Wackernagels Gesetz im Deutschen: Zur Interaktion von Syntax, Phonologie und Informationsstruktur 9783110419603, 9783110418484, 9783110418538

Wackernagel’s law explains the global similarity of natural languages. Wackernagel elements generally tend to be in seco

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German Pages 320 Year 2015

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Abkürzungsverzeichnis
Tabellen- und Abbildungsverzeichnis
Einleitung 
1 Wackernagels Gesetz 
1.1 Wackernagels Gesetz heute 
1.2 „Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung“ 1892 
1.2.1 Elemente 
1.2.2 Phonologie 
1.2.3 Syntax 
1.2.4 Informationsstruktur 
1.3 Zusammenfassung 
2 Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition: Syntax, Phonologie und Informationsstruktur 
2.1 Phonologie: Prosodische Wohlgeformtheit 
2.1.1 Rhythmische Wohlgeformtheitsbedingungen 
2.1.2 Akzentkategorien: Satzakzent, Hauptakzent, rhythmischer Akzent 
2.1.2.1 Satzakzent 
2.1.2.2 Hauptakzent 
2.1.2.3 Rhythmischer Akzent und Satzrhythmus 
2.1.3 Deutsche Prosodie diachron 
2.2 Syntax: natürliche Serialisierung und Skopus 
2.2.1 Natürliche Serialisierung und Wortstellungstypologie 
2.2.2 Skopus 
2.3 Informationsstruktur 
2.4 Mehrdimensionale Interaktion in der Wackernagelposition 
2.4.1 Zum Status von Interaktionen 
2.4.2 Zur Formulierung mehrdimensionaler Interaktionen 
2.5 Wackernagels Gesetz im Rahmen mehrdimensionaler Interaktionen 
2.6 Zusammenfassung 
3 Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes 
3.1 Eindimensionale syntaktische Ansätze 
3.2 Eindimensionale phonologische Ansätze 
3.3 Klitisierung 
3.4 Zusammenfassung 
4 Korpuslinguistische Untersuchung: Wackernagels Gesetz vom Althochdeutschen zum Neuhochdeutschen 
4.1 Hypothesen zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition 
4.2 Anmerkungen zur Frage des Einflusses der Metrik und des Status der Übersetzung aus dem Lateinischen auf den Wackernagelkomplex
4.2.1 Natürliche Versifikation 
4.2.2 Lateinischer Einfluss 
4.2.3 Methodische Caveats: Schriftlichkeit und Handschriften 
4.3 Material: Textgrundlage 
4.4 Datenbankdesign 
4.5 Analyse und Bewertung des althochdeutschen Materials 
4.5.1 Hypothese 
4.5.2 Methode 
4.5.3 Untersuchte Wörter und orthographische Varianten 
4.5.4 Durchführung 
4.5.5 Auswertung 
4.5.6 Interpretation 
4.6 Zusammenfassung 
5 Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion 
5.1 Wackernagelelemente: Klassenbildung und protoindogermanischer Satzbau 
5.2 Koordinierende Satzkonjunktionen 
5.2.1 Syntax – Phonologie – Informationsstruktur: Erst- vs. Zweitstellung als Interaktionsphänomen 
5.2.2 Interaktion und Hierarchisierung der Subsysteme: die Position von lat. -que, -ve, et und got. -uh 
5.2.3 Die Position koordinierender Konjunktionen im Deutschen 
5.2.3.1 Althochdeutsche koordinierende Satzkonjunktionen vor protoindogermanischem Hintergrund 
5.2.3.1.1 Korpus
5.2.3.1.2 Durchführung 
5.2.3.1.3 Auswertung 
5.2.3.1.4 Hierarchisierung der interagierenden Subsysteme 
5.2.3.2 Die Position der koordinierenden Satzkonjunktion und im Neuhochdeutschen 
5.2.4 Zusammenfassung 
5.3 Objektspronomina 
5.3.1 Typologie 
5.3.2 Frühstellung der „unbetonten“ Objektspronomina als Interaktionsphänomen 
5.3.2.1 Syntax 
5.3.2.2 Phonologie 
5.3.2.3 Informationsstruktur 
5.3.2.4 Exkurs: Das Tobler-Mussafia-Gesetz 
5.3.2.5 Der Zusammenhang zwischen Pronomina in Wackernagelposition und Tobler-Mussafia-Position 
5.3.3 Zur relativen Reihenfolge der Objektspronomina 
5.3.3.1 Althochdeutsch 
5.3.3.2 Mittelhochdeutsch 
5.3.3.2.1 Korpus 
5.3.3.2.2 Kasus, Deixis und Numerus: Objektspronomina im Parzival, Nibelungenlied und Iwein 
5.3.3.3 Neuhochdeutsch 
5.3.3.3.1 Probanden 
5.3.3.3.2 Material 
5.3.3.3.3 Durchführung 
5.3.3.3.4 Ergebnis 
5.3.3.4 Typologische Interpretation der pronominalen Serialisierung 
5.3.3.5 Interaktionshierarchie am Beispiel des Pronominalsystems des mittelhochdeutschen Parzival 
5.3.4 Zusammenfassung 
5.4 Satznegation: Jespersens Zyklus und Wackernagels Gesetz 
5.4.1 Die Negationspartikel in der Wackernagelposition 
5.4.2 Jespersens Zyklus im Deutschen 
5.4.3 Zur Schwäche der Negationspartikel im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen 
5.4.3.1 Korpus 
5.4.3.2 Die Negationspartikel ni in Otfrid von Weissenburgs Evangelienbuch (9. Jh.) 
5.4.3.2.1 Akzentuiertes ni in Otfrids Evangelienbuch 
5.4.3.2.2 Elision von i in Otfrids Evangelienbuch 
5.4.3.3 Die rhythmische Einbettung von mhd. ne in den Versionen A, B und C des Nibelungenlieds (13. Jh.) 
5.4.3.3.1 Die Nibelungenstrophe 
5.4.3.3.2 Das rhythmische „Profil“ der Negationspartikel 
5.4.3.4 Die Reduktion der Negationspartikel im Althochdeutschen – Auslöser für Jespersens Zyklus? 
5.4.3.5 Die Schwächung der Negationspartikel im Zusammenhang mit der Etablierung von V2 
5.4.4 Die Interaktion linguistischer Subsysteme und Jespersens Zyklus 
5.4.5 Zusammenfassung 
5.5 Satzmodusmarker: Fragepartikeln 
5.5.1 Die germanische Konstruktion polarer Fragen vor typologischem Hintergrund 
5.5.2 Zur Position von Satzmodusmarkern: Erst-, Letzt- und Zweitstellung 
5.5.3 Hierarchisierung der interagierenden Subsysteme 
5.5.4 Notkers satzfinale Fragepartikel 
5.5.5 Interaktion: Der Verlust der alten Fragepartikel und die Grammatikalisierung des V1-Fragesatzes 
5.5.5.1 Der systembedingte Verlust der alten Fragepartikel – Zusammenhang mit dem Verlust der alten koordinierenden Satzkonjunktion und der alten Negationspartikel 
5.5.5.2 Zur Grammatikalisierung des germanischen V1-Fragesatzes
5.5.6 Zusammenfassung 
5.6 Konnektoradverbien 
5.6.1 Wackernageladverbien vs. Satzadverbien 
5.6.2 Status der Zweitstellung von Konnektoradverbien 
5.6.2.1 Korpus zur diachronen Untersuchung der Funktion von aber und nämlich in Zweitstellung 
5.6.2.2 Neuhochdeutsche Konnektoradverbien in Zweitposition 
5.6.2.2.1 aber 
5.6.2.2.2 nämlich 
5.6.2.3 Frühneuhochdeutsche Konnektoradverbien in Zweitposition 
5.6.2.3.1 aber 
5.6.2.3.2 nämlich 
5.6.2.4 Mittelhochdeutsche Konnektoradverbien in Zweitposition 
5.6.2.4.1 aber 
5.6.2.4.2 nämlich 
5.6.2.5 Althochdeutsche Konnektoradverbien in Zweitposition 
5.6.2.5.1 aber 
5.6.2.5.2 ahd. joh und got. -uh 
5.6.3 Formulierung der Interaktionshierarchie 
5.6.4 Zusammenfassung 
5.7 Das Verbum Substantivum als Wackernagelelement? Kritische Anmerkungen zur Erklärung der V2-Stellung über Wackernagels Gesetz
5.7.1 Positionen 
5.7.2 Typologie 
5.7.3 Zur Frage der germanischen Evidenz: Beowulf I 
5.7.4 Überprüfung des phonologischen Arguments zur Entstehung von V2 für das Althochdeutsche anhand des Althochdeutschen Isidor 
5.7.4.1 Korpus 
5.7.4.2 Methodik 
5.7.4.3 Auswertung 
5.7.5 Zur Frage der germanischen Evidenz: Beowulf II 
5.7.6 Zusammenfassung 
6 Kettenbildung und syntaktische Position 
6.1 Zur Frage der Rekonstruktion sprachlicher Verwandtschaft über Wackernagelketten 
6.2 Interne Serialisierung: Skopus 
6.3 Zusammenfassung 
7 Die syntaktische Position der Wackernagelkette: so weit links wie möglich 
8 Zur Funktion der Wackernagelposition: zweite Konstituente und zweites Wort 
8.1 Zweite Konstituente 
8.1.1 Kohäsion und Kohärenz 
8.1.2 (Hörerzentrierte) Diskurssteuerung 
8.2 Zweites Wort 
8.2.1 Vokative und Parenthesen 
8.2.2 Fokussierung 
8.2.3 Prosodische Wohlgeformtheit auf Satzebene 
Schlusswort 
Anhang A: Queries zur Bestimmung der Variation der relativen Reihenfolge von Wackernagelelementen 
Anhang B: Test zur relativen Reihenfolge der Objektspronomina 
Literaturverzeichnis 
Index
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Wackernagels Gesetz im Deutschen: Zur Interaktion von Syntax, Phonologie und Informationsstruktur
 9783110419603, 9783110418484, 9783110418538

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Patrizia Noel Aziz Hanna Wackernagels Gesetz im Deutschen

Studia Linguistica Germanica

Herausgegeben von Christa Dürscheid, Andreas Gardt, Oskar Reichmann und Stefan Sonderegger

Band 122

Wackernagels Gesetz im Deutschen

Zur Interaktion von Syntax, Phonologie und Informationsstruktur

ISBN 978-3-11-041960-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-041848-4 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-041853-8 ISSN 1861-5651 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2015 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com

| Meiner Mutter

Vorwort An erster Stelle möchte ich meinem Lehrer Prof. Theo Vennemann, PhD danken, dessen sprachtheoretisches Werk diese Arbeit maßgeblich geprägt hat. Seine Anregungen und sein kreativer Zugang zu den unterschiedlichsten linguistischen Fragestellungen waren für diese Arbeit von unschätzbarem Wert. Ich danke Prof. John Ole Askedal, Prof. Peter Eisenberg, Prof. Dr. Elisabeth Leiss und PD Dr. Peter-Arnold Mumm für Ihre Betreuung und Unterstützung als Mitglieder meines Fachmentorats. Für wertvolle Hinweise und Diskussionen bedanke ich mich bei PD Dr. Phil Hoole, Prof. Dr. Joachim Jacobs, Dr. Hans Leiss, PD Dr. Katrin Lindner, Dr. Robert Mailhammer, Prof. Dr. Barbara Sonnenhauser, Dr. Iva Welscher und Prof. Dr. Dietmar Zaefferer. Beispiele und Übersetzungen aus Sprachen, die ich selbst nicht spreche, verdanke ich Dr. Zahra Hamidi und Dr. Katalin Mády. Die Erstellung und Nutzung der elektronischen Datenbank wäre ohne die IT-Gruppe Geisteswissenschaften, v.a. Dr. Christian Riepl und Dr. Gerhard Schön, nicht möglich gewesen. Ich danke der Frauenbeauftragten der Ludwig-Maximilians-Universität München für die Finanzierung einer Hilfskraft zur Digitalisierung der Monseer Fragmente sowie Franziska Köhler für die Durchführung dieser Digitalisierung. Die Qualität der Übersetzungen aus dem Mittelhochdeutschen und Althochdeutschen hat durch die Hilfe von Dr. Dagmar Hirschberg und Prof. Dr. Ernst Hellgardt sehr gewonnen. Für die Durchsicht des Manuskripts bin ich Beate Mayer, Alvina Zakirova, Yasmin Noel-Schütt und Christine Aziz Hanna sehr dankbar. Für ihre große Unterstützung danke ich meiner Familie.

Patrizia Noel Aziz Hanna

Inhalt Inhalt

Vorwort | vii Abkürzungsverzeichnis | xv Tabellen- und Abbildungsverzeichnis | xvii Einleitung | 1 1 1.1 1.2 1.2.1 1.2.2 1.2.3 1.2.4 1.3 2

Wackernagels Gesetz | 11 Wackernagels Gesetz heute | 11 „Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung“ 1892 | 15 Elemente | 16 Phonologie | 18 Syntax | 20 Informationsstruktur | 23 Zusammenfassung | 25

Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition: Syntax, Phonologie und Informationsstruktur | 27 Phonologie: Prosodische Wohlgeformtheit | 27 2.1 2.1.1 Rhythmische Wohlgeformtheitsbedingungen | 27 2.1.2 Akzentkategorien: Satzakzent, Hauptakzent, rhythmischer Akzent | 28 2.1.2.1 Satzakzent | 29 2.1.2.2 Hauptakzent | 29 2.1.2.3 Rhythmischer Akzent und Satzrhythmus | 30 2.1.3 Deutsche Prosodie diachron | 32 2.2 Syntax: natürliche Serialisierung und Skopus | 35 2.2.1 Natürliche Serialisierung und Wortstellungstypologie | 36 2.2.2 Skopus | 43 2.3 Informationsstruktur | 45 2.4 Mehrdimensionale Interaktion in der Wackernagelposition | 48

x | Inhalt 2.4.1 2.4.2 2.5 2.6 3 3.1 3.2 3.3 3.4 4 4.1 4.2

4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.3 4.4 4.5 4.5.1 4.5.2 4.5.3 4.5.4 4.5.5 4.5.6 4.6 5 5.1 5.2

Zum Status von Interaktionen | 48 Zur Formulierung mehrdimensionaler Interaktionen | 52 Wackernagels Gesetz im Rahmen mehrdimensionaler Interaktionen | 54 Zusammenfassung | 56 Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes | 59 Eindimensionale syntaktische Ansätze | 59 Eindimensionale phonologische Ansätze | 64 Klitisierung | 68 Zusammenfassung | 72 Korpuslinguistische Untersuchung: Wackernagels Gesetz vom Althochdeutschen zum Neuhochdeutschen | 75 Hypothesen zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition | 75 Anmerkungen zur Frage des Einflusses der Metrik und des Status der Übersetzung aus dem Lateinischen auf den Wackernagelkomplex | 76 Natürliche Versifikation | 76 Lateinischer Einfluss | 78 Methodische Caveats: Schriftlichkeit und Handschriften | 79 Material: Textgrundlage | 80 Datenbankdesign | 80 Analyse und Bewertung des althochdeutschen Materials | 83 Hypothese | 83 Methode | 83 Untersuchte Wörter und orthographische Varianten | 84 Durchführung | 84 Auswertung | 86 Interpretation | 87 Zusammenfassung | 87 Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion | 89 Wackernagelelemente: Klassenbildung und protoindogermanischer Satzbau | 89 Koordinierende Satzkonjunktionen | 91

Inhalt | xi

5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.3.1 5.2.3.1.1 5.2.3.1.2 5.2.3.1.3 5.2.3.1.4 5.2.3.2 5.2.4 5.3 5.3.1 5.3.2 5.3.2.1 5.3.2.2 5.3.2.3 5.3.2.4 5.3.2.5 5.3.3 5.3.3.1 5.3.3.2 5.3.3.2.1 5.3.3.2.2 5.3.3.3 5.3.3.3.1 5.3.3.3.2 5.3.3.3.3 5.3.3.3.4 5.3.3.4 5.3.3.5 5.3.4

Syntax – Phonologie – Informationsstruktur: Erst- vs. Zweitstellung als Interaktionsphänomen | 91 Interaktion und Hierarchisierung der Subsysteme: die Position von lat. -que, -ve, et und got. -uh | 92 Die Position koordinierender Konjunktionen im Deutschen | 97 Althochdeutsche koordinierende Satzkonjunktionen vor protoindogermanischem Hintergrund | 97 Korpus 97 Durchführung | 97 Auswertung | 98 Hierarchisierung der interagierenden Subsysteme | 98 Die Position der koordinierenden Satzkonjunktion und im Neuhochdeutschen | 100 Zusammenfassung | 101 Objektspronomina | 101 Typologie | 102 Frühstellung der „unbetonten“ Objektspronomina als Interaktionsphänomen | 105 Syntax | 106 Phonologie | 108 Informationsstruktur | 111 Exkurs: Das Tobler-Mussafia-Gesetz | 112 Der Zusammenhang zwischen Pronomina in Wackernagelposition und Tobler-Mussafia-Position | 117 Zur relativen Reihenfolge der Objektspronomina | 119 Althochdeutsch | 120 Mittelhochdeutsch | 122 Korpus | 122 Kasus, Deixis und Numerus: Objektspronomina im Parzival, Nibelungenlied und Iwein | 123 Neuhochdeutsch | 129 Probanden | 132 Material | 132 Durchführung | 133 Ergebnis | 133 Typologische Interpretation der pronominalen Serialisierung | 136 Interaktionshierarchie am Beispiel des Pronominalsystems des mittelhochdeutschen Parzival | 137 Zusammenfassung | 139

xii | Inhalt 5.4 5.4.1 5.4.2 5.4.3 5.4.3.1 5.4.3.2 5.4.3.2.1 5.4.3.2.2 5.4.3.3 5.4.3.3.1 5.4.3.3.2 5.4.3.4 5.4.3.5 5.4.4 5.4.5 5.5 5.5.1 5.5.2 5.5.3 5.5.4 5.5.5 5.5.5.1

5.5.5.2 5.5.6 5.6 5.6.1 5.6.2

Satznegation: Jespersens Zyklus und Wackernagels Gesetz | 140 Die Negationspartikel in der Wackernagelposition | 140 Jespersens Zyklus im Deutschen | 142 Zur Schwäche der Negationspartikel im Althochdeutschen und Mittelhochdeutschen | 146 Korpus | 146 Die Negationspartikel ni in Otfrid von Weissenburgs Evangelienbuch (9. Jh.) | 147 Akzentuiertes ni in Otfrids Evangelienbuch | 147 Elision von i in Otfrids Evangelienbuch | 149 Die rhythmische Einbettung von mhd. ne in den Versionen A, B und C des Nibelungenlieds (13. Jh.) | 153 Die Nibelungenstrophe | 154 Das rhythmische „Profil“ der Negationspartikel | 155 Die Reduktion der Negationspartikel im Althochdeutschen – Auslöser für Jespersens Zyklus? | 161 Die Schwächung der Negationspartikel im Zusammenhang mit der Etablierung von V2 | 161 Die Interaktion linguistischer Subsysteme und Jespersens Zyklus | 163 Zusammenfassung | 165 Satzmodusmarker: Fragepartikeln | 166 Die germanische Konstruktion polarer Fragen vor typologischem Hintergrund | 167 Zur Position von Satzmodusmarkern: Erst-, Letzt- und Zweitstellung | 168 Hierarchisierung der interagierenden Subsysteme | 170 Notkers satzfinale Fragepartikel | 172 Interaktion: Der Verlust der alten Fragepartikel und die Grammatikalisierung des V1-Fragesatzes | 173 Der systembedingte Verlust der alten Fragepartikel – Zusammenhang mit dem Verlust der alten koordinierenden Satzkonjunktion und der alten Negationspartikel | 173 Zur Grammatikalisierung des germanischen V1-Fragesatzes | 175 Zusammenfassung | 176 Konnektoradverbien | 176 Wackernageladverbien vs. Satzadverbien | 177 Status der Zweitstellung von Konnektoradverbien | 179

Inhalt | xiii

5.6.2.1 5.6.2.2 5.6.2.2.1 5.6.2.2.2 5.6.2.3 5.6.2.3.1 5.6.2.3.2 5.6.2.4 5.6.2.4.1 5.6.2.4.2 5.6.2.5 5.6.2.5.1 5.6.2.5.2 5.6.3 5.6.4 5.7

5.7.1 5.7.2 5.7.3 5.7.4

5.7.4.1 5.7.4.2 5.7.4.3 5.7.5 5.7.6 6 6.1 6.2 6.3 7

Korpus zur diachronen Untersuchung der Funktion von aber und nämlich in Zweitstellung | 181 Neuhochdeutsche Konnektoradverbien in Zweitposition | 181 aber | 181 nämlich | 187 Frühneuhochdeutsche Konnektoradverbien in Zweitposition | 190 aber | 190 nämlich | 192 Mittelhochdeutsche Konnektoradverbien in Zweitposition | 193 aber | 193 nämlich | 193 Althochdeutsche Konnektoradverbien in Zweitposition | 195 aber | 195 ahd. joh und got. -uh | 197 Formulierung der Interaktionshierarchie | 199 Zusammenfassung | 200 Das Verbum Substantivum als Wackernagelelement? Kritische Anmerkungen zur Erklärung der V2-Stellung über Wackernagels Gesetz | 200 Positionen | 201 Typologie | 203 Zur Frage der germanischen Evidenz: Beowulf I | 209 Überprüfung des phonologischen Arguments zur Entstehung von V2 für das Althochdeutsche anhand des Althochdeutschen Isidor | 213 Korpus | 213 Methodik | 214 Auswertung | 214 Zur Frage der germanischen Evidenz: Beowulf II | 218 Zusammenfassung | 223

Kettenbildung und syntaktische Position | 225 Zur Frage der Rekonstruktion sprachlicher Verwandtschaft über Wackernagelketten | 225 Interne Serialisierung: Skopus | 226 Zusammenfassung | 229 Die syntaktische Position der Wackernagelkette: so weit links wie möglich | 231

xiv | Inhalt 8 8.1 8.1.1 8.1.2 8.2 8.2.1 8.2.2 8.2.3

Zur Funktion der Wackernagelposition: zweite Konstituente und zweites Wort | 235 Zweite Konstituente | 235 Kohäsion und Kohärenz | 235 (Hörerzentrierte) Diskurssteuerung | 236 Zweites Wort | 237 Vokative und Parenthesen | 237 Fokussierung | 245 Prosodische Wohlgeformtheit auf Satzebene | 246

Schlusswort | 249 Anhang A: Queries zur Bestimmung der Variation der relativen Reihenfolge von Wackernagelelementen | 255 Anhang B: Test zur relativen Reihenfolge der Objektspronomina | 259 Literaturverzeichnis | 255 Index | 297

!

Abkürzungsverzeichnis Ø A Fext Fmin Fpar INT IS OV Pros S Syn VO

Pause oder Reduktion zu Null Auftakt erweiterter Fuß minimaler Fuß parasitärer Fuß Fragepartikel Informationsstruktur rechtsköpfiger Satzbau Prosodie Satz Syntax linksköpfiger Satzbau

Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Abbildungsverzeichnis 1. Tabellenverzeichnis Tabelle 1:

Althochdeutsche Testitems für die Distributionsanalyse. 84

Tabelle 2:

Statistik: ni mit und ohne Akut in Otfrids Evangelienbuch.148

Tabelle 3:

SQL-Abfrage: imo (3. Pers. Sgl. Dat. m./n.) in Otfrids Evangelienbuch. 151

Tabelle 4:

Mhd. ne in rhythmischen Kontexten. 156

Tabelle 5:

Ries’ (1907) Statistik zur Distribution von Vollverben, Modalverben und Auxiliaren im Beowulf.

Tabelle 6:

211

Auswertung Wortstellungstest Objektspronomina.

262

2. Abbildungsverzeichnis Abbildung 1:  

Lateinische und altdeutsche Fußbildung. 33  

Abbildung 2:  

Rhythmische Wohlgeformtheit im Standarddeutschen und im Altdeutschen. 35  

Abbildung 3:  

Prinzip der natürlichen Serialisierung (Bartsch/Vennemann 1972: 136, Vennemann 1974a: 347). 39  

Abbildung 4:  

Operatoren (A) und Operanden (B) (Vennemann 2003: 335).

Abbildung 5:  

Organisationsprinzipien in OV-Sprachen mit Wackernagelposition.

40  

Abbildung 6:  

Interaktion linguistischer Subsysteme und die Wackernagelposition. 50  

Abbildung 7:  

Korrelierung von Topik, Fokus und Referent nach van Valin (2005).

Abbildung 8:  

Hierarchie linguistischer Subsysteme.

Abbildung 9:  

SQL-Query: Auszug der Wortliste zu Otfrids Evangelienbuch, dem Althochdeut-

44   51  

56  

schen Isidor und dem Althochdeutschen Tatian. 81   Abbildung 10:   SQL-Query: Auszug zu ahd. auur in zweiter Position im Althochdeutschen Isidor. 82   Abbildung 11:  

SQL-Query: und- und aber-Kombinationen in Otfrids Evangelienbuch, im Althochdeutschen Tatian und im Althochdeutschen Isidor.

82  

Abbildung 12:   Virtuelle Reihenfolge althochdeutscher Wackernagelelemente.

86  

Abbildung 13:   Proto-indogermanischer Satz mit einer koordinierenden Satzkonjunktion in Wackernagelposition.

90  

Abbildung 14:   Hierarchie linguistischer Subsysteme für leichte koordinierende Satzkonjunktionen in silbenbasierten Quantitätssprachen mit Initialakzent und OV-Syntax. 94  

xviii | Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Abbildung 15:! Hierarchie linguistischer Subsysteme für schwere koordinierende Satzkonjunktionen in silbenbasierten Quantitätssystemen mit OV-Syntax.95! Abbildung 16:! Hierarchie linguistischer Subsysteme für leichte koordinierende Satzkonjunktionen in akzentbasierten Quantitätssprachen mit Initialakzent und OV/VOSyntax. 96! Abbildung 17:! Hierarchie linguistischer Subsysteme für fußbildende koordinierende Satzkonjunktionen in akzentbasierten Quantitätssprachen mit Initialakzent und vorwiegender VO-Syntax im Deklarativsatz. 99! Abbildung 18:! Hierarchie linguistischer Subsysteme für Objektspronomina und volle ObjektNPs in Deklarativsätzen konsistenter OV-Sprachen. 117! Abbildung 19:! Beispiel zum Wortstellungstest Objektspronomina.

133!

Abbildung 20:! Hierarchie linguistischer Subsysteme für die relative Reihenfolge mittelhochdeutscher Objektspronomina im Parzival bei VO-Syntax unter Ausschluss von ez. 138! Abbildung 21:! Jespersens Zyklus (nach Donhauser 1996: 202). 143! Abbildung 22:! Elidierte Vokale: große Häufigkeit von elidiertem i in Otfrids Evangelienbuch. 149! Abbildung 23:! Orthographie: Niedrige Häufigkeit von akzentuiertem i in Otfrids Evangelienbuch.

150!

Abbildung 24:! Die Nibelungenstrophe. 154! Abbildung 25:! Interaktion linguistischer Subsysteme für die präverbale leichte mittelhochdeutsche Negationspartikel ne bei akzentbasierter Quantität, VO-Syntax und [-Vorfeldfähigkeit]. 163! Abbildung 26:! Interaktion linguistischer Subsysteme für die Negationspartikel nicht in der gewichtssensitiven Silbenschnittsprache Neuhochdeutsch mit unmarkierter OV-Syntax. 164! Abbildung 27:! Polare Fragen: Interrogative Wortstellung (Quelle: World atlas of language structures online).

168!

Abbildung 28:! Hierarchie linguistischer Subsysteme für leichte Fragepartikeln in akzentbasierten Quantitätssprachen mit Initialakzent und OV/VO-Syntax. 170! Abbildung 29:! Hierarchie linguistischer Subsysteme für das Konnektoradverb nämlich bei OV-Syntax und quantitätsinsensitiver gewichtsbasierter Akzentsprache. 199! Abbildung 30:! Verbindungen mit dem Verbum Substantivum im Althochdeutschen Isidor. 215! Abbildung 31:! Verbstellung Verbum Substantivum in Kombination mit NPs. 216! Abbildung 32:! Verbstellung Verbum Substantivum in Kombination mit Partizip Präteritum. 216! Abbildung 33:! Verbstellung Verbum Substantivum in Kombination mit Adjektiv. 217! Abbildung 34:! Verbstellung Verbum Substantivum in Kombination mit Partizip Präsens. 217!

Abbildungsverzeichnis | xix

Abbildung 35:! Formeln im Beowulf: Silbenzahl pro Halbzeile. Abbildung 36:! Formeln im Beowulf: Moren pro Halbzeile.

219!

220!

Abbildung 37:! Formeln im Beowulf: Verteilung der Füße in der Halbzeile. 220! Abbildung 38:! Formeln im Beowulf: Durchschnittliche Morenzahl im Takt in der Halbzeile. 221! Abbildung 39:! Präferierte Serialisierung der Wackernagelelemente. 227! Abbildung 40:! Zur Wahrnehmung des Wackernagelkomplexes als Einheit: Durchbrechung der Wackernagelkette Koordinierende Satzkonjunktionen < Konnektoradverbien < Objektspronomina.

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Einleitung Einleitung

Es gilt den Erscheinungen ihre Gesetze abzulauschen (von der Gabelentz 1901: 48)

Wackernagels Gesetz, veröffentlicht 1892 in dem Aufsatz “Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung”, ist ein zentrales Stellungsgesetz indoeuropäischer und nicht-indoeuropäischer Sprachen. Es ist bis heute unumstritten. Jacob Wackernagel beschreibt in seinem Aufsatz, dass bestimmte Wörter, zum Beispiel Objektspronomina, koordinierende Konjunktionen und einige Adverbien, die Tendenz haben, in zweiter Position im Satz zu stehen. Mit „zweiter Position“ meint Wackernagel in Bezug auf die alten indogermanischen Sprachen in erster Linie das zweite Wort eines Satzes, aber auch die zweite Konstituente. Das Stellungsgesetz wurde von ihm als einzelsprachliche phonologisch motivierte Besonderheit des ältesten Indogermanischen aufgefasst, die sich, teilweise in korrumpierter Form, noch in rezenten Einzelsprachen wie dem Deutschen zeigt. Die lateinischen Beispiele zeigen Wackernagelelemente als zweite Konstituente (1), als zweites Wort (2) und in einer späteren als der zweiten Position (3). (1) Objektspronomen lat. te ‘dich’ in zweiter Position, zweite Konstituente Di deaeque te adiuvant. (Plautus, Epidicus, III.3.396) ‘Die Götter sind dir gewogen und die Göttinnen.’1 (2) Objektspronomen lat. te ‘dich’ in zweiter Position, zweites Wort Di te deaeque ament vel huius arbitratu vel meo, vel, si dignu’s alio pacto, neque ament nec faciant bene. (Plautus, Pseudolus I.3.271–272) ‘Mögen Götter und Göttinnen dich lieben, sowohl nach seinem als auch nach meinem Wunsch; wenn du aber auf andere Weise verdienstvoll bist, mögen sie dich weder lieben noch dir Gutes tun.’

|| 1 Übersetzungen angelehnt an die Plautus-Übersetzung von Ludwig (1966).

2 | Einleitung (3) Objektspronomen lat. me ‘mich’ in dritter Position: At ita me di deaeque omnis ament, nisi mihi supplicium virgeum de te datur longum diutinumque, a mane ad vesperum. (Plautus, Miles Gloriosus II.6.501–501) ‘Aber so mich alle Götter und Göttinnen lieben, wenn dir um meinetwillen nicht die Rute gegeben wird, den lieben langen Tag, vom Morgen bis zum Abend’ In (1), di deaeque te [...], steht das Objektspronomen lat. te ‘dich’ nach dem Subjekt di deaeque ‘Götter und Göttinnen’ als zweite Konstituente. In (2), di te deaeque [...], spaltet das Objektspronomen te die erste Konstituente (Tmesis) und steht als zweites Wort. (3) zeigt, dass ein lateinisches Objektspronomen auch an späterer Stelle stehen kann: at ita me di deaeque [...] “aber so mich die Götter und Göttinnen”. Die Zweitstellung bestimmter Kategorien findet sich nicht nur in den alten indogermanischen Sprachen wie dem Klassischen Lateinischen, dem Altgriechischen und dem Altindischen; sie ist noch heute auch in der deutschen Sprache zu finden. In (4) steht beispielsweise das Wort aber vor dem finiten Verb, aber nach dem Erstelement, und noch im Althochdeutschen finden sich, ähnlich wie für das Altgriechische und Hethitische beschrieben, Ketten von Funktionswörtern am Satzanfang, die auf ihren „Wackernagelstatus“ zu überprüfen sind, vgl. (5), (6). (4) Surflehrer haben's schwer... Dort aber, wenig ausserhalb der Einstiegsbucht, treiben die Schüler schneller ab als ihre Lehrer hätten ahnen können. Weshalb tun Jan und Roger sich das an? (A97/AUG.17578 St. Galler Tagblatt, 07.08.1997; «Und jetzt dasselbe noch mit Segel!») (5) Endi ioh dhazs ist nu unzuuiflo so leohtsamo zi firstandanne, dhazs dhiz ist chiquhedan in unseres druhtines nemin.2 ‘Und auch das ist nun eindeutig so klar zu verstehen, dass das gesagt ist in unseres Herren Namen’ (Isidor VII, 7–10) (6) Endi so ir auur dhuo ni uuas huuerfandi zi dhes ęrrin meghines uueghe ‘Und so kam er aber da nicht zurück auf den Weg der früheren Tugend’ (Isidor XXIX, 11–13)

|| 2 Die deutschen Editionen wurden, so weit möglich, anhand der Handschriften überprüft.

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Für grammatische Theorien ist die Wackernagelposition eine Herausforderung; das Dilemma besteht darin, dass keine Theorie ohne Zusatzannahmen auskommt. Die Gründe hierfür sind vielfältig. So entspricht die Variation in der Platzierung eines Elements als zweite Konstituente oder als zweites Wort nicht der Auffassung syntaktischer Theorien, die sich beinahe ausschließlich auf Konstituenten beziehen. Generell ist außerdem zu klären, warum Wackernagelelemente unabhängig von syntaktischer Rechts- oder Linksköpfigkeit links im Satz stehen. Auch ist Wackernagels Gesetz nur auf bestimmte Wörter anzuwenden: Objektspronomina folgen beispielsweise dem Gesetz, Objekts-NPs jedoch nicht. Warum handelt es sich gerade um diese Elemente und nicht um andere? Einige dieser Wörter sind in den alten indogermanischen Sprachen enklitisch, „lehnen“ sich also an ein anderes Wort, eine Besonderheit, die in der Fachliteratur zahlreiche Generalisierungen über die phonologische Form dieser Teilmenge nach sich zieht; doch ist Enklise kein definierendes Kriterium, denn sie gilt weder für alle von Wackernagel beschriebenen Elemente noch für alle Elemente in Wackernagelposition in den modernen Sprachen. Schon Wackernagel beschreibt die Zweitstellung nicht-klitischer Partikeln, beispielsweise der lateinischen Objektspronomina. Ein weiteres Problem besteht darin, dass eine typologische Beschreibung des Wackernagelschen Gesetzes auch den von der Zweitposition abweichenden Beginn der Wackernagelposition erfassen können muss; dieser kann nach der zweiten Position liegen, er kann aber auch die erste Position miteinbeziehen, will man zum Beispiel koordinierende Satzkonjunktionen oder Fragepartikeln in Zweitposition nicht von funktionsgleichen Funktionswörtern in Erstposition trennen. Die Lösungen, die in der Forschungsliteratur vorgeschlagen werden, sind zum überwiegenden Teil eindimensional, d.h. rein syntaktisch oder rein phonologisch. Der Gegenstandsbereich des Wackernagelschen Gesetzes ist jedoch aus rein syntaktischer oder rein phonologischer Perspektive betrachtet äußerst inhomogen. Es handelt sich hierbei, wie schon erwähnt, weder ausschließlich um reduzierte Formen noch um eine einheitlich syntaktisch definierbare Klasse, die alles von der koordinierenden Konjunktion bis zum Objektspronomen umfasst. Daher sind in eindimensionalen Ansätzen zusätzliche Annahmen notwendig: Gängige Mechanismen zur Motivation der Stellung ausgewählter Elemente in Wackernagelposition sind syntaktisch oder phonologisch motivierte Bewegungsoperationen, Basisgenerierungen und die syntaktische Kodierung von Lexikoneinträgen. Bei ersterem wird ein Element in die in der jeweiligen Sprache belegte Position bewegt, bei den beiden anderen Vorschlägen wird es an Ort und Stelle in der linken Satzperipherie angesetzt. Die relative Reihen-

4 | Einleitung folge der Elemente in Wackernagelposition wird dann häufig über Templates organisiert. Eindimensionale Ansätze haben einen gemeinsamen Nachteil: Sie beschreiben zwar die Zweitstellung beispielsweise einer klitischen koordinierenden Satzkonjunktion, sie können aber nicht herleiten, warum dieses Element in Zweitposition steht und warum im typologischen Vergleich nicht alle koordinierenden Konjunktionen in Zweitposition stehen (vgl. z.B. die einzelsprachliche Variation der Erst- vs. Zweitpositionierung koordinierender Satzkonjunktionen im Lateinischen oder die gotische Nachstellung der koordinierenden Satzkonjunktion -uh im Gegensatz zu althochdeutschem endi in Erstposition). Es ist außerdem aus syntaktischer und phonologischer Perspektive unklar, warum gerade diese Elemente in der linken Satzperipherie stehen oder dorthin bewegt werden müssen, andere hingegen nicht; dies birgt ohne Regulierung das Problem der Übergenerierung. Ferner ist beim Ansetzen von Templates Sprachwandel in der Wackernagelposition nicht ableitbar – die Wackernagelposition des Deutschen erweist sich in dieser Arbeit aus diachronischer Sicht als nicht konstant. Eine Änderung des Wackernagelkomplexes bedeutet, dass ad hoc ein neues Template angesetzt werden muss. In dieser Untersuchung wird statt der vorherrschenden eindimensionalen Ansätze ein mehrdimensionaler Ansatz vorgelegt. Die üblicherweise in Untersuchungen zur Wackernagelposition herangezogenen linguistischen Subsysteme Syntax und Phonologie werden um den Einflussfaktor Informationsstruktur erweitert. Wackernagels Gesetz erweist sich als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion zwischen Syntax, Phonologie und Informationsstruktur. Diese Interaktion wird hier in ihrer sprachübergreifenden Anlage, ihren sprachspezifischen Ausprägungen und ihrer diachronischen und synchronischen Perspektive mit dem Schwerpunkt der deutschen Sprache untersucht. Wenn Interaktionen angesetzt werden, sind diese zu beschränken. Auch bezogen auf den Untersuchungsgegenstand des Wackernagelschen Gesetzes sind nicht alle theoretisch denkbaren Optionen in den Sprachen der Welt realisiert. So ist zum Beispiel eine koordinierende Satzkonjunktion am Ende des zweiten Konjunkts zwar eine denkbare, aber keine sinnvolle Lösung, da sie bezüglich ihrer Funktion dort nicht mehr effektiv wäre. Interaktionen werden in dieser Untersuchung als Interaktionshierarchien beschrieben. Sowohl dem sprachtypologischen Faktor wird dabei Rechnung getragen, als auch der einzelsprachlichen Betrachtung. Sprachspezifische Interaktionen sind nur auf der Grundlage von Daten zur Position und Serialisierung der Elemente zu beschreiben. Das machte wiederum

