ein »Goldfisch« (vgl. bei Rölleke 1978 S. 44, S. 60 und S. 82). Allerdings muß hier nicht unbedingt eine Quellenabhängigkeit vorliegen, da diese Beschreibung des Teufelsfisches in erster Linie auf die prächtige Kleidung Reineras verweist (vgl. 408,5 und Erl.).

666

Überblickskommentare und Quellentexte Der Ablehnung der Theorie einer »Urerfindung« poetischer Stoffe im allgemeinen und von Märchen im besonderen durch Arnim entspricht zweifellos besser als das ursprüngliche Konzept, Sabina zur Schöpferin des Fischermärchens zu machen, die spätere Lösung, die Geschichte bereits in der Pfalzepisode einzuführen, wo passenderweise ein Fischer, nämlich Thalmann, sie zum besten gibt. Auch Thalmann ist wohlgemerkt nicht der Erfinder des Fischermärchens; in einer ironischen Wendung lehnt er es ab, das märchenhafte Muster selbst nachzuvollziehen, weil er die Geschichte wohlgewust. Die folgende Erzählung des Märchens in Prosa setzt sich vom ersten Ansatz in TF1 vor allem dadurch ab, daß statt des Fisches ein Vogel, der Wasserstaar, erscheint (vgl. auch Erl. zu 40,1). Daß tatsächlich auch in manchen Varianten des Fischermärchens ein Vogel statt des Fisches agiert (vgl. bei Rölleke 1978 die elsässische Fassung von August Stöber aus dem Jahr 1842, S. 87; ein Verweis auf die Parallele zur PJ ebd. S. 93), ist auffällig, muß aber auch in diesem Fall nicht zwingend auf Arnims Kenntnis solcher Redaktionen hinweisen. Vielmehr scheint gerade hier seine Bemerkung gegenüber den Brüdern Grimm zuzutreffen, wonach er seine Runge-Adaptionen in der PJ in einzelnen Umständen geradezu unwillkührlich an den Kontext habe angleichen müssen (vgl. EZ 2), in diesem Fall also an das Erscheinen Luzifers als Vogel in der Pfalzepisode.30 Auch sonst ist dieser zweite Ansatz zur Verarbeitung des Stoffes deutlich weiter entfernt von Runge als TF1, so etwa in dem Zug, daß das Fischerpaar sich nicht einmal mehr eine Hütte leisten kann, sondern auf einem Kahne mitten auf dem Rheine lebt. Bemerkenswert ist weiterhin, daß sich das gesamte Geschehen als Traum enthüllt: Das entspricht der Traumstruktur auch bereits der Vorlage, auf die die moderne Märchenforschung hingewiesen hat (vgl. Rölleke 1978, S. 19 mit ausdrücklichem Verweis auf die PJ), und stellt wiederum eine Parallele zu Johannas eigener >Karriere< dar (vgl. den Schlußgesang der vier Elementargeister in V,8: du lebtest im Traume als ein Zeichen der Bösen, erwache vom Traume in der Liebe Erlösen). Im übrigen ist es hier Spie-

30

Ebensowenig muß der Satz Fischchen Fischch. komm doch her im Entwurf des Beschwörungsreims auf dem Skizzenblatt 49,1|6' (vgl. Entstehung 3.2.2.2) für Arnims Kenntnis anderer Fassungen sprechen (so Ricklefs 1990b, S. 153, Anm. 384 mit Verweis auf die in den Grimmschen Anmerkungen zu KHM 19 genannten Varianten bzw. den 1808 von Albert Ludwig Grimm veröffentlichten Hanns Dudeidee; vgl. Rölleke 1978, S. 30f. und S. 32-42). Die Formulierung kann vielmehr plausibel als hochdt. Pendant des zweiten Verses der Formel bei Runge Buttje, Buttje in de See angesehen werden. Der Anfang des Verses Mondschein, Mondschein, wie er auch noch in l,5 lautet, ist wohl durch das erste Wort des Rungeschen Mandje, mandje, timpe tee angeregt (Ricklefs 1990b, S. 153, Anm. 384; vgl. Erl. zu 41,34).

667

Kommentar gelglanz, der seinen maßlosen Ehrgeiz in dem Märchen gespiegelt sieht, was bei dem schrecklichen Philologen< freilich nicht zur reuigen Selbsterkenntnis, wie bei Johanna in TF1, sondern zur wütenden Ablehnung der Geschichte führt. Insgesamt ist zu konstatieren, daß Arnim letztlich die zunächst so naheliegende Integration des Fischermärchens in die PJ nicht völlig gelungen zu sein scheint; man vergleiche dagegen die beiden Fassungen des Demophonmärchens (vgl. 3.2) mit ihren zahlreichen thematischen Verbindungen zur Haupthandlung. In TF1 wird die Runge-Adaption nach der Exposition der Geschichte abgebrochen und der Rest nur noch gerafft berichtet; die Varianten bezeugen Ansätze zu einer Fortsetzung der Erzählung in Versen, die letztlich aufgegeben wurden. M a n mag das damit erklären, daß Arnim sich bereits entschlossen hatte, das Märchen in der Jugendgeschichte vollständig zu bieten; aber auch dort, also in 1,5, wird der größte Teil der Geschichte tatsächlich nur als knappes Regest gegeben. Arnim kommentiert dies bereits zu Anfang mittels einer jener halb ironischen, halb resignierten Formeln, die er sonst bei kürzenden Überarbeitungen einzelner Kapitel in F2 verwendet (Markebrunnenlegende,

Hahnenkampfszene

im Venusberg; vgl. Entstehung 3.2.3): Der Pfalzgraf fragte nach der Geschichte und der Fischer ließ sich nicht lange bitten, sondern erzählte den Kindern in aller der Umständlichkeit die Erwachsenen so unbequem ist, wir wollen seine Erzählung zusammenziehen. Lediglich ein Nebenmotiv des Fischermärchens erlangt, etwas überraschend, einige Bedeutung für die Haupthandlung: Arnims Fassung des Beschwörungsreims mit seiner romantischen Rhein- und Mondmagie. Schon in TF1 wird der s c h r e c k l i c h e R e i m hervorgehoben, obwohl er dort noch gar nicht formuliert war, und in 1,5 ist es die Faszination der Kinder durch den Vers M o n d s c h e i n , M o n d s c h e i n ü b e r m R h e i n , die zum Ende der Pfalzidylle führt. Dies entspricht

der

Bemerkung

in

der

Theorie

in

Fragmenten

(Taschenbuch

FDH Β 44), daß Kinder und Erwachsene gleich viel und jeder doch etwas g a n z V e r s c h i e d e n e s s i c h aus Märchen entnehmen (in etwas anderer Formulierung in einem Schreiben an Wilhelm Grimm vom 10. Februar 1815). Zu der Situation in 1,5, w o Spiegelglanz über Johannas und Ludwigs ständiges Rezitieren der Beschwörungsformel in Wut gerät, ist speziell Arnims Beobachtung zu

vergleichen, daß in Runges Vorlage der eine Ausdruck Pißpott (...) ein paar Knaben eines meiner hiesigen (d.h. Berliner) Bekannten so festgeblieben ist, daß er es ihnen nicht vertreiben kann, den ganzen Tag vom Pißpott z u s c h w a t z e n (...) (Brieffragment an Jacob Grimm vom Februar 1813). Da das Fischermärchen in der PJ nur eine vergleichsweise periphere Rolle spielt, ist, ähnlich wie bei der Antichristsage (vgl. 6.3), auch hier letztlich nicht zu entscheiden, inwiefern die potentiellen Bezüge des Stoffes zur Zeitgeschichte

668

Überblickskommentare und Quellentexte für Arnims Adaption von Bedeutung sind. Bereits der Verleger Georg Andreas Reimer, dem Zimmer eine Abschrift der Rungeschen Märchen zugänglich gemacht hatte, kommentierte 1808: Das erste und bei weitem vortrefflichere der beiden Märchen dürfte eine güldene Anwendung finden auf die Ereignisse der Zeit, und denen eine tüchtige Beruhigung gewähren, die nicht Muth und Kraft genug haben, es sich zu gestehen, dass alle menschlichen Bemühungen, in wiefern nicht ihr letztes Ziel in Gott gesteckt ist, nichtig sind und in um so tiefere Abgründe des Verderbens führen, um so herrlicher sie zuerst in irdischem Glänze strahlen (Steig 1903, S. 8). Später wurde die Geschichte unverhohlen auf Napoleons Karriere bezogen; Savigny schrieb am 29. April 1814 an Wilhelm Grimm aus Berlin: Hier hat jemand den Fischer und sine Fru aus Ihrem Buch besonders drucken lassen (unter dem Titel Eine moralische Erzählung; vgl. Rölleke 1978, S. 18), was als Biographie Bonapartes stark gekauft und gelesen wird (Steig 1903, S. 9). Die Aufnahme des Märchens in die PJ könnte somit im Kontext anderer chiffrierter Anspielungen auf die Auseinandersetzung mit Bonaparte gesehen werden (vgl. Erl. zu 173,36). - Auch nach Arnim blieben bedeutende literarische Adaptionen des Märchens, mit Ausnahme von Günter Grass' Roman »Der Butt« (1977), spärlich (zu weiteren poetischen Verarbeitungen vgl. Rölleke in EM 4, Sp. 1239, Anm. 41).

6.2. Christophorus Die Legende vom Hl. Christophorus gehörte neben der Antichristsage (vgl. 6.3) zu den ersten Stoffen, die Arnim in seine Päpstindichtung einbezog; sie findet sich bereits in der Teufelsszene in der Gräfin Dolores sowie in deren Vorfassungen (vgl. Entstehung 2). Hier ist die für den Teufel demütigende Begegnung mit dem zunächst heidnischen Riesen Oferus noch eine bloße Episode, die dem Satan den entscheidenden Anstoß gibt, seinen Plan gegen das Christentum zu realisieren, und soll ansonsten wohl keine weitere Rolle mehr in der Handlung spielen. In der ausgeführten Dichtung wird Oferus/Christophorus dann jedoch zu einer zentralen Gestalt, die den Lebensweg der Päpstin begleitet und, in Abänderung einer früheren Textstufe, in der der Zwergenfürst Alberich Johannas Erzeuger sein sollte (vgl. 8,5-6 und Erl.), gar als ihr Vater erscheint. In den ersten Skizzen zur Romhandlung bringt Oferus noch den neuen Papst in die Stadt, womit offenbar Leo VIII., der hist. Nachfolger Johannes' XII., gemeint ist (vgl. 2); in der ausgeführten Dichtung ist Oferus dann selbst mit diesem identifiziert. Dies folgt selbstverständlich nicht mehr der Legende, in der Christophorus nach seiner Taufe vielmehr den Märtyrertod erleidet, ist aber vielleicht

669

Kommentar durch den hist. Papst Christopherus angeregt, von dem Löscher, eine von Arnims geschichtlichen Quellen, berichtet (Löscher 1705, S. 35); dessen Pontifikat war in Wahrheit allerdings kurz (Oktober 903 bis Januar 904) und wenig rühmlich. Bedeutsam ist in jedem Fall, daß Arnim den Heiligen, der in der Legenda aurea ein Kanaanäer (>c(h)ananeus< ist ursprünglich wohl Mißverständnis für >canineus< = hundsköpfig, wie der Riese in der frühesten Fassung der Legende geschildert ist), sonst auch gelegentlich ein Araber oder Perser ist, zu einem Deutschen macht. Dies korrespondiert dem Leitthema der Erneuerung des Papsttums und der Kirche durch diese Nation, das bereits im Islandmythos zu Beginn der Dichtung angedeutet ist und vor allem deren letzte Periode bestimmt. Eine hist. Existenz des Hl. Christophorus erscheint nach heutigen Erkenntnissen äußerst zweifelhaft, weshalb die römisch-kath. Kirche ihn in den sechziger Jahren des 20. Jh. aus dem Heiligenkalender strich. »Christophoros« (Christusträger) war ursprünglich ein Ehrentitel aller Christen und erscheint dann als Eigenname eines Heiligen, dessen Verehrung erstmals 452, in Deutschland seit dem 8. Jh. nachweisbar ist. Dieser Christophoros wurde offenbar mit dem bekehrten Menschenfresser Christianus identifiziert, der in der Legende des Hl. Bartholomäus vorkam. Der wörtlich genommene metaphorische Name motivierte dann die Erweiterung der ursprünglich auf das Martyrium beschränkten Legende um die Episode, in der der Riese das Christuskind über einen Fluß trägt. Dies wurde vmtl. zunächst im 12. Jh. bildlich dargestellt und ging dann in die Legenda aurea des Jacobus de Voragine ein (ca. 1270). Christophorus wurde populär als einer der vierzehn Nothelfer (gegen die »mala mors«, den unvorbereiteten Tod ohne Sterbesakramente) und besonders als Schutzpatron der Reisenden und Seeleute, seit 1909 auch der Flieger und Autofahrer (vgl. insgesamt Rosenfeld 1937). Die wesentlichen Züge der Legende, wie Arnim sie in der PJ adaptiert (vgl. besonders l,2, l,4 und V,2), folgen offenbar der bekanntesten Darstellung in der Legenda aurea; ein früher Druck dieses Werkes (Hagenau 1510) befindet sich in Arnims Bibliothek (Sign. Β 2042). Auf seine Behandlung des Stoffes hat darüber hinaus die Ikonographie der Gestalt gewirkt, die zu den am häufigsten abgebildeten Heiligen zählt (LCI 5, Sp. 496-508); hier ist vor allem das Motiv des Einsiedlers mit der Laterne zu nennen, das etwa aus dem Stich Albrecht Dürers von 1521 bekannt ist (vgl. 176,24 und Erl.). Arnim muß jedoch neben der Legenda aurea auch weitere Redaktionen der Legende gekannt haben, wie der Umstand erweist, daß er den Heiligen vor seiner Bekehrung Oferus nennt (der spätere Name Christopherus fällt in F1 nur ein einziges Mal [361,30] und begegnet in F2 gar nicht mehr). Diese Namensform findet sich nicht in der

670

Überblickskommentare und Quellentexte in der

Legenda aurea

dokumentierten Version der Legende, w o der Riese

vielmehr den Namen Reprobus trägt, sondern in anderen Fassungen, die die lat. Namensform >Christo(f)ferus< volksetymologisch als >der, der sich Christus anbietet« deuten und dem Heiligen vor seiner Taufe entsprechend den Namen >Offerus< (der Anbieter) geben. Dies paßt zu der Episode, in der der Heide Diener des mächtigsten Herrn werden will, ja hat diese vielleicht erst angeregt. (Arnim erfindet eine eigene wortspielerische Etymologie, die den Namen vom

Ofenrus

ableitet; vgl. 35,5 und Erl.) Diese Form der Legende bieten drei mhd. Gedichte, deren ältestes vmtl. im 13. Jh. entstanden ist (vgl. Rosenfeld 1937, S. 473-498). Zwei weitere in Arnims Bibliothek vorhandene Legendensammlungen, Dionys von Lützenburgs

Verbesserte Legend der Heiligen

(München-Mündelheim

1755; Arnim-Bibl. Sign. Β 2041) sowie Ludwig Theobul Kosegartens

Legenden

(2 Bde., Berlin 1804; Sign. Β 1273), kommen als zusätzliche Quellen nicht in Betracht, da bei Lützenburg die Christophoruslegende auf S. 6 9 0 - 6 9 2 nur sehr verkürzt erscheint (der Heilige soll nach dieser Mitteilung vor der Taufe A d o -

cimus, daß ist, Gottloß

geheißen

3. Buch, S. 133-145) gänzlich der

haben), während

Legenda aurea

Kosegarten

(2. Bd.,

folgt. Der Stoff erfreute sich

jedoch zu Arnims Zeit als Vorlage für dichterische Adaptionen, wie bereits Merker 1933, S. 310 feststellt, »einer besonderen Beliebtheit«. Görres erwähnt 1807

in den Teutschen Volksbüchern (vgl. Görres 1925, S. 243) eine Lebensbe-

schreibung des Heiligen Cristophori. Cöln am Rheine,

beschränkt sich

statt einer ausführlicheren Inhaltsangabe aber auf den kurzen Hinweis: D i e

bekannte Legende des großen Christophs, wie er ausgieng um dem Stärksten und Mächtigsten zu dienen, glaubt also die Kenntnis der Details bei seinen Lesern voraussetzen zu können. Mit Sicherheit bekannt war Arnim eine Gedichtfassung durch Friedrich Gottlob Wetzel unter dem Titel

sen Christoph,

Vom grosPhöbus

die Mitte November 1808 im 6. Stück von Kleists

(S. 17-20) erschien; unmittelbar darauf folgt nämlich das Fragment von M i -

chael Kohlhaas,

das Arnim im Februar 1810 in einem Brief an Wilhelm Grimm

lobte. In dieser stark gerafften Version der Legende wird allerdings »Christophs« Name vor der Bekehrung gar nicht erwähnt. Interessant im Hinblick auf Arnims Behandlung des Stoffes ist jedoch, daß Christoph bei Wetzel konkret Pilger über den Fluß trägt, so wie Oferus in der PJ, w o dieser Teil der Legende an den Rhein verlegt ist, Gläubige zur Jungfrau nach Bornhofen bringt. Dieser Zug begegnet allerdings ebenso in einer anderen Fassung der Legende, die mehr Parallelen zu Arnims Behandlung in der PJ aufweist als Wetzeis

Der große Christoph. Dieses Gedicht erschien ebenTulpen, der in Leipzig verlegt wurNr. 2 2 5 des Freimüthigen vom 10. November desselben

Version: Friedrich Kinds

falls 1808, im 4. Bd. von Kinds Sammlung de, und wurde in

671

Kommentar Jahres (S. 898f.) als Ergänzung einer lobenden Rezension des Buches durch Karl

(»Der große Christoph«, eine Romanze, ist vortreflich, und gehört zu den interessantesten Dichtungen, d i e wir von diesem Verfasser kennen). In einer späteren Nummer des Freimüthigen im Dezember 1808 spielte Böttiger Kinds Version gegen diejenige Wetzeis aus, deren Härte und Trockenheit er tadelte. (Vgl. Helmut Sembdners A n h a n g zu dem von ihm herausgegebenen Nachdruck des Phöbus, August Böttiger vollständig abgedruckt

Hildesheim-Zürich-New York 1987, S. 636; zur Beliebtheit von Legendendichtungen im Umkreis der »Dresdener Romantik« vgl. auch Hellmut Rosenfeld, Legende. Stuttgart 4 1 9 8 2 [Sammlung Metzler Μ 9], S. 85f.) Bei Kind erscheinen der Name Offerus, die Pilger, hier Romwallfahrer, die der Riese über den Fluß bringt (wie bei Arnim lehnt er auch bei Kind ausdrücklich ein Fährgeld ab), sowie das Motiv der Weltkugel in der Hand des Christuskindes, was Arnim allerdings sicherlich bereits aus der Ikonographie bekannt war (die hier wohl auch Kinds Quelle ist); in der PJ wird dieses Symbol auf das spätere Papsttum des Christusträgers umgedeutet. A u c h die von Kind verwendete Form des Knittelverses sowie der Umstand, daß das Martyrium des Heiden (wie auch bei Wetzel) ausgespart ist bzw. nur in einer Fußnote erwähnt wird, zeigen Berührungspunkte mit Arnims Adaption in der PJ. Solange freilich kein konkreter Beleg für eine Rezeption der Kindschen Romanze durch Arnim vorliegt, kann nicht mit letzter Sicherheit bestimmt werden, ob tatsächlich diese Fassung oder aber eine andere zeitgenössische dichterische Bearbeitung der Legende die Quelle für jene Züge in Arnims Fassung des Stoffes sind, die er nicht der

Legenda aurea

entnehmen

konnte. Der Quellenabdruck beschränkt sich daher auf letztere als die Hauptvorlage für diesen Handlungsstrang der PJ. (Eine dt. Übersetzung des hier nach der in Arnims Bibliothek befindlichen Ausgabe gebotenen lat. Originals ist bei Benz 1984, S. 4 9 8 - 5 0 0 leicht zugänglich.)

Quellentext zu Komm. 6.2: Longobardica historia, que a plerisque Aurea legenda sanctorum appellatur, siue Passionale sanctorum. (Hagenau) 1510, p. 4f.

Jacobus Januensis,

XCV De sancto Christophoro Α Christopherus ante baptismum dicebatur reprobus. sed postmodum christophorus dictus est quasi christum ferens. ex eo. s(cilicet) quod christum quattuor modis portauit. s(cilicet) in humeris per traduetionem. in corpore per macerationem. in mente per deuotionem. in ore per confessionem siue praedicationem(.) 672

Überblickskommentare und Quellentexte

Β Christopherus gente chananeus procerissime stature, vultuque terribili erat, et xij. eubitos in longitudine possidebat(.) Qui vt in quibusdam gestis suis legitur cum staret cum quodam rege chananaeorum: venit sibi in mentem vt maiorem prineipem qui in mundo esset quaereret. et ad eundem secum moraturus accederet. Venit igitur ad quendam maximum regem, de quo generalis fama habebatur quod majorem mundus prineipem non haberet(.) Quem rex videns libenter recepit et in sua curia manere fecit. Quadam autem vice ioculator quidam cantionem coram rege cantabat in qua frequenter diabolum nominabat. Rex autem cum fidem christi haberet quemeumque diabolum nominari audiebat protinus in faciem suam crucis signaculum imprimebat. Quod videns christophorus plurimum admirabatur cur hoc | rex 5 ageret. et quidnam hujusmodi signum sibi vellet. Cum autem de hac re regem interrogaret. et ille hoc sibi manifestare nollet. respondit christophorus. Nisi hoc mihi dixeris tecum vlterius non manebo. Quapropter coactus rex dixit ei. Quencunque diabolum nominari audio: hoc signo me munio. timens ne in me potestatem aeeipiat mihique noceat. Cui christophorus. Si diabolum ne tibi noceat metuis: ergo ille maior et potentior te esse conuincitur: quem tu intantum formidare probaris. Frustratus igitur sum spe mea. putans quod maiorem et potentiorem mundi dominum inuenissem. Sed iam nuncvaleas: quia ipsum diabolum quaerere volo vt ipsum mihi in dominum assumam et eius seruus efficiar. Discessit igitur ab illo rege et diabolum quaerere properabat. Cum autem per quandam solitudinem pergeret. vidit magnam multitudinem militum. quorum quidam miles ferus et terribilis veniebat ad eum et quonam pergeret requisiuit. Cui christophorus respondit. Vado quaerere dominum diabolum vt ipsum in dominum mihi assumam. Cui ille. Ego sum ille quem quaeris. Gauisus christophorus se sibi in seruum perpetuum obligauit: et ipsum pro domino suo aeeepit. Cum ergo ambo pergerent et in quadam via communi quondam crucem erectam inuenissent: mox vt diabolus illam crucem vidit territus fugit. et viam deserens per asperam solitudinem christophorum duxit. et postmodum ipsum ad viam reduxit. Quod videns christophorus et admirans interrogauit illum cur intantum timens viam planam reliquerit. et tantum deuians per tarn asperam solitudinem ierit. Quod cum ille nullatenus sibi indicare vellet: dixit christophorus. Nisi mihi hoc indicaueris statim a te discedam. Quapropter compulsus diabolus dixit ei(.) Quidam homo qui dicitur christus in cruce affixus fuit. cuius crucis signum cum video plurimum pertimesco et territus fugio. Cui chri673

Kommentar

stophorus. Ergo ille Christus maior et potentior te est: cuius signum intantum formidas. Invacuum igitur laboraui. nec adhuc maiorem principem mundi inueni. Iam nunc valeas quia te volo deserere et ipsum christum inquirere. C Cum igitur diu quaesivisset quisnam sibi christi noticiam indicaret tandem ad quendam eremitam deuenit qui sibi christum praedicauit. et in eius fide ipsum diligenter instruxit. Dixitque eremita Christophoro(.) Rex iste cui seruire desideras istud requirit obsequium. quia te frequenter ieiunareoportebit. Cui christophorus. Aliud a me requirat obsequium: quia istam rem nequaquam agere valeo. Rursus eremita(.) Multas quoque orationes te sibi facere oportebit. Cui christophorus. Nescio quid sit hoc: nec hujusmodi obsequium perficere possum. Cui eremita. Nosti talem fluuium in quo multi transeuntes periclitantur et pereunt. Cui christophorus. Noui. Et ille. Cum procere stature sis et fortis viribus, si iuxta fluuium illum resideres et cunctos traduceres regi christo cui seruire desideras plurimum gratum esset, et spero quod ibidem se tibi manifestaret. Cui christophorus. Vtique istud obsequium agere valeo. et me sibi in hoc seruiturum promitto. Ad praedictum igitur fluuium accessit: et ibidem sibi habitaculum fabricauit. portansque loco baculi quandam perticam in manibus qua se in aqua sustentabat. et omnes sine cessatione transferebat. Euolutis multis diebus cum in domuncula sua quiesceret. audiuit vocem cuiusdam pueri se vocantis et dicentis. Christophore veni foras et meipsum traducas. Concitus christophorus exsilijt sed neminem repperit. Rediensque in domunculam suam praedictam iterum vocem se acclamantis audiuit(.) Qui rursus foras cucurrit: sed neminem inuenit. Tertia vice ab eodem vt prius vocatus exijt. et puerum quendam iuxta ripam fluminis inuenit. Qui christophorum vt se traduceret obnixe rogauit. Christophorus igitur puerum sibi in humeris eleuans et baculum suum accipiens: flumen transiturus intrauit(.) Et ecce aqua fluminis paulatim intumescebat et puer instar plumbi grauissime ponderabat. Quantoque magis procedebat tanto amplius vnda crescebat: et puer magis ac magis christophori humeros pondere intolerabili deprimebat: adeo vt christophorus in angustia multa positus esset: et se periclitari plurimum formidaret. Sed cum vixi euasisset et fluuium transfretasset. puerum in ripa deposuit. eique dixit. In magno periculo puer me posuisti. et adeo ponderasti quod si totum mundum super me habuissem vix maiora pondera praesensissem. Ad quem puer respondit. Ne mireris christophore. quia non solum super te totum mundum habuisti: sed etiam 674

Überblickskommentare und Quellentexte ilium qui creauit mundum tuis humeris baiulasti. Ego enim sum Christus rex tuus cui in hoc opere ipse deseruis. Et vt verum m e dicere comprobes: cum pertransieris baculum tuum iuxta domunculam tuam in terra fige et mane ipsum floruisse et fructificasse videbis. Statimque ab oculis eius euanuit. Veniens igitur christophorus cum baculum suum in terram fixisset mane surgens inuenit ipsum ad modum palme frondes et dactylos pertulisse. (Der noch folgende Schluß der Legende über das Martyrium des Christophorus wurde von Arnim nicht adaptiert.)

6.3. Antichrist- und Merlinsage Die Vorstellung vom Antichrist, der die Welt kurz vor deren Ende in die tiefste Verderbnis führen wird, entstammt ursprünglich Passagen der Johannesapokalypse (Off 13-19) sowie des zweiten Thessalonicherbriefs (2Th2), die auf die Warnungen der Johannesbriefe vor dem »Widerchrist« bezogen wurden (1 Jh 2,18 und 4,13; 2 Jh 7). Der Antichrist war »die Hauptgestalt der mittelalterlichen Eschatologie« (HdA1, Sp. 482), wie etwa die spätmittelalterlichen Antichristspiele bezeugen, in denen die Gestalt Werkzeug und häufig Sohn des Teufels ist (vgl. insgesamt Frenzel1983, S. 47-49; HdA 1, Sp. 479-502). Neben der Christophoruslegende (vgl. 6.2) gehörte diese >Antilegende< zu den frühesten Stoffen, die Arnim in seine PJ-Dichtung einbrachte: Schon in der Prosaversion des Teufelsvorspiels (vgl. Paralipomena 2.2.2) wie auch in der Dolores-Fassung spricht der Satan explizit vom Antichrist, mittels dessen er die Herrschaft des Christentums beenden will. Tatsächlich erscheint die Kontamination von Päpstin- und Antichriststoff naheliegend. Es ist eigentlich verblüffend, daß eine solche Verbindung in der reichen Tradition der Päpstinsage bis dahin kaum vorgenommen worden war; sie ist erst in Sabine Baring-Goulds Aufsatz »Antichrist and Pope Joan« von 1881 (in »Curious Myths of the Middle Ages«) thematisiert (vgl. Gössmann 1994, S. 318). Die Päpstin wurde zwar mehrfach mit der gleichfalls der Johannesapokalypse (Off 17f.) entstammenden Vorstellung von der »Hure Babylon«,31 selten jedoch mit der vom Antichrist verknüpft. Hier mag eine Rolle spielen, daß in der protestantischen Polemik, die vor allem die Debatte um die Gestalt der Päpstin lebendig erhielt (vgl. 3.1), ohnehin meist das gesamte Papsttum, also jeder, auch männliche, Pontifex, mit dem (nun allegorisch verstandenen) Antichrist 31

Vgl. Gössmann 1994, S. 176. In der PJ auf Marozia und Reinera bezogen; vgl. 414,25-26

und Erl.

675

Kommentar identifiziert wurde; der Skandal der weiblichen Päpstin diente lediglich als besonders krasses Exempel der Verderbnis des Amtes selbst. Auffällig ist dennoch, daß selbst in solchen Fassungen des Stoffes wo, wie im Juttenspiel, der Satan seine Hand im Spiel hat, es diesem stets nur um die Seele der Päpstin selbst zu tun ist, nicht hingegen um den Schaden, den sie als Kirchenoberhaupt der gesamten Christenheit zufügen kann. Zu berücksichtigen ist allerdings, daß der Antichrist als Mann vorgestellt wurde, da er auch im Geschlecht seinem Pendant Jesus Christus entsprechen sollte. Auch Arnim machte dies zunächst Schwierigkeiten, wie der Vergleich der ersten Fassungen des Teufelsvorspiels mit deren Verarbeitung in der Dolores zeigt: Im Prosaentwurf soll noch nicht Johanna selbst, sondern das Kind, das sie auf dem Papstthron gebären wird, der Antichrist sein (mit der Mutter des Antichrist wurde die Päpstin übrigens auch vor Arnim gelegentlich identifiziert; vgl. Gössmann 1994, S. 134). Erst in der Dolores ist Johanna dann mit dem Antichrist gleichgesetzt, und die Geburt des Kindes ist im Plan des Teufels gar nicht vorgesehen, sondern bringt diesen vielmehr zum Scheitern. Eine überzeugende Begründung findet das Konzept eines weiblichen Antichrist später in l,2 dadurch, daß es laut Luzifer für einen Widersacher Christi angemessen ist, auch bezüglich des Geschlechts dessen Gegensatz zu sein; gleichzeitig wird damit das im weiteren Verlauf der PJ bedeutsame Motiv des Geschlechterkampfes eingeführt. In der ausgeführten PJ ist es Spiegelglanz, der Johanna, vor dem Gelehrtengastmahl, ausdrücklich als Antichrist bezeichnet und sie so in ihrem Göttlichkeitswahn bestärkt (168,16). Er bezieht sich damit auf die Verkündigungsszene in l,2 zurück, wo Luzifer als Gabriel eine dualistische Pseudotheologie von einem falschen Gott der Höhen vorgetragen hatte, dessen Reich Johanna zerstören solle (vgl. 20,3-5 und Erl.). Während dieses Konzept jedoch im weiteren Verlauf der Dichtung nur eine periphere Rolle spielt, sollte hingegen die Position Johannas als Antichrist offenbar konkretisiert werden, indem die Päpstin Züge des hist. Julianus Apostata erhielt; auch Spiegelglanz' parodistischer Bezug auf Mohammed ist in diesem Kontext zu sehen (vgl. 6.4 und 6.5). Da Johannas Selbstvergottung jedoch in den späteren Fassungen der Romhandlung zunehmend in den Hintergrund trat und die Päpstin fast gänzlich zum passiven Werkzeug der Fürstin Reinera wurde (vgl. Entstehung 3.2.1), verlor auch die Folie der Antichristtradition an Bedeutung für die Dichtung. Allerdings sind in den letzten Fassungen F1 und F2 noch zahlreiche, z.T. parodistische, teilweise aber auch durchaus ernsthafte, da auf ihre seelische Wiedergeburt (vgl. IV,6) zielende Bezüge von Johannas Lebensweg auf den Werdegang Christi zu beobachten, wie sie seit Adso von Toul (Mitte 10. Jh.) auch zur Antichristtradition gehörten; diese sind in den Einzelerläuterungen nachgewiesen.

676

Überblickskommentare und Quellentexte Da die Gleichsetzung Johannas mit dem Antichrist in den letzten Fassungen ein Nebenmotiv bleibt, ist auch nicht eindeutig zu entscheiden, inwiefern zeitgeschichtliche Bezüge der Antichristgestalt, die in antinapoleonischer Polemik oft mit Bonaparte gleichgesetzt wurde, in der PJ eine Rolle spielten sollten (vgl. auch Erl. zu 173,36 sowie 6.1 zum Fischermärchen). Arnim spricht vom Antichrist in dieser Bedeutung im Brief an Brentano vom 16. August 1806 und im Gedicht Der Stralauer Fischzug (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 771; Werke 5, S. 691, v. 115-120). Auffälligerweise wird an beiden genannten Stellen das Bild verwendet, daß der Antichrist in einer Art Totentanz nach seiner Pfeif die Welt regiert, das auch in der Prosafassung des Teufelsvorspiels sowie in der Dolores erscheint (Werke 1, S. 492). Bereits Max Koch in seiner Einleitung zu DNL 146 (S. Cl) sowie Merker 1933, S. 302f. haben darauf hingewiesen, daß Arnims Vorlage für die Rede Luzifers in l,2 offenbar Dorothea Schlegels Übersetzung der Geschichte des Zauberers Merlin nach Robert de Boron (Anfang 13. Jh.) und anderen frz. Quellen im 1. Bd. der von Friedrich Schlegel herausgegebenen Sammlung romantischer Dichtungen des Mittelalters (Leipzig 1804) darstellt; ein Exemplar dieses Werkes befindet sich in Arnims Bibliothek (Sign. Β 1327). Im Hinblick auf die von Koch und Merker nicht berücksichtigte Dolores-Version des Teufelsvorspiels bzw. deren Prosavorstufe läßt sich diese These noch erhärten. Der geheimnisvolle Zauberer aus dem Sagenkreis um König Artus, den erstmals Geoffrey of Monmouth in seiner Historia regum Britanniae erwähnt (1132/35), wurde seit Robert de Boron mit der Antichristsage in Verbindung gebracht: Der Teufel soll ihn gezeugt und zum Widersacher Christi bestimmt haben; Merlin aber entschied sich stattdessen, dem christlichen Herrscher Artus zu dienen (vgl. zur Merlinsage Frenzel1983, S. 491-495). Der u. im Quellenabdruck wiedergegebene Beginn der Schlegelschen Übertragung knüpft an die Tradition der »Höllenkonzile« an, wie sie auch in Osterspielen und anderen mittelalterlichen Dramen begegnen - so etwa in Schernbergs Juttenspiel (vgl. 1.2), womit sich schon von hier aus eine erste Berührung ergab. Topisch ist dabei etwa die Klage der Teufel über Christi Ansturm auf die »Pforten der Hölle«, die auch Arnims Luzifer erhebt. Bedeutsamer für Arnims Entschluß, diesen Stoff in die PJ einzuführen, als die genannte Motivparallele zum Juttenspiel war aber wohl der Umstand, daß die Merlinsage von einem durch das Christentum geretteten Antichristen berichtet (später das Thema von Immermanns Merlindichtung von 1832), wie ja auch bei Schernberg die Erlösung der Seele der Päpstin zentral ist. Im übrigen weicht Arnim in einem wichtigen Punkt von der Merlinsage ab: Schon in den Entwürfen des Teufelsvorspiels und in der Dolores will der Böse nicht etwa, wie bei

677

Kommentar Schlegel, selbst das Jungfrauenkind zeugen;32 vielmehr ist Johanna das Kind eines Mönchs und einer Nonne. Dies mag durch Varianten der Päpstinsage angeregt sein, in denen ein englischer Mönch Johannas Vater ist (vgl. 1.3), entspricht aber auch der mittelalterlichen Vorstellung, daß der Antichrist von Mönch und Nonne gezeugt werden soll (HdA 1, Sp. 497; vgl. auch die sündigen Nonnen in der mit apokalyptischen Zügen ausgestatteten Pfalzballade). Auch von daher war es naheliegend, daß Johanna ab der Dolores-Fassung nicht mehr als die Mutter des Antichrist, sondern als dieser selbst aufgefaßt wurde.

Quellentext zu Komm. 6.3: Geschichte des Zauberers Merlin. (Übersetzt von Dorothea Schlegel.) Hg. von Friedrich Schlegel. Leipzig 1804 (Sammlung romantischer Dichtungen des Mittelalters. Aus gedruckten und handschriftlichen Quellen. Hg. von Friedrich Schlegel. 1. Theil), S. 3-5. Erstes Kapitel Der böse Feind war sehr ergrimmt und voller Zorn, als unser Heiland Jesus Christus zur Hölle hinabgestiegen war, und daraus Adam und Eva erlöste sammt allen, die mit ihnen in der Hölle waren. Wer ist dieser Mensch, sagten die Teufel voller Furcht und Schrecken, der die Pforten der Hölle zerbricht, und dessen Macht wir nicht widerstehen können? Hätten wir doch niemals geglaubt, daß ein Mensch vom Weibe geboren nicht uns angehören sollte, und dieser da zerstört unser Reich. Ey wie kommt es wohl, daß er geboren werden können, ohne daß wir ihn versündigten, so wie es den andern Menschen geschieht? 4 Da antwortete ein andrer und sprach: er ist ohne Fehl, ohne Verderb|niß und ohne Gebrechen geboren, und nicht aus des Mannes Seimen, sondern nach dem Willen Gottes durch seinen heiligen Geist in Jungfrauen Leibe. Darum wäre es wohl gut, wenn wir Mittel finden möchten, gleichfalls einen Leib in einem Weibe zu bilden, der nach unserm Ebenbilde geformt sey, der nach unserm Willen thäte, und alle geschehene Dinge, und alles WEIS geschieht und gesprochen wird, wüßte 32

In der ausgeführten Dichtung war allerdings zunächst der k l u g e T e u f e l Alberich als

Johannas Vater vorgesehen; vgl. Erl. zu 8,5-6. Johanna hält sich tatsächlich vorübergehend für das Kind des Satans (vgl. 125,32), worin man noch einen Nachklang der Merlinsage finden mag. Auch Luzifer glaubt ja, Johanna sei sein Geschöpf, das er aber nicht per Jungfrauengeburt, sondern durch Alchemie erschaffen habe.

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Überblickskommentare und Quellentexte so wie wir; ein solcher könnte uns von großem Nutzen und von großer Hülfe in unsern Thaten seyn. Denn wir müssen darauf denken, wie wir wieder gewinnen mögen, was der Welterlöser uns raubte. Da waren alle Teufel einstimmig und riefen: Ja laßt uns Mittel finden, wie einer von uns einen solchen Menschen durch das Weib erzeugen möge. Da rief einer von ihnen: Ich habe Gewalt über ein Weib, so daß sie mir gehorcht, und vieles thut was ich will; auch habe ich die Macht, die Gestalt des Menschen anzunehmen; dieß Weib nun, über welche ich Gewalt habe, soll mir sicheijlich Mittel verschaffen, einen Menschen 5 mit einer Jungfrau zu erzeugen. Es ward also unter ihnen beschlossen, daß dieser gehen sollte das Werk auszuführen; aber sie trugen ihm vorher noch auf, daß er ja sorgen solle, daß der Mensch, den er erzeuge, ihnen ähnlich werde und nach ihrem Willen handle.

6.4. Julianus Apostata Bereits Ricklefs (1990b, S. 135-139) stellte fest, daß Johanna in TF1, wo die Päpstin noch, im Unterschied zu späteren Fassungen (vgl. Entstehung 3.2.1.2), einen aktiven Kampf gegen das Christentum betreiben sollte, Züge des hist. Kaisers Julianus erhält, der bei den Kirchenhistorikern seit Gregor von Nazianz, übrigens einem ehemaligen Studiengenossen Julians, den Beinamen »Apostata« (der Abtrünnige) trägt. Der deutlichste Hinweis auf diesen Zusammenhang ist die Notiz in den Skizzen zur Romhandlung (vgl. Paralipomena 1.3) Julianus Apo muß in den Originalquellen nachgesehen werden. Ricklefs ermittelte auch August Neanders Buch Ueber den Kayser Julianus und sein Zeitalter. Ein historisches Gemälde, das im Entstehungsjahr der PJ 1812 in Leipzig erschien, als wichtigste Quelle Arnims für die Gestalt des Apostaten. Einige Stellen aus diesem Werk sind in der Theorie in Fragmenten im Taschenbuch FDH Β 44 exzerpiert, wobei bemerkenswert ist, daß Neanders religionsphilosophische Erwägungen von Arnim zum Teil poetologisch umgedeutet werden. Die diese Notizen umgebenden Briefexzerpte ermöglichen eine Datierung der Beschäftigung mit Neanders Buch auf die letzte Oktoberwoche 1812. Unbekannt war Ricklefs noch das erst später im GSA gefundene Bl. 49,5|11, beidseitig eng beschrieben mit weiteren Exzerpten aus Neander, die bereits auf den Kontext der PJ bezogen sind; das Blatt ist u., gemeinsam mit den jeweiligen Bezugsstellen bei Neander, wiedergegeben. Flavius Claudius Julianus (332-363), der Neffe Konstantins des Großen, wurde christlich erzogen, wandte sich jedoch in intensiven philosophischen Studien, u.a. in Athen, dem Neuplatonismus zu. Sein Vetter Constantius II., Konstantins

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Kommentar Sohn und Nachfolger, ernannte ihn 355 zum Caesar; nach dem Tod des Constantius, mit dem er mittlerweile in Konflikt geraten war, am 3. November 361 wurde Julian Kaiser. In diesem Amt bekannte er sich offen zum vorchristlichen Glauben, ließ die Tempel wieder öffnen und den Göttern opfern. Er starb auf einem Feldzug gegen die Perser an einer Verwundung, die er in einer Schlacht bei Maranga erhalten hatte. Die Kirchenhistoriker stellten Julian als grausamen Christenverfolger dar; in dieser Rolle erscheint er etwa auch in der Legende über das Leben seines Zeitgenossen, des Kirchenvaters Basilius, der wie Gregor von Nazianz mit Julian in Athen studiert hatte. Bis in die Barockzeit hinein prägte diese Tradition gleichfalls die literarischen Behandlungen der Gestalt, so etwa in drei Historien und einer C o m e d i a des Hans Sachs, im Jesuitendrama und in Grimmelshausens simplicianischer Schrift V e r k e h r t e W e l t (1673). Das Bild Julians änderte sich erst in der Epoche der Aufklärung, wobei vor allem Voltaire (etwa im Art.

Apostat des Dictionnaire philosophique von 1764) als Verteidiger des angeblichen Ketzers auftrat. Nun wurde entgegen dem legendarischen der hist. Julian entdeckt, den man als Philosoph auf dem Kaiserthron gar in die Nähe Marc Aurels (in der Tat ein verehrtes Vorbild Julians) rückte; es ist bezeichnend, daß Friedrich der Große von seinen Bewunderern häufig mit Julianus verglichen wurde. Zumindest in der dt. Literatur blieben allerdings dichterische Reflexe dieser neuen Auffassung der Gestalt spärlich; entsprechende Pläne von Schiller und Adam Müller wurden nicht ausgeführt. Unter den romantischen Dichtern schufen Fouque (Romanzenzyklus 1816, Erzählung 1818) und vor allem Eichendorff (Versepos 1853) Juliandichtungen. Zu einer Mode wurden diese im späteren 19. Jh., wobei die Ergebnisse, abgesehen von Ibsens Drama »Kaiser und Galiläer« (1873), jedoch wenig bedeutsam sind (vgl. Philip 1929; Frenzel1983, S. 384-386; am materialreichsten ist die Untersuchung von Richard Förster: Kaiser Julian in der Dichtung alter und neuer Zeit. In: Studien zur vergleichenden Literaturgeschichte. Hg. von Max Koch. Berlin 1905, S. 1-120). August Neanders Studie von 1812 ist »die erste wissenschaftliche Monographie über Julian auf Grund genauer Quellenkenntnis und -Sichtung« (Philip 1929, S. 68). Der Theologe und Kirchenhistoriker Neander (1789-1850) gehörte zum Kreis der Romantiker; er hielt sich von 1810 bis 1812 in Heidelberg auf, wo er zunächst als Privatdozent und dann als außerordentlicher Professor lehrte. Arnim machte später, im August 1817, durch Savignys Vermittlung seine persönliche Bekanntschaft in Karlsbad und charakterisierte Neander in einem Brief an Bettina von Arnim aus demselben Monat: (...) e r m a c h t e i n e m d e n

Eindruck eines überstudierten Kindes, das sich allem fügt nur seinen B ü c h e r n n i c h t e n t s a g e n m a g . Auf das Julian-Buch hatte Friedrich Creuzer

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Überblickskommentare und Quellentexte schon vor dessen Erscheinen in einem Brief an Savigny vom 23. Mai 1812 hin-

Bei uns erwächst jezt auch ein junger Historikus auf Kirchengeschichtlichem Feld: der Prof. N e a n d e r , ein Mann von ungeheurem Fleis und von der ernsthaftesten religiösen Gesinnung. Nächstens erscheint von ihm J u l i a n u n d s e i n e Z e i t g e n o s s e n ganz aus den Quellen (Hellfried Dahlmann [Hg.], Briefe Friedrich Creuzers an Savigny gewiesen:

[1799-1850], Berlin 1972, S. 314). Neander versucht in diesem Werk, eine Art >geistiger Biographie« Julians anhand dessen - größtenteils erhaltener - Schriften zu geben und diese in den religionsgeschichtlichen Hintergrund ihrer Zeit einzuordnen, der in einem Einleitungskapitel ausführlich dargestellt wird. Neanders Bewertung der Gestalt entspricht dabei der Sicht anderer Romantiker wie Görres und ist letztlich von Herders Urteil über den Kaiser bestimmt (vgl. Philip 1929, S. 66): Ohne daß die Verteufelung des »Apostaten« durch die alte Kirche fortgeführt würde, wird Julian doch kritisch als Exempel des verfehlten Versuchs gesehen, in einer hist. Übergangszeit den notwendigen Gang der Geschichte

einen Zustand des Menschengeschlechts, der für dasselbe nicht mehr geeig-

durch Restituierung einer bereits überholten Kulturstufe aufzuhalten,

net ist, zurückzuführen (Neander 1812, S. 3). Gerade dieser Punkt berührt sich offensichtlich mit zentralen Problemstellungen der PJ. Sicher nicht zufällig folgt in der

Theorie in Fragmenten

auf

die

Exzerpte aus dem Julian-Buch die poetologische Theorie der »getäuschten Täuschung«, die die schöpferische Willkür des Künstlers einschränkt (vgl. Ricklefs 1990b, S. 48-58). Neander beginnt sein Buch mit der an Julians Schicksal

wie wenig es in der Macht des Einzelnen steht, etwas zu s c h a f f e n , wie wenig der Einzelne vermag im Kampf mit der Vorsehung, die nach ihrem ewigen Rathschlusse den Geist der Zeiten leitet und bildet (S. 3). Das erste Neander-Exzerpt Arnims im Taschenbuch paraphrasiert wohl diese Stelle: In der Religion ist bis jetzt noch alle Menschliche Absicht mißlungen und hat auf das Entgegengesetzte geführt. anknüpfenden Beobachtung,

Offenbar stellt die Ausstattung Johannas mit Zügen Julians einen Versuch Arnims dar, wie die Päpstinsage durch die hist. Ereignisse um Johannes XII. (vgl. 2), so auch den Antichriststoff, der bereits in den frühen Teufelsszenen auf die Päpstin bezogen worden war (vgl. 6.3), geschichtlich konkret zu verankern, ohne daß dabei geplant gewesen wäre, Johanna tatsächlich mit dem hist. Apostaten des 4. Jh. zu identifizieren. Zur Rechtfertigung des hier wiederum praktizierten poetologischen Prinzips berief Arnim sich auf Julian selbst, von dem Neander referiert: Er setzte das Eigenthümliche der Mythen darin, daß sie als in einem bestimmten Zeitpunkte geschehn darstellten, was in

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Kommentar den ewigen Gesetzen der Dinge gegründet sey (S. 110). Dies paraphrasiert Arnim in der Theorie in Fragmenten mit den Worten Mythen scheinen dem Julian die Eigenthümlichkeit des Menschen was auf alle Zeit paßt in eine bestimmte zu legen, was zu einer Kritik gegen die räumliche und zeitliche Unbestimmtheit von Tiecks Märchen weitergeführt und auch im Streit über Natur- und Kunstpoesie mit den Brüdern Grimm als Argument verwendet wird: Einen sehr schönen Ausdruck eines alten Schriftstellers muß ich doch noch hieher setzen, ich glaube nicht, daß ich ihn schon an Euch geschrieben: »Mythische Zeit ist die Gewohnheit der Menschen, was sie allgemein geltend fühlen, doch im Einzelnen anschauen zu wollen, sowohl in Zeiten wie in Namen.« In dem Worte liegt kurz, was ich immer gefühlt, aber nie so deutlich gegen epische Zeit, Naturpoesie ec. einzuwenden hatte. (25. November 1812.) »Daß der Teufel dem >Julianus Apostata< zum Kaisertum verhalf ist feste, unausrottbare Vorstellung des Mittelalters« und etwa in der Darstellung der Kaiserchronik (12. Jh.) belegt; auch mit dem Antichrist wurde er in Verbindung gebracht (Philip 1929, 5. 9, 15). Bedeutsamer für Arnim als diese äußerlichen Bezüge zur Päpstinsage ist jedoch das Psychogramm Julians, das Neander zeichnet: Seine neuplatonisch geprägte Transzendenzsehnsucht und sein Hang zur Gelehrsamkeit werden teilweise erklärt aus der bedrückenden Einsamkeit seiner Jugend; es mußte die Neigung in ihm entstehn, außer dem Leben zu suchen, was er in dem Leben nicht fand (Neander 1812, S. 73). Noch deutlicher wird die Parallele zu der schon in der Kindheitsgeschichte Johannas angelegten Problematik durch Neanders häufige Verwendung der Metapher feurig für den Gemütszustand des jungen Julian (z.B. S. 78), was auch in der PJ leitmotivisch wiederkehrt und besonders im Demophonmärchen zentral ist (vgl. 3.2). Mehrfach ist von Julians feuriger Phantasie die Rede (zuerst S. 75), wozu der an das Demophonmärchen anknüpfende Beginn der II. Periode in F2 zu vergleichen ist. Diese Eigenschaften wiederum sollen später dazu beigetragen haben, daß Julianus sich zur Wiedereinführung des Heidentums quasi durch göttlichen Auftrag auserkoren gesehen habe, was auch für die Johanna der ersten Fassung der Romhandlung charakteristisch ist: Man deutete dies (Prophezeiungen über einen Erneuerer der alten Religion) auf den Julian, die wunderbaren Fügungen, durch die er bis jetzt im Kampf mit Gefahren und Hindernissen glücklich erhalten war, verbunden mit diesen Weissagungen erregten in ihm das höchste Gefühl, daß er von den Göttern besonders auf die Erde gesandt sey, das durch die Verachtung der vaterländischen Religion gefallene Reich 682

Überblickskommentare und Quellentexte durch den erneuten Cultus wieder aufzurichten. Dazu k a m noch sein folgendes Leben, das dies G e f ü h l noch lebendiger machte, so daß er in diesem G e f ü h l und Glauben alle Vorfälle seines Lebens auffaßte. (...) Der Glaube, daß er unter der besondren Leitung der Götter stehe, u n d daß sie ihn zum Beherrscher des römischen Reichs gemacht hätten, u m ihre Verehrung wieder herzustellen wurde (nach dem Tod des Constantius) noch lebendiger in i h m und auch fest der Entschluß, die alten Sitten, Einrichtungen und Religionen, durch die die Griechen und Römer die größten der Nationen geworden seyn, wieder zurückzuführen. (Neander 1812, S. 78, 87.) Da ab TF2 Johannas eigene Rolle als Neuheidin und Antichrist zunehmend zurücktrat und stattdessen auf Reinera/Venus übertragen wurde (vgl. Entstehung 3.2.1), verlor auch Julianus Apostata als Vorbild für die Päpstin an Bedeutung in der Dichtung. Zweifelhaft bleibt, ob Neanders Mitteilung, der spätere Kaiser sei während seiner Zeit in Athen in die Eleusinien eingeweiht worden (S. 83), Arnim mit angeregt hat, diese Mysterien in die Geschichte Johannas einzubringen (vgl. 3.1). Ein Zug, der sich auch in den späteren Fassungen der PJ erhalten hat, stammt hingegen nachweislich aus der Biographie Julians: Johannas Verehrung für die Gestirne in der III. Periode, wobei sie die Sonne bzw. den Abendstern mit Apollo bzw. Venus und deren Standbildern identifiziert (vgl. 132,20 und Erl.; vgl. u. Arnims erste Notizen zu diesem Motiv in den Exzerpten). Julian betrachtete sich als Schützling des Helios, dem er eine eigene allegorische Schrift widmete. Neander stellt darüber hinaus dar, daß der Kaiser alle Gestirne nach neuplatonischer Lehre als erste Emanation des Göttlichen ansah und daß er Sternenglaube und Bilderdienst als erste Stufen der religiösen Entwicklung vor der Erkenntnis der eigentlichen geistigen Wahrheit bezeichnete (S. 116f.). Auch für die Erneuerung des Apollokults setzte sich Julian nach Neanders Mitteilung ein (S. 186). Laut einer früheren Stelle aus dem Julian-Buch, die Arnim exzerpiert hat, war für Plutarch Apollo quasi das Urbild des sinnlich wahrnehmbaren Helios, also der Sonne, im Ideenkosmos. - Einzelne Argumente Julians gegen das Christentum, die bereits in den Exzerpten notiert sind, erscheinen in TF1 zunächst bei dem Gespräch zwischen Johanna und Stephania beim Gang zum Venusberg (vgl. 286,35ff.) und sind dann vor allem in lll,4 eingegangen; vgl. dieses Kapitel und Erl. sowie 168,28-29 und Erl. Nicht zu klären ist, ob Arnim den in den Skizzen bezeugten Vorsatz, Originalquellen zu Julian zu konsultieren, wahrgemacht hat oder sonst noch weitere Zeugnisse über diese Gestalt heranzog. Da die Beziehung der Päpstin auf den Apostaten sehr bald in den Hintergrund trat, erscheinen intensivere Recherchen Arnims in dieser Richtung eher unwahrscheinlich. In seiner Bibliothek

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Kommentar findet sich allerdings die Tragödie Julianus Apostata von Kuno von der Kettenburg (Sign. Β 1271), die wie Neanders Buch 1812 (in Berlin) erschien, und zwar vor dem 20. Mai dieses Jahres, wie einem an diesem Tag datierten Brief Kettenburgs an Karoline von Wolzogen zu entnehmen ist (Förster 1905, S. 45). Das - immerhin von Goethe gelobte - Werk dieses »Schillerepigonen« (Philip 1929, S. 63) weist kaum Bezüge zur PJ auf; bemerkenswert ist jedoch, daß bei Kettenburg besonders Julians Verehrung für Apollo herausgestellt wird. So beginnt das Stück mit einer Feier zu Ehren dieses Gottes, bei der Julianus dessen Statue anredet: D u warst mein Schützer, führtest mich zurück, / Vom Wahn der Zeiten, zu dem Dienst der Götter (S. 7). Zu erwägen wäre auch, daß Arnim von der in der Kaiserchronik enthaltenen Version der Juliansage Kenntnis hatte, wo der Teufel, mit dem sich der Apostat verbündet, als belebte Statue des heidnischen Gottes Merkur agiert. Hier könnte eine Anregung dafür gelegen haben, den Stoff der Statuenverlobung in die PJ einzubeziehen (vgl. Erl. zu 154,8-9). Tatsächlich hat Eichendorff später in seinem Julian-Epos, wo statt des Hermesbildes eine Venusstatue (!) erscheint, das Motiv in diesem Sinne weiterentwickelt.

Arnims Exzerpte aus Neanders Julian-Buch (49,5|11) Um Arnims Exzerpte deutlich von den zum Vergleich beigefügten Zitaten aus Neander abzuheben, sind letztere hier als Herausgebertext formatiert. ' Grund des Johannes gegen das Christenthum Es mache die Menschen schwach und sklavisch, d(arum) sey Rom gefallen, den Norden halte noch die heidnische Ehre aufrecht. Es nehme ihnen die Natur(xxx). Innrer (aus Majuskelansatz) Streit zwischen Eigenthümlichkeit (1) Η + (2) Wille, und Allgemeinheit Denken. Ausgleichung durch viele Götter, über sich Angemessenh(eit) des ewigen Wesens seine Liebe {(seine Gabe)} durch ein eige(n)stes Mannigfaltige (und) Wesen darzustellen {den (hehren) Geist in Stufenfolge bis zum Menschen enthalte(n).} Schwindel bey der Unendlichk(eit) der Welten. Das Christenthum aus der Roheit des Heydenthums entstanden, dem alle hehrsten Ideen vorgestorben und nun sterbe es (wieder) an der Roheit der Zeit. Er will es durch die Dekretalen zum schreiendsten Unwesen zum Widerstreit gegen alle Weltordnung (or aus a) machen (Er ..zwingt) das Elende, wie sie Geb(i)lde mache zum Stehlen und Morden.

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Überblickskommentare und Quellentexte Neander 1812, S. 157: »(...) denn (Julian) war überzeugt, daß alles Glück im Kriege nur von den Göttern komme, daß sie allein Muth und Kraft geben könnten, und daß die christliche Religion hingegen die Menschen schwach und kraftlos mache.« S. 127: »(...) in den heiligen Schriften der Christen hingegen fand (Julian) nichts, was sich auf die besondren Einrichtungen des bürgerlichen Lebens bezog, keine jener glänzenden Tugenden, die er suchte, daher berief er sich nur darauf, sie möchten einmal den Versuch machen und von Jugend auf einen Knaben bloß durch diese Schriften bilden, so werde er zum M a n n herangewachsen, nicht besser seyn als ein Sklave (...).« S. 126: »In der That mußte es ihm scheinen, daß eine Religion die eine allgemeine seyn, für alle Nationen und Arten von Menschen passen wollte, Verwirrung und Unordnung in die Gesellschaft einführe, (...) er sah daher den Verfall des römischen Staats als eine Folge des Christenthums an.« S. 2 8 (im Zusammenhang mit der angeblichen Abneigung des Heidentums gegen Abstraktionen): »Auf gleiche Weise haßte man die Vorstellung einer unendlichen Zahl von Welten, weil vor dem Unendlichen dem Geiste schwindelte und es ihm verbunden schien mit einem blinden Zufall, gleichwie das einförmige Einerley ihm als ein todtes und leeres erschien.« (Vgl. dazu 2 2 2 , 3 6 - 3 7 und Erl.) S. 124: »(Julian) glaubte, daß das Wesen der jüdischen Religion, als einer Nationalreligion, abstammend von heiligen Stammvätern etwas Göttliches sey; aber sie sey nach und nach verfälscht worden durch den Mißverstand und die Rohheit der Menschen.«

Euer Leben ist verborgen mit Christo in Gott Der Scepticismus, der jeder Eigenthümlichkeit ihre Wahrheit last g(e)nügt nicht in heftig bewegten Leben und Zeit. {Freude und Trauer ist nur wahr} S. 9 (über den Skeptizismus als Voraussetzung für das Ende des Polytheismus): »Aber dem menschlichen Geiste, der von Natur etwas sucht, das ihn erwärmt und erfüllt, konnte eine solche Lauigkeit nicht angemessen seyn und diese schwankende Ruhe war für das stürmische Leben zumal in den oft unglücklichen Zeiten unter der Regierung der römischen Kayser nicht gemacht.«

Der Piatonismus zeigt die allgemeine Offenbahrung des Göttlichen im {(Menschen)} S. 18: »Da (die platonische Philosophie) die allgemeine Offenbarung des Göttlichen im Menschen gefunden hatte; betrachtete sie von diesem Mittelpunkte aus die verschiedenen Philosophien und Religionen (...).«

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Kommentar sie suchte die Uebereinstimmung zwischen den verschiednen Religionen, (so wie Himmel) Sonne (aus Buchstabenansatz) und Mond bey allen Völkern anders heissen, so auch die. durch diese Uebereinstimmung wissen sie daß sie nicht wie die Träumenden in einer eignen Welt leben S. 18f.: »(Zitat aus Plutarch:) >Wir glauben nicht, daß verschiedene Götter sind bey den verschiedenen Nationen, nicht barbarische und hellenische, nördliche und südliche, sondern wie Sonne, Mond, Himmel, Erde und Meer allen gemeinschaftlich sind und nur mit verschiedenen Namen belegt werden, so sind auch, da Eine Vernunft alles ordnet und Eine Vorsehung alles regiert, nur verschiedene Arten der Götterverehrung und verschiedene Benennungen derselben nach den Gesetzen bestimmte (...) Wie die Sprache (dem Menschen) für das Niedere die Gewißheit giebt, daß er >nicht wie die Träumenden lebe in seiner eigenen Welt; sondern in der Allen gemeinschaftlichem (Zitat aus Heraklit) so will er die Gewißheit für diese höhere gemeinschaftliche Welt finden durch eine gemeinschaftliche höhere gegebene Sprache.« Das Meßopfer ist dem Johannes eine Lächerlichkeit nichts andres wie ein (auf garstige xxx) | " Apollo dessen Zeichen die Sonne als sichtbares Zeichen der Verbindung sichtbarer und unsichtbarer Welt. S. 29: »So sah man z.B. das Bild der Würksamkeit des Gottes Apollo in der Geisterwelt offenbart durch die Würksamkeit des sichtbaren Helios in der Körpenwelt, wie sich die Sonne zum Auge verhalte, in welchem sie die Kraft zu sehn zur Würksamkeit bringe, so verhalte sich Apollo zum Geist des Menschen, dessen höhere Kraft durch ihn zur Tätigkeit erregt werde. >Aber der Helios entfernte die Menschen von der Erkenntniß des Apollo, indem er durch die Sinne die menschliche Seele von dem wahrhaft seyenden zur Offenbarung desselben in dem sichtbaren erscheinenden hinwandten (Zitat aus Plutarch)« S. 77: »Jetzt lernte er (Julian) frühe, dunkle Ahndungen seiner Seele verstehn, wenn er von Jugend auf mit einer Art von Sehnsucht seinen Blick zur Sonne richtete, daß ihn dahin gezogen hatte der Gott der die sichtbare Welt mit der unsichtbaren verband, Helios, dem seine Seele gehörte (...).« sie nim(mt) Morgenstern als das Zeichen der Liebkosungen, (1) (es x) + (2) ihm halte (1) 1) (2) Bilderdienst 1) Partey im Geist allein zum Unsichtbaren 2) Erinnerunge(n) an das Unsichtbare 3) Das Sichtbare durch das Unsichtbare verherrlicht 686

Überblickskommentare und Quellentexte 4)1 [die (rohe)] Anbetung des (1) Sinnlichen + (2) Sinnlich Vollkommenen als etwas Unsichtbaren 5) Die Anbetung des Sichtbaren als etwas H ö h e r e n Geheiligten, Wirksamen S. 32f.: »So hatten z.B. unter den Bilderstreitigkeiten in der That alle drey streitende Partheyen die reinen Ideen von dem lebendigen Gott und seiner Verehrung, es offenbarte sich nur eine in der mangelhaften menschlichen Natur gegründete Verschiedenheit. Die eine Parthey wollte im Geist zum Unsichtbaren allein sich erheben und verschmähte jedes Bild als tief unter der Würde des Unsichtbaren, als den Geist zum Sinnlichen herabziehend und Aberglauben veranlassend. Auch schon im Anfang des Zeitalters, von dem wir reden, gab es Gegner der Bilderverehrung. Der gelehrte Römer Varro leitete die Verderbniß der Religion von der Einführung des Bilderdienstes bey den Römern her, die ersten Errichter der Götterbilder, sagte er, hätten dem Staate die Gottesfurcht genommen und neue Irrthümer in demselben verbreitet. Die andre wollte das Bild nur als eine Erinnerung an das Unsichtbare. Die dritte, bey der das Gefühl über Vernunft und Verstand vorherrschte, erblickte das Bild verherrlicht durch das Unsichtbare, das sie dabey gegenwärtig fühlte, und betete daher in dem Bilde das ihr gegenwärtige Unsichtbare an; aber das war und ist das Nachtheilige bei allem Symbolischen und Bildlichen, daß die Menge über dem Bilde das Unsichtbare vergaß und in der Anschauung des Bildes von außen verloren, weniger aufmerksam war auf das Bild Gottes im Herzen und die Offenbarung desselben im Handeln.« Priesterweihe u n d Absonderung eine verkehrte Abgötterey S. 33f.: »Der Priester wurde (bei den Heiden) als der allein dem Dienst der Götter ausschließend geweihete betrachtet, er zeichnete sich durch äußerliche Tracht, durch feyerliche symbolische Handlungen, durch Zurückziehung in den Tempel und gewisse Verrichtungen in demselben durch Enthaltung von gewissen Speisen vor allen übrigen Menschen aus, und alles dies setzte man mit seiner Bestimmung, ausschließend der Erkenntniß und dem Dienst der Gottheit geweiht zu seyn, durch symbolische Deutungen in Verbindung.« (xxx)lichkeit des Christenthums die einzige Religion seyn zu wollen. S. 37: »(...) eine Religion die den Character keiner besondren Nationalität an sich trug; sondern eine ganz neue Schöpfung in allen, die sie annahmen, hervorbringen wollte, welche die Religion der Menschheit war, - eine solche war etwas noch nie gedachtes und gehörtes.«

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Kommentar Idee des Göttlichen in Knechtsgestalt. S. 44: »Ueberhaupt gab die Verkündigung von dem Sohne Gottes und dessen ganzem Leben dem sittlichen und religiösen Geiste der Menschen, der sittlichen und ästhetischen Schätzung eine ganz neue Richtung, denn die Idee des Göttlichen in Knechtsgestalt kommt nicht aus dem natürlichen Menschen.« Johannes war bey ihrer Verehrung der Sterne besonders zornig über den verheissnen Untergang derselben, während ihre Seele, die ihr nichts galt ewig dauern soll. S. 43 (Zitat eines heidnischen Schriftstellers über die Christen): »Sie drohen dem ganzen Weltkreise mit allen Gestirnen den Untergang, als ob die göttliche auf ewigen Gesetzen gründende Ordnung der Natur gestört werden könnte und mit diesem Wahne noch nicht zufrieden, setzen sie Mährchen für alte Weiber zusammen, sie erzählen, daß sie schon Asche geworden nach dem Tode wieder aufleben, doppelter Wahnsinn, den Untergang des Himmels und der Sterne verkündigen, die wir so zurücklassen wie wir sie finden, - uns die wir sterben so wie wir geboren werden, die Ewigkeit zu versprechen (...).« (Vgl. 152,18-19) Bestätigung ihrer geheimen Meinung durch die Erzählung ihrer Abkunft daß andre Götterkraft in ihr walte sie wählt sich als Aeltern Apollo und Venus. {Reihe der Engel einerley mit Polytheismus} (nicht nach Neander; vgl. 149,21-22) Johanna fühlt der Leichnam sey (Traurig) und es könne kein Gott darin wohnen, Magische Kraft der drey Erzväter Abraham Isaak und Jakob S. 143, Anm. zu S. 124: »Zur Zeit des Origines, wie dieser erzählt, war die Verehrung der drey Patriarchen Abraham, Isaak und Jakob so allgemein, daß alle Magiker in ihren Schriften und bey ihren Beschwörungen den Gott Ab. Is. und Jak. nannten und diesem Namen Gottes eine besondere Kraft zuschrieben.« Kybele (empfängt) (m aus p) das Daseyn aus der Quelle des Daseyn (erhält sie) das Leben und bringt es zur zweyten Stufe. Der letzte ist Atys, der sich von ihr hinweg wendet zur Vielheit er verliert dabei den Zusammenhang mit dem (1) Einzeln(xxx) + (2) Einzelnen, Durch die Castration des Atys wird die Begrenzung dieser Produktion organischer Formen bezeichnet. Auch in uns selber (wir) das Gesetzlose zur Einheit führen

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Überblickskommentare und Quellentexte S. 140f. (vgl. Erl. zu 418,33): »Die philosophische Lehre von dem Verhältnisse des Natürlichen zum Göttlichen fand Julian dargestellt in dem Mythus von der Cybele, wie durch Eine von dem höchsten Gott bis zu dem letzten der Götter, der den materiellen Formen zunächst vorsteht und von diesen bis auf die Gränze alles Daseyns sich verbreitende Würksamkeit das Ganze gebildet und Ordnung in demselben immerfort erhalten werde. Die Cybele ist die zweyte Gottheit; von der höchsten der Quelle alles Seyns, die jenseits alles einzelnen Daseyns und über alles hinausliegt, empfängt sie die Fülle des Lebens und der Würksamkeit aus dieser ersten Stufe des Daseyns und erzeugt dadurch das Leben der zweyten Stufe, die schaffenden geistigen Götter, der letzte derselben Athys, der die Würksamkeit aller übrigen in sich aufnimmt und auf die materiellen Formen, denen er bildend vorsteht, verbreitet, bleibt durch sie vereinigt mit der höchsten Einheit. Da er sich aber von ihr hinwegwendet zu der Vielheit und dem Werden, dem er vorsteht, verliert er den Zusammenhang mit der Einheit und wird hinweggerissen von dem Unendlichen der Materie, bis die Vorsehung ihn wieder zur Einheit zurückführt, indem sie durch die bestimmten organischen Formen der Materie Gestaltung giebt (was durch die Castration des Athys angedeutet wird.) Durch die Posaune der Korybanten wird die Zurückrufung des Athys zur Einheit bezeichnet. Die sittliche Anwendung auf den Menschen besteht darin, daß die Götter uns ermahnen, auch in unsrem Inneren das Willkührliche Gesetz- und Ordnungslose zu beschränken und durch das höhere Gesetz zu binden, zu dem Gesetz und wo möglich zum Einen selbst zurückzukehren, dann folgt das Fest der Versöhnung (Hilaria) p. 171. Doch war zu keiner Zeit die Ordnung der Dinge anders als sie jetzt ist, immer ist Athys seiner Mutter unterworfen, immer würkt er das Werden der Welt, immer gestaltet er in sich das unbestimmte Unendliche durch die in sich bestimmten Ursachen der idellen Formen.«

6.5. Mohammed Wie die zunächst geplante Gleichsetzung Johannas mit dem Antichrist durch Züge des Kaisers Julianus Apostata hist, konkretisiert werden sollte, so wurden Person und Geschicke ihres >Propheten< Spiegelglanz mit Anspielungen auf Mohammed (570-632), den Begründer des Islam, ausgestattet, der vom Christentum tatsächlich häufig als »Widerchrist« angesehen worden ist (vgl. z.B. Gottsched: Critisches Wörterbuch 3, S. 267, Anm. (Y); zur literarischen Behandlung der Mohammedgestalt vgl. insgesamt Frenzel 1983, S. 508-512). Diese Referenz wird in der PJ niemals explizit gemacht, jedoch durch die Notiz in einer frühen Skizze zur Romhandlung bestätigt (die dann ähnlich auch ins erste Szenarium

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Kommentar aufgenommen ist; vgl. Paralipomena 1.3): W a s d e n S p i e g e l g l a n z e i g e n t l i c h v o l l s t ä n d i g t o l l m a c h t ist d i e E r z ä h l u n g L u z i f e r s , d e r n i c h t s m e h r m i t i h m a n f a n g e n k a n n , er sey gar n i c h t m e h r n ö t h i g in der Welt, alles w a s e r a u s f ü h r e n w o l l e sey s c h o n v o n M o h a m e d g e s c h e h e n . Wie in der Darstellung der Werkentstehung erwähnt (vgl. dort 3.1), befaßte sich Arnim bereits während seiner Reise nach Prag und Bukowan im Sommer 1812 mit dem Mohammedstoff, wie sein Brief an Bettina von Arnim bezeugt: U n a b l ä s s i g m i t M a h o m e d beschäftigt, vergleiche ich D i c h m i t seiner F r a u , die i h n z u e r s t v e r s t a n d e n , u n d so s i e h i n d i e s e n (xxx) W o r t e n a l l e s L i e b e , w a s i c h D i r z u s a g e n v e r g e s s e , w e i l D u es l ä n g s t w e i ß t . In diesem Zusammenhang entstand vielleicht auch die bislang zeitlich nicht zugeordnete kurze Notiz M o h a m m e d a n i s m u s (GSA 03|153). Die offenbar intensive Auseinandersetzung mit der Gestalt des Propheten legt nahe, daß Arnim eine dichterische Behandlung plante, wobei ein projektiertes eigenständiges Werk, etwa ein Drama, jedoch plausibler erscheint als eine Einbeziehung in die PJ schon zu diesem Zeitpunkt. Der Stoff beschäftigte zu Beginn des 19. Jh. auch andere dt. Dichter. Arnim kannte Goethes 1800 entstandene Übersetzung von Voltaires einflußreichem Schauspiel L e F a n a t i s m e o u M a h o m e t l e P r o p h e t e (1742), die sich in seiner Bibliothek befindet (Sign. Β 1060). Sein Kommentar in einem Brief an Wilhelm Grimm vom 25. Juni 1811 klingt zwar wenig enthusiastisch, bezeugt aber immerhin Interesse an dieser Fassung des Werks: So h a b i c h e r s t in G ö t h e s U e b e r s e t z u n g des M a h o m e t etwas e m p f u n d e n , i m Französ i s c h e n h a b i c h s n i e b i s z u r H ä l f t e d u r c h l e s e n k ö n n e n . Goethes Plan zu einem eigenen Mohammeddrama gelangte bekanntlich nicht über Fragmente hinaus, deren bedeutendstes M a h o m e t s G e s a n g ist. Auch Bettina Brentanos Freundin Karoline von Günderrode (vgl. auch u. 7.3) hatte sich in dem Gedicht M a h o m e t s T r a u m i n d e r W ü s t e (1804 in G e d i c h t e u n d P h a n t a s i e n ) und in einem Drama M a h o m e d , d e r P r o p h e t v o n M e k k a (1805 in P o e t i s c h e F r a g m e n t e ) mit der Gestalt auseinandergesetzt. Mohammed war für die Goethezeit nicht zuletzt deshalb von Interesse, weil seine Persönlichkeit und seine hist. Bedeutung äußerst ambivalent bewertet wurden: Hatte das Christentum ihn traditionell als Betrüger verdammt, so versuchte die Aufklärung seit Bouleinvilliers Biographie von 1730 im Zeichen der religiösen Toleranz, zu einem ausgewogeneren Urteil zu gelangen; andererseits war Mohammed dieser Epoche wiederum als Begründer der letzten großen positiven Weltreligion suspekt, der diese zudem mit kriegerischer Gewalt durchzusetzen suchte, weshalb er etwa bei Voltaire als Heuchler angeprangert wurde. Ob Arnim, indem er den lächerlichen Spiegelglanz mit Mohammed in Verbindung bringt, an diese negative Auffassung des Propheten anknüpft, ist zwei-

690

Überblickskommentare und Quellentexte felhaft. Ricklefs 1990b, S. 135 will trotz oder gerade wegen »Arnims prinzipieller Toleranz gegenüber allem Religiösen« eine Wendung gegen Mohammeds Religionsstiftung als »Prototyp gemachter Religion, forcierter Begeisterung, damit kein Glaube, sondern subjektive Setzung« erkennen. Tatsächlich wird etwa ein berühmter Vorwurf der Islamgegner, daß nämlich die Verzückungen des Propheten in Wahrheit epileptische Anfälle gewesen seien, im Falle des Spiegelglanz bestätigt (vgl. 82,17 und Erl.).33 Johannas Lehrer ist jedoch kein ebenbürtiger Nachfolger Mohammeds, sondern äfft den Gründer des Islam unwissentlich in ähnlicher Weise parodistisch nach wie der Antichrist den wahren Messias, ist also sozusagen ein »Anti-Mohammed«. Eben darauf hebt die o. zitierte Stelle aus den Skizzen ab, die an das von Arnim später als E l e n d d e r G e l e h r t e n bezeichnete Problem der vergeblichen Originalitätssucht anknüpft und somit in weiterem Sinne zum Komplex der Wissenschaftssatire gehört (vgl. Barth 2000, S. 131). Zudem ist in mehreren Fällen nicht bloße Wiederholung, sondern groteske Verkehrung von Einzelheiten aus Mohammeds Biographie zu beobachten (vgl. Erl. zu 156,34 sowie zu 173,29-31). Wenn Arnim in anderem

Zusammenhang in 111,1 von M o h a m e d s n e u e r Volksreligion spricht (130,24),

so gemahnt das an die Abiturrede Das Wandern der Künste u n d Wissens c h a f t e n (1798), w o der Islam zwar in der Tat eher als subjektive Setzung denn als wahrer Glaube aufgefaßt ist, Mohammed aber doch ungleich positiver und respektvoller dargestellt wird als später sein lächerlicher Epigone Spiegelglanz in

der PJ: (...) Mahomet, der k ü h n e Araber, bekannt m i t d e m Geiste seines Volkes, bekannt m i t d e m Glauben andrer Völker, (erregte) durch die Stiftung einer neuen, ganz auf die Einbildungskraft wirkenden Religion den Sturm (...), der bald die Lage und Schicksale der Völker vom Euphrat bis zum Atlas änderte (Werke 6, S. 29). Ricklefs (1990b, S. 135, Anm. 341) vermutete, daß Arnims Quelle für diesen Komplex C.F.R. Vetterleins dt. Übersetzung von Jean Gagniers im frz. Original

1732 erschienenem Leben M o h a m m e d s des Propheten war (2 Bde., Coethen 1802), die in seiner Bibliothek erhalten ist (Sign. Β 2234 a b ). Zahlreiche übereinstimmende Details bestätigen diese These. Gagnier, der in Oxford als Professor für arabische Sprachen lehrte, war, wie der Übersetzer Vetterlein in seiner Vorrede berichtet, keineswegs ein Bewunderer Mohammeds, bemühte sich aber um eine sachliche Darstellung, die weder verherrlichen noch verdammen wollte. Da er größtenteils kommentarlos die Berichte islamischer Schriftsteller referierte, ergab sich im Effekt, so Vetterlein, allerdings doch eine sehr 33

Als »einen von Epilepsie befallenen Betrüger« stellt bereits

(um 1258) den Propheten dar (Frenzel 1983, S. 509).

