Vorvertragliche Verständigungspflichten 9783161579127, 3161476093

Ob eine Partei ihren Kontrahenten vor Vertragsschluß über Umstände aufklären muß, die für diesen erheblich, für jene typ

115 31 32MB

German Pages 398 [403] Year 2020

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD PDF FILE

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhaltsübersicht
Inhalt
Einleitung
1. Teil: Die Problemstellung
I. Informationspflichten und materiale Vertragstheorie
1. Forderungen an eine materiale Vertragsdogmatik
2. Die spezifische Problematik vorvertraglicher Informationspflichten
3. Das Defizit der derzeitigen Dogmatik
II. Die Verständigung über den Vertrag als Anknüpfungspunkt für die Dogmatik
1. Der Schutz des materiellen Willens als Funktion vorvertraglicher Informationspflichten
2. Anknüpfungspunkte für den Schutz des materiellen Willens vor Informationsdefiziten
a) Störungen der Willensbildung
b) Störungen der Willenseinigung
3. Die Zielsetzung der Untersuchung
III. Eingrenzung der Problemstellung
1. Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit
2. Pflicht zu unaufgeforderter (spontaner) Aufklärung
3. Vertragliche Informationspflichten
4. Dritthaftungsproblematik
5. Gegenstand der vorvertraglichen Informationspflichten
6. Spezialgesetzliche Informationspflichten
7. Rationalitätsdefizite
IV. Terminologie
V. Gang der Untersuchung
2. Teil: Die gesetzliche Verteilung der Informationslast
I. Gesetzliche Regelungslage
1. Interessenantagonismus und Prinzip der informationellen Selbstverantwortung
2. Informationspflichten bezüglich der Willenseinigung
3. Ein informationelles Vorsatzdogma?
II. Die Zulässigkeit einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung
III. Keine Überwindung des realen Interessenantagonismus
IV. Der weitere Gedankengang
3. Teil: Das vorvertragliche Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher Informationspflichten
I. Geltungsgrund und Haftungsgrund
1. Das Gesetz als Geltungsgrund
2. Die Konkretisierung von Haftungsgründen anhand von Rechtsprinzipien
3. Strukturmerkmale des Haftungstatbestandes
II. Das Gerechtigkeitsprinzip als rechtstheoretische Basis des vorvertraglichen Schuldverhältnisses
1. Keine Rückführbarkeit auf das Prinzip der Selbstverantwortung
2. Das Gerechtigkeitsprinzip als rechtstheoretische Basis der Materialisierung
3. Der vorvertragliche Schutz der Selbstbestimmung aus dem prozeduralen Gehalt des Gerechtigkeitsprinzips
III. Die Problematik ordnungstheoretischer Materialisierungskonzepte
1. Ordnungsgerechtigkeit als denkbares rechtstheoretisches Ziel des Vertrages
2. Der „Schutz des Rechtsverkehrs“ als einschlägige dogmatische Kategorie
3. Ordnungsgerechtigkeit und individuelle Selbstbestimmung
4. Die dogmatische Operationalisierung der Ordnungsgerechtigkeit
5. Die Problematik materialer Ordnungstheorien
a) Soziale Theorien
b) Ökonomische Theorien
6. Die Problematik prozeduraler Ordnungstheorien
7. Relevanz ordnungstheoretischer Wertungen für die Rechtsfortbildung
8. Zusammenfassung
IV. Materiale Selbstbestimmung als Forderung individualer Gerechtigkeit
1. Gerechtigkeitsbindung des einzelnen Vertrages
2. Materialisierung als Ziel des prozeduralen Gerechtigkeitsgehalts
3. Das Prinzip materialer Selbstbestimmung
4. Keine Beschränkung auf Vermögensschäden
5. Zusammenfassung
V. Pluralität der individualschützenden Haftungsprinzipien
1. Keine Ausschließlichkeit des Vertrauensprinzips
a) Theorie des konkreten Vertrauens
b) Theorie des Ordnungsvertrauens
c) Bewegliches System der Vertrauenshaftung
2. Grenzen des Vertrauensprinzips
3. Zusammenfassung
VI. Die Zurechnung von Pflichtverletzungen
VII. Informationspflichten Dritter (Dritthaftung)
VIII. Zusammenfassung
4. Teil: Vorvertragliche Informationspflichten zum Schutze der Willensbildung
1. Kapitel: Informationspflichten kraft in Anspruch genommenen Vertrauens
I. Der Vertrauenstatbestand
1. Vertrauensinanspruchnahme als Haftungsgrund
2. Grundsätze der Tatbestandskonkretisierung
3. Grenzen der Tatbestandsbildung
4. Die vertrauenstheoretisch begründete Übernahme der Informationslast
a) Ausdrückliche/konkludente vertrauensrelevante Erklärungen
b) Berufs-/Gewerbeausübung als Vertrauenstatbestand?
5. Das Vollständigkeitspostulat
II. Ingerenz als Sonderfall der vertrauenstheoretischen Haftung
III. Richterrechtlich begründete Informationspflichten jenseits des Vertrauensprinzips
1. Informationspflichten bezüglich vertragsbezogenen Wissens
2. Informationspflichten bezüglich allgemeinen Geschäftswissens
3. Daraus resultierende Begründungsdefizite der Rechtsprechung
4. Zusammenfassung
2. Kapitel: Vorvertragliche Informationspflichten zum Schutz informationell Unterlegener
§ 1 Legitimation des Schutzes informationell Unterlegener
I. Materiale Bewertung der Fähigkeit zu informationeller Selbstbestimmung
1. Der paritätstheoretische Ansatz
2. Der materielle Wille als Anknüpfungspunkt
II. Die Eingliederung paritätstheoretischer Wertungen in das vorvertragliche Schuldverhältnis
III. Legitimität einer paritätstheoretischen Rechtsfortbildung
1. Allgemeine Akzeptanz
2. Wertungswandel
3. Verfassungsrechtliche Legitimation
a) Grundsätzliche Anerkennung
b) Zum Petitum der Typisierbarkeit
c) Zum Petitum der ungewöhnlichen Belastung
IV. Die Beschränkung des paritätstheoretischen Ansatzes auf den Schutz informationell Unterlegener
1. Unhaltbarkeit des Paritätsdogmas
2. Gewährleistung materialer Mindestvoraussetzungen informationeller Selbstbestimmung
3. Vorzugswürdigkeit einer am wirklichen Willen anknüpfenden Theorie materialer Selbstbestimmung
4. Zusammenfassung
§ 2 Informationelle Unterlegenheit als Mangel allgemeiner geschäftlicher Erfahrung
I. Die Fähigkeit zur Erkennung des eigenen Informationsbedarfs
II. Ausgrenzung des bloßen Informationsrisikos
III. Bereichsspezifische informationelle Schutzprinzipien aufgrund spezialgesetzlicher Wertungen?
IV. Die (allgemeine) geschäftliche Unerfahrenheit im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB als gesetzliche Konkretisierung informationeller Unterlegenheit
1. Konstitutionelle Defizite in §§ 104, 105 und 138 Abs. 2 BGB
2. Die „geschäftliche Unerfahrenheit“ im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB als Anknüpfungspunkt
3. Der allgemeine Mangel an geschäftlicher Erfahrung
4. Erweiterung des Schutzes geschäftlich Unerfahrener durch das vorvertragliche Schuldverhältnis
5. Zusammenfassung
§ 3 Bereichs- und rollenspezifische Konkretisierungen der informationellen Unterlegenheit
I. Geschäftliche Unerfahrenheit trotz allgemeiner Geschäftserfahrung?
II. Bereichsspezifische geschäftliche Unerfahrenheit?
III. Rollenspezifische geschäftliche Unerfahrenheit?
1. Keine geschäftliche Unerfahrenheit des Verbrauchers
a) Zum Begriff des Verbrauchers
b) Ansatzpunkte für die informationelle Unterlegenheit des Verbrauchers
aa) Keine allgemeine geschäftliche Unerfahrenheit des Verbrauchers
bb) Kompetenzgefälle zwischen Verbraucher und Unternehmer
cc) Gesetzliche Differenzierungen der rechtsgeschäftlichen Kompetenz
dd) Keine Vergleichbarkeit des Verbrauchers mit allgemein geschäftlich Unerfahrenen
c) Fehldogmatisierungen in Rechtsprechung und Literatur
2. Keine geschäftliche Unerfahrenheit des Arbeitnehmers
IV. Zusammenfassung
V. Die Erklärungsdefizite der herrschenden Dogmatik
5. Teil: Vorvertragliche Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über den Vertrag
§ 1 Die Willenseinigung als Anknüpfungspunkt für die Dogmatik
I. Die Notwendigkeit einer Verständigung über den Vertrag
II. Die gesetzlichen Wertungen
§ 2 Vorvertragliche Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über den Vertragsinhalt
I. Die vorvertragliche Verständigungspflicht auf der Ebene der rechtsgeschäftlichen Einigung
1. Zuwendung zum anderen als Voraussetzung jeglicher Verständigung
2. Die Verständigungspflicht im gesetzlichen System der vertraglichen Einigung
II. Die subjektiv-normative Ausrichtung der Verständigungspflicht
1. Der subjektive Erklärungssinn (wirkliche Rechtsfolgewille) als Verständigungsziel
2. Die Individualisierung des Erklärungstatbestandes
3. Die Individualisierung des maßgeblichen Verständnishorizontes
4. Die subjektiv-normative Theorie als gesetzliche Theorie
5. Die Bedeutung des objektiv-normativen Erklärungssinns
III. Verteilung der Verständigungslast nach Maßgabe des individuellen Verständigungshorizontes
1. Verlagerung der Verständigungslast
2. Der individuelle Verständnishorizont als Maß
3. Verlagerung der Verständigungsverantwortung kraft überlegenen Wissens
IV. Die Informationspflicht als Teil der Verständigungspflicht bei klärungsbedürftiger Erklärungssituation
1. Klärungsbedürftige Erklärungssituationen
a) Situation des begründeten Zweifels am erkennbaren Erklärungssinn
b) Situation der Unklarheit
2. Das Verständigungsprinzip und seine Eingliederung in das vorvertragliche Schuldverhältnis
3. Unzulänglichkeit der Lösung nach §§ 122 Abs. 2, 155 BGB
4. Rechtliche Bedeutung des Verschuldens des Irrenden
V. Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über den Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen und vorformulierter Erklärungen
1. Besondere verständigungstheoretisch begründete Informationspflichten des AGB-Verwenders
2. Formularmäßige Erfüllung dieser Pflichten
3. Abgrenzung zur Aufklärung über rechtliche Folgen von AGB
4. Besondere verständigungstheoretisch begründete Informationspflichten bei vorformulierten Erklärungen
VI. Zusammenfassung
§ 3 Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über die Grundlagen des Vertrages
I. Die Einbeziehung wesentlicher Wertungsgrundlagen in die rechtsgeschäftliche Einigung und ihre Grenzen
1. Einbeziehung der Wertungsgrundlagen bei Deutungsfähigkeit des Erklärungstatbestandes
2. Einbeziehung der Wertungsgrundlagen im Wege der Quasi-Leistungsvereinbarung
3. Notwendigkeit einer besonderen Einbeziehungserklärung
4. Unhaltbarkeit der reichsgerichtlichen „Bestandteilslehre“
5. Relative Wertungsschwäche und Korrekturbedürftigkeit der Rechtsfolgentheorie
6. Problematik einer Theorie des materiellen Geschäftswillens
II. Die Geschäftsgrundlage als zweite Ebene der Willenseinigung
1. Die Gemeinsamkeit der Wertungsgrundlagen
2. Vom gemeinsamen Irrtum zur subjektiv-normativen Geschäftsgrundlage
3. Die Geschäftsgrundlage als Ergebnis einer geschäftsähnlichen Einigung
a) Bestimmung der Geschäftserheblichkeit als Gegenstand
b) Mitteilung der Wertungsgrundlage als geschäftsähnliche Handlung
c) Erheblichkeit der Mitteilung bei Erkennbarkeit
d) Konkludente Mitteilung – Erkennbarkeit der wesentlichen Interessen
4. Die begrenzende Funktion der informationellen Selbstverantwortung
a) Bedeutung der informationellen Selbstverantwortung für den Erklärungswert von Mitteilungserklärungen
b) Bedeutung der informationellen Selbstverantwortung für den Erklärungswert der erkennbaren wesentlichen Interessen
c) Keine Privilegierung der Geschwätzigkeit
d) Individualisierung des Maßstabs für informationelle Selbstverantwortung
5. Die begrenzende Funktion materialer Risikoprinzipien
6. Rechtsfolgen der Geschäftsgrundlagenstörung
7. Tragfähigkeit der Geschäftsgrundlagenlehre
III. Die Erstreckung der Verständigungspflicht auf wesentliche Wertungsgrundlagen durch die Geschäftsgrundlagenlehre
IV. Die Informationspflicht über wesentliche Wertungsgrundlagen als Bestandteil der Verständigungspflicht bei klärungsbedürftiger Erklärungssituation
V. Die Verantwortlichkeit des Informationsberechtigten
VI. Ökonomische Folgenabschätzung
VII. Zusammenfassung
§ 4 Der individuelle Verständnishorizont
I. Maßgeblichkeit des individuellen Wissensstandes
II. Normative Bestimmung des tatsächlichen Wissens
III. Der Wissensgrad
IV. Feststellung des individuellen Wissens
V. Ordnungsverträglichkeit einer Informationshaftung für positives Wissen
VI. Verschulden
§ 5 Dogmatischer Wert der verständigungstheoretischen Rechtfertigung vorvertraglicher Informationspflichten
I. Reaktionsfähigkeit gegenüber Wissensdiversifizierungen
II. Verallgemeinerungsfähigkeit des Rechtsgedankens
III. Informationspflichtigkeit trotz Vermeidbarkeit des Wissensdefizits
IV. Die Bedeutung partieller geschäftlicher Unerfahrenheit als Tatsache
V. Verhältnis zur Informationspflicht zum Schutz informationell Unterlegener
6. Teil: Pflichten zur Aufklärung über das Scheitern des Vertragsschlusses
7. Teil: Ordnungstheoretische Grenzen vorvertraglicher Informationspflichten
I. Relevanz der Ordnungsgerechtigkeit
II. Grenzen zum Schutz prozeduraler Ordnungsgerechtigkeit
1. Keine Aufklärung über Marktgerechtigkeit von Leistung und Gegenleistung
2. Keine Aufklärung zugunsten von Wettbewerbsbeschränkungen
III. Grenzen zum Schutz materieller Ordnungsgerechtigkeit
IV. Zusammenfassung
8. Teil: Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten
I. Rechtsfolgen der vorvertraglichen Informationshaftung
1. Anspruch auf Aufhebung des Vertrages
2. Die Fristenproblematik
3. Entsprechende Anwendung des § 124 BGB
4. Darlegungs- und Beweislast
5. Vertragsanpassung
6. Ersatz des Interesses an anderem Vertrag
7. Verwirkung eines Rechts
II. Mitverschulden des Informationsberechtigten
1. Relevanz
2. Rechtsfolgen
III. Beschränkung der Haftung für unterlassene Aufklärung durch konkurrierende Rechtsinstitute
1. Gesetzliche Gewährleistung
2. Spezialgesetzliche Informationspflichten
IV. Abdingbarkeit der Haftung für unterlassene Aufklärung
V. Zusammenfassung
9. Teil: Verteilung der Informationslast bei Interessengemeinsamkeit
I. Ergänzung der gesetzlichen Regelung (§§ 307, 309 BGB)
1. §§ 307, 309 BGB als echte Vertrauenshaftung
2. „Vertrauenshaftung kraft Rechtsirrtums“ (Singer)?
II. Vorvertragliche Informationspflichten bezüglich gemeinsamer Interessen
III. Die Geltung des Risikoprinzips im Rahmen der Haftung nach §§ 307, 309 BGB
IV. Zusammenfassung
10. Teil: Schlußbetrachtung
Ergebnisse
Literaturverzeichnis
Sachverzeichnis
Recommend Papers

Vorvertragliche Verständigungspflichten
 9783161579127, 3161476093

  • 0 0 0
  • Like this paper and download? You can publish your own PDF file online for free in a few minutes! Sign Up
File loading please wait...
Citation preview

JUS PRIVATUM Beiträge zum Privatrecht Band 57

Roland Schwarze

Vorvertragliche Verständigungspflichten

Mohr Siebeck

Roland Schwarze, geboren 1961; Studium der Rechtswissenschaften in Göttingen von 1981— 1986. Von 1987-1989 Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Göttingen, 1989-1992 Referendariat. 1990 Promotion, 1992 Assessorexamen. Von 1992-1999 zunächst Akad. Rat a.Z., dann Wissenschaftlicher Assistent an der Universität Göttingen, Habilitation 1999. Anschließend Lehrstuhlvertretungen an den Universitäten Köln (WS 1999/2000), Erlangen-Nürnberg (SS 2000) und Bochum (WS 2000/2001). Seit April 2001 Professor für Bürgerliches Recht, Arbeitsrecht und Zivilprozeßrecht an der Ruhr-Universität Bochum.

Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.

Die Deutsche Bibliothek -

CIP-Einheitsaufnahme

Schwarze, Roland: Vorvertragliche Verständigungspflichten / Roland Schwarze. - 1. Aufl. Tübingen : Mohr Siebeck, 2001 978-3-16-157912-7 Unveränderte eBook-Ausgabe 2019 (Jus privatum ; 57) ISBN 3-16-147609-3

© 2001 J.C.B. Mohr (Paul Siebeck) Tübingen. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Guide-Druck in Tübingen aus der Garamond-Antiqua belichtet, auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Heinr. Koch in Tübingen gebunden. ISSN 0940-9610

Vorwort Die vorliegende Arbeit ist von der Juristischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen im Sommersemester 1999 als Habilitationsschrift angenommen worden. Das Manuskript wurde im März 1999 abgeschlossen; die danach veröffentlichte Rechtsprechung und Literatur ist überwiegend bis zum August 2000 berücksichtigt. Meinem Lehrer, Prof. Dr. Hansjörg

Otto, sage ich herzlichen Dank für Förde-

rung und Rat, vor allem aber für seine stets wohlwollende Begleitung meines Werdegangs. Für Rat und Kritik im Habilitationsverfahren danke ich Herrn Prof. Dr. Hans Martin Müller-Laube

und Herrn Prof. Dr. Abbo Junker.

beit danke ich Herrn Dr. Holger Saskia

Klug, Sandra

Schmidt

Für ihre Korrekturar-

Fischer

sowie den studentischen Hilfskräften

und Daniel

Siegl. Zu danken ist ferner der Deut-

schen Forschungsgemeinschaft für den großzügigen Druckkostenzuschuß und dem Verlag M o h r Siebeck für die Aufnahme der Arbeit in seine Schriftenreihe „Jus Privatum". Göttingen, im September 2000

Roland Schwarze

Inhaltsübersicht Einleitung

1

1. Teil: Die Problemstellung

3

2. Teil: Die gesetzliche Verteilung der Informationslast

21

3. Teil: Das vorvertragliche Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher Informationspflichten

35

4. Teil: Vorvertragliche Informationspflichten zum Schutze der Willensbildung 1. Kapitel: Informationspflichten kraft in Anspruch genommenen Vertrauens 2. Kapitel: Vorvertragliche Informationspflichten zum Schutz informationell Unterlegener

97 98 122

§1 Legitimation des Schutzes informationell Unterlegener § 2 Informationelle Unterlegenheit als Mangel allgemeiner geschäftlicher Erfahrung

146

§3 Bereichs- und rollenspezifische Konkretisierungen der informationellen Unterlegenheit

160

5. Teil: Vorvertragliche Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über den Vertrag §1 Die Willenseinigung als Anknüpfungspunkt für die Dogmatik § 2 Vorvertragliche Informationspflichten zur Gewährleistung der rechtsgeschäftlichen Einigung §3 Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über die Grundlagen des Vertrages § 4 Der individuelle Verständnishorizont § 5 Dogmatischer Wert der verständigungstheoretischen Rechtfertigung vorvertraglicher Informationspflichten

6. Teil: Pflichten zur Aufklärung über das Scheitern des Vertragsschlusses 7. Teil: Ordnungstheoretische Grenzen vorvertraglicher Informationspflichten

122

193 193 195 225 273 284

292 294

8. Teil: Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten

306

9. Teil: Verteilung der Informationslast bei Interessengemeinsamkeit

330

10. Teil: Schlußbetrachtung

340

Inhalt Einleitung 1. Teil: Die Problemstellung I. Informationspflichten und materiale Vertragstheorie 1. Forderungen an eine materiale Vertragsdogmatik 2. Die spezifische Problematik vorvertraglicher Informationspflichten 3. Das Defizit der derzeitigen Dogmatik II. Die Verständigung über den Vertrag als Anknüpfungspunkt für die Dogmatik 1. Der Schutz des materiellen Willens als Funktion vorvertraglicher Informationspflichten 2. Anknüpfungspunkte für den Schutz des materiellen Willens vor Informationsdefiziten a) Störungen der Willensbildung b) Störungen der Willenseinigung

3. Die Zielsetzung der Untersuchung III. Eingrenzung der Problemstellung 1. Schutz der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit 2. Pflicht zu unaufgeforderter (spontaner) Aufklärung 3. Vertragliche Informationspflichten 4. Dritthaftungsproblematik 5. Gegenstand der vorvertraglichen Informationspflichten 6. Spezialgesetzliche Informationspflichten 7. Rationalitätsdefizite IV. Terminologie V. Gang der Untersuchung 2. Teil: Die gesetzliche Verteilung der Informationslast I. Gesetzliche Regelungslage 1. Interessenantagonismus und Prinzip der informationellen Selbstverantwortung 2. Informationspflichten bezüglich der Willenseinigung

X

Inhalt

3. Ein informationelles Vorsatzdogma? II. Die Zulässigkeit einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung .. III. Keine Uberwindung des realen Interessenantagonismus IV. Der weitere Gedankengang

3. Teil: Das vorvertragliche Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher Informationspflichten I. Geltungsgrund und Haftungsgrund 1. Das Gesetz als Geltungsgrund 2. Die Konkretisierung von Haftungsgründen anhand von Rechtsprinzipien 3. Strukturmerkmale des Haftungstatbestandes II. Das Gerechtigkeitsprinzip als rechtstheoretische Basis des vorvertraglichen Schuldverhältnisses 1. Keine Rückführbarkeit auf das Prinzip der Selbstverantwortung 2. Das Gerechtigkeitsprinzip als rechtstheoretische Basis der Materialisierung 3. Der vorvertragliche Schutz der Selbstbestimmung aus dem prozeduralen Gehalt des Gerechtigkeitsprinzips III. Die Problematik ordnungstheoretischer Materialisierungskonzepte 1. Ordnungsgerechtigkeit als denkbares rechtstheoretisches Ziel des Vertrages 2. Der „Schutz des Rechtsverkehrs" als einschlägige dogmatische Kategorie 3. Ordnungsgerechtigkeit und individuelle Selbstbestimmung 4. Die dogmatische Operationalisierung der Ordnungsgerechtigkeit 5. Die Problematik materialer Ordnungstheorien a) Soziale Theorien b) Ökonomische Theorien 6. Die Problematik prozeduraler Ordnungstheorien 7. Relevanz ordnungstheoretischer Wertungen für die Rechtsfortbildung 8. Zusammenfassung IV. Materiale Selbstbestimmung als Forderung individualer Gerechtigkeit 1. Gerechtigkeitsbindung des einzelnen Vertrages

Inhalt

XI

2. Materialisierung als Ziel des prozeduralen Gerechtigkeitsgehalts

78

3. D a s Prinzip materialer Selbstbestimmung

85

4. Keine Beschränkung auf Vermögensschäden

86

5. Zusammenfassung

87

V. Pluralität der individualschützenden Haftungsprinzipien 1. Keine Ausschließlichkeit des Vertrauensprinzips a) Theorie des konkreten Vertrauens b) Theorie des Ordnungsvertrauens c) Bewegliches System der Vertrauenshaftung 2. G r e n z e n des Vertrauensprinzips 3. Zusammenfassung V I . D i e Zurechnung von Pflichtverletzungen V I I . Informationspflichten Dritter (Dritthaftung)

88 88 89 89 90 92 93 94 94

V I I I . Zusammenfassung

96

4. Teil: Vorvertragliche Informationspflichten zum Schutze der Willensbildung

97

1. Kapitel: Informationspflichten kraft in Anspruch genommenen Vertrauens

98

I. D e r Vertrauenstatbestand 1. Vertrauensinanspruchnahme als Haftungsgrund

98 98

2. Grundsätze der Tatbestandskonkretisierung

101

3. G r e n z e n der Tatbestandsbildung

103

4. D i e vertrauenstheoretisch begründete Ü b e r n a h m e der Informationslast

104

a) Ausdrückliche/konkludente vertrauensrelevante Erklärungen b) Berufs-/Gewerbeausübung als Vertrauenstatbestand?

104 107

5. Das Vollständigkeitspostulat II. Ingerenz als Sonderfall der vertrauenstheoretischen Haftung

112 113

III. Richterrechtlich begründete Informationspflichten jenseits des Vertrauensprinzips

113

1. Informationspflichten bezüglich vertragsbezogenen Wissens . . .

114

2. Informationspflichten bezüglich allgemeinen Geschäftswissens .

117

3. Daraus resultierende Begründungsdefizite der Rechtsprechung .

120

4. Zusammenfassung

121

XII

Inhalt

2. Kapitel: Vorvertragliche Informationspflichten zum Schutz informationell Unterlegener

122

$1

122

Legitimation

des Schutzes informationell

Unterlegener

I. Materiale Bewertung der Fähigkeit zu informationeller Selbstbestimmung 1. Der paritätstheoretische Ansatz 2. Der materielle Wille als Anknüpfungspunkt II. Die Eingliederung paritätstheoretischer Wertungen in das vorvertragliche Schuldverhältnis III. Legitimität einer paritätstheoretischen Rechtsfortbildung 1. Allgemeine Akzeptanz 2. Wertungswandel 3. Verfassungsrechtliche Legitimation a) Grundsätzliche Anerkennung b) Z u m Petitum der Typisierbarkeit c) Z u m Petitum der ungewöhnlichen Belastung

Informationelle Unterlegenheit geschäftlicher Erfahrung

als Mangel

130 132 132 132 135 135 137 139

IV. Die Beschränkung des paritätstheoretischen Ansatzes auf den Schutz informationell Unterlegener 1. Unhaltbarkeit des Paritätsdogmas 2. Gewährleistung materialer Mindestvoraussetzungen informationeller Selbstbestimmung 3. Vorzugswürdigkeit einer am wirklichen Willen anknüpfenden Theorie materialer Selbstbestimmung 4. Zusammenfassung §2

122 122 126

140 140 143 144 146

allgemeiner

I. Die Fähigkeit zur Erkennung des eigenen Informationsbedarfs . . . . II. Ausgrenzung des bloßen Informationsrisikos III. Bereichsspezifische informationelle Schutzprinzipien aufgrund spezialgesetzlicher Wertungen? IV. Die (allgemeine) geschäftliche Unerfahrenheit im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB als gesetzliche Konkretisierung informationeller Unterlegenheit 1. Konstitutionelle Defizite in §§ 104, 105 und 138 Abs.2 BGB . . . . 2. Die „geschäftliche Unerfahrenheit" im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB als Anknüpfungspunkt 3. Der allgemeine Mangel an geschäftlicher Erfahrung 4. Erweiterung des Schutzes geschäftlich Unerfahrener durch das vorvertragliche Schuldverhältnis

146 146 148 149

153 153 154 155 158

XIII

Inhalt

5. Zusammenfassung

159

Bereichs- und rollenspezifische Konkretisierungen informationellen Unterlegenheit

§3

der

I. Geschäftliche Unerfahrenheit trotz allgemeiner Geschäftserfahrung? II. Bereichsspezifische geschäftliche Unerfahrenheit? III. Rollenspezifische geschäftliche Unerfahrenheit? 1. Keine geschäftliche Unerfahrenheit des Verbrauchers a) Z u m Begriff des Verbrauchers b) Ansatzpunkte f ü r die informationelle Unterlegenheit des Verbrauchers aa) Keine allgemeine geschäftliche Unerfahrenheit des Verbrauchers bb) Kompetenzgefälle zwischen Verbraucher und Unternehmer . . . cc) Gesetzliche Differenzierungen der rechtsgeschäftlichen Kompetenz dd) Keine Vergleichbarkeit des Verbrauchers mit allgemein geschäftlich Unerfahrenen c) Fehldogmatisierungen in Rechtsprechung u n d Literatur

2. Keine geschäftliche Unerfahrenheit des Arbeitnehmers IV. Zusammenfassung V. Die Erklärungsdefizite der herrschenden Dogmatik 5. Teil: Vorvertragliche Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über den Vertrag §1

Die Willenseinigung Dogmatik

als Anknüpfungspunkt

Vorvertragliche Informationspflichten zur der Verständigung über den Vertragsinhalt

160 161 165 165 166 171 171 174 175 178 183

188 190 190

193

für die 193

I. Die Notwendigkeit einer Verständigung über den Vertrag II. Die gesetzlichen Wertungen §2

160

193 194

Gewährleistung

I. Die vorvertragliche Verständigungspflicht auf der Ebene der rechtsgeschäftlichen Einigung 1. Zuwendung zum anderen als Voraussetzung jeglicher Verständigung 2. Die Verständigungspflicht im gesetzlichen System der vertraglichen Einigung

195 195 195 198

XIV

Inhalt

II. Die subjektiv-normative Ausrichtung der Verständigungspflicht...

199

1. Der subjektive Erklärungssinn (wirkliche Rechtsfolgewille) als Verständigungsziel

200

3. Die Individualisierung des maßgeblichen Verständnishorizontes

202

4. Die subjektiv-normative Theorie als gesetzliche Theorie

205

5. Die Bedeutung des objektiv-normativen Erklärungssinns

207

III. Verteilung der Verständigungslast nach Maßgabe des individuellen Verständigungshorizontes

208

1. Verlagerung der Verständigungslast

208

2. Der individuelle Verständnishorizont als Maß

209

3. Verlagerung der Verständigungsverantwortung kraft überlegenen Wissens

211

IV. Die Informationspflicht als Teil der Verständigungspflicht bei klärungsbedürftiger Erklärungssituation 1. Klärungsbedürftige Erklärungssituationen

212 212

a) Situation des begründeten Zweifels am erkennbaren Erklärungssinn

213

b) Situation der Unklarheit

214

2. Das Verständigungsprinzip und seine Eingliederung in das vorvertragliche Schuldverhältnis

215

3. Unzulänglichkeit der Lösung nach §§122 Abs. 2,155 B G B

216

4. Rechtliche Bedeutung des Verschuldens des Irrenden

218

V. Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über den Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen und vorformulierter Erklärungen

218

1. Besondere verständigungstheoretisch begründete Informationspflichten des AGB-Verwenders

218

2. Formularmäßige Erfüllung dieser Pflichten

222

3. Abgrenzung zur Aufklärung über rechtliche Folgen von A G B .

222

4. Besondere verständigungstheoretisch begründete Informationspflichten bei vorformulierten Erklärungen

222

VI. Zusammenfassung

§3

199

2. Die Individualisierung des Erklärungstatbestandes

Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über die Grundlagen des Vertrages I. Die Einbeziehung wesentlicher Wertungsgrundlagen in die rechtsgeschäftliche Einigung und ihre Grenzen

223

225 225

Inhalt

XV

1. Einbeziehung der Wertungsgrundlagen bei Deutungsfähigkeit des Erklärungstatbestandes

225

2. Einbeziehung der Wertungsgrundlagen im Wege der Quasi-Leistungsvereinbarung

226

3. Notwendigkeit einer besonderen Einbeziehungserklärung

227

4. Unhaltbarkeit der reichsgerichtlichen „Bestandteilslehre"

230

5. Relative Wertungsschwäche und Korrekturbedürftigkeit der Rechtsfolgentheorie 6. Problematik einer T h e o r i e des materiellen Geschäftswillens . . . . II. D i e Geschäftsgrundlage als zweite E b e n e der Willenseinigung 1. D i e Gemeinsamkeit der Wertungsgrundlagen

232 234 236 239

2. V o m gemeinsamen Irrtum zur subjektiv-normativen Geschäftsgrundlage

241

3. D i e Geschäftsgrundlage als Ergebnis einer geschäftsähnlichen Einigung

243

a) b) c) d)

243 245 247

Bestimmung der Geschäftserheblichkeit als Gegenstand Mitteilung der Wertungsgrundlage als geschäftsähnliche Handlung . Erheblichkeit der Mitteilung bei Erkennbarkeit Konkludente Mitteilung - Erkennbarkeit der wesentlichen Interessen

250

4. D i e begrenzende F u n k t i o n der informationellen Selbstverantwortung a) Bedeutung der informationellen Selbstverantwortung für den Erklärungswert von Mitteilungserklärungen b) Bedeutung der informationellen Selbstverantwortung für den Erklärungswert der erkennbaren wesentlichen Interessen c) Keine Privilegierung der Geschwätzigkeit d) Individualisierung des Maßstabs für informationelle Selbstverantwortung

251 251 255 255 257

5. D i e begrenzende F u n k t i o n materialer Risikoprinzipien

257

6. Rechtsfolgen der Geschäftsgrundlagenstörung

259

7. Tragfähigkeit der Geschäftsgrundlagenlehre

260

I I I . D i e Erstreckung der Verständigungspflicht auf wesentliche Wertungsgrundlagen durch die Geschäftsgrundlagenlehre

263

IV. D i e Informationspflicht über wesentliche Wertungsgrundlagen als Bestandteil der Verständigungspflicht bei klärungsbedürftiger Erklärungssituation V. D i e Verantwortlichkeit des Informationsberechtigten V I . Ö k o n o m i s c h e Folgenabschätzung V I I . Zusammenfassung

264 270 271 272

XVI

§4

Inhalt

Der individuelle

Verständnishorizont

I. II. III. IV. V.

Maßgeblichkeit des individuellen Wissensstandes Normative Bestimmung des tatsächlichen Wissens Der Wissensgrad Feststellung des individuellen Wissens Ordnungsverträglichkeit einer Informationshaftung für positives Wissen VI. Verschulden

§ß

Dogmatischer Wert der verständigungstheoretischen Rechtfertigung vorvertraglicher Informationspflichten

I. Reaktionsfähigkeit gegenüber Wissensdiversifizierungen II. Verallgemeinerungsfähigkeit des Rechtsgedankens III. Informationspflichtigkeit trotz Vermeidbarkeit des Wissensdefizits IV. Die Bedeutung partieller geschäftlicher Unerfahrenheit als Tatsache V. Verhältnis zur Informationspflicht zum Schutz informationell Unterlegener 6. Teil: Pflichten zur Aufklärung über das Scheitern des Vertragsschlusses 7. Teil: Ordnungstheoretische Grenzen vorvertraglicher Informationspflichten I. Relevanz der Ordnungsgerechtigkeit II. Grenzen zum Schutz prozeduraler Ordnungsgerechtigkeit 1. Keine Aufklärung über Marktgerechtigkeit von Leistung und Gegenleistung 2. Keine Aufklärung zugunsten von Wettbewerbsbeschränkungen III. Grenzen zum Schutz materieller Ordnungsgerechtigkeit IV. Zusammenfassung 8. Teil: Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten I. Rechtsfolgen der vorvertraglichen Informationshaftung 1. Anspruch auf Aufhebung des Vertrages 2. Die Fristenproblematik

273 273 276 281 282 283 284

284 284 285 286 290 291

292 294 294 295 295 299 300 304

306 306 306 309

Inhalt

II.

III.

IV. V.

3. Entsprechende Anwendung des § 124 BGB 4. Darlegungs- und Beweislast 5. Vertragsanpassung 6. Ersatz des Interesses an anderem Vertrag 7. Verwirkung eines Rechts Mitverschulden des Informationsberechtigten 1. Relevanz 2. Rechtsfolgen Beschränkung der Haftung für unterlassene Aufklärung durch konkurrierende Rechtsinstitute 1. Gesetzliche Gewährleistung 2. Spezialgesetzliche Informationspflichten Abdingbarkeit der Haftung für unterlassene Aufklärung Zusammenfassung

9. Teil: Verteilung der Informationslast bei Interessengemeinsamkeit. I. Ergänzung der gesetzlichen Regelung (§§307, 309 BGB) 1. §§307, 309 BGB als echte Vertrauenshaftung 2. „Vertrauenshaftung kraft Rechtsirrtums" (Singer)? II. Vorvertragliche Informationspflichten bezüglich gemeinsamer Interessen III. Die Geltung des Risikoprinzips im Rahmen der Haftung nach §§307, 309 BGB IV. Zusammenfassung

XVII 310 313 316 319 319 320 320 320 323 323 325 326 328 330 330 330 332 334 338 339

10. Teil: Schlußbetrachtung

340

Ergebnisse

342

Literaturverzeichnis

356

Abkürzungen, soweit nicht allgemein üblich, folgen den Empfehlungen von Kirchner, Abkürzungsverzeichnis der Rechtssprache, 4. Auflage, Berlin, N e w York 1993.

Einleitung Ob eine Partei ihren Kontrahenten vor Vertragsschluß über Umstände aufklären muß, die für diesen erheblich, für jene typischerweise nachteilig sind, ist eine der „ewigen Fragen" des Vertragsrechts. Die mit ihr verknüpfte Grenzziehung zwischen legitimem Egoismus und unzulässiger Ubervorteilung, zwischen Eigenverantwortung und Gerechtigkeit ist von jeher im Streit gewesen.1 Dem römischen Recht wird eine formale, aufklärungsrestriktive Haltung nachgesagt. Es kannte eine Aufklärungspflicht im wesentlichen nur für Mängel des Vertragsgegenstandes (insbesondere des Kaufgegenstandes) und nach wohl überwiegendem Verständnis nur für den Fall der Arglist, also (beim Kauf) des Wissens des Verkäufers um den Mangel, um seine Erheblichkeit für den Entschluß des Käufers und um das Nichtwissen des Käufers.2 In dieser Tradition rügte das Reichsgericht noch 1895 den von einem Obergericht aus Treu und Glauben abgeleiteten Grundsatz, daß „jeder Contrahent verpflichtet sei, dem Mitcontrahenten alle Umstände mitzutheilen, die auf dessen Entscheidung von wesentlichem Einfluß sein mußten", 3

als dem gemeinen Recht widersprechend. Nicht einmal zwei Dekaden später dekretierte das Reichsgericht im Luisinlichtfall eben diesen Grundsatz als geltendes Recht, 4 unter Geltung des B G B zwar, aber doch ohne sich dafür auf eine positive Aussage des B G B stützen zu können. Es knüpfte damit an eine aufklärungsfreundlichere, materiale Tradition an, die oft mit dem modernen Naturrecht und ihrem maßgeblichen Vertreter Hugo Grotius5 in Zusammenhang ge-

Paradigmatisch die Erörterung bei Cicero, De officiis, 3.50ff. Käser, Römisches Privatrecht, 15. Aufl., §33 IV 3, S. 158 (siehe aber auch den., Das römische Privatrecht, § 131 (2), S.466f.); Giaro, Culpa in contrahendo, S. 113, 114; aus der gemeinrechtlichen Literatur die Ubersicht und Nachweise bei F. Leonhard, Haftung des Verkäufers, S. 56, 61. Insoweit spiegelt Ciceros aufklärungsfreundlicher Standpunkt (insbesondere De officiis, 3.57) jedenfalls partiell nicht die Rechtslage wider; zum Status seiner Ausführungen (ethisch/rechtlich) Byoung Jo Choe, Culpa in contrahendo, S. 225 f. m.w.N. Andere Theoretiker sehen sich aber nicht daran gehindert, die Quellen im Sinne einer ihnen als notwendig erscheinenden Haftung für fahrlässige Nichtaufklärung (= der Verkäufer kennt den Mangel, schätzt aber dessen Erheblichkeit oder die Willenslage bzw. den Kenntnisstand des Käufers falsch ein) zu interpretieren, so F. Leonhard (Haftung des Verkäufers; ders., Verschulden, S. 3 ff.), an den das R G sich im Luisinlichtfall (folgend im Text) anlehnte. 3 R G v. 4.1. 1895 SeuffArch 51,4. 4 R G v. 26.4. 1912 J W 1912, 743 Nr. 5. 5 Grotius, De iure belli ac pacis II. 12. 9. Auch Grotius kann freilich im Sinne einer Beschränkung der Aufklärungspflicht auf Arglist verstanden werden. 1

2

2

Einleitung

bracht wird, 6 aber auch unter Theoretikern des gemeinen Rechts Anhänger hatte.7 Der seither von der Judikatur praktizierte Grundsatz - man könnte in Anlehnung an Bydlinski vom Informationsgrundsatz sprechen 8 - hat der Theorie erhebliches Kopfzerbrechen bereitet. Ihr Problem besteht darin, den Informationsgrundsatz in Einklang zu bringen mit den Prinzipien der Selbstbestimmungsfähigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Die vorliegende Schrift will auf einen in dieser Diskussion bislang vernachlässigten Aspekt aufmerksam machen. Sie will zeigen, daß der von der Rechtsprechung praktizierte Informationsgrundsatz seinen Grund zum erheblichen Teil in den Regeln findet, die für die Verständigung über Inhalt und Grundlagen des Vertrages gelten. Sie will darlegen, daß Informationspflichten aus der Pflicht 9 entstehen können, den materiellen Willen des anderen richtig zu verstehen, vorausgesetzt, die eine Seite hat bezüglich eines für die andere Seite wesentlichen Umstandes einen Informationsvorsprung. Wohlgemerkt geht es nicht darum, neue Aufklärungspflichten zu kreieren, sondern darum, zum besseren Verständnis der heutigen Ausformung vorvertraglicher Aufklärungspflichten im Wege der Rechtsfortbildung beizutragen. Wenngleich die Arbeit sich auf das deutsche Zivilrecht konzentriert, ist die Pflicht zur Verständigung und ihre Bedeutung für die Dogmatik der vorvertraglichen Aufklärungspflichten kein Spezifikum des deutschen Rechts; vielmehr gilt grundsätzlich, daß die Regeln über die Verständigung zwischen den Kontrahenten für die Begründung von Informationspflichten bedeutsam sein können.

Etwa Giaro, Culpa in contrahendo, S. 113, 114. Etwa F. Leonhard (Fn. 2), auf den sich das RG ausdrücklich beruft. Die vorliegende Arbeit wird im folgenden zeigen, daß die vom RG statuierte Informationspflicht eine Fortsetzung der Wertungen ist, die der Geschäftsgrundlagenlehre zugrunde liegen. Diese aber knüpft an Vorbilder sowohl aus dem gemeinen Recht (clausula rebus sie stantibus, vgl. Haupt, Lehre vom Irrtum, S. 8) wie aus dem Naturrecht an (stillschweigende Bedingung, vgl. Grotius, De iure belli ac pacis II 11.6.2, III 23.4; Pufendorf, De iure naturae et gentium, lib. II, XI 6). 8 Bydlinski, Prinzipien des Privatrechts, S. 749. 9 Hier zunächst im weiten, Obliegenheiten und Pflichten einschließenden Sinne. 6

7

1. Teil:

Die Problemstellung I. Informationspflichten und materiale Vertragstheorie 1. Forderungen an eine materiale

Vertragsdogmatik

Die Entwicklung des Vertragsrechts seit Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches kann als Geschichte einer Abkehr1 erzählt werden - der Abkehr vom abstrakten, formalen, idealen Verständnis der Selbstbestimmung im Vertrag, das einem konkreten, materialen, realen nach und nach gewichen ist. Das Gerechtigkeitsprinzip hat, zu Lasten des Prinzips formaler Freiheit, immer oder wieder mehr Einfluß auf den Vertrag gewonnen.2 Wieacker konstatierte vor einem halben Jahrhundert die Ersetzung der formalen Freiheitsethik durch eine materiale Ethik sozialer Verantwortung.3 Im geltenden Vertragsrecht stehen dafür die vorvertraglichen Schutzpflichten, die Geschäftsgrundlagenlehre,4 die richterliche Inhaltskontrolle,5 eine expansive Interpretation des § 138 BGB 6 und, selten gewürdigt, die Ausrichtung der Verständigung über den Vertragsinhalt auf den wirklichen (Rechtsfolge-)Willen.7 Viele spezialgesetzliche Regelungen, zunehmend durch europäisches Recht initiiert,8 kommen hinzu, in denen besondere Informationspflichten oder Widerrufsrechte oder auch zwingende Rechtsnormen die Interessen einer Partei (zumeist des „Verbrauchers") schützen. Die Entwicklung 1 Bzw. Rückkehr zu den ethischen Grundlagen des älteren europäischen Gemeinrechts und Naturrechts, Wieacker, Sozialmodell, S. 18; daran anknüpfend BVerfGE 89, 214, 233; ferner Going, FS Dölle Bd. II, S.25, 30ff.; Raiser, Zukunft des Privatrechts, S.9f. Reuter (AcP 189,199, 200, und Freiheitsethik und Privatrecht, S. 108ff.) spricht, in kritischer Absicht, von einer „Rematerialisierung" bzw. „Reethisierung" des Privatrechts. Siehe ferner zur Geschichte des Paritätsgedankens Zöllner, AcP 196,1,15 ff. Die Begriffe „material" und „materiell" sind synonym. Der Begriff „material" wird hier als Gegenbegriff zu „prozedural" oder „formal" verwendet. 2 Überzogen freilich Zweigert, FS Rheinstein Bd. II, S. 493, 501 ff., der die Vertragsgerechtigkeit in den Mittelpunkt der Vertragstheorie rückt, da die Vertragsfreiheit die ökonomische und soziale Gleichheit der Partner voraussetze und deshalb „ein Traumschloß, eine Utopie und keine Realität" sei (ebd., S.503; abgewogener Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 3. Aufl., S. 323ff.); dagegen etwa Singer, Selbstbestimmung, S. 23. 3 Wieacker, Sozialmodell, S. 18; krit. Reuter, AcP 189, 199, 205; Zöllner, AcP 196,1, 35. 4 Bzw. sie substituierende Institute, siehe S.261f. 5 Fastrich, Inhaltskontrolle. 6 Dazu Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 120ff. 7 Geltungstheoretisch: den subjektiv intendierten Sinn der Willenserklärung, dazu noch S. 199f. 8 Siehe den Uberblick bei Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 44ff.

4

1. Teil: Die

Problemstellung

spiegelt sich in der vertragstheoretischen Literatur der letzten Jahrzehnte wider.9 Freilich ist immer wieder grundsätzliche Kritik am Materialisierungsstreben aufgeflammt - zuletzt im Streit um ein Verbraucher-Sonderrecht10 und um den Einfluß verfassungsrechtlicher (grundrechtlicher) Wertungen auf den Vertrag - , die, wenn nicht zur völligen Umkehr, doch zur Besinnung mahnt und an den (Gerechtigkeits-)Wert einer formalen Vertragsethik erinnert.11 Anders als in Teilen der Ökonomietheorie 12 ist aber in der Vertragsdogmatik keine relevante Strömung zurück zu einem rigorosen Formalismus zu erkennen.13 Es ist dies zuallererst der grundverschiedenen Sichtweise von ökonomischer Theorie und juristischer Vertragsdogmatik geschuldet. Der Ökonom betrachtet die Vertragsfreiheit zuvörderst aus der Perspektive der Gesamtordnung und wird Korrekturen nur für nötig halten, wo die Gesamtordnung in Gefahr gerät. Er ist prinzipiell eher bereit, sich über die Pathologie des Einzelfalls hinwegzutrösten mit der Aussicht auf eine funktionierende Gesamtordnung, zu der dieser Einzelfall die die Regel bestätigende Ausnahme bildet. Seine Bereitschaft, der ordnenden Kraft des Marktes und Wettbewerbs zu vertrauen, ist naturgemäß groß. Ganz anders der Blick des (Richter-) Juristen, der über den Einzelfall zu Gericht sitzt und für ihn Recht und Gerechtigkeit zu besorgen hat. Für ihn wird die Ungerechtigkeit des Einzelfalls nicht dadurch erträglicher, daß die Gesamtordnung intakt ist. Er wird deshalb in Markt und Wettbewerb zwar unverzichtbare, nie aber hinreichende Bedingungen für einen funktionsfähigen Vertrag sehen. Das Vertragsrecht wird sich deshalb auch in Zukunft als (in dieser Hinsicht) ökonomie-resistent erweisen14 und seine inzwischen grundsätzlich „materiale" Verfaßtheit nicht verlieren.15 Um so mehr ist es Aufgabe der Vertragsdogmatik, der (Re-)Materialisierung Begriffe und Formen zu geben, die die Grundbedingungen der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit soweit als möglich wahren; was bedeutet, die Agierenden, namentlich die Geschützten, soweit als möglich als eigenverantwortlich und 9 Genannt seien die Werke von M. Wolf, Entscheidungsfreiheit; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz; Hönn, Kompensation; Habersack, Vertragsfreiheit; Fastrieb, Inhaltskontrolle; Preis, Grundfragen; Singer, Selbstbestimmung; Enderlein, Rechtspaternalismus; Oecbsler, Vertragsgerechtigkeit; Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung; St. Lorenz, Schutz; Lurger, Vertragliche Solidarität; einen summarischen Uberblick gibt Hönn, FS Kraft, S. 251, 255ff. Der Materialisierung des Vertragsrechts im Hinblick auf den Schutz immaterieller Interessen widmet sich die Studie von Otto, Personale Freiheit. 10 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz. 11 Reuter, AcP 189, 199ff. 12 Okonomietheoretisch entspricht dem Gegenüber von Formalität und Materialität der Streit zwischen klassischem und neuem Liberalismus hier, einem aufgeklärten und sozial integrativen Liberalismus dort, und einem, vorerst verblaßten, sozialen Antiliberalismus zum dritten. Siehe den Uberblick bei Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, § 4. 13 Dies sieht auch ein so prominenter Kritiker gängiger Materialisierungsvorstellungen wie Zöllner nicht anders, vgl. AcP 196, 1, 33. 14 Soweit Ökonomie Formalität bedeutet, vgl. Fn. 12. 15 Siehe Wiedemann,JZ 1994,411: „Die Jurisprudenz würde ihre Aufgabe mißachten und sich womöglich selbst aufgeben, wenn sie das Privatrecht an den Marktmechanismus auslieferte."

I. Informationspflichten

und materielle

Vertragstheorie

5

als gleich zu erfassen und damit eine wesentliche Voraussetzung des Privatrechts und seiner Einheit aufrechtzuerhalten.16 2. Die spezifische

Problematik

vorvertraglicher

Informationspflichten

Im Hinblick auf die vorvertraglichen Informationspflichten scheint sich diese Aufgabe nicht zu stellen. Richterrechtlich statuierte Informationspflichten sind zwar ein wesentlicher Teil der Materialisierung,17 und manch sorgenvoller Blick begleitet diese Entwicklung. Gernhuber etwa spricht von einem förmlichen „Schwelgen" in Informationspflichten.18 Aber ihrer Wirkung nach sind Informationspflichten prinzipiell autonomiekompatibel, da die privatautonome Regelungsbefugnis letztlich unberührt bleibt. Deshalb will etwa Dauner-Lieb die Materialisierung des Vertragsrechts überhaupt auf die Behebung informationeller Defizite beschränken („Informationsmodell"). 19 Und selbst ein Materialisierungsskeptiker wie Reuter steht diesem Teil der Entwicklung aufgeschlossen gegenüber.20 Indessen wohnt auch der Pflicht zu vorvertraglicher Aufklärung ein privatautonomiegefährdendes Potential inne, das subtiler, aber darum nicht weniger wirkt. Denn in einer Hinsicht nimmt die Pflicht zu vorvertraglicher Aufklärung, aus der Perspektive des formalen Systems betrachtet, eine Sonderstellung unter den materialisierenden Rechtsschöpfungen ein. Sie macht den Informationspflichtigen zum Schutzpatron seines Kontrahenten.21 Die tiefere Ursache dafür liegt im kategorialen Unterschied zwischen aktivem Tun und Unterlassen und dem daraus folgenden „strukturtheoretischen" Unterschied zwischen Verbot und Gebot. 22 Auf einer obersten Begriffsebene ist dieser Unterschied bestreitbar: Jede Fahrlässigkeit ist Unterlassung des Gebotenen. 23 In der Stufe darunter aber ist seine Relevanz für die Pflichtenbegründung evident. Die tatsächli16 Zu diesem Petitum Wieacker, FS DJT II, S. 1, 7; Lieb, AcP 183, 327ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 105ff. und passim; St. Lorenz, Schutz, S.4ff. m.w.N.; aus rechtshistorischer Sicht Behrends, Privatrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, S. 9ff., 72, 77ff. 17 Ubersichten in der Kommentarliteratur: SoergeVWiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 144ff., 153ff., und zu einzelnen Vertragstypen Rn. 265ff.; Staudinger/LöWsc/?, BGB, 13. Bearb., Vorbem. §§275ff. Rn.80ff.; MünchKommARoi^, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.210ff.; MünchKomm/Emmerich, BGB, 3. Aufl., Vor §275 Rn. 79ff.; Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl., §276 Rn. 78 ff. 18 JZ 1995,1086,1089. Zu diesem Eindruck mag die bloße Quantität der Entscheidungen ihren Teil beigetragen haben, die freilich nichts über eine Verschiebung der normativen Maßstäbe besagt, wenn sie aus der wiederholten Anwendung festgefügter Grundsätze zu erklären ist; siehe bereits die zahlreichen Entscheidungen des RG in der Darstellung bei Staudinger/We^er, BGB, 11. Aufl., §242 Rn. A 829ff. 19 Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 62ff.; Bydlinski, Prinzpien des Privatrechts, S. 741 ff. und (krit.) S. 750ff.; krit. Singer, Selbstbestimmung, S. 27ff. 20 Reuter, AcP 189, 201, 218f. („marktwirtschaftliche Selbstkorrektur"); ders., Freiheitsethik und Privatrecht, S. 122. 21 Druey, Information, S.220, spricht vom „Recht auf passive Informierung". 22 Alexy, Theorie der Grundrechte, S.420f. 23 Kelsen, Reine Rechtlehre, 2. Aufl., S. 128.

6

1. Teil: Die

Problemstellung

che Kausalität aktiven Tuns führt eher zur Zurechnung als die hypothetische des Unterlassens. Das Verbotene ist leichter zu begründen als das Gebotene. 24 Die Haftung für unzutreffende Aussagen läßt sich mit der Wahrheitspflicht begründen, hat man sich grundsätzlich für die rechtliche Relevanz tatsächlichen Erklärungsverhaltens entschieden.25 Die Haftung für unterlassene Aufklärung ist dagegen aus der Wahrheitspflicht allein nicht herzuleiten. Es müssen spezifische Wertungen aufgezeigt werden, die das Unterlassen der Aufklärung der aktiven Fehlinformation rechtlich gleichstellen, was aber heißt: Wertungen zu finden, die einen Verhandlungspartner verpflichten, sein Wissen im Interesse des Kontrahenten einzusetzen, den eigenen Vorteil dem Nutzen des anderen hintanzusetzen, und dies noch dazu unaufgefordert. So verpflichtete das R G in der grundlegenden Entscheidung im Luisiniichtfall die Herstellerin von Luisinlicht dazu, ihre Kontrahentin, die den Vertrieb des Luisinlichts übernehmen wollte, vor Vertragsschluß unaufgefordert über Verwarnungen eines Konkurrenten aufzuklären, der Patentrechte an dem Luisinlicht erhob.26 Im Wohnungsfinanzierungsfa.il wurde eine Bauträgergesellschaft verpflichtet, ihre Kunden unaufgefordert über die Höhe der aus dem Erwerb einer Eigentumswohnung resultierenden monatlichen Belastung zu informieren.27 Der daraus resultierende Widerspruch zum Prinzip der Selbstverantwortung fordert eine kompensatorische Dogmatik geradezu heraus, die nach punktuellen oder partiellen „Unfähigkeiten" zur Wahrnehmung der Informationsobliegenheiten fahndet und damit Gleichheit der Verkehrsteilnehmer und Einheit des Privatrechts (vorzeitig) aufgibt. Nicht geringer ist die Gefahr der Fehldogmatisierung durch Überdehnung nichtkompensatorischer Dogmatik oder gar der Dogmatikverweigerung, gespeist aus dem gegenläufigen Bestreben, jedenfalls eine systemstörende kompensatorische Dogmatik zu vermeiden. 3. Das Defizit

der derzeitigen

Dogmatik

Beiden Gefahren sind Rechtsprechung und Literatur erlegen. Die Rechtsprechung leidet an teils unzureichender, teils fehlerhafter Dogmatisierung, die einem weithin geteilten Bedürfnis nach vorvertraglicher Aufklärung die falschen Grün24 Deutsch, Haftungsrecht, 2. Aufl., Rn. 108, konstatiert für das Haftungsrecht: „Für aktives Tun (wird) früher und umfassender gehaftet." In der Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit sind die Grenzen zwischen den Handlungsformen gewiß nicht ohne Ubergänge; dem Erkenntniswert und der kategorialen Bedeutung der Unterscheidung tut das keinen Abbruch. 25 Siehe 4. Teil, 1. Kap., I 1. 26 RG v. 26.4. 1912, JW 1912, 743 Nr. 5 (dazu noch S. 115, 266). Grundlegend war die Entscheidung für die Verknüpfung der vorvertraglichen Aufklärungspflicht mit dem vorvertraglichen Verschulden und die ausdrückliche Anerkennung einer Haftung für fahrlässige Nichtaufklärung. Frühere, aufklärungsfreundliche Entscheidungen hielten (im Zusammenhang mit § 476 BGB) zumindest verbal an der Voraussetzung der Arglist fest, RG v. 16.5. 1903 SeuffArch 58, S.314 Nr. 167; v. 21.12. 1904 JW 1905, 79 Nr. 16. 27 BGH NJW 1974, 849; dazu noch S. 118, 179, 268.

I. Informationspflichten

und materiale

Vertragstheorie

7

de und Begriffe liefert und deren Gefahr für die Privatautonomie allgemein in einer ungesteuerten und damit unberechenbaren Handhabung des Instruments liegt, insbesondere aber in einer „kompensatorischen" Ausrichtung zu sehen ist, die personale Differenzierungen einer material verstandenen Geschäftsfähigkeit gebiert und damit nolens volens zum Wegbereiter autonomiebeschränkenden Sonderrechts wird.28 Unzureichende Dogmatisierung zeigt sich am ungestörten Nebeneinander dieser in stetem Gebrauch der Judikatur stehenden Aussagen: daß die Parteien im Stadium der Vertragsverhandlung „grundsätzlich" eigenverantwortlich handelten und es daher keine Pflicht zu gegenseitiger Aufklärung gebe, einerseits;29 daß die Parteien im Stadium der Vertragsverhandlung zu gegenseitiger Aufklärung über wesentliche Interessen des anderen betreffende Umstände nach Treu und Glauben verpflichtet seien, andererseits.30 Diese Generalklausel wird von vielen Entscheidungen als ausreichende Grundlage für eine Aufklärungspflicht angesehen.31 Fehlerhafte Dogmatisierung ist zu konstatieren, wo die Rechtsprechung zu gewissen Konkretisierungen der Haftungsgründe gelangt ist. Viele Entscheidungen nennen das Vertrauen des Informationsberechtigten als Grund der statuierten Informationspflicht, andere führen stattdessen oder zusätzlich seine geschäftliche Unerfahrenheit an. Diese an und für sich zutreffenden Haftungsgründe werden überdehnt,32 was nicht nur zu Begründungsdefiziten führt, sondern überdies die Konturen der Haftungsgründe verschwimmen läßt. Die Literatur hat den Kurs der Rechtsprechung im wesentlichen mitgetragen, ohne die beschriebenen dogmatischen Probleme vollständig aufgelöst zu haben. Die dogmatisch bedeutenden Schriften zur vorvertraglichen Haftung waren zunächst von dem Bemühen bestimmt, die Grundlagen der Haftung für nicht rechtsgeschäftliche Erklärungen im allgemeinen zu entwickeln, ohne den Pflichten zur unaufgeforderten Aufklärung eingehendere Untersuchungen zu wid-

28 Nicht zuletzt deshalb, weil die Tauglichkeit einer Kompensation durch Aufklärung mangels „Erreichbarkeit" eines zur Selbstbestimmung (partiell) Unfähigen in Frage gestellt werden kann; beispielhaft dafür Grunewald, AcP 190, 609, 612ff. (die allerdings Informations- und Rationalitätsdefizite nicht genügend trennt) und nunmehr Kind, Grenzen des Verbraucherschutzes, S.434ff., 504ff. (am Beispiel des Teilzeitwohnrechtegesetzes). 2 9 Etwa BGH NJW 1970, 653, 655; BGH WM 1976, 51; BGH NJW 1983, 2493, 2494. 30 Etwa RGZ 120,249,252; BGH NJW 1969,653,655 m.w.N.; B G H NJW 1970,653,655; zurückhaltend RGZ 62, 149, 150; zum Teil eingeschränkt durch die Formulierung, die „Erfordernisse des Rechtsverkehrs" (etwa BGH NJW 1969,653,655) oder „die Verkehrsauffassung" (etwa BGH NJW 1979, 2243) müßten die Aufklärung fordern. Umfassende Nachweise bei Soergel/ Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 153 Fn.5 und - zur Rechtsprechung des Reichsgerichts-bei Staudinger/ Weber, BGB, 11. Aufl., § 242 Rn.A 831; Nachweise auch bei Werres, Aufklärungspflichten, S. 13f.; siehe ferner MünchKomm/Äot/?, BGB, 3. Aufl., §242 Rn. 215; Leenen, Symposion Wieacker, S.108, 112; St. Lorenz, Schutz, S.416f.; AK-BGB/Teubner §242 Rn.71; krit. zum Stand der Dogmatik insgesamt etwa Reich, NJW 1978, 513, 514, 519 („tautologisch"); Ott, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 142,146 („Leerformel"). 31 32

Siehe etwa die in Fn. 30 genannten Entscheidungen; ferner S. 114ff. Näher S.183ff.,S.190ff.

8

1. Teil: Die

Problemstellung

men.33 Die Haftung für positive Erklärungen wurde oft mit jener für unterlassene Aufklärung vermengt und unter Begriffen wie „Erklärungshaftung" gemeinsam rubriziert.34 Erst allmählich hat sich Sensibilität eingestellt für die spezifischen Begründungsprobleme vorvertraglicher Informationspflichten.35 Im wesentlichen lassen sich heute drei Theorieströmungen unterscheiden, die zum Teil als universale Konzeptionen vorvertraglicher Informationshaftung verstanden werden wollen, zum Teil kombinatorisch eingesetzt werden: (1) Der vertrauenstheoretische Ansatz nimmt das Vertrauen einer Partei - in eine bestimmte Sachlage oder in die Person oder Erklärungen des anderen - als Grund, zumindest aber Maß der vorvertraglichen Informationshaftung. (2) Der paritätstheoretische Ansatz nimmt die informationelle Unterlegenheit zum Ausgangspunkt und begreift Informationspflichten als kompensatorische Maßnahme zur Wiederherstellung eines informationellen Gleichgewichts bzw. zur Verhinderung eines Ungleichgewichts. Während diese Theorien individual, auf den einzelnen Vertrag orientiert sind, setzen (3) ordnungstheoretische Ansätze Informationspflichten ein, um den Beitrag des Vertrages zu einer gerechten Gesamtordnung sicherzustellen; auch ihnen liegt eine kompensatorische Absicht zugrunde, aber mit einem über den einzelnen Vertrag hinausgehenden Ziel - der gerechten Gesamtordnung. Fehldogmatisierungen sind auch hier festzustellen: teils, wie in der Judikatur, durch Uberdehnungen durchaus richtiger Theorieansätze, teils durch die Ausbildung untauglicher Theorien. Bei aller Verschiedenheit im übrigen ist den Literatur-Theorien wie der Rechtsprechung die Auffassung gemeinsam, daß die Funktion der Informationspflichten darin bestehe, Störungen in der Willensbildung der informationsberechtigten Partei zu beheben, und es folglich darum gehe, derartige Störungen zu lokalisieren. Sie greifen insoweit prinzipiell zu kurz. Eben darin liegt der Grund für die angedeuteten dogmatischen Defizite.

33 Genannt seien die Untersuchungen von Ballerstedt, AcP 151, 501 ff.; Eichler, Vertrauen; Frotz, Verkehrsschutz; von Craushaar, Vertrauen; Canaris, Vertrauenshaftung, insbes. S. 532 ff. („Erklärungshaftung"); siehe ferner Loges, Erklärungspflichten, S. 15 und passim. Deutlicher bereits Hildebrandt, Erklärungshaftung; Stoll, FS v. Caemmerer, S.437ff.; Hopt, Kapitalanlegerschutz; Assmann, Prospekthaftung; Schumacher, Irreführung. Die ältere Literatur ist bei Staudinger/ Weber, BGB, 11. Aufl., §242 Rn. A 830, zusammengestellt. 34 Sprachlich deutlicher die Unterscheidung im angloamerikansichen Rechtskreis zwischen der Haftung für unrichtige Mitteilungen („misrepresentation") und jener für unterlassene Aufklärung („nondisclosure"), Prosser/Keeton, Torts, 5th Ed., S. 736, 737; G. Müller, Informationspflichten, S.23ff., 82ff. 35 Siehe die Schriften von Breidenbach, Informationspflichten; Klingler, Aufklärungspflichten; Werres, Aufklärungspflichten; Wahrenberger, Vorvertragliche Aufkläungspflichten; ferner St. Lorenz, Schutz, S. 416ff. Die Arbeit von Grigoleit, Informationshaftung, befaßt sich vor allem mit der Einpassung vorvertraglicher Erklärungs- und Aufklärungspflichten im Hinblick auf die Rechtsfolgen.

II. Die Verständigung

über den Vertrag als Anknüpfungspunkt

9

II. Die Verständigung über den Vertrag als Anknüpfungspunkt für die Dogmatik 1. Der Schutz des materiellen Willens als Funktion Informationspflichten

vorvertraglicher

Die Funktion36 der vorvertraglichen Informationspflicht innerhalb des Vertragsrechts, zunächst nur verstanden in einem deskriptiv-analytischen Sinne,37 liegt darin, den materiellen Willen der informationsberechtigten Partei vor Enttäuschung zu schützen: (1) vor der Enttäuschung durch einen ihrem materiellen Willen nicht entsprechenden (nicht erwartungsgerechten) Vertrag; (2) vor der Enttäuschung, daß ein von ihr erwarteter Vertrag nicht zustande kommt. Aus Gründen der Übersichtlichkeit wird sich die Erörterung auf die erste Fallkonstellation, den Schutz vor dem nicht erwartungsgerechten Vertrag, konzentrieren. Die für diese Fallgruppe maßgeblichen Haftungsprinzipien gelten auch für die zweite Fallkonstellation; es wird nur zusammenfassend auf einige Besonderheiten einzugehen sein (6. Teil, S.292f.). Der materielle Wille bezeichnet erstens den auf eine bestimmte Rechtsfolge zielenden Willen,38 und zweitens alle anderen Willensmomente, die den Rechtsfolgewillen tragen, d.h. Vorstellungen oder fehlende Vorstellungen vom Sein oder Nichtsein und Eintritt oder Nichteintritt einer wirtschaftlichen, rechtlichen oder sonstigen Tatsache, die entweder positiv der Herbeiführung des rechtlichen Erfolges zugrunde liegt oder negativ ihr entgegengewirkt haben würde, hätte die Partei an ihrer Richtigkeit gezweifelt.39 Im Anschluß an Schmidt-Rimpler40 werden diese Willensmomente hier zusammenfassend als Wertungsgrundlage bezeichnet. Der Begriff meidet die psychologische Enge der „Vorstellung" bzw. „Seinsvorstellung", die das Problem von vornherein auf positive Fehlvorstellungen verkürzt. Erfaßt werden auch fehlende Vorstellungen, soweit sie nur motivierend für den Rechtsfolgewillen sind. Die Wertungsgrundlage erstreckt sich auf vergangene, gegenwärtige, aber auch künftige Tatsachen.41 Der Begriff des materiellen Willens ist dem des „Vertrauens" (der infor36 Vgl. Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 162. Zur Bedeutung der funktionalen Betrachtung des bestehenden Rechts für Auslegung und Rechtsfortbildung Esser, Grundsatz und Norm, S. 254ff. 37 Ob diese Funktion auch von einer entsprechenden Wertung getragen wird, also normativer Zweck ist, steht auf einem anderen, noch aufzuschlagenden Blatt (näher S.40ff., 44ff., 77ff.). 38 Der nicht identisch sein muß mit dem „erklärten Willen". 39 Rhode, AcP 124, 257, 258. Auch die oft so genannten „weiteren Zwecke", die eine Partei mit dem Vertrag verfolgt (Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §4 (5), S. 51 f.), sind Seinsvorstellungen. Wenn etwa der Käufer den erworbenen Ring seiner Tochter zur Verlobung schenken „will", so liegt insoweit zwar „psychologisch" ein Willenstatbestand vor. Aus der Perspektive des Kaufvertrages handelt es sich aber nicht um einen Vorgang, der durch das Wollen der Parteien herbeigeführt werden kann, sondern um eine Vorstellung, die entweder Wirklichkeit wird oder nicht. 40 41

FS Nipperdey (60. Geb.), S. 1, 10f., 17. Freilich wird diesen fast immer ein Risikoelement anhaften, das zu tragen, soweit es erkenn-

10

1. Teil: Die

Problemstellung

mationsbedürftigen Partei) vorzuziehen, weil das „Vertrauen" leicht als „hervorgerufenes Vertrauen" verstanden werden kann und damit eine Verantwortlichkeit des Kontrahenten insinuiert, die gerade bei der Unterlassung gebotener Aufklärung besonders kritischer Prüfung bedarf. Nach dem Eigenverantwortungsgrundsatz hat jede Partei selbst durch ausreichende Informationsbemühungen dafür zu sorgen, daß ihr materieller Wille nicht enttäuscht wird. Die Funktionsweise der vorvertraglichen Informationspflicht besteht darin, die informationsberechtigte Partei der Informationslast (Informationsobliegenheit oder Informationsrisiko) zu entheben, und zwar durch Zubilligung eines Schadensersatzanspruchs, der die Aufhebung eines nicht dem materiellen Willen entsprechenden Vertrages umfaßt.42 Die Entlastung liegt in erster Linie darin, den Informationsberechtigten auf die Relevanz einer Information hinzuweisen oder - anders formuliert - den Informationsberechtigten auf seinen Informationsbedarf hinzuweisen. Ob die Information auch beschafft werden muß, ist eine davon zu trennende, den Umfang der Informationspflicht betreffende Frage, die von Fall zu Fall durchaus anders beantwortet werden kann,43 und hier von geringerem Interesse, weil das entscheidende fremdschützende Element im Bestehen der Pflicht überhaupt liegt, nicht in ihrem Umfang. 44 Verfehlt ist deshalb die in der Literatur verbreitete Auffassung, die Beschaffungskompetenz als Kriterium für die Verteilung der Informationspflichten zu betrachten.45 Nicht sie, sondern die Problemerkennungskompetenz ist entscheidend. 2. Anknüpfungspunkte für den Schutz des materiellen vor Informationsdefiziten

Willens

Die Diskrepanz zwischen materiellem Willen und Vertrag beruht auf einem zweifachen Defizit: erstens auf einem Defizit bei der Willensbildung, in der es nicht gelungen ist, die Wirklichkeit richtig zu erfassen; zweitens aber zusätzlich auf einem Defizit bei der Willenseinigung (Verständigung über den Vertragsinhalt), bei der es nicht gelungen ist, den fehlerhaft gebildeten Willen zum Inhalt oder zur bar und üblich ist, der betroffenen Partei anzusinnen ist. Es griffe aber zu kurz, Aufklärung über künftige Entwicklungen völlig ausschließen zu wollen (siehe S. 240). 42 Näher dazu im S. 306ff. 43 Siehe zum Beispiel BGH NJW 1982,1095,1096, wo der Anlagevermittler dem Anleger nur hätte offenlegen müssen, daß bezüglich bestimmter Daten eine Informationslücke bestehe (die Annahme einer vertraglichen Pflicht seitens des BGH ist insoweit unerheblich). Oder BGH NJW 1993, 1643, Leits. und S. 1644: Der Grundstücksverkäufer muß nur auf ein vorhandenes Gutachten hinweisen, dessen Überlassung kann er von der Kostenübernahme bzw. -beteiligung abhängig machen. 44 Letztlich dürfte die Frage nach dem Umfang der Information ähnlich den Grundsätzen der Auskunftspflicht (Pflicht zur Information auf Nachfrage) zu beantworten sein, siehe noch folgend S. 13f. 45 Medicus, AT, 7. Aufl., Rn. 449; Breidenbach, Informationspflichten, S. 71 f.; siehe ferner unten S.63ff.

II. Die Verständigung über den Vertrag als Anknüpfungspunkt

11

Grundlage des Vertrages zu machen oder die Nichteinigung über diesen Punkt klarzustellen. Die Diskrepanz zwischen materiellem Willen und Vertrag kann dogmatisch folglich aus zwei Perspektiven betrachtet werden: den für die Willensbildung maßgeblichen Regeln und den für die Willenseinigung geltenden Regeln. a) Störungen der Willensbildung. Zuerst muß sich die vertragswillige Partei im Hinblick auf ihre Willensbildung informieren, und zwar über den Gegenstand ihres Wollens, d.h. über die Wirklichkeit, in der und auf die hin ein bestimmter geschäftlicher Zweck verfolgt wird. Deren Kenntnis ist erforderlich, um den rechtsgeschäftlichen Willen richtig bilden zu können. Wirklichkeit bezeichnet alles, was Gegenstand einer Vorstellung oder Wertung sein kann, meint daher nicht nur die Seinswirklichkeit (z.B. die Größe eines Grundstücks), sondern auch die außerhalb der vertraglichen Abrede selbst liegende Sollenswirklichkeit (z.B. die Regelung der Grunderwerbssteuer oder den Umfang der gesetzlichen Verkäuferhaftung).46 Von Informationsobliegenheiten ist zu sprechen, wenn die Informationen für die betroffene Partei bei Aufwendung der im eigenen Interesse gebotenen Sorgfalt zu erkennen wären. Das Informationsrisiko betrifft Informationen, die für die Partei auch bei sorgfältigem Verhalten nicht zu erkennen (erkennbar) sind. Beide sind hier zusammengefaßt im Begriff der Informationslast,47 Das B G B widmet der grundsätzlichen Verteilung der Informationslast keine ausdrückliche Regelung, sie ist vielmehr eine Folge des gesetzlichen Rechtsgeschäftsystems. Die insoweit maßgeblichen Faktoren sieht die herrschende Dogmatik in der formalen Regelung der Selbstbestimmung im Vertrag, markiert durch drei Systementscheidungen: (1) die formale Regelung der Geschäftsfähigkeit (§§ 104ff. BGB), (2) den formalen Begriff des Rechtsfolgewillens und (3) die Begrenzung der Anfechtung auf bestimmte Tatbestände (§119 B G B ) verbunden mit einer Vertrauenshaftung des Anfechtenden (§ 122 BGB). Aus ihnen folgt als Grundregel der Informationslastverteilung das - so könnte man sagen - Interessenprinzip: Derjenige trägt die Informationslast, der ein Interesse am Vorhandensein oder Nichtvorhandensein des betreffenden Informationsgegenstandes hat. Vorausgesetzt ist dabei die - formal bestimmte - Fähigkeit, den eigenen Informationsbedarf zu erkennen und demgemäß zu handeln. Dieser gesetzlichen Wertung entsprechend knüpft eine mögliche Umverteilung der Informationslast an eine Störung der Fähigkeit zu richtigem Informationsverhalten an, wie es der herrschenden Dogmatik (mit den genannten unterschiedlichen Ansätzen) entspricht.

4 6 Z u r maßgeblichen Wirklichkeit bei der Aufklärungspflicht bezüglich des Abbruchs der Vertragsverhandlungen siehe S . 2 9 2 f . 47 E s soll damit nicht die Bedeutung der Erkennbarkeit der Information durch den Informationsberechtigten geleugnet werden. A u f die insoweit gebotenen Differenzierungen wird zu gegebener Zeit zurückzukommen sein.

12

1. Teil: Die

Problemstellung

b) Störungen der Willenseinigung. Trotz fehlerhaft gebildeten Willens kann eine Diskrepanz zwischen Vertrag und materiellem Willen vermieden werden, wenn es gelingt, den materiellen, wenn auch fehlerhaft gebildeten Willen in den Vertrag einzubringen, ihn zum Maßstab des Vertrages zu machen oder zumindest, wenn der Kontrahent sich weigert, den Vertragsschluß zu unterlassen. Wer sich beim Hauskauf über Lärmbelastungen durch Flugverkehr oder streitsüchtige Nachbarn geirrt hat, kann sich aus dem Vertrag lösen oder sogar Schadensersatz fordern, wenn die gegenteilige Vorstellung Inhalt oder Grundlage des Vertrages geworden ist, oder wird zumindest die Gelegenheit zur Abstandnahme vom Vertragsschluß nutzen können, wenn der andere sich auf einen derartigen Vertragsinhalt nicht einlassen will. Auch an dieser Stelle, der Willenseinigung, der ihr vorhergehenden Verständigung über den Vertrag, kann daher eine Ursache für die Enttäuschung des materiellen Willens liegen, dann nämlich, wenn es die betroffene Partei verfehlt, ihren materiellen Willen in den Einigungsprozeß einzubringen, sich genügend verständlich zu machen. Und es kann zur Behebung dieses Defizits eine Informationspflicht des Kontrahenten entstehen, die zum Zwecke der Verständigung über Vertragsinhalt und Vertragsgrundlagen Klarheit über das wirklich Gewollte herstellt. Gerade im Falle des fehlgebildeten Willens könnte solcher Klärungsbedarf entstehen. Über Grund und Maß derartiger Informationspflichten ist auf Basis der Wertungen zu entscheiden, die für die Verteilung der Verständigungslast gelten und die durchaus nicht einem strengen Eigenverantwortungsregime folgen. 3. Die Zielsetzung

der

Untersuchung

Die Willenseinigung, genauer: die ihr vorausgehende Verständigung über Inhalt und Grundlagen des Vertrages ist als dogmatischer Ansatzpunkt für die Begründung vorvertraglicher Informationspflichten bislang übersehen worden. Es ist dies der Grund dafür, daß ein erheblicher Teil der von der Rechtsprechung befürworteten Informationspflichten, wie noch darzulegen sein wird, ohne dogmatische Begründung geblieben ist, daß andererseits die vorhandenen Erklärungsansätze überdehnt werden. Das gilt neben der Vertrauenstheorie vor allem für paritätstheoretische Begründungen, die so einer Fehlentwicklung nicht nur der Dogmatik, sondern der Rechtspolitik Vorschub leisten könnten. Die vorliegende Studie nimmt sich daher zweierlei zur Aufgabe. Sie will erstens die vorhandenen, unmittelbar auf den Schutz der Willensbildung zielenden Theorieansätze auf ihre Tragfähigkeit und ihren Erklärungsgehalt hin untersuchen und deren Grenzen aufzeigen. Sie will zweitens einen auf die vertragliche Verständigung gestützten neuen Theorieansatz ausformen, der die angedeutete dogmatische Lücke schließt. Motiv und Ziel des Unternehmens ist bei alldem nicht, wie bereits gesagt, die Ausbildung neuer Informationspflichten, sondern die Erklärung des Bestehenden, allerdings nicht im schlechten Sinne eines „Rechtsprechungspositivis-

III. Eingrenzung der

Probemsteilung

13

mus", 48 sondern im hoffentlich guten Sinne des verstehenden, aber auch richtunggebenden Deutens.

III. Eingrenzung der Problemstellung 1. Schutz der rechtsgeschäftlichen

Entscheidungsfreiheit

Die Untersuchung gilt Aufklärungspflichten zum Schutze privatautonomer rechtsgeschäftlicher Entscheidungen. Aufklärungspflichten zum Schutze von Integritätsinteressen, insbesondere deliktische Verkehrspflichten zum Schutz von Leib, Leben, Eigentum und anderen Rechtsgütern vor Eingriffen und Gefahren, sind hier nicht von Bedeutung.49 2. Pflicht zu unaufgeforderter

(spontaner)

Aufklärung

Gegenstand der Arbeit ist die Pflicht zu unaufgeforderter Aufklärung.50 Auszugrenzen sind Informationspflichten, die ein Verlangen des Berechtigten voraussetzen (Auskunftspflichten).51 Sie entlasten den Berechtigten nicht von seiner Informationseigenverantwortung, sondern helfen ihm bei der Wahrnehmung dieser Verantwortung, und zwar dadurch, daß sie nicht oder schwer zugängliche Informationen zugänglich machen. Sie setzen für gewöhnlich ein Informationsmonopol des Verpflichteten voraus, zumindest dessen besseren Zugang zur Information. Der Berechtigte hat, dem Schutzzweck entsprechend, gewöhnlich einen klagbaren Leistungsanspruch.52 Bei der unaufgeforderten Aufklärung wäre ein solcher Anspruch unsinnig, denn seine Geltendmachung setzt das „Problembewußtsein" voraus, das die unaufgeforderte Aufklärung erst herstellen soll.53 Auskunftspflichten können auf Gesetz oder Vertrag beruhen. Winkler von Mohrenfels unterscheidet zwischen besonders vereinbarten (autonomen) und einem anderen Zweck mittelbar dienenden (abgeleiteten) Auskunftspflichten.54 Aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis ergibt sich (selbstverständlich) keine einklagbare Auskunftspflicht. Eine schadensersatzbewehrte Pflicht zur Auskunft auf Bydlinski, Methodenlehre, 2. Aufl., S.27. Dazu v. Bar, Verkehrspflichten, S. 84ff.; Winkler von Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 25. 50 Verbreitet wird auch von „spontaner" Aufklärung gesprochen, Staudinger/We^er, BGB, 11. Aufl., §242 Rn. A 829; Breidenbach, Informationspflichten, S.2; MünchKomm/i?ot^, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.210; Prölss/Martin, W G , 26. Aufl., §§16, 17 Rn. 1. 51 Beide Pflichteninhalte können bezüglich desselben Gegenstandes zusammentreffen, vgl. Winkler von Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S.22. 52 Winkler von Mohrenfels spricht deshalb in seiner gleichnamigen Schrift von „Informationsleistungspflichten" (a.a.O., S.22). 53 Winkler von Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S.22: „Was eingeklagt werden muß, ist nicht spontan erfüllt." 54 Informationsleistungspflichten, S. 19. 48

49

14

1. Teil: Die

Problemstellung

Nachfrage ist denkbar, wenn der Befragte Vertrauen der anderen dahingehend in Anspruch nimmt, eine bestimmte Information geben zu wollen. Weigert er sich dann, hat er den daraus entstehenden Vertrauensschaden zu ersetzen.55 Ansonsten aber gilt: Wenn die Voraussetzungen zur unaufgeforderten Aufklärung nicht vorliegen, gibt es auch keine Pflicht, auf Nachfrage Auskunft zu erteilen; der Befragte darf die Auskunft verweigern und der Kontrahent handelt auf eigene Gefahr. Läßt er sich auf die Beantwortung ein, muß er allerdings wahrheitsgemäß antworten.56 3. Vertragliche

Informationspflichten

Die Untersuchung beschränkt sich auf vorvertragliche Pflichten zur unaufgeforderten Aufklärung. Die Haftung aus vertraglichen Aufklärungspflichten57 bleibt außen vor, denn sie sind das Resultat einer bereits erfolgten vertraglichen Interessenregelung. Die Informationspflicht kann Hauptleistungspflicht des Vertrages sein (z.B. Beratungsvertrag) oder bloße Nebenpflicht eines auf eine andere Leistung gerichteten Vertrages.58 So klar die Abgrenzung vertraglicher Informationspflichten von außervertraglichen idealiter ist, so undeutlich wird sie in der Praxis. Dazu hat nicht zuletzt eine Rechtsprechung beigetragen, die gewisse Spielräume der Rechtsgeschäftslehre nutzt und zuweilen mißbraucht, um die Begründung sachlich für richtig gehaltener Informationspflichten aus dem heiklen vorvertraglichen Bereich in die sicheren Gefilde des Vertrages zu verlagern.59 So wird die Grenze zur Fiktion überschritten, wenn der eigene Produkte verkaufende Vermittler von Kapitalanlagen allein aufgrund des Verkaufsgesprächs sich vertraglich zur Beratung verpflichtet haben soll.60 4.

Dritthaftungsproblematik

Die Untersuchung beschränkt sich auf Informationspflichten zwischen den Interessenten eines angestrebten Vertrages. Die Haftung Dritter, die von den InterInsoweit zu kurz Winkler von Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 22. Nur diese Pflicht zur Wahrheit ist gemeint, wenn in den nachfolgenden Entscheidungen von der „Pflicht zur Beantwortung der Frage" gesprochen wird: RGZ 91, 80 (82); B G H NJW 1967, 1222f.; BGH NJW 1971, 1799ff.; BGH NJW 1977, 1055f. Ferner Breidenbach, Informationspflichten, S.2f. mit Hinweisen zur Haftung für Auskünfte außerhalb eines beabsichtigten Vertragsschlusses. 57 Damit sind auch gesetzlich angeordnete, aber einen Vertrag voraussetzende Pflichten gemeint; vgl. dazu etwa Winkler von Mohrenfels, Informationsleistungspflichten, S. 22. 58 Breidenbach, Informationspflichten, S. lf. 59 Kritisch etwa W. Lorenz, FS Larenz (70. Geb.), S.575, 618; Stoll, FS Flume, S.741, 750ff.; Canaris, FS Larenz (80. Geb.), S.27,93 f.; siehe ferner St. Lorenz, Schutz, S. 403 und Fn. 1120, unter Hinweis auf den Abschlußbericht der Schuldrechtskommission, S.24f. 6 0 BGH NJW 1982, 1095; zum Beratungsvertrag als Haftungsgrundlage im Bankenrecht Hopt, Funktion, S.6ff., lOf. Anderes mag für den Anlageberater gelten, vgl. BGH DZWir 1994, 197,198 m. Anm. Kunz-, zur Bedeutung des §676 BGB in diesem Kontext Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 88ff. 55

56

III. Eingrenzung

der Probemsteilung

15

essenten zur Vorbereitung des Vertragsschlusses um Information angegangen werden und deren spezifische Problematik darin liegt, eine quasivertragliche Haftung außerhalb einer vorvertraglichen Sonderbeziehung zu begründen, beschränkt sich auf eine Einordnung des Problems.61 5. Gegenstand

der vorvertraglichen

Informationspflichten

In der Praxis stehen die Informationspflichten ganz im Vordergrund, die sich auf die außerhalb des Vertragsinhalts stehende „Wirklichkeit" beziehen. In unsere Betrachtung einzubeziehen sind aber auch jene Informationspflichten, deren Gegenstand der Vertragsinhalt selbst ist. Relevant ist das zum einen bei Unklarheiten über das von einer Partei Erklärte, zum zweiten bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen. 6. Spezialgesetzliche

Informationspflichten

Spezialgesetzliche Informationspflichten (insbesondere Kapitalanlagerecht, Versicherungsvertragsrecht) werden hier nur behandelt, soweit sie für die Rechtsfortbildung von allgemeinem Interesse sind. Ebensowenig kann die rechtspolitische Diskussion insbesondere um eine Fortbildung des Verbraucherrechts, auf nationaler oder europäischer Ebene, hier aufgenommen werden. 7.

Rationalitätsdefizite

Die Informationspflicht zielt auf die Behebung von Informationsdefiziten. Selbstbestimmungsdefizite anderer Art, die nicht mit Informationspflichten behoben werden können, insbesondere wirtschaftliche oder psychologische Zwänge und Beeinträchtigungen, sind nicht Gegenstand der Untersuchung. Störungen der psychologischen oder rationalen Selbstbestimmung (Rationalitätsdefizite) b 2 sind von Informationsdefiziten strikt zu trennen, mögen sie realiter auch oft gemeinsam auftreten und vor allem vom Verbraucherschutzgesetzgeber nicht immer auseinandergehalten werden. Mangel an Rationalität bedeutet nicht Mangel an Information, 63 sondern Mangel an Motivation, Mangel an willensmäßiger Umsetzung verfügbarer Informationen. Gestört sein kann die Entscheidungsbildung durch einen konstitutionellen Mangel an Urteilsvermögen und Willenskraft (vgl. §138 Abs.2 BGB). 6 4 Sodann kann die inhaltliche Gestaltung des Vertrages ob ihrer Unüberschaubarkeit und Unkalkulierbarkeit der Folgen eine überlegte Siehe S. 94f. Umfassend, Enderlein Rechtspaternalismus, S.237ff.; St. Lorenz, Schutz, S.122ff., 171 ff., 202ff.; siehe auch Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S. 220ff. 63 Mißverständlich etwa Joerges, Verbraucherschutz, S.90, der unter anderem die von der Rechtsprechung postulierte Pflicht der Teilzahlungskreditbank, den Konsumenten auf günstigere Kreditalternativen hinzuweisen, als Beseitigung von Rationalitätsdefiziten sieht. 64 Enderlein, Rechtspaternalismus, S.239; siehe auch S. 173ff. 61

62

16

1. Teil: Die

Problemstellung

E n t s c h e i d u n g behindern. 6 5 Schließlich k ö n n e n äußere schlusses

Umstände

des

Vertrags-

eine rationale E n t s c h e i d u n g verhindern. E i n Beispiel aus der G e s e t z g e -

b u n g ist der Verkauf in den W o h n r ä u m e n des Käufers, der nach der W e r t u n g des Haustürwiderrufsgesetzes den K ä u f e r wegen der A n w e s e n h e i t des Verkäufers von einer überlegten E n t s c h e i d u n g abzuhalten d r o h t ; 6 6 ein Beispiel aus der R e c h t s p r e c h u n g ist die D i s k u s s i o n u m I n h a l t s k o n t r o l l e u n d Uberlegungsfrist bzw. Widerrufsrecht bei der A u f h e b u n g eines Arbeitsvertrages. 6 7 A u c h die R e c h t s p r e c h u n g z u r B ü r g s c h a f t (Mithaftungsverpflichtung bzw. Schuldbeitritt) vermögensloser A n g e h ö r i g e r für B a n k s c h u l d e n ist im wesentlichen ein R a t i o n a l i t ä t s p r o b l e m . 6 8 N i c h t an den nötigen I n f o r m a t i o n e n fehlt es den B ü r g e n ; denn ein Geschäftsfähiger k e n n t in der Regel den Inhalt u n d das allgemeine R i s i k o 6 9 einer B ü r g s c h a f t . 7 0 Z u d e m m u ß er für eine selbstbestimmte E n t s c h e i d u n g nicht v o r 65 Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 238f., nennt den Gesellschaftsvertrag auf Lebenszeit (vgl. §724 BGB) und den Verbraucherkreditvertrag (§2 VerbrKrG); dazu gehört auch das von Enderlein als besondere Fallgruppe genannte (S. 240) Beispiel der (arbeitsvertraglichen) Anwesenheitsprämie. Zu den insoweit auch möglichen informationellen Defiziten und deren Irrelevanz für die Pflicht zu unaufgeforderter Aufklärung näher S. 146f. 66 Vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 1 HaustürWiG und dazu St. Lorenz, Schutz, S. 122ff.; ähnlich § 11 AuslandsinvestmentG und §23 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften (KAAG); dazu und zu weiteren gesetzlich geregelten Widerrufsrechten St. Lorenz, Schutz, S.202ff., 171 ff.; Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 466ff. 67 LAG Hamburg LAGE §611 BGB Aufhebungsvertrag Nr.6 m. abl. Anm. Bengelsdorf einerseits, BAG 30.9.1993 NZA 1993,209 andererseits; weiterhin Bengeisdorf, NZA 1994,193ff.; Ehrich, NZA 1994, 438ff.; Zwanziger, DB 1994, 982ff.; siehe auch Ernst, Aufhebungsverträge, S. 189ff. 68 Zur Rechtsprechung des BGH vor und nach Eingreifen des BVerfG Grün, WM 1994, 713, 714ff., Hommelhoff, Verbraucherschutz, S. 13ff., Gernhuber, JZ 1995, 1086ff., Enderlein, Rechtspaternalismus, S.415ff., Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 505ff., Medicus, JuS 1999, 833, 834f., jeweils m.w.N. zur kaum mehr zu überschauenden Literatur. Umfassend zu Rechtsprechung und Literatur Albers-Frenzel, Mithaftung naher Angehöriger. Zu jüngsten Wendungen Kulke, ZIP 2000, S. 952 ff. 69 Hinsichtlich fallbezogener spezieller Bürgschaftsrisiken (z.B. absehbare Zahlungsunfähigkeit des Hauptschuldners, Erstreckung der Bürgschaft auf Altschulden) können Aufklärungspflichten bestehen (vgl. Köndgen, NJW1992,2018,2019; dieses Risiko meint wohl auch Gernhuber, JZ 1995, 1086, 1090); doch ging es in den meisten Fällen der „Angehörigen-Bürgschaft" nicht um solche Risiken. Zudem können Aufklärungspflichten aus pflichtwidrigem Vorverhalten (Vertrauen) entstehen, etwa der Erklärung des Gläubigers, die geforderte Bürgschaftserklärung sei nur für die Akten; unverständlich BGH NJW 1989,1605,1606; zutr. dagegen die Vorinstanz O L G Celle WM 1988, 1436, 1438; Medicus, JuS 1999, 833, 837f. 70 Insoweit im Grund zutreffend BGHZ 107, 92, 102f., BGH NJW 1988, 3205, 3206, und BGH NJW 1992, 896, 898. Allenfalls bei Bürgen im jugendlichen Alter oder anderen ohne jede Geschäftserfahrung (u.U. auch Ausländer, vgl. BGH ZIP 1997, 1058; ferner S. 154ff.) kann Unkenntnis hinsichtlich des geschäftstypischen Risikos bestehen. In den insoweit einschlägigen Fällen des BGH (BGHZ 106,269; 107,92; BGH NJW 1989,1605; BGH NJW 1991,2015) waren sich die Bürgen aber offenbar darüber im klaren; tendenziell anders, aber nicht überzeugend BVerfG (Kammer) BB 1994,2296,2298, das ohne konkrete Prüfung in dem Lebensalter der Bürgin bei Abgabe des Bürgschaftsversprechens (20 Jahre) und dem Fehlen einer Berufsausbildung ein „typisches Anzeichen" dafür erblickt, daß weder Lebens- noch Geschäftserfahrung vorhanden war, die „Tragweite" des Haftungsrisikos abzuschätzen (zur berechtigten Kritik an einer In-

III. Eingrenzung

der

Probemsteilung

17

Augen haben, wie schnell die Hauptschuld durch Zinsen anwächst, wie stark seine Vermögensgegenstände im Rahmen einer Zwangsversteigerung an Wert verlieren können und daß auch das Einkommen zur Haftung herangezogen wird. 7 1 A u c h die v o m B V e r f G angeführte schwere Abschätzbarkeit des Bürgschaftsrisikos 7 2 kann nicht als Informationsdefizit des Bürgen verstanden werden, soweit damit die wirtschaftliche Entwicklung des Hauptschuldners gemeint ist; denn die kann niemand vorhersagen, 7 3 und es ist deshalb kein Informationsdefizit infolge „Unerfahrenheit" gegeben. Allenfalls die Komplexität und Unübersichtlichkeit einer Kreditgestaltung, die Unbegrenztheit der Bürgschaft 7 4 und der Ausschluß gesetzlicher Schutzregelungen kann ein Informationsdefizit erzeugen. A b e r mit einer entsprechenden Information wäre das Problem der Angehörigen-Bürgschaften in den meisten Fällen nicht gelöst. Es liegt in der Regel darin, daß der Bürge sich v o m Bürgschaftsrisiko nicht ausreichend motivieren läßt: 75 zum einen, weil er nicht ernsthaft mit dem Eintritt der Bürgschaft rechnet; 7 6 allerdings wird diesem Rationalitätsdefizit nach der Wertung des Gesetzes durch die Schriftform des § 766 B G B Rechnung getragen. 77 Zum zweiten, weil er sich aufgrund des Verwandschaftsverhältnisses in einer Drucksituation befindet. 7 8 Hinzu kommen dizwirkung des Alters Albers-Frenzel, Mithaftung naher Angehöriger, S. 177f. m.w.N.). Wenn die Beschwerdeführerin wußte, was eine Bürgschaft sei, war ihr auch die Tragweite klar; wohl mag es sein, daß sie die Tragweite des Haftungsrisikos nicht ernst genug nahm. Zur instanzgerichtlichen Rechtsprechung und zur Literatur vgl. die Ubersicht bei Albers-Frenzel, Mithaftung naher Angehöriger, S. 173 ff. 71 So aber Hommelhoff, Verbraucherschutz, S. 25; ähnlich Drygala, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1994, S. 63, 71; pauschal von intellektueller Unterlegenheit spricht Grunsky, Vertragsfreiheit, S. 17. Ob das BVerfG dies mit der „Tragweite" des Haftungsrisikos meint (siehe vorige Fußnote), ist nicht klar zu erkennen. Insoweit handelt es sich - im Vergleich zum Bürgschaftsrisiko - nicht um wesentliche Interessen, es genügt auch für eine materiell selbstbestimmte Entscheidung, wenn der Bürge das Bürgschaftsrisiko im großen und ganzen vor Augen hat. 72 BVerfGE 89, 214, 234f. 73 Wenn die Insolvenz des Schuldners für den Gläubiger bei Abgabe der Bürgschaftserklärung absehbar ist, kann eine spezielle Informationspflicht entstehen, die aber nichts mit der Unterlegenheit einer Partei zu tun hat, vgl. S.265f., 287. 74 Darauf zielt wohl das BVerfG ab (BVerfGE 89, 214, 235). 75 Gernhuber, JZ 1995,1086, 1090; wohl auch Singer, Selbstbestimmung, S.38. 76 Hommelhoff, Verbraucherschutz, S. 25. 77 Krit. allerdings Gernhuber, JZ 1995, 1086, 1090; bedenklich Großfeld/Lühn, WM 1991, 2013,2016ff., die im Wege der „teleologischen Extension" des §766 BGB die notarielle Beurkundung von Angehörigenbürgschaften (unter bestimmten Voraussetzungen) verlangen. 78 Besonders deutlich der Fall BGH NJW 1991, 923, 925 m. Anm. Grün („Unterschrift als Liebesbeweis"); BGHZ 125,206,213f.; BGH DB 1998,2515; BGH ZIP 2000,351,353, wo auch bei „krasser Überforderung" des Bürgen die „emotionale Verbundenheit" des Bürgen mit dem Hauptschuldner ein tragendes Begründungselement bleibt. Eingehend Gernhuber, JZ 1995, 1086,1094ff., der allerdings die „emotionale Ubersteuerung" des Bürgen nicht als Beeinträchtigung seiner Entscheidungsfreiheit auffaßt (vgl. a.a.O., S. 1093), sondern als familienrechtlich motiviertes Element des Sittenwidrigkeitsurteils. Übersicht zu Rechtsprechung und Literatur bei Albers-Frenzel, Mithaftung naher Familienangehöriger, S. 178ff.

1. Teil: Die

18

Problemstellung

k a n n im Einzelfall eine situationsbedingte „ Ü b e r r u m p e l u n g " . 7 9 E i n e A u f k l ä r u n g darüber, daß er für die H a u p t s c h u l d auch wirklich in A n s p r u c h g e n o m m e n w e r den kann, wird dem künftigen B ü r g e n w e d e r etwas N e u e s n o c h eine H i l f e sein. In Wahrheit zielt die „ I n f o r m a t i o n s - " oder „Aufklärungspflicht", die v o n m a n c h e n gefordert 8 0 und auch v o m B V e r f G erwogen wird, 8 1 auf „ W a r n u n g " 8 2 , m a n k ö n n t e auch sagen auf „ A b s c h r e c k u n g " 8 3 und damit auf Motivation,

nicht I n f o r m a t i o n . 8 4

O b solche Verhaltenspflichten z w e c k m ä ß i g sind, hängt v o n A r t und G e w i c h t des Rationalitätsdefizits ab. E h e r dürfte das Verhaltensgebot dahin zu f o r m u l i e r e n sein, die Ü b e r r u m p e l u n g zu unterlassen bzw. eine bestehende Ü b e r r u m p e l u n g s oder D r u c k s i t u a t i o n nicht auszunutzen. 8 5 F e r n e r werden (gesetzlich) W i d e r r u f s recht, F o r m g e b o t 8 6 und zwingendes R e c h t oder (richterlich) I n h a l t s k o n t r o l l e die richtige A n t w o r t geben. 8 7 Rationalitätsdefizite k ö n n e n - wie auch i n f o r m a t i o n e l -

Vgl. BGHZ 120, 272, 276f. Schlachter, BB 1993, 802, 805ff.; Groeschke, BB 1994, 725, 727f.; ders., Schuldturmproblematik, S. 119ff.; Kiethe/Groeschke, BB 1994, 2291, 2293; Grün, WM 1994, 713, 723; Pape, ZIP 1994,515,516,517; Preis/Rolfs, DB 1994,261,267; Heinrichsmeier, Einbeziehung des Ehegatten, S. 165ff.; siehe auch Knütel, ZIP 1991, 493, 497. Weitere Nachweise bei Albers-Frenzel, Mithaftung naher Angehöriger, S. 111 ff. Der B G H scheint auch nach der Anpassung seiner Rechtsprechung an die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts in Aufklärungspflichten keine Lösung des Problems zu sehen, BGHZ 125,206, 218; ablehnend ebenfalls Merz, ZRP 1991, 307f.; Rehhein, JR 1995, 45, 46; Enderlein, Rechtspaternalismus, S.425f. 81 BVerfGE 89, 214, 235. 82 So sieht etwa Pape (ZIP 1994, 515, 516) das Defizit der Selbstbestimmung im „moralischen Druck" und hat die „Warnfunktion" (a.a.O., S.517) im Blick. Letztlich auch Hommelhoff, Verbraucherschutz, S. 24ff., der zwar an die „unzureichende Kenntnis" (S. 25) des Bürgen anknüpft, sich aber nicht mit der bloßen Information begnügt, sondern eine „Warnung" verlangt (S.28f.) und damit doch das Rationalitätsdefizit als entscheidend ansieht. Solche Warnpflichten sind zu trennen von deliktischen oder vorvertraglichen Warnpflichten zum Schutze von Integritätsinteressen, dazu v. Bar, Verkehrspflichten, S. 85 ff. 83 Vgl. Drygala, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1994, 63, 67 m.w.N. 84 Man sollte nicht von einer „Uberdehnung der Aufklärungspflicht" sprechen (so Drygala, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1994,63,67); es geht nicht um den Fehlgebrauch dieses Pflichtentyps, sondern die Entwicklung eines anderen, auf Warnung zielenden Pflichtentyps. Zur Einordnung der Informationspflichten bei Börsentermingeschäften näher S. 181 ff. 85 Vgl. O L G Stuttgart MDR 1971, 216; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 289; Groeschke, Schuldturmproblematik, S.68f., 113ff., 141 ff.; zu weit Brandner, ZHR 153, 147,158f., der die Bank für verpflichtet hält, auf eine Kreditvergabe zu verzichten, wenn der Kreditinteressent eindeutig und offensichtlich überlastet würde. Ablehnend Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl., Rn. 114 m.w.N.; krit. Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 424f. St. Lorenz, Schutz, S. 488ff., schlägt eine Übertragung der wettbewerbsrechtlichen Standards bezüglich unzulässiger Beeinflussung der Vertragsentscheidung in die c.i.c. vor. Ebenfalls für Anwendung der c.i.c. bei unzulässiger Beeinflussung in den Bürgschaftsfällen Medicus, JuS 1999,833,838,839. Ablehnend zur Vertragsverweigerung bei unzureichender Informationslage, aber im Bewußtsein des Informationsdefizits und damit gegen diesbezüglichen Rationalitätsschutz zu Recht B G H ZIP 1998, 1220,1221. Anders ist bei allgemeiner geschäftlicher Unerfahrenheit zu entscheiden, vgl. S. 158f. 79 80

86 87

Dazu näher Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S. 220ff., 227ff. Zu den Rechtsfolgen bei Verletzung von Informationspflichten siehe S. 306ff.

V. Gang der Untersuchung

19

le Defizite - konstitutionell (mangelnde Urteilskraft, vgl. § 138 Abs. 2 B G B ) oder situativ ( z . B . Überrumpelung) bedingt sein. In welchem U m f a n g Rationalitätsdefizite rechtlich bedeutsam und auch richterrechtlich anzuerkennen sind, m u ß hier ebensowenig erörtert werden wie die Frage, bei welchen Defiziten ein „paternalistischer" Schutz des Unterlegenen vor sich selbst geboten ist. 88 D a es sich nicht um ein Informationsproblem handelt, können sie nicht durch Informationspflichten behoben werden. Warnpflichten sollen nicht informieren, sondern an und für sich erkennbare oder sogar vorhandene Informationen ins Bewußtsein heben. Zwar können Rationalitätsmängel ein Informationsdefizit nach sich ziehen, wenn die Unüberlegtheit darin besteht, ein bestehendes, erkanntes oder erkennbares Informationsbedürfnis nicht zu befriedigen, sondern zu übergehen. 8 9 A b e r der eigentliche G r u n d zum korrigierenden Eingriff bleibt das Rationalitätsdefizit und nur diesbezügliche Korrekuturen sind legitimiert.

IV. Terminologie In Rechtsprechung und Literatur kursieren eine Reihe von Begriffen zur Bezeichnung vorvertraglicher Informationspflichten. Von Belehrungs-, Beratungs-, H i n weis-, Mitteilungs- und Offenbarungspflichten ist die Rede. 9 0 D i e Begriffe unterscheiden lediglich den Informationsgegenstand oder die Informationsintensität, nicht eine rechtliche Wertung. I m folgenden wird im Anschluß an eine mittlerweile verbreitete Terminologie der Begriff der vorvertraglichen Informationspflicht benutzt. Ihm gleich steht der Terminus vorvertragliche Aufklärungspflicht. 9 1

V. Gang der Untersuchung D i e Untersuchung beginnt mit einer Analyse der Ausgangslage für eine richterrechtliche Statuierung vorvertraglicher Informationspflichten: der Regelung der Informationslastverteilung und der Haltung des Gesetzes zur Rechtsfortbildung in diesem Bereich (2. Teil, S.22ff.). D i e Rechtsgrundlage vorvertraglicher Informationshaftung ist das vorvertragliche Schuldverhältnis, 9 2 dessen rechtstheoreti88 Dazu jetzt umfassend Enderlein, Rechtspaternalismus; aus verfassungsrechtlicher Sicht Singer, JZ 1995, 1133ff. 89 Vgl. BGH ZIP 1998, 1220, 1221. 90 Siehe etwa Breidenbach, Informationspflichten, S. 4. Etwas spitzfindig die Unterscheidung zwischen Anzeige, Aufklärung und Mitteilung bei Staudinger /Weber, BGB, 11. Aufl., § 242 Rn. A 829; siehe aber auch dessen Ubersicht über die Terminologie des Gesetzes a.a.O., Rn. A 830 (Fn.). 91 Breidenbach, Informationspflichten, S. 4. 92 Im folgenden werden die Begriffe vorvertragliches Schuldverhältnis und culpa in contrahendo (= c.i.c.) synonym verwendet.

20

1. Teil: Die Problemstellung

sehe Grundlagen darauf hin zu überprüfen sind, welche Haftungsprinzipien sich in ihm verwirklichen lassen (3. Teil, S. 35ff.). Es wird sich zeigen, daß die c.i.c. im wesentlichen durch individúale Schutzprinzipien konkretisiert wird. Andererseits ist die Haftungsfigur der c.i.c. nicht a priori auf ein bestimmtes materiales Haftungsprinzip festgelegt, sondern bringt nur die grundsätzliche Anerkennung für die rechtsfortbildende Ergänzung des gesetzlichen Schutzes der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit zum Ausdruck. Konkrete Pflichteninhalte lassen sich daraus freilich nicht ableiten, insoweit bedarf es materialer Haftungsprinzipien. Im 4. Teil wird sodann den gängigen Theorieansätzen nachzugehen sein, die in der Pflicht zur Aufklärung ein Instrument zum Schutze der Willensbildung sehen. An erster Stelle steht die Vertrauenstheorie, weil sie die formale Regelung der Selbstbestimmungsfähigkeit nicht in Frage stellt. Ihre Berechtigung, vor allem aber ihre Grenzen und ihr ständiger Fehlgebrauch in der Begründungspraxis werden aufzuzeigen sein (4. Teil, 1. Kapitel, S. 97ff.). Erst daraus erwächst die Frage nach Notwendigkeit und Möglichkeit einer „Materialisierung" der formalen Selbstbestimmungsfähigkeit in informationeller Hinsicht, d.h. die Materialisierung der Geschäftsfähigkeit im Hinblick auf die informationellen Voraussetzungen rechtsgeschäftlichen Handelns. Die grundsätzliche Berechtigung des Anliegens wird darzustellen sein, aber auch seine engen Grenzen, soll nicht das System der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit insgesamt Schaden nehmen. (4. Teil, 2. Kapitel, S. 122ff.). Die Möglichkeiten einer systemkonformen Umverteilung der Informationslast im Rahmen der Willensbildung sind damit erschöpft. Nicht erschöpft sind aber die Möglichkeiten der Umverteilung der Informationslast. Im 5. Teil (S. 193ff.) wird der angedeutete verständigungstheoretische Begründungsansatz entwickelt und ausformuliert. Es wird zu zeigen sein, daß die Parteien zur Verständigung über den Vertragsinhalt verpflichtet sind und daß diese Verständigung in Aufklärung münden kann. Damit ist neben dem Vertrauensschutz und dem Schutz informationell Unterlegener ein drittes Prinzip für die Begründung vorvertraglicher Informationspflichten entwickelt, das die eine dogmatische Lücke schließt. Im 6. Teil (S. 292ff.) sind einige Besonderheiten der Informationspflicht darzustellen, die die unzutreffende Erwartung eines bevorstehenden Vertragsschlusses verhindern soll („Abbruch der Vertragsverhandlungen"). Der 7. Teil (S. 294ff.) erörtert die Grenzen der Informationspflicht, der 8. Teil (S.306ff.) die Rechtsfolgen der Informationspflichtverletzung. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Aufklärung über Gegenstände, bezüglich derer die Parteien entgegengesetzte, jedenfalls nicht gemeinsame Interessen verfolgen. Die Informationslastverteilung bezüglich gemeinsamer Interessen, namentlich dem Interesse an der Beseitigung von Wirksamkeitshindernissen, unterscheidet sich davon, wie im 9. Teil (S. 330ff.) zu zeigen ist.

2. Teil:

Die gesetzliche Verteilung der Informationslast Wie jede Rechtsfortbildung muß die Statuierung vorvertraglicher Informationspflichten die gesetzliche Regelung zum Ausgangspunkt nehmen. Aus deren D e f i ziten bezieht Rechtsfortbildung ihre Legitimation, und deren Wertungen hat sie zu beachten oder als verfehlt zu erweisen. Zudem m u ß sich Rechtsfortbildung soweit als möglich in die Systematik der gesetzlichen Regelung einfügen.

I. Gesetzliche Regelungslage 1. Interessenantagonismus Selbstverantwortung

und Prinzip der

informationellen

D i e gesetzliche Verteilung der Informationslast wird bestimmt durch den realen Interessenantagonismus der Parteien im Vorfeld des Vertrages und die formale Regelung der (informationellen) Selbstbestimmungsfähigkeit ( § § 1 0 4 f f . B G B ) . 1 Aus beiden folgt eine rigorose Zuweisung der Informationslast: Jede geschäftsfähige Partei ist für die Verwirklichung ihres materiellen Willens selbst verantwortlich. Sie hat demnach alle informationellen Anstrengungen zu unternehmen, die ihre Interessen erfordern, und sie hat den Nachteil - nämlich die Bindung an einen interessenwidrigen Vertrag - zu tragen, wenn sie sich nicht informiert hat (informationelles Eigen- oder Selbstverantwortungsprinzip). 2 A u c h für Informationen, die selbst für einen gedachten optimalen Verkehrsteilnehmer nicht erkennbar waren, macht das Gesetz keine Ausnahme. D i e Informationslast beinhaltet nicht nur eine Informationsobliegenheit (Wahrnehmung erkennbarer I n f o r m a tionen), sondern auch ein Informationsrisiko (Nichtwahrnehmung unerkennbarer Informationen). D e n Vertrag a priori auf bei Vertragsschluß erkennbare Risi1 Ökonomietheoretisch entspricht ihm jedenfalls in dieser Hinsicht das Modell des eigennützig und wirtschaftlich-rational handelnden homo oeconomicus; dazu und zur begrenzten Aussagekraft des Modells näher Eidenmüller, Effizienz, S. 28ff. 2 Zur Selbstverantwortung als Zurechnungs-Pendant der Selbstbestimmung Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §8 (4), S. 61 f.; Canaris, Vertrauenshaftung, S.440; Otto, Personale Freiheit, S.2f. Spezialgesetzliche Informationspflichten (insbesondere des Verbraucherrechts) sind zunächst als Ausnahme zu diesem Grundsatz zu betrachten; ob und inwieweit sie Basis einer aufklärungsfreundlichen Rechtsfortbildung sein können, wird an anderer Stelle zu erörtern sein (S.50ff„ 149ff.).

22

2. Teil: Die gesetzliche

Verteilung der

Informationslast

ken zu beschränken, wie Rubel vorgeschlagen hat,3 entspricht nicht der gesetzlichen Wertung und ist in dieser Allgemeinheit auch rechtspolitisch nicht überzeugend. Sollte etwa der Käufer eines Verlobungsrings vom Kaufvertrag befreit werden, weil die Aufhebung des Verlöbnisses bei Vertragsschluß nicht erkennbar war? Von diesem Grundmodell der Informationslastverteilung weicht das Gesetz ab, wo die Parteien ausnahmsweise gemeinsame Interessen haben. Beide Parteien sind gleichermaßen daran interessiert, daß der von ihnen angestrebte Vertrag nicht an einem objektiven, die Interessen beider Parteien gleichermaßen nachteilig betreffenden Wirksamkeitshindernis scheitert. Paradigma ist das zwingende Gesetzesrecht (§§134, 309 BGB). Das B G B rechnet, rechtspolitisch fragwürdig,4 auch die anfängliche objektive Unmöglichkeit (§§306, 307 B G B ) dazu. Es definiert die informationelle Eigenverantwortung zunächst auch hier streng formal. Jede Partei muß die Unwirksamkeitsfolge und damit die Folgen der Unwirksamkeit (für ihr Vermögen) tragen (§§134, 306 BGB). Doch wird die Partei, für die das Wirksamkeitshindernis unerkennbar war (§ 307 Abs. 1 S. 2 BGB), vom Informationsrisiko entlastet, wenn der andere das Hindernis kannte oder hätte kennen müssen (§307 Abs. 1 S. 1 BGB). Der (tatsächliche oder normative) Wissensvorsprung führt zur Alleinverantwortlichkeit der informationsstärkeren Partei, die in einer Haftung für den Vertrauensschaden zum Ausdruck kommt. In der Literatur wird diese Regelung als modellhaft für alle Störungen betrachtet, die zu vermeiden beide Parteien gleichermaßen interessiert sind (z.B. Genehmigungserfordernisse).5 Im übrigen, bei der Verfolgung eigener Interessen, findet das Eigenverantwortungsprinzip scheinbar erst bei der arglistigen Täuschung durch den Kontrahenten eine Grenze. Nur in diesem Fall befreit das Gesetz von der Informationslast, indem es dem Getäuschten einerseits die Anfechtung des Vertrages gestattet (§123 B G B ) und ihn andererseits vor nachteiligen Vermögensfolgen bewahrt (§826, §823 Abs. 2 B G B i.V.m. §§263, 264a, 265b StGB) oder ihm einen Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsschadens zubilligt (§ 463 S. 2 B G B ) oder sonstige Rechtspositionen im Gewährleistungsrecht gewährt oder erhält (z.B. §§443, 476, 4771,478 II, 479 S. 2 BGB). 6 Diese Regelungen und den gleichzeitigen Ausschluß der Haftung für Empfehlungen und Ratschläge gemäß § 676 B G B könnte man als Rabel, GesAufsätze I, S.56, 65 (de lege ferenda). Daß beide Parteien in gleicher Weise Ermittlungen über die Existenz des Gegenstandes anzustellen in der Lage sind, wird als Begründung angeführt (Prot. 1,453). Das mag für Evidenzfälle gelten, ist aber gewiß nicht typisch. Siehe zur Diskussion MünchKomm/Thode, B G B , 3. Aufl., §306 Rn. lff. m.w.N. Die Schuldrechtskommission schlägt die Abschaffung der §§306ff. B G B vor, Abschlußbericht, S. 145. 5 Stoll, FS v. Caemmerer, S.437, 442ff.; Larenz, FS Ballerstedt, S. 397, 404; Singer, Verbot, S. 109f. m.w.N. Uber die dogmatische Einordnung der Regelung wird gestritten, dazu näher S. 330ff. 6 Siehe die Darstellung bei Grigoleit, Informationshaftung, S.25f. 3

4

I. Gesetzliche

Kegelungslage

23

Ausdruck einer einheitlichen gesetzgeberischen Wertung verstehen und mit Grigoleit als Vorsatzdogma bezeichnen. 7

2. Informationspflichten bezüglich der Willenseinigung G a n z anders werten aber die § § 1 1 9 , 123 A b s . 2 , 122 A b s . 2 B G B . N a c h diesen Vorschriften berechtigt der Irrtum - nicht nur über den Inhalt der Willenserklärung, sondern auch der Irrtum über Wertungsgrundlagen 8 bzw. die Eigenschaften des Vertragsgegenstandes 9 - zur folgenlosen Lösung v o m Vertrag, wenn der A n fechtungs-/Erklärungsgegner den Irrtum ( § 1 1 9 B G B ) bzw. die Täuschung des Dritten (§ 123 Abs. 2 B G B ) kannte oder infolge Fahrlässigkeit nicht kannte. Darin liegt eine Aufklärungsobliegenheit des Erklärungsgegners; denn wie, wenn nicht mit einer Aufklärung des Erklärenden über seinen Irrtum, sollte der Erklärungsgegner in der von § 122 Abs. 2 B G B beschriebenen Situation reagieren? 1 0 Warum aber m u ß sich der Erklärungsgegner um die Kenntnis eines Irrtums des Erklärenden bemühen, wenn seine Verantwortlichkeit für die Willensbildung des anderen auf vorsätzliche Irreführungen beschränkt ist? D i e einzige Grundlage kann nach Lage der Dinge die Verständigung über den Vertrag sein. Verständigung hält jeden Beteiligten dazu an, den Willen des anderen richtig zu verstehen (nach § 133 B G B sogar zu „erforschen" ) und deshalb auch mögliche Irrtümer zur Kenntnis zu nehmen und darauf gegebenenfalls zu reagieren; und zwar bereits nach der gesetzlichen Regelung nicht nur Irrtümer bezüglich des Inhalts der Willenserklärung, sondern auch bezüglich ihrer Grundlagen. Das Gesetz ordnet die Informationslastverteilung sub specie der Verständigung durchaus abweichend v o m Prinzip einer nur durch vorsätzliche Täuschungen begrenzten informationellen E i genverantwortung. E b e n s o sind die §§ 149 und 663 B G B zu verstehen. 1 1 7 Informationshaftung,S. 16ff.,29ff.Damitistallerdingsnochnichtgesagt,wiedieses„Dogma" zu verstehen ist, insbesondere, ob ein Umkehrschluß gegen eine Fahrlässigkeitshaftung im allgemeinen und die Statuierung vorvertraglicher Informationspflichten im besonderen zu ziehen ist. 8 § 123 Abs. 1, 2 B G B erfaßt sowohl Irrtümer bezüglich des Rechtsfolgewillens wie bezüglich der Wertungsgrundlagen. 9 Grigoleit (Informationshaftung, S.34) schöpft den Aussagegehalt der §§119 Abs.2, 122 Abs. 2 B G B nicht aus, wenn er darauf abhebt, die Vorschrift knüpfe an die Qualität des Irrtums, nicht an die Veranwortung des Gegners an. Denn der Kontrahent wird aufgrund seiner fahrlässigen Unkenntnis mit dem Irrtumsrisiko belastet, obgleich er nichts für den Irrtum kann und obgleich ihn der Irrende hätte vermeiden können. 10 Solange er weiter einen Vertrag erstrebt. Er kann selbstverständlich vom Vertragsschluß absehen. Ganz zutreffend sieht Kötz, Vertragsrecht, S. 287f., bei jenen Rechtsordnungen, die den für den Gegner erkennbaren Irrtum für rechtlich relevant halten, einen Zusammenhang zwischen der „Erkennbarkeit" und der vorvertraglichen Informationspflicht. 11 Es handelt sich, anders als etwa in §§ 122 Abs. 1,170ff., 179 B G B , nicht um eine auch vom formalen Verständnis der Selbstbestimmung her plausible Verantwortung für einen hervorgerufenen Rechtsschein; der Informationsverantwortliche hat in beiden Vorschriften nicht den Schein eines Vertragsschlusses hervorgerufen; seine Verantwortlichkeit beruht allein darauf, daß er weiß oder wissen muß, daß der andere sich in einem Irrtum über den Vertragsschluß befindet oder zumindest befinden könnte.

24

2. Teil: Die gesetzliche

3. Ein informationelles

Verteilung

der

Informationslast

Vorsatzdogma?

Diese Wertungen w e r d e n marginalisiert, w e n n man, w i e Grigoleit,

im Gesetz ein

„informationelles Vorsatzdogma" verwirklicht sieht, demzufolge fahrlässige Irreführungen prinzipiell irrelevant seien und die Haftung f ü r fahrlässige Irreführungen vollständig ausgeschlossen sei. 12 A m Ende bleibt das angebliche Vorsatzdogma z w a r f ü r die Zulässigkeit vorvertraglicher Informationshaftung weitgehend bedeutungslos, w e n n man mit Grigoleit

dem vermeintlich abschließenden

Charakter der gesetzlichen Regelung ein so geringes G e w i c h t beimißt, daß bereits mit der A n e r k e n n u n g der c.i.c. („vorvertragliches Schutzprinzip") die Entscheidung f ü r den Schutz des Vermögens gegen fahrlässige Schädigungen im v o r v e r traglichen Bereich gefallen sei, damit aber das Vorsatzdogma zur begründungsbedürftigen A u s n a h m e werde. 1 3 Für die A u s f o r m u n g vorvertraglicher I n f o r m a tionspflichten ist aber bedeutsam, ob sie praeterlegal ist oder gegenüber einer als abschließend konzipierten gesetzlichen Regelung legitimiert w e r d e n muß. N u n ist weithin anerkannt, daß das B G B keine grundsätzlich abschließende und ablehnende Haltung gegenüber einer Haftung aus culpa in contrahendo über die gesetzlichen Tatbestände einnimmt. 1 4 U n d gerade f ü r vorvertragliche I n f o r m a -

11 Grigoleit, Informationshaftung, S.29ff., 33 und passim; ebenso Lieb, FS Medicus, S.337, 347ff. und passim, der die §§ 123 Abs.2, 119 Abs.2, 122 Abs.2 BGB mit keinem Wort würdigt. Liebs Einschätzung, der „ursprüngliche Anwendungsbereich" der c.i.c. sei der Rechtsgüterschutz gewesen (a.a.O., S. 343) und die Entwicklung zum Vermögensschutz sei „recht zufällig" verlaufen, übergeht, daß sowohl bei Jhering (JheringsJb Bd. 4,1 ff.) als auch in Vorläuferregelungen des Partikularrechts (Pr. ALR 1.5 §284f.) als auch von Beginn an in der Rechtsprechung des RG (JW 1912, 743 Nr. 5) der Schutz des Vermögens bzw. der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit eine entscheidende Rolle spielte; vgl. auch die eingehende Darstellung bei Giaro, Culpa in contrahendo, S. 113ff. 13 Vgl. Grigoleit, Informationshaftung, S. 66ff. Uberzeugen kann diese Argumentation nicht. Läßt man den gesamten Bereich der Informations- und Aufklärungshaftung außen vor, bleibt von der culpa in contrahendo nicht viel übrig, jedenfalls nicht so viel, das eben noch betonte Vorsatzdogma als durch die Anerkennung der c.i.c. in Frage gestellt zu sehen. In diesem Punkt anders als Grigoleit und konsequent Lieb, FS Medicus, S. 337, 349f. 14 Vgl. Reinicke, JA 1982,1,5, Medicus, FS Käser (80. Geb.), S. 169,177f., MünchKomm/£mmerich, BGB, 3. Aufl., Vor §275 Rn.51, und auch Grigoleit, Informationshaftung, S.36; ferner Nirk, FS Möhring (65. Geb.), S. 385, 388f.; speziell zur Aufklärungspflicht Ott, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 142, 144, 148. Dabei wird oft auf Mot. II, 179, verwiesen, wo allerdings nur die Frage der systematischen Zuordnung der gesetzlich geregelten Fälle der (echten) Vertrauenshaftung (Rechtsscheinhaftung) der Wissenschaft überlassen wird (ebenso Mot. 1,195, 228). Deutlicher im Sinne der Offenheit zu verstehen ist die Haltung der 1. Kommission, über die „culpa in contrahendo einen prinzipiellen Beschluß (nicht) zu fassen", weshalb die gesetzliche Regelung bei „speziellen Vorschriften bewenden müsse" (Prot, der 1. Kommission I, 2392, wiedergegeben bei Jakobs/Schubert, Die Beratung des BGB, S.376). Anders Hartwieg, JuS 1973, 733,736, dessen Schlußfolgerung, der Gesetzgeber habe die Erhebung der c.i.c. zum allgemeinen Prinzip mit Hinweis auf die Grenzen der Billigkeit verworfen, nicht durch die einschlägigen und von ihm herangezogenen Stellen in den Materialien gedeckt wird. Restriktiv in der Einschätzung ebenfalls Giaro, Culpa in contrahendo, S. 113,122ff., 124 (strengere Handhabung der einschlägigen, der culpa in contrahendo zuzuordnen BGB-Bestimmungen „lag näher").

II. Die Zulässigkeit einer gesetzesübersteigenden

Rechtsfortbildung

25

tionspflichten läßt sich eine gewisse Entwicklungsoffenheit des Gesetzes durch die oft zitierte Stelle in Mot. I, 208 belegen: „... inwieweit eine Rechtspflicht besteht, dem anderen Theile Umstände mitzuteilen, von denen vorauszusetzen ist, daß sie auf seine Entschließung von Einfluß sein würden, entzieht sich der gesetzlichen Lösung."

Der Gesetzgeber hatte hier zwar die Regelung „arglistigen Verschweigens" vor Augen und damit die vorsätzliche Verletzung einer Informationspflicht. Aber es ist doch bemerkenswert, daß er überhaupt eine Informationspflicht für möglich hielt und damit jedenfalls nicht die Idee einer auf aktive Täuschung beschränkten Verantwortung für den Informationsstand des anderen verfocht.15 Warum sollte angesichts dessen ausgerechnet und nur die vorvertragliche Informationshaftung als Rechtsfortbildung contra legem aufzufassen sein? Die „Vielzahl" der Arglisttatbestände ebenso wie die „Vielfalt der getroffenen Rechtsfolgenanordnungen" (in den Arglisttatbeständen) 16 besagten nichts, wenn jeder dieser Arglisttatbestände angesichts der geschilderten Offenheit des Gesetzes nur zum Ausdruck bringt, daß „jedenfalls" bei arglistiger Täuschung eine Verantwortlichkeit besteht. Diese Aussage ändert sich nicht durch ihre Wiederholung.17 Und das „System der Anfechtungstatbestände"18 spricht, wie gesehen, gerade nicht für eine definitive Beschränkung der Informationsentlastung auf Fälle arglistiger Täuschung. Selbstbestimmung schließlich und informationelle Selbstverantwortung sind zwar grundlegende Prinzipien des Gesetzes, aber keine Argumente für eine abschließende Regelung,19 wenn es gerade um deren Konkretisierung und Abstimmung mit anderen Wertungen geht.

II. D i e Zulässigkeit einer gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung Nach der hier vertretenen Interpretation steht das Gesetz der richterrechtlichen Statuierung vorvertraglicher Informationspflichten grundsätzlich offen gegenüber. Das bedeutet zumindest, daß richterliche Rechtsfortbildung bezüglich vorvertraglicher Informationspflichten nicht von vornherein und grundsätzlich immer als solche gegen das Gesetz legitimiert werden müßte. Es bedeutet anderer-

15 Das verkennt Grigoleit, Informationshaftung, S.37, Fn. 113, wenn er die „vorsätzliche Unterlassung der Aufklärung" praktisch dem Vorsatzdogma und damit den Tatbeständen aktiver Täuschung gleichstellt. 16 Von Grigoleit, Informationshaftung, S. 33, als Argument für seine Interpretation angeführt. Bei Lichte besehen geht es um zwei Rechtsfolgen: die Auflösung des Vertrages und um Schadensersatz. 17 Und Grigoleits Ausführungen sind in erster Linie der subjektiv-historischen Auslegung verpflichtet (so verstehe ich die Darlegungen a.a.O., S. 37f.). 18 Von Grigoleit, Informationshaftung, S. 34, ebenfalls für seine Lesart des Gesetzes angeführt. 19 So Grigoleit, Informationshaftung, S.34ff.

26

2. Teil: Die gesetzliche Verteilung der

Informationslast

seits (selbstverständlich) nicht, daß Informationspflichten jeglichen Inhalts und Ausmaßes mit dem Gesetz vereinbar wären; abschließende Regelungen sind zu respektieren oder können nur unter den engen Voraussetzungen einer R e c h t s fortbildung contra legem modifiziert werden. Erst in der Konkretisierung der Informationsverpflichtung kann sich zeigen, o b und inwieweit einzelne gesetzliche Wertungen als abschließende Entscheidungen gegen eine konkrete Pflicht zu betrachten sind. Schließlich läßt sich aus der grundsätzlichen Offenheit nicht ableiten, in welcher Richtung und nach welchen Maßstäben das R e c h t fortzubilden ist. Vielmehr müssen G r ü n d e dafür aufgezeigt werden, daß und inwieweit die gesetzliche Regelung ohne vorvertragliche Informationsverpflichtung defizitär ist und der Ergänzung bedarf. Eine N o r m - bzw. Regelungslücke 2 0 läßt sich in Ermangelung einer allgemeinen gesetzlichen Regelung der Thematik, die als lückenhaft und ergänzungsbedürftig zu erweisen wäre, nicht aufzeigen. Von den N o r m e n , die als Basis für eine R e c h t s analogie zugunsten der c.i.c. herangezogen werden, 2 1 regeln nur die §§ 122, 307, 309 und 663 B G B eine Fahrlässigkeitshaftung. § § 3 0 7 , 3 0 9 B G B aber betreffen den atypischen Fall gemeinsamer vorvertraglicher Interessen. 2 2 § 122 B G B fordert seinem Tatbestand nach einen vom Haftenden verursachten Schein, normiert also eine Haftung für aktives Tun, nicht für Unterlassen. Außerdem wird in beiden Tatbeständen die Haftung für den Schein eines wirksamen Rechtsgeschäfts und damit etwas von der culpa in contrahendo und insbesondere der Haftung für unterlassene Aufklärung prinzipiell Verschiedenes geregelt. 23 E s bleibt § 6 6 3 B G B und, wenn man die Rechtsfolge außer acht läßt, § 149 B G B - gewiß zu wenig, um die Haftung für vorvertragliche Informationspflichten im übrigen als Ausfüllung einer von diesen Vorschriften gelassenen L ü c k e und als Fortbildung einer in ihnen angelegten Wertung legitimieren zu können. Zahlreiche, zumeist sondergesetzliche Regelungen verpflichten mittlerweile den einen Vertragsinteressenten zur unaufgeforderten Aufklärung. 2 4 A b e r ihr spezieller und fragmentarischer Charakter gestattet es nicht, sie als Ausdruck eines das gesamte Zivilrecht 20 Der Begriff wird hier im Sinne von Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., S. 192-196, verwandt, ist also beschränkt auf die Unvollständigkeit einer einzelnen Norm oder einer ganzen Regelung, gemessen an der (empirischen) Regelungsabsicht des Gesetzgebers und der (darüber hinausgehenden) Teleologie des Gesetzes. Letztere ist ob ihres nicht bzw. nicht rein empirischanalytischen Status in der Reichweite nicht unproblematisch. Beispielhaft für den Ubergang der „objektiven Teleologie" von der empirischen Feststellung (allgemeine Erfahrung von dem, was ein Gesetzgeber will) zur Bewertung (das Rechtsideale als Gewolltes) die Darstellung bei Bydlinski, Methodenlehre, 2. Aufl., S.454. In Ermangelung umfangreicherer Regelung der vorvertraglichen Informationspflicht kann auch mit einem extensiven („objektiven") Begriff des Gesetzeszwecks keine der Analogie zugängliche Norm- oder Regelungslücke dargelegt werden. 21 Neben den im Text genannten Regeln wird auf §§ 523 Abs. 1,524 Abs. 1, 600,694 BGB verwiesen, vgl. näher Wienand, Sachwalterhaftung, S. 46 mit Fn. 7. 22 Siehe S. 22, 330ff. 23 Vgl. näher Singer, Verbot, S. 103 und unten S. 330ff. 24 Siehe S. 52, 150ff.

II. Die Zulässigkeit einer gesetzesübersteigenden

Rechtsfortbildung

27

umfassenden gesetzgeberischen Regelungsplanes zu betrachten, dessen UnVollständigkeiten aufgezeigt und im Wege der Rechtsanalogie ausgeglichen werden könnten. 25 Die richterrechtliche Statuierung vorvertraglicher Informationspflichten kann folglich nur durch materiale26 Rechtsprinzipien (Rechtsgrundsätze) legitimiert werden, die zwar nicht subsumtionsfähig sind, aber einen Rahmen für Rechtsfortbildung vorgeben. Es ist weder möglich noch erforderlich, an diesem Orte die Diskussion um Rechtsfortbildung jenseits des gesetzgeberischen bzw. gesetzgebenden Regelungsplanes aufzunehmen, deren letzte Gründe in erkenntnistheoretischen, rechtstheoretischen und ethischen Präferenzen liegen. Für die bescheidenen Zielsetzungen einer dogmatischen Studie genügt es, Rechenschaft zu geben über die eigene Position und Terminologie, und auch dies nur soweit, als die nachfolgenden Ausführungen dazu Veranlassung geben. An der grundsätzlichen Zulässigkeit einer auf Rechtsprinzipien gestützten Rechtsfortbildung ist mit der vorherrschenden Ansicht im dogmatischen wie methodischen Schrifttum nicht zu zweifeln.27 Diese Rechtsfortbildung wird hier - im Unterschied zur Norm- und Rechtsanalogie 28 - als gesetzesübersteigend bezeichnet, weil sie nicht mehr auf den empirisch-analytisch nachweisbaren Willen des Gesetzgebers (sei es auch nur im verdünnten Sinne einer nicht verwirklichten Regelungsabsicht oder einer aus den vorhandenen Regelungen schlechterdings nicht erklärbaren Nichtregelung) oder die objektive Teleologie einer konkreten Norm oder Regelung zurückzuführen ist. Die Tatsache allein, daß die Rechtsfortbildung auf einer vom Gesetzgeber verfolgten Teleologie beruht, ändert nichts am gesetzesübersteigenden Charakter der Rechtsfortbildung. Als gesetzesübersteigend wird hier aber nur jene Rechtsfortbildung gekennzeichnet, die nicht definitiven gesetzlichen Regelungen widerspricht, sondern das - nicht beredte Schweigen des Gesetzes und womöglich sogar einen ausdrücklichen Rechtsfortbildungsauftrag des historischen Gesetzgebers nutzt. Rechtsfortbildung, die darüber hinausgeht, also sich zwar im nicht geregelten Bereich bewegt, aber die hinreichend zum Ausdruck gekommene Regelungsabsicht des Gesetzgebers zu überwinden trachtet, ist eine solche contra legem und wird hier als gesetzesdero-

25 Eine davon zu trennende Frage ist, ob ihnen zumindest ein einheitliches Haftungsprinzip zugrunde liegt, das neben anderen zur Begründung von Informationspflichten herangezogen werden kann. Eine weiterhin abzutrennende Frage ist die nach punktuellen Analogien der speziellen Informationspflichten. Dazu S.52, 150ff. 26 Zur Unterscheidung zwischen formellen und materiellen Prinzipien in diesem Sinne etwa Canaris, Lücken, S. 94 f. 27 Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., S.232ff.; Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 261 f.; Bydlinski, Methodenlehre, 2. Aufl., S. 481 ff. 28 Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 157, bezeichnet dies als gesetzesergänzende Rechtsfortbildung. Es ist zuzugeben, daß die Rechtsanalogie in dem Maße zur gesetzesübersteigenden Rechtsfortbildung wird, in dem sie sich vom konkreten Inhalt der herangezogenen Vorschriften entfernt und diese nur als Ausdruck eines Prinzips begreift. So ist es letztlich bei der c.i.c., stützt man deren Geltung auf eine Analogie zu §§ 122, 307, 309 B G B usw.

28

2. Teil: Die gesetzliche Verteilung der

Informationslast

gatorische Rechtsfortbildung bezeichnet. 2 9 Die prinzipiengesteuerte Rechtsfortbildung wird entscheidend bestimmt vom Nachweis materialer Rechtsprinzipien und deren Aussagewert f ü r das positive Recht. Die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung m u ß dieses Prinzip als dem Gesetz oder der Gesamtrechtsordnung innewohnend darstellen u n d die Notwendigkeit seiner Vervollkommnung über die gesetzliche Regelung hinaus begründen. Diese Notwendigkeit mag sich aus einer widersprüchlichen Verwirklichung dieses Prinzips in der gesetzlichen Regelung ergeben. Sie mag aus einer veränderten Bewertung dieses Prinzips u n d seiner Z u o r d n u n g zu anderen Prinzipien entstehen. O d e r sie kann aus einer Veränderung der tatsächlichen Situation resultieren. Die gesetzesderogatorische Rechtsfortbildung m u ß die definitive gesetzliche Regelung als untauglich erweisen: untauglich entweder, das selbstgesetzte Ziel zu verwirklichen, was wiederum auf einer von vornherein bestehenden Unzulänglichkeit beruhen kann oder auf die Veränderung der tatsächlichen Verhältnisse z u r ü c k z u f ü h r e n sein mag; oder untauglich, ein höherrangiges, übergesetzliches, aber f ü r das Gesetz verbindliches Prinzip zu verwirklichen, was einmal an den zuvor genannten G r ü n d e n liegen kann oder daran, daß das höherrangige Prinzip vom Gesetzgeber nicht beachtet wurde. Die gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung hat, was nicht näher dargelegt zu werden braucht, einen natürlichen Vorrang vor der gesetzesderogatorischen.

III. Keine Uberwindung des realen Interessenantagonismus Bestimmend f ü r die Verteilung der Informationslast ist, wie bereits erwähnt, zweierlei: der reale Interessenantagonismus zwischen den Parteien einerseits, die vom Gesetz formal gestaltete Fähigkeit zur Selbstbestimmung (§§104ff. BGB) u n d die Regelung der vertraglichen Verständigung andererseits. Theoretisch existieren zwei Möglichkeiten, die Informationslastverteilung zu modifizieren. E n t weder den Interessenantagonismus als (partiell) unzutreffende Beschreibung der Interessenlage zu erweisen. O d e r die informationelle Selbstverantwortung nicht allein an der formalen Selbstbestimmungsfähigkeit (§§ 104ff. BGB) zu orientieren bzw. die vertragliche Verständigung zu Informationsverantwortlichkeiten fortzuentwickeln. K ö n n t e der Interessenantagonismus ganz oder z u m Teil ü b e r w u n d e n werden, wäre die Informationslast in entsprechendem U m f a n g nach dem Vorbild der §§307, 309 B G B u n d womöglich darüber hinaus nach Maßgabe der Informationskompetenz zu verteilen. Aber alle Überlegungen in diese Richtung können nicht überzeugen, mögen sie „ideal" (mit der Bestimmung des dem Gesetz zugrunde zu legenden Willensbegriffs), „real" (mit einer exakteren, nämlich ö k o n o 29

Im Anschluß an Nenner, Rechtsfindung contra legem, S. 132.