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die Anlage einer elektronischen Datenbank zur deutschen Wackernagelposition seit dem Althochdeutschen notwendig (ca. 190.000 Sätze, ca. 1.900.000 Wörter). Sie war nicht zuletzt auch deshalb unerlässlich, weil die Wackernagelelemente des Deutschen zunächst identifiziert werden mussten, und zwar anhand von etymologischen, funktionalen und positionalen Kriterien. Die einzelsprachlichen Daten sind durch eine Interaktionshierarchie besser zu beschreiben als aus eindimensionaler Perspektive: Ändert sich eines der linguistischen Subsysteme, so passen sich die Elemente in Wackernagelposition an die neuen Wohlgeformtheitsbedingungen an. Aus den linguistischen Subsystemen lässt sich so der zwangsläufige systembedingte Verlust hochfrequenter Funktionswörter in der deutschen Wackernagelposition ableiten. Der Verlust der germanischen enklitischen koordinierenden Satzkonjunktion, der germanischen Fragepartikel und der alten Negationspartikel liefert hier u.a. einen Beitrag zur Grammatikalisierungsforschung, da sich der Verlust der Kategorien über „ungünstige“ Interaktionskonstellationen motivieren lässt. Die Motivierung der Frühstellung der Wackernagelelemente erfolgt in diesem Rahmen über ihre Funktion. Wie sich zeigte, dienen alle ermittelten Elemente der Herstellung von Kohäsion und Kohärenz oder der Diskursorganisation. Diese Funktionen legen für alle Wackernagelelemente eine Positionierung „so weit am Satzanfang wie möglich“ nahe. Da also um die am weitesten links liegende Position konkurriert wird, muss die interne Reihenfolge des Wackernagelkomplexes geregelt werden. Ich schlage dazu vor, dass die Abfolge der Elemente über die Skopusverhältnisse geregelt ist. Während die Stellungsbesonderheit im Gegensatz zu Wackernagel in dieser Arbeit nicht als Zweitposition, sondern als Position „so weit links im Satz wie möglich“ generalisiert wird, übernehme ich von Wackernagel die von ihm in seiner maßgebenden Abhandlung angeführten Kategorien – mit einer Ausnahme, nämlich derjenigen des finiten Verbs in Zweitstellung. Die dezeit herrschende Lehre zur Entwicklung von germanischem V2 leitet sich aus Wackernagels tentativ formulierter Hypothese einer phonologisch motivierten Frühstellung her und wird hier anhand von Daten widerlegt. Die Antwort auf die Frage, was sich hinter Wackernagels Gesetz verbirgt, mündet in einer wissenschaftstheoretischen Frage: Was ist ein Gesetz? Der Wegfall eines homogenen Motivationsfaktors stellt infrage, ob es sich bei Wackernagels Gesetz um ein Phänomen handelt. Die Auffassung, dass Wackernagels Gesetz das Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion ist, an der eine nicht homogene Menge von Kategorien teilnimmt, und dass das Gesetz eine Vielzahl teilweise funktional assoziierter Phänomene beschreibt, die zu einem ähnlichen Resultat bezüglich der Position der beteiligten Kategorien

6 | Einleitung führt, perspektiviert in einem funktionalen Rahmen Grundannahmen der linguistischen Kategorienbildung. Kapitel 1 stellt Wackernagels Aufsatz von 1892 vor, die dort beschriebenen Elemente, die in Betracht gezogenen Beschreibungsebenen und die zeitgenössische Rezeption seiner Hypothese. Ein Überblick zur modernen Rezeption des Wackernagelschen Gesetzes zeigt im Vergleich zu der induktiven wackernagelschen Urfassung eine überwiegend deduktive Tradierung der wackernagelschen Aussage mit einer Vielzahl unterschiedlicher Definitionen des Gesetzes. In Kapitel 2 wird der theoretische Rahmen für die Darstellung der Interaktion linguistischer Subsysteme entwickelt. Die für die Beschreibung des deutschen Wackernagelkomplexes relevanten Subsysteme Phonologie, Syntax und Informationsstruktur werden als Hierarchie angesetzt, die Interaktion in ihrer allgemeinen Anlage und in ihrer sprachspezifischen Ausprägung dargestellt. Die Position des jeweiligen Wackernagelelements wird über die linguistischen Subsysteme beschrieben. Der phonologische Faktor fließt über rhythmische Wohlgeformtheitsbedingungen ein, die auf der Ebene des Satzes angesetzt werden. Die syntaktische Komponente dient der Erfassung von Serialisierungsmustern über Operator-Operand- und über Skopusverhältnisse. In Bezug auf die informationsstrukturelle Ebene ist insbesondere die hörerzentrierte Informationsverteilung ausschlaggebend. Kapitel 3 dient der Abgrenzung des mehrdimensionalen Ansatzes dieser Untersuchung von der Position einer eindimensionalen Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes. Eindimensionale syntaktische Ansätze werden eindimensionalen phonologischen Ansätzen gegenübergestellt. Eindimensionale Ansätze können die Position der Wackernagelelemente zwar beschreiben, die Variation in der Wackernagelposition aber nicht ableiten. In dem vorgeschlagenen mehrdimensionalen Ansatz lässt sich diese Variation als komplexes Zusammenwirken der Faktoren Syntax, Phonologie und Informationsstruktur erfassen. In Kapitel 4 wird die Konzeption der korpuslinguistischen Untersuchung vorgestellt. Den Einstieg bilden die allgemeinen Hypothesen zum Wackernagelkomplex, die in den weiteren Kapiteln für den jeweiligen Beschreibungsbereich spezifiziert werden. Eine methodische Notwendigkeit bestand in der Klärung des Status der althochdeutschen Texte, d.h. in der Frage, ob in metrischen Texten und Übersetzungen aus dem Lateinischen in Bezug auf den Wackernagelkomplex genuines Althochdeutsch vorliegt. Die Frage nach der metri-

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schen Beeinflussung wird über den Ansatz der natürlichen Versifikation beantwortet. Die Frage nach der Beeinflussung des Wackernagelkomplexes durch das Lateinische wird über die datenbankgestützte Aufdeckung invarianter relativer Serialisierungen geklärt. Die Texte wurden in einer elektronischen Datenbank organisiert, die es erlaubt, Positionsabfragen zu stellen, Listen von Elementen zu erzeugen, die auf ihren „Wackernagelstatus“ überprüft werden, sowie relative Serialisierungen auszugeben. Kapitel 5 liefert den empirischen Nachweis für die Interaktion der Subsysteme in der Wackernagelposition. Die untersuchten Kategorien sind koordinierende Satzkonjunktionen, Objektspronomina, die Satznegation, Satzmodusmarker, Konnektoradverbien und das Verbum Substantivum. Die zentralen Argumentationsstränge sind: – die Klärung sowohl der innersprachlichen als auch der sprachübergreifenden Variation zwischen der Platzierung des Wackernagelelements in Erstoder Zweitposition am Beispiel koordinierender Satzkonjunktionen über die Interaktion sprachspezifischer Subsysteme, – die Systemhaftigkeit der relativen Serialisierung innerhalb einer Kategorie und von Serialisierungsänderungen am Beispiel der deutschen Objektspronomina mit einem Exkurs zum Zusammenhang zwischen Wackernagels Gesetz und dem Tobler-Mussafia-Gesetz, – ein Beitrag zur Sprachwandeltheorie über den Verlust hochfrequenter Funktionswörter als Resultat „ungünstiger“ Interaktionen am drei Beispielen: 1) der zwangsläufigen und vor Einsetzen von Jespersens Zyklus beginnenden Reduktion der alten indogermanischen Negationspartikel, die schließlich zu ihrer Tilgung führte, 2) der Entstehung des typologischen Rarissimums polarer V1-Sätze nach dem Verlust der germanischen Fragepartikel und 3) dem Verlust der germanischen enklitischen Satzkonjunktion, – der Nachweis, dass sich die Entstehung von V2 in den germanischen Sprachen nicht über das Wackernagelsche Stellungsgesetz klären lässt, – die produktive Nutzung der Wackernagelposition über die Ausnutzung ihrer Funktion am Beispiel des Aufbaus von Konnektoradverbien u.a. im Gegenwartsdeutschen. Kapitel 6 behandelt die Frage der relativen Serialisierung von Wackernagelelementen und der Position des gesamten Wackernagelkomplexes im Satz. Entgegen der im Rahmen von Rekonstruktionen vertretenen Ansicht, dass die gleiche Reihenfolge von Wackernagelelementen auf sprachliche Verwandtschaft schlie-

8 | Einleitung ßen lässt, wird hier die Auffassung vertreten, dass sich die Reihenfolge aus den Skopusverhältnissen ergibt. Der Skopus der am Wackernagelkomplex beteiligten Elemente nimmt von links nach rechts ab. Die traditionell als Zweitposition angesetzte Stellung des Wackernagelkomplexes muss hier außerdem angesichts der deutschen Daten und der sprachvergleichenden Anlage der Interaktionsformulierung ausgeweitet werden: Die Wackernagelposition beginnt so früh im Satz wie möglich. Wird die erste Position bereits von einer anderen Konstituente eingenommen, etwa von einem Topik, so beginnt die Wackernagelposition an zweiter Stelle. Ist dies nicht der Fall, so kann sie auch am absoluten Satzanfang beginnen. Ist die zweite Stelle bereits durch ein anderes Element besetzt, etwa im deutschen Aussagesatz durch das finite Verb, so kann die Wackernagelposition auch erst nach der zweiten Position beginnen; sie kann außerdem durch das finite Verb unterbrochen sein. Die genaue Position für die Wackernagelkette ergibt sich im Zusammenspiel mit anderen Faktoren. Kapitel 7 schließlich beschäftigt sich mit der zweiten Position im Satz und somit mit der Frage, warum die Wackernagelposition in den Sprachen der Welt häufig ausgenutzt wird. Zentral ist in diesem Zusammenhang ihre Funktion der Herstellung von Kohäsion und Kohärenz sowie der Diskurssteuerung. Elemente, die mit dem vorangegangenen Text oder der Situation eine Verknüpfung herstellen, sowie Elemente, welche der Steuerung des Diskurses dienen, sind zu Anfang einer Äußerung effektiv, am Ende einer Äußerung jedoch oftmals nicht mehr sinnvoll oder besitzen dort eine andere Funktion. Über die Funktion der Position im Satz lässt sich auch im heutigen Standarddeutschen die alte indogermanische Variation in der Platzierung als zweite Konstituente gegenüber dem zweiten Wort nachvollziehen. Mit dem Ziel des Anschlusses analytischer Sprachen an die alte indogermanische Stellungsbesonderheit wird die Position „zweites Wort“ als Option, mit einer Fokussierung des Erstelements einherzugehen, betrachtet und am Beispiel von Vokativen und Parenthesen ausgeführt. Die Abhandlung schließt mit der Überlegung, was von Wackernagels Gesetz bleibt, nachdem es als vielschichtiges Phänomen „dekonstruiert“, in seiner mehrdimensionalen Anlage repräsentiert und in der Diversität der teilhabenden Strukturen dargestellt wurde. Die Frage stellt sich als wissenschaftstheoretisches Problem heraus, das zum Teil auf der von der Auffassung Wackernagels abweichenden gegenwärtigen Interpretation sprachlicher Gesetze beruht, zum Teil auf der Bevorzugung eindimensionaler Lösungen gegenüber mehrdimensionalen Lösungen in der modernen Sprachwissenschaft. Das Plädoyer fällt zugunsten von Wackernagels Gesetz aus, da das Gesetz trotz aller bestehenden

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einzelsprachlichen Unterschiede die funktionsbasierte Ähnlichkeit natürlicher Sprachen offenlegt.

1 Wackernagels Gesetz Jacob Wackernagels Aufsatz “Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung” war ein durchschlagender Erfolg für die Befassung der Indogermanistik mit dem ältesten Satzbau: Objektspronomina, Konjunktionen, bestimmte Partikeln, Vokative und andere Kategorien in den ältesten indogermanischen Texten zeigen die Tendenz, in zweiter Position im Satz zu stehen. Der Erfolg war bleibend. Das Gesetz erwies sich nicht nur als indogermanisch, sondern war auch auf viele nicht-indogermanische Sprachen anwendbar. Da es bezüglich der Kernaussage des Gesetzes erhebliche Divergenzen gibt (vgl. Kap. 1.1), liefert dieser Abschnitt zunächst einen Überblick zu den unterschiedlichen modernen Interpretationen von Wackernagels Aufsatz und im Anschluss die Zusammenfassung von Wackernagels Ergebnissen bezogen auf die linguistischen Subsysteme Syntax, Phonologie und Informationsstruktur.

1.1 Wackernagels Gesetz heute Wackernagels Gesetz ist heute in die Lehrbücher eingegangen und wird in syntaktischen und phonologischen Studien zu indogermanischen und nicht-indogermanischen Sprachen rezipiert. Die Inhomogenität in der Rezeption des Wackernagelschen Gesetzes ist vor dem Hintergrund seiner unbestrittenen Gültigkeit außergewöhnlich. Die folgende Zitatauswahl verdeutlicht, dass sowohl bezüglich des Objektbereichs der Wackernagelposition als auch bezüglich der Motivation des Wackernagelschen Gesetzes keine Einigkeit besteht. Als Positionen der Wackernagelelemente werden die zweite Konstituente3 des Satzes, das zweite Wort des Satzes und die Position nach dem Träger des Wackernagelelements angegeben. Als Motivationen finden sich die Positionierung in einer per se unbetonten Satzposition, die intrinsische Unbetontheit des Elements selbst, der Status als enklitisches Element, Enklise in ihrer speziellen Ausprägung der Anlehnung an ein hochbetontes Wort, eine als universell angesetzte syntaktische Position, eine Position, die der Rhematisierung vorbeugt, u.v.m. Die Bedeutung des Gesetzes für die Indogermanistik wird bei Watkins (1964) deutlich: || 3 Die Klasse der Wackernagelelemente ist inhomogen. Ich verwende den Begriff „Konstituente“ in seiner vortheoretischen Bedeutung.

12 | Wackernagels Gesetz One of the few generally accepted syntactic statements about IE is Wackernagel’s Law, that enclitics originally occupied the second position in the sentence. (Watkins 1964: 1036)

Das Gesetz wird auf vielfältige Art und Weise eingesetzt. So dient es nicht nur der Rekonstruktion der ältesten Syntax, sondern wird auch zur Festlegung der Satzeinheit angewendet: Der Stellenwert des Wackernagelschen Gesetzes wird unter anderem dadurch deutlich, dass der Satzanfang in vedischen, altiranischen und hethitischen Texten ohne Interpunktion durch die Stellung vor dem ersten Wackernagelelement erschlossen wird (Tichy 2000 : 42). Strukturen, die dem Stellungsgesetz entsprechen, werden als ererbt aufgefasst. Hier zeigt sich der Einfluss des Gesetzes besonders deutlich. Le slave commun possédait deux categories grammaticales d’enclitiques: les particules et les mots enclitiques fléchis. Il accordait aux enclitiques la seconde place dans la phrase, c’est-à-dire qu’il avait hérité de l’indo-européen la règle de Wackernagel. (Jakobson 1935 : 384)

Der Anwendungsbereich des Stellungsgesetzes beschränkt sich heute nicht mehr nur auf indogermanische Sprachen. Es wird als universell aufgefasst: The movement of clitics to clause-second position has been shown to be a universal tendency. (Hock 1982: 91)

Der allgemeinen Akzeptanz des Gesetzes und dem Ausmaß seiner Anwendung steht gegenüber, dass es keine übereinstimmende Position zur Aussage des Wackernagelschen Gesetzes gibt. Die Motivierung des Gesetzes ist, wie die folgende Zitatzusammenstellung zeigt, unklar. Wackernagel hat in dem erwähnten Aufsatz nachgewiesen, dass allen älteren indogermanischen Sprachen, so auch dem Lateinischen, die Tendenz eignet, schwachbetonte Wörter beliebiger Art – ohne Rücksicht auf ihre engere logische Verbindung mit andern Satzteilen – dem e r s t e n Worte des Satzes enclitisch anzugliedern. (Thurneysen 1892: 299) Nach den Ausführungen Wackernagels, IF. 1, 333 strebt nämlich das enklitische Wort nach der zweiten Stelle des Satzes, oder genauer, es schließt sich an ein hochbetontes Wort an. (Hirt 1929 V: § 183) A few laws are morphosyntactic, like the well-known Wackernagel’s Law, according to which, in certain languages (Czech, Iranian languages, etc.), unstressed words are cliticized to the first stressed word in the sentence. (Hagège 2004: 262)

Die meisten Interpretationen des Wackernagelschen Gesetzes haben eine phonologisch-lexikalische Basis. Wörter, die in Wackernagelposition stehen, wer-

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den in diesen Ansätzen als inhärent enklitisch, also als sich auf Grund ihrer Natur an ein anderes Wort anlehnend, angesetzt. [...] clitics must move because of their intrinsic nature. (Friedemann/Siloni 1997: 83)

Ansätze, die von Enklise als den die Stellung motivierenden Faktor ausgehen, knüpfen eng an die Ideen Wackernagels und seiner Zeitgenossen an, sind aber aus oberflächengrammatischer Sicht nicht unproblematisch. Für die Bewegung pronominaler Klitika von der Position der nominalen Objekte rechts im Satz an den Satzanfang gibt es keine diachrone Evidenz – sie stehen schon in den ältesten Texten dort (vgl. S. 107). Auch ist Enklitisierung als lokaler phonologischer Mechanismus beschreibbar, also kein primäres, sondern ein sekundäres Phänomen (vgl. die Ausführungen zur Reduktion der Negationspartikel in Kap. 5.4). Außerdem bedeutet die Reduktion eines Wortes keineswegs, dass es an zweiter Position im Satz stehen muss. Wackernagel stellte Zweitstellung auch für bestimmte nicht-klitische Partikeln fest. Er merkt ferner in seinem Aufsatz an, dass Pronomina in Wackernagelposition nicht notwendigerweise enklitisch sind (1892: 406). Wackernagelenklitika werden daher tatsächlich gerade nicht über ihre phonologische Form, sondern über ihre Position im Satz definiert. Enklitisierung als Folgeerscheinung und als nicht-obligatorisches Phänomen lässt die Idee einer so fundierten Bewegung nicht mehr sinnvoll erscheinen. Als eine der Alternativen zur Motivation der Stellungsbesonderheit wird eine schwach akzentuierte syntaktische Position vorgeschlagen. Latin observed Wackernagel’s law, whereby the second position in the sentence was weakly accented in several Indo-European languages. (Giacalone Ramat 1990: 176)

Wackernagel formulierte sein Stellungsgesetz für bestimmte Wörter. Diese Vorgehensweise war notwendig, denn nicht alle Wörter in Zweitstellung sind schwachbetont. Das wiederum widerspricht der Annahme einer schwachen syntaktischen Position, denn jedes Wort in zweiter Position müsste dann schwach sein. Die Idee von der schwachen Akzentuierung ist auch vor dem Hintergrund, dass es sich in den ältesten Belegen nicht um Akzentlosigkeit, sondern um Tiefton handelt, nicht unproblematisch. In rein syntaktischen Definitionen des Wackernagelschen Gesetzes wird die Wackernagelposition als universell angesetzt: Second position, or „Wackernagel’s position“, is a crosslinguistically common grammatical slot in the position immediately following an initial word or constituent. (Mushin 2006: 287)

14 | Wackernagels Gesetz Für die Variation zwischen erstem Wort und erster Konstituente liefert die Syntax alleine allerdings keine Motivation. Diese Form der Varianz kann hier nur ad hoc festgelegt werden. Neben den am häufigsten angeführten Subsystemen Phonologie und Syntax wird in den Reformulierungen von Wackernagels Gesetz auch der Einfluss der Informationsstruktur in Betracht gezogen. Wackernagel (1892) und Delbrück (1878) zeigten, dass unakzentuierte Wörter im Proto-Indoeuropäischen, um ihrer Rhematisierung zu entgehen, stets die zweite Position im Hauptsatz einnehmen. Dies betrifft nicht nur, wie in zahlreichen nicht-indoeuropäischen Sprachen auch, bestimmte Partikel und unbetonte pronominale Elemente, sondern auch kurze flektierte Verben und vor allem Auxiliare, deren Vollverbkomplemente im Rhemabereich am Satzende verbleiben. (Wratil 2005: 104–105)

Das Wackernagelsche Gesetz ist in diesem Zitat in Abweichung von der wackernagel-delbrückschen Idee formuliert. Beide gehen von einer phonologischen Motivation für das Stellungsgesetz aus, Wackernagel verwirft explizit den Anteil der Informationsperspektive an der Frühstellung von Pronomina (1892: 367). Da kurze flektierte Verben nicht in allen indogermanischen Sprachen, auch nicht in germanischen Inschriften (vgl. S. 222), in zweiter Position stehen müssen, ist zu prüfen, ob sie tatsächlich unter Wackernagels Gesetz fallen. Die Gemeinsamkeit der meisten Definitionen – auch Wackernagels Gesetz nach Wackernagel und Delbrück – liegt darin, dass sie von einem einzigen Phänomen, einem einzigen sprachinternen Grund, für die besondere Stellung der Wackernagelelemente ausgehen. Dies ist aber nicht zwingend der Fall (Adams 1994a: 89): If, say, enim and est can be placed constantly in second position for completely different reasons, enim because it links sentences and must come early in the sentence, but esse because its favoured focused hosts are often placed first, then questions must be asked about the very validity of Wackernagel’s law as a single rule explaining clitic placement. Could it be that we have concealed beneath a single name a variety of different rules which lead to much the same result?

Die folgenden Ausführungen beantworten Adams Frage positiv. Wackernagels Gesetz ist nicht eine einzige Regel; es war nie als Regel angelegt (vgl. S. 249ff.). Man wird eine Stellungsbesonderheit auch nicht sprachunspezifisch ansetzen können. Sie kann nicht einheitlich gelten, denn die phonologischen, syntaktischen und informationsstrukturellen Subsysteme, auf denen auch die neuen Definitionen beruhen, sind nicht identisch.

„Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung“ 1892 | 15

Im Folgenden wird demonstriert, dass es sich bei Wackernagels Gesetz um das Ergebnis einer sprachspezifischen Interaktion von Syntax, Phonologie und Informationsstruktur handelt. Der Auf- und Abbau im diachronen Abriss des deutschen „Wackernagelsyndroms“ verdeutlicht, dass es sich nicht um eine gefrorene Struktur handelt, sondern um eine Struktur, die noch heute produktiv genutzt wird. Es soll auch verdeutlicht werden, warum die Struktur in Abhängigkeit von der jeweiligen Sprache als ein Komplex oder als eine Vielzahl von Strukturen wahrgenommen wird. Doch zunächst soll eine Zusammenfassung zu Wackernagels Aufsatz festhalten, was Wackernagels Ergebnisse waren, welche Methode er verfolgte und warum er die Phonologie als motivierenden Faktor für die Stellungsbesonderheit ansetzte.

1.2 „Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung“ 1892 Wackernagel legte mit seinem Aufsatz „Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung“ 1892 eine deskriptive Abhandlung vor, deren Ergebnis bereits von seinen Zeitgenossen als „Wackernagels Gesetz“ bezeichnet wurde. Wackernagel selbst nennt Delbrück als Entdecker des Stellungsgesetzes (Wackernagel 1943: 8): Delbrück hat bei den vorhin erwähnten Forschungen über die Wortfolge der alten indischen Prosa als erster das Gesetz entdeckt, daß Enklitika und kleinere schwachtonige Wörter ihre Stelle unmittelbar hinter dem ersten Worte des Satzes haben, und zwar dies überaus oft auch dann, wenn der syntaktische Zusammenhang für sie eine andere Stelle fordert. Das Gesetz erwies sich als gemeinindogermanisch.

Von Anfang an berücksichtigt Wackernagel den Aspekt des Sprachwandels in der später nach ihm benannten Wackernagelposition (Wackernagel 1926: 7–8). Die ältesten bezeugten indogermanischen Sprachen zeigten das Stellungsgesetz deutlicher als spätere Sprachstufen:4 Aber allerdings, es muss wiederum gesagt werden: nicht bloss die Feststellung der Ähnlichkeiten und des Ererbten ist lehrreich, sondern auch die Feststellung der Unähnlichkeiten, der Fälle, wo etwas anders ist, als es ursprünglich war, wo eine Abänderung oder das Aufgeben eines Brauches zu konstatieren ist. Gerade dies ist wertvoll, da wir daraus ersehen, was in geschichtlicher Zeit für neue Tendenzen wirksam waren. Z.B. im ältesten Griechisch, in sehr hohem Masse bei Homer, auch noch bei Herodot, ist das Gesetz lebendig, || 4 Das wird auch heute so vertreten, vgl. Taylors Untersuchung (2002: 286) zur Verteilung der Objektklitika im Koine-Griechisch.

16 | Wackernagels Gesetz dass schwach betonte Wörtchen, welches immer ihre syntaktische Beziehung sei, unmittelbar hinter das erste Wort des Satzes gestellt werden. [...] Im Attischen gilt dies vielfach nicht mehr; da sind auch enklitische Wörtchen meistens an die Wörter herangerückt, mit denen sie syntaktisch zusammengehören.

Wackernagels Aufsatz beginnt mit der Widerlegung einer von Thumb (1887) vorgeschlagenen etymologischen Herleitung des homerischem Pronominalakkusativs min! ‘ion. acc. sing. des pronom. der dritten Person durch alle drei Geschlechter’5 aus der Verschmelzung von Partikeln mit dem alten Akkusativ des Pronominalstammes i, genauer aus der Verbindung von im mit einer Partikel ma (belegt im Thessalischen), älter sma (belegt im Altindischen). Thumb argumentiert für diese Gleichung auf Grund der Tatsache, dass min! bei Homer und sma im Rigveda die gleiche Stellung im Satz zeigen. Wackernagel kritisiert daran unter anderem, dass sich die Stellung von min! aus dem Gesichtspunkt der „Qualität des vorangehenden Wortes“ bestimmen lasse, und weist darauf hin, dass „bedeutungsverwandte und formähnliche“ Wörter, also andere Pronomina und enklitische Formen, auf diese Stellungsbesonderheit zu untersuchen seien (1892: 334–335). Er sieht die Stellungsregel im Altgriechischen, Lateinischen, Germanischen, Keltischen, Altindischen und Litauischen belegt.

1.2.1 Elemente Wackernagels Untersuchung beruht v.a. auf Homer. Die Frühstellung der obliquen Personalpronomina bildet einen thematischen Schwerpunkt in seinem Aufsatz. Er erklärt ihre Frühstellung mit ihrem „Drang nach dem Satzanfang“ (1892: 336) und nimmt Zählungen vor, mit denen er erfasst, wie viele Belege dem Gesetz entsprechen und wie viele davon abweichen. So führt er zu min! in Homers Büchern ! " # (2465 Verse, Sprache der älteren Teile der Ilias) aus (1892: 335), dass es 21x als zweites Wort des Satzes vorkommt, 28x als drittes oder viertes,6 aber in einer Weise, dass es vom ersten Wort nur durch ein Enklitikum oder eine den Enklitika gleichstehende Partikel wie d!, g£r, getrennt ist. [...]. Wir haben also 49 Fälle, die unserer obigen Regel genau entsprechen; 3 Fälle, die besonderer Erklärung fähig sind, und nur 1 wirkliche Ausnahme. || 5 Wortbedeutungen aus Passow (1819–1823) und Pape (1954). 6 Wackernagels Zählung für nin (dor. u. att. =" min;" Pape 1954: s.v.) (1892:341) anhand von aeschyleischen Belegstellen ergibt, dass 30 von 47 Belegen dem Stellungsgesetz folgen. Bei Sophokles sind es 47 von 81 Stellen.

„Über ein Gesetz der indogermanischen Wortstellung“ 1892 | 17

Wackernagels Hinweis auf die enklitische Form der Wackernagelelemente wird noch heute häufig aufgegriffen und als Motivierung des Gesetzes vorgeschlagen (vgl. Kap. 3.2, 3.3 und S. 108ff. zur Klitisierung). Wackernagel stellt bereits heraus, dass das Lateinische „keine äußeren Kennzeichen zur Unterscheidung orthotonischer und enklitischer Formen liefert“. Überzeugt von einer phonologischen Motivation des Gesetzes sieht er, da das lateinische Objektspronomen „genau dieselben Stellungseigentümlichkeiten“ aufweist wie die entsprechenden griechischen Formen, nicht nur das Wirken des Stellungsgesetzes als erwiesen an, sondern auch die „enklitische Betonung des betr. Pronomens“ (Wackernagel 1892: 406). Auch die schwachbetonten obliquen Personalpronomina im Neuhochdeutschen fallen unter die Stellungsbesonderheit (1892: 405). Als weitere Elemente, die seinem Gesetz folgen, führt Wackernagel (1892) Partikeln, Konjunktionen, Adverbien, Verben und Vokative an, zum Beispiel die griechischen vom Indefinitum abgeleiteten Adverbia! pou! ‘wohl, etwa, vielleicht’, pw ‘noch, je, irgend’ und pote" ‘irgendeinmal, einst’, mit denen die nachhomerische Zeit „recht frei“ verfahre. Er diskutiert, ob te ‘und’ und ra ! ‘nun, also folglich’ auf Grund ihrer satzverbindenden Funktion nahe am Satzanfang stehen (1892: 370–371), stellt aber fest, dass auch nicht-koordinative Wörter wie ge ‘Partikel zur Verstärkung; wenigstens, gerade, gar’ und ke ‘wohl, etwa’ in zweiter Position auftreten (1892: 371; vgl. zu Konnektoradverbien Kap. 5.6). Zum direkten Anschluss von !"ί ‘und, auch, sogar’ vor moi ‘mir’ (1892: 352, 354) bemerkt er, dass die Kombination in der nachhomerischen Literatur am Anfang von Sätzen „merkwürdig häufig“ auftritt (zu weiteren Reihenfolgebeobachtungen bei Wackernagel und seinen Zeitgenossen vgl. Kap. 1.2.3). Wackernagel unterscheidet Enklitika von „postpositiven Partikeln“, die ebenfalls nicht an der Satzspitze stehen, zum Beispiel ¥n" ‘wohl, etwa’," g£r" ‘denn, ja’," d!" ‘aber, hingegen, doch’,"und"m!n"‘Partikel zur Bejahung und Hindeutung auf etwas Entgegengesetztes; dann, zwar’"(1892: 377, 424). In einem Abschnitt zum Lateinischen merkt Wackernagel an, dass die Latinisten die tonschwache Position unmittelbar hinter dem ersten Wort des Satzes längst lehrten (1892: 406). Er führt hier u.a. die obliquen Personalpronomina, enim ‘nämlich’, igitur ‘daher’, tandem ‘dennoch’ (mit größerer Stellungsfreiheit) an sowie die „an die zweite Stelle gefesselten“ -que ‘und’, autem ‘aber’ und die Fragepartikel -ne (1892: 406–407, 416). Wackernagel bezieht auch die Neigung des Vokativs zur zweiten Position in seine Untersuchung mit ein (1892: 425). Die „Beteuerungspartikel“ mehercule ‘beim Herkules!’ stehe abgesehen von Fällen bei Cicero nicht am Satzanfang, eine Stellungsbesonderheit, die Wackernagel

18 | Wackernagels Gesetz aus der enklitischen Natur des me herleitet. Er stellt daher die Fälle von hercle in Zweitstellung nicht mit mehercule zusammen (1892: 412). Folgenreich für die Beschreibung der Syntax der germanischen Sprachen war Wackernagels Vorschlag, dass auch die Verben im Hauptsatz seinem Gesetz folgen (1892: 427–428) – dies mit Konsequenzen für die Motivierung der asymmetrischen Verbstellung im Deutschen (vgl. Kap. 5.7).

1.2.2 Phonologie Der wiederkehrende Hinweis auf den enklitischen Status vieler Wörter in Zweitposition verdeutlicht den Stellenwert, den Wackernagel der Phonologie bei der Suche nach einer Motivation für die Zweitposition zukommen lässt. Delbrück hatte zuvor der „Betonung der Satztheile“ in seiner Altindischen Syntax ein ganzes Kapitel gewidmet. Er stellt fest, dass gewisse Wörter und Formen „entweder überhaupt, oder in gewissen Lagen keinen Accent erhalten“ (1888: 26). Zu enklitischen Wörtern bemerkt er allgemein, dass sie „zwar dem Sinn nach, aber nicht hinsichtlich der Betonung als selbständige Wörter“ gelten, und stellt folgende Regel auf (1888: § 13): Enklitische Wörter, wenn sie nicht wie gewisse Partikeln an ein einzelnes vorhergehendes Wort gebunden sind, streben dem Anfang des Satzes zu.

Unbetonte Personalpronomina stehen im Altindischen im Gegensatz zu betonten nicht am Satzanfang. „Die unbetonten haben die Tendenz, sich an die am stärksten betonte Stelle (das ist also der Satzanfang) anzulehnen“ (Delbrück 1888: § 20). Bartholomae (1886) hatte bereits für die altiranischen Gathas die im Rigveda beobachtete Besonderheit enklitischer Formen der Personalpronomina und bestimmter Partikeln überprüft, die zweite Stelle innerhalb des pa!da oder pa!daAbschnitts einzunehmen. Er notiert, dass 75% der Belege Zweitstellung aufweisen (1886: 9). Die restlichen 25% kann er größtenteils anschließen; hierunter fallen u.a. Belege, in denen die klitischen Pronomina hinter ein oder zwei anderen klitischen Wörtern stehen (1886: 10). Bartholomaes Generalsierung lautet: „Enklitische pronomina und partikeln lehnen sich an den ersten hochton im versglied an.“ (1886: 11–12). Nach Wackernagels Auffassung bedingt die enklitische Form die Stellung im Satz (Wackernagel 1892: 427):

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Für das Gesetz über die Stellung der Enklitika haben wir aus den verschiedenen Sprachen (etwa von den Vokativen abgesehen) nur solche Belege beibringen können, in denen das Enklitikum den Umfang von zwei Silben nicht überschritt. Man könnte also sagen, dass das Gesetz nur für ein- und zweisilbige Enklitika galt, mehr als zweisilbige dagegen an der dem betr. Satzteil sonst zukommenden Stellung festhielten. oder wenigstens, wenn man sich vorsichtiger ausdrücken will, dass von irgend einem bestimmten Umfang an ein Enklitikum nicht an das Stellungsgesetz der Enklitika gebunden war.7

Die phonologische Motivierung wird als satzrhythmische Erscheinung beschrieben, wobei Enklise und Reduktion getrennt werden: Der Rhythmus des idg. Satzes bedingte Anschluß eines schwachtonigen Gliedes an das starktonige Exordium des Satzes. (Wackernagel 1943: 8). Dass enclisis schwächung veranlasst, dafür liefert gerade das griechische personalpronomen zahlreiche beispiele. (Wackernagel 1879: 597)

Die Alternative, eine phonetische Schwächung der sich bereits in Zweitposition befindenden Wörter, wird nicht in Erwägung gezogen. Die Motivierung der Stellungsbesonderheit über Enklitisierung war so überzeugend, dass in der Folge auch der Umkehrschluss als zulässig angesehen wurde. So schreibt Hirt zu Partikeln (1929 V: § 214): Daß gewisse Partikeln enklitisch waren, lernen wir von den griechischen und indischen Grammatikern. In den übrigen Sprachen müssen wir auf die Stellung zurückgreifen, d.h. es sind die Partikeln enklitisch gewesen, die stets an zweiter Stelle stehen. [...] Neben Partikeln, die im Griech. enklitisch sind, stehen andere, die stets ein Akzentzeichen bekommen, aber trotzdem immer an zweiter Stelle stehen, vor allem m"n und d". Allerdings erklären einige Grammatiker m"n und d" für enklitisch. Aber wenn wir von diesen absehen, so bleiben andere wie g£r, o!"" usw.

Auch Wackernagel (1879: 601) unternimmt eine Rekonstruktion für das prakritische Reflexivum se" über die als ursprünglich angenommene enklitische Form: Der accent von pra"kritsch se" lässt sich nicht feststellen; die grammatiker schweigen; zu betonen ist, dass es im allgemeinen den satzanfang meidet, aber doch nicht immer [...]. Allein wenn se nicht enklitisch ist, so ist dies ein vergessen des ursprünglichen; zu klar ist der sachverhalt in den iranischen denkmälern, um dies zu verkennen.

|| 7 Indogermanische Partikeln sind immer kurz. Nach Dunkel (1992: 165) sind dreisilbige Partikeln in Einzelsprachen häufig, lassen sich aber nicht ins Indogermanische zurückverfolgen. Unanalysierbare Zweisilbler sind selten.

20 | Wackernagels Gesetz Allerdings bereitet die Frage, was genau unter Enklise zu verstehen ist, Probleme. Hirt (1929 V: § 213) bemerkt in diesem Zusammenhang: Enklise ist nicht mit Schwachton identisch, sondern heißt ‚Tieftonigkeit’. [...] Die eigentümlichen Stellungen des Wortes, die einst durch die Enklise entstanden sind, haben wir als Rudimente aufzufassen, die im Laufe der Zeit immer mehr verschwinden.

Mit der phonologischen Motivation der Enklise geht also bei Hirt eine Hypothese zum Sprachwandel in der Wackernagelposition einher. Es gab auch kritische Stimmen zur phonologischen Motivierung der Wackernagelposition. So verwirft beispielsweise Bergaigne explizit die Idee, dass Akzentlosigkeit Zweitstellung nach dem akzentuierten Satzanfang bewirkt (1878: 177–178; vgl. S. 24).

1.2.3 Syntax Es ist wohl kein Zufall, dass Wackernagel und Delbrück das Stellungsgesetz beim Studium rechtsköpfiger Sprachen entdeckten. In linksköpfigen Sprachen ist diese Stellungsbesonderheit weniger auffällig. Betrachtet man beispielsweise das Mapun, eine malayo-polynesische VO-Sprache (Philippinen), so ist die Stellung postverbaler klitischer Elemente nahe am Satzanfang nicht überraschend (Collins/Collins/Hashim 2001:18, zitiert nach Lee/Billings 2005: 250). Eine frühe Position der Objekte entspricht geradezu der Erwartung (vgl. Kap. 2.2.1). (7) Buwat-an ku ya lutu’.8 9 make-BV 1SG.GEN 3SG.NOM lunch ‘I will make him a lunch.’ Die Zweitposition der enklitischen Elemente war für Wackernagel und Delbrück nicht syntaktisch erklärbar – Objektspronomina stehen nicht an der sonst in OV-Sprachen für Objekte vorgesehenen Stelle. Dennoch hat die Syntax auch in den frühen Darstellungen des Gesetzes einen gewissen Stellenwert. Die syntaktische Komponente bezieht sich allerdings auf die Frage der relativen Anordnung der Elemente. Zu diesem Aspekt der Stellungsbesonderheit tragen Wackernagel und Delbrück sowohl sprachspezifische Einzelbeobachtungen als auch Generalisierungen bei. || 8 Klitika in Kursivschrift. 9 BV: benefactive voice.

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Als sprachspezifische Einzelbeobachtungen, die zusätzlich in ihrer diachronen Entwicklung kommentiert sind, nennt Wackernagel enklitische Elemente, die sich bei den römischen Komikern gerne an Fragepronomina und die Negationspartikel in Spitzenstellung anlehnen (1892: 409). Eine Stütze für das Stellungsgesetz liefert lat. quidem ‘gewiss, freilich, zwar’, das nicht hinter betonten Wörtern und ursprünglich nicht hinter dem Verbum stehen konnte (Wackernagel 1892: 417). Wackernagels Zählungen, die er mit einer Vielzahl von Textstellen belegt, sind als textgrammatische Beschreibungen zu verstehen. Für die Ilias (Buch N,! P,!R) stellt er fest, dass die altgriechischen Personalpronomina auf d!, gar und ka… folgen (Wackernagel 1892: 335). Ferner steht agr. d! in der Kette ganz links und nur äußerst selten an dritter Position (1892: 378); ¥n gehen die Partikeln g£r, ge, d!, m!n, -per! ‘Partikel zur Verstärkung, Bekräftigung; sehr, gar’, te! ‘und’ regelmäßig voran (1892: 379).10 Besonders herausgestellt wird die relative Position der Negationspartikel: Wegen der „Tendenz der Negation die Enklitika an sich anzulehnen“ werde die „Hauptregel“ der Zweitstellung für Enklitika durchkreuzt (Wackernagel 1892: 343). Wackernagel formuliert hierzu ein weiteres Gesetz, welches besagt, „dass bei Nachbarschaft von Negation und Enklitikum die Negation vorangehen muss.“ (1892: 336). 11 Neben Aussagen zur Serialisierung finden sich in Wackernagels Ausführungen Beobachtungen zur Trennung von Wortgruppen durch enklitische Pronomina (1892: 345) und Partikeln (1892: 416–417). Diese Pronomina und Partikeln treten bei Spaltung des Erstelements in zweiter Position im Satz auf. Wackernagel weist auf Kluges Bemerkungen zu dieser Konstruktion im Gotischen hin, wonach sich als „alten Rest aus der Vorzeit“ Enklitika unmittelbar an das erste Wort anschließen, und nennt als Beispiel ga-u-#a-se"#i ‘ob er etwas sah’ mit

|| 10 Zur kanonischen Reihenfolge von Wackernagelelementen im homerischen Griechisch vgl. Ruijgh (1990: 223–224), der seine Untersuchung mit der Unterstreichung der wackernagelschen These abschließt: „La loi de Wackernagel, munie de certaines précisions, permet des explications adéquates“. 11 Auf Grund ihrer Stellung am Satzanfang wird die mittelhochdeutsche Negationspartikel in den Ausführungen in Kap. 5.4 zum Wackernagelkomplex gerechnet.