691

der

frz.

Roman

de

Mahomet

Kommentar positive, ja oft ehrfürchtig wirkende Lebensbeschreibung, die weniger die hist. Wahrheit über die Gestalt Mohammeds als vielmehr quasi deren Rezeptionsgeschichte in der späteren Weiterentwicklung des Islam wiedergab (Bd. 1, S. 4). Arnim knüpft bereits in der Verkündigung >Gabriels< an Spiegelglanz in 1,2 an Gagniers Darstellung an. Mohammeds Berufung durch den Engel Gabriel und die Niederschrift des Koran nach dessen Diktat, auf die sich Spiegelglanz' spätere Aufzeichnung der vermeintlich göttlichen Gebote bezieht (vgl. 147,26 und Erl.), gehörten schon zu Arnims Zeit zu den bekanntesten Teilen seiner Legende und wurden auch gelegentlich für Satiren verwendet: 1799 kamen in Leipzig anonym in zwei Teilen Die Erscheinungen des Engels Gabriel des Kantianers und Jenaer Theologieprofessors Johann Christian Wilhelm Augusti (1771-1841) heraus, die sich gegen den Frühromantikerkreis richteten; hier war Fichte der neue Mohammed, dem seine Schriften durch den Erzengel diktiert wurden. Brentano spielt in einem zwischen dem 3. und 7. August 1802 entstandenen Brief an Arnim auf diese Satire an, die also vmtl. auch diesem bekannt war (vgl. WAA 31, Nr. 240, z. 53f. und Erl.). Bedeutsam werden die Bezüge auf Gagnier vor allem in der III. Periode, so bei Spiegelglanz' Himmelfahrt in III,2 und dem Gelehrtengastmahl (vgl. zu diesem die Einzelerläuterungen zu III,6 in F2). Die nächtliche Reise, die Mohammed auf der schneeweißen geflügelten Stute Borak (die Strahlenwerfende) 3 4 von Mekka nach Jerusalem, und von da in den obersten H i m m e l , bis auf zwei Bogenschussweiten vom T h r o n e Gottes führt, wo er die islamische Liturgie der fünf täglichen Gebete erhält, beschreibt Gagnier ausführlich im 2. Buch seines Werkes (1. Bd., S. 189-262). Wie in Arnims Adaption begegnet der Entrückte einem ganzen H a u f e n (...) Propheten (1. Bd., S. 196; u.a. Moses und Abraham sowie Jesus!) und Engeln, die bei seinem Abschied ein grosses G e t ü m m e l um ihn bilden: I n jedem H i m m e l , durch welchen ich ging, k a m e n m i r die Engel schaarenweis entgegen, grüssten mich, bezeugten ihre grosse Freude u n d wünschten m i r Glück (1. Bd., S. 243). Auch hier verhält sich Gagniers Mohammed sehr viel würdevoller als der überhebliche Spiegelglanz; bei der Begegnung mit den älteren Propheten etwa verzichtet er ausdrücklich darauf, sich den Vortritt zu n e h m e n oder den R a n g über (s)eine Brüder anzumaßen (1. Bd., S. 197), während sein Imitator Spiegelglanz sich gar von ihnen anbeten läßt. In seinem Fall sind die Erlebnisse der Himmelsreise selbstverständlich nur eine Halluzination im teuflisch beeinflußten 34

In der Legende trägt das Pferd den Propheten allerdings, anders als in Arnims Fassung, nur

bis zum Tempel in Jerusalem; in den Himmel gelangt Mohammed über die aus 1 Mo 28,12 bekannte Jakobsleiter.

692

Überblickskommentare und Quellentexte Drogenrausch; doch laut Gagnier sind selbst manche islamische Gelehrte der Auffassung, auch Mohammed habe die Fahrt nicht leiblich, sondern geistlicher Weise und im Traum gethan (1. Bd., S. 258). - Zu weiteren Anspielungen vgl. die Einzelerläuterungen, etwa zu 5,35-36.

6.6. Faust Daß die PJ »eine Art romantische Faustdichtung« darstelle (Ricklefs 1990b, S. 11), ist seit langem eine opinio communis der Arnimforschung; zu berücksichtigen ist allerdings, daß Arnim die Päpstindichtung keineswegs als sein summum opus in der Art des Goetheschen Dramas betrachtete (vgl. EZ 1, den Brief an die Grimms vom November 1812). Tatsächlich hat man aber auch unabhängig von Arnims Bearbeitung die Päpstinsage, die ja oft mit dem Motiv des Teufelspaktes verbunden war, mit dem Fauststoff in Beziehung gebracht.35 In spöttischer Weise tat dies auch Gottsched im Nachwort zu seinem Abdruck des Juttenspiels, wie bereits in Entstehung 1 zitiert wurde.36 Ernsthafter ist - bei aller sicher auch mitschwingenden freundschaftlichen Ironie - Jacob Grimms Aufforderung an Arnim nach dem Abdruck der Gartenhausszene in der Gräfin Dolores zu verstehen, er solle aus der PJ wenigstens (!) ein so großes Stück, wie Göthes Faust machen (vgl. Entstehung 2). Die Faustsage, jedoch noch nicht das Goethesche Drama, klingt bereits in der frühesten Skizze zur PJ an (vgl. Paralipomena 1.1): Die Episode mit Johannas Bedrohung durch böse Geister, die sich um ihren Zauberkreis versammelt haben, stammt aus dem Volksbuch über Fausts Schüler Wagner, auf das Joseph Görres 1807 in seinen Teutschen Volksbüchern hingewiesen hatte (Görres 1925, S. 224).37 Arnim setzte sie später an das Ende der 1818 erschienenen 35 Vgl. insgesamt Doering2001, S. 63-84, die - sicher zu Recht - der vorschnellen Parallelisierung sowohl der Arnimschen Dichtung als auch des Päpstinstoffes überhaupt mit der Fausttradition grundsätzlich skeptisch gegenübersteht, deshalb allerdings auch den konkreten Faust-Referenzen in Arnims PJ nur wenig Beachtung schenkt. 36

Gelegentlich hat man sogar Gottscheds Schernberg-Abdruck als eine Quelle für Goethes Faust erwogen; vgl. Edward Schröder, Goethes Faust und das Spiel von Frau Jutten. In: Vierteljahrsschrift für Litteraturgeschichte 4, 1891, S. 336-339. 37

Auf diese Szene spielt auch noch die späte Erzählung (Die Heiratsnot des Pfalzgrafen) an: Weil aber der alte träge Piepenbring sich nicht gleich aus dem Lehnstuhle habe aufraffen können, sei es ihm fast wie einem ungeschickten Geisterbeschwörer ergangen, der ein Stückchen Fuß über seinen Zauberkreis heraus gestreckt hatte, das ihm die bösen Geister abhieben (...) (Werke 4, S. 758f.). Ein kurzes Entwurfsfragment Arnims über Wagner, das möglicherweise im Zusammenhang mit einer geplanten Faustdichtung steht, ist erhalten (heute im Goethe-Museum Düsseldorf).

693

Kommentar Vorrede zu Wilhelm Müllers Übersetzung von Marlowes D r . F a u s t u s (Werke 6, S. 621-623), die auch für sein Verständnis der Goetheschen Dichtung aufschlußreich ist: Er deutet Goethes Protagonisten ganz vom ersten Teil des Dramas, der »Gelehrtentragödie«, her als kritisches Porträt des modernen Wissenschaftlers, der u n g e h e u r e n

Mangel

an Welt mit e b e n so

ungeheurem

H o c h m u t e verbinde (ebd., S. 619). Die Bezüge zur Wissenschaftskritik, die im Mittelpunkt der frühen Konzeption der PJ stand (vgl. Entstehung 1), liegen auf der Hand. Ähnlich ist in der von Arnim unveröffentlichten Szene A u c h

ein

F a u s t 3 8 der Titelheld, der hier den Buchdruck erfunden haben soll, vor allem charakterisiert durch seine R u h m s u c h t ; wie die Johanna der Euklidszene beharrt er egoistisch auf dem Eigentumsanspruch für seine Entdeckung (vgl. 58,4 und Erl.). Daß Jacob Grimm sich durch die Gartenhausszene in der D o l o r e s an Goethes F a u s t I erinnert fühlte, wie er am 4. September 1810 an Wilhelm schrieb (vgl. Entstehung 2), ist verständlich, denn sowohl diese als auch die Erstfassung der Euklidszene (vgl. Paralipomena 2.1) weisen deutliche Anklänge an das Drama auf, das bekanntlich 1808 erschienen war. (Arnims Erwähnung von G ö t h e s n e u e m F a u s t in der ZfE vom 9. Juli dieses Jahres dürfte laut S. 2 1 8 von Heinz Röllekes in Anm. 38 angeführtem Aufsatz das erste veröffentlichte Rezeptionszeugnis sein.) So beschäftigt sich Johanna in der erstgenannten Szene mit der Bibel und wird dabei von Naturstimmen abgelenkt, die hier noch - im Gegensatz zur ausgeführten Dichtung - vom Teufel verursacht sein sollen, ganz wie Fausts Bibelübersetzung in der ersten Studierzimmerszene durch den Pudel Mephisto gestört wird. In der frühen Euklidszene spiegelt Johannas Begeisterung für das erotische Buch des Spiegelglanz parodistisch Fausts Enthusiasmus beim Anblick der Zeichen des Makrokosmus und des Erdgeistes ( F a u s t I, v. 430ff.). In der ausgeführten Dichtung sind die Gelehrtensatire und folgerichtig auch die Reminiszenzen an die ersten Szenen von F a u s t I weitgehend statt auf Johanna auf deren Lehrer Spiegelglanz bezogen, der ja auch der eigentliche (wenn auch unbewußte) Teufelsbündner der Handlung ist. Nach den frühen Skizzen zur Romhandlung sollte ihm entsprechend am Ende, wie dem Dr. Faust des Volksbuchs, vom Teufel der Hals umgedreht werden; in der D o l o r e s war

38

Vgl. Streller 1963. - Vgl. zu Faust-Varianten bei Arnim insgesamt Riley 1977b. Ergänzend

Nicholas Saul, D a s

Zweifelhafte menschlicher

Verdienste.

Arnims Faust-Gestalten. In:

Frank M ö b u s / Friederike S c h m i d t - M ö b u s / Gerd Unverfehrt (Hg.), Faust. A n n ä h e r u n g an einen Mythos. Göttingen 1995, S. 1 0 9 - 1 1 2 ; Heinz Rölleke, Goethes F a u s t unter den Romantikern. In:

Christoph Pereis (Hg.), E i n D i c h t e r h a t t e u n s a l l e g e w e c k t . Goethe und die literarische Romantik. Frankfurt/M. 1999, S. 218. Vgl. auch W A A 31, Nr. 298, z. 7 0 - 7 3 und Erl.

694

Überblickskommentare und Quellentexte ein solches Ende bezeichnenderweise noch für Johanna selbst vorgesehen (Werke 1, S. 503). Die Referenz auf die Goethesche Gelehrtentragödie erhält dadurch parodistischen Charakter, daß dem faustischen Streben nach Erkenntnis in ihrem umfassendsten Sinne bei Spiegelglanz bloße Ruhmsucht entspricht. Nur so ist es zu verstehen, w e n n Luzifer in der Heklaszene in F 1 von Spiegelglanz, in einer

Er möchte übersteigen alle Schranken, / Die bildende Naturkraft Menschen setzet. In F' wird dem schrecklichen Philologen< auch noch eine magische Verjüngung zuteil (Erscheine jung ob gleich du grau und alt), die ihn nicht nur in Parallele zu Goethes Faust, sondern auch zu Berthold in den Kronenwächtern setzt, der durch Faust scheinbaren Parallele zu Faust, sagt:

selbst, der hier als zwielichtiger Scharlatan gezeichnet ist, mit letztlich fatalen Folgen regeneriert wird. In der PJ ist dies jedoch, wie alles Teufelswerk bei Arnim, ein bloßer Schein und bleibt im übrigen blindes Motiv (Raphael etwa beschimpft den Gelehrten später dennoch als

alter Narr;

vgl. 26,4); in F2 ist

diese Goethe-Reminiszenz dann fallengelassen worden. In entsprechendem Sinne hat auch der - gänzlich unmephistophelische

-

Luzifer, der zumal in der I. Periode die pervertierte Naturwissenschaft verkörpert, Anteil an den ironischen Faustreflexen. Der Schluß seiner großen Rede in 1,2 stellt den Goetheschen Eröffnungsmonolog auf den Kopf. Während Faust sich von der unbefriedigenden Wissenschaft zur Magie wendet, feiert Luzifer in F 1

Ich habs entdeckt und nicht durch Zaubers Gunst, / Durch eignen Scharfsinn allerhöchste Kunst (...). Spiegelglanz wie Luzifer haben zwar mit Faust - jedenfalls nach Arnims Interpretation der Goetheschen Figur - das moderne Elend der Gelehrten gemeinsam, unterscheiden sich aber darin wesentlich von ihm, daß sie vielmehr seinen >Aufstieg< von der Magie zur Wissenschaft:

sich ihres Weltverlusts nicht einmal bewußt sind und keineswegs nach dessen Überwindung streben. Einzige Ausnahme ist vielleicht Spiegelglanz' Schwärmerei, als er in 11,1 unter den magnetischen Einfluß von Johannas Frühlingstraum gerät; auch in diesem Fall reicht es bei ihm jedoch nur zur grotesken Karikatur des Faustschen Enthusiasmus, und im übrigen ist seine >Verwandlung< nur von kurzer Dauer (vgl. zu den konkreten Goethe-Anspielungen in dieser Szene die Einzelerläuterungen). Doch auch der zweite Teil des Goetheschen Dramas, die »Gretchentragödie«, hat offenbar einen Abschnitt der PJ beeinflußt und prägt sogar die Handlungsführung. Gemeint sind die Kap. 3 und 5 der III. Periode: In mancher Hinsicht sind hier Johanna mit Goethes Faust, Stephania/Ludwig mit Gretchen, Sabina mit Frau Marthe und der Goldschmiedgeselle mit Mephisto vergleichbar (vgl. die Einzelerläuterungen). Der Trunk des Weins vom Venusberg erregt in der bis dato asketisch-weltfremden Johanna erotische Wildheit, die an die Wirkung des Ver-

695

Kommentar jüngungstranks auf Faust in der Hexenküche gemahnt; beide Protagonisten entbrennen anschließend für ein schönes F r ä u l e i n (381,31), das sie mit Schmuck beschenken wollen, den im einen Fall Mephisto, im anderen der Goldschmied beschafft. Sogar eine Art Teufelspakt liegt in der Schuldverschreibung Johannas an die Fürstin Venus vor. Die Venusbergszene kann als Gegenstück zur Goetheschen Walpurgisnacht angesehen werden, wobei der Geselle wiederum in einer Mephisto ähnlichen Funktion als Führer und Kommentator der Ereignisse agiert. Überdies waren bei der ersten Konzeption dieser Szenen in TF1 ja auch noch die Zeugung eines unehelichen Kindes und ein tragischer Ausgang der Liebe

zwischen

Johanna

und

Stephania/Ludwig

vorgesehen

(vgl.

Entste-

hung 3.2.1). In den späteren Fassungen der Romhandlung treten die Parallelen der III. Periode zu Goethes F a u s t jedoch in den Hintergrund; so bekommt der Trunk am Venusberg dadurch, daß er mit dem Komplex der Becher des Bacchus verbunden wird (vgl. 3.3), eine völlig neue Bedeutung, die nur noch wenig mit Goethes Zaubertrank zu tun hat. Bei der kürzenden Überarbeitung F2 werden auch verschiedene wörtliche Anklänge eliminiert. Insgesamt verbleibt aber sowohl hier wie an anderen Stellen noch eine ganze Reihe von Anspielungen auf das Goethesche Drama, die in den Einzelerläuterungen nachgewiesen sind.

7. Das Frühlingsfest (II,4) 7.1. Frühlingsthema Das in ll,4 als Zwischenspiel eingefügte F r ü h l i n g s f e s t ist als »perspektivischer Fluchtpunkt« der PJ, wie Ulfert Ricklefs treffend bemerkt, mit dem von Arnim

selbst als Mittelpunkt der Kronenwächter bezeichneten Hausmärchen vergleichbar (Ricklefs 1990b, S. 219). Das Spiel gestaltet das zentrale Problem der

aus der Erfahrung des Dualismus resultierenden Jenseits- und Todessehnsucht, wobei die Hauptfigur Beata als Alter Ego Johannas anzusehen ist und der Frühlingsgott auf ihre Jugendliebe Raphael bezogen wird (vgl. die ausführliche Interpretation bei Ricklefs 1990b, S. 219-236). Brentano lobte das F r ü h l i n g s f e s t nach dessen Erstdruck in der S c h a u b ü h n e von 1813 als Nachspiel zu D e r A u e r h a h n in einem Anfang Oktober geschriebenen Brief an Arnim sehr (vgl.

Entstehung 3.1): Das Frühlingsfest ist reich an schönen, lyrischen Stellen, es ist ganz aus einer der süßen weichen reichen Quellen, von denen das Urgebirg deiner Poesie wie mit silbernen Bändern überströmt ist, es ist aus deiner natürlichsten Natur; deine spätere höhere 696

Überblickskommentare und Quellentexte und belebtere Kunst hast du erlebt, diese hat dich belebt. Bettina von Arnim schrieb ihrem Mann am 4. Juni 1822: (...) in der letzten Zeit war ich reich an Melodien, ich habe manche große Stücke aus Deinem Frühlingsfest am Abend gesungen, die mir sehr ans Herz sprachen; wenn mich nicht am andern Tag der Bleistift wieder verführt hätte, so würde ich vielleicht manches aufgeschrieben haben, vielleicht gelingt mirs in der Einsamkeit (...). Tatsächlich sind mehrere Entwürfe Bettina von Arnims zu Vertonungen von Teilen des Spiels erhalten (vgl. Willison 1989, S. 190; vgl. auch das Faksimile eines Entwurfs ebd. S. 198). Die Frühlingschiffre durchzieht leitmotivisch die gesamte PJ, wobei oft konkret der 1. Mai als traditioneller Frühjahrsbeginn bedeutsam ist; so ist es dieser Tag, an dem Johanna am Anfang von ihrer Mutter auf die Erde gebracht wird (vgl. Erl. zu 6,3). Der Frühling verweist dabei jeweils auf die Sehnsucht nach einer (auch ästhetisch zu verstehenden) transzendenten Idealsphäre, die Johannas Kindheit und Jugend bestimmt; in V,4 wird sie mit dem für sterbliche Menschen unerreichbaren Geisterreich Melancholias und ihrer Schwestern identifiziert (vgl. 4.1). Ansonsten erscheint das Frühlingsreich am Ende der Dichtung in Träumen Johannas (V,4; V,8) und im künstlerisch-künstlichen Spiel des Zauberfestes (V,7), also als Fiktion und ästhetischer Schein. Da Johannas Jenseitssehnsucht in der PJ immer zugleich auch als Todessehnsucht begegnet, gerät das Verlangen nach dem Frühlingsreich in ein problematisches Licht. Dementsprechend ist es das Frühlingsfest, das das Motiv der Seligkeit des Todes einführt (100,24; 108,20; vgl. Erl. zu 207,11; nach den frühesten Skizzen und dem ersten Szenarium zur Romhandlung sollte auch dort zunächst Raphael, den Johanna mit dem Frühlingsgott identifiziert, diesen Gedanken propagieren), und das Spiel endet mit dem Selbstmord Beatas. Andererseits steht jedoch auch Johannas geistige Wiedergeburt durch christlichen Glauben und Liebe am Ende der Dichtung im Zeichen des Frühlingssymbols, das nun auf das christliche Osterfest bezogen wird; darauf hatte bereits der Melancholiamonolog in 1,1 vorausgedeutet, indem er die Frühlingsmotivik mit der Geburt Christi verband (vgl. Erl. zu 6,34; zur Bedeutung des Frühlings als Symbol der Erneuerung und Verjüngung in Arnims Werk vgl. Riley 1977a, S. 48). Die Frühlingschiffre begegnet auch in zahlreichen anderen Werken Arnims, besonders in der Lyrik, wo die »Poetisierung des Frühlings« eins seiner »Lieblingsthemen« ist (Sternberg 1983, S. 59). Vgl. bereits das frühe Gedicht Nähe des Frühlings (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1168; vgl. Werke 5, S. 11), das sich ebenfalls als Feier des Frühlingsbeginns geriert (v. 2) und die Jahreszeit in Beziehung zur Kunst setzt (Es springen auf die Knospen des Gesangs; v. 8), wobei auch in diesem Fall das Achtergewicht auf Tod und Vergänglichkeit liegt. Inter-

697

Kommentar essanterweise wurde dieser Aspekt in der Neufassung des Gedichts in einem Brief an Brentano vom 4. Mai 1802 getilgt (vgl. Werke 5, S. 12). Im Vorspiel zum Heldenlied von H e r r m a n n u n d seinen Kindern in Ariel's Offenbarungen (Arnim 1804, S. 5-8; vgl. Werke 5, S. 14-17; Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1431), das von Brentano in einem Brief an Arnim vom 23. Mai 1804 gelobt wurde (Die Prosaische Einleitung an den Frühling ist hinreißend, sie ist du selbst, wie m a n dich liebt), verbindet Arnim, ähnlich wie im Frühlingsfest, die Opposition Winter/Frühling mit der von Berg und Tal bzw. Himmel und Erde, indem der Bergwind für den Winter, der Talwind für den Frühling steht. Auch hier wird der Glaube an einen ewigen Frühling, also ein irdisches Paradies zurückgewiesen. Die im Frühlingsfest ebenfalls bedeutsame Scheinhaftigkeit des Frühlings bzw. der Frühlingsliebe wird von Plesse und der Gräfin in den Gleichen beklagt: Doch dieser Frühling läßt sich nicht bewahren / Und w e n n er wiederkehrt, so ists nur Schein (l,3; Arnim 1819, S. 30). Zentrales Symbol wird die Opposition von Frühling und Winter im Wintergarten; vgl. auch Erl. zu 3,13 sowie zu 4,15 zur Bedeutung der Chiffren Wärme und Kälte bei Arnim. Der Titel Frühlingsfest ist insofern doppeldeutig, als einerseits in der Handlung der Einlage eine Feier aus Anlaß des Frühlingsbeginns durch Beata und ihre Jungfrauen begangen wird, andererseits das Spiel selbst als solche verstanden werden kann. Frühlingsfeiern, die meist mit Opfern zur Abwehr böser Mächte verbunden waren, finden sich von alters her in fast allen Kulturen (HdA3, Sp. 161-170, vgl. DM 2, S. 637; vgl. auch Erl. zu 164,22 über das Pervigilium Veneris sowie zu 59,6-7 über den Sommertagsbrauch und die damit zusammenhängenden Lieder im Wh). Meist trat dabei eine Personifizierung des Sommers bzw. Frühlings auf (vgl. heute noch den Brauch der Maienkönigin), die eine Verkörperung des Winters bekämpfte und besiegte; dies wurde oft zu regelrechten dramatischen Frühlingsspielen ausgestaltet. Arnim knüpft in einer anspruchslosen Gelegenheitsdichtung mit dem Titel Frühlingsfeier a m Geburtstage der Mutter, die in einer Abschrift von fremder Hand erhalten ist (GSA03|26), an diese Traditionen an, indem er den Empfang der in einem beflügelten Frühlings Knaben in einer Goldenen Wiege verkörperten Jahreszeit durch einen Mädchenchor darstellt. Auch in Arnims Lyrik wird häufig der Frühling personifiziert, so in dem titellosen Gedicht, das im Sängerfest auf Wartburg in Ariel's Offenbarungen der Schwan (!) vorträgt (Arnim 1804, S. 235-240, vgl. Werke 5, S. 73-77; Ricklefs Lyr.Reg. Nr. 362; in SW 22, S. 183-188 veränderte Fassung als D i e Völkerwanderung). Hier bezwingt er den Winter, der als melancholische Jungfrau mit seherischen Gaben gezeichnet ist, die an Beata bzw. Johanna selbst in der PJ

698

Überblickskommentare und Quellentexte gemahnt. In einer optimistischeren Wendung als in der vorliegenden Dichtung bleibt dort jedoch der wie in der burlesken Frühfassung des Frühlingsspiels nur scheinbar schwache Lenz (waffenlos; v. 50) durch die Macht der Liebe Sieger. Ricklefs verweist in Werke 5, S. 1074 auf die Beliebtheit des allegorischen Kampfes zwischen Frühling und Winter als dichterisches Thema seit dem 18. Jh. Ein älteres Beispiel, Der krieg m i t dem winter von Hans Sachs, erscheint in einer von Arnim geringfügig überarbeiteten Adaption Brentanos als Wh II 65 Alte Prophezeiung eines nahen Krieges, der aber m i t d e m F r ü h l i n g endet. Auch die in Arnims Spiel so bedeutsame Verbindung von Frühlingsfeier und Hochzeitsmotiv hat Tradition, etwa im Brauch der symbolischen Frühlings- bzw. Maihochzeit (HdA3, Sp. 167); überhaupt ist der Frühling von jeher die Zeit der Eheschließungen (ebd., S. 159). Das christliche Osterfest wurde ebenfalls als Frühlingsfeier bezeichnet; vgl. z.B. Goethes Faust I, v. 780.

7.2. Schwanrittersage Das Frühlingsfest ging hervor aus einer kurzen burlesken Vorfassung, die in den Paralipomena erhalten ist (vgl. dort 2.3).39 Als von Spiegelglanz miterlebter Traum der Johanna (so sollte zunächst auch die ernstere Neufassung des Spiels gegeben werden; vgl. Entstehung 3.2.2.1) wurde hier eine Adaption der Schwanrittersage gestaltet, deren Protagonist noch nicht ausdrücklich den Frühling, sondern die Verbindung von Liebe und Dichtung im Minnesang verkörperte,40 also eindeutiger als sein Pendant im Frühlingsfest eine Kunstallegorie darstellte. Die Geschichte vom Ritter mit dem Schwan ist erstmals im 12. Jh. als Geschlechtersage des Hauses Boulogne, später des Hauses Brabant nachweisbar (Chanson Le Chevalier au Cigne et les Enfances de Gaudefroi; 1170/90); der wunderbare Fremde soll dabei ein Vorfahre Gottfrieds von Bouillon sein. Wolfram von Eschenbach machte am Ende seines Parzival (1200/10) dessen Sohn Loherangrin zum Helden der Geschichte, woran das im ausgehenden 13. oder im beginnenden 14. Jh. entstandene Versepos Lohengrin eines unbe39

Zum burlesken Charakter dieser Version trägt auch das integrierte Gedicht ( D i e heiligen

drey Könige) bei (49,4|7"; Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 357), von dem noch eine weitere, von der PJ unabhängige Fassung vorliegt (FDH 6 165). 40

Vgl. dazu auch Arnims Erläuterung des musizierenden Paares auf der Titelei zu Wh III als

Darstellung der Verbindung der Lieder u n d der Liebe i m alten Sinn in einer Buchhändleranzeige zu Wh II und III (FBA 8, S. 356) bzw. im Brief an Goethe vom 29. September 1808 (vgl. FBA 9/3, S. 3).

699

Kommentar kannten bairischen Dichters anknüpfte, das Joseph Görres 1813 herausgab (in Arnims Bibliothek erhalten: Sign. Β 881). Diese Version des Stoffes wurde durch Richard Wagners Oper Lohengrin von 1847 die heute bekannteste. Die Geschichte vom Schwanritter war auch als Volksbuch populär. Wilhelm Grimm edierte 1816 im 3. Bd. der Altdeutschen Wälder (S. 49-96) die fragmentarisch erhaltene Dichtung Konrads von Würzburg (1260/70). Im 2. Bd. ihrer Deutschen Sagen von 1818 boten die Brüder Grimm als DS 533-539 eine ganze Reihe verschiedener Varianten nach unterschiedlichen Quellen. (Vgl. zur Stoffgeschichte Frenzel1983, S. 683-685; Karl Wehrhan, Die deutschen Sagen des Mittelalters. 2. Bd. München 1920 [Deutsches Sagenbuch. Hg. von Friedrich von der Leyen. 3. Teil], S. 214-217.) Die frühe Fassung des Spiels steht diesem Stoffkreis noch deutlich näher als das Frühlingsfest, in dem stattdessen die symbolischen Bezüge in den Vordergrund treten. So heißt hier die Heldin noch, wie in vielen Redaktionen der Sage, Beatrix (von Arnim im Frühlingsfest in den sprechenden Namen Beata geändert; vgl. Erl. zu 88,3), und ein einzelner Schwan zieht das Schiff an goldener Kette (im Frühlingsfest erscheint ein ganzer Chor der Schwäne; vgl. Erl. zu 100,7). Eine konkrete Vorlage für Arnims Behandlung des Stoffes ist dennoch kaum zu bestimmen; sicher waren ihm verschiedene Fassungen der Sage bekannt. Aufschlußreich ist in diesem Zusammenhang das Drama Der Auerhahn, das in enger Verbindung zum Frühlingsfest steht: Wie in Entstehung 3.1 dargestellt, gab Arnim diesem Stück Das Frühlingsfest 1813 in der Schaubühne als Nachspiel bei. Im Auerhahn wird nun auf die Schwanrittersage ausdrücklich Bezug genommen; ja in der Zweiten Handlung, die am Rheinufer bei Cleve spielt, erzählt das Kind Walpurgis die Sage vom Schwanritter als Aitiologie eines jährlich veranstalteten Wettschießens: W a l p u r g i s . (...) Dem Aelius Graziiis zu Ehren feiern wir das Schießen. O t t o . Wo lebt denn der, ist das ein wackrer Ritter? W a l p u r g i s . Nun merke ich, daß er ganz dumm im Kopfe. Vor vielen Jahren kam der hier als Knab in einem goldnen Nachen, von Schwänen hergezogen, es war ein großes Schießen um dies Land und wer den besten Schuß gethan, der sollte dieses Landes einzige Erbin, Beatrix, zu der Ehe haben, mit ihr das Land. Da kam der Knab mit einem leichten Bogen, und ward erst ausgelacht und that sogleich den besten Schuß, so ward das Land ihm eigen und auch die schöne Frau. Doch als sie eines Kindes sollt genesen, da floh er fort, er könnt das Schrein nicht hören. — 700

Überblickskommentare und Quellentexte

J u t t a . Kam er nicht wieder? W a l p u r g i s . Nein Herr, sie baute diesen T h u r m , er heißt davon der Schwanenthurm, u n d wartete m i t ihrem Knaben auf dem T h u r m , und sail beständig in die Weite, ob er käme, und stellte jährlich großes Schießen an, u m ihn zu locken, er k a m nicht wieder der schlechte Mensch. Uns ist es recht lieb, denn so sind i h m zum Angedenken diese Schießen jährlich noch geblieben, wir freuen uns darauf das ganze Jahr. (Arnim 1813, S. 57f.) Offensichtlich ist hier also eine Version der Sage zugrundegelegt, die sie auf das Haus Kleve und den »Schwanenturm« am Klever Schloß bezieht, der 1431 durch Herzog Adolf I. erbaut wurde. Dieser Überlieferungsstrang entstand vmtl., nachdem Kleve und Brabant 1163 durch eine Heirat in Verbindung getreten waren (Wehrhan, S. 216). Arnim kannte mit Sicherheit eine Fassung dieses Zweigs der Sage (nach Vincentius Bellovacensis), die fast wortgleich bei Kornmann 1614 (Kap. XXXIII, S. 188f.) und Praetorius 1669 (S. 359) referiert wird. In diesem sehr knappen Bericht wird allerdings zwar abschließend der S c h w a n e n T h u r n zu Kleve erwähnt; sowohl der Schwanritter als auch seine Gemahlin bleiben jedoch namenlos. Zudem zieht der Schwan das Schiff nicht an einer goldenen, sondern an einer silbernen Kette. Insgesamt steht Arnims Wiedergabe im A u e r h a h n Gert van der Schurens

Clevischer Chronik von 1478 besonders nahe; vgl. DS 535 Das Schwans c h i f f a m R h e i n , das u.a. auf dieser Quelle basiert:

I m Jahr 711 lebte Dieterichs, der Herzogen zu Cleve, einzige Tochter Beatrix, ihr Vater war gestorben, und sie war Frau über Cleve u n d viel Lande mehr. Zu einer Zeit saß diese J u n g f r a u auf der Burg von Nimwegen, es war schön, klar Wetter, sie schaute in den Rhein, und sali da ein wunderlich Ding. Ein weißer Schwan trieb den Fluß abwärts, und a m Halse hatte er eine goldne Kette. An der Kette hing ein Schiffchen, das er fortzog, darin ein schöner M a n n saß. Er hatte ein goldnes Schwert in der Hand, ein Jagdhorn u m sich hängen u n d einen köstlichen Ring a m Finger. Dieser Jüngling trat aus d e m Schifflein ans Land, und hatte viel Worte m i t der Jungfrau, u n d sagte, daß er ihr Land schirmen sollte, und ihre Feinde vertreiben. Dieser Jüngling behagte ihr so wohl, daß sie ihn liebgew a n n und zum M a n n e n a h m . Aber er sprach zu ihr: »Fraget mich nie nach m e i n e m Geschlecht u n d H e r k o m m e n ; denn wo ihr danach fraget, werdet ihr m e i n los sein und ledig, und mich n i m m e r sehen.« Und er sagte ihr, daß er Helias hieße; er war groß von Leibe, gleich einem Riesen. Sie hatten n u n m e h r e r e Kinder m i t einander. 701

Kommentar N a c h e i n e r Z e i t a b e r , so l a g d i e s e r H e l i a s b e i N a c h t n e b e n s e i n e r F r a u i m B e t t e , u n d d i e G r ä f i n f r a g t e u n a c h t s a m , u n d sprach: » H e r r , solltet i h r e u r e n K i n d e r n n i c h t s a g e n w o l l e n , w o i h r h e r s t a m m e t ? « U b e r das W o r t v e r l i e ß e r die F r a u , s p r a n g i n d a s S c h w a n e n s c h i f f hinein, u n d f u h r fort, w u r d e auch nicht wieder gesehen. D i e F r a u g r ä m t e sich, u n d s t a r b a u s R e u e n o c h d a s n ä m l i c h e J a h r . D e n K i n d e r n a b e r soll e r d i e d r e i S t ü c k e , S c h w e r t , H o r n u n d R i n g z u r ü c k gelassen h a b e n . Seine N a c h k o m m e n sind noch v o r h a n d e n , u n d i m S c h l o ß zu C l e v e s t e h e t e i n h o h e r T u r m , a u f d e s s e n G i p f e l

ein

S c h w a n sich d r e h e t ; g e n a n n t d e r S c h w a n t h u r m , z u m A n d e n k e n d e r B e g e b e n h e i t . (DS S. 630f.) Hier finden sich offensichtlich alle wesentlichen genannten Details aus Arnims Adaptionen der Sage im A u e r h a h n und in der Frühfassung des Frühlingsspiels; der Name des Schwanritters lautet allerdings H e l i a s . Arnim muß also Kenntnis von einer 1609 belegten Variante gehabt haben, in der die Namensform »Aelius Gracilis« erscheint (vgl. Wehrhan, S. 217). Diese wurde, mit Bezug auf einen in Kap. 53 des 13. Buchs von Tacitus' A n n a l e n erwähnten röm. Legaten, aus der ebenfalls gelegentlich zu findenden Version »(H)elias Grail« verballhornt, die auf die Verbindung zur Gralssage verweist. Auch Jacob Grimm kannte diese Redaktion des Stoffes, denn er notierte in sein Handexemplar der DS (zu DS 534, wo die Form »Helias« ebenfalls vorkommt): H e l i a s a u s A e l i u s

Gracilis

b.

Tac. a n n . 13,53 (DS S. 956). Arnim bezieht den Namen »Gracilis« (lat. schlank, dünn, schmächtig) wortspielerisch auf die scheinbar schwächliche Gestalt des fremden Minnesängers im Kontrast zu dem derben Kunz; dieser beschimpft den Jüngling entsprechend als v e r s c h m a c h t e t e r K n a b e . Nur ein Detail der frühen Fassung des Spiels scheint nicht der Klever Variante der Sage, sondern eher dem Lohengrin-Kreis zu entstammen: daß nämlich der Fremde mit dem Schwan nicht nur unbestimmte »Feinde« seiner Gemahlin bezwingt, sondern einen unerwünschten Bewerber um ihre Hand, wie im L o h e n grin-Gedicht Friedrich von Telramund. Dieser Zug ist im F r ü h l i n g s f e s t als Ausgangspunkt für Beatas Ehescheu, die sie wiederum in Parallele zu Johanna setzt, bedeutsam (obwohl der Kampf des fremden Jünglings mit seinem Rivalen fehlt). Diese Eigenschaft der Heldin steht noch näher als dem L o h e n g r i n - E p o s dem Bericht am Schluß von Wolframs P a r z i v a l , wo die Abneigung der hier namenlosen Fürstin von Brabant gegen jede Vermählung betont wird. Hervorzuheben ist noch, daß der Elius Gracilis des frühen Spiels, anders als in den Sagen, kein Ritter und daher unbewaffnet ist; es ist sein Schwan, der den aggressiven Kunz mit dem Flügel tötet, so wie Melancholia nach den frühen Skizzen Spiegelglanz umbringen sollte. 702

Überblickskommentare und Quellentexte Naheliegend wäre, daß die Bezüge auf die Schwanrittersage in die Zweite Handlung des Auerhahn eingebracht wurden, um die Beifügung des Nachspiels zu rechtfertigen. Tatsächlich wirkt die Integration in das Geschehen des Auerhahn durch das Wettschießen einigermaßen gezwungen, zumal der Knabe mit dem Schwan deswegen, abweichend sowohl von der Stofftradition als auch von den beiden Versionen des Frühlingsspiels, zum Meisterschützen gemacht werden muß (was sich allerdings mit dem mythischen Hintergrund der Schwanrittersage in Verbindung bringen ließe; vgl. Erl. zu 105,23). Doch scheint Walpurgis' Erzählung andererseits in manchen Zügen eher auf die burleske frühe Fassung als auf das im Anschluß an den Auerhahn gedruckte Frühlingsfest zu verweisen. So heißen bei Walpurgis der fremde Knabe noch Älius Graziiis und seine Geliebte Beatrix statt Beata; auch steht der Handlungsverlauf, bei dem es - wenngleich nur vorübergehend - zur Vereinigung der Beatrix mit dem Knaben kommt, der frühen Fassung, aber ganz und gar nicht dem Frühlingsfest nahe. Weiterhin erinnern die Ehescheu der Elisabeth von Cleve und ihre Klage Ο schöne alte Zeit, als noch die Wunderding geschehen, die jetzt gefeiert werden, als schöne Knaben auf den weissen Schwänen angeritten kamen, uns arme Fräulein gegen Grobheit trunkner Ritter zu beschützen (Arnim 1813, S. 59) deutlich an die Abneigung der Beatrix gegen den derben Ritter Kunz und dessen Gesellen im frühen Spiel. Auffällig ist, daß Arnim auch im Auerhahn, wie in den beiden Fassungen des Frühlingsspiels, das im Schwanritterstoff zentrale Motiv des Frageverbots vermeidet, das übrigens in der späten Erzählung (Die Heiratsnot des Pfalzgrafen) erscheint (vgl. Werke 5, S. 802, z. 11-14 und Erl.). Daß der Knabe aus der höheren Welt stattdessen flieht, weil er das Schrein seines Kindes nicht ertragen kann, paßt wiederum zum burlesken Charakter des frühen Spiels, erinnert aber auch an die Melancholia der PJ, die aus ähnlichen Gründen ihren halbirdischen Säugling aussetzt, sowie an Luzifer, der die kleine Johanna in l,2 deshalb dem Menschen Spiegelglanz überläßt (das Motiv der Flucht vor Kindergeschrey findet sich auch in Wh III 38 Lied des Verfolgten im Thurm, v. 25). Ricklefs (1990b, S. 220) verweist darauf, daß in der Neubearbeitung der frühen Fassung im Frühlingsfest, wo der von Schwänen gezogene Jüngling mit dem Frühling selbst identifiziert wird, das Geschehen mythische Züge erhält und Arnim spätere Theorien der Sagenforschung über Bezüge der Erzählung vom Schwanritter etwa auf den Baidurmythos vorwegnimmt (vgl. Erl. zu 112,20). In jedem Fall konnte der Typos der Sage als Erzählung von der gescheiterten Verbindung eines Menschen mit einem Jenseitigen Arnim dazu anregen, diesen Stoff auf die Dualismusthematik der PJ zu beziehen (vgl. auch Erl. zu 261,23-24 über Bezüge der PJ zur ähnlichen Staufenbergersage). 703

Kommentar

7.3. Biographische Referenz: Karoline von Günderrode Das Motiv der Todessehnsucht klang in der burlesken frühen Fassung nur beiläufig in der Drohung der Beatrix an, sich in den Rhein zu stürzen, um sich dem Werben des groben Kunz zu entziehen. Im Frühlingsfest ist dies zu dem tragischen Ausgang durch den Selbstmord der Heldin weitergeführt, der in den abschließenden Worten der Chöre auf das Zentralmotiv der Seligkeit des Todes bezogen wird (vgl. Erl. zu 207,11). In gewisser Weise entspricht diese Katastrophe noch den Schwanrittersagen, wo die Heldin ja häufig ebenfalls (allerdings nach einer Zeit der Vereinigung) aus Kummer über die Trennung von ihrem Geliebten stirbt. Wie der Traumszene in 11,1 zu entnehmen ist, sollte sich Beata zunächst wohl tatsächlich in den Rhein stürzen (vgl. 53,21 und Erl.). Daß sich die unglückliche Geliebte des Frühlingsgottes stattdessen ersticht, ist der deutlichste Hinweis darauf, daß Arnim ein Ereignis aus seinem eigenen Lebensumkreis in das Spiel einbrachte: den Selbstmord der mit Bettina Brentano befreundeten Dichterin Karoline von Günderrode (geb. 1780), die sich am 26. Juli 1806 in Winkel am Rhein, wo sie mit zwei Freundinnen bei dem Frankfurter Kaufmann Josef Mertens zu Besuch war, erdolchte; unmittelbarer Anlaß für den Freitod war die unglückliche Liebe zu dem verheirateten Friedrich Creuzer (vgl. zu Creuzer auch 3.1). Auf diesen Zusammenhang hat erstmals Ulfert Ricklefs hingewiesen (Ricklefs 1990b, S. 233-236). Bettina von Arnim, die sich mit dem Suizid ihrer Freundin bereits 1835 in Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde auseinandersetzte und die ihr dann 1840 den Briefroman Die Günderode widmete, und ihr Bruder Clemens Brentano, der, wie seine Schwester, das Frühlingsfest besonders schätzte, haben den Bezug, so sie ihn erkannten, jedenfalls niemals angesprochen. Arnim erhielt im August 1806 Nachricht von Karoline von Günderrodes Tod durch einen Brief Brentanos, dem ein nicht erhaltener Bericht Bettina Brentanos über das Ereignis, der vieles Schöne hiervon sagt, beilag; außerdem schrieb ihm Bettina auch selbst: Sie wissen wohl gar nichts von allem, wie sie sich am Rhein auf einer grünen Wiese unter Weidenbüschen Abends um zehn Uhr mit lustiger Miene das starke Messer durch die Brust gestoßen, so nah am Rhein, daß ihre aufgeflochtne Haare in das Wasser hingen; die ganze Nacht blieb sie da liegen, bis Morgens der kühle Tau ihr auf die Brust fiel in die tiefe, tiefe Wunde hinein, die gleich im ersten Moment dem Leben so großen Raum gab, schnell zu entfliehen. 704

Überblickskommentare und Quellentexte Arnim antwortete Bettina Brentano in einem Brief aus Göttingen vom 27. A u gust 1806 deutlich bewegt, wobei er die Günderrode, die kurz vor ihrem Tod mit ihrer Freundin gebrochen hatte, gegenüber dieser zu verteidigen suchte:

Der sanfte, blaue Blick der armen Günderode begegnet mir sicherer, nun sie nicht mehr sprechen kann, sie sieht freier und ohne Zurückhaltung in die Welt, wir fühlen uns enger befangen, schlagen die Augen nieder und an unsre Brust, wir konnten ihr nicht genug geben, um sie hier zu fesseln, nicht hell genug singen, um die Furienfackel unseliger, ihr fremder Leidenschaft auszublasen. Ich sage: wir — und doch war ich ihr gar zu nichts, aber ihr doch recht gut (...) in all der lieben, fröhlichen Zeit war sie so mitwirkend zu allem Spiel, so sanft verteidigend gegen die kritische Pflichtbosheit der censirenden Pädagogik von Clemens, daß ich immer bei ihr auf das Lamm komme, das nichts mehr zu opfern hatte und sich nun selbst opferte. (...) Fort also mit dieser entsetzlichen Erklärungswut, was in sich so klar ist, ohne Anspruch zu machen, gut oder böse sein zu wollen, sondern lieber wie ein Bergschatten in die Tiefe des Rheins zu verlöschen. (Arnim spricht im folgenden von) der letzten Zeit, wo sie mit sich ganz einig sein wollte und jene himmlische Freundschaft finden, die auf Erden einzelne Glückliche zusammen belebt und mit ihren Sinnen und mit ihren sterbenden Wurzeln den Boden nicht verschließt, sondern auflockert. Auch der Dolch wird in diesem himmlischen Elemente zur Pflugschaar, die Untat zum bösen Traume, über den wir uns die tränenden Augen auswischen und die Tat darin erkennen, sie weder vernichten noch darüber richten — dazu ist keiner bestellt. Arnims Anteilnahme am Schicksal der Günderrode bezeugen auch Briefe an Goethe mit dem Bericht über den Selbstmord der

Frankfurt

sanften Freundin aus

(1. September 1806) sowie einer Erwähnung von Arnims Unbehagen

am Schauplatz ihres Todes (9. Mai 1808). Eine Anfrage an die Brüder Grimm vom 6. Dezember 1811 über Karoline von Günderrodes Grabspruch (vgl. Erl. zu 107,3) steht offenbar schon im Zusammenhang mit der von Jacob Grimm in einem Brief vom 6. M a i 1812 als

Todtenopfer für

die

Günderode

bezeich-

neten Stelle in der Rahmenhandlung der Novellensammlung von 1812 (auch die Titelheldin der vorangehenden Novelle

Melück Maria Blainville

trägt Züge

der Toten; vgl. Riley 1977a, S. 103 und dazu A n m . 8, S. 170). Hier begegnet bereits die im Finale des

Frühlingsfestes

erscheinende Vorstellung, daß das

Wasser, eins der von Karoline von Günderrode so geliebten Elemente (vgl. dazu Ricklefs 1990b, S. 235f.), die Stätte ihres Todes wieder beansprucht habe:

705

Kommentar

Wir stiegen ans Land und sahen einander stillschweigend an und wiesen auf die Landzunge, die im Strom versunken. Ein edles musenheiliges Leben sank da in schuldlosem Wahn, und der Strom hat den geweihten Ort ausgetilgt und an sich gerissen, daß er nicht entheiligt werde. Arme Sängerin, können die Deutschen unsrer Zeit nichts, als das Schöne verschweigen, das Ausgezeichnete vergessen, und den Ernst entheiligen? Wo sind Deine Freunde? Keiner hat der Nachwelt die Spuren Deines Lebens und Deiner Begeisterung gesammelt, die Furcht vor dem Tadel der Heillosen, hat sie alle gelähmt. Nun erst verstehe ich die Schrift auf Deinem Grabe, die von den Thränen des Himmels jetzt fast ausgelöscht ist, nun weiß ich, warum Du die Deinen alle nennst, nur die Menschen nicht! — Und wir gedachten mit Rührung dieser Inschrift, und einer sagte sie dem andern, der sie vergessen hatte: »Erde, Du meine Mutter, und Du mein Ernährer der Lufthauch, heiliges Feuer, mir Freund, und Du ο Bruder, der Bergstrom, und mein Vater, der Äther, ich sage euch allen mit Ehrfurcht freundlichen Dank, mit euch hab ich hienieden gelebet, und ich gehe zur andern Welt, euch gern verlassend; lebt wohl denn, Bruder und Freund, Vater und Mutter lebt wohl« (V\ferke 3, S. 776f.) Wie in der Novellensammlung errichtet Arnim der seiner Ansicht nach zu Unrecht vergessenen Günderrode somit in gewisser Weise auch im

Frühlingsfest

das von ihm vermißte poetische Denkmal. Daß Arnim Beata, das Alter Ego seiner Heldin Johanna, in Beziehung zu einer tragisch geendeten romantischen Dichterin setzt, ist aufschlußreich für den auch kunstthematischen Aspekt des

Frühlingsfestes wie der gesamten Dichtung. Unklar ist, inwiefern Arnim Kenntnis von Zügen in Karoline von Günderrodes Denken und Dichten hatte, die konkrete Parallelen zu im F r ü h l i n g s f e s t bzw. in der PJ thematisierten Problemen aufweisen. Ricklefs hebt die Bedeutung des Motivs der Todessehnsucht in den Schriften der Günderrode hervor, die sie pantheistisch-naturphilosophisch verklärte (Ricklefs 1990b, S. 236; vgl. Konstanze Bäumer / Hartwig Schultz, Bettina von Arnim. Stuttgart 1995 [Sammlung Metzler 255], S. 29). Besonders bemerkenswert im Hinblick auf die PJ ist, daß Creuzer der Günderrode die B a k -

chische Lehre, daß der Tod seeliger sey als das Leben vermittelte.41 4

' Brief vom 23. Januar 1806; vgl. Karl Preisendanz (Hg.), Die Liebe der Gunderode. Friedrich

Creuzers Briefe an Caroline von Gunderode. München 1912. Nachdruck Bern 1975, S. 218. Im

selben Brief die Ankündigung der Idee und Probe alter Symbolik, die von diesem Thema handelt; mit dem Brief vom 30. April 1806 übersandte Creuzer der Günderrode diese Abhand-

706

Überblickskommentare und Quellentexte

8. Weitere Quellen Einige Werke, die als Quellen für die PJ in Betracht kommen und auf die in den Einzelerläuterungen mehrfach rekurriert wird, sind thematisch keinem der o. behandelten Komplexe zuzuordnen und werden daher im folgenden noch besonders vorgestellt. Häufig handelt es sich um Bücher, die in Arnims heute in Weimar aufbewahrter Bibliothek erhalten sind; wie die meisten Bände aus Arnims Besitz weisen sie kaum Benutzungsspuren wie Anstreichungen etc. auf, die für die Frage ihrer eventuellen Verwendung als Quellen für die PJ aufschlußreich sein könnten.

8.1. Zauberei und Hexenwesen Praetorius 1669 (Arnim-Bibl. Sign. Β 2366). Bodin 1698 (Arnim-Bibl. Sign. Β 2352). Hutchinson 1726; St. Andre 1727; Albertus 1723 (Arnim-Bibl. Sign. Β 2358). Diese Bücher waren u.a. für die - später gestr. - Erzählung Luzifers vom Hexensabbat zu Beginn von l,2 von Einfluß (vgl. Erl. zu 11,2), stellen aber darüber hinaus plausible Vorlagen für weitere Motive dar, die im Stellenkommentar nachgewiesen sind, so etwa für die Brandmarkung des Spiegelglanz in III,2 (vgl. Erl. zu 139,23) oder für Details aus der Darstellung der Besessenheit des Gelehrten in späteren Kapiteln der III. Periode. In Arnims Bibliothek sind die Werke von Hutchinson, St. Andre und Albertus (in dieser Reihenfolge) mit einer Abhandlung über Hexenprozesse von Hermann Adolph Meinders aus dem Jahr 1716 zu einem Band zusammengebunden. Ein in diesen Sammelband sowie in die B l o k k e s - B e r g e s V e r r i c h t u n g eingeklebtes Exlibris Arnims mit der Adresse M a u e r s t r a ß e N o . 3 4 weist auf einen Erwerb dieser Exemplare nach dem 2. April 1809 hin, als Arnim in die genannte Straße zog. Die B l o c k e s - B e r g e s V e r r i c h t u n g des Leipziger Magisters Johannes Praetorius (d.i. Hans Schultze, 1630-1680; 1. Auflage 1668, die in Arnims Bibliothek erhaltene 2. Auflage 1669) gehörte zu Arnims Zeit zu den berühmtesten Ablung,

die ich für Dich schrieb und f ü r Dich besonders binden ließ

(ebd. S. 259). Laut

einem späteren Brief Creuzers vom 11. Mai 1806 (ebd. S. 267) hatte Karoline von Günderrode besonders den Abschnitt D e r T o d gelobt (S. 286f. des Aufsatzes), in dem Silen als e i n

türliches Sinnbild des Todes gedeutet und noch einmal S e e l i g k e i t hingewiesen wird. Vgl. Erl. zu 207,11. 707

auf seine Lehre von

na-

des T o d e s

Kommentar handlungen zum Thema; sie wurde etwa auch von Brentano und den Brüdern Grimm sowie von Goethe (für die Walpurgisnachtszene in Faust I) benutzt. Arnim empfahl das Buch in einem Brief an Carl Wilhelm Dorow vom 25. November 1809; das Tannhäuserlied wurde nach Praetorius, der es wiederum Kornmann 1614 verdankt (vgl. 8.3), ins Wh aufgenommen (Wh 186, vgl. Erl. zu 220,13; vgl. Rölleke in FBA 9/3, S. 755). Zu den >Klassikern< der Hexenliteratur zählt auch der Traite de la demonomanie des sorciers des Pariser Philosophen und Parlamentsrats Jean Bodin (1503-1596), der zuerst 1580 in Paris erschien und bereits ein Jahr später durch Johann Fischart zum erstenmal ins Deutsche übersetzt wurde. Ebenso wie Praetorius und Albertus ist Bodin, der selbst als Richter an Hexenprozessen teilgenommen hatte, von der Realität der Schwarzen Magie überzeugt und wendet sich zumal gegen Johann Weyer, einen frühen Kritiker der Hexenverfolgung. Hingegen stellen die Werke Hutchinsons und St. Andres aufklärerische Traktate gegen den Hexen- und Teufelsglauben dar und wurden ins Deutsche unter der Aufsicht von Christian Thomasius, dem berühmten Vorkämpfer gegen die Hexenverfolgung, übersetzt, der auch eine Vorrede zu Hutchinsons Buch beisteuerte. (Vgl. über Thomasius auch Erl. zu 133,31-32.)

8.2. Mythologie Majer 1803/1804 (Arnim-Bibl. Sign. Β 2923a b). Schatz 1744 (Arnim-Bibl. Sign. Β 71). Im Unterschied zu Nitsch 1793 (vgl. dazu 3.2) widmet sich Majers Lexikon den nicht gräkoromanischen Mythologien und kommt damit als Informationsquelle Arnims für die nordische Götterwelt (vgl. z.B. Erl. zu 182,24-25), aber auch etwa für kabbalistische Sagen in Betracht (vgl. z.B. Erl. zu 18,12). Das Werk von Schatz bietet eine systematische Darstellung aller Lebensbereiche des antiken Rom, wobei die 1. Section des 1. Kap. ausführlich den röm. Pantheon schildert.

8.3. Einzelne Werke Kornmann 1614. Wie die Blockes-Berges Verrichtung des Praetorius (vgl. 8.1), der das Buch des Kirchhainer Juristen Heinrich Kornmann (1579-1627) bereits als Quelle nutzt, war der Möns Veneris zu Arnims Zeit als Fundgrube folkloristischer Stoffe und Motive bekannt und beliebt; das Werk wurde etwa auch von Bren-

708

Überblickskommentare und Quellentexte tano (für die Romanzen vom Rosenkranz) und von den Brüdern Grimm verwendet. Zumal für den Sagenkreis um Venus und Venusberg stellte Kornmanns Buch das Standardwerk dar und wurde entsprechend für die PJ bedeutsam (vgl. auch Erl. zu 154,8-9 sowie zu 160,35). In Arnims Bibliothek hat sich kein Exemplar erhalten; am 30. Juli 1807 teilte er jedoch in einem Brief an Brentano mit, daß er in der Braunschweiger Bibliothek die Vorlage zu Wh II 254 Die Braut von Bessa aus Kornmanns Werk exzerpiert habe (vgl. dazu Rölleke in FBA 9/3, S. 744). Eisenmenger 1711 (Arnim-Bibl. Sign. Β 2332a"b). Johann Andreas Eisenmengers (1654-1704) zuerst 1700 in Frankfurt/M. erschienenes antisemitisches Pamphlet, das wegen seiner reichhaltigen, wenngleich tendenziösen Referate aus dem jüdischen Schrifttum auch eine wichtige Quelle für Brentanos Romanzen vom Rosenkranz darstellt, wurde von Arnim bereits in der Rede Über die Kennzeichen des Judentums von 1811 erwähnt (Werke 6, S. 365) und später für die Majorats-Herren benutzt (vgl. dazu Renate Moering in Werke 4, S. 1035f.).

709

Rezeption 1. Bettina von Arnims Druckfassung von 1846 (SW 19) Das bedeutsamste Ereignis in der Rezeption der PJ ist selbstverständlich die Edition des Werkes durch Bettina von Arnim, da diese Ausgabe bislang die einzige Version darstellte, in der die Dichtung zugänglich war. Arnims Ehefrau hatte sich schon früh bewundernd über die PJ geäußert und schätzte speziell das

Frühlingsfest,

aus dem sie größere Abschnitte in Musik setzte (vgl.

Komm. 7.1). Es war hier also noch naheliegender als bei dem sogenannten 2. Teil der

Kronenwächter,

dem »Anton-Roman« (1854 in S W 4 ) , daß auch

diese unveröffentlichte Dichtung in Bettina von Arnims postume Ausgabe von Arnims Werken aufgenommen wurde. Ähnlich wie beim »Anton-Roman« wurde bei der PJ häufig geargwöhnt, daß die in den S W vorliegende Fassung zum großen Teil eine eigene Schöpfung Bettina von Arnims aufgrund eines Arnimschen Fragments sei.42 Anders als bei dem erstgenannten Werk, dessen Hs. im 2. Weltkrieg vernichtet wurde, ermöglicht im Falle der PJ jedoch die Analyse des Handschriftenkonvoluts, in dem auch das Druckmanuskript von S W 19 erhalten ist, eine >Ehrenrettung< der Herausgeberin. Bettina von Arnim war offenbar bemüht, aus den von Arnim hinterlassenen Blättern eine Fassung zu rekonstruieren, die den Intentionen des Autors, wie seine Witwe sie verstand, möglichst nahekam. Selbstverständlich ging sie dabei nicht als Philologin vor, sondern ist jener Spezies von Herausgebern zuzurechnen, die Winfried Woesler treffend als »Testamentseditor« charakterisiert hat (Woesler 1979, S. 44f.). Textkritisch ist die Druckfassung zweifellos nicht als Werk Arnims anzusehen; wie Woesler bemerkt, ersetzt der Testamentseditor »keinesweg(s) den Autor«, denn »fehlende Automation (ist) durch nichts zu ersetzen«.

42

D a g e g e n wendet sich bereits Merker 1933, S. 301, der allerdings seinerseits - ohne Kennt-

nis der Hs. - Bettina von Arnim für einige »Unklarheiten und Widersprüche« macht, die sich in Wahrheit aus der komplizierten Werkgenese ergeben.

711

verantwortlich

Kommentar Bettina von Arnims Hauptabsicht war offenbar, von F2 wieder zu Fassung F1 zurückzukommen, die sie anscheinend der letzten Überarbeitung vorzog. In einigen Fällen konnte sie dabei einfach die im Zuge von F2 ersetzten Blätter wieder restituieren; oft erschienen ihr diese aber offenbar wegen der aufgrund der komplizierten Textgenese häufig zu findenden Streichungen, (nicht selten mehrfachen) Überschreibungen, ja Überklebungen einzelner Seiten, wozu noch Arnims ohnehin notorisch schwer lesbare Schrift kam, zu unübersichtlich. In diesen Fällen schrieb sie den Arnimschen Text auf eigenen Blättern ab, wobei sie nicht wörtlich genau verfuhr, sondern kleinere Änderungen vornahm, in einigen Fällen auch Passagen aus der kürzenden Prosaüberarbeitung F2 mit der ursprünglichen längeren Fassung kontaminierte (z.B. in der Heklaszene 1,2; vgl. SW 19, S. 20, 24). Gelegentlich sind dabei sogar Stellen aus den Vorfassungen einbezogen, die Bettina von Arnim also offenbar auch konsultiert hat. So stammt das Psalm 23 variierende Lied des Hirtenmädchens in Bettina von Arnims Fassung des Luzifermonologs in l,2 (SW 19, S. 15f.) aus dem Prosaentwurf der Teufelsszene für die Dolores-Fassung (vgl. Paralipomena 2.2.2, 49,2|4r). Bei der Überarbeitung der Erzählung des Fischermärchens durch Sabina in IV,4 griff Bettina von Arnim auf die erste Fassung dieser Szene in TF1 zurück; vgl. den Wortlaut von SW 19, S. 359 mit 49,3|2|36r (Textteil B). Sie setzte auch erstmals die komplette Pfalzballade in die Dichtung ein (SW19, S. 56-62), was Arnim, soweit dies rekonstruierbar ist, zu keinem Zeitpunkt beabsichtigt hatte (vgl. aber Entstehung 3.2.2.1). In einigen Fällen zeigen Bearbeitungsspuren Bettina von Arnims auf Blättern Arnims, die letztendlich durch »Bettinablätter« ersetzt wurden, daß die Herausgeberin diesen Entschluß erst in einem zweiten Arbeitsansatz faßte. Manche Blätter des Arnimschen Manuskripts wurden von ihr auch mit eigenen Blättern überklebt. Die zahlreichen hs. Eingriffe Bettina von Arnims auch auf den von ihr in das Druckmanuskript übernommenen Blättern Arnims waren bisher unbekannt und sind in der vorliegenden Ausgabe erstmals dokumentiert (vgl. den im Anschluß an das Kapitel »Rezeption« folgenden Apparat). Diese Eingriffe sind in den meisten Fällen durch Handschrift oder Schreibmaterial von der Arnimschen Textschicht zu unterscheiden, stellen aber durchaus ein editorisches Problem dar (vgl. »Zu dieser Ausgabe«). Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text sind vorwiegend stilistischer Natur; so versucht die Herausgeberin, Wortwiederholungen zu >korrigierenahnden< noch in beiden Bedeutungen aufführt, vermerkt

der 1. Bd. des DWb von 1854: »In allem fall ist uns der unterschied zwischen ahnen und a h n d e n seit ihrem häufigen gebrauch für zwei ganz abweichende bedeutungen jetzt beinahe unerläszlich« (Sp. 195; vgl. auch Sp. 193). Laut Kluge 1995, S. 20 entsteht >ahnden< im Sinne von >ahneni bereits im 13. Jh. in einigen Mundarten als »hyperkorrekte Form«; »sie ist aber wegen des Gleichklangs mit a h n d e n >strafen< wieder untergegangen.« Vgl. schon Jung-Stilling 1808,

§61, S. 44: Etwas a h n d e n heist einen begangenen Fehler bestrafen, aber etwas a h n e n bedeutet die Empfindung einer, entweder im R a u m oder in der Z e i t , entfernten Sache, so daß man sich derselben mehr oder weniger dunkel bewust ist.

713

Kommentar Die zweite Fassung des Demophonmärchens wurde wohl deshalb nicht von Bettina von Arnim berücksichtigt, da sie als Teil der gekürzten Version des Schlusses der I. Periode (ohne die Markebrunnenlegende) aus F2 vorlag. In der Folge hatte die Herausgeberin dann aber Schwierigkeiten damit, den Beginn der II. Periode in der Fassung von F' zu rekonstruieren; sie erkannte nicht, daß Arnim in dieser Fassung das kurze Schlußkapitel der I. Periode als Einleitung zu dem noch in der szenischen Urfassung ohne Prosaanteile vorliegenden Kap. 11,1 intendiert hatte. Als sie daher dieses Kapitel für das Druckmanuskript noch einmal auf eigenen Blättern abschrieb (49,6|41-43), nahm sie dabei versehentlich auch die neue Einleitung aus F2 in der jüngeren, an das Demophonmärchen anknüpfenden Version auf (49,9|1), so daß 11,1 in der Druckausgabe nunmehr zwei Einleitungen aufweist, wobei der Anfangssatz der zweiten rätselhaft wirkt, weil sein Bezugspunkt, das Märchen, fehlt (vgl. S W 19, S. 95f.). Bemerkenswert ist, daß auch in Bettina von Arnims Schriften der Demophonstoff, möglicherweise angeregt durch Arnims Version, große Bedeutung hat als »Parabel ihrer eigenen Bemühungen, Jünglinge im Feuer des Geistes zu läutern«.44 Ein ungewöhnlich eigenmächtiger Eingriff Bettina von Arnims in den Text der PJ ist die Integration von Arnims bis dato unveröffentlichtem Gedicht H o c h z e i t d e r S o n n e m i t d e m F r ü h l i n g in die Erscheinung der Elementargeister am Ende der Dichtung (V,8). Die Bearbeiterin wurde dazu wohl >verführt< durch die Notwendigkeit, eine von Arnim in sehr kleiner Schrift ergänzte neue Textstufe der Szene auf eigenen Blättern abzuschreiben, von denen das erste auf 49,8| 37 v aufgeklebt wurde. Künstlerisch erweist sich die Zutat als durchaus sinnvoll; vgl. Erl. zu 274,27. Gelegentlich betätigte sich Bettina von Arnim offenbar deshalb als >Zensor< von Arnims Text, weil ihr bestimmte Aspekte unverständlich waren. So eliminierte ihre Abschrift des Melancholiamonologs in 1,1 die Hinweise auf die Wiederholung des Evangeliums auf dem Mars, die ihr wohl zu dunkel erschienen (vgl. S W 19, S. 9f.; vgl. Erl. zu 7,3). Bei der Rede des besessenen Spiegelglanz in III,7 befremdeten die Herausgeberin offenbar sowohl die Nachahmung des Stabreims als auch die - in der Tat recht kryptischen - Anspielungen auf den Mythos vom Fenriswolf (vgl. Erl. zu 182,24-25); beides fiel in ihrer Redaktion weg (vgl. S W 19, S. 316; aus dem Mythos ist nur das Motiv vom Verschlingen der Sonne

44

So Walter Schmitz und Sibylle von Steinsdorff im Kommentar des von ihnen herausgege-

benen Bandes: Bettine von Arnim, Werke und Briefe in vier Bänden. Bd. 2: Goethe's Briefwechsel mit einem Kinde. Frankfurt/M. 1992 (Bibliothek deutscher Klassiker 76), S. 871f. Belege finden sich bei Sibylle von Steinsdorff (Hg.), Der Briefwechsel zwischen Bettine Brentano und M a x Prokop von Freyberg. Berlin-New York 1972, S. 38f.