III. Keine Überwindung des realen

Interessenantagonismus

29

mischen Interessenanalyse) oder dogmatisch-normativ (mit der Formulierung eines gegenläufigen Rechtsprinzips) ansetzen. Es hieße, die Wirklichkeit des Interessenantagonismus zu leugnen, wollte man als rechtlich erheblich nur den Willen ansehen, der die Gerechtigkeit und also einen gerechten, beide Interessen berücksichtigenden Vertrag anstrebt, und so die gerechte Regelung zum gemeinsamen Programm beider Parteien erheben, 30 um von hier aus die Verteilung der Informationslasten vorzunehmen. Zwar bedarf der rechtlich erhebliche Wille einer Zuordnung zum Recht und zur Rechtsordnung.31 Aber Identitätslehren, von der aristotelisch-scholastischen Vertragsnaturlehre bis zur Hegeischen Aufhebung des individuellen Willens im allgemeinen Willen, 32 bewältigen nicht die Widersprüche der Wirklichkeit, sondern negieren sie.33 Dem Dogmatiker sei es nachgesehen, daß er von einer Detailkritik der rechtsphilosophischen und rechtstheoretischen Grundlagen absieht und sich damit begnügt, daß diese Sicht offenkundig nicht dem normativen Konzept des B G B entspricht. Andererseits führt auch eine (vermeintlich) exaktere empirische,34 nämlich ökonomische Analyse der vorvertraglichen Interessen der Kontrahenten zu keiner wesentlich anderen Bestimmung der gemeinsamen Interessen. So sieht Adams aus einer der ökonomischen Analyse des Rechts verpflichteten Perspektive Effizienz, genauer: die effiziente Ausgestaltung des Vertrages, den „vollständigen Vertrag", 35 als gemeinsames Ziel beider Parteien. Im Interessenstreit befinde sich nur die Verteilung des Vertragsgewinns, nicht aber die „möglichst große Erhöhung des Verteilbaren." 36 Am Beispiel eines Vertrages über ein Bauwerk verdeutlicht Adams das Gemeinte: Unterstellt sei, daß dem Besteller das vom Unternehmer zu errichtende Bauwerk 100.000 D M wert sei, während die Vergütung mit 80.000 D M vereinbart sei. Wenn die Produktionskosten des Unternehmers mit einer Wahrscheinlichkeit von 9 9 % 50.000 D M und mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 % 500.000 D M betragen, belaufen sich die erwarteten Baukosten (aus 0,99 x 50.000 + 0,01 x 500.00 D M ) auf 54.500 DM, womit der erwartete Gewinn des Bauunternehmers (80.000 D M - 54.500 D M =) 25.500 D M betrage. Der erwartete Gewinn des Bestellers betrage 20.000 DM. Angesichts der enormen Kostensteigerungsmöglichkeit entspreche ein unbedingter Erfüllungsanspruch aber nicht „den Interessen der Parteien", Siehe aber Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, S.250f. Dazu S. 78ff., 85f. 32 Näher dazu Oechsler, Gerechtigkeit, S. 107ff., 114ff. 33 Siehe ferner Pawlowski, Rechtsgeschäftliche Folgen, S.254ff., in Auseinandersetzung mit der Lehre Binders. 34 Der wissenschaftstheoretische Status ökonomischer „Analysen" ist nicht immer deutlich. Die Verwendung vereinfachender ökonomischer Modelle führt im Verein mit einer makroökonomisch orientierten Kosten-/Nutzenanalyse in bezug auf die Betrachtung der individuellen Interessen von Vertragsparteien schnell von der empirischen Analyse zur normativen Bestimmung: Das makroökonomisch Richtige als gemeinsames Interesse der Parteien. 35 Zum vollständigen Vertrag als Ausgangspunkt der Analyse des Vertragsrechts in der ökonomischen Theorie etwa Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S.325ff. 36 Adams, AcP 186, 453, 456. 30 31

30

2. Teil: Die gesetzliche

Verteilung

der

Informationslast

da der Unternehmer womöglich 500.000 DM aufwenden müsse für etwas, was dem Besteller nur 100.000 DM wert sein. Die Parteien würden daher den Vertrag unter eine auflösende Bedingung des Inhalts stellen, daß der Vertrag bei entsprechender Kostensteigerung erlischt. Auf diese Weise spare der Unternehmer (0,01 x 500.000 DM=) 5.000 DM, während der Besteller - infolge der gesunkenen Erfüllungswahrscheinlichkeit (0,99 x [100.000 80.000] = 19.800 DM Gewinn) - nur 200 DM verliere. Der Gesamtwert des Vertrages für beide Parteien steige somit um 4.800 DM. 3 7 In Umsetzung der Wertung in §§ 307,309 BGB müßte man hinzufügen, daß der Besteller zur Aufklärung des Unternehmers über die Kostensteigerung verpflichtet wäre, sollte diese für ihn, nicht aber für den Unternehmer erkennbar sein; denn die Vereinbarung einer entsprechenden Bedingung wäre auch in seinem Interesse. 38 Die Problematik dieser Sicht liegt im Effizienzansatz, dem ein m a k r o ö k o n o m i sches Kalkül und ein rational-ökonomischer Vertragsbegriff zugrunde liegt. Das B G B geht v o n einem voluntaristischen Vertragsbegriff aus. Von hier aus, v o m tatsächlichen Willen des einzelnen aus betrachtet ist die auflösende Bedingung im Beispielsfall gewiß nicht im Interesse beider Parteien. Vielmehr fordert das Interesse des Bestellers, den Vertrag unbedingt abzuschließen; das Kostenrisiko des anderen, mag es noch so groß sein, interessiert ihn nicht. Es wird f ü r ihn erst in Gestalt einer Verweigerung des anderen virulent, und er w i r d nur deshalb und nicht aus Einsicht in die volkswirtschaftliche Nützlichkeit der auflösenden Bedingung seine Zustimmung erteilen. 39 Interessengemeinsamkeiten der Parteien lassen sich mit ihr nicht begründen. Selbst die Vermeidung tatsächlich anfallender Kosten (etw a der Grunderwerbsteuer beim Grundstückskauf oder der Notarkosten) wird sich nicht als gemeinsames Interesse der Parteien definieren lassen, solange eine gesetzliche Regelung existiert, die die Kostentragung einer Partei zuweist. Wenig ist schließlich v o n dem Versuch zu erwarten, den Interessenantagonismus ethisch-normativ wenn nicht zu überwinden, so doch abzumildern durch ein gegenläufiges Prinzip der „Rücksichtnahme" auf die Interessen des jeweils anderen. 4 0 Eine ethische Verpflichtung zur Rücksichtnahme und Solidarität w i r d man f ü r die Privatautonomie nicht grundsätzlich in Abrede stellen können. 4 1 A u c h Adams, AcP 186, 453, 455 Fn.6. Adams erörtert diese Konstellation nicht. 39 Ob und inwieweit die ökonomische Richtigkeit im übrigen Einfluß auf die Gestaltung des Vertragsrechts nehmen kann, ist noch zu erörtern, siehe S. 59ff. 40 Darauf führt etwa Kreutzer, Culpa in Contrahendo und Verkehrspflichten, Habilitationsschrift, Freiburg 1977, S. LXIIff., Aufklärungspflichten zurück (zitiert nach Lehmann, Vertragsanbahnung, S.351); wohl auch Diederichsen ZHR, 132, 232, 250 (zur Aufstellung allgemeiner Geschäftsbedingungen). Siehe auch BGH BB 1974,1039,1040. Alle Materialisierungen in einem Prinzip der vertraglichen Solidarität zusammenfassend Lurger, Vertragliche Solidarität, S. 132 und folgend. 41 Die sittliche Bindung der Freiheit betont Ballerstedt, Die Grundrechte III 1, S. 67; Frotz, GS Gschnitzer, S. 163, 172ff., leitet die Rücksichtnahmepflicht aus der Gemeinschaftsbezogenheit der Privatautonomie ab; krit. Flume, FS DJT I, S. 135, 141, dem insoweit zuzustimmen ist, daß diese ethische Bindung nicht zur rechtlichen Unterwerfung der Privatautonomie unter eine Gerechtigkeitskontrolle führen kann. Verbreitet ist die Sentenz, die Parteien seien (auch) im Stadium der Vertragsverhandlungen nach Treu und Glauben zur Rücksichtnahme auf die Interessen 37 38

IV. Der weitere

Gedankengang

31

wird über die Generalnorm des § 2 4 2 B G B ihre rechtliche Relevanz verbürgt sein. 4 2 Ihr rechtsdogmatischer Erkenntniswert ist aber gering. M e h r als äußerste G r e n z e n der Interessenwahrnehmung 4 3 - vor Vertragsschluß insbesondere die Ausnutzung von Überlegenheit ( z . B . bei Monopolstellung einer Partei oder der Gestaltung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen) 4 4 - würde eine solche Pflicht von sich aus nicht aufzeigen können und gewiß nicht generell die „Gemeinsamkeit" tatsächlich gegenläufiger Interessen normativ begründen. Keinesfalls k ö n nen die Parteien verpflichtet werden, die Interessen des Gegners grundsätzlich ebenso zu beachten wie die eigenen. 4 5 E b e n dies wäre erforderlich, soll der reale Interessenantagonismus normativ überwunden werden können. D i e Rücksichtnahmepflicht ist nur ein erster Schritt der Pflichtenbegründung, mehr nicht.

IV. Der weitere Gedankengang Rechtsfortbildung, die die Umverteilung der Informationslast anstrebt, m u ß also bei der Fähigkeit zur informationellen Selbstbestimmung ( § § 1 0 4 f f . B G B ) und der vertraglichen Verständigung ansetzen, d.h. Rechtsprinzipien aufzeigen, die eine differenziertere Sicht der Fähigkeit zur informationellen Selbstbestimmung oder entsprechende Gestaltung der vertraglichen Verständigung fordern. W i r wenden uns folgend im 3. und 4. Teil der Untersuchung zuerst der Ergänzung der durch § § 1 0 4 f f . B G B formal definierten informationellen Selbstbestimmung zu und begeben uns damit zunächst auf den von der herrschenden D o g m a t i k vorgezeichneten Weg, das Problem der vorvertraglichen Aufklärungspflicht allein als solches der Fähigkeit zur selbstbestimmten Willensbildung zu betrachten. Wir werden die in Rechtsprechung und Literatur diskutierten Prinzipien oder Wertungen auf ihre Tragfähigkeit hin analysieren und ihre G r e n z e n aufzeigen. Wie bereits eingangs dieser Untersuchung angedeutet, kann man die bislang diskutierten Rechtsprinzipien in zwei Kategorien ordnen - in individualschützende und in ordnungsschützende. D i e Problemhinsicht des individualscbützenden

Ansatzes

ist der Schutz des einzelnen Rechtsgenossen bzw. der individuellen Entscheides anderen verpflichtet, siehe nur Nirk, FS Möhring (75. Geb.), S. 71, 75; Lurger, Vertragliche Solidarität, S. 138. 42 Siehe nur Soergel/Teichmann, BGB, 12. Aufl., §242 BGB Rn.4; BGH BB 1974,1039,1040. 43 Vgl. Wieacker, Zur rechtstheoretischen Präzisierung, S. 62 („Abgehen vom rechtsgenössischen Standard", sich „so verhalten, daß dauernder Rechtsfriede möglich ist"). 44 Vgl. B G H 2 51,55,59; kritisch dazu mit gutem Grund M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 51 m. w.N.; siehe ferner allgemein Loges, Erklärungspflichten, S. 154ff. Zur Rücksichtnahmepflicht als maßgeblicher Pflichtenkategorie zur Umsetzung vorvertraglichen Unterlegenenschutzes siehe S. 130ff. 45 Vgl. M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 50f. In der Sache zutreffend RG SeuffArch 74, Nr. 164 II, wonach „keinem Vertragsteil zugemutet werden kann, sorgfältig die Interessen des Gegners wahrzunehmen".

32

2. Teil: Die gesetzliche Verteilung der

Informationslast

dungsfreiheit und Selbstbestimmung im Vertrag. Ihr Ausgangspunkt ist die Störung der informationellen Selbstbestimmung. Diese Störung kann auf Verhaltensweisen des Kontrahenten zurückzuführen sein, die den Informationsbedürftigen an der Ausübung seiner informationellen Selbstbestimmung hindern. Angelegt ist diese Sichtweise bereits in den Arglisttatbeständen,46 nur eben begrenzt auf enge subjektive Voraussetzungen auf Seiten des Pflichtigen. Hier bedarf es eines Rechtsprinzips, das die rechtliche Erheblichkeit informationsstörenden Verhaltens begründet und Kriterien zur Abgrenzung liefert. Die Störung kann aber auch auf dem tatsächlichen Informationsstand und den tatsächlichen Informationsmöglichkeiten/-fähigkeiten der Partei beruhen. Die Wertung knüpft hier an einen Zustand an, und es bedarf eines Rechtsprinzips, das in einem gewissen Rahmen die Uberwindung einer rein formalen Betrachtung der Selbstbestimmungsfähigkeit in informationeller Hinsicht fordert. Die Problemhinsicht ordnungsschützender Theorien ist die Funktionsfähigkeit der Gesamtordnung (Rechtsordnung), auf die hin der Privatautonomie und der Vertragsfreiheit eine bestimmte Funktion (Aufgabe) zugewiesen wird. Daraus folgt das Petitum einer funktionsadäquaten Gestaltung der Vertragsfreiheit und also einer funktionsadäquaten Verteilung der Informationslasten. Für die richterrechtliche Begründbarkeit vorvertraglicher Informationspflichten ist die Entscheidung zwischen Individualschutz und Ordnungsschutz von erheblicher Bedeutung. Der individualschützende Ansatz sucht die Rechtfertigung vorvertraglicher Informationspflichten allein in den rechtlich erheblichen Interessen der Verhandlungsparteien und muß also die Schutzbedürftigkeit des Informationsberechtigten ebenso begründen wie die Verantwortlichkeit des Gegners. Die Ordnungstheorie kann dagegen einerseits über den Einzelfall hinwegblicken und sich auf die für die Gesamtordnung relevanten, d.h. in gewisser Häufigkeit vorkommenden („häufigkeitstypischen") Fallkonstellationen beschränken. Sie kann aber auch, was hier wichtiger ist, um der Ordnung willen schützen, obgleich nach den Interessen der Parteien der Schutz nicht legitimiert wäre. Der ordnungstheoretische Ansatz tut sich leichter, Informationspflichten auch dort zu statuieren, wo Informationsdefizite auf Nachlässigkeit beruhen, wenn nur diese Nachlässigkeit typisch ist und so zum Problem für die Ordnung wird oder diese Nachlässigkeit durch eine ordnungsorientierte Verschiebung der Sorgfaltsanforderungen zu „ordnungsgemäßem" Verhalten umzudefinieren. Individualschutz und Ordnungsschutz stehen nicht denknotwendig in einem Ausschließlichkeitsverhältnis,47 sondern können ebenso als einander ergänzend gedacht werden. Zuerst werden ordnungstheoretische Begründungsmuster einer Analyse unterzogen. Dabei geht es im folgenden nicht um die rechtliche Bedeutung von Ordnungsar Jedenfalls, soweit es die aktive Täuschung betrifft. Wenngleich in der dogmatischen Literatur oft Ausschließlichkeitspositionen vertreten werden, z . B . „Vertrauensschutz" oder „Verkehrsschutz" als „der" vorvertragliche Haftungsgrund; dazu näher im folgenden Abschnitt. 46 47

IV. Der weitere

Gedankengang

33

gumenten im Zivilrecht oder im Vertragsrecht allgemein - sie würde sich kaum in Abrede stellen lassen („Verkehrsschutz")

sondern darum, ob solche Argumen-

te besondere Verhaltenspflichten, namentlich Informationspflichten der einen Seite zum Schutze der anderen begründen können. Die Diskussion ist rechtsdogmatischer Natur, da es um die rechtliche Geltung rechtlicher Wertungen geht. Sie berüht aber auch rechtstheoretische Aspekte, soweit rechtsdogmatische Fragen von der Sicht der Vertragsfreiheit und ihrer Einbindung in die (Rechts-) Ordnung überhaupt abhängen. Es ist indessen nicht sinnvoll, die ineinandergreifenden Argumentationszusammenhänge in der folgenden Erörterung nach ihrem wissenschaftstheoretischen Status zu trennen. Die Frage nach den für die vorvertragliche Aufklärung maßgeblichen Rechtsprinzipien kann nur im Zusammenhang mit ihrer möglichen Rechtsgrundlage geführt werden. Sie ist zuallererst also eine Frage nach dem dogmatischen Verständnis des vorvertraglichen Schuldverhältnisses.

3. Teil:

Das vorvertragliche Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher Informationspflichten I. G e l t u n g s g r u n d u n d H a f t u n g s g r u n d 1. Das Gesetz

als

Geltungsgrund

Die Rechtsgrundlage vorvertraglicher Informationspflichten ist das vorvertragliche Schuldverhältnis der Vertragsanbahnung. Seine Geltung ist heute allgemein anerkannt, überwiegend w o h l als Gewohnheitsrecht. 1 A u c h Picker, der der herrschenden Schadensrechtsdogmatik die Verkehrung v o n Regel und A u s n a h m e v o r w i r f t 2 - Regel sei, dem Prinzip des „neminem laedere" folgend, die Haftung f ü r zurechenbare Schädigungen und die gesetzlichen Regelungen seien daher als Begrenzungen, nicht als Begründungen der Haftung zu sehen, 3 - auch leugnet die N o t w e n d i g k e i t einer Sonderverbindung

Picker

nicht. N u r ist sie in seiner

K o n z e p t i o n haftungseinschränkend, nicht haftungsbegründend. 4 U n d daß jedenfalls die Haftung f ü r ein Unterlassen, u m die es hier allein geht, nicht allein dem „neminem laedere" zu entnehmen ist, sondern besonderer „Pflichtenver1 Siehe nur BGH NJW 1979,1983; Bohrer, Haftung, S. 130; Frost, Schutzpflichten, S.40; Larenz, SchuldR I, 14. Aufl., §9 1, S.108f.; Larenz/Canaris, Methodenlehre, 3. Aufl., S.259; Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl., §276 Rn.65; Staudinger/Löwisch, BGB, 13. Bearb., Vorbem zu §§275ff Rn.52; Staudinger//. Schmidt, BGB, 13. Bearb., §242 Rn.633; MünchKomm/fmmerich, BGB, 3. Aufl., Vor §275 Rn. 58; Grigoleit, Informationshaftung, S. 1. Andere stützen die c.i.c. dagegen auf eine Rechtsanalogie zu diversen Vorschriften des BGB (§§ 122, 179, 307, 309, 463 S.2, 523 I, 524 I, 600, 663, 694 BGB, vgl. Wiegand, Sachwalterhaftung, S.46, Vaiindt/Heinrichs a.a.O.; zum entstehungsgeschichtlichen Zusammenhang dieser Vorschriften mit der c.i.c. siehe Soergel/ Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 BGB Rn. 101. Wiegand weist zutreffend darauf hin, daß die Existenz der c.i.c. als Rechtsinstitut vom Gesetzgeber in §11 Nr. 7 AGBG anerkannt worden sei und schon deshalb nicht mehr in Frage gestellt werden könne, Wiegand, Sachwalterhaftung, S.49; ebenso Messer, FS Steindorff, S.743; Soergel /Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 102; MünchKomm/Emmerich, BGB, 3. Aufl., Vor §275 Rn.53; wohl auch BGH NJW 1979,1983; zurückhaltend Grigoleit, Informationshaftung, S. 50f. Zur Entwicklung der Lehre Medicus, FS Käser (80. Geb.), S. 169ff.; Giaro, Culpa in contrahendo; Byongjo Choe, Culpa in contrahendo. Eine ausdrückliche gesetzliche Grundlage sieht nunmehr § 311 Abs. 2 des Diskussionsentwurfs eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesministers der Justiz (konsolidierte Fassung vom 6.3. 2001) vor. 2 Seine Kritik am herrschenden Verständnis vor- bzw. außervertraglicher Haftung hat Picker in AcP 183, 369ff., JZ 1987, 1041 ff. und FS Medicus, S.397ff. dargelegt. 3 Picker, AcP 183, 369, 466. 4 Picker, JZ 1987, 1041, 1056.

I. Geltungsgrund und Haftungsgrund stärkungsfaktoren" bedarf, 5 dürfte auch Picker

35

schwerlich bestreiten können.

D i e Anerkennung der c.i.c. schließt freilich nicht konkrete Pflichtinhalte oder auch nur bestimmte Haftungsgründe ein. Vorherrschend wird die vorvertragliche Haftung ferner als gesetzliche Haftung verstanden, 6 wenn auch vertraglichen Haftungsregeln gehorchend (insbesondere § 2 7 8 B G B ) . So trivial diese Feststellung erscheinen mag, so bedeutend ist sie für das rechtstheoretische (Vor-) Verständnis der c.i.c. und damit für den Rahmen, der der Rechtsfortbildung durch die c.i.c. gesetzt wird. W ä r e die vorvertragliche Haftung aus einer quasi-vertraglichen Bindung herzuleiten und somit Ausdruck der Selbstbestimmung oder Selbstverantwortung 7 , wäre der mögliche Pflichteninhalt beschränkt auf eben die Bindung, die der Verpflichtete eingegangen ist oder zu verantworten hat. W i e immer der Verpflichtungsgrund beschrieben würde, ob als „besonderer sozialer K o n t a k t " (Haupt)?

„entgegengebrachtes Vertrauen" ( D ö l l e ) , 9 „Inanspruchnah-

me von Vertrauen" ( B a l l e r s t e d t ) 1 0 oder als „legitime (Köndgen)n,

Verhaltenserwartung"

die vertragsanaloge K o m m u n i k a t i o n zwischen den Parteien oder

die Selbstbindung der haftenden Partei wäre das M a ß der Dinge. Zu unaufgeforderter Information wäre die eine Seite der anderen gegenüber nur verpflichtet, wenn sie entsprechende Erklärungen abgegeben und die andere sich auf diese E r klärungen verlassen hätte. 1 2 Wenngleich die Flexibilität juristischer Theorien fast sprichwörtlich ist, könnte eine auf quasi-kontraktuelle Selbstbindung aufbauen-

Zutreffend insoweit Breidenbach, Informationspflichten, S. 50f. Bohrer, Haftung, S.149 m.w.N.; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 46f. m.w.N. Dagegen kennzeichnet Singer, Verbot, S. 103, die herrschende Meinung dahin, sie sehe im Vertrauensprinzip den „Geltungsgrund" der Lehre von der c.i.c. Gemeint sein dürfte der „Haftungsgrund" (dazu folgend unter 2.), denn nur diesbezüglich läßt sich von einer verbreiteten Akzeptanz des Vertrauensprinzips sprechen. Auch Canaris, Vertrauenshaftung, S. 429, betrachtet „die" Vertrauenshaftung insgesamt als gesetzliche Haftung. 7 Dazu Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §4 (8), S. 59ff. 8 FS Siher, Band II, S.5, 11. 9 ZGesStW 103,67, 83. Darstellung und Erörterung der Lehren bei Bohrer, Haftung, S. 134ff. 10 AcP 151, 501, 507. Die Ballerstedtsche Formel wird in unterschiedlichsten Zusammenhängen verwendet. Nicht jeder, der Pflichten auf „in Anspruch genommenes Vertrauen" gründet, verbindet damit die Vorstellung eines besonderen, rechtsgeschäftsähnlichen Geltungsgrundes vorvertraglicher Pflichten (vgl. zur haftungskonkretisierenden Funktion unten S. 98ff.). Canaris (Vertrauenshaftung, S. 491 ff., 532ff. und FS Larenz, 80. Geb., S.33,107) etwa knüpft zwar an die Inanspruchnahmeformel an, sieht als Geltungsgrund aber das Gesetz (Vertrauenshaftung, S.502f.); so wohl auch Staudinger/Löwisch, BGB, 13. Bearb., Vorbem § 275ff. Rn.66, für Vertrauen auf das Zustandekommen eines Vertrages. 11 Köndgen, Selbstbindung, S. 102ff. Köndgen lehnt die konsensuale Begründung solcher Bindungen ab; aber auch dann bestimmt sich der Umfang der „Selbstbindung" nach der Kommunikation zwischen den Beteiligten, danach, was der eine an Selbstbindung gewollt hat und danach, wie der andere sie verstanden hat oder verstehen mußte (vgl. S. 193f.). Eine vertragsanaloge Begründung der Haftung für außervertragliche Auskünfte und Beratung auch bei Jost, Vertragslose Auskunft-und Beratungshaftung, S.253ff. 12 Das ist zumindest der Ausgangspunkt, der sich in der Theorie bis hin zur Bindung an Rollenerwartungen verflüchtigen kann. 5

6

36

J. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

de - und auf sie beschränkte! - vorvertragliche Haftung für unterlassene Information nicht allein auf die Elemente Wissen hier und Unwissen dort aufgebaut sein, sondern benötigte immer einen Anhaltspunkt für eine die Aufklärung beinhaltende Selbstbindung, würde diese sich auch in typischen Formen wie Wahrnehmung eines bestimmten Berufes oder einer bestimmten sozialen Rolle ausdrükken können. 13 Uber die theoretischen Bemühungen um quasivertragliche Bindungen wie ihre Bedeutung in anderen Rechtsordnungen 14 soll und muß hier kein abschließendes Urteil gesprochen werden.15 Denn zumindest die hier interessierenden Verhaltenspflichten zum Schutze des anderen können mit diesem Modell nicht angemessen erfaßt werden. 16 Seiner vertragsanalogen Konstruktion und Teleologie nach zielt die quasivertragliche Selbstbindung auf Erfüllung eines zugesagten Verhaltens.17 Sie kann theoretisch begründen, daß und warum ein Anspruch auf ein bestimmtes Verhalten besteht. Zu denken ist etwa an die Fallgestaltungen des „faktischen Vertrages", in denen die faktische Nutzung einer Leistung den Anspruch auf die Gegenleistung soll begründen können. Die quasivertragliche Theorie kann dagegen nicht begründen, daß ein bestimmtes, schädliches Verhalten18 unterbleiben soll. Das aber ist der Zweck der auf Schutz zielenden vorvertraglichen Haftung, deren Rechtsfolge Schadensersatz ist.19 Auch die Pflicht zur unaufgeforderten Aufklärung resultiert nicht aus der Erfüllung eines Versprechens, sondern aus der Pflicht, die Selbstbestimmung des anderen nicht zu gefährden. Die vorvertragliche Haftung zielt darauf ab, das Verhalten bereits vor dem „Selbstbindungsakt" (Inanspruchnahme des Vertrauens etc.) zu steuern, ja den „Selbstbindungsakt" überhaupt zu verhindern, so er unberechtigt ist. Die Verhaltenspflichten entstehen nach weithin vertretener Ansicht mit Aufnahme

13 Daß solche Theorien auch „normativ aufladbar" sind und das „Vertrauen" als Vertrauen in redliches Verhalten usw. verstanden werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Hier kommt es nur darauf an, daß ein solches Verständnis nicht mehr aus der Vertrauenskommunikation abzuleiten wäre. 14 Dazu neben Köndgen, Selbstbindung, die Besprechung dieser Schrift durch Kramer, AcP 182, 469ff. 15 Vgl. A. Ramm, Quasikontrakt, S. 100: „Fort mit dem Quasikontrakt aus Wissenschaft und Gesetzgebung"; Kramer, AcP 182, 469. Die Charakterisierung der früheren ReichsgerichtsRechtsprechung (etwa RGZ 65,17,19; 66,402,405) als auf dem Boden einer Quasivertragstheorie stehend durch Nirk, FS Möhring (65. Geb.), S. 385, 389, ist mißverständlich. Man sollte eher von Vertragsfiktionen sprechen, denn es handelt sich nur um eine (bedenkliche) Anwendung der üblichen Kategorien vertraglicher Bindung. 16 Bohrer, Haftung, S. 149, konstatiert als „heute fest(stehend)", daß die vorvertragliche Haftung eine solche aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis sei. 17 Vgl. Larenz, Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildungen, S. 13: „Entgegengebrachtes und in Anspruch genommenes Vertrauen verpflichtet zu entsprechendem Verhalten." 18 Das in den hier interessierenden Fällen Unterlassen ist. 19 Anders Jost, Vertragslose Auskunft- und Beratungshaftung, S.254. Erfüllungsansprüche können zwar auch als Rechtsfolge eintreten, aber nur ausnahmsweise und letztlich - in Ermangelung anderer angemessener Entschädigungsformen - als eine Form des Schadensersatzes.

I. Geltungsgrund

und

Haftungsgrund

37

der Vertragsverhandlungen,20 also bevor Vertrauen in Anspruch genommen wurde oder legitime Erwartungen (etc.) geweckt worden sind. Sie quasivertraglich zu begründen wäre so, wie wenn bereits vor Abschluß des Kaufvertrages der Lieferanspruch bejaht würde. Zur Veranschaulichung ein von Frotz gebildeter Beispielsfall:21 D will einen Nachlaßgegenstand erwerben, wendet sich deswegen an den Erben V N . V N weiß, daß V zum Nachlaßpfleger bestellt ist. E r nimmt an, bis zur Aufhebung der Nachlaßpflegschaft sei nicht er, sondern Vfür alle Geschäfte zuständig. Daher verweist er D , ohne in der Sache Stellung zu nehmen, an V. Dieser war aber nur für bestimmte Gegenstände zum Nachlaßpfleger bestellt worden, zu denen die von D verfolgte Angelegenheit nicht gehört. D a er von D hört, V N habe ihn verwiesen, hält er sich für bevollmächtigt und schließt das Geschäft. V N genehmigt den Vertrag nicht.

Im Ergebnis wird man eine Haftung des VN gegenüber D wegen der inhaltlich unrichtigen Auskunft bejahen müssen. Auch erscheint das konkrete Vertrauen als maßgeblicher Aspekt dieser Haftung: D hat der Erklärung des V N vertraut; er durfte dies wegen des erkennbar rechtsgeschäftlichen Kontextes auch. Würde die Haftung quasivertraglich konstruiert, würde wirklich „aus Vertrauen" (etc.) gehaftet, wäre frühestens mit der fehlerhaften Auskunft des VN eine Pflicht entstanden.22 Nach weithin geteilter Auffassung beginnen die Verhaltenspflichten aber mit der Aufnahme der Vertragsverhandlungen und ist das Ziel etwaiger Schadensersatzpflichten die Verhaltenssteuerung von diesem Zeitpunkt an. Diese Verhaltenspflicht würde für den Beispielsfall etwa lauten: „Erwecke nicht den Eindruck einer in Wirklichkeit nicht bestehenden Vertretungsmacht eines Dritten!" Die Verhaltenspflichten sollen gerade das vertrauenerweckende Verhalten steuern, es gegebenenfalls verhindern.23 Diese Zielsetzung muß eine Theorie verfehlen, die Selbstbindung als Geltungsgrund vorvertraglicher Pflichten nimmt. Daran ändert auch die zeitliche Vorverlagerung der Vertrauensinanspruchnahme - die Verhandlungsaufnahme24 oder die Person des Gegners25 als Vertrauenstat20 Siehe nur MünchKomm/Emmerich, B G B , 3. Aufl., Vor §275 Rn.70; Larenz, Kennzeichen geglückter richterlicher Rechtsfortbildungen, S. 13. 21 Frotz, Verkehrsschutz, S.57 Fn. 122; siehe auch S.67 Fn. 161; Welser, ÖJZ 1973, 281, 284. 22 Frotz, Verkehrsschutz, S. 62. Ganz ähnlich mußten die diversen Versuche scheitern, die vorvertraglichen Verhaltenspflichten aus dem späteren Vertragsschluß abzuleiten, vgl. dazu Hildebrandt, Erklärungshaftung, S. 85 ff. Nicht überzeugend wäre es, an das vertrauensbegründende Verhalten eine Aufklärungspflicht zu knüpfen. Dies würde nicht nur den Haftungsschwerpunkt verschieben (so Frotz, a.a.O., S. 62); vor allem wäre nicht einzusehen, wie ein erlaubtes Verhalten Aufklärungspflichten hervorrufen könnte. 23 Ungenau daher die geläufige Wendung, die Pflichtverletzung liege in der Enttäuschung des Vertrauens (Bohrer; Haftung, S. 171,172 m.w.N.): nicht in der Enttäuschung, sondern darin, daß diese nicht vermieden wurde. Es gibt schließlich keinen Anspruch auf Vertrauensentsprechung (zu Ausnahmen siehe weiter im Text). 24 Richtig Nirk, FS Möhring (75. Geb.), S. 75, 76, der zutreffend zwischen der Aufnahme von Vertragsverhandlungen und konkreter Vertrauenswerbung während der Vertragsverhandlungen unterscheidet. 25 Loges, Erklärungspflichten, S. 75.

38

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

bestand - nichts. Warum Vertrauen im Vorfeld des Vertragsschlusses geschützt wird, im übrigen aber (weitgehend) nicht, kann der Vertrauensgedanke nicht selbst erklären - anders als der Wille im Vertrag. A u c h die Fallgestaltungen, in denen die Verletzung von Schutzpflichten statt zu Schadensersatz ausnahmsweise de facto zum Ersatz des Erfüllungsinteresses führt, sind nicht als Anspruch auf „Erfüllung eines in Anspruch genommenen Vertrauens" zu begreifen. Wäre dem so, müßte, wie beim Rechtsgeschäft, Voraussetzung und U m f a n g der Bindung aus dem Vertrauen selbst erklärbar sein. In Wahrheit bestimmen aber nicht Intensität und Ausmaß des Vertrauens über den Leistungsanspruchs, sondern die Kompensationseignung des Schadensersatzes. 2 6 A u c h hier geht es also um die Verhinderung von Schäden, nicht um die „Erfüllung" einer quasivertraglichen Verbindlichkeit. Dafür aber k o m m t der gesetzlichen Haftung ein natürlicher Vorrang zu.

2. Die Konkretisierung

von Haftungsgründen

anhand von

Rechtsprinzipien

Weil Geltungsgrund des vorvertraglichen Schuldverhältnisses das Gesetz ist, kann seine Ausformung nur im Wege der Rechtsfortbildung und anhand rechtlicher Wertungen erfolgen, die ihre Grundlage in der Rechtsordnung haben. Zu suchen ist nach Haftungsgründen 2 7 , die angeben, warum die Rechtsordnung eine Partei schützt, indem sie der anderen eine Aufklärungspflicht auferlegt. A n g e sichts der fragmentarischen und punktuellen Regelungen vorvertraglicher I n f o r mationspflichten k o m m t eine N o r m - oder Rechtsanalogie jedenfalls für H a f tungsgründe von einer gewissen Generalisierbarkeit nicht in Frage. D i e richterrechtliche Statuierung vorvertraglicher Informationspflichten kann nur anhand materialer Rechtsprinzipien erfolgen, die der Rechtsordnung zugrunde liegen.

3. Strukturmerkmale

des

Haftungstatbestandes

D i e Begründungs- und Legitimationsfunktion dieser Rechtsprinzipien läßt sich speziell für die Statuierung vorvertraglicher Informationspflichten n o c h genauer erfassen, wenn wir die Strukturmerkmale des Haftungstatbestandes erkennen. Das vorvertragliche Schuldverhältnis wird durch die Aufnahme von Vertragsverhandlungen oder - im Falle der Dritthaftung - dem gleichzustellende Tatbestände begründet. 2 8 D i e Haftungskonkretisierung sucht nach dem Fehlverhalten der

Siehe noch S.316ff. Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 470; Breidenbach, Informationspflichten, S. 23. Vgl. zur unterschiedlichen Terminologie Canaris a.a.O., S. 469 Fn. 7. Wieder anders verwendet Bohrer, Haftung, S. 114, Fn. 113, den Begriff (Haftungsgrund = das das vorvertragliche Schuldverhältnis begründende Ereignis = Aufnahme der Vertragsverhandlungen). 28 Bohrer, Haftung, S. 114, Fn. 113 (zu dessen Terminologie siehe vorige Fn.); zur Dritthaftung Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 154ff., 191ff. 26 27

I. Geltungsgrund

und

Haftungsgrund

39

haftenden Partei. Anknüpfungspunkt ist die fehlerhafte, weil auf Basis eines gestörten materiellen Willens getroffene Dispositionsentscheidung des Kontrahenten. Der haftenden Partei ist das Geschehenlassen dieser fehlerhaften Entscheidung als von ihr (mit)verursachte Verletzung der Dispositionsfreiheit zurechenbar, wenn sie verpflichtet war, eine gestörte Dispositionsentscheidung zu verhindern. Diese Pflicht wird in der Regel nicht darin bestehen, den Dispositionserfolg als solchen zu verhindern, wohl aber zu verhindern, daß die Disposition auf einem gestörten Willen, d.h. auf unzureichender Informationsbasis erfolgte. Die Informationspflicht muß also bereits vor der Disposition bestehen und kann nicht als durch sie erst ausgelöst gedacht werden. Durch die Pflicht wird das U n terlassen der Aufklärung zum rechtswidrigen Fehlverhalten. Die Informationspflicht setzt immer Kenntnis oder Kennenmüssen auf Seiten des Informationspflichtigen einerseits und ein Informationsdefizit des Informationsberechtigten andererseits voraus. Ein pflichtenbegründendes Rechtsprinzip muß begründen können, warum der Wissende den Nichtwissenden zu informieren hat. Dafür bietet die Inanspruchnahme von Vertrauen gewiß die einleuchtendste Begründung. Andere Prinzipien sind aber denkbar. Es liegt auf der Hand, daß die Eigenverantwortung des Informationsbedürftigen dabei eine entscheidende Rolle spielt. An Informationspflichten ist vor allem dann zu denken, wenn der Informationsbedürftige selbst nicht in der Lage war, seinen Irrtum bzw. seinen Informationsbedarf zu erkennen, während die Erkennbarkeit der Information eher gegen ein Schutzbedürfnis und gegen eine Informationspflicht spricht. Aber es wäre voreilig, die Dogmatik der Informationspflicht von hier aus zu entwickeln und also auf die Wertung zu stellen, daß bei Unerkennbarkeit stets geholfen werden müsse, bei Erkennbarkeit dagegen eine Informationspflicht niemals zu rechtfertigen sei. 29 Es ist dies gerade ein Kernproblem der Dogmatik der Informationspflichten: ob Informationspflichten auch dann zu begründen sind, wenn die nichtinformierte Partei ihren Informationsbedarf an und für sich selbst hätte erkennen müssen. Die Möglichkeit einer unvoreingenommenen Diskussion wäre beeinträchtigt, würde bereits die Struktur des Haftungstatbestandes die U n m ö g lichkeit bzw. Ausschöpfung der Eigenverantwortlichkeit auf Seiten der nichtinformierten Partei fordern.

29 In diese Richtung St. Lorenz, Schutz, S.434ff., der in Anlehnung an die französische Dogmatik („ignorance légitime") die Aufklärungspflicht aus der Perspektive der Zumutbarkeit der Selbstinformation für den Unwissenden beantwortet. Dazu noch S. 148f., 286ff.

40

3. Teil: Schuldverhältnis

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

II. Das Gerechtigkeitsprinzip als rechtstheoretische Basis vorvertraglicher Schutzpflichten 1. Keine Rückführbarkeit

auf das Prinzip der

Selbstverantwortung

Der Rahmen denkbarer vorvertraglicher Haftung, in den Haftungsgründe sich einzupassen haben, wird mitbestimmt vom rechtstheoretischen Vorverständnis der Haftungsgrundlage. Obzwar die vorvertragliche Schutzverpflichtung nicht mit quasikontraktuellen Begründungsmustern zu erklären und daher gesetzliche Haftung ist, wäre allein deswegen eine Rückführung der Haftung auf den Willen bzw. die Selbstbestimmung des Haftenden nicht gänzlich ausgeschlossen, wenn man mit Flume die Selbstverantwortung als deren Teil sieht. 30 So begreift Flume die Haftung auf Ersatz des Vertrauensschadens aus §§ 122, 307,309 BGB trotz ihrer gesetzlichen Ausgestaltung als „rechtsgeschäftlich", d.h. als auf die (angefochtene) Willenserklärung bzw. den (nichtigen) Vertrag und damit auf die Selbstbestimmung im Sinne von Selbstverantwortung rückführbar. 31 Aber diese Deutung greift bei den Schutzpflichten der c.i.c. nicht; denn es fehlt, auch wenn der Haftungstatbestand an ein Vorverhalten des Haftenden anknüpft, der äußere Schein einer wirksamen Willenserklärung oder eines wirksamen Vertrages, der allenfalls noch als fehlgesteuerte oder unzureichende Selbstbestimmung aufgefaßt werden könnte. 32 Deshalb erscheint bedenklich, zumindest mißverständlich die Deutung der vorvertraglichen Haftung bei Canaris, derzufolge sie als „Korrelat der Privatautonomie" auf das „Prinzip der Selbstverantwortung" zurückzuführen sei.33 Das „Vertrauen", das im Rahmen der vorvertraglichen Haftung haftungskonkretisierend sein kann, ist nicht Vertrauen darauf, der andere habe seine Selbstbestimmung rechtsgeschäftlich ausgeübt, sondern ist Vertrauen in bloße Tatsachenbehauptungen. Die vorvertragliche Haftung kann nicht auf einen rechtsgeschäftlichen Akt zurückgeführt werden. Diese Klärung ist wichtig. Wollte man die vorvertragliche Haftung über ein erweitertes Verständnis der Selbstverantwortung doch auf die Selbstbestimmung des Haftenden gründen, wären nur Haftungsprinzipien zugelassen, die sich als Inbegriff dieser Verantwortung verstehen ließen. 2. Das Gerechtigkeitsprinzip

als rechtsheoretische

Basis der

Materialisierung

Die vorvertragliche Haftung ist ganz und gar gesetzliche Haftung, deren Rahmen zunächst nur durch das Schutzgut bestimmt wird. Vordergründig ist dies der ma30

Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §4 (8), S.61f. Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 10 (4), S. 129. 32 So auch eindeutig Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 10 (4), S. 129. 33 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 440, bezieht sich damit nicht nur auf die Erfüllungshaftung „aus Vertrauenshaftung", sondern auch auf die vorvertraglichen Schutzpflichten (a.a.O., S. 441). Frotz, GS Gschnitzer, S. 163,173f., von dem der „Korrelatsgedanke" stammt, meint die „Verantwortung für den anderen", nicht Selbstverantwortung; so auch Welser, OJZ 1973, 281, 284. 31

II. Das Gerechtigkeitsprinzip

als rechtstheoretische

Basis

41

terielle Wille des Schutzbedürftigen. Ob allerdings im materiellen Willen die Selbstbestimmung des einzelnen geschützt wird, ist weniger klar zu beantworten, als es zunächst scheint, und hängt wiederum vom rechtstheoretischen (Vor-)Verständnis ab. Selbstbestimmung im vom Gesetz zunächst intendierten klassisch liberalen Sinne, als bloße „Freiheit von" (staatlicher Bevormundung), betrachtet alle privaten Rechtsgenossen als ideal „gleich" und hat keinen Blick für materiale Unterschiede.34 Dem genügt ein Vertragsrecht, das, unter Anerkennung der formal-idealen Gleichheit aller Rechtsgenossen bei Rücksichtnahme auf gewisse konstitutionelle Selbstbestimmungsvoraussetzungen (Mündigkeit), staatsfreie Verträge ermöglicht. Privatautonomie ist in dieser Sicht vorstaatliche Erscheinung, die vom Staat lediglich anerkannt und im Rahmen des Rechts mit einem Verfahren ausgestattet wird.35 Durchaus im Einklang mit diesen Vorstellungen steht die Verantwortlichkeit für den Schein rechtsgeschäftlichen Handelns (§§ 122 Abs. 1, 307, 309 BGB etc.); denn auch für den optimalen Verkehrsteilnehmer ist der Unterschied zur Wirklichkeit nicht erkennbar. Aber im übrigen stellt sich die Frage nach einem Schutz der Selbstbestimmung gegenüber dem Kontrahenten durch besondere Verhaltenspflichten nicht. Sie wird aufgeworfen erst, wenn die Haltung des Rechts vom bloßen „Gewährenlassen" übergeht zu einer Bewertung des Resultats dieses Gewährenlassens. Und diese Bewertung ist notwendigerweise ergebnisorientiert. Ihr Maßstab ist das Recht und dessen materialer Bezugspunkt, die Gerechtigkeit. Dieser Wechsel hin zu einer bewertenden Haltung der Privatautonomie gegenüber ist das Ergebnis einer Enttäuschung der Enttäuschung einer Ordnungs- oder Gerechtigkeitserwartung an Privatautonomie und Wettbewerb, der rigoros liberalen Vorstellung einer sich von selbst (invisible hand), als Summe aus der Vielzahl individueller Vertragsentscheidungen einstellenden Ordnung („prästabilierte Harmonie") im Sinne eines Laissez faire und in Anknüpfung an die Markttheorie Adam Smith's?b Diese hatte die Vorstellung der mittelalterlichen Wirtschaftsethik vom iustum pretium im Einzelvertrag37 überwunden und vertraute den Kräften des Marktes.38 Sie mußte ihrerseits nach und nach der Erkenntnis weichen, daß das freie Walten der Kräfte durch Macht- und Monopolbildung die Bedingungen des Wettbewerbs und der Vgl. Weitnauer, Schutz des Schwächeren, S . l l . Vgl. Kramer, Krise, S. 36 und passim; Kaiser, FS D J T I , S. 101,115; M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 9; gegen die Apriorität der Privatautonomie und Vertragsfreiheit zutreffend Adomeit, Gestaltungsrechte, S. 11 f.; Roscher, Vertragsfreiheit, S. 54ff. Zur parallelen Diskussion auf verfassungsrechtlicher Ebene mit Sympathie für die Apriorität Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S.224 m.w.N. 36 Bartholomeyczik, AcP 166, 30, 35, 47; Immenga, Politische Instrumentalisierung, S.3ff. Daß der Laissez faire nur eine, noch dazu fernliegende Lesart der Smith 'sehen Markttheorie ist, zeigt Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 97f. u. 93. 37 Zur Lehre vom iustum pretium und ihrer Fundierung durch die Vertragsnaturlehre Oechsler, Gerechtigkeit, S. 107ff. 38 Kaiser, FS DJT I, S. 101,131; Bartholomeyczik, AcP 166, 30, 36ff., 39ff.; v. Jhering, Zweck im Recht, 1. Bd., 4. Aufl., S. 103f. 34 35

42

3. Teil: Schuldverhältnis

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

Vertragsfreiheit selbst beseitigt, 39 aber noch darüber hinaus, daß auch funktionierender Wettbewerb allein keine ausreichende Gewähr für die Selbstbestimmung des einzelnen ist.40 Die auch von einem liberalen Standpunkt aus notwendige Gegensteuerung führt zur „Einbettung" der Privatautonomie in die Rechtsordnung in einem spezifischen Sinn: Recht zeigt nicht mehr nur die (Gemeinwohl-) Grenzen privatautonomen Handelns auf, 41 sondern verpflichtet und gestaltet dieses Handeln auf Gerechtigkeit hin, 42 und zwar im Hinblick auf und getragen von einer Vorstellung von materialer Gerechtigkeit. Damit ist (wieder) eine innere Verknüpfung zwischen Vertrag und Rechtsordnung hergestellt. Wenn das Recht ein Interesse am „Funktionieren" des selbstbestimmten Handelns hat, muß diesem Handeln ein Wert oder eine „Funktion" im Hinblick auf Recht und Rechtsordnung zukommen, die über die bloße Selbstverwirklichung hinausgeht. Der historische Gesetzgeber des BGB hat die Gerechtigkeitsbindung des Vertrages nur rudimentär, in §138 BGB, insbesondere dessen Abs.2, anerkannt. Weitergehende Schlußfolgerungen hat er nicht gezogen: 43 teils weil er sich zu einer gesetzlichen Regelung außerstande sah, teils weil er zwar das Gerechtigkeitsproblem sah, es aber systematisch nicht dem Vertragsrecht zuordnete (Schutz des „Schwächeren"). 44 Das Gerechtigkeitsprinzip, die Erkenntnis, daß Vertragsfreiheit nicht außerhalb des Rechts und der Gerechtigkeit steht und daß formale Selbstbestimmung im Vertrag nicht immer zu gerechten Ergebnissen führt, ist die rechtstheoretische Basis des vorvertraglichen Schutzprinzips wie aller anderen, richterrechtlichen und (spezial-) gesetzlichen Materialisierungen des Vertragsrechts. 45 Das gilt auch im Fall des nicht zustande gekommenen Vertrages. 46 Denn auch die Erwartung eines Vertragsabschlusses ist Teil des materiellere Willens und der

39

Raiser,yZ 1958,1, 3; Schweingruher, Vertragspartei, S. 34ff. Zu Ansätzen staatlichen Schutzes des Wettbewerbs bei Smith näher Drexl, Selbstbestimmung des Verbrauchers, S.93. 40 Anders freilich die ökonomische Theorie der spontanen Ordnung v. Hayeks, Wettbewerb als Entdeckungsverfahren, insbes. S. 12ff.; vgl. ferner die Darstellung bei Drexl, Selbstbestimmung des Verbrauchers, S. 101 f. 41 So aber jene Autoren, die von der Vorrechtlichkeit der Privatautonomie ausgehen, etwa Lauflee, FS H. Lehmann I, S. 145ff., 162,163; wohl auch Enneccerus/Nipperdey, Allg. Teil 1,15. Aufl., S.98ff. 42 Flume, FS D J T I , S. 135,136f. und passim; Reinhardt, FS Schmidt-Rimpler, S. 155f. Zweifelhaft M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.35f.: Die Rechtsordnung richte ihre Ordnungsaufgabe nur an den Belangen der Gemeinschaft aus, die Wahrnehmung privater Interessen sei demgegenüber Aufgabe des Trägers dieser Interessen. In diesen rein privaten Bereich dürfe die Rechtsordnung nicht eindringen. 43 Weshalb Adomeit, Das bürgerliche Recht, S. 10, die spätere Richtigkeitslehre SchmidtRimplers (dazu unten S. 78ff.) „ganz un-BGB-haft" nennt. 44 M. Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 55ff. Siehe ferner S. 134. 45 Vgl. Canaris, Bedeutung der iustitia distributiva, S. 46f.; vgl. ferner die Darstellung der Materialisierung auf judikativer und legislativer Ebene bei Grigoleit, Informationshaftung, S. 50ff., 64ff.; siehe außerdem noch S. 122ff. 46 Vgl. noch S. 292 f.

II. Das Gerechtigkeitsprinzip

als rechtstheoretische

Basis

43

Selbstbestimmung, und es geht um den Schutz dieses Willens um der Vermeidung eines ungerechten Ergebnisses willen.47

3. Der vorvertragliche Schutz der Selbstbestimmung aus dem Gehalt des Gerechtigkeitsprinzips

prozeduralen

Die Verbindung zwischen vorvertraglichem Schutzprinzip und Gerechtigkeitsprinzip versteht sich nicht von selbst. Das Gerechtigkeitsprinzip ist, jedenfalls in seinem herkömmlichen Sinne, ein materiales oder teleologisches Prinzip, das auf einen bestimmten Endzustand, den gerechten Vertrag oder die gerechte Gesamtordnung zielt. 48 Im vertragsrechtlichen Instrumentarium entspricht ihm die Inhaltskontrolle oder das objektive Gesetzesrecht. Das vorvertragliche Schutzprinzip ist dagegen prozeduraler Natur. Es verbessert (lediglich) die Möglichkeiten materialer Selbstbestimmung im Verfahren der vertraglichen Einigung. Alle Prinzipien, die das vorvertragliche Schutzprinzip konkretisieren, sind letztlich Aussagen über den prozeduralen, die formale Selbstbestimmung anreichernden Gehalt des Gerechtigkeitsprinzips. 49 Auch „das Vertrauensprinzip", soweit es über die Rechtsscheinhaftung im engeren Sinne hinausgeht, steht auf dem Fundament des Gerechtigkeitsprinzips, allem Anschein der Selbstgenügsamkeit50 zum Trotz; denn daß in Anspruch genommenes Vertrauen schutzwürdig ist, erklärt sich nicht aus der Selbstverantwortung des Vertrauensnehmers, sondern aus einer Wertung, die jenseits der formalen Selbstbestimmung liegt.51 Konkretisierung des vorvertraglichen Schutzprinzips ist die Suche nach prozeduralen, die Selbstbestimmung fördernden Elementen, deren rechtstheoretische Basis das Gerechtigkeitsprinzip ist. Selbstverständlich kann das Gerechtigkeitsprinzip als rechtstheoretisches Prinzip oberster Ordnung nicht aus sich zu dogmatischen Aussagen führen. Aber es setzt den Rahmen für die zulässigen Argumente.

47 Nicht das „Schutzgut" ist in den beiden Konstellationen „Zustandekommen eines nicht erwartungsgerechten Vertrages" - „NichtZustandekommen des gewünschten Vertrages" verschieden (so Soergel/Wiedemann, B G B , 12. Aufl., Vor §275 Rn. 112f.), sondern Inhalt und Richtung des Schutzes. 48 Bei Grotius, De iure belli ac pacis (II. 12.9.2) wird die Verletzung von Aufklärungspflichten als Problem der Gerechtigkeit gesehen (dazu Oechsler, Gerechtigkeit, S. 73). Siehe ferner Cicero, De officiis, 3.54 („iniuste"). 49 Zum Zusammenhang von Vertragsgerechtigkeit und Selbstbestimmung Canaris, Bedeutung der iustitia distributiva, S. 46ff. 50 In diese Richtung etwa die Theorie Ballerstedts, AcP 151, 501, 507. 51 Eine davon zu trennende Frage ist, wieweit die rechtsgeschäftliche Bindung nach vertrauenstheoretischen Kriterien erweitert werden kann. In diesem Sinne Oechsler, Gerechtigkeit, S. 211 ff.

44

3. Teil: Schuldverhältnis

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

III. Die Problematik ordnungstheoretischer Materialisierungskonzepte 1. Ordnungsgerechtigkeit des Vertrages

als denkbares

rechtstheoretisches

Ziel

Wie nun die Verbindung von Vertragsfreiheit und Recht bzw. Gerechtigkeit rechtstheoretisch zu denken ist, ist für die dogmatische Tragweite und Ausrichtung des vorvertraglichen Schutzprinzips und damit auch für die vorvertraglichen Informationspflichten von entscheidender Bedeutung. Zwar führt das Gerechtigkeitsprinzip im Rahmen des vorvertraglichen Schuldverhältnisses nur zu prozeduralen Aussagen, etwa der, daß über diesen oder jenen Umstand informiert werden müsse. Für das Ausmaß dieser Anreicherung oder Materialisierung des vertraglichen Einigungsverfahrens kommt es aber entscheidend darauf an, ob sie auf ein materiales, mehr oder minder konkretes Gerechtigkeitsziel hin orientiert ist oder ob Gerechtigkeit sich mit Verfahrensgerechtigkeit bescheidet und somit auf eine Verbesserung des Verfahrens zur Selbstbestimmung beschränkt. Dieses Problem überlappt sich mit der weiteren Frage, ob die Forderung nach Gerechtigkeit die Gerechtigkeit des einzelnen Vertrages,52 den Interessenausgleich zwischen den Parteien, also Vertragsgerechtigkeit, meint, oder ob die Gerechtigkeit der gesamten Rechtsordnung bzw. der Teilordnung „Privatautonomie" (Ordnungsgerechtigkeit) gemeint ist. Im ersten Fall können die Argumente für eine Materialisierung allein den Interessen der am Vertrag beteiligten Parteien entnommen werden. Im zweiten Fall können (nur oder auch53) Argumente für die Pflichtenkonkretisierung herangezogen werden, die dem Schutz der Ordnungsgerechtigkeit bzw. der Ordnung (Ordnungswerte) dienen.54 Die Untersuchung wendet sich zuerst dem Problem Ordnungsgerechtigkeit - Vertragsgerechtigkeit zu. Der Anspruch des Rechts gegenüber dem Vertrag ist ein Anspruch der Rechtsordnung. Ausgangspunkt der an den Vertrag gerichteten Gerechtigkeitsforderung ist daher in der Tat die Gerechtigkeit im Sinne einer gerechten Ordnung, „nach einem bestimmten Leitbild, aufgrund einer Gesamtentscheidung".55 Damit ist allerdings nicht gesagt, daß der Vertrag unmittelbar Ordnungsgerechtigkeit verwirklichen muß. Vielmehr kann die Verbindung zur Rechtsordnung auch 52 Der aristotelische Begriff der Tauschgerechtigkeit (Aristoteles, Nikomachische Ethik, Buch V 1130b, 1131b, 1132b ff.) wird gemieden, weil sich mit ihm bestimmte materiale Gerechtigkeitsvorstellungen verbinden, über die für die Zwecke der vorliegenden Untersuchung nicht befunden werden muß. Zur Problematik näher Oechsler, Gerechtigkeit, S. 54ff., 69, 78f., 98, der die Tauschgerechtigkeit bei Aristoteles nicht auf den gerechten Ausgleich von Rechten und Pflichten im Vertrag, sondern auf die Bewältigung sozialer Katastrophen und Krisen bezogen sieht. 53 Je nachdem, wie das Verhältnis von Ordnungs- und Individualschutz gedacht wird. 54 Siehe auch Oechsler, Gerechtigkeit, S. 78 (Instrumentalisierung des Vertrages zur Lösung sozialer, ökonomischer oder weltanschaulicher Makrofragesteilungen). 55 Steindorff, FS Kaiser, S.621, 628.

III. Die Problematik

ordnungstheoretischer

Materialisierungskonzepte

45

so gedacht werden, daß der Vertrag seinen Ordnungsbeitrag (in aller Regel) dadurch leistet, daß er individuale Vertragsgerechtigkeit verwirklicht. Der Unterschied ist erheblich. Wer den Vertrag grundsätzlich dem unmittelbaren Anspruch der Ordnungsgerechtigkeit verpflichtet sieht, kann Ordnungsargumente unmittelbar im Vertragsrecht zur Geltung bringen, kann also zum Beispiel vorvertragliche Informationspflichten damit rechtfertigen, daß eine sozial gerechte oder eine effiziente Ordnung oder der Schutz des Wettbewerbs sie verlange. Materiale Ordnungstheorien können Materialisierung auch dort begründen, wo die Abwägung der individuellen Interessen allein zu einem negativen Ergebnis führen würde; sie können einer Partei aufgrund „übergeordneter" Ordnungsinteressen Schutz zukommen lassen. Andererseits können sie den Schutz des einzelnen vernachlässigen, wenn und da er nur Einzelfall ist und für die Ordnung insgesamt keine Rolle spielt. Der Frage nach Ordnungs- oder Individualgerechtigkeit wird folgend in der Weise nachgegangen, zuerst die Tragfähigkeit einer ordnungstheoretischen Legitimation des vorvertraglichen Schutzprinzips zu untersuchen. Es steht dabei nicht zur Diskussion, daß Ordnungswerte das Vertragsrecht überhaupt beeinflussen. Sozialschützende Normen wie zum Beispiel diverse Schutzvorschriften des Wohnungsmietrechts56 dokumentieren dies ebenso wie die Rücksichtnahme auf wettbewerbsrechtliche Wertungen in zivilrechtlichen Generalklauseln.57 Die Frage lautet vielmehr, ob Ordnungswerte derart in das Vertragsrecht einwirken, daß daraus ein, wenn nicht umfassendes, so doch gehaltvolles Konzept vorvertraglicher Verhaltenspflichten ableitbar ist; ferner, ob diese Ordnungswerte hinreichend konkret sind, um eine Rechtsfortbildungstheorie tragen zu können. 2. Der „Schutz des Rechtsverkehrs"

als einschlägige

dogmatische

Kategorie

In der Dogmatik des vorvertraglichen Schutzprinzips begegnet uns das ordnungstheoretische Problem etwas versteckt in der Frage, ob vorvertragliche Verhaltenspflichten im „Schutz des Rechts(Geschäfts-)verkehrs" oder die „Funktionsfähigkeit des Rechts(Geschäfts-)verkehrs" das tragende Rechtsprinzip finden.58 Der Begriff ist so schillernd wie gebräuchlich, kann aber, so er die Materia56 Ob das „soziale" Wohnraummietrecht insgesamt so zu erklären ist, wie v. Stebut, Der soziale Schutz, S.268f., 304ff. und passim, meint, erscheint zweifelhaft. 57 Etwa im Rahmen des § 826 BGB, siehe die Rechtsprechungsnachweise bei Palandt/XÄoiTMS, BGB, 57. Aufl., §826 Rn.41. 58 Schmitz, Dritthaftung, S. 52ff., 109ff.; Leenen, Symposion Wieacker, S. 108ff.; Loges, Erklärungspflichten, S.154ff., 160ff.; Welser, ÖJZ 1973, 281, 284 („Ökonomie" des Rechtsverkehrs) und Vertretung, S.75ff. Ein Anklang auch bei Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 105 („Interesse des geordneten Geschäftsverkehrs"), dann aber doch auf den Schutz einer korrekten Willensentscheidung abstellend. Für den Kapitalmarkt („Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes") Assmann, Prospekthaftung, S.24ff. Auch in der Rechtsprechung findet sich der Hinweis auf die Erfordernisse des Geschäftsverkehrs, wenngleich meistens nur als Pflichtenmaßstab, nicht als Geltungsgrund der c.i.c., siehe etwa RG JW 1912, 743 Nr. 5 („Luisin"); RGZ

46

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

lisierung der formalen Selbstbestimmung begründen soll, nichts anderes als die gerechte (Gesamt-, Teil-)Ordnung und deren Schutz meinen und fußt also auf einem bestimmten materialen oder prozeduralen Ideal einer Gesamtordnung. Denn andere Bedeutungsinhalte vermögen eine Materialisierung nicht zu tragen: Verstanden als Ausdruck und Konkretisierung des Rechtssicherheitsprinzips ist Verkehrsschutz keine Basis für eine Materialisierung im allgemeinen und besonders nicht für die Ausformung und Ausweitung einer am Einzelfall orientierten Pflichtenkonzeption wie der c.i.c., ja sogar ein Argument gegen haftungsbewehrte Verhaltenspflichten außerhalb klar umrissener Grundlagen. 59 Verstanden als Ausdruck und Konkretisierung des dritten Elements der Rechtsidee, Zweckmäßigkeit, hier genauer der Zweckmäßigkeit des Rechtsverkehrs 60 und des Vertragsrechts, kann es rechtsproduktiv nicht ohne Zweck sein. Dieser Zweck ist die „Ordnung", näherhin die Privatrechtsordnung. 61 Und von dieser Ordnung muß eine Vorstellung haben, wer sie schützen will. Der Leitwert der Ordnung kann wiederum nur die Gerechtigkeit sein, entweder im Sinne eines materialen Gerechtigkeitswerts oder im Sinne eines bestimmten, zu Gerechtigkeit führenden Verfahrens.62 Man darf sich über diesen Zusammenhang nicht von „technischen" Formulierungen des Verkehrsschutzgedankens wie zum Beispiel „Leichtigkeit" des Geschäftsverkehrs hinwegtäuschen lassen. Auch hier ist entweder die Rechtssicherheit gemeint; dann aber läßt sich darauf keine Materialisierung stützen. Oder es ist die Zweckmäßigkeit angesprochen; dann aber bedarf es des Zweckes, um daraus mehr ableiten zu können als Selbstverständliches (wie zum Beispiel das Arglistverbot). Auch die Mißtrauensformel (Schutz der Behinderung des Rechts95,58,60; 103,47, 50; 107,357,362. Viele ordnungstheoretische Ansätze zur Begründung außervertraglicher Verhaltenspflichten weisen über das vorvertragliche Schutzprinzip hinaus und wollen als Haftungsgrundtheorien verstanden werden; das gilt etwa für die „Berufshaftung" (vgl. Lammel, AcP 179,337,345ff.) oder für das von Hopt begründete „Kapitalanlegerschutzprinzip " (ders., Kapitalanlegerschutz, S. 408). 59 Anders aber Leenen, Symposion Wieacker, S. 108, 110f., allerdings letztlich auf eine Materialisierung anhand ökonomischer Kriterien zielend (dazu im folgenden). Siehe ferner Hildebrandt, Erklärungshaftung, S. 78 Fn. 140. Am ehesten wird man die Rechtsscheinhaftung auf den Gedanken der Rechtssicherheit, ebenso aber auf die Zweckmäßigkeit zurückführen können, vgl. dazu Canaris, Vertrauenshaftung, S.526f. Zur „Verkehrssicherheit" im System der Privatautonomie Bydlinski, Privatautonomie, S. 131 ff. 60 Zuweilen ist der Begriff des Verkehrsschutzes im Sprachgebrauch der juristischen Literatur nichts weiter als eine Chiffre für die Interessen des Verhandlungs- bzw. Vertragsgegners. Man könnte - und sollte - an seine Stelle den Begriff des Vertrauens setzen. Hier geht es nur um den Schutz der individuellen Interessen, nicht um übergeordnete Ordnungsinteressen. 61 Schmitz, Dritthaftung, S. 109, spricht von „Interessen der Allgemeinheit an einer funktionstüchtigen, privaten Rechtsgeschäftsordnung". Man könnte ebenso gut die „Gesamtrechtsordnung" setzen, ändern würde das an den folgenden Ausführungen nichts. 62 Auch Ordnung an sich ist ein Rechtswert. Aber diesem Wert, der nur eine Umschreibung für die Rechtssicherheit ist (vgl. Radbruch, Rechtsphilosophie, S. 165), wäre mit dem gesetzlichen Vertragsrecht gewiß Genüge getan, es forderte keine richterliche Rechtsfortbildung, stünde ihr sogar entgegen.

III. Die Problematik

ordnungstheoretiscber

Materialisierungskonzepte

47

Verkehrs durch Mißtrauen) 63 hilft darüber nicht hinweg: Wann Vertrauen schutzwürdig ist, läßt sich nicht ohne eine materiale Vorstellung denken, auf die hin das Vertragsrecht geordnet ist. Dieser Zweck kann auch die Selbstbestimmung der Parteien sein; aber dann wäre der ordnungstheoretische Rahmen verlassen, der hier zunächst erörtert werden soll. Und auch Bydlinskis Ansicht, der Zweck der privaten Rechtsordnung bestehe darin, den Umsatz von Gütern zu ermöglichen, 64 fußt letztlich auf einer (in diesem Fall materialen) Ordnungsvorstellung: entweder dem Ziel eines möglichst hohen Umsatzes oder dem Ziel einer angemessenen Verteilung der Waren. 65 Materiale oder prozedurale Ordnungsvorstellungen können nur dann das vorvertragliche Schutzprinzip ausfüllen, wenn der Vertrag ihnen untergeordnet ist. Zwei Fragen sind also zu beantworten: Ist der Vertrag bestimmten (materialen oder prozeduralen) Ordnungsvorstellungen verpflichtet? Wenn ja, welche Vorstellungen sind dies?

3. Ordnungsgerechtigkeit

und individuelle

Selbstbestimmung

Die offenkundigen Defizite des liberal-idealen Vertragsrechts haben eine starke ordnungstheoretische Strömung in der Vertragstheorie entstehen lassen, die bei allen Unterschieden im einzelnen die Aussage eint, daß der Vertrag ein Mittel der Rechtsordnung und daher an der ihm gestellten Ordnungsaufgabe zu messen sei. Bei Kaiser, der die Ordnungsverpflichtung aus einer institutionellen Theorie des Vertrages ableitet,66 bleibt die Ordnungsverpflichtung ein bloßes Korrektiv; es soll nur gewährleisten, daß der Vertrag „Grundforderungen der Gerechtigkeit" nicht mißachtet. 67 Bei anderen ist Selbstbestimmung dagegen nur „richtige" Selbstbestimmung, also Selbstbestimmung, die zu einem der Ordnung gemäßen Ergebnis führt oder die Kautelen des Ordnungsverfahrens (Wettbewerbs) beachtet. Man muß in dieser Deutung nicht so weit gehen wie zunächst Schmidt-Rimpler, demzufolge nicht Willensherrschaft der Sinn des Vertrages sei, sondern die Herbeiführung einer richtigen Regelung unter Verzicht auf eine hoheitliche Ge-

63 Etwa Schmitz, Dritthaftung, S. 109f.; siehe auch - vertrauenstheoretisch - Larenz, FS Ballerstedt, S. 397, 414f. und - ökonomietheoretisch („Verteuerung des Geschäftsverkehrs") - Welser, Vertretung, S. 76. 64 Bydlinski, Privatautonomie, S. 138f. Das dürften auch jene meinen, die von der „Sicherheit und Leichtigkeit des Rechtsverkehrs" oder der „Ökonomie des Rechtsverkehrs" sprechen, vgl. Welser, Vertretung, S. 76, Frotz, GS Gschnitzer, S. 163,174f. Es sei dahingestellt, inwiefern dieser Zweck letztlich aus dem Gerechtigkeitsziel ableitbar ist. 65 Das Ziel der „effizienten Versorgung" (vgl. Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 94; ähnlich Kliege, Rechtsprobleme, S. 108f.) kann je nach Verständnis eher dem Effizienzziel (Betonung auf Effizienz) oder dem der gerechten Verteilung (Betonung auf Versorgung) zugeordnet werden. 66 Recht der AGB, S.282, 283ff. und passim; den., FS DJT I, S. 101,117f. 67 Raiser, FS DJT I, S. 101, 119f.

48

J. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

staltung68, oder Biedenkopfj69 der den einzelnen als Gesamtfunktionär der Gesamtordnung bezeichnet. Individuelle Vertragsfreiheit würde so zur Verfügungsmasse ordnungstheoretischer Leitvorstellungen. Daß der einzelne und nicht eine abstrakte Ordnung der Zweck allen Rechts ist, lehrt das Grundgesetz.70 Wenn die heute einhellige Meinung dahin votiert, daß die Selbstbestimmung Zweck des Vertrages sei,71 so ist damit die Ablehnung jedenfalls eines solchen Ordnungskonzepts verbunden. Auch Schmidt-Rimpler hat sich später zugunsten der Selbstbestimmung korrigiert.72 Indessen ist die Verpflichtung der Vertragsfreiheit auf konkrete Gerechtigkeitsvorstellungen nicht notwendig mit der Leugnung des Eigen- und Grundwertes des Individuums und seiner Selbstbestimmung verknüpft. Auch wer ordnungstheoretisch denkt, muß die („richtige") Ordnung nicht als Zweck, sondern kann sie ihrerseits als Mittel zum Zweck sehen, den einzelnen eine optimale bzw. gerechte Verwirklichung ihrer Interessen zu ermöglichen.73 Freilich, und dies ist entscheidend, wird der Inhalt dessen, was „Privatautonomie" und „Vertragsfreiheit" sein soll, von der Ordnungsvorstellung her - sie sei material oder prozedural - angereichert, werden von hierher gesetzesergänzende Regeln entwickelt. Das Verhältnis des Vertrages zur Ordnung kann dabei zweifach gedacht sein. Wer vom empirischen Willen ausgeht, wird die Ordnung als dessen Grenze sehen. Der Ordnungswert begrenzt die Willkür der Parteien, im Zweifel die Willkür des Stärkeren zum Schutze jener des Schwächeren. Materiale Ordnungswerte können aber auch als Zweck und Ziel des vertraglichen Willens betrachtet werden. Solches Denken ruht auf der Identität von Allgemein- und (richtig verstandenem, „vernünftigem") Einzelinteresse und damit auf einem idealen, „vernünftigen", nicht empirischen Begriff der Autonomie. 74 Gleichviel, ob der Vertrag nun der Ordnungsvorstellung unterworfen wird oder auf sie bezogen ist und ob die Ordnungsvorstellung materialer oder prozeduraler Art ist: eine ordnungstheoretisch 68 Schmidt-Rimpler, AcP 147,130,156; dagegen Fiume, FS D J T I , S. 135,142f. Zu seinen Motiven Schmidt-Rimpler, FS Raiser (1974), S. 9. 69 Biedenkopf, Wettbewerbsbeschränkung, S. 108; siehe auch Kliege, Rechtsprobleme, S. 106ff.; dagegen M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.62f. 70 Rieble, Arbeitsmarkt, Rn. 834f. m. w.N.; siehe ferner die Kritik von Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 115. Aus der Perspektive der rechts- und ideengeschichtlichen Grundlagen unseres Zivilrechts Behrends, Privatrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, S. 9,18,48, 72,77ff. und passim. 71 BVerfGE 89, 214, 231; Biedenkopf Wettbewerbsbeschränkung, S. 106; M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.20; Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S.42. 72 Schmidt-Rimpler, FS Raiser (1974), S. 3, 8 f.; siehe aber, allerdings auf anderer theoretischer Basis, Zweigert, FS Rheinstein, S.493, 503, 504; dagegen zutr. Singer, Selbstbestimmung, S.23. 73 Widersprüchlich Loges, Erklärungspflichten, S. 175: Der Institutionenschutz setze Individualschutz voraus, und deshalb sei der Institutionenschutz „primär individualschützend". 74 Getreu dem hegelschen Motto, daß wirklich nur ist, was vernünftig ist (Philosophie des Rechts, S.56). Zu philosophischen Vorläufern bzw. Grundlagen solchermaßen materialen Denkens von der aristotelisch-scholastischen bis zur hegelschen Vertragstheorie näher Oechsler, Vertragsgerechtigkeit, S. 107ff., 114 ff.

III. Die Problematik

ordnungstheoretischer

Materialisierungskonzepte

49

gestützte Rechtsfortbildung ist nur möglich, wenn die Ordnungsvorstellung als der geltenden Rechtsordnung immanent dargestellt werden kann75 und hinreichend bestimmt ist.76 4. Die dogmatische

Operationalisierung

der

Ordnungsgerechtigkeit

Eben darin liegt das zentrale Problem ordnungstheoretischen Denkens: in der dogmatischen Operationalisierung der Ordnungsgerechtigkeit, der Entwicklung und Legitimierung konkreter Ordnungsaussagen im Wege der Rechtsfortbildung. Dieses Operationalisierungsproblem hat mehrere Aspekte. Zum ersten ist Ordnungsgerechtigkeit komplex, komplexer vor allem als der Interessenausgleich zwischen den Vertragsparteien; denn Gründe für eine Materialisierung der Vertragsfreiheit entstehen nicht allein aus dem bilateralen Interessenkonflikt der beteiligten Parteien, sonden dem multilateralen Interessenkonflikt zwischen den Parteien untereinander und zwischen den Parteien und der „Ordnung". Zum zweiten müssen Ordnungsinteressen aus einer bestimmten Ordnungsvorstellung heraus als rechtlich relevant nachgewiesen werden. Erforderlich ist also eine Gesamtvorstellung von Ordnung oder zumindest von Teilordnungen. Naturgemäß sind diese Vorstellungen in hohem Maße wertungsabhängig und selten konsensfähig. Alle ordnungstheoretisch begründeten Aussagen zum Vertragsrecht und zu vorvertraglichen Pflichten sind insoweit angreifbar. Diesen grundsätzlichen Schwierigkeiten zum Trotz hat ordnungstheoretisches Denken in den letzten zwei Jahrzehnten enorm an Bedeutung für die Vertragstheorie und die außervertraglichen Verhaltenspflichten gewonnen. Durchaus bezeichnend ist dabei die weitgehende Abstinenz der Judikatur, die sich etwa bei der Statuierung vorvertraglicher Verhaltenspflichten weitgehend herkömmlichen individualen Begründungsansätzen anvertraut. Die folgende Erörterung wird nicht alle Facetten der Diskussion ausleuchten, sondern kann und muß sich auf die Hauptlinien beschränken, auf die alle Einzeltheorien letztlich zurückgeführt werden können. Zunächst kann zwischen materialen und prozeduralen Ordnungstheorien unterschieden werden, und zwar danach, ob die Vertragsfreiheit auf einen materialen Ordnungswert verpflichtet wird oder (nur) unter Beachtung bestimmter prozeduraler Ordnungregeln (Markt-bzw. Wettbewerbsregeln) zustande gekommen ist. Trotz sehr verschiedener Ausgangspunkte laufen alle Ordnungstheorien bezüglich vorvertraglicher Informationspflichten im Kern auf dasselbe hinaus: die aus der (professionalisierten) Arbeitsteiligkeit resultierenden Diskrepanzen der Informationskompetenz durch Informationspflichten (und ggf. andere Instrumente) zu kompensieren. Besondere Hervorhebung verdient die Tatsache, daß der informationspflichtige Teil nicht nur für tatsächlich vorhandenes („präsen75 D a ß der Gesetzgeber die Privatautonomie - im R a h m e n der Verfassung - auf bestimmte Ordnungswerte hin gestalten kann, ist selbstverständlich. 7 6 Im R a h m e n der Verfassung.

50

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

tes") Wissen einzustehen hat, sondern auch für das Wissen, das von ihm aufgrund seiner Funktion in der Ordnung („Marktfunktion") zu erwarten ist. Ordnungstheorien binden also im allgemeinen Informationsverantwortlichkeiten bereits an die größere Iniovmaxionskompetenz, nicht lediglich an den konkreten Wissensvorsprung. Ferner beschränken Ordnungstheorien den Informationsschutz auf ordnungsrelevante Fälle informationeller Unterlegenheit, auf Fälle „typischer" oder „kollektiver" Defizite. Es werden im folgenden die Theorien jeweils getrennt betrachtet und auf ihren Aussagegehalt im Hinblick auf vorvertragliche Informationspflichten untersucht. 5. Die Problematik

materialer

Ordnungstheorien

Halten wir uns zuerst an die materialen Ordnungstheorien. Sie lassen sich einteilen nach zwei unterschiedlichen ordnungspolitischen Paradigmen für eine material „gerechte" Ordnung: erstens dem Leitbild der Verteilungsgerechtigkeit; zweitens dem Leitbild der wirtschaftlichen Effizienz. Der Unterschied zwischen beiden Vorstellungen läßt sich am besten mit Eidenmüllers Bild vom Kuchen veranschaulichen: Verteilungsgerechtigkeit sinnt auf eine gerechte Verteilung des Kuchens, Effizienz darauf, daß der Kuchen möglichst groß werde.77 Man kann dementsprechend vom sozialen Theorieansatz und vom ökonomischen Theorieansatz sprechen. Es gibt monistische, nur einem Ansatz folgende Theorien, und es gibt dualistische oder pluralistische Konzepte, die aus beiden ordnungstheoretischen Ansätzen und unter Umständen auch individualen Begründungsansätzen Vertrag und vorvertragliches Schutzprinzip oder überhaupt besondere Verhaltenspflichten deuten. Betrachten wir die Ansätze getrennt anhand maßgeblicher Untersuchungen. a) Soziale Theorien. Soziale Theorien etablieren die Verteilungsgerechtigkeit als das oder zumindest ein Ordnungsprinzip des Vertragsrechts.78 Die rechtliche Basis dieser Theorien ist einerseits das Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG). Zum anderen werden vielfältige gesetzliche Regelungen, die allgemein oder in bestimmten Bereichen Materialisierungen des Vertragsrechts hervorgebracht haben, ordnungstheoretisch gedeutet. Von hier aus wird die Forderung nach dem „Schutz des Schwächeren" im Vertragsrecht aufgestellt. Allerdings darf nicht jede Äußerung dieser Art als Ausdruck eines ordnungstheoretischen Ansatzes verstanden werden; die Forderung nach Parität oder vertraglichen Schutzmechanismen kann ebenso von einem individualschützenden Standpunkt aus erhoben 77 Eidenmüller, Effizienz, S. 171. Was Vertreter des Effizienzgedankens in der Ökonomietheorie (Chicago School) nicht davon abhält, Effizienz mit Konsumentenwohlfahrt gleichzusetzen, vgl. Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 105. Uber Verknüpfungen der beiden Ziele Eidenmüller, a.a.O., S. 273ff. 78 Die „soziale" Ordnungsfunktion hat, mit einem institutionalistischen Ansatz, Raiser (Recht der AGB, S.39ff.; ders., JZ 1958, 1, 6) begründet.

III. Die Problematik

ordnungstheoretischer

Materialisierungskonzepte

51

werden. Charakteristisch, wenn auch nicht notwendig für den ordnungstheoretischen Standpunkt im Gegensatz zu individualen Schutztheorien, ist die Konkretisierung des Schutzbedarfs nach sozialen Gruppenmerkmalen. „Sozialität" meint Schutz für bestimmte „benachteiligte" Bevölkerungsgruppen. Ein Problem sozialer Theorien ist ihre Unbestimmtheit. Es bedarf keiner näheren Begründung, daß dem Sozialstaatsprinzip keine konkreten Ordnungsvorstellungen zu entnehmen sind. Unverzichtbar für eine sozial motivierte richterliche Rechtsfortbildung ist daher eine gesetzliche Ordnungsentscheidung, die der Fortentwicklung fähig ist. Zwei Probleme stellen sich hier ein. Einmal ist der ordnungspolitische Charakter einer Regelung selten einwandfrei zu ermitteln; die diesbezüglichen Interpretationsprobleme werden etwa an v. Stebuts Untersuchung des sozialschützenden Charakters des Bestandsschutzes im Wohnungsmietrecht und im Arbeitsrecht deutlich.79 Zum zweiten muß ordnungspolitischer Sozialschutz angesichts der Grundentscheidung für ein formales und individuales Vertragsrecht grundsätzlich als Ausnahmeregelung gesehen werden, ist also schwerlich Basis für eine großangelegte richterrechtliche Fortentwicklung. Konkretisierungen eines sozialschützenden Ordnungsprinzips scheitern durchgehend an diesen Hindernissen. So etwa der Versuch, Verbraucherschutz als Schutz einer bestimmten sozialen Gruppe zu denken, deren spezifische Merkmale - geringes Einkommen, geringer Wissens- und Bildungsstand - sie als „strukturell unterlegen" im Verhältnis zu den Produzenten kennzeichnen soll. Das „Verbrauchersein" nähert sich einer persönlichen Eigenschaft. Die Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers ist umfassend, sie ergreift alle Konsumaktivitäten; in informationeller Hinsicht hätte der Verbraucher bei allen Konsumhandlungen als unterlegen zu gelten und nähme damit einen ähnlichen Status ein wie der allgemein geschäftlich Unerfahrene im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB.80 In eine ähnliche Richtung gehen Versuche, die Verbrauchersituation als Kehrseite des Arbeitnehmerseins zu betrachten, demnach Verbraucherschutz auf die abhängig Beschäftigten zu beschränken.81 Selbst der BGH, für gewöhnlich individualen Materialisierungstheorien verpflichtet, hat vereinzelt einen „schichtenspezifischen Sozialschutz" zur Grundlage für vorvertragliche Informationspflichten genommen.82 Uber den rechtspolitischen v. Stebut, Der soziale Schutz. Vgl. dazu Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 113; siehe auch Dick, Verbraucherleitbild, S.2. V. Hippel, Verbraucherschutz, 3. Aufl., S.5, unterscheidet innerhalb der Verbraucher noch einmal die Gruppe der sozial schwachen Verbraucher. Schuhmacher, Verbraucherschutz, S. 202, lehnt eine Differenzierung innerhalb des Verbraucherbegriffs nach der geschäftlichen Erfahrung ab. Zur (geschäftlichen) Unerfahrenheit im Sinne von § 138 Abs. 2 BGB S. 154ff. 81 Vgl. Tonner, ZVP 1979,252,256; ders., DuR 1975,119,128ff.; Roppo, DuR 1976,109ff., der allerdings Kleinunternehmer in den Verbraucherschutz einbeziehen will (a.a.O., S. 119f.); dazu auch Reich, Markt und Recht, S. 191 ff.; Dick, Verbraucherleitbild, S . l l . 82 BGH NJW 1974, 849, 851 („sozial schwächere Bevölkerungsschicht"; siehe auch BGH JZ 1981, 138, 139: kein Schutz für „Personenkreis, der für derartige Immobiliengeschäfte im allgemeinen in Betracht kommt"). Von einer „Grundsatzentscheidung" zu sprechen (Reich, NJW 1978,513,514; AK.-BGK/Teubner §242 Rn. 76), ist freilich übertrieben; der BGH hat diesen An79

80

52

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

Wert solcher Überlegungen mag man streiten; 83 richterliche Rechtsfortbildung hat sich an vorhandenen gesetzlichen Leitbildern zu orientieren. 84 Die (vertragsrechtliche) Verbraucherschutzgesetzgebung aber teilt dieses Verbraucherbild nicht. Gewiß trifft die konstatierte informationelle Uberforderung die „sozial Schwachen" - die Abgrenzbarkeit dieser Gruppe unterstellt - in stärkerem Maße, sie werden häufiger unzureichend informiert sein als die „sozial Gutgestellten". Aber auch der bildungsmäßig und wirtschaftlich Stärkere verfügt in den meisten Lebenssituationen nicht über das (Fach-)Wissen, das ihm die Beurteilung eines Vertragsangebots aus eigener Kenntnis gestattet.85 Die mittlerweile durchaus zahlreichen verbraucherschützenden Gesetze im Bereich des Vertragsrechts bestimmen die Schutzbedürftigkeit daher nicht nach einer bestimmten sozialen (schichtenspezifischen) Lebenssituation (als Indiz rechtsgeschäftlicher Unterlegenheit), sondern anhand einer auf den Vertrag bezogenen sozioökonomischen Situation, die potentiell bei jedem Rechtsgenossen - auch beim Unternehmer oder Rechtsgelehrten - vorliegen kann. 86 Auf schwachen Beinen steht auch Schumachers Theorie eines besonderen informationellen Schutzes „geschäftlich Unerfahrener", die augenscheinlich ebenfalls ordnungstheoretisch motiviert, da auf ein sozialstaatlich motiviertes Gebot faktischer Chancengleichheit gestützt ist. 87 Der Unbestimmtheit des Sozialstaatsprinzips eingedenk versucht Schumacher eine Reihe spezialgesetzlicher Informationspflichten, zu denen inzwischen etliche hinzugekommen sind,88 zu einem Prinzip des Schutzes geschäftlich Unerfahrener satz nicht ausgebaut und ist im Grundsatz für eine rollenbezogene Definition des Verbrauchers, vgl. etwa BGHZ 47, 207, 210: geschäftliche Unerfahrenheit auch bei gehobenem Bildungsgrad und Stand). Siehe ferner die Rechtsprechung zur Aufklärung wegen „geschäftlicher Unerfahrenheit" (dazu unten S. 178ff., 183ff.), die sich der Terminologie des BGB (vgl. § 138 Abs. 2 BGB) bedient und schichtenspezifische Argumentationsmuster meidet. 83 Kritisch zu solchen Begrenzungen Joerges, Verbraucherschutz, S. 73; Dick, Verbraucherleitbild, S . l l . 84 Vgl. Preis, ZHR158,567,596/597; auch Reifner, der selbst einen systemkritischen Verbraucherschutzansatz verfolgt (dazu Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 111 \Dick, Verbraucherleitbild, S. 34ff.), wendet sich gegen eine personelle Begrenzung auf Lohnabhängige (Alternatives Wirtschaftsrecht, S.410ff.). 85 Deutlich BGHZ 47, 207, 210. 86 Reich, ZRP 1974,187, 190; ders., Markt und Recht, S.191ff.; Schuhmacher, Verbraucherschutz, S. 188f.; Preis, ZHR 158, 567, 594; Dick, Verbraucherleitbild, S.10; frühzeitig Westermann, Verbraucherschutz, S. 70. 87 Schumacher, Irreführung, S. 79f.; auf derselben Linie die - aus zivilrechtsdogmatischer Sicht allzu pauschale - Einordnung vorvertraglicher Informationspflichten überhaupt als Ausprägung sozialen Schutzes auf Grundlage des Sozialstaatsprinzips bei Neuner, Privatrecht und Sozialstaatsprinzip, S.246f. 88 Schumacher, Irreführung, S. 84ff., führt (nach dem Stand der seinerzeitigen Regelungslage) an: § la, b AbzG, §§2 Abs.l, 11 Nr. 10b AGBG, §§3, 4 FernUSG, §34c Abs. 3 GewO, §§11,10 der Makler- und BauträgerVO, § 1 Abs. 4 PreisangabenVO, diverse Vorschriften des Lebensmittel- und Produktkennzeichnungsrechts. Hinzugekommen sind insbesondere die Informationspflichten nach VerbrkrG, HaustürWiG, TzWohnrechteG, FernabsatzG (ggf. i.V.m. § 361a Abs. 1 BGB) und kapitalmarktrechtliche Regelungen (zu diesen noch folgend im Text). Die verbrau-

III. Die Problematik

ordnungstheoretischer

Materialisierungskonzepte

53

zu verdichten.89 Diverse besondere (verbraucher-)gesetzliche Informationspflichten verfolgten den gemeinsamen Zweck, den geschäftlich Unerfahrenen zu schützen. Die entscheidende Frage, ob es sich um Sonderregelungen oder den Durchbruch eines allgemeinen Prinzips handele, beantworte sich unter Heranziehung des Sozialstaatsprinzips.90 Das Sozialstaatsprinzip legitimiere grundsätzlich und tendenziell den Schutz des Schwächeren. Es sei zwar zu unbestimmt, um konkrete Informationspflichten zu begründen, rechtfertige aber „eine Art widerlegliche Vermutung für die Verallgemeinerungsfähigkeit von Einzelnormen, nach denen typischerweise unerfahrenen Vertragspartnern besondere Informationen zu erteilen sind."91 Infolge dieser Wirkung gelangt Schumacher zu einem Rechtsprinzip des informationellen Schutzes geschäftlich Unerfahrener, zu denen er insbesondere private Verbraucher, aber auch kleine Gewerbetreibende zählt.92 Dabei hat der informationspflichtige Anbieter nicht nur für vorhandenes Wissen einzutreten, sondern auch für Informationen, die er „typischerweise haben müßte". 93 Die Schwäche dieser Theorie liegt in der mangelnden Legitimation ihrer sozialen Ordnungsvorstellung - der umfassenden und allgemeinen informationellen Unterlegenheit der Verbraucher. Auf das Gesetz kann sie sich nicht berufen. Die Grundentscheidung des B G B ist das formale Vertragsrecht. Die spezialgesetzlichen Informationspflichten sind punktuelle Ausnahmen, deren „sozialschützende" Teleologie im übrigen nicht gewiß ist.94 Ihnen liegt keineswegs eine generelle Entscheidung für die soziale informationelle Schutzwürdigkeit des Verbrauchers im Verhältnis zum Anbieter zugrunde. Nicht schon das Gegenüber von „Verbraucher" bzw. „geschäftlich Unerfahrenem" und professionellem Anbieter läßt den Gesetzgeber eingreifen, vielmehr muß eine besondere, aus den Umständen des Vertragsschlusses oder des Vertragsgegenstandes geborene Gefährdung für die Entscheidungsfreiheit des Verbrauchers hinzutreten. Die vergleichsweise mindere rechtsgeschäftliche Kompetenz des Privaten ist notwendige, aber nicht hinreichende Voraussetzung für kompensierende Regelungen. Im Haustürwiderrufsgesetz sind es die Umstände des Vertragsschlusses, im Verbraucherkreditgesetz mehrere Umstände, die mit den Besonderheiten des Konsumcherrechtlichen Informationspflichten gem. §§451b Abs. 2 S. 1, Abs. 3 S. 1,451g Abs. 1 Nr. 2,468 Abs. 2 Nr. 2, 472 Abs. 1 Nr. 2 HGB knüpfen an einen bestehenden Vertrag an. 89 Schumacher, Irreführung, S. 79ff. Im übrigen geht es Schumacher nicht nur um den Verbraucherschutz, sondern den Schutz „geschäftlich Unerfahrener" (a.a.O., S. 78); dazu näher S.175f. 90 Schumacher, Irreführung, S. 83. Die heute vorherrschende verfassungsrechtliche Dogmatik betont stärker die grundrechtliche Schutzpflicht, vgl. 4. Kap., 2. Teil, § 1 III 3 a; siehe aber Neuner, Privatrecht und Sozialstaatsprinzip. 91 Schumacher, Irreführung, S. 83. 92 Schumacher, Irreführung, S. 73ff.; ebenso Hadding, Gutachten, S. 124,128ff. (zum Kreditgeschäft). 93 Schumacher, Irreführung, S. 103. 94 Zum individualen Aussagegehalt der „geschäftlichen Unerfahrenheit" näher S. 154ff., zu Schumacher, Irreführung, noch S. 175 f.

54

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

kredits zusammenhängen, im Versicherungsvertragsrecht spielt die Komplexität des Vertrages eine Rolle und so fort. Nicht der Verbraucher/„Unerfahrene" an sich (im Verhältnis zum Anbieter) erscheint dem Gesetzgeber schützenswert, sondern der Verbraucher/„Unerfahrene" in bestimmten, gefährdenden Situationen. Zu Recht wird der gesetzliche Schutz des Verbrauchers als situationsbezogen bezeichnet. 95 Vor diesem Hintergrund bedeutet die dem Sozialstaatsprinzip entnommene „Verallgemeinerungsfähigkeit" der Spezialvorschriften nichts anderes als eine unmittelbar auf das Sozialstaatsprinzip gestützte Gesetzeskorrektur. Nicht zuletzt übersieht Schumacher, da und soweit es ihm darum geht, richterrechtlich entwickelte Informationspflichten zu erklären, daß diese sich von den (verbraucher-)gesetzlichen Informationspflichten in Zielsetzung und Struktur unterscheiden. Das Ziel der richterrechtlichen Informationspflichten ist der Schutz des empirischen Willens einer bestimmten Partei, der infolge mangelnder Kenntnis enttäuscht zu werden droht. Die rechtstheoretische Basis der richterrechtlichen Informationspflichten ist daher individual-willenstheoretisch, ihr Maß ist der individuale empirische Wille. Die (verbraucher-)gesetzlichen Informationspflichten dienen dagegen, zumindest zu einem erheblichen Teil, der Durchsetzung bestimmter Ziele des Gesetzgebers. Sie haben eine idealtypisch-teleologische Basis. Ihr Maß ist nicht der empirische Wille des Informationsberechtigten - allzu oft zeigt sich der Verbraucher an den gesetzlich vorgeschriebenen Informationen gar nicht interessiert 96 - , sondern der modellhafte Entwurf eines „optimalen" Verbraucherwillens. Uber die Relevanz einer Information entscheidet hier nicht der empirische Wille, sondern der Gesetzgeber, dessen Vorstellungen über die Relevanz einer Information sich mit dem empirischen Willen der Partei decken können (soweit er diesen typisierend nachzuempfinden versucht), aber nicht müssen (soweit er eigene ordnungspolitische Zwecke verfolgt). Schumachers Theorie ist in gewisser Hinsicht eine Verallgemeinerung der Kapitalanlegerschutztheorie Hopts, der mit einer ähnlichen Methode neben anderen Schutzmaßnahmen besondere Aufklärungspflichten der Banken gegenüber Kunden begründet, denen die Banken Kapitalanlagen vermitteln oder selbst verkaufen. 97 Die Realität des professionellen Kapitalanlagegeschäfts stimmt nach Hopt mit dem Vertragsmodell des B G B von zwei gleichrangigen Partnern, die ihre Interessen eigenverantwortlich wahrzunehmen wüßten, nicht überein. 98 Der professionell agierenden Bank stehe im Regelfall ein im Anlagegeschäft völlig unerfahrener, deshalb überforderter Kunde gegenüber, der mangels Erfahrung oder Preis, ZHR 158, 567, 593, 597; der Sache nach Westermann, Verbraucherschutz, S. 71 f., 80. Zum Problem der Erreichbarkeit des Verbrauchers am Beispiel der Informationspflichten nach dem Teilzeitwohnrechtegesetz Kind, Grenzen des Verbraucherschutzes, S. 434ff., 504ff. 97 Hopt, Kapitalanlegerschutz. Zur Diskussion mit weiteren Nachweisen v. Hertzberg, Haftung von Börseninformationsdiensten, S. 51 ff. 98 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.247, 88ff. 95

96

III. Die Problematik

ordnungstheoretischer

Materialisierungskonzepte

55

auch infolge Lethargie (!) nicht in der Lage sei, seine Interessen eigenständig wahrzunehmen. Den notwendigen Informationsschutz könne die allgemeine Aufklärungsdogmatik nicht bewerkstelligen." Eine Stütze für besondere Aufklärungspflichten findet Hopt nun in einem „Kapitalanlegerschutzprinzip", das er als übergeordneten, verbindenden Gedanken verstreuten Gesetzesvorschriften zum Schutze des Kapitalanlegers entnimmt. Diese Gesetzesvorschriften wiederum formten in dem spezifischen Bereich der Kapitalanlage den im Sozialstaatsprinzip angelegten, von ihm geforderten allgemeinen Schutz des sozial Schwächeren. 100 Das Sozialstaatsprinzip bedeute die Absage an eine im wirtschaftlichgesellschaftlichen Lebensbereich völlige Enthaltsamkeit des Marktes. 101 Der soziale Rechtsstaat habe vielmehr die Aufgabe, soziale Gerechtigkeit herzustellen und zu wahren, wirtschaftlich Schwache in Schutz zu nehmen. Auswirkungen der Ungleichheit auf nach Besitz und Bildung Benachteiligte seien zu mildern. Diese Bewertung trage aus verstreuten einzelnen Gesetzesvorschriften im unterverfassungsrechtlichen Bereich als weiteres Schutzprinzip das Kapitalanlegerschutzprinzip. 102 Das Kapitalanlegerschutzprinzip entfaltet fünf unterschiedliche Schutzrichtungen, von denen der Informationsschutz eine ist. Diesen Schutz leitet Hopt aus den gesellschaftsrechtlichen Publizitätsvorschriften nach AktG und G m b H G ab, die bei Banken und Investmentgesellschaften noch einige Erweiterungen erfahren. 103 Bedeutung wird außerdem der börsenrechtlichen Publizität beigemessen und vor allem der „Vertriebspublizität" bei Anlagen nach den Investmentgesetzen. 104 Das Kapitalanlegerschutzprinzip wirke auf die Auslegung der konkreten Rechtsvorschriften, sei aber umgekehrt offen für eine Weiterentwicklung durch das einfache Recht. 105 Das Prinzip erlaube keine zwingenden Deduktionen, bedürfe vielmehr der Konkretisierung im Einzelfall unter Abwägung mit anderen Prinzipien. 106 Zuzurechnen sei den Banken ihre besondere Verantwortlichkeit gegenüber Kapitalanlegern über ihre Stellung am Markt - als Verkäufer oder vor allem als Vermittler von Kapitalanlagen.107 Die „Verrechtlichung" dieser Marktstellung erfolge durch Bankvertrag oder, wo kein wirksamer Vertrag vorliege, über die Geschäftsverbindung als aus dem Kapitalanlegerschutzprinzip abgeleiteter rechtlicher Sonderverbindung. 108 Hopt spannt den Deren Interpretation durch Hopt, Kapitalanlegerschutz, S. 242f., ist übrigens zweifelhaft. Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.246f., 343. 101 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.289. 102 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.345ff. und passim. 103 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S. 304ff., 317ff. 104 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.317ff. 105 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.345f. 106 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S. 347; grundlegend zum Wesen des Rechtsprinzips und seiner Abwägungsoffenheit Alexy, Begriff des Rechtsprinzips, S. 59ff.; ferner Koch/Rüßmann, Begründungslehre, S. 97ff. 107 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S. 3 75 ff. 108 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.402ff., 408ff. 99

100

56

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

Umfang der so begründeten besonderen Informationsverantwortlichkeit sehr weit. 109 Zu den fünf bestimmenden Elementen eines beweglichen Systems, 110 das die Konkretisierung der Aufklärungs- und Beratungspflichten im Einzelfall ermöglichen soll, erklärt er die Aufklärungsbedürftigkeit des Kunden, 111 etwaige Absprachen zwischen den Parteien,112 die Intensität der gegenseitigen Beziehungen,113 einen möglichen Schutzverzicht seitens des Kunden, 114 schließlich die betriebliche und finanzielle Tragbarkeit der Verpflichtung auf Seiten der Bank. 115 Konkret folgt daraus beispielsweise: Die Bank muß den Kunden über spezifische Risiken und Chancen eines Papiers unterrichten, gegebenenfalls aber auch überhaupt erst mit dem nötigen Grundwissen über Wertpapiersparen versorgen,116die Informationen müssen mitgeteilt und nötigenfalls klargemacht werden; 117 überdies können Nachforschungs- und Erkundigungspflichten sowie Organisationspflichten zur Ermöglichung richtiger Beratung und Aufklärung eintreten. 118 Auch hier ist die unzureichende Legitimation der sozialen Ordnungsvorstellung der Schwachpunkt. 119 Selbstverständlich ist die richterrechtliche Fortentwicklung legislativer Schutzbestimmungen grundsätzlich möglich. Zu bezweifeln ist nur, wie schon bei der Theorie Schumachers, daß dem in Bezug genommenen Normenbestand eine derart weitgehende soziale Ordnungsaussage - allgemeine informationelle Schutzbedürftigkeit des Anlegers - entnommen werden kann. Die einschlägigen anlegerschützenden Normen müssen angesichts der prinzipiellen Formalität des Vertragsrechts als Ausnahmevorschriften betrachtet werden; das mag eine punktuelle Rechtsfortbildung nicht ausschließen, wohl aber eine völlige Umkehrung von (formaler) Regel und (materialer) Ausnahme für Verträge über Kapitalanlagen. Aber auch wenn man das Regel-AusnahmeVerhältnis beiseite läßt, kann dem in Bezug genommenen Normmaterial keine Wertung für eine allgemeine informationelle Schutzbedürftigkeit des Anlegers entnommen werden. Zwar gibt es eine Fülle von Regelungen über den Schutz von Kapitalanlagen. Ein alle Schutzrichtungen umfassendes „KapitalanlegerschutzIm einzelnen Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.413ff. Im Sinne Wilburgs, Entwicklung eines beweglichen Systems; Bydlinsky, Methodenlehre, 2. Aufl., S.529ff. Im methodischen Ansatz wie Hopt, allerdings vertrauenstheoretisch ansetzend Breidenbach, Informationspflichten, S.61ff. und dazu unten S.90ff. 111 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.414ff. 112 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.420f. 113 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.421f. 114 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.422ff. 115 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.425ff. 116 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.432. 117 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.434. 118 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.436ff. 119 Hopts These, aus dem Kapitalanlegerschutzprinzip sei eine rechtliche Sonderverbindung zwischen Bank und Kunden als rechtliche Grundlage für besondere Verhaltenspflichten abzuleiten (Kapitalanlegerschutz, S. 408), kann und muß hier nicht weiter diskutiert werden; dazu kritisch v. Hertzberg, Haftung von Börseninformationsdiensten, S. 55ff. m.w.N. 109

110

III. Die Problematik

ordnungstheoretischer

Materialisierungskonzepte

57

prinzip" hat aber nur systematischen Wert; als Rechtsfortbildungsprinzip ist es zu unbestimmt. Andererseits findet ein auf informationellen Schutz beschränktes Kapitalanlegerschutzprinzip keine ausreichende Basis im Gesetz. Von den den informationellen Schutz betreffenden Regeln sind einige schwerlich als soziale Schutzvorschriften zu begreifen. Die Publizitätsvorschriften des AktG und des G m b H G intendieren zwar Anlegerschutz, aber in einem Sinne, der nicht dem Minimalgehalt des Sozialstaatsprinzips zugeordnet werden kann. Hier geht es um den „allgemeinen" Schutz jedes Anlegers vor spezifischen Gefahren, die ihre Ursache in der Art der Anlage und der Haftungsbegrenzung haben. Auch der mit allen Wassern gewaschene Effektenhändler oder der beteiligungswillige Konzern benötigt derartige Informationen und soll davor geschützt werden, Geld in eine marode Gesellschaft zu stecken. Dagegen bezieht sich das Kapitalanlegerschutzprinzip, soll seine Anbindung an das Sozialstaatsprinzip Sinn haben, auf den Schutz besonders schutzwürdiger Anleger; Anleger meint hier den im Effektengeschäft unerfahrenen, beratungsbedüftigen, den „kleinen" Anleger, dem nicht nur die spezielle wirtschaftliche Lage des für eine Beteiligung ins Auge gefaßten Unternehmens unbekannt ist, sondern dem schon das „Grundwissen" 120 im Effektengeschäft fehlt. Hopt unterscheidet diese „Individualpublizität" zwar besonders 121 ; sie wird aber zu Unrecht durch eine entsprechend weite Fassung des „Anlegerschutzes" mit der genannten Allgemeinpublizität verknüpft. Was an verwertbaren Normen bleibt, genügt nicht für eine komplette Umkehrung der Informationslastverteilung. Gewiß erlaubt der weithin geschäftsbesorgende Charakter der Beziehung zwischen Bank und Kunden eine strengere Verantwortlichkeit der Bank bereits im vorvertraglichen Bereich. Und die inzwischen in Kraft getretenen Verhaltenspflichten nach §§31 ff. Wertpapierhandelsgesetz (WpHG) haben eine weitreichende Verantwortlichkeit der Banken und anderer Wertpapierleistungsunternehmen festgelegt,122 darunter die Pflicht, dem Kunden alle zweckdienlichen Informationen mitzuteilen (§31 Abs. 2 Nr. 2 WpHG). Nur ist die Methode nicht hinnehmbar: aus punktuellen Informationsverantwortlichkeiten mit Hilfe des Sozialstaatsprinzips123 ein allgemeines dogmatisches Schutzprinzip zu extrapolieren, das die Bank auch für nicht präsentes Wissen verantwortlich macht. Denn in dieser Weise ließen sich soziale Ordnungstheorien (fast Hopt, Kapitalanlegerschutz, S. 432. Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.413ff. 122 P ö l i c h ; s t d a s Wertpapierhandelsgesetz öffentliches Recht, und zwar Aufsichtsrecht (vgl. §§ 35ff. WpHG), wobei die Aufsicht allein im öffentlichen Interesse ausgeübt wird, vgl. § 4 Abs. 2 WpHG. Gleichwohl plädieren Autoren für eine individualschützende Wirkung der Vorschriften (etwa Hopt, ZHR 159, 135, 160f.; Roth, in: Assmann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts, 2. Aufl., München 1997, §12 Rn.l3f.; Assmann/Schütz/Roth, WpHG, 2. Aufl., §31 Rn. 14). 123 Kritisch dazu v. Hertzberg, Haftung von Börseninformationsdiensten, S. 54 m.w.N.; generell kritisch zu Ableitungen von Erklärungspflichten aus dem Sozialstaatsprinzip, Loges, Erklärungspflichten, S. 116ff. 120 121

58

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

beliebig) aus anderen „verbraucherschützenden" oder sonstwie materialisierenden Regelungen entwickeln, immer auf die Behauptung gestützt, es liege ihnen ein sozialer Ordnungswert zugrunde, der die richterrechtliche Entwicklung vorbzw. außervertraglicher Verhaltenspflichten rechtfertige: etwa für das Versicherungsvertragsrecht124 oder - spezieller - den Verkauf im Fernabsatz 125 oder für Franchiseverträge126 usf. Der unzureichenden Absicherung der sozialen Ordnungsvorstellungen entspricht die Vagheit der Pflichtenbildung, die dem Richter eigentlich nur die Begründung für die grundsätzliche Legitimation einer Informationspflicht abnimmt, im übrigen aber alles offen läßt und so einer Beliebigkeit Tür und Tor öffnet, die deshalb schwer wiegt, weil die informationspflichtige Bank bzw. der informationspflichtige Anbieter auch für nicht präsentes Wissen einzustehen hat. Der fachkundige Anbieter kann, ohne selbst über das einschlägige Wissen zu verfügen, im Grunde für jedes Wissensdefizit des Abnehmers/Anlegers verantwortlich gemacht werden, allein deshalb, weil dieser Abnehmer/Anleger ist und etwas nicht weiß. Die „Unvermeidbarkeit" des Wissensdefizits steht bereits fest, wenn der Unwissende „Abnehmer" (Abzahlungskäufer, Versicherungsnehmer, Darlehensnehmer) oder „Anleger" ist; auf eine konkretere Betrachtung seines Erfahrungsschatzes scheint es nicht weiter anzukommen. 127 Als Korrektive gegen eine unüberschaubare Informationsfürsorge des Anbieters bleibt (neben der Erkennbarkeit des Aufklärungsbedarfs) nur die Zumutbarkeit der Verpflichtung.128 Die Pflichtenkonkretisierung ist damit weithin unkalkulierbar. Ein struktureller Nachteil sozialer Ordnungstheorien ist schließlich die „Personalisierung" des Informationsproblems. Personalisierung als personale Typisierung eines sachlichgegenständlich orientierten Materialisierungsansatzes ist akzeptabel. Personalisierung als theoretisches Erklärungsmuster dagegen wird stets unter einem „Zuwenig" an Flexibilität gegenüber situativ begründeten Informationserfordernissen und einem „Zuviel" an personaler Segregation und Klassifizierung leiden.

124 So bezweckt das W G den Schutz des im Vergleich zum Versicherer weniger geschäftserfahrenen Versicherungsnehmers, vgl. Motive zum Versicherungsvertragsgesetz, amtliche Begründung, RT-Drucks. 364,12. Periode, I. Session 1907, S. 63; dazu und zu weiteren Zwecken des W G Bruck/Möller, W G , Einl., Anm. 18. 125 Zur einschlägigen EG-Richtlinie 97/7/EG (vom 20.5. 1997, ABl. Nr. L 144, S.19) etwa Reich EuZW 1997, 581ff.; zum Fernabsatzgesetz Bülow/Artz, NJW 2000, 2049ff.; Fuchs, ZIP 2000, 1273ff. Siehe ferner die Art. lOf. der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr (ABl. EG Nr. L 178, S. 1) und dessen geplante Umsetzung in § 311 f. des Entwurfs eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesministers der Justiz (konsolidierte Fassung) vom 6.3. 2001. 126 Einschlägige Schutzregelungen gibt es im deutschen und europäischen Recht bislang nicht, wohl aber in anderen nationalen Rechten, vgl. Fohr, WiB 1996, 1137f. 127 Vgl. die Lösung der von ihm angeführten Beispielsfälle bei Schumacher, Fahrlässige Irreführung, S.llOff. 128 Schumacher, Irreführung, S. 105 ff., 109f.

III. Die Problematik

ordnungstheoretischer

Materialisierungskonzepte

59

b) Ökonomische Theorien. Bereits in Hopts Arbeit über den Anlegerschutz finden sich Elemente eines zweiten ordnungstheoretischen Ansatzes, der, gleichfalls soziologischen Ursprungs, eine gewisse eigenständige Bedeutung in der Theoriediskussion erlangt hat - die Anknüpfung besonderer Verhaltenspflichten an die Ausübung eines Berufes (Berufshaftung) 129 bzw. - so eine neuerere Variante - an den Betrieb eines Unternehmens (Unternehmensverhaltensrecht).130 Die Ausübung einer Rolle wird, bei vordergründiger Betrachtung, zum Ausgangspunkt der Pflichtenbildung. Tatsächlich liegen die Gründe für die rechtliche Erheblichkeit der Rollenausübung in zwei unterschiedlichen theoretischen Ansätzen. 131 Begreift man Rollen-/Berufshaftung als Haftung für Erwartungen, die durch die Wahrnehmung einer bestimmten Tätigkeit/Funktion (Rolle) hervorgerufen werden, hat sie letztlich eine indvidualschützende, vertrauenstheoretische Basis.132 Ordnungstheoretisch fundiert, und an dieser Stelle allein von Interesse, ist dagegen eine Berufshaftung, die in der „Funktion" am Markt den Grund besonderer Verhaltenspflichten sieht.133 Von einer „Funktion" am Markt kann nur sprechen, wer eine bestimmte Marktordnung, zumindest bestimmte Prinzipien oder Zwekke der Marktordnung vor Augen hat. Die ordnungstheoretisch motivierte Berufshaftung weist insoweit auf einen anderen Theorieansatz für die Begründung vorvertraglicher Verhaltenspflichten hin, der in den letzten zwei Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung in der Diskussion gewonnen hat: den ökonomischen Theorieansatz.134 Eine ordnungstheoretisch verstandene Berufshaftung ist letzt-

129 Hopt, Kapitalanlegerschutz, S. 352 und passim. Darstellung verschiedener Modelle der Berufsausübung als Haftungsgrund bei Hirte, Berufshaftung, S. 386ff.; ferner krit. Loges, Erklärungspflichten, S. 146ff.; Breidenbach, Informationspflichten, S.33ff.; Rümker, Aufklärungspflichten, S. 36. „Die" Berufshaftung als Geltungsgrund besonderer Verhaltenspflichten oder als Haftungsgrund innerhalb der c.i.c. hat sich nicht durchsetzen können. 130 So Hirte, Berufshaftung, S.417ff. 131 Die freilich nicht immer getrennt werden, vgl. etwa Köndgen, AG 1983, 85,93f., der einerseits, eher erwartungsorientiert, auf die tatsächliche Ausübung einer Funktion abstellt, dann aber auch die ökonomische Effizienz der Funktionsverteilung heranzieht; krit. deshalb Breidenbach, Informationspflichten, S. 37. Siehe auch die Auflistung von haftungsbegründenden Aspekten bei Mertens, AcP 179, 227, 242ff. 132 Lammel AcP 179, 337, 347f., 364f.; Grunewald, JZ 1982, 627, 630. 133 Vgl. Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.352; AcP 183, 608, 652ff.; Köndgen, AG 1983, 85, 93f. Siehe im übrigen die eingehende Darstellung verschiedener Modelle der Berufsausübung als Haftungsgrund bei Hirte, Berufshaftung, S. 386ff. „Die" Berufshaftung hat im übrigen mehrere Facetten. Es geht erstens um ein besonderes vertragliches Haftungsregime für die Erbringung geschuldeter (Dienst-)Leistung, zweitens um eine berufsspezifische Modifizierung vorvertraglicher Verhaltenspflichten. Drittens wird über besondere deliktische Pflichten diskutiert. Viertens steht die berufsbezogene Übertragung des vorvertraglichen Haftungsmodells auf „Dritte" in Rede, zu denen der Berufsausübende nicht in Vertragsverhandlungen stand. Dazu umfassend Hirte, Berufshaftung, der sich mit der berufsmotivierten Intensivierung vorvertraglicher Informationspflichten nicht im einzelnen befaßt. 134 So wenig es „die" ökonomische Theorie gibt, so wenig gibt es „die" ökonomietheoretisch bestimmte juristische Theorie, sondern eine Vielzahl von Konzepten mit unterschiedlichem

60

3. Teil: Schuldverhältnis

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

lieh nur Ausdruck ökonomietheoretisch inspirierter Rechtsdogmatik, so daß wir uns sogleich diesem Theorieansatz zuwenden können. Gleiches gilt für die von Assmann entwickelte „kapitalmarktrechtliche Prospekthaftung",135 deren letzter Grund eine nach ökonomischen Kriterien136 ausgerichtete Verteilung der Informationslasten ist. Im vorliegenden Abschnitt, der über materiale Ordnungstheorien handelt, werden die materialen, auf ein bestimmtes materiales Ziel orientierten ökonomischen Ordnungstheorien zu erörtern sein.137 Die prozedural angelegten ökonomischen Ordnungstheorien sind Gegenstand des darauf folgenden Abschnitts (6.). Im Mittelpunkt der materialen ökonomisch geprägten Ordnungstheorien steht die vor allem von der amerikanischen Ökonomietheorie der „Chicago School"138 inspirierte ökonomische Analyse des Rechts.139 Ihre Entstehung und Wirkungsgeschichte ist schon oft beschrieben worden140 und soll hier nicht ein weiteres Mal ausgebreitet werden.141 Die Theorierezeption scheint mittlerweile in die Ernüchterungsphase eingetreten zu sein.142 Im Hinblick auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung können wir uns darauf beschränken, die Bedeutung der ökonomischen Analyse für die Begründung vorvertraglicher Informationspflichten zu erörtern, die freilich erheblich ist, da ökonomisches (marktrationales) Entscheidungsverhalten von Information abhängt und daher die Verteilung der Informationslasten ein zentrales Anwendungsgebiet ökonomischer Rechtsbetrachtung sein muß. Im deutschsprachigen Schrifttum haben namentlich Lehmann,143 Schuhmacher,144 Hopt,U5 Assmann,146 Schäfer/ Ott,147 Lee-

Problembezug und divergierenden Aussagen. Gemeinsam ist ihnen, aus der ökonomietheoretischen Betrachtung von Vertrag und Wettbewerb/Markt rechtsdogmatische Erkenntnisse zu gewinnen. 135 Assmann, Prospekthaftung, S. 273ff. und passim. 136 Siehe die diversen Effizienzinhalte bei Assmann, Prospekthaftung, S. 24ff. 137 Der Begriff wird hier zur Kennzeichnung rechtsdogmatischer Theorien verwandt, von Theorien also, die für sich beanspruchen, Aussagen über das geltende Recht zu machen. Unerörtert bleiben die ihnen zugrunde liegenden ökonomischen Theorien. 138 Vgl. „zur Chicago School" Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 104ff. 139 Als deren juristischer Vertreter führend Posner, Economic Analysis of Law, 4th Ed.; weitere Nachweise bei Eidenmüller, Effizienz, S. 4, Fn. 7. 140 Einen konzisen Uberblick gibt Schanze, in: Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse, S. 2 ff. Eine Darstellung und Einschätzung aus Sicht der Rechtsdogmatik mit umfassenden Nachweisen gibt Taupitz, AcP 196,114 und passim; umfassende Analyse und Diskussion der Grundlagen durch Eidenmüller, Effizienz; ferner das „Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Rechts" von Schaf er/Ott, siehe auch Schwintowski, JZ 1998, 5 81 ff. 141 ur „konsequenzialistischen" Struktur ökonomischer Rechtstheorien Behrens, Utilitaristische Ehtik, S. 36; Deckert, Folgenorientierung, S. 70ff. 142 Siehe etwa das Fazit von Taupitz, AcP 196, 114, 165 ff. Dem steht eine hohe Präsenz der rechtsökonomischen Literatur gegenüber. 143 Vertragsanbahnung durch Werbung, insbes. S. 226ff., 295ff.; ders., NJW1981,1233,1234f., 1239f. Ebenfalls auf einer ordnungstheoretischen, ökonomischen Basis ruht der Materialisierungsansatz von Koller, Risikozurechnung, der allerdings systematisch beim Leistungsstörungs-

III. Die Problematik nen,l4S

Jost149

und Kötz150

ordnungstheoretischer

Materialisierungskonzepte

61

versucht, die ö k o n o m i s c h e A n a l y s e für die D o g m a t i k

der außervertraglichen H a f t u n g und vorvertraglichen Verhaltenspflichten n u t z bar zu m a c h e n . 1 5 1 D e r ö k o n o m i s c h e A n s a t z wirft zwei Fragen auf: zuerst die nach

der rechtlichen

die nach Inhalt etwa von Posner

Maßgeblichkeit

und Uberzeugungskraft

wohlfahrtsökonomischer konkreter

Aussagen.

Kalküle; Die erste Frage

sodann wird

in denkbarer Schärfe dahin b e a n t w o r t e t , daß E f f i z i e n z , verstan-

den als optimale A l l o k a t i o n (Verteilung) der R e s s o u r c e n , 1 5 2 als W o h l s t a n d s o p t i m u m , nicht nur ein, sondern das Rechtsprinzip ist. 1 5 3 Effiziente Güterverteilung ist die A u f g a b e des R e c h t s schlechthin; das R e c h t ist nur I n s t r u m e n t zur E r reichung dieses Ziels. 1 5 4 D a s Vertragsrecht ist auf dieses Ziel verpflichtet und darrecht ansetzt, siehe noch S. 261. Eine der ersten Auseinandersetzungen mit der ökonomischen Theorie im deutschen Schrifttum stammt von Horn, AcP 176, 307ff. 144 Verbraucherschutz, S. 185ff. Schuhmacher\ Verbraucherschutz, S. 186, begreift den ökonomischen Ansatz als Konkretisierung des Schutzes der individuellen Privatautonomie des Vertragsgegners. Diese Einordnung überzeugt nicht. Selbstverständlich bildet der materielle Wille des einzelnen den Ausgangspunkt vorvertraglicher Schutzpflichten - wie könnte es im Vertragsrecht anders sein! Uber seine Schutzwürdigkeit entscheidet aber allein das Bedürfnis der Gesamtordnung, wenn man die ökonomisch rationalisierte Effizienz zum Maß nimmt. 145 AcP 183, 608, insbes. 652ff. 146 Prospekthaftung, S.24ff., 258f., 268ff., 273ff.; siehe auch Rümker, Aufklärungspflichten, S. 32. Zu den prozeduralen Elementen in Assmanns Theorie näher folgend S. 67ff. 147 Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S.405ff.; dies, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 117ff., 142ff. 148 Symposion Wieacker, S. 108 ff. 149 Vertragslose Auskunfts- und Beratungshaftung, S.213ff., 233ff. 150 FS Drohnig, S. 563 ff. 151 Der wissenschaftstheoretische Status der Aussagen ist allerdings nicht einheitlich. Lehmann (Vertragsanbahnung, S.231ff., 240f. und passim; ders., NJW 1981, 1233, 1234f. und passim) erhebt einen unmittelbar normativen Anspruch für das Effizienzprinzip und abgeleitete Aussagen (krit. dazu Schuhmacher, Verbraucherschutz, S. 191 ff. und Dick, Verbraucherschutz, S. 50ff.). Auch bei Schuhmacher, Verbraucherschutz, S. 185ff., 190, hat die Kostenminimierung normative, pflichtenbegründende Bedeutung, allerdings nicht aufgrund eines umfassend geltenden Effizienzprinzips, sondern als pflichtenbegründendes Element. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S. 6, 10, 214, formulieren einen Vorrang des Effizienzziels vor anderen Zielen im Zweifelsfalle (a.a.O., S. 6) und wollen andererseits der ökonomischen Betrachtung auch in der Dogmatik unmittelbar Geltung verschaffen (a.a.O., S. 10). Dazu auch Eidenmüller, Effizienzprinzip, S. 70f. 152 Zu den unterschiedlichen Modellen der Effizienz (insbes. Pareto-Kriterium, KaldorHicks-Kriterium) Eidenmüller, Effizienz, S. 41 ff., 47ff. Zur Beschränkung des in der Wohlfahrtsökonomie überwiegend weiten (individualen) Nutzenbegriffs auf den geldwerten Nutzen in der ökonomischen Rechtsanalyse Behrens, Utilitaristische Ethik, S. 44. 153 So wird man das Programm von Posners „Economic Analysis" nach wie vor verstehen dürfen, vgl. Eidenmüller, Effizienz, S. 68f.; ferner Lehmann, Bürgerliches Recht, S. 28, und im Grunde handelt es sich um einen theorieimmanenten Anspruch, vgl. Assmann, in: Assmann/Kirchner/ Schanze, Ökonomische Analyse, S. 45f. Zu den anderen möglichen Funktionen ökonomischer Urteile Deckert, Folgenorientierung, S. 73 f. 154 Vgl. Eidenmüller, Effizienz, S. 63. Effizienz ist in diesem Sinne also ein anderer Begriff für Gerechtigkeit, nicht für Zweckmäßigkeit (so aber liest sich die Einordnung der ökonomischen Analyse bei Bydlinski, Methodenlehre, 2. Aufl., S.330ff.).

62

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

auf geordnet bzw. zu ordnen. Ausgangspunkt für die Beurteilung von Effizienz ist das Coase-Theorem, demzufolge der Markt bei (ökonomisch) rationalem Handeln der Marktteilnehmer zu optimaler Allokation führt, wenn Transaktionskosten nicht anfallen. 155 Weil sich letzteres nicht erreichen läßt, muß das Ziel die Minimierung der Transaktionskosten sein, also eine Minimierung der Kosten, die anläßlich von Güterumsätzen entstehen. Das wiederum bedeutet, demjenigen die Transaktionskosten aufzuerlegen, der sie am niedrigsten halten kann („cheapest-cost-avoider"). 156 Der Begriff der Kosten ist dabei umfassend zu begreifen, beschränkt sich also nicht, was dem Vorverständnis des Juristen naheliegt, nur auf die „Vertragskosten" im engeren Sinne (vgl. §§448,467 S. 2 BGB). Kosten sind also beispielsweise auch die Aufwendungen, die betrieben werden müssen, um die nötigen Informationen für die Einschätzung und Formulierung der eigenen Interessen beim Vertragsschluß zu beschaffen. Daraus und aus dem Minimierungsgrundsatz folgt für die zweite Frage - die Verteilung der Informationslasten - eine markante Abweichung vom Modell der eigenverantwortlichen Interessenwahrnehmung. 157 Denn, so eine verbreitete und von Posner selbst präferierte Umsetzung des Kostenvermeidungsgrundsatzes, derjenige sei für eine bestimmte, relevante Information verantwortlich, der besser in der Lage sei, sie zu erbringen. 158 Entscheidend für die Tragweite des Ansatzes sind die Kriterien, nach denen die (bessere) Informationskompetenz beurteilt wird. Einleuchtend ist die größere Kompetenz, wenn die eine Partei tatsächlich mehr weiß als die andere. 159 Eine (ausschließlich) an tatsächliche Kenntnis anknüpfende Informationshaftung wird aber als ökonomisch kontraproduktiv betrachtet, da sie (angeblich) Informa-

155 Grundlegend Coase, Journal of Law and Economics Bd. 3 (1960), 1 ff., abgedr. in deutscher Fassung in Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analyse, S. 129ff. Dazu im einzelnen Eidenmüller, Effizienz, S. 63ff. Speziell zum Kapitalmarkt Assmann, Prospekthaftung, S. 22ff. Insoweit durchaus nicht auf dem Boden der ökonomischen Rechtsanalyse sieht dagegen etwa Kötz, FS Drobnig, S. 563, 566f., offenbar in der Verwirklichung des empirischen Willens (und nicht des ökonomisch rationalisierten) das ökonomisch Richtige. 156 Gründl. Coase, Journal of Law and Economics, Bd.3 (1960), lff., 15ff., abgedr. in deutscher Fassung in: Assmann/Kirchner/Schanze, Ökonomische Analayse, S. 129ff., 148ff.; Lehmann, Vertragsanbahnung, S.241. 157 Selbstverständlich handelt es sich angesichts der Komplexität der ökonomietheoretischen Effizienzbeurteilung - es sei nur auf die auch ökonomietheoretisch problematische Rolle der Antriebsfunktion hingewiesen - nur um ein mögliches Verständnis von Effizienz. Siehe etwa das Verständnis von Koller, Risikozurechung, S. 27; siehe ferner noch die folgende Fußnote. 158 Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 240; Schuhmacher, Verbraucherschutz, S. 185 ff. Gänzlich anders in der Bewertung der Chicago School Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 106: Verbraucherschutz habe in ihr keinen Platz, vielmehr entspreche ihr privatrechtsdogmatisch die formale Privatautonomie. Demgegenüber für die Vereinbarkeit von Effizienz und Verbraucherschutz Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S. 7. Erhellend dazu Eidenmüller, Effizienz, S. 67f. 159 Vgl. Schuhmacher, Verbraucherschutz, S. 186, zu § 878 S. 3 ABGB; Breidenbach, Informationspflichten, S. 46. Darauf beschränkt offenbar Kötz, FS Drobnig, S. 563, 566f., die Informationspflicht.

III. Die Problematik ordnungstheoretischer Materialisierungskonzepte

63

tionsvermeidungsstrategien nach sich ziehe. 1 6 0 Bei diesem Einwand bliebe es auch, erweiterte man das nachprüfbare Wissen um einen weiter zu fassenden Kreis „vermuteten" Wissens („geschäftliche Erfahrung"), der vor allem an die selbständige berufliche oder gewerbliche Tätigkeit oder an bestimmte Lebensgewohnheiten zu knüpfen wäre. In der Tat scheinen manche A u t o r e n weiter zu gehen und auf die leichtere Beschaffbarkeit der Information seitens einer Partei abstellen zu wollen. 1 6 1 D i e Operationalität des Beschaffungskriteriums wird man für die Gesetzgebung nicht bestreiten können; aber auch der R i c h t e r wird in vielen Fällen ermitteln oder zumindest vergröbernd bewerten können, w e r eine bestimmte Information eher hätte beschaffen können. Beschaffungsvorsprünge hat etwa jede Partei für Umstände aus ihrem Herrschaftsbereich. U n d allgemein zugängliche Informationen (Rechtskenntnisse oder tatsächliche Allgemeinkenntnisse wie zum Beispiel das Wissen, daß Unfallschäden den Wert eines Gebrauchtwagens mindern) wird der berufsmäßig mit ihnen Umgehende eher beschaffen können als der private N u t z e r und Laie. N u r stellt sich die Frage, o b die Beschaffungskompetenz ein Kriterium gerade für die Pflicht zu unaufgefordeter Aufklärung ist. W i r erinnern uns: Das spezifische Schutzziel gerade der spontanen Aufklärung liegt nicht darin, dem Unwissenden die Information zur Verfügung zu stellen, sondern darin, dies unaufgefordert

zu tun. D e r eigentliche Z w e c k der In-

formationspflicht ist, auf den Informationsbedarf hinzuweisen, wenn man so will, Problembewußtsein

zu schaffen.

D i e Fähigkeit zur Beschaffung von Infor-

mationen sagt über die Fähigkeit, dieses Problembewußtsein zu haben, nichts aus. D e n n es genügt im Grunde zu „wissen, daß man nichts w e i ß " , und für dieses Wissen benötigt man kein spezielles Vorwissen und keine besondere N ä h e zur Information. A n einem Beispiel von Schäfer/Ott162

verdeutlicht: Wer einen G e -

brauchtwagen unter Gewährleistungsausschluß kauft, kann erkennen, daß er 160 Adams, AcP 186, 453, 473, der zwischen Expertenwissen und „ohnehin" bestehendem Wissen unterscheiden will. Andererseits scheinen Breidenbach, Informationspflichten, S.46, Schuhmacher, Verbraucherschutz S. 186, Loges, Erklärungspflichten, S. 168 und wohl auch Kötz, FS Drobnig, S. 563,566f. (dazu noch im folgenden Text), die Haftung für tatsächliches Wissen für ökonomisch plausibel zu halten. Es würden unnütze Doppelungen der Informationsanstrengungen vermieden. Dazu noch unter S.283f. 161 Posner, Economic Analysis, 4th Ed., S. 111 f.: Beim Kaufvertrag richte sich die Verteilung produktbezogener Informationslasten danach, ob es sich um ein einfaches und vom Konsumenten oft benutztes Produkt handelt (dann trägt dieser die Informationslast) oder ob das Produkt komplex ist und seltener gekauft wird (dann liegt die Informationslast beim Verkäufer). Zumindest die Informationslast des Verkäufers beruht hier wohl auf der leichteren Beschaffbarkeit (vgl. Posner a.a.O: „to obtain" und die Beispiele a.a.O.). Im Anschluß daran Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 240f., dessen Ausführungen zwar vorwiegend der Haftung für Werbeaussagen, also für positive Erklärungen gelten, der aber eine Übertragung auf vorvertragliche Informationspflichten ins Auge faßt (NJW 1981, 1233, 1240); klar Leenen, Symposion Wieacker, S. 108, 115, 117f. 162 Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Rechts, 2. Aufl., S.423f., diskutieren diesen Fall im Hinblick auf eine etwaige Unwirksamkeit der Gewährleistungsausschlußklausel.

64

3. Teil: Schuldverhältnis

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

über die Mangelfreiheit des Fahrzeugs nichts weiß und kann nachfragen. 1 6 3 O b die Untersuchung des Fahrzeugs f ü r ihn mit wesentlich größerem A u f w a n d verbunden wäre als f ü r den über eine Werkstatt verfügenden Autohändler, ist dafür ohne jede Bedeutung. Bedeutsam wird die Informationsmöglichkeit erst f ü r eine etwaige Pflicht zur richtigen Beantwortung, namentlich f ü r die Haftung f ü r eine unrichtige A n t w o r t , ferner f ü r Pflichten zur Beschaffung v o n Informationen. Das Beschaffungskriterium blendet die Eigenverantwortung des weniger Erfahrenen zu früh und zu pauschal aus, 164 v o r allem wenn man bedenkt, daß bereits die Beschaffbarkeit/Erkennbarkeit der Information die Informationspflicht des Erfahrenen begründen soll, also nicht nur f ü r präsentes Wissen gehaftet wird. 1 6 5 Das Beschaffungskriterium kann erst nach der „Stufe des Problembewußtseins" relevant werden, dann also, wenn die, durch eigene Anstrengung oder gegnerische Aufklärung, problembewußt gewordene Partei nach Informationen fragt und nun darüber zu befinden ist, ob der Gefragte zur Beratung verpflichtet ist oder zumindest zur ordnungsgemäßen Beratung und Aufklärung, wenn er sich auf die Beratung oder Beantwortung der Frage einläßt. Nicht die Beschaffungskompetenz ist also f ü r unsere Informationspflichten entscheidend, sondern die „Problemerkennungskompetenz", die Fähigkeit, den eigenen Informationsbedarf zu erkennen. 1 6 6 Diese Kompetenz hängt aber nicht davon ab, mit welchem A u f w a n d 163 Vgl. nur BGH NJW 1977,1055,1056; BGH NJW 1989,1667,1668 (Kreditgestaltung); zur Pflicht zur wahrheitsgemäßen Auskunft BGH NJW 1977,1055,1056, BGHZ 63, 382, 388, und oben S. 13f.; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 153 m.w.N. Auch Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 64, trifft die Problematik der Pflicht zur unaufgeforderten Information nicht, wenn sie die „Ungleichgewichtslage" dadurch gekennzeichnet sieht, daß dem Unterlegenen nicht möglich oder unzumutbar sei, sich notwendige Kenntnisse zu verschaffen. Ferner zur Nachfrage BGH LM Nr. 24 zu § 157 (C) BGB unter 2 c; BGH DB 1988,40; in BGH WM 1983,1006, 1007, BGH WM 1984,815,817, war die Entscheidungserheblichkeit des fraglichen Umstandes für den Aufklärungsbedürftigen dem Gegner nicht erkennbar geworden. Soergel/ Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 153; MünchKomm/fmmmcA, BGB, 3. Aufl., Vor §275 Rn. 82. 164 Der Effizienzbetrachtung wohnt im übrigen die Tendenz inne, unzureichender (informationeller) Eigenverantwortung mit einer entsprechenden Anpassung der Normen zu antworten, wenn Nachlässigkeiten nur in entsprechender Häufigkeit und damit die Effizienz bedrohender Relevanz auftreten. Siehe auch Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S.423f. 165 Insoweit ebenfalls krit. Breidenbach, Informationspflichten, S. 46f.; anders - Informationspflicht nur hinsichtlich tatsächlichen Wissens - wohl Kotz, FS Drobnig, S.563, 566f. 166 Auch die zum common law entwickelte, ethisch/sozialkontraktlich fundierte Theorie von Scheppele (Legal Secrets, insbes. S.64ff., 70ff.) macht den gleichen Zugang zur Information („equal access") zum Maßstab für Aufklärungspflichten. Wenngleich Scheppele die Möglichkeit zur Nachfrage als Wertungsaspekt für die Begründung von Informationspflichten nicht übersieht (sie unterscheidet zwischen „deep secrets" = Informationen, an deren Vorhandensein der Informationsbedürftige nicht dachte, und „shallow secrets" = Informationen, deren Vorhandensein der Informationsbedürftige mutmaßte, a.a.O., S. 21 f.), bleibt am Ende der gleiche Zugang zur Information doch entscheidender Parameter ihres Systems der Informationspflichten; denn aufklärungspflichtig soll der Informationsinhaber auch bei „shallow secrets" sein, wenn die Parteien keinen gleichen Zugang zur Information haben (vgl. a.a.O., S. 78f., 121 f.). Insoweit ist auf die im Text erhobenen Einwände zu verweisen. Ein zweiter Einwand wäre, wollte man die Theo-

III. Die Problematik

ordnungstheoretischer

Materialisierungskonzepte

65

Informationen beschafft werden können, sondern vom tatsächlichen Wissen des Informationsbedürftigen, und zwar jener allgemeinen geschäftlichen Erfahrung, die den Informationsbedürftigen seinen Informationsbedarf erkennen läßt. Daß die allgemeine geschäftliche Erfahrung, wie sie bei den meisten Rechtsgenossen anzutreffen ist, nicht ausreichen soll, den eigenen Informationsbedarf zu erkennen, kann durch Effizienzanalysen nicht plausibel gemacht werden, im Gegenteil: der Käufer im Gebrauchtwagenbeispiel wird seine Vorstellungen und Bedürfnisse besser kennen und müßte aus Effizienzaspekten geradezu angehalten werden, diese Informationen durch Mitteilung und Nachfragen weiterzugeben.167 Daß dieser entscheidende Aspekt in der rechtsökonomischen Literatur vernachlässigt wird, dürfte auf die der richterrechtlichen Rechtsfortbildung nicht adäquate Problemhinsicht des Rechtsökonomen zurückzuführen sein. Der rechtsfortbildende Richter entscheidet über die Statuierung einer Informationspflicht aus der Fallperspektive ex post; in dieser Sicht ist die Frage, ob und was die irrende Partei - etwa der Gebrauchtwagenkäufer - zur Verhinderung ihres Irrtums hätte beitragen, ob sie hätte nachfragen können (gezielt oder allgemein nach Nachteilen), nicht einfach auszublenden. Der Rechtsökonom kalkuliert die Pflichtenverteilung aus der Ordnungsperspektive ex ante.168 Geht ein Gesamtnutzenkalkül dahin, daß der Käufer über die Unfalleigenschaft eines Gebrauchtwagens informiert sein sollte und daß der Verkäufer diese Information eher beschaffen kann (wenn er sie nicht ohnehin hat), liegt es nahe, die Informationspflicht nicht von einer Nachfrage des Käufers abhängig zu machen. Die Nachfragemöglichkeit des Käufers wird zur vernachlässigenswerten Größe. Sie ist es aber gerade unter Effizienzaspekten nicht. Bedenkt man den geringen Aufwand einer Nachfrage beim Informationskompetenten einerseits, den erheblichen Nachteil eines dem materiellen Willen nicht entsprechenden Vertrages (Kosten der Rückabwicklung oder Bindung an einen nicht gewollten Vertrag) andererseits, ist es unter Effizienzaspekten höchst sinnvoll, den Informationsbedürftigen zur Nachfrage anzuhalten, solange und soweit er dazu imstande ist. Das spricht nicht gegen eine Informationspflicht des Informationsinhabers, aber zumindest dagegen, die Verantwortlichkeit ihm allein und allein aufgrund seiner Informationskompetenz zuzuweisen.169 Dieser Einwand steht auch der Informationslastverteilung nach dem tatsächlichen Wissen entgegen, wie sie etwa Kötz befürwortet. Ein Kauf, so Kötz, komme zustande, weil jede Partei dem jeweils im Eigentum der anderen Partei befindlichen Gegenstand (Kaufgegenstand, Geld) einen höheren Wert beimesse. So seien rie in das deutsche Vertragsrecht übertragen, im Hinblick auf die unzureichende rechtsdogmatische Absicherung zu erheben, da Scheppele ihre Überlegungen ausschließlich ethisch/sozialkontraktlich begründet. 167 Vgl. Schäfer, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 117, 131 f. 168 Zur regelutilitaristischen Basis der ökonomischen Rechtsanalyse Behrens, Utilitaristische Ethik, S. 46ff., insbes. S.49f. 169 Dazu näherS. 271 f.