22 | Wackernagels Gesetz dem Einschub des Indefinitums12 #a (1892: 405–406). In Anlehnung an Wackernagel wird im Folgenden die Spaltung einer Konstituente durch ein Wackernagelelement als „Tmesis“13 bezeichnet. Postpositive Partikeln, also Partikeln, die nicht an erster Stelle im Satz stehen, grenzt Wackernagel von Enklitika ab. „Woher diese Ähnlichkeit mit den Enklitika herrührt, habe ich nicht zu untersuchen“, schreibt Wackernagel, bietet aber für einige Partikeln eine etymologische Erklärung an, welche die Nähe zum Enklitikon herstellt (1892: 377). Als altgriechische postpositive Partikeln nennt er ¥n,! ¥r,! ¥ra" ‘nun, also folglich’,! a!# ‘wieder, wiederum, dage# a! ‘also, nun, auch, wirklich; meist ironisch’,! m!n,! m»n! gen’,! g£r,! d!,! dht ‘doch, ja, gewiss, allerdings, fürwahr’,! o!#" ‘folglich, nun, also’,! to…nun! ‘daher, darum, deshalb, demnach, also’ (1892: 377). Bei einigen Partikeln ließe sich denken, dass sie erst später postpositiv geworden sind, wie zum Beispiel lateinisches enim, namque ‘wahrlich, freilich, denn’. Er setzt ¥v mit der präpositiven lateinischen und gotischen Partikel an gleich; durch den Einfluss von bedeutungsgleichem ke sei ¥v im Griechischen „von der ersten Stelle weggelenkt und postpositiv geworden“ (1892: 377–378). Eine besonders einflussreiche Hypothese zum syntaktischen Wandel ist, wie in Kap. 1.2.1 bereits angedeutet, Wackernagels Aussage zur Entwicklung der germanischen V2-Syntax. Bei seinen Ausführungen zum Stellungsgesetz im Deutschen schlägt Wackernagel vor, dass die Zweitstellung des Verbs im Deklarativsatz von seiner Unbetontheit herrühre. Im hypotaktisch (empfundenen) Satz sei jedoch das Verb betont gewesen, weshalb Endstellung häufig vorkommen musste. Er setzt die gespaltene Wortstellung für die Grundsprache an, gibt aber zu bedenken, dass sie eine phonologische Einschränkung zeigen könnte (Wackernagel 1892: 427):

|| 12 Zu den Indefinitpronomina schreibt Wackernagel, dass das Stellungsgesetz im Griechischen nicht sehr evident zu Tage trete (1892: 367). Der Faktor Definitheit, der in anderen Bereichen Einfluss auf die Wortstellung nimmt (vgl. z.B. Büring 2000), wird daher aus den folgenden Untersuchungen ausgeklammert. Bei Thucydides finden sich die Formen an „ganz unterschiedlichen Stellen des Satzes“, wohingegen sich bei Homer eine Tendenz, „an den Anfang zu rücken“, zeigt. Das Lateinische halte an der Regel bei Indefinita strenger fest, indem sich quis ‘wer’ und quid ‘was’ an satzeinleitende Wörter lehnten. Lat. -ve ‘oder’ habe allerdings Vortritt (neve ‘oder nicht’, sive ‘oder wenn’) und pronominale Enklitika stünden in der Regel rechts von den Indefinita (Wackernagel 1892: 414). Gleiches gelte für indefinite Adverbia, insbesondere quando ‘wann, jemals’. 13 Zur protoindogermanischen Tmesis im Allgemeinen vgl. Boley (2004).

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Dies [Klitika sind maximal zweisilbig, PN] auf das Verbum angewandt, würde zu der Annahme führen, dass die ein- und zweisilbigen Verbalformen, oder überhaupt die kürzern Verbalformen bis zu einem gewissen Umfang, im Hauptsatz an die zweite Stelle rückten, dass dagegen die andern Verbalformen auch im Hauptsatz die im Nebensatz herrschende Endstellung besassen. Es wäre dann weiter anzunehmen, dass das Germanische die für die kürzern Verbalformen gültige Regel generalisiert hätte. Und jedenfalls wäre dann die Praxis der das Verb überhaupt an das Ende stellenden Sprachen noch leichter verständlich.

Wackernagel führt das Keltische und Griechische als Gegenbelege für seine These an. Wiederum zur sprachvergleichenden Unterstützung seines Arguments nennt er das Litauische, in dem die Kopula an zweiter Stelle steht (er zitiert hier Kurschat 1876). Gleiches gelte für das Lateinische; hier verweist er auf Seyfferts Kommentar zu Ciceros Laelius (1876) (Wackernagel 1892: 428; anders Adams 1994a; vgl. S. 205). Bei Cicero stehe ferner das Verbum Substantivum oft den Partikeln enim, igitur und autem voran (Wackernagel 1892: 428). Er zieht auch das Griechische heran, das eine vergleichbare Stellung des Verbs in altgriechischen Inschriften zeigt, bei denen dem Subjekt zunächst ein Verb und dann erst die zugehörige appositionelle Bestimmung folgt (1892: 430). Auch das Altindische liefere „augenfällige Parallelen“ (1892: 434).

1.2.4 Informationsstruktur Der Aspekt der Informationsstruktur fließt in einen früheren Aufsatz Wackernagels zu den enklitischen Nebenformen der Personalpronomina ein. Wackernagel verweist hier auf ein „Grundsprachliches Tongesetz“ (Wackernagel 1879: 603, 605): Bekannt ist Aristarchs regel, dass das pronomen der dritten person, wenn reflexiv, stäts orthotonirt, wenn aber anaphorisch, enklitisch sei, eine regel, die Aristarch selbst in der praxis seiner textkritik, hernach Herodian auch in der theorie, dahin berichtigt hat, dass auch das anaphorische pronomen orthotonirt werden könne, wofern ein besonderer nachdruck darauf liege. Derselbe zusammenhang zwischen anaphorischer bedeutung und enclisis zeigt sich auch beim demonstrativpronomen. Ich erinnere an die regel des Sanskrit, wonach das in der classischen sprache stäts tonlose ena und, wenn tonlos, auch asmai, asma"t u.s.w. nur gebraucht werden, wenn sie auf schon erwähntes zurückweisen [...].

Die Anaphorizität der Pronomina in Zweitstellung und das sich aus ihrer Funktion ergebende prosodische Verhalten konkurriert mit Wackernagels Annahme der prosodischen Motiviertheit des Stellungsgesetzes. Bereits Bergaigne hatte

24 | Wackernagels Gesetz auf die Position enklitischer Personalpronomina am Satzanfang hingewiesen: Pronomina “se placent de préférence après le premier mot de la proposition.“ (Wackernagel 1892: 342 zitiert diese Stelle aus Bergaigne 1878). Bergaigne geht von einer Frühstellung anaphorischer Pronomina auf Grund ihrer Anbindung an den vorangehenden Satz aus. Ihm zufolge ist das Stellungsgesetz als Generalisierung der Platzierung anaphorischer Pronomina entstanden – Bergaignes Vorschlag ist also als Motivierung der Wortfolge über die Informationsstruktur des Satzes zu verstehen (1878: 176): Un pronom anaphorique, c’est-à-dire rappelant un terme exprimé dans la proposition précédente, sert par cela même de lien entre cette proposition et celle où il figure. Il est donc naturel qu’il se place au commencement de cette dernière, pour rendre la liaison plus sensible.

Später habe eine Generalisierung für die Pronomina der ersten und zweiten Person stattgefunden. Die Position am Satzanfang markiert die Verbindung mit dem vorangehenden Satz, wobei die Klitisierung aus der Stellung nach dem ersten Wort resultiere. Klitisierung ist bei Bergaigne also ein sekundäres Phänomen und nicht der auslösende Faktor für die Zweitstellung (1878: 177–178): C’est à la place que certaines conjonctions et certains pronoms occupent après le premier terme de la proposition qu’il faut attribuer la perte de l’accent dans la plupart d’entre eux. Nous croyons inutile d’insister sur ce que l’hypothèse inverse aurait d’invraisemblable. La privation de l’accent ne pourrait s’expliquer, ni par le sens de mots souvent trèsimportants, ni par leur légèreté, puisqu’ils sont parfois dissyllabiques, comme les cas obliques du pronom sanskrit ayám par exemple, asmai etc. Le langage ne s’est donc pas habitué à les construire après le premier mot, parce qu’ils étaient privés d’accent, mail ils ont perdu leur accent parce que toujours construits après le premier mot ils devaient paraître s’appuyer sur lui, et ne faire qu’un avec lui.

Wackernagel schließt sich Bergaigne nicht an; er lehnt dessen Position ab, da die Beziehung zum vorangehenden Satz bei klitischem moi" und toi fehle (1892: 367; vgl. zur Frühstellung deiktischer Pronomina Kap. 5.3.3.2). Aus heutiger Sicht muss man feststellen, das Bergaignes Idee von der informationsstrukturellen Bedingtheit der Frühstellung klitischer Elemente keinen großen Nachhall fand. Während detaillierte eindimensionale phonologische und syntaktische Ansätze vorliegen, gibt es keine eindimensionale informationsstrukturelle Untersuchung zum Gesamtkomplex in Wackernagelposition.

Zusammenfassung | 25

1.3 Zusammenfassung Wackernagels Beschreibung der Tendenz bestimmter indogermanischer Wörter, in zweiter Position zu stehen, hat nach über 100 Jahren nichts an ihrer Relevanz eingebüßt. Wackernagel vermutete ganz im Geiste seiner Zeit hinter dieser Zweitstellung ein einziges einheitlich wirkendes Gesetz. Er begründete die Stellung der Enklitika in zweiter Position phonologisch. Belegt sah er die phonologische Motivation des Gesetzes durch die enklitische Form insbesondere der Objektspronomina sowie durch die Kürze der beteiligten Elemente. Für einige Partikeln in zweiter Position schlägt er eine etymologische Anknüpfung an die Enklitika vor, lässt ansonsten aber den Grund für ihre Position offen. Enklise und Kürze der Elemente in Zweitposition werden als klassenbestimmende Faktoren ansetzt. Wackernagel führt eine Vielzahl von Fällen an, bei denen die phonologische Erklärung nicht greift. Diese Fälle werden im Allgemeinen als sekundäre Entwicklungen interpretiert, allerdings vorsichtig formuliert als noch zu überprüfende Hypothesen. Wackernagel geht differenziert vor, diskutiert trotz der von ihm vertretenen eindimensionalen Motivierung für das Gesetz nicht nur die phonologische Beschreibungsebene. Das syntaktische Subsystem fließt v.a. über die Serialisierungsbeobachtungen der klitischen und nicht-klitischen Elemente innerhalb der Wackernagelposition in seine Beschreibung ein. In den Bereich der Informationsstruktur fällt Wackernagels Diskussion anaphorischer Pronomina in Zweitposition. Die Vielzahl der im wackernagelschen Modell angelegten Beschreibungsebenen wird nur in wenigen neueren Studien übernommen. Die Regel ist vielmehr eine eindimensionale phonologische oder syntaktische Darstellung des Gesetzes; diese Praxis macht deutlich, dass heute wie gestern eindimensionale Ansätze mehrdimensionalen vorgezogen werden. Die vorliegende Untersuchung grenzt sich durch die Betonung der zentralen Rolle mehrdimensionaler Interaktionen und durch die funktionale Motivierung der Position von den traditionellen und von modernen Ansätzen ab.

2 Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition: Syntax, Phonologie und Informationsstruktur Die Wackernagelposition lässt sich als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion beschreiben. Die genaue Ausprägung der Interaktion ist sprachspezifisch, da sie durch die einzelsprachliche Anlage der jeweiligen Subsysteme beeinflusst ist. In diesem Kapitel werden zum einen die konkreten Faktoren dargestellt, die Wackernagels Gesetz sprachintern motivieren; die relevanten Aspekte der linguistischen Subsysteme Phonologie, Syntax und Informationsstruktur werden skizziert. Zum anderen wird eine formale Darstellung für die Beschreibung der Interaktion linguistischer Subsysteme vorgeschlagen.

2.1 Phonologie: Prosodische Wohlgeformtheit Wackernagel und seine Zeitgenossen hielten, wie in vorangehenden Kapitel ausgeführt, die Phonologie für den die Stellungsbesonderheit bestimmenden Faktor – eine Auffassung, der auch heute noch häufig gefolgt wird (vgl. Kap. 3.2 zu eindimensionalen phonologischen Ansätzen). Schon die traditionelle Beschreibung pronominaler und anderer Wackernagelelemente als „enklitisch“, als sich „anlehnend“ an ein vorangehendes Wort in Verbindung mit einer phonetischen Reduktion, weist auf den Einflussfaktor Phonologie hin. Vielfach wird ein Mechanismus „Klitisierung“ oder der Umstand (lexikalisch festgelegter) Unbetontheit als motivierender Faktor für die Einnahme der Zweitposition angesetzt. Um den phonologischen Mechanismus „Enklitisierung“ einordnen zu können, ist es notwendig, zu definieren, was unter prosodischer Wohlgeformtheit sowohl typologisch als auch sprachspezifisch zu verstehen ist. Die sprachspezifischen Ausführungen konzentrieren sich auf die Geschichte des Deutschen.

2.1.1 Rhythmische Wohlgeformtheitsbedingungen Durch rhythmische Wohlgeformtheitsbedingungen wird formuliert, welche Füße in einer Sprache zugelassen sind. Das Standarddeutsche ist wie das Alt-

28 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition germanische akzentzählend. Im Gegenwartsdeutschen sind wohlgeformte Füße entweder quantitätsinsensitive Daktylen (ˈxxx) oder Trochäen (ˈxx). Daktylen bestehen aus drei Silben, wobei der Fuß linksköpfig, also auf der ersten Silbe betont ist. Trochäen sind zweisilbig und ebenfalls linksköpfig. Linksköpfigkeit ist seit dem Germanischen gegeben, Quantitätsinsensitivität besteht seit dem Spätmittelalter und ist somit eine relativ rezente Entwicklung. Der Fuß ist die rhythmische Grundeinheit des Deutschen. Rhythmische Füße sind nicht wortbezogen – Verfußung findet wortübergreifend statt (vgl. Hyman 1977, Vennemann 1986, Noel Aziz Hanna 2003, 2013a). Ein Fuß ist nur dann wohlgeformt, wenn er nicht mehr als zwei unbetonte Silben enthält, d.i. Bedingung (8a) „No Lapse“, und nicht weniger als eine, also keinen Akzentprall mit der angrenzenden Silbe verursacht, d.i. Bedingung (8b) „No Clash“. (8) Rhythmische Wohlgeformtheitsbedingungen des Standarddeutschen14 a) No Lapse: *(ˈxxn>2) b) No Clash: *(ˈx)('x… Da rhythmische Wohlgeformtheit im Deutschen an den Akzent gekoppelt ist und auch Wackernagels Gesetz immer wieder mit der Unbetontheit der Wackernagelelemente begründet wird, folgt ein Überblick zu den Akzentkategorien Satzakzent, Hauptakzent und Nebenakzent. Die Ausführungen machen deutlich, dass die Akzentkategorien zu trennen sind, dass also auch bei den in Zusammenhang mit der Wackernagelposition stehenden Generalisierungen differenziert werden muss.

2.1.2 Akzentkategorien: Satzakzent, Hauptakzent, rhythmischer Akzent Satzakzente, Hauptakzente und rhythmische Akzente (bzw. Nebenakzente) tragen in Sätzen unterschiedliche Funktionen. Während die Position des Satzakzents von der Informationsverteilung abhängt und sich die Diskussion um Hauptakzente beinahe ausschließlich auf die Untersuchung von Wortlisten stützt, bezieht sich die Verteilung rhythmischer Akzente auf die prosodische Wohlgeformtheit des Satzes.

|| 14 Ich wähle die in der Sprachrhythmusforschung derzeit gebräuchliche Terminologie. Die Kategorien sind jedoch seit alters in der Metrik geläufig.

Phonologie: Prosodische Wohlgeformtheit | 29

2.1.2.1 Satzakzent Die für den Sprecher wichtigste Information im Satz wird hervorgehoben (vgl. z.B. Firbas 1989) und trägt den Satzakzent.15 Wie Bolinger (1972: 633) herausstellt, reflektiert der Satzakzent direkt die Absicht des Sprechers und nur indirekt die Syntax. Er stellt fest (1972: 644): The distribution of sentence accents is not determined by syntactic structure but by semantic and emotional highlighting. Syntax is relevant indirectly in that some structures are more likely to be highlighted than others.

Die tatsächlich satzakzentuell hervorgehobene Silbe ist nach Bolinger (1972: 633) nicht syntaktisch oder morphologisch erklärbar. Im Standarddeutschen können alle Silben, auch Reduktionssilben, Satzakzente tragen, wenn der Sprecher sie hervorheben möchte, zum Beispiel Birnen in Magst Du Äpfel oder 'Birnen? oder bei anderer Informationsverteilung magst in 'Magst du Äpfel oder Birnen?. Der Satzakzent stimmt im Falle des Einwortsatzes mit dem Hauptakzent bzw. Wortakzent überein. Im unmarkierten Fall ist im Deutschen der Satzakzent rechtsperipher platziert, was hier der Aufteilung Hintergrund vor Fokus entspricht (Primus 1994: 79).16 Satzakzente spielen für die Wackernagelposition insofern eine Rolle, als alle Wackernagelelemente Funktionswörter sind. Sie tragen daher systematisch keine Satzakzente.

2.1.2.2 Hauptakzent Im Gegensatz zum Satzakzent, der ohne das Subsystem Informationsstruktur nicht systematisch erfasst werden kann, werden Hauptakzente meist vollständig in der Phonologie abgehandelt. Die genaue Position des Hauptakzents im Wort kann durch phonologische Regeln und Normalitätsbeziehungen beschrieben werden (vgl. z.B. Giegerich 1985, Vennemann 1990, Eisenberg 2006). Die tatsächliche Realisierung eines Hauptakzents ist jedoch aus dem phonologischen Subsystem alleine nicht vorhersehbar. Der Hauptakzent wird in der Regel als Merkmal eines prosodischen Wortes verstanden, doch handelt es sich beim prosodischen Wort lediglich um die rhythmische Beschreibung eines || 15 Ich fasse in dieser Darstellung rhematische Akzente, kontrastive Akzente, emphatische Akzente, Fokusakzente, etc. in der Kategorie des Satzakzents zusammen. Zu Möglichkeiten der Hervorhebung des Topiks vgl. Jacobs (2001). 16 Dies in Abgrenzung zu Sprachen wie dem Ungarischen mit linksperipherem unmarkiertem Satzakzent, in dem die unmarkierte präverbale Fokusposition nach links tendiert (Primus 1994: 79).

30 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition Einwortsatzes, d.h. einer markierten Umgebung (Saran 1907, Vennemann 1986). In Einwortsätzen fällt der Satzakzent mit dem Hauptakzent notwendig zusammen. Die Frage, ob der Hauptakzent eines Wortes im Satz realisiert wird, hängt vom Informationsgewicht des Wortes und von seiner rhythmischen Einbettung ab. Die Konjunktion und dient zur Illustration dieses Zusammenhangs. Als Einsilbler in Isolation betrachtet trägt sie den Wortakzent, also im Einwortsatz auch gleichzeitig den Satzakzent, auf ihrer einzigen Silbe: #und. In der Phrase $Äpfel und #Birnen ist das Wort und auf Grund seines relativen Informationsgewichts als Funktionswort nicht akzentuiert. Natürlich kann der Sprecher die Konjunktion auch hervorheben, wenn er sie im Kontext für besonders wichtig hält: Äpfel #und Birnen. In der zweiten Phrase ist und prominent, weil es den Satzakzent trägt. Die hier skizzierte Auffassung zum Status des Hauptakzents schließt die Annahme per se unakzentuierter Wörter aus (vgl. hierzu die Ausführungen zur Enklitisierung in Kap. 3.3.). Das Phänomen der konsequenten Unakzentuiertheit eines Wortes, das in der Regel für Wackernagelelemente angesetzt wird, ist demzufolge kein inhärentes Merkmal eines Wortes, sondern eine probabilistische Frage. Konsequente Unakzentuiertheit ist zum einen abhängig von der Wahrscheinlichkeit eines Wortes, den Satzakzent zu tragen, zum anderen von der rhythmischen Umgebung, in der das Wort systematisch auftritt. Die enklitische Form eines Wortes ist demnach ein sekundäres Phänomen.

2.1.2.3 Rhythmischer Akzent und Satzrhythmus Ich fasse Nebenakzente im Gegensatz zur derzeit vorherrschenden Position nicht als wortphonologische Kategorie auf: Nebenakzente bzw. rhythmische Akzente konstituieren Füße; Füße wiederum sind nicht Teil der Domäne Wort (dies ist nur ein Spezialfall), sondern werden in Sätzen realisiert. Evidenz hierfür bietet die Tatsache, dass durch die rhythmische Umgebung, in die ein polysyllables Wort eingebettet wird, die Position des Nebenakzents manipulierbar ist (Noel Aziz Hanna 2003). Satzrhythmus ist das Ergebnis einer Interaktion zwischen Phonologie und Syntax. Im Folgenden wird der Terminus „(rhythmische) Betonung“ verwendet, wenn es sich um eine Form jener Prominenz handelt, die sich aus den allgemeinen satzrhythmischen Wohlgeformtheitsbedingungen No Clash und No Lapse, vgl. (8), ergibt. In der Phrase #Äpfel #und auch #Birnen (#xx.#xx.#xx) trägt das Funktionswort und eine rhythmische Betonung bzw. einen Nebenakzent. So ist der Satz in Bezug auf den Sprachrhythmus des Deutschen wohlgeformt. Ohne

Phonologie: Prosodische Wohlgeformtheit | 31

rhythmisch betontes und ergäbe sich der Fall !Äpfel und auch !Birnen (!xxxx.!xx), der gegen No Lapse verstoßen würde, also gegen die Wohlgeformtheitsbedingung, die nicht mehr als zwei unbetonte Silben in einem Fuß zulässt. "Äpfel "und !Birnen (!xx.!x.!xx) wäre ebenfalls ein Verstoß gegen rhythmische Wohlgeformtheit, denn die Wohlgeformtheitsbedingung No Clash sieht vor, dass Akzente auf benachbarten Silben nicht erlaubt sind. Welche Wörter und Silben in einem Satz prominent sind, ergibt sich konkret aus der Position der Satzakzente und der rhythmischen Wohlgeformtheitsbedingungen. (9) ist ein Beispiel für die Verfußung eines Satzes. (9) Schwören, dass man perfekt auf Englisch parliert, kann man lange. (!x x) (!x x x) (!x x) (!x x x) (!x x x) (!x x) Trochäus Daktylus Trochäus Daktylus Daktylus Trochäus (Spiegel Online, „Sprachtest-Gewirr“, 08.01.2008) Satzakzente sind vom Sprecher intendiert und hier in den Wörtern perfekt und lange realisiert (Unterstreichung). Weitere Wörter mit größerem Informationsgewicht sind in dieser Analyse schwören, Englisch, parliert. Die Verteilung der Hauptakzente innerhalb dieser Wörter folgt den einschlägigen Regeln und Defaults. Die satzrhythmische Einrichtung erfolgt nach den Wohlgeformtheitsbedingungen No Lapse (daher z.B. Betonung des Funktionsworts dass) und No Clash (daher z.B. Nicht-Betonung von kann17 ). Der Gegenstand dieser Untersuchung macht eine satzrhythmische Herangehensweise notwendig, denn Wackernagelelemente treten in natürlichen Sprachen nicht als isolierte Wörter auf. Weder die traditionelle Definition über Enklitisierung noch die Definition über die zweite Stelle im Satz sind mit der phonologischen Untersuchung der Elemente als Einwortsätze in Einklang zu bringen. Die satzrhythmische Betrachtung hat gegenüber Analysen isolierter „prosodischer Wörter“ den Vorteil, dass variante Wortstellungsmuster in Wackernagelposition bezüglich ihrer rhythmischen Wohlgeformtheit evaluiert werden können. Nicht in jedem Fall verläuft die Interaktion der Subsysteme Phonologie, Syntax, und Informationsstruktur unproblematisch. Die Frage, was unter einer „günstigen“ oder „ungünstigen“ Konstellation in einer Interaktion bezüg|| 17 Folgt auf parliert eine Pause, so kann das Wort kann einen rhythmischen Akzent tragen. Wie auch in der Metrik zu beobachten ist, sind Pausierungen in Füßen zulässig.

32 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition lich der Stabilität einer Konstruktion zu verstehen ist, ist stets sprachspezifisch. Die hier vorgeschlagene Herangehensweise liefert eine Beschreibung zum Verlust hochfrequenter Formen in Wackernagelposition, dem Verlust der alten Negationspartikel, der Fragepartikel und der alten koordinierenden Satzkonjunktion. Die Interaktion, die zu den speziellen Ausprägungen der deutschen Wackernagelposition führte, hat eine diachrone Dimension, die in das Modell zu integrieren ist.

2.1.3 Deutsche Prosodie diachron Eine Evaluierung der satzrhythmischen Verhältnisse innerhalb der Wackernagelposition ist nur vor dem Hintergrund des für die jeweilige Sprachstufe relevanten prosodischen Systems und ggf. der prosodischen Umbrüche sinnvoll. In der Geschichte des Deutschen ist Akzentzählung eine Konstante, nicht aber die Struktur der akzentbasierten Füße, denn im Spätmittelalter kam es zum Zusammenbruch der Quantität. Eine radikale Neustrukturierung des prosodischen Systems war die Konsequenz. Der Einfluss der Prosodie auf das Stellungsgesetz kann also nicht einheitlich angesetzt werden; es war nicht durchgängig die gleiche satzrhythmische Einrichtung wohlgeformt. Das Altdeutsche18 war wie schon das Germanische eine akzentbasierte Quantitätssprache mit dynamischem Initialakzent (z.B. Dresher/Lahiri 1991, Vennemann 1995). Das prosodische System steht in klarem Gegensatz zur Prosodie derjenigen indogermanischen Sprachen, die von Wackernagel und seinen Kollegen besonders intensiv auf das Stellungsgesetz untersucht wurden, dem Altindischen und Altgriechischen mit ihren musikalischen Akzenten. Das Altdeutsche hatte lange und kurze Silben; diese waren aber nur unter Akzent phonologisch relevant – etwa im Unterschied zum Klassischen Lateinischen, das silbenbasierte Quantität aufweist, lange und kurze Silben also ohne zusätzliche Akzentbedingung unterscheidet. Eine Silbe ist im Altdeutschen dann schwer, wenn sie akzentuiert und lang oder akzentuiert und geschlossen oder akzentuiert und diphthongiert ist, sonst leicht (vgl. Vennemann 1995). Zur Verdeutlichung der prosodischen Verhältnisse, auf die in Kap. 5.2 zur unterschiedlichen Position lateinischer und althochdeutscher koordinierender Konjunktionen zurückzukommen ist, liefert Abbildung 1 eine Gegenüberstel-

|| 18 Altdeutsch: Oberbegriff für Alt- und Mittelhochdeutsch sowie Alt- und Mittelniederdeutsch.

Phonologie: Prosodische Wohlgeformtheit | 33

lung der lateinischen und altdeutschen Fußbildung (hier am Beispiel des Mittelhochdeutschen): Klassisches Latein Beispiel a) ā ‘von ...ab’

Struktur V̄

Mittelhochdeutsch Analyse

Beispiel

Struktur 'V̄

Analyse

'V̆C 2 Moren

schwer durch Akzentuierung und Schließung; minimaler Fuß (Fmin)

'neinā! 'CVV.X ‘ja nicht!, mit 3 Moren Interjektion ā’

1. Silbe: schwer durch Akzentuierung und Diphthong; 2. Silbe: leicht trotz Langvokal, da unbetont; erweiterter Fuß (Fext)

2 Moren

schwer durch 'ē Langvokal ‘früher’

b) ab ‘von ...ab’

V̆C 2 Moren

schwer durch 'ab Schließung ‘von ...weg’

c) abdō ‘ich gebe ab’

VC.CV̄ 4 Moren

1. Silbe: schwer durch Schließung; 2. Silbe: schwer durch Langvokal

d) age ‘vorwärts!’

V̆.CV̆ 2 Moren

e) senex ‘alt’

CV̆.CV̆CC 3 Moren

1. Silbe: leicht 'abe durch Kurz‘von ...weg’ vokal; 2. Silbe: leicht durch Kurzvokal

Abbildung 1:

Lateinische und altdeutsche Fußbildung.

1. Silbe: leicht 'senef durch Kurz‘Senf’ vokal; 2. Silbe: schwer durch Schließung

2 Moren

'V̆.X 2 Moren

'CV̆.X 2 Moren

schwer durch Akzentuierung und Langvokal; minimaler Fuß (Fmin)

1. Silbe: akzentuiert und leicht; 2. Silbe: leicht, da unbetont; minimaler Fuß (Auflösung; Fmin) 1. Silbe: akzentuiert und leicht; 2. Silbe: leicht trotz Geschlossenheit, da unbetont; minimaler Fuß (Auflösung; Fmin)19

|| 19 Rhythmisch äquivalent mit der synkopierten Form mhd. 'senf: 2 Moren, da geschlossen und akzentuiert.

34 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition Ein altdeutscher Fuß besteht aus mindestens zwei Moren (minimaler Fuß Fmin). Dies ist dann der Fall, wenn eine Silbe schwer und akzentuiert ist (Beispiele a, b; einsilbiger Fuß) oder wenn sie leicht und akzentuiert ist und sich zusätzlich eine weitere unakzentuierten Silbe, egal ob lang oder kurz, anschließt (Auflösung, Beispiele d, e). Bei dreimorigen Füßen (erweiterter Fuß Fext) ist der minimale Fuß um eine weitere unbetonte Silbe ergänzt (Beispiel c). Da im Altdeutschen der Quantitätskontrast nur bei Akzentuierung phonologisch relevant ist, ergeben sich zum Lateinischen bei vergleichbarer Silbenstruktur Unterschiede bezüglich der Morenzählung (Beispiele c, e). Das moderne Standarddeutsche ist keine Quantitäts-, sondern eine Silbenschnittsprache (vgl. zur Silbenschnitttheorie Sievers 1901, Vennemann 1991, Murray 2000 und Restle 2003).20 Daher ist satzrhythmische Wohlgeformtheit im Standarddeutschen anders definiert ist als im Altdeutschen, vgl. Abbildung 2. Standarddeutsche linksköpfige quantitätsinsensitive Füße mit zwei oder drei Silben stehen im Altdeutschen linksköpfigen quantitätssensitiven Füßen mit ein bis drei Silben gegenüber.

|| 20 Das Konzept des Silbenschnitts beruht auf akustischen Beschreibungen wie dem Druckverhältnis, Silbengipfel und Crescendo vs. Decrescendo der Intensität. Der Vokalkontrast ist in Silbenschnittsprachen nicht segmental, sondern ein prosodisches Phänomen. Für das Standarddeutsche werden nur sieben Monophthonge je nach Art des Silbenschnitts als phonetisch lang/kurz und gespannt/ungespannt realisiert. Sanft geschnittene prominente Silben korrelieren mit peripheren/gespannten/langen Vokalen und scharf geschnittene Silben mit zentralisierten/ungespannten/kurzen Vokalen. Nur unter Haupt- oder Nebenakzent ist die Schnittopposition phonologisch distinktiv. In unakzentuierten Silben ist der Schnitt allophonisch. Diphthongische Silben nehmen an der Silbenschnittopposition nicht teil. Beispiel: Bann (scharfer Schnitt) vs. Bahn (sanfter Schnitt).

Syntax: natürliche Serialisierung und Skopus | 35

Standarddeutsch (gewichtssensitiv, quantitätsinsensitive Silbenschnittsprache)

Altdeutsch (gewichtssensitiv, akzentbasierte Quantitätssprache)

No Lapse: *('xxn>2) Bsp.: nhd. *'Dro.me.da.re (viersilbiger Fuß)

No Lapse: *('Fminxn>1) Bsp.: mhd. *'Ni.be.lun.gen ‘Nibelungen’ (viermoriger Fuß) No Clash: *('CV̆).('x…

No Clash: *('x)('x… Bsp.: nhd. *'Au to ' (einsilbiger Fuß) Abbildung 2:

Bsp.: mhd. *'de ge.ne ‘Helden’ ' (einmoriger Fuß)

Rhythmische Wohlgeformtheit im Standarddeutschen und im Altdeutschen.21

Wackernagelelemente sind häufig einsilbig. Um im Altdeutschen einen Kopf bilden zu können, muss eine leichte (einmorige) Silbe mit einer angrenzenden unbetonten Silbe einen aufgelösten Fuß bilden. Ein aufgelöster Fuß entspricht im Altgermanischen rhythmisch einem minimalen Fuß, wie das folgende Beispiel einer Formel aus dem altenglischen Beowulf (232.1/2618.1) zeigt. Die Füße licu (10a) und -lic (10b) sind metrisch gleichwertig. In (10a) bildet die leichte Silbe li- den Kopf des aufgelösten Fußes. (10a) fyrd|searu | fūs|licu Fmin|Fmin|Fmin|Fmin(aufgelöst) (Auflösung) (10b) fyrd|searo | fūs|lic Fmin|Fmin|Fmin|Fmin (geschlossene betonte Silbe) ‘kampfbereite Kriegsrüstungen’ Dies bedeutet, dass theoretisch auch leichte Wackernagelelemente, sowohl im Altdeutschen als auch im Standarddeutschen, den Kopf eines Fußes bilden können, also prominent sein können. Das Bild ist jedoch, wie die Ausführungen zu den einzelnen Kategorien im Wackernagelkomplex zeigen, komplexer.

2.2 Syntax: natürliche Serialisierung und Skopus In der Wackernagelposition finden sich Stellungsbesonderheiten, die sich satzrhythmisch nicht erklären lassen, etwa die relative Anordnung von Wörtern, die

|| 21 Legende: x: beliebige Silbe; n: Silbenzahl.

36 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition alle aus leichten Silben bestehen. Dies macht eine Miteinbeziehung der syntaktischen Komponente notwendig. Die unmarkierte Wortstellung folgt im Deutschen zwei Prinzipien. Zum einen folgt sie dem Prinzip der natürlichen Serialisierung, das im Deutschen auf Grund der unmarkierten OV-Stellung rechtsköpfig angelegt ist, was einer Serialisierungsrichtung von rechts nach links entspricht. Zum anderen folgt sie einer natürlichen Anordnung nach den Skopusverhältnissen: Einheiten mit weiterem Skopus stehen vor Einheiten mit engerem Skopus, was wiederum einer Serialisierungsrichtung von links nach rechts entspricht. Es stellt sich allgemein die Frage, nach welchem der beiden gegenläufigen Prinzipien die deutschen Wackernagelelemente in welchem Aspekt organisiert sind und welche Hypothese man über die präferierte Reihenfolge der Elemente innerhalb des Wackernagelkomplexes in den Sprachen der Welt aufstellen kann. Der nächste Abschnitt skizziert den theoretischen Hintergrund.

2.2.1 Natürliche Serialisierung und Wortstellungstypologie Beim Operator-Operand-Verhältnis handelt es sich um ein Universale. Joseph Greenberg setzte mit seiner Untersuchung „Some universals of grammar with particular reference to the order of meaningful elements“ (1963) einen Meilenstein, da sein Ansatz die typologische Untersuchung von Wortstellungsregularitäten ermöglichte. Sein empirischer Zugang erlaubt eine auf Korrelationen beruhende Klassifizierung von Sprachen hinsichtlich der Reihenfolge bedeutungstragender Elemente. Die Datenbasis bestand aus 30 Sprachen, die Greenberg u.a. auf die relative Anordnung von Subjekt, Verb und Objekt, von Präposition/ Postposition und Nomen oder von Fragepartikel und präpositionalem/ postpositionalem Stellungstyp untersuchte. Die Formulierung erfolgt über implikationale Universalien der Form „given x in a particular language, we always find y“ (1963: 73). Nach Greenbergs statistischer Auswertung sind zum Beispiel die Reihenfolge Nomen vor Genitiv, Nomen vor Adjektiv und die Reihenfolge Verb vor Objekt harmonisch. Letztere spielt für die Anordnung der Elemente im Wackernagelkomplex eine Rolle. Die drei Möglichkeiten des Satzbauplans, die sich aus Greenbergs Korpus ergeben, sind Typ I: VSO, Typ II: SVO, Typ III: SOV. Spätere Untersuchungen ergaben, dass auch andere Serialisierungstypen vorkommen, wenngleich sie weniger häufiger sind (vgl. Hawkins 1983, Dryer 2013a). Die Greenbergschen Universalien, die den Wackernagelkomplex betreffen und die in späteren Abschnitten zum Verlust der germanischen Fragepartikel

Syntax: natürliche Serialisierung und Skopus | 37

(Kap. 5.5.5.1) und zur Position der Pronomina (Kap. 5.3) aufgegriffen werden, sind die Universalien 9 und 25: Universal 9. With well more than chance frequency, when question particles or affixes are specified in position by reference to the sentence as a whole, if initial, such elements are found in prepositional languages, and, if final, in postpositional. Universal 25. If the pronominal object follows the verb, so does the nominal object.

Winfred P. Lehmann (z.B. 1972, 1990, 2007) wandte die Greenbergschen Implikationen auf die Rekonstruktion der indogermanischen und germanischen Syntax an. Er nimmt für Greenbergs Aussagen eine Verbzentrierung vor, bezieht die Universalien auf die relative Stellung von Objekt und Verb. So folgert er beispielsweise aus der germanischen Struktur der Komposita mit Determinans vor Determinatum, dass sie auf eine OV-Syntax der frühen germanischen Dialekte hindeutet (Lehmann 1972: 242).22 Ein weiteres Ergebnis seiner Untersuchungen besteht darin, dass das Subjekt für die Frage der Wortstellungstypologie nicht ins Gewicht fällt, dass also die Greenbergschen Kombinationen SOV, VSO, SVO auf VO und OV reduziert werden können. Lehmann stellt fest, dass sich bei einer Verbstellungsänderung auch die damit korrelierenden Phänomene nach und nach ändern. Er weist auf die Rolle syntaktischer Überreste alter Konstruktionen für die syntaktische Rekonstruktion hin (1990: 185–186); sie verweisen auf einen Sprachzustand, in dem sie der Norm entsprachen. Bartsch und Vennemann (1982: 34–35) untersuchten im kategorialgrammatischen Rahmen, was unter Modifikation (Determination, Dependenz, Qualifika-

|| 22 Die Ansichten, ob für das Germanische OV oder bereits VO anzusetzen ist, gehen auseinander. Viele Muster zeigen OV-Serialisierung, das finite Verb tritt aber auch am Satzanfang auf. Zu den verschiedenen Erklärungen zur Entstehung von V2 vgl. Kap. 5.7.

38 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition tion, etc.) zu verstehen ist.23 Schon Greenberg war davon ausgegangen, dass ein Teil der Korrelationen durch Modifikationen oder Limitationen motiviert ist (1963: 76). Bartsch/Vennemann lösen das Problem durch das Prinzip der Kategorienkonstanz (Vennemann 1974a: 347): The defining criterion, in addition to the semantic one of the operator specifying the operand, was found in category constancy: in a constituent structure [AB], A is operator and B is operand if the entire construction [AB] is in the same syntactic category as B (except for subcategorization). Thus, an object noun phrase is an operator on a (transitive) verb because the result of its application is an (intransitive) verb and not a noun phrase.

Bartsch/Vennemann (1982) formulieren im Rahmen der Kategorialgrammatik konsistente, also unidirektionale, Serialisierungen. Sie verweisen hierbei neben Greenbergs Wortfolgeuntersuchungen (1963) auf Behaghels „inhaltliche Gesetze“ (1932)24 (Vennemann 1974a: 339, Bartsch/Vennemann 1982: 32). Nach || 23 Ähnlich stellt diese Frage Paul Garde (1977) in Anknüpfung an Tesnière, Greenberg und Mel’čuk. Er unterscheidet mit Tesnière die zentripetale (zuerst das abhängige, dann das regierende Element, zum Beispiel Adjektiv vor Nomen, Objekt vor Verb) von der zentrifugalen Anordnung (zuerst das regierende, dann das abhängige Element, zum Beispiel Nomen vor Adjektiv, Verb vor Objekt). Garde definiert regierende und abhängige Elemente, über die wiederum die beiden Typen zentripetal vs. zentrifugal definiert sind (1977: 8): Si deux éléments signifiants A et B sont les constituants immédiats d’un syntagme AB, on dit que A dépend de B (ou que A est subordonné et B régissant) quand l’information sur les rapports syntaxiques entre le syntagme AB et ce qui lui est extérieur est contenu dans B et non pas dans A. Dans ce cas l’ordre AB est dit centripète et l’ordre BA centrifuge. 24 Behaghel stellt seinen „inhaltlichen“ Gesetzen „physikalische“ Gesetze an die Seite, darunter Wackernagels Gesetz (1932 IV: § 1426): Das oberste Gesetz ist dieses, daß das geistig eng Zusammengehörige auch eng zusammengestellt wird. [...] Ein zweites machtvolles Gesetz verlangt, daß das Wichtigere später steht als das Unwichtige, dasjenige, was zuletzt noch im Ohr klingen soll. [...] Ein drittes Gesetz fordert, daß das unterscheidende Glied dem unterschiedenen vorausgeht [...] Gegenüber den Gesetzen, die auf dem Inhalt der Wörter sich aufbauen, stehen zwei andere, die auf physikalische Tatsachen sich gründen: bei dem einen spielt der Umfang der Satzglieder die entscheidende Rolle, bei andern ihre Tonstärke. Das erste ist das von mir aufgestellte Gesetz der wachsenden Glieder [...]. Das Tongewicht kann die Wortstellung in verschiedener Weise beeinflussen. Das Deutsche hat das Streben, stärker und schwächer betonte Glieder abwechseln zu lassen [...]. Es gibt aber noch eine zweite Art von Wirkung des Rhythmus. Die unbetonten Silben drängen, wie wir seit Wackernagels Aufsatz IgF. 1, 333 wissen, im Igm. und so auch im Deutschen nach dem Satzeingang, vorausgesetzt, daß am Satzeingang ein Wort steht, das genug Ton besitzt, um andern Wörtern eine Anlehnung zu ermöglichen.