714

Rezeption geblieben). Kaum zu erklären ist hingegen, daß Bettina von Arnim zwar den ursprünglichen längeren Schluß der III. Periode, der für F2 gekürzt worden war, in einer eigenen Abschrift (Bl. 49,7|60; vgl. S W 19, S. 3 2 2 - 3 2 5 ) wieder einsetzte, dabei jedoch das Ixionlied wegließ bzw. nur in wenigen Zeilen dessen Inhalt zusammenfaßte. Möglicherweise spielte dabei eine Rolle, daß das Lied bereits wenn auch in einer etwas anderen Version - aus der ZfE bekannt war (vgl. Erl. zu 416,11). Übrigens erweisen Änderungen Bettina von Arnims auf 49,9|20 r , daß sie zunächst erwog, Arnims ursprünglichen Text für das Finale der Periode zu übernehmen. Das

Frühlingsfest

lag bereits Bettina von Arnim nicht mehr vor, wie die

Notiz eines bislang nicht identifizierten Mitarbeiters der S W auf dem Umschlag um das Druckmanuskript bestätigt (daß der Eintrag »vielleicht« von Bettina von Arnim selbst stamme, wie Ricklefs 1990b, S. 317 spekuliert, kann aufgrund der Schrift ausgeschlossen werden), laut der nur noch die burleske Vorfassung (Bl. 49,4|7-9) unter den Materialien war (vgl. Überlieferung; der Schluß der Markebrunnenlegende auf Bl. 49,6|37, der hier ebenfalls noch vermißt wird, fand sich offenbar später ein). Auch hier setzte Bettina von Arnim eine eigene A b schrift ein (49,6|66-74; vgl. S W 1 9 , S. 150-172), die offenbar (mit kleineren Änderungen) auf dem Druck in der

Schaubühne

basiert. Dabei änderte sie den

Titel des Spiels in »Frühlingsfeier« (den auch Arnim in den Anmerkungen zur

Schaubühne

verwendete; vgl. EZ 6) und fügte eine kurze Prosaeinleitung hinzu

(SW 19, S. 149f.), die u.a. offenbar durch die Überlegung veranlaßt ist, daß die wiedergegebene Fassung des Frühlingstraums wohl kaum mit dessen gelehrter Bearbeitung durch Spiegelglanz

in lateinischen Reimen

(56,26) identisch sein

kann, daneben auch Bettina von Arnims Interesse am musikalischen Aspekt der Kantate zeigt. Der Druck in S W 19, von dem noch 1853 und 1857 (nunmehr als 20. Bd. der

Neuen Ausgabe

der SW) Titelausgaben erschienen (vgl. Malion 1925, Nr. 2 2 3

und 253; die Ausgabe von 1857 wurde 1982 faksimiliert), weist kleinere A b weichungen vom Druckmanuskript auf, die offenbar durch letzte Änderungen Bettina von Arnims in den Fahnen zu erklären sind. Der Abdruck ist ansonsten, wenn man die komplizierte Handschriftenlage und die zahlreichen schwer leserlichen Passagen berücksichtigt, recht sorgfältig, wobei aber doch einige z.T. sinnentstellende Druckfehler unterlaufen sind; auf diese ist - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - in den Einzelerläuterungen hingewiesen. So ist beispielsweise durch die Fehllesung »Reinera« statt

Remora

in Sabinas Version des Fischer-

märchens in IV,4 ( S W 1 9 , S. 358) die Referenz auf die röm. Sage vom Schiffshalter unverständlich geworden, und Arnims Parallelisierung der Märchenhandlung mit Johannas eigener Geschichte erscheint plumper, als es vom Autor

715

Kommentar beabsichtigt ist (vgl. Erl. zu 209,29 und Komm. 6.1). Eine Folge der komplizierten Textgenese ist es, daß die I. Periode in diesem Druck zwei 3. Kap. aufweist (SW19, S. 26 und 51); Arnim hatte noch in F2 versehentlich zwei 2. Kap. gezählt (vgl. Entstehung 3.2.4). Vgl. zum Verhältnis von S W 1 9 und dem hs. Material die Textzeugenbeschreibung im Abschnitt »Überlieferung«. Es konnte nur eine Rezension von S W 19 ermittelt werden; diese erschien in Nr. 50 des von Wolfgang Menzel redigierten L i t e r a t u r b l a t t s zu Cottas M o r g e n b l a t t f ü r g e b i l d e t e L e s e r vom 13. Juli 1847 im Rahmen einer Besprechung aller zu diesem Zeitpunkt bereits vorliegenden Bände der Ausgabe. Der Artikel ist als Apologie Arnims angelegt, der als e i n e r u n s e r e r b e g a b t e s t e n

Dichter gegen die Kritik der klassischen und modernen Schule verteidigt und zugleich als weniger romantischer denn typisch n o r d i s c h e r Poet eingestuft wird. Die Behandlung der PJ beginnt mit der Feststellung: D i e s e s w u n d e r b a r e

Werk aus dem Nachlaß des Dichters zeigt uns Arnim in seiner ganzen E i g e n t h ü m l i c h k e i t (S. 198) und schließt eine ausführliche, wenngleich nicht in allen Details korrekte Inhaltsangabe (S. 198-200) mit längeren Verszitaten an,

die zeigen sollen, wie zierlich der Dichter auch alle Nebenparthien sein e s W e r k s a u s m a l t ; so ist der größte Teil des, so der anonyme Rezensent,

sehr launigen Champagnerlieds vom Spiritus Sylvester abgedruckt. Die Rezension schließt mit folgender Würdigung:

Wenn m a n dieses phantastische Mährchen nach klassischen Regeln beurtheilen wollte, würde m a n sehr unrecht t h u n . Es läßt sich von diesem Standpunkt aus freilich alles Mögliche dagegen sagen. Ein geschichtlicher Stoff ist hier m i t grenzenloser Willkür behandelt, der traditionelle Charakter der Päpstin völlig umgeändert; die Wirkungsgeschichte des zwitterhaften Geschöpfes ist im höchsten Grade unwahrscheinlich; das Verhältniß des m ä d c h e n h a f t e n Jünglings zur männlichen J u n g f r a u ein unnatürliches Raffinement; das K o m m e n und G e h e n des Raphael, des Oferus, der Melancholia i m m e r unmotiviert, wie m a n zu sagen pflegt, bei den H a a r e n herbeigezogen. Aber auf all das k o m m t es nicht an. Der Dichter wollte die Regeln gar nicht anerkennen und braucht es auch nicht. I h m k a m es in seinem phantastischen Mährchen n u r darauf an, den Sieg des Blutes und der Jugend über alles, was es in der Welt irgend geben kann, ja über H i m m e l und Hölle selbst zu feiern. Die süße Schwärmerei des jungen Herzens darzustellen ist i h m n u n meisterhaft gelungen, u n d die abenteuerlichen Gestalten u n d Scenen, die das Gedicht herbeijagt, verhalten sich n u r wie Träume zum Blut. Das alles liegt i m Orgiasmus der ersten Lebensmaiwonne, und selbst das Zwitterhafte 716

Rezeption

hat hier seine natürliche Rechtfertigung. Mit einem Wort, das Gedicht muß subjektiv genommen werden und läßt keine Regel klassischer Objektivität zu. Das ganze Mährchen ist ein lyrischer Erguß, wie schon die glühende Sprache und das Vorherrschen langer Monologe darthut. Trotz seiner reichen Phantasie ist fast noch mehr musikalisches Element in ihm, als bildliches. Die Kennzeichnung der PJ als Märchen ist insofern bemerkenswert, als sie mit Arnims eigener Charakterisierung des Werkes im Brief an Perthes vom Februar 1813 übereinstimmt (vgl. EZ4), den der Rezensent selbstverständlich nicht kennen konnte. Übrigens beurteilte der als Redakteur für diese anonyme Besprechung verantwortlich zeichnende Wolfgang Menzel zwölf Jahre später im 3. Bd.

seiner Literaturgeschichte Deutsche Dichtung von der ältesten bis auf die

n e u e s t e Z e i t (Stuttgart 1859) die PJ rein negativ als w i l l k ü h r l i c h s t e Z e r -

störung aller mittelalterlichen Denkart (S. 344f., 350; vgl. auch den Ab-

schnitt über Schernbergs Juttenspiel in Bd. 2, S. 101-103).

2. Spätere Rezeption Auch nach der Druckausgabe der PJ blieb das Werk fast gänzlich unbeachtet. Ist im Hinblick auf Arnims CEuvre ohnehin eine weitgehende Konzentration der Rezipienten auf einen relativ kleinen Teil des erzählerischen Werks zu beobachten, so ist die PJ wohl die am wenigsten gewürdigte größere Schöpfung dieses Dichters. Eines der wenigen >Rezeptionszeugnisse< der Dichtung stellt das Grimmsche Wörterbuch dar, das die zahlreichen ungewöhnlichen Wörter und Wendungen der PJ aufgrund von SW 19 als - manchmal einzige - Belegstellen für einzelne Artikel heranzieht; viele davon sind in den Einzelerläuterungen zu den entsprechenden Stellen ohne Anspruch auf Vollständigkeit nachgewiesen.

2.1. Teildrucke Bis zur vorliegenden Edition ist das Werk seit den SW niemals vollständig neu herausgegeben worden; selbst Auszüge finden sich nur selten, wobei bemerkenswerterweise sowohl Max Koch 1892 in DNL146 (S. 111-124) als auch Jacobs 1908 (S. 506-522) die - in ihrer Urfassung in der D o l o r e s - bereits von den Brüdern Grimm gelobte Gartenhausszene II,3 auswählen (vgl. auch das bei Kraft 1925, S. 62f. zitierte Lob dieser Szene durch Adolf von Hatzfeld, der die PJ ansonsten zu den »durchweg verunglückten Stücken« Arnims zählt). In seiner 717

Kommentar Einleitung (S. Cllf.) druckt Koch zudem einen Auszug aus Johannas Monolog in 111,5 (SW19, S. 242-245), dessen »Zartheit und dichterische Vollkraft« er lobt. Jacobs bietet neben II,3 noch zwei umrahmende »Bruchstücke« aus l,3 und V,2-5 (S. 497-505 und 523-540; mit einem kurzen Auszug aus dem Schlußgesang der Elementargeister auf S. 541); interessant ist, daß er das Werk in Bettina von Arnims Fassung »nicht als Drama, sondern als Fragment eines Romans, mit szenischen Einlagen« einordnet (Einleitung, S. 16). Reinhold Steig druckt im 3. Bd. seiner Auswahlausgabe (Leipzig 1911) lediglich das Frühlingsfest nach der Schaubühne ab (S. 257-282). Die Anthologie Völker 1977 bietet auf S. 49-83 den Schluß der III. Periode ab SW 19, S. 242 (lll,5).45 Der für die Arnim-Studienausgabe Werke 1-6 geplante Dramenband, der auch die PJ enthalten sollte, kam leider nicht zustande; stattdessen bietet Ulfert Ricklefs im Gedichtband (Wferke 5, S. 813-840) die meisten lyrischen Einlagen aus dem Werk, z.T. mit alternativen Versionen und mit ausführlichem Kommentar, und nimmt auf S. 803-813 zudem Auszüge aus dem Frühlingsfest nach dem Druck in der Schaubühne auf.

2.2. Wissenschaftliche Rezeption Auch die germanistische Forschung interessierte sich lange Zeit wenig für die PJ, und selbst renommierteste Arnimkenner der älteren Schule waren offenbar mit dieser Dichtung weit weniger vertraut als mit anderen Werken des Autors. So setzt Otto Mallon in seiner Arnim-Bibliographie von 1925 die Gartenhausszene irrtümlich mit dem Frühlingsfest gleich (Nr. 196, S. 101), und Steig 1894, S. 308 behauptet fälschlich, Johanna sei »von den bösen Mächten der Tiefe (...) geboren«. Wichtige Impulse gab erstmals Max Kochs Einleitung zur o. erwähnten Edition der Gartenhausszene in DNL146 (S. C-CIII): Koch wies auf Gottscheds Neudruck des Juttenspiels als Hauptquelle, auch auf den Bezug zu Dorothea Schlegels Übersetzung der Merlinsage hin (vgl. Komm. 6.3); vor allem aber zollte er der poetischen Qualität der PJ, die er mit Immermanns Merlin verglich, höchstes Lob: »Allein an Gedankentiefe und Kunst der Charakterzeichnung gehört Arnims Päpstin Johanna zum Bedeutendsten, was die deutsche Romantik überhaupt geschaffen hat. (...) Die vollendete, zu ungünstiger Zeit erscheinende Dichtung fand (...) bis heute (nicht) die verdiente Würdigung«. Im 45

Völkers Textauswahl erschien neu in seiner Übersetzung des Johanna-Romans von Emma-

nuel Rhoides (Frankfurt/M. 1993, S. 275-414; vgl. Komm. 1.1) sowie in gekürzter Form, die auch die Passage aus Arnims PJ umfaßt, in einer späteren Ausgabe desselben Romans, der jedoch eine Übertragung Paul Friedrichs zugrundeliegt (Bergisch Gladbach 2000, S. 315-386).

718

Rezeption Gegensatz Johanna/Spiegelglanz sah Koch den Konflikt zwischen Romantik und Aufklärung reflektiert. Allerdings wendete Koch andererseits auch auf die PJ den von jeher gegen Arnims Werk erhobenen topischen Vorwurf der »Formlosigkeit«, der »willkürlichen Überladung« an (vgl. dazu z.B. Hoffmann 1972, S. 2 8 9 und Andermatt 1996, S. 4 8 - 8 1 ) und zitierte gar aus dem 1. Bd. der M e moiren von Adolf Friedrich Graf von Schack (Leipzig-Stuttgart 1888), wonach die PJ sowie H a l l e u n d J e r u s a l e m

»an Extravaganz der Erfindung und an

Wirrwarr der Handlung zum Tollsten (gehören), was irgend ein Dichter geleistet hat«. A u c h mutmaßte Koch, daß »dem Ganzen noch die letzte ausgleichende Überarbeitung« fehle; den Druck von Versen in Prosaschreibweise in S W 19 hielt er für einen Irrtum. Kochs Bemerkungen über die PJ waren auch die Anregung für die ein Jahrzehnt später erschienene erste kleine Spezialstudie über das Werk, den Aufsatz von Hermann Speck, wie dessen Verfasser bekannte. Speck ging noch einmal mit positivistischer Gründlichkeit der Quellenfrage nach und kam zu

dem

Schluß, daß Arnim weitere Fassungen der Sage außer Schernbergs Spiel gekannt haben müsse; dies hatte allerdings schon 1895 Walther Bottermann in seiner Göttinger Diss. »Die Beziehungen des Dramatikers Achim von Arnim zur altdeutschen Literatur« festgestellt (S. 10-20). Neben Kochs Einleitung bezieht sich Speck auch auf Reinhold Steigs kurze Charakterisierung der PJ in seiner Ausgabe des Briefwechsels zwischen Arnim und Brentano von 1894 (S. 307f.), die im Zusammenhang

mit dem ersten Abdruck des Briefes an Brentano vom

16. Januar 1813 steht (vgl. EZ 3). Da der Brief an Perthes, der den Abschluß von F2 dokumentiert, seinerzeit noch nicht bekannt war, hielt Steig die Dichtung für unvollendet, worin ihm spätere Forscher folgten; vgl. neben Speck etwa die Einleitung in Jacobs 1908, S. 13, wonach der Druck in S W 19 »zwar äußerlich abgerundet erscheint, in Wiederholungen, Widersprüchen, abgebrochenen M o tiven aber deutlich die Merkmale eines unvollendeten Entwurfs erkennen« lasse. Arnims Intention in der PJ sieht Steig darin, »aus christgläubiger Weltanschauung heraus ein großes Bild des Mittelalters überhaupt zu entwerfen«, und verweist auf autobiographische Reminiszenzen in der Kindheitsgeschichte und der Gelehrtensatire. Steig war es auch, der 1903 einen kleinen Aufsatz über das Verhältnis der Arnimschen Adaption des Fischermärchens zu Runges Fassung vorlegte. Werner Krafts ungedruckte Diss, von 1925 zur Geschichte des Päpstinstoffes ist für Arnims Dichtung unergiebig; schon rein quantitativ steht hier offensichtlich Rudolf Borchardts fünf Jahre zuvor erschienenes Fragment »Verkündigung« im Mittelpunkt (Kraft widmete Borchardt 1961 eine umfangreiche

Monogra-

phie). Wenn Kraft an Arnims PJ lobt, daß diese die »Idee der Freiheit« im Stoff

719

Kommentar der Päpstinsage weiterentwickelt habe, so soll sie damit nur quasi als Vorbereitung der eigentlichen Entfaltung dieses Themas bei Borchardt fungieren. Kraft hebt, insofern an den Rezensenten des Literaturblatts von 1847 anknüpfend, das Märchenhafte von Arnims Dichtung hervor, wozu in der Romhandlung eine Tendenz zum »historischen Roman« trete; daneben betont er, wie Steig, den christlichen Gehalt, kehrt aber letztlich wieder zu alten Topoi der Arnim-Kritik zurück, wenn er ein »völliges Zerfließen der Handlung« konstatiert (S. 64): »Arnims Päpstin Johanna ist (...) so sehr ohne die geringste Form, sosehr nur ein völlig unbeherrschtes Fabulieren im Bann der leersten Reimsucht, dass eine ins Einzelne gehende Entfaltung des stellenweise zu grenzenloser Verwirrung sich verstrickenden Geschehens kaum möglich ist« (S. 52). Im Unterschied zu Steig hält Kraft übrigens die PJ durchaus für abgeschlossen; die genannten Mängel sieht er in Arnims angeblicher Unfähigkeit zur vollendeten künstlerischen Form begründet. Die wichtigste frühe Spezialuntersuchung zur PJ stellt Paul Merkers Aufsatz von 1933 dar, der vor allem die Quellenfrage eingehender als seine Vorgänger behandelte und dabei auch auf Vorlagen für einzelne Motive und Episoden sowie vor allem erstmals auf die Historia Ottonis des Liudprand von Cremona bzw. Löschers Historie des Römischen Huren-Regiments als hist. Folien der Romhandlung hinwies (vgl. Komm. 2). Steigs These von einem fragmentarischen Charakter von SW 19 wies Merker strikt zurück und setzte die »Mischform« des Werkes stattdessen in den Kontext der Romanpoetik Friedrich Schlegels. Bei Merker findet sich auch die These, daß Arnim »mit diesem Werk seine Faustdichtung schreiben wollte« (S. 322). Doch die eigentliche Grundlage für eine wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der PJ, nicht zuletzt auch für die vorliegende kritische Edition, stiftete erst Ulfert Ricklefs' Göttinger Diss, von 1966, die, in beträchtlich erweiterter Fassung, 1990 im Druck erschien. Ricklefs arbeitete erstmals mit dem Handschriftenmaterial im GSA und kombinierte in seiner Darstellung philologische Analyse der Textgenese und darauf fußende Werkinterpretation. Dabei gelangte er zu einer gänzlich neuen Einschätzung der PJ als eines der Hauptwerke Arnims. Diese Dichtung markiere die Wendung von romantisch-idealistischen Tendenzen im Frühwerk des Autors zum »symbolischen Realismus« und gestalte diesen Prozeß zugleich poetisch in der Entwicklung der Heldin Johanna von weltfeindlicher Jenseitssehnsucht hin zum Glauben an die Inkarnation des Ewigen im Endlichen, wobei besonders die Rezeption neuplatonisch-gnostischen Gedankenguts prägend sei. Ein Einleitungsteil stellt die PJ in den Horizont der poetologischen Theorie Arnims, die laut Ricklefs, im Gegensatz zur Frühromantik, mit dem Prinzip der »getäuschten Täuschung« der »Magie« der dichterischen Subjektivität »Grenzen« aufzeigt.

720

Rezeption Die Bedeutung dieser Monographie als Meilenstein der Arnimforschung ist zwar allgemein anerkannt worden; weitere Studien zur PJ sind aber dennoch bislang spärlich geblieben. Ricklefs selbst hat seiner Interpretation des Werkes in seinen zahlreichen weiteren Arbeiten zu Arnim eine Reihe wichtiger Einzelbeobachtungen hinzugefügt, die in den Kommentaren der vorliegenden Ausgabe herangezogen sind (vgl. z.B. Ricklefs 1990a, 1998a und 1998b). Spezialuntersuchungen zu Arnims Päpstindichtung verfaßten nach Ricklefs nur noch der Hg. der vorliegenden Edition mit einem Aufsatz zur Bedeutung des Themas der Gelehrtenkritik (Barth 2000) sowie Uwe Japp (Japp 2000). Japp bestimmt als Prinzip des V\ferkes inhaltlich wie gattungstheoretisch die »Vertauschung« und nennt es das - im Sinne des Schlegelschen Postulats der Gattungsmischung »romantischste Buch«. Die kurze, sehr abwertende Stellungnahme zu Arnims Dichtung aus feministischer Sicht in Elisabeth Gössmanns Rezeptionsgeschichte der Päpstinsage (vgl. Komm. 1.1) befindet sich nicht auf dem seinerzeit (1994) aktuellen Forschungsstand, da sie ohne Kenntnis von Ricklefs' Arbeit verfaßt ist. Sabine Doering beschränkt sich, der Themenstellung ihrer Untersuchung gemäß, im Abschnitt über Arnims PJ (Doering 2001, S. 56-63) auf die Frage nach Beziehungen der Heldin zum Fauststoff (vgl. Komm. 6.6).

2.3. Dichterische Rezeption Den einzigen bekannten Fall einer dichterischen Rezeption der PJ, der jedoch eher als Kuriosum anzusehen ist, stellt das 1921 anonym in Wolfenbüttel erschienene Werk »Die Mär von Frau Jutten, der Päbstin Johanna« dar. Der archaisierende Titel läßt zunächst allerdings eher eine Adaption von Schernbergs Juttenspiel erwarten, zumal auch noch dessen vollständiger Originaltitel zitiert wird. Erst eine kleine Notiz auf einem weiteren Titelblatt kündigt an: »Eine freie Bearbeitung des Arnim'schen Fragmentes (!)«, und ein kurzes Nachwort geht näher auf die Beziehung zu der auch hier als »fragmentarisch« gekennzeichneten PJ ein: »Diese Ausgabe ist eine Bearbeitung des Arnim'schen Buches, allerdings gekürzt, geändert und ergänzt unter Benutzung des >Spieles< von Schernberck und verschiedener Abarten der alten Volkssage.« Tatsächlich legt der im Nachwort als »H. St.« zeichnende Verfasser weitgehend eine stark kürzende Nacherzählung von SW 19 mit spärlichen Verszitaten vor. Gewissermaßen führt er damit unwissentlich das von Arnim laut dem Brief an Perthes (vgl. EZ4) unternommene Projekt einer der allgemeinen Verständlichkeit angenäherten Romanfassung der Dichtung radikaler weiter, freilich in einer Weise, die über weite Strecken nicht viel mehr als eine bloße Inhaltsangabe übrigläßt (die gesamte II. Periode wird zu einem Kapitel von et721

Kommentar was über drei Seiten!). Seltsamerweise ist jedoch ausgerechnet die Markebrunnenlegende vollständig abgedruckt. Der Autor folgt der Druckausgabe von 1846 stellenweise so genau, daß sogar die fälschliche Bezeichnung Marozias als Schwiegermutter statt Stiefmutter Raphaels (S. 18; vgl. SW 19, S. 128 nach 49,3| 1|11v) und der irrtümliche Rückverweis in IV,2 auf eine Prophezeiung der Kindsgeburt durch den besessenen Spiegelglanz übernommen sind (S. 98; vgl. SW 19, S. 339 nach 49,7|68r). Einige nicht unwesentliche Details sind vereinfacht; so erscheint Oferus zwar noch als Figur, nicht er ist aber der Vater Johannas, sondern Luzifer selbst (S. 11); das Fischermärchen ist aus der Pfalzepisode entfernt (S. 25); beim Examen wird nicht das Frühlingsfest vorgetragen, sondern, sozusagen in einer Umkehrung von Arnims ursprünglichem Konzept aus der Dolores-Fassung, ein von Johanna verfaßtes Lehrgedicht, das sie aber Spiegelglanz zuschreiben muß (S. 39); die Szene in der Basiliskenhöhle (III,2) ist gänzlich eliminiert; Luzifer erscheint in Rom nicht mehr als Chrysoloras, sondern unter dem von Arnim in 1,1 erwähnten Namen »Kephalas« (S. 67). Die Hinweise auf den Magnetismus werden durch den im 20. Jh. geläufigeren Begriff »Hypnose« erg. (S. 41). Erst gegen Ende des Buches macht der Bearbeiter seine Ankündigung wahr, eins der bei Arnim fehlenden Motive aus Schernbergs Juttenspiel bzw. der Sage zu integrieren: die Geburt des Kindes der Päpstin, die hier durch einen Zaubertrank des »Kephalas« verursacht sein soll, der die Bacchusbecher ersetzt (S. 116)1 Diese ja nicht unwesentliche Änderung bleibt jedoch blindes Motiv; Luzifer/»Kephalas« vergiftet das Kind kurz darauf wieder, ohne daß dessen Geburt irgendeine Konsequenz für die Handlung gehabt hätte (S. 123). Der Schluß ist auf wenige Seiten gerafft; das gänzliche Unverständnis des Bearbeiters für Arnims Dichtung zeigt sich hier vor allem darin, daß die Peripetie vor dem Kruzifix fehlt, womit Johannas Wandlung unmotiviert bleibt.

722

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text bei ihrer Bearbeitung des Manuskripts für die Druckausgabe von 1846 ( S W 19) Der folgende Apparat dokumentiert die Textänderungen, die Bettina von Arnim auf den von Arnim stammenden Handschriftenblättern vorgenommen hat, die sie in ihr Druckmanuskript integrierte. Links vom Lemmazeichen ist jeweils der Wortlaut bei Arnim, rechts davon Bettina von Arnims Bearbeitung der betreffenden Stelle notiert. Vgl. zu den Prinzipien der Darbietung im übrigen das Kapitel »Zu dieser Ausgabe«.

Textteil A: Fassung F2 3,14-15 und sie zum reifen Leben trägt] dem reifenden Leben sie zuträgt 3,17 unbewohnbar] unbewohnt 3,21 lebte] (1) verlebte (2) lebte 4.13 gewirkt] (1) bewirkt (2) gewirkt 4,24 Fremden] (1) Fremder Nationen (2) Fremden 4,35 schmücke] (1) schmücken solle (2) schmücke 5,7-8 Er arbeitete nämlich schon seit Jahrhunderten] (1) seit Jahrhunderten arbeitete er (2) Er arbeitete seit Jahrhunderten 5,8 etwas] ein 5.14 und] er 5,17 empfangen] (1) in sich aufnehmen (2) empfangen (3) entnehmen 5.23 er] Oferus 5.24 ahndete] ahnete 5,31 menschliche] irdische 5,33-35 und seine Stunden (...) schon gefährlich,] (1) (nach Arnims Text erg.:} obschon beim Mondwechsel er der bösen Sucht unterworfen war 723

Kommentar (2) (Arnims Text geändert in:) u n d (a) b + (b) obschon beim Mondwechsel oder auch bei heftigen Anlässen er der bösen Sucht häufig unterlag, so machte doch die gewaltige Stärke seines Armes ihn Allen gefährlich, 7,5 Mittler Gottes] Gottheit Mittler 7,8-11 unterweist (...) ihn geschehn.] (1) unterweist Es ist Auch dir der Langgeahnete erschienen, U n d weist (...) ihn geschehn. (wie Text) (2) unterweist Der Beginn des 1. Verses der gestr. Passage ist von Bettina von Arnim unterstrichelt; vmtl. erwog sie also vorübergehend, die Tilgung wieder rückgängig zu machen. 7,16 ahnden] a h n e n 7,31-34 I h r Kind (...) scheint erkoren,] die beiden Verspaare von Bettina von Arnim in zwei separaten Arbeitsgängen gestr. 8,30-32 Leiden, (...) will lachen] Leiden, 8,37 H ä t t nicht Phlegmatica f ü r mich gebeten] Bettina von Arnim streicht das von Arnim üdZ erg. f ü r mich gebeten und erg. davor m a g nicht, das offenbar nach ihrer Absicht zwischen Phlegmatica und dem von Arnim gestr. dazwischen treten eingesetzt werden soll; vgl. auch die Lesart auf dem von Bettina von Arnim stammenden Bl. 49,6|6V bzw. in SW19, S. 11: Phlegmatica m a g nicht dazwischen treten 9,11-14 verliehen. (...) nicht schrecken,] (1) verliehen. Und dennoch last er sich darin nicht schrecken, (2) verliehen. Seit Jahren läst der Thor Retorten glühen U n d siehet nichts als Dunstgebilde schwirren Und dennoch läst er sich darin nicht irren, Die für Stufe (1) vorgenommene Streichung des mit Seit Jahren beginnenden Verspaars ist in Stufe (2) nicht rückgängig gemacht, offenbar aber als aufgehoben zu betrachten; vgl. auch die Lesart in Bettina von Arnims Abschrift der vorliegenden Passage auf 49,6|6V (danach SW 19, S. 12): Seit Jahren läßt der Thor Retorten glühn In denen nichts als Dunstgebilde schwirren Und dennoch läßt er sich davon nicht irren; 9,27 Kuß] Lust Kuß 11,9 Ach daß] indeß

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Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

15,28 Planen,] Planen reizt 24.10 must] thät 24,31-33 Sylvester (...) dann so fester.] Sylvester 25.2 mitgefühlt] mit uns fühlt 25.19-26 Ahndend sang (...) Und mit Treue] Ahnend sang der Fink im Garten: (1) Als (2) Wennl du aus der Schul gegangen Nimmt ein Mädchen dich gefangen Spiritus hat sie geführt Daß sie horche deinem Liede Und mit Liedern 27,5-10 Raphael. (...) führt ihn fort,] Spiegelglanz. (1) Ich sag euch geht, es ist nicht richtig / In seinem Kopf, jezt gehet fort, (2) Ich sage euch jezt macht Euch fort, 27,21 alle,] Alle! 27,26 in dem Reich,] sein im Reich! 27.28-30 Du (...) verstummst.] Du Heuchler! jezt bist du belauert, 28,5 du Heilger] Prophete 29,11-15 Steh auf (...) Ich stärke] Ich komme auf Flügeln des Windes, / Zu schützen dich Wächter des Kindes / Zu stärken 29.20-22 Ich wage (...) kaltem Graun,] Es hängt ein graues Felsstück droben, 29.29-30 mir, / Du Führer vom mächtigsten Kinde,] mir, 38.3 Als das Lied zuende, war] Das Lied war zuende 38.4 unendlich weit] weit 38,7 und trauerte] trauernd 38.11 sondern begrüste] begrüste 38,11 sie] (1) sie heiter (2) sie 38,18-19 Oferus der inzwischen auch hinzu getreten war,] Oferus 38,23 kein böses Herz ist dankbar] Eigensucht versäumt die Dankbarkeit obschon er sie pflegen sollte da er oft den Dienst des Gütigen verlangt 38,26 und] (1) und nun (2) und 38,26 anlachte] anschnarchte 40,19 fahr] bring 40,37 wunderlichen] seltsamen 41,4-5 Der Pfalzgraf fragte] Bettina von Arnim setzt zunächst vor Pfalzgraf mit einem D zu einer Korrektur der von Arnim nicht vollständig ausge725

Kommentar führten neuen Textstufe (vgl. Varianten) an, verwischt diesen Buchstaben jedoch wieder und stellt stattdessen die ältere Textstufe D i e K i n d e r f r a g t e n wieder her.

41,6 den Kindern] ihnen 41,14-15 und dem Segen Gottes zu] zu 41,17-18 einem Fische (...) die Angel] einem Fisch angebissen (1) wurde 4- (2) und fortgezogen wurde; eines Tages zuckte die Angel 41,21 Ey] »Ey 41,25 Fischer] »Fischer 41,25 du] du 41.28 magst.] magst.« 41.30 Wasserstaar] »Wasserstaar 41.31 Munde] Schnabel 41.32 haben.] haben.« 41.33 Munde] Schnabel 41.34 Fischer] »Fischer 41,34-35 die See] den Rhein 41,36 mag.] mag.« 41.38 Ja] »Ja 41.39 wünschen?] wünschen,« 41,39 Haus und Hof,] »Haus und Hof,« Bleistift 4 2 , 4 - 9 M o n d s c h e i n (...) H ä u s c h e n ihr.] Bettina von Arnim setzt die Strophe in Anführungszeichen. 4 2 , 1 4 i h r ] sie Bleistift

42,25 ihr] sie sehr Bleistift 42.29 anstieß] anstieß, 42,29 ihr] es sie 43,9 mit seiner] (1) samt ihr (2) mit seiner Bleistift 43.17-18 bedienen] aufwarten 43.18-19 sich selbst wieder ausgezahlt den Kühnen] sich selbst wieder ausgezahlt Bleistift und Tinte 43,27 seine] er in seiner 44,18 Händchen] (1) Händchen in dreien Sprachen (2) Händchen 44,18 Buchstaben] (1) Buchstaben in d + (2) Buchstaben 44,20 daraus] (1) daraus in dreien Sprachen (2) daraus 44.35 Holze eines] Sims des 51,20 erhebt] von Bettina von Arnim gestr.; ein Ansatz zu einer Ersetzung er wieder verwischt

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Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

54,35 Wesen] Fragen 55.3 flieht] (flieht) 55.4 Weh mir] Ach Gott 55.5 Doch schmeist] Da schlägt 55,25 Als ob ein] Wobei ein 56.24 erfreut war] herfiel 56.30 poetischer] sonderbarer 56.31 sonderbarer] poetischer 57,28 Frühlingsfeyertage] Frühlingssonntage 59.5 suchen heut den] (1) (gehen) (2) ziehen I heut um 59.6 Sie ziehen um] Durch alle Straßen 59,33 erst komm ich in den Ruhm] last es mich (1) in Ruh (2) doch ruhn 60.22 fand als] fand. Als 60,30 müste] müsse 61,19 Vorahndung] Vorahnung 61,21 könnte] könne 61.23 es] das Kind 61.25 ungeahndete] (1) ungeahnete (2) ungekannte 61,27 Liebe] Freundlichkeit 62.17 Ahndung] Ahnung 69.7 weinenden] müden 70,5 zeigtest] schenktest 7 1 . 2 7 (erzählt)] Bettina von Arnim erg. das von Arnim vergessene Wort am Zeilenende.

72,11 beyde] beide 73,7 Du thätst doch heute zur] Du thätst doch heut alles zur 74,7-8 Es brannten (...) wars kühle,] Mich brannte der Stuhl, es war so schwül / Und draussen wars kühl, 74,21

(dich)] Bettina von Arnim erg. das von Arnim vergessene Wort.

75,33 Blüten] Blüthen 76.18 lezten] letzten 76.28 verkränzt] als Kranz 76,31-33 Erdenk dir (...) nicht schmeiß] Erdenk einen Kranz der etwas besser Sich schickt und mache mir den Kopf nicht heiß, Daß ich dich nicht zur Thür hinausschmeiß 77,5 zu begaffen] anzugaffen 727

Kommentar 78,2 (im .Guten)] mit Gutem 78,9 ge(mac)ht voll] gemacht zum 78,20 Tröste] Schmeichlen 78,34 Ihr werdet nichts mehr] D a werdet Ihr nichts 80,11 Chrysolor] Chrysoloras 81,34 einem Jahr] einger Zeit 82,15 ärgernd um] um vor Arger 83.5 (das)] Bettina von Arnim erg. das von Arnim vergessene Wort. 85.6 uns] gleich 85,26 Er hört dem Examen und den Reden zu.] von Bettina von Arnim in Klammern gesetzt 85.36 Doch] Da 86,2-3 schien es (...) Lehrers Blicken] schiens ein gut Geschick / Die Antwort abzusehn ein des Lehrers Blick 86.32 da] (1) sagt (2) da 86.33 Erzählt] (1) Ergeht (2) Erzählt 86.37 Womit ich ihn von unsrer Schul vertrieben,] Womit ich damals ihn von unsrer Schul vertrieben 87,1 Ich möcht] (1) So möcht (2) Möchtl ich 87,26 müsse] müsse 87.26 müsse Herzen] müss die Herzen 87.27 Sohn!] Bettina von Arnim fügt auf den von Arnim unbeschr. unteren % der Seite folgende Überleitung zum Frühlingsfest an: {Der bebende} Johannes begann nun die Feier des Frühlings {vorzutragen}, wie sie Spiegelglanz (1) in lateinischen + (2) nach den Traumschatten des schlafenden Johannes geordnet und mit emsiger Eile ins Lateinische übertragen hatte. Da er zugleich Professor der geistlichen Oratorien war so [er]hob er durch (1) wechselnde (2) geeignete I Vorspiele bei dem Eintreten der verschiednen Chöre den wechselnden Charakter derselben, wodurch der geängstigte Johannes sehr erleichtert wurde, sobald das Geschmetter der Pauken und Trompeten seiner hellen Stimme die bei diesen Fanfaren alle Zeit hatte sich energisch zu begeistern; Raum gaben. Wir geben hier diese Kantate wieder verdeutscht und mehr verschmolzen mit den Erinnerungen des Johannes, die während dem Hersagen des Gedichtes immer heller in ihm auftaugten (1) und seiner Stimme eine (xxx) + (2) und ihn almählig zu einem Gefühle des Bewußtseins und Miterlebens dieser schauerlich rührenden Traumbegebenheit machten welche den sicheren Eindruck auf die Zuhörer noch verstärkte Frühlingsfeier 728

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

108,23 acht] auch nicht acht 109.17 euch] ihm 109,26-30 Da ist (...) euch begleiten.] Da lernt der Geist, ins Leben einzugreifen Hier geht es ewig nur nach alter Leier, (1) Wenn ich des Jahrs gedenk mit welchem Feuer Hatt ich mich dort zum Amte vorbereitet Ich bin zu schwach, sonst hätt ich euch begleitet. (2) Wenn ich des Jahrs gedenke welches Feuer Hatt ich, mich dort zum Amt vorzubereiten Ich bin zu schwach, sonst möcht ich euch begleiten. 110.35 Der nicht dem Geist, dem Fleisse sich soll] Den nicht dem Geist, dem Fleisse man will 111.5 Muskeln] Glieder 113,14-16 Er wendet (...) Dorn, / Ich] Ich 113.18 E s ] E r

113.19 ahndet] ahnet 114,20-21 Was sauste (...) nicht allein] Bettina von Arnim ändert die Reihenfolge der beiden Verse. 116.11 Worauf so] Warum noch 116.12 Ich will mich rasch vor aller] Will rasch mich als Prophete aller 117,19 tief verwirrt] schwer verwirrt 118.3 sich nicht zweifelnd] mir nicht Zweifel 118.6 kann] kann? 122,23 dürfte] dürfe 123,26 W e h , w e h , ] A c h ! O! Zudem sind W e h und w e h von Bettina von Arnim unterstr., vielleicht weil sie vorübergehend erwog, die Tilgung dieser Ausrufe rückgängig zu machen; SW 19, S. 193 bleibt jedoch bei der Lesart A c h ! O!

123.36 ahndet] ahnet 125,18 kaltem] Kält und 125,29 noch] doch 126.4 Weh mir] (1) Weh mir, (2) Ο weh! 127.5 Bist d u Gott e w i g l e b e n d , ] Bettina von Arnim setzt vor diesen und vor alle folgende Verse des Gebets Anführungsstriche.

127,16-17 die geflügelte Melancholie (sinkt) herein] das geflügelte Weib Melancholie schwebt im Mondenglanz nieder

729

Kommentar 129.8 er] es 129.9 alle] jene 129,27 des Kleinen] desselben 130,2 Mißvergnügen] MißVergnügens 130,17 Glauben] des Glaubens 131,24-25 so seltsamen Abscheu theils durch die] eine art furchtsamer Scheu theils durch das ungewohnte theils auch durch Vorurtheile der 132,6-7 in Johannes gegen alle neue Bekanntschaft] gegen alle neue Bekanntschaft in Johannes 132.21-22 glänzte] hervorglänzte 132,33 suchte] versuchte 132.35 Freuden] Genüssen 132.38 Spiele] Spiele und Festgelage 132.39 Spielen] übermüthigen Thorheiten 133,5 durch] im 133,17 trachtete,] trachtete. 133,29-30 seiner Härte (...) thätig auf] seiner Härte gegen Arme von den Mäusen gefressen; Spiegelglanz bedurfte jetzt eines Erwerbes; hier aber, wo er selbstthätig auf 139,14 bedauern recht, daß er ist fortgezogen] bedauerns, daß er wird weitergezogen 139.22-23 Mit diesem (...) aus Lust,] Mit diesem Eisen brenn ich (1) zu arger (2) zur (3) zu meiner! Lust / Ein teuflisch Zeichen dir heiß auf die Brust 139,33 wildes] kühnes 140,18-20 entgegen traten (...) Liebe Thaten] traten entgegen (1) Und ihres Segens Und ihrer Liebe Gunst (2) Und ihres Segens und ihrer Liebe Gunst I Durch die Wolken strömten meiner liebenden Brunst 140,21 mein Haupte] meinen Geist 140,31-32 Graue Felsen, (...) Himmelsgerüste] Ihr Graue Felsen (1) (xxx) + (2) seid {die} Himmelsgerüste / Und die Leichensteine der Welt 140.36 Ruhe] stillen Träumen 141,12-18 Zum himmlischen (...) Lügengesicht] Bettina von Arnim ändert zunächst in einem ersten Ansatz zur Bearbeitung dieser Passage die Verse Wo des Berges Splittern / Den Weg zeigen in: 730

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

(1) (a) (b) (2) (a) (b) (a) (b)

Hint + Unter des Thaues Perlengittern Gefangen in des Thaues Gefangen in Thau-| Perlengittern beweget vom I m l W i n d [uns] den Tanz uns zeigen

Weiterhin ändert Bettina von Arnim im 7. Vers der Passage L ü g e n g e s i c h t in T r a u m g e s i c h t ; dann bricht sie diesen Überarbeitungsansatz ab und streicht bis auf den 1. Vers Z u m h i m m l i s c h e n R e i c h , die gesamte Passage, die danach von diesem Vers bis einschließlich Z u m h i m m l i s c h e n R e i g e n , mit folgendem eigenen Text der Bearbeiterin überklebt wird:

Z u m himmlischen Reich Wo die Rlumen zittern H i n t e r Thauperlen-Gittern Bewegt vom W i n d sich vor (1) uns (2) mirl neigen D e n Weg m i r zeigen Zu Gott! — daß ich erkenne er sei nicht Der fernen Zeiten Lügengesicht. 148.2 Aeussere] Aeussere von der Trefflichkeit des I n n e r e n 149.3 Zorne] Ärger 149,19 streitend.] streitend. — 149,29 himmlischer] (1) (frommer) (2) himmlischer 150,16 ein] der 150,21 Uebel] Uebel; 150,22-26 Doch m i r (...) ausgesät, / Ich] Wohlthaten hab ich und Gelübde ausgesaet / H a b u m Verwandlung m i t heissem D r a n g gefleht / und 151,12-14 Gebirge (...) m i r angewandelt] Gebürge 151,26 Vom] Des 152,5-7 Als unsres Gleichen (...) uns geführt,] D e m ungerechten Schicksal sind wir Spötter / Als unsres Gleichen küssen wir die Götter 152,11-13 das heiige (...) Sonne L a u f ] in ihr das Liebefrohe / Das zu der Sonne seelig hoffend schaut / Und auf der eignen (1) Kraft + (2) Kühnheit Waffe baut 153,2 Gott] Gott sich 153.4 tödtenden] ertödtenden 153,5-6 Daß die Wunder (...) Zu der] D a ß wo er trift sich die Geister erheben, / Jauchzend zur 731

Kommentar

153,7 Er umfasst ängstlich Apollos Bild] (Hier umfasste Johannes ängstlich Apollos Bild) 153,15-22 N u n w e i ß (...) zu m i r s t e i g e n , ] Bettina von Arnim ändert zunächst diese Passage folgendermaßen:

Mich deucht — mir ahnt, da ich ihn angesehen; Er ist Stephania! — Der Liebesstrahl, der mich im I n n e r n tödtet Er (1) zuckt (2) zückt I von seinen Lippen heiß mir in das Blut Der Augen reiner Blick er t h u t so gut, Mein innres Glück ist Zauberspiel das mich beredet Die goldnen Haare steigen hoch empor, Stephania du bist das Himmelsthor, Durch das der Gott des Lichts will zu m i r steigen, In einem zweiten Ansatz überklebt Bettina von Arnim danach den gesamten Abschnitt mit folgendem eigenen Text (der unter der Überklebung teilweise noch sichtbare Beginn des letzten Verses der Passage D u r c h d a s d i e wird dabei von ihr gestr.):

Mich deucht — (1) m i r a h n t (2) ich fühll da ich ihn angesehen — Es zückt von seinen Lippen mir heiß ins Blut! — Der Liebesstrahl der mich i m I n n e r n tödtet Der Augen reiner Blick er t h u t so gut Die goldnen Haare steigen hoch empor Mein innres Glück ist Zauberspiel das mich beredet Es sei Stephania! Stephania du bists! Das Himmels-thor (1) W + (2) Durch das die Götter wollen zu m i r steigen 153,27 ists ein] (1) ist es (2) ists ein 154,10-18 A r m e n und (...) trug ihn zum] von Bettina von Arnim mit folgendem eigenen Text überklebt: Armen; das Bild schien ihn treu u n d sorglich zu tragen dafür schmückte er den tragenden A r m zärtlich m i t der Spange, den Finger des Gottes m i t dem Ring den er erst Stephanien verehrt, die beides bei dem Streit zwischen Spiegelglanz u n d Sabina vor Schrecken zurückgelassen hatte. Und als er so selig m ü d e in den L ü f t e n schwebte, zog bei d e m Geläute aller Glocken eine Procession vorbei; M ä n n e r u n d Frauen weinten gar jammervoll u n d riefen zu allen Heiligen den Papst zu erhalten der sehr krank ge732

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

worden sei. Und alle Klagen sammelten sich in einem leisen Gesang, der trug ihn zum Zumindest den Schluß dieser Passage scheint Bettina von Arnim in einem früheren Ansatz schon einmal mit einem anders formulierten Text überklebt zu haben, denn unter der jetzigen Überklebung sind unter der letzten Zeile des überklebten Abschnitts noch einige Wörter sichtbar, die offenbar an den Text auf einer solchen früheren Überklebung anknüpften:

krank geworden sei

(xxx)

/ leisen Ge.

sehr

Wie der Abbruch des letzten Wortes

nahelegt, wurde diese erste Überklebung sogleich verworfen (wohl deshalb, weil nicht genügend Platz vorhanden war, um zum Arnimschen Folgetext H e r -

zen der Welt

überzuleiten) und durch die neue Version ersetzt;

leisen Ge

ist

jetzt gestr., der Rest der früheren Ergänzung durch die neue Überklebung verdeckt.

154.21 belebte Bildsäule] eben belebte Bildsäule seines Apollo 154.24 zeigte, (...) hatte ihn] (1) zeigte von da + (2) zeigte, wo er hinabsteigen könnte von da wo eine wilde Begeisterung ihn hatte 155,13 In] in 155,27 lebte Johannes] war die des Johannes noch 162,30 wie Verbannte] schüchtern 162,35-163,2 Die unsre Fürstin (...) Luft herumfuhr.] Die die Frau Fürstin auf uns warf, Wie ihre rothen Backen spiegelten Und wie die weißen Arme sich beflügelten Und wie sie damit in der Luft herumfuhr? 163.8 erschien] hin ziehn 163.25 Kind] Freund, 164,3 Ahnden] Ahnen 164,20 Du weißt alles so herrlich zu deuten.] Bettina von Arnim trennt diesen Vers durch Unterstreichung vom folgenden Text ab.

164.22 Heute liebe, wer noch nie geliebt] »Heute liebe, wer noch nie geliebt« 164,25 ahnden] ahnen 165.9 Wächter] Wächter Faunen und Satiren 168,11 er (ihn)] er ihn unter der Glocke im Hekla 168,15 er] Johannes 168.23 jede] jede Religion 169,10-13 des Gottes (...) Zeit uns] Bettina von Arnim überklebt die Passage mit folgendem eigenen Text: des Gottes in der Welt im Gegensatz des sichtbar werdenden Übels in gewissen voraus bestimmten Perioden 733

Kommentar

nothwendig, so wie sich der Gott hinlänglich und im Maaße unserer Tugend in dieser Zeit in uns auf der Rückseite des aufgeklebten Zettels ein erster, abgebrochener Ansatz Bettina von Arnims zu dieser Überklebung

169,10 Erneuerung anknüpfen sollte, was über Sichtbarwerden ebenfalls am Zeilenende steht): alles Glaubens ein Sichtbarwerden ihres strahlenden Gottes im Gegensatz des sichtbar werden 1 7 0 , 2 0 - 2 7 Wir müssen (...) heiligen Launen.] Bettina von Arnim ändert zunächst die beiden Verse des Atheisten in Damit er in seiner Selbsterfahrung / Gewahre die göttliche Offenbarung / Er sei ganz schwarz und (die hier offenbar noch an

streicht den Beginn der anschließenden Rede des Sceptikers W e r w e i ß , . In einem neuen Ansatz überklebt sie dann die gesamte Passage mit folgendem eigenen Text:

Wir müssen ihn zum Bekenntniß zwingen Daß er kein Wunder wirken kann. Doch ehe er kommt fanget nur an Die Schminke von Nußschalen einzurühren Womit Wir den Uberwiesnen einschmieren. (1) Sodann (2) Atheist. Dannl jagen wir ihn durch Gänsedaunen Dann wird er in seinen heiligen Launen Gewahren durch (1) Göttliche Offenbarung (2) seine Welterfahrung I Er sei ganz schwarz aus (1) Göttlicher (2) göttlicher I Offenbarung Und habe graue Federn dazu Mein Sceptiker das {Wunder} bezweifle du Da (1) wird (2) würdeI er schrein{!} auf der Rückseite des über Arnims Text geklebten Zettels aoRl ein erster Ansatz Bettina von Arnims zur ersten Zeile, dessen Beginn abgerissen ist:

((mȟssen

ihn zu 1 7 1 , 2 0 - 2 3 der Welt (...) falsche Süsse.] der ganzen Welt, / In ein Dutzend Perioden zusammengestellt. 171,33 E s ] Bettina von Arnim setzt vor alle vier Verse des Liedes Anführungszeichen, versehentlich auch vor die darauf folgende Zeile, w o sie die Zeichen dann wieder tilgt.

173,3 Ein Kerl mit so] So ein Kerl mit 734

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

173.31 zerstörend] zerstörend, — überkommt uns 174,9 hatte] habe 174,19 und] und zu erzählen

Glücke. (...) mir liebelosen.] Glücke. 175,28 uns nicht] beide dann nicht 1 7 6 . 2 9 - 3 1 Als Raphael (...) erzählte er] Beym Erwachen ins Leben erzählte er dem Oferus, wie ihm zumuthe gewesen und was er erfahren und da; das aus Arnims Text ist von Bettina von Arnim wohl nur verse174.28-30

hentlich nicht gestr.; der Kontext legt nahe, daß sie auch das d a tilgen wollte.

176.32 und einen] und den 1 8 0 , 1 - 2 gefunden und (...) Lukas getragen] während seine Heerde im Schatten des nahgelegnen Klostergartens harrten den Mönchen des heiligen Lukas (1) übergeben zur Pflege (2) zur Pflege übergeben 180,3 Brunnens] Springbrunnens 182.2 er] Johannes 182.3 seine Wahl durchzudrängen] mit seiner Wahl durchzudringen 1 8 2 , 3 1 - 3 2 Da (...) mir Mann,] Doch deine Tücke ward an mir zum Betrüger 1 8 2 , 3 3 - 1 8 3 , 2 Ich Bellte (...) wildSchäumend verschlingen.] Bettina von Arnim streicht zunächst die ersten vier Verse dieses Abschnitts und überklebt ihn dann komplett mit folgendem eigenen Text:

(1) Doch deine (2) Deine I Tück ward an mir zum Betrüger Und deine Heiligkeit meint sich schon Sieger Was liegt denn mir an deiner Heiligkeit Am jubelnden Volk das dich zum Herrscher weiht Mit List und Lug wird mirs gelingen Dein Mißgeschick dir aufzudringen Ich werde das Weltall bezwingen Die Sonne wild schäumend verschlingen 184.14 erbricht] noch bricht 185,34 gesät] gesaet 1 8 9 , 2 3 - 2 4 blickte ob (...) unsrer Nähe] sah umher ob's auch die Frau nicht sah / Zu allem Glück war sie nicht in der Näh 190.4 Schwiegermutter kam] Stiefmutter kam heim 191.15 erschiene] erscheine 192.33 Erlösche nie du freudger] Erloschen ist der freudge 1 9 2 , 3 5 - 3 7 In bittern (...) strengsten Bann] 735

Kommentar

Seit mich der heiige Dienst dir abgewann In bittern Thränen mir die Lust zerrann, Ich klag den Gott vor meiner Liebe an 193,8 Schatten schon] Nachtgespenst 193,30 eine] (1) süße (2) eine 193,32 kam es] fand es sich 193,32-33 auf dem Schlosse] in jener Nacht im Venusgarten 194.15 Also du dachtest meiner lieb] Gedachtest meiner geliebtes 194,30 in mein] ins päpstliche 195,2-4 Du gewahrst (...) betend beschworen,] Wer hat dich von meinen Wünschen belehrt Du gewährst alles, was mein Sinn begehrt, Worum ich so oft den Himmel beschworen 195,5 geht] (1) geht doch (2) geht 200,25 und] oder zu 204,4-9 vermochte, ja (...) alten Häusern.] (1) vermochte. (2) wie Text; jedoch an diesem ersten Verbände geändert in bei diesem ersten Verband 204.16 er sich ein wenig] sich der Pfalzgraf 204,22 hatte] hatte für den verwundeten Pfalzgrafen 204.34 Edle] Laßt die 204.35 Kühlet] (1) Kühle (2) Kühlet 205,1-25 Eine Stimme. (...) Volkes Abgesandte.] Bettina von Arnim ändert diese drei Strophen in einem ersten Arbeitsgang zunächst folgendermaßen:

Eine Stimme. Nimmer waren hier noch Frauen In dem geistlich hohen Hause Sieht der Pförtner uns mit Grause Wie wir alles uns beschauen Setz die Schalen auf die Tische Mit dem Saft der Apfelsinen Süssen Honigseim der Bienen Um den kühlen Saft zu mischen In einem zweiten Arbeitsgang entscheidet sich Bettina von Arnim dann, wohl der besseren Lesbarkeit wegen, ihre Überarbeitung auf einem eigenen Zettel zu notieren und diesen auf die Mitte des Blattes zu kleben; der Text auf dieser Überklebung lautet:

Eine Stimme. Nimmer waren hier noch Frauen 736

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

In dem geistlich hohen Hause Und der Pförtner sieht mit Grauen Wie wir nach Gefallen hausen Setzt die Schalen auf die Tische Mit dem Saft der Apfelsinen Süßen Honigseym der Bienen Um den kühlen Saft zu mischen 206,9 Lindre seiner] Lindere der 206,33 beyden jugendlichen Kämpfer] bey dem jugendlichen Appetit 210,15-18 D i e F r a u (...) w a r i h m a u c h ] Bettina von Arnim ändert zunächst

die Zeile Alle Worte der Erzählung, wie in Mit welcher Hast griff das Weh der Erinnerung in des Johannes Seele, Mondschein Mondschein überm Rhein, Mondschein Mondschein in dem Rhein begleiteten als Herzschläge die Erzählung (zdZ einige gestr. Wörter, die vielleicht nach dem ersten M o n d s c h e i n M o n d s c h e i n eingefügt werden sollten: ( s a n g xxx)) In einem zweiten Ansatz überklebt Bettina von Arnim dann die gesamte Passage

mit folgendem eigenen Text: Die Frau will ich fragen was ihr Herz mag erfreuen. / Mit welcher Hast griff das Weh der Erinnerung in Johannes Seele, und der Reim, durch (1) ihn + (2) den {er} so gewaltsam in seiner Kindesliebe vom Pfalzgrafen losgerissen war worden: »Mondschein Mondschein überm Rhein, Mondschein in dem Rhein«, begleitete als Herzschlag die Erzählung der (1) Sabina: Wie (2) Sabina, wiel das Weib Papst und Gott werden will, und alles, wie (1) es (2) erl seit Jahren nicht bedacht, überfiel mit Grausen den horchenden Johannes; er sprang vom Fenster so hastig zurück, daß die gute Frau in der Meinung, es sei eine Eule im Gesträuch, eilig den Fensterladen Schloß; — er aber ohne umzusehen lief den Berg hinan, voll Jammer 211,5-6 können, er (...) und als] können. Die Fürstin verließ ihn nachdem sie betäubenden Weihrauch in die Gluth gestreut hatte. Johannes versank immer mehr in Betäubung (1) seine Sinne verließ + (2) die Wände erbebten seine Sinne verließen ihn. Als 211.11-12 dessen heisser (...) ihn anwehte] (1) der mit heissem Athem durch das Gitter ihn anbrüllte (2) wie Text 211.12-13 Bald trat (...) durchschnit] Die Opferpriesterin durchstach mit dem Messer, nachdem der Stier gebunden, 211,17 Saale] Kreise von Ringmauern 211,21 Die Fürstin aber] Sie 212,4 Saal] Weg 737

Kommentar

216,15 (Wort wird scharfer)] Arnims Text ist von Bettina von Arnim in mehreren Stufen über und unter der Zeile ersetzt; diese sind durch mehrfache Überschreibungen und Streichungen nur noch schwer zu lesen; u.a. begegnen die

Textstufen Wort schärft und Wort wird scharfer; die letzte Stufe von Bettina von Arnims Bearbeitung, udZ notiert, lautet jedenfalls W i l l e s c h a r f e r (so auch S W 19, S. 368).

221,4-7 Ο dieses Leben (...) war ich geboren.] Seit Ehr und Freund an einem Tag verloren, Ist dieser Leib mir schwere Last Die Nacht ist schwarz, dem Licht war ich geboren. Dies argwohnvolle Leben ist mir ganz verhaßt 221,11 Freunde sind] deine Freunde sind 221,16-18 turnirt, (...) blutet stärker.] turnirt, 221.28 ahndend] ahnend 222,32 a h n d e ] Bettina von Arnim tilgt versehentlich das h anstelle des d.

223.29 Und Raphael mein Vater] Raphaels Vater sei der meine 225,13 Klarsehen] Hellsehen 227,4 D a s G r a s ] D a s G r mit Rötel gestr., vmtl. ein abgebrochener Ansatz Bettina von Arnims zur Tilgung des Verses 2 2 7 , 3 4 a h n d e n ] Bettina von Arnim tilgt versehentlich das h anstelle des d.

228.30 einen nie geahndeten] sich durchdrungen von des Einsiedlers 229.18 Ahndung] Ahnung 230.19 ahnden] ahnen 230,37 Uebergang] Ubergang 231.20 sein] des Johannes 233.3 nur] mit ihm 233,12-13 er sah, daß sie] sie war 234,18 der Marozia] Marozia 234,18-19 Die Marozia] Diese 237.4 Vergebung] Verwandlung 2 3 8 . 5 a h n d e ] Bettina von Arnim tilgt versehentlich das h anstelle des d.

238,18 mich] mich gütlich 240,4-5 Ich flüchte (...) ich entzogen] Mit meinem Bogen zur Waldung will ich fliehen, / (1) (a) in (b) Inl Schlucht + (2) In einer Schlucht dem Heilgen Stuhl mich zu entziehen 240.6 (an)] vor 240,8 (wie) du drohst mir heut.] Wie? du drohst mir heut? — 240,13 Weh mir (...) nicht sterben] Johannes! — laß ab, ich kann, ich darf nicht sterben 738

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

240.15 So laß (...) hier wollst] So laß ihn frey du sollst ihn nicht 240,24 schliest] schließt. 241,9-12 nicht der meine (...) dir ists] (1) nicht der meine zu seyn, / Pfalzgraf. Du zwingst mich nicht (2) nicht / Pfalzgraf. I (1) d + (2) und doch bin ich bezwungen, / Du willst es wohl was der Liebe längst ist 241.16 bey] bei 241,21-242,15 Johannes. (...) Es kommen Krieger von jener Seite] Bettina von Arnim ändert zunächst Arnims Text folgendermaßen:

Johannes. Als brennte das Haus, so (1) faßt es (2) faßts (3) faßt esl mich glühend, Ο mein Geliebter, wir eilen entfliehend Zu der Berge 0(e)de, sonst sind wir verlor[e]n Pfalzgraf. Erst muß ich erkühlen meinen Zorn Ich kann dir nicht so eilig nachschreiten Ich muß mit dem verfluchten Weibe noch streiten Die mir in tiefster Seele zu wider Ich breche die Steine und schmettre sie nieder Heyda ihre Krüge Urnen und Opfergeräthe Das Arsenal ihrer falschen Gebete Die schmeiß ich ihr vor den Augen zu Scherben, Wer es will wehren, der muß verderben Sieh nur ihr Priesterpack läuft zu den Thüren Es will entkommen aus der Götzen Revieren Fort sind die Vögel und schreien Allarm Ich schwinge mich zur Freiheit in deinem Arm Johannes. Mein Ludwig unsrer Rettung denke. Pfalzgraf. Wie Wohl ist mir wenn ich an alles gedenke Wie haben mich hier die Köche gequält Sie hatten mich dreymal zum Opfer erwählt Mein Leben beym Himmel war blos ihre Gunst (1) Mich schützte dies Weib in ihrer Brunst (2) Mich schützte blos des Weibes unkeusche Brunst I 739

Kommentar

Johannes. Nun segne Gott, wir sind errettet Es waren die Heiden mit Blindheit gekettet Wir gingen in des Himmels leitendem Licht Pfalzgraf. Er leuchtet in deinem Angesicht. Johannes. Sieh es kommen Krieger von jener Seite In einem zweiten Ansatz überklebt Bettina von Arnim dann fast die gesamte Seite 49,8|3 V mit eigenem Text; die danach noch sichtbaren letzten Verse auf der Seite sowie die Zeile am Anfang der folgenden Seite J o h a n n e s . E s k o m m e n

Krieger von jener Seite, werden gestr.; der Text auf der Überklebung lautet:

Johannes. Als brennte das Haus so fühl ichs unter mir glühen Ο mein Geliebter, wir müssen eilend fliehen Zu der Berge Oede, (1) sonst sind wir verloren (2) von den Menschen fortl Pfalzgraf Erst kühl ich meinen Zorn an diesem Ort Ich kann dir nicht so eilig nachschreiten Ich muß mit dem verfluchten Weibe noch streiten Die mir in tiefster Seele ist zuwider (...) (die folgenden sechs Verse wie o. in Bettina von Arnims erstem Ansatz)

Und sucht zu entkommen aus der Götzen Revieren Fort sind die Vögel und schreien Allarm Ich schwing mich zur Freiheit in deinem Arm, Johannes Mein Ludwig! — Unserer Rettung gedenke Pfalzgraf Wie Wohl ist mir wenn ich an alles denke Wie haben mich hier die Köche gequält Sie hatten mich dreymal zum Opfer erwählt Mein Leben beym Himmel schützte blos ihre unkeusche Brunst. Ich sollte ihr dies danken durch (1) liebes (2) der liebe I Gunst; Sie wollt mich kirren mit ihrer Weisheit Geschwätz Ich schüttle die Flügel wie vom Wettersturm durchnäzt Johannes Nun segne Gott, wir sind gerettet (1) Es w + (2) Das Heidenvolk war wie angekettet. 740

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text W i r gingen in des H i m m e l s l e i t e n d e m L i c h t Pfalzgraf E r leuchtet in d e i n e m Angesicht. Ich t r a g e dich schwebend auf m e i n e r Freiheit Flügel D u r c h s ewig j u n g e J a h r ü b e r T h a l u n d H ü g e l J o h a n n e s Gott rief dich wieder aus d e m B a n n von hier Pfalzgraf So d a n k e n wir's i h m d u in M i r u n d ich in dir J o h a n n e s Siehst d u w o h l dort k o m m e n Krieger von jener Seite 243.20 R a p h a e l ] D e r alte R a p h a e l 243.21 m ö c h t e ] solle 243,25 Basilis(ken)höhle] die drei von Arnim vergessenen Buchstaben von Bettina von Arnim erg. 244.30 a h n d e n ] a h n e n 245,17 du] d u Kerl d u 245,17 (ja du Kerl) zu nichte] ja zu nichte 245,19 G r a m ist m i r noch nicht] Arger ist m i r noch 246,21 n a c h der] bei seiner 247.19 n i m m e r ] n i e m a l e n 247,25 (rasch)] w o h l 248.21 k o m m e n ] k o m m e t 249,17-18 sahen] w e n d e t e n die A u g e n 250,17-19 Ich bin (...) schwere Last.] von Bettina von Arnim mit Bleistift in Anführungszeichen gesetzt; ebenso die folgende Antwort des Oferus H e r r und dir dien (...) ein selges Leben. 250.22 Vergnügen] Vergnügen; Bleistift 250.31 lebte] erwachte 250,35-36 n u n glaubte (...) von i h m geschieden] n u n glaubte (dieses Wort wohl nur versehentlich von Bettina von Arnim gestr.) er auf i m m e r von i h m geschieden zu sein 251,24 eingeschmolzen war] w a r eingeschmolzen w o r d e n 251,33 i h n ] den (1) Christ + (2) Chrisoloras 251,37 zweyten] zweiten 252,6 Eisblick] Eisblick 252,37 E i n e r die] D a r a u s k o m m t die 253,3 G i r u l p h ] G i r u l p h , 253,10-11 g e r n alles vergeben h a t t e ] g e r n e vergab 253.20 nach] nach:

741

Kommentar

254.31 zu ziehen, die Kerzen anzuzünden] (1) ziehen, die Kerzen anzünden (2) wie Text; Tilgungen durch Unterpungierung mit Bleistift rückgängig gemacht 254,34 dem armen] das arme 255.28 fiel] fiels 255.29 Spindel] Spindel ein 255,30-31 Bestimmung einer Frau zu nähern,] Frauenarbeit zu üben sie 255.33 begrif] begriff 256.24 Nehen] Nähen 256.25 anständiges weibliches] weibliches 257.8 sich] sich als J u n g f r a u gekleidet 257,23 Feuer] Sonnenfeuer 257,27 wandte] wendete 258.1 verziert] behängt 258,15-16 als Spielzeug nachgebildete] (1) i m Kleinen η + (2) wie Text 258.27 du halbgeschloßne Blüth] mit Bleistift in Kommata gesetzt 258.32 Der Alte singet] Einsiedler singen 258,32 Wald] Wald, Bleistift 258.34 auch] auch. Außerdem trennt Bettina von Arnim die Strophen durch ein Kreuz; beides mit Bleistift. 258.35 du rothbestäubte Frucht] mit Bleistift in Kommata gesetzt 258.36 Blättern] Blättern, Bleistift 259,7 beleidigt] geängstigt 259,13-14 m i t ihr (...) sich gesetzt] ihr in den grünbelaubten Beichtstuhl neben der Kapelle gewinkt 259,19 sey] (1) werden d (anschließend Ansatz zu u) + (2) sey 262,36 Wiese] Wiese: Rötel 264.4 264.5 265.2 265.3 265,5

gegeben] gegeben, Bleistift innerlich] innerlich, Bleistift dem] dem, Bleistift Gottlosen] Gottlosen, Bleistift Zeit,] Zeit; Bleistift

265.9 Fußtrit] Fußtritt Bleistift 265,19 Schwerdter] Schwerdter, Bleistift 265.28 Engelsbrücke] Engelsbrücke, Bleistift 265.29 Pandulph,] P a n d u l p h Bleistift 265.30 machten,] machten; Bleistift 742

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

265.31 Sprünge waren wunderbar und] seltsamen Sprünge 2 6 5 . 3 2 sich,] sich; Bleistift 2 6 5 , 3 4 Spiegelglanz] Spiegelglanz, Bleistift 266.3 h e r u m l i e f ein Kreutz,] h e r u m l i e f , ein Kreutz; Bleistift 266.4 Munde] Mund 266.5 Asmodi] Asmodi, Bleistift 2 6 6 , 9 - 1 2 G o t t ist gerecht (...) der Narr (...) S i e g verschafft.] die wörtliche Rede mit Bleistift in Anführungszeichen gesetzt 2 6 6 , 1 4 erzählte] erzählte, Bleistift 2 6 6 , 1 8 Truchseß] Truchseß, Bleistift 2 6 6 , 2 0 der Strafe] den F o l g e n 2 6 6 . 2 4 Kirche] Kirche; Bleistift 2 6 6 . 3 4 einzuführen,] einzuführen; Bleistift 2 6 6 . 3 5 Veränderung,] Veränderung Bleistift 2 6 6 . 3 6 h a b e ] habe, Bleistift 266.37 H e r r e n ] H e r r n Bleistift 2 6 6 . 3 8 H e r r e n ] H e r r n Bleistift 267,7 Vorwürfen] Vorwürfen, Bleistift 267,7 m a c h t e ] m a c h t e , Bleistift 267,9 fröhlige] fröhliche Bleistift 2 6 7 , 1 4 zweymal] zweimal Bleistift 2 6 7 . 1 4 J a h r e ] Bettina von Arnim erg. danach zunächst mit Bleistift ein Komma, das sie dann jedoch wieder tilgt. 2 6 7 , 1 6 möchte,] möchte; Bleistift 2 6 7 . 2 2 verlor(en)] verloren Bleistift 267.23 G e h i r n ] G e h i r n ; Bleistift 2 6 7 . 2 5 wunderbar] [ganz] besondere Wege 2 6 7 , 3 5 niederstürzte] niederstürzte, Bleistift 2 6 7 , 3 8 Augen] Augen, Bleistift 2 6 7 . 3 8 sey und befahl] sey, und befahl, Bleistift 2 6 7 . 3 9 B l u t ] Blut, Bleistift 2 6 7 , 3 9 Scharfrichter] Scharfrichter, Bleistift 268,2 g e t h a n ] gethan, Bleistift 2 6 8 . 1 5 Gerechtigkeit.] » G e r e c h t i g k e i t ! « Bleistift 2 6 8 . 1 6 G e r e c h t i g k e i t ] » G e r e c h t i g k e i t « Bleistift 2 6 8 , 1 6 los] los, Bleistift 2 6 8 , 1 7 - 2 0 M i r ist (...) alter D e g e n . ] die Rede des Kaisers mit Bleistift in Anführungszeichen gesetzt

743

Kommentar

268.20 nur] nur, Bleistift 268.21 vor] vor, Bleistift 268,32 Liebling] Liebling, Bleistift 268,32 befahl] befahl, Bleistift 268,35 Tische] Tische, Bleistift 268,37 Pracht] Pracht, Bleistift 269.22 D a n k ] Dank, Bleistift 269,24 der zu trinken begehrte] mit Bleistift in Kommata gesetzt 269,26 Kaiser] Kaiser, Bleistift 269,26-27 einer Festlichkeit unterrichtet worden, die] einem Zauberfest unterrichtet worden, das Bleistift und Tinte 269,29 blies] blies demnach, Komma mit Bleistift 269.32 an] an, Bleistift 269,34 hatte] hatte, Bleistift 269.34 entzückt,] entzückt. Bleistift 269.35 Schritte] Schritte, Bleistift 269,35 Tapeten] Tapeten, Bleistift 270,3 sich] sich, Bleistift 270,10 herabhob] herabhob, Bleistift 270,37 sang] sang: Bleistift 271.12 Nachen] Nachen, Bleistift 271,17 In] Bettina von Arnim trennt in dem hier beginnenden Abschnitt des Liedes die vier Strophen zunächst mit Bleistift durch Kreuze, die aber wieder ausradiert sind. 272,31 Die Blümlein voller Sinn] Voller Sinn die Blümlein 272.33 weinen drin] jauchzen drein 273.13 kranket] kränket 273,30-31 die von (...) angezündet würde(n)] die von (1) Vögeln + (2) fliegenden Vögeln getragen und die in lieblicher Verwirrung durch die L u f t gezogen wurden 274,15 Welt] Welt, Bleistift 274,16-30 Coleria, Phlegmatia (...) u n d T h a l m a n n ] Bettina von Arnim überklebt die wegen der Ergänzungen teilweise schwer lesbare Passage bis zum Seitenende mit folgendem eigenen Text, der auf dem von ihr stammenden Bl. 49,8|38 fortgesetzt wird (vgl. SW19, S. 458f.): Koleria{,} Phlegmatia und Aetherea, besangen in f r o h e m vereinten Chor den{,} der alles erschaffen u n d allein unerschaffen undenklich u n d alles Denkens Wesen ist! (Kommata mit Bleistift erg.) — Sie riefen Johanna zu. 744

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

Deine R u h e ist k o m m e n deine M ü h e ist vollbracht Die Welt hat e m p f a n g e n deiner Warnungen Macht D u (1) lebst + (2) lebtest i m Traume als Zeichen d e m Bösen Erwache vom Traum in der Liebe genesen D u warst Warnungsstimme f ü r die ganze Welt W i e d e m Heidnischen G r i m m e heiiges P a p s t t h u m verfällt. W i e die Macht der Erde (1) d + (2) alles Himmlische besiegt. D a ß die christliche Heerde unter dreifacher Krone erliegt Sinkt {einst} die Krone (1) d + (2) zur Erde wieder ein Geist erscheint Und als Hirte die Heerde, wieder in Liebe vereint. — Nach dieser prophetischen Auslegung der (1) (xxx) (2) Vieri Schwestern versank Johanna (1) vor T h r ä n e n + (2) in tiefe betende Betrachtung, die Schwestern versetzten das Luftschiff in schaukelnde Bewegung, und sang((en)) einen melodischen Schlafgesang voll knospender Zuk u n f t und blütheduftender Erinnerung: (1) + (2) Melancolia I h r e n Goldring wirft die Sonne In den Strom das Eis zu spalten Frühling fängt ihn! — doch verhalten Will er sich noch vor der Sonne. Aus der Erde d u n k l e m M u n d e Steigt uns seiner H o f f n u n g Kunde. Chor der Schwester(n) Über den Fluß Tönt sein Lied Ist W i e ein Kuß Der nie verglüht. Phlegmatia Schwer und fest wie eine Kette Zieht er Sie den Strom hinunter Viele Wellen schwärmen m u n t e r In dem reichen Himmelsbette

745

Kommentar

Textteil Β: Fassung F1 365,4-7 5. (...) niemand konnte ihm] Bettina von Arnim ändert zunächst Arnims im Zuge der Überarbeitung für F2 gestr. Text folgendermaßen: Spiegelglanz, den alles Unglück an sein eignes Glück behaglich erinnerte, fand eine (1) (stelle) + (2) ihm sehr wünschenswerthe Stelle bei der Schule; für das Sängerchor des Erzbischoffs. Schließlich überklebt Bettina von Arnim den gesamten Abschnitt mit folgendem eigenen Text:

5 Spiegelglanz den Alles Unglück an sein eignes Glück behaglich erinnerte [erjfand in dem Gelingen seiner listigen Bemühungen (1) einen + (2) eine Wollüstige Rache an dem bittern Geschick des Hatto zugleich eine ihm sehr wünschenswerthe Stelle bei der Mainzer Schule für das Sängerchor des Erzbischoffs; Niemand konnte ihm 371,26 Der] als der 372,3-4 springen so eilig (...) Gottes Gaben,] zerstampfen so eilig die Knaben, / Den Ueberfluß von Gottes Gaben; 372,29 dem Geld] Geld 373,6 aber gar] das Gärtchen ist 373,21-22 Indem er (...) Lippen schmückt,] Bettina von Arnim verändert durch ein Umstellungszeichen die Reihenfolge dieser zwei Verse.

374,2 wird] wird auch 375,13 Bote des Himmels] (1) einsamer (2) heiiger I Wandrer 376,13 es] er 379,6 schon] schon wie 379,34 rufen, bis ich ergreist] (1) rufen, wie es den Seeligen heist (2) rufen in Demuth dreist 380,1-9 (Er (...) Johannes trinkt] (1) Nachdem + (2) Johannes ermüdet nach dem Umherschweifen wollte sich menschlichen Wohnungen wieder nahen, doch (1) (noch) + (2) rief ihn die Sehnsucht unbestimmt hier und dorthin. Endlich sah er eine frische Quelle in der Nähe einer Schmiede aus einer Röhre den Berg hinab fließen er wollte eben mit offnem Mund sich drunter bücken als ein junger Gesell mit einem Weinkrug aus dem Häuschen trat und sagte: Gesell: Das Quellchen gehört den Tauben und Spatzen Da trinken (k aus g) die Hunde und auch die Katzen Der Mensch nur trinkt den goldnen Wein — 746

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

Johannes. Ich trink nur Wasser, trank niemals Wein. Gesell. Wir haben hier des Weins genug, (Bettina von Arnim ignoriert offenbar das nur angedeutete zweite η in Ar-

nims genung.)