66

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

nach Vertragsschluß beide reicher und dieser Zuwachs an Reichtum mehre den Gesamtwohlstand.170 Doch setze dies auf beiden Seiten zutreffende Informationen über den Wert der Güter und Leistungen voraus. Knappe Güter und Leistungen wanderten durch Tauschoperationen nur dann zu ihrem „besten Wirt", wenn die Beteiligten möglichst zutreffende und vollständige Informationen über die wertrelevanten Eigenschaften und Umstände besäßen. Daraus zieht Kötz die Konsequenz, daß „grundsätzlich" Informationen, die eine Partei der anderen voraus hat, offen gelegt werden müßten.171 Auch hier wird also, wenn auch zurückhaltender, die Informationslast nach der Verfügungsgewalt über die Information verteilt und auch hier ist daher der Einwand zu erheben, daß der eigentliche Zweck der vorvertraglichen Aufklärungspflicht verfehlt wird: nicht Informationen zu beschaffen, sondern auf Informationsbedarf hinzuweisen. Auch hier ist einzuwenden, daß der Richter bei der rechtsfortbildenden Statuierung vorvertraglicher Aufklärungspflichten nicht die Eigenverantwortung des Informationsbedürftigen ausblenden darf, wenn und soweit dieser aufgrund seiner allgemeinen geschäftlichen Erfahrung seinen Informationsbedarf erkennen kann, und daß eben dies unter Effizienzaspekten sinnvoll ist. Der theoretische Ansatz der ökonomischen Analyse eröffnet zwar die Möglichkeit, diesem Einwand mit einer strengeren Beurteilung der Fähigkeit zur Erkennung des Informationsbedarfs zu reagieren. Ausgehend von dem materialen Ordnungsziel „Effizienz" wäre die Fähigkeit zu rechtsgeschäftlichem Handeln als Fähigkeit zur Erreichung eines konkreten Effizienzziels (im Vertrag) zu verstehen.172 Die „Unfähigkeit" wäre dann zu plausibilisieren - daß „normale" Verkehrsteilnehmer ein Rationalitätskalkül verfehlen müssen, über das ganze Bibliotheken ökonomietheoretischer Literatur geschrieben werden,173 leuchtet ein. 174 170 Kötz, FS Drohnig, S. 563, 566; vgl. diesbezüglich zur Effizienz Farrell, Journal of Economic Perspectives Bd.l (1987), Nr. 2, 113, 120. 171 Kötz, FS Drobnig, S. 563, 567. 172 Vgl. etwa Assmann, Prospekthaftung, S.288 („rationale Anlageentscheidung"). Zum Verständnis des homo oeconomicus in der der ökonomischen Analyse des Rechts zugrunde liegenden Ökonomietheorie der „Chicago School" Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 130f. Anders im Ansatz Kötz, FS Drohnig, S. 563, 566, der die Verwirklichung des empirischen (nicht eines objektiv als ökonomisch rational bestimmten) Willens als das ökonomisch Richtige wertet. 173 Beispielhaft dafür ein Kalkül von Schäfer (in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S.119ff.), das bereits eine Reihe von Unterstellungen und Vereinfachungen enthält; siehe dazu die nachdenkliche Kritik von Tietzel, ebd., S. 163, 164. 174 Diese Schlußfolgerung läßt sich gewiß nicht auf bestimmte Geschäftsarten beschränken, wie es Assmann, Prospekthaftung, S. 292, vorschwebt (im Hinblick auf Anlagegeschäfte). Vielmehr zeigt die (informations-)verhaltenstheoretische Forschung, daß es allgemeine Grenzen des rationalen Informationsverhaltens gibt, die gewiß hinter den Optimierungsannahmen des ökonomischen Modells zurückbleiben, vgl. den Uberblick bei Picot, in: Kuhicek, Die Ware Information, S. 42,48ff. Die juristische Dogmatik nimmt im übrigen die in diesem Punkt idealtypisierende Denkweise der Ökonomietheorie (M. Weher, Schriften zur Wissenschaftslehre, S. 72 ff., siehe auch Rittner, AcP 188, 101, llOff.) und den idealtypischen Charakter des homo oeconomicus (Limbach, KritV 1986,165,171: „Halbgott") nicht immer genügend zur Kenntnis und schlußfol-

III. Die Problematik ordnungstheoretischer Materialisierungskonzepte

67

Freilich hat eine solche Theoriebildung mit dem Grundverständnis von Selbstbestimmung, das dem B G B und auch dem Grundgesetz zugrunde liegt, nichts mehr zu tun. 1 7 5 N o c h ganz unerörtert ist bei alldem die methodische Problematik einer nur effizienzgestützten Rechtsfortbildung geblieben, die nach dem Muster „Effizienzkalkül = Rechtssatz" verfährt. 1 7 6 A u c h wenn man Effizienz als Aspekt materialer Ordnungsgerechtigkeit die Anerkennung nicht wird versagen können, wäre eine Rechtsfortbildung doch nicht allein durch das Gerechtigkeits-/Effizienzprinzip zu legitimieren angesichts einer im Gesetz gegenteiligen Grundwertung - der formalen informationellen Eigenverantwortung. Daran wäre allenfalls bei völliger Evidenz des Effizienzkalküls zu denken, die aber schon angesichts der diskutierten Einwände nicht besteht. H i n z u k o m m t die jedenfalls nicht offensichtlich fehlerhafte Überlegung, daß auch eine an formaler Selbstverantwortung orientierte Verteilung der Informationslast auf lange Sicht effizient sein könnte, weil sie j e nen die Last aufbürdet, die das größte Interesse an der Informationsgewinnung haben. Diese Andeutung mag genügen, um die Notwendigkeit einer subtileren, rechtsdogmatisch abgesicherten Rechtsfortbildung aufzuzeigen, in der E f f z i e n z erwägungen als wichtiger Aspekt Berücksichtigung finden können, 1 7 7 die ihren Ausgangspunkt aber in positivrechtlichen Wertungen nimmt. Im übrigen würde eine Umverteilung der Informationslasten nach der Beschaffungskompetenz („Beschaffbarkeit") den R a h m e n einer zulässigen Rechtsfortbildung in jedem Fall sprengen, da sie zu einer umfassenden Informationshaftung für nicht präsentes Wissen führte.

6. Die Problematik prozeduraler

Ordnungstheorien

Prozedurale Ordnungstheorien gestalten das Vertragsrecht auf einen prozeduralen Ordnungswert hin: den Wettbewerb oder den M a r k t und deren Funktionsfähigkeit. D i e Materialisierung des formalen Vertragsrechts, insbesondere durch besondere Verhaltenspflichten, bestimmt sich nach den Funktionserfordernissen des Marktes und des Wettbewerbs. D a m i t erhalten ö k o n o m i s c h e Wettbewerbsund Markttheorien Bedeutung für die juristische Theoriebildung. 1 7 8 D e n k t man M a r k t und Wettbewerb als ergebnisorientierten P r o z e ß und also verpflichtet auf

gert dann aus der - selbstverständlichen - Differenz von Idealität und Realität die Reparaturbedürftigkeit des Vertragsrechts (vgl. Behrens, Utilitaristische Ethik, S.38 m.w.N.). 175 Siehe bereits S.28ff.; zudem im folgenden S.78ff., 85f. 176 Siehe zur Bedeutung ökonomischer Analyse für die Rechtsfortbildung noch folgend S. 71 ff. 177 Siehe zur Bedeutung der ökonomischen Analyse für die Rechtsfortbildung noch folgend S. 71 ff. 178 Einen instruktiven Uberblick gibt Großkomm/Schünemann, Einl UWG Rn. A 13ff., A 3 Off.

68

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

einen bestimmten materialen Ordnungswert, 179 liegt im Grunde eine prozedural formulierte materiale Theorie vor, deren Inhalt („Verteilungsgerechtigkeit" oder „Effizienz") sich von den direkt materialen Theorien nicht unterscheiden wird. Aber man kann sich auf das Prozedurale beschränken und Markt und Wettbewerb als ergebnisoffenen Prozeß begreifen, gleichviel ob auf das Ziel Selbstbestimmung angelegt180 oder durchaus auf ein Ordnungsziel orientiert, das sich aber „spontan" einstellt. 181 Dieser Ansatz führt zu Marktversagenstheorien, die Wettbewerbs- und Marktversagen zum Anlaß und Maß für Korrekturen (auch) des Vertragsrechts nehmen. Als Funktionserfordernis eines derartigen Marktprozesses wird dann, in welchen Formulierungen auch immer, das „Gleichgewicht" der Kräfte am Markt und im Wettbewerb aufgestellt.182 So sollen nach Assmannm und LogeslS4 vorvertragliche Informationspflichten entstehen, wenn Informationsasymmetrien zu Marktversagen führen. Man orientiert sich am Leitbild der Waffengleichheit am Markt, die bei einem „kollektiven Informationsungleichgewicht" nicht mehr gewährleistet sei. 185 Informationsunterschiede im Einzelfall seien der Normalfall; es müßte eine Gruppe von Individuen in einer typischerweise schwächeren Situation betroffen sein. 186 Der Tatbestand des Marktversagens kann unter Zuhilfenahme ökonomietheoretischer Erkenntnisse namentlich der Neuen Institutionellen Ökonomie 1 8 7 präzisiert werden und führt dann gleichfalls zu der Forderung, die Kosten der Informationsbeschaffung und -Verarbeitung niedrig zu halten und letztlich zu einer Abgrenzung nach der größeren Beschaffungskompetenz. 188 Auch hier wird also die spezifische Problematik der richterrechtlichen Statuierung vorvertraglicher Pflichten zu unaufgeforderter Aufklärung verfehlt, wenn die mangelnde Zugänglichkeit der Information als entscheidendes Kriterium für eine besondere Informationsverantwortung gese-

179 Vgl. etwa zum material formulierten Wettbewerbsmodell der Chicago School Großkomm/Schünemann, Einl UWG Rn. A 24f., und krit. Rn. A 31, 34; siehe ferner zu den Funktionen des Wettbewerbs Rieble, Arbeitsmarkt, Rn. 58ff. 64ff. 180 £)rexl) Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 144ff., 206f., 209f. Siehe allgemein Rittner, Wirtschaftsrecht, 2. Aufl., § 14 Rn.22. 181 Im Sinne der (ökonomischen) Wettbewerbstheorie v. Hayeks, Wettbewerb als Entdekkungsverfahren, insbes. S. 8ff., 12ff. 182 Zur sehr unterschiedlichen Bewertung eines „Gleichgewichts" in der Wettbewerbstheorie vgl. die Erörterung bei Großkomm ¡Schünemann, Einl UWG Rn. A 13 ff. 183 Prospekthaftung, S.288ff., allerdings letztlich orientiert auf das materiale Ziel „Effizienz" (a.a.O. und S.24ff., 274f. und passim). 184 Erklärungspflichten, S.154ff. 185 Loges, Erklärungspflichten, S. 139f. Wettbewerbstheoretisch dürfte dies am ehesten der Theorie der „countervailing power" entsprechen, vgl. Gro&komm/Schünemann, Einl UWG Rn. A 21. 186 Loges, Erklärungspflichten, S. 163. 187 Zu ihrem Ansatz und dem Unterschied zur neoliberalen Theorie Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 186ff. 188 Vgl. Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 193 ff., 197f.

III. Die Problematik ordnungstheoretischer Materialisierungskonzepte

69

hen wird. 1 8 9 D i e fehlende Zugänglichkeit mag richterrechtliche Auskunftspflichten und damit die Haftung für Fehlinformationen begründen können, sagt aber nichts darüber, warum der Informationsbedürftige nicht von sich aus nach Informationen sollte fragen müssen. N i c h t minder problematisch sind Operationalität und Legitimität der den Theorien zugrunde liegenden Ordnungsvorstellungen. Das Gleichgewichtspostulat steht selbst als Ideal des Wettbewerbs nicht außer Streit, 1 9 0 ist aber jedenfalls nicht konkretisierungsfähig; 1 9 1 denn Gleichheit der Kenntnisse - dies wäre die einzige, unmittelbar aus dem Gleichgewichtsbegriff begründbare U m s e t z u n g - wird niemand verlangen. Wiederum sind die O r d nungswerte „ M a r k t " oder „ W e t t b e w e r b " 1 9 2 inhaltlich nicht genügend bestimmt, um aus ihnen im Wege richterrechtlicher Rechtsfortbildung vorvertragliche A u f klärungspflichten ableiten zu können. N a c h wohl vorherrschender Ansicht kann der „Wettbewerb" nur falsifizierend bestimmt werden: durch Ausgrenzung bestimmter, der formalen Vertragsfreiheit eigentlich zugehöriger Handlungen als wettbewerbshindernd, 1 9 3 ist jedenfalls nicht soweit gesichert, daß aus seinem B e griff oder „Wesen" vorvertragliche Informationspflichten ableitbar wären. 1 9 4 M e h r als das Verbot aktiven (wettbewerbswidrigen) Tuns, im vorliegenden K o n text etwa das Verbot irreführender Werbung, 1 9 5 und eine Informationspflicht aufgund vorhergehenden Verhaltens des U n t e r n e h m e r s 1 9 6 würde sich mit einem derVgl. Loges, Erklärungspflichten, S. 192 und auch S. 160f. Etliche Wettbewerbstheorien akzeptieren Marktmacht als Bestandteil des Wettbewerbs, vgl. Großkomm/Schünemann, Einl UWG Rn. A 14f., A 18, A 22, A 24f., A 28; vgl. auch Riehle, Wettbewerb, Rn. 52 ff. Siehe dagegen Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, S. 19f. (marktmäßige Machtlosigkeit als Voraussetzung einer freien Wirtschaftsverfassung); ders., Ordnung der Wirtschaft, S. 150 und passim; zur Einordnung des Ordoliberalismus Großkomm/Schünemann, Einl UWG Rn. A 26; siehe auch Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 121 f. zur Dysfunktionalität des vollkommenen Wettbewerbs (Versagen der Belohnungsfunktion). 191 Vgl. Großikomml Schünemann, Einl UWG Rn.21. 192 In diese Richtung - sehr allgemein - Schmitz, Dritthaftung, S. 109f.; dagegen, bezogen auf Werbeangaben, MünchKomm/Emmerich, BGB, 3. Aufl., Vor §275 Rn. 102. 193 Großkomm/Schünemann, Einl UWG, Rn. A lff., 8ff.; Riehle, Arbeitsmarkt, Rn.47ff. m.w.N. 194 Siehe das Fazit bei Großkomm/Schünemann, Einl UWG, Rn. A 30ff.; allgemein Rittner, AcP 188, 101,110ff., 126f.; Immenga/Mestmäcker, GWB, 2. Aufl., §180ff., mit einer Übersicht über juristische Definitionsversuche und dem Fazit (a.a.O., Rn. 183), eine rechtswissenschaftliche Auseinandersetzung über den Wettbewerbsbegriff des GWB finde heute nicht mehr statt; ferner Baumhach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 19. Aufl., Allg Rn. 7. 195 Vgl. § 3 UWG und die Beispiele bei Sack, Folgeverträge, S. 18. Die von St. Lorenz, Schutz, S. 488ff., vorgeschlagene Anfüllung der c.i.c. mit wettbewerbsrechtlich entwickelten Verhaltensstandards im Bereich des Rationalitätsschutzes betrifft ebenfalls aktives Handeln der Anbieter (unzulässige „Einwirkung"); außerdem sind diese Verhaltensstandards, obgleich wettbewerbsrechtlichen Ursprungs, im wesentlichen mit Kriterien des Individualschutzes entwickelt worden („... was dem einzelnen zugemutet werden kann", vgl. St. Lorenz a.a.O., S.489). 196 Wenn der Unternehmer durch entsprechende Erklärungen bei den Verkehrsteilnehmern die berechtigte Erwartung geweckt hätte, sie würden von ihm informiert werden oder wenn eine von ihm zunächst richtig erteilte Auskunft später, aber noch vor Vertragsschluß falsch wird. Diese Fälle werden aus der Perspektive einer individualen Vertragstheorie durch den Vertrauens189

190

70

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

artigen R e c h t s f o r t b i l d u n g s a n s a t z nicht begründen lassen. 1 9 7 Jedenfalls wäre die Wettbewerbswidrigkeit unterlassener A u f k l ä r u n g schwerer zu begründen als ihre Vertragswidrigkeit. E s ist daher nicht überraschend, daß die R e c h t s p r e c h u n g , soweit sie w e t t b e w e r b s r e c h t l i c h e Aufklärungspflichten im R a h m e n des § 3 U W G bejaht, nicht v o n w e t t b e w e r b l i c h e n G l e i c h g e w i c h t s t h e o r i e n ausgeht, s o n d e r n an den materiellen Willen (das wesentliche Interesse) des vertragsschließenden Verbrauchers anknüpft, der hier — insoweit abweichend von der c.i.c., der w e t t b e werbsrechtlichen P r o b l e m h i n s i c h t geschuldet - typisierend, für den gesamten M a r k t betrachtet w i r d . 1 9 8 S o erschöpft sich denn auch der T h e o r i e a n s a t z v o n

Lo-

ges in der Tatbestandsbildung am E n d e darin, v o n der R e c h t s p r e c h u n g mit H i l f e individualer Prinzipien entwickelte H a f t u n g e n ordnungstheoretisch

nachzu-

zeichnen. 1 9 9 U n t e r unzureichender Präzisierung und Legitimation ihrer - augenscheinlich prozeduralen - Ordnungsvorstellung leidet auch Teubners

soziologisch orien-

tierte T h e o r i e der außervertraglichen Verhaltenspflichten. 2 0 0 Seiner A n s i c h t nach setzen die Verhaltenspflichten A n f o r d e r u n g e n v o n „ M a r k t u n d O r g a n i s a t i o n " an den Vertrag um. G e f o r d e r t sei insoweit die rechtliche K o m p e n s a t i o n gesellschafttheoretischen Ansatz erfaßt (näher S.98ff.). Sie mögen zusätzlich wettbewerbstheoretisch begründet werden können, womit aber wenig gewonnen ist; denn wegen der Anknüpfung der Haftung an ein vorhergehendes Verhalten des Aufklärungspflichtigen handelt es sich um unproblematische Fälle der Aufklärungspflicht. 197 Von der Frage, ob die Wettbewerbst/;eorce bei der richterrechtlichen Rechtsfortbildung des Vertragsrechts (hier c.i.c.) helfen kann, zu unterscheiden ist die Frage, ob der Verstoß gegen Wettbewerbsrec/>i vertragsrechtliche Folgen haben kann. Letzteres ist etwa in §13a UWG (Rücktrittsrecht) ausdrücklich angeordnet; für das österreichische Recht bejaht der O G H bei wettbewerbswidrigem Verhalten einen Schadensersatzanspruch aus c.i.c. (OGH VersR 1998, 1579). Hier einzuordnen ist auch der Ansatz von Sack, Folgeverträge, S. 16ff., der (vor der Schaffung des § 13a UWG) ein Anfechtungsrecht analog §§ 119,123 BGB befürwortete, wenn die Willenserklärung infolge unlauterer Wettbewerbshandlungen nicht vom freien Willen getragen war (a.a.O., S. 18). Wohl nur eine Übertragung der wettbewerbsrechtlichen Resultate bei gleichzeitiger theoretischer Trennung zwischen Wettbewerbs- und Vertragsrecht bei der Konkretisierung vorvertraglicher Verhaltenspflichten im Bereich des Rationalitätsschutzes befürwortet St. Lorenz, Schutz, S.488ff. 198 Vgl. BGH DB 1999, 1493; DB 1982, 1261; NJW-RR 2000, 1204, 1205f.; zum Maßstab GroßKomm/Lindacher, §3 UWG Rn. 183. Ferner zu Aufklärungspflichten im Bereich des §3 UWG Baumbach/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 20. Aufl., §3 UWG Rn.48ff. Auf Restriktion bedacht und gegen eine Handhabung des § 3 UWG als Informationsgebot GroßKomm/Lindacher, § 3 UWG Rn. 52ff., 92f., der eine echte Informationspflicht nur im Falle der Ingerenz (nachträglich falsche Information seitens des Unternehmers, Rn. 93) anerkennt und im Falle der Verkehrsüblichkeit der Aufklärung (vgl. Rn. 189ff., aber eher dem Gebot vollständigen Informierens zugeordnet, also dogmatisch an die unvollständige Information als Fehlinformation anknüpfend). 199 Siehe die Aufzählung bei Loges, Erklärungspflichten, S. 191 ff.; auch Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 464, unternimmt keinen Konkretisierungsversuch. 200 Vgl. AK-BGB/Teubner §242 Rn. lff. Wieweit sich Rechtsdogmatik soziologischen Erkenntnissen öffnen muß, dazu allgemein und zu Teubner speziell Heldrich, AcP 186, 74ff., 101 ff.; ferner Eidenmüller, JZ 1999, 53, 57ff.

III. Die Problematik

ordnungstheoretischer

Materialisierungskonzepte

71

licher Arbeitsteiligkeit.201 „Rolle", „Vertragszweck" und „Organisation" seien die rechtsdogmatischen Begriffe zur Umsetzung der Kompensation.202 Die die Kompensation motivierende, tragende Ordnungsvorstellung bleibt allerdings schemenhaft: Warum „Markt und Organisation" die Kompensation von Differenzierung fordern, welchem Leitbild die durch besondere Verhaltenspflichten erstrebte Koordination zwischen arbeitsteilig spezialisierten Einheiten folgt, wird nicht klar. Teubners Theorie verharrt auf einem empirisch-analytischen Status und schafft nicht die notwendige Umformung der soziologischen zu rechtsdogmatischer Erkenntnis. Sie beschreibt nur soziologischen Befund (gesellschaftliche Differenzierung) und dessen (vermeintliche) rechtliche/rechtsdogmatische Bewältigung in der Rechtsprechung. So kommen die von Teubner angeführten „Kategorien" für eine fallgruppenorientierte Erfassung vorvertraglicher Aufklärungspflichten - „Vertragszweck", „Rolle" und „Organisation" - über einen soziologisch-analytischen Bedeutungsinhalt nicht hinaus. Teubner beschreibt etwa den „Vertragszweck" als rechtliche Kategorie zur Einbeziehung der Vertragsumwelt in den Vertrag. Das mag eine zutreffende Analyse sein, erklärt aber nicht, wann Umwelt rechtlich relevanter Vertragszweck ist und wann nicht. Die „Arbeitsteiligkeit" mag in vielen Fällen Ursache von Informationsunterschieden sein.203 Der Richter will aber wissen, welche Form und welches Maß an Arbeitsteiligkeit erforderlich ist, um Pflichten erzeugen zu können, usf. 7. Relevanz

ordnungstheoretischer

Wertungen für die

Rechtsfortbildung

Die Kritik an den diskutierten Ordnungstheorien läßt sich in drei Einwänden zusammenfassen. Der erste Einwand ist erkenntnistheoretisch. Die Erkenntnisqualität einer (juristischen) Theorie bemißt sich nach ihrem Erklärungsgehalt einerseits, ihrem Vermögen zur Komplexitätreduzierung durch Verallgemeinerung andererseits. Diesbezüglich leiden Ordnungstheorien im Vergleich zu individualen Schutztheorien an einem strukturellen Nachteil. Er liegt in der unvermeidlichen Potenzierung von Komplexität und Abstraktheit, die die Bewertung eines individualen und bilateralen Konflikts aus einer gesamtgesellschaftlichen und multilateralen Perspektive mit sich bringt. Wenn, mit anderen Worten, die Schutzwürdigkeit einer Partei nicht mehr aus dem Verhältnis zur anderen, sondern aus einem gesamtgesellschaftlichen Kontext heraus beurteilt werden soll. Ordnungstheorien überfordern den Richter, der vom bilateralen Interessenkonflikt her denkt und dessen Erkenntnismöglichkeiten die Einbeziehung und Bewertung von Materialisierungsforderungen der Gesamtordnung nicht erlauben. AK-BGB/Teubner §242 Rn.47ff.,56ff.; speziell zu Aufklärungspflichten Rn.70ff. AK-BGB/Teubner §242 Rn.72ff., 75ff., 79f. 203 In mindestens ebensovielen Fällen haben Informationsunterschiede nichts damit zu tun. Im übrigen sollen grundsätzliche Bedenken gegen die Leistungsfähigkeit dieser Kategorie hier nicht weiter erörtert werden. 201

202

72

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

Der Richter kann nicht in dieser umfassenden Weise Effizienz und Marktversagen beurteilen und ebensowenig die soziale Schutzbedürftigkeit bestimmen. Daß ordnungstheoretische Konzepte in der Rechtsfortbildungsarbeit der Gerichte, soweit es die Materialisierung und hier wiederum die Statuierung vorvertraglicher Informationspflichten betrifft, praktisch kaum Niederschlag gefunden haben, ist dafür ein Beleg.204 Zu konkreten Aussagen kommen die erörterten Ordnungstheorien oft nicht durch die Ableitung aus dem jeweils für richtig befundenen Ordnungswert, sondern entweder aus Evidenzen (z.B. Wahrheitspflicht) oder durch Anknüpfung an individuale Begründungsmuster. Das führt zum zweiten, rechtstheoretischen Einwand. Die Privatautonomie erfährt ihren Gerechtigkeitswert aus der (relativen) Unbestimmtheit von Gerechtigkeit.205 Weil sich „das Richtige" nicht oder nur im Evidenzfall bestimmen läßt, hat der Parteiwille prinzipiell Vorrang vor staatlichen Bestimmungen des Vertragsinhalts. Dieses Verhältnis verfehlen ökonomische Theorien, die die individuale Vertragsfreiheit umfassend dem Ordnungswert „Effizienz" unterwerfen, die die Vertragsfreiheit gänzlich oder in wesentlichen Teilen als Vollzug dieses Ordnungswertes denken und implicite Selbstbestimmung als Realisierung eines bestimmten Ordnungswertes definieren206 und sich dann an die Bewertung von Vertragsentscheidungen mithilfe von Effizienzkalkülen machen. Die Langzeitwirkung einer solchen Theoriebildung liegt auf der Hand: Der Rechtsanwender (Richter) schreibt den Parteien auf der Basis seines - vermeintlich wissenschaftlich gesicherten, in Wahrheit die Komplexität der Wirklichkeit nie erfassenden Effizienzkalküls den Vertragsinhalt vor. In ein Savigny-Wort gekleidet: Die Vertragsfreiheit dient (auch) der Effizienz, aber nicht indem sie ihr Gebot vollzieht, sondern indem sie die freie Entfaltung ihrer jedem einzelnen innewohnenden Kraft sichert.207

204 Die pauschale Inbezugnahme des „Verkehrsschutzes" (siehe bereits RGZ 95, 58, 60; 107, 357, 362; ferner die Bezugnahme auf den „Verkehrsschutz" in der richterrechtlichen „Generalklausel" zu vorvertraglichen Aufklärungspflichten, siehe S. 7 mit Fn. 30) kann man wohl kaum so deuten. Und BGH NJW1974,849,851 („sozial schwächere Bevölkerungsschicht"), ist Einzelfall geblieben; siehe noch oben Fn. 82. Die Rechtsprechung zur „geschäftlichen Unerfahrenheit" wiederum (siehe S. 178ff., 183ff.) ist augenscheinlich individual angelegt (nicht nachvollziehbar Dick, Verbraucherleitbild, S. 75ff., 88: der BGH korrigiere „Marktversagen"; man mag die Rechtsprechung ordnungstheoretisch deuten können, angelegt in den Argumenten des BGH ist dies nicht). 205 Näher folgend S.78ff., 85f. 206 Zum Teil findet diese Theoriebildung unter verbaler Anlehnung an die Selbstbestimmung statt, gemeint ist dann aber der dem Effizienzkalkül entsprechende Wille (beispielhaft etwa Ott, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 142, 151). Zur relativen Ergebnisoffenheit der Vertragsfreiheit Canaris, Bedeutung der iustitia distributiva, S. 58ff. Verfassungsrechtliche Bedenken gegen eine Einbindung des Vertrages in wirtschafts- oder sozialpolitische Zielsetzungen äußert Reuter, AcP 189, 199, 206f. 207 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, Theil I, S. 332 (dort bezogen auf das Verhältnis des Privatrechts zur Sittlichkeit).

III. Die Problematik

ordnungstheoretischer

Materialisierungskonzepte

73

Damit sind wir beim dritten, ebenfalls rechtstheoretischen Einwand - der Bedeutung ökonomischer Erkenntnis für Recht und Rechtsfortbildung. Die beschriebenen rechtsökonomischen Theorien stützen ihren juristischen Geltungsanspruch darauf, „Effizienz" sei mithilfe der Ökonomie erkennbar oder bestimmbar. Mit „Effizienz" als zentralem Rechtswert lassen sich so ökonomische Kalküle unmittelbar in geltendes (Vertrags-)Recht transformieren, zum Beispiel die Regel, es trage derjenige die Informationslast, der die Information besser beschaffen könne oder der über sie verfüge. Es wäre dem Anliegen der Rechtsökonomie gewiß nicht angemessen, die Möglichkeit ökonomischer Effizienzkalküle oder ihre Bedeutung für das Recht bzw. die Rechtsfortbildung zu bestreiten. Doch müssen jene Theorien, um ihren umfassenden programmatischen Anspruch einlösen zu können, etwas mehr als nur dies darlegen. Soll Effizienz unmittelbar zu Rechtsfortbildungssätzen führen, muß sie maßgeblicher Rechtswert und verläßlich zu kalkulieren sein. Von solcher Verläßlichkeit kann aber im Hinblick auf die pauschale Zuweisung der Informationslast, wie sie oben skizziert wurde, keine Rede sein. Es ist dargelegt worden, daß und was sich gegen die zugrunde liegenden Kalküle einwenden läßt, ja daß das Beschaffbarkeitskriterium sogar die Problemstellung verfehlt. Im Hinblick auf die oben diskutierte grundsätzliche Verteilung der Informationslast - Eigenverantwortung oder Aufklärungspflicht - bleibt das ökonomische Kalkül komplex, lassen sich vertretbare Argumente für beide Wege finden und bringt die Ökonomie nicht jene Eindeutigkeit der Wertung, die für eine unmittelbar auf Gerechtigkeit („Effizienz") gestützte Rechtsfortbildung zu fordern wäre. Grundsätzliche Kritik verdient eine bei manchen Autoren vorzufindende Methode der Rechtsfindung, die die „ökonomischen Tatsachen" in das Zentrum rückt und damit das Verhältnis von Tatsachen und deren rechtlicher Bewertung ins Gegenteil verkehrt; einer Methode, die in Uberschätzung der Exaktheit ökonomischer Erkenntnis vergißt, daß das Recht seinen tieferen Grund in den Grenzen menschlicher Erkenntnis hat, daß „das Richtige", auch das ökonomisch Richtige, meistens Gegenstand des Streits sein wird und deshalb eine Programmatik der Rechtsfindung durch Umsetzung ökonomischer Nutzenkalküle nur eine Verlängerung dieses Streits in die Sphären des Rechts bedeutete; einer Methode der Rechtsfindung, die die Auseinandersetzung mit gesetzlichen Wertungen schon gar nicht mehr sucht und die mit der Sprache des Rechts auch die Klarheit über die Grenzen der Rechtsfortbildung verliert. Wo nicht eine Rechtsnorm sich dem ökonomischen Kalkül öffnet und ihm unmittelbare rechtliche Wirksamkeit verschafft, beschränkt sich die Bedeutung der ökonomischen Analyse darauf, die (ökonomischen) Folgen einer beabsichtigten Rechtsfortbildung abzuschätzen208 und über die Folgenabschätzung als einem 208 Eingehend dazu Deckert, Folgenorientierung, S. 183ff. und passim, und zur Leistungsfähigkeit der Folgenorientierung allgemein S.218ff.; zur Folgenorientierung ferner etwa Koch/ Rüßmann, Begründungslehre, S.227ff., m.w.N.; Bydlinski, Methodenlehre, 2. Aufl., S.457ff.; krit. (spielt bei der richterlichen Entscheidungstätigkeit im allgemeinen keine Rolle) Larenz/Ca-

74

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

für die Rechtsfortbildung erheblichen Aspekt Einfluß auf die Rechtsfortbildungsentscheidung (affirmativ oder kritisch) zu nehmen. Während ihr in den diskutierten Theorien bezüglich der Rechtsfortbildungsentscheidung eine umfassend legitimierende Funktion zugedacht ist, ist sie nach der hier vertretenen Ansicht auf eine bestätigende bzw. korrektive Funktion beschränkt, hat also die Aufgabe, einen anhand positivrechtlicher Wertungen entwickelten Rechtsfortbildungsvorschlag zu bestätigen oder zu verhindern bzw. zu modifizieren. Diese rechtstheoretische Einordnung dürfte der Leistungsfähigkeit ökonomischer Analyse ebenso gerecht werden wie den Möglichkeiten ihrer Integrierung in die Rechtsfindung und Rechtsfortbildung. 209 Für den vorliegenden Kontext bedeutet das: Hilfestellung zu leisten bei der Ermittlung evidenter Ordnungsschädlichkeit der dem Schutz wirklicher Selbstbestimmung dienenden Rechtsfortbildung bezüglich der Informationspflichten. 210 Diese insgesamt kritische Position bestreitet nicht die Einbindung des Vertrages in die Gesamtordnung und nicht die Bedeutung von Ordnungsprinzipien und Ordnungsargumenten für das Vertragsrecht überhaupt, auch nicht die Bedeutung von Ordnungsprinzipien und Ordnungsargumenten für die richterrechtliche Rechtsfortbildung im Vertragsrecht. Sie bestreitet ferner nicht den guten Sinn ordnungstheoretischer Betrachtung des Vertragsrechts für die Ordnungsverträglichkeit richterrechtlicher Materialisierungen.211 Es ist selbstverständlich, daß Ordnungsargumente in der richterlichen Rechtsfortbildung eine Rolle spielen können. 212 Es ist ferner selbstverständlich, daß der Gesetzgeber Ordnungsvorstellungen durch konkrete Regelungen zum Gegenstand der Teilordnung Privatautonomie machen kann, 213 und es ist dann denkbar, gesetzlich legitimierte Ord-

naris, Methodenlehre, 3. Aufl., S. 185. Nach der hier vertretenen Ansicht ist die Folgenbetrachtung nur eine unter mehreren Methoden zur Ermittlung der richtigen Entscheidung; ein rigider Konsequenzialismus (utilitaristisch/ökonomisch), der die Richtigkeit der Rechtsfortbildung ausschließlich anhand der Folgen entscheidet, ist abzulehnen. 209 Wobei dem Richter selbstverständlich keine umfassenden Kalküle angesonnen werden, sondern nur eine argumentative Berücksichtigung evidenter oder plausibel darzustellender gesamtwirtschaftlicher Folgen seiner Rechtsfortbildungsentscheidung. 210 Zur Bedeutung der ökonomischen Analyse für die Verteilung vorvertraglicher Informationspflichten in dieser Hinsicht im S.300ff.; zudem S. 271 f. 211 Vgl. das in diesem Sinne nicht unberechtigte Monitum Assmanns (Prospekthaftung, S.274), individuale Schutzkonzepte vernachlässigten aus theorieimmanenten Gründen die Auswirkungen von Pflichtenbegründungen auf Marktprozesse. Zu den insoweit zu beachtenden Grenzen vorvertraglicher Informationspflichten S. 294ff. 212 So hat die Grundentscheidung für ein formales Vertragsrecht auch eine ordnungstheoretische Seite, die als Ordnungsargument gegen eine Materialisierung, also zum Beispiel gegen eine vorvertragliche Informationspflicht angeführt werden kann. In diesem Sinne ist der „Schutz des Rechtsverkehrs" bzw. die „Funktionsfähigkeit des Rechtsverkehrs" ein relevantes Argument für die vorvertragliche Pflichtenbildung. 213 Unverkennbar ordnungsschützend, weil über den notwendigen Schutz des Individualinteresses hinausgehend, die neuen Regelungen in §§241a, 661a BGB.

III. Die Problematik ordnungstheoretischer Materialisierungskonzepte

75

nungsvorstellungen zur Basis einer Rechtsfortbildung zu machen. A b e r eine deutliche Neigung zur systematischen Trennung zwischen genuinem O r d n u n g s recht und Vertragsrecht ist nicht zu übersehen. Das zeigt namentlich die Trennung zwischen Vertragsrecht und Ordnungsrecht ( U W G , G W B ) bezüglich des Ordnungswertes „Wettbewerb". E s k o m m t nicht nur in der Systematik zum Ausdruck, sondern auch in der materialen Gestaltung der Regelungen. Darin nämlich, daß im Wettbewerbsrecht verankerte, auf Ordnungsschutz zielende R e gelungen, die den einzelnen begünstigen, deutlich über das hinausgehen, was das Vertragsrecht dem einzelnen an Schutz gewährt. So wird im R a h m e n des § 3 U W G die Wirkung nach dem Maßstab des „flüchtigen Verbrauchers" bestimmt, der aus der Perspektive des vorvertraglichen Schuldverhältnisses nicht ohne weiteres schutzwürdig wäre. 2 1 4 Ahnlich verhält es sich mit § 13a U W G , der ein R ü c k trittsrecht wegen irreführender Werbeaussagen gewährt. D i e meisten oder zumindest viele Werbeaussagen werden nicht jenen G r a d an Deutlichkeit und G e wichtigkeit haben, daß das Vertragsrecht daran eine Haftung aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis knüpfen würde. 2 1 5 Trotzdem gewährt das Wettbewerbsrecht ein Rücktrittsrecht v o m Vertrag. Ein anderes Beispiel sind die I n f o r m a tionspflichten des Versicherers gemäß § 10a V A G n.F. über den Vertragsgegenstand und Vertragsinhalt, deren Z w e c k im Ordnungsrecht, nämlich in der Substituierung der entfallenen versicherungsrechtlichen Genehmigung liegt. 2 1 6 D e r einzelne wird durch das Widerspruchsrecht nach § 5a W G geschützt. 2 1 7 Ferner wären zahlreiche öffentlich-rechtliche

Produktkennzeichnungspflichten ( z . B . § § 3 f f .

L e b e n s m i t t e l - K e n n z e i c h n u n g s V O ; § § 3 f f . TextilkennzeichnungsG; § § 1 0 f f . A r z neimittelG) zu nennen.

214 Vgl. die auf die tatsächliche Wirkung der Werbung abstellenden Entscheidungen BGH GRUR1991,850 und 852; ferner £>re/ber,JZ 1997,167,173fHerrmann, DZWir 1994,45ff.,95ff. 215 Vgl. SoergeVWiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.349; Gottwald, JuS 1982, 877, 882f.; Schulze, JuS 1983,81,87. Zur Systematik der Regelung St. Lorenz, Schutz, S. 365ff. Die Bemühungen von Lehmann (Vertragsanbahnung und NJW 1981,1233ff.) und Sack (Folgeverträge, insbes. S. 16ff.) an Wettbewerbsverstöße individualrechtliche Folgen zu knüpfen, zielen gerade darauf, die Unterschiede zwischen Ordnungsrecht und Vertragsrecht zu glätten. Der OGH hat nunmehr für das österreichische Recht einen Schadensersatzanspruch des Verbrauchers aus culpa in contrahendo bei wettbewerbswidrigen Werbemaßnahmen bejaht (VersR 1998, 1579). 216 Vgl. Kieninger, VersR 1998, 5, 6 und die dortigen Nachweise (S. 7, Fn. 9) zur rechtlichen Einordnung des § 10a VAG. Zur europarechtlichen Grundlage der Vorschrift ebenfalls Kieninger, VersR 1998, 5, 7. 217 Ob § 10a W G darüber hinaus Schadensersatzfolgen hat, ist umstritten (dazu mit umfassenden Nachweisen Kieninger, VersR 1998,5,6f.; E. Lorenz, ZVersWiss 1995,103,106f.; Renger, VersR 1994, 753, 756). Ein Schadensersatzanspruch (aus §823 Abs. 2 BGB oder c.i.c.) ließe sich einmal damit begründen, die Vorschrift habe Doppelcharakter und schütze auch den einzelnen oder damit, der Schutz der Ordnung solle durch Schadensersatzansprüche des einzelnen effektiviert werden (so wohl Kieninger, VersR 1998, 5, 7).

76

8.

3. Teil: Schuldverhältnis

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

Zusammenfassung

Zwar steht Ordnungsgerechtigkeit am Anfang der Materialisierung des Vertragsrechts. Auch muß das Vertragsrecht sich den Prinzipien der Ordnungsgerechtigkeit einfügen. Eine relativ umfassende Dogmatisierung des Vertragsrechts (wie sie die theoretische Erfassung der richterrechtlich statuierten vorvertraglichen Aufklärungspflichten erfordert) auf der Basis von Ordnungsprinzipien stößt aber auf erhebliche Schwierigkeiten. Zu unterscheiden sind materiale und prozedurale Ordnungstheorien. Materiale Ordnungstheorien verpflichten den Vertrag auf ein bestimmtes materiales Ordnungsziel hin, und zwar nicht nur in dem Sinne, daß der Vertrag nicht evident gegen diese Ordnungsprinzipien verstoßen darf, sondern daß der Vertrag und damit das Vertragsrecht ihre Verwirklichung fördern muß. Damit einher geht der Anspruch, diese Ordnungsziele durch gehaltvolle Aussagen operabel zu machen. Als materiale Ordnungsziele lassen sich unterscheiden die Verteilungsgerechtigkeit und die Effizienz (im wohlfahrtsökonomischen Sinne von Gesamtnutzen/Gesamtwohl); dementsprechend kann man soziale und ökonomische Ordnungstheorien unterscheiden. Rechtliche Grundlage materialer sozialer Ordnungstbeorien ist das Sozialstaatsprinzip. Soziale Ordnungstheorien versuchen die in spezialgesetzlichen Regelungen enthaltenen Informationspflichten mit Hilfe des Sozialstaatsprinzips zu einem allgemeineren Informationsschutzprinzip zu verdichten, etwa einem Anlegerschutzprinzip oder einem Prinzip zum Schutz des (situativ) Unerfahrenen, das den Fachmann dem Laien gegenüber zur vorvertraglichen Aufklärung verpflichtet, und zwar auch im Hinblick auf nicht präsentes Wissen. Doch sind die gesetzlichen Informationspflichten, insbesondere des Verbraucherrechts, nur punktuell ausgestaltet; eine allgemeine Informationspflicht wird in ihnen gerade nicht anerkannt. Zudem läßt sich ein derart umfassendes Schutzbedürfnis nicht mit dem Wissensunterschied zwischen Laien und Fachmann begründen, wie noch zu zeigen sein wird. Ausgangspunkt materialer ökonomischer Ordnungstheorien im Bereich der Rechtsdogmatik ist die ökonomische Analyse des Rechts, die Vertrag und Vertragsrecht auf den Ordnungswert „Effizienz", also den wirtschaftlichen Gesamtnutzen verpflichtet. Sie fordern dementsprechend eine Verteilung der Informationslasten, die die Effizienz steigert. Das führt bei den meisten Theoretikern zu einer Informationlastverteilung nach der größeren Verfügungskompetenz (päsentes Wissen oder Beschaffbarkeit der Information). Dies verfehlt aber die spezifische Problematik der vorvertraglichen Aufklärungspflicht und ihrer richterrechtlichen Statuierung. Der Schutzzweck der unaufgeforderten Aufklärung besteht zunächst nur darin, den Informationsberechtigten auf seinen Informationsbedarf aufmerksam zu machen; für die Begründung einer Aufklärungspflicht kommt es daher auf die Fähigkeit an, den Informationsbedarf zu erkennen. Diese

IV. Von der Vertragsgerechtigkeit

zum Schutz der materialen

Selbstbestimmung

77

ist aber prinzipiell unabhängig von der Verfügungskompetenz. Wer die Information nicht hat oder keinen Zugang zu ihr hat, ist nicht schon deshalb in seiner Fähigkeit beeinträchtigt, seinen Informationsbedarf zu erkennen. Die Fähigkeit des Nichtinformierten, seinen Informationsbedarf zu erkennen, darf jedenfalls bei der richterrechtlichen Statuierung von Aufklärungspflichten nicht von vornherein ausgeblendet werden. Dazu führt eine Verteilung der Informationslast, die an die Verfügungskompetenz anknüpft. Überdies ist eine Rechtsfortbildung nach dem Muster „Effizienzkalkül = Rechtssatz" angesichts der Unwägbarkeiten des Kalküls und der gegensätzlichen Ausgangswertung des Gesetzes methodisch nicht haltbar. Die Beurteilung einer Informationspflicht als effizient legitimiert keine entsprechende Rechtsfortbildung. Die Bedeutung der Effizienzanalyse für die Rechtsfortbildung liegt in einer Folgenabschätzung, die als Argument den Rechtsfortbildungsvorschlag stützen oder ihm entgegenstehen kann. Prozedurale Ordnungstheorien knüpfen an die Ordnungsverfahren Wettbewerb und Markt an. Sie haben einen gegenüber materialen Ordnungstheorien eigenständigen Erklärungswert, soweit sie die rechtsfortbildende Gestaltung des Vertrags rechts von den prozeduralen Anforderungen des Wettbewerbs bzw. des Marktes her begründen. Aus der Forderung nach „Gleichgewichtigkeit" der Marktteilnehmer bzw. Wettbewerber entsteht auch hier die Forderung nach einer Informationslastverteilung nach der Verfügungskompetenz. Dagegen greifen dieselben Einwände wie bei den materialen ökonomischen Theorien. Im übrigen ist Gleichgewicht kein gesicherter Markt- und Wettbewerbsparameter. Begriff und Vorstellung vom Wettbewerb sind zu undeutlich, um daraus operable Aussagen zur Informationslastverteilung in dem hier untersuchten allgemeineren Sinne ableiten zu können.

IV. Von der Vertragsgerechtigkeit zum Schutz der materialen Selbstbestimmung 1. Gerechtigkeitsbindung

des einzelnen

Vertrages

Die Beziehung zwischen Vertrag und Rechtsordnung, zwischen Selbstbestimmung und Gerechtigkeit ist also nicht so zu denken, daß der Vertrag einem konkreten Ordnungsgerechtigkeitswert zu genügen hätte. Die Ordnung setzt der Vertragsfreiheit nur einen äußersten Rahmen der Gemeinverträglichkeit. Positiv fordert sie vom Vertrag „nur" eine gerechte Regelung der individuellen Parteiinteressen. Diese Forderung gilt allerdings jedem einzelnen Vertrag und nicht nur der Teilordnung „Privatautonomie/Vertragsfreiheit",218 wie Fastrich meint. Nach Fastrich sind kompensatorische Eingriffe in die Vertragsfreiheit nur zulässig, 218 Insoweit in Ubereinstimmung mit M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.44ff.; ebenso für eine Kontrolle im Einzelfall Nicklisch, BB 1974, 991, 994 und passim.

78

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

wenn die konkrete Vertragsstörung Ausdruck eines generellen Versagens des Vertragsmechanismus ist, wenn dem Vertragsmechanismus die „notwendige generelle Richtigkeitsgewähr" fehle.219 Fastrieb erklärt diese Beschränkung auf Ordnungsgerechtigkeit mit einem, so könnte man sagen, „Zwei-Ebenen-Modell". Die Theorie der Selbstbestimmung frage nach den „immanenten Grundsätzen der Vertragsfreiheit", betreffe das „innere Telos" der Autonomie als eines Teils der Privatrechtsordnung. Insoweit, d.h. innerhalb dieses Systems, sei die Frage nach der Gerechtigkeit fehl am Platze. Berechtigt sei sie aus der davon zu unterscheidenden Perspektive des Ordnungsprinzips, die vom Teilordnungssystem „Privatautonomie" die Herstellung einer richtigen Ordnung erwarte.220 Nicht der einzelne Vertrag müsse inhaltlich gerecht sein - dies sei mit dem Autonomiegedanken nicht vereinbar - , aber es müsse sich mit Hilfe der Privatautonomie insgesamt eine Ordnung entfalten, „deren Ausprägung nicht nur der subjektiv gewollte, sondern im großen und ganzen auch der objektiv gerechte Vertrag ist". 221 Aber, so ist zu fragen, wie ist diese Ordnungserwartung an die Privatautonomie zu begründen, wenn Selbstbestimmung im einzelnen Vertrag auch das Recht zur ungerechten Regelung begründet, ja wenn Gerechtigkeit im Einzelfall gewissermaßen Zufall ist? Die praktische Erfahrung mag dem Rechtspolitiker genügen, eine dogmatische Erklärung ist sie nicht. Außerdem steht die Zwei-EbenenTheorie im Widerspruch zur Dogmatik der vorvertraglichen (vertragsbezogenen) Verhaltenspflichten, die offenkundig einzelfallorientiert ist. Fastrichs Theorie ist im Grunde keine allgemeingültige Erklärung für die Einwirkung des Gerechtigkeitsprinzips in die Vertragsfreiheit. Ihre „intendierte Anwendung" 222 ist die richterliche Inhaltskontrolle. Aber auch insofern ist die Forderung nach einer gewissen Ordnungsrelevanz der Störung, ihre Berechtigung unterstellt, nicht auf die Selbstgenügsamkeit des Gerechtigkeitsprinzips zurückzuführen, sondern der Rechtssicherheit geschuldet. Es führt kein Weg daran vorbei, daß Gerechtigkeit ein Gebot des einzelnen Vertrages sein muß, soll aus dem vielen Einzelnen eine gerechte Gesamtordnung entstehen. §138 B G B zeigt, daß Gerechtigkeitskontrolle (in einem weiten Sinne verstanden) individual angelegt ist und nicht nach der sozialen Häufigkeit einer Fallkonstellation unterscheidet. 2. Materialisierung

als Ziel des prozeduralen

Gerechtigkeitsgehalts

Wie ist nun aber aus der Verpflichtung zur Vertragsgerechtigkeit eine Verbesserung/Materialisierung der Selbstbestimmung abzuleiten? Ein derartiger prozeduraler Gehalt des Gerechtigkeitsprinzips kann nur angenommen werden, wenn Fastrich, Inhaltskontrolle, S.54, 56. Fastrich, Inhaltskontrolle, S.54; siehe bereits Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S.3, 16. 221 Fastrich, Inhaltskontrolle, S.53. 222 Vgl. zur intendierten Anwendung im Sinne des strukturalistischen Theorienkonzepts Canaris, JZ 1993, 377, 379f. 219 220

IV. Von der Vertragsgerechtigkeit

zum Schutz der materiellen Selbstbestimmung

79

zwischen der Selbstbestimmung im Vertrag und der Gerechtigkeit ein innerer Zusammenhang besteht. Wer mit Burckhardt und Flume die vertragliche Selbstbestimmung als Herrschaft der Willkür versteht („stat pro ratione voluntas"), 223 kann Gerechtigkeit nur als ihren Gegensatz denken. Ist Selbstbestimmung die ungebundene, von staatlichen Vorgaben freie Selbstverwirklichung, scheint der Vertrag als rechtliches Instrument der Selbstbestimmung den gleichen Grundsätzen gehorchen zu müssen. Materiale Gerechtigkeit scheint dann nur als gegenläufiges Prinzip zur Vertragsfreiheit in eine Theorie des Vertrages integrierbar zu sein, als die Selbstbestimmung der Parteien begrenzendes Prinzip. Nicht Materialisierung der Selbstbestimmung - auch materiale Selbstbestimmung bedeutet „Willkür" - , sondern ihre Substituierung durch eine objektive („gerechte") Regelung ist dann das Ziel der Gerechtigkeit.224 Demgegenüber hat Schmidt-Rimpler in seiner Untersuchung über das Vertragsrecht225 den Weg für ein grundsätzlich anderes Verständnis aufgezeigt. Der Vertrag ist danach - sieht man ihn im Kontext der Gesamtordnung - ein Instrument (unter mehreren), um eine richtige, d.h. gerechte und zweckmäßige Ordnung zu schaffen.226 Der Vertragsmechanismus sorge für die Richtigkeit des Vertragsinhalts, da jede Partei den Inhalt, insbesondere den für sie ungünstigen Rechtsfolgen habe zustimmen müssen.227 Die Richtigkeitsfunktion des Vertrages ist damit der Bezugspunkt für dessen Funktionsvoraussetzungen. An den Voraussetzungen eines inhaltlich richtigen Vertrages fehlt es nach Schmidt-Rimpler nicht nur bei Störungen der formellen Geschäftsfähigkeit oder Willensmängeln (im technischen Sinn, §119 Abs. 1 BGB), sondern typischerweise auch bei Abhängigkeit einer Partei von der anderen, bei Unterlegenheit in der Wertungsfähigkeit oder im Einzelfall u.a. bei Unfreiheit der Entscheidung oder Beschränkung der Wertungsfähigkeit infolge mangelnder Sachkenntnis, geistiger Schwäche oder Unerfahrenheit.228 Die Theorie der Richtigkeitsgewähr ist nicht notwendig mit der ordnungstheoretischen Umwidmung des Vertragszwecks, wie sie bei Schmidt-Rimpler ursprünglich angelegt war, verquickt, sondern behält einen Erklärungswert auch dann, wenn man an der Selbstbestimmung als maßgeblicher Funktion des Vertrages festhält und von hier aus, nicht von der Richtigkeit, die Geltung des Vertrages erklärt.229 Hier zeigt sie den Gegensatz zwischen Selbstbestimmung und Rechtsidee als bloßen Schein: der 223 Vgl dazu Burckhardt, Vertrag im Privatrecht, S. 2ff., 40, siehe aber auch S.8; Flume, FS DJT I, S. 135, 141. 224 Das beachtet Flume, FS DJT I, S. 135, 143, zu wenig; Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 1 (7), S. lOff.; vgl. dazu noch S. 127ff. 225 Schmidt-Rimpler, AcP 147, 130ff.; siehe auch Franz Böhm, Wettbewerb und Monopoikampf, S.187ff., 318ff. 226 Schmidt-Rimpler, AcP 147, 130,138; Reinhardt, FS Schmidt-Rimpler, S. 115, 118. 227 Schmidt-Rimpler, AcP 147,130, 149, 151 f. und passim. 228 Schmidt-Rimpler, AcP 147, 130, 158, Fn.34; Biedenkopf, Wettbewerbsbeschränkung, S. 109, spricht von „faktisch annähernder Ebenbürtigkeit". 229 Vgl. dazu Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 52/53.

3. Teil: Schuldverhältnis

80

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

selbstbestimmte Vertrag führt zum richtigen Ergebnis, ist Verwirklichung materialer Gerechtigkeit. Die Gerechtigkeit ist nicht Funktion, aber Ergebnis der Selbstbestimmung. 2 3 0 Allerdings ist diese These auf Widerspruch gestoßen. N a mentlich Flume

und Kaiser

sind ihr entgegengetreten: E s liege im Wesen der Par-

teiautonomie, daß ihre Vorstellungen von Gerechtigkeit sich von denen der Gemeinschaft unterschieden. In diesem Punkt ginge die Theorie der Richtigkeitsgewähr noch über die Illusionen des Liberalismus hinaus, da bereits das Zusammenwirken zweier Egoismen genügen soll, Richtigkeit hervorzubringen. 2 3 1 In der Tat kann man von den Vertragsparteien nicht die Berücksichtigung von Gemeinbelangen erwarten 2 3 2 und ist insoweit nicht von einer Richtigkeitsgewähr zu sprechen. 2 3 3 Aber selbst im Hinblick auf die Ordnung der Parteiinteressen ist zuzugeben, daß die Vorstellung eines „richtigen" Vertragsinhaltes nicht unproblematisch ist. 2 3 4 Sie setzt ein rechtliches Urteil über die Richtigkeit des Vertragsinhalts als möglich voraus 2 3 5 und bahnt damit der Uberprüfung des Vertragsinhalts durch einen außenstehenden Dritten - den Richter - den Weg. 2 3 6 Man hat versucht, diesen Einwänden Rechnung zu tragen, ohne die Einheit von Selbstbestimmung und materialer Gerechtigkeit aufzugeben. Nach Habersack

soll Vertrags-

freiheit nur anerkannt werden können, wenn sie „der Verwirklichung der Persönlichkeit beider Vertragspartner diene und dadurch dem Gebot der Gerechtigkeit Rechnung getragen" werde. 2 3 7 Andererseits nehme die Rechtsordnung „um des Wertes der Selbstbestimmung willen" in Kauf, daß die Parteien bewußt oder infolge des Versagens des Vertragsmechanismus von der objektiven Richtigkeit ab-

Fastrich, Inhaltskontrolle, S.53. Flume, FS D J T I , S. 135,141ff.; Raiser, FS D J T I , S. 101,118f.; siehe auch schon Burckhardt, Vertrag im Privatrecht: Daß der Vertrag „dem objektiv Richtigen entsprechen wird, ist nicht anzunehmen" (S. 4). Andererseits: Das Gesetz erhofft von der „Gewissenhaftigkeit der Privatperson ..., daß sie sich nicht zu weit vom sachlich Richtigen entfernen werden." (S. 8). Zur Kritik an der Richtigkeitslehre wiederum Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S. 3, 12. 230 231

232 M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 68; krit. zur Ambivalenz des Richtigkeitsbegriffs bei Schmidt-Rimpler Oechsler, Gerechtigkeit, S. 126f. 2 3 3 So aber auch Schmidt-Rimpler, AcP 147, 130, 151f.; ders., FS Raiser, S.3, lOf. 2 3 4 Siehe die Kritik von Singer, Selbstbestimmung, S. lOf. 2 3 5 Gerade dagegen richtet sich Flumes Kritik (Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 1 [6 a], S. 8), gerade darin liegt aber auch eine Verkürzung des denkbaren Zusammenhangs von Selbstbestimmung und Gerechtigkeit, die freilich durch Schmidt-Rimplers Überspitzungen (Richtigkeit als Geltungsgrund des Vertrages) provoziert wurde. 2 3 6 Deutlich Flume, FS D J T I, S. 135, 140 („Negation der Selbstbestimmung"), 143 („Widerspruch in sich"); Habersack, Vertragsfreiheit, S.48; Schmidt-Rimpler (AcP 147,130,165ff.) selbst lehnt richterliche Kontrollen zwar (selbstverständlich) ab, aber das ändert nichts an der Unterwerfung des Vertragsinhalts unter das Richtigkeitsurteil. Schmidt-Rimpler hat seine Position allerdings präzisiert, dazu weiter im Text. Dieser Einwand ist auch gegen die - auf der Rechtsphilo(Rechtsgesophie Hegels - beruhende Lehre Ballerstedts (JZ 1956, 267, 270) und Pawlowskis schäftliche Folgen, S.232ff., 277ff.) vom rechtlich erheblichen Willen als rechtlich vernünftigem Willen zu erheben; inhaltlich anders die Kritik von M. Wolf Entscheidungsfreiheit, S. 57f. 237

Habersack,

Vertragsfreiheit, S.48.

IV. Von der Vertragsgerechtigkeit

zum Schutz der materiellen Selbstbestimmung

81

weichen. 238 Aber: Wenn die Selbstbestimmung dem obersten Ziel der Rechtsordnung, der Herstellung von Gerechtigkeit, sachlich untergeordnet und nicht nur durch sie begrenzt ist, kann sie nur einen „Wert" haben, wenn sie der Gerechtigkeit genügt. Demnach scheint die Harmonisierung von (empirischer) Selbstbestimmung und Gerechtigkeit im Sinne einer Einheit nicht möglich zu sein 239 und materiale Gerechtigkeit nur als von außen kommende Begrenzung der Selbstbestimmung denkbar. Trotz einer „staatsfrei" gedachten Selbstbestimmung kann dem Recht dabei eine gestaltende, nicht nur Gemeinwohlgrenzen benennende Aufgabe zukommen, folgt man der von Raiser entwickelten Institutionstheorie, wonach die Vertragsfreiheit ein Rechtsinstitut sei, das wie jedes Rechtsinstitut eine rechtliche Ordnungsaufgabe zu erfüllen habe: die Verwirklichung materialer bzw. sozialer Gerechtigkeit. 240 Wo der Vertrag diese Aufgabe nicht erfüllen kann, wo das Rechtsinstitut durch eine Partei aufgrund ihrer Überlegenheit mißbraucht werde, müsse das objektive Recht korrigierend eingreifen. Gerechtigkeit ist also nicht nur Aufgabe des objektiven Rechts, sondern auch des Vertrages, wird aber als Gegensatz zur Selbstbestimmung gedacht: „Aber das allgemeine Vertragsrecht zeigt überall die Spuren der gleichen Tendenz, die Herrschaft der Privatautonomie zurückzudrängen." 241 Wenngleich Raiser ordnungstheoretisch denkt, 242 ließe sich sein Ansatz im Hinblick auf individuale Vertragsgerechtigkeit erweitern. Doch bleibt bei alldem die Schlüsselfrage unbeantwortet. Als Element der Rechtsordnung ist der Vertrag auf die Rechtsidee und damit auf die Idee einer gerechten Ordnung bezogen. Daß die Rechtsordnung ein Regelungsverfahren schafft, 243 das keinerlei sachliche Beziehung zur Gerechtigkeit hat, das gerechte Ergebnisse - wenn überhaupt - nur zufällig hervorbringt, ist nicht plausibel. 244 Der „Eigenwert" (Rechtswert) der Selbstbestimmung 245 kann die Kluft zur Rechtsidee nicht schließen, wenn man Habersack, Vertragsfreiheit, S.49f. So Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 122 Fn. 179; anders Habersack, AcP 189, 403, 408f. 240 Raiser; J Z 1958, 1, 6; siehe auch dens., Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 279ff. Bei Flume, FS DJT I, S. 135,143, beruht die Beschränkung des Selbstbestimmungsprinzips wohl eher auf einer teleologischen Reduktion. 241 Raiser, JZ 1958,1,4; daß Raiser Gerechtigkeit als der Privatautonomie immanente Grenze sieht, ändert nichts an der Gegensätzlichkeit. Siehe auch Kliege, Rechtsprobleme der Allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 97: die Gerechtigkeit habe in das Vertragsrecht des B G B keinen Eingang gefunden; dazu auch M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 35. 242 Recht der allgemeinen Geschäftsbedingungen, S. 279ff.; siehe ferner oben S. 47. 243 Zur Problematik der Apriorität der Privatautonomie mit ablehnender Haltung Adomeit, Gestaltungsrechte, S. 11 f.; Roscher, Vertragsfreiheit, S. 54ff. m.w.N. 244 Auch Flume, FS D J T I, S. 139/140, unterstellt eine innere Verbindung von Gerechtigkeit und Vertragsfreiheit, wenn nach seiner Ansicht Vertragsfreiheit nur soweit vom Gesetzgeber anerkannt werden soll, als die Maxime des suum cuique tribuere nicht institutionell verletzt oder gefährdet wird. 245 Vgl. Raiser, FS DJT I, S. 101 (119); dagegen Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S.3,17,19ff.: Sobald sie die Interessen anderer betrifft bzw. in die Sphäre des Rechts und der Rechtsordnung ein238

239

82

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

Selbstbestimmung als Willkürherrschaft gerade in schroffen Gegensatz zur materialen Gerechtigkeit stellt.246 Nicht im Gegensatz, sondern in der inneren Verknüpfung zur Gerechtigkeit kann sich der Rechtswert der Selbstbestimmung zeigen. Es ist im Grundsatz unverzichtbar, von einer sachlichen Beziehung zwischen vertraglicher Selbstbestimmung und materialer Gerechtigkeit auszugehen. Und diesbezüglich verdient die Erkenntnis Schmidt-Rimplers grundsätzlich Zustimmung, daß der Vertragsmechanismus einen Zusammenhang zu inhaltlicher Gerechtigkeit herstellt. Nur ist dieser Zusammenhang nicht so eng, daß der einzelne Vertrag nachprüfbar Gerechtigkeit erzeugen würde oder müßte und daß ein positives Urteil über die Gerechtigkeit eines Vertragsinhalts möglich wäre.247 Daß ihm trotzdem von Seiten der Rechtsordnung und aus der Perspektive der Gerechtigkeit Anerkennung widerfährt, erklärt sich nicht einfach aus der „Selbstbestimmung" oder dem Eigenwert der Selbstbestimmung, sondern daraus, daß der Vertrag, soweit es den Interessenkonflikt zwischen den Parteien betrifft, verfahrensmäßig die größere Chance einer gerechten Regelung bietet als ein hoheitliches Verfahren.248 Dies wiederum ist eine Folge des Gerechtigkeitsproblems, der Schwierigkeit, materiale Gerechtigkeit rational nachvollziehbar zu bestimmen,249 und der praktischen Unentscheidbarkeit vieler Regelungskonflikte nach Maßgabe „objektiver Gerechtigkeit". 250 Zudem begründet für einen nicht unerheblichen Fragenkreis allein das Wollen einer Partei die Vorzugswürdigkeit einer gefundenen Lösung vor anderen, gleichwertigen Lösungsmöglichkeiten.251 Aus diesem Rationalitätsdefizit und der praktischen Unentscheidbarkeit vieler Gerechtigkeitsfragen erwächst der spezifische Gerechtigkeitswert der Selbstbestimmung in Gegenüberstellung zu den Gefahren eines hoheitlichen Verfahrens.252 tritt, muß die Selbstbestimmung einen inhaltlichen Bezug zur Rechtsidee und zur Rechtsordnung haben. Herrschaft zur Willkür stellt diese Verbindung gerade nicht her. 246 So vor allem Flume, FS DJT I, S. 135,141 ff., der - verkürzend - den Gerechtigkeitsbezug der Privatautonomie als konkret nachprüfbare Pflicht zur Rechtlichkeit denkt. Kritisch zu einer apriorischen, vorstaatlichen Theorie der Privatautonomie Adomeit, Gestaltungsrechte, S. 1 Off.; Paschke, Wohnraummiete, S. 37ff. 247 Krit. Limbach, JuS 1985, 10, 13. 248 So schon Schmidt-Rimpler, FS Kaiser, S. 1, 8. Informationsökonomisch gesprochen: Die Beteiligten sind eher in der Lage für eine effiziente Verwertung von Informationen zu sorgen als eine Zentralinstanz, vgl. v. Hayek, American Economic Review Bd. 35 (1945), 519, 524ff. Inwieweit dem eine diskursethische Rechtfertigung vertraglicher Kompetenzen entspricht, wie sie von Enderlein (Rechtspaternalismus, S. 123; ders., Diskursethik und Privatrecht, S. 53, 66ff., 72ff.) diskutiert wird, mag hier dahinstehen. 249 Oechsler, Gerechtigkeit, S. lOff. und passim. 250 Vgl. Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S.3, 11; Bartholomeyczik, AcP 166, 30, 59. In diesem Punkt unterscheidet sich die hier vertretene Auffassung von der Theorie M. Wolfs, der die objektiv gerechte Regelung zum Maßstab der Selbstbestimmung nimmt; zur Kritik S. 128ff. 251 Vgl. diesbezüglich zum iustum pretium Schmidt-Rimpler, FS Raiser, S.3, 15. Hier ist es auch aus der Perspektive materialer Gerechtigkeit berechtigt, vom „Eigenwert" der Selbstbestimmung in Bezug auf die objektive Gerechtigkeit zu sprechen. 252 Vgl. auch Bartholomeyczik, AcP 166, 30, 60; weitere Vorteile der Selbstbestimmung im

IV. Von der Vertragsgerechtigkeit

zum Schutz der materiellen

Selbstbestimmung

83

Dementsprechend begnügt sich die geltende Vertragsrechtsordnung damit, äußerste Grenzen der Selbstbestimmung im Hinblick auf den Vertragsinhalt zu errichten (vgl. §138 BGB) und eine Kontrolle des Vertrages an Störungen der Selbstbestimmung auf einer Seite zu binden. Die Selbstbestimmung im Vertrag wird nicht allein um der Selbstbestimmung willen anerkannt, sondern auch, weil sie die besseren Chancen für eine gerechte Gestaltung der Rechtsbeziehungen der Parteien untereinander und der Rechtsordnung insgesamt eröffnet. Der Vertrag bietet im Vergleich zum hoheitlichen Verfahren die größere Richtigkeitschance. 253 Abzulehnen sind daher, vor allem in der verbraucherrechtlichen Literatur verbreitete, dogmatische Argumentationsmuster, 2 5 4 die die materiale Selbstbestimmungsfähigkeit nach der Erreichbarkeit konkreter „objektiver" Gerechtigkeitsvorstellungen beurteilen und dabei, fast unausweichlich, zu weitgehend negativen Schlußfolgerungen gelangen. Solches Denken ebnet auf lange Sicht der Beseitigung der Privatautonomie in weiten Bereichen des Vertragsrechts den Weg, gegründet auf oftmals dürftige, kaum reflektierte Gerechtigkeitsvorstellungen, die ihren Ursprung zumeist in der Rezeption keineswegs unumstrittener, noch dazu modellhaft vergröbernder ökonomietheoretischer Vorstellungen von Freiheit und Gerechtigkeit 255 haben. Die Unterlegenheit und Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers, die Dysfunktionalität der Vertragsfreiheit und des Marktes beispielsweise mit einem Zwang zum Konsum durch „Modepropaganda" zu begründen, 256 setzt die Gewißheit voraus, daß es falsch ist, nach der Mode zu gehen. Von „übermäßigem Kauf" kann nur sprechen, 257 wer das rechte Maß (des Kaufs und letztlich der Lebensführung) zu kennen meint. Wer die Orientierung einer Vergleich zum hoheitlichen Verfahren - Motivations- und Mobilitätseffekt - kommen hinzu, vgl. Schmidt-Rimpler, FS Raiser; S. 1,8; die hier vertretene Position zum Verhältnis von Selbstbestimmung und materialer Gerechtigkeit deckt sich teilweise mit der von Singer; Selbstbestimmung, S. 39ff. 253 Begriff von M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 73/74, der darunter aber mehr versteht; dazu näherS. 128ff. Schmidt-Rimpler hat seine Position später ebenfalls in die Richtung präzisiert, vgl. FS Raiser, S. 1, 8 („gewisse Wahrscheinlichkeit"); weitergehend Bartholomeyczik, AcP 166, 30, 56 („Vermutung der Richtigkeit"). Ökonomietheoretisch entspricht dem eine agnostische Haltung gegenüber (modellhaften) Menschenbildern und damit die Absage an Theorien, die wirtschaftliches Handeln des einzelnen anhand eines bestimmten (modellhaften) Menschenbildes, namentlich des rational egoistischen Menschen (REM), berurteilen und damit - nolens volens die Vertragsfreiheit dem lenkenden und beschränkenden Zugriff des Staates öffnen (insoweit in Ubereinstimmung mit Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 132f.). 254 Die freilich meistens ordnungstheoretisch inspiriert, aber durchaus in den vorliegenden Kontext der Vertragsgerechtigkeit übertragbar sind. 255 Insbesondere die Orientierung am Modell des rational egoistisch handelnden Menschen (REM); dazu näherund kritisch Fezer, JZ 1986, 817, 821f.; ders., JZ 1988,223, 224; Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 129ff. 256 K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 101. Zum ökonomietheoretischen Pendant dieser und der folgenden Argumente für eine „Lenkung des Verbrauchers" durch den Anbieter in Galbraith' Theorie der Uberflußgesellschaft Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 125 ff. 257 K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 101.

84

3. Teil: Schuldverhältnis

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

Erwerbsentscheidung nach dem „Image" eines Produkts korrigieren will, 258 beansprucht die Gewißheit, daß es sich um ein falsches Entscheidungskriterium handelt. Wer die Auswahlentscheidung „des Verbrauchers" durch andere Faktoren bestimmt sieht als bei „rationaler Betrachtung", 2 5 9 muß eine klare Vorstellung von „richtigen" (rationalen) und „falschen" (irrationalen) Entscheidungsfaktoren haben, letztlich auch vom richtigen Entscheidungsinhalt. Kaum verwunderlich, daß am Ende derart unreflektierter Gerechtigkeitsvorstellungen „der Verbraucher" - das heißt praktisch: jeder Rechtsgenosse in der Verbraucherrolle - zum Betreuungsfall wird: unfähig, seine eigenen Bedürfnisse zu erkennen und zu gewichten, 2 6 0 weil, so wäre zu ergänzen, unfähig, die „objektiv richtige" Entscheidung zu fällen. Ironischerweise liefert eine am rational egoistisch handelnden Menschen (REM) orientierte Okonomietheorie, 2 6 1 deren ordnungspolitische Ziele genau entgegengesetzt sind, 262 die Zurüstung für derartige Zugriffe auf Selbstbestimmung und Vertragsfreiheit 263 - mit der Ineinssetzung von Gerechtigkeit und Wirtschaftlichkeit und deren vermeintlicher Berechenbarkeit. In Wahrheit bringt die Ökonomisierung der Gerechtigkeitsfrage keinen Erkenntnisgewinn, der derart apodiktische Urteile über die Richtigkeit einer Vertragsentscheidung zuließe, wie sie zitiert wurden. 2 6 4 Auch in der ökonomischen Analyse bleibt die Vertragsentscheidung komplex. Selbst die scheinbar leicht entscheidbare Frage nach dem günstigsten Preis für ein und dieselbe Ware entpuppt sich als komplexer, mehrdimensionaler Vorgang, dem schlichte Arithmetik nicht gerecht wird. So mag der teuerere Einkauf seinen, ökonomisch relevanten, Sinn in der besseren Verkehrsanbindung des konkreten Anbieters haben oder in langfristigen Geschäftsbeziehungen mit Vergünstigungen in anderen Bereichen oder mit der Aussicht auf Gegengeschäfte oder, noch alltäglicher, in der schlichten Unwirtschaftlichkeit „ökonomischen Verhaltens" (= der Preisermittlung). 2 6 5 Sogar die K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 102f. Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S. 44. 260 So das Fazit von Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S.63. 261 Vgl. zur „Chicago School" in diesem Punkt Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S.129f. 262 Die anti-interventionistische Ausrichtung der Chicago School konstatiert Drexl, Selbstbestimmung, S. 106; ihre Ambivalenz zwischen Interventionismus und Anti-Interventionismus zeigt dagegen Eidenmüller, Effizienz, S.67f. 263 p r e s c h j^t Jie Verbraucherschutztheorie von Simitis von der marxistischen Ausbeutungstheorie („Ausbeutung durch Konsum") beeinflußt; dazu mit Recht krit. Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 141 ff. 264 Zur Kritik an Galhraith Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 126f. 265 Satirisch E. Schmalenhach, Der freien Wirtschaft zum Gedächtnis, 3. Aufl., S.71 (zitiert nach K. Simitis, Verbraucherschutz, S. 113 Fn.40): „Ich brauchte seinerzeit einen neuen Regenschirm. Es war zu überlegen, wie ich in meiner Rolle als Abnehmer die in der freien Wirtschaft mir obliegende Pflicht der Auswahl am besten treffen könnte. In Köln gibt es, so nahm ich an, etwa 50 Läden, in denen man einen Regenschirm kaufen kann. Diese müßte ich pflichtgemäß aufsuchen und keinen, da es ungerecht (man müßte wohl sagen: „unökonomisch", Anm. des Verf.) wäre, auslassen. Dann gibt es schätzungsweise 200 Sorten Regenschirme für Herren. Da es ein 258 259

IV. Von der Vertragsgerechtigkeit

zum Schutz der materiellen Selbstbestimmung

85

Abgrenzung des ökonomisch Rationalen vom ökonomisch Irrelevanten ist enorm wertungsbelastet. Wenn die Identifizierung mit einem Produktimage oder einer Mode zum Wohlbefinden des Konsumenten beiträgt und damit seine Leistungsfähigkeit erhöht, gewinnt das scheinbar Irrationale einen ökonomischen Sinn. Zusammenfassung: Das Gerechtigkeitsprinzip hat im Vertragsrecht eine im wesentlichen individuale Schutzrichtung, es fordert Gerechtigkeit des einzelnen Vertrages. Diese Forderung zielt aber primär nicht auf das Resultat des Vertrages, sondern auf die prozeduralen Bedingungen des Vertragsschlusses. Angesichts der unzureichenden Rationalisierbarkeit materialer Gerechtigkeit gewährt die Selbstbestimmung der Parteien eine größere Chance für eine gerechte Regelung als die „objektive" Bestimmung. Gerechtigkeit zielt daher zuerst auf die Gewährleistung wirklicher, „materialer" Selbstbestimmung. 266 Bezugspunkt für die Funktionsvoraussetzung des Vertrages ist daher die Selbstbestimmung, verstanden als wirkliche, d.h. die Richtigkeitschance eröffnende Selbstbestimmung, nicht die Herstellung einer durch das Vertragsrecht und dessen Ingebrauchnahme konstituierten Rechtsordnung oder eines material gerechten Vertrages.

3. Das Prinzip materialer

Selbstbestimmung

Das Gerechtigkeitsprinzip führt, infolge der eigenartigen Wechselwirkung zwischen Gerechtigkeitsprinzip und Selbstbestimmungsprinzip, zur Anreicherung des Selbstbestimmungsprinzips um einen materialen Aspekt. Dieser Wertungszusammenhang ebenso wie die auf Realisierung der Selbstbestimmung gerichtete Zielsetzung der Materialisierung werden rechtsdogmatisch in einem Prinzip materialer Selbstbestimmung zum Ausdruck gebracht. Der klassisch liberale, auf Abstinenz hoheitlicher Gewalt gerichtete Gehalt des Selbstbestimmungsprinzips schwarzer Regenschirm mit gebogener Krücke sein sollte, mag sich die Sortenzahl auf 100 ermäßigen. Nun aber geht es mir um einen möglichst dauerhaften Regenschirm, dessen Stoff, Stock und Mechanik lange hält und auch bei starkem Wind brauchbar bleibt. Ich fand bald heraus, daß allein um die Güte der Regenschirmstoffe auf Haltbarkeit und Wasserdurchlässigkeit zu prüfen, ein Kursus nötig sei, den ein Freund auf vier Wochen Dauer schätzte, geeignete Veranlagung des Lernenden vorausgesetzt. Auch die Mechanik sei, so meinte er, in ihrer Qualität verschieden, und man müsse schon etwas davon verstehen, wenn man eine sachkundige Auswahl treffen wolle. Diese Überlegungen führten dahin, daß ich, um mich und meine Familie mit dem nötigen Hausrat und der nötigen Bekleidung zu versehen, meinen Beruf aufgeben und dazu noch einen Assistenten anstellen müsse. Dieses bedenkend, verzichtete ich auf jede Konkurrenzprüfung, ging in den nächsten Laden und kaufte unter zehn vorgelegten Schirmen einen ohne lange Prüfung und zahlte dafür, was gefordert wurde." 266 Dagegen stellt Zweigert, FS Rheinstein Bd. II, S.493, 501 ff., die Vertragsgerechtigkeit in den Mittelpunkt des Vertrages, da die Vertragsfreiheit die ökonomische und soziale Gleichheit der Partner voraussetze und deshalb „ein Traumschloß, eine Utopie und keine Realität" sei (ebd., S. 503); dagegen Singer; Selbstbestimmung, S. 23. Doch kommt es nicht auf vollständige Gleichheit an, sondern auf die Einhaltung eines gewissen Mindestmaßes an materialer Selbstbestimmungsmöglichkeit, dazu weiter im Text.

86

3. Teil: Schuldverhältnis

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

wird durch das Gerechtigkeitsprinzip um die Gewährleistung „wirklicher (materialer) Selbstbestimmung" erweitert. 267 Materiale Selbstbestimmung in informationeller Hinsicht bezieht sich auf den empirischen materiellen Willen einer Partei. Die Partei wird davor geschützt, daß ein Informationsdefizit zu einer ihrem materiellen Willen (Rechtsfolgewillen und Wertungsgrandlagen) nicht entsprechenden rechtsgeschäftlichen Disposition führt. Das Prinzip materialer Selbstbestimmung beschreibt dogmatisch allerdings nur die Schutzrichtung des vorvertraglichen Schutzprinzips; es ist nicht Haftungsgrund. Vorvertragliche Verhaltenspflichten sind ihm selbst nicht zu entnehmen, müssen sich aber in dem insoweit vorgezeichneten Rahmen halten. Das Prinzip materialer Selbstbestimmung bedarf der Präzisierung und Konkretisierung durch Unterprinzipien, die Haftungsgründe angeben. Diese Prinzipien müssen den materiellen Willen einer Partei als schutzwürdig im Verhältnis zu den Interessen der anderen Partei erweisen, und dies in einer Weise, die die andere Partei zu einem den Willen schützenden Verhalten, zur Aufklärung verpflichtet. 4. Keine Beschränkung

auf

Vermögensschäden

Der materielle Wille (rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit) wird durch das vorvertragliche Schutzprinzip umfassend und nicht begrenzt auf Vermögensschäden geschützt. 268 Der BGH 2 6 9 reduziert das vorvertragliche Schuldverhältnis, unterstützt von einem Teil der Literatur, auf den Schutz des Vermögens. Das geltende Recht unterscheide zwischen Willensfreiheit und Schaden und sehe für die bloße Beeinträchtigung der Willensfreiheit besondere Sanktionen in den Anfechtungsvorschriften vor.270 Relevant wird diese Einschränkung beim Anspruch auf Vertragsaufhebung, der nach der Ansicht des B G H nur im Falle eines Vermögensschadens besteht. Diese Position widerspricht dem Schadensersatzrecht, denn §249 S. 1 BGB setzt keinen Vermögensschaden voraus. Die Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit ist ein immaterieller Schaden,271 dessen Ersatz das Gesetz nur im Hinblick auf Geldersatz ( §253 BGB) limitiert.272 Das Ziel, c.i.c. und Anfechtungsrecht einander sinnvoll zuzuordnen, wird mit Friktionen im 267 Insoweit im Anschluß an M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 59f. und passim; zur Kritik an Wolf unten S. 128ff. Siehe auch schon Bartholomeyczik, AcP 166, 30, 64: da Äquivalenz nicht durch Wertausgleich (iustum pretium) hergestellt werden könne, stelle sich Frage nach Waffengleichheit. 268 Ebenso Grigoleit, Informationshaftung, S.68ff., 147f.; St. Lorenz, Schutz, S.72ff.; ders., ZIP 1998,1053ff.; Wiedemann, JZ 1998, 1176f.; wohl auch Canaris, FS Larenz (80. Geb.), S.27, 90 („Vermögen und Willensfreiheit"). 269 Nunmehr jedenfalls eindeutig B G H BB 1997,2553; siehe die dortigen Nachweise zur bislang nicht ganz einheitlichen Linie der Rechtsprechung; anders etwa noch B G H Z 115,213,221 f. 270 Lieb, FS Univ. Köln, S.251, 259; ferner Stoll, FS Riesenfeld, S.275,281 f. Ebenso B G H BB 1997, 2553, 2554. 271 E t w a B G H W M 1985, 463, 466. 272 Bötticher, VersR 1966, 301f.; St. Lorenz, ZIP 1998, 1053, 1055.

IV. Von der Vertragsgerechtigkeit

zum Schutz der materiellen Selbstbestimmung

87

Schadensersatzrecht erkauft. Hinzu kommt, daß §826 B G B nach verbreiteter Ansicht keinen objektiven Schaden voraussetzt und also eine Vertragsaufhebung ohne Anfechtung ermöglicht.273 Dem tatbestandlich parallelen §123 B G B kann folglich die von Lieb insinuierte Systementscheidung,274 daß die Entscheidungsfreiheit allein durch das Anfechtungsrecht geschützt werde, nicht entnommen werden.275 Vor allem aber entstünde eine eigenartige Widersprüchlichkeit zu §119 Abs. 2 B G B und zur Geschäftsgrundlagenlehre (im Sinne der Rechtsprechung). Beide Normen gestatten die Vertragsaufhebung ohne objektiven Schaden, obgleich der Kontrahent nicht dafür verantwortlich ist. Die Beschränkung auf den Vermögensschaden überzeugt um so weniger, als die Vertreter dieser Ansicht sich im Ergebnis der hier vertretenen Position durch eine subjektiv orientierte Bestimmung des Schadens weitgehend annähern, die zum Schaden bereits dann kommt, wenn der Informationsberechtigte infolge der fehlenden Information den Vertragsgegenstand nicht für „seine Zwecke" einsetzen kann. 276 5.

Zusammenfassung

Die rechtlich gestaltete Vertragsfreiheit läßt sich nicht allein aus der Selbstbestimmung erklären. Ihre rechtliche Anerkennung fordert zusätzlich eine Legitimation aus der Rechtsordnung und ihren Zielen. Dem Ziel einer gerechten Gesamtordnung dient die Vertragsfreiheit durch die selbstbestimmte Regelung der Parteiinteressen; die Selbstbestimmung gewährleistet die im Vergleich zur objektiven Regelung größere Chance einer richtigen Regelung der Parteiinteressen. Auf die Regelung dieser Interessen beschränkt sich die Vertragsfreiheit grundsätzlich. Gemeininteressen setzen der Vertragsfreiheit im Grundsatz nur äußerste Grenzen. Die Vertragsfreiheit ist dagegen nicht generell und für die Rechtsfortbildung verwertbar auf bestimmte materiale Ordnungsvorstellungen („Effizienz", „Verteilungsgerechtigkeit") verpflichtet. Punktuelle gesetzliche Regelungen in dieser Richtung ändern nichts an diesem Befund. Die Verpflichtung der Vertragsfreiheit auf eine gerechte Ordnung der Parteiinteressen einerseits, die spezifische Verknüpfung von Selbstbestimmung und Gerechtigkeit andererseits erklären rechtstheoretisch die „Materialisierung" des formalen Vertragsrechts im Sinne einer Gewährleistung materialer Selbstbestimmung, d.h. eines Schutzes des wirklichen Willens (Rechtsfolgewillens und Wertungsgrundlagen). Es ist dies der prozedurale Gehalt des Gerechtigkeitsprinzips. Geschützt wird der materielle Wille 273 MünchKomm/Atertens, BGB, 3. Aufl., §826 Rn.51; Palandt/TWas, BGB, 57. Aufl., § 826 Rn. 14; Grigoleit, Informationshaftung, S. 19, 20f., unter Berufung auf Mot. II, 756; anders O L G Köln NJW-RR 1995, 51, 52. 274 Lieb, FS Univ. Köln, S.251, 259; ders., FS Medicus, S.337ff.; siehe auch noch S.23ff. und S. 1, 306ff. 275 Näher Grigoleit, Informationshaftung, S.20f. 276 BGH BB 1997, 2553,2554; Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 271 ff.; Schumacher, Irreführung, S. 117; siehe auch Lieb, FS Univ. Köln, S. 251,267,270; krit. ders., FS Medicus, S. 337, 339f.

88

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

umfassend und nicht nur im Hinblick auf Vermögensnachteile. Dogmatisch können alle Schutzwirkungen des vorvertraglichen Schuldverhältnisses der Vertragsanbahnung in einem Prinzip materialer Selbstbestimmung zusammengefaßt werden, das die Schutzrichtung angibt, Aussagen über den Umfang des Schutzes des materiellen Willens aber nicht trifft. Dazu bedarf es der Erarbeitung konkreterer Prinzipien.

V. Pluralität der individualschützenden Haftungsprinzipien 1. Keine Ausschließlichkeit

des

Vertrauensprinzips

Unsere Aufgabe ist nunmehr, individuale Schutzprinzipien nachzuweisen, die den materiellen Willen des Informationsbedürftigen im Hinblick auf einen intendierten Vertragsschluß als schutzwürdig und den Kontrahenten als verantwortlich für diesen Willen und die daraus resultierenden Informationsbedürfnisse aufzeigen. Nach einer verbreiteten, oft als „herrschend" bezeichneten Ansicht ist das vorvertragliche Schuldverhältnis insgesamt auf ein (individualschützendes) Prinzip zurückzuführen: das Vertrauensprinzip.277 Daß dies nicht im Sinne einer quasivertraglichen Geltungsbegründung der c.i.c. verstanden werden darf, wurde dargelegt. Und ebensowenig kann, wie erörtert, der Vorrang des Vertrauensprinzips rechtstheoretisch begründet werden damit, die vorvertragliche Haftung fuße trotz ihres gesetzlichen Fundaments auf dem Prinzip der Selbstverantwortung. Einen Alleinerklärungsanspruch „des" Vertrauensprinzips kann es allenfalls in dem Sinne geben, daß es das alleinige, die vorvertragliche Haftung prägende, materiale Rechtsprinzip ist. Geltungsgrund der Haftung ist das Gesetz, seine inhaltliche Konkretisierung folgte aber allein dem Vertrauensgedanken. Der materielle Wille des Informationsbedürftigen verdiente nur dann Schutz, wenn er zum „berechtigten Vertrauen" erstarkt wäre. Rechtsprechung und Literatur operieren mit unterschiedlichen Vertrauensbegriffen. Die eine oder andere Nuancierung beisei-

277 Ballerstedt, AcP 151, 501, 506, 507; Canaris, Vertrauenshaftung, S.538f.; ders., JZ 1965, 475,480; ders., FS Latenz (80. Geb.), S. 27,106 m. Fußn. 259; Nirk, FS Möhring (75. Geb.), S. 71, 75ff.; Breidenbach, Informationspflichten, S. 47f.; Grigoleit, Informationshaftung, S. 66; Soergel/ Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.112, 115 (m.w.N.), 121; Loges, Erklärungspflichten, S. 16f. Weitere Nachweise bei Bohrer, Haftung, S. 161 Fn. 108. Die Rechtsprechung greift zwar bei der Pflichtenkonkretisierung auf den Vertrauensgedanken - mit unterschiedlicher Begründungsfunktion - zurück, aber man kann ihr angesichts der zahlreichen Entscheidungen, in denen die „geschäftliche Unerfahrenheit" (dazu S. 178ff., 183ff.) allein als maßgeblicher Aspekt angeführt wird oder auf die „Generalklausel" rekurriert wird (siehe S. 7, Fn. 31), keine prinzipienmonistische Position (so wohl die Einordnung von Bohrer, Haftung, S. 151 ff.) unterstellen. Zur ursprünglichen Trennung zwischen der Jheringschen culpa in contrahendo und der Haftung aus Vertrauen in der Rechtsprechung des RG und der älteren Lehre Bohrer, Haftung, S. 98ff.; Giaro, Culpa in contrahendo, S. 113ff.

V. Pluralität

der individualschützenden

Haftungsprinzipien

89

te gelassen,278 kann man zwischen drei Theorien der Vertrauenshaftung unterscheiden. Der Alleinerklärungsanspruch dieser Theorien und zugleich ihre Tragfähigkeit werden zu überprüfen sein, um erstens die Rolle „des" Vertrauens bei der vorvertraglichen Pflichtenbildung zu bestimmen, zweitens die Zulässigkeit nicht vertrauenstheoretisch legitimierter Argumente bei der Pflichtenbildung zu klären. a) Theorie des konkreten Vertrauens. Die - so sei sie hier genannt - Theorie des konkreten Vertrauens im Sinne B allerstedts279 (Inanspruchnahme-Formel) kann einen Alleinerklärungsanspuch nur als Geltungsgrundtheorie erheben. Als solche, also als Theorie über den Geltungsgrund vorvertraglicher Pflichten und mit der Aussage, diese ruhten auf einer quasivertraglichen Einigung, ist sie nicht zu halten.280 Als Haftungsgrundtheorie kann sie ihrer Formulierung nach keinen Alleinerklärungsanspruch erheben. Daß die Enttäuschung in Anspruch genommenen Vertrauens als Pflichtverletzung zu werten ist, schließt nicht aus, daß andere pflichtenbegründende Prinzipien zum Tragen kommen können.281 b) Theorie des Ordnungsvertrauens. Aber es gibt andere, weiter gefaßte Theorien des Vertrauens, die einen umfassenden Erklärungsanspruch erheben. Zumeist betrachten sie das Vertrauen als „Haftungsgrund", d.h. als das die Haftung auslösende Ereignis. Aber der Alleinerklärungsanspruch hängt von dieser dogmatischen Verknüpfung nicht ab. Auch wenn man den Haftungsgrund im vorvertraglichen Kontakt sähe, könnte das Vertrauen auf Basis dieser Theorien „alleinerklärend" sein, nämlich als alleingeltendes Prinzip der Haftungskonkretisierung (Pflichtenkonkretisierung). Man kann, die ein oder andere Nuancierung vernachlässigend, zwei Fassungen von Vertrauenstheorien mit umfassendem Erklärunganspruch unterscheiden. Die ältere Fassung mag als Theorie des Ordnungsvertrauens2S2 bezeichnet werden. Das Vertrauen hat hier nur noch die Funktion einer „inneren Rechtfertigung" 283 besonderer Verhaltenspflichten; für die Konkretisierung spielt es keine Rolle mehr.284 Beispielhaft für ein derartiges Siehe die detaillierte Darstellung bei Bohrer, Haftung, S. 145ff. Beierstedt, AcP 151 (1951), 501, 507; ebenso Staudinger/ Weber, BGB, 11. Aufl., §242 A 417. Daß der Ballerstedtschen Formel häufig nur verbal, nicht sachlich gefolgt wird, zeigt Bohrer, Haftung, S.167f. 280 Siehe S.34ff. 281 In diesem Sinne Larenz, MDR 1954, 515, 517 m. Fn. 14: Die Enttäuschung entgegengebrachten Vertrauens sei nur ein Element unter vielen; ders., SchuldR I, 14. Aufl., §9 I a, S. 106. 282 Der Begriff des Ordnungsvertrauens ist von Singer, Verbot, S. 145, übernommen. Siehe im übrigen die Darstellung der Funktion des Vertrauens im Tatbestand der c.i.c. bei Bohrer, Haftung, S. 161 ff. 283 Zutr. Bohrer, Haftung, S. 167. 284 Auch Larenz würde selbstverständlich auf konkret in Anspruch genommenes Vertrauen rekurrieren, wo es sich anbietet. Nur ist konkretes Vertrauen für die Pflichtenbegründung nicht unbedingt erforderlich. Daher ist die Theorie des Ordnungsvertrauens nicht wirklich Gegenmo278 279

90

3. Teil: Schuldverhältnis

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

Verständnis stehen Larenz und Dölle. Larenz umschreibt das Vertrauen als allgemeine Erwartung eines jeden, der in Vertragsverhandlungen eintritt, sein Geschäftspartner werde sich so verhalten, wie es unter redlichen und loyalen Partnern üblich sei und gefordert werden könne. 285 Gerade Aufklärungspflichten sollen auf diese allgemeine Erwartung zu stützen sein.286 Ahnlich der gedankliche Ansatz von Dölle, der von einem „besonderen Vertrauen" zwischen den Parteien im vorvertraglichen Stadium ausgeht. Dieses sei Grundlage besonderer Verhaltenspflichten287 und beziehe sich u.a. darauf, daß der andere über die im Hinblick auf die rechtsgeschäftliche Beziehung wesentlichen Umstände aufkläre.288 Die Judikatur hat sich gleichfalls oft dieser oder ähnlicher Formeln bedient.289 Auch die Vorstellung, der Vertrauensnehmer habe sich den Erwartungen entsprechend zu verhalten, mit denen er beim Vertrauensgeber rechnen müsse,290 führt in diese Richtung; denn mit welchen Erwartungen hat man auf der anderen Seite zu rechnen, wenn nicht mit der Einhaltung des Gebotenen? Stellt man sich unter der „Redlichkeit" das Gebot von Treu und Glauben (§242 B G B ) vor,291 werden dem Verhandlungspartner damit auch Verhaltenspflichten auferlegt, die nicht auf einem konkreten, vom Vertrauensnehmer verursachten Tatbestand fußen. Im Grunde handelt es sich um nichts anderes als eine vertrauenstheoretische Fassung einer allgemeinen Redlichkeits- oder Treuepflicht, mit der für die dogmatische Bestimmung vorvertraglicher Informationspflichten nichts gewonnen ist. Man könnte sich den Rekurs auf das Vertrauen eigentlich sparen und gleich ein Verhalten nach „Treu und Glauben" fordern.292 Es liegt auf der Hand, daß eine solche Theorie die notwendige dogmatische Arbeit gerade nicht leistet. c) Bewegliches System der Vertrauenshaftung. Zwischen der Theorie des konkreten Vertrauens und der Theorie des allgemeinen Vertrauens steht das bewegliche System der Vertrauenshaftung, das von Canaris293 für die von ihm sogenannte, dell zur Theorie des konkreten Vertrauens, sondern ihre - allerdings entschiedene — Erweiterung, in diesem Sinne Larenz, FS Ballerstedt, S. 397, 414, 415. 285 Larenz, FS Ballerstedt, S. 397, 414; ders., SchuldR 1,14. Aufl., § 9 I a, S. 106; ebenso Diederichsen, Z H R 132, 232, 253. Loges, Erklärungspflichten, S. 39, meint (in kritischer Absicht), zumindest Aufklärungspflichten ließen sich nur mit diesem Behelf aus dem Vertrauensgedanken ableiten. 286 Larenz, FS Ballerstedt, S. 397, 414; Singer, Verbot, S. 105 Fn. 91. 287 Dölle, ZGesStW 103, 67, 82f. (für Erhaltungspflichten), 86 (für Aufklärungspflichten). 288 Dölle, ZGesStW 103, 67, 86f. 289 Schon R G Z 95, 58, 60, allerdings noch in der Vorstellung, Vertrag und vorvertragliches Schuldverhältnis bildeten „ein einheitliches Ganzes" (a.a.O.). B G H Z 60, 221, 223f. („Treu und Glauben"). 2 9 0 Vgl. Bohrer, Haftung, S. 160. 291 Zuweilen wird auch die Verkehrssitte bemüht, vgl. Eichler, Vertrauen, S. 18 ff. (als ein das subjektive Vertrauen begrenzendes Element). 292 Zutreffend wird auf den zirkulösen Charakter des „Ordnungsvertrauens" hingewiesen, vgl. Leenen, Symposion Wieacker, S. 108, 113; Singer, Verbot, S. 104 m.w.N. 293 Canaris, Vertrauenshaftung, S. 528 ff., allerdings nur für die von ihm sogenannte, auf posi-

V. Pluralität der individualschiitzenden

Haftungsprinzipien

91

auf Erfüllungshaftung zielende Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit entwickelt und von Breidenbach294 für vorvertragliche Informationspflichten ausgearbeitet worden ist. Auch diese Theorie erhebt einen Alleinerklärungsanspruch für die Begründung vorvertraglicher Pflichten. Ihr Ausgangspunkt ist das konkrete Vertrauen einer Partei auf eine bestimmte Sach- oder Rechtslage. Allerdings, und darin liegt ein fundamentaler Unterschied zur Theorie des konkreten Vertrauens (Inanspruchnahme-Formel), der nicht deutlich genug hervorgehoben werden kann, muß der Kontrahent dieses „Vertrauen" nicht im Wege einer Vertrauenskommunikation hervorgerufen haben. Denn die einzelnen Elemente der Vertrauenshaftung verhalten sich, der von Wilburg295 erarbeiteten rechtstheoretischen Konzeption des beweglichen Systems folgend, dergestalt, daß die rechtsdogmatische Begründung einer Verhaltenspflicht im konkreten Einzelfall durchaus auf eines der Elemente verzichten kann. So kann die Zurechnung des „Vertrauens", dann nur noch bestehend aus einer fehlerhaften oder fehlenden Vorstellung einer bestimmten Sach- oder Rechtslage, auch auf andere Elemente als deren Verursachung durch den Kontrahenten gestützt werden, zu denen nach Canaris die (wirtschaftliche oder intellektuelle) „Überlegenheit" bzw. die größere geschäftliche und rechtliche Erfahrung gehören sollen. 296 Das bewegliche System der Vertrauenshaftung ermöglicht somit die „Vertrauenshaftung" der einen Partei für fehlerhafte Vorstellungen der anderen allein aufgrund der Tatversucht, sache der „Überlegenheit" oder „größeren Erfahrung". Breidenbach ein bewegliches System der Vertrauenshaftung speziell für vorvertragliche Informationspflichten zu konturieren. 297 Zum Scharnier zwischen allgemeinem Vertrauensgedanken und Pflichtkonkretisierung wird bei ihm die „Funktionsverteilung", die zwischen den Parteien bei den Vertragsverhandlungen im Hinblick auf den angestrebten Vertragsschluß besteht. Für die Übernahme einer derartigen Funktion, man könnte auch sagen Aufgabe, habe der Übernehmer einzustehen, da und soweit sein Gegenüber im Vertrauen darauf eigene Bemühungen in dieser Richtung unterlasse; durch die Übernahme und das Vertrauen auf sie entstehe Schutzbedarf. 298 Die funktionelle Differenzierung 299 vergrößere die Einwirkungsmöglichkeit auf die Willensfreiheit des anderen Teils und intensiviere damit das bereits durch den rechtsgeschäftlichen Kontakt bestehende besondere Vertive Erfüllung gerichtete Vertrauenshaftung kraft rechtsethischer Notwendigkeit, zu denen etwa die Formmangelfälle gehören. In den Fällen der auf Schadensersatz zielenden „Erklärungshaftung" knüpft Canaris offenbar an die Inanspruchnahmeformel an, a.a.O., S.538f. 294 Informationspflichten, S. 61 ff. 295 Wilburg, Entwicklung eines bewegliches Systems; Bydlinski, Methodenlehre, 2. Aufl., S. 529ff. 296 Canaris, Vertrauenshaftung, S.295, 297, 304, 305ff., 528ff.; ansatzweise auch Eichler, Vertrauen, S.29 Fn.50. 2 9 7 Informationspflichten, S. 61 ff. 298 Breidenbach, Informationspflichten, S. 73. 2 9 9 Gemeint ist damit vor allem die Arbeitsteiligkeit.

92

3. Teil: Schuldverhältnis

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

trauensverhältnis zwischen den Parteien.300 Soweit steht Breidenbach auf dem Boden der Theorie des konkreten Vertrauens; die „Funktionsübernahme" ist eine, allerdings bereits großzügigere, Fassung der Inanspruchnahme-Formel Beierstedts.301 Die Einbindung der Funktionsübernahme in ein „bewegliches System", dessen weitere Elemente „Informationsbedarf" (des Aufzuklärenden) und „Informationsmöglichkeit" (des Aufklärungspflichtigen) sind, gibt seiner Theorie, wie bei Canaris, die entscheidende Wendung. Denn im Rahmen des beweglichen Systems kann bei der Begründung konkreter Pflichten auf einzelne Elemente verzichtet werden, nach Breidenbach auch auf die Funktionsübernahme.302 Also kann allein aus den Elementen „Informationsbedarf" und „Informationsmöglichkeit", d.h. aus einem unterschiedlichen Informationsstand oder sogar nur unterschiedlicher Informationsbeschaffungsmöglichkeit ein Vertrauenstatbestand und also eine Aufklärungspflicht entstehen. Breidenbach will beispielsweise den Gläubiger zur Aufklärung über das Bürgschaftsrisiko verpflichten, wenn der Schuldner bereits vollkommen zahlungsunfähig ist, unabhängig davon, ob der Gläubiger auch nur anhaltsweise etwas über das Bürgschaftsrisiko gesagt oder in sonstiger Weise eine „Funktion", d.h. eine Informationsaufgabe in dieser Richtung übernommen hat.303 2. Grenzen

des

Vertrauensprinzips

Es muß hier noch nicht darüber befunden werden, ob und inwieweit tatsächliche Informationsunterschiede oder Unterschiede in der Geschäftserfahrung für die Begründung von Informationspflichten relevant sein können. Zu bestreiten ist aber, daß sich diese Argumente durch ein bewegliches System mit dem Vertrauensgedanken in Verbindung bringen lassen. Der rechtsethische Kern des Vertrauens liegt in der Vertrauenskommunikation zwischen den Parteien. Vertrauen ist Vertrauen in eine Person oder in die Aussage einer Person. Die bloße Erwartung, etwas werde sein oder nicht sein, also das, was hier als materieller Wille bezeichnet wird, ist für sich genommen kein Vertrauen und wird es nicht dadurch, daß

Breidenbach, Informationspflichten, S. 73; Hervorhebungen vom Verf. Zur vertrauenstheoretisch nicht mehr zu rechtfertigenden Handhabung dieses Kriteriums S.llOf. 302 Breidenbach, Informationspflichten, S. 77. An anderer Stelle (im Zirkusfall, ebd., S. 89; dazu noch S.275f.) leitet Breidenbach allein aus der Tatsache der Informationsdiskrepanz eine Funktionsübernahme durch die besser informierte Partei ab. 303 Informationspflichten, S.81 (unter 2.); ansatzweise auch Eichler, Vertrauen, S.29 Fn.50. Das Ergebnis ist bei „Arglist" des Gläubigers (er weiß, daß der Bürge die Zahlungsunfähigkeit nicht kennt und bei Kenntnis nicht bürgen würde) wohl eindeutig und bedürfte keiner eingehenden dogmatischen Betrachtung. Die Probleme beginnen, wenn der Gläubiger annimmt, der Bürge wisse von dem Risiko. Kann man ihm dann (bei „Erkennbarkeit" der Unwissenheit des Bürgen) die fahrlässige Verletzung einer Informationspflicht vorwerfen? Jedenfalls ließe sich dies im geschilderten Fall nicht vertrauenstheoretisch rechtfertigen. 300

301

VI. Die Zurechnung

von

Pflichtverletzungen

93

der andere eben diesen Umstand kennt oder eher kennen könnte. Haftungstragendes Element ist in diesen Fällen vielmehr - nach der Konzeption von Canaris und Breidenbach - die „Unterlegenheit" bzw. das Maß der „Geschäftserfahrung" oder sogar die schlichte Tatsache unterschiedlichen Wissens. Das bewegliche System kann diese Begründungslücke nicht schließen.304 Mögen einzelne Elemente jenes Abwägungsprozesses, den das bewegliche System nachzeichnet, von Fall zu Fall fehlen dürfen, so muß der Zusammenhang mit dem haftungstragenden Prinzip stets vorliegen.305 In einem beweglichen System des Vertrauens mögen beispielsweise die Elemente Kenntnis/Erkennbarkeit auf beiden Seiten variabel gestaltet werden können - die Vertrauenskommunikation darf nicht fehlen. Canaris, Konzeption ist ein bewegliches System nicht der Vertrauenshaftung, sondern der vorvertraglichen Haftung überhaupt.306 Es vermengt unterschiedliche Haftungsprinzipien miteinander und hat die Diskussion der vorvertraglichen Haftung insoweit nicht nur günstig beeinflußt. Von daher wäre es auch nicht sinnvoll, ein bewegliches System der Vertrauenshaftung zumindest als dogmatische Struktur zu nutzen, innerhalb derer sich neben dem konkreten Vertrauen andere Haftungsprinzipien entfalten könnten. Der Begriff des „Vertrauens" wird weithin mit der Inanspruchnahme-Formel verbunden. Begriffliche und gedankliche Klarheit gebieten, ihn darauf zu beschränken. 3.

Zusammenfassung

Die Vertrauenstheorie ist nur in der Fassung der Theorie des konkreten Vertrauens (Inanspruchnahme-Formel Ballerstedts) gehaltvoll und konsistent. In dieser Fassung kann sie aber keinen Allgemeinerklärungsanspruch für vorvertragliche Verhaltenspflichten erheben. Ein vertrauenstheoretischer Alleinerklärungsanspruch ist nicht anzuerkennen. Unsere Überlegungen bestätigen die Vermutung Wiedemanns, daß vorvertragliche Verhaltenspflichten nicht auf einem Haftungsgrund beruhen.307

304 Zutreffend die Kritik Singers, Verbot, S. 90ff., der allerdings in der von ihm entworfenen „Vertrauenshaftung kraft Rechtsirrtums" (dazu S.332ff.) ebenfalls auf die „Unterlegenheit" als Begründungselement zurückgreift, a.a.O., S. 120ff.; siehe ferner S. 161 ff., 182ff., 234ff. 305 Was auch Breidenbach, Informationspflichten, S.23f., anerkennt (einzelne Aufklärungspflicht müsse sich „im Felde" des Haftungsgrundes bewegen und dieser bestimme den Rahmen der Pflichtenkonkretisierung). 306 Sollte es nicht nur auf die erfüllungsbezogene, sondern auch auf die schadensersatzbezogene Vertrauenshaftung zu beziehen sein, vgl. Fn. 19. 307 SoergelJWiedemann, B G B , 12. Aufl., Vor §275 Rn. 121; ebenso M ü n c h K o m m / E m m e r i c h , B G B , 3. Aufl., Vor §275 Rn.59.

94

3. Teil: Schuldverhältnis als Geltungsgrund vorvertraglicher

Informationspflichten

VI. Die Zurechnung von Pflichtverletzungen B e v o r im folgenden einzelnen Haftungsprinzipien nachzugehen ist, bedürfen zwei, den Tatbestand vorvertraglicher Haftung allgemein betreffende Fragen einer A n t w o r t : der Zurechnungsmaßstab und die Veranwortlichkeit Dritter, die nicht selbst Kontrahenten sind. Das vorvertragliche Schuldverhältnis ist als H a f tung für Verhaltensunrecht konzipiert. N a c h allgemeiner Ansicht erfolgt die Z u rechnung einer Pflichtverletzung allein nach dem Verschuldensprinzip, 3 0 8 d.h. die Pflichtverletzung m u ß dem Haftenden vorzuwerfen sein. Das erfordert E r k e n n barkeit der Pflichtwidrigkeit und Möglichkeit bzw. Zumutbarkeit n o r m g e m ä ß e n Verhaltens. D i e Haftung unterscheidet sich in diesem Punkt von der punktuell im Gesetz angeordneten Haftung für das Vertrauen auf die Wirksamkeit bzw. den Bestand einer bestimmten Rechtshandlung ( § § 1 2 2 , 170ff., 179 B G B ) , die kein Verschulden erfordert. 3 0 9

VII. Informationspflichten Dritter (Dritthaftung) Vorvertragliche Informationspflichten werden in der Regel den Parteien des angestrebten Vertragsverhältnisses auferlegt. Ausnahmsweise können auch D r i t t e zur Aufklärung verpflichtet sein. Das entspricht der heute praktisch allgemein vertretenen Rechtsauffassung. Von der Rechtsprechung anerkannt ist die D r i t t haftung bei einem wirtschaftlichen bei der Inanspruchnahme Dritte in der Regel

311

Eigeninteresse

besonderen

Vertrauens

des Dritten an dem Vertrag und in seine

Person.310

Weil der

in irgendeiner Weise Einfluß auf die Vertragsanbahnung ge-

n o m m e n haben muß, dürften in der Praxis die Fälle überwiegen, in denen eine Haftung für positive Erklärungen in R e d e steht. A b e r selbstverständlich ist eine Haftung für unterlassene Information nicht ausgeschlossen. So hat der B G H die 308 BGH WM 1986,1032,1034; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 176. Es erscheint zweifelhaft, ob bei der Haftung aus culpa in contrahendo auf das Verschulden verzichtet werden kann in Fällen, die der Rechtsscheinhaftung („echte Vertrauenshaftung", d.h. Haftung für Vertrauen auf Wirksamkeit und Bestand eines Rechtsaktes) sehr nahe kommen (etwa in manchen Fällen des Abbruchs der Vertragsverhandlungen, vgl. BGH ZIP 1989, 514, 517; Soergel/ Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor § 275 Rn. 131 a.E.); denn der Schein eines wirksamen Rechtsgeschäfts liegt nicht vor. Aber diese Fälle sind für die Informationspflichten ohne Bedeutung. 309 Anders freilich §§307, 309 BGB; dazu S.330ff.; 338f. 310 Siehe etwa BGHZ 63, 382, 384f.; Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 191ff., 230ff. 311 Das kann anders sein bei Informationsobliegenheiten des Dritten zur Wahrung seiner Rechtspositionen gegenüber einer der Vertragsparteien wie im Zwischenvermietungsfali. Will der Eigentümer/Vermieter (Dritter) verhindern, daß der Untermieter Schutzrechte gemäß §§ 556a, 564b BGB aus seinem Mietverhältnis mit dem gewerblichen Zwischenvermieter geltend macht, muß er ihn bei Abschluß des Vertrages darauf hinweisen, daß es sich um ein Untermietverhältnis handelt und daß der Untermieter keinerlei Kündigungsschutz gegenüber dem Vermieter hat, BGHZ 114, 96.

VIII.

Zusammenfassung

95

Informationspflicht des als Vertreter für den Kfz-Eigentümer tätigen Gebrauchtwagenhändlers gegenüber dem Käufer bezüglich erheblicher Mängel bejaht. 312 Oder der O G H hatte beispielsweise darüber zu entscheiden, ob der Geschäftsführer einer GmbH wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht bezüglich der schlechten Finanzlage der Gesellschaft gegenüber einem Kapitalgeber haftete, der sich an der GmbH beteiligte.313 Besonderer Erwähnung bedarf die Dritthaftung in unserem Zusammenhang, weil ihre rechtliche Grundlage nach wie vor umstritten ist.314 Nach der hier vertretenen Ansicht scheidet eine Haftung kraft quasivertraglicher Bindung aus, gleichviel, ob vertrauenstheoretisch oder soziologisch begründet. 315 Die Haftung beruht also in jedem Fall auf Gesetz. Fraglich ist insoweit, ob die Haftung als deliktische zu denken ist 316 oder als vertragsähnliche Haftung in Erweiterung der c.i.c. Das Problem bedarf hier keiner eingehenden Erörterung, weil es für die Ausformung vorvertraglicher Informationspflichten ohne unmittelbare Bedeutung sein dürfte; so oder so bedarf es eines besonderen Grundes (Gleichstellungsgrundes) für die Haftung des Dritten. Die Problemnähe zur c.i.c. und die Entscheidung des Gesetzgebers gegen eine deliktische Generalklausel sprechen gegen ein deliktisches Haftungskonzept. Von der Rechtsprechung anerkannte Fälle der Dritthaftung sind jene, in denen der Dritte ein wirtschaftliches Eigeninteresse an dem von ihm angebahnten Vertrag hat oder in besonderer Weise Vertrauen in seine Person oder seine persönlichen Fähigkeiten für sich in Anspruch nimmt. 317 Ferner ist die Haftung des Herstellers und Vertreibers von Kapitalanlageprospekten bejaht worden. 318 Soweit die Haftung des Dritten vertrauenstheoretisch begründet wird, zum Beispiel das Auftreten in einem bestimmten Beruf, 319 ist zu beachten, daß damit vertrauenstheoretisch nur der Grund für eine haftungsrechtliche Gleichstellung mit dem eigentlichen Kontrahenten benannt ist. Aus diesem Vertrauenstatbestand als solchem sind Informationspflichten noch nicht ableitbar.320

BGHZ 63, 382, 384f. O G H wbl 1997, 124 (Haftung verneint mangels wirtschaftlichen Eigeninteresses). 314 Die diversen Haftungskonzepte werden eingehend dargestellt bei Hirte, Berufshaftung, S. 386ff.; zu dessen eigener Konzeption a.a.O., S.412ff. 315 Siehe oben S.35ff. 316 Dafür vor allem Picker, AcP 183, 369ff., JZ 1987, 1041ff. und FS Medicus, S.397, insbes. S.413ff.,419ff., 428ff. 317 Zu beiden Fallkonstellationen eingehend Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 191 ff., 230ff. m.w.N. 318 Dazu Assmann, Prospekthaftung und Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 288ff. 319 Vgl. BGH ZIP 1986,562,563; BGHZ 63,382,384f.; Wiegand, Sachwalterhaftung, S.245ff. 320 Siehe noch S. 107ff. 312 313

96

3. Teil: Schuldverhältnis

als Geltungsgrund

vorvertraglicher

Informationspflichten

VIII. Zusammenfassung „Vertrauen" ist allein im Sinne in Anspruch genommenen Vertrauens ein gehaltvolles und konsistentes Haftungsprinzip, das den vorvertraglichen Schutz des materiellen Willens zu konkretisieren imstande ist. Andere Vertrauenstheorien sind entweder ohne Erkenntnisgewinn oder beziehen außerhalb des Vertrauensgedankens liegende Wertungen ein. Eine so verstandene Vertrauenstheorie kann nicht den Anspruch erheben, der ausschließliche Haftungsgrund des vorvertraglichen Schuldverhältnisses zu sein. Dieser Anspruch ist rechtstheoretisch nicht zu begründen. Rechtsdogmatisch bestünde er nur, ließen sich andere Haftungsprinzipien als das Vertrauen nicht aufzeigen.

4. Teil:

Informationspflichten zur Gewährleistung einer selbstbestimmten Willensbildung Unsere Aufgabe ist nunmehr eine zweifache: erstens ist die Reichweite des vertrauenstheoretischen Ansatzes zu untersuchen (folgend 1. Kapitel); zweitens ist nach weiteren Gründen für den informationellen Schutz der Willensbildung durch vorvertragliche Informationspflichten zu suchen (folgend 2. Kapitel und anschließend 5. Teil).

1. Kapitel:

Informationspflichten kraft in Anspruch genommenen Vertrauens I. D e r V e r t r a u e n s t a t b e s t a n d

1. Vertrauensinanspruchnahme

als

Haftungsgrund

So wenig Vertrauen Geltungsgrund des vorvertraglichen Schuldverhältnisses sein, so wenig es aus sich selbst heraus Maß und Grenzen der Haftung festlegen und so wenig es einen Alleinerklärungsanspruch f ü r vorvertragliche Haftung erheben kann, so bestimmend ist es f ü r die konkrete Umsetzung des Schutzes der materialen Selbstbestimmung durch vorvertragliche Pflichten. A l s haftungskonkretisierendes Prinzip (Haftungsgrund) ist die „Inanspruchnahme v o n Vertrauen" 1 weithin anerkannt 2 und fester Bestandteil judikativer Begründungsarbeit. 3 In ihr konstituiert sich tatbestandlich die Verursachung v o n Fehlinformationen oder Informationsdefiziten der vertrauenden Partei durch ihren „vertrauensnehmenden" Kontrahenten. Sie erfaßt Schutzbedürftigkeit der einen und Verant1 Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501, 507 (zur weitergehenden Bedeutung des Vertrauens bei Ballerstedt siehe S.35ff.). 2 Der Inanspruchnahmeformel folgen (wobei einige Autoren dem Vertrauen eine über die hier lediglich befürwortete haftungskonkretisierende Funktion weitergehende Bedeutung zumessen, vgl. S.35ff., 89ff.): Canaris, Vertrauenshaftung, S.538; Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl., §276 Rn. 65f. m.w.N. (die dem Vertrauen allerdings noch darüber hinaus Bedeutung beimessen); Stoll, FS Flume, S.741; W. Lorenz, FS Larenz, S.575, 618; Larenz, SchuldR I, 14. Aufl., §9 I a, S. 106; Staudinger/ Weber, BGB, 11. Aufl., §242 Rn. A 417; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 112,115 (m.w.N. Fn.31), 121; MünchKomm/Emmerich, BGB, 3. Aufl., Vor §275, der zwar (wie hier) eine sich genügende Vertrauenshaftung ablehnt (Rn. 55), die haftungskonkretisierende Wirkung des Vertrauens aber für „unbestreitbar" hält (Rn. 57); Wiegand, Sachwalterhaftung, S.231, 244ff. (zur Dritthaftung) m.w.N. Daß der Ballerstedtschen Formel häufig nur verbal, nicht sachlich gefolgt wird, zeigt Bohrer, Haftung, S. 167f. 3 BGHZ 56, 81 (84f., 86); LM Nr.4,14 zu §276 BGB (Fa); LM Nr.4 zu §276 BGB (Ha); NJW 1973,1604,1605; BGHZ 71,386,391; der Sache nach ebenso BGHZ 60,221, 226 m.w.N.; BGH NJW 1976, 893; Soergel /Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.121 und passim; Wiegand, Sachwalterhaftung, S.231 f., 233f. (allerdings im Zusammenhang mit der hier abgelehnten geltungsgrundbezogenen Verwendung des Vertrauens, die im übrigen auch von Wiegand zurückgewiesen wird, a.a.O., S.236ff.), vor allem S.244f., 245 Fn.52. Zur Rechtsprechung Bohrer, Haftung, S. 152ff., der sich (a.a.O., S. 160) nicht sicher ist, ob der BGH das Vertrauen als Haftungsgrund (= haftungsbegründendes Ereignis) oder lediglich zur Konkretisierung des Pflichtenumfangs einsetzt. Letzteres ist richtig, da gerade die Judikatur zu Aufklärungspflichten oft auf das Vertrauen verzichtet.

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen

Vertrauens

99

wortlichkeit der anderen Partei zugleich. Sie ist, nach einem Wort von Canaris, von „spontaner Uberzeugungskraft." 4 Sie verschiebt zwar die Grenzen der Eigenverantwortung zugunsten des Vertrauenden,5 vom Standpunkt der formalen gesetzlichen Regelung betrachtet. Aber sie liefert dafür eine Begründung, die die Grundannahmen des Vertragsrechts, Interessenantagonismus und Eigenverantwortung, relativ unangetastet läßt.6 Der Vertrauensnehmer haftet, weil er den Vertrauenden durch sein Verhalten von der Wahrnehmung seiner Interessen und seiner informationellen Eigenverantwortung abgehalten hat. Und sie rührt außerdem nicht an der formalen Gleichheit aller Rechtsgenossen, denn der Schutz ist nicht an personalen Qualitäten wie etwa der geschäftlichen Erfahrung orientiert. Abgrenzungsschwierigkeiten stellen den dogmatischen Wert des Prinzips so wenig in Frage, wie durchaus ähnliche Probleme das Rechtsgeschäft nicht desavouieren.7 Auch ordnungstheoretische Ansätze würden an der „Inanspruchnahme von Vertrauen" als Konkretisierungselement kaum vorbeigehen können. Parteien geben im Vorfeld eines möglichen Vertragsschlusses tatsächliche Erklärungen ab, und diese Erklärungen, obzwar ihnen rechtsgeschäftliche Verbindlichkeit fehlt, werden Basis rechtsgeschäftlicher Dispositionen ihrer Empfänger. Hier die Vertrauensaussage des Vertrauensnehmers, dort der „Vertrauenserweis" des Ver4 Canaris, FS Larenz (80. Geb.), S.33, 107; auch Singer, Verbot, S. 105f., anerkennt, daß das Vertrauen ein „wesentliches Element" bei der Begründung von „Erklärungspflichten" darstellt. Kritisch zur Inanspruchnahmeformel Bohrer; Haftung, S. 267ff., dessen eigener (geltungsgrundbezogener) Ansatz - „zurechenbare Verhaltenserwartung" (a.a.O., S. 271 ff.) - aber gewiß keine größere Substanz hat (zutr. die Kritik von Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 242ff.) und vor allem dahin (miß-)verstanden werden kann, daß bereits die einseitige Erwartung der einen Partei und deren Erkennbarkeit seitens der anderen zu einem Vertrauenstatbestand führt (so könnte man Bohrer, a.a.O., S. 311, verstehen; siehe dagegen dessen Erläuterungen a.a.O., S. 13f.). Das rechtsethisch Entscheidende an der vertrauenstheoretisch gestützten Haftung ist aber die zurechenbare Verursachung einer Erwartung des Vertrauenden durch den Vertrauensnehmer. 5 Die vorsätzliche Täuschung durch den Kontrahenten (insbes. § 123 B G B ) als gesetzlich normierte Grenze der informationellen Eigenverantwortung, vgl. dazu Grigoleit, Informationshaftung, S. 16ff., dessen Schlußfolgerungen bezüglich der gesetzgeberischen Haltung gegenüber einer vorvertraglichen Informationshaftung hier aber nicht geteilt werden, siehe oben S.24f. 6 Die diesbezügliche exemplarische Kritik von Loges, Erklärungshaftung, S.48ff., an der die Interessengegensätzlichkeit leugnenden Attitüde der Vertrauenstheorie trifft daher nur Theorien eines allgemeinen Vertrauensverhältnisses zwischen den Parteien. 7 Daß der Vertrauensgedanke bei manchen Autoren in Verruf geraten ist, ist seiner „Ubiquität" in den Dogmatiken mancher Vertrauenstheoretiker wie auch der Rechtsprechung zu verdanken, die behende zwischen konkretem Vertrauen und allgemeinem Ordnungsvertrauen wechseln und so in der Tat den Eindruck begünstigen, Vertrauen sei überhaupt nicht faßbar. Der Bestimmungskraft eines auf Kommunikation beruhenden, konkreten Vertrauenstatbestandes tut dieser Kritik keinen Abbruch. Die Problematik ist schon oft, auch monographisch, dargestellt worden. Aus neuerer Zeit sei verwiesen auf Bohrer, Haftung (mit umfassender Aufarbeitung der Dogmengeschichte und der einzelnen Dogmen); Köndgen, Selbstbestimmung, S. 97ff.; Loges, Erklärungshaftung, S. 37ff. Der Kritik von Singer, Verbot, S. 104ff., ist zuzugeben, daß das Vertrauen auf bestimmte Tatsachen nicht aus sich heraus (bei einem formalen Verständnis der Vertragsfreiheit) schutzwürdig ist. Aber es kann sehr wohl einen einleuchtenden, aussagekräftigen Ansatz für die Konkretisierung der Materialisierung bilden.

100

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung selbstbestimmter

Willensbildung

trauenden, d.h. die Entgegennahme der Erklärung mit dem erkennbaren Willen, auf dieser Grundlage eine Disposition zu stützen. 8 Diesem soziologischen B e fund und der ihm korrespondierenden ethischen Forderung nach Wahrhaftigkeit und Verläßlichkeit, 9 wird im R a h m e n des vorvertraglichen Schuldverhältnisses durch einen entsprechenden rechtlichen Schutz R e c h n u n g getragen. D i e Parteien sollen vorvertraglichen Aussagen ihres Kontrahenten vertrauen dürfen. führt normativ zur "Wahrheitspflicht

10

und zur Verläßlichkeitspflicht

Dies

als Basis-

pflichten vorvertraglichen Verhaltens. Positive Erklärungen über vertragsrelevante U m s t ä n d e müssen richtig sein. 1 1 A u f der Verläßlichkeitspflicht ruht die Pflicht zur Aufklärung. D i e Aufklärungspflicht entsteht aus der Ü b e r n a h m e der Informationslast durch Inanspruchnahme entsprechenden Vertrauens, beispielsweise der Zusage ordentlicher Beratung. 1 2 D i e Verläßlichkeit fordert, sich solcher Aussagen zu enthalten, wenn man sie nicht einhalten kann oder will. A u f unseren Ausgangspunkt, den Schutz des materiellen Willens, projiziert, läßt sich die Wertung des Vertrauensprinzips dahin beschreiben, daß das Auseinanderfallen von materiellem Willen und Vertragsinhalt dann geschützt ist, wenn sie durch eine Vertrauenskommunikation von Seiten der anderen Partei veranlaßt wurde. D i e Vertrauensinanspruchnahme kann als der nach G r u n d und U m f a n g gesichertste Tatbestand vorvertraglicher Informationshaftung gelten. Wohlgemerkt nicht im Sinne eines aus ihr abgeleiteten Anspruchs auf Vertrauensentsprechung, sondern eines Verbots, Vertrauen unberechtigt in Anspruch zu nehmen. U n s e r Interesse gilt den G r e n z e n dieses Haftungsprinzips. Die Abgrenzung des vertrauenstheoretischen Ansatzes gegenüber anderen Haftungsprinzipien ist notwendig, weil die Inanspruchnahmeformel ihrer Teleologie nach ohne weiteres eine Haftung 8 Ballerstedt, AcP 151, 501, 507, sprach von „Inanspruchnahme" (seitens des Vertrauensnehmers) und „Gewährung" von Vertrauen. Die Terminologie hat zuweilen Mißverständnisse ausgelöst, vgl. Bohrer, Haftung, S. 268 f. 9 Vgl. zum vernire contra factum proprium Wieacker, Zur Rechtstheoretischen Präzisierung, S.58f.; Singer, Verbot, S.75ff. 10 Hildebrandt, Erklärungshaftung, S. 161; MünchKomm/Äoi^, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.211; Lorenz, Schutz, S. 412, leitet die Wahrheitspflicht aus der allgemeinen Redlichkeitserwartung ab. 11 Aus der Rechtsprechung RGZ 46, 184, 187ff.; 95, 58, 60; 107, 357, 362; BGH NJW 1962, 1196,1198; BGH NJW 1977,1536 u. 1538 (unrichtige Ertragsangaben beim Unternehmenskauf); BGH NJW 1979, 1449 (fehlerhafte Angaben bei Vermittlung von Kapitalanlagen über die Ertragschancen des Beteiligungsunternehmens); BGH NJW 1991, 2556 (unrichtige Angabe über steuerliche Absetzbarkeit der Aufwendungen für den Kauf einer Eigentumswohnung in Berlin); OLG Köln VersR 1994,1247 (unrichtige Angaben über steuerliche Absetzbarkeit der Aufwendungen für den Kauf eines Ferienwohnungsanteils). Zur Unterscheidung zwischen der Haftung für fehlerhafte positive Aussagen („misrepresentation") und der Unterlassung gebotener Aufklärung („nondisclosure") im englischen und amerikanischen Recht Prosser/Keeton, Torts, 5th Ed., S. 736, 737; G. Müller, Informationspflichten, S.23ff., 82ff. 12 Dieses Begründungspotential würdigen jene Autoren nicht genügend, die meinen, Aufklärungspflichten ließen sich von vornherein nur auf Redlichkeitserwartungen gründen, Loges, Erklärungshaftung, S. 39f.; in diese Richtung auch Singer, Verbot, S. 105 Fn. 91; Neuner, Privatrecht und Verfassungsrecht, S.247, der sich dadurch aber nicht davon abhalten läßt, dem vertrauenstheoretischen Ansatz von Breidenbach zu folgen (a.a.O., Fn. 1607).

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen

Vertrauens

101

für nicht vorhandenes Wissen begründen kann. D e r Vertrauensnehmer hat die Informationslast in dem U m f a n g zu tragen, in dem er sie „ ü b e r n o m m e n " hat. Das aber heißt: Seine Haftung ist nicht von vornherein auf vorhandenes Wissen beschränkt, sondern kann, wenn die „ Ü b e r n a h m e " so zu verstehen ist, auch für erkennbares

Wissen gelten. 13 W i r werden noch sehen, daß dies bei anderen H a f -

tungsprinzipien nicht selbstverständlich ist.

2. Grundsätze

der

Tatbestandskonkretisierung

Zunächst müssen wir uns Klarheit über die allgemeinen Grundsätze verschaffen, nach denen die „Inanspruchnahme von Vertrauen" festgestellt wird. Sie basiert auf einer Vertrauenskommunikation zwischen den Parteien. 1 4 D e r Inhalt dieser Verständigung, also des Vertrauenstatbestandes, ist normativ zu ermitteln. D a r über, o b eine vertrauensrelevante Erklärung vorliegt und mit welchem Inhalt, entscheidet nicht das tatsächliche Verständnis des Empfängers - dann wäre der E r k l ä rende auf Gedeih und Verderb der Verstehenswillkür des Empfängers ausgeliefert - , sondern das Verständnis eines sorgfältigen Empfängers unter Berücksichtigung der Verkehrssitte (entsprechend § § 1 5 7 , 242 B G B ) . 1 5 H i e r können, wie bei der Auslegung von Willenserklärungen, auch Ordnungsinteressen („Funktionsfähigkeit des V e r k e h r s " ) den Vertrauenstatbestand begrenzen.

D i e für die vertragliche

Verständigung geltenden Grundsätze sind, der Eigenart der Vertrauenserklärungen angepaßt, anzuwenden. Folglich ist das vom objektiv-normativen Verständnis abweichende subjektive Verständnis des Vertrauensempfängers maßgeblich, wenn dieses Verständnis der Vertrauenserklärung für den Erklärenden erkennbar ist. H a t also etwa der Filialleiter der Bausparkasse auf die Frage des Kunden geantwortet, die Zuteilungsfrist betrage zur Zeit „zwölf M o n a t e " , und versteht der Kunde erkennbar „acht M o n a t e " , so ist dies der Inhalt der Vertrauenserklärung. D e n n von den Teilnehmern einer Vertrauenskommunikation ist zu erwarten, daß sie die erkennbaren Vorstellungen des anderen zur Kenntnis nehmen, und dazu gehören auch erkennbare Mißverständnisse. 1 6 In diesem Sinne muß die Fehlvorstellung bzw. fehlende Vorstellung des Vertrauenden durch den Vertrauensnehmer verursacht worden sein. E s kann genügen, wenn eine bereits bestehende Vorstellung des Vertrauenden v o m anderen bestätigt wird und der Vertrauende andernfalls seine Vorstellung n o c h einmal überprüft hätte. Aber, und diese Trennlinie kann nicht deutlich genug herausgestrichen werden, die bloße Erkennbarkeit einer bestimmten Erwartung des anderen genügt nicht. Liegt bei normativer B e 13 Eine Garantie kann dagegen ob ihrer Anforderungen an Klarheit und Deutlichkeit nur rechtsgeschäftlich erfolgen. 14 Vgl. Ballerstedt, AcP 151, 501, 506, 507f. 15 Vgl. Canaris, Vertrauenshaftung, S. 494 (allerdings für die von ihm befürwortete Haftungsbegründung durch Vertrauen). 16 Vgl. zur entsprechenden Verteilung der Verständigungslasten bei der rechtsgeschäftlichen Einigung S. 199ff., 208ff.

102

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung selbstbestimmter

Willensbildung

trachtung kein vertrauenheischendes Verhalten des Vertrauensnehmers vor, gibt es auch keinen Vertrauenstatbestand. M ö g e n die Vorstellungen der einen Partei für die andere erkennbar, ja sogar von ihr erkannt worden sein - daraus allein läßt sich kein Vertrauenstatbestand herleiten. A u c h der Vertragsschluß enthält keine konkludente Bestätigung der Vorstellung, wenn und weil diese Erwartung nicht in den Vertragsinhalt aufgenommen wurde. D e r „Vertrauende" „vertraut" hier nur auf eine bestimmte Tatsache

( z . B . Zuteilungsfrist von acht Monaten); gefor-

dert ist aber das Vertrauen auf ein bestimmtes Verhalten.17

Wer hier von Vertrauen

redet, etwa v o m Vertrauen des Kunden der Bausparkasse, daß seine erkennbar falsche Vorstellung von der Länge der Zuteilungsfrist v o m Filialleiter richtiggestellt wird, meint nur Ordnungsvertrauen, Vertrauen in „redliches Verhalten". F ü r den Vertrauensnehmer m u ß erkennbar sein, daß der Vertrauende die Vertrauenserklärung zur Basis rechtsgeschäftlicher Dispositionen nimmt. 1 8 Das ist grundsätzlich anzunehmen bei allen vertragsbezogenen Erklärungen nach B e gründung eines rechtsgeschäftsbezogenen Kontakts und im Vorfeld des Vertrages. D i e wohl vorherrschende Ansicht macht, der normativen Bestimmung des Vertrauens entsprechend, den Vertrauenstatbestand an äußeren Merkmalen fest und fragt nicht nach dem subjektiv vorhandenen Vertrauen des Geschädigten. 1 9 Diese Aussage darf aber nicht als Verzicht auf die Kausalität von Vertrauen und schädigender Disposition mißverstanden werden. D i e Anknüpfung an einen äußeren Tatbestand zielt vielmehr im K e r n auf die Beweisbarkeit des Vertrauenstatbestandes. D e r innere Vertrauenstatbestand könnte kaum jemals im P r o z e ß bewiesen werden. 2 0 D i e Vertrauenshaftung kann also entfallen, wenn der Vertrauenstatbestand tatsächlich nicht kausal geworden ist für die Dispostion. 2 1 Dagegen läßt „Mißtrauen" des Vertrauenden gegen den Vertrauensnehmer, das sich in eigenen Informationsbemühungen äußern mag oder im Hinauszögern der Disposition, den Vertrauenstatbestand nicht entfallen. D e n n letztlich hat das Vertrauen doch das Mißtrauen überwogen, wenn eine Entscheidung für den Vertrag gefallen ist. 2 2 Eigenes Wissen des „Vertrauenden" kann den Vertrauenstatbestand entfal17 Insoweit schon im Ansatz problematisch die Vertrauenskonstruktion von Bohrer, Haftung, S. 271 ff., 296ff., der an die „berechtigte Verhaltenserwartung" des Vertrauenden anknüpft. Auch Singer, Verbot, S. 85 und passim, verwendet in seiner vertrauenstheoretischen Konzeption der Zurechnung von Rechtsirrtümern einen tatbestandsbezogenen Vertrauensbegriff, bezeichnet also zum Beispiel die Vorstellung von einer bestimmten Rechtslage als „Vertrauen", auch wenn diese Vorstellung nicht vom Kontrahenten hervorgerufen wurde. Auch ohne die Verursachung kann es Haftung geben, aber man sollte sie nicht mit dem Begriff des Vertrauens belegen. 18 Zu den besonderen Problemen dieser Anforderung bei der Dritthaftung, auf die hier nicht gesondert eingegangen werden kann, Wiegand, Sachwalterhaftung, S.260ff. 19 Beierstedt, AcP 151, 501, 506ff.; Canaris, Vertrauenshaftung, S.491ff.; Stoll, FS Flume, S.741, 743, 753; Wiegand, Sachwalterhaftung, S.233 m.w.N.; anders Bohrer, Haftung, S.254ff., mit eingehender Erörterung des Meinungsstandes a.a.O., S. 162ff. 20 Frost, Schutzpflichten, S. lOOff.; Wiegand, Sachwalterhaftung, S.233. 21 Zur Beweislast siehe S.313ff. 22 Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 268f.