Syntax: natürliche Serialisierung und Skopus | 39

Vennemanns Prinzip der natürlichen Serialisierung, das auf Bartschs Prinzip der natürlichen Konstituentenstruktur (1972: 131) beruht, stehen Operatoren (Modifikatoren, Spezifikatoren) im Konstituentenfall idealerweise auf derselben Seite ihrer Operanden (Köpfe, Spezifikate): [Operator [Operand]] in OV languages {Operator {Operand}}! [Operand [Operator]] in VO languages Abbildung 3:

Prinzip der natürlichen Serialisierung (Bartsch/Vennemann 1972: 136, Vennemann 1974a: 347).

Die Operator-Operand-Beziehung verdeutlicht die hierarchische Beziehung der Konstituenten der Oberflächenstruktur. In konsistent präspezifizierenden Sprachen stehen alle Spezifikatoren A (= Operatoren, d.i. Attribute und Komplemente25) vor ihrem Spezifikat B (= Operand), in konsistent postspezifizierenden Sprachen nach ihrem Spezifikat. Die Serialisierung ist also in diesen Idealfällen unidirektional. Beispiele finden sich in Abbildung 4: A

B

ADVERBALE

VERB

(a) Nominalausdruck

Verb

(b) Komplementsatz

Verb

(c) Adverbiale

Verb

(d) Infinite Form

Auxiliar

(e) Infinite Form

Modalverb

ADNOMINALE

NOMEN

(a) Adjektiv

Nomen

(b) Relativsatz

Nomen

(c) Genitiv

Nomen

(d) Adpositionalausdruck

Nomen

ADADJEKTIVALE

ADJEKTIV

(a) Gradadverb

Adjektiv

(b) Nominalausdruck

Adjektiv

|| 25 Bei der Attribution ist die resultierende Konstruktion von derselben Kategorie wie die BKonstituente, bei der Komplementation bindet die A-Konstituente eine freie Stelle der B-Konstituente (Bartsch/Vennemann 1982: 34).

40 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition

(c) Adpositionalausdruck

Adjektiv

(d) Standard

Komparativ

ADADVERBALE

ADVERB

(a) Gradadverb

Adverb

(b) Nominalausdruck

Adverb

(c) Adpositionalausdruck

Adverb

(d) Nominalausdruck

Adposition

SATZRADIKAL

SUBJUNKTION

SATZRADIKAL

MODUSKENNZEICHEN

SPEZIFIKATOR

KOPF

Abbildung 4:

Operatoren (A) und Operanden (B) (Vennemann 2003: 335).

In der in Kap. 5 vorgeschlagenen Anwendungen des Prinzips der natürlichen Serialisierung wird deutlich, dass das Prinzip für die Untersuchung des Wackernagelkomplexes fruchtbar gemacht werden kann. Die natürliche Serialisierung wird dazu genutzt, Stellungsunterschiede aus typologischer Perspektive zu beschreiben. Das Prinzip wird auch herangezogen, um eine rätselhafte Stellungsbesonderheiten im Wackernagelkomplex, d.i. die Position von Köpfen in präspezifizierenden Sprachen links im Satz statt wie zu erwarten rechts im Satz, über die Abweichung von der syntaktisch zu erwartenden Position zu illustrieren (vgl. 5.2 zu koordinierenden Konjunktionen und Kap. 5.5 zu Fragepartikeln). Da sich bei einem Wandel der relativen Stellung von Objekt und Verb auch andere Konstituenten neu ausrichten, liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei dem Operator-Operand-Verhältnis um ein kognitiv verankertes Prinzip handelt. Dennoch entspricht ein Großteil der greenbergschen Beispiele nicht der idealtypischen Serialisierung. Dies wurde am bartsch-vennemannschen Vorschlag kritisiert, eine Kritik also, die statistischer Natur ist. In seinem einflussreichen statistischen Beitrag zur Wortstellungstypologie verwendet Hawkins (1983) zur Klärung der Frage nach typologischen Korrelationen eine Datenbasis von 350 Sprachen. Sein typologischer Indikator ist nicht Lehmanns relative Stellung von Verb und Objekt oder die bartsch-vennemannsche relative Anordnung von Operator und Operand, sondern die relative Stel-

Syntax: natürliche Serialisierung und Skopus | 41

lung der Adposition26. In Abgrenzung zur konsistenten Serialisierung nach Bartsch/Vennemann soll seine „Cross Category Harmony“ die Vorhersage relativer Häufigkeiten ermöglichen (1983: 133). Hierzu werden Universalien in zwei Schritten ermittelt (1983: 163). Zunächst werden die belegten Wortfolgen durch Implikationen definiert, dann ihre relative Häufigkeit vorhergesagt. Während die Serialisierungsrichtung nicht konsistent sein muss, überträgt sich das Verhältnis der präponierten zu den postponierten Operatoren innerhalb einer Kategorie auf andere Konstituententypen.27 Hawkins untersucht in einem späteren Ansatz (1994) den Einfluss von Verarbeitungsbeschränkungen auf die Entstehung von Universalien. Das Auftreten schwerer Elemente am Satzende wird traditionell durch Behaghels Gesetz der wachsenden Glieder erfasst (vgl. Fn. 24), das leichter Elemente am Satzanfang durch Wackernagels Gesetz. Hawkins versucht im Rahmen der X-bar-Theorie diese „left-right asymmetries“ zu erklären (1994: 321): Pronouns are skewed to the left of the VP by basic order rules or are rearranged leftwards, in English and many other languages […]. This skewing provides earlier access to the daughter ICs28 of VP in the left-to-right temporal sequence of the VP than if a longer IC

|| 26 Hier ergibt sich das Problem, dass bei präpositionalen Sprachen SOV-Stellung unwahrscheinlich ist, das präpositionale Indogermanische aber als OV-Sprache rekonstruiert wird (vgl. Hawkins 1983: 271–274). Hawkins verweist auf die Möglichkeit der Rekonstruktion des Indogermanischen als VO-Sprache (vgl. dazu Friedrich 1976). Dem widerspricht das von Lehmann herausgestellte Wortbildungsmuster der Komposition (s.o.; vgl. auch Baldis Erklärungsansatz (1979), wonach sich Präpositionen durch den Wandel von SOV zu SVO entwickelten). Die Beobachtung von Dryer (2013a), dass sich fast immer zunächst die Reihenfolge von Verb und Objekt und später erst die von Adposition und Nomen ändert, unterstützt die Hypothese, dass der OV-Stufe des Indogermanischen eine VO-Stufe vorgeschaltet gewesen sein könnte. 27 Hawkins schreibt hierzu (1983: 134): [T]here is a quantifiable preference for the ratio of preposed to postposed operators within one phrasal category (i.e. NP, VP/S, AdjP, AdpP) to generalize to the others. Whatever position the operand of one phrasal category occupies in relation to all its operators will preferably be matched by the position of the operand in each of the other phrasal categories. And the more the word order co-occurrence sets of languages depart from this "ideal" harmonic ordering, the fewer exemplifying languages there are. Zur Kritik der statistischen Vorgehensweise bei Hawkins vgl. Krifka (1985: 93–94). 28 EICs (early immediate constituents) nach Hawkins (1994: 77): „The human parser prefers linear orders that maximize the IC-to-non-IC ratios of constituent recognition domains (CRDs).“

42 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition were first to add several words to the CRD 29 for VP. If a long IC is constructed and recognized on its right periphery, it will also be skewed to the left, where it adds at most one word to the CRD for VP and precedes shorter ICs including pronouns. This explains the basic order VP[PP[NP P] NP V] in many verb-final languages […]. If the NP preceded PP, the CRD would be longer, and temporal access to VP structure would be delayed.

Hawkins’ Wahl der X-Bar-Theorie für die Evaluation kognitiver Prozesse wurde kritisiert. So stellt zum Beispiel Covington (1999: 810) die Frage, wie gut Hawkins’ Theorie im Rahmen der Dependenzgrammatik funktionieren würde: Given the importance of heads, I would like to see how well the whole theory works when recast into dependency grammar. There, early immediate constituents would become early dependents, and inference of mother nodes would partly disappear and partly become prediction of heads.

Den derzeit umfangreichsten Beitrag zur Wortstellungstypologie liefert der World atlas of language structures mit einem Mittelwert von 400 Sprachen pro Untersuchung und einer Gesamtzahl von 2676 analysierten Sprachen (Dryer/ Haspelmath 2013). Er deckt nach eigenen Angaben weniger als 10 Prozent der Weltsprachen ab, wobei dem Thema der dialektalen Variation bei dieser Zählung nicht Rechnung getragen wird. Die untersuchten Strukturmerkmale werden in ihrer regionalen Verteilung auf Weltkarten dargestellt. Der Atlas gibt für die verschiedenen Konstellationen Häufigkeiten an. Die hohe Wahrscheinlichkeit der Korrelation „Präposition in Verbindung mit VOSyntax“ wird durch die untersuchten Sprachen bestätigt: 472 Fällen für OV und Postposition und 456 Fällen für VO und Präposition stehen nur 56 Fälle mit anderer Kombination gegenüber. 158 Sprachen entsprechen nicht dem Analyseschema und wurden daher ausgeklammert (Dryer 2013a). Das Deutsche fällt wegen der OV-Stellung im Nebensatz und der VO-Stellung im Hauptsatz in diese ausgenommene Klasse. Es wird darauf verwiesen, dass der Deklarativsatz mit Auxiliar (z.B. Anna hat Wasser getrunken) OV-Stellung habe, eine Klassifikation, die nicht der gängigen Analyse entspricht, die aber die Statistik im World atlas of language structures beeinflusst. Die Herausgeber weisen explizit auf Inkonsistenzen bei der Klassifikation von Kategorien hin (Comrie/Dryer/Gil/ Haspelmath 2005: 4), die sich aus abweichenden Klassifizierungen, unterschiedlichen Quellen und auch Fehlern ergeben können. Dennoch regen Über|| 29 Constituent Recognition Domain (CRD): „The CRD for a phrasal mother node M consists of the set of terminal and non-terminal nodes that must be parsed in order to recognize M and all ICs of M, proceeding from the terminal node in the parse string that constructs the first IC on the left, to the terminal node that constructs the last IC on the right, and including all intervening terminal nodes and the non-terminal nodes that they construct.“ (Hawkins 1994: 58).

Syntax: natürliche Serialisierung und Skopus | 43

blicksdarstellungen wie der World atlas of language structures bei unerwarteten Korrelationen oder Merkmalshäufungen nicht verwandter Sprachen weiterführende systematische und kontaktlinguistische Studien an. Die Ergebnisse der Wortstellungstypologie lassen sich direkt auf Wackernagels Gesetz beziehen. In Sprachen mit unmarkierter OV-Stellung sind Wackernagelelemente am Satzanfang vor diesem Hintergrund auffällig: Satzmodusanzeiger wie die Fragepartikel und koordinierende Satzkonjunktionen, die als hochrangige Köpfe in rechtsköpfigen Sprachen theoretisch noch hinter dem finiten Verb stehen sollten, stehen in den indogermanischen Sprachen in der Nähe des Satzanfangs. Schematisiert man einen Satz einer OV-Sprache mit Wackernagelposition, so entsteht der Eindruck einer Zweiteilung des Satzes bezüglich der Serialisierungsrichtung (vgl. Abbildung 5). Erstelement (fakultativ)

Abbildung 5:

Wackernagelposition

Restsatz

Organisationsprinzipien in OV-Sprachen mit Wackernagelposition.

Während der standarddeutsche Nebensatz präspezifizierende Grundwortstellung zeigt, ergibt sich im Wackernagelkomplex die relative Reihenfolge der einzelnen Kategorien vornehmlich nach einem anderen Prinzip. Dieses zweite zentrale Prinzip der Satzorganisation orientiert sich an den relativen Skopusverhältnissen.

2.2.2 Skopus Mit seinem „concept of linear modification“ weist Bolinger (1952: 280) darauf hin, dass Elemente, die in einer Reihe rechts angefügt werden, den semantischen „range“, den Wirkungsbereich des Vorhergehenden, einschränken. Elemente am Anfang haben eine weitere semantische Reichweite als nachfolgende. Bolinger (1952: 1118), der den Schwerpunkt seiner Ausführungen auf die Reihenfolge von Adjektiven und Adverbien legt, stellt das Prinzip vereinfacht folgendermaßen dar:

44 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition [T]hat first word has, in communicative value for the hearer, its fullest possible semantic range. The second word follows, narrowing the range, the third comes to narrow it still further, and finally the end is reached at which point the sentence presumably focuses on an event […].

Die vorliegende Untersuchung legt nahe, dass sich der Faktor Syntax über die natürliche Serialisierung im Zusammenspiel mit den phonologischen und informationsstrukturellen Subsystemen der Sprache auswirkt. Die Reihenfolge der verschiedenen Kategorien innerhalb der Wackernagelkette ist über den Skopus der Elemente geregelt (zur relativen Anordnung der Wackernagelelemente nach dem Prinzip der Skopusverengung vgl. Kap. 6.2 und Luraghi 1990 zum Hethitischen). Dies schließt an die traditionelle Auffassung vom Zusammenhang zwischen Skopus und relativer Position der Elemente an (Farkas 1997: 183): The traditional view of scope is structural in the sense that the relative scope of two expressions is taken to be determined by their relative position at some level where hierarchical relations are encoded.

In der Grammatik der deutschen Sprache wird der Skopus als Stellungsprinzip für Supplemente30 angegeben. Es wird zwischen drei Typen von Supplementen unterschieden (1997: II. 1121–1122): Satzadverbialia, Verbgruppenadverbialia und Abtönungspartikeln. Supplemente mit weiterem Skopus stehen vor Supplementen mit engerem Skopus (1997: II.1524–1525). Die Stellung kennzeichnet weitgehend den Bereich, auf dem der Modifikator operiert, u. zw. nach dem Prinzip der möglichst geringen Distanz (‚Adjazenzprinzip’); das heißt also:

|| 30 Im Terminologischen Wörterbuch des IdS (s.v. Supplement) heißt es: Supplemente sind nicht-verbale Ausdrücke (Adverbphrasen, Präpositionalphrasen, Nominalphrasen, Nebensätze), die einen Satz oder eine Verbgruppe spezifizieren, z.B. in Hinblick auf Raum, Zeit oder Relationen wie Ursache, Zweck etc. Zusammen mit den Komplementen und dem Verbalkomplex bilden Supplemente die primären Komponenten des Vollsatzes, sie sind aber nicht Teile des Ausdrucks der Elementarproposition. Sie sind im prototypischen Fall weglassbar. Beispiel:

Sicher haben wir dieses Problem schnell gelöst. sicher: Supplement zum Satz schnell: Supplement zur Verbgruppe.

Informationsstruktur | 45

Supplemente werden im Mittelfeld[31] entsprechend ihrem (engeren oder weiteren) Skopus linearisiert: S [weiter Skopus] >> S [enger Skopus]. (1997 II: 1524)

Die neuhochdeutsche Topologie ist nicht vollständig auf das Althochdeutsche mit zum Teil noch vorhandener OV-Stellung im Deklarativsatz zu übertragen, ebenso nicht auf das Mittelhochdeutsche, in dem die Nebensatzklammer noch nicht vollständig ausgebaut ist. Das Prinzip der Skopusverengung wird in der vorliegenden Untersuchung also ohne direkte Anknüpfung an die Felderstruktur auf die Wackernagelposition übertragen. Was aber ist die Funktion der Serialisierung nach Skopus? Pasch et al. (2003: 65) deuten die Linearstruktur generell funktional in Hinblick auf den Hörer: Die Aufgabe der Linearstruktur ist es, dem Adressaten den Zugang zur hierarchischen Struktur eines Ausdrucks zu erleichtern und in Verbindung mit den intonatorischen Mitteln dessen Informationsstruktur zu verdeutlichen.

Im Zusammenhang mit der Hörerzentrierung der Linearstruktur stellt sich auch die Frage nach der Funktion der Wackernagelposition im Allgemeinen. Dieser Komplex wird in Kap. 8 abgehandelt.

2.3 Informationsstruktur Die dritte Komponente, die sich auf die Wackernagelposition auswirkt, ist die Informationsverteilung. Die Prager Schule lieferte mit der Entwicklung des Modells der Informationsstruktur und den sich daran knüpfenden Wortstellungsuntersuchungen einen zentralen Beitrag zum Verständnis sprachübergreifender Stellungstendenzen im Satz. Mathesius (1911/1966) sieht die Wortstellung als Ergebnis interagierender Prinzipien an, die sich sowohl in ihrer Intensität von Sprache zu Sprache unterscheiden können als auch dem sprachgeschichtlichen Wandel unterworfen sind. Er entwickelt in Anschluss u.a. an Weil (1844) 32 das Konzept der alten und neuen Information (Mathesius 1935/1975: 81–82): || 31 Das Mittelfeld reicht im neuhochdeutschen Aussagesatz von der Position rechts vom klammeröffnenden finiten Verb bis zum klammerschließenden Element, im Nebensatz von der Position nach dem die Gliedsatzklammer öffnenden Element, der Konjunktion oder dem Relativpronomen, bis zum klammerschließenden finiten Verb. 32 Weil (1844) entwickelt eine sprachunabhängige Wortfolge aus der These, dass die Wortstellung die Reihenfolge des Gedanken wiedergeben und mit ihr identisch sein sollte.

46 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition The most important feature of the sentence is the reaction of the speaker to some reality. […] The element about which something is stated may be said to be the b a s i s of the utterance or the t h e m e , and what is stated about the basis is the n u c l e u s of the utterance or the r h e m e . […] The patterning of the sentence into the theme and the rheme is here called funtional sentence perspective because this patterning is determined by the functional approach of the speaker.

Die relative Stellung Thema vor Rhema ist bei Mathesius die “objektive Reihenfolge”, da der Sprecher den Hörer berücksichtigt und ausgehend von einer bestimmten Situation von der alten zur neuen Information fortschreitet. Die „subjektive Reihenfolge“ Rhema vor Thema ist nach Mathesius emotional gefärbt (1975: 83). Wackernagelelemente haben u.a. bezüglich ihres Informationsgehalts gemeinsam, dass sie nicht rhematisch sind.33 Die Behandlung der Informationsstruktur ist seit Mathesius’ Entwicklung der Funktionalen Satzperspektive sprachvergleichend ausgerichtet; in Untersuchungen zur Wackernagelposition wird der Anteil der Informationsstruktur jedoch i.d.R. nicht in Betracht gezogen. Dies hängt zum einen damit zusammen, dass Wackernagel ihn in seinem Aufsatz von 1892 als motivierenden Faktor ausschloss, zum anderen mit dem lange Zeit stark eingeschränkten Interesse an Fragen der Informationsverteilung. Dennoch lässt sich der Einfluss der Informationsstruktur auf Phänomene wie die Pronominalisierung nicht bestreiten (vgl. z.B. Bossong 1982). Franks (2000: 3) illustriert die Variation zwischen erstem Wort und erster Konstituente in der Wackernagelposition mit folgendem Beispiel aus dem Serbo-Kroatischen: je Zeleno34 mi green me.DAT AUX.3SG ‘He bought me a green car.’ (11b) Zeleno auto mi je kupio.35 (11a)

auto kupio. car bought

|| 33 Firbas definiert Thema und Rhema mit seinem Konzept der Kommunikativen Dynamik (Communicative Dynamism, CD), einem Teil der Informationsstruktur (1979: 30–31): By CD I understand a quality displayed by communication in its development (unfolding) of the information to be conveyed and consisting in advancing this development. By the degree of CD carried by a sentence element, I understand the extent to which the sentence element contributes to the further development of the communication. Das Rhema trägt den höchsten Grad an kommunikativer Dynamik, das bekannte Thema den niedrigsten. Prototypische Wackernagelelemente zeigen keine hohe kommunikative Dynamik. In diesem Aspekt verhalten sie sich uniform. 34 Korrekter im Kroatischen: zeleni. Ich danke Iva Welscher für diesen Hinweis, für den Hinweis in Fn. 35 und die Erläuterung der Unterschiede zwischen den Sätzen (11a) und (11b).

Informationsstruktur | 47

Die Elemente mi ‘mir’ und je ‘AUX, 3. Sgl.’ stehen in (11a) hinter dem ersten Wort, in (11b) hinter der ersten syntaktischen Konstituente. Franks (2000: 3) referiert, dass es sich nach Halpern (1995) in (11a) um eine phonologisch determinierte Position, in (11b) um eine syntaktisch determinierte Position handelt. Beispiel (11a) ist auf Grund der Tmesis problematisch für rein syntaktische Analysen, Beispiel (11b) auf Grund des „Trägerelements“ für rein phonologische.36 Zielführend ist hier nach meiner Auffassung weder eine Motivation des Stellungsunterschieds über die Syntax noch über die Phonologie. Die Variation in den beiden Sätzen wird durch die Informationsstruktur des Satzes gelenkt. In Satz (11a) wird zeleno ‘grün’ fokussiert, in Satz (11b) zeleno auto, ‘grünes Auto’. Die Stellung von mi und je richtet sich also nach der Mitteilungsperspektive. Für die lateinische Wackernagelposition ist ein ähnlicher Zusammenhang zwischen der Position des Objektspronomens und der Fokussierung bestimmter Konstituenten beschrieben (vgl. S. 111). In neueren Untersuchungen werden Thema/Rhema, Fokus/Hintergrund und Topik/Kommentar einander gegenübergestellt. So stellt Molnár (1993) im Rückgriff auf das Bühlersche Organonmodell die Empfängerebene mit der ThemaRhema-Gliederung zusammen, die Senderebene mit der Fokus-HintergrundGliederung und die Sachebene mit der Topik-Kommentar-Gliederung. Tatsächlich kristallisiert sich der bereits bei Mathesius in den Vordergrund gestellte Hörer als zentral für die Frühstellung des gesamten Wackernagelkomplexes heraus (vgl. Kap. 8), weshalb im Folgenden die mathesiussche Terminologie Thema vs. Rhema beibehalten wird. Für eine Untersuchung der Wackernagelposition ist die Informationsstruktur des Satzes unerlässlich. Sie motiviert im Zusammenspiel mit den anderen Subsystemen Phonologie und Syntax die frühe Platzierung der Komponenten des Wackernagelkomplexes auf Grund der Funktion der beteiligten Kategorien.

|| 35 Die unmarkierte Wortfolge lautet: Kupio mi je zeleno auto. 36 Für die Interaktion zwischen Prosodie und Syntax fasst Franks drei theoretische Lösungen zusammen (2000: 9), auf die in Kap. 3.1 und 3.2 eingegangen wird. (i) allow clitics to move in PF; (ii) allow syntactic movement to satisfy phonological deficiencies; (iii) overgenerate in syntax and only subsequently ‘filter out’ undesirable representations.

48 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition

2.4 Mehrdimensionale Interaktion in der Wackernagelposition Die drei in den vorangehenden Abschnitten skizzierten linguistischen Subsysteme Syntax, Phonologie und Informationsstruktur interagieren miteinander. Die Wackernagelposition ist ein Ergebnis dieser komplexen Interaktion. In den folgenden Abschnitten wird ausgeführt, was hier unter der Interaktion linguistischer Subsysteme verstanden wird, und wie Interaktionen formal beschrieben werden können.

2.4.1 Zum Status von Interaktionen Interaktionen linguistischer Subsysteme stellen einen zentralen Teil des sprachlichen Systems dar. Nicht nur die Wackernagelposition selbst, sondern auch mit der Wackernagelposition verbundene Erscheinungen sind als Interaktionen zu beschreiben. Zum Beispiel handelt es sich bei der unmarkierten Position eines Topiks am Satzanfang um das Resultat einer Interaktion zwischen Informationsstruktur und Syntax. Satzrhythmus ist das Ergebnis einer Interaktion zwischen Syntax und Phonologie. Satzakzente wiederum sind das Ergebnis einer Interaktion von Phonologie und Informationsstruktur (vgl. Abbildung 6).37

|| 37 Im Folgenden wird die Interaktion der linguistischen Subsysteme als Hierarchie dargestellt. Darauf wurde in dieser Abbildung verzichtet, da die Hierarchie der Subsysteme einzelsprachlich angesetzt wird. Ein Gutachter kommentiert, dass „sprachliche“, nicht linguistische Subsysteme anzusetzen seien. Die Wahl des Terminus „linguistisches Subsystem“ hier und im Folgenden hebt hingegen hervor, dass es sich bei der Darstellung der Interaktionen um eine Beschreibung, nicht um eine Erklärung des Phänomens handelt.

Mehrdimensionale Interaktion in der Wackernagelposition | 49

Topikposition

Syntax

Satzrhythmus

Abbildung 6:

2. Position

Phonologie

Informationsstruktur

Satzakzent

Interaktion linguistischer Subsysteme und die Wackernagelposition.

Offen ist allerdings die Frage der Formalisierung dieser Interaktionen für sprachvergleichende Anwendungen. Auch ist der Raum und Status, der Interaktionen zuerkannt wird, in den verschiedenen Theorien unterschiedlich. Die Prager Schule thematisiert Interaktionen seit ihren Anfängen und macht auf das Zusammenspiel von Informationsstruktur, Syntax und Prosodie aufmerksam. Firbas (1979: 30) formuliert hierzu: It is evident that in determining the order of sentence elements a number of factors are in play. Sentence elements can be ordered in regard to old and new information, linear modification, the requirements of grammatical structure; moreover, the rhythmical factor is in play, as well as the factor that renders word order emotive (marked).

Firbas (1989) stellt einen Zusammenhang zwischen Graden kommunikativer Dynamik (vgl. Fn. 33) und Graden prosodischer Prominenz her. Die Interaktion zwischen Prosodie und Informationsstruktur besteht darin, dass kontextabhängige Elemente weniger prominent sind als kontextunabhängige. Die funktionale Motivation erfolgt über die Kommunikation. Kontextabhängige Elemente tragen weniger zur Entwicklung der Kommunikation bei als kontextunabhängige Elemente (1989: 46).

50 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition In diesem Forschungszusammenhang finden sich auch Betrachtungen einzelner Kategorien. So zeigt Chamonikolasová (1991: 58) an einer Stichprobe phonetisch transkribierter englischer Texte (O’Connor/Frederick 1973, Tooley 1972), dass „central pronouns“ (Personalpronomina, Reflexivpronomina, nominale Possessivpronomina)38, in 90% der untersuchten Fälle thematische Einheiten sind. Als Zusammenhang zwischen der Informationsstruktur und der Betontheit der Gesamtklasse der Pronomina ergibt sich, dass von 870 Pronomina 842 unbetont sind (1991: 62). Eine allgemeinere Kodierung von Referenten wird durch van Valin (2005: 73) im Rahmen der Role and Reference Grammar39 vorgenommen. Demnach ist Nullkodierung die am wenigsten markierte Kodierung für einen Topik-Referenten40, die indefinite NP die unmarkierteste für einen Fokus-Referenten. Ferner wird eine Skala für Pronomina angesetzt, die sich an deren Prominenz und Form orientiert. Markedness of occurrence as focus Zero

Clitic/Bound pronoun

Pronoun [-Stress]

Pronoun [+Stress]

Definite NP

Indefinite NP

Markedness of occurrence as topic Abbildung 7:

Korrelierung von Topik, Fokus und Referent nach van Valin (2005).

|| 38 Das Korpus umfasst insgesamt 1885 Sätze mit 1345 Pronomina: Personalpronomina (98.5%), Reflexivpronomina (1%), nominale Possessivpronomina (0,5%). 39 In der Role and Reference Grammar werden drei Repräsentationen postuliert (van Valin 2005: 1): 1) eine Repräsentation syntaktischer Strukturen, 2) eine semantische Repräsentation und 3) eine Repräsentation der Informationsstruktur, die auf ihre kommunikative Funktion bezogen ist. 40 Topik ist bei van Valin in Anlehnung an Lambrecht (1994) definiert, der sich wiederum auf Gundel (1988: 210) bezieht: An entity, E, is the topic of a sentence, S, iff in using S the speaker intends to increase the addressee’s knowledge about, request information about, or otherwise get the addressee to act with respect to E. A predication, P, is the comment of a sentence, S, iff in using S the speaker intends P to be assessed relative to the topic of S. Unter Fokus versteht van Valin (2005: 69) nach Lambrecht (1994: 213) „The semantic component of a pragmatically structured proposition whereby the assertion differs from the presupposition.”

Mehrdimensionale Interaktion in der Wackernagelposition | 51

Andere Theorien verzichten weitgehend auf die Einbindung von Interaktionen. So kritisieren Pinker und Jackendoff (2005: 220) am minimalistischen Programm, die Theorie ignoriere many phenomena of phrase and word order, such as topic and focus, figure and ground, and effects of adjacency and linearity. There is also no account of free word order phenomena, characteristic of many languages in the world.

In einer Fußnote zitieren sie dazu Chomsky (1995: 220): I am sweeping under the rug questions of considerable significance, notably, questions about what in the earlier framework were called “surface effects” on interpretation. These are manifold, including topic-focus and theme-rheme structures, figure-ground properties, effects of adjacency and linearity, and many others.

Ansätze, die Interaktionen ausklammern, basieren häufig auf der Annahme einer Modularität des Geistes. Module werden als unabhängige Systeme beschrieben, interagieren in der Regel nicht und arbeiten parallel zueinander (Fodor 1989). Die Annahme, dass Module in abgrenzbaren Regionen des Gehirns angesiedelt sind, wurde für das Bedeutungszentrum (unified „meaning centre“) mittlerweile durch Pulvermüller et al. (z.B. Hauk, Johnsrude, and Pulvermüller 2004) empirisch widerlegt. Neuere Sprachverarbeitungsmodelle wie zum Beispiel die Modelle von Levelt und Kollegen betonen ferner bezüglich der temporalen Verhältnisse der Sprachverarbeitung den inkrementellen Charakter der Sprachverarbeitungsoperationen und wenden sich gegen Modelle, die von einer strikten Serialität der Verarbeitung ausgehen (vgl. den Überblick in Huelva Unternbäumen 2001). Anklänge an die Idee der seriellen Verarbeitung finden sich allerdings selbst in linguistischen Darstellungen, die von einer inkrementellen Verarbeitung ausgehen. So beschreibt Jackendoff (2002: 212) die Interaktion von Syntax und Prosodie wie folgt: It is a point of logic that phonological integration has to await the completion of syntactic integration. The syntax determines what order words come in, which determines the order of phonological integration (remember, this is all being done incrementally: the processor doesn’t have to finish the syntax or even the word choice for the whole sentence before starting to integrate the phonology).

Wie die weiteren Ausführungen zeigen werden, kann auch die Phonologie Einfluss auf die syntaktische Struktur nehmen. Die wechselseitige Beeinflussung linguistischer Subsysteme wird in dieser Untersuchung ausschließlich innerhalb des linguistischen Systems dargestellt; eine Übertragung der linguistischen Hierarchisierung auf mentale Repräsentationen der Hierarchien ist nicht

52 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition intendiert. Abbildung 6 zur Interaktion linguistischer Subsysteme bildet also nicht Module im Sinne Fodors ab. Die Interaktionsdimensionen repräsentieren etablierte Kategorien einzelsprachlicher sowie typologischer Beschreibungen. Der für die Beschreibung der Wackernagelposition verwendete Rahmen ist oberflächengrammatisch.

2.4.2 Zur Formulierung mehrdimensionaler Interaktionen Der Schwerpunkt dieser Untersuchung liegt auf der Realisation des Wackernagelschen Gesetzes in einer repräsentativen Auswahl deutscher Texte seit dem 8. Jahrhundert. Da Wackernagels Gesetz in einer Vielzahl von Sprachen gültig ist und da in der Wackernagelposition ein erhebliches Maß an Varianz sowohl zwischen den Sprachen als auch in den historischen Stufen der Sprachen besteht, bietet sich eine allgemeine Darstellung der Interaktionshierarchie mit einer „justierbaren“ sprachspezifischen Einstellung der Subsysteme an. Die Kommunikation der sprachlichen Subsysteme ist zentral für die Beschreibung des Wackernagelkomplexes. Interaktionen müssen beschränkt werden, denn nicht jede Funktion, die über eine Vielzahl von Dimensionen definiert ist, ist auch natürlich (Oehrle 1987: 232–233). Der Wackernagelkomplex belegt, dass nicht alle Interaktionen zulässig sind. Anderenfalls könnten koordinierende Satzkonjunktionen am Satzende des zweiten Konjunkts vorkommen, Sätze mit anaphorischen Objektspronomina enden und Konnektoradverbien beliebig positionierte Elemente fokussieren. Die linguistischen Subsysteme Phonologie, Syntax und Informationsstruktur, die für alle Sprachen ansetzbar sind, interagieren miteinander. Diese Interaktion lässt sich sowohl allgemein als auch sprachspezifisch formulieren. Die Beschreibung der Interaktionen erfolgt in Anlehnung an das Format der Optimality Theory (OT), das die sprachspezifische Hierarchisierung von Beschränkungen einführt sowie minimale Verletzungen zulässt; nicht übernommen ist die generative Grundannahme einer Universalgrammatik (vgl. Prince/Smolens-

Mehrdimensionale Interaktion in der Wackernagelposition | 53

ky 2002: 2, Hawkins 1988)41. Bei interagierenden Subsystemen handelt es sich nicht um Constraints im optimalitätstheoretischen Sinne.42 Selbstverständlich sind die für die Wackernagelposition relevanten Aspekte der linguistischen Subsysteme, also prosodische Wohlgeformtheit, syntaktische Serialisierung nach dem Operator-Operand-Verhältnis und hörerzentrierte Informationsverteilung, definierbar. Die Linksattraktion des Wackernagelkomplexes ergibt sich aus der Interaktion der Subsysteme. Die Informationsstruktur spielt hier eine besondere Rolle, da die Funktion der Wackernagelposition insgesamt der Herstellung von Kohäsion bzw. Kohärenz mit Vorangegangenem und der Diskurssteuerung dient. So macht es für den Sprecher keinen Unterschied, ob er z.B. eine Fragepartikel gegen Satzanfang oder gegen Satzende äußert, für den Hörer ist aber, wenn keine anderen Faktoren den Satzmodus anzeigen, eine Frühstellung nützlich (vgl. Kap. 8.1.2). Die hier vorgeschlagenen Analysen sind oberflächengrammatisch. Mit der Hierarchisierung der Subsysteme wird erfasst, durch welche Interaktionskonstellation man die Stellung der Wackernagelelemente in ihrer Synchronie und Diachronie beschreiben kann. Die belegte Stellung wird mit anderen möglichen Wortfolgen kontrastiert, die nicht der tatsächlichen Wortfolge entsprechen. Während es in der Optimalitätstheorie um die Generierung eines Outputs geht, || 41 Prince/Smolensky (2002: 3) formulieren den Anschluss der OT an die Universalgrammatik folgendermaßen: A structural description is well-formed if and only if the grammar determines it to be the optimal analysis of the corresponding underlying form. […] The goal is to attain a significant increase in the predictiveness and explanatory force of grammatical theory. The conception we pursue can be stated, in its purest form, as follows: Universal Grammar provides a set of highly general constraints. These often conflicting constraints are all operative in individual languages. Languages differ primarily in how they resolve the conflicts: in the way they rank these universal constraints in strict domination hierarchies that determine the circumstances under which constraints are violated. A language-particular grammar is a means of resolving the conflicts among universal constraints. On this view, Universal Grammar provides not only the formal mechanisms for constructing particular grammars, it also provides the very substance that grammars are built from. 42 Prince/Smolensky setzen zwei Klassen von Constraints an: “those that assess output configurations !"#$%"$and those responsible for maintaining the faithful preservation of underlying structures in the output.” Im Gegensatz zu diesem Ansatz wird in den hier vorgeschlagenen Interaktionshierarchien kein Output evaluiert, sondern die bezeugten Strukturen über die Interaktionen beschrieben. Treuebeschränkungen bezüglich Tiefenstrukturen fallen bei oberflächengrammatischen Untersuchungen ohnehin weg.

54 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition dient die hier vorgeschlagene Hierarchisierung nur der systematischen Beschreibung des Untersuchungsgegenstands.43 Die Arbeit ist empirisch orientiert, es geht um das Nachzeichnen von Wirkungsmechanismen: Anhand der Tableaux wird illustriert, inwiefern in der jeweiligen Sprache zum Beispiel eine Zweitstellung gegenüber der Erst- oder Letztstellung einer Kategorie die bessere Lösung ist. Wenn sich die Wohlgeformtheitsbedingungen der linguistischen Beschreibungsebenen widersprechen, kommt es zu Konflikten. Diese Konfliktlösung wird hier auf empirischer Grundlage als Interaktionshierarchie beschrieben.

2.5 Wackernagels Gesetz im Rahmen mehrdimensionaler Interaktionen Die Wackernagelposition und die Auswahl der Wackernagelelemente sind durch Interaktionen von Phonologie, Syntax und Informationsstruktur beschreibbar. Im Vergleich zu Ansätzen, die das Verhalten von Wackernagelelementen direkt über syntaktisch kodierte Lexeme, Basisgenerierung oder Bewegungsoperationen definieren (vgl. Kap. 3.1 und 3.2), ist dieser Ansatz flexibel, da die Position der jeweiligen Wackernagelkategorie über die Interaktion feinjustiert werden kann. Die sprachspezifische Orientierung dieser Arbeit wird gewährleistet, indem der Wackernagelkomplex anhand der Entfaltung der Kategorien und ihrer Serialisierungen in der deutschen Sprachgeschichte entwickelt wird. Die Ergebnisse sind durch eine umfangreiche elektronische Datenbank empirisch abgesichert (vgl. Kap. 4.3 und 4.4). Die Interaktion der Subsysteme ist hierarchisch organisiert. Ihre sprachspezifische Dimension besteht darin, dass die Subsysteme selbst, und folglich auch Interaktionen zwischen den Subsystemen, sprachspezifisch sind. Die typologische Besonderheit des Wackernagelkomplexes ist, dass sich funktionsgleiche und funktionsähnliche Wackernagelelemente als Resultat der Interaktion dieser drei Systeme in vielen Sprachen am Satzanfang bzw. in seiner Nähe befinden, und dies unabhängig von syntaktischer Links- oder Rechtsköpfigkeit. Wie bereits ausgeführt, wird in der Syntax die optimale Reihenfolge der Operatoren und Operanden festgelegt, der informationsstrukturelle Teil der In|| 43 Auch dies erfolgt in Abgrenzung zu der „Urform“ der Optimalitätstheorie. In der OT wird über die Funktion GEN (Generator) ein Kandidatensatz möglicher Outputs generiert. Aus diesem Kandidatensatz wird über die Funktion EVAL (Evaluator) der optimale Kandidat selegiert. EVAL verwendet das sprachspezifische Ranking der Constraints aus einem universellen Constraint-Satz (Archangeli/Langendoen 1997: 15–16).