Ich bring dirs zu — hier nimm den vollen Krug Du scheinest müde von der Wanderschaft. (Er bringt ihm den Krug) Johannes trinkt in vollen Zügen 380,11 Gemüthe] Gemüthe, 380.14 Güte] Güte, 380,16-24 Johannes. (...) frohste Muth.] Bettina von Arnim setzt zunächst zu einer Änderung der Passage an, bricht diese aber nach der Niederschrift von J o h a n n als Beginn einer Sprecherangabe ab, was sie wieder tilgt, und überklebt stattdessen den Abschnitt nach der ersten Sprecherangabe J o h a n n e s , mit folgendem Text:

Ο sag mir an in welchem Land ich bin. Geselle (1) Und hat dich denn (2) Kennst du noch nicht I der Herzogin beglücktes Land? Wer hat dich denn auf diesen Berg gesandt Johannes Auf gutes Glück bin ich von Haus gegangen Weil Einsamkeit mir oft erregt ein Bangen Und stört den Lebensmuth. — 380,26 Du wohnst allein.] Du wohnst allein? — 381.15 ich dirs] ichs dir 382,14 Finger-Maas] Maas vom Finger 383,8 dich.] (1) dich. / Hinter deinen dunklen Scheiben; / ich will hier ewig stehen bleiben. (2) dich. 385,29 ich] (1) ich mir (2) ich 386,14 sich Wolle zu kaufen] einzukaufen 386.22 breiten Bindefäden] Bindefäden 386.23 herrlich] Kränze winden und herrlich 386,32-387,2 Ich komm (...) nie empfand.] Die Enden (1) sind wieder so nah + (2) fassen einander im Ring 747

Kommentar

Wie wir vor wenig Stunden, Als ich im ersten Kuss dich umfing. 387.13 Billigkeit im Bette] alle Gebühr lange im Bett lag und 388,1 Polischinel] Polischinell Bettina von Arnim fügt außerdem zunächst hinter dem ersten i ein h ein, das sie dann jedoch wieder tilgt. 388,5 keinen] noch keinen 388,32 das] mein 389,10 fuhrs] fuhr's 389,11-12 wir gehen (...) Kopf. Nimm] geht mit uns heut zur Fürstin Venus, / Ihr wollt nicht? — So nimm doch Liebchen 390,2-8 und schlag (...) bey Zeiten] und Johannes. schlag nicht die Augen nieder Er darf dir nichts thun der alte verfluchte Kerl. (Sie geht mit Sabina) Johannes. Das sag ich dir und warne dich bei Zeiten Du sollst mir den Weg nicht mehr versperrn, Ich wollte keine Schlägerei vor den Leuten, 391,10-11 wisse, Ο daß (...) Stimme riefe] wisse Ο daß ichs aus geheimster Tiefe / In dich mit zerschmetternder Stimme hineinriefe 391,21 vernichtet, weh mir.] vernichtet; weh was sagst {du} mir? 391,26 Wunsche] Verlangen 392,9 des] zu des 392.16 Liebe schicksallos] Lüge in der Liebe Schooß 392.21 Laß] Sei ruhig - Laß 395,25-35 Diese Geschichte (...) in das Haus] Spiegelglanz kam zurück mit Zwiebeln und einem Ziegenbock 398,19 wie Fleisch] und lebend 399.17 dir nicht reuen] dich nicht reuen 401.14 erschien,] erschien, / Und uns auch sprechen lehrte (1) wogegen (2) (Zeichen für Zeilen Wechsel) Wogegen I mein alter Lehrer sich wehrte 402,13 Mir taumelt.] Mir schwindelt! 402,19 ist es mir angeklungen] hat es mir wiedergeklungen 402.22 kennt] wiederkennt 403,32 schon] schon alles 748

Bettina von Arnims Eingriffe in Arnims Text

404,9 er bat die] (1) er bat die + (2) das heute in dem Venusberge gefeiert wurde mitzukommen, er bat die 404.36 glänzender] leuchtender 404.37 glänzten] schimmerten 404.38 der] ihr 405,29 Schimmer] (1) köstlichem Schimmer (2) Schimmer 406,12-13 Du siehst (...) noch zuhaus] Es steht dir alles so niedlich und schön / Wie ich deine Frau Mutter als Braut hab gesehn 409,2 Schlagen] Stossen 409,7 der Amor] sie den Amor hat 4 0 9 . 2 8 legen.] Darunter setzt Bettina von Arnim einen kurzen Strich zur Abgrenzung vom folgenden Prosatext.

409.29 Das] Da 410,2 ahnde] ahne 410,21-22 eine Götterkraft wenigstens darzustellen] seine Götterkraft zu verstärken 412,34-36 eigen, (...) innig besessen.] eigen, 413,2-5 Dem ich es (...) find ich meine] Der mir abnähme die Sünden / Doch wo fließt der Strom der 413,10-12 Winden, (...) mich schilt.] Winden, 413,13 Die heftige Bewegung der letzten Worte] Der heftige Jammer in den letzten Worten 413,16 Glänze ihres Hauses hinweggerissen] (1) Glänze und Stamm (2) Stamm und Glänzet ihres Hauses losgerissen 413,18 eingefallen] aufs Herz gefallen 413,20 diese durch die Beichte und sie] Stephania das Herz durch die Beichte und 413,23 wie sie fest geschlafen] und ihren festen Schlaf bewacht habe Wohl in einem ersten Ansatz zu diesem Eingriff ist f e s t in Arnims - später von Bettina von Arnim gestr. - Text durch sie geändert in f e s t e n .

415,20 Schmerz] (1) V(xxx) + (2) gedrängt von der Noth (1) (daß e) + (2) faßte Muth (1) sich mit einer tapferen List von + (2) mit einer tapferen List Herr über ihn zu werden er 416,5 geahndet] geahnet

749

Varianten und Erläuterungen zu Einzelstellen Textteil A: Fassung F2 Varianten

I. Periode 1. Kapitel 3,3 1.] erg.

3,9 südlicher] edler südlicher 3,10-11 auffinden (...) Moos,] auffinden 3,12-13 kein andres (...) Nacht,] die halbjährige (zweites h aus x) Nacht, kann kein (1) anderer Ba + (2) anderes Gesträuch 3.13 Das] Es ist in allen Welttheilen bewährt, das 3.14 welches] d + 3,14 luftschwimmende] vom Licht erzeugte in Luft schwimmende 3,22-23 die bald (...) erzeugen durften] in welcher Zeit sich nie mehr Menschen erzeugten Varianten innerhalb der späteren Textstufe: die bald]

(bis) sie 3,23 wodurch] damit eine Klammer um den Nebensatz wodurch (...) blieben. getilgt

3,24-25 blieben. Da (...) strandete und] blieben, als (1) ein {dort bey Thüle} (2) dort bey Thüle einl gestrandetes norwegisches Schiff Varianten innerhalb der späteren Textstufe: D a ] a aus (x)

3,27 zuerst fuhr aus] zuerst 4,1-2 erhielten. Mit diesen Helden landete] (1) erhielten und landeten + (2) erhielten mit diesen Helden landete (3) Text 4,2 an] in 4,6 Island. (...) Kriegen] Island, bis sie nach blutigen Kriegen endlich mächtig genug wurden 4,8 die] nämlich die 4,13 des] dieses 751

Kommentar

4,14 Boden] η aus r 4,20-21 — welche (...) möchten —] anstelle der Gedankenstriche zuvor Kommata

4.22 der] aller 4.23 vieler] d + 4,24-25 Stolz der Bewohner] Stolz 4 , 2 5 Gottlosigkeit,] der Folgetext nach Ausweis des veränderten Schriftbildes aus einer späteren Arbeitsphase, wobei das zunächst als Punkt intendierte Satzzeichen nun als Komma aufzufassen ist

4,27 damit] dadurch 4,31 A l l g e m e i n e ] allgemeine W e s e n

4.33 jeder] (x) + 4.34 dem] der + 4.34 neuem] neuer + 4.35 schmücke] schmückte 4.37 teuflischer Spinngewebe] Spinngewebe 4,38-39 sich für (...) sehen wollend] und sich für das Licht hielten und sich selbst nur sehen wollten 5,3-4 suchten. Bald] suchten, bald 5.7 Neugierigen] neugierigen 5.8 unnützen] ganz unnützen 5,10 nachzumachen. Da] nachzumachen, da 5,13 strömen] m aus (x) 5,13 er] (ab) + 5,13 erkannte] kannte 5,15-16 vorgesetzt. Er konnte keinen Menschen schaffen] vorgesetzt, 5,20 Stärke.] Stärke, 5.22 hatten. Der] hatten, der 5.23 t ö d t e n . D a s ] t ö d t e n , d a s das (ohnehin nur schwach sichtbare) ursprüngliche Komma nach Ergänzung des neuen Satzzeichens nicht getilgt; der Anfangsbuchstabe von d a s ist in der neuen Textstufe als Majuskel aufzufassen

5,24-26 vollführt, (...) kennen zu lernen] vollführt 5,31 menschliche] irdische 5.38 gräulich verwirrt] nimmer wohlgekämmt und 5,38 auszog] abl + 5,38 bis] (die) + 6,5-6 erschrecken (...) dachte] überraschen 6,8-10 weswegen er (...) zurückkehrte] deswegen kehrte er am Abend gegen seine Gewohntheit nicht zu seiner Wer(k)städte zurück 752

Varianten zu F2, Kapitel 1,1

6.10 und Feuer] Feuer 6.11 Spiegelglanz] er 6.12 Blocksbergs] Brockens 6.12 voll von] voll 6.13 wilderen] wilden 6.14 verlermen] verlermen {und zu vertrinken} 6.15 Spiegelglanz] Oferus 6.16 künstliche] Br + 6.17 Schnee,] Schnee, daß er nicht versank, 6.18 und den] und der 6,20-21 widerstehen, (...) hinaufklettern] widerstehen 6,23 Geist] Engel 6,24-25 geflügelte Weib (...) dieser Erde] (1) Engelweib (2) geflügelte Weib, der Geist der ernsten Erde (3) Text 6,26 befreundeten] ernsten 6,28 Melancholia.] Island. Nacht. Höhle im Innern des Hekla, Luzifers Werkstädte. Viele wunderbargestaltete Retorten Tiegel andres chemisches Geräth glüht über dem Feuer, aus ihnen steigen die leuchtenden Dämpfe, die Blitze, die Asche des feuerspeienden Berges empor. Unter einer grossen Glasglocke, die mit Quecksilber gesperrt ist, erscheint das Dunstbild eines Kind; von allen Seiten gehen Röhren mit Luftarten, die sich am Feuer ausscheiden unter diese Glocke, auch wirkt ein mächtiger {von Erzen} schichtweis aufgethürmter Säulengang durch Golddrähte, die sich zur Glocke hinziehen, auf diese teuflische Menschenbildung. I Melancholia trit mit einem schlafendem Kinde auf dem Arme nachdenkend ein 7,6 der dieser] dieser 7,8 Langgeahndete] langgeahndete 7,12 will] muß 7,20 Stern] Mond 7,25 wollte] sollte 7,25 allen] andern 8,4 Frühlingskranz] Zauberkranz 8,5-6 Mich träumend (...) hinlenkte] Auf irdschen Traumesflügeln mich entrückte / Zu (1) Albrichs (2) Oferus I Bett, dess Schönheit mich umstrickte 753

Kommentar

8,8 hier] da 8.19 Engel Teufel] Engeln Teufeln 8,24 ihm vorbey die] meine 8.26 Es nimmt ihn wohl, doch schluckt es ihn] Er nimmt es wohl, doch schluckt er es 8.27 es] er 8.27 daß mir erschmerzt die Brust] an meiner Mutterbrust 8.28 es] er 8.29 es] er 8.30 lachet] lacht + 8,30 Leiden,] Leiden, (1) Er (2) Esl weiß wie an den trocknen Sommertagen Die Wäsche mühsam (1) Κ + (2) ist und welches Fragen Nach Regenwasser in des Himmels (1) Küche (2) Räumen I, Und (1) (dess) + (2) dennoch ists als ob er alles spare, Auf diese Zeit von einem ganzen Jahre Um seine Windeln unrein zu besäumen (1) Und (2) Jal will ichs zeigen hab ichs angezogen, So (1) hat es (2) hat's I mich still[e] mit bösem Spott betrogen. 8.34 ich ins] (1) ich es + (2) ich's ins (3) Text 8 . 3 5 d u l d e n ] zweites d aus Buchstabenansatz

8,35 es] mich 8,35 irdschen Schwestern] edlen Himmelsschwestern 8,37 Hätt nicht Phlegmatica für mich gebeten] War nicht Phlegmatica dazwischen treten 9,1 Aetherea] Sanguinica 9,8 seines Jüngers] kluger Teufel 9.13 blühen] blühen / Die läst er dann durch viele Röhren irr'n, / Die Tropfen stehen ihnen vor der Stirn; 9.14 darin] davon 9.20 möchte] in der Hs. (versehentlich oder als Ansatz zu einer nicht weiter ausgeführten Änderung?) gestr.

754

Varianten zu F2, Kapitel 1,2

10,1-3 Es sieht (...) Mutter hassen.] Und einmal nur in seinem Leben ihm beystehen, 10,8-9 Geisterreich dem's nicht gehört, / Das] Himmel dem es nicht gehört, / Der 10.11 Es kommt zu Menschen, die es] Er kommt zu Menschen, die er 10.12 oft getrauert] (xxx) 10,13-14 Blüthe (...) Liebessegen.] Frühlingsblüthe scheiden muß, / Und trauern nicht um jeden Liebeskuß, 10,15 Da doch] (xxx) 10,22 und Macht] daraus 10,24 Noth] Noth / Die an der Erde nagt im innern faulen Kern / Warum auch meist erlischt ihr hoher Stern 10,30-32 Mir ist (...) hör ich kommen.] Als ob mir eine Fledermaus daran geschwirrt

2. Kapitel 11,1 2.] von hier an verändertes Schriftbild

11,3 Strohlager.] Strohlager. Das heist getanzt, nie fühlte ich mich müder, Die Krämpfe ziehen mir durch alle Glieder, Weh weh! könnt ich aufs rechte Bein nur treten, Ich wollte mir die Hexensalbe kneten. Verflucht, daß heut der Oferus mir fehlt, Da mich (1) der + (2) des Krampfes grimmes Feuer quält; Das hat der heiige Schein mir angethan Der sich entgegenstreckte meiner luftgen Bahn! Was mags bedeuten dieses Engelsfest Gewiß hat sich ein armer Teufel heut bekehrt, Die Lichter sind bey ihnen noch das Best, Ihr Essen ist doch kaum des Kauens werth (1) Das ungesäuert Brodt; (2) Ihr Brodt ist schmacklos undl der Tropfen Wein (1) +

(2) Er fiel bey mir wie auf den heissen Stein. Und wenn sie tanzen welche Langsamkeit (s aus k), Da schlief ich tanzend ein, du liebe Zeit! — 755

Kommentar

Nein rasch wie Wogenwirbel muß man drehen, Da kann das Leben so recht kurz vergehen, Wie jauchzen da die Alten, schwindeln stürzen, Das kann allein die Lumpenzeit verkürzen Das ist noch Spas, das lohnet (1) (xxx)ühen (2) unser Mühen I, Daß wir uns an den Alten müde ziehen, Und schwenken sie in alle Saales Ecken, Daß sie zuletzt die Beine von sich strecken. Hussa, wie sauste mir das nasse Haar (1) Da (2) Esl brannte mir der Alkohol ganz blau Zum Hals heraus, daß ich begeistert war, Und reimte Liebeslieder auf die Frau, Die ich mit meinem Athem schier verbrannte, Als ob sie Amors Fackel so berührte, (1) (Und) die davor (2) Daß sie davon I in vollem Schreien rannte, Und mich mit ihrer Noth so recht verführte. Ihr alle Pein des Lebens anzuthun, Nun wird sie jezt auch um so besser ruhn. vor dem auf diese durchstrichene Passage folgenden Vers alR zwei kleine horizontale Striche, wohl um darauf aufmerksam zu machen, daß die letzten zwei Verse auf dieser Seite ungetilgt sind und nach der Streichung den Beginn des M o n o l o g s bilden sollen

11,11 Auf Raub die Strasse ritten] Die Strasse niederstampften 11.15 die sie] sie 11.16 erhörte,] vernahm 11,18 Wort] Dunst 11,21 Ein] (D) + 11,26 doch? Ich] doch, ich 11.26 sollt und kann] kann 11.27 Strafen,] Strafen, Und die Verzweifelung und Mißgelingen Was ist das Wort denn mehr als Schein von Dingen Der eine Schein schlägt stets den andern nieder In Worten fühl ich mich bald brav und bieder. So sprich nur Luzifer was dir heut ist geschehen, 756

Varianten zu F2, Kapitel 1,2

So weicht der Schreck dir aus dem Kopf und Zehen. 11.29 da betend liegen,] vor seiner Hütte 11.30 an unserm Wege] auf einer Wiese 11.33 sah ich erst] fällt mir ein 12.15 Ists] (Kann) + 12.16 Was soils] Ists (nicht) zu viel 12,26-31 zierlich nach (...) den beyden] recht nach jedem reinen Steine Und wie das grüne Röcklein (1) drüber (2) gehend I schweift Der listge Wind auch dann noch drunter streift Ja Mädchen seh ich der Brüste geschnürtes Nest, (1) (D) + (2) So sind sie denn doch von allem das Best, Ich möchte wohl nach den 13,1 H a b ] von hier an verändertes Schriftbild

13,5 nicht] si + 13,13 D e r ] Un + 13.15 geschaut] erhorcht 13.16 der] das + 13.17 straft] strafte so 13,25 schlich sich gleich] ging sogleich 13,30-31 auf wüsten (...) an mich drängen] sich an mich hängen, / Mit Zauberei auf allen wüsten Gängen 13.34 Und] aus Ansatz zu D 14,9-11 kann, (...) bey dem Vieh.] kann, 14.12 seyn aus ihren Klauen] seyn, sie last nicht los 14.13 Da] Ich + 14.18 mich] sich 14,20 Ich] Es + 14.22 eingelassen] 1 aus (x) 14.23 verprassen.] verprassen. / Gewiß die Tugend macht kaum halb so viel Müh, / Als ich hab ausgestanden bey dem Vieh 14.27 ich] sich 14.28 scherze] rede 14.35 befreyen] r + 15,1 mehr] h aus (x) 15,8 dien dem] zieh zum 15.14 gar nichts] nichts 757

Kommentar

15.16 ernst] (1) da (2) erst (3) Text 15.25 dich] sich 15.29 dir zu hoch] über deine Kraft 16,7 Giebst] W + 16.17 und ausgedacht] nicht Tag, nicht Nacht. + 16.18 Geist] (X) + 16,22 Romas] Romes 16.22 Trümmern] (Felsen) 16.26 Spiel] Zeiche + 16,28-30 Der Wissenschaft (...) Als Grus] Als Wissenschaft, die alle Welt umfasst / Was übermächtig scheint als fremder Gast, / Als Geist 16,32-33 Du weist es (...) Und unterwirfst] Sie weis es in dem Eignen zu entdecken, / Und unterwirft 16,36-37 zu meiner Liebe (...) mir zu erzeugen,] in Wechselwirkung zwingen / Um so ein reines Kind mir zu erschwingen, 16,38 im irdschen Leben] in (deinen) Kräften 17,2 durch] der + 17,6 Wissenschaft] em. Wissenspiel 17,6 wilde] f + 17,13 entdeckt] t + 17,20 Gruft] L + 17,37 aber] ih + 17,37 war. Er] war, er 18,5 griechischen] Griechen + 18,20 die Leiter hinauf] hinauf 18.26 todt] Todt 18.27 E h e ] von hier an schwarze Tinte, während der vorangehende Text auf diesem Doppelblatt mit brauner Tinte geschrieben ist

18.27 todt] Todt 19.23 Ward] Wars 19.30 verwandelte] ers + 20,5 Welt!] Welt, 20.28 Zung in] Zunge + 21.20 muß] wird 21.21 glänzte] g(a) + 21.28 einst] erst 21.29 Segen,] Segen, / Der uns in süsser Lust dereinst vereint 21,32-34 ruhte (...) im Blute] ruht, / Wie jubelt meine Wonne allen Lüften / Wie zittert meine Hand, wie tobt mein Blut 758

Varianten zu F2, Kapitel 1,3 3. Kapitel 22,15 versprach] grüste 22,19 Spiegelglanz.1 erg. Auf der Rückseite des dem vorliegenden Bl. in Fassung F1 vorangehenden Blattes 49,3|1|12 findet sich der gestr. ältere Beginn des Monologs. Dieser Text weist ein deutlich anderes Schriftbild auf als der auf derselben Seite vorangehende Schluß der Kapiteleinleitung ihm wieder seine Versuche ein. Wir hören ihn sprechen, (vgl. 350,17). Daraus ist zu schließen, daß der Text auf 49,3|1|12v ursprünglich nach diesen wenigen Zeilen endete (oberes Fünftel der Seite) und an die ältere Seite 49,3|1|14r mit einer noch früheren, rein szenischen Fassung des Kapitelbeginns anknüpfen sollte (jetzt überklebt). Der Monologbeginn auf 49,3]1|12v wurde erst hinzugefügt, nachdem 49,3|1|14r verworfen worden war. Später wurde dann auch dieser neue Beginn wieder getilgt, und der Monolog fängt nun auf 49,3|1|13r an. Im folgenden ist die früheste Fassung des Kapitelbeginns auf der später überklebten Seite 49,3|1|14r wiedergegeben (am Seitenanfang einige Buchstaben durch Siegelreste in den Ecken überdeckt): ((Mo))rgenzeit. Gegend bey Paris mit der Aussicht ((auf)) die Stadt. Spiegelglanz trägt das Kind fest verhüllt und setzt es in einer Höhle des Berges nieder, dann spricht er unruhig mit sich. Spiegelglanz. Mir fällt doch stets was ein, Wo kommt es her, wo mag es bleiben, Wär's Pergament nur rein, Ich wollt es mir sogleich aufschreiben. Für diesmal[s] ists zu spät Ich hätt es früher denken sollen, Doch wenn es einst geräth, So werden Ehrfurcht alle Weisen zollen. (1)1 + (2) Hätt ich das Kind sogleich Ins frische Wasser eingetauchet, Eh es das luftge Reich Mit seinen Lungen hätt gesauget, (1) Da wär es jezt ein Fisch Und brauchte nicht der Lüfte Athem Ο herrliches Gemisch + (2) Das wär die wahre Tauf

759

Kommentar Die noch kein Philosoph erkannte, Des Kindes Lebenslauf, Sie dann zum Ozeane wandte, (1) Und nie die Luft zu holen strebte + (2) D a war es jezt ein Fisch Und nie die Luft zu holen strebte Ο herrliches Gemisch Ein Gott der unter Fischen lebte Das ist zu spät bedacht, Es ist dabey recht viel verloren Jezt (1) sach + (2) seh ich sacht (1) Und + (2) Ob es die Ursprach schon geboren Umsonst war mein Bemühn Die Sprache Adams zu entdecken, Bald wird die Blume blühn, Wenn erste Worte sich erwecken, (1) Ich + (2) In ihrem kleinen Mund, (1) Sie schaut zum erstenmal {xxx) (2) Schaut sie zum erstenmal Gefunkell Der Sonne herrlich Rund, Ich barg (1) sie + (2) zwey Jahre, sie im Dunkel Gewiß ruft sie dann aus, Wie Adam sie genannt der reine, Das wird ein Seelenschmaus, (1) Wie schade, daß ich bin alleine Ich möchte mir so gern Aus meiner Schule einen holen, Der mit mir horcht von fern, Und der mich nicht darum bestohlen. (2) Ich muß noch schauen ob ich bin alleine Mir wars als hört ich fernes Schrein (Er versteckt sich hinter einem Busch) I Ey sieh, wer schweift denn da 760

Varianten zu F2, Kapitel 1,3 M i t lustgem M u t h durch Wald u n d H ö h e n , (1) E r k o m m t m i r fast zu n a h , Ich hör ihn, w e r d i h n bald auch sehen. (2) Es k o m m e n m e h r e r e m i r n a h , Ich hör sie, w e r d sie bald auch sehen. U n d m e i n e in der einen S t i m m D e n einen Schüler zu e r k e n n e n , D i e schreck ich bald m i t m e i n e m G r i m m , W i e w e r d e n die vor m i r e n t r e n n e n . Die später gestr. Umarbeitung dieses Monologbeginns auf 49,3|1|12 v , an die 49,3|1|13 r ursprünglich anknüpfte, lautet: Spiegelglanz. Was w a r das f ü r ein (1) L e r m , (2) L e r m ! I D i e E i n s a m k e i t last sich n i c h t stören. Doch w e n n ich d e n k e n d s c h w ä r m , So pfleg ich m a n c h e S t i m m zu hören. M i r fällt doch stets was (1) ein, (2) ein! I Wo k o m m t es her, wo m a g es bleiben, W ä r ' s P e r g a m e n t n u r rein Ich wollt es m i r sogleich aufschreiben, Z u m T h u n ists doch zu spät, Ich h ä t t es f r ü h e r d e n k e n sollen, W e n n es dereinst geräth Ist auch m e i n R u h m i m M e e r erschollen. Ich dacht, w e n n ich sogleich Das Kind in Wasser eingetauchet, Aus seinem d u n k l e n Reich, E h es die L u f t noch eingesauget, Das w a r die w a h r e Tauf D i e noch kein Philosoph e r k a n n t e ; Des Kindes Lebenslauf Sich d a n n z u m Ozean h i n w a n d t e . D a w a r es jezt ein Fisch U n d nie die L u f t zu (holen) strebte, Ο heiliges Gemisch 761

Kommentar Ein Gott der unter Fischen lebte. Das ist zu spät bedacht, Es ist recht viel dabey verloren Doch wenn es heut erwacht Ist noch viel Grösseres geboren! 22.23 Strahlen] Funken Änderung mit brauner Tinte 22,26 Daß es ein Leben, einen selgen] Ein neues Leben ihm, ein seiger 22.28 lacht?] lacht, 22.29 es nicht sie] sie noch nicht Änderung mit brauner Tinte 22,29 aufzudecken. —] aufzudecken, 23,3 war's,] war's Änderung mit brauner Tinte 23,3 als] h + 23,3 schrein] Schrein 23.11-14 Und meine (...) Kohlen brennen.] diese vier Verse unten auf den Rand gequetscht, um Anschluß an die ältere Seite 49,3|1|14v zu ermöglichen 23,15-20 Luzifer in Wolke (...) scharf belehrst./ (()Wandernde] (()Wandernde Varianten innerhalb der späteren Textstufe: Luzifer in Wolke] Luzifer 23,16 Vögel] f + 23,18 dir] mir 23,21 Raphael] Einzelne Stimme 24,2 nun] em. nun nun 24,7 Raphael] Einzelne Stimme 24.24 Raphael] Einzelne Stimme 25.9 ihres] ihren 25.12 heut] auch 25.13 Strafe auch] Strafen + 25.14 Schulden] (X) + 25,18 Raphael] Einzelne Stimme 25,35 trinken und wollen mit ihm tanzen] trinken 26.2 anrührt] ang + 26.3 Raphael] Sänger 26,7 du] (xxx) 26.10 Raphael] Sänger 26.12-13 wir werden (...) grimmigen Ansehen] so kriegst du Zinsen / Trotz deinem (1) (willig) (2) wilden I grimmgen Grinsen 26,14 Kriegst] Komm 26,14 für] ( x ) + 26,18 Raphael] Sänger 762

Varianten zu F2, Kapitel 1,3

26.24 Wein] Geist 26,31 Raphael] Sänger 26,36 Ich] Er + 27.19 liegt] h + 27,27 wird eingemauert] wir(x) + 27.31 (leise] Der k + 28.1 (in Wolken)] Klammern erg. 28,15 Verräther] verräther 28,15 schiest] schliest 2 8 , 1 8 I n d e m ] von hier an verändertes Schriftbild

28.33 tückisch] tr + 29,9-10 (mit (...) Spiegelglanz)] Klammern erg. 29,21 graues Felsstück] Felsstück 29,30 vom mächtigsten Kinde] des mächtigsten Kinds 29.32 finde] find 29.34 Wohin] Ο + 30.2 Rath und] Rath, 30.14 des Mädchens] ihr (1) (xxx) (2) (Fröh)lich 3 0 . 1 5 L u z i f e r ] G a b r i e l Änderung mit brauner Tinte

30.20 wenden] wenden, 30,23 schlechter] schlechter Er kann es zu beyden (1) (besti) + (2) bestreiten, Doch (1) sollst (2) kannst I du den Knaben nur leiten, Das Mädchen dir würde entrissen Von frömmelnder (1) (Leute) (2) Mä(nner)l Gewissen, 30.25 als Knabe bey dir,] in Heimlichkeit dir, / Damit sich die Liebe verkünd / Zum heimlichen Führer in ihr, 30.26 wie geistliche] so (1) {xxx) (2) treullich wie 30,29 leiblicher] lieblicher 31.11 Luzifer] Sp + 31.12 Osten] W + 32,2 Wein] s + 32,6 Wie] A + 32,18 in] ich s + 32,23 thun] tuhn + 763

Kommentar

32,25 Er] Ich 32,27 sie] aus Majuskelansatz 32,36 mich] schreckl + 33,13 Ο] ο 33,31 Hochzeit] ζ aus t 33,34 im] w + 34,1 Stiefmutter] Schwiegermutter

4 . Kapitel 34,5 3.] auf dieser Seite ein gegenüber dem vorangehenden Bl. verändertes Schriftbild

34,27 dessen] welc + 34,33 freute] erza + 35.4 Teufel] (xxx) 35,8 unentgeldlich] erstes 1 aus d 35,13 Wallfahrten] f aus im Licht zergangen< (vielleicht angelehnt an das mundartliche >verlichten< = >erleichternKlobenholz
Schmeißen< im Sinne von >schlagen< ist im Neuhochdeutschen eigentlich nicht mehr gebräuchlich (DWb 15, Sp. 1002f.). 55,12 i n s W a s s e r z o r n i g s t o s s e n ] Vgl. o. den Tod von Johannas Doppelgängerin Beata im Frühlingstraum; vgl. auch den Mordanschlag des Spiegelglanz auf Raphael in II,4, nach dem der Täter die vermeintliche Leiche in den Rhein wirft, und sein eigenes Ende in V,5. 5 5 , 2 2 - 2 5 I c h w e i ß m e h r G r i e c h i s c h u n d L a t e i n als a l l e (...) w e n n i c h d i k t i r t ] Diese parodistische Umformung des Gedankens der göttlichen Inspiration der heiligen Schriften (vgl. zu 20,25) steht im Widerspruch zu o.; vgl. 52,12 und Erl. Vgl. auch F a u s t I, v. 366f.: Z w a r b i n i c h g e s c h e i t e r als a l l e d i e Laffen, / Doktoren, Magister, Schreiber u n d Pfaffen. 56.2 A b f a n g ] Von >abfangenist verrückt< ( D W b 15, Sp. 2289). 56,11 D u bist g a n z

mein]

Zynische Anspielung auf die alte Liebesformel »Du

bist mein, ich bin dein«.

2. Kapitel

auch hatte er wirklich einen Ueberfluß von Sprachfertigkeit zu seinem Gebote (...) nur der Stoff fehlte ihm] Spiegelglanz ist hier be56,16-20

sonders deutlich eine Karikatur des klassizistischen poeta doctus Johann Heinrich Voß (vgl. zu 5,27); vgl. Arnims Brief vom 25. Juni 1811 an Wilhelm Grimm: d a s

einzig Verdienstliche, was Voß' Homerübersetzung habe, sei, das Metrische zu einer Vollendung gebracht zu haben, wie es vorher abgeleugnet wurde. In der (ersten) Erwiderung An Hn. Hofrat Voß in Heidelberg von 1809 spottete Arnim, manches von Voß' Werken stehe bloß des Sylbenmaßes wegen da (Werke 6, S. 258). Dies war auch sonst bei den Heidelberger Romantikern ein häufiges Urteil über ihren Widersacher, vgl. etwa Friedrich Creu-

Voß kommt mir vor wie ein Mensch dem ein G o t t eine Gabe gegeben, diese hat er treulich bewahrt und gepflegt: (ich meine den angebornen Sinn für M u s i k S p r a c h r h y t h m u s u. M e t r u m und einen gewissen Sinn für A l t e r t ü m l i c h k e i t ) . Dabei hat er es aber auch bewenden lassen und ist so bei großer Meisterschaft in diesem Einzelnen einseitig geblieben zers Brief an Savigny vom 25. Juli 1805:

(Hellfried Dahlmann [Hg.], Briefe Friedrich Creuzers an Savigny [1799-1850], Berlin 1972, S. 166). - Vgl. Arnims im Briefwechsel mit den Brüdern Grimm dargelegte Poetologie, die Kunstpoesie und Naturpoesie als überhistorische Pole aller Dichtung ansieht (vgl. Ricklefs 1990b, S. 19-27): Spiegelglanz vertritt jene als Formkunst ohne Stoff, Johanna diese (vgl. auch zu 62,24). Seinem Gegner Voß billigte Arnim immerhin einen gewissen Anflug von Naturpoesie zu: S o

gering ich Voß achte, auch in ihm wirkt hin und wieder die Urnatur (Brief an die Brüder Grimm vom 5. April 1811). Daß das Frühlingsfest im Sinne dieser Dichtungslehre zum entscheidenden Teil Johannas eigene Schöpfung ist (vgl. in II,4

Der Geist, das Wesen war doch sicher mein), stellt eine Gräfin Dolores

bedeutsame Änderung gegenüber dem Päpstin-Kapitel in der dar (vgl. Entstehung 2). 56,33-35

da doch jeder Mensch (...) mit ihr fortschreiten kann]

Vgl.

geschichtsphilosophische Analogien zwischen individueller und welthist. Entwicklung, für die vor allem Herders Schrift

Auch eine Philosophie der Ge-

schichte zur Bildung der Menschheit

(1774) von Einfluß war. Der hier

formulierte Gedanke findet sich bei Arnim immer wieder; vgl. den Aufsatz V o n

884

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,2 V o l k s l i e d e r n : (...) j e g l i c h e r m u ß selbst i m S c h w e i s s e i n e s A n g e s i c h t s d e n K r e i s d e r Z e i t u m u n d u m bis z u m A n f a n g e i n sich d u r c h l a u f e n , e h e e r w e i ß , w i e es m i t i h r s t e h t u n d w i e m i t i h m (Wh 1426), das S c h e r z e n d e G e m i s c h v o n d e r N a c h a h m u n g des H e i l i g e n in der ZfE vom 2. Juli 1808, Sp. 210: (...) es m u ß d o c h j e d e r d i e g a n z e W e l t g e s c h i c h t e d u r c h m a c h e n sowie D i e M a j o r a t s - H e r r e n : J e d e r M e n s c h f ä n g t d i e W e l t an,

und

jeder

endet

sie (Werke 4, S. 125). Dieselbe Vorstellung

klingt

10,15-16 und 83,16 an. 5 6 , 3 6 - 5 7 , 3 w ä h r e n d e i n s c h l e c h t e r U n t e r r i c h t (...) z u r ü c k s e t z e n k a n n ] Vgl. Arnims Polemik gegen den Schulunterricht seiner Zeit im Volksliederaufsatz: Sind d e n n Kinder Kartenblätter, die thörichte Spieler e i n a n d e r a n d e n K o p f w e r f e n ? (Wh I 443). 57,6 W u n d e r k i n d s ] Vgl. 44,21 und Erl. 5 7 , 9 - 1 0 die u n s ä g l i c h e L a n g e w e i l e des C i c e r o (...) v o r s c h w e b t e ] Marcus Tullius Cicero (106-43 v. Chr.) gilt mit seinen Senats- und Gerichtsreden als Schöpfer des klassischen Latein und hatte daher stets eine zentrale Position im Lateinunterricht inne, speziell auf dem von Arnim besuchten Joachimsthalschen Gymnasium zu Berlin unter der Leitung des Rektors Meierotto, der selbst 1783 eine lat. Biographie des Cicero verfaßt hatte (WAA 1, S. 707f.; W A A 30, S. 306; vgl. Arnims lat. Schülerarbeiten in W A A 1 , S. 285-332). Vgl. auch hierzu den Volksliederaufsatz mit der berühmten Passage: W e n n ich es v e r k e h r t n e n n e , w i e die A l t e n i n v i e l e n S c h u l e n b e t r i e b e n w e r d e n , so ist es m e i n e E r f a h r u n g . A n a l l e n O r t e n des A l t d e u t s c h e n w a r n i c h t s , des L a t e i n s zu viel, d e s G r i e c h i s c h e n z u w e n i g (Wh I 443). Steig 1894, S. 7 wendet diese Stelle aus der PJ (nach SW 19, S. 106) als ungekennzeichnetes Zitat auf Arnims eigene Biographie an. 57,13-16 u m sich d i e s e m f r ü h e n b e s t i m m t e n H a n g e f ü r M a t h e m a t i k zu w i d m e n (...) E u k l i d e s (...) e n t s t a n d e n w a r ] Die auf dem Prinzip strenger Deduktion beruhenden E l e m e n t e (Stoicheia) des Griechen Eukleides (gest. um 300 v. Chr.) dienten bis ins 19. Jh. als Grundlage der Mathematikausbildung und waren, auch in zahlreichen Übersetzungen, das verbreitetste Buch nach der Bibel. Arnim war die dt. Ausgabe von Johann Friedrich Lorenz geläufig (Euklids Elemente, fünfzehn 5

Bücher aus dem Griechischen

übersetzt. Halle

1781,

1824), die er noch seinem Sohn Siegmund zu Weihnachten 1828 schenkte (vgl.

den Brief an Bettina von Arnim vom 16. Dezember dieses Jahres). Arnims Darstellung der Begeisterung Johannas für die Mathematik ist deutlich autobiographisch geprägt; vgl. den Brief an seinen Vater vom Herbst 1794 über die M a t h e m a t i k die i c h es sey a u s V o r u r t h e i l w e l c h e s ich w o h l n i c h t g l a u b e o d e r w e g e n i h r e s w i r k l i c h e n Vorzuges m e h r a l s j e d e a n d e r e W i s s e n 885

Kommentar

schaft liebe ( W A A 30, des Euklides bezeugt

ewigen Buch Viel aus Wenigem (Ricklefs Lyr.-

Nr. 14.K, z. 7-9). Seine Achtung vor dem etwa das Epigramm

Reg. Nr. 1707; Werke 5, S. 488). Vgl. 57,29 und Erl.

57,18-19 daß Kinder von eigner Thätigkeit sehr leicht davon ergriffen werden] Im Unterschied zur frühen Fassung der Euklidszene (vgl. Paralipomena2.1) wird damit Johannas Beschäftigung mit Euklid als quasi poetisches Spiel aufgefaßt, das etwa dem pädagogischen Nutzen der Märchen nahesteht, wie Arnim ihn im Brief an Jacob Grimm vom 22. Oktober 1812 dargelegt hatte: d i e

Hauptsache ist, daß das erfindende Talent immerfort geweckt werde, denn nur darin geht den Kindern eine freudige Selbstbeschäftigung auf. 57,23 übernehmende] übertriebene, überhandnehmende (DWb 23, Sp. 439). 57,25-26 gab aber (...) die Schuld des Diebstahls] Diese List bleibt blindes Motiv; im weiteren Verlauf des Kapitels zeigt Johanna keinerlei Verwunderung, als sie entdeckt, daß Spiegelglanz das Buch doch noch besitzt.

57.28 an einem ersten Frühlingsfeyertage] Der Sonntag Laetare; vgl. zu 59,6-7. Auch diese Szene spielt also am Frühlingsbeginn, wenn auch nicht am 1. Mai (vgl. zu 6,3). 57.29 die Theorie der Parallelen] Arnim hatte ca. 1799/1800 an einem Aufsatz Uber H. H a u f f s Berichtigung der Euklidischen Theorie der Parallellinien mit einem Versuche einer neuen Berichtigung für das Archiv der reinen und angewandten Mathematik (Leipzig 1795-1800) gearbeitet, der sich auf einen Beitrag bezog, der dort 1799 im 3. Heft erschienen war (mit einem Nachtrag im 10. Heft). Konzepte dieses Aufsatzes, einer Nachschrift dazu und Briefentwürfe an den Herausgeber des

Archivs,

Karl

Friedrich Hindenburg, haben sich erhalten (GSA03|306a; vgl. W A A 3). Arnim kritisiert hier: Die Euklidische Definition der Parallellinien: Parallel sind gerade Linien in einer Ebene, die, soweit man sie auch an beyden Seiten verlängern mag, doch an keiner Seite zusammentreffen, (zitiert nach der dt. Übersetzung von J. F. Lorenz, S. 3) hat einen Fehler, der sie zum Gebrauche in der Geometrie untauglich macht. Sie ist nämlich 1) auf einer Eigenschaft gebauet die in der Anschauung nie gegeben seyn kann. Denn diese giebt uns nur etwas Endliches, über jedem Endlichen läßt sich aber noch etwas Größeres denken, es kann daher der Parallelismus zweyer Linien nie bewiesen werden. Diese Eigenschaft folgt daher erst durch einen Schluß aus etwas angeschauten. Daraus folgt, daß zwischen Parallellinien und Linien die bis jetzt noch nicht zusammen getroffen sind kein Unterschied ist. Die Verbesserungsvorschläge Hauffs und anderer Mathematiker hält Arnim jedoch ebenfalls für un-

886

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,2 zulänglich und entwickelt stattdessen die eigene Definition: (...) e i n e L i n i e wird einer andren parallel genannt, w e n n einer der einander nächsten P u n k t e in b e y d e n gleich weit v o n e i n a n d e r e n t f e r n t sind. 57,35 Quod

erat demonstrandum]

Der mathematische Schlußsatz »Was zu

beweisen war« geht auf Euklid selbst zurück. - Hier beginnt die Neufassung der frühesten erhaltenen ausgearbeiteten Szene zur PJ (vgl. Paralipomena 2.1), die Arnim erst nachträglich vor die Gartenhausszene

II,3 setzte (vgl.

Entste-

hung 3.2.2). Gartenhaus- und Euklidszene stimmen im Motiv der Ablenkung der studierenden Johanna durch Stimmen aus der Außenwelt (Kinder bzw. Naturwesen) überein. Eine ähnliche Situation findet sich in D i c h t e r W a l d d e r D i c h t e r , F ü n f t e S t i m m e D i e S t u d i e r e n d e in D e r f r e i e D i c h t e r g a r t e n in der ZfE vom 6. April 1808 (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1376; vgl. Werke 5, S. 556f.), später erweitert zum Gedicht A b e n d s t i m m u n g

(Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1711; vgl.

SW 23, S. 12). 58.4 U n d d a s ist m e i n , g a n z m e i n ] Vgl. in A u c h e i n F a u s t die parallele Formulierung des Titelhelden: d a s W e r k , w a s n o c h m i r e i n z i g e i g e n (Streller 1963, S. 156). Die paradoxe Koppelung von egoistischem Eigentumsanspruch auf wissenschaftliche Erkenntnisse und faktischer Abhängigkeit von fremdem Denken war für Arnim das eigentliche E l e n d d e r G e l e h r t e n , wie er in einem Brief an die Brüder Grimm vom 21. Oktober 1817 darlegte; die Gelehrten bemerken nicht, daß sie d a s E i g e n t h u m e i n e s a n d e r n mit in ihr Denkgebäude einbauen (vgl. EZ 7). Selbst bei Dichtern konstatierte Arnim, wie er zur Zeit der Entstehung der PJ, am 24. Dezember 1812, an die Grimms schrieb, dieses kuriose E i g e n t h u m s w e s e n i n G e d a n k e n , w a s m a n sich einbildet. 58.5 U n d l e b e t e i n z i g i n d e m K o p f e h i e r ] Oberflächlich eine Parallele zu Überzeugungen Arnims, wie er sie in einem Brief an die Brüder Grimm vom 21. Oktober 1817 formulierte: m e i n e G e d a n k e n (...) l e b e n , w e i l sie s i n d , n i c h t d a r u m , w e i l i c h sie a u f s c h r e i b e ; Arnim meint aber dort die universellen, ewigen Gedanken der Poesie, kein geistiges Privateigentum. 5 8 , 8 - 9 S i e f ä n d e n (...) d e r sie v e r b a n d ] Vgl. den Vers i n v e n i a s

etiam

disiecti m e m b r a p o e t a e (du würdest noch immer die Glieder des zerstückelten Dichters finden; metaphorische Anspielung auf den Orpheusmythos) aus den S e r m o n e s des Horaz (l,4; v. 62); oft zitiert als d i s i e c t a m e m b r a p o e t a e (die zerstückelten Glieder des Dichters). Vgl. auch in der Schülerszene des F a u s t v. 1938f.: D a n n h a t e r die T e i l e i n s e i n e r H a n d , / F e h l t l e i d e r ! n u r d a s g e i s t i g e B a n d . In der Urfassung der Szene (vgl. Paralipomena 2.1) waren Reminiszenzen an den Goetheschen F a u s t , zumal an dessen Anfangsmonolog, noch prägender; vgl. Komm. 6.6. 887

Kommentar 58,17-18 Es glüht m e i n Blut (...) auch behagen] Vgl. v. 1905-1907 aus der Schülerszene des Faust: Doch freilich würde m i r behagen / Ein wenig Freiheit und Zeitvertreib / An schönen Sommerfeiertagen. 58,19 vollbringe] Vgl. zu 3,6-8. 58,21 K r a n z ] Fest (DWb11, Sp. 2054); hier auch wörtlich zu nehmen, vgl. 59,6-7 und Erl. 58,24 vor d e m Thor] Vgl. die gleichnamige Szene in Goethes Faust. 58,26-27 Ich schreib (...) Mich Docktor schon] Vgl. dagegen Fausts angeekeltes Heiße Magister, heiße Doktor gar (v. 360). 58.32 Da sprangen alle nach wie Schafe] Vgl. Wander 4, Sp. 67, Nr. 315: »Wo ein Schaf vorgeht, folgen die andern nach«. 58.33 Anstoß] Hindernis, an das man anstößt (vgl. DWb 1, Sp. 486). 58,37-38 So wie zwey Linien parallel, (...) Seel auf Seel] Vgl. 57,29 und Erl.; Arnim gibt in den Konzepten zu seinem Aufsatz über Euklid dessen zweiten Lehrsatz zur Definition der Parallellinien folgendermaßen wieder: Linien die parallel sind fallen entweder in eine gemeinschaftliche zusammen oder sie berühren sich nie. 58,39 ehren] Die Ehrsucht war das Hauptmotiv Johannas in den ersten Entwürfen (vgl. Entstehung 1; vgl. auch im vorliegenden Kapitel so erst k o m m ich in den R u h m ) wie schon bei Schernberg (vgl. Gottsched 1765, S. 92 bzw. Lemmer 1971, S. 38, v. 235: So m a g uns ehre aufferstahn; vgl. Komm. 1.2) und ist auch ein festes Motiv in der Tradition der Gelehrtensatire (vgl. auch 4,24 und Erl.); vgl. Barth 2000, S. 120. 59,6-7 Sie ziehen u m (...) die Sommerzeit] Vgl. die Prosaeinleitung zu Wh KL 38 Das Sommertagslied: I n der Pfalz und umliegenden Gegenden gehen am Sonntag Lätare (vierter Sonntag in der vorösterlichen Fastenzeit), welchen m a n den Sommertag n e n n t (nach der alten Ansicht, die das Jahr n u r in Winter und Sommer einteilt; Wilhelm Grimm: Kleinere Schriften 1, S. 380), die Kinder auf den Gassen h e r u m mit hölzernen Stäben, an welchen eine m i t Bändern geschmückte Brezel hängt, und singen den Sommer an, worüber sich jedermann freut. Dieser Brauch ist hier wohl kontaminiert mit einem anderen aus dem Kraichgau (nahe Heidelberg), bei dem die Knaben f ü r ihren Gesang Geld, Eier, Schmalz oder Mehl erhalten und ihrerseits in den Häusern einen verzierten Kranz abgeben, der dort bis zum nächsten Jahr über den Tisch gehängt wird. Vgl. auch den Stichtitel zu den Kinderliedern und das Titelgedicht ebd. rechts, wozu Brentanos Brief an Arnim vom 1. März 1808 zu vergleichen ist. Ein weiteres Sommertagslied ist KL 36 (v. 7f.: Wo sind unsere hiesigen Knaben, / Die uns den Sommerkranz helfen r u m m e tragen). Im in der PJ folgenden Lied der Kna-

888

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,2 ben (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1418) wird Wh KL 38 abgewandelt zitiert; vgl. besonders dessen 1. Strophe: Tra, ri, ro, / Der Sommer, der ist do! / W i r wollen naus in Garten, / Und wollen des Sommers warten, / Jo, jo, jo, / Der Sommer, der ist do sowie die Mittelverse der 2. und der 3. Strophe: W i r wollen hinter die Hecken, / Und wollen den Sommer wecken bzw. Der Sommer, der Sommer! / Der W i n t e r hats verloren. Vorlage war ein Beitrag Seybolds im Deutschen M u s e u m (2. Bd. Julius bis Dezember 1778, S. 362-368: Ein Beitrag zu Volksliedern aus der Pfalz; vgl. Heinz Rölleke in FBA9/3, S. 491-494). Vgl. auch das vom Ursprung her wohl verwandte Lied Wh I 161a Das Todaustreiben, dessen Beginn Arnim abgewandelt in der Darstellung des Winteraustreibens in den Kronenwächtern zitiert (Werke 2, S. 294f.): So treiben wir den Winter aus, / Durch unsre Stadt zum T h o r hinaus (v. 1f.); Und n u n der Tod das Feld geräumt, / So weit und breit der Sommer träumt, / Er t r ä u m e t in d e m Mayen, / Von Blümlein mancherleyen (v. 9-12). Dies war vielleicht die Anregung für das in KL 38 nicht begegnende Motiv vom Schlaf bzw. Träumen des personifizierten Sommers/Frühlings. Die Sommertagsbräuche fanden bei Arnims Zeitgenossen großes Interesse, vgl. z.B. Auguste von Pattberg, Der Sommertag. In: Badische Wochenschrift, 20. März 1807, Nr. 12, Sp. 177-180; J.G. Büsching/ F.H. von der Hagen, Volkslieder. 1807, S. 385f.; DM2, Kap. XXIV, speziell S. 637f. sowie Anm. 102 von Brentanos Die G r ü n d u n g Prags (FBA 14, S. 516; zur Adaption des Todaustreibens im 5. Akt des Dramas). 59,17 m i t Schimpf und Schand] Sprichwörtlich; vgl. Wander 4, Sp. 185, Nr. *34. 59,30-31 An diesen Stuhl will ich mich binden (...) Trägheitssünden] Die Trägheit (acedia) zählt seit dem MA tatsächlich zu den Hauptsünden (wobei freilich nicht, wie hier, mangelnder Arbeitsfleiß, sondern die geistliche Trägheit des Herzens gemeint ist); vgl. 190,28 und Erl. Die Stelle, die sich noch nicht in der frühen Fassung der Szene findet, ist eine Reminiszenz an die 1804 erschienenen Memoiren des it. Dichters Vittorio Alfieri (1749-1803), deren dt. Übersetzung Arnim zur Entstehungszeit der PJ zum Zweck einer Rezension las, die letztlich nicht zustandekam (Denkwürdigkeiten aus dem Leben Vittorio Alfieris. Von ihm selbst geschrieben. Nach der ersten italiänischen Original-Ausgabe übersetzt von Ludwig Hain. Amsterdam-Leipzig 1812 [Arnim-Bibl. Sign. Β 1761]; vgl. Arnims Brief an Jacob Grimm vom 22. Oktober 1812). Vgl. den Brief an Savigny vom 31. August 1813: Die guten Nachrichten haben m e i n e n Trübsinn gebrochen, dafür aber befällt mich oft ein Neuigkeitsfieber, daß ich mich wie Alfieri wegen seiner Liebschaft, an m e i n Schreibpult möchte anbinden lassen u m nicht ewig herumzulaufen (vgl. Heinz Härtl

889

Kommentar [Hg.], Arnims Briefe an Savigny 1803-1831. Mit weiteren Quellen als Anhang. Weimar 1982, S. 274, Anm. 23: »Alfieri erzählt (...), wie er sich, um gegen eine nichtswürdige Geliebte fest zu werden, von seinem Diener so an einen Sessel binden ließ, daß Besucher es nicht merkten und er die Hände zum Lesen und Schreiben frei hatte (...). I 264«). Daneben ist die Sirenenepisode im 12. Gesang der Odyssee zu vergleichen, von der in II,3 (72,1) explizit die Rede ist. 59,33 so erst komm ich in den Ruhm] Vgl. zu 58,39. 60,1 Euklidens Elemente] Vgl. 57,15 und Erl. Statt auf dieses mathematische Buch richtete sich Juttas Begierde in der Frühfassung der Szene noch auf Nicholas Choriers erotisches Werk Elegantiae latini sermonis (...) aus dem 17. Jh., auf das Arnim in ähnlichem Kontext auch in den Entwürfen zu den Holländischen Liebhabereien anspielt (Wingertszahn 1990, S. 161 und Renate Moering in Werke 4, S. 1217); dieser Teil der Szene ging dann ins 12. Kap. der IV. Abteilung der Gräfin Dolores ein (vgl. Entstehung 1). 60,26 Wunderkind] Vgl. 44,21 und Erl. 60.28 Wahrheitswuth] In DWb 27, Sp. 922 definiert als »unstillbares verlangen die Wahrheit zu hören oder zu ermitteln«; einziger Beleg ist die vorliegende Stelle nach SW 19, S. 111. 60.29 Wildheit] Vgl. Unbändigkeit und Muthwille als Charaktereigenschaften der kleinen Johanna in der frühesten Skizze (vgl. Paralipomena 1.1). 60,36 vier Temperamente] Vgl. Komm. 4.1. 61,3 so verging er wie ein Schatten gegen Mittag] Vgl. Wander 4, Sp. 108, Nr. *63: »Wie ein Schatten hinschwinden (vergehen)«. 61,3 zweifelhaft] Zweifelhaft sein< im Sinne von >zweifeln< ist im 19. Jh. noch üblicher Sprachgebrauch (DWb 32, 1008ff.). Vgl. Komm. 4.2 zur Melancholiethematik. 3. Kapitel 61,10 eines Gartens] Im vorliegenden Kap. tritt das Gartenmotiv, das schon in der Pfalzepisode in l,4 eine Rolle gespielt hatte (vgl. 36,26 und Erl.; vgl. im vorliegenden Abschnitt den Rückbezug im kleinen Gärtchen) und auch im Blumengarten in III,3 wiederkehrt, in den Vordergrund (in der Mysterienszene in TF3 [Textteil B] stellt Arnim auch die elysischen Felder als herrlichen Garten dar). Die Gartenliebe Arnims ist durch zahlreiche biographische Zeugnisse belegt; vgl. z.B. seine Briefe über die Anlegung eines Gartens in Königsberg im Sommer 1807 an Clemens und Bettina Brentano, über den Garten in Berlin im Frühjahr und Sommer 1809 an Bettina Brentano (vgl. die Zeichnung im Brief vom 5. September 1809) sowie die Schreiben an seine Tante Louise von Schlitz

890

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,3 am 5. Juni 1812 aus Berlin (Was m i r n i c h t m i n d e r F r e u d e m a c h t ist m e i n G a r t e n , w o ales v o r t r e f l i c h g e d e i h t , i n s b e s o n d r e S a l a t u n d

Zwiebeln

a u c h R o s e n u n d L i l i e n (...» und an Savigny am 23. April 1814 aus Wiepersdorf ( M e i n e G ä r t n e r e i s c h r e i t e t u n a b l ä s s i g f o r t (...)). In Arnims Werken stehen Gärten oft mit dem verlorenen Paradies der Kindheit im Zusammenhang; vgl. etwa die Gärtnerei des kleinen Berthold in den K r o n e n w ä c h t e r n (Werke 2, S. 43 und S. 54, wo der Garten explizit mit dem Paradies gleichgesetzt wird) und Rosalies Kind im Garten des Fort Ratonneau im T o l l e n I n v a l i d e n , der besonders deutlich an die vorliegende Situation anklingt: (...) i h r (Rosalies) K n a b e f r e u t e sich, n a c h so m a n c h e r h a r t e n E i n k e r k e r u n g a u f W a g e n u n d in W i r t s s t u b e n , der vollen F r e i h e i t in d e m eingeschlossenen klein e n G a r t e n d e s F o r t s (...) (Werke 4, S. 42). Im vorliegenden Kap. werden die Paradieszüge des Gartens durch die Zitate aus der Genesis unterstrichen, die Johanna für e i n e B e s c h r e i b u n g d e r S c h ö p f u n g in Verse fassen soll. Für Arnims Lyrik konstatiert Thomas Sternberg eine Bedeutung des Gartenmotivs als »Immigrationsmetapher«, Ort zurückgezogener Kontemplation (Sternberg 1983, S. 122). 61,12 Todtenglocke (...) selig] Eine Vorausdeutung auf das in der Romhandlung (IV. Periode) bedeutsam werdende Motiv der Seligkeit des Todes (vgl. 207,11 und Erl.); vgl. Komm. 4.2. 61,14-15 v e r s e n g e n d e H e f t i g k e i t ] Vgl. o. das Ende von II,2; vgl. auch die Feuermetaphorik im Demophonmärchen am Ende der I Periode. 61,33-34 G e w ü r m e i n i h r e r m e t a l l n e n H e f t i g k e i t ] Ein seltsames Bild, das Paul Merker deshalb sogar - ohne Kenntnis der Hs. - fälschlich für einen Lesefehler Bettina von Arnims hielt (Merker 1933, S. 301). 61,35 N a m e n ] Vgl. die Benennung der Kreaturen im Paradies durch Adam (1 M o 2,20). 62,14-16 w i e die P o e s i e (...) n i c h t s g e n ü g e n w i l l ] Vgl. den Zentralgedanken der »getäuschten Täuschung« in der poetologischen ( T h e o r e t i s c h e n U n t e r s u c h u n g ) von Ende Oktober 1812, die Arnim einem Brief an die Brüder Grimm beilegte: W i e i c h m i c h i n m e i n e n p o e t i s c h e n A r b e i t e n

immer

m e h r ü b e r z e u g e , d a ß m i r n u r das n a c h einiger Zeit g e n ü g t , w a s sich s e l b s t g e m a c h t h a t ; w o z u i c h g e k o m m e n , i c h w e i ß n i c h t w i e (...) (Werke 6, S. 401; vgl. dazu Ricklefs 1990b, S. 48-58). Zum zweiten Teil des vorliegenden Satzes ist die von Kritikern und Freunden oft gerügte kontinuierliche Ausweitung von Arnims Dichtungsplänen zu vergleichen, für die nicht zuletzt die PJ ein Beispiel ist. 62,24 E i n G a r t e n h a u ß ] Diese Neufassung der im Päpstin-Kapitel der G r ä f i n D o l o r e s enthaltenen Gartenhausszene gehört zu den ältesten, rein dramatisch 891

Kommentar verfaßten Bestandteilen der Dichtung, wie an der einleitenden Szenenanweisung zu erkennen ist (vgl. Entstehung 3.2.2.1). Vgl. auch hierzu, wie zur Euklidszene ll,2. Die Studierende aus der ZfE (vgl. zu 57,35). Die Kontrastierung von Gelehrsamkeit und freier Natur auch in Wh I 57 Ueberdruß der Gelahrtheit (nach Opitz). Wie die frühe Fassung der Euklidszene weist die Gartenhausszene in der Dolores Anklänge an Goethes Faust auf (vgl. Komm. 6.6), speziell an Fausts durch den >Pudel< Mephisto gestörte Bibelübersetzung in der ersten Studierzimmerszene. Diese intertextuellen Bezüge sind in der vorliegenden Bearbeitung, wo die ablenkenden Naturstimmen nicht mehr vom Teufel ausgehen, weniger deutlich; vgl. aber noch hier z.B. 69,31 und Erl. Zum Motiv der sprechenden Pflanzen und Tiere sind der Garten der Poesie in Tiecks Komödie Prinz Zerbino, oder die Reise nach dem guten Geschmack (1799) und allgemein die frühromantische Idee der Naturpoesie zu vergleichen, wie sie Friedrich Schlegel am Anfang seines Gesprächs über die Poesie im 3. Bd. des Athen a e u m (1800) beschreibt als die formlose und bewußtlose Poesie, die sich in der Pflanze regt, i m Lichte strahlt, im Kinde lächelt, in der Blüthe der Jugend schimmert, in der liebenden Brust der Frauen glüht (S. 59). Vgl. auch romantische Kunstmärchen wie das Märchen von Hyacinth und Rosenblüthe des Novalis (in den Lehrlingen zu Sa'is; auch dort versuchen die Naturwesen zu Beginn, den durch ein Büchelchen tiefsinnig gewordenen jungen Helden zu zerstreuen, und ihn auf den richtigen Weg zu weisen) und E.T.A. Hoffmanns D e r goldne Topf von 1814 (besonders der Schluß der 1. Vigilie). Zu Arnims früher Rezeption dieser Vorstellungen vgl. das Exzerpt des Briefes an seine Tante Louise von Schlitz vom Juli 1802 über die Rheinfahrt mit Brentano: Ich f ü h l e jezt recht, (...) daß eine gewaltige Dichtung durch die ganze Natur weht (WAA31, Nr. 234.E, z. 74-78). In diesem Sinne zeigt sich in Johannas Erlebnis der Naturstimmen die in ihr wirksame Naturpoesie im Gegensatz zu der durch Spiegelglanz repräsentierten Kunstpoesie (vgl. zu 56,17). Wie in der zitierten Schlegel-Stelle wird auch bei Arnim die Naturpoesie mehrfach in Beziehung zu der quasi märchenhaften >Allverbundenheit< der Kindheit gesetzt (vgl. z.B. in Raphaels Eröffnungsmonolog in ll,4 die Formulierung, das Kind führe Mit aller Welt ein allgemeines Leben); vgl. das Zitat aus Tiecks Der neue Hercules a m Scheidewege in Arnims Stammbucheintrag vom 28. Juli 1801 für Johann Daniel Ferdinand Sotzmann: W a r u m seid ihr entschwunden / Ihr fröhligen Jugendstunden, / Als noch Baum und Blume m i t m i r spielten, / Und Erd u n d H i m m e l m i t mir fühlten, / Mich alle als ihres Gleichen hielten (vgl. WAA 30, Nr. Al.36 und Erl.). Zu vergleichen sind schließlich auch Volksmärchen wie speziell KHM 24 Frau Holle, wo das Brot im Backofen und der Apfelbaum (!) die Märchenheldin um Hilfe bitten.

892

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,3 62,31 Und Gott sprach (...) es ward Licht] 1 Mo 1,3. 63.5-7 Und Gott sprach (...) daß es gut war] 1 Mo 1,9. 63,8 Röhrbrunnen] »brunnen der aus einer röhre flieszt« (DWb 14, Sp. 1126). 63,16-18 Und Gott machte die Thiere auf Erden (...) daß es gut war] 1 Mo 1,25. 63,20-21 Hör wie die Raupen / Fressen im Laub] Vgl. Arnims Brief aus Berlin an Bettina Brentano vom 25. Mai 1809, wo die Raupen verschlüsselt mit den frz. Truppen gleichgesetzt werden: Ich habe ein Gärtchen hinter meinem Hause, wo ich furchtbar unter den Raupen wüthe, die unserm deutschen Baumen das Grün abfressen. Ein solcher Subtext ist auch hier möglich, zumal u. das Geschehen zu einer Fabel dienen soll, deren Lehre Arnim später freilich gestr. hat; vgl. die Varianten: Unschuld sie findet / Rächer verbündet, / Himmel und Erde / Straft die Beschwerde (darauf bezieht sich in Johannas anschließendem Redeabschnitt noch der Vers Zur Rache mahnt mich der Gesang). Falls Arnim hier tatsächlich auf eine ältere Tierfabel anspielen sollte, so war diese bisher nicht zu ermitteln. 63,36 Schon tödtete ich viele Stunden] Vgl. die Redensart »die Zeit totschlagen« (frz. »tuer le temps«) (Röhrich 5, S. 1763). 64,4-6 Und Gott sprach (...) auf Erden kreucht] 1 Mo 1,26. 64,14 schlägt mit der Bibel nach der Fliege] Vgl. die Sage von Luthers Wurf mit dem Tintenfaß auf den Teufel, der ihn bei der Bibelübersetzung auf der Wartburg stört (DS 556). Allerdings ist die Fliege, abweichend von der Tradition (vgl. zu 11,28) und im Unterschied zur Dolores-Fassung, hier sicher kein Teufelstier. 64,19-21 Und Gott der Herr machte den Menschen (...) eine lebendige Seele] 1 Mo 2,7; die Erschaffung des Menschen wird, im Unterschied zu der der übrigen Kreaturen, nach dem zweiten Schöpfungsbericht der Genesis zitiert, offenbar wegen der für die Thematik der PJ bedeutsamen Aussage über die menschliche Doppelnatur; vgl. auch die mißlungenen Schöpfungsversuche Luzifers in 1,1, der den belebenden Hauch Gottes nicht imitieren kann. 65.6-10 Und Gott der Herr pflanzte einen Garten in Eden (...) vom Guten und Bösen] 1 Mo 2,8f. 65,37-66,1 Herrlich ist wohnen / Hier in den Kronen] Vgl. Wh I 93a Frau Nachtigal, v. 9f.: Nachtigal wo ist gut wohnen, / Auf den Linden, in den Kronen (vgl. auch 69,33 und Erl.). 66,2 Sieh nur die Reben] Der hier beginnende Abschluß der Rede des Baums steht noch nicht in der Dolores-Fassung. 893

Kommentar

66,17-20 Und Gott der Herr gebot den Menschen (...) wirst du des Todes sterben] 1 Mo2,16f. 67,1 Todtenvogel] Acherontia atropos, »großer Nachtfalter, wegen seiner Zeichnung >Totenkopf< genannt, im Aberglauben ein Zeichen des Todes« (Renate Moering in Werke 3, S. 1242; vgl. DWb21, Sp. 625 und HdA 8, Sp. 996; in dieser Bedeutung auch in dem Fragment D i e Versöhnung in der S o m m e r frische von 1812; Werke 3, S. 573); daher die Verbindung zu 1 Mo2,16f. Zudem ist hier wohl auch, wie u. bei den Sirenen/Libellen (vgl. 70,16 und Erl.), die traditionelle Auffassung des Schmetterlings als Seelenvogel von Bedeutung (HdA 7, Sp. 1241-1244; vgl. auch Creuzer4, S. 174 mit dem Hinweis auf den Doppelsinn des gr. >psycheDu hast doch heute für die Schule gearbeitet?< 73.8 köstlichsten] kostbarsten, prächtigsten (DWb 11, Sp. 1877). 898

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,3 73,12 Tyturel] Anachronistischer Bezug auf Wolframs von Eschenbach fragmentarisches Epos (um 1200), das nach dem Gralskönig Titurel benannt wurde, bzw. dessen Vollendung in Albrechts von Scharfenberg Jüngerem Titurel (2. Hälfte 13. Jh.). Im folgenden wird eine - fiktive?- illuminierte Hs. beschrieben. 73.14 m i t Gold begründet] In der sonst nicht belegten Bedeutung >mit einem goldenen Hintergrund versehene 73,17 verguldet] »das mhd. v e r g u l d e n hat neben v e r g o l d e n sich lange erhalten, noch Göthe gebraucht diese ältere Form mit Vorliebe« (DWb25, Sp. 475). 73,19 heiß] erregt (vgl. DWb 10, Sp. 905). 73,23 Die kleinen Bilder sich vor mir bewegen] In entsprechender Weise zeigt sich Johannas kreative >Naturpoesie< später in II,4; vgl. zu 111,3. 74,7 Es brannten die Stühle] Sprichwörtlich; »Der Stuhl brennt jhn, d.i. er mag nicht arbeiten.« (Wander 4, Sp. 938, Nr. *34.) 74.15 Meisenkasten] »kleine kastenförmige falle zum fang der meisen« (DWb 12, Sp. 1947). 74.16 schreiigen] Vgl. DWb 15, Sp. 1724. 74.17 mit Schande bestehn] D.h. durch das Examen fallen (vgl. DWb1, Sp. 1668). 74.18 Wunderkind] Vgl. 44,21 und Erl. 74,23 Faullenzer] Die Schreibweise (vgl. Wh II 420 Hum fauler Lenz) bringt Johannas Trägheit mit dem Frühlingsmotiv in Verbindung. 75,9 Mir klinget eben das rechte Ohr] Klingen des rechten Ohrs (im Unterschied zum linken) zeigt nach einem schon in der Antike belegten Aberglauben an, daß gut von einem gesprochen wird bzw. daß man gute Nachrichten zu erwarten hat (HdA 4, Sp. 1530f. und 6, Sp. 1214f.). 75,14 Das grosse Examen] Vgl. 83,16 und Erl. 75,22 Aufwärter] »heute zumal im sinn eines den gästen aufwartenden burschen in haus und keller« (DWb 1, Sp. 772). 76,9 Balsaminen] Springkraut (Impatiens), Gattung der Balsaminengewächse mit zahlreichen Unterarten; hier ist die Gartenbalsamine (Impatiens balsamina) gemeint, eine im 16. Jh. aus Indien eingeführte Sommerblume mit verschiedenfarbigen Blüten. Arnim erwähnt die von ihm selbst angebauten Balsaminen in seinem Brief an Bettina Brentano aus Heidelberg vom 23. Juli 1808; vgl. auch Sophie Mereaus Schreiben an Arnim vom September 1805. 76,22 dies] SW 19, S. 134 liest fälschlich »das«. 76,32 mach mir heute den Kopf nicht heiß] Vgl. Wander 2, Sp. 1524, Nr. *591: »Einem den Kopf warm machen«; vgl. z.B. Lessings Minna von Barnhelm, l,2: Mache Er Herr Justen den Kopf nicht warm.

899

Kommentar 76,33 schmeiß] Vgl. 55,5 und Erl. 77,7 D a u m e n ] Vgl. die Form >Daume< (Plural >DäumeDaumen< (DWb 2, Sp. 845). 77,11 B d e l l i u m ] Vgl. 70,6 und Erl. 77.19 H a l t K a t z e n p f ö t c h e n e i n m a l ] Pfötchen: »in scherzhafter oder traulicher rede das händchen«; hier klingt vielleicht auch die Bedeutung »leichter Schlag< (wie der, den der Schüler vom Lehrer mit dem Lineal erhält) mit an (DWb 13, Sp. 1791). 77.21 E s k o m m t m i r e i n e L u s t , i c h weiß n i c h t wie] Die hier beginnende Schlußpassage der Rede des Spiegelglanz noch nicht in der Dolores-Fassung. Vgl. 17,36 und Erl. 77.22 G o t t s o h n ] Nebenform zu >Gottessohnmit Körnern locken< (vgl. zu 78,4-6), dann bildlich für heranlocken, ködern (DWb 11, Sp. 1822f.). 78.21 m i c h s e i n e r (...) e n t s a g e n ] »bereits mhd. hiesz es >sich eines entsagenregierenverprügelnGabriel< in der I. Periode (21,2) Anspielung auf die Pfingstgeschichte, vgl. Apg 2,2. - Vgl. die Varianten mit dem sich hier ursprünglich anschließenden kürzeren Szenenende. 81,23 m ü d e n ] ermüden (DWb12, Sp. 2621). 82,17 die heiige Noth] Euphemistische Bezeichnung für einen epileptischen Anfall, die auf den schon in der Antike belegten Glauben an einen Zusammenhang dieses Leidens mit seherischen Fähigkeiten verweist. Die Darstellung des Spiegelglanz als Epileptiker, der während seines Anfalls Gabriel zu erblicken meint, gehört in den Kontext der ironischen Parallelisierung dieser Figur mit Mohammed (vgl. Komm. 6.5): D e m übereinstimmenden Zeugnis vieler Geschichtschreiber zufolge (...) ward M o h a m m e d sehr oft m i t der Epilepsie befallen, einem Uebel, das er listig genug m i t dem N a m e n der prophetischen Begeistrung bedeckte, i n d e m er vorgab, er sei dann allemal m i t der glänzenden Majestät der Engel u m g e b e n (Gagnier 1802, S. 91f., der hier den Mohammed-Gegner Hottinger zitiert; ebenso auch Hutchinson 1726, S. 25); vgl. auch zu 83,12 sowie zu 178,27 über die Verbindung von Epilepsie und Besessenheit. Epilepsie wurde auch auf die Einwirkung von Hexen zurückgeführt (HdA2, Sp. 1169-1172), wozu das ursprüngliche Konzept zu vergleichen ist, daß Spiegelglanz einen Pakt mit der Hexe Runa geschlossen haben sollte; vgl. in F1 (Textteil B) zu 343,6. 82,32 m i r wird so unbewust] Ich verliere das Bewußtsein (DWb 24, Sp. 384). 83.4 zerhammert] zerschlägt es wie mit einem Hammer (DWb 31, Sp. 695). Vgl. u. im Frühlingsfest in ll,4 bzw. im frühen burlesken Entwurf zu dieser Einlage (Paralipomena 2.3) die Flügel der Schwäne als Waffe. 83.5 Eisenband] Vgl. den eisernen Heinrich am Ende von KHM 1; bei Arnim steht das Bild im Zusammenhang mit der ursprünglichen Darstellung des Spiegelglanz als Impotenter, den es nach Wiedererlangung seiner Manneskraft gelüstet; vgl. in F1 (Textteil B) zu 343,6. 83,12 Bedecke mich, du sollst mich so nicht sehen] Vgl. Gagnier 1802, S. 92 (nach Hottinger): D a die Epilepsie eine Rächerin der Verbrechen ist, so wollte der falsche Prophet (Mohammed), wenn ihn der Schauder ergriff, dabei bedeckt sein, u m sich d e m Anblick der Menschen zu entziehen. — Was die zweite Stelle (im Koran) betrifft, fährt Hottinger fort, so heist es darinn, er sei in Strohmatten gehüllt gewesen, weil, wenn ihn die Epilepsie zur Erde streckte und zu liegen zwang, er das erste beste ergriff, was i h m unter die H a n d kam, und sich damit bedeckte, damit seine Leute die Plage nicht gewahr werden u n d das Zutrauen nicht verlieren möchten, das sie in ihn zu setzen pflegten.

902

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,4 4. Kapitel 8 3 , 1 6 D a s g r o s s e E x a m e n ] An Arnims Schule, dem Joachimsthalschen Gym-

nasium in Berlin, wurde (d)as große E x a m e n , w e l c h e s vier oder f ü n f Tage

alle Klassen durchgehet, (...) jährlich vierzehn Tage vor Ostern gehalt e n (Friedrich Nicolai, Beschreibung der Königlichen Residenzstädte Berlin und Potsdam, aller daselbst befindlichen Merkwürdigkeiten, und der umliegenden Gegend. Berlin 3 1786. 2. Bd., S. 733, zitiert nach W A A 30, S. 286); zu Ostern Schloß in Preußen das Schuljahr. Arnim verarbeitet in diesem Kapitel offenbar Reminiszenzen an sein Abitur im Jahre 1798; mit der am 28. März dieses Jahres

gehaltenen Abiturrede D a s W a n d e r n der K ü n s t e u n d W i s s e n s c h a f t e n (vgl. Werke 6, S. 20-36) erwarb er, wie es auch die autobiographische Erzählung

J u v e n i s darstellt, g r o ß e n Beifall (Werke 4, S. 10). Zumindest in J u v e n i s wird dem Helden dafür als s c h ö n e s P r ä m i u m ein Buch zuteil (ebd. S. 11). 8 3 , 1 6 W e l t g e r i c h t ] Nach Off 20; vgl. 56,33-35 und Erl.