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen

Vertrauens

103

len lassen.23 Das ist offensichtlich, wenn der Geschädigte die betreffende Information kannte. Die nur gleiche Informationskompetenz läßt den Vertrauenstatbestand nicht grundsätzlich entfallen, weil auch der Kompetente bezüglich einer konkreten Information oder eines konkreten Informationsbedarfs unwissend sein und sich der Kompetenz des anderen anvertrauen kann. 24 Eine generelle, von der Kompetenzverteilung unabhängige Grenze des Vertrauens liegt in der Erkennbarkeit der Unrichtigkeit der Vertrauenserklärung. Erkennbar ist die Unrichtigkeit allerdings nicht schon dann, wenn die betreffende Information „erkennbar" ist in dem Sinne, daß der Vertrauende sie hätte kennen müssen, wie es vor allem bei allgemeinem Geschäftswissen 25 angenommen werden könnte; denn der Vertrauende darf, dies ist die ratio der vertrauenstheoretischen Haftungskonkretisierung, grundsätzlich auf die Informationen des anderen vertrauen, muß also nicht grundsätzlich eigene Ermittlungen anstellen. Vielmehr müssen Zweifel gerade an der Validität der Mitteilung des Vertrauensnehmers bestehen. 26 Daran wird insbesondere zu denken sein, wenn der Vertrauende an der Kompetenz des Vertrauensnehmers, generell oder punktuell, zweifeln muß. Wenn also im Fall der Bausparkasse der Kunde die Auskunft von einem Auszubildenden erhält und die Mitteilung noch dazu sehr unwahrscheinlich ist (z.B. behauptet wird, es gäbe keine Zuteilungsfristen), ist für den Kunden erkennbar, daß er sich darauf nicht verlassen kann. Dagegen würde der durch den Filialleiter gesetzte Vertrauenstatbestand („Zuteilungsfrist acht Monate") nicht dadurch entfallen, daß der Kunde die richtige Tatsache anderwärts hätte erfahren können, wenn er zum Beispiel den Informationsbrief, den ihm die Bausparkassenzentrale bereits zuvor geschickt hatte, durchgelesen hätte. Verschließt sich der Vertrauende der Wahrheit grob fahrlässig, ist dies als, unter Umständen haftungsausschließendes, Mitverschulden zu berücksichtigen. 27 3. Grenzen der

Tatbestandsbildung

Die Grenzen dieser Konstruktion werden durch die Regeln der Auslegung vertrauensrelevanten Erklärungsverhaltens (entsprechend §§157, 242 BGB) be-

23

Näher Wiegand, Sachwalterhaftung, S.269ff. Tendenziell strenger Wiegand, Sachwalterhaftung, S.271: Bei „ganz evidenter Gleichheit von Wissen, Erfahrung oder Fachkunde" entfalle die Haftung. 25 Zum Begriff folgend S. 117. 26 Insoweit beruft sich Singer, Verbot, S. 94f., der die Erkennbarkeit der jeweiligen Information (z.B. Formbedürftigkeit eines Grundstücksgeschäfts) als Grenze des Vertrauenstatbestandes sieht, für diese Wertung zu Unrecht auf § 122 Abs. 2 BGB; denn auch hier kommt es auf die Erkennbarkeit der Irrtumsbedingtheit der Erklärung an. 27 Die Ausführungen von Canaris, Vertrauenshaftung, S. 295,506f., der bei grober Fahrlässigkeit den Wegfall des Vertrauenstatbestandes für möglich hält, bezieht sich auf die Erfüllungshaftung. Im Falle der Schadenshaftung bietet §254 BGB die angemessene Sanktion (so wohl auch Canaris, Vertrauenshaftung, S.533f.). Zum Mitverschulden noch unter S.320ff. 24

104

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

stimmt.28 Diese Regeln haben eine gewisse Dehnungsfähigkeit, insoweit sie mit ihrer Orientierung am individuellen Empfängerhorizont 29 eine ausgesprochen einzelfallorientierte Entscheidungspraxis ermöglichen. Sie sind andererseits in der Einzelfallanwendung „hart", da sie vertrauensrelevantes Verhalten mit einem Minimum an Erklärungswert fordern und jenseits dessen keine Rücksicht auf das überlegene Wissen oder die größere Informationskompetenz einer Partei nehmen, mag der Fall noch so sehr danach verlangen. Der bloße Informationsunterschied begründet keinen Vertrauenstatbestand. Ein Zusammenhang zwischen der Informationskompetenz und dem Vertrauenstatbestand besteht gleichwohl. Der Erklärung eines erkennbar Inkompetenten darf man nicht trauen. Wer ein Grundstück kauft, darf nicht einfach der Behauptung des privaten Verkäufers glauben, Schriftform genüge, wenn er weiß, daß der Verkäufer weder zuvor Grundstücksgeschäfte getätigt noch Informationen anläßlich des konkreten Geschäfts eingeholt hat. Wer Kapital in Effekten anlegen will, darf nicht im Vertrauen auf die Beratungszusage eines nebenberuflichen „Vermittlers" anderweitige Informationsanstrengungen unterlassen, wenn er weiß, daß dieser keinerlei einschlägige Ausbildung und Erfahrung hat usf. Umgekehrt wird nun ein Verhalten umso eher als vertrauensrelevant betrachtet werden können, je größer die (tatsächliche oder vorgegebene) Informationskompetenz einer Partei ist. Wer sich als besonders kompetent aufführt, muß in der Wahl seiner Worte Vorsicht walten und sich gefallen lassen, daß unter Umständen auch ein während der Vertragsverhandlungen beiläufig gesprochenes Wort zur Haftung führt. 4. Die vertrauenstheoretisch

begründete

Übernahme

der

Informationslast

a) Ausdrückliche/konkludente vertrauensrelevante Erklärungen. Vertrauenstheoretischer Ausgangspunkt für vorvertragliche Informationspflichten ist die Übernahme der Informationslast des Vertrauenden durch den Vertrauensnehmer,30 d.h. zunächst die Übernahme der Last, den Informationsbedarf zu eruieren. Dies geschieht am deutlichsten in Gestalt einer Zusage von Beratung bzw. Mitteilung nötiger Informationen 31 oder auch eines „Sich-Einlassens" auf ein BeCanaris, Vertrauenshaftung, S. 494. Dazu S. 199ff., 208ff. 30 Nicht gefolgt wird dem Begriff der „Funktionsübernahme" bei Breidenbach, Informationspflichten, S. 71 ff., weil Breidenbach darunter nicht nur die Übernahme der Informationslast durch entsprechendes Erklärungsverhalten (in diesem Sinne wohl die Ausführungen S. 76) versteht, sondern - weit über den Rahmen der Inanspruchnahmeformel hinausgehend - die Wahrnehmung einer bestimmten „Rolle" innerhalb eines Vertrages oder sogar am Markt (vgl. a.a.O., S. 73ff.). Dazu noch folgend S. 110f.; Breidenbach offenbar folgend St. Lorenz, Schutz, S. 434. 31 Vgl. BGH NJW 1992, 300,302: „Im übrigen ist derjenige, der es unabhängig vom Bestehen einer gesetzlichen Verpflichtung übernimmt, einen Vertragspartner über die rechtliche Bedeutung der einzelnen Vertragsänderungen aufzuklären, verpflichtet, auf alle Risiken hinzuweisen; er darf die auf diese Weise erweckte Erwartung des anderen Teils nicht dadurch enttäuschen, daß er bestimmte Risiken von seiner Aufklärung ausnimmt." Freilich lag der Sachverhalt nicht so, 28

29

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen

Vertrauens

105

ratungsgespräch. E s wäre falsch, die Haftung an die positive Erklärung, mit der die Ü b e r n a h m e der Informationslast erklärt wird, zu knüpfen. D e n n nicht darin liegt ein pflichtwidriges Fehlverhalten, 3 2 sondern in der folgenden Unterlassung der in Aussicht gestellten Beratung bei gleichzeitiger Fortsetzung der Vertragsverhandlungen. U b e r Gegenstand und Reichweite der Informationspflichten bestimmt die Ubernahmeerklärung. Wer etwa allgemein Beratung zusagt („fachgerechte B e r a t u n g " , „Ich berate Sie gern!" usw.), muß den Informationsstand des Vertrauenden eruieren und alle danach erforderlichen Informationen für eine dessen erkennbaren Willen und wesentliche Interessen entsprechende Disposition mitteilen, unabhängig davon, o b er selbst über die betreffende Information oder zumindest die nötige Informationskompetenz verfügt. D e n n er „verspricht" damit, zumindest jene Informationsanstrengungen zu unternehmen, die der Vertrauensempfänger bei Beobachtung der im eigenen Interesse erforderlichen Sorgfalt unternommen hätte. Wird eine besondere K o m p e t e n z herausgestellt, geht die Verpflichtung entsprechend weiter. 3 3 I m Regelfall also erstreckt sich die vertrauenstheoretische Aufklärungspflicht auf die erkennbaren Informationen; soll sie auf das vorhandene Wissen beschränkt sein, muß dies bei der Ubernahmeerklärung deutlich gesagt werden ( z . B . „nach unseren Ermittlungen" usf.). D i e Ü b e r nahme der Informationslast kann auf bestimmte Bereiche beschränkt werden, z . B . wenn bezüglich eines bestimmten Verhandlungspunktes erklärt wird, der andere brauche sich darum nicht zu kümmern. Einzelheiten müssen uns hier nicht interessieren, weil sie für die Tragweite des vertrauenstheoretischen Ansatzes nicht von grundsätzlicher Bedeutung sind. Von grundsätzlicher Bedeutung ist aber, wieweit die vertrauenstheoretische Haftung von konkretem Erklärungsverhalten abstrahieren kann. Namentlich stellt sich die Frage, inwieweit die b l o ß e Ausübung einer vertraglichen oder gesellschaftlichen/marktmäßigen Aufgaben-, F u n k t i o n s - bzw. Rollenverteilung zwischen den Parteien zu einem Vertrauenstatbestand und damit zu Informationspflichten führen kann und die funktionale siehe zu Fn. 38. Ferner BGH LM § 278 BGB Nr. 37 (unter II 2). Zu Unrecht als Fall einer vertrauenstheoretisch begründeten Informationspflicht behandelt St. Lorenz, Schutz, S.434 m. Fn. 1234, im Anschluß an den BGH den Juweliergeschäftsfall (BGH NJW 1970,653). Denn dem BGH genügt für den Vertrauenstatbestand, daß der Verkäufer des Geschäfts den Irrtum des Erwerbers über dessen Umsätze erkannte bzw. hätte erkennen können (a.a.O., S.655, 2. Sp. unter b); zur richtigen — verständigungstheoretischen — Einordnung der Informationspfhcht in diesem Fall näher S. 267. Die Abgrenzung der bloßen Vertrauenserklärung zum Beratungsvertrag muß hier nicht im einzelnen behandelt werden (siehe etwa BGH NJW 1982, 1095). Klar dürfte sein, daß in der Beratungszusage im Einzelfall eine rechtsgeschäftliche Erklärung liegen kann, daß andererseits die Rechtsprechung um des Ergebnisses willen zu Fiktionen und Uberdehnungen neigt; siehe S. 14. 32 Es sei denn, der Erklärende wäre zu sachgerechter Beratung nicht in der Lage („Ubernahmeverschulden") oder beabsichtigte, die Beratung nicht oder nicht ordnungsgemäß durchzuführen. 33 Beispielhaft OLG Köln CR 1993,563 (Beratung zum Kauf eines kundengerechten Computers).

106

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung selbstbestimmter

Willensbildung

Differenzierung der Gesellschaft vertrauenstheoretisch verwertbar ist. E i n e „vertragliche" Funktionsdifferenzierung ist als Anknüpfungspunkt vertrauenstheoretischer Zurechnung grundsätzlich geeignet, k o m m t aber nur im H i n b l i c k auf kooperationsbezogene Vertragsinhalte in Betracht. D a z u gehören bei jedem Vertrag jene Gegenstände, die die gemeinsamen Interessen beider Parteien berühren, namentlich die Beseitigung rechtlicher Durchführungshindernisse. 3 4 Z u d e m sind bestimmte Verträge ihrem Inhalt nach auf vertrauensvolle Zusammenarbeit angelegt. 3 5 I m Vorgriff auf diese Kooperation k ö n n e n Vertrauenstatbestände im H i n blick darauf entstehen, daß eine Partei bestimmte Informationslasten übernimmt. Verhandeln etwa mehrere Bauunternehmen über eine Kooperation bei Errichtung eines G r o ß b a u s , kann die beabsichtigte Aufgabenverteilung bereits in den vorvertraglichen Bereich ausstrahlen und zu vorvertraglichen

Informations-

pflichten führen. So k ö n n t e beispielsweise das U n t e r n e h m e n , das die F u n d a m e n te errichten soll, allein aufgrund seiner Bereitschaft, diese Aufgabe zu übernehmen, bereits vor Vertragsschluß verpflichtet sein, auf die erkennbar mangelnde Tragfähigkeit des Bodens hinzuweisen. Partiell kooperativ orientiert sind ferner Verträge, in denen eine Partei Interessen der anderen wahrzunehmen hat (etwa Maklervertrag, Anwaltsvertrag, Anlageberatung). Soweit die Interessenwahrnehmung typischerweise reicht, kann sie bereits die Vertrauensbildung im Vorfeld des Vertrages prägen. So nimmt der Treuhänder, der bei Bauherrenmodellen die Interessen der Anleger gegen die Initiatoren, G r ü n d e r usw. zur Geltung zu bringen hat, bereits vor Vertragsschluß durch sein Auftreten im H i n b l i c k auf die spätere vertragliche F u n k t i o n Vertrauen dahingehend in Anspruch, den Anleger über alle für seine Anlage wichtigen U m s t ä n d e zu beraten. 3 6 D e r Vertrauenstatbestand endet aber in jedem Fall dort, w o der Interessenantagonismus beginnt. So kann das Auftreten des Anwalts im Verein mit der Bereitschaft zur Ü b e r n a h m e des Mandats nicht als Vertrauensinanspruchnahme dahingehend gedeutet werden, der Anwalt werde den Mandanten von sich aus über seine Einschätzung des Gegenstandwerts und die daraus resultierende sehr hohe Gebührenforderung aufklären. 3 7 E i n anderes Beispiel liefert das Gesellschaftsrecht. H i e r kann eine vor Abschluß des Vertrages über die Gründung einer Personengesellschaft bereits besprochene Aufgabenverteilung innerhalb der Gesellschaft einen Vertrauenstatbestand für den vorvertraglichen R a u m schaffen, z . B . dahin, daß der für steuerliche Angelegenheiten zuständige künftige Gesellschafter bereits jetzt die entsprechenSiehe S.330ff. Siehe bereits Hildebrandt, Erklärungshaftung, S. 164f. („Auftrags-, Geschäftsbesorgungsund Gesellschaftsverhältnisse"); St. Lorenz, Schutz, S.433; aus der Rechtsprechung BGH LM Nr. 1 zu §276 (Fb) BGB („engeres persönliches Vertrauensverhältnis besteht oder begründet werden soll"). 36 Vgl. NJW1984,863,864 und BGH NJW-RR1988,458,459; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.316 m.w.N. 37 BGHZ 77, 27, 30ff., stützt nur die richtige Belehrung auf Verlangen auf in Anspruch genommenes Vertrauen. 34

35

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen

Vertrauens

107

den Informationen einholt. Ebenso kann die bisherige fürsorgliche Wahrnehmung der Interessen eines jüngeren und unerfahrenen Gesellschafters durch einen erfahrenen einen Vertrauenstatbestand setzen, daß bei einer Änderung des Gesellschaftsvertrages der erfahrene den jüngeren über etwaige Nachteile aufklärt. Die gesellschaftsrechtliche Verbundenheit als solche schafft diesen Vertrauenstatbestand aber nicht, denn bei der Änderung des Gesellschaftsvertrages handeln alle Gesellschafter als Einzelpersonen und für ihr individuelles Interesse.38 Zu großzügig war der B G H im Daktarifall.39 Der Beklagte hatte in den USA Filmrechte an zwei Fernsehserien erworben; gegen eine Erlösbeteiligung von 5 0 % veräußerte er die Rechte an die Klägerinnen. Einige Zeit später vereinbarten die Parteien, daß der Beklagte seine Erlösbeteiligung für 10.000 Dollar an die Klägerinnen verkaufte. Zu diesem Zeitpunkt verfügten letztere nach Behauptung des Beklagten bereits über ein Kaufangebot des Z D F für die Filmrechte in Höhe von 8,3 Millionen DM. Der B G H bejahte eine Aufklärungspflicht der Klägerinnen, weil diese40 infolge ihrer „langjähigen intensiven Zusammenarbeit" und „persönlichen, freundschaftlichen Beziehung" zum Beklagten einen Vertrauenstatbestand gesetzt hätten.41 Allein die Zusammenarbeit schafft aber keinen konkreten Vertrauenstatbestand hinsichtlich einer Aufklärung angesichts der Tatsache, daß die Parteien sich beim Ablösungsvertrag mit gegensätzlichen Interessen gegenüberstanden und dies jeder Seite bewußt war. Trotz Gegensätzlichkeit der Interessen kann dagegen bei dauernder Geschäftsbeziehung aus der bisherigen Übung ein Vertrauenstatbestand für die Zukunft erwachsen, mag es sich auch um jeweils besondere Vertragsschlüsse handeln.42 So muß der Verkäufer, der in langjähriger Geschäftsbeziehung zum Käufer steht, diesen auf Änderungen in der Beschaffenheit der Ware hinweisen;43 denn dessen Erwartung ist durch die bisherige Handhabung geprägt. b) Berufs-/GewerbeAusübung als Vertrauenstatbestand? Weitgehend negativ fällt dagegen die Antwort auf eine vertrauensbegründende Wirkung allein der Berufs-/Gewerbeausübung aus.44 Es geht wohlgemerkt nicht darum, daß die Ausübung eines bestimmten Berufes irgendeine vertrauenstheoretische Relevanz hat. Das ist, insbesondere bei beratenden Berufen, evident, weil der Anschein einer 38 Abzulehnen B G H N J W 1992, 300, 302, insoweit die Pflicht zur Aufklärung der „unerfahrenen" Gesellschafter über die Nachteiligkeit der Vertragsänderung auf die gesellschaftsrechtliche und verwandschaftliche Verbundenheit zwischen ihnen und dem aufklärungspflichtigen Gesellschafter gestützt wurde; bezüglich der Änderung befanden sich die Parteien im Interessenkonflikt. 39 B G H LM Nr.52 zu §123 BGB. 40 Die für sie handelnden Personen (die Klägerinnen waren Gesellschaften). 41 Zustimmend St. Lorenz, Schutz, S.423 Fn. 1234. 42 Siehe bereits Hildebrandt, Erklärungshaftung, S. 165 (allerdings sehr allgemein, es könne ein „Vertrauensverhältnis" entstehen). 43 B G H Z 107,331; B G H ZIP 1996,756 (jeweils bezogen auf vertragliche Aufklärungspflicht). 44 Soweit es nicht um kooperative Bereiche geht, wie soeben dargestellt.

108

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung selbstbestimmter

Willensbildung

bestimmten K o m p e t e n z erweckt wird. A b e r dieses Vertrauen, insbesondere auf den beruflichen Standards genügendes Verhalten, 4 5 wird erst im Zusammenhang mit einem konkreten Erklärungsverhalten relevant. 4 6 Es geht vielmehr darum, ob bereits das Auftreten in einem bestimmten Beruf konkrete Vertrauenstatbestände erzeugen kann. Grundsätzlich ist das zu verneinen. Anschauung gibt der tragsentwurfsfall.

Ver-

Ein (Nur-)Rechtsanwalt wurde beauftragt, Vertragsentwürfe

zu erstellen. A u f Basis eines Geschäftswerts von 9,5 Millionen D M stellte er nach § 1 1 8 Abs. 1 S. 1 B R A G O eine G e b ü h r in H ö h e von 34.475,85 D M in Rechnung. D e r B G H hielt den Anwalt für verpflichtet, den Mandanten vor Vertragsschluß darauf hinzuweisen, daß in jedem Fall eine notarielle Beurkundung des Vertrages erforderlich sei und also ein zusätzlicher Aufwand entstehe. 4 7 Diese Pflicht kann nicht auf irgendein Vertrauen des Auftraggebers in den B e r u f des Anwaltes usw. gegründet werden, denn der Anwalt hatte erkennbar ein Interesse daran, diesen Auftrag durchzuführen, zumal er nicht völlig sinnlos war. 4 8 Ahnlich der schaftsberaterfall,49

D e r Verkäufer einer Eigentumswohnung

50

Wirt-

hatte sich als

„Anlage- und Wirtschaftsberater" in die Verkaufsverhandlungen eingeführt. E r hatte sachlich unzutreffend die partielle steuerliche Absetzbarkeit des Kaufpreises behauptet. F ü r die Beurteilung der Sorgfaltswidrigkeit wirkte sich das Auftreten als Berater verschärfend aus. E s entlastete den Verkäufer daher nicht, daß (nach seiner revisionsrechtlich als richtig zu unterstellenden Behauptung) die Unrichtigkeit auf eine fehlerhafte Auskunft des Finanzamts zurückzuführen war. 5 1 D i e weitergehende Frage aber, o b allein das Auftreten als „Anlage- und Wirtschaftsberater" ein Vertrauen dahingehend begründet, über die steuerliche Nichtabsetzbarkeit des Kaufpreises informiert zu werden, ist zu verneinen. A n deres gälte, wenn sich berufsbezogene Verkehrssitten, womöglich örtlich beschränkt, herausgebildet haben sollten. Wenn solche Sitten tatsächlich feststellbar sind, für einen örtlich begrenzten Bereich oder für eine Branche oder allgemein, können darauf bezogene Verhaltenserwartungen im R a h m e n des Vertrauensmodells Berücksichtigung finden. D a b e i kann die Ausübung einer bestimmten arbeitsteiligen F u n k t i o n Ausgangspunkt solcher Verkehrssitten werden. Wenn etwa bestimmte Beratungsangebote der Banken im Effektengeschäft allgemein ü b lich werden, 5 2 dann kann die entsprechende Beratungserwartung des Kunden Zur einschlägigen amerikanischen „shingle theory" Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.353ff. Insbesondere im Bankrecht werden vorvertragliche Informationspflichten oft schlicht an das Auftreten als Bank geknüpft, siehe etwa OLG Hamburg NJW 1987, 962, 963. 47 BGH DB 1997, 2603, 2604. 48 Zu den unterschiedlichen Aufgaben von Anwalt und Notar in diesem Kontext näher BGH DB 1997, 2603, 2604. Dementsprechend hält der BGH den Anwalt auch nicht für verpflichtet, gleich zum Aufsuchen eines Notars zu raten. 49 NJW 1991, 2556 50 Genauer: sein Verhandlungsgehilfe. Aber das ist hier unerheblich. 51 BGH NJW 1991, 2556, 2557. 52 Zur Ausbildung von Verkehrssitten und zu ihrer Klassifizierung näher MünchKomm/ 45

46

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen

Vertrauens

109

vertrauenstheoretisch geschützt sein;53 was bedeutet, daß eine Bank auch ohne besondere Erklärung die entsprechende Beratung vornehmen müßte. Freilich ist nicht jede „Üblichkeit" rechtlich relevante Übung. Wenn zum Beispiel im Jahre 1967 die Zuteilungsfristen für Bausparverträge der Sparkassen zwei Jahre betrugen, mag man von „üblichen" Fristen sprechen können, nicht aber von einer von der Bausparkasse bewußt praktizierten Übung; denn die Fristen sind das Resultat des Verhältnisses von „Einzahlern" und Darlehensnehmern. Solche Üblichkeiten bilden keinen Vertrauenstatbestand, auch nicht im Verein mit dem beruflichen (fachmännischen) Auftreten einer Partei. Nicht haltbar ist daher die Begründung des B G H im Bausparkassenfall.54 Obgleich ein bestimmter Zuteilungstermin vertraglich ausgeschlossen war und, so müßte man hinzufügen, jedermann der Funktionsmechanismus einer Bausparkasse und die damit verbundenen Risiken bekannt sein könnte, bejaht der B G H einen von der Sparkasse gesetzten Vertrauenstatbestand „durch ihren Geschäftsbetrieb und ihre Angebote" dahingehend, daß die Sparer nur das mit dem Abschluß eines Bausparvertrages „allgemein verbundene Risiko" eingingen, weswegen über „nicht nur unerhebliche" Verlängerungen der Zuteilungsfristen aufgeklärt werden müsse.55 Eine eindeutigere Risikozuweisung als den vertraglichen Ausschluß eines bestimmten Zuteilungstermins kann man sich aber nicht vorstellen. Das bloße Führen des Geschäftsbetriebs ist schon im allgemeinen kein Vertrauenstatbestand, um so weniger aber, wenn hinsichtlich bestimmter Umstände Ansprüche ausdrücklich ausgeschlossen sind, zumal angesichts des Interesses der Bausparkasse, gerade dann neue Sparer nicht abzuschrecken, wenn sie „Nachwuchssorgen" hat. Ein genereller Vertrauenstatbestand läßt sich aus der funktionalen Differenzierung nicht ableiten. Die funktionale Differenzierung beseitigt nicht den Interessenantagonismus der Parteien. Dessen eingedenk kann die Ausübung des Berufes oder einer Funktion von den anderen Verkehrsteilnehmern nicht generell als Vertrauens gerichtetes Verhalten verstanden werden. So sind denn Rechtsfortbildungsvorschläge in dieser Richtung meistens ordnungstheoretisch motiviert. 56 Im übrigen haben sich Vorschläge einer generellen Haftungsanknüpfung an Beruf oder Gewerbe oder sogar einer eigenständigen Berufshaftung 57 de lege lata nicht durchsetzen kön-

Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., §157 Rn. 15ff., 21; umfassend und rechtsvergleichend Sonnenberger, Verkehrssitten im Schuldvertrag. 53 In Analogie zu leistungsverhaltensbezogenen Verkehrssitten bei der Auslegung von Rechtsgeschäften, vgl. MünchKomm/Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., §157 Rn. 18. In diese Richtung wohl Breidenbach, Informationspflichten, S. 75f. 54 BGH NJW 1976, 892. 55 BGH NJW 1976, 892; ebenso Bohrer, Haftung, S.272. 56 Dazu S.59. 57 Ablehnend auch, im Zusammenhang mit vorvertraglichen Informationspflichten, Breidenbach, Informationspflichten, S. 33 ff. 58 Siehe Breidenbach, Informationspflichten, S.32ff.

110

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

Über diese Grenzen des Vertrauensprinzips setzt sich Breidenbach in seinem vertrauenstheoretischen Konzept vorvertraglicher Informationspflichten hinweg. Zwar lehnt er eine allgemeine Berufshaftung ab und befürwortet, im Grundsatz wie hier, lediglich eine pflichtenverstärkende Wirkung der Berufsausübung. Seine vertrauenstheoretische Auswertung von „Funktionsdifferenzierungen" geht aber deutlich über das mit der Inanspruchnahmeformel Begründbare hinaus.59 Wichtigstes Element seines beweglichen Systems vorvertraglicher Informationspflichten ist der „Funktionskreis" einer Verhandlungspartei.60 Die Ubersetzung dieses Begriffs mit „¥un)ttior\sübernahme"M suggeriert eine Aufgabenverteilung aufgrund Vertrauenskommunikation (Inanspruchnahmeformel). Tatsächlich aber knüpft Breidenbach an die bloße Tatsache einer vertraglichen oder beruflichen/gewerblichen „Funktion" (z.B. „Funktion" des Kreditgebers oder der Bank) an. Deren vertrauenstheoretische Relevanz soll in der größeren „Einwirkungsmöglichkeit auf die Willensfreiheit des anderen" liegen.62 Die Einwirkungsmöglichkeit ist aber ebensowenig „Inanspruchnahme von Vertrauen" wie daran anknüpfende Verhaltenserwartungen des Verhandlungsgegners. Beide Aspekte mögen für eine Informationsverpflichtung des Gegners sprechen - vertrauenstheoretisch sind sie irrelevant. Ein von Breidenbach benutztes Beispiel gibt Anschauung: Im Arbeitnehmerbeteiligungsfall entwickelte ein Ingenieurbüro ein „Modell zur Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand", um sich aus der Hand seiner Mitarbeiter Kapital zu beschaffen. Die Hausbank des Büros, wegen der angespannten Finanzlage des Büros selbst zu Darlehen nicht mehr bereit, finanzierte die Arbeitnehmerbeteiligungen. Nach dem Konkurs des Unternehmens verlangte die Bank von den Arbeitnehmern Rückzahlung der Darlehen. Der B G H wies die gegen einen der Beschäftigten erhobene Zahlungsklage wegen Verschuldens der Bank bei Vertragsverhandlungen ab. Er bejaht eine Aufklärungspflicht der Bank, weil sie sich das irreführende Verhalten eines Mitinhabers 59 Daß Breidenbach in seinem vertrauenstheoretischen Modell zuweilen völlig auf die Vertrauenskomponente verzichtet, wurde oben S. 90ff. dargelegt. Hier geht es um eine Kritik der konkreten Umsetzung des Vertrauensgedankens im Zusammenhang mit „Funktionsdifferenzierungen". 60 Breidenbach, Informationspflichten, S. 71 ff. 61 Breidenbach, Informationspflichten, S. 76 und passim. Strukturell gleich in der Begründung Teichmann, FS Kraft, S. 629, 639f., der das Vertrauen nach den „sozialen Rollen" (Unternehmer und Verbraucher) bestimmt und die Angewiesenheit des Verbrauchers auf die Information als Grund für diese Wertung nennt. Diese wiederum soll sich aus der schwierigen Beschaffbarkeit und Überprüfbarkeit der Information für den Verbraucher ergeben. Beides ist aber nicht entscheidend für die Pflicht zur unaufgeforderten Aufklärung. 62 Die Einwirkungsmöglichkeit als Anlaß bzw. Grund vorvertraglicher Schutzpflichten geht zurück auf Frotz, Verkehrsschutz, S. 66, 67, 68, und ders., GS Gschnitzer, S. 172, 173f., der die vorvertragliche Haftung als Korrelat der Privatautonomie deutet, diesen Gedanken freilich gegen den Vertrauensgedanken setzt. Von einer Konkretisierung der Korrelatstheorie durch die Vertrauenstheorie geht dagegen Canaris, Vertrauenshaftung, S. 442, Fn. 16, aus; siehe ferner Welser, OJZ 1973, 281, 284. Sachlich wurde dazu bereits, im Zusammenhang mit der „Selbstverantwortung" als rechtstheoretischer Grundlage der vorvertraglichen Haftung, im ablehnenden Sinne Stellung bezogen (siehe S. 40).

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen

Vertrauens

111

des Büros bei der Anwerbung der Arbeitnehmerbeteiligungen als Gehilfenverhalten zurechnen lassen müsse.63 Insoweit lag gewiß ein Vertrauenstatbestand vor, und alles Nötige für eine Haftung war damit gesagt. Der B G H stützt sich aber auch darauf, daß kein normaler Darlehensvertrag vorgelegen habe, sondern ein zwischen den Parteien abgestimmtes Dreiecksverhältnis. Der Kreditvertrag sei „Teilstück eines wirtschaftlichen einheitlichen Modells der Vermögensbildung in Arbeitnehmerhand" gewesen, und durch die aufeinander abgestimmte wirtschaftliche Verbindung der Beteiligten würden ihre Rechte und Pflichten mitbestimmt.64 Daher habe die Bank den Arbeitnehmer/Kreditnehmer durch eine individuelle Beratung über die Risiken des Kredits, insbesondere die reale Gefahr der Inanspruchnahme auf Rückzahlung aufklären müssen.65 Breidenbach sieht hier eine „Funktionsübernahme" der Bank als „Mitgestalter des Vermögensbildungsmodells".66 Aber die Mitgestaltung ist ein bloßes Faktum, vertrauenstheoretisch ohne Belang. Die Tatsache der „Mitgestaltung" beinhaltet keine konkludente Übernahme von Informationslasten gegenüber dem Arbeitnehmer; denn zum einen bezieht sich die Mitgestaltung nur auf das Verhältnis zum kapi talsuchenden Ingenieurbüro, zum anderen verfolgte die Bank dem Arbeitnehmer gegenüber erkennbar eigene Gewinninteressen, die einer „Warnung" vor den Gefahren der Kreditaufnahme klar entgegenstehen. Die Bank hätte schon zu erkennen geben müssen, den Arbeitnehmer beraten oder sonst Informationslasten übernehmen zu wollen. Wer gleichwohl einen Vertrauenstatbestand annimmt, hält sich nicht mehr an die Inanspruchnahmeformel, sondern knüpft schlicht an Erwartungen des Arbeitnehmers an und womöglich nicht einmal dies. Breidenbachs Gedankenführung zeigt symptomatisch das Versagen eines monistischen vertrauensgestützten Theoriekonzepts. Wo Vertrauensinanspruchnahme ein erwünschtes Ergebnis nicht mehr trägt, wird der vertrauenstheoretische Kontext zwar terminologisch gewahrt, sachlich aber verlassen. Das „Vertrauen" wird zur Camouflage für Haftungsaspekte unterschiedlichster Provenienz.67

B G H Z 72, 92, 96ff., 103. Es ist nicht ganz klar, ob der B G H damit einen eigenen Haftungstatbestand festlegen will, denn die einschlägigen Passagen (BGHZ 72, 92, 104f.) knüpfen an die Irreführung der Arbeitnehmer durch den Mitinhaber des Büros an („zuzurechnenden Fehlvorstellungen", a.a.O., S. 103; „Fehlvorstellungen ... auszuräumen", a.a.O., S. 105). 65 B G H Z 72, 92, 104f. 66 Breidenbach, Informationspflichten, S. 74. 67 Wenn Breidenbach etwa auf die „Funktion am Markt" abstellt (Informationspflichten, S.75f.), argumentiert er ordnungstheoretisch. Dagegen zielt die „größere Einwirkungsmöglichkeit" eher in eine paritätstheoretische Richtung. Deutlicher wird diese Richtung bei Canaris (Vertrauenshaftung, S.295, 297, 304, 305ff., 528ff.; ansatzweise auch Eichler, Vertrauen, S.29 Fn. 50) und Singer (Verbot, S.120ff.; siehe ferner S.161ff., 182ff., 234ff.), die in ihren ebenfalls vertrauenstheoretisch motivierten Lehren die (intellektuelle) Unterlegenheit als Haftungsaspekt berücksichtigen. 63 64

112

4. Teil: Informationspflichten

5. Das

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

Vollständigkeitspostulat

Eine andere Überschreitung der dem Vertrauensprinzip gesetzten Grenzen ist mit der von der Judikatur erhobenen Forderung nach „Vollständigkeit" der Aufklärung verbunden. Die Haftung für unterlassene Aufklärung läßt sich kategorial klar unterscheiden von jener für fehlerhafte positive Erklärungen. Ein Beispiel dafür ist der bereits zitierte Wirtschaftsberaterfall. Der Verkäufer einer Eigentumswohnung hatte behauptet, die Aufwendungen für den Kaufpreis seien mit 10% des Kaufpreises pro Jahr absetzbar. Es lag also eine unrichtige positive Erklärung vor, was den B G H nicht davon abhielt, die Haftung auf Verletzung einer Aufklärungspflicht zu stützen.68 Man könnte darüber wegen der Ergebnisirrelevanz hinwegsehen, drohte nicht durch die Vertauschung der Kategorien eine Uberdehnung des vertrauenstheoretischen Ansatzes. Die Rechtsprechung stützt nämlich die Haftung für unrichtige Erklärungen oft auf die Aussage, daß, wer erkläre, vollständig erklären müsse.69 Richtig lautet die aus der Wahrheitspflicht ableitbare Verhaltensnorm aber: Wer erklärt, muß richtig erklären. Durch den Wechsel des Beurteilungsmaßstabes - von der Unrichtigkeit zur Unvollständigkeit - wird an die Behauptung einer bestimmten Tatsache unversehens die Pflicht zu umfassender -„vollständiger" - Beratung geknüpft. So wird etwa an die Aussage des Verkäufers von Ferienwohnungsanteilen, der Kaufpreis eines Ferienwohnungsanteils sei „steuerlich absetzbar", die Pflicht zu eingehender, umfassender Darstellung der steuerlichen Vorteile geknüpft.70 Zu legitimieren ist aber nur eine Haftung für die Unrichtigkeit dieser Behauptung. Unrichtig wäre sie etwa, wenn die Absetzbarkeit überhaupt nicht gegeben wäre. Im konkreten Fall durften die Kaufinteressenten, da sie erkennbar vorrangig an einer Eigennutzung des Wohnungsanteils interessiert waren, die Erklärung dahingehend verstehen, daß die steuerliche Absetzbarkeit bei Eigennutzung gegeben sei.71 Da die Absetzbarkeit nur bei Fremdvermietung gegeben war, war die Erklärung falsch und im Ergebnis richtig entschieden worden. Aber dem Verkäufer war hier, zumindest verbal, eine umfassende Beratungspflicht aufgrund einer einzelnen Tatsachenbehauptung aufgebürdet worden. Natürlich kann Unrichtigkeit auf Unvollständigkeit beruhen - auch die halbe Wahrheit ist Unwahrheit, wenn zugleich der Eindruck von Vollständigkeit erweckt wird.72 Aber auch hier ist der Bezugspunkt die „Unrichtigkeit".

68 BGH NJW1991,2256,2258 („ordnungsgemäße Aufklärung"; dagegen eherauf die positive Erklärung abstellend a.a.O., S.2257). 69 Etwa RGZ 91, 80; O L G Köln VersR 1994,1247; Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl., §276 Rn. 78. Zur „Unvollständigkeit" von Kapitalanlageprospekten, Assmann, Prospekthaftung, S.299f., 327ff. 70 Vgl. O L G Köln VersR 1994, 1247. 71 Vgl. O L G Köln VersR 1994, 1247. 72 RGZ 91, 80, 82; Breidenbach, Informationspflichten, S.81.

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen

Vertrauens

113

II. D i e Ingerenz als Sonderfall der vertrauenstheoretisch begründeten Haftung Eine, wenn auch besondere, Fallgruppe der Informationspflichtigkeit wegen Inanspruchnahme von Vertrauen ist die Ingerenz. Es ist anerkannt, daß die rechtswidrige, nicht schuldhafte Verletzung einer fremden Rechtssphäre die Verantwortlichkeit des Verletzers für die Beseitigung dieser Verletzung begründet, sobald er diese erkennen kann.73 Dementsprechend muß ein durch schuldlos unrichtige Information verursachter Irrtum des Verhandlungsgegners vom Verursacher aufgeklärt werden, sobald die Wahrheit für den Verursacher erkennbar wird.74 Der Gedanke der Ingerenz fordert dabei nur Aufklärung über die Unrichtigkeit der gegebenen Information, nicht auch Mitteilung der wirklichen Verhältnisse.75 Der vertrauenstheoretischen Haftung ist diese Fallgestaltung deshalb zuzuschlagen, weil das die Informationspflicht auslösende Vorverhalten seine objektive Pflichtwidrigkeit einer vertrauenstheoretischen Erwägung verdankt.76

III. Richterrechtlich begründete Informationspflichten jenseits des Vertrauensprinzips Die Grenzen der vertrauenstheoretischen Herleitung vorvertraglicher Informationspflichten sind abgesteckt. Es ist nun zu zeigen, daß die judikative Praxis über diese Grenzen deutlich hinausgeht. Es ist dies keine neue Erkenntnis.77 Nichtsdestoweniger ist eine fallbezogene Analyse angebracht, um angesichts des vielschichtigen Gebrauchs des Vertrauensbegriffs Verständigung über jenen Bereich St. Lorenz, Schutz, S.431. Ist die bei Informationserteilung richtige Information erst durch nachherige Entwicklungen unrichtig geworden, liegt kein Fall der Ingerenz vor. Vertrauenstheoretisch kann eine Informationspflicht dann begründet werden, wenn der Informationserteilende Vertrauen auch dahingehend in Anspruch genommen hat, er werde über etwaige Änderungen informieren, d.h. seine Information aktuell halten. Ohne besondere Vertrauenserklärung ist dies besonders bei solchen Informationen anzunehmen, bei denen Änderungen der Verhältnisse bereits bei Erteilung wahrscheinlich waren. Im übrigen können in dieser Konstellation Informationspflichten nach den in den folgenden Teilen der Arbeit untersuchten Prinzipien (Schutz des allgemein geschäftlich Unerfahrenen und Verständigungsprinzip) entstehen. 75 Zutreffend St. Lorenz, Schutz, S.433. 76 St. Lorenz, Schutz, S. 431 ff., stellt die Ingerenz in seiner in Anlehnung an Wiedemann (Soergel, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 128ff., 153ff.) konzipierten Fallgruppendogmatik als besonderen Fall neben die Haftung aus in Anspruch genommenem Vertrauen. Dagegen wird beim vertrauenswidrigen Abbruch von Vertragsverhandlungen nicht für das Unterlassen der rechtzeitigen Aufklärung gehaftet, sondern entweder für die Erweckung des Vertrauens (wenn bereits zu diesem Zeitpunkt Abbruchwille vorlag) oder für den Abbruch (wenn der Entschluß erst nach Verursachung des Vertrauens gefaßt wird; an letzteres knüpft B G H NJW 1970, 1840 an). Siehe noch S.292f. 77 Siehe nur Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 121. 73

74

114

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbsthestimmter

Willensbildung

vorvertraglicher Informationshaftung zu erzielen, der sich einer vertrauenstheoretischen Erklärung entzieht. Die Fälle sind unterschiedlichen Feldern der Rechtsprechung entnommen und können, wenn auch nicht als repräsentativ im wissenschaftlichen Sinne, als Querschnitt gelten. Man kann die Fälle positivistisch danach unterscheiden, ob die Aufklärungspflicht auf einen anderen, von der Rechtsprechung als relevant betrachteten „Haftungstatbestand", nämlich den der geschäftlichen Unerfahrenheit der informationsbedürftigen Partei gestützt wurde, oder lediglich allgemein auf „Treu und Glauben". Diese Unterscheidung kongruiert im wesentlichen mit der Unterscheidung zwischen allgemeinem Geschäftswissen und vertragsbezogenem Wissen als Gegenstand der Informationspflicht. 78 1. Informationspflichten

bezüglich

vertragsbezogenen

Wissens

Ein breites Anwendungsfeld finden vorvertragliche Informationspflichten im Kaufrecht, und zwar vor allem in bezug auf Sachmängel. Wenn die gesetzliche Sachmängelgewährleistung (§459 Abs.l BGB) vertraglich ausgeschlossen ist, darf der Käufer nicht mehr auf das Vorhandensein irgendwelcher Eigenschaften vertrauen.79 Gleichwohl wird eine Aufklärungspflicht hinsichtlich solcher Mängel bejaht, die dem Verkäufer bekannt sind. Im Flugschneisenfallso wurde ein Hausgrundstück unter Gewährleistungsausschluß verkauft, das in der Einflugschneise des Flughafens lag. Eine vertrauensbegründende Erklärung des Verkäufers über die Lärmfreiheit des Grundstücks lag nicht vor, auch der Verkaufserklärung konnte angesichts des Gewährleistungsausschlusses keine entsprechende tatsächliche Erklärung entnommen werden. Gleichwohl bejahte das O L G Düsseldorf eine Aufklärungspflicht und stützte sich dabei wesentlich auf die Kenntnis dieses Umstandes und seiner Erheblichkeit für den Verkäufer, die Unerkennbarkeit81 des Umstandes für den Käufer.82 Im Baugenehmigungsfall hatte der Verkäufer eines Hausgrundstücks ohne Genehmigung der Baubehörde bauliche Veränderungen an den auf dem Grundstück befindlichen Gebäuden vorgenommen. Auch hier fehlte ein Vertrauenstatbestand. Zwar war ein Gewährleistungsausschluß nicht vereinbart, doch stellt nach Ansicht des B G H nicht die fehlende Genehmigung, sondern erst die fehlende Genehmigungsfähigkeit einen Sachmangel dar.83 Was aber heißt, daß allein der Verkaufserklärung keinerlei VertrauErläuterung folgt im Text. Bei Grundstückskäufen wird allerdings in der Regel vom Verkäufer versichert, daß er keine Kenntnis von etwaigen Mängeln bzw. keinen Mangelverdacht hat. Sagt er die Unwahrheit, haftet er aus §463 S.2 B G B , B G H N J W 1991,2900; D B 1995,1269. Der Gewährleistungsausschluß ist dann gemäß §476 B G B nichtig. 80 O L G Düsseldorf VersR 1995, 1107. 81 Am Tag der Verkaufsverhandlungen war der Flughafen außer Betrieb; die Lage des Grundstücks war nicht erkennbar. Allerdings würde man von einem Grundstückskäufer durchaus eine Frage nach der Lärmsituation erwarten müssen. 82 Ähnlich von der Konstellation her B G H N J W 1990, 975. 83 Das Berufungsgericht hatte dies nicht geklärt. 78

79

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen

Vertrauens

115

enserklärung bezüglich des Vorliegens der erforderlichen Genehmigungen zu entnehmen war. Ansonsten hatte der Verkäufer keine Erklärung abgegeben. Trotz fehlender Vertrauenserklärung bejaht der B G H eine Aufklärungspflicht des Verkäufers bezüglich der fehlenden Genehmigung. 84 Ahnlich liegen die zahlreichen Entscheidungen zur Aufklärung über Mängel eines Gebrauchtwagens. Da die Parteien die Gewährleistung hier in der Regel ausgeschlossen haben, weckt der Verkäufer kein Vertrauen bezüglich der Mangelfreiheit. Dennoch bejaht die Rechtsprechung eine Informationspflicht. 85 Man mag in diesen Fällen die Informationspflicht angesichts der „Böswilligkeit" des Informationspflichtigen er kennt nicht nur den fraglichen Umstand, sondern auch die Willenslage seines Kontrahenten, d.h. dessen Unkenntnis des betreffenden Umstandes und die Erheblichkeit des Umstandes für dessen Willen - für evident halten. 86 Indessen begnügt sich die Rechtsprechung jedenfalls bezüglich des zweiten Umstandes, der Willenslage des Kontrahenten, mit deren Erkennbarkeit. So bereits die insoweit grundlegende Entscheidung des R G im Luisinlichtfall. Die Beklagte hatte mit der Klägerin vereinbart, deren Fabrikate, darunter das Luisinlicht als wichtigster Artikel, zu vertreiben. Dafür hatte die Beklagte in vielen Städten Verkaufsbüros eingerichtet. Zu diesem Zeitpunkt waren der Klägerin bereits Verwarnungen eines Konkurrenten zugegangen, der Patentrechte an dem Luisinlicht geltend machte und die Unterlassung des Vertriebs forderte. Die Klägerin hielt diese Forderungen für unberechtigt. Das R G war der Ansicht, die Klägerin hätte die Beklagte über diesen Umstand aufklären müssen; auch die bloß fahrlässige Pflichtverletzung genüge. 87 Ein Vertrauenstatbestand lag nicht vor. Zwar beinhaltet der Vertragsschluß - wie jeder Vertragsschluß - die konkludente Zusage der eigenen Leistungsfähigkeit, und also hätte die Klägerin wegen dieses Vertrauenstatbestandes über Störungen der Leistungsfähigkeit informieren müssen. Nur sollte die Klägerin bereits über die bloße Tatsache von Gegenmaßnahmen der Konkurrenz informieren, unabhängig von deren Berechtigung. Ebenso hatte das R G im Hypothekenzessionsfall den Zedenten einer auf einem Hausgrundstück lastenden Hypothek für verpflichtet gehalten, den Zessionar vor Vertragsschluß auf die erhebliche Reparaturbedürftigkeit der Zentralheizungsanlage aufmerksam zu machen, wobei Erkennbarkeit der Erheblichkeit dieses Umstandes für den Willensentschluß genügte. 88 Ein Vertrauenstatbestand lag wiederum nicht vor. Der B G H und die Obergerichte haben diese Rechtsprechung fortgesetzt, deren Inhalt dahin

B G H N J W 1979, 2243f. B G H Z 63, 382; B G H N J W 1971, 1795; 1977, 1055; 1979, 1707; 1981, 928; 1983, 217 (m. A n m Teske, N J W 1983, 2428); 1983, 2242; O L G Köln VersR 1994, 434; B a y O b L G VersR 1994, 989. 86 Siehe noch S. 192. 8 7 R G J W 1912, 743 Nr. 5. 88 R G Z 103, 47, 48ff.; zur Erkennbarkeit siehe S. 50 („...von denen sie wußte oder sich sagen mußte..."). 84

85

116

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

formuliert werden kann, daß bei Kenntnis eines bestimmten Umstandes die andere Seite darüber aufzuklären ist, wenn diese den Umstand erkennbar nicht kennt, er für ihren Willensentschluß erkennbar aber von erheblicher Bedeutung ist. Aus der Rechtsprechung des BGH sei hier der Juweliergeschäftsfall angeführt.89 Der BGH verpflichtete den Verkäufer eines Juweliergeschäfts, den Erwerber darüber aufzuklären, daß das Geschäft in Anbetracht seines Umsatzes keine Lebensgrundlage darstelle, obgleich keinerlei Erklärungen seitens des Verkäufers erfolgt waren, ja dieser die ausdrückliche Frage des Käufers nach den Umsätzen offen gelassen hatte. Auch war ein Vertrauenstatbestand nicht aus einer konkludenten Eigenschaftsabrede (§459 Abs. 1 BGB) abzuleiten, da nach Ansicht des BGH der Umsatz nicht als Eigenschaft zu betrachten war.90 Dem BGH genügte für die Annahme einer Aufklärungspflicht, daß dem Verkäufer die entsprechende Willenslage des Käufers - Unkenntnis des Umsatzes und Erheblichkeit für den Kaufentschluß - erkennbar war.91 Im Speditionsvertragsfall mußte der Spediteur den Auftraggeber darauf hinweisen, daß die für den Transport erforderliche Beförderungskapazität nicht für den Zeitpunkt gesichert sei, an dem der Kunde interessiert war, obgleich der Spediteur weder vertraglich noch sonstwie einen bestimmten Zeitpunkt zugesagt oder in Aussicht gestellt hatte.92 Im Bausparfall hätte die Bausparkasse den Bausparer auf eine erhebliche Verlängerung der Bausparfristen hinweisen müssen, obgleich keinerlei Zusage oder Aussage darüber erfolgt war.93 Der Gläubiger ist zur Aufklärung des Bürgen darüber verpflichtet, daß der Hautschuldner zum Zeitpunkt der Bürgschaftserklärung bereits insolvent war, obgleich der Gläubiger in keiner Weise den gegenteiligen Eindruck erweckt hatte (Bürgschaftsfall).94 Im NachbarstreitfalP5 war eine Doppelhaushälfte unter Ausschluß der Gewährleistung verkauft worden. Später stellte sich heraus,96 daß die Wohnruhe seit längerem durch absichtliches Lärmen der Nachbarn (böswilliges Auf- und Ablassen der Rolläden, sinnloses Treppensteigen usw.) erheblich beeinBGH NJW 1970, 653. Kritisch dazu Putzo, Anm. NJW 1970, 653. 91 Das wird in der Entscheidung besonders hervorgehoben, BGH NJW 1970, 653, 655, linke Spalte (unter II 1 b). 92 O L G Düsseldorf VersR 1997, 133. 93 Dagegen reicht bloße Abweichung von der üblichen Zeit nicht aus, BGH NJW 1976, 892; siehe ferner Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 314. 94 Vgl. O L G Hamm ZIP 1982,1061,1062; andererseits betont die Rechtsprechung zu Recht, es gebe keine generelle Pflicht des Gläubigers, den Bürgen über das Bürgschaftsrisiko (die „Verhältnisse" des Hauptschuldners) aufzuklären, vgl. RG LZ 1930, 179; RG HRR 1936, Nr. 396; BGH WM 1978, 924f.; BGH WM 1974,1129,1130, läßt offen, ob Aufklärungspflicht des Gläubigers, wenn dieser den Irrtum des Bürgen über den Umfang des Bürgschaftsrisikos erkennt. In RG LZ 1930,179 und B G H WM 1966,944 hatte der Gläubiger die Fehlvorstellungen des Bürgen veranlaßt. Siehe ferner SoergeVWiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.323 m.w.N. 95 B G H NJW 1991, 1673. 96 So die Behauptung des Klägers, die das Berufungsgericht aufgrund seiner Rechtsansicht nicht weiter überprüft hatte, BGH NJW 1991, 1673, 1675. 89

90

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen

Vertrauens

117

trächtigt war. Auch ohne daß der Verkäufer diesbezüglich irgendwelche Erklärungen hätte abgeben müssen,97 soll er nach Ansicht des B G H zur vorvertraglichen Aufklärung verpflichtet sein, auch wenn er die Erheblichkeit des Umstandes für den Käufer nicht positiv kannte. Im Chefarztfall wurde der Krankenhausträger dazu verpflichtet, den Patienten, der einen Behandlungsvertrag mit Vertretungsklausel98 unterschrieb, darüber aufzuklären, daß der Chefarzt sich gerade in Urlaub befand; ein vertrauensbegründendes Verhalten lag nicht vor.99 Die angeführten Beispiele beziehen sich durchweg auf vertragsbezogenes Wissen, das meint: Informationen, die die speziellen Umstände eines individuellen Vertragsschlusses betreffen, also gerade diesen Vertragsgegenstand, diese Vertragsparteien usw. (Mangel gerade dieses Grundstücks, Unfallschaden gerade dieses Fahrzeuges, Geschäftsumsatz gerade dieses Juweliergeschäfts, Vorstrafe gerade dieses Stellenbewerbers100). 2. Informationspflichten

bezüglich

allgemeinen

Geschäftswissens

Die Rechtsprechung des B G H hat aber auch das allgemeine Geschäftswissen zum Gegenstand von Informationspflichten gemacht, also rechtliches, wirtschaftliches, technisches und sonstiges Wissen, das nicht nur für einen individuellen Vertrag bedeutsam ist, sondern für eine unbestimmte Vielzahl von Verträgen - alle oder bestimmte Vertragstypen - relevant und daher verwendbar ist.101 Wohlgemerkt lag in diesen Fällen wiederum keine vertrauenstheoretisch relevante Übernahme der Informationslast vor.102 Der B G H bejahte diesbezügliche Informationspflichten erstmals im Zusammenhang mit dem finanzierten Abzahlungs97 Die Hellhörigkeit war immerhin zur Sprache gekommen, aber der B G H stellt nicht entscheidend darauf ab, vgl. N J W 1991, 1673, 1675. 98 Wonach die Behandlung vertretungsweise auch von einem anderen Arzt durchgeführt werden durfte. 99 O L G Düsseldorf VersR 1996,637. Tatsächliche Erklärungen über Behandlungen durch den Chefarzt waren nicht abgegeben worden. 100 Vgl. B G H L M Nr. 1 zu §276 B G B (Fb). 101 Es handelt sich nicht um eine Unterscheidung nach der Zugänglichkeit des Wissens. Zwar ist allgemeines Geschäftswissen immer für alle zugänglich; aber auch Sonderwissen kann für beide Parteien zugänglich sein, z.B. der deutlich sichtbare Unfallschaden für den das Fahrzeug besichtigenden Käufer oder die Nähe des Wohngrundstücks zum Flughafen für den Käufer/Mieter des Hauses usf. Davon abgesehen ist die Zugänglichkeit der Information nicht von unmittelbarer Bedeutung für die Fähigkeit, den eigenen Informationsbedarf einschätzen zu können. Die Unterscheidung zwischen vertragsbezogenem Wissen und allgemeinem Geschäftswissen ist ferner nicht identisch mit der Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärwissen, also der Unterscheidung zwischen der eigentlich interessierenden Information und dem für ihre Verarbeitung erforderlichen Sekundärwissen (vgl. Assmann, Prospekthaftung, S. 290). Allgemeines Geschäftswissen wird zwar in der Regel für die Verarbeitung vertragsbezogener Informationen nötiges Sekundärwissen sein, kann aber auch selbst Primärinformation sein, wie die im folgenden Text beschriebenen Fälle zeigen. 102 Siehe neben den hier angeführten Beispielen die bei SoergeV Wie demann, Vor §275 Rn. 165 ff., dargestellte Rechtsprechung.

B G B , 12. Aufl.,

118

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung selbstbestimmter

Willensbildung

kauf. E r verpflichtete den v o m Käufer verschiedenen Kreditgeber dazu, den K ä u fer über die rechtlichen Folgen dieser Trennung aufzuklären, und zwar in einer „allgemein verständlichen" Weise darauf hinzuweisen, daß der Käufer das Darlehen selbst dann zurückzahlen müsse, wenn er Eigentum nicht erworben habe. 1 0 3 Gegenstand der Aufklärung war hier allgemeines Rechtswissen - die rechtlichen Auswirkungen einer bestimmten vertraglichen Gestaltung - , ohne daß irgendein Vertrauen geweckt worden wäre. 1 0 4 I m Wohnungsfinanzierungsfall

schlössen die

Kläger bei der beklagten Bauträgergesellschaft einen „Kauf- und Bauträgervertrag" über eine Eigentumswohnung, der die Kläger finanziell überforderte. N a c h d e m sie erkannt hatten, daß sie die monatliche Zahlungsbelastung nicht würden tragen können, traten sie, gestützt auf eine vertragliche Rücktrittsklausel, v o m Vertrag zurück und verlangten ihre Anzahlung in H ö h e von 3 v.H., entgegen einer vertraglich vereinbarten Verfallklausel, zurück. D e r B G H bejaht eine I n f o r mationspflicht der Bauträgergesellschaft, die immerhin schon den Finanzierungsplan aufgestellt hatte, auch hinsichtlich der monatlichen Zahlungsbelastung. 1 0 5 E i n Vertrauenstatbestand lag nicht vor; denn die B a n k hatte keinerlei Aussage über die Finanzierbarkeit gemacht. 1 0 6 Gegenstand der Information war also allgemeines mathematisches Wissen, nämlich aus einer vorgegebenen G e samtbelastung die monatlichen Raten zu errechnen. I m

Kreditalternativefall

mußte die B a n k den Kunden über spezifische Nachteile eines über eine Kapitallebensversicherung gesicherten Konsumkredits gegenüber gewöhnlichen

Kon-

sumkrediten informieren, obgleich sie keinerlei Aussagen über die Günstigkeit dieser Gestaltung gemacht hatte und diese Gestaltung durchaus auch ihre Vorteile hatte. 1 0 7 Gegenstand der Informationspflicht war allgemeines Geschäftswissen, nämlich die Berechnung der wirtschaftlichen Auswirkungen einer Darlehensrückzahlung „auf einen Schlag". I m Franchisefall

wurde der Franchisegeber ver-

pflichtet, den Franchisenehmer vor Abschluß eines langjährigen Vertrages darüber zu informieren, daß die benutzte Standortanalyse keine ausreichende

103 BGHZ 47,207, Leits. 2 und S.210f.; BGH NJW 1973,452 und 611. Diese Rechtsprechung ist oft eines instrumenteilen Fehlgriffs geziehen worden, siehe Breidenbach, Informationspflichten, S. 14ff. m.w.N.; siehe auch die dortige Darstellung der schwankenden Haltung zwischen echter Aufklärungspflicht und Einwendungsdurchgriff mit Aufklärungsobliegenheit. Ferner Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.311. Zur jetzigen Rechtslage siehe §9 VerbrKrG und § 6 TeilzeitwohnrechteG. 104 Die Verträge mögen dem typischen Käufer als „wirtschaftliche Einheit" erscheinen, aber dieser Eindruck ist nicht schon deshalb durch erklärungsrelevantes Verhalten der Bank oder des Verkäufers als ihres Verhandlungsgehilfen hervorgerufen oder bestätigt worden, weil sie diese Vertragskonstruktion anbieten. Anders liegen Fälle, in denen Verkäufer und Kreditgeber den Eindruck personeller Identität erweckt haben. Das kann einen Vertrauenstatbestand auch im Hinblick auf die vertragliche Identität schaffen. 105 BGH NJW 1974, 849, 851; der Kl. war angestellter Schneider (a.a.O., S.851). 106 So selbst Bohrer, Haftung, S. 156. 107 BGH NJW 1989, 1667.

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen

Vertrauens

119

Grundlage für die Beurteilung des Geschäftserfolges ist,108 obgleich dieser Eindruck oder sonst ein Vertrauen nicht erweckt worden war. Informationsgegenstand war hier die betriebswirtschaftliche Aussagekraft von Standortanalysen. Im Aufliebungsvertragsfall wurde der Arbeitgeber vom LAG Hamburg verpflichtet, den Arbeitnehmer über nachteilige Folgen einer Abkürzung der Kündigungsfrist in der Arbeitslosenversicherung zu informieren.109 Auch hier hatte der Informationspflichtige keinerlei Vertrauen erweckt.110 Im Arztgebührenfall sah das OLG Hamburg den Chefarzt verpflichtet, die Patientin vor Abschluß des „Arztzusatzvertrages" darüber aufzuklären, daß ein Teil des dann vereinbarten Honorars nicht erstattungsfähig sei.111 Ein breites Anwendungsfeld für vertrauensunabhängige Informationspflichten bezüglich allgemeiner Informationen findet sich ferner im Kapitalanlagerecht, namentlich bei Börsentermingeschäften112 und im Versicherungsvertragsrecht. So werden die Versicherer, unabhängig von etwaigem vertrauensbegründenden Verhalten,113 zu Informationen über den Umfang des Versicherungsschutzes,114 die möglichen Versicherungsformen,115 einzelne 108 O L G Rostock DB 1995, 2006; siehe auch SoergelIWiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.288. 109 LAG Hamburg LAGE §611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 9 (m. Anm. Welslau und Schwarze). Eine Informationspflicht kann nicht aus dem Arbeitsvertrag (Fürsorgepflicht) abgeleitet werden, soweit es um einen durch den Aufhebungsvertrag erst zu findenden Ausgleich zwischen gegensätzlichen Interessen der Parteien geht. Der Arbeitgeber ist durch den Arbeitsvertrag in dieser Hinsicht nicht gebunden. Eben dies wäre Voraussetzung für eine vertragliche Informationspflicht. 110 Insoweit geradezu klassisch die Beliebigkeit des Vertrauensarguments in der Entscheidung des LAG Hamburg (LAGE § 611 BGB Aufhebungs vertrag Nr. 9, S. 5,8): Das betriebliche Interesse an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses und die Veranlassung der Aufhebung durch den Arbeitgeber schaffe ein „Vertrauen", daß der Arbeitgeber auch die Interessen des Arbeitnehmers berücksichtige (im Anschluß an BAG NZA 1990,971,972); krit. dazu Schwarze, 2. Anm. a.a.O., S. 31 f. 111 O L G Hamburg NJW 1987,2937f.; zur Rechtsprechung Michalski, VersR 1997,137,142ff. m. w.N. Ähnlich die Informationspflicht des Architekten über Vergütungspflichten nach der Gebührenordnung für Architekten, O L G Köln MDR 1959, 660; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.297. 112 Dazu noch S. 181 ff. 113 Wieso in BGHZ 40, 22 in der Forderung einer Kfz-Kaskoversicherung als Sicherheit und der gleichzeitigen Vermittlung des Versicherungsvertrages seitens der kreditgebenden Bank ein „besonderer Vertrauenstatbestand" (noch dazu dem Versicherer zurechenbar) im Hinblick auf die räumliche Erstreckung des Versicherungsschutzes (Türkei einbezogen) liegen soll (so Larenz, FS Ballerstedt, S. 397,413), ist unerfindlich. Ein Vertrauenstatbestand - der Versicherungsnehmer hatte um Beratung gebeten, der Agent sich darauf eingelassen - lag dagegen in O L G Köln VersR 1996, 1265 vor, das zutreffend den unterschiedlichen Umfang einer vertrauensbegründeten und einer sonstigen Informationspflicht betont. Ferner kann ein Vertrauenstatbestand in der Überreichung der grünen Versicherungskarte ohne Streichvermerk für das jeweilige Land liegen, BGHZ 120, 87; O L G Oldenburg NJW-RR 2000, 245. 114 O L G Köln VersR 1993, 304; O L G Düsseldorf VersR 1996,1104 (Sonderfall des Versicherungsmaklers); zum österreichischen Recht O G H VersR 1998,482, 484 (Versicherer muß Fehlvorstellungen des Versicherungsnehmers über Risikoausschlüsse aufklären); siehe auch B G H VersR 1996, 1113. 115 O L G Köln VersR 1996, 1530.

120

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

Ausschlußklauseln oder die Folgen von Obliegenheitsverletzungen 116 verpflichtet. 3. Daraus

resultierende

Begründungsdefizite

der

Rechtsprechung

Die Begründungsprobleme dieser Rechtsprechung liegen auf der Hand. Da sie vertrauenstheoretisch nicht zu erklären ist, steht sie im Widerspruch zu dem vom Gesetz formell gestalteten Prinzip der informationellen Eigenverantwortung. Dessen Parameter seien noch einmal in Erinnerung gerufen: (1) die formelle, nur an das Lebensalter anknüpfende Regelung der (generellen) Fähigkeit, die Relevanz von Informationen zu erkennen (§§104ff. BGB); (2) die rechtliche Unerheblichkeit der (punktuellen) Unerkennbarkeit der Relevanz einzelner Informationen. 117 Demzufolge wäre es etwa im Juweliergeschäftsfall Sache des Erwerbers gewesen, sich über den Umsatz zu informieren und das Geschäft nicht ohne diese Information abzuschließen; im Hypothekenzessionsfall hätte der Zessionar nach etwaigen Mängeln des Grundstücks fragen müssen; es wäre Sache des Auftraggebers im Speditionsvertragsfall gewesen, nach der Gewißheit des Lieferungszeitpunkts zu fragen; im Bürgschaftsfall hätte der Bürge sich (selbstverständlich!) über das Risiko erkundigen müssen, das er einging. Im Nachbarstreitfall hätte der Käufer sich nach etwaigen Lärmbelastungen erkundigen müssen. 118 Im Chefarztfall hätte der Patient fragen müssen, von wem er operiert werde. Und selbst wenn man in dem ein oder anderen Fall das Informationsbedürfnis für unerkennbar hielte - z.B. konnte im Luisinlichtfall die Beklagte nicht damit rechnen, daß es Ärger mit einem Konkurrenten gab - , wäre es Sache des davon nachteilig Betroffenen, das daraus resultierende Risiko zu tragen. Bezüglich des allgemeinen Geschäftswissens ist grundsätzlich von dessen Erkennbarkeit auszugehen. Nicht von ungefähr verläßt die Rechtsprechung in diesen Fällen meistens vertrauenstheoretische Begründungsmuster und hebt auf die „geschäftliche Unerfahrenheit" des Informationsbedürftigen ab. Der Widerspruch zwischen den nicht ver116 Grundlegend BGH VersR 1967, 441 und VersR 1968, 1155; Folgeentscheidungen: BGH VersR 1970,26; 1971,142; 1973,174; 1978,121; ferner etwa OLG Hamm VersR 1995,1085; OLG Nürnberg VersR 1996,746 (Leits.); OLG Düsseldorf VersR 1997,177(Leits.); OLG Köln VersR 1997, 350; OLG Hamm VersR 1997, 1125; OLG Koblenz VersR 1997, 1226; OLG Oldenburg VersR 1998,449. Aus der Literatur: Werber, ZVersWiss 1994,321 ff.; Schlossareck, Ansprüche des Versicherungsnehmers, S.178ff.; Kieninger, AcP 199, 190ff. Zu den gesetzlichen Informationspflichten E. Lorenz, ZVersWiss 1995,103ff.; Schirmer, VersR 1996,1045ff.; Römer, VersR 1998, 1313ff.; umfassende Nachweise bei Kieninger, VersR 1998,5ff. Siehe ferner § 1 Abs. 3, 5 des Entwurfes der SPD-Bundestagsfraktion eines Gesetzes zur Reform des W G , ZIP 1997,1258; dazu Adams ZIP 1997, 1224. Zum Entwurf eines Gesetzes zur Ausübung der Tätigkeit als Finanzdienstleistungsvermittler und als Versicherungsvermittler sowie zur Errichtung eines Beirats beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen des Saarlandes und des Landes Niedersachsen S. 150. 117 S. 148f. 118 BGH NJW 1991, 1673, 1674 (wie das Verhandlungsgespräch im einzelnen verlaufen war, mußte noch geklärt werden).

1. Kapitel: Informationspflichten

kraft in Anspruch genommenen Vertrauens

121

trauenstheoretisch begründbaren Informationspflichten und dem Prinzip der informationellen Selbstverantwortung ist bis heute nicht aufgelöst. D e r Konflikt wird von den Gerichten durchaus gesehen, 1 1 9 aber am E n d e übergangen. Anders kann man Begründungsstrategien nicht qualifizieren, die das allgemeine O r d nungsvertrauen („Vertrauen auf redliches Verhalten") oder die „Generalklausel", daß jeder den anderen über für ihn Wesentliches nach Treu und Glauben aufzuklären habe, bemühen. Von gewisser Substanz ist zwar die „geschäftliche U n e r fahrenheit" des Informationsbedürftigen. A b e r auch hier ist das meiste unklar: von der haftungsdogmatischen Bedeutung 1 2 0 des Kriteriums über seine Aussagekraft 1 2 1 bis hin zum Tatbestand. 1 2 2 D a ß die meisten Entscheidungen z u m richtigen Ergebnis finden, ist kein rechter Trost. Präjudizien können nicht auf Dauer T h e o r i e ersetzen.

4.

Zusammenfassung

Unsere Untersuchung hat gezeigt, daß das Vertrauensprinzip einen substanziellen Beitrag zur Konkretisierung der vorvertraglichen Schutzpflichten leisten kann, daß aber nur ein Teil der von der Rechtsprechung dekretierten Informationspflichten vertrauenstheoretisch begründbar ist.

119 Einmal, wenn die informationelle Eigenveranwortung betont wird, B G H N J W 1970, 653, 655, 656; B G H WM 1976, 51; B G H NJW 1983, 2493, 2494; zum anderen, wenn in Einzelfällen vor allem auf die Fragemöglichkeit der informationsbedürftigen Partei hingewiesen wird, B G H N J W 1977, 1055, 1056; N J W 1989, 1667, 1668. 120 Manche Entscheidungen behandeln die Unerfahrenheit gewissermaßen als „Haftungsgrund", in anderen scheint sie nur für die Erkennbarkeit eines Informationsbedarfs auf Seiten des Informationsbedürftigen bedeutsam zu sein. 121 Es ist nicht klar, ob der Begriff „paritätstheoretisch" gemeint ist, also „informationelle Unterlegenheit" und damit Schutzbedürftigkeit einer Partei zum Ausdruck bringen soll, oder lediglich Umschreibung eines tatsächlichen Wissensdefizits ist. 122 Es ist unklar, ob ein Mangel an „allgemeiner" Erfahrung oder an Erfahrung in bestimmten Lebensbereichen gemeint ist, wenn letzteres, wie diese Bereiche abzugrenzen sein sollen; siehe noch S. 154ff., 178ff., 183ff.

2. Kapitel:

Vorvertragliche Informationspflichten zum Schutz informationell Unterlegener Es sind nunmehr andere haftungskonkretisierende Prinzipien zu suchen, die der Praxis ein theoretisches Fundament geben. Ausgehend von der gesetzlichen Basiswertung - informationelle Eigenverantwortung - steht auf der Grundlage der vorherrschenden Dogmatik, die die vorvertragliche Informationshaftung ausschließlich als Problem der Willensbildung und ihres Schutzes betrachtet, nur ein Weg offen: das tatsächliche oder normativ begründete Informationsgefälle unabhängig vom Verhalten der besser informierten Partei als Hindernis einer selbstbestimmten Vertragsentscheidung aufzuzeigen, das durch eine Pflicht zur Aufklärung beseitigt werden muß.

§ 1 Legitimation des Schutzes informationell

Unterlegener

I. Materiale Bewertung der Fähigkeit zu informationeller Selbstbestimmung 1. Der paritätstheoretische

Ansatz

Eine verbreitete Kritik am formal-idealen Begriff der Vertragsfreiheit im B G B 1 besagt, die tatsächlichen Funktionsvoraussetzungen des Vertrages würden vom B G B zu sehr vernachlässigt, so daß trotz Erfüllung der Voraussetzungen eines wirksamen Vertrages eine freie selbstbestimmte Entscheidung fehlen könne. 2 Was 1 Kaiser; J Z 1959,1 ff.; ders., Zukunft der Privatautonomie, S. 9; Reinhardt, FS Schmidt-Rimpler, S. 115 und passim; Biedenkopf, Wettbewerbsbeschränkung, S. 108ff.; Bartholomeyczik, AcP 166, 30, 31, 32, 33 und passim; Richardi, Kollektivgewalt, S.37ff., 39; Schweingruber, Vertragspartei, S.37ff.; M. Wolf, Entscheidungsfreiheit; Nikiisch, B B 1974, 941, 942f.; Weitnauer, Schutz des Schwächeren, S. 11 und passim; Hönn, Vertragsparität, passim; ders., J Z 1983, 677ff.; Habersack, Vertragsfreiheit, S. 41 ff.; Singer, Selbstbestimmung, S. 12; Dieterich, RdA 1995, 129, 131. Siehe ferner den Uberblick bei Limbach, JuS 1985, lOff. Auch Materialisierungsskeptiker äußern sich in diesem Punkt klar, Zöllner, AcP 188, 85, 97/98, 99; siehe auch Preis, Grundfragen, S. 216, 217f.; zudem oben S.4. Anders nur - vom Standpunkt der „Realen Rechtslehre", E. Wolf, A T S. V, § 8 F, S. 318ff.; Tosch, Lehre vom Vertrag, S. 168ff., der (S. 170ff.) die Prüfbarkeit rechtlich relevanter Unterlegenheiten leugnet, freilich ohne ein Wort über § 138 Abs. 2 B G B zu verlieren. 2 Biedenkopf Wettbewerbsbeschränkungen, S. 108; Bartholomeyczik, AcP 166, 30, 66f.; M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 124f.; Hönn, Vertragsparität, S. 52; Zöllner, AcP 188,85,99; Nick-

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

123

auf den ersten Blick nur eine Umschreibung des Materialisierungsproblems insgesamt zu sein scheint, 3 erweist sich bei näherer Betrachtung als eigenständiger Ansatz für eine Konkretisierung des Prinzips materialer Selbstbestimmung. Das wird etwas deutlicher in der Forderung nach einem „Verhandlungsgleichgewicht" oder „Parität" zwischen den Vertragsparteien. 4 Im Unterschied zur Materialisierung nach dem Vertrauensprinzip ist hier nicht das Verhalten des Kontrahenten der entscheidende Aspekt für die Schutzwürdigkeit des materiellen Willens, sondern ein defizitärer Zustand - der des Ungleichgewichts. Materialisierung heißt hier, die Vertragsfreiheit und das sie bedingende Gleichgewicht zwischen den Parteien nicht (allein) nach der idealen, von der (sozialen) Wirklichkeit abstrahierenden Gleichheit aller Rechtsgenossen zu bestimmen, sondern die „materialen", konkreten Unterschiede dieser Wirklichkeit in Rechnung zu stellen, und zwar in dem Maße, den der Zweck („Funktion") der Vertragsfreiheit fordert. Man kann zunächst, einem verbreiteten Sprachgebrauch folgend, vom paritätstheoretischen Ansatz sprechen. 5 Implicite erteilt dieser Ansatz der (ordo-)liberalen Vorstellung eine Absage, der Wettbewerb schaffe hinreichende Voraussetzungen für individuale Vertragsgerechtigkeit. 6 So unverzichtbar ein intakter Wettbewerb für das „Funktionieren" des Vertrages in der Tat ist, so wenig wird die Wirklichkeit allgemein diesen Anforderungen entsprechen, 7 von den Schwierigkeiten, die Anforderungen „des Wettbewerbs" zu benennen, ganz abgesehen. Insbesondere wird der Wettbewerb informationelle Unterlegenheiten im Einzellisch, BB 1974, 941, 942; Weitnauer, Schutz des Schwächeren, S. 18 unter Hinweis auf Äußerungen bei der Beratung des BGB; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 103/104, m.w.N.S. 64; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S. 35; siehe auch Rittner, AcP 188,101,124. Gegen den Versuch, die Problematik generell vom vertraglichen auf die Ebene des sozialen Interessenausgleichs zu verlagern (v. Stebut, Schutz, S.55f., 78ff., 153ff., 318ff.; tendenziell Zöllner, AcP 176, 221, 240ff.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S.105ff.) siehe bereits S.44ff., 50ff.; ferner Singer, Selbstbestimmung, S. 13f. Zur Frage, wie und in welchem Umfang rechtliche Wertung - hier die formale Betrachtung der rechtsgeschäftlichen Entscheidungsfreiheit - sich von der Wirklichkeit entfernen darf, Damm, VersR 1999, 129ff. 3 Vgl. S.3ff. 4 Zur Geschichte des Paritätsgedankens in der Vertragstheorie Zöllner, AcP 196, 1, 15ff. 5 Verbaliter fordert auch das BVerfG, BVerfGE 89,214, 233 und passim, „Parität", doch sind die Anforderungen nicht im Sinne eines positiv feststellbaren Gleichgewichts formuliert, sondern in Richtung auf eine erhebliche Störung („strukturell") abgemildert und daher jedenfalls tendenziell im hier vertretenen, nachfolgend entwickelten Sinne zu verstehen, siehe noch S. 135ff.; siehe auch Dieterich, RdA 1995,129,131. Die Forderung nach „Parität" kann auch ordnungstheoretisch motiviert werden. Hier wird im folgenden nur ein individualer, von der Vertragsgerechtigkeit ausgehender Partitätsansatz diskutiert. Zu den ordnungstheoretischen Materialisierungstheorien siehe S.44ff., 50ff. 6 Vgl. Böhm, Wettbewerb und Monopolkampf, S. 17ff., 20; aus dem juristischen Schrifttum Lieb, AcP 183, 327, 362, 363; Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S.21; Grunsky, Vertragsfreiheit, S. 12f. (bezogen auf wirtschaftliche Überlegenheit); weitere Nachweise bei Singer, Selbstbestimmung, S. 15f. 7 Vgl. M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.92ff.; Limbach, KritV 1986,165,170f.; Singer, Selbstbestimmung, S. 15 f.

124

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

fall nicht verhindern können. 8 So klar die Paritätstheorie der Idee nach sein mag, so problematisch ist ihre Operationalisierung; ja es ist gerade ein Zweck des formal-idealen Vertragskonzepts, die Schwierigkeiten einer solchen Paritätsbetrachtung zu vermeiden.9 Durchaus vergleichbar zu den hier gewonnenen Erkenntnissen über Ordnungstheorien vertritt deshalb Hönn in seiner umfassenden Untersuchung der Gleichgewichtsproblematik die Ansicht, ein Prinzip materialer Vertragsparität könne nicht Grundlage richterlicher Rechtsfortbildung sein, sondern sei einerseits Forderung an den Gesetzgeber, zum anderen ein Prinzip der positiven gesetzlichen Ordnung. 10 Die Rechtsordnung sei Imparitätslagen gegenüber nicht verschlossen, aber es sei Sache des Gesetzgebers, derartige Lagen festzustellen und zu bereinigen. Parität in diesem Sinne beschreibt „die vom positiven Recht den Vertragsparteien eingeräumte Rechtsstellung, welche ihnen einen Interessenausgleich in Selbstbestimmung mit der Chance der Äquivalenz eröffnet". 11 Von hier aus erscheint eine Vielzahl gesetzlicher Regelungen als „paritätsrelevant", weil die Rechtsstellung der einen im Verhältnis zur anderen Partei beeinflussend: das Wettbewerbsrecht ebenso wie viele aktionärsschützenden Regelungen oder sogar öffentlich-rechtliche Regelungen wie die Kreditaufsicht. 12 Im Hinblick auf informationelle Parität nennt Hönn unter anderem die Irrtumsanfechtung, Formvorschriften und die „Vertrauenshaftung" als Beispiele. 13 Imparität ist auf diese Weise immer „fiktiv": 14 Erst wenn das Recht (Gesetzgeber oder Richterrecht) eine „ausgleichende" Regelung trifft, stellt sich die unmittelbar zuvor bestehende Ungleichgewichtslage heraus, durch die Regelung wird sie beseitigt. Mit dem weitgesteckten Panorama „ausgleichender" Regelungen zeigt Hönn nicht nur den inneren Zusammenhang sehr heterogener Materien auf, sondern liefert ein weiteres Argument gegen eine von einem Paritätsprinzip getragene Rechtsfortbildung; denn in Hönns Interpretation hat sich die Rechtsordnung des Problems wenn schon nicht systematisch und abschließend, so doch vielschichtig 8 Grunsky, Vertragsfreiheit, S. 13f.; siehe auch Singer, Selbstbestimmung, S. 16f., unter Hinweis auf die Situation bei Konsumentenkrediten. 9 Insoweit kann man von einer bewußten Abkehr von der Wirklichkeit sprechen, vgl. zu den möglichen Haltungen des Gesetzes zur Wirklichkeit in bezug auf diese Frage Damm, VersR 1999, 129, 136. 10 Hönn, Vertragsparität, S.98f.; skeptisch ebenfalls Wiedemann, JZ 1990,695,698; ablehnend für das Arbeitsverhältnis Zöllner, AcP 176,221,231,246 und passim; Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 19ff., 35; Preis, Grundfragen, S.218,228f., allerdings mit der Einschränkung, „in konkreten Einzelfällen (müsse) der Rückgriff auf eine konkrete Ungleichgewichtslage möglich bleiben" (a.a.O., S. 289); ferner Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 274 (in Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung des BVerfG). 11 Hönn, Vertragsparität, S. 99. Kritisch zur Begriffsverwendung bei Hönn Oechsler, Gerechtigkeit, S. 152 ff. 12 Hönn, Vertragsparität, S. 119ff., 223ff., 233ff. 13 Hönn, Vertragsparität, S.254ff.; auch Bartbolomeycik, AcP 166, 30, 65, rechnet die Regelung der Willensmängel zum Bereich der „Waffengleichheit". 14 Hönn, Vertragsparität, S. 101.

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

125

und im Bemühen um sorgfältige Austarierung angenommen. Vor diesem Hintergrund erscheint das Postulat des „Gleichgewichts" als zu grob, um auf der Ebene dogmatischer Rechtserkenntnis, nicht bloß der Rechtspolitik, Defizite der gesetzlichen Regelung begründen zu können. Insofern wäre auch der gegen Hönn erhobene Vorwurf des „Positivismus", des „Versagens vor den Anforderungen der Rechtsfortbildung" 15 zu relativieren. Denn das Anliegen der Rechtsfortbildung verliert in dem Maß an Gewicht, in dem der bestehenden Rechtsordnung eine weitreichende Problemlösung konzediert werden muß. Auch dann wird es noch Lücken geben, auch dann wird man punktuell Rechtsfortbildung legitimieren können. Nur wären Begründungen für Rechtsfortbildung in Analogie zu bestehenden Kompensationsregelungen zu suchen, nicht in einem mit umfassendem Geltungsanspruch auftretenden dogmatischen Rechtsprinzip. Ebensowenig greift der von Singer gegen Hönn erhobene Einwand der Zirkularität. Singer meint, ohne einen überpositiven Begriff der Parität fehle das tertium comparationis, um die paritätsbezogene Teleologie einer Norm feststellen zu können. 16 Das ist für sich genommen richtig, wird aber den Überlegungen Hönns nicht gerecht. Denn positivistisch ist der Begriff der Parität bei Hönn nur partiell, soweit auf die durch die Rechtsordnung eingeräumte Rechtsstellung abgestellt wird. Produktiv ist dagegen der Teil des Begriffs, der die paritätsrelevanten Normen von den irrelevanten scheiden soll. Danach sind nur jene Normen paritätsrelevant, die einen „Interessenausgleich in Selbstbestimmung mit der Chance der Äquivalenz" eröffnen. Hönns Begriff der Vertragsparität wird der paritätstheoretischen Zielsetzung aber in anderer Hinsicht nicht gerecht. Er ist nicht mehr als ein Sammelbegriff für alle der Selbstbestimmung förderlichen Regelungen; paritätsrelevant soll jede Norm sein, die der „Selbstbestimmung mit der Chance eines äquivalenten Interessenausgleichs" dient. 17 Darunter fällt die Irrtumsanfechtung gemäß §119 B G B ebenso wie die Vertrauenshaftung.18 Eine derart umfassende Theorie „materialer Vertragsfreiheit" könnte nicht zu konkreten Rechtsfortbildungsaussagen führen und wäre in der Tat nicht mehr als eine Umschreibung des Materialisierungsproblems, in dem Vertrauensprinzip und gegebenenfalls andere Prinzipien Platz hätten. 19 Eine produktive Paritätstheorie kann, soll sie eigenständigen Sinn haben, nicht jede „Störung" der Selbstbestimmung kompensieren; derer gibt es verschiedenartige, und jedenfalls im informationellen Bereich kann sie auf Nachlässigkeit des Irrenden zurückzuführen sein, wenn zum Beispiel der Schreibfehler in der Bestellung vermeidbar war oder der Käufer die Unechtheit des Goldrings schon wegen des niedrigen Preises hätte bemerken oder der Gebrauchtwagen-

15 16 17 18 19

Singer, Selbstbestimmung, S.31f.; Limbach, KritV 1986, 165, 184. Singer, Selbstbestimmung, S.32. Hönn, Vertragsparität, S.99. Hönn, Vertragsparität, S.254f., 257, 258; wohl auch M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.61. Ebenso Zöllner, AcP 196, 1, 20/21, Fn.78.

126

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung selbsthestimmter

Willensbildung

käufer die auf einen Unfall deutende Schweißnaht hätte sehen müssen.20 Eine praktikable Paritätstheorie kann nicht alle zweckdienlichen, sondern nur notwendige Bedingungen der Selbstbestimmung benennen wollen. Ihre spezifische Zielrichtung ist die Fähigkeit zur Selbstbestimmung, die über die formale Geschäftsfähigkeit (§§ 104ff. BGB) hinaus materiale Aspekte (wirtschaftliche, informationelle, rationale) in einem gewissen Rahmen einbeziehen soll.21 Wenn man grundsätzlich anerkennt, daß es Fälle kompensationsbedürftiger „Ungleichgewichte" gibt,22 wird man sich richterlicher Rechtsfortbildung nicht a priori verschließen können. Insoweit greift der positivistische Ansatz Hönns zu kurz. 23 Die Frage ist allerdings, ob eine „materiale" Definition der Selbstbestimmungsfähigkeit überhaupt in vorvertragliche Verhaltenspflichten umzusetzen wäre, ob, mit anderen Worten, dem Gerechtigkeitsprinzip insoweit ein prozeduraler Gehalt abzugewinnen ist. Denn Materialisierung der Selbstbestimmungsfähigkeit scheint als materiale Ergänzung der §§ 104ff. B G B gedacht zu werden und daher zur Unwirksamkeit des Vertrages führen zu müssen. So in der Tat M. Wolfs Theorie der materialen Selbstbestimmung, die sich zwar auf wirtschaftliche Aspekte der Selbstbestimmungsfähigkeit beschränkt, auf den informationellen Bereich aber durchaus übertragbar wäre.24 2. Der materielle

Wille als

Anknüpfungspunkt

Materialisierung des formalen Vertragsrechts wurde bezüglich der informationellen Voraussetzungen bislang als Schutz des empirischen materiellen Willens verstanden. Die Frage ist, ob der empirische Wille auch Schutzgegenstand des hier diskutierten Rechtsfortbildungsansatzes sein kann oder durch den „gerechten Vertragsinhalt" ersetzt werden muß. Denn wenn die „Selbstbestimmungsfähigkeit" gestört ist, könnte schon die Bildung dieses Willens in Zweifel zu ziehen sein. Indessen ist die Selbstbestimmungsfähigkeit nur in bestimmter Hinsicht gestört - im Hinblick auf die Fähigkeit, die Informationslast wahrzunehmen. Die Fähigkeit, überhaupt einen rechtlichen Willen zu bilden, wird dadurch nicht in Frage gestellt. Störungen der informationellen Selbstbestimmungsfähigkeit implizieren nicht Störungen der Willensbildung überhaupt. Beides ist unterscheidbar. Folglich kann der empirische Wille der betreffenden Partei den Ausgangspunkt für kompensatorische Maßnahmen bilden und folglich ist die von M. Wolf 2 0 Würde man auch jeden auf Nachlässigkeit beruhenden Irrtum als Unterlegenheit werten, ginge jeder Anreiz zur Eigenverantwortung verloren. Berechtigt die Kritik an einem derartigen Verständnis von „Parität" von Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S.22. 21 Dazu, daß die Geschäftsfähigkeitsregeln nur eine Mindestgrenze für die Ausübung der rechtsgeschäftlichen Selbstbestimmung darstellen, Schwimann, Geschäftsfähigkeit, S.42f. 22 Das bestreitet beispielsweise auch Medicus nicht (Abschied von der Privatautonomie, S. 24). 23 Gegen ein Rechtsfortbildungsverbot auch Singer, Selbstbestimmung, S. 34. 24 Die Theorie ist in dieser Hinsicht weithin auf Ablehnung gestoßen, siehe nur Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S. 220.

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

127

für die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit befürwortete Nichtigkeitsfolge bei Selbstbestimmungsstörungen jedenfalls für den vorliegenden Problembereich keine taugliche Lösung. Die materiale Selbstbestimmungsfähigkeit kann auch in wirtschaftlicher und rationaler 25 Hinsicht beeinträchtigt sein. Jedenfalls bezüglich wirtschaftlicher Störungen kann materiale Selbstbestimmung nicht gänzlich ohne Bezug zur Vertragsgerechtigkeit definiert werden, wie offenbar Flume meint. 26 Der materielle Wille, das eigentlich Gewollte, kann nicht Schutzziel materialer Selbstbestimmung sein, soweit es um die wirtschaftliche Entscheidungsfreiheit geht. Selbstbestimmung im Vertrag bedeutet immer, auch unter optimalen Bedingungen, allenfalls gleiche Mitbestimmung beim Vertragsergebnis. 27 So würde der Kaufinteressent den Gegenstand seines Interesses „eigentlich" gern umsonst erwerben wollen, während umgekehrt der Verkäufer am liebsten einen Phantasiepreis einstriche. An diesen Wünschen kann sich eine gesetzliche oder richterrechtliche Maßnahme zur Herstellung tatsächlicher Selbstbestimmungsbedingungen selbstverständlich nicht orientieren. Man kann also nicht eine Störung der materialen Selbstbestimmung konstatieren, weil eine Partei nicht in der Lage ist, ihren diesbezüglichen materiellen Willen durchzusetzen. Die unvermeidliche Abstimmung der Wünsche ist in Rechnung zu stellen. Die Grenze zwischen beiden Selbstbestimmungspotentialen kann aber nur durch einen materialen Maßstab gezogen werden. Hier wiederum auf die Willkür der Parteien zu verweisen, wie Flume es tut, läßt das Problem, was materiale Selbstbestimmung im Vertrag sei, ungelöst. 28 Man wende nicht ein, materiale Selbstbestimmung lasse sich als Angleichung der Vertragsmacht der Parteien beim Vertragsschluß und damit ohne gedanklichen Bezug zum Vertragsinhalt verstehen; denn es bleibt unerfindlich, warum die Rechtsordnung derart nachhaltig zum Schutze der Selbstbestimmung tätig werden sollte, wenn Selbstbestimmung sich zur Gerechtigkeit indifferent verhält. 29 „Wirkliche" oder „materiale" Selbstbestimmung bedarf insoweit der Gerechtigkeit als Bezugspunkt. Sie andererseits gleichzusetzen mit der Erzielung eines bestimmten („gerechten") Vertragsergebnisses, würde aber letztlich doch zur Bestimmung materialer Gerechtigkeit - im Gewände der Selbstbestimmung - zwinDazu noch S. 15 ff. Man kann sagen, Selbstbestimmung im Vertrag setze ein Machtgleichgewicht voraus (so Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §1 (7), S. 10). Aber eine formale Theorie der Vertragsfreiheit wird dieses Gleichgewicht auch stets als gegeben voraussetzen. Nur wer sich auf eine Bewertung der Selbstbestimmung einläßt, kann Machtungleichgewichte als Realphänomen wahrnehmen. Und diese Bewertung kann nur vom Standpunkt des Rechts und der Gerechtigkeit erfolgen (was nicht unbedingt heißt, den Vertrag an konkreten Gerechtigkeitsvorstellungen zu messen). Ahnlich wie Flume aber wohl auch der Standpunkt von Singer, Selbstbestimmung, S. 43. 27 Vgl. Schmidt-Rimpler, FS Kaiser, S. 1, 19f.; Hönn, Vertragsparität, S. 89f., 96; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 79. 28 Siehe auch die Kritik von Hönn, Vertragsparität, S.23f., 28. 29 Siehe S. 78 ff.,85 ff. 25 26

128

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung selhstbestimmter

Willensbildung

gen. In diese Richtung geht M. Wolfs Theorie der vertraglichen Entscheidungsfreiheit, die materiale Selbstbestimmung als angemessene (reale) C h a n c e z u m gerechten Vertragsschluß bestimmt. 3 0 Zwar setzt Wolf Selbstbestimmung und G e rechtigkeit nicht in eins, 3 1 aber er konkretisiert die wirtschaftliche E n t s c h e i dungsfreiheit 3 2 doch mit Hilfe des Gerechtigkeitsprinzips. D i e Zurechnung der in Selbstbestimmung getroffenen Entscheidung setze, soweit es die Vertragsgestaltung und nicht allein die Auswahl der Vertragsleistung und des Vertragspartners betreffe, 3 3 die Möglichkeit voraus, die eigenen Interessen wahrnehmen und sachfremde Interessen abwehren zu können, 3 4 fordere die Möglichkeit zur gerechten Entscheidung, wie sie der Gesetzgeber treffen würde. 3 5 Beeinträchtigt sei die Entscheidungsfreiheit, wenn die Verkoppelung sachfremder Interessen aufgrund ihrer intensiveren Wertausstrahlung die Abwägung der sachzugehörigen Interessen störe. 3 6 O b eine Störung der Selbstbestimmung vorliegt, hängt demnach letztlich von der Sachgerechtigkeit der vertraglichen Regelung ab. 3 7 Das Verhältnis von Selbstbestimmung und Gerechtigkeit wird damit verkehrt. D e r Gerechtigkeitswert der Selbstbestimmung begründet sich gerade aus der mangelnden Rationalisierbarkeit materialer Gerechtigkeit. Wolf überschätzt die B e stimmungskraft der „Sachgerechtigkeit" und belastet den Versuch eines materialen Verständnisses des Selbstbestimmungsprinzips mit entsprechenden U n w ä g barkeiten und daraus resultierenden Einwänden. 3 8 Andererseits verdient das Richtige seiner T h e o r i e festgehalten zu werden: daß materiale Selbstbestimmung jedenfalls bezüglich der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit nicht ohne einen Bezug zur Gerechtigkeit bestimmt werden kann. N u r bedarf es für die B e s t i m mung dieser Chance nicht der Vorstellung eines bestimmten (gerechten) VerWolf, Entscheidungsfreiheit, S. 69ff. So der Vorwurf Roschers, Vertragsfreiheit, S.30ff., dessen Kritik im Kern auf die Richtigkeitslehre Schmidt-Rimplers zielt; dagegen Hönn, Vertragsparität, S.28. In diese Richtung allerdings die - auf der Rechtsphilosophie Hegels - beruhende Lehre Ballerstedts (JZ 1956, 267,270) und Pawlowskis (Rechtsgeschäftliche Folgen, S.232ff., 277ff.) vom rechtlich erheblichen Willen als rechtlich vernünftigem Willen; dazu S. 80, Fn. 236. 32 Nur darauf ist die Theorie bezogen, vgl. M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 5f. Wolf sieht die „intellektuelle Unterlegenheit" als Problem der ordnungsgemäßen Verständigung und dessen Lösung dementsprechend in der Auslegung der Willenserklärungen (Entscheidungsfreiheit, S. 5 f.). Indessen betrifft das informationelle Defizit der „unterlegenen" Partei meistens Umstände, die außerhalb des erklärten Rechtsfolgewillens liegen. 33 M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 117f. 34 M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.69ff., 133ff. 35 M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 118f., 134 und im einzelnen S. 138ff. Zur Kritik Singer, Selbstbestimmung, S. 18 ff.; gegen den Selbstbestimmungsbegriff Wolfs Oechsler, Gerechtigkeit, S. 113. Man wird darauf hinzuweisen haben, daß die AGB-Problematik die „intendierte Anwendung" der Theorie Wolfs ist (zur „intendierten Anwendung" im Sinne des strukturalistischen Theorienkonzepts Canaris, JZ 1993, 377, 379f.). 36 M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 71 f. 37 Wenngleich M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 108, sich gegen die Feststellung eines Ungleichgewichts anhand der Ungerechtigkeit des getroffenen Interessenausgleichs wendet. 38 Siehe nur die Kritik von Hönn, Vertragsparität, S.29f.; Singer, Selbstbestimmung, S. 18f. 30

31

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell Unterlegener

129

tragsinhalts für den jeweiligen konkreten Vertragsschluß. D i e Skepsis gegenüber objektiven Gerechtigkeitsbestimmungen läßt insoweit nur eine falsifizierende Aussage zu. Materiale Selbstbestimmung ist dann zu bejahen, wenn beide Verhandlungspartner ausreichend mächtig sind, einen offensichtlich ungerechten Vertrag zu vermeiden. 3 9 D i e Verzichtbarkeit eines Vertrages ist deshalb zu R e c h t als entscheidende G r ö ß e der wirtschaftlichen und rationalen Handlungsfreiheit gekennzeichnet worden. 4 0 Zwang 4 1 und „existentielle Angewiesenheit" 4 2 werden daher weithin als G r ü n d e für kompensatorische Eingriffe betrachtet. E s würde den R a h m e n dieser, den informationellen

Selbstbestimmungsvoraussetzungen

gewidmeten Untersuchung sprengen, die Bedingungen wirtschaftlicher E n t scheidungsfreiheit im einzelnen zu untersuchen. F ü r unsere Zwecke genügt die Feststellung, daß elementare Bedingungen wirtschaftlicher Entscheidungsfreiheit benannt werden können. Eine Materialisierung der Fähigkeit zur Wahrnehmung der Informationslast bedarf dagegen nicht einer konkreten Gerechtigkeitsvorstellung, sondern hat beim empirischen materiellen Willen des Geschützten anzusetzen, der davor geschützt wird, daß ein Informationsdefizit zu einer einem materiellen Willen (Rechtsfolgewillen und Wertungsgrundlagen) nicht entsprechenden rechtsgeschäftlichen Disposition führt. Fähigkeit zur informationellen Selbstbestimmung meint daher die Fähigkeit, der Informationslast entsprechend handeln zu können. Materiale Gerechtigkeitsinhalte sind für die Bestimmung der informationellen Selbstbestimmung nicht unmittelbar von Bedeutung. Weder in dem zu weit gehenden Anspruch, daß die informationellen Voraussetzungen auf die Erreichbarkeit eines „gerechten Vertragsinhalts" ausgerichtet wären. N o c h in dem nicht weit genug gehenden Sinne, daß ein „gerechter Vertragsinhalt" festge39 So die Reformulierung der Schmidt-Rimplerschen Richtigkeitsgewähr durch Canaris, FS Lerche, S. 873, 883f.; der Sache nach ebenso BVerfGE 89, 219,232, dazu noch S. 135ff. Damit ist auch die Gefahr des Kontrahierungszwangs gebannt, die in der Formulierung Wolfs als Möglichkeit liegt, vgl. Zöllner AcP 196, 1, 26, 31 und S. 21/22, Fn. 78. 40 Vgl. Schmidt-Rimpler, FS Kaiser; S. 1,6 (zumindest Ablehnungsmöglichkeit); M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 12ff., 125ff. und passim; auch Zöllner AcP 196,1, 28, 32f.; ferner DaunerLieb, Verbraucherschutz, S. 111, die aber offenbar keine Möglichkeit zur Kompensation wirtschaftlicher Unterlegenheit sieht (vgl. a.a.O., S. 110); Hönn, Vertragsparität, S. 96, fordert insoweit, daß die Durchsetzbarkeit wichtiger Ziele unter zumutbaren Opfern gewährleistet sein müsse. 41 Siehe die Rechtsprechung zum Mißbrauch von Monopolstellungen, etwa RGZ 102, 396, 397; 103, 82, 84; 106, 386, 388; weitere Nachweise und Einordnung der Rechtsprechung bei MünchKomm/Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., § 138 Rn. 79; ferner Rittner, AcP 188,101,108ff., und Zöllner, AcP 196, 1, 29f. 42 Wellenhofer-Klein, ZIP 1997, 774, 775ff. m.w.N.; Singer, Selbstbestimmung, S. 34; vgl. auch BVerfGE 81, 242, 260 („wirtschaftliche Abhängigkeit"). Man kann sich darüber streiten, unter welchen Voraussetzungen die wirtschaftliche Angewiesenheit anzuerkennen ist. Wirtschaftliche Unterlegenheit läßt sich aber nicht ernsthaft generell leugnen (tendenziell Dauner-Lieh, Verbraucherschutz S. 141 ff., 150; Coester-Waltjen, AcP 190, 1, 22f.; dagegen zutr. Singer, Selbstbestimmung, S.27ff. Ablehnend zur wirtschaftlichen Unterlegenheit des Arbeitnehmers Preis, Grundfragen, S.286f. m.w.N.; dagegen zutreffend Fastrich, Inhaltskontrolle, S.232ff., und die nach wie vor wohl herrschende Meinung, siehe nur Otto, Arbeitsrecht, 2. Aufl., Rn. 26).

130

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung selbsthestimmter

Willensbildung

stellt werden könnte, bei dessen Vorliegen keine Verletzung der informationellen Selbstbestimmung vorliege. 4 3 D i e F u n k t i o n der Gerechtigkeit besteht nach der hier vertretenen Auffassung nicht in der inhaltlichen Bestimmung materialer Selbstbestimmung und der Fähigkeit dazu, sondern ihrer Substituierung im Versagensfalle. Erst wenn Störungen der Selbstbestimmung nicht durch Wiederherstellung der Selbstbestimmung beseitigt werden können, insbesondere in Fällen der wirtschaftlichen Unterlegenheit, aber auch bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen, k o m m e n konkrete materiale Gerechtigkeitsvorstellungen zur Geltung, um die Ersetzung autonomer durch heteronome Regelung zu rechtfertigen und zu lenken. 4 4 Dieser Zusammenhang führt zu den weiteren Feststellungen, daß im Falle einer nicht evident ungerechten Regelung wirtschaftliche Unterlegenheit keiner K o r r e k t u r bedarf und daß umgekehrt eine evident ungerechte Regelung ein Indiz für wirtschaftliche Unterlegenheit der benachteiligten Partei ist. 4 5

II. Die Eingliederung paritätstheoretischer Wertungen in das vorvertragliche Schuldverhältnis F ü r unsere Fragestellung k o m m t es nicht allein auf die Legitimierung und K o n kretisierung des paritätstheoretischen Ansatzes an, sondern auch darauf, daß er zur vorvertraglichen Informationspflicht als Kompensationsmittel führt. Das erfordert einmal, wie bereits erwähnt, daß die Materialisierung der Fähigkeit zur Wahrnehmung der Informationslast nicht oder nicht ausschließlich mit den Rechtsfolgen „Vertragsunwirksamkeit" oder „Inhaltskontrolle" verknüpft ist, sondern einen prozeduralen Gehalt hat. Erforderlich ist aber auch eine Pflichtenkategorie, die in der Lage ist, einschlägige Aussagen der Paritätstheorie aufzunehmen und in vorvertragliche Verhaltenspflichten, beispielsweise Informationspflichten, umzusetzen. D i e Paritätstheorie bestimmt nur, o b eine Partei der anderen informationell unterlegen ist und deshalb des Schutzes bedarf. D i e erforderliche Pflichtenkategorie m u ß das vorvertragliche Schuldverhältnis bereitstellen. E s wurde bereits in anderem Zusammenhang der Versuch zurückgewiesen, paritätstheoretische Wertungen in vertrauenstheoretische Kategorien zu fassen, d.h. die Erwartung des Unterlegenen als „Vertrauen" zu bezeichnen, das dem Ü b e r l e g e nen ob seiner Überlegenheit zuzurechnen ist. D e r K e r n des Vertrauensgedankens liegt in der zurechenbaren Verursachung von Informationsdefiziten, in einem 43 So der Sache nach jene, die einen Schadensersatzanspruch aus c.i.c. nur im Falle eines Vermögensschadens bejahen, vgl. S.86f. 44 Ihre Rechtsgrundlage kann je nach Lage in § 9 AGBG oder § 242 BGB zu finden sein; siehe dazu und zu anderen dogmatischen Begründungen umfassend Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 29ff., 61 ff. 45 Zöllner, AcP 176, 221, 240, meint, man könne überhaupt nur aus der fehlenden Vertragsrichtigkeit auf Unterlegenheit schließen. Dagegen M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 108.

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

131

Verhalten. D e r Wissensunterschied ist, mag er auch „strukturell" sein, ein b l o ß e r Zustand. D i e s e m kategorialen U n t e r s c h i e d entspricht eine D i s k r e p a n z in der Wertung. M a n k ö n n t e die E r w a r t u n g des U n t e r l e g e n e n „Vertrauen" - Vertrauen auf eine b e s t i m m t e Tat- oder Rechtslage - nennen, aber es bezeichnete nicht jene „evidente" Schutzwürdigkeit des Bedürftigen und Verantwortlichkeit des anderen wie b e i m „in A n s p r u c h g e n o m m e n e n " Vertrauen. D e s h a l b sollte auch terminologisch klar geschieden werden. E i n e geeignete Kategorie für die T r a n s f o r m i e rung paritätstheoretischer Wertungen ist die Pflicht

zur Rücksichtnahme,

die, in

A n k n ü p f u n g an die ethische Pflicht z u r R ü c k s i c h t n a h m e , 4 6 v o n der R e c h t s p r e chung und Teilen der Literatur als vorvertragliche Verhaltenspflicht gesehen wird. 4 7 Als umfassende Pflicht zur R ü c k s i c h t n a h m e u n d W a h r u n g der Interessen der anderen Seite wäre sie angesichts der G r u n d e n t s c h e i d u n g e n des Gesetzes für eine eigenverantwortliche W a h r n e h m u n g der eigenen Interessen im Widerstreit mit den Interessen des anderen sicher nicht haltbar. 4 8 D e r paritätstheoretische A n s a t z beschreibt aber Konstellationen, in denen eine Partei zur eigenverantw o r t l i c h e n W a h r n e h m u n g ihrer Interessen gerade nicht fähig und

deshalb

schutzbedürftig ist. Insoweit gibt es keinen E i n w a n d gegen eine R ü c k s i c h t n a h mepflicht. O b die R ü c k s i c h t n a h m e p f l i c h t in Fällen der Paritätsstörung zu sinnvollen Pflichteninhalten konkretisiert werden kann, steht auf einem anderen Blatt. Jedenfalls für den B e r e i c h etwaiger informationeller U n t e r l e g e n h e i t ist dies

46 Die Verpflichtung zur Rücksichtnahme und Gemeinschaftlichkeit läßt sich nicht als „Vorwirkung" des späteren Vertrages erfassen, wie auch heute noch manchmal erwogen wird (Soergel/ Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 121; in diesem Sinne deutet Ballerstedt, AcP 151 (1951), 501, 504, die Ausführungen Heinrich Stolls in LZ 1923, Sp. 532, 543f., wohl zu Unrecht). Derartige Wiederbelebungsversuche an der überwundenen Zielvertragstheorie bzw. Vorwirkungstheorie (dazu Hildebrandt, Erklärungshaftung, S.39ff., 56ff., und Bohrer, Haftung, S. 117f.) sind nicht nur abzulehnen, weil sie besondere Verhaltenspflichten ohne späteren Vertragsschluß nicht erklären können, sondern weil vor allem unerfindlich bleibt, wieso der Vertrag bereits vor dem entscheidenden Datum der Einigung irgendeine Wirkung entfalten sollte. Hier wird offenbar die Dichotomie der Haftungsgründe - Wille oder Gesetz - nicht richtig erkannt, jedenfalls nicht konsequent praktiziert, vgl. dazu Picker, AcP 183,369,394f.; Loges, Erklärungspflichten, S. 105 ff. Anderes kann im Hinblick auf die vertrauenstheoretisch begründete Haftung gelten, wenn und soweit der in Aussicht genommene Vertrag auf Kooperation zielt, vgl. S. 106. 47 BGH WM 1984, 986, 987f. unter II 5a bb; BGHZ 99, 101, 107. Mertens, AcP 178, 227, 242 (in Anlehnung an das Sozialstaatsprinzip); Diederichsen, ZHR 132,232,250 (zur Aufstellung allgemeiner Geschäftsbedingungen); Esser/Schmidt, SchuldR 1/2, 7. Aufl., § 29 II 2b, S. 136; Lurger, Vertragliche Solidarität, S. 138. Siehe auch die Pflicht zur „Fairness" oder zur „Nichtausnutzung eines Wissensvorprungs", BGH WM 1982,1374,1375 (zu §826 BGB) und BGH WM 1982,738, 740 (ebenfalls zu § 826 BGB). Ethischen Ursprungs ist ferner die Vorstellung, der Privatautonomie als „Recht" korrespondiere eine Pflicht zur angemessenen Ausübung, vgl. Meier-Hayoz, Vertrauensprinzip, S. 84; siehe ferner Loges, Erklärungspflichten, S. 92. Zuweilen wird auch von einem „Gemeinschaftsverhältnis" der Vertragsinteressenten gesprochen, das dem realen Interessenantagonismus widerspricht. 4 8 Insoweit zutr. die Kritik von M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 51. Siehe ferner RG SeuffArch 74 Nr. 164 II, wonach „keinem Vertragsteil zugemutet werden kann, sorgfältig die Interessen des Gegners wahrzunehmen." Siehe ferner S. 28ff.

132

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selhstbestimmter

Willensbildung

zu erwarten: Rücksichtnahme auf den informationell Unterlegenen wird darin bestehen, ihm die Relevanz der Informationen aufzuzeigen, die für eine selbstbestimmte Entscheidung unerläßlich sind.49

III. Legitimität einer paritätstheoretischen Rechtsfortbildung 1. Allgemeine

Akzeptanz

Eine Rechtsfortbildung, die auf materiale Störungen der informationellen Selbstbestimmungsfähigkeit im Rahmen des vorvertraglichen Schutzprinzips Rücksicht nimmt, ist grundsätzlich legitimiert. Wer die Materialisierung des vorvertraglichen Schutzprinzips akzeptiert, und dies ist allgemeine Meinung, kann den Fall der denkbar größten, zumindest aber mit der Vertrauensinanspruchnahme vergleichbaren Schutzwürdigkeit des materiellen Willens nicht ignorieren - die Störung der Fähigkeit zu selbstbestimmtem informationellen Handeln. Und mit den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zur grundrechtlichen Relevanz „struktureller Verhandlungsungleichgewichte" darf sich richterliche Rechtsfortbildung auch verfassungsrechtlich gestützt sehen.50 Wenn Rechtsfortbildung in dieser Richtung gleichwohl auf Bedenken stößt, dann wegen ihrer Operationalisierbarkeit. Ein Zweck der formal-idealen Gestaltung der Selbstbestimmungsfähigkeit liegt begründet in der Schwierigkeit, manche meinen Unmöglichkeit,51 die Selbstbestimmungsfähigkeit material näher zu beschreiben. Es hat indessen wenig Sinn, darüber grundsätzlich zu streiten. Vielmehr werden konkrete Rechtsfortbildungsansätze auf ihre Tragfähigkeit zu überprüfen sein. Immerhin sind Bemühungen um eine fallgruppenartige Erfassung der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit nicht völlig ohne Erfolg geblieben. 2.

Wertungswandel

Von nicht geringer Bedeutung für die Konkretisierung des paritätstheoretischen Ansatzes ist die Frage, worin der tiefere Grund für die Notwendigkeit und Rechtfertigung der Materialisierung der Selbstbestimmungsfähigkeit liegt. Nicht nur in 49 Schwieriger dürfte es sein, die wirtschaftliche oder rationale Unterlegenheit pflichtentheoretisch zu erfassen. Eine (echte) Pflicht, die AGB angemessen zu gestalten (so etwa Diederichsen, ZHR 1969, 232, 250), erscheint rechtstechnisch fragwürdig. Die Pflicht zur „Vertragsverweigerung", wenn der Vertragsgegner „über seine finanziellen Verhältnisse" kontrahieren würde (so Brandner, ZHR 153, 147,158f.; Groeschke, Schuldturmproblematik, S.68f., 113ff., 141 ff.) geht inhaltlich zu weit. Krit. Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 424f. Ablehnend zur Vertragsverweigerung bei unzureichender Informationslage, aber im Bewußtsein des Informationsdefizits und zutreffend damit gegen diesbezüglichen Rationalitätsschutz BGH ZIP 1998,1220, 1221; anders ist aber bei allgemeiner geschäftlicher Unerfahrenheit zu entscheiden, siehe S. 158. 50 BVerfGE 81, 242, 252ff.; 89, 214, 230ff.; BVerfG ZIP 1996, 956f. 51 Schwimann, Geschäftsfähigkeit, S. 42; Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 19ff.

2. Kap.: Informationspflichten der Literatur wird ein Wandel

zum Schutz informationell

der tatsächlichen

Verhältnisse

Unterlegener

133

für F u n k t i o n s d e f i z i -

te der formalen Selbstbestimmungsfähigkeit verantwortlich gemacht. D i f f e r e n zierung und Segmentierung der gesellschaftlichen Verhältnisse, Z u n a h m e v o n K o m p l e x i t ä t einerseits und die Spezialisierung andererseits m a c h t e n die B e h e r r schung der für eine selbstbestimmte rechtsgeschäftliche E n t s c h e i d u n g nötigen I n f o r m a t i o n e n für den Nichtspezialisten unmöglich. 5 2 D i e s e Vorstellung einer nachträglich entstandenen Regelungslücke ist nicht plausibel. Spezialisierung und Arbeitsteiligkeit sind nicht erst ein E r g e b n i s der wirtschaftlichen E n t w i c k lung nach Inkrafttreten des B G B , sondern k e n n z e i c h n e n Wirtschaft und Gesellschaft bereits zur Zeit seiner Entstehung. 5 3 D i e Behauptung, Z u s a m m e n s e t z u n g , Qualität, V e r w e n d b a r k e i t u n d Schadenspotential der gehandelten W a r e n hätten seinerzeit v o n nahezu j e d e m beurteilt werden k ö n n e n , 5 4 trifft die Realität des damaligen Entwicklungsstandes nicht. U m g e k e h r t dürfte der allgemeine Bildungsund I n f o r m a t i o n s s t a n d des durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers heute eher besser als damals sein. 5 5 U n d auf diese Bildung, nicht auf D e t a i l k e n n t n i s k o m m t es für die E i n s c h ä t z u n g des eigenen Informationsbedarfs an. 5 6 E s soll durchaus nicht verkannt werden, daß seitherige Veränderungen der o b j e k t i v e n Verhältnisse in Wirtschaft und Gesellschaft, 5 7 namentlich die starke Diversifizierung v o n M ä r k t e n und P r o d u k t e n , Realitätsdefizite des Vertragsmodells begründen. N u r 52 Schumacher, Irreführung, S. 71 ff. Werres, Aufklärungspflichten, S. 18. Kaiser; Zukunft des Privatrechts, S. 18, bemüht den Wechsel von der bürgerlichen und bäuerlichen Gesellschaft zur Industriegesellschaft; ferner Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 3. Aufl., S. 323ff. Siehe auch die Begründung eines Richtlinienentwurfs zum Verbrauchsgüterkauf durch die EG-Kommission („Solche Rechtsauffassungen [gemeint: Idealvorstellung der völligen Gleichheit, Verf.] entspricht nicht mehr den ökonomischen Gegebenheiten der heutigen Zeit", abgedr. ZIP 1996, 1845, 1846 unter 4.; krit. dazu Junker, DZWir 1997, 271, 277). Auf eine andere Veränderung macht Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 17 (im Anschluß an die Analyse von Biedenkopf, FS Coing II, S.21, 25ff.), aufmerksam: daß sich infolge verbesserter Einkommensverhältnisse mehr Menschen an Geschäften beteiligen können, die ihnen früher verschlossen waren. Wie Konzept oder Realität der „Informationsgesellschaft" hier einzuordnen wären, ist eher unklar; eine Vertiefung der Wissenspartikularisierung sieht Mittelstraß, in: Kubicki, Die Ware Information, S. 60, 62; ferner Spinner, ebd., S. 65, 67ff. 53 Marx bezeichnete es als fictio iuris der bürgerlichen Gesellschaft, „daß jeder Mensch als Warenuerkäufer (!) eine enzyklopädische Warenkenntnis besitzt" (Das Kapital I, S. 40 Anm. 5). Menger nannte es in seiner Kritik am Entwurf des BGB die „lächerlichste aller Fiktionen", daß der Staatsbürger alle Gesetze kenne (Das bügerliche Recht, 4. Aufl., S. 20). Zum weitgehend fiktiven Charakter des BGB in bezug auf die wirtschaftlichen Verhältnisse seiner Entstehungszeit nur Biedenkopf, FS Coing, Bd. II, S.21, 24f.; Merz, Privatautonomie, S.6. 54 So Schumacher, Irreführung, S. 72, im Anschluß an Esser/ Weyers, SchuldR 11,7. Aufl., § 2 II 1 b, c, S.6f. 55 Biedenkopf FS Coing Bd. II, S.21, 28f. 56 Siehe aber auch Reuter, AcP 189,199,218: Gerade die Veränderung der Waren-und Dienstleistungsmärkte (durch allgemeine Wohlstandszunahme) habe die Anbieter zu aggressiven Marketingstrategien veranlaßt. Aber das betrifft nicht den durch unaufgeforderte Aufklärung intendierten Schutz. 57 Raiser, Zukunft des Privatrechts, S. 18; Bartholomeyczik, AcP 166,30 31; Wieacker, FS DJT II, S.1,6.

134

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbsthestimmter

Willensbildung

sind diese Defizite nicht grundsätzlich neu; sie verschärfen nur oder - je nach Standpunkt - ersetzen eine bereits bei der Formulierung des B G B existierende „Wirklichkeitslücke". 58 Der Schutz (wirtschaftlich) schwächerer Bevölkerungsschichten war im Gesetzgebungsprozeß als Problem erkannt, letztlich aber, aller Kritik zum Trotz, vom Gesetzgeber nicht als Aufgabe des Zivilrechts gesehen worden. 59 Im Streit um die soziale Aufgabe des B G B obsiegte Planck,60 nicht von Gierke.61 Die Materialisierung der Selbstbestimmungsfähigkeit ist nicht gleichzusetzen mit der Anpassung des B G B an die diversifizierte Gesellschaft und Wirtschaft. Vielmehr geht es um eine Anpassung des B G B an gewisse Mindestforderungen der Gerechtigkeit, die sich nicht nur im Verhältnis zwischen Spezialisten und Laien stellen, was nicht ausschließt, daß dieser Beziehung besondere Bedeutung zukommen könnte, was aber ausschließt, das Problem a priori auf diesen Bereich zu beschränken. 62 Nicht oder zumindest weniger ein aufgrund Tatsachenwandels eingetretener Funktionsverlust des Vertrages, sondern die Änderung in der Bewertung des formalen Systems ist das entscheidende Datum der gesetzgeberischen wie richterrechtlichen Materialisierungsbemühungen im Sinne einer materialen Selbstbestimmungsfähigkeit. 63 Gründe dieser Neubewertung 64 sind gleichermaßen die allmähliche Bewußtwerdung der Problematik eines rigorosen Formalismus infolge konkreter Rechtsanwendung wie die Hinwendung zu einer materialen Vertragsethik, nach den Worten Wieackers eigentlich eine „Zurückverwandelung", eine Rückkehr zu den ethischen Grundlagen des älteren Gemein- und Naturrechts. 65 An diesem Prozeß sind alle Aktiven des Rechtslebens beteiligt - der Gesetzgeber mit einer Vielzahl punktueller Korrekturen des liberalen Modells seit dem ersten Weltkrieg, 66 die Rechtsprechung schon des Reichsge-

58 Zum fiktiven Charakter des BGB-„Leitbildes" Schünemann, FS Brandner, S.279, 282ff., insb. S.284, 290. 59 Im einzelnen dargestellt von M. Fuchs, Zivilrecht und Sozialrecht, S. 55ff. 60 Planck, AcP 75 (1889), 327, 405ff.: „Ich will die Berechtigung des Gedankens, daß auf einen solchen Schutz (seil, des Schwachen gegen die wirtschaftliche Ubermacht des Stärkeren) auch im Bürgerlichen Recht Rücksicht zu nehmen sei, nicht bestreiten" (a.a.O., S. 408). „Es handelt sich hier um eine jener Fragen, welche ... der Specialgesetzgebung zu überlassen sind" (a.a.O., S.410). 61 Zu dessen Kritik am Entwurf des BGB von Gierke, Die soziale Aufgabe des Privatrechts, S. 12f. und passim. 62 Siehe auch S. 58. 63 Ahnlich Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 17f.; siehe auch Zöllner, AcP 176, 221,244; Biedenkopf, FS Coing Bd. II, S. 21,25 ff.; Henrich, FS Medicus, S. 199; Schünemann, FS Brandner, S. 279,282ff., 290 (in verteidigender Absicht, vgl. S. 297f.); siehe zudem die umfassende Darstellung bei Knobel, Vertragsfreiheit, S.20 - 97; ferner S. 3. 64 Grundlegend dazu Wieacker, Sozialmodell, S. 18ff.; ferner Fastrich, RdA 1997,65,66,67,68 und passim. Zur Rechtfertigung der Vertragsfreiheit eingehend /. Schmidt, Vertragsfreiheit, S. 17ff. 65 Sozialmodell, S. 18. 66 Wieacker, Sozialmodell, S.20ff.

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

135

richts 67 und nicht zuletzt die Wissenschaft, die viele Einzelaktivitäten als Ausdruck einer Korrektur des formalen Systems aufzeigt. Nichts illustriert diesen Bewußtseinswandel deutlicher als die den heutigen Betrachter geradezu befremdende Tatsache, daß selbst der rudimentäre Schutz des § 138 Abs. 2 BGB im damaligen Gesetzgebungsprozeß umstritten war. 68 Es ist aber gerade angesichts der von einer breiten Zustimmung getragenen Materialisierungstendenz wichtig, den rechtsethischen Wert einer weitgehend formalen Bestimmung der Selbstbestimmungsfähigkeit hervorzuheben. Sie schützt nicht allein das Vertrauen des Gegners in den Bestand des gegebenen Wortes. Sie sichert nicht minder die Selbstbestimmung des Erklärenden gegenüber staatlicher Bevormundung und schafft mit der Gleichheit aller die Voraussetzung für einen umfassenden privaten Geschäftsverkehr. 69 In dieser freiheitssichernden Wirkung liegt ihr rechtsethischer Wert, der angesichts der offenkundigen Schwierigkeiten, transparente Kriterien für eine materiale Wertung zu finden, besonders zählt. Wer tatsächliche („soziale") Ungleichheit in rechtliche umformt, beseitigt, wenn auch in guter Absicht, die Basis dieses Systems. Nicht ad hoc und im vorliegenden Zusammenhang, in dem es nur um die Statuierung von Informationspflichten und also die Bewahrung des freiheitlichen Vertragsverfahrens geht. Aber das Verdikt „Unfähigkeit zur informationellen Selbstbestimmung" ruft, einmal ausgesprochen, auf lange Sicht die regelnde Macht des Staates auf den Plan. Früher oder später wird es zu zwingendem Recht kommen, und am Ende steht das Sonderrecht für die „Unfähigen". Die verbraucherrechtliche Debatte weist an vielen Stellen untrüglich in diese Richtung. Zwei Schlußfolgerungen sind daraus zu ziehen. Erstens ist eine gewisse Evidenz zu fordern für ein negatives Urteil über die Fähigkeit zur Wahrnehmung der informationellen Eigenverantwortung. 70 Zweitens sind Materialisierungsdogmatiken, die die Selbstbestimmungsfähigkeit nicht in Frage stellen, vorzuziehen. 3. Verfassungsrechtliche

Legitimation

a) Grundsätzliche Anerkennung. Die Konkretisierung und tatbestandliche Erfassung „informationeller Unterlegenheit" wird angesichts der bereits erwähnten prinzipiellen Schwierigkeiten, die Fähigkeit zu selbstbestimmtem rechtsgeschäftlichen Handeln material einzuschätzen, wenn überhaupt, nur fallgruppenartig 67 Vgl. Wieacker; Sozialmodell, S. 18ff.; speziell zur Rechtsprechung des Reichsgerichts zu vorvertraglichen Informationspflichten siehe die Nachweise bei Staudinger/Weher, BGB, 11. Aufl., §242 Rn. A 829ff. 68 Vgl. die Äußerung des Abg. Lehmann in der zweiten Beratung des Gesetzentwurfs, abgedruckt bei Mugdan, Die gesamten Materialien zum BGB, Bd. I, Nachdruck 1979, S. 1016; Grün, W M 1994, 713, 714. 69 Siehe etwa Coester-Waltjen, AcP 190 (1990), 1,20: „Geschäftsfähiger Bürger zweiter Klasse". 70 Allgemein zur Unterlegenheit im Einzelfall Fastrich, RdA 1997, 65, 67 und passim; Dieterich RdA 1995, 129, 131.

136

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

und vorrangig in A n l e h n u n g an einschlägige gesetzliche W e r t u n g e n u m z u s e t z e n sein. D a g e g e n bringt das Verfassungsrecht keinen E r k e n n t n i s z u g e w i n n . Verfassungsrechtliche Wertungen k ö n n e n die Materialisierung der S e l b s t b e s t i m m u n g s fähigkeit grundsätzlich (mit) rechtfertigen. 7 1 D i e Operationalisierung m u ß das Zivilrecht selbst leisten. D i e Verfassung ist, wie Preis „ W u n d e r t ü t e " für das

Privatrecht. 7 2

richtig b e m e r k t , keine

D i e s e E i n s i c h t hat durch die R e c h t s p r e c h u n g

des B V e r f G z u m „strukturellen Verhandlungsungleichgewicht" 7 3 ein wenig gelitten. I m Angehörigenbürgschaftsfall

entschied das G e r i c h t , das Zivilrecht müsse

k o m p e n s a t o r i s c h e M a ß n a h m e n ergreifen, w e n n in einer typisierbaren Fallgestaltung die „strukturelle U n t e r l e g e n h e i t " einer Vertragspartei zu e r k e n n e n sei und die F o l g e n des Vertrages für die unterlegene Partei u n g e w ö h n l i c h belastend seien. 7 4 D i e s folge aus der Gewährleistung der Privatautonomie (Art. 2 A b s . 1 G G ) und aus dem Sozialstaatsprinzip. 7 5 N i c h t wenige haben diese Aussage dahin verstanden, das B V e r f G habe einen zivilrechtlichen Rechtssatz, eine neue G e n e r a l klausel kreiert, 7 6 ja sogar einen m e h r oder minder subsumtionsfähigen Tatbestand 71 Siehe auch Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmungsfreiheit, S. 217ff. Auch insoweit aber kritisch Zöllner; AcP 196, 1 ff.; sehr kritisch zu verfassungsrechtlichen Einflüssen auf das Zivilrecht ferner Diederichsen, Rangverhältnisse, S. 39ff.; ders., AcP 198,171 ff.; Isensee, FS Großfeld, S.485, 498ff.; Behrends, Privatrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, S.9, 77ff. 72 Preis, Grundfragen, S.47; siehe auch Bauer/Diller, DB 1995, 1810, 1811; Dieterich, DB 1995, 1813, 1814. Zur Drittwirkung der Grundrechte Schwarze, ZTR 1996, lff. m.w.N. 73 BVerfGE 89, 214, 232; BVerfG BB 1994, 2296, 2298. Siehe ferner BVerfGE 81, 242, 252ff.; BVerfG ZIP 96, 956f. Zu dieser Rechtsprechung etwa Canaris, Anm. AP Nr. 65 zu Art. 12 GG; Wiedemann, JZ 1990, 695ff.; H. Honseil, JuS 1993, 817ff.; Rothe, ZBB 1994, 172ff.; Köndgen, NJW 1994,1508,1512f.; Wiedemann, JZ 1994, 41 lff.; Rittner, NJW 1994, 3330ff.; Schimansky, WM 1995, 461 ff.; Gernhuber, JZ 1995, 1086ff.; Reinicke/Tiedke, NJW 1995, 1449ff. (speziell zum Wegfall der Geschäftsgrundlage); Fastrich, RdA 1997, 65 ff.; umfassende Darstellung der Diskussion bei Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmungsfreiheit, S. 263 ff.; ferner WellenhoferKlein, ZIP 1997, 774ff.; Hoffmann, DZWir 1998, 316ff. m.w.N. Kritisch zu einem verfassungsrechtlich begründeten Petitum des Verhandlungsgleichgewichts Zöllner, AcP 196, 1 ff.

BVerfGE 89, 214, 232. Zu den Folgeentscheidungen des BGH siehe S. 16ff. BVerfGE 89,214,232. Auf die grundrechtstheoretische Verankerung der Drittwirkung der Grundrechte in der Schutzpflichtentheorie muß hier nicht näher eingegangen werden. Zur Einordnung der Position des BVerfG Canaris, Anm. AP Nr. 65 zu Art. 12 GG, Wiedemann, JZ 1990, 695, 696, und Hermes, NJW 1990, 1764ff., jeweils zu BVerfGE 81, 242. Grundlegend Canaris, AcP 184, 20lff. Ferner etwa Böckenförde, Der Staat, Bd.29 (1990), lff.; Wiedemann, JZ 1990, 695ff.; Müller-Freienfels, FS Rittner, S. 423,443ff.Dieterich, RdA 1995, \29ti.-, Jarass, AöRllO, 363ff.; Hesse/Kauffmann, JZ 1995, 219ff.; Oldiges, FS Friauf, S.281ff. Kritisch Diederichsen, Rangverhältnisse, S. 63 ff. Der Standpunkt des Verfassers ist dargelegt in Schwarze, ZTR 1996, 1 ff. mit umfassenden Nachweisen. Zur verfassungsrechtlichen Verankerung „sozialen" Privatrechts im Sozialstaatsprinzip Neuner, Privatrecht und Sozialstaat, S.219ff. 74 75

76 Bei Adomeit, NJW 1994, 2467; ders., Das bürgerliche Recht, S.23 (in krit. Absicht); Bengelsdorf, BB 1995, 978, 981ff.; Grün, WM 1994, 713, 721; dies., NJW 1994, 1330, 1331; Kiethe/ Groeschke, BB 1994, 2291ff.; wohl auch Preis/Rolfs, DB 1994, 261, 264ff, 266; Gernhuber, JZ 1995, 1086, 1091; LAG Hamm LAGE §611 BGB Inhaltskontrolle Nr.2; Knobel, Vertragsfreiheit, S. 157f. Wiedemann, JZ 1990, 695, 696, plädiert ausdrücklich für eine Generalklausel der Einhaltung der verfassungsmäßigen Ordnung. Richtig dagegen Dieterich, RdA 1995, 129, 133: „Das Bundesverfassungsgericht durfte und wollte keine neuen Zivilrechtssätze entwickeln";

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

137

geschaffen77 und sehen die Aufgabe des Zivilrechts nunmehr darin, die Bekundungen des Verfassungsgerichts gewissermaßen „anzuwenden". Dem Verhältnis von Verfassungsrecht und Zivilrecht, insbesondere dem der Grundrechte und der Privatautonomie, wird das nicht gerecht. Die Verwechslung der verfassungsrechtlichen Ebene mit der des einfachen Rechts hat eine Ursache darin, daß der Begriff der „Unterlegenheit" auf beiden Ebenen benutzt wird. Wenn von „struktureller Unterlegenheit" die Rede ist, muß man sich über die rechtliche Ebene vergewissern, auf der man diese Begriffe benutzt. Sonst besteht die Gefahr, daß Aussagen zur „Unterlegenheit" auf verfassungsrechtlicher Ebene als, wenn auch unbestimmte, Norm des einfachen Zivilrechts mißverstanden werden, vor allem dann, wenn die Umsetzung verfassungsrechtlicher Anforderungen auf der einfachgesetzlichen Ebene nicht über gesetzlich bereits etablierte Institute und Generalklauseln erfolgt. Die vom BVerfG entwickelten Vorstellungen zum strukturellen Ungleichgewicht sind auf der verfassungsrechtlichen Ebene angesiedelt. Sie umschreiben den verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz, die Voraussetzungen unter denen der Staat (Gesetzgeber, Richter) eingreifen muß, um die Selbstbestimmung einer Partei zu gewährleisten. Konkretisierung und Ausgestaltung dieses Schutzes ist Sache des einfachen Rechts. Dieser Aufgabe wird man nicht durch eine „Anwendung" der verfassungsgerichtlichen Aussagen gerecht: weder sind diese Aussagen unmittelbar anwendbar, noch schöpfen sie das Rechtsfortbildungspotential des einfachen Rechts aus. Obgleich demnach das Verfassungsrecht nicht mehr als eine zusätzliche Legitimation für die Materialisierung der Selbstbestimmungsfähigkeit im Grundsätzlichen liefert, sind zwei Bemerkungen zu den vom Verfassungsgericht formulierten Voraussetzungen für den verfassungsrechtlichen Schutz angebracht.78 b) Zum Petitum der Typisierbarkeit. Rätsel gibt die Forderung auf, die ein strukturelles Ungleichgewicht begründende Fallgestaltung müsse „typisierbar" sein.79 Das bedeutet, die Umstände müssen typischerweise (in der Regel) zu strukturellen Ungleichgewichtslagen führen. So kann man etwa sagen, daß beim Abschluß eines Arbeitsverhältnisses typischerweise ein strukturelles Ungleichgewicht zu Lasten des Arbeitnehmers besteht. Dem BVerfG geht es mit dieser Anforderung wohl um Rechtssicherheit. Selbst strukturelle Ungleichgewichte sollen anscheinend dann irrelevant sein, wenn ihre Berücksichtigung die Rechtssicherheit geebenso Fastrich, RdA 1997,65, 66, der die Aussagen des BVerfG der „rechtstheoretischen" Ebene zuordnet. 77 Beispielsweise Grün, WM 1994, 713, 721: „Mit diesem neuen Merkmal der strukturellen Unterlegenheit einer Partei gibt das Bundesverfassungsgericht dem Rechtsanwender ein ... einigermaßen griffiges Kriterium für die Beurteilung einer Fremdbestimmung an die Hand." 78 Zur Bedeutung des Attributs „strukturell" noch folgend S. 138f., 142f., 143f. 79 BVerfGE 89,214,232; ebenso etwa Dieterich, RdA 1995,129,131•,Hoff mann, DZWir 1998, 316, 320f.; wohl auch Wellenhofer-Klein, ZIP 1997, 774, 780; Grunsky, Vertragsfreiheit, S.13; Knohel, Vertragsfreiheit, S. 157f.; krit. Oechsler, Gerechtigkeit, S. 31 f., 156ff.

138

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

fährdet. Rechtssicherheit kann man gewährleisten, wenn die Kriterien für ein strukturelles Ungleichgewicht zahlenmäßig überschaubar und leicht feststellbar sind. 80 Das ist mit der „Typisierbarkeit" im beschriebenen Sinne eines Häufigkeitstypus nicht unbedingt gewährleistet. Typisierbar ist auch die aus sehr vielen Einzelelementen bestehende Ungleichgewichtslage. Man betrachte den vom BVerfG entschiedenen Angehörigenbürgschaftsfall. Zu den vom Gericht bemühten Umständen Alter, geschäftliche Unerfahrenheit, Vermögenslosigkeit und verwandschaftliche Verbundenheit zwischen Bürgen und Schuldner könnte man noch zahlreiche weitere Faktoren hinzunehmen wie geschäftliche Erfahrung und Vermögenslage des Gläubigers, Uberrumpelungssituation usw. All diese Umstände sind „typisierbar" in dem Sinne, daß bei ihrem Vorliegen „typischweise" von einer Ungleichgewichtslage auszugehen ist. Typisierbarkeit ist demnach kein hinreichendes Kriterium für Rechtssicherheit; der Konflikt zwischen Einzelfallgerechtigkeit und Rechtssicherheit wird damit nicht bewältigt. Er tritt deutlich hervor, wenn man die Frage so stellt: Sollen strukturelle Ungleichgewichtslagen von Verfassungs wegen nur dann eine Rolle spielen, wenn sie an überschaubaren, leicht feststellbaren Kriterien festzumachen sind? Das BGB selbst stellt in §138 BGB eine Generalklausel zur Verfügung, die den Schutz des klar Unterlegenen dem Gebot der Rechtssicherheit überordnet. 81 Sollte der Schutz der Verfassung dahinter zurück bleiben? Die Frage stellen heißt, sie zu verneinen. Wenn ein erhebliches Ungleichgewicht zu einem auffallend nachteiligen Vertrag führt, fordert der grundrechtliche Schutz der Privatautonomie das korrigierende Eingreifen des Richters. Auf die „Typisierbarkeit" der Ungleichgewichtslage kommt es für den „unerläßlichen" Schutz der Privatautonomie nicht an. Die Verfassung kann den Unterlegenen nicht seinem Schicksal überantworten, nur weil er kein „typischer" Fall ist.82 Gerade die Bürgschaftsentscheidungen des BVerfG geben dafür ein treffliches Beispiel, sie sind geradezu Musterstücke der Einzelfallwürdigung. Die ratio des materialen Prinzips ist doch gerade die Einzelfallgerechtigkeit. Das notwendige Maß an Rechtssicherheit ist nur innerhalb des materialen Prinzips erreichbar - dadurch, daß man der Gerechtigkeit nur dort zum Sieg verhilft, wo sie massiv verletzt ist, d.h. wo die Unterlegenheit erheblich, offensicht80 Vgl. Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S. 24f.: Anknüpfung an ein „mehr formales Merkmal" (Verwendung von AGB). In eine andere Richtung Dieterich, RdA 1995,129, 131, der fordert, das Versagen des Vertragsmechanismus müsse „offen zu Tage liegen". 81 Siehe auch Erwägungsgrund 16 zur EG-Richtlinie 93/13/EWG v. 5.4. 1993 ABl Nr. L 95, S. 29, 30, über mißbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, wonach das Kräfteverhältnis bei Beurteilung der Mißbräuchlichkeit anhand des Maßstabes von Treu und Glauben berücksichtigt werde. 82 Hillgruber, AcP 191,69,80; Isensee, FS Großfeld, S.485,489;Fastrich, RdA 1997,65,71, der gleichwohl zwischen struktureller und kasueller/individueller Unterlegenheit unterscheidet (ebd. S.67f. und passim). Es darf allerdings bezweifelt werden, daß dies das Verständnis des BVerfG ist. Wie gesagt stützt sich die Bürgschaftsentscheidung auf die Einzelfallumstände, und deshalb dürfte „strukturell" im Sinne des BVerfG eher im Sinne von Evidenz gemeint sein. Siehe auch Dieterich, RdA 1995, 129, 131.

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

139

lieh, in diesem Sinne „strukturell" ist. Das Bemühen um dogmatische Strukturen bleibt davon unberührt. c) Zum Petitum der ungewöhnlichen Belastung. Verfassungsrechtlicher Schutz ist nach Ansicht des BVerfG nur gerechtfertigt, wenn der Inhalt des Vertrages für eine Seite ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich offensichtlich unangemessen ist.83 Diese objektive Bewertung des Vertragsinhalts ist nach der hier entwickelten Auffassung zur Bestimmung der wirtschaftlichen und rationalen Selbstbestimmungsfähigkeit erforderlich. Die informationelle Selbstbestimmungsfähigkeit knüpft dagegen an die tatsächliche Willenslage der Partei und deren Verfehlung durch den Vertrag an. Auch wenn der Vertragsinhalt objektiv nicht unangemessen ist, kommt eine Korrektur in Frage. Das gilt jedenfalls für die einfachrechtliche Ebene. Ob das Verfassungsrecht hier engere Grenzen setzt, mag dahinstehend Den Entscheidungen des BVerfG ist dies letztlich nicht zu entnehmen, da es in den einschlägigen Fällen, insbesondere den Bürgschaftsfällen, nur um Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen oder rationalen Selbstbestimmung ging.84 Manches spricht aber dafür. Darüber hinaus scheint das BVerfG den verfassungsgerechtlichen Schutz nur für nötig zu erachten, wenn die Folgen des Vertrages die betroffene Partei ungewöhnlich belasten. Nach dem Bürgschaftsbeschluß v. 19.10.1993 muß der Inhalt „ungewöhnlich belastend und als Interessenausgleich völlig unangemessen sein". 85 „Ungewöhnliche Belastung" über die Unangemessenheit des Interessenausgleichs hinaus kann sinnvoll nur meinen, daß die Vermögenssituation des Benachteiligten insgesamt in eine Schieflage gerät. So war es in einem der vom BVerfG entschiedenen Bürgschaftssachverhalte, wo die Bürgin für den Rest ihres Lebens sozusagen in den Schuldturm gewandert wäre. Vielleicht müssen die Folgen nicht immer so dramatisch sein, aber eine Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz wäre doch für eine „ungewöhnliche Belastung" zu fordern. Das liefe darauf hinaus, Verträge von überschaubarem wirtschaftlichen Wert (z.B. Bürgschaft für einen Kleinkredit; Kauf eines Haushaltsgeräts) aus dem verfassungsrechtlichen Schutz herauszunehmen. Es bedeutete ferner, daß Personen mit erheblichem Vermögen weniger schutzbedürftig wären. Diese Begrenzung des verfassungsrechtlichen Schutzes überzeugt nicht. Sie hat mit dem Schutz der Privatautonomie nichts zu tun. Schutzgut der Privatautonomie ist die Dispositionsfreiheit des einzelnen, die auch bei auf die Gesamtvermögenslage betrachtet weniger gewichtigen Geschäften verletzt werden kann. Soll der Darlehensnehmer eines BVerfGE 89, 214, 232, 234f. Siehe S.16ff. 85 BVerfGE 89, 214, 234; in diesem Sinne auch Preis/ Rolfs, DB 1994,261,267; Dieterich, DB 1995, 1813, 1814; Bauer/ Diller, DB 1995, 1810, 1811. Siehe auch Dietlein, Schutzpflichten, S. 113, der ein deutliches Mißverhältnis von Interesse des „Gefährdenden" (Eingreifenden) zur drohenden Verletzung verlangt. Ferner Fastrich, RdA 1997, 65, 71 f. m.w.N. 83

84

140

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung selbstbestimmter

Willensbildung

Kleinkredits, soll der Käufer eines K f z , soll der vermögende Arbeitnehmer nicht schutzwürdig sein, o b w o h l Leistung und Gegenleistung in keinem Verhältnis zueinander stehen? Ein ungerechter Vertrag ist und bleibt ein ungerechter Vertrag, auch wenn der Übervorteilte Vermögen hat. Maßgeblich ist allein die inhaltliche Unausgewogenheit. 8 6 Sie m u ß allerdings schwerwiegend sein, um die Schwelle des verfassungsrechtlich Relevanten zu überschreiten. Erforderlich ist ein auffälliges Mißverhältnis. D e r auf das „Unerläßliche" beschränkte Grundrechtsschutz kann auch hier nicht jede Nachteiligkeit beseitigen. N u r bei einseitigen Verträgen wie der Bürgschaft kann man nicht auf die inhaltliche Unausgewogenheit rekurrieren. Hier, aber auch nur hier ist der B l i c k auf die gesamte Vermögenssituation sinnvoll, um den Grundrechtsschutz auf das Unerläßliche zu beschränken. Das B V e r f G hat in den von ihm entschiedenen Bürgschaftsfällen also zu R e c h t auf die gesamte Vermögenssituation abgehoben. Verallgemeinern sollte man diese A u s sagen nicht. I m übrigen kann die Vermögenslage für die G r e n z e des Grundrechtsverzichts bedeutsam sein.