Wackernagels Gesetz im Rahmen mehrdimensionaler Interaktionen | 55

teraktionshierarchie zielt auf die optimale Verarbeitbarkeit der Äußerung, im Wackernagelkomplex primär in Hinblick auf den Hörer, und der phonologische Teil der Interaktionshierarchie dient der Optimierung der rhythmischen Komponente und zielt auf wohlgeformte Füße. In den Rankings wird die Interaktionshierarchie homogen angesetzt. Hierbei ist zu beachten, dass keine serielle Verarbeitung impliziert werden soll. Die phonologische Komponente wird in der Hierarchie an erste Stelle gesetzt. Damit ist nicht impliziert, dass phonologische Faktoren für die Linksattraktion des Wackernagelkomplexes zuständig sind. Phonologische Wohlgeformtheit ist immer lokal, wirkt also „kleinräumig“. Aus diesem Grund bietet sich das Ansetzen des phonologischen Systems an höchster Stelle an. In vielen Fällen fällt die Optimierung über das prosodische System im Wackernagelkomplex aus. Wenn hingegen beispielsweise alle beteiligten Elemente einer morenzählenden Sprache einmorig oder alle beteiligten Elemente zweimorig sind, wirkt sich die rhythmische Wohlgeformtheit nicht auf die relative Serialisierung aus. Als niedrigstes System der Beschreibung wird die Syntax angesetzt. Dies erfolgt ebenfalls aus praktischen, nicht aus psycholinguistischen Gründen. Eine konsequente Operator-Operand-Serialisierung ergibt eine objektiv bestimmbare optimale Reihenfolge von Elementen, die sich auf Grund der präzise bestimmbaren Position der Elemente als Ausgangspunkt für eine Beschreibung anbietet. Die informationsstrukturelle Optimierung liefert den Anteil, der sich im Falle der Wackernagelposition als Optimierung in Bezug auf die Präsentation einer Struktur für den Hörer beschreiben lässt. Um dies in der Beschreibung zu konkretisieren, ist es sinnvoll, dieses Subsystem dem syntaktischen Subsystem bei der Beschreibung vorzuschalten. Die Interaktionshierarchien werden wie folgt dargestellt: Wackernagelelement

Phonologie Informationsstruktur

Syntax

(a) Reihenfolge A (b) Reihenfolge B (c) Reihenfolge C Abbildung 8:

Hierarchie linguistischer Subsysteme.

In der ersten Spalte der ersten Zeile wird das Wackernagelelement angegeben. Rechts davon stehen in abnehmender Rangordnung die linguistischen Subsysteme. Ich setze die Subsysteme in den Einzelfallbeschreibungen sprachspe-

56 | Zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition zifisch an. Die Frage der Sprachspezifik fällt allerdings für die verschiedenen Subsysteme unterschiedlich deutlich aus. Während prosodische Wohlgeformtheit nur einzelsprachlich zu definieren ist (handelt es sich um eine Quantitätssprache, sind Daktylen zugelassen, ist der Akzent stets initial?), ist der Faktor der Informationsverteilung für den Wackernagelbereich allgemeiner zu definieren (z.B. die sinnvolle Verknüpfung mit Vorangegangenem am Satzanfang gegenüber der weniger sinnvollen Verknüpfung am Satzende). Gleiches gilt für die ideale Anordnung der Operanden und Operatoren, die sich in OV-Sprachen spiegelbildlich zu VO-Sprachen verhält. Selbstverständlich muss sich bei Konflikten wie der Frage, ob eine Fragepartikel satzinitial oder satzfinal steht, schon aus Gründen der Ökonomie eine Lösung durchsetzen. Die hier vorgestellten Interaktionshierarchien beziehen sich auf die Beschreibung der linguistischen Interaktionen, basieren auf den eben genannten praktischen Erwägungen und zielen nicht auf die Frage, wie die sprachlichen Subsysteme tatsächlich mental repräsentiert sind. Wenn ich im Folgenden den Begriff ‘Motivation’ verwende, verstehe ich darunter die sprachinterne Beschreibung der Zusammenhänge, die zu dem Phänomen führen. Ich folge Vennemann (1983: 8) darin, dass es keine erklärenden Theorien gibt; eine Theorie beschreibt lediglich ihre Domäne.

2.6 Zusammenfassung Der hier gewählte Zugang zur Formalisierung der Interaktionen im Wackernagelkomplex erlaubt sowohl die Integration einer sprachspezifischen als auch einer diachronen Komponente. Das prosodische System des Deutschen brach im Spätmittelalter von einem akzentbasierten Quantitätssystem in ein gewichtssensitives aber quantitätsinsensitives System um. Dies hatte Auswirkungen auf die Ausprägung der rhythmischen Wohlgeformtheit von Sätzen. Auch das syntaktische System war einem starken Wandel ausgesetzt. Während das Proto-Indogermanische unmarkierte VL-Stellung im Aussagesatz zeigte, ist das Mittelhochdeutsche in noch stärkerem Maße als das Neuhochdeutsche eine V2-Sprache. Auch die grammatische Umsetzung der Informationsverteilung unterliegt im Deutschen einem Wandel, wie zum Beispiel an der unterschiedlichen Ausnutzung verbaler Klammern im Alt- und Mittelhochdeutschen im Vergleich zum Neuhochdeutschen zu sehen ist. Die für den Wackernagelkomplex relevanten Komponenten prosodische Wohlgeformtheit, natürliche Serialisierung und Skopus, sowie die Thema-Rhema-Verteilung werden in einer an das Format der Optimalitätstheorie angelehnten Hierarchie dargestellt.

Zusammenfassung | 57

Der hier vorgestellte Ansatz grenzt sich von den eindimensionalen syntaktischen oder phonologischen Ansätzen des Forschungsüberblicks im nächsten Kapitel insofern ab, als er mehrdimensional angelegt ist. Sowohl die Wackernagelposition als auch die Wackernagelelemente werden hier nicht als Primitiva angesetzt, sondern sind aus der Interaktion der Subsysteme ableitbar.

3 Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes Wackernagels Gesetz hat in den alten indogermanischen Sprachen eine solide empirische Fundierung. Zahlreiche Fälle, die dem Gesetz nicht entsprechen, sind bereits bei Wackernagel erwähnt. In gewissem Sinne entzieht sich das Gesetz einer Evaluation, denn diese Fälle sind nicht Ausnahmen, sondern fallen nicht unter das Gesetz. Vor diesem Hintergrund ist es geradezu ein methodisches Desiderat, die Motivation des Wackernagelschen Gesetzes, also die sprachlichen Komponenten, die es ausmachen, zu untersuchen. Keine Theorie kommt ohne Zusatzannahmen mit dem Wackernagelkomplex zurecht. Die vielleicht häufigste Lösung ist eine Bewegungsoperation, die syntaktisch oder phonologisch oder durch beide Subsysteme motiviert ist. Der Großteil der Vorschläge ist nicht mehrdimensional, sondern eindimensional angelegt. Die Eindimensionalität spiegelt sich in den Begriffen für die Ansätze wider: „The strong syntax approach“, „The strong phonology approach“, „The weak syntax approach“ und „The weak phonology approach“ (Bos%covic& 2001). Die Konsequenz der eindimensionalen Vorgehensweise ist, dass zwar die Position der Elemente detailliert beschrieben wird, es wird aber nicht klar, warum Klitika in der einen Sprache in der Position „zweites Wort“, in der anderen in der Position „zweite Konstituente“ stehen, und warum in wieder einer anderen Sprache die fraglichen Elemente nicht in Wackernagelposition stehen. Auf Grund der Vielzahl der Vorschläge, insbesondere zur Frage der Klitika und ihrer Zweitstellung, muss die Skizzierung dieser Ansätze eklektisch ausfallen. Anstelle eines Forschungsüberblicks bietet die folgende Auswahl der Ansätze zur Motivierung von Wackernagels Gesetz eine Diskussion typischer Forschungsausprägungen.

3.1 Eindimensionale syntaktische Ansätze In rein syntaktischen Ansätzen wird die Position der Wackernagelelemente über die Syntax geregelt. Klitika bilden hier häufig eine grammatische Kategorie und sind als rechts-adjazent zu einem Element definiert, das die Position CP (Clause Phrase, bei Satzklitika) oder die Position DP (Determiner Phrase, bei NP-Klitika) einnimmt (vgl. den Überblick bei Halpern 1996).

60 | Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes Ein früher syntaktischer Vorschlag stammt von Kayne (1975), wonach auf Klitika spezielle syntaktische Regeln angewandt werden. Direkte und indirekte Objektspronomina werden über eine Bewegungsoperation (Clitic Placement) im Französischen bei bestimmten Voraussetzungen in präverbale Position gerückt (1975: 74). Die Bewegungsoperation wird dadurch empirisch abgesichert, dass klitische Pronomina und nicht-klitische Pronomina im Satz eine unterschiedliche Verteilung zeigen. In Ansätzen, die davon ausgehen, dass klitische Pronomina in derselben syntaktischen Position wie nichtklitische Objekte erzeugt werden, muss das klitische Element von rechts nach links an den Satzanfang bewegt werden (vgl. Holmberg 1997 für einen Überblick zu Bewegungstheorien und Cardinaletti 1999 für einen Vergleich der romanischen und germanischen Pronomina). Warum also bewegen sich Klitika? Zu dieser Frage gibt es verschiedene Ansichten. Als Lösung wird beispielsweise angeführt, dass die Universalgrammatik für Klitika spezielle Positionen vorsieht (Kaisse 1982 u.v.m.). Ein anderer Vorschlag ist, dass bestimmte Merkmale „gecheckt“ werden müssen, was wiederum die Bewegung veranlasst (Barbosa 1996, Mallen 2000, Gabriel 2002: 168) und dass nicht-fokussierte Argumente aus der Domäne des Satzfokus bewegt werden müssen (Rosengren 1993). Hock (1996: 205–206) fordert von Vorschlägen, die syntaktisches Movement zur Motivierung der Position von Klitika ansetzen, dass die Frage zur Beschränkung der Anzahl oder der Art linksperipherer Positionen geklärt werden muss: Without any constraints the approach becomes overly powerful and does not permit an evaluation of whether a given analysis follows from universal principles of grammar or constitutes a stipulative manipulation of the formalism to accomplish an ad-hoc solution.

In eindimensional syntaktischen Ansätzen, die nicht mit Bewegungsoperationen arbeiten, werden Klitika als in ihrer Oberflächenposition basisgeneriert angesetzt (z.B. Rivas 1977, Borer 1984) – man geht hier von einer von vorneherein speziellen Position für Klitika aus. Klitika werden von einer Phrasenstrukturregel generiert, die einen Knoten erzeugt, der alle Klitika dominiert. Als Evidenz für diese Annahme gilt „clitic doubling“, die Platzierung sowohl von klitischen Pronomina als auch von Vollformpronomina in einem Satz. Wenn nur ein Element realisiert ist, wird das andere über eine Deletionsregel getilgt. Ich greife illustrierend die Regeln heraus, die Rivas (1977: i) für romanische Klitika ansetzt. Hier werden Klitika und NPs zunächst in der Phrasenstruktur basisgeneriert. Kasus, Person, Numerus und Genus werden durch „Extension Rules“ über Merkmale zugewiesen. Eine Regel „Case Matching“ überprüft, ob der Satz die korrekte Anzahl von Objekten nach Maßgabe des Verbs hat. Eine

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Regel „CL/NP Agreement“ überprüft, ob Klitika und NPs in Kasus, Person, Numerus und Genus übereinstimmen. Sobald Klitika- und NP-Paare entstanden sind, werden alle syntaktischen Prozesse angewendet, wobei die Paare bis zum Ende der syntaktischen Ableitung erhalten bleiben. Die syntaktischen Prozesse, die dann folgen, sind den romanischen Sprachen nach Rivas (1977: ii) gemeinsam: The rule of Verb Adjunction, that adjoins the verb of the embedded sentence to the verb of the matrix sentence, restructuring the complements of both sentences. The rule of Clitic Gliding, that takes a CL attached to a verb and moves it to the left, so that it will be attached to an adjacent verb, if both verbs are adjoined. The rule of CL Attraction, that makes a CL attached to a matrix verb attract a CL attached to an embedded verb, under certain conditions. After all the syntactic processes have applied, a last rule of CL/NP Deletion takes each pair of CL and NP, and deletes either the CL, or the NP, or none of them. While the syntactic processes described above are invariable for the Romance languages, this last rule of CL/NP Deletion is idiosyncratically language-and-dialect dependent.

Zu den eindimensionalen syntaktischen Ansätzen rechne ich auch Ansätze, welche die Zweitposition syntaktisch herleiten und die Feinjustierung der Prosodie zuschreiben, ohne die prosodischen Mechanismen nach Maßgabe der Standards der Sprachrhythmusforschung zu klären.44 Halpern (1992) schlägt vor, dass Sätze mit initialem Objektspronomen syntaktisch aber nicht prosodisch wohlgeformt sind, da das passende Trägerelement fehlt. Er schlägt daher prosodische Inversion, einen Platztausch zwischen dem klitischen Pronomen und dem Wort direkt rechts davon, vor.45 Für das Altspanische stellt Nishida (1996: 349) allerdings anhand koordinierender Konjunktionen klar, dass es sich gerade nicht um eine Inversion mit dem ersten rechts stehenden Element handelt, denn der Satz in (12) ist ungrammatisch:

|| 44 Progovac (2000: 252) unterstreicht, dass syntaktische Ansätze nicht notwendigerweise rein syntaktisch sind: Although they do not offer an explanation for it, these approaches do not deny that the very requirement on clitcs to be phonologically supported may be phonological in nature. Of course, adopting a primarily phonological approach is not a guarantee that this phonological requirement will be captured successfully, not to mention the problem of capturing the generalisation that the host has to be a syntactic phrase. 45 Nach diesem Vorschlag existiert eine von der Syntax geforderte Wortfolge, die durch die Inversion des klitischen Elements und des Trägers prosodisch optimiert wird (Halpern 1996: xii).

62 | Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes (12) * et LE dizia verdat and HIM he.would.tell truth Hock (1996: 230) kritisiert an Halperns Vorschlag, dass die dort getroffene Unterscheidung zwischen 2W (für „second word“) und 2D-Klitika (für „second daughter“), d.i. Klitika, die entweder nach einem Wort oder einer Phrase stehen, nicht nachvollziehbar ist. Nur im Fall von 2W setzt Halpern einen „prosodic flip“, Inversion, an. Hock sieht keine prosodische Grundlage für die Unterscheidung der beiden Kategorien 2W und 2D. Wenn „flip“ in der Prosodie stattfindet, sollte der Mechanismus nicht auf den Kontext des einzelnen Wortes beschränkt sein, sondern sich auch auf prosodische Phrasen beziehen. Fontana (1996: 69) schlägt vor, dass die Syntax mehr Strukturen lizensiert, als zulässig sind, und dass dann die phonologische Komponente Repräsentationen herausfiltert, in denen das Klitikon keinen Träger hat. Syntax und Phonologie konspirieren. Diese Idee klingt schon bei Delbrück in seiner Untersuchung zum Altindischen (1878 III: § 24) an („Der Grund dieser Erscheinung [...] ist klar. Die Enklitika wird von dem am stärksten betonten Worte, und das ist das erste im Satze, wie von einem Magnet angezogen.“) und findet sich auch bei Taylor (1996)46 und Hale (1996). Für klitische Konjunktionen hält Hale fest, dass ihre Stellung nicht durch syntaktische Wohlgeformtheit motiviert ist (1996: 188). Er führt eine Beschränkung ein, die besagt, dass Klitika nicht in der linken Peripherie prosodischer Domänen stehen dürfen. Die klitische Konjunktion wird als phonologisch defizitäres Element durch einen „prosodic flip“ neu positioniert. Stump (1998: 513) merkt zu Bewegungsoperationen in Verbindung mit prosodischen Inversionen an: Indeed, the notion of prosodic inversion is potentially problematic. A clitic following a domain-initial constituent and a clitic following the first prosodic word of a domain-initial constituent are alike in that each follows something initial in its domain; yet, a proponent of prosodic inversion is seemingly committed to the view that such clitics are positioned by different means – by syntactic movement (or by generation in situ) in the former case, but by (syntactic movement plus) prosodic inversion in the latter case.

In den folgenden Ausführungen wird auf historisch nicht bezeugte Inversionen verzichtet. Es wird sich im Gegenteil zeigen, dass sich die Prosodie auf beste|| 46 “Using data from Koiné Greek clitics which are syntactically associated with the noun phrase, I show that these clitics are sensitive to phonological phrase boundaries; thus when a clitic is unable to find a host to its left due to an intervening phonological phrase boundary, inversion takes place and the clitic appears in 2W of the following phrase.” (Taylor 1996: 477)

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hende Muster im Wackernagelkomplex so auswirken kann, dass Strukturen, die in der Interaktion ungünstig sind, getilgt werden (vgl. die Ausführungen zu klitischen Satzkonjunktionen S. 174, klitischen Satzpartikeln Kap. 5.5.5.1 und der alten germanischen Negationspartikel Kap. 5.4). So unterschiedlich die Motivierungen für die Position klitischer Elemente in syntaktischen Ansätzen sind, so ähnlich sind die Fragen, die sich hier aufwerfen. Das begrenzte Inventar der Wackernagelelemente wird in eindimensionalen syntaktischen Ansätzen nicht klar. Warum sind Pronomina (je nach Auffassung auch Fragepartikeln, Modalverben und Auxiliare) in diesen syntaktischen Ansätzen klitisch, andere reduzierte Elemente aber nicht? Die Auswahl erfolgt nicht wirklich über die phonologische Reduktion, da diese zum einen als abstrakter der Syntax vorgeschalteter Mechanismus nicht motivierbar ist und zum anderen in Sprachen wie dem Standarddeutschen oder Standardenglischen Objektspronomina nicht reduziert sind. Die Zweitposition steht ferner nicht nur enklitischen Elementen zur Verfügung. Wie bereits Wackernagel feststellt, folgen bestimmte Partikeln und Vokative ebenfalls seinem Stellungsgesetz. Eine Motivierung der Bewegung klitischer Pronomina über die Stellung der nicht-klitischen Pronomina ist ebenfalls problematisch. Es gibt in der Geschichte des Indogermanischen keine Evidenz dafür, dass Objektspronomina, die nicht den Satzakzent tragen, in der Position der Objekt-NPs stehen. Die bezeugte Bewegungsrichtung ist im Gegenteil eine Bewegung von links nach rechts (vgl. S. 107). Üblicherweise liegt das Interesse des Movementansatzes nicht in der Diachronie.47 Auch die Basisgenerierung klitischer Elemente in Wackernagelposition ist rein syntaktisch nicht lösbar. Denn wieder stellt sich die Frage, warum gerade diese und nicht andere Elemente hier stehen, und warum genau diese Position nahe am Satzanfang von syntaktischer Relevanz ist. Mit rein syntaktischen Ansätzen zur Wackernagelposition lässt sich für jede Sprache die Stellung der Wackernagelelemente beschreiben. Der Nachteil rein || 47 Bewegungsoperationen werden allerdings nicht immer als abstrakte Mechanismen verstanden. So schreibt Lightfoot (2000: 113; 129): Explanations for structural changes may be grounded in grammatical theory, and careful examination of historical changes, where the goal is explanation for how and why they happened, sometimes leads to innovations in grammatical theory, illuminating the nature of grammatical categories or the conditions for movement operations, for example.

64 | Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes syntaktischer Ansätze liegt darin, dass sie nicht ableiten können, warum in ein und derselben Sprache Wackernagelelemente in erster und zweiter Position auftreten können, warum es Variation zwischen der Erstpositionierung eines Wackernagelelements in der einen und der Zweitpositionierung eines Wackernagelelements in der anderen Sprache gibt, warum diese definierbare Gruppe von Elementen am Satzanfang und nicht am Satzende steht und warum Sprachen existieren, die zwischen der Position „zweites Wort“ und der Position „zweite Konstituente“ unterscheiden.

3.2 Eindimensionale phonologische Ansätze In eindimensionalen prosodischen Ansätzen bewegen sich Klitika an das Ende des ersten prosodischen Wortes oder der phonologischen Phrase. Sie bewegen sich innerhalb der Intonationsphrase (IP), zu der sie gehören. Radanović-Kocić ist der Auffassung, dass das phonologische Merkmal „Akzentlosigkeit“ die Wortfolge beeinflusst (1996: 429): Why do it in the syntax at all? If we assume that clitics are defined in purely phonological terms, then their placement can also be accounted for at the prosodic level, and out of such an analysis arises an intuitively very appealing conclusion that clitic placement is an adjustment in the intonational pattern of an utterance as a whole.

Um die in zweiter Position stehenden Wackernagelelemente von Konjunktionen, der Negationspartikel und von Präpositionen abzugrenzen, setzt Radanović-Kocić an, dass letztere lexikalischen Akzent haben, aber in der Äußerung normalerweise nicht prominent werden, während klitische Elemente, wie im Serbo-Kroatischen die Satzpartikel li, pronominale Klitika und Auxiliare, keinen Akzent tragen können (1996: 432–433). In der phonologischen Tiefenstruktur sind nur Klitika unakzentuiert; sie werden als [+clitic] markiert. Sätze mit unmarkierter Wortstellung, ohne besondere Hervorhebungen und mit kurzen Konstituenten bestehen aus nur einer IP (Radanović-Kocić 1996: 442). Der Prozess der Klitisierung und der Bewegung aus der Position der nicht-klitischen Elemente wird folgendermaßen angesetzt (1996: 433, 441): Cliticization Assign the feature [+clitic] to pronouns and auxiliaries in all positions except when they carry phrasal stress or when not preceded by an unstressed element. Clitic movement Move all [+clitic] elements within an IP into the position after the first P [phonological phrase; PN] of the same IP.

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Ähnlich wie Radanović-Kocić argumentiert Hock (1996: 200): [C]litics are “ordinary” words in the syntax. They differ from other words in the PROSODIC COMPONENT, by lacking an underlying accent, thus being prosodically deficient, and therefore needing an accented host in the prosody. Prosody offers a range of possible domains for clitic attachment: since syntactic phrasing is potentially subject to extensive rebracketing in the prosody, the relevant prosodic phrases may range from the syntactic phrase in which the clitic originates to structures consisting of more than one syntactic clause.

Bei Hock wird also in einer wortphonologischen Argumentation das klitische Element durch eine zugrundeliegende Akzentlosigkeit prosodisch markiert. Diese Annahme ermöglicht eine Sonderbehandlung der Klitika. Einen anderen Standpunkt zum Einfluss der Phonologie auf die Wortstellung nimmt Bos%covic& (2001) ein. Nach seiner Auffassung gibt es keine Bewegung in PF48. PF beeinflusst allerdings die Wortfolge durch die Festlegung, welche Kopie einer Kette geäußert wird, und durch einen Filtereffekt auf das syntaktische Output (2001: 1). Über die Phonologie wird bei Bos%covic& die Menge der syntaktisch wohlgeformten Sätze eingeschränkt. Die Zweitstellung klitischer Elemente ist phonologischer Natur, Klitika und ihre Träger werden aber syntaktisch in ihrer Oberflächenposition platziert (2001: 5). Die grundsätzliche Schwierigkeit eindimensionaler phonologischer Ansätze sehe ich in dem Rhythmuskonzept, das hinter dieser Annahme steht. Die zweite Position als „schwache“ Position im Satz alleine dem Faktor Phonologie zuzuschreiben, ist schon deshalb problematisch, weil sich zwar die Elemente in zweiter Position in den Sprachen der Welt mit Wackernagelposition ähneln, dies jedoch keineswegs für die phonologische Klassifikation der Sprachen gilt. Um nur ein paar Beispiele aus der Indogermania herauszugreifen: Das vedische Sanskrit hat Tonakzente, das Klassische Lateinische ist eine silbenbasierte

|| 48 PF: Phonological form: Schnittstelle zwischen Syntax und Phonologie.

66 | Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes Quantitätssprache und hatte Finalakzent49, das Deutsche ist in seinen ältesten Dokumenten eine akzentbasierte Quantitätssprache mit Initialakzent (Dresher/ Lahiri 1991, Vennemann 1995), in seiner derzeitigen Ausprägung jedoch eine gewichtssensitive, aber quantitätsinsensitive Silbenschnittsprache mit Finalakzent (Vennemann 1991, Murray 2000). Rhythmische Wohlgeformtheit definiert sich in diesen Sprachen unterschiedlich. In fast allen Darstellungen zu Klitika findet sich kein Hinweis darauf, was in dem jeweiligen Sprachsystem als wohlgeformt anzusetzen ist, was rhythmisch hinter einem „floating“50 (Hock 1996) zum Trägerelement steht und schließlich wie eine phonologische Selektion des klitischen Elements durch ein Trägerelement überhaupt funktionieren soll (vgl. das phonologisch inhomogene Inventar von Trägerelementen auf S. 70). Für die Klitika, die selbst vollständige Füße bilden, kann eine wortrhythmische Erklärung der Stellungsbesonderheit nicht gelingen. Im Grunde ist dort das Wort „Klitikon“ lediglich metaphorisch gebraucht, denn diese Wörter müssen sich nicht an andere anlehnen. Klitika, die selbst keinen Fuß bilden können, verhalten sich prosodisch nicht anders als andere leichte Elemente, zum Beispiel leichte Präpositionen. Präpositionen aber teilen mit den erwähnten klitischen Elementen nicht ihre Zweitstellung im Satz. Vielmehr scheint die Zweitstellung, also nicht die phonologische Form, den besonderen Status des klitischen Elements in Wackernagelposition zu motivieren. Die eindimensionale phonologische Definition greift nicht, wenn die relative Stellung der Klitika im Verhältnis zu anderen Elementen in Zweitposition miteinbezogen wird. Der Grund für die strikte Serialisierung bleibt notwendiger-

|| 49 Finalakzent vs. Initialakzent: In Systemen mit Finalakzent wird der Akzent von rechts nach links zugewiesen, in Systemen mit Initialakzent von links nach rechts. Ein Beispiel für eine Sprache mit Initialakzent ist das Altgermanische (vgl. Stabreimdichtung), ein Beispiel für eine Sprache mit Finalakzent das Klassische Latein. Nebenbemerkung: Auch in Sprachen mit Finalakzent kann der Akzent auf der ersten Silbe des Wortes liegen, nämlich dann, wenn keine der folgenden Silben den Akzent auf sich gezogen hat. Beispiel: ahd. #fenster (Initialakzent) ‘Fenster’, entlehnt aus lat. fe#nestra (Finalakzent). Im Althochdeutschen wird das Wort von links nach rechts „gescannt“; der Akzent landet auf der ersten Silbe; im Lateinischen wird das Wort von rechts nach links „gescannt“; der Akzent landet auf der schweren Pänultima. 50 “Like floating tones, they [clitics; PN] need to anchor to a non-floating element in order to produce a structure that is well-formed on the surface. The only difference is that clitics are not floating features (or bundles of features), but “floating words”. As a consequence, the domain in which they can anchor may differ in quantity and quality from the domains in which floating tones can anchor.” (Hock 1996: 263)

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weise unklar, denn die meist einsilbigen Elemente verhalten sich prosodisch gleich: Sie sind kurz und im Normalfall als Funktionswörter nicht prominent. Auch die Definition über die Intonationsphrase ist nicht unproblematisch. Goldstein (2008: 14) schlägt vor, dass die Position von agr. ¥n durch Prosodie, nicht durch Syntax motiviert ist: Its distribution cannot be captured with reference to morphosyntactic constituents, rather prosodic ones. More specifically, its position appears to be conditioned by pitch peaks.

Das Problem einer intonatorischen Motivation liegt darin, dass Intonation keine isolierbare rein phonologische Einheit ist. Intonationskurven stehen in Zusammenhang mit syntaktischen und pragmatischen Faktoren. Hinter dem Konzept der klitischen Elemente, die auf Grund ihres klitischen Status in der zweiten Position „landen“, steht häufig nicht ein satzrhythmisches, sondern ein wortrhythmisches Modell. Demnach sind bestimmte Pronomina nicht betonbar. Dies ist aber nur eingeschränkt zutreffend. So tragen anaphorische Pronomina zwar keine Satzakzente, sie können aber rhythmisch prominent sein. Anaphorische Objektspronomina sind als thematische Elemente nicht satzakzentuiert. Doch satzrhythmisch prominente Objektspronomina liegen dann vor, wenn es sich aus dem Zusammenspiel von No Clash und No Lapse ergibt – Klitika folgen denselben satzrhythmischen Wohlgeformtheitsbedingungen wie andere Funktionswörter.51 Die wortphonologische Position zu Klitika wird durch eine Vielzahl an Publikationen im Bereich der Sprachrhythmustheorie gestützt. Man vergleiche hierzu das Zitat von Nespor und Vogel (1986: 104): [W]e take the domain of basic foot formation to be the phonological word for all languages, while only certain languages may have the possibility of refooting across phonological words.

Die Vorgehensweise, Klitika in Verbindung mit ihren Trägerelementen zu behandeln, ist allerdings kein wortphonologischer, sondern ein satzrhythmischer Zugang, weshalb das Ansetzen von wortphonologischer Unbetontheit nicht unproblematisch ist. Nespor und Vogel setzen Klitika nicht wortphonologisch

|| 51 Die durchgehende Unbetontheit von klitischen Elementen wie lat. -que ‘und’, lat. -ve ‘oder’, got. -uh ‘und’ ist nicht zwingend im Lexikon anzusetzen, wenn sie auch sinnvollerweise in Wörterbüchern so verzeichnet ist. Sie ist ableitbar, ergibt sich aus dem Zusammenspiel eines fehlenden Satzakzents mit der satzrhythmischen Senkungsposition.

68 | Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes an, sondern sehen die klitische Gruppe als Einheit der prosodischen Hierarchie52 (1986: 11): [T]here are phonological phenomena that are characteristic only of the group consisting of a word plus clitic(s). On the basis of these observations, we conclude that there must be a constituent of prosodic structure that has exactly this extension.

Ich fasse Klitika nicht als Teil der Prosodie auf. Sie sind besser als Ergebnis von Interaktionen linguistischer Subsysteme erfassbar. In der Regel werden Generalisierungen zu Klitika vom Prozess der Enklitisierung getrennt. Bei Wackernagel ist Enklitisierung ein prosodischer Mechanismus. In vielen Untersuchungen bleibt jedoch die Natur des Mechanismus der Klitisierung unkommentiert.

3.3 Klitisierung Klitisierung wird als Mechanismus für die Positionierung der Wackernagelelemente überaus häufig angeführt53 aber oft nicht explizit einem linguistischen Subsystem zugeordnet. Bei Wackernagel ist der Begriff eindimensional phonologisch angelegt. Wackernagel trennt allerdings die Schwächung eines Pronomens von der Enklitisierung. Bei ihm veranlasst Enklise die Schwächung (1879: 597). Der Mechanismus der Enklitisierung setzt das Klitikon voraus. Wie aber sind Klitika definiert? Der Begriff des klitischen Elements wird heute nicht nur wörtlich, sondern auch metaphorisch verstanden: The most widely agreed upon criterion for clitic-hood has been the phonological dependence of clitics on some other element […] With respect to placement, it will be shown that the clitics under discussion are syntactic in terms of their placement but that they still need access to some phonological information in order to ensure the appropriate resolu|| 52 Prosodische Hierarchie nach Nespor/Vogel (1986: 11): [W]e propose that the prosodic hierarchie consists of seven units […] These seven units, from large to small, are: the phonological utterance (U), the intonational phrase (I), the phonological phrase (!), the clitic group (C), the phonological word (!), the foot ("), and the syllable (#). 53 Stellvertretend sei hier Wanner (1987: 83–84) angeführt: [S]econd position under the operational guidance of Wackernagel’s law is intimately connected with enclisis; or better stated, enclitics are in second position by nature.

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tion of their phonological dependence. […] the 2P [second position; PN] clitics in Czech constitute yet another type: only the syntactic parameter is constant (enclisis) but their phonological attachment is relatively open, subject to specific postlexical operations. (Fried 1994: 155–156) In Old Spanish (ca. 1200 - 1450), weak pronominals encliticize in Phonetic Form, after syntactic and stylistic rules have applied; i.e. they are phonological clitics. (Rivero 1986: 774) A canonical 2P clitic might be characterized by three properties, firstly that it occupies a comp-adjacent position or a position not more than one prosodic word from this position […], secondly that it cannot be initial in the clause, and thirdly that it is enclitic. It may be that each of these properties are (somewhat) independent […]. (Halpern 1996: xx) Word order alone is used as evidence for the analysis – not only for the syntactic aspects but also for the phonological aspects – since there is no independent evidence for the phonological nature of cliticization in Old English. (Pintzuk 1996: 375)

Einflussreich im Bereich der generativen Forschung zu Klitika ist Zwickys Analyse (1977); Klitika sind dort definiert als „neither clearly independent words nor clearly affixes” (1977: 1). Er teilt Klitika in drei Klassen ein, „special clitics“, „simple clitics“ und „bound words“. Unter „special clitics“ versteht er Fälle, in denen sich eine unakzentuierte gebundene Form wie die Variante einer betonten freien Form mit der gleichen kognitiven Bedeutung und mit ähnlicher phonologischer Erscheinung verhält, zum Beispiel das französische klitische Pronomen me im Verhältnis zu „freiem“ moi (1977: 3). „Simple clitics“ sind Fälle, in denen ein freies Morphem, wenn es unakzentuiert ist, phonologisch reduziert sein kann. Die sich hieraus ergebende Form ordnet sich einem Nachbarwort phonologisch unter, zum Beispiel engl. him in She met him, das als [m'] realisiert sein kann (1977: 5). Und schließlich kategorisiert Zwicky „bound words“ als Klitika, Fälle, in denen Morpheme, die immer gebunden und unakzentuiert sind, beträchtliche syntaktische Freiheit aufweisen, und zwar in dem Sinne, dass sie mit Wörtern einer Vielzahl morphosyntaktischer Kategorien verbunden werden können; ein Beispiel ist lat. -que, das sowohl mit Wörtern, Phrasen als auch Teilsätzen verbunden ist (1977: 6). Zwicky (1977: 14) verweist auf Fälle von betonten Klitika, die er als „anomalously accented clitics“ beschreibt. Zum Beispiel kann ein altgriechisches klitisches Element betont sein, wenn es einem Verb mit Antepänultimaakzent folgt und einem anderen klitischen Element vorangeht. Auch im Slavischen sind Klitika nicht notwendigerweise unbetont (Schweier 1987). Für Zwicky sind diese Fälle „syntactically unstressed“ (1977: 14); sie bekommen den Akzent erst später. Zweisilbige Klitika des Bikol (philippinische Sprache) sind

70 | Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes betont und nach Zwicky dem klitischen System noch nicht ganz angepasst. Er verweist hier u.a. auf ebenfalls in zweiter Position stehendes betontes lat. autem ‘aber’, igitur ‘daher’, ved. nú ‘nun’, ved. vái ‘tatsächlich’. (Zwicky 1977: 15). Was also ist das Definitionskriterium für Klitika? Die Kürze eines Wortes scheidet als Kriterium aus, denn nicht alle monosyllabischen Wörter sind Klitika. Auch die Stellung in zweiter Position ist kein absolutes Klassifikationskriterium, da in den verschiedenen Sprachen Unterschiedliches unter der zweiten Position verstanden wird und auch nicht-klitische Elemente als zweites Wort oder zweite Konstituente auftreten können. Klitika treten auch nicht ausschließlich in zweiter Position auf. Zwicky kritisiert (1985: 283), dass wegen der mangelnden Abgrenzung zwischen Klitika und selbständigen Wörtern auch Partikeln als Klitika klassifiziert werden. Er versteht Klitika als theoretische Primitiva (1985: 285): Nevertheless, lists of symptoms are always useful; and in the case of terms (like 'word' and 'clitic') which function as theoretical primitives, ONLY lists of symptoms can be provided.

Festzuhalten ist, dass die als Primitiva etikettierten Klitika eine Kategorie darstellen, die nicht trennscharf von anderen Kategorien wie Partikeln oder nichtklitischen Pronomina abgegrenzt ist. Klitische Elemente werden häufig über ihre Beziehung zu einem angrenzenden Element definiert. Daher wird diskutiert, an welche Trägerelemente („hosts“) sich Klitika lehnen können, also zum Beispiel, ob das Trägerelement ein Funktionswort sein kann und ob es akzentuiert sein muss (vgl. den Überblick bei Halpern 1996: xi). Als Träger des klitischen Elements kommen nach Ramsden (1963: 35–36) folgende Elemente infrage: I II III IV V VI VII VIII IX X XI XII

a relative pronoun, adjective or adverb, a subordinating conjunction, an interrogative or exclamative pronoun or adverb, the non-finite element of a periphrastic verbal construction, a predicative complement, a negative adverb, an adverb (other than those included in I, III or VI), an adverbial or prepositional phrase, the subject of the verb, a direct or indirect object, a subordinate clause or absolute expression, a coordinating conjunction,

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or XIII

the verbal group may stand in completely initial position or be joined only paratactically with its preceding element.

Moreover, when the verb is non-finite, it may also be preceded by a preposition or an auxiliary verb.

Die Liste zeigt, dass das Material in Erstposition nicht prosodisch homogen ist. Die Silbenzahl variiert (vgl. z.B. Subjekte, Nebensätze und Konjunktionen in Erstposition) ebenso das Akzentmuster (vgl. z.B. Präposition plus infinites Verb, Prädikativ und negatives Adverb in Erstposition). Es ist vom prosodischen Standpunkt alleine nicht ohne Weiteres nachzuvollziehen, warum prosodische Inversion oder „flipping“ (s.o. Kap. 3.1) im Sinne einer Strukturverbessung von Vorteil ist. Anders als die Basis bei Affixen ist die Wortart des Trägerelements eines Klitikons variabel. Cysouw (2004: 17) weist darauf hin, dass ein bestimmter Subtyp der Klitika, die er als ditropisch bezeichnet, funktional zu dem rechts von ihnen vorkommenden Element steht, während die Trägerelemente weder einer bestimmten lexikalischen Klasse noch einer speziellen syntaktischen Phrase zuzuordnen sind. Cysouw bezeichnet ditropische Klitika als „phonologically deficient, being unable to occur without a host in the corresponding position“ (2004: 21), hier exemplifiziert an einem Beispiel aus dem Yagua (2004: 30). Anita (13) sa-púúchiy Pauro rooriy-viimu-níí 3SG.SUBJ-lead/carry Paul house-inside-3SG.OBJ Anita ‘Paul leads/carries Anita inside a/the house’ Wackernagelklitika haben nach Cysouw wie ditropische Klitika keine reguläre semantische Beziehung zu ihrem Trägerelement; auf Grund der deutlichen strukturellen Festlegung des Trägerelements in der Erstposition grenzt Cysouw sie allerdings von ditropischen Klitika ab (2004: 19). Ein Problem des Enklitisierungsansatzes besteht darin, dass nicht alle „Klitika“ enklitisch sind (Halpern 1996: civ).54 In vielen Sprachen können die als klitisch definierten Elemente auch satzinitial stehen. Dies macht eine allgemeine Definition der Klitika über Trägerelemente problematisch. || 54 Dieses Problem spiegelt die Vermischung phonologischer und syntaktischer Faktoren bei der Definition von Klitika wider. Eine Definition, die ohne „Anlehnung“ auskommt, verwendet den Begriff „Klitikon“ nur noch metaphorisch.

72 | Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes Die zentrale Rolle des Trägerelements resultiert daraus, dass die syntaktische Position der Kategorien aus theorieinternen Gründen über Klitisierung definiert wird. Folgt man dem nicht, ist die Frage nach der Art des Trägerelements für die Untersuchung der Wackernagelposition unerheblich. Was in der ersten Position im Satz stehen kann und somit „Trägerelement“ ist, ob zum Beispiel nur ein Subjekt oder auch ein topikalisiertes Objekt diese Position füllen kann, ist grammatisch geregelt. Der Zusammenhang zwischen Erstelement und Wackernagelelement ist rein positional: Wenn das Erstelelement festgelegt ist, zum Beispiel ein Subjekt sein muss, kommen Wackernagelelemente für die Erstposition nicht infrage und müssen die Zweitposition einnehmen (vgl. Zwart 1996: 602–603; 60555 ). Da Wackernagelelemente fast nie prominent sind, können sie Reduktionserscheinungen aufweisen. Dabei handelt es sich jedoch um ein sekundäres Phänomen. Es gilt nicht nur für die zweite Position im Satz, wie an den deutschen Portemanteau-Morphemen am, im, zur, etc. zu sehen ist (Jacobsohn 1920: 147): Indem durch den Anschluss des zweiten Proklitikons das erste gleichsam einen Nebenton erhält, gerät es zwischen zwei Akzente und ist dementsprechend in höherem Grade unbetont als sonst. So erklären sich die ins Mittelhochdeutsche hinaufreichenden Verschmelzungen von Präposition und Artikel wie unterm, am, im, um, vom, zur, usw., mhd. zem künege aus ze dem künege usw.

Ein Zusammenhang zwischen der von Wackernagel beobachteten Enklise und dem Stellungsgesetz ist selbstverständlich nicht von der Hand zu weisen. Neuere Ansätze zur Motivation der Wackernagelposition über Klitisierung sind jedoch nicht nur problematisch, weil mitunter das notwendige Trägerelement fehlt, weil Vollformen als Klitika klassifiziert werden und weil nicht motiviert wird, warum diese Kategorien nicht prominent sind. Das argumentative Problem liegt darin, dass Wackernagelklitika wortphonologisch oder prosodisch motiviert werden, während sie mangels eines einheitlichen Kriteriums dann doch über ihre Position bestimmt werden. Enklitisierung ist nicht der Schlüssel zum wackernagelschen Stellungsgesetz. Sie ist eine satzrhythmische Folge.