83.19 eine neue Welt] Nach Off 21; vgl. Jes 65,17 und 2 Pt 3,13. 83.20 V e r s t e i n e r u n g e n ] Vgl. die Erwähnung der Funde von v e r s t e i n e r t e n K n o c h e n südlicher T h i e r e zu Beginn von 1,1. 83.21 das E r m u n t e r n d e der L e h r e r ] Genitivus obiectivus: das, was die Lehrer ermuntert.

84,2 Angeber] Denunziant. 84,6 eine ü b e r m ä c h t i g e K r a f t ] Wegen Johannas Abstammung von der übermenschlichen Melancholia und dem Riesen Oferus; vgl. in F1 (Textteil B) den Hinweis auf ihre ungewöhnliche Körpergröße (413,24). Johanna wird durch diesen Zug auch in Parallele zu Spiegelglanz gesetzt (vgl. 5,35: die g e w a l t i g e

Stärke seines Armes machte ihn allein schon gefährlich), vgl. u. ihre Kleidung gleich Spiegelglanz u n d d e n L e h r e r n . Vgl. auch die Parallele zum Titelhelden der G e s c h i c h t e des P r e d i g e r T a n n e r , der ebenfalls isoliert, i n ä n g s t l i c h e r E n t f e r n u n g von aller J u g e n d , aufwächst, ein fleißiger, aber einsamer Schüler wird und nur durch s e i n e S t ä r k e (...) i n d e r S c h u l e v o r

N e c k e r e i e n geschützt ist (Werke 3, S. 430f.). 84,10 b e s t r e i t e n ] bekämpfen. 84,18 Erzbischofs] Vgl. zu 45,12.

84,19-20 die höchste Gewalt Gottes über die T i r a n n e n der Erde] Vgl. z.B. Jes 29,5. Fortführung des o. begonnenen Vergleichs des Examens mit dem Weltgericht. 84,27 E i n h ö h e r e s Geschick] Vgl. den Hinweis am Ende von l,3 auf Raphaels Rolle als Werkzeug des Himmels.

903

Kommentar 84,27 acht Jahre f r ü h e r ] Widerspruch zu der Angabe am Beginn der II. Periode, wonach seit den Ereignissen der I. Periode zehn Jahre vergangen sind, wozu zwischen der ersten Begegnung Johannas mit Raphael in 1,3 und der Ankunft in Mainz in 1,5 (der in 1,3 dreijährige Johannes hat in 1,5 s e i n viertes Jahr erreicht) sowie zwischen 11,1 und II,3 (vgl. 81,34) jeweils ein weiteres Jahr kommt. 8 4 , 2 8 - 2 9 E i n f a l l der N o r m ä n n e r ] Vgl. Muratori 1747, S. 22 (vgl. Komm. 2.4): I n d i e s e m Jahre (845) l i e f e n die N o r m a n n i s c h e n Seeräuber m i t h u n d e r t u n d z w a n t z i g S e g e l n i n d i e S e i n e ein, k a m e n bis n a c h Paris, u n d v e r f ü g t e n sich a m heil. A b e n d e vor Ostern i n d i e Stadt. Eine Belagerung von Paris durch die Wikinger im Jahre 886 wird ebd. S. 200 geschildert. Zum Plural N o r m ä n n e r , der sich auch durchgehend bei Muratori findet (vgl. dort auf S. 58 den fast wörtlichen Anklang an die vorliegende Stelle: die E i n f a l l e der N o r m ä n n e r ) , statt des häufigeren >Normannen< vgl. D W b 1 3 , Sp. 895. 84,35 m e r k w ü r d i g e n ] Im wörtlichen Sinne: denkwürdigen, bemerkenswerten. 84,37 v o r r e c h n e t e ] »ins einzelne gehend darlegen« (DWb26, Sp. 1401). 8 5 , 2 - 3 D e r K i n d h e i t Jahre h e i s s e n g o l d n e Zeit (...) g e l o g e n ] Realistischpsychologisierende Kritik am romantischen Topos der Verknüpfung von Kindheit und prähistorischem Goldenen Zeitalter (vgl. z.B. Schubert 1808, S. 303). Vgl. auch 202,17-18 und Erl. 85,7 b e s e s s e n ] gepeinigt; in Anlehnung

an die dämonische

Besessenheit

(DWb 1, Sp. 1617f.). 85,22 E r d e n ] Länder. 8 7 , 1 4 W u n d e r k i n d ] Vgl. 44,21 und Erl. 88.1

D a s F r ü h l i n g s f e s t . ] Vgl. Komm. 7.

88.2

S t i m m e n . ] Die Auflistung der Stimmen in dem als Textgrundlage die-

nenden Druck in der S c h a u b ü h n e kennzeichnet das Spiel als Kantate (die Bettina von Arnim später teilweise vertonte; vgl. Komm. 7.1). D i s k a n t (von lat. discantus) ist die ältere Bezeichnung (seit dem 15. Jh.) für die höchste Solostimme, die heute mit dem it. Begriff Soprano/Sopran benannt wird. Der Frühling ist schon durch seine Besetzung als Tenor, gegenüber dem im Bariton singenden Rivalen Siegfried, als Partner Beatas gekennzeichnet. 88.3

Beata]

Der

Name

ist an

die

Schwanrittersagen

angelehnt

(vgl.

Komm. 7.2); die wörtliche Bedeutung >die Selige« (für Verstorbene) verweist zudem auf das für das Frühlingsspiel und die gesamte PJ zentrale Motiv der Seligkeit des Todes (vgl. 207,11 und Erl. sowie 106,20 Beatas Worte Selig, selig, w e r aus L i e b e stirbt). Die Vorstellung vom jenseitigen Frühlingsreich ist mit 904

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,4 den antiken beatorum insulae, den Inseln der Seligen, zu vergleichen, die in der Fassung der Mysterienszene in TF3 begegnen; vgl. dort (Textteil B) zu 327,32-33. 88.5 W a l t e r ] Der Name vielleicht nach dem sagenhaften Walther von Aquitanien, dem Helden des mittellat. W a l t h a r i u s (vgl. auch DS 407 W a l t h e r i m Kloster), der wie Siegfried, der Namenspatron seines Rivalen, in Beziehung zur Nibelungensage steht; vgl. die ausführliche Behandlung der Gestalt im 4. Teil von Joseph Görres' Aufsatz über die Nibelungen in der ZfE Nr. 21 vom 11. Juni 1808. 88.6

S i e g f r i e d ] VVbhl nach dem Helden der Nibelungensage benannt, der

im Zauberfest am Ende der PJ erscheint (vgl. 270,32 und Erl.). 88.10

Kinderstimmen]

Diese erscheinen im folgenden nicht als Spre-

cherangabe; möglicherweise sollen die zuvor genannten Schwäne von Kindern gesungen werden. 88,15 Von e i n e m B e r g s c h l o s s e h e r a b ] Das symbolische Motiv des Abstiegs vom Berg auch in III,3; vgl. dort zu 140,3. 88,17 H i r t e n ] Seit Vergils B u c o l i c a mit der Vorstellung Arkadiens als Ort des Goldenen Zeitalters verbunden. 89,4-5 D e r W i n t e r (...) v o r d e m F r ü h l i n g f l i e h ] Vgl. den Osterspaziergang in Goethes F a u s t I, v. 906-910: D e r a l t e W i n t e r , i n s e i n e r S c h w ä c h e , / Z o g s i c h i n r a u h e B e r g e z u r ü c k . / Von d o r t h e r s e n d e t er, f l i e h e n d , n u r / O h n m ä c h t i g e S c h a u e r k ö r n i g e n Eises / I n Streifen ü b e r d i e g r ü n e n d e F l u r (vgl. Komm. 6.6). Im F r ü h l i n g s f e s t ist der Winter, wie der Chor in der vorliegenden Passage bereits befürchtet, keineswegs ohnmächtig, sondern immer noch eine Bedrohung, wie das Ende erweist. 89,9 I n b ö s e r L u s t ] Diese Eigenschaft wurde in 11,1, 51,13 (kurz vor Johannas ursprünglichem Frühlingstraum!) Spiegelglanz zugewiesen, an den auch die K r a f t und a l t e W u t h des hier personifizierten Winters erinnern. Vgl. zu 4,15 über die häufige Kennzeichnung des Lehrers durch Metaphern der Kälte und Erstarrung. 89.11 M a i e n t a g ] Vgl. zu 6,3. 89,13 F l a m m e ] Der alte Brauch des Frühlingsfeuers sollte ursprünglich wohl der Austreibung von Winterdämonen sowie dem Fruchtbarkeitszauber dienen (HdA 3, Sp. 170-174). 89,15 T a u b e n ] Tauben erscheinen in Arnims Werk mehrfach, angelehnt an 1 M o 8,11, als himmlische Zeichen der Versöhnung und des Friedens nach einer glücklich überstandenen Katastrophe, speziell nach Kriegen. Vgl. den Schlußchor des Trauerspiels M a r k g r a f C a r l P h i l i p p v o n B r a n d e n b u r g ( ( H e i i g e M u t t e r l a ß d i c h s c h m ü c k e n ) ; Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 727) und besonders das Finale des T o l l e n I n v a l i d e n , wo ebenfalls die hier im folgenden Vers genannten g r ü n e n 905

Kommentar Blätter auf den Ölzweig der Bibel verweisen (Werke 4, S. 54). Dieser wird in Wh I 134 und 137 Friedenslied explizit genannt; in Wh III 233 Hans Sachsens Tod erscheint das Motiv als Bild der durch Rückwendung zum Himmelsquell verjüngten Poesie (v. 128-134). Vgl. 264,22-23 und Erl. Weiter u. wird das Motiv durch Bezug auf die Nachtigall als Liebessymbol abgewandelt; vgl. 104,9-10 und Erl. 89,27 Freudenthau] In dichterischer Sprache laut DWb 4, Sp. 156 auch bei Kömer und Jean Paul belegt. 89,28-29 D e r Adler (...) zu der Sonne] Vgl. den schon im Physiologus belegten Glauben, »daß, wenn dem A(dler) im Alter die Augen schwach werden, er zu einer Quelle fliege und von dieser sich erhebe bis zur Sonne; dort verbrenne er seine Flügel und kläre seine Augen; auf die Erde gefallen, tauche er dreimal in der Quelle unter und sei verjüngt«; daher ist der Vogel Symbol für Auferstehung und Wiedergeburt. Auch soll der Adler seine Jungen zwingen, in die Sonne zu schauen, und sie auf seinem Rücken das Fliegen lehren (vgl. HdA 1, Sp. 176, 180f.). Beide Vorstellungen sind verbunden z.B. in Lessings Fabel III,25 Der Adler: M a n fragte den Adler: W a r u m erziehest du deine Jungen so hoch in der Luft? Der Adler antwortete: W ü r d e n sie sich, erwachsen, so n a h e zur Sonne wagen, wenn ich sie tief an der Erde erzöge? (Gotthold Ephraim Lessing, Fabeln. Abhandlung über die Fabel. Hg. von Heinz Rölleke. Stuttgart 1967, S. 55). Vgl. das Sängerfest am Ende von Ariel's Offenbarungen, wo der Schwan zum Adler spricht; Dein H i m m e l schwinggefieder / N u r bey der Sonne siegend r u h e t (Arnim 1804, S. 242), sowie das in Juvenis (1818) eingefügte Gedicht Heldenlauf (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 642): (...) Vom Adler, der sich k a u m gemaust / U n d schon zur Sonne zieht (Werke 4, S. 18). 89,30-31 Die Schlangen (...) Liebeswonne] Vgl. die Darstellung des utopischen Friedensreichs bei Jes 11,6-8, in die ebd. 65,25 auch die Schlangen einbezogen sind. 89,34-36 Mit den Schwertern (...) aus dem Stein] Vgl. den biblischen Topos >Schwerter zu Pflugscharen machen< (Jes 2,4; Mi 4,3; Jo4,10). 90.5 Irrende Winde, wehet gelinde] Vgl. zu 252,24. 90.6 Flügel] Vgl. die biblische Wendung von den F l ü g e l n des Winds, die 29,14 zitiert wird. 90,20 goldgelockten] Ein blondgelockter Knabe ist der Frühlingsgott in der frühen Fassung des Spiels (vgl. Paralipomena 2.3). Diese Darstellung des Frühlings ist traditionell; so zitiert Arnim in Halle II,3 die Beschreibung der Lenzallegorie aus Gryphius' Cardenio u n d Celinde als Jüngling, der den Menschen durch seine goldnen Haar anzieht (Arnim 1811, S. 81).

906

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,4 90,22-33 Thimian (...) Malven (...) Sonnenblume (...) alte Nester] Thymian, Malve und Sonnenblume, die hier im Frühlingsfeuer >geopfert< werden, haben traditionell apotropäische Kraft (HdA 7, Sp. 419, 5, Sp. 1558f. und 8, Sp. 71); Vogelnester sind Glücksbringer (HdA 8, Sp. 1682). 91,29 Wachholderäste] Der immergrüne Wacholder genoß schon bei den Germanen als apotropäisches Mittel und Fruchtbarkeitssymbol hohe Verehrung und wurde bei Leichenverbrennungen verwendet; vereinzelt ist der Brauch von Wacholderfeuern zu Pfingsten nachgewiesen (HdA 9, Sp. 1 ff.). 92,2 tanzt] Vgl. zu 37,20. 92,15-16 Die Freude (...) zu der Engel Chor] Anklang an Schillers An die Freude (1786), vgl. dort besonders v. 8 (Wo dein sanfter Flügel weilt) und v. 23f. (Zu den Sternen leitet sie, / Wo der U n b e k a n n t e thronet). Vgl. auch Fausts entsprechende Metaphorik beim Osterspaziergang (v. 1074-1099). 92,33 umziehen] umzingeln (DWb 23, Sp. 1293). 92,36 Trommeten] Die eigentlich seit etwa 1700 veraltete Wortform »lebt in der spräche der dichter unter dem einflusz der bibel weiter und wird (...) noch im 19. jh. als bewuszter archaismus poetisch verwendet« (DWb 22, Sp. 830). 93,5 Sie werden ritterlich die Jungfraun ehren] Anspielung auf das Motiv des Frauendienstes, das in der IV. Periode bedeutsam wird; vgl. auch u. eure Ehre / Fordert, Frauen zu beschützen (vgl. 215,6 und Erl.). 93,12 flüchten] Der nicht autorisierte postume Neudruck der Schaubühne in SW5, S. 218 em. danach ein Komma und tilgt das Komma hinter Heerden; tatsächlich liegt hier aber die auch etwa noch bei Goethe und Schiller nachzuweisende transitive Verwendung von >flüchten< im Sinne von >in Sicherheit bringen< vor (vgl. DWb 3, Sp. 1833), wie sie auch in F' begegnet (vgl. dort in Textteil Β 392,28 flucht sowie 404,22 geflüchtet). 93,28 So stürzen wir uns in den Rhein] Vgl. 53,21 und Erl. 94,31 Blumenketten] Vgl. DWb 2, Sp. 164 mit Belegen bei Wieland, Gotter und Maler Müller; vgl. das anakreontische Motiv des Rosenbands (z.B. Klopstock, Das Rosenband, zuerst Cidli, 1753; kritisch gewendet bei Goethe, Kleine Blumen, kleine Blätter, 1775). 95.11 bestreiten] bekämpfen. 95.12 Mit Deiner Schönheit Zauberblume] Vgl. zu 273,17. 95,14 Ehre] Vgl. zu 215,9. 95,21-22 Und sieh den Kampf (...) Von unsres Hauses Zinnen zu] den ist möglicherweise Druckfehler für dem. Die Anspielung auf den 3. Gesang der Ilias kontrastiert Beata, die zwei feindliche Heere versöhnt, mit Helena, die den Trojanischen Krieg auslöst.

907

Kommentar 95,36-37 Andre Zeit, / Andrer Sinn] Vgl. die Varianten bei Wander 5, Sp. 525, Nr. 24ff.: »Andere Zeit, andere Lehre« bzw. »Sitten«. 96,29 Und unsre Väter feindlich trennte] Ricklefs 1990b, S. 222 verweist auf die Parallelen zum Motiv des dualistischen »Urzwists« in den Gleichen und den Kronenwächtern. 96,33 rothe Rosen] Vgl. die topische Verbindung von Rosen mit Blut (DWb 14, Sp. 1178); vgl. in TF1 (Textteil B) 312,19 und Erl. 97,2-3 Grün (...) der Hoffnung Zeichen] Bei Arnim mehrfach mit dem Frühlingsmotiv verbundene Farbsymbolik; vgl. z.B. der Hoffnung Grün am Ende der Zueignung zu Heymar's Dichterschule in Ariel's Offenbarungen (Arnim 1804, S. 151) und in der Gräfin Dolores: Grün ist Hoffnung, Freude bunt (Werkel, S. 583). Die symbolische Gegenüberstellung von Rot und Grün ebd. in Traugotts erste Erinnerung: Nachher habe er nichts vor seinen Augen gesehen, als eine feste grüne Wolke im roten Felde, dann sei die Wolke rot und das Feld grün geworden (S. 321). 97,4 Kranz] Vgl. u. in V,5 die Kränze des Oehlbaumes als Friedenszeichen. 97,7 Eisengitter] Das Visier des Helms. 97,12 in Lieb und Leid] Sprichwörtliche Zwillingsformel (Wander 3, Sp. 165, Nr. *846); vgl. KHM 170 Lieb und Leid teilen (nach Jörg Wickrams Rollwagenbüchlein, 1555). 98,9 Zweifel] Vgl. Komm. 4.2 zur Melancholiethematik. Im Unterschied zu ihrem Alter Ego Beata überwindet Johanna in V,4 den Zweifel am Glück der Ehe. Auch der Frühlingsgott scheint u. Zweifelnd (...) noch zu schwanken, bevor er Beatas Drängen nachgibt. 99,25 die noch nie geliebt] Vgl. u. in der Venusbergszene (lll,5; 164,22) den Anklang im Zitat aus dem Pervigilium Veneris: Heute liebe, wer noch nie geliebt. 100,7 Schwäne] Zur Schwanrittersage vgl. Komm. 7.2. Als Vogel des Apoll wie auch der Venus (vgl. z.B. Kornmann 1614, S. 13 über Schwäne, die den Wagen der Venus ziehen, und S. 66) verweist der Schwan sowohl auf Liebes- als auch auf Kunstthematik. Das Motiv des Schwanengesangs, bekanntlich ein »verbreitetes romantisches Bild für das dionysisch Todesselige der Kunst« (Ricklefs in Werke 5, S. 1404; vgl. auch Kristina Hasenpflug in FBA3/1, S. 486 zu Belegen im Werk Brentanos), ist bei Arnim oft zugleich mit dem Motiv des Liebestods verbunden; vgl. Getrennte Liebe aus der Gräfin Dolores (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1865; \Aferke 1, S. 586-588 bzw. 5, S. 703-706) und Nr. 92 des Sonettenzyklus aus der ZfE Sonete stirbt im Wochenbett (Werke 5, S. 658f.). Mehrfach erscheinen Schwäne in Arnims Werk, wie hier, als Boten eines transzendenten (Kunst-)Reichs; vgl. das Gedicht (Hinunter, hinunter) von 1808 (Rick-

908

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,4 lefs Lyr.-Reg. Nr. 768; Werke 5, S. 513), den Chor der Studenten in den Kähnen aus Halle und Jerusalem (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1409; Werke 5, S. 737f.), Odin im Herrmann-Spiel in Ariel's Offenbarungen (Arnim 1804, S. 14: Mich ziehet des Greises tief ahndendes Wähnen, / Zur Bläue getragen von singenden Schwänen; abweichende Fassung im Brief an Brentano von Mitte August 1802, WAA 31, Nr. 241, z. 91-96), das Gedicht (Frühlingsbefreyen) im Brief an Brentano vom Februar 1803 (Ricklefs Lyr.Reg. Nr. 645; WAA 31, Nr. 288, z. 43-64) und die 1. Strophe des Gedichts Kastor an Pollux im Brief an Brentano vom 19. August 1803 (Ricklefs Lyr.Reg.Nr. 1312; WAA 31, Nr. 318, z. 135-38; Werke 5, S. 228). An das Frühlingsfest erinnert vor allem Der Stralauer Fischzug (Ricklefs Lyr.Reg. Nr. 771; Werke 5, S. 687-692, hier S. 689, v. 73-78): Seht, ein Nachen kommt in Eile, / Über dem ein Adler schwebet, / Neben dem ein Schwan sich hebet: / Rauschend sich die Wellen teilen, / Und ein Singen hell und klar / Steiget aus den Tiefen gar. Vgl. auch den zukünftigen Dichter Jan Vos in den Holländischen Liebhabereien, der als Kind von einem Schwan ans Land getragen wird (Werke 4, S. 554), sowie das ca. 1814 entstandene Märchen Chronick meines Lebens und meiner Zeit, wo das vom Sprecher begehrte Gärtnermädchen (die Muse?) auf den breiten Rücken eines Schwanes springt und von ihm fortgetragen wird; jezt ist mir die Glanzspur des Schwanes, der sie fortgetragen glorreicher als der schmetternde Siegsruf (Wingertszahn 1990, S. 217). Zur Rolle des Schwans im Sängerfest auf Wartburg in Ariel's Offenbarungen (mit Anklängen an die Schwanrittertradition) vgl. Komm. 7.2. 100,7 Purpurnachen] Vgl. die Rückverweise auf dieses Schiff des Frühlingsgottes durch den Kahn im Zauberfest sowie die Gestaltung des Ehebetts u. in V,7 und 8. 100,8-15 Am Mäste (...) über ihm verschlingen] Diese Darstellung ist angeregt durch das heute verschollene Gemälde Meerfahrt bzw. Schiffahrt von Carl Wilhelm Kolbe d.J. (1781-1853), das im Herbst 1812 in der Ausstellung der Berliner Akademie der Künste gezeigt wurde. Später diente das Bild als Vorlage des Titelkupfers von Friedrich Försters Almanach Die Sängerfahrt (erschienen 1817 mit Jahreszahl 1818, entstanden 1816; ein Exemplar befindet sich in Arnims Bibliothek; Sign. Β 1228), an dessen Zustandekommen Brentano wesentlichen Anteil hatte und zu dem auch Arnim beisteuerte (vgl. das Nachwort von Siegfried Sudhof zum Faksimiledruck Heidelberg (1969)). Arnim war an der Entstehung des Gemäldes direkt beteiligt, wie seinem Brief an Brentano vom 23. Oktober 1812 zu entnehmen ist (vgl. Heinz Härtl, Briefe Arnims an Brentano aus dem Arnim-Nachlaß des Goethe- und Schiller-Archivs. Mit zwei

909

Kommentar Gegenbriefen Brentanos an Arnim und einem Brief Arnims an Niebuhr als Anhang. In: Burwick/Fischer 1990, S. 120-197, hier S. 190f.): D i e

Meerfahrt

k o m m t e r s t i n d i e s e n T a g e n , e r (Kolbe) h a t sie w u n d e r s c h ö n b e e n d i g t u n d m i r zu L i e b e a u s d e m u n b e s t i m m t g e l a s s e n e n D i c h t e r e i n e n G ö t h e m i t d e m Lorbeerkranz g e m a c h t , der den Tackt schlägt, was ganz seine N a t u r ist u n d a u s s e r d e m ist e r r e c h t ä h n l i c h , o h n e l ä c h e r l i c h e B e g e i s t e r u n g e h e r e i n w e n i g l ä c h e l n d ü b e r d e n G e s a n g , k u r z es ist e i n s d e r a n m u t h i g s t e n B i l d e r (...). Arnim klebte später das Titelkupfer der S ä n g e r f a h r t , quasi als Titelbild, in sein Stammbuch ein (WAA 30, S. 583). Auf dem Bild steht ein auf einer Laute (laut Förster: Zither) spielender Jüngling in pseudomittelalterlicher Tracht an einen Bootsmast gelehnt, aus dem Weinranken aufsteigen, die oben ein Dach umschlingen. (Auf S. (3) von Siegfried Sudhofs Nachwort zum Faksimiledruck ist ein Mißverständnis richtigzustellen: Laut Försters Erläuterung des Titelkupfers auf S. I soll nicht die Zentralgestalt des Bildes ein g e k r ö n t e r M e i s t e r s ä n g e r sein, sondern die mit Lorbeer bekränzte Figur weiter links, die sich zu den Frauen herabbeugt und laut Arnims o. zitiertem Brief Goethe porträtiert; der Jüngling ist vielmehr der r ü s t i g e Z i t h e r s c h l ä g e r . ) Links oben über dem Schiff und rechts oben in weiterer Entfernung erkennt man zwei, so Förster, P a r a d i e s v ö g e l ; im Unterschied zur Darstellung im F r ü h l i n g s f e s t sitzen die b u n t e n V ö g e l also nicht auf dem Dach. - Vgl. auch Brentanos durch Kolbes Gemälde inspiriertes Gedicht S ä n g e r f a h r t (entst. vmtl. 1816; vgl. FBA3/2, S. 117-119 und Erl.); die I.Strophe betont auch hier das Motiv des Rebendachs, das bei Kolbe offenbar in der anakreontischen Tradition des idyllischen Motivs der schwimmenden Laube< etwa bei Salomon Geßner steht (vgl. Michael Grus in FBA 3/2, S. 495). Im F r ü h l i n g s f e s t zeigt sich in diesem Zug (vgl. auch 160,37 das Dach aus W e i n r e b e n über dem Weg zum Venusberg) besonders deutlich der dionysische Aspekt des Frühlingsgottes; vgl. die u.a. im homerischen Hymnos an Dionysos und bei Ovid ( M e t a m o r p h o s e n , 3. Buch, v. 582-691) überlieferte Erzählung von Dionysos und den tyrrhenischen Schiffern; Arnims Brief an Brentano vom 19. August 1803 spielt auf diese Geschichte im Kontext einer kunstthematischen Ausdeutung des gesamten Dionysosmythos an (WAA 31, Nr. 318, z. 254-258): A b e r d i e K u n s t ist w i e B a c h u s , f u r c h t s a m , sie k e n n t i h r e M a c h t n i c h t u n d f l i e h e t b i s z u m M e e r e d i e F r e v l e r , w o l l e n sie a b e r u m h a u e n i h r e R e b e n , d a n n s t e h t sie a u f i n h e i l i g e r W u t h , w o sie g e f e s s e l t d a s p r i n g e n i h r e K e t t e n , d i e M a s t e n b e w a c h s e n m i t W e i n l a u b u n d d i e S c h w e r d t e r (...). 100,10 L a u t e ] Das von Arnim wie von der gesamten romantischen Dichtung gern benutzte Motiv, hier durch Kolbes Gemälde angeregt, ist zumal in den G l e i c h e n als Instrument des in mancher Hinsicht mit Johanna, die in III,3 als 910

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,4 Lautenspielerin erscheint, vergleichbaren Grafen von Gleichen bedeutsames »Kunst- und Poesiesymbol« (Ricklefs 1998b, S. 285). Vgl. das in mehreren Varianten vorliegende Epigramm D i e L a u t e (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 166; Werke 5, S. 497) und das R e i s e l i e d m e i n e r L a u t e (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 487; im Brief an Brentano von Anfang April 1805) sowie die Allegorie D e r W i l d d i e b (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1167; Werke 5, S. 107) und das in Markgraf Otto v o n Brand e n b u r g sowie in D e r e c h t e u n d der f a l s c h e W a l d e m a r verarbeitete Lied ( W a r m i r L a u t e n s p i e l n i c h t b l i e b e n ) (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1522). 100,18 N a c h t i g a l l ] Vgl. zu 69,33; im F r ü h l i n g s f e s t fungiert der Vogel auch speziell als Liebesbote, vgl. 104,9-10 und Erl. 100,24 g e h e i m e Todeslust] Erster expliziter Hinweis auf das zentrale Thema der Todessehnsucht (vgl. u. Selig, selig, w e r aus L i e b e stirbt und S e l i g k e i t ist n u r i m Tode); vgl. zu 207,11. 100,27 W a s s e r l i l i e n ] In Arnims Werk mehrfach Symbol für Wiedergeburt, Frühling und Paradies; vgl. D i e K r o n e n w ä c h t e r : D e r W i n t e r k o m m t d e n T i e r e n u n d d e n M e n s c h e n zur V e r w u n d e r u n g , n u r w e n i g e w i s s e n ihre Zeit voraus, w i e die Wasserlilien, d i e z u m B l ü h e n i n rechter Z e i t ihre s t r a h l e n d e n H ä u p t e r ü b e r die O b e r f l ä c h e der G e w ä s s e r e r h e b e n , u m d a n n g e n ü g s a m u n d r u h i g i n d e n A b g r u n d s e l i g e r E r i n n e r u n g e n bis zur W i e d e r g e b u r t zu v e r s i n k e n (Werke 2, S. 292; vielleicht angelehnt an eine ähnliche Passage im »Anton-Roman«, ebd. S. 583). In D i e G l e i c h e n l,3 sehen Graf Plesse und die Gräfin ihr Schiff in Erinnerung an ihre paradiesische Jugendliebe V o m B l ü t h e n n e t z

der Wasserlilien fest /

Umfangen

(Ar-

nim 1819, S. 27). Der Bedeutung der Chiffre an der vorliegenden Stelle steht wohl der Höhepunkt des Kapitels Traugotts erste E r i n n e r u n g in der G r ä f i n D o l o r e s am nächsten, wo Wasserlilien ebenfalls im Zusammenhang mit g e h e i m e r Todeslust stehen und den Knaben durch das Bild des geliebten Fürchtegott ins Wasser zu locken scheinen; Traugott erblickt später im Fiebertraum eine Blume, die w i e e i n e Wasserlilie auf d e m M e e r e schwimmt (Werke 1, S. 322 und 338). Vgl. auch die Erwähnung der Wasserlilien als W u n d e r b l u m e n in Von Volksliedern (Wh I 434). 100,35 V e i l c h e n p r a c h t ] Das Veilchen ist als eine der ersten Frühlingspflanzen bedeutsam in Frühlingsfesten und -mythen (HdA8, Sp. 1537); vgl. auch 256,36 sowie das Veilchen als Hochzeitszeichen in der längeren Version des Schlusses von l,3 in F1 (Textteil B), 355,32. Vgl. Goethes häufig vertonte Ballade D a s V e i l c h e n (Erstdruck, noch ohne Titel, 1775). 101,4 Ich, der Gott, w a r d M e n s c h i m Z o r n ] Die Formulierung setzt die Inkarnation des Frühlings in Parallele zur Menschwerdung Christi; vgl. z.B. Jh 1,14. 911

Kommentar

101,11 Stürzt euch in den Fluß mir nach] Vgl. 53,21 und Erl. 102.10 der Vogel dein] Die o. erwähnte Nachtigall. 102.11 Morgengabe] Mitgift. 102,25 So giebts ein Schicksal auch für Götter] Im Gegensatz

zur tradi-

Schicksallos, wie der schlafende / Säugling, atmen die Himmlischen (Hype-

tionellen Vorstellung; vgl. z.B. Hyperions Schicksalslied von Hölderlin:

rion II,2; 1799).

102,29 Zweifelnd scheint er noch zu schwanken] Vgl. zu 98,9. 102,33-34 Da sehnt sich (...) mit allen Blumen blühn] Vgl. im spaziergang des Faust I v. 914ff. 103,7

Oster-

K u n s t v e r e i n ] Vereinigung der Künste ( D W b 11, Sp. 2732). Der Vers ist

unverständlich; vielleicht ein Druck- oder Lesefehler? 103,13 W i e

die Blumen von den Sternen]

Der Vergleich von Blumen und

Sternen ist aus barocker Emblematik bekannt, vgl. Brentanos Wahlspruch

Oh

Stern und Blume, Geist und Kleid, / Lieb, Leid und Zeit und Ewigkeit! (in der Spätfassung des Gockelmärchens von 1837; Brentano: Werke 3, S. 831 und 857).

104,9-10 Und die Nachtigall (...) Mirtenblatt]

Abwandlung des aus der

Sintfluterzählung bekannten Motivs (vgl. zu 89,15) als Hochzeitssymbol (das hier einer Sintflut vorangeht statt ihr Ende anzuzeigen); ähnlich bricht in dem Gedicht

(Ja die Zeichen sind alle erfüllet)

die Taube

zwey grüne Myrthen

als Versöhnungszeichen (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 920, vgl. Moering 2001, S. 203). Die immergrüne Myrte war schon in der Antike der Venus geweiht (vgl. 162,30 und Erl.) und daher zunächst ein Liebes-, dann ein Keuschheitssymbol und fungierte in Deutschland seit dem 16. Jh. als Brautpflanze (HdA 6, Sp. 714ff.). Ein von der Braut getragener Myrtenkranz war in Arnims Heimat noch zu seiner Zeit

ein bedeutendes Zeichen

(für deren Jungfräulichkeit) und schmückte darum

auch Bettina von Arnim bei ihrer Vermählung, wie Arnim am 12. April 1811 an Wilhelm Grimm berichtete.

104,19 Flügel]

Die tödliche Kraft der Schwanenflügel findet sich schon in der

früheren Fassung des Spiels (vgl. Paralipomena 2.3); vgl. auch den Plan in den Skizzen zur Romhandlung (ebd. 1.3), Spiegelglanz solle durch den Flügel M e lancholias getötet werden.

104,31-33 Darum tauchen wir das Haupt (...) aller Dinge] Vgl. HölderHälfte des Lebens (1805): Ihr holden Schwäne, / Und trunken von Küssen / Tunkt ihr das Haupt / Ins heilignüchterne Wasser. 105,16-17 Wie ein Stern (...) ertrinkt] Vgl. den Stern Wermut der Jolins

hannesapokalypse (8,10f.), eins der O m e n des Weltuntergangs; dieses Motiv, das sich auch am Schluß von Brentanos

912

Chronika des fahrenden Schülers

Erläuterungen zu F2, Kapitel 11,4 findet, begegnet am Ende der vollständigen Fassung der Pfalzballade (vgl. Paralipomena 2.4.2; vgl. zu 37,19). 105,23 W i e der P f e i l i m T o d e s s c h u ß ] Ricklefs vermutet hier eine Anspielung

auf

den

mythischen

Hintergrund

der

Schwanrittertradition

(vgl.

Komm. 7.2): Apoll als tödlicher Bogenschütze (vgl. auch 107,10-11: I c h sinke i n L i c h t , / D a s m e i n H e r z durchsticht) bzw. Baldurs Tod durch einen Pfeilschuß (Ricklefs 1990b, S. 115 und 220), vgl. zu 112,20 sowie zu 153,4. In der Erzählung der Schwanrittersage im Drama D e r A u e r h a h n macht Arnim den wunderbaren Fremdling in der Tat zum Bogenschützen (vgl. Komm. 7.2). 105,30 D r a c h e n ] Vgl. Arnim über den mythischen Drachenwagen der Medea im Abschnitt A n H o u w a l d in der T h e o r i e i n F r a g m e n t e n im Taschenbuch FDH Β 44: D e r D r a c h e n w a g e n auf w e l c h e m sie b e y a n d e r n B e a r b e i t e r n abfährt b e z e i c h n e t w e n i g s t e n s g u t die R a s e r e i der Zauberkräfte, die sich ihrer b e m ä c h t i g t u n d i n der sie u n t e r g e h t , n a c h d e m sie ihr L i e b stes zerstört hat. Das Motiv erscheint auch in dem in Nr. 3 der ZfE (9. April 1808) wiedergegebenen Faust-Kupferstich, vgl. Arnims satirische Auslegung ebd. Sp. 21. Auch Ceres (vgl. Komm. 3.1) wird gelegentlich auf einem Drachenoder Schlangenwagen dargestellt; vgl. Nitsch 1793, Sp. 522, vgl. auch Sp. 518f.; Creuzer4, S. 75. 106,20 Selig, selig, w e r aus L i e b e stirbt] Anklang an die Seligpreisungen der Bergpredigt (Mt 5,3-11 bzw. Lk 6,20-22). Vgl. zu 88,3 sowie zu 100,24. 1 0 6 , 3 0 - 1 0 7 , 3 M e i n e L i e b e (...) k e i n U n t e r g a n g i n L i e b e s d r a n g ] Ricklefs vermutet in diesen in der Rede vom U r q u e l l deutlich neuplatonisch geprägten Worten eine Anspielung auf den Herders Übersetzung G e d a n k e n

einiger

B r a h m a n e n entnommenen Grabspruch der Günderrode, nach dessen Herkunft sich Arnim am 6. Dezember 1811 in einem Brief an die Brüder Grimm erkundigte und den er in der Novellensammlung von 1812 zitiert (vgl. Komm. 7.3): Erde, d u m e i n e M u t t e r , u n d d u m e i n Ernährer der L u f t h a u c h , h e i l i g e s Feuer, m i r Freund, u n d du, ο Bruder, der B e r g s t r o m u n d m e i n Vater der A e t h e r , i c h s a g e e u c h a l l e n m i t E h r f u r c h t f r e u n d l i c h e n D a n k , m i t e u c h h a b i c h h i n i e d e n g e l e b e t u n d ich g e h e zur a n d e r n Welt, e u c h g e r n e verlassend, l e b t w o h l d e n n , Bruder u n d F r e u n d , Vater u n d M u t ter, l e b t w o h l . 107,10-11

Ich s i n k e i n Licht, /

D a s m e i n H e r z durchsticht] Vgl. zu

105,23. 107,32

Chor]

In der früher gebräuchlichen Form als Neutrum

Sp. 617). 107,32 Wetter] Gewitter. 913

(DWb2,

Kommentar 1 0 8 , 1 7 - 1 8 S e h n s u c h t w e i l t (...) das L e b e n ] Wiederaufnahme von früheren Versen; vgl. o. 98,14 und 105,20. 108,20 Seligkeit ist n u r i m Tode] Vgl. zu 100,24. 108,22 Victoria] Lat. Sieg. 108,32 B u c h ] Vgl. 73,12 und Erl. 109,27 H i e r geht es e w i g n u r n a c h alter L e i e r ] Vgl. Wander 3, Sp. 24, Nr. *7 und Röhrich 3, S. 951f. 109.32 Petri G r u f t ] Der Petersdom ist über dem Grab des Apostels Petrus errichtet. 109.33 B r i e f ertheilen] Dokumente ausstellen. 110,4 zückt] Nebenform zu >zucktHaßMärtyrer< (DWb 7,

Sp. 7863). 1 3 0 , 2 1 - 2 2 e i n w u n d e r b a r e s G e m i s c h (...) g e t h e i l t h a t t e n ] Anspielung auf die Völkerwanderung im 4. und 5. Jh. Wie schon die ambivalente Vokabel w u n d e r b a r e s nahelegt, ist dieser Pluralismus nicht unbedingt abwertend zu verstehen, sondern birgt für Arnim zumindest das Potential einer positiven Entwicklung; vgl. die Eintragung im Taschenbuch FDH Β 69: W a s E n g l a n d e r h o b über andre S t a a t e n i n f r ü h e r Z e i t w a r dieses D u r c h d r i n g e n verschiedenartiger N a t i o n e n u n d w a s D e u t s c h l a n d jezt h e b t ist das A n n ä h e r n s e i n e r E i n w o h n e r , d i e sich zu v e r s c h i e d e n e n N a t i o n e n g e t r e n n t h a t t e n (vgl. Ricklefs 1998a, S. 78). 130,24 M o h a m e d s ] Vgl. Komm. 6.5. 1 3 0 . 2 4 - 2 5 h a t t e n sogar d i e S a r a z e n e n e i n e n T h e i l d e s L a n d e s e i n g e n o m m e n ] Die Sarazenen (Araber) eroberten nach ihrer Landung im Jahre 827 Sizilien; im späteren 9. und im 10. Jh. behaupteten sie mehrere Festungen in Unteritalien, bis sie 916 durch Truppen unter dem Kommando des Papstes Johannes X. geschlagen wurden. Muratori 1747 (vgl. Komm. 2.4) behandelt diese Vorgänge ausführlich; vgl. dort z.B. S. 6: D i e U n e i n i g k e i t u n d der Krieg z w i s c h e n d e n F ü r s t e n v o n B e n e v e n t w u r d e n o c h i m m e r h e f t i g fortgesetzt, als d i e A f r i c a n i s c h e n Saracenen, die v o n a n d e r n A g a r e n i oder M o h r e n g e n a n n t w e r d e n , u n d ü b e r das b e n a c h b a r t e S i c i l i e n

herr-

s c h e t e n , sich d i e G e l e g e n h e i t zu N u t z e m a c h t e n , u n d v i e l l e i c h t n o c h vor d i e s e m Jahre (842) n a c h Calabrien g i e n g e n , a l l w o sie e i n i g e Städte u n d F l e c k e n o h n e S c h w e r d t s c h l a g e i n n a h m e n , u n d sich daselbst dergestalt f e s t e setzten, daß gantz I t a l i e n h e r n a c h l a n g e Z e i t darüber zu k l a g e n hatte. 130.25-27 D i e Verhältnisse zu d e n g r i e c h i s c h e n R e i s e r n (...) R o m w a r allein frey] In der 2. Hälfte des 7. Jh. war Italien in ein byzantinisches und ein langobardisches Gebiet zerfallen; letzteres wiederum bestand neben dem Königreich um Pavia aus mehreren fast autonomen Herzogtümern. Die Einnahme Ravennas durch Aistulf beendete 751 die byzantinische Herrschaft in Mittelitalien; hingegen beanspruchte Byzanz noch zur Zeit von Otto I. die Oberhoheit über Süditalien, was 966 Ottos 3. Italienzug veranlaßte. Karl der Große eroberte das Langobardenreich in den Jahren 773/774, wobei einige Gebiete selbständig blieben. Das späte 9. Jh. ist nach dem Zerfall des Karolingerreiches von Konflikten zwischen den verschiedenen Herzögen und Markgrafen um die Herrschaft über Italien bestimmt; die Auseinandersetzung zwischen Papst Johannes XII. und 922

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,1 Berengar II., der die it. Königswürde beanspruchte, führte zum 2. Italienzug Ottos des Großen, auf den sich die IV. und V. Periode der PJ beziehen. In Rom herrschte souverän der »Princeps« Alberich II., nachdem er 932 seinen Stiefvater König Hugo aus der Stadt vertrieben hatte. Vgl. Komm. 2; zum Verhältnis zu den griechischen Keisern (d.h. Byzanz; die Schreibung wechselt bei Arnim zwischen Kaiser und Keiser) vgl. auch zu 130,36. 130,27-29 nicht etwa (...) die Papstwahl] Tatsächlich erließ erst Nikolaus II. 1059 ein neues Papstwahldekret, wonach nur ausgewählte Geistliche, aus denen später die Kardinäle entstanden, den Papst bestimmen durften. Vgl. die Darstellung der Papstwahl u. in III,7. Schröckh21, S. 29f.: Eben dieser Papst N i c o l a u s (II.) veränderte die bisher übliche W a h l d e r P ä p s t e . Alle Geistliche zu R o m und die Römer überhaupt hatten daran Antheil gehabt; daraus waren aber öfters Partheyen und Unruhen entstanden (ausführlicher in Bd. 22, S. 363ff.). 130,33-34 mit den Waffen und mit Betrug] Vorausdeutung auf das Regime Johannas; vgl. die IV. Periode (Turnier und Kriegszug, Fälschung der Dekretalen). Zum Betrug vgl. auch schon die Fälschung der »Konstantinischen Schenkung« durch Papst Stephan II. im 8. Jh. 130,36 Bilderstürmerey] Der durch das 730 von Kaiser Leon III. erlassene Dekret gegen die Ikonenverehrung ausgelöste Streit (Ikonoklasmus) zwischen bilderfeindlichen Gruppen und Bilderverehrern, die von Papst Gregor II. unterstützt wurden, trug im 8. Jh. sehr zur Schwächung des byzantinischen Reiches bei (ausführliche Darstellung bei Schröckh21, S. 10-12). Der erst durch die Synode von 843 endgültig überwundene Ikonoklasmus verstärkte die Spannungen zwischen Ost- und Westkirche; so war er der Grund dafür, daß die byzantinischen Gebiete Süditaliens auch kirchlich dem Einfluß Roms entzogen wurden. Entgegen Arnims Darstellung hatte dieser Konflikt direkt aber weder mit der Exkommunikation von Papst Nikolaus I. durch Photios im Jahre 867 (vgl. 5,4 und Erl.), die laut Schröckhs Christlicher Kirchengeschichte den ersten Grund zu der völligen Trennung der abendländischen Kirche von der griechischen legte (Schröckh21, S. 9), noch natürlich mit dem späteren Schisma zwischen Ost- und Westkirche von 1054 zu tun (zum letzteren vgl. Schröckh 21, S. 30; vgl. insgesamt GKK, S. 281-290). Das Motiv sollte ursprünglich offenbar eine größere Rolle in der PJ spielen: Nach dem ersten Szenarium zur Romhandlung sollte Spiegelglanz beim Gelehrtengastmahl (lll,6) die Bilderstürmung propagieren (vgl. Paralipomena 1.3); auf dem Hochgerichte, wo am Ende von IV,6 Johannas Umkehr erfolgt, wurde diese nach einer später getilgten Variante mit den Gebeinen von Bilderstürmern konfrontiert. 923

Kommentar 131,1 C h r y s o l o r a s ] Nach Ausweis der Varianten war hier ursprünglich noch der >echte< Gelehrte dieses Namens gemeint, nicht der verkappte Luzifer; vgl. Entstehung 3.2.1.5. So erklärt sich die zum Teufel nicht recht passende psy-

chologische Begründung Chrysoloras hatte sich aber an diese Ferne des Lebens gewöhnt, wo alles nur als Bild, nichts in seinem vollen Daseyn auftrit (...). 131,4-9 D i e s e s c h e i n b a r e R u h e (...) s c h r e c k l i c h z e r s t ö r e n w ü r d e ] Die Unterstreichung signalisiert die Bedeutsamkeit, die Arnim diesem Hinweis auf die Gefahren der weltfremden >Objektivität< der Gelehrten beimaß. Vgl. die Kritik an Friedrich Heinrich Jacobi in der Sammelrezension Ü b e r ge-

lehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck (1808): Wozu diese Annahme eines Scheins von ruhigem Uberblick und allgemeiner Betrachtung, während das Einzelne noch unser Gemüt bewegt? So häufig diese Art von Verstellung von Stylisten und Moralisten anempfohlen wird; wir halten sie für gefährlicher, als die ungerechteste sich ganz überlassene Hitze (Werke 6, S. 239). 131,15-18 wühlten in allen Stunden (...) zur Erklärung der alten S c h r i f t s t e l l e r ] Vgl. die bei Arnim häufige antiklassizistische Polemik gegen ein ästhetisches Pseudo-Heidentum. So wird im S c h e r z e n d e n G e m i s c h v o n d e r

Nachahmung des Heiligen in der ZfE Nr. 34 vom 27. Juli 1808 der Elegant, der Ausgrabungen in Italien machen will, um durch H e y d e n t h u m zur K u n s t

(zu) gelangen, beschieden: (...) können sie ihre Götter noch nicht selbst fühlen, in sich und außer sich bilden, müssen sie noch immer an den alten Bruchstücken zusammenflicken, so mag sie das immerhin amusiren, aber ein Heyde sind sie darum noch nicht, überhaupt wird darum noch keiner ein Heyde, weil er aufhört ein Christ zu seyn. Ähnlich heißt es über die k u n s t s c h w a t z e n d e n M e n s c h e n in einer Fußnote zur Isa-

bella von Ägypten: (...) eure leeren Augen, mit denen ihr vor den alten Götterbildern steht, euer leeres Herz, das sich in tausend abgelebten Worten darüber ausläßt, sieht in den herrlichsten Schöpfungen des Altertums viel weniger, als der arme Kleine (der Alraun) in seiner halbgebildeten Masse (den Resten des Golem) (...). Euch sind die kunstlebend i g e n G ö t t e r b i l d e r G o l e m s (...) (Werke 3, S. 729). Ähnlich polemisiert Arnim

noch in Owen Tudor (1820) gegen die künstlichen Heiden, wie wir sie wohl unter den auf ihren Zimmern versessenen Gelehrten finden mögen, die vom Geistigen übersättigt, nach alten Formen schmachten, die sie doch nicht beleben können (Werke 4, S. 152). Zu einer möglichen Spitze gegen Voß vgl. zu 5,27. Vgl. auch 5,39-6,1 und Erl.

924

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,1

131,24-25 vor aller Nacktheit im Alterthum so seltsamen Abscheu] Johannas hier psychologisch begründete Prüderie entspricht bekanntlich dem Umgang der christlichen Nachwelt mit den antiken Bildwerken überhaupt (Bedeckung von Genitalien etc.).

131,32 zu ihnen richtete er seine Gebete] Vgl. Komm. 2 über die Gerüchte von angeblichem Götzenkult des hist. Johannes XII.

131,35-36 Reichthum von Gelehrsamkeit, der ihm in den verschiednen Schulen grossen Ruf erwarb] Aus der Tradition der Päpstinsage; vgl. Komm. 1.1.

131,39 Wunderkind] Vgl. 44,21 und Erl.

132,6-7 eine seltsame Scheu in Johannes gegen alle neue Bekannts c h a f t ] Autobiographischer Zug; Ende 1795 gestand der junge Arnim in einem

Brief an den Onkel Hans von Schlitz, er liebe e b e n Gesellschaft so sehr n i c h t und sei am liebsten im Gymnasium ( W A A 3 0 , Nr. 20.K, z. 7-15); vgl. auch Friedrich von Raumers Anspielung auf Arnims A b n e i g u n g a n G e s e l l s c h . in seinem Brief vom 4. August 1797 (ebd. Nr. 47, z. 17).

132,9 die alle, wie aus einer Vorzeit oder Zukunft] Bezug unklar, vmtl. sind die Träume gemeint; vgl. das triadische Modell der romantischen

Ge-

schichtsphilosophie etwa bei Schubert 1808.

132,10-14 Urban (...) erzählte ihm alles Wunderliche an Mährchen] Urban sollte ursprünglich das Demophonmärchen erzählen (jetzt am Ende der I. Periode), vgl. Komm. 3.2. Der Name, der mit seiner Bedeutung (>städtischMenschwerdung< des Satans besitzt auch eine poetologische Dimension im Zusammenhang mit Arnims Skepsis gegenüber metaphysischen Figuren; vgl. den Eintrag in der Theorie in Fragmenten im Taschenbuch FDH Β 44: Es hat etwas Betrübliches, wenn die höchsten Gebilde der Phantasie wirklich zu werden scheinen, denn es

928

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,1

stimmt nicht mit dem Uebrigen in der Welt. Im Geist ist Christus empfangen, im Geist soll er bleiben, so auch der Teufel. 134,2-3 daß so wenig Engel und Teufel sich dem Menschengeschlechte g e s e l l e n ] Vgl. Arnims poetologisches Prinzip der Ablehnung moralisch einseitiger Charaktere; vgl. 197,11-15 und Erl. Zur Formulierung vgl. auch D i e

Versöhnung in der Sommerfrische: Sie sind hypochondrisch, fiel ich ein, ich weiß gute fromme Seelen, die sich in solcher Laune für Teufel ausgegeben, die nur mit der Anstrengung ihrer ganzen Kraft sich jeden Augenblick bezähmten, darum ist noch keiner ein Teufel geworden, die Natur läßt sich nicht so leicht aus der Contenance bringen (Werke 3, S. 555). Vgl. zudem den berühmten Schlußsatz von Kleists M a r q u i s e v o n O. (1808) und vor allem den Beginn von Schillers Erzählung E i n e g r o ß m ü t i g e

Handlung, aus der neusten Geschichte (1782), der mit seiner Ablehnung

einer gekünstelten Existenz in einer idealischen Welt in sentimentalen Schauspielen und Romanen, die unsre Existenz in der wirklichen untergräbt, Arnim besonders nahesteht: Wir schweben hier gleichsam um die zwei äußersten Enden der Moralität, Engel und Teufel, und die Mitte — den Menschen — lassen wir liegen (Schiller: Werke 5, S. 9). 134,6 H ö l l e n f a d e n ] Dieser groteske Zug ist anscheinend von Arnim nach dem Muster des Lebensfadens im antiken Parzenmythos erfunden; vgl. u. in III,2

den Vers Und doch an jeden Quark den Lebensfaden bände. 134,9 Basiliskenhöhle neben der Kirche St Luzia] Nach Kornmann 1614, Kap. XCI, S. 412f., Von der Hölin eines Basilisken zu Rom: Zur zeit Bapst Leonis deß vierdten (gest. 855) / hat sich ein grewlicher Basiliscus zu Rom bey der Kirch S. Lucia in orfea genant funden / in einem dunckelen vnnd vngeheuren Hölin / welcher mit seinem gifftigen Athem vnd Anblasen mercklichen Schaden den Leuten zugefügt / ja viel zum endlichen Todt gebracht / als solches gemelter Bapst erfahren / hat er mit Fasten und Beten nicht auffgehöret Gott zubitten / daß er sie von solchem Übel erlösete / was geschieht an S. Mariae Himmelfahrts Tag / ist der Bapst nach der Kirchen deß Märtyrers Achiani mit der gantzen Clerisey wie bräuchlich gangen / von welcher als er wider zurück gangen nach der Kirch S. Mariae so ad praesepe genannt wirdt / vnnd an das Ort kommen / da der gifftige Basiliscus in gelegen / hat er still gestanden / seine Augen vnd Hände gen Himmel gewendet / den Herrn Christum inniglich gebetten / daß er mit seiner Allmacht den grewlichen Basiliscum vertreiben wolte / vnnd nach dem er die Benediction vber das Volck geben / ist er zu der obgenanten Kirchen gezogen / vnd ist von dem Tage an der gifftige Wurm also 929

Kommentar verjagt vnd vertrieben worden / daß er auß der Hole geworffen / vnd er an dem Ort niemals erschienen / auch keinen ferrner Schaden zugefüget habe. Solches erzehlet auß dem Pandulffo Hostiario, M. Attilius Serranus de Septem vrbis Ecclesiis, c. de Ecclesiae S. Mariae Maioris, pag. mihi, 102. 103. — Mit unathembarer Luft gefüllte Höhlen, die in Italien sehr häufig, werden bereits in Ariel's Offenbarungen im Zusammenhang mit der Druidenhöhle im Herrmann-Spiel erwähnt (Arnim 1804, S. 210). Die Vorstellung vom mit tötendem Blick und giftigem Atem ausgestatteten Basilisken, dessen gr. Namen (>kleiner König«, lat. regulus) man auf seine Position als König der Schlangen bezog, ist zuerst in antiken Quellen (Plinius der Ältere, Solinus) bezeugt; er wurde meist als gekrönte Schlange oder als Mischwesen aus Hahn und Schlange visualisiert. Nach Jes 59,5 und anderen Bibelstellen wurde der Basilisk stets mit Laster und Teufel, seit Gregor dem Großen (6. Jh.) auch speziell mit dem Antichrist (vgl. Komm. 6.3) in Verbindung gebracht; seit Luther wurde auch der Papst gelegentlich als Basilisk beschimpft und dargestellt (Marianne Sammer, Der Basilisk. Zur Natur- und Bedeutungsgeschichte eines Fabeltieres im Abendland. München 1998; vgl. auch LCI1, Sp. 251-253). Arnim erwähnt das Wesen auch in den Holländischen Liebhabereien und in der Ehenschmiede (Werke 4, S. 567 und S. 904) sowie im Scherzenden Gemisch von der Nachahmung des Heiligen in der ZfE (als Kunstsymbol; Nr. 34, 27. Juli 1808, Sp. 268); vgl. zudem die Ausführungen in Anm. 61 von Brentanos Drama Die Gründung Prags (FBA 14, S. 507). 2. Kapitel 134,12 Lichtfaden] Vgl. 134,6 und Erl. 134,14 Drey Stunden nachgedacht, drey Stunden todt gewesen] Entsprechend dem in Luzifers Monolog thematisierten Geist-Körper-Dualismus tendiert der Vers zu antithetischer Struktur mit Mitteldiärese (vgl. die Alexandriner o. in II,3; vgl. zu 67,32). 134,16 der Geisterwelt Gesetz] Vgl. 133,31-32 und Erl. 134,21 In einem Augenblicke eine Ewigkeit] Die für Arnims Weltanschauung zentrale Idee von der Möglichkeit der Erfahrung des Unendlichen innerhalb der Endlichkeit (vgl. ausführlich Ricklefs 1990a und 1990b) zieht sich durch das Gesamtwerk, von Eunoms Lied in Ariel's Offenbarungen (Und ich trink' im Augenblicke / Eine Ewigkeit von Freudenzähren; Arnim 1804, S. 165) bis zu den Metamorphosen der Gesellschaft: Diese Einheit mit der Welt, auch nur für einen Augenblick gewonnen, pflegte mein alter Adept zu sagen, ist nicht bloß ein Bild der Ewigkeit, nein, sie ist es

930

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,2 selbst, u n d erfüllt jede A h n d u n g der L i e b e , der J u g e n d u n d des F r ü h l i n g s (Werke 4, S. 542). Vgl. auch Plesse in den G l e i c h e n , Szene 111,2 ( D i e Z e i t steht still, u m m i c h ist E w i g k e i t ; Arnim 1819, S. 108) und das Spiel D e r R i n g in der IV. Abteilung der G r ä f i n Dolores: E i n A u g e n b l i c k u m s c h l o ß d i e E w i g k e i t (Werkel, S. 630, v. 19). Vgl. 145,3 und Erl. sowie zu 258,13 über das im Finale der PJ bedeutsame Symbol der Zeitenlose. 134,26 Z w e i f e l ] Vgl. Komm. 4.2 zur Melancholiethematik. 134,28 H ö l l e n b r u n n ] Die Vorstellung der Hölle als Brunnen findet sich in der Tradition manchmal als Sonderform des Höllenrachens (vgl. 135,26 und Erl.). Zahlreiche Höllenvisionen des M A stellen gelegentlich die Hölle selbst, häufiger aber bestimmte Qualorte ebendort als feurige Brunnen dar, so bereits die apokryphe Paulus-Apokalypse aus dem 3. Jh. (Vorgrimmler 1994, S. 111). Vgl. auch schon die Rede vom B r u n n e n des A b g r u n d s in Off 9,1f., die auf einige (wenige) Darstellungen des Höllenrachens in der Bildenden Kunst gewirkt hat (LCI 2, Sp. 318). 135,2 M i t ganzer Seele] Im Munde des Teufels ist die Redensart natürlich ironisch zu verstehen. 135,8 V o r s e h u n g ] Vorsorge, Vorsicht. 135,10 des L e i b e s B u h l e r e y ] Vorausdeutung auf Chrysoloras' lüsternen Angriff auf Johanna am Ende der III. Periode, der entscheidend zum Scheitern seiner Pläne beiträgt; man beachte auch den Widerspruch zum Luzifer-Monolog in der Heklaszene 1,2, wo der Teufel bereits vor seiner Inkarnation sexuellen Trieben unterworfen war (vgl. Barth 1993, S. 127). 1 3 5 , 2 3 - 2 4 B e k e h r t e m i c h (...) e i n e n s e l g e n Tod] Vgl. zu 136,14. 135,26 H ö l l e n r a c h e n ] Die letztlich aus der Verkörperung der Hölle als eines Ungeheuers stammende biblische Vorstellung (vgl. z.B. Jes5,14; vgl. D W b 1 0 , Sp. 1747) ist vor allem aus Darstellungen der Bildenden Kunst (vgl. LCI 2, Sp. 313-321; Vorgrimmler 1994, S. 358, 361) sowie aus den mittelalterlichen Osterspielen bekannt; vgl. später deren >Zitat< in der Szene G r a b l e g u n g in Faust II. 135.32 L e b e n s f a d e n ] Vgl. zu 134,6. 135.33 Werkstadt] Gemeint ist die Hekla; vgl. 1,1 und l,2. 135,36 b e s t r e i t e n ] bekämpfen. 136,1 S c h m ö l e n ] Wohl zur Ermöglichung des Reims auf w i e d e r h o l e n gebildete Form von >schmollen< oder auch >schmorenKopf< bedeutete ahd. >Becher< und mhd. sowohl >Trinkgefäß< wie >HirnschaleherablassendTriumphwagenSündenfallausbrütetEingebung< an der vorliegenden Stelle weist natürlich keinerlei Bezug mehr zu den Lehren des Mohammed auf, ganz im Gegenteil: Es w a r (dem Mohammed) v e r b o t e n , e t w a s zu essen, w a s e i n e n u n a n g e n e h m e n G e r u c h hat, z.B. Z w i e b e l n u n d K n o b l a u c h (Gagnier 1804, S. 372). Laut früheren Fassungen sind Zwiebeln die L e i b s p e i s e des Spiegelglanz (vgl. Textteil B, 396,23). Zur Anregung der Phantasie durch ein Feuer aus g r ü n e n O l i v e n ä s t e n vgl. den Beginn des T o l l e n I n v a l i d e n : E i n solches F e u e r h a t g r o ß e n R e i z (Werke 4, S. 32). 157,9 Z i e g e n b o c k (...) Gärtner] Vgl. zu 11,2 und die Einführung des h e i l i g e n T h i e r s am Ende von III,2 (139,35 und Erl.). Scherze mit der seit dem 16. Jh. belegten

Redensart

»den Bock zum Gärtner machen«

(Wanderl,

Sp. 417, Nr. *79; Röhrich 1, S. 226f.) finden sich bei Arnim und Brentano mehrfach; vgl. das Ende von Fürst G a n z g o t t u n d S ä n g e r H a l b g o t t : (...) auch h a t sie n o c h e i n e n Z i e g e n b o c k , d e n setzt h i e r z u m G ä r t n e r m i t d e m a n g e m e s s e n e n G e h a l t e (...) (Werke 4, S. 80) sowie die erste Fassung von Brentanos Gockelmärchen: (...) w a s soll i c h m i t d e m Bock? I h n e t w a z u m Gärtner m a c h e n ? (Brentano: Werke 3, S. 500). In F1 hat der Ziegenbock, der Johannas L i e b l i n g s b l u m e n frißt, während der teuflische Zweifel jede Glaubensgewißheit in ihr vernichtet, deutlicher emblematische Bedeutung (vgl. Textteil B, 397,2). 157,18 S p a n g e u n d R i n g ] Vgl. 144,18-19 und Erl. Hier wird die Adaption der Sage von der Statuenverlobung fortgesetzt; vgl. zu 154,8-9. 158,7 W i e j e n e die dort a m H i m m e l steht] Der Abendstern. Die folgenden Verse klingen an ein Albumblatt Arnims vom 30. Juli 1801 vmtl. für Ludwig 951

Kommentar Alberthal an, das seinerseits eine Stelle aus Tiecks

ligen Genoveva

Leben und Tod der hei-

frei variiert ( W A A 30, Nr. Al.42 und Erl.) Die Verse sind noch

in einer weiteren Version mit zwei zusätzlichen Schlußversen überliefert (vgl. auch die frühere Fassung der vorliegenden Passage in F 1 in Textteil B, 399,2ff.):

Schau an umher das grünende Land, Horch, wie der Vöglein Lieder klingen Wie süsse Düfte zu Dir dringen, Wie Hain und Flur, der Strom sich regt Im ewigen Leben mit Wellen schlägt, Wie der Wind, ein Athem, nieder geht Erfrischend durch Laub und Kräuter weht. 158,11 goldig] golden. 158.28 Und versaget sich nimmermehr einen Genuß]

Eines der Beispiele

für eine Selbstzensur anstößiger Stellen in der letzten Überarbeitung für F2 (vgl. Entstehung 3.2.3); vgl. in F1:

Und versagt doch keinem Knaben einen Kuß

(Textteil B, 399,24). In den Skizzen (vgl. Paralipomena 1.3, S. 1 |6V) allerdings

Sie hat einen ewigen Lebensüberdruß, dennoch versagt sie keinem einen Genuß. schon ähnlich wie hier:

1 5 8 . 2 9 b l ö d e ] verzagt, schüchtern. Wiederum erinnert der Gesell hier an M e -

Faust I , v. 1764: Nur greift mir zu und seid nicht blöde! 158,32 Schatten] Im Sinne des platonischen Höhlengleichnisses in der Politeia: unvollkommene Abbilder. Vgl. zu 152,8 über den Euhemerismus. 159,17 er kennt dich den Seinen] Vgl. 2 Ti 2,19: Der Herr kennt die Seinen. phisto (vgl. zu 144,23); vgl.

159,28-29 An deinem Halse (...) mich zu drängen] Vgl. Gretchen in der An seinen Hals will ich fliegen, / An seinem Busen liegen! (Faust I , v. 4464f.; vgl. Komm. 6.6). 159,34 Wie ich dich an jenem Abend sah] Reminiszenz an die nächtliche Kerkerszene:

Statuenverlobung am Ende von lll,4, w o Johanna das Apollostandbild mit Ste-

(Er ist Stephania). 160,3 sie haben Ohren] Vgl. das - vmtl. aus

phanie identifiziert hatte

dem Französischen übernom-

mene - Spw. »Auch die W ä n d e haben Ohren« (Wander 4, Sp. 1776, Nr. 5; Röhrich 5, S. 1693).

160,10 Der eine geht unter, die andre auf] wieder mit Sonne bzw. Abendstern identifiziert.

160,22 Gutenfels] Vgl. 34,23 und 160,31 bestimmte] dazu brachte.

Erl.

952

Apollo und Venus werden hier

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,5 160,35 V e n u s b e r g e ] Der Glaube daran, daß die heidnische Göttin Venus nach dem Sieg des Christentums in einen Berg verbannt wurde, in den sie nun ihre Opfer zu locken versucht, hängt mit der Dämonisierung antiker Götter durch die christliche Mission zusammen und ist vor allem aus der Tannhäusersage bekannt, auf die Arnim später in IV,4 anspielt; vgl. 220,13 und Erl. Arnims Hauptquelle für dieses Motiv war Kornmanns Standardwerk von 1614, das in seiner Bibliothek erhalten ist (vgl. Komm. 8.3). Der Berg wird an verschiedenen Orten lokalisiert; die Vorstellung eines it. Venusberges geht ursprünglich auf die seit Anfang des 15. Jh. bezeugte Sage vom Sibyllenberg bei Norcia zurück (vgl. Pabst 1955, S. 92-104), wie auch Kornmann von d e m B e r g Veneris b e y d e m N u r s i n e r See i n I t a l i a zu berichten weiß (S. 135). Wie die >Fürstin Venus< eigentlich nur eine Rolle der Adligen Reinera ist, so wird auch ihr >Venusberg< realistisch als altröm. Villa mit angeschlossenem Amphitheater dargestellt. Dies geht auf eine andere Mitteilung Kornmanns zurück, wonach P o m p e i u s M . e i n T h e a t r u m (...) g l e i c h als e i n e n A n h a n g an einen außerhalb Roms gelegenen Venustempel gesetzt habe, das Tertullian als S c h l o ß aller Ü p p i g k e i t bezeichnet habe (S. 65); ein S c h l o ß d e r G ö t t i n Veneris wird auch zuvor S. 63 erwähnt. Vgl. auch zu 132,16. Mit dem a n m u t h i g e r n W e g ist auf den christlichen Topos von dem breiten und bequemen Weg zur Hölle angespielt (Mt 7,13f.; vgl. zu 141,11-12); vgl. Wh II 218 R o s e n k r a n z /

Tritt an den

Tanz, v. 7-10: D i e e r s t e (Seele) d i e soll zu i h m (Gott) g e h n , / D i e z w e y t e soll d e n b r e i t e n W e g g e h n . / / D e r b r e i t e W e g g a r böse s t e h t , / D e r zu d e r l e i d i g e n H o l l e i n g e h t . Der allegorische Sinn ist in der Formulierung der früheren Fassungen deutlicher: E s g i e b t i n d e r W e l t k e i n e n a n m u t h i g e r n W e g als d e n n a c h d e m V e n u s b e r g , so s c h l e c h t d e r R ü c k w e g ist (vgl. Textteil B, TF\ 285,37-38 und Erl. bzw. F\ 404,28). Das Fest im Venusberg gehört zu den zahlreichen mythologischen Grotesken in Arnims Werk (noch deutlicher in den früheren Fassungen, vgl. in Textteil Β TF1 und F1), die nicht nur im vorliegenden Beispiel mit Adelskritik verbunden sind; vgl. etwa den Maskenball in den M e t a m o r p h o s e n d e r G e s e l l s c h a f t (Werke 4, S. 520ff ). Vgl. auch die Gedichte ( P a n t h e o n d e r M y t h e n ) (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1498; Werke 5, S. 502-508) und D e r a n s e i n e m W i t z v e r z w e i f e l t e J u p i t e r in der ZfE (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1614; Werke 5, S. 574-581; vgl. das Ixionlied in F1 [Textteil B]) sowie den Schluß der W e i h n a c h t s a u s s t e l l u n g (Werke 3, S. 994; ausführlicher die Vorstufe ebd. S. 1373f.) und die Beschreibung der Antikensammlung Charles Townleys in London im Brief an Brentano vom 2. März 1804 (WAA31, Nr. 334; vgl. auch den Entwurf zu diesem Brief Nr. 334.K). Zu einem frühen Projekt D e r P o l t e r a b e n d d e r M y t h e n haben sich nur erste Ansätze erhalten (FDH 18412; GSA 03|183, 185 und 72; vgl. WAA4). Vgl. auch u. in III,7 den G ö t t e r t r o ß auf 953

Kommentar dem Weg zur Papstwahl. Im Kontext der Parallelen der PJ zu Goethes Faust (vgl. Komm. 6.6) ist die Venusbergszene mit der Walpurgisnacht zu vergleichen. 160,37 W e i n r e b e n ] Vgl. im F r ü h l i n g s f e s t in II,4 (100,14-15) das Schiff des Frühlingsgottes. 160,39 e i n e n B u s c h L e u c h t w ü r m e r ] Leuchtkäfer, Lampyridae; in früheren Fassungen genauer als J o h a n n i s w ü r m e r bestimmt (vgl. Textteil B, TF1, 286,5 und Erl. bzw. F\ 404,36). Eine parallele Szene im H a u s m ä r c h e n in den Kron e n w ä c h t e r n , wo den verirrten König ein silberner Vogel durch den nächtlichen Wald führt, der e i n e n großen, l e u c h t e n d e n J o h a n n i s w u r m i n sein e m S c h n a b e l trug u n d d a m i t

flatternd

einen Fußpfad

(Werke 2, S. 206; vgl. auch Markgraf Carl P h i l i p p v o n

erleuchtete

Brandenburg,

SW 20, S. 85: J o h a n n i s w ü r m e r z ü n d e t e n Laternen). Vgl. auch das Irrlicht, das Faust und Mephisto zur Walpurgisnacht geleitet (v. 3855ff.). Vgl. 4,38 die Metapher L e u c h t g e w ü r m e für die vom Teufel verführten Gelehrten. 161.1 A m o r ] Gr. Eros, der Gott der Liebe als sexuelles Begehren, meist als Sohn und Helfer der Aphrodite/Venus in kindlicher Gestalt vorgestellt, wie er auch in der früheren, längeren Version der Venusbergszene erscheint (Textteil B, TF1, 287,25 und F\ 407,8). Die Fackel gehört zu seinen traditionellen Attributen; in TF1 und F1 werden auch noch K ö c h e r u n d B o g e n genannt. Vgl. das in TF3 adaptierte Märchen von Amor und Psyche (Textteil B, 328,1 ff. und Erl.). Vgl. zur Situation an der vorliegenden Stelle auch Gottschälkchen in den G l e i chen (V,2), der als Amor verkleidet dem Grafen vorleuchtet. 161.2 er] Gemeint ist Johannes. 161,4 H e i l i g e n ] Vgl. o. in lll,4 Johannas durch Spiegelglanz angeregte Reflexionen über die Beziehungen zwischen heidnischem und christlichem Glauben (149,20-21 ff. und Erl.). 161,7 C y k l o p ] Vgl. zu 142,22. 161,9 I p h i g e n i a ] Die Tochter des Agamemnon und der Klytämnestra, die auf Aulis geopfert werden sollte, aber durch Artemis zu den Taurern entrückt wurde, womit Stephanias Rettung vor den Anschlägen ihres Vetters durch Sabina zu vergleichen ist. Vgl. Goethes Drama von 1779 nach Euripides. In TF2 deuteten die Kostümierungen Stephanias und Johannas auf die damals noch geplante spätere Opferung des Pfalzgrafen voraus (vgl. Entstehung 3.2.1.3 und TF2 in Textteil B, vgl. dort den Rückbezug 323,5; vgl. zu 207,11). 161,9 P a r z e n k o s t u m ] Die drei Parzen (gr. Moiren) Klotho, Lachesis und Atropos sind die als alte Frauen vorgestellten Schicksalsgöttinnen, die den L e b e n s f a d e n spinnen bzw. abschneiden. 161,13 E i n altes W e i b ist n i r g e n d z ü n f t i g ] z ü n f t i g hier im Sinne von zugelassen, gern gesehenmagisches Licht< in TF1 bzw. F1 (Textteil B, 284,21 und 402,9). 161,27 alles erlaubt] Vgl. Goethes Tasso über den Grundsatz der g o l d n e n Zeit: E r l a u b t ist, w a s g e f ä l l t (v. 994). 161.31 M a s k e n f r e i h e i t ]

Die traditonelle Aufhebung

der üblichen gesell-

schaftlichen Regeln im Karneval (vgl. DWb 12, Sp. 1706), auf die sich der »Einsiedler« Arnim metaphorisch auch in der Trost E i n s a m k e i t beruft (An das g e e h r t e P u b l i k u m , 1. Sp.). 161.32 Satyrn] Die bocksgestaltigen, für ihre Lüsternheit berüchtigten Naturgottheiten aus dem Gefolge des Dionysos. 161,37 a u s g e t a g e l t ] verprügelt; abgeleitet von >Tagelcarroza< für die im 17. Jh. entstehenden Prunkfahrzeuge) war im 12. und 13. Jh. der Fahnenwagen der ober- und mitteilt. Städte, auf dem das Bild des Stadtheiligen mit in die Schlacht geführt wurde (LM 4, Sp. 229f.). Dieser Hinweis, der sich noch nicht in der früheren Fassung der Szene in F1 findet, gehört also in den Kontext der o. angestellten Reflexionen über die Kontinuität zwischen Heiden- und Christentum (vgl. 149,20-21ff. und Erl.). 162,22 Lebensreihen] Lebensreigen, -tanz. 162.30 Mirtengang] Die Myrte ist der Venus geweiht; vgl. z.B. Kornmann 1614, S. 13: D e r MyTrenbaum (sie!) war ihr (der Venus) darumb zugeschrieben / daß er gern umb daß Meer herumb wächst / und zur Bulschafft oder Lieb von Natur behülfflich (...). Vgl. 104,9-10 und Erl. sowie zu 164,22. 163,1 U n d wie die weissen A r m e sich beflügelten] Vgl. 219,7 und Erl. 163,16 Kirmeszeit] In F1 (Textteil B, 404,9) wurde die Feier im Venusberg als Volksfest beschrieben; die vorliegende Bemerkung machte in TF1, wo Sabina noch nicht mit zur Fürstin ging, Stephania (Textteil B, 289,6-7). 163.31 komme nicht aus] finde mich nicht zurecht. 164.21 Erinnerung] Ermahnung, Aufforderung; vgl. den Titel von Wh 118a Erinnerung beim Weyn. 164.22 Heute liebe, wer noch nie geliebt] Nach dem Anfangs- und Refrainvers des spätantiken P e r v i g i l i u m Veneris (2. oder eher 4. Jh. n. Chr., im

957

Kommentar 18. Jh. noch für ein Werk Catulls gehalten), ein anonymes Gedicht in 93 trochäischen Tetrametern, das sich als am Vorabend eines Venusfestes im siziliani-

Cras amet qui numquam amavit, quique amavit eras amet. Die dt. Bearbeitung von Gottfried August Bürger unter dem Titel Die Nachtfeier der Venus (Erstdruck 1773 im Teutschen Merkur; veränderte Fassungen als Eröffnung der Gedichte von 1789 und - nach Schillers Kritik - 1796 im Göttinger Musenalmanach) beeinflußte Schillers An die Freude und Triumph der Liebe (vgl. Leif Ludwig Albertsen, Pervigilium Veneris und Nachtfeier der Venus. G.A. Bürgers Liedschen Hybla gesungenes Prozessionslied gibt:

stil und sein lateinisches Vorbild. In: Arcadia 16, 1981, S. 1 - 1 2 9 ; Pauly19,1, Sp. 1062-1067). Die Situation in der PJ ist an die 6. Strophe des lat. Originals

Congreges inter catervas, ire per saltus tuos, / Floreas inter coronas, myrteas inter casas (zitiert nach: G.A. Bürger, Sämtliche Werke. Hg. angelehnt:

von Günter und Hiltrud Häntzschel. München-Wien 1987, S. 1158); Myrtenlauben werden auch schon in der I.Strophe erwähnt. Vgl. 162,30 und Erl. Da es sich um eine Frühlingsfeier handelt, die mit dem Lobpreis des personifizierten Frühlings beginnt (bei Bürger konkreter des Mais), fügt sich die Anspielung in die die gesamte PJ prägende Frühlingssymbolik ein und verweist speziell auf das

Frühlingsfest in II,4 zurück 164,27 Gartenlabirinthe]

(vgl. dort auch 99,25). Das Labyrinth ist bekanntlich eine antike Erfin-

dung; Creuzer4, S. 263 und S. 267f. deutet diese neuplatonisch als Symbol für die Wanderungen der Seele.