IV. Beschränkung der paritätstheoretischen Rechtsfortbildung auf den Schutz informationell Unterlegener 1. Unhaltbarkeit

des

Paritätsdogmas

Wann eine Partei nun außerstande ist, ihre Belange in informationeller Hinsicht wahrzunehmen und Sorge dafür zu tragen, daß es keine erheblichen Diskrepanzen zwischen ihrem materiellen Willen und der in bezug auf eine rechtsgeschäftliche Disposition erheblichen Wirklichkeit gibt, kann in zwei K o n z e p t i o n e n beschrieben werden. D e r erste Ansatz orientiert sich am Leitbild der „Parität". D a r auf wird nunmehr der Begriff „Paritätstheorie" beschränkt. Ein ungefähres Gleichgewicht bezüglich der tatsächlichen Voraussetzungen der Selbstbestimmung zwischen den Parteien wird als materiale Funktionsvoraussetzung der Selbstbestimmung genannt. 8 7 Meistens geht es zwar um wirtschaftliche Verhandlungsmacht, doch gilt die Forderung ebenso für den Informationsstand und sonstige Voraussetzungen des Vertragsschlusses. 8 8 Ihren Geltungsanspruch bezieht die T h e o r i e der Vertragsparität scheinbar aus dem Gleichheitspostulat. M a n könnte sie als reale Fortschreibung idealer Gleichheit verstehen: SelbstbestimWiedemann, JZ 1994, 411, 412f. Raiser, JZ 1958, 1,3,6; Flume, FS DJTI, S. 135,143; Hönn, Vertragsparität, S. 88ff.; strenger („Gleichheit") Zweigert, FS Rheinstein Bd. II, S. 493, 503; Grün, WM 1994, 713, 714; zumindest verbal auch Knohel, Vertragsfreiheit, S. 151 ff. und deren Nachzeichnung der dogmatischen Entwicklung unter Geltung des BGB, S. 129ff. In die gleiche Richtung zielt die Forderung nach „Waffengleichheit", vgl. Bartholomeyczik, AcP 166, 30, 64ff.; dazu auch M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.107ff. m.w.N. 88 Vgl. etwa Schumacher, Irreführung, S. 70ff., 77f.; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 64. 86 87

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell Unterlegener

141

mung im Vertrag setzt Gleichheit voraus, und diese Gleichheit m u ß auch material, hinsichtlich der Verhandlungsmacht bestehen. 8 9 A u f die informationellen Voraussetzungen eines selbstbestimmten Vertragsschlusses übertragen hieße das, beide Parteien müßten über einen in bezug auf den Vertrag etwa gleichen Informationsstand verfügen. A b e r das ist falsch. D e r Gleichstand des Wissens gewährleistet nicht Selbstbestimmung, denn die Parteien haben, ihrer unterschiedlichen Interessenlage gemäß, nicht denselben Informationsbedarf. D e r vormalige U n fallschaden am Fahrzeug interessiert den Käufer, nicht aber den Verkäufer. Lärmende N a c h b a r n k ü m m e r n den Verkäufer der Eigentumswohnung nicht, um so mehr den Käufer. Informationelles Gleichgewicht ist nicht arithmetische Gleichheit des Wissens, sondern beschreibt ein Wissensoptimum für die Wahrnehmung der eigenen Interessen. 9 0 Ein solches Wissensoptimum kann Element einer m o dellhaften Beschreibung einer auf Vertragsfreiheit basierenden O r d n u n g sein, 9 1 aber nicht rechtliche Voraussetzung für die Anerkennung der Vertragsfreiheit. D i e Idee eines Wissensoptimums hängt untrennbar zusammen mit einer T h e o r i e des optimalen Vertragsinhalts, also einer materialen Gerechtigkeitstheorie, und ist schon deshalb, gleichviel auf welchen Gerechtigkeitswert das O p t i m u m hin bezogen wird, durchgreifenden Einwänden ausgesetzt. D e n n das Wissensoptim u m ist nicht ohne Bestimmung des optimalen Vertragsinhalts bestimmbar. D a ß eine Vertragstheorie darauf nicht zu bauen ist, wurde dargelegt. 9 2 Zu welchen Auswüchsen dieses D e n k e n in manchen verbraucherrechtlichen T h e o r i e n bereits geführt hat, wurde ebenfalls gezeigt. H i e r sei auf den Zusammenhang zwischen überzogenen Vorstellungen über die Bestimmbarkeit von „Gerechtigkeit" 9 3 und Schlußfolgerungen auf „Verhandlungsungleichgewichte" hingewiesen: wenn etwa die Unterlegenheit und Schutzbedürftigkeit des Verbrauchers mit einem Zwang z u m K o n s u m durch „Modepropaganda", mit „übermäßigem K a u f " , mit „falschen" Entscheidungskriterien wie etwa dem „Image" eines Produkts begründet wird. 9 4 Wer die Auswahlentscheidung „des Verbrauchers" durch andere Faktoren bestimmt sieht als bei „rationaler Betrachtung", m u ß eine klare Vorstellung von „richtigen" (rationalen) und „falschen" (irrationalen) Entscheidungsfaktoren haben, letztlich auch v o m richtigen Entscheidungsinhalt. N e b e n diesen

89 So im Ansatz wohl Flume (Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 1 (7), S. 10; krit. dazu Zöllner, AcP 196, 1,24f.), der Macht zur Selbstbestimmung (Machtgleichgewicht) als Voraussetzung der Selbstbestimmung bezeichnet und darin die rechtstheoretische Basis für Kompensationsmaßnahmen sieht. Auch Fastrich, RdA 1997, 67f., 71, könnte man so verstehen, denn er befürwortet die Gerechtigkeitsbindung des Vertrages nur auf der Ordnungsebene, hält aber andererseits auch die kasuelle Unterlegenheit für kompensationsfähig. 90 Richig ist nur, daß dieses Optimum in dem Maße Wissensgleichheit bedeutet, in dem der eine sein (besseres) Wissen einsetzt, um Vorteile zu Lasten des anderen zu erzielen. 91 Siehe S.66ff. 92 S.72f.,78ff.,85ff. 93 Gleichviel, ob Ordnungs- oder Vertragsgerechtigkeit. 94 K Simitis, Verbraucherschutz, S. 101 ff.; Kemper, Verbraucherschutzinstrumente, S.44.

142

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung selbstbestimmter

Willensbildung

dogmatischen Einwänden gegen eine „Gleichgewichtstheorie" tritt ein erkenntnistheoretisches Bedenken. 9 5 D i e Mannigfaltigkeit der Wirklichkeit kennt vielfältige Unterschiede zwischen den am Rechtsverkehr beteiligten Rechtsgenossen, sie kennt zahllose „Zwänge", unter denen sogar der sozial Bessergestellte handelt. Zu dieser Wirklichkeit gehört auch, daß der Kenntnisstand der Rechtsgenossen wie ihre Informationsmöglichkeiten denkbar unterschiedlich sind und daß der Informationsbedarf von Geschäft zu Geschäft, zumindest von Geschäftstyp zu Geschäftstyp wechselt. E s braucht nicht viel Vorstellungskraft, um sich die Vielzahl von Umständen, die die Verhandlungsposition beeinflussen, zu vergegenwärtigen. Ü b e r ihre Relevanz muß entscheiden, wer der Idee materialer Vertragsparität zu konkreter Geltung verhelfen will. E s müßte zudem entschieden werden über das M a ß des Ungleichgewichts zwischen den Parteien eines Vertrags, das korrigierende Eingriffe legitimiert. N u r verschoben, nicht behoben wird das P r o blem, wenn der Vertragsinhalt zum Gradmesser des Verhandlungsgleichgewichts genommen wird. 9 6 D e n n , wie gesagt, ist die positive Bestimmung „des" objektiv gerechten Vertrages nicht minder problematisch 9 7 und die festzustellende offensichtliche Ungerechtigkeit könnte zwar Indikator für eine Schieflage der Verhandlungsmacht sein, wäre aber ein zu grober Maßstab, u m bereits mittlere oder geringere Ungleichgewichte aufzuspüren. Festzuhalten ist somit, daß „Parität" oder „Gleichgewicht" weder ein angemessenes n o c h realisierbares K o n z e p t der tatsächlichen Funktionsvoraussetzungen der Selbstbestimmung im Vertrag liefert. 9 8 Schließlich verfehlt eine streng verstandene Gleichgewichtstheorie den A n triebszweck des formalen Rechts. 9 9 Letztlich müßte sie auch den punktuellen Wissensvorsprung als Ungleichgewicht bewerten und K o m p e n s a t i o n fordern. M a n c h e Judikate, die aus der schlichten Tatsache besseren Wissens eine k o m p e n sationsbedürftige „Überlegenheit" machen, 1 0 0 nähern sich diesem D e n k e n . Wenn aber jeder konkrete Wissensvorsprung zur umfassenden Verlagerung der I n f o r mationslast auf den besser Wissenden führt, wird der Unterlegene Informationsanstrengung nicht mehr für erforderlich halten. A u c h das B V e r f G erteilt dem Pa95 Bartholomeyczik, AcP 166, 30, 57,66f.; Hönn, Vertragsparität, S.92; Rittner, AcP 188,101, 126f.; Singer, Selbstbestimmung, S.25. 96 Vgl. Zöllner, AcP 176, 221, 239ff.; siehe auch die Darstellung bei M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S.107ff., zur amerikanischen Doktrin der „inequality of bagaining power". 97 Siehe S. 78ff., 85f. Dagegen kritisiert M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 108, die darin liegende Beschränkung der Vertragsfreiheit. 98 Etwa auch Oechsler, Gerechtigkeit, S. 145ff. Ob das Verhandlungsgleichgewicht ein geeignetes Leitbild gesetzgeberischen Handelns ist, mag hier dahinstehen. In diesem Sinne Hönn, Vertragsparität, S.98f. 99 Siehe nur Medicus, Abschied von der Privatautonomie, S.22; ferner unten S.270, 286ff., 320ff. 100 Beispielsweise BGHZ 48, 101, 107f., allerdings bezogen auf eine vertragliche Informationspflicht. Indessen könnte die Wertung, der Versicherer sei dem Versicherungsnehmer aufgrund seiner Fachkenntnisse allgemein überlegen, schwerlich auf diesen Bereich begrenzt bleiben.

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

143

ritätsdogma eine klare Absage. Mit der Beschränkung des verfassungsrechtlichen Schutzes auf eine „strukturell" ungleiche Verhandlungsstärke101 wird die Paritätsforderung in der Sache zurückgewiesen. 2. Gewährleistung Selbstbestimmung

materialer

Mindestvoraussetzungen

informationeller

Weiter zu verfolgen ist daher allein der zweite denkbare Ansatz einer materialen Betrachtung der Funktionsvoraussetzungen der Selbstbestimmung im Vertrag: die Beschreibung materialer Mindestvoraussetzungen,102 Das entscheidende rechtsethische Argument für eine Rechtsfortbildung zur Wiederherstellung der Bedingungen materialer Selbstbestimmung liegt im Gedanken der Uberforderung, des „Nicht-anders-Könnens", der Einschränkung der Fähigkeit zum selbstbestimmten Vertragsschluß.103 Es geht nicht um ein Optimum an Selbstbestimmung, sondern um die Wahrung eines Mindestmaßes, das von einer rein formal-idealen Regelung der Selbstbestimmungsfähigkeit ignoriert zu werden droht. 104 Nichts anderes meint das BVerfG mit dem Terminus „strukturell ungleicher Verhandlungsstärke".105 Strukturell meint „unvermeidbar, unausweichlich." 106 Die sprachliche Anleihe bei der Paritätstheorie („ungleiche" Verhandlungsstärke) darf nicht darüber täuschen, daß dem Paritätsdogma gerade nicht gefolgt wird. Diese Präzisierung der funktionellen Voraussetzungen materialer Selbstbestimmung im Vertrag beseitigt die ausgangs formulierte Erkenntnisproblematik nicht, entschärft sie aber ein Stück. Gefordert ist nur die Angabe von Mindestbedingungen der Selbstbestimmung, die nicht unterschritten werden dürfen. Dies leisten zu können, scheint jedenfalls nicht von vornherein ausgeschlossen und nicht so unmöglich wie die Feststellung eines „Gleichgewichts". Eine Situation fehlender materialer Selbstbestimmungsfähigkeit in informationeller Hinsicht wird im folgenden als informationelle Unterlegenheit gekennzeichnet. Der ver101 BVerfGE 89, 214, Leitsatz; an anderer Stelle wird von „struktureller Unterlegenheit" gesprochen (a.a.O., S.232). Siehe noch oben S. 137ff. 102 Auch dagegen aber wohl Oechsler, Gerechtigkeit, S. 148. 103 Nicklisch, BB 1974, 941, 942f.; siehe auch Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey, S. 1, 9; ähnlich („Beeinträchtigung der Entscheidungsfreiheit so relevant, daß sie Einfluß auf Validität vertraglicher Regelungen haben") und jedenfalls kritisch gegenüber der Gleichgewichts-Metapher Zöllner, AcP 196, 1, 28, 30; krit. dazu Fastrich, RdA 1997, 65, 67. 104 Rittner, AcP 188, 101, 128, spricht von der Verhinderung besonders grober Fehler. 105 BVerfGE 89, 214, Leitsatz. 106 Siehe Hesse/Kauffmann, JZ 1995,219: Strukturell stehe im Gegensatz zu „personell", „lokal" oder „temporal". Siehe auch zum vergleichbaren Verständnis der „Kampfparität" im Arbeitskampfrecht BVerfGE 92, 365, Leitsatz 1 und 396 („strukturelle Ungleichheit"), und dazu Otto, Jura 1997,18,23 f.; ferner das BAG (etwa AP Nr. 64 zu Art. 9 GG Arbeitskampf Leitsatz 2 und A IV 2), das die Paritätsforderung darauf begrenzt, einer Kampfpartei müßten die Kampfmittel zur Verfügung stehen, auf die sie angewiesen sei; dazu noch Otto, Arbeitsrecht, 2. Aufl., Rn. 509. Überzogen die Kritik von Adomeit, NJW 1994, 2468.

144

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

breitete Terminus „intellektuelle Unterlegenheit" 1 0 7 ist zu eng, weil, jedenfalls nach dem üblichen Sprachgebrauch, auf die konstitutionellen Aspekte („Intelligenz") beschränkt, kann also schlichte Wissensdefizite nicht erfassen. D e r Begriff stammt aus der Diskussion um die rechtliche Bewältigung der Allgemeinen G e schäftsbedingungen 1 0 8 , hat aber auch in anderen Zusammenhängen Anklang gefunden 1 0 9 . Intellektuelle Unterlegenheit kennzeichnet hier zwar nicht geistige Beschränktheit, sondern Defizite im informationellen Bereich, einen Mangel an geschäftlicher Erfahrung, eine situative Uberforderung der Informationsverarbeitungskapazität, 1 1 0 kann aber dahingehend mißverstanden werden. 1 1 1 Dabei handelt es sich ebensowenig wie bei „Parität" oder „Gleichgewicht" um einen subsumtionsfähigen Rechtsbegriff, sondern nur um eine bildhafte Umschreibung der Funktionsstörung des Vertrages. 1 1 2

3. Vorzugswürdigkeit einer am wirklichen Willen anknüpfenden materialer Selbstbestimmung

Theorie

Die Unterschiede des hier entwickelten, an den empirischen Willen anknüpfenden Verständnisses materialer Selbstbestimmung werden durch einen Vergleich mit einem an positiven Gerechtigkeitsvorstellungen orientierten K o n z e p t deutlich. Nach der hier vertretenen Auffassung ist kompensatorischer Schutz nur legitim, wenn die Partei zur eigenverantwortlichen Wahrnehmung der mit dem em107 Siehe etwa Raiser, JZ 1958, 1, 7; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 65; im Hinblick auf § 138 BGB bei Gesellschaftsverträgen R. Fischer, FS Barz, S. 33,37,39f.; Säcker, Gruppenautonomie, S. 88ff. m.w.N.; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 249; auch noch Schwarze, Anm. zu LAG Hamburg, LAGE § 611 BGB Aufhebungsvertrag Nr. 9, S. 33f.; zur Satire fühlt sich Zöllner, AcP 176,221,237, veranlaßt; krit. ebenfalls, vom Standpunkt der realen Rechtslehre, Tosch, Lehre vom Vertrag, S. 171; siehe noch S. 154ff. 108 Raiser, JZ 1958, 1, 7; zudem Säcker, Gruppenautonomie, S. 88ff. m.w.N.; Nicklisch, BB 1974, 941, 942, 944 m.w.N.; M. Wolf]Z 1974, 465, 468; Trinkner, BB 1973, 1501; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 83 m.w.N.; Enderlein, Rechtspaternalismus, S.249; abl. Coester-Waltjen, AcP 190, 1, 19f. 109 Im Zusammenhang mit § 138 BGB bei R. Fischer, FS Barz, S. 33,39,40; im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis etwa bei Säcker, Gruppenautonomie, S. 88ff.; M. Wolf, RdA 1988,270, 272; Schwarze, Anm. zu LAG Hamburg LAGE §611 BGB Aufhebungsvertrag Nr.9, S.33f.; krit. Zöllner, AcP 176,221,237, und - vom Standpunkt der realen Rechtslehre, Tosch, Lehre vom Vertrag, S. 171; krit. im Hinblick auf die intellektuelle Unterlegenheit des Arbeitnehmers Preis, Grundfragen, S. 287f. 110 Raiser, JZ 1958, 1, 7. Bei Robert Fischer, FS Barz, S. 33, 39, 40, ist es z.B. die fehlende Geschäftserfahrung bzw. das fehlende Wissen um die Bedeutung gesellschaftsvertragsrechtlicher Klauseln; bei M. Wolf ist es - bei der Kenntnisnahme des Inhalts von AGB - die reale und zumutbare Möglichkeit der Information (JZ 1974, 465, 468) bzw. - im Arbeitsverhältnis - die Erfahrung und Möglichkeit des Rechtsrates auf Seiten des Arbeitgebers (RdA 1988,270,272); bei Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 65, ist es fachliche Uberforderung des Urteilsvermögens; vgl. auch Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 83. 111 Siehe etwa die Rezeption bei Coester-Waltjen, AcP 190,1,19f., oder Wiegand, Sachwalterhaftung, S.284. 112 Rittner, AcP 188, 101, 127.

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

145

pirischen materiellen Willen verbundenen Informationslast außerstande ist. Wer materiale Selbstbestimmung dagegen auf konkrete materiale Gerechtigkeitsvorstellungen hin definiert (Selbstbestimmung als Fähigkeit/Möglichkeit, einen bestimmten Vertragsinhalt zu erzielen), definiert das Versagen des formalen Rechtsgeschäftssystems vom Ergebnis aus und wird „Unfähigkeit" zur Selbstbestimmung unter Umständen auch dort annehmen, wo Lethargie und Nachlässigkeit walten, 1 1 3 was manche verbraucherrechtliche Theorie eindrucksvoll belegt. 1 1 4 Wer materiale Selbstbestimmung auf positive Gerechtigkeitsinhalte hin definiert, wird die Informationsbedingungen zweckentsprechend ausgestalten, also den Informationsstand für erforderlich halten, der das objektiv gerechte Vertragsergebnis ermöglicht. Und er wird diesbezügliche Defizite für kompensationsbedürftig halten. Zugespitzt finden sich solche Vorstellungen in ordoliberalen Theorien ebenso wieder wie, in kritischer Absicht, in Teilen des verbraucherschutzrechtlichen Schrifttums, wenn es heißt, der Vertragsinteressent müsse „optimal" informiert sein, einen vollständigen Uberblick über die Marktverhältnisse haben, damit der Vertrag jenes ökonomische Optimum oder Gerechtigkeitsoptimum erreiche, das ordnungsrechtlich von ihm erwartet werde. 1 1 5 So wenig aber der optimale Vertragsinhalt bestimmt werden kann, so wenig der dazu erforderliche Kenntnisstand. Die hier vertretene Theorie materialer Selbstbestimmung stellt geringere Anforderungen an die Bestimmung des als notwendig zu erachtenden Kenntnisstandes. Anknüpfungspunkt ist der empirische materielle Wille, der bereits recht konkret bestimmt sein kann (z.B. Kauf eines bestimmten Gebrauchtwagens) oder auch erst in ungefähren Umrissen existieren mag (z.B. Geld „anzulegen"). Von hier aus ist zu bestimmten, ob die Partei über genügend Wissen verfügt, die mit der Umsetzung ihres Willens verknüpfte Informationslast wahrzunehmen. Auf der Rechtsfolgenseite führt die Verpflichtung auf positive Gerechtigkeitsvorstellungen schneller zu einschneidenden Eingriffen. Wenn das richtige Ergebnis entscheidend ist, muß mit jenen Mitteln zur Korrektur geschritten werden, die ein „richtiges Ergebnis" gewährleisten, insbesondere zwingendes Recht oder Inhaltskontrolle. Autonomiewahrende Kompensationsmittel, z.B. Aufklärungs- oder andere Verhaltenspflichten im vorvertraglichen Bereich, blieben unbeachtet.

Siehe schon Ai. Wolf Entscheidungsfreiheit, S. 81. So werden im verbraucherrechtlichen Schrifttum Informationsdefizite „der Verbraucher" unter dem Aspekt der Unterlegenheit für korrekturbedürftug gehalten, wenn sie auf „Nachlässigkeit" oder „Lethargie" beruhen, näher Dick, Verbraucherleitbild, S. 75ff.; Hopt, Kapitalanlegerschutz, S.247, der die Nichtaufklärung des lethargischen Kapitalanlegers als Schutzlücke wertet. 115 Natürlich können auch materiale Gerechtigkeitstheorien geringere Anforderungen an den Informationsstand formulieren. 113

114

146

4. Teil: Informationspflichten

4.

Zusammenfassung

zur Gewährleistung selhsthestimmter

Willensbildung

D i e F u n k t i o n der Privatautonomie und des Vertragsrechts ist die Selbstbestimmung in F o r m der rechtlichen Selbstgestaltung. Selbstbestimmung bedeutet aber nicht nur Freiheit von hoheitlicher Regelung, sondern wirkliche, d.h. mit einer Richtigkeitschance verbundene Selbstbestimmung. Das heißt zunächst nur, daß das Vertragsrecht nicht gänzlich von den tatsächlichen Bedingungen der vertraglichen Selbstbestimmung abstrahieren darf, daß es Selbstbestimmungsbedingungen korrigieren muß, die evidente Ungerechtigkeiten nicht verhindern. D i e materialisierende Bewertung der Fähigkeit, seine Informationslast wahrzunehmen (informationelle Selbstbestimmungsfähigkeit), ist einfachrechtlich wie verfassungsrechtlich im Grundsatz legitimiert. D o g m a t i s c h ist damit allerdings wenig gewonnen. D e n n über die Umsetzbarkeit einzelner Rechtsfortbildungsschritte ist damit so wenig gesagt wie über deren Rechtfertigung im einzelnen. I m folgenden wird also zu untersuchen sein, o b sich eine materiale Bestimmung der informationellen Selbstbestimmungsfähigkeit konkretisieren und legitimieren läßt.

§2 Informationelle Unterlegenheit als Mangel allgemeiner geschäftlicher Erfahrung I. Die Fähigkeit zur Einschätzung des eigenen Informationsbedarfs D i e Fähigkeit zur Wahrnehmung der vorvertraglichen Informationslast ist unserer Aufgabenstellung entsprechend nur insoweit zu untersuchen, als sie durch vorvertragliche Aufklärungspflichten kompensiert werden kann. Aus der Fähigkeit zur Wahrnehmung der vorvertraglichen Informationslast ist daher nur ein Segment von Interesse: die Fähigkeit, den eigenen Informationsbedarf zu erkennen. D e n n es ist, wie zu Beginn unserer Untersuchung analysiert, dies das Ziel der Pflicht zu unaufgeforderter Aufklärung: den Informationsberechtigten auf seinen Informationsbedarf hinzuweisen. 1 1 6 Auszublenden sind Störungen der informationellen Selbstbestimmung, die trotz Fähigkeit zum Erkennen des eigenen Informationsbedarfs verbleiben und allein die Informationsbeschaffung oder I n formationsverarbeitung betreffen. 1 1 7 Kompensiert würden solche

Störungen

nicht mit einer Pflicht zu unaufgeforderter Aufklärung, sondern entweder durch die Pflicht zur Auskunft oder Beschaffung der Information auf Nachfrage oder, wenn dies nicht ausreicht, unter Umständen durch eine Inhaltskontrolle. So liegt etwa die Unterlegenheit bei der Verwendung von A G B , soweit sie informationeller N a t u r ist, nicht darin, daß der Kunde seinen Informationsbedarf nicht erkenSiehe S. 10. Zu weit deshalb St. Lorenz, Schutz, S.421, der die „Möglichkeit zur Selbstinformation" als entscheidendes Kriterium für Aufklärungspflichten sieht. 116 117

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell Unterlegener

147

nen könnte. 1 1 8 E r weiß vielmehr, daß er den Inhalt der A G B nicht kennt, er weiß außerdem oder müßte jedenfalls wissen, daß er die A G B lesen muß; denn daß sie eine angemessene, gerechte, das Gesetz nur wiederholende Regelung enthalten, kann er nicht berechtigterweise erwarten. Uberfordert ist der Kunde nur im H i n blick auf die Informationsverarbeitung. E r wird, vor allem bei Alltagsgeschäften, nicht in der Lage sein, die A G B auf benachteiligende Regeln zu überprüfen, und die Hinzuziehung professioneller Hilfe wird in der Regel zu aufwendig sein. 1 1 9 Z u m Ausgleich dieser Unterlegenheit bedürfte es freilich keiner spontanen I n f o r mationspflicht, es genügte eine Pflicht zur Erläuterung auf Nachfrage. 1 2 0 D e r darüber hinausgehende Schutz des A G B - G e s e t z e s , das den A G B - V e r w e n d e r zu spontaner Informationsmitteilung verpflichtet ( § 2 A G B G ) , kompensiert nicht informationelle Unterlegenheit, sondern reagiert, je nach Lesart, auf rationale Unterlegenheit oder Nachlässigkeit, die die Kunden von Erkundigungen über den A G B - I n h a l t abhält. 1 2 1 D a ß das A G B - G e s e t z mit Klauselverboten und Angemessenheitskontrolle im übrigen weitgehend eine andere Lösung wählt, hat Gründe, die außerhalb unseres Fragenkreises liegen, auf die aber des besseren Verständnisses halber kurz hingewiesen sei. Z u m einen wertet das Gesetz den R a tionalisierungseffekt der A G B für den Geschäftsverkehr positiv; dieser E f f e k t ginge verloren, müßte der Verwender bei der Verwendung jeweils den Inhalt der A G B oder zumindest für den Kunden besonders nachteilige Regelungen erläutern. 1 2 2 Z u m anderen reagiert das Gesetz auch auf wirtschaftliche Schwächen des Kunden, 1 2 3 der A G B typischerweise nicht vermeiden kann - sei es, daß es keine Anbieter ohne A G B gibt, sei es, daß die Suche nach einem Anbieter, der keine A G B verwendet, im Verhältnis zur Bedeutung des Geschäfts zu aufwendig wäre. Ebenfalls kein P r o b l e m der Erkennbarkeit des Informationsbedarfs ist die wirtschaftliche Unzumutbarkeit der Informationsbeschaffung. So der Informationsbedürftige auf den Vertrag nicht verzichten kann, wäre hier wiederum die A u s kunftspflicht das richtige Kompensationsmittel, vorausgesetzt der Kontrahent verfügt über die Information oder könnte sie zu wirtschaftlich zumutbaren B e dingungen beschaffen.

118 So etwa Nicklisch, BB 1974, 941, 944 (allerdings auch die wirtschaftliche Unterlegenheit betonend); Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 72f.; siehe auch Raiser, JZ 1958, 1, 7. 119 Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 84; wohl auch Merz, Privatautonomie, S. 14. Darin liegt ein wesentlicher Grund für den Mangel an Wettbewerb um AGB-Inhalte, vgl. dazu Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 123, 329ff.; zuvor Coester-Waltjen, AcP 190,1, 24f. 120 Der Kunde könnte nach „besonders nachteiligen Klauseln" fragen. 121 Neben den weitgehend kompensatorischen Informationspflichten des AGBG gibt es richterrechtliche Informationspflichten, die teils kompensatorisch, teils verständigungstheoretisch motiviert sind, vgl. noch S. 218ff. 122 Vgl. Dauner-Lieh, Verbraucherschutz, S. 73 f. (Aufklärung „praktisch nicht durchführbar" und „ineffektiv"). 123 Anders Coester-Waltjen, AcP 190, 1, 19f.; Fastrich, Inhaltskontrolle, S. 81ff.

148

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

II. Ausgrenzung des bloßen Informationsrisikos Die Fähigkeit, den eigenen Informationsbedarf erkennen zu können, ist nicht immer schon dann gestört, wenn die Partei ihren Informationsbedarf trotz Anwendung der ihr im eigenen Interesse obliegenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Beruht die Unerkennbarkeit des Informationsbedarfs allein auf der Unerkennbarkeit der fraglichen Information, liegt keine Störung der Fähigkeit zur Selbstbestimmung vor. So mag etwa beim Kauf eines Gebrauchtwagens der Verschleißschaden des Getriebes auch für einen Fachmann unerkennbar sein. Oder der Käufer der Doppelhaushälfte kann nicht erkennen, daß er streitsüchtige und lärmende Nachbarn hat,124 oder der Käufer des Hauses kann wegen Unterbrechung des Flugbetriebes des Flugverkehrs am Besichtigungstage nicht erkennen, daß das Haus in der Einflugschneise eines Flughafens liegt.125 Oder der Käufer des Verlobungsrings konnte nicht wissen, daß das Verlöbnis bereits aufgelöst war oder einige Tage später abgesagt werden würde. Die Unerkennbarkeit der jeweiligen Tatsache macht es der von ihr nachteilig betroffenen Partei zwar unmöglich, ihren Informationsbedarf zu erkennen. Aber das allein begründet keine Unterlegenheit oder sonstige Schutzbedürftigkeit. Daß man nicht nur für Fehlverhalten einzustehen, sondern darüber hinaus auch Risiken zu tragen hat, ist in unserer Zivilrechtsordnung anerkannt. Man kann über die Grenzen der Risikotragung nachdenken und für eine Korrektur des rein formalen Systems plädieren, wie dies beispielsweise in der Geschäftsgrundlagenlehre oder bei materialen Risikoverteilungstheorien geschieht.126 Aber Risiko allein begründet noch keine Schutzbedürftigkeit des Risikoträgers und schon gar nicht die Abwälzung auf die andere Seite, mag sie dem Risiko auch „näher" stehen oder dasselbe sogar kennen. Zu weit127 geht insoweit die Ansicht von Wiedemann und St. Lorenz, eine Aufklärungspflicht dann anzunehmen, wenn Vorhandensein/Abwesenheit bestimmter Umstände so selbstverständlich ist, daß das Unterlassen einer Frage nicht als Vernachlässigung eigener Interessen gewertet werden könne 128 , wenn es sich um ein Vgl. B G H NJW 1993, 1671. Vgl. O L G Düsseldorf VersR 1995,1107. Allerdings dürfte man vom Käufer in diesem Fall wie im Nachbarfall (vorige Fn.) durchaus erwarten, den Verkäufer nach etwaigen Lärmbelästigungen zu fragen. Siehe ferner die Beispiele bei St. Lorenz, Schutz, S.423 Fn. 1236. 126 Siehe S.232ff. 127 Diese Kritik zielt nicht auf das Ergebnis, sondern die Begründung, daß die Unerkennbarkeit allein eine zur Informationspflicht führende Schutzbedürftigkeit erzeuge. 128 Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.153 („Nachfragen ... nicht erwartet werden kann"); St. Lorenz, Schutz, S. 423 (dort als Mindestvoraussetzung formuliert) und S. 437 (als hinreichende Voraussetzung formuliert). Dies ist in Lorenz' fallgruppenorientierter Konzeption der vorvertraglichen Informationspflichten die der informationellen Unterlegenheit nahekommende Konstellation. Die anderen Fallgruppen sind hinlänglich bekannt und unproblematisch (Ingerenz und Inanspruchnahme von Vertrauen, a.a.O., S. 437). Lorenz nennt als weitere Fallgruppe die Unterlegenheit infolge Informationsgefälles (a.a.O., S.423f.; dazu noch S. 174f.), die aber sonderbarerweise in seinem Regelungsvorschlag (S.437) nicht zu finden ist. In 124 125

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell Unterlegener

149

atypisches R i s i k o handele, mit denen der Betroffene nicht habe rechnen müssen. 1 2 9 Unterlegenheit liegt nicht darin, daß das Informationsdefizit auch bei B e obachtung der von einem ordentlichen Verkehrsteilnehmer im eigenen Interesse geforderten Sorgfalt nicht zu vermeiden war. Unterlegenheit fordert vielmehr, daß schon diese Sorgfalt nicht geleistet werden kann. D i e Fähigkeit z u m E r k e n nen des eigenen Informationsbedarfs material bestimmen zu wollen, bedeutet also, nach Gründen zu suchen, die die Befähigung zur Wahrnehmung der I n f o r m a tionsobliegenheit nachhaltig beeinträchtigen. Diese G r ü n d e können, für die D o g m a t i k von geringerer Bedeutung, in der Konstitution einer Person liegen; sie können ferner in einem Mangel an Wissen liegen.

III. Bereichsspezifische informationelle Unterlegenheiten aufgrund spezialgesetzlicher Wertungen? D i e Schwierigkeiten einer material differenzierenden Bestimmung der Fähigkeit zur Erkennung des eigenen Informationsbedarfs liegen allerdings auf der Hand, und in der Tat dürfte Rechtsfortbildung in diese Richtung ohne jede gesetzliche Vorgabe wohl scheitern. D i e Anknüpfung an eine mittlerweile beträchtliche A n zahl spezieller gesetzlicher Informationspflichten 1 3 0 wäre für unsere Suche nach allgemeineren Prinzipien der Pflichtenbegründung von Interesse, wenn mehr als eine punktuelle Rechtsfortbildung 1 3 1 möglich wäre, wenn diesen N o r m e n ein

Anlehnung an das französische Recht nimmt Lorenz den berechtigten Informationsbedarf („ignorance légitime") als dogmatischen Ausgangspunkt (a.a.O., S.424f.); begründet ist damit freilich nichts. 129 St. Lorenz, Schutz, S 423. Äußerst fragwürdig und ein Indikator für die Unzulänglichkeit der These ist die Konkretisierung der „Atypizität". So sei der Bürge aufklärungsbedürftig, wenn die Bürgschaft wirtschaftlich einem Schuldbeitritt gleichkomme (a.a.O., S.430). Hier geht es überhaupt nicht um die Zuweisung eines Informationsrisikos, geschweige denn eines atypischen, sondern um eine Verletzung der Informationsobliegenheit. Das Wenigste, was ein Bürge im eigenen Interesse zu tun hat, ist die Klärung der wirtschaftlichen Situation des Schuldners. Der Gläubiger müßte schon entsprechendes Vertrauen im Bürgen wecken, was aber mit der bloßen Bitte um Bürgschaft nicht geschieht. 130 Siehe den - zum Teil überholten - Uberblick bei Schumacher, Irreführung, S. 84ff.; aktuell Grigoleit, Informationshaftung, S. 52 ff. 131 Die punktuelle Rechtsfortbildung im Wege der Normanalogie, d.h. durch Analogie zu spezialgesetzlichen Informationsregelungen, kann hier nicht näher erörtert werden; es genügt der Hinweis, daß sie möglich ist. Beispiele dafür etwa: BGHZ 47, 352, 361 ff. (analoge Anwendung des §39 Abs. 3, S.2 W G ) ; Rixecker, VersR 1985, 216f. (Streit um Belehrungspflicht über Frist des §65lg Abs. 1 S. 1 BGB); Fenski, BB 1987, 2293ff. (Streit um individualschützende Wirkung des § 8 TVG; hier hat § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 NachwG eine Änderung gebracht, vgl. Schwarze, ZfA 1997,43,50ff.); in allen Beispielen handelt es sich im übrigen um Pflichten, die an den wirksamen Vertrag anknüpfen. Zu Recht nicht durchgesetzt hat sich der einen Schritt weiter gehende Rechtsfortbildungsansatz von Valentin, AuR 1990, 276ff., der allen Regelungen, die zur Belehrung über kurze gesetzliche Fristen für die Geltendmachung eines Rechts verpflichten, ein allge-

150

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

Rechtsprinzip informationellen Schutzes von einer gewissen Tragweite zu entnehmen wäre, also die informationelle Unterlegenheit des Verbrauchers oder des Mieters, Versicherungsnehmers, Kapitalanlegers, Reisenden, Arbeitnehmers usw. begründete. Ordnungstheoretisch motivierte Rechtsfortbildungstheorien dieser Art haben sich als nicht haltbar erwiesen. 132 Ein anderes, positives Ergebnis ist nicht allein deshalb zu erwarten, faßt man die gesetzlichen Regelungen als individualschützend auf. Im Gegenteil, die Wertungsbasis wird kleiner, da Vorschriften von unzweifelhaft reinem Ordnungscharakter, wie zum Beispiel §§10, 11 Makler- und BauträgerVO, 133 §§3ff. Lebensmittel-KennzeichnungsVO, 134 §§3ff. TextilkennzeichnungsG, §§10, 11 ArzneimittelG 135 , § 1 ff. PreisangabenVO 136 , wohl auch §§ 31 ff. WpHG, 137 nichts über die im Hinblick auf einen gerechten individuellen Interessenausgleich erforderliche Materialisierung aussagen und deshalb hier nicht zu berücksichtigen sind. Aber auch wenn man sie einbezöge: das einschlägige Regelungsmaterial ist zu begrenzt und zu punktuell, um darauf ein allgemeines Prinzip des Verbraucherschutzes stützen zu können, das es gestattete, den Anbieter für jede erkennbare erhebliche Fehlvorstellung des Verbrauchers bezüglich des Vertrages informationsverantwortlich zu machen. Mag der Gesetzgeber die Geschützten als schutzwürdig betrachtet haben, 138 so hat er doch nur situativen Schutz gewährt und keinen personalen Schutzstatus geschaffen. 139 Es existiert eben kein genereller informationeller Schutz, 140 wie ihn der Entwurf eines Gesetzes zur Ausübung der Tätigkeit als Finanzdienstleistungsvermittler und als Versicherungsvermittler sowie zur Errichtung eines Beirats beim Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred) vorsieht. 141 Zu den grundsätzlichen Bemeines Prinzip entnehmen will und daraus eine Pflicht des Arbeitgebers zur Belehrung des Arbeitnehmers über die Frist des §4 KSchG ableitet. Auch hier ist die Wertungsbasis zu schmal. 132 Siehe zu den Konzeptionen von Hopt und Schumacher bereits oben S. 50ff. 133 In der Fassung der Bekanntmachung vom 7.11. 1990, BGBl. I, S.2479. 134 In der Fassung der Bekanntmachung vom 6.9.1984, BGBl. I, S. 1221. Weitere Beispiele bei Werres, Aufklärungspflichten, S.9f. 135 Relevant sind diese Pflichten nur, soweit sie nicht nur den Produzenten, sondern auch die Vertragspartner des Verbrauchers, also in der Regel den Händler, zur Aufklärung verpflichten. Die Annahme liegt nahe, daß diese und vergleichbare öffentlich-rechtliche Regelungen die rechtsgeschäftliche Selbstbestimmung des einzelnen, soweit überhaupt, um der Ordnung willen schützen und daher innerhalb eines individualistischen Materialisierungsansatzes ohnehin keine Verwendung finden können. 136 Vom 14.10. 1985, BGBl. I, S.580. 137 Vgl. S. 57f. 138 Vgl. etwa BR-Drucks. 530/75, S. 12f. (zu §4 Abs.2 FernUSG a.F.); BT-Drucks. 8/130, S. 14 zum Entwurf eines HaustürWiG. Vgl. ferner Motive zum Versicherungsvertragsgesetz, amtliche Begründung RT-Drucks 364, 12. Periode, I. Session 1907, S.63; dazu und zu weiteren Zwecken des W G Bruck/Möller, W G , Einl., Anm 18. 139 Dazu noch Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S.397ff. 140 Zur Bedeutung der §§ 13, 14 BGB siehe S. 178 Fn.284. 141 vom 9.7. 1997, BR-Drucksache 517/97. Der dortige §48a W G lautet in Abs. 1 (auszugsweise): „Der Versicherungsvermittler ist verpflichtet, 1. dem Kunden alle zweckdienlichen Informationen mitzuteilen, soweit dies zur Wahrung der Interessen des Kunden und im Hinblick

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

151

denken tritt hinzu, daß nur ein Teil der Regelungen für unsere Problemstellung die Pflicht zu unaufgeforderter Aufklärung - relevant ist. So besagt eine Verantwortlichkeit für positive Fehlangaben (§§ 13a U W G , 45 Abs. 1 S. 1 BörsG 1 4 2 ; weiter allerdings §19 Abs. 1, 2 S.2 des Gesetzes über Kapitalanlagegesellschaften, KAAG) nichts über die Verantwortlichkeit zur Aufklärung des anderen. Die zahlreichen Verpflichtungen, über gesetzliche Widerrufsrechte oder andere Rechte zu informieren (etwa §2 HaustürWiG i.V.m. § 361a Abs. 1 B G B , § 7 Abs. 2 VerbrKrG i.V.m. §361a Abs.l B G B , §5 Abs.2 TeilzeitwohnrechteG i.V.m. §361a Abs.l B G B , §§2 Abs.2 Nr.8, 3 Abs.l FernAbsG i.V.m. §361a Abs.l B G B , §3 Abs.2 Nr.6 FernunterrichtsschutzG, §19 Abs.2 Nr. 14 K A G G , §3 Abs. 2 S. 4 AuslandsinvestmentG; § 5 Abs. 2 S. 1 W G ) haben lediglich den Zweck, den mit diesem Recht angestrebten Schutz effektiv zu machen. Informationspflichten, die einen wirksamen Vertrag voraussetzen (§564a Abs.2 B G B ; §39 Abs.l S.2, Abs.3, S.2 W G , 1 4 3 §§1, 2 NachweisG 144 , §§451b Abs.2 S . l , Abs. 3 S. 1,451 g Abs. 1 Nr. 2,468 Abs. 2 Nr. 2,472 Abs. 1 Nr. 2 HGB), sagen nichts über die •worvertragliche Verteilung der Informationslast. Informationspflichten vor Abschluß eines Fernabsatzvertrages (§2 FernAbsG) gelten den spezifischen Informationsproblemen, die sich aus der fehlenden direkten Kommunikation zwischen Unternehmer und Verbraucher beim Fernabsatz ergeben.145 Und vorvertragliche Informationspflichten über den Inhalt eines vom Informationspflichtigen einseitig gestalteten Vertrages (§ 3 Abs. 2, 3 FernunterrichtsschutzG; § 4 Abs. 1,2, § 5 Abs. 1 VerbrKrG; 146 § 5a W G ; § 1 Oa VAG; § 451 g HGB; 1 4 7 abgeauf Art und Umfang des von diesem angestrebten Versicherungsschutzes erforderlich ist, ...". Die Pflichtverletzung ist schadensersatzbewehrt, § 48a Abs. 4 WG-Entwurf. Zum Entwurf Kieninger, VersR 1998, 5ff. 142 Verschweigen ist der Falschangabe nur gleichgestellt, wenn es „böslich" ist, § 45 Abs. 1 S. 2 BörsG. Vgl. zur Interpretation des Begriffs Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl., Rn.2280; Schwark, BörsG §§45, 46 Rn.25. 143 Der BGH (BGHZ 47, 352, 361 ff.) hat die Vorschrift entsprechend herangezogen zur Begründung einer Pflicht zur Belehrung über die Rechtsfolgen der nicht rechtzeitigen Zahlung der Erstprämie; zwar war der Versicherungsvertrag hier noch nicht endgültig geschlossen, aber mit der vorläufigen Deckungszusage eine vergleichbare Bindung entstanden, und daher ging es insoweit nicht mehr um einen vorvertraglichen Interessenkonflikt. 144 Näher Schwarze, ZfA 1997,43,57f. Die arbeitsrechtlichen Pflichten zur Aushängung tariflicher oder gesetzlicher Regelungen in §16 Abs.l ArbeitszeitG, §18 Abs.l MuSchG, §§47, 48 JArbSchG, § 21 LSchlG, §§ 6,8 HAG, § 8 TVG, werden von der herrschenden Meinung als bloße Ordnungsvorschriften behandelt und entfalten keinen Individualschutz, sagen daher nichts über die Verteilung der Informationslast zwischen den Parteien. Im übrigen handelt es sich überwiegend um Informationen für Personen, die bereits einen Vertrag mit dem Arbeitgeber geschlossen haben. 145 Fuchs, ZIP 2000,1273,1276. Ähnliches gilt für die Informationspflichten gem. Art. lOf. der Richtlinie 2000/31/EG über den elektronischen Geschäftsverkehr (ABl. EG Nr. L 178, S. 1) und dessen geplante Umsetzung in § 311 f. des Entwurfs eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesministers der Justiz (konsolidierte Fassung) vom 6.3. 2001. 146 Siehe zuvor bereits § la des AbzG. 147 Eingefügt durch das Transportrechtsreformgesetz vom 25.6. 1998, BGBl. I, 1588. In BGHZ 48, 101, 107f., stellt der BGH maßgeblich auf die informationelle „Überlegenheit" des

152

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung selbstbestimmter

Willensbildung

schwächt auch etwa § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 A G B G ) sind in erster Linie als Korrektiv zur einseitigen Gestaltung des Vertrages durch eine Seite gedacht und deshalb kaum verallgemeinerbar. D i e verbleibenden, überwiegend der Erläuterung und Beschreibung des Vertragsgegenstandes dienenden Informationspflichten ( § 1 , 2 der I n f V O z u m Reisevertrag; 1 4 8 §§ 10a V A G 1 4 9 , 5a W G ; § § 2 Abs. 2, 4 Abs. 1, 2, § 3 Abs. 3, § 4 TeilzeitwohnrechteG; § 2 F e r n A b s G ) erklären sich aus Besonderheiten des Vertragsgegenstandes, seiner Komplexität oder der schweren Zugänglichkeit von Informationen und sind jedenfalls eine zu schmale Basis für die A u s formung eines allgemeinen informationellen Schutzprinzips zugunsten

von

„Verbrauchern". Ebensowenig lassen sich spezielle Schutzprinzipien begründen, die den Versicherungsnehmer oder den Kapitalanleger oder den Reisenden oder den Mieter oder den Erwerber eines Teilzeitwohnrechts oder den Arbeitnehmer als informationell unterlegen auswiesen und die richterrechtliche Statuierung vorvertraglicher Informationspflichten legitimierten. G e w i ß zielen die einschlägigen Gesetze wie W G , die Bestimmungen des Reisevertragsrechts, die Regelungen des Wohnungsmieterschutzes, des Kapitalanlagerechts, des Teilzeitwohnr e c h t e G oder des Arbeitsrechts auf den Schutz der jeweils Begünstigten und insoweit kann man von einem Schutzprinzip sprechen. A b e r eben nur insoweit nicht allgemein und vor allem nicht im H i n b l i c k auf eine informationelle U n t e r l e genheit. Selbst im Arbeitsrecht, das vielleicht den umfassendsten Schutzansatz hat, ist ein derart weitreichendes informationelles Schutzprinzip nicht als Essenz aller Schutzregelungen anerkannt. 1 5 0 Wenn in Lehrbüchern und K o m m e n t a r e n generell von der „Unterlegenheit" des Arbeitnehmers die R e d e ist, meint das seine wirtschaftliche Abhängigkeit (existentielle Angewiesenheit) und persönliche Abhängigkeit (Weisungsgebundenheit), nicht eine vergleichbar umfassende informationelle Unterlegenheit. 1 5 1

Versicherers ab, auch hier handelt es sich aber um eine vertragliche Pflicht (zur Belehrung über Rechtsfolgen einer falschen Unfallanzeige). 148 Vom 14.11. 1994 BGBl. I, 3436. 149 Wenn man §10a VAG über §5a W G hinaus individualschützende Bedeutung beimißt, was hier nicht entschieden werden soll. Vgl. noch oben S. 75. 150 Ein Beleg dafür sind diverse Entscheidungen des BAG, die eine Pflicht zur Aufklärung über Form und Frist (BAGE 52,33,48; LAG Mecklenburg-Vorpommern AuA 1994,248f.) oder über sozialrechtliche Sachverhalte (BAG NZA 1988,837f.) ablehnen. BAG NZA 1997,445,446, verneint sogar Haftung für eine positive Fehlinformation des Arbeitgebers über Nichtbestehen eines Anspruchs; vereinzelt geblieben ArbG Wetzlar DB 1995, 2376 und zuvor ArbG Wetzlar DB 1991,976; Valentin, AuR 1990,276ff.; für Informationspflicht einer Urlaubskasse allerdings BAG NZA 1997, 211 f. Hemming, Aufklärungspflichten des Arbeitgebers, S. 44f., läßt ebenfalls den Arbeitnehmerstatus als solchen nicht als Basis für Informationspflichten genügen. Zu den Aufklärungspflichtendes Arbeitgebers im übrigen Nägele, BB 1992,1274ff.; Schwarze, Anm. zu LAG Hamburg, LAGE §611 Aufhebungsvertrag Nr. 9, S.26ff.; Becker-Schaffner, BB 1993, 1281 ff.; Kursawe, NZA 1997, 245ff.; Hoß/Ehrich, DB 1997, 625ff. 151

Näher noch S.188ff.

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

153

IV. Die (allgemeine) geschäftliche Unerfahrenheit im Sinne von § 138 Abs. 2 B G B als gesetzliche Konkretisierung informationeller Unterlegenheit 1. Konstitutionelle

Defizite

in §§ 104, 105 und 138 Abs. 2 BGB

Nun finden wir im B G B durchaus materiale Differenzierungen, wenn auch in engem Rahmen. Insoweit trifft die Aussage, das B G B gehe von der Fähigkeit des Volljährigen aus, seine Interessen richtig einzuschätzen,152 die gesetzliche Regelung nicht ganz. Sie liefert mögliche Ansatzpunkte für eine tatbestandliche Erfassung informationeller Unterlegenheit als Grund vorvertraglicher Informationspflichten. Sowohl in §§ 104 Nr. 2,105 S. 2 BGB als auch in § 138 Abs. 2 B G B regelt das Gesetz Störungen der Fähigkeit zur Wahrnehmung der vorvertraglichen Informationslast und nimmt sie zum Anlaß für kompensatorische Eingriffe.153 Dabei ist der Schutz in §138 Abs. 2 B G B wesentlich schwächer ausgestaltet. Denn dem „Unterlegenen" wird nur dann geholfen, wenn seine Schwäche vom Kontrahenten ausgenutzt wurde und dies zu einem auffälligen Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung geführt hat.154 Die Materialisierungstatbestände des B G B bezeichnen zum einen konstitutionelle155 Störungen der Selbstbestimmungsfähigkeit (§§ 104 Nr. 2,105 BGB: Geisteskrankheit und Geistesgestörtheit; §138 Abs. 2: erhebliche Willensschwäche, partiell Mangel an Urteilsvermögen). Sie stellen, soweit es die Befähigung zur Wahrnehmung der vorvertraglichen Informationslast betrifft, Mindestanforderungen an das intellektuelle Vermögen der Verkehrsteilnehmer auf. Einschlägige Äußerungen der Rechtsprechung, wie z.B. der Handelnde müsse sich „über die Tragweite (seines Handelns)... ein klares Urteil bilden können", 156 sind daher nicht als Aussagen über einen bestimmten Wissensstand als Voraussetzung rechtsgeschäftlichen Handelns mißzuverstehen, sondern beziehen sich auf die verstandesmäßigen Kräfte, auf das intellektuelle Potential. Auch der Streit um die Teilmündigkeit Volljähriger geht allein um Be-

152 Siehe auch M. Wolf, Entscheidungsfreiheit, S. 101; Dauner-Lieb, Verbraucherschutz, S. 55. Daß der Minderjährige als schutzwürdig zu betrachten ist und die nachfolgenden Ausführungen für ihn erst recht gelten, versteht sich von selbst; vgl. auch BGH NJW1973,1790,1791 f. (Aufklärungspflicht des Autoverkäufers gegenüber minderjährigem Käufer); Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.283. Die Zustimmung des gesetzlichen Vertreters ändert daran nichts, soweit dieser nicht unmittelbar an den Vertragsverhandlungen beteiligt ist. 153 Sonderregelungen, wie die Börsentermingeschäftsfähigkeit (§53 BörsG), können außen vor bleiben, weil sie Rechtsfortbildung nur in einem engen Segment legitimieren könnten. 154 Zu den subjektiven Voraussetzungen des Ausnutzens näher MünchKomm/Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., § 138 Rn. 129. Krit. zur Abhängigkeit des Unterlegenenschutzes von subjektiven Elementen auf Seiten des Kontrahenten Gernhuber, JZ 1995, 1086, 1092. 155 Siehe auch Mot. I, S. 129f. 156 BGH FamRZ 1958, 127 zur vergleichbaren Regelung der Testierfähigkeit in §2229 Abs.4 BGB.

154

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

einträchtigungen im konstitutionellen Bereich.157 Allerdings sind die konstitutionellen Störungen von geringerem Interesse für unsere Fragestellung. Jene in §§104 Nr. 2,105 S. 2 BGB schon deshalb, weil das Gesetz einen maximalen Schutz vorsieht, der durch Verhaltenspflichten nicht mehr verbessert werden könnte.158 Aber auch die einschlägigen „konstitutionellen Tatbestände" des §138 Abs.2 BGB - „Willensschwäche" und „Mangel an Urteilsvermögen"159 - die, soweit sie den intellektuellen Bereich ansprechen, ein erhebliches verstandesmäßiges Defizit erfordern,160 sind von geringem Interesse, weil von praktisch und dogmatisch minderer Bedeutung.161 2. Die „geschäftliche Unerfahrenheit" als Anknüpfungspunkt

im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB

Das Gesetz nimmt aber auch auf informationelle Defizite Rücksicht, und zwar mit dem Tatbestand „Unerfahrenheit" in §138 Abs.2 BGB. 1 6 2 Offenkundig ist damit die Vorstellung eines rechtsgeschäftlichen Mindestwissens verbunden, das erforderlich ist, um die Informationslast wahrzunehmen, insbesondere den eigenen Informationsbedarf bezüglich eines konkreten Vertrages einschätzen zu können, weshalb im folgenden zur Unterscheidung von Unerfahrenheit in anderen Lebensbereichen von „geschäftlicher Unerfahrenheit" gesprochen wird. Das Gesetz normiert damit einen Tatbestand informationeller Unterlegenheit. Diese Wertung könnte in das vorvertragliche Schuldverhältnis aufgenommen werden 157 Dazu und zum Zweck der Regelungen in §§ 14 Abs. 1 HöfeO, § 1934d, e B G B Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 173f.; ferner Bosch, FS Schiedermair, S. 51, 58ff. 158 Ergänzend ist noch an den Ersatz des Vertrauensschadens des Gestörten zu denken, allerdings nicht wegen Verletzung einer Informationspflicht, sondern wegen des Vertragsschlusses überhaupt. 159 Der in der früheren Fassung enthaltene Tatbestand des Leichtsinns ist in Anlehnung an den strafrechtlichen Tatbestand des Wuchers aufgegangen in den präziseren Begriffen „erhebliche Willensschwäche" und „Mangel an Urteilsvermögen", vgl. MünchKomm/ Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., §138 Rn. 126. 160 MünchKomm/ Mayer-Maly, 3. Aufl., § 138 Rn. 127; Soergel/ Hefermehl, BGB, 12. Aufl., §138 Rn. 81; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 176; zur Ausbeutung der Geistesschwäche als Verstoß gegen die guten Sitten unter Geltung der alten Rechtslage RGZ 67, 393, 394; 72, 61, 68f.; RG SeuffA 70, Nr. 142; RG J W 1925,2126,2127; siehe auch O G H (Brit. Zone) O G H Z 4,66, 72. Gefordert wird eine deutliche Einschränkung der intellektuellen Fähigkeiten: RGZ 72, 61, 68 f., spricht von geistigem Defekt; RG SeuffA 70, Nr. 142 von Schwachsinn; RG JW 1925,2126,2127 (m. Anm. Raape), von krankhaftem Zustand geistiger Schwäche. 161 Nur in scheinbarem Widerspruch dazu steht, daß Rechtsprechung und Schrifttum durchaus verbreitet auf die „intellektuelle Unterlegenheit" einer Partei zur Begründung von kompensatorischen Maßnahmen verweisen; denn damit sind in der Regel informationelle (u.U. auch rationale) Defizite gemeint; siehe S. 143 f. 162 Schünemann, FS Brandner, S. 279, 286, konstatiert insoweit einen gesetzgeberischen Paradigmenwechsel. Soweit der Tatbestand „Mangel an Urteilsvermögen" informationelle Defizite erfaßt, überschneidet er sich mit der „Unerfahrenheit" (MünchKomm/Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., § 138 Rn. 126). Er wird im folgenden nicht jeweils besonders erwähnt.

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

155

und zu einem Schutz über den engen Rahmen des § 138 Abs. 2 BGB hinaus führen. Uber erkennbare Wissensdefizite des geschäftlich Unerfahrenen bezüglich dessen wesentlicher Interessen hätte der Kontrahent diesen zu informieren. Diese Rechtsfortbildung erscheint aus der Verknüpfung beider Wertungen, der des vorvertraglichen Schutzprinzips und der des § 138 Abs. 2 BGB, als gesetzesübersteigende (praeterlegale) Rechtsfortbildung 163 legitimiert. Die c.i.c. rechtfertigt einen über das Gesetz hinausgehenden Schutz des materiellen Willens. Von besonderer, ja größter Dringlichkeit ist das Schutzbedürfnis, wenn die Fähigkeit zu selbstbestimmtem Handeln in rechtlich relevanter Weise beeinträchtigt ist. Der Fall ist dem der Inanspruchnahme von Vertrauen zumindest ebenbürtig. Wer grundsätzlich besondere vorvertragliche Verhaltenspflichten bejaht, kann bei der Ausformung von Verhaltenspflichten die Wertung des § 138 Abs. 2 BGB nicht übergehen. Unausgesprochen dürfte dieser Wertungskontext der Rechtsprechung zugrunde liegen, die Informationspflichten auf die geschäftliche Unerfahrenheit einer Seite stützt. 164 Freilich ist mit der Anknüpfung an §138 Abs. 2 BGB nur eine Rechtsfortbildung begründbar, die den Begriff der (geschäftlichen) „Unerfahrenheit" im Sinne dieser Vorschrift versteht. Auf diese Selbstverständlichkeit hinzuweisen ist angebracht, weil die „geschäftliche Unerfahrenheit" über §138 Abs.2 BGB hinaus zum rechtspolitischen, aber auch rechtsdogmatischen Zentralbegriff der Materialisierungsdiskussion und geradezu ein Synonym für den Verbraucherschutz geworden ist. Es ist deshalb der bloß rechtspolitische Gebrauch des Begriffs auszugrenzen. Es ist ferner beim dogmatischen Gebrauch des Begriffs zunächst der Mindestgehalt des § 138 Abs. 2 BGB zu bestimmen. Das Interpretationsspektrum wird im folgenden vom Minimum zum Maximum hin entwickelt. Die Leitidee des § 138 Abs. 2 BGB ist, daß der Verkehrsteilnehmer für seine materiale Fähigkeit zur Wahrnehmung der Informationslast über ein rechtsgeschäftliches Mindestwissen verfügen muß. Es kommt nicht darauf an, ob der Verkehrsteilnehmer alle für die Verfolgung seines materiellen Willens wichtigen Kenntnisse hat. Es genügt, wenn er über solche Kenntnisse verfügt, die es ihm ermöglichen, seine Informationslast wahrzunehmen, insbesondere seinen Informationsbedarf in etwa abschätzen zu können. Auch dann wird er noch immer scheitern und Wesentliches übersehen können, wie die Irrtumsregelungen zeigen.

3. Der allgemeine

Mangel an geschäftlicher

Erfahrung

Betrachten wir zuerst den „Kern" der geschäftlichen Unerfahrenheit, über den weithin Einigkeit besteht. Geschäftliche Unerfahrenheit im Sinne der Vorschrift Zur hier benutzten Terminologie S.25ff. Gemeint sind nur jene Entscheidungen, in denen der Geschützte allgemein unerfahren im Sinne des § 138 Abs. 2 BGB war, siehe S. 158f. Zu einem darüber hinausgehenden Verständnis geschäftlicher Unerfahrenheit in der Rechtsprechung siehe S. 178ff., 183ff. 163

164

156

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

ist nach einer in Rechtsprechung und Literatur verbreiteten Formel der „allgemeine Mangel an Lebenserfahrung und geschäftlicher Kenntnis", 1 6 5 der eine Einschränkung der Fähigkeit zur Wahrnehmung oder richtigen Beurteilung v o n Zuständen oder Geschehnissen zur Folge hat. 1 6 6 Die Unerfahrenheit dürfe nicht lediglich branchenbezogen sein, nicht nur einen Mangel an Fachkenntnissen darstellen; 1 6 7 die Unerfahrenheit sei „Eigenschaft" der Person, die diese kennzeichne und ihr anhafte. 1 6 8 Typisch sind Personen, die „infolge ihres jugendlichen oder hohen Alters dem Geschäftsleben fernstehen", 1 6 9 Personen am unteren Rand der Geschäftsfähigkeit, die v o m „Durchschnitt" abweichen. 1 7 0 Das Reichsgericht hat einen „einfachen Arbeiter" einmal als geschäftlich unerfahren (im Hinblick auf den überteuerten Kauf von Kadaverdünger) betrachtet. 1 7 1 Bürger der damaligen D D R dürften unmittelbar nach Ö f f n u n g der Grenzen im Jahre 1989 zumindest bei schwierigeren Geschäften als geschäftlich unerfahren zu betrachten gewesen sein. 172 Weiterhin ist, v o r allem im Hinblick auf sprachliche Schwierigkeiten, an Ausländer oder Aussiedler als schutzbedürftige Personengruppe zu denken. 1 7 3 A u c h in der Rechtsprechung zur Angehörigen-Bürgschaft ist häufig v o n der geschäftlichen Unerfahrenheit des Bürgen die Rede. 1 7 4 Insbesondere Bürgen jugendlichen Alters und ohne berufliche Ausbildung werden nicht selten allgemein unerfahren sein. U n d obgleich sie das allgemeine Bürgschaftsrisiko kennen, sind erhebliche Informationsdefizite, insbesondere hinsichtlich Komplexität und U n -

165 RG WarnR 1913 Nr. 1564; RG WarnR 1918 Nr. 157 = Recht 1918 Nr. 1097; BGH DB 1958, 1241; BGH LM Nr.2 zu § 138 BGB (Ba); S o e r g e l / H e f e r m e h l , BGB, 12. Aufl., § 138 Rn. 79; Staudinger/Sack, BGB, 13. Bearb., §138 Rn.205; MünchKomm/Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., §138 Rn. 125; Enderlein, Rechtspaternalismus, S. 274. Zum insoweit vergleichbaren § 879 Abs. 2 Nr. 4 ABGB Rummel/Äre/a, ABGB, 2. Aufl., § 879 Rn. 222 („Fehlen von Lebenserfahrung oder allgemeinen Geschäftskenntnissen"). 166 RG WarnR 1918, Nr. 157 = Recht 1918 Nr. 1097; BGH DB 1958, 1241. 167 RAG 5, 52 (56); BGH DB 1958, 1241. 168 RAG 5, 52 (55); BGH DB 1958, 1241; BGH (1. Strafsenat) DB 1997, 1670, 1671. 169 LAG München DB 1986, 2191; siehe auch BGHZ 83,153, 160. Auch der Fall BGH NJW 1966,1451, der mangels Mißverhältnisses der Leistungen nach § 138 Abs. 1 BGB als sittenwidrig behandelt wurde, dürfte so gelegen haben. Andererseits BGH NJW 1997, 940 (Jura-Student leistet Bürgschaft). 170 BGH (1.Strafsenat) DB 1997, 1670, 1671. 171 RGZ 60, 9, 10. 172 Zweifelhaft und pauschal BGHZ 125,135,140 (der Fall spielt 1991); differenzierter BGH ZIP 1996, 495, 497 (unter V 2 b aa); sieher ferner Kohte, ZBB 1994, 172, 177f. 173 BGH WM 1993,1277 (türkischer Arbeitnehmer); BGH ZIP 1997, 782 (türkischer Arbeitnehmer); BGH (1. Strafsenat) DB 1997, 1670, 1671 (tschechische Bauarbeiter); BGH DB 1997, 1463 (ausländischer Bürge). 174 BVerfGE 89, 214, 233; BVerfG ZIP 1994, 1516, 1518; BGHZ 125, 206, 213f.; BGH NJW 1996, 1274, 1277; NJW 1997, 52, 54; Grün, NJW 1994, 2935, 2936. Krit. Gernhuber (JZ 1995, 1086, 1092), der zutreffend betont, daß geschäftliche Unerfahrenheit nicht schon aus dem erstmaligen Abschluß einer Bürgschaft folge. Der alten Volljährigkeitsregelung nachtrauernd Mayer-Maly AcP 194, 105, 152. Siehe im übrigen zum Problem der Angehörigen-Bürgschaft S. 16ff.

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

157

Übersichtlichkeit einer Kreditgestaltung, die Unbegrenztheit der Bürgschaft und der Ausschluß gesetzlicher Schutzregelungen, möglich und als Folge dieser Unerfahrenheit zu sehen. 175 § 138 Abs. 2 B G B fordert als informationelle Voraussetzung privatautonomen Handelns ein Minimum allgemeiner Lebens- und Geschäftserfahrung, die in Erziehung, Ausbildung und eigenem Erleben gesammelt wird. 176 Für unsere Fragestellung bemerkenswert an dieser „einhelligen" 177 Lesart der geschäftlichen Unerfahrenheit in §138 Abs. 2 B G B ist die Vorstellung von einem rechtsgeschäftlichen Basiswissen, das für alle Vertragstypen und Geschäftsarten, insbesondere Austauschverträge, gleichermaßen bedeutsam ist und dessen Fehlen mithin Schutzbedürftigkeit in Hinsicht auf jedes Geschäft begründet. Wer umgekehrt geschäftlich erfahren in diesem Sinne ist, wird, was die informationellen Voraussetzungen eines selbstbestimmten Vertragsschlusses angeht, als ausreichend befähigt angesehen, sich die Informationen, über die er noch nicht aufgrund seiner Erfahrung verfügt, zu verschaffen, gegebenenfalls durch Nachfrage bei seinem Kontrahenten. Eine bereichsspezifische Unerfahrenheit, beschränkt auf bestimmte Geschäftstypen und gestützt allein darauf, daß man Geschäfte dieses Typs nicht getätigt habe, ist auf Grundlage dieses Verständnisses rechtlich unerheblich. Selbstverständlich möglich ist andererseits eine Differenzierung nach der Komplexität des Geschäfts. Einen Brotkauf wird man auch bei Fehlen jeglicher geschäftlicher Erfahrung oder zumindest mit geringerer Erfahrung eher tätigen können als einen Hauskauf oder ein Kapitalanlagegeschäft. Umgekehrt wird der im Hinblick auf einen komplizierten Gesellschaftsvertrag als unerfahren erachtete Neunzehnjährige 178 nicht den Schutz des §138 Abs.2 B G B erwarten dürfen, wenn er beim Fahrradkauf übervorteilt wurde. Wohlgemerkt erfolgt die Differenzierung nicht nach spezifischen Problemen der jeweiligen Vertragstypen oder Vertragsgegenstände, sondern nach verallgemeinerbaren Merkmale der Komplexität: das wirtschaftliche Gewicht eines Vertrages, seine Bedeutung für die künftige Vermögenslage, rechtliche oder wirtschaftliche Folgebelastungen, Nebenpflichten. Dementsprechend sind Erfahrungen in einem Geschäft mit gewisser Komplexität, z.B. einem Hauskauf, übertragbar auf Geschäfte von vergleichbarer Bedeutung wie die Bürgschaft oder Geldanlagegeschäfte. Entscheidend ist die offensichtliche 179 Diskrepanz zwischen allgemeiner geschäftlicher Erfahrung und Komplexität des Rechtsgeschäfts. Als Basiswertung gilt, daß durchschnittliche ge175 Doch wird Aufklärung über diese Umstände nichts an der verwandtschaftsbedingten Drucksituation und daraus womöglich resultierenden Rationalitätsdefiziten ändern, näher S. 16ff. 176 LAG München DB 1986, 2191. 177 StaudingerAW:, BGB, 13. Bearb., §138 Rn.205. 178 Vgl. den Fall BGH NJW 1992, 300. 179 Fastrich, RdA 1997, 65,67, spricht bezogen auf § 138 Abs. 2 BGB zutreffend von Evidenzfällen.

158

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbstbestimmter

Willensbildung

schäftliche Erfahrung für die Durchführung aller Geschäftsarten und Geschäftstypen genügt. Diese Differenzierung ist in Rechtsprechung und Literatur zur (allgemeinen) geschäftlichen Unerfahrenheit im Sinne des §138 Abs. 2 B G B nicht ausdrücklich angesprochen, aber doch so naheliegend, daß man sie als stillschweigend mitgedacht betrachten kann. 4. Erweiterung vorvertragliche

des Schutzes geschäftlich Schuldverhältnis

Unerfahrener

durch

das

Das vorvertragliche Schuldverhältnis erweitert den Schutz des allgemein geschäftlich Unerfahrenen in prozeduraler Hinsicht. Es verpflichtet den Kontrahenten zur Rücksicht auf die Unerfahrenheit (Unterlegenheit). Der Inhalt der Rücksichtnahmepflicht muß dem Schutzbedürfnis des Unerfahrenen entsprechen. Konkret bedeutet dies, daß der Kontrahent Informationsdefizite des Unerfahrenen bezüglich wesentlicher vertragsrelevanter Umstände 180 durch Aufklärung beseitigen muß. Es genügt, anders als sonst, nicht, den Unerfahrenen nur auf seinen Informationsbedarf aufmerksam zu machen. Verfügt der Kontrahent selbst nicht über exakte Informationen, trifft ihn zwar keine Beschaffungspflicht. Aber er muß dann vom Vertrag Abstand nehmen, solange der geschäftlich Unerfahrene nicht über die nötigen Informationen verfügt. Allgemeine geschäftliche Unerfahrenheit beinhaltet nämlich auch ein Defizit an rationalem Verhalten. Der Unerfahrene wird daher in der Regel nicht in der Lage sein, in rationaler Weise über den Verzicht auf exakte Informationen zu entscheiden. Diese Verhaltenspflichten bestehen nur, wenn geschäftliche Unerfahrenheit und das konkrete Informationsdefizit für den Kontrahenten erkennbar sind. Die Unerfahrenheit wird in der Regel aus den persönlichen Verhältnissen des Unerfahrenen zu erkennen sein. Das konkrete Informationsdefizit kann der Kontrahent nur erkennen, wenn er selbst über die betreffende Information verfügt oder das Vorliegen des betreffenden Umstandes zumindest konkret für möglich hält.181 Die Rücksichtnahme verpflichtet den Kontrahenten nicht dazu, sich die Informationen überhaupt erst zu beschaffen, die für den Unerfahrenen bedeutsam sein könnten. Verfügt er über diese für die Interessen des Unerfahrenen nachteilige Information und ist andererseits die Unerfahrenheit erkennbar, so muß er mit der Unkenntnis des Unerfahrenen bezüglich dieses Umtandes rechnen und dessen Informationsstand erkunden, es sei denn er hat Anzeichen dafür, daß der Unerfahrene über den fraglichen Umstand im Bilde ist.

1 8 0 Zum Begriff der wesentlichen Interessen siehe S.241 ff., 250ff.; die Ausführungen gelten entsprechend, unter Berücksichtigung der geschäftlichen Unerfahrenheit. Siehe ferner S. 294ff. 181 Bei der Feststellung „präsenten Wissens" kann allerdings nicht gänzlich auf normative Elemente verzichtet werden; siehe die Ausführungen S. 273 ff., die für den hiesigen Kontext entsprechend gelten.

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

159

Der Schutz des geschäftlich Unerfahrenen wird durch das vorvertragliche Schuldverhältnis in zwei Richtungen erweitert. Der vorvertragliche Schutz fordert nur, daß die Unerfahrenheit (und das konkrete Informationsdefizit) für den Kontrahenten erkennbar ist, während § 138 Abs. 2 BGB die Ausnutzung der Unerfahrenheit verlangt, wozu nach überwiegender Ansicht die bloß fahrlässige Erkenntnis der Situation des anderen nicht ausreicht. 182 Ferner bezieht sich die Informationspflicht nicht nur auf das grobe Mißverhältnis von Leistung und Gegenleistung, 183 sondern auf alle für den materiellen Willen des Unerfahrenen wesentlichen Umstände. So hätte im Gesellschaftsvertragsfall ein Gesellschafter seine infolge Jugendlichkeit unerfahrenen Mitgesellschafter über den Inhalt nachteiliger Klauseln informieren müssen.184 Im Reinigungsanlagenfall hätte der Verkäufer der Anlage den gerade volljährig gewordenen Käufer darüber informieren müssen, daß er für die Anlaufzeit weiteres Kapital benötige. 185 § 138 Abs. 2 BGB wird durch die Informationspflicht wegen geschäftlicher Unerfahrenheit nicht überflüssig, denn er ordnet die schärfere Sanktion (Vertragsnichtigkeit) an, beschränkt auf die Ausnutzungsfälle. Rechtsprechung und Literatur haben die fahrlässige Nichtaufklärung Unerfahrener zum Teil dem § 138 Abs. 1 BGB zugerechnet. Aber die Gleichstellung mit dem Wuchertatbestand ist angesichts der erheblichen wertungsrelevanten Unterschiede nicht gerechtfertigt. Der Wuchertatbestand setzt „Ausnutzung" voraus und ist auf das Mißverhältnis der Leistungen beschränkt. Der Sache nach ist die hier entwickelte Aufklärungspflicht wegen informationeller Unterlegenheit/geschäftlicher Unerfahrenheit von der Rechtsprechung anerkannt, 186 mag auch eine klare dogmatische Zuordnung fehlen und durch unberechtigte Bezugnahmen auf den Vertrauensgedanken 187 oder durch Einordnung in den Sittenwidrigkeitstatbestand des §138 Abs.l BGB 188 sogar verdunkelt werden. 5.

Zusammenfassung

Informationelle Unterlegenheit meint die Unfähigkeit zur Einschätzung des eigenen Informationsbedarfs. Eine dogmatische Umsetzung dieses Ansatzes ist nur 182 Die Rechtsprechung fordert mindestens ein „leichtfertiges Sich-Verschließen", BGH BB 1962, 156, also grobe Fahrlässigkeit; M ü n c h K o m m / M a y e r - M a l y , BGB, 3. Aufl., §138 Rn.129; anders zur „Ausbeutung" gemäß §879 Abs. 2 Nr. 4 ABGB der OGH SAE Nr. 8022. Freilich kann die „fahrlässige Ausnutzung" des Irrtums eines Unerfahrenen zur Sittenwidrigkeit im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB führen, MünchKomm/Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., § 138 Rn. 129. 183 Insoweit eine Ausnahme vom Grundsatz, daß es keine vorvertragliche Informationspflicht bezüglich der Marktgerechtigkeit der Leistung gibt, siehe S. 295ff. 184 BGH NJW 1992, 300, 302. 185 BGH NJW 1966, 1451. Der BGH behandelte den Fall nach § 138 Abs. 1 BGB. 186 BGH NJW 1992, 300; NJW 1966, 1451. Zu Überdehnungen S. 178ff., 183ff. 187 Etwa BGH NJW 1992, 300, 302. 188 BGH NJW 1966,1451; vgl. auch BGHZ 125,35,40; zum Vorsatz erforderndem Schadensersatzanspruch aus § 826 BGH ZIP 1994, 1102.

160

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selbsthestimmter

Willensbildung

in Anknüpfung an vorgängige gesetzliche Wertungen möglich. Bereichsspezifische Unterlegenheiten analog zu spezialgesetzlichen Informationspflichten (insbesondere des Verbraucherschutzes) lassen sich nicht begründen. Es bleibt nur der in § 138 Abs. 2 BGB niedergelegte Tatbestand der (geschäftlichen) „Unerfahrenheit", der im Sinne eines Mangels an allgemeiner, durchschnittlicher Geschäftserfahrung zu verstehen ist. Der Schutz solchermaßen Unerfahrener wird durch vorvertragliche Schutzpflichten erweitert, in informationeller Hinsicht dahingehend, daß der Kontrahent erkennbare Informationsdefizite des Unerfahrenen bezüglich für dessen materiellen Willen wesentlicher Umstände durch Aufklärung beseitigen muß. Die Aufklärungspflicht besteht nur für präsentes Wissen.

§3 Bereichs- und rollenspezifische Konkretisierungen der informationellen Unterlegenheit I. Geschäftliche Unerfahrenheit trotz allgemeiner Geschäftserfahrung? Die personenbezogene allgemeine geschäftliche Unerfahrenheit ist von bescheidener praktischer Bedeutung. Das wäre ganz anders, sollten spezifische Kenntnisdefizite als geschäftliche Unerfahrenheit und damit als Schutzbedürftigkeit zu werten sein. Das hieße, auch den mit allgemeiner geschäftlicher Erfahrung ausgestatteten Verkehrsteilnehmer als partiell geschäftlich unerfahren betrachten zu können. Geschäftliche Unerfahrenheit ließe sich zum einen gegenständlich definieren, als Mangel an rechtsgeschäftlicher Kompetenz bezogen auf Inhalt, Gestaltung oder Gegenstand des Vertrages und unbesehen der rechtsgeschäftlichen Kompetenz des Kontrahenten; die Unerfahrenheit wäre auf einen gegenständlich-thematischen Bereich begrenzt, z.B. mangelnde Kompetenz zum Abschluß eines Darlehensvertrages oder einer Bürgschaft (bereichsspezifische Unerfahrenheit). Zweitens kann Unerfahrenheit mit einer bestimmten sozialen Rolle verbunden sein, mit der typischerweise eine mindere rechtsgeschäftliche Kompetenz - absolut oder zumindest im Verhältnis zum Vertragspartner - verbunden ist (rollenspezifische Unerfahrenheit). Die Komplexität des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens und der sie kennzeichnenden Entwicklung zu immer stärkerer Diversifikation und daraus resultierendem Spezialistentum bewirkt eine Partialisierung und Segmentierung des individuellen Wissens, die diesen Schritt durchaus nahelegt und von vielen als Grund für eine entsprechende Rechtsfortbildung gesehen wird. 189 Die traditionelle Vorstellung eines allgemeinen, für alle 189 Insoweit übereinstimmend Reich/Tonner/Wegener, Verbraucher und Recht, S. 10; v. Hippel, Verbraucherschutz, 3. Aufl., S.4; Dauner-Lieh, Verbraucherschutz, S. 65,67; Reifner, Alternatives Wirtschaftsrecht, S.218ff., 226ff.; Westermann, Verbraucherschutz, S.79, 80; Joerges,

2. Kap.: Informationspflichten

zum Schutz informationell

Unterlegener

161

Rechtsgeschäfte verwertbaren Grundwissens, scheint dem nicht mehr angemessen. Hinzu kommt, daß die Segmentierung des Wissens zur Ausbildung eines Professionellen- und Expertenstandes führt, der die Informationsprobleme gewissermaßen verdoppelt. Häufig stehen sich im Rechtsgeschäft der allenfalls über allgemeine rechtsgeschäftliche Erfahrung verfügende „Laie" und der meistens professionell agierende „Fachmann" gegenüber; was der eine mehr weiß, weiß der andere weniger - über den Vertragsgegenstand wie über den Vertragsinhalt. Von dieser Beschreibung der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse scheint der Schritt zur rechtlichen Anerkennung partieller Uberforderung durch rechtsgeschäftliches Agieren auf unvertrautem Terrain folgerichtig. Selbst Juristen und Kaufleute könnten in bestimmter Hinsicht, von Geldanlagegeschäften bis hin zum Gebrauchtwagenkauf, als informationell unterlegen (= unerfahren) gelten. Dieser Ansatz rührt an die Fundamente der Privatautonomie, deren Stützpfeiler die rechtliche Gleichheit aller Rechtsgenossen ist. Denn nun geht es nicht mehr um Rücksichtnahme auf die zuvor beschriebenen, weitgehend außerhalb relevanten Geschäftslebens stehenden Personengruppen, sondern um die Berücksichtigung von Wissensdefiziten, die in einer arbeitsteiligen und spezialisierten Gesellschaft jeder hat, als partieller „Unfähigkeit". Angesichts dieser Konsequenzen ist eine gewisse Unbefangenheit, mit der die Rechtsprechung und auch Teile der Literatur190 partielle geschäftliche Unerfahrenheiten postulieren, erstaunlich. Geschäftliche Unerfahrenheit wird oft bezüglich eines bestimmten Vertragstyps oder im Verhältnis zu einem bestimmten Geschäftsgegner behauptet, ohne daß eine Verknüpfung mit dem Leitgedanken der gestörten Fähigkeit zu informationeller Eigenverantwortung in genügendem Maße hergestellt und überprüft würde. Es ist dies aber der Maßstab, an dem sich solche Begründungen messen lassen müssen.

II. Bereichsspezifische geschäftliche Unerfahrenheit? Wenden wir uns zuerst der Frage zu, ob informationelle Unterlegenheit durch ein auf Inhalt, Gestaltung oder Gegenstand eines Vertrages oder sonstwie gegenständlich begrenztes Kompetenzdefizit begründet sein kann, ob es Verträge bzw. Vertragsgestaltungen oder Geschäftsbereiche gibt, für die die „allgemeine" oder durchschnittliche Geschäftserfahrung nicht genügt. Das Gesetz kennt zum Beispiel in §53 BörsenG oder §§29 Abs. 2, 38 Abs. 1 ZPO Regelungen, die die Fähigkeit zur Regelung bestimmter Dinge vom Vorliegen einer besonderen, überVerbraucherschutz, S. 59f., 73, 75, 80; Schuhmacher; Verbraucherschutz, S. 188f.; Dick, Verbraucherleitbild, S.lf. 1 , 0 Beispielsweise Hadding, Gutachten, S. 120; die Kommentarliteratur im Anschluß an die Rechtsprechung, SoergeV Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 166; MünchKomm/£iwmerich, BGB, 3. Aufl., Vor §275 Rn. 51 („Unterlegenheit"), 101. Zur Rechtsprechung im folgenden.

162

4. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

selhstbestimmter

Willensbildung

durchschnittlichen Kompetenz abhängig machen.191 Nach welchen Kriterien wären jene „Bereiche" abzugrenzen? Abgrenzen könnte man nach einzelnen Vertragstypen (z.B. Kauf-, Miet-, Darlehensvertrag), zusätzlich nach Vertragsgegenständen (z.B. Gebrauchtwagenkauf, Hauskauf). In der Literatur wird eine Abgrenzung nach „Branchen" vorgeschlagen.192 Einen weiteren Ansatzpunkt gibt die Rechtsprechung zu §138 BGB, die zwar im Grundsatz nur allgemeine geschäftliche Unerfahrenheit als Schutzgrund genügen läßt,193 aber doch gewisse Lockerungstendenzen zeigt. So heißt es in Urteilen des RG und des B G H , die geschäftliche Unerfahrenheit brauche nicht eine umfassende zu sein, sie könne sich auch auf „beschränkten Gebieten menschlichen Wirkens" zeigen.194 Sie sei allerdings nicht mit dem „Mangel an Fachkenntnissen auf bestimmten Sondergebieten" gleichzustellen. Wie sich das „beschränkte Gebiet" vom „bestimmten Sondergebiet" unterscheidet, bleibt unklar; den entschiedenen Sachverhalten läßt sich nichts abgewinnen. So scheint das Reichsgericht nicht von vornherein ausschließen zu wollen, die „Verwertung von Einrichtungsgegenständen" als „beschränktes Gebiet" aufzufassen und damit § 138 Abs. 2 B G B anzuwenden;195 wogegen der B G H etwa fehlende Branchenkunde (Büroartikelhändler betätigt sich in Strumpfherstellung)196 oder mangelnde Kenntnis auf dem „Gebiet der Mietund Aufbauverträge" nicht ausreichen läßt.197 Andererseits begnügt sich die umfangreiche Rechtsprechung zur Sittenwidrigkeit von Ratenkreditverträgen (überwiegend zu § 138 Abs. 1 B G B ) offenkundig mit der Unerfahrenheit des Kreditnehmers im Umgang mit Kreditgeschäften.198 Die unhaltbaren Resultate illustriert der Agraringenieurfall, in dem einem als Fachberater für Viehhaltung tätigen Agraringenieur geschäftliche Unerfahrenheit im Hinblick auf die UberteueZur besonderen rechtsgeschäftlichen Kompetenz des Kaufmanns siehe S. 175ff. Vgl. Schumacher, Irreführung, S. l l l f . ; ähnlich Staudinger/Ser, BGB, 12. Aufl., § 133 Rn.25; S o e r g e l / H e f e r m e h l , BGB, 12. Aufl., Vor § 116 Rn. 18, § 133 Rn. 9,25. Ein gesetzlicher Anhaltspunkt findet sich in §164 Abs.l S. 2 BGB, demzufolge die „Umstände" darüber mitentscheiden, ob jemand als Vertreter für einen anderen tätig geworden ist. 34 So etwa Franz Leonhard, AcP 120,14,15: Aus der von ihm für maßgeblich gehaltenen „objektiven Auslegung" ergebe sich „die einfache, aber bislang noch nicht erkannte Regel, daß nur die Tatsachen, die Inhalt der Erklärung geworden sind, zur Auslegung herangezogen werden dürfen. Alle anderen sind auszuscheiden." Und S. 55: Unter der von ihm für maßgeblich gehaltenen „objektiven Auslegung" sei zu verstehen, „daß die Auslegung gegenständlich beschränkt ist, daß das Material nur aus der Erklärung selbst entnommen werden darf. Nur noch die allgemeinen Deutungsregeln und das sonstige Allgemeinwissen dürfen außerdem hinzugefügt werden"; ferner a.a.O., S. 66ff. Man könnte insoweit von einem „abstrakten" Empfänger, dem die konkreten Umstände unbekannt sind, ausgehen, vgl. Rhode, Willenserklärung, S. 20. 35 Vgl. zum römischen Recht, Käser, Das römische Privatrecht, § 58 I, S. 206; ders., Römisches Privatrecht, 16. Aufl., §8 I 2, S.51f.; Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl. §133 Rn.2; v. Jhering, JheringsJb Bd. 4, 1, 71 f. 36 Zu diesem Zusammenhang aus der Perspektive des römischen Rechts, Käser, Das römische Privatrecht, § 581, II, S. 206ff. Selbst ein strenger „Objektivist" wie Danz fordert die Berücksichtigung von Erklärungsumständen (Auslegung, S.41ff., 157); anders aber Franz Leonhard, AcP 120, 14, 55, 66ff. 37 So soll nach der verbreiteten „Andeutungstheorie" der, auch aus den Erklärungsumständen ermittelbare, wirkliche Wille nur insoweit Berücksichtigung finden, als er in der Erklärung „irgendeinen, wenn auch noch so unvollkommenen Ausdruck" gefunden habe (etwa BGHZ 80, 242,244; RGZ 95,125,126); Lüderitz, Auslegung, S. 183ff. m.w.N.; krit. MünchKomm/M^erMaly, BGB, 3. Aufl., §133 Rn.28, 49. 38 AT, 7. Aufl., Rn.324ff.

202

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

heraus, daß die bestellten Speisen inzwischen mehr als das Doppelte, als auf der alten Karte angegeben, kosten sollen.

Für den Wirt war nicht erkennbar, daß der Gast nach der alten Karte bestellte; denn er wird nicht bei jeder Bestellung die Karten überprüfen müssen. Also durfte er eine Bestellung zu den aktuellen Preisen verstehen. Für den Gast war nicht erkennbar,39 daß es sich um eine ungültige Karte handelte; also durfte er die Entgegennahme seiner Bestellung als solche zu alten Preisen verstehen. An und für sich liegt hier ein versteckter Einigungsmangel vor (§ 155 BGB). Doch sollen neben dem Verschulden andere Zurechnungsprinzipien zur Geltung kommen. So redet Medicus40 dem Risikoprinzip das Wort, wenn er das Verständnis des Gastes für maßgeblich hält, da die Ursache des Mißverständnisses - die fehlerhafte Karte - in der „Sphäre" des Gastwirts liege. Ebenfalls auf den Risikogedanken läuft der Ansatz von Flume und Wieser hinaus, den Wirt auf das Verständnis der Erklärung seitens des Gastes zu verpflichten, weil er dessen Offerte nur mit einer Zustimmung (statt mit ausdrücklicher, die Bedingungen nennender Erklärung) entgegengenommen habe.41 Daß aber dem Risikoprinzip keine allgemeine Geltung zugestanden wird, ist daran zu ersehen, daß die wohl herrschende Lehre den normativen Inhalt einer Willenserklärung nicht allein nach dem Verständnishorizont des Empfängers, sondern auch jenem des Erklärenden bestimmt.42 Der Erklärende wird gerade nicht dem Risiko ausgesetzt, an einen für ihn nicht erkennbaren Inhalt der Willenserklärung gebunden zu sein. Die Anwendung des Risikoprinzips kann letztlich nicht überzeugen, weil, anders als vielleicht im Leistungsstörungsrecht, der Rechtsfortbildungsbedarf nicht zu erkennen ist. Niemand wird unzuträglich benachteiligt, wenn in derartigen Fällen der Vertrag nicht zustande kommt. Und für eine etwaige Rückabwicklung hält das Bereicherungsrecht die nötigen Regeln bereit, die nur dort, wo es wegen unzuträglicher Härten wirklich erforderlich wäre, durch Vertrauensschutzregeln ergänzt werden. 3. Die Individualisierung

des maßgeblichen

Verständnishorizontes

Der zweite Teil der Verständigung besteht im Erkennen und Nachvollziehen jenes Sinns, der im erkennbaren Erklärungstatbestand verkörpert ist, durch ihn vermittelt wird. Die Sinnbedeutung einer Erklärung ist abhängig vom Wissenshorizont, von dem aus sie gedeutet wird. Man kann demnach unterscheiden den Anders, wenn die Preise beispielsweise nur ein Zehntel des aktuellen Preisniveaus betragen. Medicus AT, 7. Aufl., Rn.325f.; ihm folgend M ü n c h K o m m / M a y e r - M a l y , BGB, 3. Aufl., §133 Fn. 24. 41 Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §34, 3, S.620; Wieser, AcP 184, 40, 43f. 42 Bähr, JheringsJb Bd. 14, S. 393,401; Larenz, Auslegung, S. 72f.; zuweilen für die gegenteilige Ansicht zitiert, aber durchaus nicht anders, ders. AT, 7. Aufl., § 19 II a, S.341; anders allerdings ders., DR 1939, 1847, im Anschluß an Rhode, Willenserklärung, S. 113; Kramer, Grundfragen, S. 152f. m.w.N.; Medicus AT, 7. Aufl., Rn.326; Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 16 (3 c), S. 311; Canaris, Vertrauenshaftung, S.344; anders und konsequent Wieser, AcP 184, 40f., 44 m.w.N. 39 40

5 2 Informationspflichten

zur Verständigung

über den

Vertragsinhalt

203

Sinn, der ihr vom Urheber beigelegt wird; jenen, der der Erklärung nach dem allgemeinen, üblichen Gebrauch von Sprache und anderen Verständigungsmitteln zukommt; schließlich den Sinn, der vom Erklärungsempfänger verstanden wird.43 Als Beispiel diene der Jheringsche Madeirafall:44 In Spandauer Lokalen war es üblich, ein Gemisch aus Nordhäuser Kornbranntwein und Ingwer als „Madeira" anzubieten. Ob ein Gast mit den Worten „Eine Flasche Madeira bitte!" nun dieses Gemisch meint oder Süßwein, hängt davon ab, welcher Wissenshorizont für das Verstehen der Erklärung herangezogen wird.45 Erneut stehen sich formale und materiale Theorie gegenüber. Die formale Betrachtung legt, auf beiden Seiten, den alle erkennbaren Umstände kennenden und über das nötige allgemeine Geschäftswissen verfügenden Verkehrsteilnehmer zugrunde. Jede Partei darf sich darauf verlassen, daß der Gegner über dieses Wissen verfügt. Demnach ist jener Sinn des erkennbaren Erklärungstatbestandes maßgeblich, der von individuellen Besonderheiten des Verständnisses gereinigt und daher für beide Parteien in gleicher Weise erreichbar, in diesem Sinne „objektiv" ist. Die Parteien treten sich nicht als Individuen, sondern als „abstrakte Normalmenschen" gegenüber.46 Normativ maßgeblich ist daher der allgemeine, verkehrsübliche Sinn einer Erklärung, jener Sinn, so wird auch gesagt, den verständige Menschen bzw. die Allgemeinheit der Erklärung beilegen.47 Jeder Verkehrsteilnehmer darf sich darauf verlassen, daß der gewöhnliche, übliche, allgemeine Sinn dem Kontrahenten bekannt ist. Niemand kann sich darauf berufen, der Sinn sei für ihn auch bei Aufwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht erkennbar gewesen;48 erkennbar muß nur der Erklärungstatbestand sein. Weder Urheber noch Empfänger einer Vgl. Bailas, Vertragsschliessung, S. 13. Der in Berliner Blättern berichtet wurde, v. Jhering, Jurisprudenz des täglichen Lebens, 11. Aufl., III, Nr. 58. 45 Man wird heutzutage wohl nur noch in ländlichen Gebieten einen Gastwirt treffen, der den üblichen Sinn des Begriffs „Madeira" nicht kennt. Der Fall gibt ist aber nach wie vor gut geeignet, die komplizierten Wertungszusammenhänge zu veranschaulichen. Man kann den Fall leicht in unsere Zeit übertragen, setzt man an die Stelle von Madeira einen weniger geläufigen Getränkenamen. 46 Vgl. Danz, Auslegung, S.55; krit. dazu Bickel, Auslegung, S. 17f. 47 Danz, Auslegung, S. 79 (siehe weiterhin S. 44,45,47,62,71,78,154ff.) nannte dies die „realistische Art der Auslegung"; Brodmann, Z H R 70, 399, sprach vom „Gipfel der Unnatur und Künstelei"; wie Danz auch Zitelmann, Rechtsgeschäfte, Bd. I, S. 98; Bd. II, S. 14; Titze, Mißverständnis, S. 88; Franz Leonhard, AcP 120, 14, 15, 55; R G Z 162, 177, 180; 165, 193, 198; weitere Nachweise bei Bailas, Vertragsschliessung, S. 7. Vgl. auch Lüderitz, Auslegung, S. 289, allerdings nur im Sinn einer Auslegungsregel: größere Evidenz, Vereinbarkeit mit Sprach- und Erfahrungsregeln. 43

44

48 Diese Bedeutung der formalen Geschäftsfähigkeit wird nicht immer richtig erkannt, deutlich aber Danz, Auslegung, S. 62 Fn. 1; siehe auch Bickel, Auslegung, S. 16. Meistens wird in der Literatur auch die Zurechenbarkeit des Erklärungssinns vom Erkennenkönnen abhängig gemacht (wohl Larenz, Auslegung, S. 7 l £ ; Bickel, Auslegung, S. 149). Allerdings kann man darin nicht immer eine Absage an die Zurechnung des Erklärungssinns kraft formaler Geschäftsfähigkeit sehen, weil es nicht um den objektiven, sondern den am konkreten Empfängerhorizont orientierten Erklärungssinn geht.

204

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

Erklärung müssen sich um den individuellen Wissenshorizont des anderen bemühen. Im Madeirafall darf der Wirt die Bestellung daher als Bestellung des Gemischs verstehen, hält man den örtlichen Sprachgebrauch (Verkehrssitte) für den verkehrsüblichen; 49 Gedanken über den Wissensstand des Gastes muß er sich nicht machen, ebensowenig muß er fragen. Das ältere Schrifttum trat, im Kampf gegen die Unzulänglichkeiten der Willenstheorie, dafür ein, es beim objektiven, verkehrsüblichen Sinn zu belassen. Beispielhaft sei die Schrift von Danz über „Die Auslegung der Rechtsgeschäfte" genannt. 50 Nur wenn der Gegner den vom objektiven Erklärungsgehalt abweichenden Willen des Erklärenden positiv kennt, soll dieser Wille maßgeblich sein.51 Im Madeirafall dürfte, die Maßgeblichkeit der örtlichen Sitte unterstellt, der Wirt auch dann die Bestellung des Gemischs verstehen, wenn er bei Anwendung einiger Sorgfalt (z.B. der Gast bemerkte bei der Bestellung beiläufig, wie gerne er Süßwein trinke) hätte bemerken können, daß der Gast den Süßwein meinte. Eben diese Anstrengung braucht er nicht zu unternehmen. 52 Die objektive Sinnbestimmung nach Maßgabe des ordentlichen Verkehrs fordert und gestattet, von den individuellen Kenntnissen und Kenntnismöglichkeiten der Verhandlungspartner zu abstrahieren, soweit es um die Zurechnung des normativ bestimmten Sinns einer Erklärung geht. Den normativen, nach objektiven Kriterien bestimmten Sinn hat ein Geschäftsfähiger zu erkennen, auf die konkrete Erkennbarkeit nach Maßgabe des individuellen (tatsächlich vorhandenen und zurechenbaren) Allgemeinwissens (allgemeinen Geschäftswissens) kommt es nicht an. Es ist dies das einem formalen Verständnis der Vertragsfreiheit entsprechende Modell der Verständigung und Einigung über den Vertrag.53 In dieser Strenge haben sich formales Verständnis und Lehre vom objektiven Erklärungssinn nicht halten können. 54 Die heute herrschende Theorie der vertraglichen Verständigung ist material orientiert. Sie verpflichtet den Empfänger auf den vom Erklärenden intendierten Sinn der Erklärung. 55 In diesem Sinne 4 9 Was durchaus unterschiedlich beantwortet wird, vgl. Lüderitz, Auslegung, S. 299f. m. w.N., der selbst für den Vorrang der allgemeineren Sitte plädiert; Danz, Auslegung, S. 224f.; Titze, Mißverständnis, S. 155. 50 Wer die verkehrsübliche Bedeutung nicht will, muß dies erklären (a.a.O., S. 52); weiterhin die in Fn. 47 angegebenen Autoren. 51 Danz, Auslegung, S. 71 f. (Das bloße Wissen, die objektive Bedeutung sei nicht gemeint, soll nicht genügen, S. 71, Fn. 1, 157ff.); selbst in diesem Fall am objektiven Sinn festhaltend und auf die Anfechtung und §122 Abs. 2 BGB verweisend Titze, Mißverständnis, S. 154. 52 Es mag durchaus sein, daß Danz hier zu einem anderen Ergebnis käme; worauf es ankommt, ist die modellhafte Darstellung eines konsequent formalen Verständigungsrechts. 53 Vgl. Kramer, Grundfragen, S. 145. 54 Zur Kritik Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 72ff.; Eickel, Auslegung, S. 13ff.; Rhode, AcP 124, 257, 278f. 55 BGHZ 36, 30, 33, und BGHZ 47, 75, 78 (der B G H wendet sich nur, zu Recht, gegen die Maßgeblichkeit des nicht nach außen getretenen, „inneren" Willens); RGZ 96,273,276; 119,21, 25; Bailas, Vertragsschliessung, S. 42; Kramer, Grundfragen, 145,175f.; prägnant MünchKomm/

§ 2 Informationspflichten

zur Verständigung über den Vertragsinhalt

205

kann von einer subjektiven Verständigungstheorie gesprochen werden. 5 6 Das Verständnis des Wirtes hängt also davon ab, welchen Kenntnishorizont des G a stes er zugrunde legt und zugrunde legen muß, o b der Gast von der Ortssitte weiß (dann das Gemisch) oder nicht (dann Süßwein). Sie verpflichtet andererseits den Erklärenden auf den konkreten Empfängerhorizont; 5 7 der Gast m u ß seinerseits den Kenntnishoriziont des Wirtes in Rechnung stellen. Zweifelsohne wird die herrschende Theorie dem Wesen der K o m m u n i k a t i o n gerechter als die formale Theorie der Verständigung. D e r Abschluß eines Vertrages ist seinem Wesen nach ein kommunikativer A k t zwischen den daran Beteiligten. 5 8 Wirkliche Verständigung aber ist nur möglich, wenn die Beteiligten willens sind, den anderen richtig zu verstehen, wenn sie bemüht sind, das Wollen des anderen wahrzunehmen und nachzuempfinden. Das kann nur gelingen, wenn der andere in seiner Individualität wahrgenommen wird und seine Willensäußerung aus seiner Situation verstanden wird. 5 9 Völlige Formalität und Abstraktheit werden dem nicht gerecht. D e r Vorrang der natürlichen Einigung („falsa demonstratio") ist ein Beleg dafür. 6 0 Was zunächst nur bedeutet, daß der Empfänger sich u m diesen Sinn bemühen muß, nicht, daß dieser Sinn ohne weiteres maßgebend ist. A u c h insoweit wird die Verteilung des Verständigungsrisikos im R a h m e n der Verständigungspflicht über die Zurechenbarkeit des Verfehlens des subjektiven Erklärungssinns (nach außen erkennbaren materiellen Willens) gesteuert. Dies wiederum wird näher bestimmt durch die Lehre v o m (konkreten) Empfängerhorizont.

4. Die subjektiv-normative Theorie als gesetzliche Theorie D i e subjektiv-normative T h e o r i e ist nicht eigentlich Rechtsfortbildung (praeter oder contra legem), sondern bei einer alles in allem nicht eindeutigen gesetzlichen

Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., §133 Rn. lOff. m.w.N. Grundlegend Manigk, Irrtum und Auslegung, S.189ff., 192 ff. 56 Nicht zu verwechseln mit einer subjektiven Theorie der Willenserklärung, die, auf dem Boden der Willenstheorie, den Bestand der Willenserklärung nach dem „subjektiven", inneren Willen bestimmt, mag dieser auch nicht nach außen gedrungen sein. Man kann auch von einer „individual-normativen" Theorie sprechen (Kramer, Grundfragen, S. 145). Doch wird der Terminus „individual" hier bereits für die Charakterisierung des maßgeblichen Erklärungstatbestandes verwandt. 57 BGH LM § 157 (Ga) BGB Nr. 18 unter 2. Siehe auch Oertmann, Rechtsordnung und Verkehrssitte, S.87; Manigk, Irrtum und Auslegung, S. 193ff.; Larenz, Auslegung, S.72f.; Bailas, Vertragsschliessung, S. 9, 13, 15 und passim; MünchKommIMayer-Maly, BGB, 3. Aufl., §133 Rn. 10. Allgemein zu Empfängerhorizont und Deutungsdiligenz Heck, AcP 112, 1, 43. 58 Darauf hat vor allem Bailas, Vertragsschliessung, S. 17ff., 40 und passim, aufmerksam gemacht (allerdings sind nicht alle von ihm daraus gezogenen Konsequenzen berechtigt); ebenso Wieacker, JZ 1967, 385, 387, 391, Fn.41. 59 Bailas, Vertragsschliessung, S. 31. 60 Auch in diesem Fall konsequent für den objektiven Sinngehalt Franz Leonhard, AcP 120, 14, 105f.; ebenso Titze, Mißverständnis, S. 392; dagegen zu Recht Kramer, Grundfragen, S. 128.

206

5, Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung der Verständigung

Regelungslage 6 1 diejenige von mehreren möglichen Interpretationen, die dem Gesetz am besten entspricht. 6 2 Das Gesetz verfolgt im R a h m e n der Verständigung erstens keine rein formale K o n z e p t i o n der Selbstbestimmung. Zwar schützt die formale Geschäftsfähigkeit ( § § 1 0 4 f f . B G B ) die Verkehrsteilnehmer gerade vor konkreten oder auch nur typisierenden Zurechnungserwägungen, wie sie die Ermittlung eines subjektiven Erklärungssinns erfordern würde, also Ü b e r l e g u n gen darüber, ob der Empfänger Y im konkreten Fall die v o m objektiven Sprachgebrauch abweichende Intention des Erklärenden X hätte erkennen müssen. A b e r genau dies verlangt das Gesetz dem Empfänger in § 1 2 2 Abs. 2 B G B ab. Fahrlässige Unkenntnis eines Irrtums ist dem Kontrahenten des Irrenden nur vorzuwerfen, wenn seine Verständigungspflicht dahin geht, den subjektiven E r klärungssinn zu erkennen. Unterläßt der Erklärungsgegner diese Anstrengung um den v o m Erklärenden intendierten Erklärungssinn, muß er hinnehmen, daß der Erklärende sich folgenlos aus der eingegangenen Bindung löst ( § 1 1 9 A b s . l B G B ) . D i e Regelung gilt auch bei Vermeidbarkeit des Irrtums, wenn der E r k l ä rende hätte erkennen müssen, daß er den objektiven Erklärungssinn verfehlt. N u n geht die subjektive Verständigungstheorie einen entscheidenden Schritt weiter. D e n n immerhin geht § 122 Abs. 2 B G B von der Maßgeblichkeit des o b j e k t i ven Erklärungssinns aus. D i e Verständigungsverantwortlichkeit verbleibt bei der Partei, die diesen Sinn verfehlt. Sie m u ß anfechten, und die Erkennbarkeit ihres Irrtums schränkt nur den Schutz des Kontrahenten gemäß § 122 Abs. 1 B G B ein (§ 122 Abs. 2 B G B ) . D i e subjektive Ausrichtung der Verständigungspflicht kehrt dieses Verhältnis um. D e r erkennbare subjektive Sinn der Erklärung wird m a ß geblich für den Vertragsinhalt und der ihn tragende wirkliche Rechtsfolgewille des Erklärenden weiter geschützt als in §§ 119 Abs. 1 , 1 2 2 Abs. 1 B G B . Zwar kann sich der den subjektiven Sinn verfehlende Erklärungsempfänger v o m Vertrag lösen, aber dem Erklärenden bleibt der Vertrauensschutz gemäß § 122 A b s . 1 B G B . E r wird bei Erkennbarkeit seiner subjektiven Intention für den Empfänger vor Vermögensnachteilen, anders als im Gesetz vorgesehen, umfassend geschützt. D i e Ausweitung der Verständigungspflicht auf den subjektiven Erklärungssinn ist sachlich überzeugend, konsequent und der wenig einleuchtenden Regelung in § 122 Abs. 2 B G B vorzuziehen. Wenig einleuchtend, weil sie einerseits den o b j e k tiven Erklärungssinn für maßgeblich erklärt und dennoch dem Empfänger Verständigungsanstrengungen über die Kenntnisnahme des objektiven Erklärungssinns hinaus abverlangt. 6 3 Warum dann aber der erkennbare subjektive Sinn nicht bereits für die Bestimmung des Erklärungsinhalts maßgeblich sein soll, ist nicht plausibel. Notwendigerweise führt die T h e o r i e des subjektiven Erklärungssinns Dazu nur MünchKomm/Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., § 133 Rn. 8ff. WLiincKK.omm/Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., § 133 Rn. 17; Kramer, Grundfragen, S. 142 und passim. 63 Die Ungereimtheit des § 122 Abs. 2 BGB ist früh erkannt worden, siehe die Darstellung bei Kramer, Grundfragen, S. 195f. 61

62

§ 2 Informationspflichten

zur Verständigung über den Vertragsinhalt

207

dazu, daß § 122 Abs. 2 B G B insoweit obsolet wird.64 Und außerdem fordert § 133 B G B die Auslegung der Willenserklärung am wirklichen Willen des Erklärenden zu orientieren, was jedenfalls die Maßgeblichkeit des nach außen getretenen, Sinn gewordenen Willens bedeutet.65 5. Die Bedeutung

des objektiv-normativen

Erklärungssinns

Die Theorie des objektiven Erklärungssinns ist indessen nicht bedeutungslos. Sie zeichnet die „Normal-Null-Linie" der Kommunikation. Solange Abweichendes nicht erkennbar ist, ist der „objektive" Sinngehalt als gewollt anzusehen.66 Den objektiven Erklärungssinn muß sich jede Partei allein aufgrund ihrer formalen Geschäftsfähigkeit zurechnen zu lassen, d.h. er ist für einen Volljährigen als „erkennbar" zu betrachten, ohne daß es weiterer Begründung bedürfte. Im Madeirafall könnte sich der Gast also nicht auf die Unerkennbarkeit der örtlichen Verkehrssitte67 berufen oder, hält man den allgemeinen Sprachgebrauch für maßgeblich, könnte der Wirt nicht die Unerkennbarkeit des Wortes Madeira geltend machen. Jede Partei darf sich zunächst auf die formale Geschäftsfähigkeit der anderen und deshalb auf den objektiven Sinn verlassen. Nur darf sie ihr Verständigungsbemühen nicht von vornherein darauf beschränken, sondern muß den anderen in seiner Individualität zur Kenntnis nehmen. Was bedeutet, nach außen erkennbare Abweichungen seines Wissenshorizontes, die für sein Verständnis des Erklärungsverhaltens beider Parteien relevant sind, zur Kenntnis zu nehmen. Im Madeirafall darf, den örtlichen Sprachgebrauch als maßgeblich unterstellt, der Gastwirt grundsätzlich vom formal-objektiven Verständnis ausgehen. Aber er muß nach außen tretenden individuellen Abweichungen des Wissensstandes des Gastes Rechnung tragen. Erkennbar kann das Wissensdefizit etwa sein, wenn der 64 Jacobsohn, JheringsJb Bd. 56, S. 329, 360ff.; Kramer, Grundfragen, S. 195f.; Leenen, MDR 1980,353,357; MünchKommI Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., § 122 Rn. 11. Abzulehnen ist der Versuch, zwischen „klar und unzweideutig" erkennbaren (dann gilt der erkennbare Wille) und sonst erkennbaren Irrtümern (dann gilt der objektive Sinn, aber Anfechtung und § 122 Abs. 2 BGB) zu differenzieren (so Jacobsohn, JheringsJb Bd. 56, S. 328, 361 f.; im Anschluß daran, mit Nuancierungen, Kramer, Grundfragen, S. 196f.). Eine solche Differenzierung, die der Sache nach wohl jener zwischen einfacher und grober Fahrlässigkeit entsprechen dürfte, ist weder im Gesetz angelegt noch sachlich überzeugend. Siehe dazu auch noch im folgenden. 65 Näher Kramer, Grundfragen, S. 141ff. Zur darüber hinaus gehenden Erforschung des psychischen Willens MünchKomm/Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., §133 Rn.8ff. 66 Vgl. Lüderitz, Auslegung, S.289. 67 Allerdings ist die Einordnung beschränkter Verkehrssitten insoweit zweifelhaft; vgl. etwa VA-iXiAx.!Heinrichs, BGB, 57. Aufl., § 133 Rn.21, der von der Geltung einer beschränkten Verkehrssitte unabhängig von ihrer Kenntnisnahme nur bei Personen ausgeht, die dem betreffenden Verkehrskreis angehören. Bei örtlichen Verkehrssitten soll dafür aber genügen, daß das Geschäft am Orte der Sitte durchgeführt wird, vgl. RGZ 97, 215, 218f.; SoergeUHefermehl, BGB, 12. Aufl., §157 Rn. 66. Das kann hier auf sich beruhen. Es geht nur darum, daß der, nach welchen Kriterien auch immer bestimmte, „objektive" Sinn unabhängig von der konkreten Erkennbarkeit gilt.

208

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

Gast bei der Bestellung nebenher bemerkt, daß er so gerne Süßwein trinke. Oder wenn der Gast als ortsunkundiger Tourist zu erkennen ist.68 Im übrigen hat der objektive Erklärungssinn, verstanden als üblicher oder allgemeiner Erklärungssinn, eine praktische Bedeutung als Basis jeglicher Kommunikation. Insoweit überzieht Bailas mit seiner Kritik an der Möglichkeit objektiver Bedeutungsgehalte.69 Es mag praktisch selten und vielleicht sogar ausgeschlossen sein, daß Sprache oder Bedeutungszeichen ohne eine spezifisch subjektive Bedeutungskomponente benutzt werden. Und ebenso mag ein objektiver Sprachgebrauch in der sozialen Realität nur näherungsweise bestimmt werden können und mag „Objektivität" des Sprachgebrauchs auf dem Status eines Postulats verharren70 gerade aus diesen Gegebenheiten bezieht die subjektiv orientierte Verständigung ja ihre Legitimität. Das alles hindert aber eine normative Bestimmung des objektiv maßgeblichen Sprachgebrauchs, vernünftigerweise in Anlehnung an die soziale Praxis, nicht.

III. Verteilung der Verständigungslast nach Maßgabe des individuellen Verständnishorizontes 1. Verlagerung

der

Verständigungslast

Die subjektiv-individuale Ausrichtung der vertraglichen Verständigung führt, betrachtet aus der Perspektive des formalen Verständigungsrechts, zu einer Verlagerung der Verständigungslast. Die den formal-objektiven Sinngehalt verfehlende Partei wird entlastet zugunsten derjenigen, die diesen Fehler im Rahmen der Verständigung hätte erkennen müssen. Die Verlagerung ist rigoros, denn die Verfehlung des objektiven Sinns wird der irrenden Partei in keiner Weise angelastet. Dafür sind zwei Deutungen möglich. Entweder das Fehlverhalten wird einfach deshalb nicht berücksichtigt, weil die Rechtsfolge, eine entsprechende Auslegung der Willenserklärung bzw. des Vertrages, dies nicht zuläßt. Oder die Verfehlung des objektiven Sinns ist infolge der Individualisierung des Verständigungsprozesses nicht mehr als Fehlverhalten zu werten; der Erklärende hat seiner Verständigungspflicht gerade genügt, indem er sich immerhin so verständlich machte, daß er vom anderen verstanden werden konnte, mußte dieser auch größere Verständigungsbemühungen aufbringen als nach formal-objektiven Maßstäben. Letzteres allein entspricht der subjektiven Verständigungstheorie.

68 Dabei immer unterstellt, daß der Wirt die allgemeine Bedeutung des Wortes Madeira kennt; dazu näher im folgenden. 69 Bailas, Vertragsschliessung, S. 35, 36f.; siehe auch Kramer, Grundfragen, S. 138f. 70 Vgl. Kramer, Grundfragen, S. 138 f.; siehe zur Notwendigkeit der Sprachgemeinschaft als Verstehensvoraussetzung Betti, Auslegungslehre, S. 102f., 139.

5 2 Informationspflichten

zur Verständigung

über den

Vertragsinhalt

209

2. Der individuelle Verständnishorizont als Maß Der Umfang der Individualisierung und Materialisierung der Verständigung hängt davon ab, nach welchen Kriterien das vom objektiv-formalen Sinn abweichende Verständnis einer Partei für die andere Partei „erkennbar" ist, was, mit anderen Worten, dieser Partei abzuverlangen ist, den subjektiven Sinn zu ermitteln. Dem Prinzip der Individualisierung entsprechend kann es nur auf den individuellen Verständnishorizont ankommen. Ausgangspunkt ist das individuelle tatsächliche oder vorgespiegelte Wissen der um Verständigung bemühten Partei vor dem Empfang der Erklärung. Von diesem Wissenshorizont aus ist zu bestimmen, inwieweit der Erklärungstatbestand (die Erklärung und erklärungsrelevante Umstände) und sein subjektiver, vom objektiv-formalen Sinn abweichender Sinn erkennbar war. Ist dies der Fall, gilt die Erklärung und gegebenenfalls der Vertrag nach Maßgabe des subjektiven Sinns. Die Bemerkung des Gastes im Madeirafall („Ich trinke gern Süßwein") ist für den Gastwirt nur dann dahin zu verstehen, daß der Gast richtigen Madeira, jedenfalls kein Gemisch will, wenn er (der Gastwirt) weiß, was richtiger Madeira ist. Ohne dieses Wissen wird der Wirt die Bemerkung des Gastes nicht auf die Bestellung des Madeira beziehen. Auf den Gedanken, der Gast könne „Madeira" anders verstehen als er selbst, kann der Wirt nur kommen, wenn er weiß, was Madeira nach sonst üblichem Sprachgebrauch heißt. Eine Wissenszurechnung findet im Rahmen des individualisierten Verstehens nicht statt, gleichviel nach welchen Kriterien - dem „Näher-dran" einer Partei, ihrer „Überlegenheit", der „Erkennbarkeit" (wohlgemerkt von Wissen, nicht des Erklärungstatbestandes)71 oder schlicht der formalen Geschäftsfähigkeit. 72 Alle diese Überlegungen liegen außerhalb des Individualisierungsgedankens. Und es läßt sich auch rechtsethisch nicht erklären, warum eine Partei sich um Wissen bemühen muß, um den den objektiven Erklärungssinn verfehlenden Kontrahenten verstehen zu können. Wenn der Wirt im Madeirafall den sonst üblichen Sinn des Wortes Madeira nicht kennt, kann er den subjektiven Sinn der Bestellung, die auf den Süßwein zielt, nicht erkennen. Er muß den üblichen Sinn auch nicht seinem Wissenshorizont zurechnen lassen, wenn und soweit die örtliche Verkehrssitte für die Bestimmung des objektiven Sinns maßgeblich ist.

71 Wohl Larenz, Auslegung, S. 73,77f. (Erkennbarkeit, Rechnenmüssen, aus der ErklärendenPerspektive). 11 So verstehe ich Rhode, Willenserklärung, S. 54. Die formale Geschäftsfähigkeit kann nur die Geltung des formal-objektiven Sinns legitimieren. Die von Rhode angeführten Beispiele sind im übrigen Fälle des Verschuldens (z.B. Verheimlichung mangelnder Sachkunde, die für Verständnis erforderlich ist; Flüchtigkeit) oder werden zu Recht aufgrund der formalen Geschäftsfähigkeit zugerechnet (Parteien haben eine bestimmte Geheimsprache verabredet, eine Partei verliert schuldlos den Dechiffrierschlüssel) oder betreffen doch den Erklärungstatbestand (Vergessen eines erklärungsrelevanten Umstandes). Berechtigt ist Rhodes Kritik an der konstruktiven Umsetzung des Verschuldensprinzips bei der Sinnermittlung (= Schadensersatzanspruch aus c.i.c. führt zu entsprechender Auslegung).

210

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

Scheinbar geht die Rechtsprechung darüber hinaus, wenn in Urteilen die „Fachkunde" oder die „Geschäftstätigkeit" einer Partei zum Anlaß genommen wird, ihre Verständigungspflicht zu intensivieren. In O G H BrZ VersR 1950, 100, war eine Möbelschreinerei gegen Feuer versichert. Neben einer Hauptversicherung bezüglich der auf dem Betriebsgrundstück lagernden Materialien war eine „Außenversicherung" abgeschlossen worden. Danach galten die „versicherten Gegenstände innerhalb Deutschlands überall dort versichert, wo sie sich gerade befinden". Die Versicherung war abgeschlossen worden, als die Versicherte wegen Bombengefahr drei Außenlager gebildet hatte; nach dem Krieg wurden die Aktivitäten wieder auf dem Betriebsgrundstück konzentriert. Als dort ein Feuer ausbrach, verweigerte die Versicherung Leistungen aus der Außenversicherung (Ansprüche aus der Hauptversicherung waren wegen Gefahrerhöhung ausgeschlossen). Der Versicherer wurde verurteilt: Zwar beziehe sich eine solche Versicherung „grundsätzlich" nur auf außerhalb des Betriebsgrundstücks liegende Materialien, hier besage aber der Versicherungsschein, die Versicherung gelte für ganz Deutschland. Die „größere Fachkunde" der Versicherung müsse dazu führen, mehrdeutige Erklärungen in dem dem Versicherten näherliegenden Sinn zu deuten (a.a.O., S. 101).

Die „größere Fachkunde" wird dem Empfängerhorizont des Versicherers zugerechnet. Aufgrunddessen muß er erkennen, daß die Regelung des versicherten Risikos mehrdeutig ist. Erkennbar ist für ihn ebenfalls, daß der Kontrahent im Zweifel die für ihn günstigere Alternative erklärt.73 In anderen Entscheidungen wird das Ausmaß der Verständigungspflicht durch die Geschäftstätigkeit bestimmt („verständiger Geschäftsmann"). 74 Lüderitz sieht eine an Gruppenmerkmalen orientierte Differenzierung des Sorgfaltsmaßstabs als ratio dieser Rechtsprechung, betont aber, professionelle Fachkenntnis könne nur dann die Deutungsdiligenz verschärfen, wenn sie geschäftliche Erfahrung bedinge.75 Weder das eine noch das andere ist richtig. In Wahrheit wird die intensivierte Verständigungspflicht am tatsächlichen Wissen des Versicherers ausgerichtet, der als Gestalter der Versicherungsbedingungen und Anbieter der Versicherung deren Inhalt kennt und aufgrund dieses individuellen Wissens Undeutlichkeit und abweichenden Willen der Gegenseite (folgt man der Wertung des Gerichts) erkennen kann. Die „Fachkunde" ist eine überflüssige, um nicht zu sagen irreführende Chiffre für die Wissenszurechnung innerhalb der Organisation des Versicherers.76 Eine von den Maßstäben der Individualisierung zu trennende Frage ist, inwieweit bereits bei der Bestimmung des formal-objektiven Sinns materiale Kriterien zu berücksichtigen sind. Die Frage stellt sich namentlich, wenn es keinen allge73 Am Ergebnis kann man hier gleichwohl zweifeln. Lüderitz, Auslegung, S. 294, vermerkt zu Recht kritisch, daß über den Sinn einer Doppelversicherung (der auf dem Grundstück liegenden Materialien) nachzudenken gewesen wäre. 74 RGZ 68,126,128; 90, 368, 373. Auch Rhode, Willenserklärung, S. 96f., unterscheidet nach geschäftlicher Gewandtheit. 75 Lüderitz, Auslegung, S.293. 76 Dazu näher S.276ff.

5 2 Informationspflichten

zur Verständigung

über den

Vertragsinhalt

211

mein üblichen Sprachgebrauch, sondern mehrere unterschiedliche Gebräuche gibt. Statt der eher formalen Kriterien der Allgemeinheit oder Spezialität der Gebräuche als Entscheidungmaßstab könnte hier auch danach entschieden werden, wer die Mißverständnisgefahr besser beherrscht.77 Im Madeirafall wärt die Frage nach dem maßgeblichen Sprachgebrauch dann zu Lasten des Wirtes zu entscheiden, der aufgrund seiner Professionalität und Ortskenntnis eher in der Lage wäre, beide Bedeutungen des Begriffs zu kennen. Wohlgemerkt handelt es sich hier aber um die Festlegung des objektiven Sinngehalts, der „Normal-Null-Linie", der Verteilung der Verständigungslast. Individualisierende Abweichung von diesem Verständnis, die Umverteilung der Verständigungslast, käme dann etwa in Frage, wenn der Gast aufgrund der Umstände, etwa der vorhergehenden Bestellung eines Tischnachbarn, hätte erkennen können, daß es sich nicht um Süßwein handelte. 3. Verlagerung

der Verständigungsverantwortung

kraft überlegenen

Wissens

Die Ausrichtung der Verständigung auf das subjektiv Gemeinte führt zu einer Verteilung der Verständigungsverantwortlichkeiten unter Berücksichtigung des individuellen Verständnishorizonts, d.h. nach Maßgabe des individuellen (tatsächlichen oder vorgespiegelten) Wissens. Was aufgrund dieses Wissens zusätzlich, über den formal-objektiven Sinn hinaus, an Intentionen des anderen erkennbar ist, ist bei der Auslegung der Erklärung zu berücksichtigen. Die subjektivierte Verständigungspflicht führt zu einer Verlagerung der Verständigungsverantwortung kraft überlegenen Wissens. Die Verständigungspflicht verpflichtet zum Einsatz eines Wissensvorsprungs zum Nutzen der Verständigung und damit zum Nutzen der anderen Seite. Alles was einer Partei aufgrund ihres konkreten tatsächlichen Wissens über den objektiven Erklärungsgehalt hinaus erkennbar ist, muß sie beachten. Die Subjektivierung führt zu einer Materialisierung des Eigenverantwortungsprinzips insofern, als der subjektive Sinn einer Erklärung auch dann gilt, wenn der Erklärende ihn nicht in einer nach formal-objektiven Maßstäben einwandfreien Weise geäußert hat. Das gilt auch bei vermeidbaren Erklärungsfehlern. In § 149 B G B hat das Gesetz selbst die vorvertragliche Verständigungspflicht nach eben diesen Prinzipien gestaltet. Danach hat der Antragende, dem, ihm erkennbar, eine Annahmeerklärung verspätet zugeht, den Annehmenden auf die Verspätung hinzuweisen, so die Annahmeerklärung vom Annehmenden dergestalt abgesendet wurde, daß sie bei ordnungsgemäßer Beförderung rechtzeitig zugegangen sein würde.78 An objektiv-formalen Maßstäben gemes77 Lurger, Jahrbuch Junger Zivilrechtswissenschaftler 1 9 9 5 , 1 7 , 2 9 (aber wohl nur erwägend). Siehe zu entsprechenden Erwägungen bezüglich des Erklärungstatbestandes S.201 f. 78 Die Verständigungspflicht regelt nicht nur die Verständigung über den Vertragsinhalt, sondern auch, ob überhaupt ein Vertrag zustande gekommen ist oder nicht, wie es im Falle verspäteter Annahme eines Antrags zum Problem werden kann.

212

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

sen, könnte die verspätete Annahmerklärung nicht mehr zum Vertragsschluß führen, sondern nur als neuer Antrag gewertet werden, wie es § 150 Abs. 1 B G B als Regelfall normiert. Ist die Verspätung aber für den Empfänger der Annahmeerklärung „erkennbar" - das meint: nach seinem individuellen Wissenshorizont erkennbar - , muß er den „subjektiven Erklärungsgehalt", daß nämlich die Annahmeerklärung vom Annehmenden als rechtzeitig betrachtet wird, berücksichtigen und sich entsprechend verhalten, nämlich den anderen unverzüglich über die Verspätung informieren, andernfalls der Vertrag doch zustande kommt. Dem Prinzip der Subjektivierung folgend wendet eine verbreitete Ansicht in Rechtsprechung und Literatur § 149 B G B entsprechend auch in dem Fall an, daß der Annehmende seine Erklärung verspätet abschickt und daher, anders als im gesetzlichen Tatbestand, um deren Verspätung weiß, wenn, wie bei geringfügigen Verspätungen, der Annehmende davon ausgeht, der Antragende werde die Verspätung nicht als Hinderungsgrund betrachten und dies wiederum für den Antragenden erkennbar ist.79 Auch hier überformt die Subjektivierung der Verständigungspflicht die formal-objektive Verteilung der Verständigungsverantwortung.80

IV. D i e Informationspflicht als Teil der Verständigungspflicht bei klärungsbedürftiger Erklärungssituation 1. Klärungsbedürftige

Erklärungssituationen

Die Ausrichtung der Verständigungspflicht auf den subjektiven Erklärungssinn nach Maßgabe der Empfängerhorizontlehre führt zur umfassenden Absicherung des in der Erklärung ausgedrückten Rechtsfolgewillens, wenn der Rechtsfolgewille erkennbar ist. Es gibt nun aber Erklärungssituationen, in denen Zweifel am Rechtsfolgewillen bestehen, in denen die Intention des Erklärenden klärungsbedürftig ist. Zwei Fälle der Klärungsbedürftigkeit sind vorstellbar: im ersten Fall ist ein Erklärungssinn positiv erkennbar, aber es gibt Anlaß zum Zweifel daran, ob er von einem entsprechenden Willen getragen wird (Situation des begründeten Zweifels); im zweiten Fall ist ein Erklärungssinn positiv nicht festzustellen (Situation der Unklarheit). 81 In beiden Fällen ist Verständigung nur durch Herstellung von Klarheit zu erzielen. Das einzig richtige Verständigungsverhalten des Erklä79 Vgl. B G H NJW 1951, 313; MünchKomm/Krämer, BGB, 3. Aufl., § 149 Rn.6 m.w.N. Die Motive (I, S. 171) halten den Akzeptanten nur bei rechtzeitiger Absendung für schutzbedürftig (anders PrALR I 5, §§100, 104, 105). 80 Zu §663 BGB im folgenden S.216. 81 Diese Differenzierung der Erklärungssituationen nach der Erkennbarkeit des wirklichen Rechtsfolgewillens wird durch das Begriffspaar „eindeutige Erkennbarkeit des Irrtums" - „(normale) Erkennbarkeit des Irrtums" (so Jacobsohn, JheringsJb Bd. 56, 329, 361 f., und Kramer, Grundfragen, S. 196f.) unzureichend erfaßt.

5 2 Informationspflichten

zur Verständigung

über den

Vertragsinhalt

213

rungsgegners besteht darin, Klarheit über den Rechtsfolgewillen des Erklärenden herzustellen, was aber heißt: den Erklärenden darüber zu informieren, daß sein Erklärungsverhalten unklar ist.

a) Situation des begründeten Zweifels am erkennbaren

Erklärungssinn. Es gibt

Erklärungssituationen, in denen ein vom erkennbaren Erklärungsgehalt abweichender Rechtsfolgewille des Erklärenden nicht positiv erkennbar ist, andererseits aber genügend Anhaltspunkte vorliegen, den erkennbaren Sinngehalt der Erklärung in Zweifel zu ziehen. Im Madeirafall

wäre, den örtlichen Sprachge-

brauch wiederum als objektiv richtigen Gehalt unterstellt, diese Situation etwa gegeben, wenn der Gast für den Wirt erkennbar auswärtiger Tourist ist. E r bestellt dann mit „Madeira" zwar nach ortsüblichem Sprachgebrauch das Gemisch, der Wirt, dessen Kenntnis der sonst üblichen Bedeutung des Wortes Madeira hier unterstellt, muß sich aber fragen, ob der Gast womöglich Süßwein meint; denn die Kenntnis der Ortssitte kann bei einem ortsunkundigen Touristen nicht ohne weiteres angenommen werden. Andererseits ist nicht sicher, daß der Gast den Süßwein meint; er könnte vielleicht doch mit der Ortssitte vertraut sein. Ebenso im Alleinauf

tragsfall,

wo der Makler bezweifeln mußte, daß der Auftraggeber die

Bedeutung eines „Alleinauftrags" kannte. 82 Oder im fordern-Fall,

Bürgschaft-auf-erstes-An-

wo dem Gläubiger Bedenken kommen mußten, daß der Bürge um

die Bedeutung dieses banküblichen Begriffs wußte. 8 3 Oder im

Zeitungsinserat-

fall, wo der Vertreter der Werbegesellschaft hätte erkennen müssen, daß der Inserent mit der üblichen Preisberechnung nach Zeile möglicherweise nicht vertraut war und daher die Preisangabe „119 D M " womöglich für den Preis einer ganzen Annonce halten konnte. 8 4 Die Erklärungssituation zu Lasten des Erklärenden zu entscheiden, würde der subjektiven Ausrichtung der Verständigungspflicht nicht gerecht. D a das Verständigungsziel der subjektive Sinn ist, können Anhaltspunkte für ihn nicht einfach übergangen werden. Verpflichtet die Empfängerhorizontlehre die Partner, jeden erkennbaren willens- bzw. sinnrelevanten Umstand zu berücksichtigen, ist es folgerichtig, auch jene zu beachten, deren Erklärungswert zwar nicht genügt, einen positiven Erklärungssinn zu erzeugen, wohl aber, den

82 Vgl. O L G Celle, Allgemeine Immobilienzeitung 1964,29 = NdsRpfl. 1963,277 (siehe dazu auch B G H N J W 1969,1625,1626); Soergel/Wiedemann, B G B , 12. Aufl., Vor §275 Rn.306. Der Fall des B G H a.a.O. lag anders; dort hatte der Makler dem zögernden Kunden, der sich über die Bedeutung duchaus im klaren war, damit beruhigt, er, der Makler, „sei gar nicht so"; dazu Medicus, Bürgerliches Recht, 17. Aufl., Rn. 150; Singer, Verbot, S.7. 83 B G H ZIP 1998, 905, 906. Muß der Gläubiger dagegen erkennen, daß der Bürge nicht nur die bankübliche Bedeutung verkennt, sondern darüber hinaus von einer „normalen" Bürgschaft ausgeht, kommt die Bürgschaft mit dem „normalen" Inhalt zustande, B G H ZIP 1996, 684, 685 f. 84 L G Hannover N J W - R R 1998, 1523 f. Allerdings scheint in diesem Fall sogar der Wille des Inserenten erkennbar gewesen zu sein; dann wäre der Vertrag mit dem Gesamtpreis von 119 D M zustande gekommen.

214

y Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

erkennbaren Erklärungssinn in Zweifel zu ziehen und einen alternativen Sinn als möglich erscheinen zu lassen. Zu Lasten des Erklärenden kann eindeutig nur entschieden werden, wenn der intendierte „subjektive" Sinn einer Erklärung in keiner Weise hervorgetreten ist, nicht einmal ein Anhaltspunkt dafür erkennbar ist. Im Falle des begründeten Zweifels am objektiven Erklärungssinn ist der subjektive Sinn nicht völlig unerkennbar geblieben, es gibt Anhaltspunkte für ihn. Das allein richtige Verständigungsverhalten des Erklärungsempfängers besteht in dieser Situation darin, die Zweifel auszuräumen.85 Und dies geschieht dadurch, daß er vor Abgabe einer zustimmenden Willenserklärung den Erklärenden auf den Sinn seiner Erklärung, wie sie zu verstehen ist und von ihm, dem Empfänger, verstanden wird, hinweist. Daß er, praktisch gesprochen, nachfragt und mit der Nachfrage sein bisheriges Verständnis der Erklärung übermittelt.86 Kommt der Informationspflichtige seiner Informationspflicht nicht nach und gibt seinerseits eine Willenserklärung ab, kommt der Vertrag zunächst nach Maßgabe des erkennbaren Erklärungssinns zustande, also unter Umständen, wenn die Zweifel sich bestätigen, abweichend vom wirklichen Rechtsfolgewillen des Erklärenden. Aber dem Irrenden steht aus der Verletzung der Informationspflicht ein Schadensersatzanspruch zu, der unter anderem auf die Aufhebung des Vertrages zielt. Die Rechtsfolge der Verletzung der Informationspflicht kann mangels Erkennbarkeit des Gewollten nicht wie in §149 B G B ein Vertragsschluß auf dessen Basis sein. Andererseits wäre die Unwirksamkeit der Erklärungen und des Vertrags nicht angemessen. Sie wäre angebracht nur, wenn kein Sinn zu erkennen wäre, etwa im Falle der Perplexität (es wird „Kauf" und „Verkauf" erklärt) oder wenn ein Sinn überhaupt fehlt, wie im Weinsteinsäurefall, wo den Erklärungen beider Parteien nicht zu entnehmen war, ob sie kaufen oder verkaufen wollten.87 In der Situation des begründeten Zweifels dagegen ist „an und für sich" ein Sinn erkennbar. Und anders als bei Perplexität bzw. Undeutlichkeit besteht hier immerhin eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß eine Einigung zustande kommt - dann, wenn entgegenstehenden Anhaltspunkten zum Trotz der Erklärende das meinte, was er sagte. b) Situation der Unklarheit. Klärungsbedarf besteht ferner, wenn die Erklärung undeutlich ist. Wenn zum Beispiel klar ist, daß der Erklärende den objektiven Vgl. R G Z 110, 47, 48. Das bedeutet, der Erklärungsgegner darf als Annehmender die Erklärung des Antragenden erst mit seiner Annahmeerklärung beantworten, wenn er Klarheit herbeigeführt hat. Praktisch kann dies bei Erklärung unter Abwesenden in derselben Erklärung geschehen, indem die Annahmeerklärung unter einen entsprechenden Vorbehalt gestellt wird. Ist der Erklärungsgegner A n tragender, muß er auf die Zweifel hervorrufende Annahmeerklärung unverzüglich mit dem H i n weis reagieren. Stellt sich heraus, daß der Annehmende tatsächlich etwas anderes meinte, ist ein Vertrag nicht zustande gekommen. Meinte er dagegen das Erklärte und also dasselbe wie der A n tragende, ist der Vertrag bereits mit Zugang der Annahmeerklärung zustande gekommen (ähnlich die Regelung in § 149 S . 2 B G B , wenn auch mit „umgekehrten Vorzeichen"). 87 R G Z 104, 265, 266. 85

86

§ 2 Informationspflichten

zur Verständigung über den

Vertragsinhalt

215

Sinn seiner Erklärung nicht kennt („Madeira", „Alleinauftrag"), die wirkliche Vorstellung aber nicht hervortritt. Oder wenn die Erklärung überhaupt keinen Sinn erkennen läßt oder perplex ist. Infolge der Unklarheit kommt ein Vertrag hier nicht zustande. Auch hier muß der Erklärungsgegner, so er nicht auf einen Vertragsschluß verzichtet, zunächst Klarheit über das Gemeinte herstellen.88 Im Weinsteinsäurefall hatten beide Parteien in gleicher Weise undeutlich erklärt und unklar gelassen, ob sie kaufen oder verkaufen wollten.89 Beide Parteien hatten durch unklare Erklärung und unzureichendes Verstehen gleichermaßen - ihre Verständigungspflicht verletzt. Die herrschende Meinung bejaht hier einen Schadensersatzanspruch90 aus culpa in contrahendo,91 anknüpfend an das undeutliche Erklärungsverhalten. Das ist allerdings nur die halbe Wahrheit; denn fehlerhaft verhalten hat sich auch der Empfänger der Erklärung, da und soweit er die Undeutlichkeit hätte erkennen müssen.92 Ersatzpflichten können daher auf beiden Seiten entstehen; forensisch relevant wird aber oft nur eine Ersatzpflicht, da häufig nur eine Partei Schaden im Vertrauen auf die Wirksamkeit des Vertrages erlitten hat. 2. Das Verständigungsprinzip Schuldverhältnis

und seine Eingliederung

in das

vorvertragliche

Die aus der Verständigungspflicht abgeleitete Informationspflicht ist in die vorvertragliche Haftung integrierbar. Die Identität des Schutzgutes besteht. Die Verständigungspflicht schützt mit ihrer Ausrichtung auf den subjektiven Erklärungssinn den wirklichen Willen des Erklärenden, wenn auch zunächst nur den Rechtsfolgewillen im Sinne der herrschenden Dogmatik. Wie alle Materialisierungen ist auch die Subjektivierung der Verständigung letztlich auf den prozedu88 Damit wird die Verständigungsverantwortlichkeit des nachlässig Erklärenden nicht in Abrede gestellt; siehe dazu S.218. 89 Das sei hier unterstellt. Kritisch zu dieser Würdigung der Parteierklärungen durch das RG Manigk, JheringsJb Bd. 75, S. 189ff., 191 ; Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §34 (5), S.626, Fn.22; Singer, Verbot, S. 167 Fn. 76. 90 Im Anschluß an das Reichsgericht RAG J W 1938, 2994; Hildebrandt, Erklärungshaftung, S. 193 ff.; Staudinger/£Wc6er, BGB, 12. Aufl., § 155 Rn. 16f.; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., §122 Rn.9; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.144; Medicus, AT, 7. Aufl., Rn.439; R. Kaiser AcP 127, lff. (mit allerdings problematischer Begründung, dazu Kramer, Grundfragen, S. 191ff.); Esser/Schmidt, SchuldR 1/2,7. Aufl., §29 II 2b, S. 136; Canaris, Vertrauenshaftung, S.283f.; weitere Nachweise bei Kramer, Grundfragen, S. 187ff. und MünchKomm/ Kramer, BGB, 3. Aufl., § 155 Rn.31. Für das österreichische Recht ebenso O G H JB1. 1986,177, 178 (m. Anm. Wilhelm). Siehe auch BGH MDR 1969, 647. 91 Das Reichsgericht hatte den Anspruch auf § 122 BGB gestützt. Das ist zu Recht kritisiert worden (Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 34 (5), S. 626; Singer, Verbot, S. 167f.; kritisch auch die ältere Lehre, siehe Oertmann, AcP 121, 122ff.), denn auf den normativ maßgeblichen Erklärungssinn der Willenserklärungen (so es ihn überhaupt gab), wurde nicht vertraut. Ubersehen haben die Kritiker die Verständigungspflicht. 92 Insoweit berechtigt die Kritik von Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 34 (5), S. 626, der allerdings die falsche Konsequenz - überhaupt keine Ersatzpflicht - zieht.