3.4 Zusammenfassung Wackernagels Gesetz wird meist als eindimensional motiviert angesetzt. In eindimensionalen syntaktischen Ansätzen werden Wackernagelelemente in der || 55 Zwart (1996) sieht die Unterschiede in der Platzierung französischer und holländischer Klitika nicht in den Klitika selbst, sondern in der unterschiedlichen Syntax der Sprachen.

Zusammenfassung | 73

Nähe des Satzanfangs erzeugt oder in diese Position bewegt. Was ein klitisches Element ist, bestimmt sich allerdings auch über die Position: Reduzierte Wörter, die nicht in Wackernagelposition auftreten, werden nicht am Satzanfang basisgeneriert oder dorthin bewegt. In eindimensionalen syntaktischen Ansätzen wird daher oft die Distribution der Wackernagelelemente nur „etikettiert“. Die Auswahl der Elemente bleibt unklar, ebenso die Motivation für die Bewegung. In eindimensionalen phonologischen Ansätzen wird die Position bestimmter Elemente entweder über die Attraktion an ein sogenanntes Trägerelement oder über einen phonologischen „Defekt“ motiviert. Die erste Lösung ergibt sich sekundär aus der in vielen Sprachen klitischen Form der Elemente. Sie bietet weder eine Lösung dafür, warum ein klitisches Wackernagelelement im Gegensatz zu anderen Klitika gerade an die zweite Stelle des Satzes rückt, noch warum nur eine beschränkte Menge von Elementen in Wackernagelposition steht. Die zweite Lösung über eine phonologisch defizitäre Struktur liefert ebenfalls keine Antwort auf die Auswahl der Wackernagelelemente. Nicht alle Elemente in Wackernagelposition, nicht einmal alle Objektspronomina, sind enklitisch oder reduziert. Hinzu kommt, dass es sich bei der Serialisierung von Elementen gleicher prosodischer Struktur in der Wackernagelposition nicht um eine phonologische Fragestellung handeln kann. Klitika treten zwar in Wackernagelposition auf, aber auch unabhängig davon. Außerdem sind nicht alle Elemente in Wackernagelposition Klitika. Der Zusammenhang zwischen klitischer Form und Wackernagelposition ist also nicht von einer Natur, welche die Definition des einen Phänomens über das andere erlaubt. Ich fasse Klitika als reduzierte Formen56 auf, die sich an andere Wörter anschließen. Reduktion und Anlehnung ergeben sich aus einem Zusammenspiel systematisch fehlender Satzakzentuiertheit und systematischer Positionierung in einer rhythmischen Senkung (vgl. z.B. die Ausführungen zu Objektspronomina S. 109 und zur Negationspartikel Kap. 5.4). Die Reduktion der Formen ist in ihrer historischen Entwicklung zu betrachten (vgl. auch Altmann 1984: 194 zum System mittelbairischer enklitischer Pronomina). Je nach Maßgabe der linguistischen Subsysteme sind diese klitischen Elemente pro- oder enklitisch. Enklise ist das Resultat einer Interaktion; in Bezug auf die Stellung im Wackernagelkomplex ist sie eine sekundäre Erscheinung, eine „Verschleißerscheinung“ – Reduktionen finden an Ort und Stelle statt. Für

|| 56 Die Quelle eines klitischen Pronomens muss nicht die pronominale Vollform sein. So gibt es im Piraha( (Brasilien) klitische Pronomina, die Kurzformen nicht-pronominaler Wörter sind (Thomason/Everett 2005: Table 1).

74 | Ausgewählte Ansätze zur Motivierung des Wackernagelschen Gesetzes Wackernagels Gesetz ist das Klitikon weder eine hinreichende noch eine notwendige Bedingung. Die in Kap. 2.5 skizzierte methodisch-programmatische Lösung über Interaktionen der linguistischen Subsysteme Phonologie, Syntax und Informationsstruktur wird in Kap. 5 anhand ausgewählter Aspekte der deutschen Sprachgeschichte ausgeführt. Zuvor liefert Kap. 4 den Hintergrund zu der empirischen Untersuchung.

4 Korpuslinguistische Untersuchung Wackernagels Gesetz vom Althochdeutschen zum Neuhochdeutschen In diesem Kapitel werden die Hypothesen, die Methodik, das Material und das Design der Datenbank für die Untersuchung der Wackernagelposition in der deutschen Sprachgeschichte und des Sprachwandels in dieser Position vorgestellt. Das Kapitel liefert außerdem Antworten auf die in Zusammenhang mit althochdeutschen Texten aufgeworfenen Fragen bezüglich der Qualität metrischer Texte und übersetzter Texte als Ausgangspunkt für grammatische Untersuchungen.

4.1 Hypothesen zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der Wackernagelposition Die Hypothesen zum Wackernagelkomplex lauten: a) Der Wackernagelkomplex ist sprachspezifisch aus den linguistischen Subsystemen und ihrer Interaktion ableitbar. b) Es handelt sich bei Wackernagels Gesetz nicht um ein einziges Phänomen, sondern um eine Vielzahl von Phänomenen, die zu einem ähnlichen Ergebnis bezüglich der Position der beteiligten Kategorien führen. c) Die Serialisierung der Elemente innerhalb des Wackernagelkomplexes ist nicht arbiträr, sondern als unmarkierte Reihenfolge aus den Skopusverhältnissen der Wackernagelelemente ableitbar. d) Ähnliche Ausprägungen des Wackernagelkomplexes in den Sprachen der Welt ergeben sich aus der Funktion der Elemente im Wackernagelkomplex. Hieraus ergibt sich auch die Differenz „zweites Wort“ vs. „zweite Konstituente“. Die Hypothesen zur innersprachlichen Motivation der Wackernagelposition werden in den Abschnitten zu den jeweiligen Kategorien spezifiziert. Sie unterscheiden sich in ihrer Gesamtheit sowohl von der traditionellen Auffassung als auch von eindimensionalen Ansätzen.

76 | Korpuslinguistische Untersuchung

4.2 Anmerkungen zur Frage des Einflusses der Metrik und des Status der Übersetzung aus dem Lateinischen auf den Wackernagelkomplex Einfluss der Metrik und Status der Übersetzung aus dem Lateinischen

Einfluss der Metrik und Status der Übersetzung aus dem Lateinischen

Grundlage des empirischen Teils der Untersuchung sind deutsche Texte von den Anfängen bis heute. Anhand dieser Texte werden Wackernagelelemente ermittelt, die Serialisierung dieser Wörter sowie die diachrone Entwicklung der Serialisierung. An diese Vorgehensweise knüpfen sich zwei methodische Fragen: zum einen die Frage, inwiefern die metrische Form einiger alter deutscher Texte die Wackernagelposition beeinflusst haben könnte; zum anderen die Frage, ob man von einem Einfluss des Lateinischen auf den Wackernagelkomplex in älteren deutschen Texten ausgehen sollte (vgl. z.B. die Darstellung der Problematik in Lippert 1974). Stellvertretend für die Unsicherheit mit dem Umgang althochdeutscher Übersetzungsliteratur ist hier ein Zitat zur Späterstellung des finiten Verbs angeführt (Schrodt 2004: § 189): Doch wird man hier [ein Beispiel aus den Monsee-Fragmenten und dem Tatian; PN] beachten müssen, dass lehnsyntaktische Einflüsse nicht ausgeschlossen sind. Dass solche Belege als Beispiele für die Späterstellung diskutiert werden, gründet sich letztlich auf die sonst gut belegte Wiedergabe der lat. Späterstellung als Zweitstellung in der Isidorgruppe. Hier ist eben die lat. Wortstellung weitgehend beibehalten worden, wie auch in anderen Fällen [...]. Diese Sätze können also nicht als Belege für eine genuin ahd. Späterstellung angesehen werden.

Braunmüller (1982: 46) formuliert das metrische Problem: (a) wie bestimmt man und (b) wie gewichtet man die sog. markierten (d.h. von der Norm aus irgendwelchen Gründen abweichenden) Strukturen im Verhältnis zu den unmarkierten? Sind etwa die poetischen Strukturen im Beowulf besonders archaisch und deshalb gut zur Ermittlung der urgermanischen Wortstellung zu gebrauchen (vgl. Kuhn 1933, 2 und auch Ries 1907, 21ff.) oder sind Epen oder allgemein Texte in Versform gerade wegen ihrer „poetischen Funktion“ dafür ungeeignet?

4.2.1 Natürliche Versifikation Die Frage des Einflussfaktors Metrik wird in dieser Abhandlung vor dem Hintergrund natürlicher Versifikation beantwortet. Nach der Maxime der natürlichen Versifikation stilisiert eine natürliche poetische Metrik, d.i. eine Metrik, die

Einfluss der Metrik und Status der Übersetzung aus dem Lateinischen | 77

einer Sprachgemeinschaft nicht von außen aufgedrängt ist, sondern sich in ihr über längere Zeiträume entwickelt, lediglich Sprachzüge, die auch der Alltagssprache angehören (Vennemann 1995: 196; vgl. Kaluza 1894, Miller 1902, Allen 1973). Der Ansatz der natürlichen Versifikation ermöglicht es, einen Zusammenhang zwischen metrischen Schemata und der Prosodie einer Sprache herzustellen. Gebundene Texte gehören zu unserem ältesten Sprachmaterial. Es ist unwahrscheinlich, dass die Zuhörer über Stunden hinweg ungrammatische Strukturen in Epen, die ja Oral Poetry sind, akzeptieren würden. Bekannte Ausnahmen sind archaische Formeln (vgl. Parry 1971), die zum einen nicht grammatisch „falsch“ sind, da es sich um grammatisch korrekte Konstruktionen früherer Sprachstufen handelt, und zum anderen wegen ihrer eingeschränkten Produktivität auffallen. Der Normalfall der Vermittlung mündlicher Dichtung ist, dass sie für das Publikum verständlich ist. Bei Zaubersprüchen, Geschichten über kriegerische Auseinandersetzungen, Katastrophen, die Ständeordnung, etc. handelt es sich nicht um l’art pour l’art, denn diese Texte tragen eine Funktion. Abweichungen sind natürlich denkbar und auch belegt, aber stets erklärungsbedürftig: Nicht die Grammatikalität eines mündlich tradierten Textes, sondern seine Agrammatikalität ist nachzuweisen. Es handelt sich beinahe schon um einen Allgemeinplatz, dass syntaktische Analysen gebundener Texte problembehaftet sind. Dies wird aber in der Regel nicht näher ausgeführt sondern als caveat in den Raum gestellt. Für die Argumentation unabdingbar ist daher eine Metriktheorie, die das Verhältnis zwischen Alltagssprache und gebundener Sprache erfassen kann und mit deren Hilfe sich natürliche von nicht-natürlichen Mustern abgrenzen lassen (vgl. in Anschluss an die Tradition der natürlichen Versifikation Noel Aziz Hanna 2006, 2008a, b, Noel Aziz Hanna/Lindner/Dufter 2002, Vetterle/Noel Aziz Hanna 2005, Noel Aziz Hanna/Vetterle 2009, Dufter/Noel Aziz Hanna 2009). Die Frage des Grades der Natürlichkeit einer metrischen Tradition stellt sich kulturspezifisch. Für das Altdeutsche gilt, dass das metrische System der natürlichen Sprache beinahe ideal angepasst war. Allen altdeutschen Metren liegt akzentbasierte Quantität zugrunde. Sie entsprach dem Rhythmus der Alltagssprache und ließ dem Dichter die größtmögliche Freiheit für die Einbettung der Wörter. Die ältesten deutschen Metren sind Viertakter. Jeder Takt ist durch einen wohlgeformten Fuß gefüllt. Finite Verben beispielsweise können leicht in dieses Schema eingepasst werden, an erster, zweiter oder letzter Stelle, je nach den Erfordernissen der Grammatik (vgl. S. 210 zur Stellung finiter Vollverben im Beowulf). Gleiches gilt für Wackernagelelemente. Sie sind als Funktionswörter

78 | Korpuslinguistische Untersuchung meist unbetont, d.h. sie stehen im Normalfall in einer Senkung nahe am Satzanfang und häufig im Auftakt des Verses. Das metrische Schema lässt es theoretisch offen, in welcher der Senkungen ein Wackernagelelement steht. Die Positionierung an zweiter oder an einer anderen Stelle ist also nicht metrisch gesteuert. Nun stellt sich die Frage, ob es lokal zu metrisch bedingten syntaktischen Änderungen kommen kann.57 Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass ein leichtes Wackernagelelement um eine Position verschoben wird, um in eine metrische Senkung zu fallen und so aus der ersten Hebungsposition bewegt zu werden? Zum einen sind Auftakte in der germanischen Dichtung ganz gewöhnlich, weshalb sich diese Frage ohnehin nur bedingt stellt. Mehrsilbige Auftakte sind in der Forschung zur altgermanischen Metrik völlig unkontrovers; so setzt beispielsweise Sievers (1885: 275–276) in seinem Schema zur alliterierenden Dichtung bei seinem Typ A (–&x | –&x)58 Auftakte von bis zu vier Silben an. Zum anderen ist die Annahme, dass Wackernagelpartikeln per se unbetont sind, nicht korrekt. Sie können rhythmische Akzente tragen (vgl. Kap. 2.1.2). Die Positionierung in einer Senkung ist der Normalfall, die Position in einer Hebung aber kein Fehler. Es ist also unwahrscheinlich, dass die Wackernagelposition an das Metrum angepasst wurde. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass sich die langen germanischen Auftakte aus der Anhäufung nicht satzakzentuierter Wackernagelelemente im Satzauftakt ergaben (Noel Aziz Hanna 2010b).

4.2.2 Lateinischer Einfluss Zur Frage des lateinischen Einflusses auf die althochdeutsche Syntax in Übersetzungen ist vielfach angemerkt worden, dass eine althochdeutsche Konstruktion, die von der lateinischen abweicht, ein besserer Beleg sei als ein Beleg, welcher sich parallel zum Lateinischen verhält (z.B. Dittmer/Dittmer 1998: 26). Diese Generalisierung gilt aber nur, solange man die Qualität einer solchen parallelen Struktur nicht evaluieren kann. Hierzu gibt es zwei Lösungsmöglichkeiten. Wenn die Strukturen in der Übersetzungsliteratur denen in anderen Textsorten entsprechen, gibt es zunächst keinen Anlass, der Position, dass es sich nicht || 57 Das Ergebnis einer Untersuchung zum Einfluss der Metrik auf die Sprache Otfrids (Ingenbleek 1880) ist, dass er zur Herstellung des Endreims den Ausgang des Verses anpasste. Der Ausgang des Verses betrifft nicht die Wackernagelposition, weshalb der Kunstgriff für diese Untersuchung keine Rolle spielt. 58 –&: akzentuierte lange Silbe; x: unbetonte (lange oder kurze) Silbe.

Einfluss der Metrik und Status der Übersetzung aus dem Lateinischen | 79

um genuine Strukturen handelt, den Vorzug zu geben. Eine Möglichkeit, um die Parallelität von Strukturen festzustellen, bieten elektronische Serialisierungsanalysen großer Textkorpora. Die Strukturen der Einzeltexte können miteinander verglichen werden. Ist die Abweichung zwischen Texten verschiedener Sprachen nicht signifikant, so ist die Nullannahme, dass die Struktur nicht fremd, sondern beiden Sprachen gemeinsam ist. Mit dem Fortschritt im Bericht des „taggings“ alter Texte, der grammatisch-morphologischen Annotation ihrer elektronischen Varianten, wird diese Aufgabe demnächst lösbar sein. Ich schlage für den Bereich der Wackernagelelemente einen ähnlichen aber unaufwendigeren Weg vor (Kap. 4.5). Der Vergleich syntaktischer Muster in unterschiedlichen althochdeutschen Textsorten bietet die Möglichkeit, über den Variationsgrad Aussagen zur syntaktischen Konstruktion zu machen. Ein anderer Zugang ist die Identifikation universell unmarkierter Serialisierungen (vgl. Kap. 6). Parallele syntaktische Muster in Vorlage und Übersetzung werden bei diesem Zugang nicht als defizitär bewertet, sondern als Konstruktionen, die mit der präferierten Struktur abzugleichen sind. Abweichende Serialisierungen in unterschiedlichen Sprachen sind in diesem Zusammenhang nicht in erster Line der Beleg für ein genuines Muster. Das Interesse konzentriert sich vielmehr auf die Abweichung vom präferierten Muster; diese ist innerhalb des Gesamtsystems der Einzelsprache zu kommentieren. Die Bewertung der präferierten Konstruktion gegenüber der Abweichung unterscheidet sich in diesem typologischen Ansatz erheblich von der für das Althochdeutsche skizzierten üblichen Methode.

4.2.3 Methodische Caveats: Schriftlichkeit und Handschriften Eine methodische Einschränkung ergibt sich aus der Schriftlichkeit der Texte. Wenngleich sich auch mündlich überlieferte Dichtung unter den Texten befindet, so ist diese doch nach der Maßgabe einer Schriftkultur adaptiert worden. Man muss damit rechnen, dass auf Grund des schriftlichen Mediums in Zusammenhang mit der Funktion der Elemente nicht alle in den verschiedenen Epochen des Deutschen verwendeten Wackernagelelemente verschriftlicht wurden. Im Zusammenhang mit der Schriftkultur stellt sich des Weiteren die methodische Frage des Handschriftenproblems: Kommt der Schreiber aus einer anderen Region als der Dichter, Sänger oder Autor, welche Änderungen ergeben sich aus der zeitnahen aber nicht zeitgleichen Abschrift einer Handschrift, hat der Schreiber die Sprache des Dichters, Sängers oder Autors abgewandelt, etc. Im Gegensatz zu den Fragen der metrischen Beeinflussung und der Beeinflussung

80 | Korpuslinguistische Untersuchung durch die Übersetzungsvorlage sind die mit der Handschriftenproblematik verknüpften Fragen zum Teil nicht mehr zu beantworten. Ich orientiere mich bei den Analysen an den Texten und Ausgaben, die im folgenden Abschnitt aufgelistet sind.

4.3 Material: Textgrundlage Die althochdeutschen Texte der Datenbank wurden aus der TITUS-Datenbank und der Textseite des Chronologischen Wörterbuchs übernommen oder manuell eingegeben. Die mittelhochdeutschen Texte stammen ebenfalls aus der TITUSDatenbank sowie aus dem Etext Center der University of Virginia Library. Für die frühneuhochdeutschen Texte wurde neben der TITUS-Datenbank und dem Projekt Gutenberg v.a. das Bonner Frühneuhochdeutsch-Korpus herangezogen. Für die Analyse der Wackernagelelemente im Neuhochdeutschen wurde die COSMAS-Datenbank verwendet (vgl. das Literaturverzeichnis für Quellenangaben und Links).

4.4 Datenbankdesign Zur Untersuchung des Wackernagelkomplexes und seiner Entwicklung in der deutschen Sprachgeschichte dient ein zu diesem Zweck erstelltes elektronisches Korpus. Das Gesamtkorpus enthält 119 Texte unterschiedlicher Länge und unterschiedlicher Textsorten. Es umfasst über 190.000 Sätze und mehr als 1.900.000 Wörter. Die neuhochdeutschen Texte des COSMAS-Korpus wurden nicht in die Datenbank integriert, da COSMAS die Möglichkeit zur Abfrage von Wortketten bietet. Die Texte wurden in eine SQL-Datenbank (phpMyAdmin 2.11.5) eingespeist59 , durch welche die Abfrage von Lexemen in ihren syntaktischen Positionen und die Abfrage von Wortkombinationen möglich ist. Die Datenbank besteht aus zwei Tabellen, einer Tabelle mit Wörtern und einer Tabelle mit Sätzen, die bei den Abfragen miteinander verknüpft werden. Die Datenbank wird im Folgenden durch drei Beispielabfragen illustriert. Auf Grund erheblicher Variation (dialektal, orthographisch, diachronisch) war || 59 Für die Überführung der elektronischen Texte in eine SQL-Datenbank und seine wertvolle Unterstützung bei den Abfragen und beim Datanbankdesign danke ich Christian Riepl, ITG Geisteswissenschaft, Ludwig-Maximilians-Universität München.

Datenbankdesign | 81

es notwendig, Wortlisten der zu untersuchenden Texte zu erstellen. Abbildung 9 zeigt den Auszug einer Query zu Wortformen mit Angabe der Vorkommenshäufigkeit, hier am Beispiel des otfridschen Evangelienbuchs, des Althochdeutschen Isidor und des Althochdeutschen Tatian. Um die Wackernagelelemente des Deutschen identifizieren zu können, war es erforderlich, die Distribution der Wörter zu untersuchen. Dazu wurden u.a. Listen von Wörtern in zweiter Position ausgegeben. Abbildung 10 zeigt Belege für ahd. auur ‘wiederum, aber’ im Althochdeutschen Isidor in zweiter Position. Eines der Ziele der Untersuchung bestand darin, Kombinationen von Wackernagelelementen, ihre Serialisierung und die Entwicklung dieser Wackernagelketten zu untersuchen. In Abbildung 11 sind Kombinationen von und- und aber-Varianten in Otfrids Evangelienbuch, im Althochdeutschen Tatian und dem Althochdeutschen Isidor dargestellt. In dieser Abfrage wurde die Position der Wörter nicht festgelegt, weshalb auch Belegsätze auftreten, in denen die Wörter nicht adjazent sind. Dies stellte einen notwendigen Zwischenschritt dar, da eine Kontaktstellung von und und aber nicht vorausgesetzt werden konnte.

Abbildung 9:

SQL-Query: Auszug der Wortliste zu Otfrids Evangelienbuch, dem Althochdeutschen Isidor und dem Althochdeutschen Tatian.

82 | Korpuslinguistische Untersuchung

Abbildung 10:

SQL-Query: Auszug zu ahd. auur in zweiter Position im Althochdeutschen Isidor.

Abbildung 11:

SQL-Query: und- und aber-Kombinationen in Otfrids Evangelienbuch, im Althochdeutschen Tatian und im Althochdeutschen Isidor.

Analyse und Bewertung des althochdeutschen Materials | 83

4.5 Analyse und Bewertung des althochdeutschen Materials In einem weiteren Schritt wurden die Kombinationsmöglichkeiten für Wackernagelemente des Deutschen ausgewertet. Die Analyse über Kombinationsmöglichkeiten ist ein Lösungsvorschlag zu den stets mit Untersuchungen älterer Sprachstufen des Deutschen verbundenen Problemen der Evaluation der Genuinität der Sprache angesichts der Überlieferungslage, der Textsorte Übersetzung und der metrischen Gestaltung.

4.5.1 Hypothese Die Hypothese zur Genuinität der Distribution der althochdeutschen Wackernagelelemente lautet, dass es sich bei der relativen Reihenfolge der Wackernagelelemente in den althochdeutschen Texten um genuines Althochdeutsch handelt. In der Regel wird genuines Althochdeutsch an der Abweichung des Autors von der fremdsprachlichen Vorlage nachgewiesen. Wo die althochdeutsche Struktur der lateinischen entspricht, kann diese Methode keine Aussagen machen. Aus diesem Grunde wird hier ein anderer Weg vorgeschlagen und am Beispiel hochfrequenter Wackernagelelemente durchgeführt.

4.5.2 Methode Die Methode zur Evaluation der Genuinität der althochdeutschen Syntax besteht darin, die syntaktische Variation bei der relativen Serialisierung der Elemente zu untersuchen. Dazu wird die Gesamtvariation der relativen Serialisierung ausgewählter Wackernagelelemente in allen althochdeutschen Texten des Korpus erhoben. Die althochdeutsche Textgrundlage des Korpus ist nicht homogen. Es handelt sich um Interlinearübersetzungen, literarisch anspruchsvolle Übersetzungen und volksnahe Genres wie Zaubersprüche und Rezepte. Niedrige Variation in der Serialisierung der Wackernagelelemente über alle Textsorten und die untersuchten Jahrhunderte hinweg spräche gegen die Hypothese einer Kopie der Syntax der fremdsprachlichen Vorlage. In der Untersuchung werden sowohl Ketten von adjazenten Wackernagelelementen als auch die Reihenfolge der Wackernagelelemente am absoluten Satzanfang automatisch erfasst und ausgewertet.

84 | Korpuslinguistische Untersuchung 4.5.3 Untersuchte Wörter und orthographische Varianten Folgende Wörter gingen in die Distributionsuntersuchung ein: Tabelle 1: Althochdeutsche Testitems für die Distributionsanalyse. Kategorie

Wörter

Koordinierende Konjunktion

ahd. endi ‘und’ und Varianten

Konnektoren

ahd. ioh ‘und, und auch, nämlich’, auur ‘wiederum, aber’, ouh ‘auch, ferner, hingegen’ und Varianten

Objektspronomina (Dat., Akk.)

ahd. dih ‘dich’, dir ‘dir’, imo ‘ihm’, inan ‘ihn’, mich ‘mich’, mir ‘mir’ und Varianten

Durch diese Auswahl wurden die Subtypen der Wackernagelelemente, die im Deutschen relevant sind, getestet.60 Ein weiteres Kriterium für die Auswahl der Testitems war der Ausschluss von Formen, die sich in Isolation nicht eindeutig einem Kasus zuordnen lassen. Dies stellte eine Notwendigkeit dar, da kein Tagging vorgenommen wurde.

4.5.4 Durchführung Die Untersuchung bestand aus zwei Teilschritten (zu den Queries vgl. Anhang A): 1. Untersuchung zu adjazenten Wackernagelelementen („Wackernagelketten“) Die zu untersuchenden Wackernagelelemente wurden anhand etymologischer (z.B. Nennung bei Delbrück und Wackernagel), funktionaler (d.i. funktionale aber nicht etymologische Entsprechungen zu etablierten Wackernagelelementen) und/oder syntaktischer Kriterien (z.B. beschriebene Zweitposition) festgelegt. Danach wurden durch eine Query auf der Grundlage aller althochdeutschen Texte des Korpus Reihen direkt benachbarter Wackernagelelemente ausgegeben. Diese Reihen wurden bezüglich der relativen Reihenfolge der Elemente untersucht. Die Position der Wörter im Satz ist in der Query nicht auf den

|| 60 Die Negationspartikel, die seit Delbrück in Zusammenhang mit der Wackernagelpartikel gebracht wird, ist hier ausgespart, da ihre Stellung im Althochdeutschen präverbal ist und somit ein direktes Angrenzen an andere Wackernagelelemente stark eingeschränkt ist.

Analyse und Bewertung des althochdeutschen Materials | 85

absoluten Satzanfang festgelegt, um auch die Ketten parataktisch oder hypotaktisch angeschlossener Sätze zu erfassen. 2. Untersuchung zu Wortposition 1–3 im Satz Da das Althochdeutsche im Deklarativsatz bereits häufig V2-Stellung zeigt, kann die Wackernagelkette durch das finite Verb unterbrochen sein.61 In der zweiten Datenbankabfrage ist also Adjazenz der Elemente nicht gefordert. Stattdessen wurde die relative Reihenfolge der in Position 1–3 auftretenden Wackernagelelemente (d.h. die ersten drei Wörter eines Satzes) erfasst. Bei der Untersuchung wurden zwei Einschränkungen getroffen. Zum einen ist das die Kette einleitende Element die koordinierende Konjunktion endi ‘und’, wenn sie im Satz vorhanden ist (vgl. die separate Untersuchung in Kap. 5.2.3.1 zur empirischen Grundlage für diese Vorgehensweise). Legt man dies nicht fest, so wird das Bild durch Belege verzerrt, die nicht Sätze, sondern Konstituenten verbinden. Zum anderen wird die Kette durch ein Objektspronomen beendet. Diese Einschränkung wurde aus der indogermanistischen Forschungsliteratur zum Wackernagelkomplex übernommen (vgl. unten S. 228 und Fn. 206). Trifft man diese Einschränkung nicht, so können sich Überlagerungen von Wackernagelketten ergeben, wenn beispielsweise ein Teilsatz mit einem Pronomen aufhört und der nächste Teilsatz mit einer koordinierenden Konjunktion beginnt.62 Alle Sätze, in denen mindestens zwei Wackernagelelemente auftreten, werden betrachtet.63 Die Untersuchung berücksichtigt in der Gesamtanlage also sowohl die direkte Nachbarschaft der Elemente als auch durch ein Element getrennte Elemente.

|| 61 Dies ist nicht außergewöhnlich. Auch im Lykischen kann dies gelegentlich zutreffen (Rosenkranz 1979: 225, Fn. 23). 62 Diese Einschränkungen sind notwendig. Dennoch schränkt die Festlegung der Elemente die Kombinationsmöglichkeiten ein, d.h. es sind nicht alle Elemente in der Kette variabel. Die Alternative zu dieser Vorgehensweise besteht in dem bereits beschriebenen Tagging der Texte. 63 Zwar handelt es sich bei Sätzen mit nur einem Wackernagelelement um den Elementarfall, die gleiche Kombination von Wackernagelelementen in den verschiedenen Texten erlaubt jedoch den Rückschluss, ob es sich im Wackernagelkomplex um genuines Althochdeutsch handelt.

86 | Korpuslinguistische Untersuchung 4.5.5 Auswertung Insgesamt ergeben sich bei der ersten Untersuchung 267 Belegsätze mit zwei adjazenten Wackernagelelementen. Die Texte, in denen sich Kombinationen der untersuchten Wackernagelelemente fanden, sind die Althochdeutsche Benediktinerregel, der Althochdeutsche Isidor, der Althochdeutsche Augensegen, das Ludwigslied, Muspilli, das Trierer Capitulare, die Homilia de Vocatione Gentium der Monseer Fragmente, Notkers Boethius: De consolatione Philosophiae, Aristotelis Categoriae, Aristotelis De interpretatione, Cantica, Psalter und Martianus Capella, "De nuptiis Philologiae et Mercurii", Otfrids Evangelienbuch und der Althochdeutsche Tatian. Die Texte zeigen ein breites Spektrum bezüglich der Textsorten und der angenommenen Nähe zum Lateinischen. Die zweite Untersuchung zu den Satzanfängen ergab 421 Belegsätze. Die Texte, die in dieser Position zwei der untersuchten Wackernagelelemente zeigen, sind: die Althochdeutsche Benediktinerregel, der Althochdeutsche Isidor, der Althochdeutsche Augensegen, das Ludwigslied, das Trierer Capitulare, die Homilia de Vocatione Gentium sowie die St. Augustini Hipponensis Sermo LXXVI der Monseer Fragmente, Notkers Boethius: De consolatione Philosophiae, Aristotelis Categoriae, Aristotelis De interpretatione, Cantica, Psalter und Martianus Capella, "De nuptiis Philologiae et Mercurii", Otfrids Evangelienbuch und der Althochdeutsche Tatian. Auch hier ergibt sich ein breites Spektrum bezüglich der Textsorten und der angenommenen Nähe zum Lateinischen. Die SQL-Abfrage ergab, dass bei der relativen Reihenfolge der Elemente keine Variation auftritt. Die Reihenfolge der Wackernagelelemente ist stets endi vor ioh vor auur vor ouh vor den Objektspronomina. endi ioh auur ouh Objektspronomina Abbildung 12:

Virtuelle Reihenfolge althochdeutscher Wackernagelelemente.

Diese Reihenfolge ist insofern „virtuell“, als bei den untersuchten Items in den untersuchten Texten nicht mehr als zwei adjazente Elemente vorkommen.

Zusammenfassung | 87

4.5.6 Interpretation Da die Ergebnisse keine Variation zwischen den Textsorten zeigen, ist daraus zu schließen, dass es sich bei der Serialisierung der Elemente im Wackernagelkomplex um genuines Althochdeutsch handelt (zur typologischen Einordnung der Reihenfolge der Wackernagelelemente vgl. Kap. 6.2).

4.6 Zusammenfassung Die Hypothesen zur Interaktion linguistischer Subsysteme in der deutschen Wackernagelposition werden empirisch untersucht. Hierzu wurde eine umfangreiche elektronische Datenbank mit Texten vom Althochdeutschen bis zum Frühneuhochdeutschen aufgebaut. Die neuhochdeutschen Daten werden einer bereits bestehenden Datenbank entnommen. Eine methodische Voraussetzung für die sich anschließenden Untersuchungen zu Detailfragen im Wackernagelkomplex bestand in dem Nachweis der althochdeutschen Konstruktion als genuin deutsche Konstruktion. Dies wurde anhand der relativen Verteilung einer Stichprobe von Wackernagelelementen nachgewiesen. Die metrische Form eines Textes oder sein Status als Übersetzungsliteratur entfallen nach dieser Analyse als Faktoren, welche die Grammatikalität der althochdeutschen Wackernagelposition beeinflussen. Die relative Serialisierung der Konjunktionen, Adverbien und Objektspronomina erwies sich als invariabel.

5 Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion Die Interaktion der linguistischen Teilsysteme Syntax, Phonologie und Informationsstruktur, so die Hauptthese dieser Untersuchung, führt zu der Stellungsbesonderheit der Wackernagelelemente; sie motiviert ihre Frühstellung. Zur Darstellung der Interaktion wird ein sprachspezifisches Ranking der Faktoren Prosodie, Syntax und Informationsstruktur angegeben. Das Modell ist oberflächensyntaktisch angelegt, arbeitet also zum Beispiel nur mit Bewegungen, wo sie sprachgeschichtlich dokumentiert sind. Es erlaubt die Darstellung von Sprachwandelphänomenen im Wackernagelkomplex als Konsequenz von Änderungen in den linguistischen Subsystemen. Alle Untersuchungen zu Wackernagels Gesetz machen deutlich, dass ein enger Zusammenhang zwischen der Wortklasse und der syntaktischen Position der Wörter besteht.

5.1 Wackernagelelemente: Klassenbildung und protoindogermanischer Satzbau Da Wackernagels Gesetz durch eine Analyse der ältesten indogermanischen Sprachen entdeckt wurde, setze ich die proto-indogermanische Wortstellung nach Wackernagel (1892, 1926, 1928, 1943) als Ausgangspunkt an. Der Satzbau folgt dem Schema Erstelement, dann Wackernagelposition, dann Restsatz. In Abbildung 13 wird das Satzbaumuster anhand enklitischer Satzkonjunktionen illustriert; sie stehen in zweiter Position.64

|| 64 Krischs Vorschlag zum indogermanischen Satzbauplan ist insofern enger gefasst, als er eine fakultative Topikposition als erste Position ansetzt (1997: 299–300). Bei Krisch sieht das Satzschema folgendermaßen aus (1997: 283–284): (1) #X(E)...........# X: Im Normalfall ein Wort; E: Wackernagel-Enklitikon (2) #X(E1)C(E2).....# E1 und E2: Wackernagelsche Enklitika; E1: enklitische koordinierende Konjunktionen; E2: Satzpartikeln und enklitische Personalpronomina; C: subordinierende Konjunktionen, Relativpronomina, Fragepronomina, Verben.

90 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion

1

2 Wackernagelposition

3

Erstelement

Koordinierende Satzkonjunktion

Restsatz

Abbildung 13:

Proto-indogermanischer Satz mit einer koordinierenden Satzkonjunktion in Wackernagelposition.

Das den Satz eröffnende Wort ist im Urindogermanischen betont (Meier-Brügger 2010: 384). Die darauf folgenden urindogermanische Wackernagelelemente werden durch ihre Stellung in zweiter Position und i.d.R. auch durch ihren Status als Enklitikon definiert. Für das Deutsche erweisen sich diese Kriterien jedoch insgesamt als problematisch: Im Neuhochdeutschen ist die zweite Position bereits im Aussagesatz durch das finite Verb besetzt. Während die Position der Objektspronomina im Althochdeutschen noch präverbal (ibu du mi enan sages, ik mi de odre uuet. ‘Wenn du mir einen sagst, weiß ich mir die anderen’, Hildebrandslied 12) oder postverbal sein kann (Táz úrlub káb ímo Zeno ‘Diese Zusage machte ihm Zeno’, Notker, Boeth.Cons I: 5), steht sie im standarddeutschen Deklarativsatz postverbal, wenn das Objektspronomen nicht das Vorfeld füllt. Obwohl bereits Wackernagel (1892: 405) auf das Stellungsgesetz bei den deutschen Objektspronomina hinweist, sind Objektspronomina im Standarddeutschen nicht im eigentlichen Sinne klitisch. Sie müssen nicht reduziert sein,65 und sie sind selbständige Einheiten. Das ausschlaggebende Kriterium in dieser Untersuchung ist daher die Position der Wackernagelelemente, nicht ihre phonetische Reduktion. Hinzu kommt die Wortklasse: Elemente in Wackernagelposition sind, sieht man von Vokativen und Parenthesen ab, Funktionswörter. In den folgenden Ausführungen zu den Wackernagelelementen im Deutschen wird die diachrone Perspektive miteinbezogen. Die Ausführungen erfolgen auch in Hinblick auf die typologische und insbesondere auf die indogermanische Einordnung. Die Bedeutungsgleichheit mit alten indogermanischen Wackernagelelementen war der Ausgangspunkt für die Untersuchung der Verteilung deutscher Wackernagelelemente. Der Untersuchungsgegenstand wurde danach auf funktionsgleiche Wörter ohne direkte etymologische Verbindung ausgedehnt. || 65 Die gilt auch für es: in wenn’s, hat’s usw. kann das Pronomen reduziert sein, dies ist aber nicht zwingend.

Koordinierende Satzkonjunktionen | 91

5.2 Koordinierende Satzkonjunktionen Koordinierende Satzkonjunktionen findet man in den indogermanischen Sprachen sowohl in Erst- als auch in Zweitposition. Die Stellungsvariation gibt Rätsel auf. Die folgenden Ausführungen dienen der Frage, unter welchen Bedingungen die Zweitstellung einer koordinierenden Konjunktion sinnvoll ist. Während die lateinische koordinierende Konjunktion -que wie ihre protoindogermanische Entsprechung -kwe und die gotische koordinierende Konjunktion -uh in Wackernagelposition stehen, gilt dasselbe nicht für die deutsche Konjunktion ahd. endi/nhd. und. Dies lässt sich über interagierende Subsysteme motivieren.

5.2.1 Syntax – Phonologie – Informationsstruktur: Erst- vs. Zweitstellung als Interaktionsphänomen Es ist auffällig, dass viele koordinierende Konjunktionen in den alten indogermanischen Sprachen in Zweitposition stehen.66 So folgen die lateinische Konjunktion -que ‘und’ und die frühen Belege der altindischen Satzkonjunktion ca ‘und’ (Delbrück 1888: § 240) dem Erstelement. Dasselbe gilt für lat. -ve ‘oder’ und altind. va! ‘oder’. Das Lateinische hat sowohl die Möglichkeit der Erst- als auch die der Zweitstellung der koordinierenden Konjunktion, wenngleich mit unterschiedlichem sprachlichem Material. Während lat. -que ‘und’ an die proto-indogermanische rekonstruierte Konjunktion *kwe anschließt, handelt es sich bei lat. et ‘und’ um eine spätere Bildung, “apparently based on an old locative adverb *h1eti ‘above, beyond’” (Baldi 1999: 361). Das ältere -que ist stets enklitisch (14a), et steht in Erstposition (14b):

|| 66 Vgl. Pokorny (1959: s.v. kwe): Ai. ca, av. ča, ap, ča" enklit. ‘und’; lyd. -k ‘und’; gr. te ‘und’; venet. -ke, lepont. -pe, piken. -p; lat. -que; ne-que = osk.-umbr. nep, neip ‘neque’ = air. na-ch, mcymr. usw. nac ‘nicht’ (zum a aus e s. unter ne ‘nicht’), vgl. lat. atque ‘und dazu’ (ad + que) = umbr. ap(e) ‘ubi, cum’; got. ni-h (usw., s. unter ne) ‘nicht’; (s. auch ahd. usw. noh unter *nu ‘nun’); bulg. če ‘aber, und, daß, weil’, čech. alt a-če, ač ‘wenn’, poln. acz ‘obgleich, obwohl’.

92 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion (14) Koordinierende Satzkonjunktionen: lat. -que in Zweitposition vs. lat. et in satzinitialer Position a) remoramque faciunt rei privatae et publicae. (Plautus, Trinummus, I.1.38) ‘und sie wirken hemmend sowohl auf die private als auch auf die öffentliche Wohlfahrt’ b) Et te quoque etiam, Sosia. (Plautus, Amphitruo, II.2.717) ‘Und dich zugleich auch, Sosia.’ Zu koordinierenden Konjunktionen in Wackernagelposition stellt sich im Sprachvergleich die Frage, ob sie den unmarkierten oder den markierten Fall darstellen und warum sich Variation innerhalb desselben Sprachsystems finden lässt. Für das Deutsche wird anhand des Korpus überprüft, ob die enklitische Stellung der lateinischen Satzkonjunktion -que in einer deutschen interlinearartigen Übersetzung imitiert wird. Schließlich ist noch darzustellen, warum deutsche koordinierende Satzkonjunktionen nicht in Zweitstellung stehen, obwohl die proto-indogermanische Satzkonjunktion und auch die gotische Satzkonjunktion in Zweitposition stehen.