164.29 Pflegling]

»ein unter jemands pflege und obhut stehender« ( D W b

13,

Sp. 1751).

164.30 wunderbaren Traume]

Dieser Traum ersetzt ab TF2 den ursprünglich

an dieser Stelle tatsächlich vollzogenen Beischlaf als >Sündenfall< (vgl. weiter u. die Anspielung auf A d a m und Eva), bei dem das Kind der Päpstin gezeugt wurde; vgl. TF1 (Textteil B) und Entstehung 3.2.1.2. Tatsächlich sollte auch hier nach Ausweis der Varianten Johanna den Pfalzgrafen zwar nicht in Wirklichkeit, aber doch in dessen Traum zunächst noch zu ihrem W i l l e n zwingen, was in

Kusse. 164,37 Nachtchaos] Vgl. den Prolog des Schattendichters zum Schattenspiel Das Loch, oder Das wiedergefundene Paradies in der Schaubühne: Die Nacht ist Feindin aller Polizey, / Die Welt wird Chaos und der Mensch wird frei (Arnim 1813, S. 188). 165,1-2 wie Adam, als Eva seiner Hüfte entstiegen] 1 M o 2,21. Rickeiner späteren Textstufe entschärft ist zu

lefs 1990b, S. 2 9 6 vermutet eine Anspielung auf gnostisch-pansophische Symbolik zur Darstellung des »Übergangs zur sinnlichen Erfahrung« im Zusammenhang mit dem in den M a j o r a t s - H e r r e n

958

zentralen Lilithmythos (vgl. auch

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,5 196,26 und Erl). Bei Jacob Böhme ist der Schlaf der eigentliche Sündenfall Adams als schuldhafter Verlust der Einheit mit Gott und »Überwältigtwerden von der Mächtigkeit der Kräfte dieser Welt«, in Böhmes Diktion der »Irdigkeit« (Benz 1955, S. 18); zugleich verliert der Urmensch damit seine ursprüngliche androgyne Ganzheit. Vgl. zu 18,12. Ein weiterer Vergleich des Pfalzgrafen mit Adam in der Adaption des Stoffes von Amor und Psyche in der Mysterienszene in TF3 (Textteil B, 328,1 ff.) wurde getilgt (vgl. dort die Varianten). 165,6 Ring und Spange] Vgl. 144,18-19 und Erl. sowie zu 154,8-9. Wie in der Sage stört hier die belebte Statue die >Hochzeitsnacht< ihres >Verlobtensich zum Fliegen entfalten wolltenvergulden< (vgl. 73,17 und Erl.) ragt »auch das umgelautete oberdeutsche v e r g ü l d e n (...) ins nhd. hinein« (DWb 25, Sp. 475). 166,33-34 S i e s i n d n i c h t s als G e d a n k e n (...) i n G o t t g e l e s e n ] Vgl. das Zitat aus Goethes N a t ü r l i c h e r T o c h t e r im Volksliederaufsatz (vgl. zu 51,9-10). 167,8 N u n s t r e u e a u s , d e i n e r G n a d e n S a a t e n ] Vgl. das biblische Gleichnis vom Sämann (Mt 13,1-23; Mk 4,1-20; Lk 8,4-15; vgl. auch zu 222,10-11). 167.20 A m s c h w e r s t e n r e i t e t sich z u d e r b e s t e G a u l ] Reminiszenz an die Lehren des Chrysoloras aus der Gartenhausszene II,3; vgl. 78,13 und Erl. 167,24 D i e a l l e i m H i m m e l m i c h a n b e t e n ] Vgl. Spiegelglanz' vermeintliche Himmelfahrt in lll,2. 167.28 W o r a n sich d a s t h ö r i g t e Volk e r f r e u t ] Vgl. Jesu Tadel in Jh 4,48: W e n n i h r n i c h t Z e i c h e n u n d W u n d e r s e h e t , so g l a u b e t i h r n i c h t . Vgl. weiterhin die Religionsphilosophie der Aufklärung, die die biblischen Wunder einer noch unreifen Entwicklungsstufe zuordnete; so in Lessings D i e E r z i e h u n g d e s M e n s c h e n g e s c h l e c h t s , § 12. Vgl. im folgenden Kapitel die ähnlich abfällige Bemerkung des Erzählers f ü r solch Volk s i n d W u n d e r i n d e r W e l t nöthig. 167.29 G o t t W u n d e r ] Vgl. den ursprünglich als »typisch jüdisch« geltenden Ausruf »Gott's Wunder«, den Brentano in KL 29 K i n d e r l i e d z u W e i h n a c h t e n im Wh einbrachte, wodurch er als »Ausdruck andächtigen Staunens« verbreitet wurde; er findet sich bei Arnim etwa in Texten aus der S c h a u b ü h n e (Rölleke in FBA 9/3, S. 478).

6. Kapitel 168,16 A n t i c h r i s t ] Vgl. Komm. 6.3. 168,19 B e w ä h r u n g ] Vgl. 166,7 und Erl. 168.21 k l e i n e n P r o p h e t e n ] Vgl. 156,31 und Erl. 168,23 I n a l l e n R e l i g i o n s s t r e i t i g k e i t e n ] Hier beginnt die zweite auktoriale Reflexion zur Religionsthematik; vgl. 155,3ff. und Erl. 960

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,6

168,28-29 weil der Todestag der Märtyrer als ihr Geburtstag gefeiert würde] Arnim notierte in der Theorie in Fragmenten im Taschenbuch FDH Β 44 als Exzerpt aus Neanders Julian-Buch (vgl. Komm. 6.4): D e r Todestag der Märtyrer h e i ß t ihr Geburtstag. Dies bezieht sich auf folgende Stelle

über die Märtyrerverehrung: (...) m a n versammelte sich an d e m Jahrstage

ihres Leidens, die (sie!) man ihre eigentlichen Geburtstage nannte auf i h r e n G r ä b e r n (...) (Neander 1812, S. 45); vgl. auch ebd. S. 154: Nach Julians Ansicht hätten sich die Christen v o n d e n G ö t t e r n zu d e n T o d t e n ihren U e b e r b l e i b s e l n

und

hingewandt. Eine Verteidigung des Christentums

gegen solche Vorwürfe auch im Fragment D i e V e r s ö h n u n g i n der S o m m e r -

frische (1812): (...) das ist die Gesinnung der Märtyrer für das Christentum gewesen, nur bei den schlechten unter ihnen, war es eine Sterbelust, bei den Edelsten war der freudige Tod nur das Zeugnis, was sie froh in sich empfingen, daß ihr Streben nicht leer und eitel (...) (Werke 3, S. 559f.). 168,29 T o d t e n ] Jesus Christus, dessen Opfertod das Christentum als Sühne für A l l e r S ü n d e ansieht und in dessen B l u t u n d F l e i s c h Brot und Wein in der Eucharistie verwandelt werden.

169,5-6 Der religiose Glaube (...) war zu allen Zeiten gleich groß] Zu Arnims eigenen religiösen Überzeugungen gehörte »eine Religionstoleranz in durchaus aufklärerischem Geist« (Sternberg 1990, S. 46), die sich etwa in der Erzählung D i e K i r c h e n o r d n u n g von 1821 zeigt (vgl. z.B. die Feststellung (...)

niemand verargt es dem, der eifrig bei dem Glauben sich zu erhalten sucht, in w e l c h e m er erzogen; Werke 4, S. 218). Auch die entsprechenden Äußerungen der Hauptfigur der M a j o r a t s - H e r r e n decken sich offenbar mit

Arnims eigenen Überzeugungen: Aller Glaube, der geglaubt wird, k o m m t v o n Gott, u n d ist w a h r (Werke 4, S. 114). Die Kritik am üblichen Verständnis der >positiven< Religion als auf ewig fixierter Glaube in der vorliegenden Passage (vgl. 169,17 und Erl.) findet sich auch in dem Epigramm B e k a n n t e , das auf Pietisten wie Orthodoxe zielt (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 122; Werke 5, S. 483f.; vgl. auch zu 149,14-15), vgl. besonders v. 15-22:

Jugend du hinkest am Stabe. Was soll der Buchstabe dir helfen, Wisse das heilige Buch, ist ein flüchtiger Geist. Positiv nennt ihr allein die Religion die geschrieben, Negativ ist nicht der Rest, negativ seid ihr dann selbst Außer euch ist sie alsdann nicht offenbaret von Innen, Wem im Herzen sie lebt, fühlt sie und fühlet noch mehr, Nicht auf einen Moment ist alles was Göttlich ergossen, Ewig wirket er fort, Thätigkeit ist ja der Geist(.) 961

Kommentar 169,8-9 die ewig fortschreitende Entwickelung der Phantasie] Vgl. in der ersten religionsphilosophischen Erörterung in III,5 die Einschätzung der Phantasie als auch glaubensgeschichtlich fortbildende Kraft. 169,17 Religionsbücher] Neben dem zu 169,5-6 zitierten Epigramm Bekannte ist hier auch Arnims Brief an Jacob Grimm vom 22. Oktober 1812 aus dem Kontext der Debatte über Natur- und Kunstpoesie zu vergleichen, wobei sich ein weiteresmal das parallele Verständnis von Kunst- und Religionsgeschichte bei Arnim zeigt: Glaube m i r die Welt hätte noch soviel Poesie, als sie e m p f i n d e n k a n n u n d wenn alle poetischen Bücher, alte wie neue an einem Tage untergingen. Ein ähnlicher Gedanke, bezogen auf die antike bildende Kunst, in den Erzählungen von Schauspielen: (...) endlich m a g der M a r m o r zerstäuben, die Farben des Raphael verbleichen, der Mensch bewahrt alle Kunst in sich (...) (Werke 6, S. 162). Vgl. auch Lessings berühmte Kontroverse mit Goeze, in der der Aufklärer postulierte: (...) so m u ß es auch möglich sein, daß alles, was Evangelisten und Apostel geschrieben haben, wiederum verloren gänge, und die von ihnen gelehrte Religion doch bestände (Lessing: Werke 7, S. 458); Goeze erhob diese Frage anschließend zu einem der Hauptstreitpunkte (Lessing: Werke 8, S. 269). 169,20-22 der Berührung des Schönen und Wahren als Religion (...) die Tugend in der Ausgleichung (...) leisten kann] Diese Passage steht der (Theoretischen Untersuchung) (vgl. zu 155,3) besonders nahe; vgl. dort: Wo sich Wahrheit der Phantasie u n d Wahrheit des Verstandes begegnet, da ist das höchste menschliche Gefühl, wir n e n n e n das Religion (...). Die Tugend liegt nur in der Vereinigung des religiösen innern Menschen m i t der äußeren Welt, bloße Verstandes-, bloße Phantasietugend ist leer (Werke 6, S. 401 f.). 169,24-25 des Waschens u n d der Zwiebeln] Die zweite und dritte >Eingebung< des Spiegelglanz in III,4 bzw. III,5. 169,26-27 zu der er selbst (...) liefern sollte] Anspielung auf die redensartliche Zwillingsformel »Rat und Tat« etwa in dem Spw. »Ohne Rath keine That« (Wander 3, Sp. 1477, Nr. 246; vgl. ebd. Sp. 1476, Nr. 230; vgl. auch Röhrich 4, S. 1227). Hier herrscht ein entsprechendes Verhältnis, wie es o. in der II. Periode zwischen Spiegelglanz' kunst- und Johannas naturpoetischem Beitrag zur Entstehung des Frühlingsgedichts bestand. Vgl. 56,17 und Erl. 169,29-31 der Spiegelglanz gar sehr abgeneigt war (...) ausübte] Diese Passage ist stehengeblieben, obwohl die Abneigung des Spiegelglanz gegen die Fürstin in der späteren Fassung der Einleitung der Romgeschichte bereits in 111,1 (vgl. dort 133,17) eingeführt worden war; ebenso ist auch der weiter u. mitgeteilte wirkliche Name der Fürstin Reinera dem Leser der vorliegenden Fassung bereits aus 111,1 bekannt (vgl. Entstehung 3.2.1.5).

962

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,6 169,39 die Gesellschaft Gelehrten] Die Formulierung spielt auf die »gelehrten Gesellschaften« an; vgl. die Sammelrezension Über gelehrte Gesellschaften, ihren Geist und Zweck von 1808 (Werke 6, S. 235-245). Das Gelehrtengastmahl stellt in der ausgeführten Dichtung neben dem Islandmythos in 1,1 die deutlichste Reminiszenz an das ursprüngliche Konzept der PJ als Wissenschaftssatire dar (vgl. Entstehung 1). In der ersten Fassung der Szene in TF1 (vgl. Textteil B), in der Historiker und Psycholog noch nicht auftraten, lag der Schwerpunkt noch stärker auf der religiösen Thematik; tatsächlich gehört die Episode in den Kontext der Mohammed-Referenzen (vgl. Komm. 6.5): U m seine Sendung, dem erhaltnen Befehl zufolge, bei seinen Verwandten anzufangen, rief der Prophet Gottes Ali, der damals dreizehn oder vierzehn Jahr alt war, und sagte: »Richte uns ein Gastmahl an; bereite ein Lamm zu und fülle ein grosses Gefäss mit Milch; dann lass die Kinder Abdol-Motallebs zu mir kommen, dass ich mit ihnen spreche und ihnen mitteile, was ich Befehl habe, ihnen zu eröffnen« (Gagnier 1802, S. 114). Vor dem Horizont der Zeichnung Johannas als Antichrist (vgl. dazu Komm. 6.3) ist zudem die Enthüllung der göttlichen Natur Christi durch das Wunder bei der Hochzeit zu Kana zu vergleichen: Das ist das erste Zeichen, das Jesus tat, geschehen zu Kana in Galiläa, und offenbarte seine Herrlichkeit. Und seine Jünger glaubten an ihn (Jh2,11; vgl. zu 165,31). Schließlich liegen wohl auch parodistische Bezüge zum Letzten Abendmahl vor (Mt 26,17-30 und Parallelstellen; vgl. in Textteil Β in TF1 zu 279,28). 170,3-4 Dummheit und Bosheit] Dies sind schon Begriffe frühromantischer Polemik; vgl. Tiecks fragmentarische Streitschrift Über Parteilichkeit, Bosheit und Dummheit. Zur Metapher der Abgötterei ist Johannas früherer Götzenkult zu vergleichen, der letztlich durch die archäologischen Forschungen des Spiegelglanz in 111,1 angeregt war. 170.6 geistiges Menschenopfer] Diese Formulierung auch im Volksliederaufsatz (Wh I 462). 170.7 Inkarnation] Vgl. die Inkarnation Luzifers in den Gelehrten Chrysoloras in lll,2 sowie die spätere Besessenheit des Spiegelglanz. 170,9-10 weswegen ich mich auch schon lange aller Gelehrsamkeit enthalte] Anspielung auf Arnims 1801 beginnende und im Weihnachtsbrief an Brentano von 1803 (WAA31, Nr. 327, z. 121-131) dargelegte Abkehr von den Naturwissenschaften, die in der neueren Forschung freilich nicht mehr als völlige Absage an diese angesehen wird; vgl. WAA2 und 3. 170,23 Schminke von Nußschalen] Dieses kuriose Motiv stammt, etwas gemildert, aus Gagniers Mohammed-Buch (vgl. Komm. 6.5; vgl. auch schon 139,29-30), wo ebenfalls die Gegner des Propheten beraten, wie sie diesen bei

963

Kommentar einer Versammlung als Betrüger überführen wollen: » O d e r w i r m a c h e n es so:

wir bereiten eine doppelte Salbe, die eine aus Moschus und Safran, in ein Becken zusammen gemischt, und die andre aus Kameelurin und Kohlenstaub, ebenfalls in ein besonder Becken gequirllt; und, hast du (Mohammeds Feind Habib) denn die ganze Versammlung durch die Stärke deiner Gründe und Beweise vollkommen überzeugt, so reiben wir den Arabern das Gesicht mit der wohlriechenden Moschus und Safransalbe, den Haschemiten aber schwärzen wir Gesicht und Kleid mit der stinkenden Harn- und Kohlensalbe und geben ihnen ein Kennzeichen, wovon sie Zeit Lebens Schimpf und Schande haben« (Gagnier 1802, S. 145; vgl. ebd. S. 162).

170,24 Ueberwiesnen] Überführten, Entlarvten.

170,26 Dann jagen wir ihn durch Gänsedaunen] Die bekannte Strafe des Teerens und Federns, vgl. Die Capitulation von Oggersheim l,3: D e n Pre-

diger, den Prediger aber bestrichen sie mit Honig und jagten ihn so lange durch die Federn der aufgeschnittenen Betten, daß er endlich Flügel bekam und mit dem Westwind wie ein leibhaftiger Satan Nachts in die Stadt geflogen kam (SW 6, S. 237; vgl. auch KHM 46 Fitch ers Vogel). 170,28 Sceptiker] Der antike Skeptizismus wird in Neanders Julian-Buch auf S. 5ff. ausführlich dargestellt; vgl. Komm. 6.4.

170,34 Er soll mir so leicht nicht zu Worte kommen] Ein weiteres Detail aus der Biographie Mohammeds: Dessen Gegner Abu-Lahab ließ bei dem für die Verkündigung vorgesehenen Gastmahl den Propheten n i c h t zu W o r t e n

kommen (Gagnier 1802, S. 114). 171,11 Historiker] Vgl. zu 4,19. Mit ihrer Maxime was nicht wahr und wirklich geschehen, / Das verwerf ich gänzlich, das soll untergehen stellt die Figur offenbar speziell einen Seitenhieb gegen den strengen Literaturhistoriker Jacob Grimm dar, der in einem Brief vom 6. Mai 1812 die im selben Jahr erschienene Novellensammlung Arnims wegen ihrer Anachronismen kriti-

siert hatte, weil ich glaube, daß man das Wahre und Gewiße nirgends zusetzen und ändern soll (...). Ich kann die ganze Zeit das Gefühl nicht los werden, daß es nicht wahr ist und das stört mir die Freude am andern ein wenig. 171,13 D a r u m steh ich i h r nicht g e r n i m L i c h t e ] Diese Redensart ist schon in Paulis S c h i m p f u n d E r n s t (1522) nachgewiesen; vgl. die antike Anekdote über Diogenes und Alexander.

171,16 Mir scheint das nur wahr, was ein jeder liebt] Vgl. Neander über den Skeptizismus (vgl. zu 170,28): Das einzige Unwiderlegliche blieb ihm 964

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,6

demnach die subjektive E m p f i n d u n g u n d Ueberzeugung eines Jeden (Neander 1812, S. 7).

171,27 k o m m e n sie m i r in m e i n G e h e g e ] Jemandem ins Gehege kommen

bedeutet

redensartlich

jemanden

auszustechen

suchen< (Wander 1,

Sp. 1419, Nr. *1). 171,31 h e i ß ] erregt, wütend (vgl. DWb 10, Sp. 905).

171,33 Es i r r t e n die M e n s c h e n auf m a n c h e r l e y W e g e n ] Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 548. Das kurze Gedicht bringt zwei Grundüberzeugungen Arnims zum Ausdruck: die geheime göttliche Lenkung der Weltgeschichte sowie die Schädlichkeit jeder rein negativen K r i t i k . Die Anschauung, d a ß e i n h ö h e r e r

Wille

auch auf Erden geschehe, gegen den menschliche List u n d Kühnheit vergebens anstreben (QEvres historiques de Frederic le Grand, 1830; Werke 6, S. 1004), ist besonders in den K r o n e n w ä c h t e r n mehrfach formuliert:

Die Geschicke der Erde, Gott wird sie lenken zu einem ewigen Ziele, wir verstehen n u r unsere Treue und Liebe in ihnen (...) (Werke 3, S. 13); Lernt i m Zufall Gottes Führung, / W i e er euch in Not begrüßt (Hausmärchen; ebd. S. 207); Gott f ü h r t auf i m m e r neuen Wegen zum Heil (...) (ebd. S. 37). Das letztgenannte Zitat variiert eine Stelle aus einem Brief an Sa-

vigny vom September 1814: G o t t ist w i e ein g u t e r D i c h t e r , der die M e n -

schen auf i m m e r neuen u n d u n e r k a n n t e n Wegen zum Heil f ü h r t (Härtl 1980, S. 104). Vgl. 230,13-14ff. und Erl. sowie die Formulierung in V,6

Die Wege des Geschicks sind wunderbar; vgl. auch die Auslegung der Regentschaft Johannas durch die Elementargeister in V,8 als W a r n u n g s s t i m m e f ü r d i e g a n z e W e l t sowie in TF1 (Textteil B) 292,3ff. und Erl. - Über Arnims zahlreiche Angriffe auf die K r i t i k , die hier als Uhu (ein ironischer Verweis auf die Eule der Weisheitsgöttin Athene und die >Blindheit< der Gelehrten; vgl. 5,35-36 und Erl. über Spiegelglanz' Augenschwäche) in einem unfruchtbaren h o l e n B a u m verspottet wird, vgl. Savigny an Arnim am 11. Dezember

1815: Es k o m m t i m m e r wieder auf Deine alte Polemik hinaus gegen die Kritik. Es soll keine Kritik seyn, alles Seyende soll in seiner Art geehrt werden, so lautet scheinbar Dein Grundsatz (Härtl 1980, S. 329). Beispiele für solche P o l e m i k Arnims sind etwa der Volksliederaufsatz im W h oder das Gedicht K r i t i k (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 492; Werke 5, S. 548); vgl. auch W h II 5 D i e W a h r h e i t , wo - in einem vmtl. von Arnim erg. Zug - die personifizierte Wahrheit nach ihrer Mißhandlung durch Gelehrte endgültig die Flucht ergreift, als e i n

Critikus erscheint

(eine ähnliche Spitze am Ende von

Wh III 99 E i n h ü b s c h Lied, g e n a n n t der Striegel (...)). Dem vorliegenden Gedicht steht besonders die große Tirade gegen Kritik in der ZfE Nr. 32 vom

20. Juli 1808, Sp. 256 nahe: (...) die Kritik w i r d e i n g e s t e h e n , d a ß sie i h r e r

965

Kommentar Natur nach Mysterie gewesen, daß es ohne diese Mysterie (...) bloße Täuschung sey, wo wir stille stehen, wohin wir fortschreiten mit einem universalhistorischen Gefühle für alle anzunehmen und der Welt also ganze Klassen Eindrücke aufzubürden — oder in ihrem Namen aufzugeben (...). 172,2 wie im Traum] Vgl. die entsprechenden verständnislosen Worte des Spiegelglanz 71,8-9 zu der in naturpoetischer Träumerei befangenen Johanna. 172,6-7 seinem wichtigen Antrag (...), daß sie an ihn glauben möchten] Die Formulierung parodiert die Geschäftsordnung gelehrter Gesellschaften (vgl. zu 169,39). Mohammed verlangte während der Verkündigung seiner Sendung beim Gastmahl, daß die Anwesenden sich seinem jungen Vetter Ali als seinem Wesir unterwerfen und ihm Gehorsam leisten sollten, worauf er ausgelacht wurde (Gagnier 1802, S. 114f.). 172.9 papiernen Betmaschinen in China] Die hauptsächlich im tibetanischen Lamaismus verwendeten Gebetsmühlen, in denen mit Gebeten beschriebene Papierstreifen gedreht werden, um die mündliche Rezitation mechanisch zu ersetzen. Vgl. zu 307,10 in TF1 (Textteil B). 172,19 Am Berge sah ich deinen Geist] Ironische Variante des animistischen Doppelgängerglaubens (HdA2, Sp. 346-349; vgl. z.B. DS258 Doppelte Gestalt); vgl. die Schilderung des Geist-Verzückens bei Praetorius 1669, S. 239, wo die Seele den Körper verläßt und Nachrichten aus fernen Gegenden bringt, sowie Jung-Stillings Bericht in der Theorie der Geister-Kunde, wonach sich ein Mensch bey lebendigem Leibe an einem entfernten Ort zeigen kann, nach Jung-Stilling ein Beleg für seine Theorie eines ätherischen Lichtskörpers des Menschen. Jung-Stilling führt anschließend ein Beispiel an, bei dem tatsächlich ein Geist, wie weiter u. der Rhetor von dem seinen befürchtet, übers Meer fährt, nämlich von Amerika nach England (Jung-Stilling 1808, § 100f„ S. 77-80). 172,21 L a u f ] Gemeint ist der Redefluß oder im weiteren Sinne die Laufbahn, die Karriere des >Propheten< Spiegelglanz. 172,28 bestreitet] bekämpft. 173.2 ihr predigt den Tauben] Sprichwörtlich nach Jes 42,20 (Wander 4, Sp. 1040, Nr. S). 173.3 röthlichem Augenstern] Augenstern: Augapfel (Adelung 1, Sp. 566); vgl. 5,35-36 und Erl. 173,5 langen] In F1 erwähnt Sabina, daß Johanna grösser als die meisten Männer sei; vgl. Textteil B, 413,24. 173.10 flammenden A u g e n ] Sonst ein Merkmal des Teufels oder der Besessenen; vgl. die visionäre Erscheinung von Rosalies Mutter im Tollen Invaliden (Werke 4, S. 36).

966

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,6 173,12-13 fuhr (...) gegen den Spiegelglanz an] Ungewöhnliche Verwendung von >anfahren< im Sinne von >angreifenBestrafung< des Chrysoloras gehört in den Kontext der Gelehrtenkritik, vgl. 21,30 die Selbstcharakteristik des Spiegelglanz als in Frost versteint. 173,17-19 Medusenhauptes (...) die schöne Trauer die zerstreuten Lokken dieser Köpfe auf alten Denkmahlen] Vgl. Nitsch 1793, Sp. 1320 über Bilddarstellungen der Medusa: Immer erscheint sie da nicht als ein Bild der Häßlichkeit, sondern als der schönste Frauenkopf mit einer edlen, hohen, allein betrübnißvollen Miene, und entweder ganz geschlossenen, oder matten und sterbenden Augen. Selten sind ihre Haare ganz Schlangen, meistentheils nur sparsam damit durchflochten. Zu Johannas Trauer vgl. Komm. 4.2. 173,21-22 für solch Volk sind Wunder in der Welt nöthig] Vgl. 167,28 und Erl. 173,29-31 Wundern (...) eine eigne Trostlosigkeit] eigne: besondere. Möglicherweise eine Reminiszenz an eine Passage aus Ritter 1810: Ein solcher Seegen, wie auch zugekommen, giebt allem Folgenden Bewußten Grund und Boden und Nahrung, während der Fluch nur Angst, d.i. Grund- und Bodenlosigkeit, Irren in der Wüste, Verlorenheit und Verzweiflung erzeugt (2. Bd., S. 90f.). Auch in der Biographie des Mohammed (vgl. Komm. 6.5) spielt der Beweis der göttlichen Sendung durch Wunder eine große Rolle; bezeichnenderweise ist Mohammeds erstes Wunder aber wohlthuend: die Heilung eines lahmen, blinden und taubstummen Mädchens (da-

967

Kommentar nach holt er auf Verlangen seiner Gegner den M o n d vom Himmel; Gagnier 1802, S. 158ff.)• 173.35 zerstört ohne etwas zu schaffen] Laut V,2 ist es das Merkmal der Teufel, daß sie nur zerstören nicht schaffen können. 173.36 Heerführers] Hier ist w o h l ebenso auf Napoleon angespielt wie im Brief an die Brüder Grimm aus der Entstehungszeit der PJ (24. Dezember 1812): Eroberer ärgern uns, wir hassen sie, wie ist da Dichtung möglich. Über Arnims Einstellung gegenüber Bonaparte vgl. z.B. Barth 1993, S. 121 f. Vgl. zu 179,7, zu 221,33, zu 253,18, in TF1 (Textteil B) zu 292,3ff. sowie Komm. 6.1 und 6.3. 173,38 Alexander] Vgl. zu 173,38. Auch er ist hier w o h l als Chiffre für Napoleon zu betrachten; vgl. Brentanos Gleichsetzung von Attila (der in Arnims Hausmärchen in den Kronenwächtern auf den frz. Kaiser verweist), Alexander, Bonapart im Brief an Arnim vom 15. Februar 1805. 174.1 Schneewolke] Vgl. zu 4,15. 174,8 g e w a l t i g e n S t i m m e ] Vgl. die Stimme Gottes in biblischen Episoden wie der Taufe Jesu (Mk 1,11). 174.12 Schimmel] Vgl. Spiegelglanz' vermeintliche Himmelfahrt o. in III,2. 174.13 E i s v o g e l ] Der Name des eigentlich in den Tropen und Subtropen heimischen Alcedo »gilt auch von einem schlauen, listigen menschen« (DWb 3, Sp. 381); zur Metaphorik vgl. zu 4,15. 174,13-14 aus Dunst und Nebel] Die Formulierung wörtlich gleich auch in der Zueignung zu Goethes Faust, v. 6. 174,16 Anaklet] Vgl. zu 133,27. 174.24 kleinen Propheten] Vgl. 156,31 und Erl. 174.25 winkte er Johannes] zwinkerte er Johannes zu. 174,27 schmücke dich, salbe dich] Vgl. Rut 3,3. 174.29 s t r e u e das B e t t m i t R o s e n ] Vgl. die Redensart >sich auf Rosen bettern (Wander 3, Sp. 1729, Nr. *130). 174.30 liebelosen] Vgl. zu 343,6. 174.31 überlebt] ausgelebt, kraftlos (DWb 23, Sp. 381). 174,34-35 g e h e i m e m Zauberdienste] Vorbereitung der Eleusinienszene in IV,4. 174,36 Erstreitung] Eroberung. 175.2 S p a n g e u n d R i n g ] Vgl. 144,18-19 und Erl. sowie zu 154,8-9. Hier beginnt eine Aitiologie des fragmentarischen Zustands, in dem die antiken Plastiken auf die Nachwelt kamen; so wurden die Finger der rechten Hand sowie die linke Hand des Apoll von Belvedere (vgl. zu 150,17) erst 1532/33 durch den Michelangelo-Schüler Giovanni Montorsoli und vmtl. einen weiteren Restaurator 968

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,6 ergänzt (der der Statue dabei einen kompletten neuen rechten Unterarm ansetzte; die restaurierten Stücke waren zwischen 1924 und 2000 wieder entfernt). Im Widerspruch zur bisherigen Darstellung in der PJ ist hier neben dem Apoll von Belvedere auch eine Venusstatue in die >Verlobung< einbezogen, was der Stofftradition mehr entspricht; bislang war nur von einem Venuskopf unter Johannas antiken Funden die Rede (132,19-21). Arnim denkt vmtl. konkret an die Mediceische Venus (1. Jh. v. Chr.?), die im 18. und 19. Jh. in zahlreichen Kopien verbreitet war; die heute berühmtere Venus von Milo wurde erst 1820 auf Melos entdeckt. Die Skulptur befand sich zunächst in der Villa Medici in Rom und wurde 1677 in die Uffizien in Florenz überführt, wobei die fehlenden Arme durch den Bildhauer Ercole Ferrata ergänzt wurden. Zwischen 1803 und 1815 war die Venus von Medici, wie der Apoll von Belvedere, als frz. Beutestück in Paris; der bei dieser Gelegenheit entstandene Streit zwischen Franzosen und Florentinern um die Statue lenkte noch größere Aufmerksamkeit auf diese. 175.12 Dämonen] Im antiken Sinne als g u t e Geister; vgl. das Reh des Einsiedlers in V,3 und Rehe und Hirsche als Tiere des Paradieses in Johannas Traum in V,4. Vorausdeutung auf das Jagdmotiv in IV,5 und 6; vgl. 234,33-34 und Erl. 175.13 R h e ] Die Schreibung in der PJ (wie auch sonst bei Arnim) immer so (außer in einer Gedichtstrophe 271,2). 175,16 ausgeschmückt] Früher auch bei Personen, besonders bei Bräuten, gebraucht (DWb 1, Sp. 957). 175,20 Abbild] Nach 1 Mo 1,27 schuf Gott den Menschen nach seinem Bilde; die Ausdehnung dieses Gedankens auf die ganze Welt steht in neuplatonischgnostischer Tradition. 175,25 in diesem neuen Leib] Vgl. das frühe Konzept, nach dem Johanna während ihres Papsttums zu der Überzeugung kommen sollte, eine Inkarnation Gottes im Sinne des Lamaismus zu sein; vgl. in TF1 (Textteil B) 307,10 und Erl. 175,27 Er will auch ihn in seinem Feuer brennen] D.h. unsterblich machen; vgl. das Demophonmärchen am Ende der I. Periode und Komm. 3.2. 175,30 Den Todten rufet er zu diesen Fluren] Es folgt eine Nekromantie mit namentlicher Anrufung des vermeintlich ermordeten Raphael (dessen Namen Johanna freilich eigentlich nicht kennen kann) und anschließender Befragung. Vgl. zu diesem Motiv z.B. das 33. Kap. des Faust-Volksbuchs; auf dessen 49. Kap. geht später die berühmteste literarische Darstellung einer Totenbeschwörung zurück, das Herbeizitieren von Helena und Paris im 1. Akt von Goethes Faust II. Vgl. auch das 2. Buch von Apuleius' Metamorphosen (Der goldene Esel), die Quelle für die Adaption des Märchens von Amor und Psyche in TF3 (Textteil B; vgl. 328,1 ff. und Erl.). Die Gabe wird oft heiligen Personen zugeschrieben, so Johannes Trithemius in DS490 Kaiser Maximilian und

969

Kommentar Maria von Burgund oder dem Hl. Macarius, der nach der Legende ebenfalls ein Mordopfer heraufbeschworen haben soll, um dessen Täter zu ermitteln. Andererseits wird im MA der Ursprung der Nekromantie meist in Italien und speziell im Venusberg gesehen, wobei auch das Motiv der Teufelsschule einbezogen wird (vgl. 4,26 und Erl.). Vgl. HdA 6, Sp. 997-1002 und 8, Sp. 1054f. Die Histoire de la Papesse Jeanne (vgl. Komm. 1.3) referiert eine Tradition, wonach die Päpstin Johanna un Livre de Necromantie verfaßt habe (I, S. 25). Da Johanna selbst schwankt, ob sie den Raphael nur für kurze Zeit beschwören und befragen (Und kannst du nicht zurück zum Lichte kehren, / So mußt du mich von dem Geschick belehren (...)) oder kraft ihrer vermeintlichen göttlichen Macht nicht gar dauerhaft auferstehen lassen (ja unsterblich machen) kann, ist zudem die Auferweckung des Lazarus nach Jh 11,1-46 zu vergleichen (vgl. Komm. 6.3 zur Antichristthematik); in der anschließenden Prosapassage wird berichtet, daß es tatsächlich das Gebet des künftigen Heiligen Oferus war, das den Raphael ins Leben zurückgebracht hat. Es liegen auch Anklänge an die Beschwörung des Erdgeists im Faust vor (v. 460-481; vgl. die Einzelnachweise u. und Komm. 6.6). 175.32 Prüfungsstund] Doppelsinnig, da der Termin des Examens in II,4 auch zur Stunde einer moralischen Prüfung Johannas geworden war. 175.33 den ewgen Geist einhauchen] Vgl. 1 Mo 2,7 und die Pfingsterzählung Apg 2. Hier ist das Verleihen der Unsterblichkeit gemeint, wobei erneut auf das Demophonmärchen angespielt wird, in dem die Bettelfrau ihren Schützling mit dem Hauche ihres Mundes einhüllte (vgl. Komm. 3.2). 176,5-6 es fasst der Sehnsucht Tiefe / Mein ganzes Herz] Vgl. Faust I, v. 480: Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben! 176,6 erriefe] durch Rufen erreichte (DWb 3, Sp. 948; mit Beleg aus Arnims Schaubühne). 176.9 Pilger] Nach Ausweis der Varianten war Raphael hier, wie auch in TF1 (vgl. Textteil B, 295,21), zunächst als Priester dargestellt, was wohl seinen späteren engen Kontakt zum Papst Johannes plausibler machen sollte. 176.10 Wer rufet meinen Namen] Vgl. Faust I, v. 482: Wer ruft mir? 176,16 Vorsorge] Hier im Sinne von >Sorge vor künftigem Übek 176,18 eine sonderliche Neigung] Hier zeigen sich Johannas magnetische Kräfte; vgl. Komm. 5. 176,20-21 wie er ihn mit dem Messer durchstossen in den Rhein geworfen habe] Vgl. II,4. 176,24 Betlampe] Das Wort ist wohl Arnimsche Neubildung; vgl. den Einsiedler mit der Laterne, der, der Legende folgend, ein festes Motiv der Christophorus-lkonographie ist (vgl. Komm. 6.2).

970

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,6

Engel]

176,33

Gemeint ist Melancholia, die ursprünglich als Engel konzipiert

war; vgl. Komm. 4.1.

verwandt]

177,11

In älterer, weiterer Bedeutung der »verschiedensten arten

von beziehungen«: »befreundet, zugethan«, aber auch »alles, was auf gemeinsamen ursprung zurückgeht« ( D W b 2 5 , Sp. 2121 und 2123).

Wie kann das Lamm bey einem Tiger leben] Vgl. Sir 13,21 (LuEs ist eben, als wenn sich der Wolf zum Schaf gesellte, wenn ein Gottloser sich zum Frommen gesellt sowie Jes 11,6 Die Wölfe werden bei den Lämmern wohnen (...). Im Kontext der Antichristthematik 177,27

thersche Fassung):

(vgl. Komm. 6.3) ist an die Bedeutung des Lamms als Christussymbol zu erinnern. 177,32

Asmodi]

Vgl. 156,18 und Erl. Zur Bocksgestalt des Dämons vgl. zu

11,2. Allerdings ist er hier unsichtbar und wird nur vom h e i l i g e n Z i e g e n b o c k des Spiegelglanz (vgl. 139,35 und Erl.) gewittert. 177,35-36

fiel (...) über]

fiel hinüber, verlor das Gleichgewicht

(DWb23,

Sp. 206). 1 7 8 , 3 - 4 daß die Liebe ihm gerecht lohnen werde] Vgl. im Schlußteil von l,2: Als Jungfrau wird dir ihre Liebe danken. 178,4 Wunderkind] Vgl. 44,21 und Erl. 178.9 die verborgne Schuld an das Tagslicht bringe] Vgl. Lk 12,2f.: Es ist aber nichts verborgen, das nicht offenbar werde, noch heimlich, das man nicht wissen werde. Darum, was ihr in der Finsternis saget, das wird man im Licht hören (...) (vgl. auch M k 4 , 2 2 ) sowie das Spw. »Die Sonne bringt es an den Tag« (Wander 4, Sp. 612, Nr. 36; Röhrich 4, S. 1491; vgl.

Die klare Sonne bringt's an den Tag

auch K H M 115

und Chamissos Ge-

dicht von 1827). 178.10 bereite] Ältere Form für >vorbereite< ( D W b 1, Sp. 1499). 178.11

Backenschläge]

Vgl. zu 156,15.

178,11 a u f s ä t z i g e n ] Nebenform zu >aufsässig< ( D W b 1, Sp. 719). 178.13

mit

stürmender

Hand]

Formelhaft

für

militärische

Attacken

( D W b 20, Sp. 611). 178.14

Erstarr du Narr]

Was 173,14 scheinbar als Zauberformel gegen Chry-

soloras wirkte; Johannes versucht die Beschwörung hier dreimal gemäß dem

z.B.

in

Faust I,

v. 1531:

Du mußt es dreimal sagen

dokumentierten Aber-

glauben. Vgl. auch u. in III,7 Johannas dreimalige Aufforderung an den Dämon Asmodi, seinen Namen zu nennen. 178.15

nordische Riesenkraft]

Vgl. 5,35 den Hinweis auf Spiegelglanz' ge-

waltige Stärke; hier ist auf die aus der germanischen Mythologie als Gegner der Götter bekannten Riesen angespielt. Vgl. u. in III,7 die Identifizierung des besessenen Spiegelglanz mit dem mythischen Fenriswolf.

971

Kommentar 178.21 Maskenkleide] Die Verkleidung als Priester, die Johanna im Venusberg (III,5) angelegt hatte. 178.22 handgemein] kämpften (DWb10, Sp. 390). 178,27-28 Fliege (...) Seelen-Kastele] Vgl. zu 11,28. Daß Dämonen in den Körper ihrer Opfer durch den Mund, auch in Fliegengestalt, eindringen, war eine verbreitete Vorstellung. Laut Görres' ab 1836 erschienener Christlicher Mystik machen sowohl Epilepsie (vgl. 82,17 und Erl.) als auch der Hochmut des Wissens besonders anfällig für Besessenheit (Görres 1879 Bd. 4, S. 69, 242); ebenso wie Wutanfälle: Häufig sind die Beispiele Solcher, die in Mitte der Aeußerungen ihrer Zornmüthigkeit, und während des Streites und des Zankes, den sie zur Folge gehabt, in Besessenheit gefallen (ebd. S. 97). Auch die hier gebrauchte Metapher einer militärischen Eroberung mit der Seele als bestürmter Festung, die später zentral im Tollen Invaliden ist, gehört zur Tradition des Besessenheitsglaubens (Herbert Haag, Teufelsglaube. Tübingen 21980, S.408; vgl. Barth 1993, S. 135 und 141). Vgl. zu 182,17. 178,33 zerschlagnen Statuen] Des Apollo und der Venus; vgl. 175,2ff. 178,33 Rosenkränze] Nicht die Gebetsschnur, sondern die Blumenkränze, die Johanna und Stephania in III,3 gewunden hatten. 178,39-179,1 von der Höhe seines göttlichen Stolzes (...) heruntergewiesen] Die Sturzmetapher steht in neuplatonischer Tradition und verweist auch auf den Sturz Luzifers (vgl. 253,19 und Erl.); vgl. auch das Ixionlied in F1 (Textteil B) und die Anspielung darauf 199,26. Damit endet hier, wie der Anfangssatz von IV, 1 später noch einmal bekräftigt, die Selbstvergottung Johannas, die auf einer früheren Werkstufe auch ihr Papsttum prägte; vgl. Entstehung 3.2.1.2 und TF1 in Textteil B. 179.6 Christusbilde] Vgl. zu 14,30. 179.7 Wer nie mit wilder Faust] Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1677. Das Gedicht liegt in mehreren Fassungen vor; die erste davon ist nur hs. überliefert (FDHG501). Die vorliegende Version beruht auf der zuerst in der ZfE Nr. 36 vom 27. August 1808, Sp. 281-284 erschienenen (auch in SW22, S. 113f.; vgl. Werke 5, S. 603f.); eine leicht abweichende Fassung unter dem Titel Die Bekehrung in SW22, S. 282. (Unter demselben Titel veröffentlichte Bettina von Arnim eine Version im Berliner Taschenbuch von 1843, S. 111 [vgl. Werke 5, S. 1369f.].) Das Gedicht erhält von hier an leitmotivische Funktion für die PJ; an der vorliegenden Stelle erscheinen, leicht verändert, die 1. und 4. der sieben Strophen aus der Fassung für die ZfE; u. in IV,3 folgen eine Variation der 5. (Der Leichtsinn zu den Waffen ruft (...)), am Ende der Dichtung in V,8 die 2., eine weitere Version der 4. sowie die 6. und 7. Strophe; Anklänge gibt es zudem im Schlußgedicht der IV. Periode Wer in der Schande lebt (...). Rick-

972

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,7 lefs deutet das Gedicht als Ausdruck »für die Wende von der Präexistenz zur Existenz, von Subjektivität zur gegebenen Wirklichkeit, von Traumexistenz zu Geschichtlichkeit und eschatologischer Wirklichkeit« (Werke 5, S. 1370); Sternberg betont das »Thema ekstatischer Lebens- und Gotteserfahrung« im Kontext des >dionysischen< Aspekts von Arnims Dichten und die antiidealistische Tendenz; vgl. an der vorliegenden Stelle die 2. Strophe (Sternberg 1990, S. 43). Merker und Sternberg weisen auf Anklänge an das Lied des Harfners Wer nie sein Brot mit Tränen aß in Goethes Roman Wilhelm Meisters Lehrjahre hin (Merker 1933, S. 321; Sternberg 1983, S. 252, Anm. 8); Sternberg macht zudem auf die Parallele der hier verwendeten Glockenmetapher zum Brief an Bettina Brentano vom 28. September 1806 aufmerksam, der sich auf die Kriegslieder von 1806 bezieht: (...) und wenn mich etwas trösten kann, (...) dies ist es allein, daß ich mit meiner Gestalt, so weit ich reiche den ungeheuren hohlen, kalten, metallnen Rüsttraum der Zeit erfülle, anschlage an die Wände, daß sie sich erklingen, es verhallt, es war doch (...) (vgl. Rölleke 1971, S. 73, Anm. 4). Der Text weist Parallelen zu der gegen Napoleons Subjektivismus und Selbstvergottung gerichteten Glosse Ahndungen aus dem Preußischen Correspondent Nr. 125 vom 5. November 1813 auf, die auch als letzter Teil Gegen einen Tyrannen des dreiteiligen Glossengedichts Variazionen in SW 23, S. 200f. erscheint (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1552; vgl. Werke 5, S. 858f. und Erl.), vgl. besonders v. 31-34 der Fassung von 1813 mit der vorletzten Strophe am Ende von V,8 (Wer nur der Welten Lauf (...)): Wer mit sich die Welt anfing, / Wer sich gegen sie verschwor, / Muß ihr dienen als ein Tor, / Seine Mittel sind gering. Entsprechend ist auch im vorliegenden Gedicht wohl eine Kritik gegen Bonaparte mitintendiert; vgl. zu 173,36. 179,14 tagen] Im Kontext der verwendeten Lichtmetaphorik vmtl. zu verstehen als >Licht bringen< (nach 1 Mo 1,3); möglicherweise aber auch im Sinne von >befehlenerregt, angeregte (vgl. DWb 31, Sp. 784: »auf die Störungen des seelischen gleichgewichts« bezogen). 180,15 Lermen] Hier wie an mehreren anderen Stellen der PJ maskulin als Nebenform zu >Lärm< (DWb 12, Sp. 202); vgl. aber kurz darauf Lermen als Neutrum (180,34). 180,19 Göttertroß] Vgl. zu 160,35 über die mythologische Groteske bei Arnim. 180.26 Spange und den Ring] Vgl. 144,18-19 und Erl. sowie zu 154,8-9. 180.27 Verbindlichkeit] Der in III,3 unterschriebene und noch nicht eingelöste Schuldschein. 180,28-29 hochmüthigen Geistesverwirrung] Da Johannas Göttlichkeitswahn begann, als Spiegelglanz sie mit Gewalt aus dem Venusberg nach Hause holen wollte (lll,5). 180,32 Erdbeben] Vgl. später das (von Johanna geträumte?) Erdbeben in IV,3. 181,1-2 den Uebergang der Einheit des Lebens zur Vielheit] Ricklefs 1990b, S. 165 weist auf die neuplatonisch-dualistische Symbolik der Formulierung hin. 181,3-4 der aufblitzenden Sonne unter der Morgenröthe] Vgl. die entsprechende Symbolik für das Ende der Kindheit am Schluß von II,4. 181,19 Senk ο Herr des Geistes F l a m m e ] Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1323. Vgl. Apg2,3; vgl. das 207,31 zitierte Veni creator spiritus und Erl. 181.22 Braut] Umkehrung des im NT häufigen Bildes der Kirche als Braut Christi (z.B. Mt 9,15; Jh 3,29; 2 Kor 11,2; Offb21,2); vgl. auch die entsprechende Vorstellung von Nonnen als dem Herrn Vermählten (vgl. zu 238,18). 181.23 Fischerringe] Das Papstsiegel mit der Darstellung des fischenden Petrus (nachgewiesen seit dem 13. Jh.).

974

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,7

181,26 Auf den Fels, dem Gott vertrauet] Petrus;

nach

Mt 16,18.

1 8 1 . 2 8 Atheist u n d Sceptiker u n d R h e t o r ] Die Teilnehmer des Gelehrtengastmahls in III,6 treten hier quasi als die ersten >Jünger< Johannas auf; vgl. Komm. 6.3 zur Antichristthematik. 181.29

J o h a n n e s der Z w ö l f t e ] Vgl. Komm. 2.

181,31

ernst] S W 19, S. 314 liest fälschlich »erst«.

181,33 So heilig wie schön, so schön wie heilig] Vgl. Der echte und der falsche Waldemar: Sie ist so heilig wie sie schön ist diese Müllerin (SW 18, S. 88f.).

182,2 so jung er noch sey] 18 Jahre, wie der hist. Johannes XII.

182,5 den Mantel, den Ring, den Stab und die Krone]

Die päpstlichen

Insignien: Der heute nicht mehr gebräuchliche Papstmantel (Manto Papale), der Fischerring (vgl. 181,23 und Erl.), der Hirtenstab sowie die Tiara, die seit 1315 nachgewiesene dreifache Krone, die die dreifache Gewalt des Papstes als »Vater der Fürsten und der Könige, Rektor der Welt, Stellvertreter Christi auf Erden« symbolisierte und 1963 von Papst Paul VI. durch die Mitra ersetzt wurde.

182,9 Sessel]

Die heute nicht mehr gebräuchliche Sedia gestatoria, ein großer

Tragsessel, in dem der Papst bei der Krönungsprozession von mehreren »Sediariern« (Sediari Pontifici) auf den Schultern getragen wurde (Vatikanlexikon, S. 717). Obgleich die Sediarier »früher auch Dienste in den päpstl(ichen) Gemächern verrichtet(en)« (ebd.), meint Arnim mit der

Leibwache,

aus der sich

die Träger bei ihm rekrutieren, sicher die (tatsächlich erst 1506 durch Julius II. gegründete) Schweizergarde des Papstes.

182,14 vielen war im frommen Glauben geholfen] Vgl. die neutestaDein Glaube hat dir geholfen

mentliche Formel bei Jesu Krankenheilungen

(z.B. Lk8,48 und 17,19); hier psychologisierend umgedeutet.

1 8 2 , 1 7 v o m Teufel besessen] Vgl. zu 178,27. Die Prophezeiung des - bei Arnim mit Spiegelglanz identifizierten - Besessenen ist eine Schlüsselepisode der Päpstintradition; vgl. Komm. 1. Die biblischen Parallelen zur Geschichte des Besessenen von Gadara (Mk 5,1-20; Lk 8,26-39; knapper auch Mt 8,28-34) fügen sich in den Kontext der Darstellung Johannas als Antichrist ein (vgl. Komm. 6.3): Der Rasende ist gefesselt (vgl. dazu auch zu 182,24-25 über den Bezug zum Fenrirmythos); er begrüßt den Papst als

Herrscher der Welt,

kennt aber auch

sein wahres (hier teuflisches) Wesen, wie die biblische L e g i o n Jesus den S o h n

Gottes, des Allerhöchsten

nennt (vgl. das »Wissen um entfernte Dinge« als

eins der Kennzeichen von Besessenheit nach dem »Rituale Romanum«; dies referiert auch der

Fünffte Brief

bei St. Andre 1727, S. 108ff.), und muß Jo-

hanna seinerseits seinen Namen angeben. Auch Spiegelglanz' Ende u. in V,5 erinnert noch an die biblische Vorlage; vgl. zudem in TF1 (Textteil B) zu 173,36.

975

Kommentar Wie nach der Tradition nur untadelige Exorzisten erfolgreich sind, so gelingt auch dem >Antichrist< Johanna im Gegensatz zum wahren Christus die Austreibung nicht; bei Schernberg hingegen muß der Teufel Unuersün trotz Juttas Sündhaftigkeit vor der Macht ihres hohen Amtes kapitulieren. In TF1, wo von Asmodi noch keine Rede war, war die >Besessenheit< des Spiegelglanz als Geisteskrankheit rationalisiert (vgl. Textteil B); auch in der vorliegenden Fassung wird, ähnlich wie später im Tollen Invaliden (vgl. zu diesem z.B. Barth 1993, S. 135-144), eine psychologische Erklärung durchaus offengehalten. So ist 184,18, in Parallele zum Tollen Invaliden (Werke 4, S. 53), von einer inneren Zerlegung der menschlichen Natur, später, 197,29, auch vom tollen Spiegelglanz und 265,34-35 von Wahnsinn die Rede. Ob in den Äußerungen des >Dämons< der Mensch Spiegelglanz oder der Teufel Asmodi spricht, bleibt zumindest in der Schwebe; nahegelegt wird jedoch die erstere Erklärung: Die veränderte Stimme des Gelehrten wird durch das zornige Geschrei erklärt; die bis dahin unterdrückte Phantasie des Spiegelglanz schwärmt im alten Glauben seines Vaterlands. Dämonologisch betrachtet könnte es sich somit, wiederum wie im Tollen Invaliden, lediglich um eine partielle, »lucide« Besessenheit handeln, da zumindest ein Teil der eigenen Persönlichkeit des Besessenen erhalten bleibt (vgl. Herbert Haag, Teufelsglaube. Tübingen 21980, S. 409). 182,24 schwärmte] Hier im Doppelsinn von >phantasieren< und >verrückt sein< (vgl. DWb 15, Sp. 2289); vgl. auch weiter u. Der Schwärmer. 182,24-25 im alten Glauben seines Vaterlandes] Die in der isländischen (Snorra und Lieder-)Edda überlieferte germanische Mythologie; vgl. schon in III,6 die Anspielung auf die nordische Riesenkraft. In Arnims Bibliothek finden sich an einschlägigen Quellen Majer 1803/1804 (vgl. Komm. 8.2) sowie P(aul) H(enri) Mallet, Edda, ou Monumens de la Mythologie & de la Poesie des anciens peuples du Nord. Troisieme Edition. Revue, corrigee & considerablement augmentee. Geneve 1787 (Arnim-Bibl. Sign. Β 1807; zu Mallet vgl. auch WAA31, Nr. 336.K3, z. 125f. und Erl.). Spiegelglanz identifiziert sich in seiner folgenden Rede mit dem Fenriswolf oder Fenrir (vgl. bei Mallet S. 156-162, bei Majer 1804 S. 58-63), den man wegen seiner Rolle beim Weltuntergang (Ragnarök) und wegen seiner Abstammung von Loki in Beziehung zur Antichristtradition setzen kann (vgl. zu dieser Komm. 6.3; vgl. auch das Wolfsgespann des Spiegelglanz bzw. seine Wölfin in 1,1 und l,2). Mit Satan selbst ist der Wolf vergleichbar, weil er, wie hier Spiegelglanz von den Mönchen, von den Göttern zunächst mit Mühe gebunden werden kann, jedoch beim Weltende freikommt, so wie Luzifer in der Johannesapokalypse (Off 20,1-3; vgl. Arnims Anspielung auf diese Tradition 253,18 und Erl.). In der Rede des Spiegelglanz erhalten die Bande, mit denen Fenrir gefesselt wird, zudem eine metaphorische

976

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,7 Bedeutung für die Überwältigung des Gelehrten durch die Liebe zu Johanna.

Vgl. die Wiedergabe des Mythos bei Majer, S. 59-61 (vgl. in der S n o r r a E d d a

Gylfaginning,

Kap. 34; vgl.: Die Edda des Snorri Sturluson. Ausgewählt, über-

setzt und kommentiert von Arnulf Krause. Stuttgart 1997, S. 41-44):

Als die Götter sahen daß er (Fenrir) mit jedem Tage größer und starker wurde, und Weißagungen sagten, daß er ihnen einst großes Unglück zuziehen würde, so machten sie nach gehaltener Berathschlagung eine starke Kette, giengen damit zu dem Wolf, und thaten ihm den Vorschlag, sich damit fesseln zu lassen, um durch Zerreißung derselben seine Kräfte zu versuchen. Der Wolf wohl wissend was ihm möglich sey, ließ nach ihrem Willen mit sich verfahren. Sobald er sich aber bewegte, zerbrach die Kette und er war frei. (Es folgt ein zweiter vergeblicher Fesselungsversuch mittels der noch stärkeren Kette Dröma.) Da schickte Allfader den S k y r n e r , Treis Diener und Boten nach S u a r t a l f f h e i m a , den Wohnplaz der schwarzen oder Nacht-AIsen (lies: Alfen) zu einem schwarzen Durag, und ließ ein Band verfertigen, G l e i p n e r genannt. | Diese Fessel war gemacht aus sechs Dingen, dem Tritt einer 60 Kaze, dem Bart eines Weibes, der Wurzel eines Felsen, den Sehnen eines Bären, dem Geist eines Fisches und dem Auswurf eines Vogels. Sie war weich und biegsam wie ein Band und doch sehr fest und stark. Als sie den Asen gebracht wurde, dankten sie dem Boten für sein Geschäft. Darnach begaben sie sich auf eine Insel (...), nahmen mit sich den Wolf, zeigten ihm das Band und forderten ihn auf, es zu zerreißen; denn ob es gleich gar schwach scheine, sei es doch sehr stark. Sie gaben es auch von Hand zu Hand und versuchten es zu zerreißen, sagten aber, daß es nur der Wolf könne. Da sprach der Wolf: Es scheint mir so schwach und verächtlich, daß ich wenig Lob verdiente, ein so schwaches Band zu zerreißen, es wäre denn künstlich und mit List gemacht, und wenn das ist, komme es nicht an meine Füße. Die Asen versicherten, er würde es ohne große Mühe zerreißen können, denn da er im Stande gewesen sei, so starke Fesseln zu zersprengen, müsse es ihm mit diesem unscheinbaren desto leichter gelingen — und versprachen, wenn er sie nicht zerbrechen könnte, ihn wieder loszumachen. Der Wolf antwortete: Wenn ihr mich bindet und ich nicht durch eigene Macht loskomme, seid ihr wohl übereingekommen, mich lange ohne Hülfe zu lassen. Ungern lasse ich mich in die Fesseln legen, damit ihr mir aber nicht Furcht vorwerfet, so lege einer der eurigen seine Hand in meinen Mund, daß es ohne Falschheit geschehe. 977

Kommentar

Die Asen, als sie das hörten, sahen einander an und waren in Verlegenheit, denn keiner wollte seine Hand aussezen, endlich aber entschloß sich Tyr und legte seine rechte Hand in den Mund des Wolfes. Nachdem der Wolf gefesselt war, strengte er seine Kraft an, sich von den Banden frei zu machen; aber sie zogen sich dadurch nur immer 61 fester zusammen. Alle lachten, außer Tyr, | welcher seine Hand verlor. Als nun die Asen den Wolf unauflöslich gebunden sahen, zogen sie ein Seil, welches an den Fesseln hieng und G e l g i a hieß, durch das Loch eines großen Steins, den sie schon vorher in der Erde befestigt hatten, und, um ihn noch fester zu halten, banden sie ihn noch an einen andern Stein, der noch weit tiefer in die Erde versenkt war. Der Wolf riß hin und her, sperrte seinen Rachen weit auf und wollte sie beißen, sie aber stießen ihm ein Schwerdt senkrecht in denselben, daß das Heft unten die Spize aber oben im Gaumen fest stand. Das Geheul welches er erhob, war fürchterlich, und seitdem läuft unaufhörlich ein Schaum aus seinem Munde, welcher bei den Asen Ufen heißt. Daß Spiegelglanz als Fenrir die Sonne wildSchäumend verschlingen will (zum Schäumen des VNtolfs vgl. das Ende der eben zitierten Passage), fügt sich in den Kontext der Licht- und Sonnensymbolik der PJ ein (vgl. zu 22,17), widerspricht allerdings der Darstellung bei Majer und Mallet, die G y l f a g i n n i n g , Kap. 12 (vgl. bei Krause S. 25) folgen: Hiernach sind die Wölfe, die bei der Ragnarök Sonne und Mond verschlingen, Skoll und Hati; der Fenriswolf frißt vielmehr den Göttervater Odin. Mallet erwähnt allerdings bei der Beschreibung der neuen Welt nach der Ragnarök auf S. 237f. seines Buchs auch beiläufig den

abweichenden Mythos, wonach S ü n n a

(le s o l e i l ) (est) devore par le

loup F e n r i s , was letztlich zurückgeht auf das Wafthrudnirlied in der Lieder-Edda, Str. 46f.: O d i n : »(...) wie kommt eine Sonne / an den klaren Himmel, / wenn diese Fenrir erfaßt?« // W a f t h r u d n i r : »Eine Tochter / hat die Tagesleuchte, / eh sie Fenrir erfaßt (...)« (Die Edda. Götterdichtung, Spruchweisheit und Heldengesänge der Germanen. Übertragen von Felix Genzmer. Köln

5

1984, S. 41; Str. 47 wird auch in G y l f a g i n n i n g ,

Kap. 53 zitiert; vgl. bei Krause S. 79). Auf diese Version des Mythos bezieht sich schon Arnims Darstellung

im Konzept zu einem Brief an Brentano vom

4./5. April 1803: (...) ehe der Wolf Fenris die alte Sonne verschlungen (die alte Zeit,) hat sie eine schönere Tochter erzeugt mit hellerem A n g e s i c h t e ( d i e n e u e Z e i t ) (WAA31, Nr. 290.K, z. 48-50), die in fast gleichem Wortlaut auch in den E r z ä h l u n g e n v o n S c h a u s p i e l e n begegnet (Werke 6, S. 163, z. 32-34; dort allerdings - aufgrund eines Lesefehlers? - N o m e

statt Sonne). Vgl. auch die Notiz zur Edda (Das Ziel aller Mythen) (WAA 4) 978

Erläuterungen zu F2, Kapitel 111,7 mit den Versen zur Ragnarök: Der Wolf erwacht mit lautem Heulen, / Verkündigt er daß er die Welt will theilen. Im Dramenplan Der Schulmeister der Falisker (GSA 03|228) wird der Fenriswolf mit dem Romulusmythos in Verbindung gebracht, auf den Arnim in der PJ 19,23 anspielt: (...) der Schulmeister verlangte, die Knaben sollten von Romulus singen von den die Wölfin gesäugt, der andre singt aber vom Wolf Fenris, der alles verschlingt. - Formal ist die Rede des Spiegelglanz an den alten Glauben seines Vaterlandes angelehnt durch lockere Nachahmung des germanischen Stabreims, wie Arnim ihn in der Edition des Hildebrandslieds durch die Brüder Grimm kennengelernt hatte (Hildebrand und Hadubrand. Kassel 1812; vgl. das Exemplar in Arnims Bibliothek mit der eingeklebten Widmung Unserm lieben Freund Arnim, Sign. Β 879), die die Brüder ihm am 26. September 1812 angekündigt hatten. Vgl. dazu EZ2, den am 24. Dezember 1812 abgeschlossenen Brief an die Brüder: In meiner Päpstin spricht der Teufel Asmodi aus einem in alliterirenden Versen und Reimen, die ganz grimmig klingen. Arnim betont in der Hs. die Alliteration, die er mit Endreimen kombiniert, durch Majuskeln der stabenden Wörter (die er nach Ausweis der Varianten z.T. erst nachträglich hinzufügte); auch dies offenbar nach dem Vorbild der Brüder Grimm, die in ihrer Edition, wie Jacob in einem Brief an Arnim vom 26. September 1812 berichtete, die Alliteration in alle Exemplare mit Zinnober hinzumahlen ließen. Bettina von Arnim hat in ihrer Überarbeitung für den Druck dieses Prinzip (wie auch die Anspielung auf den Mythos von der Fesselung des Fenriswolfs) nicht erkannt, jedenfalls nicht übernommen; ihre über Arnims Text geklebte Neufassung einiger Verse enthält keine Alliterationen. 182,35 aus Sehnen der Todten] Ein Bestandteil der Zauberfessel Gleipner sind die Sehnen eines Bären (vgl. oben den Quellenabdruck nach Majer 1804); vgl. auch Fenrirs Vater Loki, der bis zur Ragnarök mit den Eingeweiden eines seiner Söhne gefesselt wird (vgl. bei Mallet S. 224 nach Gylfaginning, Kap. 50). 183,7 L i t a n e i ] Wechselgebet der christlichen Liturgie. 183,21 so Wahr] Bekräftigungsformel. 183,26 Asmodi] Vgl. zu 156,18. Zur Antwort des Dämons nach der dritten Beschwörung vgl. zu 178,14. 183,29 Spötter] Traditionelle Charakterisierung des Satans, die zumal Goethes Schalk (Faust I, v. 339) Mephisto prägt. 183,32-33 Nicht früher (...) sich v o m Leib] In TF1 (vgl. Textteil B) und nach Ausweis der Varianten zunächst auch in der vorliegenden Fassung stand hier, der Tradition und Schernbergs Juttenspiel folgend (vgl. Komm. 1.2), die Pro-

979

Kommentar phezeiung der Geburt von Johannas Kind (vgl. Entstehung 3.2.1.3; vgl. auch 197,30-31 und Erl.). 184.3 E h waschen wir wohl rein den schwärzesten Mohren] Dieser in Deutschland seit 1649 belegte sprichwörtliche Unmöglichkeitstopos (Wander 3, Sp. 693, Nr. 18 und folgende Varianten; Röhrich 3, S. 1040f.) ersetzt einen weiteren Bezug auf die ursprünglich vorgesehene Geburt von Johannas Kind in einer älteren Textstufe (vgl. Varianten). 184.4 Lügengeist] Nach Jh 8,44; vgl. Faust I, v. 1334. 184.5 zeugen] Zeugnis ablegen; nämlich durch seine Austreibung. 184.7 heiigen Schein] Dem Sprecher nicht bewußter ironischer Hinweis auf Johannas nur scheinbare Heiligkeit durch ein Wortspiel mit >Heiligenscheinihn erweicht« (vgl. Wander 2, Sp. 617, Nr. *399). 184,25 der Kirche der heiligen Apostel Petrus u n d Paulus] Hier wird der Petersdom, in dem Petrus und seine Nachfolger im Papstamt bestattet sind, anscheinend irrtümlich mit S. Paolo fuori le mura (St. Paul vor den Mauern) gleichgesetzt, der zweiten Patriarchalbasilika, die über der Grabstätte des Hl. Paulus errichtet wurde. 184,28-29 ohne zu wissen, was er nachsprach] Im Sinne von Lk 23,34 (Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun!) wird hier schon Johannas spätere Entsühnung vorbereitet. 184,30 Seelenmesse] Requiem; Meßfeier für die Seelen der Verstorbenen. 184.32 Pallast] Der noch aus röm. Zeit stammende Lateran; seit Konstantin dem Großen (4. Jh.) Wohnung der Päpste. 184.33 Mitternacht] Traditionell die Stunde der Teufel und bösen Geister; vgl. 252,20 und Erl. Die nun folgende Szene geht auf den Schluß der frühesten Skizze zur PJ zurück, die Hochzeit der Päpstin mit dem als Gelehrten getarnten Teufel (vgl. u. Johannas Worte D u bist ein Teufel!; vgl. Paralipomena 1.1 und Entstehung 1). 185.8 gängelt im Buchstaben] buchstäblich befolgt bzw. befolgen laßt. 185.10 errathen] durchschauen. 185,17 Krampfe] Das vermeintliche Festbannen o. in III,6. 185,23 erstarren] Der transitive Gebrauch ist selten, aber z.B. bei Klinger belegt (DWb 3, Sp. 996). 185,25 L e r m e n ] Vgl. zu 180,15.

980

Erläuterungen zu F2, Kapitel IV, 1 185,28 vergeben] vergiftet (DWb 25, Sp. 386f.). 185,30 Ihr seyd der Lohn für alle meine Mühe] Vgl. die entsprechenden Erwartungen des Spiegelglanz bei seinem Angriff auf Johanna in lll,6 (178,3-4); vgl. auch zu 135,10. 185,34 I c h erndte, was der Spiegelglanz gesät] Vgl. Wanderl, Sp. 846, Nr. *8: »Er erntet, wo er nicht gesäet hat.« 185,37 Genösse] Ludwig/Stephania. 186,6 Herz von Eis] Topos; vgl. Manfred Frank, Das Motiv des »kalten Herzens« in der romantisch-symbolistischen Dichtung. In: Euphorion71, 1977, S. 383-405. Der Kontrast zur heissen Brust verweist auch auf die Motivik des Demophonmärchens am Ende der I. Periode. 186.9 N i m m hin den Becher] Blasphemische Parodie der Abendmahlsformel (Mt 26,27 und Parallelstellen). 186,12 über dir] D.h. indem er dich benutzt. 187.3 stiege auf den Nacken] Vgl. die Redensart >einem auf dem Nacken liegen (sitzen)< für >einen mit seiner Gegenwart belästigen (Wander 3, Sp. 854, Nr. *5). 187.10 der geheimnißvolle Becher] Offenbar sollte es sich hier schon, abweichend von der früheren Fassung der Szene (vgl. F1 in Textteil B), um den zweiten Becher des Bacchus handeln, aus dem Johanna dann tatsächlich erst in IV,3 trinkt (vgl. Komm. 3.3). 187.11 Trabanten] Angehörige der 182,10 als Leibwache erwähnten Schweizergarde des Papstes.

IV. Periode 1. Kapitel 189.4 verguldete] vergoldete; vgl. 73,17 und Erl. 189,6 Gottrausch] Arnimscher Neologismus zur Bezeichnung von Johannas Göttlichkeitswahn. Vgl. zu 178,39-179,1. 189,18 einer Bösen] Die hist. Marozia, die bei Arnim Raphaels Stiefmutter ist; vgl. Komm. 2. 189,25 Hochgelehrte] Die Charakterisierung des von seiner Frau unterdrückten Alberich als Gelehrter, die ansonsten in der PJ keine weitere Rolle mehr spielt, ermöglicht eine Parallele zu Reineras Herrschaft über Chrysoloras und gehört in den Kontext der Gelehrtensatire (vgl. Barth 2000, S. 130). In F1 hatte Raphael bereits in der III. Periode über seine Stiefmutter bemerkt: wenn sie nur spricht, / So schweigen alle hochgelehrten Leute (vgl. Textteil B, 414,20-21). 981

Kommentar 189,25 Federn lesen] Hier offenbar im Sinne von >Federn schleißenklassischen< Motive der Melancholie vor: die unerfüllte Liebe. 192,2 ihre Bekanntschaft mit seinem Geheimnisse] In F1 erfährt der Leser am Ende der III. Periode, daß Chrysoloras der Fürstin Johannas wahres Geschlecht enthüllt hat (vgl. Textteil B). 192,14-15 Sie ist gemein, doch ist sie genial] Vgl. die ähnlich ambivalenten Charakterisierungen Reineras 219,12 (ein böses hochbegabtes Weib), 230,29 (verwilderter Engel) und 200,12-13 (gemeinen ausserordentlichen Weibe), gemein, das im zeitgenössischen Wortgebrauch >gewöhnlich< bedeutet, hat hier, anders als sonst häufig bei Arnim, eine negative Konnotation; vgl. aber die differenziertere Verwendung des Begriffs bei der Charakterisierung Marozias, 230,6 und Erl. Die durchgehende Bezeichnung der Fürstin als genial (vgl. schon in den Exzerpten aus Creuzers Symbolik und Mythologie [vgl. Komm. 3] die Notiz Die Genialität der Weiber in der Fürstin Venus) ist in Arnims Vokabular durchaus kritisch zu verstehen; vgl. die Eintragung in der Theorie in Fragmenten im Taschenbuch FDH Β 44 über verdorbene Frauen: Ob wir sie genial nennen oder böse, es kommt auf eins heraus. Überhaupt steht Arnim dem zur Goethezeit modischen Genialitätsbegriff ausgesprochen kritisch gegenüber, da er darin ausufernde Subjektivität erblickt; vgl. die Sammelrezension zu den Romanen Ernst Wagners von 1809: Aber mit dem Genialen hat es noch eine eigne Bewandnis. Der Verf. äußert mehrmals seine Achtung dagegen (...), wir aber in unserm Erfahrungskreise müssen geradezu bekennen, daß wir es für den Teufel halten, oder für eine Art Schärfe, oder für eine ansteckende Krankheit, die gleich jeder dem andern ablernt, so wie einer darauf verfällt. Bei allen von uns sezierten Genies fanden wir immer wie bei jenem berühmten Springer, daß eine Verwachsung diese außerordentliche Erhebung möglich machte, und daß sie dafür in tausend andern Sprüngen hinter dem gewöhnlichsten Menschen zurückbleiben mußten; auch war bis jetzt noch kein großer Mann ein Genie. Diese fünfzig Genies in einem 983

Kommentar

Hause (Anspielung auf ein Werk Wagners) sprengen sich in die Luft, wenn nicht ein höherer Geist, etwa eine religiöse Disziplin sie bändigt, und wo ist diese in unsrer Zeit zu finden? (Werke 6, S. 274). Ähnlich schon im Brief an Bettina Brentano aus Heidelberg vom 27. September 1808: (...) alles, was der Pöbel Genialität nennt, heist bei mir der Teufel; ich ehre alle Eigentümlichkeit, aber ich bin ein Fels gegen jede, die sich über die Welt als ein Gesetz ausbreitet. Selbst die nach Bettina Brentano gezeichnete Geniale im Wintergarten ruft aus: Schweigen sie von Genialität, (...) der Ausdruck ist ganz leer, denn er paßt nicht mehr in die Zeit (Werke 3, S. 299). Bereits in den frühen Taschenbuchnotizen zur PJ heißt es mit deutlich negativem Akzent, daß Spiegelglanz seiner Schülerin die Genialität einzwingt; in den ersten Skizzen zur Romhandlung wird Johanna der Vorwurf der Kunstgenialität gemacht (vgl. Paralipomena 1.3). Vgl. Ricklefs 1990a, S. 114. 192,17 Aufgeb(e)n] D.h. Aufgeben, Verneinung des Lebens.