216

Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

ralen, die Selbstbestimmung materialisierenden Gehalt des Gerechtigkeitsprinzips zurückzuführen. Man kann die Wertung der Verständigungspflicht in einem Verständigungsprinzip zusammenfassen. Dieses Verständigungsprinzip konkretisiert im soeben beschriebenen Umfang den Schutz der materialen Selbstbestimmung im vorvertraglichen Schuldverhältnis. Die fremdschützende Wirkung des Verständigungsprinzips sollte aus den vorhergehenden Erörterungen deutlich geworden sein. Die Verständigungspflicht ist zwar überwiegend als Verständigungsobliegenheit ausgestaltet, aber das ist eine Frage der Rechtstechnik und des Schutzumfangs, die dem (auch) fremdschützenden Charakter der Verständigungspflicht überhaupt und ihrer Subjektivierung insonderheit keinen Abbruch tut.93 Die als Obliegenheit gestaltete Verpflichtung auf den subjektiven Erklärungssinn schützt den Erklärenden, ebenso die Aufklärungsobliegenheit in § 149 BGB, und dieser Schutz geht sogar weiter als jener, den eine in das vorvertragliche Schutzprinzip integrierte Informationspflicht bietet; denn hier kommt der Vertrag nach Maßgabe seiner Vorstellungen zustande.94 Eine Bestätigung für die verständigungstheoretisch begründete Informationspflicht finden wir in § 149 BGB 9 5 und §663 BGB, 9 6 die der besser informierten Partei um der Vermeidung von Mißverständnissen willen eine Pflicht/Obliegenheit zur Aufklärung auferlegen. Eine Bestätigung für die Einbindung der verständigungstheoretischen Informationspflicht in das vorvertragliche Schuldverhältnis finden wir zum einen in § 663 BGB, der allgemein als vorvertragliche schadensersatzbewehrte Pflicht betrachtet wird.97 Wir finden sie ferner in einer verbreiteten Kritik an der Rechtsfolge des § 149 BGB, die für überzogen gehalten wird und durch eine Schadensersatzpflicht im Rahmen des vorvertraglichen Schutzprinzips ersetzt werden soll. 98 3. Unzulänglichkeit

der Lösung nach §§ 122 Abs. 2, 155

BGB

Die vorstehend aus dem Verständigungsprinzip entwickelte Informationsverantwortlichkeit entspricht im Ergebnis einer verbreiteten, vor allem von der Rechtsprechung vertretenen Ansicht. 99 Freilich regt sich auch Widerspruch, der zwar 93 Zur Problematik des Obliegenheitsbegriffs etwa Staudinger//. Schmidt, BGB, 13. Bearb., Einl zu §§ 241 ff. Rn. 265 ff.; im Zusammenhang mit Pflichten zur Offenbarung eigenen Fehlverhaltens, Taupitz, Pflicht zur unaufgeforderten Offenbarung, S.96ff. m.w.N. 94 Zur Einordnung der Haftung des § 122 BGB vgl. Bohrer, Haftung, S.98f. 95 Eine entsprechende Vorschrift findet sich, mit einigen Abweichungen, in Art. 21 CISG. 96 Danach muß der öffentlich bestellte oder sich öffentlich erboten habende Auftragnehmer die Nichtannahme eines Auftrags dem Auftraggeber anzeigen. Gleiches gilt für den, der sich dem Auftraggeber zur Besorgung gewisser Geschäfte erboten hat. 97 BGH NJW1984,866,867 (Anspruch wurde nur verneint, weil die tatbestandlichen Voraussetzungen des §663 BGB nicht vorlagen); VAanAt/Thomas, BGB, 57. Aufl., §663 Rn. 1. 98 Canaris, Vertrauensschutzprinzip, S. 325ff. (de lege ferenda); Hilger, AcP 185,461 ff. (de lege lata, unter Berufung auf einen fiktiven Charakter des Vertragsschlusses und Qualifizierung der Norm als Rechtspflicht; siehe auch Mot. 1,171); MünchKomm/Mayer-Maly, BGB, 3. Aufl., § 149 Rn. 1 und Fn. 3. 99 Zur Situation des begründeten Zweifels neben den zuvor angeführten Rechtsprechungsbei-

§ 2 Informationspflichten

zur Verständigung über den Vertragsinhalt

217

die Verständigungs(mit)verantwortlichkeit des Erklärungsgegners nicht in Zweifel zieht, sie aber bezüglich der Rechtsfolgen auf die gesetzliche Regelung beschränkt wissen will. D i e Situation des begründeten Zweifels wäre nach Ansicht dieser A u t o r e n gemäß § § 1 1 9 Abs. 1 , 1 2 2 Abs. 2 B G B zu lösen, d.h. der Erklärende müßte seine Erklärung anfechten, würde aber wegen der Erkennbarkeit einer möglichen Willensabweichung nicht nach 122 Abs. 1 B G B haften müssen. 1 0 0 I m Falle der unklaren Erklärungssituation, insbesondere des versteckten Dissenses (§ 155 B G B ) , käme ein Vertrag nicht zustande, und es bestünde keine Schadensersatzpflicht. 1 0 1 D i e Mitverantwortung des Erklärungsgegners realisierte sich also darin, daß er weder einen Vertrag noch Schadensersatzansprüche erhielte. Diese Ansicht übersieht freilich, daß die gesetzliche Regelung (§§ 119 Abs. 1, 122 B G B und § 155 B G B ) auf Prämissen beruht, die mit der, auch von ihren Vertretern geteilten, Anerkennung der c.i.c. und der subjektiven Ausrichtung der vertraglichen Verständigung obsolet geworden sind: der Ausrichtung der Verständigung auf einen objektiven Erklärungssinn (wie er § 122 Abs. 2 B G B zugrunde liegt) und der Beschränkung der vorvertraglichen Haftung auf echte Vertrauenstatbestände (worauf die Nichtgewährung von Schadensersatz in § 155 B G B und der völlige, nicht nur teilweise Ausschluß der Schadenshaftung nach § 1 2 2 Abs. 2 B G B beruht). Das Gesetz kann vor diesem Hintergrund nicht eo ipso als abschließende Regelung des in R e d e stehenden Interessenkonflikts und als Votum gegen die Haftungsbewehrung der Verständigungspflicht angesehen werden. Vielmehr m u ß seine Lösung gerade gegenüber der Anerkennung der culpa in contrahendo und der subjektiven Ausrichtung der Verständigung bestehen. Anders formuliert: Wer die subjektive Ausrichtung der Verständigung akzeptiert, m u ß erklären, warum sie nicht konsequent entwickelt werden und es in der Situation des begründeten Zweifels und der Unklarheit bei der auf formaleren Wertungen beruhenden Regelung in § § 1 1 9 , 122 Abs. 2 B G B bewenden soll. In der subjektiv ausgerichteten Verständigungspflicht trägt der Empfänger die Verständigungsverantwortlichkeit für die kommunikative Verarbeitung aller erkennbaren U m s t ä n de, die auf den Willen des Erklärenden schließen lassen. Sie führt zu Überlappungen der Verantwortungsbereiche beider Parteien. Das insoweit von Kramer

vor-

spielen Rhode, Willenserklärung, S. 44; Bailas, Vertragsschliessung, S. 50f.; BGH ZIP 1998, 905, 906 (die Rechtsfolge - Nichtgeltung einer Formularklausel - ändert nichts daran, daß es sich um eine Art des Schadensersatzes wegen Verletzung einer Aufklärungspflicht handelt). Zur Situation der Undeutlichkeit die Leitentscheidung im Weinsteinsäurefall RGZ 104,265,267f. und dazu die Nachweise in Fn. 90. 100 So Jacobsohn, JheringsJb Bd. 56, S.329, 362; MündaKommJMayer-Maly, BGB, 3. Aufl., § 122 Rn. 10; Kramer, Grundfragen, S. 196f., nimmt auch hier Dissens an. 101 Kramer, Grundfragen, S.189ff.; MünchKomm/Krämer, BGB, 3. Aufl., §155 Rn.13 m.w.N.; siehe bereits Oertmann, AcP 121,122,126. Berechtigt ist die Kritik an der vom RG befürworteten Analogie zu § 122 BGB im Falle des Dissenses, da es an einem entsprechenden Vertrauenstatbestand (Anschein einer Willenserklärung bestimmten Inhalts) gerade fehlt (Manigk, JheringsJb Bd. 75,127,196ff.; Oertmann, AcP 121,122,125f.; Kramer, Grundfragen, S. 190; Singer, Verbot, S.167f.).

218

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

getragene Kompensationsargument - das beiderseitige Verschulden hebe sich gegeneinander auf, den aus dem NichtZustandekommen entstehenden Schaden habe jede Partei selbst zu tragen (bezogen auf § 155 BGB) 1 0 2 - übersieht, daß die Nichtigkeit oder das NichtZustandekommen des Vertrages die Parteien sehr unterschiedlich treffen kann, 103 ferner, daß das Verschulden ungleich verteilt sein kann. 104 Für unerheblich kann das nur halten, wer die Rechtsfortbildung in puncto culpa in contrahendo und Subjektivierung der Verständigung ausblendet. 4. Rechtliche

Bedeutung

des Verschuldens

des

Irrenden

Das Verschulden des irrenden Erklärenden steht der Informationspflicht zu seinen Gunsten nicht entgegen. Die subjektivierte Verständigungsverantwortlichkeit folgt dem besseren Wissen. Das Verschulden des unzureichend erklärenden Informationsberechtigten kann zweifach von Bedeutung sein. Zum einen kann es nach Maßgabe der Einzelfallumstände als Mitverschulden dessen Schadensersatzanspruch mindern. Zum anderen begründet es seinerseits einen Schadensersatzanspruch des Informationsverpflichteten, das wiederum durch dessen Mitverschulden begrenzt ist. 105 Die culpa in contrahendo vollzieht insoweit eine von §122 B G B abweichende Wertung und gestattet eine flexiblere Berücksichtigung des Verschuldens und Schadens auf beiden Seiten. Abzulehnen ist im übrigen die nicht näher begründete Ansicht Hefermehls, § 122 B G B in bezug auf die Tatbestände der §§118, 119 B G B anders als beim Dissens abschließende Wirkung zuzubilligen und Ansprüche aus culpa in contrahendo daneben nicht zuzulassen.106

V. Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über den Inhalt Allgemeiner Geschäftsbedingungen und vorformulierter Erklärungen 1. Besondere verständigungstheoretisch des AGB-Verwenders

begründete

Informationspflichten

Eine Reihe besonderer Informationspflichten des Verwenders Allgemeiner Geschäftsbedingungen lassen sich als verständigungstheoretisch begründete Pflich102 Kramer, Grundfragen, S.189, 193f.; MünchKomm/ifraOTer, BGB, 3. Aufl., §155 Rn.13 m.w.N.; ferner Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §34 (5), S. 626; gegen das Argument auch Singer, Verbot, S. 167. Zur herrschenden Ansicht, siehe Fn.90. 103 So hatte im Weinsteinsäurefall (RGZ 104, 265) offenbar nur eine Partei Schaden erlitten. 104 Bereits Hildebrandt, Erklärungshaftung, S.207. 105 Siehe noch S.320ff. 106 So Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Auflage, § 122 Rn. 7, der andererseits einen Anspruch aus c.i.c. im Falle des beiderseits verschuldeten Dissenses bejaht, § 155 Rn. 9; wie hier MünchKomm/ Kramer, BGB, 3. Aufl., §122 Rn.6; Erman/Brox, BGB, 9. Aufl., §122 Rn.10.

5 2 Informationspflichten

zur Verständigung über den

Vertragsinhalt

219

ten zur Aufklärung über den Inhalt des Vertrages erfassen.107 Diese Informationspflichten verdienen ob ihres spezifischen Zuschnitts besondere Erwähnung. Sie entsprechen der rechtlichen Eigenart Allgemeiner Geschäftsbedingungen, die aus der Perspektive des klassischen Vertragsrechts darin liegt, daß zur rechtsgeschäftlichen Einigung über diesen Teil des Vertragsinhalts die pauschale Inbezugnahme genügt.108 Die Gefahr einer Diskrepanz zwischen dem wirklichen Willen des Kunden und dem Vertragsinhalt wächst in dem Maße, in dem die Geschäftsbedingungen einseitig und nachhaltig die Interessen des Verwenders denen des Kunden vorziehen. Es liegt deshalb nahe, der Einigung durch Inbezugnahme (auf A G B ) Grenzen zu setzen. Zum einen durch zwingende inhaltliche Vereinbarungsgrenzen wie in § 11 A G B G . Zum anderen durch gewisse Mindestanforderungen der Verständigung, die der Verwender als Herr des Verständigungsprozesses beachten muß. Es ist hier nicht der Ort, diese Informationspflichten im einzelnen zu diskutieren. Unserem Zweck genügt ein systematisierender Uberblick. Zu unterscheiden ist zwischen besonderen Informationspflichten, die unmittelbar oder mittelbar auf den Wertungen des A G B G beruhen und die Unterlegenheit des Kunden (etc.) kompensieren sollen, und solchen Pflichten, die dem Verständigungsprinzip entspringen. Zunächst zu den besonderen Pflichten. Bemerkenswert ist zuerst der besondere Maßstab der Aufklärung. Dem Rationalisierungszweck der Geschäftsbedingungen gemäß ist nicht der individuelle Wissenshorizont des jeweiligen Kunden maßgeblich; andernfalls müßten A G B , wo im Einzelfall nötig, erläutert werden. Dem Schutzerfordernis entsprechend ist andererseits nicht der Horizont des objektiven, idealen Verkehrsteilnehmers maßgeblich; denn dann wären besondere Verständigungspflichten nicht erforderlich. Maßgeblich ist der Horizont des durchschnittlichen Verkehrsteilnehmers (Kunden, Versicherungsnehmers usw.).109 Bemerkenswert ist ferner, daß Unklar 107 Zur Anwendbarkeit der gesetzlichen Regeln auf einmalig benutzte vorformulierte Verbraucherverträge siehe §24a Nr. 2 AGBG. 108 Die herrschende Ansicht erklärt die Geltung der AGB „rechtsgeschäftlich", Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., Rn.23f. Normentheorien haben sich nicht durchgesetzt, ebensowenig Schapps (Grundfragen, S. 78 f.) Ansicht, die AGB gälten aufgrund besonderer gesetzlicher Zulassung der Geltung einseitig gesetzter Vertragsinhalte; abl. dazu Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., S. 789 Fn. 31. Zu Besonderheiten beim Abschluß von Versicherungsverträgen nach dem Dritten Durchführungsgesetz/EWG zum VAG, auf die hier nicht näher eingegangen werden kann, näher E. Lorenz, ZVersWiss 1995, 103, 106ff. 109 RGZ 81,117,118f.; BGHZ 7,365,368; 17,1,3; Kreienbaum, Transparenz, S. 51 ff. mit umfassenden Nachweisen und mit Darstellung und Kritik der individualorientierten Mindermeinung (etwa Staudinger/ScWojser, 13. Bearb., §5 AGBG Rn. 18ff.), die aber letztlich, über die Normativierung des individualen Maßstabes, zu ähnlichen Ergebnissen kommt; MünchKomm/ Kötz, 3. Aufl., § 5 AGBG, Rn. 2; P^adt! Heinrichs, 57. Aufl., § 5 AGBG Rn. 7 (mit zutreffendem Hinweis auf die kasuelle Maßgeblichkeit besonderer Umstände); wohl auch Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §43 Rn. 103 („der Kunde"). Ferner für die Beurteilung der überraschenden Wirkung im Sinne von §3 AGBG Kreienbaum, Transparenz, S.92f.; sodann umfassend in bezug auf das Transparenzgebot a.a.O., S.267ff. Speziell und vielleicht etwas strenger zu § 11 Nr. 10b AGBG BGH BB 1990, 950, 951 („auch der nicht rechtskundige Vertragspartner"). Zum Versicherungs-

220

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

heiten der Allgemeinen Geschäftsbedingungen zu Lasten des Verwenders gehen (§5 AGBG), es gibt - angesichts der Schwierigkeiten, die AGB überhaupt zur Kenntnis zu nehmen, selbstverständlich - keine Pflicht des Kunden, den Verwender auf eine Unklarheit hinzuweisen. Die gesetzlich angeordneten Informationspflichten sind überwiegend als Obliegenheiten ausgestaltet; ihre Verletzung führt zur Nichtgeltung der AGB oder zur Unwirksamkeit einzelner Klauseln. Die Informationspflichten sind von unterschiedlicher Intensität. An der Spitze steht die den gesamten Text umfassende Pflicht zum Hinweis auf die AGB und zur Ermöglichung der Kenntnisnahme (§2 Abs. 1 AGBG). Sodann gibt es Informationspflichten bezüglich einzelner Klauseln, die sich wiederum nach der Informationsintensität unterscheiden lassen: einmal generelle, am durchschnittlichen Kunden orientierte Aufklärung, wie die aus § 3 A G B G abgeleiteten Gebote an die äußere Gestaltung der AGB; 110 oder die Pflicht zum „ausdrücklichen" Hinweis auf das Wiederaufleben von Wandelung und Minderung im Falle des Fehlschlagens von Nachbesserung oder Ersatzlieferung gemäß § 11 Nr. 10b A G B G , wenn der Verwender seine Gewährleistung grundsätzlich auf letztere beschränken will.111 Auch die in neuerer Zeit verstärkt erhobene Forderung nach Transparenz von AGB-Klauseln findet ihre vertragstheoretische Basis in der vorvertraglichen Informationspflicht zum Ausgleich der Unterlegenheit des Kunden.112 Neben die generellen Anforderungen an die Klauselgestaltung im einzelnen treten individuelle Informationsanforderungen wie die individuelle Erläuterung einer an sich überraschenden Klausel zur Vermeidung der Unwirksamkeitsfolge des §3 AGBG 1 1 3 oder zur Vermeidung der Unwirksamkeit gemäß § 9 AGBG. 1 1 4 Grundlage besonderer Informationspflichten kann eine Analogie zu anderen spezialgesetzlichen Regelungen sein: so beispielsweise die in Anlehnung an die Belehvertragsrecht etwa OLG Köln VersR 1993, 304, 305 („durchschnittlicher Versicherungsnehmer"). HO Vgl. Kreienbaum, Transparenz, S. 92f. 111 BGH BB 1990,950,951 m.w.N. Kritisch zur dogmatischen Einordnung der herrschenden Meinung Kreienbaum, Transparenz, S. 124. 112 Rechtsgrundlage ist das AGBG bzw. eine am AGBG orientierte Rechtsfortbildung, vgl. zuletzt den Begründungsansatz von Kreienbaum, Transparenz, S.203ff. mit umfassender Darstellung des Meinungsstandes a.a.O., S. 182ff. Es sollte nicht zweifelhaft sein, daß die Lösung über §9 AGBG ein Notbehelf in Ermangelung einer besonderen gesetzlichen Regelung ist. Intransparenz ist etwas anderes als inhaltliche Unangemessenheit, mag die Rechtsfolge (Unwirksamkeit der Klausel) auch richtig sein. Zu Recht weist Basedow darauf hin, daß nur bei Klauseln mit für den Kunden nachteiligem Inhalt die Unwirksamkeit richtige Rechtsfolge ist (VersR 1999, 1045,1049,1054). Seine Schlußfolgerung, die Transparenz habe im Verhältnis zum Aquivalenzprinzip keine eigenständige Bedeutung (a.a.O., S. 1049), scheint mir überzogen. 113 Kreienbaum, Transparenz, S. 102. 114 Etwa BGH ZIP 1997, 1538 (Formularmäßige Erstreckung des Sicherungszwecks einer Grundschuld auf alle künftigen Forderungen gegen den mit dem Sicherungsgeber nicht identischen Kreditnehmer verstößt nicht gegen § 9 AGBG, wenn individuelle Aufklärung). Unklar in der Einordnung der Rechtsfolge (Versicherer darf sich auf Klausel „nicht berufen") O L G Köln VersR 1993, 304, 305.

5 2 Informationspflichten

zur Verständigung über den

Vertragsinhalt

221

rungspflicht des §39 Abs. 1 S.2 W G 1 1 5 entwickelte Pflicht des Versicherers, den Versicherungsnehmer auf den Verlust des vorläufigen Deckungsschutzes bei Verspätung der Erstprämien-Zahlung hinzuweisen.116 Neben den auf das A G B G oder Spezialgesetze gestützten Informationspflichten existieren richterrechtliche AGB-spezifische Informationspflichten, die auf der allgemeinen Verständigungspflicht beruhen und deren Verletzung zu Schadensersatzansprüchen aus culpa in contrahendo führt. So werden Versicherer (bzw. deren Agenten) verpflichtet, erkennbare Fehlvorstellungen der Versicherungsnehmer über wesentliche Inhalte der Versicherungsbedingungen vor Vertragsschluß aufzuklären.117 Hier liegt im Grunde eine undeutliche Erklärung des Versicherungsnehmers vor. Einerseits erklärt er durch die Akzeptanz der Versicherungsbedingungen sein Einverständnis mit deren Inhalt; wegen des erkennbaren Irrtums über diesen Inhalt in einem wesentlichen Punkt besteht aber letztlich Unklarheit über diese Zustimmung. Eine Situation des begründeten Zweifels an der Zustimmung zu den Versicherungsbedingungen liegt vor, wenn zwar die Fehlvorstellung des Versicherungsnehmers nicht positv festgestellt werden kann, wohl aber seine Unkenntnis einer Klausel erkennbar ist und ferner erkennbar ist, daß eine Klausel sein Versicherungsinteresse erheblich beeinträchtigt, so daß Zweifel bestehen, ob die formal erteilte Zustimmung zu den Versicherungsbedingungen wirklich alle Bedingungen erfassen soll. Im Türkeifall beispielsweise war der Versicherer (bzw. sein Agent) verpflichtet, den türkischen Versicherungsnehmer einer Kfz-Kaskoversicherung bei Vertragsschluß darüber in Kenntnis zu setzen, daß die Versicherung nach den AVB für das außereuropäische Ausland nicht gelte.118 Krankenhausträger müssen bei kosmetischen Operationen ihre Patienten darüber informieren, daß sie nach den Geschäftsbedingungen die Operationskosten selbst tragen müssen, wenn die Krankenkasse deren Übernahme ablehnt.119 Der die Aufnahmemodalitäten erledigende Begleiter des Patienten muß darauf hingewiesen werden, daß er nach den Geschäftsbedingungen durch die Unterschrift die Mithaftung für die Behandlungskosten übernimmt.120 Schließlich kann es wegen

1,5 Die Vorschrift normiert eine Pflicht zur Belehrung über die Folgen der nicht rechtzeitigen Zahlung einer Folgeprämie, also nicht der Erstprämie. 116 Siehe nur BGH VersR 1985, 981, 983; Prölss/Martin, W G , 26. Aufl., §38 Rn.29. Die grundlegende Entscheidung BGHZ 47,352,360ff., betraf die Belehrungspflicht in der Mahnung. 117 RGZ 147, 186, 188f.; BGHZ 2, 87, 92f.; zum österreichischen Recht O G H VersR 1998, 482, 484; siehe ferner S. 119f. und S. 180f.; weitere Angaben bei Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.326. Daß diese Verständigungspflichten überwiegend im Versicherungsvertragsrecht auftreten, dürfte daran liegen, daß hier ein erheblicher Teil der Leistung (Versicherungsumfang) in den allgemeinen Bedingungen geregelt wird. Siehe aber auch BGHZ 47, 207 Leits. 2 und S.213ff., zum finanzierten Abzahlungskauf. 118 BGHZ 40, 22, 25ff.; ebenso der Fall OLG Frankfurt/M. VersR 1998, 1104. Ferner O L G Köln VersR 1993, 304f.; siehe auch BGHZ 120, 87, 92ff. 119 LG Bremen NJW 1991, 2353. 120 OLG Düsseldorf NJW 1991, 2352.

222

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

sprachlicher Verständigungsprobleme auf Verständigung zielende Aufklärung geben.121

2. Formularmäßige

Erfüllung dieser Pflichten

Zu trennen von den Besonderheiten der AGB-spezifischen Verständigungspflichten ist die Frage, ob eine Verständigungspflicht formularmäßig erfüllt werden kann. Das wird einmal bei AGB-bezogenen Verständigungspflichten in Frage kommen. 122 Bei einem Individualvertrag auf Basis individueller Vertragsverhandlungen hat jede Partei den erkennbaren individuellen Wissensstand der anderen zugrunde zu legen. Formularmäßige Aufklärung kann dem Wissenshorizont des anderen nur dann zugerechnet werden, wenn ihm genügend Gelegenheit zu dessen Kenntnisnahme gegeben wurde und nach den individuellen Umständen Lektüre und Verstehen erwartet werden konnte.

3. Abgrenzung zur Aufklärung über rechtliche Folgen von AGB Nicht mehr zur Verständigung über den durch die A G B bestimmten Vertragsinhalt gehört die Aufklärung über rechtliche Folgen bestimmter Gestaltungen. So betrifft die von der Rechtsprechung statuierte Informationspflicht der Bank über die Auswirkungen der Trennung von Darlehen und Kauf beim finanzierten Abzahlungsgeschäft die Folgen der vereinbarten Trennung, nicht die Vereinbarung der Trennung selbst. 123 Sie kann daher nicht als rechtsgeschäftliche Verständigungspflicht legitimiert werden. Dies gilt überhaupt für gesetzliche Regelungen, die den Vertragsinhalt gestalten und die nicht kraft Aufnahme in den Rechtsfolgewillen gelten, sondern kraft gesetzlicher Anordnung. Dazu gehören zwingende Inhaltsregelungen, auch das dispositive Gesetzesrecht. 124 Erst recht liegen rechtliche Regelungen außerhalb des Rechtsfolgewillens, die nur Folgewirkungen des Vertragsschlusses regeln.125

4. Besondere verständigungstheoretisch bei vorformulierten Erklärungen

begründete

Informationspflichten

Intensiviert wird die Verständigungspflicht nicht erst bei Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die das Vertragsverhältnis umfassend gestalten, sondern schon bei Vgl .Reich, NJW 1995, 1857, 1860. Etwa zugelassen beim finanzierten Abzahlungskauf von BGHZ 47, 207, 211; in BGH NJW 1979,2511, wurde die Verspätung der Aufklärung gerügt; ferner etwa BGH NJW 1973,453 und O L G Nürnberg VersR 1996, 746 zur drucktechnischen Gestaltung. 123 Vgl. BGHZ 47, 207 Leits. 2 und 211. 124 Vgl. Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §33 Rn. 19ff.; Medicus, AT, 7. Aufl., Rn. 340, 750f. 125 Zum Beispiel die rechtliche Folge, daß von den Regelgebühren abweichende Gebühren nicht von der gesetzlichen Krankenversicherung übernommen werden, vgl. O L G Hamburg NJW 1987, 2937. 121

122

§ 2 Informationspflichten

zur Verständigung

über den Vertragsinhalt

223

von einer Seite vorformulierten Erklärungen, die nur einige wesentliche Regelungen enthalten, wenn nach den Umständen nicht erwartet werden kann, daß der Kontrahent den Inhalt der Erklärung versteht. So lag der Pensionszuschußfall:ub Ein Arbeitgeber legte Arbeitnehmern, denen er über Jahre hinweg einen Pensionszuschuß ohne Widerrufsvorbehalt zugesagt hatte, unmittelbar vor der erstmaligen Auszahlung eine vorformulierte Erklärung vor, in denen die Zusage wiederholt wurde, nunmehr aber unter einen Widerrufsvorbehalt gestellt war. Der (österreichische) O G H hielt eine nachträgliche Vereinbarung des Widerrufsvorbehalts grundsätzlich für zulässig, forderte aber ebenso zutreffend vom Arbeitgeber, daß dieser die Arbeitnehmer vor der Unterschriftsleistung auf die Bedeutung der Vereinbarung hinzuweisen hätte. Was sich in der Begründung des O G H wie eine aus der Fürsorgepflicht geborene arbeitsrechtliche und betriebsrentenrechtliche Sonderregel ausnimmt, ist in Wahrheit verständigungstheoretisch zu begründen. Wußte der Arbeitgeber von der Unwiderruflichkeit der Zusage oder zumindest von ihrer Möglichkeit, und dafür spricht die Tatsache, daß er die besondere Erklärung verlangte, 127 so mußten ihm aus den Umständen Bedenken gegen den entsprechenden Rechtsfolgewillen der unterschreibenden Arbeitnehmer kommen: weil die Erklärung in einem Schreiben enthalten war, den Beginn der Pensionszahlung ankündigte und den Eindruck hervorrief, erst nach der Rücksendung der unterschriebenen Erklärung werde die Zahlung beginnen; ferner, weil die Beschäftigten ohne Gegenleistung und ohne sonstigen Grund auf die Absicherung einer für ihre Existenz wichtigen Leistung verzichteten. 128

VI. Z u s a m m e n f a s s u n g Die Willenseinigung ist (neben der Willensbildung) ein zweiter Anknüpfungspunkt für die Dogmatik vorvertraglicher Informationspflichten. Die Einigung über den Vertragsinhalt beruht auf einer Verständigung zwischen den Parteien. Diese Verständigung ist nur möglich, wenn die Parteien sich, soweit es den Verständigungsvorgang betrifft, von der ausschließlichen Verfolgung ihrer eigenen Interessen lösen und ihr eigenes wie das gegnerische Erklärungsverhalten nicht ausschließlich nach Maßgabe ihrer Interessen verstehen, sondern sich den Verständigungsmöglichkeiten und Interessen des anderen zuwenden. Auch ein formales Recht der Willenseinigung, das die Willenseinigung auf die wesentliche Rechtsfolge beschränkt und den Erklärungsinhalt nach objektiven Kriterien bestimmt, fordert diese Einschränkung. Jede Partei hat sich in diesem Sinne darum zu bemühen, den anderen richtig zu verstehen. 126 127 128

OGH DRdA 1997, 17 m. Anm. Apathy. Zur Rechtslage im Falle einer bloßen Wissenserklärung Apathy, Anm. a.a.O., S. 20. Vgl. zach Apathy, Anm. a.a.O., S.20, 2. Spalte.

224

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung der

Verständigung

Nach heute ganz vorherrschender Ansicht ist das Ziel der Verständigung der wirkliche Wille des Erklärenden. Das verpflichtet nicht zur Erforschung eines inneren Willens, wohl aber dazu, die Erklärung daraufhin zu befragen, was der wirkliche Wille des Erklärenden sei. Ziel ist der subjektive, vom Erklärenden intendierte Sinn der Erklärung, nicht der objektive, nach üblichem Sprachgebrauch oder sonstwie ermittelte Sinn. Aus diesem Verständigungsziel folgt die weitere Verpflichtung, neben der Erklärung alle erklärungsrelevanten Umstände einzubeziehen und auf ihre Bedeutung auszuwerten. Die Grenze der Verständigungspflicht setzt das Verschuldensprinzip: nur der erkennbare Erklärungstatbestand ist zugrunde zu legen. Der aus dem Erklärungstatbestand sich ergebende objektive Sinn ist für den Empfänger aufgrund der formalen Geschäftsfähigkeit maßgeblich; auf eine konkrete Erkennbarkeit kommt es nicht an. Ein davon abweichender subjektiver Sinn ist für den Empfänger maßgeblich, wenn er ihn aufgrund seines individuellen Wissenshorizontes erkennen konnte. Die Verständigungspflicht verdichtet sich zur Informationspflicht, wenn der erkennbare Erklärungstatbestand entweder begründete Zweifel am erkennbaren Willen aufkommen läßt oder undeutlich ist. Die Ausrichtung der Verständigung auf den wirklichen Willen des Erklärenden, verpflichtet den Empfänger zur Auswertung aller erkennbaren Erklärungsumstände. Er muß deshalb nachfragen und den Erklärenden über die Zweifel oder Undeutlichkeit informieren. Die Verletzung dieser Pflicht zieht eine Schadensersatzverpflichtung wegen vorvertraglichen Verschuldens nach sich; die Verständigungspflicht konkretisiert den Schutz des materiellen Willens durch das vorvertragliche Schuldverhältnis. Eine Beschränkung der Rechtsfolgen auf §§ 119, 122 B G B (Situation des Zweifels) oder §155 BGB (Undeutlichkeit), wird der subjektiven Ausrichtung der Verständigung nicht gerecht. Auch macht sich der Erklärende schadensersatzpflichtig, wenn er die Zweifelhaftigkeit oder Undeutlichkeit seiner Erklärung hätte vermeiden können. Diese Informationspflicht ist freilich vorerst auf den Inhalt des Rechtsfolgewillen beschränkt, folgt man der herrschenden Rechtsfolgentheorie, wonach zum wirksamen Vertragsschluß die Einigung über die wesentlichen Rechtsfolgen genügt.

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung

über die Grundlagen

des Vertrages

225

§3 Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung über die Grundlagen des Vertrages I. Die Einbeziehung wesentlicher Wertungsgrundlagen in die rechtsgeschäftliche Einigung und ihre Grenzen 1. Einbeziehung der Wertungsgrundlagen des Erklärungstatbestandes

bei

Deutungsfähigkeit

Der praktisch bedeutsame Teil vorvertraglicher Informationspflichten betrifft Diskrepanzen zwischen Wertungsgrundlage und Wirklichkeit. Das Verständigungsprinzip wird zur Legitimierung und zur theoretischen Deutung der Informationspflichten Wesentliches nur beitragen können, wenn die Wertungsgrundlagen in die vertragliche Verständigung einbezogen sind. Die traditionelle Theorie des Rechtsfolgewillens schlägt hier die entgegengesetzte Richtung ein. Sie beschränkt den für die vertragliche Einigung erheblichen Geschäftswillen auf das „Sollen" und dabei wiederum auf die wesentlichen Rechtsfolgen. Zwar führt die subjektive Ausrichtung der Verständigungspflicht dazu, Wertungsgrundlagen des Erklärenden für das Verständnis seiner Willenserklärung heranzuziehen. Die dem Rechtsfolgewillen zugrunde liegenden Wertungen finden Eingang in den Verständigungsprozeß und den rechtsgeschäftlichen Willen, so die Erklärung bzw. das Erklärungsverhalten genügend deutungsfähig ist. Im Madeirafall zum Beispiel gibt die Wertung des Gastes, es handele sich um Süßwein, den Ausschlag dafür, seine Erklärung als Bestellung echten Madeiras zu verstehen, wenn diese Vorstellung im Zusammenhang mit der Bestellung erkennbar wird. Genauso wäre es beim Kauf eines „Goldinrings", wenn der Verkäufer erkennen muß, daß der Käufer einen Goldring meint;129 oder wenn der Gläubiger erkennen kann, daß der Bürge den Ausdruck „Bürgschaft auf erstes Anfordern" nicht kennt und daher mit der Bürgschaftserklärung eine „normale" Bürgschaft meint. Aber die Wertungsgrundlagen dienen nur zum richtigen Verständnis des rechtsgeschäftlichen Willens, und nur soweit dieser deutungsfähig ist, muß auf zugrunde liegende Wertungen eingegangen werden. Ist der rechtsgeschäftliche Wille eindeutig, können selbst erkannte fehlerhafte Seinsvorstellungen unkorrigiert bleiben. Nimmt der Käufer den Goldinring aus der Auslage und erklärt, „diesen Ring" haben zu wollen, ändern seine nach außen getretenen oder sogar erkannten Vorstellungen, daß es sich um einen Goldring handele, nichts an der eindeutigen Kauferklärung; die rechtsgeschäftliche Verständigung endet hier. Genauso wäre es im Madeirafall, wenn der Gast den Madeira in der Weise bestellt, daß er auf das Glas eines am Nebentisch sitzenden Gastes zeigt und erklärt „ein solches Getränk" haben zu wollen, mag er auch deutlich davon ausgehen, es handele sich um echten Madeira. 129

Vgl. Singer, Selbstbestimmung, S.215.

226

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

2. Einbeziehung der Wertungsgrundlagen Quasi-Leistungsvereinbarung

der

Verständigung

im Wege der

Nun können Wertungsgrundlagen durchaus in den Rechtsfolgewillen einbezogen werden. Zwar ist das auf einen bestimmten Erfolg zielende Wollen („Ich will dieses Buch kaufen") von den auf das Bestehen oder Nichtbestehen von Tatsachen gerichteten Vorstellungen („Ich stelle mir dabei vor, daß es sich um ein für Laien verständliches Buch handelt") strukturell („psychologisch") verschieden.130 Etwas Seiendes kann man nicht wollen.131 Der Messingring wird nicht dadurch zum goldenen, daß die Parteien dies wollen. Gleichwohl ging Zitelmanns Schlußfolgerung, das Sein könne nicht Bestandteil des von der Willenserklärung angestrebten (rechtlichen) Erfolges sein,132 einen Schritt zu weit, wie zuerst Flum e m am Fall des Eigenschaftsirrtums beim Kauf gezeigt hat. Die Parteien haben es in der Hand, Seinsvorstellungen in den Willenserklärungs- und Rechtsgeschäftsinhalt aufzunehmen: nicht als „gewollt", aber als dem Gewollten in der rechtlichen Bedeutung gleichstehend, mit der Folge, daß die Nichterreichung eines bestimmten Erfolges als Leistungsstörung zu betrachten ist (Quasi-Leistungspflicht).134 Aus der Perspektive des Vertrages und der vertraglich vereinbarten Leistung (dem „Gewollten") können praktisch alle Seinsvorstellungen einer Partei135 als mit der Leistung verfolgte wirtschaftliche oder soziale Zwecke 136 erfaßt werden. Im Goldinringfall könnte man etwa sagen, es sei des Käufers Absicht, einen goldenen Ring tragen zu können. Will er den Ring seiner Tochter zur 130 Gegen Zitelmann vor allem Titze, FS Heymann Bd. II, S. 72,97f., der sich indessen zu sehr mit der in der Tat unfruchtbaren Scheidung zwischen „vorgelagertem" und „gleichzeitigem" Motiv aufhält, und dessen Kritik im übrigen vor allem das Irrtumsrecht betrifft, nicht das der rechtsgeschäftlichen Einigung. 131 Zitelmann, Irrtum, S.439 („logisch und psychologisch völliger Nonsens"); das sieht auch Flume nicht anders (Eigenschaftsirrtum, S. 70). 132 Vgl. Zitelmann, Irrtum, S. 436ff. Rechtliche Bedeutung kann die Seinsvorstellung in dieser Lesart nur erhalten, wo für den Fall ihres Nichteintritts eine Rechtsfolge angeordnet wird: durch eine Garantie oder durch eine Bedingung. Beides fordert aber hinreichend deutliche Willenserklärungen. 133 Eigenschaftsirrtum, S. 11 ff. Das dürfte anerkannt sein, siehe Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §26 (3), S.498. 134 In abgeschwächter Form können Wertungsgrundlagen im Bereicherungsrecht Gegenstand rechtsgeschäftlicher Vereinbarung sein. Die condictio ob rem setzt voraus, daß eine Leistung ohne die erwartete, allerdings nicht geschuldete Gegenleistung geblieben ist (etwa unentgeltliche Dienstleistung in Erwartung späterer Erbeinsetzung). Bezüglich dieser Gegenleistung liegt eine Abrede vor, die keine Verpflichtung oder Quasi-Verpflichtung beinhaltet, sondern nur eine Verknüpfung der beiden Leistungen des Inhalts bedeutet, daß der Behaltensgrund für die erste Leistung entfällt, wenn die zweite Leistung nicht erfolgt (dazu näher MünchKomm/Zie£, B G B , 3. Aufl., § 812 Rn. 158ff., 162ff. m.w.N. zum Streitstand). 135 Nicht nur die Eigenschaften einer Sache, wie Flume (Eigenschaftsirrtum, S.23ff.; anders mittlerweile, Rechtsgeschäft § 26 [3], S.498f. m. Fn. 18) noch meinte; dagegen bereits Kegel, AcP 150, 356, 360f.; ferner Brox, Irrtumsanfechtung, S. 69ff. 136 Zum Zweckbegriff in diesem Zusammenhang Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage, S. 3 f.

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung Uber die Grundlagen des Vertrages

227

Verlobung schenken, wäre dies ein möglicher Zweck. Im Krönungszugfallu7 ist die Besichtigung des Krönungszuges der weitere Zweck der Vermietung des Fensterplatzes usf. Konstruktiv ist damit der Weg eröffnet, die Wertungsgrundlagen in das vertragliche Leistungsprogramm zu integrieren: Wird der Zweck verfehlt, kommt dies der Nichterbringung der eigentlichen Leistung gleich.138 3. Notwendigkeit

einer besonderen

Einbeziehungserklärung

Allerdings bedarf die Einbeziehung der Wertungsgrundlagen in den Rechtsfolgewillen besonderer Erklärung. Der auf das Sollen zielende Rechtsfolgewille ist bereits aufgrund seiner Erkennbarkeit erheblich. Wertungsgrundlagen dagegen sind nicht schon wegen der Kenntnisnahme durch den Erklärungsgegner oder wegen ihrer Erkennbarkeit 139 relevant, da nicht klar ist, was nach dem Willen des Erklärenden im Falle ihrer Verfehlung gelten soll. Nicht einmal bei gemeinsamen Wertungsgrundlagen der Parteien läßt sich dieses Defizit beheben: wenn etwa bei der Vermietung eines Fensterplatzes beide Parteien voraussetzen, daß der Krönungsumzug am 18. Mai stattfindet, der Zug aber abgesagt wird. Demgemäß war der Streit über die Einbeziehung von Wertungsgrundlagen in die vertragliche Verständigung zuerst ein Streit über den Erklärungsmindesttatbestand, darüber, was über die Erkennbarkeit der Wertungsgrundlagen hinaus erkennbar sein muß. Windscheids140 pandektenrechtliche Voraussetzungslehre versuchte die Anforderungen an den Erklärungstatbestand bei der Bedingung herabzusetzen. Für ihn war die Wertungsgrundlage eine „unentwickelte Bedingung". 141 Der (Rechtsfolge-) Wille sei von ihr nicht erklärtermaßen abhängig gemacht worden, materiell aber bestehe dieser Zusammenhang. Die formelle Erklärung sei daher materiell ohne rechtfertigenden Grund, und der Erklärende könne sich durch eine Einrede gegen seine Inanspruchnahme schützen. 142 Erheblich sollte die Voraussetzung sein, wenn sie zumindest aus den begleitenden Umständen der Willenserklärung 137 Krell v. Henry, (1903) LR 2 KB 740; MünchKommARoti, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.656 m.w.N. zur umstrittenen Einordnung des Falles. Weiterhin O L G Bremen NJW1953,1393 (Vermietung der Stadthalle für ein Gastspiel, die Künstlerin kann nicht auftreten). 138 Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage, S. 12,13,14, bezeichnet dies als Risikobeziehung. Dagegen betrachtet Goltz, Motivirrtum, S. 233 ff., 247ff., das Stattfinden des Krönungszuges als unmittelbaren Leistungsgegenstand, denn der Vermieter schulde die Eignung des Mietgegenstandes für einen bestimmten Zweck (S. 233f.). Aber es macht eben einen Unterschied, ob der Vermieter diese Gebrauchseignung selbst leisten kann (z.B. „Wohnen") oder - wie beim Krönungszug - nicht. 139 Die „Erkennbarkeit" einer Wertungsgrundlage setzt eine Pflicht zu ihrer Kenntnisnahme voraus, die erst noch zu untersuchen ist. Solange eine solche Pflicht nicht begründet ist, wird bei Verwendung des Begriffs „Erkennbarkeit" im folgenden eine Pflicht zur Kenntnisnahme von Wertungsgrundlagen vorläufig unterstellt. 140 Die Lehre des römischen Rechts von der Voraussetzung; ders., Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I, 7. Aufl., S.275ff.; ders., AcP 78, 161ff. 141 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I, 7. Aufl., S.275. 142 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I, 7. Aufl., S.277.

228

J. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

für den Empfänger erkennbar war.143 Lewe/144 hat dazu das Nötige gesagt.145 Solange der Erklärende seine Wertungsgrundlage für richtig hält, wird er keinen Regelungsbedarf sehen und keinen entsprechenden Geschäftswillen haben. Dementsprechend darf der Gegner das Erklärungsverhalten verstehen. Selbst wenn er die tragenden Wertungen des Erklärenden kennt, muß er sie nicht als Inhalt der Willenserklärung verstehen. Und infolgedessen muß sich keine Partei im „Normalfall" darum bemühen, die Wertungsgrundlagen der anderen Seite zu verstehen und gegebenenfalls durch Aufklärung eine gemeinsame Verständigungsbasis herstellen. Nur wenn eine Partei die Richtigkeit der von ihr vorausgesetzten Wirklichkeit bezweifelt und diese Zweifel für den Gegner erkennbar sind, kann die rechtsgeschäftliche Verständigung auf Wertungsgrundlagen ausgedehnt werden. Das gilt genauso für Zweckabreden, durch die Wertungsgrundlagen der Leistung gleichgestellt werden (Quasi-Leistungspflicht). Das beachtet Beuthien nicht genügend. Zwar fordert er, beide Parteien müßten für eine rechtsgeschäftliche Zweckabrede das Bewußtsein und den Willen haben, daß sich Verfehlung oder Wegfall des in Aussicht genommenen Zwecks rechtlich auf den abgeschlossenen Vertrag auswirken soll.146 Diese Willenslage soll aber offenbar unabhängig von etwaigen Zweifeln an der Zweckverwirklichung vorliegen.147 Denn letztlich genügt Beuthien eine enge Verknüpfung zwischen der eigentlich geschuldeten Leistung und dem weiteren Zweck („sachtypische Zweckbezogenheit" der Leistung), um diesen in den Vertragsinhalt aufzunehmen.148 Gewiß gibt es Fälle, in denen die eigentliche Leistung ohne die Erreichung des weiteren Zwecks ihren „Sinn" oder „Wert" verliert, und zwar nach der Vorstellung beider Parteien. Zu Recht nimmt Beuthien dies beispielsweise im Krönungszugfall149 an. Es ist klar, daß ohne den Krönungszug der Vermieter nicht auf den Gedanken gekommen wäre, „einen Fensterplatz" zur Vermietung anzubieten und noch weniger einen

143 Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. 1,7. Aufl., S. 280. Windscheids Lehre hatte Vorläufer in der Voraussetzungslehre von Grotius (De iure belli ac pacis, II. 11.6.2, III 23.4, der allerdings den Irrtum als solchen genügen ließ) und Pufendorf (De iure naturae et gentium, lib. II, XI 6, zu Einzelheiten die Analyse von Haupt, Lehre vom Irrtum, S. 25 ff.). 144 AcP 74, 213ff. und AcP 79, 49ff.; siehe aber auch schon Windscheid, Voraussetzung S. 8. Ebenso Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 31, 32f.; Rhode, AcP 124, 257, 293, 320; siehe ferner Krückmann, AcP 131, 1 ff.; Brox, Irrtumsanfechtung, S.72ff.; Goltz, Motivirrtum, S.216f.; Koller, Risikozurechnung, S. 37. Das Reichsgericht stand der Lehre Windscheids mit seiner Konstruktion der „stillschweigenden Bedingungen im weiteren Sinne" (RGZ 24,169,171) durchaus näher als seine verbale Distanz zur Voraussetzungslehre (a.a.O., S. 170) dies vermuten läßt. 145 Siehe auch die Kritik von Krückmann, AcP 131,1 ff., der (a.a.O., S. 2) die Voraussetzung als unterlassenen aktuellen Vorbehalt auffaßt. 146 Beuthien, Zweckerreichung, S. 183. 147 Insoweit nicht ganz klar Beuthien, Zweckerreichung, S. 182: Je mehr die Parteien sich auf Zweckerreichung verlassen, desto eher Zweckabrede. 148 Beuthien, Zweckerreichung, S. 184ff.; gegen die Konkretisierung dieses Begriffs im einzelnen Koller, Risikozurechung, S.37ff. 149 Siehe oben Fn. 137.

5 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

229

Mieter gefunden haben würde. 150 Es ist aber falsch, aus diesem geradezu selbstverständlichen Zusammenhang auf die rechtsgeschäftliche Absicherung der Zweckerreichung schließen zu wollen. 151 Berechtigt wäre diese Annahme allenfalls, wenn der Schuldner auch den weiteren Erfolg bewirken könnte; dann in der Tat wäre im Zweifel anzunehmen, er sei auch zur Herbeiführung des „eigentlich" erstrebten Erfolges verpflichtet. Aber das ist bei den hier interessierenden Wertungsgrundlagen gerade nicht so. Sie können in den Vertrag nur durch Verteilung des Risikos ihres Nichteintritts eingebunden werden. Daran aber müssen und werden die Parteien nur denken, wenn sie irgendein Zweifel an der Richtigkeit ihrer Wertungsgrundlagen überkommt. Mag die Risikoverteilung vom Ergebnis her evident sein, einen diesbezüglichen Rechtsfolge willen der Parteien wird es ohne die angesprochenen Zweifel nicht geben. Es genügt eben für den Rechtsfolgewillen nicht, daß die Parteien gemeinsame Vorstellungen über den weiteren Leistungszweck haben. Das ist allenfalls ein Kriterium dafür, daß der weitere Zweck für den Vertrag nicht völlig irrelevant ist. Vielmehr muß eine eindeutige Risikozuweisung erfolgen, mögen die Rechtsfolgen im einzelnen (Schadensersatz oder Rücktritts- oder Kündigungsrecht usw.) auch dem ergänzenden Gesetzesrecht (z.B. §§275ff., 323ff. B G B ) zu entnehmen sein. Insoweit setzt Beuthien die Anforderungen für die rechtsgeschäftliche Zweckvereinbarung zu niedrig, wenn die Verteilung des Gegenleistungsrisikos dem ergänzenden Gesetzesrecht entnommen werden soll. 152 Es ist doch bei einer Zweckvereinbarung nur dieser Punkt regelungsbedürftig. Eine Regelung, die sich in der Festlegung des Zwecks erschöpft, ohne damit wenigstens im Groben eine Risikoverteilung zu verknüpfen, ist sinnlos. 153 Offenkundig führt der Wunsch, eine „rechtsgeschäftliche" Lösung für das Problem der Wertungsgrundlage zu finden, zu solchen Uberdehnungen. Auch im Hinblick auf die Eigenschaften eines (Kauf-)Vertragsgegenstandes ist keine Ausnahme von dieser Verteilung der Verständigungspflichten zu machen. Flume meint, daß man sich eine Sache nicht ohne ihre Eigenschaften vorstellen könne, daß also der Wille, eine Sache zu erwerben, das Vorhandensein dieser Eigenschaften umschließe. 154 Mithin wären entsprechende Vorstellungen der Willenserklärung zuzurechnen, wenn sie bei Vertragsschluß für den Gegner erkennbar sind. 155 Der Verkäufer hätte sich darüber zu verständigen und gegebenenfalls, 150 In Krell v. Henry (1903) LR 2 KB 740 war zwar die ganze Wohnung vermietet worden, aber eben zu Bedingungen, für die man ohne den Krönungszug keinen Mieter gefunden hätte. 151 So aber neben Beuthien stach Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §26 (3), S.499; ders., Eigenschaftsirrtum, S. 73 f. 152 Beuthien, Zweckerreichung, S. 182 m. Fußn. 129 (vertragliche „lex imperfecta"); siehe bereits Locher, AcP 121, 1, 31 f.; H.P. Westermann, causa, S.60. 153 Köhler, Unmöglichkeit und Geschäftsgrundlage, S.93. 154 Flume, Eigenschaftsirrtum, S.23ff.; ders., Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §24 2 b, S. 476ff. 155 In diese Richtung Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 81, wonach Eigenschaften dann geschäftlich relevant, d.h. vereinbart sind, wenn der Kaufvertrag erkennbar nur um ihretwillen zustande gekommen ist.

230

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

wenn er die Vorstellungen des Käufers als unrichtig erkennt oder erkennen kann, darüber zu informieren. Eine Sache kann man sich aber durchaus ohne bestimmte einzelne Eigenschaften denken.156 Und daß der Erwerbswille typischerweise mit Eigenschaftsvorstellungen verknüpft sein wird, gilt für andere Umstände, die für die Wertschätzung von wesentlicher Bedeutung sind, nicht minder. Die Trennlinie kann deshalb vernünftigerweie nicht zwischen Eigenschaften und Nichteigenschaften gezogen werden.157 Richtig ist nur, daß das Gesetz durch die Regelung in §459 Abs. 1 B G B Vorstellungen über das „Sein" des Kaufgegenstandes vertragsrelevant werden läßt und auf diese Weise die Anforderungen an den Erklärungstatbestand absenkt. 158

4. Unhaltbarkeit

der reichsgerichtlichen „ Bestandteilslehre "

Auf Basis der herrschenden Rechtsfolgentheorie hat das Reichsgericht mit seiner Rechtsprechung zum Kalkulationsirrtum bestimmte Wertungsgrundlagen als „Bestandteile" in den Rechtsfolgewillen integrieren wollen mit der Folge, daß deren bloße Erkennbarkeit bei Vertragsschluß als Erklärungstatbestand genügte. In dieser Bestandteilslehre werden die Wertungsgrundlagen zum „Teil" der Willenserklärung, nicht in dem Sinne, daß sie zum Vertragsinhalt würden und ihre Enttäuschung als Fall der Unmöglichkeit zu behandeln wäre, 159 sondern in dem Sinne, daß Fehlvorstellungen über solche Voraussetzungen Erklärungsirrtum sein und zur Anfechtung berechtigen sollen. 160 Im Rubelfall161 hatte der Kläger dem Beklagten in Moskau ein Darlehen in Höhe von 30.000 Rubel gegeben. Der Beklagte sollte nach Rückkehr der Parteien nach Deutschland 7.500 RM zurückzahlen, wobei die Parteien einen Rubelkurs von 25 Pfennig zugrunde legten. Wie sich später herausstellte, war der Rubel zu diesem Zeitpunkt aber nur 1 Pfennig wert. Das Reichsgericht gestattete dem Beklagten die Anfechung des Vertrages, da die „Willensrichtung", der Rubel sei 25 Pfennige wert, Bestandteil der Erklärung sei. Brox, Irrtumsanfechtung, S. 71. Kegel, AcP 150, 356, 360f.; ebenso Brox, Irrtumsanfechtung, S. 69ff. Flume selbst denkt in diese Richtung, wenn er deutliche Lockerungen beim Eigenschaftsbegriff zuläßt (Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §24 [2] d, S.480f.). 158 Vgl. R G Z 131, 343, 351f., und B G H LM §459 B G B Nr. 10, die eine Geschäftsgrundlageneinigung genügen lassen. O b allerdings bereits die Erkennbarkeit einer entsprechenden Vorstellung des Käufers und ihrer Erheblichkeit für seinen Geschäftswillen genügt, ist zweifelhaft, krit. dazu und zur Anlehnung an die Geschäftsgrundlagenlehre Soergel/Huber, B G B , 12. Aufl., § 459 Rn.69; Staudinger/Zi. Honseil, B G B , 13. Bearb. §459 Rn.57. In diese Richtung B G H L M §459 B G B Nr.4. Siehe noch S.243ff. 156

157

159 Man verwechsle diese Bestandteilslehre daher nicht mit den auf S. 226f., 227ff. erörterten Ansätzen. Wenn dort die Seinsvorstellung als „Bestandteil" der Willenserklärung bezeichnet wird (etwa Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 17), dann immer in dem Sinn, daß sie Gegenstand des gewollten Erfolges ist. 1 6 0 Grundlegend R G Z 64, 266; weiterhin etwa R G Z 90, 258; 94, 65; 105, 406. Zur Informationspflicht in solchen Fällen B G H N J W 1980, 180. 161 R G Z 105, 406.

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

231

Es ist mehrfach nachgewiesen worden, daß in solchen Fällen kein klassischer Erklärungsirrtum vorliegt.162 Aber das beantwortet nicht die Frage, ob vorausgesetzte Tatsachen in diesem Sinn als Bestandteil der Willenserklärung gedacht werden können. Rhode hat diesen Ansatz ausformuliert. Er sieht im Rubelfall die vorausgesetzte Tatsache (1 Rubel = 25 Pfennige) derart als Bestandteil der Erklärung, daß sie den Sinn der Erklärung163 beeinflusse mit der Folge, daß, der falsademonstratio-Regel entsprechend, dem Wortlaut zum Trotz, der zurückzuzahlende Betrag nicht mit 7.500 RM, sondern (wegen des Rubelkurses von 1 Pfennig/ Rubel) mit 300 RM vereinbart sei.164 Der Beklagte schulde also nur 300 RM Rückzahlung. Rhode hat gewiß recht mit der Aussage, daß gemeinsame Vorstellungen über die Voraussetzungen der Willenserklärung deren Inhalt beeinflussen und bis hin zum Gegenteil des eigentlichen Wortlautes überformen können.165 Aber das ist nur eine konsequente Umsetzung der subjektiv ausgerichteten Verständigung und bedarf keiner besonderen dogmatischen Kategorie. Andererseits vermag die Bestandteilslehre nicht die durch die herrschende Rechtsfolgentheorie gesetzten Grenzen der Auslegung zu verschieben. Wenn aus der Erklärung einerseits und der beiderseitigen Wertungsgrundlage andererseits das „eigentlich Gewollte" nicht zu extrapolieren ist, ändert die Einstufung der Wertungsgrundlage als „Bestandteil" des Rechtsfolgewillens daran nichts. So ist die Vermietung eines Fensterplatzes zum 18. Mai, bei der beide Parteien voraussetzen, daß an diesem Tag der Krönungszug stattfindet, nicht als „Vermietung zum Tag des Krönungszuges" zu verstehen, wenn der Zug gar nicht am 18. Mai stattfindet.166 Denn eine der Parteien kann an dem Tag des Krönungszuges anderweitig gebunden sein. Ahnlich kann man beim Kauf eines Haufens Brockeneisen, dessen Gewicht beide Parteien auf 40 Eisenbahnwaggons veranschlagen und dessen Preis 37.000 DM beträgt, rechnerisch den doppelten Preis ermitteln, wenn sich herausstellt, daß der Haufen 80 Eisenbahnwaggons füllt.167 Gleichwohl ist der Preis nicht einfach auf 74.000 RM festzulegen, denn es mag sein, daß der Käufer gar nicht über diesen Betrag verfügt. Insgesamt bringt die Einordnung von Wertungsgrundlagen als „Bestandteil" des Rechtsfolgewillens keinen Erkenntnisfortschritt. Der psycho162 Siehe nur Rhode, AcP 124, 257, 270ff., 273ff.; aus der Perspektive der heute h.M. Singer, Selbstbestimmung und Verkehrsschutz, S.225f. m.w.N., der allerdings selbst - beim Rechtsfolgenirrtum - die Bestandteilskonstruktion benutzt (ebd., S.233f.). Zur Lösung dieser Fälle über die Geschäftsgrundlagenlehre MünchKomm/i?oi^, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.667ff. m.w.N. 163 Rhode, AcP 124,257,300,312 und passim, spricht vom erklärten Willen; zur Terminologie siehe S.199f. 164 Rhode, AcP 124, 257, 300ff., 307ff.; Titze, FS Heymann Bd. II, S. 72, 87; Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §26 (4), S. 501 f.; bereits das RG (RGZ 64,266,268) erwog als mögliche Folge der Einbeziehung der Kalkulationsgrundlagen die „Richtigstellung des Kaufpreises". Siehe weiterhin Wieser, NJW 1972, 708ff. 165 Zu pauschal ablehnend Singer, Selbstbestimmung, S. 225f. 166 So aber Rhode, AcP 124, 257, 308. 167 Vgl- den Sachverhalt RGZ 90,268. Wie hier zum Wechselkursfall Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S. 173.

232

J. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

logische und rechtliche Status des „Bestandteils" ist diffus und so ist die Beschränkung der Konstruktion auf „Kalkulationsgrundlagen" willkürlich. Die Verknüpfung von Wertungsgrundlage und Erklärungsinhalt mag in den Kalkulationsfällen besonders eng sein,168 aber das ist nur ein Unterschied in der Typizität, nicht in der Struktur. 5. Relative Wertungsschwäche der Rechtsfolgentheorie

und

Korrekturbedürftigkeit

Immerhin zeigen die Fälle des Kalkulationsirrtums in besonderer Eindringlichkeit, wie wertungsschwach die Grenzziehung zwischen (erheblichem) Rechtsfolgewillen und (unerheblichen) Wertungsgrundlagen sein kann. Die ausgeprägte Subjektivierung der rechtsgeschäftlichen Verständigung, die jedes noch so periphere Detail in den Erklärungstatbestand einzubinden weiß und den Erklärungsgegner auf seine Beachtung verpflichtet, trägt zu diesem Befund wesentlich bei. Ob eine Wertungsgrundlage noch Einfluß auf den Rechtsfolgewillen nimmt, wird durch sie von Nuancen abhängig, die zwar nicht unwichtig sind, aber die endgültige Entscheidung über vertragliches Wohl und Wehe einer Wertungsgrundlage kaum tragen können. Man vergleiche den Rubelfall mit dem Krönungszugfall. Das Problem drängt um so mehr, als ein formal angelegtes Leistungsstörungsrecht, das Wirklichkeitsabweichungen erst wahrnimmt, wenn die Schwelle der Leistungsunmöglichkeit erreicht ist (§§275ff., 323ff. BGB), Lösungen nicht anzubieten hat. 168a Daß hier Korrekturbedarf im Sinne einer Materialisierung besteht, ist heute weitgehend anerkannt. Die Haltung des B G B zu Fehleinschätzungen bezüglich der Wertungsgrundlage wird allgemein als zu rigide empfunden.169 Rhode, AcP 124, 257, 300, bezeichnet sie als logische. §275 Abs. 2 des Diskussionsentwurfs eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesministers der Justiz (konsolidierte Fassung vom 6.3. 2001) verbessert diesbezüglich die Situation des Schuldners, doch sieht der Entwurf zusätzlich Bedarf für die Geschäftsgrundlagenlehre (vgl.§313 des Entwurfs). 1 6 9 Vgl. Soergel/Wiedemann, B G B , 12. Aufl., Vor § 323 Rn. 2; Koller, Risikozurechnung, S. 18, spricht der Durchbrechung des ursprünglichen Systems gewohnheitsrechtlichen Rang zu. Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey (60. Geb.), S. 1, 21, geht für die Fälle der tatsächlichen Ubereinstimmung der Wertungsgrundlage von einer Gesetzeslücke aus. Selbst Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §26 (2), S.496, bezeichnet die Geschäftsgrundlagenlehre als „allgemein anerkannt". Siehe ferner Wieacker, FS Wilhurg, S. 229 (231). Zur zum Teil befürworteten gewohnheitsrechtlichen Anerkennung der Geschäftsgrundlagenlehre näher Staudinger//. Schmidt, B G B , 13. Bearb. §242 Rn. 957; außerdem dessen Einschätzung zur Notwendigkeit einer Lösung der Fälle a.a.O., Rn. 993. Ferner Henssler, Risiko, S. 24f. Die Haltung des historischen Gesetzgebers wird im übrigen durchaus unterschiedlich bewertet: Zum Teil wird aus punktuellen Regelungen (insbes. §§779, 321, 610, 775 B G B ) das Fehlen eines allgemeinen Ansatzes gefolgert (etwa Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., § 38 Rn. 6), zum Teil aber auch das Gegenteil angenommen (so wohl Rothoeft, AcP 170, 230, 236; ders., System der Irrtumslehre, §9, unter Hinweis auf die Beratungen zu §779 B G B , Prot. II, S. 521ff.; Dießelhorst, Geschäftsgrundlage, S. 153). Die Kommission zur Überarbeitung des Schuldrechts sieht in §306 B G B eine allgemeine Regelung der Geschäftsgrundlage vor, ohne allerdings deren (subjektiven) Tatbestand zu präzisieren: „Einer Veränderung der Um168

i68a

5 3 Informationspflichten

zur Verständigung

über die Grundlagen

des Vertrages

233

Neben der Haftung für in Anspruch genommenes Vertrauen und dem Schutz Unterlegener ist dies die dritte Einbruchsteile für eine Materialisierung des Vertragsrechts, dessen rechtstheoretische Basis wiederum das Gerechtigkeitsprinzip ist. Die unzureichende Berücksichtigung der Wertungsgrundlagen kann als Defizit der gesetzlichen Regelung 170 systematisch an zwei Stellen verortet werden. Erstens im Recht der Vertragsschließung. Die Diagnose lautet: Die Rechtsgeschäftslehre schenkt den Wertungsgrundlagen und damit dem materiellen Willen der Partei zu wenig Beachtung. Zweitens kann die Korrektur im Leistungsstörungsrecht ansetzen. Der Korrekturbedarf wird im Leistungsstörungsrecht mit seiner Orientierung am formellen Unmöglichkeitsbegriff geortet und durch eine Materialisierung der vertraglichen Leistungspflicht bewältigt. Korrekturinstrument ist die Geschäftsgrundlage oder die Analogie zu materialen Risikoverteilungsnormen des B G B (vor allem §§ 552, 645) 171 oder der Rückgriff auf allgemeine Rechtsstände steht es gleich, wenn Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, sich als falsch herausstellen" (§306 Abs. 2 B G B des Kommissionsentwurfs, vgl. Abschlußbericht, S. 146, 149f.; daran anknüpfend §313 des Diskussionsentwurfs eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesministers der Jusitz (konsolidierte Fassung vom 6.3. 2001). Ein Uberblick über spezielle Regelungen der Geschäftsgrundlage bei Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 9ff.; Medicus, AT, 7. Aufl., Rn. 857. „Massenkalamitäten" und „Sozialkatastrophen" haben nachhaltig zur Bewußtwerdung des Materialisierungsproblems beigetragen, machen aber den kleineren und rechtlich noch am ehesten zu lösenden Teil des Problems aus (vgl. Wieacker, FS Wilburg, 239, 231 f.; tendenziell anders Kegel, Gutachten zum 40. DJT, S. 200; dagegen Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey [60. Geb.], S. 1, 18). 1 7 0 Von einer vertraglichen Regelungslücke sollte man nur sprechen, wenn eine substantielle vertragliche Regelung sich nach der ihr zugrunde liegenden Wertung als unvollständig nachweisen läßt. Hier - und nur hier - hat die ergänzende Vertragsauslegung einen eigenen Stellenwert gegenüber der Geschäftsgrundlagenlehre (dazu näher Staudinger/i? B G B , 13. Beab., §157 Rn. 3 ff.). Jenseits dessen sollte man nicht von einer vertraglichen Regelungslücke sprechen (so aber Ulmer, AcP 174,167,183,190; Nicklisch, B B 1980,949,951; Littbarski, J Z 1981, 8,11), denn aus der Perspektive des formalen Vertrages liegt eine klare Risikozuordnung vor (siehe auch Staudinger//. Schmidt, B G B , 13. Bearb., §242 Rn.995, 1001; Häsemeyer, FS Weitnauer, S.67, 72f.; verkürzend etwa Brox, Irrtumsanfechtung, S. 119 und Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S.24f., die die vertragliche Lücke damit begründen, die Parteien hätten das Abweichen oder die Änderung der Umstände nicht bedacht). Und es besteht die Gefahr, materiale Vertragskorrekturen als „Auslegung" und Verwirklichung des „hypothetischen" oder „eigentlichen" Parteiwillens zu camouflieren. Wo etwa die „Redlichkeit" zum Inhalt des mutmaßlichen Parteiwillens erhoben wird, geht es nur noch um eine objektive Vertragskorrektur (zutreffend Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 30f.; in diese Richtung aber deutlich Brox, Irrtumsanfechtung, S. 117ff.). Nur wenn man die Parteien auf einen bestimmten materialen Gerechtigkeitswert und damit auf einen bestimmten, „perfekten" Vertragsinhalt verpflichtete (vgl. zur ökonomietheoretischen Lehre vom vollständigen Vertrag Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, S.342ff.; Henssler, Risiko, S.23 m.w.N. in Fn. 1; Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 421 ff.), wäre die vertragliche Lücke begründbar. Dieses Verständnis entspricht nicht der hier vertretenen Position, siehe S. 66f., 72f., 78ff., 85f. Problematisch deshalb auch Medicus' Ansicht, es ginge nicht um eine Durchbrechung der Vertragstreue, sondern deren Konkretisierung (FS Flume I, S. 629, 631 f.; dagegen Singer, Selbstbestimmung, S.224 m. Fußn. 84). Das setzt einen entsprechenden Vertragsinhalt voraus, der gerade fehlt. 171

Singer, Selbstbestimmung, S.224f.

234

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

prinzipiell wie Treu und Glauben, Redlichkeit, 172 Unzumutbarkeit, 173 „Opfergrenze" 174 bzw. - konkreter - auf Risikoprinzipien wie Beherrschbarkeit, Absorbierbarkeit und Veranlassung des Risikos. 175 Im Unterschied zu allen Theorien über die Erstreckung der vertraglichen Einigung auf Wertungsgrundlagen, setzt diese Korrektur, wie immer im einzelnen ausgestaltet, objektiv an. Die Vorstellungen der Parteien zählen nicht, 176 entscheidend ist eine objektive, nach materialen Gerechtigkeitskriterien zu vollziehende Bewertung der Belastung, die eine Partei durch die Abweichung der Realität von ihren Wertungen erfährt. Nach unseren Überlegungen zum prozeduralen Gehalt der Gerechtigkeit und zum Verhältnis von Selbstbestimmung und materialer Gerechtigkeit 177 kommt der Verbesserung der Selbstbestimmung im Rahmen der vertraglichen Einigung ein natürlicher Vorrang vor Theorien zu, die auf die Herstellung objektiver Gerechtigkeit zielen. Der Erklärungsgegner würde dabei keineswegs zur Willenserforschung verpflichtet, denn nur die nach außen erkennbaren Wertungsgrundlagen wären zu beachten. Die Substituierung der klassischen Rechtsfolgentheorie durch eine die wesentlichen Wertungsgrundlagen umfassende Theorie des materiellen Geschäftswillens wäre ein denkbarer Schritt in diese Richtung. 6. Problematik

einer Theorie

des materiellen

Geschäftswillens

Eine radikale Theorie des materiellen Geschäftswillens müßte Wertungsgrundlagen der Parteien, so sie bei Vertragsschluß erkennbar waren, zum Leistungsinhalt (im Sinne der Gleichstellung) rechnen. So weit gehen aber selbst die schärfsten Kritiker der Theorie des Rechtsfolgewillens nicht. So meint Titze zwar, mit einem 172 Vgl. krit. Koller, Risikozurechnung, S.39; Staudinger//. Schmidt, BGB, 13. Bearb., §242 Rn. 1057. Zum Einwand des venire contra factum proprium Koller, Risikozurechnung, S. 30f. 173 Als Ausgangspunkt findet die Unzumutbarkeit in der Risikolehre Fikentschers Anklang (Geschäftsgrundlage, S. 30f., 35f.), aber auch bei Krückmann (AcP 131,1,69ff.); weiterhin Haarmann, Geschäftsgrundlage, S. 34ff.; Lembke, Vorhersehbarkeit, S.155ff.; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 36ff. In diese Richtung auch die Rechtsprechung des Reichsgerichts zur wirtschaftlichen Unmöglichkeit, etwa RGZ 88, 71, 74; 90,102,105; 92, 87, 88f. Im übrigen findet die Unzumutbarkeit auch im Rahmen der herrschenden Geschäftsgrundlagenlehre Beachtung als begrenzendes oder rechtsfolgensteuerndes Prinzip, vgl. MünchKomm/Äof^, BGB, 3. Aufl., §242 Rn. 540. 174 Heck, SchuldR, S.94f.; krit. Koller, Risikozurechnung, S.49ff.; Staudinger//. Schmidt, BGB, 13. Bearb., §242 Rn.1057. 175 Insbesondere Koller, Risikozurechnung, S. 77ff., der aber dem Partizipationsgedanken durchaus einen Anwendungsbereich erhält (a.a.O., S. 378ff.), insoweit im Anschluß an Ulmer, AcP 174,167, der ebenfalls zunächst Risikoprinzipien eine entscheidende Rolle beimißt (S. 180f. und passim), andererseits aber dem Partizipationsgedanken Rechnung trägt (S. 182, 190). Siehe auch Staudinger//. Schmidt, BGB, 13. Bearb., §242 Rn. 1058. Kritisch zu diesem Ansatz nicht ohne Grund Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 67, 73 f. 176 Allerdings wird von diversen Autoren die Partizipation an gegnerischen Vorstellungen als Wertungsaspekt bei der Konkretisierung des materialen Prinzips beachtet, vgl. etwa Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 58. 177 S. 78ff., 85f.

5 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

235

Vertrag verfolgten die Parteien nicht lediglich einen bestimmten rechtlichen Erfolg, sondern wirtschaftliche oder soziale Zwecke. Man kaufe etwa einen Ring nicht, um Eigentümer desselben zu sein, sondern um ihn tatsächlich zu besitzen oder ihn jemand anders zur Verlobung zu schenken, und es sei verfehlt, diese Zwecke aus dem Geschäftswillen auszugrenzen.178 Ahnlich rechnet Rothoeft vergangene, gegenwärtige und künftige Umstände und die Folgen des rechtsgeschäftlichen Handelns zum Geschäftswillen.179 Die Zitelmannsche Unterscheidung sei ein „Kunstgriff", deren Unnatürlichkeit durch die Hilfskategorie der Geschäftsgrundlage wieder korrigiert werde.180 Vertragsinhalt sei alles, was für die sinnvolle Verwirklichung des beiderseitigen Zweckstrebens erforderlich und damit in rechtlicher Hinsicht beachtlich sei.181 Indessen kann die Erweiterung des Geschäftswillens am Ende nicht durchgehalten werden. Die Erkennbarkeit der Wertungsgrundlagen mag von Bedeutung für den Bestand des Vertrages oder des Vertragsinhalts sein können. Eine (Quasi-) Leistungsverantwortlichkeit des Kontrahenten, die diesen zum Ersatz des Nichterfüllungsschadens verpflichten könnte,182 ist aus diesem Tatbestand nicht abzuleiten. Das sehen auch die Befürworter der Geschäftwillenstheorie ein. So steuert Titze zu weitreichenden Konsequenzen mit einer „Auslegung" des erklärungsrelevanten Verhaltens, die das Zweckverwirklichungsrisiko dem Gläubiger der Sachleistung zuweist.183 Auch bei Rothoeft ist der Inhalt des Geschäftswillens nicht gleichzusetzen mit (Quasi-)Leistungsinhalt. Neben den (Leistungs-)Pflichten, also dem Einstehenmüssen einer Partei für einen bestimmten Umstand, gebe es Umstände, die eine „schlichte Sollbeschaffenheit" hätten. Abweichungen von dieser Sollbeschaffenheit führten zur Anpassung des Vertrages im Wege der ergänzenden Auslegung oder zu dessen Beendigung (gemäß §119 Abs. 1 B G B ) mit der Folge eines Vermögensausgleichs.184 Dies ist das Eingeständnis, daß es sich um einen vom Rechtsfolgewillen grundverschiedenen Vorgang handelt und daß die Unterscheidung Zitelmanns 178 Titze, FS Heymann Bd. II (1940), S. 72,92ff. Ähnlich, wenn nicht identisch die Vorstellung, der Eigenschaftsirrtum des §119 Abs. 2 BGB sei ein Inhaltsirrtum (siehe nur Schmidt-Rimpler, FS Lehmann, S.213ff.; weitere Nachweise bei Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §36 Fn.25). Titze knüpft an die Grundfolgentheorie an, aber es wäre unzutreffend, seine Theorie als deren konsequente oder auch nur legitime Fortsetzung zu betrachten. Denn eigentlich geht es den Vertretern der Grundfolgentheorie um nicht mehr als eine lebensnahe Erfassung des Geschäftswillens, ohne dabei dessen - rechtliche - Begrenzung auf den Haupterfolg aufzugeben; beispielhaft die Ausführungen von Danz, Auslegung, S. 6ff. 179 Rothoeft, System der Irrtumslehre, S.8ff., 10, lOOff., 111 ff.; ders. AcP 170, 230, 237; auch Brox, Irrtumsanfechtung, S. 188f., hat offenbar die Vorstellung, Vorstellungen oder Wertungen könnten Vertragsgegenstand werden, ohne geschuldet bzw. quasi-geschuldet zu sein. 180 Rothoeft, AcP 170, 230, 232f.; ders., System der Irrtumslehre, S. 110. 181 Rothoeft, AcP 170, 230, 237. 182 Dies käme in Betracht, wenn der leistungsverantwortliche Kontrahent die vorhandene oder drohende Störung hätte erkennen müssen. 183 Zum Brotkorbfall Titze, FS Heymann Bd. II (1940), S.72, 99f. 184 Rothoeft, System der Irrtumslehre, S. 17f., 104, l l l f . ; 227ff.; ders., AcP 170, 230, 235; kritisch Goltz, Eigenschaftsirrtum, S. 222.

236

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der Verständigung

eben doch einen Gerechtigkeitswert hat.185 Diesem Unterschied sollte dann allerdings auch die Begriffsbildung Rechnung tragen, sieht man ihren wissenschaftlichen Sinn darin, gemeinsame Aussagen über eine durch den Begriff zur Einheit zusammengefaßte Vielzahl von Phänomenen zu ermöglichen.186 Ein materieller, Rechtsfolgewillen und Wertungsgrundlagen umfassender Begriff des Geschäftswillens tut dies nicht. Er hat sich deshalb zu Recht nicht durchsetzen können.

II. D i e Geschäftsgrundlage als zweite Ebene der Willenseinigung Eingang können Wertungsgrundlagen als solche in den Vertrag daher nur finden, wenn unterhalb der rechtsgeschäftlichen Einigung eine zweite Ebene der Willensübereinstimmung rechtliche Anerkennung findet: die Ubereinstimmung der Wertungsgrundlagen. Es war Oertmann, der mit der (subjektiven) Geschäftsgrundlage187 diese zweite Ebene der Willensgemeinsamkeit unterhalb des Rechtsfolgewillens schuf und damit jenes Fenster öffnete, durch das Windscheids „Voraussetzung" - wie von ihm prophezeit - wieder herein kam, nachdem sie von seinen Gegnern „zur Thüre hinausgeworfen" worden war.188 Geschäftsgrundlage ist danach „die beim Geschäftsschluß zutage tretende und vom etwaigen Gegner in ihrer Bedeutung erkannte und nicht beanstandete Vorstellung eines Beteiligten oder die gemeinsame Vorstellung der mehreren Beteiligten vom Sein oder vom Eintritt gewisser Umstände, auf deren Grundlage der Geschäftswille sich auf-

185 Singer, Selbstbestimmung, S. 241 ff.; St. Lorenz, Schutz, S.280f.; siehe ferner zur Kritik an Titze Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 27f.; Brox, Irrtumsanfechtung, S. 55 ff. 186 Adomeit, Gestaltungsrechte, S. 8. 187 Der Begriff „subjektiv" bezeichnet die willenstheoretische Ausrichtung der Geschäftsgrundlage bei Oertmann und meint daher anderes als in der Unterscheidung zwischen subjektiver und objektiver Geschäftsgrundlage bei Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S. 171 f. (dazu Medicus, AT, 7. Aufl., Rn. 860). Larenz beschränkt die subjektive Grundlage auf den beiderseitigen Motivirrtum. Das entspricht nicht dem heute vorherrschenden normativen Verständnis der subjektiven Geschäftsgrundlage. Dazu noch im folgenden. Auf einige Wurzeln oder zumindest Vorläufer der Geschäftsgrundlagenlehre in der gemeinrechtlichen clausula rebus sie stantibus (vgl. Haupt, Lehre vom Irrtum, S.8 m.w.N.), der naturrechtlichen Voraussetzungslehre von Grotius (De iure belli ac pacis II 11.6.2 , III 23.4) oder Pufendorf (De iure naturae et gentium lib. II, XI 6) und in naturrechtlich beeinflußten Gesetzbüchern (etwa PrALR I 5 §§377 - 384) kann hier nur hingewiesen werden. 188 Windscheid, AcP 78, S. 161,197; etwas anders in der Wertung Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey (60. Geb.), S. 1,13. Die von Lenel (AcP 74,213ff.; AcP 79,49ff.) angeführte Kritik an Windscheid hatte „objektive" Lehren hervorgebracht, die Begrenzungen der Vertragsbindung aus einem objektiven Vertragsszweck/Vertragssinn ableiteten (siehe die Darstellung bei Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S.3ff.; Dießelhorst, Geschäftsgrundlage, S. 153ff.), der sich nicht auf den gemeinsamen Parteiwillen gründete, sondern auf einen „immanenten" Zusammenhang, letztlich also auf eine Gerechtigkeitswertung. Zum Teil wurde auch der Zumutbarkeitsgedanke bemüht (vgl. auch Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S. 13,17).

5 3 Informationspflichten

zur Verständigung

über die Grundlagen

des Vertrages

237

baut". 1 8 9 Die Rechtsprechung und ein erheblicher Teil der Literatur haben diese Lehre übernommen und fortentwickelt. Danach besteht die Geschäftsgrundlage aus den „nicht zum eigentlichen Vertragsinhalt erhobenen, aber beim Vertragsschluß zutage getretenen, dem Geschäftspartner erkennbaren und von ihm nicht beanstandeten Vorstellungen des einen Vertragsteils oder den gemeinsamen Vorstellungen beider Teile v o m Vorhandensein oder künftigen Eintritt gewisser U m stände, sofern der Geschäftswille auf diesen Vorstellungen aufbaut". 1 9 0 In dieselbe Richtung gehen Vorschläge, das Anfechtungsrecht aus § 1 1 9 Abs. 2 B G B auf Fälle zu erweitern, in denen der Irrtum einer Partei oder zumindest ihre Vorstellungen über wesentliche Sachverhaltsumstände f ü r den Gegner erkennbar waren. 1 9 1 Die Geschäftsgrundlagenlehre sieht sich nach wie v o r grundsätzlichen Einwänden ausgesetzt. Es wird bestritten, daß es zwischen Vertragsabrede und einseitiger Fehlvorstellung einen privatautonomen Geltungsgrund minderer Qualität gebe. 192 Einen Aussagewert habe die Geschäftsgrundlagenlehre nicht; letztlich w e r d e auch auf der Basis dieser Lehre nach objektiven Prinzipien (Unzumutbarkeit, Gefahrenbeherrschung usw.) über die Frage entschieden, w e r das Risiko der Wirklichkeitsabweichung zu tragen habe. 1 9 3 Zweifellos kommt die G e schäftsgrundlagenlehre nicht ohne ergänzende materiale (objektive) Prinzipien aus, die insbesondere die Rechtsfolgenbestimmung beeinflussen können. 1 9 4 A b e r 189 Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 37; auch Locher; AcP 121, 1 ff., verwendet den Begriff der Geschäftsgrundlage. 190 Im Anschluß an Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 37: RGZ 103, 328, 332; 168,121,126f.; BGHZ 25, 390, 392; BGH LM Nr. 18, 39, 54, 91 zu §242 BGB (Bb); BGH NJW 1997, 320, 323 (nicht nachvollziehbar Wieackers Statement [FS Wilburg, 229, 230], die Rechtsprechung binde sich an keine dogmatische Formel der GG); MünchKomm/i?ot&, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.496ff.; Soergel/Siebert/Knopp, BGB, 10. Aufl., §242 Rn.387ff.; RGRK/Aljf, BGB, 12. Aufl., §242 Rn. 52ff.; Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl., §242 Rn. 113; Erman/Werner, BGB, 9. Aufl., §242 Rn. 166ff.; Larenz/Wolf AT, 8. Aufl., §38 Rn. 11; Medicus, AT, 7. Aufl., Rn. 857ff., 876a; Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Aufl., §41 II 4, S. 179; grundsätzlich auch Hübner, AT, 2. Aufl., Rn. 1107ff. Die Geschäftsgrundlagenlehre dürfte herrschende Meinung sein, vgl. Fikentscher, SchuldR, 9. Aufl., Rn. 175. Auf geringen Beifall ist Flumes Ansicht (Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §26 [5], S.507ff. und §26 [7], S.525ff.; ebenso Goltz, Motivirrtum, S. 167ff., 210ff., 228ff.) gestoßen, die meisten der hier interessierenden Fälle ließen sich durch Vertragsauslegung oder mit den gesetzlichen Leistungsstörungsregelungen lösen; zur Kritik siehe Larenz/ Wolf, AT, 8. Aufl., §38 Rn. 9f., Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S.25ff., und im übrigen die Ausführungen oben S.226f., 227ff. 191 MünchKomm/Krämer, BGB, 3. Aufl., §119 Rn.97ff.; Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 102ff.; Rothoeft, AcP 170, 237ff.; Henssler, Risiko, S.36f.; siehe auch Kegel, AcP 150, 356, 361; Brox, Irrtumsanfechtung, S. 69ff. Zur Relevanz des „erkennbaren Irrtums" in anderen Rechtsordnungen Kötz, Vertragsrecht, S. 286ff. 192 Häsemeyer, FS Weitnauer, S. 67, 71; Huber, JuS 1972, 57, 65; ferner Brox, Irrtumsanfechtung, S. 75. 193 Beispielhaft SoergeVTeichmann, BGB, 12. Aufl., §242 Rn.238; vgl. auch Haarmann, Geschäftsgrundlage, S.23f.; Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S.26f. Freilich wird umgekehrt die Gemeinsamkeit der Wertungsgrundlage zur Konkretisierung objektiver Prinzipien, etwa der Unzumtbarkeit, herangezogen, vgl. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S.58. 194 Vgl. Häsemeyer, FS Weitnauer, S.67, 68f., dessen negative Schlußfolgerungen für einen

238

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

das ändert nichts am prinzipiellen Unterschied zu materialen Risikoverteilungstheorien. Objektive bzw. materiale Risikoverteilungstheorien sehen das Gesetz nur in bezug auf die Willensbildung und den für sie geltenden Maßstab der formellen Selbstbestimmungsfähigkeit als ergänzungsbedürftig an. Sie versuchen den Verkehrsteilnehmer von unerkennbaren Wirklichkeitsrisiken, die zu tragen ihm die formale Selbstbestimmungsfähigkeit zuweist, zu entlasten. Die Geschäftsgrundlagenlehre sieht den Korrekturbedarf bei der Regelung der Willenseinigung, deren Formalität in der Beschränkung auf den Rechtsfolgewillen und in der Ausblendung der Wertungsgrundlagen besteht. Ihr käme ein eigenständiger Aussagewert zu, ginge sie über eine Verteilung der Wirklichkeitsrisiken nach materialen Prinzipien hinaus. Der Unterscheidung von Willensbildung und Willenseinigung entsprechend kann die Geschäftsgrundlage nicht als Gegensatz zu materialen Risikoverteilungstheorien gedacht werden, sondern steht zu ihnen in einem komplementären Verhältnis. Deshalb und im Hinblick auf unsere Themenstellung soll hier nicht die Überlegenheit der Geschäftsgrundlagenlehre über „objektive" Risikoverteilungstheorien behauptet und begründet werden, sondern nur ihr eigenständiger Gehalt und ihre Berechtigung neben etwaigen materialen Risikoverteilungsprinzipien.195 Damit wäre die Basis für eine Erweiterung der Verständigungspflicht geschaffen und damit wiederum der Ausgangspunkt für eine verständigungstheoretische Legitimation vorvertraglicher Informationspflichten über Wertungsgrundlagen. Im Anschluß an Schmidt-Rimpler196 wird im folgenden die Partei, die sich auf das Fehlen der Geschäftsgrundlage beruft, als clausula-Interessent, die andere, die am Vertrag festhalten will, als clausula-Gegner bezeichnet.

subjektiven Ansatz nicht geteilt werden. Irrelevant dürfte letztlich sein, ob der subjektive Ansatz als eigenständiger neben dem objektiven gedacht wird oder als in den letzteren eingebunden (so z.B. Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 58, der die Gemeinsamkeit von Wertungen als Element zur Bestimmung der Unzumutbarkeit betrachtet). Daß die Geschäftsgrundlage nicht alle Fälle erfaßt (vor allem, wenn die Realitätsabweichung im höchstpersönlichen Bereich liegt und dem Vertragspartner deshalb verschlossen geblieben ist, z.B. Leistungsverweigerung aus Gewissensgründen, vgl. Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S. 36f.; siehe auch Haarmann, Geschäftsgrundlage, S.25), macht sie ergänzungsbedürftig, aber nicht bedeutungslos. 195 Insoweit ist in Ubereinstimmung mitJ. Schmidt von einer Dualität der Problemlagen und Problemlösungen auszugehen (vgl. Staudinger, B G B , 13. Bearb., wo Schmidt einen Teil der Problematik dem Irrtumsrecht zuordnet und über eine Erweiterung des Irtumsrechts löst [§242 Rn.373, 374ff.] und einen Teil der Probleme im Leistungsstörungsrecht und dessen Ergänzung sieht [§ 242 Rn. 942ff.]. So auch die konsolidierte Fassung des Diskussionsentwurfs eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesministers der Justiz [vom 6.3. 2001] in §275 Abs.2 und in § 313). Im Gegensatz zu Schmidt wird hier die subjektiv-normative Geschäftsgrundlagenlehre einer Erweiterung des Irrtumsrechts vorgezogen. Dazu noch weiter im Text. 196 FS Nipperdey (60. Geb.), S. 1, 3.

§ 3 Informationspflichten

1. Die Gemeinsamkeit

zur Verständigung

der

über die Grundlagen

des Vertrages

239

Wertungsgrundlagen

Der normative Gehalt übereinstimmender Wertungsgrundlagen zeigt sich am deutlichsten im Falle der tatsächlichen Ubereinstimmung, dem gemeinsamen Sachverhaltsirrtum - Paradigma der subjektiven Geschäftsgrundlage.197 Die Geschäftsgrundlagenlehre lockert die Bindung des formalen Vertragsrechts zugunsten des materiellen Willens. Diese Lockerung begünstigt den, dessen Wertungen enttäuscht wurden und der infolgedessen Nachteile erleidet. Die Interessen des Kontrahenten, der auf den Bestand des Vertrages unabhängig von jener Wirklichkeitsabweichung vertraut, sprechen gegen diese Lockerung. Das ist anders, wenn der Kontrahent jene Wertungen teilt und sein „wirklicher Wille" mit dem des Kontrahenten identisch ist. Es ist dies die Essenz der (subjektiven) Geschäftsgrundlagenlehre,198 daß sie aus jenen Wertungsgrundlagen besteht, die von beiden Parteien geteilt werden und die bestimmende Bedeutung für beider Geschäftswillen hat.199 In solchem Falle hat die formale Vertragsbindung ihren Sinn verloren, sie wird dem Interesse weder der einen noch der anderen Partei gerecht. Ein schutzbedürftiges Vertrauen in den Bestand des Vertrages existiert nicht. Die tatsächliche Ubereinstimmung des materiellen Willens legitimiert die Auflösung des Vertrages, ggf. seine Anpassung an eine andere gemeinsame Interessenlage, ohne daß es objektiver Wertungen bedürfte. Dergleichen wird bei einem gegenseitigen Vertrag selten sein, ausgeschlossen ist es nicht.200 Diese Wertung trägt entgegen Larenz201 nicht nur bei aktuellen Bewußtseinsinhalten. Abgesehen davon, daß die Abgrenzung ihre Schwierigkeiten hat, weil die fehlende Vorstellung bezüglich künftiger Entwicklungen (z.B. Geldentwertung) durchaus als aktuelle Vorstellung vom status quo gedeutet werden kann,202 ist nicht der Bewußtseinsstatus einer Tatsache entscheidend, sondern ihre motivato-

197

Henssler, Risiko, S.38. Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §38 Rn.5, 7; vgl. auch Brox, Irrtumsanfechtung, S. 181. 199 Diese beiden Elemente der Gemeinsamkeit werden nicht immer genügend unterschieden, siehe etwa Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §38 Rn.3; deutlich aber die Rechtsprechung B G H LM §242 BGB (Bb) Nr. 12, 36 („in ihrer Bedeutung erkannte Vorstellung"); B G H Z 25, 390; B G H N J W 1965, 438; Henssler, Risiko, S.38f. 2 0 0 Siehe etwa B G H J Z 1966,409, w o auch der Verkäufer eines Fertighauses den Vertrag nicht geschlossen hätte, wäre er nicht von der Durchführbarkeit des Baus an einem bestimmten Standort überzeugt gewesen; wohl auch B G H Z 25, 390. 201 Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S. 184. Oertmanns Lehre ist vor allem deshalb immer wieder angegriffen worden, weil sie gerade die dringendsten Fälle der Geschäftsgrundlagenlehre - die unvorhersehbaren und deshalb nicht bewußten Entwicklungen - nicht erfassen könne (siehe nur Brox, Irrtumsanfechtung, S. 76; Koller, Risikozurechnung, S. 19). Oertmann meinte bezüglich des Fortbestandes gewisser Umstände von einer abgeblaßten Form der Vorstellung sprechen zu können (Geschäftsgrundlage, S. 37; dagegen Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S. 9f.). 2 0 2 MünchKomm/j?ot/?, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.531; krit. auch - allerdings aus seiner amZumutbarkeitsgedanken orientierten Perspektive - Fikentscher, Geschäftsgrundlage, S.42; ders., SchuldR, 9. Aufl., Rn. 170ff. 174ff. 198

240

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung der Verständigung

rische Kraft. 2 0 3 Sie liegt gerade dann vor, wenn den Parteien das Bestehen einer Tatsache ganz selbstverständlich erscheint, etwa, daß es keine erheblichen Leistungserschwerungen ( z . B . durch Katastrophen) gibt oder daß ein von einem anderen Verein erworbener Bundesligaspieler nicht in einen Bestechungsskandal verwikkelt ist, der seine Spiellizenz bedroht. 2 0 4 Sie ist, anders formuliert, nur ausgeschlossen, wenn die Partei die Sachlage richtig eingeschätzt hat. 2 0 5 D i e Geschäftserheblichkeit ist daran zu messen, daß die Partei bei Kenntnis des betreffenden U m s t a n des den Vertrag nicht oder nicht so geschlossen haben würde - wie b e i m Irrtum in § 119 Abs. 2 B G B . 2 0 6 N i c h t bewußte Vorstellungen werden sich im Zweifel anhand der Parteiinteressen ermitteln lassen. 2 0 7 D i e Gemeinsamkeit

der

Wertungsgrund-

lagen ist die legitimatorische Basis für Eingriffe in den formell korrekten Vertrag. D i e Gemeinsamkeit kann auch eine Gemeinsamkeit der Interessen sein. Gemeinsamkeit der Wertungsgrundlagen kann es nicht nur bezüglich gegenwärtiger und vergangener Umstände geben, sondern auch im H i n b l i c k auf künftige Tatsachen. 2 0 8 D i e strikte Trennung dieser Fallgruppen, wie sie etwa von Wieacker209

und jüngst wieder von J. Schmidt210

und Henssler2n

in Anlehnung an das

Irrtumsrecht vertreten wird, überzeugt nicht. G e w i ß wird man bei künftigen Entwicklungen eher mit Unvorhersehbarem zu tun haben, wird es eher an k o n kreten Vorstellungen der Parteien fehlen, wird man tendenziell nur bei größeren Störungen zur Vertragsanpassung oder -aufhebung k o m m e n . A b e r das sind nur graduelle Unterschiede. O b der Krönungszug bereits bei Vertragsschluß abgesagt war oder erst zehn Minuten später abgesagt wurde, ist für den Mietvertrag über den Fensterplatz von gleicher Bedeutung. E s macht bei der Anmietung eines G e schäftsraumes in einer Ladenpassage keinen Unterschied, ob sich die Erwartung des Mieters darauf richtet, daß die anderen Lokale in der Passage bereits vermietet sind oder in absehbarer Zeit n o c h vermietet werden. 2 1 2 Beide Vorstellungsinhalte k ö n n e n unabhängig davon geschäftlich relevant sein, wenn sie mitgeteilt werden oder sonstwie erkennbar sind. G e w i ß werden zukünftige Entwicklungen häufiger nicht erkennbar sein als gegenwärtige Umstände. A b e r insoweit verläuft die 203 Im Ergebnis ebenso Brox, Irrtumsanfechtung, S. 83, 85, 180; MünchKomm/ÄotÄ, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.531; Fikentscher; Geschäftsgrundlage, S.42f.; Singer; Selbstbestimmung, S.222; Medicus, AT, 7. Aufl., Rn. 860, hebt zutreffend hervor, es gehe darum, jene Fälle auszuschließen, in denen die Tatsachen richtig eingeschätzt worden seien. 204 Vgl. BGH NJW 1976, 565. 205 Medicus, AT, 7. Aufl., Rn. 860. 206 Vgl. § 119 Abs. 1,2. Halbsatz; dazu Staudinger/Dilcher, BGB, 12. Aufl., § 119 Rn. 1 m. w.N. 207 Vgl. BGH LM §242 BGB (Bb) Nr. 54. 208 Etwa MünchKommARoi6, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.533; Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §38 Rn. 15. Für eine einheitliche Behandlung auch Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 19f. 209 FS Wilburg, S.229, 238, 242; ebenso Stötter, AcP 166, 149, 165f., 175ff. 210 Staudinger, BGB, 13. Bearb., §242 Rn.374ff. 211 Risiko, S.29ff. 212 Vgl. den Sachverhalt OLG Koblenz NJW-RR 1989, 400; Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §38 Rn.30.

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung

über die Grundlagen

des Vertrages

241

entscheidende Trennlinie nicht zwischen „künftig" und „gegenwärtig", sondern zwischen erkennbar (vorhersehbar) und unerkennbar (unvorhersehbar). Die Ineinssetzung von „Gegenwärtigkeit" mit „Erkennbarkeit" und „Zukünftigkeit" mit „Unerkennbarkeit" 213 überzeugt nicht. 2. Vom gemeinsamen

Irrtum zur subjektiv-normativen

Geschäftsgrundlage

Die Relevanz des beiderseitigen Motivirrtums ist praktisch allgemein akzeptiert. Kritik kommt aber auf gegen die normative Erweiterung des willenstheoretischen Ansatzes. Die „Gemeinsamkeit" der Wertungsgrundlage könne nicht durch Zurechnung gegnerischer Vorstellungen und Wertungen begründet werden, heißt es. Einseitige Wertungen blieben einseitig, auch wenn sie dem Gegner erkennbar waren oder von ihm sogar erkannt wurden.214 Warum, hält Larenz der Oertmannschen Formel entgegen, sollte der Verkäufer des Verlobungsrings dem ihm bekannten Verwendungszweck des Käufers widersprechen?215 Die einseitige Erwähnung genüge nicht, das Geschäft zu Fall zu bringen, so KegeP16 und Schmidt213 Tendenziell etwa Staudinger//. Schmidt, BGB, 13. Bearb., §242 Rn. 377f., der der „prinzipiell vollen Aufklärbarkeit" des Gegenwärtigen und der „prinzipiell nicht vollen Aufklärbarkeit des Zukünftigen" eine entsprechende Zweiteilung der rechtlichen Problemlösung folgen läßt: hier die Ergänzung des objektiven Leistungsstörungsrechts, dort die Erweiterung des Irrtumsrechts (vgl. a.a.O., Rn.434f.). 214 Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S. 8f., 184; Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey (60. Geb.), S. 1, 22; Wieacker, FS Wilhurg, S.229, 237; Esser/Schmidt, SchuldR 1/2, 7. Aufl., §24 I 2, S. 36. Eine tatsächliche Willensübereinstimmung verlangt offenbar auch Singer, Selbstbestimmung, S. 228, 234. 215 Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S. 8; ebenso Brox, Irrtumsanfechtung, S. 77f. Im übrigen verzichtet Larenz keineswegs auf eine normative Festlegung der „Gemeinsamkeit". Wie ausgeführt, muß Gemeinsamkeit nicht nur hinsichtlich der Wertungsgrundlage vorliegen, sondern auch im Hinblick auf ihre Erheblichkeit für den rechtsgeschäftlichen Willen. Man muß sagen können, daß bei Kenntnis der Wirklichkeit, die Willenserklärung nicht abgegeben worden wäre. In den meisten gegenseitigen Verträgen wirkt sich die fehlerhafte Wertung nur zu Lasten einer Partei aus. Am Tageskursfall verdeutlicht: Nehmen beide Seiten den Tageskurs mit 200 an, während er in Wirklichkeit 300 beträgt, dann beruht (typischerweise) der Vertragsentschluß des Verkäufers auf der Annahme, der Kurs sei nicht höher als 200 und der des Käufers darauf, der Kurs liege nicht unter 200. Bei Kenntnis des richtigen Kurses hätte zwar der Verkäufer nicht den Vertrag geschlossen, sehr wohl aber der Käufer. Larenz erwidert auf diesen Einwand, der Käufer hätte dem Verkäufer einen Kauf zu 200 redlicherweise nicht ansinnen können; in diesem Sinne sei der Umstand auch für seinen Geschäftswillen erheblich gewesen (a.a.O., S. 163, 184; siehe auch Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey [60. Geb.] S. 10f.). Aber das ist eben - wie Larenz nicht verkennt - eine dem Käufer zugerechnete Motivlage, nicht seine wirkliche (anders Schmidt-Rimpler a.a.O., S. lOf. und passim, der aber mit dem Begriff der Wertung großzügiger ist). Genauso liegt der Krönungszugfall (vgl. Larenz a.a.O., S. 163): Zwar haben Vermieter und Mieter die Vorstellung, der Krönungszug werde stattfinden. Aber nur der Mieter würde auf den Vertragsschluß verzichtet haben, hätte er von der Absage des Zuges gewußt. Dem Vermieter ist das typischerweise gleich, er möchte so oder so sein Geschäft machen (anders Brox, Irrtumsanfechtung, S. 182). Daß er ohne die Ankündigung des Krönungszugs das Zimmer gar nicht angeboten hätte, ist unerheblich. Entscheidend ist die Willenslage bei Abschluß des Vertrages. 216 Kegel, Gutachten, S.156.

242

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

Rimpler.217 Koller sieht das Vertrauen in den Bestand der Willenserklärung und des Vertrages ausgehöhlt.218 E. Schmidt meint, die Geschäftsgrundlagenlehre gehe von Gemeinschaftlichkeitsannahmen aus, die weder der Realität entsprächen noch normativ zu begründen seien.219 Und St. Lorenz hält dafür, der Gegner dürfe auf den Bestand des (formalen) Vertrages vertrauen, und zwar aus rechtspolitischen (Verkehrssicherheit) wie rechtsethischen (gegebenes Wort) Gründen. 220 Die bloße Kenntnis oder Erkennbarkeit eines Motivirrtums genüge nicht, dieses Vertrauen zu erschüttern.221 Diese Kritik reduziert das Zurechnungspotential der subjektiven Geschäftsgrundlage auf die Kenntnisnahme fremder Wertungsgrundlagen.222 Sie nimmt den willenstheoretischen Sinngehalt der Geschäftsgrundlage nicht ernst. Die Geschäftsgrundlage Oertmanns ist als zweite Ebene der Willenseinigung gedacht, und folglich soll die Willensübereinstimmung analog zu den Regeln der rechtsgeschäftlichen Einigung erzielt werden können: dadurch, daß die eine Partei den Vorstellungen der anderen Seite und ihrer Geschäftserheblichkeit zustimmt, sich auf diese Vorstellungen als Grundlage des Vertrages einläßt. Und wie bei der rechtsgeschäftlichen Einigung soll die Zustimmung auch normativ begründet werden können - mit der Annahme des auf einer erkennbaren Wertungsgrundlage stehenden Angebots. Oertmanns Formel, zur Geschäftsgrundlage gehörten jene Vorstellungen einer Partei, der die andere Seite „nicht widersprochen" habe, beschreibt, wenn auch unvollkommen,223 diese normativ begründete Einigung. Und es ist eine Frage der Verteilung der Erklärungslasten nach Verkehrsüblichkeiten, nach Empfängerhorizonten, ob und inwieweit die Mitteilung bestimmter Wertungen als geschäftserheblich verstanden werden muß. Es ist also keineswegs so, daß jede erwähnte Tatsache kraft ihrer Erwähnung in die Geschäftsgrundlage einginge. So wie normativ darüber zu entscheiden ist, ob eine Äußerung als Erklärung eines Rechtsfolgewillens zu verstehen ist, kann - etwa anhand des Gewichts der Interessen und der jeweiligen Erklärungssituation - darüber befunden werden, ob eine Mitteilung geschäftlich erheblich im Sinne der Geschäftsgrundlage ist. Die Zurechnung gegnerischer Wertungsgrundlagen basiert allein auf dieser Schmidt-Rimpler, FS Nipperdey (60. Geb.), S. 1, 22. Koller, Risikozurechnung, S.22. 219 Esser/Schmidt, SchuldR 1/2,7. Aufl., § 24 12a, S. 36; andererseits hält Schmidt die Vertragsauslegung für durchaus geeignet, den sich aus der Fehleinschätzung der Wirklichkeit ergebenden Problemen beizukommen (a.a.O., S.38). 220 Schutz, S.280, 281, insoweit im Anschluß an Singer; Selbstbestimmung, S.244. 221 St. Lorenz, Schutz, S.282. 222 Das gilt auch für jene Autoren, die das Anfechtungsrecht aus § 119 Abs. 2 BGB auf „erkennbare Vorstellungen" (Staudinger//. Schmidt, BGB, 13. Bearb., §242 Rn.421; Henssler, Risiko, S.36f.) oder offensichtliche Irrtümer (MünchKomm/Äramer, BGB, 3. Aufl., §119 Rn.101) erstrecken wollen, die aber im Unterschied zu den im Text Genannten, in der Erkennbarkeit bzw. Offenkundigkeit des Irrtums für den Gegner ein genügendes Zurechnungspotential erblicken. 223 Unvollkommen, weil das Schweigen als beredt erscheint. In Warheit wird an die rechtsgeschäftliche Erklärung angeknüpft. 217 218

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

243

prozeduralen Pflicht zur Verständigung, nicht auf einer materialen Pflicht, sich auf die Vorstellungen des anderen inhaltlich einzulassen. Was die Parteien billigerweise vereinbart hätten oder worauf der Gegner sich billigerweise hätte einlassen müssen, kann bei der Rechtsfolgenbestimmung eine Rolle spielen, aber nur im Sinne einer Begrenzung des subjektiven Ansatzes, nicht seiner Legitimation. 224 Wer die Geschäftsgrundlagenlehre auswerten will, muß sich mit diesem Modell einer zweiten, normativ begründeten Willenseinigung auseinandersetzen. 3. Die Geschäftsgrundlage

als Ergebnis

einer geschäftsähnlichen

Einigung

a) Bestimmung der Geschäftserheblichkeit als Gegenstand. Selbstbestimmung, verstanden als selbstbestimmte Folgenanordnung, ist nur im Rahmen des Rechtsgeschäfts möglich; außerhalb seiner Grenzen beruhen Rechtsfolgen stets auf objektivem (Gesetzes-oder Richter-)Recht. Damit fehlt scheinbar auch der Gegenstand für eine außerrechtsgeschäftliche Einigung. Aber dieses Bild ist zu sehr in schwarz und weiß gehalten, es fehlen die Zwischentöne für Abstufungen zwischen der Selbstbestimmung und dem objektiven Recht. Auch wenn die Rechtsfolgen objektiv festgelegt werden, kann doch der Grund für die Rechtsfolgenanordnung im gemeinsamen Wollen der Parteien liegen. Hier ist psychologisch wie normativ Platz für eine Einigung.225 Gegenstand der Einigung ist eine bestimmte Tatsache und ihre Erheblichkeit für den gemeinsamen Rechtsfolgewillen (Geschäftserheblichkeit).226 Ausgangspunkt der Einigung ist die, gegebenenfalls konkludente, Mitteilung der Wertungsgrundlage und deren Geschäftserheblichkeit durch eine Partei. Die Mitteilung zielt nicht auf einen bestimmten Rechtserfolg. Sie zielt auch nicht auf eine „negative" Rechtsfolge des Inhalts, daß das betreffende Wirklichkeitsrisiko nicht durch den Vertrag geregelt werden solle, also eine Regelungslücke bestehen solle („Ausklammerungstheorie").227 Abgesehen davon, daß die Regelungsbefugnis für eine solche Vereinbarung durchaus fraglich ist, entspricht dies nicht der Willenslage des Erklärenden, und zwar deshalb, weil die Parteien von der Richtigkeit ihrer Annahme ausgehen, mithin der für den Rechtsfolgewillen nötige Zweifel228 am Bestand der betreffenden Tatsachen fehlt.

224 Insoweit gegen Häsemeyers (FS Weitnauer, S. 67, 71, 72) Darstellung der subjektiven Geschäftsgrundlage. 225 Das wird auch von jenen Autoren der Sache nach anerkannt, denen zufolge Wertungsgrundlagen Vertragsinhalt sein können, ohne Leistungsinhalt zu sein. Dazu und zur Kritik daran folgend S.226ff., 234ff. 226 Beide Aspekte werden auch von der Rechtsprechung deutlich unterschieden, siehe Nachweise in Fn. 199. 227 So aber Ulmer, AcP 174,167,190; im Anschluß an ihn Koller, Risikozurechnung, S.380f., der aber durchaus zutreffend die „Ausklammerung" auf solche Fälle beschränkt wissen will, in denen den Parteien die Gefahr einer Realitätsabweichung bewußt ist. Allerdings darf man zweifeln, daß die von ihm angeführten Beispiele so liegen, dazu weiter im Text. 228 Siehe folgend S.227ff.

244

i. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

Im Altmetallfall229 veräußerte die Verkäuferin ihr Altmetall-Lager. Da ihr das Gewicht der Bestände unbekannt war, schätzten die Parteien die einzelnen Posten nach Eisenbahnwaggons, darunter einen Haufen Brockeneisen auf 40 Waggons. Auf Basis des Tageskurses wurde der Preis mit 35.700 DM errechnet. Bei nachträglichen Ermittlungen stellte die klagende Verkäuferin fest, daß die Menge etwa 80 Waggons ausmachte. Die Parteien haben hier nicht bewußt offen gelassen, ob ihre Schätzung zutrifft und welche Regelung im Falle eines Fehlers gelten soll. Hätten sie oder zumindest die Verkäuferin mit einer erheblichen Abweichung gerechnet, wäre für diesen Fall eine Regelung getroffen worden; die Vorhersehbarkeit des Irrtums ändert nichts an dieser Bewußtseinslage. Auch Verhandlungsökonomie 230 kann ein solches Verhalten nicht erklären: Man riskiert doch nicht nur um des Verhandlungsfriedens willen einen Verkauf zum halben Preis. Vielmehr gingen die Parteien von der ungefähren Richtigkeit ihrer Schätzung aus. 231 Und es ist diese Tatsache, die eine Korrektur des Vertrages legitimiert. Genauso liegt es in dem gleichfalls von Koller zitierten Lastenausgleichsfall,232 in dem der Käufer eines Grundstücks zusätzlich zum Kaufpreis die zukünftige Lastenausgleichsverpflichtung des Verkäufers übernahm. Beide Teile gingen davon aus, daß die Lastenausgleichsbelastung bei 160.000 bis 180.000 D M liegen könnte, während sie tatsächlich ca. 95.000 D M betrug. 233 Die Parteien sind sich einer gewissen Unsicherheit ihrer Schätzung bewußt gewesen, mit einer erheblichen Abweichung aber haben sie nicht gerechnet. Von einer „Ausklammerung", einer bewußten Negativregelung für den Fall einer erheblichen Abweichung kann keine Rede sein. Allein die Gemeinsamkeit der Fehlvorstellung gibt den Ausschlag für eine Korrektur des Vertrages. Der Gehalt der der Geschäftsgrundlage zugrunde liegenden Einigung besteht in der Verknüpfung des eigentlichen Rechtsfolgewillens, des Vertragsinhalts mit einer bestimmten Realität. Diese Verknüpfung ist von den Parteien nicht gestaltet, etwa zur Bedingung, aber doch so weit vorgegeben, daß sie eine Basis für die Korrektur des Vertrags durch objektives Recht bildet, daß sie den allgemeinen Korrekturansatz zur Verbesserung der materialen Selbstbestimmung im Vertragsrecht konkretisiert. In der Regel wird der Vertrag bei Abweichungen der Realität von der gemeinsamen Vorstellung angepaßt, gegebenenfalls aufgelöst werden müssen. Das Gewicht der Willensübereinstimmung für die Rechtsfolgenbestimmung hängt auch davon ab, ob die Gemeinsamkeit tatsächlich besteht oder nur das Ergebnis einer Zurechnung ist. Je stärker das normative Element, desto geringer das Gewicht der gemeinsamen Vorstellungen für die Folgenbestimmung und desto stärker können objektive Elemente zum Tragen kommen. Die subjekti229 230 231 232 233

RGZ 90, 268, von Koller, Risikozurechnung, S.381, als Beispiel genannt. So Koller, Risikozurechnung, S.381. Zutr. RGZ 90, 268, 270f. BGH NJW 1961, 1859. BGH NJW 1961, 1859.

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

245

ve Geschäftsgrundlage ist eine Kombination von subjektiv-normativ bestimmtem Tatbestand 234 und objektiv bestimmten Rechtsfolgen. b) Mitteilung der Wertungsgrundlage als geschäftsäbnliche Handlung. Subjektive Geschäftsgrundlage und die ihr zugrunde liegenden Handlungen fügen sich durchaus in die herkömmliche Dogmatik der Rechtshandlungen, wenn auch ihre rechtliche Zulässigkeit davon nicht abhinge. Die Mitteilung bestimmter Wertungen und deren Erheblichkeit für den Rechtsfolgewillen ist geschäftsähnliche Handlung, deren Charakteristik Flume treffend so beschreibt, daß, selbst wenn sie auf einen Erfolg gerichtet ist, ihre Rechtsfolge gerade nicht darin besteht, den erstrebten Erfolg eintreten zu lassen, sondern eine andere Rechtsfolge. 235 Allerdings knüpft die Rechtsfolge (Wertungsgrundlage wird zur Geschäftsgrundlage mit den daran anknüpfenden Folgen) bei der Geschäftsgrundlage nicht an die Mitteilung einer Partei an, sondern daran, daß der andere die Wertungsgrundlage teilt oder ihr zustimmt. Die Zustimmung kann ausdrücklich sein, meistens wird sie konkludent erfolgen: dadurch, daß der Kontrahent der ihm zugegangenen Willenserklärung nebst erkennbarer Wertungsgrundlage zustimmt, ohne einen Vorbehalt hinsichtlich der mitgeteilten Wertung zu erklären, sie im Sinne Oertmanns unwidersprochen zu lassen. Man kann von einer geschäftsähnlichen Einigung sprechen, die mit dem Vertrag die Zweiseitigkeit gemein hat, von ihm aber durch den fehlenden Rechtsfolgewillen geschieden ist. In letzterem liegt auch der Unterschied zur (stillschweigend vereinbarten) Bedingung, die einen rechtserfolgsbezogenen Willen erfordert. Die Verständigung über Wertungsgrundlagen spielt auch beim Eigenschaftsirrtum gemäß § 119 Abs. 2 B G B eine Rolle. Folgt man der Lehre vom Motivirrtum, liegt die Parallele auf der Hand. Nach verbreiteter Ansicht ist dabei die Verkehrswesentlichkeit einer Eigenschaft unter anderem davon abhängig, daß die Eigenschaft vom Irrenden seiner Willenserklärung zugrunde gelegt wurde und dies für den Gegner erkennbar war.236 Sie beruht also auf einem der Geschäftsgrundlage vergleichbaren Einigungsvorgang. Aber auch Flumes Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum 237 bestätigt die willenstheoretische Möglichkeit und Erheblichkeit der Einigung über Wertungsgrundlagen. Zwar ist sie hier auf Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §38 Rn.22. Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 9 (2 b), S. 113; zur Definition weiterhin Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §22 Rn.23; MünchKomm/Kramer, 3. Aufl., Vor § 116 Rn.34. 236 BGHZ 88, 240, 246; 16, 54, 57; RGZ 64, 266, 269. Siehe ferner unten zu Fn.249. 237 Flume, Eigenschaftsirrtum, S.69ff.; ders., Rechtsgeschäft, 4. Aufl., §24, S.472ff.; ferner etwa Staudinger/Di/c/ier, BGB, 12. Aufl., § 119 Rn.45ff.; weitere Nachweise bei Singer, Selbstbestimmung, S. 214 Fn. 26; MünchKomm//£ra»jer, BGB, 3. Aufl., § 119 Rn. 95. Zur Kritik Singer, Selbstbestimmung, S.214ff.; St. Lorenz, Schutz, S.300ff. Die Lehre vom geschäftlichen Eigenschaftsirrtum wird ebenso als herrschende Meinung bezeichnet (MünchKomm/Zframer, BGB, 3. Aufl., § 119 Rn. 95; Singer, Selbstbestimmung, S. 214 Fn. 26) wie die Lehre vom Motivirrtum (St. Lorenz, Schutz, S.295 m. Fn.491). 234

235

246

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

die Ebene der rechtsgeschäftlichen Einigung gehoben, erschöpft sich aber darin, daß der spätere Anfechtungsgegner bei Abgabe seiner Willenserklärung erkennen konnte, daß der Anfechtende die Eigenschaft als geschäftserheblich betrachtete. 238 Bei allen Unterschieden im übrigen bietet die Sachmängelgewährleistung des Kaufrechts (§459 Abs. 1 B G B ) eine weitere Parallele für die Verbindung von Verständigung und gesetzlich angeordneter Rechtsfolge, versteht man die dortige Seinsvereinbarung mit einem Teil der Lehre 239 und gelegentlichen Äußerungen der Rechtsprechung 240 nicht als rechtsgeschäftliche Einigung über den Leistungsinhalt. Ahnlich verhält es sich mit §3 Abs. 3 TeilzeitwohnrechteG. Die gesetzlich vorgeschriebenen Angaben des Veräußerers zum Objekt werden kraft Gesetzes Vertragsinhalt, d.h. an die Wissensmitteilung knüpft das Gesetz vertragsgleiche Rechtsfolgen. Eine andere Parallele besteht zur Haftung aus Vertrauen, fordert man für den haftungsbegründenden Tatbestand neben der vertrauensbegründenden Erklärung (Tatsachenmitteilung) einen „Vertrauenserweis" des Vertrauenden,241 d.h. daß dieser sein Vertrauen dem Vertrauenswerber bekundet. 242 In dieses Konzept der subjektiven Geschäftsgrundlage lassen sich die als besonders dringlich eingestuften Fälle der „fehlenden Vorstellung" integrieren, in denen eine Partei sich vom Vorliegen/Nichtvorliegen eines für sie wichtigen Seinsumstandes keine Vorstellung macht, meistens weil das Vorliegen/Nichtvorliegen als selbstverständlich erscheint. Daß auch fehlende Vorstellungen Wertungsgrundlage des Rechtsfolgewillens sein können, wurde soeben dargelegt.243 So mögen im Bundesligaspielerfall die handelnden Vereinsorgane beim „Kauf" 244 des Spielers keinen Gedanken auf den Fortbestand seiner Spiellizenz verwenden; dennoch ist dieser Umstand für ihren Kaufentschluß von maßgeblicher Bedeutung. Diese Willenslage kann mit Abgabe der Willenserklärung konkludent vermittelt werden, ohne daß sie dem Erklärenden aktuell bewußt sein müßte, genauso wie die materielle Willenslage bzw. die Interessen des Erklärenden für die Auslegung seiner Willenserklärung 238 Flume, Eigenschaftsirrtum, S. 81 (zum Kaufvertrag); schemenhaft Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 24 (2 c), S. 479f.: eine ausdrückliche Einbeziehung der Eigenschaften sei nicht erforderlich, im übrigen entscheide der „Geschäftstyp"; siehe auch St. Lorenz, Schutz, S. 299. 239 Larenz, SchuldR II/l, 13. Aufl., §41 I b, S.44; krit. Staudinger///. Honseil, BGB, 13. Bearb., § 459 Rn. 57,134; SoergeV Huber, BGB, 12. Aufl., § 459 Rn. 69 Fn. 34. Beuthien, Zweckerreichung S.63. Siehe auch Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Bearb., §41 I, 5. 175; Wieacker, FS Wilburg, S. 229,243; BGH MDR1969,647; weitere Nachweise bei Beuthien, Zweckerreichung, S.63, Fn.304. Siehe ferner Canaris, ZGR 1982, 395, 396f. 240 RGZ 131, 343, 351 f.; BGH LM §459 BGB Nr. 10 (mit widersprüchlicher Begründung). 241 Wiegand, Sachwalterhaftung, S. 244ff., 260ff. 242 Der Unterschied zur Geschäftsgrundlage liegt darin, daß die Erklärung nicht bloß Mitteilung über eigene Vorstellungen, sondern Tatsachenbehauptung ist, auf die der andere sich verlassen können soll. 243 Oben S.239f. 244 Solche Transferzahlungen sind nach dem Bosman-Urteil des EuGH (EAS Art. 48 EGV Nr. 78) allenfalls eingeschränkt zulässig (zur Bedeutung der Entscheidung siehe Reuter, Anm. a.a.O.).

5 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

247

unabhängig davon erheblich sind, ob sie ihm bei Abgabe der Erklärung bewußt sind. Und für den Kontrahenten sind solche, nicht im Bewußtsein des Erklärenden befindlichen Wertungsgrundlagen und ihre Geschäftserheblichkeit erkennbar; die Erkennbarkeit hängt nicht davon ab, ob der Erklärende sich der Wertungsgrundlage bewußt ist. Im Bundesligaspielerfall ist für den „verkaufenden" Verein erkennbar, daß der „Käufer" den Spieler ohne den Fortbestand der Spiellizenz nicht erwerben würde, mag der „Käufer" auch nicht aktuell daran denken.245 Die Partei, deren wirklicher Wille nicht mit der normativ ermittelten Geschäftsgrundlage übereinstimmt, kann sich von ihr nicht durch Anfechtung lösen; denn die Geschäftsgrundlage bezweckt eine endgültige Zuordnung der Selbstbestimmung der beteiligten Parteien. c) Erheblichkeit der Mitteilung bei Erkennbarkeit. Die Antwort darauf, ob Wertungsgrundlagen nur dann in die Geschäftsgrundlage eingehen können, wenn der clausula-Gegner sie tatsächlich zur Kenntnis genommen hat oder ob die Erkennbarkeit genügt, ist durch die Subjektivierung und Individualisierung der vorvertraglichen Verständigung vorgezeichnet. Oertmann sah gerade in der tatsächlichen Kenntnisnahme den Unterschied der Geschäftsgrundlagenlehre zur Voraussetzungslehre Windscheids, dem die Erkennbarkeit der „Voraussetzung" (= Wertungsgrundlage) genügte, ihr Erheblichkeit für den Vertrag zuzubilligen.246 Indessen verstand Windscheid seine Voraussetzungslehre als rechtsgeschäftliche Konstruktion: die Erkennbarkeit der Voraussetzung sollte die Willenserklärung bzw. den Vertrag unter einen rechtsgeschäftlichen Vorbehalt setzen.247 Es sollte darin die Erklärung eines Rechtsfolgewillens liegen. Wie dem aber auch sei: Die Beschränkung der Geschäftsgrundlage auf tatsächlich zur Kenntnis genommene Wertungen verhielte sich nicht wertungskonsistent zur subjektiven Ausrichtung der rechtsgeschäftlichen Verständigung, die jede Partei verpflichtet, alle relevanten Umstände, darunter zuvörderst die Wertungen des anderen, als Teil des Erklärungstatbestandes zur Kenntnis zu nehmen, soweit sie erkennbar sind. Die Subjektivierung der rechtsgeschäftlichen Verständigung nimmt dem Konzept des Rechtsfolgewillens einiges von jener Uberzeugungskraft, die ihm in einem an objektiven Gehalten ausgerichteten Verständigungsrecht zukäme. Die Unterscheidung zwischen objektiv erklärtem Rechtsfolgewillen und unerheblichen Motiven tritt an jene zwischen erkennbaren Wertungen, die in die Erklärung integrierbar und solchen, die dies nicht sind. Die relative Wertungsschwäche dieser Unterscheidung soll durch die Geschäftsgrundlagenlehre abgemildert werden. Und dieser Aufgabe wird nur eine Geschäftsgrundlagenlehre gerecht, die die erkennbaren Wertungen aufnimmt. Das ist im Ergebnis der Standpunkt der überwiegen245 Vgl. BGH NJW 1976, 565, 566 (beide Parteien hätten dies als Selbstverständlichkeit betrachtet). 246 Oertmann, Geschäftsgrundlage, S.3, 33, 37. 247 Siehe S.227f.

248

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

den Literaturauffassung248 und der Rechtsprechung,249 hier auch auf praktische Gründe gestützt: Wer die Geschäftsgrundlage auf die Fälle der tatsächlichen Kenntnisnahme beschränke, gestatte den Parteien, sich den Vorstellungen der anderen Seite zu verschließen.250 Daß die Erkennbarkeit einer den Rechtsfolgewillen tragenden Wertung grundsätzlich wertungsrelevant sein kann und die vorgeschlagene Zurechnung rechtfertigt, wird durch die verbreitete Interpretation des §119 Abs. 2 B G B belegt, wonach die Verkehrswesentlichkeit einer Eigenschaft (auch) auf diesem Wege zu bestimmen ist.251 Rechtsvergleichend wird dies durch die vielen Rechtsordnungen bekannte Figur des erkennbaren Irrtums bestätigt, in der die Erkennbarkeit des Irrtums für den Gegner über die Erheblichkeit eines Motivirrtums entscheidet.252 Die Zustimmung zur erkennbaren Wertungsgrundlage der anderen Seite wird mangels besonderer Erklärung konkludent mit der eigentlichen Willenserklärung erklärt. Es ist nicht erforderlich, daß der Gegner auch die Fehlerhaftigkeit der Vorstellung erkennen konnte. Dieser Ansicht ist Kramer, der die Korrektur der gesetzlichen Risikoverteilung über eine analoge Anwendung des §119 Abs. 2 B G B bewerkstelligen will.253 Indessen legitimiert bereits die, wenn auch nur normative, Teilhabe an den Vorstellungen des anderen die Risikobeteiligung, nicht erst das bessere Wissen.254 Wegen des Wertungszusammenhangs mit der rechtsgeschäftlichen Verständigungspflicht ist es nicht plausibel, die Verständigungspflicht bezüglich der Wer248 MünchKomm/Roth, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.532; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., §119 Rn.65; Larenz/Wolf AT, 8. Aufl., §38 R n . l l , 14; Erman/Werner, BGB, 9. Aufl., §242 Rn. 168; ferner sind, betrachtet man das Maß der Materialisierung, hierher auch jene zu zählen, die Grundlagenvorstellungen unter Erleichterung des Erklärungstatbestands als „Zweck" in den Vertrag integrieren wollen, siehe S.228ff. 249 BGH LM § 242 BGB (Bb) Nr. 12; LM §242 BGB (Ba) Nr. 57; BGH BB 1973,1139. In zahlreichen Entscheidungen zur Geschäftsgrundlage kam es auf die Frage nicht an, weil beide Parteien dieselben Tatsachenvorstellungen hatten, siehe etwa BGH LM § 242 BGB (Bb) Nr. 49a; BGH NJW 1965, 438; BGH MDR 1967, 384; BGH JZ 1966, 409. 250 Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §38 Rn. 14. 251 Vgl. RGZ 64,266, 269; BGHZ 88,240,245f.; MünchKomm/Xramer, BGB, 3. Aufl., § 119 Rn. 89. 252 Konzise Darstellung bei Kötz, Vertragsrecht, S. 286ff. 253 MünchKomm /Krämer, BGB, 3. Aufl., §119 Rn. 101, in Anlehnung an die etlichen europäischen Rechtsordnungen bekannte Rechtsfigur des erkennbaren Irrtums, in der die Unterscheidung zwischen Erheblichkeit und Unerheblichkeit des Irrtums nach dessen Erkennbarkeit für den Kontrahenten des Irrenden beurteilt wird (näher Kötz, Vertragsrecht, S. 286ff.). Kramer gestattet die Anfechtung überdies im Falle des beiderseitigen Irrtums, versteht darunter aber offenbar nur den Fall der tatsächlichen Gemeinsamkeit der Fehlvorstellung. 254 Henssler (Risiko, S. 36f.; siehe bereits Kegel, AcP 150, 356, 361) will § 119 Abs. 2 BGB bei Erkennbarkeit der vertragswesentlichen Umstände analog anwenden. Auch hier bleibt der verständigungstheoretische Aspekt unbeachtet. Im übrigen ist die Rechtsfolge des Anfechtungsmodells (§§ 119 Abs. 2,122 Abs. 2 BGB) nicht immer vorzugswürdig; dazu noch S. 259f. Eine davon zu trennende Frage ist, ob die Anfechtungsrechte nach §§ 119ff. BGB durch wettbewerbsrechtliche Wertungen erweitert werden sollten mit der Folge, daß Willenserklärungen, die auf Maßnahmen unlauteren Wettbewerbs beruhten, anfechtbar wären (so Sack, Folgeverträge, S. 16ff.; siehe S. 70, Fn. 197). Ein erheblicher Teil des Problems wird mittlerweile durch § 13a UWG geregelt.

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

249

tungsgrundlagen auf „offensichtliche" bzw. „evidente" Wertungen zu begrenzen. 2 5 5 Das begreifliche Anliegen, die K o r r e k t u r des formalen Vertragsrechts durch die Geschäftsgrundlage in M a ß e n zu halten, ist durch die Beschränkung auf wesentliche Vorstellungen und Interessen zu gewährleisten. N i c h t die O f f e n sichtlichkeit, das G e w i c h t der Vorstellung entscheidet. I m übrigen ist der Erklärungsempfänger nicht zu Nachforschungen über die Wertungsgrundlagen des Erklärenden verpflichtet; dafür, daß ihre tragenden Wertungen nach außen hin erkennbar sind, ist grundsätzlich die Partei verantwortlich, die sie hat. 2 5 6 N u r in diesem, auf Zurechnung durch Verständigung ruhenden Sinne kann man von gemeinsamen Vorstellungen oder Zwecken der Vertragsparteien sprechen. Zu R e c h t kritisiert wird die sogenannte objektive Geschäftsgrundlagenlehre, die einen „gemeinsamen Z w e c k " des Vertrages postuliert, der sich aus einem objektiven Sinnganzen, einem dem Geschäftswillen logisch immanenten Willen ergebe. 2 5 7 E s ist zwar nicht ausgeschlossen, aus der engen Verbindung objektiver Tatsachen auf entsprechende Vorstellungen zu schließen. Berechtigt kann dies bei den „großen Katastrophen" sein. Beide Parteien werden davon ausgegangen sein, daß es keinen Krieg gibt; beide werden angenommen haben, daß das Geld nicht in absehbarer Zeit seinen Wert völlig einbüßt. A b e r das ist hier gar nicht gemeint. Vielmehr ist die „Gemeinsamkeit" als Sinnganzes ein Postulat der materialen G e rechtigkeit: daß jeder Vertrag letztlich das Ziel der Gerechtigkeit haben müsse. 2 5 8 Weil es unredlich, ungerecht, unangemessen usw. wäre, den Vertrag bei N i c h t e r reichung eines bestimmten Zwecks bestehen zu lassen ( z . B . den Mietvertrag im KrönungszugfalP59),

ist der Z w e c k ein gemeinsamer. D i e Gemeinsamkeit ist hier

nur Chiffre für Redlichkeit, Treu und Glauben usw. und folglich ein unnützer Konstruktionsaufwand für materiale Gerechtigkeitswertungen, die zu U n r e c h t an die Stelle des Parteiwillens gesetzt werden. 255 In diese Richtung Flume, Rechtsgeschäft, 4. Aufl., § 26,4, S. 504, der in Fällen des Kalkulationsirrtums bei Evidenz des einseitigen Irrtums die Erklärung nicht gelten lassen will. Ahnlich in der Wertung Rhode, Willenserklärung, S. 52; Wieser, NJW1972,708,710, gestattet im Falle des Kalkulationsirrtums die analoge Anwendung des § 119 Abs. 1 BGB bei positiver Kenntnis der Zweifelhaftigkeit des Rechtsfolgewillens. MünchKomm/Krämer, BGB, 3. Aufl., § 119 Rn. 101, fordert, der Irrtum hätte dem Gegner „offenbar auffallen müssen". Der in deutscher Zivilrechtsdogmatik geschulte Jurist würde dies wohl als Umschreibung grober Fahrlässigkeit auffassen. Tatsächlich dürfte aber einfache Fahrlässigkeit gemeint sein, denn Kramer entlehnt die Formulierung dem österreichischen Recht (§871 Abs. 1 ABGB), wo sie einfache Fahrlässigkeit bezeichnet (vgl. Rummel, ABGB, 2. Aufl., §871 Rn. 16). 256 Vgl. zur Forschungspflicht St. Lorenz, Schutz, S.275/Fn.359, u. BGE 102 II, 81, 84. 257 Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S. lOff. Zur Kritik an Larenz Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Bearb., §41 II 4, S. 179f., Brox, Irrtumsanfechtung, S.83ff., Staudinger//. Schmidt, BGB, 13. Bearb., §242 Rn. 1001, 1003. Im Ansatz wie Larenz Wieacker, FS Wilhurg, 229, 239, 242. Zur Einordnung objektiver Elemente in ein einheitliches subjektivnormatives Institut der Geschäftsgrundlage Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §38 Rn.22. 258 Bei Larenz auf der Hegeischen Rechtsphilosophie fußend, dazu Oechsler, Gerechtigkeit, S. 123f. 259 Siehe S. 227.

250

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

d) Konkludente Mitteilung - Erkennbarkeit der wesentlichen Interessen. Die Wertungsgrundlage des Erklärenden kann ohne besondere Mitteilung konkludent mit der Willenserklärung dem anderen zur Kenntnis gebracht werden, wenn die entsprechenden Wertungen und ihre Geschäftserheblichkeit bei Zugang der Willenserklärung für den Erklärungsempfänger erkennbar sind. Dann bringt das Erklärungsverhalten zum Ausdruck: „Ich will zum Preise von 200 kaufen. Ich gehe dabei von der Tatsache X aus." 260 Die Wertungsgrundlage kann zum einen aus dem Erklärungskontext erkennbar sein. Wenn im Krönungzugfall etwa der Vermieter in einem Zeitungsinserat den Fensterplatz „mit Blick auf den Krönungszug" angeboten hat, liegt in der Angebotserklärung des Mietinteressenten zugleich die Mitteilung seiner Erwartung, der Krönungszug werde stattfinden. Zum anderen - praktisch wichtiger - kann sich die Erkennbarkeit aus der (erkennbaren) Interessenlage des Erklärenden ergeben. So ist beim „Verkauf" eines Bundesligaspielers auch ohne besondere Mitteilung des Käufers, allein aus seinem erkennbaren Interesse am Einsatz des Spielers dessen geschäftserhebliche Wertung ableitbar und erkennbar, der Spieler sei zum Zeitpunkt des Kaufs nicht in einen zum Lizenzentzug führenden Bestechungsskandal verwickelt.261 Gewiß liegen hier Unwägbarkeiten, aber das ist bei der Auslegung von Willenserklärungen nicht anders. Je weniger der Erklärende selbst die Geschäftserheblichkeit seiner Vorstellung herausstreicht, desto stärker wiegt die objektive, d.h. vor allem typische und das heißt wiederum wirtschaftliche Erheblichkeit. Insoweit sind objektive Interessenwertungen bedeutsam für die Bildung der Geschäftsgrundlage. Vorstellungen, die von wesentlicher Bedeutung sind für den wirtschaftlichen Wert des Vertrages oder der vertraglichen Leistung gerade für den Erklärenden sind grundsätzlich geschäftlich erheblich. Je mehr es um höchstpersönliche oder affektive Interessen geht, desto eher dürfen sie außer acht bleiben. Diese Überlegungen führen zu dem Schluß, daß die Parteien im Rahmen der Verständigung über ihre Wertungsgrundlagen auf die geschäftserbeblichen (wesentlichen) Interessen des Gegners zu achten haben, weil und soweit diese im Verein mit der Willenserklärung als Mitteilung geschäftserheblicher Wertungen zu verstehen sind. Das bedeutet aber nicht, daß wesentliche Interessen bereits aufgrund ihrer Erkennbarkeit zur Geschäftsgrundlage werden; denn der Geschäftsgegner darf sich grundsätzlich darauf verlassen, daß der Erklärende das Nötige zur Wahrnehmung seiner Interessen getan hat. Die informationelle Selbstverantwortung wirkt, wie im folgenden zu zeigen ist, entlastend.

260 Von daher ist die Formel Oertmanns zutreffend, wonach der „Nichtwiderspruch" als Zustimmung zu den von der anderen Seite geäußerten Wertungsgrundlagen verstanden werden kann. Allerdings ist nicht der fehlende Widerspruch das Erklärungsverhalten; dies widerspräche der auch hier gültigen Grundregel, wonach Schweigen nicht Erklärung ist. Vielmehr liegt die Zustimmung konkludent in der Willenserklärung. 261 Vgl. BGH NJW 1976, 565, 566.

§ 3 Informationspflichten

4. Die begrenzende

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

Funktion der informationellen

251

Selbstverantwortung

a) Bedeutung der informationellen Selbstverantwortung für den Erklärungswert von Mitteilungserklärungen. Grundsätzlich darf sich der Erklärungsgegner und clausula-Gegner darauf verlassen, daß der Erklärende seinen Informationsobliegenheiten nachgekommen ist.262 Darf der Gegner davon ausgehen, daß der Erklärende die nötigen Informationen hat und seine Wertungen richtig sind, muß er deren Erkennbarmachung durch den Erklärenden nicht als Mitteilung über eine geschäftserhebliche Wertungsgrundlage verstehen. Der Gegner darf darauf vertrauen, daß der Erklärende sich der Richtigkeit der Wertungen versichert hat und der Bestand seiner Willenserklärung bzw. des Vertrages insoweit gesichert ist. Er muß deshalb nicht reagieren, um die Einbeziehung der Wertung in die Geschäftsgrundlage zu verhindern. Es bedarf also eines für den Erklärungsgegner erkennbaren Anhaltspunktes dafür, daß der individuelle Wissensstand des Erklärenden nicht gesichert ist. Bei unerkennbaren Tatsachen versteht sich das Ausbleiben der Vergewisserung von selbst. Bei erkennbaren Tatsachen kommt es auf den Verlauf der individuellen Verständigung an, insbesondere darauf, ob der Erklärende, so er nicht aus eigener Kompetenz schöpfen kann, Gelegenheit zur Informationseinholung hatte. Unzutreffend ist daher die Ansicht Sieberts, der die Erkennbarkeit der Wirklichkeitsabweichung263 auf Seiten des clausula-Interessenten allgemein für belanglos hält.264 Denn grundsätzlich und zunächst darf der Erklärungsgegner der (formalen) Selbstbestimmungsfähigkeit des Erklärenden vertrauen und davon ausgehen, daß dieser sich Gewißheit über die für ihn erkennbaren Informationen verschafft hat. Sieberts Hinweis auf das Irrtumsrecht trägt nicht. Die Anfechtung ist zwar auch bei vermeidbaren Irrtümern zulässig, aber, soweit es den der Geschäftsgrundlage vergleichbaren Eigenschaftsirrtum angeht, auf „verkehrswesentliche" Eigenschaften beschränkt und damit ebenfalls durch Parteieinigung beeinflußt.265 Allein im Falle des echten beiderseitigen Irrtums, so man ihn zur Geschäftsgrundlage zählt und nicht bei § 119 BGB beläßt,266 ist die Parallele zum Irrtumsrecht plausibel.267 Der Erklärungsgegner darf sich andererseits nicht von vornherein und immer darauf verlassen, daß der Erklärende seinen Informationsobliegenheiten nachgekommen ist. Der Erklärungsgegner muß sich im Rahmen der vertraglichen Verständigung, auf der rechtsgeschäftlichen Ebene 262 Allgemein zur Vorhersehbarkeit als Risikoverteilungselement Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §323 Rn.27ff. 263 Im folgenden schließt der Begriff der Erkennbarkeit jenen der Vorhersehbarkeit ein. 264 In: Soergel, BGB, 10. Aufl., §242 Rn.410 mit Nachweisen zur wechselnden Haltung der älteren Rechtsprechung; zudem, allerdings von einer grundsätzlichen Ablehnung der Geschäftsgrundlagenlehre aus, Finsinger/Simon, Recht und Risiko, 1988, S. 113, 127ff. Dagegen Soergel/ Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §323 Rn.42. 265 Siehe S. 243 f. 2 6 6 Und dann § 122 BGB einschränkend auslegt, vgl. dazu nur Haarmann, Geschäftsgrundlage, S.27 m.w.N. 267 In diesem Sinne differenzierend Soergel/Teichmann, BGB, 12. Aufl., §242 Rn.243.