5.2.2 Interaktion und Hierarchisierung der Subsysteme: die Position von lat. -que, -ve, et und got. -uh In den indogermanischen Sprachen gehört die Konjunktion zum zweiten Satz; nach Ross (1986: 100) gilt dies immer für klitische Konjunktionen. Durch die sprachspezifische Hierarchisierung der Subsysteme können die Zweitstellung, die Erststellung und auch die im Lateinischen belegten beiden Stellungsmöglichkeiten der koordinierenden Satzkonjunktionen systematisch erfasst werden. Die lateinische Satzkonjunktion -que, die immer enklitisch in Wackernagelposition steht, dient einer ersten Annäherung an diese Variation. Syntaktisch betrachtet steht die lateinische koordinierende Satzkonjunktion -que als Kopf „falsch“. Nach dem Prinzip der natürlichen Serialisierung (Vennemann 1976; vgl. S. 39) stehen Operatoren (im Konstituentenfall) idealerweise alle auf der selben Seite ihrer Köpfe, also entweder alle vor oder alle nach ihren Köpfen. Das Lateinische hat OV-Syntax; in OV-Sprachen stehen Operatoren vor ihren Köpfen. Folglich stünden koordinierende Satzkonjunktionen als Köpfe aus syntaktischer Sicht am besten am Satzende. Dass dies im Lateinischen und allen anderen Sprachen mit klitischen Satzkonjunktionen nicht der Fall ist (vgl.

Koordinierende Satzkonjunktionen | 93

Ross 1986: 100), ist durch die hierarchisch niedrige Einstufung des syntaktischen Systems bezüglich dieser Kategorie beschreibbar. Aus der Perspektive der Informationsstruktur stehen koordinierende Satzkonjunktionen am sinnvollsten zwischen Sätzen. Da außerdem in den indogermanischen Sprachen die koordinierende Satzkonjunktion zum zweiten Konjunkt gerechnet wird, ist die Position am Satzanfang des zweiten Konjunkts notwendig. Eine koordinierende Konjunktion, die erst nach der Äußerung beider Konjunkte steht, ist in Bezug auf ihre Funktion ineffektiv. Die Position von lat. -que als Erstelement wäre zwar aus Gründen der Informationsverteilung ideal, ist jedoch wegen der phonologischen Gegebenheiten unvorteilhaft. Das Klassische Latein ist eine silbenbasierte Quantitätssprache; alle Silben sind entweder lang (schwer) oder kurz (leicht). Als die Dokumentation des Lateinischen beginnt, sind die einzigen Einsilbler, die noch auf Kurzvokal endeten, Enklitika. Dies führt den besonderen prosodischen Status enklitischer Elemente klar vor Augen (Kuryłowicz 1958a: 381–382): Dans tout monosyllable plein (non-enclitique) une voyelle brève non-entravée a été allongée dès l’époque prélittéraire. […] Une voyelle brève n’apparaît que dans les enclitiques -ce, -ne, -pe, -que, -te, -ve.

Lat. -que endet auf Kurzvokal; dies wiederum bedeutet, dass es als einmorige Silbe alleine keinen Fuß bilden kann. Folglich kann -que auch in satzrhythmischen Kontexten, die nicht Auflösungskontexte sind, nicht den Kopf eines Fußes bilden. Hinzu kommt, dass das Altlateinische Initialakzent hatte und somit linksköpfige Füße bildete.67 Aus dieser Konstellation folgt synchron, dass eine satzinitiale Platzierung von -que eine systematische Wohlgeformtheitsverletzung auf satzrhythmischer Ebene verursachen würde. Finge ein Satz mit -que an, so würde jede rechts angrenzende Silbe, die den Kopf eines Fußes bildet, einen satzrhythmischen Fehler bedeuten. Dies würde insbesondere für die häufigste Konstellation gelten, denn im initialakzentuierten Altlateinischen würde der Satz regelmäßig mit der prominenten Initialsilbe eines Inhaltswortes weitergeführt werden. Die Kategorie „koordinierende Satzkonjunktion“ wird in einer Interaktionshierarchie der Subsysteme Prosodie, Syntax und Informationsstruktur dargestellt. Abbildung 14 zeigt die Interaktionshierarchie für die lateinische koordinierende Satzkonjunktion in Wackernagelposition. Lat. -que steht so weit links wie mög|| 67 Evidenz hierfür liefern Varianten, die den Verlust kurzer Binnensilben zeigen: calidus : caldus ‘warm’, calefaciō: calfaciō ‘ich mache warm’, aevitās : aetās ‘Alter’ (Baldi 1999: 269).

94 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion lich. Die Stellung der Konjunktion am absoluten Satzanfang, also die Normalstellung nach Maßgabe der Informationsverteilung, ist über die Subsysteme Phonologie und Syntax „feinjustiert“. In dieser Interaktionshierarchie ist -que in zweiter Position die beste Lösung. Lat. -que

Phonologie Lat

(a) koord. Konj. < Erstelement68 < Restsatz

*

InformationsstrukturLat

*

(b) Erstelement < koord. Konj. < Restsatz

*

(c) Erstelement < Restsatz < koord. Konj.

**69

Abbildung 14:

SyntaxLat

*

Hierarchie linguistischer Subsysteme für leichte koordinierende Satzkonjunktionen in silbenbasierten Quantitätssprachen mit Initialakzent und OV-Syntax.

Die Übersicht in Abbildung 14 verfolgt das Ziel des Sprachvergleichs. Sie ist optisch an das Format der Optimality Theory (OT) angelehnt, das elegante Möglichkeiten zur Veranschaulichung von Hierarchien bereitstellt. Die Grundannahmen, auf der die OT basiert, werden in dieser Darstellung, wie in Kap. 2.4.2 ausgeführt, nicht geteilt, es geht hier nicht um die Generierung eines optimalen Kanndidaten, sondern um die Darstellung von Interaktionshierarchien. In der ersten Zeile der Tabelle stehen linguistische Subsysteme. Die Subsysteme beschränken durch ihre Interaktion die Stellungsmöglichkeiten der jeweiligen Kategorie. Die tatsächliche Reihenfolge ist in der Tabelle stärker umrandet. In der ersten Spalte stehen die theoretisch möglichen Serialisierungen, zum Beispiel Option (a) mit der koordinierenden Satzkonjunktion vor dem Erstelement und vor dem Restsatz. Die Subsysteme Prosodie, Informationsstruktur und Syntax in der ersten Zeile sind in ihrer sprachspezifischen Ausprägung über das Subskript Lat für Latein in die Tabelle einbezogen. Nicht nur die Subsysteme selbst, auch die Hierarchie der Subsysteme ist sprachspezifisch. Die Hierarchie der Subsysteme ist von rechts nach links zu lesen, der Einfluss der

|| 68 Der Begriff „Erstelement“ wird in Anlehnung an das wackernagelsche Satzbauschema verwendet. 69 Ich vergebe hier aus Gründen der Übersichtlichkeit einen Stern für die Position nach dem Erstelement und einen weiteren für die Position nach dem Restsatz. Genaugenommen müsste, um Fälle von Dritt- Viertplatzierung etc. auszuschließen, für jede Konstituente, welche die Konjunktion von Satzanfang trennt, ein Sternchen vergeben werden.

Koordinierende Satzkonjunktionen | 95

Syntax ist also „schwächer“ als derjenige der Informationsstruktur und dieser wieder schwächer als derjenige der Prosodie. In den Zellen zeigen Sternchen ungünstige Lösungen für die jeweilige Option innerhalb des jeweiligen Subsystems an. Option (a) mit -que in satzinitialer Position ist wegen der beschriebenen systematischen prosodischen Verletzung unvorteilhaft. Da die Konjunktion in Option (a) satzinitial auftritt, gibt es auch einen Konflikt mit der rechtsköpfigen lateinischen Syntax. Während Option (c) auf der Ebene der Informationsstruktur besonders schlecht abschneidet (zwei Sternchen, da die satzfinale Konjunktion ineffektiv wäre; vgl. Fn. 69), harmoniert sie hingegen auf der syntaktischen Ebene mit der lateinischen OV-Syntax. Das syntaktische Subsystem ist jedoch das in der Hierarchie am niedrigsten angesetzte. Option (b) ist nicht ideal bezüglich der Informationsstruktur, denn die Satzkonjunktion tritt zwar links im Satz, aber nicht am absoluten Satzanfang auf. Option (b) ist ebenfalls nicht ideal im Hinblick auf die rechtsköpfige lateinische Syntax, steht aber immerhin weiter rechts als die Konjunktion in Option (a). Das Ergebnis ist, dass in dieser Interaktionshierarchie Option (b) mit der leichten koordinierenden Satzkonjunktion an zweiter Stelle insgesamt besser abschneidet als die anderen Serialisierungsmöglichkeiten. Das Ranking gilt auch für die andere enklitische koordinierende Satzkonjunktion, lat. -ve ‘oder’. Für die neuere koordinierende Satzkonjunktion lat. et gilt ebenfalls dieselbe Interaktionshierarchie; es handelt sich um dasselbe Sprachsystem, weshalb die Interaktion für die Kategorie konstant bleiben muss. Das Ergebnis der Interaktion jedoch ist wegen des unterschiedlichen Sprachmaterials ein anderes (vgl. Abbildung 15): Lat. et

PhonologieLat

InformationsstrukturLat

(a) Konj. < Erstelement < Restsatz

*70

(b) Erstelement < Konj. < Restsatz

*

(c) Erstelement < Restsatz < Konj.

**

Abbildung 15:

SyntaxLat

*

Hierarchie linguistischer Subsysteme für schwere koordinierende Satzkonjunktionen in silbenbasierten Quantitätssystemen mit OV-Syntax.

|| 70 Ich danke Theo Vennemann für den Hinweis, dass das Lateinische sich bereits auf dem Weg von OV- zu VO-Syntax befindet. Bei VO-Stellung ist et auch in Bezug auf das syntaktische Subsystem optimal platziert.

96 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion In dieser Interaktion schneidet Option (a) mit der satzinitialen Konjunktion am besten ab. Während lat. -que, das auf Kurzvokal endet, eine leichte Silbe ist, ist lat. et als geschlossene Silbe bei konsonantisch anlautendem Folgewort schwer. Folglich verursacht lat. et keine systematische Verletzung der satzrhythmischen Wohlgeformtheit. Hinzu kommt, dass das Klassische Latein Finalakzent hat, dass also eine unakzentuierte Silbe am Satzanfang prosodisch unauffällig ist. Option (c) ist wieder wegen der für ein zweites Konjunkt ineffektiven Stellung am Satzende die schlechteste Möglichkeit. Option (b) mit der Konjunktion in Zweitstellung schneidet wegen der nicht-idealen Informationsverteilung schlechter ab als die Option mit satzeinleitender Konjunktion. Ich übertrage das Ranking auf die gotische koordinierende Satzkonjunktion -uh (zu einer syntaktischen Analyse vgl. Ferraresi 2005). Got. -uh ist an idg. n$-kwe anzubinden (Feist 1939: s.v. -uh, -h verweist auf Hirt) oder direkt an *kwe (Braune/Heidermanns 2004: § 24, Anm. 2). Got. -uh

PhonologieGot

Informations-

SyntaxGot

strukturGot OV (a) koord. Konj. < Erstelement < Restsatz

*

*

(b) Erstelement < koord. Konj. < Restsatz

*

(c) Erstelement < Restsatz < koord. Konj.

**

Abbildung 16:

VO

* *

Hierarchie linguistischer Subsysteme für leichte koordinierende Satzkonjunktionen in akzentbasierten Quantitätssprachen mit Initialakzent und OV/VO-Syntax.

Den Hinweisen zum Ranking für die lateinische koordinierende Satzkonjunktion ist hier hinzuzufügen, dass es zur Grundwortstellung im Gotischen und ältesten Germanischen verschiedene Auffassungen gibt (vgl. Vennemann 2000). Da u.a. gotische polare Fragen VO-Syntax haben (vgl. Kap. 5.5), ist eine der Thesen dieser Abhandlung, dass das Gotische unmarkierte VO-Syntax zeigt; das VO-Muster wird dabei als germanische Innovation aufgefasst. Dennoch werden auf Grund der Kontroverse sowohl OV- als auch VO-Syntax in die Tabelle aufgenommen. Tatsächlich hat die Grundwortstellung hier keinen Einfluss auf die Beschreibung der Interaktion, denn die Syntax ist in der Hierarchie als niedrigstes Subsystem angesetzt. Außerdem ist im Vergleich zum Lateinischen anzumerken, dass das Gotische wie alle altgermanischen Sprachen nicht silbenbasierte, sondern akzent-

Koordinierende Satzkonjunktionen | 97

basierte Quantität hatte (vgl. Kap. 2.1.3). Got. -uh bildet zwar eine geschlossene Silbe, neigt aber als unbetontes Funktionswort vor einem initialbetonten Inhaltswort dazu, eine Senkung zu bilden. Unabhängige Evidenz hierfür bietet die Tatsache, dass -uh häufig assimiliert (vgl. S. 174). Außerdem ist der Vokalismus auffällig; Hopper (1969: 42) führt aus, dass die Brechung von /u/ zu /o/ bei -uh auf Grund des Fehlens von Wort- oder Satzakzent unterblieb. Die alte enklitische koordinierende Satzkonjunktion wurde in den modernen germanischen Sprachen als Konsequenz einer ungünstigen Interaktion der Subsysteme getilgt (vgl. S. 174). Als unbetontes Element ist -uh einmorig und somit vor akzentuierter Silbe nicht kopffähig.

5.2.3 Die Position koordinierender Konjunktionen im Deutschen Auch die Stellung der deutschen koordinierenden Satzkonjunktionen ist als Interaktion linguistischer Subsysteme beschreibbar. Im Folgenden wird die Position anhand des Althochdeutschen und Neuhochdeutschen vor dem Hintergrund der proto-indogermanischen enklitischen Satzkonjunktion dargestellt.

5.2.3.1 Althochdeutsche koordinierende Satzkonjunktionen vor protoindogermanischem Hintergrund 5.2.3.1.1 Korpus Die Analyse der althochdeutschen koordinierenden Satzkonjunktionen stützt sich auf ein Korpus althochdeutscher Texte des 8. und 9. Jahrhunderts: – Der Althochdeutsche Isidor (um 800), – Otfrids Evangelienbuch (9. Jh.), – Althochdeutscher Tatian (9. Jh.). Die drei Texte unterscheiden sich deutlich in ihrem Abstand zur Vorlage, decken also unterschiedliche denkbare grammatische Anlehnungen an das jeweilige Vorbild ab. Der Althochdeutsche Isidor ist eine freie Übersetzung, Otfrids Evangelienbuch nimmt den Status eines literarischen Texts ein, der Althochdeutsche Tatian ist eng an die lateinische Vorlage angelehnt.

5.2.3.1.2 Durchführung Die Datenbankabfrage wurde so formuliert, dass die althochdeutschen undVarianten in zweiter Position ausgegeben wurden. Sie zielt damit auf das zweite

98 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion Wort am Satzanfang. Dies hat zwei Vorteile: Zum einen ist eine Datenbankabfrage ohne Tagging möglich; zum anderen deckt die Datenbankabfrage sowohl die Wackernageloption „zweites Wort“ als auch die Wackernageloption „zweite Konstituente“ ab.

5.2.3.1.3 Auswertung Die Datenbank enthält Sätze mit endi/inti ‘und’ in Zweitposition, beispielsweise See endi mih deda got so selp so dhih, eine Übersetzung von lat. Ecce et me sicut et te fecit deus ‘Sieh, und Gott schuf mich wie auch dich’ (Althochdeutscher Isidor VII, 18)71 oder quim inti gisih ‘komm und sieh’ (Tatian, Evangelienharmonie, 17, 3). Da in diesen Fällen die althochdeutschen Satzkonjunktionen zwischen Sätzen stehen, sind diese Beispiele nicht gleichzusetzen mit lat. -que in Zweitposition. Das Ergebnis der Abfrage ist, dass die koordinierende Satzkonjunktion endi/inti etc. im Althochdeutschen selbst in einer interlinearartigen Übersetzung wie dem Althochdeutschen Tatian nicht in Wackernagelposition steht, vgl. (15). (15) Statimque Ihesus locutus est eis dicens : Inti sár tho ther heilant sprah ín quedenti: (Tatian, Evangelienharmonie, 81, 2) ‘Und sofort sagte da der Heiland, indem er zu ihnen sprach’

5.2.3.1.4 Hierarchisierung der interagierenden Subsysteme Da die proto-indogermanische koordinierende Konjunktion in Zweitposition steht, ist die davon abweichende Position der althochdeutschen Konjunktion am absoluten Satzanfang bezüglich der althochdeutschen Subsysteme zu motivieren. Die Subsysteme des Althochdeutschen weichen von denen des Lateinischen und auch von dem rekonstruierten proto-indogermanischen System ab. Während das Proto-Indogermanische mit OV-Stellung rekonstruiert wird, zeigt das Althochdeutsche zunehmend im Hauptsatz VO-Syntax. V2 ist im Aussagesatz bereits die Regel (vgl. Dittmer/Dittmer 1998 zum Althochdeutschen Tatian, Näf 1979 zu Notkers Consolatio, Robinson 1997 zum Althochdeutschen Isidor).

|| 71 Ich danke Hans-Heinrich Lieb für seinen Hinweis auf den strukturellen Unterschied zwischen der lateinischen zweiteiligen Konjunktion und der althochdeutschen Konstruktion.

Koordinierende Satzkonjunktionen | 99

Das prosodische System des Althochdeutschen ist ebenfalls nicht mit dem des Lateinischen gleichzusetzen (vgl. Kap. 2.1.3). Die Position der althochdeutschen koordinierenden Satzkonjunktionen lässt sich aus der Interaktion der Subsysteme herleiten. Dazu werden wieder die sprachspezifischen Subsysteme hierarchisiert. Die Hierarchie der Subsysteme entspricht derjenigen des Lateinischen (vgl. S. 94, 95). Die Tatsache, dass im Althochdeutschen weder die Prosodie noch die Syntax oder Informationsstruktur für eine Zweitstellung koordinierender Satzkonjunktionen sprechen, ist in Abbildung 17 verdeutlicht. Ahd. inti/endi

PhonologieAhd

InformationsstrukturAhd

SyntaxAhd

(a) koord. Konj. < Erstelement < Restsatz (b) Erstelement < koord. Konj. < Restsatz

*

(c) Erstelement < Restsatz < koord. Konj.

**

72

Abbildung 17:

*

Hierarchie linguistischer Subsysteme für fußbildende koordinierende Satzkonjunktionen in akzentbasierten Quantitätssprachen mit Initialakzent und vorwiegender VO-Syntax im Deklarativsatz.

Option (c) mit satzfinaler Konjunktion ist wie im Fall des Lateinischen (Abbildung 14) eine schlechte Lösung, weil eine Konjunktion am Satzende des zweiten Konjunkts in Bezug auf die Informationsverteilung nicht sinnvoll ist. Auch die syntaktische Motivation für eine Späterstellung der Konjunktion ist im Vergleich zum Proto-Indogermanischen geschwächt, da das Althochdeutsche zunehmend V2 im Hauptsatz zeigt. Option (b) mit Konjunktion in Zweitposition ist wie im Lateinischen wegen der Informationsverteilung nicht ganz ideal. Syntaktisch passt die Konjunktion in Zweitposition besser zu VO als zu OV. Die beste Lösung für die mehrdimensionale Interaktion ist Option (a). Die Option mit der Konjunktion am Satzanfang schneidet in allen Systemen ohne Verletzung ab. Es ergäbe sich aus der Stellung in Wackernagelposition kein informationsstruktureller oder syntaktischer Vorteil. Das in der Hierarchie am höchsten angesetzte prosodische Subsystem spricht im Falle des Althochdeutschen nicht gegen eine Erststellung der koordinierenden Satzkonjunktion. Die althochdeutsche koordinierende Konjunktion inti/endi bildet selbst bereits einen wohlgeformten Fuß. Im Gegensatz zu einmorigem lat. -que und auch zu einmorigem || 72 Die Letztposition wurde trotz ihrer fehlenden Funktionalität als Kandidat aufgenommen, weil sie unter rein syntaktischen Gesichtspunkten die beste Lösunge darstellt.

100 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion got. -uh ‘und’ sind ahd. inti und endi nicht automatisch Senkungen. Die akzentuierte Initialsilbe von ahd. inti und endi – das Althochdeutsche hatte wie das Altlateinische Initialakzent – ist zweimorig, die folgende unbetonte Silbe erweitert den Fuß um eine More. Da also inti und endi wohlgeformte Füße sind, ergäbe sich aus satzrhythmischer Perspektive im Gegensatz zu nachgestelltem lat. -que kein Vorteil aus ihrer Platzierung in Zweitposition.

5.2.3.2 Die Position der koordinierenden Satzkonjunktion und im Neuhochdeutschen Wie passt nun die neuhochdeutsche koordinierende Satzkonjunktion und ins Bild. Das prosodische System des Standarddeutschen sieht vor, dass der minimale Fuß ein Trochäus ist, also aus mindestens zwei Silben bestehen muss (vgl. Kap. 2.1.1). Dennoch steht die nicht alleine fußfähige und als Funktionswort auch nicht den Satzakzent tragende Konjunktion an der Spitze des zweiten Konjunkts (16a). (16a) Satzkonjunktion und ohne Satzakzent: Da ˈsteh ich ˈnun, ich ˈarmer ˈTor! und ˈbin so ˈklug als ˈwie zuˈvor. (Goethe, Faust I, 358–359) (16b) Satzkonjunktion und, rhythmisch prominent: ˈUnd ich ˈsah ein ˈLicht von ˈweiten, ˈund es ˈkam gleich ˈeinem ˈSterne (Goethe, „Der Schatzgräber“, 17–1873) Der systematische Vergleich ergibt, dass nhd. und in Erstposition dennoch eine bessere Lösung ist als etwa lat. -que in Erstposition. Das Wort und trägt, obwohl es ein Funktionswort ist, den rhythmischen Akzent am Satzanfang, wenn eine unbetonte Silbe folgt, vgl. (16b). Das Standarddeutsche ist eine Sprache mit Finalakzent, d.h. die Wahrscheinlichkeit, dass eine akzentuierte Silbe direkt auf und folgt, ist geringer als im initialakzentuierten Altlateinischen und Althochdeutschen. Nhd. und kann unabhängig von der Silbenstruktur der rechts angrenzenden Silbe prominent sein.

|| 73 Ballade (4-hebiges Metrum) aus dem Jahr 1797.

Objektspronomina | 101

5.2.4 Zusammenfassung Die Erst- bzw. Zweitposition der koordinierenden Satzkonjunktionen lässt sich aus der Interaktion der Subsysteme Syntax, Phonologie und Informationsstruktur ableiten. Die Interaktionshierarchie wurde in Tableaux dargestellt. Durch die Spezifizierung der Konjunktionen über die Subsysteme wurde sowohl die innersprachliche Stellungsvarianz als auch die im Sprachvergleich auffällige systematische Erst- oder Zweitplatzierung von lat. -que, lat. et, lat. -ve got. -uh, ahd. endi/inti und nhd. und synchronisch motiviert. Das Ergebnis wäre typologisch auf seine weitere Übertragbarkeit auf einmorige koordinierende Satzkonjunktionen in Zweitposition zu prüfen. Es ist jedoch nicht übertragbar auf das Thema des nächsten Kapitels, die Stellung der Objektspronomina, da Pronomina nicht in systematisch gleicher satzrhythmischer Umgebung auftreten. Das nächste Kapitel verdeutlicht, dass Wackernagels Gesetz für jede Kategorie gesondert zu diskutieren ist.

5.3 Objektspronomina Objektspronomina stehen in den alten indoeuropäischen Sprachen am Ende der Wackernagelkette. Dieses Kapitel behandelt zwei Themenkomplexe. Zum einen stellt sich die Frage, über welche Subsystemhierarchie die Stellung der Objektspronomina in Wackernagelposition erfassbar ist; zum anderen wird ausgeführt, durch welche Faktoren die relative Reihenfolge der deutschen Objektspronomina im Wackernagelkomplex geregelt ist.

102 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion 5.3.1 Typologie Personalpronomina bilden innerhalb der Gruppe der Pronomina den Kern (Greenberg 1986: XVII). Gerade dieser Kern, genauer die Objektformen der Personalpronomina74, folgt Wackernagels Gesetz. Die Stellung der Objektspronomina ist aus syntaktischer Sicht auffällig, denn OV-Sprachen, VO-Sprachen und auch Sprachen mit sogenannter freier Wortstellung haben, wenn sie Objektspronomina besitzen, Objektspronomina in Wackernagelposition. Neben der Frühstellung der Objektspronomina wird in typologischen Untersuchungen auch die Serialisierung von Objektspronomina und nominalen Objekten hervorgehoben, besonders prominent formuliert durch das Greenbergsche Universale 25 (Greenberg 1963): Universal 25. If the pronominal object follows the verb, so does the nominal object.

Das Universale steht im Einklang mit Wackernagels Gesetz: Würde in der Grundwortstellung das pronominale Objekt dem finiten Verb folgen, das nominale Objekt dem Pronomen jedoch vorangehen, so befände sich das Pronomen nicht in Wackernagelposition. Bossong (1982) führt als Gegenbeispiel für das Greenbergsche Universale die Integration ehemals freier Objekts-Grammeme in das Verb (je nach Modell auch als Objektskonjugation bezeichnet) im Swahili und Quechua, an.75 Nach dem || 74 Subjektspronomina sind aus der Betrachtung ausgeklammert. Für das Gegenwartsdeutsche zeigt Hofmann (1994: 195) anhand einer umfassenden Korpusuntersuchung zu Pronomina, dass „die Zwischen- und Nachstellung [nominativischer Pronomina, PN] numerisch gesehen in der Minderzahl sind und daher als Ausnahmen betrachtet werden können, und daß zweitens die Voranstellung des Nominativs immer als akzeptabel bewertet wurde.“ Der Nominativ kann unabhängig von der pronominalen Subklasse vorangestellt werden. Die Besonderheit des Stellungsverhaltens von Nominativpronomina gegenüber den Pronomina im obliquen Kasus im Gegenwartsdeutschen spiegelt die historische Konstellation wider. In den altindogermanischen Sprachen finden sich Beispielsätze ohne Subjektspronomina wegen der stark ausgeprägten Verbflexion „auf Schritt und Tritt“ (Krisch 1998: 357). 75 Bossong (1982: 30) führt aus: Wenn Swahili /ni/, „mich“, ein Pronomen sein soll, dann ist es, mit gleichem Recht, auch Quechua /wa/. Nur: während /ni/, in Übereinstimmung mit Universale 25, dem Verb in einer VO-Sprache vorangeht, folgt /wa/ dem Verb in einer OV-Sprache! Und dies wäre dann genau der laut Greenberg ausgeschlossene Fall /V ^ OPRO/ + /ON ^ V/. Solche Schwierigkeiten hat man natürlich nicht, wenn man diese Fälle als Beispiele von O-Konjugation auffasst: diese ist im zentrifugalen Swahili ebenso wie beispielsweise im Nahuatl oder im Kalispel präfixal, im zentripetalen Quechua hingegen ebenso wie beispielsweise im Aymara oder im Wogulischen und Ostjakischen suffixal.

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gegenwärtigen Erkenntnisstand seien einfache Implikationen des Greenbergschen Typus hier nicht einmal als statistische Tendenzen in Aussicht (1982: 31). In den Ausführungen in Kap. 8 wird der Wackernagelkomplex jedoch durch seine Gesamtfunktion charakterisiert, welche die Frühstellung der Objektspronomina motiviert und über diese Motivation auch das Greenbergsche Universale für Objektspronomina stützt.76 Bezüglich der relativen Reihenfolge der Objektspronomina wird in der Literatur der semantische Faktor „Belebtheitshierarchie“ diskutiert. In der Formulierung von Büring (2000: 8), der Müller (1998) adaptiert, lautet die Belebtheitshierarchie: Lexicosemantic Constraints a. ANIMACY Animate NPs precede inanimate NPs. b. DATIVE Datives precede accusatives. c. DEFINITENESS Definites precede indefinites.

Auf Grundlage von 31 Sprachen wurde die Belebtheitshierarchie für die relative Reihenfolge von direktem und indirektem Objekt bereits von Gensler (2003) in Zweifel gezogen. Auch für die Reihenfolge der Objektspronomina im Deutschen liefert die Belebtheitshierarchie keine Erklärung (vgl. z.B. Abraham/Wiegel 1996: 1). Die Grammatik der deutschen Sprache (1997: II.1514) gibt als Präzedenzprinzip für nominale Termkomplemente an, dass in „unmarkierter Mittelfeldfolge [...] Komplemente, die Träger belebter Rollen sind, vor Komplementen, die Träger unbelebter Rollen sind“, stehen. Als „kasusbestimmte Termkomplemente“ werden jedoch gerade Pronomina von diesem Prinzip ausgenommen. Die Ergebnisse zu Serialisierungsänderungen in der deutschen Sprachgeschichte in den folgenden Abschnitten widerlegen ebenfalls die Belebtheitshierarchie für diesen Bereich77 . Einzig Punkt c, die Generalisierung für Indefinita, kann gehalten werden, da im Wackernagelkomplex Indefinita keine tragende Rolle spielen. Allerdings ist das Kriterium der Definitheit ohne die Punkte || 76 Typologische Untersuchungen zur Funktion der Objektkongruenz, die mit der Funktion der anaphorischen Pronomina nicht notwendigerweise deckungsgleich sein muss, sind ein Forschungsdesiderat. So belegt Skribnik (2007) am Wogulischen (ugrischer Zweig der finnougrischen Sprachfamilie), dass die obligatorische Objektkongruenz dort der Promotion eines Topik-2 dient. 77 In anderen Bereichen ist die Belebtheitshierarchie von Bedeutung, z.B. im Gebiet der Suffixserialisierung (vgl. Eisenberg 2006: 284).

104 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion a. “Belebtheit” und b. “Dativ” nicht ohne Weiteres als Teil einer Belebtheitshierarchie zu werten, weshalb dieses semantische Kriterium für den Gegenstand des Wackernagelschen Gesetzes verworfen wird. Eine andere Position fasst die relative Reihenfolge der Klitika im Allgemeinen als arbiträre morphologische Beschränkung auf (z.B. Hock 1996: 213).78 Vom systematischen Standpunkt aus betrachtet ist dieses Ergebnis nachvollziehbar, aber dennoch unbefriedigend. Die folgenden Generalisierungen konzentrieren sich auf die Änderung der relativen Reihenfolge der Objektspronomina vom Althochdeutschen zum Neuhochdeutschen. Die Abschnitte behandeln ihre Serialisierung unter Berücksichtigung des Alters der Texte und der Region ihrer Entstehung. Die Daten belegen ein altes System, das nicht nur nach Kasus, sondern auch nach deiktischer/ nicht-deiktischer pronominaler Subklasse und nach Numerus differenziert. Serialisierungsänderungen innerhalb dieser Subgruppen werden in Zusammenhang mit der Änderung der Grundwortstellung in der Sprachgeschichte von OV nach VO und dann zur erneuten OV-Stärkung durch den Ausbau der neuhochdeutschen Nebensatzklammer gebracht. In der nachstehenden Untersuchung wird die Frage der Frühstellung der Objektspronomina von der Frage der relativen Reihenfolge der Objektspronomina getrennt.

|| 78 Anderson (1993: 81) schlägt für Klitika in Wackernagelposition vor, sie als „overt manifestation of a class of ‘Word Formation Rules’ that operate on phrases“ zu behandeln. Zu Andersons Flexionsklitika gehören Auxiliare, Tempusanzeiger und pronominale Argumente, zu den Derivationsklitika Elemente mit semantischem oder diskursfunktionalem Inhalt (1993: 83). Die Position der Klitika wird durch „feature placement rules“ (1993: 86) erreicht. M.E. verlagert die morphologische Analyse das Problem lediglich, denn, wie Givón (1971: 413) formulierte: „Today’s morphology is yesterday’s syntax“. Auch weichen indogermanische Partikeln von der Struktur des indogermanischen Wortes (Wurzel plus Endung plus Suffix(e)) deutlich ab, was gegen eine Zusammenfassung der Kategorien spricht. Partikelketten bilden eine eigene Klasse, u.a. deshalb, weil Partikeln „wenn betont, im Gegensatz zu den Wurzeln, Suffixen und Endungen auch allein ein akzeptables selbständiges Wort bilden können (z.B. *pró).“ (Dunkel 1992: 164).

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5.3.2 Frühstellung der „unbetonten“ Objektspronomina als Interaktionsphänomen Die Frühstellung der Objektspronomina ist insbesondere in OV-Sprachen auffällig. Wie in Greenbergs Universale 25 (s.o.) formuliert, besteht auch in VOSprachen die Möglichkeit der Frühstellung pronominaler Objekte im Vergleich zu nominalen Objekten. Postverbale Objektspronomina sind in VO-Sprachen ohnehin zu erwarten, vgl. (17a, b); die präverbale pronominale Stellung in VOSprachen bedeutet eine deutlichere Platzierung in der linken Satzperipherie (17c). (17) Objektspronomina in VO-Sprachen (a) Postverbal: mhd. wir heizenz hie Indîâ: dort heizet ez Trîbalibôt. (Wolfram, Parzival, 823, 2–3) ‘Wir nennen es hier Indien; dort heißt es Tribalibôt.’ (c) Präverbal: frz. Tu m'as promis le sable doré, j'ai reçu une carte postale. (Ingrid, „Tu m'as promis (Tu es foutu)“) ‘Du hast mir goldene Strände versprochen, ich habe eine Postkarte bekommen.’ In der deutschen Sprachgeschichte findet sich im Aussagesatz sowohl die präverbale als auch die postverbale Stellung von Objektspronomina. Nach Behaghel (1932) steht im ältesten Althochdeutschen das Verb nicht in zweiter Position, wenn der Satz außer dem einleitenden Wort noch „unbetonte Wörtchen“ enthält.79 Seltene spätere Belege für Nichtzweitstellung beschreibt er als Reihenfolge betonter Satzeingang – Enklitikon – Verb (1932: § 1433). Im Hildebrandslied findet sich folgendes Beispiel mit Pronomen in Wackernagelposition bei VL-Stellung:80 || 79 Davon ausgenommen ist das Reflexivum (1932: § 1431). 80 Allerdings ist umstritten, ob der Satz ein guter Beleg für VL-Stellung ist (Schrodt 2004: § S189): Wegen des Stabverses und der Metrik sind auch diese Späterstellungen keine sicheren Zeugen. Allerdings mögen sie durch ihre poetische, vielleicht auch archaisierende Qualität auf ein älteres Sprachstadium verweisen, in dem Späterstellungen regelrecht waren. Die Annahme eines grammatischen Fehlers auf Grund der metrischen Struktur setzt voraus, dass der Dichter keine Möglichkeit sah, andere stabende Wörter einzusetzen. Dies halte ich für unwahrscheinlich. Die Stabreimdichtung bietet für das Althochdeutsche die beste Voraussetzung für eine natürliche Einpassung der Alltagssprache.

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(18) ik mi de odre uuet “ich weiß mir die anderen“ ‘ich kenne die anderen’ (Hildebrandslied 12) Die folgenden Beispiele mit althochdeutschem Objektspronomen vor finitem Verb weichen vom Lateinischen ab (Robinson 1997: 17) und belegen so, dass es sich bei dieser Anordnung um genuines Althochdeutsch handelt: (19) Quhad got, see miin chnecht, ih inan infahu. (Isidor XVIII, 17–18) Ecce, inquit, puer meus, suscipiam eum; ‘Gott sagte, sieh, mein Knabe, ich empfange ihn.’81 (20) Fona hreue aer lucifere ih dhih chibar (Isidor XXIII, 17–18) Ex utero ante luciferum genui te ‘Ich habe Dich aus dem Leib vor Luzifer geboren.’ Die Frühstellung der Pronomina lässt sich als Interaktion zwischen Syntax, Phonologie und Informationsstruktur darstellen.

5.3.2.1 Syntax Wie sowohl eine Betrachtung der indogermanischen Sprachen als auch die deutschen Beispiele (18)–(20) zeigen, besteht das Faktum der Frühstellung der Objektspronomina unabhängig von der Grundwortstellung. Die Stellung der Objektspronomina in Wackernagelposition (oder der Spezialfall der ToblerMussafia-Position82 für viele alte romanische Sprachen) verweist somit auf eine Interaktion zwischen linguistischen Subsystemen, in der die Syntax hierarchisch nicht an höchster Stelle steht. Anderenfalls stünden Objektspronomina dort, wo auch nominale Objekte stehen. Im Deutschen heißt es jedoch bei einer Pronominalisierung der Objekte des Satzes Ich habe doch dem Kind den Ball zugeworfen gerade nicht *Ich habe doch ihm ihn zugeworfen, sondern Ich habe ihn ihm doch zugeworfen. Lehmann (1990: 186) verweist in Anlehnung an Fourquet auf Grund der unterschiedlichen Rollen pronominaler und nominaler Ob|| 81 Für seine hilfreichen Hinweise zu den althochdeutschen Übersetzungen danke ich Ernst Hellgardt. 82 Das Tobler-Mussafia-Gesetz, wonach romanische Objektspronomina nicht die erste Stelle im Satz einnehmen, fügt sich in die Ausführungen zu Wackernagels Gesetz. Es handelt sich um einen Subtyp der unten in Kap. 5.3.2.5 angesetzten Generalisierung. Wie Wackernagels Gesetz, so ist auch die Tobler-Mussafia Regel nicht für alle romanischen Sprachen homogen anzusetzen (vgl. z.B. Barbosa 1996 zum Portugiesischen und die Ausführungen in 5.3.2.4).

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jekte im Diskurs darauf, dass die Lösung im Diskurssystem, nicht im syntaktischen System liegen könnte (vgl. in zur Funktion des Wackernagelkomplexes im Allgemeinen Kap. 8). Zur Bewegungsoperation in der generativen Linguistik (vgl. Kap. 3.1) ist an dieser Stelle anzumerken, dass die Annahme einer zugrundeliegenden Position der Objektspronomina an der für andere Objekte vorgesehenen Stelle nicht falsifizierbar ist. Gegen die Bewegungstheorie für Objektspronomina spricht die sprachgeschichtliche Perspektive, denn die indogermanischen Objektspronomina stehen bereits in den frühesten Texten in Wackernagelposition. Alle Beispiele für Objektdoppelung belegen eine Bewegung in umgekehrter Richtung, nämlich von der Position nahe am Satzanfang nach rechts. Givón (1976: 483) liefert ein Beispiel für emphatische Pronomina im Spanischen: (21) le vi ayer ‘I saw him yesterday’ (anaphoric) le vi ayer a él ‘I saw him yesterday! (not her)’ (emphatic)83 Er interpretiert die neue Position der Pronomina typologisch (1976: 483): The position of the new independent pronoun is consistent with the current post-verbal position of object NP’s in Spanish. Virtually the same situation is occurring in a number of Bantu languages, where the clitic object pronouns were ‘trapped’ pre-verbally during an earlier SOV syntax […]. Thus Zulu presents an identical situation to that of Spanish […], while in Duala […] a new object pronominal series has evolved post-verbally and the preverbal clitic object pronouns have disappeared altogether.

Auch im Deutschen können emphatische Pronomina in der Position der nominalen Objekte stehen (22a). Doch selbst in Wackernagelposition können sie emphatisch artikuliert werden (22b). (22a) Ich habe das Buch gestern IHR gegeben (22b) Ich habe IHR gestern das Buch gegeben. Auch handelt es sich bei der Stellung emphatischer Pronomina rechts im Satz nicht um ein Universale. So stehen emphatische Klitika und Konjunktionen im || 83 Die Doppelung des Pronomens zum Ausdruck von Emphase ist sprachspezifisch (vgl. S. 112 zum Standarddeutschen). Sie findet sich u.a. im Bairischen in Verbindung mit der Konjunktionsflexion: Wannst ma’s gsagt hast. vs. Wannst ma’s DU gsagt hast. Anders konstruieren polysynthetische Sprachen mit pronominalen Affixen, in denen Emphase oder Kontrast im Allgemeinen durch freie Pronomina, die häufig am Satzanfang stehen, ausgedrückt wird (Mithun 1992: 37).