192,20 abhärmenden] sich abquälenden. 192,22

ü b e r s e h e ] Kann hier sowohl >durchschaue< als auch >nicht beachte
sich zunutze machen(Päpstlicher) Rat< (vgl. 190,22 und Erl.) und >(Tret-)Radmit Gewalt erzwungene

200,8-9 er hatte aber an der Fürstin seine Hölle auf Erden gefunden] Vgl. Wander 2, Sp. 746, Nr. *89. Dieses Motiv gemahnt an den Schwankkreis vom Teufel als Ehemann (»Belfagor«, AaTh 1164; vgl. Elfriede Moser-Rath / Regina Wolf in EM 2, Sp. 80-86; Barth 1993, S. 29f. und 145f.). Nach den Skizzen sollte Chrysoloras ursprünglich die Fürstin tatsächlich heiraten (vgl. Paralipomena 1.3).

988

Erläuterungen zu F2, Kapitel IV,3 200,12-13 gemeinen ausserordentlichen Weibe] Vgl. 192,14-15 und Erl. 200,20 putzte] striegelte (DWb 13, Sp. 2283). 200,25 markten und dingen] handeln, feilschen (DWb 12, Sp. 1651 und 2, Sp. 1172). 200,36 abgesagter] D.h. er erklärte sich offen dagegen (DWb 1, Sp. 47). 200,39 derb grob gegen alle] Vgl. den Ritter Kunz in der burlesken Vorfassung des Frühlingsspiels (Paralipomena 2.3). 201,9-10 eine lebenvertreibende unterwerffende Gewohnheit] Vgl. die religionsgeschichtliche Erörterung zu Beginn von III,5, wonach zu den Zeiten des Johannes die fortbildende Phantasie gänzlich dem Bestehenden unterworfen werden sollte. 201,12 übersieht] überblickt. 201,25-26 bestieg auch ein Pferd] Der hist. Johannes XII. soll nach Löscher 1705, S. 78 an Helm und Waffen seine Lust gehabt haben; er zog selbst mit in die Schlacht (vgl. Komm. 2), was in TF1 noch aufgenommen ist; in der vorliegenden Fassung sind Johannas ritterliche Übungen hingegen ein blindes Motiv. 201,29 Tyostiren] Vgl. 196,1 und Erl. 201.33 die zwölf grossen Götter] Nach gr. Vorbild wurden die wichtigsten Götter bei den Römern in zwölf »Consentes Dei« (sechs männliche und sechs weibliche) zusammengefaßt. Vgl. Schatz 1744, S. 3f.: Es wurden aber die Götter von den Römern überhaupt in zwey Classes eingetheilet: in dem sie einige Deos maiorum Gentium, die übrigen aber Deos minorum Gentium nanten. Von der ersten Art waren 20., unter welchen die 12. ersten Consentes, die 8. übrigen aber Selecti genennet wurden. (...) Die Neimen derselben hat Ennius in nachstehenden beyden Versen angezeiget: / Juno, Vesta, Minerva, Ceres, Diana, Venus, Mars, / Mercurius, Jovi, Neptunus, Vulcanus, Apollo. 201.34 zwölf Karlshelden] Roland und die übrigen sagenhaften Paladine Karls des Großen. 201.36 Buhurt] Vgl. 198,29 und Erl. 201.37 Ausschreiben] Öffentliche Bekanntmachung (DWb1, Sp. 960). 201.38 goldne Rose] In TF1 ist deutlicher, daß dies eine Aitiologie für die vielen unerklärliche Gabe einer goldnen Rose, die zu gewissen Zeiten vom Papst verschenkt wurde, darstellt (vgl. Textteil B). Dieser Brauch ist seit dem 11. Jh. belegt; während früher ausgezeichnete Persönlichkeiten aller Art die Goldrose (tatsächlich »ein Rosenbund, in dessen größter Blüte in der Mitte Balsam und Moschus enthalten sind«) erhalten konnten, wurde sie seit dem späten 18. Jh. nur noch an weibliche kath. Staatsoberhäupter (daneben auch an Kirchen und Heiligtümer) verliehen (Vatikanlexikon, S. 660).

989

Kommentar 202,1 Umgängen] Prozessionen (DWb23, Sp. 890). 202,4 Castor und Pollux] Die unzertrennlichen Dioskuroi der gr. Mythologie, die als herausragende Kämpfer galten und sich auch bei den Olympischen Spielen auszeichneten, wurden nach einigen Versionen des Mythos als Sterne an den Himmel versetzt (vgl. das nach ihnen benannte Sternbild der Zwillinge). Vgl. Nitsch 1793, S. 728: Sie werden als Jünglinge, allezeit neben einander, und zwar mit Helmen auf den Köpfen, auf deren Spitze ein Stern befindlich ist, gebildet. Ausführlicher Schatz 1744, S. 42: (...) daher sie denn auch als zwey Jünglinge vorgestellet werden, die auf weissen Pferden sitzen und einen Stern auf dem Hut haben: sintemalen man vorgab, dass sie sich in dieser Gestalt manchmal in Feld-Schlachten hätten sehen lassen. Vgl. auch Venus/Reinera in früheren Fassungen der Venusbergszene mit dem Abendstern auf ihrem Haupte (Textteil B, 287,22; 407,13). Die spätere gefährliche Verletzung des Pfalzgrafen im Turnier lehnt sich ebenfalls an den Mythos von Castor und Pollux an, wonach im Kampf Lynceus dem Castor einen Wurfspieß durch die Brust jagte und diesen dadurch tötete (Nitsch 1793, S. 726). Die wesentlichste Parallele zwischen den Dioskuren und dem Paar Johanna und Ludwig ist, daß nach manchen Überlieferungen nicht beide Brüder Söhne des Zeus und der Leda waren, sondern nur Pollux (Polydeukes) vom Göttervater abstammte, Kastor hingegen vom sterblichen Tyndareos; vgl. 261,23-24 und Erl. Nach Creuzer4, S. 279 ließen sich die Dioskuren auch bei den Eleusinien einweihen (vgl. Komm. 3.1). Arnim stilisierte in einem Brief vom 19. August 1803 sich selbst zu Castor und Brentano zu Pollux, was die Grundlage für das Gedicht Kastor und Pollux bildet (Ricklefs Lyr.Reg. Nr. 1312, Werke 5, S. 228, vgl. WAA 31, Nr. 318, z. 133-183). Die Dioskuren waren auch als Figuren für den Polterabend der Mythen vorgesehen (vgl. zu 160,35). 202,6 Wappenröcke] Waffenröcke (in dieser Form auch u. 202,26-27), die über der Rüstung zum Schutz gegen die Witterung getragen wurden und mit dem Wappen des Ritters bestickt waren. 202,11 Schneppern] Chirurgische Werkzeuge für den Aderlaß; abgeleitet von >schnappen< (DWb 15, Sp. 1317). 202.17-18 eine goldne Zeit schien ihm aufgegangen] Eine ähnliche Ironisierung romantischer Vorstellungen vom Goldenen Zeitalter wie in II,4 (vgl. 85,2-3 und Erl.); dort auf das verklärte Bild der Kindheit, hier auf das Mittelalterideal bezogen. 202.18-19 heiligen Georg (...) heiligen Michael] Der wohl nicht hist. Hl. Georg und der Erzengel Michael galten wegen ihrer traditionellen Darstellungen als Drachentöter als Schutzpatrone der Ritter und wurden etwa beim 990

Erläuterungen zu F2, Kapitel IV,3 Ritterschlag gemeinsam angerufen; der Vergleich des Papstes mit Georg mögli-

Geschichte von Italien (vgl. Komm. 2.4). 202,25 ein fremder Ritter] Der unbekannte Ritter, der unerwartet erscheint

cherweise nach Muratoris

und alle Kontrahenten besiegt, ist ein häufiges Märchenmotiv, vgl. etwa den »Goldener«-Typus ( A a T h 3 1 4 , vgl. EM 5, Sp. 1 3 7 2 - 1 3 8 3 ; vgl. K H M 136

Der

Eisenhans, der Arnim jedoch noch unbekannt war). 202,25 in die Schranken] auf den Kampfplatz. 2 0 2 , 2 6 - 2 7 rother W a f f e n r o c k ] Vgl. zu 202,6. Die Teufelsfarbe kennzeichnet die dämonische Besessenheit des vermummten Spiegelglanz.

202,28 verstochen]

>Verstechen< bedeutet im Turnier »stechend verbrauchen

und zerbrechen« ( D W b 2 5 , Sp. 1634f.).

202.28 rannte]

Rennen:

schnelles

Anreiten

auf

den

Gegner

im

Turnier

(DWb 14, Sp. 808f ).

202.29

das

Schild]

Das Neutrum ist neben dem üblicheren Maskulinum ge-

bräuchlich (DWb 15, Sp. 109).

202,29-30

d i e S e i t e ] Möglicherweise ein weiteres Detail, das Johanna mit

Christus paralleiisieren soll (vgl. Jh 19,34); vgl. Komm. 6.3 zur Antichristthematik. 202,34

Gelächter (...) aufgeschlagen]

überlaut gelacht ( D W b 1, Sp. 724).

2 0 2 . 3 6 H a f t ] Spiegelglanz' Verwahrung durch die Mönche; vgl. III,7.

202.37 nichts von sich zu wissen] Vgl. im Tollen Invaliden über Rosalie: sie wußte nichts mehr von sich (Werke 4, S. 45). 203,2 Adam brach das erste Gebot] Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 33. Dieser Text stellt die einzige wörtliche Übernahme aus Schernbergs Juttenspiel in der PJ dar (vgl. Komm. 1.2); bei Schernberg fungiert er als Gebet der Päpstin vor ihrem

Tode (Gottsched 1765, S. 116f. mit der Anmerkung Gottscheds: D i e ß G e b e t h

kann unter Testes veritatis Evangelicae gerechnet werden; Lemmer 1971, S. 65, v. 1 0 1 5 - 1 0 4 4 ; Arnim adaptiert v. 1015-1026):

Adam brach das erste gebot, Das vergabst du ihm lieber Gott, Petrus hat die Seligkeit mit dir, Der dich doch drey mal verleugnet gar schier, Thomas was ein Zweiffeier, Dem vergabestu lieber Herr, Paulus der that manch leid Zuvor in der Christenheit, Und kam doch zu deinen gnaden, On alle seinen schaden, 991

Kommentar

Mattheus der vom Zoll entran, Dem vergabstu Herr one wahn (...) Während Arnim die Beispiele aus der Heilsgeschichte - abgesehen von Adam auf die Apostel beschränkt, folgen bei Schernberg noch Theophilus, Maria Magdalena (die entsprechenden Verse sind in TF1 noch - jedoch sehr eigenwillig adaptiert; vgl. 301,36ff. und Erl.), Zachäus, Longinus und der Schacher am Kreuz. »Sündenklagen« dieser Art sind seit dem 12. Jh. verbreitet; die vorliegende hat eine fast wörtliche Parallele im Künzelsauer Fronleichnamspiel von 1479, was auf eine gemeinsame Quelle schließen läßt (Lemmer1971, S. 117; Haage1891, S. 44). In TF1 (Textteil B) stand das Gebet in der Begegnung der Päpstin mit Spiegelglanz am Ende der III. Periode; einen Anklang gibt es auch in F' in III,8 (vgl. Textteil B, 393,28ff.). Das erste G e b o t bezieht sich doppeldeutig sowohl auf das erste Gebot, das Gott den Menschen je gab (1 Mo2,16f.), als auch auf das erste der zehn Gebote (2 M o 20,3), das Adam mit seinem Versuch, selbst gottgleich zu werden, gebrochen hat. Gott hat Adams Sünde vergeben durch den Opfertod Christi.

203.5 dreymal verleugnet] Mt 26,69-75 und Parallelstellen.

203.6 Thomas war ein Zweifeler] Jh 20,24-29. 203,8-11 Paulus (...) Wegen seiner Waden] Laut Apostelgeschichte (z.B. 8,3) und eigenem Zeugnis (1 Ko 15,9) verfolgte der Apostel Paulus vor seiner Bekehrung die Anhänger des Christentums. Die merkwürdige Anspielung auf die W a d e n des Heiligen markiert hier, wie bereits in TF1, den Umschlag des Textes von einer getreuen Wiedergabe des Schembergschen Gebets in eine groteske Parodie, die dem vom Teufel besessenen Sprecher angemessener ist (vgl. Johannas Reaktion in TF1 [Textteil B], 302,5: loser Spötter). Sofern man in der vorliegenden Stelle mehr sehen will als blasphemischen Nonsens, wäre vielleicht an die zahlreichen Reisen/Fußwanderungen des Apostels zu denken oder auch an die häufige Trope des Wettlaufs in den Paulusbriefen (z.B. 1 Ko 9,24-27; Phl 3,12-14; 2Ti4,7).

203,12-14 Mattheus (...) bestolen und betrogen] Der Apostel und Evangelist Matthäus übte zwar vor seiner Berufung den verachteten Beruf des Zöllners aus (Mt 9,9); die (von Schernberg abweichende) Behauptung aber, daß er auch später Christus um die Hälfte seiner >Einkünfte< betrogen haben soll, stellt wiederum eine satanische Verdrehung dar und kontaminiert den Heiligen mit dem Schaffner Judas, der bei den Synoptikern geizig, bei Johannes ein Dieb ist

(12,6). Vgl. die Vita des Apostels Mathias (!) in der L e g e n d a aurea: Also trug

Judas den Säckel und stahl unserm Herrn, was ihm gegeben ward. (...) Andere sagen, Judas habe immer den zehnten Teil von dem gestohlen, was Christo gegeben ward (...) (Benz 1984, S. 216). 992

Erläuterungen zu F2, Kapitel IV,3 203,18 Samtwaffenrock] Vgl. zu 202,6. 203,20 Herzog Pandulph von Capua] Historisch; vgl. Komm. 2.4. 203,22 Rennen] Vgl. 202,28 und Erl. 203,31 daß er ein häßlicher Mann sey] Möglicherweise Anspielung auf Pandulfs von Muratori überlieferten Beinamen »Eisenkopf«; vgl. Komm. 2.4. 203.33 unbescheidne] Im älteren Sinne: ungebührlich, grob (DWb 24, Sp. 338). 203.34 setzte die Rose (...) auf das närrische Haupt] Vgl. den u. im Zauberfest in V,7 geschilderten ritterlichen Brauch, eine Blume als Preisgeschenk und Zeichen einer Dame auf den Helm zu stecken. 204,5 Lebensvorgänger] Arnimscher Neologismus für den verstorbenen >echten< Chrysoloras; vgl. 136,6 und Erl. 204,7-8 den Bezauberten (...) wohin er verlangt ward] verlangt ward: befohlen wurde; vgl. DWb 25, Sp. 715 mit einem Beleg aus Kabale und Liebe II,4: Er kann dich ans Orchester verlangen. - Aus dem Vorstellungsbereich des Magnetismus (vgl. Komm. 5), vgl. Magnetstein und Turmalin (als Polarisationsinstrument verwendetes Mineral) als Bestandteile der - deutlich ironisierten - Zaubermittel. 204,12 betete] Hier: bat (DWb 1, Sp. 1696). 204,16 er] Der Pfalzgraf. 204,19-20 in das Heiligthum des päpstlichen Pallastes] Zu dem Frauen eigentlich keinen Zutritt haben; vgl. 205,2: Nimmer waren hier noch Frauen. Zu den Anklagepunkten gegen den hist. Johannes XII. gehörte der Vorwurf, er habe unzüchtigen Frauen Zugang zum päpstlichen Palast gewährt und diesen so zu einem Bordell gemacht (vgl. Komm. 2). 204,21-22 einen seltsamen Linderungstrank] Zu ergänzen: für den Pfalzgrafen. Es handelt sich um den zweiten Becher des Bacchus (vgl. Komm. 3.3; vgl. den Rückbezug 251,38), wobei freilich unklar bleibt, wieso Reinera bzw. Chrysoloras wissen können, daß diesen Johanna und nicht Ludwig trinken wird (es sei denn, sie sind über Ludwigs grundsätzliche Abneigung gegen Wein im Bilde; vgl. 206,35 und Erl.). 204,24 Nimm den Korb vom weissen Nacken] Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1158. Vgl. den Entwurf in den Paralipomena 2.4.3. 205,36-206,1 Rauher Männer (...) der Frauen Thränen] Vgl. die Kritik des Minneideals 215,6ff. 206,14 Ortolanen] Ammernart (Emberiza hortulana). 206,20 dreyen hohen Kronen] Anspielung auf die dreifache Papstkrone (Tiara; vgl. zu 182,5), die hier wortspielerisch mit Baumkronen in Verbindung gebracht wird. Impliziert ist wohl eine Kritik an Johannas Papsttum, da der Pfau

993

Kommentar seit dem Spätmittelalter Symbol für die Laster Eitelkeit und Hochmut ist (LCI 3, Sp. 411). Vgl. auch den P f a u e n s c h w e i f , mit dem Ludwig und Raphael in TF1 (Textteil B, 308,12) die Insekten von Johanna abwehren müssen.

206,35 nach seiner Gewohnheit] In F1 bekennt Stephania in der Venusbergszene: Ich trank noch nie einen Tropfen Wein (vgl. Textteil B, 408,28). 206,37-207,1 eingedenk der Süssigkeit (...) nach dem Getrennten] Gemeint ist der erste Becher des Bacchus, den Johanna in III,3 beim Goldschmied getrunken hatte. Im folgenden werden die Wirkungen des zweiten Bechers nach Creuzer in neuplatonischem Vokabular beschrieben; vgl. Komm. 3.3.

207,6 ein wesenloser Schatten] Vgl. 51,9-10 und Erl. 2 0 7 , 8 v o r ü b e r g l e i t e t e ] »neben regelmäszigen starken formen begegnen in der literatur des 18. und 19.jh. wiederholt auch schwache« ( D W b 7 , Sp. 8322).

207,11 Seligkeit des Todes] Ein zentrales Motiv der PJ; vgl. Komm. 3.1, 3.3 und 4.2. In den Skizzen war die Formel noch mit Raphael verbunden (vgl. Paralipomena 1.3); in TF1 wurde sie von Reinera als geheime Lehre der antiken Mysterien eingeführt (vgl. Textteil B, 316,17). Die Formulierung klang ähnlich

schon im Schlußsatz des Frühlingsfestes in II,4 an: Seligkeit ist nur i m T o d e ; vgl. auch 61,12 und Erl. Es handelt sich ursprünglich um ein Zitat aus

Friedrich Creuzers Idee und Probe alter Symbolik, die 1806 im 2. Bd. der von ihm und Carl Daub herausgegebenen S t u d i e n erschien und die spätere

Symbolik und Mythologie der alten Völker vorbereitete (vgl. das Faksimile des Aufsatzes Stuttgart-Bad Cannstatt 1969). Hier führt Creuzer in A n m . 11,

S. 312f. aus: D i e S e l i g k e i t d e s T o d e s war ein Satz der Bacchischen Mysterien, welche in Thrakien vorzüglich blüheten. (...) Im Allgemeinen sah man dieses Urtheil über das Leben als die Ueberlieferung einer längst dahin geschwundenen größeren Vorwelt an. »Es ist so alt, sagt A r i s t o t e l e s , daß niemand weder Zeit seines Ursprungs noch Urheber weiß, sondern seit undenklichen Jahren ist es so fortgepflanzet.« Daher es auch in den ältesten Tempeln von Hellas sich durch manche Beschlüsse der Gottheit kund that. (...) Dieses Urtheil eigneten sich auch viele Philosophen an, (...) so daß der Poet A l e x i s bei A t h e n ä o s es das U r t h e i l der W e i s e n n e n n e t . Ricklefs sieht hier einen werkübergreifenden Topos bei Arnim, der etwa auch Parallelen in A r i e l ' s O f f e n -

barungen und Nelson und Meduse aus dem Wintergarten hat (Ricklefs 1990a, S. 99). Im Volksliederaufsatz spricht Arnim im Kontext einer politi-

schen Kritik an Deutschland von einer dt. Sehnsucht nach dem Tode, an sich selbst Tod, der mit seinem Knochenarm dem Lebenden eine Fallgrube g r ä b t (Wh 1435). Zur konkreten Situation an der vorliegenden Stelle vgl. die früheren nächtlichen Szenen, in denen Johanna dem Selbstmord nahe war (ll,4

994

Erläuterungen zu F2, Kapitel IV,3 und 111,4); vgl. auch 262,8-9 und Erl. In TF2 (Textteil B) deutete die Situation auf den Tod des Pfalzgrafen voraus; in TF3 korrespondierte sie der Adaption der zentralen Szene des Märchens von Amor und Psyche im Mysterienkapitel IV,4 (vgl. Textteil B, 328,1 ff. und Erl.); vgl. auch zu 161,9 sowie 221,8 und Erl. 207,15 W i e d e r s c h e i n des T o d e s ] Vgl. den antiken Topos vom Schlaf als Bruder des Todes. 207,23 E r d b e b e n s ] In Schembergs Juttenspiel (vgl. Komm. 1.2) eins der Zeichen, mit denen Gott die Stadt Rom für Juttas Entweihung des Papstamtes straft (Gottsched 1765, S. 125; Lemmer1971, S. 74, v. 1294); Erdbeben während Johannas Pontifikat werden auch in der H i s t o i r e d e la P a p e s s e J e a n n e mehrfach erwähnt. In Arnims (wie in Goethes) Werken sind Erdbeben häufig Revolutionsmetaphern, so etwa in M a r i n o C a b o g a aus dem W i n t e r g a r t e n (vgl. Fischer 1983, S. 226); zur vorliegenden Stelle ist aber wohl eher das Erdbeben als göttliche Fügung am Ende von H a l l e u n d J e r u s a l e m zu vergleichen. Gemeinsam mit der folgenden Erscheinung der toten Päpste verweist die Naturkatastrophe auch auf die Zeichen bei Christi Tod (Mt 27,51-53). Zu Beginn des anschließenden Kap. IV,4 wird angedeutet, daß beides nur eine warnende Vision der mit seherischen Gaben ausgestatteten Johanna ist (vgl. Komm. 5 zum Magnetismusthema). 207,23 b o r s t e n ] Seltenere Form für >barsten< (DWb 1, Sp. 1527). 207.27 K a p e l l e ] »Cappella Papale«, früher Palastkapelle, bezeichnet eigentlich die seit dem 14. Jh. üblichen Meßfeiern im Vatikanpalast, die der Papst selbst zelebrierte; zu diesem Zweck wurden im 15. Jh. die Sixtinische Kapelle und im 16. Jh. die Cappella Paolina errichtet (Vatikanlexikon, S. 109f.). 207.28 e r s a h d i e P ä p s t e alle] Vgl. den schon bei Gregor von Tours (6. Jh.) belegten Sagentyp von der Geistermesse (z.B. DS175; vgl. HdA3, Sp. 536ff.). Nach Ausweis der Varianten sollte die Messe ursprünglich durch den ersten Papst, den heiligen Petrus, zelebriert werden. Vgl. auch die Deutung des Spuks als böses Omen 208,30 und Erl. 207.30-31 Veni creator

spiritus]

Lat.: Komm, Schöpfer Geist. Dem Hrabanus

Maurus zugeschriebenes Pfingstlied aus dem 9. Jh. 207.31-32 Hoc corpus

est et hie est sanguis

meus]

Lat. Konsekrationsfor-

meln der kath. Meßliturgie nach Mt 26,26-28 bzw. Parallelstellen: Dies ist mein Leib, und dies ist mein Blut. 207.32 das Heiligste] Das Allerheiligste, die Hostie. 207.33 Benedictus

praesens

deus sis, ades nobis]

Lat.: Gelobt seist du, ge-

genwärtiger Gott, du bist bei uns. - Herkunft nicht ermittelt. 207,33 er] Johannes.

995

Kommentar 207.37 b l u t i g e r v e r s t ü m m e l t e r K r i e g e r ] Als Warnung vor dem auf die Bitten des Pfalzgrafen von Johanna angeordneten Feldzug. Vgl. das G e d a n k e n c h o r aus gespenstischen Kriegern im Fragment F r i e d r i c h s J u g e n d (Werke 3, S. 61). In TF2 sollten sich die mahnenden Geistererscheinungen nach dem Tod des Pfalzgrafen wiederholen (vgl. Textteil B). 2 0 7 . 3 8 d e m H e r r n der Welt] Kann sich sowohl auf den Papst als auch auf Gott beziehen. 208.1 D e r L e i c h t s i n n zu d e n W a f f e n r u f t ] Vgl. zu 179,7. Auch hier ist sicher eine Kritik an den Feldzügen Napoleons mitimpliziert; vgl. im Gedicht A h n d u n g e n v. 11 f.: A c h , z u d e i n e s W a h n s i n n s B a h n e n / W i l l s t d u g r o ß e V ö l k e r z w i n g e n ! (Werke 5, S. 858). Arnims Einstellung gegenüber Krieg und Soldatentum war ambivalent; im Brief an Bettina Brentano vom 14. Juli 1809 nennt er den Krieg etwa eine g e m e i n e M e n s c h e n s c h l ä c h t e r e i . Vgl. den von Heinz Härtl wiederentdeckten Aufsatz Josef Körners zu diesem Thema: Heinz Härtl, Zu Kafkas Briefen an Josef Körner über Arnim. Mit Körners Artikel »Achim v. Arnim und der Krieg« als Anhang. In: Brücken nach Prag. Deutschsprachige

Literatur im kulturellen

Kontext der Donaumonarchie

und

der

Tschechoslowakei. Festschrift für Kurt Krolop zum 70. Geburtstag. Hg. von Klaas-Hinrich Ehlers, Steffen Höhne, Vaclav Maidl, Marek Nekula. Frankfurt/M. u.a. 2000, S. 321-346. Vgl. u. in IV,5 Johannas Vision von Tod und Teufel als Begleitern des Kriegszugs sowie in TF3 ihre Überzeugung, der Krieg sei die Q u e l l e a l l e r S c h l e c h t i g k e i t u n t e r d e n M e n s c h e n (Textteil B, 335,25-26). 208.2 S t u r m ] Im militärischen Sinne: Krieg; im folgenden Vers wortspielerisch mit der meteorologischen Bedeutung assoziiert. 2 0 8 , 8 U n d h a t d i e W e l t z e r r i s s e n ] Auch der satanisch inspirierte Krieger Francoeur im T o l l e n I n v a l i d e n will d i e W e l t z e r r e i ß e n (Werke 4, S. 44). Vgl. 155,4-5 und Erl. sowie 275,17: W i r d z u F u n k e n d i e E r d e z e r s c h l a g e n , (...) Zertrit die Welt. 4. Kapitel 2 0 8 , 2 8 n i e m a n d h a t t e e t w a s d a v o n w a h r g e n o m m e n ] Die durch das Erdbeben g e s t ö r t e M e n g e in IV,3 war demnach Teil von Johannas TraumA/ision. 2 0 8 , 3 0 w a s i m m e r d e n n a h e n T o d e i n e s P a p s t e s v e r k ü n d e ] Nach der Sage wird der Tod - speziell hochgestellter - Geistlicher oft durch übernatürliche Vorzeichen angekündigt (HdA 8, Sp. 993-1010; vgl. z.B. DS 262-264). 2 0 8 , 3 5 - 3 7 e r h a b e s e i n e g e l i e b t e S t e p h a n i a (...) b e y m W e i n e u m g e b r a c h t ] Nach den ersten Skizzen zur Romhandlung sollte das Gerücht behaupten, Stephania sei i n W e h e n g e s t o r b e n (vgl. Paralipomena 1.3), was dem Ende der Geliebten Stephana des hist. Papstes Johannes XII. entspricht. Vgl. Komm. 2.

996

Erläuterungen zu F2, Kapitel IV,4 209,7 ein Mährchen] Vgl. Komm. 6.1 zum Fischermärchen sowie die andere Version des Stoffes o. in l,5. 209.9 sey geschickt] Hier: sei aufmerksam, hör zu (vgl. DWb 5, Sp. 3880f.). 209.10 geglückt] Hier neutral: erging. 209,14 Hüttchen] Im Februar 1813 übte Arnim im Fragment eines Briefes an Jacob Grimm Kritik an dem zotenhaften Ausdruck Pißpott i m Fischer, der noch obenein darin ganz müssig denn eine H ü t t e macht es viel verständlicher {...). 209,27 Gold] Vgl. die prächtige Kleidung Reineras in der früheren Fassung der Venusbergszene (vgl. F1, Textteil B, 408,5 und Erl.). 209,29 Remora] Barschfisch aus der Familie der Schiffshalter (Echeneidae). Arnim wurde offenbar durch die Ähnlichkeit der lat. Bezeichnung, die wörtlich >Verzögerung< bedeutet, mit dem Namen >Reinera< dazu angeregt, die röm. Sage über dieses Tier mit dem Fischermärchen zu kontaminieren; sowohl SW19, S. 358 als auch Ricklefs 1990b, S. 426 (bei der Transkription der älteren Fassung der Passage in TF1) lesen fälschlich »Reinera« statt Remora. Arnim verdankt die in der Naturgeschichte des älteren Plinius überlieferte Sage vmtl. der Mitteilung im 12. Kap. des 2. Buchs von Michel de Montaignes Essais (1580), die auch anderweitig als Quelle für die PJ zu identifizieren sind (vgl. zu 393,16-17): Plusieurs tiennent qu'en cette grande et derniere battaille navale qu'Antonius perdit contre Auguste, sa galere capitainesse f u t arrestee au milieu de sa course, par ce petit poisson que les Latins n o m m e n t R e m o r a , a cause de cette sienne propriete d'arrester toute sorte de vaisseaux ausquels il s'attache. Et l'Empereur Calligula vogant avec une grande flotte en la coste de la Romanie, sa seule galere f u t arrestee tout court par ce mesme poisson, lequel il fist prendre attache comme il estoit au bas de son vaisseau, tout despit dequoy u n si petit animal pouvoit forcer et la m e r et les vents et la violence de tous ses avirons, pour estre seulement attache par le bee a sa galere (car e'est u n poisson a coquille); et s'estonna encore, non sans grande raison, de ce que, luy estant apporte dans le bateau, il n'avoit plus cette force qu'il avoit au dehors (CEuvres completes de Michel de Montaigne. Les Essais III. Hg. von A. Armaingaud. Paris 1925, S. 326f ). (Dt. Übersetzung von Hans Stilett: »So behaupten manche, daß während der letzten großen Seeschlacht, die Antonius gegen Augustus verlor, seine Admiralsgaleere in voller Fahrt von jenem kleinen Fisch gehemmt wurde, den die Lateiner remora [also S c h i f f s h a l t e r ] nennen, eben weil er über die Eigenschaft verfügt, Schiffen jeder Art, denen er sich anheftet. Halt zu gebieten. Und auch dem Kaiser Caligula wurde, als er mit einer großen Flotte an der Küste Rumäniens entlangsegelte, die eigne Galeere

997

Kommentar durch diesen Fisch plötzlich zum Stillstand gebracht; er ließ ihn daraufhin vom Kiel des Schiffs, an dem er sich festgesetzt hatte, abkratzen und zeigte sich äußerst verärgert, daß es ein so kleines Tier war, das der Macht des Meeres, der Winde und all seiner Ruder Trotz zu bieten vermochte, indem es sich einfach mit dem Kopf an seiner Galeere festsaugte; und verständlicherweise erstaunte er noch mehr darüber, daß es, als man es ihm ins Innere des Schiffs brachte, nicht mehr über die Kraft verfügte, die es draußen im Wasser bewiesen hatte.« Michel de Montaigne, Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett. Frankfurt/M. 1998. Genehmigte Taschenbuchausgabe (München) 2000. 2. Bd., S. 211.) 209,34 Denn da regiert unser Herr Jesu Christ] Vgl. das Gedicht W i e die Götter zu Menschen wurden im Weihnachtsbrief an Brentano von 1803 (WAA31, Nr. 327, z. 943-1033; Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1039), in dessen S.Strophe (v. 9-12) ein Christusbild als Schutz vor der dämonischen Gewalt des Meeres dient. 210.3 Laß mich leben] Formelhaft in Volkserzählungen und -liedern; vgl. z.B. Wh II 232, KHM60, 97, 141 und DS440, 579. 210,18 Angelhaken] Vgl. den Schluß der früheren Erzählung des Fischermärchens in l,5, wo der Fischer und seine Frau umkommen, weil die Angel gerissen ist. 210,24 Wipfel(n)] »poetisch anstelle des sonst gebräuchlichen g i p f e l « (DWb 30, Sp. 507); vgl. 132,16 und Erl. 210,26 wilden Jägers] Der sagenhafte Anführer des Geisterumzugs der Wilden Jagd, hier mit dem Teufel identifiziert. 210,26 umgangen] Hier: umzingelt. 210,32 Dreyfuß] Sitz der Pythia im Orakel zu Delphi über einer Erdspalte, deren Dämpfe sie in Trance versetzten (von Schubert 1808, S. 96 als künstlicher Wahnsinn beschrieben). Vgl. die Notiz im Taschenbuch FDH Β 69: (...) die Pythia muste hungern und gewaltsam in die dunkle Tempelnacht auf den Dreyfuß gesezt werden um zu profezeihen. Zur hier beginnenden zentralen Eleusinienszene mit der Verarbeitung des Ceres/Proserpina-Mythos vgl. Komm. 3.1. 211.4 Ehre] Ehrfurcht. 211,8 weiblichen Mantel] Zum Initiationsritus der Mysterien gehörte nach Creuzer4, S. 571 das Anziehen eines neuen Kleides (ebenso Meiners 1776, S. 282f.). 211,11 Stiers] Auch die Darstellung der »Taurobolien« folgt Creuzers Schilderung der Eleusinien und findet sich bereits in Arnims Exzerpten aus seinem Werk; vgl. Komm. 3.1. Daß dieser Ritus in Johanna den durch den zweiten

998

Erläuterungen zu F2, Kapitel IV,4 Bacchusbecher geweckten Abscheu gegen das Leben erneuert (vgl. das Ende von IV,3; vgl. Komm. 3.3), entspricht Creuzers Deutung, der Stier sei in den Cerealischen Religionen ein Bild der Zeugung u n d des materiellen Lebens überhaupt (Creuzer4, S. 370f.). Vgl. auch in Textteil B, 326,30 die frühere Fassung dieser Szene in TF3 und Erl. 211.27 zierliche] schöne. 211.28 Reihentanz] Reigentanz; hier in der engeren wörtlichen Bedeutung, vgl. >Ringelreihen< (so auch in den Kronenwächtern, Werke 2, S. 159; vgl. DWb 14, Sp. 655f.). Vorbild für dieses Motiv ist offenbar Creuzers Darstellung der Thesmophorien (vgl. Komm. 3.1): Auch eines T a n z e s müssen wir hier gedenken. Aristophanes (...) lässt seine Thesmophoriazusen sich bei den H ä n d e n anfassen, u n d i m Kreise einen Reigen a u f f ü h r e n , auch dazu die Flöte nach der Persischen Weise blasen (Creuzer4, S. 51 If.; zur großen Bedeutung des Tanzes in allen Mysterien vgl. ebd. S. 538). Vgl. auch zu 37,20. 211,30-31 ein bärtiger M a n n auf schwarzem Wagen] Der Unterweltherrscher Hades/Pluto, der Proserpina, deren Rolle Johanna hier spielt, in sein Reich entführt; vgl. Komm. 3.1. 212.4 unbestimmter] undeutlicher. 212.5 Schatten] Antike Bezeichnung für die Seelen in der Unterwelt; wie 207.6 deutlich wurde, entspricht die Auffassung ihrer Mitmenschen als wesenlose Schatten zudem Johannas aktuellem Gemütszustand unter dem Einfluß des zweiten Bacchusbechers. 212,6 Flusse (...) Greise] Der als alter, doch kräftiger Mann vorgestellte Fährmann Charon bringt die Seelen der Toten in einem Kahn über den Unterweltsfluß Acheron. Die vorliegende Stelle erinnert besonders an v. 295ff. im 6. Buch von Vergils Aeneis, das den Unterweltbesuch des Aeneas schildert; vgl. dort vor allem v. 305: hue omnis turba ad ripas effusa ruebat. 212,8 eine Halle voll feuriger Erscheinungen u n d seltsamer Qualen] Der Tartarus, der Strafort der Verdammten in der antiken Unterwelt, in dem auch Ixion büßt (vgl. in F1, Textteil Β zu 416,11). 212.29 Er k a n n der Jugend holde Zeit erneuen] Hier spricht nicht nur >CeresWild< (DWb 6, Sp. 5805). Vgl. Goe-

thes Gedicht Jägers Nachtlied (1776; später Jägers Abendlied). 232,31-32 alte römische H e l d e n (...) Leichensteinen] Die Via Appia wird in der Nähe Roms von zahlreichen altröm. Grabmälern gesäumt. Zu Johannas seherischen Fähigkeiten vgl. Komm. 5. Im vorliegenden Kapitel ist ein auch sonst in zeitgenössischer Literatur belegtes parapsychologisches Phänomen geschildert; Arnim referiert etwa in seiner 1808 entstandenen Rezension Ü b e r J u n g s G e i -

sterkunde aus diesem Werk den Glauben an Auferstehungskeime, solche Lichtgestalten, die sich auf Gräbern zeigen (Werke 6, S. 543). Vgl. JungStilling 1808, § 171, S. 203f.: Ich weiß gewiß, (...) daß es Menschen giebt,

deren Ahnungs-Vermögen, in Ansehung des Gesichtsorgans so entwikkelt ist, daß sie menschenähnliche Dunstfiguren, bey Tage seltener, vorzüglich aber des Nachts, über den Gräbern sehen. I c h v e r m u t h e daß d i e s e s , der durch k e i n e p h y s i s c h e N a t u r k r a f t zerstörbare

Auferstehungskeim

i s t . Vgl. auch die sechzehnte der

N a c h t w a c h e n von Bonaventura (1805): I c h betrete diese Orte (Friedhöfe)

nicht gern, denn ich habe einen wunderbaren Sinn mit auf die Welt gebracht, und erblicke wider meinen Willen auf Gräbern die darunterliegenden Toten mehr oder minder deutlich, nach den Graden ihrer Verwesung (Bonaventura 1986, S. 138). 232,33-34 in den Gewässern (...) andre zu i h m ] Nymphen als Fluß- und Baumgeister; die g r ü n e n A u g e n kennzeichnen den Wasserdämon

1018

(HdA9,

Erläuterungen zu F2, Kapitel IV,6 Sp. 128). Vgl. Szene 11,1 von

mit ihren grünen Augen

Der Auerhahn,

w o Jutta (!) vom

Flußweib (...)

erzählt und anschließend Juttas Bruder Otto aus

überall sah sie lebendge Wesen, hörte sie in Quellen, die unter grünen Ranken rieselten und in der Bäume Wipfeln ihrer Kindheit berichtet: (...)

(...) (Arnim 1813, S. 54).

232.35 zu seiner Freude] D.h. mit der A b s i c h t , ihn zu erfreuen, was (das alles (...) erfreute ihn nicht). 232.36 Sklavenseelen] Wortspiel, da der Begriff sonst sklavische Seelen

je-

doch nicht gelingt

be-

zeichnet, nicht die Seelen/Geister von Sklaven ( D W b 16, S. 1321).

232.37

M e l a n c h o l i a ] Vgl. Komm. 4.1. Die Szene könnte auf eine graphische

Darstellung des Temperaments zurückgehen, die bislang jedoch nicht ermittelt wurde; im Kreise von spielenden Kindern bzw. Putten erscheint die Melancholie etwa auf den Gemälden von Lukas Cranach, die indes ansonsten der vorliegenden Passage nicht entsprechen (vgl. Klibansky/Panofsky/Saxl 1998, S. 5 3 3 - 5 3 6 und 562-568).

233,4 Spange und Ring]

Vgl. 144,18-19 und Erl. Der Pfalzgraf hatte die

Schmuckstücke 181,11 von Raphael zurückerhalten.

233,16 Nun ade du altes Schloß]

Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1174. Eine Vorform

der 1. Strophe (in Prosaschreibung) im Brief an Bettina Brentano vom 15. November 1808, bezogen auf das Heidelberger Schloß (Werke 5, S. 666f.). In den

Kronenwächtern

mit kleineren Änderungen nach dem Besuch von Schloß Ho-

henstock integriert (Werke 2, S. 274f.).

233,19 Wolkenschloß]

Vgl.

die

Redensart

vom

»Luftschloß«

(Wander 3,

Sp. 251 f.); in der Fassung im Brief an Bettina Brentano entsprechend

Schloß. Vgl. zu 140,10 sowie zu 140,37. 233,22 sich erhellen] leuchten, klar werden. 234,8 Tropfen in dem Meer] Sprichwörtlich;

luftig

vgl. Wander 4, Sp. 1335f., Nr. 9

und Nr. * 3 0 .

6. Kapitel

234,26-27 Martirer, die ihr (...) Haupt unter dem Arme trugen]

Die seit

dem 7. Jh. nachgewiesene gallo-fränkische Legendentradition der Kephalophoren (Kopfträger), die ihr abgeschlagenes Haupt an die gewünschte Begräbnisstätte bringen, wie etwa der Hl. Dionysius (vgl. 32,10 und Erl.). Vgl. LThK 5, Sp. 1399.

234,29 Messer]

Vgl. den »fatalen Gegenstand« in den schauerromantischen

Schicksalsdramen wie Zacharias Werners

24. Februar;

entsprechend sollte ein

Messer im »Anton-Roman« fungieren (Werke 2, S. 455). Zu Johannas Suizidnei-

1019

Kommentar gung vgl. zu 207,11; die vorliegende Stelle bezieht sich explizit auf diese Szene (IV,3). 2 3 4 , 3 2 Z w i e s p a l t ] Vgl. 155,4-5 und Erl. 2 3 4 , 3 3 - 3 4 w ü t h e t e m i t s e i n e n P f e i l e n unter d e n T h i e r e n des W a l d e s ] Eine Parallele zu dem entsprechenden destruktiven Wüten Johannas gegen das Kunstschöne (die antiken Statuen) o. in III,6, auf die dort schon vorausgedeutet wurde (vgl. 175,12 und Erl.). 2 3 5 . 2 H e r b s t ] Traditionell die melancholischste Jahreszeit; vgl. Komm. 4.2. Vgl. o. in IV,4 die dort als heidnisch gekennzeichnete Vorstellung der Abhängigkeit des Menschen von den Jahreszeiten: D a s D e n k e n n i c h t s als Kreisl a u f m i t d e m Jahr. 2 3 5 . 3 S o n n a b e n d ] Die folgende zentrale Szene spielt also an einem Sonntag. Dieser Wochentag ist in den Schlußteilen der PJ mehrfach bedeutsam; an einem Sonntag finden Johannas Hochzeit und das utopische Zauberfest (V,7) statt (vgl. 268,8), und an anderer Stelle wird der Tag mit der Vorstellung des H i m m e l r e i c h auf E r d e n verbunden (vgl. 255,23 und Erl.). Mit der Nennung des Sonntags schließt auch die Dichtung. 2 3 5 , 1 3 - 1 4 ihr U r t e i l stand a n g e s c h l a g e n ] Das H o c h g e r i c h t als Ort der entscheidenden Umkehr Johannas b e y e i n e m K r u c i f i x e ist in Parallele zum biblischen Golgatha gesetzt. Vgl. Mt 27,37: U n d o b e n zu s e i n e n (Christi) H ä u p t e n setzten sie d i e U r s a c h e s e i n e s Todes. Vgl. Komm. 6.3 zur Antichristthematik. 2 3 5 , 1 8 K r u c i f i x e ] Vgl. zu 14,30. Hier ist eine autobiographische Reminiszenz verarbeitet: die Erinnerung an den Abschied von Bettina Brentano am 17. September 1808, der für Arnim »eine tiefgreifende Erfahrung war« (Ricklefs in Werke 5, S. 1405). Vgl. den acht Tage später verfaßten Brief an Bettina Brentano: A c h Gott, w i e t h a t es m i r leid, daß ich vor d e m T h o r e v o n A s c h a f f e n b u r g vor d e m Kreuze n i c h t n i e d e r f a l l e n k o n n t e (...) und vor allem die Poetisierung in der Z u e i g n u n g zum W i n t e r g a r t e n (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 584): D a stand a m W e g e i n Kreuz aus S t e i n g e h a u e n , M i t l e i d i g sah v o m Kreuz e i n G o t t herab, Ich sehnte mich, ihn einzig anzuschauen, Vor i h m zu k n i e e n , w i e der Bettlerknab, D e r m i c h verließ, d e m G o t t e zu vertrauen, D e n n K l o c k e n k l a n g versprach i h m h ö h r e Gab; D a h i e l t d i e W e l t so z w e i f e l n d m i c h g e b u n d e n , Ich w a r n i c h t g e r n e g l e i s n e r i s c h b e f u n d e n . (Werke 2, S. 71 und Werke 5, S. 661; v. 17-24.) 1020

Erläuterungen zu F2, Kapitel IV,6

235.23 Wiedergeburt]

Die Peripetie der Dichtung, die diese Bedeutung erst

in F1 erhält (vgl. Entstehung 3.2.1.5), ist, wie die Verwendung des »vielleicht bekanntesten pietistischen Terminus« (Langen 1968, S. 149; vgl. Bibelstellen wie Jh 3,3-8) zeigt, offenbar von Vorstellungen dieser Bewegung beeinflußt; vgl. auch zu 237,6 über Parallelen zu Kants Religionsphilosophie. Vgl. die Eintragungen in der Theorie in Fragmenten im Taschenbuch FDH Β 44: Ernstlich habe ich über das wonnige Freudengefühl nachgedacht, dessen sich einige christliche Gemüther als der Gegenwart des Erlösers rühmen. Ich mag nicht über Leute wie Kanne urtheilen, ihr Gefühl kommt einem verdächtig vor, theils wegen der eiligen Bekanntmachung, theils weil es so wenig mit ihrem übrigen Wesen stimmt, theils weil (sie) sich so vielmal gerühmt haben. Aber bey den einfachen ernsten Leuten, die als Wiedergeborene betrachtet werden, scheint doch etwas anderes durch, nämlich die Wonne eines höheren Geistigen Lebens, die durch Andacht über das Maaß ihrer dauernden Kraft ihnen verliehen. (...) Was Wiedergeburt genannt wird von vielen Christen scheint meist nur die Nämlichkeit des Geistes zu bezeichnen, die Reife der Erfahrung im Innern und da diese am Menschen wohl gefördert und gehindert aber nicht geschaffen werden kann, sondern geschichtlich ist, so ist freilich auch die Wiedergeburt nicht in die Gewalt des einzelnen Menschen gegeben. Die Wiedergeburt ist ein zentraler Begriff auch in der 1812 entstandenen Versöhnung in der Sommerfrische, w o sie vom Einsiedler propagiert wird (Werke 3, S. 591f., 609), und steht noch im Mittelpunkt der Erzählung

(Die Heiratsnot des Pfalzgrafen)

(1825/27; Werke 4,

S. 799); zu vergleichen ist die allgemeine Bedeutung des Motivs »der Erneuerung, der Verjüngung oder des Erwachens aus der Erstarrung« in Arnims Werk (Riley 1977a, S. 19). Gleichzeitig bleibt aber auch die in der Taschenbuchnotiz spürbare Distanz gegenüber der eigentlichen Wiedergeburtslehre der Pietisten

Metamorphosen der Gesellschaft (1826) zeigt: (...) ich hoffe, eine Wiedergeburt bewirkt zu haben, wie sie keiner jener Sektierer vermochte (...) (Werke 4, S. 532f ). bestehen, wie etwa die ironische Bemerkung in den

Vgl. auch 256,30 und Erl. Zur Adaption pietistischer Vorstellungen vgl. zu 236,18. 2 3 5 . 2 4 v e r k l a m m t e n ] verklammerten sich ineinander ( D W b 11, Sp. 938). 2 3 5 . 2 5 D o l c h ] Vgl. 234,29 und Erl. Zum Zerfallen der Klinge, das hier das Ende von Johannas melancholischer Suizidneigung symbolisiert, vgl. das Märchenmotiv vom rostenden Messer als magisches Zeichen etwa in K H M 60.

235,28-29 sang sein

erstes L o b l i e d w i e d e r

den biblischen Psalmen häufige Formel S i n g e t (z.B. Ps 96,1).

1021

dem Herrn] dem Herrn

Anklang an die in ein

neues

Lied

Kommentar 2 3 5 , 2 9 B e c h e r ] Hier ist wohl der zweite der Bacchusbecher gemeint, der in IV,3 Johannas Weltekel auslöste; vgl. Komm. 3.3. 235,30-31

daß s e i n L e b e n (...) k a u m a u s g l e i c h e n k o n n t e ] Gemeint ist

wohl, daß die innere Erschütterung für Johanna fast lebensgefährlich ist. 235,32 W e r i n der S c h a n d e lebt] Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 1668. Zu dem Gedicht sind zwei Entwürfe überliefert (FDH G 515). Es ist zudem bereits am Abschluß von TF2·1 als Geisterchor sowie in TF3 verwendet, wo jedoch die Strophen in anderer Reihenfolge erscheinen; in TF 21 fehlt zudem die in der vorliegenden Fassung 1. Strophe Wer i n der S c h a n d e l e b t (...) (vgl. Textteil B). Die ersten beiden Verse variieren 1 Jh 4,16; vgl. zu 141,31. Die Anfangsverse der 1. und der 3. Strophe klingen an W e r n i e m i t w i l d e r Faust (...) an; vgl. 179,7ff. mit Erl. 2 3 6 , 5 S o n n e ] Vgl. zu 22,31. 236,11 i n n r e s A u g e ] Vgl. die Vorstellung des inneren Lichts im Gedicht D i e letzte Ö l u n g (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 899, Neufassung in H a l l e u n d Jerusalem; Werke 5, S. 747-749). Schubert 1808 berichtet von der Erfahrung des i n n r e n L i c h t s im somnambulen Zustand (S. 357; vgl. Komm. 5). Der Gedanke eines inneren Auges begegnet in mystischen und gnostischen Strömungen; vgl. z.B. die Lehre des Philon von Alexandria vom »Auge der Seele« (Jonas 1993, S. 70). Vgl. auch das Motiv des zweiten Augenpaars, das zur übersinnlichen Wahrnehmung befähigt (allerdings ohne religiöse Konnotation), beim Alraun in Isabella v o n Ä g y p t e n (Werke 3, S. 647) und besonders in den M a j o r a t s - H e r r e n (Werke 4, S. 114). 2 3 6 . 1 5 Z w e i f e l m u t h ] Der Begriff faßt Johannas melancholischen Zustand zusammen (vgl. Komm. 4.2), da er Unentschlossenheit, Verzweiflung, Angst und religiös - Unglauben bezeichnen kann (DWb32, Sp. 1018). 2 3 6 . 1 6 Fort v o n m i r t ö n e n d e s Wort] Vgl. Mt 4,10 H e b e d i c h w e g v o n mir, Satan! (vgl. auch Mt 16,23) sowie 1 Ko 13,1: W e n n i c h m i t M e n s c h e n u n d E n g e l s z u n g e n redete, u n d h ä t t e der L i e b e nicht, so w ä r e ich e i n t ö n e n d Erz (...). 236.17 irdisches] Bezieht sich auf die bislang sündige Liebe zum Pfalzgrafen; vgl. die Fassung in TF3 (Textteil B) l i e b e n d e s s ü n d i g e s Blut. 2 3 6 . 1 8 I n Jesu W u n d e n t a u c h ich m i c h ] Anlehnung an die Bildlichkeit der Mystik und des Pietismus (vgl. Langen 1968, S. 288; vgl. zu 235,23). Vgl. besonders das Zitat aus dem Anhang von Johann Taulers N a c h f o l g u n g

des

A r m e n L e b e n s Christi (Frankfurt 1621; vgl. dazu Rölleke in FBA9/2, S. 10) in der ZfE Nr. 7 vom 23. April 1808, Sp. 52: So g e h i c h d e n n zu der dritten U e b u n g , u n d bad m i c h , u n d w a s c h m i c h i n d e n b l u t i g e n r o s e n f a r b e n W u n d e n m e i n e s s ü ß e n H e r r n Jesu Christi, u n d h a b des g a n z e n Zu1022

Erläuterungen zu F2, Kapitel V,1

verlaß und Zutrauen, und einen ganzen vollkommen Glauben alles dessen, das er noch an mir m i t seinem heiligen Leiden erfüllen will. Vgl. auch Benjamin Schmolcks A b e n d - A n d a c h t . A m

Donnerstage

(1725,

S. 241), 4. Strophe: In J E s u Wunden leg ich mich (...}; auf den schlesischen Pfarrer Schmolck (1672-1737) geht W h 1134 F r i e d e n s l i e d zurück, zwei weitere seiner Gedichte in Abschrift von unbekannter Hand wurden im W h nicht verwendet (FBA 9/3, S. 272). In Clemens Brentanos Lyrik wird christliche Blutund Wundenmystik ab 1816/17 bedeutsam (vgl. FBA 3/1, S. 297; Brentano: Werke 1, S. 1327ff.).

236,19 Auch er erhob aus Schande sich] Gemeint sind Christi Passion mit der Verspottung durch die Soldaten sowie dem schmählichen Tod am Kreuz und die folgende triumphale Auferstehung. Vgl. 256,30 und Erl.

V. Periode 1. Kapitel 237,4-5 die Erhebung des Menschen aus der Tiefe] Vgl. Ps 71,20: D e n n du lassest mich erfahren viele und große Angst und machst mich wieder lebendig und holst mich wieder aus der Tiefe der Erde herauf. Vgl. auch Ps 130,1 Aus der T i e f e rufe ich, Herr, zu dir, worauf Brentanos pietistisch geprägtes Gedicht Frühlingsschrei eines Knechtes aus der T i e f e (1816) anspielt.

237,6-7 indem es keine äussere Zeit dazu setzt, sondern nur ein höh e r e s A n e r k e n n e n ] Vgl. zu 235,23. Die vorliegende Stelle klingt an pietistische Ideen an; vgl. aber besonders Kants Darstellung in Ü b e r d a s r a d i k a l e

Böse in der menschlichen Natur (1. Stück der Schrift über die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft von 1793, die ihrerseits pietistisch beeinflußt ist): Daß aber j e m a n d nicht bloß ein gesetzlich, sondern ein moralisch guter (Gott wohlgefälliger) Mensch, d.i. tugendhaft nach dem intelligiblen Charakter (virtus noumenon), werde, welcher, wenn er etwas als Pflicht erkennt, keiner andern Triebfeder weiter bedarf, als dieser Vorstellung der Pflicht selbst: das kann nicht durch allmähliche Reform, so lange die Grundlage der M a x i m e n unsauber bleibt, sondern muß durch eine Revolution in der Gesinnung i m Menschen (einen Übergang zur M a x i m e der Heiligkeit derselben) bewirkt werden; und er kann ein neuer Mensch, nur durch eine Art von Wiedergeburt, gleich als durch eine neue Schöpfung (Ev. Joh. III, 5; verglichen mit 1. Mose I, 2), und Änderung des Herzens werden (Kant: Wer1023

Kommentar ke 7, S. 698). Laut Kant muß sich dieser R e v o l u t i o n im intelligiblen Bereich, der Anerkennung der Pflicht als dem obersten G r u n d e aller M a x i m e n , die allmähliche Reform zum Besseren hin in der Sinnenwelt anschließen, wie ja auch Johanna erst durch ihre mühsame Buße beim Einsiedler (V,3) ihre Läuterung vollendet; vgl. auch 238,24-25 Johannas Unterscheidung von g e i s t l i c h e m und w e l t l i c h e m Gericht. Zur Hervorhebung der Wiedergeburt durch Besserung als das grosse W u n d e r des christlichen Glaubens vgl. auch die Betonung eben dieses Motivs in der Nacherzählung der Gregoriuslegende in H a l l e u n d Jerusalem: Gregorius' Sünden werden ausgelöscht, als sollte er v o n n e u e m a n f a n g e n zu l e b e n (Arnim 1811, S. 352). 2 3 7 , 9 E r w e c k u n g s e i n e s I n n e r n ] Wiederum eine aus dem Pietismus übernommene Formel (vgl. Langen 1968, S. 33); vgl. später die Erweckungsbewegung der Restaurationszeit. 2 3 7 , 1 1 - 1 2 ö f f e n t l i c h s e i n G e s c h l e c h t zu b e k e n n e n u n d ö f f e n t l i c h die Strafe s e i n e s Betrugs zu d u l d e n ] Ein solcher Schluß, der Schernbergs Vorlage entsprochen hätte (vgl. Komm. 1.2), war für die Dichtung ursprünglich (laut dem Regest in der G r ä f i n D o l o r e s und den Skizzen zur Romhandlung; vgl. Paralipomena 1.3) tatsächlich vorgesehen. Vgl. die frühchristliche Tradition der öffentlichen Kirchenbuße, auf die nach der Entstehungszeit der PJ, im Zuge der christlichen Erneuerungsbewegungen der Restaurationszeit, teilweise wieder zurückgegriffen wurde; Arnim kritisierte den Brauch daraufhin in der Erzählung D i e K i r c h e n o r d n u n g (1821). 2 3 7 , 1 8 D e r Kaiser h a t g e k r ö n e t s e i n e n S o h n ] Otto II.; am 25. Mai 961 in Aachen. Vgl. hierzu und zu den weiter u. genannten P a n d u l p h u n d G i r o l p h sowie K ö n i g B e r e n g a r Komm. 2. 2 3 7 , 2 4 I n ihrer B o s h e i t ist das G l ü c k b e g r ü n d e t ] Vgl. 222,30 Johannas Reflexionen über die Stärke der Bösen; Reinera selbst zählt sich, wie dort deutlich wurde, zu den >Guten• 2 4 1 . 1 9 A u g e n g r e u e l ] Vgl. DWb 1, Sp. 806. 2 4 1 . 2 0 f r e u d e n t h ö r i g t ] Offenbar eine Wortschöpfung Arnims. 242,10 B l i n d h e i t ] Vgl. den nach Eph4,17f. sprichwörtlichen >blinden HeidenRheinhöhere< Luftzone des göttlichen Bereichs, die in der Antike als belebende Urkraft und oft als fünftes Element angesehen wurde (vgl. auch zu 3,13). Die Physik zu Arnims Zeit verstand den Äther als hypothetische »materia subtilis«, die den gesamten Weltraum erfülle. Die in der vorliegenden Passage entwickelte metaphysische Auffassung Aethereas als Mittlerin zwischen den Welten ist offenbar primär durch Jung-Stilling beeinflußt, der Mesmers Theorie eines magnetischen Fluidums in diesem Sinne umdeutete (vgl. Komm. 5): J e d e r N a t u r f o r s c h e r w e i ß ,

und es ist eine allgemein anerkannte Wahrheit, daß ein gewisses höchst feines, u n d höchstwürksames Wesen, die ganze Schöpfung, so weit wir sie erkennen, erfüllt. W i r wollen dies Wesen, f e i n e H i m m e l s l u f t , oder m i t einem Wort A e t h e r nennen. (...) D a n u n dieser Aether, unserer menschlichen Vorstellung nach, R a u m u n d Zeit erfüllt, überall unläugbar als Materie würkt, u n d wer weiß, ob er nicht die Lebenskraft in Pflanzen und T h i e r e n ist — auf der andern Seiten aber 1037

Kommentar auch wiedrum Eigenschaften hat, die der Materialität geradezu widersprechen, z.B. daß er die vestesten Körper durchdringt, selbst durchdringbar ist; millionenfache Wechselwürkung der entferntesten Körper, aufeinander verursacht, die durch ein materielles, auch das feinste Verbindungsmittel unmöglich wären, u.d.g., so schliese ich mit sicherer Gewisheit, und vester Ueberzeugung, d a ß d i e s e r A e t h e r , d i e s e s L i c h t w e s e n der U e b e r g a n g aus der S i n n e n w e l t in die G e i s t e r w e l t , u n d d e r M i t t l e r z w i s c h e n b e y d e n s e y (JungStilling 1808, § 77f„ S. 57-59; vgl. Drosch 2003, S. 15). Daß Melancholia im folgenden eine besondere Affinität Johannas zu Aetherea andeutet, entspricht Jung-Stillings Überzeugung, daß das Wirken des Äthers im Menschen die Grundlage des tierischen Magnetismus sei, für den Johanna eine deutliche Veranlagung zeigt (vgl. Komm. 5). Vgl. auch Komm. 4.1. 260,34 peinlich] schmerzlich. 261,23-24 Sie bat den Pfalzgrafen mitzunehmen] Erneute Anknüpfung an den Dioskurenmythos; vgl. 202,4 und Erl. Vgl. z.B. die Darstellung bei Nitsch 1793, S. 727: Pollux fand seinen Bruder mit dem Tode ringend. Jupiter aber stellte es ihm frey, ob er den Sterblichen (Castor) verlassen und unter die Unsterblichen eintreten wollte. Pollux erbat sich von seinem Vater, alles mit seinem Bruder theilen zu dürfen. Da Johannas Herkunft aus dem Reich der Elementargeister betont wird, steht die Situation zudem der Staufenbergersage von der Liebschaft zwischen einem Menschen und einem weiblichen Naturgeist nahe, die Arnim nach Fischart ins Wh (1407) aufnahm und in der Geschichte des Prinzen von Palagonien in Kap. IV,13 der Gräfin Dolores adaptierte (vgl. auch zu 72,1). Vgl. auch zu 260,14. 261,26-27 ihr könnten Flügel wiederwachsen, die Luzifer ausgerissen] Vgl. 17,32 und Erl. 261,28 Ach ohne ihn ist doch alles nichts] Vgl. Gretchen in Faust I, v. 3378ff.: Wo ich ihn nicht hab' / Ist mir das Grab, / Die ganze Welt / Ist mir vergällt. 261,30 Mutter und Vater muß ich fliehen] Vgl. das Zitat von 1 Mo 2,24 am Ende der Dichtung 276,12; hier bedeutsam, da die letzten Appelle an Johanna, sich der Welt zu entziehen, von ihrer Mutter und ihrem Vater (Melancholia und Oferus) ausgehen. Vgl. auch 263,20-21. 262,8-9 sie sah den Abgrund (...) geschwebt hatte] Johanna war hier also ein drittes und letztes Mal dem Selbstmord durch Sturz in die Tiefe nahe (wenn sie der Aufforderung ihrer Mutter gefolgt wäre), vgl. ο. II,4 und lll,4; vgl. zu 207,11. Vgl. auch die von Arnim in den Kronenwächtern adaptierte Sage von Kaiser Maximilian in der Martinswand, die auf Maximilians eigenem allegorischen Gedicht Teuerdank von 1517 beruht (Werke 2, S. 167f.). 1038

Erläuterungen zu F2, Kapitel V,5

262.15 d e m h o h e n S t u h l e ] Dem Heiligen Stuhl. 2 6 2 . 1 6 B a u m ] Vgl. u. das Zitat des 1. Psalms zu Beginn von V,5 sowie Johan-

nas Beschreibung als dürre Strafruthe ohne Frucht u n d Blüthe in TF1 (Textteil B, 292,4); vgl. auch das etwa aus der Tannhäusersage und der Christophoruslegende bekannte Stabwunder.

262.16 v e r s e n g t e n ] erfrorenen (DWb 25, Sp. 1276). 262.17 F r ü h l i n g s l a u b ] Vgl. Komm. 7.1 zur Frühlingssymbolik. 262,20-21 des C h r i s t e n t h u m s ] der Christenheit.

262,25 blinden Heidenlust] Vgl. 249,26 und Erl. 262,25-27 durch die Befreiung seiner Tochter (...) verkündet wäre] Hier klingen romantische Erbschuldideen an, wie sie etwa für Brentanos R o m a n z e n

v o m R o s e n k r a n z und E.T.A. Hoffmanns D i e E l i x i e r e des Teufels (1815/16) zentral sind.

262,33 Kloster] Vgl. zu 260,18. 263,20-21 Die Mutter (...) auch verlassen] Vgl. 261,30 und Erl. 263,29 Alle Sünde ist ihnen vergeben] Absolutionsformel; vgl. z.B. Mt 9,2. 263.31 des himmlischen Wortes] Jh 1,14. 263.32 der beyden Becher] Vgl. Komm. 3.3. 264,1-2 seyd f r u c h t b a r u n d m e h r e t e u c h ] Trauformel nach 1 Mo 1,28. 264,12 seines g e e h r t e n H e r r n ] Gemeint ist der Pfalzgraf.

264,15 Fischerring] Vgl. zu 142,22. 264,20-21 dieser sorgenvollen k r i e g e r i s c h e n Zeit] Deutliche Anspielung auf die Entstehungszeit der PJ, die Jahreswende 1812/13. 264,21 v e r k ü m m e r t e ] bekümmerte, in Kummer versetzte.

264,22-24 Oehlzweig des Friedens (...) Taube (...) über d e m Taufbekk e n ] Vgl. zu 89,15. Der O e h l z w e i g als Friedenssymbol aus der Sintfluterzählung (1 M o 8,11) auch 265,14; zudem Anspielung auf die Taufe Christi mit dem Heiligen Geist in Taubengestalt (Mt 3,16 und Parallelstellen). Das Wort W i n t e r v e r t r a u t e ist Neuschöpfung Arnims.

5. Kapitel

264,36 Zeitenlose] Vgl. 258,13 und Erl. 265,4 B a u m ] Vgl. die entsprechende Metapher für Johanna 262,16 und Erl. 265,12 die grosse r ö m i s c h e Landstrasse] Gemeint ist wohl die 312 v. Chr. begonnene Via Appia, die von Rom über Capua nach Brindisi führt.

265,14 Kränzen des Oehlbaumes] Vgl. 264,22 und Erl.; vgl. auch 97,4 den Kranz als Friedenszeichen im F r ü h l i n g s f e s t (ll,4).

1039

Kommentar 265,18 B r e c h t d i e S p i t z e n v o n d e n S p i e s s e n ] Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 200. Das zur Aufhebung des Landsturms am 17. Juli 1813 entstandene Gedicht A b d a n k u n g d e s L a n d s t u r m s (SW23, S. 103-105; Werke 5, S. 855-858) ist wohl aus dem 1. Vers des vorliegenden Vierzeilers entwickelt (vgl. Ricklefs in Werke 5, S. 1518). Vgl. die utopischen Topoi in Jes2,4 und Mi 4,3. 265.26 E n g e l s b r ü c k e ] Die Brücke, die zur 1 3 5 - 1 3 9 erbauten und seit dem 16. Jh. von einer Statue des Erzengels Michael überragten Engelsburg (Castel Sant'Angelo) führt. 265,31 S p r ü n g e ] Diese kennzeichnen auch den besessenen Francoeur im Tollen Invaliden: Statt m i t d e n Soldaten zu exerzieren, f ä n g t er zuweilen a n , i h n e n u n g e h e u r e , i h m v o m T e u f e l e i n g e g e b e n e S p r ü n g e v o r zu m a c h e n (...) (Werke 4, S. 34). Vgl. die Levitationsfähigkeit als traditionelles Merkmal der possessio (vgl. Barth 1993, S. 138). 265,34-35 d i e W o r t e s e i n e s W a h n s i n n s ] Vgl. o. III,7. 266,4 F l e d e r m a u s ] Vgl. zu 19,36. Dämonen verlassen nach vielen Berichten Besessene in dieser Gestalt (HdA1, Sp. 1152); im T o l l e n I n v a l i d e n ist im Zusammenhang mit Rosalies Verfluchung durch ihre Mutter von diesem Teufelstier die Rede (Werke 4, S. 36). 266,6-7 v e r z o g so s c h r e c k l i c h (...) u m z u k e h r e n s c h i e n ] Vgl. Francoeurs Grimassenschneiden im T o l l e n I n v a l i d e n (Werke 4, S. 34). 266,10 g o l d n e R o s e ] Vgl. 201,38 und Erl. 2 6 6 , 1 5 T r u c h s e ß ] Wahrscheinlich zu ahd. >truhtsäzzoOpferung< des Pfalzgrafen (vgl. dazu zu 161,9) vgl. die Spekulationen in Creuzer4, S. 271, d a s s h i e u n d d a i n

altem Dienst der Mensch selbst der Proserpina und Ceres als Opfer fiel, an deren Stelle dann die sanftere Sitte den S(t)ier oder die Kuh gesetzt hatte, oder auch Schaafvieh. 327,1 aufgehobenen] erhobenen. 327,15 Trauergewühl] Arnimsche Neubildung, anklingend an >Trauergefühl< ( D W b 21, Sp. 1371).

327,21-22 einen Schlüssel in

der

Hand]

Traditionelles Herrschaftszeichen

des Hades als Wächter der Unterwelt.

327,32-33 herrlichen Garten]

Die elysischen Felder oder Inseln der Seligen

als Pendant zum Tartarus, dem Strafort der Verdammten, der in der späteren Fassung der Szene erscheint (212,8). Vgl. zu 88,3; vgl. auch zu 61,10.

327,36 Granatkörner]

Dieses Motiv aus dem Persephonemythos fehlt in der

späteren Fassung der Szene; vgl. Komm. 3.1.

328,1 Als er erwachte]

Die folgende, nur in der vorliegenden Fassung be-

gegnende Episode lehnt sich an die Erzählung von A m o r und Psyche im 4. bis 6. Buch der

Metamorphosen

des Apuleius an (bekannt als

2. Jh.). Diese Geschichte verbindet den aus

La Belle

et

Der goldene Esel; la bete bekannten

Märchentyp vom Tierbräutigam ( A a T h 4 2 5 ) mit Gestalten der gr. Mythologie und allegorischen Zügen: Von ihren eifersüchtigen Schwestern verführt, überschreitet die schöne Psyche eines Nachts das Gebot, ihren Gemahl A m o r nicht ansehen zu dürfen, und wird zur Strafe dafür von ihm getrennt; erst nachdem Psyche längere Zeit als Dienerin ihrer Schwiegermutter Venus einige schwere Aufgaben lösen mußte, wird sie mit dem Gatten wieder vereint. (Vgl. zu dem

1084

Erläuterungen zu TF 3 Märchen insgesamt E M 1, Sp. 4 6 4 - 4 7 2 ; Gerhard Binder/ Reinhold Merkelbach [Hg.], A m o r und Psyche. Darmstadt 1968 [Wege der Forschung CXXVI].) Arnim nimmt auf die Geschichte und speziell auf die hier adaptierte zentrale Szene

Raphael und seine Nachbarinnen

(Werke 4, S. 264,

270, 272), wobei die universelle Bedeutung betont wird: (...)

ein Rätsel, das

auch mehrfach Bezug in

jeder einmal in seinem Leben lösen soll (S. 261). Vgl. weiterhin das Gedicht Als sie ein Lied vorlas (Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 162; vgl. Moering 2001, S. 198), das Fragment Der Polterabend der Mythen (FDH 18412) sowie den Entwurf im Taschenbuch FDH Β 69: Heini von Uri ein Lustspiel aus der Sempacher Schlacht mit den Spaßen von Bartoldino Eulenspiegel, Taubmann, Rocklaune u.s.w. / Er und seine Geliebte bilden sich ein Amor und Psyche zu seyn und er erscheint ihr Nachts, sie holt die Lampe, da entflieht er und sie ist trostlos. Auch in Briefen Arnims wird die Geschichte mehrfach erwähnt; vgl. etwa W A A 31, Nr. 281, z. 82f. (an Brentano, Januar 1803) und besonders W A A 31, Nr. 336.K3, z. 1 2 1 - 1 2 3 (Konzept zu einem Brief an Brentano, vmtl. zwischen Ende März und Ende April 1804): A m o r

und Psyche giebt uns das Band zwischen der Religion der Entstehung zu der Religion des Lebens (d.h. zwischen gr. und christlicher Mythologie), kein alte Dichtung ist auch so rein religiös von Christen aufgefasst und dargestellt worden. Creuzers Symbolik und Mythologie der alten Völker (vgl. Komm. 3) bezeichnet die Allegorie als Mysteriendichtung (3. Bd., S. 479). Ähnlich deutet Nitsch 1793, Sp. 1699 das Märchen als eine allegorische Fabel, die die Reinigungen der menschlichen Seele schildert. Platonische Idee. Die mit Holzschnitten illustrierte erste dt. Ausgabe der Metamorphosen befindet sich in Arnims Bibliothek (ohne Sign.): Ain schön lieblich auch kurtzweylig gedichte Lutij Apuleij von ainem gulden Esel (...) grundtlich verdeutscht durch Herren Johan Sieder (...). Augsburg 1538. Diese recht genaue Übersetzung stellt vmtl. Arnims Quelle für die vorliegende Szene dar; daß er in jedem Fall die Darstellung der

Metamorphosen

selbst zugrundelegte und nicht bei-

spielsweise das Regest in Nitschs Wörterbuch (Sp. 1698), zeigen übereinstimmende Details wie die - bei Nitsch fehlende - Beschreibung des schlafenden A m o r (bei Sieder: Cupido) und seiner traditionellen Attribute, Köcher und Pfeile (vgl. auch zu 161,1). A u s Sieders Übersetzung wird daher im folgenden zitiert. In der PJ stellt die Episode eine neue Motivresponsion zum Ende von IV,3 dar (vgl. 207,11 und Erl.), nachdem der in TF2 gestaltete Tod des Pfalzgrafen in der Neukonzeption der PJ keinen Platz mehr hatte (vgl. Entstehung 3.2.1). Als Teil von Johannas Einweihung in die Mysterien hat die Szene eine entwicklungspsychologische Bedeutung; vgl. u. die Worte des Chors:

1085

Du kehrst als Frau zu

Kommentar

uns zurück.