252

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

w i e j e n e r d e r G e s c h ä f t s g r u n d l a g e , u m d e n m a t e r i e l l e n W i l l e n des E r k l ä r e n d e n b e m ü h e n , w a s die K e n n t n i s n a h m e d e s s e n i n d i v i d u e l l e n W i s s e n s s t a n d e s b e i n h a l t e t , soweit dieser nach außen tritt. Ist nach den k o n k r e t e n U m s t ä n d e n erkennbar, daß d e r E r k l ä r e n d e n i c h t ü b e r g e s i c h e r t e s W i s s e n v e r f ü g t ( g l e i c h v i e l , o b e r s e l b s t dies w e i ß o d e r n i c h t ) , m u ß d e r E r k l ä r u n g s g e g n e r die E r k e n n b a r m a c h u n g v o n W e r t u n g s g r u n d l a g e n als an i h n g e r i c h t e t e M i t t e i l u n g ü b e r d e r e n G e s c h ä f t s e r h e b l i c h k e i t v e r s t e h e n u n d i h r w i d e r s p r e c h e n , soll sie f ü r d e n V e r t r a g i r r e l e v a n t b l e i b e n , m a g die I n f o r m a t i o n f ü r d e n E r k l ä r e n d e n a u c h e r k e n n b a r g e w e s e n s e i n . S o k a n n der A r b e i t g e b e r bei A b s c h l u ß eines A u f h e b u n g s v e r t r a g e s gegen A b f i n d u n g nicht d a v o n ausgehen, daß ein d u r c h s c h n i t t l i c h e r A r b e i t n e h m e r gesicherte K e n n t n i s s e ü b e r A u s w i r k u n g e n d e r A u f h e b u n g des A r b e i t s v e r t r a g e s a u f e t w a i g e A n s p r ü c h e auf Arbeitslosengeld hat. Sprechen die k o n k r e t e n U m s t ä n d e nicht für gesichertes Wissen ( z . B . d e m A r b e i t n e h m e r war eine Uberlegungsfrist eingeräumt worden), m u ß d e r A r b e i t g e b e r d e n e r k e n n b a r e n m a t e r i e l l e n W i l l e n , d a ß die A b f i n d u n g n i c h t d u r c h K ü r z u n g e n des A r b e i t s l o s e n g e l d e s w e i t g e h e n d a u f g e z e h r t w e r d e , als geschäftlich erheblich betrachten.268 D e r W e g f a l l d e r G e s c h ä f t s g r u n d l a g e ist d a h e r n i c h t g r u n d s ä t z l i c h a u f f ü r d e n clausula-Interessenten unerkennbare Störungen beschränkt.269 Darin unterschei2 6 8 In L A G Hamburg L A G E § 611 B G B Aufhebungsvertrag Nr. 9 waren dem Arbeitnehmer zwei Tage Bedenkzeit eingeräumt worden (a.a.O., S. 1); mangels anderer entgegenstehender Anhaltspunkte durfte der Arbeitgeber daher davon ausgehen, der Arbeitnehmer habe sich erkundigt (vgl. Schwarze, Anm. a.a.O., S. 37). 2 6 9 Ebenso im Ergebnis die meisten Vertreter der subjektiven Geschäftsgrundlagenlehre, Oertmann, Geschäftsgrundlage, S. 115, 149 (zurückhaltend, aber nicht ausschließend); wohl auch Enneccerus/Lehmann, Recht der Schuldverhältnisse, 15. Bearb., §41 II 4, S. 179. Von seiner Voraussetzungslehre aus konsequent auch Windscheid, Voraussetzungen, S.203, 206f.; Windscheid, Lehrbuch des Pandektenrechts, Bd. I, 7. Aufl., §97, S.278; wohl auch Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S.20,45f., 51,184, für die subjektive Geschäftsgrundlage in seinem - e n g e n Sinne. Canaris, Z G R 1982, 394, 409f. Köhler, J A 1979,498, 503, hält sogar den Wegfall der „objektiven Geschäftsgrundlage" trotz Vorhersehbarkeit für möglich. Anders dagegen SchmidtRimpler, FS Nipperdey (60. Geb.), S. 1,18. Die Rechtsprechung verfolgt scheinbar keine einheitliche Linie. So ist in etlichen Urteilen die Erkennbarkeit der Störung Grund, eine Geschäftsgrundlagenstörung abzulehnen ( B G H N J W 1977, 2262, 2263; N J W 1978, 2390, 2391f.; N J W 1979, 1818,1819), während der Aspekt in anderen Fällen unerörtert bleibt, obgleich die Erkennbarkeit des jeweiligen Umstandes durchaus zu bejahen gewesen wäre (in B G H M D R 1967, 384 z.B. die Tatsache, daß eine stille Beteiligung nicht auf Lebenszeit eingegangen werden kann, in B G H J Z 1966,409 die Tatsache, daß eine Baugenehmigung nicht erteilt würde, in B G H B B 1977,1171 die Tatsache, daß die Einnahmen aus dem erworbenen Architekturbüro nicht zur Finanzierung des Kaufpreises genügen würden, Geschäftsgrundlagenstörung aus anderen Gründen abgelehnt), und schließlich wird in manchen Fällen trotz Erkennbarkeit der Wegfall der Geschäftsgrundlage bejaht ( B G H N J W 1984,1746,1747; wohl auch B G H LM Nr. 18 zu §242 B G B (Bb) unter 1: allein auf den tatsächlichen Erwartungshorizont der Parteien abhebend; B G H D B 1969, 833: auf den tatsächlichen Erwartungshorizont abhebend; siehe ferner R G Z 99, 115, 116 [unter a einerseits und unter b andererseits] und R G Z 100,129,132). Tatsächlich dürfte im wesentlichen (Ausnahmen nicht ausgeschlossen) keine Uneinheitlichkeit der rechtlichen Wertung der Erkennbarkeit ursächlich sein, sondern die fallbezogene Anwendung der Geschäftsgrundlage nach Maßgabe dessen, wie die Parteien einander zu verstehen hatten (siehe dazu weiter im Text). Deutlich

5 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

253

det sich die Geschäftsgrundlagenlehre v o n objektiven bzw. materialen R i s i k o v e r teilungstheorien, die die vertragliche Einigung als dogmatischen A n s a t z p u n k t für eine Materialisierung ausblenden. 2 7 0 A u s deren Perspektive m u ß die Materialisierung des Vertragsrechts beschränkt bleiben auf S t ö r u n g e n der Willensbildung, und zwar solche, in denen der Irrende seinen I r r t u m nicht vermeiden k o n n t e . S o wäre dem K ä u f e r des A r c h i t e k t u r b ü r o s im Architekturbürofall,271

mag er seine

Vorstellung, er k ö n n e den Kaufpreis aus den laufenden E i n n a h m e n finanzieren, w ä h r e n d der Verkaufsverhandlungen auch geäußert haben, t r o t z der gegenteiligen W i r k l i c h k e i t nicht zu helfen, da er die E i n n a h m e n b e i m Verkäufer hätte erfragen und B e r e c h n u n g e n hätte anstellen müssen. G l e i c h e s gilt für den K ä u f e r eines (neu entwickelten) Abgasentgiftungsgeräts, der angesichts i h m b e k a n n t e r F e h l schläge hätte erkennen k ö n n e n , daß das G e r ä t technisch unausgereift und daher u n a b s e t z b a r sein w ü r d e . 2 7 2 O d e r für den iranischen Bierimporteur, der t r o t z A b sehbarkeit der E n t w i c k l u n g zu einem politischen R e g i m e , das A l k o h o l verbietet, einen Vergleich schließt, der Bierlieferungen in den Iran vorsieht. 2 7 3 A b e r auch wird dies in RGZ 136,34, 39 (Frage der Erkennbarkeit bedeutsam für die Frage, was Parteien als Grundlage gewollt haben). Entscheidungen, in denen der Wegfall der Geschäftsgrundlage auf die Unvorhersehbarkeit des Ereignisses gestützt wird, schließen der Sache nach weder die eine noch die andere Position aus; dazu zählt z.B. BGHZ1,170,175f. Ebenso darf der (selbstverständliche) Ausschluß der Geschäftsgrundlagenstörung dann, wenn die Parteien das Risiko erkannt und in diesem Bewußtsein geregelt haben (vgl. die Formulierung in BGH DB 1969,833) nicht als Votum gegen die Anwendung der Geschäftsgrundlagenlehre im Falle der Erkennbarkeit eines Risikos gewertet werden. Siehe ferner die Nachweise zur älteren Rechtsprechung bei Soergel/Siebert, BGB, 10. Aufl., §242 Rn.410; siehe außerdem BGHZ 2,176, 188ff.; 61,153,161f. Siehe auch Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §323 Rn.27ff. Als „nicht eindeutig" charakterisiert Roth (MünchKomm, BGB, 3. Aufl., §242 Rn. 543) die Rolle der Erkennbarkeit in der herrschenden Geschäftsgrundlagenlehre. 270 Deren Vertreter votieren dementsprechend gegen eine Vertragskorrektur bei Vermeidbarkeit der Fehlvorstellung: Koller; Risikozurechnung, S. 382; St. Lorenz, Schutz, S. 282, 283, 406f. und passim; Staudinger// Schmidt, BGB, 12. Aufl., § 242 Rn. 945ff., 1004,1014ff. (der allerdings die hier der Geschäftsgrundlage zugeordnete Problematik des erkennbaren [Motiv-]Irrtums nicht für irrelevant hält, sondern durch Erweiterung der Irrtumsanfechtung gelöst sehen will, a.a.O., Rn.384ff., 398ff.); Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S. 185 (wohl nur im Falle der objektiven Geschäftsgrundlage in seinem Sinne). Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 169ff., auf Basis der Unzumutbarkeitslehre; Rabel, GesAufsätze I, S. 56, 65; Hommelhoff, J R 1979, 62; Haarmann, Geschäftsgrundlage, S. 62 (Verschiebung der Opfergrenze durch Vorhersehbarkeit); Kegel, Gutachten^. 161 undJZ 1951,385,402;siehefernerPrALRI5 §378 („unvorhergesehene Veränderung") und das UN-Kaufrecht (Art. 79 CISG; zum vormaligen Art. 74 EKG Huber, Leistungsstörungen, S. 720, 748f.). Ulmer, AcP 174, 167, 183, anders aber gerade bei gemeimsamen Vorstellungen, a.a.O., S. 190. Anders auch Chiotellis, Rechtsfolgenbestimmung, S. 58 m.w.N. Differenzierend Henssler, Risiko, der einerseits der Vorhersehbarkeit keine generelle Risikozuweisung in der einen oder anderen Richtung entnehmen will (a.a.O., S. 50), andererseits bei Vorhersehbarkeit einer Störung der Leistungspflicht für den Schuldner eine Risikoverlagerung grundsätzlich ablehnt (S. 50).

Vgl. BGH BB 1977, 1171. Vgl. den Sachverhalt BGH WM 1978,59,60; dazu und zur möglichen Einordnung des Falles in die Geschäftsgrundlagenlehre Canaris, ZGR 1982, 395, 409f. 273 Vgl. BGH NJW 1984, 1746, 1747 (über die Vorhersehbarkeit wurde nicht endgültig entschieden). 271

272

254

J. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

der Bürge, der nichts von der bereits bei Abgabe der Bürgschaftserklärung bestehenden Insolvenz des Schuldners wußte, hätte sich zuvor über das finanzielle Risiko vergewissern müssen, auf das er sich einließ.274 Dagegen führt die Materialisierung der vertraglichen Einigung zur vertraglichen Erheblichkeit von Störungen, da und soweit der Erklärungsgegner/clausula-Gegner den materiellen Willen des Erklärenden so verstehen mußte. Wie aber der Erklärende zu verstehen war, hängt von dessen individuellen Wissenshoriziont, soweit erkennbar, ab, und dieser Wissensstand ist nicht immer identisch mit dem Wissensstand, den der Erklärende eigentlich haben müßte. Die gesetzliche Verteilung der Informationslast bei der Willensbildung ist für die vertragliche Verständigung eine Vorgabe, die den Erklärungsgegner nur solange schützt, wie Gegenteiliges über den Wissensstand des Erklärenden für ihn nicht erkennbar ist. Das ist die Konsequenz der subjektiven Ausrichtung der Verständigung. Die Verständigungspflicht fordert von beiden Parteien, den anderen richtig zu verstehen, sich um die erkennbare materielle Willenslage - Rechtsfolgewille und Wertungsgrundlagen - zu bemühen. Die vertragliche Verständigung ist konkret und individuell. Der formalen Selbstbestimmungsfähigkeit oder Typisierungen („durchschnittlicher Wissensstand" usw.) darf in diesem Verständigungsprozeß nur solange vertraut werden, als Entgegenstehendes nicht erkennbar wird. Daß der andere seiner Informationsverantwortung nachkommt, darf ich nur unterstellen, solange für das Gegenteil Anhaltspunkte nicht vorliegen. Im Architekturbürofall darf sich der Verkäufer darauf verlassen, daß der Käufer die für die Finanzierung des Kaufs nötigen Informationen eingeholt hat; denn für den Käufer ist die Notwendigkeit entsprechender Informationen erkennbar und der Verkäufer kann erwarten, daß der Käufer seiner Eigenverantwortung gerecht wird. Gibt der Käufer aber zu verstehen, er gedenke den Kauf aus den laufenden Einnahmen zu finanzieren, kann der Verkäufer nicht mehr darauf vertrauen, daß der Käufer richtig, nämlich darüber informiert ist, daß die Einnahmen diese Finanzierung nicht dekken, mag diese Fehlinformation auch vermeidbar sein. Diese Verknüpfung von Verständigung und Eigenverantwortung gilt ausnahmslos, nicht nur für bestimmte Risiken oder Risikogruppen, also etwa auch für künftige Entwicklungen.275 So wenn die deutsche Brauerei erkennen kann, daß der iranische Bierimporteur vom Fortbestand eines politischen Regimes ausgeht, das den Bierverkauf in den Iran nicht verbietet, mag das Gegenteil auch absehbar sein.276 Oder wenn

274 Anders St. Lorenz, Schutz, S.430, unter Hinweis auf die Atypizität des Risikos. Es wird wohl niemand bestreiten, daß ein sorgfältiger Bürge das Bürgschaftsrisiko erkunden muß. Was aber heißt, sich über die finanzielle Situation des Hauptschuldners bei Abschluß der Bürgschaft zu vergewissern. 275 Insoweit differenzierend Henssler, Risiko, S. 50, der (allerdings von einem objektiven Standpunkt, a.a.O., S. 57f.) dem Schuldner bei vorhersehbaren künftigen Störungen seiner Leistungsfähigkeit grundsätzlich nicht helfen will. 276 Vgl. BGH NJW 1984, 1746, 1747.

5 3 Informationspflichten

zur Verständigung

über die Grundlagen

des Vertrages

255

der Verkäufer eines (neu entwickelten) Abgasentgiftungsgeräts erkennen kann, daß der Käufer trotz der ihm bekannten Fehlschläge davon ausgeht, daß das Gerät absetzbar sein wird.277 Oder wenn der Gläubiger des bereits zahlungsunfähigen Schuldners erkennen kann, daß der Bürge, obgleich er sich vor Abgabe der Bürgschaft hätte über das Risiko und damit über die Insolvenz des Schuldners informieren müssen, keine Erkundigungen eingezogen hat.278 b) Bedeutung der informationellen Selbstverantwortung für den Erklärungswert der erkennbaren wesentlichen Interessen. Nach denselben Grundsätzen ist zu verfahren, wenn der clausula-Gegner seine Wertungsgrundlagen nicht ausdrücklich mitgeteilt hat und diese nur aus den erkennbaren Umständen oder der erkennbaren Interessenlage ableitbar sind. Der clausula-Gegner darf sich hier im Zweifel darauf verlassen, daß der clausula-Interessent die zur Wahrung dieser Interessen nötigen Informationen eingeholt hat, das er „weiß, was er tut". Was letztlich bedeutet, daß im Regelfall wesentliche Interessen einer Partei nicht allein schon deshalb Geschäftsgrundlage werden, weil sie als solche zu erkennen sind. So ist für den Arbeitgeber beim Abschluß eines Aufhebungsvertrages unter Verkürzung der Kündigungsfrist gegen Zahlung einer Abfindung279 erkennbar, daß der Vertrag für den Arbeitnehmer uninteressant ist, wenn die Abfindung im wesentlichen durch eine entsprechende Kürzung des Arbeitslosengeldes oder eine Anrechnung auf das Arbeitslosengeld aufgezehrt wird. Für die Geschäftsgrundlage würde dies aber nur relevant, wenn der Arbeitgeber die Willenserklärung als konkludente Mitteilung eines entsprechenden materiellen Willens verstehen müßte.280 Der Arbeitgeber darf aber darauf vertrauen, daß der Arbeitnehmer vor Vertragsschluß ausreichende Informationen über die Anrechnung eingeholt hat, daß er weiß, was er tut. Er muß die Willenserklärung daher nicht als konkludente Mitteilung einer geschäftserheblichen Mitteilung verstehen. Das gilt erst recht, wenn der Vertrag auf Veranlassung des Arbeitnehmers geschlossen wird oder dem Arbeitnehmer Bedenkzeit eingeräumt wurde.281 Anders aber, wenn der Arbeitnehmer erkennbar keine Informationen einholen kann, z.B. weil der Arbeitgeber ihn mit dem Ansinnen überrascht und sogleich zur Unterschrift veranlaßt, und nicht anzunehmen ist (z.B. weil er bereits mehrfach Aufhebungsverträge abgeschlossen hat), daß der Arbeitnehmer über einschlägige Kenntnisse verfügt.

277 Vgl. den Sachverhalt B G H W M 1978,59,60 (der B G H nimmt Sachmangel und daher volle Verantwortung des Verkäufers an); zur denkbaren Einordnung des Falles in die Geschäftsgrundlagenlehre Canaris, Z G R 1982, 395, 409f. 278 Beispiel von Breidenbach, Informationspflichten, S. 81; zur Rechtsprechung siehe die Nachweise in Fn.325 und R G WarnR 1939, Nr. 417. 279 Vgl. B A G N Z A 1988, 837. 280 Unpräzise deshalb die verbreitete Formel von den „wesentlichen Interessen" als Bezugspunkt der Geschäftsgrundlage. 281 Zutreffend B A G N Z A 1988, 837, 838.

256

i. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

c) Keine Privilegierung der Geschwätzigkeit. Diese Konzeption der Geschäftsgrundlage führt durchaus nicht zu einer „Privilegierung der Geschwätzigkeit". 282 Die Befürchtung, Informationslasten könnten durch Vorstellungsmitteilungen beliebig auf den Gegner abgewälzt werden, beruht auf der unzutreffenden Gleichsetzung von Erkennbarkeit und Zugänglichkeit der Information. Anschauung geben Fälle des „Kalkulationsirrtums". Erkennbar ist die Berechnungsgrandlage nicht schon wegen ihrer Zugänglichkeit, vielmehr hätte der Empfänger zu ihrer Lektüre verpflichtet sein müssen. Grundsätzlich darf er sich aber damit begnügen, den Endpreises zur Kenntnis zu nehmen; aufwendige Kalkulationen muß er nicht nachvollziehen. Dementsprechend darf sich der Auftraggeber von Bauarbeiten in der Regel auf den Endpreis verlassen und muß die ihm mitgeteilte Kalkulation nicht auf Fehler überprüfen.283 Aus demselben Grund wird selbst die ihm bekannte Kalkulationsgrundlage nicht Geschäftsgrundlage.284 Weil der Gegner sich auf die Maßgeblichkeit und damit „Kalkulationsrichtigkeit" des ihm mitgeteilten Endpreises verlassen darf und nicht selbst nachrechnen muß, muß er die Mitteilung der Grundlage nicht als grundlagenrelevante Mitteilung verstehen. Anders wäre es, wenn der Anbieter für den Gegner erkennbar keine genügende Gelegenheit für eine ordentliche Berechnung hatte. Ferner wird man vom Gegner eine Uberprüfung oder zumindest eine Nachfrage beim Anbietenden verlangen können, wenn der Angebotspreis eklatant unter der vom Gegner selbst angestellten Kostenkalkulation und auch unter den Kalkulationen anderer Anbieter liegt.285 Ebenso ist Kenntnisnahme zu verlangen, wenn die Preisberechnung Gegenstand der Verhandlungen war 286 und der Endpreis von den Parteien als Ergebnis einzelner Preiskomponenten gedacht war. Hier darf vom Erklärungsgegner die Kenntnisnahme der entsprechenden Berechnungsunterlagen erwartet werden, damit ist auch ein etwaiger Fehler erkennbar. Ganz allgemein kann man sagen, daß der Erklärungsgegner ohne besondere Abrede in der Regel nicht verpflichtet ist, aufwendige Lese- und Kontrollarbeit zu leisten, daß er aber andererseits punktuelle Informationen, die ohne größeren Aufwand wahrzunehmen sind, auch zur Kenntnis nehmen muß, so sie von wesentlicher Bedeutung sind. Letztlich entscheiden die Umstände des Einzelfalls darüber, was an Sorgfalt bei So Koller, Risikozurechnung, S.22; St. Lorenz, Schutz, S.282. Insoweit zutreffend BGH NJW1980,180; BGE 102 II, 81. Das (schweiz.) BG scheint aber durchaus eine Lektüre der Kalkulation zu verlangen (a.a.O., S. 83); eindeutig ist nur die Ablehnung einer Pflicht zur Erforschung von Irrtümern (a.a.O., S. 84). MünchKomm/ÄoiÄ, BGB, 3. Aufl., §242 Rn. 670. 284 BGH NJW 1980, 1551, 1552. 285 Zurückhaltend BGH NJW 1980, 180: Erkennbarkeit des Mißverhältnisses genüge in der Regel nicht, womit allerdings weniger gemeint sein dürfte als hier. Nunmehr B G H NJW 1998, 3192 Leits. 2 und S.3195: Tatbestand des Kalkulationsirrtums muß sich aus dem Angebot des Bieters oder aus dem Vergleich zu weiteren Angeboten oder aus den dem Auftraggeber bekannten Umständen „geradezu aufdrängen". 286 Das meint Henssler wohl mit „Einführung der Kalkulationsgrundlage in die Vertragsverhandlungen" (Risiko, S.37). 282

283

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung

über die Grundlagen

des Vertrages

257

der Verständigung zu fordern ist - genauso wie bei der eigentlichen Rechtsfolgenvereinbarung. Die Zugänglichkeit einer Information allein genügt jedenfalls nicht. d) Individualisierung des Maßstabs für informationelle Selbstverantwortung. Die Subjektivierung der Verständigung und ihre Erweiterung auf Wertungsgrundlagen führt zu einer gewissen Individualisierung des Maßstabs für die informationelle Selbstverantwortung. Die rigide Formalität des BGB liefert zwar die Basiswertung. Diese aber muß einer materialen Betrachtung der informationellen Fähigkeiten nach Maßgabe des individuellen Wissensstandes weichen, wenn der Gegner im Rahmen der Verständigung nach Maßgabe seines individuellen Empfängerhorizontes erkennen muß, daß der Erklärende nicht über gesichertes Wissen verfügt. Die Subjektivierung der Verständigung führt zu einer differenzierenden Sicht der informationellen Selbstverantwortung. 5. Die begrenzende

Funktion

materialer

Risikoprinzipien

Die Verständigung über die Geschäftsgrundlage wird von materialen Risikoverteilungsprinzipien mitbeeinflußt. In Rechtsprechung und Literatur werden diverse materiale Risikoverteilungsprinzipien diskutiert. 287 Sie können einmal für die Bestimmung der Rechtsfolgen bei Störungen der Geschäftsgrundlage bedeutsam sein, z.B. die „Unzumutbarkeit" der Aufrechterhaltung des Vertrages als Voraussetzung für die Aufhebung des Vertrages. Sie können aber auch die Entscheidung darüber mitsteuern, ob der Gegner die Erkennbarmachung einer einseitigen Wertungsgrundlage bzw. deren Erkennbarkeit aus den Umständen als an ihn gerichtete Mitteilung über geschäftserhebliche Grundlagen zu verstehen hat. Oft zitiert wird der Verlobungsringfall, in dem der Verkäufer die Vorstellungen des Käufers vom Verwendungszweck kennt und dennoch das (bereits eingetretene oder spätere) Scheitern der Verlobung nicht den Bestand des Vertrages berührt. Das Beispiel wird zur Widerlegung einer willenstheoretisch angelegten Geschäftsgrundlagenlehre angeführt. Aber es ist nur selbstverständlich, daß „objektive" Umstände den Aussagegehalt der Erklärung beeinflussen, wozu auch Umstände zählen, die über das Interessenprinzip hinaus für die Risikotragung einer Partei sprechen.288 So würde im Verlobungsringfall auch der rechtsgeschäftliche Erklärungsgehalt der Willenserklärungen der Parteien durch die eindeutige materiale Risikozuweisung beeinflußt. Auch wenn der Juwelier ausdrücklich „Verlobungsringe" verkauft hätte, würde seine Verkaufserklärung nicht im Sinne einer rechtsgeschäftlichen Übernahme des Verlobungsrisikos zu verstehen sein. Dieses Ergebnis wird von demselben Grund getragen, der gegen die Verlobung als Geschäftsgrundlage spricht: daß es um das, noch dazu höchstpersönliche, Verwen287 288

Vgl. MünchKomm/RotÄ, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.532, 537f., 662, 664. Larenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S. 7f.

258

J. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

dungsrisiko des Käufers geht. Gleiches gilt im Grundsatz für die Verwendbarkeit einer Leistung, da und soweit sie ganz im Einflußbereich des Erwerbers liegt. So im Radurlaubfall: Auch wenn der Käufer eines Bergfahrrades beim Kauf von seiner bevorstehenden Bergtour spricht, wird deren Durchführung nicht zur Grundlage des Kaufs. In solchen Fällen kann eine von der objektiven Zuordnung abweichende Risikoverteilung nur durch rechtsgeschäftliche Abrede herbeigeführt werden. Geschäftlich erheblich ist die vom Erwerber geplante Verwendung dagegen in jedem Fall, wenn sie die Höhe der Gegenleistung beeinflußt hat. Besonders deutlich ist dies im Bundesligaspielerfall, wo die Erwartung des „Käufers", die Spielberechtigung des Spielers sei nicht (wegen Verwicklung in den Bundesligaskandal) bedroht, 289 für den Preis von entscheidender Bedeutung ist. Ohne die Spielberechtigung wäre der Spieler „nichts wert". Ein anderes Beispiel ist der Spielautomatenfall, in dem der Kaufpreis für einige gebrauchte Spielautomaten mit davon bestimmt wurde, daß die Automaten in einer von Jugendlichen frequentierten Gaststätte aufgestellt waren. Die Verwendung der Automaten in der Jugendgaststätte war hier Geschäftsgrundlage, die mit der Umwidmung der Gaststätte in ein Speiserestaurant entfiel.290 Ahnlich kann entgegen der Grundregel die spätere Verwendung der Leistung relevant werden, wenn sie in einem Folgegeschäft besteht und für den Kontrahenten erkennbar ist, daß der Vertrag bei Undurchführbarkeit des Folgegeschäfts mangels Ausweichmöglichkeit ohne jeden Sinn wäre.291 Im Gerätevertriebsfall hatte ein Produzent einem Eigenhändler mehrere hochwertige Geräte verkauft. Kurz darauf brachte er verbesserte Typen auf den Markt, die die bereits gelieferten Maschinen als überholt erscheinen ließen. Der Weiterverkaufszweck ist grundsätzlich Sache des Käufers. Die Parteien hatten hier eine Abnahmefrist von einem Jahr vereinbart. Sie waren sich also der Schwierigkeiten des Weiterverkaufs bewußt. Eine Veränderung der Gerätetypen während dieser oder einer geringfügig kürzeren Zeit mußte den Weiterverkauf unmöglich und damit den Kauf auch wirtschaftlich nutzlos machen.292 Der B G H rechnete dies zutreffend der Geschäftsgrundlage des Vertrages zu.293 Wird ein Geschäftsraum in einer Passage vermietet, mag das Risiko, daß auch die anderen Läden in der Passage vermietet werden, objektiv nicht nur dem Mieter, sondern auch dem Vermieter zuzurechnen sein.294 Davon ist der Vermieter aber zu entlasten, wenn er während der Verkaufsverhandlungen deutlich gemacht hat, daß er 289 Vgl. BGH NJW 1976, 565, 566 (beide Parteien hätten dies als Selbstverständlichkeit betrachtet); siehe im übrigen Fn.244. 290 Vgl. BGH LM §242 BGB (Bb) Nr.51. 291 Vgl. BGH LM §242 BGB (Bb) Nr. 12 (Bohrhammer). 292 In diesen Punkten unterscheidet sich der Gerätevertriebsfall von den auf S. 301 diskutierten Fällen der „Modellneuerung". 293 B G H LM §242 BGB (Bb) Nr. 36. 294 Vgl. O L G Koblenz NJW-RR 1989,400,401 f. (unter der Voraussetzung, daß der Vermieter die gesamte Passage im Rahmen eines Gesamtkonzepts vermietet); Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §38 Rn.30.

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

259

über die Vermietung der anderen Läden nichts weiß oder damit nicht rechnet. Ferner spricht das „Sich-Einlassen" auf ein Risiko oder die Spekulation gegen die Aufnahme ihr zugrunde liegender Vorstellungen in die Geschäftsgrundlage. Es bedarf für die Zielsetzung dieser Untersuchung keiner abschließenden Klärung, wie materiale Risikoprinzipien die Einigung über die Geschäftsgrundlage beeinflussen; für unsere Zielsetzung genügt die Feststellung, daß sie die subjektive Geschäftsgrundlagenlehre nicht widerlegen und auch nicht erübrigen. Aus dem Vorstehenden sollte deutlich geworden sein, daß die Geschäftsgrundlage das Resultat einer Verständigung zwischen den Parteien über die Wertungsgrundlage ihres Rechtsfolgewillens ist. Die Geschäftsgrundlage wird durch Auslegung erklärungsrelevanten Verhaltens ermittelt. Weil die Zurechnung fremder Wertungsgrundlagen auf Zustimmung und nicht nur auf Kenntnisnahme des Kontrahenten basiert, ist nicht jede Wertung bereits aufgrund ihrer Erkennbarkeit Bestandteil der Geschäftsgrundlage. Für die Unterscheidung zwischen geschäftlich erheblichen und geschäftlich unerheblichen Wertungsgrundlagen ist dieses subjektivnormative Verständnis maßgeblich. 6. Rechtsfolgen

der

Geschäftsgrundlagenstörung

Die Rechtsfolgen der Geschäftsgrundlagenstörung sind nicht allein objektiven Prinzipien überantwortet.295 Der willenstheoretischen Basis der Geschäftsgrandlagenlehre entsprechend ist das Paradigma der Rechtsfolgenbestimmung - durchaus abweichend von der zumeist einseitigen Risikozuweisung der objektiven Korrekturansätze - die Verteilung des Wirklichkeitsrisikos auf beide Parteien.296 Umgesetzt wird diese Maxime durch die Anpassung des Vertrages an die abweichende Realität und den Vorrang dieser Anpassung vor der Auflösung oder exnunc-Beendigung des Vertrages.297 Insbesondere bei Veränderung der allgemeinen Wertverhältnisse und hier vor allem bei Dauerschuldverhältnissen wird die Anpassung eine angemessene Reaktion sein.298 Einleuchtend ist die Vertragsanpassung ferner, wenn an vorhandene gesetzliche Wertungen angeknüpft werden kann (z.B. Analogie zu §645 BGB). Diese Flexibilität der Geschäftsgrundlagenlehre in der Rechtsfolgenbestimmung ist ein Vorteil gegenüber Analogien zur Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums (§119 Abs. 2 BGB), wie sie von Kramer,299 J. Schmidt300 und Henssler301 vorgeschlagen wird.302 Andererseits ist die 295 Kritisch zur Unbestimmtheit der Rechtsfolgenbestimmung in der Geschäftsgrundlagenlehre etwa Littbarski, JZ 1981, 8, lOf. m.w.N.; Henssler, Risiko, S.29. 296 MünchKomm/Äot^, BGB, 3. Aufl., § 242 Rn. 544 m.w.N. Siehe beispielhaft für den Unternehmenskauf die Überlegungen von Canaris, ZGR 1982, S.395, 408ff. 297 Vgl. MünchKomm/Roth, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.544f. m.w.N.; Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §38 Rn.44f.; BGH NJW 1984, 1746, 1747f.; BGHZ 109, 224, 229. 298 Krit. zur Frage vorgeschalteter Neuverhandlungspflichten Martinek, AcP 198, 329, 363ff. 299 MünchKomm /Kramer, BGB, 3. Aufl., §119 Rn.97ff. 300 Staudinger, BGB, 13. Bearb., §242 Rn.412ff., 419, jedenfalls der Sache nach: Schmidt ver-

260

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

Kritik an allzu großer Gestaltungsfreude der Rechtsprechung nicht unberechtigt. Aus den am Anfechtungsrecht orientierten Alternatiworschlägen gilt es, die Erkenntnis zu übernehmen, daß bei Abwesenheit von Anhaltspunkten für eine Vertragsänderung die Auflösung oder Beendigung des Vertrages erfolgen muß. 303 Dem Leitbild der Risikoteilung entspricht in solchem Fall der Schutz des negativen Interesses des clausula-Gegners, da und soweit dieser auf den Bestand des Vertrages vertraute. Dieses Vertrauen ist, wenn auch in minderem Maße, schutzwürdig, da ein echter rechtsgeschäftlicher Vorbehalt nicht vereinbart wurde. Wenn der clausula-Gegner die Enttäuschung seiner Erfüllungserwartung auch hinnehmen muß, verdient sein negatives Interesse doch Schutz, 304 und zwar im Wege einer Analogie zu § 122 BGB. Der Anspruch ist nicht analog § 122 Abs. 2 BGB ausgeschlossen, da und solange der clausula-Gegner lediglich die Wertungsgrundlagen des clausula-Interessenten erkennen mußte, nicht aber dessen Irrtum. Der clausula-Interessent haftet daneben aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis auf (Vertrauens-)Schadensersatz, wenn er sein Informationsdefizit hätte vermeiden können. Denn es hätte dann zu seiner Verständigungspflicht gehört, seine Willenserklärung unter einen entsprechenden Vorbehalt zu stellen oder von einem Vertragsschluß ganz abzusehen. 305 7. Tragfähigkeit

der

Geschäftsgrundlagenlehre

Zwei Gründe sprechen dafür, bei der allgemein für erforderlich gehaltenen Materialisierung des Vertragsrechts die Erweiterung der vertraglichen Einigung auf die Geschäftsgrundlage miteinzubeziehen. Der erste Grund liegt in der Ausgestaltung der rechtsgeschäftlichen Einigung durch die heute vorherrschende Ansicht. Die Ausrichtung der Verständigungspflicht auf den wirklichen Willen des anderen nimmt der Rechtsfolgentheorie viel von ihrer Uberzeugungskraft. Wenn alle erkennbaren Umstände einschließlich ortet die Lösung dogmatisch in §242 BGB, bezieht die Lösungskriterien aber, in Anlehnung an Kramer, aus einer Analogie zu §§119, 122 BGB. 301 Henssler, Risiko, S.36ff., mit von Kramer abweichenden, zudem mit der subjektiven Geschäftsgrundlagenlehre nicht ganz identischen Vorstellungen über die tatbestandlichen Voraussetzungen des Anfechtungsrechts, siehe bereits oben zu Fn.253, 254. 302 Zumindest in der Rechtsfolge entspricht dies der etlichen europäischen Rechtsordnungen bekannten Rechtsfigur des erkennbaren Irrtums, vgl. Kötz, Vertragsrecht, S. 286ff.; zum Zusammenhang mit der verständigungstheoretisch begründeten Informationspflicht vgl. S.285f. 303 Die Rechtsnatur der Rechtsfolgenbestimmung - Rechtsfindung oder Rechtsgestaltung kann hier nicht näher erörtert werden; dazu etwa MünchKommARot^, BGB, 3. Aufl., §242 Rn. 551ff. 304 Auch der B G H hat im Rahmen der Geschäftsgrundlagenlehre bereits Ersatzpflichten vorgesehen, vgl. LM §242 BGB (Bb) Nr.20. Siehe auch PrALR I 5 §§380, 381. MünchKomm/Äramer, BGB, 3. Aufl., § 119 Rn.97ff., kommt im Rahmen seines Rechtsfortbildungsansatzes nicht zur Anwendung des § 122 BGB, weil dem clausula-Gegner nicht nur die Vorstellung des clausula-Interessenten, sondern auch ihre Unrichtigkeit offensichtlich sein mußte (a.a.O., Rn. 101). 305 Siehe S. 270.

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung

über die Grundlagen

des Vertrages

261

der Wertungsgrundlagen zur Bestimmung des Rechtsfolgewillens heranzuziehen sind, wenn der erklärte Rechtsfolgewille soweit als erkennbar an den materiellen Willen angenähert werden soll, ist die Unerheblichkeit wesentlicher materieller Willenselemente, die den Rechtsfolgewillen zwar nicht mehr positiv prägen, aber seine Beschränktheit und Bedingtheit zu erkennen geben, schwer zu rechtfertigen. Jedenfalls liegt eine Korrektur an dieser Stelle am nächsten, wenn die Korrekturbedürftigkeit des gesetzlichen Umgangs mit enttäuschten Wertungen grundsätzlich anerkannt wird. Zumal andererseits die tatsächliche Gemeinsamkeit der Wertungsgrundlagen als erheblich für den Rechtsfolgewillen betrachtet wird. Gerechtigkeit im Vertrag ist soweit als möglich durch eine Verbesserung der Selbstbestimmung zu realisieren. Die „objektive" Bestimmung des gerechten Vertragsinhalts ist nachrangig.306 Diese Erkenntnis legitimiert die Geschäftsgrundlagenlehre und ihren Vorrang gegenüber materialen Korrekturansätzen. Die Geschäftsgrundlagenlehre schöpft das willenstheoretische Begründungspotential für die hier in Rede stehende Gerechtigkeitsproblematik ab. Daß dieses Potential nicht für eine komplette willenstheoretische Lösung des Problems reicht, daß die Geschäftsgrundlage der Ergänzung durch materiale Prinzipien bedarf, ist kein Grund, es nicht zu nutzen. Kritik, die der Geschäftsgrundlagenlehre die Heranziehung materialer Prinzipien als Schwäche anrechnet, verfehlt diesen Zusammenhang. Es ist gezeigt worden, daß die Geschäftsgrundlagenlehre für die tatbestandliche Konkretisierung der Korrektur des formalen Vertragsrechts Erhebliches leistet. Materiale Prinzipien wie „Treu und Glauben", „Opfergrenze", „Zumutbarkeit" 307 usw. sind nicht imstande, die Legitimität eines korrigierenden Eingriffs in den formal intakten Vertrag so plausibel zu machen wie die Geschäftsgrundlagenlehre. Die von Koller vorgeschlagenen Prinzipien der (abstrakten) Risikobeherrschung und Risikoabsorption 308 sind zwar konkreter, basieren indessen auf der ordnungstheoretischen Zielsetzung wirtschaftlicher Effizienz, die, wie an anderer Stelle bereits vermerkt, in dieser Allgemeinheit nicht als Rechtsfortbildungsprinzip zugunsten einer Materialisierung nachzuweisen ist. 309 Freilich kann Siehe S.78ff., 85£. Fikentscher, SchuldR, 9. Aufl., Rn. 170ff., 174ff.; Esser/Schmidt, SchuldR 1/2, 7. Aufl., §24 I 2 a, S. 36. 308 Koller, Risikozurechnung, S.78ff., lOOff. und S.89ff., 178ff. Der „Sphärengedanke" besagt, solange er nicht ins Konturlose gerät, nichts anderes (so letztlich auch die Einschätzung von Henssler, Risiko, S. 60, der (a.a.O., S. 60ff.), um eine Wiederbelebung des Sphärengedankens bemüht ist; gegen die Sphärentheorie Staudinger/Oifo, B G B , 13. Bearb., §324 Rn.28 m.w.N.; anders vor allem Beutkien, Zweckerreichung, S. 80ff. Das von Koller zudem vorgeschlagene Prinzip arbeitsteiliger Veranlassung (Risikozurechnung, S. 95ff., 193 ff.) ist dagegen zu Recht weitgehend auf Ablehnung gestoßen, siehe näher Staudinger/Otto, B G B , 13. Bearb., §324 Rn.31; Lembke, Vorhersehbarkeit, S. 126ff. 306 307

3 0 9 Siehe S. 59ff. Es macht einen nur rechtstechnischen, keinen grundsätzlichen Unterschied, ob die „größere Kompetenz" (Beherrschungsvorsprung, usw.) zu vorvertraglichen Verhaltenspflichten führt oder zur vertraglichen Risikotragung - „Störung" ist in beiden Fällen die Abwei-

262

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

man die Prinzipien der Risikobeherrschung und der Risikoabsorption sowie das Prinzip der Risikoerhöhung310auch als Ausformung individualer Vertragsgerechtigkeit begreifen und so in das Vertragsrecht integrieren, zumal das Gesetz selbst in zahlreichen Regelungen Risikobeherrschung und Risikoabsorption als erheblich wertet.311 Nur schließt weder die rechtliche Relevanz dieser Prinzipien noch ihre systematische Zusammenschau im Rahmen eines Rechtsfortbildungskonzepts (Koller) die aus der Subjektivierung der Verständigung entwickelte Geschäftsgrundlagenlehre und deren Wertungen aus.312 Koller selbst kommt letztlich ohne die Wertungen der Geschäftsgrundlage nicht aus. Im Gerätevertriebsfall hatte ein Produzent einem Eigenhändler mehrere hochwertige Geräte verkauft. Kurz darauf brachte er verbesserte Typen auf den Markt, die die bereits gelieferten Maschinen als überholt erscheinen ließen. Koller sieht den entscheidenden Grund für die Risikotragung des Produzenten darin, der Händler habe „erwarten (dürfen), daß der Schuldner (Händler) bei seinen Entscheidungen über die Typenänderung auch die Vertriebssituation des Vertragshändlers berücksichtigt". 313 Aber diese Erwartung gründet in nichts anderem, als darin, daß der Händler dem Produzenten seine diesbezüglichen Wertungsgrundlagen vermittelte und dieser ihnen nicht widersprach.314 Hätte der Produzent von der Situation und den Absichten des Händlers nichts gewußt, hätten die Parteien nicht über den Vertrieb der Geräte gesprochen usf., wäre der Käufer nicht schutzwürdig, trotz Beherrschbarkeit der Typenneueinführung seitens des Verkäufers. Im übrigen ist eine Risikoverteilung im Wege der Einzelanalogie zu konkreten gesetzlichen Regelungen, die diese Prinzipien verwirklichen,315 und in Anlehnung an vertragstypische Risikoverteilungen316 nicht ausgeschlossen. All das tut der Erweiterung der vertraglichen Verständigung durch die Geschäftsgrundlage keinen Abbruch. Das hier vertretene Verständnis der Geschäftsgrundlagenlehre sieht sich dem Vorwurf des Rechtssicherheitsverlustes ausgesetzt.317 Von einem formalen Standpunkt aus betrachtet trifft dies zu. Der Einwand relativiert sich, wenn man die Geschäftsgrundlage mit der eigentlich zur Diskussion stehenden Alternative vergleicht: mit einem auf die Willensbildung begrenzten Materialisierungsansatz, der chung des tatsächlichen Verlaufs von jenem, den die andere Partei ihrer rechtsgeschäftlichen Erklärung zugrunde gelegt hat. 310 Vgl. Singer; Verbot, S. 134; Canaris, Vertrauenshaftung, S. 482. 311 Vgl. Staudinger/Otto, BGB, 13. Bearb., §324 Rn.32ff. 312 Vgl. dazu Roth, AcP 1981, 145, 149. 313 Koller, Risikozurechnung, S. 341. 314 Dazu und zur Abgrenzung gegenüber dem „normalen" Risiko der Typenänderung BGH LM §242 BGB (Bb) Nr. 36; siehe auch Roth, AcP 181, 145, 149. 315 Als Beispiel seien §645 Abs. 1 BGB und die dazu vertretenen Analogievorschläge (dazu Staudinger/Ofto, BGB, 13. Bearb., §324 Rn. 22ff.) genannt, dabei unterstellt, man folgt der Deutung der Vorschrift im Sinne eines Prinzips abstrakter Beherrschbarkeit und dem Prinzip arbeitsteiliger Veranlassung durch Koller, Risikozurechnung, S. 157ff. 316 Siehe die Darstellung der Rechtsprechung bei Lemhke, Vorhersehbarkeit, S. 78ff. 317 Siehe etwa Koller, Risikozurechnung, S.44ff.

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

263

entweder mit materialen Prinzipien auf höchstem Abstraktionsniveau („Treu und Glauben", „Redlichkeit", „Unzumutbarkeit") gewiß keine größere Erkenntnissicherheit bietet oder mit konkreteren Prinzipien weithin als zu eng empfunden wird. Und es darf nicht vergessen werden, daß zumindest die tatbestandliche Fixierung der Geschäftsgrundlage nach relativ „harten" Regeln verläuft.

I I I . Die Erstreckung der Verständigungspflicht auf wesentliche Wertungsgrundlagen durch die Geschäftsgrundlagenlehre Die subjektive Geschäftsgrundlage besteht in einer Einigung. Einigung aber setzt Verständigung voraus. Verständigung wiederum ist nur möglich, wenn jede Partei sich um ein richtiges Verständnis der jeweils anderen Seite - hier: ihres materiellen Willens, ihrer Wertungen - bemüht. Die subjektive Geschäftsgrundlage erweitert die vorvertragliche Verständigungspflicht auf den materiellen Willen, auf Wertungsgrundlagen. Die Geschäftsgrundlagenlehre verpflichtet die Parteien im Prinzip beim Vertragsschluß zur Verständigung über die Geschäftsgrundlage. Keine Partei darf ihr Verständigungsbemühen von vornherein auf den Rechtsfolgewillen beschränken, sondern muß auch etwaige nicht in den Rechtsfolgewillen integrierbare Wertungsgrundlagen der anderen Partei zur Kenntnis nehmen und gegebenenfalls darauf reagieren. Die Geschäftsgrundlagenlehre hat die vertragliche Verständigung und die mit ihr verknüpfte Verständigungspflicht erweitert auf die dem geäußerten Rechtsfolgewillen zugrunde liegenden Wertungen.318 Wie bei der Verständigung über den Rechtsfolgewillen ist diese Pflicht nur Verfahrens-, nicht Erfolgspflicht. Sie fordert (selbstverständlich) nicht, auf Interessen der anderen Seite inhaltlich einzugehen, sondern nur, sie nach Möglichkeit, d.h. soweit nach außen hinreichend deutlich geworden, richtig zu verstehen und sich zu ihnen hinreichend deutlich, im positiven oder negativen Sinne, zu erklären. Maßgeblich ist der individuelle Empfängerhorizont. Entscheidend ist, wie der Gegner die Vorstellungsmitteilung, sie sei ausdrücklich oder konkludent, verstehen mußte.319 Die gebräuchliche Formel der subjektiven Geschäftsgrundlage basiert auf dieser Verhaltenspflicht.

318 Auch wenn man die Gemeinsamkeit der Vorstellungen nicht als Ergebnis einer Einigung, sondern einer bloßen „Zurechnung" sieht, wäre von einer Erweiterung der Verständigungspflicht zu sprechen. Denn die Zurechnung beruht darauf, daß man die geschäftserheblichen Wertungen des anderen nicht genügend beachtet und nicht ausreichend auf sie reagiert hat. 319 Das meint wohl die in Rechtsprechung und Literatur gebräuchliche Formel, es seien jene erkennbaren Vorstellungen als geschäftserheblich zu betrachten, auf die der Kontrahent sich billigerweise einlassen mußte, vgl. Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §38 Rn. 14; V-A^TAX! Heinrichs, BGB, 57. Aufl., §242 Rn. 113.

264

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

IV. Die Informationspflicht über wesentliche Wertungsgrundlagen als Bestandteil der Verständigungspflicht bei klärungsbedürftiger Erklärungssituation Die Analyse des rechtsgeschäftlichen Einigungsprozesses hat gezeigt, daß die Verständigungspflicht sich zur Informationspflicht verdichtet, wenn das Erklärungsverhalten einer Partei beim Kontrahenten zu Zweifeln an der Ubereinstimmung von erklärtem Rechtsfolgewillen und wirklichem Willen führen muß, wenn einerseits eine Erklärung bestimmten Inhalts vorliegt, andererseits aber Anhaltspunkte darauf hindeuten, daß der Erklärende sich über den Inhalt des von ihm Geäußerten irrt oder dies zumindest möglich ist.320 Vergleichbare aufklärungsbedürftige Zweifel können sich auch bei der Verständigung über Wertungsgrundlagen einstellen, und zwar dann, wenn für den Erklärungsempfänger erkennbar ist, daß der Rechtsfolgewille des Erklärenden auf einer fehlerhaften Wertungsgrundlage beruht oder dies zumindest möglich ist. Dann ist zu klären, auf welcher Grundlage der Rechtsfolgewille steht bzw. ob er trotz fehlerhafter Wertungsgrundlage aufrechterhalten und somit auf eine andere Wertungsgrundlage gestellt wird oder nicht gelten soll. Dies geschieht dadurch, daß der Empfänger den Erklärenden auf die Unrichtigkeit der Wertung hinweist. Äußert etwa beim Verkauf eines Architektenbüros der Käufer, er gedenke den Kaufpreis aus den Einnahmen zu finanzieren, muß der Verkäufer ihn informieren, wenn er weiß, daß dies nicht möglich ist.321 Erfährt der Vermieter im Krönungszugfall davon, daß der Zug nicht stattfindet, muß er den Mieter vor Vertragsschluß auf diese Abweichung der Realität von dessen Vorstellung hinweisen.322 Die Aufklärung ist in diesen Fällen die einzig richtige Verständigung. Die Verständigung soll zur Klärung der beiderseitigen Standpunkte führen. Dem würde es nicht gerecht, wenn eine Partei den Vertrag schließt, wohl wissend, daß ihm die Geschäftsgrundlage fehlt. Und es gibt hier auch keinen Grund, die wissende Partei zu schützen. Weil die Verständigung den wirklichen Willen des Gegners ermitteln soll, muß jede Partei etwaige Informationsdefizite des Gegners zur Kenntnis nehmen, so sie erkennbar sind und darf sich nicht von vornherein auf dessen Eigenverantwortung verlassen. Wenn aber jede Partei in diesem Rahmen auf Wertungsgrundlagen der anderen Seite achten und auf sie reagieren muß, muß sie auch ihr diesbezügliches Wissen einsetzen. Folgt man der hier entwickelten Sicht der subjektiven Geschäftsgrundlage, gibt es keinen Grund, warum eine Partei ihr Wissen bezüglich Dazu und zum Fall der Undeutlichkeit S.212ff. Vgl. B G H BB 1977,1171 f., wo allerdings keine derartige Äußerung vorlag und dem B G H allein die Tatsache der Ratenzahlung nicht genügte, eine Geschäftsgrundlage dieses Inhalts anzunehmen. 322 So im Ergebnis auch Latenz, Geschäftsgrundlage, 3. Aufl., S. 163, trotz seiner ablehnenden Haltung gegenüber einer über den gemeinsamen Irrtum hinausgehenden willenstheoretisch fundierten Geschäftsgrundlage. 320 321

5 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

265

solcher Umstände, die für die andere Seite erkennbar geschäftserheblich sind, sollte vorenthalten können. 3 2 3 D i e Pflicht, vorhandenes Wissen einzusetzen, ist eine K o n s e q u e n z der auf individuelle Verständigung zielenden Verständigungspflicht. D i e Informationspflicht ist gewissermaßen das Produkt aus Verständigungspflicht und Kenntnis der dazugehörigen Tatsachen. A m häufigsten wird die zur Informationspflicht führende Situation eintreten, wenn der Erklärende keine besondere Mitteilung über Wertungsgrundlagen gemacht hat. In solchen Fällen liefern die erkennbaren geschäftserheblichen Interessen auf Seiten des Erklärenden den einzigen Anhaltspunkt für dessen Wertungsgrundlagen. D a der Erklärungsgegner zunächst davon ausgehen darf, daß der E r klärende die Fehlerfreiheit seiner Wertungsgrundlagen überprüft hat, muß er die Willenserklärung im Verein mit den erkennbaren Interessen nicht als konkludente Vorstellungsmitteilung auffassen; er darf den Erklärenden also dahin verstehen, daß dieser seine Willenserklärung nicht mit Wertungsgrundlagen dieses Inhalts verknüpft. K e n n t der Empfänger aber in dieser Situation die wirkliche Lage und ist für ihn erkennbar, daß sie für die geschäftserheblichen Interessen des Erklärenden nachteilig sind, kann er nicht mehr darauf vertrauen, der Erklärende habe sich die nötigen Informationen besorgt und darf dessen Verhalten nicht mehr dahin verstehen, der Erklärende verbinde seine Willenserklärung nicht mit entsprechenden tragenden Wertungen. D i e Erklärungslage wird für den Empfänger zweifelhaft und klärungsbedürftig. E r muß diese Zweifelhaftigkeit „aufklären", indem er nachfragt und hinweist. Anders wäre wiederum zu verfahren, wenn der Empfänger Anhaltspunkte dafür hat, der Erklärende habe sich tatsächlich informiert, so z u m Beispiel wenn dieser sich als fachkundig geriert. D a n n hat die erkennbare Nachteiligkeit des Vertragsschlusses keinen entsprechenden Aussagewert. Einige Rechtsprechungsbeispiele mögen diese verständigungstheoretische Begründung vorvertraglicher Informationspflichten veranschaulichen und belegen. I m Bausparfall

ist das erkennbare wesentliche Interesse des Sparers, daß die

Zuteilungsfristen nicht erheblich über dem Ü b l i c h e n liegen. F ü r die Bausparkasse ist aufgrund ihres besseren Wissens die Fehlerhaftigkeit dieser Wertungsgrundlage erkennbar, und sie muß diesbezüglich begründete Zweifel am Rechtsfolgewillen durch Aufklärung ausräumen. 3 2 4 I m Fall der Bürgschaft

für einen bereits oder

absehbar insolventen Schuldner 3 2 5 gehört schon der „ N a t u r " des Vertrages nach Zu GrenzenS. 294ff. B G H N J W 1976, 892 verneint eine Haftung, da im dortigen Sachverhalt zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses eine erhebliche Verlängerung nicht absehbar war. Weitere Rechtsprechung bei Soergel/Wiedemann, B G B , 12. Aufl., Vor §275 Rn.314. 3 2 5 Vgl. O L G Hamm ZIP 1982,1061,1062. Dagegen betont die Rechtsprechung zu Recht, es gebe keine generelle Pflicht des Gläubigers, den Bürgen über das Bürgschaftsrisiko aufzuklären, vgl. R G H R R 1936, Nr. 396; R G LZ 1930, Sp. 179f.; B G H WM 1978, 924f.; denn der Gläubiger darf davon ausgehen, daß ein nicht allgemein unerfahrener Rechtsgenosse dieses Risiko kennt. B G H W M 1974,1129,1130, läßt offen, ob der Gläubiger zur Aufklärung verpflichtet ist, wenn dieser erkennt, daß der Bürge sich über den Umfang der Bürgschaft irrt. In B G H W M 1966,944 323

324

266

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

zur Wertungsgrundlage des Bürgen, daß der Schuldner nicht insolvent ist. Weiß der Gläubiger besser Bescheid, kann er, so für einen entsprechenden Kenntnisstand des Bürgen nichts ersichtlich ist,326 die Fehlerhaftigkeit der Wertungsgrundlage erkennen und muß Klarheit durch Aufklärung herbeiführen. Im ArbeitnehmerbeteiligungsfalP27 war für die eine Unternehmensbeteiligung vermittelnde Bank erkennbar, daß der erwerbende Arbeitnehmer nicht von einer realen Gefahr der Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens und der unmittelbaren Auswirkung der Insolvenz auf seine Beteiligung ausging. Da die Bank sowohl die prekäre Finanzlage des Unternehmens als auch die rechtliche Gestaltung der Beteiligung und damit die Auswirkungen einer Insolvenz auf die Arbeitnehmerbeteiligung kannte, hätte sie die Fehlerhaftigkeit der Wertungsgrundlage erkennen und dementsprechend Klarheit durch Aufklärung herstellen müssen. Ahnlich muß der Erbbauberechtigte Zweifel haben, ob der Mieter tatsächlich einen Mietvertrag abschließen würde, dessen Durchführbarkeit von einer Genehmigung des Eigentümers abhängig ist, und die damit verbundene Ungewißheit auf sich nehmen will;328 denn der Mieter geht im Zweifel von der sofortigen Durchführbarkeit des Vertrages aus und wird dementsprechend disponieren. Ist beim Abschluß eines Speditionsvertrages das Interesse des Auftraggebers erkennbar, das Gut solle zu einem bestimmten Zeitpunkt eintreffen (ohne daß dies Vertragsinhalt geworden wäre), kann der Spediteur nicht davon ausgehen, der Auftraggeber schließe den Vertrag, obgleich die nötige Beförderungskapazität nicht gesichert ist. Er muß daher eine Verständigung über diese Wertungsgrundlage herbeiführen, was eine entsprechende Aufklärung einschließt.329 Im Luisiniich tfalP30 war für die Klägerin angesichts der erheblichen Investitionen für den Vertrieb des Luisinlichts von wesentlichem Interesse, daß keine Behinderungen des Vertriebs durch gerichtliche Gegenmaßnahmen der Konkurrenz drohten. Wegen der abweichenden tatsächlichen Situation und der daraus resultierenden Fehlerhaftigkeit der Wertungsgrundlage hätte die Beklagte Zweifel am Rechtsfolgewillen der Klägerin haben und durch Information Klarheit über die Wertungsgrundlage herbeiführen müssen. Im HypotbekenzessionsfalP31 war für den Zessionar der auf einem Hausgrundstück lastenden Hypothek von wesentlichem Interesse, daß am Haus kein wesentlicher Reparaturbedarf bestand. Wegen des ihm bekannten erheblichen Reparaturbedarfs der Zentralheizungsanlage war für den Zedenten die hatte der Gläubiger den Irrtum des Bürgen veranlaßt. Siehe ferner Soergel/Wiedemann, BGB, 12, Aufl., Vor §275 Rn.323 m.w.N. 326 Daß der Gläubiger in solchen Fällen nicht mit der ordentlichen Inkenntnissetzung des Bürgen durch den Schuldner rechnen kann, betont richtig OLG Hamm ZIP 1982, 1061, 1062. 327 BGHZ 72, 92, 102ff. Siehe dazu S. llOf. 328 BGH LM Nr. 22 zu §276 BGB (Fa). 329 Vgl. O L G Düsseldorf VersR 1997, 133. 330 R G J W 1912,743 Nr. 5. 331 RGZ 103, 47, 48ff.; zur Erkennbarkeit s. S.50 („...von denen sie wußte oder sich sagen mußte...").

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

267

Fehlerhaftigkeit der Wertungsgrundlage erkennbar, weswegen er Zweifel am Rechtsfolgewillen hätte ausräumen müssen. I m JuweliergescbäftsfalP52war

die

erkennbare Wertungsgrundlage des Käufers, daß das Juweliergeschäft seine L e bensgrundlage sein solle. D e r Verkäufer mußte aufgrund seines Wissens die F e h lerhaftigkeit dieser Wertungsgrundlage erkennen und insoweit begründete Z w e i fel am Rechtsfolgewillen durch Aufklärung ausräumen. A u c h im

DaktarifalP3i

ist die v o m B G H bejahte Informationspflicht verständigungstheoretischen U r sprungs. D e r Beklagte veräußerte den Klägerinnen Verwertungsrechte an zwei in den U S A erworbenen Fernsehserien; dafür sollte er aus dem Weiterverkauf 5 0 % der Nettoeinnahmen erhalten. Einige Zeit später vereinbarten die Parteien, daß der Beklagte seine Erlösbeteiligung für 10.000 D o l l a r an die Klägerinnen verkaufte. Zu diesem Zeitpunkt verfügten diese nach Behauptung des Beklagten bereits über ein Kaufangebot des Z D F in H ö h e von 8,3 Millionen D M . Wegen seiner hälftigen Beteiligung an den Verwertungseinnahmen konnte der Beklagte an dem „Abfindungsvertrag" nur interessiert sein, weil und solange die Verwertung n o c h ungewiß war, solange n o c h keine Verwertungsverträge abgeschlossen oder ins Auge gefaßt waren. D e n n warum sollte er ohne Gegenleistung auf Geldzahlungen (konkret in H ö h e von 4 , 1 5 Millionen D M ) verzichten? Erkennbare Grundlage seines Vertragswillens war daher, daß die Kläger noch keine Verwertungsverträge abgeschlossen oder ins Auge gefaßt hatten. 3 3 4 D a ß diese Vorstellung „wesentlich" war, bedarf nach Lage der Dinge keiner Begründung. E s war daher Sache der anderen Seite, die insoweit bestehenden Zweifel am materiellen Willen des Beklagten (die hier praktisch keine waren) durch entsprechende Aufklärung zu beseitigen. 3 3 5 Zu Informationspflichten kann es auch bezüglich solcher Wertungsgrundlagen des Informationsbedürftigen k o m m e n , die aufgrund objektiver Risikowertungen nicht in die Geschäftsgrundlage einbezogen werden. D e n n sie sind nicht a priori aus der Verständigung herausgenommen, sondern nur um des Schutzes des Kontrahenten willen, der mit dem entsprechenden Wirklichkeitsrisiko nicht belastet werden darf. Dessen Schutzbedürftigkeit entfällt, wenn er die Unrichtigkeit der betreffenden Wertung kennt. So m u ß der Verkäufer des Bergfahrrades im Radurlaubfall

den v o m Käufer verfolgten Verwendungszweck

(Durchführung einer Bergtour in einer bestimmten Alpenregion) nicht als geBGH NJW 1969, 653 m. Anm. Putzo. BGH LM Nr. 52 zu § 123 BGB. 334 Dies bleibt in der Entscheidungskritik von Kotz, FS Drobnig, S. 563, 575, unberücksichtigt. Im übrigen wären die Kläger vor einer Ubervorteilung durch den Beklagten (darauf stellt Kötz a.a.O., S. 575 ab) geschützt gewesen, denn zum einen hätten sie ihrer Informationspflicht mit einem Hinweis auf die Höhe des Angebots ohne Nennung des Bieters genügt, zum zweiten hätte ein direkter Vertragsschluß des Beklagten mit dem ZDF unter Ausnutzung einer von den Klägern gelieferten Information gegen den zwischen den Parteien geschlossenen Vertrag (Nebenpflicht) verstoßen. 335 Zu den Grenzen der Informationspflicht in diesem Fall im Hinblick auf die Nutzung „produktiver" Informationen siehe S. 300f. 332

333

268

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

schäftserheblich betrachten. Wenn er aber weiß, daß das fragliche Gebiet aus Gründen des Naturschutzes für solche Unternehmungen gesperrt ist und daß Fahrrad nur für diesen Zweck gekauft werden soll, muß er aufklären. 336 Ahnlich verhält es sich mit Umständen, bezüglich derer das Risiko rechtsgeschäftlich eindeutig dem Informationsbedürftigen zugewiesen wurde, z.B. die zahlreichen Informationspflichten bezüglich Sachmängel im Kaufvertrag trotz Gewährleistungsausschlusses. Zwar kann die Mangelfreiheit angesichts des Gewährleistungsausschlusses nicht Wertungsgrundlage des Erwerbswillens sein, wohl aber die Vorstellung, daß die Kaufsache keine dem Verkäufer bekannten Mängel von erheblichem Gewicht habe; denn diese werden vom Gewährleistungssausschluß entweder bereits aufgrund besonderer Abrede oder gemäß §476 B G B nicht erfaßt. Der Verkäufer weiß hier in der Regel oder es ist für ihn erkennbar, daß die Wertungsgrundlage des Käufers insoweit fehlerhaft und der Erwerbswille daher zweifelhaft ist. Er hat daher aufzuklären; so wurde etwa im FlugscbneisenfalP37 }s entschieden oder im NachbarstreitfalP oder in zahlreichen Gebrauchtwagenfällen,,339 Auch in bezug auf allgemeines Geschäftswissen 340 kann es verständigungstheoretisch begründete Informationspflichten geben. Im WohnungsfinanzierungsfalP41 war ein wesentliches Interesse der Kläger, daß sie den Kauf der Wohnung aus ihrem Einkommen würden finanzieren können. Die beklagte Bauträgergesellschaft konnte, so sie Kenntnis der Einkommenssituation der Kläger hatte und nach den konkreten Umständen nicht von einer eigenen Berechnung der Finanzierbarkeit durch die Kläger ausgehen durfte, 342 erkennen, daß diese Wertungsgrundlage fehlerhaft war und hätte von daher herrührende Zweifel am materiellen Willen durch Aufklärung beseitigen müssen. Im KreditalternativefalP43 war es ein wesentliches erkennbares Interesse des Kunden, von mehreren Kreditalternativen die günstigste, zumindest aber nicht eine besonders nachteilige zu erhalten. Aufgrund ihres Wissens über spezifische Nachteile des über eine Kapitallebensversicherung gesicherten Konsumkredits war für die Bank erkennbar, daß die Wertungsgrundlage des Kunden fehlerhaft war und daher Klärungsbedarf be336 Gleiches gilt im Grundsatz für den Verlobungsringfall. Freilich wird wegen der Höchstpersönlichkeit des Vorgangs der Verkäufer im Zweifel keine sichere und bessere Kenntnis als der Käufer haben. Ferner mag man zweifeln, ob dem Verkäufer eine entsprechende Aufklärung angesichts der Einmischung in höchstpersönliche Angelegenheiten zumutbar ist. 337 O L G Düsseldorf VersR 1995, 1107. 338 BGH NJW 1991, 1673. 339 BGHZ 63, 382; BGH NJW 1971, 1795; 1977, 1055; 1979, 1707; 1981, 928; 1983, 217 (m. Anm. Teske, NJW 1983,2428); 1983, 2242; O L G Köln VersR 1994, 434; BayObLG VersR 1994, 989. 340 Zum Begriff näher S. 117. 341 BGH NJW 1974, 849. 342 Etwa wenn die Kläger nach dem Verlauf der Verhandlungen erkennbar noch keine Gelegenheit hatten, solche Berechnungen anzustellen, oder sich in entsprechender Weise äußerten. 343 BGH NJW 1989, 1667.

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung

über die Grundlagen

des Vertrages

269

stand. Im FranchisefalP44 war für den Franchisegeber erkennbar, daß der Franchisenehmer den langjährigen Vertrag auf Grundlage einer Standortanalyse abschloß. Wußte der Franchisegeber, daß diese Analyse keine ausreichende Basis für Prognosen war, konnte er die Fehlerhaftigkeit der Wertungsgrundlage des Franchisenehmers erkennen und hätte Zweifel durch Aufklärung beseitigen müssen. Im Auß/ebungsvertragsfall war das wesentliche erkennbare Interesse des Arbeitnehmers, daß die für eine vorzeitige Auflösung des Arbeitsverhältnisses gezahlte Abfindung nicht durch eine entsprechende Kürzung des Arbeitslosengeldanspruchs wieder erheblich entwertet werden würde. Hätte der Arbeitgeber von dieser Anrechnung gewußt oder zumindest damit gerechnet,345 war für ihn die Fehlerhaftigkeit der Wertungsgrundlage erkennbar, und er hätte Klarheit durch Aufklärung herstellen müssen.346 Im ArztgebührenfalP47 war ein erkennbares wesentliches Interesse der Kassenpatientin, nicht mit nicht erstattungsfähigen Honorarforderungen von erheblichem Umfang aus dem geschlossenen „Arztzusatzvertrag" belastet zu werden. Aufgrund seines Wissens über die Nichterstattungsfähigkeit eines Teils des Honorars konnte der Chefarzt die Fehlerhaftigkeit dieser Wertungsgrundlage erkennen und hätte durch Aufklärung Klarheit über Zweifel an der Basis des Rechtsfolgewillens herstellen müssen. Auch die richterrechtlich statuierten Informationspflichten im Hinblick auf besondere Nachteile von Börsentermingeschäfteni4S sind größtenteils verständigungstheoretischer Natur. Das gilt zum Beispiel für die Pflicht zur Aufklärung über die nachteiligen Wirkungen von (überhöhten) Optionsprämien. Es ist ein erkennbares wesentliches Interesse des Anlegers, nicht erst im Falle einer Marktentwicklung, die über das Erwartete hinausgeht, Gewinne erzielen zu können. Der Vermittler kann das aufgrund seiner Kenntnis dieses Zusammenhangs erkennen. Er kann somit die Fehlerhaftigkeit der Wertungsgrundlage erkennen und hat aufzuklären. Die Informationspflicht besteht in den angeführten Beispielsfällen nur deshalb und soweit, als der Erklärungsgegner nicht davon ausgehen darf, daß der Erklärende über den jeweiligen Umstand informiert ist. Allein auf die formale Geschäftsfähigkeit kann diese Erwartung nur beschränkt gestützt werden. Denn die subjektiv-individuelle Ausrichtung der Verständigung zwingt dazu, den individuellen Wissensstand des anderen, so er erkennbar wird, zu beachten. Insoweit bestehende Wissensdefzite können bereits durch eine erhebliche Nachteiligkeit Vgl. O L G Rostock D B 1995, 2006. Zum maßgeblichen Wissensgrad siehe S. 281 f. 346 Vgl. L A G Hamburg L A G E §611 B G B Aufhebungsvertrag Nr. 9 (m. Anm. Welslau und Schwarze). Das L A G stützt eine Aufklärungspflicht unzutreffend darauf, daß die Inititative zur Aufhebung des Arbeitsvertrages vom Arbeitgeber ausging (a.a.O., S. 7), argumentierte also „vertrauenstheoretisch". Ebenso unzutreffend erachtet es eine dem Arbeitnehmer eingeräumte Bedenkzeit von zwei Tagen für unbeachtlich (a.a.O., S. 7,9). Der Arbeitgeber habe daraus nicht auf eine „Eigeninformation" des Arbeitnehmers schließen dürfen. Das Gegenteil ist richtig. 347 Zur Rechtsprechung in diesem Punkte Michalski, VersR 1997, 137, 142ff. m.w.N. 348 Siehe S. 181 ff. 344

345

270

y Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung der Verständigung

des Vertrages angezeigt sein oder sich auch aus Wissenstypizitäten ergeben (etwa, daß der durchschnittliche Arbeitnehmer nicht über die Anrechnung v o n A b f i n dungen in der Arbeitslosenversicherung informiert ist oder der typische Anleger nichts über die nachteiligen Wirkungen bestimmter Optionsgestaltungen bei Börsentermingeschäften weiß). D i e Beispiele belegen die Leistungsfähigkeit des hier entwickelten Modells verständigungstheoretisch begründeter Informationspflichten. Sie belegen ferner, daß ein großer Teil der von der Judikatur statuierten Informationspflichten seinen G r u n d im Verständigungsprinzip hat. J e n e Fallbeispiele, die weder vertrauenstheoretisch n o c h paritätstheoretisch zu erklären waren, sind verständigungstheoretisch zu begründen.

V. Die Verantwortlichkeit des Informationsberechtigten Parallel zur Verteilung der Verständigungspflichten auf der E b e n e der rechtsgeschäftlichen Einigung ist der Informationsberechtigte seinerseits wegen Verletzung der ihm obliegenden Verständigungspflicht schadensersatzpflichtig, wenn er sein Informationsdefizit hätte vermeiden können. D a n n nämlich wäre er verpflichtet gewesen, seine Willenserklärung unter einen entsprechenden Vorbehalt zu stellen oder überhaupt anders zu formulieren oder ganz auf sie zu verzichten. 3 4 9 E r hat dem Informationspflichtigen bei Aufhebung des Vertrages 3 5 0 dessen Vertrauensschaden zu ersetzen, freilich unter Anrechnung dessen (Mit-)Verschuldens. Eine Ersatzpflicht gemäß oder analog § 122 B G B besteht dagegen nicht, weil der Informationspflichtige, anders als im Falle der Geschäftsgrundlagenstörung, das Informationsdefizit auf Seiten des Informationsberechtigten hätte erkennen müssen (analog § 1 2 2 Abs. 2 B G B ) . D i e Schadensersatzpflicht des I n f o r mationsberechtigten macht den Schutz durch die Informationspflicht nicht wertlos, denn in der Regel, das gilt vor allem für „Verbrauchergeschäfte", wird der wesentliche oder ausschließliche Schaden in der Bindung an einen nicht gewollten Vertrag liegen, d.h. der größere Teil des Schadens liegt in der Regel beim I n f o r m a tionsberechtigten. Außerdem besteht die Schadensersatzpflicht nur für den, der seinen Irrtum hätte vermeiden können. D e r Schadensersatzanspruchs des I n f o r mationsberechtigten wird zudem gem. § 2 5 4 B G B gemindert. 3 5 1

349 Ähnlich, aber auf die Herbeiführung der Unwirksamkeit des Vertrages abstellend, Grigoleit, Informationshaftung, S. 259f. 350 Zu dieser Rechtsfolge der Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten näher S. 306ff. 351 Näher S.320ff.

§ 3 Informationspflichten

zur Verständigung über die Grundlagen des Vertrages

271

VI. Ökonomische Folgenabschätzung Die verständigungstheoretische Begründung vorvertraglicher Informationspflicht hält einer ökonomischen Folgenabschätzung stand. 352 Dafür läßt sich zunächst die seit langem bestehende gerichtliche Praxis anführen, die in ihren Grundstrukturen keine erheblichen Nachteile für den Gesamtnutzen gezeitigt hat und die das praktiziert, was hier theoretisch entwickelt worden ist. Es ist ferner nicht ersichtlich, daß eine andere Verteilung der Informationslasten ökonomisch vorzugswürdig wäre. Die Verteilung der Informationslast nach dem Prinzip formaler Selbstbestimmung hat ihre ökonomischen Vorzüge in der Stärkung von Anreizen zur Informationsgewinnung; ihr Nachteil liegt darin, daß sie das Risiko ungewollter Verträge erheblich erhöht. In der Verringerung dieses Aufwandes liegt der Vorzug des hier entwickelten Konzepts, das beide Parteien dazu anhält, das Ihre zur Vermeidung eines solchen Fehlschlags beizutragen. Sein Vorteil im Vergleich wiederum zu einer Informationslastverteilung nach (wie auch immer begründeten) „Unterlegenheiten" 353 besteht in der präziseren Koordination der Informationskompetenzen. Denn bei der Pflicht zur unaufgeforderten Aufklärung geht es zunächst nur um die Feststellung des Informationsbedarfs 354 (auch dies ist eine Information), beim Gebrauchtwagenkauf etwa um die Aufklärung des Käufers darüber, daß seine Vorstellung von der Unfallfreiheit und die Wirklichkeit nicht übereinstimmen müssen, da die Unfallfreiheit des Fahrzeugs nicht gesichert ist. Im Hinblick auf diese Information - die Klärung des Informationsbedarfs - hat aber auch die Partei, deren „Kompetenz" im Vergleich geringer sein mag, eine relevante Information: die Information nämlich über das, was ihr wichtig ist (z.B. die Unfallfreiheit) und die Information, welchen Kenntnisstand sie besitzt (im Beispiel über die Unfallfreiheit). Das Unterlegenheitskriterium blendet diese Informationskompetenz aus, da es dem Informationskompetenteren die alleinige Informationslast zuweist, nämlich schon die Unterlegenheit genügen läßt, um eine Aufklärungspflicht zu statuieren. Dagegen hält die Konzeption der Verständigungspflicht den Informationsbedürftigen über § 254 BGB und gegebenenfalls eine eigene Haftung dazu an, seine Informationen beizusteuern, wo ihm dies möglich und zumutbar ist. 355 Eine damit einhergehende partielle Doppelung in der Verantwortlichkeit für die Verständigung entspricht den Infor-

352 Siehe dazu die Ausführungen von Kronman, The Journal of Legal Studies Bd. 7 (1978), 1, 23. Zum rechtstheoretischen Status der ökonomischen Analyse (Abschätzung der Folgen einer Rechtsfortbildung) siehe S. 71 ff. 353 Gemeint ist hier nicht Unterlegenheit im Sinne allgemeiner geschäftlicher Unerfahrenheit, die auch nach der hier vertretener Ansicht rechtlich relevant ist (vgl. S. 154ff.), sondern jene spezielle Unterlegenheit (des Verbrauchers usw.), die von kompensatorischen Theorien als Kriterium der Informationslastverteilung verwandt wird, siehe dazu S.50ff., 149ff., 178ff., 183ff. 354 Siehe S. 10. 355 Vgl. S.218,270, 320ff.

272

5. Teil: Informationspflichten zur Gewährleistung der Verständigung

mationskompetenzen der Beteiligten; sie ist angesichts der großen G e f a h r unzureichender Klärung von Inhalt und Grundlagen eines Vertrages aus Sicht des G e samtnutzens sinnvoll, wenn man bedenkt, daß die den Beteiligten abverlangten Anstrengungen (Wissen mitzuteilen) gering sind, die Folgen einer gescheiterten Verständigung (Rückgängigmachung des Vertrages oder Bindung an einen nicht gewollten Vertrag) dagegen erheblich. D i e ökonomische Folgenabschätzung der hier vorgeschlagenen T h e o r i e ist somit positiv. Das gilt aber zunächst nur für die K o n z e p t i o n der Verständigungspflicht im allgemeinen. E s kann sein, daß die Folgenabschätzung punktuell, in einzelnen Konstellationen negativ ausfällt und dabei von so erheblichem G e w i c h t ist, daß die rechtsfortbildende Statuierung einer Informationspflicht zu unterbleiben hat. Wegen des systematischen Kontextes wird dies zusammen mit anderen ordnungstheoretischen G r e n z e n der Informationspflicht behandelt. 3 5 6

VII.

Zusammenfassung

D i e strenge Beschränkung der vertraglichen Einigung auf den Rechtsfolgewillen führt zur Unterscheidung zwischen dem (erheblichen) Willensinhalt und der (eigentlich unerheblichen) Willensgrundlage (Wertungsgrundlage). D i e subjektive Ausrichtung der vertraglichen Verständigung auf den materiellen Willen des E r klärenden macht diese strikte Trennung fragwürdig, da erkennbare Wertungsgrundlagen in den Vertrag einbezogen werden, soweit die Willenserklärung entsprechend deutungs- und aufnahmefähig ist. Angesichts eines weiten Konsenses über die Ergänzungsbedürftigkeit der formalen gesetzlichen Regelung hinsichtlich der Enttäuschung von Wertungsgrundlagen liegt es nahe, Wertungsgrundlagen in die Willenseinigung einzubeziehen, soweit sie nach außen getreten und bei entsprechendem Verständigungsbemühen für den anderen erkennbar sind. D e r Rechtsfolgewille ist dafür allerdings nicht die geeignete Kategorie. D i e Wertungsgrundlage kann nicht allein aufgrund ihrer Erkennbarkeit als Voraussetzung ( B e dingung) des Rechtsfolgewillens aufgefaßt oder gar dem Leistungsinhalt zugeschlagen werden. Andererseits ist die Unterscheidung zwischen Willensinhalt und Willensgrundlage genügend wertungsstark, u m die Beseitigung der R e c h t s folgentheorie zugunsten einer Theorie des materiellen Geschäftswillens zu verhindern. D i e „Geschäftsgrundlage" ist die geeignete dogmatische Kategorie, die willenstheoretische Bedeutung von Wertungsgrundlagen angemessen zu erfassen und für den Vertrag relevant werden zu lassen. D i e Geschäftsgrundlage beruht zuvörderst auf einer Einigung der Vertragsparteien über ihre Wertungsgrundlagen. Diesbezüglich trifft die Parteien eine Verständigungspflicht, die jede Partei verpflichtet, tragende Wertungen der anderen 356

Vgl. S.300ff.

§ 4 Der individuelle

Verständnishorizont

273

Seite zur Kenntnis zu nehmen und ihnen beim Abschluß des Vertrages zu widersprechen, wenn sie nicht Geschäftsgrundlage werden sollen. Die Wertungsgrundlagen können ausdrücklich oder konkludent mitgeteilt werden. Eine konkludente Mitteilung kann sich aus der Willenserklärung im Verein mit den erkennbaren geschäftserheblichen Interessen ergeben. Allerdings dürfen die Parteien davon ausgehen, daß die jeweils andere sich über die Richtigkeit ihrer Wertungsgrundlagen hinreichend informiert hat. Erst wenn im Zuge der vertraglichen Verständigung für den Kontrahenten (aufgrund seines individuellen Wissens) ein anderer Wissensstand des Erklärenden erkennbar wird, muß er die Mitteilung bzw. Erkennbarmachung der Wertungsgrundlagen als geschäftlich erheblich betrachten und darauf mit Widerspruch reagieren, sollen sie nicht in die Geschäftsgrundlage des Vertrages eingehen. Damit fordert und ermöglicht die Geschäftsgrundlagenlehre eine Verständigung über die Vertragsgrundlage. Diese Verständigung folgt denselben Regeln wie jene über den Vertragsinhalt. Das aber heißt: Die Verständigungspflicht verdichtet sich zur Informationspflicht, wenn für den Erklärungsempfänger erkennbar ist, daß der Rechtsfolgewille des Erklärenden auf einer fehlerhaften Wertungsgrundlage beruht oder dies zumindest möglich ist. Dann ist, wenn der Erklärungsempfänger weiter einen Vertragsschluß anstrebt, zu klären, auf welcher Grundlage der Rechtsfolgewille steht bzw. ob er trotz fehlerhafter Wertungsgrundlage aufrechterhalten und somit auf andere Wertungsgrundlagen gestellt wird oder nicht gelten soll. Dies geschieht dadurch, daß der Empfänger den Erklärenden auf die Unrichtigkeit der Wertung hinweist.

§4 Der individuelle Verständnishorizont I. Maßgeblichkeit des individuellen Wissensstandes Die Frage, ob eine klärungsbedürftige Situation vorliegt und deshalb eine Informationspflicht entsteht, ist maßgeblich abhängig vom Wissenshorizont der Parteien. Ein und dasselbe äußere Erklärungsverhalten erhält je nach dem Wissenstand des Erklärenden und/oder des Erklärungsempfängers eine unterschiedliche Bedeutung. Tendenziell wird die Verständigungspflicht zur Informationspflicht, wenn eine Partei mehr weiß als die andere; nur dann kann ihr das Erklärungsverhalten der anderen zweifelhaft und damit „aufklärungsbedürftig" erscheinen. Nur darin, im unterschiedlichen Wissensstand bezüglich der fraglichen Tatsache, liegt im übrigen der Unterschied zwischen Störung der Geschäftsgrundlage und vorvertraglicher Aufklärungspflicht. Damit erfüllt die verständigungstheoretische Deutung der Informationspflichten die im vorherigen Teil dieser Untersuchung erhobene Forderung nach einem dogmatischen Rahmen, der es gestattet, die konkrete Wissensüberlegenheit einer Partei als maßgeblichen Topos für die

274

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

Entstehung vorvertraglicher Informationspflichten heranzuziehen. Die „Gestaltung" des Wissenshorizontes bestimmt maßgeblich über die Reichweite vorvertraglicher Informationspflichten. Wir sind bisher davon ausgegangen, daß der Informationspflichtige vom Informationsgegenstand positive Kenntnis haben muß. Diese - entscheidende - Voraussetzung der verständigungstheoretischen Informationspflicht bedarf im folgenden der Präzisierung, wirft aber zuvor die Frage auf, ob nicht möglicherweise doch Nachforschungspflichten bestehen oder Wissen nach Risikoprinzipien zurechenbar ist und damit auch für nicht präsentes Wissen gehaftet wird. So könnte im Nachbarstreitfall beispielsweise der Verkäufer des Hauses dem Käufer auch dann zur Aufklärung über die zänkischen Nachbarn verpflichtet sein, wenn er selbst von diesen gar nichts wüßte (denkbar etwa, wenn der Verkäufer das Haus bislang vermietet hatte), wäre ihm diese Information etwa aufgrund der größeren Nähe zu ihr („Beherrschbarkeit") zuzurechnen. Der Verkäufer müßte dann vor Vertragsschluß Informationsanstrengungen unternehmen. Eine solche Wissenszurechnung kann durch das Verständigungsprinzip nicht legitimiert werden. Die Pflicht zur Verständigung über die Wertungsgrundlagen verpflichtet die Parteien zum Einsatz des individuellen Wissenshorizontes, um über den formal-objektiven Erklärungsgehalt hinaus den wirklichen Willen des anderen, soweit erkennbar, richtig zu verstehen, und zwar auch im Hinblick auf die Wertungsgrundlagen. Sie verpflichtet zum Einsatz des individuellen Wissens, um das erkennbare Erklärungsverhalten des anderen richtig wahrzunehmen und zu verstehen. Sie verpflichtet dagegen nicht zu besonderen Informationsanstrengungen, also den Verkäufer im Nachbarstreitfall nicht dazu, vor den Vertragsverhandlungen an mögliche Lärmbelästigungen zu denken und diese abzuklären. Das gilt auch, wenn die fragliche Information für die informationsbelastete Partei unerkennbar ist (wenn also im Nachbarstreitfall z.B. der Käufer keinen Anlaß hatte, nach etwaigen Lärmbelästigungen zu fragen); zur Informationslast gehört auch das Risiko fehlerhaften oder unzureichenden Wissensstandes. 357 Diese Position stimmt im wesentlichen mit der Haltung der Rechtsprechung überein, die Informationspflichten, wenn nicht Vertrauen in Anspruch genommen wurde, 358 an präsentes Wissen knüpft. 359 Das ist auch in den Fällen nicht 357 Siehe S. 10,22,148ff. Entlastungen sind insoweit nur nach den Regeln der Geschäftsgrundlagenlehre möglich. 358 Ein Beispiel dafür: BGH LM §276 BGB Nr. 12 unter II. 359 Das gilt z.B. für alle auf S. 113ff., 178ff., 183ff. angeführten Entscheidungen; vgl. ferner Breidenbach, Informationspflichten, S. 71 f., 83ff., der zu einem vergleichbaren Ergebnis gelangt; ebenso MünchKomm/RotA, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.217. Das gilt auch für BGHZ 63, 382, 387 (Verkauf eines unfallgeschädigten Kfz durch einen als Vertreter agierenden Kfz-Händler). Dort heißt es zwar, der Kfz-Händler hätte sich nicht auf die Angaben des Eigentümers verlassen dürfen und das Fahrzeug genauer ansehen müssen. Der Händler wußte aber, daß der Kotflügel vom Eigentümer ausgewechselt worden war. Deshalb einen größeren Schaden als die vom Eigentümer angegebene Delle für möglich zu halten, war nur eine Schlußfolgerung aus dieser Tatsache, deren Unterlassung nicht entlastet. Diese Schlußfolgerung wiederum hätte genügt (siehe zum notwendigen Wissensgrad im folgenden S. 281 f.). Ferner beispielsweise die Rechtsprechung zu

§ 4 Der individuelle

Verständnishorizont

275

anders, in denen „Überlegenheit" der einen oder die „Unterlegenheit" bzw. „geschäftliche Unerfahrenheit" der anderen Seite die scheinbar tragenden B e g r ü n dungsmerkmale sind. 3 6 0 D e n n die „überlegene" Partei verfügt in diesen Fällen stets über präsentes Wissen, und der Rückgriff auf paritätstheoretische A r g u m e n te dürfte allein dem Mangel an anderweitiger D o g m a t i k zuzuschreiben sein. A u f der G r e n z e liegt der Betriebserlaubnis

fall.361

D i e beklagte K f z - H ä n d l e r i n hatte

einen B M W 1602 im Auftrag des Eigentümers verkauft, dessen Betriebserlaubnis wegen des Einbaus einer nicht typengerechten Zwei-Liter-Maschine erloschen war. D e r B G H hielt sie zur Aufklärung des klagenden Käufers für verpflichtet, obgleich sie von dem Vorgang nichts wußte; denn, so das Gericht, die Beklagte hätte den Wagen im H i n b l i c k auf ohne weiteres erkennbare Umstände in A u g e n schein nehmen müssen, die z u m Erlöschen der allgemeinen Betriebserlaubnis führten. E i n e solche Pflicht läßt sich nur vertrauenstheoretisch begründen. D i e Entscheidung des B G H läßt derartige Überlegungen vermissen. E s erscheint aber vertretbar, im Verkauf eines Fahrzeugs unter Gewährleistungsausschluß einen Vertrauenstatbestand des Inhalts zu sehen, daß an dem Fahrzeug jedenfalls keine Veränderungen vorgenommen wurden, die die allgemeine Betriebserlaubnis erlöschen lassen. 3 6 2 I m Zirkusfall

lag eindeutig ein Vertrauenstatbestand vor. E i n Zir-

kus hatte K o n t a k t mit einer Stadt zwecks Anmietung des Marktplatzes für die Durchführung eines Gastspiels aufgenommen. E r hatte ausdrücklich darum gebeten, kein anderes U n t e r n e h m e n in einem gewissen Zeitraum vor dem Gastspiel zuzulassen. D i e Stadt hatte darauf einen Zeitraum als „am günstigsten" vorgeschlagen, „um einen gewissen zeitlichen Abstand von den traditionellen M ä r k t e n zu sichern...". D a m i t nahm sie Vertrauen in Anspruch, es werde zu dem später vereinbarten Gastspielzeitpunkt jedenfalls keine von ihr genehmigte oder ermöglichte Veranstaltung stattfinden, die eine K o n k u r r e n z z u m Zirkusgastspiel sein Aufklärungspflichten der Bank bei Kreditgeschäften, die, soweit es um Risiken des Geschäfts geht, durchweg an positive Kenntnis geknüpft ist, soweit keine vertrauensbegründende Erklärung der Bank vorliegt, siehe die Darstellung bei Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl., Rn. 109ff. In BGH WM 1987,1455,1456, scheint sich der BGH mit einem „Sich-aufdrängen-müssen" der fraglichen Tatsache auf Seiten des Informationspflichtigen zu begnügen. In Wahrheit wurde der Informationspflichtige für die Erregung eines Irrtums des Informationsbedürftigen (über die Echtheit der Globalaktie) verantwortlich gemacht. Es lag also ein Verstoß gegen die Wahrheitspflicht vor (vgl. a.a.O., S. 1456, 2. Sp., wo es heißt, daß die Klägerin aufgrund der Erklärung des Beklagten von der Echtheit der Globalaktie ausgehen mußte). 360 Siehe S. 183ff. Der BGH stellt in manchen Entscheidungen auf den „konkreten Wissensvorsprung" als Haftungsgrund ab und greift dabei gleichfalls auf das tatsächliche Wissen zurück, vgl. BGH NJW 1989, 2881, 2882. Anders aber OLG Hamburg NJW 1987, 2937, das den Arzt verpflichtet, den Patienten über die Nichterstattungsfähigkeit von Gebühren auf der Basis höherer Steigerungssätze als der üblichen aufzuklären, da die Nichterstattungsfähigkeit dem Arzt „bekannt oder wenigstens erkennbar" sei. Indessen ist dem Arzt gerade wegen der Abweichung von den üblichen Sätzen der Gebührenordnung zumindest die Gefahr bewußt. 361 BGH NJW 1983, 217, 218, m. Anm. Teske, NJW 1983, 2428f. 362 Für dieses Vertrauen muß nach den Grundsätzen der Sachwalterhaftung auch der im Auftrag verkaufende Händler einstehen, vgl. Nachweise S. 14f., 94f.

276

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung der Verständigung

konnte. Sie wurde daher zu R e c h t wegen eines dann doch zeitgleich auf einem städtischen Platz stattfindenden „Parkfestes" z u m Schadensersatz verpflichtet. 3 6 3

II. Normative Bestimmung des tatsächlichen Wissens Normative Elemente sind bei der Bestimmung des tatsächlichen Wissens allerdings nicht ausgeschlossen. D i e Rechtssicherheit, aber auch die A b w ä g u n g zwischen den Interessen beider Parteien sprechen dagegen, tatsächliches Wissen auf einen psychischen Sachverhalt zu reduzieren. 3 6 4 Wenn auch eine Pflicht zur I n formationsbeschaffung nicht besteht, m u ß das verfügbare Wissen doch eingesetzt werden. D e r Verpflichtete bleibt nicht von jeder Anstrengung verschont. 3 6 5 E r ist verpflichtet, erkannte Informationen, zu speichern, wenn er u m deren voraussichtliche spätere Erheblichkeit weiß. 3 6 6 So m u ß der Inhaber einer Eigentumsw o h n u n g beispielsweise Informationen, die den Wert der W o h n u n g nachhaltig beeinträchtigen, ab dann „speichern", d.h. darf diese nicht wieder in Vergessenheit geraten lassen, wenn er weiß, daß er die Wohnung voraussichtlich verkaufen wird. O d e r der Autobesitzer darf erhebliche Unfallschäden nicht vergessen, wenn er weiß , daß er das Fahrzeug voraussichtlich wieder verkaufen wird. 3 6 7 D e r Grundstückseigentümer m u ß im Wissen um einen voraussichtlichen späteren Verkauf Informationen über Grundstücksablagerungen speichern, sobald er von der Gefährlichkeit der Ablagerungen erfährt. 3 6 8 D i e Verantwortung für das einmal erlangte Wissen schließt die Verpflichtung ein, seine Verfügbarkeit zu organi-

363 Der BGH (VersR 1971, 155,156) nimmt allerdings eine vertragliche Nebenpflicht an; das ist zutreffend, wenn der Mietvertrag bereits vor der Terminfestlegung zustande gekommen sein sollte. 364 Medicus, KF 1994, 5f., gegen die z.B. von v. Tuhr (AT II 1, §49, S. 130 m. S. 127 Fußn. 19) vertretene Gleichsetzung des Wissens mit (konkreter) „Vorstellung". Siehe ferner O L G Oldenburg NJW-RR 1991, 1185, 1186 („Prüfen des Gedächtnisses"). 365 Selbst bei der Arglistprüfung (§§123, 463 S. 2 BGB) nimmt die Rechtsprechung eine solchermaßen normative Betrachtung vor, etwa BGH BB 1996, 924, 925; zugespitzt Bohrer; Anm., DNotZ 1991,124,128f. („Kenntnis wird zur Soll-Kenntnis mit Annäherung an Kennenmüssen umgeformt"); siehe noch S.281, Fn.397. 366 Daß das Wissen ansonsten mit dem Vergessen endet, ist auch im Recht anerkannt, allerdings wird die Bedeutung dieses Grundsatzes durch Erfahrungsregeln erheblich eingeschränkt, vgl. Medicus, KF 1994, 4, 6; Dauner-Lieb, FS Kraft, S.43, 48. 367 Insoweit nicht überzeugend BGH NJW 1996,1205 (ebenso Flume AcP 197,441,447), wo der Angestellte K der beklagten Autohändlerin beim Ankauf des Gebrauchtwagens wegen des gewerblichen Handels der Beklagten wußte, daß dieser voraussichtlich wieder verkauft würde und die Information, daß der tatsächliche Kilometerstand erheblich höher war als angezeigt, nicht einfach in Vergessenheit geraten durfte (anders BGH a.a.O., 1206, der sich freilich auf Arglist bezieht); krit., aber mit anderer Begründung, Schultz, NJW 1997, 2093. Zur Zurechnung des wegen Unerheblichkeit des Vergessens dann anzunehmenden Wissens des K zur Kenntnis der Beklagten folgend im Text. 368 Vgl. BGH BB 1996, 924, 926.

5 4 Der individuelle

Verständnishorizont

277

sieren. 3 6 9 Ferner besteht die Pflicht, seine Geisteskräfte in der Situation von Vertragsverhandlungen anzustrengen, um gespeichertes Wissen zu aktivieren. Tatsächliches Wissen fordert also kein aktuelles Bewußtsein der jeweiligen Tatsache. Mental gespeichertes, aktivierbares Wissen ist präsentes Wissen. D a ß man im M o ment des Vertragsschlusses an einen bestimmten U m s t a n d nicht gedacht hat, ist unerheblich. Wissen, daß man „sich in Erinnerung rufen k a n n " ist verfügbar. Ein „abgeschwächtes, der gegenwärtigen Aufmerksamkeit entzogenes Bewußtsein von geringerem Deutlichkeitsgrad" und „dauerndes Begleitwissen" genügen. 3 7 0 In diesem U m f a n g ist dem Informationspflichtigen also durchaus eine Informationsanstrengung abzuverlangen; sie ist so gering, daß der damit Belastete nicht verdient, vor ihr geschützt zu werden. Andererseits genügt die bloß physische Verfügbarkeit einer Information (Zugänglichkeit) nicht. In A k t e n oder C o m p u tersystemen „gespeichertes" Wissen ist nicht automatisch „Wissen". D e n n dieses Wissen ist nicht wirklich aktuell verfügbar und seine Verfügbarmachung ist mit einem Aufwand verbunden. N u r dann, wenn der Pflichtige einen Anlaß hat, sein gespeichertes Wissen zu überprüfen, etwa weil der Berechtigte sich auf dieses Wissen bezieht, wird man es zurechnen können. 3 7 1 D e r über das Wissen Verfügende m u ß mit der Möglichkeit rechnen, daß der betreffende U m s t a n d von der erkennbaren Vorstellung des Kontrahenten abweicht. 3 7 2 A u c h die Offenkundigkeit eines im Herrschaftsbereich der betreffenden Partei befindlichen Umstandes begründet keine positive Kenntnis, allerdings die tatsächliche Vermutung positiver Kenntnis. Schwierigkeiten bereitet die Bestimmung des tatsächlichen Wissens bei arbeitsteiligen Strukturen, 3 7 3 also bei juristischen Personen, Gesamthandsgesellschaften und vergleichbaren Organisationen bzw. Personenmehrheiten 3 7 4 bzw. U n t e r n e h men. H i e r stellt sich die Frage, inwieweit das Wissen von Organwaltern und von Mitarbeitern zugerechnet werden kann. 3 7 5 Weitgehende Einigkeit, gegründet auf den Gedanken der Kontinuität des Organs, herrschte lange Zeit, darüber, daß die Kenntnis von Mitgliedern der gesetzlichen Vertretungsorgane

zuzurechnen

sei, 3 7 6 unabhängig davon, o b sie an dem fraglichen Geschäft beteiligt waren und BGH BB 1996,924,925. MünchKomm/Hanau, BGB, 3. Aufl., §276 Rn.53; ähnlich Soergel/Af. Wolf, §276 Rn.48, jeweils zum Wissen als Voraussetzung des Vorsatzvorwurfes. 371 Vgl. BGH NJW 1993,2807; Medicus, KF 1994,4, 7; Taupitz, JZ 1996, 734, 736. Krit. Dauner-Lieb, FS Kraft, S. 48, 49, deren Kritik die „Anlaßformel" nicht trifft, da in den von ihr angeführten Beispielen ein Anlaß zur Uberprüfung nicht besteht. 372 Vgl. auch BGH BB 1996, 924, 926; anders wohl Bohrer, Anm, DNotZ 1991, 124, 129f. 373 Baum, Wissenszurechnung, S. 185f. 374 Etwa bei einem Privatmann mit mehreren Bevollmächtigten, vgl. Medicus, KF 1994,4,12. 375 Für das gespeicherte Wissen gelten dieselben Grundsätze wie bei Einzelpersonen, vgl. Medicus, KF 1994, 4, 12. 376 Richardi, AcP 169, 385, 388f.; Waltermann, AcP 192, 181, 216ff.; Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl., Rn. 800a; dagegen und differenzierend Flume, Juristische Person, § 11IV, S. 398ff.; ders., JZ 1990, 550f. 369 370

278

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung der Verständigung

auch dann, wenn sie zum Zeitpunkt des Geschäftsabschlusses bereits ausgeschieden waren. 3 7 7 D i e zunehmende Kritik an der Organtheorie hat das Fundament dieser Position brüchig werden lassen. In der Tat erscheint es überzogen, alles irgendwann einmal erlangte Wissen aller Organwalter hinsichtlich jedes Geschäfts zuzurechnen. Vielmehr wird man, unter Beachtung der herausgehobenen Stellung der Organmitglieder, nach denselben Grundsätzen verfahren müssen, die für die Wissenszurechnung innerhalb der Organisation auch sonst gelten. 3 7 8 I n s o weit folgen Rechtsprechung und Literatur dem Grundsatz, die Benutzung arbeitsteiliger Organisationsformen und die daraus resultierende „Wissensaufspalt u n g " 3 7 9 dürfe die juristische Person oder Organisation im Vergleich zur natürlichen Person weder benachteiligen noch bevorzugen. 3 8 0 Was das im einzelnen heißt, ist umstritten. Klar ist, daß das Wissen der am Geschäft beteiligten und nach außen auftretenden Organmitglieder zuzurechnen ist. Das gleiche gilt für sonstige Vertreter gemäß oder entsprechend § 1 6 6 B G B . 3 8 1 N e b e n den vertretungsberechtigten Mitarbeitern sind nach der herrschenden Ansicht solche G e schäftsgehilfen als Wissensvertreter zu betrachten, die, so die D i k t i o n des B G H , „nach der Arbeitsorganisation des Geschäftsherrn dazu berufen (sind), im Rechtsverkehr als dessen Repräsentant bestimmte Aufgaben in eigener Verantwortung zu erledigen und die dabei angefallenen Informationen zur Kenntnis zu

377 BGHZ 109, 327, Leits. a) und S.331f. (m.w.N. zur Rechtsprechung), freilich schon beschränkt auf „typischerweise aktenmäßig festgehaltenes Wissen"; ferner BGH NJW 1995, 2195, 2196; s. auch Reischl, JuS 1997, 783ff. 378 Siehe Flume, Juristische Person, § 1 IV, S. 398ff.; für eine an § 166 Abs. 1,2 BGB orientierte, differenzierte Lösung bereits Baumann, ZGR 1973, 284ff.; krit. ferner Taupitz, JZ 1996, 734; Schultz, NJW 1996, 1392, 1393. 379 Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl., Rn. 106. 380 BGH BB 1996, 924,925; Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl., Rn. 106; Richardi, AcP 169, 385, 389, 396f., postuliert ein Prinzip der Wissensvertretung; Schilken, Wissenszurechnung, S.224; Medicus, KF 1994, 4, 11 f.; Drexl, ZHR 161, 491, 505f.; zu den Grenzen des Gleichstellungsarguments Medicus a.a.O., S. 15f. Ablehnend steht dem Gleichstellungsargument Koller (JZ 1998,75,77ff.) gegenüber, der aber eine Wissenszurechnung nicht generell ablehnt, sondern nach der jeweiligen Norm differenzieren will. Insbesondere bei §463 BGB zielt Koller auf Begrenzung (a.a.O., S. 81); dagegen dürfte Koller bei der c.i.c. und im Rahmen der Empfängerhorizontlehre gegen die hier vertretene Position keine entscheidenden Einwände haben (vgl. die entsprechenden Ausführungen auf S. 81, 1. Spalte oben). Auch Baum, Wissenszurechnung, S. 186ff. lehnt das Gleichstellungsargument bei arbeitsteiliger Leistungserbingung ab, dürfte aber mit einer Risikohaftung des die Arbeitsteiligkeit Organisierenden nach Maßgabe eines beweglichen Systems (allgemein a.a.O., S. 308ff.; konkret S. 379ff.) zu ähnlichen Ergebnissen kommen wie die herrschende Meinung. Eine gesetzliche Regelung fordert Waltermann, NJW 1993, 889, 892f., ein. 381 Die Vorschrift ist im vorliegenden Zusammenhang auch bei vertretungsberechtigten Mitarbeitern nicht unmittelbar anwendbar, weil die Kenntnis/Erkennbarkeit der geschäftserheblichen Umstände hier keinen Einfluß auf die Folgen der Willenserklärung hat, sondern nur einen Schadensersatzanspruch aus c.i.c. nach sich zieht (vgl. zum Anwendungsbereich des § 166 BGB insoweit MünchKomm/Schramm, BGB, 3. Aufl., §166 Rn.24ff.). Ihre entsprechende Anwendung ist aber zu befürworten, vgl. Medicus, KF 1994, 4, 8f.

§ 4 Der individuelle

Verständnishorizont

279

nehmen sowie gegebenenfalls weiterzuleiten." 3 8 2 D e r Geschäftsherr soll sich seiner aber im rechtsgeschäftlichen Verkehr bedienen müssen; nur intern agierende Wissensträger schieden aus. 3 8 3 D i e Ausgrenzung der intern agierenden Mitarbeiter folgt der L o g i k des § 166 B G B . Schilken hat ihr zu R e c h t widersprochen. D e r Gleichbehandlungsgedanke fordert die Einbeziehung der intern agierenden M i t arbeiter, so sie nach der Organisationsentscheidung des Geschäftsherrn als W i s sensträger und Wissensvermittler in die Vorbereitung oder Abwicklung eines Rechtsgeschäfts eingebunden sind, und zwar so, daß ihnen die eigenständige Überprüfung rechtlich bedeutsamer Umstände zufällt, daß sie, wenn auch nur partiell, die Interessen des Geschäftsherrn im rechtsgeschäftlichen Entscheidungs(findungs)prozeß wahrzunehmen haben. 3 8 4 D a b e i ist nicht erforderlich, daß der Mitarbeiter mit dem Geschäft konkret befaßt war, es genügt, wenn er z . B . durch Gestaltung von allgemeinen Geschäftsbedingungen, Formularen usw. allgemein mit der Vorbereitung befaßt war oder auch nur Fachberater auf A b r u f für den nach außen auftretenden Repräsentanten ist. D e m Geschäftsherrn geschieht kein U n r e c h t , denn er wird nur an seine Organisationsentscheidung gebunden, deren Nachteile er tragen muß, wie er N u t z e n aus ihr zieht. In diesem R a h m e n ist er verpflichtet, den Informationsfluß zwischen den Abteilungen zu organisieren, kann also die Wissenszurechnung nicht durch eine Organisationsentscheidung des Inhalts unterlaufen, daß Informationen dann nicht weiterzugeben seien, wenn sie sich für ihn nachteilig auswirken könnten. 3 8 5 I m Anschluß an und Medicusm

Taupitzii(>

bejaht der B G H die Pflicht zur ordnungsgemäßen Organisation

der K o m m u n i k a t i o n . E i n e am Rechtsverkehr teilnehmende Organisation müsse so organisiert sein, daß Informationen, deren Relevanz innerhalb dieser O r g a n i sation bei den konkret Wissenden erkennbar ist, tatsächlich an jene Personen wei-

382 BGHZ 117,104,106f.; BGH BB 1996, 924, 925; Richardi, AcP 169, 385, 397f., 403. Allerdings soll die Kenntnis solcher Gehilfen ein Indiz für grobe Fahrlässigkeit des Geschäftsherrn sein, Richardi, AcP 169,385,401f. Zu § 852 BGB fordert der BGH zudem die Befähigung des betreffenden Mitarbeiters, die notwendigen Schritte zur Unterbrechung der Verjährung einleiten zu dürfen, BGH NJW 1985, 2583f.; kritisch Schultz, NJW 1990, 477, 478f. 383 BGH LM § 166 BGB Nr. 8; BGHZ 117,104,107. Richardi, AcP 169,385,397,403; Waltermann, AcP 192, 181, 201; wohl auch Dauner-Lieb, FS Kraft, S.43, 50. 384 Schilken, Wissenszurechung, S.225ff.; ebenso Schultz, NJW 1990, 477, 479, 480; Taupitz, KF 1994,16, 25f.; ders., JZ 1996, 734, 735; wohl auch Medicus, KF 1994, 4, lOf. und Grunewald, FS Beusch, S.301, 312ff.; tendenziell weitergehend als die Rechtsprechung wohl auch Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl., Rn. 106, und Waltermann, AcP 192,181,206ff., die die Zusammenrechnung allen Wissens der Wissensvertreter vorschlagen bzw. diskutieren. Augenscheinlich noch weiter — alle Arbeitnehmer einbeziehend - Hoffmann, JR 1969,372, 374. Das geht zu weit, weil ohne zureichenden Grund über die Organisationsentscheidung des Arbeitgebers hinaus. Weitergehend auch Bohrer, Anm, DNotZ, 1991,124,129f.: Es komme nur auf die Verfügbarkeit jener Informationen an, die „typischerweise aktenmäßig festgehalten" würden. 385 Vgl. BGH BB 1996, 924, 925f.; Taupitz, KF 1994, 16, 25f.; Medicus, KF 1994, 4, lOf.

386

K

387

Medicus, KF 1994, 4, 10 und passim.

F

1 9 9 4 >

1 6 >

2 5 ff.

280

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung der Verständigung

tergegeben werden. 3 8 8 D a m i t ist die Zurechnung jenes Wissens möglich, das in den Stabsabteilungen der G r o ß u n t e r n e h m e n angesammelt ist und gegenüber dem „Verbraucher" oder auch dem Arbeitnehmer insbesondere bei der Gestaltung von Massenverträgen eingesetzt wird. Ist die Rechtsabteilung des G r o ß u n t e r n e h mens beispielsweise im Bilde über die Anrechnung von Arbeitslosengeld bei A u f hebung eines Arbeitsvertrages unter Verkürzung der Kündigungsfristen, ist dieses Wissen dem Arbeitgeber bei Abschluß eines solchen Aufhebungsvertrages zurechenbar, da und soweit die Rechtsabteilung konkret oder auch nur durch formularmäßige Gestaltung eines Aufhebungsvertrages in den P r o z e ß des Vertragsabschlusses eingebunden ist. Z u m Wissenspotential „der Organisation" gehört nicht die Kenntnis von Personen, die mit dem Geschäftsabschluß, konkret oder funktional, nichts zu tun haben und bei denen mit entsprechendem Wissen deshalb nicht gerechnet werden konnte, es sei denn, es bestand ausnahmsweise konkreter Anlaß, bei diesen nachzufragen. 3 8 9 E b e n s o sind jene Kenntnisse eines Mitarbeiters nicht zuzurechnen, die jenseits seines partiellen Aufgabenbereichs liegen, 3 9 0 es sei denn, er hätte die Relevanz dieses Wissens erkennen und daher weiterleiten müssen, oder ein anderer Mitarbeiter hätte Anlaß gehabt, bei diesem nachzufragen. In diesen G r e n z e n bejaht der B G H zu R e c h t eine Pflicht zur Informationsweitergäbe über die vom Arbeitgeber zu verantwortende Organisationsentscheidung hinaus. 3 9 1 D a s Wissen der nicht am Geschäft beteiligten Organmitglieder ist nur dann zuzurechnen, wenn nach den konkreten Umständen Anlaß bestand, deren Wissen abzufragen. 3 9 2 Letzteres gilt entsprechend für die Zurechnung des Wissens von bereits ausgeschiedenen Organmitgliedern. I m H i n b l i c k auf die Zurechnung „privat", also außerhalb der Tätigkeit für die Organisation erlangten Wissens ist zu differenzieren. Das private Wissen der Organe und der am Geschäft nach außen hin tätigen Vertreter ist zuzurechnen. 3 9 3 Anderes gilt für das privat erlangte Wissen der anderen am Vertragsschluß beteiligten, aber nicht nach außen tätig werdenden Mitarbeiter. 3 9 4 D i e Wissenszurechnung stößt dort auf unüberwindbare Grenzen, w o das R e c h t die Weitergabe von Informationen verbietet, beispielsweise in Vorschriften des Datenschutzes oder von Verschwiegenheitspflichten. D i e skizzierte Wissenszurechnung gilt ihrer Teleologie nach für die VerständiBGH BB 1996, 924, 925. Vgl. auch Medicus KF 1994, 4, 13f. 390 Schifte«, Wissenszurechnung, S.227. 391 BGH NJW 1989,2879, 2880 und 2881: Informationsweitergabe zwischen zwei Bankfilialen (Filialleiter bzw. Sachbearbeiter), die beide in chronologischer Folge mit demselben Geschäft befaßt waren, was der zuletzt befaßten Filiale bekannt war; noch weiter Schultz NJW 1990,477, 479f. 392 Vgl. Medicus, KF 1994, 4, 14f.; noch enger Taupitz, KF 1994, 16, 30. 393 Vgl. Taupitz, KF 1994, 16, 24f., aber auch a.a.O., S.28 a.E. 394 Vgl. Taupitz, KF 1994, 16,25; Schultz, NJW 1990, 477,480; Hoffmann, JR 1969, 372, 374; wohl auch Richardi, AcP 169, 385, 397. 388

389

§ 4 Der individuelle

Verständnishorizont

281

gungspflicht. 3 9 5 D i e „Kenntnis" hat im Modell der Verständigungspflicht dieselbe F u n k t i o n wie bei den von § 166 Abs. 1 B G B in Bezug genommenen N o r m e n (wie z . B . § 116 B G B oder § 4 0 7 B G B ) und den darüber hinaus diskutierten R e g e lungen des B G B - die Schutzwürdigkeit der wissenden Partei im rechtsgeschäftlichen U m g a n g mit ihrem Kontrahenten zu definieren, 3 9 6 genauer: die Schutzwürdigkeit ihres Vertrauens darauf zu begrenzen, daß der andere sich ordnungsgemäß im rechtsgeschäftlichen Verkehr verhält. 3 9 7 D a ß die Kenntnis hier letztlich auf Zurechnung beruht, während unser Ausgangspunkt das tatsächlich vorhandene Wissen war, ist kein Einwand; die Zurechnung beruht hier nicht auf einer vertragsrechtlichen, sondern auf einer organisationsrechtlichen Wertung.

III. Der Wissensgrad V o m erkennbaren Interesse des Kontrahenten hängt ab, welcher Wissensgrad zur Informationspflicht führt. I m Regelfall wird nicht erst definitives Wissen bezüglich eines zur Wertungsgrundlage des Kontrahenten gehörenden Umstandes zur Informationspflicht führen, es genügt vielmehr, wenn der Informationspflichtige es für einigermaßen wahrscheinlich hält, 3 9 8 daß eine geschäftserhebliche Tatsache sich in bestimmter Weise verhält. N a c h Lage der D i n g e kann aber auch die k o n krete Möglichkeit eines bestimmten Sachverhalts für den Willen des Verhandlungspartners bedeutsam sein und m u ß daher, besteht diesbezüglich Unklarheit über seinen materiellen Willen, mitgeteilt werden. So hält der B G H beim G e brauchtwagenkauf bereits die bloße Möglichkeit eines erheblichen Unfallschadens für relevant. 3 9 9 I m Tankzugfall

mußte die Verkäuferin ihre Zweifel an der

Tauglichkeit des verkauften Tankzuges für die Z w e c k e des Käufers, also das Wissen um die Möglichkeit der Untauglichkeit, mitteilen. 4 0 0 Dies ist zu unterschei-

395 Zur Maßgeblichkeit der zugrunde liegenden Norm für den Umfang der Wissenszurechnung Taupitz, KF 1994, 16, 25, 29. 396 Schilken (Wissenszurechnung, S.225f.) spricht von Grenzen des Vorteilsschutzes. 397 Ob auch der Vorwurf der Arglist (zB § 463 S. 2 BGB) auf Wissenszurechnung gestützt werden kann, ist eine andere, hier nicht zu erörternde Frage. Bejahend BGHZ 117, 104ff. (krit. zur Annahme von Arglist in diesem Fall, aber ebenfalls für Wissenszurechnung im Rahmen der von ihm angenommenen Treuwidrigkeit Flume, JZ 1990,550,551); BGH BB 1996,924,925 (Ausführungen zur Wissenzurechnung beziehen sich auf „arglistiges Verschweigen"); grundsätzlich auch Reinking/Kippeis, ZIP 1988, 892ff., 895; ablehnend Flume, AcP 197, 441ff. m.w.N.; Rutkowsky, NJW 1993, 1748; Dauner-Lieb, FS Kraft, S.43, 53ff. Zur Problematik ferner Waltermann, AcP 192,181,215f. Siehe zudem die Nachweise zu § 123 BGB und zur Übertragung dieser Maßstäbe auf die c.i.c. bei Grigoleit, Informationshaftung, S. 144ff.; BGH JZ 1990, 340, 341, m. krit., aber im Ergebnis zustimmender Anm. Medicus. 398 Vgl. allgemein Medicus, KF 1994, 4, 6. 399 BGH NJW 1977, 1055, 1056; NJW 1979, 1707; NJW 1981, 928 (929: „damit rechnen"). 400 Dort im Rahmen des Arglisttatbestandes des § 123 BGB, BGH NJW 1971,1795,1799, mit insoweit zustimmender Anmerkung Giesen. Bezüglich der Möglichkeit der Untauglichkeit lag

282

J. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

den von der „Erkennbarkeit" oder „Vorhersehbarkeit" der eigentlichen Tatsache, die auch ohne Kenntnis der konkreten Möglichkeit gegeben sein kann, wenn eine entsprechende Pflicht zum Erkennen besteht.

IV. Feststellung des individuellen Wissens Die praktische Bedeutung der verständigungstheoretisch begründeten Aufklärungspflicht hängt davon ab, nach welchen Regeln die Kenntnis der informationspflichtigen Partei festgestellt werden kann. D a es auf das tatsächlich vorhandene Wissen ankommt, besteht die Gefahr der Manipulation. Eine Beweislastumkehr läßt sich nicht rechtfertigen, sie würde die materiellrechtliche Wertung praktisch ins Gegenteil verkehren. Wohl aber können Vermutungen begründet sein. Wenn jemand etwas erkennbar Bedeutsames erfahren hat, ist die Annahme gerechtfertigt, daß er es behalten hat, wenn noch keine allzu lange Zeit vergangen ist. 401 Praktisch relevant ist ferner die Wissensvermutung, die an die professionelle Ausübung bestimmter Tätigkeiten geknüpft werden kann. Von Bedeutung ist dies sowohl für Allgemeinwissen wie Umstandswissen. Insbesondere kann die Vermutung auf Regelungen (z.B. über die Ausbildung) oder Verkehrsüblichkeiten gestützt werden, die etwas über das für die Ausübung eines bestimmten Berufes oder Gewerbes nötige Wissen besagen. 402 Ferner kann die Vermutung an spezialgesetzlich normierte Informationsverantwortlichkeiten anknüpfen; das dort vorausgesetzte Wissen muß der Informationspflichtige haben, es darf deshalb im Hinblick auf Informationspflichten außerhalb der spezialgesetzlich geregelten Pflicht als vorhanden vermutet werden. Schließlich kann die Zugehörigkeit eines Umstandes zum Herrschaftsbereich eine Wissensvermutung begründen - nicht generell, wohl aber, wenn die fragliche Tatsache offenkundig ist. So ist zu vermuten, daß der Hausverkäufer erhebliche Lärmbelästigungen durch Hausnachbarn kennt, wenn er das Haus selbst bewohnt hat. Uberhaupt begründet die Offenkundigkeit einer Tatsache für eine Partei die Vermutung entsprechender Kenntnis.

also Wissen vor; unrichtig insoweit Werres, Aufklärungspflichten, S. 121, der von fahrlässiger Nichtkenntnis der Untauglichkeit spricht. 401 Medicus, K F 1994, 4, 6; Bohrer, A n m , D N o t Z 1991, 124, 127f. 402 Dagegen kann eine Pflicht, das nach dem Verkehrskreis notwendige Wissen (Mindestmaß) bereitzuhalten (vgl. Medicus, K F 1994, 4, 8), im vorliegenden Zusammenhang nicht aufgestellt werden, da ja auch der Kontrahent seinen Informationsobliegenheiten nicht in der geforderten Weise nachkommt.

§ 4 Der individuelle Verständnishorizont

283

V. Ordnungsverträglichkeit einer Informationshaftung für positives Wissen Gegen eine an positive Kenntnis der Information anknüpfende Informationsverpflichtung werden ordnungstheoretische Bedenken erhoben. Solche Haftung führte zu Informationsvermeidungsstrategien.403 Der Einwand zielt darauf, Verantwortlichkeiten wissensunabhängig zu gestalten oder an das erkennbare Wissen zu binden. 404 Eine ausschließlich an positives Wissen anknüpfende Haftung mag problematisch sein. Daß es eine solche Haftung gar nicht geben dürfte, ist nicht einzusehen. Differenzieren will Adams: Haftung für positives Wissen soll nur an solches Wissen zu knüpfen sein, das „ohnehin" vorhanden ist, nicht aber für Wissen, das mit zusätzlichem Aufwand, mit Anstrengungen erworben wurde, andernfalls ein Anreiz zur Unterlassung dieses Wissenserwerbs gegeben würde. 405 So soll der Hausverkäufer sein Wissen über Hausschwammbefall ungefragt offenbaren müssen, wenn er sein Wissen infolge der Hausbenutzung erworben hat. Erfährt er vom Befall erst aufgrund eines von ihm in Auftrag gegebenen Wertgutachtens, bestehe diese Pflicht nicht. Andernfalls würde ein Anreiz gegeben, die „bessere Kenntnis des Gebrauchswertes der Güter" zu vermeiden.406 Richtig ist, daß bestimmte innovatorische bzw. produktive Informationen nicht weitergegeben werden müssen. Aber die Information über den Hausschwamm bringt keinen „Netto-Wohlfahrtsgewinn". 407 Denn wem ist die Information nutze, wenn der Verkäufer sein Wissen für sich behalten darf, selbst aber das Haus nicht mehr bewohnen wird? Information ist kein Wert an sich, sondern bedarf der Verwertung. Aber das ist ein Einzelfallproblem und mag hier auf sich beruhen. Das Informationsvermeidungsargument geht grundsätzlich fehl. Eine „Strategie" der Informationsvermeidung setzt voraus, daß Nützlichkeit und Schädlichkeit kalkuliert werden können. Das ist gerade wegen des Nichtwissens in der Regel nicht möglich. 408 So hat, um im Beispiel zu bleiben, der Hausverkäufer, wenn er den Gutachtenauftrag gibt, mit einem positiven Ergebnis des Gutachtens ebenso gut rechnen können wie mit dem Hausschwammbefund. Rechnet er aber mit der Adams, AcP 186, 453, 473. Dazu Adams, AcP 186, 453, 473. 405 Die Unterscheidung zwischen zufällig und gezielt erworbenen Informationen geht zurück auf Kronman, The Journal of Legal Studies, Bd. 7 (1978), S. 1 ff., 13 und passim. 406 Adams, AcP 186, 453, 474f. Es ließe sich einiges gegen die Abgrenzbarkeit des „ohnehin vorhandenen" Wissens sagen (siehe auch Kronman, The Journal of Legal Studies, Bd. 7 [1978], S. 1, 13) - jedes Wissen ist Folge eines Wissenserwerbs und damit einer Anstrengung, mag diese auch länger zurückliegen; nicht weniger ließe sich einwenden gegen die simplifizierende Aufteilung des Wissens in schädliches und nützliches Wissen, die Voraussetzung einer Informationsvermeidungsstrategie ist. Das mag hier auf sich beruhen. 407 Siehe S.300ff. 408 Auch Informationsvermeidungsstrategien durch Nichtweitergabe von Informationen innerhalb einer Organisation setzen voraus, daß eine Stelle über die Schädlichkeit einer Information befindet. Zur Steuerung durch gegenläufige Organisationspflichten siehe S. 276ff. 403

404

284

Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung der Verständigung

konkreten Möglichkeit von Hausschwamm, etwa aufgrund bestimmter Indizien, so mag er auf das Gutachten getrost verzichten; denn dann m u ß er den Käufer auf diese Möglichkeit hinweisen. Einen Anreiz, auf derartige Untersuchungen zu verzichten, gibt die Informationspflicht nicht; denn typischerweise ist der Schutz des Eigentums vor Schäden ein wesentliches M o t i v des Eigentümers/Verkäufers. 4 0 9

VI. Verschulden D i e aus der Verständigungspflicht begründete Informationspflicht verletzt der Verpflichtete fahrlässig, wenn er die pflichtbegründenden U m s t ä n d e infolge mangelnder Sorgfalt verkennt: den wirklichen Willen des Kontrahenten, soweit nach außen erkennbar geworden, dessen Abweichung von der Realität, wobei nur die positive Kenntnis der Realität zugerechnet wird. Vorsätzlich handelt der Pflichtige daher, wenn er trotz positiver Kenntnis der Umstände vorsätzlich nicht informiert, d.h. die U n k e n n t n i s des Informationsberechtigten zumindest billigend in Kauf n i m m t . 4 1 0 D e r Irrtum über die Rechtslage als solche (die Pflicht zur Aufklärung) schließt nach der im Zivilrecht vorherrschenden Vorsatztheorie Vorsatz aus und beschränkt die Verantwortlichkeit auf Fahrlässigkeit. 4 1 1

verständigungstheoretischen 5 5 Dogmatischer Wert der Rechtfertigung vorvertraglicher Informationspflichten I. Reaktionsfähigkeit gegenüber Wissensdiversifizierungen D i e hier entwickelte K o n z e p t i o n einer aus der vorvertraglichen Verständigung geborenen Informationspflicht schließt die zu Beginn unserer Untersuchung konstatierte dogmatische Lücke. Sie stellt die richterrechtliche A u s f o r m u n g vorvertraglicher Informationsverantwortung auf ein tragfähiges Fundament. D i e K o n z e p t i o n ist ferner in der Lage, der Verbrauchersituation, dem G e g e n ü b e r von Fachmann und Laien R e c h n u n g zu tragen und damit den Herausforderungen gerecht zu werden, die die gesellschaftliche und wirtschaftliche Diversifikation und Spezialisierung für ein formal angelegtes privates Vertragsrecht nach einem verbreiteten Urteil bedeutet. D i e auf die Wertungsgrundlagen erstreckte Verständigungspflicht verpflichtet den professionell, freiberuflich oder gewerblich, hanVgl. Kronman, The Journal of Legal Studies, Bd. 7 (1978), 1, 25f. Vgl. BGH NJW1990,42,43. Dagegen liegt Fahrlässigkeit vor, wenn der Pflichtige die Aufklärung unterläßt im Glauben, bereits aufgeklärt zu haben, St. Lorenz, Schutz, S.439. 411 Siehe nur MünchKomm/Z/ana«, BGB, 3. Aufl., §276 Rn. 55ff. m.w.N., der demgegenüber für eine Übernahme der strafrechtlichen Schuldtheorie plädiert. 409

410

§ 5 Dogmatischer Wert der verständigungstheoretischen

Rechtfertigung

285

delnden Anbieter, sein Fachwissen einzusetzen, um den materiellen Verbraucherwillen zu erkennen. Dies führt zu einem Informationsausgleich zwischen Professionellem und Laien in für den letzteren wesentlichen Fragen, ohne indessen den Kern eines freiheitlichen Vertragsrechts - die formale Gleichheit der Parteien aufzugeben. Andererseits ist das Modell nicht auf diese personal definierte K o n stellation beschränkt, sondern personen- und vertragstypenunabhängig. Die B e lastung des Informationspflichtigen ist vertretbar, denn er muß nur sein aktuelles Wissen einsetzen und wird nicht zur Beschaffung von Informationen zugunsten seines Kontrahenten verpflichtet. Andererseits bedeutet die Beschränkung der Informationshaftung auf tatsächliches Wissen keine unangemessene Benachteiligung der schlechter Informierten, also vor allem der Verbraucher. Wenn die Schieflage, in die das Vertragsrecht des B G B zunehmend geraten ist, ihre Ursache in der strategischen Ausnutzung von Kompetenzvorsprüngen hat, kann die L ö sung auf die Weitergabe dieses Wissens beschränkt bleiben. Die Verpflichtung zur Informationsbeschaffung ist durch den auch insoweit bestehenden Vorsprung allein nicht legitimiert; denn er schlägt sich nicht in den Vertragsverhandlungen und im Vertragsergebnis nieder. Schließlich beläßt die verständigungstheoretisch begründete Informationspflicht einen Anreiz zu eigenverantwortlichem Handeln bei der Informationsbeschaffung, da es den Informationsberechtigten bei für ihn erkennbaren Informationen nur partiell gegen die nachteiligen Folgen seiner Vertragsentscheidung absichert und seine eigene Informationsverantwortung nicht beseitigt.

II. Verallgemeinerungsfähigkeit des Rechtsgedankens Die Verständigung über Inhalt und Grundlagen des Vertrages als Ansatzpunkt für die Begründung und Dogmatisierung vorvertraglicher Informationspflichten ist kein Spezifikum des deutschen Rechts. Vielmehr gilt grundsätzlich, daß eine Dogmatik vorvertraglicher Aufklärungspflichten zwei Regelungsmaterien auf aufklärungsbegünstigende Wertungen zu untersuchen hat: zum einen, wie es weithin geschieht, die Regelungen über die Fähigkeit zur informationellen Selbstbestimmung; zum anderen aber die Regelungen über die Verständigung zwischen den Parteien über Inhalt und Grundlagen des Vertrages, d.h. über die Mühe, die jede Partei sich geben muß, den materiellen Willen der anderen richtig zu verstehen. Auf der Verständigungspflicht basiert zum Beispiel die zahlreichen europäischen Rechtsordnungen bekannte Rechtsfigur des „erkennbaren Irrtums". Hier wird die Unterscheidung zwischen rechtlich erheblichem und rechtlich unerheblichem Motivirrtum nach dessen „Erkennbarkeit" für den Gegner getroffen. 4 1 2 Die „Erkennbarkeit" aber impliziert eine Pflicht zur Kenntnisnahme der Vorstel412

Dargestellt bei Kötz, Vertragsrecht, S.286ff.

286

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

lungen des Irrenden (seines materiellen Willens), und diese Pflicht ist die Verständigungspflicht, d.h. die Pflicht, sich darum zu bemühen, den materiellen Willen des Kontrahenten richtig zu verstehen und dazu sein vorhandendes Wissen einzubringen. Unausgesprochen begründet die Rechtsfigur ferner eine Pflicht (Obliegenheit) zur Aufklärung. Denn wie anders sollte der besser Wissende reagieren, als den Irrenden über die wahre Sachlage aufzuklären, solange er nicht vom Vertragsschluß Abstand nimmt? 413 Freilich wird an die Verletzung dieser Aufklärungspflicht hier nur die „irrtumsrechtliche" Rechtsfolge der Vertragsaufhebung geknüpft.414 Im englischen Recht zeigt sich der Zusammenhang zwischen Verständigung und Aufklärung darin, daß die Nichtaufklärung seitens der besser informierten Partei oftmals nicht als Verletzung einer Informationspflicht erfaßt wird, sondern dazu führt, daß die aufgrund des besseren Wissens erkennbare (Fehl-)Vorstellung der irrenden Partei „implied term" des Vertrages wird (was mit zum aufklärungsrestriktiven Ruf des englischen Rechts beigetragen haben mag).415

III. Informationspflichtigkeit trotz Vermeidbarkeit des Wissensdefizits Die verständigungstheoretische Perspektive öffnet den Blick dafür, daß Informationspflichten auch bei vermeidbaren Informationsdefiziten gerechtfertigt sein können. Die herrschende, auf Defizite in der Willensbildung fixierte Dogmatik der Informationspflichten muß für Informationspflichten jenseits der Vertrauensinanspruchnahme eine Störung der informationellen Selbstbestimmungsfähigkeit voraussetzen. Sie hat zu „Unterlegenheitstatbeständen" geführt, wo in Wirklichkeit nur ein konkreter Wissensvorsprung vorliegt.416 Das jüngst von St. Lorenz wiederholte Postulat,417 eine Informationspflicht für vermeidbare InforZutr. angedeutet bei Kötz, Vertragsrecht, S.287f. Was die Begründung einer Schadensersatzpflicht aber nicht ausschließt, vgl. Kötz, Vertragsrecht, S.287f. 415 Vgl. Atiyah, Law of Contract, 3rd Ed., S.219f., der eine gewisse Austauschbarkeit der beiden Ansätze konstatiert. Siehe auch noch S. 288, Fn. 429. 416 Siehe die Rechtsprechungsbeispiele auf S. 113ff., 178ff., 183ff. Im Zwischenvermietungsfall (BGHZ 114,96; siehe schon BGHZ 84, 90; dazu Singer, Verbot, S. 99f. m.w.N.), wird der an einen Zwischenvermieter vermietende Eigentümer zwar offenbar unabhängig von seinem konkreten Wissen verantwortlich dafür gemacht, daß der vom Zwischenmieter mietende Untermieter über seinen unzureichenden Beendigungsschutz im Bilde ist, aber diese Verantwortlichkeit entsteht aus positivem Tun, nämlich der Erzeugung des falschen Anscheins eines „normalen" Mietverhältnisses durch den Zwischenvermieter, der den Mietvertrag dem Untermieter gegenüber nicht als Untermietvertrag ausgewiesen hat. Der BGH weist dem Eigentümer die daraus entstehende Verantwortlichkeit nach Risikoaspekten zu (vgl. BGHZ 114, 96, 103: „Gläubigersphäre"), im übrigen nicht als Schadensersatzhaftung, sondern als Obliegenheit zur Wahrung des Herausgabeanspruchs gegenüber dem Untermieter. 413 414

417 In Anlehnung an das französische Recht („ignorance légitime"), vgl. St. Lorenz, Schutz, S.424f.

§ } Dogmatischer

Wert der verständigungstheoretischen

Rechtfertigung

287

mationsdefizite sei nicht zu legitimieren, 418 steht daher in einem weit geringeren Widerspruch zur hier entwickelten verständigungstheoretischen Konzeption, als es scheinen mag. Die „Schlupflöcher" finden sich, um bei St. Lorenz zu bleiben, etwa in der Annahme, atypische Informationsrisiken seien nicht vermeidbar. 419 Wenn dann Atypizität außerdem weit aufgefaßt und zum Beispiel im Falle der Bürgschaft die bereits bestehende Zahlungsunfähigkeit des Bürgen als „atypisches" oder „besonderes" Risiko und deshalb als unerkennbar gewertet wird, 420 bleibt von der Beschränkung der Informationshaftung auf unerkennbare U m stände nicht viel übrig. Denn es dürfte, um im Beispiel zu bleiben, eine geradezu selbstverständliche Obliegenheit des Bürgen sein, sich über das Risiko, das er eingeht, zu informieren. 421 Ferner wird die verbal befürwortete Beschränkung der Informationspflicht auf unvermeidbare Irrtümer in der Sache gelockert, wenn bereits das „Informationsgefälle" dazu führen soll, daß eine Information für den schlechter Informierten unerkennbar ist. 422 Wir haben an anderer Stelle gesehen, daß ein wie auch immer geartetes „Gefälle" nichts über die Fähigkeit sagt, Informationsvorsorge zu betreiben, da und soweit dieses Gefälle vom Überlegenen nicht durch Desinformation ausgenutzt wird, und daß selbst die konkrete Unerkennbarkeit eines Umstandes keine informationspflicht-auslösende Unterlegenheit begründet, sondern zum Vertragsrisiko gehört. 423 All das illustriert das Dilemma einer auf den Schutz der Willensbildung reduzierten, die Verständigung ignorierenden Dogmatik der Informationshaftung, die eine in Wahrheit dem konkreten Informationsvorsprung entspringende Informationshaftung zur „Unfähigkeit" umdeklarieren muß und damit nachhaltig zur Erosion des privatautonomen Vertragsrechts beiträgt. Die Rechtsvergleichung bestätigt eine rigorose Beschränkung des Schutzes für den Irrenden auf unvermeidbare Irrtümer nicht. 424 So sieht §161 Restatement 2nd, Contracts, 425 eine Pflicht zur Information unter anderem vor, wenn eine Partei 418 St. Lorenz, Schutz, S.421,434f., 442 und passim; ebenso Kötz, Vertragsrecht, S. 308. Zu den Ursprüngen der unterschiedlichen Bewertung der Vermeidbarkeit des Irrtums im Gemeinen Recht einer-, in den Naturrechtslehren andererseits siehe Byoung Jo Choe, Culpa in contrahendo, S.204f. m.w.N. 4,9 St. Lorenz, Schutz, S.428ff., 437. 420 St. Lorenz, Schutz, S.430; zu Recht anders in der Wertung der Erkennbarkeit und konsequent gegen Aufklärungspflicht Kötz, Vertragsrecht, S.308 Fn.38. 421 Oder für den Spekulanten, sich über die Gewinnaussichten zu orientieren (zu St. Lorenz, Schutz, S.430 a.a.O.) 422 So St. Lorenz, Schutz, S. 424, im Anschluß an SoergeMWiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 153, der noch „weicher" formuliert, es sei zu informieren, wenn „permanentes Nachfragen im Einzelfall nicht erwartet werden (könne)". Merkwürdigerweise taucht dieser Tatbestand in dem von Lorenz unterbreiteten Regelungsvorschlag (a.a.O., S. 437) nicht mehr auf. 423 S. 148f. 424 Wobei freilich einzuräumen ist, daß die Rechtsfolge sich zum Teil (bei den im folgenden zitierten Restatements, den UNIDROIT-Regeln und den Principles of European Contract Law) auf die Aufhebung des Vertrages beschränkt. Auch Cicero, De officiis, 3.57, läßt die von ihm befürwortete Informationspflicht des Verkäufers über Mängel des Kaufgegenstandes nicht daran

288

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung der Verständigung

„knows that disclosure of the fact would correct a mistake of the other party as to a basic assumption on which that party is making the contract and if non-disclosure of the fact amounts to a failure to act in good faith and in accordance with reasonable standards of fair dealing." A u f die Unerkennbarkeit des Umstandes für den unzureichend Informierten k o m m t es nicht an. 4 2 6 Das englische R e c h t gilt als besonders streng. 4 2 7 A b e r selbst hier verlaufen die G r e n z e n nicht eindeutig. Das ist an der als leading case angeführten Entscheidung Smith v. Hughes

abzulesen. D e r Beklagte kaufte v o m K l ä -

ger Hafer nach einer Probe, im Glauben, es handele sich um alten Hafer, auf den der Beklagte als Halter und Ausbilder von Reitpferden Wert legte. Tatsächlich war der Hafer neu. Eine Aufklärungspflicht lehnte Cockburn

C J ab:

„Now, in this case, there were no legal obligation in the plaintiff... to state whether the oats were new or old. He offered them for sale according to the sample, as he had a perfect right to do, and gave the buyer the fullest opportunity of inspecting the sample ..." , um dann fortzufahren: „What, then, was there to create any trust or confidence between parties, so as to make it incumbent on the plaintiff to communicate the fact that the oats were not, as the defendant assumed then to be old oats ? I f , indeed the buyer, instead acting of his own opinion ... had said anything which intimated his understanding that the seller was selling the oats as old oats, the case would have been wholly different; or even if he had said anything which shewed that he was not acting on his own inspection and judgement, but assumed as the foundation of the contract that the oats were old, the silence of the seller, as a means of misleading him, might have amounted to a fraudulent concealment, such as would have entiteld the buyer to avoid the contract." (Hervorhebung vom Verf.) 429 scheitern, daß der Käufer den Gegenstand aufgrund eigenen Urteils („iudicium emptoris", 3.55) erworben hat. 425 Zu Wesen und Funktion der Restatements im anglo-amerikanischen Rechtssystem und zu ihrer (eingeschränkten) Aussagefähigkeit näher Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 3. Aufl., §17111, S.246f. 426 Unverständlich deshalb Lorenz'Wertung, es handele sichum eine Situation „entschuldbarer Unkenntnis" (Schutz, S.425). Siehe zur amerikanischen Rechtsprechung Prosser/Keeton, Torts, 5th Ed., S. 737ff.: „... a rather amorphous tendency on the part of the most courts in recent years to find a duty of disclosure something would violate a standard requiring conformity to what the ordinary ethical person would have disclosed" (a.a.O., S. 739). Auch die von Kronman (The Journal of Legal Studies Bd. 7 [1978], 1,23f.) berichteten Entscheidungen befürworten eine Informationspflicht trotz Vermeidbarkeit des Irrtums (im Hinblick auf die Möglichkeit zur Nachfrage). 427 Vgl. Zweigert, Rechtsvergleichung, 3. Aufl., S.423; Kötz, Vertragsrecht, S.263, 31 Off.; G. Müller, Informationspflichten nach englischem Recht, S. 82ff., mit Hinweisen zur Rechtsprechung. Nach Atiyah, Law of Contract, 3rd Ed., S. 219f., lösen die Gerichte allerdings einen erheblichen Teil der Aufklärungsfälle im Wege der „implied-term"-Doktrin. Dazu auch noch S.289, Fn.430. 428 Smith v. Hughes (1871) LR 6 QB 597, 604. 429 Smith v. Hughes (1871) LR 6 QB 597, 604f. Siehe ferner die unterschiedlichen Einschätzungen in den Voten von Blackburn,], einerseits („... for, whatever may be the case in a court of morals, there is no legal obligation on the vendor to inform the purchaser that he is under a mistake, not induced by the act of the vendor", a.a.O., S. 607), Hannen, J. andererseits, der im Hinblick auf die Verständigung der Parteien über „implied terms" eine Verpflichtung des Beklagten zur Abnahme des neuen Hafers ablehnt, wenn der Kläger die Vorstellungen des Beklagten kannte (a.a.O., S. 609f.).