108 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion Vedischen nach der ersten Satzkonstituente (Hale 1987, Kiparsky 1995: 154), und Adams (1994b: 105) stellt zum Lateinischen heraus, dass emphatische Pronomina nicht obligatorisch satzinitial stehen müssen: (23) Serui mehercule mei // si me isto pacto metuerent // ut te metuunt omnes ciues tui ‘Wenn, beim Herkules, meine Sklaven mich so fürchteten, wie all deine Mitbürger dich fürchten’ (Cicero, In Catilinam I.17; zit. n. Adams 1994b) Er fügt hinzu, dass stark fokussierte Ausdrücke im Klassischen Latein oft in zweiter Position aufträten, dass also die zweite Stelle nicht notwendigerweise unemphatisch war.84 Im Rahmen der hier vorgeschlagenen Motivierung der Wackernagelposition über Interaktionen linguistischer Subsysteme ist die Syntax für die Frühstellung der Pronomina nicht in erster Linie zuständig. Dennoch nimmt die Syntax Einfluss auf die Position der Objektspronomina. Bereits im Althochdeutschen ist V2 die häufigste Wortstellung im Aussagesatz. Dies beeinflusst die Position der Pronomina insofern direkt, als in V2-Sätzen die Zweitposition schon durch das finite Verb besetzt ist. Die Stelle, die das finite Verb besetzt, wird in die sich anschließenden Betrachtungen nicht einbezogen; es durchschneidet die Wackernagelkette aus Gründen, die mit der Wackernagelposition als solcher nichts zu tun haben (vgl. Kap. 5.7 zum Verbum Substantivum). Die Existenz der Wackernagelposition wird durch die Grundwortstellung nicht beeinflusst (s.o.). Die Syntax kann sich allerdings auf die positionale Feineinstellung der Objektspronomina in Wackernagelposition auswirken (vgl. Kap. 5.3.3).

5.3.2.2 Phonologie Da die Objektspronomina vieler Sprachen in Wackernagelposition Reduktionserscheinungen zeigen, wird häufig auf die Phonologie zurückgegriffen, um die syntaktische Sonderstellung der Pronomina zu erklären. Seit Wackernagel wird die klitische Form der Pronomina als Motivation für ihre Frühstellung angesehen. In der Weiterentwicklung dieses Gedankens wird ein Prozess der Klitisierung angenommen, welcher die Position der Pronomina bewirkt. Stellvertretend || 84 Adams geht davon aus, dass Wackernagels Gesetz einen älteren als den lateinischen Zustand widerspiegelt: „[A]s a relic of ‘Wackernagel’s law’, second position remained as a neutral position if there was no preferential host later which the writer wished to focus“ (1994b: 175, Fn. 39).

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und in Anknüpfung an die Übersicht in Kap. 3.2 sei hier Luraghi (1990: 80) zitiert: There is also positive evidence for the fact that obligatory placement in Wackernagel’s position is a consequence of cliticization, as is demonstrated by the behaviour of pronominal clitics which can be observed to have derived diachronically from accented forms.

Die Motivierungen der objektspronominalen Stellung über Klitisierung bleibt allerdings den Nachweis der rhythmischen oder intonatorischen Motivation schuldig. Der Klitisierungsansatz bringt daneben methodische Probleme mit sich, dann nämlich, wenn Pronomina nicht klitisch sind, aber dennoch in Wackernagelposition stehen. Auf diese Tatsache wurde bereits von Hirt (1929 V: § 214; s.S. 19) hingewiesen. Die Alternative zur Annahme der Klitisierung als auslösendem Faktor ist, dass Objektspronomina nicht zunächst klitisieren und dann in Wackernagelposition stehen, sondern dass sie in dieser Position, also an Ort und Stelle, reduziert wurden. Warum nun klitisieren gerade Objektspronomina in vielen Sprachen? Die Antwort ist, dass sie als thematische Elemente nicht prominent sind (vgl. S. 50).85 Wenn sie systematisch in gleicher Umgebung auftreten, ist das Resultat die Verschleifung mit einem Nachbarwort nach den üblichen Assimilationsmechanismen. Als Senkungen sind Objektspronomina in linksköpfigen rhythmischen Systemen wie dem Deutschen (und auch dem Germanischen) Teil des vorangehenden und nicht des folgenden Fußes. Im Mittelhochdeutschen sind sowohl Enklise als auch Proklise möglich (vgl. Paul/Wiehl/Grosse 1989: § 23, die Beispiele für beide Formen der Assimilation || 85 Hierbei handelt es sich um den Normalfall; selbstverständlich impliziert das kein Verbot für prominente Personalpronomina, vgl. die Beispiele bei Otfrid: Sie ímo sar iz záltun joh ínan selbon nántun; (Otfrid, Evangelienbuch IV, 16, 37) ‘Schnell sagten sie ihm dieses an, und nannten bei dem Namen ihn’ (Übersetzung von Kelle 1966: 323) mánnilih nu thénke waz ínan thesses thúnke! (Otfrid, Evangelienbuch IV, 19, 68) ‘Bedenke nunmehr jedermann, was in der Sache gut ihn dünkt.’ (Übersetzung von Kelle 1966: 334) ni was ímo thurft thera frága, thaz imo íaman zalti, waz mánnes herza wólti; (Otfrid, Evangelienbuch II, 11, 65–66) ‘Es war zu fragen ihm nicht Not, nicht, dass ihm jemand machte kund, was eines Menschen Herz bezweckt.’ (Übersetzung von Kelle 1966: 125)

110 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion anführen und die Ausführungen zur Negationspartikel in Abschnitt 5.4). Betrachtet man die bei Paul/Wiehl/Grosse (1989: § 214) angeführten enklitischen Belege, so wird deutlich, dass die phonologische Basis für Klitisierung nicht stets dieselbe ist. ëʒ, ës, im, in, si verlieren oft ihren Vokal: dieʒ, duʒ, iuʒ, ërʒ, irʒ, imʒ, ichʒ, sichʒ, wilʒ, lie’ʒ, rietʒ; dus, dërs, ims, mans, solts; ërm, sim, kunderme; sin, iun, wandern, ichn, süln; dôs, mirs, daʒs iu, tëtes, sints usw.

Die hier angeführten Enklisefälle entstehen durch: – Totale Assimilation (realisationsphonologischer Zusammenfall identischer Laute): dieʒ, lie’ʒ, sim, sin, tëtes, daʒs – Synkope (Tilgung des Vokals der unbetonten Silbe): ërʒ, irʒ, imʒ, ichʒ, sichʒ, wilʒ, rietʒ, dërs, ims, mans, solts, kunderme, wandern, süln, mirs, sints – Hiatvermeidung (Tilgung eines Vokals bei adjazenten Vokalen): duʒ, iuʒ, dus, iun, dôs – Phonologisch unmotiviert: ichn Bekanntlich sind Assimilationen (1) und Synkopen (2) nicht auf die Wackernagelposition beschränkt. Bei totaler Assimilation und Synkopierung handelt es sich um eine sprachökonomische Erscheinung; Hiatvermeidung (3) ist ohnehin universell präferiert. Das phonologisch unmotivierte Beispiel (4) ist gesondert zu erfassen – aus der Zusammenschreibung ergibt sich weder ein prosodischer Vorteil, noch hat die Zusammenschreibung Einfluss auf die Aussprache. Das rhythmische Resultat der Reduktionen in (1–3) besteht darin, dass erstens, falls das dem klitischen Element vorangehende Wort rhythmisch prominent ist, aus erweiterten Füßen (z.B. er ez) minimale Füße werden (erz) (Prokoschs Gesetz86) und dass zweitens, falls das erste Wort rhythmisch nicht prominent ist, der Komplex aus vorangehendem Wort und Enklitikon eine einsilbige Senkung (erz) bildet und so die Wahrscheinlichkeit eines „Lapse“ (S. 35) verringert wird. Es ist nicht überraschend, dass Pronomina, die als Funktionswörter gute Senkungen bilden, mit den vorangehenden Wörtern „verschmelzen“. Dabei || 86 Prokoschs Gesetz (Gewichtsgesetz) (Vennemann 1988: 30): In stress accent languages an accented syllable is the more preferred, the closer its syllables weight is to two moras, and an unaccented syllable is the more preferred the closer its weight is to one mora. (The optimal stressed syllable is bimoric, the optimal unstressed syllable is unimoric.)

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wählt allerdings nicht das Trägerelement das klitische Element (vgl. Kap. 3.2). Reduktion und Position ergeben sich für das Wackernagelelement aus einem Zusammenspiel der interagierenden Subsysteme.

5.3.2.3 Informationsstruktur Bresnan (1998) stellt fest, dass Pronomina universell über ihre referentielle Rolle und Funktion charakterisiert sind, und fasst die Gemeinsamkeiten der Personalpronomina zusammen: PRO – variable referentiality; lack of descriptive content TOP – topic anaphoricity AGR – classification by person, number, gender

Der Grund für die Unakzentuiertheit der Objektspronomina liegt in ihrem informationellen Gehalt, bei Bresnan durch PRO und TOP dargestellt. Firbas (1989: 46) formuliert allgemein für kontextabhängige Elemente: [C]ontext-dependent elements are prosodically less prominent than context-independent elements. This is in perfect correspondence with the fact that context-dependent elements contribute less towards the development of the communication than the context-independent elements.

Die Informationsstruktur steuert nicht nur Satzakzente, sie steuert im Falle der Objektspronomina auch ihre Frühstellung. Für anaphorische Pronomina ist die Frühstellung ein funktionaler Vorteil, ihre Spätstellung aber ein Nachteil – sie dienen schließlich der Verknüpfung mit dem vorangegangenen Text oder situationalen Kontext. Behaghels Erstes Gesetz besagt, dass „das geistig Zusammengehörige auch eng zusammengestellt wird.“ (Behaghel 1932 IV: § 1426). Offensichtlich werden pronominale Objekte und nominale Objekte nicht als „geistig zusammengehörig“ kategorisiert. Der Unterschied zwischen den beiden Klassen besteht darin, dass Pronomina Kohäsion und Kohärenz herstellen (vgl. Kap. 8.1.1). Je später der Bezugsrahmen im Satz festgelegt ist, desto weniger sinnvoll ist der Einsatz eines Objektspronomens. Selbstverständlich kommen auch Abweichungen von der Stellung der Objektspronomina in Wackernagelposition vor. Die Abweichungen sind systematischer Art und bezüglich der Informationsstruktur markiert. Sie stehen in Verbindung mit Fokussierungen, die vermutlich unter Ausnutzung der Normalstellung in Wackernagelposition überhaupt erst möglich werden. So führt Adams (1994a: 84–85) für das Klassische Lateinische aus, dass unbetonte Pronomina nicht an zweiter Stelle stehen müssen, wenn sie auf den Satzfokus

112 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion folgen. (24) ist ein Beispiel für ein Pronomen in späterer Position nach antithetischem Ausdruck, (25) ein Beispiel für ein Pronomen nach fokussiertem Adjektiv der Quantität. Adams These wird durch Kruschwitz’ (2004) Untersuchung römischer Inschriften bestätigt. (24)

(25)

cum L. Caecilius priuatim me suis omnibus copiis studuerit sustenare, publice promulgarit de mea salute cum collegis paene omnibus (Cicero Post reditum in senatu, VIII.22) ‘weil Lucius Caecilius sich inoffiziell bemühte, mich mit all seinen eigenen Mitteln zu unterstützen, und offiziell mit beinahe all seinen Kollegen ein Gesetz zu meiner Sicherheit erließ’ in quo maximum nobis onus imposuit (Cicero, Philippica XI.19) ‘dadurch hat er uns eine sehr große Verantwortung aufgebürdet’

Auch im Deutschen stehen Objektspronomina außerhalb der Wackernagelposition mit einer Fokussierung in Verbindung. Die den Satzakzent tragenden Pronomina können dort stehen, wo auch andere Objekte stehen, also außerhalb der Wackernagelposition, vgl. (26a, b).87 (26a) Du hast ja dem Hund den Ball zugeworfen. (26b) Du hast ihn ja IHM zugeworfen. (pronominale Ersetzung des Dativobjekts mit Satzakzent) Die Objektspronomina sind nicht thematisch, weshalb ihre Frühstellung aus der Perspektive der Informationsverteilung nicht notwendig ist. Sie verhalten sich in (26b) wie nominale Objekte.

5.3.2.4 Exkurs: Das Tobler-Mussafia-Gesetz Die Frühstellung der Objektspronomina wird traditionsgemäß in den romanischen Sprachen mit dem Tobler-Mussafia-Gesetz beschrieben.88 Wie für das Wackernagelsche Gesetz so gibt es auch für das Tobler-Mussafia-Gesetz unterschiedliche Ansichten zu seiner Kernaussage und Motivierung:

|| 87 Dies schließt die Fokussierung innerhalb der Wackernagelposition nicht aus, vgl. (22b). 88 Das Gesetz gilt nicht ausnahmslos für alle alten romanischen Sprachen. So können im Altkatalanischen Klitika sowohl im Hauptsatz als auch im subordinierten Satz dem Verb vorangehen oder ihm folgen (Fischer 2003) (vgl. auch Fn. 82).

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[T]he syntax of the Old Romance languages is sensitive to a grammatical constraint embodied in the descriptive generalization known as Tobler-Mussafia Law (TML), which prohibits any sequence where a pronominal clitic ends up in sentence initial position. (Fontana 1996: 41) Bulgarian and Serbo-Croatian do not behave identically in avoiding clause-initial clitic pronouns. In Bulgarian, clitic pronouns can occur between Neg0 and the verb, and are not restricted to second position. On the other hand, in Serbo-Croatian, clitic pronouns cannot occur between Neg0 and the verb, and must occupy second position. As a result, Rivero [1994] classifies Bulgarian as a Tobler-Mussafia language and Serbo-Croatian as a Wackernagel language. No matter what the differences may be, what is important here is that the two languages have a phonological constraint that rules out clitic pronouns in a clauseinitial position. (Han 2001: 297, Fn. 7) It has been known, since neogrammarian times, that non-tonic pronouns can never stand in initial position in early Romance (Wackernagel’s Law). I formulate this restriction as a filter in OSp. applying after syntactic processes and stylistic rules: […] Non-tonic pronouns cannot be initial in the minimal S΄ (=CP) that contains them. (Rivero 1986: 785).

Tobler (1875) ging in seiner Rezension einer Darstellung von Le Coultre (1875) zur Wortfolge bei Crestien de Troyes auf die Position der unbetonten Pronomina ein. Er kritisiert die Darstellung anhand zahlreicher Belege (1912: 399–400): S. 41 wird behauptet, die tonlosen Akkusativ- und Dativpronomina können nur in Fragesätzen oder Befehlsätzen hinter dem Verbum stehen. Dies ist nun entschieden unrichtig; auch in asserierenden Sätzen findet der tonlose Akkusativ seine Stelle hinter einem Verbum, wenn dieses an der Spitze des Satzes steht, das Subjekt nachfolgt oder ganz unausgesprochen bleibt: empeint le ben, Ch. Rol. 1754; brochet le ben, eb. 1891, 1944; falt li le cuer ( = li cuers), eb. 2019, 2231 [...].

Mussafia griff Toblers Beobachtung für das Altitalienische und Provenzalische auf und stellt fest, dass Sätze damals nicht mit akzentlosen Einsilblern begonnen wurden (1886: 257): Era un fine sentimento che li faceva rifuggire dall’ incominciare la proposizione […] con un monosillabo privo di proprio accento, e quindi di suono e di significato soverchiamente tenue. ‘Es war Feingefühl, das sie daran hinderte, den Satz mit einem Einsilbler anzufangen, dessen Laut und Bedeutung deshalb übermäßig sanft sind.’89

|| 89 Für die Übersetzung aus dem Italienischen danke ich Maria Puca.

114 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion Wie bei Wackernagels Gesetz so wird auch beim Tobler-Mussafia-Gesetz häufig davon ausgegangen, dass bestimmte Wörter auf Grund ihrer enklitischen Natur in dieser Position stehen. Thurneysen (1892: 303) schreibt angeregt durch Wackernagels Aufsatz und in Abgrenzung zu Mussafia: Der Grund, den Mussafia anführt (p. 257), die Sprache habe mit feinem Gefühle vermieden, den Satz mit einem tonlosen Einsilbler zu beginnen, scheint mir ungenügend. Manche Sätze, z.B. die meisten Nebensätze, beginnen ja thatsächlich mit tonlosen Partikeln; und sollte der heutige Italiener, der ti piaccia spricht, weniger feinfühlig sein als der alte mit seinem piácciati? Vielmehr war es ein Rest uralten Sprachgebrauchs; einige Romanen haben ihn mit der Zeit über Bord geworfen.

Auch nach Meyer-Lübke (1897: 325) liegt der Grund für die Position der französischen Objektspronomina in der Vergangenheit, im Lateinischen oder noch weiter zurück. Die Stellung sei nicht logisch oder unlogisch, sondern von den Franzosen des Mittelalters über ihre Eltern vermittelt. Die Regel über Enklise zu formulieren löse alle Schwierigkeiten. Sie sei nicht als „Abneigung gegen tonlose Wörter am Satzanfange“ zu erklären, da Fälle wie port. *quero comprirte (grammatisch: quero te comprir) damit nicht erfasst würden. Unter Enklise ist stattdessen nach Meyer-Lübke zu verstehen, dass ein Wort an ein „schon ausgesprochenes Wort“, „womöglich an das erste des Satzes“, angehängt wird. Meyer-Lübkes Erklärung für die Frühstellung der Pronomina ist funktional (1897: 333–334). Er begründet die Frühstellung der Pronomina mit ihrer Verknüpfungsfunktion, ihre Unbetontheit durch „ihre begriffliche Unwichtigkeit“. Er motiviert Enklitisierung „unmittelbar nach einem hochbetonten“ Worte“ über diese begriffliche Unwichtigkeit. Meyer-Lübke trennt also zwischen der Formulierung der Regel und der Motivation des Gesetzes. Kategorialgrammatische Formulierungen des Tobler-Mussafia-Gesetzes liefern Kategorien, in welchen die Frühstellung der Objektspronomina festgelegt ist. Die eine Lösung, vertreten durch Nishida (1996), arbeitet mit dem Topik in Erstposition, die andere, vertreten durch Kraak (1998), arbeitet mit Templates, um die relative Anordnung klitischer Elemente zu erfassen. Nishida (1996: 338) setzt für klitische Objektspronomina in Tobler-MussafiaPosition eine allgemeine kategorialgrammatische Formulierung an; die Kategorie unterscheidet sich von derjenigen für volle Objekt-NPs: I assign ACC and DAT clitics to type-raised functor categories of the form Z\(X/Y), which take Z to the left and Y to the right, and yield X. Here, Z is the nonverbal left element for the clitic pronoun, Y is a verbal expression lacking the complement to be instantiated by

Objektspronomina | 115

the clitic pronoun, and X is a clausal expression comprised of Z, CL and Y. […] Thematically, clitic pronouns are interpreted as verbal complements just like full NPs.

Nishida geht davon aus, dass Klitikacluster im Lexikon und nicht in der Syntax gebildet werden, weshalb ihre Clusterbildungsregel zur linearen Anordnung der Klitika keine Aussage macht (1996: 362): Rule of Clitic Cluster Formation [CL]Z\Y [CL]Y\X " [CL+CL]Z\X

Die syntaktisch unterschiedliche Distribution klitischer und voller Nominalphrasen wird von Nishida durch die Zuweisung unterschiedlicher Kategorien gelöst. Dies spiegelt die traditionelle lexikalische Unterscheidung wider, wonach klitische bzw. unbetonte Pronomina an anderer Stelle stehen als ihre betonten (Voll-)Formen. Ketten klitischer Elemente werden im kategorialgrammatischen Rahmen bei Kraak (1998) thematisiert. Sie schlägt vor, die Beziehung der klitischen Objektspronomina zu ihren vollen NP-Gegenstücken, den Verben, an die sie sich lehnen und zu anderen Klitika zu klären (1998: 285). Kraak entwickelt ein Template für französische Objektklitika (1998: 287): Position:

I

II

III

IV

V

VI

VII

3ACC90

3DAT91

y

en

me te NOM

ne

nous vous se

Die folgenden Bedingungen gelten: Die Anordnung der Elemente muss wie im Template erfolgen, ferner ist nur ein Klitikon pro Position zugelassen, im Normalfall kommen höchstens zwei Objektklitika vor, und Position III und V können nicht gleichzeitig im Cluster gefüllt sein. Die Kategorie für Objektklitika lautet nach Kraaks Formulierung (1998: 289):

|| 90 le, la, les. 91 lui, leur.

116 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion VP/(VP#NP)

Die klitisierte NP steht nicht notwendigerweise nahe beim Verb. Daher wird statt des Schrägstrich-Operators der Extraktionsoperator # verwendet (1998: 288): An item of category A#B will yield something of category A if it is combined with an item of category B somewhere.

Bei Adjazenz von A und B handelt es sich also lediglich um einen Sonderfall. Der Lexikoneintrag für das französische klitische Akkusativpronomen la lautet nach Kraak (1998: 293): la := 4 l$(VPX/ca(VPX#cNPa))

Dabei ist 4 l$ der logische Operator, der sich auf das Template bezieht, ca (clitic attachment mode) bezieht sich auf die spezielle klitische Verbindung, c (phrasal composition mode) ist der phrasale Kompositionsmodus (Kraak 1998: 289). Die Variable x bezieht sich auf die Position, NPa ist eine NP im Akkusativ. Die Ansicht, dass sich die Reihenfolge klitischer Elemente am besten durch Templates darstellen lässt, wird meist als unkontrovers aufgefasst. Hock (1996: 201) bemerkt in diesem Zusammenhang, dass die einzige Frage, die sich hier stellt, darin bestehe, ob es sich bei dem Template um einen syntaktischen Filter der Oberflächenstruktur handelt oder um ein quasi-morphologisches Template in PF. Hale (1996: 172) hingegen bemerkt zu Templates im Allgemeinen: [I]f every language simply has its own template, constructed in an ad hoc manner to account for descriptive generalizations, there will be no interesting general theory of clitic behaviour. It would clearly be desirable, if at all possible, to derive the positioning of these elements from more general principles than a language-specific template […].

Die hier vorgeschlagene Lösung unterscheidet sich von den Lösungen Nishidas und Kraaks. Anders als bei Nishida wird der Unterscheid zwischen Wackernagelpronomina und anderen Nominalphrasen nicht direkt als spezielle Kategorie angezeigt, sondern über die interagierenden Subsysteme motiviert. Die Reihenfolge der Pronomina wird nicht im Lexikon abgehandelt, sondern ebenfalls über interagierende Subsysteme motiviert. Während durch Rückgriff auf das einzelsprachliche Lexikon, wie bei Kraak über Templates angelegt, Einzelsprachen beschrieben werden können, sind Sprachwandelerscheinungen nach diesem Verfahren nur durch die Angabe eines neuen Lexikoneintrags beschreibbar. Unklar ist, wie der Wandel eines solchen Lexikoneintrags motiviert

Objektspronomina | 117

wird – das Problem verschiebt sich auf die Ebene des Lexikons, in der es nicht handhabbar scheint. Im folgenden Abschnitt wird eine Lösung vorgeschlagen, die sowohl für Sprachen mit Tobler-Mussafia- als auch mit Wackernagelposition angewendet werden kann. Die vorgeschlagene Lösung kann Sprachen mit und ohne obligatorische Erstelemente darstellen und ist so auch auf Sprachen mit Objektspronomina in Erstposition übertragbar. Durch eine Integration der Interaktion sprachspezifischer Subsysteme ist sie auch für die Darstellung von Sprachwandelerscheinungen und für den Sprachvergleich einsetzbar.

5.3.2.5 Der Zusammenhang zwischen Pronomina in Wackernagelposition und Tobler-Mussafia-Position Im Standarddeutschen stehen Objektspronomina im Gegensatz etwa zum Französischen nicht präverbal sondern postverbal. Bereits im Mittelhochdeutschen steht das finite Verb im häufigsten Fall zwischen dem Erstelement und dem Objektspronomen. Um die Position der Objekte insgesamt erfassen zu können (die Position klitischer Pronomina, unbetonter Pronomina, satzakzentuierter Pronomina, Pronomina in Tobler-Mussafia-Position, Pronomina in Wackernagelposition und nominaler Objekte), bietet sich wieder eine Darstellung innerhalb einer Interaktionshierarchie an. Die Interaktionshierarchie wird in Abbildung 18 am Beispiel konsistenter OV-Sprachen illustriert. In den Spalten stehen die Subsysteme. Die Formulierung der theoretisch möglichen Kandidaten steht in der ersten Spalte. Objekte

PhonologieOV-

Informations-

SyntaxOV-

Sprache

StrukturOV-Sprache

Sprache

(a) (1. Element) Vfin (K1-n) ObjPron (K1-n)

*

(b) (1. Element) Vfin (K1-n) ObjNP (K1-n)

*

(c) (1. Element) (K1-n) ObjPron (K1-n) Vfin (d) (1. Element) (K1-n) ObjNP (K1-n) Vfin Abbildung 18:

Hierarchie linguistischer Subsysteme für Objektspronomina und volle ObjektNPs in Deklarativsätzen konsistenter OV-Sprachen.

Die Optionen (a, b) repräsentieren VO-Sätze, (c, d) OV-Sätze. (a, c) sind Kandidaten mit Objektspronomina, (b, d) Kandidaten mit nominalen Objekten. K1-n sind Platzhalter für Konstituenten, die zwischen den hier relevanten Elementen stehen; ihre Füllung wird über die Grammatik der jeweiligen Sprache geregelt.

118 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion Klammern zeigen Fakultativität an. Die Varianten schließen Sprachen ein, in denen Objekte und Objektspronomina das Erstelement stellen können. Die Hierarchisierung der Subsysteme basiert auf den folgenden Überlegungen. OV-Syntax regelt sowohl im Falle der Objektspronomina als auch im Falle der Objekt-NPs, dass das Objekt vor dem finiten Verb stehen muss. Bei den Kandidaten (a) und (b) handelt es sich um Verstöße gegen diese Vorgabe. Das Subsystem Informationsstruktur gibt den Ausschlag für die Frühstellung der Pronomina und die Spätstellung der nominalen Objekte. Pronomina stehen im unmarkierten Fall auf Grund ihrer referenzierenden Funktion am Satzanfang, nominale Objekte auf Grund ihres Informationsgewichts und Behaghels Gesetz der wachsenden Glieder weiter rechts. Über die Informationsverteilung lässt sich auch die von der Normalstellung abweichende Erstpositionierung eines topikalisierten nominalen Objekts motivieren, ebenso die Späterstellung satzakzentuierter Objektspronomina. In der Interaktion wird prosodisch wohlgeformtes Material angesetzt, das keine satzrhythmischen Verletzungen hervorruft.92 Die Feineinstellung der Wackernagel- und Tobler-Mussafia-Position lässt sich durch eine sprachspezifische Definition des Erstelements erreichen. Sie ist unabhängig von der Kategorie für Objekte zu formulieren. Die Hierarchie der Interaktion kann also für Objektspronomina und volle Objekt-NPs identisch angesetzt werden. Die Informationsstruktur gibt den Ausschlag für eine frühe oder späte Positionierung. Nun stellt das Ranking in Abbildung 18 den Idealfall in einer OV-Sprache dar. Die Position der Objektspronomina ist im Neuhochdeutschen, in Einklang mit Greenbergs Universale 25, harmonisch mit der Grundwortstellung OV und folgt Wackernagels Gesetz. Die neuhochdeutsche Position der Objektspronomina || 92 Der Einfluss der Prosodie auf die Reihenfolge der Pronomina ist für das Tagalog beschrieben, was für Sprachen wie diese die hohe Position des phonologischen Subsystems in der Interaktionshierarchie motiviert. Einsilbige Pronomina stehen im Tagalog vor zweisilbigen (Bloomfield 1917), weshalb für diese Sprache ein weiterer Faktor, die Serialisierung nach prosodischen Aspekten, vorgeschlagen wird (Schachter 1973, Anderson 2007: 9). Lee/Billings (2008: 195; 197) schließen sich an die Auffassung der prosodischen Regulierung im Tagalog an und fügen hinzu: Tagalog uses prosody, with Actor-first kicking in if prosody is controlled for. […] As Schachter (1973) and others have shown, Tagalog orders its personal pronouns within the cluster based on prosodic weight. A monosyllable precedes a disyllable. There are no exceptions in this regard, although […] some disyllabic pronouns have come to be reduced to monosyllables phonetically but appear to remain disyllabic phonologically.

Objektspronomina | 119

hinter und nicht vor dem finiten Verb ist dennoch zu kommentieren. Auch die präverbale Position der Pronomina im französischen Deklarativsatz ist nicht harmonisch mit VO. Beides kann aus diachronischer Perspektive motiviert werden. Pronomina verhalten sich konservativer als volle Objekte (vgl. Hyman 1975, Vennemann 1973 und S. 131). Das Tobler-Mussafia-Gesetz bezieht sich nach Toblers Generalisierung (vgl. S. 113) auch auf Sätze mit Verbspitzenstellung, die nicht auf Frage- und Befehlssätze einzugrenzen sind. In diesen Konstruktionen steht das Objektspronomen in Harmonie mit VO-Syntax postverbal.93 In der deutschen Sprachgeschichte wurde die Stellung der Objektspronomina vor dem finiten Verb im V2-Satz erst nach und nach abgebaut. Die heutige Position der Objektspronomina spiegelt den mittelhochdeutschen Zustand wider, der durch eine konsistentere V2-Syntax als das Althochdeutsche (zum Abbau von V1-Deklarativsätzen vgl. S. 162) und auch durch eine deutlichere VO-Syntax als das Gegenwartsdeutsche gekennzeichnet ist. Während also ein statistischer Zugang zur relativen Position von Objektspronomina und finitem Verb mit der Grundwortstellung zu „unharmonischen“ Ergebnissen führt, kann die diachrone Betrachtung auffälliger Stellungen „harmonische“ Lösungen bieten.

5.3.3 Zur relativen Reihenfolge der Objektspronomina Die relative Reihenfolge der Objektspronomina gibt Rätsel bezüglich der sie motivierenden innersprachlichen Faktoren auf. Da sich die Sprachen der Welt diesbezüglich nicht gleich verhalten und da Serialisierungsänderungen bezeugt sind, ist eine rein semantische Motivierung etwa nach der Belebtheitshierarchie (vgl. S. 103) nicht zielführend. So ist zum Beispiel im Italienischen die Reihenfolge im 13. Jahrhundert und bis in die Mitte des 14. Jahrhunderts lo mi ‘ihn/es mir’ bezeugt (Santangelo/Vennemann 1972). Das direkte pronominale Objekt geht dem indirekten nicht nur in dieser Konstruktion, sondern bei allen indirekten Pronominalobjekten der ersten und zweiten Person in Kombination mit allen direkten Objekten der dritten Person voran. Mitte des 14. Jahrhunderts drehte sich diese Reihenfolge nach Santangelo/Vennemann (1972: 37) um. Kombinationen von Objekts|| 93 Adams (1994b: 161) nimmt an, dass das Nebeneinander von Verb und Pronomen in den romanischen Sprachen eine Folge der Bewegung des Verbs an den Satzanfang in Verbindung mit der Etablierung der VO-Wortstellung ist.

120 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion pronomina der dritten Person sind von dieser Unstrukturierung ausgenommen; sie waren bereits zu der morphologischen Einheit gliele oder lile verschmolzen (Santangelo/Vennemann 1972: 40).94 Als Normalreihenfolge der Objektspronomina des Deutschen gilt nach Lenerz (1977: 89) Akkusativ vor Dativ. Diese Ansicht ist etabliert, doch bereits Behaghel (1932 IV: § 1483) setzte die Normalreihenfolge Akkusativ vor Dativ für die verschiedenen Sprachstufen nur an, wenn weder ez noch ein Akkusativ der ersten und zweiten Person noch die Pronomina sie und sich beteiligt sind. Auch ist hervorzuheben, dass die Reihenfolge Akkusativpronomen vor Dativpronomen nicht einfach die unmarkierte proto-indogermanische Stellung ist: Unter zwei Pronomina steht der Dativ voran, wie schon Delbrück, Vergl. Syntax 3, 52 bemerkt hat. (Hirt 1929 V: § 215)

In den folgenden Abschnitten werden Serialisierungsänderungen in der Sprachgeschichte des Deutschen auf der Grundlage des sprachgeschichtlichen Korpus und einer Stichprobe zum Neuhochdeutschen vorgestellt. Der Zusammenhang mit der Änderung der Verbstellung vom Althochdeutschen bis zum Neuhochdeutschen wurde überprüft. Vorwegzunehmen ist an dieser Stelle, dass sich die Kategorie Kasus für die Feinheiten der relativen Serialisierung der Objektspronomina als zu grob erwies.

5.3.3.1 Althochdeutsch Zur Serialisierung der Objektspronomina im frühen Althochdeutschen und Altniederdeutschen unter Berücksichtigung regionaler Varianz liegt eine Untersuchung von Fleischer (2005) vor. Die Studie zur relativen Abfolge von Akkusa|| 94 Santangelo/Vennemann gehen davon aus, dass die Beziehung zwischen direktem Objekt und Verb enger ist als die Beziehung zwischen indirektem Objekt und Verb. Sie wenden daher das Prinzip der natürlichen Serialisierung (S. 39) auf die Reihenfolge der Pronomina an und motivieren schließlich die Umkehrung der Reihenfolge über das Tobler-Mussafia-Gesetz. Da sich die Pronominalobjekte enklitisch an das Erstelement lehnten und dieses Erstelement häufig ein Verb war, kam es nach Santangelo/Vennemann (1972: 40) zu der neuen Serialisierung [Verb Odir Oindir], die schließlich generalisiert wurde. Im modernen Italienischen findet sich wieder die Reihenfolge Oindir Odir. Mit Ausnahme von Imperativen und infiniten Verbformen stehen die Pronomina direkt vor dem Verb (Proklise), eine Umstrukturierung, die Santangelo/Vennemann (1972: 41) durch den Verlust des Tobler-Mussafia-Gesetzes motivieren. Wieder kam es zu einer Generalisierung der Pronominalreihenfolge.

Objektspronomina | 121

tiv- und Dativpronomina in althochdeutschen und niederdeutschen Texten des 8. und 9. Jahrhunderts (Heliand-Dichtung, Pariser Isidor, die lateinisch-althochdeutsche Tatianbilingue, Otfrids Evangelienbuch, die Übersetzung des Matthäus-Evangeliums in den Monseer Fragmenten, das Hildebrandslied, das Ludwigslied und die Altsächsische Genesis) belegt areale Besonderheiten. Personal- und Reflexivpronomina zeigen im Gesamtgebiet bevorzugt die Abfolge Akkusativ vor Dativ. Ausnahme ist die 3. Pers. Sgl. n. Akk. In Verbindung mit ihr findet sich im Süden bevorzugt die Stellung Dativ vor Akkusativ, im niederdeutschen Gebiet die umgekehrte Stellung (kein Beleg für Dativ vor Akkusativ). Im ostfränkischen Gebiet findet sich beides, wobei die Reihenfolge Akkusativ vor Dativ häufiger ist. Fleischers Befund wird hier wortstellungstypologisch interpretiert. Wie Delbrück in Grundriss der vergleichenden Grammatik schreibt, steht in der indogermanischen Wortstellung der Akkusativ unmittelbar vor dem Verb (Brugmann/ Delbrück 1893: 360). Zum Altindischen schreibt Delbrück (1888: § 114): Der A. [Akkusativ; PN], welcher in der traditionellen Wortstellung unmittelbar vor dem Verbum steht, tritt zu der Handlung des Verbums in diejenige Beziehung, welche durch die anderen Casus nicht ausgedrückt wird.

Der Akkusativ verbindet sich enger mit dem Verb als die anderen Kasus.95 Die relative proto-indogermanische Reihenfolge Dativ vor Akkusativ ist wegen dieser engen Bindung des Akkusativs an das Verb harmonisch mit OV-Syntax (vgl. Kap. 2.2.1 zur Wortstellungstypologie). Wenn das älteste Germanische als OV-Sprache rekonstruiert wird, zeigt sich die von Fleischer beschriebene relative Position der 3. Pers. Sgl. n. Akk. im südlichen Raum nach Maßgabe der natürlichen Serialisierung mit der Stellung Dativ vor Akkusativ harmonischer als der ostfränkische und der nördliche Raum mit der Stellung Akkusativ vor Dativ. Die Objektspronomina abzüglich der 3. Pers. Sgl. verhalten sich nach Maßgabe von Fleischers Untersuchung und Anwendung der greenbergschen Implikationen so, wie man es für VO-Sprachen erwarten würde. Tatsächlich zeigt das Germanische im Gegensatz zum Proto-Indogermanischen die Grammatikalisierung von Verb-Erst (vgl. Kap. 5.5.1).

|| 95 Diese Regularität indirektes vor direktem Objekt wird durch Krisch (1994: 171–173) für das Altindische bestätigt, der darauf verweist, dass eine Abweichung von dieser relativen Stellung mit der Verteilung von Thema und Rhema zusammenhängt: Steht das direkte vor dem indirekten Objekt, so ist das indirekte Objekt rhematischer als das direkte Objekt.

122 | Der Wackernagelkomplex als Ergebnis einer mehrdimensionalen Interaktion 5.3.3.2 Mittelhochdeutsch Das Mittelhochdeutsche ist für die Betrachtung unter dem wortstellungstypologischen Aspekt interessant, weil es in noch stärkerem Maße als das Neuhochdeutsche eine VO-Sprache ist. Die Entwicklung der Nebensatzklammer ist im Mittelhochdeutschen noch nicht abgeschlossen. Harmonisch mit VO-Syntax ist die relative Reihenfolge Akkusativ vor Dativ. Die folgenden Ausführungen zeigen, dass zwei weitere Faktoren für die relative Serialisierung der mittelhochdeutschen Objektspronomina verantwortlich sind.

5.3.3.2.1 Korpus Die Textgrundlage für die Analyse besteht aus süddeutschen Texten. Die untersuchten Texte sind Wolfram von Eschenbachs Parzival (zwischen 1200 und 1210) in der Ausgabe von Albert Leitzmann (1959–1961), die v.a. auf Handschrift D beruht, Hartmann von Aues Iwein (bis 1205) in der Fassung von Georg Friedrich Benecke, Karl Lachmann und Ludwig Wolff (1968), deren Ausgabe vor allem auf Handschrift A beruht96, und das Nibelungenlied (Handschrift A im Vergleich zu den Handschriften B und C97) (13. Jh.) in der Ausgabe von Michael Batts (1971).98 Zur dialektalen Einordnung der Autoren ist anzumerken, dass Wolfram von Eschenbach sich selbst einen Bayern nennt und wahrscheinlich aus Eschenbach östlich von Ansbach stammt (Wehrli 1984: 299). Hartmann von Aue, ein Ministerialadliger aus dem Herzogtum Schwaben, ist mit seiner leicht alemannisch gefärbten Sprache ebenfalls dem oberdeutschen Raum zuzuordnen (Wehrli 1984: 281). Die Handschriften A, B und C des Nibelungenlieds schließlich sind hochalemannische Kopien einer bairischen Vorlage und wurden möglicherweise von einem Sammler in Auftrag gegeben (Becker 1977: 140–143).

|| 96 Die bei Lachmann/Benecke/Wolff (1968 Bd. 2) angeführten relevanten Varianten werden in Fußnoten wiedergegeben. 97 A, Hohenems-Münchener Handschrift, Cod. germ. 34, Bayerische Staatsbibliothek München, zweite Hälfte des 13. Jh.; B, St. Galler Handschrift, Ms. 857, Stiftsbibliothek St. Gallen, zweite Hälfte des 13. Jh.; C, Hohenems-Laßbergische oder Donaueschinger Handschrift, Ms. 63, Hofbibliothek zu Donaueschingen, wahrscheinlich erste Hälfte des 13. Jh. (Becker 1977). 98 Handschrift A hat zwei Haupthände, Handschrift C eine (Becker 1977). Handschrift B hat drei Schreiber (vgl. de Boor 1972 zum Verhältnis der Schreiber zur Vorlage *B anhand der Eigennamen, Konjunktionen, Kurzschreibungen und dizze/diz).

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5.3.3.2.2 Kasus, Deixis und Numerus: Objektspronomina im Parzival, Nibelungenlied und Iwein Den Ergebnissen zur Serialisierung der Objektspronomina in den jeweiligen Texten ist voranzustellen, dass nicht alle möglichen pronominalen Kombinationen belegt sind. Auch ist die Anzahl der Belegsätze für einen Kombinationstyp i.d.R. nicht hoch; es wird hier vorausgesetzt, dass die Reihenfolge der Pronomina nicht willkürlich gewählt ist, sondern einen Einblick in das grammatische Wissen des Dichters oder Schreibers erlaubt. In Wolframs Parzival findet sich in Handschrift D99 bei adjazenten Objektspronomina die Reihenfolge Akkusativ vor Dativ (27). Die mittelhochdeutsche Serialisierung lässt sich an die althochdeutsche Reihenfolge der Pronomina anknüpfen. (27) Pronomina der dritten Person: (a) von blanker sîte ein snüerelîn si zucte und zôchez im dar în. ‘Dort, wo ihre Haut seitlich sichtbar war, riß sie ein Schnürlein ab und zog es ihm da hinein (in seinen Umhang).’100 “es ihm“ (Akk