Die Adaption der Erzählung dürfte auch dadurch angeregt sein,

daß Psyches Zeit als Sklavin im Palast der Venus, während A m o r am selben Ort als Gefangener lebt, ein ähnliches Schicksal darstellt, wie es hier Johanna und Ludwig widerfährt. Während ihrer Dienstzeit bei Venus gelangt Psyche auch zu Ceres, wobei die Eleusinien erwähnt werden, und zu Proserpina (VI. Buch, S. XXXIII, XXXVII). Vgl. zudem Psyches wiederholten Versuch, sich aus Verzweiflung über den Verlust Amors zu ertränken (V. Buch, S. XXXI; VI. Buch, S. XXXV), mit Johannas Frühlingstraum (vgl. 53,21 und Erl.). Das Suizidmotiv ist überhaupt in der Geschichte häufig; Psyche will sich, nachdem sie A m o r beinah ermordet hat, selbst erdolchen (vgl. u. den Textabdruck) und später von einem Turm herabstürzen (VI. Buch, S. XXXVI). Die im vorliegenden Abschnitt adaptierte Szene aus dem V. Buch lautet bei Sieder (S. XXXf.):

xxxi

Aber als der abent die nacht nach jme zöge / mit schneller eyle rüstet sie (Psyche) zü den werckzeug zü lesterlicher missethat / die nacht was da / so was der man da / vnd als er erstmals ein man geweßt was / ist er entschlaffen / alda Psyche sunsten schwache leibs vnnd gemüts ward wie jr beschaffen / jrer kreffte gesterckt / vnnd die ampel fürher tragend / vnd das schermesser ergreiffend / verwandelt jr weiblich plödigkait jnn durstigkait / Aber alsbalden durch zunehmen des liechts die heymligkait des bettes erleuchtet sind / sihet sie das aller gütigst vnnd süste aller thier Cupidinem den hüpschen gott hübschlich schlaffend / von welches angesicht auch das liecht der ampel erfrewet / heller erglastet / vnd das schedlich schermesser erglitzet. Aber Psyche von solichem anplicke erschrocken / vnuernügend jres gemüts / erpleichet und zitrend / fiel nider auff die knie und sucht das messer züuerbergen / das sie eigentlich in sich selbs gestossen hette / wo nit von forchte so grosser missethat das messer auß jren henden gefallen / verschwunden were / vnnd sie krafftloß so sie die schönhait des Götlichen angesichts offt anschawet / wirdt wider erquickt / vnd sieht des haupts goltfarbe locke naß vonn süßrüchender salben / seinen weissen hals vnd rosen färbe wangen / darüber die locke hüpsch gekrewset / etlich vornen / etlich hinden herab hiengen / von wellichem vbergrossen schein / das liecht der ampel erdunckelt / Vber den rucke des fliegenden Gots glitzten die federen mit scheinender blut / vnnd wiewol die andern stille lagen / jedoch die eusseren vnnd zarten federlin zitrend vnnd bewegt fleterten vnnd geylten sich / der ander leib was glat / vngeharet / vnnd wolgefar / den Venerem nicht rewet geboren haben / vor dem beth lagen der böge / kocher vnd pfeile des grossen Gottes gnedigs geschos / Als 1086

Erläuterungen zu TF 3

Psyche die vngefertigts lusts vleissigklich besichtigt / vnnd handelt / vnnd sich ab jres Haußwirts waffen verwundert / zeucht einen pfeile auß dem kocher / vnd wie scharpf der were wollend versuchen / so sie mit der handt zittert sticht sie sich trwas tieff das durch die haut tröpflein rosenfarbs blüts drungen. Also ist Psyche vnwissend gefallen in die lieb der Liebe / vnnd allererste mere vnnd mere brynnend / jn begierde der begierde / sich nidergebogen jne jnnigklich begirlich vnd eylends küssend / forchtet ab seinem leisen schlaff / dieweil sie so von grossem gut gewegt plöds gemüts wanckelt / sprützt die ampel villeicht auß böser vntreuwe oder schedlichen neyde / oder das sie auch einen sollichen leib an zürieren vnd küssen begert / ein tröpflin siedents Öles / auff die rechten schultern des Gottes / Hem du küne vnnd trutzige ampel vnd vnachtbar dinstbot der liebe / brennest den Gotte alles fewrs. Dich hat irgent ein Buler / das er sich seins lusts auch nachts gebraucht erstlich erfunden / also der gebrant got springt auß dem bethe / vnnd sehend die missethat der verbrochen trewe / flöge stillschweigend vonn den äugen vnnd handen des vnseligstenn weibs. 3 2 8 , 3 2 Der Unterwelt bist du vermählet] Anklang an die 1. Strophe des 4. Epeisodions der Antigone. Vgl. die Übersetzung Friedrich Hölderlins in seiner dt. Ausgabe der Trauerspiele des Sophokles (Frankfurt/M. 1804; dort Szene III,2 der Antigonä), die sich in Arnims Bibliothek befindet (Sign. Β 1539): Dem Acheron bin ich vermählt. 3 3 0 . 2 8 D u f t ] Dunst, Nebel. 3 3 0 . 2 9 jagt] Hier: reitet schnell (in der Schlacht). 330,31 K a u f ] Preis. 331.14 331.15

des zweyten Bechers des Bachus] Vgl. Komm. 3.3. mit einwärts laufenden Spirallinien] Vgl. Komm. 5

zum Magnetis-

musthema.

331.16 jenen ersten beym Goldschmidt] Vgl. F2, Kap. III,3. 3 3 1 , 2 1 - 2 2 aus gelehrter Kenntnis der griechischen Mysterien] Anspielung auf Creuzers Symbolik und Mythologie der alten Völker; vgl. Komm. 3. 3 3 1 , 2 9 g e g e n ] auf (...) zu. 332,1 332,5

flüchtgen] schnellen ( D W b 3 , Sp. 1834). Mondsüchtigen Nachtwandler] Vgl.

Komm. 5 zum

Magnetismus-

thema. 332,11

Als er in jener Nacht dem Dolch entfloh] Vgl. F2, Kap. IV,3. 1087

Kommentar

332.15 Durch welchen er auch mit dem Papst einst kommen] Vgl. F2, Kap. IV, 1. 332,19 Ließ seinen Mantel in der Fürstin Händen] Vgl. die biblische Josephserzählung (1 M o 39,12); das Motiv auch in F1, 415,20-21. 332.25

ausgeschmückt]

Früher auch bei Personen, besonders bei Bräuten,

gebraucht ( D W b 1, Sp. 957).

332,36 Dämon]

Kann hier sowohl in antikem Sinne als höheres Wesen wie

auch im christlichen als böser Geist verstanden werden.

333,1 Chrysoloras, der m e h r (...) wüste] Chrysoloras hat hier noch eine deutlich aktivere Rolle als in der späteren Fassung; vgl. Entstehung 3.2.1.4.

333,7 dem ersten] Sinngemäß zu ergänzen wäre »Schreiben«; die frühere der statt dem (bezogen auf die Schriften; vgl. Varianten) paßte

Textstufe

besser in den Kontext.

333,11 zwey andre Zwecke]

Einer davon ist der geplante Betrug, Johanna

als Sohn von Raphaels Vater Alberich auszugeben; der andere hier angesprochene Zweck ist vmtl. der offensichtlichste: die angestrebte Machtergreifung in Italien. Vielleicht ist aber auch die später durch die Konfrontation mit diesem Befehl ausgelöste Überzeugung des Papstes gemeint,

Wahnsinn sey

daß seine Vernunft

(335,14), was dann ein bewußter Schachzug von Chrysoloras

und Reinera wäre, um Johanna noch leichter manipulieren zu können.

333,13 neuerwählten Leibarzte]

In der vorliegenden Fassung hatte Chry-

soloras dieses A m t nach dem lüsternen Angriff auf Johanna (vgl. F2, Kap. III,7) verloren und war aus dem Papstpalast verbannt worden; vgl. dagegen in TF1 303.16 und Erl.

333.17 Herstellung] Wiederherstellung, Heilung ( D W b 10, Sp. 1167). 333,19-20 der in frühen Jahren (...) geraubt worden sey] Vgl. 34,2-3. 333.26 Fischerringe] Vgl. zu 181,23. 333.38 wie wir wissen] Von einer Tarnung des Papstes bei seinem Ausflug war bislang keine Rede gewesen (vgl. die Schilderung von Johannas Aufbruch 209,3).

333.39 Auszeichnung]

Kennzeichen.

49,3|4|9-12 Vgl. in F2 Kap. IV,4-6 mit den zugehörigen Erläuterungen. 334.27 s c h w ä r m e ] phantasiere (DWb 15, Sp. 2289).

3 3 4 , 2 7 - 2 9 sich (...) widerstehen] Zum unüblichen, aber gelegentlich begegnenden reflexiven Gebrauch vgl. D W b 29, Sp. 1281.

334,31-33 Es war nämlich der alte Raphael (...) zum Präfeckten von Rom (...) emporgeschwungen] Diese Widersprüche in der Darstellung des 1088

Varianten zu F1 (Raphael) Alberich erklären sich daraus, daß Arnim in dieser Figur zwei recht unterschiedliche hist. Gestalten, nämlich Alberich I. und dessen Sohn Alberich II. kontaminiert hat; vgl. Komm. 2. Vgl. auch zu 317,28. 335,25-26 die Quelle aller Schlechtigkeit unter den Menschen] Vgl. zu 208,1. 335,29 Vergessenheit] Hier: Geistesabwesenheit (vgl. DWb 25, Sp. 422). 335,29-30 daß er bey der Pferdemusterung im Stalle den Bischof Azo weihete] Vgl. 249,6 und Erl. 335,36 D u steckst den Kopf ins eigene Gefieder] Vgl. den in der PJ mehrfach begegnenden Vergleich Johannas mit einer Henne; vgl. zu 162,9. 337.5 eigne] mache dir zu eigen. 337,29 zweifelte] Vgl. Komm. 4.2 zur Melancholiethematik. 337,38 Sonne] Vgl. u. den Beginn des Schlußgedichts der IV. Periode: Wer hier kein Auge hebt / Zum irdschen Licht. Zur Sonnensymbolik vgl. zu 22,31. 338.11 bilderstürmende Mönche aus Griechenland] Vgl. 130,36 und Erl.

F1 Varianten 49,3|1|7-12 341,4 That] aus Majuskelansatz 341.6 der irdschen Masse] den Elementen; den ist nicht geändert, in der neuen Textstufe aber offenbar als der zu lesen. 341.12 schmachten] trach + 341.13 trachten] ch aus (g) 341.22 mir] zu + 342.15 nun] da 342.16 Beseh ob's zaubern kann] Besehen will (wie H e x e n thun) 342,19 i h m ] i h m sogleich 342.19 Wurzeln] (x) + 342.20 zuend] ja aus 342,21-22 will das Kind, (...) Lilith jünger] fällt dem Kind nur ein, es saugt an mir, / Ach wenn ichs nähren könnt, wär Lilith (1 aus b) hier Die Änderung des Kommas hinter könnt in ein Ausrufungszeichen erfolgte möglicherweise unabhängig von den übrigen Änderungen in diesem Verspaar. 342.23 Rath! Kein] Rath, kein 342,23 Thier] Mensch 1089

Kommentar

342.24 verbrannt,] verbrannt, Kein einzig (1) Milch + (2) Thier, das Milch hat, k a n n ich leiden, Mich schaudert vor der Milch, ich m u ß sie meiden, Es m u ß sich zu was anderem bequemen Die Mispeln wird es auch recht gerne n e h m e n . 342,25-26 (Das Kind schreit grimmig.) / Verflucht] Verflucht 342,30 der] den + 342,31-33 Freude, (...) in den Plündern.] Freude, Varianten innerhalb der späteren Textstufe: P l ü n d e r n ] W i +

342,35 Kraters] Berg + 343,1 Er hat] Es zi + 343,3 Die bildende] Der s + 343,6 Jahren,] Jahren, H a t seine Manneskraft als (1) (xxx) M a n n (xxx) (2) junger M a n n verkauftI, An Runa, die damit zum Zaubern tauft, Für das A r k a n u m Flöhe zu erzeugen, 343,8-10 Ich will (...) in der Gestalt.] Er kennet mich als einen griechschen Weisen, Ich must ihn oft i m Griechschen unterweisen Ich n e h m e wieder an die selbige Gestalt Das U n d zu Beginn des folgenden Verses wurde gestr., aber nicht, wie in der neuen Textstufe naheliegend wäre, durch »Ich« ersetzt.

343,11-13 Spalt. (...) ersten Mühen!] Spalt. 343,16 Höhl(.) Am Eis bin] Höhle (1) (wo) ich + (2) (an) bin 343.20 343.21 343.25 343,28

dir auch m e i n Plotin] Chrysoloras auch in die] ins innre der schwärzlichen] teuflischen da(.) Ich] da ich

343.34 P l u n d e r ] aus Ansatz zu Κ

343.35 vor] seit 344,1-5 Spiegelglanz. (...) Gatten zeugten.] Spiegelglanz. 344,6-7 versuchen, (...) d e m wir fluchen.] (1) versuchen, (2) versuchen, / Das weiß noch nicht obs Aepfel oder Kuchen + (3) Text 344,9 willst es] willst 344,11 Behüt] D a (eu)ch + 344,14-16 erziehen (...) Freund geschwind.] erziehen

1090

Varianten zu F1

344,27 Nur] N(xxx> + 344.30 versiegt] verl + 344.31 Sylvester] s + 344.31 ganz] bald 344,35 ergeben] ben aus (xxx) 345,2 Schreien] schreien 345.4 das] die + 345.5 ich] du 345,8 (Er steigt an der Leiter empor)] (ab) 345,13 Erd wird] Erde + 345,15 Ein] Und + 345,15 Schulgenossen] k ü n f t g e n Schulgenossen 345,17-19 bey des Griechen (...) Tücke nur] daß des Griechen Eilen / Daß er m i r dieses Kind so überlast, / Nur Tücke sey 345,21-23 Glühen. (...) bebet dieses Haus.] Glühen. Varianten innerhalb der späteren Textstufe: bebet] zittert 345,27 Ich] D e n + 345,33 Freund, ach welches] Freund Plotin, welch 345,37 Es] I + 346,1-2 gespielt. / (Er untersucht ihn)] gespielt. 346.17 Des (...) stiften] D e r Messen will ich viel f ü r diesen Todten lesen 346.18 346.18 346.19 346,23

aus] vom + finstern] diesen finstern Tage] (1) k + (2) glänz(ten) + (3) Text Spiegelglanz] Zu (xxx) +

346,25 Wölfin heulet] Wölfe heulen 346,28-30 Sie trägt (...) fehlte Stärke,] Es r u h t auf m i r ein ungeheures Werk, D a darf kein Mittel m i r versaget seyn, D e m a r m e n Freund da drunten fehlte Stärk, 346.32 streiten] rechten 346.33 alle Erdenlust] alles + 346,37-347,4 verrathen. (...) aus dem Krater] verrathen. / Luzifer steigt als eine (1) Fledermaus (2) Aschenwolke m i t Fledermausflügeln a u s d e m K r a t e r Nach Ausweis des Schriftbildes entstand Stufe (2) in derselben Arbeitsphase wie die letzte Textstufe; Varianten innerhalb dieser: 347,1 l o b i h n ]

lebe 1091

Kommentar 347,7 r u f t dich Kind] r u f e t m i c h 347.9 dir] m i r 347.10 Ich grüsse] Es (danach Ansatz zu d) + 347,10 alles] aller + 347.13 Gott] Η + 347,17 allen K ü n s t e n m ä c h t i g ] aller Kunst erzogen 347.20 vor] i + 347.21 b e w ä h r e n ] (xxx) + 347.22 suche t r e u das Kind zu n ä h r e n ] m u s t d u i h n an Seel u n d L e i b ernähren 347,25 I n D e m u t h ] Z e r s c h m e t t e r t 347,33 zeig ich dich] (1) zeig(e) + (2) zeig ich (3) Text 347.33 M u n d e s ] Tempels 347.34 Luzifer.] von hier an verändertes Schriftbild 348.1 D i e b e y d e n Sprachen] D e r Sprachen viele 348,4 gleich du] du gleich 348,8-10 m e i n H a u p t (...) Auge h a u c h e n ] den Stolz von d e i n e m Segen / U n d m ö c h t e dich m e i n Gabriel noch schaun, / Kannst du die Asche m i r v o m Auge f e g e n 348,12 m e i n e n ] deinen 348.14 auch wieder J u g e n d ] m i c h wieder liebend 348,17 deines Weges d e n k ] (1) d e n k e deines Ziels (2) deines Weges d e n k e (3) Text 348,21 dir] d u + 348,28 f ü h r t er m i c h auf diesen G n a d e n w e g e n ] f ü h l ich m i c h e r f ü l l t von seinem Segen 348.31 I n L u m p e n ist versteckt des H i m m e l s ] I n schlechten L u m p e n weilt m e i n 348.32 der Gott] es ganz 348.33 ist das Kind das in den K l ü f t e n ] (1) ists das aus der E r d e klüft e n + (2) ist der Gott der in d e n K l ü f t e n (3) Text; das flüchtig geschriebene der vor in den K l ü f t e n in Stufe (2) ist in Stufe (3) offenbar als das zu lesen. 348.34 n u r r u h t e ] g e r u h t 348,36 tobt's i m Blute] tobt m e i n Blut 349.2 entwächst] erwachsen + 349,3-4 (Spiegelglanz (...) herab)] (Spiegelglanz g e h t m i t d e m Kinde feierlich fort Luzifer, der in seiner eigentlichen Gestalt i h m schon l a n g e aus einer H ö h l e M ä n n c h e n (1) ge + (2) h i n t e r d e m R ü c k e n gem a c h t h a t k o m m t tragisch m i t e i n e m aufgespiesten Frosche angeschritten, den er sich z u m Essen auf e i n e m Roste bratet u n d singt) 1092

Varianten zu F 1

{Luzifer.} Die Frösche sind n u n wiederum beysammen Und singen in der frischen ungesalznen L u f t Von i h r e m Blut, von ihren wilden F l a m m e n Und wers nicht glaubt, der ist ein ungesalzner Schuft Sie haben kaltes Blut, doch heisses Wort, Es reisst sie die Begeisterung i m H ü p f e n fort. *** Sie schaffen jezt an einer neuen Sprache Und achten auch so (1) manches ungesalzne Wort (2) m a n c h e n ungesalzne(n) Spasl, Apollo n i m m t darob die g r i m m e Rache Und spannt den Bogen (1) übern + (2) übers ungesalzne M a ß Durchschiest den (1) (einen) (2) tollsten (3) kühnsten I Frosch, durchschneidet ihn Und zieht i h m seine glatten Hosen ab so grün *** Gebraten liegt der Sänger in der P f a n n e Er glühet in d e m frischen ungesalznen Fett (1) Es treibt die Köchin m i t den Beinen von dem Manne, I h r musenfeindlich ungesalzenes Gespött, Sie steckt zusam die Bein als Klapperstorch Er singt auf glühem Rost der neue (2) D a treibt er m i t den Beinen von d e m Manne, Sein musenfreundlich ungesalzenes Gespött, Er steckt zusam die Bein als Klapperstorch Der klappert auf dem Rost, dem neuen I Martrer horch. (Drohend (1) (x) + (2) verzehrt er ihn) So soils dir gehn, hast du das Kind gebracht Z u m T h r o n des Papstes, dann wirst du verlacht Vernichtet in dem eignen bösen Willen Ich weiß es schon was er jezt denkt i m Stillen. Der Text ist im unteren Teil der Seite zunehmend kleiner und engzeiliger geschrieben; die auf den unteren Rand gequetschten letzten vier Verse und die vorangehende Szenenanweisung möglicherweise erg.

1093

Kommentar

349,6 Begebenheiten] Begebenheiten haben wir n u n erlebt 349.9 aber] aber sich 349.10 nicht selbst aufziehen] aufziehen 349.12-13 und m a n c h e m menschlichen Verhältnisse gebunden blieb] blieb u n d m a n c h e m menschlichen Verhältnisse noch gebunden war 349,13 eigne] seine eignen; eignen ist nicht an die Änderung angeglichen, was hier em. ist.

349.13-14 den er nur] n u r 349.15-20 k a m glücklich (...) Küste verschlagen] kannte die Neugierde seiner Landsleute und entfernte sich deswegen heimlich m i t d e m Kinde, sobald es die gewöhnlichen Nahrungsmittel etragen konnte. Der Zufall f ü h r t e ihn nach Paris, wo damals mehrere Schulen blühten Varianten innerhalb der späteren Textstufe: 3 4 9 , 1 6 v o n d e r W ö l f i n ] a u f s a u +

349,24 Gypshöhle a m Montmartre] Gypshöhle 349,24-25 er selbst] er 349,26 Hauptschule zu Paris] Hauptschule 349.28 Vielwissen] w aus s 349.29 grüste] begrüste 349,31 ersten Anblicke] Anblicke 349,33-34 leichtsinnige Liebe] Liebe 349.34 seinem gelehrten Ernst] i h m bald 349.35 Schuljoch] harte Schuljoch 349.36 gelernt. Er] gelernt, er 350,1-4 m i t seinen (...) Welt u m h e r ] (1) von seinen Schwestern, bey denen er dort i m Hause lebte, strich er (dieses Wort ungestr.) in der Welt m a n c h e n Morgen (2) aus + (3) Text 350,5 ging leichtsinnig] lief 350,11-12 sie zu (...) eingeladen. Bald] ladete er sie zu einem Trinkgelage auf die Nacht ein, bald 350,13 sehen. Ihr] sehen u n d ihr Jubelgeschrei war im Felde zu hören, als Spiegelglanz das Kind eben hier d e m + 350,15 auf] (x) + 350,15 getragen] niedergesetzt 350.16-17 seine Versuche ein] neue Versuche ein, die er f r ü h e r m i t d e m Kinde hätte v o r n e h m e n sollen 3 5 0 , 1 7 s p r e c h e n . ] Zum noch folgenden gestr. Text auf der Seite vgl. Variante zu 22,19.

1094

Varianten zu F1 49,3|1|18-27 r 350,33-35 Liebe Gott. / Das Kind. / Liebe] Fürchte Gott. / Das Kind. / Fürchte 351.1 Luzifer] Spicgclglanz 351,3 zerstören.] zerstören. / (fort) 351,29 O] Die + 352.13 I m ] i m 352.14 U n d ] von hier an verändertes Schriftbild 352,16 sollt ihn m e i n Rabe] wollt ich ihn eilig 352,31 dienet] dient + 353,7 stecken,] stecken mögen 353,14 beten.] beten. D a meinte ich es würde mich verspäten U n d zapfte ein Vom besten Wein Und laufe gegen W i n d Weil er verraucht geschwind N u n find ich keinen, wie mich das so kränkt, Doch m e h r als alles, daß er m e i n nicht (1) b + (2) denkt, Er ist wohl böse, daß ich war so spröde, Ich war nicht böse, bin nur gar zu blöde, 353,16 kann,] kann, / Ach wär er m i r nur erst recht angetraut, / Daß ich ihn küssen könnt recht lang und laut. 354,23 das] daß 355.2 bezwungen] bezwungen / Bald n e n n e n wir uns Weib u n d M a n n / Gehören ganz einander an, 355.3 al(les) 355.4 355.7 satt

Was dir geraubt, was du verschenkt,] W i e freu ich mich daß + kränkt.] kränkt, Der heut in Küssen überläuft] D u füllst den Mund, nie werd ich

355.8 Doch] im + 355.9 ergreift] g aus Ansatz zu f 355,11 könne] em. können 355,21 eigen] i aus g 355.26 und] (xxx) 355.27 kennen!] kennen, 1095

Kommentar

355,31 Leut] Leute schon 356,2 Ich] Ε + 356,15 vor] em. vor vor das zweite vor Sofortänderung aus je 356,15 vom Wein] des Weines 356.19 Denn aus] Mich si + 356.20 (Sie gehen ab)] (Sie gehen ab) (diese Szenenanweisung ist teilweise verschmiert und damit möglicherweise als getilgt aufzufassen) / Die blinde Furcht hat ihre Zeit, wenn diese vorüber suchen die Leute nachzuholen, was sie im Augenblicke der rechten Zeit versäumt hatten, auch die Freunde und Mitschüler Raphaels warfen es sich vor, daß sie keinen Versuch gemacht hätten, ob er nicht wiederzubeleben sey, zugleich fürchteten sie sich, wenn seine Leiche gefunden würde sie könnten als Mörder (1) an s (anschließend Buchstabenansatz) + (2) angesehen werden, weil sie ohne Erlaubniß (1) niß + (versehentliche Wiederholung der Schlußsilbe des vorangehenden Wortes am Zeilenbeginn) (2) die Schule verlassen hatten, was Spiegelglanz ihnen anthun möchte lag so unbestimmt vor ihnen, daß sie (der Rest der Passage am Beginn der folgenden Seite ungestr.) nach mancher Berathung ein Paar Stunden später wieder zu dem Ort getrieben wurden, wo sich das Unglück ereignete. 356,22 armen Freund] Freund 356,24 Er ist doch] Ist 356,30 Freund!] Freund, den lieb + 357,5 Dann] Damit + 357,19 uns] ihn 357.21 Vielleicht] Ver + 358,6-10 führen (...) Liebesbahn allein:] (1) (a) taufen, (b) taufen,l Ey da seht den jungen Hahn Zu der jungen Henne laufen, Und sie ducket ihr Gefieder Wie die Alte auch schon wieder. (2) führen Auf derselben Ehrenbahn (a) Ha(b) (b) Hatl der Predger die Gebühren, Sitzen wir beym alten Weine, Findst du schon die Bahn alleine (3) Text 1096

Varianten zu F1 358,15 Sie] aus Ansatz zu k 358,34 dich] em. die

359.12 Lustig] Heisa lustig 359,17 Hochzeit Kindtauf n a h zusammen] (1) Doch vor allem m u ß er wissen / (a) Ob in + (b) Wie sich seine + (2) Hochzeit Kind (bald all)zusammen (3) Text 359,20 e r s t a u n t ] aus Buchstabenansatz 360.9 A l l e ] aus Ansatz zu a 360,11 einer] eine 360.13 A b s i c h t ] auf sie (danach Buchstabenansatz) +

360,14-18 kann. Des Zusammenhangs (...) geraubt worden war.] kann, die Ergänzung in von der Grundschicht abweichendem Schriftduktus; Varianten innerhalb der späteren Textstufe: 360,16 S t i e f m u t t e r ] S c h w +

360,27-28 seines Zornes einem Wunsche] die ganze Welt vergisst, und einem Wunsche alles aufopfert 360,32 durchgebettelt] durchgebettelt, indem er sich überall f ü r einen Schiffbrüchigen ausgab, der (1) wieder + (2) m i t d e m einzigen Gute, was er gerettet, m i t seinem Kinde wieder h e i m kehren möchte 360,32 Monaten steten] Monaten, wo sich nir + 361,2-3 das gegenüberliegende (...) Welche] die gegenüberliegende Seite eines Flusses, der kein andrer als der R h e i n seyn konnte, welche 361,4-5 m i t F a h n e n ] u n d pr + 361.6-7 deren Glocken an den Felsen wiederhallten] m i t ihren Glokken wiedertönend an den Felsen 361.10 ans Ufer sehr it] herab sehr it an das Ufer 361.10 sah er eine] schauderte i h m plötzlich vor einer 361.11 einer ausgerissenen Tanne] einem ausgerissenem Tannenstabe; a u s g e r i s s e n e m ist nicht an die neue Stufe angeglichen, was hier em. ist.

361.11 in den Sand] i m Sande 361.12 D e r ] aus Majuskelansatz 361.13 auf] aus Buchstabenansatz

361,15 361,19 361,28 361,28

bin,] bin, / N i m m mir's nicht böse auf in deinem Sinn, nennen] kennen Hast du] Doch seit + vernommen?] vernommen,

361,34 viel M e i l e n trage] (1) (xxx) (2) auf R ü c k e n trage (3) Text

362.7-11 Die heiige (...) wohl begaben,] (1) Wo (n) + (2) Die heiige Schrift recht fleissig zu ergründen, 1097

Kommentar

Die ich auf m e i n e n Reisen recht erlern. (1) S + (2) Oferus. Ihr seyd ein Pilger, wart am finstern Stern Wo der a m Saum der Welt so (1) sei + (2) segnend streift, Und auch die heiigen Schriften wohl begreift. Ach müst ihr euch von hier noch weit entfernen, Ich möcht so gern von eurer Weisheit lernen, Die guten Mönche wissen wenig hier N u n seht was ich allhier i m Sande schmier Das sind die {echten} griechschen Buchstaben, Die will ich m i r tief ins Gedächtniß graben. Spiegelglanz. Von Herzen gern möcht ich auch unterweisen Doch alles Geld geht aus auf weiten Reisen, Könnt ihr ernähren mich m i t einem (1) (x) + (2) Knaben Da will ich euch m i t Sprachen wohl begaben, 362.22 Auch must ich seiner todten Mutter] Und seiner todten Mutter (1) that (2) mustl ich 362,27 n u r wenig] wenig 362,34 kann] m a g 363,19 fürchten] em. f ü h r t e n 363,33 bey] in + 364,1 Das] U + 364,11

( ( T h a l ) ) m a n n . ] Die hier beginnende Seite war auf die leere Rückseite

von Bl. 49,3|5|8 geklebt; Text mit Bleistift durchstr.; die ersten beiden Zeilen und der Schluß der letzten Zeile sind durch die Spuren der Überklebung teilweise unleserlich.

364,15 364,18 364,18 364,18 364,21 364.23

D ä m p f e r ] Kämpfer eiliger] ein + laufen] s + das] s + auf] an + Fingerspitzen] H ä n d e n +

1098

Varianten zu F 1

49,6|30 v -40 365,4-7 5. (...) n i e m a n d konnte i h m ] die Kapitelzahl zdZ erg.; Abgrenzung des folgenden vom vorangegangenen Text durch horizontale Striche links und rechts zdZ (braune Tinte); der gesamte Abschnitt von Arnim im Zuge der Überarbeitung für F2 gestr.

365,6 eine] bey der (xxx) + 365,8 in Hinsicht der] durch seine 365,11-13 doch es gelang (...) Lust bezeigt hätte] (1) g + (2) und es gelang i h m die Neugierde des Erzbischofs so mächtig zu erwecken, daß er zur W o h n u n g des Spiegelglanz sich selbst zu begeben entschloß, u m dieses Wunderkind (1) anzusta + (2) zu p r ü f e n Die letzte Textstufe stammt nach Ausweis des veränderten Schriftbildes aus einem späteren Arbeitsgang, in dem auch der Folgetext niedergeschrieben wurde.

365,17 365.19 365.20 365.26

wachen.] wachen, + blieben.] blieben, + ausländischer] Ausländer + Johannes.] Johannes.

N u r einen frischen Trunk vergönnet mir, D e n Tropfen T h a u , der (1) an + (2) auf der Rose hier, Die Zunge papt m i r an d e m G a u m e n fest, D a ß mich die Kraft zum Reden ganz verläst. + Die neue Textstufe stammt nach Ausweis des veränderten Schriftbildes aus einem späteren Arbeitsgang.

365.27 erlaub] erlaubt 365,33 gab] geb 365.33 sie] e aus Buchstabenansatz 366,3 Strenge] aus Ansatz zu s 366,17 lustige] aus Ansatz zu d 366,19 ernsthaft Ende] ernsthaftes + 366,24 Sterben] S + 366,30 Geschäfte] Geschäft 3 6 6 . 3 4 D a n n ] von hier an verändertes Schriftbild

366.35 wie] wen + 367,6 trockne] (x) + 367,16 Vergiß] Johannes + 3 6 7 . 1 9 D o c h ] aus Buchstabenansatz

367.20 soll er dich i m neuen Staate sehen] sollst du in d e m neuen Staate gehen

1099

Kommentar

367,22-24 N i m m sie (...) rothe Licht] Johannes. 367,25 Ach] aus Buchstabenansatz 367,36-368,1 ( E s t r e t e n (...) (zu C h r y o l o r a s ) ] in beiden Szenenanweisungen die Klammern mit Bleistift erg.

368.16 Ihr ahndet edler Meister] Mein edler Meister n e h m { t } von 368.17 Es ist (...) ich habe!] (1) Ich h a b + (2) (a) Weil ich (α) kein + (ß) den (b) (Weis) nicht ob ich denl besten jezt im Keller habe (3) Es ist das beste Stückfaß, das ich habe! (4) Text 368.18 Nicht wahr] Chrysoloras + offenbar Ansatz zu Sprecherangabe 368,18 m u n d e t ] (x) + 368,24 Kleiner sprich] Kleiner 368.24 lateinisch?] lateinisch. 368.25 (Der Kleine (...) ihn an).] Klammern mit Bleistift erg. 368.29 ihr seid es selbst gewesen] der Bischof (1) (wirds) (2) istsl gewesen 368,33 Ihr habt (...) Fuß gestossen.] Was (1) wollet (2) tretetI ihr auf meine Füsse (1) schwer (2) fest 369,6 fasse] w + 369.12 Johannes] Spieg + 369.13 s t u m m ] S + 369,15 war] f + 369.30 kennt ihr wohl] fast derselbe + 369.31 Wasserschein] (Sa)ut + 369.31 klingt] t aus s 370.12 n u n ] u n d 370,15 Recht] (1) Kunt + (2) Recht ο + (3) Text 370,15 sind griechische] u n d kunterbund + 370,17 w e g n e h m e n ] e i n n e h m e n 370,34-35 Legende vom Markebrunnen] Legende / (eingerückt) von Die auf dem folgenden Bl. beginnende Gedichteinlage ist, wie auch das Schriftbild zeigt, früher als der Text auf den ihr vorangehenden und folgenden Blättern entstanden.

371.13 371,13 371,27 371.32 371,32 371,32

Leutchen] Leute er] es einsamen Ort] Ort schleichet] schreitet am] {gebückt} am Pilgerstab] Wanderstab 1100

Varianten zu F1

372.5 danket] d(e)nket 372.14 bös] böses 373.12 draus n e h m e ] sie schütte 373,25 eh er] ehe + 373,38 schreit] schreiet 374,3 D a n n ] I + 374.6 Er] Ihn 374,38 lieblicher] liebe + 375.13 Erden?] Erden. 375,14-15 »Nach dir (...) werden« — / »Der] »Der 375.15 Wassermarkus] kus aus g 375,20 Und spricht »So] »So 375,20 der] du + 375.25 Die] I + 375,31 A m Marke-Brunnen] An jenem Brunnen 375,37 treibs] i aus Ansatz zu t 376,2 M u n d anständig] M u n d e + 376.26 schmutzgen] 1 + 376,35 N u n ] von hier an verändertes Schriftbild

377.29 Und hättest du] D u hättest doch 377.30 Und] Es + 377.31 Doch] Und 378.5 trüg] trug 378.6 Teufels Zoten] Teufelsknoten 378.7 i h m ] (1) (es) + (2) ihn (3) Text 378,11 machet] machtet 378,11 noch] doch 378.13 als] (ein) 378,23 N i m m ] D a + 378,26 als] em. als als 379.8 6.] 4. 379,17 bildende] η aus t 49,7)12-19 380,10 Leib] Κ + 380,10 Himmelssaft] K + 380.14 Der Wein] W i e ist + 380,17 sag m i r an] saget m i r 380,17-21 bin. (...) gesandt. / Johannes.] bin. 1101

Kommentar

380,26 Du] I + 380,33 sein] ihr 381.3 dem grünen Steine] den grünen Steinen Entsprechend Schluß des folgenden Verses zunächst den einen statt die eine. 381.5 dir? Verlangest du] euch? Verlanget ihr 381.9 Du scheinest] Du siehst + 381,15 mein] meine

lautete der

381,21 N u r ] Von hier an schwarze Tinte, während zuvor der Text auf dem Doppelblatt (und auf dem vorangehenden Bl. 49,7|11) mit brauner Tinte geschrieben war.

381.25 zu diesem] zum + 381.26 dich] euch 381,28 Johannes] aus Ansatz zu G

381.32 der] dem + 381.33 Haus] Schlos 382,14 das Finger-Maas] der Finger 382,20 artig] aufs + 382.27 denk! - ] denk, 382,32 Ach könnt] (OL) + 383,2 sprühenden] flüchtigen 383.6 zurücke,] zurücke, / Glühend vereise, / Ich auf der Reise, 383.10 aus,] von hier an verändertes Schriftbild 383,15-16 erlöse, / Komm munter herunter.] erlöse. 383,27 Nun] Wie 383,27 grüst] biete 383,31 glänzt] aus Buchstabenansatz 383,35 Gieb] Was + 384,26 Gieb] Gebt 385,2 Gesell! (Vor sich) Der Wein giebt Muth] Gesell, was der Wein nicht thut, 385.4 auch in] gleich in allen 385.5 hadern] jezt hadern 385,11-12 musst (...) und lese] müsst ihr mir geben dafür. / Seht her und leset 385,15-16 unterschreiben / (Er unterzeichnet)] unterschreiben 386,1 4.] 3.

386,4 der] des + 386,12 horchte] und horchte 1102

Varianten zu F 1

386,13 berichtete] bericht ih + 386.13 würde] wurde 386.14 n a h m dann] d a n n n a h m 386,21-22 n a h m der (...) Bindefäden auf] brachte auch ein Kneuel W o l l e Varianten innerhalb der späteren Textstufe: d e r ] i h r

386.30 Johannes] von hier an verändertes Schriftbild 386,34-387,2 sah. (...) nie empfand.] sah. 387,12 sein] seine + 388,2 Brunnenhell] Gosse schnell 388.5 keinen] (dann) + 388,26 schwarz] schwarzes 389.10 tanzend durch] durch 389.11 gehen] gehn 389,28 Was] Woll + 390,2 Ich hoffs und] Gott weiß, ich 3 9 1 , 4 - 6 J o h a n n e s . (...) G e f a l l e n . ] dieser Abschnitt unten auf den Seitenrand gequetscht; möglicherweise erg.

391,10 Ο daß] daß 391.24 Das] Die 391.25 u n d habe] (xxx) + 391,35 meine Mutter, die mich geboren] Vater und Mutter, die mich erzeugt 392,19-21 Spiegelglanz. (...) Laß dir sagen,] Spiegelglanz. 392.31

J o h a n n e s ] von hier an verändertes Schriftbild

392,34 der Verzweiflung] dies + 392,34 Feuer] (xxx) 49,9|8; 49,4|1; 49,7|30-38

393.6 Ausschweifungen] thörigte Abschweifungen, u n d Ausschweifungen 393.7 nicht] nicht nur 393.8 kleinen Propheten] Propheten 393.12 Nachts] Abends + 3 9 3 . 1 3 w ü r d e . ] Die folgenden anderthalb Seiten, die die Überleitung zum und den Beginn des Demophonmärchens enthalten, sind dick durchstr.; dies geschah im Zuge der Überarbeitung des Textes für F2, bevor die Seiten durch S. 49,5|3r ersetzt wurden (vgl. Entstehung 3.2.3). Über dem folgenden Text, der in einer neuen Zeile beginnt, war zunächst zdZ die Kapitelzahl 8. erg.; das so entstandene neue Kapitel wurde zudem durch am linken und rechten Ende der Zeile

1103

Kommentar ergänzte kurze horizontale Striche vom vorangehenden Text abgesetzt. A u s der Genese der Kapitelgliederung der PJ ergibt sich, daß die Kapitelzahl noch vor dem Abschluß von F1 wieder gestr. worden sein muß, also unabhängig von der Tilgung des folgenden Textes für F2, was aus der Hs. nicht eindeutig hervorgeht (vgl. Entstehung 3.2.4).

393,17 geworden.] geworden, + 3 9 3 . 2 0 Jezt] von hier an verändertes Schriftbild

393.27 blätterte] drittes t aus s 393.29 paarmal] em. parrmal 393.30 strafet] strafte 393,36-394,5 wurde. So fand ihn (...) Bey uns] wurde bis er endlich bey einem Fabelbuche sich selbst erkennend verweilte. / (zentriert als Überschrift:) D i e F r a u F u n k e /

E s Varianten innerhalb der späteren Textstufe:

3 9 3 , 3 7 e i n ] aus Buchstabenansatz 3 9 4 , 1 z u ] Sofortänderung aus v o n

der

oder wunder 394.8 Mägde] i m Η + 394.9 die Mägde] sie 394,12 geraubt] en + 394,13-14 sie Frau F u n k e heisse, und] sie 394,15 n a h m e n ] t + 394,15-16 heimlich m i t (...) brachten sie heimlich] m i t in das Schloß u n d brachten sie 394,26 in eigner Pflege auch] auch 394.28 nicht] nichts 394.30 in] aus 394.31 möchten] möchte, + 394.33 Am] a m 394.34 Laden zu dem Loche] Laden 394,36 schob den sie hinter i h m zumachte] schob 395,2 sagte] sagte dann 395,5 wäre. Heimlich hätte sie] wäre, sie hätte 395,5-6 seligen Feuergeist] Feuergeist 395,8 Nach] Bey 395,8 die Frau] sie 395,11 muste. Das Kind n a h m täglich ab u n d da] muste, als aber 395,19 lief] war 395.21 Feuer] Feuer anzündete 395,22-23 es m i t (...) Leben kam] Mutter und Kind gar unglücklich u m das Leben k a m e n 1104

Varianten zu F1

395,24 7] 9 395,26 erkennen] k aus e 395,28 Feuergeist] (Sp) + 395,30-37 er konnte (...) Johannes umfing] und als dieser in der Stunde dieser Betrachtung mit einem Sacke voll Zwiebeln und mit einem (1) Zwiebeln + (2) Ziegenbocke in das Haus trat, die ersten für das Abendessen, der letzte das heilige Thier, das er bis dahin noch heimlich in der Basiliskenhöhle genährt hatte, so umfing er 396,13 demselben Abend] dem Abende 396.16 das] er + 396.19 Meinen] meinen 396,21 göttlichem] Göttlichem 396,38 u n d ] von hier an verändertes Schriftbild

397.6 herein] (e) + 397.7 scheine] schiene 397,33 lassen. / Gesell. / Du siehst] lassen, / Ich weiß es + 398.2 liesse] ließ 398,15 Sähs] Sähst + 398,28 gebeugt] b + 398,31 Er] (Sie) 398,35 Wenn Fürstin Venus das Wunder] Was sagt Fürstin Venus, wenn die es 399,5 ein] die + 399.5 erregt] ers + 399,15 ihr,] ihr, ich bin ihr eigen, 399,17-18 dir nicht reuen, / Du hast] euch nicht reuen, / Ihr habt 400,1 8] zdZ erg. 400,7 die] (1) Stephania (2) Sabina I, die 400,7 Mantel] (Rock) 400.9 Händen] S + 400.10 erkannte] erkannt hat + 400.20 Das Warten wird dem Gesellen nicht behagen,] (1) I + (2) Dank euch, ich darf den Mann nicht auf (xxx) + (3) Text 400,24-25 bestellen. / (Er springt fort)] bestellen. 401.6 gelernt] gespielt 401.17 mir.] mir, 402.3 Pfalzgrafen] erstes a aus 1 402,5 komm, er] komm aus + 1105

Kommentar

402,9 Zauberlicht] aus Majuskelansatz 402,19 Aus] + 403,16 auf] (xxx) 403,23 an] an an 403,23 m e i n ] aus Ansatz zu d 4 0 3 , 3 2 e r z ä h l e n . ] das letzte Stück der Seite (Platz für zwei Zeilen) unbeschr. 404.1 9] aoR erg.

404.3 lieber zusammendrängt] zusammendrängt 404,10-11 schob, nachdem] schob (1) u n d + (2) ob nicht d (anschließend Buchstabenansatz} +

404,23 ein allgemeines] einen allgemeinen (nach Ansatz zum Schluß-n abgebrochen) +

404.28 Venusberg] Venusberge 404.29 Eingang] der Eingang 404,29 das] die 404,34 durchsichtiges] zweites ch aus t; t aus Buchstabenansatz 405.2 Johannes] und Johannes 405.4 worauf] und + 405.8 der Fackel Busch] die (1) Fackel(n) + (2) Fackel (ein) Busch 405,11 eng eingenäht] gehüllt 405,13-14 Geselle. / Was] Was 405,28 Spindel] d aus h 405,32 seyn. ] seyn. 406,7-8 werden, (...) Rinderheerden.] werden. 406,18 Thürsteher.] + 406,20-21 steht, (...) geht n u r geht.] steht, 406,24-28 in d e m Zauberlichte (...) zur Wahrheit.] an einander und der gute Geselle erklärte alles nach bester Geschicklichkeit Diese Änderung erfolgte nach Ausweis des Schriftbildes im selben Arbeitsgang wie die beim folgenden Lemma verzeichnete; allerdings gehört die Änderung von u n d d e r in D e r offenbar zu einem späteren, separaten Arbeitsgang.

407.9 recht fest beym] beym vgl. das vorige Lemma 408,2 guten blauen D a m m a s t ] gute blaue Serge 408,9-10 Geselle. (...) d u m m . ] Geselle. 408.13 408.14 408.15 408.16

wissen sie keinen Spas zu] haben sie keinen Spas a m Sind s t u m m ] S t u m m Neulich] Η + machte] a aus ä 1106

Varianten zu F1

408.22 daß] s + 408.23 er mit] mit 409,15 kannte] em. kannten 409.28 Da] De + 409,35 Herzogin.] F + 410,6 Wehmuth] m aus t 410,9 Lebensreihen?] Lebensreihen, / Warum muß er dann so mächtig treiben, / In Liebeswuth uns selber zu entleiben. 49,9| 18-19; 49,7|54-55 410,15 etwas] die gesamte Seite dünn mit Bleistift durchstr. 410,17 geschmückt] vor + 410,23 D i e ] von hier an bis zum Ende des Doppelblatts 18-19

braune statt

schwarzer Tinte

411,5 Eine Frau ist nicht genug] Und ein Mann (1) ist nicht genug. (2) war schon genug? 411,11 Schimmern wechselnd tausend Dinge] Schimmert wechselnd eine Welt 411.19 Freund] d aus ß 411,23 Geschäft] (1) S c h + (2) G e s c h + (am Zeilenende) (3) Text (zu Beginn der folgenden Zeile)

411.29 Stephania] als daher am Morgen die Nachricht vom Tode des Papstes sich ve + 412.5 sie ihre] er seine 412,8 bey seite] bey d + 412,25 O ] von hier an verändertes Schriftbild 413,3 S ü n d e ] (xxx)

413.20 erleichterte] b(e) + 413,20 durch die] die 414.30 doch] uns 414.32 wünscht den Degen mir, ihn] wünschte mir ein Schwerdt, es 414.33 Sünd vor] Sünde + 415.6 verflossen,] verflossen, / Vielleicht gedenkt er (aus Buchstabenansatz) jezt des erstes Weibes, / Ich pflege treu die Schwäche seines Leibes. 415,11 sie] diese 415,14 immer] ihr +

1107

Kommentar

49,9|20-23 415.24 Tag vergaß] Tagen + 415,27 Chrysoloras] Chrysolorus 415.33 Papstes] Papst 415.34 verzognen] vers + 416,4 Johannes] e + 416,9 in griechischer Sprache herzusagen] herzusagen 416.12 wird] (1) wie + (2) wird + (3) Text 416,15 brennen] löschen 416,18 Suchte] Wollte 416.20 Mahle] Mahl 416.21 Gott,] Gott, Als m i r der Necktar kitzelt die Nase Enget den Hals u n d flügelt das Blut Glaubt ich es sicher, daß ich ein Gott. 416,26 Saß] War 416,26 Zunge] Zungenspitz 416.35 Allen (...) Glücksspiel] (1) D a ß (2) Ma(a)ßl auch den Sterblichen + 417.13 heimliches] heimlichen + 417,15 ζwey] zweiig 417.18 Göttin!] Göttin, 417.19 Wehe mich weckte] Schon mich erweckte 417.25 Schrecklich] (Und indem er) + 418,6 gemeiner] d(i) + 418,25 ersteiglich!] ersteiglich, 418.29 an] aus Ansatz zu d

418.30 erregten] g aus ch 418,30 schmeichelnden] 1 aus η 418,34-35 ihn, (...) dieser Nacht] ihn 419,3 durch] m i t 419,6 länger] (xxx) 419,13 lohnte. Das war ihr eine Kleinigkeit.] lohnte.

1108

Erläuterungen zu F1 Erläuterungen Die Erläuterungen zu Textteil Β beschränken sich auf solche Informationen, die nicht bereits zu parallelen Passagen in F2 bzw. einer älteren Vorfassung gegeben wurden; die Stellenkommentare zu diesen Fassungen sind also jeweils zu vergleichen. 49,3|1|7-12 Vgl. in F2 Kap. 1,2 und 1,3 mit den zugehörigen Erläuterungen. 341,11 ausgedauert] In transitiver Verwendung: ertragen (DWb 1, Sp. 843). 341,16 Was klingt i n m e i n e n Ohren, w e l c h e r Ton] Vgl. Faust I, v. 742f. (vgl. zu 16,24). 341,24 E r z e s w e l l e n ]

Gemeint

ist das Quecksilber, auf dem

das

Kind

schwimmt; vgl. 17,10. 342,2 Nazareners] Vgl. zu 15,14. 342.15 D a u m e n ] »Vom D(aumen), als dem kräftigsten der Finger, glaubt man, er sei mit übernatürlichen Kräften begabt« (HdA2, Sp. 174). 342.16 F l a u m e n ] Der seltene Plural ist in DWb 3, Sp. 1736 mit einer anderen Arnim-Stelle belegt. 342,22 L i l i t h ] Nach jüdischer Sage wurde Adams erste Frau Lilith zur Teufelin; Arnim verwendet diese Tradition in den Majorats-Herren. Hier ist wohl des Teufels Großmutter gemeint, die in Schernbergs Juttenspiel (vgl. Komm. 1.2) als Lillis auftritt (Gottsched 1765, S. 86; Lemmer 1971, S. 31 f.). 342,33 P l ü n d e r n ] Fetzen; vgl. 348,31 die Beschreibung von Johannas Windeln als L u m p e n . Einziger Beleg für den Plural aus neuerer Zeit in DWb 13, Sp. 1947 ist eine andere Arnim-Stelle. 342,37 Schornstein] Diese scherzhafte Bezeichnung für den Vulkankrater erinnert an die häufige Verbindung des Teufels mit Schornsteinen im Volksglauben; vgl. seine Bezeichnung als Schornsteinfeger im Tollen I n v a l i d e n (Werke 4, S. 53, z. 13f.; vgl. Heinz Rölleke, Der Teufel als Schornsteinfeger. Anmerkungen zu einem Motiv der Volks- und Kunstliteratur. In: Fabula 34, 1993, S. 291-293). Ebenso wird 388,31 Spiegelglanz von Sabina beschimpft. 343,1 d e n j u n g e m Plinius] Gaius Plinius Caecilius Secundus (61 oder 62 bis ca. 113), röm. Politiker und Schriftsteller, Neffe und Adoptivsohn Plinius des Älteren, des Verfassers der Naturgeschichte. Plinius der Jüngere lieferte mit der Schilderung des Vesuvausbruchs, bei dem sein Onkel umkam, in einem Brief an Tacitus die klassische Beschreibung einer Vulkaneruption. 343,6 Jahren,] Vgl. in den Varianten die gestr. ursprüngliche Fortsetzung des Satzes: H a t seine M a n n e s k r a f t als junger M a n n verkauft, / A n R u n a , 1109

Kommentar

die damit zum Zaubern tauft, / Für das Arkanum Flöhe zu erzeugen. Zu R u n a vgl. den Monolog Luzifers in F2, 14,1 ff. und Erl. Diese wohl im Zuge der Milderung von Derbheiten in der PJ getilgte Stelle ist für die Psychologie des Spiegelglanz bedeutsam (vgl. Barth 2000, S. 127). Vgl. 346,33 sowie die noch in F2 zu findenden Anspielungen auf die Impotenz des Gelehrten 21,6-7 (vgl. die entsprechende Stelle in der vorliegenden Fassung: 348,12-13), 83,5-6 und 174,30.

343.7 eigen] Vgl. dagegen in F2 18,1-2. 343.8 P l o t i n ] Wie im Falle des Sokrates, in den Luzifer sich an der entsprechenden Stelle in F2 verwandelt, ist hier wohl nicht der Begründer des Neuplatonismus selbst gemeint, der von ca. 205 bis 270 lebte, sondern ein späterer Namensvetter. Nach den Varianten sollte Luzifer zunächst schon hier als Chrysoloras erscheinen, was aber wegen seines scheinbaren Todes in dieser Szene dessen spätere Auftritte unmöglich gemacht hätte.

343,15 Salve] Lat.: Sei gegrüßt! 343,15 k o m m e n ] Archaisierend (mhd.) für >gekommenkneiftruhen< etwa bei Heinrich von Kleist vgl. DWb 14, Sp. 1432. 3 7 3 . 3 6 tormentirt] Archaisierend: foltert, quält; vgl. lat. tormina: Leibschmerzen und tormentum: Folter, Marter. 3 7 4 . 1 4 ü b e r m e i s t e r t ] überwältigt (DWb 23, Sp. 416). 3 7 4 . 1 5 D e r W i l l e ist gut, das F l e i s c h ist s c h w a c h ] Nach Mt 26,41 bzw. Mk 14,38. 375,1 J o h a n n i s w u r m ] Vgl. zu 286,5; zu einer möglichen Anspielung auf Helmina von Chezy vgl. zu 371,1. 375,27 Sie hat i h n ] Gemeint ist wohl: die Tugend den Markus. 3 7 5 , 3 3 Es l i e ß i h n der Fürst s c h ö n ü b e r b a u e n ] Der Markusbrunnen wurde von den Erbachern um 1810 mit einer neoklassizistischen Umrahmung geschmückt, die die Aufschrift trägt: »Marcobrunnen. Gemarkung Erbach«. 3 7 5 , 3 5 » D e m R e i n e n auf E r d e n ist alles rein.«] Sprichwörtlich nach Tit 1,15; vgl. Wander 3, Sp. 1640, Nr. 5; Röhrich 4, S. 1241. Ironischerweise verwendete Wilhelm Grimm diese Formel in einem Brief vom 28. Januar 1813 zur Verteidigung der KHM gegen Arnims Kritik: (...) i c h g l a u b e m a n darf n i c h t 1119

Kommentar

anders hier denken, als daß den reinen alles rein sey und fruchtbringend, ganz allgemein genommen. 3 7 5 , 3 8 Gnadenkuß] Wohl Arnimsche Bildung. 376,1 trocken] Bezieht sich hier wortspielerisch auch darauf, daß Spiegelglanz die Johanna vor dem Vortrag z w ö l f Stunden dürsten ließ. 376.4 S ä n g e r s c h u l ] Vgl. 365,6-7 und Erl.

Wunderknaben]

376,24

Diese seltenere Variante zu

»Wunderkind«

(vgl.

44,21 und Erl.) wurde wiederum, auch noch im 19. Jh., u.a. für den Christusknaben gebraucht ( D W b 3 0 , Sp. 1895). 3 7 6 , 2 4 a l t ] Hier wohl im Sinne von »bis er groß, volljährig ist«.

Denn kluge Kinder (...) Grabe tragen] Vgl. 68,25 und Erl. Schulfüchserey] Pedantische Gelehrsamkeit ( D W b 1 5 , Sp. 1944,

376,25-26 376,29 1946).

3 7 6 , 3 5 d i e H a n d k a n n l e g e n ] Elliptisch; zu ergänzen: auf dein Haupt. 377.5

Der Teufel giest nur

wo

es ist

z u n a ß ] Vgl. Wander 4, Sp. 1074,

Nr. 366: »Der Teuffei geusst gern, w o s zuvor nass ist.«

kuyonirt] schikaniert (das Wort falsche Waldemar; S W 1 8 , S. 182); hier: 377.12

auch z.B. in

Der echte und der

zwingt die Jugend, die gr. Sprache

zu lernen.

377,15 A l l e r w e l t s w e i s h e i t

Verschlingung]

Das scheinbare

Kompliment

(Verknüpfung universellen Wissens) hat einen pejorativen Doppelsinn (>Verschlingen< von Banalitäten). 378,2-7

Du trugst es vor (...) mit ewgen Knoten]

Nach Ausweis der Va-

rianten zu Kap. II,3 stand ein dieser Passage entsprechender Abschnitt zunächst dort am Ende der Gartenhausszene als Vorbereitung des Vortrags bei der Ex-

Feistigkeit

amensfeier; vgl. Entstehung 3.2.2.1.

im 2. Vers des Abschnitts ist

natürlich Wortspiel mit >Geistlichkeitvingerlin< für >Ringihrer Art gemäßDinte< vor >Tinte< bevorzugt; in F2, 156,32 schreibt Arnim Tintfaß. 393,16-17 wo eine J u n g f r a u durch einen raschen Sprung ein Knabe g e w o r d e n ] Anachronistische Anspielung auf die durch Michel de Montaignes Essais (1580; Kap. 21 des I.Buchs) berühmt gewordene Marie Germain: P a s sant a Victry le Frangoys, ie peuz voir u n h o m m e q u e l ' E v e s q u e de Soissons a v o i t n o m m e G e r m a i n e n c o n f i r m a t i o n , l e q u e l t o u s les h a b i t a n s d e l a o n t c o g n e u e t v e u fille, i u s q u e s a l ' a a g e d e v i n g t d e u x a n s , n o m m e e M a r i e . II e s t o i t ä c e t t ' h e u r e l a f o r t b a r b u , e t vieil, e t p o i n t m a r i e . F a i s a n t , dict-il, q u e l q u e e f f o r t e n s a u t a n t , ses m e m b r e s v i r i l s se 1122

Erläuterungen zu F 1

produisirent: et est encore en usage, entre les filles de la, une chanson, par laquelle elles s'entradvertissent de ne faire point de grandes enjambees, de peur de devenir gargons, c o m m e Marie Germain. (CEuvres completes de Michel de Montaigne. Les Essais I. Hg. von A. Armaingaud. Paris 1924, S. 211 f. Dt. Übersetzung von Hans Stilett: »Auf der Durchreise in Vitry-le-Frangois bekam ich einen M a n n zu sehn, den der Bischof von Soissons unter seinem Taufnamen G e r m a i n

gefirmt hatte, der jedoch bis zu seinem zweiundzwan-

zigsten Lebensjahr von allen Einwohnern für ein Mädchen gehalten und M a r i e genannt wurde. Er war unverheiratet, zum damaligen Zeitpunkt bereits alt und wies einen starken Bartwuchs auf. Seiner eignen Aussage nach seien ihm durch die A n s p a n n u n g eines Sprungs plötzlich seine männlichen Geschlechtsteile hervorgeschnellt; die Mädchen pflegen in dieser Gegend noch ein Lied zu singen, in dem sie einander warnen, allzu ausgreifende Schritte zu machen, damit sie nicht zu Burschen würden - wie M a r i e

G e r m a i n . « Michel de Montaigne,

Essais. Erste moderne Gesamtübersetzung von Hans Stilett. Frankfurt/M. 1998. Genehmigte Taschenbuchausgabe (München) 2000. 1. Bd., S. 150.) Die Geschichte ist auch im ersten Teil von Montaignes 1580/81 entstandenem Reisetagebuch

Journal

voyage en Italie enthalten (in den CEuvres completes Journal, Paris 1928, S. 10f.); sie findet sich zudem Ambroise Pares Des Monstres et Prodiges (1573). Auf eine de

im

1. Bd. der Ausgabe des

im

7. Kap. von

dt.

Variante desselben Stoffes beziehen sich vmtl. die Brüder Grimm in Punkt 6 zu

das Geschlecht verändern in ihrer hs. Sagenkonkordanz: Mädchen in Hamburg über Graben gesprungen u. Mann geworden. dem Schlagwort

(Vgl. die Edition von Heinz Rölleke: Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm. Kritische Ausgabe in Einzelbänden. Bd. 1.2. Stuttgart 2006.) Vgl. auch zu 148,34-35.

393,21 übernahmen] überwältigten, erfaßten ( D W b 2 3 , Sp. 437). 393,22-23 der christlichen Regungen des vorigen Abends] Vgl. in F2 den Schluß von III,4.

393,25

b e z w e i f e l n ] Zum Leitmotiv des Zweifels vgl. Komm. 4.2; vgl. auch

kurz darauf

393,28-32

wehe allen d i e in Z w e i f e l n verdarben. Narren (...) in Z w e i f e l n verdarben]

selige

Diese Passage klingt

an die von Arnim an anderer Stelle adaptierte Sündenklage aus Schernbergs Juttenspiel an; vgl. 203,2 und Erl. Die Stellen im NT, auf die hier angespielt wird, sind Christi Passionsgeschichte (Mt 2 6 bzw. Parallelstellen: dreimalige Verleugnung Jesu durch Petrus; Verrat Jesu durch Judas um dreißig Silberlinge und Selbstmord des Judas) und Jh 20,24-29.

3 9 3 , 3 3 A u g u s t i n u s ] Aurelius Augustinus (354-430), der bedeutendste Kirchenlehrer des Abendlandes.

1123

Kommentar

393,36 Urban]

Vgl.

132,1 Off.

und Erl.; im folgenden die erste Version des in

F2 ans Ende der I. Periode verschobenen und neugefaßten Demophonmärchens; vgl. diese Neufassung mit den zugehörigen Erläuterungen sowie Komm. 3 . 2 .

394,34 sähe] Vgl. zu 154,21. 395,25 i h m ] Johannes.

396,36-37 eine Schale seines innern Hirn löste sich nach der andern] Die merkwürdige Metaphorik ist angeregt durch die eben erwähnten Zwiebeln. 396,38 zweifelnd] Vgl. Komm. 4.2; vgl. auch zu 157,9. 397,16 Undank ist Weltlohn] Wander 4, Sp. 1422, Nr. 15; in gleicher Formulierung in D i e A p p e l m ä n n e r , 2. Aufzug (Arnim 1 8 1 3 , S. 303).

398,11 läst] 403.6 Ihr

sieht aus ( D W b

werdet

mein

12,

Ruf

Sp.

227).

in Noth

u n d L u s t ] Anspielung auf die angeb-

liche Angewohnheit Johannes' XII., bei den heidnischen Göttern zu schwören;

vgl. 311,18-19 und Erl. 404.7 jener wieß ihm aber drohend seine Handschrift] Vgl. 144,23 und Erl.

404,22 geflüchtet] gerettet, in Sicherheit gebracht; vgl. zu 93,12. 405.8 der Fackel Busch] Die merkwürdige Stelle ist möglicherweise Ergebnis einer nur teilweise ausgeführten Änderung; die frühere Textstufe die Fackel ein Busch (sofern die Lesung richtig ist; vgl. Varianten) erscheint sinnvoller. 405,14 Was w o l l t ihr (...) vorstellen] Als was wollt ihr euch verkleiden. 405,30 erfinden] finden. 406,20 Ich weiß nicht, wo der Kopf mir steht] Vgl. Wander 2, Sp. 1529, Nr. * 7 0 0 ; Röhrich 3, S. 870.

406,27 Geschicklichkeit] Vermögen, Fähigkeit. 406.32 Der heute Morgen trieb den Teufel aus]

Vorausdeutung auf die

Begegnung Johannas mit dem besessenen Spiegelglanz (vgl. F2, Kap. III,7). Vgl. auch weiter u. die wortspielerische Verwendung der Redensart

wie besessen

(Röhrich 1, S. 1 8 2 ) und die ironische Anspielung auf den Glauben, der Exorzist könne den Dämon beschwören, wenn er ihn

bey Namen

nennt.

4 0 6 . 3 3 in Saus und Braus] Seit 1691 belegte Formel; vgl. Wander 4, Sp. 36, Nr. *6; Röhrich 4, S. 1 2 8 9 .

4 0 6 , 3 6 Seraphin] Vom Engelchor der Seraphim (vgl. Jes 6,2f.) abgeleiteter Name.

407,8 Der Amor macht so oft hier seine Händel] Zu A m o r vgl. zu 161,1. Vgl. Kornemann 1614, S. 150f. über den Gott: (...) aber allezeit wann sich ein Zwitracht darbey erregt / ist er gewißlich ein Ursacher und schuldig daran (...). A u c h in Apuleius' Geschichte von A m o r und Psyche (vgl. zu 3 2 8 , 1 ) wird der Liebesgott entsprechend charakterisiert.

1124

Erläuterungen zu F1 4 0 7 , 2 0 Von solcher M ü h l a m K o p f e w ü r d i c h t r u n k e n ] Vgl. Faust I, v. 1946f.: M i r w i r d v o n alle d e m so d u m m , / A l s g i n g ' m i r e i n M ü h l r a d i m Kopf h e r u m . 4 0 7 , 3 0 g e m e i n ] gewöhnlich; dieser Kontrast zwischen äußerem Schein und tatsächlicher innerer Beschaffenheit des Throns steht offenbar emblematisch für seine Besitzerin Reinera; vgl. 192,14-15 und Erl. 4 0 8 , 2 D a m m a s t ] Damast; gemustertes Seidengewebe aus Damaskus. 4 0 8 , 5 F r a n z e n ] Fransen (vgl. die mhd. Form). 4 0 8 . 5 G o l d ] Vgl. die Beschreibung des auf Reinera anspielenden Teufelsfisches Remora in der Erzählung des Fischermärchens durch Sabina in F2, Kap. IV,4 als Fischchen v o n Silber u n d Gold. Vgl. auch 414,25-26, wo ebenfalls Sabina Reinera und deren Anhang mit dem g o l d n e n Kalb und dem prächtig gekleideten B a b y l o n s c h e n W e i b e in Verbindung bringt. 4 0 8 , 8 M u m , m u m , m u m ! ] Vgl. im »Anton-Roman« Schärtlins Rede über nichtsnutzige Landsknechte: (...) z i e h e n i m L a g e r u m oder v o n

einem

H a u s z u m andern, s c h r e i e n M u m , M u m (...) (Werke 2, S. 367; Quelle ist laut den Erläuterungen ebd. S. 745 Leonhardt Fronspergers K r i e g ß b u c h von 1573). 4 0 8 . 3 0 Versucht w i l l alles doch e i n m a l seyn] Sprichwörtlich; vgl. Wander 4, Sp. 1611, Nr. 3. 4 0 8 , 3 6 G e n i u s ] Im Glauben des antiken Rom ein Schutzgeist. 4 0 9 , 1 - 2 e i n w i l d e r L e r m e n ] Vgl. zu 180,15. 4 0 9 , 4 h o r c h t e zu] hörte aufmerksam zu (DWb 32, Sp. 456). 4 0 9 , 2 6 l e g t e sich z w i s c h e n ] mischte sich ein. 4 1 0 . 6 W e h m u t h ] Vgl. Komm. 4.2 zur Melancholiethematik. 49,9| 18-19; 49,7|54-55 Vgl. in F2 Kap. III,7 sowie o. TF1, Bl. 49,3|2|17-19 mit den zugehörigen Erläuterungen. 410,36 schön

that]

»liebkosen,

verliebt

thun,

schmeicheln«

(DWb 15,

Sp. 1483). 411,16 L e b e n lassen u n d a u c h l e b e n ] Abwandlung des etwa in der 6. Szene von Schillers W a l l e n s t e i n s L a g e r belegten Spw. »Leben und leben lassen« (Wander 2, Sp. 1851, Nr. 120; Röhrich 3, S. 941). 411.31 p r e s c h t e ] Früher auch transitiv gebraucht (DWb 13, Sp. 2102). 4 1 3 , 1 3 h a t t e n ] Vgl. zu 300,8. 4 1 3 , 2 4 da er grösser als die meisten M ä n n e r ] Vgl. 84,6 und Erl. 4 1 3 , 2 9 seltene] ungewöhnliche, besondere. 1125

Kommentar 4 1 4 , 8 L u s t g e s e l l ] Wohl Neologismus Arnims. 414.12 verwieß] vertrieb, verbannte (DWb25, Sp. 2185). 4 1 4 . 1 3 S c h w e s t e r n ] Vgl. zu 33,37. 4 1 4 , 1 5 L i c h t ] Vgl. die Redensart >sich die Flügel verbrennen< für »aus Vorwitz sich eine Unannehmlichkeit zuziehen« (Wander 1, Sp. 1082, Nr. *20). Vgl. auch die Verbindung von Lichtmetaphorik und Gelehrsamkeit am Beginn der PJ (4,34ff. und Erl.) sowie die Engelsflügel, die Luzifer der kleinen Johanna in der Heklaszene ausriß (17,32 und Erl.). 4 1 4 , 2 0 - 2 1 w e n n sie nur spricht, (...) alle h o c h g e l e h r t e n L e u t e ] Vgl. zu 189,25. 4 1 4 , 2 5 - 2 6 d e m Baal, / d e m g o l d n e n Kalb, d e m B a b y l o n s c h e n W e i b e ] Biblische Götzen, die für ein sexuell ausschweifendes Heidentum stehen: Baal (wörtlich >HerrKrieger, Held< und dem modernen Sinn >Stichwaffeeine Wolke statt der Juno umarmen« war im 18. und frühen 19. Jh. sprichwörtlich für >getäuscht werden« (DWb30, Sp. 1288). Fouque veröffentlichte in Urania. T a s c h e n b u c h f ü r D a m e n auf das Jahr 1 8 1 2 eine Novelle Ixion, die den Mythos in die Gegenwart verlegt. Während die ersten Fassungen das Gedicht durch die Überschriften deutlich den Themenkomplexen Künstlertum und Gelehrsamkeit zuordnen und, insofern Fouques späterer Adaption nahestehend, Ixion als (scheiternden) Dichter auffassen, ist die Bedeutung in der PJ »schillernd« (Hölter 1996, S. 275). Noch in der vorliegenden Fassung findet sich jedoch z.B. die allegorische Deutung der von Ixion begehrten Juno als e w i g e S c h ö n h e i t ; vgl. auch die Verwendung der Wolke als Poesiesymbol in anderen Dichtungen Arnims (vgl. 140,10 und Erl.); vgl. auch u. die Einzelerläuterungen. Zugleich ist die schon in der ZfE angelegte ironische Aktualisierung des Mythos verstärkt: Ixion erscheint als g e m e i n e r Kerl, der vom Personal der olympischen Aristokratie aus deren Palast geworfen wird (vgl. die Kostümierung des röm. Adels als mythologische Figuren in der Venusbergszene; vgl. zu 160,35). Die Integration des Gedichts in die PJ bereitete Arnim offenbar Schwierigkeiten, bis er sie in der letzten Fassung der Dichtung schließlich ganz verwarf; vorübergehend erwog er, wie das Blatt mit Exzerpten aus Creuzers S y m b o l i k u n d M y t h o l o g i e zeigt (vgl. Komm. 3), Ixion bei Johannas Besuch im Tartarus während der dem Proserpinamythos nachgebildeten Episode der Mysterienszene (IV,4) auftreten und das Gedicht vortragen zu lassen. An der vorliegenden Stelle bezieht sich das Lied auf die Verstoßung des Luzifer-Chryoloras durch die begehrte Johanna, was wohl besonders durch das den Ixion- und den Luzifermythos verbindende Motiv des Höllensturzes nahegelegt ist. Die in TF' ursprünglich anschließende Passage bezog die Metaphorik des Liedes auch auf Johanna selbst (vgl. 199,26 und Erl.). 1128

Erläuterungen zu F 1 Das Bild des Künstlers, der gefährdet zwischen Himmel und Erde, »Ideal und Lebenswirklichkeit« schwebt (Ricklefs in Werke 5, S. 1114f. über das frühe Gedicht

(Traum des Adepten),

(vgl. Ricklefs 1990a, S. 23 über

Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 612), ist bei Arnim häufig

Hollin's Liebeleben),

ebenso wie die Flug-

metapher allgemein für den künstlerischen Enthusiasmus steht (Sternberg 1983, S. 125). Vgl. auch das auf dem Phaetonmythos basierende Gedicht in

Ariel's Offenbarungen

Dichtertod

(Arnim 1804, S. 1 6 9 - 1 7 4 ; Ricklefs Lyr.-Reg. Nr. 365)

Der echte und der falsche Waldemar, zwischen Himmel und Erde hängt und sich deshalb

und den verliebten Herzog Otto in der an einer Kornwinde mit

Tantalus

(!) vergleicht (SW 18, S. 115). Zum Topos vom Rad der Zeit vgl.

Hölter 1996 (zum Ixionlied: S. 275); vgl. auch 141,2 und Erl. 416.14

Sticken]

Ersticken; »aus dem schon ahd. belegten compositum mit

e r - (...) im frühnhd. herausgesponnen« ( D W b 1 8 , Sp. 2742).

416.15 Schwindelnde Augen brennen in Funken]

Vgl. die geröteten A u -

gen des Spiegelglanz (5,35-36 und Erl.). Vgl. auch zu 416,24 sowie zu 417,26.

416,17 Gemeiner] gewöhnlicher. 416,22 Ambrosia (...) Necktar] Bei

Homer als Speise und Trank der unsterb-

lichen Götter genannt.

4 1 6 . 2 4 brennende K r a f t ] Zur metaphorischen Gleichsetzung von Göttlichkeit und Feuer in diesem Gedicht vgl. das Demophonmärchen am Ende der I. Periode von F2 bzw. 394,5—395,23 in der vorliegenden Fassung. Zugleich eine scherzhafte Parallelisierung der Wirkung der Götterspeise mit der von Alkohol; vgl. 408,32 Sabinas Befürchtungen über die schädliche Wirkung des Weins auf

Stephania: der brennt ihr die Eingeweide. 416.25 verschlafen] durch Schlafen verlieren. 416.26 Saß mir das Herz, knap auf der Zunge]

Die vielleicht auf Pr 21,29

zurückgehende Redensart (vgl. Wander 2, Sp. 617, Nr. *397; Röhrich 2, S. 704f.) ist hier ein scherzhafter Euphemismus für »sich übergeben