§ 5 Dogmatischer

Wert der verständigungstheoretischen

Rechtfertigung

289

U n a b h ä n g i g v o n der Vermeidbarkeit des Irrtums k ö n n t e es danach zur A u f k l ä rungspflicht k o m m e n , w e n n der Verkäufer den I r r t u m des anderen e r k e n n t . 4 3 0 Freilich w e n d e n sich nachfolgende E n t s c h e i d u n g e n rigide gegen vorvertragliche I n f o r m a t i o n s p f l i c h t e n , und zwar auch dann w e n n der K o n t r a h e n t den I r r t u m des anderen erkannt hat. 4 3 1 D e n n o c h kennt der G r u n d s a t z , daß es keine Pflicht zur unaufgeforderten A u f k l ä r u n g gibt, zahlreiche A u s n a h m e n , die z w a r wirkliche A u s n a h m e n sein m ö g e n , aber in E r m a n g e l u n g einer konsistenten W e r t u n g 4 3 2 k a u m Vorbildcharakter für eine R e c h t s f o r t b i l d u n g h a b e n k ö n n e n . Eindeutig nicht auf die Vermeidbarkeit des Irrtums stellen die U N I D R O I T Vorschläge 4 3 3 für ein internationales H a n d e l s r e c h t ab. I n A r t . 3.5 heißt es: „( 1) A party may only avoid a contract for mistake if when the contract was concluded the mistake was of such importance that a reasonable person in the same situation as the party in error would have contracted only on materially different terms or would not have contracted at all if the true state of affairs had been known and (a) the other party ... knew oder ought to have known 4 3 4 of the mistake and it was contrary to reasonable commercial standards of fair dealing to leave the mistaken party in error T r o t z Vermeidbarkeit des I r r t u m s 4 3 5 wird der Irrende geschützt, 4 3 6 w e n n die andere Partei den F e h l e r hätte k e n n e n müssen. Zumindest in die R i c h t u n g der hier vertretenen W e r t u n g gehen auch die Principles o f E u r o p e a n C o n t r a c t Law. A r t . 4 : 1 0 3 ( F u n d a m e n t a l M i s t a k e as t o Facts or L a w ) lautet: „(1) A party may avoid a contract for mistake of fact or law existing when the contract was concluded if: (a)... (ii) the other party knew or ought to have known 4 3 7 of the mistake and it was contrary to good faith and fair dealing to leave the mistaken party in error; ..."

430 Vielleicht sogar nur erkennen muß, denn es wird nur auf ein entsprechendes Erklärungsverhalten des Käufers abgestellt, und man kann die Verhaltenspflichten des Verkäufers schlecht davon abhängig machen, ob er es zur Kenntnis nimmt oder nicht (andererseits deutet „fraudulent" auf Notwendigkeit positiver Kenntnis hin). 431 Näher Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 3. Aufl., S. 423, und die Darstellung bei G. Müller; Informationspflichten nach englischem Recht, S.83ff.; Kötz, Vertragsrecht, S. 311. 432 So das berechtigte Fazit von G. Müller, Informationspflichten nach englischem Recht, S. 147ff.; ferner die Einschätzung von Zweigert/Kötz, Rechtsvergleichung, 3. Aufl., S. 423. 433 Abgedruckt in Principles of International Contracts, hrsg. von UNIDROIT, International Institute for the Unification of Private Law; Boneil, An International Restatement of Contract Law. Zum UNIDROIT-Projekt Boneil, RabelsZ 56, 274ff.; Zimmermann, JZ 1995, 477, 479f. 434 Dazu, daß sich hinter der „Erkennbarkeit" eine verständigungstheoretisch begründete Aufklärungsobliegenheit verbirgt, S.23. 435 Die irrende Partei ist nicht geschützt, wenn sie ihren Irrtum grob fahrlässig („gross negligence", Art. 3.5 [2 a]) herbeigeführt hat; das wird im deutschen Recht im Wege des Mitverschuldens und durch die eigene Haftung des Irrenden berücksichtigt. Der Schutz entfällt ebenfalls, wenn das Irrtumsrisiko vorausgesetzt wurde oder wenn sonst Umstände dafür sprechen, dem Irrenden das Risiko aufzubürden, Art.3.5 (2 b). 436 F r e ;ii c h beschränkt auf die Lösung vom Vertrag. 4 3 7 Dazu, daß sich hinter der „Erkennbarkeit" eine verständigungstheoretisch begründete Aufklärungsobliegenheit verbirgt, S.23.

290

5. Teil: Informationspflichten

zur Gewährleistung

der

Verständigung

Dies soll nach Abs. 2 lit (a) der Regelung zwar nicht gelten, wenn der Irrtum „inexcusable" war. Doch soll die Unentschuldbarkeit entfallen, wenn der Gegner den Irrtum kannte. 438 Und auch das französische Recht, das St. Lorenz in besonderer Weise bemüht, ist weniger eindeutig als das Konzept der „ignorance légitime" und des „erreur inexcusable" 439 suggeriert. Denn unverschuldet soll ein Informationsdefizit schon dann sein, wenn es einem Partner an „Sachkunde mangelt" und er „deshalb (!) darauf vertrauen darf, von seinem Verhandlungspartner umfassend informiert zu werden", was vor allem im Verhältnis zwischen „Fachleuten und Laien" der Fall sei. 440 Außerdem ist das Bild ohne das Anfechtungsrecht unvollständig, da ein Teil der im deutschen Recht der Aufklärungspflicht zugeordneten Fälle im französischen Recht im Anfechtungsrecht dogmatisiert wird. So könnte angeführten Entscheidungen des Kassationsman in den von Kötz/Zweigert*41 hofs schwerlich von einer Unvermeidbarkeit des Irrtums sprechen. Der Käufer eines Grundstücks kann nicht ohne weiteres vom Vorhandensein eines Trinkwasseranschlusses ausgehen, ebensowenig kann der Bürge ohne weiteres annehmen, der Schuldner befinde sich nicht in einer desolaten Vermögenssituation. Gleichwohl bejaht der Kassationshof in beiden Fällen die Anfechtbarkeit der Verträge, gestützt auf das Verschweigen des Kontrahenten. 442 Erwähnt sei ferner §871 Abs. 1 ABGB, der die Vertragsanfechtung wegen Inhalts- oder Beschaffenheitsirrtums unabhängig von dessen Vermeidbarkeit gestattet, wenn dieser dem Vertragspartner „offenbar hätte auffallen" müssen, d.h. wenn er erkennbar war.443 Zwar geht es in den zuletzt genannten Beispielen nur um die Lösung vom nicht erwartungsgerechten Vertrag und nicht um vollen Schadensersatz. Aber dies ist auch in den Aufklärungskonstellationen typischerweise der wichtigste Schadensposten.

IV. D i e Bedeutung partieller geschäftlicher Unerfahrenheit als Tatsache Ein abschließendes Wort zur „geschäftlichen Unerfahrenheit". Rechtsprechung und Teile der Literatur sprechen von geschäftlicher Unerfahrenheit, wenn ein Verkehrsteilnehmer bezüglich des Vertragstyps bzw. des Vertragsinhalts (z.B. Franchisevertrag, Versicherungsvertrag) oder des Vertragsgegenstandes (z.B. Kauf eines Computers oder eines Gebrauchtwagens) über keinerlei Erfahrung und spezielle Kenntnisse verfügt. Diese Unerfahrenheit hat nach der hier entwikVgl. die Erläuterungen Lando/Beale, Principies of European Contract Law, S. 234 unter I. Dazu Chaussade-Klein, Vorvertragliche „Obligation de renseignements", S. 73ff., 135ff. 440 St. Lorenz, ZEuP 1994,218,234 m.w.N.; Chaussade-Klein, Vorvertragliche „obligation de renseignements", S. 136f. 441 Rechtsvergleichung, 3. Aufl., S.422. 4 4 2 Civ. 7.5. 1974, Bull. III. no. 186 (Trinkwasseranschluß); Civ. 10.5. 1989, Bull. I. no. 187 (Bürgschaft); s. ferner die bei Kötz, Vertragsgerechtigkeit, S.308, Fn.38, angeführte Entscheidung. 4 4 3 So wird der Begriff verstanden, vgl. Rummel, A B G B , 2. Aufl., § 871 Rn. 16. 438

439

§ 5 Dogmatischer Wert der verständigungstheoretischen

Rechtfertigung

291

kelten K o n z e p t i o n keine unmittelbare rechtliche Bedeutung, 4 4 4 weil eine rechtlich relevante informationelle Unterlegenheit erst bei „allgemeiner geschäftlicher Unerfahrenheit" im Sinne des § 13 8 Abs. 2 B G B gegeben ist. 4 4 5 Geschäftliche U n erfahrenheit in jenem Sinne bezeichnet nur die Tatsache, daß eine Person mit einem bestimmten Geschäftsgegenstand oder Vertrag(styp) nicht vertraut ist. Freilich kann diese „Unerfahrenheit" im U m g a n g mit bestimmten Vertragstypen oder Vertragsgegenständen mittelbar Bedeutung für die Begründung vorvertraglicher Informationspflichten erlangen. Verständigungstheoretisch begründete I n formationspflichten können nur entstehen, wenn das konkrete Informationsdefizit des Informationsberechtigten für den Informationspflichtigen erkennbar ist. Kann der Pflichtige erkennen, daß sein Gegenüber n o c h keine Erfahrungen mit dem betreffenden Vertragstyp oder Vertragsgegenstand gesammelt hat, wird das konkrete Informationsdefizit für ihn eher erkennbar sein. D a b e i kann es (Häufigkeits-) Typisierungen geben, etwa den „durchschnittlichen" Versicherungs- oder B a n k k u n d e n . 4 4 6 U m g e k e h r t darf der potentiell Informationspflichtige aus tatsächlicher Geschäftserfahrung, etwa im R a h m e n einer bestimmten Branche oder im U m g a n g mit einem bestimmten Produkt, unter Umständen auf bestimmte konkrete Kenntnisse und damit mangelnden Informationsbedarf schließen. 4 4 7

V. Verhältnis zur Informationspflicht zum Schutz informationell Unterlegener D i e Informationspflicht kraft Verständigung macht die im vierten Teil dieser A r beit erörterte Informationshaftung zum Schutze informationell Unterlegener nicht überflüssig. Zwar m u ß der Informationspflichtige auch dort nur sein präsentes Wissen einsetzen. A b e r er darf nicht zunächst und grundsätzlich davon ausgehen, der allgemein Unerfahrene sei über die für sie wesentlichen U m s t ä n d e bereits hinreichend informiert. D i e „Erkennbarkeit" des Informationsdefizits ist hier bereits mit der Erkennbarkeit der geschäftlichen Unerfahrenheit (in deren U m f a n g ) gegeben und entfällt erst, wenn der Aufklärungspflichtige konkrete A n haltspunkte für den ausreichenden Informationsstand des geschäftlich U n e r f a h renen hat ( z . B . dessen vorhergehende Beratung durch einen Fachkundigen). G e nau umgekehrt verhält sich bei der aus dem Verständigungsprinzip abgeleiteten Informationspflicht. H i e r darf jede Partei zunächst und grundsätzlich davon ausgehen, daß der Kontrahent sich u m die für ihn wichtigen Informationen gekümmert hat; für das Gegenteil bedarf es konkreter Anhaltspunkte. Siehe S. 161 ff. Siehe S.154ff. 4 4 6 Zu solchen Typisierungen, freilich auf der Basis ordnungs- bzw. individual-kompensatorischer Theorien, die Nachweise bei Kieninger, AcP 199, 190, 232f. 4 4 7 Zum Beispiel R G LZ 1930, Sp. 1447 (allerdings den Schutz von Leib und Leben betreffend). 444 445

6. Teil:

Pflichten zur Aufklärung über das Scheitern des Vertragsschlusses Im Mittelpunkt dieser Untersuchung standen bisher Informationspflichten, deren Zweck die Verhinderung eines nicht erwartungsgerechten Vertrages ist.1 Der materielle Wille kann jedoch, wie eingangs bereits angesprochen, ebenso durch das Ausbleiben eines erwarteten Vertragsschlusses enttäuscht werden. Ist der Grund dafür ein Wirksamkeitshindernis, gelten die im 9. Teil (S. 330ff.) erörterten besonderen Regeln, da die Beseitigung von Wirksamkeitshindernissen im gemeinsamen Interesse beider Partner liegt. Scheitert der Vertragsschluß dagegen an der mangelnden Abschlußbereitschaft einer Partei, können Informationspflichten der nicht abschlußbereiten Partei über die mangelnde Abschlußbereitschaft (aufklärungsbedürftige Wirklichkeit) nach den in den vorherigen Abschnitten entwickelten Grundsätzen entstehen. Der „Abbruch von Vertragsverhandlungen" kann als Verletzung der Wahrheitspflicht und als Haftung für eine falsche positive Erklärung erfaßt werden, wenn der fahrlässig geweckte Anschein der Abschlußbereitschaft überhaupt oder zu bestimmten Bedingungen nicht von einem entsprechenden Willen gedeckt ist.2 Eine Informationspflicht kraft Ingerenz entsteht, wenn der Abbrechende zunächst Vertragsabsichten hatte, diese aber geändert hat.3 Bestand die Absicht von vornherein nicht oder nicht so, wie geäußert, hat der Abbrechende für seine positiven Erklärungen einzustehen; gleiches gilt, wenn dem Vertrauenstatbestand nur noch durch den Abschluß des Vertrages Rechnung getragen werden kann.4 Siehe S. 9. Vgl. B G H L M § 313 B G B Nr. 80 unter III 2 b; auch hier für Haftung wegen Nichtaufklärung Soergel/Wiedemann, B G B , 12. Aufl., Vor §275 Rn. 135. Ungenau B G H N J W 1998, 3636, 3637: Obzwar der B G H von „berechtigten Erwartungen" spricht, die die ausschreibende Behörde durch die Ausschreibung geweckt habe, soll die Behörde für „unterlassene Aufklärung" haften. Die Behörde hätte nicht aufklären, sondern ihre zu weitgehende Erklärung mit einem Vorbehalt versehen müssen. Auf die Aufhebung der Vertrauensbindung „ohne triftigen Grund" stellt dage1

2

gen Stoll, FS v. Caemmerer, S. 437, 449, ab.

3 Umfassend zur Rechtsprechung und zur Kritik an ihr SoergeVWiedemann, B G B , 12. Aufl., Vor §275 Rn. 130ff. 4 Darauf beruhen jene Urteile, die eine Haftung bejahen, weil die betreffende Partei den Vertragsschluß ohne triftigen Grund abgelehnt habe, z.B. B G H L M §276 B G B (Fa) Nr. 28,34; siehe zur Abgrenzung von anderen Anknüpfungspunkten B G H LM § 313 B G B Nr. 80 unter III 2 b; dazu ferner mit umfassenden Nachweisen SoergelIWiedemann, B G B , 12. Aufl., Vor §275 Rn. 131, 136.

6. Teil: Pflichten zur Aufklärung über das Scheitern des Vertragsschlusses

293

U b e r diesen vertrauenstheoretisch begründeten Tatbestand hinaus kann eine Informationspflicht gegenüber allgemein geschäftlich Unerfahrenen entstehen, 5 wenn Unerfahrenheit und eine durch sie verursachte Fehlvorstellung über die Abschlußbereitschaft bzw. der ihr zugrunde liegenden Tatsachen für den K o n t r a henten erkennbar sind. Schließlich kann das Verständigungsprinzip 6 auch bei nicht allgemein geschäftlich Unerfahrenen eine Informationspflicht begründen, wenn ein Partner erkennen muß, daß der andere sich falsche Vorstellungen von seiner Abschlußbereitschaft bzw. der ihr zugrunde liegenden Tatsachen macht ( z . B . bei öffentlicher Auftragsvergabe über die haushaltsrechtliche Absicherung des O b j e k t s 7 ) . In der Regel wird allerdings ein erhebliches Mitverschulden des Informationsberechtigten anzunehmen sein.

5 6 7

Zu Grund und Umfang allgemein siehe S. 122 ff. Zu Grund und Umfang allgemein siehe S. 193 ff. BGH JZ 1999, 253 m. Anm. Noch.

7. Teil:

Ordnungstheoretische Grenzen vorvertraglicher Informationspflichten I. Relevanz der Ordnungsgerechtigkeit N a c h der hier entwickelten Vorstellung besteht der Ordnungsbeitrag von Privatautonomie und Vertragsfreiheit nicht darin, einen mehr oder minder bestimmten Ordnungswert zu realisieren. 1 Deshalb wurde hier einer Theorie vorvertraglicher Informationspflichten widersprochen, deren Grundlage die Verpflichtung der Selbstbestimmung auf einen für konkretisierungsfähig gehaltenen Ordnungswert ist; ebenso widersprochen wurde einer programmatischen Ausformung des Vertragsrechts auf einen solchen Wert hin. 2 Der Ordnungsbeitrag der Vertragsfreiheit besteht in der Realisierung gerechter Verträge und damit in der Realisierung materialer Selbstbestimmung im Vertrag. 3 Eine Rechtsfortbildung, die dem materiellen Willen zur Durchsetzung verhilft, hat deshalb zunächst die Vermutung auf ihrer Seite, auch der Ordnungsgerechtigkeit zu dienen. Indessen beeinträchtigt die vorvertragliche Informationsverpflichtung bezüglich des Inhalts oder der Wertungsgrundlagen des angestrebten Vertrages das Interesse des Informationsinhabers an der Nutzung seiner Information. Zwar verhindert die vorvertragliche Informationspflicht die Verwertung einer wertvollen Information 4 nicht generell. Der Verkauf oder eine vergleichbare kommerzielle Verwertung 5 wird nicht behindert, da und solange der Informationsinhaber nicht verpflichtet ist, die Information (losgelöst von einem Vertragsschluß) an andere

Siehe S.77ff. Siehe S.59ff., 71 ff. 3 Z u m Verhältnis von Vertragsgerechtigkeit und Selbstbestimmung S. 78ff., 85ff. 4 Z u m Marktwert von Informationen grundlegend Stigler, Journal of Political Economy, Bd. 69 (1961), 213ff.; ferner Posner, Economic Analysis, 4. Aufl., S. 109; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S.405ff.; Grigoleit, Informationshaftung, S.73ff.; Schuhmacher, Verbraucherschutz, S. 189f.; Adams, A c P 186, 453, 468ff. 5 Vgl. Hirshleifer, American Economic Review, Bd. 63 (1973), 31,32. Zur Ware „Information" aus der Perspektive der Informationsgesellschaft und der „Multimedialen K o m m u n i k a t i o n " siehe z.B. die Thesen von Job, in: Kubicek u.a., Die Ware Information, S. 13ff.; ferner Mecklingen ebd., S.30ff. Freilich kann die Bewertung der zu erwerbenden Information Schwierigkeiten bereiten, da ihr Wert für den Nutzer erst mit Kenntnis einschätzbar ist, mit der Bekanntgabe aber der entgeltliche Erwerb nicht mehr erforderlich ist („Informationsbewertungsparadoxon", vgl. Picot, in: Kubicek u.a. Die Ware Information, S.42, 57). 1

2

II. Grenzen zum Schutz prozeduraler

Ordnungsgerechtigkeit

295

weiterzugeben. Auch dem Interesse, wertvolle Informationen vor Vertragsschluß nicht im einzelnen kostenlos preisgeben zu müssen, wird Rechnung getragen; denn gegebenenfalls muß nur über die Relevanz einer Information aufgeklärt werden, während die Weitergabe von Informationen im einzelnen von der Erstattung oder Beteiligung an den Informationsgewinnungskosten abhängig gemacht werden kann.6 Die vorvertragliche Informationspflicht verhindert aber immerhin eine wichtige und bezüglich kurzlebiger Marktinformationen7 meistens allein praktikable Form der Informationsnutzung: jene durch einen Vertrag zu Lasten des Nichtinformierten unter Ausnutzung seiner Unkenntnis. Die vollständige Verhinderung derartiger Ausnutzung durch eine umfassende Aufklärungspflicht mag für den ex post beurteilten Einzelfall durchaus plausibel sein, kann aber als Verhaltensregel für alle dazu führen, den Anreiz zu rechtsgeschäftlicher Betätigung in einem Maße zu beeinträchtigen, daß die Vertragsfreiheit ihren Ordnungsbeitrag nicht in der gebotenen Form leisten kann.8 Die Ausnutzung des Unwissenden muß in einem gewissen Umfang erlaubt sein, um den Beitrag von Privatautonomie und Vertragsfreiheit zu einer gerechten Gesamtordnung nicht zu gefährden. Es ist nötig, die in den vorherigen Teilen der Arbeit anhand vertragsrechtlicher („individualer") Wertungen begründeten Informationspflichten durch Begrenzung ordnungskompatibel zu halten. Die Ordnungsgerechtigkeit kann einer aufklärungsfreundlichen Rechtsfortbildung entgegenstehen.9 Zur Ordnungsgerechtigkeit gehört zum einen die verfahrensmäßige Ordnung, innerhalb derer die Vertragsfreiheit sich entfaltet (Markt, Wettbewerb); es gehören zum zweiten dazu Ordnungswerte.

II. Grenzen zum Schutz prozeduraler Ordnungsgerechtigkeit 1. Keine Aufklärung und Gegenleistung

über Marktgerechtigkeit

von

Leistung

Ein wesentlicher Anreiz für rechtsgeschäftliche Akvität besteht darin, daß die Beteiligten die für eine Leistung erhaltene oder zu erbringende Gegenleistung, insbesondere den zu zahlenden Preis, als für sie jeweils günstig bewerten. Aus der Vgl. BGH NJW 1993, 1643, 1644. Vgl. Kronman, Journal of Legal Studies, Bd. 7 (1978), 1, 15. 8 Zur Antriebsfunktion der Privatautonomie F. v. Hippel, Privatautonomie, S. 79ff. (anthropologisch motiviert); Burckhardt, Vertrag im Privatrecht, S. 8; Schmidt-Rimpler, AcP 147, 130, 170; Singer, Selbstbestimmung, S. 20f. 9 Auf spezielle individualrechtliche Grenzen, wie zum Beispiel Geheimhaltungsregeln (dazu nur MünchKomm/Roth, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.226f.; bezüglich Bankgeheimnis etwa BGH ZIP 1991, 90) oder die Unzumutbarkeit der Selbstbezichtigung (dazu Taupitz, Offenbarung eigenen Fehlverhaltens; MünchKomm/Emmerich, BGB, 3. Aufl., Vor § 275 Rn. 82), muß hier nicht im einzelnen eingegangen werden. 6 7

296

7. Teil: Ordnungstheoretische

Grenzen vorvertraglicher

Informationspflichten

Unbestimmbarkeit des iustum pretium hat das BGB die Konsequenz gezogen, die Preisbildung grundsätzlich dem Wettbewerb und damit der Eigenverantwortung der Parteien zu überantworten.10 Hier darf jeder (fast) unbeschränkt seinen Vorteil verfolgen und die besser informierte Partei ihren Informationsvorsprung ausnutzen,11 wie auch die Begrenzung der Inhaltskontrolle bei AGB-Verträgen durch § 8 AGBG zeigt. Deshalb ist die (fehlende) Marktgerechtigkeit der für den Vertragsgegenstand geforderten Gegenleistung, insbesondere des Preises, verstanden in dem Sinne, daß es andere Marktteilnehmer gibt, die den Gegenstand anders bewerten und entsprechend mehr oder weniger bieten würden oder die eine vergleichbare Leistung zu einem günstigeren Preis anbieten, sind die Marktverhältnisse und ihre Entwicklung nach allgemeiner Ansicht nicht Gegenstand vorvertraglicher Informationsverpflichtung.12 Nicht zu infomieren ist daher über das Bestehen von Konkurrenzangeboten.13 So ist es in dem von Cicero™ gebildeten Fall der Hungersnot auf Rhodos, die einen Kaufmann aus Alexandria wegen der gestiegenen Lebensmittelpreise veranlaßt, mit einem Schiff Getreide nach Rhodos zu transportieren, das er dort für einen hohen Preis verkauft. Der Kaufmann ist nicht verpflichtet, den Käufer darüber aufzuklären, daß noch weitere Getreideschiffe in Alexandria in See gestochen sind.15 Irrtümer über die Marktge10 Dazu und zu Ausnahmen Rittner, Wirtschaftsrecht, 2. Aufl., §23 Rn. lff; U. Hühner, FS Steindorff, S. 589ff.; von Behrends, Privatrecht des deutschen Bürgerlichen Gesetzbuches, S. 9, 68, wird das „Marktprinzip" mit Eigenverantwortung bezüglich der Preisinformation gleichgesetzt. Siehe ferner Reuter, Freiheitsethik und Privatrecht, S. 109f.; Baumback/Hefermehl, Wettbewerbsrecht, 19. Aufl., §1 UWG Rn.251. Böhm (Wettbewerb und Monopolkampf, S.19) spricht von der Anonymität des Prozesses der Preisbildung. Der Anteil der öffentlich administrierten Preisbildung wird auf beachtliche 40% der Verbraucherpreise beziffert, U. Hühner, FS Steindorff, S.589 m.w.N. 11 „Jeder erfolgreiche Unternehmer (schafft) Mehrwert durch die Ausnutzung von Informationsdivergenzen und -vorsprung", Picot, in: Kuhicek u.a. Die Ware Information, S.42, 52. Zum Preis als Indikator der Unwissenheit über Marktverhältnisse Stigler, Journal of Political Economy, Bd. 69, (1961), 213, 214; zum Preis als Mechanismus der Informationsweitergabe grundlegend v. Hayek, American Economic Review Bd. 35 (1945), 519, 526ff. 12 In der Rechtsdogmatik allgemeine Meinung, wenngleich mit zum Teil abweichender Begründung, O L G Düsseldorf ZIP 1988,1405,1406; Giesen, NJW1971,1795,1798; Koller, Risikozurechnung, S.23f.; Breidenbach, Informationspflichten, S.68; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.274; MünchKomm/fioi/>, BGB, 3. Aufl., §242, Rn.222; MünchKomm/£iwmerich, BGB, 3. Aufl., Vor § 275 Rn. 79; St. Lorenz, Schutz, S. 423; RGZ 111,233,234; Bydlinski, Prinzpien des Privatrechts, S. 747f.; Kotz, Vertragsrecht, S.306 (zu Unrecht beschränkt auf jene Fälle, in denen die bessere Marktübersicht auf eigener Anstrengung beruht). Anders nur O L G Bremen NJW 1963, 1455, 1456f.; zu Recht kritisiert von Zeiss, NJW 1964, 477ff., Stötter, AcP 166,149,152f., Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor § 275 Rn. 274, St. Lorenz, Schutz, S.418 Fn. 1211. Auf eine nähere Erörterung der der rechtlichen Ordnungsentscheidung (Wettbewerb, Markt) inhärenten ökonomietheoretischen Vorstellungen wird hier verzichtet, vgl. nur Drexl, Wirtschaftliche Selbstbestimmung, S. 92 ff.

O L G Dresden NJW-RR 1998, 1351, 1353. De officiis, 3.50 und 3.57. 15 Cicero befürwortet eine Pflicht zur Offenbarung (De officiis 3.57), wogegen Grotius, De iure belli ac pacis (II 12.9.2) sie ablehnt (Aufklärungspflicht nur über Umstände bezüglich des Ver13

14

II. Grenzen zum Schutz prozeduraler

Ordnungsgerechtigkeit

297

rechtigkeit sind irrelevant, mögen sie vom Kontrahenten auch positiv erkannt worden sein und mag der Kontrahent sogar wissen, daß der Erklärende bei Kenntnis des Sachverhalts auf keinen Fall abschließen würde. Aus demselben Grund wird der Preis nicht als „Eigenschaft" im Sinne des § 119 Abs. 2 B G B betrachtet. 16 Mit der Marktgerechtigkeit des Preises sind auch die dazu gehörigen Teilinformationen, wie zum Beispiel die Gewinnkalkulation, von der Aufklärung ausgenommen. 17 Diese Grundsätze gelten auch für Informationen über die künftige Entwicklung von Angebot und Nachfrage, wenn etwa der Käufer einer Tabakfabrik aufgrund einer günstigen Expertise über die Entwicklung des Tabakverbrauchs handelt. Die Beschränkung der Informationspflicht hinsichtlich der Marktverhältnisse gilt nicht für Insiderwissen, also für Wissen über eine nicht öffentlich bekannte Tatsache, das eine Partei aufgrund ihrer beruflichen oder amtlichen Funktion 18 oder aufgrund besonderer Beziehungen zu Funktionsträgern mit solchem Wissen erworben hat. 19 Der entscheidende Grund dafür liegt darin, daß die Information nicht für alle Marktteilnehmer in gleicher Weise zugänglich ist, so daß die Information nicht mit „innovatorischer Tüchtigkeit" zu erschließen wäre. 20 Der Zweck der Beschränkung der Informationspflicht, solche Tüchtigkeit zu belohnen, greift hier nicht ein.21 Es gibt daher keinen Grund, eine nach den oben entwickeltenen Prinzipien begründete Informationspflicht zu beschränken. So bleibt es dabei, daß der Verkäufer einer Schiffsladung Kaffee den Käufer über die kaufsgegenstandes, „quae rem... contingunt"). Ein spezielles Nutzenkalkül (über das allgemeine „Kalkül" hinaus, die Ausnutzung von Marktchancen zu erlauben) stellt Kötz, Vertragsrecht, S.305, an: Eine Pflicht zur Aufklärung nähme Kaufleuten den Anreiz auszufahren (zweifelnd Schäfer, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 117,127). Diese Überlegung wäre nach der hier vertretenen Systematik bei der Begrenzung der Informationspflicht wegen Beeinträchtigung des Gesamtnutzens einzuordnen (vgl. folgend S. 300ff.). 16 Lediglich begrifflich begründet bei RGZ 64,266,269; im Anschluß daran BGHZ 16,54, 57; BGH LM Nr. 52 zu § 123 BGB; Soergel/Hefermehl, BGB, 12. Aufl., § 119 Rn. 51. Zutreffend teleologisch dagegen MünchKomm/iframer, BGB, 3. Aufl, §119 Rn.114 m.w.N.; Larenz/Wolf, AT, 8. Aufl., §36 Rn.55; St. Lorenz, Schutz, S.297; eingehend, allerdings zu pauschal gegen eine Pflicht zur Weitergabe von Informationen, deren Beschaffung mit Kosten verbunden war, Adams, AcP 186, 453, 463ff., 468ff. 17 Vgl. BGH NJW 1981, 2050 (unter II la). 18 Vgl. auch die kapitalmarktrechtliche Definition des „Insiders" in § 13 WpHG. 19 Vgl. zum Managerwissen Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S. 531 f f H i r s h l e i f e r , American Economic Review, Bd. 63 (1973), 31,34f.; siehe ferner die gesetzliche Regelung zum Kapitalmarkt in den §§ 12ff. WpHG. 2 0 Auch die Nachfrage beim wissenden Kontrahenten würde nicht weiterhelfen, solange man dem Inhaber von Marktinformationen wegen des Wettbewerbsprinzips zubilligen würde, die Information für sich behalten zu dürfen; denn um der Effektivität des Informationsschutzes müßte man ihm dann auch zubilligen, auf die Nachfrage mit Leugnung seines Wissens zu antworten, da der Nachfragende die bloße Verweigerung der Antwort zu deuten wüßte. 21 Die (fehlende) Zugänglichkeit der Information ist hier wohlgemerkt nicht Kriterium für die Begründung von Aufklärungspflichten, sondern Kriterium für das Eingreifen/Nichteingreifen einer Aufklärungsbegrenzung.

298

7. Teil: Ordnungstheoretische

Grenzen vorvertraglicher

Informationspflichten

Aufhebung eines Handelsembargos gegen ein kaffeeproduzierendes L a n d zu informieren hat, wenn er der entscheidenden Regierungskommission angehörte und der Beschluß noch nicht öffentlich gemacht ist. 2 2 O d e r der dem Stadtrat angehörende Käufer eines Grundstücks hat den Verkäufer über den n o c h nicht veröffentlichten Beschluß über die Ausweisung des Grundstücks als Bauland aufzuklären. 2 3 D i e Beschränkung der Informationspflicht hinsichtlich der Marktverhältnisse greift ferner nicht, wenn eine Partei die andere durch arglistige Täuschung und vergleichbare Manipulationen davon abgehalten hat, sich über den M a r k t w e r t zu informieren. 2 4 Sie greift ferner nicht, wenn eine Partei in der anderen das Vertrauen geweckt hat, einen marktgerechten Preis zu erhalten oder zu zahlen und das Geschäft deshalb durchgeführt wurde, wobei allerdings ansgesichts der üblichen Anpreisung von Waren und Diensten als preisgünstig hohe Anforderungen zu stellen sind. D i e Bezeichnung als „Schnäppchen" reicht nicht, ebensowenig - im H i n b l i c k auf die Entwicklung des Marktwertes - eine nicht näher substantiierte „Schätzung". 2 5 D i e Beschränkung der Aufklärungspflicht hinsichtlich der Marktgerechtigkeit des Preises greift außerdem nicht, wenn es darum geht, ob der vereinbarte Preis der günstigste innerhalb des Angebots des Anbieters ist. 2 6 D i e Beschränkung der Aufklärungspflicht hinsichtlich der Marktgerechtigkeit des Preises wird ferner

22 Gleiches gilt für Laidlaw v. Organ, Suprerae Court 15 U.S. (2 Wheat.) 178 (1817): Nach Aufhebung der Hafenblockade infolge der Beendigung des amerikanisch-englischen Krieges durch den Frieden von Ghent 1812 stieg der Tabakpreis enorm. Der Käufer wußte bereits vor der öffentlichen Bekanntgabe vom Frieden und kaufte billig ein. Freilich gilt dies nur, sollte der Wissensvorsprung auf Kontakten zu „Insidern" gehören und nicht lediglich der schnelleren Informationsübermittlung zu verdanken sein (was in casu naheliegt, aber nicht ganz zweifelsfrei ist, vgl. Kronman, Journal of Legal Studies Bd. 7 [1978], 1,9ff.; ferner dazu Posner, Economic Analysis, 4th Ed., S. 109; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S.407f.; Schäfer, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 117, 138f., die die Informationspflicht mit einer zweifelhaften Effizienzanalyse begründen). 23 Wenn man darin überhaupt eine Information über Marktverhältnisse (und nicht über eine Eigenschaft des Grundstücks) sieht; ferner dazu Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S.406; Schäfer, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 117, 139. 24 Das scheint in der Entscheidung OLG Jena, ZIP 1999,1554, der Fall gewesen zu sein; jedenfalls läßt sich nur unter dieser Voraussetzung die vom OLG bejahte Pflicht der Bank zur Aufklärung über einen wesentlich geringeren Marktwert des Kaufobjekts rechtfertigen (worauf das OLG, a.a.O., S. 1557, auch abstellt). Anders liegt OLG München ZIP 1999,1751, 1753, wo Gegenstand der Aufklärung die Verwendung des von den Anteilskäufern aufgebrachten Kaufpreises für die eigentlichen Baukosten war, nicht dagegen der Marktwert des erworbenen Anteils. 25 Vgl. OLG Düsseldorf NJW 1999,1973 (die Ausführungen betreffen allerdings das Zustandekommen eines Beratungsvertrages). 26 In diese Richtung BGH NJW 1989, 1667 (Kreditalternativefall); dagegen unerheblich die Abweichung vom Listenpreis des Herstellers, wenn der Verkäufer vom Hersteller verschieden ist und daher eigene Gewinninteressen verfolgt, vgl. OLG Düsseldorf ZIP 1988, 1405, 1406; Grenzfall: BGH NJW 1983, 2493, 2494. Anders (zum Bankvertragsrecht) Canaris, Bankvertragsrecht, 3. Aufl., Rn. 114.

II. Grenzen zum Schutz prozeduraler

Ordnungsgerechtigkeit

299

ihrerseits begrenzt zum Schutz des allgemein geschäftlich Unerfahrenen im Sinne des § 13 8 Abs. 2 B GB. Die Erweiterung dieses Schutzes durch das vorvertragliche Schuldverhältnis27 führt dazu, daß der Kontrahent den allgemein Unerfahrenen über die fehlende Marktgerechtigkeit des Preises informieren muß, wenn Leistung und Gegenleistung in einem „auffälligen Mißverhältnis" stehen.28 Schließlich muß über die Marktgerechtigkeit des Preises beim Kauf aufgeklärt werden, wenn der Informationsinhaber sich zuvor mit dem Kontrahenten auf die gemeinsame Informationsverwertung geeinigt hatte. So war es im Daktarifall.29 Zwischen den Parteien bestand eine vertragliche Vereinbarung über die gemeinsame Verwertung von Filmrechten. Die Kläger hatten ein Kaufangebot des ZDF über 8,3 Millionen DM erzielt. Diese Information durften sie der Beklagten beim anschließenden Vertrag über die Abtretung ihres Anteils an den Rechten nicht deshalb vorenthalten, weil sie die Marktlage betraf. Denn die Nutzung der Information stand infolge der Vereinbarung beiden Parteien zu.30 2. Keine Aufklärung

zugunsten

von

Wettbewerbsbeschränkungen

Verfahrensmäßige Ordnungsinteressen können sich ferner gegen das individuelle Informationsinteresse einer Partei durchsetzen, wenn es um die Sicherung des Wettbewerbs geht. Daß auf rechtswidrige Wettbewerbsbeschränkungen zielende Absichten keinen Schutz verdienen, versteht sich von selbst. Der B G H ist im Vertragshändlerfall einen Schritt weiter gegangen.31 Die Beklagte war Vertragshändlerin der BMW AG und aufgrund ihres Vertragshändlervertrages - zulässigerweise - bei Meidung von Vertragsstrafen verpflichtet, Fahrzeuge nur an autorisierte Händler zu verkaufen. Die Klägerin kaufte in Kenntnis dieser Tatsache bei der Beklagten mehrere Fahrzeuge zum Zwecke des Wiederverkaufs. Der B G H verneinte eine Pflicht der Klägerin zur Aufklärung der Beklagten über ihre Wiederverkaufsabsicht. Es dürfte außer Frage stehen, daß das Fehlen von Wiederverkaufsabsichten Wertungsgrundlage des Verkaufswillens war und deshalb an und für sich eine Informationspflicht des Käufers bestünde.32 Daß sich der Käufer dies gleichwohl nicht entgegenhalten lassen mußte, hatte einen ordnungsrechtlichen Grund, nämlich das Interesse an einem freien Wettbewerb. Wenn auch das Vertragshändlersystem wettbewerbsrechtlich zulässig war, sollte das Interesse an seiSiehe S.158f. Siehe auch Sack, NJW 1974, 564, 565, zu LG Trier NJW 1974, 151, 152 (zweifelhaft allerdings die Begründung der geschäftlichen Unerfahrenheit). 29 BGH LM § 123 BGB Nr. 52; zum Sachverhalt und zur Begründung der Aufklärungspflicht siehe S.267. 30 Nicht gewürdigt von Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S. 427; Kotz, Vertragsrecht, S. 305f. Zu sehr auf die - in der Tat nicht geschuldete - Informationsbeschaffung abhebend Kötz, FS Drohnig, S. 563, 575. 31 BGHZ 117,280. 32 Zur BegründungS. 264ff. 27 28

300

7. Teil: Ordnungstheoretische

Grenzen vorvertraglicher

Informationspflichten

ner Einhaltung nicht den besonderen gesetzlichen Schutz der Geschäftsgrundlage bzw. Aufklärungspflicht erhalten. Vielmehr sollten die Beteiligten des Vertragshändlersystems selbst durch klare vertragliche Regelungen - z . B . der Vereinbarung eines Verbots gewerblichen Wiederverkaufs - für die Absicherung sorgen. 3 3 Aus denselben Gründen m u ß der Käufer nicht von sich aus darüber aufklären, daß er die Ware an einen Wettbewerber des Verkäufers weiterveräußern will. 3 4

III. Grenzen zum Schutz materialer Ordnungsgerechtigkeit Eine weitere, erheblich problematischere Begrenzung der vorvertraglichen Verpflichtung zur Aufklärung kann sich im H i n b l i c k auf die materiale Ordnungsgerechtigkeit ergeben. Ein Aspekt der materialen Ordnungsgerechtigkeit ist die E f fizienz im Sinne eines möglichst großen wirtschaftlichen Gesamtnutzens. D e m entsprechend läßt sich in einem ersten Schritt sagen, der Schutz der materialen Selbstbestimmung (des materiellen Willens) durch vorvertragliche Informationspflichten kann wegen nachteiliger Folgen für den Gesamtnutzen problematisch sein. Solche nachteiligen Folgen sind bei der Entscheidung über eine aufklärungsfreundliche Rechtsfortbildung argumentativ zu berücksichtigen und k ö n n e n bei entsprechendem G e w i c h t im Einzelfall entscheidend gegen eine Aufklärungspflichten begründende Rechtsfortbildung sprechen. A n dieser Stelle kann eine wohlfahrtsökonomische Analyse Zuarbeit leisten: zum einen bei der K o n k r e t i sierung des Gesamtnutzens; zum anderen bei der Einschätzung tatsächlicher Auswirkungen bestimmter Informationspflichten auf das Verhalten der Beteiligten und damit auf den Gesamtnutzen, also insgesamt bei der Abschätzung der Folgen einer Rechtsfortbildung. 3 5 Wohlgemerkt: Es geht nur darum, offensichtliche Schädlichkeiten des Schutzes des materiellen Willens im Vertragsrecht für den Gesamtnutzen abzuwehren, nicht aber Selbstbestimmung positiv mit Effizienzwertungen aufzufüllen. Eine Beeinträchtigung der Effizienz liegt dann vor, wenn ein möglicher Zugewinn an gesamtgesellschaftlichem Wohlstand unterbleibt. 3 6 Effizienzbeeinträchtigend ist demnach die richterrechtliche Statuierung einer Informationspflicht, deren Folge ein Verhalten der Verkehrsteilnehmer wäre, das mögliche Steigerungen BGHZ 117, 280, 283ff. Vgl. den Fall RG HRR1930 Nr. 97; Hildebrandt, Erklärungshaftung, S. 164 Fn. 57; Soergel/ Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.272. 35 Zum Einfluß der ökonomischen Analyse auf die Rechtsfortbildungsentscheidung im Bereich der Folgenabschätzung siehe bereits oben S. 71 ff. 36 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S.406. Zu den unterschiedlichen Modellen der Effizienz (insbes. Pareto-Kriterium, Kaldor-Hicks-Kriterium) Eidenmüller, Effizienz, S. 41 ff., 47ff. Zur Beschränkung des in der Wohlfahrtsökonomie überwiegend weiten (individualen) Nutzenbegriffs auf den geldwerten Nutzen in der ökonomischen Rechtsanalyse Behrens, Utilitaristische Ethik, S. 44. 33 34

III. Grenzen

zum Schutz materieller

Ordnungsgerechtigkeit

des gesamtgesellschaftlichen Nutzens unterläßt. 37 Die Einschätzung

301 beider

Aspekte - der gesamtgesellschaftlichen Nützlichkeit des fraglichen Verhaltens und der hypothetischen Auswirkung einer Informationspflicht auf das Verhalten - ist mit erheblichen Unsicherheiten behaftet. Das Recht muß hier, will es nicht in der Komplexität der Wirklichkeit und ihrer ökonomietheoretischen Deutung(en) jede Orientierung verlieren, auf eine gewisse Evidenz des ökonomischen Urteils dringen, soll es als Argument in der Rechtsfortbildung berücksichtigungsfähig sein. 38 In Anknüpfung an die bisherige Erörterung des Problems in der rechtsdogmatischen Literatur lassen sich einige Grenzen für die Aufklärungsverpflichtung ziehen. 39 Eindeutig gesamtgesellschaftlich nützlich sind Aktivitäten, die technische oder geschäftliche Innovationen hervorbringen. Es ist deshalb nachvollziehbar, die Nutzung solcher Innovationen durch die Innovatoren nicht durch Informationspflichten zu verhindern oder erheblich zu beeinträchtigen. So verhält es sich beim Grundstückskäufer, der die Aussichten einer bestimmten gewerblichen Grundstücksnutzung erkundet hat, das den Wert des Grundstücks erheblich steigert; er darf dieses Wissens dem Verkäufer vorenthalten. 40 Gleiches gilt für den K f z - H e r steller oder Kfz-Händler, der dem Käufer eines Fahrzeugs nicht mitteilen muß, daß zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses ein neues Modell konzipiert wird. Der Anreiz zu Produktinnovationen würde erheblich beeinträchtigt, könnte bereits in der Planungs- und Konstruktionsphase das Altprodukt nicht mehr oder nur mit erheblichen Einbußen abgesetzt werden. 41 Dagegen bleibt es grundsätzlich bei der Aufklärungspflicht, wenn das neue Produkt bereits lieferbar ist, vorausgesetzt die Zugehörigkeit zur neuen bzw. alten Modellreihe ist für die Wertschätzung von erheblicher Bedeutung. 42 37 In der rechtsökonomischen Literatur wird etwas anders formuliert: Der Wissende müsse über „produktive Informationen" nicht informieren, wobei die Produktivität der Information im Anschluß an Hirshleifer, American Economic Review, Bd. 61 (1971), S. 561 ff., darin gesehen wird, daß sein Einsatz zu einem Netto-Wohlfahrtsgewinn führt, vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S.405f. 38 Zu Recht betont Canaris, daß es wegen der relativen Unbestimmtheit von Gerechtigkeitsinhalten nur um die Verhinderung klarer Ungerechtigkeiten gehen kann, vgl. dens., FS Lerche, S. 873, 883f. und dens., Bedeutung der iustitia distributiva, S. 77. Genau umgekehrt will Schäfer (in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 117,130) bei Zweifeln über die Gesamtnützlichkeit einer Informationspflicht diese verneinen; ein entscheidender Unterschied zur hier vertretenen Position liegt allerdings darin, daß Schäfer auch und gerade Informationspflichten für nicht präsentes Wissen vor Augen hat (vgl. nur S. 129), ohne diese - wie hier vertreten - auf eine entsprechende Vertrauensinanspruchnahme seitens des Informationspflichtigen zu beschränken. 39 Das hier entwickelte System der vorvertraglichen Aufklärungspflichten ist an dieser Stelle wertungsoffen, d.h. neue Erkenntnisse über die Gesamtschädlichkeit von Informationspflichten können Berücksichtigung finden, soweit sie die genannten Voraussetzungen erfüllen und von entsprechendem Gewicht sind. 40 Beispiel von Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S.407. 41 Vgl. im Ergebnis O L G München N J W 1967,158f.; siehe auch L G Hamburg B B 1961, 67; Soergel/WWema««, B G B , 12. Aufl., Vor §275 Rn.266. 42 Vgl. B G H D B 1999, 1493 (Aufklärungspflicht im Rahmen des §3 U W G ) ; B G H B B 2000, 1316 (bezüglich Auslegung einer Zusicherung, das verkaufte Fahrzeug sei „fabrikneu"). Diesen

302

7. Teil: Ordnungstheoretische

Grenzen

vorvertraglicher

Informationspflichten

Ebenfalls eindeutig gesamtgesellschaftlich nützlich ist - ein in Literatur und Rechtsprechung oft behandeltes Beispiel - die Entdeckung und anschließende Ausbeutung von Bodenschätzen, wie zum Beispiel Erdölvorkommen. 43 Gleichwohl ist die Frage, ob der um Ölvorkommen wissende Käufer des fraglichen Grundstücks den unwissenden Verkäufer über die Bodenschätze aufzuklären hat, nicht eindeutig zu verneinen. Denn es ist durchaus nicht eindeutig, in welchem Maße entsprechende Forschungsaktivitäten durch eine Aufklärungspflicht des wissenden Käufers beeinträchtigt würden. Wohl überwiegend wird in der Literatur die Ansicht vertreten, gezielte Untersuchungen würden im Falle einer derartigen Pflicht unterbleiben, da die Träger der Untersuchungen (etwa Erdölunternehmen) sich um ihren Lohn gebracht sähen.44 Aber ist dem wirklich so? Das Unternehmen kann sich vor etwaigen Untersuchungen vertraglich Nutzungsrechte sichern.45 Natürlich wird das seinen Preis haben, aber dieser Preis wird sich wiederum an den Gewinnperspektiven orientieren oder - als Provision - unmittelbar von ihnen abhängig gemacht werden, so daß nicht zu erkennen ist, daß derartige Aktivitäten wesentlich beeinträchtigt würden. 46 Wer diesen Einwand nicht akzeptiert, dürfte jedenfalls beim Zufallsfund nicht anders entscheiden und müßte auch dem Zufallsentdecker die Nutzung seiner Information durch Kauf des Grundstücks ohne Aufklärung des Verkäufers gestatten;47 denn welchen Anreiz hat der Zufallsentdecker sonst, seine Information weiterzugeben, Fall meint auch Schäfer, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 117,130. Siehe aber BGHZ 96,302,311 f., wobei für die ablehnende Haltung allerdings entscheidend war, daß vom gewerblichen Käufer ein entsprechender Kenntnisstand erwartet wurde. Richtigerweise muß man sagen: Der Verkäufer konnte ohne Anzeichen für die Unkenntnis von einem ausreichenden Kenntnisstand des gewerblichen Käufers ausgehen, zumal ein „Sonderpreis" vereinbart war. In KG NJW 1969, 2145, war schon deshalb nicht über eine technische Neuerung aufzuklären, weil diese im Vergleich zum technischen Stand des verkauften Modells nichts wesentliches bedeutete (a.a.O., S.2147); daneben betont das Gericht aber auch das Interesse des Verkäufers am Verkauf der Altmodelle in einer Ubergangszeit (a.a.O., S. 2146, 2147). 43 Pauschal für eine Informationspflicht in diesem Beispiel Supreme Court Blair v. National Insurance, 126 F. 2d 955 (3d Cir); pauschal dagegen Cockhurn CJ im englischen leading case Smith v. Hughes (1871) LR 6 QB 597 (604). Gleich liegt der Kauf eines Grundstücks mit einem Schatz ( M a t t h ä u s Kap. 13, Vers 44; vgl. dazu Schäfer, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 117, 135). 44 Schäfer, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S.117, 134f.; Kötz, FS Drohnig, S.563, 568. Die Unterscheidung zwischen gezielt erworbenen Informationen („deliberately acquired information") und Zufallsinformationen („casually acquired information") geht zurück auf Kronman, Journal of Legal Studies Bd. 7 (1978), 1, 13ff. 45 Von Kronman (Journal of Legal Studies Bd. 7 [1978], 1,15) wird diese Art der Informationsnutzung nicht diskutiert. 46 Dagegen ist im Geschäftsgrundstücksfall (siehe im Text vorher) die Gewinnaussicht mit so viel größeren Unsicherheiten behaftet, daß der auf Beteiligung des Grundstückeigentümers verwiesene Informationsinhaber von der Realisierung des Vorhabens absehen würde. 47 Anders aber Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S. 428 (allgemein); Schäfer, in: Ott/Schäfer, Ökonomische Probleme, S. 117, 136f.; im Gegenschluß ebenfalls Kötz, Vertragsrecht, S.304 mit Fn.26.

III. Grenzen zum Schutz materieller

Ordnungsgerechtigkeit

303

blendet man die Möglichkeit aus, sie dem Eigentümer gegen Entgelt oder Beteiligung anzubieten? In beiden Fällen fällt das (ökonomische) Folgenkalkül also nicht derart gegen eine Informationspflicht ins Gewicht, daß eine aufklärungspflichtbegründende Rechtsfortbildung deshalb abzulehnen wäre. Ganz ähnlich wie die Entdeckung von Bodenschätzen wird in der Literatur der Fall behandelt, daß ein Kunstexperte den Bilderbestand eines Trödlers auf unendeckte Meister durchstöbert. Daß er den Trödler beim Kauf eines Bildes nicht über die Marktgerechtigkeit des Preises („den wahren Wert") aufklären muß, ist bereits dargelegt worden. 48 Nach zum Teil vertretener Ansicht muß der Experte den Trödler aber auch nicht über die Echtheit eines Bildes aufklären, sollte der Trödler es für eine Kopie halten. Denn andernfalls, so die Begründung, würden gezielte Suchanstrengungen und der Einsatz von Expertenwissen zur Entdekkung solcher „Kunstschätze" unterbleiben. 49 Umgekehrt soll beim Zufallsfund aufgeklärt werden müssen. Man käme also zu einer Regelbildung, die den Laien (als typischen Zufallsentdecker) zur Aufklärung verpflichtete, den Experten (als typischen Systemsucher) dagegen zum Schweigen berechtigte. Abgesehen von der Unpraktikablilität einer solchen Regel - jeder Zufallsentdecker würde sich seiner Aufklärungspflicht mit der Behauptung gezielten Suchens entziehen können - , wirft diese Argumentation bereits im Hinblick auf den gesamtgesellschaftlichen Nutzen Fragen auf. Denn welchen Nutzen zieht das Gesamtwohl daraus, daß das Bild nunmehr in den Händen eines anderen liegt? Der Schaden des einen ist so groß wie der Nutzen des anderen. 50 Ein Nutzenkalkül, das allein darauf basiert, die Bürger müßten einen Anreiz haben, sich Informationen über wertsteigernde Eigenschaften zu verschaffen, 51 erscheint allzu abstrakt und würde durch die Aufklärungspflicht nicht wesentlich beeinträchtigt, da der Experte sein Wissen dem Eigentümer gegen Entgelt oder Beteiligung anbieten kann. Allenfalls könnte man den Gesamtnutzen darin sehen, daß die Gefahr geringer geworden ist, daß das Bild aus Unkenntnis weggeworfen wird. Hinzu kommt der Nutzen, daß die Allgemeinheit in den Genuß kommt, das Meisterbild in Augenschein nehmen zu können, freilich nur, wenn der Käufer diesen Zweck verfolgt. 52 Aber auch dann ist die Behauptung, mit der Pflicht zur Aufklärung würde künftig der Anreiz für jede Suchanstrengung genommen, nicht plausibel, wenn und da der

Siehe oben S. 295 ff. Kötz, Vertragsrecht, S. 304 mit Fn. 26; Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S.427. 50 Eben dies ist nach Schäfer/Ott, Lehrbuch der ökonomischen Analyse, 2. Aufl., S. 406, ein Kriterium für die Unproduktivität einer Information. 51 So Kötz, Vertragsrecht, S. 304. 52 Vgl. den Sachverhalt in der von Kötz, Vertragsgerechtigkeit, S. 304 Fn. 26, S. 274, Fn. 36, angesprochenen „affaire du Poussin", in der Käufer das Musee de Louvre war; siehe auch das Violinenbeispiel bei Kronman, Journal of Legal Studies Bd. 7 (1978), 1, 29f. 48 49

304

7. Teil: Ordnungstheoretische

Grenzen vorvertraglicher

Informationspflichten

Experte oder sonst Suchwillige seine Dienste gegen Gewinnbeteiligung usw. anbieten kann. 5 3

IV. Zusammenfassung 1. D e r Ordnungsbeitrag der Vertragsfreiheit besteht in der Realisierung gerechter Verträge und damit in der Realisierung materialer Selbstbestimmung im Vertrag. Eine Rechtsfortbildung, die dem materiellen Willen zur Durchsetzung verhilft, hat deshalb zunächst die Vermutung auf ihrer Seite, auch der O r d n u n g s gerechtigkeit zu dienen. D i e vollständige Verhinderung der Ausnutzung von Unwissenheit durch eine umfassende Aufklärungspflicht kann aber als Verhaltensregel für alle dazu führen, den Anreiz zu rechtsgeschäftlicher Betätigung in einem M a ß e zu beeinträchtigen, daß die Vertragsfreiheit ihren Ordnungsbeitrag nicht in der gebotenen F o r m leisten kann. D i e Ausnutzung des Unwissenden m u ß in einem gewissen U m f a n g erlaubt sein, um den Beitrag von Privatautonomie und Vertragsfreiheit zu einer gerechten Gesamtordnung nicht zu gefährden. E s ist nötig, die in den vorherigen Teilen der Arbeit anhand vertragsrechtlicher („individualer") Wertungen begründeten Informationspflichten durch Begrenzung ordnungskompatibel zu halten. Z u r Ordnungsgerechtigkeit gehört zum einen die verfahrensmäßige O r d n u n g , innerhalb derer die Vertragsfreiheit sich entfaltet (Markt, Wettbewerb); es gehören zu ihr zweitens Ordnungswerte. 2. D i e (fehlende) Marktgerechtigkeit des für den Vertragsgegenstand geforderten Preises, die Marktverhältnisse und ihre Entwicklung sind nicht G e g e n stand vorvertraglicher Informationsverpflichtung. D i e Beschränkung der I n f o r mationspflicht hinsichtlich der Marktverhältnisse gilt aber nicht für Insiderwissen. 3. Eine weitere, weitaus problematischere Begrenzung der vorvertraglichen Verpflichtung zur Aufklärung kann sich aus evident nachteiligen Folgen der A u f klärungspflicht für die materiale Ordnungsgerechtigkeit ergeben. E i n Aspekt der 53 Siehe auch den bei Kötz, Vertragsrecht, S. 274 Fn. 36, angeführten Kantharosfall aus der niederländischen Rechtsprechung: Der Käufer läßt das Kaufobjekt - einen bei Grabungsarbeiten entdeckten Becher - nach dem Kauf aufwendig untersuchen mit dem Ergebnis, daß es sich um einen Kantharos aus dem 2. Jahrhundert nach Chr. von unschätzbarem Wert handele. Der Becher war aber als Silberbecher ohne besonderen künstlerischen oder historischen Wert verkauft worden. Eine Informationspflicht scheitert nach dem hier entwickelten Konzept bereits an der erst nach Vertragsschluß eintretenden tatsächlichen Kenntnis des Käufers. Kötz verneint aber auch ein Anfechtungsrecht der Verkäuferin mit der Begründung, andernfalls würde der Anreiz genommen, derartige Untersuchungen durchzuführen. Das ist nicht plausibel, denn der Käufer könnte der Verkäuferin, solange er mangels Verfristung mit ihrer Anfechtung rechnen muß, die Beteiligung an den Untersuchungsaufwendungen gegen seine Beteiligung an einem etwaigen Gewinn anbieten. Die Ablehnung des Angebots würde eine Verwirkung des Anfechtungsrechts begründen können. Siehe ferner den Mingvasenfall (RGZ 124, 115ff.)

4.

Zusammenfassung

305

materialen Ordnungsgerechtigkeit ist die Effizienz im Sinne eines möglichst großen wirtschaftlichen Gesamtnutzens. Der Schutz der materiale Selbstbestimmung (des materiellen Willens) durch vorvertragliche Informationspflichten kann wegen nachteiliger Folgen für den Gesamtnutzen problematisch sein. Solche nachteiligen Folgen sind bei der Entscheidung über eine aufklärungsfreundliche Rechtsfortbildung argumentativ zu berücksichtigen und können bei entsprechendem Gewicht entscheidend gegen eine Aufklärungspflicht sprechen. Evident gesamtgesellschaftlich nützlich sind Aktivitäten, die technische oder geschäftliche Innovationen hervorbringen. Freilich muß dargetan werden, daß die innovatorische Tätigkeit gerade durch die vorvertragliche Informationspflicht erheblich beeinträchtigt würde, d.h. andere angemessene Möglichkeiten der Informationsnutzung als die Ausnutzung des Unwissenden nicht zur Verfügung stehen. Die Tatsache, daß für eine Information Suchkosten aufgewendet wurden, steht der Informationspflicht dagegen für sich genommen nicht entgegen, solange andere angemessene Möglichkeiten der Informationsnutzung existieren.

8. Teil:

Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten Rechtsfolge der culpa in contrahendo ist anerkanntermaßen der Ersatz des negativen Interesses, also jener Nachteile, die nicht eingetreten wären, hätte der Geschützte nicht auf die Erfüllung bestimmter Erwartungen vertraut. 1 Für die Informationshaftung ist damit das Wenigste geklärt. Die Formel vom negativen Interesse deckt nicht nur den Ersatz von Folgeschäden aus dem bei korrekter Verständigung nicht oder so nicht erfolgten Vertragsschluß, sondern auch und vor allem die Aufhebung des nicht erwartungsgerechten Vertrages. Daraus entsteht ein Konflikt mit § 123 B G B in Hinsicht auf die einschlägigen Ausschluß- bzw. Verjährungsfristen, und darüber hinaus, versteht man § 123 B G B als abschließende Regelung für die Beseitigung des Vertrages. Hält man die Vertragsaufhebung für zulässig, ist ferner das Verhältnis zur Vertragsanpassung als womöglich milderem Mittel zu klären. Außerdem ist die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast von besonderer Bedeutung, weil über das hypothetische Verhalten des Geschädigten bei richtigem Informationsstand oft nur spekuliert werden kann. Rechtsprechung und Literatur ringen seit der grundlegenden Entscheidung des B G H im KreissägenfalP um diese Probleme.

I. Rechtsfolgen der vorvertraglichen Informationshaftung 1. Anspruch

auf Aufhebung

des

Vertrages

Der B G H hat erstmals im KreissägenfalP aus dem Schadensersatzanspruch wegen Verletzung vorvertraglicher Informationspflichten einen Anspruch des Informationsberechtigten auf Aufhebung des Vertrages abgeleitet. Obzwar die Legitimität vorvertraglicher Informationspflichten und fahrlässiger Informationshaftung nicht bezweifelt wird, regt sich Widerstand gegen eine derart weitrei-

Siehe nur Grigoleit, Informationshaftung, S. 189. B G H NJW 1962, 1196, 1198f. 3 B G H NJW 1962,1196,1198f. Seither ständige Rechtsprechung, vgl. B G H N J W 1968, 986, 987; 1978, 41, 42; 1979, 1983, 1984; 1984, 2814, 2815. 1

2

I. Rechtsfolgen der vorvertraglichen

Informationshaftung

307

chende Rechtsfolge. Insoweit, so vor allem Medicus4, Canaris,5 Stoll6 und Lieb,7 müsse das System des BGB, das die Beseitigung des Vertrages nur unter engen Voraussetzungen (insbes. §123 B G B ) zulasse, Beachtung finden.8 Die Vertragsaufhebung gehe bei wirtschaftlicher Betrachtung wesentlich weiter als der Vermögensausgleich in Geld.9 Der B G H hat dieser rechtsfolgenspezifischen Wertung der Arglistanfechtung die im Vergleich zur „dinglichen" Wirkung der Anfechtung geringere Wirkung des Aufhebungsanspruchs entgegengehalten.10 Doch sind die Auswirkungen der Vertragsaufhebung auf Verkehrs- und Rechtssicherheit nicht grundsätzlich verschieden von jenen der Anfechtung.11 Die Anerkennung der c.i.c. allein entkräftet andererseits die Kritik am Aufhebungsanspruch nicht. Zu bezweifeln ist allerdings, daß § 123 B G B wirklich als Systementscheidung gegen einen schadensersatzrechtlichen Anspruch auf Vertragsaufhebung im allgemeinen und gegen einen auf fahrlässige Pflichtverletzung gestützten im besonderen verstanden werden kann. Grigoleit weist auf § 826 B G B hin: Der Gesetzgeber habe die Haftung für Fehlinformationen für sämtliche Schadensfolgen und nicht nur im Hinblick auf die Vertragsaufhebung auf Arglist beschränkt. Eine rechtfolgenspezifische Differenzierung sei nicht ersichtlich. Die Uberwindung des Prinzips informationeller Selbstverantwortung in Richtung auf Fahrlässigkeitshaftung könne daher ebensowenig rechtsfolgenspezifisch, also auf den Ersatz sonstiger Schäden beschränkt sein.12 Überdies, so ist hinzuzufügen, muß der Anfechtungsgegner in einer Tatbestandsvariante des § 123 B G B nur fahrlässig JuS 1965, 207, 212ff.; differenzierend mittlerweile ders., Bürgerl. Recht, 16. Aufl., Rn. 150. ZGR 1982, 395, 416ff. 6 FS Riesenfeld, S. 281 ff. 7 FS Univ. Köln, S. 251,253,261,262f., 264f.; ders., FS Gernhuber, S. 259,260ff.; ders., FS Medicus, S. 337, 343 ff. 8 Ebenso gegen eine auf c.i.c. gestützte Vertragsaufhebung Liebs, AcP 174, 26ff. 9 Lieb, FS Univ. Köln, S.251, 256, 264. 10 BGH NJW 1962,1196,1198. Die wohl überwiegende Ansicht folgt der Rechtsprechung im Ergebnis, Palandt/Heinrichs, BGB, 57 Aufl., §276 Rn.78; MünchKomm/Emmerich, BGB, 3. Aufl., Vor §275 Rn.96; Staudinger/Lóm>¿sc¿, BGB, 13. Bearb., Vorbem §§275ff. Rn.78, 94; M. Reinicke, JA 1982, 1, 2ff. m.w.N.; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 152, 199 (Einschränkung hinsichtlich der Frist); Larenz, FS Ballerstedt, S.397, 411; St. Lorenz, Schutz, S. 71 f., 330ff., unter Berufung auch auf Erkenntnisse der Rechtsvergleichung (a.a.O. S. 338f.); wohl auch Singer, Selbstbestimmung, S.237; differenzierend Schubert, AcP 168, 470, 504ff.; Hartwieg, JuS 1973, 733ff.; Schumacher, Irreführung, S. 23ff., 98ff., 115ff. (zu Schumacher noch S. 52ff. und S. 185f.); Willemsen, AcP 182, 515, 540; Gottwald, JuS 1982, 877, 881f. (gegen Differenzierungen insoweit St. Lorenz, Schutz, S. 343f.). Der Sache nach ebenfalls, aber zum Teil anders konstruierend (entsprechende Anwendung des Anfechtungsrechts) und sachlich differenzierend (dazu noch im Text) MünchKomm /Krämer, BGB, 3. Aufl., § 119 Rn. 97ff., § 123 Rn. 30. 11 Dazu und zu den weiteren Argumenten der Rechtsprechung näher Medicus, JuS 1965,209, 212f.; ders. Verschulden bei Vertragsverhandlungen, S. 542; eingehender Vergleich zwischen Anfechtung und Aufhebungsanspruch bei Grigoleit, Informationshaftung, S. 87ff. Mittlerweile ist der B G H vom Rechtsfolgenargument abgerückt, BB 1997,2553f.; zust. Lieb, FS Medicus, S. 337, 346. 12 Grigoleit, Informationshaftung, S. 82f. 4

5

308

8. Teil: Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher

Informationspflichten

gehandelt haben (im Hinblick auf die Kenntnis der durch einen anderen verübten arglistigen Täuschung, vgl. § 123 Abs. 2 BGB), was die Vorschrift in eine gewisse Nähe zur Fahrlässigkeitshaftung bringt. 13 Ferner ist § 119 Abs. 2 B G B zu beachten. 14 Die Anfechtung wird unabhängig von jeglicher Verantwortung des Gegners und sogar bei vermeidbaren Irrtümern des Anfechtenden gestattet, wobei der Gegner keinen Vertrauensschutz (§ 122 Abs. 1 B G B ) erhält, wenn er den Irrtum hätte erkennen können (§ 122 Abs. 2 BGB). Zwar ist das Anfechtungsrecht auf Irrtümer über „verkehrswesentliche Eigenschaften" beschränkt, aber die damit intendierte Grenzziehung ist recht unsicher, zumal andererseits auch die Informationspflicht auf „wesentliche", geschäftserhebliche Wertungen beschränkt ist. Zudem gestattet die Geschäftsgrundlagenlehre jenseits des Eigenschaftsirrtums die Vertragsaufhebung - keine gesetzliche Regelung zwar, aber immerhin von Kritikern des B G H akzeptiert. 15 Und so trifft auch die der Kritik zugrunde liegende Interessenwertung - die Vertragsaufhebung als für den Kontrahenten massivster Einschnitt 16 - in solcher Allgemeinheit nicht zu. 17 Die Entscheidung zwischen Vertragsaufhebung und Ersatz des Vermögensschadens ist aus der Sicht des Informationspflichtigen durchaus ambivalent, erst recht, wenn der Schadensausgleich bis zur Rückzahlung sämtlicher Aufwendungen führen kann. 18 Die auf vorvertragliches Verschulden gestützte Vertragsaufhebung gerät auch nicht in einen Wertungskonflikt mit dem Leistungsstörungsrecht oder dem Wegfall der Geschäftsgrundlage, wie Canaris unter Hinweis auf die dort jeweils „strengen Voraussetzungen" für eine Rückgängigmachung des Vertrages meint. 19 Das Leistungsstörungsrecht taugt nicht zum direkten Vergleich, da es nichts mit dem Zustandekommen des Vertrages zu tun hat. Im Vergleich zur Geschäftsgrundlage aber ist eine strengere Haftung völlig berechtigt, weil die Informationspflicht die Verantwortlichkeit des Informationsberechtigten für die Willensbildung des Informationsberechtigten beinhaltet.

Vgl. St. Lorenz, Schutz, S.328f. Dessen Bedeutung Lieb nicht genügend würdigt mit der Bemerkung, die Irrtumsregeln stünden „hier nicht zur Diskussion" (FS Univ. Köln, S. 251, 263). Man kann mangels einer geschlossenen Gesamtkonzeption des Gesetzgebers (Raape, AcP 150, 501: „Fahrt ins Blaue, Vorschrift aufs Geratewohl"; sieher ferner die Darstellung bei MünchKomm/Kramer, BGB, 3. Aufl., § 119 Rn. 88ff.; St. Lorenz, Schutz, S. 294ff.) kaum von einer „sorgfältig bedachten" Norm sprechen (so Lieh, a.a.O., S.262). 15 Etwa von Medicus, Bürgerl. Recht, 17. Aufl., Rn. 164ff.; Canaris, ZGR 1982, 395ff. 16 Lieh, FS Univ. Köln, S.251, 256, 264. 17 Genau umgekehrt in der Wertung sogar BGH NJW 1962,1196,1198f. Ferner M. Reinicke, JA 1982, 1, 5: Wenn der Geschädigte ggf. so zu stellen sei, wie er bei Vertragsschluß mit einem Dritten gestanden hätte, könne er - als minus - auch verlangen, so gestellt zu werden, als sei überhaupt kein Vertrag zustande gekommen. 18 So im Rahmen seiner Konzeption Lieh, FS Univ. Köln, S.251, 265. 19 ZGR 1982, 394, 418. 13 14

I. Rechtsfolgen der vorvertraglichen Informationshaftung

2. Die

309

Fristenproblematik

D i e Rechtsfolge „Vertragsaufhebung" wird v o m Gesetz nicht dahingehend gewertet, daß sie nur bei Arglist zulässig wäre. Sie ist nur - im Vergleich zu anderen Rechtsfolgen vorvertraglichen Fehlverhaltens - engeren zeitlichen G r e n z e n unterworfen. D i e Anfechtung wegen arglistiger Täuschung m u ß nach § 124 A b s . 1 , 2 B G B binnen Jahresfrist ab Kenntnis der Täuschung erfolgen, die Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums sogar unverzüglich nach Kenntnis des Irrtums ( § 1 2 1 B G B ) . D a z u steht in Widerspruch, die Vertragsaufhebung wegen vorvertraglichen Verschuldens nur der regulären Verjährung ( § 1 9 5 B G B ) zu unterwerfen, wie es die Rechtsprechung tut. 2 0 E s ist dem B G H nicht gelungen, diesen offenkundigen Widerspruch als sachlich gebotene Differenzierung aufzuzeigen. Zwar rechtfertigt die besondere Verantwortung des Informationsverpflichteten für den Irrtum des anderen eine von § 121 B G B abweichende, großzügigere Behandlung. A b e r eine stärkere Verantwortlichkeit für den Irrtum des anderen als jene des arglistig Täuschenden ist nicht denkbar. D i e N ä h e des vorvertraglichen Schuldverhältnisses zum Vertrag oder sein „quasivertraglicher" Charakter sind angesichts der mittlerweile fast fließenden Ubergänge zum deliktischen Bereich von begrenztem Aussagewert, zumal das vorvertragliche Schuldverhältnis nicht auf einem quasi-rechtsgeschäftlichen Geltungsgrund beruht. 2 1 D a v o n abgesehen regelt § 123 B G B gerade die vorvertragliche und auf einen Vertragsschluß zielende Arglist, d.h. die Täuschung liegt wenn nicht ausschließlich, so doch typischerweise im Bereich der Vertragsanbahnung. Gleiches gilt für § 8 2 6 B G B . 2 2 Ebensowenig kann eine im Vergleich zu § 123 B G B vermeintlich strengere Kausalitätsprüfung bei der Informationshaftung den Fristenunterschied legitimieren. 2 3 D i e scheinbar strengere Anforderung - für die Vertragsaufhebung nicht nur beweisen zu müssen, daß der Vertrag nicht so zustande gekommen wäre 2 4 , sondern daß er überhaupt nicht abgeschlossen worden wäre - ist in Wirklichkeit keine Verschlechterung für den Informationsberechtigten. D e n n die Anpassung des Vertragsinhalts an seine Erwartungen ist im Vergleich zur Aufhebung des Vertrages in der Regel die günstigere Alternative. N i m m t man hinzu, daß die dreißigjährige Verjährung für Ansprüche aus vorvertraglicher Haftung nicht mehr als eine Verlegenheitslösung ist, die zeitliche Begrenzung der Vertragsbeseitigung dagegen auf wohler-

20 BGH NJW 1979,1983,1984; BGHZ 111, 75, 82 mit Nachweisen zur Rechtsprechung hinsichtlich der Anwendung des § 477 BGB bei eigenschaftsbezogenen Informationspflichten. Weitere Nachweise bei MünchKomm/immeWc/;, BGB, 3. Aufl., Vor § 275 Rn. 94 Fn. 201. Zur Kritik nur Sack, Folgeverträge, S. 27f. Der Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesministers der Justiz (konsolidierte Fassung vom 6.3. 2001) verkürzt die regelmäßige Verjährung immerhin auf 3 Jahre (§ 195). 21 Siehe oben S.35ff. 22 Vgl. Mot. II, S.756f.; Grigoleit, Informationshaftung, S.32, 156. 23 So aberSf. Lorenz, Schutz, S.335. 24 So die Anforderung im Rahmen des § 123 BGB.

310

8. Teil: Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher

Informationspflichten

wogenen Gründen beruht und gewissermaßen ein die ganze Rechtsordnung prägender Grundsatz ist,25 muß die Ausschlußfrist in § 124 BGB auch für die Haftung aus vorvertraglichem Schuldverhältnis Beachtung finden, so es um die Vertragsaufhebung geht.26 Diese Lösung ist einer entsprechenden Anwendung des § 121 BGB vorzuziehen.27 Zwar ist der Unterschied zwischen Arglist und Fahrlässigkeit nicht gering, aber auch im Falle der Fahrlässigkeit ist der Informationspflichtige für den Informationsberechtigten verantwortlich. § 121 B G B setzt dagegen keine Verantwortlichkeit des Kontrahenten für den Irrtum des Anfechtenden voraus. Wenig ist dem Vorschlag von St. Lorenz28 abzugewinnen, unter Beibehaltung der Regelverjährung etwaige Spekulationen des Informationsberechtigten mit der Vertragsaufhebung gemäß §254 Abs. 2 BGB zu verhindern. Die Einzelfallorientierung bei der Begründung des Vertragsaufhebungsanspruchs noch um eine Einzelfallorientierung beim Wegfall desselben zu „bereichern",29 dürfte den Gerechtigkeitsgewinn über-, den zusätzlichen Verlust an Rechtssicherheit unterschätzen. Für den Schadensersatzanspruch im übrigen ist eine entsprechende Anwendung des §852 BGB zu befürworten.30 3. Entsprechende

Anwendung

des $ 124 BGB

Genüge getan ist dieser Anforderung mit der entsprechenden Anwendung des § 124 BGB auf den Schadensersatzanspruch aus c.i.c., soweit er auf die Aufhebung eines Vertrages zielt.31 Eine stärkere Anlehnung an das Anfechtungsrecht, wie sie Grigoleit vorschlägt, ist nicht notwendig und deshalb nicht zu legitimieren. Grigoleit plädiert für eine Ausdehnung des § 123 BGB auf Fälle fahrlässiger Informationspflichtverletzung.32 Basis dieser Konstruktion ist die These, daß das Anfechtungsrecht in § 123 BGB dem Aufhebungsanspruch aus § 826 B G B im Falle der arglistigen Täuschung vorgehe.33 Grigoleit zeigt die weitgehende Identität Siehe neben den Anfechtungsregeln z.B. §626 Abs.2 BGB, § 13a Abs.2 UWG. Soergel/Wedemann, BGB, 12. Aufl., Vor § 275 Rn. 152; M. Reinicke, JA 1982, 1, 6f. 27 Dafür bei fahrlässigen Informationspflichtverletzungen wohl Gottwald, JuS 1982,877,881; ebenso - im Rahmen seiner Konzeption eines erweiterten Anfechtungsrechts aus §119 Abs.2 BGB - konsequent MünchKomm/Xramer, BGB, 3. Aufl., § 123 Rn. 30. 2 8 Schutz, S. 335. 2 9 Das scheint die Einschätzung von St. Lorenz (Schutz, S. 335, Fußn. 719) zu sein. 30 So Canaris, ZGR 1982, 394, 425; Grigoleit, Informationshaftung, S.154ff., der (a.a.O., S. 161 f.) überdies für eine entsprechende Anwendung des § 853 BGB plädiert, für letzteres auch Medicus, Gutachten, S.542. 31 Ebenso Henrich, AcP 162, 88,104; M. Reinicke, JA 1982,1,6f.; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 152,199 („§§ 119,124"); Soergel /Huber, BGB, 12. Aufl., §459 Rn. 266; G. Müller, ZHR 147, 501, 530. § 124 BGB ist „erst recht" auf die Aufhebung des Vertrages wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage entsprechend anzuwenden. 32 Siehe zuvor bereits Schumacher, Irreführung, S. 116ff., der allerdings einen Aufhebungsanspruch aus c.i.c. überhaupt ablehnt (a.a.O., S. 31 ff.) und die entsprechende Anwendung des § 123 BGB auf die Aufklärungspflichtverletzung gegenüber „geschäftlich Unerfahrenen" beschränkt wissen möchte (a.a.O., S. 118f.). Zu Schumachers Theorie näher S.52ff., 185f. 33 Informationshaftung, S. 126ff.; siehe bereits Grunsky, ZIP 1990, 967f. 25

26

I. Rechtsfolgen

der vorvertraglichen

Informationshaftung

311

der nachteiligen Folgen von Anfechtungsrecht und Aufhebungsanspruch für Verkehrs- und Rechtssicherheit, insbesondere die Interessen Dritter an Rechtsklarheit, auf34 und zieht daraus die richtige Schlußfolgerung, der von der Ausschlußfrist in § 124 B G B verfolgte Zweck werde unterlaufen, sollte der großzügiger (§ 852 B G B ) verjährende Aufhebungsanspruch aus § 826 B G B daneben bestehen bleiben. So sehr ihm darin gegen die herrschende Vorstellung vom Nebeneinander von Anfechtungsrecht und Aufhebungsanspruch zu folgen ist, so wenig einsichtig ist sein Versuch, die vergleichbare Problematik zwischen §§123, 124 B G B und dem Aufhebungsanspruch aus c.i.c. mit der Erfindung eines Anfechtungsrechts35 für fahrlässige Informationspflichtverletzungen zu lösen, das dann Vorrang vor dem Aufhebungsanspruch haben soll. Einen Nutzen hat dieser Konstruktionsaufwand nicht; denn das Ziel - Gewährleistung der verkehrssichernden Funktion der Ausschlußfrist - läßt sich mit der entsprechenden Anwendung des § 124 B G B auf den Aufhebungsanspruch vollständig erreichen. Grigoleit bewertet das Nebeneinander von Anfechtung und Aufhebungsanspruch im Kontext von §123 B G B und §826 B G B als unnötige Komplizierung. Dem Aufhebungsanspruch aus c.i.c. steht aber nach der Gesetzeslage gerade kein vergleichbares Anfechtungsrecht gegenüber, von partiellen Überschneidungen mit §119 Abs. 2 B G B abgesehen. Grigoleit schafft mit seiner Konstruktion erst jene Komplexität,36 die ihm Anlaß zu einer Bereinigung zu Lasten des Aufhebungsanspruchs gibt. Im übrigen bringt die „Ausdehnung" des § 123 B G B die fahrlässige Unterlassung gebotener Aufklärung in eine sprachliche Nähe zur arglistigen Täuschung, die sie rechtsethisch nicht hat.37 Und auch die besondere Konstellation, in der der Informationspflichtige ein mit Zustimmung seiner gesetzlichen Vertreter handelnder Minderjähriger ist, kann mit der Schadensersatzkonstruktion befriedigend gelöst werden.38 Man kann mit guten Gründen dafür eintreten, der Minderjährige müsse gemäß §§ 828 Abs. 2,276 Abs. 1 S. 3 B G B von einer Schadensersatzhaftung verschont bleiben. Aber das kann nur für die sonstigen Schadensfolgen gelten, nicht für den Aufhebungsanspruch. Denn wenn für den Vertragsschluß der Minderjährigenschutz per Zustimmung des gesetzlichen Vertreters genügt, muß das auch für die Aufhebung des Vertrages genügen. Es gibt keinen Grund, den objektiv pflichtwidrig handelnden Minderjährigen davor zu bewah-

Informationshaftung, S. 87ff. Durch eine tatbestandliche Ausdehnung des §123 B G B auf die fahrlässige Informationshaftung, vgl. Grigoleit, Informationshaftung, S. 137ff. 36 Die noch dadurch erhöht wird, daß das Anfechtungsrecht bei fahrlässiger Informationshaftung hinsichtlich ihrer Wirkung auf das Erfüllungsgeschäft anderen Regeln folgen soll als im Falle der Arglist, vgl. Grigoleit, Informationshaftung, S. 140f. 37 Ebenso verfehlt, weil Tun und Unterlassen vermengend, sind die Begriffe „fahrlässige Irreführung" oder „fahrlässige Täuschung". 38 Darin scheint Grigoleit (Informationshaftung, S. 142ff.) einen wesentlichen Vorzug seiner Anfechtungslösung zu sehen. 34

35

312

8. Teil: Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher

Informationspflichten

ren. Diesem Zweck entsprechend sind die §§ 828 Abs. 2, §276 Abs. 1 S. 3 B G B insoweit nicht anzuwenden. Ähnliche Vorbehalte bestehen gegen Bestrebungen, die Verteilung der Informationslasten (partiell) in das Anfechtungsrecht zu integrieren. Zu nennen sind hier vor allem Kramer?'* J. Schmidt40 und Henssler,41 die, mit nicht unerheblichen Unterschieden im Detail, der in einem Sachverhaltsirrtum befindlichen Partei die Befugnis zur Anfechtung in Anlehnung an §119 Abs. 2 BGB oder §§119, 123 BGB zugestehen wollen.42 Wohl nur Kramer versteht seinen Ansatz überhaupt als Alternative zur vorvertraglichen Informationshaftung aus cic,43 wie man den tatbestandlichen Voraussetzungen entnehmen kann.44 Der Einwand, die Grenzen der aus § 119 Abs. 2 B G B heraus möglichen Rechtsfortbildung würden durch diesen Ansatz gesprengt,45 ist zwar richtig, trifft aber nicht den Kern. Die Schwäche des Ansatzes liegt in der unzureichenden Differenzierung der Rechtsfolge. Schäden, die über die Bindung an einen nicht erwartungsgerechten Vertrag hinausgehen, werden ausblendet. Ferner kann das Anfechtungsmodell auf den unterschiedlichen Grad der Informationsverantwortlichkeit des Gegners nicht reagieren und behandelt den Wegfall der Geschäftsgrundlage genauso wie die schuldhafte Verletzung einer Aufklärungspflicht. Zieht man aber im letzteren Fall die Haftung aus c.i.c. ergänzend für den Ersatz sonstiger Schäden heran, ist die Ersetzung des Aufhebungsanspruchs allein durch das Anfechtungsrecht aus §119 Abs. 2 B G B nicht verständlich. Ganz abgesehen davon, daß die Ausschlußfrist des § 121 B G B für diese Fälle unangemessen kurz ist. Daß der Anspruch auf Vertragsaufhebung keinen objektiven Vermögensscha46 den voraussetzt, ist an anderer Stelle dargelegt worden. Im übrigen ist der Scha-

MünchKommIKramer, BGB, 3. Aufl., § 119 Rn.97ff. Staudinger, BGB, 13. Bearb., §242 Rn.373, 374ff. 41 Risiko, S. 36ff. Zu Sacks wettbewerbsrechtlichem Ansatz (Folgeverträge, S. 16ff.) siehe S. 70, Fn. 197. 42 Siehe bereits S.259f. 43 Henssler, Risiko, S. 36ff., versucht dagegen die Geschäftsgrundlagenfälle zu erfassen. Dementsprechend geringer sind seine Anforderungen für die erweiternde Anwendung des §119 Abs. 2 BGB: Es komme lediglich auf die Erkennbarkeit der (fehlerhaften) Vorstellung an; dagegen fordert Kramer (alternativ neben der Gemeinsamkeit des Irrtums oder Veranlassung des Irrtums durch den Gegner) die Erkennbarkeit des Irrtums für den Kontrahenten, MünchKomm/ Kramer, BGB, 3. Aufl., §119 Rn. 101 (die von Kramer benutzte Formulierung „offenbar hätte auffallen müssen" entstammt dem österreichischen §871 Abs. 1 ABGB und wird dort im Sinne einfacher Fahrlässigkeit - Erkennbarkeit - verstanden, vgl. Rummel, ABGB, 2. Aufl., §871 Rn. 16). 44 Zu denen unter anderem die „Veranlassung des Irrtums" gehört, vgl. vorige Fußnote. Dazu soll auch die Unterlassung gebotener Information zählen, vgl. MünchKomm/iframer, BGB, 3. Aufl., §119 Rn. 104. 45 Siehe nur St. Lorenz, Schutz, S.286f. 46 S. 86f.; ebenso Grigoleit, Informationshaftung, S. 68ff., 147f.; wohl auch Canaris, FS Larenz (80. Geb.), S.27, 90; St. Lorenz, Schutz, S.72ff. 39

40

/. Rechtsfolgen der vorvertraglichen Informationshaftung

313

densersatz nicht wie in §§ 122, 179, 307, 309 B G B auf den Betrag des Erfüllungsinteresses beschränkt. 4 7

4. Darlegungs- und Beweislast D i e Darlegungs- und Beweislast für die Voraussetzungen der Haftung wegen Verletzung einer vorvertraglichen Informationspflicht liegen nach der Grundregel der Beweislastverteilung beim anspruchstellenden Informationsberechtigten. E r m u ß grundsätzlich alle Haftungsvoraussetzungen - den geschäftlichen K o n takt, die Geschäftserheblichkeit der Information, gegebenenfalls Vertrauenstatbestand oder allgemeine geschäftliche Unerheblichkeit, Kenntnis bzw. K e n n e n müssen des Informationspflichtigen, Schaden, Kausalität - darlegen und beweisen. D a z u gehört als Teil des Schadensbeweises auch der Beweis, daß der Vertrag bei ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zustande gekommen wäre. D i e Schwierigkeit dieses Beweises liegt auf der Hand. Rechtsprechung und Literatur diskutieren Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr. 4 8 Zu R e c h t wird eine Senkung des Beweismaßes gemäß § 287 Z P O angenommen. 4 9 D i e Vorschrift gilt nach der herrschenden D o g m a t i k für die haftungsausfüllende Kausalität. 5 0 D i e Grenzziehung zur haftungsbegründenden Kausalität ist bei Tatbeständen des Verhaltensunrechts problematisch. 5 1 D e r B G H fordert v o m Geschädigten den Beweis, daß er durch das schädigende Ereignis „betroffen" ist. 5 2 Das ist anzunehmen, wenn der Informationsberechtigte nicht in gebotener Weise informiert w o r den ist. D e n n seine Willensfreiheit kann er ohne die erforderliche Information nicht in vollem U m f a n g ausüben. 5 3 D i e Kausalität der Verletzung für den Vertragsschluß gehört dann zur Haftungsausfüllung, und für sie gilt § 2 8 7 Z P O mit der Folge, daß bereits die „erhebliche" bzw. „deutlich überwiegende" Wahrscheinlichkeit der Kausalität für die Beweiserbringung genügt. 5 4 Z u m selben E r BGHZ 57, 191,193; Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 181 m.w.N. Die hiesige Darstellung beschränkt sich auf das Wesentliche, da die Problematik jüngst von Brüske (Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen) und Grigoleit (Informationshaftung, S. 163ff.) eingehend und mit umfassenden Nachweisen zur Rechtsprechung erörtert wurde. 49 Grigoleit, Informationshaftung, S. 166ff. mit umfassenden Nachweisen; Stodolkowitz, VersR 1994, 11, 14; anders Brüske, Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen, S. lOOf. Aus der Rechtsprechung BGH VersR 1975, 540,541; NJW 1983,998,999; BGHZ 94,356,362; BGH LM § 123 Nr. 47 unter III. 50 BGHZ 4, 192, 196f.; Grigoleit, Informationshaftung, S.167 m.w.N.; Stodolkowitz, VersR 1994,11,14 m.w.N.; zu abweichenden Ansätzen Brüske, Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen, S. 76ff. Zu Brüskes eigenem Ansatz weiter im Text. 51 Näher Brüske, Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen, S. 95ff. 52 BGHZ 4, 192, 196; BGH NJW 1983, 998, 999; krit. dazu Brüske, Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen, S. 96ff.; such Stodolkowitz VersR 1994, 11, 14. 53 Grigoleit, Informationshaftung, S.167, der dieses Ergebnis auch für strengere Interpretationsansätze bejaht; mit anderer Begründung zum vergleichbaren Ergebnis kommt Stodolkowitz, VersR 1994, 11, 14. 54 BGH NJW 1992, 2694, 2695. 47

48

314

8. Teil: Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher

Informationspflichten

gebnis gelangt auch, wer mit Brüske^5 den Anwendungsbereich des §287 Z P O nicht nach der vorherrschenden Unterscheidung zwischen Haftungsbegründung und Haftungsausfüllung bestimmt, sondern die Qualität des jeweiligen Beweisrisikos - „allgemein" oder „definitorisch" - entscheiden läßt. §287 Z P O soll danach für definitorische Beweisrisiken gelten; das sind Beweisprobleme, die auf der rechtlichen Definition des Kausalbegriffs und nicht bloß auf zufälligen Gegebenheiten beruhen; darauf, daß ein hypothetischer Kausalverlauf relevant sei, dessen exakter Verlauf nicht feststellbar sei.56 Für die Kausalität der Informationspflichtverletzung trifft dies zu, denn es geht um die Frage, wie der Informationsberechtigte sich verhalten hätte, wäre er im Bilde gewesen.57 Weitgehende Einigkeit besteht darin, daß dem Informationsberechtigten der Anscheinsbeweis zur Hilfe kommt. 58 Vorbehalten gegenüber verallgemeinernder Betrachtung menschlichen Entscheidungsverhaltens59 zum Trotz läßt sich die Erfahrungsregel aufstellen, daß keine offensichtlich unvernünftigen rechtsgeschäftlichen Entscheidungen getroffen werden. Der Anschein spricht dafür, daß die Informationspflichtverletzung für den Vertragsschluß kausal war, wenn der Vertragsschluß bei ordnungsgemäßer Aufklärung keine sinnvolle Entscheidung gewesen wäre. 60 Damit ist zwar eine materiale Bewertung des Vertragsinhalts verbunden, aber beschränkt auf evidente Verstöße gegen die materiale Gerechtigkeit. Äußerst umstritten ist die Frage, ob die Beweislast für die Kausalität der Pflichtverletzung generell zu Lasten des Informationspflichtigen umzukehren ist. Aufklärungsrichtiges Verhalten des Informationsberechtigten wäre zu vermuten und etwaige Unklarheiten gingen dann zu Lasten des Informationsverpflichteten. Der B G H hat dies in diversen Entscheidungen angenommen.61 Als Brüske, Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen, S. 85ff. Brüske, Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen, S. 90ff. 57 Anders Brüske, Beweislast bei Aufklärungspflichten, S. 100f., mit folgender Begründung: Der Informationsberechtigte müsse seine „hypothetischen Motive darlegen und beweisen, die ihn zu dem von ihm behaupteten nicht schadenswirksamen Willensentschluß veranlaßt hätten". Daß er diese Motive nicht mitteilen könne, beruhe nur auf dem zufälligen Umstand, daß er sie z.B. nicht einem Dritten mitgeteilt habe und sei daher ein allgemeines Beweisrisiko. Aber es geht nicht um die bei Vertragsschluß tatsächlich bestehenden Motive des Informationsberechtigten, sondern darum, ob er an ihnen festgehalten und den Vertrag abgelehnt hätte, hätte er die Wahrheit erfahren. 58 BGH NJW 1993, 3259; Brüske, Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen, S.45ff.; Grigoleit, Informationshaftung, S. 168ff.; Grunewald, ZIP 1994, 1162, 1165; Grün, NJW 1994, 1330, 1332; St. Lorenz, Schutz, S. 77; ähnlich (Vorbehalt umfassender richterlicher Beweiswürdigung) Stodolkowitz, VersR 1994, 11, 14f. 59 Vgl. Grigoleit, Informationshaftung, S. 170; Stodolkowitz, VersR 1994, 11, 14. 60 Grigoleit, Informationshaftung, S. 170; Grunewald, ZIP 1994, 1162, 1165; ähnlich Stodolkowitz, VersR 1994,11, 14f. Strenger - den Anscheinsbeweis auf „typisierte Motive" beschränkend - Brüske, Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen, S. 61 ff., dessen Typisierung allerdings nicht einleuchtet. 61 BGHZ 72, 92, 106; 115, 213, 223; 124, 151, 159ff.; BGH NJW 1990, 42, 43 (zu §463 S.2 BGB), NJW 1991, 1673, 1675; NJW 1992, 2146, 2147; NJW 1993, 257, 258; NJW 1993, 2434, 2435; einschränkend BGH NJW 1991,694,695; zur vertraglichen Aufklärungspflicht BGHZ 61, 55

56

I. Rechtsfolgen

der vorvertraglichen

Informationshaftung

315

gewiß darf gelten, daß jedenfalls die Argumente der Rechtsprechung zu kurz greifen: Weder kann die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Geschehens die Beweislastumkehr begründen; sie taugt nur zur Rechtfertigung des Anscheinsbeweises. 62 Noch kann der Schutzzweck der Informationspflicht dahin bestimmt werden, den Informationsberechtigten vor Beweisproblemen zu schützen; die Zirkularität dieses Arguments hat Grigoleit dargelegt. 63 Entscheiden muß, ob der richtig bestimmte Schutzzweck der Informationspflicht, der Schutz der Willensfreiheit in der spezifischen Situation des Vertragsschlusses mit unterschiedlichem Informationsstand der Parteien, die Beweislastumkehr verlangt. Einiges spricht dafür. 64 Die Beweisprobleme des Informationsberechtigten werden durch Beweismaßsenkung und Anscheinsbeweis nur partiell behoben, denn nicht selten wäre die Entscheidung für den Vertrag, auch im Angesicht der betreffenden Tatsache, durchaus erwägenswert gewesen. Mit der bloßen Behauptung des Informationspflichtigen, der Vertrag wäre auch bei Kenntnis der Wahrheit abgeschlossen worden, wäre der Schutz der Informationspflicht dann auszuhebein. Das wäre indes hinzunehmen, würde der Informationspflichtige durch eine Beweislastumkehr unbillig beschwert. Das ist nicht der Fall. Weil die Informationspflicht auf „wesentliche", „geschäftserhebliche" Umstände beschränkt ist, muß der für die Haftungsbegründung beweispflichtige Informationsberechtigte zunächst dieses Gewicht der Information, also seine ursprünglichen Vorstellungen dargelegt und bewiesen haben. 65 Nur die Frage, ob er trotz der Information am Vertrag festgehalten und also seine ursprüngliche Wertungsgrundlage aufgegeben hätte, ist Gegenstand der Beweislastumkehr. Die Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens greift im übrigen nicht, wenn ein aufklärungsrichtiges Verhalten auf Grundlage der dargelegten und gebenenfalls bewiesenen geschäftserheblichen Vorstellungen unplausibel erscheint, etwa weil es für den Informationsberechtigten mehrere Möglichkeiten aufklärungsrichtigen Verhaltens gab. 66 118, 120ff. Darstellung der Rechtsprechung bei Grigoleit, Informationshaftung, S. 164ff. Die Rechtsprechung zu den Beratungspflichten ist zu Recht zurückhaltender, weil sich hier typischerweise mehrere echte Handlungsalternativen ergeben, BGHZ 123, 311, 314ff.; BGH NJW 1990, 1907, 1909 (präzisierend). 62 Grigoleit, Informationshaftung, S.173f.; Grunewald, ZIP 1994, 1162, 1164, 1165 m.w.N. 63 Informationshaftung, S. 174f.; siehe ferner Grunewald, ZIP 1994,1162, 1163. 64 In der Literatur ebenso Roth, ZHR 154, 513, 530f.; Grigoleit, Informationshaftung, S. 174ff.; differenzierend Grunewald, ZIP 1994, 1162, 1164 (nur bei vorsätzlicher Pflichtverletzung; dagegen Grigoleit, Informationshaftung, S. 176f., und Brüske, Beweislast bei Aufklärungspflichtverletzungen, S. 148ff. (nur bei grober Pflichtverletzung); ablehnend Stodolkowitz, VersR 1994, 11, 12ff. 65 Damit dürfte der Informationsberechtigte zugleich dargelegt haben, daß ein echter Entscheidungskonflikt im Falle ordnungsgemäßer Aufklärung bestanden hätte und der Vertrag nicht „in jedem Fall" abgeschlossen worden wäre. Der von Grigoleit (Informationshaftung, S. 177f.) in Anlehnung an die Rechtsprechung zur ärztlichen Aufklärungspflicht geforderten substantiierten Darlegung durch den Informationsberechtigten wäre damit Genüge getan. 66 BGHZ 124,151,161; BGH ZIP 1998,1306,1307; siehe auch OLG Dresden NJW-RR 1998, 1351, 1352.

316

5.

8. Teil: Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher

Informationspflichten

Vertragsanpassung

Die Anpassung des nicht erwartungsgerechten Vertrages an die Vorstellungen des Informationsberechtigten ist Inhalt des Schadensersatzanspruchs, so der Nachweis gelingt, daß der Vertrag mit diesem Inhalt bei ordnungsgemäßer Aufklärung geschlossen worden wäre.67 Das setzt voraus, daß der Informationsberechtigte den Vertrag bei Aufklärung nicht oder jedenfalls nicht so geschlossen hätte. Hier kommt ihm die oben angesprochene Beweislastumkehr zur Hilfe. 68 Zur Hilfe kommt dem Informationsberechtigten ferner, wie bei der Vertragsaufhebung, die Beweiserleichterung aus § 287 ZPO, also eine Senkung des Beweismaßes.69 Sie gilt für den hypothetischen Vertragsschluß insgesamt, also auch für das Verhalten des Informationspflichtigen. Trotzdem dürfte der Beweis eher selten gelingen. Zu denken ist etwa an den Fall, daß die Bank ihren Kunden nicht auf ein für seine Bedürfnisse günstigeres Finanzierungsmodell aus ihrem Angebot hingewiesen hat. 70 Es liegt auf der Hand, daß die Bank sich auf einen Vertrag entsprechenden Inhalts eingelassen hätte. Auch im Daktarifall dürften die Informationsverpflichteten angesichts des enormen Gewinns - bei einem Verkaufserlös von 8,3 Millionen DM hatten sie die hälftige Erlösbeteiligung des Informationsberechtigten für 10.000 Dollar erworben71 - eine gleichberechtigte Gewinnbeteiligung des Informationsberechtigten akzeptiert haben, andernfalls der Informationsberechtigte den Verkauf hätte scheitern lassen können. Ohne Kausalitätsnachweis ist die Vertragsanpassung schadensersatzrechtlich nur noch zulässig, wenn die Rückabwicklung des Vertrages praktisch unmöglich oder unzumutbar ist (vgl. §251 BGB) 7 2 oder wenn der Schaden allein durch eine Vertragsanpassung sinnvoll zu ersetzen ist.73 Weitere Beweiserleichterungen, namentlich die Beweislastumkehr bezüglich eines den Vorstellungen des Informationsberechtigten entsprechenden günstigeren hypothetischen Vertragsschlusses, sind vom Schutzzweck der Informationspflicht nicht gedeckt, weil der Informationsberechtigte durch Vertragsaufhebung 67 So der zutreffende Ansatz in BGH NJW1977,1538,1539; MünchKomm/Emmerich, BGB, 3. Aufl., Vor § 275 Rn. 201 f.; Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl., § 276 Rn. 102 m. w.N. zur Rechtsprechung; Staudinger/Z,irä>z5c/>, BGB, 13. Bearb., Vorbem §§275ff. Rn.95. 68 Siehe S. 314. 69 Siehe näher Grigoleit, Informationshaftung, S. 202f.; Messer, FS Steindorff, S. 743, 754. 70 Vgl. BGH NJW 1989, 1667; ähnlicher Fall im Versicherungsvertragsrecht O L G Köln VersR 1997, 1530. 71 Siehe S. 107. 72 So könnte der Fall BGHZ 69, 53 gelegen haben (siehe a.a.O., S. 57). Siehe im übrigen Stoll, FS Riesenfeld, S.275, 280. 73 Vgl. Stoll, FS v. Caemmerer, S.435, 462f. m.w.N. Die Rechtsprechung konstruiert neben der Verantwortlichkeit des Versicherers aus c.i.c. eine besondere, als „Gewohnheitsrecht" bezeichnete „Erfüllungshaftung" des Versicherers für eigentlich nicht versicherte Sachverhalte, wenn dem Versicherungsagenten bei Vertragsschluß die diesbezüglich irrige Vorstellung des Versicherungsnehmers erkennbar war, siehe Fn. 84.

I. Rechtsfolgen

der vorvertraglichen

Informationshaftung

317

und Ersatz sonstiger Schäden ausreichend geschützt ist (mit den entsprechenden Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr). 74 Erst recht läßt sich ein Recht zur Vertragsanpassung nicht auf diese Weise begründen, wie es die Rechtsprechung praktiziert. Danach darf der Informationsberechtigte am Vertrag festhalten und zugleich Erstattung dessen verlangen, was er mit Rücksicht auf seine enttäuschten Erwartungen „zuviel aufgewendet" hat,75 was der Sache nach nichts anderes ist als die Anpassung des Vertragsinhalts an oder zumindest in Richtung auf diese Erwartungen. Bedenklich daran ist weniger die Festlegung des Informationsverpflichteten auf einen von ihm nicht konsentierten Vertrag oder Vertragsinhalt, sondern die, zumindest in der Dogmatik angelegte, 76 einseitige Orientierung des Vertragsinhalts an den Erwartungen des Informationsberechtigten. 77 Auch liefert das Schadensersatzrecht keine Handhabe gegen die Erstattung von Folgeschäden (insbesondere entgangener Gewinn) aus der Nichterfüllung der Erwartungen. Der BGH lehnt den Ersatz dieser Schäden aus c.i.c. zwar zu Recht ab.78 Vom schadensersatzrechtlichen Standpunkt ist diese Ausgrenzung aber nicht einzusehen. Wenn die Erfüllung der enttäuschten Erwartungen schadensrechtlich geschützt sein soll, dann mit allen Konsequenzen. Der schadensersatzrechtliche Ansatz kann die spezifische Problematik indessen nicht lösen, die sich im Hinblick auf die enttäuschten Leistungserwartungen des Informationsberechtigten stellt: diese Erwartungen in einen angemessenen Ausgleich mit den Interessen des informationspflichtigen Gegners zu bringen, so der Informationsberechtigte am Ausgangsvertrag festhalten will. Dieser Interessenausgleich kann auch nicht als besondere, neben dem Schadensersatz stehende Rechtsfolge des vorvertraglichen Schuldverhältnisses begründet werden, wie Grigoleit meint. Seiner Ansicht nach rechtfertigt das vorvertragliche Schuldverhältnis die richterliche Angemessenheitskontrolle, wenn der Informationsberechtigte am Vertrag festhalten will. Zum einen sei die Angemessenheitskontrolle dem Zivilrechtssystem 74 Dazu und zu weiteren Einwänden Grigoleit, Informationshaftung, S. 202; ferner Canaris, ZGR 1982, 395, 421; Messer, FS Steindorff, S.743, 754; St. Lorenz, Schutz, S.78ff. Zu weiteren Versuchen, den Nachweis des hypothetischen Vertragsschlusses verzichtbar zu machen und zur Kritik an diesen Versuchen Grigoleit, Informationshaftung, S. 204ff. 75 BGHZ 69,53,58; 111, 75, 82f. m. w.N.; BGH NJW1980,2408,2409f.; ebenso Stall, FS Riesenfeld, S. 275, 280ff. Siehe ferner die umfassenden Nachweise bei Grigoleit, Informationshaftung, S. 183,185. Bei arglistiger Täuschung hat die Rechtsprechung zuweilen offen für den Ersatz des Erfüllungsinteresses plädiert (etwa RGZ 59, 155, 157: Geschädigter ist so zu stellen, wie er stünde, wenn die behauptete Tatsache wahr wäre; zur Entwicklung siehe Stoll, FS Riesenfeld, S.275, 277f.). 76 Den Ergebnissen der Rechtsprechung kann durchaus oft zugestimmt werden. 77 Stoll (FS Riesenfeld, S. 275,280ff.) sieht im Schutz „berechtigter Leistungserwartungen" geradezu einen Zweck der vorvertraglichen Haftung. Die Unterscheidung zwischen rechtsgeschäftlicher und faktischer Erklärung wird damit aufgehoben. Siehe zur Kritik ferner Grigoleit, Informationshaftung, S. 196f. Krit. zur Vermengung von Vertrauens- und Erfüllungsschaden in der Rechtsprechung auch Basedow, NJW 1982, 1030, 1031. 78 NJW 1994, 663, 664 unter II 2 a; trotzdem kritisch Grigoleit, Informationshaftung, S. 187.

318

8. Teil: Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher

Informationspflichten

nicht fremd; zum anderen lege die Zulassung der Angemessenheitskontrolle infolge Wegfalls der Geschäftsgrundlage einen Schluß a fortiori nahe. Die Schadensersatzhaftung werde insoweit um eine weitere Rechtsfolge ergänzt. Die Anpassung müsse um so mehr zugelassen werden, da sie milderes Mittel zur Aufhebung sei. 79 Aber für den Informationspflichtigen muß das keineswegs so sein; ihm wird ein Vertrag(sinhalt) aufgezwungen. Grigoleit meint, die Interessen des Informationsberechtigten überwögen, da nun einmal der Pflichtige die Verantwortung für den Vertragsschluß trage. 80 Aber die Interessen des Informationsberechtigten können nur erforderliche Eingriffe legitimieren. Das negative Interesse des Informationsberechtigten aber ist, solange die Rückabwicklung nicht infolge weiterer Dispositionen unmöglich oder unzumutbar geworden ist, durch Vertragsaufhebung und den Ersatz sonstiger Schäden optimal geschützt. Dogmatische Grundlage der Vertragsanpassung kann nur die Geschäftsgrundlagenlehre sein. Erwartungen, die Gegenstand einer Informationspflicht sind, werden regelmäßig auch Geschäftsgrundlage des dann geschlossenen, nicht erwartungsgerechten Vertrages sein: Die Verletzung einer Informationspflicht setzt auf Seiten des Verpflichteten Erkennbarkeit der Vorstellungen des Informationsberechtigten und deren Erheblichkeit für den Vertragsschluß voraus. Folgt man der normativ-subjektiven Geschäftsgrundlage, wird im Falle der Informationspflichtverletzung in der Regel die Geschäftsgrundlage fehlen oder entfallen. Es gibt keinen Grund, dem Informationsberechtigten die Rechte aus der Geschäftsgrundlagenlehre vorzuenthalten. Allerdings sind die Voraussetzungen und Grenzen der Geschäftsgrundlagenlehre zu beachten, die insbesondere eine bevorzugte Beachtung der Interessen des Informationsberechtigten ausschließt. Darin liegt ein wichtiger dogmatischer Unterschied zur haftungsbegründeten Anpassungskontrolle im Sinne Grigoleits. In der konkreten Fallanwendung wird man, dies ist zuzugeben, beide Ansätze zu denselben Ergebnissen steuern können. Aber die auf das vorvertragliche Schuldverhältnis gestützte Angemessenheitskontrolle kann leichter für eine Vertragsgestaltung zugunsten der eigentlich nicht vertraglich geschützten Interessen des Informationsberechtigten mißbraucht werden. Die Vertragsanpassung im Rahmen der Geschäftsgrundlagenlehre kann und muß hier nicht in Einzelheiten erörtert werden. 81 Erwähnenswert ist immerhin, daß die angemessene Minderung des Kaufpreises entsprechend §472 B G B , die insbesondere im Zusammenhang mit Unternehmenskäufen als Rechtsfolge der c.i.c. diskutiert wird, 82 in der Geschäftsgrundlagenlehre eine Basis findet, nicht zuletzt wegen der Nähe der §§459ff. B G B zur Geschäftsgrundlage. Alle Zitate Grigoleit, Informationshaftung, S. 21 Off. Grigoleit, Informationshaftung, S. 216. 81 Näher MünchKomm/ÄotÄ, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.544ff. m.w.N.; Palandt/Heinrichs, BGB, 57. Aufl., §242 Rn. 130ff. 82 Dazu und zu alternativen Maßstäben näher Grigoleit, Informationshaftung, S. 183ff. m.w.N. 79 80

I. Rechtsfolgen 6. Ersatz

des Interesses

der vorvertraglichen

an anderem

Informationshaftung

319

Vertrag

Z u u n t e r s c h e i d e n v o n der Vertragsanpassung ist d e r v o n d e r R e c h t s p r e c h u n g bef ü r w o r t e t e Ersatz des Interesses

an d e r E r f ü l l u n g eines anderen

Vertrages,

d e n der

G e s c h ä d i g t e bei o r d n u n g s g e m ä ß e r A u f k l ä r u n g anstelle des n u n m e h r geschlossen e n geschlossen hätte. D e r A n s p r u c h besteht unstreitig, w e n n der Vertrag mit ein e m D r i t t e n abgeschlossen w o r d e n w ä r e ; 8 3 gleiches m u ß gelten, w e n n der V e r t r a g mit d e m a u f k l ä r u n g s p f l i c h t i g e n K o n t r a h e n t e n v e r e i n b a r t w o r d e n w ä r e . 8 4 Ein K o n t r a h i e r u n g s z w a n g w i r d d a d u r c h nicht b e g r ü n d e t , 8 5 w e i l u n d solange die Schadensbetrachtung an den ( h y p o t h e t i s c h e n ) f r e i e n W i l l e n des A u f k l ä r u n g s pflichtigen a n k n ü p f t . D i e E r w i r k u n g v o n E r f ü l l u n g s a n s p r ü c h e n k a n n eine Folge v o n I n f o r m a t i o n s p f l i c h t v e r l e t z u n g e n sein, aber hier müssen q u a l i f i z i e r e n d e U m stände h i n z u t r e t e n w i e e t w a die Irreversibilität der eingetretenen Situation. 8 6 D i e I n f o r m a t i o n s p f l i c h t v e r l e t z u n g ist hier n u r ein E l e m e n t v o n m e h r e r e n z u r B e g r ü n d u n g der E r f ü l l u n g s h a f t u n g . 7. Verwirkung

eines

Rechts

W e n n der Nachteil des I n f o r m a t i o n s b e r e c h t i g t e n darin besteht, einem gesetzlichen R e c h t des I n f o r m a t i o n s p f l i c h t i g e n ausgesetzt z u sein (z.B. K ü n d i g u n g s r e c h t des W o h n u n g s v e r m i e t e r s w e g e n Eigenbedarfs), k a n n d e r Schadensersatz im W e g fall b z w . in der B e s c h r ä n k u n g ( V e r w i r k u n g ) dieses R e c h t s liegen. 8 7 BGH ZIP 1988, 505, 508; Soergel/WWema««, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn. 198. BGHZ 108, 200, 207f.; O G H VersR 1998, 482, 484; BGH N J W 1988, 2234, 2236 (weitere Erleichterung beim Handelskauf); BGH JZ 1999, 93 mit zust. Anm. Stoll = N J W 1998, 2900 m. zust. Anm. St. Lorenz, N J W 1999,1001; siehe bereits RGZ 97,336,339 (im Falle verspäteten Zugangs der Willenserklärung); RGZ 159, 33, 57. Allerdings ist der Vertragsanpassung, so diese möglich ist, der Vorzug zu geben; offen gelassen im Falle eines Versicherungsvertrages von BGHZ 108,200,206f. Zum Ersatz des Erfüllungsinteresses speziell bei unzureichender Aufklärung über Wirksamkeitshindernisse siehe B G H LM § 276 BGB (Fe) Nr. 2; weitere Nachweise bei VAxaäxl Heinrichs, BGB, 57. Aufl., § 276 Rn. 101. Die von der Rechtsprechung konstruierte „Erfüllungshaftung" des Versicherers für eigentlich nicht versicherte Sachverhalte, wenn dem Versicherungsagenten bei Vertragsschluß die diesbezüglich irrige Vorstellung des Versicherungsnehmers erkennbar war (BGHZ 2, 87, 92) gehört nicht zur c.i.c., wie auch der B G H erkennt (vgl. BGHZ 40,22,26f.; BGHZ 108,200,205f., 207f.; OGH VersR 1998,482,484). Sie ist im Grunde Rechtsscheinhaftung, die die fehlende Vertretungsmacht des Vermittlers (zum Unterschied zwischen Vermittlungs- und Abschluß Vertreter ferner OGH VersR 1998, 482, 484) bezüglich der Gestaltung des Versicherungsvertrages überbrückt; denn hätte dieser insoweit Vertretungsmacht, würde die ihm erkennbare Vorstellung des Kunden vom Versicherungsumfang usw. Vertragsinhalt werden. Dementsprechend entfällt die Haftung, wenn der Versicherungsnehmer die fehlende Vertretungsmacht erkennen konnte (OGH VersR 1998,482,484) oder den wahren U m fang hätte erkennen müssen (BGHZ 40, 22, 25ff.). 83

84

85 Staudinger/Löwisch, BGB, 13. Bearb., Vorbem §§275ff. Rn.75; Erman/Battes, BGB, 9. Aufl., §276 Rn. 124 (beide unter unzutreffender Berufung auf Stoll, FS v. Caemmerer, S.435, 445 f., der sich nur gegen eine Erfüllungshaftung beim Abbruch von Vertragsverhandlungen ausspricht). 86 Canaris, Vertrauenshaftung, S.372ff., 431 ff.; Singer, Verbot, passim. 87 Siehe etwa LG Berlin NJW-RR 1998, 1093.

320

8. Teil: Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher

Informationspflichten

II. Mitverschulden des Informationsberechtigten 1.

Relevanz

Die Haftung des Informationspflichtigen kann durch Mitverschulden des Informationsberechtigten gemäß §254 B G B begrenzt sein. Das ist selbstverständlich, soweit es nicht um das eigene Informationsverhalten, sondern sonstiges Fehlverhalten des Informationsberechtigten geht, insbesondere bei der Schadensabwendung oder Schadensminderung (§254 Abs.2 S. 1 BGB, z.B. der Informationsberechtigte hätte ein günstigeres Ersatzgeschäft abschließen können als das, auf dem seine Schadensberechnung fußt).88 Aber auch unzureichendes Informationsverhalten kann problemlos als Mitverschulden gewertet werden, wenn die Informationspflicht den entsprechenden Gegenstand nicht betraf.89 In Konflikt mit dem Zweck der Informationspflicht gerät dagegen ein Mitverschuldensvorwurf, der dem Informationsberechtigten seinen Irrtum und damit unzureichende Informationsvorsorge vorhält (informationsbezogenes Mitverschulden). Beschränkt man mit einem Teil der Literatur die Informationshaftung von vornherein auf Fälle, in denen die Information für den Informationsberechtigten nicht erkennbar war, stellt sich das Problem nicht.90 Das informationsbezogene „Mitverschulden" läßt die Informationspflicht erst gar nicht entstehen. Die Rechtsprechung hat dagegen - ihrem bei der Pflichtenbegründung großzügigeren Standpunkt entsprechend in nicht wenigen Fällen informationsbezogenes Mitverschulden berücksichtigt. Auch in der Literatur wird informationsbezogenes Mitverschulden für möglich gehalten.91 Das Problem ist mit einer allgemeinen Aussage - im negativen oder positiven Sinn - nicht zu lösen, vielmehr ist nach dem Grund der Informationspflicht zu differenzieren. Beruht die Informationspflicht auf der informationellen Unterlegenheit (allgemeinen geschäftlichen Unerfahrenheit im Sinne des §138 Abs.2 88 Siehe auch BGH NJW 1992, 2146, 2147, wo der Informationsberechtigte durch vorzeitige Aufgabe einer Sicherheit den Schaden mitverursacht hatte. 89 In BGHZ 33, 293 hätte die Bank den Kunden auf die rechtliche Bedeutung der Trennung von Erwerbs- und Darlehensgeschäft beim finanzierten Abzahlungskauf hinweisen müssen (a.a.O., S. 297f.). Als Mitverschulden war dem Kunden anzulasten, daß er blind eine Bestätigung über den Empfang des Kaufgegenstandes unterschrieb, ohne ihn erhalten zu haben (er hätte sich über den Inhalt der Erklärung informieren müssen, a.a.O., S. 301), woraufhin das Darlehen ausgezahlt wurde. Beides hätte verhindern können, daß der Verkäufer das Geld erhielt, ohne zuvor die Ware ausgeliefert zu haben. 90 So die Position von St. Lorenz, Schutz, S.442. Ebenso Grigoleit, Informationshaftung, S.258f. (anders nur in dem besonderen Fall, daß die Fehlvorstellung weiter reicht als die Informationspflicht, also auch die ordnungsgemäße Aufklärung die Fehlvorstellung nicht völlig beseitigt hätte). 91 Hildebrandt, Erklärungshaftung, S. 307; Lehmann, Vertragsanbahnung, S. 377f.; zur Dritthaftung Wiegand, Sachwalterhaftung, S.386ff. Allgemein krit. zur Handhabung des §254 BGB seitens der Rechtsprechung im vorvertraglichen Bereich allerdings Nirk, FS Möhring, S. 71, 86, 94f.; Willemsen, AcP 182, 515, 555.

II. Mitverschulden des

Informationsberechtigten

321

BGB) 9 2 des Informationsberechtigten, kommt ein informationsbezogenes Mitverschulden nicht in Frage. Denn allgemeine geschäftliche Unerfahrenheit kennzeichnet einen Zustand, der den Unerfahrenen außerstand setzt, seinen Informationsobliegenheiten nachzukommen. Jedes „Verschulden" in dieser Hinsicht würde die geschäftliche Unerfahrenheit und damit den Haftungsgrund entfallen lassen.93 Nicht so eindeutig fällt die Antwort im Falle der Haftung kraft in Anspruch genommenem Vertrauens aus. Grundsätzlich darf der Informationsberechtigte hier darauf „vertrauen", daß der andere die Erheblichkeit der Information erkennt und gegebenfalls informiert. Bestehen an der Glaubwürdigkeit des anderen Zweifel oder an der Glaubhaftigkeit seiner Angaben, entsteht gar kein berechtigtes Vertrauen. Der Vertrauenstatbestand wird gerade durch den zumutbaren Selbstschutz des Vertrauenden definiert.94 Sind diese Anforderungen erfüllt, kann dem Vertrauenden nicht der Vorwurf gemacht werden, er hätte dennoch von sich aus Informationsanstrengungen unternehmen müssen, z.B. die Angaben des Pflichtigen überprüfen müssen.95 Andererseits legitimiert das Vertrauen den Informationsberechtigten nicht, sich nach der Entstehung des Vertrauenstatbestandes offenkundigen Tatsachen gegenüber zu verschließen. Offenkundige Informationen muß der Informationsberechtigte zur Kenntnis nehmen und verwerten.96 Erst recht gilt das für tatsächlich erhaltene Informationen, z.B. warnende Hinweise Dritter. 97 Gegenüber auf dem Verständigungsprinzip beruhenden Informationspflichten kommt der Einwand des Mitverschuldens am stärksten zur Wirkung. Denn Informationspflichten können hier auch dann entstehen, wenn der Informationsberechtigte selbst die Erheblichkeit der Information hätte erkennen können. 98 Der Haftungsgrund spricht nicht dagegen, solches Informationsfehlverhalten in vollem Umfang zu berücksichtigen. Ökonomische Erwägungen, die im Interesse einer optimalen Ressourcenallokation für eine uneingeschränkte Haftung des posiS.154ff. In BGHZ 33,293 dürfte kein Fall informationeller Unterlegenheit im hier vertretenen Sinn vorgelegen haben. Aber selbst wenn man dies annähme, bezog sich das „Wissenkönnen" des Informationsberechtigten in jenem Fall nicht auf den informationspflichtigen Gegenstand (rechtliche Bedeutung der Trennung von Erwerbs- und Finanzierungsgeschäft beim finanzierten Abzahlungskauf, a.a.O., S. 297f.), sondern auf einen anderen Vorgang (daß man generell nicht unbesehen ein Dokument unterschreibt, a.a.O., S.301). 94 v. Craushaar, Vertrauen, S.23; St. Lorenz, Schutz, S.441f. 95 Richtig BGHZ 72, 92, 107; St. Lorenz, Schutz, S.442. Anders aber Basedow, NJW 1982, 1030,1031; Goltz, DB 1974,1609,1611. Besonders fragwürdig LG Oldenburg VersR 1998,220, 221 (gebilligt vom OLG Oldenburg a.a.O.). Allgemein zum Mitverschulden bei der Erklärungshaftung Canaris, Vertrauenshaftung, S.533f., 536. Siehe ferner die Nachweise bei Grigoleit, Informationshaftung, S. 257 Fn. 9. 96 In diese Richtung etwa BGH NJW 1982, 1095, 1097 („sich aufdrängende Unklarheiten"), so dürfte auch BGH NJW-RR 1998, 948, 949, liegen. 97 Vgl. BGH NJW 1982, 1095, 1096; OLG Braunschweig ZIP 1996, 1242, 1244f. 98 Vgl. etwa BGH WM 1987, 1546, 1547f. 92

93

322

8. Teil: Die Rechtsfolgen

der Verletzung

vorvertraglicher

Informationspflichten

tiv Wissenden trotz Fahrlässigkeit des Informationsbrechtigten geltend gemacht werden," sind zum einen nicht überzeugend100 und treten zum anderen hinter der eindeutigen Wertung des § 254 B G B zurück. 2.

Rechtsfolgen

Die Rechtsfolge des Mitverschuldens - Bestimmung des Schadensersatzanspruchs nach Maßgabe der Verschuldensanteile, meistens also Teilung des Schadens - will für den schadensersatzrechtlichen Anspruch auf Aufhebung des nicht erwartungsgerechten Vertrages nicht recht passen. Eine Teilaufhebung ist nicht sinnvoll, ebensowenig kann die Vertragsanpassung101 schadensersatzrechtlich legitimiert werden.102 Die „überschießende" Wirkung der Vertragsaufhebung ist mangels anderer Lösungsalternativen hinzunehmen. Ein gewisser Ausgleich ist dadurch möglich, daß der Informationsberechtigte an den Kosten der Vertragsaufhebung auf Seiten des Informationspflichtigen beteiligt wird. Denn generell kann bei der Naturalrestitution das Mitverschulden durch eine Kostenbeteiligung (Zug um Zug) Berücksichtigung finden.103 Zu den Kosten in diesem Sinne zählt das negative Interesse des Informationspflichtigen, nicht aber sein Erfüllungsinteresse.104 Letzteres würde den Informationsberechtigten tendenziell schwerer belasten, als hätte er selbst schadensersatzpflichtig eine vorvertragliche Verhaltenspflicht verletzt, und wäre zudem mit dem Schutzzweck der Informationspflicht, die den Informationsberechtigten gerade vor dem nicht erwartungsgerechten Vertrag bewahren will, nicht vereinbar. Bei den sonstigen Vermögensschäden auf Seiten des Informationsberechtigten kann das Mitverschulden problemlos berücksichtigt werden. Der Informationsberechtigte kann seinerseits schadensersatzpflichtig sein, wie an anderer Stelle bereits ausgeführt.105 Grundlage der Haftung ist die vorvertragliche Verständigungspflicht, die der Irrende verletzt, wenn er sein unzureichendes Erklärungsverhalten und den zugrunde liegenden Irrtum (über den normativen Sinn seiner Willenserklärung oder die Wertungsgrundlage) hätte vermeiden kön-

9 9 Vgl. Schuhmacher, Verbraucherschutz, S. 186, unter meines Erachtens unzutreffender Berufung auf §878 S. 3 A B G B , der wohl wie §307 Abs.l S.2 B G B gelesen wird, vgl. Rummel, A B G B , 2. Aufl., §878 Rn.6. 100 Siehe dazu S. 271 f., 286f. 101 Andeutend Lange, Schadensersatz, 2. Aufl., S.221; dagegen zu Recht Grigoleit, Informationshaftung, S. 259. 102 Siehe S.316ff. 103 Vgl. Palandt/Heinrichs, B G B , 57. Aufl., §254 Rn.52; MünchKomm/Graras&j, B G B , 3. Aufl., §254 Rn.59; Lange, Schadensersatz, 2. Aufl., S.221; B G H Z 90, 344, 347. 104 So St. Lorenz, Schutz, S.442f. 105 Siehe S.218, 270. 106 Ahnlich Grigoleit, Informationshaftung, S.260, der den Informationsberechtigten wegen Herbeiführung eines unwirksamen Vertrages haften lassen will, soweit er seinen Aufhebungsan-

III. Beschränkungen

der Informationshaftung

durch konkurrierende

Rechtsinstitute

323

III. Beschränkungen der Informationshaftung durch konkurrierende Rechtsinstitute 1. Gesetzliche

Gewährleistung

Das Verhältnis der vorvertraglichen Informationshaftung zu den gesetzlichen Gewährleistungsregeln (insbes. §§459ff., §§537ff., 633ff. BGB) wird weithin als problematisch empfunden. Daß die Institute aufeinander abgestimmt werden müssen, soweit es um Informationspflichten in bezug auf Sachmängel geht,107 ist allgemein anerkannt. Konsens herrscht ferner darüber, daß die kurzfristige Verjährung der Sachmängelgewährleistung nicht durch die vorvertragliche Informationshaftung unterlaufen werden darf und etwaige c.i.c.-Ansprüche zumindest diesen Verjährungsregeln unterliegen.108 Ob darüber hinaus Abstimmungsbedarf besteht, ist streitig. Die Tatbestandstheorie sieht die vorvertragliche Haftung tatbestandlich ausgeschlossen, wenn und soweit das Interesse des Informationsberechtigten durch eine Beschaffenheitsvereinbarung oder Eigenschaftszusicherung vertraglich gesichert sei (Identitätsargument). Die Informationspflichten sollten dem Berechtigen den Abschluß eines bedürfnisgerechten Vertrages ermöglichen, sie zielten darauf, den Bedürfnissen des Berechtigen vertragliche Berücksichtigung zu verschaffen. Sei dieses Ziel erreicht, sei gewissermaßen der Zweck der Pflicht erfüllt und könne keine Verletzung der Informationspflicht angenommen werden.109 Dementsprechend komme die Informationshaftung zum Tragen, wenn das Interesse des Informationsberechtigten an einer bestimmten Beschaffenheit nicht vertraglich abgesichert oder die Sachmängelgewährleistung vertraglich ausgeschlossen worden sei.110 Die Tatbestandstheorie verengt unzulässig die Schutzrichtung der Informationspflicht. Die Aufklärung soll den Informationsberechtigten befähigen, eine seinem materiellen Willen entsprechende Entscheidung zu treffen. Diese Entscheidung kann - und bei ordnungsgemäßer Aufkärung wird sie meistens sogar - darin bestehen, vom Vertragsschluß abzusespruch aus c.i.c. durchsetzt. Indessen kann man dem Informationsberechtigten schlecht die Geltendmachung eines Anspruchs als Pflichtverletzung vorhalten. 107 Informationspflichten über andere Umstände als Eigenschaften werden selbstverständlich nicht ausgeschlossen, Diederichsen, BB 1965, 401. 108 BGHZ 79, 183, 187; 111, 75, 82; MünchKomm/Emmerich, BGB, 3. Aufl., Vor §275 Rn.211 mit umfassenden Nachweisen; Diederichsen, BB 1965, 401, 403; Nirk, FS Möhring (65. Geb.), S.385, 412f.; Grigoleit, Informationshaftung, S.234f., 240. Das Problem erledigt sich wenn Ansprüche aus c.i.c. und aus Gewährleistung derselben Verjährungsfrist unterliegen, so der Diskussionsentwurf eines Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes des Bundesministers der Justiz (konsolidierte Fassung vom 6.3. 2001). 109 Stoll, FS v. Caemmerer, S.435, 454ff., 460f.; Grigoleit, Informationshaftung, S.226, 239f., allerdings mit einer Ausnahme für vorsätzliche Verletzungen der Informationspflicht (a.a.O., S. 228). Zur Diskussion im schweizerischen Recht Wahrenherger, Vorvertragliche Informationspflichten, S. 136ff., 141 ff. 110 Grigoleit, Informationshaftung, S.229f.

324

8. Teil: Die Rechtsfolgen der Verletzung vorvertraglicher

Informationspflichten

hen. Dieses Interesse wird durch eine vertragliche Abrede jedenfalls dann vermögensmäßig nicht abgedeckt, wenn, wie in §459 Abs. 1 BGB, als Rechtsfolge der „Nichterfüllung" lediglich Minderung oder Wandelung, nicht aber Ersatz des Schadens in Frage kommt, der infolge des Vertragsschlusses eingetreten ist.111 Die vorvertragliche Haftung bleibt somit tatbestandlich unberührt und kann allenfalls nach Konkurrenzregeln durch die Gewährleistung verdrängt oder konsumiert werden. Dafür tritt die herrschende Konkurrenztheorie ein. Für sie scheint der Umkehrschluß aus § 463 S. 2 B G B zu sprechen, wonach nur die arglistige Vorspiegelung der Mangelfreiheit eine Schadensersatzhaftung auslöst.112 Die Überlegung läßt sich dahin erweitern, in den §§ 459ff. B G B (und vergleichbaren Regeln) sei das Risiko unzutreffender Beschaffenheitsangaben abschließend geregelt.113 Alles, was unter dieser Grenze liegt, so wäre zu folgern, ist unerheblich. Die Vertreter der Theorie haben sich nicht von dem naheliegenden Einwand beeindrukken lassen, daß vorvertragliche Informationshaftung und vertragliche Haftung unterschiedliche Anknüpfungspunkte haben, also völlig verschiedene Verhaltenstatbestände vorliegen - hier die unzureichende oder fehlerhafte Aufklärung, dort die vertragliche/rechtsgeschäftliche Zusage;114 aus ihrer Warte nachvollziehbar, da §463 S.2 B G B durchaus das vorvertragliche Informationsverhalten sanktioniert. 115 Nur ist die Frage, ob 463 S.2 B G B eine negative Wertung zur vorvertraglichen Haftung entnommen werden kann. Es ist kein Spezifikum des Mängelgewährleistungsrechts, daß das Gesetz nur im Falle von Arglist eine Informationsverantwortung für den Kontrahenten normiert. Der „Widerspruch" der Fahrlässigkeitshaftung besteht nicht nur zu §463 S.2 BGB, 1 1 6 sondern ebenso zu §123 BGB. 1 1 7 Ist dies im allgemeinen kein Hindernis für eine vorvertragliche 111 Die Tatbestandstheorie kann, da sie bereits den Tatbestand der Pflichtverletzung negiert, Ansprüche aus c.i.c. auch nicht punktuell für solche weiteren Vermögensschäden aufrechterhalten, wie es die Konkurrenztheorie ermöglicht (siehe etwa Willemsen, AcP 182, 515, 532). Auch im übrigen, wenn ein Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsschadens besteht, ist die Erstattung nutzloser Aufwendungen problematisch, vgl. Stoll, FS Duden, S.640ff. Zur weiteren Kritik an der Tatbestandskonstruktion Breidenbach, Informationspflichten, S. 20f. 112 Staudinger /Honseil, BGB, 13. Bearb., Vorbem zu §§459ff. Rn.56; vgl. ferner Willemsen, AcP 182,515,520ff.; Emmerich, FS Jahr, S.267,268ff.; MünchKomm/Äoi^, BGB, 3. Aufl., §242 Rn.231. Dagegen beruft sich Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor § 275 Rn.252, auf das bereits kritisierte Identitätsargument. 113 Vgl. BGHZ 60,319,322f.; zu §§ 537ff. BGB BGH NJW 1980,777,779; vgl. auch RGZ 135, 339,346. Staudinger/HoKse//, BGB, 13. Bearb., Vorbem. zu §§ 459ff. Rn. 57; Willemsen, AcP 182, 515, 535ff., 538. Dadurch erhält die Abgrenzung des „Sachmangels" zusätzliche Bedeutung, der Unternehmenskauf liefert dafür reichlich Anschauung, vgl. die Darstellung der Rechtsprechung bei Soergel/Wiedemann, BGB, 12. Aufl., Vor §275 Rn.277. 114 Diederichsen, BB 1965, 401, 402f. 115 Freilich geht §463 S. 2 BGB auf das Erfüllungsinteresse, die c.i.c. dagegen auf das Vertrauensinteresse, vgl. Diederichsen, BB 1965, 401, 403. 116 Etwa Willemsen, AcP 182, 515, 538 und passim. 117 Daß dieser „Widerspruch" nicht oder zumindest nicht so besteht, wie oft behauptet, wurde an anderer Stelle dargelegt, vgl. S.23ff.

III. Beschränkungen

der Informationshaftung

durch konkurrierende

Rechtsinstitute

325

Fahrlässigkeitshaftung, gibt es keinen Grund, gerade im Mängelgewährleistungsrecht anders zu entscheiden.118 Daß die Konkurrenztheorie selten konsequent durchgehalten wird, ist ein Beleg für ihre Fragwürdigkeit. Hätte das Gewährleistungsrecht ausschließende Wirkung, müßte die vorvertragliche Haftung auch dann gesperrt sein, wenn die Vorstellungen der informationsberechtigten Partei bezüglich bestimmter Sacheigenschaften nicht in den Vertrag eingegangen wären oder wenn ein Haftungsausschluß vereinbart wäre. Das Gegenteil wird aber, zumindest von der Rechtsprechung, angenommen.119 Ebensowenig paßt die Aufrechterhaltung der vorvertraglichen Haftung für andere als Mangelschäden.120 Denn §463 B G B kann diese Schäden erfassen,121 und diese bloße Möglichkeit müßte für die Sperrwirkung dem Telos der Konkurrenzregel nach genügen. Schließlich ist die Anerkennung einer besonderen Fallgruppe der Informationshaftung („Ratserteilung"), in der es ein Nebeneinander von Informationshaftung und Gewährleistung geben können soll, zu nennen.122 Zwar wird diese Haftung oft als solche aus vertraglicher Nebenpflicht deklariert, tatsächlich handelt es sich aber um vorvertragliche Verhaltenspflichten.123 Und die Beratung geht oft nicht über eine schlichte Tatsachenaussage hinaus.124 Die Regeln der vorvertraglichen Informationshaftung finden also neben dem Gewährleistungsrecht Anwendung und sind nur den kurzen Verjährungsregeln unterstellt.125 2. Spezialgesetzliche

Informationspflichten

Spezialgesetzliche Informationspflichten verdrängen die Haftung aus dem vorvertraglichen Schuldverhältnis grundsätzlich nicht und sind insoweit nicht als ab118

Larenz, SchuldR II/l, 13. Aufl., §41 II, S.75f.; Grigoleit, Informationshaftung, S.224f. B G H N J W 1977, 1538, 1539; B G H Z 79,183,186f.; anders allerdings Willemsen, AcP 182, 515, 537; Soergel/Wiedemann, B G B , 12. Aufl., Vor §275 Rn.252. 120 SoetgeM Wiedemann, B G B , 12. Aufl., Vor § 275 Rn. 253; Willemsen, AcP 182,515,532. Von Mangelfolgeschäden (so Wiedemann a.a.O.) kann allerdings bei einem auf Korvertragliches Verhalten gestützten Anspruch nicht gesprochen werden, insoweit zutr. Soergel/Huher, B G B , 12. Aufl., Vor §459 Rn.219; Grigoleit, Informationshaftung, S.232. 121 Vgl. Staudinger/Honseil, B G B , 13. Bearb., §463 Rn.66 (nutzlose Aufwendungen), 55 (Mangelfolgeschäden aus §463 S.2 B G B , str.), 48ff. (Mangelfolgeschäden aus Zusicherung); Soergel/Huber, B G B , 12. Aufl., §463 Rn.60ff., 65 m.w.N.; Willemsen, AcP 182, 515, 530. 122 B G H Z 88, 130, 134; B G H N J W 1984, 2938; Soergel /Wiedemann, B G B , 12. Aufl., Vor §275 Rn. 251. Zumal eine schlüssige Übernahme der Beratungspflicht ausreichen soll, O L G Düsseldorf, NJW-RR1996,498. Siehe auch die Auflistung von Ausnahmen bei Staudinger//fonsell, B G B , 13. Bearb., Vorbem zu §§459ff. Rn. 59ff. Dabei geht es wohlgemerkt nicht um einen selbständigen Beratungsvertrag. Marutschke, JuS 1999, 729, 732f., bietet als theoretische Erklärung für die Ausnahme den „gesteigerten sozialen Kontakt" an. 119

123 Siehe etwa B G H Z 88, 130, 134 (die haftungsbegründende „Empfehlung" des Fußbodenklebers war vor dem Kauf erfolgt). Ebenfalls krit Grigoleit, Informationshaftung, S. 225f. 124 Siehe nur B G H N J W 1962, 1196, 1197 („Kreissäge"). 125 Ebenso Diederichsen, BB 1965,401 ff.; Nirk, FS Möhring (65. Geb.),S.385,411ff.;5ci